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Full text of "Allgemeine Anatomie und Physiologie des Nervensystems"

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Allgemeine 


Anatomie und Physiologie 


des 


Nervensystems. 


Albrecht Bethe 


Dr. phil. et med., 
Privatdozent der Physiologie an der Universität Straßburg i. Els. 


Mit 95 Abbildungen im Text und 2 Tafeln. 


Leipzig 
Verlag von Georg Thieme 


1903. 


882873 


Druck von Fischer & Wittig in Leipzig. 


Vorwort. 


Vor beinahe fünf Jahren, als die ausführliche Mitteilung Apäthys 
„über das leitende Element des Nervensystems‘ eine lebhafte Be- 
wegung unter den Neurologen anzuregen begonnen hatte, erhielt ich 
von Herrn Thieme die Aufforderung, eine zusammenfassende Dar- 
stellung über die neuen Errungenschaften der Nervenanatomie für 
seinen Verlag zu schreiben. Damals war noch alles im Fluß. Hätte 
ich die Arbeit schon zu jener Zeit übernommen, so wäre sie wahr- 
scheinlich schon am Tage des Erscheinens veraltet gewesen. So ent- 
schloß ich mich, mit der Ausführung des Auftrages noch einige Zeit 
zu warten und in der Zwischenzeit meine eignen Erfahrungen auf dem 
Gebiet der Nervenanatomie zu erweitern. Außerdem lag es mir aber 
am Herzen, die neuen Ideen auf die allgemeine Physiologie des Nerven- 
systems zu übertragen. 

Die Apäthysche Lehre, daß das leitende Element des Nerven- 
systems kontinuierlich verlaufende und von den plasmatischen Teilen 
des Nervensystems durchaus verschiedene Fibrillen seien, regte natur- 
gemäß zu einer großen Zahl neuer Fragestellungen auf dem Gebiet 
der Physiologie an. Einen Teil derselben hoffte ich in kurzer Zeit 
bis zu einem gewissen Grade erledigen und die Resultate dem ge- 
planten Buche einverleiben zu können. In Bezug auf mehrere Fragen 
gab das Experiment bald befriedigende Antworten; bei anderen mußten 
zur Lösung zeitraubende Umwege eingeschlagen werden, welche die 
Ausführung meines Vorhabens verzögerten. Wie es aber in solchen 
Dingen zu gehen pflegt: Jede in Angriff genommene Frage zeitigte 
im Verlaufe der Untersuchung neue und wichtige Probleme, die zu 
einem Lösungsversuch reizten. Schließlich mußten aber die Unter- 
suchungen wenigstens zu einem äußeren Abschluß gebracht werden, 
wenn das Erscheinen des Buches nicht noch auf lange Zeit hinaus- 
geschoben werden sollte. Dieser Abschluß ist jetzt erfolgt, und ich 
übergebe die bisherigen Resultate der Öffentliehkeit, bin mir dabei 
aber wohl bewußt, daß in denselben vieles unvollständig und lücken- 
haft ist und daß häufig Fragen offen gelassen sind, die vielleicht 


VI Vorwort. 


dureh einige wenige Versuche zur Entscheidung hätten gebracht werden 
können. 

Die Beschreibung neuer Versuche und Resultate nimmt in der 
Mehrzahl der Kapitel einen sehr breiten Raum gegenüber der Be- 
sprechung des bereits Bekannten ein. Infolgedessen kann das Buch 
nicht als ein Lehrbuch der allgemeinen Anatomie und Physiologie des 
Nervensystems angesehen werden. Der referierende Teil ist zwar in 
manchen Kapiteln annähernd vollständig; in andern Kapiteln hat aber 
nur der Inhalt der allerwesentlichsten Arbeiten Erwähnung gefunden. 
Das vorliegende Buch kann daher auch nicht den Titel eines Hand- 
buches der behandelten Materie für sich in Anspruch nehmen. Trotz- 
dem hoffe ich, daß das Buch manchem, der sich über die einschlägigen 
Fragen unterrichten will, von Nutzen sein wird. Außer für die 
physiologischen und anatomischen Fachgenossen ist es für alle die 
eeschrieben, welche sich für den Aufbau und die Funktion des Nerven- 
systems interessieren und sich mit einschlägigen Fragen beschäftigen, 
also für Neurologen, Psychiater und andre. Infolgedessen konnte 
die Kenntnis der groben anatomischen Verhältnisse und der Grund- 
züge der Physiologie des Nervensystems als bekannt vorausgesetzt 
werden. 

Spezialuntersuchungen pflegt man heutzutage in Zeitschriften 
niederzulegen oder, wenn sie ein größeres Gebiet umfassen, mono- 
graphisch zu behandeln. Hier und dort in ein allgemeineres Buch ein- 
zestreute Originaluntersuchungen gehen, wie die Erfahrung lehrt, leicht 
für das wissenschaftliche Bewußtsein verloren, weil sie niemand unter 
dem allgemeinen Titel des Werkes vermutet. Wenn ich hier doch 
eine recht beträchtliche Anzahl von Spezialuntersuchungen auf schein- 
bar weit voneinander entfernten Gebieten der Öffentlichkeit in Buch- 
form übergebe, so geschieht es deshalb, weil sie alle von einem ein- 
heitlichen Gesichtspunkt aus unternommen wurden und dieser nur 
dann zum Ausdruck gelangen kann, wenn ein gemeinsamer Rahmen 
die neuen Erfahrungen umfaßt. Fast in jedem Kapitel ist die eine 
oder andre neue Beobachtung mitgeteilt; im besonderen aber sind es 
die Kapitel über Nervendegeneration und Nervenregeneration, über 
die Nervenleitung und über die rhythmischen Bewegungen, welchen 
ausgedehnte Spezialuntersuchungen zugrunde liegen. 

Die Literatur') habe ich, so gut es bei der beschränkten Zeit 
möglich war, durchgesehen. Unter der großen Anzahl einschlägiger 
Arbeiten mußte aus äußeren Gründen eine Auswahl getroffen werden. 
Infolgedessen ist auch manche mir selber sehr erwähnenswert er- 


I) Arbeiten, welche Ende 1902 und bis zum April 1903 erschienen sind, 
konnten nur noch in Anmerkungen Berücksichtigung finden. 


Vorwort. vi 


scheinende Untersuchung weder im Text noch im Literaturverzeichnis 
genannt. Bei jeder wesentlichen Frage sind aber Arbeiten aufgeführt, 
welche als Ausgangspunkt für die Aufsuchung der ganzen Literatur 
dienen können. Es ist auch leicht möglich, daß mir einige Arbeiten 
entgangen sind, welche unbedingt hätten erwähnt werden müssen 
und daß ich Gedanken äußere, die schon ein andrer einmal nieder- 
geschrieben. 

Ich hätte denen, welche sich der Mühe unterziehen wollen, dies 
Buch zu lesen, noch mancherlei zur Entschuldigung seiner Mängel und 
Fehler zu sagen. Da es aber wohl auch mancherlei Gutes enthält, 
so gebe ich mich der Hoffnung hin, daß man gegen die Schwächen 
nachsichtig sein wird. 

Und nun sage ich noch Hermm Thieme, dem Verleger dieses Buches, 
für das liebenswürdige Entgegenkommen, das er mir in allen Fragen 
der äußeren Ausstattung erwiesen hat, meinen besten Dank. 


Straßburg, 15. Juni 1903. 


Inhaltsverzeichnis. 


Vorwort 3 2 
Abgrenzung des Gebietes e 


1 


Ds Su 


18. 
19. 
20. 
21. 
22. 


Kapitel. Begriffliches und Historisches über nervöse Fasern und Gan- 
glienzellen 


. Kapitel. Allgemeines über die Ko 
. Kapitel. Historisches über die Neurofibrillen 
. Kapitel. Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Auskehluß der Be 


netze). 


. Kapitel. Die Neurofibrillen im Nörr Rn der Wirheltiere } 
. Kapitel. Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen 
. Kapitel. Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Hlemenie Dei 


verschiedenen Tieren und die Übereinstimmung der Ergebnisse mit den 
Resultaten des physiologischen Experimentes 


. Kapitel. Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der - 


fibrillen 


. Kapitel. Über einige Andre ak nd Zellbestandteile nn die 


Veränderungen der Ganglienzellen nach intra vitam erfolgenden Ein- 
griffen 


. Kapitel. Die een 5 
. Kapitel. Die retrograden Veränderungen der Carehnelee an vV er- 


letzung der zugehörigen Nervenfasern und die chronische Degenera- 
tion der Nervenstümpfe 


. Kapitel. Die Zusammenheilung darehschnittener Noven ud die Nee 


regeneration 


. Kapitel. Über die Bneblene der Nor veneene 

. Kapitel. Das Wesen der Nervenleitung 

. Kapitel. Die Eigenschaften des Zenkralneryensy im ee 
16. : 
. Kapitel. Die Irreziprozität der Zenaeile und die Teinarseeeeru 


Kapitel. Die Reflexumkehr 


in denselben 
Kapitel. Reizsummation rd are : 
Kapitel. Die Wirkungen von Giften auf das Ners ensy in 
Kapitel. Der Tonus 
Kapitel. Die Hemmung . - 
Kapitel. Die rhythmischen engen - 


Literaturverzeichnis . 
Sachregister . 
Tafelerklärung . 


Seite 


Abgrenzung des Gebietes. 


Im Tier- und Pflanzenreich tritt uns eine große Menge von Aus- 
lösungserscheinungen entgegen, deren Veranlassung in Zustands- 
änderungen innerhalb der äußeren Umgebung der betreffenden Orga- 
nismen — den auslösenden Reizen — besteht, deren Endresultat 
Bewegung des Organismus oder seiner Teile ist. Die Energie, welche 
dem Organismus dabei durch den Reiz zugeführt wird, ist in der Regel 
geringer als die, welche sich im Effekt äußert. Das Plus an Energie 
führen wir zurück auf das Freiwerden kinetischer Energie innerhalb des 
Organismus selber. Die Quelle der Energie sehen wir in chemischen 
Verbindungen von hohem Wärmeäquivalent, welche unter dem Ein- 
fluß des Reizes zur Verbrennung gebracht werden und so zur Ent- 
faltung von potentieller Energie führen. In dieser Weise wirkt 
nach unserer Vorstellung die äußere Zustandsänderung, der Reiz, 
auslösend. 

Es ist theoretisch möglich und tatsächlich wohl auch in vielen 
rein protoplasmatischen Gebilden z. B. den Amöben verwirklicht, daß 
ein und dieselbe Substanz (1) auf den äußeren Reiz durch Zersetzung 
an der Reizstelle reagiert, (2) diese Zersetzung von Teilchen zu 
Teilchen fortpflanzt und (3) die Bewegung hervorbringt. Hier wäre 
also reizaufnehmende oder rezeptorische, reizleitende oder konduktile 
und auf den Reiz durch Bewegung reagierende oder effektorische 
Substanz ein und dasselbe. — — Bei andern Organismen ist, wie das 
Experiment seit langem gezeigt hat, eine vollkommene Trennung ein- 
getreten: ein Frosch hüpft auf plötzliche Belichtung davon. Große 
Massen seines Körpers sind dabei ganz unbeteiligt. Was sich bewegt 
sind seine Muskeln; der Reiz wird ihnen in veränderter Form durch 
die Nerven zugeleitet, werden z. B. die Hüftnerven durchschnitten, so 
tritt der Effekt nieht mehr ein. Die Nerven selber sind unfähig Be- 
wegungen zu äußern; sie sind aber auch nicht fähig auf den Reiz — 
das Lieht — in Funktion zu treten. Die Lichtrezeption wird durch 
das Auge vermittelt und durch dieses fast ausschließlich. Hier sind. 


Bethe, Nervensystem. 1 


2 Abgrenzung des (Gebietes. 


_ 


also rezeptorische, konduktile und effektorische ') Substanz durchaus 
voneinander getrennt. 

Solche Auslösungserscheinungen, bei denen die Vermittlung durch 
eine bewegungsunfähige und nur reizleitende Substanz geschieht, nennen 
wir Reflexe — oder Antikinesen, wenn man das Wort Reflex nur auf 
die stets in gleicher Weise wiederkehrenden Reaktionen beschränken 
will (Beer, Bethe und v. Uexküll). Am deutlichsten tritt die Trennung 
in konduktile und effektorische Substanz bei Wirbeltieren (und höheren 
Artikulaten) hervor, weil hier die konduktile Substanz in grob- 
anatomischen Massen — Nerven und Zentralorgane — vorhanden ist. 
Hier wurde auch ihre Haupteigenschaft — die Leitungsfähigkeit ohne 
äußere Bewegungsvorgänge — zuerst auf dem Wege der Nerven- 
durehschneidungen aufgedeckt. Nerven und Zentralorgane wurden als 
spezifisch gebaute Gewebe erkannt. Der zunächst anatomische Begriff 
„Nerv“ wurde auf den physiologischen Vorgang übertragen und nun 
bei allen solchen durch Nerven und nervöse Zentralorgane vermittelten 
Auslösungserscheinungen von „nervösen Prozessen“ gesprochen. Die 
historische Entwicklung des Begriffes „Nervös“ läßt es daher nicht 
zu, daß man dort von nervösen Prozessen spricht, wo Nerven ana- 
tomisch nicht nachweisbar sind, ja daß man den anatomischen Nach- 
weis der Nerven als gänzlich belanglos bezeichnet. Man kann aus 
der Art wie eine Auslösungserscheinung abläuft, wie sie sich bei 
Einwirkung von Giften u. s. w. verändert, wohl im Vergleich mit un- 
zweifelhaft nervösen Prozessen den Schluß ziehen, daß auch hier 
Nerven vorhanden sein müssen, und ihre anatomische Bestätigung 
abwarten, aber man darf nicht, wenn ihre Bestätigung ausbleibt, sagen, 
hier sind physiologisch Nerven vorhanden, anatomisch fehlen sie. 
Physiologisch vorhandene, anatomisch fehlende Nerven gibt es nicht. 
Das, was sich da äußert, wird dann eben nieht durch Nerven ver- 
mittelt, denn „Nerv“ ist ein anatomisch-physiologischer Begriff. 
Man ist gezwungen, um nicht eine heillose Verwirrung eintreten zu 
lassen, neue Worte zu bilden und den Begriff „Nervös“ und alles was 
mit ihm zusammenhängt (Reflex u. s. w.) für solche Erscheinungen zu 
reservieren, die wirklich durch Nerven vermittelt werden. 

Versuche mancher Botaniker, gewisse Erscheinungen bei Pflanzen 
als Reflexe zu bezeichnen und das Streben mancher Zoologen, „nervöse 


1) In einem gewissen Grade kommt natürlich auch der effektorischen 
Substanz Rezeptionsfähigkeit (Irritabilität) und Konduktibilität zu und die kon- 
duktile Substanz ist ebenfalls für gewisse Reize rezeptionsfähig. Bei den natür- 
lichen Vorgängen spielt aber diese Rezeptibilität meist nur insofern eine Rolle, 
als sie bei der Weiterbeförderung des Erregungsvorganges notwendig ist. Der 
äußere (natürliche) Reiz trifft wohl nur selten konduktile und noch seltener 
effektorische Substanz direkt. 


Abgrenzung des Gebietes. 3 


Erscheinungen“ an einzelligen Wesen zu entdecken, sind daher energisch 
zurückzuweisen. Prinzipiell mögen ja die Unterschiede nicht allzugroß 
sein, welche zwischen diesen Erscheinungen und den nervösen existieren, 
aber es ist höchst unzweckmäßig alle Begriffe in der Wissenschaft 
zu verwässern.!) 

Danach würde, so lange wir die Vorgänge bei den nervösen 
Prozessen nicht genauer kennen, unsere Definition folgendermaßen 
lauten: Nervöse Prozesse sind durch äußere Reize her- 
vorgerufene Auslösungserscheinungen, bei denen die 
Leitung des Reizes durch ein anatomisch wohlcharak- 
berisiertes Gewebe seschieht, das. nur der Leitung 
dient. Der Beweis für Vorhandensein eines solchen Gewebes muß 
immer ein doppelter sein: der anatomische Nachweis charakteristischer 
Nervensubstanz und der physiologische Nachweis, daß nach Konti- 
nuitätsunterbrechung dieser Substanz die betreffende Auslösungs- 
erscheinung unterbleibt. 

Da sich der Begriff der Nerven und des „Nervösen‘“ historisch 
von den Wirbeltieren aus entwickelt hat, so haben immer diese als 
Ausgangspunkt der Untersuchung zu dienen. Bei ihnen haben wir 
festzustellen, was am Nerven und an den Zentralorganen anatomisch 
und physiologisch charakteristisch ist. Wenn das geschehen ist, so 
wird es — wenigstens oft — nicht schwer sein zu entscheiden, welche 
Erscheinungen bei niederen Tieren und in strittigen Organen der 
Wirbeltiere selbst (Herz, Darm, Ureter u. s. w.) als nervös zu be- 
zeichnen sind. 


1) Beer, v. Uexküll und ich haben deshalb vorgeschlagen, Auslösungs- 
erscheinungen, welche auf rein protoplasmatischem Wege vor sich gehen oder 
wenigstens nicht durch eine konduktile Substanz vermittelt werden, die den 
Namen „Nerv“ verdient, im Gegensatz zu den Antikinesen (Reflexe und Anti- 
klisen) als Antitypien (Rückwirkungen) zu bezeichnen. Eventuell wird man in 
diesem Begriff noch Unterabteilungen zu machen haben. 


ERSTES KAPITEL. 


Begriffliches und Historisches über nervöse Fasern 
und Ganglienzellen. 


Die histologische Untersuchung von Geweben, deren nervöse 
Funktion experimentell durchaus gesichert ist, läßt innerhalb des 
Nervensystems verschiedener Tiere und ein und derselben Tierart sehr 
verschiedene Formelemente unterscheiden, überall aber finden wir zwei 
Haupttypen: kernhaltige Protoplasmaklumpen und faserige, zylindrische 
Gebilde, die sich früher oder später in viele oder wenige Zweige 
teilen können. Die Zellen ') werden jetzt fast allgemein Ganglienzellen 
genannt (Nervenkörper Valentins, Nervenzellen Köllickers und andrer); 
für die faserigen Elemente in ihrer Gesamtheit (soweit sie nervöser 
und nicht gliöser oder bindegewebiger Natur sind) existiert kein ein- 
heitlicher Name; man wird aber kaum zu Irrtümern Veranlassung 
xeben, wenn man sie einfach als nervöse Fasern bezeichnet, obgleich 
dies Wort schon einigemal für Spezialfälle in Anwendung gebracht 
ist. Bis jetzt ist kein Nervensystem bekannt geworden, das nur aus 
Ganglienzellen oder nur aus nervösen Fasern besteht, und man wird 


ı) Die Ganglienzellen wurden längere Zeit vor Aufstellung der Zelltheorie 
(durch Schleiden und Schwann) von Ehrenberg im Jahre 1833 richtig gesehen 
und beschrieben, aber nur bei Wirbellosen, wo sie auch in der Tat mit den 
damaligen Methoden (Zerzupfung) am leichtesten darzustellen sind. (Nach der 
Beschreibung von Leeuwenhoek scheint es mir übrigens nicht ausgeschlossen, 
daß er bereits im Jahr 1684 Andeutungen von Ganglienzellen bei Wirbeltieren 
gesehen hat.) Valentin hat bald darauf (1836) die Ganglienzellen als Bestandteil 
des Wirbeltiernervensystems gefunden und bereits ihre weite Verbreitung (Rücken- 
mark, Gehirn, Spinalganglien und sympathische Ganglien) erkannt. Über ihre 
Formen war er noch sehr im unklaren, ebenso über ihre Bedeutung, wie schon 
aus seiner Bezeichnung, Belegkörper oder Belegungsformationen, hervorgeht. Das 
Jahr 1837 bringt durch Joh. Müller, Purkinje und Remak die ersten mit unsern 
heutigen Kenntnissen einigermaßen übereinstimmenden Formbeschreibungen. 


Begriffliches und Historisches über nervöse Fasern und Ganglienzellen. 5 


daher den Schluß ziehen dürfen, daß die Koexistenz beider Elemente 
prinzipieller Natur ist. 

Alle andern Bestandteile, wie Glia, Markscheiden, Schwannsche 
Scheiden u. s. w., welche in manchen Nervensystemen einen sehr 
breiten Raum einnehmen, können nur aceidenteller Natur sein, da sie 
in andern Nervensystemen ganz fehlen. Ihnen mag dort, wo sie vor- 
handen sind, eine nicht unbedeutende, funktionelle Bedeutung zu- 
kommen, für den nervösen Vorgang an sich können sie nicht not- 
wendig sein. 

Die nervösen Fasern treten bei höher differenzierten Nerven- 
systemen nicht selten in zwei äußerlich ziemlich verschiedenen Formen 
auf, welche bei den Wirbeltieren durch die Nervenfasern sensu strie- 
tiore resp. die Achsenzylinder (mit oder ohne Markscheide)!) und durch 
die Protoplasmafortsätze (Deiters, 1865) repräsentiert werden. Max 
Schultze hat bereits in dem Vorwort zu Deiters’ nachgelassenem Werke, 
in dem dieser Ausdruck zum erstenmal gebraucht wurde, seine Be- 
denken gegen diese Bezeichnung ausgedrückt, welche eine den Tat- 
sachen vielleicht nicht entsprechende Gegensätzlichkeit zu den Nerven- 
fasern resp. Achsenzylindern zum Ausdruck bringt und an seiner Stelle 
den nicht sehr prägnanten Ausdruck „verästelte Fortsätze“ in Vorschlag 
gebracht, der sich aber nicht allgemein eingebürgert hat. (Größere Ver- 


Müller sah bei Myxine (Petromyzon marinus) kernhaltige Klümpchen mit drei 
bis fünf Fortsätzen. Purkinje beschrieb und — was für uns wichtiger ist — 
zeichnete multipolare „gangliöse Körperchen“ in der Substantia nigra und in der 
Kleinhirnrinde und Remak erkannte, daß die Körperchen im Rückenmark nicht 
rund seien, wie sie Valentin beschrieben hatte, sondern oft viele, den Primitiv- 
bändern (Achsenzylindern) ähnliche, aber von ihnen doch verschiedene Fortsätze 
hätten. Ziemlich bald nach Begründung der Zellenlehre fing man an die Elemente 
als Zellen aufzufassen und zu bezeichnen. Die Bezeichnung „Ganglienzelle“ habe 
ich zuerst bei R. Wagner gefunden, weiß aber nicht, ob er sie zuerst an- 
gewandt hat. 

1) Von einem Achsenzylinder kann man eigentlich nur dort reden, wo eine 
Nervenfaser in der Achse einer Scheide, vor allem einer Markscheide, läuft. 
Nackte Nervenfasern so zu bezeichnen, wie es häufig geschieht, ist begrifflich 
ein Unding. Gut beobachtet hat den Achsenzylinder zuerst Remak im Jahre 
1537. Er nannte ihn Primitivband. Der Name Achsenzylinder stammt von 
Purkinje. Vor Remak ist er nach Ansicht mancher Autoren schon von Fontana 
(1787) beobachtet, doch halte ich mit R. nach der Beschreibung, die F. gibt, 
dies nicht für gesichert. Die Nervenfasern an sich wurden zuerst von dem Be- 
gründer der wissenschaftlichen Mikroskopie, Leeuwenhoek, beobachtet und schon 
recht gut im Querschnitt abgebildet (1684). Er erkannte auch schon die Zu- 
sammensetzung des Zentralnervensystems aus solchen Fasern, die er allerdings 
mit vielen späteren Forschern für Röhren ansah, und fand sie auch schon bei 
Wirbellosen. Den Hauptanstoß zur mikroskopischen Untersuchung des Nerven- 
systems gab aber erst Ehrenberg (1533) durch die Neuentdeckung der Gehirn- 
fasern und die Auffindung der Ganglienzellen bei Wirbellosen. 


6  Begriffliches und Historisches über nervöse Fasern und Ganglienzellen. 


breitung hat der His’sche Ausdruck ‚‚Dendriten‘‘ gefunden.) Die mor- 
phologische Differenz zwischen beiden Faserarten ist bei Wirbeltieren 
an manchen Stellen zwar sehr ausgeprägt, an andern Orten ist sie aber 
nur mit Mühe zu konstruieren, ebenso bei Artikulaten, Mollusken u. s. w. 
und bei den niedrigsten Formen des Nervensystems existiert sie über- 
haupt nicht. Man wird sich daher schon aus rein vergleichend mor- 
phologischen Rücksichten der Ansicht nicht entziehen können, daß es 
sich dort, wo dieser Unterschied existiert, um lokale Bedürfnisse 
handelt und daß der Unterschied nicht prinzipieller Natur ist. 

Seit den Anfängen der histologischen Forschung auf dem Gebiet 
des Nervensystems haben sich die Forscher bemüht, herauszufinden, 
in welcher Weise die faserigen und zelligen Elemente miteinander in 
Verbindung stehen. Der Zusammenhang von Protoplasmafortsätzen 
mit den Ganglienzellen ist bereits bei Anwendung der einfachsten 
Methoden (Zupf- und Quetschpräparate) bei Wirbeltieren so evident, 
daß hierüber ein Zweifel nie bestanden hat. Schon den ersten 
Forschern auf diesem Gebiet (Purkinje, Müller, Remak) war diese 
Tatsache vollständig geläufig. Erst später ist festgestellt worden, 
daß die peripheren Nervenfasern (die Achsenzylinder) mit Ganglien- 
zellen in Zusammenhang ständen und zwar so, daß sich bei den 
markhaltigen Fasern die anfangs nackte Faser erst in einiger Ent- 
fernung von der Ganglienzelle mit dem Markmantel umgibt.') Anfangs 


1) Ueber die Entdeckung des Ursprungs der Nervenfasern aus den Gan- 
glienzellen trifft man häufig in der Literatur falsche oder unvollständige An- 
gaben. Wenn Remaks Beschreibung vom Bau der sympathischen Ganglien 
aus dem Jahre 1838 richtig ist — und es liegt kein Grund vor, daran zu 
zweifeln —, so ist er der erste gewesen, der Nervenfasern (und zwar die nach 
ihm benannten marklosen Fasern des Sympathicus) von Ganglienzellen hat ent- 
springen sehen, denn er beschreibt, was durchaus den tatsächlichen Verhältnissen 
entspricht, daß die Zellen der Ganglien mehrere Fortsätze aussenden, die all- 
mählich in Nervenfasern übergehen. Köllicker hat später (1844) dasselbe be- 
obachtet. Anfangs der vierziger Jahre ist dann mehrfach auch für andre 
Ganglienzellen behauptet worden, daß sie Nervenfasern den Ursprung geben, so 
von Hannover (1844) für Zellen des Gehirns und Rückenmarks, von Will 
im selben Jahr für Ganglienzellen wirbelloser Tiere und von Harless (1846) für die 
Zellen des Lobus electricus von Torpedo. Aus den Abbildungen dieser Autoren 
läßt sich aber mit Sicherheit erkennen, wie dies auch Wagner ausgesprochen 
hat, dafßl sie keine wirklichen Nervenfasern vor sich gehabt haben oder daß 
sie Verbindungen sahen, die in Wirklichkeit nicht existieren (Harless). Daß 
markhaltige Nervenfasern von Ganglienzellen entspringen können, wurde Ende 
18546 gleichzeitig von R. Wagner und Robin gefunden. In der Literatur gilt 
aber fast allgemein R. Wagner als der alleinige Entdecker dieser Tatsache, 
trotzdem er selber das Verdienst Robins vollkommen anerkannt hat. Die erste 
Publikation beider Forscher fällt nicht nur beinahe zusammen (W. 15. Februar 
1547 und R. 3. März desselben Jahres), sondern die Entdeckung wurde auch von 
beiden am selben Objekt, den Spinalganglienzellen von Torpedo gemacht. Sie 


Begriffliches und Historisches über nervöse Fasern und Ganglienzellen. 7 


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Fig. 1. Bauchmark von Carcinus Maenas, schematisch. Dasselbe besteht aus einer Anzahl dicht 
aneinander gedrängter Ganglienpaare, welche durch kurze Längskommissuren miteinander verbunden 
sind. Vorne die kurz abgeschnittenen Schlundkommissuren, welche die Verbindung mit dem 
Gehirn herstellen. In die Umrisse des Bauchmarks ist der Verlauf einiger Nervenelemente nach 
Methylenblaupräparaten eingetragen. Näheres im Text. 


ließen manche Forscher mehrere Achsenzylinder von einer Ganglien- 
zelle entspringen, man formulierte aber später das Gesetz (kemak 


sahen, daß diese spindelförmigen Zellen nach beiden Seiten hin in markhaltige 
Nervenfasern übergehen und dass die eine zum Rückenmark zieht, während die 
andre in den peripheren Nerv läuft. Wagner sah gleichzeitig, daß die Zellen 
des Lobus elektrieus verschiedene Fortsätze hätten, daß der ene homogener 
sei und dem aus den Markscheiden hervorragenden Achsenzylinder gleiche. Ge- 
sehen hat er bei diesen Zellen den Zusammenhang mit markhaltigen Fasern nicht 
sondern nur erschlossen! Den wirklichen Nachweis hat er nur dort geführt, wo 
er auch Robin gelungen war. An zentralen Ganglienzellen ist wohl die direkte 
Beobachtung des Zusammenhanges mit markhaltigen Nervenfasern zuerst Stilling 
und kurz darauf Remak (1854) an Vorderhornzellen gelungen. 


8  Begriffliches und Historisches über nervöse Fasern und Ganglienzellen. 


[1854—1855] und besonders Deiters [1865]), daß immer nur eine 
Nervenfaser von einer Ganglienzelle ausgehe. In der Folgezeit ist 
besonders von Gerlach [1872] die Ansicht vertreten worden, dass 
außer direkt von Ganglienzellen auch aus einem von den Protoplasma- 
fortsätzen gebildeten Netz Achsenzylinder entspringen könnten. Es 
wurde dem aber sehr bald allgemein widersprochen und jetzt gilt es 
bei den meisten als gesicherter Lehrsatz, daß Achsenzylinder nur 
von Zellen direkt ausgehen. Trotzdem wenigstens eine Zellart der 
Wirbeltiere sicher zwei Achsenzylinderfortsätze hat, nämlich die Spinal- 
sanglienzellen, so hat man doch aus dem Vorhandensein nur eines 
solehen Gebildes an den meisten Zellen weitgehende Schlüsse auf eine 
besondere Funktion derselben gezogen. 

Länger als bei den Wirbeltieren hat sich bei den Wirbellosen 
die Meinung erhalten, daß die Nervenfasern — denn Achsenzylinder 
im eigentlichsten Sinne des Wortes gibt es bei ihnen nicht, da das Mark 
— wenn vorhanden — keinen äußeren Mantel um die Fasern bildet — 
daß also die Nervenfasern aus dem Neuropil ihren Ursprung nehmen. 
Die Ganglienzellen, die meist unipolar sind, sollten ihren einzigen 
Fortsatz im Neuropil aufsplittern und aus diesem sollten sich dann 
wieder lange Fasern sammeln. (Leydig [1864, 1885], Dietl [1878], 
H. Schultze [1879].) Der Untersuchung mit neueren Methoden hat 
aber auch hier diese bereits früher von vielen z. B. von Claus an- 
zefochtene Ansicht nicht standhalten können. Besonders durch Retzius 
(1890, 1891), Biedermann (1891), und viele spätere Bearbeiter ist 
gezeigt worden, daß auch hier der Zusammenhang mit Ganglienzellen 
ein innigerer ist. Von dem Stammfortsatz der Ganglienzelle entspringt 
entweder die periphere Faser direkt oder wenigstens von einem seiner 
Hauptäste (Fig. 10). Ob das immer so ist, bleibe zunächst dahin- 
gestellt. Von wesentlicher Bedeutung aber ist es, daß bei den Wirbel- 
losen die peripheren Fasern, die von einer Zelle ausgehen, häufig in 
der Mehrzahl vorhanden sind. Von Retzius (1891), Allen (1596) und 
mir (1897) sind Fälle beschrieben worden, in denen zwei, drei ja 
vier Fasern von einer Zelle der Peripherie zustreben (Fig. 15, —b,). 


ZWEITES KAPITEL. 
Allgemeines über die Kontinuitätsirage. 


Sehr viel schwerer war die Entscheidung zu treffen, ob die Aus- 
läufer der Ganglienzellen miteinander im Zusammenhang stehen oder 
nicht. Für die Wirbeltiere wurde zwar von vielen Autoren ein netz- 
artiges Anastomosieren der Protoplasmafortsätze angenommen, so be- 
sonders von Gerlach, aber andre Autoren, wie Deiters, Kölliker und 
andre, bekämpften diese Ansicht aufs heftigste. Der Kampf währte 
bis zur Einführung einer neuen Methode durch Golgi. Golgi selber 
stellte ein Anastomosieren der Protoplasmafortsätze in Abrede, be- 
hauptete aber, daß die Achsenzylinder durch Seitenzweige, die Kol- 
lateralen, miteinander in Verbindung ständen. Die Mehrzahl derer aber, 
die nach seiner Methode arbeiteten — und das waren sehr viele —, 
leugneten diesen Zusammenhang und sahen in den Golgipräparaten, 
die mit einer bis dahin ungeahnten Deutlichkeit die Nervenelemente 
bis zu den anscheinend letzten Enden darstellten, einen Beweis dafür, 
daß der Achsenzylinder wie die Protoplasmafortsätze einer Ganglien- 
zelle durchaus von denen aller andern Ganglienzellen getrennt seien. 

Wie so häufig wurde hier mit den Wirbellosen gar nicht gerechnet 
und so getan, als ob das Nervensystem auf die Wirbeltiere beschränkt 
sei. Bei niedrigen Metazoen, Medusen und Ctenophoren, war nämlich 
bereits mit Sicherheit durch die Gebrüder Hertwig (1878) und durch 
Eimer (1878) gezeigt worden, daß hier das Nervensystem in Form 
eines in sich geschlossenen Nervennetzes vorhanden sei. Auch über 
andre Tiere lagen bereits ähnliche Angaben vor. Es war damit 
erwiesen, daß die wohl abgegrenzten Ausläufergebiete, welche die 
Golgipräparate bei Wirbeltieren aufzeigten — wenn überhaupt den tat- 
sächlichen Verhältnissen durchaus entsprechend —, zum mindesten nur 
einen Spezialfall nervöser Organisation bilden konnten. Als daher 
Waldeyer im Jahre 1891 die Lehre von den getrennten 
Nerveneinheiten in der Neuronentheorie präzisierte, 
konnte es sich nur um ein Spezialtheorem handeln und 
nicht um eine Lehre, die alles, was Nervenelement ist, 
in sich zusammenfaßte. 

Die Zahl der Fälle, in denen normalerweise die einzelnen Gan- 
glienzellen durch breite Fasern miteinander in Verbindung stehen, 
haben sich inzwischen wesentlich vermehrt. Wir kennen Tiere, bei 
denen diese Art der Verbindung überall zu finden ist, wir kennen 
andre, bei denen sie wenigstens an gewissen Stellen des Nerven- 
systems typisch vorkommt (Würmer, Arthropoden und auch Wirbeltiere). 


10 Allgemeines über die Kontinuitätsfrage. 


Andrerseits kann kein Kenner der Verhältnisse leugnen, daß im 
zentralen Nervensystem der Wirbeltiere, Arthropoden u. s. w. derartige 
breite Verbindungen normaliter fehlen, und man kann. getrost sagen, 
dass die wenigen Forscher, welche solche Anastomosen hier als typisch 
ansehen, dies nur auf Grund schlechter (aber nicht schwer zu er- 
haltender) Präparate und ungenügender Beobachtung tun. Es kommen 
zwar bisweilen in der Retina (Dogiel, 1891, Embden, 1901, ich) 
und auch im Rückenmark breite Verbindungen zwischen zwei Ganglien- 
zellen vor, sie gehören aber zu den größten Seltenheiten und sind 
zanz sicher keine normalen Bildungen, wenngleich man sie auch nicht 
ganz leugnen darf, wie dies Kallius (1894) und Ramon y Cajal (1893) 
zetan haben. Auch die feineren Verästelungen der Fasern verbinden 
sich anscheinend nicht untereinander. Ich sage zunächst anscheinend, 
denn so leicht ist die Frage nicht zu entscheiden und ich möchte 
mich durchaus nicht auf den sicheren Standpunkt stellen, den Ramon 
y Cajal, Kölliker, Lenhossek und andre hier einnehmen. 

Diese Autoren halten diejenigen Golgi- (und Methylenblau)präparate, 
in denen viel gefärbt oder inkrustiert ist, für ungeeignet, um die 
Frage zu entscheiden, ob die feineren Zweige der Dendriten und 
Nervenfasern untereinander in Verbindung stehen oder nicht, und 
sründen die Behauptung von dem freien Endigen derselben auf Prä- 
parate, in denen nur einige vereinzelte Elemente zur Darstellung 
gelangt sind. Hier sehen sie die Ästchen beider Fasergattungen spitz 
oder mit Knöpfehen endigen d.h. die Tingierung hört plötzlich auf. 
Ob da das natürliche Ende ist oder ob nur die Reaktion hier auf- 
zehört hat, muß unbedingt unentschieden bleiben. In Präparaten 
aber, in denen viele Elemente zur Darstellung gekommen sind, ist 
das Gewirr so groß, daß man wohl scheinbare Anastomosen sehen 
kann, wie auch Lenhossek zugibt. Solche Präparate sollen nun aber 
nach Meinung dieser Autoren ungeeignet zur Entscheidung unserer 
Frage sein, während es mir scheint, daß grade nur solche Präparate 
eine Aufklärung bringen können. Ein einfaches Beispiel wird meinen 
Gedankengang leichter verständlich machen: In einem Bahnhof stehen 
die einzelnen Geleise der verschiedenen Strecken miteinander durch 
die Weichen in Verbindung. Wenn wir nun so hoch mit einem Luft- 
ballon aufsteigen, daß wir die Geleise selber nicht mehr sehen können, 
sie aber wahrnehmen, wenn sie auf irgend eine Weise markiert sind, 
so werden wir von ihrem Zusammenhang nichts bemerken, falls nur 
ein einziges oder weit auseinander gelegene kenntlich gemacht sind, 
da nur die benachbarten in Zusammenhang stehen. Es wird immer 
einer ziemlich vollständigen Markierung bedürfen, um den wahren 
Sachverhalt zu erfahren. — Eine wirklich vollständige Imprägnierung 
kommt nun bei Golgipräparaten wohl nie vor und schon eine einiger- 


Allgemeines über die Kontinuitätsfrage. 11 


maßen vollständige läßt hier und dort im Zweifel, ob nicht doch 
Anastomosen da sind. Von solchen Stellen wird man aber immer 
sagen können, daß es sich vielleicht um künstliche Verklebungen 
handelt, wie sie ja sicherlich ziemlich oft bei dieser Methode vor- 
kommen; andrerseits wird man aber bei solehen Präparaten, die 
nichts von Übergängen zeigen, einwenden dürfen, daß auch die Dar- 
stellung der einzelnen Elemente eine unvollkommene ist, da man ja 
bei der Farblosigkeit alles übrigen Gewebes gar keinen Anhaltspunkt 
hat, wie es an der Stelle, wo die Inkrustierung aufhört, weitergeht. Ent- 
scheidend können also hier nur Färbungsmethoden sein, die alles zur 
Darstellung bringen und zwar in einer Weise, daß auch die inneren 
histologischen Feinheiten zur Anschauung kommen und nicht nur die 
äußeren groben Umrisse der Zellen und Fasern. Solche Färbungen 
kann man zuweilen mit Eisenhämatoxylin und mit meiner Molybdän- 
methode und unter gewissen pathologischen Bedingungen mit der 
NissIschen Methode (Nissl, 1903) erreichen, und mit ihrer Hilfe kann 
man wenigstens für die Protoplasmafortsätze zu einer gewissen Ent- 
scheidung gelangen: soweit sie protoplasmatisch sind, endigen sie blind 
mit einer Spitze, aber niemals mit einem Knöpfehen, wie es nicht 
selten in Golgipräparaten scheint. (Nach meiner Meinung handelt es 
sich bei den knopfartigen Endigungen nur um das Abbrechen der In- 
krustierung [die überall erfolgen kann] an einer von den häufig bei 
dieser Methode zu Tage tretenden Varikositäten). Wie es mit den 
Nervenfasern steht, werde ich erst weiter unten beleuchten, denn hier 
liegen die Verhältnisse sehr viel komplizierter und wir wollen vorläufig 
mit den Neuronisten annehmen, daß auch sie frei enden. 

Wir hätten also auf der einen Seite Nervensysteme 
oder Teile von Nervensystemen, die nach einem netz- 
artigen Typus (mit großen, breiten Anastomosen zwischen den 
Ganglienzellen) gebaut sind, auf der andern Seite Nerven- 
Systeme, deren Ganglienzellen in gar’ keiner’ 'proto- 
plasmatischen Verbindung miteinander stehen. Weg- 
zuleugnen ist die Existenz echter Nervennetze nicht; man kann auch 
nicht mit einem geringschätzigen Achselzucken, daß sie hauptsächlich 
bei wirbellosen Tieren vorkommen, zur Tagesordnung übergehen, 
sondern man muß versuchen sich in irgend einer Weise mit ihr ab- 
zufinden. Mir scheinen hier nur zwei Möglichkeiten zu existieren: 
entweder wirnehmen an, daß es zwei ganz verschiedene 
Formen nervöser Organisation gibt, oder wir geben es 
auf,indem protoplasmatischen Teildes Nervengewebes, 
den uns die meistenMethodenallein zeigen, das Wesent- 
liche zu sehen und suchen nach Elementen, welche die 
anscheinend vorhandene Kluft überbrücken! 


12 Allgemeines über die Kontinuitätsfrage. 


Ich selber habe mich, als ich anfing, mich für die Nervennetze 
zu interessieren, zu der ersten Ansicht hingeneigt (1895) und sie wohl 
zuerst vertreten. Später ist sie unabhängig von mir auch von Holm- 
sren (1896) ausgesprochen worden. Es sind Tiere resp. Orte mit 
sanz besonderen physiologischen Verrichtungen, an denen sich die 
netzige Organisation der Nervenelemente vorfindet, und dieser Umstand 
konnte in der Tat eine morphologische Sonderstellung verständlich 
erscheinen lassen. Trotzdem hatte diese Anschauungsweise doch etwas 
recht Gekünsteltes an sich. 

Die andre Möglichkeit, wenn auch für alle die undiskutierbar, 
welche in dem kaum definierbaren Protoplasma den Träger alles 
Lebens sehen, ist nur ein natürlicher Schritt in der Reihenfolge der 
Ansichten über das Nervösleitende. Am Anfang waren es die ganzen 
Nerven, die leiteten; nach der Entdeckung der Nervenfasern waren 
es diese in ihrer Totalität und, als ihre Zusammensetzung aus dem 
Achsenzylinder und verschiedenen Scheiden genauer bekannt geworden 
war, entschied man sich nach langem Streit dahin, daß nur die 
Achsenzylinder das Leitende seien, die Scheiden aber eben nur 
Scheiden seien. Immer ist es ein feineres, im Ganzen eingeschlossenes 
Element, dem die Funktion des Ganzen zugeschoben wurde. Als einen 
Hauptgrund für den Wechsel der Ansicht sehen wir hier überall ein 
und dieselbe prinzipielle Forderung: die Forderung nach Kon- 
tinuität! Diese Forderung, auf der man innerhalb einer Leitungs- 
bahn bestand, gab die Neuronentheorie auf, wo es sich um den Über- 
sang von einer Bahn auf die andre handelte, weil man sich nicht von 
einem Zusammenhang der protoplasmatischen Teile bei dem Wirbel- 
tierzentralorgan überzeugen konnte. Wenn es sich nun zeigen 
ließe, daß innerhalb der nervösen Fasern und Zellen 
ein Strukturelement existierte, das dem Kontinuitäts- 
bedürfnis besser genügte als die umschließenden, pro- 
toplasmatischen Gebilde selbst, so wäre damit der 
Widerspruch in der nervösen Organisation aufgehoben, 
indem nun eben eine protoplasmatische Kontinuität 
srade so wenig zu existieren brauchte wie etwa ein 
kontinuierlicher Verlauf der Markscheiden. Wenn nur 
die Kontinuität dieses supponierten Elements sich 
überall erweisen ließe, wo nervöse Organisation ist, 
dann wäre ein einheitliches morphologisches Prinzip 
gefunden und der Unterschied ziwischen Nervennetzen 
und „Neuronen“ im Grunde ebenso sekundärer Natur 
wie der zwischen markhaltigen und marklosen Fasern! 

Ein soleh einheitliches, nervöses Strukturelement 
ist nun schon seit einer Reihe von Jahren nichts Hypo- 


Historisches über die Neurofibrillen. 13 


tetisches mehr. Es existiert in den Primitivfibrillen 
oder Neurofibrillen. Sie sollen die Grundlage aller weiteren 
Besprechungen sein. 


DRITTES KAPITEL. 
Historisches über die Neurofibrillen. 


Remak, der Entdecker des Achsenzylinders in den markhaltigen 
Nervenfesern und der marklosen, blassen Fasern des sympathischen 
Nervensystems, bezeichnete bei der Publikation dieser großen Ent- 
deckungen bereits den Achsenzylinder oder, wie er ihn nannte, das 
Primitivband als ein feingestreiftes Gebilde (1838). Wenn nun auch 
diese Streifehen sicher nicht die Fibrillen selber waren, so hat er doch 
wohl den Ausdruck des fibrillären Aufbaus des Achsenzylinders zu- 
erst gesehen. In den folgenden Jahren liegen keine neuen auf diesen 
Punkt gerichteten Angaben vor. Die meisten Autoren, soweit sie 
überhaupt den Achsenzylinder als selbständiges Element anerkannten, 
sahen ihn als ein homogenes Gebilde an, oder sie hatten wenigstens 
der Remakschen Beobachtung nichts Neues hinzuzufügen. Den näch- 
sten deutlichen Fortschritt weisen zwei Arbeiten von Frommann aus 
dem Jahre 1864 auf. Er behandelte frische Nervenfasern und kleine 
Stücken grauer Substanz aus dem Vorderhorn von Ochsen mit salpeter- 
saurem Silber und erkannte an solchen Präparaten sowohl in Nerven- 
fasern wie in Vorderhornzellen eine feine fibrilläre Streifung. Beson- 
ders in den Protoplasmafortsätzen trat diese Streifung deutlich hervor, 
er konnte sie aber auch bis in die Zelle selber verfolgen. Die Richtig- 
keit der Beobachtung kann ich vollkommen bestätigen, muß aber be- 
haupten, daß die schwarzen Körnchenreihen, welche man in solchen 
Präparaten wahrnimmt, nicht die Fibrillen selber sind, sondern nur 
ein Negativ derselben, indem sich, wie sich besonders an peripheren 
Nervenfasern sehr leicht nachweisen läßt, ein Silberniederschlag 
zwischen den Fibrillen bildet. Immerhin bedeutet diese Arbeit einen 
wesentlichen Fortschritt, der leider sehr bald in Vergessenheit geraten 
ist. Weitere Angaben über eine fibrilläre Struktur der Ganglienzellen 
finden sich in dem großen Werke des leider so früh verstorbenen 
Deiters (1865). Auch er vermochte an Isolationspräparaten eine mehr 


14 Historisches über die Neurofibrillen. 


oder weniger körnige Streifung von den Protoplasmafortsätzen in die 
Zellen hinein zu verfolgen. 

Aktuell sollte die Frage aber erst durch die Untersuchungen von 
Max Schultze werden. In mehreren Arbeiten (1868 und 1871) suchte 
er die Primitivfibrillen, wie er sie benannte, als ein allgemeines 
Strukturelement der nervösen Substanz aufzustellen, und er brachte 


die Angelegenheit wenigstens theoretisch bis zu einem Punkt, über 


den wir auch jetzt noch nicht wesentlich hinausgekommen sind. Bei 
der großen Bedeutung dieser Untersuchungen kann ich es mir nicht 
versagen, etwas näher auf dieselben einzugehen. 

Außer der Härtung mit den damals noch allgemein üblichen 
dünnen Chromsalzlösungen, wandte er hauptsächlich Zerzupfung in 
Jodserum und in Osmiumsäure an. Es gelang ihm, in den Achsen- 
zylindern markhaltiger Nervenfasern, besonders aber in marklosen 
Nervenfädehen eine deutliche fibrilläre Streifung zu sehen und mark- 
lose Fasern am Ende so aufzusplittern, daß ein ganzes Büschel fein- 
ster Fibrillen aus ihnen hervorragte. Mit diesem letzten Versuch be- 
wies er klar, daß es sich bei der Streifung nicht um ein optisches 
Trugbild handelte, sondern daß die Fibrillen wirkliche körperliche 
Individuen seien. An den Jodserum-Ganglienzellen (Vorderhornzellen 
vom Ochsen, Zellen des Lobus eleetrieus von Torpedo) sah er mit 
größerer Schärfe und in weiterer Ausdehnung, als es Frommann 
und Deiters gelungen war, feine Streifen von den verästelten Fort- 


sätzen und vom Achsenzylinderfortsatz in die Zellen ziehen. Ja er 


beobachtete, daß diese Streifen die ganze Zelle durchziehen und durch 
einen andern Fortsatz die Zelle wieder verlassen. Diese Befunde 
brachten ihn zu der Vorstellung, daß die Fibrillen das Wesentliche, 
das Leitende im Nervensystem seien und daß die Ganglienzellen 
weiter nichts seien, als Umlagerungsstellen der Fibrillen, dazu dienend, 
den Fibrillen, welehe in einem verästelten Fortsatz verlaufen, es zu 
ermöglichen, sich auf mehrere andere und auf den Achsenzylinder zu 
verteilen. Auch die Nervenfasern sind ihm nur noch Fibrillenbündel 
und er teilt sie danach als nackte Fibrillenbündel, Fibrillenbündel mit 
Markscheide u. s. w. ein. 

Es ist neuerlich von Apathy (1902) die Frage diskutiert worden, 
ob Max Schultze wirklich die Fibrillen schon gesehen hat, ob er wirk- 
lich der Entdecker der Neurofibrillen ist. Apäthy beantwortet diese 
Frage, die ich mir selber auch schon oft vorgelegt habe, mit „Nein!“ 
Mit den Methoden, die Schultze angewandt habe, sagt er, könne er 
nicht die Fibrillen selber gesehen haben, bezeichnete er doch die 
Nervenfasern als aus feinfibrillärem Protoplasma bestehend. — In Be- 
zug auf die Ganglienzellenfibrillen stimme ich ihm vollkommen bei. 
Man sieht mit Jodserum keine Fibrillen in den Zellen, nieht einmal 


Historisches über die Neurofibrillen. 15 


ihr Negativ (das Frommann hier entschieden gesehen hat), sondern 
nur die „ungefärbten Bahnen“ Nissls, in denen manchmal noch körnige 
Einlagerungen eine feinere Streifung erkennen lassen. Da diese 
Bahnen aber den Verlauf der Fibrillen im sroßen Ganzen wieder- 
geben, so hat er doch auch hier wenigstens geahnt, was wir erst seit 
kurzem sicher wissen.) Anders aber steht es mit den peripheren 
Nervenfasern: Hier ist es mit den von Schultze angewandten Methoden 
möglich, die Fibrillen selber zu beobachten, und deshalb liegt auch 
kein Grund vor, daran zu zweifeln, daß er sie gesehen hat. Vor 
allem gilt dies für Osmiumpräparate, von denen er selber hervorhebt, 
daß sie die Fibrillen besonders gut erkennen lassen. Es bedarf gar 
keiner besonders guten Hilfsmittel, um im nackten, d. h. von der 
Markscheide befreiten Achsenzylinder die Fibrillen nach Osmium- 
fixierung zu beobachten, und es gelingt dies auch, wie Schultze ganz 
richtig hervorhebt, an solchen Achsenzylindern, die noch mit der Mark- 
scheide umgeben sind. Auch spricht er sich schon ganz unzweideutig 
dahin aus, daß die Fibrillen in eine Perifibrillärsubstanz eingebettet 
sind, die zwar bei manchen Präparationsmethoden körnig erscheint, 
bei der Anwendung von Osmiumsäure aber ganz homogen ist. Über 
die Natur der Fibrillen spricht er sich nicht bestimmt genug aus, um 
den Schluß ziehen zu dürfen, daß er sie für eine protoplasmatische 
Streifung gehalten hat und nach seiner ganzen Auffassung des Proto- 
plasmabegriffs kann man eher annehmen, daß er sie nicht für proto- 
plasmatisch gehalten hat. Die Individualität der Fibrillen konnte 
Schultze bei dem damaligen Stand der Technik nicht feststellen, 
dass er aber ihren individuellen Verlauf annahm, steht wohl außer 
allem Zweifel. Aber selbst dann, wenn Schultze niemals eine wirk- 
liche Fibrille gesehen hätte, was ich bezweifle, so bleibt es doch sein 
dauerndes Verdienst, die Ansicht von einem allen nervösen Elementen 
gemeinsamen und nirgends in den Zentralorganen endenden, leitenden 
Fibrillensystem aufgestellt zu haben! 

Die erste färberische Darstellung von Neurofibrillen ist Kupffer 
(1883) und ziemlich gleichzeitig Apäthy gelungen; für das wissen- 
schaftliche Bewußtsein blieb der Befund Apäthys aber zunächst un- 
geboren, weil seine erste Beobachtung über diesen Punkt in ungari- 
scher Sprache veröffentlicht wurde. 

Kupffer fixierte markhaltige Nerven in Osmiumsäure und färbte 
sie in Säurefuchsin, worauf er sie in feine Schnitte zerlegte. An 
diesen konnte er die Fibrillen als scharfe Linien in einem homogenen 
Plasma erkennen, in dem er sie frei flottieren ließ. Damit war zwar 

1) Ganz die gleiche Ansicht hat vor kurzem Nissl (1903) über die Schultze- 
schen Zellbilder geäußert. 


16 Historisches über die Neurofibrillen. 


für viele Zweifler die fibrilläre Struktur der Achsenzylinder erwiesen, 
seine Entdeckung zog aber keine weiteren Kreise um sich. Man nahm 
von ihr Notiz, verfolgte sie aber nicht weiter, und zur Wiederbelebung 
des Schultzeschen Gedankens von einem allgemeinen Formbestandteil 
des Nervensystems kam es nicht. 

Das grosse Verdienst, der Schultzeschen Theorie den realen Boden 
verschafft zu haben, gebührt ohne Zweifel v. Apathy! Er hat sie neu 
belebt und weitergeführt und durch seine unvergleichlichen Präparate 
in langjähriger Arbeit der Neurologie eine neue fruchtbare 
Grundlage gegeben. Sie ist enthalten in dem bisher allein er- 
schienenen ersten Teil seiner zusammenfassenden Arbeit (1897). 

Einige kleinere frühere Mitteilungen (1887, 1889, 1892 und 1895) 
brachten bereits die fundamentalen Grundzüge seiner Beobachtungen 
und alles, was an Schlüssen aus denselben gezogen werden kann und 
muß. Bei der aprioristischen Form, in der sie abgefaßt waren, und 
der Merkwürdigkeit der Befunde, welche entweder garnicht oder nur 
durch ganz schematisch erscheinende Abbildungen belegt waren, fanden 
diese Arbeiten wenig Anklang und ich muß selber gestehen, daß ich 
sie mit Kopfschütteln gelesen habe. Meine Zweifel schwanden sehr 
schnell, als Herr v. Apäthy gelegentlich eines Zusammentreffens auf der 
zoologischen Station zu Neapel im Herbst 1896 die Liebenswürdigkeit 
hatte, mir seine Präparate zu zeigen. Am Abend vor diesem für mich 
stets denkwürdigen Tage hatte ich ihm noch erklärt, daß ich das, 
was er beschrieben, für außerhalb des Bereichs aller Möglichkeit halte, 
und es könne nur auf Selbsttäuschung beruhen, wenn er meine, Fi- 
brillen von solcher Feinheit auf Millimeter als Individuen verfolgt zu 
haben. Was mir damals aber gezeigt wurde, war von so überzeugen- 
der Klarheit, daß ich meine Opposition nach einigen gekünstelten 
Einwänden gänzlich aufzugeben gezwungen war. Wie es mir ge- 
sangen ist, ging es vielen anderen, und kein Normalsichtiger wird 
sich dem überzeugenden Eindruck der Apäthyschen Präparate ent- 
ziehen können, vorausgesetzt, daß nicht sein Auge durch Neid oder 
sekränkte Eitelkeit getrübt ist. 

Die umfangreiche, im Jahre 1897 erschienene Arbeit enthält die 
ausführliche Beschreibung einer großen Anzahl von Befunden, welche 
sich fast ausschließlich auf wirbellose Tiere beziehen, und ist von vielen 
außerordentlich gewissenhaft ausgeführten Abbildungen begleitet; 
außerdem enthält sie methodologische Angaben. Nach ihr ist man 
erst imstande, sich von der Fülle des Neuen ein hinreichendes Bild 
zu verschaffen. Der folgenden kurzen Beschreibung der Hauptdaten 
der Apäthyschen Entdeekungen ist vornehmlich diese Arbeit zu Grunde 
velegt. Viele Einzelheiten sind in den späteren Kapiteln wieder- 
gegeben. 


Historisches über die Neurofibrillen. 17 


Apathys Befunde im allgemeinen: Mit Hilfe seiner neuen Me- 
thoden gelang es Apäthy, die Neurofibrillen mit einer solchen Schärfe 
darzustellen, daß sie nicht selten soweit verfolgt werden können, als 
sie iiberhaupt im Präparat vorhanden sind. Tiefdunkel heben sie sich 
von dem ungefärbten oder nur schwach gefärbten Grunde wie die 
Telegraphendrähte vom hellen Himmel ab. Erst bei einer solehen 
Darstellung konnte es bei ihrer außerordentlichen Feinheit möglich 
sein, über ihren Verlauf Genaueres za finden: Überall kommen sie 
vor, wo wir von nervöser Funktion wissen, in den Nervenfasern wie 
in den Ganglienzellen, in den Muskelfasern wie in den Sinnesepithel- 
zellen und den Drüsenzellen. Von allem umgebenden Gewebe sind 


Fig. 2. 4 Längsschnitt durch einen Teil einer Längskommissur von Hirudo nach einem Fibrillen- 

präparat. Bei der Fixation war die Kommissur nicht gestreckt; daher sind nur die Begrenzungslinien 

der Nervenfasern glatt, die verschieden dieken Neurofibrillen aber gewellt. BD Querschnitt durch 

einen dünnen rein motorischen Nerven von Hirudo. In der ungefärbten Perifibrillärsubstanz jeder 

Nervenfaser liegt eine dieke Neurofibrille. (€ Teil eines gemischten Nerven von Hirudo im Quer- 

schnitt. S sensorischer Schlauch. s sensorisches Bündel. m motorische Faser. (B und € nach 
Apäthy, 1897, Taf. 23, Fig. 7 und 10.) 


sie scharf abgesetzt, sie repräsentieren nicht eine vage Streifung irgend 
welchen Gewebsprotoplasmas, sind nicht streifige Verdiehtungen der 
Grundsubstanz, sondern durchaus selbständige morphologische Ele- 
mente. Nirgends sieht man ein Ende einer Neurofibrille. Soweit die 
Grenzen des Präparats reichen, kann man die einmal ins Auge ge- 
faßte Fibrille verfolgen, falls nicht aus irgend einem Grunde die 
Färbung an einer Stelle ausgeblieben ist. Innerhalb der Nerven- 
fasern zeigen die Neurofibrillen keine Verbindungen untereinander, sie 
bewahren also vollkommen ihre Individualität (Fig. 2). Es gibt aber 
drei Orte, an denen sie ihren isolierten Verlauf aufgeben: in den in- 
nervierten Organen, in den Ganglienzellen und im Neuropil, d. h. dem 
aus feinsten Nervenzweigchen bestehenden, für die meisten Methoden 


3ethe, Nervensystem. n) 


18 Historisches über die Neurofibrillen. 


unauflösbaren Fasergewirr, das bei den Wirbellosen die Mitte der 
Ganglien ausfüllt. 

In den Endorganen (Muskelfasern, Sinnesepithelzellen, Drüsen- 
zellen) splittern sich die Fibrillen auf, um sich dann netzartig mitein- 
ander zu verbinden. Tritt nur eine Fibrille ein, so splittert auch sie 
sich auf und die entstandenen Zweigchen bilden ihrerseits ein Netz 
oder einen Korb. In den Ganglienzellen zeigen sich ganz ähnliche 
Verhältnisse: die meist recht zahlreichen Fibrillen, welche durch den 
Stammfortsatz (bei den unipolaren Zellen) oder durch die vielen Fort- 
sätze (bei den multipolaren Zellen) in die Zellen 
eintreten, verzweigen sich, um sich in ihren Zweigen 
zu einem Netz zu vereinigen (Fig. 3). Eine analoge 
Netzbildung findet im Neuropil statt, nur daß sich 
in diesem Netz, dem Elementargitter, wie es Apathy 
nennt, sehr viel mehr Fibrillen zusammenfinden. — 
Ein genauer Vergleich der Fibrillen in den moto- 
rischen und den rezeptorischen (sensiblen) Fasern 
ergab, daß die der ersteren sehr viel dicker sind, 
als die der letzteren, und dieser Unterschied ist (bei 
Hirudineen) so charakteristisch, daß die Unter- 
scheidung der einzelnen Fibrillengattungen auch 
im Zentralnervensystem und sogar in den Gan- 
glienzellen noch möglich ist (motorische und senso- 
rische Fibrillen Apäthys). Es ergab sich nun, daß 
sich die Fibrillen der rezeptorischen Fasern im 
Neuropil aufsplittern und im Elementargitter ihre 


tig.3. N yrische Gan- Le DER . a x 
ig. 9 Motorische Gan- Individualität verlieren. Aus dem Elementargitter 
glienzelle von Hirudo { i e = 

nach Apäthy (Tat. 28, sammeln sich wieder gleichfalls sehr dünne Fasern, 


Fig. 7). Die Fibrillen 


sind im Interesse der Re- 

produktion etwas dicker 

wiedergegeben als im 
Original. 


die in Ganglienzellen hineinziehen und hier ein 
äußeres Gitter bilden (Fig. 3). Von diesen ziehen 
radiäre Fibrillen dem Kerm zu und vereinigen sich 
in seiner Nähe zu einem zweiten, aus dickeren 


Fibrillen bestehenden Korb, aus dem eine starke Fibrille hervorgeht, 


um sich durch eine motorische Faser direkt zur Muskulatur zu be- 
geben. Aus diesen einzelnen Beobachtungen setzt sich ungezwungen 


«die Vorstellung zusammen, daß die Neurofibrillen ununterbrochen von 
den rezeptorischen Nervenendigungen durch die rezeptorischen Nerven 
zum Elementargitter verlaufen und von dort — ohne eine Unterbrechung 
zu erleiden in die motorischen Ganglienzellen treten, um hier die 
motorischen Fibrillen zu formieren, die dann kontinuierlich den Muskel- 
Fasern oder anderen innervierten Gebilden zugehen. Mit anderen Worten: 
es existiert auf dem Wege der Neurofibrillen eine kontinuierliche Bahn 
zwischen den rezeptorischen und motorischen Elementen ! 


Historisches über die Neurofibrillen. 19 


Über Neurofibrillen bei Wirbeltieren hat Apäthy bis jetzt nur 
wenige Angaben gemacht. Sie beschränken sich darauf, daß er sie 
auch hier als durchaus spezifische Bestandteile des Nervensystems hat 
nachweisen können und daß sie in den peripheren Nervenfasern wie 
bei den untersuchten wirbellosen Tieren einen durchaus individuellen 
Verlauf haben. 

Auf Grund aller dieser Befunde hält Apathy die Neurofibrillen 
für das leitende Element im Nervensystem, und es ist wohl zweck- 
mäßig, an der Hand seiner eigenen Angaben genauer festzustellen, 
was alles für ihre leitende Natur spricht: ‚Überall, wo sich nervöse 
Einflüsse geltend machen, lassen sich auch Neurofibrillen nachweisen. 
Sie sind spezifische, von anderen fibrillären Gebilden wohl unter- 
scheidbare Gewebsbestandteile, die sich im größten Teil ihres Ver- 
laufs durchaus als Individuen erweisen. Von der Peripherie bis zum 
Zentralorgan und von diesem bis an die Peripherie zurück zeigen sie 
eine vollkommene Kontinuität. Überall dort, wo man ein besonderes 
Geschehen im Bereich des Nervensystems anzunehmen Grund hat, 
zeigen die Neurofibrillen auch ein spezifisches Verhalten. So gehen 
sie zu den Ganglienzellen, den Rezeptionszellen (Sinneszellen), den 
Drüsen- und Muskelzellen charakteristische topographische Beziehungen 
ein. Schließlich bilden sie dort kontinuierliche Zusammenhänge, wo 
die plasmatischen Teile ganz unterbrochen oder substantiell dis- 
kontinuierlich sind. So ist fast überall im höher organisierten Nerven- 
gewebe kein kontinuierlicher Zusammenhang zwischen den plasmati- 
schen Ausläufern verschiedener Ganglienzellen vorhanden; die in ihnen 
enthaltenen Fibrillen können ihn herstellen, indem sie eine Strecke 
weit als nackte Fibrillen verlaufen. Ganglienzelle und Nervenfaser, 
ebenso Nervenfaser und Muskelzelle u. s. w. sind plasmatisch scharf 
voneinander abgesetzt, die Fibrillen gehen aber kontinuierlich von 
der einen in die andere über. 

„Der wesentlichste spezifische Bestandteil der Nerven und das 
Nervöse überhaupt sind die Neurofibrillen“ (Apathy, 1898, S. 130). 


Die Lücke, welche Apäthy vorläufig in der Neurofibrillenforschung 
bei den Wirbeltieren gelassen hatte, habe ich zum Teil wenigstens 
ausfüllen können, nachdem ich eine Methode gefunden, die auch hier, 
wo die Apäthyschen Methoden nur schwer brauchbare Resultate er- 
seben, zu einigermaßen befriedigenden Bildern führt (1897, 1900). 
Auch bei den Wirbellosen habe ich einiges Neue zu dem von Apathy 
Gefundenen hinzufügen können (1898). Im großen Ganzen verhalten 
sich die Fibrillen bei Wirbeltieren ganz wie bei Wirbellosen, und irgend 
etwas prinzipiell den Apäthyschen Aufstellungen Widersprechendes 


)%* 


30 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


habe ich nieht gefunden. Einige neue Details werde ich in der 
weiter unten folgenden ausführlicheren Beschreibung dem schon Be- 
kannten hinzufügen. 


VIERTES KAPITEL. 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß 
der Nervennetze). 


Kurze Beschreibung des Nervensystems der verschiedenen Klassen der Wirbel- 
losen. Beziehungen der Nervensystemsausbildung zum physiologischen Verhalten 


S. 20—25. — Die Form der Ganglienzellen und der mit ihnen verbundenen ner- 
vösen Fasern 8. 26-33. — Verlauf der Neurofibrillen in den Nervenfasern 


S. 33—38. — Verlauf der Neurofibrillen in den zentralen Ganglienzellen S. 33 —41. — 
Verbindungen zwischen rezeptorischen und motorischen Fibrillenbahnen S. 41—46. 


Wenn ich den Anfang in der Beschreibung mit den wirbellosen 
Tieren mache, so hat dies darin seinen Grund, daß unsere Kenntnisse, 
besonders über den Verlauf der Neurofibrillen, hier vollkommener sind, 
dann aber auch darin, daß die Verhältnisse bei diesen Tierformen 
entschieden einfacher liegen. Am einfachsten liegen sie zwar bei den 
Nervennetzen, die sowohl bei Wirbellosen wie bei Wirbeltieren vor- 
kommen, aber ich habe meine Gründe, diese in einem besonderen 
Kapitel erst später zu besprechen. Zunächst will ich für diejenigen, 
denen die Verhältnisse nicht ganz geläufig sind, eine kurze Übersicht 
über die Formen geben, in denen uns das Nervensystem bei Wirbel- 
losen entgegentritt. 

Bei den Cölenteraten, die von den Zoologen als die niedrigsten 
Metazoen (nach den Spongien, die keine nachweisbaren Nervenelemente 
enthalten) angesehen werden, tritt uns das Nervengewebe diffus im 
vanzen Körper verteilt entgegen. Überall zerstreut findet man unter 
dem Epithel, bei manchen Formen auch im Epithel, Ganglienzellen 
und Nervenfasern, und nur bei bestimmten Klassen sind Andeutungen 
von Konzentration oder, wenn man will, Zentralisation zu bemerken. 
Am deutlichsten ist dies bei den eraspedoten Medusen der Fall, wo 
sich eine stärkere Anhäufung von Ganglienzellen und Nervenfasern 
am Schirmrande im sogenannten Randring bemerkbar macht. Mit 
diesem stehen durch Zellfaserzüge die meist vorhandenen Randkörper 
in Verbindung, Organe von sehr verschiedenartigem Bau (Ocellen, Oto- 
lithensäckehen u. s. w.), deren Bedeutung als rezeptorische Organe 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 21 


schon aus anatomischen Gründen ziemlich zweifellos ist (Fig. 4). Auch 
radiäre Zellfaserzüge kommen vor. Bei weitem der größte Teil aller 
als Ganglienzellen und Nervenfasern gedeuteten Elemente ist aber 
diffus, plexusartig, über das ganze Tier (mit Ausnahme der oberen 
Schirmfläche, die ihrer ganz entbehrt und auch gänzlich unempfänglich 
für Reize ist) verbreitet. Wahrscheinlich sind bei allen Cölenteraten 
die Nervenelemente untereinander zu echten Nervennetzen verbunden 
(O0. und R. Hertwig, Eimer, Bethe) und die von Havet (1901) neuer- 
dings für Aktinien gemachte 
entgegengesetzte Behauptung 
möchte ich vorläufig noch an- | a 
zweifeln. (Obwohl seine Schnitt- Sn 
richtung zur Auffindung der 
Anastomosen so ungünstig wie 
nur möglich ist, so scheint er 
doch seinen Abbildungen nach 
mehrere gefunden zu haben). 
Bei den Eehinodermen 
ist an bestimmten Stellen des 
Körpers eine stärkere Anhäu- 
fung von Nervenelementen vor- 
handen; die Hauptmenge bildet M. 
aber auch hier noch einen dif- 
fusen, zwischen dem äußeren 
Körperepithel und der Schale 
resp. der Lederhaut gelegenen 
Plexus, der sich an der Basis 
der Stacheln (bei den Seeigeln) "8; Sthenatiche Abildung einer Muse (ran 
verdichtet. In der Körperhöhle, wigs Lehrbuch der Zoologie; U Umbrella, M Magenstiel, 
. . NfLDLIC & T Tentakeln (T, und T, in halber Kontraktion), N der 
die bei den Echiniden (See- nen R Randkörper, F’ Velum. 
igeln) und Asteriden (Seester- 
nen) von der Schale, bei den Holothurien von dem mit der Haut ver- 
wachsenen Muskelschlauch umschlossen wird, liegt um den Anfangs- 
darm herum ein aus Ganglienzellen und Nervenfasern bestehender 
Ring (Fig. 5), von dem je nach der Zahl der Radien fünf, sieben und 
mehr Zellfaserstränge, die Radialnerven, bei den Echiniden und Holo- 
thurien zum analen Pol, bei den Asteroiden in die Arme verlaufen. 
Diese Radialnerven stehen mit dem äußeren Plexus durch feine Nerv- 
chen in Verbindung, welehe bei den Ecehiniden und Asteroiden zu- 
sammen mit den Saugfüßen durch die Schale treten. Besondere An- 
häufungen nervösen Gewebes finden sich noch an den Pedicellarien, 
jenen merkwürdigen, kleinen, auf Stielen stehenden, dreiteiligen Zangen, 
welehe in großer Zahl die Haut der Seeigel und Seesterne bedecken. 


32 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


Über die histologischen Verhältnisse des Nervensystems ist bei den 
Echinodermen so gut wie nichts bekannt. Es ist auch bei der außer- 
ordentlichen Kleinheit seiner Elemente ein sehr schlechtes Objekt für 
histologische Untersuchungen. 

Im Tierkreis der Würmer tritt eine wesentlich stärkere Zen- 
tralisation im Nervensystem zu Tage, die sich besonders bei der 
höchsten Klasse derselben, den Anneliden, auch funktionell deutlich 
bemerkbar macht. Bei den beiden unteren Klassen (ich bleibe der 
Einfachheit halber bei der alten Einteilung) ist die Hauptmenge der 


Fig. 5. Schematischer Durchschnitt durch einen Seeigel, zum Teil nach einer Figur von Huxley. 

St Stacheln, P Pedicellarien, A.f Ambulacralfüße, 4 Ampullen, D Darm. Das Nervensystem ist 

dunkler gehalten. N.r. Nervenring, R.n. Radialnerv, der mit dem äußeren Plexus, N.pl. am Durch- 
tritt der Füße in Verbindug steht. Die Schale ist schraffiert gezeichnet. 


Ganglienzellen und Nervenfasern zu einer Masse vereinigt, die ent- 
weder in Form von zwei untereinander verbundenen Ganglien (Plathel- 
minten) (Fig. 6 4) oder in der Gestalt eines den Schlund umgebenden 
Ringes (Nemathelminten) am Kopfende der Tiere lokalisiert ist. Von 
(dieser Masse ziehen Faserzüge, die vielfach mit Ganglienzellen durch- 
setzt sind, und viele Anastomosen miteinander bilden, durch den 
ganzen Körper. Auch an der äußersten Peripherie wurden — soweit 
darüber Untersuchungen vorliegen — vielfach Ganglienzellen gefunden. 
Eine reinliche Scheidung zwischen Zentralnervensystem und peripheren 
Nerven, wie sie bei höheren Tieren oft recht scharf hervortritt, 
existiert hier also noch nicht. Physiologisch macht sich dies in einer 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 23 


noch relativ hohen Selbständigkeit kleiner Tierbruchstücke geltend. 
So zeigen kleine Bruchstücke von Turbellarien (z. B. Thysanozoon), 
wie wohl zuerst Loeb gezeigt hat und ich bestätigen kann, noch 
Reflexe, vor allem den Umdrehreflex, der darin besteht, daß das auf 
die Rückenseite gelegte Stückchen sich wieder zur Bauchlage zurück- 
dreht. Bei Süßwasserplanarien machen sogar kleine Tierstücken gute 
Progressivbewegungen (Loeb), die nach meinen Erfahrungen auch bei 
Thysanozoon nicht vollkommen fehlen. 

Ein wirkliches Zentralnervensystem im anatomischen und physio- 
logischen Sinne findet sich erst bei den höheren Würmern, den Anne- 
liden und Hirudineen. (Die Gephyreen, Enteropneusten und andre 
lasse ich unberücksichtigt, weil sie anatomisch nur mangelhaft, physio- 


m 7 


Be Pazgf. 
KA L/E 
N 1 


Fig. 6. Schematische Darstellung des Nervensystems: A Von einer Planarie, D Von einem Artieu- 

laten (höhere Würmer, Arthropoden), € Von einem Mollusk. Nervenstämme, Kommissuren und 

Neuropile sind grau gezeichnet; die Lage der Ganglienzellen ist durch schwarze Punkte angedeutet. 

Og. Oberschlundganglion, BG. Bauchganglion, Bg. Buccalganglion, (g. Cerebralganglion, P/g. Pleural- 
ganglion, Pg. Pedalganglion, Vg. Visceralganglion. 


logisch gar nicht auf ihr Nervensystem untersucht sind.) Es wird 
repräsentiert durch das Bauchmark, das sich auf der ventralen Seite 
durch das ganze Tier hinzieht und nach vorne hin durch zwei den 
Sehlund umfassende Faserbündel, die Schlundkommissuren, mit dem 
dorsal gelegenen Oberschlundganglion oder Gehirn in Verbindung steht. 
Das Bauchmark selber ist nicht wie das Rückenmark ein gleich- 
mäßiger Strang, sondern es setzt sich aus einzelnen Knoten, den 
Bauchganglien, zusammen, die untereinander durch paarige Kom- 
missuren oder Konnektive verbunden sind. Die beigegebene Fig. 6 2 
zeigt ein solches Nervensystem in typischer Ausbildung. Von den 
Ganglien gehen nach beiden Seiten Faserstränge ab, welche sich 
peripheriewärts zu Muskeln, Drüsen, Rezeptionsorganen u. s. w. be- 
seben. Diese Faserzüge, die Nerven, bestehen ebenso wie die Kom- 


24 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


missuren nur aus Nervenfasern (und Bindegewebe): Ganglienzellen 
fehlen in ihnen in der Regel ganz. Bei den Polychäten finden sich 
besondere kleine Ganglien an den Nerven der Parapodien, im übrigen 
finden sich keine peripheren Ganglienzellen mit Ausnahme der Sinnes- 
oder Rezeptionszellen, die eigentlich keine Ganglienzellen im engeren 
Sinne sind. Am Darm finden sich wieder Nervennetze, auf die ich 
erst später eingehen will. Wir treffen also hier zum erstenmal Ver- 
hältnisse, die denen der Wirbeltiere ähnlich sind. 

Auch im physiologischen Verhalten kommt dies zum Ausdruck: 
während wir bei den Cölenteraten und Echinodermen eine fast voll- 
kommene Selbständigkeit jedes Körperstückes finden und die nervöse 
Selbständigkeit einzelner Teile bei den niederen Würmern noch relativ 
groß ist, fällt bei diesen Tieren nach Verletzung des Bauchstranges 
die nervöse Funktion in den entsprechenden Teilen vollkommen aus. 
Nimmt man zum Beispiel bei einem Blutegel ein Bauchganglion fort, 
so ist die Muskulatur des betreffenden Körpersegments vollkommen 
gelähmt und Reize, welche im Gebiet des Segments angesetzt werden, 
bleiben von den nicht gelähmten Teilen unbeantwortet. Der Effekt 
ist der gleiche, wie bei einem Wirbeltier nach Fortnahme eines Teils 
des Rückenmarks. Durchschneidet man nur die Nerven eines Ganglions, 
so entspricht der Effekt der Durehschneidung eines peripheren Nerven 
beim Wirbeltier z. B. der des Ischiadieus. Während bei einer Turbellarie 
die vollständige Durchtrennung der in der Längsachse verlaufenden 
sroßen Nervenstämme es nicht verhindert, daß Reize, welche man am 
einen Ende ansetzt, dem andern zugeleitet werden, fällt bei den Aneliden 
und Hirudineen jede Beziehung zwischen Vorder- und Hintertier fort, 
wenn die Bauchkette an irgend einer Stelle unterbrochen wird, grade 
wie bei Wirbeltieren nach Durchschneidung des Rückenmarks. 

Die den soeben betrachteten segmentierten Würmern in vielen Be- 
ziehungen so nahe stehenden Arthropoden (Crustaceen, Insekten u. s. w.) 
zeigen auch in Bezug auf den Aufbau des Nervensystems und die 
alleemeinen Funktionsverhältnisse desselben kaum einen Unterschied 
(Fig. 6 2). Wie bei den höheren Würmern am Darm, so findet man 
auch hier an gewissen Körperstellen z. B. unter der Haut nervöse 
Verhältnisse, die denen der niedrigsten Metazoen ganz gleichen und 
gemeinsam mit diesen unter dem Kapitel „Nervennetze“ besprochen 
werden sollen. — Im inneren Bau der Ganglien, soweit er mit einfachen 
Methoden erkannt werden kann, zeigen alle Artikulaten (höhere Würmer 
und Arthropoden) einen gemeinsamen Bauplan, der sich auch bei den 
Mollusken und bei manchen niederen Würmern erkennen läßt. Gan- 
glienzellen, Nervenfasern und ihre Aufsplitterungen liegen nicht, wie 
bei den Wirbeltieren, wirr durcheinander, sondern die Ganglienzellen 
bilden einen Zellmantel, der die langen Faserzüge und die Nerven- 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 25 


aufsplitterungen, das Neuropil, umschließt (Fig. 45, S. 103). Diese 
Anordnung ist von praktischer Bedeutung, weil sie es ermöglicht, an 
den Ganglienzellen für sich zu operieren. 

Die Mollusken, die auch in andern Beziehungen den niederen 
Würmern näherstehen als den segmentierten, zeigen in der Anordnung 
der Nervenelemente Verhältnisse, die an die der Turbellarien u. s. w. 
erinnern, aber von einer höheren Differenzierung zeugen. — Das 
zentrale Nervensystem besteht aus mehreren großen Ganglien oder 
Ganglienpaaren. Typisch ist das Vorkommen eines Cerebral-, Pedal- 
und Visceralganglions, zu denen noch einige andre kommen können 
(Fig. 6 €). Untereinander sind die Ganglien durch lange, meist 
ganglienzelllose Kommissuren verbunden. Die peripheren Nerven sind 
zunächst (in der Nähe der Ganglien) fast frei von Ganglienzellen, je 
mehr sie sich aber der Peripherie nähern, desto häufiger findet man 
Ganglienzellen den Nerven angelagert und schließlich bildet sich unter 
dem Epithel wieder ein richtiges Nervennetz mit eingestreuten Zellen. 
(Angaben über periphere Ganglienzellen bei Mollusken sind schon von 
Smidt [1899, 1902], Havet [1899] und Veratti [1900] und früheren 
Autoren gemacht, Smidt hat auch schon das Nervennetz richtig ge- 
sehen. Eigene Untersuchungen wurden an Aplysia unternommen.) 
Bei diesen Tieren erlischt das Reflexleben nach Fortnahme des ge- 
samten Zentralnervensystems ebensowenig wie bei den niederen 
Würmern nach Exstirpation der großen Ganglienmassen, wie man leicht 
an Aplysia und Limax feststellen kann. (An Lamellibranchiaten u. s. w. 
habe ich keine Versuche angestellt.) Die sehr eigenartigen Er- 
scheinungen werden weiter unten genauer besprochen werden. — Für 
die höchste Ordnung der Mollusken, die Cephalopoden (Tintenfische), 
ist das Vorkommen großer Mengen peripherer Ganglienzellen besonders 
in den Armen längst bekannt, ebenso die relative Unabhängigkeit 
derselben vom Zentralnervensystem (siehe Uexküll 1895, wo auch die 
älteren Angaben zitiert sind). 

Auch bei den Tunikaten (Ascidien und Salpen) erlöschen die 
Reflexe nach Fortnahme des einzigen großen Ganglions nicht (Loeb, 
Bethe).') Es läßt sich hieraus schließen, daß auch bei diesen Tieren 
reichliche periphere Plexus vorhanden sind. Anatomisch sind sie aber, 
soweit mir bekannt, noch nicht mit Sicherheit festgestellt. 

Eine anatomische Trennung sensibler und motorischer Nerven- 
fasern am Austritt aus dem Zentralnervensystem, wie bei den Wirbel- 
tieren, existiert bei den Evertebraten nirgends. 

Über die Gestalt der Ganglienzellen und die Form und Aus- 
breitung ihrer Fortsätze verdanken wir, wie bei den Wirbeltieren, der 


I) Dem ist für die Salpen vor kurzem von Magnus widersprochen worden. 


36 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


Ehrlichschen Methylenblaumethode und der Golgischen Methode unsere 
Hauptkenntnisse. Die meisten Untersuchungen beziehen sich auf 
Arthropoden und Würmer; auch die Mollusken haben einige Bearbeiter 
zefunden. (Retzius 1890, 1891, 1895, Biedermann 1891, Bürger 1891, 
Allen 1894, 1896, Apäthy 1892, 1897, Lenhossek 1892, Smirnow 
1894, Bethe 1895, 1897, Havet 1899 und andre). Bei allen unter- 
suchten Tieren findet man in den Ganglien vorwiegend unipolare 
Ganglienzellen von sehr verschiedener Größe. Ihr Kern ist groß und 
blasig und zeigt immer einen großen, kugeligen Nucleolus (selten 
mehrere). Von diesen Zellen, die fast immer wie ein Mantel das 
Neuropil umgeben, zieht der einzige Fortsatz, der Stammfortsatz oder 
Stielfortsatz genannt wird, in das Neuropil hinein (Fig. 7 und 8). Sein 
weiteres Schicksal ist 
sehr verschieden, man 
kann aber leicht drei 
Haupttypen herausfin- 
den. 

1. Der Stammfort- 
satz löst sich schnell in 
immer feiner werdende 
Zweige auf (Fig. 7 links 
unten). 

2. Er verläßt unter 
Abgabe von Seitenzwei- 
gen durch einen peri- 


Fig. 7. Durchschnitt eines Ganglions von Limax (Nacktschnecke) pheren Nerven das Gan- 
nach Veratti (1900) (Golgipräparat). Rechts ein Element mit peri- 57 N 77 \ 

{ 5 IE 
pherer Faser (motorisches Neuron?). Links unten ein Element mit glion (F 15 4 oben) 

rein zentraler Verzweigung. 3. Der Stammfort- 


satz zieht sich durch 
mehrere Ganglien hin, überall Seitenzweige abgebend, ohne aber in 
einen Nerven eine periphere Faser zu senden (Fig. 1c). Man hat 
diese Elemente häufig mit dem Namen Assoziationselemente belegt; 
ich ziehe es aber vor, sie Kommissurelemente zu nennen, weil dieser 
Name über ihre Funktion nichts präsumiert. 

Die erste Form kommt nicht allzuhäufig vor. Ich habe sie im 
Bauchmark und im Gehirn von Careinus beobachtet (Fig. 8 «), Veratti 
in den Ganglien von Limax (Fig. 7). 

Die zweite Form ist in allen Ganglien der bisher untersuchten 
Evertebraten in großer Zahl gefunden worden. Von Retzius (1890) 
zuerst gesehen, sind diese Elemente von allen späteren Untersuchern 
bestätigt worden. Nur selten ist die periphere Faser die direkte 
Fortsetzung des Stammfortsatzes (Fig. 7); sehr viel häufiger, besonders 
bei Crustaceen, tritt der dünne Stammfortsatz seitlich an eine sehr 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 27 


viel diekere, verzweigte Faser heran, die an ihrem einen Ende zur 
peripheren Faser wird (Fig. 1@ und Fig. Se und b). Bei unbefangener 
Betrachtung solcher Elemente wird man viel eher den Eindruck ge- 
winnen, daß die Ganglienzelle ein seitlicher Anhängsel der Hauptfaser 
als ihr Ausgangspunkt ist. Zwischen der Dieke der Faser und der 
Reichhaltigkeit ihrer Verzweigungen einerseits und der Größe der 
Ganglienzelle und der Stärke ihres Stammfortsatzes andrerseits besteht 


Fig. 8. Schematische Abbildung des Gehirns von Carcinus mit dem Verlauf einiger Nervenelemente 

nach Methylenblaupräparaten. Die Lage der Ganglienzellpolster auf einer Seite angedeutet. Die 

punktierte Linie (links) deutet die Schnitte an, welche bei der Isolierung des Neuropils der zweiten 

Atenne geführt werden. (Natürlicher Durchmesser des ganzen Gehirns 2—3 mm). Weiteres siehe 
im Text. 


gar keine Proportionalität; so gibt es Fasern, die innerhalb ihres 
Verlaufs im Zentralnervensystem auf lange Strecken dicker sind als 
die zugehörigen Ganglienzellen; besonders auffallend ist bei diesen 
aber das Mißverhältnis zwischen dem Stammfortsatz und der mit ihm 
zusammenhängenden Faser (Fig. 8 b). Dies sind Verhältnisse, zu denen 
bei den Wirbeltieren Analoga von allerdings sehr viel geringerer Prä- 
gnanz existieren und die für die Beurteilung der Natur der Ganglien- 
zellen von entschiedenem, aber nicht anerkanntem Wert sind. 


28 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


Besonders bei den Crustaceen aber auch bei andern Evertebraten 
dehnt sich das zentrale Verzweigungsgebiet dieser Elemente auf mehrere 
Ganglien aus (Allen 1894, 1895, Bethe 1895). So umfaßt es z.B. 
bei Careinus meist noch die beiden Ganglien, welche dem Ursprungs- 
ganglion benachbart sind (Fig. 1«@). Die zu diesen verlaufenden Zweige 
haben die Kommissuren zu passieren und in diesen nehmen alle Fasern 
den Charakter peripherer Nervenfasern an d. h. sie umgeben sich mit 
einer faserigen Hülle (Gliascheide Apäthys) und zeigen häufig Ein- 
lagerungen von Myelin. Beides fehlt dem Stammfortsatz und der 
Faser, soweit sie im Ganglion verläuft. Wenn man nun überhaupt 
den Ausdruck Achsenzylinder auf die Wirbellosen übertragen will, so 
kann man nur die Fasern so nennen, die von eben diesen Hüllen 
umgeben sind. Wir hätten also hier Ganglienzellen vor uns, 
welche mit drei Achsenzylindern in Verbindung stehen, 
dem der peripheren Faser und den zwei durch die Längskommissur 
verlaufenden. Noch auffallender sind Ganglienzellen, von denen 
mehrere periphere Fasern abgehen (Retzius, Allen, Bethe, Apäthy). 
ei den von Apäthy bei Hirudo beobachteten Zellen dieser Art ver- 
lassen alle drei peripheren Fasern das Zentralnervensystem durch 
Nerven des Ursprungsganglions, während in den andern Fällen der 
Austritt durch Nerven von drei oder vier verschiedenen Ganglien 
erfolgt. Es würde mir höchst gezwungen erscheinen, wollte man zur 
Rettung des Gesetzes, daß immer nur eine Nervenfaser, nur ein Achsen- 
zylinder mit einer Ganglienzelle in Verbindung stehen könne, diese 
mehrfachen Nervenfasern als Schizaxone ausgeben, eine Auslegung, 
für die mir außerdem jede Grundlage zu fehlen scheint. 

Auch die Kommissurelemente fügen sich zum großen Teil diesem 
Gesetz nicht. Es war wieder Retzius, der diese Elemente zuerst ge- 
sehen hat (bei Astacus), wenn er sie wohl auch in ihrer Natur nicht 
klar erkannte. Seitdem sind sie bei fast allen untersuchten Everte- 
braten gefunden und in besonderer Vollständigkeit von Allen und mir 
bei Crustaceen dargestellt worden. So hat Allen beim Hummerembryo 
Kommissurelemente darstellen können, deren Ausbreitungsgebiet sich 
vom Gehirn bis in die Abdominalganglien erstreckt. In die Verhältnisse 
der Wirbeltiere übersetzt würde das die Verfolgung des Ausläufers 
einer Pyramidenzelle (nebst Verästelungen) bis ins Caudalmark be- 
deuten! Solehe Erfolge sind nur bei Anwendung der Methylenblau- 
methode und bei kleinen Tieren möglich, Bedingungen, die es ge- 
statten, das ganze Nervensystem auf einmal unter das Mikroskop zu 
legen. Die Verfolgung durch das gesamte Zentralnervensystem ist 
mir bei ausgewachsenem Careinus nicht möglich gewesen, wohl aber 
durch das gesamte Gehirn und das ganze Bauchmark. Bei diesen 
Elementen tritt die Improportionalität zwischen Ganglienzelle und 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 29 


Reichtum der Verzweigung noch deutlicher zu Tage: Manche Elemente 
verzweigen sich nur innerhalb eines oder weniger Ganglien und stehen 
mit Ganglienzellen in Verbindung, die ebenso groß oder größer sind 
als von Elementen, deren überaus reiche Verzweigungen sich über das 
ganze Gehirn oder Bauchmark ausdehnen. — Im Gehirn wie im Bauch- 
mark existieren Zellen, von denen zwei (manchmal auch noch mehr) 
Nervenfasern (Achsenzylinder) ausgehen, die dann durch getrennte 
Kommissuren weiterziehen (Fig. 1 c). — Unter den Kommissurelementen 


Fig. 9. A und B zwei multipolare Ganglienzellen aus Abdominalganglien des Flußkrebses nach 
Retzius (1890) (Methylenblau). € multipolare Ganglienzelle von Lumbricus nach Apäthy (1897, 
Taf. 26, Fig. 6) mit Differenzierung der Neurofibrillen (Goldpräparat; das Original ist farbig). 


finden sich bei Carcinus an verschiedenen Stellen Beispiele von Stamm- 
fortsätzen, die erst in großer Entfernung von der Zelle die ersten 
Seitenzweige abgeben. So kann bei großen Exemplaren die unver- 
zweigte Strecke des Elementes d (Fig. $) 1 mm lang sein. 

Außer den unipolaren Zellen, die ich bisher besprochen habe, 
kommen bei manchen Evertebraten auch multipolare Ganglienzellen 
vor. Am häufigsten sind sie wohl in den Ganglien der Mollusken 


30 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


(Rawitz, 1887, Freidenfeld, 1897 u. a.). Bei Urustaceen und Würmern 
sind sie seltener und kommen meist nur an ganz bestimmten Stellen 
vor. Stets scheint von ihnen eine lange Faser (Nervenfaser) zu ent- 
springen, die entweder zur peripheren Faser wird oder durch eine 
Kommissur zu einem andern Ganglion zieht (Fig. 9). Zwischen diesen 
Zellen und den birnförmigen Zellen bilden gewisse Zellen der Ab- 
dominalganglien von Astacus, die Retzius (Fig. 9 2) zuerst gesehen 
hat und deren Existenz ich bestätigen kann, einen Übergang, indem 
außer einem Stammfortsatz, der sehr früh Seitenzweige abgibt, nur 
ein oder wenige andre Fortsätze direkt von der Zelle abgehen. Wenn 
man überhaupt morphologische Vergleiche zwischen den Ganglienzellen 
der Wirbeltiere und der Wirbellosen ziehen will, so kann es wohl 
keinem Zweifel unterliegen, daß der zur peripheren Faser werdende 
Fortsatz der multipolaren Zellen dem Achsenfortsatz der Wirbeltier- 
sanglienzellen vom Deitersschen Typus zu vergleichen ist, während 
die übrigen Fortsätze den Protoplasmafortsätzen analog zu setzen 
wären. Jene Übergangsformen haben nun Retzius Veranlassung ge- 
geben, die in den Ganglien sich verzweigenden Nebenfortsätze des 
Stammfortsatzes der bimförmigen Zellen für Protoplasmafortsätze zu 
erklären, die gewissermaßen nur am Stammfortsatz heruntergerutscht 
sind. Andre haben gemeint, daß sich die Seitenfortsätze eher mit 
den Kollateralen der Wirbeltierachsenzylinder vergleichen ließen und 
daß die birnförmigen Zellen in Wirklichkeit der Protoplasmafortsätze 
ganz entbehrten. Lenhossek neigt sich der Ansicht von Retzius zu 
und ich selber stimme ihm vollkommen bei, wenn ich überhaupt einen 
Vergleich ziehen soll. (Auch Apäthy vergleicht die im Ganglion sich 
verzweigenden Seitenzweige mit den Protoplasmafortsätzen der Wirbel- 
tiere.) Ich muß aber gestehen, daß mir die Frage ziemlich irrelevanter 
Natur zu sein scheint. 

Außer den bisher besprochenen Elementen, die mit zentralen 
Ganglienzellen in leicht siehtbarer Verbindung stehen, finden sich in 
den Ganglien aller Evertebraten andre, bei denen ein Zusammenhang 
mit zentral gelegenen Zellen nicht sichtbar ist. Es sind Fasern, die 
durch die peripheren Nerven in die Ganglien eintreten und sich dort 
in feine Zweige auflösen. Häufig erfahren sie beim Eintritt ins Gan- 
glion zuerst eine T-förmige Teilung, und die beiden so entstandenen 
Zweige ziehen unter Abgabe von Seitenzweigen durch mehrere oder 
viele Ganglien hindurch (Retzius, Biedermann, Lenhossek, Allen, 
jethe, Apäthy u. a.). Die Lage der zugehörigen Zellen ist zuerst von 
Lenhossek (1892), später von Allen mit Sicherheit bestimmt worden. 
eiden Forschern gelang es (dem einen beim Regenwurm, dem andern 
beim jungen Hummer) die ins Ganglion eintretenden Fasern nach der 
Peripherie zu verfolgen, wo sie sie mit den seit langem durch Leidig, 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 31 
Claus und vom Rath bekannten bipolaren „Sinnesnervenzellen‘“ in Ver- 
bindung treten sahen (Fig. 10). Diese Zellen liegen meist in Gruppen 
zusammen unter dem Epithel. Ihr peripherer Fortsatz endet (7?) bei 
Würmern (Lenhossek, Apathy, Retzius) und Mollusken (Guilchrist, 
Smidt) frei zwischen den Epithelzellen, bei Arthropoden im Inneren 
von besonderen Sinnes- oder Rezeptionshaaren (Claus, vom Rath, Bethe, 
Retzius) oder an deren Basis (bei manchen Haaren von Astacus; 
Retzius, 1895, Bethe, 
1896). Durch diese Be- 
funde ist die Natur je- 
ner Elemente sicher als 
sensibel (rezeptorisch) 
festgestellt. 

Neben den Rezep- 
tionszellen finden sich 
aber bei Würmern (Smir- 
now, 1894) und Mol- 
lusken (Smidt, Verratti) 
auch freie Nervenendi- 
sungen im Epithel. Die 
zugehörigen Zellen lie- 
sen bei Würmern viel- 
leicht im Bauchmark, 
bei Mollusken, den Un- 
tersuchungen von Smidt 
nach, jedenfalls aber 
auch ziemlich nahe an 
der Peripherie. 

Diejenigen Elemen- 
te des Zentralnerven- 
systems, welche mit 
zentralen Zellen in Zu- Fig. 10. Zwei Ganglien vom embryonalen Hummer nach Allen 
sammenhang stehen und ea; kombiniert aus Fig. 9 und 11). Die zu Grunde liegenden 

- £ Präparate zeigten den ganzen Verlauf der angegebenen Nerven- 
eine periphere Faser elemente. 

entsenden, sind jeden- 

falls bei den Tieren, welche keine freien Endigungen im Epithel 
haben, zum größten Teil als motorisch und sekretorisch anzusehen, 
und nur bei Würmern und Mollusken könnte hier manchmal eine 
Kontroverse möglich sein, weil es eben hier freie Endigungen im 
Epithel gibt. Den Beweis dafür, daß die peripheren Fasern dieser 
Elemente mit Muskeln in Verbindung stehen können, hat Allen in 
einer seiner vortrefflichen Arbeiten erbracht, indem er auf einem 
Präparat direkt eine solche Faser bis zum Muskel verfolgen konnte, 


32 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


wo sie sich teilte und in motorische Nervenendigungen überging 
(Fig. 10). Soweit mir bekannt, ist dies überhaupt der einzige Fall, 
wo bisher der direkte Zusammenhang von zentralen Ganglienzellen 
mit der Muskulatur beobachtet ist. Bei allen andern Tieren ist dieser 
Zusammenhang nur erschlossen, nicht direkt beobachtet. 

Wie wir oben gesehen haben, fallen bei den höheren Würmern 
und bei den Arthropoden die Reflexe ganz fort, wenn die peripheren 
Nerven durehschnitten sind, während sie bei Mollusken und niederen 
Würmern bis zu einem gewissen Grade bestehen bleiben. Es wird 
also zunächst zweckmäßig sein für die weiteren Betrachtungen die 
ersteren im Auge zu behalten, denn bei ihnen sind wir zu der An- 
nahme gezwungen, daß der Reflexbogen, wie bei den Wirbeltieren, 
im Zentralnervensystem selber gelegen ist: 

Sensible, mit peripheren Rezeptionszellen in Verbindung stehende 
Fasern treten in die Ganglien ein und splittern sich hier auf. In den 


Fig. 11. Ein Teil der zentralen Verzweigung eines sensorischen Schlauchs von Hirudo nach Apäthy 

(1897, Taf. 25, Fig.1. Es ist nur ein Teil der Figur wiedergegeben). (Methylenblaupräparat). 

Innerhalb der Nervenfaser sind die Neurofibrillen nur angedeutet. An den kolbigen Verdiekungen 
treten die Neurofibrillen aus der Nervenfaser frei von Perifibrillärsubstanz aus. 


Ganglien selber liegen motorische Ganglienzellen (ganz außerhalb dieses 
Verzweigungsgebietes), von denen die motorischen Fasern durch die 
peripheren Nerven direkt bis zur Muskulatur laufen. Auf ihrem Wege 
durchs Neuropil geben sie Verzweigungen ab, die sich mit denen der 
rezeptorischen Fasern und der Kommissurelemente vermischen. Mehr 
läßt sich an den meisten Präparaten besonders mit den bei diesen 
Untersuchungen in der Regel angewandten mittleren Vergrößerungen 
nicht feststellen. Auf die Frage, ob und wie diese Zweige miteinander 
in Verbindung stehen, erhalten wir keine Antwort. Sie hätte nach 
dem bisher Besprochenen offen bleiben müssen und nicht nach be- 
stimmter Richtung entschieden werden dürfen, denn derartige Prä- 
parate lassen bei unbefangener Betrachtung nicht den Schluß zu, daß 
die Fasern da ihr Ende erreichen, wo die Färbung aufhört. 

Sehr häufig sind nur einzelne Ganglienzellen mit dem Stamm- 
fortsatz gefärbt. Ist es da zu Ende? Nein! denn in andern Fällen 
sieht man in Verbindung mit ihr die Hauptfaser mit einigen größeren 
Seitenzweigen. Aber auch da ist nicht das Ende, denn in wieder 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 33 


e 


andern Präparaten teilen sich diese Zweige noch weiter und sind mit 
kleinen Höckern besetzt. Da hier der Abbruch der Färbung gewöhnlich 
sehr scharf ist, so haben die meisten Beobachter hier das Ende an- 
genommen; die weiteren Fortsetzungen, die besonders in Methylenblau- 
präparaten häufig noch vorhanden sind, sind den meisten entgangen, 
weil sie, wenn auch gleich dunkel gefärbt, bei ihrer viel größeren. 
Feinheit viel stärkerer Vergrößerungen bedürfen, um gesehen und ver- 
folgt zu werden. Der einzige, der vor der großen Publikation 
Apathys (1897) auf diese feinsten Fäserchen öffentlich aufmerksam 
gemacht und sie abgebildet hat, war Biedermann (1891). Er hat auch 
bereits beobachtet, daß das Innere mancher diekeren Fasern von 
solehen Fäserchen erfüllt ist, und entwickelt andeutungsweise Vor- 
stellungen, die denen Apathys nicht allzufern liegen. Jedenfalls sind 
also die zentralen Verzweigungen dort noch nicht zu Ende, wo ihr 
Ende im allgemeinen angenommen wird. Es treten Elemente, die sie 
bis dahin in sich eingeschlossen hatten, aus ihnen heraus (Fig. 11 
und 12) und es ist die Aufgabe, das weitere Schicksal dieser Fäserchen, 
der Neurofibrillen, festzustellen und ihr Verhalten innerhalb der Fasern 
und Zellen zu untersuchen. 


Der Verlauf der Neurofibrillen in den Nervenfasern. 


Am schärfsten und deutlichsten treten die Neurofibrillen in den 
Fasern (wie in den Zellen) bei der Apäthyschen Goldmethode, der 
Färbung mit Hämatein Ia und meiner Molybdänmethode hervor. Hier 
sieht man auf Längs- und Querschnitten, wie die nach außen von der 
Gliascheide umhüllten Nervenfasern aus einer gleichmäßig homogenen 
Masse bestehen, der Perifibrillärsubstanz, in die die Fibrillen als scharf 
konturierte Individuen eingebettet sind. Man überzeugt sich am besten 
an diesen Präparaten, daß sie von den Gliafasern ganz verschieden 
sind, daß sie nie aus den Nervenfasern austreten, solange sie in 
Nerven oder Kommissuren verlaufen, daß sie ihre Individualität be- 
wahren und nur dort ein Ende haben, wo sie durch das Messer ab- 
geschnitten sind (Fig. 2, S. 17); um sich aber über den Verlauf der 
Fibrillen in den zentralen Verzweigungen ein Bild zu verschaffen, sind 
Methylenblaupräparate entschieden geeigneter. An den gewöhnlichen 
Methylenblaupräparaten sieht man im allgemeinen sehr wenig oder gar 
nichts von den Fibrillen. Wenn man aber die gefärbten Objekte in der 
von Apathy (1892) angegebenen Weise differenziert, oder meine Fixation 
benutzt, so treten die Fibrillen oft recht schön zu Tage. Nie sind 
sie so deutlich, wie in den nach den anderen Methoden hergestellten 
Präparaten, dafür hat man aber den Vorteil, ganze Ganglien unter 
das Mikroskop bringen zu können, während dort Schnitte nötig sind, 


Bethe, Nervensystem. 3 


34 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


so daß immer nur kurze Abschnitte einer Bahn zur Darstellung ge- 
langen. Außerdem: bei der Goldmethode und der Molybdänmethode 
ist die Darstellung der Fibrillen, wenn sie überhaupt gelingt, meist 
eine ziemlich vollständige; daher tritt die Zusammengehörigkeit der 
zu einer Faser gehörigen Fibrillen nur selten deutlich hervor. Da- 
. gegen teilen die Methylenblau-Fibrillenpräparate die Eigentümlichkeit 
gewöhnlicher Methylenblaupräparate, daß nur einige wenige Elemente 
gefärbt sind, so daß ihre Verfolgung auf weite Strecken möglich ist. 
Die Perifibrillärsubstanz ist in ihnen nur schwach gefärbt, so daß sie 
zwar noch deutlich sichtbar ist, aber die in ihr enthaltenen Fibrillen 
klar hervortreten läßt. Weniger günstig scheinen mir solche Präparate 
zu sein, bei denen die Differenzierung soweit gegangen ist, daß die 
Fibrillen allein zu sehen sind, weil hier ihre Beziehungen zur Peri- 
fibrillärsubstanz nicht zu erkennen sind. 

Fig. 12 stellt einen Teil eines motorischen Elements aus dem 
Gehirn von Carcinus nach einem Methylenblaupräparat dar. Innerhalb 
der Faser und ihrer Verzweigungen sieht man eine große Anzahl diekerer 
und dünnerer Fibrillen, deren Verfolgung zum Teil auf weite Strecken 
möglich ist. Dort, wo sich Fibrillen in die Tiefe senken, sind sie als 
dunklere Punkte im Querschnitt angedeutet, wie sie sich auch in den 
Präparaten in gleicher Weise markieren. An einzelnen Stellen buchtet 
sich nun die Perifibrillarsubstanz vor (v), und hier sieht man stets eine 
Fibrille austreten, um nackt, d. h. ohne Perifibrillärsubstanz, weiter 
zu laufen und sich eventuell zu verzweigen. Ein Austreten von Fi- 
brillen aus der eigentlichen Faser, soweit sie bisher von den meisten 
Autoren beobachtet sind, ist auch aufs deutlichste an Fig. 11 (Hirudo) 
zu sehen, nur daß hier die Fibrillen innerhalb der Faser nur mangel- 
haft differenziert sind. 

Die zentralen Verzweigungen eines gleichartigen Elements (eben- 
falls vom Blutegel) sind in Fig. 13 abgebildet. In dem zu Grunde 
liegenden Präparat sind die Fibrillen innerhalb der Faser deutlich zu 
sehen, während die aus ihren plasmatischen Grenzen austretenden 
freien Neurofibrillen nur an wenigen, mit einem © bezeichneten Stellen 
sichtbar sind. Die Mehrzahl scheint am Ende der kolbigen Ver- 
diekungen, welche die meisten Autoren als die Enden ansahen, scharf 
abgeschnitten. Innerhalb der Faser selber bemerkt man außer einer 
großen Anzahl sehr feiner Fibrillen, deren individuelle Verfolgung nur 
auf kurze Strecken möglich ist, zwei dickere, die sich in die beiden 
Hauptäste begeben und sich bei deren Teilungen ebenfalls teilen, um 
sich schließlich in eine Anzahl feinster Fibrillen aufzulösen. Die linke 
Fibrille ist in der Faser, soweit sie gezeichnet ist, auf die Länge von 
200 u zu verfolgen. In dem nicht mitgezeichneten peripheren Teil 
der Faser konnte sie noch um weitere 300 .. verfolgt werden, im 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 35 


ganzen also auf eine Strecke von 500 «! Wenn man die Abbildung 
(bei normaler Sehschärfe) aus der Entfernung von 2—3 m betrachtet, 
so verschwinden die Fibrillen und man erhält den Eindruck, welcher 
durch die gewöhnlich angewandten Vergrößerungen vermittelt wird 
und bei dem einem dort ein Ende zu sein scheint, wo keins ist. 

Die Untersuchung der peripheren Nervenstämme bei Hirudineen, 
welche von Apathy in ausführlichster Weise ausgeführt ist, führt zu 
dem Resultat, daß das Fibrillenbild nicht in allen Fasern das gleiche 
ist. In manchen Faserquerschnitten (Fig. 2 C, S. 17) bemerkt man 
eine große Zahl feinster Fibrillen, während in andern nur eine einzige 


Ze ipnhere Furser 


Fig. 12. Teil der zentralen Verzweigung eines motorischen Elements von Careinus. Differenzierung 

der Neurofibrillen in einem Methylenblaupräparat. Eine große Anzahl von Fibrillen biegt direkt 

aus den Seitenästen in die peripher verlaufende Nervenfaser ein, ohne in den Stammfortsatz der 

Ganglienzelle (St) einzutreten. (Man hat sich die beiden Schnitte so aufeinander gelegt zu denken, 
daß die + und * sich deeken.) (Bethe, 1898.) 


viel diekere vorhanden ist. Die Verfolgung der Nervenfasern in die 
kleineren Nervenstämme hinein (auf Schnittserien) zeigt nun, dab 
sich die dünneren Fasern (s) mit den feinen Fibrillen bis zur Peri- 
pherie begeben, um sich hier zu teilen und mit den unter der Haut 
gelegenen Rezeptionszellen in direkte Verbindung zu treten (sensorische 
Bündel Apäthys). Im Gegensatz dazu begeben sich die Fasern, welche 
nur eine starke Fibrille enthalten, zur Muskulatur. Es lassen sich 
also hier die motorischen und rezeptorischen Fasern im Fibrillenbild 
unterscheiden. Die dieken Nervenfasern (S in Fig. 2, ©) mit den vielen 
dünnen Fibrillen, welehe Apäthy sensorische Schläuche nennt, scheinen 
auch rezeptorischer Natur zu sein. Sie scheinen aber an der Peri- 
pherie nicht mit Rezeptionszellen in Verbindung zu stehen, sondern 
3* 


36 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


sich aus feinen Fibrillen zu sammeln (Ruffini und Apatlıy, 1900), also 
überhaupt keine Verbindung mit Ganglienzellen zu haben. 

Nach meinen eignen Untersuchungen an Hirudo kann ich diese 
Befunde durchaus bestätigen, wenn ich auch einige wenige Mal in 
sensorischen Schläuchen und sensorischen Bündeln sehr dieke Neuro- 


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Fig. 13. Zentrale Verzweigung eines sensorischen Schlauchs von Hirudo nach einem Methylenblau- 

präparat. Die Fibrillen treten innerhalb der nur schwach gefärbten Perifibrillärsubstanz deutlich 

hervor; die zwei dicken Fibrillen teilen sich wiederholt und sind sehr weit zu verfolgen. Bei + 
treten Fibrillen aus der Faser ins Neuropil aus. 


fibrillen gefunden habe (Fig. 13). — In den Kommissuren findet man 
nun auch vorwiegend Fasern vom motorischen Typus Apäthys, jedoch 
handelt es sich nach meiner Meinung hier in den allermeisten Fällen 
nicht um motorische Fasern, die etwa von einem Ganglion zum andern 
gingen, um sich erst von hier aus zu Muskeln zu begeben, sondern um 
Fasern von Kommissurelementen, welche zunächst mit motorischer 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 37 


Funktion nieht mehr zu tun haben, als etwa sensible Fasern. Immer- 
hin ist die Unterscheidung von motorischen und rezeptorischen (sen- 
sorischen) Neurofibrillen bei Hirudo von großem Wert für die Be- 
urteilung von Präparaten, in denen nur Fibrillen gefärbt sind, denn man 
kann eine Fibrille, die man von einem peripheren Nerven herkommen 
sieht, mit ziemlicher Sicherheit als wirklich motorisch, d. h. peripher zu 
einem Muskel gehend, ansehen, wenn sie diek ist und solitär verläuft. 

Bei andern Klassen der Evertebraten scheint ein scharfer Unter- 
schied zwischen motorischen und rezeptorischen Neurofibrillen nicht 
zu existieren. So habe ich ihn wenigstens bei Crustaceen nicht auf- 
finden können (1898). Ich fand dort in rezeptorischen Nerven neben 
Fasern mit vielen dünnen Fibrillen andre mit nur einer einzigen 
starken, ebenso in motorischen Fasern häufig ein Bündel feiner 
Fibrillen. Nach den Untersuchungen von Götz (1899, 1900) entstehen 
bei den Crustaceen die dieken Fibrillen durch Verklebung vieler feiner, 
eine Ansicht, die ich selbst von vornherein für sehr wahrscheinlich 
gehalten habe. Wir hätten also bei diesen Tieren nur eine Art von 
Fibrillen: Motorische wie sensible Fasern enthalten nur dünne 
Fibrillen, grade wie bei den höheren Wirbeltieren. 

Wie wir oben gesehen haben, stehen die motorischen Nervenfasern 
in den Ganglien in der Regel mit je einer Ganglienzelle in Verbindung. 
An Methylenblaupräparaten von Hirudo, in denen die Fibrillen differen- 
ziert sind, kann man nun manchmal mit Deutlichkeit erkennen, daß 
sich zu der einen dieken Neurofibrille, welche wir in den peripheren 
motorischen Fasern gefunden haben, innerhalb des Ganglions und zwar 
auf dem Wege der Seitenfortsätze andre dünnere Fibrillen gesellen, 
welche die dieke Fibrille in die Mitte nehmen und so der Ganglien- 
zelle dureh deren Stammfortsatz zuziehen. Wie bei den rezeptorischen 
Fasern brechen die Seitenzweige der motorischen Fasern nach einigen 
Teilungen (soweit sie aus Perifibrillärsubstanz bestehen) meist ziemlich 
unvermittelt ab und nur die Fibrillen treten ins Neuropil über. (Ähnlich 
wie es oben für ein motorisches Element von Careinus beschrieben ist 
[Fig. 12].) Auch an spezifischen Fibrillenpräparaten (Gold- oder 
Molybdänmethode) sind diese Verhältnisse bei Hirudo gut zu erkennen, 
weil die dieke motorische Fibrille einen zuverlässigen Führer abgibt. 
Bei Crustaceen (Careinus, Astacus) sind zur klaren Erkenntnis Me- 
thylenblaupräparate nötig, weil, wie erwähnt, die motorischen Nerven- 
fasern aus vielen dünnen Fibrillen bestehen, die auf Schnittserien eine 
sichere Verfolgung und Diagnose nicht zulassen. Hier liegen nun die Ver- 
hältnisse insoweit anders, als nicht alle Fibrillen durch den Stammfort- 
satz der Ganglienzelle zuziehen, sondern nur ein kleiner Teil (Fig. 12). 

Wir haben also die Neurofibrillen in den motorischen und rezep- 
torischen Fasern verfolgt von der Peripherie (Muskeln und Rezeptions- 


38 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


zellen) bis ins Ganglion und wir haben gesehen: 1. daß bei der 
Verzweigung der rezeptorischen Fasern Neurofibrillen aus den Fasern 
austreten, 2. daß im Ganglion in die motorischen Elemente auf 
dem Wege der Seitenfortsätze Fibrillen eintreten (resp. aus ihnen 
austreten), welche alle (Hirudo) oder zum Teil (Careinus) mit der (oder 
einem Teil der) in der peripheren motorischen Faser verlaufenden 
Fibrille sich zur Ganglienzelle begeben. Es bleibt also noch zu er- 
örtern, wie sich die Fibrillen in den Ganglienzellen und bei ihrem 
freien Verlauf im Neuropil verhalten. 


Die Neurofibrillen in den zentralen Gangelienzellen. 

Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß in allen bisher von Apäthıy 
und mir untersuchten Ganglienzellen wirbelloser Tiere die Neurofibrillen 
untereinander Verbindungen eingehen, daß sie echte Gitter oder Netze 
bilden. (Gitter oder Netz soll bedeuten, daß die Fäden wirkliche 
Anastomosen miteinander eingehen, miteinander verschmelzen. Die 
uns unter beiden Namen von der Textil- und Metallindustrie gebotenen 
Produkte weisen ein solches Verhalten in der Regel nicht auf. Bei 
ihnen sind die einzelnen Fäden resp. Drähte oder Stangen nur durch- 
einander geflochten; sie bewahren, wenn es sich nieht grade um ge- 
schweißte Gitter handelt, vollkommen ihre Individualität. Es fehlt 
eben in der Technik das, was wir in tierischen und pflanzlichen 
Geweben häufig vor uns haben: Netze mit substantieller Verschmelzung 
der Fäden. Somit fehlt auch in der Sprache ein Ausdruck für der- 
artige Gebilde, und wir müssen als Notbehelf uns des Wortes Netz 
oder Gitter bedienen, womit hier also immer ein wirkliches Anasto- 
mosenwerk gemeint sein soll. Schon auf den ersten Bliek unter- 
scheiden sich die Gitter und Netze der Technik, die aus einzelnen 
Stangen oder Fäden hergestellt sind, von unseren. Bei jenen über- 
kreuzen sich die Fäden an den Maschenecken, d. h. es treffen immer 
vier Fäden in emem Punkt zusammen, während hier keine Kreuzungen 
vorliegen, sondern immer drei Fäden in einem Punkt konfluieren. 
Nur die y-förmigen Knotenpunkte berechtigen zur Annahme anastomo- 
sierender Netze; die x-förmigen sind dubiös.) 

Die Anordnung dieser Gitter in den Ganglienzellen ist verschieden; 
bald sind sie an ganz bestimmten Stellen in den Zellen lokalisiert, 
bald durchziehen sie gleichförmig die ganze Zelle. Am besten bekannt 
sind durch die Untersuchungen Apäthys, die ich in allen Punkten 
durchaus bestätigen konnte, die Ganglienzellen der motorischen Ele- 
mente von Hirudo. Wir haben die Fibrillen in diesen Elementen bis 
zur Ganglienzelle schon kennen gelernt und gesehen, dab im Stamm- 
fortsatz eine dieke (periphere) und viele dünne (dem Neuropil ent- 
stammende) Fibrillen der Ganglienzelle zuziehen. In der Zelle behalten 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 39 


die dünnen Fibrillen ihre periphere Lage bei, sie legen sich ziemlich 
dicht der inneren Grenze der Zelle an. Die dieke Fibrille, welche 
immer am leichtesten zur Beobachtung gelangt, tritt ziemlich dieht an 
den Kern heran, teilt sich hier in mehrere Äste, welche den Kern 
korbartig umschließen und untereinander durch Seitenzweige in Ver- 
bindung treten, so daß wir ein in sich geschlossenes Netz vor uns 
sehen (Fig. 3, S. 18, Fig. 14, a und 5b). Die dünnen Fibrillen teilen 
sich gleichfalls und gehen untereinander Anastomosen ein, dieht unter 
der Zelloberfläche ein äußeres Gitter bildend. Zwischen beiden 
Gittern liegt ein breiter Raum, welcher von feinen radiären Fibrillen 
durchzogen wird, die peripher mit dem Außengitter, zentral mit dem 
Innengitter in Verbindung stehen (Fig. 3 und Fig. 14). Diese Bilder, 


Fig. 14. Drei Ganglienzellen von Hirudo. Die Fibrillen sind nach der Betheschen Molybdänmethode 

gefärbt. Links zwei Zellen vom motorischen Typus Apäthys mit feinem Außengitter und diekerem 

Innengitter, von welchem eine dicke Fibrille in den Stammfortsatz hineinzieht. Rechts eine Zelle 

vom sensorischen Typus Apäthys. Die beiden ersten Zellen sind fast ohne Benutzung der Mikro- 

meterschraube gezeichnet. Die rechte Zelle wurde bei drei verschiedenen Einstellungen gezeichnet 
und das definitive Bild aus diesen kombiniert. 


welche Apäthy und ich in vielen Exemplaren gesehen haben, sind so 
eindeutig, daß an der Richtigkeit und Allgemeinheit dieser Struktur 
nicht im mindesten gezweifelt werden kann. (Auch Simon [1896] hat 
an Methylenblaupräparaten nach Fixierung mit molybdänsaurem Am- 
monium Teile des zentralen Gitters gesehen.) 

Eine andre Anordnung der Neurofibrillen findet sich in den 
sroßen Ganglienzellen von Hirudo, welche wohl zu. Kommissur- 
elementen gehören. In ihrem inneren und ihrem Stammfortsatz findet 
man nur dünne Fibrillen, welche die Zellen selber in hauptsächlich 
meridionaler Richtung durehziehen (Apäthy). Sie durchsetzen aber auch 
das ganze Plasma und treten durch viele Seitenfibrillen miteinander in 
netzige Verbindung (Fig. 14 c). Auch bei den multipolaren Ganglien- 
zellen, wie sie z. B. beim Regenwurm vorkommen, wird der ganze 


” 


40 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


Zellleib von Fibrillen durchsetzt, ohne daß sich eine bestimmte An- 
ordnung erkennen ließe (Apäthy, siehe Fig. 9 ce, S. 29). Auch die Gan- 
slienzellen der Crustaceen, bei denen die Darstellung der Fibrillen 
einige Schwierigkeiten bereitet, zeigen ein ziemlich gleichmäßiges Netz 
(Bethe 1897, Götz 1900). Danach scheint mir die Trennung in ein äußeres 
und inneres Gitter, wie es in den motorischen Zellen von Hirudo oft 
so schön zum Ausdruck kommt, nur von lokaler Bedeutung zu sein. 
(Bei einigen Exemplaren von Hirudo, die ich untersuchte, war die 
Trennung wenig deutlich und fehlte in manchen Zellen ganz. Auch 
habe ich zweimal beobachtet, daß an der Teilungsstelle des Stamm- 
fortsatzes also ganz außerhalb der Zelle — ein zweites deutliches 


B. 

Fig. 15. 4 Rezeptionszelle von Hirudo nach Apaäthy (1897, Taf. 29, Fig. 6). (€ Cuticularsaum. In 

der Zelle ein kleines Gitter um den Kern herum. Von da aus geht eine Fibrille zum Zentrum, eine 

andre zieht ins Epithel und verzweigt sich dort. — B Verzweigung der Neurofibrillen in einer 

Muskelfaser der Darmwand von Pontobdella nach Apäthy (1897, Taf. 32, Fig. 3). m.F' motorische 
Fibrille außerhalb der Muskelfaser, (# Grenzen der Muskelfaser. 


Gitter vorhanden war. Über andre Vertreter wirbelloser Tiere liegen 
die ausführlichen Mitteilungen Apäthys noch nicht vor. Über die 
Fibrillen in den Ganglienzellen von Mollusken hat Bochenek [1901] 
einige Angaben gemacht.) 

Ich schließe hier einige Worte über das Verhalten der Neuro- 
fibrillen in den Rezeptionszellen und den Muskelfasern an, über das ich 
eigene Erfahrungen nur insoweit besitze, als ich Präparate, die Professor 
Apäthy die Güte hatte, mir leihweise zu überlassen, genau durchstudiert 
und mit seinen Abbildungen verglichen habe. — Wie schon erwähnt, 
teilen sich die von vielen dünnen Neurofibrillen erfüllten, rezeptorischen 
Fasern (sensorischen Bündel) an der Körperperipherie, wo dann die 
einzelnen Ästehen, die nur noch je eine Fibrille enthalten, mit einer 
subepithelialen Sinneszelle (Rezeptionszelle) in direkte Verbindung 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 41 


treten. In diesen bipolaren Zellen teilt sich die Fibrille in mehrere 
Äste, die untereinander Anastomosen eingehen (Fig. 154) und sich 
jenseits des Kernes wieder vereinigen, um als einheitliche Fibrille 
zwischen die Epithelzellen zu ziehen. Hier teilt sich die Fibrille von 
neuem und die Ästehen sollen nach Apäthys Auffassung mit denen 
der Fibrillen benachbarter Rezeptionszellen zu einem subkutikularen 
Fibrillennetz zusammentreten, doch drückt sich Apäthy selber über 
diesen Punkt noch recht vorsichtig aus. (In den sogenannten Augen 
der Hirudineen liegen sehr große Rezeptionszellen. Diese enthalten ziem- 
lich dieht unter der Oberfläche ein sehr engmaschiges Fibrillengitter, 
das sich zu einer dieken zentralwärts ziehenden Fibrille vereinigt.) 
Von Balint (1899) wurde bei den subepithelialen Rezeptionszellen der 
Biene ein ganz identisches Verhalten der Neurofibrille nachgewiesen, 
nur daß hier die peripheriewärts austretende Fibrille sich ungeteilt in 
das zugehörige Rezeptionshaar hineinbegibt. 

Eine gute Differenzierung der Neurofibrillen innerhalb der Muskel- 
fasern ist Apäthy hauptsächlich bei Ascaris und in der Darmwand 
von Pontobdella gelungen. Von der motorischen Nervenfaser endet 
an der Muskelfaser nur die Perifibrillärsubstanz. Die in ihr enthaltene 
dicke Fibrille aber dringt in die Muskelfaser ein, teilt sich hier in 
viele Äste, welche zwischen den Muskelfibrillen die Faser in der 
Längsriehtung durchziehen und manchmal auch wieder austreten. Die 
Neurofibrillen treten also bei diesen Tieren sicher mit der kontraktilen 
Substanz in direkte Berührung! (Fig. 15 2). 


Verbindungen zwischen rezeptorischen und motorischen 
Fibrillenbahnen. 


Nachdem wir den Verlauf der Neurofibrillen innerhalb der Gan- 
slienzellen und der mit ihnen in direktem und leicht sichtbarem Zu- 
sammenhang stehenden plasmatischen Fasern kennen gelemt haben, 
wenden wir uns der Frage zu, wie die Fibrillen der motorischen und 
rezeptorischen Elemente miteinander in Verbindung treten und ob ein 
solcher Zusammenhang überhaupt angenommen werden muß. Wie 
oben gezeigt wurde, treten aus den rezeptorischen wie aus den moto- 
rischen Fasern innerhalb der zentralen Fasermasse der Ganglien, dem 
Neuropil, Fibrillen heraus. Sie verlassen die plasmatische Substanz, 
die sie bis dahin mit andern Fibrillen vereint hat und ziehen frei 
weiter. Apäthy ist es hauptsächlich an Methylenblaupräparaten ge- 
lungen, diese ausgetretenen Fibrillen, die meist sehr dünn sind, auf 
weite Streeken zu verfolgen. Dabei konnte er feststellen, daß sie 
sich teilen und sich mit andern gleichartigen Fibrillen in drei- 
schenkeligen Knotenpunkten vereinigen und ein Gitter bilden, ganz 


42 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


ähnlich, wie wir es mit so großer Deutlichkeit in den Ganglienzellen 
vor uns haben, nur daß es sich im Neuropil immer dreidimensional 
ausdehnt. Auf seinen Abbildungen hat er dies Gitter, das er als 
„diffuses Elementargitter‘‘ bezeichnet, verschiedentlich eingetragen oder 
wenigstens Teile davon abgebildet. Trotzdem begegnet man häufig 
der Ansicht, daß das Elementargitter nur in der Phantasie Apathys 
bestände. Es muß zugegeben werden, daß die betreffenden Abbildungen 
Apathys für jemanden, der die Verhältnisse nicht kennt, nichts absolut 
Überzeugendes an sich haben; die Schuld daran trägt aber nicht eine 
etwaige Undeutlichkeit der zu Grunde liegenden Präparate, sondern 
ganz offenbar die zeichnerische Schwierigkeit mehrere Ebenen des 
Präparats auf der Ebene des Papiers zu vereinigen und dann vor 
allem die Art der Reproduktion, bei der die verschiedenen Platten 
nie so vollkommen zur Deckung kommen, wie es bei so subtilen 
Linien nötig ist. — Apäthy wollte auf den betreffenden Abbildungen 
nicht nur die Existenz des Elementargitters zeigen, sondern zugleich 
und vornehmlich darstellen, wie man durch dasselbe hindurch Fibrillen 
aus rezeptorischen Fasern bis in motorische hinein verfolgen könne. 
Es ist dies vielleicht eine Aufgabe, die sich technisch kaum lösen 
läßt, weil die Zeiehnung bei dem fortwährenden Wechsel der Ebene 
nie das Bild, das man im Mikroskop sieht, wiedergeben kann. Daß 
eine solche Verfolgung im Präparat bisweilen möglich ist, davon habe 
ich mich an Methylenblaupräparaten und auch an Molybdänpräparaten 
einigemal selber überzeugen können. Ich lege aber auf diese Ver- 
folgung gar keinen so großen Wert, weil bei der Feinheit der Fibrillen 
Irrtümer nur selten ganz ausgeschlossen sind und es immer nur sehr 
wenige Mikroskopiker geben wird, die die nötige Übung in der Ver- 
folgung so feiner Fädehen besitzen. 

Um die Frage zu entscheiden, ob im Neuropil Fibrillen ver- 
schiedener Bahnen miteinander anastomosieren, scheint es mir zu ge- 
nügen, den Nachweis zu führen, daß überhaupt Netzbildungen von 
Neurofibrillen in der Zentralfasermasse der Ganglien existieren. Ich 
füge deswegen hier die Beschreibung einiger Präparatenstellen an, wo 
ohne Veränderung der Einstellung ein Anastomosieren von Fibrillen 
direkt zu sehen war. (Alle diese Präparate waren nach meiner Molybdän- 
Toluidin-Methode hergestellt. Ich muß aber hinzufügen, daß derartige 
Stellen nicht häufig sind und daß man oft viele Schnitte durchmustern 
kann, ohne auch nur eine einzige zu finden.)') 


1) Inzwischen hat Herr Dr. Prentiss im hiesigen Institut Präparate hergestellt, 
welche Netze im Neuropil mit außerordentlicher Klarheit und häufig an vielen 
Stellen zeigen. Manche seiner Netze sind weit ausgedehnter als die hier be- 
schriebenen, aber nie diffus. Die Arbeit wird im Arch. f. mikrosk. Anat. in 
allernächster Zeit erscheinen. 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 43 


In Fig. 16 © sieht man einen Teil eines „‚sensorischen Schlauches‘“. 
Aus diesem löst sich eine Fibrille bei x heraus, die sich zu einem 
deutlichen Fibrillennetz begibt, um sich hier T-förmig zu teilen und 
mit feinen Fibrillen, die von andern Seiten kommen, in ihm zu kon- 
fluieren. In der Mitte ist das Netz, wohl infolge der Behandlung, zu 
einem diekeren Strang verklebt. Nach links (m) löst sich eine etwas 
stärkere Fibrille aus dem Netz los, welche ihrem Verlauf nach als eine 
Seitenfibrille eines motorischen Elements aufgefaßt werden kann. Die 
übrigen sich ablösenden Fibrillen mögen zu andern Netzpartien führen 


( z er 


Fig. 16. Drei Fibrillennetze aus dem Neuropil von Hirudo (Färbung mittels der Betheschen Molybdän- 
methode). A und B zwei kleinere Netze, ( ein ausgedehnteres Netz, m weithin zu verfolgende 
Fibrille. Die Fibrille x kommt aus einem sensorischen Schlauch. 


oder auch direkt aus rezeptorischen Fasern stammen. Ähnliche lokale 
Netzbildungen von Fibrillen, die ihrer Verlaufsrichtung nach sicherlich 
zu ganz verschiedenen Nervenfasern gehören, sind in Fig. 164, Z ab- 
gebildet. Eine Erklärung derselben halte ich für unnötig, denn sie 
sprechen für sich selber und führen von neuem den schon von Apathy 
gelieferten Beweis, daß Fibrillennetze in der zentralen Fasermasse 
vorkommen. Ich. habe mehrere Stellen abgebildet, um der Meinung 
entgegenzutreten, daß es sich um ein seltenes und eventuell patho- 
logisches Vorkommnis (wie etwa die breiten Anastomosen zwischen 
Wirbeltierganglienzellen) handelt. Wenn nicht in jedem Präparat solche 


44 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


Stellen zu finden sind, so liegt das zum Teil an dem Mangel, der 
unsern Methoden noch anhaftet, daß nur selten eine vollständige 
Färbung der feinsten Fibrillen erreicht wird. 

Ein diffuses Gitter oder Netz (in der herkömmlichen Bedeutung 
des Wortes diffus) liegt nach meiner Meinung nicht vor. Die Fibrillen, 
welche aus den rezeptorischen Fasern austreten, -gehen nicht sofort 
an der Austrittsstelle in Netzwerk über, wenn auch an der Austritts- 
stelle solches vorhanden ist, sondern winden sich häufig auf lange 
Strecken zwischen Fasern, Fibrillen und Netzwerken hindurch, um 
sich erst dann zu teilen und mit andern Fibrillen netzige Verbindungen 
einzugehen. Ebenso verhält es sich mit den Seitenfibrillen der moto- 
rischen Elemente. Auf diese Weise tritt immer nur eine beschränkte 
Anzahl von Fibrillen in nähere Beziehungen, und es scheint mir nicht 
ausgeschlossen, daß solche lokalen Gitterbildungen manchmal ganz 
isoliert sind oder nur ganz wenige Verbindungen mit benachbarten 
Gittern eingehen.') Auf irgend einem näheren oder weiteren Wege 
werden aber wohl schließlich alle Fibrillen eines Ganglions und des 
gesamten Nervensystems miteinander in Verbindung stehen, wenn nicht 
allein durch die Gitter der. zentralen Fasermasse dann doch durch 
diese in Verbindung mit den Gittern der Ganglienzellen. — Wenn 
alles im Zentralorgan diffus miteinander vermischt werden sollte, so 
wäre es ja auch unverständlich, daß die Nervenfasern, die Fibrillen- 
kabel, innerhalb der Ganglien oft so weite und komplizierte Wege 
zurücklegen, anstatt sich gleich beim Eintritt ins Ganglion ihrer Fi- 
brillen zu entledigen und sie in das Gitter übergehen zu lassen. Wie 
ich nun persönlicher Mitteilung von Professor Apäthy verdanke, hat 
er unter dem Ausdruck ‚„diffus‘“ etwas ganz andres verstanden wissen 
wollen, als was die meisten Leser der gewöhnlichen Bedeutung nach 
darunter verstanden haben. Ich lasse deshalb im weiteren diesen nur 
zu Mißverständnissen führenden Ausdruck ganz fallen und spreche 
nur von dem Fibrillengitter der zentralen Fasermasse (oder des Neuro- 
pils), im Gegensatz zu dem der Ganglienzellen. 

Manche Fibrillen, welche aus sensorischen Bündeln stammen, 
sehen innerhalb des Neuropils, wie es scheint, überhaupt keine Ver- 
bindungen mit andern Fibrillen ein. Ich habe wenigstens mehrfach 
eine einzelne Fibrille direkt aus einem sensorischen Bündel in eine 
Faser treten sehen, die motorischen Charakter hatte. In andern Fällen 
sah ich Fibrillen, die aus rezeptorischen Fasern kamen, sich im Neuro- 
pil in zwei oder mehrere Äste teilen, von denen ich wenigstens einen, 
einmal auch zwei in unzweifelhafte motorische Fasern oder Fasern 


I) Durch die Befunde Prentiss ist diese Ansicht noch wesentlich befestigt 
worden. 


Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 45 


von Kommissurelementen hinein verfolgen konnte. Die andern Äste 
(oder der andre) mögen sich mit andern Fibrillen zu Netzen der 
Zentralfasermasse verbinden. Ich habe sie meist nieht weit verfolgen 
können, weil die obere oder untere Grenze des Schnittes erreicht 
wurde. Derartige direkt aus einer Faser in die andre verlaufende 
Fibrillen hat auch Apäthy mehrfach gesehen und abgebildet. Ich 
glaube, daß die Zahl derselben sehr beträchtlich ist und daß, wenig- 
stens bei Hirudo, mehr Fibrillen nur in den Ganglienzellen sich mit 
andern Fibrillen verbinden, als im Gitter der zentralen Fasermasse. 
Bei Careinus glaube ich, zwar mehr aus theoretischen Gründen, als 
auf Grund direkter Beobachtung, daß die größte Mehrheit aller 
Fibrillen im Neuropil miteinander in Verbindung steht. 

Ein Hauptgrund für mich, eine vollkommene Kontinuität der 
Fibrillen von der Peripherie durch die Ganglien und wieder bis zur 
Peripherie anzunehmen, besteht darin, daß man auf den vollkommenst 
gefärbten Fibrillenpräparaten nie ein Ende einer Fibrille innerhalb 
der Schnitte der Ganglien zu Gesicht bekommt. Jede Fibrille, die 
man ins Auge faßt, kann bis zu den Grenzen des Schnittes verfolgt 
werden, sei es, daß sie ungeteilt bleibt, sich in ihrem Verlauf teilt 
oder in ein Gitter einer Ganglienzelle oder der Fasermasse übergeht. 
Nur dort sieht man innerhalb der Schnittgrenzen Fibrillen enden, wo 
die Färbung nicht ganz geglückt ist; m diesem Fall sieht man sie 
allmählich blasser werden, bis man sie schließlich wegen vollkommenen 
Mangels der Färbung nicht mehr verfolgen kann; ein plötzliches Ab- 
brechen etwa mit einem Knöpfchen oder dergleichen kommt nieht zu 
Gesicht, man müßte denn die dunklen Punkte, welche sich dort zeigen, 
wo eine Fibrille nach oben oder unten abbiegt, fälschlich dafür halten, 
was einem Ungeübten vielleicht passieren Könnte. 

Nach alldem wird man nicht umhin können, sich der 
Ansicht Apäthys anzuschließen, daß die Neurofibrillen 
als kontinuierliches Element das ganze periphere und 
zentrale Nervensystem durchziehen und daß sie inner- 
halb der Ganglien die Lücken überbrücken, welche 
zwischen den plasmatischen Teilen der nervösen Ele- 
mente bestehen und zur Aufstellung der Kontiguitäts- 
lehre Veranlassung gaben. 

Des genaueren wird sich dieser kontinuierliche Verlauf etwa 
folgendermaßen gestalten: Die rezeptorischen Nervenfasern sammeln 
an der Peripherie die Neurofibrillen, welche den Rezeptionszellen ent- 
stammen (Fig. 15 4). Im den Fasern laufen die Fibrillen ohne Ver- 
änderung bis zu den Ganglien. In diesen teilen sich die Fasern und 
die Fibrillen strömen aus ihnen aus. (Worte wie „strömen“, „gehen“, 
„laufen“, „eindringen“ u.s. w. sind natürlich bildlich zu verstehen.) 


46 Das Nervensystem wirbelloser Tiere (mit Ausschluß der Nervennetze). 


Ein Teil von ihnen geht direkt oder nach vorhergegangener Teilung 
in die Seitenfortsätze andrer Elemente über. Andre Fibrillen teilen 
sich mehrfach im Neuropil und anastomosieren miteinander. Aus dem 
so gebildeten Gitterwerk, das bald lokal oder mehr oder weniger 
diffus ist, gehen wieder etwas stärkere Fibrillen hervor, die wiederum 
in plasmatische Fasern (Kabel) von motorischen Elementen oder Kom- 
missurelementen eintreten. In beiden Faserarten laufen diese Fibrillen 
der Ganglienzelle zu. In den motorischen Ganglienzellen bilden die 
vielen auf dem Wege der Seitenfortsätze in die Faser und den Stamm- 
fortsatz gelangten dünnen Neurofibrillen ein Gitter, aus dem direkt 
oder auf dem Wege eines zweiten Gitters (Innengitter) die motorische 
Fibrille hervorgeht. Diese verläßt innerhalb der motorischen Nerven- 
faser das Ganglion und begibt sich zum Muskel (resp. zur Drüse), 
um hier in die innervierten Zellen nach Abwerfen des perifibrillären 
Mantels einzudringen. Die Fibrillen, welche in die Ganglienzellen 
der Kommissurelemente eindringen, bilden hier gleichfalls ein Gitter, 
aber aus ihm gehen nur andre feine Fibrillen hervor, die im Stamm- 
fortsatz zurücklaufen, in andern Zweigen desselben weiterziehen und 
im selben oder in einem andern Ganglion wieder ins Neuropil aus- 
treten. Durch diese Elemente werden Teile des Neuropils (und seiner 
Gitter), die weit voneinander entfernt sind, in nähere Beziehungen ge- 
setzt. So ungefähr wird sich der Fibrillenverlauf beim Regenwurm 
und Blutegel gestalten. 

Bei Crustaceen (Careinus, Astacus) liegen die Verhältnisse sicher 
etwas anders. Bei diesen Tieren geht nur ein kleiner Teil aller 
Neurofibrillen durch die Ganglienzellen, denn, da man bei allen ihren 
Ganglienzellen nur einen kleinen Teil der in den Zweigen des ganzen 
„Neuron‘“ vorhandenen Fibrillen in den Stammfortsatz ziehen sieht 
(Fig. 12), so kann gegen diese Aufstellung nicht eingewandt werden, 
daß die Fibrillen, welche die eine Zelle meiden, vielleicht eine andre 
passieren. Da ich nun auch hier, wie beschrieben, gesehen habe, daß 
die Neurofibrillen in die Nervenfasern eintreten resp. aus ihnen aus- 
treten, so müssen die Fibrillenübergänge von Faser zu Faser und ihre 
Vermischung zum größten Teil in der zentralen Fasermasse und ihren 
Gittern, die ich allerdings bis jetzt nur andeutungsweise zu Gesicht 
bekommen habe, gelegen sein'). Die Fig. 42, S. 99, gibt ein Bild, 
wie ich mir nach dem vorliegenden Material den Fibrillenverlauf bei 
den CUrustaceen vorstellen zu müssen glaube. 

1) Prentiss beschreibt in der in Publikation begriffenen Arbeit einige sehr 
deutliche Gitter im Neuropil von Astacus. 


FÜNFTES KAPITEL. 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


Die Neurofibrillen der Nervenfasern S. 47—55 (neuer Beweis für die Unterbrechung 
der Perifibrillärsubstanz an den Ranvierschen Einschnürungen S. 52—54). — Die 
Fibrillen in den Ganglienzellen S. 56—60. — Die Beziehungen zwischen Nerven- 
fasern und Ganglienzellen und die pericellulären Gitter (Golginetze) S. 61— 78. 


Die Formverhältnisse des Nervensystems der Wirbeltiere werden 
allen Lesern so geläufig sein, daß ich auf dieselben nicht einzugehen 
brauche. Es wird auch nicht nötig sein, die verschiedenartige Gestalt 
der Ganglienzellen. und ihrer Ausläufer in den einzelnen Regionen des 
Nervensystems und bei verschiedenen Gruppen der Vertebraten zu be- 
schreiben. (Wer sich hierüber noch näher informieren will, wird das 
Hauptsächliche und Wissenswerte in den gesammelten Werken von 
Golgi, 1894, der neusten Auflage des Köllikerschen Handbuchs, 1896, 
und dem Buch von Lenhossek, 1895, finden.) Auf einzelne Verhält- 
nisse, die noch kontrovers oder neueren Datums sind, wird am ge- 
eigneten Ort eingegangen werden. 


Die Neurofibrillen der Nervenfasern (Achsenzylinder). 

Der erste, der in markhaltigen Nervenfasern die Neurofibrillen 
gesehen hat, war, wie schon erwähnt, Max Schultze. Färberisch dar- 
gestellt wurden sie hier zuerst von Kupffer. Beiden diente (abgesehen 
von andern, weniger einwandsfreien Methoden, die Max Schultze an- 
wandte) die Osmiumsäure als Fixationsmittel. Auch heute noch ist 
die Vorbehandlung mit Osmiumsäure das beste und beinahe das 
einzige Mittel, um die Neurofibrillen der Wirbeltiernervenfasern zur 
Darstellung zu bringen. Es beruht dies, wie Apathy zuerst hervor- 
zehoben hat, nicht darauf, daß die Osmiumsäure die Fibrillen gut 
färbbar macht, sondern nur darauf, daß die Osmiumsäure die Schrump- 
fung der Achsenzylinder verhindert, so daß bei der Färbung die Fi- 
brillen, welche ihr dichtester Bestandteil sind, am besten hervortreten. 
Wie ich mit Mönckeberg nachwies, beruht das Nichtschrumpfen der 
Achsenzylinder bei Osmiumfixierung auf einer gerinnungshemmenden 
Wirkung der Osmiumsäure. Sie verwandelt das Eiweiß des Achsen- 
zylinders (wie auch andre Eiweißlösungen) in der Weise, daß auch 
später der Entwässerungsalkohol u. s. w. keine Gerinnung mehr her- 
vorruft. Bei allen andren Fixierungen (mit Ausnahme von stark ab- 
gekühltem Alkohol, siehe weiter unten) schnurrt der Achsenzylinder 
mitsamt seinen Fibrillen zu einem einheitlichen Strang zusammen, in 
welchem die Fibrillen so dicht beieinander liegen, daß nach der Färbung 


48 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


ihre Auflösung nicht mehr möglich ist. — Die Färbung der Fibrillen in 
den osmierten Nerven ist nach einer ganzen Anzahl von Methoden 
möglich, die alle an und für sich nichts Spezifisches haben und eine 
ganze Menge andrer Gewebsbestandteile ebenso intensiv oder intensiver 
färben können. Da aber die Masse, in die die Fibrillen eingebettet 
sind, die Perifibrillärsubstanz, nicht oder fast nicht gefärbt wird, so 
treten die Fibrillen doch sehr deutlich hervor. 

Den Raum innerhalb der Markscheiden, welche durch das redu- 
zierte Osmium mehr oder weniger schwarz gefärbt sind, erfüllt auf 
solchen Präparaten eine homogen erscheinende, blaß oder gar nicht 
gefärbte Substanz, die Perifibrillärsubstanz oder das Achsenzylinder- 
plasma. In dieser erscheinen auf dem Längsschnitt eine große An- 
zahl feiner, aber durchaus scharf gezeichneter Fibrillen (Fig. 17 a). 
War der Nerv nicht gespannt, so sind die Fibrillen sehr wellig, ob- 
gleich der äußere Faserkontur gradlinig verläuft. Nur bei ziemlich 
stark gespannten Nerven laufen auch die Fibrillen gradlinig und sind 
nur in diesem Zustand gut zu verfolgen. Man nimmt an solchen 
Präparaten wahr, daß die Fibrillen durchaus individuell nebeneinander 
herlaufen, nie Verbindungen innerhalb des Achsenzylinders (solange er 
ungeteilt ist) untereinander eingehen und nie enden, außer an den 
Stellen, wo sie, vom Messer durchtrennt, ein künstliches Ende zeigen. 
Es handelt sich also, wie bei den Evertebraten, um wirkliche Fibrillen- 
individuen. Soweit es die Grenzen des Schnittes erlauben, kann man 
die einzelnen Fibrillen auf weite Strecken verfolgen (100—150 u), 
falls die Nervenfasern nicht allzu dicht mit Fibrillen angefüllt sind, 
wie dies bei Säugetieren recht häufig der Fall ist (Frosch und Fisch- 
nerven, Torpedo, scheinen mir die günstigsten Objekte zu sein, weil 
hier die Fibrillen relativ diek und nicht allzu zahlreich sind). Eine 
Verfolgung der einzelnen Fibrille auf noch größere Strecken ist des- 
wegen nicht möglich, weil die Markrohre aufgeschnitten sein müssen, 
wenn man die Fibrillen deutlich sehen will, und wohl kaum ein Auf- 
schneiden der Markscheiden auf größere Strecken möglich sein dürfte. — 
Auf dem Querschnitt der Nervenfasern erscheinen die Neurofibrillen 
als dunkle Punkte innerhalb des schwarzen Markringes (Fig. 17). 

Von verschiedenen Seiten ist die Existenz von Fibrillen in den 
Wirbeltierachsenzylindern in Abrede gestellt worden, und das Bild, das 
Kupffer u. a. sahen, als Trugbild bezeichnet worden, so besonders von 
Bütschli (1892) und Held (1895). Beide Autoren sind der Ansicht, 
daß die Fibrillen weiter nichts sind, als die Längswände von Waben, 
welche den ganzen Achsenzylinder ausfüllen sollen. (Nach Bütschli 
sollen dieselben eine natürliche und allgemeine Struktur sein, während 
sie Held für ein Kunstprodukt hielt.) Als Beweis dafür wurde an- 
geführt, daß erstens zwischen den Fibrillen quere Verbindungen exi- 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 49 


stierten, zweitens aber an den Ranvierschen Einschnürungen die Zahl 
der „Fibrillen‘“ geringer würde, indem die Größe der Waben sich 
nicht verringerte. Tatsächlich ist aber beides nur an schlecht fixierten 
Präparaten zu sehen. Quere Verbindungen existieren im Osmium- 
präparat nicht, und die Fibrillen durchziehen in der gleichen Anzahl 
die Ranvierschen Einschnürungen, in der sie in andern Teilen des 
Achsenzylinders vorhanden sind (Fig. 17a). Auch das Querschnittsbild 
(Fig. 17 b) läßt gar keinen Zweifel darüber, daß wir es mit echten 
Fibrillen von drehrunder Gestalt und nicht mit Längswänden von 
Waben zu tun haben, welche sich im Querschnitt als gelappt dar- 
stellen müßten. Schließlich sei als Beweis für ihre Existenz ihre 
Isolierbarkeit angeführt. 

Ein Unterschied zwischen den Neurofibrillen der motorischen und 
sensiblen Nervenfasern besteht wenigstens bei den höheren Wirbel- 
tieren nicht. Hintere wie vordere Wurzeln enthalten bei Rana, Lepus, 
Canis und Homo nur Nervenfasern, die sich im Fibrillenbild gar nicht 
voneinander unterscheiden und in diesen wie in jenen mit denselben 
dünnen Fibrillen erfüllt sind. Auch dort, wo ich im peripheren Ver- 
lauf sensible und motorische Fasern untersuchte, konnte ich keine 
Unterschiede bemerken. Bei Fischen dagegen scheinen Unterschiede 
vorzukommen, wenigstens beschreibt Apathy, daß bei Lophius nur die 
hinteren Wurzelfasern nach dem beschriebenen Typus gebaut sind, 
während die Fasern der vorderen Wurzeln nur eine sehr dieke Fibrille 
enthalten sollen. 

Über die Neurofibrillen der marklosen Fasern des Sympaticus u. s. w. 
liegen außer den Angaben von Max Schultze fast keine Beobachtungen 
vor. Ihre färberische Darstellung gelingt weit schwerer, als bei den 
markhaltigen. Am besten habe ich sie einigemal in Methylenblau- 
präparaten zu sehen bekommen. 

Ein besonderes Interesse beansprucht das Verhalten der Scheiden 
und der Perifibrillärsubstanz an den Ranvierschen Einschnürungen, 
weil es als Beweis für die leitende Natur der Neurofibrillen dienen 
kann (Mönckeberg und Bethe, 1899). Daß die Markscheide an den 
Ranvierschen Einschnürungen eine Unterbrechung erleidet, ist ohne 
weiteres an frischen und osmierten Präparaten zu sehen (Ranvier). 
Schwieriger ist es, zu zeigen, daß auch die Schwannsche Scheide hier 
eine Unterbrechung erfährt. Zuerst ist dies wohl in einwandsfreier 
Weise durch Boveri (1885) geschehen. Er zeigte — und ich habe 
dies mit Mönckeberg bestätigt —, daß die Schwannsche Scheide jedes 
Segments sich an den Einschnürungsstellen am Rande der Markscheide 
umschlägt und an die Innenseite des Markrohrs sich anlegt, um das- 
selbe nach Übergang in eine feinere Membran, die Innenscheide, von 
innen auszukleiden (Fig. 17«). Die äußerste Scheide der Nervenfasern, 


3ethe, Nervensystem. 4 


50 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


die Fibrillenscheide oder Henlesche Scheide, ist die einzige, welche 
über die Einschnürungen fortzieht; sie hat aber mit der Nervenfaser 
kaum noch etwas zu tun. Wenn einige Forscher die Unterbrechung 
der Schwannschen Scheide leugnen, so kann dies nur darauf beruhen, 
daß sie sie mit der Fibrillenscheide verwechseln. 

An in Osmiumsäure zerzupften Nervenfasern bemerkt man nun, 
wenn man sie in Wasser beobachtet, daß sich auch zwischen den 
beiden Achsenzylinderanteilen der aneinander stoßenden Segmente eine 
scharfe Grenzlinie befindet. Wendet man Fasern von Seefischen (Tor- 
pedo) an, so bemerkt man beim Übertragen in destilliertes Wasser, wie 
die feine Linie sich verbreitert und zu einem breiten Bande aufquillt 
(Fig. 17 ce). Die Fibrillen durchziehen jetzt das Band wie vorher die 
Linie. Ich habe mich nieht dem Eindruck verschließen können, daß sich 
hier entweder eine quellungsfähige Platte befindet oder ein Spaltraum, 
der sich mit Wasser imbibiert und der die Perifibrillärsubstanz (das 
Achsenzylinderplasma) der beiden aneinander stoßenden Segmente von- 
einander trennt. Weitere Aufschlüsse über dies Gebilde geben Präparate, 
welche mit Silbernitrat behandelt sind. An diesen sieht man bekannt- 
lich an der Stelle der Ranvierschen Schnürringe ein schwarzes Kreuz, 
das dadurch entsteht, daß sich ein Silberniederschlag zwischen den 
Umschlagsrändern der Schwannschen Scheide einerseits und zwischen 
den Anfangsteilen des Achsenzylinders und der Innenscheide andrer- 
seits bildet. In andern Fällen sieht man aber nur eine schwarze 
Linie, die nichts mit der Schwannschen Scheide zu tun hat, sondern 
eine Grenze zwischen den Hohlräumen der aneinander stoßenden 
Markrohre bildet. Diese Grenzlinien innerhalb des Achsenzylinders 
hat zuerst Engelmann (1880) gesehen und als richtige Zellgrenzen 
gedeutet (siehe auch Gedoelst, 1889). Auf Querschnitten bildet sich 
die Grenzlinie als dünne Scheibe ab, welche wie ein Sieb durchlöchert 
ist (Fig. 17 d). Durch diese Löcher treten die Fibrillen von einem 
Segment in das andre über. Solche Siebplatten hat auch Mann 
färberisch dargestellt, und ich selber habe sie an gebeizten Präparaten 
nach Alkoholfixierung einigemal gesehen. 

Daß hier etwas Besonderes vorliegt, geht auch aus solchen Präpa- 
raten hervor, die mit schrumpfend wirkenden Fixierungsmitteln be- 
handelt sind. Ist die Schrumpfung nicht zu stark, z. B. bei Anwen- 
dung von kaltem Alkohol oder von Silbernitrat, so sieht man die 
Fibrillen häufig nur innerhalb des freien Raums der Markrohre zu einem 
dünnen Bündel zusammengeschrumpft, während sie an den Ranvier- 
schen Einschnürungen ihren natürlichen Abstand bewahren (Fig. 17 e). 
Manchmal sieht man sogar diesen Teil des Achsenzylinders aus dem 
Schnürring herausgerissen, ohne daß eine Schnurrung eingetreten ist 
(Fig. 17 /). Hieraus geht hervor, daß die Fibrillen an den Schnür- 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 51 
‘ 


ringen in ihrer Lage festgehalten werden, daß ein mechanisches 
Hindernis für das Zusammenschnurren besteht; das ist nur dadureh 
möglich, daß hier entweder eine durchlöcherte Platte von festerer 
Konsistenz vorhanden ist, als sie das Achsenzylinderplasma besitzt, 
oder daß die Perifibrillärsubstanz der aneinander grenzenden Seg- 
mente unterbrochen ist und so ein Spaltraum mit starker Oberflächen- 
spannung gebildet wird. Nach alledem glaubte ich mit Mönckeberg 
annehmen zu sollen, daß die Perifibrillärsubstanz an den Ranvierschen 


Fig. 17. «a Längsschnitt einer markhaltigen Nervenfaser mit gefärbten Fibrillen (F'Fibrillenscheide, 
S Schwannsche Scheide). 5 Querschnitt durch markhaltige Nervenfasern. d Platte einer Ranvierschen 
Einschnürung, mit Silber geschwärzt. Man sieht die kleinen Poren, durch welche die Fibrillen 
hindurchtreten (a, b und d vom Frosch). ce osmierte Nervenfasern von Torpedo. Links in Seewasser, 
rechts nach dem Übertragen in destilliertes Wasser. Bei der rechten Faser ist die Zwischenplatte 
gequollen. e gesilberte Faser vom Frosch. Der Fibrillenstrang ist außer an der Ranvierschen Ein- 
schürung zusammengeschrumpft. / geschrumpfte Faser aus einem Alkoholpräparat (Frosch). Die 
Zwischenplatte ist beim Zupfen aus der Ranvierschen Einschnürung herausgerissen. 


Schnürringen eine totale Unterbrechung erfährt und daß nur die Fi- 
brillen von einem Segment in das andre übergehen. 

War dieser Schluß richtig, so war damit ein neuer Beweis für 
die leitende Funktion der Neurofibrillen gegeben, denn man konnte 
nicht annehmen, daß die von Segment zu Segment unterbrochene Peri- 
fibrillärsubstanz der Leitung diene. Aber auch nach einer andern 
Riehtung hin war uns der Befund interessant: wenn an den Ranvier- 
schen Schnürringen die Fibrillen in den gegebenen Abständen ge- 
halten werden, so kann man dieser Einrichtung eine isolatorische 


Funktion zuschreiben; sie verhindert, daß die einzelnen Fibrillen mit 
4* 


52 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


einander in Berührung treten grade so, wie die Porzellanglocken an 
den Telegraphenleitungen eine Berührung der Drähte verhindern. 
Inzwischen hat nun Verworn (1900) in seinem für alle konserva- 
tiven Elemente so hocherfreulichen Referat über die Neuronentheorie 
die Behauptung aufgestellt, daß durch unsere Versuche der Beweis für 


eine Unterbrechung der Perifibrillärsubstanz an den Schnürringen nicht 


erbracht sei. Unser Schluß auf substantielle Trennung sei lediglich 
eine subjektive Deutung, entsprungen aus dem Vorurteil, daß die Fi- 
brillen das Leitende seien. Merkwürdigerweise führt Verworn von 
unsern Beweisen nur den Quellungsversuch an, auf den allein wir 
niemals unsern Schluß gebaut hätten. Demnach scheint er von unseren 
andern Beweisen noch weniger zu halten. Ich bin noch heute andrer 
Ansicht und möchte die Voreingenommenheit eher auf der gegnerischen 
Seite sehen. — Verworns Skeptizismus hat mich aber dazu veran- 
laßt, nach neuen Beweisen für die substantielle Unterbrechung zu 
suchen, und dabei bin ich zu einem Versuch gelangt, der vielleicht 
auch Verworn überzeugen wird. Er entsprang der einfachen Über- 
legung, daß bei wirklichem Abschluß an der Ranvierschen Ein- 
schnürung keine Perifibrillärsubstanz durch dieselbe hindurehtreten 
könne, daß also bei Druck auf das Markrohr der ungedrückte Teil 
desselben nur bis zum nächsten Schnürring anschwellen dürfe. 

Man kann diesen Versuch direkt unter dem Mikroskop anstellen, 
doch wird er in dieser Form nur für geschiektere Menschen ausführ- 
bar sein: ein Stück aus dem Ischiadieus vom Frosch wird in Blut- 
serum zerzupft und eine Faser mit schönem Ranvierschen Schnürring 
aufgesucht. Ich lege nun ein Pferdehaar etwa einen halben Millimeter 
vom Ring entfernt quer über die Faser und decke über das Ganze 
vorsichtig ein Deckglas. Die Faser zeigt unter dem Mikroskop 
(Leitz: Objektiv 5, Okular I) ihr altes Aussehen. Drückt man nun, 
während man beobachtet, vorsichtig auf das Deckglas, so sieht man 
die Faser nach dem Schnürring zu anschwellen; am Ring macht aber 
die Schwellung halt. Liegt das Haar nicht weit vom Ring und ist 
es relativ diek, so daß es viel Masse verschieben kann, dann kann 
der diesseitige Faserabschnitt bereits auf den doppelten oder drei- 
fachen Durchmesser anschwellen, während der jenseits des Ringes ge- 
legene Teil, auch bei minutenlang anhaltendem Druck, keine Volums- 
zunahme zeigt. Eine Verringerung der Anschwellung ist auch bei 
langdauernder Kompression nicht zu konstatieren; der Verschluß am 
Scehnürring muß also absolut oder nahezu absolut sein. Bei seitlicher 
Verschiebung des Deckglases unter fortdauerndem Druck gelingt es 
bisweilen, das Haar zum Rollen zu bringen und dem Schnürring zu 
nähern. Dabei kann dann die Anschwellung zur Blase vom vier- bis 
fünffachen Querdurchmesser des jenseitigen Faserteils werden. In 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 53 


diesem Zustande platzt die Faser leicht und entleert sich. An welcher 
Stelle das Platzen eintritt, kann ich nicht sicher angeben. 

Sehr viel leichter ist der Versuch in folgender Weise anzustellen: 
Ein ganzer Ischiadieus vom Frosch wird mit zwei Igelstacheln auf 
einer glatten Korkplatte aufgespannt und in eine leere Glasschale 
gelegt. Auf den Nerven hängt man dann einen heiter aus Glas, 
welcher eine ähnliche Form hat, wie der in Fig. 64 abgebildete 
Drahtrahmen, nur daß sich an Stelle des Fadens ein querstehendes 
Kapillarrohr von ein bis anderthalb Millimeter Dieke befindet. Auf 
die unten am Reiter angebrachte Schale werden nun so lange kleine 
Gewichte gelegt, bis der Nerv unter dem Röhrehen ganz plattgedrückt 
ist. So bleibt er eine viertel Stunde, damit sich der Druck aus- 
gleichen kann (wenn dies überhaupt geschieht!), und dann wird die 


Fig. 18. Nervenfasern vom Frosch, welche durch Kompression (auf der linken Seite außerhalb der 
Zeichnung) deformiert sind. Beschreibung im Text. 


Schale mit Osmiumsäure ('/,°/,) gefüllt. Nach 24 Stunden werden 
die Gewichte abgenommen, der Nerv entwässert, in Paraffin einge- 
bettet und längs geschnitten. 

Die Druckverhältnisse liegen naturgemäß im ganzen Nerven 
wesentlich anders, als in einer einzelnen Faser. Die Fasern hindern 
sich gegenseitig an der Ausdehnung, indem das Perineurium einer 
Ausdehnung aller Fasern einen erheblichen Widerstand entgegensetzt. 
Würden alle Sehnürringe auf demselben Nervenquerschnitt liegen, so 
würde an einen wirklichen Erfolg des Versuches kaum zu denken 
sein, da sie aber ganz verzettelt sind, so bekommt man doch Bilder, 
die den an einzelnen Fasern gewonnenen sehr ähnlich sind. In 
der Nähe der Druckstelle ist vor verdrängtem Mark fast nichts zu 
sehen. Hier sind auch die Fasern an den Schnürringen meist geplatzt, 
so daß die Ringe kaum aufzufinden sind. Einhalb bis einen Milli- 
meter von der Druckstelle entfernt findet man dagegen die Fasern fast 
normal aussehend, nur von sehr unregelmäßigem Kaliber. Faßt man 
in dieser Gegend einen Schnürring ins Auge, so findet man besonders 


54 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


bei den diekeren fast ohne Ausnahme, daß der Achsenzylinderhohlraum 
nach der Druckstelle zu wesentlich weiter ist, als nach der andern 
Seite zu. Fig. 18, Aund 2, gibt hiervon eine Vorstellung. Besonders 
die Faser b (in 4) zeigt eine starke Volumszunahme. Ich glaube nicht, 
daß der dünnere, auf der andern Seite jedes Schnürringes ge- 
legene Faserteil seine ursprüngliche Dieke hat, denn sehr häufig sieht 
man bei weiterer Verfolgung desselben das Volumen ganz allmählich 
zunehmen. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß die umliegenden, noch 
unter höherem Druck stehenden Fasern hier jenseits des Schnürringes 
die Perifibrillärsubstanz weiter fortgeschoben haben, was natürlich zu 
einer Dickenabnahme führen muß. Für den wechselseitigen Druck, 
den die Fasern aufeinander ausüben, gibt auch die Faser @ in ihrem 
Verhältnis zur Faser b eine gute Illustration. 

In andern Fällen sieht man die Grenzlinie im Schnürring (die 
vermutliche Platte) ganz nach der Seite des geringeren Druckes ver- 
schoben und die Perifibrillärsubstanz aus dem Markraum heraus- 
gedrückt (Fig. 18 €). Hier sind augenscheinlich die Druckverhält- 
nisse so, daß der Achsenzylinderhohlraum sich nieht genügend nach 
den Seiten ausdehnen kann, weil der Druck von den Seitenfasern zu 
stark ist. Da gibt eher die Schwannsche Scheide und die Innen- 
scheide nach, als daß die Trennungsplatte zum anstoßenden Markfach 
hin durchbrochen wird. 

Wenn nun auch die Perifibrillärsubstanz gewiß eine zähflüssige 
Konsistenz hat und daher nicht ganz leicht verschieblich ist, so müßte 
doch, wenn kein absolutes Hindernis an dieser Stelle vorhanden wäre, 
ein Durchtritt derselben durch den Schnürring stattfinden, da ja die 
Verschiebung innerhalb des Markrohrs sehr schnell vor sich geht und 
zum eventuellen Ausgleich des Druckes durch die Schnürringe hin- 
durch genügend Zeit gelassen wurde. Ich glaube daher nach diesen 
Versuchen nochmals und mit noch größerem Nachdruck folgendes be- 
haupten zu dürfen: An den Ranvierschen Einschnürungen 
ist die Perifibrillärsubstanz vollkommen unterbrochen. 
Nur die Neurofibrillen gehen kontinuierlich von einem 
Markfach aufs andre über. Da dies so ist, können nur 
die Fibrillen das leitende Element im Nerven sein. 
(Übrigens scheinen mir diese neuen Versuche doch mehr für eine 
Platte oder Membran zu sprechen, als für eine bloße Oberflächen- 
spannung.) — — 

Über das Verhalten der Neurofibrillen an den sogenannten „Nerven- 
endigungen“ ist bei den Wirbeltieren erst sehr wenig bekannt. Es 
handelt sich vorläufig eigentlich nur um gelegentliche Beobachtungen. 
Ruffini (1900) beschrieb, daß an Goldpräparaten von Muskelendplatten 
feine Fäserchen zur Beobachtung kommen, welche von der Endplatte 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 55 


weiterziehen und meist an benachbarte Muskelfasern treten. Dem An- 
schein nach handelt es sich dabei um Neurofibrillen, und es ist jeden- 
falls damit der Beweis geliefert, daß auch bei Wirbeltieren (Mensch) die 
Endplatte noch nicht das letzte Ende der motorischen Fasern ist. Ähn- 
liche Beobachtungen hat auch schon Gerlach an Froschmuskeln gemacht. 

Über die Tastscheiben im Entenschnabel liegt eine schöne Beob- 
achtung von Szymonoviez (1896) vor. Er fand an Methylenblau- 
präparaten, daß sich die Neurofibrillen des zutretenden Achsenzylinders 
in der Platte flächenhaft ausbreiten, sich teilen und zu einem Netz 
zusammentreten. Es ist dies, soweit ich sehe, der einzige Beweis, 
daß auch bei den Wirbeltieren die Neurofibrillen zu den Endorganen 
in spezifische Beziehungen treten. Die Untersuchung bereitet hier 
noch größere Schwierigkeiten, als bei den Wirbellosen, weil es vor- 
läufig an einer geeigneten Methode zur Darstellung fehlt. Einiges 
läßt sich zwar an Methylenblaupräparaten erkennen, aber nur selten, 
weil die Fibrillen bei den Wirbeltieren in weit höherem Maße als bei 
den Wirbellosen die Neigung zeigen, bei der Methylenblaufärbung 
schon vor dem Fixieren zu einem einheitlichen Strang zusammen- 
zuschnurren. — — — 

Die markhaltigen Nervenfasern des zentralen Nervensystems unter- 
scheiden sich von denen der peripheren Nerven nur dadurch, daß sie 
der Schwannschen Scheide entbehren. Das Fibrillenbild weist keine 
Unterschiede auf. Auch hier ist die Fixierung mit Osmiumsäure das 
einzige Mittel, um mit Sicherheit eine Darstellung der Fibrillen in den 
Fasern zu erzielen. Da die Osmiumsäure so sehr schlecht in größere 
Gewebsstücke eindringt, so muß man darauf verzichten, den Verlauf 
der Fibrillen in den Strängen des Rückenmarks und andern Faser- 
zügen mit dieser Methode genauer zu verfolgen. Bei der spezifischen 
Methode zur Darstellung der Neurofibrillen in den Zentralorganen der 
Wirbeltiere (meiner Molybdänmethode) schnurren die Fibrillen in den 
Achsenzylindern unter dem Einfluß der zum Fixieren benutzten Sal- 
petersäure meist zu einem dünnen Strang zusammen, so daß die ein- 
zelnen Individuen nicht mehr wahrgenommen werden können. Einige- 
mal habe ich aber Präparate erhalten, in denen der Schrumpfungs- 
prozeß weniger ausgebildet war, und hier gelang es, auf Längsschnitten 
durchs Rückenmark zu konstatieren, daß sich am Abgang der Kol- 
lateralen der rezeptorischen Fasern der Hinterstränge immer je eine 
Fibrille aus dem Fibrillenbündel der Hauptfaser in die Kollaterale 
hineinbegibt. 


Die Fibrillen in den Ganglienzellen. 


Außer Max Schultze, der wahrscheinlicherweise gar nicht die Fi- 
brillen selber, sondern nur ihr Negativ in den Zellen gesehen hat, 


56 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


haben vor mir nur wenige Forscher Andeutungen der Fibrillen in den 
Ganglienzellen von Wirbeltieren wahrgenommen. Es sind da zu 
nennen: Flemming, Lugaro, Levy, Cox und Becker.) Keinem dieser 
Autoren, Becker ausgenommen, gelang es, eine Reindarstellung der 
Neurofibrillen zu erreichen. Überall waren andre Elemente mit- 
gefärbt, welche das Bild undeutlich machten (Flemming - Nisslsche 
Schollen) oder zu Verwechslungen Veranlassung gaben, indem nur 
ein Teil von den sichtbaren Fibrillen wirkliche Neurofibrillen waren. 
Die Folge war, daß diesen wenig deutlichen Bildern nicht allzuviel 
Glauben geschenkt wurde und eine Anzahl von Forschern, so Len- 
hossek und Cajal, die Existenz von Fibrillen in den Zellen zu 
leugnen fortfuhren. Die Präparate von Mann, die gleichzeitig mit 
meinen auf dem Anatomenkongreß in Kiel zum erstenmal öffentlich 
gezeigt wurden, krankten an allerhand Übelständen. Sie zeigten 
zwar die Existenz von Fibrillen in den Protoplasmafortsätzen und 
am Rande der Zellen recht deutlich, vermochten aber kein Bild 
vom allgemeinen Verlauf der Fibrillen in den Zellen zu geben, weil 
die Schollen mitgefärbt waren. Ich halte mich infolgedessen im 
weiteren nur an meine eignen Befunde, die in neuerer Zeit durch 
eine nach meiner Methode ausgeführte Arbeit von Embden bestätigt 
und ergänzt sind. °) 

Das wichtigste Resultat, das die Untersuchung des Fibrillenver- 
laufs in den Ganglienzellen der Wirbeltiere ergeben hat, ist wohl das, 
daß die Fibrillen bei den meisten Zellarten glatt durch den Zell- 
körper hindurchlaufen, ohne im Inneren miteinander Verbindungen 


1) Über Apäthys Befunde bei Wirbeltieren lagen und liegen keine Veröffent- 
lichungen vor. 

2) Von den vielen und berühmten Mikroskopikern, denen ich meine Prä- 
parate habe zeigen können, haben alle außer einem, den ich nicht nennen will, 
nicht nur die Existenz der Neurofibrillen in den Ganglienzellen der Wirbeltiere 
anerkannt, sondern auch mit Leichtigkeit das meiste von dem erkennen können, 
was ich über den Verlauf derselben in den Zellen und Fortsätzen beschrieben 
habe. Vor kurzem hat nun Semi Meyer (1902) eine neue Methode zur Darstellung 
der Neurofibrillen bei Wirbeltieren veröffentlicht und mitgeteilt, daß er an den 
mit ihr gewonnenen Präparaten nicht hat bestätigen können, daß es Fibrillen 
gibt, welche durch die Ganglienzellen hindurchziehen und an der Gabelungsstelle 
von Protoplasmafortsätzen von einem Ast direkt in den andern übergehen. Grade 
der letztere Befund ist an meinen Präparaten fast überall so deutlich, daß ihn 
niemand in Zweifel gezogen hat. Ich muß daraus den Schluß ziehen, daß die 
Meyerschen Präparate nicht annähernd die Deutlichkeit besitzen, welche die 
meinen zeigen und daß auch die Vergleichspräparate, die er nach meiner Methode 
hergestellt hat, nicht auf der Höhe der möglichen Vollkommenheit standen. Wenn 
er also schreibt: Beide Methoden taugen jede für sich nicht viel, — so scheint 
er mir da eine Gleichstellung vorzunehmen, die nicht ganz den Tatsachen ent- 
sprechen dürfte. 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 57 


einzugehen, wie dies bei Wirbellosen in so auffallender Weise ge- 
schieht (Fig. 19 A, 2 und 2). Die Anzahl von Fibrillen, welche 
eine Zelle enthält, ist abhängig von der Größe der Zelle: in großen 
Zellen findet man sehr viele, in kleinen wenige. Die Kompliziert- 
heit des Fibrillenverlaufs in der Zelle ist auch zum Teil von der 
Größe der Zellen, dann aber auch von der Anzahl ihrer Fortsätze 
abhängig. Besonders an Vorderhornzellen tritt dies sehr deutlich 
zu Tage. Die Vorderhornzellen des Frosches z. B. besitzen in der 
Hauptsache eine spindelförmige Gestalt. Die beiden Enden spalten 
sich in wenige dicke Fortsätze, die sich dann weiter teilen; vom 
Zellkörper selber gehen aber nur wenige dünne Fortsätze und in 
der Regel der Achsenfortsatz ab. In diesen Zellen ist der Verlauf 
der sehr zahlreichen Fibrillen recht einfach: sie durchziehen in mehreren 
Bündeln, die sich schwach verflechten, die Zelle von einem Pol zum 
andern. Andre Bündel ziehen von den kleinen Seitenfortsätzen des 
Zellkörpers und vom Achsenfortsatz in die Pole hinein. 

Solche in der Hauptsache bipolare Vorderhornzellen kommen auch 
noch bei Säugetieren vor, sind hier aber verhältnismäßig selten. Wenn 
man sie aber zu Gesicht bekommt, so findet man auch hier den Fi- 
brillenverlauf einfach geartet. Die Verflechtungen der einzelnen, durch 
die Protoplasmafortsätze eintretenden Fibrillenbündel sind zwar stärker 
ausgeprägt, aber es gelingt doch an solchen Zellen noch relativ leicht, 
nicht nur die Fibrillenbündel, sondern sogar häufig die einzelnen in 
ihnen enthaltenen Fibrillenindividuen von einem Fortsatz zum andern 
zu verfolgen. So wie die Zellen aber sehr viele Fortsätze haben, die 
direkt vom Zellkörper entspringen, so bereitet die Verfolgung oft 
große Schwierigkeiten, weil die vielen Bündel stark verflochten sind 
und häufig jede Fibrille in den inneren Partien der Zelle ihren eignen 
Weg einschlägt. Dicht an der Zelloberfläche verlaufen auch in diesen 
Zellen die Fibrillen zu Bündeln angeordnet (Peripheriefibrillen im 
Gegensatz zu den isolierter verlaufenden Zentralfibrillen) und sind des- 
halb hier viel leichter zu verfolgen. 

Die Fig. 19 4 zeigt eine Vorderhornzelle des Menschen von mitt- 
lerer Komplikation. Man erkennt an dieser Figur, wie die in den 
Fortsätzen parallel verlaufenden Fibrillen sich in der Nähe des Zell- 
körpers mehr und mehr zu einzelnen kleineren Bündeln zusammentun, 
welche nun durch den Zellkörper hindurch den Weg zu andern Fort- 
sätzen einschlagen. Natürlich sind eine ganze Anzahl der Bündel 
oben und unten durch den Schnitt des Messers abgetrennt. — Fast 
jeder Fortsatz steht mit jedem andern durch ein mehr oder weniger 
starkes Bündel in Verbindung. Ebenso entsendet jeder Protoplasma- 
fortsatz einige Fibrillen in den Achsenfortsatz 4x. Diese Erscheinung 
läßt sich fast an allen bisher untersuchten Zelltypen auffinden und 


58 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


ist von nahezu gesetzmäßigem Charakter, denn ich habe nur sehr wenige 
Ausnahmen gesehen, die zum Teil wohl keine wirklichen Ausnahmen 
waren, sondern auf ungenügende Färbung zurückzuführen sind. Be- 
sonders auch bei den Pyramidenzellen der Großhirnrinde, welche mit 
Ausnahme der Riesenpyramidenzellen einen einfachen und gleich- 
förmigen Fibrillenverlauf zeigen, ist der Austausch der Fibrillen oft 
sehr deutlich zu sehen (Fig. 19 D). 

So wie die Hauptprotoplasmafortsätze Fibrillen untereinander aus- 
tauschen, so geschieht es auch sehr häufig unter den einzelnen Zweigen, 
in die sich ein Protoplasmafortsatz teilt. Bald wird die Verbindung 
durch ganze Bündel, bald nur durch eine einzige Fibrille hergestellt 
(Fig. 19 ©). 

In dieser oder ähnlicher Weise gestaltet sich der Fibrillenverlauf 
bei fast allen Ganglienzellen des Zentralnervensystems, großen und 
kleinen. Eine vollständige Ausnahme bilden nur die Spinalganglien- 
zellen. Die Fibrillen des Stammfortsatzes begeben sich in vielen 
dünnen Bündeln in den Zellkörper, durehflechten sich hier in reichster 
Weise und gehen, wenigstens stellenweise, unzweifelhafte Anastomosen 
miteinander ein, so daß im Inneren der Zellen ein Fibrillengitter zu- 
stande kommt, wie wir es bei Wirbellosen kennen gelernt haben; ob 
alle Fibrillen sich an der Gitterbildung beteiligen, kann ich allerdings 
nieht entscheiden. An der Stelle, wo sich der Stammfortsatz in die 
periphere Faser und die Faser der hinteren Wurzel teilt, verteilen 
sich die Fibrillen des Stammfortsatzes auf beide Äste, wie dies zuerst 
Lugaro gesehen hat. Direkt von Ast zu Ast verlaufende Fibrillen 
habe ich hier nie wahrgenommen; allerdings war mein Beobachtungs- 
material nicht groß. 

Außer in Spinalganglienzellen habe ich echte Fibrillengitter noch 
in den Zellen des Lobus eleetrieus von Torpedo (Fig. 20) mit Deut- 
liehkeit wahrgenommen, auch im Basalteil der Purkinjeschen Zellen 
und der Zellen des Ammonshorns habe ich Andeutungen von Gittern 
bemerkt. In diesen Fällen zieht aber sicherlich der allergrößte Teil 
der Fibrillen, wie bei Vorderhornzellen, Hinterhornzellen u. s. w., glatt 
durch die Zellen hindurch. 

Wie aus den Abbildungen ersichtlich, bleiben innerhalb der Zell- 
körper und ebenso in den diekeren Protoplasmafortsätzen zwischen 
den Fibrillen einzelne Felder frei. Diese ungefärbten freien Felder 
erinnern in ihrer Anordnung an die im Nisslpräparat gefärbten Flem- 
ming-NissIschen Schollen. Manchmal gelingt es nun, Präparate her- 
zustellen, in denen die Fibrillen, wenn auch nicht so schön wie sonst, 
so doch deutlich genug gleichzeitig mit den Nisslschollen zu sehen 
sind (Fig. 19 2), und an diesen bestätigt es sich, daß die Fibrillen 
dort laufen, wo im Nisslpräparat die „ungefärbten Bahnen“ zwischen 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 59 


den Schollen frei bleiben, ein Postulat, das Nissl schon aufgestellt 
hat, ehe überhaupt die Existenz von Fibrillen in den Ganglienzellen 
der Wirbeltiere sichergestellt war. 


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Fig. 19. Ganglienzellen, welche mit der Betheschen Molybdänmethode auf Fibrillen gefärbt sind. 

A Vorderhornzelle vom Menschen, B Zelle aus dem Facialiskern vom Kaninchen mit gleichzeitiger 

Darstellung der Nisslschollen, © Protoplasmafortsatz einer Vorderhornzelle vom Menschen, D zwei 
Pyramidenzellen vom Menschen. (Bethe, 1900.) 


Im Anfangsteil des Achsenzylinders — soweit die Zellen über- 
haupt einen besitzen — legen sich die von allen Protoplasmafortsätzen 
zusammenströmenden Fibrillen sehr dieht aneinander, so daß sie hier 
nie gesondert gesehen werden können (Fig. 19 4, D). Weiterhin wird 


60 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


der Achsenzylinder wieder dieker, und zwar an der Stelle, wo er sich 
mit der Markscheide umgibt. Von hier an sind denn auch manchmal 
die einzelnen Fibrillen wieder sichtbar. Ob dies Dünnerwerden des 
Achsenzylinders ein Kunstprodukt ist, ist noch nicht entschieden; es 
scheint mir aber wenig wahrscheinlich. Zuerst wurde die Verjüngung 
von Deiters beobachtet. 

Wo die Fibrillen des Achsenzylinders, wenigstens soweit er zur 
peripheren Faser wird, bleiben, haben wir schon besprochen. Was 


Fig. 20. Zelle aus dem Lobus elecetrieus von Torpedo. Molybdänmethode. (Bethe, 1900.) 


wird nun aus den Fibrillen der Protoplasmafortsätze 
und der zentral verlaufenden Achsenzylinder? Woher 
kommen sie oder wohin gehen sie? Eine direkte Antwort, 
wie bei den Wirbellosen, geben die Fibrillenpräparate vorläufig auf 
diese Frage nicht. Die Protoplasmafortsätze teilen sich in feinere 
Zweige und die Zahl der in ihnen verlaufenden Fibrillen nimmt immer 
mehr ab. Schließlich enden die Zweige ziemlich unvermittelt mit 
einer Spitze, bis zu der man die letzten Fibrillen verfolgen kann, 
aber hier hören auch sie ganz unvermittelt auf, oder sind nicht weiter 
gefärbt. 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 61 
Die Beziehungen zwischen Nervenfasern und Ganglien- 
zellen und die pericellulären Gitter (Golginetze). 


Die anfängliche Idee Golgis, daß die Protoplasmafortsätze nur 
Öberflächenvergrößerung zum Zweck der Ernährung seien und daß 


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N. N OR 


Glomerulus 


2 
v 


d 


Fig. 21. 4 Schematische Darstellung der Verbindung zwischen den Protoplasmafortsätzen der Mitral- 

zellen und der Achsenzylinder der Riechepithelzellen in den Glomeruli olfactorii (zum Teil nach 

v. Kölliker), B Schematischer Schnitt durch die Kleinhirnrinde (zum Teil nach Edinger), Achsen- 
zylinderhose um eine Ganglienzelle (unter zu Grundelegung einer Figur von Veratti). 


nur den Achsenfortsätzen nervöse Natur zukäme, hat von vornherein 
wenige Anhänger gefunden und scheint von ihm selber im Laufe der 
Jahre aufgegeben zu sein. Sie hat gegenüber den schwerwiegenden 
Bedenken, die hauptsächlich Ramon y Cajal, Kölliker, Lenhossek und 


62 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


van Gehuchten gegen sie vorgebracht haben, nicht standhalten können. 
Von diesen Bedenken mag nur eines Erwähnung finden: Wie Golgi 
zuerst nachwies, endigen die zentralen Fortsätze der ‚„Riechzellen“ in 
den Glomeruli olfaetori. In diesen liegen keine Ganglienzellen, aber 
die Protoplasmafortsätze der Mitralzellen verzweigen sich in reichlicher 
Weise in ihnen (Golgi). Ramön y Cajal wies dann nach, daß außer 
diesen Protoplasmafortsätzen keine nervösen Gebilde mit den „Riech- 
nervenfasern“ in Verbindung treten, so daß also die Weiterleitung des 
Reizes notwendigerweise durch die Protoplasmafortsätze geschehen 
muß (Fig. 21 4. In betreff der Literatur siehe Blanes, 1898). Auch 
an andern Orten, z. B. im molekularen Teil des Ammonshorns und 
den höchsten Schichten der Großhirnrinde, sehen wir Nervenfasern 
(Neuriten) sich in Gebieten aufsplittern, wo gar keine Ganglienzellen 
liegen, so daß sie also nicht in der von Golgi anfangs angenommenen 
Weise direkt durch Umspinnung auf Ganglienzellen wirken können, 
sondern nur auf dem Wege der Protoplasmafortsätze (höchstens noch 
durch Vermittlung andrer Neuriten). Die nervöse, reizleitende Natur 
der Protoplasmafortsätze wird also kaum zu bezweifeln sein. 

Daß die Endarborisationen der Nervenfasern spezielle Beziehungen 
zu den Körpern der Ganglienzellen eingehen, ist nur von wenigen 
Orten des Zentralorgans bekannt. Im allgemeinen legen sie sich den 
Protoplasmafortsätzen in gleichem Maße an, wie den Zellkörpern selbst, 
indem die Faserzweige entweder senkrecht der Oberfläche zustreben 
oder eine Strecke weit der Oberfläche (des Zellkörpers oder der 
Protoplasmafortsätze) parallel laufen, sich dabei noch weiter teilend. 
Da die Zahl solcher begleitender fremder Achsenzylinderäste in der 
Regel recht beträchtlich ist, so erscheinen die Zellkörper und die Fort- 
sätze gleichsam in einer „Achsenzylinderhose“ drinsteckend. ') Diese 
Hosen sind mit vielen Methoden (Hämatoxylinlacke, Molybdänmethode 
u. s. w.) leicht zu sehen, mit Hilfe der Golgischen Methode sind sie 


1) Ob diese Nervenfasern noch den Namen Achsenzylinder verdienen, d.h. 
ob sie noch eine Markscheide besitzen, ist zweifelhaft. Manchmal wird es der 
Fall sein, manchmal nicht. Man sollte also einen indifferenten Ausdruck wählen, 
im Grunde ist die Frage aber ohne Belang. Ich erwähne dies, weil Nissl in 
seinem Buch (1903) sagt, wir kennten das Schicksal der freien Fasern nach dem 
Verlust der Markscheide nicht, weil mit den spezifischen Achsenzylindermethoden 
nur der umkleidete Achsenzylinder (also der Achsenzylinder sensu strietiore) gefärbt 
würde. — Ich erkenne vollkommen an, daß die Kaplanschen und Beckerschen 
Achsenzylinderfärbungen sehr interessant und praktisch wertvoll sind, es ist aber 
klar, daß eine wirkliche Achsenzylinderfärbung an Bedeutung kaum über 
eine Markscheidenfärbung hinausgehen kann. Daß die nackte Nervenfaser 
irgend welche besonderen Stoffe enthalten sollte, welche den Ganglienzellen und 
Protoplasmafortsätzen nicht zukommt, halte ich für unwahrscheinlich. Mir kommt 
es daher zunächst verfehlt vor, überhaupt nach einer spezifischen Methode zur 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 63 


erst verhältnismäßig spät dargestellt worden, weil ja in der Regel 
nur einige wenige Achsenzylinder zu gleicher Zeit inkrustiert werden 
(Villa, 1898, S. Ramön y Cajal, 1899, Bethe, 1900, Veratti, 1900, u. a.). 
(Fig. 21 C). Am deutlichsten, weil am dichtesten, sind die Achsen- 
zylinderhosen an den Vorderhornzellen des Rückenmarks, im Facialis- 
kern, im Deitersschen Kern, in den Oliven und im Nucleus dentatus. 
Sie kommen aber auch an allen andern größeren Zellen vor; nur an 
ganz kleinen Zellen (kleine Hinterhornzellen, kleinere Rindenzellen) 
habe ich sie bis jetzt vermißt. 

Eine Bevorzugung des Zellkörpers derart, daß er allein oder in 
der Hauptsache von Nervenfasern eingeschlossen wird, tritt nur an 
wenigen Stellen hervor. Am bekanntesten und auffallendsten ist hier 
jedenfalls die Art und Weise, mit der die dieken Nervenfasern des 
Trapezkörpers allein den Zellkörper becherförmig mit ihren Ästen um- 
greifen (Held, Kölliker, Semi Meyer, Cajal, Vincenzi). Es ist viel 
über dieses ganz vereinzelt dastehende Vorkommnis gestritten worden 
und noch in letzter Zeit hat Veratti (1900) versucht, die Faser als 
den eignen Achsenfortsatz der Trapezzellen und den Endkelch als 
eine Hülle derselben hinzustellen. Trotz des schönen Beweismaterials, 
das Veratti vorbringt, kann ich mich doch nach meinen eignen Unter- 
suchungen, die ihm bei der Abfassung seiner Arbeit noch nicht be- 
kannt waren (Bethe, 1900), seiner Ansicht nicht anschließen. Es 
handelt sich wohl doch um wirkliche fremde Nervenfasern, die hier 
ganz besondere und noch nicht genügend aufgeklärte Beziehungen 
eingehen. Neben diesem einen dieken Achsenzylinder, der sich mit 
seinen Verzweigungen fast nur auf den Zellkörper beschränkt, exi- 
stieren aber auch bei den Trapezzellen richtige Achsenzylinderhosen, 
welche Zellkörper und Protoplasmafortsätze in gleicher Weise umgeben 
(Bethe, Veratti).. (Nach Nissl, 1903, handelt es sich in den dieken 


Färbung der Neuriten zu suchen. Das, was der Neurit überall enthält, sind die 
Neurofibrillen und die kommen in gleicher Weise auch in den Zellen und Proto- 
plasmafortsätzen vor. Eine wirkliche Neuritenmethode (Nervenfaserfärbung) wird 
also voraussichtlich immer auch die Fibrillen in den Ganglienzellen und Dendriten 
mitfärben, wie dies bei der schönen Methode Bielschowskys der Fall ist, sie 
wird also keine spezifische Achsenzylindermethode sein. — Daß wir nun aber 
doch über das Schicksal der marklos gewordenen Neuriten einiges wissen, scheint 
mir kaum bezweifelt werden zu können, weil sicher viele von den feinen Fasern, 
die wir mit der Methylenblau- und Golgischen Methode und noch vielen andern 
Verfahren sehen, Nervenfasern (Neuriten) ohne Markscheide sind; daß dabei 
manche Verwechslung mit dünnen Protoplasmafortsätzen vorkommen kann, ist 
störend, macht aber doch die Erkenntnis der Verhältnisse nicht unmöglich. Im 
Grunde scheint es mir ganz gleichgültig zu sein, ob eine Nervenfaser eine Mark- 
scheide hat oder nicht, wenn ich sie nur verfolgen kann; daß aber bei weitem die 
meisten für Neuriten gehaltenen Fasern auch solche sind, halte ich trotz aller 
Skepsis für gesichert. 


L 


64 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


Achsenzylindern vielleicht nicht um Achsenfortsätze fremder Zellen, 
welche hier enden, sondern um das eine Ende intrazentraler Achsen- 
zylinder d. h. solcher, die überhaupt nicht von Zellen entspringen.) — 
Ein weiteres Beispiel für ein besonderes Verhalten der ,Neuriten“ gegen- 
über fremden Zellkörpern liefern die Korbzellen und die Purkinjeschen 
Zellen. Die sogenannten Achsenfortsätze der ersteren geben Seiten- 
zweige ab, welche sich an der Grenze der Körnerschieht in der Weise 
verzweigen, daß die Zellkörper der ebendort liegenden Purkinjeschen 
Zellen korbförmig umfaßt werden (Fig. 21 2). An jedem Korb nehmen 
Fortsätze von einer ganzen Reihe von Korbzellen teil, und die Körbe 
benachbarter Zellen gehen oft ineinander über (Cajal u. a.). Nach 
Kölliker sollen die korbbildenden Fäserchen frei enden. Wir werden 
weiter unten sehen, daß dies wohl sicher nicht der Fall ist. Hier 
soll nur noch bemerkt werden, daß die Anhäufung von Nervenfaser- 
zweigen in diesen Körben wohl schwerlich nur den Zellen zuliebe ge- 
schieht, denn nur die innerste Lage des aus vielen Faserschichten 
bestehenden Korbes liegt der Zelle an; die andern können sich mehr 
als eine Zellbreite von der Zelloberfläche entfernen. — Hiermit ist die 
Zahl der Fälle, in denen in den Zentralorganen besondere lokale Be- 
ziehungen zwischen Zellkörpern und Achsenzylindern resp. Neuriten 
bestehen, erschöpft. Jedenfalls genügen sie nicht, um dem Zellkörper 
irgend einen besonderen Vorrang den Dendriten gegenüber einzu- 
räumen, denn der Fall des Trapezkerms liegt noch nicht ganz klar und 
in den Faserkörben steht die Purkinjesche Zelle nicht mit mehr Neuriten- 
zweigen in Berührung, als irgend eine andre Zelle in ihrer Hose. 
Bevor die Nervenfaserhosen als allgemein verbreitete Einrichtung 
erkannt waren, sollten die „Endbäumehen“ der Neuriten hauptsächlich 
die Zellkörper umgeben, ohne daß dies eigentlich in ausgiebiger Weise 
beobachtet worden wäre. Die einzelnen Zweigchen sollten bald mit 
Spitzehen, bald mit Knöpfehen endigen. Seitdem nun in den letzten 
Jahren gezeigt ist, wie nicht nur die Zelleiber, sondern auch die Den- 
driten bis an die Spitzen ganz in Nervenfasern '), die sich noch weiter 
an ihnen verzweigen, eingehüllt sind, ist die Frage, in welcher Weise 
verschiedene Ganglienzellgebiete miteinander in Verbindung treten, in 
eine neue Phase getreten, und die Behauptung der achtziger und neun- 
ziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, es existiere überall nur Konti- 
guität, mußte zum mindesten einer neuen Prüfung unterworfen werden. 
Es mußte von neuem untersucht werden, ob diese Fasern nur die 


I) d.h. nervöse Fasern, die sicher keine Dendriten sind und zum größeren 
Teil als Neuriten und Neuritenzweige fremder Ganglienzellen angesehen werden 
dürfen. Ein mehr oder weniger großer Teil dieser Fasern mag überhaupt mit 
keiner Ganglienzelle in direktem Zusammenhang stehen. Daß es solche Fasern 
geben muß, hat Nissl (1903) indirekt bewiesen! 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. > 
. .) 


Zelle und die Dendriten umschwärmen und weiter nichts tun, als dicht 
an ihrer Oberfläche dahinziehen, oder ob sie vielleicht doch mit dem, 
was sie einschließen, irgend welche näheren Beziehungen eingehen. 
Andrerseits wurde von neuem die Frage aktuell, ob nicht hier, wo 
Neuritenzweigchen sich so nahetreten, Anastomosen zwischen verschie- 
denen Fasern vorhanden sind, wie sie Golgi von Anfang an ange- 
nommen hat. An einigen Stellen, besonders in den Faserkörben am 
Grunde der Purkinjeschen Zellen, ist ein solches Anastomosieren ver- 
schiedener Nervenfäserchen auf Grund von Golgipräparaten mehrfach 
behauptet worden und mit Hilfe meiner Molybdänmethode unschwer 
sicherzustellen. An den meisten andern Orten ist nach meiner Auf- 
fassung dies Anastomosieren kein direktes, sondern geschieht durch 
Vermittlung eimes histologischen Elementes, das in seinem färberischen 
Verhalten von dem der Nervenfasern abweicht. Es wird repräsentiert 
dureh die pericellulären Netze, welche ich mit dem Namen Golginetze 
belegt habe. 

Zuerst wurden diese Netze von Golgi gesehen, aber nur beiläufig 
erwähnt. Später (1898) hat er sie an der Hand von Präparaten, die 
nach seiner Methode dargestellt waren, genauer beschrieben und ab- 
gebildet. Es sind Netze mit polygonalen Maschen, welche sich über 
die ganze Oberfläche des Ganglienzelleibes und der Protoplasmafort- 
sätze ausbreiten. Sie legen sich der Oberfläche ganz dieht an und 
hüllen so die ganze Zelle in einen enganliegenden Mantel. Wegen 
einer gewissen, wenn auch ziemlich entfernten Ähnlichkeit mit den 
Netzen, die das Keratingerüst der Markscheiden ausmachen, hielt 
Golgi dieselben für gleichartig und bezeichnete sie daher als Neuro- 
keratinhülle der Ganglienzellen. In der Tat ist diese Ähnlichkeit eine 
ganz äußerliche, denn die Haupteigentümlichkeit des Neurokeratins, 
die Unverdaulichkeit, besitzen diese Netze nicht, wie man sich leicht 
an Verdauungspräparaten überzeugen kann. 

Der erste, der einen Zusammenhang dieser Netze mit Nerven- 
fasern (Neuriten, nackten Achsenzylindern) annahm, war Semi Meyer 
(1897). Er beobachtete mit Hilfe der Methylenblaumethode an ver- 
schiedenen Stellen des Zentralorgans, daß dünne „Achsenzylinder“ 
seitlich, häufiger aber an der Spitze der Protoplasmafortsätze an das 
umgebende Netz herantraten und anscheinend mit demselben ver- 
schmolzen. Er zog hieraus den Schluß, daß die pericellulären Netze 
Endausbreitungen von Achsenzylindern seien und daß durch sie ein 
sehr inniger Kontakt zwischen Achsenzylindern und Zellkörpern her- 
gestellt würde; es handle sich aber nur um Kontakt, denn die Grenze 
zwischen Netz und Zellsubstanz sei durchaus scharf. 

Kurz darauf erschien eine inhaltsreiche Arbeit von Held (1897), 
in welcher gleichfalls die Netze als Achsenzylinderausbreitungen an- 


3ethe, Nervensystem. 5) 


66 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


gesehen werden. Eine genaue Betrachtung von Golgipräparaten aus 
verschiedenen Gegenden des Nervensystems lehrten ihn, daß unmög- 
lich alle dünneren Seitenzweige, welche man an den Protoplasmafort- 
sätzen bei starker Imprägnierung wahrnimmt, wirkliche Zweige sein 
könnten. Art des Ansatzes (Winkel zum Hauptstamm), Aussehen und 
Verlauf lassen es vielmehr aufs höchste wahrscheinlich erscheinen, daß 
es sich gar nicht um Seitenzweigchen der Protoplasmafortsätze, sondern 
um dünne, fremde „Achsenzylinder‘“ handelt, die sich hier an die Ober- 
fläche der Protoplasmafortsätze ansetzen. An andern Golgipräparaten 
gelang es ihm nun, die Golginetze darzustellen und zu sehen, daß 
unzweifelhafte „Achsenzylinder‘“ in die Netze übergehen und sich in 
ihnen auflösen. (Einige dieser Präparate, die mir Herr Held gütigst 
(dlemonstrierte, zeigten dies Verhalten mit großer Deutlichkeit und ich 
würde sie ohne weiteres für überzeugend halten, wenn bei der Golgi- 
schen Methode nicht immer die Gefahr vorhanden wäre, daß Dinge, 
die benachbart sind, miteinander verkleben, ohne in Wirklichkeit in 
Zusammenhang zu stehen.) Bei Anwendung einer besonderen Methode 
fand Held nun, daß sich die letzten Enden der Achsenzylinder dureh 
eine besondere Art von Granulationen auszeichnen, welche er als 
Neurosomen bezeichnet. Mit solchen Neurosomenhäufchen sah nun 
Held die Ganglienzellen und Dendriten reichlich besetzt und zog dar- 
aus den Schluß, daß hier überall Achsenzylinderendigungen an der 
Oberfläche des Zellkörpers vorlägen. Da aber eine scharfe Grenze 
zwischen Neurosomenhäufcehen und Zellplasma sich nicht zeigte, so 
folgerte er, daß es sich nicht um eine bloße Berührung durch die 
Achsenzylinder handle, sondern um eine Konkreszenz, um Kontinuität. 

In ähnlicher Weise sprach sich auch Nissl (1898, nach Besichtigung 
von mir angefertigter Präparate) für einen Zusammenhang von Golginetz 
und fremden Nervenfasern aus. Noch ehe ich selber mich zu der Frage 
geäußert und meine Befunde beschrieben hatte, gab Cajal (1898) eine 
Kritik der Golginetze, in der er, sich speziell gegen Nissl und mich 
wendend und gestützt auf Methylenblaupräparate, die Netze für eine 
periphere Verdichtung eines allgemeinen, die ganze Zelle durchsetzenden 
protoplasmatischen Netzes erklärte und vor der neuen Lehre als 
reaktionär warnte. Eine ähnliche Auffassung der Golginetze wurde 
auf Grund eigner Untersuchungen von Donaggio geäußert. — — 

Es ist wohl kaum zu bestreiten, daß bei dem Golgischen Im- 
prägnationsverfahren Verklebungen zwischen Elementen vorkommen, 
die direkt nichts miteinander zu tun haben. Wie oft sie vorkommen 
und bei welchen Gelegenheiten sie zur Beobachtung von nichtexistie- 
renden Zusammenhängen Veranlassung geben, darüber kann die Me- 
thode selber keinen Aufschluß geben, weil sie bei der gleichmäßig 
schwarzen Schicht, mit der sie die Oberflächen umgibt, eine Erkennung 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 67 


der inneren Struktur verhindert. Ich verkenne nicht, daß die Methode 
in der Hand ihres Meisters und derjenigen seiner Nachfolger, welche 
sie nicht kritiklos und nur zu dem Zweck, mit leichter Mühe eine 
sroße Anzahl von Publikationen in die Welt zu setzen, anwandten, 
die Kenntnis vom Bau des Nervensystems wesentlich gefördert hat, 
aber es darf nicht verlangt werden, daß man alles das, was sie zeigt, 
als Evangelium hinnimmt und Zweifel unterdrückt, die berechtigt sind. 
Zu diesen Zweifeln gehört der, daß nicht alle Fortsätze, welche eine 
„vollständig“ imprägnierte Zelle zeigt, wirklich auch alle zur Zelle 
selber gehören. Außer der Methylenblaumethede, die in der Hand 
von Dogiel und Ramön y Cajal auch im Zentralnervensystem so schöne 
Resultate gezeitigt hat, besitzen wir noch andre Methoden, welche bei 
starker Vergrößerung auch die feinsten Fäserchen erkennen lassen, die 
alte Karminmethode, dann die Heidenhainsche Färbung, meine Mo- 
Iybdänmethode und andre. Alle diese Methoden lassen auch von der 
inneren Struktur der Fasern erkennen. Die letztgenannten heben nicht 
einzelne wenige Elemente in der Färbung hervor, sondern stellen alles 
dar, was vorhanden ist. Infolgedessen verlangen sie dünnere Schnitte 
und es springt nicht das, was an ihnen gesehen werden kann, sofort 
in die Augen, sondern es bedarf des eingehenden Studiums, aber zu 
sehen ist in ihnen mehr oder weniger alles, was überhaupt vorhanden 
ist. Was nun in solchen Präparaten vor allem gegenüber „voll- 
ständigen“ Imprägnationen vermißt wird, ist die große Zahl feinster 
Seitenzweige an den Protoplasmafortsätzen. (Die Dendriten der Pur- 
kinjeschen Zellen nehme ich hiervon aus.) Gewiß, sie sind auch hier 
reichlich geteilt, aber die Teiläste sind stark und die einzelnen Tei- 
lungen liegen weit auseinander, so wie dies sehr häufig auch an 
Golgischen Präparaten zu sehen ist und hauptsächlich von Golgi selber 
abgebildet wurde. Die häufigen, knorrigen Verdiekungen, mit daran- 
sitzenden viel dünneren Seitenzweigen, die fehlen. Bei unzweifel- 
haften Dendritenteilungen sind gewöhnlich beide Äste gleich stark; 
ist der eine dünner, so erleidet der Hauptast doch immer eine Ab- 
lenkung aus der Richtung des Stammes. Der Winkel zwischen zwei 
Ästen ist meist groß; weiterhin verlaufen sie wohl nie nahe beieinander 
und parallel. 

Wenn man nun darauf hin Golgipräparate und die vielen in der 
Literatur zerstreuten Abbildungen von solehen betrachtet, so wird man 
sehr häufig Fälle finden, in denen eine Anzahl von dendritischen 
Seitenästen sich dem nicht fügen. (Als Beispiele aus der leicht zu- 
‚gänglichen Literatur führe ich hier die Fig. 10 von Lenhossck, 1895, und 
Fig. 539 u. 737 von Kölliker, 1896, an.) Niemals geht ein wirklicher 
Seitenast eines Protoplasmafortsatzes in der Weise vom Hauptstamm 
ab, daß er mit dem proximalen Stammende einen spitzen Winkel bildet, 


658 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


anstatt einen stumpfen. Aber auch solche „Seitenäste‘“ sieht man 
nicht selten in Golgipräparaten an den Dendriten und sie sind auch 
mehrfach als solche abgebildet (z. B. Kölliker, Fig. 737). Schließlich, 
in Präparaten, welche die innere Struktur der Fasern erkennen lassen, 
sieht man die Protoplasmafortsatzäste ziemlich scharf sich zuspitzen 
und enden. In Golgipräparaten setzt sich aber dem Anschein nach 
der Ast sehr häufig nach der Zuspitzung noch als dünner Faden fort 
(z. B. Golgi, 1894, Tafel 6, Fig. 3). 

Nach diesen Beobachtungen bin ich wie Held (1897) zu der An- 
sicht gelangt, daß an solehen Stellen Elemente, die direkt nieht zum 
betreffenden „Neuron“ gehören, sondern seinen Teilen nur nahe kommen, 
durch den schwarzen Überzug mit ihm verklebt sind. Es ist nun zu 
entscheiden, welcher Art diese fremden Elemente sind, die mit den 
Protoplasmafortsätzen resp. dem Zellkörper verklebt zur Darstellung 
eelangen. — Eine absolut sichere Unterscheidung zwischen Achsen- 
zylindern und Dendriten läßt die Golgische Methode nicht zu (auch 
bei andern Methoden ist sie oft schwer und manchmal unmöglieh). 
Ausgehend von solehen Zellarten, bei denen ein Zweifel darüber, 
was Achsenfortsatz und was Dendrit ist, nicht existiert (Vorder- 
hornzellen, Pyramidenzellen, Purkinjesche Zellen), hat man gefunden, 
daß die Dendriten in der Regel dicker, höckeriger und weniger 
zylindrisch sind als die Achsenfortsätze. Auch der Modus der Ver- 
zweigung ist ein verschiedener. So gut diese Unterschiede bei man- 
chen Zellarten ausgebildet sind, so läßt sich doch in andern Fällen 
eine sichere Entscheidung nicht treffen. Infolgedessen herrscht bei 
einigen Zellarten immer noch Unklarheit, welcher Fortsatz als Achsen- 
fortsatz anzusprechen ist. Ja bei manchen Zellen, z. B. bei den Korb- 
zellen des Kleinhirns, hat man sich dahin geeinigt, einen Fortsatz 
als Neuriten zu bezeichnen, der die maßgebenden Charakteristika gar 
nicht besitzt. (Er ist hier dieht an der Zelle dünn, schwillt dann 
aber zu einer Dieke an, die kein Dendrit dieser Zellen erreicht und 
zeigt auch nicht selten im Verlauf knorrige Verdickungen.) So wie 
es sich um kurz abgeschnittene Fäden handelt, die also nicht auf 
weitere Strecken geprüft werden können, ist eine Unterscheidung 
überhaupt unmöglich. Die Entscheidung, ob es sich bei jenen offen- 
bar fremden, den Protoplasmafortsätzen anhaftenden Elementen um 
(dünne Achsenzylinder oder dünne Dendritenzweige fremder Zellen 
handelt, ist also aus den Golgipräparaten nicht ohne weiteres zu treffen. 
Nach meiner Ansicht kommt beides vor, so daß ich die schon erwähnte 
Ansicht Helds, es handle sich um fremde Achsenzylinder, nicht in 
ihrer ganzen Ausdehnung unterschreiben kann. 

Ein seitliches Ansitzen von dünnen Achsenzylindern an Proto- 
plasmafortsätzen hat zuerst Deiters (1865) beobachtet. Seine Angaben 


se a ke 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 69 


lauten so bestimmt, seine feine Beobachtungsgabe steht so außer allem 
Zweifel, daß ich an der Richtigkeit seiner Angabe nicht zweifle. Sie 
setzen sich nach seinen Abbildungen und nach seiner Beschreibung 
stets mit einem Füßchen an den Dendriten, der keine Änderung in 
seiner Verlaufsrichtung zeigt, an, wie dies auch in Golgipräparaten 
zu sehen ist. Von dünnen Dendritenzweigen waren diese Fädehen in 
ihrem Aussehen durchaus verschieden, und sie glichen ganz dünnen 
Achsenzylindern. Was aber die Hauptsache ist: es gelang ihm mehr- 
mals, die Fädchen auf längere Strecken zu verfolgen und zu sehen, 
daß sie sich nach einer gewissen Strecke mit einem dünnen Mark- 
mantel umgaben. 

In welcher Weise Nervenfaserverästelungen an Zellen und Dendriten 
seitlich herantreten, ist mehrfach mit Hilfe der Golgischen Methode, 
besonders schön aber von Cajal (1896) an Methylenblaupräparaten ge- 


Fig. 22. Hinterstrangsfasern, welche Kollateralen zu Zellen der Substancia gelatinosa senden nach 
Ramön y Cajal (1896, S. 166, Methylenblaupräparat). 


zeigt worden (Fig. 22). Denkt man sich die Zellen und den einen 
oder den andern Faserzweig auf kurze Strecken zusammen inkrustiert, 
so erhält man das Bild, das so häufig in Golgipräparaten zu sehen 
ist. Daß hier die Nervenfaserenden zu den Zellkörpern und Dendriten 
in innige Beziehungen treten, liegt auf der Hand. Es bleibt zu unter- 
suchen, wie weit diese Beziehungen gehen. 

Ich komme auf die Golginetze zurück: An meinen Molybdän- 
präparaten sieht man sie mit einer Schärfe, wie wohl bei keiner andern 
Methode. Sie finden sich auf der Oberfläche aller Ganglienzellen des 
Zentralnervensystems; an manchen Stellen dehnen sie sich aber von 
hier aus durch die ganze graue Substanz mehr oder weniger diffus 
aus, so in der Großhirnrinde, im Kleinhirn, im Ammonshorn und in 
der Substantia gelatinosa. An den übrigen Orten, also besonders in 
den motorischen Kernen, im Nucleus dentatus, den Oliven u. 8. w. 
bleiben sie zwar auf die Zelloberfläche beschränkt, wo sich aber zwei 
Zellen oder zwei Dendriten berühren, da geht das Golginetz vom einen 


70 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


aufs andre über (Fig. 234. Diese Netzhose umkleidet die ganze 
Ganglienzelle und begleitet die Dendriten bis zu ihrer äußersten Spitze, 
wo die Netzmaschen eine langgestreckte Form annehmen (Fig. 23 2). 
Der Achsenfortsatz der Zelle kann bis dahin, wo die Markscheide be- 
einnt, von Netz eingehüllt sein, am Anfang der Markscheide hört es aber 
immer auf, manchmal auch schon früher. Gleichzeitig mit dem Golginetz 


Fig. 23. Golginetze gefärbt nach der Molybdänmethode. A um eine Zelle des Nucleus dentatus 

vom Hund, B um das Ende eines Protoplasmafortsatzes im Olivenkern, C© bei a scheinbarer Über- 

gang einer Nervenfaser in das Golginetz eines dünnen Protoplasmafortsatzes. Bei b würde das gleiche 

Verhalten vorgetäuscht, wenn nicht der gefärbte Faden f in das Golginetz einer andern Zelle über- 

ginge. Der dünne Protoplasmafortsatz ist stellenweise so geschrumpft, daß das Golginetz nicht 

erkennbar ist. D Übergang von dünnen Nervenfasern in das Golginetz eines Protoplasmafortsatzes. 
Nach Bethe (1900). 


färbt sich manchmal ein andres Netz, das ich Füllnetz genannt habe. 
Es kann meist leicht vom Golginetz unterschieden werden und zeigt ein 
ganz andres Verhalten, indem es auf die Markscheiden übergeht und 
nicht, wie das Golginetz, auf die graue Substanz beschränkt ist. 

Daß es sich in den Golginetzen um eine spezifische Bildung 
handelt, welche nur außerhalb der Ganglienzellen vorkommt, darüber 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 71 


kann nach meiner Meinung gar kein Zweifel bestehen. Der Ansicht 
Cajals, daß sie innerhalb des Zellplasmas lägen und nur eine Ver- 
diehtung eines allgemeinen, dureh die ganze Zelle verbreiteten Proto- 
plasmanetzes seien, muß ich auf das entschiedenste entgegentreten, 
denn auf meinen Präparaten habe ich auch nie die geringste Spur 
davon entdecken können, daß sie sich von der äußeren (!) Oberfläche 
in das Innere der Zellen hinein erstreekten. Mit gleicher Bestimmt- 
heit muß ich der gelegentlich getanen Äußerung Apäthys entgegen- 
treten, daß die Golginetze eine gliöse Hülle der Ganglienzellen seien.) 
Vorläufig sehe ich auch nicht den mindesten Beweis dafür. Weder 
zu den Gliakernen noch. zu den Gliafasern oder dem Protoplasma der 
Gliazellen zeigen sie irgend welche Beziehungen. Ihr ganzes Verhalten 
zu den Zellen drängt vielmehr dazu, ihnen eine funktionelle Bedeutung 
zuzuerteilen. An Zellen von gleichem Typus ist nämlich das Bild der 
Golginetze ein durchaus gleichartiges; dagegen ergeben sich zwischen 
den verschiedenen Zelltypen wesentliche Unterschiede, die zum Teil 
so groß sind, daß man aus einem kleinen Stück Golginetz sehen 
kann, was für einer Zelle es angehört. So ist das Netz der Zellen 
des Nucleus dentatus viel großmaschiger, als das von Vorderhorn- 
zellen; an den Zellen des Ammonshorns sind die Maschen eckiger, 
als an andern Orten; die Olivenzellen sind mit einem doppelten Netz 
umgeben, einem inneren kleinmaschigen und einem äußeren groß- 
maschigen, welche durch radiäre Stäbchen miteinander kommunizieren 
u.s. w. Ich kann mir diese Erscheinungen weder im Sinne Cajals, 
noch in dem Apathys deuten. 

In der Regel ist die Färbung des Golginetzes am schönsten, 
wenn die Fibrillen und die Nervenfasern gar keine Farbe mehr an- 
genommen haben. Die Bedingungen, unter denen seine Färbung zu- 
stande kommt, sind eben andre, woraus ich den Schluß ziehe, daß 
die Substanz des Netzes von der der Fibrillen und Nervenfasern ver- 
schieden ist. So angenehm diese Eigenschaft ist, um die Netze selber 
genau zu studieren, so unangenehm ist sie, um ihre Beziehungen zu 


1) In einer kürzlich erschienenen Arbeit (1902) hat Held seine Meinung dahin 
verändert, daß das Golginetz mit den Neurosomenhaufen nichts zu tun hätte 
und ein gliöses Gitter sei. Er wirft es mit meinem Füllgitter zusammen, be- 
sonders auf Grund gewisser Ringe an den markhaltigen Fasern, die mir übrigens 
längst bekannt waren, deren Ähnlichkeit mit dem Golginetz aber doch nur sehr 
äußerlich ist. Direkte Übergänge vom Füllnetz oder den Ringen ins Golginetz 
bestreite ich in ihrer wirklichen Existenz. Stellen, wie sie Held zeichnet, kenne 
ich sehr wohl und habe sie seinerzeit gründlichst studiert; ich kann sie aber 
nicht einmal in den Zeichnungen Helds als beweiskräftig ansehen. Demnach 
muß ich daran festhalten, daß die Golginetze eine spezifische Oberflächenstruktur 
der Ganglienzellen und Protoplasmafortsätze sind. 


72 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


den andern Elementen festzustellen. Man ist dabei auf gelegentliche 
Präparate angewiesen, in denen Fibrillen und Netze oder Netze und 
Nervenfasern gleichzeitig dargestellt gefunden werden. 

In solchen Präparaten findet man nicht so sehr selten Stellen, 
an denen man ganz deutlich dünne Nervenfasern direkt in das Golgi- 
netz übergehen sieht, wie dies bereits von Held an Golgipräparaten 
beobachtet ist. Die Gefahr, daß es sich in meinen Präparaten um 
Verklebungen handelt, ist außerordentlich gering, denn trotz der 
Dunkelheit und Schärfe, mit der die Netze und Nervenfasern in 


Fig. 24. 4 Vorderhornzelle vom Kalb. Durch Zufall ist der Schnitt so geführt, daß bei gleicher 
Einstellung Nervenfaserhose, Golginetz und in der Zelle verlaufende Fibrillen zu sehen sind. Dem 
Anschein nach gehen Nervenfasern und Fibrillen ins Golginetz über. B Protoplasmafortsatz aus der 
Medulla des Kaninchens. Gleichzeitige Färbung der Fibrillen und des umgebenden Golginetzes. An 
der Stelle des Pfeils geht eine Fibrille in einen Knotenpunkt des Golginetzes über. (Bethe, 1900.) 


solchen Fällen gefärbt sind, sind sie doch noch durchsichtig; außer- 
dem ist die Färbung meist so vollständig, daß man es unbedingt 
merken müßte, wenn die Fasern sich nur anlagerten und dann weiter- 
zögen. 

Manchmal sieht man auf einer verhältnismäßig kleinen Strecke 
eines Dendriten eine ganze Anzahl solcher dünner Nervenfasern in 
das periphere Gitter übergehen (Fig. 23 D, d5—g), an andern Stellen 
treten sie in geringerer Anzahl heran. In dieser Figur (23 D) treten 
die Fasern seitwärts an den Protoplasmafortsatz. Wie wir sahen, 
sind aber die Zellen und Dendriten von Nervenfaserhosen eingehüllt, 
welche dem Golginetz von außen ziemlich dieht anliegen. Äste dieser 
parallel verlaufenden Fasern sieht man nun ebenfalls in die Golgi- 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 713 


netze übergehen, wie dies in Fig. 24 4 zu sehen ist. Die Zelle ist 
so getroffen, daß bei ein und derselben Einstellung an den verschie- 
denen Stellen die verschiedenen Schichten zu sehen sind. Im unteren 
Teil sieht man die äußerste Schicht, die Achsenzylinderhose, im mitt- 
leren Teil verschwindet sie und macht dem Golginetz Platz, im ober- 
sten Teil sieht man die Neurofibrillen. Im mittleren Teil sieht man 
nun die Achsenzylinder d, e und / sich verzweigen und ins Netz 
übergehen. 

Wir haben schon gesehen, daß bei Golgipräparaten sich bisweilen 
die Spitze eines Dendritenzweiges in einen dünnen Faden fortsetzt, 
der einem Achsenzylinder mehr ähnlich sicht, als einem Protoplasma- 
fortsatz. An solehen Stellen hat nun Semi Meyer in erster Linie 
Übergänge von Nervenfasern in das den Dendriten umgebende Netz 
gesehen. Ich habe dasselbe verschiedene Male mit großer Deutlichkeit 
beobachten können (Fig. 23 3 und (, a), halte diese Fälle aber für 
nicht so beweisend, weil die dünnen Dendriten manchmal so zusammen- 
schnurren, daß auf kurze Strecken ein einheitlicher Strang entsteht, 
der einer Nervenfaser sehr ähneln kann (Fig. 23 0, db). Ist soleh zu- 
sammengeschnurrtes Dendritenende kurz abgeschnitten, so kann es 
sehr wohl den Übergang eines Achsenzylinders in das Netz eines 
Dendriten vortäuschen. In dieser Figur geht der zusammengeschnurrte 
Dendritenzweig, d. h. wie aus analogen, nicht geschnurrten Stellen 
hervorgeht, nur sein Golginetz, bei g in das Golginetz eines großen 
Protoplasmafortsatzes über, eine Erscheinung, die recht häufig zur 
Beobachtung gelangt. Um sich vor Irrtümern zu schützen, muß man 
nur Fälle in Betracht ziehen, wo man den für eine Nervenfaser ge- 
haltenen Faden auf längere Strecken verfolgen kann, denn das Zu- 
sammenschnurren dünner Dendritenzweige findet immer nur auf kurze 
Strecken statt. 

Wenn ich mein ganzes Material sichte, so bleiben doch immer 
noch eine ganze Anzahl von Fällen übrig (unter diesen die hier ab- 
gebildeten), in denen mir ein Übergehen von Achsenzylindern in das 
Golginetz über allem Zweifel erhaben zu sein scheint. Ich habe mich 
trotzdem in meiner diesem Gegenstand gewidmeten Publikation (1900) 
sehr vorsichtig über diesen Punkt (und über die gleich zu erwähnen- 
den) ausgesprochen. Man hat sich verschiedentlich darüber gewundert 
und den Schluß daraus gezogen, daß ich selber nicht vollkommen 
überzeugt sei. Man hat mich aber falsch verstanden: Meine Präparate 
zeigten die beschriebenen Verhältnisse durchaus deutlich, auf jeden 
Fall nieht weniger deutlich, als meine Abbildungen. Sehr viele Autoren 
hätten sich an meiner Stelle ganz bestimmt und ohne jeden Rückhalt 
seäußert, und, wenn ich mein Urteil reserviert abgab, so geschah es 
deswegen, weil ich die Dinge statt tausendmal, nur einige wenige Mal 


74 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


deutlich gesehen hatte. Bei derartig subtilen Dingen können aber 
Einzelfälle nicht unbedingt entscheidend sein. !) 

In den dünnen Nervenfaserzweigen habe ich Neurofibrillen höch- 
stens andeutungsweise gesehen, aber man wird nach allem annehmen 
müssen, daß auch in den Zweigen Fibrillen enthalten sind, wenn es 
so in den Stämmen ist. Die dünnen Fasern schnurren eben mit noch 
größerer Regelmäßigkeit zusammen, als die dieken. Wo bleiben nun 
die Fibrillen, wenn die Nervenfasern in die Golginetze übergehen. 
Nach meiner Überzeugung gehen sie in die Netze über, um, hier um- 
hüllt von einer besonderen Substanz, die in der Regel gefärbt wird, 
sich untereinander zu mischen, sich zu teilen und ein Gitter zu bilden. 
Hierfür spricht folgendes: In Präparaten, welche keine eigentliche 
Golginetzfärbung zeigen, sondern nur Neurofibrillen erkennen lassen, 
sieht man manchmal auf der Oberfläche der Zellen ein feines Netz, 
dessen einzelne Fädchen die Dieke von Neurofibrillen haben und nicht 
wie die Netzbalken der sonst sichtbaren Golginetze um vieles dicker 
sind. In einem andern Fall gelang es mir, innerhalb des hier nur 
schwach gefärbten Golginetzes feine Fibrillen zu sehen, die sich an 
den dreiteiligen Kreuzungspunkten des Golginetzes ebenfalls teilten 
und so ein Netz im Netz bildeten. Wo aber bleiben die Fibrillen 
weiter? Auch hierauf brauche ich nicht mit einer Hypothese zu ant- 
worten, denn ich habe einige positive Beobachtungen nach dieser 
Richtung hin machen können. Wie schon erwähnt, wird die Zahl der 
Neurofibrillen, welche in einem Protoplasmafortsatz enthalten sind, 
immer geringer, je mehr er sich seinen Enden nähert; sie verschwinden, 
ohne daß man sie heraustreten sähe. Bei genauer Betrachtung kann 
man nun nicht selten beobachten, wie Fibrillen aus dem Hauptverlauf 
der Fibrillen austreten und senkrecht der Oberfläche des Dendriten zu- 
laufen; hier angekommen, sind sie nicht weiter gefärbt (Fig. 19 € [S. 59] 
die Fibrillen, auf welche die Pfeile deuten). In andern Präparaten, in 
denen Golginetz und Fibrillen gleichzeitig gefärbt waren, habe ich nun 
beobachten können, daß diese Fibrillen dort die Oberfläche erreichen, 
wo ein Knotenpunkt des Golginetzes vorhanden ist (Fig. 24 A, x, y, z 

1) In seiner kürzlich erschienenen Arbeit (1902) läßt Held die dünnen Nerven- 
fasern nicht mehr wie früher in das Golginetz übergehen (das er für gliös hält, 
siehe S. 71) sondern in Häufchen von Plasma, welche in den Maschen des Golgi- 
netzes liegen, Neurosomen enthalten und untereinander netzig verbunden sind. Sehr 
hübsche Übergänge von Nervenfasern ins Golginetz, die er abbildet, hält er für 
„scheinbare“ Übergänge. Merkwürdigerweise sind die „scheinbaren“ Übergänge 
in seinen Figuren viel überzeugender als die „echten“ Zusammenhänge von Nerven- 
fasern mit Neurosomenhaufen! Ich gebe, wie von jeher, zu, daß die Frage noch 
lange nicht abgeschlossen ist; daß aber die Neurosomenhaufen die eigentlichen 
Nervenfaserenden sind, scheint mir nach der Heldschen Arbeit viel unwahrschein- 
licher, als daß es die Golginetze sind. 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 75 


und 2). Ich ziehe den Schluß, daß die Fibrillen hier die Zellen verlassen 
und in das Golginetz eintreten, um in ihm weiterzuziehen, oder daß um- 
gekehrt Fibrillen des Netzes hier in die umschlossene Zelle übertreten. 

Nach dem augenbliekliehen Stand unserer Kenntnisse werden wir 
in den Golgimetzen das Zwischenglied zwischen Ganglienzellen (resp. 
Protoplasmafortsätzen) und 
fremden Nervenfasern er- 


‚blicken und sie dem Fi- Eu: Wr, PRATER N 
brillengitter der zentralen Re Be 
Fasermasse bei den Wirbel- A ” 2 % : BER ey TE 
losen gleichsetzen dürfen, \F:.- R RErE: Nenn Kerr Sr 
das sich von ihnen nur da-  * Nr \ hi REN Eh 
durch unterscheidet, daB „re 8. RE VEREINS 
die Fibrillen nackt sind, Kara Du ER KErShSt,| ET 
während sie hier mit einer “ vo a Wi; KESESE, 
Substanz überzogen sind, 5 Dee er Rear 
welche in ihren Reaktionen 4.» » “ ü en Selen zn, 
von der Perifibrillärsubstanz ' Rue AR we - Keane \ 
der Nervenfasern verschie- @z= ar 9 ie 
den ist. Immerhin bleibt a N E “ ED, 3 a 
dieser ganze Aufbau noch w.=: # Er RR 
sehr hypothetisch und man " * % & N EEE 
kann den zugrunde liegen- 1% e, abe, 
den (zum Teil noch weiterer |» e N Zn P 
Bestätigung bedürfenden) | N) F gt u 
Beobachtungen wohl auch Be] ni je ä a 
andre Deutungen geben. | BETEN 

Bei Vergleichung de Yen 
Menge von Ganglienzellen, 4. b. C. 


Dendriten, Achsenzylindern, Fig. 25. Schnitte durch entsprechende Partien der Groß- 
Gliafasern Gliazellen und hirnrinde A vom Menschen, B vom Hund, (Ü' vom Maul- 
N IR vele} 5 ir wurf bei gleicher Vergrößerung nach Nissl (1898). (Den 
Blutgefäßen, welche ın deI etwa viermal breiteren — photographischen — Original- 
Hirnrinde, besonders in der ne ist duneh Pausen je ein Streifen entnommen. 
2 = ierbei mögen kleine Abweichungen vom Original zu- 
zweiten und dritten Mey- stande gekommen sein, welche aber bei der Größe der 
nertschen Sehieht vorhan- Unterschiede keine Rolle spielen können.) 
u ’ 
den sind, fand Nissl (1898), 
daß alle diese Elemente zusammen lange nicht ausreichen würden, um 
den ganzen Raum dieser Schichten auszufüllen. Er folgerte, daß hier, 
wie auch an andern Orten, eine Zwischensubstanz vorhanden sei, 
welehe weder zu den Zellen noch zu den Nervenfasern direkt gehört 
und die er als „Grau“ bezeichnete. Von den Zellen selber muß das 
„Grau“ mehr oder weniger unabhängig sein, denn er fand Fälle von 
97 o oo ’ 
Paralyse, in denen die Zellen zwar verändert, aber an Zahl nieht ver- 


76 Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 


ringert waren, wo aber trotzdem dieses Zwischengewebe in hohem 
Maße geschwunden war. Zupfpräparate zeigten sie ihm von fibrillärer 
Struktur, mehr konnte er nicht aussagen. Im höchsten Grade auf- 
fallend ist es nun, daß die Menge dieser Zwischensubstanz im Cortex 
mit der Höhe der Ausbildung (in anatomischer und funktioneller Be- 
ziehung) wesentlich zunimmt, oder umgekehrt, daß die Zahl der Gan- 
glienzellen in einem gleichgroßen Hirnrindenstück bei höheren Säugern 
kleiner ist, als bei niederen (Fig. 25). Da die Verästelungen der 
Dendriten bei den höheren Formen nicht oder jedenfalls nicht wesentlich 
reicher sind, und da die Glia in diesen Gegenden bei ihrer geringen 
Ausdehnung keine wesentliche Rolle spielt, so muß die Vermehrung auf 
Kosten eben dieser Zwischensubstanz, des „Graus“, kommen und ihre 
Gegenwart als ein sehr wesentlicher Faktor angesehen werden. !) — 
Dieses „Grau“ glaubte ich in der Hirnrinde (außerdem im Ammonshorn 
und in der Kleinhirnrinde) im Golginetz sehen zu sollen. Wie schon 
erwähnt, ist in diesen Teilen des Zentralnervensystems das Golginetz 
nicht wie an andern Stellen auf die Oberfläche der Ganglienzellen 
und der Dendriten beschränkt, sondern es dehnt sich von da aus 
dreidimensional durch die ganze graue Substanz aus (Fig. 26 2 rechts). 
So füllt es also die Lücken, welche Nissl zwischen Zellen, Fort- 
sätzen u. s. w. erkannt hat, aus.°) Ob damit schon das wirkliche 
„Grau“ gefunden ist, bleibt dahingestellt. 

Nach meiner Meinung ist die Mitinkrustierung des Golginetzes 
daran schuld, daß in Golgipräparaten so häufig Ganglienzellen wie 
Protoplasmafortsätze ein rauhes Aussehen zeigen. Sind sie glatt, wie 
in Präparaten, die nach andern Methoden gefärbt sind, so hat nur 
eine Inkrustierung der plasmatischen Teile stattgefunden und das 
Golginetz ist ohne Silberniederschlag geblieben. Da manchmal auch 
an meinen Präparaten auf kurze Strecken eine vollständige Einhüllung 
mit Farbstoff zur Beobachtung kommt, so bin ich imstande, den 
Beweis für diese Ansicht zu geben. Ich will mich dabei auf das frap- 
panteste Beispiel beschränken: Bekanntlich findet man in Golgipräpa- 
raten die Protoplasmafortsätze der Pyramidenzellen und der Purkinje- 


I) Zu meinem Erstaunen hat die absolut klare Beweisführung Nissls, daß 
eine Zwischensubstanz vorhanden sei, vielfach Kopfschütteln hervorgerufen. Es 
scheint demnach schon soweit gekommen zu sein, daß in der Histologie nur das 
existiert, was direkt gesehen werden kann und daß derjenige, der einen logischen 
Schluß zieht, für einen Fabulanten gehalten wird. 

2) Nissl hat neuerdings (1903) seine Bedenken gegen diese Deutung aus- 
gesprochen. Vor allem hält er es überhaupt für unsicher, daß mein „diffuses 
Golginetz“ mit dem pericellulären Golgimetz etwas zu tun hat. Ich will gern 
zugeben, daß diese Bedenken gerechtfertigt sind, obgleich ich es nicht für aus- 
geschlossen halte, daß meine Deutung richtig ist. 


Die Neurofibrillen im Nervensystem der Wirbeltiere. 77 


schen Zellen oft mit feinen Spitzen besetzt (Fig. 26 4), die meistens 
am Ende einen kleinen Knopf tragen. Es ist lange darüber gestritten 
worden, ob dies ein Kunstprodukt oder eine natürliche Struktur sei, 
und man glaubte, diese Frage sei entschieden, als Cajal (1896) und 
Meyer (1897) dieselben auch in Methylenblaupräparaten wahrgenommen 
hatten. Nach meiner Ansicht liegt die Wahrheit in der Mitte: so, wie 
die Golgische Methode den Spitzenbesatz zeigt, ist er ein Kunstprodukt; 
er beruht aber auf einer tatsächlich vorhandenen Struktur, die durch 
die Methode falsch dargestellt wird. Die Figur 26 3 gibt hierfür 
die Erklärung. Auf der rechten Seite ist das Golginetz normal ge- 
färbt. Die freibleibende Straße ist ein angeschnittener Protoplasma- 
fortsatz, bei x sieht man einen andern 
quergeschnitten. Auf der linken Seite 
befindet sich ein andrer Dendrit, wel- 
cher unten noch normal gefärbt ist, oben 
aber eine so starke Anlagerung des 
Farbstoffes zeigt, daß das Netz nicht 
mehr erkennbar ist. Gleichzeitig ist hier 
auch, wie dies manchmal geschieht, die 
Färbung des diffusen Netzes bei der 
ersten Teilung unterbrochen, so daß nur 
noch der Knotenpunkt zu sehen ist. 
Auch Cajal hat bereits an Methylenblau- 
präparaten gesehen, daß bei Mitfärbung 
des Spitzenbesatzes die Oberfläche des 4. 
Biendeıtenereiikularsstzteniihatr darause Als 265 A Ereioplasmalonsae eine 
. . ® - ramidenzelle mit Spitzenbesatz, B zwei 
aber nicht den richtigen Schluß gezogen, Protoplasmafortsätze von Pyramidenzellen 
DaBs ckeinpıtzentem: Peildes; Netzes sind (Torsdenenngestein ns En 
diffuses Golginetz. (Molybdänmethode.) — 
und mit dem Dendriten direkt nichts zu Beide Abbildungen etwas schematisiert. 
tun haben, und er konnte es auch nicht 
tun, weil er der irrigen Meinung war, daß das Netz eine Differen- 
zierung des Dendritenplasmas sei, während es in Wirklichkeit außer- 
halb desselben liegt. 

Die Golgische Methode hat gezeigt, daß an gewissen Orten des 
Zentralnervensystems besondere, vom allgemeinen Verhalten verschie- 
dene Beziehungen zwischen Neuriten und Protoplasmafortsätzen ob- 
walten. Dies ist vor allem in den Glomeruli olfaetorii, in den Plaques 
der Körnerschieht des Kleinhirns und, in etwas andrer Weise, in den 
Körben am Grunde der Purkinjeschen Zellen der Fall. Alle diese 
Orte fand bereits Held durch einen besonderen Reichtum an Neuro- 
somen ausgezeichnet. Ich konnte nun zeigen, daß an diesen Orten 
las Golginetz in einer Dichte auftritt, wie an keinem andern Ort des 
Nervensystems. Nach meiner Meinung ist dieser Befund wohl von 


78 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 


allen am meisten geeignet, die funktionelle Wichtigkeit der Golginetze 
zu zeigen und zu beweisen, daß sie wirklich mit der Übertragung des 
Reizes von Nervenfasern auf Dendriten zu tun haben. 


SECHSTES KAPITEL. 


Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 


Wesen der Nervennetze. Ihr Vorkommen bei Wirbeltieren, Arthropoden und 

Mollusken. Bei Coelenteraten bilden sie das ganze Nervensystem S. 78—83. — 

Die Fibrillen in den Nervennetzen bei Pontobdella und beim Frosch 8. s4. — 

Das Nervennetz der Medusen, seine Verbindung mit den Randkörpern, den Muskeln 

und dem Epithel und die Fibrillen in demselben S. s5—90. — Das Nervennetz 
des Froschherzens S. 90—96. 


Unter dem Namen Nervennetz verstehe ich eine Form des Nerven- 
systems, das sich von der bisher allein betrachteten durch breite 
Anastomosen zwischen den Zellen unterscheidet. Fasern und Zellen 
machen hier wie dort die Bestandteile aus, aber die Zellen stehen in 
direkter Verbindung miteinander und die Fasern weisen keine Unter- 
schiede untereinander auf: lange Fasern fehlen ganz. Auffallend ist 
auch vor allem, daß die Netze sich diffus ausbreiten und die Zellen 
— hier und dort eingestreut — nie zu Ganglien vereinigt sind. Die 
Ganglienzellen haben meist drei Fortsätze, es kommen aber auch 
solehe mit nur zwei Fortsätzen vor und manche haben mehr als drei 
— vier, höchstens fünf (Fig. 27). Eine Unterscheidung der Fortsätze 
in Protoplasmafortsätze und Achsenzylinderfortsätze ist unmöglich. 
Nach meist kurzem Verlauf, während dessen spärliche Seitenzweige 
abgegeben werden, vereinigen sich die Fortsätze wieder mit andern 
Zellen, meist schon mit der zunächst gelegenen. 

3ei manchen Tieren (Medusen, Aetinien, Ctenophoren) machen 
die Nervennetze das ganze Nervensystem aus; bei andern Tieren treten 
sie neben dem zentralisierten Nervensystem auf, hier und dort mit 
ihm Verbindungen eingehend, aber doch auf große Strecken ziemlich 
selbständig. Im besonderer Ausdehnung bestehen sie neben jenen bei 
den Mollusken. Tiere, denen Nervennetze ganz fehlen, gibt es nicht; 
bei den Vertebraten spielen sie nur im Blutgefäßsystem eine größere 
Rolle. Grade hier ist aber das Nervennetz am leichtesten darzustellen 
und schon frühzeitig mit Hilfe der Goldmethode und der Methylenblau- 


Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 79 


methode beobachtet worden (Golgi, 1594, Dogiel, 1893 und 1898, 
Bethe, 1895). 

Man findet solehe Netze an allen Gefäßen von Kaltblütern und 
Warmblütern; an den Arterien sind die Netze am dichtesten, von 
diesen gehen sie auf die Kapillaren, auch auf die allerfeinsten, über; 
auch an Venen sind sie zu finden, aber hier sind die Maschen sehr 
groß. Die Figur 28 stellt ein solches perivasculäres Netz (Arterie) 


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Fig. 27. Nervennetz aus dem Gaumen vom Frosch nach einem Methylenblaupräparat. M.n. mark- 
haltiger Nerv. Bei z gehen markhaltige Fasern in das Netz über. (Leitz I, 5). 


aus dem Gaumen vom Frosch dar. Hier (im Gaumen) sieht man nun, 
daß das Netz nicht auf die Gefäße beschränkt bleibt; es lösen sich 
vielmehr stellenweise Fasern ab, welche mit einem weitmaschigeren 
subepithelialen Netz (Fig. 27) in Verbindung stehen. Dieses dehnt sich 
durch die Haut des ganzen Gaumens aus, überall wo es mit Gefäßen 
in Berührung kommt, Fasern an ihr Netz abgebend. — Dasselbe 
diffus unter dem Epithel im Bindegewebe hinziehende Netz findet sich 
auch an andern Stellen der Froschhaut, doch ist es im Gaumen wegen 
des Mangels an Pigment am besten zu sehen. Auch in der Haut des 


s0 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 


Menschen ist ein solches Netz von diffuser Ausbreitung von Dogiel 
und Leontowitsch nachgewiesen worden. — Von dem perivasculären 
Netz senken sich einige dünnere Fädehen in die Museularis der Ge- 
fäße hinein (Dogiel, Bethe); wie sie hier an den Muskelfasern enden, 
darüber liegt noch nichts Sicheres vor, daß sie aber mit der Gefäß- 
muskulatur Beziehungen eingehen, ist wohl mit Sicherheit anzunehmen. 
Andrerseits steigen von dem diffusen, intervasculären Nervennetz hier 
und dort Fäden zum Epithel empor (Bethe, 1895), welche zwischen 
den Epithelzellen anscheinend frei enden. Diese Endigungen wird 
man jedenfalls als rezeptorische ansehen müssen. 

Daß es sich in diesen Netzen wirklich um nervöse Netze handelt, 
ist mehrfach angezweifelt worden. Ich muß diese Zweifel nach meinen 
neueren Befunden als ungerechtfertigt bezeichnen. Schon vor acht 
Jahren hatte ich beobachtet, daß in das diffuse Netz marklose Fasern 


Fig. 28. Nervennetz um eine kleine Arterie vom Frosch (Methylenblaumethode). Links oben eine 
Zelle des subepithelialen Netzes, welche mit dem perivaskulären in Verbindung steht. (Nach Bethe. 1895.) 


aus den Nervenstämmen übergehen. Da aber die Unterscheidung mark- 
loser Fasern von andern fibrillären Elementen seine Schwierigkeiten 
hat, so konnten gegen die Beobachtung Einwendungen gemacht werden. 
Schon vorher hatte Dogiel (1893) beim Menschen einen Zusammen- 
hang von Netzfasern mit markhaltigen Fasern behauptet und neuer- 
dings ist dasselbe von seiten Leontowitsch’s (1900) geschehen; doch 
ließen ihre Abbildungen an Überzeugungskraft fehlen. Vor kurzem habe 
ich mich nun aber von der Richtigkeit dieser Behauptung an einigen 
Präparaten aus dem Gaumen des Frosches überzeugen können (Fig. 27). 
In der Regel treten allerdings die Fasern bereits marklos aus den 
Nervenstämmen aus, aber bisweilen, wie in den abgebildeten Fällen, 
begleitet die Markscheide die Faser bis in die Nähe der ersten 
Ganglienzelle. Einen weiteren Beweis für die nervöse Natur der 
Netze gibt der Befund von Neurofibrillen in denselben, auf den ich 
später zurückkommen werde. 


Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 81 


Subepitheliale Nervennetze, welche mit dem zentralisierten Nerven- 
system in Verbindung stehen, finden sich auch bei Arthropoden und 
wurden hier zuerst von Holmgren (1895) an Raupen beobachtet. Einen 
Zusammenhang dieser Netze mit rezeptorischen Endigungen und mit 
zentralwärts ziehenden Nervenfasern konnte er feststellen; ob sie auch 
mit Blutgefäßen in Beziehung stehen, ist nicht festgestellt und wohl 
sogar recht unwahrscheinlich. Ebenso konnte die Verbindungsweise 
der Nervennetze von Crustaceen (Astacus, Careinus), welche ich (1896) 
zuerst sah und welche zunächst von Holmgren (1896) in ihrer nervösen 
Natur angezweifelt, später von Nußbaum und Schreiber (1897) und 
Holmgren selbst (1898) bestätigt wurden, bisher nicht vollständig dar- 
gestellt werden.) Immerhin ist es von Interesse, daß auck bei diesen 


Tieren solche subepithelialen Netze existieren und — wenigstens bei 
Astacus und Careinus — gradeso wie bei Wirbeltieren zwar mit dem 


Zentralnervensystem zusammenhängen, aber direkt nichts mit der 
rezeptorisch-motorischen Bahn der Bewegungsmuskulatur zu tun haben, 
sondern jedenfalls ein in sich geschlossenes Reflexsystem von be- 
sonderen Funktionen darstellen. 

Ganz anders liegen die Verhältnisse bei den Mollusken; hier 
nimmt das Nervennetz noch einen sehr breiten Raum im Nervensystem 
ein: Es ist eingeschaltet in den Verlauf der peripheren motorischen 
und rezeptorischen Nerven, so daß das Zentralnervensystem nur die 
langen Bahnen innerhalb des Nervennetzes repräsentiert. 

Bei allen bisher untersuchten Mollusken hat man überall an der 
Peripherie, besonders aber unter dem Epithel größere und kleinere 
Ganglienzellen gefunden. Man findet sie aber auch weiter zentral- 
wärts an den Nervenstämmen, grade wie bei niedern Würmern (Fig. 29), 
und ich glaube, daß man die Zahl der peripher gelegenen Zellen 
srößer schätzen muß, als die der zentralen, in den Ganglien kon- 
zentrierten. Je mehr man sich, von den zentralen Ganglien kommend, 
im Verlauf der peripheren Nerven der Peripherie nähert, desto zahl- 
reicher und kleiner werden die den Nerven angelagerten Ganglien- 
zellen. Unter dem Epithel gehen schließlich viele Nervenfasern in 
ein richtiges Nervennetz über (Aplysia), während andre in bipolaren 
Rezeptionszellen enden. Die den größeren Nervenstämmen angelagerten 
Zellen erweisen sich auf Methylenblaupräparaten als bipolar oder 
pseudonnipolar (wie die Spinalganglienzellen höherer Wirbeltiere, 
Fig. 29 rechts). Beide Fortsätze ziehen im Hauptstamm weiter und 
geben dabei Seitenzweige ab, die sich im Nerven selber in feine 


1) Ich bleibe dabei, daß die von mir gesehenen Zellen nervös sind; was 
Holmgren gegen diese Natur und gegen ihre Identität mit den Nußbaumschen 
Zellen vorbringt, halte ich für nicht stichhaltig. 


Bethe, Nervensystem. 6 
“* 


32 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 


Zweigchen auflösen oder den Nervenstamm verlassen, um ins sub- 
epitheliale Nervennetz überzugehen oder in die Muskulatur zu treten, 
welche ebenfalls von einem Nervennetz durchzogen zu sein scheint; 
wenigstens habe ich in derselben mehrmals kleine pluripolare Ganglien- 
zellen gefunden, die miteinander in Verbindung zu stehen schienen. 


Fig. 29. Nervenstämme aus dem Flügel von Aplysia. (Links nach einem Macerationspräparat, Ver- 

größerung etwa 60 mal, rechts nach einem Methylenblaupräparat, Vergrößerung etwa 200mal.) Man 

sieht die den Nerven ansitzenden Ganglienzellen. An der rechten Abbildung kann man die Fortsätze 

der Ganglienzellen verfolgen. Es ist hier auch eine von den kleinen multipolaren Zellen des sub- 
epithelialen Netzes zu sehen. 


Über die Beziehungen der peripheren Nervenendigungen zu den 
subepithelialen Nervennetzen liegen wichtige Untersuchungen von 
Smidt (1902) vor: Die bipolaren Rezeptionszellen liegen bei Helix in 
Haufen zusammen. Ihr einer Fortsatz endet, wie bei den Arthropoden 


Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 83 


und Würmern, frei im Epithel, der andre zieht zu einem zentralen 
Ganglion. Außer diesen rezeptorischen Endigungen gibt es aber noch 
andre, welehe von tiefer liegenden Zellen ausgehen (Fig. 30 4). Dicht 
unter dem Epithel liegt nun ein ausgedehntes Nervennetz mit kleinen 
eingestreuten Zellen, welches in Fig. 30 3 von der Fläche dargestellt 
ist. In dieses gehen Seitenzweige der erwähnten großen Zellen über, 
während ihre zentralen Fortsätze einen zweiten, ebenfalls der Oberfläche 
parallel verlaufenden Plexus bilden. Zu den unter der Haut gelegenen 
Drüsenzellen, wie auch zu den Haufen bipolarer Rezeptionszellen (wo 


Fig. 30. 4 Querschnitt durch die Haut von Limax, welcher den oberflächlichen und den tiefen 

Nervenplexus zeigt. B Flächenschnitt durch den oberflächlichen Plexus in seinen Beziehungen zu 

den Drüsengängen. Man beachte die eingestreuten kleinen Zellen. (Beide Figuren nach Smidt, 1902, 
Golgische Methode.) 


solche vorhanden sind) tritt der oberflächlichere der beiden Plexus (das 
unzweifelhafte Nervennetz) durch Umspinnung in nähere Beziehungen; 
wie innig dieselben sind, geht aus den zur Zeit vorliegenden Resultaten 
noch nicht hervor, jedenfalls werden wir aber nach allem bisher Be- 
kannten annehmen dürfen, daß es mit dem bloßen Umspinnen nicht 
abgetan ist. Der tiefere Plexus liegt wohl schon in der Muskulatur, 
und ich glaube, ihn mit dem Plexus oder Netz identifizieren zu dürfen, 
das ich bei Aplysia an dieser Stelle andeutungsweise gesehen habe. 
Daß Verbindungen der Plexus mit der Muskulatur vorhanden sind, das 
geht aus physiologischen Experimenten mit Sicherheit hervor'(s. 8. 117). 
6* 


S4 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 


Fibrillen wurden in Nervennetzen zuerst von Apäthy, und zwar 
im Darm von Pontobdella, gesehen und abgebildet. Figur 31 gibt eine 
seiner Abbildungen wieder. Man sieht hier aufs deutlichste, wie jede 
der beiden miteinander durch eine dieke Protoplasmabrücke ver- 
bundenen Ganglienzellen ein schönes Neurofibrillengitter enthält und 
wie diese Gitter durch Fibrillen miteinander in Verbindung stehen. 
Neben den Fibrillen, die an der Netzbildung teilnehmen, sieht man 


Fig. 31. Zwei Ganglienzellen des Nervennetzes in der Darmwand von Pontobdella nach Apäthy 
(1897, Taf. 28, Fig. 10). (Die Abbildung bildet nur einen Teil des Originals und ist überhaupt nicht 
imstande das Original genau wiederzugeben.) 


aber auch andre, welche die Ganglienzellen glatt durchziehen, um 
wohl später in einer benachbarten Zelle ins Fibrillengitter überzugehen. 
Bei pf sieht man dann eine Fibrille aus der oberen Zelle austreten, 
welche als motorische Fibrille an eine Muskelfaser des Darms herantritt. 

Ganz ähnliche Resultate habe ich mit Methylenblau in den 
Nervennetzen vom Frosch erzielen können (Fig. 32). Auch 
hier sieht man in jeder Zelle ein Fibrillengitter, und bemerkt, wie 
beide Gitter durch Fibrillen miteinander in Verbindung treten. Von 


Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 85 


der Existenz glatt durch die Zellen hindurch passierender Neurofibrillen 
habe ich mich allerdings an diesem Objekt nieht mit Sicherheit über- 
zeugen können. Es ist aber doch sehr wohl möglich, daß auch hier 
solehe vorkommen, doch ist ihre Zahl sicher nicht groß. Anders steht 
es damit in den Nervennetzen der Medusen, wo häufig die Zahl der 
glatt die Zellen passierenden Fibrillen größer ist, als die derjenigen, 
welche an der Gitterbildung innerhalb der Zellen teilnehmen. 

Nach den Untersuchungen von Eimer (1878) und den Gebrüdern 
Hertwig (1878) hat das Nervensystem bei den Medusen einen 
exquisit epithelialen Charakter. Bekanntlich besteht der Körper der 
Medusen in der Hauptmasse aus einer Gallerte. Im Inneren befindet 


Fig. 32. Zwei Zellen des subepithelialen Nervennetzes aus dem Gaumen vom Frosch. (Methylenblau- 
präparat mit Differenzierung der Neurofibrillen. Kerne nur blaß, Plasma fast nicht gefärbt.) Die 
Zeichnung ist mit Benutzung der Mikrometerschraube mit Hilfe des Zeichenapparats hergestellt. Da 
die Ausdehnung über ein Gesichtsfeld hinausging, ist die Figur durch Kombination zweier Zeich- 
nungen entstanden, wobei eine Verbindung der Fibrillen nur dann eingezeichnet wurde, wenn die 
betreffenden Fibrillen in beiden Bildern genau identifiziert werden konnten. Die Stelle, wo beide Zeich- 
nungen zusammentreffen, ist durch einen Pfeil angegeben. Apochromat 1,3, Kompensationsocular 6. 
(Auf ?/, verkleinert.) 


sich ein verzweigter Hohlraum, der Magen nebst „Gefäßen“. Er 
öffnet sich mit einer einzigen Öffnung, dem Munde, nach außen. Der 
innere Hohlraum, wie die äußere Oberfläche der Gallerte ist mit einem 
verhältnismäßig dünnen Epithel überzogen. Auf der konvexen Außen- 
seite der Schwimmglocke (Umbrella) ist das Epithel ganz einfach ge- 
baut; es enthält vor allem nicht die geringsten Spuren von Nerven- 
fasern und Muskeln (außer in einer Partie nahe am Schirmrande). 
Die Folge davon ist, daß die Umbrella ganz unbeweglich ist, und 
auch die stärksten an dieser angebrachten Reize von seiten der 
reaktionsfähigen Teile des Tieres unbeantwortet bleiben. Dagegen ist 
das Epithel der konkaven Unterseite der Glocke, der Subumbrella, 


sh Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 


stark differenziert; es enthält Muskelfasern, Nervenfasern und Ganglien- 
zellen. Besonders bei den eraspedoten Medusen haben die Muskel- 
zellen und Ganglienzellen noch einen vollkommen epithelialen Charakter, 
indem die Zellkörper meistens innerhalb der äußeren Epithelschicht 
liegen und nur in ihrem nach innen gekehrten Ende als Nerven oder 
Muskeln differenziert sind. Bei den acraspeden Medusen nehmen die 
Zellen, welche muskulös differenziert sind, eine tiefere Lage im Epithel 
ein (Fig. 33 4), und auch die Ganglienzellen liegen nicht im Verband 
der obersten Epithelschicht, sondern zwischen dieser und der der 
Muskelzellen. Die Form der Ganglienzellen stimmt mit der überein, 
welche wir bei den Nervennetzen der Wirbeltiere und Mollusken kennen 
gelernt haben, und es gelang bereits den Gebrüdern Hertwig, sich 
davon zu überzeugen, daß sie in direkter Verbindung miteinander stehen. 
Andrerseits entzing es Eimer nicht, daß die Ganglienzellen und Nerven- 
fasern einen ausgesprochen fibrillären Bau zeigen, was für ihn nach 
den kurz voraufgegangenen Untersuchungen von Max Schultze mit- 
bestimmend war, diesen Elementen nervöse Natur zuzuschreiben. 
Später ist das Nervensystem acraspeder Medusen (Rhizostoma, 
Cotylorhiza) besonders von Hesse (1895) eingehend untersucht worden. 
Ich habe meine Untersuchungen auf dieselben beiden Arten beschränkt, 
weil ich auch an ihnen die meisten meiner physiologischen Unter- 
suchungen gemacht habe. Meine Resultate stimmen mit denen von 
Hesse fast durchweg überein; nur über die Fibrillen habe ich 
mancherlei Neues hinzuzufügen, weil mir meine Methode (Fixation mit 
2—3°/, Salpetersäure in Seewasser, Molybdänieren auf dem Schnitt, 
längeres Differenzieren mit lauwarmem Wasser und Färben mit Toluidin- 
blau bei 56° C.) eine bessere Darstellung derselben erlaubte. 
Untersucht man einen Querschnitt der Subumbrella von Rhizostoma 
oder Cotylorhiza aus einem Teil, der Muskulatur besitzt, so fallen 
einem sofort zwischen Muskularis und äußerer Epithelschicht horizontal- 
laufende Fasern auf, welche im Innern feine Fibrillen zeigen. Ab 
und zu liegt in einer Anschwellung der Fasern ein Kern, an dem 
nur ein Teil der Fibrillen vorbeizieht, während die übrigen sich deut- 
lieh zu Gittern verbinden (Fig. 36 4 und 2). Solche Zellen finde ich 
überall, wo überhaupt Fasern vorhanden sind, auch außerhalb der 
Radien, hier allerdings — das muß ich Hesse zugeben — in geringerer 
Anzahl. Die Zellen haben meist nur zwei diekere Fortsätze, welche 
auf weite Strecken zu verfolgen sind. (Hesse gibt an, sie bis zu 
6 mm verfolgt zu haben.) Gewöhnlich gehen aber von den Zellen selber 
noch dünnere Fortsätze ab, welche Hesse entgangen zu sein scheinen 
Fig. 33). Noch häufiger zeigen die von den Zellen entspringenden 
dicken Fasern Seitenzweige, welche bald aus einem Bündel von vielen 
Fibrillen bestehen, bald nur von einer einzigen Fibrille gebildet werden. 


en 


Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 87 


Diese Seitenzweige und Nebenfortsätze ‘zeigen drei verschiedene Ver- 
laufsrichtungen: 1. Sie wenden sich nach oben und verzweigen sich 
zwischen den oberflächlichsten Epithelzellen (Fig. 33 4). 2. Sie senken 


Fig. 33. Nervenelemente von Rhizostoma. 4A radiärer Schnitt durch ein Muskelfeld der Subumbrella, 

Ep. Epithel, m quergeschnittene Muskelfasern, M.K. ihre Kerne, Npl. Nervenplexus. In demselben 

liegt bei x eine große Ganglienzelle mit Fibrillennetz. Von hier gehen fibrillenhaltige Ausläufer ins 

Epithel und zu den Muskeln. PB Ebensolche Zelle. €’ Nervenplexus mit eingestreuten Zellen aus 
einem Horizontalschnitt. A und B 1200mal, © 200 mal vergrößert. 


sich in die Tiefe, laufen eine Strecke weit oberhalb der Kerne 
der Muskelzellen parallel zur Oberfläche, einen aus vielen dünnen 
Fasern bestehenden Plexus bildend, und treten dann zwischen die 


S Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 


> 
Muskelfasern, um sich hier in die einzelnen Fibrillen aufzulösen, die 
sich dann noch weiter teilen, vielleicht sogar in die Muskelfasern ein- 


dringen. 3. Die Seitenäste verlaufen parallel zur Oberfläche — dies 
sind fast immer diekere Zweige — und verbinden sich mit Seiten- 


fortsätzen andrer Zellen zu einem Netz (Fig. 33 D). Das letztere kann 
man natürlich nur an Horizontalschnitten gut beobachten. — Wir haben 
also hier ein diffuses Nervennetz vor uns, das einerseits mit der 
äußeren Epithelschicht, also der rezeptionsfähigen Fläche, andrerseits 
mit der Muskulatur in Verbindung steht, so daß, da das Netz sich 
ununterbrochen durch die ganze funktionsfähige Subumbrella aus- 
dehnt, jeder Reiz, wo er auch in diesem Gebiet angesetzt werden 
mag, zu allen Muskelfasern hingelangen kann, auch dann, wenn 
der Körper durch beliebig gewählte Schnitte zu einem langen Bande 
aufgerollt ist. 

In sehr schöner Weise hat Hesse gezeigt, wie dieser epitheliale 
Plexus, dessen netzige Natur ihm allerdings entgangen war, mit den 
Randkörpern in Verbindung steht, Organen, deren hohe Bedeutung für 
die Bewegung der Medusen zuerst Eimer und nach ihm Romanes auf- 
gedeckt hat. Ihre Physiologie wird uns weiter unten zu beschäftigen 
haben; hier nur einiges Anatomische: In Figur 34 ist ein Schnitt 
durch einen Randkörper mit seiner Umgebung dargestellt. Der Rand- 
körper ragt, oben und seitlich durch Lappen (Dsch.) gedeckt, ins 
Wasser hinaus. Am Ende befindet sich ein Sack, welcher durch 
das Epithel einer Gefäßausstülpung gebildet wird und der mit Kalk- 
kristallen ausgefüllt ist (diese liegen in Zellen). Umgeben wird der 
Sack vom äußeren Körperepithel, das besonders am Stiel zu einem 
hohen Zylinderepithel umgebildet ist. Die einzelnen Zellen dieses 
Epithels gehen nach unten zu in feine Nervenfasern über (Hertwig), 
welche einen dichten unentwirrbaren Filz bilden. Aus diesem Nerven- 
filz gehen radial verlaufende Nervenfasern hervor, welche kontinuierlich 
bis zum Nervennetz der Subumbrella ziehen. Es ist dies nur eine 
Faserstraße, wenn man will ein Radialnerv, der zum Netz hin- 
führt, denn die angrenzenden Partien sind nervenfrei (siehe das 
schematische Flächenbild Fig. 35). Im Radialnerven liegen viele 
Ganglienzellen, besonders dicht hinter dem Randkörperstiel, wo er 
eine ebenfalls mit hohem Epithel besetzte Grube, die innere Sinnes- 
grube, durchzieht. Nachdem der Radialnerv bereits das Netz er- 
reicht hat, findet man immer noch in der radiären Straße, welche 
durch den Verlauf der Gefäße leieht erkennbar ist, die meisten Gan- 
glienzellen. 

Wie die Figur 35 zeigt, breitet sich die Muskulatur auf der Sub- 
umbrella von Rhizostoma nicht gleichmäßig aus, sondern läßt nach der 
Mitte zu und zwar dort, wo die Radialgefäße verlaufen, größere Strecken 


Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 89 


frei; eine andre muskelfreie Zone zeigt sich am Schirmrande. Diese 
muskelfreien Felder werden aber vom Nervennetz 
ebenso durehzogen, wie die Muskelfelder selbst.!) Nur 
der alleräußerste Schirmrand bleibt auch frei von Nervenfasern und 
Ganglienzellen. Gegenüber der inneren Sinnesgrube (Fig. 34) befindet 
sich auf der Umbrella eine zweite Grube mit hohem Epithel und darunter- 
liegendem Nervenplexus, die äußere Sinnesgrube. Sie soll mit dem 
Randkörperstiel nach Hesse durch Fasern in Verbindung stehen, welche 
durch die Gallerte hindurchgehen. Ich habe mich nieht von einer 


MN: 


Fig. 34. Radiärer Schnitt durch einen Randkörper von Rhizostoma. Dsch. Deekschuppe, 4.S. äußere, 
1.S. innere Sinnesgrube, ©t. Otolithenhaufen des Randkörpers, M. Muskulatur, Nx. Nesselzellen. 
Schwarz ist der Nervenplexus gezeichnet. 


solchen Verbindung überzeugen können, will aber daraufhin ihre 
Existenz nicht leugnen, denn sonst wäre diese Grube ganz außer Ver- 
bindung mit dem übrigen Nervensystem, da die Deckschuppe in ihrem 
Epithel ganz sicher keine Nervenelemente enthält. Von der äußeren 
Sinnesgrube dehnt sich flächenhaft ein Nervennetz ein kleines Stück 


1) Wenn Hesse angibt, daß die Muskelfasern unter den Radialstraßen fort- 
ziehen, so bezieht sich das offenbar nur auf den peripheren Teil derselben. In 
den zentralen Partien, die ich als muskelfreie Felder bezeichne, findet sich 
niemals auch nur eine einzige Muskelfaser, ebenso am Rande. 


90 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 


weit über die Umbrella aus und zwar bis zu einer Gegend, welche durch 
eine reiche Ansammlung von Nesselzellen ausgezeichnet ist (Fig. 34). — 

Eine von den bisher besprochenen etwas differente Form der 
Nervennetze findet sich im Vorhof und Ventrikel des Frosch- 
herzens. Ich komme damit auf die viel besprochene Frage der 
Herznerven, besonders der Nerven in der Kammermuskulatur, welche 
von den Anatomen fast durchgehend dahin beantwortet wird, daß es 
im Herzfleisch sehr viele Nervenfasern gibt, während viele Physiologen 
geneigt sind, ihre Zahl gering zu schätzen und ihnen motorische Funk- 
tion abzusprechen. Ich will gleich von vornherein sagen: Es gibt im ; 
ganzen Körper des Froscehes — und auf den kommt es allein an, 
da sich fast alle physiologischen Untersuchungen des Herzens auf ihn be- 


© 


ziehen — keinen einzigen Muskel, der auch nur annähernd 


Zi dr a nn. a 


Fig. 35. Etwas schematisiertes Flächenbild von einem Teil der Subumbrella von Rhizostoma. 
Rk. Randkörper, M. Muskelfeld, M.f. muskelfreie Felder. Schwarz und im Verhältnis viel zu groß 
und nicht genügend dicht ist das Nervennetz auf der linken Seite eingezeichnet. 


soviel Nervenfasern enthielte, wie die Herzmuskulatur. 
Diese Fasern sind zum größten Teil autochthon und fast durchgängig 
marklos, so daß sie trotz ihrer Menge leicht übersehen werden können. 

Nur bei Anwendung spezifischer Nervenfärbungsmethoden ist man 
imstande, Aufschlüsse über den Verlauf und die Zahl der im Herz- 
fleisch enthaltenen Nervenfasern und über die Existenz und Verbrei- 
tung von Ganglienzellen in demselben zu erhalten. Daher haben alle 
die Untersuchungen, welche, mit alten Methoden unternommen, zu 
negativen Resultaten führten, nur noch eine sehr geringe Bedeutung 
(Engelmann, 1875, Lövit, 1880, u. a.). Die ersten, die die Muskulatur 
der Kammer mit der Ehrlichschen Methylenblaumethode untersuchten, 
Tumänzew und Joh. Dogiel (1890), führten den positiven Nachweis, 
daß der ganze Ventrikel von einem Nervennetz durchzogen ist, welches 
viele kleine Ganglienzellen an den Knotenpunkten enthält. Schon 


Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 9 


früher haben aber L. Gerlach (1876) und Ranvier (1880), wenn auch 
nicht so überzeugend, die reichen Nervenplexus des Herzfleisches 
dargestellt. Auf Grund der Beobachtung, daß die Ganglienzellen nicht 
auf die Remakschen und Bidderschen Ganglien und die umliegenden 
Partien beschränkt seien, wie dies von Engelmann und andern be- 
hauptet worden war, und daß der Ventrikel bis in die Spitze reichliche 
und miteinander anastomosierende Nervenfasern enthielte, warnte Dogiel 
vor der Annahme der Engelmannschen Lehre von der muskulären Er- 
reeungsleitung im Herzen — aber vergebens! — 

Nervenfasern mit reichlichen Verzweigungen wurden dann später 
noch von verschiedenen Forschern, so von Retzius (1892) und Berkley 
(1894) im Herzmuskel verschiedener Tiere nachgewiesen. Von diesen 
ist aber jedenfalls Berkley am weitesten gekommen, denn er sah (bei 
der Maus), daß die Fasern hier und dort mit Ganglienzellen in Ver- 
bindung stehen und daß die Fasern selber untereinander reichliche 
Anastomosen eingehen (Golgische Methode). Mit derselben Methode 
stellten auch Heimans und Demoor (1894) reichliche Netze im Herzen 
vom Frosch und von Säugetieren dar. 

Ich selber habe meine Versuche auf Frösche beschränkt und mich 
der Methylenblauinjektion von der Vena abdominalis aus bedient. (Um 
auch im Inneren eine Färbung zu erzielen, ohne die topographische 
Übersicht zu zerstören, wurden die ausgeschnittenen Herzen in vielen 
Fällen vom Sinus aus mit einem Blasebalg durchlüftet. Vorfixierung 
mit Ammoniumpikrat, Nachbehandlung mit Ammoniummolybdat [Bethe, 
1896]. Einbetten in Paraffin, Schnittdieke 20—30 u.) Auf diese 
Weise habe ich mehrmals eine recht vollständige Färbung des Nerven- 
netzes erzielen können. Das auffallendste dieser Netze gegenüber den 
bisher besprochenen ist die verhältnismäßig geringe Anzahl von Zellen, 
die in ihm enthalten sind. Die Zahl der Fasern, welche durch Teilung 
eines Fortsatzes entstehen, ist eben sehr groß, so daß die Zahl der 
Zellen gegen die der Fasern mehr zurücktritt. Trotzdem muß ich 
nach meinen Präparaten die Zahl der Zellen im Ventrikel auf viele 
Hundert taxieren. Ihre Zahl nimmt von der Basis zur Spitze hin ab; 
aber auch an der äußersten Spitze kommen noch Ganglienzellen zur 
jeobachtung. Die Herzspitze ist also zwar arm an Gan- 
glienzellen, aber nicht ganglienzellfrei. Die Zellen sind 
nie zu Ganglien vereinigt, sondern hier und dort ins Netz eingestreut. 
Da sie außerdem ziemlich klein sind — in der Regel kleiner als rote 
Blutkörperchen —, mit keiner der gewöhnlichen Färbungsmethoden 
etwas Charakteristisches zeigen und ebenso wie die Zellen des peri- 
vaseulären Netzes keine Nisslschollen enthalten, so sind sie an andern 
als Methylenblaupräparaten kaum zu finden, jedenfalls nicht eher, als 
man ihre Lage aus Methylenblaupräparaten kennen gelernt hat. 


92 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 


Bekanntlich besteht die Muskulatur des Froschherzens aus ein- 
zelnen Muskeltrabekeln, welche sich besonders in der Kammer netzig 
untereinander verbinden. Auf Sehnitten sieht man die Trabekeln 
wieder aus einzelnen Fasern zusammengesetzt. Macerationspräparate 
lassen zwar wie bei den Säugetieren einzelne verzweigte Muskelzellen 
erkennen, doch hält man in neuerer Zeit von diesen Zellen nieht mehr 
viel, weil die Muskelfibrillen sich an die Zellgrenzen nicht kehren und 
kontinuierlich ganze Reihen von Zellen durchziehen (von Ebner, 1900, 
M. Heidenhain, 1901); beim Frosch soll allerdings nach Ebner (1900) 
die Vereinigung der Zellen nur eine geringe Ausbildung besitzen. — Die 
Muskulatur von Vorhof und Kammer zeigt sich an der Atrio -Ventrikular- 


Fig. 36. A Einige Trabekeln des Kammermuskels vom Frosch. Färbung des Nervennetzes mit 
Methylenblau. Nur die dickeren Fasern sind gezeichnet. B Trabekeln, an denen die elastischen 
Fasern nach der Weigertschen Methode gefärbt sind. Vergrößerung: Leitz Objek. 3, Ocular I. 


grenze durchaus voneinander getrennt; breite Bindegewebsmassen und 
Blutgefäße liegen dazwischen. Nur dort, wo die Vorhöfe in die Kammer 
übergehen, an den Herzklappen, ziehen Muskelbündel von den Vorhöfen 
an den Klappen entlang der Kammer zu. Nach einigen Autoren sollen 
nun diese Bündel kontinuierlich in die Muskulatur der Kammer über- 
gehen. Ich habe mich hiervon an Serienschnitten nicht überzeugen 
können. Wohl sieht es bei schwächeren Vergrößerungen so aus, als ob 
ein solcher Übergang vorläge, bei stärkerer Vergrößerung habe ich 
aber den Eindruck gewonnen — besonders an Präparaten, die mit der 
Weigertschen Methode für elastische Fasern gefärbt waren —, daß 
überall, wo sich die Muskelbündel des Vorhofs und der Kammer nahe- 
kommen, eine Bindegewebsschicht zwischengeschoben ist, welche von 
sehr vielen elastischen Fasern durchsetzt ist. Mir scheint demnach 


4 


Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 93 


die alte Anschauung vollkommen zu Recht zu bestehen, nach der die 
Muskulatur der Vorhöfe von der der Kammer überall 
und vollkommen getrennt ist. Daß andrerseits die Muskulatur 
der Kammer von der des Bulbus aortae vollkommen getrennt ist, dar- 
über kann wohl kaum gestritten werden, und diese Trennung ist 
von grade so großer Wichtigkeit für die Deutung der physiologi- 
schen Vorgänge, wie die zwischen Vorhof- und Kammermuskulatur. 

Die Ganglienzellen des 
Nervennetzes liegen nun 
meist an der Oberfläche 
der Muskeltrabekeln, und 
zwar gewöhnlich dort, wo 
zwei Trabekel sich be- 
rühren, oder im Winkel, 
wo solche zusammenstoßen 
(Fig. 36 A und 37 z). Sie 
haben zwei bis vier Fort- 
sätze, welche sich in die 
Muskeltrabekel hineinbege- 
ben und sich dort in eine 
große Anzahl meist stark 
varicös gewordener Fasern 
aufsplittern. Die stärkeren 
dieser Fasern verbinden 
sich sehr häufig mit Fasern, 
welche von andem Gan- 
slienzellen ausgehen, so 
daß ein dichtes Fasernetz 
entsteht, das in und auf 
den Trabekeln liegt. Dün- 
a 
nieht dieker als einzelne fasern gehen von einem Muskelbündel auf die Nachbarbündel 
Neurofibrillen sind drinsen über, Bei x eine von den en Due Netz SRNRESHTONVON 

S ’ ie) Ganglienzellen. Apochromat 1,3, Compensationsocular 6. 

augenscheinlich in die ein- Auf ?/, verkleinert. 
zelnen Muskelfasern selber 
ein, um sich hier noch weiter zu verzweigen. Wirkliche Nerven- 
endigungen, etwa Endplatten, wie sie einige Autoren gesehen haben 
wollen, habe ich nicht entdeeken können. Überall da, wo zwei 
Trabekel sich berühren, oder einer in den andern übergeht, da findet 
auch eine Verbindung der Nervennetze statt, wie dies in Figur 37 bei 
starker Vergrößerung dargestellt ist. 

Während sich im allgemeinen elastische Fasern mit Methylenblau 
nicht färben, habe ich eine solche Färbung im Herzen zweimal ge- 


94 Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 


sehen. Damit mir nicht der Einwand gemacht werden könnte, meine 
Netze beständen aus elastischen Fasern, habe ich einen Vergleich 
zwischen diesen und den Nervenfasern des Herzens anstellen müssen. 
Die diesbezüglichen Präparate wurden nach der Weigertschen Methode 
gefärbt. Es stellte sich dabei heraus, daß schon die Lage der elasti- 
schen Fasern eine ganz andre ist, als die der Nervennetze. Während die 
Nervennetze sich hauptsächlich im 
Inneren der Trabekeln finden, 
sind die elastischen Fasern ganz 
auf ihre Oberfläche beschränkt, hier 
ein dichtes Netz bildend. Dieses 
Netz ist immer an den Trabekeln 
am stärksten, welche dem Druck 
am meisten ausgesetzt sind, d.h. 
welche am Haupthohlraum der Kam- 
mer liegen. Reichlich vorhanden 
ist es auch überall dort, wo über- 
haupt Blut hingelangt, also an den 
Blutlagunen, welche in der Kammer 
des Frosehherzens die Coronargefäße 
ersetzen. Dagegen fehlt es fast ganz 
an den Trabekelflächen, welche 
aneinanderstoßen oder blutfreie Spal- 
ten umschließen (Fig. 36 2). Im 
übrigen ist auch der ganze Charakter 
der elastischen Fasern ein ganz 
verschiedener. 

Überall an der Oberfläche der 
Kammer und des Vorhofs ist das 
Nervennetz in sich geschlossen, auch 
an der Atrio - Ventrikulargrenze; 
selbst da, wo sich hier Kammer 


Fig. 38. Ganglien des Herzens nach Dogiel 
(nach einem eignen Isolationspräparat in einigen 


Punkten vervollständigt). 7 Vagus, R Remak- und Vorhof sehr nahe kommen, sieht 


sche Ganglien, L Ludwigsche Ganglien, BBidder- 
sche Ganglien. 


man auch nicht eine einzige Brücke, 
welche beide Netze miteinander ver- 
bände. Nur an einer Stelle finden sich regelmäßig Verbindungen zwi- 
schen den Vorhöfen und dem Netz der Kammer, das ist an den Herz- 
klappen. Diese Verbindung ist aber wohl kein direktes Ineinanderfließen 
beider Netze, d. h. es geht das Nervennetz des Vorhofs nicht an den 
Klappen entlang in das der Kammer über. Die Verbindung scheint 
vielmehr dureh die Bidderschen Ganglien vermittelt zu werden. Hierfür 
spricht folgendes: Bekanntlich liegen die Bidderschen Ganglien dem 
Ursprunge der Atrio-Ventrikularklappen angelagert. Sie bestehen aus 


Die Nervennetze und ihre Neurofibrillen. 95 


großen, meist unipolaren Ganglienzellen, welche reichliche NissIschollen 
enthalten. Durch markhaltige und marklose Fasern stehen sie mit den 
Remakschen Ganglien und weiterhin mit dem Vagus in Verbindung 
(Fig. 38). Bestimmte Angaben kann ich nun nach zwei Richtungen hin 
machen: 1. Von dem Nervennetz des Vorhofs gehen reichliche Mengen 
von Fasern in die Bidderschen Ganglien hinein. Diese Fasern sieht man 
auch auf Osmiumpräparaten (Isolation des ganzen Ganglions) als dünne 
marklose Fasern, welche be- 
sonders am proximalen Pol, 
aber auch an den Längs- 
seiten in jedes der beiden 
Ganglien eindringen. 2. Die 
fast durchweg mark- 
losen Fasern, welche 
jedes Biddersche Gan- 
slion am distalen 
Bor verlassen und 
den Klappen entlang 
ziehend zu Bündeln 
vereinigt in die Kam- 
mer treten, gehen hier 
direkt in das Netz der 
Kammer über (Fig. 39). 
Die zuerst parallel verlau- 
fenden Fasern teilen sich 
beim Eintritt in die Kammer 
(manchmal schon an der 
Klappenwand) und gehen Ai 
gewöhnlich bald in eine von 

den kleinen, dem Netz ei- 

gentümlichen Ganglienzellen Fig. 39. Einstrahlung der vom Vorhof kommenden mark- 
über, deren Fortsätze dann losen Nervenfasern in die Kammer. Links (schraffiert) einige 


Muskeltrabekeln, die Fasern rechts davon liegen auf einer 
zum Teil in die Muskulatur Klappe. Der Vorhof schließt sich nach oben hin an die 
Fortsätzen andrer solcher 

Zellen Anastomosen eingehen, wie das oben genauer geschildert ist. 
In welcher Weise beide Netze in den Bidderschen Ganglien miteinander 
in Verbindung treten, darüber kann ich keine Angaben machen. Man 
könnte vielleicht annehmen, daß der Übergang kein direkter ist, son- 
dern daß die großen Ganglienzellen der Ganglien in irgend einer noch 
aufzudeckenden Weise zwischen das Nervennetz der Vorkammer und 
das der Kammer zwischengeschaltet sind. Möglicherweise gehen auch 
manche der langen Nervenfasern, welche an den Klappen entlang 


96 Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


ziehen, im Vorhof ohne Vermittlung der Ganglien ins Nervennetz über. 
Gesehen habe ich es bis jetzt nicht. Weitere Untersuchungen haben 
hier zu entscheiden. — Von dieser Verbindungsweise, welche an drei 
gut gefärbten Herzen die einzig sichtbare war, habe ich einmal eine 
Ausnahme gesehen: auch an diesem vierten Herz war die Faser- 
verbindung zwischen Bidderschen Ganglien und Kammer-Nervennetz 
vorhanden und gut ausgebildet. Daneben fand ich aber einen Faserzug, 
welcher, weit von den Klappen entfernt, auf der linken Seite des 
Herzens, von der Vorkammer kommend, die Atrio -Ventrikulargrenze 
(durehsetzte und sich dann im Netz der Kammer auflöste. Von wo dieser 
Faserzug in der Vorkammer kam, habe ich nicht feststellen können. 


SIEBENTES KAPITEL. 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Ele- 

mente bei verschiedenen Tieren und die Übereinstimmung 

der Ergebnisse mit den Resultaten des physiologischen 
Experimentes. 


Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Formen des Nervensystems sind 
bedingt durch die Lage der Fibrillengitter und die An- oder Abwesenheit langer 
Bahnen S. 96—100. — Die beiden Formen des zentralisierten Nervensystems 
S. 100. — Je höher die Ausbildung desto mehr nimmt die relative Masse der Gan- 
glienzellen ab S. 102—104. — Ursprüngliche Gleichwertigkeit aller Ganglienzellen 
und ihre topographische Differenzierung bei höherer Entwicklung S. 104. — Ubi- 
quität der Reflexe bei den Nervennetzen. Ausbreitung des Reizes nach allen 
Richtungen S. 105 u. f. — Beweise, daß die Reizleitung bei den Medusen nervös 
ist S. 107. — Irreziprozität der Leitung von Nerv auf Muskel bei den Medusen 
S. 108. — Das Verhältnis zwischen Nervennetz und zentralem Nervensystem 
S. 111—123. — Die Reflexe bei Planarien ohne Zentralnervensystem S. 111. — 
Aplysia 8. 113—118.— Zunahme der peristaltischen Körperbewegungen nach Heraus- 
nahme des Zentralnervensystems. Bestehenbleiben der einfacheren Reflexe. Zu- 
nahme des Tonus. Ausbreitung des Reizes je nach Stärke desselben 8. 115, 116. — 
Bei Reizung der Nervenstämme tritt keine streng lokalisierte periphere Wirkung 
ein, sondern eine je nach Stärke des Reizes mehr oder weniger ausgebreitete 
S. 117, 118. — Versuche an Limax und Arion mit ähnlichem Erfolge S. 1185— 121. — 
Vergleich zwischen den Erscheinungen bei den Mollusken mit den Erfahrungen 
am Ösophagus und Magen des Frosches 8. 121. — Das vollständige Erlöschen der 
teflexe nach Zerstörung des Zentralnervensystems bei den Tieren, welche kein 
peripheres Nervennetz besitzen S. 123, 124. 


In Figuren 40—44 habe ich zwar schematisch, aber doch unter 
möglichster Anlehnung an die im Präparat beobachteten Verhältnisse 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 97 


die Verknüpfung der Nervenelemente bei den verschiedenen Typen 
des Nervensystems dargestellt. — Die alleinige Existenz von Nerven- 
netzen bei allen niedrigen Metazoen (Medusen, Polypen, Actinien, 
Ütenophoren und wahrscheinlich auch den Echinodermen), die mehr 
oder weniger epitheliale Lage derselben bei diesen Tieren und allen 
höheren, bei denen Nervennetze an einigen Körperstellen neben einem 
zentralisierten Nervensystem vorkommen, schließlich die überaus ein- 
fache Verbindungsweise der Zellen untereinander und mit den inner- 
vierten Geweben deuten darauf hin, daß wir in den Nervennetzen die 
phylogenetisch älteste Form des Nervensystems vor uns haben. Von 
den einfachen morphologischen und physiologischen Eigenschaften 
dieses ältesten Nervensystems kann man, wie mir scheint, in ziemlich 
ununterbrochener Reihe die morphologische und mit ihr Hand in Hand 
gehend die physiologische Entwicklung des Nervensystems bis zu den ex- 


ML, 


Fig. 40. Schematische Abbildung des Fibrillenverlaufs in einem Nervennetz (Medusen, subepithelialer 
Nervenplexus vom Froschgaumen u. s. w.). Ep. Epithel, m. Muskelfasern. 


tremsten Formen verfolgen. Mag auch über den erkenntnismäßigen Wert 
phylogenetischer Betrachtungen gestritten werden können, den Wert 
haben sie und werden sie auch immer behalten, daß sie uns die Grup- 
pierung der Tatsachen, erleichtern und die Darstellung vereinfachen. 

Allen Formen des Nervensystems gemeinsam ist die Zusammen- 
setzung aus Ganglienzellen und Fasern. In beiden Elementen treffen 
wir überall individuell verlaufende Fibrillen, welche einen kontinuier- 
lichen Zusammenhang zwischen reizaufnehmender Oberfläche und den 
effektorischen Organen — Muskeln, Drüsen u. s. w. — vermitteln. 
Bei allen Formen des Nervensystems tritt irgendwo eine Vermischung 
der Fibrillen, welche von verschiedenen Stellen der Oberfläche kommen 
und zu verschiedenen effektorischen Organen hinziehen, vermittels 
eines Fibrillengitters ein, und es ist vor allem die Lage dieses Gitters, 
welche die Unterschiede bei den verschiedenen Formen ausmacht. 
Einen zweiten, für die grobanatomischen Verhältnisse viel einschnei- 
denderen Unterschied gibt die Ausbildung langer Bahnen ab, welche 
bei allen höheren Formen des Nervensystems in Erscheinung tritt und 
eine Zentralisation des Nervensystems mit sich bringt. 


Bethe, Nervensystem. [ 


98 Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


Bei den Nervennetzen stehen alle Zellen durch plasmatische Fasern 
miteinander in direktem Zusammenhang, und zwar in der Regel jede 
Zelle mit den nächstbenachbarten, und diese wieder mit ihren Nach- 
barn, so daß auch die entferntesten Zellen mittelbar in Verbindung 
stehen. Aber der Zusammenhang ist nicht nur plasmatisch: jede Zelle 
enthält ein Fibrillengitter, das mit dem der Nachbarzellen durch parallel 
verlaufende Fibrillen in Verbindung steht. Nur in den Ganglienzellen 
sind hier Gitter vorhanden, zwischen zwei Zellen ist nie ein solches 
eingeschaltet (Fig. 40). 

Auch im Nervensystem der Hirudineen spielt das Fibrillengitter der 
Ganglienzellen eine große Rolle, aber es gibt hier neben ihm noch 


Fig. 41. Schema des Fibrillenverlaufs im Nervensystem von Würmern (Hirudo),. @G. Ganglion, 
Gx%. Ganglienzellen, Rx. Rezeptionszellen. 


ein andres, das zwischen die Ganglienzellen eingeschaltet ist (Fig. 41): 
die Ganglienzellen (des zentralen Nervensystems) stehen nicht mehr in 
einem direkten plasmatischen Zusammenhang, sondern die Kontinuität 
wird nur noch von Fibrillen hergestellt, welche in der Regel dieses 
zwischengeschaltete Netz passieren. Auf diese Weise treten die Zellen 
in jedem Ganglion in viel ausgiebigere Beziehungen zueinander, als 
es bei den Nervennetzen möglich ist. Dort ist zwar die Beziehung 
zwischen den Fibrillennetzen zweier benachbarter Zellen inniger, da- 
für sind aber hier auch relativ weit voneinander entfernte Zellen re- 
lativ besser miteinander verbunden. Es ist hier augenscheinlich ein 
Teil des Fibrillengitters, das wir bei den Nervennetzen allein in 
den Ganglienzellen antrafen, aus den Zellen heraus verlagert und 
zwischen die Zellen eingeschaltet, welche, um diesen Zusammen- 
hang durch ein extracelluläres Fibrillengitter ohne allzu großen Auf- 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 99 


wand von Material zu ermöglichen, auf einen kleinen Raum zu- 
sammengezogen sind. 

Die Verlagerung des Fibrillengitters aus den Zellen heraus scheint 
bei den Crustaceen noch ausgesprochener zu sein. Im allgemeinen 
verhält sich bei ihnen der Zusammenhang der Neurofibrillen ganz wie 
bei den Hirudineen; nur in einem Punkt besteht ein großer Unter- 
schied, welcher zu den Verhältnissen, wie wir sie bei Wirbeltieren 
finden, überleitet: Während bei den Hirudineen alle Fibrillen, welche 
einem plasmatischen Komplex (Ganglienzelle und daran hängenden 
Fasern und Aufsplitterungen, also das, was man gemeinhin als Neuron 
bezeichnet) angehören, in das Fibrillengitter der Ganglienzelle ein- 
sehen, existieren bei den Urustaceen wohl in jedem Neuron eine Menge 


Fig. 42. Schema des Fibrillenverlaufs im Nervensystem von Crustaceen (Careinus). 


Fibrillen, welche nicht in das Gitter der zugehörigen Ganglienzelle 
eintreten, ja die Zelle überhaupt nicht passieren (Fig. 42). 

Bei den Wirbeltieren ist die Verlagerung des Fibrillengitters aus 
den Ganglienzellen heraus nahezu vollständig geworden. Zwar finden 
sich in einigen Zellarten auch hier noch Fibrillengitter (S. 57), aber 
in den meisten ist nichts davon zu bemerken. Das ganze Fibrillen- 
gitter liegt außerhalb der Zellen an ihrer Oberfläche und zwischen 
ihnen [pericelluläres diffuses Golginetz (?)] (Kig. 43). 

Wo wir in der Tierreihe Nervennetze finden, da sind sie immer 
diffus in der unmittelbaren Nachbarschaft der innervierten Elemente, 
also hauptsächlich der Muskeln, ausgebreitet. Die Fibrillengitter der 
Zellen treten immer nur mit der dieht benachbarten Muskulatur und 
reizaufnehmenden Oberfläche durch Fibrillen in Verbindung. Zwar 
kommen bei den Medusen und den Darmnetzen der Hirudineen Fibrillen 
vor, welche eine Ganglienzelle glatt durchziehen, ohne in ihr Fibrillen- 


-:% 


100  Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


gitter überzugehen, aber man wird annehmen dürfen, daß sie doch 
in einer der nächsten Zellen an der Gitterbildung teilnehmen. Direkte 
Verbindungen weit entfernter Partien des Nervennetzes werden jeden- 
falls durch sie nicht hergestellt werden können. Durch die Nerven- 
netze — das liegt auf der Hand — können immer nur ganz diffuse 
Reflexe vermittelt werden: entweder wird ein Reiz, der an einer Stelle 
angesetzt wird, immer die gesamte Muskulatur in Bewegung setzen, 
oder, falls er schwach ist und ein Abfall der Erregung mit ihrer Aus- 
breitung Hand in Hand geht, die zunächst gelegene am stärksten er- 
regen und die entferntere überhaupt nicht. Bestimmt gerichtete Re- 
flexe, stärkere Wirkungen an entfernteren Orten u. s. w. werden gar 
nicht zustande kommen können (oder höchstens ganz unvollkommen 


Fig. 43. Schema des Fibrillenverlaufs im Nervensystem der Wirbeltiere. 


auf die Weise bewirkt werden können, daß die Muskulatur an ge- 
wissen Stellen eine geringere Reizschwelle besitzt, als an andern). 
Damit entferntere Partien des Körpers gemeinsam miteinander 
arbeiten können, müssen die Fibrillengitter, von denen aus ihre Mus- 
kulatur innerviert wird, in nähere Beziehungen zueinander gesetzt 
werden, und das kann auf verschiedene Weise geschehen: es können 
zwischen den entfernten Fibrillengittern lange Fasern mit parallel ver- 
laufenden Fibrillen eingeschaltet werden, es können aber auch die 
Fibrillengitter einander nahegerückt werden, wo sie dann besser unter- 
einander Fibrillen austauschen können. Aber auch hierbei ist natür- 
lich die Ausbildung langer Fasern wunerläßlich; sie werden in der 
Hauptsache vom Gitter zur reizaufnehmenden Fläche und zu den 
effektorischen Organen ziehen. Beide Mögliehkeiten sind innerhalb 
der Tierreihe zur Ausführung gelangt; die zweite allerdings wohl 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 101 


nirgends in reiner Form, sondern immer mit der andern vermischt. 
Eine fast vollständige Zentralisation der Gitter (bis auf den kleinen 
Rest von Nervennetz, der fast bei allen Tieren zu gewissen Zwecken 
an der Peripherie bleibt) finden wir bei Hirudineen, Crustaceen und 
Wirbeltieren, wobei die Gitter sich mehr oder weniger von den 
Ganglienzellen emanzipieren; bei den niederen Würmern und den 
Mollusken bleibt dagegen das Nervennetz überall an der Peripherie 
bestehen und es bilden sich nur lange Bahnen zwischen den einzelnen 


Fig. 4. Schema des Nervensystems der Mollusken. @G. Ganglion, @x. Ganglienzellen desselben. 
S.p.o. oberflächlicher (subepithelialer), S.p.u. tiefer Nervenplexus, n. Muskeln, Rx. Rezeptionszellen. 


Teilen desselben aus, welche von Gittern (Ganglien) in der Mitte unter- 
brochen werden (vielleicht sind auch die Eehinodermen als Vertreter 
einer sehr niederen Stufe dieser Form hierher zu rechnen). 

Die Figur 44 stellt einen Teil des Körpers eines Molluskes sche- 
matisch dar. Da über den Verlauf und die Verknüpfungsweise der 
Neurofibrillen bei den Mollusken (wie auch bei den niederen Würmern) 
nur wenig bekannt ist, habe ich nur die plasmatischen Bahnen in das 
Schema eingetragen. Daß dieselben Fibrillen enthalten und daß in 
den zwischengeschalteten Ganglienzellen die Fibrillen Gitter bilden, 
ist sicher, daß im Neuropil außerdem extracelluläre Gitter bestehen, 


102 Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


ist sehr wahrscheinlich. Man würde das Schema also leicht auf die 
Fibrillenverhältnisse hin umarbeiten können, ohne dabei aber wesent- 
lich weiterzukommen. Unter dem Epithel breiten sich durch den 
ganzen Körper hin zwei Nervennetze aus, welche hier und dort mit- 
einander in Verbindung stehen. Das eine liegt dem Epithel, das 
andre der Muskulatur näher. Das letztere tritt zur Muskulatur durch 
Fasern in Beziehungen, ebenso zur reizaufnehmenden Oberfläche. Das 
erstere geht in der Hauptsache mit dem Epithel und den Drüsen Ver- 
bindungen ein. Wir finden hier also dieselben Verhältnisse, wie bei 
den Medusen, nur sind sie etwas komplizierter. Hauptsächlich von 
dem inneren Netz gehen nun Faserzüge, an denen hier und da Ganglien- 
zellen liegen, in die Mitte des Körpers, um hier in Ganglien überzu- 
sehen. Durch diese langen Bahnen werden Teile des Nervennetzes, 
welche weit voneinander entfernt sind, in direktere Beziehungen zu- 
einander gebracht, und diese Beziehungen werden dadurch noch inniger 
und vielseitiger, daß in die langen Bahnen Fibrillengitter (Ganglien 
vom Typus höherer Tiere, wohl am ähnlichsten denen der Crustaceen) 
eingeschaltet sind. 

Ebenso wie bei den höheren Würmern, Crustaceen und Wirbel- 
tieren, bei denen — wenigstens für die Bewegungsmuskulatur — kein 
Rest von Nervennetz an der Peripherie zurückgeblieben ist, stoßen die 
langen, von der Peripherie kommenden und zur Peripherie gehenden 
Fasern nicht in einem Punkt zusammen. Es existiert nicht ein Ganglion, 
sondern mehrere (oder, wie bei den Wirbeltieren, ein langer Strang 
von Zentralsubstanz). Eine Vereinigung auf einen Punkt wäre ja bei 
der räumlichen Ausdehnung der Neurofibrillen unmöglich und auch 
nicht zweekentsprechend, weil dann wieder alles in ähnlicher Weise 
diffus zusammengemischt würde, wie bei den diffusen Nervennetzen. 
Die Beziehungen müssen zum Zustandekommen eines geordneten Reflex- 
lebens bald inniger, bald lockerer sein. Wir sehen deshalb wieder 
innerhalb der zentralisierten Teile des Nervensystems lange Balınen, 
die einzelnen Teile des Fibrillengitters — mag es endocellulär oder 
extracellulär sein — miteinander. in innigere Verbindung bringen. Von 
solchen langen Bahnen ist weiter nichts zu verlangen, als daß sie ein- 
zelne Teile des Neurofibrillengitters in direktere Verbindung setzen, 
so daß also die unverzweigten Fibrillen, welche bei den Urustaceen 
(Fig. 42) von einem Fortsatz zum andern gehen und bei den Wirbel- 
tieren (Fig. 43) von einem Protoplasmafortsatz zum andern verlaufen, 
srade so gut als intracentrale Bahnen angesehen werden müssen, wie 
etwa die aus vielen Tausenden von Neurofibrillen bestehenden Pyra- 
midenbahnen. . 

Wenn man die Dinge so betrachtet, wie es hier geschehen ist, 
so liegt es auf der Hand, daß ein Nervensystem desto mehr lange 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 103 


Bahnen und desto reichlichere Fibrillengitter besitzen muß, je kompli- 
zierteren und vielseitigeren Zwecken es dient. Es ist aber auch klar, 
daß der Aufwand von Fibrillenmaterial hierbei ein geringerer ist, wenn 
die Gitter extracellulär liegen, als wenn sie in den Zellen liegen, be- 
sonders dann, wenn die Ganglienzellen außerhalb des Bereichs liegen, 
in dem die langen, von der Peripherie kommenden Fasern sich auf- 


D.b. 


Fig. 45. 4A Querschnitt durch ein Ganglion von Hirudo, PB durch ein Ganglion von Astacus, C durch 

das Rückenmark vom Frosch. Die drei Querschnitte sind durch verschiedene Vergrößerung auf un- 

gefähr gleiche Fläche gebracht; die Masse der Ganglienzellen ist mit Hilfe der Camera im rich- 

tigen Verhältnis zur Fläche der Schnitte gezeichnet. In D sind verschieden große Ganglienzellen 

derselben Tiere bei gleicher Vergrößerung gezeichnet. a Hirudo, b Astacus, ce Frosch. (Ver- 
größerung: A 140mal, B 42 mal, © 25mal, D 450 mal.) 


splittern. Mit andern Worten: Je höher die nervösen Äuße- 
rungen eines Tieres sind, desto mehr wird die Masse 
der Ganglienzellen gegen die desGraus und derlangen, 
intrazentralen Bahnen zurücktreten. (Zu den langen Bahnen 
sind natürlich alle Fibrillen zu rechnen, welche in gestrecktem Verlauf 
verschiedene Teile des Fibrillengitters miteinander verbinden; sie mögen 
einzeln innerhalb oder außerhalb plasmatischer Bahnen laufen oder zu 
Kabeln in plasmatischen Fasern vereinigt sein, wie z. B. die Kleinhirn- 


104  Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


Seitenstrangbahnen, die Brücke u. s. w.) Würde man das Nervennetz 
einer Meduse oder noch besser eines Seeigels zu einem Klumpen zu- 
sammenballen können, so würde die Masse der Zellkörper die der Ver- 
bindungsfasern sicher übertreffen; dabei spielen noch die Verbindungs- 
fasern nicht nur die Rolle langer (intrazentraler) Bahnen, sondern sind 
zum Teil schon als periphere Fasern anzusehen, da sie viele Fibrillen 
enthalten, die sich später ins Epithel oder zur Muskulatur begeben. Ich 
habe es unterlassen, hiervon eine Abbildung zu geben, da es sich nur 
um eine vage Schätzung handeln würde. Dagegen bilde ich in Figur 45 
drei Schnitte ab, von welchen der erste einem Ganglion von Hirudo, 
der zweite einem Ganglion von Astacus und der dritte dem Rücken- 
mark eines Frosches entstammt. (Alle drei Schnitte sind so vergrößert, 
daß die Fläche annähernd gleich groß ist.) Die ersteren beiden lassen 
einen direkten Vergleich zu und zeigen, wie bei dem in seinen nervösen 
Äußerungen dem Blutegel weit überlegenen Krebs, die Masse der 
Ganglienzellen gegenüber der der Fasern und ihrer 
Aufsplitterungen relativ viel geringeriist, als bei diesem. 
Das Rückenmark ist bei dem Vergleich insofern im Nachteil, als hier 
die Ganglienzellen (aber auch die Faseraufsplitterungen!) nicht zu 
Ganglien vereinigt sind. Auch wenn man das in Rechnung zieht, so 
ist doch hier die relative Masse der Ganglienzellen (ich meine Masse, 
und nicht Zahl) noch viel geringer, als beim Krebs. (Bei höheren 
Wirbeltieren ist dies in noch höherem Maße der Fall.) Dabei sind die 
Ganglienzellen des Frosches im absoluten Maß größer, als die von 
Hirudo, und kaum kleiner, als die von Astacus, wie die Zusammen- 
stellung in Figur 45 D zeigt; im Verhältnis zur Masse des ganzen 
Nervensystems sind sie aber außerordentlich viel kleiner. 

Sehr instruktiv ist auch die Vergleichung andrer Zentralteile, und 
ich mache hier nochmals auf die Abbildungen Nissis (Fig. 25) auf- 
merksam. Die ontogenetische Entwicklung des Nervensystems zeigt 
in gleicher Weise, wie mit zunehmender physiologischer Vollkommen- 
heit die relative Masse der Ganglienzellen abnimmt. (Wenn man z. B. 
das kückenmark eines jungen Hundes mit dem eines erwachsenen 
vergleicht. Durch Zunahme der Markscheidendieke sind die hier vor- 
handenen Unterschiede lange nicht erklärt.) Diese Tatsachen 
zeigen bereits, daß den Ganglienzellen unmöglich die 
hohe Bedeutung für die nervösen Prozesse zukommen 
kann, die ihnen von vielen Forsehern zuerkannt wird. 


Bei den Medusen sind noch alle Ganglienzellen gleichwertig. Jede 
Zelle entsendet aus ihrem Gitter Fibrillen nach der rezeptorischen Ober- 
fläche, zur Muskulatur und zu benachbarten Ganglienzellen (Fig. 40). 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 105 


(Ganz ähnlich ist es auch bei den Nervennetzen im Gaumen des Fro- 
sches.) Jede Zelle birgt also alle Qualitäten in sich, welche wir bei 
höheren Formen auf verschiedene Zellen verteilt finden, d. h. jede Gan- 
glienzelle ist zugleich Rezeptionszelle, motorische Zelle und Kommissur- 
zelle. Zwar gibt es bei den Medusen besondere Rezeptionszellen, d. h. 
Zellen, welehe nicht direkt Fibrillen zur Muskulatur entsenden, sondern 
nur zur Oberfläche und zu benachbarten Zellen, aber diese kommen 
wenigstens bei den Acraspeden nur an gewissen Körperstellen vor 
(äußere und innere Sinnesgrube und Randkörper). Bei allen wirbellosen 
Tieren, welche eine Zentralisation des Nervensystems zeigen, sind die 
meisten Rezeptionszellen an der Peripherie geblieben, bei den Wirbel- 
tieren sind sie dem Zentralnervensystem nahe gerückt oder liegen sogar 
in ihm (Spinalganglien); nur an wenigen Stellen finden sie sich noch im 
Epithel (Riechschleimhaut). Unter den zentral vereinigten Zellen gibt 
es bereits bei Hirudo eine ganze Anzahl, die mit peripheren Organen 
überhaupt in keiner direkten Verbindung stehen, d. h. die in ihnen 
enthaltenen Fibrillen stellen nur kürzere Wege zwischen dem Gitter 
verschiedener Zentralteile her und treten erst durch diese mit peripher 
verlaufenden Fibrillen in Verbindung. Bei Crustaceen und Vertebraten 
ist ihre Zahl noch wesentlich größer. Solche „Neurone“ haben die 
direkt motorische und rezeptorische Funktion aufgegeben und sind nur 
noch Kommissurelemente. Indirekt sind sie aber ebensogut motorisch 
wie rezeptorisch, sowie auch die rezeptorischen Neurone indirekt moto- 
risch und die motorischen indirekt rezeptorisch sind. Eine scharfe 
Grenze zwischen Rezeption und Motilität im Bereich der nervösen 
Apparate läßt sich weder anatomisch noch physiologisch ziehen. Die 
Unterschiede sind immer nur relativ und beruhen auf der Richtung, 
in der normalerweise die Reizleitung geschieht. — 

Es ist nun meine Aufgabe, zu zeigen, inwieweit die besprochenen 
anatomischen Daten mit den Ergebnissen der physiologischen Experi- 
mente übereinstimmen. — Nach den anatomischen Befunden muß man 
zu der Vorstellung gelangen, daß überall dort, wo Neurofibrillen, welche 
von der reizaufnehmenden Oberfläche kommen, mit solehen in einem 
Netz zusammenstoßen, die zu Muskeln gehen, die Bedingungen zu 
einem Reflex gegeben sind. Da wir nun bei den Tieren und Organen, 
welche von Nervennetzen innerviert werden, überall solche Gitter vor- 
finden, so muß hier auch jedes kleinste Stück reflexfähig sein; da 
außerdem alle diese Gitter untereinander in Verbindung stehen, so 
kann nur bei vollkommener Kontinuitätstrennung die Leitung von 
einem Teil des Tieres (oder Organes) zum andern aufgehoben werden. 
Dies bestätigt sich im vollsten Maße bei allen Nervennetzen, am 
leichtesten und elegantesten ist es aber bei den Medusen zu demon- 
strieren. 


106  Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


Eine der auffallendsten Erscheinungen bei den Medusen sind die 
rhythmischen Bewegungen, welche die ganze Glocke spontanerweise 
ausführt. Ziemlich gleichzeitig wurde nun von Eimer (1878, vorläufige 
Mitteilung 1876) und Romanes (1876 und 1877) gezeigt, daß diese 
Bewegungen fortfallen, wenn man sämtliche Randkörper entfernt. Von 
einer Lähmung ist aber hierbei nicht die Rede, denn das Tier reagiert 
auf jede mechanische Reizung der Subumbrella mit einer einzelnen 


. 
EEE 
—— 


IIINIEN 


Fig. 46. Diagramme zu Versuchen über die Erregungsleitung bei den Medusen. 7. Versuch von 
Romanes. Der Körper ist zu einem langen Spiralband zerschnitten; durch abwechselnde Einschnitte 
ist ein Zickzackband hergestellt. Nur an einem Ende befindet sich noch ein Randkörper, von dem 
aus die Kontraktionswellen in rhythmischer Folge bis zum äußersten Ende laufen, wenn die Brücken 
nieht unter 1—2 mm breit sind. II. Zwei Muskelfelder aus dem Schirm von Rhizostoma (s. Fig. 35, 
S.90), welehe nur durch muskelfreies Gewebe miteinander verbunden sind. Wird irgendwo mechanisch 
(oder elektrisch) gereizt z. B. bei x, so zucken stets beide Muskelfelder. //I. Durch den bis ins 
muskelfreie Feld geführten Schnitt wird nicht verhindert, daß das linke Muskelfeld an den spontanen 
Kontraktionen teilnimmt, welche von dem Randkörper auf der rechten Seite ausgehen. IV. Dasselbe 
zeigt sich, wenn der Schnitt vom Zentrum bis in den muskelfreien Rand geführt wird. 


Kontraktion der ganzen Glocke. Andauernde Reize irgend welcher 
Art (mechanische, ehemische, faradische) rufen keine einzelne Kon- 
traktion, sondern wieder rhythmische Bewegungen hervor, welche mit 
dem Schwinden des Reizes wieder aufhören. Das randkörperfreie 
Tier verhält sich also gradeso wie die „ganglienlose‘“ Herzspitze. Die 
Gegenwart eines einzigen Randkörpers genügt aber, um eine Meduse 
dauernd in rhythmischer Bewegung zu erhalten. Beide Forscher zeigten 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 107 


nun, daß radiäre Einschnitte zwischen den Randkörpern die Koordination 
nicht oder kaum stören. Rollt man den ganzen Körper durch einen 
Spiralschnitt zu einem langen Bande auf und nimmt alle Randkörper 
bis auf einen fort, der an einem Ende des Bandes gelegen sein mag, so 
führt der ganze Streifen seine rhythmischen Kontraktionen aus; ja man 
kann aus dem Bande durch tiefe seitliche Einschnitte ein Ziekzack- 
band machen, immer noch geht der Reiz vom Randkörper aus durch 
das ganze Band hindurch, wenn nur die Brücken noch eine Breite 
von etwa einem Millimeter haben (Fig. 46 /). Wird der Randkörper 
fortgeschnitten, so ist der Streifen wie gelähmt; sticht man aber an 
einem Ende mit einer Nadel hinein, so läuft eine Kontraktionswelle 
über den ganzen Streifen hin. Wie die Tiere zerschnitten werden ist 
ganz gleich; der Reiz geht durch jede Brücke hindurch. Es ist kaum 
nötig noch zu bemerken, daß jedes kleine Stück aus der Subumbrella 
reflexfähig ist. 

Wir finden also bei den Medusen die Eigenschaften vor, die man 
bei einem Nervennetz zu erwarten hat, nur ist es die Frage, ob das 
im Epithel gefundene Netz wirklich die Reizleitung vermittelt oder ob 
sie nicht etwa durch die Muskulatur selber besorgt wird, wie dies 
Engelmann (1875) bei den ganz analogen Erscheinungen am Herzen 
angenommen hat. Romanes hat bereits diese Frage in Erwägung ge- 
zogen und sich dahin ausgesprochen, daß wenigstens für die rhyth- 
mischen Bewegungen eine muskuläre Leitung angenommen werden 
könne. Für die Bewegungen der Tentakeln und einige andre Er- 
scheinungen nimmt er dagegen eine nervöse Leitung an und sucht 
dieselbe experimentell zu beweisen. So sehr ich die Arbeiten von 
Romanes schätze, so kann ich ihm doch hierin und in manchem andern 
nicht beipflichten: Die nervöse Leitung im Medusenorganismus scheint 
mir ebenso leicht beweisbar, wie bei den Reflexen irgend eines hoch- 
stehenden Wirbeltieres! 

Bereits die Leitung von den Randkörpern, von denen ja ohne 
Zweifel die rhythmischen Bewegungen ausgehen, zur Muskulatur muß 
durch ein andres Element geschehen als durch Muskelfasern, da, wie 
Figur 34 (S. 89) zeigt, Muskulatur und Randkörper weit auseinander 
liegen. Zwischen beiden liegt nur Gallerte, Epithel und Nervennetz. 
Die Gallerte ist leitungsunfähig, denn man braucht an einem Medusen- 
streifen nur das Epithel der Subumbrella, in dem ja auch das Nerven- 
netz und die Muskulatur liegen, zu durchtrennen, dann zuckt bei 
Reizung einer Seite immer nur diese, trotzdem die Gallerte in ihrer 
ganzen Dicke beide Seiten miteinander verbindet. Andrerseits kann 
man die Gallerte durchschneiden, ohne daß die Reizleitung von einem 
Stück zum andern darunter leidet, wenn nur das Epithel unverletzt ist. 
Auch das gewöhnliche undifferenzierte Epithel leitet nicht; die ganze 


108  Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


Umbrella ist mit solehem bedeckt, aber man kann sie reizen so stark 
man will, nie wird man auch nur die leiseste Bewegung in der 
Muskulatur der Subumbrella oder der Tentakeln beobachten. Hier 
fehlt eben das als Nervennetz angesprochene Gewebe vollkommen. 
Es kann also nur das Nervennetz sein, das den Reiz von den Rand- 
körpern auf die Muskulatur überträgt. 

Bei den meisten Medusen kommt überall da, wo sich Nerven- 
netz ausbreitet, auch Muskulatur in der Nachbarschaft vor; bei Rhizo- 
stoma gibt es aber große muskelfreie Felder, welche vom Nervennetz 
durchzogen werden (Fig. 35, S. 90). Wenn man aus einem solchen 
Tier Stücke herausschneidet, wie sie in Figur 46 77 abgebildet sind, so 
steht die Muskulatur beider Seiten nur durch Nervennetz miteinander 
in Verbindung. Wäre nun die Leitung von Muskelfaser zu Muskel- 
faser muskulärer Natur, so dürfte bei Reiz einer Seite immer nur 
diese zucken. Das ist aber nicht der Fall: der Reiz geht bei jeder 
Art von Reizen auch auf die Muskulatur jenseits des muskelfreien 
Feldes über.') Da die muskelfreien Felder bei großen Tieren eine 
jreite von 1—2 cm haben, so ist jeder Irrtum ausgeschlossen: Die 
Leitung ist nervöser Natur!! 

Es gelingt aber auch den Beweis zu liefern, daß nur das Nerven- 
netz leitet, d. h. daß der Reiz überhaupt nicht direkt von einer Muskel- 
faser auf die andre übergehen kann. Berührt man ein randkörper- 
freies Stück von der Oberfläche her, so zuckt unter gewöhnlichen 
Bedingungen das ganze Stück, weil das Nervennetz über den Muskel- 
fasern liegt und entweder direkt oder durch Vermittlung der intra- 
epithelialen Endigungen gereizt wird. Am Querschnitt liegen nun die 
Muskelfasern direkt zutage und man kann dicht an der Gallerte direkt 
mit der Nadel ein Muskelbündel berühren. Wenn der Versuch mit 
der nötigen Vorsicht ausgeführt wird, so sieht man immer, daß sich 
nur das Muskelbündel schnell zusammenzieht, das von 
der Nadel getroffen ist, während alle übrigen in voll- 
kommener Ruhe verharren: Dieser Versuch gibt auch 
einen sehr guten Beweis dafür, daß der Reiz nicht im- 
stande ist, rückläufig vom Muskel auf den Nerv über- 
zugehen, eine Tatsache, die Kühne (1859) zuerst mit Hilfe des 
/Zweizipfelversuchs am Sartorius festgestellt hat. (Am besten gelingt 


1) Die allerzentralsten und breitesten Teile der muskelfreien Felder sind 
fast nervenfrei; man darf also keinen Streifen aus dieser Gegend benutzen. Auch 
am Schirmrand kann man demonstrieren, daß die Leitung nicht durch die Muskeln 
selbst besorgt wird. Hier ist ein Streifen von mehreren Millimetern Breite vorhanden, 
der Nervennetze aber keine Muskeln enthält. (Der äußerste pigmentierte Rand 
führt auch keine Nerven mehr.) Führt man einen Schnitt wie in Figur 46 ///u. IV 
angegeben, so macht das linke Stück dierhythmischen Kontraktionen des rechten mit. 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. "109 


dieser Versuch bei Cotylorhiza, weil sich hier die Muskulatur faltig 
in die Gallerte einsenkt, während die Nerven über diese Falten glatt 
fortziehen. Die Gefahr ist also hier gering, daß man mit der Nadel 
zugleich mit den Muskeln das Nervennetz berührt. Bei absterbenden 
Stücken, welche auf mechanischen Reiz nicht mehr sehr leicht reagieren, 
gelingt es auch ein einzelnes Bündel in der Weise zum Zueken zu 
bringen, daß man mit einer stumpfen Nadel in der Längsrichtung von 
der Epithelseite her über die Faser streicht. Ist die Nadel scharf 
oder der Druck zu groß, so zuckt das ganze Stück.) 

Nach alledem kann es keinem Zweifel unterliegen, daß bei den 
Medusen die Reizleitung nervös und nicht muskulär ist, und daß die 
Netze im Epithel diese reizleitende Funktion ausüben, wie es Eimer 
und die Gebrüder Hertwig nach den anatomischen Befunden von 
vornherein angenommen haben. Die Existenz von ganz ähnlichen 
Nervennetzen im Herzfleisch im Verein mit den außerordentlich weit- 
gehenden Analogien zwischen den physiologischen Erscheinungen, 
welche an den Medusen und am Herzen zu beobachten sind (siehe 
Kapitel 22), veranlassen mich dazu, anzunehmen, daß die Reizleitung 
entgegen der Auffassung von Engelmann auch im Herzen eine rein 
nervöse ist. Es wäre sonst auch ganz unverständlich, was diese Un- 
masse von Nervenelementen, die ich und andre im Herzmuskel ge- 
funden haben, zu bedeuten hätten. Da ihre Anordnung im Herzen 
dreidimensional ist, so spricht der Engelmannsche Hauptversuch, die Auf- 
rollung der „ganglienzelllosen“ Herzspitze zu einem Bande, ebensogut 
für eine nervöse Leitung, wie für die muskuläre. Da Engelmann an- 
nahm, daß die Nervenfasern in der Kammer parallel nebeneinander 
und ohne seitliche Verbindungen von der Basis zur Spitze verliefen, 
so konnte er aus seinem Versuch den Schluß auf muskuläre Leitung 
im Herzen ziehen. ‚Jetzt, wo die netzige und dreidimensionale An- 
ordnung der Nervenelemente nachgewiesen ist, ist diese Hypothese im 
höchsten Grade zweifelhaft geworden. Auch ein andrer Bewers für 
die muskuläre Erregungsleitung im Herzen scheint mir hinfällig ge- 
worden zu sein. Bowditsch, Aubert und Langendorff (1902, p. 284) 
klemmten im lebenden Frosch nach dem Vorgehen Bernsteins die 
Herzspitze ab, um dadurch die Nervenfasern zur Degeneration zu 
bringen. Sie fanden nun die Herzspitze noch nach Wochen, ja Monaten 
erregbar. Die ruhende Herzspitze kontrahierte sich auf Reiz im 
ganzen. Dieser Beweis fällt mit dem Nachweis von Ganglienzellen 
in der Herzspitze und dieser scheint mir gelungen. Aber abgesehen 
davon wäre der Beweis zweifelhaft, weil es marklose Nerven zu geben 
scheint, die nieht degenerieren (siehe Kapitel 10). Weiter unten werde 
ich noch Versuche mitteilen, welche durch die muskuläre Leitung über- 
haupt nicht zu erklären sind. 


110  Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


Ich habe schon oben angedeutet, daß aus dem anatomischen Auf- 
bau der Nervennetze nicht nur der Schluß zu ziehen ist, daß ein 
irgendwo angesetzter Reiz zu allen Stellen hingelangen muß, sondern 
daß auch der Effekt des Reizes, wenn der Reiz submaximal ist, sich 
in der nächsten Nähe des Reizortes am stärksten geltend machen und 
von da aus allmählich an Stärke abnehmen muß. Dies läßt sich an 
der Muskulatur der Subumbrella der Medusen nicht demonstrieren, weil 
sie auch das mit der Muskulatur des Herzens gemein hat, daß sie nur 
auf gewisse Reizstärken antwortet, und dann immer gleich mit maxi- 
maler Intensität (‚Alles- oder Nichts-Gesetz‘“ von Bowditsch). Wirkt 
der Reiz überhaupt, so dehnt er sich gleich auf die ganze quergestreifte 
Muskulatur der Subumbrella aus. Anders ist es mit der Muskulatur 
des Magenstiels und der der Tentakeln. Diese führt keine schnellen 
Einzelzuckungen aus, wie die Muskulatur des Herzens und der Sub- 
umbrella, sondern sie besorgt langsamere, mehr tonische Kontraktionen, 
wie sie den Muskeln der meisten Wirbellosen zukommen, und ist auch 
durch faradische Erregung in eine Art von Tetanus zu versetzen. 
|Dieser bleibt bei der Muskulatur des Herzens (Heidenhain, 1858, u. a.) 
normalerweise (Öyon, 1900) und bei der Muskulatur der Subumbrella 
(Uexküll, 1901, ich) auch bei stärkster Faradisation aus; es kommt 
hier nie zu etwas anderem als zu rhythmischen Kontraktionen.| Das 
günstigste Objekt zu diesen Untersuchungen scheint mir Carmarina 
hastata mit ihren schönen langen Tentakeln und ihrem langen Magen- 
stiel zu sein (auch die Tentakeln von Polypen, besonders von Üeri- 
anthus, geben ein günstiges Objekt ab). 

Bereits Nagel (1894) hat Carmarina zu ähnlichen Versuchen benutzt 
und Resultate erzielt, mit denen sich die meinigen fast ganz decken: 
die rhythmischen Kontraktionen der Glocke treten immer gruppenweise 
auf, wie überhaupt bei den meisten Medusen. Die Pausen dauern bei 
großen Tieren oft eine halbe Minute und mehr, so daß man Zeit hat, 
seinen Versuch während derselben anzustellen. Berührt man einen 
Tentakel z. B. in der Mitte ganz leicht mit einem Glasstäbchen, so 
tritt nur eine kleine lokale Kontraktion, eine geringe Verdiekung, an 
demselben auf. Ist die Berührung stärker, so greift die Kontraktion 
auf weitere Teile des Tentakels über. Bei einem kleinen Stoß tritt 
schon ein Emporsehnellen des ganzen Tentakels auf, welches sich bei 
noch stärkerem Anstoß auf die beiden zunächst benachbarten Ten- 
takeln und schließlich auf alle Tentakeln ausdehnt. Hierbei macht 
der Magenstiel bereits in der Regel eine schwache Bewegung nach 
der Reizstelle hin, die bei weiterer Steigerung des Reizes zu einem 
heftigen Schlagen mit dem Magenstiel wird. Der äußerste Effekt be- 
steht dann schließlich in einer oder mehreren vorzeitigen Kontraktionen 
der Schwimmglocke. Der Reiz dehnt sich also bei zunehmender Stärke 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 111 


auf immer weitere Gebiete des Tieres aus; es geht aber auch aus 
dem Versuch hervor, daß die Reizschwelle der Glockenmuskulatur 
höher liegt als die der Tentakeln und des Manubriums. Dies gilt je- 
doch nur für Reize, welche von außen kommen, denn bei den spon- 
tanen rhythmischen Bewegungen der Glocke fehlen Bewegungen der 
Tentakeln und des Magenstiels oft ganz. 

Eine Ausdehnung des Effektes bei zunehmender Reizgröße kann 
man auch, wie ja bekannt, an den ebenfalls von Nervennetzen inner- 
vierten Blutgefäßen der Wirbeltiere beobachten; ich meine die lokale 
Gefäßerweiterung bei thermischer, chemischer und mechanischer Reizung 
der Haut und die lokale Gefäßverengerung bei Kältereiz. Es wird 
ja zwar vielfach angenommen, daß diese Reize direkt auf die Gefäß- 
muskulatur wirkten und daß die Weiterleitung zu entfernteren Gefäß- 
partien von der Muskulatur selber besorgt würde; mir scheint diese 
Ansicht aber unhaltbar. Die erste Frage ist für mich wieder die: 
Was sollen die engmaschigen Nervennetze, die die Gefäße umgeben 
und die benachbarten Gefäße miteinander in Verbindung bringen? Ich 
glaube aber, daß man auch direkt durch das Experiment beweisen 
kann, daß die Reizleitung hier nicht muskulär sein kann. Da jedoch 
meine dahin gehenden Versuche noch nicht abgeschlossen sind, ver- 
schiebe ich ihre Veröffentlichung auf eine spätere Gelegenheit. 

Nach meiner Meinung handelt es sich bei den lokalen Gefäß- 
veränderungen um richtige Reflexe, und ich zweifle keinen Augen- 
blick, daß es bei den Bewegungen des Darmes des Ureters u. s. w., 
kurz allen den Organen, in denen Engelmann und mit ihm viele andre 
eine muskuläre Leitung annehmen, grade so ist. Von den Erschei- 
nungen, welche man bei Medusen zu beobachten imstande ist, unter- 
scheiden sich diese Bewegungen nur dadurch, daß sie außer durch 
die Vorgänge im Nervennetz selber auch durch solehe bestimmt werden, 
welche im Zentralnervensystem ablaufen (das die Medusen nicht be- 
sitzen) und dem Nervennetz durch lange Bahnen (riehtige Achsen- 
zylinder, Fig. 27) übermittelt werden. Es liegen bei diesen Organen, 
wie mir scheint, Verhältnisse vor, wie sie uns bei den niederen 
Würmern und den Mollusken noch im Gebiet der gesamten Körper- 
muskulatur in außerordentlicher Klarheit entgegentreten: die Muskulatur 
ist hier wie bei den Gefäßen, dem Darm u. s. w. durch ein einge- 
lagertes und mehr oder weniger modifiziertes Nervennetz in einem 
gewissen Grade nervös selbständig, kann aber vom Zentralnervensystem 
aus beeinflußt werden. Auf diese Erscheinungen will ich im folgen- 
den wegen ihrer hohen theoretischen Wichtigkeit genauer eingehen: 

Von niederen Würmern sind hauptsächlich Planarien untersucht 
worden. Wie oben beschrieben, besteht das eigentliche zentrale Nerven- 
system dieser Tiere in zwei Ganglien, welche am vorderen Ende des 


112  Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


Körpers gelegen sind und als Gehirn bezeichnet werden. Von hier 
aus gehen aber Nervenfasern durch den ganzen Körper, welche von 
vielen Ganglienzellen durchsetzt sind und an der Peripherie höchst 
wahrscheinlich in ein wirkliches Nervennetz übergehen. Zwischen 
Süßwasserplanarien und Seewasserplanarien zeigen sich nun nach 
Loeb (1899) bei Zerteilung der Tiere in eine Hälfte, welehe das Gehirn 
enthält, und eine gehirnlose Hälfte wesentliche Unterschiede. Durch- 
schneidet man eine Planaria torva (Süßwasserplanarie), während sie 
am Boden dahinkriecht, mit einem Messer in eine vordere und eine 
hintere Hälfte, so kriecht jede Hälfte für sich ruhig weiter. Bei Thy- 
sanozoon (Seewasserplanarie) kriecht dagegen nur der hirntragende Teil 
weiter, während der hintere Teil, auch wenn er viel größer als der 
vordere ist, keine Progressivbewegungen mehr ausführt. 

Der Unterschied ist allerdings sehr groß, aber nach meinen Be- 
funden nur quantitativer Natur. Auch bei Thysanozoon fand ich noch 
spontane, aber sehr langsame und schwache Progressivbewegungen am 
Hintertier, besonders dann, wenn man nur einen Randstreifen be- 
obachtet. Ein solcher rollt sich, wie schon Loeb angibt, spiralig mit der 
Schnittseite nach innen ein und zeigt in den nächsten Tagen nach der 
Operation kleine Wellenbewegungen, welche von einem Ende zum 
andern verlaufen und ganz denen gleichen, durch die die normale Kriech- 
bewegung bewerkstelligt wird. Sind sie nicht zu schwach, so bewegt 
sich der spiralige Tierstreifen ununterbrochen im Kreise herum. Bei Be- 
rührung mit einem Stäbehen hören die Wellen gewöhnlich auf und der 
Streifen zieht sich je nach Stärke des Reizes nur an der Berührungsstelle 
oder in seiner ganzen Ausdehnung zusammen. — Die unversehrten Tiere 
kriechen immer mit der hellen Bauchseite dem Boden zugewandt; 
dreht man sie auf den Rücken, so drehen sie sich sehnell wieder zur 
Bauchlage zurück. Sie zeigen also, wie Loeb das nennt, einen posi- 
tiven Stereotropismus der Bauchseite. Dieser ist auch noch, wie Loeb 
fand, an dem gehirnlosen Hintertier zu konstatieren. Ich selber habe 
mich davon überzeugen können, daß selbst ganz kleine Stücke aus 
dem Körperrand, welche kaum den fünfzigsten Teil der ganzen Fläche 
ausmachen, diese Umdrehung noch ausführen, allerdings in längerer 
Zeit als das ganze Tier oder hirnenthaltende Vorderteile.. Wenn Loeb 
an diesen Versuch die Bemerkung schließt: „Wir sehen hier wieder, 
daß das Nervensystem nur der rascheren Reaktion dient“, so befindet 
er sich, wie bei allen derartigen Bemerkungen, die von einer Aus- 
schaltung des „Nervensystems“ sprechen, in einem großen Irrtum. Es 
ist eben nur das zentralisierte Nervensystem, das System der langen 
Bahnen, das zwischen die einzelnen Partien des peripheren Nerven- 
netzes eingeschaltet ist, fortgenommen und das periphere Nervennetz, 
(das operativ überhaupt nicht fortgenommen werden kann, funktioniert 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 113 


ruhig weiter, grade wie etwa beim herausgeschnittenen Darm eines 
Wirbeltiers. — Ungleich besser als an den Planarien lassen sich aber 
diese Erscheinungen an Mollusken studieren, weil ihre Größe operative 
Eingriffe besser ermöglicht. 


Versuche an Mollusken. 

Als geeignetstes Objekt erwies sich mir zu diesen Versuchen der 
große marine Opistobranchier Aplysia (deutsch: Seehase), eine Nackt- 
schnecke, die eine Länge von 30 cm und ein Gewicht von 1 kg 
erreicht. Das zentrale Nervensystem und der Verlauf der peripheren 
Nerven dieses Tieres sind in Figur 47 abgebildet. Um den Schlund her- 
um liegen drei große Ganglienmassen, von denen die beiden unteren 
aus je zwei Ganglien, dem Pedalganglion und dem Pleuralganglion 
(vorderen Visceralganglion) bestehen. Das obere Ganglion ist das 
Cerebralganglion. Untereinander stehen sie durch Kommissuren in 
Verbindung; vom vorderen Visceralganglion jeder. Seite geht außer- 
dem eine Kommissur zum hinteren Visceralganglion, das am hinteren 
Körperende in der Nähe der Kiemen gelegen ist. Auf dem musku- 
lösen Kropf liegen außerdem noch zwei kleine Ganglien, die Buccal- 
sanglien. Die Buccalganglien versorgen die Muskulatur der Bucea, 
die hinteren Visceralganglien Kiemen, Herz und Atemsipho. Die 
andern Ganglien versorgen die Bewegungsmuskulatur und gehen, wie 
schon oben gesagt, an der Peripherie zum Teil in Rezeptionszellen, 
zum Teil in ein Nervennetz über, das mit der Muskulatur in Ver- 
bindung steht (S. 82). 

Durch Injektion von Pelletierinsulfat (Schoenlein), das man gut 
dosieren muß, kann man eine vollständige Erschlaffung der Muskulatur 
hervorrufen, welche alle Operationen wesentlich erleichtert. Sie geht 
bei guter Dosierung nach einer halben bis einer ganzen Stunde vor- 
über. (Ich ziehe Pelletierin dem von Jordan empfohlenen Cocain 
vor.) Bei den Operationen ist nur zu beachten, daß man durch 
Aufsackung vor der Eröffnung der Leibeshöhle das Ausfließen von 
Blut verhindert. Immobilisierung durch Vergiftung und Aufsackung 
ist übrigens nur nötig, wenn man die Tiere längere Zeit am Leben 
erhalten will. Grade für die hier zu beschreibenden Versuche ist die 
Vergiftung unzweekmäßig, weil nach Herausnahme des Zentralnerven- 
systems bald eine starke Tonussteigerung eintritt, welche die Be- 
obachtung erschwert. (Ich komme auf dieselbe später zurück.) Wenn 
die Entgiftung eintritt, so bildet sich die Tonussteigerung zu schnell 
aus, um genügend Zeit zur Beobachtung zu haben. Ich habe da- 
her die Tiere entweder ohne Rücksicht auf den Blutaustritt ganz auf- 
geschnitten oder mit einem Bindfaden den vorderen Körperteil, der 
den Schlundring enthält, abgebunden und aus diesem nach Eröffnung 


Bethe, Nervensystem. S 


114  Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


die Ganglien herausgenommen. In noch andern Fällen habe ich nur 
einzelne Körperteile, hauptsächlich die Flügel (Mantellappen), abge- 
bunden und die Hauptkörperhöhle zur Herausnahme der Ganglien und 
zur Reizung der Nerven eröffnet. Gut angelegte Ligaturen verhindern 


Fig. 47. Präparation des Nervensystems von Aplysia. Das Tier ist vom Rücken aus aufgeschnitten. 
Oben der Kopf mit seinen lappigen Anhängen und den Tentakeln. Das Nervensystem ist schwarz 
gezeichnet. S.r. der Schlundring (dorsal das Cerebralganglion; ventral beinahe zu einer Masse ver- 
einigt das Pleural- und Pedalganglion [paarig]).. Nach vorne auf der Bucca (BD) die kleinen Buccal- 
ganglien. Durch lange Kommissuren mit den Pedalganglien verbunden die Visceralganglien V. — 
Oes. der Oesophagus. Der Darmtraktus ist schematisch gehalten, Kiemen, Kiemendeckel und Herz, 
welche die Visceralganglien verdecken würden,. sind entfernt. (°/,; natürlicher Größe; die Ganglien 
sind verhältnismäßig etwas zu groß gezeichnet.) 


den Blutaustritt aus den abgeschnürten Teilen, ohne die Reizleitung 
zu unterbreehen. Die Resultate sind bei allen Verfahrungsarten gleich, 
nur gelingen die Versuche bei erhaltener Blutfülle durch längere Zeit 
hindurch, weil, wie Jordan (1901) nachwies, ein Vorrat von Flüssigkeit 
notwendig ist, damit die Muskulatur wieder erschlaffen kann. Es 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 115 


pressen nämlich die Muskeln bei der Kontraktion einen großen Teil 
ihres Wassers in das umgebende Gewebe (siehe Kapitel 20). 

Die normalen Tiere sitzen sehr häufig ganz ruhig im Bassin am 
Boden oder an der Wand. Bei genauerem Hinsehen gewahrt man 
aber fast immer ein leichtes peristaltisches Spiel der Körperoberfläche, 
besonders an den Seitenrändern des Fußes; außerdem macht der 
Sipho in gleichmäßigen Abständen langsame Kontraktionen. Die 
Kopflappen und Fühler sind meist vorgestreckt. Berührt man leise 
einen dieser Teile, so wird er ziemlich schnell zurückgezogen, ebenso 
zieht sich eine berührte Körperstelle unter das Niveau der Umgebung 
trichterförmig zurück. Ist der Reiz stärker, so dehnt sich der Effekt 
auf immer größere Partien des Körpers diffus aus. Es kann dabei 
schließlich zu einer vollkommen seitlichen Verkrümmung des Tieres 
kommen. Statt dieser diffusen Reaktion treten häufig andre auf, bei 
denen von der Reizstelle weit entfernte Teile ohne wesentliche Re- 
aktion der dazwischen liegenden in Bewegung geraten. So z. B. 
schnelles Einziehen der Fühler bei Körperreiz oder Schwimmbewegungen 
bei Kitzeln des Fußes. — Die Lokomotion der Tiere besteht in Schwim- 
men und Kriechen. Ersteres wird durch die Mantellappen besorgt, 
welche sich weit ausbreiten und langsame, gut koordinierte, schwin- 
gende Bewegungen ausführen, bei denen die Lappen eine spiralige 
Form annehmen. Beim Aufwärtsbewegen ist die Spirale im entgegen- 
gesetzten Sinn gerollt als bei der Abwärtsbewegung. Wie Jordan 
richtig angibt, beruht diese Erscheinung darauf, daß die Muskeln der 
Flügel sich nacheinander kontrahieren. Das Kriechen wird durch 
wellenförmige Kontraktionen der Sohle des Fußes bewerkstelligt. Die 
Wellen laufen von vorn nach hinten ab (Jordan). 

Hat man einem Tier nach einem der oben angegebenen Verfahren 
das gesamte Zentralnervensystem (Cerebralganglien, Pedalganglien, 
hintere und vordere Visceralganglien und Buccalganglien) heraus- 
genommen, so ist das Tier durchaus nicht gelähmt (wie es Jordan 
für die betreffenden Partien nach Herausnahme der Pedalganglien an- 
gibt), vielmehr zeigen sich sofort recht heftige peristaltische Bewe- 
gungen der gesamten Körperoberfläche. Wie schon bemerkt, fehlen 
dieselben auch am normalen, ruhig dasitzenden Tier fast nie; hier 
zeigen sie sich auf einmal wesentlich verstärkt. Objektiv ist 
der Vorgang also ganz ähnlich dem von Goltz (1572) beobachteten 
Phänomen, daß die peristaltischen Bewegungen des Ösophagus und 
Magens des Frosches nach Ausbohrung des Rückenmarks zunehmen ; 
nur handelt es sich bei Aplysia um Bewegungen innerhalb der Loko- 
motionsmuskulatur. Am stärksten und regelmäßigsten sind diese peri- 
staltischen Bewegungen am Fuß, besonders an den Seitenflächen, wo 


die Wellenbewegungen wie normal von vorn nach hinten ablaufen, 
SH 


116  Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


allerdings nicht mit der Regelmäßigkeit wie beim unversehrten Tier, 
wenn es kriecht. In den Flügeln sieht man meistenteils nur unge- 
ordnete peristaltische Bewegungen, welche hauptsächlich von den kurzen 
Muskeln ausgehen mögen; in einigen Fällen habe ich aber hier Be- 
wegungen (nach Herausnahme der Zentralganglien!!) gesehen, die den 
Schwimmbewegungen des normalen Tiers sehr ähnlich waren. Beide 
Flügel dehnten sich aus und zogen sich unter Spiral- 
bildung wieder zusammen. Dies Spiel trat in gleichmäßigen 
Intervallen fünf- bis zwölfmal hintereinander ein, um dann nicht wieder- 
zukehren. Eine Koordination beider Seiten konnte dabei nicht fest- 
gestellt werden, jede schlug für sich, aber innerhalb jedes Flügels 
war eine gewisse Koordination zu erkennen. — Nach einiger Zeit werden 
die peristaltischen Bewegungen schwächer, sind aber auch nach ein- 
getretenem starkem Gesamttonus noch tagelang sichtbar (wenn nur 
Schlundring und Buccalganglien herausgenommen waren und zu- 
genäht wurde). (Nimmt man auch die hinteren Visceralganglien her- 
aus, so sterben die Tiere bald, weil sie nur ungenügend atmen 
können.) 

Die Fühler und Mundlappen sind gewöhnlich ausgestreckt. Be- 
rührt man sie, so ziehen sie sich je nach Stärke des Reizes mehr oder 
weniger zurück. Ist der Reiz stark, so greift er auf die Körper- 
muskulatur über; eine vollkommene Zusammenballung des ganzen 
Tieres kann man allerdings nie erreichen, doch tritt dieselbe auch 
beim normalen Tier auf lokalisierte Reize nur selten ein. Das Gleiche 
ist auch an andern Körperstellen zu beobachten: je stärker der 
Reiz, desto weiter greift der Effekt um sich (auchnoch 
viele Tage nach der Operation zu beobachten). Häufig zieht sich auch 
nur die gereizte Stelle ein, während in der Umgebung heftige peri- 
staltische Bewegungen eintreten; besonders bei faradischer Reizung 
beobachtet man nicht selten, daß nach dem Aufhören des Reizes der 
Erregungsmittelpunkt (siehe Uexküll 1900) nach hinten wandert. Alle 
diese Bewegungen treten bei geringeren Reizen ein als beim normalen 
Tier und zeichnen sich durch größere Lebhaftigkeit und längere 
Dauer aus. 

Daß die Nervennetze unter dem Einfluß des zentralisierten Nerven- 
systems stehen, geht schon daraus hervor, daß die Peristaltik nach 
Herausnahme desselben oder nach Durchschneidung der Nervenstämme 
zunimmt. Dieser Zusammenhang mit den Ganglienknoten läßt sich 
aber auf andre Weise noch viel besser demonstrieren: Bereits Jordan 
(1901) hat nach Freilegung des Zentralnervensystems die durehschnit- 
tenen Nerven gereizt, aber nur andauernde Kontraktionen erhalten. 
Offenbar hat er gleich zu starke Ströme angewendet und zu kurze 
Zeit beobachtet. Die Sache liegt nämlich ziemlich kompliziert: Nur 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 117 


bei sehr starker faradischer Reizung sieht man einigermaßen andauernde 
und dann sehr ausgedehnte Kontraktion eintreten; bei allen sub- 
maximalen Reizungen wechselt während der Reizung Kontraktion und 
Erschlaffung miteinander ab (und der Effekt bleibt auf ein kleineres 
Gebiet beschränkt). Besonders an den Flügeln ist dies gut zu 
beobachten, und hier kommt es bisweilen zu richtigen rhythmischen 
Kontraktionen; an der übrigen Körperoberfläche sieht man in der 
Hauptsache unregelmäßige Kontraktionen, welche mit Erschlaffungen 
abwechseln, oder sehr heftige peristaltische Bewegungen. Dasselbe 
tritt auch bei Reizung mit dem konstanten Strom während der Durch- 
strömung ein. Ich komme später auf diese Dinge noch zurück. Was 
mir hier die Hauptsache ist: Bei Reizung eines peripheren 
Nerven bleibt der Effekt nicht auf die direkt inner- 
vierte Muskulatur beschränkt, sondern er dehnt sich je 
nach Stärke des Reizes auf weitere Teile und schließ- 
lich auf die ganze Muskulatur aus, trotzdem das gesamte 
zentrale Nervensystem herausgenommen ist. Es hängt 
also jeder Nerv durch’ das’Nervwennetzindirekt. mit'der 
sesamten Muskulatur zusammen; die Nerven sind nur 
BmsezBahnen, welche zwischen einzelnen Teilenzdes 
Nervennetzes kürzere Verbindungen herstellen. 

Ich beschreibe hier, um die Sache zu veranschaulichen, einen 
typischen Versuch: Eine große Aplysia wird vom Rücken her auf- 
geschnitten und die Körperhöhle mittels einiger Nadeln gut offen ge- 
halten. Alle peripheren Nervenstämme werden dieht an den Ganglien 
durehschnitten, soweit wie möglich frei präpariert und die Ganglien 
herausgenommen. In jeden Flügel gehen vier Nerven (die Zahl der- 
selben variiert zwischen zwei und vier). Von diesen wird der vorderste 
(der linken Seite) mit dem zentralen Ende auf Platinelektroden gelegt. 
Diese stehen mit einem kleinen Schlitteninduktorium in Verbindung, 
das mit einem Chromsäureelement getrieben wird. Die frei in der 
Luft schwebende Strecke des Nerven mißt 3 em. Der Tonus ist ge- 
ring, aber die ganze Körperoberfläche ist in ziemlich lebhafter peri- 
staltischer Bewegung. Ich suche jetzt die Rollenstellung auf, bei der 
eben ein Effekt sichtbar wird (18 em Rollenabstand). Beim Ein- 
brechen der Ströme kontrahiert sich nur der vordere Rand des 
Flügels und dehnt sich bald, trotz Fortsetzung der Reizung, wieder 
aus. Nach kurzer Ruhepause (Aussetzen des Reizes) hat eine er- 
neute Reizung den gleichen Effekt. Bei Reiz mit 17 em kollen- 
abstand kontrahieren sich außer den vorderen Partien des Flügels 
auch die mittleren Teile beim Beginn der Faradisation. Nach einigen 
Sekunden tritt Erschlaffung ein, welche aber nicht andauert. Es tritt 
eine zweite Kontraktion ein, eine neue Erschlaffung und noch eine 


118  Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


dritte schwächere Kontraktion, nach der dauernde Ruhe folgt. Bei 
16 em Rollenabstand kontrahiert sich schon der ganze Flügel und 
zwar vorme zuerst. Der rhythmische Wechsel von Kontraktion und 
Erschlaffung ist deutlich ausgeprägt. Im ganzen wurden 11 Be- 
wegungen gezählt. Die letzten beiden waren schwach und es folgte 
auf sie Ruhe, trotzdem der Reiz andauerte. Nach einer Reizpause 
von einigen Minuten konnten nochmal fünf rhythmische Kontraktionen 
ausgelöst werden. Bei 14 em geriet der Flügel in einen dauernden 
Kontraktionszustand, in welchem aber hin und wieder ein kleiner 
Nachlaß zu beobachten war, zugleich gerieten aber die angrenzenden 
Partien des Fußes in sehr verstärkte wurmförmige Bewegungen. 
Schließlich bei 12—13 em Rollenabstand war die Kontraktion des 
linken Flügels stark und andauernd. Der ganze Körper war in 
lebhaftester peristaltischer Bewegung und der rechte 
Flügel, der bis dahin ruhig geblieben war, machte eine 
lange Serie schöner rhythmischer Bewegungen! 

Es wurde dann der dritte der Flügelnerven aufgelegt. Bei 
schwacher Anfangsreizung kontrahierte sich nur die hintere Partie 
des Flügels. Bei zunehmender Reizstärke griff dann der Effekt auf die 
vorderen Teile des Flügels und schießlich wieder auf das ganze Tier 
über. Der rechte Flügel zeigte dabei nur Kontraktion ohne wesent- 
lichen rhythmischen Nachlaß. Die Neigung zu dauernderen Kontrak- 
tionen wird überhaupt mit der Dauer des Versuches immer größer. 
— Nur die Kontraktionen der mit den Nerven in näherer Verbindung 
stehenden Muskeln erfolgen bei Beginn der Reizung. Von den zu- 
nächst reagierenden Partien aus sieht man die Reaktion sich nach 
allen Seiten verbreiten, so daß sich z. B. der andre Flügel etwa 
1'/, Sekunden später zu bewegen anfängt als der gereizte. Hieraus 
echt bereits hervor, daß es sich nicht um eine Wirkung von Strom- 
schleifen handeln kann; ich habe mich aber auch durch Kontrollversuche 
überzeugt, daß Stromschleifen ausgeschlossen sind (Ausbleiben der 
Reaktion nach Abbinden des Nerven unterhalb der Reizstelle u. s. w.). 

Die gleiche Ausbreitung des Reizeffektes von der anfänglich 
allein reagierenden Muskelgruppe auf das ganze Tier kann man 
natürlich auch an andern Nerven konstatieren. Nach den Flügel- 
nerven sind hierzu besonders die Nerven des Fußes geeignet, weil 
sie auch auf längere Streeken (5—6 em) hochgehoben werden können, 
allerdings nicht so leicht wie jene. 

Sehr interessante Resultate ergibt auch die Untersuchung einiger 
Land-Nacktschnecken. Herr Seminarlehrer Kunkel hat mich hierauf 
aufmerksam gemacht und mir einige schöne Versuche an denselben 
gezeigt. Er selbst wird binnen kurzem über dieselben berichten, hat 
mir aber auf meine Bitte gestattet, schon vorher dieselben hier zu er- 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 119 


wähnen. Ich verdanke diesem Herrn auch einige Exemplare, an denen 
ich seine Befunde nachprüfen und erweitern konnte. Bei den Pulmo- 
naten liegen alle Ganglien dicht zusammen im Kopf. Die Lokomotion 
dieser Tiere wird, wie Simroth (1878 und 1879) genauer untersuchte, 
durch einen Streifen in der Mitte der Sohle besorgt, welcher wellen- 
förmige Bewegungen von hinten nach vorn ausführt. Schneidet man 
nun einem solehen Tier (Limax cinereus oder variegatus) den Kopf 
ab, so zeigen sich die Wellen in unveränderter Regel- 
mäßigkeit! (Kunkel. Während bei Aplysia die Wellen immerhin 
eine starke Einbuße der Regelmäßigkeit erleiden, ist hier auch nicht 
die geringste Störung in ihrer Koordination zu bemerken. Sie sind 
auch stark genug, um noch eine Fortbewegung des Hintertiers zu 
ermöglichen. (Übrigens hat bereits Simroth hauptsächlich aus ana- 
tomischen Befunden den Schluß gezogen, daß das Pedalganglion die 
Lokomotionsbewegungen nur anrege.) — Schneidet man den lang- 
sestreckten Körper auf und reizt einen der langen Fußnerven mit 
Wechselströmen, so nehmen die Wellen an Heftigkeit noch zu. Prä- 
pariere ich einen solchen Nerven bis in die Nähe der Schwanzspitze, 
halte ihn hoch und reize das zentralste Ende (die Ganglien sind ent- 
fernt), so erhalte ich denselben Effekt wie bei Aplysia: bei schwachem 
Reiz treten nur Bewegungen in der Schwanzspitze ein, wird der Strom 
verstärkt, so dehnen sie sich immer weiter nach vorne aus. Auch hier 
kann man wieder konstatieren, daß es sich nicht um einfache tetanische 
Kontraktion handelt, wie etwa bei der Reizung eines Froschnerven, 
sondern um einen Wechsel von Kontraktion und Erschlaffung. So 
macht z. B. der Hinterkörper während der Reizung langsam pendelnde 
3ewegungen. Die Demonstration der Reizausbreitung auf immer größere 
Strecken des Tieres bei Reizung eines einzelnen Nerven gelingt auch 
sehr gut bei den größeren Land-Nacktschnecken, z. B. bei Arion, 
während sie das Fortbestehen von Lokomotionswellen noch weniger 
gut zeigen wie Aplysia. Es mag dies daher kommen, daß die Tonus- 
steigerung nach Entfernung der Ganglien ganz besonders stark ist, 
die Lokomotionswellen aber zum guten Ablauf eines geringen Tonus 
der Muskulatur bedürfen. (Das normale Tier kriecht nur, wenn der 
Körper schlaff ist; im Kontraktionszustand laufen keine Wellen über 
die Sohle.) 

An Arion läßt sich auch sehr schön zeigen, daß die langen 
Bahnen, welche durch das Zentralnervensystem gehen, 
die Reize schneller und leichter auf weite Strecken 
vermitteln, als es durch das Nervennetz möglich ist. 
Ich richte mir zwei Tiere her: bei dem einen ist das ganze Zentral- 
nervensystem herausgenommen (auch die Nerven, soweit das möglich 
ist); das andre ist in der Mitte so durehschnitten, daß das Hintertier 


120  Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


und Vordertier nur noch durch die beiden langen Nerven des Fußes 
miteinander in Verbindung stehen. Reizt man die Tiere mit faradischen 
Strömen am Schwanzende, so entsteht hier eine Kontraktion und ver- 
stärkte peristaltische Bewegung, welche sich nach vorne zu ausbreitet. 
Bei dem Tier, dessen lange Bahnen erhalten sind, genügen nun viel 
schwächere Ströme, um den Reiz bis zum Kopf gelangen zu lassen, 
und es vergehen vom Moment des Reizanfanges bis zur Kontraktion 
des Vorderendes nur etwa 0,5—0,75". Bei dem Tier ohne Zentral- 
nervensystem muß man stärkere Ströme anwenden, um den Effekt 
bis zum Vorderende ausgedehnt zu sehen; der Typus der Ausbreitung 
ist ein andrer, viel diffuserer, und es vergehen vom Moment des Reizes 
bis zur Ankunft der Kontraktionswelle am Vorderende 2—3'', also 
etwa die vierfache Zeit. (Natürlich wurden gleichlange Schnecken 
zum Vergleich ausgewählt. Die Länge der benutzten Tiere in ge- 
streektem Zustand betrug etwa 9—10 cm. Beim normalen Tier geht 
die Leitung übrigens noch schneller als bei dem mit durchschnittenem 
Körper. Man würde schon graphische Methoden zu Hilfe nehmen 
müssen, um die Zeit zu bestimmen.) 

Wir sehen also bei den Mollusken genau das, was man aus den 
anatomischen Befunden, die im Schema Figur 44 zusammengestellt 
sind, von vornherein annehmen mußte: die Muskulatur des ganzen 
Körpers steht durch ein diffuses Nervennetz in Verbindung und kann 
in ihrer Totalität von jedem Punkt der Oberfläche erregt werden, 
auch dann, wenn das Zentralnervensystem fehlt. Das Zentralnerven- 
system stellt nur innigere Verbindungen zwischen einzelnen, weit von- 
einander entfernten Punkten des Nervennetzes her; es ist nur lange 
Bahn! 

Auch für die Existenz zweier Nervennetze unter der Haut der 
Mollusken läßt sich vielleicht eine physiologische Parallele anführen: 
das tiefere steht hauptsächlich mit der Muskulatur in Verbindung, das 
oberflächlichere tritt in Beziehungen zu den Drüsen der Haut, zeigt 
aber mit dem zentralen Nervensystem nur indirekte Verbindungen. 
Bekanntlich sondern nun alle Schnecken sehr leicht einen zähen Schleim 
ab. Dies ist besonders bei Limax sehr ausgesprochen: Berührt man 
eine Körperstelle, so tritt gleich der dieke gelbliche Schleim hervor. 
Ist der Reiz stärker, so bedeckt sich auch die weitere Umgebung mit 
Schleim. Um eine direkte Erregung der ferneren Schleimdrüsen durch 
den Reiz selbst kann es sich unmöglich handeln, denn dazu ist die 
Entfernung zu groß; auch kann der Reiz nicht direkt von Drüse zu 
Drüse fortgepflanzt sein, da die Zwischenräume oft recht beträchtlich 
sind; die Übertragung muß also durch ein reizleitendes Gewebe be- 
sorgt werden. Nach Fortnahme des Zentralnervensystems besteht die 
Erscheinung ruhig fort, vorausgesetzt, daß sich die Drüsen bei der 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 121 


Operation nicht vollständig erschöpft haben; die Reizleitung wird also 
durch das Nervennetz gehen. Nun ist durch Reizung der Nerven- 
stämme nur sehr schwer Sekretion der Hautdrüsen zu erzielen; erst 
bei Reizstärken, bei denen schon die Muskulatur des ganzen Körpers 
in Bewegung ist, tritt sie ein. An einer Verschiedenheit in der An- 
sprechbarkeit von Muskeln und Drüsen kann dies nicht liegen, weil 
bei Hautreiz die Drüsen eher leichter zur Sekretion gebracht werden, 
als die Muskeln zur Kontraktion (vor wie nach Herausnahme der 
Ganglien). Mir scheint daher die Erklärung aus der anatomischen Ver- 
bindungsweise die plausibelste zu sein, daß nämlich die Verbindung des 
inneren Nervennetzes, das die Muskulatur versorgt, mit dem Zentral- 
nervensystem inniger ist, als die zwischen dem Zentralnervensystem 
und dem äußeren mit den Drüsen in Verbindung stehenden Nervennetz. 


Was hier bei den Mollusken im Bereich der gesamten Muskulatur 
vor sich geht, finden wir bei den Wirbeltieren nur noch in den Or- 
ganen, welche in ihrem Bewegungsmodus den Mollusken gleichen, am 
eklatantesten in den Verdauungsorganen. Ich will mich hier auf diese 
beschränken und nur über die Versuche berichten, welche Goltz (1872) 
am Magen und Ösophagus vom Frosch anstellte, Versuche, die ja den 
meisten Physiologen aus eigner Erfahrung bekannt sein werden: Goltz 
hängte curarisierte Frösche an der Schnauze auf, nachdem vorher 
Ösophagus und Magen freigelegt waren. Vom Maul aus wurde nun 
Kochsalzlösung in den Schlund eingefüllt, wobei sich Ösophagus und 
Magen stark erweitern und füllen. Entweder sind sie dann ganz glatt 
oder es laufen nur schwache peristaltische Wellen darüber hin. Wird 
jetzt die Medulla und das Rückenmark ausgebohrt, oder werden beide 
Vagi durchschnitten, so treten lebhafte wurmförmige Bewegungen an 
Speiseröhre und Magen auf, es kommt zu allgemeiner Kontraktion, 
bei welcher der größte Teil des Wassers durch das Maul ausfließt. 
Erst beim Absterben tritt wieder Ruhe und Erschlaffung ein. Reizt 
man Ösophagus oder Magen nach der Zerstörung des Zentralnerven- 
systems, so werden die peristaltischen (und antiperistaltischen) Be- 
wegungen noch wesentlich verstärkt und bleiben es für lange Zeit. 
Reizung beim Tier mit unverletztem Zentralnervensystem ruft eben- 
falls peristaltische Bewegungen hervor, sie sind aber schwächer, von 
kürzerer Dauer und bedürfen zu ihrer Auslösung stärkerer Reize. Es 
ist also hier grade wie bei den Mollusken nach Ausschaltung des 
Zentralnervensystems die Erregbarkeit wesentlich erhöht; hier pflanzt 
sich wie dort der Reiz von jeder Stelle nach jeder andern hin fort. 
Wird beim aufgehängten Tier ein Vagus gereizt, so treten die leb- 
haftesten peristaltischen Bewegungen ein; aber niemals, wie im Gebiet 


122  Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


der Skelettmuskeln, eine dauernde Kontraktion. Sind vor der Reizung 
beide Vagi durchschnitten, so werden die bereits bestehenden Be- 
wegungen verstärkt; auch bei schwächster Reizung ist eine be- 
ruhigende Wirkung nicht zu konstatieren. So wie die Bewegungen 
vom Darmsystem direkt ausgelöst werden können, so können sie auch 
indirekt durch das Zentralnervensystem vermittelt werden: der Dünn- 
darm eines Tieres mit unverletztem Zentralnervensystem wird abge- 
bunden, durchsehnitten und sein peripheres Ende gereizt. Sofort treten 
heftige Bewegungen im Ösophagus und Magen auf. (Es entspricht 
dieser Versuch dem bei Arion gemachten, wo Vordertier und Hinter- 
tier nur noch durch zwei Nervenstämme miteinander in Verbindung 
stehen.) In gleicher Weise können Bewegungen von andern Stellen 
des Nervensystems ausgelöst werden, so bei Tetanisation des Ischia- 
dieus, beim Eintauchen der Beine in Schwefelsäure u. s. w. Aus alle- 
dem zog Goltz den Schluß, daß der Verdauungstractus sein 
eigenes diffuses Reflexnervensystem ia sich berge, 
welches zwar durch das Zentralnervensystem beein- 
flußt würde, aber nicht im anregenden, sondern im be- 
ruhigenden Sinn. (Unser Schema für die Mollusken [Fig. 44] 
könnte die nötigen anatomischen Bedingungen erfüllen, wenn das 
Zentralnervensystem aus dem Inneren heraus verlegt und die musku- 
läre Körperwand als Darmwand aufgefaßt würde.) Ich komme später 
auf diese Dinge noch einmal zurück. ') 


Bei den segmentierten Würmern, den Arthropoden und den Wirbel- 
tieren, finden wir, wie oben gezeigt, Nervennetze nur im Bereich be- 
stimmter Organe; das Gebiet der gesamten Lokomotionsmuskulatur 
steht hier lediglich mit dem zentralisierten Nervensystem in Verbindung 
(Fig. 41—43), Hiermit steht die physiologische Erfahrung in bestem 


1) Die Ansicht, daß es sich im Darmsystem um muskuläre Erregungsleitung 
handelt, halte ich kaum noch für diskutierbar. Sie konnte nach meiner Meinung 
nur so lange Anhänger finden, als der enorme Nervenreichtum dieser Organe 
und die Analogien mit den niederen Tieren, bei denen von muskulärer Erregungs- 
übertragung gar nicht die Rede sein kann, nicht bekannt waren. Außer den 
Auerbachschen Plexus und den Gefäßnervennetzen finden sich im Darm richtige 
Nervennetze, welche schon öfter andeutungsweise gesehen sind. Sie scheinen 
mir einen Übergang zwischen den riehtigen, breitanastomosigen Nervennetzen 
und den plasmatisch isolierten Neuronen zu bilden. Es kommt hier zur Bildung 
einer richtigen Nervenfaser an jeder Zelle. Von dieser unterscheiden sich die 
andern Fortsätze wesentlich; sie gleichen mehr Protoplasmafortsätzen zentraler 
Zellen, endigen aber in ihrem plasmatischen Teil nicht blind, sondern verbinden 
sich nach mehrfachen Teilungen wenigstens zum Teil direkt mit denen andrer, 
gleichartiger Zellen. Doch sind meine Untersuchungen hierüber noch zu spärlich, um 


Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u.s.w. 123 


Einklang, daß bei diesen Tieren eine ausgedehnte Zerstörung des zen- 
tralen Nervensystems vollkommene Reflexlosigkeit nach sich zieht. 
Das Zentralnervensystem ist eben hier im Gegensatz zu den 
Mollusken der einzige Ort, wo rezeptorische und effektorische 
Bahnen physiologisch und wohl auch morphologisch miteinander in 
Verbindung stehen. Was hier vom ganzen Zentralnervensystem gilt, 
das gilt auch von jedem einzelnen Teil desselben und von jeder langen 
Balın und jedem Nerven: die Zerstörung eines motorischen Kerns ruft 
bei einem Wirbeltier dauernde reflektorische Lähmung in den zu- 
gehörigen Muskeln hervor, ebenso die Durehschneidung des motori- 
schen Nerven. Durchschneidung eines rezeptorischen Nerven macht 
das innervierte Gebiet der Haut unfähig, Reflexe zu vermitteln; man 
mag reizen so sehr man will, es tritt keine Reaktion ein. Ebenso ist 
es mit der Durchtrennung langer zentraler Bahnen. Hat man das 
Rückenmark eines Wirbeltiers oder die Kommissuren zwischen zwei 
Ganglien bei einem Blutegel oder einem Krebs durchschnitten, so hat 
man das Tier in zwei getrennte Reflexwesen geteilt. Trotzdem alles 
übrige zusammenhängt, reagiert auf Reiz vorne nur das Vordertier, 
auf Reiz hinten nur das Hintertier. Wie so ganz anders als bei den 
Mollusken und niederen Würmern! Durchschneidung eines peripheren 
Nerven ruft bei diesen weder motorische noch rezeptorische Lähmung 
im innervierten Gebiet hervor; es zeigt sich nur eine geringe, manch- 
mal gar nicht nachweisbare Beeinträchtigung. Ist die zentrale Ver- 
bindung zwischen Vorder- und Hintertier ganz unterbrochen, sind z. B. 
die Kommissuren zwischen dem ÜCerebralganglion und den Pedal- 
ganglien bei einer Aplysia durchschnitten, so zeigen sich zwar deut- 
liche Störungen, aber von einer totalen Leitungsunterbreehung ist nicht 
die Rede, wie ja schon aus allem vorher Gesagten entnommen werden 
kann: Reizt man das Hintertier, so reagieren auch die vom Cerebral- 


als abgeschlossen gelten zu können. Auch am Ureter finde ich überall Nerven- 
netze mit eingestreuten Ganglienzellen. Man könnte dieselben zwar dem Blut- 
gefäßsystem zurechnen, jedenfalls kann man sich aber nicht mehr darauf stützen, 
daß im Ureter Nervenelemente fehlten, durch die seine Bewegungen vermittelt 
werden könnten. Sollen hier die peristaltischen Bewegungen, die an andern 
Organen und andern Tieren nervös vermittelt werden, auf einmal rein muskulär 
sein? Mir scheint das unwahrschemlich. Der Ablauf der Wellen nach beiden 
Seiten beweist nach meiner Meinung gar nichts gegen die nervöse Leitung. 
Die Leitung von jeder Stelle zu jeder Stelle ist ja grade das Eigentümliche bei 
den Nervennetzen, wie doch wohl aus den Versuchen an Medusen mit größter 
Sicherheit hervorgeht. Ich habe es übrigens nieht übersehen, daß Engelmann 
(1869 und 1878) nur für den eigentlichen Darm, aber nieht für Ösophagus und 
Magen eine muskuläre Leitung annimmt. Das von ihm als Beweis angegebene 
Fehlen von Nerven und Ganglienzellen am Fliegendarm bedarf jedenfalls der 
Bestätigung mit neueren Methoden, ehe es weiterhin ins Feld geführt werden darf. 


124  Vergleichung des Zusammenhanges der nervösen Elemente u. s. w. 


sanglion aus innervierten Fühler, und beim Reizen der Fühler treten 
Bewegungen in den Flügeln, dem Fuß, kurz in allen vom Pedal- 
sanglion innervierten Teilen auf, allerdings später und bei stärkeren 
Reizen als beim normalen Tier. 

Ob das zentrale Nervensystem durch Tiefenlagerung eines Teils 
des Nervennetzes aus diesem entstanden ist und ob wir in den Mol- 
lusken resp. den niederen Würmern ein Zwischenstadium zwischen 
dem Nervensystem der Coelenteraten und dem der höheren Würmer, 
Arthropoden und Wirbeltieren vor uns haben, oder ob es eine voll- 
kommene Neubildung ist, wird vorläufig nicht mit Sicherheit zu ent- 
scheiden sein. Mir scheint das erstere allerdings das wahrschein- 
lichere. Man dürfte dann annehmen, daß das periphere Nervennetz 
sich mehr und mehr zurückgebildet hat, so daß schließlich alle Ver- 
bindungen zwischen rezeptorischer und effektorischer Bahn (soweit sie 
die Lokomotionsmuskulatur angehen) nur noch durch das zentrale 
Nervensystem hindurchgehen. Apathy (1897) und Ruffini (1900) neigen 
zu der Annahme eines peripheren Nervenfaser- oder Fibrillengitters 
sowohl im Epithel als auch in der Muskulatur. Apathy hat bei 
Hirudineen, Ruffini bei Wirbeltieren einiges für diese Annahme vor- 
gebracht; bewiesen ist jedenfalls noch nichts. Wenn sich die Sache 
aber bestätigen sollte, so würden wir in diesem Gitter ein Rudiment 
des ehemaligen Nervennetzes sehen können, dem physiologisch jeden- 
falls keine große Bedeutung mehr zukäme; das können wir schon 
jetzt mit voller Sicherheit sagen, denn es gelingt bei keinem Wirbel- 
tier, nach Fortnahme der Zentralteile Reflexe der Bewegungsmuskulatur 
zu erzielen oder bei Reizung eines Muskelnerven Bewegungen in andern 
als den innervierten Muskeln zu konstatieren. Es kann also dies ver- 
mutete Gitter nicht mehr die Fähigkeit der Mollusken-Nervennetze be- 
sitzen, eine diffuse Ausbreitung der Reize zu vermitteln. 


ACHTES KAPITEL. 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der 
Neurofibrillen. 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen S. 127—133. — Die primäre Färb- 
barkeit der Neurofibrillen $S. 133—138. — Das Wesen der primären Färbbarkeit 
der Ganglienzellen und der Neurofibrillen S. 138. — Die primäre Färbbarkeit 
beruht auf Anwesenheit besonderer, löslicher Substanzen 8. 139—141. — Die 
primär färbbare Substanz der Fibrillen ist von der der NissIschollen verschieden 
S. 141—142. — Eigenschaften der Fibrillensäure S. 143. — Wie ist die Fibrillen- 
säure-an die Fibrillen gebunden? S. 144. — Scharfer Unterschied zwischen peri- 
pheren Nervenfasern einerseits und den Nervenfasern und Zellen des Zentral- 
nervensystems andrerseits S. 145. — Konkurrenzsubstanzhypothese: Im Zentral- 
nervensystem bildet sich eine Konkurrenzsäure, welche bei Sauerstoffmangel die 
Überhand gewinnt und die Fibrillensäure aus der Verbindung mit den Fibrillen 
herausdrängt. Erstere fehlt in den peripheren Nerven S. 146—148. 


Unter primärer Färbbarkeit verstehe ich die Eigenschaft mancher 
Gewebsbestandteile sich in frischem oder nur durch Wasserentziehung 
verändertem Zustande mit den meisten basischen Farbstoffen zu färben. 
Ich sollte also eigentlich statt „primäre Färbbarkeit“ schlechthin zu 
sagen, von einer „primären Färbbarkeit mit basischen Farbstoffen“ 
sprechen, doch ist dies deswegen unnötig, weil es fast keine Gewebs- 
bestandteile gibt, die sich nieht mit sauren Farben primär färben 
ließen. Wenn man also von einer primären Färbbarkeit als etwas 
Besonderem sprieht, so kann nur eine solche vermittelst basischer 
Farbstoffe gemeint sein. Der primären Färbbarkeit steht die sekun- 
däre Färbbarkeit gegenüber, welche darin besteht, daß das Gewebe 
(oder die betreffenden Gewebsbestandteile) um den Farbstoff an- 
zunehmen in irgend einer Weise chemisch verändert werden muß. 
Diese chemische Veränderung kann gleichzeitig oder getrennt von der 
Darbietung des Farbstoffes geschehen und besteht bei den gebräuch- 
lichen Färbungsmethoden in der Regel in einer Beizung. leh nenne 
hier nur als Beispiel Alaunkarmin, Alaunhämatein, Eisenhämatoxylin, 
die Weigertsche Markscheidenmethode und meine Fibrillenmethode. Die 
chemische Veränderung, welche die neue Färbbarkeit schafft, kann aber 
auch auf andre Weise z. B. durch Jodieren, Nitrieren u. s. w. bewirkt 
werden, Mittel, die bisher wenig oder gar nicht zweekbewußt an- 
gewandt sind, die aber doch, wie mir einige Versuche gezeigt haben, 
zu guten Resultaten führen können, besonders, wenn sie mit gewissen 
Beizungen kombiniert werden. (Bis zu einem gewissen Grade deckt 
sich meine „primäre Färbung“ mit der „substantiven Färbung‘ von 
Rawitz.) 


126 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 


Eine reine primäre Färbung kann natürlich nur dann zustande 
kommen, wenn das Gewebe nicht oder nur soweit verändert ist, als es 
zur Zuführung des Reagens, des basischen Farbstoffes, nötig ist. Am 
besten wird es immer sein, den Farbstoff auf das frische Gewebe 
einwirken zu lassen; in zweiter Linie kommen Strichpräparate mit 
nachfolgender Austrocknung und schließlich als das Mittel, das auch 
Schnitte zuläßt, Alkohol (resp. Äther) in Betracht. Alle Fixierungs- 
mittel, welche Säuren enthalten, können die primär bestehenden Ver- 
hältnisse verändern, indem sie entweder primär bestehende Affinitäten 
zu den basischen Farbstoffen abschwächen resp. aufheben oder even- 
tuell auch neue durch chemische Veränderung gewisser Gewebsbestand- 
teile schaffen. Ebenso ausgeschlossen ist die Fixierung mit Lösungen, 
welche Metallsalze enthalten, weil hierdurch immer neue Affinitäten - 
eeschaffen werden, auch wenn das Fixierungsmittel gut ausgewaschen 
ist. Eine Aufhebung primärer Affinitäten ist bei diesen allerdings 
weniger zu befürchten, ausgenommen bei Mitteln, welche oxydierend 
wirken, wie z. B. Chromsalze. 

jekanntermaßen färben sich mit basischen Farbstoffen (Methylen- 
blau, Thionin, Toludinblau u. s. w.) in ungebeizten Schnitten der 
meisten Gewebe nur die Kerne und zwar in diesen auch nur die als 
Chromatin bezeichneten Teile. Das gewöhnliche Protoplasma und die 
achromatischen Teile der Kerne bleiben ganz ungefärbt oder nehmen 
nur leichte Spuren des Farbstoffes auf, welche sich durch Waschen 
leicht entfernen lassen, während das Chromatin auch bei tagelangem 
Waschen mit viel Wasser den Farbstoff mit außerordentlicher Zähig- 
keit festhält. In gewissen Geweben kommen aber noch andre Form- 
bestandteile (neben den Kernen) vor, welche ohne irgend welche Vor- 
behandlung große Mengen von basischen Farbstoffen speichern und 
festhalten; das sind die Granula einiger Drüsen und andrer Zellen, 
dann aber in den uns hier beschäftigenden Geweben gewisse Bestand- 
teile des Leibes der Ganglienzellen, die Neurofibrillen und die Mark- 
scheiden. 

Die primäre Färbbarkeit des Ganglienzelleibes ist, seit Nissl 
seine Methode zur Untersuchung derselben publiziert hat, vielfach 
Gegenstand der Untersuchung gewesen. Die Affinität der Markscheiden 
zu basischen Farbstoffen ist mehrfach erwähnt, aber nie genauer 
untersucht worden; sie ist auch nicht sehr stark und verdient, soweit 
ich das übersehen kann, weder vom technischen noch vom theoretischen 
Standpunkt betrachtet ein besonderes Interesse. Die primäre Färb- 
barkeit der Neurofibrillen ist den meisten Untersuchern bis jetzt ganz 
entgangen, wenigstens soweit sie sich auf Material bezieht, das bereits 
fixiert ist. Der Grund dafür liegt wohl darin, daß die Färbung beim 
Überführen der Präparate in Alkohol verschwindet. Wie sich aus 


a 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 197 


dem später Mitgeteilten ergibt, kann diese primäre Färbbarkeit der 
Neurofibrillen ein wesentliches Interesse für sich m Anspruch nehmen. 


Ar 
48 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen. 


Nissl (18592 und 1894) läßt bei seiner Methode zur Darstellung 
der Ganglienzellen Methylenblau (mit einem Zusatz von venetianischer 
Seife) auf das in Alkohol fixierte Material einwirken. Nach der 
Färbung wird der überschüssige Farbstoff mit Anilinalkohol fort- 
geschafft. In den so gewonnenen Präparaten treten die Ganglienzellen 
schon bei schwacher Vergrößerung dunkelblau auf fast farblosem 
Grunde hervor. Die Zelleiber haben den Farbstoff stark gespeichert. 
Bei stärkerer Vergrößerung besonders bei Anwendung der Ölimmersion 
zeigt es sich aber, daß die Zellleiber nieht gleichmäßig blau sind. 
Besonders die größeren Zellen z. B. die Vorderhornzellen zeigen ein 
fleekiges Aussehen; dunkle Schollen, Striche und Punkte heben sich 
von fast farblosem Grunde ab; in manchen Zellen zeigt die färbbare 
Substanz auch eine netzartige Struktur.') In allen diesen Fällen ist 
die färbbare Substanz des Zellleibes sehr dunkel tingiert; in kleinen 
und kleinsten Zellen aber, wie sie z. B. die Substantia gelatinosa des 
Rückenmarks bevölkern, macht sie sich nur als zarter Farbschleier 
bemerkbar. Solcher heller gefärbter Massen entbehren auch die 
srößeren Zellen neben den dunkel gefärbten nicht. Bei den moto- 
rischen Zellen und einigen andern finden sich die charakteristischsten 
Bilder (Tafel Fig. II). Der Zelleib ist erfüllt von großen Schollen ; 
in den Protoplasmafortsätzen finden sich Streifen und an ihren 
Teilungsstellen Dreiecke gefärbter Substanz. Der Achsenzylinder und 
sein Ursprungshügel bleiben stets ungefärbt. Auf Grund dieser ver- 
schiedenen Färbungsbilder, welche er in den verschiedenen Regionen 
des Nervensystems fand, stellte Nissl eine Nomenklatur der Nerven- 
zellen auf, welche aber nur für die spezielle Nervenzellanatomie von 
Interesse ist, uns hier also nicht weiter zu beschäftigen hat. 

Wir haben es hier also mit einer echten primären Färbbarkeit 
zu tun, welche uns wenigstens von einem Bestandteil des Ganglien- 
zelleibes ein gutes Reaktionsbild gibt. Wenn von andern Seiten 
Fixierung mit Metallsalzen z. B. mit Sublimat (Lenhossek, van Ge- 
huchten, Bühler) empfohlen ist, so bedeutet dies eine Verkennung 
dessen, was mit dieser ideal einfachen Methode erreicht werden soll 


1) Diese geformten Substanzportionen der färbbaren Substanz Nissls werden 
von manchen Autoren Flemming-NissIsche Körperchen (Flemming sah sie zuerst), 
Nissl-Schollen, Tigroid u. s. w. benannt. Diese Bezeichnungen decken sich aber, 
wie Nissl mehrfach hervorgehoben hat, nur zum Teil mit der (primär) färbbaren 
Substanz. Sie treffen nur für gewisse Zellarten zu. 


128 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 


und allein erreicht werden kann. Zwar kann eine solche mit Sublimat 
fixierte Zelle ganz ebenso aussehen wie eine mit Alkohol fixierte, 
sie kann aber unter Umständen auch Dinge zeigen, die der primären 
Reaktion fremd sind, weil eben das Metallsalz einer sekundären 
Färbung Vorschub leistet. Ganz ähnlich steht es mit der zuerst von 
Held (1895) empfohlenen Doppelfärbung. Auch sie beeinträchtigt die 
natürliche Reaktion, weil der saure Farbstoff den basischen wenigstens 
zum Teil immer wieder herauswirft (siehe auch Lenhossek). Es handelt 
sich bei der Nisslschen Methode eben nicht, wie manche Autoren 
glauben, um die möglichst elegante Darstellung bestimmter morpho- 
logischer Elemente, die auch auf andere Weise möglich ist, sondern 
um eine chemische Reaktion dieser Elemente. Reaktionsbild und 
morphologisches Bild können sich decken, brauchen es aber nicht zu 
tun, wie ich später zeigen werde. Ja, man kann direkt sagen: Die 
NissIsche Methode ist keine morphologische sondern eine chemische 
Methode. — Anders steht es mit der Wahl des Farbstoffes, der Art 
und Weise seiner Applikation und der Art der Auswaschung. Hier 
kann schon eher, wenngleich es wenigstens für pathologische Zwecke 
höchst überflüssig ist, eine Änderung getroffen werden. Thionin, 
Toluidinblau, Magentarot (das Nissl ursprünglich angewendet hat) tun 
etwa dieselben Dienste wie Methylenblau. Die venetianische Seife 
scheint im wesentlichen nichts weiter zu tun als den Färbungsprozess 
zu beschleunigen, grade so wie die Erwärmung beim Färben. Auch 
die Differenzierung mittels Anilin dient im wesentlichen der Zeit- 
ersparnis; Alkohol allein besorgt sie ebenfalls, wenn auch in ungleich 
längerer Zeit. Für methodologische Zwecke ziehe ich sogar einfache 
Alkoholdifferenzierung vor, weil dabei nie mehr ausgezogen wird als 
heraus soll, während der Anilinalkohol bei etwas zu langer Anwendung 
auch die färbbare Substanz ihrer Farbe wieder beraubt. 

Die Portionen der färbbaren Substanz lassen zwischen sich un- 
sefärbte Bahnen frei, welche, wie Nissl schon lange hervorgehoben 
hatte, besonders in den großen Zellen nicht selten von einem Fortsatz 
der Zelle zu einem andern zu verfolgen sind. Im diesen Bahnen ver- 
mutete er Fibrillen, und ich konnte später in der Tat nachweisen, daß 
diese Vermutung richtig war. Die Hauptfibrillenbahnen verlaufen in 
den ungefärbten Straßen des Nisslpräparats; ein Nisslpräparat ist das 
Negativ eines Fibrillenpräparats und umgekehrt. Es schließt sich nun 
daran die Frage, ob diese Lagebeziehung der beiden Elemente auch 
in der lebenden Zelle dieselbe ist. — Bevor noch die Fibrillenfrage 
zu einer sicheren Entscheidung gelangt war, wurde die Frage, ob das 
bei seiner Methode sichtbar gemachte Bild der Ganglienzelle den 
natürlichen Verhältnissen entspräche, von Nissl selbst behandelt. Er 
mußte die Frage offen lassen, kam aber bei seinen Überlegungen zu 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 129 


dem Schluß, daß es für die von ihm behandelten Fragen ganz gleich- 
gültig sei. Ihm kam es darauf an, eine Methode zu besitzen, welche 
bei gleichen Bedingungen die gleichen Ganglienzellen stets in der- 
selben Weise zur Darstellung bringt. Diese Aufgabe wird von seiner 
Methode in der Tat gelöst und er nennt das Bild, das sich bei An- 
wendung derselben unter dem Mikroskop zeigt, das Nervenzellen- 
äquivalent. Werden die Bedingungen des Versuchstieres vor dem Tode 
verändert, wird das Tier z. B. vergiftet oder eine Operation an ihm 
vorgenommen, und zeigt sich danach das Äquivalentbild (unter sonst 
gleichen Bedingungen) verändert, so muß auch die Nervenzelle selber, 
welcher dieses Äquivalentbild entspricht, vor dem Tode von der nor- 
malen Zelle abgewichen sein. Das Äquivalentbild der normalen Gan- 
slienzelle läßt nicht ohne weiteres einen Rückschluß auf das Aussehen 
der normalen Zelle selber zu, wohl aber die Abweichung vom normalen 
Bilde bei Veränderung einer Bedingung auf eine stattgehabte Ver- 
änderung des Urbildes infolge der Veränderung der betreffenden Be- 
dingung. Die Äquivalentbilder der Ganglienzellen normaler und in 
stets gleicher Weise getöteter Tiere, wie sie in langen systematischen 
Versuchsreihen durch Nissl festgestellt sind, zeigen oft schon bei 
geringfügigen Schädigungen des Tieres, welche vor dem Tode hervor- 
gerufen wurden, starke Veränderungen und so hat sich seine Methode 
als ganz besonders geeignet gezeigt, über funktionelle und pathologische 
Vorgänge im Nervensystem Aufschlüsse zu erlangen. Ob das Äqui- 
valentbild dem Bilde der normalen Ganglienzelle gleicht oder ähnlich 
ist, ist wie gesagt für diese Zwecke ganz gleichgültig, und es kommt 
nur darauf an, daß den experimentellen Veränderungen Veränderungen 
des Äquivalentbildes parallel gehen. Auf die Art dieser Veränderungen 
werde ich an späteren Stellen Gelegenheit haben zurückzukommen. 
Ließ Nissl die Frage offen, ob die durch seine Methode dar- 
gestellten Strukturen dem Bilde der lebenden Zelle entsprächen, so 
glaubte Held (1895) sie in einem bestimmten Sinne beantworten zu 
können und zwar dahin, daß die Nissischen Strukturen durch Fällung 
einer in der Ganglienzellflüssigkeit gelösten Substanz entständen. Mit 
andern Worten: Die färbbare Substanz sollte ein Kunstprodukt sein. 
An und für sich muß natürlich eine Substanz da sein, welche die 
Eigenschaft besitzt, sieh mit basischen Farbstoffen zu verbinden. Das 
Kunstprodukt könnte nur in der Verteilung dieser Substanz bestehen. 
Daß bei jeder eiweißkoagulierenden Fixierung Fällungen eintreten und 
daß sich daher die Fixierungsbilder immer vom Aussehen der normalen 
Zellen entfernen, also Äquivalentbilder sind, ist selbstverständlieh und 
insofern ist immer eine starke Reserve angebracht. In der Regel wird 
inan aber annehmen dürfen, daß sich diese Abweichungen vom nor- 
malen Bau immer nur auf die feinere Struktur beziehen, denn es ist 


Bethe, Nervensystem. iu) 


130 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 


a priori nicht sehr wahrscheinlich, daß innerhalb einer zähflüssigen 
Masse größere Substanztransporte schnell stattfinden können. Die 
Möglichkeit ist natürlich nicht auszuschließen. Held stützt sich bei 
seiner Behauptung auf zwei Argumente: Die Nichtsichtbarkeit von 
Nissistrukturen in ganz frischen Ganglienzellen und das Nichterscheinen 
derselben, wenn mit alkalischen Flüssigkeiten fixiert wird. Er zieht 
daraus den Schluß, daß die bekannten Strukturen durch saure 
Fixierungsmittel oder durch postmortale Säuerung des Gewebes aus- 
gefällt würden, denn sie würden einige Zeit nach dem Tode sichtbar, 
auch wenn kein Fixierungsmittel angewandt worden ist. 

Andre Forscher z. B. Lenhossek haben die größeren Schollen auch 
an ganz frischen Zellen wahrnehmen können und mir selbst ist dies 
mehrfach an Vorderhornzellen vom Frosch gelungen, welche wohl 
wegen der größeren Lebenszähigkeit der Kaltblütergewebe den Vorzug 
vor denen von Säugetieren besitzen. Nach Held soll dies ein sekun- 
däres Stadium sein und ich will es nicht für ganz ausgeschlossen 
halten, daß Lenhossek und ich immer erst unsere Zellen unters Mikro- 
skop bekommen haben, nachdem dies schon eingetreten war. Es muß 
ja unbedingt zugegeben werden, daß die Struktur bei längerem Liegen 
des Präparats, besonders aber beim Zutritt von Alkohol deutlicher 
wird. Wirklich in allen Einzelheiten deutlich wird die Struktur aber 
erst beim Färben. Ich meine nun mit Bühler (1898), daß das -Deut- 
licherwerden beim Absterben und Fixieren dem nicht widerspricht, 
daß die Struktur von Anfang an vorhanden ist, denn es ist durchaus 
denkbar, daß in der ganz frischen Zelle die Liehtbrechungsverhältnisse 
so sind, daß die an und für sich differenten Substanzen allein durch 
elie Lichtbreehung nicht sichtbar werden. — Noch weniger scheint 
mir Helds Versuch mit alkalischen Fixierungsflüssigkeiten zu beweisen. 
Held selber hat gezeigt, daß verdünnte Alkalien (Natronlauge, Lithium- 
karbonat) bereits fixierte Ganglienzellen in der Weise verändern, 
daß sich bei der nachfolgenden Färbung mit basischen Farbstoffen 
keine Nissistrukturen mehr zeigen und daß bei nunmehr erfolgender 
Färbung mit einem sauren Farbstoff die Stellen, an denen vorher die 
Schollen lagen, als Lücken hervortreten. Es erscheint wahrscheinlich — 
und Held nimmt dies als sicher an —, daß hierbei die primär färbbare 
Substanz aus den Zellen durch die Lauge herausgelöst wird. Wenn er 
nun bei der Fixierung frischen Gewebes statt gewöhnlichen Alkohols, 
dünnen Laugenalkohol anwendet und bei der nachfolgenden Färbung 
der Schnitte keine NissIstrukturen sichtbar werden, wohl aber in den 
mit sauren Farbstoffen gefärbten Schnitten die Negative derselben als 
Lücken erscheinen, so ist doch wohl die Annahme wahrscheinlicher, 
daß die Lauge beim Fixieren die Nisslsubstanz gelöst hat, als daß 
sie deren Fällung verhinderte. Dieselbe Meinung hat auch schon 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 131 


Bühler ausgesprochen und darauf hingewiesen, daß dort, wo eine 
Lücke erscheint, etwas entfernt sein muß. Ein Beweis dafür, daß 
die färbbare Substanz wenigstens im großen und ganzen schon in der 
lebenden Zelle so lokalisiert ist, wie wir es auf den gefärbten Prä- 
paraten sehen, scheint auch darin zu liegen, daß der Achsenzylinder- 
ursprungskegel immer ganz frei von färbbarer Substanz gefunden wird 
(Flemming) und daß das Färbungsbild bei den verschiedenartigsten 
Fixierungen eine große Gleichmäßigkeit aufweist (Lenhossek). 

Nach all diesem würde ich nicht daran zweifeln, daß das Äqui- 
valentbild dem Bilde der normalen Ganglienzelle, wenigstens was die 
Verteilung der primär färbbaren Substanz anbetrifft, sehr ähnlich sieht, 
wenn nicht eine Beobachtung von Becker vorläge, welche doch zu 
einer gewissen Reserve veranlaßt. (Herr Dr. Becker hat dieselbe vor 
einigen Jahren in Baden-Baden auf dem Kongreß Südwestdeutscher 
Neurologen und Irrenärzte demonstriert, aber sonst nicht publiziert.) 
Beeker injiziert lebenden Fröschen Neutralrot, nimmt nach einiger Zeit 
etwas vom Rückenmark heraus und zerquetscht es auf dem Objekt- 
träger. Man sieht dann sehr häufig in den Ganglienzellen rote Körn- 
chen gleichmäßig verteilt. Diese bewegen sich darin langsam hin und 
her und sammeln sich mit der Zeit an bestimmten Stellen an, während 
sie an andern Stellen verschwinden. Auf diese Weise. entsteht mit 
der Zeit eine Zeichnung in der Ganglienzelle, welche einem Nissl- 
präparat ziemlich ähnlich sieht. 

Die Beziehungen zwischen dem Fibrillenpräparat und dem Nissl- 
präparat sind offenbar. Es wäre nun möglich, daß die Lücken, welche 
die Fibrillenzüge zwischen sich freilassen, von einer ursprünglich gleich- 
mäßig in der Zelle verteilten Substanz beim Absterben resp. beim 
Fixieren erfüllt werden. Dieser Annahme scheint sich mir aber manches 
entgegenzustellen. Zunächst ist die Identität der bei dem Neutralrot- 
verfahren gefärbten Substanz mit der färbbaren Substanz des Nissl- 
präparats zweifelhaft. Macht man nämlich das gleiche Experiment 
mittels Methylenblauinjektion, so sieht man oft in den Ganglienzellen 
(wenn nicht eine diffuse Färbung derselben eintritt) von Anfang an 
das typische NissIbild, außerdem aber eine ganze Anzahl von Körn- 
chen, welehe die Größe der Beckerschen Körnchen besitzen (d. h. größer 
sind als die meisten der feinen Körnchen, welehe die NissIschollen 
nach den Befunden von Held, Lenhossek und andern zusammensetzen) 
und über den ganzen Zelleib verteilt sind. Auch in vielen andern 
Punkten unterscheidet sich ja die Wirkungsweise des Neutralrots von 
der des Methylenblaus, Toluidinblaus u. s. w. sowohl bei der Appli- 
kation auf das lebende wie auf das fixierte Gewebe. — Die Fixierung 
dünn ausgestrichenen Rückenmarks mit Alkohol geht außerordentlich 
schnell, die Gruppierung der mit Neutralrot färbbaren Körnchen aber 

9* 


132 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 


sehr langsam. Auch dies spricht dagegen, daß diese Körnchen durch 
Ansammlung die Schollen der großen Zellen bilden. — Schließlich sei 
noch eins erwähnt, was dieser Ansicht widerspricht: bei manchen Ver- 
siftungen, z. B. bei der Vergiftung mit Arsen (Lugaro), verschwindet 
die primär färbbare Substanz zuerst an der Peripherie der Zellen, 
während sie bei andern Eingriffen, z. B. nach Durchsehneidung des 
zugehörigen Achsenzylinders, zuerst in der Nähe des Kerns abnimmt 
(Nissl). Wäre die Substanz in der Ganglienzellsubstanz gelöst oder 
in Form frei beweglicher Körnchen gleichmäßig in ihr verteilt, so wäre 
gar kein Grund vorhanden, weshalb die Substanz, wenn sie erst nach- 
träglich ausfiele oder sich gruppierte, bei allgemeiner Verminderung 
dureh einen. pathologischen Prozeß bestimmte Stellen der Zelle frei 
ließe. Man sollte vielmehr meinen, daß sie auch jetzt noch überall 
in der Zelle gleichmäßig verteilt im Färbungsbild erscheinen müsse. 

Grade diese letzterwähnte Erscheinung scheint mir entschieden 
dafür zu sprechen, daß die primär färbbare Substanz auch im der 
lebenden Zelle fest lokalisiert ist, d.h. daß das Äquivalentbild in der 
Tat die natürliche Verteilung der Substanz ziemlich richtig wiedergibt. 
Dagegen möchte ich die Beekerschen Körnchen als etwas bisher noch 
wenig Bekanntes ansprechen, das frei in der Zelle verteilt ist, sich 
aber eventuell an die präformierten Substanzbrocken anlagert und im 
Nisslpräparat mit ihnen zusammen gefärbt wird. — Weitere Auf- 
klärungen sind hier aber jedenfalls noch abzuwarten, ehe man ein 
definitives Urteil abgeben kann. 

Wie schon erwähnt, ist die primär färbbare Substanz sowohl in 
Bezug. auf ihre räumliche Verbreitung innerhalb der Ganglienzellen 
als auch in Bezug auf ihre Intensität und ihre sonstige Erscheinung in 
den verschiedenen Zellarten verschieden. In manchen Zellen, besonders 
in den großen Zellen der Wirbeltiere, ist sie in großen Brocken an- 
seordnet. Diese Brocken, Schollen oder Tigroidkörper lassen auf dünnen 
Schnitten einen körnigen Bau erkennen (Held, Lenhossek, Nissl u. a.). 
Die Körnchen werden zusammengehalten von einer homogen aussehen- 
den Substanz, welche die Farbe viel schwächer annimmt (Nissl). Bei 
vielen kleinen Zellen zeigt sich nur eine homogene Färbung, ähnlich der, 
welche bei den großen Zellen die Grundsubstanz der Schollen besitzt. 
Sie dehnt sieh nicht durch die ganze Zelle aus, ist aber in der Be- 
erenzung ziemlich undeutlich. Noch andre Zellen, z. B. die Zellen 
des Sympathieus, zeigen neben einzelnen größeren färbbaren Brocken 
einen feinen gefärbten Staub. — Auch bei wirbellosen Tieren ist die 
primär färbbare Substanz weit verbreitet. Bei Hirudo findet man sie 
in engsten Lagebeziehungen zu den Fibrillenkörben. Bei Arthropoden 
ung Mollusken ist sie — wie die Fibrillengitter — durch die ganzen 
Zellen ausgebreitet. Der Stammfortsatz der Ganglienzellen ist hier 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 133 


grade so wie der Polkegel bei den großen Zellen der Wirbeltiere frei 
von färbbarer Substanz. ‘Die freie Zone ragt auch hier noch etwas 
in den Zelleib hinein. Auch hier zeigen die Zellarten (ein und der- 
selben Tierspezies), welche sich durch Größe und Lokalisation unter- 
scheiden, wesentliche Unterschiede im primär gefärbten Präparat. In 
vielen kleinen Zellen der Arthropoden sind wie in den kleinen Zellen 
der Substantia gelatinosa der Wirbeltiere nur gefärbte Schleier, aber 
keine wirklich geformten Substanzportionen vorhanden. Die vielen 
kleinen Zellen, welche, zu dichten Massen vereinigt, an den pilzhut- 
förmigen Körpern (Globuli) des Arthropodengehirns liegen, scheinen 
der primär färbbaren Substanz überhaupt ganz zu entbehren. Auch 
bei den Wirbeltieren kommen einige Zellarten vor, in welchen, ob- 
wohl sie als Ganglienzellen anzusprechen sind, bisher keine primär 
färbbare Substanz nachgewiesen werden konnte, so z. B. in den Körner- 
zellen der Retina. Nach Bühler sollen auch die Rindenzellen der 
Eidechse frei von färbbarer Substanz sein, doch möchte ich dieser An- 
gabe einiges Mißtrauen entgegenbringen, weil bei der von ihm geübten 
Methode meist nur die groben Ansammlungen der Substanz sichtbar 
werden. Vorläufig wird man jedenfalls das Vorkommen von primär 
färbbarer Substanz als ein ziemlich allgemeines Charakteristikum der 
Ganglienzellen ansehen dürfen. Ihr Verhalten gegen Chemikalien wird 
weiter unten besprochen werden. 


Die primäre Färbbarkeit der Neurofibrillen. 

Ich habe bereits weiter oben davon gesprochen, daß sich bei der 
Applikation von Methylenblau auf das lebende oder überlebende Ge- 
webe die Neurofibrillen färben. Sehr häufig tritt, wie zuerst Apathy 
hervorgehoben hat, bei der Methylenblaufärbung zunächst eine Tinktion 


der Neurofibrillen ein, welcher erst sekundär — wenigstens in den 
Nervenfasern — die Färbung der Perifibrillärsubstanz folgt. Beim 


Verschwinden der Färbung sind es die Neurofibrillen, welche am 
längsten den Farbstoff festhalten. Auf Grund dieses Verhaltens ist 
es möglich, mit Hilfe der Ehrlichschen Methode gute Fibrillenpräparate 
zu erhalten (Apathy, Simon, ich). Wie Ehrlich (1587) durch eine Reihe 
von Versuchen erwiesen hat, ist nun Methylenblau nicht der einzige 
Körper, welcher ‚neurotrope“ Eigenschaften besitzt. Eine Anzahl 
andrer basischer Farbstoffe, die dem Methylenblau mehr oder weniger 
nahestehen, zeigen dieselbe Eigenschaft, wenn auch meist weniger 
ausgesprochen: Thionin, Dimethylthionin, Methylenazur, Toluidinblau 
und andere. In letzter Zeit hat Ehrlich (1901) gezeigt, daß auch das 
Bismarckbraun neurotrop ist, aber nur dann, wenn es von einem andern 
derartigen Körper unterstützt wird. Bismarckbraun allein injiziert gibt 
keine Nervenfärbung; injizierte er es aber zusammen mit Methylen- _ 


134 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 


blau, so trat zunächst eine Färbung im Mischton ein. Wenn sich dann 
unter Luftabschluß das Methylenblau zur Leukobase reduzierte, so 
traten die Nerven in dem braunen Farbton des Bismarekbrauns hervor. 

Daß alle basischen Farbstoffe neurotrope Eigenschaften besitzen, 
ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Die bisher bekannten ge- 
hören alle einer großen Gruppe an; aber es gibt keinen neurotropen 
Farbstoff, der nicht basische Eigenschaften besäße. Der Neurotropismus 
scheint mir nun mehr oder weniger identisch mit der Verwandtschaft 
der Farbstoffe zu den Fibrillen zu sein. Das was die Dunkelheit 
und Schärfe der erreichbaren Nervenbilder ausmacht, ist nicht die 
Färbung der Perifibrillärsubstanz (des Achsenzylinderplasmas), sondern 
die der Neurofibrillen. Die Perifibrillärsubstanz wird zwar auch fast 
immer sekundär mitgefärbt, bleibt aber an Dunkelheit immer weit 
hinter der der Fibrillen zurück. Dies kommt deswegen nur selten 
bei Wirbeltieren zur Beobachtung, weil die Fibrillen bereits beim 
Färbungsprozeß, noch mehr aber bei der nachfolgenden Fixierung zu 
einem dünnen Strang zusammenschnurren. 

Bisher hat man nun geglaubt, daß die Verwandt- 
schaft zwischen Nervensubstanz (resp. Fibrillen) und 
den erwähnten Farbstoffen nurimlebenden oder wenig- 
stens frischen Zustande des Gewebes vorhanden sei. 
Dies ist aber nieht der Fall. Sie bleibt auch nach dem Fixieren 
mit manchen Fixationsmitteln erhalten, geht aber verhältnismäßig leicht 
verloren, und die nach dem Fixieren zu erreichende Färbung ver- 
schwindet beim Passieren von Alkohol so schnell, daß man sie am 
montierten Präparat nur dann zu sehen bekommt, wenn man sie fixiert 
hat. Am besten bleibt die Basophilie der Neurofibrillen in Alkohol 
erhalten. Dies gilt aber nur für periphere Nerven und gewisse Fasern 
des Zentralnervensystems. In den Ganglienzellen, den Strangfasern 
und im Grau erhält man primäre Färbung der Neurofibrillen bei ein- 
facher Alkoholfixierung nur auf Ausstrichpräparaten, nicht aber, wenn 
im Bloeke fixiert wird. (Über Blockfixierung siehe S. 145 u. 146.) Als 
basischen Farbstoff wende ich gewöhnlich nicht Methylenblau, sondern 
Toluidinblau an, weil dieser Farbstoff die Fibrillen primär metachro- 
matisch färbt, so daß sie sich innerhalb der Ganglienzellen im Farb- 
ton von den Nisslstrukturen unterscheiden. Methylenblau färbt die 
Fibrillen ungefähr ebenso blau, wie die primär färbbare Substanz der 
Ganglienzellen, sodaß innerhalb der Zellen bei gleichzeitiger Färbung 
beider Elemente ein ganz unklares Bild zustande kommt. Dagegen 
färbt das Toluidinblau die Neurofibrillen rot ') bis rotviolett (sehr selten 


1) Diese Farbdifferenz kann nicht darauf bezogen werden, daß etwa das 
Toluidinblau durch einen roten Farbstoff verunreinigt ist, denn man kann z. B. 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 135 


blauviolett), die NissIsche Substanz in den Ganglienzellen dagegen im 
normalen Ton, nämlich ziemlich ausgesprochen blau mit einem kleinen 
Stich ins Violett. Die Farbendifferenz bleibt beim Fixieren erhalten. 

Am einfachsten kann man sich von der primären Färbbarkeit der 
Nervenfasern auf folgende Weise überzeugen: Man nimmt einen frischen 
Nerv (Frosch, Hund, Kaninchen), zerzupft ein Stückchen auf einem 
Objektträger und bringt denselben für kurze oder lange Zeit in reinen 
Alkohol. Nachdem der Alkohol wieder durch destilliertes Wasser ver- 
drängt ist, wird der Objektträger für 10—15 Minuten in eine Lösung 
von Toluidinblau 1:3000 bis 1:1000 gebracht (nieht erwärmen). Da- 
nach wird mit destilliertem Wasser einige Minuten gewaschen und 
das Präparat ohne weiteres unter dem Mikroskop betrachtet. Man 
sieht dann die geschrumpften Achsenzylinder tief rotviolett gefärbt; 
häufig haben aber auch die Markscheiden reichliche Farbmengen auf- 
genommen, so daß dadurch das Achsenzylinderbild zum Teil verdeckt 
wird. Bringt man das Präparat in Alkohol, so verschwindet die Fär- 
bung vollkommen, sowohl aus den Scheiden, wie aus den Achsen- 
zylindern. Dagegen läßt sich die Färbung leicht fixieren, wenn man 
das Präparat nach dem Waschen für eine halbe Minute oder länger 
in eine Ammoniummolybdatlösung bringt. In Canadabalsam gebracht, 
treten die Achsenzylinder noch deutlicher hervor. 

Die lästige Mitfärbung der Markscheiden wird leicht dadurch ver- 
mieden, daß man die Objektträger vor dem Färben für einige Stunden 
in Xylol stellt. Das Xylol löst die färbbaren Substanzen der Mark- 
scheide (der eingedampfte Rückstand eines Xylolauszuges von Nerven- 
substanz färbt sich mit Toluidinblau ziemlich kräftig) zugleich mit 
andern Markscheidensubstanzen, nimmt den Achsenzylindern aber nicht 
ihre primäre Färbbarkeit. Auf diese Weise hergestellte Präparate 
zeigen außer den Kernen nur die Achsenzylinder, und zwar treten 
diese in einer recht eleganten Weise hervor. Sind die Achsenzylinder 
stark zusammengeschnurrt, so sieht man auch mit der Immersion nur 
einen dunklen Strang. Betrachtet man aber bei starker Vergrößerung 
eine Achsenzylinderstelle, welche nicht geschrumpft ist — solche 
kommen fast in jedem Präparat vor —, so sieht man ihn aus lauter 
dünnen Fibrillen zusammengesetzt. Diese mit den Neurofibrillen identi- 
schen Fibrillen sind gefärbt; die zwischen ihnen liegende Perifibrillär- 
substanz ist fast immer vollkommen farblos. (Um viele ungeschnurrte 
Achsenzylinder zu erhalten, ohne den Alkohol als Fixierungsmittel auf- 
zugeben, verfährt man in folgender Weise: Ein Gefäß mit Alkohol 


sehen (unter dem Mikroskop), wie sich die rötliche Färbung der Neurofibrillen 
in Alkohol mit demselben blaugrünen Farbton löst wie die blaue Farbe andrer 
Gewebsbestandteile oder des freien Farbstoffs. 


136 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 


wird im Gefriergemisch bis auf — 10° bis — 15° abgekühlt; dann 
entnimmt man einem Frosch ein Stück des Ischiadieus und wirft es 
in. den Alkohol. Es muß hierin in kurzer Zeit steif gefroren sein. 
Ich lasse dann das Gefriergemisch allmählich schmelzen, nehme den 
Nerven heraus, wenn die Temperatur etwa bis auf 4 15° gestiegen ist, 
und zerzupfe ihn oder schneide nach Paraffineinbettung. Gefärbt wird 
wie oben.) Es handelt sich hier also nicht um eine Färbbarkeit irgend 
welcher Bestandteile des Achsenzylinderplasmas, sondern um eine pri- 
märe Basophilie der Neurofibrillen selber. (Die Färbbarkeit der Neuro- 
fibrillen mit basischen Farbstoffen nach Fixierung mit Osmiumsäure 
hat mit der primären Färbbarkeit gar nichts zu tun; es handelt sich 
hierbei vielmehr um eine sekundäre Affinität, welche erst durch die 
Osmiumsäurewirkung geschaffen wird.) 

Um Färbungsbilder vom Zentralnervensystem zu erhalten, benutzt 
man am besten Ausstrichpräparate (Zerquetschen eines Stückchens 
frisch entnommener grauer Substanz zwischen zwei Objektträgern, 
Anseinanderziehen derselben und Fixieren in Alkohol; dann für einige 
Stunden in Xylol). Anatomische Einzelheiten und Feinheiten sollen 
ja mit der Methode nicht herausgebracht werden; sie soll nur dazu 
(dienen, über die reaktionellen Eigenschaften einiger Bestandteile des 
Nervensystems Neues zu bringen, und dabei kann man sich ruhig 
dieser etwas rohen Methode bedienen. Man findet dabei immer noch 
Zellen genug, welche nicht zertrümmert sind. 

Färbt man ein Ausstrichpräparat vom Rückenmark (Frosch, Hund, 
Kaninchen, Kalb, Rind) in der oben angegebenen Weise, so sieht man 
außer den dunkelblau erscheinenden Zellen eine große Anzahl rötlicher 
Fäden, welche sehr verschiedene Dicke haben und sich bisweilen 
teilen. In diesen Fäden erkennt man nach den Lagebeziehungen zu 
den Ganglienzellen und ihrem mehr oder weniger dichten Gefüge 
Achsenzylinder und Protoplasmafortsätze (Tafel I, Fig. D. Taucht 
man ein Präparat vor dem Fixieren in Alkohol, so verschwinden alle 
eefärbten Fäden und es bleiben die einfachen Nisslbilder zurück 
(Dafel-L,cFie> 1): 

In den nur mit Wasser gewaschenen Präparaten sind die Zellen 
sehr dunkel. Bei stärkerer Vergrößerung erkennt man in ihnen den 
Kern und die dunkelblauen Nisslschollen; zwischen diesen sieht man 
aber nicht wie im Nisslpräparat oder dem mit Alkohol differenzierten 
Präparat helle Straßen, sondern alles was nicht blau ist, ist von einer 
roten bis rotvioletten Färbung ausgefüllt. (Man vergleiche Fig. I und 
Fig. II der Tafel.) Es sind dies die rotgefärbten Fibrillenbahnen, 
welche man aber bei der allgemeinen Dunkelheit der Zellen fast nie 
in «die einzelnen Fibrillen auflösen kann. Die Protoplasmafortsätze 
kann man oft sehr weit verfolgen. Besonders dort, wo sie nur noch 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 137 


wenige blaugefärbte Nisslschollen enthalten, tritt der fibrilläre Bau 
deutlich hervor, natürlich nie so deutlich wie im Molybdänpräparat, 
in welchem die einzelne Fibrille viel dunkler gefärbt ist als hier. 
Bemerkenswert ist es auch, daß in diesen Präparaten die Protoplasma- 
fortsätze stets glatt sind. — An den Achsenzylindern sieht man häufig 
Teilungen, doch nimmt die Färbungsintensität an den feineren Zweigen 
so schnell ab, daß man die letzten Teiläste selten zu sehen bekommt. ') 
Die Intensität der Färbung nach einfacher Alkoholfixierung steht hinter 
der zurück, welche bei vitaler Applikation des Farbstoffes erreicht 
werden kann. Ein andrer Unterschied beider Färbungen besteht darin, 
daß bei vitaler Applikation immer nur einige wenige Elemente ge- 
färbt werden, während bei der Färbung nach stattgehabter Fixierung, 
wie besonders die Untersuchung von Schnitten durch Nerven oder 
durch ein Rückenmarksstück ergibt (siehe S. 146), alle Elemente zur 
Darstellung gelangen. Diese Unterschiede scheinen mir aber nicht 
dagegen zu sprechen, daß wir es in beiden Fällen im Grunde mit 
ein und derselben Reaktion zu tun haben. Bei der Fixierung kann 
sehr wohl etwas von der Färbungsaffinität verloren gehen; hierfür 
spricht schon das, daß die Färbung eingetrockneter (nicht mit Alkohol 
behandelter) Ausstrichpräparate häufig so dunkel ausfällt, wie die 
vitalgefärbter, nur ist auch in diesem Fall die Färbung allgemein. 
Mir scheint es jetzt, als ob doch bei der vitalen Färbung nur die- 
jenigen Elemente sich färben, welche mehr oder weniger geschädigt 
sind oder jedenfalls nieht unter ganz normalen Bedingungen stehen. 
Hierfür spricht z. B., daß die Zahl der gefärbten Elemente nach 
Strychninisierung größer ist als bei normalen Tieren, wie dies vor 
kurzem von Wolf beschrieben wurde und mir schon seit etwa acht 
Jahren bekannt war. Einen großen Reichtum an gefärbten Elementen 
fand ich auch bei Careini, welehe im Stadium des Wärmetetanus mit 
Methylenblau injiziert wurden. Ist dies richtig, so ist es nicht zu 
verwundern, daß bei hochgradiger Schädigung, d. h. bei vollkommener 
Herabsetzung der Aversion gegen Farbstoffaufnahme dureh Abtötung, 
eine vollständige Färbung zustande kommt. Wie ich dies meine, wird 
aus dem weiteren noch näher hervorgehen. 


I) Kaplan (1902) hat eine schöne Methode zur Darstellung der mit Mark- 
scheide umgebenen Achsenzylinder mittels Anthraceneisengallustinte beschrieben. 
Diese „Axostromafärbung“ hat mit der primären Färbbarkeit und überhaupt mit 
den Fibrillen nichts zu tun, da sie nur an myelinhaltigen Fasern zu erhalten ist. 
Was sich eigentlich bei der Kaplanschen Methode färbt, ist noch unklar. Da 
ja die Grenzen der Perifibrillärsubstanz der Nervenfasern über die mit Mark um- 
gebenen Teile hinausgehen, kann das „Axostroma“ mit dieser nicht ohne weiteres 
als identisch angesehen werden. Es muß vorläufig angenommen werden, daß 
die Perifibrillärsubstanz dort, wo die Nervenfasern von Mark umgeben sind, in 
besonderer Weise differenziert ist (Kaplan). 


138 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 


Die primäre Färbbarkeit in lebendem, wie in mit Alkohol ab- 
getötetem Zustand scheint eine allgemeine Eigenschaft der Neuro- 
fibrillen zu sein. Bei Arthropoden, Würmern und Mollusken findet 
sie sich in gleicher Weise wie bei den Wirbeltieren, nur ist bei den 
meisten von mir auf diesen Punkt untersuchten Wirbellosen der Inten- 
sitätsunterschied zwischen der vitalen Färbung und der nach Alkohol- 
fixierung noch größer als bei Wirbeltieren. Ich glaube dies darauf be- 
ziehen zu dürfen, daß sich hier eine Substanz, auf deren Gegenwart, wie 
ich gleich zeigen werde, die primäre Färbbarkeit beruht, noch leichter 
von den Fibrillen abspaltet, als es bei den Wirbeltieren der Fall ist.') 


Das Wesen der primären Färbbarkeit der Ganglien- 
zellen und der Neurofibrillen. 

Ich habe bereits erwähnt, daß die Eigenschaft der Neurofibrillen 
“sich primär zu färben sehr vergänglieh ist. So verschwindet sie bei 
vielen Fixierungen, auch wenn sie auf das lebensfrische Gewebe ein- 
wirken (Salpetersäure, Chromsalze u. s. w.).. Auch nach Einwirkung 
von Erdalkalien auf Alkoholmaterial ist sie nicht mehr vorhanden. 
Trotzdem sind die Fibrillen als morphologische Bestandteile noch da, 
wie ja schon daraus hervorgeht, daß sie bei der Molybdänmethode 
grade nach Fixierung mit Salpetersäure sehr schön darstellbar sind. 
Die primäre Färbbarkeit ist also eine Eigenschaft, die verschwinden 
kann, ohne daß das Substrat dabei zerstört wird. 

Grade so verhält es sich auch mit der primären Färbbarkeit der 
Nissistrukturen. Wir wollen uns dabei nur mit denjenigen Strukturen 
des Nisslpräparats beschäftigen, welche wohl geformt sind; das sind 
die aus Körnchen zusammengesetzten Schollen und Striche, wie sie 
hauptsächlich in den motorischen Zellen und den Spinalganglienzellen 
vorkommen und die auch als Flemming-NissIsche Schollen oder Tigroid 
bezeichnet werden. Nach Held sollen diese Strukturelemente aus 
Präparaten, die mit Alkohol fixiert sind, nach Behandlung mit Erd- 
alkalien vollständig von der Bildfläche verschwinden d. h. sie sollen 
ganz und gar herausgelöst werden, so daß man Lücken an ihrer Stelle 
sieht. Dies ist nach meinen Befunden wnrichtig. Es verschwindet 
bei der Einwirkung von Natronlauge, Kalilauge, Lithionkarbonat oder 
Natriumkarbonat nur die primäre Färbbarkeit; es entstehen aber an 
den Stellen, wo die Schollen lagen, keine Löcher; die Schollen sind 
vielmehr noch als solche in den Zellen vorhanden. (Daß durch sehr 


1) Bei Anwendung einer Modifikation der weiter unten beschriebenen Äther- 
methode hat Dr. Prentiss im hiesigen Laboratorium an Hirudo sehr schöne und 
ziemlich allgemeine Neurofibrillenfärbung erhalten. Danach kann es als gesichert 
gelten, daß sich die färbbare Substanz bei den Wirbellosen besonders leicht von 
den Fibrillen abspaltet. 


“ 
2. 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 139 


lange Einwirkung starker Lösungen von Alkalien vielleicht wirkliche 
Löcher an irgend welchen Stellen der Zellen entstehen können, mag 
möglich sein, aber schließlich löst sieh eben alles in solchen Lösungen. 
Die primäre Färbbarkeit verschwindet aus Schnitten oder in Alkohol 
fixierten Ausstrichpräparaten aber schon im einer '/,°/, Sodalösung 
und bei einer Einwirkung von 10—20 Minuten.) Mit basischen Farb- 
stoffen kann man nach der Behandlung mit Alkalien so lange und so 
stark färben, wie man will, die Schollen färben sieh nieht mehr (auch 
wenn man das Alkali ausgewaschen oder neutralisiert hat). Bei An- 
wendung von Eisenhämatoxylin, Molybdänhämatoxylin oder nach warm 
erfolgter Beizung mit Molybdänsalz und darauf folgender Färbung 
mit einem basischen Farbstoff treten die Schollen aber wieder grade 
so gut hervor, als wenn gar nichts weiter mit dem Präparat geschehen 
wäre. Auch nach Färbung mit sauren Farbstoffen z. B. mit Säure- 
fuchsin treten sie zu Tage. Wie in nicht mit Alkalien behandelten 
Präparaten heben sich die Schollen dunkler rot von heller rotem 
Grunde ab. Dasselbe Resultat erhielt ich, wenn ich das Ge- 
websstück gleich mit Laugenalkohol nach Held fixiert hatte: 
Keine Lücken, aber vollkommener Fortfall der primären Färbbarkeit. 

In derselben Weise wird die primäre Färbbarkeit der Neuro- 
fibrillen dureh Behandlung mit Laugen aufgehoben. Taucht man ein 
Ausstriehpräparat vom Rückenmark, das in Alkohol fixiert ist und bei 
direkter Färbung mit Toluidinblau Nissl und Fibrillenbild geben würde, 
für einige Minuten in eine verdünnte Soda- oder Natronlaugenlösung 
und färbt es dann, so treten nur noch die Kerne hervor (auch wenn 
vorher neutralisiert ist). Beide primären Färbbarkeiten sind ver- 
schwunden. Läßt man die Lauge noch länger einwirken oder benutzt 
man stärkere Lauge, so verschwindet auch die primäre Färbbarkeit 
der Kerne. In solehen Präparaten nimmt kein einziger Gewebsbestand- 
teil mehr basische Farben an, außer wenn sie vor dem Färben mit 
Beizen behandelt sind (in diesem Fall spielt aber der basische Farb- 
stoff nur eine sekundäre Rolle). 

Entständen bei der Laugenbehandlung wirklich Lücken, wie Held 
gemeint hat, so würde man ohne weiteres den Schluß ziehen können, 
daß die Laugen etwas aus dem Gewebe herausgelöst haben. Da dies 
aber nicht der Fall ist, so brauchen wir es nicht notwendigerweise 
mit einer Lösung zu tun zu haben. Möglicherweise könnte es sich 
nur um eine physikalische oder chemische Veränderung der vorher 
basophilen Substanz handeln, ohne daß dabei wirklich etwas in Lösung 
gegangen wäre. Es ist aber auch möglich, daß vor der Laugen- 
behandlung eine primär färbbare Substanz vorhanden ist, welche in 
geringer Menge mit den Fibrillen, den Körnern der NissIschollen und 
Bestandteilen des Kerns verbunden ist, und durch die Lauge gelöst 


% 


140 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 


oder zerstört wird. Bei der geringen Menge dieser färbbaren Sub- 
stanzen würde immer noch soviel von den Formbestandteilen zurück- 
bleiben, daß bei Sichtbarmachung derselben mit andern Methoden keine 
Verringerung der Masse für das Auge zu konstatieren wäre. Mit 
andern Worten: Es wäre möglich, daß die Fibrillen, die NissIschollen 
und die Kerne aus einem Gemisch oder einer Verbindung von Sub- 
stanzen beständen, von denen je eine (oder mehrere) die Eigenschaft 
besäße, sich mit basischen Farbstoffen zu verbinden und sich in Erd- 
alkalien zu lösen. Nach Lösung dieser würde der größere Rest oder 
sagen wir die Grundmasse zurückbleiben und morphologisch noch an- 
nähernd dasselbe Bild geben, wie vorher. Ich glaube, daß das letztere 
richtig ist und daß es möglich ist, dies auf einfache Weise zu zeigen: 

Eine große Anzahl organischer Körper (Basen, Amidogruppen 
enthaltende Substanzen u. a.) besitzt die Eigenschaft sich mit Sublimat 
zu verbinden. Diese in Wasser meist unlöslichen Körper sind alkali- 
beständig, werden also, wenn sie einmal gefällt sind, von Alkalien 
nicht wieder aufgelöst. Eine Anzahl andrer Sublimatverbindungen 
z. B. von. Diamidosäuren sind zwar in saurem oder neutralem Wasser 
löslich, fallen aber aus, wenn die Lösung alkalisch gemacht wird. 
Wenn wir es in dem hypothetischen, färbbaren Bestandteil der Fibrillen 
und Nisslschollen mit solchen Substanzen zu tun hätten, so dürfte die 
primäre Färbbarkeit nach Behandlung mit Sublimat nieht mehr in 
Laugen zugrunde gehen. Tatsächlich ist dies der Fall: Man stellt 
sich eine Anzahl von Ausstrichpräparaten her und fixiert sie in Alkohol. 
Dann wird die Zeit bestimmt, welche notwendig ist, um aus einem 
solchen Präparat bei Einwirkung von '/,°/, Sodalösung die primäre 
Färbbarkeit der Neurofibrillen und der Nissischollen ganz zum Ver- 
schwinden zu bringen. Diese betrage zehn Minuten. Es wird nun 
ein andres Präparat zunächst für eine kurze Zeit in Sublimat- 
lösung gebracht, gut ausgewaschen und dann für 24 Stunden in 
die Sodalösung gestellt. Bei der Färbung (natürlich nach voraus- 
zerangenem Waschen) zeigt sich, daß weder die Neurofibrillen noch 
die NissIschollen die geringste Einbuße an primärer Färbbarkeit er- 
litten haben. Selbst bei langer Einwirkung sehr viel 
stärkerer Laugenlösungen verschwindet die primäre 
Färbbarkeit nieht. Entfernt man aber durch langes Waschen 
mit Jodlösung das Sublimat wieder aus dem Präparat oder zerstört 
man die Verbindung dureh Einwirkung von Schwefelwasserstoff, so 
stellt sich die alte Empfindlichkeit für Laugen wieder ein. — Im 
Augenblick wird man diesen Versuch nur so deuten können: Das 
Verschwinden der primären Färbbarkeit der Neuro- 
fibrillen und Nisslsehollen (und der Ganglienzellen überhaupt) 
beruht auf der Lösung einer färbbaren Substanz. Diese 


. 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 141 


Substanz (oder Substanzen) ist an die Grundmasse der Fibrillen und 
der Schollen in irgend einer Weise chemisch gebunden. 

Wie schon mitgeteilt, verschwindet die primäre Färbbarkeit der 
Fibrillen (wenigstens im Zentralnervensystem) sehr viel leichter als 
die der Nisslschollen, und die Färbung selber ist nicht wie die der 
NissIschollen alkoholbeständig. Hieraus kann man aber noch nicht 
den Schluß ziehen, daß es sich um zwei verschiedene färbbare Sub- 
stanzen handelt. Es könnte sich um ein und dieselbe Substanz han- 
deln und die Verschiedenheit lediglich darauf beruhen, daß die Sub- 
stanz mit der Grundmasse der Fibrillen in sehr viel weniger fester 
Verbindung stände als mit der der Schollen. Daß es sich aber doch 
um zwei verschiedene Substanzen handelt, geht aus dem 
Verhalten zu Salzsäure und zu Ammoniak hervor. 

Es werden eine Anzahl von Ausstrichpräparaten vom selben Tier 
hergestellt und diese wie folgt behandelt: Zwei werden normal ge- 
färbt. Sie zeigen Nissl- und Fibrillenbild (Tafel I, Fig. I). — 
Zwei andre Präparate kommen für 24 Stunden in eine Mischung von 
ı T. HCl, 3 T. Wasser und 20 T. Alkohol (auf genaues Einhalten 
dieses Verhältnisses kommt es nicht an), werden dann gespült und 
gefärbt. Das Fibrillenbild ist vollkommen verschwunden 
und‘ nur das Nisslbild und zwar unvermindert vor- 
handen (Tafel I, Fig. II). — Zwei weitere Präparate kommen in eine 
Mischung von 1 T. HCl und etwa 20 T. Wasser. Nach 24 Stunden 
wird gewaschen und gefärbt. Es zeigt sich keine Spur von 
sefärbten Nisslschollen, die Kerne sind etwas blasser 
(oder invers), die Fibrillenfärbung ist aber vollkommen 
erhalten. Da die Nissischollen ungefärbt sind, so sieht man jetzt 
den Fibrillenverlauf in der ganzen Zelle (Tafel I, Fig. II). 

Es ist also die färbbare Substanz der Fibrillenin 
alkoholischer Salzsäure, die der Ganglienzellen in 
wässeriger Salzsäure löslich. Handelte es sich in beiden 
Fällen um dieselbe Substanz, die das eine Mal nur leichter abspaltbar 
wäre, so wäre anzunehmen, daß sie sich von den Fibrillen auch bei 
der Behandlung abspaltet, bei der sie im festergebundenen Falle ab- 
gespalten wird. Das reziproke Lösungsverhalten deutet mit ziemlicher 
Sieherheit darauf hin, daß es sich um zwei verschiedene Substanzen 
handelt. Ich will die eine Substanz von nun an die Fibrillensäure, 
die andre Nisslsäure nennen. Warum die Substanzen als Säuren an- 
zusehen sind, wird aus dem Folgenden hervorgehen. 

Durch Alkohol allein wird die Fibrillensäure ebensowenig aus- 
gezogen wie die Nisslsäure dureh reines Wasser. Danach wird man 
annehmen dürfen, daß beide Substanzen an ihre Substrate chemisch 
gebunden sind und daß die Salzsäure sie abspaltet. Man wird ferner 


142 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 


schließen können, daß die freie Fibrillensäure in Alkohol löslich und 
in Wasser unlöslich ist und daß sich die Nisslsäure grade umgekehrt 
verhält (löslich in Wasser, unlöslich in Alkohol). 

Bringt man ein Präparat zuerst in Salzsäurealkohol und dann in 
Wasser, so fällt das Färbungsresultat so aus, als wenn es nur in 
Salzsäurealkohol gewesen wäre. Bringt man umgekehrt ein Präparat 
erst in verdünnte Salzsäure und dann in Alkohol, so färben sich 
nachher die Fibrillen doch. Trotz der vorhergehenden Salzsäure- 
einwirkung hat der Alkohol doch nieht die Fibrillensäure gelöst. Um 
auch die Fibrillensäure zu lösen, muß der Alkohol ebenfalls eine 
reichliche Menge Salzsäure enthalten und umgekehrt bei voraufgehender 
Lösung mit Salzsäurealkohol muß das nachher einwirkende Wasser 
Salzsäure enthalten, um auch die Nisslsäure herauszulösen.') Hieraus 
ist der Schluß zu ziehen, daß die Abspaltung nur geschieht, wenn 
die Salzsäure in dem geeigneten Lösungsmittel enthalten ist. Eventuell 
ist die Tatsache aber auch dahin zu deuten, daß die Substanzen nur 
bei saurer Reaktion der Lösungsmittel in Lösung gehen. 

Ammoniak wirkt nur auf die Nisslsäure lösend; auch in starker 
Konzentration verändert es die primäre Färbbarkeit der Neurofibrillen 
weder in alkoholischer noch in wässeriger Lösung. In alkoholischer 
Lösung löst Ammoniak die Nisslsäure langsam und unvollkommen, 
leichter, wenn Behandlung mit Säure vorhergegangen ist. Wässeriges 
Ammoniak (1:10 bis 1:20) löst die Nisslsäure ziemlich schnell. Da 
die Fibrillensäure erhalten bleibt, so treten in solchen Präparaten die 


1) Nach Held sollen sich die Nisslschollen weder in verdünnten noch in 
konzentrierten Säuren lösen. Wenn ich recht verstehe, sollen sie auch ihre Baso- 
philie dabei nicht verlieren. Mir ist es nicht verständlich, wie er zu diesem 
Resultat gekommen ist. Salzsäure löst die Nisslsäure in der Kälte in einer Kon- 
zentration von etwa 2—3°/,, im Brutschrank bei einer Temperatur von 40° C. 
schon bei einer Konzentration von 0,4°/, und zwar innerhalb 2—3 Stunden. Nun 
sollen nach Held bei Verdauung von grauer Substanz mit Pepsinsalzsäure nur 
die Nisslschollen übrig bleiben und zwar unter Beibehaltung der Basophilie. Da 
letztere schon durch die Salzsäure allein zum Verschwinden gebracht wird, so 
könnte es sich bei diesem Resultat nur um eine durch das Pepsin erzeugte 
sekundäre Färbbarkeit handeln. Ich habe aber weder mit frisch aus Schweine- 
magen gewonnenem Pepsin, noch mit einem käuflichen Präparat zu dem Held- 
schen Resultat gelangen können. Auf die angebliche Niehtverdaubarkeit und 
den Befund von Phosphor in einem Verdauungsrückstand hat dann Held die 
Vermutung aufgestellt, daß es sich in den NissIschollen um ein Nukleoalbumin 
handle! Ganz abgesehen von der Kühnheit dieses Schlusses ist es doch etwas 
zu weit gegangen auf den Nachweis von Phosphor in einer Substanz des Nerven- 
systems etwas zu geben, wenn sie auf solche Weise dargestellt ist. Phosphor 
ist im Nervensystem in so vielen Substanzen vorhanden, daß man nur nach oft- 
malisem Umfällen entscheiden kann, ob eine Substanz wirklich Phosphor enthält 
oder ob der gefundene Phosphorgehalt nicht nur auf Verunreinigungen zurück- 
zuführen ist. 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 143 


Fibrillen in den Ganglienzellen ebenso deutlich hervor, wie in Salz- 
säurepräparaten. (Übrigens gibt sowohl die Salzsäure-, wie die Am- 
moniakbehandlung interessante Kernbilder, auf die ich hier aber nicht 
näher eingehen will.) 

Die hier angeführten Versuche weisen den Weg, in welcher Weise 
es gelingen kann, die Nisslsäure und die Fibrillensäure zu extrahieren 
und der chemischen Untersuchung zugänglich zu machen. Voraus- 
zeschickt muß noch werden, daß beide Substanzen weder durch heißen 
Alkohol, noch dureh Chloroform oder Äther aus den Präparaten heraus- 
gelöst werden. Auch mit Salzsäure gesättigter Äther löst keine der 
beiden Substanzen, so daß angenommen werden muß, daß sie in 
Äther überhaupt unlöslich sind. 

Die von mir angestellten Versuche beide Substanzen rein dar- 
zustellen sind bis jetzt über Vorversuche nicht hinausgekommen. Ich 
glaube aber die Fibrillensäure bereits rein in Händen gehabt zu haben 
und auch bei der Nisslsäure nicht weit davon gewesen zu sein. Die 
Darstellung beider Substanzen ist dadurch erschwert, daß sie augen- 
scheinlich nur in sehr geringen Mengen im Nervengewebe vorhanden 
sind. Von der Fibrillensäure habe ich zweimal aus etwa einem Kilo 
frischem Ochsenrückenmark ungefähr je zwei Zentigramm Substanz 
erhalten, von der Nisslsäure mehrere Dezigramm (diese Substanz war 
aber vermutlich nicht frei von Beimengungen). Ich beschränke mich 
hier darauf einige Reaktionen und Eigenschaften beider Substanzen 
zu beschreiben: 

Die freie Fibrillensäure ist eine amorphe, fast ungefärbte 
Substanz, welche in trocknem Zustand eine homige Konsistenz hat. 
Sie ist in Wasser, Chloroform, Äther und Petroläther ganz unlöslich, 
ebenso in verdünnten Mineralsäuren und in Eisessig. Sie ist ziemlich 
leicht löslich in Alkohol, besonders wenn er schwach angesäuert ist. 
Aus der alkoholischen Lösung fällt die Substanz bei Zusatz von 
Natronlauge oder Kalilauge (oder der betreffenden kohlensauren Salze) 
als Alkalisalz aus. Diese Salze sind in Wasser sehr leicht löslich. 
Mit Sublimat bildet die Säure eine in Alkohol, Wasser und Laugen 
unlösliche Verbindung. Das Ammoniaksalz ist sowohl in Alkohol 
als auch in Wasser unlöslich. 

Die frei in Wasser suspendierte Substanz färbt sich beim Zusatz 
von Toluidinblaulösung intensiv violett und entzieht der Lösung, wenn 
nicht zuviel Farbstoff zugegeben wurde, alle Farbe. Versetzt man 
die Lösung des Alkalisalzes mit einem Tropfen Toluidinblau 
oder Methylenblaulösung, so fällt die gefärbte Verbindung der Fibrillen- 
säure und der Farbbase sofort aus (vergleiche M. Heidenhain, 1902). 
Überträgt man das Farbsalz in Alkohol, so dissoziiert es schnell unter 
Lösung beider Komponenten. — Die Fibrillensäure gibt keine Biuret- 


144 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 


reaktion. Die kleine zur Stickstoffprobe benutzte Menge gab eine so 
schwache Grünfärbung, daß der Gedanke, sie rührte von einer ge- 
ringen Verunreinigung her, nicht auszuschließen ist. 

Die freie Nisslsäure (?) ist in Wasser leicht löslich, in Alkohol 
schwer löslich. Mit Alkalien bildet sie leieht lösliche Salze. Ihre 
Sublimatverbindung ist in Wasser löslich und fällt beim Zusatz von 
Alkali aus der Lösung aus. Sie ist stiekstoffhaltig und gibt keine 
Biuretreaktion. 

Die Eigenschaften, welche bei der als Fibrillensäure angesprochenen 
Substanz gefunden wurden, stimmen so genau mit denjenigen überein, 
welche man nach dem Verhalten im Präparat zu erwarten hatte, daß 
ich keinen Augenblick daran zweifle, daß beide Substanzen 
identisch sind. Dafür spricht auch, daß in der Lösungsfraktion, 
in weleher nach der histologischen Kontrolle die Fibrillensäure sein 
mußte, außer dieser Substanz nur noch eine kleine Menge Chlorealeium 
sefunden wurde. — Zweifelhafter ist es, ob die färbbare Substanz 
der Ganglienzellen mit der als Nisslsäure bezeichneten isolierten Sub- 
stanz identisch ist. Außer der histologischen Kontrolle, daß die Sub- 
stanz in der betreffenden Lösungsfraktion sein mußte (in der keine 
andre in Betracht kommende Substanz vorhanden war), kann ich als 
Wahrschemlichkeitsbeweis nur anführen, daß ich aus 80 g& Spinal- 
eanglien vom Ochsen mehr von dieser Substanz erhielt als aus einem 
eanzen Kilo Gehirn. 


Bei vitaler Injektion eines neurotropen Farbstoffes bekommt man 
immer nur eine geringe Zahl von Nervenfasern gefärbt. Die Zahl 
derselben vermehrt sich, wenn das Nervensystem unter schlechten Be- 
dingungen steht, besonders, wenn es unter Zutritt von Luft abstirbt. 
Ist das Gewebe mit Alkohol oder Äther (siehe weiter unten) fixiert, 
so färben sich alle Fasern. Ich ziehe hieraus den Schluß, daß die 
Fibrillensäure (deren Gegenwart die Ursache der primären Färbung 
ist und welehe, wie ich später zeigen werde, kein Abfallsprodukt 
der Fibrillen ist, sondern ihnen dauernd anhaftet) mindestens zwei 
Valenzen hat, welehe normalerweise beide an die eiweißartigen Fibrillen 
eebunden sind. Beim Absterben löst sich eine (saure) Valenz und ist 
zur Anlagerung des Farbstoffes disponibel. Daß die Fibrillensäure 
im fixierten Präparat gebunden ist, habe ich schon oben gezeigt; dab 
neben der Valenz, mit der die Fibrillensäure an die Fibrillen gebunden 
ist, eine zweite und zwar saure Valenz vorhanden ist, welche von der 
Farbbase eingenommen wird, geht aus folgendem Versuch hervor: Färbt 
man ein Präparat und bringt man dasselbe, ohne zu fixieren, in Alkohol, 
so verschwindet die Färbung wieder, wie oben angegeben. Das Prä- 
parat ist jetzt aber einer erneuten Färbung der Achsenzylinder (resp. 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 145 


der Neurofibrillen) fähig. Hätte die Fibrillensäure nur eine saure 
Valenz, mit der sie an die Fibrille gebunden wäre, so müßte sie sich, 
um an den Farbstoff gehen zu können, von der Fibrille abspalten; 
bei der Spaltung dieser Farbstoffverbindung durch Alkohol wäre die 
Fibrillensäure dann frei und müßte sich in Alkohol lösen. Da sie 
dies nicht tut, sondern immer wieder färbbar ist, so muß die Valenz, 
welche den Farbstoff aufnimmt, eine andre sein, als die, mit der die 
Fibrillensäure an der Fibrille hängt. — Unter Zugrundelegung der 
Ehrlichschen Seitenkettentheorie kann man sich die Verhältnisse gut 
vorstellen. 

Ich habe gezeigt, daß die Fibrillensäure in den Fasern des 
Rückenmarks und in den Ganglienzellen nur dann nach Alkohol- 
fixierung darstellbar ist, wenn das Gewebe vor dem Fixieren durch 
das Quetschen der Luft ausgesetzt wird. Fixiert man im Block mit 
Alkohol und tut man dies auch mit noch so großer Schnelligkeit, so 
bekommt man in den Strängen und in der grauen Substanz gar keine 
Färbung der Nervenfasern. In den großen Ganglienzellen zeigen 
sich höchstens Spuren von primärer Färbung der Fibrillen und auch 
das nur in der Nähe der Blockoberfläche. Dagegen sind bei einiger- 
maßen frisch dem Tier entnommenen Stücken stets die motorischen 
Wurzelfasern innerhalb des Rückenmarks gefärbt und fast 
immer die hinteren Wurzelfasern, auch in ihrem auf- und absteigenden 
Teil (Tafel I, Fig. V). Wir finden also hier einen auffallenden Unter- 
schied zwischen denjenigen Achsenzylindern, welche die Fortsetzung 
peripherer Nervenfasern sind und denen, welche einen zentralen 
Verlauf haben! Erstere verhalten sich wie die Fasern peripherer 
Nervenstämme, in denen sich auch noch viele Stunden, ja Tage nach 
dem Tode die primäre Färbbarkeit durch Alkohol erhalten läßt (siehe 
auch die Wurzeln in der Fig. V), letztere wie Ganglienzellen und graue 
Substanz! Der Unterschied ist nach meinen bisherigen Erfahrungen 
durchaus scharf. 

Diese Differenz zwischen @Quetschpräparaten des Rückenmarks 
(es kann auch Gehirn genommen werden) und im Block fixierten 
Stücken brachte mich auf den Gedanken, daß im Zentralnervensystem 
eine Substanz vorhanden sei (oder sich nach dem Tode bilde), welche 
die Fibrillensäure aus ihrer Verbindung mit den Fibrillen verdrängt, 
so daß sie als freie Säure (siehe oben) sich beim Fixieren in Alkohol 
auflöst. Diese — sagen wir — Konkurrenzsubstanz würde im Leben 
dauernd oxydiert, so nahm ich an, und sie würde im Quetschpräparat 
durch den Sauerstoff der Luft oxydiert, wodurch die Fibrillensäure 
wieder in den Stand gesetzt wird, sich mit den Fibrillen zu verbinden. 

Wäre diese Vorstellung richtig, so müßte man die Fibrillensäure 
überall auch im Block nachweisen können, wenn man sich einer 

Bethe, Nervensystem, 10 


146 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 


Methode bediente, bei der sich die freie Fibrillensäure nicht löst oder 
bei der sie in eine alkoholunlösliche Verbindung übergeführt wird. 
Hierzu darf natürlich kein Metallsalz angewandt werden, da dabei 
Gelegenheit zu sekundärer Färbung entstehen könnte.) Da die freie 
Fibrillensäure ja in Wasser unlöslich ist, so kann sie ihren Platz 
nicht verändern, sondern muß an den Fibrillen liegen bleiben. Nach 
dien Voruntersuchungen kamen hier zwei Wege in Betracht: entweder 
man vermied den Alkohol und ersetzte ihn durch Äther, in dem, wie 
zezeigt, die freie Fibrillensäure nicht löslich ist, oder man fixierte mit 
Alkohol, setzte diesem aber Ammoniak zu, welches ja mit der Fibrillen- 
säure eine alkohol- und wasserbeständige Verbindung gibt. Beide Wege 
wurden mit vollem Erfolge betreten. 


1. Alte Äthermethode. (Dieselbe ist unsicher und daher nicht empfehlenswert. 
Da ich aber mit derselben bei den später zu beschreibenden Versuchen gearbeitet 
habe und keine Zeit hatte, die Ergebnisse mit der neuen und sichereren Methode 
nachzuprüfen, so muß sie hier beschrieben werden.) Das Gewebsstück wird 
direkt in Äther übertragen, und dieser mehrfach gewechselt. Nach etwa zwei 
Tagen wird es in eine Lösung von Toluidinblau 1:3000 gelegt und am andern 
Tag mit Ammoniummolybdat ohne zu waschen fixiert. Dann wird eingebettet 
und geschnitten. Bei dem mangelhaften Eindringen der Farbe und infolge andrer 
Umstände versagt die Methode bisweilen ganz. In andern Fällen bekommt man 
sehr schöne Bilder, besonders in den Achsenzylindern, deren Fibrillen oft gar 
nicht zusammengeschnurrt sind. 

2. Neue Äthermethode. Übertragen des frischen Gewebes in Äther. Ent- 
wässern mit absolutem Äther. (Die von den Histologen meistenteils und merk- 
würdigerweise angewandte Methode zur Erlangung von absolutem Äther durch 
einfaches Hineinwerfen von Chlorcaleium ist ohne Destillation für unsern Zweck 
unbrauchbar, weil immer Chlorealeium in Lösung geht. Am besten entwässert 
man mit metallischem Natrium und destilliert, wenn die Wasserstoffbildung auf- 
gehört hat, vorsichtig den abdekantierten Äther ab.) Übertragen in Xylol, Ein- 
betten in Paraffin. Die mit Wasser aufgeklebten Schnitte werden durch Xylol 
und Äther ()') in Wasser gebracht und wie sonst gefärbt und fixiert.?) 

3. Ammoniakmethode. Man fixiert mit Alkohol, dem auf 7—10 Teile 1 Teil 
Ammoniak hinzugesetzt ist. Einbetten und Färben wie sonst. 


Mit den beiden letzten Methoden bekommt man stets eine deutliche 
primäre Färbung der Achsenzylinder an allen Stellen des Zentralnerven- 
systems, auch wenn die Stücke ziemlich alten Leichen entnommen 
sind. Die Äthermethode ist entschieden vorzuziehen, weil sie stets ein 
leidliches Nisslbild zeigt, während bei der Ammoniakfixierung dieses 
fast ganz verloren geht. Die Äthermethode läßt, was die feineren 
Details angeht, oft zu wünschen übrig, weil leicht Vacuolenbildung, 


1) Ein ganz kurzes Verweilen der Schnitte in Alkohol macht übrigens nicht 
viel Schaden. 

2) Äther zum Entwässern anstatt Alkohol ist bei chemischen Untersuchungen 
schon mehrfach angewandt worden. Wie ich höre hat Feinberg diesen Kunst- 
griff bereits zu histologischen Zwecken benutzt. (Deutsche med. Wochensehr. 1902.) 


arze 


u; e— 


Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 147 


ähnlich wie beim Vertrocknen, eintritt. Häufig fehlt dies allerdings 
ganz und dann sieht man in den Zellen und den diekeren Achsen- 
zylindern eine sehr deutliche fibrilläre Struktur. Es kommt aber hier 
nieht auf Feinheiten an, sondern auf die Reaktion und 
in der Tat gibt diese Methode ein Reaktionsbild des 
Nervengewebes von einer solchen Empfindlichkeit, wie 
wir es bisher nur für die Ganglienzellen in der Nissl- 
schen Methode besitzen. Ich glaube, daß sie für die Patho- 
logie gute Dienste wird leisten können. 

In einem Schnitt des Rückenmarks, der in der angegebenen 
Weise behandelt ist, ist die primäre Färbbarkeit der Neuro- 
fibrillen überall, im Grau, in den Ganglienzellen und 
in allen Straugfasern erhalten (Tafel I, Fig. IV).!) Es ist da- 
durch bewiesen, daß die Fibrillensäure dort, wo das Alkoholpräparat 
niehts zeigt (Fig. V), nicht etwa fehlt, sondern nur in freiem Zustande 
vorhanden ist. Daß sie im Ätherpräparat wirklich frei 
ist, ist leicht zu zeigen. Man braucht nur einige Schnitte vor 
dem Färben für einige Stunden in Alkohol zu bringen, welcher ja 
freie Fibrillensäure löst, und man erhält nachher beim Färben das- 
selbe Resultat, als wenn der Block mit Alkohol fixiert gewesen wäre 
(also etwa wie Fig. V). 

Es bliebe noch zu zeigen, daß die Fibrillensäure dort, wo sie bei 
den bisherigen Versuchen frei gefunden wurde, intra vitam wie in 
den peripheren Nerven an die Fibrillen gebunden ist. Ich konnte 
diese Versuche aus äußeren Gründen nicht zu Ende führen, glaube 
aber, daß die zwei Versuche, welche ich gemacht habe, so klar waren, 
daß sie eine Entscheidung der Frage bereits zulassen. 

Wir haben Grund anzunehmen, daß bei der allmählichen Ab- 
kühlung eines Organismus alle vitalen Prozesse einschlafen, ohne daß 
Veränderungen durch Oxydation u. s. w. eintreten. Wenn nun im 
Zentralnervensystem eine Konkurrenzsubstanz dauernd gebildet, aber 
immer wieder durch Oxydation zerstört wird, so kann dieselbe sich 
beim Abkühlen nicht in einem solchen Überschuß bilden, daß sie zur 
Abspaltung der Fibrillensäure führt, weil ihre Bildung ein vitaler 
Prozeß wäre, dieser aber durch die Kälte wie alle andern unterdrückt 
würde. Ich ließ nun zwei Frösche allmählich einfrieren, meißelte 
das Rückenmark heraus und übertrug es direkt in stark unter 0° ab- 
gekühlten Alkohol. In diesem tauten die Stücke allmählich auf und 
wurden dann in der üblichen Weise eingebettet, geschnitten und gefärbt. 


1) Von einer primären Färbung der Fibrillen kann man auch da sprechen, 
wo man nicht die einzelnen Fibrillen, sondern nur den rötlichen Ton, sei es in 
Nervenfasern, sei es in Zellen, sieht, da diese rötliche Färbung nachweislich von 
der Färbung der Fibrillen herrührt. 

10* 


{48 Die primäre Färbbarkeit der Ganglienzellen und der Neurofibrillen. 


Auf den Schnitten zeigte sich die primäre Färbbarkeit 
aller Strangfasern, der Zellen und des Graus ebenso 
ut erhalten wie im Ätherpräparat eines gewöhnlichen 
Frosches. Die in Alkohol fixierten Rückenmarke zweier nicht ein- 
xefrorener Kontrollfrösche zeigten dagegen primäre Färbung nur in 
den Wurzelfasern, den Fasern der Hinterstränge (auf- und absteigende 
sensible Wurzelfasern) und andeutungsweise in einigen wenigen Strang- 
fasern und ebenfalls andeutungsweise in den großen Vorderhornzellen. 
(Beim Frosch bleibt entsprechend seinem trägeren Stoffwechsel im 
sewöhnlichen Alkoholpräparat mehr erhalten als bei Säugern.) Der 
Unterschied zwischen den eingefrorenen Tieren und den nicht ein- 
zefrorenen war außerordentlich deutlich. 

An Säugern habe ich nach dieser Richtung hin leider keine Ver- 
suche anstellen können. Ich glaube aber, daß bereits aus diesen 
Froschversuchen hervorgeht, daß die Fibrillensäure intra vitam überall 
an die Fibrillen gebunden ist, und daß die Abspaltung der Fibrillen- 
säure im zentralen Nervensystem auf der übermäßigen Bildung einer 
Substanz beruht, welehe dem peripheren Nerven fremd ist. Eventuell 
kann man die übermäßige Produktion dieser Konkurrenzsubstanz auf 
die unvermeidliche Ersticekung des Gewebes zurückführen, da ja beim 
Zutritt von Sauerstoff (Quetschpräparate!) die Verbindung zwischen 
Fibrille und Fibrillensäure wieder hergestellt wird, es sich also in 
der Konkurrenzsubstanz vermutlich um einen oxydablen Körper handelt. 
Eine Erstickung des Gewebes bei der Entnahme aus dem Tierkörper ist 
ja besonders bei Säugern ganz unvermeidlich. Jedes Stück Zentral- 
nervensystem, das man nach der Herausnahme aus dem Tierkörper 
fixiert, ist erstickt; man mag so. schnell verfahren, wie man will. 
Sine Fixierung des nicht erstickten Gewebes ist eventuell dann mög- 
lich, wenn man, wie Mann dies ausgeführt hat, intra vitam das 
Fixierungsmittel in die Blutbahn injiziert. Bei diesem Verfahren scheint 
Mann auch in der Tat bereits primäre Färbung der Fibrillen in den 
Ganglienzellen und Strangfasern erhalten zu haben, soweit man das 
aus seinen kurzen Publikationen ersehen kann. 

Die Existenz einer Konkurrenzsubstanz beim Absterben oder nach 
dem Tode des Gewebes scheint mir gesichert. Hypothese ist es, daß 
sie bereits im Leben zu den normalen Gewebsprodukten gehört. Auch 
die über die Entstehung und Zerstörung der Konkurrenzsubstanz ge- 
äußerten Ansichten sind insofern hypothetisch, als sich die Tatsachen 
in andrer Weise erklären lassen. Spätere Kapitel werden aber zeigen, 
daß diese Hypothese nicht unfruchtbar ist. 


EEE RLLELN ULLA N GI 


.—. 


NEUNTES KAPITEL. 


Über einige andre Zellstrukturen und Zellbestandteile 
und die Veränderungen der Ganglienzellen nach intra 
vitam erfolgenden Eingriffen. 


Von einigen Autoren sind innerhalb von Ganglienzellen Centro- 
somen und Sphären beschrieben worden (Lenhossek, Bühler, Lewis, 
Joseph, Studnicka und andere). Am überzeugendsten scheinen mir noch 
die Bilder zu sein, welche Lewis an Wirbellosen fand, wenngleich auch 
hier eine anderweitige Deutung nicht ausgeschlossen erscheint. Sehr 
wenig Überzeugungskraft scheinen mir aber die von Bühler vorgelegten 
Abbildungen zu besitzen. Bilder, wie sie Lenhossek erhielt, sieht man 
an Spinalganglienzellen nicht selten; bei Hühnerembryonen vom sech- 
sten bis zehnten Tage sind sie sogar sehr deutlich und an jeder Zelle 
zu sehen. Etwas Analoges habe ich an zentralen Zellen aber nie wahr- 
nehmen können. Daß es sich bei diesen kugligen und von konzen- 
trischen Schiehten umgebenen Gebilden um Centrosomen handelt, scheint 
mir vorläufig zweifelhaft. Für die hier behandelten Fragen ist 
es auch ziemlich gleichgültig, ob die Ganglienzellen noch im aus- 
gebildeten Zustande Reste von Centrosomen besitzen oder nicht. — 
Erwähnung mag hier auch finden, daß in den Kernen mancher Gan- 
slienzellen des Igels Krystalloide gefunden worden sind (Lenhossck, 
Sjövall). 

Vor einigen Jahren erregten Befunde von Golgi (1898 und 1899) 
ein berechtigtes Aufsehen, durch welche gezeigt wurde, daß der Zell- 
leib gewisser Ganglienzellen (Spinalganglienzellen, Purkinjesche Zellen 
u. a.) durchzogen ist von einem System feiner Kanäle, oder wenigstens 
von Gebilden, die als Kanälchen gedeutet werden können. Ähnliche 
Kanälchen wurden auch von Nelis (1899) und Holmgren (1900) in 
allen möglichen Zellen des Zentralnervensystems dargestellt. Wie mir 
scheint, handelt es sich in den Strukturen Golgis und denen von Nelis 
und Holmgren nicht um identische Gebilde (Bethe 1900). Erstere 
sind viel reicher verzweigt und sind nur auf den Zelleib selber be- 
schränkt, während letztere einförmiger und weiter sind und nach außen 
münden. Für den Neurologen haben diese Gebilde an Interesse ver- 
loren, seitdem von beiden Strukturen gezeigt ist, daß sie auch in 
andren Zellen als Ganglienzellen vorkommen, daß sie also keine spezi- 
fische Eigentümlichkeit dieser, sondern ein allgemeines „Zellorgan“ 
sind. (Siehe Veratti und Holmgren 1902.) 


150 Über einige andre Zellstrukturen u. Zellbestandteile d. Ganglienzellen u. s. w. 


In vielen Ganglienzellen findet sich auch Pigment und zwar desto 
mehr je älter das Tier ist, von dem die Präparate stammen. Es 
werden mehrere Arten von Pigment in den Ganglienzellen unterschie- 
den; am häufigsten findet sich das gelbe Pigment. [In Alkohol- 
präparaten färbt es sich mit basischen Farbstoffen gar nicht oder 
sehr schwach. In diesem Fall wird die Farbe beim Passieren von 
Alkohol wieder ausgezogen. Sind die Präparate mit Salpetersäure 
von etwa 10°/, fixiert, so färben sich die Pigmentansammlungen mit 
Toluidinblau leuchtend smaragdgrün. Ich führe dies deswegen an, 
weil wir es hier mit einem von den Fällen zu tun haben, wo ein 
nicht beizender Eingriff (Nitrierung?) eine sekundäre Färbbarkeit 
schafft.]| Das Pigment ist weder in Säuren noch in Alkalien löslich. 
Allgemein wird ihm kein aktiver Anteil an den Vorgängen in der 
Ganglienzelle zugeschrieben, weil es in ein und derselben Zellart bald 
reichlich vorhanden ist, bald ganz fehlt. Man nimmt an, daß es sich 
um Reste des Stoffwechsels handelt, welche unlöslich und daher trans- 
portunfähig sind; dafür spricht, daß sich bei jungen Individuen fast 
kein Pigment findet, während die Zellen alter Individuen oft davon 
strotzen. Einige Autoren lassen das Pigment aus Nisslschollen her- 
vorgehen. 

Eine ganze Anzahl von Forschern hat die Veränderungen studiert, 
welche sich an den Ganglienzellen im Zustande der Ermüdung oder 
der Reizung zeigen. Als abgeschlossen können diese Untersuchungen 
noch nicht gelten; dazu sind die Resultate der einzelnen Autoren noch 
zu widersprechend. Hodge (1892 und 1894) studierte die Ermüdung 
an Arbeitsbienen, welche am Abend eingefangen waren, und verglich 
ihre Zellen mit solchen Tieren, die die Nacht über geruht hatten. 
Auch Versuche in der Tretmühle und nach elektrischer Reizung wurden 
von diesem und andern Forschern angestellt (Nissl, Mann, Holmgren). 
Der Kern soll kleiner werden, einen unregelmäßig zackigen Umriß 
bekommen und sich sehr dunkel färben. Der Zelleib soll schrumpfen, 
Vaeuolisation zeigen, Osmiumsäure schwächer reduzieren und an pri- 
märer Färbbarkeit abnehmen. 

Eine große Anzahl höchst interessanter Versuche ist zu dem 
Zweck angestellt worden, Veränderungen an den Ganglienzellen durch 
Vergiftungen hervorzubringen (Nissl, Lugaro, Marinesco, Goldscheider, 
Flatau, van Gehuchten, Brauer u. a.). Als Untersuchungsmethode 
diente fast ausschließlich die NissIsche Methode. Bei akuten und sub- 
akuten Vergiftungsversuchen ergaben sich fast durchgängig für die 
verschiedenen Gifte spezifische Zellveränderungen, welche bald in 
einem totalen Verschwinden der primären Färbbarkeit (meist mit vor- 
hergehender Veränderung des Strukturbildes, Chromatolyse), bald in 
einer partiellen Auflösung der Schollen bestehen und sich in andern 


Über einige andre Zellstrukturen u. Zellbestandteile d. Ganglienzellen u.s.w. 151 


Fällen durch Zunahme der primären Färbbarkeit, Färbungsfähigkeit 
der in normalen Präparaten ungefärbten Bahnen oder andern Ände- 
rungen des Strukturbildes künd tun. Derartige Versuche wurden mit 
Blei, Quecksilber, Arsen, Phosphor, Alkohol, Veratrin, Strychnin, 
Morphium, Malonnitril, Tetanusgift und andern Substanzen angestellt. 
Auf die Verschiedenheiten, welche die Äquivalentbilder bei diesen ver- 
schiedenen Giften aufweisen, will ich hier nicht näher eingehen und 
verweise auf die Zusammenstellung von Goldscheider und Flatau, wo 
sie in ziemlicher Vollständigkeit aufgeführt sind. So wie die Zell- 
veränderungen für jedes Gift spezifisch sind, so ist wenigstens bei 
manchen Giften auch die Zellart typisch, an welcher sieh die Gift- 
wirkung hauptsächlich äußert. Im allgemeinen verändern sich nämlich 
nicht alle Zellen des gesamten Nervensystems, sondern bei manchen 
Giften wird diese Zellart, bei andern jene Zellart in erster Linie vom 
Zerstörungsprozeß ergriffen. 

3ei dieser Sachlage lag es zunächst auf der Hand, die spezi- 
fischen Zellveränderungen als den Ausdruck funktioneller Störungen 
der Ganglienzellen anzusehen und an spezifische Verschiedenheiten 
der Ganglienzellen zu denken. So wurde denn auch Nissl dureh der- 
artige Untersuchungen dazu geführt, die Lehre von den spezifischen 
Zellfunktionen aufzustellen. Weitere Untersuchungen von Nissl selbst 
und von Goldscheider und Flatau haben aber gelehrt, daß diese Frage 
noch nicht so spruchreif ist, als es anfangs erschien (Nissl 1898). 

Bei chronischen Vergiftungen, welche Nissl mit Alkohol, Veratrin, 
Nikotin und Morphium anstellte, zeigte sich nämlich, daß von den für 
jedes Gift spezifischen Veränderungen, welche sich bei subakuter und 
akuter Vergiftung zeigen, nichts zu sehen ist. Das Vergiftungsbild 
war bei dieser Art der Einverleibung der Gifte in allen Fällen das 
gleiche. Andrerseits konnte Nissl bei verschiedenen Arten von Geistes- 
störung und bei nicht Geisteskranken, die vor dem Tode deliröse 
Zustände gehabt hatten, die gleichartigen Formen von Zellerkrankungen 
feststellen und bei einer größeren Anzahl von Paralysen, die ein ganz 
übereinstimmendes Krankheitsbild gezeigt hatten, verschiedenartige 
Zellerkrankungen in der Hirnrinde wahrnehmen. Daraus ergibt sich, 
daß die Zellveränderungen nicht ohne weiteres als der Ausdruck funk- 
tionelier Störungen und noch weniger als der Ausdruck bestimmter 
Störungen anzusehen sind. — Eine starke Inkongruenz zwischen der 
Art der Zellveränderungen und der Stärke und Art der funktionellen 
Störungen geht auch aus folgenden Versuchen hervor: Wird bei einem 
Kaninchen der Stensonsche Versuch (Kompression oder Unterbindung 
der Bauchaorta) gemacht, so sind die Beine nach kurzer Zeit gelähmt, 
nach wenigen Minuten zeigen sich die Ganglienzellen des außer Zirku- 
lation gesetzten Rückenmarkstückes deutlich verändert. Hebt man 


152% Über einige andre Zellstrukturen u. Zellbestandteile d. Ganglienzellen u. s. w. 


die Kompression nach einiger Zeit wieder auf, so treten die Lähmungen 
in den Hinterbeinen schnell zurück, die Ganglienzellveränderungen 
persistieren aber noch durch längere Zeit (Nissl). — Vergiftet man 
ein Tier mit Malonnitril, so stellen sich gleichzeitig mit den Krämpfen 
und Lähmungen starke Veränderungen in den Vorderhornzellen ein. 
Wird das Tier rechtzeitig mit unterschwefligsaurem Natrium entgiftet, 
so werden die funktionellen Erscheinungen bald wieder normal, die 
Zellveränderungen dauern aber doch für längere Zeit noch fort (Gold- 
scheider und Flatau). — Bei der Vergiftung mit Tetanusgift stellen 
sich Zellveränderungen ein, doch halten diese nicht Schritt mit dem 
Verlauf des Krankheitsprozesses, sondern fangen sogar an auf dessen 
Höhe sich zurückzubilden (Goldscheider und Flatau). — Die physio- 
logische Wirkung des Tetanustoxins und des Strychnins ist sehr ähn- 
lich; trotzdem ist das Bild der Zellveränderungen bei beiden Giften 
so verschieden, „daß niemand auch nur auf den Gedanken kommen 
würde, auf Grund dieser Veränderungen ein einigermaßen ähnliches 
Symptomenbild vermutungsweise anzunehmen“ (Nissl). 

Danach ist es wohl sicher, daß die Zellveränderungen, welche 
ja unzweifelhaft durch die verschiedenen Schädigungen hervorgerufen 
werden, kein Wertmesser für die Schädigung selber sind und in keinem 
direkten Zusammenhang mit der funktionellen Störung stehen können. 
Sie sind, wie Nissl sagt, ‚in erster Linie der Ausdruck der durch 
die einzelne Schädigung hervorgerufenen Störung des stofflichen Gleich- 
sewichts in der Nervenzelle“. Damit ist gewiß nicht zuviel gesagt. 
Vielleicht wird man mit der Zeit, wenn erst genauer erforscht sein 
wird, welche Rolle die primär färbbare Substanz und ihre Grundmasse 
im Leben der Nervenzelle spielt, auch lernen aus dem Äquivalentbild 
wirkliche Rückschlüsse auf den physiologischen Zustand der Ganglien- 
zellen zu ziehen. Im Augenblick ist über die Rolle, welche die färb- 
bare Substanz in der Ganglienzelle spielt, noch gar nichts zu sagen 
und all die Vermutungen, welche bisher darüber geäußert sind, können 
als in der Luft schwebend übergangen werden. 


ZEHNTES KAPITEL. 


Die Nervendegeneration. 


Die morphologischen Veränderungen bei der Degeneration S. 155— 160. — Das 
Schwinden der primären Färbbarkeit am Anfang der Degeneration S. 161— 163. — Die 
Ursachen der Degeneration S. 163— 175. — Tägliche Reizung eines durchschnittenen 


Froschnerven beschleunigt die Degeneration S. 164—166. — Die Degeneration 
nach Kontinuitätstrennung ist nur traumatisch S. 167. — Traumen, die keine 


Leitungsunterbrechung hervorrufen, bewirken doch Degeneration S. 168—171. — 
Leitungsunterbrechung zieht nicht notwendigerweise Degeneration nach sich 
8. 172—175. 


Bereits einem Autoren des achtzehnten Jahrhunderts, Armmemann 
(1787) fiel es auf, daß das periphere Ende eines Nerven einige Tage 
nach der Durchschneidung ein glanzloses, welkes Aussehen habe, und 
daß auf Reizung eines solchen Nerven keine Zuckungen mehr in den 
zugehörigen Muskeln aufträten, während das zentrale Ende glänzend 
bleibt und bei Reizung zu „Schmerzensäußerungen“ des Tieres führt. 
Die physiologische Degeneration, das Aufhören der Leitungsfähigkeit 
des Nerven nach der Abtrennung von den Zentralorganen, wurde in 
den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts allseitig be- 
stätigt und gehört bis auf den heutigen Tag zu den gesichertsten 
Kenntnissen unserer Wissenschaft. Histologische Untersuchungen an 
degenerierten Nerven wurden erst relativ spät, zuerst von Nasse im 
Jahre 1839, unternommen. Eine Übereinstimmung der Meinungen, 
was die morphologischen Veränderungen während der Degeneration 
anbetrifft, ist erst in den letzten Jahren erreicht; in einigen Punkten 
steht sie immer noch aus. 

Nasse fand (und ziemlich unabhängig von ihm Günther und Sehön 
1840), daß einige Monate nach der Durchschneidung eines Nerven 
(Frosch und Kaninchen) das Nervenmark vollkommen verschwunden 
ist; auch die Primitivfasern (Achsenzylinder) schienen verschwunden 
zu sein. Bei Untersuchung früherer Stadien vom Frosch konnte be- 
reits beobachtet werden, daß die Markscheiden sich segmentieren und 
dann zu kleinen Fettröpfehen zerfallen, welche späterhin verschwinden. 
Diese Befunde wurden von den meisten späteren Autoren (Waller, 
Lent, Hjelt u. s. w.) in vollem Umfange bestätigt, während hauptsäch- 
lich Schiff (1853, 1558, 1887), Remak (1862), Erb (1869), Rumpf und 
Korybett-Daskiewiez nur eine Degeneration der Markscheiden aner- 
kannten und behaupteten, daß der Achsenzylinder fortbestände. Sie 
stützten sich hierbei in der Hauptsache auf die Untersuchung peri- 
pherer Nervenstümpfe, welche mehrere Monate vor der Sektion von 
den Zentralorganen abgetrennt waren und in denen sie noch deutlich 


154 Die Nervendegeneration. 


Achsenzylinder wahrnehmen konnten. Andre Streitpunkte bestanden 
darin, ob es sich um eine fettige Degeneration des Markes oder um 
Umwandlung desselben (Eichhorst, Tizzoni, S. Mayer), oder um Ver- 
drängung durch das wuchernde Protoplasma der Schwannschen Kerne 
(Ranvier) oder schließlich um phagoeytäre Prozesse handle. Auch ist 
bis auf den heutigen Tag lebhaft darüber diskutiert worden, ob die 
Degeneration auf der ganzen peripheren Strecke gleichzeitig aufträte 
oder ob sie an der Verletzungsstelle resp. an der Peripherie ihren 
Anfang nähme und von da aus fortschritte. Es liegt nicht in meiner 
Absicht, die ausgedehnte Literatur hier zu besprechen. Sie ist so 
gut in den Arbeiten von v. Büngner (1891) und Ströbe (1893 und 
1895) referiert, daß ich auf diese verweisen kann. Ein Teil der zur 
Diskussion stehenden Fragen hat auch ein lediglich pathologisch ana- 
tomisches Interesse, so daß diese hier ganz unberücksichtigt bleiben 
können. 

Einen der wesentlichsten Fortschritte machte die Degenerations- 
frage durch die Untersuchungen von Waller (1852), die zur Auf- 
stellung des sogenannten Wallerschen Gesetzes führten: Nach Durch- 
schneidung wmotorischer Wurzeln degenerieren die Nervenfasern nur 
nach der Peripherie zu und zwar nur die motorischen, die sen- 
siblen bleiben intakt. Durchschneidet man eine sensible Wurzel, so 
bleiben die Nervenfasern im peripheren Nerven und in dem Teil der 
Wurzel, welcher noch am Spinalganglion hängt, intakt, während der 
am Rückenmark verbleibende Teil der Wurzel degeneriert und zwar, 
wie wir jetzt wissen, noch weit ins Rückenmark hinein (Hinterstrang- 
degeneration). Schließlich nach Durchtrennung der sensiblen Fasern 
am peripheren Austritt aus dem Spinalganglion tritt nur eine Degene- 
ration nach der Peripherie hin ein. Hieraus schloß Waller, daß die 
Degeneration der Nervenfasern zustande käme durch 
Abtrennung von einem nutritorischen (trophischen) Zen- 
trum, welches für die motorischen Fasern im Rücken- 
mark, für die sensiblen im Spinalganglion gelegen Sei. 
Im Anschluß an die Untersuchungen von Wagner (1846) und Robin 
(1846), welche den Zusammenhang von Ganglienzelle und Achsen- 
zylinder zuerst gesehen hatten, verlegte er bereits das nutritorische 
Zentrum in die Ganglienzelle. 

Man kann diese Befunde und Deutungen, welche die Degenera- 
tion betreffen, als den ersten Teil des Wallerschen Gesetzes bezeichnen. 
Der zweite Teil bezieht sich dann auf die Regeneration der Nerven- 
fasern und kann kurz dahin zusammengefaßt werden: Die Rege- 
neration einer Nervenfaser geschieht nur vom trophi- 
schen (nutritorischen) Zentrum aus, indem der Achsen- 
zylinder von der Ganglienzelle wiederin die alte Bahn 


Die Nervendegeneration. 155 


hineinwächst. Dieser zweite Teil ist schon an und für sich eine 
Konsequenz des ersten Teils, für den Fall daß dieser auch in seinem 
theoretischen Teil (d. h. in Betreff der trophischen Funktion der 
Ganglienzelle) richtig ist. Er wird uns aber erst im nächsten Kapitel 
zu beschäftigen haben. 

Das Tatsächliche des ersten Teils des Wallerschen Gesetzes fand 
fast allgemeine Anerkennung. Zuerst war es Schiff (1853), der die 
Wallerschen Versuche nachmachte und bestätigte; ihrer theoretischen 
Deutung trat er aber entgegen, indem er ebenso wie Kölliker bei 
Säugetieren den Zusammenhang sensibler Fasern mit Spinalganglien- 
zellen leugnete. Später ist, wie bekannt, dieser Zusammenhang auch 
für die Säugetiere als sicher erwiesen worden, so daß von diesem 
Punkt ans keine Einwendungen gegen die Wallersche Anschauung 


mehr gemacht werden können. Andre Autoren — und ihre Zahl ist 
sehr groß — haben die Wallerschen Befunde bestätigt, seine theore- 


tischen Schlüsse angenommen und die Gesetzmäßigkeit der Nerven- 
faserdegeneration auf das gesamte Nervensystem ausgedehnt. Wo 
man auch eine Verletzung von Nervenbahnen bewirkt, immer geht 
das von der Ganglienzelle abgetrennte Fasergebiet eine regressive 
Metamorphose ein; dieser Satz kann nach allem als feststehend be- 
trachtet werden, wenigstens für alle markhaltigen Nervenfasern von 
Wirbeltieren. In dem mit der Ganglienzelle in Zusammenhang bleiben- 
den Faserteil tritt zwar auch eine Degeneration ein, diese erstreckt 
sich aber normalerweise nur auf die nächste Umgebung der Ver- 
letzung. Eine ganz andre Frage ist die, ob sich diese Tatsachen 
für eine trophische Funktion der Ganglienzelle im Sinne Wallers ver- 
werten lassen. 

Das größte Interesse beansprucht unter den allgemeinen Verän- 
derungen, welche am Nerven während der Degeneration zu beobachten 
sind, das Verhalten des leitenden Elements, als welches wir nach dem 
bisher besprochenen und auf Grund der weiter unten mitgeteilten Be- 
weise die Neurofibrillen ansehen müssen. Außer einigen spärlichen 
Andeutungen von v. Büngner und Stroebe liegen über diesen Punkt 
nur die Untersuchungen von Mönckeberg und mir (1899) vor, an welche 
ich mich im wesentlichen halten werde. Einige neuere von mir ge- 
fundene Einzelheiten füge ich unsern damaligen Befunden bei. In 
Betracht kommen hier auch noch alle die Arbeiten, welche sich mit 
dem Verhalten des Achsenzylinders als Ganzem beschäftigen. Die 
meisten älteren hierher gehörigen Arbeiten kann ich dabei ganz außer 
acht lassen, weil eine sichere Darstellung des Achsenzylinders be- 
sonders während der Degeneration nur mit Hilfe verfeinerter Methoden 
möglich ist. Als Ergebnis der neueren Untersuchungen über dies 
Thema (Beer, v. Büngner, Howell und Huber, Stroebe) kann man 


156 Die Nervendegeneration. 


folgendes ansehen: Beim Beginn der Degeneration zerfällt der Achsen- 
zylinder in einzelne Stücke, welche mit zunehmender Degeneration 
verschwinden, sodaß am Ende der Degeneration überhaupt nichts 
mehr vom Achsenzylinder übrig ist. Dabei müssen also wohl auch 
die Fibrillen zerstückelt und verschwunden sein. 

Im eigentlichen Fibrillenpräparat (Osmiumsäure, Molybdänieren, 
Toluidinblaufärbung) vom Frosch, Kaninchen und Hund konnten wir 
Veränderungen der Fibrillen in folgender Reihenfolge konstatieren: 

1. Die Fibrillen sind weniger gestreckt als normal. Auch bei 
maximaler Streckung des Nerven, wo sie normalerweise fast gradlinig 
verlaufen, zeigen sie starke Biegungen und liegen wirr durcheinander. 

2. Die einzelne Fibrille ist nicht mehr glatt, sondern zeigt hier 
und dort körnige Verdiekungen. Die Perifibrillärsubstanz ist noch 
homogen (Fig. 48 A). 

3. Die Körnelung der Fibrillen nimmt zu und führt zu einem 
körmnigen Zerfall derselben, indem die dünnen Verbindungsbrücken 
zwischen den Körnern wahrscheinlich zerreißen. Diesem Stadium oder 
schon dem zweiten kann ein Zusammenschnurren der Fibrillen zu 
einem Strange vorhergehen. Ist dies eingetreten, so kann man fest- 
stellen, daß bei eingetretenem körnigen Zerfall auch die Perifibrillär- 
substanz nicht mehr homogen ist, sondern viele sehr feine Körnchen !) 
enthält (Fig. 48 2). 

4. Die großen Körner, welche aus den Fibrillen entstanden waren, 
sind verschwunden. An ihrer Stelle finden sich kleinere Körner, 
welche von denen nicht zu unterscheiden sind, die in der Perifibrillär- 
substanz auftreten (Fig. 48 C). 

5. Die Körnchen verschwinden anscheinend dureh Lösung. Die 
so entstandene Flüssigkeit wird augenscheimlich resorbiert, denn am 
Ende der Degeneration ist an Stelle des weiten Hohlraums nur noch 
ein kleiner Spalt vorhanden. 

Sehen wir nun zu, wie sich die von den älteren Autoren be- 
schriebenen Veränderungen der Scheiden an diese Degeneration der 
Fibrillen anfügen: Wie bereits erwähnt, hatte schon Nasse eine Zer- 
stückelung der Markscheide und eine weitere Auflösung dieser Seg- 
mente in kleinere Trümmer beschrieben. Die zuerst gebildeten größeren 
Markscheidenabschnitte nennt man jetzt gewöhnlich Markellipsoide und 
es ist besonders durch Ranvier, Vanlair, v. Büngner und vielen andern 
festgestellt, daß sich diese zunächst in immer kürzere röhrenförmige 
Stücke teilen, welche sich an beiden Enden schließen und so den 
Achsenzylinder in einzelne Fragmente teilen (v. Büngner) und schließ- 
lich in kleine Kügelchen oder Tröpfehen zerfallen. Diese Marktröpfehen 


I) Diese Körnchen sind in der Reproduktion kaum sichtbar. 


m 
Ei 
Pr 


RE 


Die Nervendegeneration. 157 


liegen dann zwischen dem letzten Rest des Achsenzylinders und der 
Schwannschen Scheide und verschwinden mit der Zeit ganz; man wird 
nicht fehl gehen, wenn man sagt durch Resorption, denn es bleibt 
nichts zurück, was als Umwandlungsprodukt derselben angesehen 
werden könnte. 

Die ersten Andeutungen der Ellipsoidbildung fanden wir an Fasern, 
deren Fibrillen sich im zweiten Stadium der Degeneration befanden. 
Es sind dann aber nur Einschnürungen der Markscheide zu konsta- 


Fig. 48. Degeneration der Neurofibrillen im markhaltigen Nerven nach Durchschneidung desselben 
nach Mönckeberg-Bethe (1899). A Anfang der Körnchenbildung an den Fibrillen (Winterfrosch, 
102 Tage nach der Durchschneidung). B Stadium der gemischten Körner (Kaninchen, sechs Tage 
nach Durchschneidung). C Stadium der blassen Körner (aus dem Nerven desselben Kaninchens). 


tieren, welche noch nicht bis zur vollkommenen Schließung des Ellip- 
soids und Zerstücklung des Achsenzylinders geführt haben (Fig. 48 4). 
Vollkommene Kontinuitätstrennung des Markrohrs und Schließung der 
Rohre an den Enden, also richtige Ellipsoidbildung haben wir immer 
erst dann gefunden, wenn die Fibrillendegeneration bereits in das 
Stadium der großen Körner getreten war. Niemals finden sich in 
abgekapselten Ellipsoiden glatte oder gekörnte Fibrillen. Wenn also 
jeer, v. Büngner und andere eine Zerstücklung des Achsenzylinders 
gefunden haben, so war dieser Achsenzylinder nur noch ein Strang 
von Körnern. Übrigens geht der Segmentierung der Markscheide 


158 Die Nervendegeneration. 


immer eine Segmentierung und Abkapselung der Innenscheide voraus. 
Wenn die Ellipsoide zu Markkugeln zerfallen, so sind die Degenera- 
tionsprodukte des Achsenzylinders meist schon ganz resorbiert. 

Der Anfang der morphologischen Deseneration be- 
steht also in einer Veränderung der Neurofibrillen und 
„war in einem typischen körnigen Zerfall. Dieser folgt 
dder Zerfall der Markscheiden allerdings sehr schnell. Aber ehe die 
ersten morphologischen Veränderungen an den Neurofibrillen zur Be- 
obachtung kommen, ist die Leitungsfähigkeit der Nerven bereits ver- 
schwunden. Die physiologische Degeneration tritt also 
eher in Erscheinung als die morphologische Unter- 
suchung etwas erkennen läßt; jedoch tritt ziemlich gleichzeitig 
nit dem Aufhören der Leitungsfähigkeit eine chemische Veränderung 
der Neurofibrillen ein. Ehe ich auf diese eingehe, muß ich aber erst 
dien zeitlichen und örtlichen Verlauf der Degeneration nach Konti- 
nuitätstrennung besprechen. 

Die Schnelligkeit der Degeneration zeigt bei den verschiedenen 
Tieren außerordentliche Unterschiede. Bei Vögeln findet man den 
Angaben von Ranvier zufolge schon zwei Tage nach der Operation 
einen vollständigen Zerfall der Markscheiden. Bei Säugetieren wird 
dasselbe Stadium erst am vierten bis fünften Tage erreicht. Bei Kalt- 
blütern (Frosch) geht der Degenerationsprozeß noch sehr viel langsamer, 
besonders in der kalten Jahreszeit. Ellipsoidbildung auf der ganzen 
peripheren Nervenstrecke fanden wir an Winterfröschen erst nach 
130-140 Tagen, während derselbe Status bei Sommerfröschen schon 
nach 30—40 Tagen erreicht wird. 

Besonders an diesen Tieren mit langsamem Degenerationsverlauf 
läßt sich nun mit absoluter Sicherheit feststellen, daß die Verände- 
rungen sich nicht gleichzeitig im ganzen peripheren Abschnitt ein- 
stellen, sondern daß sie von der Verletzungsstelle aus allmählich naelı 
der Peripherie (und nach dem Zentrum) hin fortschreiten. Diese Be- 
obachtung wurde zuerst von Erb (1869) gemacht und in neurer Zeit 
besonders von v. Büngner bestätigt (auch von v. Nothaft). Ranvier 
und Krause behaupteten das Gegenteil, daß nämlich die Degeneration 
an der Peripherie begönne, während eine große Zahl andrer Forscher 
eine gleichzeitige Entstehung der Veränderungen auf der ganzen peri- 
pheren Nervenstreeke konstatieren wollte. Diese letztere Ansicht ist 
in neuster Zeit mit besonderm Nachdruck von Stroebe vertreten worden. 
Er stützt sich hierbei darauf, daß man häufig an ein und derselben 
Nervenfaser zentral und weiter peripher ein degeneriertes Stück sehen 
könne, während der Mittelteil noch ein normales Aussehen zeigt. Es 
ist nicht zu bestreiten, daß man derartige Fasern nicht selten zu Ge- 
sicht bekommt, wenn man die Degeneration nur auf Markscheiden- 


Die Nervendegeneration. 159 


präparaten oder an Präparaten mit geschrumpften Achsenzylindern 
untersucht, an denen über den Zustand der Neurofibrillen nichts zu 
sehen ist. An Fibrillenpräparaten wird man aber in solchen Fällen 
immer konstatieren können, daß auch in dem Mittelstück ein voll- 
kommener Fibrillenzerfall besteht. Der Markscheidenzerfall ist eben 
kein Wertmesser für die Höhe der Degeneration. Um über den wahren 
Sachverhalt Aufklärung zu erhalten, muß man weit voneinander ent- 
fernte Nervenstellen miteinander vergleichen und, wenn man das tut, 
kann man auch an Tieren mit schneller Degeneration mit Deutlichkeit 
sehen, dab die Degeneration von der Verletzung ausgeht und nach 
beiden Seiten weiter schreitet. 

Wie gesagt, sind diese Dinge beim Frosch am leichtesten zu 
sehen: Etwa 20 Tage nach der Läsion findet man nur in der Nähe 
derselben Ellipsoide. In etwas größerer Entfernung sind die Mark- 
scheiden intakt und nur die Fibrillen in Degeneration, während weiter 
nach der Peripherie zu noch ganz normal aussehende Fasern liegen. 
So schreitet der Degenerationsprozeß immer weiter nach der Peripherie 
vor — der Fibrillenzerfall immer dem der Markscheiden vorangehend 
— bis schließlich nach 100 und mehr Tagen die Degeneration bis 
zur äußersten Peripherie vorgedrungen ist. Gestört wird die Über- 
sichtlichkeit des Bildes nur dadurch etwas, daß nicht alle Fasern 
gleich schnell dem Zerfall anheimfallen. Man sieht also im selben 
Schnitt Fasern mit vollkommenen Fibrillenzerfall und Ellipsoidbildung 
neben ganz normalen. Besonders die dünnen Fasern sind es, die dem 
Degenerationsprozeß einen energischeren Widerstand entgegensetzen. 

Ganz dieselben Verhältnisse, nur in schnellerer Aufeinanderfolge, 
sind beim Kaninchen zu konstatieren. Hier konnten wir auch fest- 
stellen, daß die sensiblen Fasern schneller zerfallen als die motorischen. 
(Dieser Angabe ist neuerdings von Huber entgegengetreten worden. 


2 
Ich glaube ohne genügende Gründe.) — Beim Hund ist der Verlauf 
der Degeneration ein etwas andrer und ich glaube, daß sich durch 
die Differenz (gegenüber dem Kaninchen) mancher Widerstreit in den 
Ansichten erklärt: Im direkten Anschluß an die Nervenverletzung tritt 
zunächst nur ein sehr langsam fortschreitender Zerfall in der Nähe 
der Wunde ein. Dies dauert bis zur Mitte oder bis zum Ende des 
dritten, ja manchmal bis zum Anfang des vierten Tages und dann 
schreitet die Degeneration in wenigen Stunden bis zur Peripherie 
vor, so daß es den Anschein erweckt, als wenn die Degeneration im 
sanzen Verlauf der Nerven gleichzeitig geschähe. 

Wie im peripheren Stumpf so konnten wir auch im zentralen 
Ende des durchschnittenen Nerven ein Fortschreiten der Degeneration 
von der Läsionsstelle aus feststellen. Mehrere Autoren, und mit be- 
sonderm Nachdruck Engelmann (1876), haben angegeben, daß dıe 


160 Die Nervendegeneration. 


Degeneration im zentralen Stumpf nur bis zum nächsten Ranvierschen 
Schnürring gehe, d. h. daß hier nur das angeschnittene Segment zu- 
srunde ginge.') Wir haben dies ebensowenig wie Ziegler (1896) be- 
stätigen können. In den meisten Fasern des zentralen Stumpfes werden 
drei bis sechs Segmente von der Degeneration ergriffen; in andern 
seht sie oft noch viel weiter (3—4 cm) herauf. Bei einem Tier, 
welches nach der Operation sich infizierte und unter septischen Er- 
scheinungen starb, sahen wir sogar den ganzen zentralen Stumpf, so- 


weit er herausgenommen war, in vollständiger Degeneration. 

Jedenfalls degeneriert also auch der zentrale Stumpf trotz seines 
Z/Zusammenhanges mit dem nutritorischen Zentrum eine Strecke weit 
und zwar von der Verletzungsstelle aus in der Richtung zur Zelle. 
Der Unterschied gegenüber dem peripheren Stumpf besteht nur darin, 
daß die Degeneration im einen Fall frühzeitig halt macht, während 
sie im andren bis zum letzten Ende des Nerven fortschreitet. Dieses 
Fortschreiten von Segment zu Segment widerstreitet aber bereits der 
Wallerschen Vorstellung, welche die Neurontheorie mit in sich auf- 
senommen hat, daß nämlich die Abtrennung vom nutritorischen Zentrum, 
der Ganglienzelle, die Ursache der Degeneration sel. Würde die 
Faser bei der Kontinuitätstrennung einem trophischen 
Einfluß entzogen, so müßte sich dieser Mangel auf 
der ganzen peripheren Strecke gleichzeitig geltend 
machen. Im zentralen Ende dürfte aberüberhaupt keine 
Veränderung eintreten, weiles dauernd unter dem tro- 
phischen Einfluß bleibt. 

So wie die morphologische Degeneration von Segment zu Segment 
nach der Peripherie hin fortschreitet, so verschwindet auch die Reiz- 
aufnahmefähigkeit und Leitungsfähigkeit des Nerven zuerst in der 


Nähe der Durehschneidungsstelle und bleibt am längsten in der Nähe‘ 


der Muskeln erhalten, welche naturgemäß nach der Durchschneidung allein 
als Indikator der Erregbarkeit des Nerven dienen können. Ein Unter- 
schied besteht nun darin, daß die Erregbarkeit eher verschwindet, als die 
morphologischen Veränderungen eintreten. Bei Säugetieren geht die Un- 
erreebarkeit einer Nervenstelle nur wenige Stunden, höchstens einen 
Tag dem Eintreten morphologischer Veränderungen voraus, das ist 
aber in Anbetracht der kurzen Degenerationszeit schon ziemlich lange. 
Beim Frosch ist der Unterschied viel größer. Für das proximale Ende 
des peripheren Stumpfes beträgt er bei Sommerfröschen drei bis vier 
Tage, bei Winterfröschen ungefähr sechs Tage. Je weiter ein Nerven- 


|) Nach Engelmann soll auch im peripheren Stumpf die Degeneration zu- 
nächst am ersten Schnürring Halt machen. Erst wesentlich später soll der Zerfall 
in dem übrigen Teil des Nerven eintreten. Wir haben uns von einem Haltmachen 
des Zerfalls am ersten Schnürring nicht überzeugen können. 


Die Nervendegeneration. 161 


stück von der Durchschneidungsstelle entfernt ist, desto größer wird 
der Zeitraum, welcher zwischen Unerregbarwerden und Fibrillenzerfall 
vergeht. So fand ich bei Sommerfröschen die Erregbarkeit am peri- 
pheren Ende des Ischiadieus 15—18 Tage nach Durchschneidung des 
Plexus erloschen, während die Degeneration an dieser Stelle erst am 
25. bis 30. Tage sichtbar war. Bei Winterfröschen fand ich die Er- 
regbarkeit etwa am 20. Tage erloschen, nach 100 Tagen findet man 
aber immer noch Fasern im peripheren Teil des Nerven, welche noch 
glatte Fibrillen und erst recht unveränderte Markscheiden zeigen. 

Diese Nerven der Winterfrösche sind wohl am geeignetsten um die 
chemischen!) Veränderungen an den Neurofibrillen, d. h. das Schwinden 
der primären Färbbarkeit (vgl. Kapitel S) zu zeigen, weil es hier am 
leichtesten ist, den richtigen Moment zu treffen. Ich stelle die Ver- 
suche in folgender Weise an: Einer Anzahl von Fröschen werden am 
gleichen Tage beide Ischiadiei hoch oben am Oberschenkel durch- 
schnitten. Vom 15. Tage nach der Operation an werden jeden Tag 
die Wunden geöffnet und die Erregbarkeit geprüft. Fängt sie an 
gering zu werden, so wird der eine Ischiadieus herausgenommen und 
nach Konservierung in Alkohol (am einfachsten an Zupfpräparaten) 
auf Fibrillensäure gefärbt. Es finden sich dann meistens schon einige 
Fasern, in denen der Achsenzylinder ganz blaß ist. Den Ischiadieus 
der andern Seite lasse ich noch einige Tage nach Eintritt vollkommener 
Unerregbarkeit im Tier. Von einem andren Frosch wird der erste Ischia- 
dieus entfernt, wenn grade Unerregbarkeit eingetreten ist: Einige 
blasse Fasern, das Gros noch gefärbt, aber meist blasser als normal. 
Drei bis sechs Tage nach dem Eintritt der Unerregbar- 
keit— also etwa 23—26 Tage nach der Durchschneidung 
— finde ich dann meist alle Fasern bis zur Peripherie 
ganz farblos, während auf Kontrollpräparaten (Ösmiumsäure) noch 
schöne Fibrillen zu sehen sind und oft sogar die ersten Anfänge von 
Degeneration in allen Fasern (mit Ausnahme der unmittelbaren Nachbar- 
schaft der Verletzung) fehlen. — Ganz dieselben Verhältnisse kann man 
nach der Durchschneidung der sensiblen Wurzeln in den am Rücken- 
mark verbleibenden Wurzelstümpfen feststellen. Immer tritt das Ver- 
schwinden der primären Färbbarkeit am ehesten in der Nähe der Dureh- 
schneidungsstelle auf und schreitet von da aus — wie die Degeneration 
der Fibrillen und Markscheiden — cellulifugal fort. 

Schon etwas schwieriger ist es bei Sommerfrösehen den richtigen 
Zeitpunkt abzupassen, weil hier der körnige Zerfall der Neurofibrillen 
dem Verschwinden der Erregbarkeit schneller folgt. Aber man kann 

1) Über andre chemische Veränderungen während der Degeneration siehe 


die interessanten Untersuchungen von Halliburton. 1901. 
Bethe, Nervensystem. 11 


162 Die Nervendegeneration. 


doch auch hier konstatieren, daß in den meisten Fasern die primäre 
Färbbarkeit verschwindet, ehe die Fibrillen in Zerfall geraten. Bis- 
weilen begegnet man einzelnen Fasern, bei denen die Fibrillen schon 
körnig zerfallen sind, wo aber die Körner noch eine primäre Färbung 
zeigen. Möglicherweise handelt es sich hierbei gar nicht um Über- 
reste von Fibrillensäure, sondern um eine primäre Färbbarkeit andrer 
Art, wie sie ja auch bei normalen Fasern bisweilen vorkommt. Jeden- 
falls mahnt dieser Befund dazu, die morphologische Degeneration nicht 
vom Verschwinden der Fibrillensäure ohne weiteres abhängig zu machen. 
— Im zentralen Stumpf reicht der Schwund der Fibrillensäure weder 
in motorischen noch in sensiblen Fasern weiter herauf, als später auch 
der Zerfall der Fibrillen und Markscheiden geht. 

Auch beim Hunde und Kaninchen ist es mir einigemal gelungen, 
das Schwinden der primären Färbbarkeit vor dem Eintritt des kör- 
nigen Zerfalls der Fibrillen festzustellen. Aber auch hier tritt die 
Unerregbarkeit noch etwas früher ein. Nach Longet soll die Erreg- 
barkeit eines durchschnittenen Nerven beim Warmblüter vier Tage 
nach der Durchschneidung aufhören. Nach meinen Versuchen ist dieser 
Zeitraum zu groß. In der Regel fand ich beim Kaninchen schon nach 
36 Stunden eine stark herabgesetzte Erregbarkeit, und nach 40 Stunden 
kann sie bereits fehlen. Nach 48 Stunden, spätestens nach 50 Stunden 
war sie auch nahe am Muskel stets vollkommen verschwunden. In 
zwei Fällen, wo sie ganz erloschen war (48 und 54 Stunden nach 
der Operation), fand ich im Verlauf des ganzen peripheren Stumpfes 
keine primäre Färbbarkeit, während sie in drei andern Fällen nur am 
proximalen Ende (etwa auf eine Strecke von 4 cm) fehlte, weiter 
peripher aber noch in vielen Fasern vorhanden war. Beim Hund tritt 
die Unerregbarkeit später ein als beim Kaninchen. In der Regel ist die 
Erregbarkeit erst nach drei Tagen, ja manchmal erst nach drei Tagen 
und zwanzig Stunden bis zur Peripherie hin erloschen. Auch hier 
fand ich in den untersuchten Fällen gleich nach dem Aufhören der Er- 
regbarkeit vollkommenes Fehlen oder wenigstens starke Herabsetzung 
der primären Färbbarkeit. Die kömigen Degenerationsprodukte der 
Fibrillen fand ich stets ganz ungefärbt. Man kann sie aber bei starker 
Abblendung auch im primär gefärbten Präparat gut sehen. War nun 
noch primäre Färbbarkeit in einigen Fasern am unteren Ende vor- 
handen, so konnte ich konstatieren, daß in ein und derselben Faser 
zwischen dem gefärbten Achsenzylinder und dem Beginn der Körne- 
lung stets ein längeres ungefärbtes Achsenzylinderstück lag, das sicher 
noch nicht in körnigem Zerfall begriffen war. Ich glaube also, daß 
es auch beim Warmblüter keinem Zweifel unterliegen kann, daß die 
primäre Färbbarkeit eher verschwindet, als die morphologische Dege- 
neration eintritt. Unerregbarkeit, Schwund der Fibrillensäure und 


Eu 77 


Die Nervendegeneration. 163 


Zerfall der Neurofibrillen liegen sich hier aber zeitlich so nahe, daß 
sie beinahe ineinander übergehen. Bei der langsamen, chronischen 
Degeneration, wie ich sie bei peripheren Stümpfen fand, die sich aus 
sich selbst regeneriert hatten (Kapitel 12), sind alle drei Stadien weiter 
auseinander gerückt, so daß sie hier mit derselben Deutlichkeit zu Tage 
treten wie beim Frosch. 

Sicher kann ich sagen, daß niemals bei der Degeneration die 
Fibrillensäure eher verschwindet als die Reizbarkeit. Ist die Erreg- 
barkeit verschwunden, so ist die primäre Färbbarkeit meist schon 
verringert, und sie verschwindet bald nachher ganz. Wie die Erreg- 
barkeit in der Nähe der Verletzung zuerst verschwindet, so auch die 
Fibrillensäure. Dieser Befund brachte mich zuerst auf den Gedanken, 
daß Erregbarkeit (resp. Leitungsfähigkeit) mit dem Vorhandensein der 
Fibrillensäure in einem innigen Zusammenhang stände. Die weiter 
unten mitgeteilten Befunde werden zeigen, daß dieser Gedanke sich 
noch besser stützen läßt. ') 


Man hat sich überlegt, in welcher Weise der trophische Einfluß 
der Ganglienzellen auf die periphere Nervenstrecke zu erklären sei, 
und hat vielfach zu der Annahme gegriffen, daß von den Zellen 
dauernde Reize durch die Nervenfasern geschiekt würden, deren Fehlen 
nach der Nervendurchschneidung zu der Degeneration führte. (Um 
die später zu besprechende chronische Degeneration des zentralen 
Amputationsstumpfes und der zentralen Zellen zu erklären, hat dann 
Marinesco (1892) noch die Annahme gemacht, daß auch von den End- 
organen dauernde Reize zu den Zentralorganen strömten, deren Fort- 


1) Das Schwinden der primären Färbbarkeit läßt sich auch im Rückenmark 
leicht nachweisen und kann hier zum frühzeitigen Nachweis von Degenerationen 
dienen. So konnte ich bei einem Hund mit total durchschnittenem Rückenmark 
die Strangdegeneration nach oben und nach unten hin, soweit sie überhaupt geht, 
schon vier Tage nach der Operation recht deutlich darstellen. Bei einem andern 
sah ich die Pyramidenstrangsentartung fünf Tage nach Fortnahme einer moto- 
rischen Zone. Für Versuchstiere, die einem früh sterben, könnte diese Methode 
vielleicht manchmal ganz angenehm sein. Wartet man längere Zeit nach der 
Operation, so wird die Vermehrung der Glia in den entarteten Partien leicht 
störend, weil die Färbung der Kerne den Ausfall der primären Färbbarkeit z. T. 
verdeekt. Überhaupt muß man sich auf Quersehnittsbildern in acht nehmen, daß 
man Kerne nicht für quergeschnittene Achsenzylinder hält. Bei 200facher Ver- 
größerung sind sie schon leicht voneinander zu unterscheiden. Über die Technik 
siehe S. 146. — Das Schwinden der primären Färbbarkeit ist übrigens, wenigstens 
im Prinzip, schon von Tuckett gefunden worden. Dieser beobachtete, daß sich 
marklose Nervenfasern (Remaksche Fasern des Kaninchens) nicht mehr bei vitaler 
Applikation von Methylenblau färben, wenn die Fasern einige Zeit nach der 
Durehschneidung leitungsunfähig geworden sind. Es ist dies nach seiner Arbeit 
das Hauptanzeichen, daß auch marklose Fasern in Degeneration verfallen. (Auf 
Fibrillen wurde — 1895 — noch nieht untersucht.) 

11% 


164 Die Nervendegeneration. 


fall hier eine Degeneration hervorriefe.) Wenn diese Erklärung der 
degenerativen Prozesse richtig wäre, so sollte man meinen, daß man 
durch Anbringung künstlicher Reize den Degenerationsprozeß im peri- 
pheren Stumpf verhindern oder wenigstens verlangsamen könnte. 
Grade das Gegenteil ist der Fall: Die Degeneration 
wird dureh Reizung des peripheren Stumpfes wesent- 
lich besehleunigt!') 

Die Versuche wurden in folgender Weise angestellt: Mehreren 
Fröschen wurden am gleichen Tage beide Ischiadiei in gleicher Höhe 
am Oberschenkel durchschnitten unter sorgfältiger Schonung der Ge- 
fäße. Am nächsten Tage wurden bei allen Fröschen die Ischiadiei 
freigelegt und rechts wie links auf versenkbare Elektroden gelegt; 
der Spalt wurde, um Austrocknung zu verhindern, mit feuchten Fließ- 
papierstreifen überdeckt. Alle Elektroden waren mit der sekundären 
Spirale ein und desselben Schlitteninduktoriums verbunden; es konnten 
aber alle Elektroden, welche an den linksseitigen Nerven lagen, aus- 
geschaltet werden und bei deren Einschaltung die rechtsseitigen aus- 
geschaltet werden. Die Elektroden waren immer am Schnittende der 
Nerven angelegt und für ein gutes Aufliegen der Nerven wurde stets 
gesorgt, ebenso dafür, daß keime Flüssigkeitsansammlung zwischen 
den Platindrähten stattfand. Es wurde nun zunächst täglich die Reiz- 
schwelle rechts wie links bestimmt und darauf der rechte Nerv für 
zwei bis drei Stunden tetanisiert. Alle zehn Minuten wurde eine Reiz- 
pause von fünf Minuten eingeschaltet. Während derselben wurde auch 
durch eine Wippe der primäre Strom gewendet. Begonnen wurde 
stets mit der Reizstärke, welche grade alle Schenkel in schwachen 
Tetanus versetzte; späterbin wurde der Rollenabstand immer in der 
Weise verringert, daß der Tetanus auf gleicher Höhe blieb. Nach 
der Reizung wurden die Wunden jedesmal wieder vernäht. In dieser 
Weise habe ich zwei Versuchsreihen angestellt; eine mit drei Sommer- 
fröschen, die andre mit vier Winterfröschen. Das Ergebnis war in 
beiden Fällen das gleiche, nur daß bei den Sommerfröschen die Ver- 
änderung schneller ging. Bei jedem der Versuche ging ein Tier nach fünf 
und sieben Tagen zugrunde, eher als der Versuch beendet war. Sorg- 
fältige Reinhaltung der Wunden und der Instrumente ist sehr wesentlich. 

3ei den Winterfröschen verhielt sich der Verlauf folgendermaßen: 
Am Tage nach der Durchschneidung sprachen alle Nerven bei einer 
Reizung mit 34—32 em Rollenabstand an. Innerhalb der nächsten 
Tage stieg die Reizschwelle auf beiden Seiten ziemlich gleichmäßig, 


I) Langley und Anderson (1902) haben einer inzwischen erschienenen vor- 
läufigen Mitteilung zufolge keine Verzögerung der Degeneration bei täglicher 


Reizung des durchschnittenen Nerven gefunden. Von einer Beschleunigung! 


derselben sagen sie aber nichts. 


Die Nervendegeneration. 165 


so daß nach acht bis neun Tagen ein Rollenabstand ‘von 24—22 em 
nötig war; um eine Erregung hervorzurufen. Von nun an sank in den 
nächsten Tagen die Erregbarkeit auf der rechten, täglich durch mehrere 
Stunden gereizten Seite sehr schnell, während sie auf der linken, 
immer nur probeweise gereizten Seite auf gleicher Höhe blieb! Am 
zwölften Tage lag die Reizschwelle links zwischen 22 und 24 cm 
Rollenabstand, rechts dagegen bei 11 em. Am dreizehnten Tage 
war links keine Änderung eingetreten, während rechts ein Rollenabstand 
von 10 em nötig war, eine Reizstärke, bei welcher an Kontrollpräpa- 
raten mit angelegter Ligatur die Stromschleifen wirksam waren, wenn 
die untere Elektrode 6 —8 mm von der Umschnürungsstelle entfernt 
war. Die Reizung wird also bei den Nerven der rechten Seite wohl 
nicht lokal gewirkt haben, sondern auf Nervenstellen, welche mehr 
peripher lagen; auch bei Reizung 6—7 mm unterhalb der früheren 
Reizstelle war noch ein Rollenabstand von 11—12 em nötig. Erst 
viel weiter peripher fand sich eine Erregbarkeit, welche der der linken 
Seite nahekam, nämlich 1,5—2,0 em von der Durchschneidungsstelle 
entfernt, wo die Reizschwelle bei 21—22 cm lag. 

In diesem Stadium wurde der rechte Nerv ganz herausgenommen; 
vom linken Nerven wurde nur das der Durchschneidungsstelle am 
nächsten gelegene Stück (etwa 5 mm lang) herausgenommen, der Rest 
blieb noch im Tier, bis auch hier die Erregbarkeit bis auf 10 cm 
Rollenabstand gesunken war. Dies erfolgte am zwanzigsten bis 
zweiundzwanzigsten Tage. Dann wurde auch hier der ganze 
periphere Stumpf entfernt. Alle diese Nervenstücke wurden der Länge 
nach gespalten und die eine Hälfte in Osmiumsäure eingelegt, behufs 
Untersuchung der Markscheiden und der Fibrillen, die andre Hälfte 
in Alkohol fixiert, um sie auf Fibrillensäure zu untersuchen. Die 
Unterschiede waren sehr eklatant: Im linken Nervenende (das am 
dreizehnten Tage herausgenommen war) bemerkte ich nur eine Spur 
von Markscheidenzerfall direkt an der Durchschneidungsstelle. Die 
primäre Färbbarkeit ging bis dieht an diese heran. Im rechten Nerv 
(vom dreizehnten Tage) waren die Markscheiden und Fibrillen bis zu 
2 mm von der Durchschneidungsstelle ganz zerfallen, im Bereich der 
nächsten 2—3 mm zeigten viele Fasern Fibrillendegeneration und ein 
Teil auch Markscheidenzerfall. Auf dieser ganzen Strecke fehlte 
natürlich auch die primäre Färbbarkeit; außerdem fehlte sie noch 
2 mm weiter abwärts in den meisten Fasern und war im periphereren 
Teil fast überall viel schwächer (heller) als normal und im obersten 
Ende des linken Nerven. Bei dem Teil des linken Nerven, der erst am 
zweiundzwanzigsten Tage nach der Durchschneidung herausgenommen 
war, lag die zentrale Grenze der vollständigen Degeneration und des 
Schwundes der primären Färbbarkeit wesentlich höher. Es erreichte 


166 Die Nervendegeneration. 


also beim ungereizten Nerven die Degeneration nach 22 Tagen noch nicht 
den Grad, den sie im gereizten Nerven nach 13 Tagen erreichte. — 
Bei den Sommerfröschen war alles ganz analog, nur ging es schneller 
und die Degeneration des gereizten Nerven war noch ausgedehnter. 

Beim täglich nach der Durchschneidung gereizten 
Froschnerven erlischt also die Erregbarkeit um mehr 
als ein Drittel früher als beim gleichbehandelten aber 
nicht gereizten Nerven; die Fibrillensäure verschwindet 
früher und die Degeneration verläuft schneller. 

Ich bin mir dessen vollständig bewußt, daß der elektrische Reiz 
den natürlichen wohl kaum ersetzen kann, aber er ist derjenige, den 
man noch am ehesten benutzen darf. Da nun der Vorgang im Nerven 
nach der allgemeinen und sehr plausiblen Vorstellung immer derselbe 
ist, gleichgültig durch welche Art von Reiz er veranlaßt wird, so 
kann man auf Grund dieser Versuche jedenfalls sagen, daß es der 
Mangel an Aktivität nicht sein kann, der die Nervenfasern zur 
Degeneration bringt.) Die Aktivität fehlt ja nun zwar nach der 
Durchschneidung des Nerven nur in den motorischen Fasern, wie 
(oldscheider (1894) mit Recht hervorgehoben hat, aber es könnte 
jemand sagen (und Lenhossek [1895] hat dies in der Tat getan), es 
handle sich bei der Erhaltung eines Nerven nicht um die Erregungs- 
wellen, welche von der Peripherie kommen, sondern nur um solche 
zentralen Ursprungs, die man natürlich im sensiblen Nerv ebensogut 
annehmen kann, wie im motorischen. 

Goldscheider hat nun angesichts dieses anscheinenden Widerspruchs 
die Hypothese aufgestellt, daß dauernd von der Ganglienzelle aus ein 
Stoff (vielleicht von der Art eines Fermentes) in den Achsenzylinder 
wandere, welcher diesen zur Erhaltung des normalen .Stoffwechsels 
anrege. Diese Stoffwanderung fiele nach Durchschneidung eines Nerven 
fort und deswegen degeneriere er. (Lenhossek [siehe oben] setzt an 
Stelle der Stoffwanderung einen Erregungsvorgang der von der Gan- 
glienzelle und speziell vom Kern in den Achsenfortsatz hineinströmen 
soll.) Wäre diese Annahme richtig, so müßten die peripheren Partien 
eines durchschnittenen Nerven zuerst degenerieren, weil man doch 
annehmen sollte, daß in dem der Ganglienzelle näher gelegenen Teil 
der Faser mehr von dieser Substanz vorhanden sei. Andrerseits wäre 
es auch schwer zu verstehen, warum bei dauernder Erregung des 
peripheren Stumpfes die Degeneration schneller geht, man müßte 


I) Wenn auch die Degeneration durch Faradisation des peripheren Stumpfes 
beschleunigt wird, so schadet es doch sicher nichts, wenn man nach wie vor bei 
Fällen von Nervennaht elektrisiert. Zugrunde geht der periphere Stumpf zunächst 
doch. Die Elektrisierung soll ja auch nicht den Nerven erhalten, sondern die 
Muskeln. 


Die Nervendegeneration. 167 


grade annehmen wollen, daß die hypothetische Substanz durch die 
Erregungswellen nach der Peripherie hin befördert würde. ') 

Wie ich oben beschrieben habe, geht die Degeneration bei Kon- 
tinuitätstrennung von der Verletzung aus nach beiden Seiten. Von 
einem Haltmachen an der ersten Ranvierschen Einschnürung, wie es 
von Engelmann vertreten wurde, ist im allgemeinen nichts zu be- 
merken; vielmehr geht sie erst langsam, später schneller im zentralen 
wie im peripheren Abschnitt ohne sichtbare Haltepunkte von Faser- 
abschnitt zu Faserabschnitt weiter. Mönckeberg und ich haben uns 
daher von einem gegensätzlichen Unterschied zwischen entzündlicher 
oder traumatischer Degeneration (welche nur das verletzte Faser- 
segment ergreifen soll) und sekundärer oder paralytischer Degeneration 
(die nur im periphereu Stumpf und hier überall gleichzeitig m Er- 
scheinung treten soll), nicht überzeugen können. (Diese Unterscheidung 
zwischen entzündlicher und paralytischer Degeneration wurde zuerst 
von Schiff [1850] aufgestellt. Später haben Engelmann [1870] und 
andre versucht, sie unter dem Namen traumatische und sekundäre 
Degeneration weiter zu begründen. Zuzugeben ist, daß der destruktive 
Prozeß an der Durchschneidungsstelle zuerst langsam einsetzt. Es 
fehlt aber nach meinen Erfahrungen durchaus an einer scharfen Ab- 
srenzung am nächsten Schnürring.) 

Ich bin auf Grund meiner Versuche, besonders auch derer, welche an 
autogen regenerierten Nervenstücken angestellt sind (siehe Kapitel 12), 
zu dem Resultat gekommen, daß es nach Kontinuitätstrennung überhaupt 
nur eine Art von Degeneration gibt und zwar nur traumatische. 
Die Schädigung, welche durch das Trauma gesetzt wird, stört das 
Lebensgleichgewicht des Nerven, zunächst aber nur der Partien, welche 
der Verletzung am nächsten gelegen sind. Hier etabliert sich ein krank- 
hafter, degenerativer Prozeß, welcher sich von Teilchen zu Teilchen 
fortsetzt, grade so, wie etwa eine Entzündung vom Punkt der ersten 
Schädigung aus einen Punkt der Umgebung nach dem andern ergreift. 
Nach der Peripherie zu pflanzt sich der krankhafte Prozeß bis ans 
Ende fort, nach dem Zentrum zu macht er früher oder später halt; 
aber nicht deswegen weil hier die zugehörigen Ganglienzellen gelegen 
sind, die als nutritorisches Zentrum dienen, sondern weil ein relativer 
Unterschied in der Lebenskraft des zentraleren und periphereren Endes 
existiert, den man als eine Art von Polarisation auffassen kann. Der 
Beweis hierfür liegt in dem später genauer zu beschreibenden Befund, 
daß nach einer zweiten Durchschneidung eines autogen regenerierten 
Nerven der Degenerationsprozeß das zentralere Ende nicht im höheren 


1) Diesen Einwänden könnte man durch die gezwungene Annahme begegnen, 
daß die hypothetische Substanz nicht von der Zelle in den Achsenzylinder hinein- 
diffundiere, sondern von den periphersten Enden aus hineingesogen würde. 


168 Die Nervendegeneration. 


Maße ergreift, als bei der Durchschneidung eines Nerven, der noch mit 
seinem Zentrum in Verbindung ist, während das periphere Ende hier 
ebenso einem vollständigen Zerfall anheimfällt wie sonst. 

Wenn diese Ansicht richtig ist, daß nur die Schädigung die 
Degeneration veranlaßt, aber nicht die Aufhebung der Erregungs- 
leitung (Paralyse) oder des nervösen Zusammenhanges mit dem 
Zentrum überhaupt, dann muß bei lokalen Schädigungen 
des Nerven, welche die Leitung noch nieht unter- 
brechen, eine Degeneration eintreten können und bei 
Leitungsunterbrechungen, welehe den Nerven nur 
wenig schädigen, die Degeneration ausbleiben oder 
langsamer eintreten. Beides läßt sich zeigen: 

Bei starker Kompression eines Nerven, wie sie gewöhnlich zu 
Degenerationszwecken angewendet wird, tritt eine vollkommene Zer- 
störung der Achsenzylinder ein und das obere und untere Ende des 
Nerven hängen nur noch äußerlich durch das Bindegewebe und die 
leeren Schwannschen Scheiden miteinander zusammen. Bei vorsichtiger 
schwacher Kompression kann man aber die Leitung temporär unter- 
brechen; sie kehrt zurück, wenn die Kompression aufgehoben wird 
(siehe Kapitel 14). Dabei bleiben die Fibrillen intakt und nur die Mark- 
scheidensubstanz und die Perifibrillärsubstanz werden nach beiden 
Seiten fortgedrängt. Wir besitzen also in der schwachen Kompression ein 
Mittel, den Nerven zu schädigen, ohne die Leitungsfähigkeit aufzuheben. 

Um die Kompression in der richtigen Abstufung am lebenden 
Tier vornehmen zu können, wurde folgender Apparat benutzt: Ein 
Elfenbeinstäbehen, wie es in Figur 64 abgebildet ist, wurde mit 
der Rinne nach unten mit einer Klammer an einem Stativ befestigt. 
Über dem Stäbchen war eine Rolle befestigt, eine zweite in der- 
selben Höhe und Lage etwa 15 em davon seitwärts. Über die 
Rollen war ein Faden gelegt, an dessen einem Ende eine Schale 
für Gewichte hing, an dessen anderm, über dem Stäbchen befind- 
lichen Ende ein Drahtbügel befestigt war. Die Gewichtschale konnte 
wie in Figur 64 unterstützt werden. Unter dem Stäbehen stand ein 
nach unten und oben bewegliches Tischehen. Auf diesem wurde 
ein Frosch befestigt, der Ischiadieus unter Schonung der Gefäße 
freigelegt und ein Seidenfaden unter ihm hindurchgezogen. Die 
Enden dieses Fadens wurden an den Enden des darüber schwebenden 
Drahtbügels befestigt und der Tisch soweit in die Höhe geschraubt, 
daß der Ischiadieus in die Rinne des Stäbehens zu liegen kam. 
Wurden jetzt Gewichte auf die Schale gesetzt und ihre Unterstützung 
herabgeschraubt, so zog der Seidenfaden den Nerven an das Elfenbein- 
stäbehen heran und komprimierte ihn. Die Reibung (?) war bei diesem 
Apparat geringer als bei dem weiter unten beschriebenen, so daß 


3 
F 


Die Nervendegeneration. 169 


schon Gewichte von 16—24 & genügten, um den Nerven bei einer 
Einwirkungsdauer von 30—60'" undurehgängig zu machen. 

Ich ließ das Gewicht stets eine Minute einwirken. Danach wurde 
die Wunde vernäht (eventuell zur Kontrolle noch der andre Ischiadieus 
durchschnitten) und täglich beobachtet. Nach einer Zeit, welche genügt, 
um die Degeneration in der Nähe einer Durchschneidungsstelle gut 
sichtbar zu machen (im Sommer etwa 18 Tage, im Herbst und Winter 
etwa 25 Tage), wurden die Tiere getötet und die Nerven untersucht. 

Es stellte sich nun heraus, daß bei Kompressionsstärken, welche 
eine vollständige Erholung der Leitungsfähigkeit noch grade zu- 
lassen, nach einigen Tagen eine partielle Leitungsunfähigkeit auftritt, 
welche von einer teilweisen Degeneration der Nervenfasern des Nerven 
begleitet ist. Ist die Kompression etwas stärker, so daß keine voll- 
ständige Erholung eintritt, so wird der Nerv nach einigen Tagen 
ganz undurchgängig und es tritt eine vollständige Degeneration ein. (Da 
die Kompression nicht überall im Nerven die gleiche Stärke erreicht, 
so ist es nicht zu verwundern, daß die Degeneration manche Fasern 
ergreift, andre verschont.) Ich lasse nun hier einige Beispiele folgen. 

Frosch 1. (Die beschriebenen Frösche stammen alle von einer 
größeren Serie. Sie wurden am gleichen Tage, 22. September 1902, 
operiert und am gleichen Tage, 17. Oktober, getötet.) Kompression 
mit 24 &; Erregbarkeit oberhalb der Operationsstelle vor und nach der 
Kompression bei 21 em Rollenabstand. Nach dem Nähen zeigt sich 
die Rezeptionsfähigkeit und die Motilität herabgesetzt, jedoch sind 
beide überall vorhanden. In den nächsten Tagen blieb das Bild 
dasselbe. Vom sechsten Tage an nahm die Motilität und Rezeptions- 
fähigkeit immer mehr ab. Nach zehn Tagen war keine Motilität mehr 
in den innervierten Muskeln zu bemerken, die Rezeptionsfähigkeit war 
bis auf eine kleine Stelle an der Ferse ganz verschwunden. So blieb 
es bis zum Tage der Sektion. Bei Reizung unterhalb und oberhalb 
der Kompressionsstelle bewegte sich bei 22 cm Rollenabstand der 
Gastroenemius noch spurweise, alle andern Muskeln blieben in Ruhe. 
Bei stärkerer Reizung trat kein größerer Effekt ein. Es mußten also 
auch noch einige wenige motorische Fasern erhalten sein. — Nach 
‚beiden Seiten von der Kompressionsstelle zeigten sich die Markscheiden 
und Achsenzylinder aller Fasern mit Ausnahme von höchstens einem 
Dutzend auf eine Strecke von etwa 2 mm ganz zerfallen (Fig. 49 ©). 

Frosch 2. Kompression mit 20 &; Erregbarkeit vorher und nachher 
bei etwa 20 cm. Nach der Operation ganz normal. Läßt sich Ab- 
duktion des Beines nicht gefallen. Nach zwei Tagen ist die Re- 
zeptionsfähigkeit noch überall unvermindert vorhanden. Beim Hoch- 
heben und Sitzen werden beide Beine gleich angezogen, doch ist 
die Mittelzehe des rechten (operierten Beines) manchmal etwas um- 


170 Die Nervendegeneration. 


geschlagen. Vom sechsten bis zwölften Tage nimmt die Rezeptions- 
fähigkeit und Motilität schnell ab. Am zwölften Tag ist die Re- 
zeptionsfähigkeit nur noch in der Gegend der Ferse deutlich vorhanden. 
Das rechte Bein zeigt beim Sprung fast nur noch Bewegung im 
Oberschenkel; beim Sitzen wird der Unterschenkel nicht mehr an- 
gezogen, die Zehen sind gekrümmt. Beim Aufhängen hängt der 
Unterschenkel schlaff herab. Der Fuß wird bei Reiz an der Ferse 
noch unvollkommen bewegt, die Zehen gar nicht mehr. In den 
nächsten Tagen tritt keine weitere Veränderung ein. Nach der Sektion 
gerät der Gastroenemius bei 20 cm Rollenabstand in Kontraktion. Die 


Fig. 49. Degeneration von Froschnerven, welche (4—C) unter Anwendung geringer Gewichte an 

der mit Pfeilen bezeichneten Stelle komprimiert waren oder welche (D) durchschnitten waren. Die 

Zeit von der Operation bis zur Sektion betrug überall 25 Tage. Die Degeneration (Zerfall der 

Markscheiden, welcher durch Punktreihen angedeutet ist) ist noch auf die nächste Umgebung der 

Schädigungsstelle beschränkt. Das zentrale Ende liegt auf der linken Seite. Näheres im Text. 
Vergrößerung 25mal. 


Schwelle ist unterhalb und oberhalb der Kompressionsstelle gleich. 
Die Strecker zeigen fast keine Reaktion (beim Reiz vom Nerven aus), 
die Fußmuskeln gar keine. Etwa ein Viertel aller Fasern ist erhalten, 
die übrigen sind in Degeneration (Fig. 49 2). 

Frosch 3. Kompression mit 16 g. Bis zur Sektion zeigen sich 
fast keine Störungen; die Rezeptionsfähigkeit ist überall vorhanden, 
Sprung und Haltung des Beines bis zuletzt fast ganz normal. Bei 
der Sektion zeigt sich volle Erregbarkeit aller Muskeln vom Nerven 
aus. Trotzdem zeigen sich an der Kompressionsstelle etwa ein Viertel 
aller Fasern degeneriert (Fig. 49 4A). Es kann also eine nicht un- 
bedeutende Zahl von Nervenfasern degeneriert sein, ohne daß sich 


Die Nervendegeneration. 171 


dies physiologisch bemerkbar macht. (Dieselbe Erfahrung ist bereits 
mehrfach von Neuropathologen gemacht worden.) 

Außer den drei beschriebenen Fröschen habe ich noch eine An- 
zahl andrer hergestellt, welche sich zwischen diese drei einreihen 
würden, auf deren Beschreibung ich aber verzichten kann. An andern 
Fröschen wurde zur Kontrolle ein Ischiadieus in derselben Höhe durch- 
sehnitten, in der die Kompression angelegt wurde. Bei einigen Tieren 
wurde auch auf der einen Seite komprimiert, auf der andern durch- 
schnitten; dies ist jedoch aus dem Grunde nicht sehr praktisch, weil 
man dann kein gesundes Bein zum Vergleich der allmählich nach der 
Kompression eintretenden Veränderungen besitzt. Bei allen durch- 
schnittenen Vergleichsnerven war nun der Degenerationsprozeß im 
Nerven nicht weiter fortgeschritten als in den Fasern, welche infolge 
der Kompression in Degeneration verfallen waren! (Fig. 52 D). 

Am lehrreichsten sind Frösche wie der unter 2 beschriebene. 
Hier üben die komprimierten Nervenfasern zunächst ihre Funktion 
sanz wie bei einem normalen Tier aus, mit der Zeit 
tritt abereine Funktionsstörung (Leitungsunterbrechung) ein, 
welehe höchstwahrscheinlich mit dem Eintritt der Degeneration an der 
Kompressionsstelle Hand in Hand geht. Bemerkenswert ist, daß die- 
jenigen Fasern, welche der Degeneration nicht anheimfallen, bei der 
Sektion dieselbe Reizschwelle zeigen, welche sie vor der Kompression 
besaßen. Da außerdem die Menge der degenerierenden Fasern ab- 
hängig ist von der Stärke der Kompression, da entzündliche Ver- 
änderungen an der Kompressionsstelle fehlen und der Degenera- 
tionsprozeß ebenso schnell einsetzt wie nach Durch- 
schneidung, so wird man die Degeneration nicht als sekundäre 
Folge einer durch die Kompression hervorgerufenen Entzündung ansehen 
können. Man wird vielmehr annehmen müssen, daß die mäßige 
Kompression (durch das Verschieben der Marksubstanz und der Peri- 
fibrillärsubstanz) eine lokale Schädigung der Nervenfasern 
(resp. der sie zusammensetzenden Zellen) bedingt, welche zwar 
zunächst noch die physiologische Tätigkeit (Leitung) zu- 
läßt, mit der Zeit aber trotz der erhaltenen Leitungs- 
fähigkeit zur Degeneration führt. Ich ziehe also aus diesen 
Versuchen den Schluß, daß bei der Nervendurchsehneidung 
nicht die Unterbrechung der Leitung oder des Zusam- 
menhanges mit denGanglienzellen die Degeneration be- 
dingt, sondern die lokale Schädigung der betroffenen Nervenstelle. 

Man hat auf die verschiedenste Weise Nerven geschädigt, doch 
hat man bisher nach allen Verfahren und immer nach der gleichen 
Zeit die Degeneration eintreten sehen. Im allgemeinen fehlen zwar 


172 Die Nervendegeneration. 


bei den meisten Autoren detaillierte Zeitangaben, wo solche aber yor- 
handen sind, da läßt sich der Schluß ziehen, daß es für den Ablauf 
der Degeneration ganz gleich ist, ob der Nerv durchsehnitten, kom- 
primiert oder verätzt wird. Ich selber habe meine Aufmerksamkeit 
auf diesen Punkt gerichtet gehabt, weil es mir darauf ankam, eine 
Methode der Leitungsunterbreehung zu finden, bei welcher keine oder 
eine verlangsamte Degeneration zustande kommt; aber auch ich fand 
zunächst, daß es ganz gleichgültig ist, wie die Unterbreehung aus- 
geführt wird. Durchfrieren einer kurzen Nervenstreeke (eine Methode, 
die mir durch Kühne bekannt wurde), lokale Erwärmung auf 50—60° 
(in Gemeinschaft mit Mönckeberg angestellt), lokale Einwirkung von 
Säuren u. S. w. alle diese Unterbreehungsarten brachten nach der 
gleichen Zeit die Erregbarkeit zum Aufhören und die Degeneration 
zum Beginnen. Schließlich wählte ich aus theoretischen Gründen, 
welche sich aus später zu beschreibenden Versuchen ergaben, Ammo- 


niakdämpfe — und diese führten zum Ziel! Die Zahl meiner Ver- 
suche ist allerdings noch sehr klein — ich hatte keine Zeit längere 


Versuchsreihen anzustellen —, aber sie genügen bereits, um zu zeigen, 
daß die Leitung unterbrochen werden kann, ohne daß die Degenera- 
tion nach derselben Zeit eintritt, wie nach stärkeren Verletzungen 
(Durchsehneidung, Kompression, Verbrühung u. s. w.). 

Es wurde ein Stück Bambusrohr (1 em diek) und ein Stück Glas- 
rohr so ausgewählt, daß sie grade ineinander geschoben werden konnten. 
In das Bambusrohr wurden am Querschnitt zwei sich gegenüberliegende 
Schlitze von der Breite eines Hunde-Ischiadieus eingefeilt; das Glas- 
rohr erhielt an den entsprechenden Stellen einen konkaven, gleich- 
breiten Schliff. Auf die freien Enden wurde je ein Gummischlauch 
aufgesetzt und der eine mit einer Durchleitungsflasche, welche mit 
Ammoniakwasser gefüllt war, in Verbindung gebracht. Wurde Luft 
in die Flasche geblasen, so strömte natürlich mit Ammoniak ge- 
schwängerte Luft durch die aus den beiden ineinander gesteckten 
Rohren gebildete Kammer. — Bei den zu operierenden Hunden wurde 
der Ischiadieus freigelegt und in den Spalt des Bambusrohrs gebracht. 
Hierauf wurde das Glasrohr in das Bambusrohr hineingeschoben, bis 
es dem Nerven gut anlag, ohne ihn zu quetschen. Der Verschluß ist 
ein ziemlich vollständiger. Der andre Gummischlauch leitet den aus 
der Kammer ausströmenden Ammoniakdampf ab. 

Ich bestimmte nun zuerst den Rollenabstand eines Induktions- 
apparates, bei welchem Reizung oberhalb und unterhalb der Kammer 
die Fußmuskeln zum Zueken und das — nicht ganz tief ätherisierte 
— Tier zu allgemeinen Reaktionen (Bewegen und Stimmäußerung) 
brachte. Hierauf wurde Ammoniakdampf so lange durch die Kammer 
geleitet, bis auch bei sehr starker Reizung unterhalb der Kammer nur 


Die Nervendegeneration. 173 


noch die Muskeln zuckten (also keine Leitung mehr zum Zentrum da 
war) und bei Reiz oberhalb der Kammer nur noch allgemeine Reak- 
tionen eintraten, die Muskeln aber in Ruhe blieben. (Um nicht durch 
Stromschleifen getäuscht zu werden, muß man mindestens 2 em unter- 
halb und oberhalb die Reizung ausführen.) Über dieses Stadium hinaus 
soll man nicht die Ammoniakeinwirkung fortsetzen; auch soll man 
nie zu starke Ammoniakdämpfe anwenden. 

Hund 1. Anderthalb Minuten nach dem Beginn der Durehleitung 
war die Reizleitung von unten nach oben und umgekehrt vollständig 
aufgehoben (Reizschwelle 34 cm Rollenabstand). Nach drei Tagen 
(nach 73 Stunden) wurde der Nerv freigelegt. Bei Reizung unterhalb 
der Einwirkungsstelle zuckten die Muskeln des Fußes und der 
Gastroenemius bei einem Rollenabstand von 20 em. Auch bei Reizung 
mit maximalen Strömen (5 em und weniger) blieb es nur hierbei. Das 
Tier reagierte nicht. Auch oberhalb der Einwirkungsstelle mußte ich 
einen Rollenabstand von 18—20 cm anwenden, um überhaupt eine 
Reaktion zu erhalten; diese beschränkte sich aber auch bei stärksten 
Strömen auf allgemeine Bewegungen und Stimmäußerung. Auch nicht 
die geringste Bewegung in den Muskeln des Unterschenkels trat ein. 
Die Einwirkungsstelle des Ammoniaks war also noch absolut undurch- 
gängig für die Leitung; trotzdem war die periphere Strecke noch gut 
erregbar. Nach Durchschneidung des Nerven und gleicher Wartezeit 
pflegt der Nerv beim Hunde bereits völlig unerregbar zu sein. 
Höchstens zeigt sich noch weit peripher schwache Erregbarkeit. In 
der Nähe der Durchschneidungsstelle findet man stets auf eine Strecke 
von mehreren Centimetern Fibrillen und Markscheidenzerfall. Bei 
diesem Ammoniaknery war auch nicht eine Spur von De- 
generation nach 73 Stunden zu bemerken. Alle Fasern 
hatten bis an die Einwirkungsstelle (und auch in derselben) primäre 
Färbbarkeit; die Fibrillen waren überall glatt und von Markscheiden- 
veränderung war erst recht nichts zu sehen (außer an der Einwirkungs- 
stelle, wo das Mark, wie man sagt, geronnen aussah). 

Hund 2. Rechts und links Ischiadieus bis zur Undurchlässigkeit 
mit Ammoniakdämpfen behandelt. Reizschwelle 26—28 em. Links 
nach vier Tagen (96 Stunden) eröffnet. Einwirkungsstelle ganz rot. 
Nerv unterhalb grau. Unterhalb keine Erregbarkeit. Degeneration, 
wie nach Durchschneidung. Offenbar hatte hier das Ammoniak zu 


lange eingewirkt. — Rechts am zwölften Tage nach der Ammoniak- 
behandlung freigelegt (Einwirkungsstelle schwach rosa): Bei Reizung 


unterhalb der Einwirkungsstelle schon bei 24 em Abstand gute Zuckungen 
im Gastroenemius und den Zehen. Auch bei starkem Reiz keine Leitung 
nach dem Zentrum. Bei Reiz oberhalb der Einwirkungsstelle Reaktion 
des ganzen Tieres von 24 em an. Bei ganz starkem Reiz (10 em Rollen- 


174 Die Nervendegeneration. 


abstand) zueken auch die Zehen, aber nie der Gastroenemius. (Reiz- 
stelle 3 em über der Einwirkungsstelle.) Von oben nach unten schien 
also etwas Durchlässigkeit der Einwirkungsstelle vorhanden zu sein, 
aber nur für einen Teil der Fasern. — Befund: So weit die 
Einwirkungsstelle reicht, sind alle Fasern bis auf ein dünnes in der 
Mitte gelegenes Bündel degeneriert (Marktrümmer). Im peripheren 
Teil des Nerven finden sich mindestens dreimal soviel Fasern 
mit erhaltenen Markscheiden und Fibrillen, daneben eine 
Anzahl von Fasern mit zerfallenen Markscheiden; die Zahl derselben 
nimmt nach der „weiteren Peripherie zu immer mehr ab. Primäre 
Färbbarkeit in vielen Fasern bis zur Einwirkungsstelle 
vorhanden. Sicherlich waren hier also eine Menge 
Fasern vorhanden, welche zwölf Tage lang vom Zen- 
trum nervös getrennt waren, ohne degeneriert zu sein. 

Hund 3. Rechts und links Ammoniakeinwirkung bis zur Un- 
durehlässigkeit. Rechts wurde dann der Nerv einen Zentimeter ober- 
halb der Einwirkungsstelle durchschnitten. Rechts und links nach 
vier Tagen freigelegt (97 Stunden nach der Operation). Rechter Nerv 
unterhalb der Einwirkungsstelle unerregbar, aber noch von weißem 
Aussehen, während der kurze Stumpf oberhalb der Einwirkungsstelle 
bis zur Durchsehneidungsstelle hin und die Einwirkungsstelle selber 
gelblichgrau waren. — Links Zuckungen der Muskeln bei Reiz 
mit 23 cm Rollenabstand, hauptsächlich in den Zehen, weniger im 
Gastroenemius. Auch bei stärkster Reizung keine Durch- 
gängigkeit der Einwirkungsstelle, weder von oben nach 
unten, noch von unten nach oben. — Befund rechts (wo der Nerv 
außer der Ammoniakwirkung auch durchschnitten war): Im zentralen 
Ende (oberhalb der Ammoniakeinwirkung) Degeneration aller 
Fasern bis zur vollständigen Markzerstückelung (merkwürdigerweise 
waren von dieser Degeneration die allerzentralsten Enden der meisten 
Fasern ausgenommen. Hier direkt an der Durchschneidungsstelle 
waren die Markrohre besser erhalten). Die vollständige Degeneration 
setzte sich noch ein Stück weit in die Einwirkungsgegend hinein fort: 
aber noch innerhalb dieser traten viele Fasern zu Tage, welche ge- 
streckte Markrohre und unversehrte Fibrillen hatten. Die Zahl der- 
selben nahm nach der Peripherie hin immer mehr zu, so daß unterhalb 
der Einwirkungsstelle und bis zur äußersten Peripherie hin nur noch 
wenige (vielleicht ein Zehntel aller Fasern) in Degeneration getroffen 
wurden. Alle andern waren im Aussehen ganz normal. 
Auf Präparaten, die primär gefärbt waren, zeigte sich in vielen Fasern 
noch primäre Färbbarkeit, allerdings schwach und diskontinuierlich. 
Durch die Ammoniakeinwirkung waralso sicherlich der 
degenerative Prozeß, der von der Durchschneidungs- 


Die Nervendegeneration. 175 


stelle ausging, in den meisten Fasern kupiert worden, 
denn das Aufhören der Degeneration innerhalb der 
Einwirkungsstelle war ein ziemlich scehroffes. Nach 
einfacher Durchschneidung findet man sonst nach vier Tagen keine 
Spur von primärer Färbbarkeit mehr und die Markscheiden sind zu 
dieser Zeit bereits bis zur Peripherie hin in Ellipsoidbildung! 

Befund im linken (nicht durchschnittenen) Nerven: In der Mitte 
der Einwirkungsstelle treten einige degenerierte Fasern auf (Ellipsoid- 
bildung). Solche finden sich im peripheren Ende bis zum Ende hin. 
Ihre Zahl beträgt etwa ein Siebentel aller Fasern. Der Rest zeigt 
vollkommen erhaltene Markscheiden und Neurofibrillen. 
Primäre Färbbarkeit wurde in allen diesen Fasern ge- 
funden, auch innerhalb der Einwirkungsstelle. 

Nach diesen Befunden muß zugegeben werden, daß die ner- 
vwöse Leitung durch viel längere Zeit hindurch unter- 
brochen sein kann, als zurvollkommenen Degeneration 
nach Totaldurchtrennung nötig ist. Es ist nicht die 
Leitungsunterbrecehung, welche die Degeneration her- 
vorruft. Ammoniak verhindert für lange Zeit die Leitung, ohne 
aber den Nerven so schwer zu schädigen, daß eine Degeneration 
eintritt. Es hindert auch den degenerativen Prozeß, wenn dieser sich 
von einer Kontinuitätstrennung aus fortsetzt. Bei zu starker Ein- 
wirkung schädigt es aber den Nerven so stark, daß die Degeneration 
sich normal entwickelt, wie nach Verletzungen. Andrerseits ist bei 
schwächerer Einwirkung die Leitungsunterbrechung nicht dauernd, 
wie aus dem Befund am rechten Nerven des Hundes No. 2 und speziell 
auf diesen Punkt gerichteten Versuchen hervorgeht. Jedenfalls ist 
also die Degeneration nicht eine Folge der Aufhebung 
des funktionellen Zusammenhanges zwischen Faser 
und „nutritorischem“ Zentrum. Vielmehr ist nach dem vor- 
liegenden Tatsachenmaterial die lokale Schädigung des Ner- 
ven resp. der Zellen, aus denen er zusammengesetzt ist, also das 
Trauma, als die einzige Ursache der nach Kontinuitäts- 
trennung u. s. w. eintretenden Degeneration anzusehen. 

Bei toxischen Schädigungen, denen der Nerv in seinem ganzen 
Verlauf ausgesetzt ist, scheint die Degeneration nach dem Tatsachen- 
material der menschlichen Pathologie stets am periphersten Ende einzu- 
setzen. Es wäre also dieses als punetum minimae resistentiae anzusehen. 

Es seien hier noch einige Befunde über die Degeneration bei wirbel- 
losen Tieren erwähnt: Bei Arthropoden treten nach Nervendurch- 
schneidung sicherlich Degenerationen ein, welche bis zu einem fast 
vollständigen Schwunde führen können. An Hirudo wurde vor einigen 
Jahren von Mönckeberg im hiesigen Institut gearbeitet. Auch Monate 


176 Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen u. s. w. 


nach der Durchschneidung der Kommissuren zeigte sich außer in der 
nächsten Nähe der Durchschneidungsstelle keine sichere Degeneration. 
Daß sich in jedem Kommissurende Fasern befinden, deren zugehörige 
Zelle abgetrennt ist, erscheint außer Zweifel, so daß also nach dem bis- 
her Vorliegenden (die Untersuchung bereitet wegen Unsicherheit der Me- 
thode große Schwierigkeiten) beim Blutegel die Abtrennung einer Faser 
von der Ganglienzelle überhaupt keine Degeneration bewirken würde. 


ELFTES KAPITEL. 


Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen nach 
Verletzung der zugehörigen Nervenfasern und die chro- 
nische Degeneration der Nervenstümpfe. 


Nach dem Wallerschen Gesetz soll bei Verletzung einer Nerven- 
faser die Degeneration nur in cellulifugaler Richtung erfolgen; die 
Ursprungsganglienzelle und der an ihr verbleibende Faserstumpf sollen 
aber verschont bleiben. Der zweite Teil dieses Satzes wurde zuerst 
erschüttert, als Diekinson (1869) fand, daß längere Zeit nach Am- 
putation eines Gliedes vom zentralen Nervenstumpf nur noch ein kleiner 
Rest vorhanden sei, in dem kaum noch Nervenfasern zu erkennen 
sind. Bald darauf wurde von Diekson die Entdeckung gemacht, daß 
im Rückenmark von solehen Leuten, denen vor längerer Zeit ein Glied 
amputiert war, das Vorderhorn auf der betreffenden Seite verkleinert 
und die Zahl der motorischen Ganglienzellen in demselben verringert 
ist. Beide Befunde sind oftmals bestätigt, so von Hayem, Dark- 
schewitsch und Redlich; eine besonders eingehende Bearbeitung erfuhr 
diese Frage durch Marinesco (1892). Er war es besonders, der diese 
segen das Wallersche Gesetz sprechenden Befunde mit diesem in Ein- 
klang zu bringen versuchte, indem er die Annahme machte, daß die 
Ganglienzelle nicht auf die Dauer ohne die von der Peripherie kom- 
menden Erregungen existieren könne; sie enthielte zwar das nutri- 
torische Zentrum, aber dieses müsse zu andauerndem Funktionieren 
immer von der Peripherie her angeregt werden. | 

Zu: einem ähnlichen Resultat wie die Untersuchung Amputierter 
führten die Experimente, welche Gudden und seine Schüler an jungen 
Tieren ausführten. Wird in jugendlichem Alter ein Nerv durchschnitten 
oder ausgerissen, so führt diese Operation zu einer mangelhaften Aus- 


Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen u. s. w. 177 


bildung, ja zu einer Rückbildung der zugehörigen Nervenkerne im 
Zentralnervensystem. Diese Guddensche Methode hat eben wegen dieser 
Rüekbildung zur Erkenntnis der Lokalisation vieler Nervenkerne ge- 
führt. Gudden selber neigte dazu, den Erfolg der Operationen auf 
eine Entwieklungshemmung zurückzuführen. Später gelang es aber 
Forel (1886) auch bei erwachsenen Tieren zu einem ähnlichen End- 
resultat zu gelangen. Es wurde einem ausgewachsenen Kaninchen 
der Nervus facialis ausgerissen; nach 141 Tagen waren die Wurzel- 
fasern des Nerven alle degeneriert und die Ganglienzellen im Faeialis- 
kern bis auf wenige verschwunden. Bei Durchschneidung desselben 
Nerven war ebenfalls eine starke zentrale Degeneration vorhanden; 
sie blieb aber hinter der nach Ausreißung gefundenen erheblich zurück, 
woraus Forel den Schluß zog, daß die Degeneration um so größer sei, 
je weniger vom Nerven im Zusammenhang mit dem Kerm geblieben 
ist. Es zeigte sich durch diese Versuche, wie ja auch schon dureh 
die Befunde an Amputierten, daß zentrale Veränderungen nach Nerven- 
verletzung nicht nur bei Neugeborenen eintreten, daß es sich also 
auch bei der Guddenschen Methode wohl nicht nur um eine Ent- 
wieklungshemmung handelt. 

In allen diesen Fällen schien es Sch um verhältnismäßig langsam 
ablaufende Prozesse zu handeln, welche das Wallersche Gesetz vom 
alleinigen Degenerieren des peripheren Faserabschnittes nicht allzu- 
stark erschütterten. Denn in der Tat verläuft ja die Wallersche De- 
generation innerhalb weniger Tage, während es sich bei Amputierten 
in der Regel um Jahre, bei Forels Versuchen um Monate handelte. 
Man konnte diesen Tatsachen gegenüber zur Not mit der von Marinesco 
aufgestellten, von Goldscheider erweiterten Hypothese auskommen, daß 
die Zellen (und mit ihnen die zentralen Nervenstümpfe) aus Mangel 
an peripheren (und zentralen) Reizen gewissermaßen an Inaktivität 
zugrunde gingen.') Diese Hypothese, welche die trophische Funktion 
der Ganglienzellen aufrecht erhält, kann aber gegenüber den Resultaten, 
welche Nissl (1892) mit seiner Methode förderte, nicht standhalten, 
denn mit dieser Methode zeigen sich Veränderungen an den Ursprungs- 
ganglienzellen nach Kontinuitätstrennung des zugehörigen Nerven eher, 
als auch nur die geringste Degeneration am abgetrennten peripheren 
Nervenstumpf zur Beobachtung kommt. 

Nissl studierte diese Verhältnisse zuerst am durchschnittenen oder 
ausgerissenen Facialis; später dehnte er aber seine Untersuchungen 


1) Hierher gehört auch die Hypothese von Lenhossek, dafs die motorischen 
Zellen wegen der Unmöglichkeit der Reizabgabe zugrunde gingen, die sensiblen 
aber, weil ihnen keine Reize zugehen. Das scheint mir doch ein sehr uneinheit- 
liches Erklärungsprinzip! 

Bethe, Nervensystem. 12 


178 Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen u. s. w. 


über das ganze Nervensystem aus und zeigte, dab eine regressive 
Veränderung der Ganglienzellen nach Verletzung ihres Achsenfortsatzes 
von allgemeiner Gesetzliehkeit sei. So wurde diese Methode der 
primären Reizung, wie ihr Erfinder sie nannte, das feinste Reagens, 
um die Ursprungszellen von Nerven und Faserbündeln zu erkennen. 
Schon 24 Stunden nach der Nervenverletzung zeigen 
sich die ersten Veränderungen an den Ganglienzellen 
in einem eireumscripten Zerfall der färbbaren Sub- 
stanzportionen. Dieser Zerfall der färbbaren Substanz 
dehnt sieh in den nächsten Tagen über den ganzen 
Zellleib aus. Schon am sechsten Tage nach der Durchschneidung 
des Nerven ist die primäre Färbbarkeit der Schollen fast ganz verloren 
gegangen, der Zellleib ist geschwollen und der Kern rückt an 
die Peripherie (Fig. 50). Im weiteren Verlauf kann der Kern 
sanz verloren gehen und 


Be ;;.;.:, Re: der Zellleib zerfallen. Nicht 
ER ns Bag 1 27 in allen Zellen (des Facialiskerns) 
N REN scht der Prozeß gleich schnell; 

Ba: Ben dr ', auch führt er nur in einem Teil 

Bee? zum vollkommenen Zelluntergang. 
Re Am achtzehnten Tage ist der Pro- 

y:; FRE ü zeß auf höchster Höhe; etwa ein 
REN Drittel aller Zellen ist zugrunde 


Br Da nat gegangen, alle andern zeigen 
Fig. 50. Ganglienzellveränderung nach Durch- Sehwund der färbbaren Substanz 
schneidung des zugehörigen Neuriten. (Chromato- Br 7 

lyse und Wandständigkeit des Kerns.) und Kernverlagerung. Von nun 
an tritt, auch wenn keine 


Verheilung der Nervenenden eingetreten ist, eine Re- 


stitution der erhalten gebliebenen Zellen ein: Der Kern 


rückt wieder in die Mitte, der Zellleib nimmt wieder normalere Gestalt an 
und es bildet sich wieder färbbare Substanz in der normalen Anordnung.) 


1) Was die Neurofibrillen während dieser regressiven Zellveränderung an- 
betrifft, so liegen mir nur die Resultate, welche an einem Kaninchen 18 Tage 
nach Durchschneidung des Faecialis gewonnen wurden, vor. (Der Block wurde 
mir von Herrn Nissl gütigst zur Verfügung gestellt. Ich hatte eine weitere Be- 
arbeitung der Frage vor, konnte sie aber bisher nicht zur Ausführung bringen.) 
Danach fehlen in den Zellen, die noch erhalten sind, die Fibrillen jedenfalls nicht. 
Ihre Zahl scheint aber verringert und in manchen Fortsätzen scheinen sie ganz 
zu fehlen. Am auffallendsten ist, daß sie nicht mehr zu Bündeln angeordnet sind, 
sondern ziemlich wirr und gleichförmig die Zellen durchziehen. An Schnitten, die 
mit Molybdänhämatoxylin gefärbt waren, zeigte sich der Zellkörper ganz blaß, 
woraus hervorzugehen scheint, daß nicht nur die färbbare Substanz in den 
Zellen verloren gegangen ist, sondern auch das Stroma, an dem die färbbare 
Substanz haftet. 


Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen u. s. w. 179 


Diese wichtigen Versuche sind vielfach wiederholt und an Tier- 
und Menschenmaterial bestätigt worden. Hier sind hauptsächlich die 
Arbeiten von Marinesco (1896 und 1899) und von van Gehuchten (1897) 
zu erwähnen, dann aber auch Arbeiten von Flatau, Lugaro und andern. 

Nach den Befunden von Marinesco steht die Schwere der retro- 
graden Veränderungen und die Zahl der dabei zugrunde gehenden 
Zellen in einem bestimmten Verhältnis zur Länge des abgetrennten 
Nerven. Bei den Nervenkernen der Medulla, deren Nerven relativ 
kurz sind, ist die Schädigung schwerer als bei den Kernen des 
Rückenmarks mit seinen relativ viel längeren Nerven; andrerseits ist 
in ein und demselben Nervenkern die Veränderung stärker, wenn der 
Nerv dicht am Ursprung abgetrennt wird, als wenn er weit an der 
Peripherie geschädigt ist. Kommt es zu einer Verheilung der Nerven- 
stümpfe, so soll die Zahl der gleich zugrunde gehenden Zellen ge- 
ringer sein, als wenn die Verheilung verzögert oder verhindert wird. 

Eine Restitution der Zellen, welche nicht zugrunde gegangen 
sind, tritt immer ein, gleichgültig ob eine Verheilung der Nervenstümpfe 
zustande kommt oder nicht; darin stimmen Marinesco und van Ge- 
huchten Nissl vollkommen bei. (Die Restitution bleibt nur aus, wenn 
gleich alle Zellen oder die meisten zugrunde gehen, was manchmal 
vorkommt, besonders bei Ausreißung des Nerven.) Bleibt eine Ver- 
einigung der Stümpfe dauernd aus oder wird sie durch Amputation 
eines Gliedes ganz unmöglich gemacht, so fangen die Zellen im Lauf 
von Monaten nach der Operation an allmählich zu atrophieren und 
eine nach der andern ganz von der Bildfläche zu verschwinden 
(Marinesco). Die Zellen würden also bei verhinderter Vereinigung 
folgende Veränderungen durchmachen: 1. Retrograde Zellmetamorphose 
im unmittelbaren Anschluß an die Nervenverletzung (etwa vom ersten 
bis zum achtzehnten Tage dauernd; dabei geht ein Teil der Zellen 
ganz zugrunde) (Nissl). 2. Zellrestitution oder Zellerholung, bei welcher 
die Zellen wieder ein nahezu normales Aussehen bekommen (vom 
achtzehnten Tage bis etwa zum Ende des dritten Monats) (Nissl). 
3. Zellatrophie im Lauf der nächsten Monate und Jahre (Marinesco). 
Bei dem starken Zellschwund, der im Rückenmark alt Amputierter 
gefunden wird, hat man es also wohl nicht mit dem Endresultat der 
retrograden Zellveränderungen, sondern mit dem der chronischen 
Atrophie zu tun. 

Es gehen demnach zweimal im Verlauf dieses Prozesses Ganglien- 
zellen zugrunde und man sollte von vornherein erwarten, daß hierbei 
auch die zugehörigen Fasern des zentralen Nervenstumpfes degenerieren, 
und zwar, da jetzt die Schädigung am zentralen Ende der Nerven- 
faser liegt, von hier ausgehend. Bei dem langsamen und all- 


mählichen Verlauf, den die Atrophie der Ganglienzellen nimmt, wird 
12% 


180 Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen u. s. w. 


nicht allzuviel Aussicht vorhanden sein, gleichzeitig eine größere An- 
zahl degenerierender Fasern bei dieser zu finden; die meisten werden 
entweder bei der Untersuchung schon bis zu Ende degeneriert sein 
oder noch nicht mit der Degeneration begonnen haben. So hat man 
denn auch in den Nervenstümpfen vor längerer Zeit Amputierter ent- 
weder normale Fasern neben vielen degenerierten (aber fast keine 
degenerierenden) oder nur degenerierte gefunden. 

Günstiger liegen die Verhältnisse bei den retrograden Zellverände- 
rungen, weil hier zu gleicher Zeit eine ganze Anzahl von Kernzellen 
zugrunde geht. Nach den Befunden Marinescos über die Schwere der 
Zellaffektion muß auch hier das Resultat ein sehr verschiedenes sein, 
je nachdem man Rückenmarksnerven oder Kopfnerven untersucht. In 
der Tat habe ich auch nach Durchschneidung des Ischiadieus bei 
Hunden und Kaninchen, welche ich am 20. bis 30. Tag nach der 
Durchschneidung untersuchte, immer nur sehr wenige frisch degenerierte 
Fasern auffinden können. Die cellulipetale Degeneration im zentralen 
Stumpf, welche im direkten Anschluß an die Durchschneidung auftritt, 
ist zu dieser Zeit längst abgelaufen. Man findet nur noch Mark- 
trümmer. Es treten aber um diese Zeit immer einige neue degene- 
rierende Fasern (also frische Ellipsoidbildung) auf, aber höchstens in 
einem Zwanzigstel aller Fasern. Der Rest behält gestreckte Mark- 
rohre und primäre Färbbarkeit, trotzdem die Zellveränderung in diesem 
Augenblick auf dem Höhepunkt ist. 

Anders ist es bei Kopfnerven, besonders wenn sie kurz amputiert 
oder ausgerissen sind, wie dies aus einer Arbeit von Bregmann (1892) 
hervorgeht. Bregmann riß Kaninchen verschiedene Kopfnerven, be- 
sonders häufig den Facialis, aus. 20 Tage nach der Operation begann 
die Degeneration der Wurzelfasern und zwar, wenigstens beim Faeialis, 
immer in der Nähe des Ursprungskerns, wie zu erwarten war. Von 
hier aus breitete sich der Prozeß nach der Peripherie zu aus. Am 
58. Tag sollen alle Wurzelfasern zerfallen sein, was sich allerdings 
wohl auf Marehipräparaten nieht mit Sicherheit beurteilen läßt. Jeden- 
falls handelt es sich hier wohl um solche Fälle, wo die intensive 
Schädigung, die das Ausreißen mit sich bringt, die Mehrzahl aller 
Zellen zum primären Verfall gebracht hat (grade wie in dem Fall 
von Forel und einigen von Marinesco und van Gehuchten). Auffallend 
ist bei diesem Befund die große Langsamkeit, mit der die Degeneration 
verlief. Während die cellulipetale Degeneration in wenigen Tagen 
beendet ist, zieht sich diese absteigende oder besser gesagt —, 
cellulifugale Degeneration durch ebensoviel Wochen hin, während die 
Zellen, wenn auch nicht ganz gleichzeitig, so doch in kurzer Auf- 
einanderfolge zugrunde gehen. Der Zerfallsprozeß verläuft also gegen- 
über dem akuten, der im direkten Anschluß an das Trauma einsetzt, 


Die retrograden Veränderungen der Ganglienzellen u. s. w. 181 


ganz chronisch. Man könnte sagen: die Schädigung, welche durch 
den wirklichen und natürlichen Ausfall des sogenannten trophischen 
Zentrums gesetzt wird, ist geringer als die von einem Trauma hervor- 
gebrachte, daher erfolgt die Degeneration auch schleppender (siehe auch 
die Ammoniakversuche). Ich bin aber in Versuchung, diese ehronische 
Degeneration der Nervenfasern auf das Konto wirklicher Inaktivität 
— ein Wort, das wegen seiner vielfachen, mißbräuchlichen Anwendung 
etwas in Mißkredit geraten ist zu setzen, denn der degenerative 
Fortfall des trophischen Zentrums sollte nach meiner Meinung eine 
ebenso schnelle Degeneration des Nerven nach sich ziehen, wie seine 
operative Ausschaltung. Folgende Befunde werden, wie mir scheint, 
diese Erklärung stützen können: 1. Überläßt man einen autogen regene- 
rierten Nerven, der also gar nicht mehr mit Ganglienzellen in Ver- 
bindung steht (siehe nächstes Kapitel), sich selber, so geht zunächst 
die Leitungs- und Erregungsfähigkeit wieder verloren und nun tritt 
eine sehr langsame durch Monate sich hinziehende chronische Degenera- 
tion ein, bei der augenscheinlich — so sagt man immer, wenn man 
keine bindenden Beweise hat — auch in der einzelnen Faser der 
degenerative Prozeß sich durch lange Zeit hinzieht. Sicher scheint mir, 
daß auch hier die chronische Degeneration am zentralen Ende beginnt, 
denn ich fand hier immer mehr in Zerfall begriffene Fasern als an 
der Peripherie. 2. Zwei jungen Hunden durchschnitt ich zu andern 
Zwecken — ich komme später darauf zurück — einen Nervus optieus 
in der Orbita. Beide wurden nach etwas weniger als elf Monaten ge- 
tötet. In beiden Fällen fand sich die Retina vollkommen entartet; 
nur noch ein bindegewebiges Häutchen war übrig geblieben; von 
Ganglienzellen war auch keine Andeutung mehr vorhanden. In beiden 
Fällen aber enthielt der Optieus eine sehr große Anzahl von normalen 
Nervenfasern, die sicherlich nicht neugebildet waren, sondern die alten 
Optieusfasern repräsentierten, denn es fehlte ihnen der für autochthon 
regenerierte Fasern charakteristische Protoplasmahof. In dem einen 
fanden sich einige degenerierende Fasern durch die ganze Länge des 
Stumpfes, besonders aber in der Nähe der ehemaligen Retina, im 
andern waren nur einige Ellipsoide an eben dieser Stelle zu bemerken. 
Ich glaube annehmen zu dürfen, daß die Ursprungszellen der meisten 
Öptieusfasern, die Zellen der Ganglienzellschieht, seit Monaten zu- 
grunde gegangen waren und daß nun die Fasern allmählich den längst 
voraufgegangenen „trophischen Zentren‘ langsam folgten. Bei einem 
dritten jungen Hunde mit gleicher und extra zu diesem Zweck ge- 
machten Operation, der fünf Monate nach der Optieusdurchschneidung 
getötet wurde, fand ich ebenfalls die Retina ganz degeneriert, aber auch 
von den Opticusfasern war kaum noch etwas zu sehen; nur in weiterer 
Entfernung von der Retina fanden sich noch einige Fasern in den 


182 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


letzten Stadien der Markscheidendegeneration. So dürftig diese An- 
gaben leider sind, so können sie doch wohl zu dem Nachweis bei- 
tragen, daß die Fasern bei der chronischen Degeneration von dem 
Punkt aus degenerieren, wo früher die Ursprungszelle lag und daß 
die Fasern ihr ‚„trophisches Zentrum “ wesentlich überdauern können. 


ZWÖLFTES KAPITEL. 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die 


Nervenregeneration. 
Historisches S. 182—187. — Was kann der periphere vom Zentrum abgetrennte 
Nervenstumpf aus sich selber heraus an Regeneration leisten? S. 187—212. — 
Methode der Untersuchung S. 159, 190. — Regeneration der peripheren Stümpfe 
(ohne Beteiligung des Zentrums) bis zur Leitungsfähigkeit ist bei jungen Tieren 
leicht zu konstatieren S. 190—195. — Eine zweite Durchschneidung eines so 


(autogen) regenerierten Nerven führt nur im peripheren Abschnitt zu einer zweiten 
Degeneration; der zentralere Abschnitt bleibt intakt S. 195—197. — Die Leitungs- 
fähigkeit der autoregenerierten Nerven geht nach einiger Zeit unter Verlust der 
primären Färbbarkeit der Neurofibrillen verloren. Daran schließt sich eine sehr 
langsame, chronische Degeneration S. 197. — Auch Nerven, welche noch nicht 
oder nicht mehr leitungsfähig sind, degenerieren bei einer zweiten Durch- 
schneidung S. 198. — Autogene Regeneration an isolierten Nervenstücken 
S. 198, 199. — Beschreibung der verschiedenen Stadien bei der Autoregeneration 
S. 199— 205. — Bei alten Tieren treten an sich selbst überlassenen Nervenstümpfen 
nur die Anfänge der Autoregeneration auf S. 205—207. — Einfluß des zentralen 
Endes auf die Regeneration bei Zusammenheilung beider Stümpfe S. 208. — Re- 
generation der Hinterstrangfasern nach Fortnahme der Spinalganglien S. 208— 210. 
— Autoregenerierte Nerven können anatomisch und funktionell zusammenwachsen 


S. 212. — Wird ein Nervendefekt nur vom zentralen Ende her überbrückt ? 
S. 212—215. — Die Nervenfasern besitzen eine Wachstumspolarität S. 217—224. — 
Reflexartige Erscheinungen an autoregenerierten Nerven S. 224—227. — Neuro- 


tropismus 8. 231, 232. 


1776 machte Cruikshank die zufällige Entdeckung, daß die Enden 
eines durchsehnittenen Nerven sich nach einigen Wochen wieder ver- 
einigen können (veröffentlicht 1794). Fontana (1787), Monro und 
Michaelis nahmen diesen Befund auf und glaubten feststellen zu können, 
daß es sich um eine Überbrückung des Defektes durch wirkliche 
Nervensubstanz handle. Arnemann, der Entdecker der funktionellen 


Die Zusammenheilung durehschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 183 


Degeneration, trat dem entgegen (1787). In einer ausgedehnten Ver- 
suchsreihe konnte er zwar bestätigen, daß die Nervenenden sich wieder 
vereinigen, aber er fand auch nach mehr als zwei Monaten (die andern 
Autoren hatten schon nach wenigen Wochen ihre Sektionen gemacht) 
die Verwachsungsstelle für Reize undurchgängig und konnte in der 
Narbe nur Zellgewebe nachweisen. Heute wissen wir, daß die 
Wartezeit viel zu kurz war. 

Die Möglichkeit der funktionellen Wiederherstellung (das Wieder- 
erscheinen der Leitungsfähigkeit) wurde zuerst von Haighton (1795) 
erwiesen und durch J. ©. H. Meyer (1797), Gruithuisen, Sömmering, 
Bichat, Magendie und andre bestätigt. — Auf die Möglichkeit der 
Verheilung und der funktionellen Wiederherstellung legten die da- 
maligen Autoren den Hauptwert; über die Art des Vorganges, die ja 
auch ohne praktisches Interesse ist, machte man sich gar keine Vor- 
stellungen und man konnte das auch gar nicht tun, weil die degenera- 
tive Veränderung des Nerven nach der Durchschneidung noch gar 
nicht bekannt war. Wenn in diesen älteren Arbeiten von Nerven- 
regeneration gesprochen wird, so wird darunter etwas ganz andres 
verstanden als heute. Man nahm eine Neubildung von Nervengewebe 
nur für die Ausfüllung des Defektes in Anspruch, also nur für die 
Wiederherstellung der Verbindung zwischen zentralem und peripherem 
Stumpf. Nur in dieser Ausfüllung besteht bei ihnen die Regeneration. 

Die Regenerationsfrage im heutigen Sinne konnte erst auftreten, 
nachdem Nasse 1839 gezeigt hatte, daß das ganze periphere Ende 
des durchsehnittenen Nerven in seinen Elementen zugrunde geht. Wie 
werden diese Elemente wiedergebildet (regeneriert), wie und von wo 
der Defekt zwischen beiden Nervenstümpfen ausgefüllt? Das ist eine 
Frage, die bis in die letzten Jahre hinein die Histologen lebhaft be- 
schäftigt hat. Sie hat eine Flut von Arbeiten hervorgerufen, bei 
denen es sich eigentlich immer nur um die Entscheidung zwischen zwei 
Möglichkeiten handelt: Werden die neuen Fasern an Ort und Stelle 
neugebildet oder wachsen sie vom zentralen Stumpf aus? (Eine dritte 
Möglichkeit, daß der Achsenzylinder gar nicht zugrunde ginge und 
nur die Markscheide neu gebildet würde, eine Ansicht, die hauptsäch- 
lieh von Schiff vertreten wurde, ist in neuerer Zeit in Wegfall ge- 
kommen, seitdem man sich mit den verbesserten Methoden aufs deut- 
liehste überzeugt hat, daß auch der Achsenzylinder immer zerfällt.) 

Nasse war noch ganz unbefangen und konstatierte nur, daß die 
neugebildeten Fasern dünner seien als die alten. Günther und Schön 
(1840) sahen bereits, daß die neugebildeten Fasern eher in der Nähe 
der Narbe sichtbar werden als weiter an der Peripherie und glaubten 
daher — allerdings mit Reserve — annehmen zu dürfen, daß die 
Regeneration vom zentralen Ende ausginge. 


184 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


Der Kampf der Meinungen begann erst mit der Publikation der 
Wallerschen Arbeiten (1852). Nach diesem Autor sollte die Regenera- 
tion nur dadurch zustande kommen, daß die Fasern vom zentralen 
Ende d. h. von der Ganglienzelle, ihrem nutritorischen Zentrum, 
in den peripheren Stumpf hineinwüchsen. Es war eine großartige, 
einheitliche Idee, die Waller in seinem Gesetz von der trophischen 
Funktion der Ganglienzelle niederlegte, wer aber seine Beschreibung 
vom Verlauf der Regeneration liest, der wird sich dem nicht ver- 
schließen können, daß seine Deutungen, soweit sie sich auf die 
Regeneration beziehen, auf einem sehr dürftigen Beobachtungsmaterial 
fußen. Tatsächlich liegen die Verhältnisse auch so zweideutig, daß 
sie für Schiff und andre genügend Anhaltspunkte boten, entgegen- 
gesetzte Ansichten zu vertreten. Nach Schiff konnte schon deswegen 
keine Rede von einem zentralen Auswachsen der Fasern sein, weil 
der Achsenzylinder im peripheren Stumpf überhaupt nieht zugrunde 
ginge; denn er beobachtete — fünf und mehr Monate nach Durch- 
schneidung des Nerven bei verhinderter Vereinigung der Stümpfe — 
einen zentralen von einer nicht myelinhaltigen Scheide umgebenen 
Achsialstrang in jeder Faser des peripheren Stumpfes. Da nun solche 
Nervenstümpfe nicht leiteten, gelangte er zu der Ansicht, daß dem 
Achsenzylinder die Leitungsfähigkeit nach der Durchschneidung zu- 
gleich mit der Markscheide verloren gehe und daß bei zustande ge- 
kommener Verheilung die Leitungsfähigkeit unter dem Einfluß des 
Zentrums wiederkäme. Auch die Markscheide sollte sich nur unter 
dem Einfluß des Zentrums wieder bilden, aber loco und nicht durch 
Auswachsung vom Zentrum, denn er konnte sie einigemal unterhalb 
der Narbe eher beobachten als in derselben. 

Den nächsten wesentlichen Fortschritt in der Regenerationsfrage 
sehe ich in der Entdeckung Lents, daß sich nach der Nervendureh- 
trennung eine wesentliche Kernvermehrung einstellt. Sie wurde von 
Hjelt (1861) weiter verfolgt und er fand, daß diese Kernvermehrung 
von den Kernen der Schwannschen Scheide ausgehe. Er brachte auch 
bereits die Kernvermehrung mit der Bildung neuer Fasern in Zu- 
sammenhang. 

Im Jahre 1859 traten Philipeaux und Vulpian mit Versuchsresul- 
taten in die Öffentlichkeit, die mit allem, was damals bekannt war 
und später gefunden ist, in offenbarem Widerspruch standen. Bei 
den Zeitgenossen erregten sie Zweifel, von der folgenden Generation 
wurden sie überhaupt kaum noch der Erwähnung für wert gehalten, 
und doch bedeuten sie den größten Fortschritt, der in der Regenera- 
tionsfrage überhaupt gemacht werden konnte. Die beiden Forscher 
exzidierten bei jungen Hunden, Meerschweinchen und Hühnern größere 
Stücke des Ischiadieus, Medianus, Hypoglossus oder Lingualis, so 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 185 


daß eine Zusammenwachsung vereitelt wurde. Wenn sie nach einigen 
Monaten die Nerven freilesten, so zeigten sie nicht das welke Aus- 
sehen degenerierter Nerven, sondern waren wieder weiß und fest. Bei 
mechanischer oder elektrischer Reizung dieser peripheren Nerven- 
stümpfe erhielten sie (wenn die Nerven motorischer Natur waren) 
Zuckungen in den innervierten Muskeln, während das Tier selber 
nicht auf die Reizung reagierte. Unter dem Mikroskop untersucht 
fanden sich in den Nerven eine große Anzahl richtiger Nervenfasern 
mit Markscheide und Achsenzylinder; andre Fasern hatten noch ein 
anomales Aussehen. Wurde solch ein Nervenstumpf in seinem Ver- 
lauf zum zweitenmal durchschnitten, so verfiel das periphere Ende 
einer zweiten Degeneration, während das zentrale — nun isolierte 
Ende — intakt blieb. Daß es sich in diesen funktionstüchtigen Nerven 
nicht um undegeneriert gebliebene Fasern, sondern um das Produkt 
einer autogenen Regeneration handelte, erschlossen sie daraus, dab 
bei Kontrolltieren wenige Tage nach der Durchschneidung (wie bei 
Erwachsenen) Unerregbarkeit und vollkommene Degeneration eintrat. 
Sie zogen aus diesen Befunden den Schluß, daß bei 
jugendlichen Individuen eine vollkommene, autogene 
Nervenregeneration möglich sei und daß aus diesem Grunde 
auch bei erwachsenen Tieren kein Auswachsen der neuen Fasern vom 
zentralen Ende anzunehmen sei. 

Eine Bestätigung fanden diese Versuche von andrer Seite nicht. 
Schiff machte mit negativem Resultat einige Versuche an Tieren von 
fünf Monaten, gab aber zu, daß bei noch jüngeren Tieren vielleicht 
positive Resultate zu erzielen sein möchten. Alle andern Autoren 
bestritten die Möglichkeit einer autogenen Regeneration, welche bis 
zur Wiedergewinnung der Leitungsfähigkeit führt, von vornherein, ohne 
auch nur einen einzigen Versuch an jungen Tieren anzustellen. So 
gerieten die Versuche in Vergessenheit. 1874 kam Vulpian noch einmal 
auf die Frage zurück. Er machte neue Versuche an jungen Hunden, 
welche das Tatsächliche der alten Versuche durchaus bestätigten. Er 
deutete sie jetzt aber anders. Das ausschließliche Auftreten der 
zweiten Degeneration im peripheren Ende machte ihn stutzig und 
führte ihn zu der Annahme, daß die neuen Fasern aus sehr dünnen, 
für das bloße Auge unsichtbaren Anastomosen mit benachbarten Nerven 
stammten, daß sie also doch vom Zentrum her ausgewachsen wären. 
Hierfür spräche auch, daß im Ischiadieus, der überhaupt keine Anasto- 
mosen mit andern Nerven bildete, nie oder immer nur verschwindend 
wenige regenerierte Fasern nach dauernder Kontinuitätsunterbrechung 
gefunden würden, während sie im Hypoglossus, der in der Nachbar- 
schaft vieler andrer Nerven verläuft, sehr zahlreich seien. Danach, 
sagt er, bestände das Wallersche Gesetz doch durchaus zu Recht; die 


186 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


motorischen Fasern wüchsen vom Rückenmark aus, die sensiblen 
würden von den Spinalganglien regeneriert! So widerrief er unter 
dem Druck der öffentlichen Meinung von der Richtigkeit des Waller- 
schen Gesetzes seine größte Tat. 

Fast alle späteren Autoren machten den prinzipiellen, metho- 
dischen Fehler, daß sie die Regeneration an Nerven studierten, bei 
denen die Degeneration durch Kompression oder einfache Durch- 
schneidung (mit baldiger Wiedervereinigung der Stümpfe) hervor- 
gebracht war. Sie stellten gar nicht erst fest, was der periphere 
Stumpf ohne Vereinigung mit dem Zentrum aus sich selbst heraus 
kann. — Die Hauptvertreter eines kontinuierlichen Auswachsens der 
neuen Fasern vom Zentrum aus waren Ranvier und Vanlair. Von 
diesen faßte Ranvier die Vermehrung der Kerne nach der Durch- 
schneidung als Ursache der Degeneration auf, indem ihr wucherndes 
Protoplasma den Achsenzylinder zerstückele; zur Regeneration stände 
sie in keiner Beziehung. Eine diskontinuierliche Bildung der neuen 
Fasern wurde besonders von deutscher Seite behauptet, so von Kory- 
butt-Daskiewiez, Wolberg, Herz, Neumann und andern. Neue Gesichts- 
punkte traten aber erst zutage, als es mit der Vervollkommnung 
der histologischen Methoden gelang, den Achsenzylinder besser dar- 
zustellen. Hier sind es besonders zwei Arbeiten, welche neue und 
gute Gründe für eine diskontinuierliche Nervenneubildung vorbrachten. 
Sie stammen von v. Büngner und von Howell und Huber. 

Nach v. Büngner (1891) beginnen die Kerne der Schwannschen 
Scheide schon am vierten Tage nach der Nervenverletzung (Kompression 
mit einem Faden oder Pferdehaar oder partielle Durchschneidung) sich 
dureh typische Mitose zu teilen. Das an ihnen liegende Protoplasma 
wuchert und bildet so spindelförmige Anschwellungen, welche unter- 
einander konfluieren und zur Bildung von Bandfasern führen. In 
diesen bildet sich in der Nähe der Kerne eine fibrilläre Streifung aus, 
welche sich schließlich durch das ganze Band ausbreitet. Die Kerne, 
welche anfangs in der Mitte der Fasern liegen, treten bei der weiteren 
Differenzierung an die Seite, so daß sie den neuen Fasern anliegen. 
Am zentraleren Ende des Nervenstumpfes geht die Differenzierung der 
Bandfasern schneller vor sich als weiter peripher, so daß man also 
in der Nähe der Verletzungsstelle stets weiterfortgeschrittenere Fasern 
findet als in größerer Entfernung von derselben. Um die jungen 
Fasern, die mit denen des zentralen Endes in Verbindung treten, 
bildet sich zunächst ein dünner, gleichmäßiger Marküberzug, der aber 
nicht definitiv ist. Die definitive, viel diekere Markscheide bildet sich 
diskontinuierlich und zwar immer zuerst in der Nähe der Kerne. Die 
neuen Fasern werden also diskontinuierlich aus den Schwannschen 
Zellen gebildet, allerdings unter dem Einfluß des Zentrums. 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 7 
fe} / 


In den meisten Punkten sehr ähnlich ist die Beschreibung, welche 
Howell und Huber (1892) von- der Regeneration geben: Schon am 
Anfang der Degeneration fangen die Kerne der Schwannschen Scheide 
an, sich durch Mitose zu teilen; ihr Protoplasma wuchert und fließt 
mit dem der benachbarten Kerne zu einem Bande zusammen. Auf 
diese Weise entstehen innerhalb der alten Schwannschen Scheiden 
lange Bänder, welche reihenweise Kerne enthalten. An der Peripherie 
dieser Fasern bildet sich eine dünne Scheide, welche als spätere 
Schwannsche Scheide angesehen wird. Zur Bildung solcher ‚„embryo- 
naler Fasern‘ kommt es nun auch dann, wenn die Vereinigung 
mit dem zentralen Stumpf verhindert wird; sie entwickeln 
sich dann aber nicht weiter; höchstens kommt es stellenweise zu einer 
Andeutung von Myelin. Zu einer wirklichen Ausbildung der Regenera- 
tion kommt es nur bei Zusammenheilung des peripheren Stumpfes mit 
dem zentralen; auch die Bildung der embryonalen Fasern geht dann 
schneller. Die Bildung der Markscheide soll (nach Verheilung) dis- 
kontinuierlich geschehen; die definitiven Achsenzylinder sollen aber 
vom zentralen Stumpf in die embryonalen Fasern des peripheren 
Stumpfes hineinwachsen, doch wird dies nicht mit Sicherheit behauptet. 

Gegen diese Autoren traten v. Nothafft und Ströbe (1893 u. 1895) 
auf, welche, wohl nieht ganz unbeeinflußt vom Dogma der Neuron- 
theorie, das Auswachsen der neuen Fasern vom zentralen Ende zu 
erweisen suchten. Besonders die Arbeiten Ströbes sind reich an inter- 
essanten Details. Die Bandfasern bestätigt er, glaubt aber, daß sie 
mit den späteren Achsenzylindern nichts zu tun hätten. Es seien eben 
nur Protoplasmawucherungen der Scheidenkerne und diese seien nicht 
nervöser Natur (keine Neuroblasten, wie v. Büngner gemeint), sondern 
Bindegewebskerne. v. Nothafft hat seine Ansicht später etwas modi- 
fiziert und in vielen Punkten zurückgezogen. Eine vermittelnde 
Stellung, wenn auch durchaus nieht zu gunsten der Neurontheorie, 
nimmt Ziegler (1896) ein. Nach ihm soll die Regeneration allein 
von der letzten Schwannschen Zelle des zentralen Stumpfes ausgehen. 
Außer diesen Arbeiten ist noch die von Wieting (1898), welcher die 
Angaben v. Büngners bestätigt, und eine Arbeit von Kennedy (1897) 
zu erwähnen, der eine autogene Regeneration an Nerven beobachtet 
haben will, von denen er aber nicht mit vollkommener Sicherheit nach- 
weisen konnte, daß sie wirklich ganz vom zentralen Stumpf un- 
beeinflußt waren. 

Als ich meine Studien über die Regeneration (zunächst mit Möncke- 
berg) begann, war es mir ganz klar, daß man zuerst einmal zusehen 
müsse, was der vom Zentrum abgetrennte Nerv aus sich selbst 
heraus an Regeneration leisten kann, wie dies ja, wenn auch nicht 
systematisch, auch durch Howell und Huber geschehen ist. Es war 


188 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


sehr gut möglich, daß die Wiederherstellung unter dem Einfluß des 
sogenannten Zentrums wesentlich schneller ginge als ohne dasselbe, 
so daß die Verhältnisse immer unklar bleiben müßten, wenn man eine 
Einwirkung des Zentrums, also eine Zusammenwachsung, zuließe. 
Andrerseits war es wahrscheinlich, daß die besten Resultate bei jugend- 
lichen Individuen zu erwarten waren, denn es ist ja allgemein bekannt, 
daß junge Tiere eine wesentlich größere Regenerationskraft besitzen 
als alte. Daß Philipeaux und Vulpian an solchen bereits positive 
Resultate erzielt hatten, war mir damals noch unbekannt, weil die 
Versuche fast nirgends erwähnt wurden. Der Gedanke, junge Tiere 
zu verwenden, war bei uns übrigens nicht ganz primär, sondern ent- 
stand erst unter dem Einfluß eines Befundes. Wir hatten eine große 
Anzahl von Kaninchen operiert und warteten mit der Sektion so lange 
als möglich in der Hoffnung, daß sich nach langer Zeit auch im voll- 
ständig abgetrennten Nerv eine deutliche Regeneration einstellen möchte. 
Die meisten Tiere starben uns nach etwa zwei Monaten infolge des 
unvermeidlichen Decubitus der Füße, von dem aus, auch bei guter 
Reinhaltung, fast immer Infektionen entstehen. Das beste Tier er- 
reichte ein Alter von 100 Tagen, ein andres 86 Tage. Bei beiden 
wurde nichts weiter von Regeneration gefunden als Bandfasern resp. 
Achsialstrangfasern. Bei einem andern Tier aber, das nur 56 Tage 
nach der Operation lebte, zeigten sich die Fasern an vielen Stellen mit 
einer dünnen, aber deutlichen Myelinscheide umgeben; auch konnte an 
einigen Stellen eine schwache fibrilläre Streifung im Inneren der Fasern 
wahrgenommen werden. Da dieses Kaninchen noch nicht ganz aus- 
gewachsen war, während die andern ältere Tiere gewesen waren, so 
machten wir die Jugend für das positive Resultat verantwortlich und be- 
schlossen, fortan nur noch junge Tiere zu operieren. Bei den unaus- 
gewachsenen Kaninchen zeigte sich nun die Mortalität noch größer als 
bei den erwachsenen. Es gelang nur noch einen zweiten Fall mit An- 
deutung von Markscheide zu bekommen. — Mönckeberg mußte dann 
leider Straßburg verlassen, und ich setzte die Versuche allein fort. Da 
ich den Ischiadieus wegen seiner leichten Zugänglichkeit und seines 
klaren, anastomosenlosen Verlaufs nicht als Versuchsnerv aufgeben 
wollte, wandte ich mich der Operation von jungen Hunden zu, welche ja 
bekanntermaßen gegen alle Infektionen des täglichen Lebens viel wider- 
standsfähiger sind als Kaninchen. Ich habe hier nie einen Todesfall 
erlebt, trotzdem auch hier Decubitus an der Tagesordnung ist, der 
aber in der Regel bald heilt. Manche der Tiere wurden bis zu einem 
Jahr am Leben erhalten und dann im besten Gesundheitszustand ge- 
schlachtet. Hier habe ich nun in der Tat eine ganze An- 
zahlvon Fällen erhalten, in denen derganz vom Zentrum 
getrennte Nerv nach einiger Zeit neugebildete Nerven- 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 189 


fasern in großer Zahlzeigte, Nervenfasern, die auch die 
physiologischen Eigenschaften normaler Fasern hatten, 
nämlich leitungsfähig waren. Ich nenne diese Regenera- 
tion mit Philipeaux und Vulpian autogene Regeneration. 

Um die Verheilung des zentralen und peripheren Endes nach der 
Durehsehneidung zu verhindern, wurden verschiedene Methoden an- 
gewandt. Die bloße Exzision eines 2—3 em langen Nervenstückes 
führt nieht mit Sicherheit zum Ziel, wie schon Schiff angegeben hat; 
srößere Stücke des Nerven herauszunehmen, ist bei jungen Tieren 
deswegen nicht sehr zweckmäßig, weil man dann nicht mehr sehr 
viel Nerv übrig behält, um später den bloßgelegten Stumpf zu reizen. 
In einer Anzahl von Fällen habe ich das von Schiff angegebene Ver- 
fahren angewandt, bei welchem der Ischiadieus am Foramen Ischiadiei 
mit einer breiten Pinzette erfaßt und herausgerissen wird. Meistens 
gelingt es, den ganzen oberen Teil des Nerven mitsamt den moto- 
rischen Wurzeln und den Spinalganglien herauszuziehen; dieser Teil 
wurde dann bis zur Mitte des Oberschenkels abgeschnitten. Einigemal 
wurde er auch nach Abschneidung der Spinalganglien aufgerollt und 
dieht über der Kniekehle versenkt. Sind die Wurzeln mit heraus- 
gerissen, so finde ich bei der Sektion niemals Fasern des zentralen 
Stumpfes außerhalb des Foramen Ischiadiei. Entweder wachsen die 
motorischen Wurzeln gar nicht wieder aus oder sie finden nicht durch 
die Intervertebralkanäle hindurch. In einem Fall, bei dem die Wurzeln 
nicht mitkamen (der Stamm war, der Länge nach zu urteilen, am 
Austritt aus der Wirbelsäule durchrissen), wuchs der zentrale Stamm 
bis zum Oberschenkel aus und verband sich mit dem peripheren Stumpf, 
so daß der Fall unbrauchbar war. In zwei andern Fällen bildete sich 
nach ebenfalls halbmißlungener Ausreißung eine dünne Anastomose 
von wenigen Fasern aus. 

Eine andre und ebenso sichere Methode besteht darin, daß man 
den Ischiadieus in der Mitte des Oberschenkels durcehschneidet, den 
peripheren Stumpf an seiner Stelle läßt und den zentralen, nachdem 
man etwa 3 em von ihm abgetrennt hat, durch einen Muskel hindureh- 
steckt und in einem andern Muskelfach festnäht. Er wächst dann in 
diesem fort und trifft nie auf sein peripheres Ende (gewöhnlich wächst 
er in der Muskulatur nicht sehr weit, höchstens 2 em, wobei natürlich 
das relative Wachstum nicht mitgereehnet ist). In einer dritten Reihe 
von Versuchen wurde der Ischiadieus ausgerissen oder hoch durch- 
schnitten und das periphere Ende zu einem bestimmten, später zu 
beschreibenden Nebenzweck nach dem Damm zu verlagert. 

Wenn nun auch die Art des Operationsverfahrens einen Einfluß 
des Zentrums auf die Regeneration des peripheren Stumpfes ziemlich 
unmöglich macht, so muß natürlich doch, wie jene Miberfolge zeigen, 


190 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


durch eine gewissenhafte Sektion bestätigt werden, daß wirklich keine 
Wiedervereinigung mit dem zentralen Ende (oder einem andern Nerven) 
stattgefunden hat. Die Sektion wurde in einigen Fällen unter dem 
Mikroskop gewissermaßen noch fortgesetzt, indem das zentrale Ende 
des peripheren Stumpfes mitsamt dem umgebenden Gewebe in Serie 
geschnitten wurde. Schließlich wurde nie versäumt, auch den physio- 
logischen Nachweis zu führen, daß sich keine Anastomosen ausgebildet 
hatten, und diesem Nachweis scheint mir am meisten Ge- 
wieht zuzukommen: Bei Reizung des peripheren Stumpfes 
mit starken Induktionsströmen durfte das Tier nicht reagieren 
(bei halber Narkose durfte das Tier beim Reizen weder heulen noch 
Abwehrbewegungen machen. Nur in den von dem Stumpf 
innervierten Muskeln durften Zuekungen eintreten. 
Kamen solehe zur Beobachtung, so mußte es unmöglich sein, dieselben 
von andern Stellen des Körpers aus hervorzurufen, vor 
allem durften sie nicht auftreten, wenn der zentrale (manchmal ja er- 
reichbare) Ischiadieusstumpf gereizt wurde. In den Fällen, in welchen 
eine, wenn auch immer nur partielle Leitung zwischen Zentrum und 
peripherem Stumpf bestand, waren die Anastomosen stets anatomisch 
darstellbar. Als gelungene Fälle wurden sie nicht betrachtet. 
Gelungene Fälle, d.h. solche, in denen eine vollständige oder 
unvollständige Regeneration des peripheren Stumpfes ohne irgend 
welchen Zusammenhang mit dem Zentrum zustande kam, habe ich im 
ganzen 23 zu verzeichnen, außerdem zwei halbgelungene, bei denen 
kleine Anastomosen bestanden, und die beiden schon erwähnten Fälle 
bei Kaninchen. Die 23 guten Fälle vom Hund wurden an 15 Tieren 
im Alter von 8 Tagen bis 8 Wochen gewonnen. (Bei manchen Hunden 
wurde an beiden Beinen operiert). Von den 23 Fällen scheide ich 
noch zwei vorläufig aus, welche nur an den Wurzeln operiert waren. 
Es verbleiben also noch 21 Fälle. Siehe die Tabelle auf S. 191. 
Daß bei jungen Tieren die Degeneration mit derselben Sicherheit 
wie bei erwachsenen der Durchschneidung des Nerven folgt, hat be- 


reits Ranvier festgestellt; er konnte sogar zeigen — und ich kann 
dies bestätigen — daß die Degeneration hesonders schnell vonstatten 


seht. Ich habe mich mit dieser Angabe natürlich nicht begnügt, son- 
dern eigene Versuche angestellt, welche jedesmal zu einem positiven 
Resultat führten. Niemals wurde, wenn das Tier nach vier 
bis zehn Tagen getötet wurde, auch nur eine einzige 
nicht degenerierte Faser im peripheren Stumpf gefun- 
den. Bei andern Tieren legte ich den Ischiadieus vier bis zehn 
Tage nach der Operation frei, stellte fest, daß er unerregbar war, 
schnitt einen kleineren Seitenast heraus, überzeugte mich, daß dieser 
vollkommen degeneriert war, und nähte wieder zu. An den drei 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 191 


Tieren, welche so behandelt waren, fand sich nach einigen Monaten 
der vorher sicher degeneriert gewesene Nery regeneriert und leitungs- 
fähig, ohne daß eine Beteiligung des Zentrums (bei Anwendung aller 
der oben genannten Kautelen) festzustellen war. Wenn ich dasselbe 
auch nicht bei all den übrigen Fällen getan habe, so glaube ich doch 
auf Grund der sonst gesetzmäßig eintretenden Degeneration des durch- 
schnittenen Nerven annehmen zu dürfen, daß auch in all den 
andern Nerven, welche später leitungsfähig und mit 
beinahe normal aussehenden Fasern gefuuden wurden, 
zuerst eine Degeneration nach der Durchschneidung 
stattgefunden hatte. 


Tabelle der Hunde, bei denen Autoregeneration be. 
obachtet wurde. 
M.— Monat. T.—Tag. 0.—=unerregbar bei der Sektion. ><— schwach 


oder nicht in allen Muskeln erregbar. * == sehr leicht erregbar und in allen 
innervierten Muskeln starke Zuckungen veranlassend. 1. — linker, r. — rechter 


Ischiadicus. 
Alter am Tage Lebensdauer bis Ende 

No. der Operation. ion und Zzau] der Opera- Bemerkungen. 

tionen. ; 

iR 3 Wochen. 1EMSDHE 10: Zweites Mal durch- 
schnitten. 

2. 8 Tage. 1022527: IL r. auch operiert. Aber 
Anastomose. 

DT SapH,, 3uM& 3. VE r. zweites Mal durch- 
schnitten. |]. auch 
operiert. Aber Ana- 
stomose. 

4. 7 Wochen. 3uME 251% al Tr. zum zweitenmal 
durehschnitten. 

5. 6 A 4. IT. U 15; r. außerdem Ring. — 
l. zweites Mal durelh- 
schnitten. 

6 3 A, 4.M.18°T. ee 

7 32 Tage. 4 M. 24T. Spinalganglien heraus- 
genommen. 

b) I 5 M. TEE] 

5 Wochen. 6 M. TO 8 r. zweites Mal durch- 
schnitten. 

10. 6 x 6M. motor. Wurz. * 

11. 5 &. HEMER 1, Dem Nerven waren die 
mit ausgerissenen 
und abgeschnittenen 
Spinalganglien bei- 
gegeben. 

12. 27 Tage. 6. M.2 20T. 1, Zweites Mal durch- 
schnitten. 

19: 7 Wochen. sM. 17092730: Nach vier Monaten lei- 
tend gewesen. 

14 5) SEMER1HET 1% 

15 Ss 102M IST 120: 


192 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


Zu einer autogenen Regeneration habe ich es in allen operierten 
Fällen kommen sehen, gleichgültig ob das Tier bei der Operation 
acht Tage oder acht Wochen alt war. (Ältere Tiere habe ich nicht 
operiert [außer ganz erwachsenen], aber ich glaube, annehmen zu 
dürfen, daß die autogene Regeneration auch noch drei bis vier Monate 
nach der Geburt bis zur Leitungsfähigkeit gelangen kann.) Ob es in 
allen Fällen bis zur Leitungsfähigkeit kommt, kann ich mit Sicherheit 
nicht angeben, jedenfalls ist dies aber wohl die Regel. Niemals sah ich 
alle Fasern regeneriert, und die Zahl der vollkommen regenerierten 
Fasern schwankt in den einzelnen Fällen recht stark. Man muß bei 
der Beurteilung dieser Verhältnisse aber in Betracht ziehen, daß einige 
Zeit nach stattgehabter Regeneration immer wieder ein Rückbildungs- 
prozeß eintritt: Die schon dagewesene Erregbarkeit hört 
wieder auf und nach und nach gehen alle Fasern 
wieder zugrunde (siehe weiter unten). Mir scheint in dieser Be- 
obachtung, welche ich mehrmals gemacht habe, einsehr stringenter 
Beweis dafür zu liegen, daß dieregeneriertgefundenen 
Fasern nicht vom Zentrum ausgewachsen waren, denn 
ein Nerv, der im Zusammenhang mit dem Rückenmark 
regeneriert ist, bleibt erhalten und leitungsfähig, so 
lange das Tier lebt und geht nicht ohne erneute Ver- 
letzung schon wenige Monate nach der Neubildung 
eine zweite — und zwar ganz atypische — Degenera- 
tion ein.) 

Ich will nun an einzelnen herausgegriffenen Beispielen zeigen, 
was an derartigen sich selbst überlassenen Nervenstümpfen junger 
Tiere zur Beobachtung gelangte. 

Hund 4 der Tabelle auf Seite 191: Im Alter von sieben Wochen 
wurde rechts und links der Ischiadieus hoch am Becken durchschnitten, 
durch die innere Oberschenkelmuskulatur durchgezogen und am Damm 
mit dem der andern Seite zusammengenäht. Die Wunde heilte per pri- 
mam in fünf Tagen. (Wie sich bei der Sektion zeigte, hatte die Naht nicht 
«ehalten. Beide Enden wurden am Damm 2 cm voneinander getrennt 
gefunden.) Acht Tage nach der Operation wurde der linke 


1) In einer kürzlich erschienenen und — ich muß sagen — von sehr ge- 
ringem Beweismaterial begleiteten Arbeit stellt Münzer (1902) die Behauptung 
auf, daß es sich gar nicht um eine autogene Regeneration handle, sondern um 
ein Einwachsen markhaltiger Fasern, welche aus benachbarten Muskelästen 
stammen. Dieser Erklärung, die neuerdings auch von Langley und Anderson 
(1902) vertreten worden ist, widerspricht obiger Befund — außer vielen andern. 
Es wäre doch z. B. sehr merkwürdig, wie auch Haenel (1903) hervorgehoben hat, 
daß dies Hineinwachsen von Muskelnerven in die Narbe bei jungen Tieren statt- 
findet, bei alten aber nicht. Auch der physiologische Befund widerspricht dieser 
Deutung durchaus. 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 193 


Nerv am Knie freigelegt. Er hatte das bekannte, welke Aussehen 
eines degenerierten Nerven. Auf faradische Reizungen traten 
keine Zuekungen in der innervierten Muskulatur auf. 
Ein Stück eines Seitennerven wurde herausgenommen und zeigte nach 
Fixierung mit Osmiumsäure vollkommen degenerierte Markscheiden. 
Drei Monate und 25 Tage nach der Operation wurden beide 
Nerven am Oberschenkel freigelegt. Sie hatten ein glänzend weißes 
Aussehen und zeigten auch Fontanasche Querbänder. Rechts ergab Rei- 
zung mit faradischen Strömen (großer Duboisscher Schlitten- 
apparat mit kleinem Chromsäureelement) schon bei einem Rollen- 
abstand von 34 em tetanische Kontraktion im Gastroe- 
nemius, den Fuß- und Zehenmuskeln. Links waren etwas 
stärkere Ströme (30 em) nötig. Bei 30 em rechts und bei 28 em 
links war die Kontraktion schon maximal und sehr kräftig. Bei 
stärkstem Reiz traten links keine Zuckungen des Tieres ein. Rechts 
waren bei übereinandergeschobenen Rollen kleine Re- 
aktionen des Tieres bemerkbar, welche aber auf Stromschleifen zu 
beruhen schienen. Von dem nur rechts erreichbaren zentralen Ischia- 
dieusstumpf waren keine Zuckungen des Unterschenkels und Fußes 
auslösbar. Desgleichen blieben Zuckungen dieser Muskeln vollkommen 
aus, wenn das Lumbalmark mit sehr starken faradischen Strömen 
(von der Haut aus) durehströmt wurde, wobei alle andern Muskeln 
des Körpers in lebhafteste Bewegung gerieten! Bei der leichten 
direkten Erregbarkeit der Ischiadiei wäre dies Resultat ganz un- 
verständlich gewesen, wenn sie auf irgend einem Wege mit dem Zentrum 
zusammengehangen hätten. Der Gastroenemius war schön rot und ziem- 
lich diek. (Die Querstreifung der Muskelfasern war gut erhalten.) Bei 
direkter Reizung reagierte er erst bei 20 cm Rollenabstand. Die Reizung 
des Nerven in einer Entfernung von 5 cm konnte also den Muskel nicht 
direkt erregt haben, da von hier aus die Zuekungen schon bei 30 und 
34 em eintraten. (Außerdem war beim Reizen eine dünne Gummi- 
platte unter den Nerv geschoben.) Der linke Nerv wurde mitsamt 
seinem zentralen Ende und dessen Umgebung herausgenommen und in 
Osmiumsäure konserviert. Der rechte Nerv blieb noch vier Tage im 
Tier, nachdem er vorher in der Mitte des Oberschenkels durchschnitten 
worden war. 

Der linke Nerv wies auf Schnitten und Zupfpräparaten 
einen großen Reichtum an markhaltigen Fasern auf 
(Fig. 51 2). Viele von ihnen zeigten die später genauer zu beschreiben- 
den Charaktere regenerierter Fasern, manche waren aber von normalen 
Fasern kaum noch zu unterscheiden. Sie hatten beinahe normale 
Dicke, die Markrohre waren gleichmäßig und zeigten in regelmäßigen 
Abständen Ranviersche Einschnürungen. Das nach dem Zentrum zu 

Bethe, Nervensystem. 13 


194 Die Zusammenheilung durchsehnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


gerichtete Ende wurde in eine Längsserie zerlegt. Auf diesen Schnitten 
zeigte sich, daß der Nerv an der Spitze von einem dichten peri- 
neuralen Bindegewebe umschlossen war. Der Nerv selber war in der 
Kappe zugespitzt, d. h. die Zahl der Fasern wurde proximalwärts 
immer geringer (Fig. 514. Von einer Anzahl von Fasern konnte 
festgestellt werden, daß sie in dieser Gegend etwas dünner wurden 
und dann unvermittelt endigten. Andre drangen noch in das peri- 
neurale Bindegewebe ein, verließen dieses aber nicht nach außen 


Fig. 51. A Längsschnitt durch das zentralgerichtete Ende eines autoregenerierten Nerven. (Leitz 

Obj. 1, Ocul. I. Einzelheiten sind bei stärkerer Vergrößerung nachgetragen; um das zu sehende 

zu verdeutlichen ist die Dieke der markhaltigen Fasern zum Teil übertrieben.) B Querschnitt durch 

denselben Nerven weiter peripher. (Leitz Obj. 3, Ocul. I. Die Figur gibt eine Anschauung von dem 

Verhältnis zwischen den vollständig regenerierten Fasern und denen, welche marklos geblieben sind 
oder gar nicht regeneriert sind.) — Beide Figuren sind auf ?/, verkleinert. 


hin, sondern bogen in demselben nach unten hin um (Fig. 51 4). Wie 
ich noch weiter unten zeigen werde, wachsen die Nervenfasern augen- 
scheinlich am besten in eben diesem Bindegewebe, so daß also hier 
die Fasern, welche bei ihrem Wachstum bis zur Kappe des Nerven 
vorgedrungen waren, nur nach der Peripherie zurückkehrend einen 
guten Mutterboden fanden.') 


1) Derartige Fasern, deren Menge und Ausdehnungsgebiet häufig sehr viel 
größer ist, hat Münzer (1902) vielleicht vor sich gehabt. 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 195 


Nerven, welehe ohne Anschluß an das Zentrum bis zu vollstän- 
diger Erregbarkeit regeneriert waren und dann immer eine große An- 
zahl markhaltiger Nervenfasern zeigten, habe ich im ganzen zwölf er- 
halten. Diese sind in der Tabelle mit einem Stern bezeichnet. (Hund 
2, 3, 4, 5, 9, 11, 12 und 14. Bei Hund 13 war 4 Monate nach der 
Operation Erregbarkeit vorhanden, zur Zeit der Sektion, d. h. nach 
8 Monaten war sie wieder verschwunden.) Zu diesen zwölf kommen 
noch zwei Nerven von Hund 8 und einer von Hund 6, bei denen die 
Erregbarkeit geringer war und in denen nur eine geringere Zahl von 
Fasern Markscheiden besaßen. Schließlich ist hierher auch noch der 
Hund 10 zu rechnen, bei welchem nur die motorischen Wurzeln durch- 
schnitten waren. Die kürzeste Zeit, nach welcher Erregbarkeit und 
gute Regeneration gefunden wurde, betrug 1 Monat und 25 Tage 
(Hund 2). Die längste Zeit, nach welcher noch Erregbarkeit vor- 
handen war, betrug 10 Monate (Hund 14). 

Nach diesen Befunden muß es als sichergestellt 
betrachtet werden, daß ein peripherer, vom Zentrum 
dauernd abgetrennter Nerv sich aus sich selber her- 
aus, also autogen, regenerieren kann. Der Nerv be- 
sitzt in sich die Fähigkeit, sich nach stattgehabter 
Degeneration vollständig und bis zur Leitungsfähig- 
Beib zu regenerieren! 

Bei allen darauf untersuchten Nerven waren nicht nur die Mark- 
scheiden und die Achsenzylinder neugebildet, sondern es waren auch 
wieder in den Achsenzylindern deutliche Neurofibrillen vor- 
handen und diese Neurofibrillen besaßen wieder primäre Färb- 
barkeit (letzteres in sechs Fällen untersucht und immer gefunden). 

Wie schon oben erwähnt, wurde bei dem beschriebenen Hunde 
der Nerv der rechten Seite zum zweitenmal durchschnitten. Dadurch 
zerfiel er in zwei Teile, einen zentraleren Teil 4, der nun gänzlich 
isoliert war, und einen periphereren Teil #, der noch mit den Muskeln 
zusammenhing. Nach vier Tagen wurde der Nerv freigelegt. Der 
Nerv zeigte sich jetzt in seinem peripheren Ende (2) vollkommen un- 
erregbar. Der zentralere Stumpf (4) hatte wie vorher ein weißes 
Aussehen, der periphere Stumpf (2) war etwas gelbgrau verfärbt und 
war ohne Glanz. Nach oben hin zeigte sich der Stumpf 4 abgeschlossen 
(wie auf der linken Seite). (Die letzten Ausläufer des zentralen Stumpfes 
des Ischiadieus endeten mindestens 4 em von ihm entfernt im Muskel.) 
Auch das zentrale Ende von 4 wurde in Serie geschnitten, welche 
keine Anhaltspunkte dafür gab, daß Anastomosen mit einem andern 
Nerven bestanden hatten; von bei weitem den meisten Fasern konnte 
nachgewiesen werden, daß sie innerhalb der perineuralen Bindegewebs- 
kappe endeten. 

13* 


196 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


Der Teil 4 zeigte normale Fasern. Die Markscheiden waren 
glatt und die Fibrillen ohne Anzeichen von Degeneration. Nur in 
nächster Nähe der Durchschneidungsstelle waren geringe Degenera- 
tionen zu bemerken; sie reichten aber eher weniger weit nach oben, 
als es nach der gleichen Zeit bei einem normalen Nerven nach Kon- 
tinuitätstrennung im zentralen Ende der Fall ist. Das ganze peri- 
pherere (unterhalb der zweiten Durchschneidungsstelle gelegene) Ende, 
also der Teil 3, zeigte starke Degeneration bis zum 
Ende hin (ebenso der untere Teil Z des linken Nerven, welcher 
noch vier Tage nach Herausnahme des Teils 4 im Körper geblieben 
war). — Eine solche zweite Durchschneidung wurde im ganzen vier- 
mal an autogen regenerierten und leitungsfähigen Nerven ausgeführt. 
Jedesmal degenerierte nur das peripher von der Durchschneidungs- 
stelle gelegene Ende, während das zentral davon gelegene Ende, das 
also gänzlich isoliert war, erhalten blieb, grade wie bei einem Nerven, 
der noch mit seinem „nutritorischen Zentrum“ in Zusammenhang steht. 

In einem Fall wurde außer der zweiten Durchschneidung in der 
Mitte des peripheren Stumpfes eine Loslösung des zentralen Endes 
desselben ausgeführt. Man konnte ja sagen, daß doch unsichtbare 
Anastomosen zwischen zentralem und peripherem Stumpf beständen; 
deshalb mußte ich versuchen, das obere Ende des peripheren Stumpfes 
ohne Verletzung von der Umgebung abzulösen, wobei ja natürlich alle 
diese unsichtbaren Verbindungsfäden durchreißen müßten. In diesem 
Fall war nun das zentrale Ende des peripheren Stumpfes stark aus- 
gestrahlt (der Nerv war mitsamt den Wurzeln ausgerissen gewesen 
und der zentrale Stumpf war überhaupt nicht wieder ausgewachsen, 
wie die Sektion zeigte), so daß beim Loslösen eine große Menge dieser 
übrigens gut-sichtbaren Nervenfädchen durchriss. Diese Durchreißungen 
führten natürlich Degenerationen nach sich, aber trotzdem fand ich 
im oberen Ende des peripheren Stumpfes (Teil 4) fünf Tage nach der 
Operation mehr als die Hälfte aller Fasern undegeneriert, während 
im unteren Teil, also peripher von der zweiten Durchschneidungsstelle, 
alle Fasern vollständig degeneriert waren. 

Aus diesen Befunden geht hervor, daß ein autogen regene- 
rierter Nerv, der also keinen Zusammenhang mit dem 
Zentrum hat, bei einer zweiten Durchschneidung nur 
in seinem peripher von der Unterbrechungsstelle ge- 
legenen Teil vollständig degeneriert, während sein 
zentralwärts gerichteter Teil (außer in nächster Nähe der 
Wunde) von der Degeneration verschont bleibt, trotzdem 
er nicht mit einem „trophischen Zentrum“ in Zusammenhang steht. 
Es ist also bei der Durchschneidung eines normalen 
Nerven nicht der Zusammenhang mit einem trophischen 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 197 


Zentrum, welcher das zentrale Ende vor der Degenera- 
tion bewahrt! (Vergleiche S. 175.) 

Bis jetzt habe ich nur von denjenigen Nerven gesprochen, welche 
zur Zeit der Sektion (die Bloßlegung und Reizung der Nerven ging 
immer unmittelbar dem Töten voraus) erregbar gefunden wurden. 
Diejenigen Nerven, welche kurz vor der Sektion nieht erregbar ge- 
funden wurden, können anatomisch einen ebenso hohen Grad 
der Regeneration zeigen, wie die vollkommen erregbaren. Manch- 
mal ist sogar die Zahl der Fasern, welche mit einer schönen Mark- 
scheide umgeben sind und gut differenzierte Fibrillen enthalten, größer 
als bei solehen Nerven, die leitend gefunden wurden. So fiel z. B. 
der anatomische Vergleich zwischen Hund 14 und 15 zu Ungunsten 
des Hundes 14 aus. In den Nerven beider Hunde wurden viele mark- 
haltige Fasern gefunden, bei Hund 15 war ihre Zahl aber größer; 
trotzdem war der Nerv dieses Tieres ganz unerregbar, während der 
des andren (seines jünger operierten und jünger getöteten Bruders) 
sehr leicht erregbar war. Ebenso enthielten die Nerven des Hundes 13 
mehr markhaltige Fasern als die seines vier Monate früher geschlachteten 
Bruders (Hund 4). Nur die Nerven des letzteren waren zur Zeit der 
Sektion erregbar; die des andren waren es nicht (zur Zeit der Sek- 
tion), waren es aber vier Monate früher (also zur Zeit, wo 
Hund 4 geschlachtet wurde) gewesen. 

Die einmal schon vorhandene Leitungsfähigkeit 
kann also wieder verschwinden, während der Nerv im 
Markscheiden- und Fibrillenpräparat noch lange Zeit 
nachher keine wesentlichen Unterschiede zeigt. Außer 
dem physiologischen Unterschied ist aber doch noch ein andrer vor- 
handen: Die leitungsfähigen Nerven zeigen immer pri- 
märe Färbbarkeit der Neurofibrillen; bei den leitungs- 
unfähigen aber doch regenerierten fehlt sie stets voll- 
kommen! Bei diesen Nerven war die Leitungsfähigkeit respektive 
Erregbarkeit zur Zeit der Sektion schon wieder verschwunden; 
ebenso wahrscheinlich bei dem einen Nerven des Hundes No. 9. Sie 
kann aber auch noch nicht dasein, trotzdem bereits 
eine anatomische Regeneration zu konstatieren ist. 
Wenigstens glaube ich so den Befund beim Hund No. 1 deuten zu 
müssen. Einen Monat und 24 Tage nach der Operation war der 
Nerv ganz unerregbar, zeigte aber sehr viele dünne markhaltige 
Fasern, welche deutliche Fibrillen enthielten. Auch hier war von 
primärer Färbbarkeit der Fibrillen nicht eine Spur zu finden. In 
diesen Befunden sehe ich einen neuen Beweis, daß 
die Funktion des Nerven mit der Anwesenheit von’Fi- 
brillensäure inengem Zusammenhang steht. 


198 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


Es war von wesentlichem theoretischem Interesse zu erfahren, wie 
es bei solehen noch nieht oder nieht mehr erregbaren Nerven mit einer 
zweiten Degeneration steht. Wenn die Degeneration irgend etwas mit 
der Leitungsunterbrechung, also mit einer Paralyse (vergleiche S. 175) 
zu tun hätte, so müßten solehe nicht leitungsfähigen Nerven bei einer 
zweiten Durchschneidung der Degeneration widerstehen. Dies ist aber 
nicht der Fall: Die Degeneration tritt genau in derselben Weise und 
in derselben Zeit ein, wie bei einem der Leitung fähigen Nerven. Ich 
habe diesen Versuch zweimal angestellt, bei Hund 1 und bei Hund 9. 
3ei Hund 1 waren viele dünne markhaltige Fasern neben einer 
sroßen Anzahl noch nicht markhaltiger Fasern, welche aber schon 
schöne Fibrillen enthielten, vorhanden. Nach der zweiten Durch- 
sehneidung degenerierten beide Faserarten nur unterhalb der zweiten 
Durchsehneidungsstelle (also im Teil 2), während sie oberhalb der 
Verletzung (im Teil 4) erhalten blieben. Bei Hund 9 (unerregbarer 
Nerv) fanden sich nur wenige markhaltige Fasern. Viele Fasern waren 
marklos, enthielten aber Fibrillen und noch andre standen auf dem 
Stadium der Bandfasern (ob noch oder schon wieder, kann ich nicht 
entscheiden). Die wenigen markhaltigen Fasern zeigten unterhalb der 
zweiten Durehscehneidung Markscheidenzerfall; oberhalb derselben waren 
die Markscheiden glatt. Die marklosen Fasern zeigten unterhalb der 
Sehnittstelle körnige Degeneration, während sie oberhalb zum Teil 
homogenen Inhalt (Bandfasern), zum Teil fibrilläre Struktur besaßen. 
Ich ziehe aus diesem Befund, der auch durch andre Befunde gestützt 
wird, den Schluß, daß auch die Bandfasern nach einer zweiten Durch- 
schneidung eine körnige Entartung ihres Protoplasmas eingehen können. 
(Die Degeneration im oberen Ende [Teil 4] beschränkte sich immer 
auf die der Verletzungsstelle direkt anliegenden Faserenden.) 

Um die autogene Regeneration noch sicherer zu stellen und allen 
Einwänden zu entgehen, habe ich zwei Versuche an ganz isolierten 
Nervenstücken gemacht. Man konnte ja vielleicht noch gegen meine 
bisher beschriebenen Versuche Einwände folgender Art machen: Die 
sefundene Regeneration geht gar nieht von dem Nerven selber aus, 
sondern von versprengten Ganglienzellen, wie sie einigemal im Verlauf 
peripherer Nerven gefunden sind. Nun sind zwar solehe Zellen selten, 
und ich habe sie nur einigemal bei Froschnerven gesehen, außerdem 
würden sie als ganz offenbare Spinalganglienzellen nur der Neubildung 
von sensiblen Fasern dienen können, aber man muß sich von vorn- 
herein gegen alle Arten von Einwänden schützen. Andre Einwände 
könnten dahin gehen, daß die Regeneration von den Endorganen, aber 
nicht vom Nerven selber ausgingen. Alle derartigen Zweifel werden 
durch die Regeneration isolierter Nervenstücke zerstört. Ich ging 
bei der Operation in folgender, mir von Herrn Professor Ewald vor- 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 199 


seschlagenen Weise vor: Nach hoher Durchschneidung des Ischiadieus 
und Versenkung des zentralen Stumpfes in ein andres Muskelfach 
wurde der Nerv auch an der Kniekehle durchschnitten. Das isolierte 
Stück wurde nun am zentralen und peripheren Ende von der Musku- 
latur losgelöst, so daß es nur noch in der Mitte mit dem umliegenden 
Gewebe in Verbindung war. Das obere Ende wurde nun nach unten, 
das untere nach oben umgeschlagen und beide Enden durch mehrere 
Nähte miteinander vereinigt. Auf diese Weise entstand ein geschlossener 
Nervenring, der weder mit dem Zentrum noch mit der Peripherie in 
Zusammenhang stand. In beiden Fällen wurde der Nervenring nach 
etwas mehr als vier Monaten freigelegt und gereizt. Auch bei stärksten 
Induktionsströmen trat weder Reaktion des Tieres noch Bewegung in 
den Unterschenkel- und Fußmuskeln ein. Reaktion des Tieres war 
aber in beiden Fällen von dem aufgesuchten zentralen Ischiadieusstumpf, 
Bewegung der Unterschenkelmuskulatur nur in einem Fall vom peri- 
pheren mit den Unterschenkelmuskeln in Verbindung stehenden Ischia- 
dieusende hervorzurufen. Die Nervenringe waren also phy- 
siologisch durchaus isoliert, ebenso anatomisch, wie eine 
sorgfältige Präparation ergab. In beiden Fällen war der Ring voll- 
kommen geschlossen, d. h. die Enden waren miteinander verwachsen. 
Bei der anatomischen Untersuchung zeigten sich beide 
isolierten Nervenstücke ganz besonders reich an schön 
ausgebildeten Markfasern, welche deutliche Neuro- 
fibrillen enthielten. Die Ringe wurden in Serie geschnitten und 
zeigten auch nicht eine einzige versprengte Ganglienzelle. Danach 
wird wohl nicht daran zu zweifeln sein, daß die autogene Regenera- 
tion von den „Nervenzellen“ (Kapitel 13) selber ausgeht, daß also weder 
das Zentrum noch die peripheren Endorgane dabei beteiligt sind. 

Ich will nun den Vorgang der autogenen Regeneration, soweit 
mir über denselben etwas bekannt geworden ist, genauer beschreiben. 
Mit Bestimmtheit läßt sich darüber zur Zeit natürlich noch nicht viel 
aussagen, und ich halte es eigentlich für unmöglich, dies überhaupt 
jemals zu können, denn man wird niemals an ein und derselben Faser 
beobachten können, in welcher Weise sie sich umformt. Bei den 
meisten solchen entwicklungshistologischen Studien handelt es sich ja 
nur um die Konstatierung von Verschiedenheiten, die nebeneinander 
oder nacheinander auftreten. Bringt man sie in eine bestimmte Reihe 
und nimmt man an, daß diese Reihe den sich folgenden Entwicklungs- 
stadien entspricht, so ist das immer ein Schluß vom Sein auf das 
Werden, der eventuell ganz falsch ist. Wenn die verschiedenen Stadien 
zeitlich ganz voneinander getrennt sind, dann kann man bei voll- 
ständiger Gesetzmäßigkeit dieses successiven Auftretens wohl mit einiger 
Sicherheit die eine Form als die Vorstufe einer späteren ansehen, so- 


200 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


wie aber verschiedene Formen immer zur gleichen Zeit zur Be- 
obachtung gelangen, wie das hier der Fall ist, so ist man im 
wesentlichen auf Vermutungen angewiesen, die viele Histologen und 
Embryologen fälschlicherweise als unumstößliche Tatsachen hinzustellen 
versuchen. 

Sicher ist im vorliegenden Fall nur, daß der gänzlich vom Zentrum 
getrennte, junge Nerv nach einigen Tagen einen vollständigen Zerfall 
der Markscheiden und der Neurofibrillen zeigt, daß nach zwei bis drei 
Wochen kaum noch eine Spur von Mark zu bemerken ist und der 
ganze Nerv aus kernhaltigen Bandfasern besteht, und daß schließlich 
nach mehreren Monaten wieder markhaltige und marklose Fasern mit 
Neurofibrillen vorhanden sind. Daß die Bandfasern aus den degene- 
rierten Nervenfasern entstanden sind und die Markfasern wieder aus 
den Bandfasern, ist wahrscheinlich, aber nieht absolut sicher, weil 
diese Umbildung nicht direkt beobachtet werden kann. 

Über die ersten Stadien kann ich an jungen Tieren sehr wenig 
sagen, weil ich nur je einen Fall von 4, 10 und 20 Tagen nach der 
Operation besitze. Der Ablauf der Degeneration und die sich an 
dieselbe anschließenden Veränderungen scheinen aber ganz ebenso zu 
sein wie bei erwachsenen Tieren, nur scheint alles etwas schneller zu 
gehen. Wie schon von verschiedenen älteren Autoren, und zuletzt 
genauer von v. Büngner und Howell und Huber beschrieben ist, tritt 
etwa vom vierten Tage nach der Durchschneidung an eine lebhafte 
Vermehrung der Schwannschen Kerne ein, welche von einer Wucherung 
des zugehörigen Protoplasmas begleitet ist. Nach zehn Tagen fand 
ich die Kernvermehrung schon sehr stark. Neben den Resten der 
Markscheide (kleine Kügelchen) und der Innenscheide ziehen sich inner- 
halb der alten Schwannschen Scheide protoplasmatische Bänder hin, 
welche an den Kernen meist dieker sind. Eine solche Faser sieht 
also aus wie eine Reihe von Spindelzellen, deren Spitzen miteinander 
verschmolzen sind. Andre Fasern sind dieker und zeigen bereits ein 
gleichmäßiges Kaliber (Fig. 522). Nach zwanzig Tagen waren die 
Marktrümmer fast ganz verschwunden, ebenso die Reste der Innen- 
scheiden. Die Zellbänder waren dicker und die spindelförmigen An- 
schwellungen waren an den meisten Fasern ausgeglichen. Wir haben 
also hier die typischen Bandfasern v. Büngners, die embryonalen Fasern 
Howell und Hubers vor uns. In manchen dieser Fasern unterscheidet 
man nun schon deutlich einen inneren Strang und einen äußeren Mantel, 
der innere Strang zeigt auch bisweilen bereits in der Nähe der Kerne 
eine Andeutung von fibrillärer Streifung, wie sie zuerst von v. Büngner 
beobachtet ist. In der Nähe der Unterbrechungsstelle, d. h. also am 
zentralen Ende des peripheren Stumpfes, ist die Differenzierung immer 
weiter ‚ausgebildet als an der Peripherie. 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 201 


Derartige Fasern finde ich nun auch bei allen älteren Nerven 
neben solchen, die eine viel weitergehende Differenzierung zeigen; 
selbst bei dem Hund 14 waren sie 10'/, Monat nach der Kontinuitäts- 
unterbrechung in reichlicher Menge vorhanden. Man wird vorläufig 
annehmen müssen, daß nicht alle Nervenfasern die Kraft haben, sich 
vollständig zu regenerieren und daß sie in dem Stadium lange Zeit 
verharren, das sie eben grade noch erreichen konnten. Die Fasern, 
welche in Fig. 524 abgebildet sind, stammen von diesem Tier, sie 
könnten aber gradesogut (wenigstens a und 5b) von dem Tier von 
20 Tagen stammen. 

In meiner Tierreihe ist hier eine große Lücke, denn das nächste 
Tier wurde einen Monat und 24 Tage nach der Operation getötet. 


Fig. 52. 4 Drei Nervenfasern in frühen Stadien der Autoregeneration. B Bandfasern von einem 

jungen Hunde zehn Tage nach der Durchschneidung des Nerven. (' Eine Faser, wie sie vermutlich 

am Ende der Degeneration aussehen würde, wenn nicht der Anfang der Regeneration eintreten 

würde, ehe die Degeneration ganz abgelaufen ist. (4 und BD gezeiehnet mit Zeiss Apochromat 1,30, 

Kompensationsocular 6. C ist bei derselben Vergrößerung gedacht. A und B mit Osmium fixiert 
und zerzupft, Färbung nach der Molybdänmethode.) 


Es war mir eben in der Hauptsache um die Feststellung der autogenen 
Regeneration zu tun, nicht, oder weniger, um die Darstellung der 
einzelnen Stadien, so daß ich das immerhin nicht ganz leicht zu be- 
schaffende Material an jungen Hunden für die Erzeugung möglichst 
hochgradig regenerierter Nerven benutzte. Der Nerv dieses Tieres 
war unerregbar, zeigte aber eine ziemlich starke Regeneration. Etwa 
die Hälfte aller Fasern besaß eine deutliche Markscheide; diese war 
aber nur selten über die ganzen Fasern ausgebreitet, sondern zeigte 
meist große Unterbrechungen, wie es in Fig. 53 4 von einem älteren Tier 
abgebildet ist. Da man die Markbildung stets an den Kernen findet, 
so scheint der Schluß berechtigt, daß diese irgend etwas mit ihr zu tun 


202 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


haben. Die markfreie Strecke, an der also die Faser noch nackt ist, 
liegt gewöhnlich grade in der Mitte zwischen zwei Kernen. Alle diese 
markhaltigen Fasern waren wesentlich dünner, als normale Fasern 
junger Hunde dieses Alters zu sein pflegen, enthielten aber deutliche 
Neurofibrillen. — Von den marklosen Fasern standen nur wenige auf dem 
Stadium undifferenzierter Bandfasern; die meisten zeigten wenigstens 
eine Differenzierung in ein zentrales Band und eine plasmatische 


Fig. 53. A Autoregenerierte Nervenfasern mit Unterbrechungen im Markmantel. B Ranviersche Ein- 

schnürung einer vollständig autoregenerierten Faser. C' Querschnitt aus einem autoregeneriertem 

Nerven. Buchstabenerklärung im Text. (A Leitz 1X3. Bund (© Zeiss Apochromat 1,30, Kom- 

pensationsocular 6. Alle drei Abbildungen von Osmiumpräparaten; CO nach der Molybdänmethode 
gefärbt, A und B aus Zupfpräparaten.) 


Scheide. In einem Teil dieser Fasern war wenigstens in der Nähe der 
Kerne eine deutliche fibrilläre Streifung zu sehen, bei noch andern 
durchzogen die Fibrillen die ganze Länge des Bandes. Eine solche 
Faser ist in Fig. 524, c von einem älteren Hund abgebildet. Da sich 
alle Zwischenstufen finden, so könnte man ganz gut folgende Ent- 
wicklungsreihe aufstellen: 1. Bandfasern, 2. Differenzierung in achsialen 
Strang und plasmatische Scheide (Achsialstrangfasern), 3. Auftreten 
von Fibrillen in der Nähe der Kerne, 4. Verschmelzen der diskontinuier- 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 203 


lieh gebildeten Fibrillen zu fibrillären Bändern, 5. Auftreten von Mark 
in der Nähe der Kerne, 6. Ausbreitung des Marks von hier aus nach 
beiden Seiten, aber Bestehenbleiben einer Trennungslinie in der Mitte 
zwischen je zwei Kernen (Bildung der Ranvierschen Einschnürungen). 

Dieses letzte Stadium war in dem Hund 1 noch fast nirgends 
erreicht, bei allen andern autogen regenerierten Nerven aber in mehr 
oder weniger reichlicher Menge vorhanden. Hervorzuheben ist von 
diesem Nerven noch, daß die Zahl der markhaltigen Fasern in der 
Nähe der Durchschneidungsstelle, also am zentralen Ende des peri- 
pheren Stumpfes, wesentlich größer war als weiter nach der Peripherie 
zu. Bei manchen der Hunde, welche längere Zeit nach der Operation 
gelebt hatten, war dies auch in auffälliger Weise zu sehen, bei andern 
war der Unterschied gering; dies waren meistens Fälle, in denen 
die anatomische und physiologische Regeneration auf höchster Höhe 
oder über dieselbe hinaus war. Die Regeneration macht also 
am zentralen Ende des peripheren Stumpfes schnellere 
Fortschritte als in den peripheren Partien. Oderanders 
ausgedrückt: Die Regenerationskraft einer Nerven- 
streeke ist um so größer, je näher sie sich dem Zentrum 
befindet. Diese Tatsache macht es so schwer, an einfach durch- 
schnittenen Nerven ein klares Bild von der Regeneration zu gewinnen, 
weil immer die Berechtigung vorhanden ist, das frühere Auftreten von 
regenerierten Fasern in der Nähe der Durchschneidungsstelle auf einen 
Einfluß des zentralen Stumpfes zu beziehen. v. Büngner hat bereits 
die Tatsache von der stärkeren Regenerationskraft zentralerer Nerven- 
stellen an einfach durchschnittenen Nerven richtig erkannt, hat sie 
aber doch nieht mit solcher Sicherheit erweisen können, daß ihm nicht 
eben dieser Einwand von neuronistischer Seite (Ströbe) .gemacht werden 
konnte. 

Schon bei dem Hund 2, welcher nur einen Tag länger nach der 
Operation lebte als Hund 1, fanden sich eine Reihe von Fasern, 
welche bis zur Ausbildung Ranvierscher Schnürringe regeneriert waren. 
Dieser Hund, ein Bruder von No. 1, war im Alter von acht Tagen 
operiert worden, während No. 1 zur Zeit der Operation bereits drei 
Wochen alt war. Es wäre aber vorschnell, wenn man das jugend- 
lichere Alter allein für die stärkere Regeneration verantwortlich machen 
wollte (der Nerv von No. 2 war auch leitungsfähig, der von No. 1 
nicht). Der Nerv dieses Hundes unterschied sich nicht wesentlich von 
dem aller späteren (No. 3— 15). Es schwankten nur die Zahlen- 
verhältnisse zwischen den vollständig und weniger vollständig regene- 
rierten Fasern; außerdem war der schon eben besprochene Unterschied 
zwischen den zentraleren und peripheren Partien der regenerierten 
Nerven verschieden stark ausgeprägt. Gemeinsam ist aber allen diesen 


204 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


Nerven, daß sich alle Stadien, welche vorher genannt wurden, neben- 
einander vorfinden, gleichgültig, ob die Nerven leitend oder nicht 
mehr leitend waren. Bandfasern sind relativ selten, aber Fasern mit 
den Anfängen der Fibrillenentwicklung sind überall häufig, ebenso 
Fasern mit ausgebildeten Fibrillensträngen, aber ohne Markscheide. 
Diese letzteren zeigen bei Nerven, welche leitend sind, fast immer 
primäre Färbbarkeit. Da nun in einigen Fällen bei guter Erregbarkeit 
nur verhältnismäßig wenige markhaltige Fasern, aber viele marklose 
Fasern mit primärer Färbbarkeit vorhanden waren, so muß ich den 
Schluß ziehen, daß auch diese marklosen Fasern mit gut differenzierten 
Fibrillen und primärer Färbbarkeit leitend sind. 

In Fig. 53 3 gebe ich eine Abbildung von einer vollständig re- 
generierten Faser, welche eine wohl ausgebildete Ranviersche Ein- 
schnürung zeigt. Man könnte sie sehr gut für eine normale Nerven- 
faser halten. Bei dieser Faser, wie bei einigen andern, die ich fünf 
bis zehn Monate nach der Operation zu Gesicht bekommen habe, liegt 
die Schwannsche Scheide bereits der Markscheide beinahe an. Bei 
den meisten Fasern ist dies nicht der Fall; es zieht sich vielmehr 
zwischen beiden Scheiden eine mehr oder weniger breite Plasmaschicht 
hin, welche an den Kernen noch verdickt ist. Dieser Unterschied von 
normalen Fasern, bei denen nur in der Nähe der Kerne eine kleine 
Plasmamenge vorhanden ist, macht es leicht, regenerierte Fasern noch 
lange Zeit von normalen zu unterscheiden. Am besten kann man 
diese Verhältnisse auf Querschnitten sehen. Einen solehen bilde ich 
in Fig. 53 C ab. Man sieht hier verschiedene Stadien der Regenera- 
tion nebeneinander. Mit @ sind diejenigen Fasern bezeichnet, welche 
grade über das Bandfaserstadium hinaus sind. Man sieht hier eine 
sich dunkel färbende Achse, umgeben von einem helleren plasmatischen 
Hof. Die anfangs homogene Bandfaser hat sich also hier in zwei 
Komponenten, den achsialen Strang und die plasmatische Scheide 
differenziert. Bei andern Fasern ist der achsiale Strang heller, und 
in demselben sieht man die Querschnitte von Fibrillen als kleine 
Punkte (d). In diesem Stadium besitzt der Achsialstrang bereits alle 
morphologischen Qualitäten des Achsenzylinders; man kann ihn also 
auch als solchen bezeichnen. Die Markscheide tritt nun auf andern 
Fasern an der Grenze von Achsenzylinder und plasmatischer Scheide 
auf, zuerst als dünne Lamelle (c). Nach außen hin zeigt sich die 
plasmatische Scheide deutlich durch ein stärker färbbares Häutchen 
abgegrenzt, welches man wohl als Schwannsche Scheide bezeichnen 
kann. Auf die Frage, ob wir es hier mit der alten Schwannschen 
Scheide zu tun haben oder ob diese zugrunde gegangen ist und wir 
eine neue vor uns haben, weiß ich keinen Bescheid. Schließlich sieht 
man an der Faser d die plasmatische Scheide fast ganz verschwunden 


; 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 205 


und die Markscheide von ungefähr normaler Dieke. Es sei dann 
noch auf die Stelle e hingewiesen, an welcher man drei junge mark- 
haltige Fasern von einer gemeinsamen Scheide umgeben sieht. Solehe 
Bilder sieht man nicht selten; manchmal sind es nur zwei, manchmal 
aber auch vier Fasern, die in dieser Weise vereinigt sind. Man ist 
versucht in der gemeinsamen Scheide die alte Schwannsche Scheide 
zu sehen. Jedenfalls wird man derartige Gebilde mit andern Autoren 
als aus einer alten Nervenfaser hervorgegangen ansehen dürfen. 

Ich habe meinen Standpunkt schon dahin präzisiert, daß solche 
Entwicklungsreihen, wie ich hier eine für die autogene Regeneration 
junger Nerven aufgestellt habe, nicht den Wert direkter Beobachtungen 
beanspruchen können. Sie repräsentieren nur eine augenblickliche 
Wahrscheinlichkeit. So ist es wahrscheinlich, daß die Bandfasern aus 
den degenerierten Nervenfasern hervorgehen, daß aus den Bandfasern 
wieder die Fasern hervorgehen, welche einen Achsialstrang und eine 
plasmatische Scheide haben (Achsialstrangfasern) und daß diese wieder 
die Vorstufe zu den markhaltigen und funktionsfähigen Nervenfasern 
darstellen. Tatsachen, die dieser Auslegung der Befunde widersprächen, 
liegen zur Zeit nicht vor. Wir werden also zur Zeit die Bandfasern 
und noch mehr die Achsialstrangfasern dort, wo wir sie finden, als 
Anfänge einer Regeneration ansehen dürfen. 

Sehen wir nun zu, was aus einem Nerven eines erwachsenen 
Tieres werden kann, nachdem er dauernd vom Zentrum abgetrennt 
ist. — Das Versuchsverfahren war hier dasselbe wie bei den Nerven 
junger Tiere. Die Nerven wurden entweder ausgerissen, oder es 
wurde ein Stück von drei bis vier Zentimeter Länge exzidiert, und der 
zentrale Stumpf in ein andres Muskelfach eingenäht. Zu leitungsfähigen 
Nerven gelangt man auf diese Weise nie; das muß unbedingt den 
älteren Experimentatoren zugegeben werden; da das zentrale 
Ende bei diesen älteren Tieren relativ ebenso stark 
auswächst, wie bei den jungen, so kann man aus dem 
Nichtwiederkehren der Erregbarkeitden Schlußziehen, 
daß bei den jungen Tieren, wo sie wiederkehrt, dies 
nicht vom Zentrum aus geschehen sein kann. — Der Nerv 
bekommt aber innerhalb einiger Monate eine Struktur, welche der 
normalen wieder ähnlicher ist, als die, welche als Ende der Degenera- 
tion angesehen werden muß. Als Ende der Degeneration möchte ich 
das Stadium bezeichnen, bei welchem der Achsenzylinder vollständig 
verschwunden und die Markscheide bis auf kleine Markreste, die noch 
lange persistieren können, zerstört ist. In diesem Stadium ist von 
den Nervenfasern nichts mehr übrig als die Sehwannsche Scheide, 
einige Trümmer der Innenscheide und die Kerne nebst Protoplasma. 
Zu dieser Zeit pflegen aber schon Veränderungen an den Schwann- 


206 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


schen Kernen und ihrem Protoplasma eingetreten zu sein, die zur 
Degeneration nicht mehr gut gerechnet werden können, nämlich Ver- 
mehrung der Kerne und Wucherung des Protoplasmas. Degeneration 
und Regeneration greifen eben ineinander, wie dies bereits v. Büngner 
mit Nachdruck ausgesprochen hat. Die Degeneration hat mit der Be- 
seitigung des alten Nervenmaterials geendet, die Regeneration mit 
Vermehrung der Kerne und Wucherung des Protoplasmas begonnen. 
Die Folge dieses Doppelprozesses ist, daß man nie das reine End- 
resultat der Degeneration zu sehen bekommt. In den Fasern, welche 
in Fig. 52 2 abgebildet sind, ist zwar die Degeneration beendet, aber 
die Wucherung des Protoplasmas ist schon recht bedeutend. Abstra- 
hiert man bei diesen Fasern von der Kernvermehrung und der Proto- 
plasmabildung, so bekommt man das eigentliche (theoretische) Endbild 
der Degeneration. Ich habe es in Fig. 53 © darzustellen versucht. — 
Es kommt nun, genau wie es v. Büngner und Howell und Huber be- 
schrieben haben, zur Bildung von Bandfasern, indem sich das ge- 
wucherte Protoplasma der benachbarten Faserkerne miteinander ver- 
bindet. Zu einer Bildung von Mark habe ich es an wirklich aus- 
gewachsenen Tieren nicht kommen sehen (Tiere von etwa ein bis 
zehn Jahren). Wenn Howell und Huber eine solche gefunden haben, 
so handelt es sich wohl sicher um nicht ganz erwachsene Tiere. Da- 
gegen sah ich auch bei ganz alten, schon zahnlosen Hunden stets und 
beinahe in allen Fasern eine andre Differenzierung eintreten, die aus 
den Bandfasern eine, normalen Fasern ähnlichere, Struktur entstehen 
läßt; das ist die Bildung von Achsialstrangfasern. 

Der Achsialstrang ist anfangs dünn, ebenso die Scheide, aber 
sechs bis neun Monate nach der Operation können die Fasern die 
Dicke der dünneren Sorte normaler Nervenfasern erreichen. Wie 
die Fig. 54 zeigt, ist der Achsialstrang deutlich von der Scheide ab- 
gesetzt, welche letztere etwa die Dicke einer Markscheide hat. Im 
Achsialstrang kommt es aber nie zur vollständigen Ausbildung von 
Fibrillen (diskontinuierliche Andeutungen fibrillärer Streifung sind 
manchmal zu sehen), in der Scheide nie zur Bildung von Mark. Die 
Scheiden bräunen sich zwar in Osmiumsäure, zeigen aber nicht die 
starke Reduktionskraft, welche den wirklichen Markscheiden zukommt. 
Diese Achsialstrangfasern hat Schiff (1887) offenbar gesehen (und 
abgebildet), wenn er behauptete, daß der Achsenzylinder noch Monate 
nach der Nervendurchschneidung vorhanden sei; er hat aber nicht 
gesehen, daß dieser Achsialstrang kein vollkommener Achsenzylinder 
ist und daß bald nach der Operation überhaupt nichts von einem 
solchen vorhanden ist. Er hat eine richtige Beobachtung gemacht, sie 
aber falsch gedeutet. 

Wir sehen also, daß auch bei den Nerven erwachse- 


Die Zusammenheilung duerhschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 207 


e 


ner Tiere eine autogene Regeneration eintritt; aber 
diese bleibt auf halbem Wege stehen. Es fehlt dem 
Nerven an Kraft, aus sich selbst heraus die Regenera- 
tion zu vollenden. Je jünger der Nerv ist, desto mehr Fasern 
können sich ohne Beteiligung des Zentrums über das Stadium der 
Bandfasern und Achsialstrangfasern hinaus regenerieren, ja zu er- 
regungsfähigen Fasern werden. Ein Teil bleibt aber auch bei den 
Nerven junger Tiere auf der niederen Stufe stehen. Die Regenera- 
tionspotenz ist also in den verschiedenen Fasern schon frühzeitig ver- 
schieden groß und nimmt im Lauf des Lebens schnell ab, geht aber 
auch bei den ältesten Individuen nicht ganz verloren. 


Fig. 54. Autoregeneration bei ausgewachsenen Tieren. « und b vom Hund, ce vom Kaninchen. 
(Zeiss Apochromat 1,30, Kompensationsocular 6.) 


Der Vorgang bei der Regeneration gequetschter oder einfach 
durchschnittener Nerven ausgewachsener Tiere ist durch die Unter- 
suchungen von v. Büngner und Howell und Huber zur Genüge be- 
kannt geworden. Ich kann die Befunde dieser Autoren bestätigen 
und habe ihnen nichts hinzuzufügen. Das Wesentliche, um es noch- 
mal zu wiederholen, ist etwa folgendes: 1. Degeneration des peri- 
pheren Stumpfes. 2. Wucherung der Kerne und ihres Protoplasmas. 
3. Bildung von Spindelzellen, aus denen dann Bandfasern und weiter- 
hin Achsialstrangfasern hervorgehen. 4. Diskontinuierliches Auftreten 
einer fibrillären Streifung im Achsialstrang und zwar zuerst in der 
Nähe des zentralen Endes und von da nach der Peripherie fort- 
schreitend. 5. Diskontinuierliches Auftreten der Markscheide, ebenfalls 
zuerst in der Nähe der alten Unterbrechungsstelle. Wenn wir nun 
sehen, daß bei verhinderter Zusammenheilung mit dem Zentrum in 


308 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


den Nerven junger Tiere fast normale und funktionstüchtige Fasern 
offenbar aus den Achsialstrangfasern hervorgehen und daß auch in 
alten Nerven diese Achsialstrangfasern gebildet werden, so sind wir 
zu dem Schluß berechtigt, daß bei vollständiger Regenera- 
tion alter Nerven, welche nur unter dem Einfluß des 
zentralen Nervenendes möglich ist, eben diese Achsial- 
strangfasern das Material zu den definitiven Nerven- 
fasern hergeben und daß sie nicht sekundär vom 
Zentrum auswachsen. 

Solange man nicht wußte, was der Nerv aus sich selbst heraus 
kann, konnte der Befund, daß bei stattgehabter Verwachsung von 
zentralem und peripherem Ende die neugebildeten Fasern immer zuerst 
in der Nähe des zentralen Stumpfes auftreten, zu der Ansicht führen, 
daß die Fasern von diesem in den peripheren hinein wüchsen; jetzt 
ist das wohl nieht mehr gut möglich. Wir können, der alten Schiff- 
schen Anschauung folgend, dem zentralen Stumpf bei der 
Regeneration des peripheren nur noch eine anregende 
Wirkung zuschreiben. Der periphere Stumpf regeneriert sich 
aus sich selbst, er allein gibt das Material dazu her; vom zentralen 
Stumpf kommt nur ein gewisses Etwas, das die regenerativen Prozesse 
kräftigt. Mancher würde hier zur Hypothese des Ferments greifen; 
ich ziehe es aber vor, die Frage des „Wie?“ ganz auf sich beruhen 
zu lassen, solange nicht mehr Anhaltspunkte vorliegen. Dieses ‚„‚ge- 
wisse Etwas“ von der Ganglienzelle herzuleiten und so die Lehre vom 
trophischen Zentrum neu zu beleben, liegt allerdings gar keine Ver- 
anlassung vor. Wir haben ja gesehen, daß auch bei der autogenen 
Regeneration junger Nerven das zentrale Ende immer den peripheren 
Teilen voraus ist, d.h. kräftiger und schneller reagiert; man würde 
also auch hier ein trophisches Zentrum in der Nähe der jeweiligen 
Unterbrechungsstelle suchen können, was natürlich absurd ist. Ich 
glaube daher, daß man mit der Annahme auskommen kann, daß der 
zentrale Stumpf relativ gesund ist und deswegen dem peripheren 
Stumpf die Anregung geben kann, die er zur Vollendung der Re- 
generation nötig hat. Nur in der Jugend hat der periphere Stumpf 
diese Anregung nicht nötig. 

Bisher ist nur von der Regeneration der Nervenfasern in peri- 
pheren Nerven die Rede gewesen; ich verfüge aber auch über einen 
Fall, welcher die autogene Regeneration von Fasern des Rückenmarks 
mit Sicherheit erkennen läßt. Bei dem Hund No. 7 wurde im Alter 
von 32 Tagen der Rückgratskanal in der Beckengegend aufgebrochen. 
Darauf wurden auf der linken Seite sechs Spinalganglien freigelegt, 
die hinteren Wurzeln derselben durchschnitten und so nach der Seite 
gezogen, daß sich das Spinalganglion von der motorischen Wurzel 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 209 


ablöste. Unterhalb der Ganglien wurde wiederum dureh- 
schnitten, so daß sie nun herausgenommen werden 
konnten. (Diese sechs Ganglien sind ganz unverletzt und befinden 
sich als Beweisstücke noch in meinem Besitz.) Der Hund war natürlich 
nach dieser Operation am linken Hinterbein ganz asensibel, während 
die Bewegungsfähigkeit zunächst nicht stärker geschädigt war, als 
nach Durchschneidung der sensiblen Wurzeln. (Später stellten sich 
bei diesem Hunde und mehreren andern jungen Tieren, denen nur 
die sensiblen Wurzeln in derselben Ausdehnung durchschnitten waren, 
eigentümliche Verdrehungen in den Gelenken ein, welche nach einiger 
Zeit auch mit Gewalt nicht zu redressieren waren. Auffallend an 
diesen jung asensibel gemachten Hunden war außerdem eine Neigung 
‘ der Knochen zum Frakturieren.) Da die Spinalganglien ganz entfernt 
waren, so lag keine Möglichkeit vor, daß sich von ihnen aus sensible 
Fasern regenerieren konnten. Bekanntlich degenerieren nun nach Ver- 
letzung der sensiblen Wurzeln die Hinterstränge des Rückenmarks 
und zwar nach einer so ausgedehnten Operation, wie sie hier aus- 
geführt wurde, so stark, daß der Hinterstrang der betroffenen Seite 
im Gebiet der Operation und noch weit hinauf ganz dünn wird und 
zusammenfällt. Der Rückenmarksquerschnitt wird dadurch ganz asym- 
metrisch. Als dieser Hund nach beinahe fünf Monaten seziert wurde, 
fand sich von Spinalganglien an den Stellen, wo ich operiert hatte, 
nichts vor. Die am Rückenmark hängenden sensiblen 
Wurzeln endeten nach der Peripherie zu blind (sie waren 
mit der Umgebung nur schwach verwachsen, so daß sie leicht heraus- 
zunehmen waren). Durch ihr weißes Aussehen fielen sie sofort auf. 
Das Rückenmark zeigte sich gut symmetrisch und entbehrte des gelb- 
lichen Streifens, der sonst nach einer derartigen Operation am Hinter- 
strang der operierten Seite zu sehen ist. Die mikroskopische Unter- 
suchung ergab folgendes: Die sensiblen Wurzeln, welche 
fünf Monate lang ihrer Spinalganglien beraubt ge- 
wesen waren, enthielten viele markhaltige Fasern, 
neben einer geringen Anzahl von Bandfasern und 
fibrillärdifferenzierten Achsialstrangfasern. Diese mark- 
haltigen Fasern waren dünner als die der normalen hinteren Wurzeln 
und zeigten eine deutliche plasmatische Hülle zwischen Markscheide 
und Schwannscher Scheide. Sie sind also als regeneriert zu betrachten. 
Das Rückenmark zeigte in der Lendenanschwellung 
(und auch in allen andern Gegenden) einen symmetrischen 
Quersehnitt. Im Hinterstrang der operierten Seite war auf Osmium- 
und Weigertpräparaten nur ein ganz minimaler Unterschied gegenüber 
der normalen Seite zu sehen. Die Zahl der Fasern war, soweit sich 
das ohne Zählung beurteilen läßt, auf beiden Seiten etwa gleich, nur 
Bethe, Nervensystem. 14 


310 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


die Faserdieke war etwas verschieden. Die Untersuchung der Hinter- 
hornzellen, welche Herr Prof. Nissl gütigst für mich ausführte, ergab 
nur in wenigen Zellen Veränderungen, und diese waren geringfügig. 

Diesen Resultaten stehen zum Vergleich die gegenüber, welche 
ich an einem Hunde gewann, bei dem im gleichen Alter die hinteren 
Wurzeln in der gleichen Ausdehnung einfach durchschnitten waren. 
Er wurde ebenfalls etwas weniger als fünf Monate nach der Operation 
getötet. Bei diesem bot sich das typische Bild, das man bei er- 
wachsenen Tieren nach der Operation zu sehen gewohnt ist. Die 
Wurzeln waren ganz verschwunden, der Hinterstrang war eingefallen 
und enthielt nur noch wenige Nervenfasern; die Zellen der Hinter- 
hörner waren stark rarifiziert, die noch vorhandenen verändert. 
Warum in dem einen Fall die autogene Regeneration eingetreten 
ist und im andern ausblieb, ist nicht zu entscheiden; bei dem voll- 
kommenen Fehlen der zugehörigen Spinalganglien im ersten Fall 
wird aber wohl niemand zweifeln wollen, daß sich hier diesensiblen 
Wurzeln und die Hinterstränge autogen regeneriert 
haben.') (Nach diesem Befund wird man in Zukunft mit der An- 
wendung der Wallerschen Degeneration zu anatomischen Zwecken bei 
jungen Tieren etwas vorsichtig sein müssen.) 

Einen ähnlichen Versuch habe ich auch an motorischen Wurzeln 
ausgeführt. Bei einem sechs Wochen alten Hunde wurde das Rücken- 
mark freigelegt und extradural fünf motorische Wurzeln durehschnitten 
und ein Stück von '/,—1 em herausgeschnitten. Das linke Hinterbein 
war motorisch ganz gelähmt, aber an allen Stellen rezeptorisch. Nach 
zwanzig Tagen wurde der Ischiadiceus freigelegt und gereizt. Das 
Tier schrie, aber es traten nicht die geringsten Zuckungen in der 
innervierten Muskulatur ein. Darauf wurde der Nerv durchschnitten 
und die Enden nach Herausnahme eines kleinen Stückes wieder durch 
Naht vereinigt. (Das ausgeschnittene Stück zeigte, wie zu erwarten 
war, viele ganz erhaltene Fasern [die rezeptorischen] und eine große 
Anzahl ganz degenerierter [die motorischen].) Die Rezeptionsfähigkeit 
(Sensibilität) kam drei Monate nach der Ischiadieusdurchschneidung 


1) Nach den neueren Untersuchungen von Nissl (1903) liegen die Verhältnisse 
an den Spinalganglien nicht so klar, als man bisher angenommen hatte. Die 
Zellen der Spinalganglien zeigen nur eine retrograde Metamorphose, wenn peripher 
vom Ganglion durchschnitten wurde, dagegen bleiben sie intakt, wenn die sen- 
sible Wurzel durchschnitten wird. Andrerseits degenerieren aber im letzteren 
Fall gewisse Hinterhornzellen. Diesem Befunde nach müßte man die Fasern der 
hinteren Wurzeln als die Achsenfortsätze von Hinterhornzellen ansehen. Andrerseits 
spricht aber die Art und Weise, in der die Wurzelfasern degenerieren, dafür, 
daß sich ihre Ursprungszellen im Spinalganglion befinden. — Ist Nissis Vorstellung 
richtig, so erscheint der oben beschriebene Befund in einem andern Lichte. 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 211 


wieder. DieBeweglichkeitdesBeineskehrtenichtzurück:; 
auch die stärksten Reize brachten keine reflektorischen 
Zucekungen in demselben hervor. Es hing stets ganz schlaff 
herab. Sechs Monate nach der Wurzeloperation wurde der Ischiadieus 
freigelegt. Beide Stümpfe waren fest verwachsen; an der Vereinigungs- 
stelle befand sich ein mittelgroßes Neurom. Bei schwachem fara- 
dischem Reiz unterhalb des Neuroms zuckten die Mus- 
keln des Untersehenkels und Fußes. Um oberhalb des Neuroms 


Fig. 55. Spinalganglion mit daran hängendem peripherem Stumpf der motorischen Wurzel, welcher 
frei flottierte. Sechs Monate nach der Wurzeldurchschneidung. — Unten rechts eine Skizze des 
Sektionsbefundes. 


Zuckungen in diesen Muskeln auszulösen, mußten die Rollen um 1 em 
genähert werden. Ich konnte sie dann aber auch von den zentralsten, 
noch erreichbaren Stellen des Nerven auslösen (die höchste Stelle war 
6 cm von der Narbe entfernt). Die motorischen Fasern waren 
also im zentralen und peripheren Ende des Nerven 
autogen regeneriert und an der Durcehtrennungsstelle 
wieder zusammengewachsen, gradeso, als ob das zen- 
trale Ende noch mit seinen Ursprungszellen in Zu- 
sammenhang stände. Ging schon aus der reflektorischen Lähmung 
14* 


212 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


des Beines hervor, daß kein Zusammenhang zwischen motorischen 
Fasern und Rückenmark bestand, so konnte dies noch durch den 
anatomischen Befund erhärtet werden. Zwischen den zentralen Enden 
der motorischen Wurzeln und den peripheren Stümpfen derselben lag 
ein Zwischenraum von mehreren Millimetern. Da der Rückgratskanal 
nicht von Narbengewebe erfüllt war, so ließ sich dies ohne künstliche 
Präparation feststellen: Die Enden der Wurzeln flottierten frei im 
Kanal (Fig. 55); die zentralen Enden zeigten dieke Neurome, die 
peripheren waren zugespitzt. Schnitte durch das Spinalganglion nebst 
motorischer Wurzel zeigten (Fig. 55), daß die peripheren Stümpfe 
der motorischen Wurzeln nach dem Rückenmark zu blind endeten und 
mit einer Kappe von Perineurium bedeekt waren. Es kann also nicht 
daran gezweifelt werden, daß autogene Regeneration vorliegt. Was 
an diesem Befund gegenüber den schon mitgeteilten neu ist, ist die 
Tatsache, daß getrennte Nervenfasern auch bei der autogenen Regene- 
ration wieder anatomisch und funktionell zusammen- 
wachsen können!!) 

Dieser Versuch leitet zu der Frage über, in welcher Weise die 
Vereinigung durchschnittener Nerven zustande kommt, von wo aus 
der Defekt, wenn einer da ist, ausgefüllt wird. Er entscheidet sie 
schon in gewisser Weise nämlich dahin, daß zur anatomischen, 
und funktionellen Vereinigung zweier Nervenstücke 
eine Beteiligung des sogenannten trophischen Zen- 
trums, der Ganglienzelle, nicht notwendig ist, daß vielmehr 
den Nervenelementen an sich die Fähigkeit zukommt, sieh nach Kon- 
tinuitätstrennung wieder miteinander zu vereinigen. Die bis jetzt 
herrschende Ansicht steht dem entgegen; sie behauptet, daß, wie die 
Regeneration überhaupt, so auch die Ausfüllung des nach der Durch- 
schneidung entstandenen Defekts lediglich vom zentralen Ende aus 
geschieht. Hervorgerufen ist diese ältere Anschauung hauptsächlich 
durch den Befund, daß nach Exzision eines größeren Nervenstückes 
das zentrale Ende des Nerven ein beträchtliches Stück auswächst, 
während das periphere keine Tendenz zeigt, sich dem Zentrum wieder 
zu nähern. Dieser Befund hat ja auch zur Ausbildung der Theorie 
beigetragen, daß die Fasern des zentralen Stumpfes bei der Regene- 
ration in den peripheren hineinwüchsen und ihn, wie sich Vanlair 
(1882, 1885, 1888) ausdrückt, neurotisierten. — 

Auch hier ist wieder der Unterschied zwischen zentralem und 
peripherem Stumpf nur relativ; er ist allerdings bei erwachsenen Tieren 


I) Da die Wurzelstümpfe frei flottierten, war es in diesem Fall ganz aus- 
geschlossen, daß von benachbarten Muskeln her Markfasern in die Stümpfe ein- 
gewachsen waren, wie dies Münzer (1902) annahm. 


4 
7 
; 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 213 


so bedeutend, daß man ihn ohne besonders darauf gerichtete Unter- 
suchungen für absolut halten kann. Bei erwachsenen, wie bei jungen 
Hunden wächst das zentrale Nervenende nach Exzision eines größeren 
Nervenstückes in der Regel 2—3 em aus; 4 cm Auswachsung kommt, 
wie auch Schiff schon angibt, nur selten vor. Das Äußerste, was ich 
beobachtet habe, sind 5 em. In manchen Fällen fand ich aber auch 
viel geringere Werte — 1 em und noch weniger. Wie lang die 
einzelnen ausgewachsenen Fasern sind, läßt sich natürlich schwer be- 
urteilen, weil sie innerhalb des Neuroms sehr geschlängelt verlaufen 
und der Ort der Durchschneidungsstelle nur dann bei der Sektion mit 
Sicherheit festgestellt werden kann, wenn man an derselben einen 
Seidenfaden durchgezogen oder eine andre Marke angebracht hatte. 
(Das Neurom selber gibt nur einen ungenauen Anhaltspunkt, weil es 
manchmal sehr unbestimmt abgegrenzt ist und die Lage der Trennungs- 
stelle manchmal, wie Versuche mit Seidenfäden ergaben, am An- 
fang bisweilen aber auch beinahe in der Mitte des Neuroms gelegen 
ist.) Wenn man diese relativ kurzen Streeken, welche das zentrale 
Ende auszuwachsen vermag (falls es nicht auf sein peripheres Ende 
trifft), mit den Strecken vergleicht, die es beim Zusammentreffen 
mit dem peripheren Stumpf nach der Ansicht von Wallers An- 
hängern ‚neurotisieren“ kann (50 em und noch mehr), dann sollte 
man meinen, daß von einer Auswachsungstheorie gar nicht die Rede 
sein könne. Die Anhänger dieser Theorie haben auch sehr wohl 
eingesehen, daß hierin ein Widerspruch liegt und haben deshalb zu 
der Annahme gegriffen, daß der periphere Stumpf des Nerven ein 
besonders guter Nährboden für die vom Zentrum auswachsenden Nerven- 
fasern sei. Mir scheinen aber die dafür angeführten Tatsachen eine 
ganz andre Erklärung zuzulassen. 

Charakteristisch für ausgewachsene Nervenstümpfe ist, daß sie 
fast nie stumpf enden, sondern in eine, öfter mehrere lange Spitzen 
ausgezogen sind. Diese oft fadenförmigen Gebilde enthalten neben 
perineuralem Bindegewebe viele Nervenfasern. Wenn nun am peri- 
pheren Ende nach vollkommener Trennung vom Zentrum keine Aus- 
wachsung zum Zentrum hin stattfände, so müßte der Stumpf an der 
Durchsehneidungsstelle auch nach Wochen und Monaten keine Ver- 
änderung darbieten. Das ist aber niemals der Fall. Bei jungen wie 
erwachsenen Individuen findet man fast nie den peripheren Stumpf 
an der Durchschneidungsstelle einfach abgerundet, sondern zu einer 
oder mehreren Spitzen ausgezogen; häufig ist auch eine deutliche Ver- 
diekung unterhalb der Spitze zu beobachten, welche nach ihrer ganzen 
Struktur als richtiges Neurom zu bezeichnen ist. Es erreicht zwar 
nie die Dieke der Neurome, welche man an zentralen Stümpfen zu 
beobachten Gelegenheit hat, deutet aber durch sein Vorkommen darauf 


214 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


hin, daß auch am peripheren Stumpf Wachstumserscheinungen auf- 
treten. Besonders an den peripheren Nervenstümpfen junger Tiere 
sind die fadenförmigen Ausläufer manchmal recht lang (1—2 cm). 
Sie enthalten, wenn eine stärkere autogene Regeneration eingetreten 
ist, neben perineuralem Bindegewebe eine mehr oder weniger reichliche 
Menge markhaltiger Nervenfasern. Bei erwachsenen Tieren erreichen 
diese von der Durchschneidungsstelle ausgehenden Ausläufer meist nur 
eine geringe Länge (bis zu 1 cm). Man findet in ihnen neben Band- 
fasern reichliche Achsialstrangfasern. Danach erscheint es außer 
Zweifel, daß auch am peripheren Stumpf nach vollkommener Konti- 
nuitätsunterbrechung ein Auswachsen der Fasern (nach dem Zentrum 
zu) stattfindet. Ein weiterer Beweis hierfür liegt in der Beobachtung, 
daß fast durchgängig in der perineuralen Kappe dieser Stumpfenden 
(bei jungen Individuen) markhaltige Fasern gefunden werden, welche 
in dem Bindegewebe des Nerven ein ganzes Stück (manchmal 5—7 mm) 
rückwärts verlaufen (Fig. 51 4 S. 194). Da normalerweise keine oder 
nur außerordentlich wenige Nervenfasern innerhalb des Perineuriums 
gefunden werden, so muß angenommen werden, daß diese Fasern von 
der Durchschneidungsstelle aus in das Perineurium hineingewachsen 
sind. Ob auch bei den peripheren Nervenstümpfen erwachsener Tiere 
Fasern vorkommen, welche in das Perineurium hineingewachsen sind, 
weiß ich nicht bestimmt zu sagen, weil die färberische Differenzierung 
der Achsialstrangfasern zu schwer ist, um einzelne Fasern mit Sicher- 
heit innerhalb des Bindegewebes nachzuweisen. 

Danach wachsen also die Fasern des peripheren Stumpfes gradeso 
über die Durchsehneidungsstelle hinaus wie die des zentralen Stumpfes, 
nur ist die Wachstumsenergie bei ihnen geringer als bei jenen. Das 
Auswachsen der Fasern ist Funktion des Nerven und nicht der Gan- 
slienzelle. — Wie kommt es zustande? Hierüber kann man natürlich 
nichts Bindendes aussagen, weil man es nicht direkt beobachten kann; 
aber man kann doch wenigstens Vermutungen aufstellen, die sich 
durch Tatsachen stützen lassen: Ebenso wie eine Kernvermehrung und 
Protoplasmawucherung innerhalb der Fasern des peripheren Stumpfes 
und derjenigen Faserabschnitte des zentralen Stumpfes, welche der 
Degeneration unterliegen, stattfindet, so teilen sich auch die Kerne, 
welche direkt an der Durchschneidungsstelle liegen. Auf diese Weise 
verlängern sich die Fasern im peripheren und zentralen Stumpf über 
die Durchschneidungsstelle hinaus. Zunächst bestehen diese Verlänge- 
rungen aus Bandfasern, sie metamorphosieren sich aber in derselben 
Weise wie die übrigen Bandfasern auch: Am zentralen Ende werden 
sie in jedem Fall zu markhaltigen Fasern, am peripheren nur bei 
jungen Tieren; bei älteren bleiben sie hier (wenn keine Zusammen- 
wachsung mit dem Zentrum zustande kommt) auf dem Stadium der 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 215 


Achsialstrangfasern stehen. Eine ganz ähnliche Ansicht über das 
Auswachsen der Nervenfasern — allerdings nur der des zentralen 
Stumpfes — hat Ziegler (1896) aufgestellt. Nach ihm soll nach Kon- 
tinuitätstrennung die Regeneration nur vom zentralen Ende ausgehen, 
aber nicht durch Auswachsen des Achsenzylinders von der Ganglien- 
zelle, sondern durch Bildung von Zellenreihen, welche sich nachträg- 
lich in Nervenfasern umbilden. Diese Zellenreihen sollen in der eben 
geschilderten Weise von dem periphersten Schwannschen Kern des 
zentralen Endes, dessen Faserabschnitt grade noch degeneriert ist, 
durch immer wiederholte Teilungen desselben ausgehen. Der Unter- 
schied gegen meine Ansicht besteht nur darin, daß Ziegler den Prozeß 
nur von einem Kern jeder Faser ausgehen läßt und die ganze Re- 
generation auf die Vermehrung desselben zurückführt, eine Ansicht, 
die angesichts der Tatsache von der autogenen Regeneration wohl 
sicher falsch ist. 

Stoßen Fasern des zentralen und peripheren Endes während ihres 
einander entgegengerichteten Wachstums zusammen, so vereinigen sie 
sich miteinander, — so wird man wenigstens annehmen müssen. Ich 
möchte glauben, daß diese Vereinigung aber nur so lange möglich ist, 
als beide zusammenstoßenden Fasern noch auf dem Stadium von Band- 
fasern sind. Doch habe ich hierfür keine sicheren Beweise. — Daß 
durehschnittene Nerven wieder zusammenwachsen können, ist seit dem 
Ende des achtzehnten Jahrhunderts durch so viele physiologische Ex- 
perimente und klinische Beobachtungen (wegen der Literatur siehe 
Th. Kölliker, 1590, und Speiser, 1902) erwiesen worden, daß es keiner 
weiteren Belege bedarf. Hierbei handelt es sich aber meist um die 
Zusammenheilung eines zentralen Stumpfes und seines zugehörigen 
peripheren Stumpfes, also um das natürliche Verhältnis. Sehr viel 
weniger ist untersucht worden, wie sich zwei fremde Nervenstücke 
zueinander verhalten, ob auch unter unnatürlichen Verhältnissen eine 
Vereinigung der Nervenquerschnitte stattfindet. Es ergibt sich hier 
gleich eine große Anzahl von Fragestellungen, welche bisher nur zum 
kleineren Teil Bearbeitung gefunden haben. Ich will nur einen Teil 
dieser Fragen hier besprechen. 

i. Kann das zentrale Ende eines Nerven mit dem peripheren 
eines andern, eventuell längeren Nerven zur Verwachsung gebracht 
werden? Ein derartiger Versuch wurde zuerst von Flourens am Huhn 
ausgeführt. Flourens (1842) durchschnitt die beiden Hauptstämme 
des Plexus brachialis auf einer Seite und vernähte die zentralen und 
peripheren Stümpfe kreuzweise miteinander. Der Flügel war zunächst 
gelähmt, wurde aber nach einigen Monaten wieder bewegt und konnte 
nun beim Fliegen wie ein normaler Flügel gebraucht werden. Die 
Sektion ergab, daß die Nerven in der gewünschten Weise zusammen- 


216 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


geheilt waren. Ähnliche Nervenkreuzungen sind von Rawa, Stefani 
(1595) und Forsmann (1900) an Hunden und Kaninchen ausgeführt 
worden. Forsmann stellte auch Vergleichsversuche zwischen natür- 
lieher und unnatürlicher Vereinigung an, indem er einmal die zen- 
tralen Enden des Tibialis und Peroneus mit den zugehörigen peri- 
pheren Enden zusammenwachsen ließ, das andere Mal eine kreuzweise 
Verheilung erzwang. Die Vereinigung und die Regeneration verlief in 
beiden Fällen gleich schnell. In andern Versuchen wurde der zentrale 
Tibialis nach Fortnahme eines großen Stücks des Peroneus mit den 
peripheren Stümpfen beider Nerven zusammengebracht. Beide peri- 
pheren Stümpfe wurden in gleicher Weise von dem einen zentralen 
„neurotisiert‘“. Es verwächst also ein zentraler Stumpf ebenso gut 
mit einem fremden peripheren Stumpf wie mit dem eignen. 

Wie diese Autoren das Experiment zwischen den Nerven ein und 
derselben Extremität anstellten, so machte ich es zwischen rechts und 
links. Einem Hunde wurde der Ischiadieus auf der linken Seite am 
Knie, auf der rechten Seite am Foramen ischiadiei durchschnitten. Es 
wurde sodann der Damm aufgeschnitten und das periphere Ende des 
linken, zentralen Stumpfes und das zentrale Ende des rechten, peri- 
pheren Stumpfes nach Durchsteckung durch die jederseitige, innere 
Oberschenkelmuskulatur am Damm miteinander vernäht. Auf diese 
Weise war also das zentrale Ende des linken Ischiadieus mit dem 
peripheren des rechten in Verbindung gebracht und die Nervenstrecke 
etwa um die Hälfte ihrer natürlichen Länge vermehrt. Nach sechs 
Monaten stellten sich auf der rechten Seite in dem vom Ischiadieus 
innervierten Gebiet Rezeptionsfähigkeit und Motilität wieder her. Nach 
siebeneinhalb Monaten wurde der Ischiadieus links oben freigelegt und 
gereizt: Es kontrahierte sich nur die Muskulatur des Unterschenkels 
und des Fußes der rechten Seite. Darauf wurde die Sektion ge- 
macht, welche eine vollkommene Vereinigung des linken zentralen und 
rechten peripheren Ischiadieus ergab. Letzterer sah wieder schön weiß 
aus und enthielt sehr viele markhaltige Nervenfasern. — Man kann 
also einen Nerven über das natürliche Maß verlängern. 

2. Was wird aus einem Nerven, der an zwei Stellen durchschnitten 
ist, oder in den nach Durchschneidung ein Stück eines andren Nerven 
eingesetzt ist? Es existieren über diese Frage mehrere Untersuchungen, 
welche hauptsächlich mit Rücksicht auf die klinische Verwendbarkeit 
der Einpflanzung eines Nervenstückes zur Deckung eines Nervendefekts 
angestellt sind. Wegen der diesbezüglichen Literatur verweise ich auf 
die Zusammenstellung von Köllieker (1890). Aus diesen Untersuchungen, 
die ich auf Grund eigner Beobachtungen bestätigen kann, geht hervor, 
daß ein doppelt durchschnittener Nerv an beiden Durchschneidungs- 
stellen zusammenwächst. Von einigen Seiten wurde behauptet, daß 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 217 


die Vereinigung an der periphereren Unterbrechungsstelle immer erst 
dann einträte, wenn die Regeneration vom zentralen Ende ausgehend 
bis hierher vorgedrungen sei. So wie diese ganze Vorstellung der 
„Neurotisierung“ falsch ist, so ist auch diese Ansicht unrichtig. Die 
Vereinigung kann auch an der unteren Durchschneidungsstelle primär 
erfolgen. — Von einigen Seiten ist angegeben worden, daß man zur 
Deckung eines Defektes einen Nerven von irgend einem andern Tier 
nehmen könne. Forsmann hat dem in neuerer Zeit lebhaft wider- 
sprochen und darauf aufmerksam gemacht, daß ein Nerv eines andren 
Tieres (einer andren Art) nur als Leitschnur für die wachsenden Fasern 
dient, die man grade so gut durch einen Faden ersetzen kann. Zur 
Überbrückung größerer Defekte sind fremde Nerven ungeeignet, und 
die Vereinigung kommt kaum auf größere Strecken zustande als sie 
schon ohne Zwischenschaltung geschieht. Dagegen ist die Zwischen- 
schaltung eines Nervenstückes von derselben Tierart von sehr gutem 
Erfolg begleitet; die Vereinigung des zentralen und peripheren Endes 
ist auf diese Weise auch bei großer Entfernung ihrer Enden möglich, 
und es werden bei dieser Einpflanzung Nervendefekte überbrückt, 
welche ohne ein derartiges Mittel allein durch Auswachsung der Stümpfe 
nieht ausgeglichen würden. Während bei Einpflanzung eines Nerven- 
stückes von einer fremden Tierart (z. B. Taube oder Meerschweinchen 
bei einem Kaninchen) die Fasern des zentralen Stumpfes nur durch 
das Bindegewebe des fremden Nerven hindurehwachsen, nehmen 
sie in diesem Fall den Weg durch die Nervenfasern des ein- 
geschalteten Nervenstücks. (Forsmann steht auf dem Boden der Aus- 
wachsungstheorie. Nach meiner Auffassung wachsen nicht die Fasern 
des zentralen Stumpfes in die des eingeschalteten Stückes hinein, son- 
dern zwingen sie, sich vollständig zu regenerieren, nachdem sie schon 
vorher ins Bandfaser- oder Achsialstrangfaserstadium getreten sind.) 
Auch nach meinen Erfahrungen ist die Einpflanzung eines Nerven- 
stückes von wesentlichem Vorteil, wenn es sich darum handelt, große 
Zwischenräume zwischen zwei Nervenenden zu überbrücken. Es scheint 
mir aber, daß man bei einer solchen Einpflanzung Wert darauf legen 
muß, daß das eingepflanzte Stück die natürliche Orien- 
tierung hat, d.h. es muß zur erfolgreichen Einheilung das zentrale 
Ende’ des eingeschalteten Nervenstücks an das zentrale Ende des 
durehschnittenen Nerven gebracht werden. Ich stütze mich hierbei 
auf folgenden Versuch: 

Einem jungen Hunde wurde im Alter von acht Wochen der Ischia- 
dieus rechts und links freigelegt. Auf beiden Seiten wurde in der 
Mitte des Oberschenkels ein Nervenstück von 2'/, em Länge heraus- 
geschnitten und das Nervenstück der linken Seite in der alten Orien- 
tierung wieder eingenäht, während es auf der rechten Seite um 180° 


* 


918 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


gedreht und so mit dem zentralen und peripheren Nervenende in um- 
sekehrter Orientierung vernäht wurde. Die hierbei ausgeschnittene 
Nervenstreeke ist nicht so lang, daß sie nicht vom zentralen Ende aus 
durchwachsen werden könnte. Ich habe sie mit Absicht so gewählt, 
damit die Fasern des zentralen Endes auch auf der rechten Seite das 
periphere, mit dem Muskel zusammenhängende Stück erreichen könnten, 
falls das eingeschaltete, umgekehrt polarisierte Stück nicht in wirk- 
liche Verwachsung träte. Nach drei Monaten kehrte auf beiden Seiten 
Motilität und Rezeptionsfähigkeit wieder, nach vier Monaten war bei- 
des ganz normal. Es wurde nun auf beiden Seiten der Nerv zum 
zweitenmal und zwar oberhalb der zentraleren Verwachsungsstelle 
durchschnitten. Nach weiteren vier Tagen wurde der Hund getötet. 
Auf beiden Seiten war das Zwischenstück anatomisch gut eingeheilt; 
auf der rechten Seite war es dicker als auf der linken Seite. 

Auf der linken Seite (richtige Orientierung) zeigten sich fast alle 
Fasern des peripheren Endes (bestehend aus einem kleinen Stück des 
früheren zentralen Endes (c), dem Zwischenstück (z) und dem ganzen 
früheren peripheren Ende (p) bis zur Peripherie hin in starker De- 
generation (Ellipsoidbildung). In z und > fanden sich ganz wenige 
Fasern, welche nicht degeneriert waren, in c gar keine. Außerdem 
waren in z und p einige Fasern vorhanden, welche auf dem Achsial- 
strangstadium standen, also nicht ganz regeneriert waren. — Auf 
der rechten Seite (Zwischenstück um 180° gedreht) verhielten sich 
Stück e und p grade so wie links, Stück z aber ganz anders. In z 
waren hier neben vielen ganz degenerierten Fasern eine große 
Anzahl von Fasern vorhanden, deren Markscheiden voll- 
ständig intakt waren, außerdem fanden sich sehr viele Fasern, 
welche auf dem Stadium von Achsialstrangfasern standen. Auf Längs- 
schnitten, wo sich die Verhältnisse allein beurteilen lassen, konnte ich 
folgende Zahlenverhältnisse feststellen (es wurden mehrere Schnitte 
durehgezählt): 


Markfasern (erhalten) Markfasern (degeneriert) Marklose 


Stück z links: 4—6 80— 100 10—12 
Stück z reehts: 36—40 s0—90 20—40 
Stück p links: 1—2 80— 90 


Stück p rechts: 2—3 80 —85 


Ich erkläre mir diesen Befund folgendermaßen: Die Nerven- 
fasern besitzen eine Art von Polarität; sie wachsen in der 
Regel nur dann zusammen, wenn die Polarisation der zusammenstoßen- 
den (@uerschnitte entgegengesetzt ist. Es verwächst also das zentrale 
Ende eines herausgeschnittenen Nervenstückes (was die Fasern selber 
anbetrifft) mit dem peripheren Ende eines zentralen Stumpfes, aber 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 219 


nicht mit dem zentralen Ende eines peripheren Stumpfes und um- 
gekehrt. Auf der rechten Seite meines Hundes war die Polarität des 
Zwischenstückes umgekehrt; die Fasern desselben konnten sich also 
weder mit denen des zentralen Stumpfes noch mit denen des peri- 
pheren vereinigen. Da es sich aber um ein junges Tier handelte, so 
konnten sich die Fasern des Zwischenstückes autogen bis zum Mark- 
faserstadium regenerieren. Als solche autogen regenerierten 
Fasern sehe ich diejenigen des Zwischenstückes an, 
welche nach der zweiten Durehschneidung’ nicht de- 
generierten. Sie konnten auch nicht degenerieren, selbst wenn 
ihre nach dem Zentrum zu gerichteten Enden über das obere Neu- 
rom hinausgewachsen und bei der zweiten Durchschneidung verletzt 
waren, weil es sich dabei re vera um eine Verletzung ihres peri- 
pheren Endes gehandelt hätte, welche nach den auf S. 196 be- 
sprochenen Befunden keine Degeneration ihres zentralen nur durch 
die Operation nach der Peripherie gewendeten Endes hervorrufen 
könnte. — Auf der linken Seite, wo die Polarisation richtig war, 
haben sich die meisten Fasern des zentralen Endes mit denen des 
Zwischenstücks und diese wieder mit denen des peripheren Stückes 
verbunden. Die wenigen Fasern, welche nicht zum zweitenmal de- 
generiert sind, sind solche, die keinen Anschluß gefunden haben und 
autogen regeneriert sind, ebenso haben die‘ wenigen Achsialstrang- 
fasern keinen Anschluß erreicht. Hier im linken Zwischenstück 
liegen fast alle Fasern innerhalb der alten Bahn; dagegen 
verlaufen im rechten Zwischenstück sehr viele Fasern 
— und das sind ausschließlich degenerierte — außer- 
halb der alten Bahn im perineuralen Bindegewebe. Hier 
fanden die auswachsenden Fasern des zentralen Endes keinen An- 
schluß an die Fasern des Zwischenstückes; sie wuchsen zwischen 
ihnen im Bindegewebe weiter, aber ebenso gut im Perineurium, wie 
im Endoneurium. Erst im peripheren Stumpf trafen sie auf 
die richtige Polarisation der Fasern; sie konnten sich 
mit diesen verbinden (wodurch ihrem Weiterwachsen ein Ende 
gesetzt wurde) und infolgedessen war die zweite Durch- 
schneidung im peripheren Stumpf wie im ganzenlinken 
Nervenvon einervollständigen Degeneration fast aller 
Fasern gefolgt. 

lch gestehe zu, daß es mißlich ist, die Hypothese der Nerven- 
polarität nur auf einen Befund aufzubauen, und ich würde dies nicht 
getan haben, wenn nicht noch andre Tatsachen durch dieselbe eine 
gute Erklärung fänden. Bestände nicht etwas derartiges, dann würden 
die Fasern eines durehschnittenen Nerven nicht so lange auswachsen, 
bis sie auf riehtig polarisierte Fasern (eines peripheren Stumpfes) 


320 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


träfen, sondern sich untereinander verbinden. Auch das Nichtver- 
wachsen zweier zentraler Nervenstümpfe — auf das ich gleich zurück- 
komme — läßt sich durch diese Hypothese leicht erklären. (Im 
Grunde ist dies ja genau derselbe Fall, wie der eben erwähnte, nur 
daß die Fasern zweier Nerven statt eines Nerven vor die Möglichkeit 
gestellt sind, sich miteinander zu verbinden.) — Schließlich sei noch 
darauf hingewiesen, daß solche Polaritäten auch sonst noch im Tier- 
und Pflanzenreich vorkommen. Besonders bei Pflanzen sind sie sehr 
ausgesprochen vorhanden. Bei der Pfropfung verwachsen die Stücke 
immer nur, wenn sie in der richtigen Polarisation eingesetzt sind. 
Das obere Ende eines Reises verwächst nur mit einem unteren, aber 
nicht mit einem andern oberen und umgekehrt (siehe die Abhandlung 
von Vöchting, 1892). 

3. Können zwei zentrale Nervenstümpfe miteinander 
verwachsen? Ein Versuch nach dieser Richtung hin wurde zuerst 
von Schiff (1858) angestellt. Die Fragestellung war allerdings bei 
ihm eine etwas andre. Er wollte sehen, ob sensible Nerven imstande 
wären rückwärts zu leiten. Zu diesem Zweck suchte er am Bein zwei 
Nervenäste auf, welche bei der Reizung nur reflektorische aber keine 
motorische Wirkung zeigten, die also rein sensibel waren. Er durch- 
schnitt beide und vereinigte die zentralen Enden durch Naht. Nach 


einigen Monaten wurden die Nerven wieder frei gelegt — sie waren 
verwachsen — und gereizt; dabei zeigten sich wieder Reaktionen des 


Tieres von beiden aus. Es wurde nun der eine Nerv so hoch wie 
möglich durchschnitten und sein peripheres Ende, das ja mit dem 
andern Nerven zusammengewachsen war, gereizt. Auch bei starkem 
Reiz traten keine Reaktionen mehr ein. Um diese wieder zu erhalten, 
mußte der Reiz an dem andern Nerv oder mindestens an der Narbe 
angesetzt werden. Die beiden zentralen Nervenenden waren also ent- 
weder nieht miteinander funktionell vereinigt oder die sensiblen Fasern 
waren nicht imstande, rückwärts zu leiten. Die mikroskopische Unter- 
suchung gab keinen sicheren Aufschluß darüber, welcher von beiden 
Schlüssen der richtige sei. 

Außer diesem Versuch existieren, so weit mir bekannt geworden 
ist, nur noch Versuche von Stefani (1887, 1896). ') Er durchschnitt 
bei mehreren Hunden und Kaninchen den Radialis und Medianus und 
vereinigte ihre zentralen Enden durch Naht. Nach zwei bis fünf 
Monaten wurden die beiden zentralen Stümpfe miteinander anatomisch 
vereinigt «efunden. Es wurde nun einer der Nerven hoch durch- 
schnitten und gereizt. Wie bei dem Schiffschen Versuch traten keine 


I) Inzwischen haben Langley und Anderson (1902) ähnliche Versuche mit 
demselben Resultat wie Stefani angestellt. 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 221 
“ 


Reflexbewegungen des Tieres ein; auch Blutdruck und Atmung blieben 
während der Reizung unverändert. Erst wenn der Reiz die Narbe 
traf oder an dem unzertrennten Nerven angesetzt wurde, traten Re- 
flexbewegungen u. s. w. ein. Die Narbe zwischen den beiden zen- 
tralen Nervenenden war also für Reize undurchgängig. — Bei zwei 
andern Hunden führte Stefani (1896) dieselbe Operation aus, allein 
mit dem Unterschied, daß er den Radialis (nach der Vernähung seines 
zentralen Stumpfes mit dem des Medianus) hoch durchschnitt. Es 
hing nun am Medianus ein Stück des Radialis in umgekehrter Orien- 
tierung. Nach zwei Monaten wurde die Wunde wieder geöffnet. Am 
Medianus hing ein kleiner rötlicher Strang, welcher als der Rest des 
Radialis angesprochen wird. Schon schwache Reizung dieses Stranges 
(der nur 2 cm lang war) ergab Reflexbewegungen des Tieres. Stefani 
schließt aus diesen Versuchen, daß zwei zentrale Nervenenden nicht 
zusammenheilen können, wenn sie beide mit ihren Ursprungsganglien- 
zellen in Zusammenhang stehen, daß aber eine Zusammenheilung statt- 
findet, wenn der eine Nerv von diesen Ursprungszellen getrennt ist. — 

Mir scheint dieser Schluß nicht zwingend zu sein. Im ersten Fall 
bleibt immer noch die andre Erklärung, daß zwar eine Zusammen- 
heilung stattgefunden hat, daß aber die Fasern nur einseitig leiteten. 
Wir haben zwar mehrere Gründe, ein doppelsinniges Leitungsvermögen 
der Nervenfasern anzunehmen, doch scheinen mir dieselben nicht so 
absolut beweisend, als es von den meisten Autoren angenommen wird. 
Im zweiten Fall, wo der eine Nerv durchschnitten wurde, kann man 
ebenso gut eine Auswachsung der Fasern des Medianus in den um- 
gekehrten Radialis hinein annehmen, wie eine Verwachsung, denn 2 em 
ist eine Länge, die auswachsende Fasern mit Leichtigkeit erreichen. 

Um zu sehen, wie sich die Fasern zweier vereinigter zentraler 
Stümpfe zueinander verhalten, habe ich wieder die Methode der De- 
generation angewandt. Um die beiden Nervenquerschnitte besser 
einander adaptieren zu können, vereinigte ich nieht zwei Nerven der- 
selben Gliedmaße, sondern den rechten und linken Ischiadieus. Auf 
beiden Seiten wurde bei einem zwei Monate alten Hunde der Ischia- 
dieus am Knie durchschnitten, der Damm freigelegt, die Nerven durch 
die Oberschenkelmuskulatur durchgesteekt und am Damm miteinander 
vernäht (tiefe Muskelnaht mit Katgut, Hautnaht mit Seide; Gaze- 
Heftpflasterverband bis zur Heilung). Drei Monate später wurde der 
rechte Ischiadieus am Becken freigelegt; dann ließ ich das Tier auf- 
wachen. Schon bei schwachen Induktionsströmen reagierte der Hund 
mit Schreien und Bewegen des Körpers. Darauf wurde der Nerv 
durehschnitten. Reizung des zentralen Endes gab nach wie vor 
Schreien, Reizung des peripheren, wenn auch noch so stark, hatte 
gar keinen Effekt. Ich ließ den Hund noch vier Tage am Leben, 


3393 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


eine Zeit, die nach meiner Erfahrung ausreicht, um alle Faser- 
abschnitte, welche peripher von einer Durchschneidungsstelle liegen, 
bis auf die Höhe des Markscheidenzerfalls zu bringen. 

Vor der Tötung wurde der ganze Damm aufgeschnitten und das 
alte ÖOperationsgebiet freigelegt. Beide zentralen Ischiadieusenden 
zeigten sich fest miteinander verwachsen; die zweite Durchschneidungs- 
stelle des rechten war 4 em von der Narbe entfernt. Wurde 
dieser Rest des rechten Ischiadieus gereizt, so fand (wie vier Tage 
früher) gar keine Reaktion statt; wurde die Narbe selbst oder der 
linke Stamm gereizt, so trat sofort eine heftige Reaktion ein. Hierin 
stimmt also mein Versuch ganz mit dem Schiffs und denen Stefanis 
überein. Die histologische Untersuchung zeigte aber, daß die Ver- 
hältnisse doch nicht so ganz einfach liegen. Wären Fasern der linken 
und rechten Seite mit ihren Querschnitten zusammengewachsen, so 
konnten sie sich entweder indifferent gegenüber einer zweiten Durch- 
schneidung verhalten oder aber ihre alte Degenerationsabhängigkeit 
von der Intaktheit ihres zentralen Abschnitts bewahrt haben. Im 
ersteren Fall würden sie nicht degeneriert sein, im zweiten würde 
man erwarten müssen, daß die Fasern des rechten Ischiadieus bis an 
die Narbe degeneriert wären und hier unvermittelt in wohlbehaltene 
Fasern übergingen. Waren die Fasern nicht zusammengeheilt, dann 
konnten entweder die Fasern jeder Seite auf ihrer Seite geblieben 
sein oder sie konnten durcheinander gewachsen sein. In letzterem 
Fall mußte man degenerierte Fasern auf beiden Seiten der Narbe vor- 
finden. Dies letztere war der Fall: in der Narbe fanden sich etwa 
gleichviel erhaltene und degenerierte Fasern. Die erhaltenen nahmen 
von dort aus in den rechten Nerven hinein immer mehr ab (fanden sich 
hier aber noch mehr als 2 em von der Narbe entfernt in erheb- 
licher Zahl) und wurden in den linken Nerven hinein immer zahl- 
reicher (Fig. 57 4 S. 229); bei den degenerierten Fasern verhielt sich die 
Sache grade umgekehrt: Zunahme nach rechts und Abnahme nach 
links. Nirgends aber sah ich eine degenerierte Faser sich direkt in 
eine erhaltene fortsetzen; sie endeten nach links hin immer blind, 
ebenso wie die erhaltenen Fasern auf der linken Seite unvermittelt 
abbrachen. Zu erwähnen ist noch, daß die Fasern der fremden Seite 
(die degenerierten auf der linken, die normalen auf der rechten) sich 
vorzugsweise im perineuralen Bindegewebe fanden und nur ganz ver- 
einzelt in den Nervenstämmen selber. 

Danach halte ich es allerdings für gesichert, daß 
sich die Fasern zweier zentraler Stümpfe nicht mit- 
einander verbinden und erkläre dies auf Grund einer 
Polarität. Die Fasern können aber von einem Stumpf in den andern 
hineinwachsen, indem sie hier das Bindegewebe als Bahn benutzen. 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 223 


Dies Auswachsen scheint aber nur bei den motorischen Fasern statt- 
zufinden, denn wären die mehrere Zentimeter nach links vorgedrungenen 
Fasern auch nur zu einem kleinen Teil rezeptorisch, so müßte das 
Tier bei ihrer Reizung geschrieen haben. Mit dieser Annahme harmo- 
niert der Befund, daß auf beiden Seiten der Narbe die Zahl der er- 
haltenen resp. degenerierten Fasern größer war als in der Narbe und 
jenseits derselben. Ist der eine Nerv durchschnitten (und infolge- 
dessen degeneriert), so mag (nach den Befunden Stefanis zu urteilen) 
dies Wachstumhindernis der sensiblen Fasern fortfallen. ) 

4. Kann das obere und untere Ende eines isolierten Nervenstückes 
verwachsen ? Diese Frage konnte erst aufgeworfen werden, nachdem 
die Tatsache der autogenen Regeneration festgestellt war (dasselbe 
gilt von der im nächsten Abschnitt behandelten Frage). Um dies fest- 
zustellen, isolierte ich in der bereits oben auf S. 199 angegebenen 
Weise zweimal ein Stück des Ischiadieus junger Hunde und vernähte 
das zentrale und periphere Ende miteinander, so daß ein Nervenring 
entstand. Ein physiologisches Merkmal für stattgehabte Verwachsung 
gibt es in diesem Fall nicht; man ist lediglich auf den anatomischen 
Befund angewiesen. In beiden Fällen waren die beiden Enden fest 
miteinander verwachsen. Die Narbe wurde von vielen Nervenfasern 
durchzogen, wodurch wieder die Wachstumsfähigkeit der Nervenfasern 
ohne Beteiligung des Zentrums erwiesen wird. Hieraus konnte aber 
natürlich noch nicht mit Sicherheit der Schluß gezogen werden, daß 
auch eine Verwachsung der Nervenfaserquerschnitte stattgefunden habe. 
Ich griff deshalb im zweiten Fall zur Degenerationsmethode. Bei 
einem einfach isolierten Stück würde bei einer zweiten Durchschnei- 
dung nur eine Degeneration des peripheren Abschnittes erfolgen; was 
aber bei Ringbildung und erfolgter Zusammenheilung der Faserquer- 
schnitte erfolgen würde, war nicht mit Sicherheit vorher zu sagen. 
Durch die Verwachsung konnte eventuell das Degenerationsverhältnis 
ganz verschoben werden, so daß bei jeder Verletzung, wo sie auch 
angesetzt sein möge, immer eine Degeneration der ganzen Fasern er- 
folgte. Es konnte aber das alte Verhältnis zwischen periphererer und 
zentralerer Strecke erhalten bleiben, so daß bei einer zweiten Durch- 
schneidung gegenüber der Narbe die Fasern nur in ihrem peripheren 
Teil bis zur Narbe hin dem Zerfall anheimfielen. — Die zweite Durch- 
schneidungsstelle lag grade gegenüber der Narbe; der Hund wurde 
drei Tage und zwei Stunden nach derselben getötet. In dem mit 
Ösmiumsäure fixierten Ringe fanden sich die meisten von den sehr 
zahlreichen markhaltigen Fasern in vollständigem Zerfall (Ellipsoid- 
bildung); ein kleinerer Teil zeigte aber noch gestreckte Markrohre, 
an denen hin und wieder Anzeichen von beginnendem Zerfall zu er- 
kennen waren. Ich bin überzeugt, daß ich sie am nächsten Tage 


224 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


zerfallen gefunden haben würde. Ich hatte eben nicht lange genug 
nach der zweiten Durchschneidung gewartet. (Damals wußte ich noch 
nicht, daß beim Hund die Degeneration etwas langsamer geht als beim 
Kaninchen.) Irgend welche Beziehungen zwischen der Lage der Narbe 
und der Lage der erhaltenen Fasern konnte ich nicht auffinden; sie 
fanden sich überall: in der Narbe, zentral und peripher von ihr. Mir 
scheint es danach doch ziemlich wahrscheinlich, daß die Faserquer- 
schnitte in der Narbe wirklich zusammengewachsen waren und daß 
mit dieser Zusammenheilung die Fasern aufhörten, ein zentrales Ende 
zu haben, so daß sie nun auf jede Verletzung hin in ihrer Totalität 
degenerierten. Da bei einer solchen Ringbildung entgegengesetzte Pole 
aneinander gebracht werden, so würde auch dieser Befund für die 
Polaritätshypothese sprechen. Ich will nicht verschweigen, daß man 
dem Befunde aber noch eine andre Deutung geben kann: Es wäre 
nämlich möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, daß der Nerven- 
ring im Zustande chronischer Degeneration war, daß also die Durch- 
schneidung gar nicht die Veranlassung zum Markscheidenzerfall ge- 
wesen ist. 

5. Können die zentralen Querschnitte zweier peripherer Stümpfe 
miteinander verwachsen? Um dies zu prüfen, habe ich an vier jungen 
Hunden beide Ischiadiei ausgerissen oder hoch durchschnitten und am 
Damm miteinander vernäht, so daß nun beide peripheren Stümpfe 
miteinander verbunden waren. In zweien dieser Fälle waren die Nerven 
wohl etwas zu kurz; die Nervennaht löste sich und die beiden Ischiadici 
wurden bei der Sektion voneinander getrennt gefunden. In den beiden 
andern Fällen blieben sie aneinander. Im einen dieser Fälle war die 
autogene Regeneration nur gering, die Nerven waren nicht leitungs- 
fähig. Im andern war der eine Nerv, als ich nach vier Monaten 
öffnete, leitungsfähig, es zuckten aber bei seiner Reizung nur die 
Muskeln der gleichen Seite. Ob der Nerv der andern Seite zu dieser 
Zeit auch leitungsfähig war, weiß ich nicht. Als ich nach acht 
Monaten beide Nerven freilegte, waren es beide nicht; der linke nicht 
mehr, der rechte war es vielleicht nie gewesen oder nicht zu der Zeit, 
als ich ‘den linken bloßlegte und reizte. Beide Nerven enthielten 
reichlich markhaltige Fasern, auch die breite Narbe war von solchen 
durchsetzt. Diese Fasern konnten aber von einem Nerven in den 
andern hineingewachsen sein; eine Vereinigung der Faserquerschnitte 
brauchte nicht erfolgt zu sein. 

Verliefen diese besonders darauf angelegten Versuche ohne sicheres 
Ergebnis, so gab mir der Zufall zwei positive Befunde in die Hand. 
Sie waren beide ganz identisch, nur daß die Erscheinungen im einen 
etwas leichter hervorzurufen waren. Der Ischiadieus war ausgerissen 
worden und das herausgerissene Stück abgeschnitten; dabei war ein 


i 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 225 


Ast, der den Semitendinosus und Semimembranosus versorgt, vom Haupt- 
stamm abgetrennt worden. Nach beinahe sieben Monaten wurde der 
Nerv freigelegt. Seine Reizung ergab schöne Zuckungen im Bein, 
aber auch bei großer Stärke kein Schreien. (Das zentrale Ende war 
gar nicht ausgewachsen.) Der Hauptstamm wurde dann über dem Knie 
durehschnitten. Nach sechs Tagen 
wurde wieder eröffnet und nun 
ausgiebig das ganze Gebiet frei- 
gelegt (Fig. 56). Hauptstamm und 
Ast für Semimembranosus und Se- 
mitendinosus waren durch eine 
sehr dünne Brücke verbunden. 
Wurde diese oder der Muskelast 
gereizt, so zuckten eben diese 
Muskeln. Sie zuckten aber 
auch, wenn ich bei glei- 
chem Rollenabstand, der 
da grade wirksam war, am 
untersten Ende des Haupt- 
stamms (bei —) reizte! Um 
paradoxe Zuckung konnte es sich 
hier angesichts der guten Durch- 
feuchtung nicht handeln; auch das 
Experimentum erueis gelang leicht: 
schon bei geringem Druck mit 
einer Pinzette bei—- traten die leb- | 
haftesten Zuckungen in den Mus- 
keln ein. Nach Zerschneidung der 
dünnen Verbindungsbrücke bei 0 
war die Bewegung nicht mehr von ee 
E- aus auszulösen. Hier war also der Nery des Semitendinosus /(S.t.) und des Semi- 
Wirklich eine rücklänfige Verbin- menbrasnm (im) mi dem Annan de 
dung vorhanden. dieus verwachsen war. Der Ischiadicus war einige 
Man könnte ja vielleicht daran us yon Su salaindisen Beehuume ne ah 
denken, daß Fasern des Muskel- worden. o Verdiekung in der dünnen Faserbrücke. 
astes in den Hauptstamm hinein- 
gewachsen seien. Das scheint mir aber im höchsten Grade De 
scheinlich, weil die Wachstumsenergie peripherer Nervenstümpfe im 
allgemeinen sehr gering gefunden wird und es sich hier um ein Aus- 
wachsen handeln müßte, das das zentraler Stümpfe noch übersteigen 
würde (etwa 6 em). — Die histologische Untersuchung zeigte, daß 
die dünne Verbindungsbrücke nur 12—15 markhaltige Fasern enthielt, 
während im Hauptstamm sicher mehrere Tausend, im Muskelast viele 


3ethe, Nervensystem. 15 


226 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


Hundert vorhanden waren. (In der Mitte der Verbindungsbrücke und 
an der Stelle, wo sie mit dem Muskelast zusammenstieß, fanden sich 
Verdiekungen.) in welchen ein großes Gewirr markhaltiger Fasern 
sichtbar war. Da nun Reizung des Hauptstammes ebenso kräftige Be- 
wegungen jener Muskeln hervorrief wie die Reizung des Muskelastes 
selbst, so scheint mir hierin ein zweiter Beweis dafür vorzuliegen, daß 
es sich nicht um eine direkte Reizung ausgewachsener motorischer 
Fasern des Muskelastes bei Reizung des Hauptstammes handeln 
konnte. Reizung so weniger motorischer Fasern kann nach sonstigen 
Erfahrungen keine maximale Muskelkontraktion zustande bringen. Eine 
solche Kontraktion ist bei Reizung weniger Fasern sonst nur dann zu 
beobachten, wenn es sich um rezeptorische Fasern handelt, die mit 
motorischen durch Zentralsubstanz in Verbindung stehen. Ich bin daher 
geneigt anzunehmen, daß die Verbindungsbrücke rezeptorische Fasern 
des Hauptstamms enthielt, welche sich in den Anschwellungen mit einer 
viel größeren Anzahl von motorischen Fasern des Muskelastes ver- 
bunden hatten, so daß nun die Anschwellungen gewissermaßen ein 
sanglienzelloses Reflexzentrum vorstellten. Ich fasse also die vom 
Hauptstamm aus auslösbare Kontraktion des Semitendinosus und Semi- 
membranosus — mit aller Reserve! — als eine Art von Reflex auf, 
die ohne Ganglienzellen vor sich ging. 

Ein zweiter Fall zeigte ganz ähnliche Verhältnisse. Der Nerv 
war ebenfalls ausgerissen, aber oberhalb des Abgangs des Muskel- 
astes amputiert., Bei der Eröffnung zeigte der Hauptstamm am Ende 
ein ziemlich großes Neurom. 3 cm unterhalb desselben ging der 
Muskelast ab. Ich durchschnitt nun den Hauptast 5 em unterhalb der 
Abgangsstelle und reizte hier. Auch in diesem Fall zucekten 
rückläufig beide Muskeln! Ein Urteil, wie viele Fasern des 
Hauptstammes sich im Neurom mit Fasern des Muskelastes verbunden 
hatten, ließ dieser Fall nicht zu. 

Schließlich sei noch ein dritter Fall angeführt. In diesem lagen 
die Verhältnisse etwas komplizierter. Ich hatte den Ischiadieus mit- 
samt den Wurzeln und zwei Spinalganglien herausgerissen und den 
Nerv dann über dem Knie durchschnitten. Darauf schnitt ich von 
den Spinalganglien so viel von den Anhängseln ab, daß nur noch ein 
kurzes Stück des Nervenstammes und der Wurzeln an ihnen hing 
und legte sie so in die Wunde hinein, daß der Querschnitt des unteren 
Ischiadieusstumpfes sich mit den zentralen und peripheren Ausläufern 
der Ganglien berührte. Nach sechs Monaten wurde wieder geöffnet. 
Die Spinalganglien waren mit dem Ischiadieus gut verwachsen. Reizung 
des Ischiadieus gab gute Zuckungen im Unterschenkel und Fuß. Ich 
präparierte mir nun am Unterschenkel einen Seitenzweig des 
Peroneus auf eine Strecke von mehreren Zentimetern frei (es war 


a er 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 227 


ein Hautast, also wohl sensibel), durehsehnitt ihn möglichst 
peripher und reizte sein zentrales, dem Hauptstamm zu- 
gerichtetes Ende. Bei jeder Reizung traten deutliche 
Zuckungen in fast allen Muskeln des Unterschenkels 
und Fußes ein: gradeso, als ob ich ihre motorischen Fasern im 
Hauptstamm selber gereizt hätte. (Die Stromstärke, die hierzu nötig 
war, übertraf allerdings die, welche am Hauptstamm eine Wirkung 
hervorzurufen imstande war. Stromschleifen waren ausgeschlossen.) — 
Die histologische Untersuchung des Ischiadieusendes mit samt den 
daranhängenden Ganglien ergab, daß in den Ganglien gut erhaltene 
Zellen vorhanden waren, doch war ihre Zahl weit geringer als in einem 
normalen Ganglion. Ein Teil von ihnen war ohne Zweifel zugrunde 
gegangen. Vom Ganglion aus gingen markhaltige Fasern in den 


Hauptstamm des Ischiadieus, aber — soweit sich das bei den etwas 
schwierigen topographischen Verhältnissen feststellen ließ — nur von 


seinem peripheren Pol aus. Wenn nicht die beiden andern Fälle be- 
ständen, so würde man geneigt sein, die reflexartige Erscheinung auf 
die Mitwirkung der Spinalganglien zu beziehen. So bin ich der An- 
sicht, daß sie mit der Erscheinung gar nichts zu tun haben. 

Nach diesen Befunden scheint es nicht zweifelhaft, daß sich am 
peripheren Nervenstumpf (entgegen den bisherigen Beobachtungen 
am zentralen Stumpf) Fasern von gleicher Polarisation miteinander 
verbinden können. Immer ist dies jedenfalls nach meinen bisherigen 
Befunden nicht der Fall, so daß bis zu einem gewissen Grade auch 
hier eine Abneigung gegen eine Zusammenheilung von Fasern gleicher 
Polarisation besteht; außerdem scheint mir hier Grund zu der An- 
nahme vorhanden, daß es nur oder in erster Linie Fasern verschiedener 
Funktion sind, welche sich miteinander verbinden. 

6. Können motorische mit sensiblen Fasern verheilen ? Diese Frage 
ist von Bidder, hauptsächlich aber von Philipeaux und Vulpian (1863) 
bearbeitet worden. Es wurde von diesen Autoren der zentrale Stamm 
des Lingualis mit dem peripheren Ende des Hypoglossus vereinigt. 
Der Hypoglossus ist in der Hauptsache motorisch (für die Zunge), 
der Lingualis fast ausschließlich sensibel. Einige Monate nach der 
Operation wurde die Narbe freigelegt und der Nerv oberhalb und 
unterhalb derselben gereizt. In beiden Fällen traten sowohl Reflex- 
bewegungen des Tieres als auch Kontraktionen in der Zunge ein. 
Hieraus wurde geschlossen, daß eine Vereinigung der Nervenfasern 
in der Weise stattgefunden habe, daß die sensiblen Fasern des Lin- 
gualis den ihnen zugeführten Reiz auf die motorischen des Hypo- 
glossus übertragen könnten und umgekehrt. Die Beweiskraft dieses 
Versuches wurde zweifelhaft, nachdem Vulpian das Motorischwerden 
des Lingualis nach Durchschneidung des Hypoglossus gefunden und 


15* 


228 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


festgestellt hatte, daß es auf einer Beimischung von Chordafasern be- 
ruhte. Er wiederholte (1873) den Vereinigungsversuch und durchschnitt 
die Chorda tympani, nachdem vorher festgestellt war, daß bei Reizung 
des zentralen Lingualis die Zunge zuckte. Einige Tage nach der 
Chordadurchschneidung wurde wieder gereizt und nun wurde die 
teizung unwirksam gefunden. Die Chorda und einige Fasern des 
peripheren Hypoglossus zeigten sich degeneriert. Diesen Chordafasern 
war also der Erfolg zuzuschreiben. Wie nun Vulpian hervorhebt, 
waren im peripheren Hypoglossus sehr viele regenerierte Fasern 
vorhanden, die nach der Chordadurchschneidung nicht degeneriert 
waren. Da er augenscheinlich an alten Tieren operiert hatte, konnte es 
sich nieht um Autoregeneration handeln; die Fasern mußten also 
im Anschluß an die Fasern des Lingualis regeneriert 
sein oder von diesen ausgewachsen sein. Mir scheint das 
erstere das zutreffende zu sein: Einem großen, ausgewachsenen Hunde 
wurde der zentrale Hypoglossus mit dem peripheren Ende des Lingualis 
vernäht, nachdem vom Hypoglossus das periphere, vom Lingualis das 
zentrale Ende, soweit erreichbar, exstirpiert war. (Ich habe aus leicht 
erkennbaren Gründen den Versuch umgekehrt, als sonst üblich, an- 
gestellt.) Nach fünf Monaten wurde wieder eröffnet. Die Nerven 
waren fest vereinigt und der Lingualis wieder schön weiß. Es wurde 
nun der Hypoglossus 2 em oberhalb der Narbe durchschnitten und 
der Hund nach vier Tagen getötet. Der Lingualisstumpf war voll von 
frisch degenerierten Fasern; zwischen ihnen waren keine marklosen 
Fasern (Bandfasern oder Achsialstrangfasern) zu entdecken. Die Fasern 
des Lingualis waren also unter dem Einfluß derer des Hypoglossus 
regeneriert und die vorgefundenen markhaltigen Fasern waren nicht 
in den peripheren Lingualis hineingewachsen, denn sonst hätte man 
die Reste der alten Lingualisfasern als Achsialstrangfasern finden 
müssen. Daraus, daß die Degeneration sich nach der zweiten Durch- 
schneidung vom Hypoglossus auf diese regenerierten Fasern des Lin- 
gualis ausdehnte (Fig. 57 2), geht hervor, daß die sensiblen Fasern 
des Lingualis, welche wenigstens zum überwiegenden Teil durch Zu- 
sammenheilung mit motorischen Fasern des Hypoglossus regeneriert 
sein müssen, von der Intaktheit dieser motorischen Fasern jetzt in 
ihrer Existenz abhängig geworden waren. Da der Hypoglossus sehr 
viel mehr Fasern enthält als der Lingualis, so hat ein Teil derselben 
keinen Anschluß im Lingualis finden können und ist im perineuralen 
Bindegewebe weiter gewachsen (Fig. 572). Diese nun wirklich aus- 
gewachsenen Fasern finden sich aber nur bis zu einer Entfernung von 
etwa 1 cm von der Narbe aus gerechnet. Große Strecken können 
eben auswachsende Fasern nicht zurücklegen. — Hält man diesen 
Versuch mit denen von Philipeaux und Vulpian zusammen, so erscheint 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 229 


es wahrscheinlich, daß wenigstens eine trophische Zusammenheilung 
zwischen motorischen und sensiblen Fasern beinormaler Orientierung 
derselben möglich ist. Inwieweit diese Zusammenheilung funktionell 
werden kann, darüber lassen sich zur Zeit nicht einmal Vermutungen 
aufstellen. (Beachtenswert ist übrigens, wie es auch in der Figur an- 
gedeutet ist, daß die alten Fasern langsamer degenerieren als die eben 
regenerierten. Es deckt sich das mit der Beobachtung, daß bei ganz 
jungen Tieren die Degeneration schneller verläuft als bei erwachsenen.) 

Ich habe auch den Versuch gemacht, das zentrale Ende des Ramus 
maxillaris superior (des Trigeminus) mit dem peripheren Ende des 


Fig. 57. A Zusammenwachsungsstelle des rechten und linken zentralen Ischiadieusstumpfes nach 

weiter zentral gelegener Durchschneidung des rechten Ischiadieus. B Zusammenwachsungsstelle des 

zentralen Hypoglossus- und des peripheren Lingualisstumpfes nach Durchschneidung des Hypoglossus 

an einer mehr zentralgelegenen Stelle. (OÖsmiumschwärzung der Markscheiden.) Vergrößerung 10 mal. 
Die Dicke der Fasern ist übertrieben. 


Optieus zur Verheilung zu bringen. Im besseren der beiden Versuche, 
welche ich nach dieser Richtung hin anstellte, kam es aber nur zu 
einer rein äußerlichen Zusammenheilung; die Fasern beider Nerven 
blieben nachweislich ganz voneinander getrennt. Zu den Versuchen 
wurden wieder junge Hunde gewählt: Nach erfolgtem Hautschnitt und 
Abtragung eines Teiles des Museulus temporalis wurde der Jochbogen 
mit einer Knochenzange fortgenommen und unter Schonung der Gefäße 
der Trigeminusast aufgesucht. Er wurde dieht am Eintritt in das 
Foramen supramaxillare durchschnitten und zurückgeschlagen. Dann 
wurde nach Fortnahme von etwas Augenhöhlenfett der Opticus unter 
Schonung der Augenmuskeln freipräpariert und in der Mitte zwischen 


230 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


Augapfel und Foramen optieum durchschnitten. Der zentrale Trige- 
ıninusstumpf wurde nun an den Optieus gelegt und mit diesem ver- 
näht. In beiden Fällen trat nach einigen Wochen Trübung der Linse 
und des Glaskörpers ein. Nach etwa zehn Monaten wurde der eine 
Hund getötet. Der Bulbus der operierten Seite war wesentlich kleiner 
als der andre. Der Trigeminus war fest mit dem Optieus verbunden. 
Schnitte durch Bulbus und Nerv zeigten aber, daß die Fasern beider 
Nerven ganz getrennt waren. Die Fasern des Trigeminus waren im 
perineuralen Bindegewebe des Optiecus weiter gewachsen und bis weit 
in die Sclera eingedrungen. So umfaßten sie den sehr verkürzten 


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Fig. 58. 1 Zusammenwachsungsstelle des zentralen Trigeminusstumpfes und des peripheren Opticus. 
B Zusammenwachsungsstelle des zentralen und peripheren Optieusstumpfes. (Etwas schematisiert.) 


Optieusstumpf, welcher, wie schon auf S. 181 angegeben, gute mark- 
haltige Fasern (bei vollkommener Abwesenheit einer Retina) enthielt 
(Fig. 584). (Wie aus der Serie mit Sicherheit hervorgeht, sind die 
im Opticus liegenden Fasern keine eingewanderten Trigeminusfasern.) — 
Der andre Hund wurde nach etwas weniger als zehn Monaten getötet. 
Bei der Sektion fand ich den Trigeminus vom Optieus losgerissen und 
in seiner alten Lage fest mit seinem peripheren Ende verwachsen. 
Andrerseits hatten sich auch der zentrale und periphere 
Optieusstumpf wieder zusammengefunden und waren 
miteinander verwachsen. Die Verwachsungsstelle war deutlich 
sichtbar. Zentralwärts von derselben war der Optieus gelb und welk, 
während er nach dem Auge zu glänzend weiß war. Die Schnitt- 


Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 231 


untersuchung gab folgende Befunde: Vollständige Degeneration der 
Retina, sehr zahlreiche markhaltige Fasern im peripheren Optieus- 
stumpf (d.h. dem Ende, das am Auge hing), gute Verwachsung beider 
Optieusstümpfe, vollkommenes Fehlen markhaltiger Fasern im zentralen 
Teil des zentralen Optieusstumpfes und Ausstrahlung von Fasern des 
peripheren Optieusstumpfes über die Narbe hinaus in den zentralen 
hinein (Fig. 582). Jedenfalls kann also auch der Optieus, dieser 
Höchste unter den Nerven, nach Durchschneidung wieder verheilen. 
Wenn man das nötige Tiermaterial opfern wollte, würde man es viel- 
leicht sogar im einen oder andern Fall wieder zu einem funktions- 
tüchtigen Nerven bringen können. 

Im Anschluß hieran seien noch einige andre Fälle von gelungener 
Nervenverheilung erwähnt, deren Interesse allerdings mehr auf einem 
andern Gebiet als dem hier behandelten liegt, weil die anatomischen 
Verhältnisse bei den betreffenden Nerven zu wenig bekannt sind. 
Philipeaux und Vulpian gelang es, den zentralen Vagus und den 
peripheren Hypoglossus zusammenzuheilen. Reizung des Vagusanteils 
ergab Kontraktion der Zunge, Reizung des Hypoglossusanteils Vagus- 
erscheinungen. Langley (1897) gelang es, bei der Katze den zentralen 
Vagus mit dem Cervicalganglion des Sympathieus zur Verheilung zu 
bringen. Auch hier hatte Reizung des Sympathieus Vaguserscheinungen 
(natürlich neben Sympathieuserscheinungen), Reizung des Vagus Sym- 
pathieuserscheinungen zur Folge. Es können also nach diesen Be- 
funden Nerven von der verschiedensten physiologischen Wirkung mit- 
einander funktionell in Verbindung gebracht werden. 

Schon frühzeitig ist es den Physiologen aufgefallen, mit welcher 
manchmal erstaunlichen Sicherheit sich die Enden durchschnittener 
Nerven wieder zusammenfinden. Man ging dabei allerdings häufig 
von der falschen Voraussetzung aus, daß jede Faser sich mit der ihr 
korrespondierenden wieder vereinigte. Sicherlich ist das nicht der 
Fall. Wie schon oben gezeigt, sucht ein zentrales Ende nur, sich 
überhaupt wieder mit einem peripheren Ende zu vereinigen, aber 
nicht grade mit seinem eignen. So wie die ganzen Nervenstämme 
nicht sehr wählerisch sind, so werden es auch die einzelnen Fasern 
nicht sein und man kann annehmen, daß sich häufig sogar moto- 
rische Fasern des einen Stumpfes mit sensiblen des andern ver- 
binden. Aber immerhin bleibt es merkwürdig, wie ein zentraler Stumpf 
auch bei nennenswerter Verlagerung des peripheren diesen wieder zu 
finden vermag. Es ist das Verdienst Forsmanns (1900), aus diesen 
Dingen ein besonderes Studium gemacht zu haben. Nach seinen Ver- 
suchen kommt es auf die Lagebeziehungen zwischen zentralem und 
peripherem Stumpf gar nicht an, wie man leicht hätte annehmen 
können. Durch geeignete Mittel (Einführung der Nervenstümpfe in 


332 Die Zusammenheilung durchschnittener Nerven und die Nervenregeneration. 


Kollodiumröhren, die nachher mitgeschnitten wurden) gab er den 
Stumpfenden alle möglichen Lagen, z. B. so, daß beide Enden nach 
der Peripherie zu gerichtet waren, aber immer fanden sie sich gut zu- 
sammen. Er kam daher auf. den Gedanken, daß es sich hier um 
einen Chemotropismus handle und daß die Fasern des zen- 
tralen Endes durch die beim Zerfall des peripheren Endes entstehen- 
den Produkte angezogen würden. Diesen „Neurotropismus“ suchte 
er durch folgendes sinnreiche Experiment weiter zu stützen. An 
das zentrale Ende eines durchschnittenen Nerven brachte er zwei 
Röhrchen von Kollodium, deren Öffnung peripher gerichtet war; das 
eine war mit gehackter Leber, das andre mit gehacktem Gehirn gefüllt. 
Die vom zentralem Ende auswachsenden Fasern wuchsen nun rück- 
läufig in das mit Gehirn gefüllte Rohr hinein, aber nicht in das andre. 

So beweisend dieses Experiment für die (auf die auswachsenden 
Fasern) anziehende Wirkung der zerfallenden Nervensubstanz zu sein 
scheint, so dürfte nach meiner Meinung der wahre Sachverhalt doch 
etwas anders sein. Das, was die primäre Vereinigung zwi- 
schen den Enden eines durchschnittenen Nerven her- 
stellt, isstnämlichnach meinen Erfahrungen das Binde- 
sewebe der Nerven. Die Fasern wachsen erst sekundär auf 
diesem Boden weiter und treffen so unbedingt auf das periphere 
Ende, wenn das Bindegewebe den Anschluß erreicht hat. So fand 
ich z. B. schon zehn Tage nach Exstirpation eines 1 cm langen Nerven- 
stückes beide Enden durch perineurales Bindegewebe miteinander ver- 
bunden. Zu dieser Zeit haben aber die Fasern grade erst begonnen 
auszuwachsen und sind höchstens 1 mm in dem Bindegewebe vor- 
sedrungen. Ich glaube wohl, daß eine Art Chemotropismus bei dem 
Zusammenfinden eine Rolle spielt, glaube aber, daß er nicht den 
Nervenfasern selbst, sondern dem Bindegewebe zukommt; dieses wächst 
nach der Reizstelle hin und die wachsenden Nervenfasern folgen ihm 
nach. — Auch das wirre Durcheinanderliegen der Fasern im Neurom 
wird durch das Bindegewebe vorgebildet. Zuerst wuchert es ganz 
wirr und erst allmählich nehmen die Fasern eine geordnete und par- 
allele Richtung an. Diese Irrwege machen die auswachsenden Nerven- 
fasern nachher getreulich nach. So kommt es, daß man bei größeren 
Defekten immer zwei Neurome (eins am zentralen, eins am peripheren 
Ende) trifft; in der Mitte liegt eine Strecke, in der die Fasern fast 
wie im gewöhnlichen Nerven ganz parallel verlaufen. Genau dasselbe 
findet man aber schon wenige Tage nach der Operation im Binde- 
sewebe vorgebildet, nur ist von Nervenfasern weder in den Neuromen 
noch in der Zwischenstrecke etwas zu finden. — Ich habe schon 
wiederholt darauf hingewiesen, wie die Nervenfasern immer den Weg 
im festen perineuralen Bindegewebe (oder z. B. in dem festen Binde- 


Über die Entwicklung der Nervenelemente. 233 


gewebe der Sclera) nehmen: Dieses Bindegewebe ist der eigentliche 
Wachstumsboden auswachsender Fasern, aber nicht die „leere“ Röhre 
der alten Schwannschen Scheiden, wie Ranvier, Vanlair u. a. meinten. 
Diese sind, wenn die Fasern des zentralen Endes auswachsen, nicht 
mehr leer und wenn sie zufällig in der falschen Orientierung sind 
(siehe S. 219), so wachsen die Fasern des zentralen Stumpfes, wie es 
scheint, an ihnen vorbei. Wo es sich um funktionstüchtige 
Verbindung eines zentralen und eines mehr als einige 
Zentimeterlangen peripheren Stumpfes handelt — so muß 
man nach meiner Meinung unbedingt schließen — da sind nicht die 
zentralen Fasern in die peripheren hineingewachsen, 
sondern sie haben sich mit ihnen verbunden und sie zur 
Vollendung der bereits angefangenen Regeneration 
angeregt! 


DREIZEHNTES KAPITEL. 


Über die Entwicklung der Nervenelemente. 


Es liegt mir fern hier einen vollkommenen Überblick über die 
Entwicklung des Nervensystems und seiner einzelnen Elemente zu 
geben. Nur einzelne Punkte, die für die allgemeine Auffassung des 
Nervensystems von Wichtigkeit sind, mögen hier zur Besprechung 
kommen. - 

In dem vorhergehenden Kapitel wurde gezeigt, daß die Regenera- 
tion verletzter Nerven nicht durch Auswachsung der Nervenfasern vom 
zentralen Stumpf her geschieht, sondern daß Reste des alten Nerven, 
wahrscheinlich die Zellen der Schwannschen Scheide, die neuen Nerven- 
fasern bilden. Dies widerspricht nieht nur der herrschenden Ansicht 
vom Verlauf der Regeneration, sondern auch den Anschauungen, welche 
sich die Mehrzahl der Autoren von der Entwicklung der Nerven ge- 
bildet hat. Zwar gibt es einige Fälle, in denen die Regeneration 
eines Körperteils oder eines Gewebes nicht von denselben Elementen 
ausgeht, von welchen sie bei der Entwicklung gebildet werden (siehe 
die Arbeiten von Driesch), im allgemeinen ist dies aber doch der Fall 
und so ist es denn von jeher ein berechtigtes Postulat gewesen, die 
Entwieklung der Nerven und den Modus ihrer Regeneration miteinander 


234 Über die Entwicklung der Nervenelemente. 


in Einklang zu bringen. Die Überzeugung von der Notwendigkeit der 
Übereinstimmung beider Prozesse geht bei einigen Autoren sogar soweit, 
daß sie dies Postulat als Beweismittel aufführen. Bald wird es in diesem 
bald in jenem Sinne angewandt und man kann sowohl die Wallerschen 
Sätze als Beweismittel für den von His verfochtenen Modus der Ent- 
wieklung angeführt finden, als auch umgekehrt die Hisschen Befunde 
“als Beweis für die Richtigkeit der Wallerschen Sätze. Wenn ich selber 
die Übereinstimmung beider Prozesse auch nieht als notwendig ansah, 
so hielt ich sie doch von vornherein für recht wahrscheinlich, und ich 
sah mich daher gezwungen, aus eigner Anschauung ein Urteil über 
die Richtigkeit der herrschenden Lehre von der Entwicklung der 
Nerven zu gewinnen. An diese Arbeit konnte ich um so mehr mit 
der guten Hoffnung, eine Übereinstimmung zu erzielen, herangehen, 
als ja die herrschende Ansicht nicht widerspruchslos dasteht und 
mehr durch Überstimmung als durch Überzeugung zu der herrschenden 
geworden ist. 

Noch immer stehen sich zwei Ansichten über die Entwicklung 
der Nervenfasern gegenüber: Die Remak - Kupffer -Hissche, daß die 
Nervenfasern als lange Ausläufer von den Ganglienzellen auswachsen, 
also mit der Ganglienzelle zusammen eine Zelleinheit bilden, und die 
Balfour- Beard- Dohrnsche (der sich Kupffer zeitweise angeschlossen 
hat), daß sie aus einer ganzen Anzahl von Zellen entstehen, also 
multizellulären Ursprungs sind und mit der Ganglienzelle nur sekundär 
etwas zu tun haben. Die Hensensche Ansicht könnte man noch als 
dritte nennen, doch fällt sie für uns mit der Hisschen zusammen, weil 
es sich hier nicht darum handelt, ob Zentrum und Peripherie ab ovo 
miteinander verbunden sind, sondern nur darum, ob die Nervenfasern 
Zellausläufer oder zelluläre Gebilde sind. 

Für die Auswachsungstheorie werden von His (1883, 1886, 1887, 
1889, 1890) etwa folgende Punkte angeführt: Das Neuralrohr steht 
nach der Abschnürung vom dorsalen Epithel zunächst in gar keiner 
Verbindung mit der Anlage der Muskulatur und den übrigen später 
innervierten Organen; es besteht aus einfachen Epithelzellen, welche 
sich unter fortwährenden Teilungen zu Neuroblasten umformen. An 
denjenigen Neuroblasten, welche in der Nähe der späteren motorischen 
Wurzel liegen, bildet sich ein Fortsatz, welcher die Membran des 
Neuralrohrs durchbohrt. Diese ausgetretenen Ausläufer werden als 
Achsenzylinder bezeichnet und bilden die erste Nervenanlage, welche 
anfangs immer frei von Zellen sein soll. Je älter der Embryo ist, 
desto weiter sind die Fasern nach der Peripherie zu vorgedrungen. 
Die späteren Schwannschen Kerne dringen von außen in die zellfreie 
Nervenanlage hinein und gesellen sich den einzelnen Fasern sekundär 
hinzu. Sie sind als Mesodermzellen anzusehen. 


Über die Entwieklung der Nervenelemente. 335 


Kölliker (1886, 1900) stützte die Ausläufertheorie durch Unter- 
suchungen am Kaulquappenschwanz. Er fand hier die jungen Nerven- 
fasern zunächst ohne Keme. Sie sollen sieh erst später anlagern. 
Diese Anlagerung wird in einer Abbildung vorgeführt! Wie Dohrn 
bereits ausgeführt hat, ist dieselbe nieht sehr beweisend, und Kölliker 
selber drückt sich in der Arbeit noch sehr zurückhaltend aus. In 
späteren Arbeiten ist er ohne erneute eigne Untersuchungen mit sehr 
viel größerer Sicherheit für die Auswachsungstheorie eingetreten. 
Eine starke Stütze schien die Hissche Ansicht durch die von 
Ramön y Cajal und Lenhossek mit Hilfe der Golgischen Methode er- 
hobenen Befunde zu erhalten. Sie fanden im Rückenmark junger 
Hühnchen inkrustierte Neuroblasten, von denen ein immer verhältnis- 
mäßig sehr dicker Fortsatz die Membran in der Richtung der vorderen 
Wurzel durchsetzt und dann in größerer oder geringerer Entfernung 
mit einer unregelmäßigen Anschwellung endet. Diese Anschwellung 
wird als das Ende der vorwachsenden Nervenfaser angesehen und 
als Wachstumskeule bezeichnet. 

Gurwitsch (1900) untersuchte die Bildung der Schwannschen 
Scheiden am Ischiadieus von Schafembryonen. Bei seinem frühsten 
Stadium, das schon einer ziemlich späten Entwieklungsstufe entspricht, 
findet er den Nerven aus Bündeln feiner Fasern bestehend, welche 
von einer kernhaltigen Membran umgeben sind und nur wenige Kerne 
enthalten. An einer andern Stelle sagt er, daß die jungen Nerven- 
bündel ganz kernlos seien und sieht dies als hinreichenden Grund an, 
sich der Ausläufertheorie anzuschließen. Abgebildet wird dieses kern- 
lose Stadium nicht. Von den Kernen, welche den jungen Nerven 
umgeben und welche ohne weiteres als Mesodermkerne angesehen 
werden, sollen nun Kerne zwischen die Fasern treten und zu Schwann- 
schen Kernen werden. 

Die neueste Untersuchung, welche für die Ausläufertheorie ein- 
tritt, stammt von Harrison (1901) und ist an Salmonidenembryonen 
ausgeführt. Harrison findet wie His, daß die Neuroblasten Ausläufer 
aussenden, welche die Rückenmarksmembran durchbohren und nun 
weiterwachsen, ohne dabei zunächst mit andern Kernen in Beziehungen 
zu treten. Später macht die große Zahl von Mesenchymzellen das 
Bild unklar. Das Ende der vorwachsenden Ausläufer ist kolbig an- 
geschwollen, aber im Gegensatz zu den Wachstumskeulen, welche bei 
der Golgischen Methode zu sehen sind, glatt. Die Ausläufer sind diek 
und protoplasmatisch. Mit Ausnahme einer Faser wird keine andre ab- 
gebildet, welche die Grenzen des Rückenmarks wesentlich überschreitet. 

Wenn man das Resultat aller dieser Arbeiten zusammenfaßt, so 
wird zwar durch sie gezeigt, daß von den Neuroblasten Ausläufer in 
die Wurzeln hineinstrahlen und daß zu gewissen Zeiten der Entwicklung 


236 Über die Entwicklung der Nervenelemente. 


die Beziehungen zwischen den einzelnen Fasern und Kernen wesentlich 
anders und undeutlicher sind als im adulten Zustande, aber nicht, daß 
bei der Entwicklung der Nervenfasern, speziell der Achsenzylinder, 
keine andern Zellen als die Neuroblasten im Spiel sind. Dies wäre aber 
zu zeigen notwendig, wenn wirklich diese Ansicht von der Nerven- 
entwicklung als bewiesen gelten sollte. Im allgemeinen beschränken 
sich die Untersuchungen auf die allernächste Nähe des Zentralnerven- 
systems und die Kernlosigkeit der Nervenanlagen, welche als Haupt- 
stützpunkt angesehen werden müßte, geht aus den Abbildungen der 
Autoren häufig nieht mit der wünschenswerten Klarheit hervor. 

Im Gegensatz zu den erwähnten Autoren lassen Balfour, Götte, 
Beard, Dohrn, van Wijhe, Raffaele, Apathy und andre die Nerven- 
fasern aus Zellreihen entstehen und beschreiben die erste Nervenanlage 
als eine nicht faserige, sondern zelluläre. Auch Kupffer, der ja ur- 
sprünglich der Begründer der Auswachsungstheorie war, veröffentlichte 
später Befunde, welche vielmehr für eine zelluläre Entstehung der 
Nervenfasern sprechen. Er zeigte nämlich, daß bei Petromyzon die 
Wurzeln und die späteren Nerven bereits zu einer Zeit als Zellstränge 
vorgebildet sind, zu der weder Fasern gebildet noch Mesenchymzellen 
vorhanden sind. Nach Götte sollen die zelligen Elemente, welche die 
Nervenanlagen bilden, mesodermaler Herkunft sein. Alle andern lassen 
sie vom Ektoderm abstammen. An der Stelle, wo später die motorische 
Wurzel das Rückenmark verläßt, treten Zellen heraus, welche sich 
vermehren und Bänder von Spindelzellen bilden, die ihrerseits den Weg 
des späteren Nerven vorzeichnen. Aus diesen Zellbändern oder Ketten 
bilden sich dann erst die Nervenfasern. Als Untersuchungsmaterial 
dienten hier vorzugsweise Selachierembryonen. 

Man kann sich nicht verhehlen, daß manche der Arbeiten, welche 
die Zellkettentheorie vertreten, besonders die älteren, mehr Vermutungen 
als Beweise vorbringen. Dies kann aber keineswegs für die Arbeiten 
von Dohrn und die späteren Arbeiten Beards geltend gemacht werden. 
Besonders Dohrn (1890, 1901) zeigte in klarer Weise, daß den ersten 
Anlagen der motorischen Wurzeln von vornherein zellige Elemente 
beigemischt sind, daß die ersten aus dem Rückenmark austretenden 
Fasern keine Achsenzylinder, sondern protoplasmatische Fäden (Aus- 
Flüsse) sind und daß sich die späteren Achsenzylinder innerhalb dieser 
Ausflüsse und der Zellenketten als glänzende Zylinder entwickeln. 
Seinen Hauptstützpunkt bilden aber nicht die Verhältnisse an den 
motorischen Wurzeln, welche nach seiner Ansicht keine einwandsfreien 
Bilder geben, sondern die Entwicklung einiger sensibler Nerven, vor 
allem des Nervus lateralis, des Schleimkanalnerven. Hier ist es nach 
seiner Beschreibung und seinen zahlreichen Abbildungen als absolut 
sicher zu erachten, daß Zellketten ektodermaler Herkunft den primären 


= 


Uber die Entwicklung der Nervenelemente. 337 


Nerven bilden und daß sich innerhalb des Protoplasmas dieser Zellen 
und unabhängig vom Zentrum die Achsenzylinder entwickeln. Wichtig 
ist es auch, daß sich häufig mehrere Zylinder im Leibe ein und der- 
selben Zelle zeigen. 

Eine besondere Stellung nimmt Sedgwick (1895) ein, welche mir 
bis zu einem gewissen Grade sehr sympathisch erschemt. Für ihn 
ist der starre Zellbegriff, welcher noch immer die ganze Histologie 
und Embryologie beherrscht, unhaltbar geworden. Der Leib eines 
Embryo besteht für ihn nicht aus abgegrenzten Protoplasmapartien, 
welche je einen Kern enthalten und als Zellen angesehen werden 
können, sondern aus einer großen Protoplasmamasse, welche vıele 
Kerne enthält. In der Nähe der Kerne ist das Protoplasma dichter, 
so daß es anscheinend einen abgeschlossenen Leib um dieselben 
bildet. Während der Entwieklung nehmen diese Verdichtungen immer 
mehr zu und gewinnen immer mehr Gestalt. So entwickeln sich 
die Gewebe des fertigen Tieres nicht dadurch, daß die von An- 
fang an vorhandenen Zellen zu denselben auswachsen, sondern durch 
Gruppierung der Kerne und Differenzierung des zwischen ihnen liegen- 
den indifferenten Plasmas. Daher kann für ihn die Entwicklung der 
Nerven nicht in einem Auswachsen von Zellfortsätzen bestimmter zen- 
traler Zellen bestehen, sondern nur in der Differenzierung einer Sub- 
stanz, welche bereits an Ort und Stelle ist. Diese Differenzierung 
scheint vom Zentrum zur Peripherie fortzuschreiten, es sind aber Kerne 
bei ihr beteiligt, welche sich bereits, ehe die Differenzierung beginnt, 
an der Stelle ihres späteren Auftretens angesammelt haben. Also 
auch bei Sedgwick ist die Entwicklung der Nerven eine multinukleäre, 
wenn auch nicht eine multizelluläre. 

Ich habe als Untersuchungsmaterial Hühnerembryonen benutzt und meine 
Aufmerksamkeit hauptsächlich den Rückenmarkswurzeln zugewandt. Sind die 
einzelnen Elemente bei diesen Tieren auch kleiner als bei den Embryonen mancher 
andrer Tiere, so besteht hierin doch keine wesentliche Schwierigkeit, weil man mit 
Hilfe von Immersionssystemen zu vollkommen klaren Bildern gelangt, voraus- 
gesetzt, daß man gute Färbungen erzielt hat. Nach einer ganzen Reihe von 
Fixierungsversuchen habe ich für meine Zwecke die Fixierung mit 90°/, Alkohol 
als die bei weitem beste erkannt. Ich bin darauf gefaßt, daß mir viele Embryo- 
logen die Benutzung von Alkohol als Kunstfehler anrechnen werden, bleibe aber 
dabei, daß sich Alkohol für das Studium der Nervenentwicklung besser eignet als 
die meisten bei den Embryologen üblichen Gemische. Grade in der Eigenschaft, 
welche man dem Alkohol gewöhnlich vorwirft, daß er schrumpfend wirkt, sehe ich 
hier seinen Hauptvorteil. Die jungen Fasern werden dichter fixiert als z. B. bei der 
Anwendung von Sublimat und die zusammengehörigen Kerngruppen sind besser 
voneinander getrennt; die Färbung der darzustellenden Gebilde gelingt auch 
besser als nach den meisten andern Fixierungsmitteln. Gefärbt wurde meistens 
mit dem Apäthyschen Hämatein Ia, und zwar nach dem Schneiden. Zum Teil 
wurden diese Präparate mit Säurefuchsin nachgefärbt. Außerdem gelangte 
Färbung mit basischen Farbstoffen (Methylenblau oder Toluidinblau) mit oder 


238 Über die Entwicklung der Nervenelemente. 


ohne Nachfärbung mit sauren Farbstoffen zur Anwendung. Mit Beginn der Mark- 
scheidenentwicklung wurden auch in Osmiumsäure fixierte Präparate untersucht. 

Wie bekannt, findet man in den ersten Bebrütungstagen die Entwicklung 
in den vorderen Segmenten stets erheblich weiter fortgeschritten als in den 
hinteren, welche sich erst später angelegt haben. Meine Zeitangaben beziehen 
sich stets auf die Gegend des Rückenmarks, in welcher sich die vordere Ex- 
tremität anlegt. 

Ich beginne mit der Beschreibung von Embryonen vom Ende des 
dritten. Tages (2 Tage und 19 Stunden, 2 Tage und 20 Stunden, 
2 Tage und 21 Stunden). Die Bildung von weißer Substanz hat im 
Rückenmark noch nicht begonnen. An der Stelle der vorderen Wurzeln 
sind wenige (zwei bis fünf) Fasern zu sehen, welche die Membran 
des Rückenmarks durchsetzen. Auf diesem Stadium sehe ich die 
vordere und hintere Wurzel und den zugehörigen Spinalnerven bis 
zum ventralen Rande des Muskelblattes als deutliche Zellbänder an- 
gelegt (Fig. 59). Sie bestehen aus großen ovalen Kernen, welehe in 
der Richtung vom Rückenmark zur Peripherie gerichtet, und von 
einem dunkel tingierten, spindelförmigen Hof von dichterem Proto- 
plasma umgeben sind. Wenn ich auch mit Sedgwick der Ansicht 
bin, daß die Grenze der stärkeren Tingierbarkeit nicht einer Zellgrenze 
entspricht und wir es hier gar nicht mit Zellen, sondern mit Kernen 
zu tun haben, an welchen sich das allgemeine Körperplasma etwas 
verdichtet hat, so will ich doch der Bequemlichkeit halber von Zellen 
sprechen. — Nicht nur dureh die gleichartige Orientierung der Zellen 
heben sich diese Zellbänder von der Umgebung ab, sondern auch 
durch die Form und Struktur des Zellleibes und durch die Beschaffen- 
heit der Kerne, welehe mit ihren zwei Kernkörperchen den Kernen 
der Neuroblasten außerordentlich ähnlich sehen. Nicht selten sieht 
man solche Zellen an der Membran des Neuralrohrs halb außerhalb, 
halb innerhalb desselben liegen. Die Fäden, welche die Membran des 
Rückenmarks durchsetzen, zeigen sich häufig in Zusammenhang mit 
Neuroblasten, ganz wie His und andre es abbilden, ebenso häufig 
zeigen sie sich aber als Ausläufer der Zellen der Ner- 
venanlage, welche ich fortan mit Apäthy als Nerven- 
zellen (im Gegensatz zu den Ganglienzellen) bezeichnen will. 
Mit den später zu beschreibenden jungen Achsenzylindern zeigen die 
Fäden gar keine Ähnlichkeit; sie sind dieker, besitzen körnige Struktur 
und entbehren des starken Glanzes. Innerhalb dieser protoplasmatischen 
Fäden (sehr selten außerhalb derselben) sieht man manchmal schon 
in diesem Stadium glänzende und ziemlich dunkel gefärbte Zylinder. 

Dieselben Zellbänder finde ich nun in der gleichen Ausdehnung 
und in derselben Lage (d. h. segmental angeordnet) auch bei wesentlich 
früheren Stadien, doch fehlt bei diesen jede Andeutung von 
Fasern, welche als spätere Achsenzylinder oder als Fortsätze der 


PORES In 


RELATION 


Über die Entwicklung der Nervenelemente. 239 


Neuroblasten aufgefaßt werden könnten. Je jünger die Stadien sind, 
desto weniger Zellen setzen die einzelnen Zellketten zusammen, so 
daß dadurch ihre Auffindung erschwert wird. Bei Embryonen von 
der Mitte des dritten Tages sind sie schon sehr deutlich (2 Tage 


12 Stunden und 2 Tage 16 Stunden), aber auch am Anfang des 


dritten Tages sind sie schon zu erkennen. Zweifelhaft erscheint es 
mir dagegen, ob gewisse aus wenigen Kernen zusammengesetzte 
Brücken, die ich schon in der Mitte des zweiten Tages zwischen 
Neuralrohr und Myotom fand, mit den späteren Zellketten etwas zu 


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Fig. 59. Querschnitt durch einen Hühnerembryo von 2 Tagen und 21 Stunden Bebrütung. Anlage 
der Wurzeln und des Spinalnerven in Form von Spindelzellen. Anfang der Embryonalfaserbildung. 
(Leitz IX 5.) 


tun haben, weil die Elemente hier noch nicht die Charakteristika be- 
sitzen, welche sie in späteren Stadien von andern Elementen unter- 
scheiden. Vom Anfang des dritten Tages an ist dies in der Regel 
leicht möglich. Erscheinungen, welche darauf hindeuteten, daß fremde 
Elemente, also freie Mesenchymzellen, sich den einmal vorhandenen 
Zellketten hinzugesellten, fehlen vollkommen. Die Zellen der Ketten 
vermehren sich vielmehr nur aus sich selbst heraus durch häufige 
Teilungen, welche immer in der Längsrichtung der Anlage vor sieh 
gehen. Fast in jeder Zellkette sind mehrere Mitosen vorhanden. 

Ehe sich also eine Spur von Nervenfasern beim Hühnchen zeigt, 
ist der Ort, an dem später der Nerv entsteht, durch Zellketten vor- 


240 Über die Entwicklung der Nervenelemente. 


gezeichnet. Woher diese Zellen stammen, kann ich nicht sagen und 
es ist dies für mich auch unwesentlich. Jedenfalls glaube ich aber 
behaupten zu dürfen, daß die erste Anlage der Nerven beim 
Hühnchen nicht faseriger, sondern zellulärer Natur ist. 

Am Ende des dritten und Anfang des vierten Tages treten sehr 
wesentliche Veränderungen an den Zellketten auf. Zwischen den Zellen, 
welche die Ketten zusammensetzen, erscheinen mehr und mehr glänzende 
und dunkeltingierbare Zylinder, so daß die Zellen, welche um die Mitte 
des dritten Tages noch einen ziemlich soliden Strang bildeten, am 


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Fig. 60. Zwei aufeinanderfolgende Schnitte durch einen Spinalnerven eines Hühnerembryos von 
3 Tagen 6 Stunden Bebrütung. (Leitz IX 7.) 


Anfang und gegen Mitte des vierten Tages diese Zylinder röhren- 
förmig umgeben. Nur vereinzelt sieht man noch Zellen innerhalb der 
Faserbündel liegen, doch habe ich solche zwischenliegende Zellen nie 
ganz vermißt. Figur 60 stellt einen Spinalnerven aus dem oberen 
Brustmark eines Embryos von drei Tagen und sechs Stunden dar, und 
„war ist 4 ein Schnitt, weleher mitten durch den Nerven hindureh- 
scht, während 2 den nächstfolgenden Schnitt derselben Stelle dar- 
stellt, in welchem bereits die äußere Oberfläche getroffen ist. Auf 
Querscehnitten durch eine solche Nervenanlage sieht man das quer- 
eeschnittene Bündel der Fasern, umgeben von den Nervenzellen und 
auch im Inneren einige Nervenzellen beherbergend; doch sind diese 
Schnitte weniger instruktiv als Längsschnitte, weil die charakteristischen 


Über die Entwicklung der Nervenelemente. 341 


Unterschiede zwischen den Nervenzellen und andern Zellen weniger 
deutlich hervortreten. Bilder dieser Art haben nach meiner Meinung 
viele Verfeehter der Auswachsungstheorie vor sieh gehabt und als 
erstes Stadium die Entwicklung betrachtet, ohne zu sehen, daß sie 
bereits ein sekundäres Stadium darstellen. 

Es fragt sich nun, wie die glänzenden Zylinder in die Mitte 
zwischen die Nervenzellen gekommen sind: Durch Eindringen von 
Ausläufern zentraler Zellen oder durch Differenzierung des nach der 
Strangmitte zu gelegenen Plasmas der Nervenzellen? Die Untersuchung 
mit stärkeren Vergrößerungen zeigt, daß zwar manche Zylinder an- 
scheinend frei zwischen den Nervenzellen liegen, daß aber andre 
ganz deutlich in deren körnigem Plasma verlaufen (siehe 
Fig. 61 und 62). Die anscheinend freien Zylinder liegen der nächst 
benachbarten Zelle meist ziemlich dieht an und bleiben auch zwischen 
den Zellspitzen zu kleineren Bündelehen vereinigt (Fig. 60). Sehr 
bemerkenswert ist es auch, daß in jeder Zelle vorwiegend an einer 


Fig. 61. Fünf Spindelzellen aus der Anlage eines Spinalnerven vom Hühnchen. Das Auftreten von 
glänzenden Zylindern im Protoplasma der Zellen. (Bebrütung: 3 Tage 21 Stunden.) (Zeiss Apo- 
chromat 1,30, Kompensationsocular 6. Genau mit dem Zeichenapparat aufgenommen.) 


Seite Zylinder im Protoplasma liegen und zwar an der der Mitte der 
Anlage zugekehrten Seite. Direkt nach außen sieht man nie solche 
Zylinder und zwar weder im deutlich sichtbaren Plasma noch außerhalb 
desselben. Am deutlichsten sind diese Verhältnisse bei Embryonen 
von 3 Tagen und 4—20 Stunden. 

Zu dieser Zeit hat sich die weiße Substanz des Rückenmarks 
bereits zu bilden begonnen (Fig. 62). Die den vorderen Wurzeln nahe 
gelegenen Neuroblasten zeigen zur Wurzel hin gerichtete Fortsätze, 
welche zunächst protoplasmatisch sind, weiterhin aber das Aussehen 
der oben beschriebenen Zylinder annehmen. Am Austritt der moto- 
rischen Wurzel aus dem Rückenmark liegen stets eine ganze Anzahl 
von Nervenzellen, welche ihren zentral gerichteten, protoplas- 
matischen Ausläufer mehr oder weniger weit in das 
Rückenmark hineinerstrecken. In und zwischen diesen Aus- 
läufern liegen Zylinder und gar nicht selten kann man einen inner- 
halb einer Nervenzelle verlaufenden Zylinder bis in den Fortsatz eines 
Neuroblasten verfolgen. Einige Male habe ich auch eine Nervenzelle 


mit dem Zellleib mitten in der Wurzelaustrittsöffnung liegen sehen. 
Bethe, Nervensystem. 16 


242 Über die Entwicklung der Nervenelemente. 


Es sei auch nochmals bei der Figur 62 auf die Ähnlichkeit zwischen 
Neuroblasten und Nervenzellen aufmerksam gemacht. 

So, wie in diesem Stadium die Verhältnisse am Rückenmark liegen, 
kann man zwar die Zylinder als Fortsätze der Neuroblasten ansehen; 
aber ebensogut kann man sie für Gebilde halten, welche aus den 
Nervenzellen in die Neuroblasten hineinwachsen. Wahrscheinlicher als 
diese Auffassungen scheint mir aber eine andre: Primär bildet sich 
beim Embryo zwischen Rückenmark und dem zu innervierenden Teil 
eine mehrzeilige Kette von Kernen, um welche das Plasma 


Fig. 62. Austrittsstelle einer vorderen Wurzel aus dem Rückenmark eines Hühnchens von 3 Tagen 
6 Stunden Bebrütung. N.bl. Neuroblasten, w.S. weiße Substanz, L. Limitans des Neuralrohrs, 
N.x. Nervenzellen, M.x. Mesodermzellen. (Vergrößerung wie bei Fig. 61.) 


verdiehtet ist. Im Grunde handelt es sich um ein ausgedelhntes Syn- 
eytium, in welchem die Kerne der Neuroblasten und der Nervenanlage 
liegen. Innerhalb des verdichteten Plasmas, welches 
als Leib der Nervenzellen imponiert, differenzieren 
sich durch Verdichtung Zylinder heraus, welche von 
einer Zelle zur nächsten und so fort bis zu den Ver- 
diehtungen reichen, die als Neuroblasten bezeichnet 
werden. Die gebildeten Zylinder schieben sich immer 
weiter zur Mitte der Nervenanlage fort, wo sie dann 
anscheinend frei sind, tatsächlich aber noch im all- 
gemeinen Plasma liegen, das aber wegen seiner ge- 


ze a 


Über die Entwicklung der Nervenelemente. 243 


ringeren Dichtigkeit nicht mehr deutlich sichtbar ist. 
Da die Zylinder mit den Neuroblasten in festerer Verbindung bleiben, 
so scheint es in etwas späteren Stadien, als ob sie Ausläufer derselben 
seien und mit ihren eigentlichen Bildungszellen nichts zu tun hätten. 
Wir sehen also hier beim Hühnchen, daß die Zylinder im Plasma 
der Nervenzellen zuerst sichtbar werden und zwar meist 
in der Mehrzahl, ganz so, wie es Dohrn für Selachier beschrieben und 
abgebildet hat. 

Am Ende des dritten Tages, wo die Zahl der Zylinder noch 
gering ist, kann man leicht Zählungen derselben vornehmen. Ich 
zählte in ein und demselben Nerven die Zahl der Zylinder in der 
Nähe des Rückenmarks und so weit von demselben entfernt als es 
möglich ist und fand in der Regel am Rückenmark etwas mehr als 
an der Peripherie. In etwa 30°/, der Fälle fand ieh gleich viel und 
hin und wieder sogar an der Peripherie mehr als am Rücken- 
mark. Der letztere Befund, den ich einigemal mit voller Sicher- 
heit feststellen konnte, widerspricht der Auswachsungstheorie aufs 
entschiedenste, ist aber leicht zu verstehen, wenn man die Nervenzellen 
als Bildungsstätten der Zylinder ansieht. 

Während des Endes des vierten und des Anfangs des fünften 
Tages nimmt’ die Bildung von Zylindern immer noch stark zu. Da 
die Nervenzellen sich während dieser Zeit nur wenig vermehren, das 
Faserbündel aber an Dieke zunimmt, so ist das Faserbündel um die 
Mitte des fünften Tages nur von einem ziemlich spärlichen Mantel 
von Nervenzellen umgeben. Um diese Zeit treten in den 
Nervenzellen wieder sehr lebhafte Teilungen zutage. 
Ohne daß eine Beteiligung andrer Zellen als der Nervenzellen zu be- 
merken ist, „mischen“ sie sich unter fortwährenden Teilungen immer 
mehr unter die Fasern. Sie „wandern“, wie viele Autoren sich aus- 
drücken würden, in das Faserbündel hinein. Von einem Wandern ist 
natürlich nichts zu sehen; der Tatbestand ist nur der, daß man von 
der Mitte des fünften Tages an zwischen den Zylindern Zellen liegen 
sieht (die an Zahl immer zunehmen), welche den früher als Nerven- 
zellen bezeichneten durchaus gleichen. Die Zahl der rings um das 
Bündel herumliegenden Nervenzellen, die von den Mesenchymzellen 
durchaus verschieden sind, nimmt aber ab. Es ist dies das Stadium, 
welches von den Verfechtern der Ausläufertheorie als Einwanderung 
von Mesenchymzellen in die Nervenanlage bezeichnet wird. Wer die 
Nervenzellen von Anfang an kennt, wird aber nicht im Zweifel sein, 
daß die Zellen, welehe ‚„einwandern“, den Namen Mesenchymzellen 
nicht verdienen. Es sind vielmehr die durch Teilungen 
vermehrten Zellen, welche die erste Anlage des Nerven 
bildeten. 


16* 


244 | Über die Entwicklung der Nervenelemente. 


Die Lagebeziehungen zwischen den Zylindern und den Nerven- 
zellen werden immer inniger, so daß am Ende des sechsten und An- 
fang des siebenten Tages an jedem Zylinder in geringen Abständen 
je ein Kern liegt. Um diese Zeit beginnt sich das Plasma um Zylinder 
und zugehörigen Kern zu verdichten, so daß wir jetzt Zylinder vor 
uns haben, welche von einem Mantel umgeben sind, in dem hin und 
wieder neben dem Zylinder ein Kern liegt (Fig. 63 4). Bei den häufig 
zu beobachtenden Kermnteilungen bleibt der Zusammenhang zwischen 
Kern und Zylinder immer erhalten, aber wie mir scheint, zieht der 
Zylinder nicht währenddessen am Kern vorbei, sondern wird unsicht- 
bar (Fig. 634). Bestätigt sich dies, so ist es ein neuer Beweis für 
die Abhängigkeit des Zylinders von der Nervenzelle. Von dieser Zeit 
an kann man das ganze Gebilde: Zylinder, umgebender Mantel und 
Kern als embryonale Nervenfaser bezeichnen und dem Zylinder den 


Fig. 63. A Embryonale Nervenfasern eines Hühnchens von 7 Tagen Bebrütung. (Färbung mit 

Apäthys Hämatein Ia. Dieselbe Färbung wurde bei den Fig. 59—62 zugrunde liegenden Präparaten 

verwendet.) DB Primärgefärbte Nervenfaser. Hühnchen von 14 Tagen Bebrütung. Zupfpräparat. 
(Vergrößerung wie bei Fig. 61 und 62.) 


Namen embryonaler Achsenzylinder geben, denn erst jetzt bildet er 
die Achse. (Der Vergleich zwischen Figur 61 und 63 zeigt, daß die 
Nervenzellenkerne bei der Umwandlung zu Schwann- 
schen Kernen wesentlich an Größe abnehmen.) 

Bei späteren Teilungen (neunter Tag) verschwindet der Achsen- 
zylinder an der Kermteilungsstelle nicht mehr. (Diesem Stadium ent- 
sprechende Bilder sind von Kölliker und Raffaele bereits abgebildet.) 
Am elften bis zwölften Tag entsteht im Achsenzylinder eine fibrilläre 
Streifung, welche an Deutlichkeit immer mehr zunimmt. Am drei- 
zehnten bis vierzehnten Tag zeigen sich die ersten Spuren von Mark 
dicht am Achsenzylinder und umgeben von Plasma, grade wie bei 
autoregenerierten Fasern. Zugleich zeigen die Fibrillen primäre Färb- 
barkeit (Fig. 63 2), und zwar fällt ihr erstes Auftreten mit dem Auf- 
treten der ersten Reflexerscheinungen am Embryo ziemlich genau 
zusammen. 

Für mich kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Entwick- 
lung der Nervenfasern multizellulär vor sich geht. Es entsteht aber 


Über die Entwicklung der Nervenelemente. 945 


nicht jede Faser aus einer Reihe von Zellen, sondern eine Reihe von 
Zellen bringt eine große Anzahl von Fasern hervor, so daß die sicht- 
baren Beziehungen zwischen den Nervenzellen in gewissen Stadien 
außerordentlich locker sind. Erst später vermehren sich die Nerven- 
zellen stark und treten nun mit deıt einzelnen Fasern in nähere Be- 
ziehungen. Erst wenn dies eingetreten ist, fangen die nunmehr zu 
Schwannschen Zellen gewordenen Nervenzellen an, mit den Zylindern 
zusammen ein abgeschlossenes Ganzes zu bilden. Bei diesem kompli- 
zierten Bildungsmodus werden die gegenteiligen Deutungen von His, 
Kölliker, Gurwitsch und andern durchaus verständlich. 

Die Unterscheidung zwischen Ganglienzellen und Nervenzellen 
habe ich Apathy entlehnt, der die Entstehung der Nervenfasern und 
besonders der Neurofibrillen von den Nervenzellen ableitet, die Gan- 
glienzelle aber für ein eignes Gebilde ansieht, das erst sekundär von 
den Nervenzellen aus mit Neurofibrillen versorgt wird. (Über die 
Entstehung der Ganglienzellfibrillen von den Nervenzellen aus enthalte 
ich mieh jeder Äußerung, weil ich nichts dafür und nichts dawider 
anzuführen weiß.) Leider sind die Grundlagen für seine diesbezüg- 
lichen Anschauungen von Apäthy noch nicht ausführlicher mitgeteilt. 
Nach Apäthys bisherigen Mitteilungen enthält jeder Kern und jede 
Kommissur von Hirudineen nur eine große Nervenzelle, welche mit 
den Ganglienzellen große Ähnlichkeit hat! Der Hauptunterschied ist 
der, daß die Neurofibrillen an den Nervenzellen glatt vorbeiziehen, 
während sie in den Ganglienzellen Netze bilden. Von der einen Nerven- 
zelle sollen die gesamten Neurofibrillen eines Nerven bis ins Ganglion 
hinein gebildet werden. Die Einteilung des Nerven in einzelne Nerven- 
fasern geschieht erst sekundär. Bei der Kürze der Hirudineennerven 
kann ein wesentlicher Unterschied nicht darin gesehen werden, daß 
hier nur eine Zelle (im Gegensatz zu einer ganzen Kette solcher bei 
den Wirbeltieren) vorhanden ist. Der Hauptunterschied scheint mir 
darin zu liegen, daß sich bei den Wirbeltieren die Bildungszellen 
sekundär vielfach teilen und die Teilungsprodukte zu den einzelnen 
Nervenfasern in engere Verbindung treten, während sie bei den Hiru- 
dineen auch im erwachsenen Zustand das embryonale Zahlenverhältnis 
beibehalten. Erwähnt sei noch an dieser Stelle, daß nach den Be- 
funden Apäthys die postembryonale Vermehrung der Neurofibrillen 
(bei Pontobdella) wahrscheinlich dureh Längsspaltung zustande kommt. 

Bei der Ausgestaltung der Neuroblasten zu Ganglienzellen wachsen 
nach His und den Autoren, die sich der Golgischen Methode bedienten, 
die Dendriten vom Neuroblastenleib aus und gewinnen so eine immer 
reichlichere Verästelung und Ausdehnung. Ich kann mich dieser 
Deutung der Bilder nieht ohne weiteres anschließen, wenngleich ich 
einen Beweis für die Richtigkeit meiner Ansicht nieht geben kann: 


246 Über die Entwieklung der Nervenelemente. 


Ich halte es für wahrscheinlicher, daß die Dendriten ebensowenig von 
den Neuroblasten auswachsen wie die Nervenfasern, daß sie vielmehr 
ebenso wie diese durch Differenzierung und Verdichtung innerhalb des 
allgemeinen Plasmas des Zentralnervensystems entstehen. Bei einem 
derartigen Vorgang müssen die Bilder, welche sich während der Ent- 
wieklung zeigen, dieselben sein wie bei einem Auswachsungsprozeß; 
das Endresultat wird aber auf diese Weise einfacher und leichter er- 
reicht. — Zuerst ist der wahrnehmbare Leib der Neuroblasten, soweit 
er überhaupt an ungeschrumpften Präparaten wahrnehmbar ist, sehr 
klein. Nachdem die ersten Ausläufer aufgetreten sind und der Neuro- 
blast angefangen hat Ganglienzelle zu sein, wird der Körper schnell 
erößer und grenzt sich deutlicher von der Umgebung ab. Beim 
Menschen (His) und bei Salmoniden (Harrison) beginnt die Entwick- 
lung der Protoplasmafortsätze erst dann, wenn ein deutlicher Nerven- 
fortsatz vorhanden ist. Beim Hühnchen trifft die Anlage des Achsen- 
fortsatzes mit dem ersten Auftreten der Dendriten ziemlich zusammen: 
Zur Zeit, wo die ersten Zylinder sichtbar werden (nach der Mitte des 
dritten Tages) sieht man auf meinen Präparaten bereits Neuroblasten 
mit drei und vier Fortsätzen; bei einem Embryo von 2 Tagen und 
19 Stunden sah ich sogar schon eine Reihe von Zellen, bei denen 
2—3 Dendriten schon wieder Seitenzweige zeigten. Die Dendriten 
sind in der Nähe des Zellkörpers immer scharf vom umgebenden 
Plasma abgesetzt. Aber schon in einer Entfernung von einer halben 
bis einer ganzen Zellbreite zeigt sich ihre Kontur verschwommen, um 
bald ganz unter die Schwelle der Wahrnehmbarkeit zu treten. Von 
scharf abgesetzten Enden, wie sie die Auswachsungstheorie erfordern 
würde, ist nichts zu bemerken. 

Die Spinalganglienzellen sind, wie His gezeigt hat, zuerst bipolar 
und bilden sich erst mit der Zeit zu unipolaren Zellen um. Dieser 
Prozeß beginnt beim Hühnchen am Ende des fünften Tages. Bei 
Fischen bleiben die Spinalganglienzellen zeitlebens bipolar. 

In neuerer Zeit ist von italienischen Autoren die Lehre aufgestellt 
worden, daß die Ganglienzellen, besonders die großen motorischen 
Zellen und die Spinalganglienzellen durch Verschmelzung mehrerer 
Neuroblasten entständen (Fragnito [1900, 1902], Capobianco). Ich 
habe dieser Frage gleich nach den ersten Publikationen dieser Autoren 
meine Aufmerksamkeit zugewandt, denn, wenn sich ihre Angabe be- 
stätigen würde, so wäre sie ja der vortrefflichste Beweis für die Un- 
richtigkeit der Neuronenlehre, den man sich denken kann. Der Prozeß 
wäre auch nieht ohne Analoga, denn es entwickeln sich z. B. auch 
die Eier von Daphniden durch Verschmelzung von je vier Eierstocks- 
zellen unter Auflösung von drei Zellkernen. Nach gewissenhafter 
Prüfung muß ich aber doch zum wenigsten die Allgemeinheit des 


re 


Über die Entwicklung der Nervenelemente. 947 


Prozesses anzweifeln. Fragnito hat seine Untersuchungen hauptsäch- 
lich an Hühnerembryonen angestellt und gibt an, daß der Ver- 
schmelzungsprozeß am sechsten bis achten Tage am ausgesprochensten 
sei. Zu dieser Zeit sind nun aber die Ganglienzellen schon hochgradig 
differenziert und haben schon lange Ausläufer, eine Verschmelzung 
könnte ich mir aber nur bei ganz embryonalen Zellen denken. Während 
bis zum siebenten Tag die meisten Ganglienzellen gut voneinander 
abgesetzt sind, sieht man in der Tat in den nächsten Tagen nicht so 
selten Gruppenbildungen eintreten, ähnlich wie dies Fragnito abbildet. 
Man sieht dann auch bisweilen im Körper einiger Vorderhornzellen 
neben dem großen Kern kleinere dunklere, kernähnliche Gebilde. Wenn 
dies wirklich Kerne sind, was mir nicht sicher erscheint, so könnte 
es sich aber wohl kaum um Neuroblastenkerne handeln, denn sie 
sehen ganz anders aus. Zwischenstufen zwischen den Gruppen von 
Ganglienzellen und diesen Zellen habe ich nicht finden können; ich 
vermisse sie auch in den Abbildungen der Autoren. Wenn man nun 
auch wirklich jene Gebilde im Zellleib als wirkliche Kerne ansieht, 
so ist doch die Zahl der Zellen, welche diesen Bau zeigen, viel zu 
gering, um die Bildung der großen Zellen aus vielen kleinen als all- 
gemeinen Prozeß ansehen zu können. — Wäre die Ansicht Fragnitos 
und Capobiancos richtig, so müßte die Zahl der Zellen im Zentral- 
nervensystem vom sechsten bis zum zehnten Tage etwa auf ein Drittel 
bis ein Fünftel der ursprünglich vorhandenen zusammenschrumpfen ; 
auch ohne eine Zählung vorgenommen zu haben, glaube ich sagen zu 
können, daß dies sicher nicht der Fall ist. Am leichtesten wären 
Zählungen jedenfalls im Spinalganglion auszuführen, wo der gleiche 
Prozeß stattfinden soll (ich habe allerdings dort nichts von Mehr- 
kernigkeit entdecken können). Fragnito schreibt auch in seiner letzten 
Arbeit, daß Capobianco Zählungen vorgenommen habe und eine Ab- 
nahme der Zellzahl gefunden habe. Solange aber nicht bestimmte 
Zahlen und die Methode der Zählung und der Berechnung mitgeteilt 
sind, möchte ich auf die bloße Versicherung nicht allzuviel geben. 
Daß um den achten Tag herum in manchen Ganglienzellen junger 
Hühnchen eigenartige Prozesse vor sich gehen, die wert sind, noch 
weiter studiert zu werden, gebe ich gern zu, doch scheinen mir die 
von Fragnito und Capobianco aus den objektiven Befunden abgeleiteten 
Schlüsse vor der Hand etwas zu weitgehend zu sein. — (An dieser 
Stelle sei noch erwähnt, daß Krohnthal die Ganglienzellen aus Wander- 
zellen entstehen läßt!) 


VIERZEHNTES KAPITEL. 


Das Wesen der Nervenleitung. 


Die bisherigen Anschauungen über Nervenleitung S. 248—254. — Über die Be- 
weise für die leitende Natur der Neurofibrillen S. 255—261. — Der Kompressions- 
beweis S. 259. — Bei aufgehobener Leitungsfähigkeit einer engbegrenzten Kom- 
pressionsstelle zeigt sich die primäre Färbbarkeit der Fibrillen aufgehoben. Nach 
dem Aufhören der Kompression und Wiederherstellung der Leitungsfähigkeit 
kehrt die primäre Färbbarkeit wieder S. 261—265. — Bei Einwirkung von de- 
stilliertem Wasser auf einen lebenden Nerven wird die Fibrillensäure von den 
Fibrillen abgespalten. Bei toten Nerven bleibt sie an die Fibrillen gebunden 
S. 265—268. — Über die Wirkung des konstanten Stromes 8. 272—292. — Histo- 
risches 8. 272— 275. — Die Veränderungen der primären Färbbarkeit bei konstanter 
Durehströmung des Nerven 8. 276—292. — Bei starken Strömen ist die primäre 
Färbbarkeit an der Anode aufgehoben, an der Kathode ver- 
stärkt 8.278. — Abhängigkeit der Veränderung von Stärke und Dauer der 
Durehströmung S. 279— 251. — Einige Zeit nach Aufhebung der Durchströmung 
ist das Färbungsbild wieder normal S. 2851. — Die Neurofibrillen selber werden 
bei der konstanten Durchströmung nicht verändert S. 282, 283. — Extrapolar 
von der Anode läßt sich abgespaltene Fibrillensäure nachweisen S. 234—286. — 
Die Hervorrufung von „Polarisationsbildern“ gelingt nur am lebenden Nerven 
S. 287. — In einer narkotisierten Nervenstrecke läßt sich kein Polarisa- 
tionsbild hervorrufen. Die Narkotika hemmen also die Bewegungsfähigkeit 
der Fibrillensäure S. 237—289. — Kohlensäure verändert das Polarisationsbild 
S. 289. — Kälte vermindert die Anodenveränderung, Wärme die Kathoden- 
veränderung S. 291. — Besondere Versuche zeigen, daß die Ausbildung eines 
Polarisationsbildes nicht im Sinne der Heringschen Assimilations- und Dissimila- 
tionshypothese gedeutet werden kann. An den Fibrillen befindet sich vielmehr 
eine beschränkte Menge von Fibrillensäure, welche unter dem Einfluß des Stromes 
wandert 8. 293—297. — Veränderung der primären Färbbarkeit der Achsen- 
zylinder durch Reizung S. 298—301. — Zur Theorie der Nervenleitung S. 301. 


Vielfache Untersuchungen älterer und neuerer Autoren haben zu 
dem sicheren Ergebnis geführt, daß die Funktion des Nervensystems 
lediglich in der Reizleitung zu suchen ist. Während bei den ein- 
zelligen Wesen und den niedrigsten Metabionten noch allen Teilen 
des Organismus die Fähigkeit, Reize aufzunehmen, fortzuleiten und 
durch Bewegung auf dieselben zu reagieren, zukommt, tritt bei den 
höheren Metazoen ein Gewebe auf, welches nur der Reizleitung dient, 
sonst aber nicht aktiv an den Lebensäußerungen teilnimmt. Die meisten 
andern Gewebe scheinen neben ihrer Spezialfunktion die Eigenschaft 
der Reizleitung beibehalten zu haben (Muskelgewebe, Epithelgewebe 
und deren Derivate), und nur im Nervengewebe sehen wir eine der 
Ureigenschaften des Protoplasmas reinlich isoliert. (Natürlich muß 
auch das Nervengewebe neben dieser einen Eigenschaft noch alle die- 


u 5 


Das Wesen der Nervenleitung. 249 


jenigen besitzen, welche den normalen Bestand garantieren; es muß 
sich aus dem vom Blut gebotenen Material ernähren und die Stoff- 
wechselprodukte wieder an dasselbe abgeben können. Das sind 
aber Eigenschaften, ohne die wir uns a priori kein lebendes Gewebe 
denken können, so daß wir sie als Mußqualitäten ignorieren können.) 
Danach würden wir im Nervengewebe den einfachsten Spezialfall 
lebendigen Geschehens erwarten und uns hier am ehesten der Hoff- 
nung hingeben dürfen, einen Lebensvorgang in seine Komponenten 
zu zerlegen. Das jedenfalls scheint außer allem Zweifel, daß der 
Vorgang im Nervengewebe einfacher sein muß als die Prozesse in 
einem einzelligen Wesen, unter denen die Erregungsleitung nur einen 
kleinen Teil ausmacht. Die Hoffnung auf einen Einblick in die Natur 
der Erregungsleitung scheint um so berechtigter, als mancherlei dafür 
spricht, daß der LeitungsprozeßB vom Ernährungsprozeß ziemlich un- 
abhängig ist, so daß die Erkenntnis dieses nicht unbedingte Vor- 
bedingung zum Verständnis des Leitungsvorganges sein muß. 

Die anatomische und physiologische Einheitlichkeit der parallel- 
faserigen Nervenstämme höherer Tiere geben diesen zum Studium des 
elementaren Vorganges der Leitung von vornherein den Vorzug vor 
den Zentralorganen und den zellreichen Nerven vieler niederer Tiere. 
Schon der anatomische Aufbau dieser läßt vermuten, daß hier der 
Prozeß der Leitung nicht so rein hervortritt wie bei jenen. Auch der 
physiologische Versuch ergibt ja wesentliche Unterschiede zwischen 
Nervenstämmen und sogenannten Zentralorganen, welche allerdings 
wohl nicht dazu berechtigen, prinzipielle Unterschiede zwischen der 
Leitung dieser und jener zu konstruieren, wie das früher oft geschehen 
ist. In Anbetracht der Kontinuität der Neurofibrillen in den Zentral- 
teilen wird man annehmen dürfen, daß das Wesen der Leitung überall 
dasselbe ist und es könnte sich wohl nur darum handeln, daß in den 
Zentralorganen andre Faktoren zu dem einfachen Vorgang hinzukommen. 
Auch bei dieser Auffassung wird es nach wie vor praktisch richtig 
sein, den Prozeß der Nervenleitung und alles, was mit ihm zusammen- 
hängt, nur an den einfachst gebauten Nervenstämmen zu studieren 
und die Zentralorgane zunächst ganz beiseite zu lassen. 

Abgesehen von einigen grobmechanischen Leitungstheorien huldigte 
man bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts der Ansicht, daß 
in den Nerven ein Fluidum zirkuliere und daß Störungen in dessen 
Bewegung die Reizfortpflanzung ausmachten. Mit der Entdeckung 
des Galvanismus mehrten sich die schon vorher aufgetauchten Stimmen, 
daß der Leitungsvorgang eine elektrische Erscheinung sei. Die 
mangelhafte Isolation der Nerven und die gegenüber der Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit der Elektrizität sehr geringe Schnelligkeit 
des Nervenprinzips (Helmholtz, 1850) machten es zwar unmöglich, 


250 Das Wesen der Nervenleitung. 


eine direkte Fortleitung von Elektrizität im Nerven anzunehmen, 
jedoch zeigte Du Bois-Reymond, wie man trotzdem aus seinen 
eroßen Entdeckungen (Nervenstrom, negative Schwankung u. s. w.) 
zur Aufstellung einer befriedigenden elektrischen Theorie gelangen 
könne. Du Bois dachte sich den Nerven aus Reihen elektromotorischer, 
peripolarer Molekeln zusammengesetzt, welche unter dem Einfluß 
reizender Ströme dipolar nach Art der Voltaschen Säule angeordnet 
werden. Vom Reizort aus pflanzt sich diese Drehung der Molekeln 
wellenförmig nach beiden Seiten, aber mit bedeutender Trägheit fort, 
woraus sich die relative Langsamkeit der Nervenleitung erklärt. Durch 
die Anordnung der Molekeln wurde auch der Nervenstrom in hin- 
reichender Weise begreiflich gemacht. Du Bois wollte mit dieser 
Theorie nur die elektrischen Vorgänge am Nerven erklären und gab 
sie nicht für eine Leitungstheorie aus, doch wurde später von seinen 
Anhängern Leitung und Molekularbewegung gleichgesetzt (siehe Bieder- 
mann, 1895, S. 714). Durch spätere Untersuchungen, besonders durch 
den Nachweis Hermanns, daß im Nerven, ebensowie im Muskel, keine 
elektromotorischen Kräfte präexistieren, geriet diese Theorie in Wider- 
sprach mit den Tatsachen und ist seitdem wohl allgemein aufgegeben. 

Im Anschluß an seine glänzenden Untersuchungen über die Herab- 
setzung der Erregbarkeit des Nerven im Gebiet der Anode und die 
Steigerung derselben im Gebiet der Kathode stellte Pflüger (1859) eine 
Theorie auf, welche alle Erscheinungen am Nerven, besonders bei 
elektrischer Reizung, verständlich macht, aber eigentlich tnehr ein 
andrer Ausdruck der Tatsachen an der Hand eines mechanischen Bei- 
spiels als eine wirkliche Erklärung ist. Er stellt sich den Nerven als 
aus Reihen von Molekeln bestehend vor, welche das dauernde Bestreben 
haben, in Bewegung zu geraten, aber durch molekulare Hemmungen 
daran verhindert werden. Der Molekularspannung steht also eine 
Molekularhemmung gegenüber, welche sich im ruhenden Nerven das 
Gleichgewicht halten. Im Bereich der Anode werden nun die hem- 
menden Kräfte verstärkt, an der Kathode vermindert oder aufgehoben. 
Herabsetzung und Steigerung der Erregbarkeit werden bei dieser An- 
nahme leicht verständlich, und auch die Öffnungszuckung, der Rittersche 
Öffnungstetanus und der Pflügersche Schließungstetanus finden eine 
senügende Erklärung. — Von einer Molekularspannung kann man sich 
leicht ein Bild machen, dagegen hat die Vorstellung einer Molekular- 
hemmung ihre Schwierigkeiten und entbehrt der Analoga. 

Im wesentlichen physikalischer Natur sind auch die Anschauungen, 
welche Hermann (siehe die im Literaturverzeichnis angeführten Arbeiten) 
zur Deutung der elektrischen Vorgänge am Nerven und zur Anbahnung 
einer Erklärung des Leitungsvorganges entwickelte, wenn er auch 
wiederholt darauf hinwies, daß wahrscheinlich auch hier wie bei andern 


Das Wesen der Nervenleitung. 351 


Lebensprozessen chemische Vorgänge zugrunde lägen. Fußend auf 
der Beobachtung Matteuceis, daß sich in einem Draht mit angefeuchteter 
Wicklung ein an einer Stelle zugeleiteter Strom extrapolar nach Art 
des Elektrotonus ausbreitet, konstruierte Hermann sein „Kernleiter- 
modell“, an welchem er auffallende Analogien zu den elektrischen 
Erscheinungen am Nerven aufweisen konnte. (In einer langen Glas- 
röhre ist ein Metalldraht, gewöhnlich Platin, ausgespannt und von einer 
Flüssigkeit, z. B. Zinksulfatlösung, umgeben. Seitlich an dem Haupt- 
rohr angebrachte Öffnungen dienen zur Zuleitung und Ableitung der 
Ströme.) Wird der Hülle (dem feuehten Leiter) an einer Stelle ein 
Strom zugeführt, so führt dieser an der Grenze von Hülle und Kern 
(dem Metalldraht) zu einer Polarisation, welche sich nach beiden Seiten 
hin an der Grenzschicht ausbreitet. Leitet man von zwei Punkten der 
Hülle, welche auf einer Seite des zugeleiteten Stroms extrapolar gelegen 
sind, zum Galvanometer ab, so wird ein dem zugeleiteten Strom gleich- 
gerichteter Strom angezeigt. Wie beim Du Boisschen Elektrotonus 
des Nerven nehmen die abgeleiteten Ströme an Intensität ab, je mehr 
man sich mit den Ableitungsstellen vom zugeleiteten Strom entfernt. 
Bedingung für das Zustandekommen der Stromausbreitung im Kern- 
leitermodell ist die Möglichkeit einer Polarisation zwischen Kern und 
Hülle und ein ununterbrochener Verlauf des Kerns. Bei Zuleitung 
kurzer Stromstöße und Ableitung an einer weit entfernten Stelle fand 
Hermann, daß der Polarisationsstrom hier erst entsteht oder wenigstens 
erst sein Maximum erreicht, wenn der „Reizstrom‘ schon unterbrochen 
ist, woraus sich ergibt, daß der Polarisationsstrom sich wellenförmig 
ausbreitet. Die Ausbreitung geschieht mit einer Geschwindigkeit, 
welche der des Nervenprinzips ähnlich ist (20 —65 m in der Se- 
kunde). Außerdem zeigte es sich, daß die elektrischen Erscheinungen 
an den Ableitungsstellen sich aus zwei Phasen zusammensetzen, einer 
stärkeren, dem polarisierenden Strom gleichgerichteten Stromphase, 
und einer schwächeren, entgegengesetzt gerichteten. Ähnliche Er- 
scheinungen treten bekanntlich auch beim Nerven in den phasischen 
Aktionsströmen in Erscheinung. Hermann erläuterte sodann, wie man 
unter Annahme einer Polarisation zwischen den Achsenzylindern als 
Kern und den Markscheiden als Hülle, für welche er in dem Unter- 
schied zwischen Längs- und Querwiderstand der Nerven (1: 4,9) eine 
Stütze sieht, imstande sei, die meisten physikalischen Erscheinungen 
am Nerven in befriedigender Weise zu erklären. 

Wenn Hermann auch immer wieder auf die große Ähnlichkeit 
zwischen dem Kernleitermodell und einem Nerven zurückkommt, so 
versucht er es doch nicht, den Vorgang der Nervenleitung allein auf 
eine Polarisationswirkung zurückzuführen, wenngleich er auch bei der 
Leitung elektrische, auf Polarisation beruhende Kräfte die Hauptrolle 


352 Das Wesen der Nervenleitung. 


spielen läßt. Ausgehend von der Tatsache, daß ein erregtes Teilchen 
des Nerven sich gegen seine Umgebung elektronegativ verhält, läßt 
er die von diesem ausgehenden, bei der mikroskopischen Kleinheit 
sehr kräftigen Strömehen auf die Nachbarteilchen erregend wirken, 
indem diese in Katelektrotonus versetzt werden, auf sich selbst aber 
beruhigend wirken, weil das erregte Teilchen durch eben diese Ström- 
chen in Anelektrotonus versetzt wird. Auf diese Weise kann man 
sich allerdings eine Leitungsfortpflanzung gut vorstellen, wenngleich, 
wie Hermann selbst zugibt, eine vollständige Leitungstheorie nicht 
damit gegeben ist. Die Erscheinungen des Pflügerschen Elektrotonus 
glaubt Hermann ohne Erregbarkeitsveränderungen allein durch den 
Satz des polarisatorischen Inkrements und Dekrements erklären zu 
können. Dieser — ein Ausdruck der Tatsachen — sagt aus: Der 
Aktionsstrom (als Ausdruck der Nervenerregung) nimmt zu, wenn er 
sich auf positivere Nervenstellen zu- (oder von negativeren fort-) be- 
wegt und nimmt ab, wenn er auf negativere Stellen zu- (oder von 
positiveren fort-) läuft. (Während der Durchströmung läßt sich aller- 
dings alles durch diesen Satz erklären, doch zwingt die Tatsache, daß 
die Anode nach starker Durchströmung häufig noch lange Zeit unreiz- 
bar und leitungsunfähig ist, dazu, wirkliche Erregbarkeitsveränderungen 
im Sinne Pflügers anzunehmen.) 

Sehr viel radikaler als Hermann ist im Lauf der letzten Jahre 
Boruttau (1895— 1902) für die Identifizierung des Leitungsvorganges 


mit den Vorgängen am Kernleitermodell eingetreten. Bei genügend - 


langem Abstand zwischen der Stromzuleitungsstelle und der Stelle, 
von welcher zum Galvanometer, resp. zum Kapillarelektrometer, ab- 
geleitet wird, fand Boruttau keinen dauernden, dem zugeleiteten gleich- 
gerichteten Strom, sondern nur ein Negativwerden der proximalen 
Elektrode und zwar beim Schließen auf der Seite der Kathode, beim 
Öffnen auf der Seite der Anode. Unabhängig von der Stromrichtung 
pflanzt sich also bei längeren Strecken nur eine negative Welle oder 
(im Anschluß an die Berechnungen von Cremer) Pseudowelle im Kern- 
leitermodell fort. Noch besser kommt dies bei der Zuführung von 
Induktionsschlägen zur Geltung, nur daß hier, unabhängig von der 
Richtung des Schlages, sich die Negativität nach beiden Seiten hin 
ausbreitet. Das Auftreten dieser Erscheinung, nämlich ‚die Bevor- 
zugung der Negativität der proximalen Elektrode“, ist übrigens wesent- 
lich von der Art der Kemleiterkombination abhängig (Boruttau, 1902). 
Die dem zugeleiteten Strome oder Schlage gleichgerichtete Elektrizitäts- 
bewegung, welche sich hauptsächlich in der Nähe der Zuleitungsstelle 
bemerkbar macht und durch Anwendung von Doppelinduktionsschlägen 
zanz vermieden werden kann, sieht Boruttau als unipolare Abgleichung 
oder mit Hering und Biedermann als Stromschleife an, welche durch 


ertie 


Das Wesen der Nervenleitung. 353 


besseres Leitungsvermögen des Kerns gegenüber der Hülle hervor- 
gerufen wird. Das eigentlich Wesentliche an den Kernleiterversuchen 
ist für Boruttau das Ablaufen von Negativitätswellen, welche er auch 
auf nicht elektrischem Wege, z. B. durch Zerreißen des Kernleiter- 
drahtes, hervorzurufen imstande war. 

Wenn Boruttau auch nicht die Vorgänge im physikalischen Modell 
mit denen im lebenden Nerven in allen Einzelheiten identifiziert, so 
hält er doch im Augenblick (1902) einen Ablauf der Erregung nach 
Art der Negativitätswelle im Kernleiter für das einzig Wahrscheinliche, 
indem er Aktionsstrom und Leitungswelle gleichzusetzen scheint. Als 
Kern sieht er nicht, wie Hermann, den ganzen Achsenzylinder, sondern 
die Neurofibrillen an. Die Perifibrillärsubstanz wäre danach die Hülle. 
In der Tat würde ja auch bei der Hermannschen Annahme, daß die 
Markscheide die Hülle sei, die Kernleitertheorie nur für die mark- 
haltigen Nerven Geltung haben und nie als allgemeines Erklärungs- 
prinzip dienen können. 

Eine andre, der Kernleitertheorie nahestehende physikalische 
Leitungstheorie, welche von Strong auf die Annahme der alleinigen 
Beweglichkeit der negativen Ionen aufgebaut wurde, kann hier wegen 
ihrer rein spekulativen Natur übergangen werden. — 

Sehen die bisher besprochenen Nerventheorien in der Leitung 
vorwiegendelektrische Vorgänge, so werden diese von Hering 
(und im Anschluß an diesen von Biedermann, Head, Schoenlein u. a.) 
im wesentlichen als Begleiterscheinungen chemischer Vor- 
gsänge betrachtet. Nach Hering (1889) haben wir bei allen Lebens- 
vorgängen zwei Phasen, die Assimilation und die Dissimilation, zu 
unterscheiden; so auch im Nerven. Bei allen chemischen Vorgängen 
können nun elektrische Erscheinungen auftreten; deren Gleichheit oder 
Ähnlichkeit berechtigt aber nicht zur Identifizierung der Vorgänge 
selber und dort, wo nur diese elektrischen Erscheinungen zu Tage 
treten, besteht keine Berechtigung, sie als das Wesentliche anzusehen. 
Sie sind vielmehr als der Ausdruck der Assimilation und Dissimilation 
zu betrachten. Im ruhenden Nerven halten sich Assimilation und 
Dissimilation das Gleichgewicht. Dieses wird gestört durch die An- 
legung eines Querschnitts und führt zum Nervenstrom. Bei der Er- 
regung des Nerven geht eine dissimilatorische Änderung durch seinen 
Verlauf, welche sich in der Negativität jeder erregten Stelle äußert. 
Wird das gestörte Gleichgewicht wiederhergestellt, indem ein Assi- 
milationsprozeß eintritt, so drückt sich dies in der positiven Nach- 
schwankung aus. (Diese wurde von Hering [1884] am Olfactorius 
des Hechtes, von Head [1887] nach Tetanisation des Froschischiadieus 
beobachtet.) — Bei Durchleitung eines konstanten Stromes kommt es 
an der Anode zu einem Überwiegen der Assimilation, an der Kathode 


)54 Das Wesen der Nervenleitung. 


zu einer verstärkten Dissimilation. Infolgedessen entsteht von der 
Kathode aus bei der Schließung eine Erregung, während sich die 
Überladung der Anode mit Assimilationsprodukten bei der Stromöffnung 
in der Öffnungszuekung oder dem Öffnungstetanus geltend macht. Die 
gesteigerte Erregbarkeit an der Kathode erklärt sich danach durch die 
gesteigerte Dissimilationsdisposition und umgekehrt die Herabsetzung 
der Erregbarkeit an der Anode durch die verminderte Dissimilation 
und vermehrte Assimilationsdisposition. 

Chemische und physikalische Gesichtspunkte werden schließlich 
in der elektrochemischen Molekulartheorie Bernsteins (1888, 1899) mit- 
einander verbunden. Fußend auf der von Pflüger entwickelten An- 
schauung, daß in der lebenden Substanz alle Moleküle durch intra- 
molekularen Sauerstoff verknüpft sind, stellt er sich die leitende 
Substanz in Form von aneinandergereihten Molekülen vor. Diese 
Reihen sind polarisierbare Leiter. Bei der Durchleitung eines konstanten 
Stromes werden an der Kathode, welche einer inneren Anode der Faser 
entspricht, elektronegative Ionen, und zwar wahrscheinlich Sauerstoff, 
abgestoßen. Dieser gibt den Reiz, resp. die erhöhte Erregbarkeit ab, 
indem er auf die organische Substanz oxydierend wirkt. Die an der 
Anode abgeschiedenen elektropositiven Ionen wirken entgegengesetzt, 
indem sie die Stabilität der oxydablen Gruppen der leitenden Moleküle 
vermindern. (In welcher Weise sich bei diesen Annahmen die elek- 
trischen Erscheinungen erklären lassen, ist im Original nachzulesen.) — 
Auch von Hörmann (1899) wurde ohne Kenntnis der Bernsteinschen, 
sehr detaillierten Ausführungen eine von der Pflügerschen Theorie der 
Kontinuität der lebenden Substanz ausgehende elektrochemische Theorie 
entwickelt. — 

Wenn man diese verschiedenen Theorien miteinander vergleicht, 
so wird man zugeben müssen, daß eigentlich jede etwas für sich hat. 
Dem vorhandenen Tatsachenbestand vermögen sie (außer den älteren 
Theorien) alle bis zu einem gewissen Grade gerecht zu werden. Gegen 
die Kernleitertheorie kann man außer rechnerischen Einsprüchen, wie 
solche durch Cremer erhoben sind, das einwenden, daß sie scheinbar 
der chemischen Grundlage alles lebenden Geschehens zu wenig Rech- 
nung trägt, andrerseits wird von Boruttau gegen die chemischen 
Theorien eingewandt, daß man sich schwerlich einen chemischen 
Prozeß vorstellen könne, der mit einer Schnelligkeit von bis zu 40 m 
in der Sekunde fortsehritte. 

Ein Entscheid dürfte sich hier erst dann treffen lassen, wenn es 
gelingt, neue, und zwar nicht elektrische Tatsachen über die nervösen 
Vorgänge vorzubringen, welche diese oder jene Ansicht von vornherein 
ausschließen. Im folgenden will ich nun Tatsachen mitteilen, welche 
sieh allerdings qualitativ wesentlich von allem bisher über die Nerven 


Das Wesen der Nervenleitung. 355 


Bekannten unterscheiden, aber vorläufig doch nicht eindeutig genug 
sind, um eine der Theoriegruppen mit Sicherheit auszuschließen. 

Daß die Neurofibrillen das leitende Element im Nervensystem sind, 
ist bereits aus den Untersuchungen Apathys — man kann wohl sagen — 
im höchsten Grade wahrscheinlich geworden. Aber in allen Dingen, 
die mit hergebrachten Vorstellungen irgendwie kollidieren, verlangt 
man immer noch nach Beweisen, wenn längst keine mehr nötig sind. 
So sind denn auch die Punkte, welche Apathy aufgeführt hat, von 
vielen nieht als genügend angesehen worden und denen, welche ich 
zum Teil in Gemeinschaft mit Mönekeberg aufgeführt habe, ist es nicht 
besser gegangen. Ich kann mich dabei allerdings nicht des Eindrucks 
erwehren, daß eine gewisse Voreingenommenheit herrscht, denn Autoren, 
welche sich vorher nicht engagiert hatten, haben sich leicht für die 
leitende Funktion der Neurofibrillen gewinnen lassen. Ich will übrigens 
dabei gleich bemerken, daß ich auch diejenigen als Anhänger dieser 
Ansicht ansehe, welche die Fibrillen als Kerm in einem Kernleiter 
ansehen. — Als Konkurrent der Fibrillen könnte höchstens die Peri- 
fibrillärsubstanz angesehen werden, also die Substanz, welche bei allen 
diekeren Nervenfasern (neben den Scheiden) den Hauptbestandteil aus- 
macht. Anatomisch scheint aber diese Konkurrenz bereits geschlagen 
und zwar durch den Nachweis Apathys, daß die Fibrillen an gewissen 
Stellen der Perifibrillärsubstanz entbehren, und durch die Tatsache, 
daß die Perifibrillärsubstanz an den Ranvierschen Einschnürungen 
unterbrochen ist, während die Fibrillen glatt durch dieselben hindurch- 
ziehen (S. 50—54). Besonders gegen dies letzte Argument werden die- 
jenigen Einwände erheben, welche derartige membranöse Scheide- 
wände nicht als Hindermis der Reizübertragung ansehen (Engelmann, 
1880); es ist ja auch nicht mit Sicherheit nachzuweisen, daß nicht 
Spuren von Perifibrillärsubstanz zusammen mit den Fibrillen durch 
die Membran hindurehtreten. Gegen beide Einwände wird man dann 
ein Gegengewicht erlangen, wenn man zeigt, daß die Perifibrillär- 
substanz auf eine größere Strecke vollständig oder nahezu vollständig 
aus dem Achsenzylinder verdrängt werden kann, ohne daß die Leitungs- 
fähigkeit der Streeke dadurch aufgehoben wird. Dieser Nachweis wird 
weiter unten erbracht werden. — Als Beweis für die Notwendigkeit der 
Neurofibrillen für die Leitung wird man auch die oben erwähnten 
Verhältnisse bei der Degeneration betrachten dürfen. 

Es ist nun schon oben darauf hingewiesen worden, daß die Leitungs- 
fähigkeit eines Nerven von dem Vorhandensein primärfärbbarer Sub- 
stanz (Fibrillensäure) in auffallender Weise abhängig ist. Bei der 
Degeneration hatte sich häufig das Verschwinden der 
primären Färbbarkeit als erste sichtbare Veränderung 


256 Das Wesen der Nervenleitung. 


sezeigt und zwar im direkten Anschluß an das Aufhören der Er- 
regbarkeit und der Leitungsfähigkeit. Andrerseits wurden bei der 
Autoregeneration Stadien gefunden, in denen zwar alle mor- 
phologischen Bestandteile normaler Nervenfasern vor- 
handen waren, die Neurofibrillen aber der primären Färb- 
barkeit entbehrten. Diese Nerven waren nichterregbar. 
Waren aber die autogen regenerierten Nerven erreg- 
bar, so fehlte niemals die primäre Färbbarkeit der 
Neurofibrillen. Nach diesen Befunden wurde es mir wahrschein- 
lich, daß die primäre Färbbarkeit oder, mit andern Worten, das Vor- 
handensein von Fibrillensäure die Fibrillen erst leitungsfähig mache 
und daß der Leitungs- und Erregungsprozeß ganz oder wenigstens 
zum Teil in einer Wechselwirkung zwischen Fibrille und Fibrillen- 
säure zu suchen sei. 

Die ersten Versuche zur weiteren Begründung dieser Ansicht 
liegen mehr als fünf Jahre zurück. Ich hatte damals auch einige 
positive Resultate, doch wurde ich durch allerhand verfrühte Vor- 
stellungen über das Wesen dieser Wechselwirkung so in die Irre 
geführt, daß ich die Sache ganz wieder aufgab. Bei einer erneuten 
Aufnahme der Arbeit erging es mir nicht besser. Die anfänglichen 
positiven Resultate über die Einwirkung des konstanten Stromes auf 
die Verteilung der Fibrillensäure wichen gänzlich negativen, so daß 
ich die ersteren auf Zufälligkeiten zurückführen zu müssen glaubte 
und auf eine Weiterführung der Versuche verzichtete. Wie sich später 
herausgestellt hat, waren ungenügende technische Vorrichtungen, vor 
allem die Benutzung von Metallelektroden, daran schuld. Eine erneute 
Durchsicht der alten Präparate im Winter 1901 zeigte mir aber, daß 
es sich bei den beobachteten Veränderungen unmöglich um Zufällig- 
keiten handeln könnte und ich ging nun zum drittenmal an die Arbeit, 
diesmal ohne störende theoretische Vorstellungen und technisch besser 
ausgerüstet. Es gelang mir nun auch endlich eine Reihe von Tat- 
sachen zu finden, welche sieh untereinander gut vertragen und es 
sicher erscheinen lassen, daß in der Tat eine Wechselwirkung zwischen 
Fibrille und Fibrillensäure besteht. 

Zunächst will ich beschreiben, was sich bei denjenigen Eingriffen, 
die vorübergehend oder dauernd die Leitungsfähigkeit des Nerven 
unterbrechen, im mikroskopischen Bilde mit den mir zu Gebote 
stehenden Mitteln erkennen läßt. Die Eingriffe sind: Kompression, Ein- 
wirkung von destilliertem Wasser, Narkotisation und Anodenwirkung. 


Die Nervenkompression. 


Jede starke Kompression eines Nerven z. B. durch Zuziehen einer 
Fadenschlinge oder durch Drücken mit einer Pinzette ruft bekanntlich 


Das Wesen der Nervenleitung. 957 


eine so vollständige Zerstörung der komprimierten Nervenstelle hervor, 
daß sie für die Reizleitung dauernd undurchgängig wird. Dagegen kann 
man bei vorsichtiger Kompression zu einer Herabsetzung und Aufhebung 
der Leitungsfähigkeit gelangen, welche beim Aufhören der Kompression 
wieder verschwindet. Derartige Versuche sind von Grützner, Efron, 
Zederbaum, Ducceschi und andern angestellt worden. Während die 
meisten Autoren eine ziemlich ausgedehnte Strecke des Nerven der 


R. 


Leit 


Fig. 64. Apparat zur lokalen Kompression von Nerven mit Vorrichtung, um den Nerven während 

der Kompression zu fixieren. /. von vorne, //. von der Seite (beide '/, natürlicher Größe). III. Kom- 

pressionsblock mit dem daraufliegenden Nerven und dem Faden in idealem Längsschnitt (etwas 

vergrößert). PR. Rolle, D. Drahtbügel, an dem unten die Gewichtsschale hängt, B. Kompressions- 

block, @. Glasschale, Br. an einem Stativ befestigtes Brett, auf dem die Schale steht, X. Klammer, 
E. Reizelektroden. 


Kompression unterwarfen, beschränkte sie Ducceschi (1900) auf eine 
kleine Stelle, indem er einen dünnen Seidenfaden um den Nerven 
schlang, durch zwei feine Löcher eines Plättchens zog und den Nerven 
durch an den Faden gehängte Gewichte gegen das Plättehen drückte. 
Auch ich habe mich der engbegrenzten Kompression bedient, doch 
bin ich aus technischen Gründen von der Ducceschischen Einrichtung, 
die ich zuerst benutzte, abgekommen. Für mich war es nötig, die 


Nerven während der Kompression zu fixieren, denn nur dabei 
Bethe, Nervensystem. 17 


358 Das Wesen der Nervenleitung. 


konnte ich sicher sein, den Zustand des Nerven zu bekommen, indem er 
z. B. leitungsunfähig ist. Wendet man aber die Ducceschische Schlinge 
an, so ist es nur sehr schwer möglich, ohne Verletzung der kom- 
primierten Stelle den Faden nach dem Fixieren zu entfernen. Sehr 
viel besser geht dies von statten, wenn man sich folgender Einrichtung 
bedient (die übrigens auch schon Ducceschi seinerzeit versucht hatte): 
In einen Elfenbeinstab wird eine tiefe Rille eingefeilt, welche grade 
breit genug ist, um einen Froschischiadieus aufzunehmen. Senkrecht 
dazu wird ein feiner Sägeschnitt ausgeführt, welcher grade bis auf 
die Sohle der Rinne herabgeht und dann nach beiden Seiten hin 
schräg abfällt (Fig. 64 7/7). Der Elfenbeinstab (Fig. 64 7. 2) ist mit 
der Rinne nach oben auf einem Bleiklotz befestigt; dieser wiederum 
steht in einer Glasschale (6). Um die Schale schwebt ein Draht- 
bügel (2). Von diesem ragt eine Gabel in die Schale hinein; diese 
umfaßt den Stab. Ihre unteren Enden sind durch einen dünnen Faden 
verbunden, welcher sich in den Sägeschnitt hineinlegt (Fig. 64- /77.). 
Der Drahtbügel hängt an einem Faden über einer Rolle und hat ein 
Gegengewicht. Unten ist am Bügel eine Schale zum Auflegen von 
Gewichten befestigt. Damit die Belastung nicht plötzlich auf den in 
der Rinne liegenden Nerven einwirkt, wird die Gewichtsschale anfangs 
durch einen Schraubtisch unterstützt. Die Aufstellung des Präparats 
ist aus Figur 64 /Z zu ersehen. Als Prüfungsreiz wurden Einzel- 
induktionsschläge angewandt. 

Was die physiologischen Daten anbelangt, so kann ich nur 
Ducceschis Angaben bestätigen (soweit ich mich mit ihnen beschäftigt 
habe). Schon ein Gewicht von 15—20 & kann bei längerer Ein- 
wirkung die Leitung vollkommen unterbrechen. In der Regel mußte 
ich bei dieser Aufstellung aber zur vollkommenen Aufhebung der 
Leitung eine Belastung von 30—50 g anwenden. Häufiger als 
Ducceeschi es angibt, sah ich bei geringen Gewichten eine erhöhte 
Erregbarkeit eintreten, wie sie von all den Autoren gefunden wurde, 
die auf größere Strecke komprimierten. 

Meine Versuche zerfallen in drei Gruppen: 1. Nerven, welche bei 
einer Belastung fixiert wurden, die die Leitung noch nicht unterbrach, 
2. Nerven, die fixiert wurden, wenn eine höhere Belastung die kom- 
primierte Stelle grade für die Leitung undurchgängig gemacht hatte, 
3. Nerven, welche fixiert wurden, nachdem die vorher verschwundene 
Leitungsfähigkeit nach Fortnahme des Gewichtes grade wiederher- 
gestellt war. — Die Fixierung geschah in der Regel mit Alkohol; 
nur bei dieser Fixierung bekommt man ja ein gutes Bild von der 
primären Färbbarkeit (wenn man von der Äthermethode abstrahiert. 
S. Kapitel 8). Um Aufschlüsse über das Verhalten der Markscheiden 
zu erlangen, wurde auch einige Male, wie es Ducceschi (nach Auf- 


Das Wesen der Nervenleitung. 2359 


hebung der Kompression) tat, mit Osmiumsäure fixiert; diese Bilder 
sind jedoch ziemlich entbehrlich. Sie zeigen, was Dueceschi bereits 
gefunden, daß das Mark auch bei reizleitenden Kompressionsstellen 
ganz fortgedrängt und daß der Achsenzylinder wesentlich verjüngt ist. 
Wie dünn der Achsenzylinder übrigens dabei wird, kann man nur be- 
urteilen, wenn während der Kompression fixiert wird, da er nach.Auf- 
hebung derselben in wenigen Minuten wieder an Dieke zunimmt. 

I. Ich beschreibe einen bestimmten Fall: Reizschwelle vor der 
Kompression für Öffnungsschläge 14 em Rollenabstand (eines kleinen 
Induktoriums; die Reizung geschah natürlich stets oberhalb der Kom- 
pressionsstelle). Belastung mit 10g. Jetzt bei 14 cm auch Schließungs- 
schläge wirksam. Dann 15 g, schließlich 20 g&. Belastung. Jetzt 
Erregbarkeit wieder wie vor der Kompression. Die Erregbarkeit 
nimmt innerhalb zwei Minuten Belastung nicht weiter ab. Schale mit 


Wr, 


P IE 


Fig. 65. Noch leitungsfähige Kompressionsstelle während der Kompression fixiert im Längsschnitt. 
(Leitz IIIX3). 


Alkohol gefüllt. 20“ danach noch durchgängig. Nach 25“ nicht mehr 
durchgängig. Nach weiteren 45“ die Belastung aufgehoben. 

Der Nerv wurde zunächst längsgeschnitten, darauf neu ein- 
gebettet und der Rest der Kompressionsstelle quergeschnitten. Die 
Figur 65 zeigt einen Längsschnitt durch die Kompressionsstelle. In 
Figur 66 3 sind Querschnitte durch nieht komprimierte Fasern 
dieses Nerven abgebildet; nur in einer Faser ist der Achsenzylinder 
nicht geschrumpft. In dieser sieht man die primärgefärbten Neuro- 
fibrillen als Punkte. In allen andern Fasern sind die Fibrillen durch 
Alkoholwirkung zu einem Bündel zusammengeschrumpft, das nun sehr 
viel dunkler ist, weil sich hier die Färbungsenergie aller Fibrillen auf 
einen kleineren Raum zusammendrängt. (Zum Vergleich gebe ich in 
Figur 66 4 einen Querschnitt durch osmierte Nervenfasern bei der 
gleichen Vergrößerung.) Mit diesen Schnitten vergleiche man nun 
die Figur 66 C, welche einen Teil eines Querschnittes durch 
dieCompressionsstelle des beschriebenen Nerven bei gleicher 
Vergrößerung wiedergibt. Die dunklen Punkte in der Mitte der 
hellen Höfe entsprechen den Achsenzylindern, während die hellen Höfe 


17% 


260 Das Wesen der Nervenleitung. 


nicht mit dem hellen Hof der Fasern in Figur 66 2 zu identifizieren 
sind, sondern als die zusammengedrückten Schwannschen Scheiden 
und als Reste der Markscheiden aufgefaßt werden müssen. (Daß dies 
die richtige Auffassung ist, geht aus Längsschnittsbildern hervor.) Die 
homogen erscheinende Masse rings herum, in der die verjüngten Kern- 
querschnitte liegen, entspricht dem endoneuralen Bindegewebe. Von 
den Achsenzylindern ist auf dem Höhepunkt der Kompression nur 
noch das auf einen engen Raum zusammengepreßte Bündel von 


'r 


ie 


EEE LZ INTER 


Fig. 66. A und BD Querschnitte durch normale Froschnervenfasern. .{| Nach einem Osmium-Molybdän- 

Toluidinblau-Präparat. B (wie auch Ü' und D) nach einem Alkohol-Toluidinblau-Molybdänpräparat 

(primäre Färbung der Achsenzylinder). — C und D Querschnitte durch komprimierte Nervenfasern, 

€’ leitungsfähig, D leitungsunfähig. Alle vier Figuren sind bei gleicher Vergrößerung (Apo- 
chromat 1,30, Kompensationsocular 6) mit dem Zeichenapparat gezeichnet. 


Neurofibrillen vorhanden, während die Perifibrillärsubstanz ganz oder 
fast ganz nach den Seiten verdrängt ist. Entsprechend dem dichteren 
Aneinanderliegen der Fibrillen erscheint das Bündel wesentlich 
dunkler als in einem einfach durch Alkoholwirkung geschrumpften 
Achsenzylinder. 

Da die Fibrillen gegenüber der Perifibrillärsubstanz nur einen 
kleinen Teil des Achsenzylinderquerschnitts ausmachen, so kann diese 
Größe vernachlässigt werden und die Fläche des normalen Achsen- 


Das Wesen der Nervenleitung. 361 


zylinderquerschnitts (d. h. des Hohlraums innerhalb der Markscheide) 
als Querschnittsfläche der Perifibrillärsubstanz angesehen werden. 
Wenn man nun als eventuellen Rest von Perifibrillärsubstanz an der 
Kompressionsstelle noeh ein Drittel der Querschnittsfläche des dünnen 
Bündels rechnet, so ist das sicherlich schon sehr hoch gegriffen. Die 
Berechnung der durchschnittlichen Querschnittsflächen des normalen 
und nach Kompression noch für den Leitungsvorgang durchgängigen 
Achsenzylinders ergibt nun ein Verhältnis von 218:1. Da nun wie 
gesagt der Rest von Perifibrillärsubstanz nicht höher als ein Drittel 
veranschlagt werden kann, so verhält sich die Menge von 
Perifibrillärsubstanz (auf dem Querschnitt) in der normalen 
Faser zur Menge im komprimierten, noch leitungs- 
fähigen Nerven wie 654:1. Wenn man nun die Perifibrillär- 
substanz als das Leitende ansieht, so müßte man behaupten, daß der 
sechshundertste Teil der normalen Menge auch noch ausreicht, um der 
vollen Funktion zu genügen. Dies wird aber schwerlich jemand be- 
haupten wollen. Da nun eine derartig starke Verdrängung der Peri- 
fibrillärsubstanz in meinen Versuchen auf eine Strecke von 0,2—0,3 mm 
stattfindet, so ist auch nicht mehr der Einwand statthaft, der bei der 
Trennung der Perifibrillärsubstanz an den Ranvierschen Schnürringen 
semacht werden konnte. Nach diesem Befunde glaube ich 
die leitende Funktion der Neurofibrillen gegenüber 
allen gemachten Einwänden als gesichert betrachten 
zu dürfen. 

2. Fixation des Nerven im Augenblick, wo die komprimirte Stelle 
grade leitungsunfähig geworden ist: Ich gebe hier zwei Beispiele: Vor 
der Belastung Schwelle bei 22 cm Rollenabstand. Nach Belastung 
mit 10 g etwas erregbarer. Bei 20 & Erregbarkeit etwas vermindert. 
Bei 30 und 40 & ist die Kompressionsstelle für stärkere Reize noch 
durchgängig (14 em). Bei 50 & keine Durehgängigkeit mehr, auch nieht 
bei 5 em Rollenabstand. Sofort fixiert, Gewicht nach einer halben 
Minute in die Höhe. — Beispiel 2. Erregbarkeit anfangs 18 em. 40 & 
Belastung. Zuerst noch durchgängig, nach einigen Sekunden undurch- 
gängig. Sofort fixiert; Gewicht in die Höhe nach einer Minute. 

Bei schwacher Vergrößerung ist der Unterschied zwischen einen 
solchen Nerven und einem noch gut durchgängig gewesenen sehr 
gering. Die Kompressionsstelle erscheint kaum dünner, weil eben die 
Hauptmassen — das Mark und die Perifibrillärsubstanz — auch dort 
schon fortgedrängt sind. Auffallend ist nur, daß die Kompressions- 
stelle weniger dunkel erscheint als dort. 

Bei starker Vergrößerung (Fig. 662) sieht man, daß die Quer- 
schnitte der Kerne noch kleiner sind als bei dem vorigen Stadium, 
auch die hellen Höfe und das endonenrale Bindegewebe haben an 


262 Das Wesen der Nervenleitung. 


Masse noch abgenommen. Die Querschnitte der Fibrillenbündel zeigen 
sich zwar auch noch ein wenig dünner als bei leitungsfähigen Kom- 
pressionsstellen, doch tritt dieser Unterschied ganz gegen den in der 
Färbungsintensität zurück! Während die Bündel bei leitungs- 
fähigen Kompressionsstellen tief dunkel erscheinen 
(Fig. 66 C), sind sie hier trotz der ganz gleichen Behand- 
lung stets ganz blaß (Fig. 662). Die Querschnitte treten eigent- 
lich nur dadurch noch deutlich vor der Umgebung hervor, daß ihre 
Kontur scharf gezeichnet erscheint. (Der abgebildete Querschnitt stammt 
von Beispiel 1.) In Figur 67 gebe ich drei Stellen aus einem Längs- 
schnitt des Beispiels 2 wieder. Die Stelle 4 liegt außerhalb des Be- 
reichs der Kompression. Man sieht die Fibrillen des an dieser Stelle 
nicht geschrumpften Achsenzylinders, die ellipsenförmigen Kerne und 
das etwas stark hervorgehobene Neurokeratingerüst. Die Stelle 2 liegt 
der Kompressionsstelle ganz nahe. Da die Fibrillen zu einem Bündel 
zusammengeschnurrt sind, ist die Färbungsintensität größer; die Mark- 
scheide (d. h. ihr sichtbarer Rest, das Neurokeratingerüst) ist nach links 
fortgedrängt, zum größten Teil auch die Perifibrillärsubstanz; der an- 
liegende Kern ist bereits stark deformiert. In den Präparaten verjüngt 
sich nun das Fibrillenbündel nach rechts hin immer mehr und nimmt da- 
bei an Färbungsintensität zuerst etwas zu und dann dauernd ab. ( zeigt 
eine Stelle aus dem Höhepunkt der Kompression. Die Fibrillenbündel 
sind blaß und die Kerne zu langen, wurstförmigen Gebilden ausgezogen. 

Wären die Fibrillen unverändert, so müßten die aus ihnen zu- 
sammengesetzten Bündel an der Kompressionsstelle noch dunkler er- 
scheinen als außerhalb derselben, denn ihre normale Färbungsenergie 
wäre hier auf einen kleinen Raum zusammengedrängt. Da das Gegen- 
teil der Fall ist, so muß irgend eine Veränderung mit ihnen vor- 
segangen sein. Ehe ich diese zu deuten versuche, will ich erst das 
dritte Stadium beschreiben. 

3. Nerven, welche fixiert wurden, nachdem sie wieder durch- 
gängige geworden waren. Die Nerven wurden so lange mit steigender 
Belastung komprimiert, bis die Kompressionsstelle auch für stärkste, 
zentral von derselben angesetzte Reize nicht mehr durchgängig waren, 
also bis zu dem Stadium, dessen fixiertes Bild soeben beschrieben 
wurde. Darauf wurde das Gewicht hochgehoben und nun unter oft 
wiederholtem Prüfen gewartet, bis die Kompressionsstelle wieder einiger- 
maßen leitungsfähig war. Das dauert, wie schon Ducceschi beschrieben 
hat, oft nur wenige Sekunden. War dies eingetreten, so wurde fixiert. 
In diesen Fällen bot sich ein Bild, wie es für nur mäßig und nicht 
bis zur Leitungsunfähigkeit komprimierte Nerven unter 1. beschrieben 
worden ist. Die Figur 66 € könnte gradeso gut von einem solchen 
Nerven genommen sein! Die Hauptsache dabei ist, daß das Fibrillen- 


Das Wesen der Nervenleitung. 263 


bündel an der Kompressionsstelle stets wieder tief dunkel 
färbbar ist, wenn die Leitungsfähigkeit sich wieder- 
hergestellt hat. Die bei Leitungsunfähigkeit fast ganz 
verschwundene primäre Färbbarkeit kehrt also mit 
der Wiederherstellung der Leitungsfähigkeit zurück! 


Fig. 67. Fasern aus einem Längsschnitt durch einen bis zur Leitungsunfähigkeit komprimierten 
Nerven (Färbung und Vergrößerung wie bei Fig. 66 B, ©, D). — A Fasern von normalem Aussehen, 
0,8 mm von der Mitte der Kompressionsstelle entfernt. Die Fibrillen ausnahmsweise nicht zu einem 
Strang zusammengeschrumpft. Die Integrität der Markscheide an dem Aussehen des Neurokeratin- 
gerüstes zu erkennen. — B Beginn der Kompression. 0,5 mm von 4 entfernt. Verdrängung der 
Markscheide, Achsenzylinder geschrumpft, aber nicht über das gewöhnliche Maß verjüngt, Kern 
deformiert. — C Mitte der Kompressionsstelle (0,25 mm von D entfernt). Achsenzylinder stark 
verjüngt, im Verhältnis zu B nur ganz schwach gefärbt und dicht aneinander gepreßt. Kerne ganz 
in die Länge gezogen. 


Ich habe noch den Beweis zu führen, daß der färbbare oder nicht 
mehr färbbare Stab, welcher sich an der Kompressionsstelle zeigt, 
wirklich aus den zusammengedrängten Fibrillen besteht und daß die 
Fibrillen bei der Kompression ihre Individualität nicht verlieren. Da 
in dem Stab die einzelnen Individuen nicht zu sehen sind, so kann 
dieser Beweis immer nur indirekt geführt werden. Wie man fast an 


264 Das Wesen der Nervenleitung. 


jedem Präparate, in dem die Achsenzylinder nicht alle geschrumpft 
sind, sehen kann, legen sich die Fibrillen an den Schrumpfungsstellen 
(z. B. in Fig. 64 4) dichter aneinander, um bei vollkommener Schrump- 
fung einen homogen aussehenden Stab zu bilden (Fig. 642). Diesen 
kann man nun an den Kompressionsstellen sich direkt in den dünnen 
Stab fortsetzen sehen, während der helle Hof, der den Rest des Mark- 
scheidenhohlraums ausmacht und der zum Teil von der krümlig- 
geronnenen, primär nicht färbbaren Perifibrillärsubstanz ausgefüllt ist, 
verschwindet. Den erheblichen Diekenunterschied zwischen einem 
Schrumpfungsbündel und einem komprimierten Bündel erkläre ich mir 
dadurch, daß in ersterem Fall noch eine Menge Perifibrillärsubstanz 
zwischen den Fibrillen liegt; daher sind diese Bündel auch heller als die 
nur mäßig komprimierten. — Komprimiert man Nerven am lebenden 
Frosch (siehe S. 168) und läßt sie verschieden lange Zeit im Tier, so 
treten außer der oben beschriebenen eventuellen Degeneration folgende 
Veränderungen an der Kompressionsstelle auf: Nach einem bis zwei 
Tagen ist der Einschnitt im Nerven ganz ausgeglichen, die Kompressions- 
stelle macht sich aber noch deutlich durch ihre Durchsichtigkeit be- 
merkbar. An Osmiumpräparaten ist die Kompressionsstelle sehr schwarz; 
die Markscheide ist nicht deutlich vom Achsenzylinder abgesetzt, denn 
auch dieser zeigt schwarze Verfärbung. Nach sechs bis acht Tagen ist 
zwar immer noch eine starke Schwärzung des Achsenraums an der 
Kompressionsstelle vorhanden, aber man kann doch innerhalb desselben 
deutlich voneinander getrennte Fibrillen erkennen (falls kein Zerfall 
eingetreten ist). Da nun hier während der Kompression sicher ein 
ganz dünner Stab vorhanden war, so schließe ich, daß sich dieser 
wieder in seine Komponenten zerlegt hat, d. h. daß die Fibrillen 
während der Kompression ihre Individualität nicht aufzugeben hatten. 

Daß die primäre Färbbarkeit bei Leitungsunfähigkeit fast ganz 
verschwindet und stets vorhanden ist, wenn die Nervenstelle noch oder 
wieder leitungsfähig ist, scheint mir nach meinen Versuchen durchaus 
gesetzmäßig. Über die Deutung der Aufhebung der Färbbarkeit wird 
man aber nach diesem Versuch allein zweifelhaft sein können. Da 
der Diekenunterschied zwischen leitungsfähigen und leitungsunfähigen 
;ündeln nur sehr gering ist, kann man die schwache Färbbarkeit in 
letzterem Fall nicht etwa allein auf den Diekenunterschied zurück- 
führen. Schon eher könnte man daran denken, daß die Fibrillen bei 
stärkerer Kompression in die Länge gedrückt würden, so daß hier auf 
sleichgroße Querschnitte weniger färbbare Teilchen kämen, als bei 
den weniger stark komprimierten. Auch hiergegen spricht, daß der 
Intensitätsunterschied viel zu groß ist. Annehmbar scheinen mir nur 
drei Mögliehkeiten: 1. Die Fibrillen sind bei der Leitungsunfähig- 
keit so stark aneinander gepreßt, daß der Farbstoff nur noch auf 


Das Wesen der Nervenleitung. 265 


der Oberfläche des Bündels einwirken, aber nicht ins Innere dringen 
kann. Bei dieser Annahme könnte man die Abnahme der Färbbarkeit 
als etwas ganz Unwesentliches ansehen, man könnte aber auch die 
Abwesenheit der kapillären Spalten zwischen den Fibrillen, die sieh 
aus dieser Annahme ergeben würde, als Grund für die Leitungsunfähig- 
keit erklären und so das Aufhören der Leitungsfähigkeit mittelbar mit 
dem Aufhören der Färbbarkeit in Zusammenhang bringen. 2. Die 
Fibrillensäure ist nicht mit den Fibrillen ehemisch verbunden, sondern 
bildet nur mit andern Substanzen eine Hülle um dieselben. Bei der 
starken Kompression wird diese Hülle, ebenso wie es mit der Peri- 
fibrillärsubstanz schon bei schwacher Kompression geschieht, nach den 
Seiten fortgedrängt und nur die nackten Fibrillen bleiben zurück. 3. Die 
Fibrillensäure ist mit den Fibrillen im normalen Zustand chemisch ver- 
bunden, wie ich dies in Kapitel 8 wahrscheinlich zu machen gesucht 
habe; diese ziemlich lockere Bindung wird aber durch den Vorgang 
der Kompression gesprengt und da die freie Fibrillensäure in Alkohol 
löslich ist, so wird sie beim Fixieren aus dem Nerven herausgelöst 
und kann nicht mehr färberisch zur Darstellung gebracht werden. 
Welche von diesen Deutungen die Wahrscheinlichkeit für sich hat, 
wird, wie ich meine, aus späteren Versuchen hervorgehen. 


Einwirkung von destilliertem Wasser. 


Nach einer alten, ich weiß nicht von wem zuerst gemachten Er- 
fahrung wird die Erregbarkeit eines Nerven durch Einwirkung von 
destilliertem Wasser (und auch von hypotonischen Salzlösungen) schnell 
herabgesetzt und schließlich ganz aufgehoben.') (Diese Erkenntnis 
führte bekanntlich Köllicker zur Einführung der physiologischen Koch- 
salzlösung, in welcher sich Frosehnerven mehrere Tage lang erregbar 
erhalten.) Läßt man das destillierte Wasser nur auf eine kurze Strecke 
des Nerven einwirken, so wird sie allmählich für Reize undurchgängig, 
während der Nerv oberhalb und unterhalb dieser Stelle sein Leitungs- 
vermögen so lange behält, als sich nieht die Wirkung des destillierten 
Wassers durch Diffusion auch in diese Gegenden ausgedehnt hat. 
Eine Erregung des Nerven während dieses Absterbeprozesses ist nicht 
zu konstatieren, wenigstens bleibt der Muskel bei Eintauchung des 
Nerven eines Nervmuskelpräparats in destilliertes Wasser dauernd in 
Ruhe. Wenn, wie vorausgesetzt werden muß, die lebenden, reizleiten- 
den Teile des Nerven bei der Einwirkung des destillierten Wassers 
absterben, so könnte dies geschehen, ohne daß dabei die Beziehungen 


1) Bekanntlich ist destilliertes Wasser ein ganz allgemeines Gift für lebende 
Gewebe. Seine zerstörende Wirkung wird auf die Auslaugung der zum Leben 
notwendigen Mineralsalze zurückgeführt. Infolge ihres höheren osmotischen 
Druckes quellen alle Gewebe in destilliertem Wasser auf. 


266 Das Wesen der Nervenleitung. 


zwischen Fibrille und Fibrillensäure gestört werden; es könnte aber 
auch in diesen Beziehungen eine Änderung eintreten der Art, daß 
die eiweißartige Fibrille beim Absterben die Verbindung mit der 
Fibrillensäure löst. Ein negativer Befund würde also nicht gegen 
eine Wechselwirkung von Fibrille und Fibrillensäure sprechen, während 
ein positiver Befund die Annahme einer Wechselwirkung befür- 
worten würde. 

Versuch 1. Die beiden Nervmuskelpräparate eines Frosches werden 
präpariert und der Nerv des einen in destilliertes Wasser gehängt, 
der des andern in Kochsalzlösung. Beide Präparate kommen in die- 
selbe feuchte Kammer. Nach 24 Stunden werden beide herausgenommen. 
Der Kochsalznerv ist erregbar, der andre nicht. Darauf werden beide 
in Alkohol gehärtet, eingebettet und geschnitten. Die Schnitte kommen 
auf den gleichen Objektträger und werden zusammen in der oben 
(S. 135) angegebenen Weise gefärbt. Der erregbare Kochsalz- 
nerv zeigt, wie einnormales Präparat, schön dunkel ge- 
färbte Achsenzylinder; die Achsenzylinder desNerven, 
der im destillierten Wasser gelegen hatte, sind abez 
entweder ganz farblos oder zeigen nur eine schwache 
primäre Färbbarkeit. (Einzelne Fasern sind bisweilen dunkler, 
aber nie so dunkel als der Durchschnitt der Fasern des andern Nerven.) 

Versuch 2. In dasselbe Gefäß mit destilliertem Wasser kommt 
I. ein frischer Nerv, 2. ein Nerv, der für einige Minuten in Alkohol 
zelegen hat und dann ausgewaschen wurde und 3. ein Nerv eines 
durch Erwärmen auf 55° wärmestarr gemachten Frosches. 
Nach 24 Stunden werden alle drei in Alkohol fixiert, zusammen weiter- 
behandelt und geschnitten. Die Achsenzylinder des ersten 
Nerven sind ganz blaß, wie beim vorigen Versuch. Die des 
„weiten (Alkohol) sind von normaler Dunkelheit, ebenso 
die des dritten (wärmestarr). (Die Achsenzylinder wärmestarrer 
Nerven zeigen manchmal ein körniges Aussehen, was aber nichts mit 
der Einwirkung des destillierten Wassers zu tun hat. Auf die Unter- 
schiede im Aussehen der Markscheiden brauche ich nicht einzugehen.) 
Aus diesem Versuch geht hervor, daß die Aufhebung oder Ver- 
minderung der primären Färbbarkeit durch destillier- 
tes Wasser nur dann zustande kommt, wenn der Nerv 
in lebendem Zustand hineingelegt wird. Zu bemerken ist 
hier noch, daß die Fibrillen durch die Einwirkung von destilliertem 
Wasser nieht aufgelöst werden, daß sie vielmehr im Osmiumpräparat 
keinen Unterschied gegen normale Fibrillen aufweisen. 

Versuch 3. Ein kleines Reagenzröhrehen mit destilliertem Wasser 
wird zwischen einem Muskelhalter und Reizelektroden aufgestellt. Der 
Muskel eines Nervmuskelpräparats wird am Halter befestigt, der Nerv 


Das Wesen der Nervenleitung. >67 
: F4 Ä 


wird mit seiner Mitte so über das Reagenzglas gelegt, daß eine kleine 
Schlinge ins Wasser hängt, und sein zentrales Ende wird über die 
Elektroden gebrückt, nachdem vor dem Eintauchen ins Wasser die 
Reizschwelle bestimmt ist. Dann wird das Ganze mit einer Glasglocke 
bedeckt, die mit feuchtem Fließpapier ausgelegt ist. Ab und zu wird 
geprüft, ob die eingetauchte Nervenstelle noch für den Reiz durch- 
gängig ist. Beispiel: Anfangs Schwelle bei 40 em Rollenabstand 
(tetanisierender Reiz mit großem Induktorium), eingetauchte Nerven- 
strecke ea. 1 cm lang. Schwelle nach 30 Minuten unverändert, nach 
45 Minuten 35 em, nach 60 Minuten 20 em. Nach 1'/, Stunden ist 
die Nervenstelle auch bei stärksten Strömen nicht mehr durchgängig. 
Reizung unterhalb der gewässerten Stelle gibt bei 38 em kollen- 
abstand gute Muskelkontraktion. Hierauf wurde in Alkohol fixiert. — 
Die Wässerungsstelle zeigte im primärgefärbten Präparat sehr schwach 
zefärbte Achsenzylinder; von hier aus nimmt die Färbung der Achsen- 
zylinder nach beiden Seiten an Intensität zu und erreicht, etwa '/, em 
von den Enden der Wässerungsstelle entfernt, dieselbe Dunkelheit wie 
das vom andern Nerven desselben Tieres hergestellte Normalpräparat. 
Die primäre Färbbarkeit zeigt sich also an einer ge- 
wässerten Nervenstelle schon dann fast aufgehoben, 
wenn dieselbe grade erst die Leitungsfähigkeit ein- 
sebüßt hat. 

Versuch 4. Wie oben gezeigt wurde, ist die Fibrillensäure nicht 
in Wasser, wohl aber in freiem Zustand in Alkohol löslich. Wenn 
sie also durch das destillierte Wasser nur von der Fibrille abgespalten 
würde, so würde sie nach Beendigung des Versuches noch im Nerven 
vorhanden sein und käme im Alkoholpräparat nur deswegen nicht zur 
Beobachtung, weil sie durch den Alkohol herausgelöst wird. Wie ferner 
oben gezeigt wurde, ist die freie Fibrillensäure in Äther nicht lös- 
lieh; wenn man also anstatt Alkohol Äther anwendet und den Nerven 
vor dem Färben nicht in Alkohol bringt, so muß man entscheiden 
können, ob es sich hier um eine bloße Abspaltung oder um eine Ver- 
änderung der Fibrillensäure selber handelt: Ein Nerv wird, wie beim 
vorigen Versuch, mit einer Schlinge in destilliertes Wasser gehängt. 
Nach etwa 1'/, Stunden ist die Stelle für Reiz undurchgängig und 
selber nieht mehr reizbar. Der Nerv wird nun an der Mitte der 
Wässerungsstelle durehschnitten und das eine Ende in Alkohol, das 
andre in Äther gelegt (Weiterbehandlung des Ätherstückes siehe S. 146; 
alte Methode): Die Achsenzylinder des Alkoholpräparats sind in der 
Wasserregion blaß, außerhalb derselben dunkel. Im 
Ätherpräparat zeigen sie überall die gleiche Dunkelheit; 
die einzelnen Fibrillen treten auch in der Wasserstrecke deutlich und 
dunkel hervor und sehen gradeso aus wie im normalen Nerventeil. 


Das Wesen der Nervenleitung. 


ID 
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00 


Das destillierte Wasser spaltet also die Fibrillen- 
säure nur vom Nerven ab, verändert aber weder sie 
noch ihre Lage. 


Die Einwirkung der Nareotica und andres. 


Sehr wertvolle Aufschlüsse über die Bedeutung der Fibrillensäure 
waren von den Versuchen mit Nareotieis zu erwarten, weil diese die 
Leitung zu unterbrechen imstande sind, ohne den Nerven für immer 
zu schädigen (wie dies beim destillierten Wasser der Fall ist). Da 
der Alkohol so vorzüglich geeignet ist, bei konzentrierter Anwendung 
die primäre Färbbarkeit zu konservieren, und da auch dem Äther, wie 
gezeigt, dieselbe Eigenschaft zukommt, so war von vornherein nicht 
anzunehmen, daß bei der Einwirkung narkotisierender Dämpfe die 
leitungsunfähig gemachte Stelle durch Mangel der primären Färb- 
barkeit hervorträte. Die darauf gerichteten Versuche haben dies be- 
stätigt: Der stromprüfende Froschschenkel wurde bei diesen Versuchen 
mit zwei Klammern gehalten und so am Rande einer Schale auf- 
gestellt, daß er mit seinem Nervenende in die Schale hineinragte. 
In der Schale stand ein kleines Schälehen von 1°/, em Durchmesser, 
in dessen Rand an zwei gegenüberliegenden Stellen kleine Kerben 
eingeschliffen waren. In diese wurde der Nerv hineingelegt und das 
jenseits hervorragende Ende über Reizelektroden gelegt. Das kleine 
Schälehen wurde dann mit einem Glimmerdeckel bedeckt, an dem auf 
der Innenseite ein kleines Schwämmchen zur Aufnahme einiger Tropfen 
Alkohol, Äther oder Chloroform befestigt war. Wenn das Nareoticum 
so weit eingewirkt hatte, daß auch bei stärkster Reizung des zentralen 
Endes keine Reaktion des Schenkels mehr eintrat, dann wurde die 
äußere Schale mit Alkohol gefüllt und der Deckel gehoben. Ein ge- 
nauer Vergleich zwischen narkotisierter und nicht narkotisierter Strecke 
ergab nie Unterschiede. Wie ich weiter unten zeigen werde, ist aber 
doch das Verhältnis zwischen Fibrille und Fibrillensäure innerhalb der 
narkotisierten Strecke wesentlich verändert. 

Den Nareotieis schließen sich eine Reihe andrer Stoffe und Ein- 
sriffe an, welche in mehr oder weniger hohem Maße die Leitungs- 
fähigkeit einer Nervenstelle zu unterbrechen imstande sind, ohne dab 
dabei im primärgefärbten Präparat (und erst recht nicht im sekundär- 
zefärbten) ein Unterschied zwischen alterierter und nicht alterierter 
Strecke zu bemerken wäre. Ich nenne hier die Behandlung einer 
Nervenstrecke mit Ammoniak oder mit Kohlensäure und die lokale 
Wasserentziehung (durch Eintrocknung, hypertonische Salzlösungen oder 
Glyzerin). Die bei diesen Eingriffen besonders in ihren Anfangsstadien 
zu beobachtenden physiologischen Erscheinungen besitzen nun eine 


Das Wesen der Nervenleitung. 269 


gewisse Ähnlichkeit mit denen, welche sich bei lokaler Narkose des 
Nerven mit den eigentlichen Narcotieis zeigen. Im einzelnen ergeben 
sich zwar quantitativ nicht unwesentliche Unterschiede, besonders 
zwischen Narkotisierung und Wasserentziehung, aber in den zwei 
Punkten stimmen alle diese Eingriffe überein (soweit ich das aus der 
Literatur ohne speziell darauf gerichtete eigene Untersuchungen sagen 
kann): Zunächst erhöhen sie die lokale Erregbarkeit und weiterhin 
machen sie die affizierte Nervenstelle unerregbar und leitungsunfähig 
(oder setzen wenigstens die Leitungsfähigkeit herab). 

Am stärksten ist die Zunahme der Erregbarkeit bei der Wasser- 
entziehung ausgeprägt (Engelmann). Wird die Reizschwelle eines 
frischen Nerven bestimmt und läßt man diesen ganz oder nur an der 
Reizstelle eintrocknen oder entzieht man ihm mittels stärkerer Koch- 
salzlösung Wasser, so tritt bald ein Stadium ein, in welchem weit 
geringere Reize genügen, um eine Zuckung des Muskels auszulösen. 
Die Steigerung der Erregbarkeit nimmt bei diesem Eingriff nun immer 
mehr zu, bis schließlich auch spontan erst einzelne Zuckungen und 
dann Tetanus eintritt, Erscheinungen, die seit langem als Vertrocknungs- 
tetanus bekannt sind. Allmählich nimmt die Erregbarkeit wieder ab 
und, wenn nur eine beschränkte Stelle mit Salzlösung behandelt ist, 
so wird diese schließlich für weiter oben angesetzte Reize undurch- 
gängig. 

Bei der Einwirkung von Nareotieis tritt die anfängliche Steigerung 
der Erregbarkeit so stark in den Hintergrund gegenüber dem um- 
gekehrten Prozeß, daß sie den ersten Beobachtern (Grünhagen, 1872, 
Szpilman und Luchsinger, 1881, Efron, 1885, Hirschberg, 1886) ganz 
entgangen zu sein scheint. In den Untersuchungen dieser Autoren 
wird die interessante von Grünhagen zuerst entdeckte Tatsache, daß 
die Erregbarkeit in der affizierten Gegend eine Einbuße erlitten hat, 
wenn sie noch für weiter oben angesetzte Reize gut durchgängig ist, 
als erste Veränderung angesehen. Daß aber tatsächlich diesem Grün- 
hagensehen Phänomen besonders bei Narkotisation mit Alkohol- und 
Chloroformdämpfen, aber auch bei Anwendung von Äther eine Erreg- 
barkeitssteigerung vorhergeht, wurde von Mommsen (1881), Gad (1588) 
und Piotrowski (1893) gezeigt. Diese Steigerung ist vorübergehend 
und weicht bald der Verminderung der lokalen Erregbarkeit, die schließ- 
lieh zur gänzlichen Unerregbarkeit führt. (Boruttau, 1897, zeigte ganz 
analoge Verhältnisse bei der Untersuchung der negativen Schwankung 
unter dem Einfluß von Nareotieis. Zuerst nimmt dieselbe an Stärke 
zu, dann bis auf 0 ab. CO, verstärkt die negative Schwankung er- 
heblich; bei Ammoniak nimmt sie von Anfang an ab.) Am besten 
werden diese Vorgänge nach dem von Grünhagen eingeführten Ver- 
fahren studiert: Der Nerv wird durch eine sonst gut geschlossene 


270 Das Wesen der Nervenleitung. 


Kammer von Glas, Horn oder Kork gezogen, in welche durch ein 
Zuleitungsrohr Dämpfe von Nareotieis, Kohlensäuregas oder Ammoniak- 
gas geleitet werden können. Innerhalb der Kammer liegt der Nerv 
auf einem oder mehreren Elektrodenpaaren; ein weiteres Paar von 
Elektroden ist oberhalb der Kammer, manchmal auch noch zwischen 
Kammer und Muskel am Nerven angebracht. Nachdem überall die 
Reizschwelle bestimmt ist, wird das Gas eingeleitet und von Zeit zu 
Zeit die Reizschwelle geprüft. Die Veränderungen treten in folgender 
Reihenfolge ein: Zuerst wird die Schwelle der Erregbarkeit in der 
Kammerstrecke erhöht, d. h. es tritt schon bei größerem Rollenabstand 
als vorher eine Muskelkontraktion ein. Die Erregbarkeit außerhalb 
der Kammer ist unverändert. Darauf wird die Kammerstrecke schwerer 
erregbar als die Teile oberhalb und unterhalb derselben. Der Rollen- 
abstand muß wesentlich kleiner gemacht werden, um von den Kammer- 
elektroden aus eine Muskelkontraktion zu erzielen, während eine Kon- 
traktion von den oberen und unteren Elektroden schon bei größerem 
kollenabstand zustande kommt. Bei weiter fortgesetzter Gaszuleitung 
nimmt die Erregbarkeit an allen Stellen immer mehr ab, aber jetzt oben 
schneller als in der Kammer, so daß zu einer gewissen Zeit die 
Reizung oberhalb der Kammerstrecke, auch wenn sie sehr stark ist, 
keinen Effekt mehr hat, während von der Kammer aus mit starken 
Reizen noch eine Kontraktion zustande kommt. Schließlich erlischt 
die Erregbarkeit auch innerhalb der Kammer ganz. (Dendrinos, 1902, 
ätherisiert eine lange Nervenstrecke mit einem weit zentral- und einen 
weit periphergelegenen Elektrodenpaar. Zuerst wird die Reizung am 
zentralen Ende, dann am peripheren Ende unwirksam. Da beide 
Stellen gleich alteriert sein müssen, so handelt es sich nicht um ein 
Unerregbarwerden der Nervenstelle, sondern darum, daß sich die Er- 
regungswelle in der ätherisierten Strecke je nach Stärke der Einwirkung 
früher oder später erschöpft. Diese Idee ist sehr einleuchtend. Bei 
starker Narkotisierung dürfte aber doch wohl eine vollkommene Un- 
erregbarkeit eintreten. Ähnliche Erfahrungen hat auch Werigo [1899] 
publiziert.) 

Die anfängliche Steigerung der Erregbarkeit ist, soweit die Unter- 
suchungen reichen, hauptsächlich bei Alkohol und Chloroform sehr 
ausgesprochen, weniger bei Äther und Kohlensäure. Bei Kohlensäure 
ist andrerseits die Beeinträchtigung der lokalen Erregbarkeit bei noch 
cut erhaltener Leitungsfähigkeit (also das Grünhagensche Phänomen) 
ausgesprochener als bei den andern Substanzen. Der Schnelligkeit nach, 
mit welcher das Grünhagensche Phänomen, die Aufhebung der Leitungs: 
fähigkeit und schließlich das Aufhören der Erregbarkeit eintritt, läßt sich 
folgende Reihenfolge aufstellen (Szpilman und Luchsinger): Ammoniak, 
Äther, Chloroform, Alkohol und Kohlensäure. Die Kohlensäure wirkt 


Das Wesen der Nervenleitung. 271 


am schwächsten. (Ich habe bei wirklich reiner Kohlensäure auch 
bei halbstündiger Einwirkung nur eine schwache Herabsetzung der 
Leitungsfähigkeit, aber nie eine Aufhebung derselben erzielen können, 
während das Grünhagensche Phänomen stets deutlich zu erkennen war.) 
Während bei Ammoniak, wenn es bis zur Leitungsunfähigkeit ein- 
gewirkt hat, keine Erholung eintritt (oder erst nach vielen Tagen, 
siehe S. 174), kann sich der Nerv von der Narkose mit Äther, 
Chloroform, Alkohol und Kohlensäure bei Luftzutritt leicht wieder er- 
holen, vorausgesetzt, daß die Narkose nicht zu lange gedauert hat. 
Zuerst kehrt die lokale Erregbarkeit wieder, dann erst die Leitungs- 
fähigkeit (Efron, Pereles und Sachs, Dendrinos )). 

Daß bei schwererer Schädigung die Reizung der zentraleren 
Stellen eher wirkungslos wird, als die Unerregbarkeit der periphereren, 
narkotisierten Stellen eintritt, entspricht durchaus der natürlichen Vor- 
stellung, daß der Leitungsvorgang nur in einem Weiterschreiten der 
Erregung von Querschnitt zu Querschnitt besteht (Hermann). Dagegen 
scheint das Grünhagensche Phänomen dem zu widersprechen, denn 
hier ist bei einem gewissen Stadium der Einwirkung die Fähigkeit 
der betroffenen Stelle eine weiter oben hervorgerufene Erregung weiter 
zu leiten größer, als die Fähigkeit, direkt in Erregung zu geraten. 
Grünhagen und mit ihm Schiff und andre haben auch in der Tat diese 
Erscheinung dahin gedeutet, daß Erregung und Leitung zwei ganz 
verschiedene Dinge seien. Diese Deutung wird uns weiter unten zu 
beschäftigen haben. 

Hier kam es mir hauptsächlich darauf an, auf die Tatsache auf- 
merksam zu machen, daß die Nareotica zunächst die Erregbarkeit er- 
höhen, vor allem der Alkohol (die andern sind nur ungenügend unter- 
sucht). Zu wirklichen Reizerscheinungen, wie bei der Wasserentziehung, 
kommt es dabei nicht, indem die Herabsetzung der Erregbarkeit die 
Steigerung derselben zu schnell ablöst. Alkohol wirkt zwar in starker 
Konzentration (Kühne) reizend, doch dürfte diese Wirkung auf Wasser- 
entziehung zu beziehen sein. 

Durch die anfänglich in mehr oder weniger hohem Maße ge- 
steigerte Erregbarkeit treten die hier besprochenen Eingriffe in Gegen- 
satz zur Wirkung des destillierten Wassers und der Anode, bei der die 
Erregbarkeit von Anfang an herabgesetzt ist. Bei den Nareotieis u. Ss. W. 
zeigt sich die leitungsunfähige Stelle in ihrer Färbbarkeit nicht ver- 
ändert; bei jenen verliert sie die primäre Färbbarkeit, wie dies jetzt 
für die Anode gezeigt werden soll. 


1) Nach Pereles und Sachs erlischt die Leitungsfähigkeit der sensiblen 
Fasern eher als die der motorischen. 


Das Wesen der Nervenleitung. 


IND 
—1 
IV 


Uber die Wirkung des konstanten Stromes. 


Die ersten Andeutungen, daß ein starker konstanter Strom beim 
Durchfließen einer Nervenstrecke ein Leitungshemmnis bildet, finden 
sich bei Valentin (1848). Einen großen Schritt weiter gelangte Eck- 
hard (1853, 1855 und 1858), der in mehreren Arbeiten zeigte, daß das 
Leitungshemmnis in der Umgebung des positiven Pols zu suchen sei, 
während in der Nähe des negativen Pols sogar eine gesteigerte Er- 
reebarkeit zu beobachten sei; doch sollte dies nur bei aufsteigenden 
resp. absteigendem Strom der Fall sein. Zu wirklicher Klarheit ge- 
langte die Frage aber erst durch die denkwürdigen Untersuchungen 
von Pflüger über den Elektrotonus (1856 und 1859), welche dieselbe 
in einer solehen Vollständigkeit behandelten, daß in dem inzwischen 
verflossenen Zeitraum von beinahe fünfzig Jahren kaum etwas Wesent- 
liches hinzugefügt werden konnte. 

Wie bekannt, ist das Resultat dieser Untersuchungen kurz fol- 
gendes: Gleichgültig, ob der Strom aufsteigend oder absteigend ist, 
tritt immer in der Umgebung der Anode eine Herabsetzung der Er- 
regbarkeit, in der Nähe der Kathode (des negativen Pols) eine Stei- 
gerung derselben ein. Diese Veränderung dehnt sich um so weiter 
extrapolar aus, je stärker der Strom ist; je weiter man sich von dem 
Pol entfernt, desto mehr nimmt die Veränderung an Intensität ab. 

Reizt man bei aufsteigender Stromrichtung zwischen der Anode 
und dem Muskel eines Nervmuskelpräparats tetanisch, so kann der 
Reiz, welcher bei nicht geschlossenem Strom einen starken Tetanus 
hervorbringen würde, vollkommen wirkungslos bleiben. Andrerseits 
kann bei absteigendem Strom ein schwacher Reiz, der an und für 
sich keinen Effekt hervorbringen würde, zu einer starken Zuckung 
(oder einem Tetanus, wenn der Reiz tetanisch ist), führen, weil er 
sich im Gebiet der Kathode befindet. 

Die Erregbarkeitssteigerung an der Kathode ist bei aufsteigenden 
Strom nur bei ganz schwachen Strömen zu konstatieren, weil die 
Herabsetzung an der für den Reiz zu durchlaufenden Anode bei stär- 
keren Strömen so stark wird, daß sie zur vollständigen Leitungs- 
unterbrechung führt. — Die intrapolare Strecke wird durch den 
polarisierenden Strom in eine Strecke von erhöhter (an der Kathode) 
und von herabgesetzter Erregbarkeit (an der Anode) geteilt. Zwischen 
beiden liegt der Indifferenzpunkt, der mit zunehmender Stromstärke 
näher an die Anode zu liegen kommt. (In der intrapolaren Strecke 
können elektrische Reize nur mit Vorsicht als Prüfungsreiz verwandt 
werden; Pflüger bediente sich hier vorwiegend chemischer Reize. Tieger- 
stedt bestätigte 1882 mittels mechanischer Reizung die Pflügerschen 
Aufstellungen in vollem Umfange. Dieses Gesetz der Erregbarkeits- 


Ey ass 


Das Wesen der Nervenleitung. 373 


steigerung und Herabsetzung (Pflügerscher Elektrotonus) läßt sich in 
Form von Kurven (Fig. 68) darstellen, wobei die verminderte Erreg- 
barkeit dureh Senkung der Kurve unter die Abszisse dargestellt wird. 
(Hallsten [1880] zeigte die Gültigkeit des von Pflüger nur für moto- 
rische Fasern geprüften Gesetzes an sensiblen Fasern). 

Die Erregbarkeitssteigerung an der Kathode tritt sofort beim 
Schließen des Stromes ein und nimmt allmählich ab (Pflüger). Bleibt 
ein starker Strom lange geschlossen, so tritt in der kathodischen 
Gegend sogar eine Herabsetzung der Erregbarkeit ein und schließlich 
wird sie gänzlich unerregbar und leitungsunfähig (Hermann, 1872, 
Werigo, 1883, Hermann und Tschitschkin, 1899, Bürker 1901 u. 1902). 
Andrerseits tritt die Erregbarkeitsherabsetzung an der Anode nur all- 
mählich ein und bleibt bis zum Ende der Schließungsdauer erhalten 
(Pflüger). Grade diese Tatsachen sind für die Beurteilung der später 
zu bespreehenden Befunde von großer Wichtigkeit.') — Nach der 


Fig. 68. Kurvenmäßige Darstellung der Erregbarkeitsverhältnisse im Elektrotonus nach Pflüger. 
-+- Anode (Eintrittsstelle des Stromes), — Kathode (Austrittsstelle des Stromes). Die drei Kurven 
deuten die Stärke und Ausdehnung der Erregbarkeitsveränderungen bei verschieden starken Strömen an. 


Aufhebung der Durehströmung zeigt sich an beiden früheren Polen 
ein umgekehrtes Erregbarkeitsverhältnis: Die frühere Kathodenstrecke 
ist weniger erregbar resp. unerregbar und leitungsunfähig, die Anoden- 


1) Nach Wundt (1871), Tschirchew (1579) und andern pflanzt sich die Er- 
regbarkeitsherabsetzung von der Anode aus mit einer geringeren Geschwindigkeit 
als der des Nervenprinzips fort. Dagegen ist nach den Untersuchungen von 
Grünhagen und Baranowski & Garr@ (1880), welche unter Hermanns Leitung 
arbeiteten, eine Herabsetzung der Erregbarkeit (10—14 mm von der Anode ent- 
fernt) schon im Moment der Stromschließung zu beobachten. (Ein Anteil des 
polarisierenden Stromes wird durch die primäre Spirale eines Induktionsapparates 
geleitet, so daß gleichzeitig mit dem Schließen des Stromes dem Nerven an einer 
muskelwärts gelegenen Stelle ein Schließungsschlag zugeführt wird. Neben dieser 
Grünhagenschen Methode wurden von Baranowski und Garr& noch zwei andre 
angewandt, die im Original nachzulesen sind.) Bekanntlich entsteht im mark- 
haltigen Nerven bei Zuführung eines konstanten Stromes extrapolar ein im 
Nerven gleichgerichteter Strom (Du Bois-Reymonds oder galvanischer Elektro- 
tonus). Derselbe ist nach Hering (1889) und Biedermann (1586) zum Teil als auf 
einer merkwürdigen Ausbreitung von Stromschleifen basierend anzusehen, weil 

;ethe, Nervensystem. IS 


274 Das Wesen der Nervenleitung. 


strecke zeigt erhöhte Erregbarkeit. Oder mit Worten Pflügers: Das 
Schwinden des Katelektrotonus setzt die Erregbarkeit herab, das 
Schwinden des Anelektrotonus erhöht sie. An der früheren Anode 
bleibt dies umgekehrte Verhalten bis zur Rückkehr der normalen Er- 
regbarkeit erhalten; an der früheren Kathode schwindet es bald und 
es tritt wieder, wie während der Durchströmung, erhöhte Erregbar- 
keit ein, welche dann allmählich verschwindet. 

Durch diese Tatsachen findet bekanntlich das von Pflüger bei 
der elektrischen Reizung festgestellte Zuckungsgesetz, das in einzelnen 
Punkten schon von Ritter und Heidenhain formuliert war (siehe Bieder- 
mann, 1895, S. 557), eine auskömmliche Erklärung. Das Gesetz wird 
aus der Pflügerschen, hier folgenden Tabelle ersichtlich (die Anordnung 
der Tabelle weicht vom Original etwas ab). 


Stromstärke Aufsteigender Strom Absteigender Strom 
Schließung Öffnung Schließung Öffnung 
Schwach Zuckung Ruhe Zuckung Ruhe 
Mittelstark Zucekung Zuckung Zuckung Zuckung 
Stark Ruhe Zuckung  Zuckung Ruhe 


(schwache Zuckung) 


Nach Analogie der Erscheinungen am Muskel wird angenommen, 
daß bei der Schließung die Erregung an der Kathode, bei der Öff- 
nung an der Anode stattfindet; diese Annahme steht auch mit den 
Erregbarkeitsverhältnissen bei konstanter Durchströmung im besten 


er im marklosen Nerven fehlte und an leblosen Röhren mit stärker leitendem 
Flüssigkeitskern ebensogut herzustellen sei wie an markhaltigen Nerven (nasses 
Schilfrohr mit Kochsalzlösung gefüllt). (Hering und Biedermann unterscheiden 
danach zwischen einem physikalischen und einem physiologischen Elektrotonus. 
Letzterer soll nach Biedermann [1888] in der Äthernarkose verloren gehen, ersterer 
aber persistieren. Seitdem hat Boruttau (1597) gezeigt, daß auch an marklosen 
Nerven (Cephalopoden) elektrotonische Ströme zur Beobachtung kommen, die 


allerdings schwächer sind als an markhaltigen Nerven. Außerdem zeigte Waller 


1895, 1896, 1897] und Boruttau (1897), daß die elektrotonischen Ströme bei der 
Narkose und bei Anwendung andrer Substanzen verschiedenartige Veränderungen 
erleiden. Nareotica, Säuren und Wärme vermindern mehr den Anelektrotonus, 
Alkalien und Kälte mehr den Katelektrotonus. Da aber immer noch eine reich- 
liche extrapolare Stromausbreitung bei der Narkose übrig bleibt, so wird man 
die Existenz eines physikalischen Elektrotonus nicht ganz leugnen können, 
wenngleich derselbe mehr auf ordinäre Stromschleifen zu beziehen sein dürfte.) 
Die Resultate von Grünhagen und Baranowski und Garr& sind möglicherweise 
(siehe Biedermann, 1895) auf diese Stromschleifen zu beziehen. — Untersuchungen 
von Du Bois-Reymond (1867) über die Ausbreitung der elektrischen Erscheinungen 
bei konstanter Durehströmung haben wie die Pflügerschen Untersuchungen zu 


dem Resultat geführt, daß der Katelektrotonus sich schnell entwickelt und 


ziemlich schnell sinkt, während der Anelektrotonus allmählich ansteigt, einige 
Zeit auf der Höhe bleibt und dann langsam nachläßt. 


$ 


Das Wesen der Nervenleitung. 375 


Einklang. Ein direkter Beweis existiert nur dafür, daß die Erregung 
bei der Öffnung von der Anode ausgeht. Nach starker Durchströ- 
mung tritt beim Öffnen häufig keine einfache Zuckung, sondern an- 
dauernder Tetanus ein (Ritterscher Öffnungstetanus). Schneidet man 
nun den nach absteigender Durchströmung in dauernde Öffnungs- 
erregung geratenen Nerven im Indifferenzpunkt durch, so hört der 


Tetanus sofort auf (Pflüger). Auch durch zeitmessende Versuche 
(Bezold, 1861) wird die Richtigkeit des Satzes sehr wahrscheinlich 
gemacht. Angenommen der Satz sei richtig — und es zweifelt wohl 


niemand an seiner Richtigkeit —, so erklärt sich der zuerst paradox 
erscheinende Erfolg der Reizung mit starken Strömen einfach auf 
folgende Weise: Bei aufsteigendem Strom tritt an der Anode so 
schnell die Leitungsunfähigkeit ein, daß die an der zentralgelegenen 
Kathode auftretende Schließungserregung nieht mehr hindurch gelangen 
kann. Andrerseits tritt bei Öffnung des absteigenden Stromes an der 
Kathode Leitungsunfähigkeit ein, so daß die von oben kommende 
Öffnungserregung nicht zum Muskel gelangen kann. 

Von vorn herein mußte es merkwürdig erscheinen, daß der kon- 
stante Strom bei gleichmäßigem Fließen keine Erregung hervorbringt, 
daß vielmehr nur Stromesschwankungen erregend wirken (Du Bois’ 
Gesetz der Nervenerregung), denn es muß doch angenommen werden, 
daß der Strom auch beim ruhigen Fluß wie sonst überall dauernd 
Veränderungen hervorruft. Es hat sich denn auch gezeigt, daß unter 
Umständen eine dauernde Erregung durch den konstanten Strom her- 
vorgerufen werden kann und daß die wahrscheinlich gesetzten dauern- 
den Veränderungen des Nerven in der Regel nur zu gering oder zu 
gleichförmig sind, um Erregung hervorzubringen. Beim Frosch zeigt 
sich eine Dauererregung hauptsächlich nach Abkühlung als Pflüger- 
scher Schließungstetanus (außerdem eine Dauererregung als Nach- 
wirkung im Ritterschen Öffnungstetanus). Bei manchen Tieren scheint 
überhaupt nur tetanische Erregung durch den konstanten Strom her- 
vorgerufen werden zu können, so bei Säugetieren (Eckhard, 1888) 
und manchen Wirbellosen (Scherennerv des Krebses, Biedermann, 
1888, und Nerven von Aplysia, Bethe). Auch die sensiblen Nerven 
des Menschen werden während der ganzen Schließungsdauer erregt 
(Volta: Ausstrahlen eines dauernden Schmerzes in die Finger bei Auf- 
setzung der Elektroden auf den Ulnaris). 

Nach dieser kurzen Rekapitulation einiger der Hauptergebnisse 
der bisherigen Forschung auf diesem Gebiet, will ich nun zur Be- 
schreibung dessen übergehen, was sich nach konstanter Durehströmung 
im primärgefärbten Bilde wahrnehmen läßt. 


187 


276 Das Wesen der Nervenleitung. 


Versuchsanordnung. 


Zur Zuleitung (des Stromes bediente ich mich immer „unpolari- 
sierbarer“ Stiefelelektroden, deren Tonpfropf in ein horizontal gerich- 
tetes, oben scharfkantiges Prisma auslief. Als Stromquelle benutzte ich 
in der Regel fünf oder sechs Daniells. Von den Elementen wurde 
der Strom unter Einschaltung eines Schlüssels dem Du Boisschen 
Rheochord zugeführt. Von den Enden desselben ging wie üblich eine 
Nebenschließung durch einen Stromwender zu den Elektroden. In 
diesen Kreis war außerdem ein kleines Galvanometer von mäßiger 
Empfindlichkeit eingeschaltet. Dasselbe zeigte '/,.. Milliampere noch 
deutlich an und hatte nur den Zweck die benutzten Ströme annähernd 


Fig. 69. Skizze der Aufstellung, welche benutzt wurde, um Nerven während der Polarisation zu 

fixieren. — E. unpolarisierbare Elektroden, R.e. Reizelektroden, K. Klammern, welche den Frosch- 

schenkel halten, @%. Glasschale, in welche die Elektroden mit dem darüberliegenden Nerven und 
der Schenkel hineinragen. 


zu bestimmen, um in Vergleichsversuchen gleiche Stromstärken her- 
stellen zu können. Da es notwendig war während der Durchströ- 
mung zu fixieren, so wurde die Aufstellung des Präparats dem ent- 
sprechend getroffen: In eine Glasschale von etwa 10 cm Durchmesser 
ragen die Stiefelelektroden von oben herein (Fig. 69), so daß zwischen 
ihrem unteren Rande und dem Boden der Schale noch ein kleiner 
Zwischenraum bleibt. Neben den Elektroden sind ebenfalls über dem 
Boden schwebend zwei gebogene Metallelektroden angebracht, welche 
mit der sekundären Spirale eines Induktionsapparats in Verbindung 
stehen. Vermittelst dieser wird auf Undurchgängigkeit der Anode 
zeprüft; ausserdem halten sie den Nerven in der richtigen Lage. Am 
entgegengesetzten Rande der Glasschale steht ein Gestell mit zwei 
Klammern zur Aufnahme des Froschunterschenkels. (Die Stative waren 
in den meisten Versuchen durch untergelegte Glasplatten gegen die 


Das Wesen der Nervenleitung. 977 


Erde isoliert.) Dieser wird so eingeklemmt, daß er mit dem Nervenende 
in die Schale hineinragt. Der Nerv wird dann so über die Elektroden 
gelegt, daß er von oben gesehen eine möglichst grade Linie bildet, von 
der Seite gesehen aber zwischen den Elektroden etwas herabhängt 
(Fig. 69). Der Zweck dieses graden Auflegens ist folgender: Der Nerv 
behält nach dem Fixieren die ihm gegebene Form bei. Wenn man ihn 
dann parallel zur graden Achse schneidet, so bekommt man auch bei 
zanz langen Nervenstrecken ununterbrochene Schnitte, an denen ohne 
weitere Markierung die Lage der Elektrodeu allein dureh die scharf 
abgesetzten Krümmungen an den Auflagestellen gekennzeichnet ist. 
(Bei der Äthermethode bleibt der Nerv so weich, daß sich die Krünı- 
mungen beim Abnehmen von den Elektroden ausgleichen. Hier be- 
stimme ich die Lage der Elektroden entweder durch Ausmessung von 
den Schnittenden aus oder durch Markierung mit Zinnoberstaub, der 
am eben feuchten Nerven in genügendeı Menge haften bleibt.) 

Nachdem der Nerv gut über die Elektroden gelagert ist, lasse 
ich den Strom, je nach Art des Versuches, verschieden lange hin- 
durchgehen und fixiere dann in der Weise, daß die Glasschale mit 
Alkohol, Äther oder Osmiumsäurelösung (/, °/,) gefüllt wird. Nach 
etwa einer Minute wird dann der Strom geöffnet. Der Nerv ist dann 
bei Anwendung von Alkohol und Äther schon soweit verändert, daß 
eine Öffnungserregung nicht mehr zustande kommt. Bei Anwendung 
von Osmiumsäure muß man meist etwas länger geschlossen halten. — 
Bei länger ausgedehnter Durchströmung lege ich die Schale mit feuchten 
Fließpapier aus und bedecke sie mit einem Deckel aus Glimmer, der 
so ausgeschnitten ist, daß er nur die Elektroden und den Schenkel 
ausspart, also einen genügenden Schutz gegen Austrocknung gewährt. 
Bei denjenigen Versuchen, bei denen die Anwendung einer feuchten 
Kammer in dieser Gestalt unmöglich ist, verhüte ich die Austrocknung 
durch Befeuchten mit einem in physiologische Kochsalzlösung ge- 
tauchten Pinsel. 


Anoden- und Kathodenbild. 

Versuch 1. Ein starker Strom, der bereits beim ‘Schließen sofort 
eine vollkommene Aufhebung der Leitungsfähigkeit an der Anode her- 
vorruft, wird zehn Minuten lang durch den Nerven geleitet. Ich be- 
nutzte dazu gewöhnlich den vollen Strom von fünf oder sechs Daniells 
(also unter Ausschaltung des Rheochords). Die Richtung des Stromes 
ist gleichgültig, ebenso die Länge der interpolaren Strecke. Im all- 
gemeinen wählte ich, um das Schneiden nicht zu sehr zu erschweren, 
eine interpolare Strecke von 1—2 em. ‚Je nach dem Widerstand der 
Elektroden und der Länge der Nervenstrecke hatte der hindurehgehende 
Strom eine Stärke von 0,05—0,2 Milliampere. Auch bei stärksten, 


I78 Das Wesen der Nervenleitung. 


oberhalb der durchflossenen Strecke angesetztem tetanischen Reiz darf 
von Anfang an keine Reaktion des Schenkels eintreten. Nachdem 
der Strom zehn Minuten hindurchgegangen ist, wird die Schale mit 
Alkohol gefüllt und dann, nach etwa einer Minute, der Strom geöffnet. 
Darauf Entwässern mit absolutem Alkohol, längeres Verweilen in Xylol 
und Einbettung in Paraffin. Die Schnitte werden, wie oben (S. 135) 
angegeben, gefärbt. 

Das Färbungsresultat ist bei den vielen Versuchen, welche ich 
gemacht habe, immer das gleiche gewesen: Die Anode ist voll- 
kommen farblos, die Kathode zeigt eine wesentlich 
stärkere Färbung der Achsenzylinder, als es an nor- 
malen Nervenstellen der Fall ist! Die Figur 707 zeigte ein 
Photogramm eines Schnittes durch einen solchen Nerven bei schwacher 
Vergrößerung.') In Figur 71°) sind Stellen aus den verschiedenen Re- 
sionen desselben Schnittes bei stärkerer Vergrößerung photographisch 
abgebildet. Der Unterschied zwischen normaler Nervenstelle einerseits 
und der Kathode und Anode andrerseits ist so deutlich, daß es einer 
Erklärung weiter nicht bedarf. Im Präparat treten die Unterschiede 
viel deutlicher hervor. Figur 70 /7 gibt von einem andern Schnitt eine 
schematische, aber nicht übertriebene Zeichnung. Durch die Färbung 
der Kerne und des Bindegewebes wird der Unterschied der verschiedenen 
Stellen für das bloße Auge weniger auffällig, doch sind die Ver- 
schiedenheiten in der Färbungsintensität in der Regel schon mit bloßem 
Auge deutlich zu sehen. 

Von der Anode aus nimmt die Färbung nach dem 
extrapolaren Teil hin allmählich an Intensität zw 
(Bisweilen erstrecken sich, besonders wenn die Elektrode nicht scharf- 
kantig war, einige gefärbte Fasern von der extrapolaren Strecke in 
die Anodenstelle hinein; solche noch gefärbten Fasern finden sich, 
wenn überhaupt, nur an der der Auflagestelle gegenüberliegenden 
Seite.) Ohne daß eine Verstärkung der Färbung jenseits der Anode 
zu bemerken wäre, treten normale Verhältnisse in der extrapolaren 
Strecke ein (Fig. 70). 

Jenseits der Kathode — etwa 2—2,5 mm von der Mitte 
der Auflagestelle entfernt — nimmt die Intensität der 
Färbung immer mehr ab und zwar unter das Maß eines 
normalen Nerven (Fig. 70 Z7). Weiterhin nimmt dann die 
Färbungsintensität allmählich wieder zu, bis sie 4—6 mm 
von der Kathode entfernt ungefähr so intensiv ist, wie man es bei 


|) Der auf der Platte deutlich sichtbare Unterschied zwischen Anode und 
Kathode kommt in der Reproduktion nicht heraus. Die Figur kann nur noch 
dazu dienen, die Form eines solchen Schnittes zeigen. 

2) Figur 71 ist auf Tafel II dem Buch hinten angefügt. 


Das Wesen der Nervenleitung. 279 


normalen Nerven zu finden gewohnt ist. Die Verstärkung der Färbung 
an der Kathode ist bei mittlerer Temperatur (siehe S. 291) immer sehr 
auffallend, dagegen ist die Abnahme der Färbung jenseits derselben 
nieht immer deutlich wahrzunehmen, weil sie sehr allmählich einsetzt 
und nie bis zur vollkommenen Farblosigkeit (wie an der Anode) führt. 
Je stärker der Strom war oder je länger er andauerte, desto deut- 
licher ist aber dieses Hellerwerden jenseits der Kathode zu sehen. 
Wenn man von der Anode aus die interpolare Strecke verfolgt, 
so findet man zunächst noch alle Achsenzylinder ganz farblos (bis- 
weilen findet man einzelne schwach gefärbte Fasern, doch muß man 


1 


—— 


Fig. 70. J. Photogramm eines Längsschnittes durch einen Froschnerven, welcher zehn Minuten mit 
einem starken Strom (4 Daniel, voller Strom) polarisiert, mit Alkohol fixiert und auf dem Schnitt 
mit Toluidinblau 1:3000 (15 Minuten) gefärbt worden ist. (Vergrößerung etwa 10mal). Links Anode, 
rechts Kathode. — /I. Schnitt durch einen andern gleichbehandelten Nerven schematisch gezeichnet. 
Die Kerne sind wie in allen folgenden schematischen Figuren fortgelassen. Der Nerv ist verkürzt 
und nur aus wenigen Achsenzylindern (4) bestehend gedacht. Wert wurde nur darauf gelegt, die 
Dunkelheit der Achsenzylinder in den verschiedenen Abschnitten ihres Verlaufs möglichst genau 
(d.h. dem Präparat entsprechend) wiederzugeben. 


sich vor der Verwechslung mit gefärbten Bindegewebssträngen hüten). 
Wenn man an der Mitte der interpolaren Strecke angekommen ist 
oder bereits etwas über dieselbe hinaus ist, so beginnen die Achsen- 
zylinder wieder etwas gefärbt zu sein (Fig. 71 C) und nun nimmt die 
Färbung nach der Kathode zu immer mehr zu, um in deren Nähe ganz 
stark zu werden (Fig. 70 77 u. Fig. 712). 

Läßt man einen polarisierenden Strom von gleicher Stärke nur 
eine kurze Zeit geschlossen, z. B. 10”, und fixiert dann, so ist nichts 
von den beschriebenen Veränderungen zu bemerken. Die ersten deut- 
lichen Veränderungen zeigen sich nach einer Sehließungsdauer von 
einer halben bis einer Minute. An der Anode sieht man eine kurz 
begrenzte Helligkeit, bei Durehströmung von einer Minute meist be- 


280 Das Wesen der Nervenleitung. 


reits eine vollständige Farblosigkeit (Fig. 72 4). Die Kathode ist 
deutlich dunkler als die Umgebung, aber noch nicht so dunkel wie bei 
langer Durchströmung; die interpolare Strecke erscheint außer in der 
nächsten Nähe der Pole ganz normal. Wenn man jetzt immer längere 
Durchströmungszeiten anwendet, so dehnt sich das Gebiet der Anoden- 
und Kathodenveränderung immer weiter nach beiden Seiten hin aus, 
so daß sich etwa nach fünf Minuten das Bild zeigt, welches auch nach 
zehn Minuten langer Durchströmung zu sehen ist; jedoch ist die 
Kathode noch nicht ganz so dunkel als bei dieser Durchströmungsdauer 
und die helle Zone jenseits der Kathode ist nieht oder nur ganz un- 
deutlich zu bemerken (Fig. 72 2). 

Hieraus scheint hervorzugehen, daß die Fibrillensäure allmählich 
von der Anode nach beiden Seiten, aber hauptsächlich nach der Kathode 


Fig. 72. Schematische Abbildungen des Polarisationsbildes unter verschiedenen Bedingungen, 
4A Starker Strom, eine Minute durchströmt. B Bei gleichem Elektrodenabstand und gleicher Strom- 
stärke fünf Minuten durchströmt. € Bei schwachem Strom zehn Minuten durchströmt. 


hin, verdrängt ‚wird, während sie von der Kathode sowohl aus der 
interpolaren als auch aus der extrapolaren Strecke angezogen wird 
und zwar aus der letzteren weniger intensiv. Bei langdauernder 
Durehströmung wird aber auch so viel Fibrillensäure aus der extra- 
polaren Strecke an die Kathode gezogen, daß jenseits derselben ein 
deutlicher Mangel entsteht. 

Dieselben Effekte lassen sich nun auch bei sehr viel schwächeren 
Strömen erzielen; jedoch muß man den Strom um so länger hindureh- 
fließen lassen, je schwächer der Strom ist. Bei eingeschalteten 
Rheochord kann man bei einer Stromquelle von sechs Daniells manch- 


mal schon nach fünf Minuten ein vollständiges Polarisationsbild erzielen, 
wenn auch nur die drei ersten Stöpsel herausgenommen sind, d.h. 
nach meiner approximativen Messung bei einem Strom von etwa 


0,02—0,03 Milliampere. 


Das Wesen der Nervenleitung. 381 


Bei einer Stromstärke, welche beim Schließen noch keine voll- 
kommene Leitungsunfähigkeit der Anode ergibt, sondern bei der sich 
dieselbe erst nach etwa 20—30 Sekunden ausbildet, bekommt man in 
10—15 Minuten ein wohlausgebildetes Polarisationsbild mit voll- 
kommener Farblosigkeit der ganzen anodischen Strecke; jedoch liegt 
hier wie bei allen schwachen Strömen auch bei langer Durchströmung 
der färberische Indifferenzpunkt näher an der Anode. (Auffallend ist 
bei den schwachen Strömen, daß die Anoden- und Kathodenveränderung 
weiter auf die extrapolare Strecke übergreift als es in der Regel bei 
starken Strömen der Fall ist.) Fixiert man bei einem derartigen Strom 
(etwa 0,01—0,02 Milliampere) schon nach fünf Minuten, so findet man 
nur an der Kathode eine deutliche Veränderung, während die 
Anode noch ziemlich unverändert erscheint. Bei noch schwächeren 
Strömen (von weniger als 0,01 Milliampere, sogenannte „schwache 
Ströme“ d.h. solche, die nur Schließungszuckung geben), welche die 
Anode erst nach 3—4 Minuten langer Durchströmung leitungsunfähig 
machen, kommt es auch bei längster Durchströmung (20 Minuten) in 
der Regel nicht zu einer vollständigen Farblosigkeit der Anode. Die- 
selbe zeigt sich zwar immer wesentlich heller als normale Nerven- 
stellen, behält aber in allen Fasern eine geringe Färbbarkeit bei. 
Dagegen zeigt die Kathode immer eine sehr deutliche Verdunklung 
(Fig. 72 ©). Diese Verdunklung der Kathode zeigt sich auch bei noch 
schwächeren Strömen, welche erst nach 20—30 Minuten eine Undureh- 
gängigkeit der Anode hervorrufen und die die Anode auch nach 
15—20 Minuten noch nicht deutlich verändern. Hieraus ergibt sich, daß 
die Kathodenveränderung eher eintritt oder leichter hervorzurufen ist 
als die Anodenveränderung. 

Öffnet man einen starken Polarisationsstrom, nachdem er etwa 
10’ geschlossen war, so tritt, wie bekannt, die Leitungsfähigkeit der 
vorher anodisch gewesenen Strecke nicht sofort wieder ein, ja nach 
sehr starkem und andauerndem Durchströmen kann der Nerv dauernd 
oder für lange Zeit geschädigt sein. Wartet man so lange, bis 
der Nerv wieder in allen Teilen leitungsfähig ist, und 
fixiert man ihn jetzt, so sieht man stets alle durch den 
Strom gesetzten Veränderungen wieder ausgeglichen: 
Die Anode hat wieder normale Färbbarkeit und an der 
Kathode ist von einer stärkeren Färbung meist nichts 
mehr zu bemerken. Bisweilen findet man die Anode, nachdem 
sie wieder vollständig durchgängig ist, etwas dunkler als normale 
Nervenfasern; die Kathode wird nie heller als normal gefunden, doch 
kann sie bei zurückgekehrter normaler Erregbarkeit bisweilen noch 
etwas dunkler als die Umgebung sein. (Mit Vorteil verwendet man 
zu diesen Versuchen Ströme, welche eben grade imstande sind, 


382 Das Wesen der Nervenleitung, 


ein deutliches Polarisationsbild hervorzurufen. Man braucht dann nur 
10—20 Minuten zu warten und ist doch sicher, daß vorher eine Ver- 
änderung bestand.) Fixiert man nach Öffnung des Stromes, noch ehe 
die Leitungsfähigkeit der Anode wiedergekehrt ist, so findet man die 
Anode immer noch farblos oder wenigstens bedeutend heller als nor- 
male Nervenstellen. Kurz nach dem Öffnen eines starken Stromes 
findet man fast dasselbe Bild, wie wenn während der Durchströmung 
fixiert ist; je länger man wartet, desto mehr zeigt sich die anodische 
Strecke des Färbungsbildes eingeengt und die kathodische Strecke 
heller. Daraus geht hervor, daß die Fibrillensäure allmählich ihre 
normale Verteilung wiedergewinnt. Diese Restitution nimmt sehr viel 
mehr Zeit in Anspruch als zur Hervorrufung der Veränderung nötig 
war. Andrerseits wird durch diese Versuche aber auch gezeigt, daß 
eine Nervenstreeke nur dann leitungsfähig ist, wenn sie 
eine reichliche Menge Fibrillensäure in kontinuier- 
licher Verteilung besitzt. Die Anwesenheit von Fi- 
brillensäure an den Fibrillen ist Bedingung der Ner- 
venleitung! 

Wie verhalten sich nun die Neurofibrillen gegenüber dieser offen- 
baren Verschiebung der Fibrillensäure? Daß die Fibrillen bei der 
konstanten Durchströmung nicht aufgelöst werden, läßt sich bereits 
aus den gewönlichen Alkoholpräparaten ersehen, wenn man die Schnitte 
nach vorhergegangenem Molybdänieren mit basischen Farbstoffen, 
also sekundär, färbt. Hier zeigt sich derSchrumpfungs- 
strang des Achsenzylinders überall gleich dunkel ge- 
färbt und auch an der Anode nicht unterbrochen. Von 
dem im primärgefärbten Präparat so deutlich hervor- 
tretenden Färbungsunterschieden ist nichts zu sehen. 
Statt dessen zeigt sich aber ein morphologischer Unterschied: Die ge- 
schrumpften Achsenzylinder sind an der Anode wesentlich dünner als 
an normalen Nervenstellen, an der Kathode aber etwas dicker (letzteres 
ist nicht immer deutlich). Um über die Fibrillen genauere Aufschlüsse 
zu gewinnen, muß in Osmiumsäure fixiert werden. 

Versuch 2. Ein Nerv wird wie beim Versuch 1 mit dem vollen 
Strom von fünf oder sechs Daniells 10° durchströmt. Dann wird die 
Glasschale mit '/,°/, Osmiumsäure gefüllt und nach 1—3 Minuten 
der Strom geöffnet. Nach 12—24 Stunden wird der Nerv von den 
Elektroden herabgenommen und in der bekannten Weise (aber ohne 
Reduktion) weiter behandelt (Mönckeberg und Bethe, 1899). Ein Teil 
der Schnitte wird direkt mit Toluidinblau gefärbt und die Färbung 
nach dem Waschen mit molybdänsaurem Ammonium fixiert, ein andrer 
Teil wird erst molybdäniert und dann gefärbt. Die Präparate 
zeigen keinen Unterschied untereinander. An allen 


Das Wesen der Nervenleitung. 283 


Stellen treten die Fibrillen mit der gleichen Schärfe 
und Deutlichkeit hervor; sie durehziehen die Anode 
ebenso glatt wie die Kathode und die interpolare 
Strecke; sie sind an der Anode nicht dünner als normal 
und an der Kathode nicht dieker: kurz, man kann an 
diesen Präparaten nicht sehen, daß mit dem Nerven 
irgend ein Eingriff vorgenommen ist. Da auch das direkt 
gefärbte Präparat nichts von einer Anodenhelligkeit und Kathoden- 
dunkelheit erkennen läßt, so kann man schließen, daß die direkte 
Färbbarkeit nach Osmierung nichts mit der primären Färbbarkeit nach 
Alkoholbehandlung, also der Anwesenheit von Fibrillensäure, zu tun 
hat. Die Fibrillensäure geht bei der Osmiumsäurebehandlung (vielleicht 
durch Oxydation?) verloren, wofür sich auch andres anführen läßt. 
Bei der konstanten Durehströmung werden also die 
Fibrillen, soweit sich das mit unsern Mitteln erkennen 
läßt, nicht verändert! Was geändert wird, ist die 
Verteilung der an ihnen haftenden Fibrillensäure. (Eine 
andre Auffassung der Befunde wird späterhin Berücksichtigung finden.) 
Da die Fibrillenbündel im Alkoholpräparat bei sekundärer Färbung 
an der Anode dünner gefunden werden als an der Kathode, die 
Fibrillen selber aber keine Verjüngung an der Anode zeigen, so 
könnte man auf den Gedanken kommen, daß dieses Verhalten durch 
die Abwesenheit resp. Anwesenheit von Fibrillensäure hervorgerufen 
wird. Dieser Schluß wäre aber verfrüht. Im Jahre 1868 wurde 
nämlich von Munk gezeigt, daß am durchströmten Nerven das Reuss- 
sche Phänomen, nämlich Wassertransport von der Anode zur Kathode, 
in Erscheinung tritt (siehe auch Quincke, Annalen der Physik und 
Chemie, Bd. 113, 1861). Es ist nun möglich, daß die Wasserverarmung 
der Anodengegend (sie greift nach Munk auf die extrapolare Strecke 
über) im Alkoholpräparat in der Dünne der Schrumpfungsbündel zum 
Ausdruck kommt, daß sie sich aber durch den langen Aufenthalt in 
einer wässerigen Lösung bei der Osmiumfixierung wieder ausgleicht. 
(Es sei hier erwähnt, daß Munk den Wassertransport mit der physio- 
logischen Wirkung des konstanten Stromes in Zusammenhang bringt.) 
Aus den bisher beschriebenen Versuchen kann man folgende Vor- 
stellungen ableiten. Der konstante Strom "hebt an der Anode die Ver- 
bindung zwischen Fibrillensäure und Fibrille auf, während er sie an 
der Kathode festigt; die Anode stößt außerdem die Fibrillensäure ab, 
die Kathode zieht sie an. (Gegen einen direkten Vergleich der Fibrillen- 
säure mit einem Kation spricht die Ausdehnung der Wirkung auf die 
extrapolare Strecke.) Die Ansammlung an der Kathode wird sich 
außer auf eine ganz andre Weise, auf die ich später zu sprechen 
komme, nur durch eine Wanderung der Fibrillensäure erklären 


284 Das Wesen der Nervenleitung. 


lassen. Dagegen könnte man das Fehlen von Fibrillensäure an der 
Anode auf folgende Weise erklären: Die Anode bewirkt zwar eine 
Abspaltung der Fibrillensäure; diese bleibt aber ruhig an Ort und 
Stelle liegen und wird, da die freie Säure in Alkohol löslich ist, beim 
Fixieren herausgelöst. Gegen diese Deutung spricht bereits die Lang- 
samkeit, mit der das Polarisationsbild erscheint und verschwindet: 
es läßt sich aber auch direkt zeigen, daß sie unrichtig ist. (Beweis 
in Versuch 3 und 4.) Es bliebe also nur die andre Annahme, daß die 
Fibrillensäure auch von der Anode fortwandert. Da nun im Alkohol- 
präparat sich nicht nur die Anode selber, sondern auch ihre extra- 
polare Nachbarschaft farblos findet, so muß man annehmen, daß die 
Fibrillensäure auch nach hierhin (also in extrapolarer Richtung) fort- 
geschoben wird. Da die Fibrillen dieser Gegend nach der eben ge- 
machten Annahme eine verminderte Haftfähigkeit für die Fibrillensäure 
haben, so muß die extrapolarverschobene Fibrillensäure frei bleiben; 
sie wird also bei Alkoholfixierung gelöst und kann nicht zur Dar- 
stellung gelangen. Wendet man nun ein Mittel an, welches die Fibrillen- 
säure nicht löst, so muß man die freie Fibrillensäure jenseits der 
Anode nachweisen können. Das Mittel, diesen Zweck zu erreichen, 
besitzen wir im Äther. 

Versuch 3. Ein Nerv wird in der gewohnten Weise 10’ durch- 
strömt und dann die Schale mit Äther gefüllt. (Weitere Behandlung 
siehe S. 146.) In solehen Präparaten sieht man, wie erwähnt, die 
Fibrillen zwar auch etwas zusammengeschnurrt, aber in der Regel 
doch nicht so stark, daß sie nicht noch als Individuen zu sehen 
wären. (Außerordentlich störend bei der Untersuchung. ist die starke 
Mitfärbung der geronnenen Markscheiden. Nur mit Hilfe der Öl- 
immersion ist eine Auflösung möglich.)') Weit jenseits der Pole sieht 
man die Fibrillen normal gefärbt (Fig. 73 7). An der Kathode 
nimmt die Färbung der Fibrillen wesentlich zu und man 
kann deutlich sehen, daß das Plus an Färbung wirklich auf 
die Fibrillen und nicht etwa auf die Perifibrillär- 
substanz zu beziehen ist (Fig. 73 ZZ). Nach der Anode hin 
nimmt die Färbung nun in der interpolaren Strecke immer mehr ab, 
sanz wie bei Alkoholpräparaten, bis die Fibrillen schließlich 
sanz farblos werden. So geht es fort bis über die Anode 
hinaus, wo die Fibrillen dann allmählich wieder dunkler werden 
(Fig. 73 IV). Extrapolar von der Anode und noch bis in die Gegend 
hinein, wo die Fibrillen schon wieder gefärbt sind, sieht man nun 
um die Fibrillenbündel herum, besonders auf der dem Auflagepunkt 

I) Dieser Übelstand wird durch die neue Äthermethode (p. 146) gehoben. 
Ich habe aber bisher keine Zeit gefunden, die Versuche mit dieser Methode zu 
wiederholen. 


Das Wesen der Nervenleitung. 2385 


des Nerven gegenüberliegenden Seite, aber auch zwischen den Fibrillen 
selber sehr kleine, dunkel gefärbte Körnehen, welche an 
der Kathode und an allen normalen Nervenstellen fehlen (Fig. 73 ZI. 
und ZF.). Ich glaube, daß man diese Körnehen als das Fär- 
bungsprodukt der freien Fibrillensäure (oder ihres Alkali 
salzes, denn sie verschwinden leicht, wenn der Nerv vor dem Färben 
gewässert wird) wird ansehen müssen! 

Außer an dieser Stelle habe ich sie aber manchmal noch an einer 
andern bemerkt, nämlich in der Gegend des Indifferenzpunktes. Ich 
hatte dies theoretisch nicht vorausgesetzt, sehe aber, nachdem der 
Befund gemacht ist, ein, daß ein Vorkommen freier Fibrillensäure 


JE 
EEE ne nn nn an 


a Ce ae 15 20 Fe re ey 


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engine 


u 


Fig. 73. Nervenfasern aus verschiedenen Gegenden polarisierter Nerven nach der (älteren) Äther- 
methode behandelt. (Apochromat 1,30, Kompensationsocular 6, Zeichenapparat). mn. die längs- 
geschnittene, körnige Markscheide. 4. der Achsenzylinder. — /. Aus einer normalen Nervenstelle. 
IT. Aus der Kathodengegend. III. und IV. Aus der Anodengegend, I/II. direkt über der Elektrode, 
IV. etwas mehr extrapolar. (/.—IV. aus demselben Schnitt). V. Faser aus der Anodengegend von 
einem Nerven, dessen positive Elektrode extrapolar während der Polarisation verschoben wurde. 


an dieser Stelle hätte erwartet werden können, denn wir haben ja 
auch hier mangelhafte Affinität der Fibrillen, so daß Fibrillensäure, die 
noch nicht bis zur Kathode gelangt ist, hier frei gefunden werden muß. 

Wenn es richtig ist, daß die Anode die Fibrillensäure extrapolar 
verdrängt, so muß eine ansehnlichere Menge derselben 
extrapolar gefunden werden, wenn man die Anode 
während der Durehströmung in extrapolarer Richtung 
verschiebt. Ein solcher Versuch würde, wenn er positiv ausfiele, 
als Beweis dafür gelten dürfen, daß die bei Fixierung des Polarisations- 
bildes mittels Äther jenseits der Anode gefundenen färbbaren Körnchen 
wirklich mit der freien Fibrillensäure zu identifizieren sind. 


286 Das Wesen der Nervenleitung. . 


Versuch 4. Die Aufstellung des Apparates erfolgt wie bei den 
früheren Versuchen, nur wird die Anodenelektrode an einer Schrauben- 
spindel befestigt, so daß sie in der Längsachse des Nerven allmählich 
verschoben werden kann. (Übrigens kann man die Verschiebung bei 
genügender Vorsicht auch aus freier Hand besorgen.) Die Kathoden- 
elektrode wird nahe am Muskel an den Nerven angelegt, die Anoden- 
elektrode etwa '/, em von ihr entfernt in proximaler Lage. Der 
polarisierende Strom wird zunächst ohne Veränderung der Lage der 
Elektroden zwei Minuten geschlossen gehalten; dann fängt man an 
die Anodenelektrode langsam proximalwärts zu bewegen. Auf jeden 
Millimeter Verschiebung hat man etwa eine Minute zu rechnen. Wenn 
die Anode um 10—15 mm verschoben ist, füllt man die Schale mit 


———n - . 
us = EEK = z EEE LEER LEZTELEITER RT s ne 


Are vertet Run ö . P-- > 5 


Fig. 74. Schematische Darstellungen des Polarisationsbildes.. Der Nerv ist als eine einzige große 

Nervenfaser gedacht. Die dunkle Kontur bedeutet die Markscheide, der Strang in der Mitte den 

Achsenzylinder. K.. Kathode, A. Anode. — I. Die Elektroden stehen während des Versuches fest. 

Äthermethode. I/. und III. Die positive Elektrode wird während des Versuches langsam in der 

tichtung des Pfeiles verschoben. II. Mit der Äthermethode untersucht, III. mit der Alkohol- 
methode untersucht. 


Äther. In einem Kontrollversuch wird genau so verfahren, die Fixation 
aber in der üblichen Weise mit Alkohol vorgenommen. 

Zunächst der Alkoholnerv: Die ganze Verschiebungs- 
streeke der anodischen Elektrode istfreivonFibrillen- 
säure (Fig. 74 777.), jenseits derselben sieht der Nerv aus, wie wenn 
die Elektrode nicht verschoben wäre. Durch die große Nähe des 
färberischen Indifferenzpunktes an der Kathode unterscheidet sich 
soleh Nerv von einem in gewöhnlicher Weise polarisierten. Ist zu 
schnell bewegt, so bleiben einzelne Faserstellen gefärbt. Über 15 mm 
fibrillensäurefreie Strecke habe ich nieht erzielen können, doch mag 
dies bei weiteren Versuchen gelingen. | 

Der Äthernerv zeigt dieganze Verschiebungsstreeke 
in gleicher Weise frei von Fibrillensäure. Ander Anode 
und jenseits derselben findet man aber in reichlicher 


Das Wesen der Nervenleitung. 387 


Menge färbbare Körnchen um die Fibrillenbündel herum und 
auch zwischen denselben. Hier ist fast immer das bereits erwähnte 
Verhalten sehr ausgesprochen, daß die Hauptansammlung der 
Körnchen auf der Seite des Fibrillenbündels (oder an der Wand 
der Markscheide) liegt, welche von der Auflagestelle, also 
der Anode, am weitesten entfernt war! Hierin scheint mir 
der beste Beweis dafür zu liegen, daß die Fibrillensäure von der 
Anode abgestoßen wird. (Fig. 74 77. und Fig. 73 V.) 

Nach diesen Befunden zeigt sich also die Möglichkeit, die Fibrillen- 
säure gewissermaßen aus dem Nerven herauszumelken. Es scheint 
mir außerdem durch dieselben erwiesen zu sein, daß die Anode 
die Fibrillensäure nach beiden Seiten verdrängt und 
die Fibrillen der Fähigkeit beraubt, die Fibrillensäure 
festzuhalten. 

Es drängen sich nun zunächst zwei Fragen auf: 1. Tritt die Ver- 
änderung des Färbungsbildes nur an lebenden Nerven auf? 2. Wenn 
diese Frage mit ja beantwortet werden muß: Beruht der Effekt nicht 
lediglich auf der durch den Strom hervorgerufenen Ansammlung von 
Anionen und Kationen ? 

Die Entscheidung der ersten Frage ist sehr einfach, die der 
zweiten bereitet Schwierigkeiten. 

Versuch 5. Ein Frosch wird durch allmähliches Erwärmen eben 
srade wärmestarr gemacht. Der Hüftnerv wird dann freigelegt und 
auf seine vollkommene Unerregbarkeit geprüft. Ist diese vorhanden, 
so wird er herauspräpariert und zehn Minuten oder länger mit einem 
starken Strom durehströmt. — Die Schnitte zeigen auch nach 
stärkster Durehströmung eine vollständig gleiche Fär- 
bung an allen Teilen der Nervenstrecke! 

Versuch 6. Ein Froschnerv wird für kurze Zeit in Alkohol ge- 
legt, dann mit Kochsalzlösung ausgewaschen und in gleicher Weise 
durehströmt. Auch in diesem Fall ist weder an der Anode noch an 
der Kathode eine Veränderung der Färbbarkeit zu bemerken. 

Aus diesen Versuchen, die in mannigfacher Weise abgeändert 
werden können, geht mit Sicherheit hervor, daß der konstante 
Strom am toten Nerven keine Veränderung in der Ver- 
teilung der Fibrillensäure hervorzurufen imstande ist. 
Wir haben es also bei dem Auftreten eines Polarisationsbildes mit 
einer Erscheinung zu tun, die an das Vorhandensein der lebenden 
Struktur gebunden ist. 

In der Äthernarkose verliert, wie schon oben erwähnt, der Nerv 
die Eigenschaft zu leiten und erregt zu werden. Wir müssen an- 
nehmen, daß der Äther diejenigen Veränderungen, welche das Wesen 
der Nervenleitung ausmachen, an ihrem Zustandekommen ganz ver- 


288 Das Wesen der Nervenleitung. 


hindert oder wenigstens hemmt. Zerstörend auf die lebende Struktur 
kann der Äther dabei nieht wirken, da ja nach dem Vertreiben des 
Äthers durch einen Luftstrom die Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit 
wiederkehrt. Wenn man daher den Nerven während der Äthernarkose 
der Wirkung des polarisierenden Stroms aussetzt, so kann man sicher 
sein, ihn auf lebende und nur im Augenblick leistungsunfähige Substanz 
einwirken zu lassen. Der elektrische Widerstand des Nerven steigt 
zwar in der Äthernarkose, doch läßt sich dies durch Anwendung 
stärkerer Ströme kompensieren. 

Versuch 7. Die Aufstellung der Apparate muß zu den Äther- 
versuchen eine kleine Änderung erfahren: Ich setze in die Glasschale 
ein kleineres flaches Schälehen hinein, welches einen Durchmesser 
von ungefähr 2 em, eine lichten Höhe von 7 mm hat. An zwei gegen- 
überliegenden Stellen ist der Rand des Schälchens soweit eingekerht, 
daß ein Froschnerv bequem in dem Ausschnitt Platz hat. Senkrecht 
zur Verbindungslinie dieser Stellen ist die Wand des Schälchens an 
zwei Stellen, welche 1 em voneinander entfernt sind, bis auf den 
Boden und in einer Breite von 3 mm ausgeschliffen. Auf das Schälchen 
paßt ein Glimmerdeckel, der an einer Stelle ein kleines Loch hat, 
unter das ein Stückehen Watte geklebt ist. Läßt man auf das Loch 
von außen einen Äthertropfen fallen, so wird dieser von der innen- 
befindlichen Watte sofort aufgesogen. Auf diese Weise kann man die 
Narkose innerhalb der Kammer genügend regulieren. Vor der Anstellung 
einer Versuches werden zwei Würste aus Kochsalzton so in die Schale 
gelegt, daß sie aus den großen Ausschnitten des Randes herausragen 
und diese gerade verschließen. Innerhalb der Schale werden sie auf 
den Boden gepreßt und prismatisch geformt. Die vorstehenden Ton- 
stücke werden dann an die Tonpfröpfe der Stiefelelektroden gepreßt, 
welehe, wie bei den vorigen Versuchen, in die große Schale hinein- 
ragen. Nachdem man sich dann davon überzeugt hat, daß nicht 
etwa durch Auflegen des Glimmerdeckels ein Stromschluß hervorgerufen 
wird, wird der Nerv über die beiden Elektroden im Schälchen und 
über die Reizelektroden gelegt und das Schälchen mit dem Glimmer- 
deckel bedeckt, dessen Wattebausch mit einem Tropfen Äther beschickt 
ist. Von Zeit zu Zeit wird geprüft, ob die Ätherstreeke für den 
proximal angesetzten Reiz noch durchgängig ist. Nach etwa einer 
Minute pflegt auch bei stärkster Reizung kein Erfolg mehr am Muskel 
einzutreten. Ich warte dann noch etwa eine halbe Minute und schließe 
nun den Strom für zehn Minuten, während welcher Zeit der Watte- 
bausch immer ätherfeucht gehalten wird. Hierauf wird der Deckel 
xchoben und die große Schale schnell mit Alkohol gefüllt. Nach einer 
weiteren Minute wird der Strom geöffnet. 

Die Schnitte so behandelter Nerven lassen auch 


Das Wesen der Nervenleitung. 289 


_ 


nieht die geringsten Anzeichen von einer Kathoden- 
oder Anodenveränderung erkennen. Sie sehen grade 
so aus, als wenn der Nerv überhaupt nieht durehströmt 
worden wäre. 

Schließt man den konstanten Strom grade in dem Augenblick, 
in dem der zentral angesetzte Reiz keinen Effekt mehr ausübt, wo also 
ein in der Kammerstrecke angesetzter Reiz noch eben wirksam sein 
würde, oder gibt man nur wenig Äther, so findet man an der Anode 
eine schwache und wenig ausgedehnte Abnahme der primären Färb- 
barkeit, an der Kathode dagegen keine Veränderung. Die Kathoden- 
veränderung wird also leichter durch Ätherdämpfe 
unterdrückt als die Anodenveränderung. (Daß ich mich 
davon überzeugt habe, daß die angewandte Stärke und Dauer der 
Narkose den Nerven noch nicht tötet, sondern noch eine Erholung 
zuläßt, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.) 

Ganz dasselbe Resultat erhält man, wenn man statt Äther Alkohol, 
Chloroform oder Ammoniak anwendet. Ist die Erregbarkeit in der 
Kammerstrecke aufgehoben, so tritt keine Veränderung des Färbungs- 
bildes bei konstanter Durchströmung ein. 

Aus diesen Resultaten scheint mir hervorzugehen, daß die Ver- 
änderung in der Verteilung der Fibrillensäure nicht 
nur das Vorhandensein der lebenden Struktur, sondern 
auch die Funktionsfähigkeit der benutzten Nerven- 
strecke zur Voraussetzung hat, und ich glaube nicht zu weit 
zu gehen, wenn ich behaupte: Die Veränderung in der Ver- 
teilung der Fibrillensäure bei der Einwirkung eines 
konstanten Stromes ist ein Lebensvorgang. Die Nar- 
eotica heben die Bewegungsfähigkeit der Fibrillen- 
säure auf, und die Bewegungsfähigkeit der Fibrillen- 
Bimrelist Bedingung für die Nervenleitung. 

Eine ganz andre Wirkung zeigte sich bei der Polarisation von 
Nerven, welche sich in einer reinen Kohlensäure-Atmosphäre befinden. 
(Es wurde hierzu eine besonders konstruierte Kammer verwendet. Die 
Polarisation begann zwanzig Minuten nach dem Beginn der Gas- 
einleitung.) Bei den drei angestellten Versuchen zeigte sich die Anode 
viel weiter ausgedehnt als im gleich lange und gleich stark durch- 
strömten Kontrollnerv. Der Höhepunkt der Kathodenausbildung lag in 
allen drei Fällen nicht über der Elektrode, sondern intrapolar 
von derselben. Bei zweien der Nerven lag ein zweites Färbungs- 
maximum extrapolar von der Kathode. Beispiel: Normaler Nerv (N.) 
und CO, Nerv (n.) zehn Minuten bei 1,5 em Elektrodenabstand mit 
Strom von 0,06 Milliampere durchströmt. Farblosigkeit der Anode in 
N.3 mm, in n. 5,5 mm. Kathodenveränderung in N. an der Elektrode, 


Bethe, Nervensystem. 19 


290 Das Wesen der Nervenleitung. 


Ausdehnung 5 mm. n. zeigt an der Auflagestelle in einer Ausdehnung 
von 1,2 mm normale Färbung. Färbungsmaximum intrapolar davon 
1,5 mm lang, extrapolar 2,8 mm lang. 

Ich komme nun zu der Frage zurück, ob die geschilderten Ver- 
änderungen auf die Ansammlung von Ionen zurückgeführt werden 
können. Eine klare Vorstellung könnte man sich nieht machen, wie die 
Ionen in dieser Weise wirken sollten, da die in Betracht kommenden 
Anionen (Cl , PO, und CO, ) die Fibrillensäure nicht in Wasser 
löslieh machen und die Kationen (Nat, Cat und K*) die Fibrillen- 
säure lösen. Hiernach sollte man eher erwarten, daß die Anode un- 
verändert, die Kathode aber farblos wäre. Bei der Annahme einer 
inneren Polarisation im Sinne der Kernleitertheorie (Ausbildung einer 
inneren Anode an der Kathode und umgekehrt) würden sich die Be- 


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Fig. 75. Schematische Darstellung des Polarisationsbildes bei gleicher Stromstärke, gleichem Elek- 
trodenabstand (1 em), gleichlanger Durchströmung (10 Minuten) und verschiedener Temperatur. 
1.232205 YIF1SI2CH HT: 7398G: 


«dingungen allerdings umkehren. Gegen eine direkte Zurückführung 
der Fibrillensäurewanderung auf lonenwirkung scheinen mir aber 
die Resultate am toten und narkotisierten Nerven zu sprechen. 
Beim toten Nerven tritt die Wanderung der Ionen voraussichtlich 
ebensogut ein wie am lebenden Nerven, von einem Polarisationsbild 
ist aber nichts zu sehen. Äther und Alkohol behindern zwar die Be- 
weglichkeit der Ionen, aber bei der in den Versuchen angewandten 
Konzentration dürfte die Behinderung doch nicht groß genug sein, 
um eine Wanderung ganz zu verhindern, zumal bei sehr starken 
Strömen. 

Ein weiterer Einwand gegen die Zurückführung der Polarisations- 
bilder auf einfache Ionenwirkung ergibt sich aus den Befunden, welche 
die Untersuchung des Polarisationsbildes bei verschiedener Temperatur 
zu Tage fördert. 


Das Wesen der Nervenleitung. 291 


Versuch 8. Drei möglichst gleichartige Frösche werden ausgesucht. 
Der erste wird für 24 Stunden bei einer Temperatur von 0° bis +3° C. 
aufbewahrt, der zweite kommt für die gleiche Zeit in eine Temperatur 
von etwa 18° C., der dritte wird etwa 12 Stunden vor Beginn des 
Versuches in einen Brutschrank gesetzt, der eine Temperatur von etwa 
35° C. zeigt. Zum Versuch werden die Elektroden in einen Raum 
gestellt, der die gleiche Temperatur hat, wie die zugehörigen Frösche. 
Der Abstand der Elektroden wird stets gleich gemacht und zur 
Polarisation ein gleich starker Strom verwendet. Die Fixation erfolgt 
mit Alkohol von stets der gleichen Temperatur (18° C.). Die Nerven 
von allen drei Fröschen werden gleich lange durehströmt. (Drei Ver- 
suchsreihen, an neun Fröschen angestellt, ergaben ganz gleiche 
Resultate.) — Der bei 3° C. (Fig. 75, 7) polarisierte Nerv zeigt nur 
eine geringe und engbegrenzte Anodenhelligkeit, dagegen ist die 
Kathodendunkelheit deutlich. Der Nerv II (18° C., Fig. 75, IT) zeigt 
die Anoden- und Kathodenveränderung in der gewohnten Stärke und 
Ausdehnung. Der bei 35° C. polarisierte Nerv (Fig. 75, Z/T) zeigt 
eine starke und sehr weit ausgedehnte Anodenhelligkeit, dagegen ist 
die Kathodenveränderung nur eben angedeutet. Die folgende Tabelle 
gibt die Ausmessung des abgebildeten Falles. 


Polarisationsdauer 10 Minuten, Strom von 0,05 Milliampere. 


Entfernung des färberischen 
Indifferenzpunktes von der 


Anodenelektrode. 
Anode extrapolar intrapolar Kathode 
3°C. nicht farblos 0,3 mm 2,0 mm dunkel 
18°C. farblos auf 3,5 mm 2,5 mm 4,3 mm dunkel 
35°C. farblos auf 4,7 mm 2,8 mm 4,7 mm kaum dunkler als 


normale Stellen. 


Niedere Temperatur behindert also die Ausbildung 
der Anodenveränderung, höhere die der Kathoden- 
veränderung.') Dies Verhalten dürfte sich nach dem, was über 
die Ionenverschiebung bekannt ist, nicht zu erklären sein. Es sei 
hier auch nochmals darauf hingewiesen, daß die Anoden- und Kathoden- 
veränderung bei den polarisierten Nerven sich nicht auf die intrapolare 
Strecke beschränken, sondern sich auch extrapolar ziemlich weit aus- 
dehnen. Entsprechende Erscheinungen sind bei der Elektrolyse, so viel 


1) Diese Befunde stehen in einem auffallenden Gegensatz zu der durch 
Waller und Boruttau gefundenen Tatsache, daß Kälte den Katelektrotonus 


.) und daß Wärme 
i 


l 


stärker herabsetzt als den Anelektrotonus (Vergrößerung von 


- 7 & A 
umgekehrt wirkt (Verkleinerung von pr 


19* 


292 Das Wesen der Nervenleitung. 


ich weiß, nicht bekannt. Ich halte es demnach für sehr unwahr- 
scheinlich, daß die Verteilung der Fibrillensäure durch den konstanten 
Strom die primäre Wanderung der Ionen zur Ursache hat. 

Sehr viel eher lassen sich die beschriebenen Erscheinungen, 
wenigstens in einem Teil, mit dem Phänomen der Konvektion in Zu- 
sammenhang bringen. Unter Konvektion versteht man (siehe Quincke 
1861, Lehmann 1888, Warburg 1895) die Fortführung von Flüssig- 
keit resp. fester Teilchen, die in Flüssigkeit suspendiert sind, dureh 
den elektrischen Strom. Diese kann in der Richtung des Stromes 
(Wasser, Terpentinöl, Toluol; Platin, Gold, Quarz u. s. w. in Terpentinöl 
suspendiert) aber auch entgegen der Richtung des elektrischen Stromes 
erfolgen (verunreinigter Alkohol, Schwefel in Terpentinöl, Gasblasen 
in Alkohol [Quincke], Tonpulver in Wasser [Reuss] u. s. w.). Be- 
sonders geeignet zum Studium dieser Erscheinung scheinen mir ge- 
quollene und mit Farbstoffen imbibierte Gelatinestreifen zu sein. Die 
Wasserbewegung ist bereits von Munk und andern an Gelatinestreifen 
studiert worden; andrerseits hat bereits Smidt beobachtet, daß Me- 
thylenblau in wässerigen Lösungen zur Kathode wandert. An gefärbten 
(Gelatinestreifen können beide Prozesse zugleich verfolgt werden. 

Legt man einen mit Toluidinblau gefärbten Gelatinestreifen über 
„unpolarisierbare“ Elektroden und läßt den Strom einiger Elemente 
hindurchgehen, so sieht man die Kathode trocken werden. Die da- 
durch bedingte Verdünnung des Streifens schiebt sich nun zur Anode, 
also entgegen dem Strom, fort. Die Anode schwillt mit der Zeit 
etwas an. (Bei Anwendung von Platinelektroden wandert das Wasser, 
wie die Autoren angeben, mit dem elektrischen Strom.) Während 
dieser Zeit ist die Anode hell und die Kathode dunkler geworden. 
Die Anodenhelligkeit dehnt sich allmählich nach der Mitte der inter- 
polaren Strecke zu aus und schiebt dabei Farbstoff vor sich 
her. Andrerseits bewegt sich der Farbstoff in der Nähe der Kathode 
relativ schnell zu dieser hin. Die Folge davon ist, daß der Streifen 
zu einer gewissen Zeit an der Kathode tief dunkel, etwas mehr nach 
der Anode zu heller (als vor der Durchströmung), in der Mitte der 
interpolaren Strecke wieder dunkler und in der Nähe der Anode ganz 
hell ist. Der Farbstoff bewegt sich also in der Richtung des elek- 
trischen Stromes, ebenso wie die Fibrillensäure. Beim Nerven geht 
die Wasserbewegung im gleichen Sinne, beim Gelatinestreifen (wenig- 
stens bei Anwendung ‚‚unpolarisierbarer Elektroden‘) im entgegen- 
gesetzten Sinne; dieser Unterschied dürfte aber von keiner wesent- 
lichen Bedeutung sein (siehe Quinckes Alkoholversuche). (Ich habe 
diese Versuche erst in allerletzter Zeit begonnen und sie noch nicht 
beenden können. In der Literatur habe ich bisher keine Angaben 
iiber ähnliche Versuche gefunden.) 


Das Wesen der Nervenleitung. 293 


In der interpolaren Strecke zeigt demnach die Verteilung des 
Farbstoffes große Ähnlichkeit mit der der Fibrillensäure. Extrapolar 
verhalten sich beide Erscheinungen verschieden. Das Polarisationsbild 
des Nerven dehnt sich extrapolar aus; beim Gelatinestreifen zeigen 
sich extrapolar keine Veränderungen. Trotzdem glaube ich, daß wir 
es bei der Fibrillensäurewanderung mit einer Konvektionserscheinung 
zu tun haben, aber es kommt zu dieser noch allerhand andres hinzu. 
Wie verschiedene der angeführten Versuche ergeben haben, ist die 
Fibrillensäure weder in der Nervenflüssigkeit gelöst noch in derselben 
suspendiert, sondern es ist anzunehmen, daß sie an die Fibrillen ge- 
bunden ist. Ehe sie gelöst oder suspendiert zur Konvektion kommen 
kann, muß sie also erst von den Fibrillen abgespalten 
werden (siehe die Narkoseversuche). 

Bisher ist die stillschweigende Voraussetzung gemacht worden, 
daß ein Gehalt an Fibrillensäure dem normalen Zustand des Nerven 
entspräche und daß dieser Bestand gewissermaßen unveränderlich sei. 
Man könnte die Dinge aber auch noch anders auffassen, nämlich in 
der Weise, daß die Fibrillensäure ein Dissimilationsprodukt der Fibrillen 
oder der Perifibrillärsubstanz sei, das sich in letzterem Fall erst 
sekundär an den Fibrillen anlagerte. Den normalen Nerven könnte 
man sich dann entweder frei von Fibrillensäure denken und die im 
normalen Präparat gefundene Fibrillensäuremenge als durch Zersetzung 
während der Abtötung entstanden, oder man würde auch am normalen 
Nerven eine gewisse Menge von Fibrillensäure annehmen, welche durch 
einen dauernden geringen Stoffwechsel im Nerven hervorgebracht 
würde. Das letztere wäre wohl in Anbetracht der Narkoseversuche 
das wahrscheinlichere. Als Hilfsannahme würde dann noch hinzu- 
genommen werden müssen, daß die gebildete Fibrillensäure stets 
wieder fortgeschafft oder weiter zersetzt würde. 

Bei Zugrundelegung dieser Deutung könnte man die Befunde an 
polarisierten Nerven leicht und ohne wesentlichen Zwang im Sinne der 
Heringschen Assimilations- und Dissimilationstheorie deuten S. 253). 
Nach Hering (1889) beruht die verminderte Erregbarkeit an der Anode 
auf Herabsetzung der Dissimilation und Verstärkung der Assimilation. 
Umgekehrt wird die gesteigerte Erregbarkeit an der Kathode auf eine 
Steigerung der Dissimilation (verbunden mit Hemmung der Assimilation) 
zurückgeführt. Das plötzliche Einsetzen der Dissimilation an der Kathode 
im Moment der Stromschließung führt zur Reizung, indem bei der 
Reizleitung selber ein dissimilatorischer Prozeß am Nerven entlang 
läuft. An der Anode sind während des Geschlossenseins des Stromes 
überschüssige Spannkräfte angesammelt, welche sich in der Öffnungs- 
zuckung und in der noch nachher gesteigerten Erregbarkeit kund tun. 
Die starke Ansammlung von Fibrillensäure an der Kathode würde 


294 Das Wesen der Nervenleitung. 


man demgemäß als Überproduktion von Stoffwechselprodukten ansehen 
können, während man den Mangel von Fibrillensäure an der Anode auf 
das Fehlen von Dissimilationsprodukten beziehen würde. Der Befund 
von freier oder wenigstens den Fibrillen nicht angelagerter Fibrillen- 
säure jenseits der Anode könnte man dahin verstehen, daß hier die frei- 
gewordenen Dissimilationsprodukte aus den Nerven eliminiert würden. 

Da die Anode nach der Durchströmung sehr zur Dissimilation 
diisponiert wäre, so müßte sie bei Stromumkehr in besonders hohem 
Maße Fibrillensäure bilden können, man müßte also die frühere 
Anode außergewöhnlich dunkel finden. Wie der Versuch 
zeigt, ist dies nicht der Fall. 

Versuch 9. Der Nerv wird in der gewöhnlichen Weise auf die 
Elektroden aufgelegt und ein Strom von etwa 0,05 Milliampere 
drei bis vier Minuten lang hindurch geschickt. Dann wird der Strom 
gewendet und nach gleichlanger Einwirkungsdauer Alkohol in die 
Schale gegossen. — Ein Kontrollnerv wird bei gleichem Elektroden- 
abstand mit einem gleichstarken Strom die Hälfte der Gesamtzeit in 
einer Riehtung durchströmt. 

Der Kontrollnerv zeigt die gewöhnlichen Verhältnisse: Die Anode 
ist farblos, die Kathode dunkel; da die Schließungsdauer nicht sehr 
lang und der Strom nicht sehr stark war, so ist die räumliche Aus- 
dehnung der Polbilder nicht vollständig. — Im andern Nerv, bei dem 
der Strom gewendet wurde, ist die Anode ebenfalls farblos aber 
ziemlich engbegrenzt; rechts und links findet sich eine 
dunkle Färbung der Achsenzylinder und zwar an Stellen, 
welche an der Kathode des andern Nerven noch gar nicht dunkel 
sind (Fig. 77 I/Z, 8.296). Die Kathode (also die ursprüngliche Anode) 
zeigt sich etwas dunkler als normale Nervenstellen, aber nicht 
so dunkel wie die Kathode des Kontrollnerven. Rechts 
und links sind die Achsenzylinder heller als normal und 
über die Grenze hinaus, als es bei der Anode des Kontrollnerven der 
Fall ist (Fig. 77 Z7). — Um beim Wenden des Stromes eine voll- 
ständige Umkehr des Polarisationsbildes hervorzubringen, muß 
man den Strom nach dem Wenden etwa doppelt so lange geschlossen 
halten, als es zur Hervorbringung des ersten Bildes notwendig war! 
(Kurze Stromdauer und mittelstarke Ströme wurden angewandt, um 
dem Vorwurf zu entgehen, den Nerven zu sehr geschädigt zu haben.) 

Das Resultat fällt also nicht im Sinne der Heringschen Theorie 
aus, sondern ist viel besser bei der Annahme einer Wanderung einer 
einmal vorhandenen Fibrillensäuremenge verständlich: Die neue Anode 
verdrängt die Ansammlung von Fibrillensäure an der alten Kathode 
nach beiden Seiten und zwar in Gebiete, in welchen vorher gar keine 
Ansammlung gewesen war. Andrerseits entzieht die neue Kathode 


Das Wesen der Nervenleitung. 295 


ihrer Nachbarschaft die spärlichen hier vorhandenen Mengen von 
Fibrillensäure. Da die Gegend aber vorher frei davon war, so kann 
sie sich nicht in derselben Zeit dieselbe Menge verschaffen wie unter 
normalen Verteilungsverhältnissen. 

Daß die Fibrillensäure kein Dissimilationsprodukt ist, geht noch 
besser aus folgenden Versuchen hervor: 

Versuch 10. Eine Kathodenelektrode wird von zwei Anodenelek- 
troden eingeschlossen und zwar im einen Fall von zwei dicht benach- 
barten (Fig. 76 /, Abstand zwischen beiden Anoden 4—5 mm) und 
im andern Fall von zwei weit auseinander stehenden (Fig. 76 I7, 
Abstand 15—20 mm). Durch beide Nerven wird ein starker Strom 


4 28 A. 


6, A. 


nn 


Fig. 76. Die bei der Benutzung gabelförmiger Elektroden entstehenden Polarisationsbilder. Auf 
der linken Seite ist die Form und der Abstand der Elektroden, rechts das zugehörige Polarisations- 
bild angegeben. Näheres im Text. 


10’ hindurchgeleitet. Für .den Erfolg ist es gleichgültig, ob man 
beidemal einen gleichstarken Strom anwendet (also für I/ ent- 
sprechend dem größeren Widerstand eine stärkere Stromquelle) 
oder dieselbe Stromquelle benutzt, wobei die Stromstärke im Falle 77 . 
schwächer ist. 

Im Fall 7 ist die Kathode wenig dunkler als normale Nerven- 
stellen, in Fall 77 ist sie sehr dunkel. Ebenso ist in Fall /77 die von 
zwei Anoden eingeengte Kathode sehr viel weniger dunkel als die 
freie. Wäre die Fibrillensäure ein in loco gebildetes Dissimilations- 
produkt, so würde es ganz gleich sein, ob sie von einer kurzen oder 
langen Strecke produziert wird; handelt es sich aber in ihr um eine 
einmal vorhandene Menge, welche wandert, so kann die Kathode nur 
eine geringe Menge von Fibrillensäure sammeln, wenn ihr die Zufuhr 


auf beiden Seiten von Anoden abgeschnitten wird. 


296 Das Wesen der Nervenleitung. 


Versuch 11. An einen Nerven werden eine einfache Elektrode 
(Fig. 77, 7, 1) und zwei Paar Doppelelektroden so angelegt, daß ein 
Schenkel jeder Doppelelektrode rechts und der andre links von der 
einfachen Elektrode liegt (2 und 3). Die Schenkel des Paars 2 sind je 
2 mm von der Elektrode 1 entfernt, die des Paars 3 je 10 mm. Die 
Doppelelektroden sind so mit einem Doppelsehlüssel verbunden, daß sie 
gegeneinander ausgewechselt werden können. Der Strom wird nun 
zunächst etwa 10° so durch den Nerven hindurchgeleitet, daß die 
Elektrode 1 eine Anode. bildet, die Elektroden 3 je eine Kathode. 
Dadurch wird die Gegend der Anode über die nieht eingeschalteten 
Elektroden 2 hinaus frei von Fibrillensäure. Jetzt wird der Strom 
gewendet und zu gleicher Zeit das Elektrodenpaar 2 für das Paar 3 
in den Stromkreis eingeschaltet. Jetzt ist die mittlere Elektrode Kath- 
ode; ein Zuströmen von Fibrillensäure von den Seiten her wird aber 


1 
z (A;) 

(K,) A, #0 A, (K7 ) 

m er BEREIT en 

_ =S — u = ER 

= DD —. —— : 3 nn 
= gen a Sm 
a _ m 

2 EZ nn N 


Fig. 77. I. Wenden des Stromes mit gleichzeitiger Einpferchung der Kathode. I/. Wenden des 
Stromes bei normaler Lage der Elektroden. (Näheres im Text.) 


durch die nahen Anoden verhindert. Nachdem der Strom wieder 10’ 
oder länger geschlossen war, wird fixiert. 

Die Kathode, welehe vorher Anode war, wird voll- 
kommen ungefärbt gefunden (Fig. 77 7). Wäre die Annahme 
richtig, daß die Fibrillensäure Dissimilationsprodukt wäre, so müßte 
sie stark, zum mindesten aber etwas gefärbt werden. 

Da die Kathode bei diesem Versuch ganz ungefärbt bleibt, so 
ist dies nur dahin zu verstehen, daß an den Fibrillen eine ge- 
gebene, in kurzen Zeiträumen weder merklich zu- noch 
merklich abnehmende Menge von Fibrillensäure vor- 
handen ist und daß die ganzen bisher beobachteten 
Erscheinungen nur auf einer verschiedenen Verteilung 
dieser Menge beruhen. 

Es ist also nicht möglich die neuen Befunde für die Heringsche 
Theorie der Dissimilation und Assimilation in Anspruch zu nehmen; 
viel eher könnte man in ihnen — natürlich nur für den Nerven — 
einen Beweis gegen ihre Richtigkeit erblicken. Doch wäre dies wohl 
zu weit gegangen, denn es bleibt natürlich immer noch möglich, daß 


Das Wesen der Nervenleitung. 5 


—” 


97 


neben den sichtbaren Vorgängen der Fibrillensäurewanderung andre 
und vielleicht wichtigere Dinge im Nerven geschehen, die sich mit 
den Heringschen Annahmen decken. So sehr ich früher die Hering- 
sche Theorie auch in ihrer Anwendung auf den Nerven geschätzt 
habe, so wird es mir doch niemand verdenken, wenn ich mich jetzt 
an die beschriebenen greifbaren Tatsachen halte und nicht an das, 
was außerdem vielleicht noch sein könnte. — Ehe ich aber auf die 
weitere Deutung meiner Befunde eingehe, will ich noch einige Ver- 
suche beschreiben, die eigentlich weiter oben hingehörten, dort aber 
vielleicht das Verständnis störend gewirkt hätten. 


Fig. 78. Ätherisierung des Nerven in der Nähe des einen Pols. Der Kreis bedeutet die Äther- 
kammer. A. Anode, K. Kathode, E. Reizelektroden, 


Versuch 12. Ich hatte im. Versuch 7 gezeigt, daß die Narcotica 
die Beweglichkeit der Fibrillensäure aufheben. Es blieb noch zu 
untersuchen, wie das Resultat ausfiele, wenn nur ein Pol in die nar- 
kotisierte Strecke gelegt wird. Nehmen wir zunächst den Fall, wo 
die Kathode in die Ätherstreeke gelegt wird (ich habe nämlich diese 
Versuche nur mit Äther ausgeführt). Die Aufstellung erhellt aus dem 
Schema in Figur 78 7. Die Ätherisierung braucht in diesem Fall 
gar nicht sehr stark zu sein, um das typische Resultat zu erzielen: 
Die Kathode in der Ätherstrecke bleibt gänzlich unverändert. Die 
freie Anode zeigt sich gewöhnlich schwächer ausgebildet als bei 
Nerven, bei denen keine Ätherbehandlung stattgefunden hat (auf aus- 
getretenen Äther ist dies schwerlich zu beziehen, da ieh die nötigen 
Vorkehrungen zur Fernhaltung des Äthers getroffen hatte). An der 


398 Das Wesen der Nervenleitung. 


Stelle, wo derNerv zur Anode hin aus der Ätherkammer 
austritt (sie ist durch einen Knick im Nerven markiert, weil der 
Nerv hier auf dem Schälehenrand aufliegt), zeigt sich das wohl 
ausgebildete Bild einer Kathode, nämlich dunkle Fär- 
bung der Achsenzylinder! Der Strom wird also da wirksam, 
wo er auf nicht immobilisierte Fibrillensäure trifft, also an der Grenze 
der Ätherwirkung. Wir haben also hier die physiologische Kathode 
im Gegensatz zur physikalischen im Polarisationsbild vor uns. 

Versuch 13. Die Anode liegt in der Ätherstrecke, die Kathode 
frei (Fig. 78 ZT). Während man bei ausreichender Narkose kein 
Anodenbild erhält, wenn beide Pole im Äther liegen, bekam ich in 
diesem Fall immer wenigstens eine Andeutung von Anodenwirkung, 
auch wenn die Ätherisierung vollständig war. Figur 78 /7 zeigt einen 
Schnitt durch einen solchen Nerven im Schema. An der physika- 
lischen Anode zeigt sich ein schwaches und begrenztes Anodenbild, 
dann folgen zur Kathode hin normale Färbungsverhältnisse. Am 
Austritt aus der Ätherstreeke folgt ein zweites Anoden- 
bild (physiologische Anode), aber auch ziemlich engbegrenzt, und dann 
schließlich eine mäßig gut ausgebildete Kathode. 

Aus diesen Versuchen muß man den Schluß ziehen, daß der 
Äther das Zustandekommen einer Anhäufung von Fibrillensäure an 
der Kathode vollständig zu unterdrücken vermag, daß dagegen die 
Anodenwirkung bei Ätherisierung noch in beschränktem Maße zu- 
stande kommt. Ein ähnlicher Schluß konnte schon oben daraus ge- 
zogen werden, daß bei Lagerung beider Pole in die Ätherstrecke und 
bei unvollkommener Narkose nur das Kathodenbild ganz ausbleibt, 
während das Anodenbild noch in beschränktem Maße zustande kommt 
und erst bei starker Narkose ebenfalls fortbleibt. 


Veränderungen der primären Färbbarkeit der Achsen- 
zylinder. (resp. der Neurofibrillen) durch7Reizene 


Die hier mitzuteilenden Versuche können nicht, wie die bisher 
mitgeteilten, den Anspruch erheben, bis zu einem gewissen Grade ab- 
zeschlossen zu sein. Bei der Schwierigkeit der Verhältnisse scheinen 
mir Irrtümer nicht ganz ausgeschlossen und ich teile daher die Be- 
funde mit aller Reserve mit. 

Nachdem die im vorigen Abschnitt mitgeteilten Befunde sicher- 
gestellt waren, drängte sich die Frage auf, ob im Zustande der 
Reizung sichtbare Veränderungen in den Beziehungen zwischen Fibrille 
und Fibrillensäure zu beobachten sind. Wenn wirklich Änderungen 
in diesen Beziehungen bei der Reizung zustande kommen, was nach 
dem Vorhergehenden wohl vorauszusetzen war, so ist es a priori nicht 


Das Wesen der Nervenleitung. 399 


allzu wahrscheinlich, daß dieselben auch faßbar sind. Vor allem 
stellen sich zwei Schwierigkeiten in den Weg: 1. Jeder Reiz bringt 
nach allen bisherigen Erfahrungen nur eine ganz vorübergehende Ver- 
änderung des Nerven hervor. Diese Veränderungen kann man schnell 
auf einander folgen lassen, aber nicht in einen dauernden Zustand 
versetzen. 2. Kein Abtötungsmittel wirkt momentan und reizlos. 
Selbst beim Alkohol ist es zweifelhaft, ob er nicht reizend wirkt, so 
daß also unsre ungereizten Kontrollnerven eventuell schon den höchsten 
Grad der durch Reize entstehenden Veränderungen zeigen. Voraus- 
gesetzt aber, daß Alkohol nicht reizend wirkt, so kann er doch eine 
eventuelle Veränderung dadurch verkleinern oder unkenntlich machen, 
daß er den Nerven narkotisiert und die Reizwellen aufhebt, ehe er 
sie fixiert. Hier konnte nur der Versuch entscheiden und der führte 
zu dem Resultat, daß sich sicherlich unter geeigneten 
Bedingungen Veränderungen zeigen. Meine Reserve be- 
zieht sich mehr auf die weiter unten gegebene Deutung der Befunde 
als auf die Befunde selbst. 

Als Reiz konnten nur Induktionsströme in Betracht kommen. Es 
war auch von vornherein klar, daß man am ehesten auf einen Erfolg 
rechnen konnte, wenn man die einzelnen Reize so schnell wie möglich 
einander folgen ließ, um wo möglich eine Deckung der einzelnen Reiz- 
wellen zu erzielen. Die Versuchsanordnung war folgende: Der Muskel 
eines Nervmuskelpräparats wurde in einer Klammer befestigt. Ein 
bis zwei Zentimeter vom Muskel entfernt stand ein kleines U-Rohr, 
über dessen eine Öffnung der Nerv so gelegt wurde, daß er mit einer 
Schleife hineinhing. Jenseits des Rohrs wurde der Nerv über zwei 
Platinelektroden gelegt, die so weit als möglich von diesem entfernt 
wurden. Die Elektroden standen mit der sekundären Spirale eines 
Induktionsapparats in Verbindung. Zur Unterbrechung des primären 
Stroms diente der Quecksilber-Turbinenunterbrecher der A. E. G., als 
Stromquelle ein Chronsäureelement. Der Unterbrecher unterbrach bei 
den meisten Versuchen den Strom ungefähr 1200 mal in der Sekunde. — 
Bei eben wirksamem Rollenabstand trat nur eine Anfangszuckung (Bern- 
stein) ein. Die Rollen mußten in der Regel mehrere Zentimeter ge- 
nähert werden, um Tetanus zu erhalten. Der Muskel wurde in Tetanus 
versetzt und wenige Sekunden darauf das U-Rohr vom freien Schenkel 
aus mit Alkohol gefüllt, wodurch die Nervenschlinge unter Alkohol 
gebracht wurde. So wie dies geschehen war, wurden die Rollen all- 
mählich übereinander geschoben und der Nerv so lange gereizt, bis 
der Muskel nicht mehr reagierte. Etwa 2’ später wurde dann der 
ganze Nerv (also auch die der Schlinge benachbarten Teile) in Alkohol 
versenkt. Die Schnitte wurden in der üblichen Weise auf primäre 
Färbbarkeit untersucht. 


300 Das Wesen der Nervenleitung. 


Befund: In sechs von sieben Fällen fand sich die während 
der Reizung fixierte Nervenstelle im ganzen dunkler 
als die angrenzenden erst nach der Reizung fixierten 
Partien d.h. die einzelnen Achsenzylinder — manchmal alle, manch- 
mal nur die Mehrzahl, besonders die am Rande gelegenen — waren 
dunkler und dichter. Die Achsenzylinder hatten also ein Aussehen, 
ähnlich dem an der Kathode eines polarisierten Nerven. In zwei 
Fällen war der Unterschied an allen Fasern zu sehen und außer- 
ordentlich deutlich; in den übrigen war es nötig die dunklen und 
weniger dunklen Fasern in der Schlinge und außerhalb derselben zu 
zählen und ein Verhältnis aufzustellen. Es kommen nämlich auch an 
und für sich dunklere Fasern im normalen Nerven zur Beobachtung. 
Diese Zahlen scheinen mir durchaus beweisend, besonders im Hinblick 
darauf, daß bei gleichbehandelten, aber nicht gereizten Kontrollnerven 
ein Unterschied zwischen Schlinge und übriger Nervenstrecke ganz fehlte. 

Ein vollkommen andres und auch deutlicheres Bild zeigte 
sich, wenn gleich nach der Reizung oder während der 
Reizung mit geringer Unterbrechungszahl fixiert wurde. 
Im ersten Fall wurde während etwa zwei Minuten mit 1200 Unter- 
brechungen gereizt, dann die Reizung unterbrochen und gleichzeitig 
das U-Rohr mit Alkohol gefüllt. Im zweiten Fall wurde fünfzigmal 
in der Sekunde unterbrochen, sonst aber ganz wie oben verfahren. 
Auch hier ist die Versuchszahl bisher nur klein; die Unterschiede 
waren aber stets deutlich und konstant (je acht Versuche). 

Befund: Die während der Reizung (mit wenigen 
Reizen in der Sekunde) oder gleich nach der Reizung fixierte 
Nervenstelle war stets deutlich blasser als die außer- 
halb gelegenen Nervenpartien, die erst nach zwei oder drei 
Minuten, also nach einer Erholungspause fixiert waren. Die Achsen- 
zylinder waren etwa so schwach gefärbt (gegenüber den normalen 
desselben Nerven) wie die Fasern an der Anode eines zehn Minuten 
mit einem schwachen Strom polarisierten Nerven. (Täuschungen sind 
hier wie oben möglich, weil auch in normalen Nerven Färbungsunter- 
schiede in den verschiedenen Achsenzylindern an der Tagesordnung 
sind. Zum Teil mag dies auf der mehr oder weniger schrumpfenden 
Wirkung des Alkohols beruhen. Randschnitte und Schnitte aus dem 
Zentrum des Nerven zeigen außerdem nicht unwesentliche Unterschiede 
in der Färbungsintensität. Auf alle diese Dinge muß man acht geben 
und mehr auf das Gesamtbild und das Resultat von Zählungen, als 
auf den Befund an einer einzelnen Faser geben. Eine gewisse Übung 
ist unerläßlich, und wer das Auge für die Intensitätsunterschiede in 
der Färbung nicht bereits an Nerven geübt hat, die kurze Zeit oder 
mit schwächsten Strömen polarisiert sind, wird leicht die Unterschiede 


k 


Das Wesen der Nervenleitung. 301 


übersehen. Diese Versuche wurden an Winterfröschen angestellt. 
Vielleicht ist eine andre Jahreszeit geeigneter — oder noch weniger 
geeignet. Ich möchte aber eher ersteres annehmen, weil meine besten 
Polarisationspräparate nicht von Winterfröschen stammen.) 

Das vorläufige Resultat dieser Untersuchungen lautet also: 
Bei frequenter Reizung zeigen die Achsenzylinder, was 
die primäre Färbbarkeit anbelangt, ein kathodisches Aussehen, 
bei wenig frequenter Reizung und kurz nach starker 
Reizung ein mehr anodisches Aussehen. 


Zur Theorie der Nervenleitung. 


Die im vorhergehenden beschriebenen Befunde machen es wahr- 
scheinlich, daß bei der Nervenleitung eine Wechselwirkung zwischen 
Fibrille und Fibrillensäure stattfindet und daß in dieser Wechsel- 
wirkung ein Hauptmoment des Nervenvorganges besteht. Die Haupt- 
punkte, auf die ich mich hierbei stütze, sind kurz zusammengefaßt 
folgende: 

1. Bei der konstanten Durchströmung eines Nerven werden an 
der Anode und Kathode antagonistische physiologische Prozesse hervor- 
gerufen. Ein antagonistisches Verhältnis findet sich auch in der Be- 
ziehung zwischen Fibrillensäure und Fibrille: An der Anode wird die 
Verbindung zwischen Fibrille und Fibrillensäure aufgehoben, an der 
Kathode wird sie verstärkt. 

2. Diejenigen Eingriffe, welche eine Nervenstelle leitungsunfähig 
zu machen imstande sind, rufen stets eine Änderung in den Be- 
ziehungen zwischen Fibrille und Fibrillensäure hervor. Diese Ver- 
änderung kann bestehen in einer Aufhebung der Verbindung von 
Fibrillensäure und Fibrille (Kompression [?], destilliertes Wasser, Anode) 
oder in einer Behinderung der Beweglichkeit der Fibrillensäure resp. 
einer Behinderung der Zersetzung ihrer Verbindung mit der Fibrillen- 
substanz (Äther, Alkohol, Chloroform, Ammoniak). Das Vorhandensein 
von gebundener Fibrillensäure an den ‚Fibrillen und die Möglichkeit 
der Spaltung dieser Bindung sind also Bedingung der Nervenleitung. 

3. Während des Ablaufs einer Erregung im Nerven ist das Ver- 
hältnis zwischen Fibrille und Fibrillensäure verändert. 

Ich will nun im folgenden versuchen die neuen Befunde unter 
Berücksichtigung des bereits Bekannten zu einer vorläufigen Theorie 
der Nervenleitung auszubauen. Ich bin mir dabei vollkommen bewußt, 
daß alles in Wirklichkeit ganz anders sein kann, als ich es mir im 
Augenblick denke. Irgend ein neuer Befund oder ein Einwand, den 
ich mir selber nicht gemacht habe, kann die nicht ohne Vorsicht an- 
gestellte Gedankenreihe wieder zerreißen. In einer ganzen Anzahl 


302 Das Wesen der Nervenleitung. 


von Punkten lassen die mir bekannt gewordenen Tatsachen überhaupt 
noch keine bestimmten Vorstellungen zu, so daß in Bezug auf diese 
die Theorie noch unvollständig bleiben muß. Schließlich bin ich mir 
auch selber bewußt, daß die Deutung, die ich hier gebe, nicht die 
einzige ist, die sich aus den neuen Tatsachen entwickeln läßt; ja, ich 
habe mir selber zu verschiedenen Zeiten sehr verschiedene Gedanken 
über dieselben gemacht. Ich bitte also, die hier folgende Theorie 
nicht als meine unveränderliche Ansicht aufzufassen, sondern als eine 
vorläufige mit allem Vorbehalt auf das im Augenblick vorhandene 
Tatsachenmaterial aufgebaute Meinungsäußerung. 

Das Färbungsbild nicht zu stark polarisierter Nerven (Fig. 72 2) 
könnte man sehr gut für eine Darstellung des Pflügerschen Elektro- 
tonus halten, bei der die Erregbarkeitsverhältnisse nicht, wie üblich, 
dureh eine Kurve, sondern durch Dunkelheitsgrade ausgedrückt sind. 
Die mittlere Dunkelheit der normalen Achsenzylinder würde die nor- 
male Erregbarkeit darstellen, die größere Dunkelheit der Kathode die 
gesteigerte Erregbarkeit derselben und die Helligkeit der Anode ihre 
bis auf Null herabgesetzte Anspruchsfähigkeit und ihre Leitungsunfähig- 
keit. Auch die intropolaren Erregbarkeitsverhältnisse würden in solchen 
Präparaten einen guten Ausdruck in der von der Kathode zur Anode 
hin abnehmenden Intensität finden. Den physiologischen Indifferenz- 
punkt würde man an der Stelle zu suchen haben, wo die Achsen- 
zylinder die normale Dunkelheit besitzen. Bei dem Vergleich der 
physiologischen Verhältnisse und der Färbungsbilder würde hier auch 
das gut stimmen, daß der färberische Indifferenzpunkt bei schwachen 
Strömen in der Nähe der Anode liegt und sich gradeso wie der 
physiologische Indifferenzpunkt mit zunehmender Stromstärke zur 
Kathode hin verschiebt. Weniger gut würden die Verhältnisse in den 
extrapolaren Strecken übereinstimmen. Die Kathodendunkelheit und 
die Anodenhelligkeit dehnen sich zwar auch extrapolar aus und zwar, 
in gewissen Grenzen, um so mehr je stärker der Strom ist, aber doch 
lange nicht so weit, als die Erregbarkeitsveränderungen bemerk- 
bar sind. | 

Sprieht schon dies nicht dafür, daß es angemessen ist, die Fär- 
bungsdifferenzen direkt mit den Erregbarkeitsdifferenzen zu identifi- 
zieren, so sprechen andre Befunde direkt dagegen. Die Veränderung 
der Erregbarkeit tritt im Moment der Stromschließung oder bald nach- 
her ein und erreicht an der Kathode gleich .ihr Maximum, an der 
Anode allerdings erst nach einiger und bei schwachen Strömen oft 
sehr langer Zeit. Im Färbungsbild ist aber bei kurzer Schließungs- 
dauer weder an der Kathode noch an der Anode eine Änderung zu 
bemerken. Das Färbungsbild beruht eben auf einer Wanderung der 
Fibrillensäure und diese nimmt nieht unbedeutend viel Zeit in Anspruch. 


Das Wesen der Nervenleitung. 303 


Aus dem Vergleieh von Alkohol- und Ätherpräparaten geht un- 
mittelbar hervor, daß auf der Höhe der Stromeinwirkung an der 
Kathode eine gesteigerte Affinität der Fibrillen zur Fibrillensäure 
vorhanden ist, während sie an der Anode und über dieselbe nach 
beiden Seiten hinaus so vermindert ist, daß die Fibrillen die in ihrer 
Nähe vorhandene Säure nicht festzuhalten vermögen.') Ich mache hier 
nun die erste Annahme, welche dahin geht, daß bereits im Moment 
des Stromschlusses die Affinität zwischen Fibrille und Fibrillensäure 
an der Kathode erhöht und an der Anode gelockert wird. Zugleich 
mit diesem Wechsel der Affinität tritt das Strömen der Fibrillensäure 
(zur Kathode hin und von der Anode fort) ein. In der Veränderung 
der Affinität und in der Strömung (und zwar in deren Riehtung) sehe 
ich den Anfang und einen Hauptbestandteil des Elektrotonus. Gegen 
die Annahme der primären Affinitätsänderung wird man einwenden 
können, daß sich wenigstens die Aufhebung der Affinität im Präparat 
müßte bemerkbar machen. Ich habe gegen diesen Einwand nichts 
Positives zu erwidern und könnte höchstens mit der Annahme kommen, 
daß die Entfernung der Teilchen anfangs so gering ist, daß die ab- 
sterbende Fibrille (bei der Alkoholeinwirkung) die abgespaltene Säure 
noch wieder binden kann. (Auch die Erklärung des Färbungsbildes 
an der Anode [früheren Kathode] beim Wenden des Stromes bereitet 
Schwierigkeiten.) Die gemachte Annahme ist entschieden ein schwacher 
Punkt — das gebe ich ohne weiteres zu — man wird sie aber nicht 
umgehen können. An dem sofortigen Eintritt der Fibrillensäure- 
wanderung wird schon weniger auszusetzen sein, weil schon '/, Minute 
nach Beginn der Durchströmung eine deutliche Verschiebung wahr- 
zunehmen ist und das Tempo derselben mit der Dauer der Durch- 
strömung allmählich abnimmt, woraus gefolgert werden kann, daß sie 
beim Stromschluß am stärksten ist. 

Fassen wir zunächst einmal die Verhältnisse an der Anode ins 
Auge: Im Moment des Stromschlusses wird die Verbindung zwischen 
Fibrille und Fibrillensäure nach unserer Annahme gelockert, und die 
Fibrillensäure strömt nach beiden Seiten hin von der Anode fort. Je 
näher ein Punkt der Anode liegt, desto stärker wird die Aufhebung 
der Affinität und desto größer die Schnelligkeit sein, mit der sich die 
Teilchen bewegen. Damit stimmt überein, daß die Erregbarkeit in 
der Nähe der Anode am stärksten herabgesetzt ist und von da aus 
in extrapolarer Richtung sich immer mehr der normalen Erregbarkeit 
nähert. Daß die Erregbarkeitsabnahme in weit größerer Entfernung 
wahrnehmbar ist als die Veränderung der Affinität (im gefärbten 


1) Ich bin mir wohl bewußt, daß es für eine derartige, graduelle Veränderung 
der Affinität keine genügenden Analogien gibt. 


304 Das Wesen der Nervenleitung. 


Präparat), nimmt bei der geringen Empfindliehkeit meiner Methode, 
welche nur die gröberen Veränderungen. zeigt, nicht wunder. — 
Wenn bei der Erregung und Leitung eine Wechselwirkung zwischen 
Fibrille und Fibrillensäure zustande kommt, so muß Erregung und 
Leitung unmöglich sein, wenn die Fibrillensäure von den Fibrillen 
entfernt ist, und die Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit müssen um 
so mehr an der Anode und in ihrer Nähe herabgesetzt sein, je stärker 
die Affinität zwischen Fibrille und Fibrillensäure herabgesetzt ist. 
Dies scheint der Fall zu sein. 

Im Moment des Stromschlusses tritt an der Kathode nach meiner 
Annahme, die durch das spätere Geschehen gestützt wird, eine Ver- 
stärkung der Affinität zwischen Fibrille und Fibrillensäure und ein 
Strömen der Fibrillensäure zur Kathode hin ein. Das zuströmende 
Material stammt nun offenbar nicht nur aus der interpolaren, sondern 
auch aus der extrapolaren Strecke. Dies kann nur auf die Weise zustande 
kommen, daß diejenigen Fibrillenteile, welche die stärkste Affinität 
haben, ihrer Nachbarschaft Fibrillensäure entziehen und an sich binden. 
Diese Nachbarteile, die ebenfalls noch hohe Affinität besitzen, ent- 
ziehen wieder ihren Nachbarteilen von geringerer Affinität Fibrillen- 
säure und so fort. Auf diese Weise werden die Fibrillensäuremoleküle 
von Teilchen zu Teilchen weitergegeben und den Stellen, welche von 
der Veränderung des elektrischen Stromes direkt nicht getroffen 
werden, und denen, welche nur schwach betroffen werden, entzogen. 
In der höheren Affinität der Kathodengegend und in dem Strömen von 
der extrapolaren Strecke zur Kathode hin wird man die zwei Haupt- 
faktoren der erhöhten Erregbarkeit sehen dürfen. Beide Prozesse 
sind von Anfang an vorhanden; die gesteigerte Affinität wird bleiben, 
aber das Strömen wird mit der Dauer der Durchströmung schwächer 
und schwächer werden, weil eine Sättigung der Fibrillen mit Fibrillen- 
säure an der Kathode eintritt, und weil es schließlich extrapolar an 
neuem Material fehlt. Hiermit stimmt überein, daß die Erregbarkeits- 
steigerung an der Kathode beim Stromschluß am stärksten ist und 
immer mehr abnimmt. Man kann sich vorstellen — und diese Vor- 
stellung hat vielleicht ihre Vorteile —, daß die Fibrillen im normalen 
Zustande nie ganz mit Fibrillensäure „gesättigt“ sind. Es würde dann 
die gesteigerte Affinität der Kathode nur zu einer Sättigung der freien 
„Valenzen“ führen. Damit würde es gut zusammenstimmen, daß beim 
Öffnen des Stromes kein Freiwerden von Fibrillensäure zur Be- 
obachtung kommt (die Kathode wird nach Öffnen des Stromes noch 
dunkel gefunden). Unbedingt muß man annehmen, daß die „Fibrillen 
noch zu leiten imstande sind, wenn sie unter der Norm mit Fibrillen- 
säuremolekülen“ besetzt sind und daß die Leitungsfähigkeit erst erlischt, 
wenn die Abstände der „Säuremoleküle‘“ eine gewisse Größe haben. 


ro 


Das Wesen der Nervenleitung. 305 


Außer dem Aufhören der Strömung kommt aber noch ein andrer 
Faktor hinzu, welcher schließlich zur Herabsetzung der Erregbarkeit 
an der Kathode und zur vollständigen Undurchgängigkeit führt: Das 
ist die starke Verminderung von Fibrillensäure in der extrapolaren 
Strecke (Fig. 70 /7). Die Menge von Fibrillensäure, welche hier vor- 
handen ist, wird schließlich so gering, daß man eine Anode vor sich 
zu haben meinen könnte; der Unterschied zwischen einer solchen Stelle 
und einer wirklichen Anode besteht aber darin, daß an derselben keine 
freie Fibrillensäure vorhanden ist (Fig. 74 7). Diese Herabsetzung der 
Erregbarkeit an der Kathode mit darauf folgender vollkommener Un- 
durchgängigkeit findet bei allen bisherigen Nerventheorien keine ge- 
nügende Erklärung, während sie durch das Fehlen von Fibrillensäure 
jenseits der Kathode leicht verständlich wird. — Die durch die Wan- 
derung der Fibrillensäure sekundär zustande kommenden Veränderungen 
führen also an der Anode zu einer immer weitergehenden Herabsetzung 


A 


Fig. 79. Schematische Darstellung der vermutlichen Beziehungen zwischen Fibrille und Fibrillen- 
säure während der Polarisation. Die Abseisse bedeutet eine Fibrille. Die Ordinaten bedeuten die 
Stärke der Affinität zwischen Fibrille und Fibrillensäure und zwar je nach der Richtung der an 
ihnen angebrachten Pfeile, positive oder negative Affinität. Die Richtung und Dicke der Pfeile 
auf der Abscisse bedeuten die Richtung und die Geschwindigkeit, mit welcher sich die Fibrillen- 
säure bewegt. 4. Anode, K. Kathode. Rechts und links ein Stück normaler Nervenstrecke. 


der Erregbarkeit (Verstärkung der primären physiologischen Ver- 
änderung), an der Kathode aber zu einer Abnahme der erhöhten Er- 
regbarkeit (also zur Abschwächung der primären physiologischen 
Veränderung). 

In Figur 79 sind die Strömungs- und Affinitätsverhältnisse dureh 
Pfeile dargestellt, wobei die horizontal verlaufenden Pfeile die Rich- 
tung und Stärke des Fibrillensäurestroms andeuten, die senkrecht auf 
die Horizontale stoßenden Pfeile die erhöhte Affinität und die senk- 
recht von ihr abgehenden Pfeile die herabgesetzte Affinität ausdrücken. 
An der Hand dieses Schemas und unter der Voraussetzung, dab wir 
es immer mit sog. starken Strömen (dritter Fall des Zuekungsgesetzes) 
zu tun haben, werden die folgenden Betrachtungen verständlich sein: 

Wenn die Anode dem Erfolgsorgan zugewandt ist, so tritt beim 
Stromsehluß kein Effekt an demselben ein und Reize, welche in ihrer 
Nähe angesetzt werden, haben keine oder herabgesetzte Wirkung. 
Es geht hier der Fibrillensäurestrom zum Erfolgsorgan hin. Ist die 
Kathode dem Muskel nahe, also bei aufsteigender Stromrichtung, so 


Bethe, Nervensystem. 20 


306 | Das Wesen der Nervenleitung. 


tritt ein Effekt bei Stromschluß ein und die extrapolare Strecke zeigt 
erhöhte Erregbarkeit. Da hier der Fibrillensäurestrom vom Erfolgs- 
organ fortgerichtet ist, so glaube ich den Schluß ziehen zu dürfen, 
daß bei der Nervenleitung eine Bewegung der Fibrillensäure zum 
Reizort hin (aber vom Erfolgsorgan fort) stattfindet. Im Moment der 
Schließung setzt die Bewegung zur Kathode hin plötzlich ein und 
bewirkt eine Reizwelle. (Für die Auffassung, daß nicht nur die 
Affinitätserhöhung, sondern in der Hauptsache die Bewegung der 
Fibrillensäure zum Reizort hin die Reizung hervorruft, nehme ich auch 
die Tatsache in Anspruch, daß der Nerv bei reiner Querdurehströmung 
nicht erregt wird. Die Tatsache erscheint gegenüber früheren gegen- 
teiligen Beobachtungen durch die Untersuchungen von Albrecht, Meyer 
und Giuffre ganz gesichert.) Später fließt der Strom stetig und mit ab- 
nehmender Kraft; daher bringt er keine weitere Reizung hervor. Bei 
manchen Tieren wirkt nun der konstante Strom dauernd erregend 
(Muschel, Krebs [Biedermann, 1886]) und auch bei den Tieren, wo 
sonst nur Öffnungs- und Schließungszuckung zu beobachten ist, tritt 
unter gewissen Bedingungen, hauptsächlich nach längerer Kälte- 
einwirkung (Pflüger, Hering, Biedermann), Dauererregung (Tetanus) 
ein. Hier ist nach meiner Vorstellung die Bewegung der Fibrillen- 
säure keine gleichmäßige, sondern gewissermaßen eine ruckweise, in- 
dem die Beweglichkeit der Fibrillensäure behindert ist. Letzteres läßt 
sich auch tatsächlich bei Kälteeinwirkung nachweisen (S. 291). 

Dort, wo ein kontinuierliches Fließen der Fibrillensäure zur 
Kathode hin stattfindet, besteht natürlich eine Disposition zur leichteren 
Erregbarkeit, weil jetzt nur noch eine geringe plötzliche Beschleunigung 
hinzuzukommen braucht, um eine Erregungswelle hervorzurufen. Wird 
der elektrische Strom geöffnet, so tritt eine entgegengesetzte Strömung 
der Fibrillensäure ein, wie sich dies ja auch hat nachweisen lassen. 
Diese Strömung geht zuerst schnell und nimmt immer mehr an In- 
tensität ab, so daß an der Kathode noch lange eine erhöhte Färbbarkeit 
zu konstatieren ist. In dieser entgegengesetzten Strömung wird man 
nach dem Vorhergehenden den Grund für die Herabsetzung der Er- 
regbarkeit an der Kathode (nach Stromöffnung) erblicken müssen. Da 
aber die erhöhte Affinität der Fibrillen noch bestehen bleibt, wie man 
daran erkennen kann, daß sie die Fibrillensäure noch festhalten, und 
da auch die erhöhte Affimität resp. die stärkere Beladung mit Fibrillen- 
säure als Disposition zu gesteigerter Erregbarkeit zu betrachten ist, 
so zeigt die Kathodengegend einige Zeit nach Öffnung des polari- 
sierenden Stromes wieder erhöhte Erregbarkeit: Der Gegenstrom 
der Fibrillensäure fließt jetzt so schwach, daß die noch bestehende 
stärkere Beladung mit Fibrillensäure das Übergewicht erlangt. Für alle 
bisherigen Nerventheorien bereitet das Wiederauftreten gesteigerter 


Das Wesen der Nervenleitung. 307 


Erregbarkeit an der Kathode ein unüberwindliches Hindernis, während 
es sich hier ohne weiteres direkt aus den Befunden von selbst erklärt. 

An der Anode entsteht bei Schließung eines aufsteigenden Stromes 
ein Strömen der Fibrillensäure, das der Bewegung der Fibrillensäure, 
welche als Teil des. Leitungsprozesses angesehen werden muß, grade 
entgegengesetzt ist. Es kann also keine Reizung zustande kommen, 
ebensowenig wie bei der Öffnung des Stromes an der Kathode. Bei 
der Öffnung des Stromes findet aber an der Anode, wie sich dies 
zeigen ließ, ein Zurückströmen der Fibrillensäure zur Anode hin statt. 
Diese Bewegung der Fibrillensäure ist gleichgerichtet mit derjenigen, 
welche beim Stromschluß an der Kathode (bei absteigendem Strom) 
eintritt, sie muß also denselben Effekt haben wie dort d. h. zu einer 
Erregung, der Öffnungszuckung, führen. Das Strömen zur Anode hin 
(also vom Erfolgsorgan fort) dauert noch längere Zeit nach Öffnung 
des Stromes an. Man wird also in ihm den Grund für die gesteigerte 
Erregbarkeit im Gebiet der Anode nach der Öffnung sehen dürfen. 
Da sich beim Zurückströmen kein neues Minimum bilden kann, so 
versteht es sich leicht, weshalb die umgekehrte Öffnungserregbarkeit 
der Anode langsam in normale Erregbarkeit übergeht, ohne, wie es 
an der Kathode der Fall ist, noch einmal ins Gegenteil umzuschlagen. 
Für eine gesteigerte Spannkraft der Anode nach der Öffnung, wie sie 
bei den meisten Nerventheorien angenommen wird, gibt es in meinen 
Befunden keinen Beweis; der Vorgang der Öffnungserregung und der 
gesteigerten Erregbarkeit nach der Öffnung erklärt sich zur Genüge 
daraus, daß die mit ihrer normalen Affinität behafteten Fibrillen 
wieder Fibrillensäure anziehen, nachdem die Ursache der Aufhebung 
der Affinität geschwunden ist. — 

Wir haben gesehen, daß sich bei schwachen Strömen viel leichter 
eine Ansammlung von Fibrillensäure an der Kathode zeigt, als eine 
Veränderung an der Anode auftritt: Die Kathodenwirkung ist bei 
schwachen Strömen stärker. Hieraus erklärt es sich nach meiner 
Meinung, daß bei schwachen Strömen stets nur eine Schließungszuckung 
zustande kommt. — Bei schwachen, mittelstarken Strömen muß man 
gewöhnlich, um eine Öffnungszuckung zu erhalten, den Strom einige 
Zeit fließen lassen. Auch dieser Unterschied in Bezug auf Schließungs- 
und Öffnungszuckung erklärt sich leicht: Die Bewegung der Fibrillen- 
säure zur Kathode hin tritt auf jeden Fall sofort ein; damit die 
Fibrillensäure bei der Öffnung zur Anode zurückströmen kann, muß 
aber erst eine gewisse Menge von Fibrillensäure von der Anode fort- 
geströmt sein, und hierzu bedarf es desto mehr Durchströmungszeit, je 
schwächer der Strom ist. — 

Ist ein Strom längere Zeit geschlossen gewesen, so tritt beim 
Öffnen desselben besonders leicht, wenn er aufsteigend war (Rosen- 

20* 


308 Das Wesen der Nervenleitung. 


thal, 1858), statt einer einfachen Öffnungszuckung ein Öffnungstetanus 
ein (Ritter). Bei einer längeren Durchströmung sammelt sich nun 
jenseits der Anode eine reichliche Menge freier resp. an Alkali ge- 
bundener Fibrillensäure an. Bei der Stromöffnung können die wieder 
aktiv gewordenen „Valenzen‘ der Fibrillen diese Fibrillensäuremengen 
direkt in den zur Anode hingerichteten Fibrillensäurestrom hineinziehen 
und brauchen die Fibrillensäure nicht erst weiter entfernten Teilen zu 
entziehen, welche die Fibrillensäure mehr oder weniger festgebunden 
halten. Der Strom ist also stärker als nach kurzer Schließung und 
wahrscheinlich auch diskontinuierlich, weil die freie Fibrillensäure den 
Fibrillen nicht direkt anliegt. Jedenfalls sind die Bedingungen an der 
Anode der Art, daß die Erklärung des Öffnungstetanus keine wesent- 
lichen Schwierigkeiten bereitet. — (Engelmann führt den Öffnungs- 
und Schließungstetanus auf latente Reize zurück, welche nur bei 
erhöhter Reizbarkeit wirksam würden. Diese Erklärung kann natür- 
lich nach wie vor richtig sein, doch scheint mir die eben gegebene 
plausibler, weil man hier etwas Greifbares vor sich hat, während 
man sich unter einem latenten Reiz vorläufig nichts Bestimmtes vor- 
stellen kann.) Ist ein Öffnungstetanus ausgebrochen, so kann der- 
selbe durch erneute Schließung des Stromes sofort aufgehoben werden, 
während er durch Schließung eines entgegengesetzten Stromes — und 
dieser braucht nicht stark zu sein — verstärkt wird (Rosenthal, 1858). 
Auch dann, wenn der Öffnungstetanus nachgelassen oder bereits ganz 
aufgehört hat, kann er durch Schließung eines entgegengesetzten 
Stromes wieder angefacht werden (Rosenthal, Pflüger und andre). 
Beide Befunde finden leicht eine befriedigende Erklärung: Bei erneuter 
Schließung des gleichgerichteten Stromes wird die nach der Öffnung 
eingetretene normale Affinität wieder aufgehoben; bei Schließung des 
entgegengesetzten Stromes wird die Affinität der Fibrillen erhöht, und 
sie reißen nun die freie Fibrillensäure mit sehr viel größerer Heftig- 
keit an sich, wodurch natürlich der Tetanus verstärkt resp. wieder 
hervorgerufen wird, falls nämlich die Strömung schon zu langsam ging. 
In derselben Weise erklärt sich die Voltasche Alternative. 

Wie Pflüger zuerst gefunden hat, kann der Öffnungstetanus (bei 
absteigendem Strom) sofort dadurch aufgehoben werden, daß man den 
Nerven im Indifferenzpunkt durchschneidet; findet die Durchschneidung 
zwischen dem Indifferenzpunkt und der Anode statt, so geht der 
Öffnungstetanus ruhig und zwar unvermindert weiter. Ich glaube 
nun, daß der Reiz hierbei gar nicht von der eigentlichen Anode aus- 
zeht, denn es befindet sich zwischen dem Indifferenzpunkt und der 
Anode ein Gebiet, in welchem die Fibrillen gar keine Fibrillensäure 
zur Verfügung haben, also auch nicht den von der Anode aus- 
zchenden Reiz zum Muskel hinleiten können. Nachdem nämlich 


en 


Das Wesen der Nervenleitung. 309 


Beruhigung des Öffnungstetanus eingetreten ist, bewirken auch die 
stärksten zentral von der Anode angesetzten Reize noch durch 
längere Zeit hindurch keinen Effekt am Muskel. Es ist vielmehr 
anzunehmen, daß der Öffnungstetanus nach absteigender Durch- 
strömung im anelektrotonischen Teil der intrapolaren Strecke entsteht 
und zwar in der Nähe des Indifferenzpunktes. Hier findet sich wie 
jenseits der Anode freie Fibrillensäure (Fig. 74, 7), welehe beim Öffnen 
des Stromes von,den Fibrillen angerissen wird, so daß nun eine 
Fibrillensäureströmung zur Anode hin (also vom Muskel fort) ent- 
steht. (Analog dem hier Besprochenen geht der Öffnungstetanus nach 
aufsteigender Durchströmung stets von dem extrapolaren Teil der 
Anode aus.) 

Die Untersuchung der Erregbarkeitsverhältnisse in der interpolaren 
Strecke hat Pflüger Schwierigkeiten bereitet. Sicher hat er (bei 
chemischer Reizung) nur feststellen können, daß in der Nähe der 
Kathode gesteigerte, in der Nähe der Anode herabgesetzte Erregbarkeit 
besteht und daß der Indifferenzpunkt bei stärkeren Strömen näher an 
der Kathode liegt. Ob aber die Erregbarkeitssteigerung auf der inter- 
polaren und extrapolaren Seite der Kathode gleich groß ist, hat er 
nicht festgestellt, wohl aber angenommen, denn er läßt in seiner Kurve 
(Fig. 68) die Erregbarkeit langsam zum Indifferenzpunkt hin absinken. 
Wenn meine bisherigen Betrachtungen aber richtig sind, so muß die 
Erregbarkeit bei absteigendem Strom interpolarwärts von der Kathode 
zuerst senkrecht absinken, um dann allmählich bis zum Indifferenzpunkt 
auf die normale Erregbarkeit zu sinken. Der Grund hierfür liegt 
darin, daß in dem interpolaren Teil der kathodischen Strecke die 
Strömungsrichtung der Fibrillensäure zum Erfolgsorgan hingerichtet 
ist, also einer Erregungswelle entgegenwirkt. Eine gesteigerte Erreg- 
barkeit kann hier trotzdem vorhanden sein, sie beruht dann aber nur 
noeh auf der erhöhten Affinität. Wegen der Verschiedenheit der 
Fibrillenstromrichtung muß umgekehrt bei aufsteigendem Strom die 
Erregbarkeitssteigerung im interpolaren Teil der Kathode absolut größer 
sein als im extrapolaren. 

Die bis jetzt über die Erregbarkeitsverhältnisse in der interpolaren 
Strecke vorliegenden Untersuchungen (auch die sehr genauen Versuche 
von Tigerstedt, 1882) geben auf diese Frage keinen Bescheid, weil 
eine quantitative Vergleichung der interpolaren und extrapolaren 
Kathoden- und Anodenstreeke nie vorgenommen wurde. Die Frage 
bleibt also zunächst offen. 

Die Unerregbarkeit hochgradig narkotisierter Nerven wird bereits 
zur Genüge dadurch erklärt, daß die Fibrillensäure nieht mehr 
wanderungsfähig ist. Die Tatsache, daß bei etwas schwächerer Nar- 
kose nur noch an der Anode, nicht aber an der Kathode eine Ver- 


310 Das Wesen der Nervenleitung. 


änderung eintritt und daß die Anodenveränderung nur langsam und 
nur an der Stelle der stärksten Stromeinwirkung entsteht, gibt vielleicht 
den Schlüssel dafür, daß die Erregbarkeit im Anfang der Narkose ge- 
steigert ist. Man könnte nämlich die Annahme machen, daß der Äther 
(und die übrigen Narecotica) die Affinität der Fibrillen zur Fibrillen- 
säure erhöht. (Gesichert ist ja nur, daß die Beweglichkeit der 
Fibrillensäure, gehemmt ist; diese Hemmung könnte aber auch anders 
als durch Affinitätserhöhung erklärt werden. Übrigens spricht sich 
auch Wedenski (1900) auf Grund merkwürdiger Befunde bei An- 
wendung andrer Nareotica dahin aus, daß ‚der Nervenzustand unter 
dem Einfluß narkotisierender Stoffe kein passiver, sondern ein eigen- 
tümlicher Erregungszustand“ sei.) Bei mittelstarker Narkotisierung 
würde die Festigkeit der Verbindung so groß sein, daß eine Längs- 
verschiebung der Fibrillensäure nicht mehr möglich wäre, eine Auf- 
hebung der Verbindung aber grade noch an der Anode zustande 
kommen könnte. Bei den ersten Anfängen der Narkose würde dann 
nur eine schwache Erhöhung der Affinität bestehen, welche etwa 
einem leichten Katelektrotonus gleichkäme. Bei dieser vielleicht etwas 
gewagt erscheinenden Annahme würde also die anfangs gesteigerte 
Erregbarkeit auf eine schwache Steigerung der Affinität zurückzuführen 
sein. Da letztere aber bald zunimmt, so wird es verständlich, daß 
nach einiger Zeit zwar immer noch Reizbarkeit am muskulären Ende 
der Ätherstrecke vorhanden ist, daß sich aber die Reizwelle durch 
eine lange Strecke (erhöhter Affinität) nicht mehr hindurcharbeiten 
kann, wie dies Dendrinos gefunden hat. Darüber kann ja kein Zweifel 
bestehen, daß eine mäßige Erhöhung der Affinität die Spannkraft 
steigern, eine starke Erhöhung aber einen wesentlichen und schließ- 
lich unüberwindbaren Widerstand hervorbringen muß. Hiermit würde 
es gut übereinstimmen, daß, wie Boruttau (1897) nachwies, sich 
bereits im Anfang der Ätherisation eine Verzögerung im Ablauf des 
Aktionsstroms nachweisen läßt und das er später ganz ausbleibt. — 
In derselben Weise würde sich auch die Erregbarkeitssteigerung bei 
Wasserentziehung (Engelmann) erklären lassen. 

Wenn wir bei der Narkose einen Teil der katelektrotonischen 
Veränderung vor uns haben (nämlich die Affinitätserhöhung ohne 
Strömung der Fibrillensäure), so müssen wir in der Wirkung des 
destillierten Wassers auf den Nerven einen Teil der anelektrotonischen 
Veränderung erbliecken. Hier wird, wie sich zeigen ließ, die Affinität 
der Fibrillen zur Fibrillensäure allmählich aufgehoben, eine Strömung 
der Fibrillensäure findet dabei aber nicht statt; sie bleibt vielmehr so 
dicht an den Fibrillen (oder auch in den Fibrillen liegen), daß sie im 
Ätherpräparat das normale Bild vortäuscht. Während der Wasser- 
wirkung nehmen Leitungsfähigkeit und Erregbarkeit mit der Abnahme 


Das Wesen der Nervenleitung. 311 


der Affinität dauernd ab, ohne daß sieh dazwischen auch nur die 
leiseste Andeutung von Erregbarkeitssteigerung zeigt. 

Ausgehend von der Idee, daß die Herabsetzung der Erregbarkeit 
in der Nähe der Anode auch eine Verlangsamung der Nervenleitung 
hervorbringen müsse, verglich v. Bezold (1861) die Leitungsgeschwin- 
digkeit in der extrapolar-anodischen und kathodischen Streeke mit der 
einer normalen Nervenstrecke und kam dabei zu dem Resultat, daß 
die Leitungsgeschwindigkeit extrapolar von der Anode allerdings eine 
Verminderung erführe, daß aber auch die Leitungsgeschwindigkeit 
außerhalb der Kathode herabgesetzt sei. Dies letztere Resultat mußte 
überraschen, da man hier eher eine Beschleunigung hätte erwarten 
sollen. Bezold benutzte nun bei diesen Untersuchungen relativ sehr 
starke Ströme, welche wie beschrieben sekundäre Veränderungen in 
der Nähe der Kathode hervorzurufen imstande sind, so daß die Ver- 
langsamung im Gebiet der Kathode auf diese bezogen werden könnte. 
Es gelang dann auch später Rutherford unter Berücksichtigung dieser 
Verhältnisse und unter Benützung schwächerer Ströme zu zeigen, dab 
eine Verlangsamung der Leitung nur extrapolar von der Anode statt- 
habe, daß dagegen im Gebiet des Katelektrotonus eine Beschleunigung 
der Leitung zur Beobachtung gelange. Wenn wir uns vergegen- 
wärtigen, daß zwischen Anode und Muskel eine Strömung der Fibrillen- 
säure zum Muskel hin stattfindet, also eine Bewegung, welche der 
der Leitung entgegengesetzt ist, so kann man als Grund der Verlang- 
samung eben diese Gegenströmung ansehen, welche erst überwunden 
werden muß, und man kann sich denken, daß der Fibrillensäurestrom 
zur Kathode hin die gleichgerichtete Bewegung bei der Leitung unter- 
stützt und beschleunigt. 


Ich komme nun zur Besprechung der elektromotorischen Er- 
scheinungen am Nerven. Du Bois-Reymond entdeckte den Nerven- 
strom, welcher darin besteht, dass sich der Querschnitt eines Nerven 
elektronegativ gegen alle unverletzten Stellen (den Längsschnitt) ver- 
hält. Hermann zeigte später, daß diese Erscheinung ebenso wie beim 
Muskel als eine Absterbeerscheinung aufzufassen sei, indem sich das 
absterbende ‚„Protoplasma“ am Querschnitt elektronegativ gegen un- 
verletzte Teile verhält (Demarkationsstrom). Da die Negativität des 
Quersehnitts immer mehr abnimmt, durch einen neuen Querschnitt 
aber wieder auf die alte Höhe gebracht werden kann, so stellte Engel- 
mann die Lehre auf, daß die Nervenfasern immer nur bis zur nächsten 
Ranvierschen Einschnürung abstürben. (Das Tatsächliche ist oftmals 
besonders von Head bestätigt.) Da sich aber Nerven, welche keine 
Sehnürringe besitzen (Opticus von Fischen [Kühne], und marklose 
Nerven [Biedermann]) ähnlich verhalten, so liegt doch, wie Bieder- 


312 Das Wesen der Nervenleitung. 


mann hervorhebt, kein genügender Grund vor, „an bestimmte anato- 
mische Grenzlinien in der Kontinuität des Achsenzylinders zu denken, 
an welchen das Fortschreiten des Absterbeprozesses aufgehalten 
würde“. — Die Negativität des Querschnitts wirkt auf die lebenden 
Nachbarteile ein und versetzt sie in Katelektrotonus, so daß ein Nerv 
in der Nähe der Querschnittsstelle immer erregbarer ist, als im 
weiteren Verlauf (Hermann). 

Da der Absterbeprozeß sehr langsam geht und voraussichtlich 
immer nur an engbegrenzter Stelle vorhanden ist, so kann er direkt 
nicht mit meiner Methode untersucht werden. Was ich untersuchen 
kann, ist nur das Resultat des Absterbens, das Abgestorbene. Es 
zeigt sich, daß die Fibrillensäure nach dem Absterben an die Fibrillen 
gebunden ist (so lange nicht sekundäre Prozesse eintreten) und durch 
den konstanten Strom nicht mehr zur Wanderung gebracht werden 
kann; rein mechanisch gedacht ist also die Affinität zwischen der 
toten Fibrille und der Fibrillensäure stärker als normal. Es tritt also 
beim Absterben ein Zustand ein, der dem bei der Narkose ähnlich 
ist. Wenn hierin zwar noch keine Erklärung der Negativität beim 
Absterben liegt, so kann man doch eine gewisse Parallele erkennen. 
Die einfachste Deutung scheint mir nun folgende: Die normale Fibrille 
besteht nieht nur aus Fibrillensubstanz und Fibrillensäure, sondern es 
befinden sich in diesem Komplex, wie in jeder eiweißartigen Materie 
auch anorganische Bestandteile (Kationen und Anionen) mehr oder 
weniger fest gebunden. So wie unter verschiedenen Bedingungen die 
Beziehungen zwischen Fibrille und Fibrillensäure in verschiedener 
Richtung beeinflußt werden können, so kann auch eine verschiedene 
Beeinflussung der Kationen und Anionen, welche in den Komplex mit 
aufgenommen sind, angenommen werden. Man könnte sich z. B. 
denken, daß mit einer Verstärkung der Affinität (katelektrotonischer 
Zustand) eine Abscheidung von eletronegativen Ionen (also Anionen), 
mit der Verminderung der Affinität (zwischen Fibrille und Fibrillen- 
säure, anelektrotonischer Zustand) eine Abscheidung elektropositiver 
Ionen (Kationen)Hand in Hand ginge. Hierdurch kämen Konzentrations- 
differenzen im Sinne von Oker-Blom (1901) zustande, welche nach 
ihm als Grund der elektromotorischen Veränderungen angesehen werden 
müssen. Wenn also beim Absterben eine Verstärkung der Affinität 
zwischen Fibrille und Fibrillensäure entsteht, so würden die dabei frei- 
eewordenen negativen Ionen eine Negativität des Querschnitts hervor- 
rufen; diese Spannung würde sich durch Diffusion u. s. w. ausgleichen, 
die erhöhte Affinität würde aber bestehen bleiben, weil die Fibrille 
nieht mehr restitutorischer Prozesse fähig ist, und sie muß sich daher, 
nachdem die elektrischen Erscheinungen längst vorüber sind, noch im 
Präparat (besonders bei konstanter Durchströmung) bemerkbar machen. 


Das Wesen der Nervenleitung. 315 


(Wäre diese Vorstellung richtig, so müßte sich auch eine ätherisierte 
Nervenstrecke negativ gegen eine normale verhalten. Bis jetzt liegen, 
so viel mir bekannt, keine diesbezüglichen Untersuchungen vor. Die 
Boruttauschen Untersuchungen vergleichen nur zwei Punkte der nar- 
kotisierten Strecke.) In gleicher Weise können die elektrotonischen 
Ströme eine Erklärung finden. 

1843 beschrieb du Bois, daß der Ruhestrom des Nerven bei 
weitentfernter tetanischer Reizung abnimmt, und seitdem ist diese 
„negative Schwankung des Nervenstroms“ eine der grundlegendsten 
Tatsachen der Physiologie, weil sie außer dem natürlichen Erfolg 
eines Nervenreizes bisher das einzige Mittel geblieben ist, über die 
Leitungsvorgänge im Nerven etwas zu erfahren. Bernstein (1871) 
lehrte durch seine Rheotomversuche die Form der negativen Schwan- 
kung und die Schnelligkeit ihrer Ausbreitung kennen, welche mit der 
von Helmholtz (1850) gefundenen Zahl für die Leitungsgeschwindig- 
keit des Nerven nahezu übereinstimmt. Später gelang es Hermann 
(1878, 1881) zu zeigen, daß die negative Schwankung (wie beim 
Muskel) nur eine Teilerscheinung ist. Jede erregte (im Augenblick 
leitende) Nervenstelle verhält sich zu einer unerregten (nicht in Leitung 
begriffenen) elektronegativ. Bei Ableitung von zwei Längsschnitt- 
punkten wird daher der der Reizstelle zunächst gelegene zuerst negativ, 
weiterhin der andre. Da auf diese Weise zwei entgegengesetzte 
Ströme bei einfacher Längsschnittsableitung und tetanischer Reizung 
zum Galvanometer gelangen, so heben sie sich auf und bringen keinen 
Ausschlag der Nadel hervor. (Um die Existenz zweiphasischer Aktions- 
ströme nachweisen zu können, benutzte Hermann die Rheotommethode 
und verlangsamte die Leitung durch Kälteeinwirkung.) Wird aber 
nach dem Vorgange von du Bois vom Längsschnitt und Querschnitt 
abgeleitet, so gelangt die Erregung nicht bis zur zweiten Elektrode, 
weil der Nerv hier abgestorben oder sterbend ist. Es wird bei jedem 
Reiz immer nur die Längsschnittselektrode negativ beeinflußt, so 
daß sich die Wirkungen der tetanischen Reizung summieren und auf 
die Magnetnadel wirken können. Auf diese Weise kommt bei der 
negativen Schwankung nur die erste Phase der zweiphasischen Aktions- 
ströme zum Ausdruck, allerdings reiner als bei den zweiphasischen, 
weil bei diesen die zweite Phase bereits beginnt, wenn der auf- 
steigende Teil der ersten noch nicht beendet ist. (In Figur 80 ist 
die Kurve eines zweiphasischen Aktionsstroms abgebildet. Mit einer 
dünnen Linie ist gezeichnet, wie die Phasen eigentlich aussehen 
würden, wenn sie sich nicht störten. Könnte man die Ableitungs- 
elektroden genügend weit auseinanderrücken, so würde man beide 
Phasen in voller Ausdehnung und in annähernd richtiger Form dar- 
stellen können; doch wird dies durch äußere Faktoren verhindert.) 


314 Das Wesen der Nervenleitung. 


Die Negativität einer erregten d. h. leitenden Stelle tritt also 
ziemlich schnell ein und verschwindet langsam. Eventuell schlägt sie 
ins Gegenteil um, doch würde dies bei Ableitung von zwei Längs- 
schnitten nicht mehr bemerkbar werden können, wenn es sehr lang- 
sam eintritt, weil die Positivität beider Ableitungsstellen sich aufheben 
würde. Bei Längsschnitt- Querschnittableitung steht dagegen dem 
nichts im Wege, daß sich diese langsam eintretende Positivität an- 
zeigt, indem sich die Querschnittelektrode nicht an dem Vorgang be- 
teiligen würde. In der Tat hat auch Hering (1884) und nach ihm 
Head (1887) nachweisen können, daß nach dem Aufhören der Tetani- 
sation eine positive Nachschwankung eintreten kann. 

Um zu zeigen, daß es sich bei der negativen Schwankung (resp. 
dem Aktionsstrom) wirklich um einen Ausdruck der Erregung handelt, 
hat bereits du Bois sich bemüht, den gleichen Vorgang mit andern 
Reizen als elektrischen her- 
vorzurufen. Es ist ihm das 
nur in sehr bescheidenem 
Maße gelungen. In neuerer 
Zeit ist es aber Grützner 
(1881) bei chemischer Rei- 
zung, Steinach (1894) bei 
mechanischer Reizung (an 
Kaltfröschen) gelungen. Be- 
Fig. 80. Zweiphasischer Aktionsstrom nach Hermann aus sonders bemerkenswert sind 
a an any) Sie: Fänz. Boraser 
Kurven bedeuten die Konstruktionen jeder einzelnen Phase.) 1902) mit Hilfe des Ka- 

pillarelektrometers bei me- 
chanischer Reizung und im Stryehnintetanus gewonnenen Kurven. 

Man sollte demnach kaum einen Zweifel hegen können, daß die 
Aktionsströme (Hermanns, negative Schwankung du Bois’, Reizwelle 
Bernsteins, Negativitätswelle Boruttaus) in einem innigen Zusammen- 
hang mit dem Leitungsprozeß stehen. Trotzdem ist wiederholt be- 
sonders in letzter Zeit versucht worden, die Aktionsströme als etwas 
mehr oder weniger vom Leitungsvorgang Unmabhängiges hinzustellen: 
Herzen (1899) packte einen Teil des Nerven zwischen Chloralose- 
pulver und reizte ab und zu diese Stelle und eine zentral davon 
gelegene. Eine Muskelzuckung soll nun nach einiger Zeit von der 
Chloralosestreecke nicht mehr zu erzielen sein, während der Reiz 
von der zentral gelegenen Reizstelle aus die affizierte Stelle noch 
durchsetzt und zu einer Muskelzuckung führt. Wird der Nerv jetzt 
zwischen Muskel und Chloralosestrecke durchschnitten und mit dem 
Galvanometer verbunden, so soll bei Reiz der Chloralosestrecke 
doch noch negative Schwankung eintreten. Die negative Schwankung 


Q 


Das Wesen der Nervenleitung. 315 


soll also bestehen bleiben, nachdem die Erregbarkeit bereits auf- 
gehört hat. 

Wedenski (1900) und Boruttau (1902) haben diesen Versuch nach- 
geprüft und sind zu dem Resultat gekommen, daß das Herzensche 
Resultat ganz offenbar auf Versuchsfehlern beruht. Wedenski leitete 
in der Nähe des Muskels mittels zwei Elektroden zum Telephon ab, 
in dem sich die Aktionsströme je nach der Schnelligkeit, mit der sich 
die Reize folgen, in einem höheren oder tieferen Ton kund geben. 
Zu seinen Versuchen benutzte er außer der sehr ungeeigneten Chlora- 
lose eine ganze Anzahl andrer Nareotica und kam dabei zu dem 
Resultat, daß sich die Aktionsströme in derselben Weise verändern, 
als der Reizerfolg am Muskel geringer wird. 

Auf die von Gotsch und Burch (1899) gegen die Notwendigkeit 
eines Zusammenhanges zwischen Aktionsstrom und Leitung auf Grund- 
lage der Tatsache vom kritischen Intervall gemachten Einwände kann 
ich hier nicht weiter eingehen, doch scheint es mir, daß sie durch 
die Nachuntersuchung von Boruttau (1902) als beseitigt zu betrach- 
ten sind. 

Es liegt also kein Grund dafür vor, den Aktionsstrom vom 
Leitungsvorgang zu trennen, vielmehr muß derselbe als eine Teil- 
erscheinung der sich fortbewegenden Erregung aufgefaßt werden. 
Wie ich nun oben beschrieben habe, zeigen die Achsenzylinder eines 
Nerven, welcher während der Reizung mit sehr schnell sich folgenden 
Wechselströmen fixiert ist, Ähnlichkeit mit der Kathodengegend eines 
polarisierten Nerven. Dagegen zeigen die Achsenzylinder bei einer 
geringeren Zahl von Reizen grade das entgegengesetzte Verhalten; sie 
sind blasser als normal, zeigen also Ähnlichkeit mit der Anodengegend 
eines polarisierten Nerven. — Nun pflanzt sich nach den Unter- 
suchungen über das elektrische Verhalten des Nerven sicherlich zu- 
nächst eine negative Welle bei der Leitung durch den Nerven fort, da 
diese aber von kurzer Dauer ist, so kann die mit ihr eventuell Hand 
in Hand gehende Affinitätsverstärkung zwischen Fibrille und Fibrillen- 
säure nur dann im Fixierungsbild zur Beobachtung kommen, wenn sich 
die Reize und somit die negativen Wellen sehr schnell. folgen. Ich 
muß also die Verstärkung der Affinität bei schneller Reizfolge als das 
eigentliche Bild des erregten sive leitenden Zustandes ansehen. 

Nun folgt auf jede Negativitätswelle eine langsame Rückkehr zur 
normalen elektrischen Spannung. Bei der langsamen Entwicklung der 
restitutorischen Phase ist es, wie oben angedeutet, sehr gut möglich, 
daß sie in eine wirkliche Positivität umschlägt, die aber wegen des 
langsamen Auftretens nur bei Längsschnitt - Querschnittableitung und 
erst nach Aufhören der Reizung zur Beobachtung kommt. Je weiter 
(in gewissen Grenzen) die Reize auseinanderliegen, desto besser wird 


316 Das Wesen der Nervenleitung. 


sich diese Phase entwickeln können, desto mehr wird ihre even- 
tuelle Grundlage im Präparat erkennbar sein. Ich sehe also in der 
Blässe der Achsenzylinder bei geringer Reizzahl (und nach starker, 
frequenter Reizung) die langandauernde restitutorische Phase, welche 
auf die schnell vorübergehende Erregungsphase folgt. Mit dieser An- 
nahme, daß jeder Erregungswelle eine restitutorische Phase folgt, 
bei welcher jede Nervenstelle in einen anodischen Zustand gerät, 
stimmen Erfahrungen von Carvallo (1900) sehr gut überein. Er fand 
nämlich, daß die Erregbarkeit einer Nervenstelle in der Kälte schnell 
abnimmt, beim Erwärmen aber wiederkehrt, und daß warme Nerven 
auch bei sehr langdauernder elektrischer Erregung noch keine lokale 
„Ermüdung“ zeigen. Wie ich nun oben gezeigt habe, wird beim 
Abkühlen eines Nerven die Fähigkeit zur anodischen Veränderung 
stark gehemmt, beim Erwärmen gesteigert. Der Kaltnerv wird also 
sehr viel mehr Zeit gebrauchen, um sich von jeder einzelnen Reiz- 
welle in der restitutorischen Phase zu erholen, als der Warmnerv. 
Als Anfangsstörung habe ich eine Verstärkung der Affinität am 
Reizort verbunden mit einer Verschiebung von Fibrillensäure zum 
teizort hin auf Grundlage der Verhältnisse an der Kathode (bei der 
Schließung) und an der Anode (bei der Öffnung) angesprochen. !) 
Wenn nun mit der Verstärkung der Affinität ein Freiwerden von 
elektronegativen Ionen Hand in Hand geht, so entstehen Strömcehen, 
welche an der erregten Stelle in die Fibrillen eintreten, in den Nachbar- 
teilen aber aus denselben austreten (Hermann, 1879). Diese versetzen 
also die ruhende Nachbarschaft in Katelektrotonus und bringen hier 
wieder Affinitätserhöhung hervor, welche mit lokaler Abgabe von 
negativen Ionen verbunden ist. In dieser Weise könnte man sich ein 
Fortschreiten der Erregung nach dem Vorgange von Hermann vor- 
stellen. Neu ist dabei nur, daß als primäre Veränderung die Affini- 
tätserhöhung angesehen wird und daß an Stelle der Polarisation 
zwischen Kern und Hülle eine alleinige Veränderung der Fibrille 
gesetzt wird, eine Veränderung, bei der die Hülle (die Perifibrillär- 
substanz oder was sonst grade die Fibrille umgibt) nur eine ganz 
sekundäre Rolle spielt. Auch bei dieser Vorstellung würde sich die 
Negativitätswelle in derselben Weise ausbreiten und äußern, wie im 
Kernleitermodell, wenngleich die Ursache nicht in eine einfache 


I) Eine Zunahme der Affinität läßt sich auch bei mechanischer und chemischer 
teizung gut denken. Ich will zugeben, daß eine „lokale Konzentrationsänderung 
von Ionen“ die Anfangsstörung bei allen möglichen Reizarten leichter erklärt, 
doch kann ich Boruttau (1902) nicht zugeben, daß dies die einzige Möglichkeit 
ist. Im Grunde habe ich aber auch nichts dagegen einzuwenden, dafß man als 
Anfangsstörung immer eine Konzentrationsänderung ansieht. Es kommt dabei 
auf das gleiche hinaus. 


Das Wesen der Nervenleitung. 317 


Grenzpolarisation, sondern in einen komplizierteren chemisch - physi- 
kalischen Prozeß verlegt würde, zu dem bis jetzt kein Analogon von 
der physikalischen Chemie geboten ist. Eine direkte Erklärung der 
neuen Befunde auf Grund der bisherigen rein physikalischen Kernleiter- 
theorie, wie sie von Hermann und Boruttau ausgebildet ist, scheint 
mir zwar nicht unmöglich, aber auf jeden Fall gezwungen. Man müßte 
zu diesem Zweck annehmen, daß die Fibrillensäure ein Bestandteil 
der Hülle sei, wozu aber bei dem höchst wahrscheinlich ehemischen 
Verhältnis zwischen Fibrille und Fibrillensäure die erste Grundlage 
fehlen würde. (Man kann übrigens auch annehmen, daß die Erregung 
von Teilchen zu Teilchen dadurch fortgepflanzt wird, daß das erregte 
Teilchen infolge seiner höheren Affinität dem unerregten Fibrillen- 
säure entzieht und dieses hierdurch in Erregung gerät.) 

Wenn also die negativ gewordene erregte Stelle zur Ausbildung 
von Strömehen führt, die sich durch die Umgebung abgleichen und 
die nächst gelegenen Fibrillenteile in Katelektrotonus, die erregte 
Stelle selber aber in Anelektrotonus versetzen, welcher sich aus eigenen 
Kräften der Fibrille langsam steigert, so muß dieser anelektro- 
tonische Zustand dann am besten im gefärbten Präparat zum Ausdruck 
kommen und die katelektrotonische Affinitätserhöhung ganz hinter ihm 
zurücktreten, wenn nur selten eine neue Welle über die Fibrille hin- 
läuft. Nach Beendigung der anelektrotonischen oder restitutorischen 
Phase würde jede Fibrille wieder ihre normale Affinität zur Fibrillen- 
säure haben und die im erregten Zustand abgegebenen negativen 
Ionen wieder ersetzt haben. — Folgen die Reize sehr schnell hinter- 
einander, so kann die Erholung nicht eintreten; die Fibrille bleibt in 
einem andauernden Zustande erhöhter Affinität, sie kann also auch 
der Leitung nur noch in untergeordnetem Maße dienen. Ich glaube, 
daß dies mit einer Anzahl von Tatsachen sehr gut harmoniert: Bei 
frequenten und nicht zu starken Reizen tritt, wie Bernstein (1871) 
zuerst gefunden hat, nur eine Anfangszuckung, aber kein andauernder 
Tetanus ein. Verstärkt man den Reiz durch weitere Annäherung der 
Rollen, so tritt zwar ein dauernder Tetanus ein, doch ist dieser auch 
bei stärksten Strömen nie auf die Höhe zu bringen, die man bei 
schwächeren tetanischen Reizen mit geringer Unterbrechungszahl be- 
obachtet. Der Tetanus bei sehr frequenter Reizung ist auch nie so 
gleichmäßig wie bei Reizung mit geringer Unterbrechungszahl. Schließ- 
lich ist noch daran zu erinnern, daß man bei langsamer Tetanisation 
schon bei sehr großem Rollenabstand einen Tetanus erzielt, zu dessen 
Erzeugung man bei sehr frequenter Reizung die Rollen einander wesent- 
lich nähern muß. 

Aus dem Gruenhagenschen Phänomen (S. 269) und aus Unter- 
suchungen von van Dehn und Schiff, welehe zu dem Resultat führten, 


318 Das Wesen der Nervenleitung. 


daß die Stränge des Rückenmarks nieht erregbar, wohl aber leitend 
seien, haben Schiff und andre den Schluß gezogen, daß der Vorgang 
der Leitung und Erregung ganz voneinander zu trennen seien. Neuere 
Untersuchungen (Fiek, Biedermann u. a.) haben ergeben, daß die 
Rückenmarksstränge doch reizbar sind, so daß diese Lehre von jener 
Seite her keine Stütze mehr empfängt. (Ein gewisser Unterschied 
zwischen ihnen und den peripheren Nerven mag trotzdem in Bezug 
auf die Erregbarkeit bestehen.) Dagegen ist das Gruenhagensche 
Phänomen wohl eine unleugbare Tatsache: Auch aus den Tabellen der 
neuesten, sich gegen diese Trennung richtenden Arbeit (von Wedenski 
[1900]), geht hervor, daß zu einer gewissen Zeit der Narkose die 
teizschwelle zentral von der affizierten Stelle geringer ist als an 
dieser Stelle selber. Die ganze Frage ist aber durch diese Arbeit 
Wedenskis in eine neue Phase getreten: Die niedrigere Reizschwelle 
oberhalb der affizierten Stelle ist nämlich nur bei schwächeren Reizen 
zu konstatieren. Nähert man die Rollen, so tritt bei dem jetzt stär- 
keren Reiz ein niedrigerer Tetanus und schließlich nur noch eine 
Anfangszuckung ein (bei 100 Reizen in der Sekunde). Bei weniger 
frequenter Reizung macht sieh dieser Unterschied zwischen starkem 
und schwachem Reiz nicht bemerkbar. Man kann sich vorstellen, 
daß bei der ohnehin im narkotisierten Nerven bestehenden erhöhten 
Affinität, die durch den Reiz gesetzte Erhöhung so langsam zurück- 
geht, daß bei frequentem Reiz jede Welle die nächstfolgende um so 
mehr stört, je stärker sie ist. — Im übrigen wird man mit Hermann 
annehmen dürfen, daß die Erregung von Teilchen zu Teilchen leichter 
von statten geht als von außen. Nachdem ich gezeigt, daß sich bei 
der Leitung meist dasselbe Bild zeigt, wie an der Kathode eines 
polarisierten Nerven, wird wohl kaum noch daran zu zweifeln sein, 
daß Leitung fortgeleitete Erregung ist (Hermann). Auch 
der Befund Grützners, daß der Effekt eines Reizes größer ist, wenn 
der Leitungsvorgang auf dem Wege zum Muskel eine Stelle erhöhter 
Erregbarkeit zu passieren hat, läßt sich wohl kaum in einem andern 
Sinne deuten. 

Zuerst hat Bernstein (1877) den Versuch gemacht, die Ermüd- 
barkeitsverhältnisse des Nerven zu studieren. Er fand nach starker, 
tetanischer Reizung einer Nervenstelle diese für weiter oben an- 
gesetzte Reize nicht mehr durehgängig, während Reizung einer mehr 
peripher gelegenen Stelle den Muskel noch zur Kontraktion brachte. 
Ähnliche lokale Ermüdungen konnte er auch bei andern Reizarten 
konstatieren. In den meisten Fällen tritt nach einiger Zeit Re- 
stitution ein. Für stärkere tetanische Reizungen läßt sich dieser 
Befund leicht konstatieren, ja es genügt bei hoher Spannung ein 
einziger Induktionsschlag um eine Nervenstelle (auch beim Warm- 


Das Wesen der Nervenleitung. 319 


blüter) für mehrere Minuten undurchgängig zu machen. Bei schwä- 
cheren Reizen tritt etwas ähnliches auch bei langer Tetanisation 
nicht ein, so daß man doch wohl an eine schwerere Schädigung zu 
denken hat. Im primärgefärbten Präparat habe ich bisher keine 
wesentliche Veränderung an solehen Reizstellen sehen können, die 
durch Tetanisation undurchgängig gemacht waren; die Zahl der Ver- 
suche war jedoch noch nicht groß genug, um ein definitives Urteil 
fällen zu können. 

Bei Reizung mit Induktionsströmen von zulässiger Stärke er- 
müdet jedenfalls der Muskel früher als der Nerv, so daß das Streben 
dahin ging, den Reiz vom Muskel fernzuhalten. Zu diesem Zweck 
benutzte bereits Bernstein einen konstanten Strom, welcher den Nerven 
zwischen Reizstelle und Muskel durehströmte und undurchgängig 
machte. Da aber das lange Fließen eines starken Stromes den Nerven 
wesentlich schädigt, so daß die Leitungsfähigkeit nur langsam oder 
gar nicht wiederkehrt, so hatte Bernstein mit diesen Versuchen keinen 
guten Erfolg. — Wedenski (1884) benutzte das gleiche Verfahren, 
schloß aber nur auf kurze Zeit einen starken Strom (bis der Nerv 
undurehgängig war) und schwächte ihn dann stark ab. Aus (nach 
dem Obigen) leicht verständlichen Gründen vermag der schwache 
Strom den Nerven dauernd undurchgängig zu erhalten, schädigt ihn 
aber so wenig, daß er nach dem Öffnen fast augenblicklich wieder 
durchgängig wird. Er reizte nun den Nerven oberhalb der dureh- 
flossenen Strecke bis zu 6 Stunden unaufhörlich; wurde der polari- 
sierende Strom dann geöffnet, so geriet der Muskel sofort in Tetanus, 
der Nerv war also durch die tetanische Reizung nicht ermüdet worden. 
Das gleiche Resultat erhielt Bowditsch (1890) bei Säugetieren, 
welche während der Dauer der Reizung (gegen 4 Stunden) eurarisiert 
waren. Wenn die Curarewirkung wich, so fing der Muskel an, zu 
reagieren. 

Wenn die Nervenleitung, wie ich es oben wahrscheinlich zu machen 
gesucht habe, in einer Wechselwirkung zwischen den Fibrillen, der 
Fibrillensäure und anorganischen Substanzen besteht, so ist allerdings 
eine Ermüdung des Nerven nicht sehr wahrscheinlich. Anorganische 
Bestandteile dürften immer genügend vorhanden sein, außerdem werden 
sie nicht verbraucht, sondern können immer wieder in den Komplex 
eintreten. Auch die Menge der Fibrillensubstanz scheint sich, so weit 
meine Versuche reichen, nicht zu vermindern; sie wird also, wie es 
scheint, bei der Leitung nicht verbraucht, sondern dieselben Moleküle 
treten immer wieder in Aktion. Über die Fibrillen selbst kann ich 
nichts aussagen und es ist möglich, daß diese bei der Leitung auf 
die Dauer in Mitleidenschaft gezogen werden (eventuell in erhöhte 
Kohlensäureproduktion geraten, wofür einiges spricht; Waller, 1895 


320 Das Wesen der Nervenleitung. 


und 1896, Boruttau, 1901 und 1902). Jedenfalls kann diese Veränderung 
nach den obigen Versuchen nur minimal sein. Die geringe Menge 
von Energie, welche für den Nerven durch die nach außen sich ab- 
gleichende Elektrizität verloren geht, wird jedenfalls zum Teil durch 
den Zuwachs von Energie gedeckt, welche mit dem Reiz in den 
Nerven hineingelangt. Für einen, wenn auch wohl sehr geringen 
Stoffverbrauch bei der Leitung spricht der Umstand, daß die positive 
Nachschwankung bei schwachen Nerven und nach längerer Tetanisation 
sehr gering ist (Head, 1887). Neuerdings hat v. Baeyer (1902) fest- 
gestellt, daß der Nerv bei mehrstündigem Aufenthalt in indifferenten 
Gasen (N,H) seine Erregbarkeit und Leitungsfähigkeit verliert. Beides 
kehrt nach Wiederzulassung von Sauerstoff in wenigen Minuten wieder. 
Damit wäre also, entgegen früheren Beobachtungen, festgestellt, daß 
auch der Nerv zur Ausübung seiner Funktion des Sauerstoffs bedarf.') 

Ich fasse noch einmal kurz zusammen: Der Komplex von Neuro- 
fibrille, Fibrillensäure und gewissen anorganischen Substanzen (Elektro- 
Iyten) ist das leitende Element im Nervensystem. Bei konstanter 
Durehströmung wird die Affinität zwischen Fibrille und Fibrillensäure 
an der Kathode erhöht, an der Anode herabgesetzt; gleichzeitig strömt 
die Fibrillensäure zur Kathode hin und von der Anode fort. In dem 
Einsetzen der Strömung zur Kathode hin ist die Anfangsstörung zu 
sehen, von welcher eine Reizwelle ausgeht. Umgekehrt gibt das 
Zurückströmen zur Anode beim Öffnen des Stromes den Öffnungsreiz 
ab. Bei der Erhöhung der Affinität treten elektronegative lonen aus 
dem Komplex aus, bei Herabsetzung oder Aufhebung der Affinität 
elektropositive. 

Die Reizwelle besteht in einer wellenförmig fortschreitenden 
Affinitätserhöhung mit Verschiebung von Fibrillensäuremolekülen zum 
Reizort hin. Gleichzeitig mit der Affinitätserhöhung treten immer an 
der betreffenden Stelle elektronegative Ionen aus dem Komplex aus, 
welche zum Auftreten einer Negativitätswelle (Aktionsstrom, negative 
Schwankung) führen. Die Übertragung der Erregung von einem 
(Juerschnittsteilchen zum andren geschieht dadurch, daß die kleinen, 
wahrscheinlich sehr kräftigen Abgleichungsströmcehen (Hermann) die 
unerregten Nachbarteilchen in Katelektrotonus versetzen. Vielleieht 
wird sie aber auch dadurch herbeigeführt, daß die erregte Stelle der 
unerregten Nachbarschaft Fibrillensäure entzieht und diese dadurch 
erregt. 

I) Der frühere Eintritt von Unerregbarkeit an Stellen, welche weiter vom 
Muskel entfernt liegen, dürfte doch wohl lediglich darauf zu beziehen sein, daß 
die Reizwelle eine längere, veränderte Strecke zu durchlaufen hat, als bei 
Reizung an einer periphereren Stelle. Hier von einer zentrifugalen Entwicklung 
der Erstickung zu reden, dürfte wohl unangebracht sein. 


Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 321 


Nachdem die Affinitätserhöhung ihren höchsten Punkt erreicht 
hat, tritt eine restitutorische Phase langsam ein, bei welcher ein an- 
elektrotonischer Zustand herrscht und durch welche die normale Affinität 
und die normale Ionensättigung wiederhergestellt wird. Da die Be- 
wegung der Fibrillensäure in der Längsrichtung gewiß nur sehr gering 
ist, so ist anzunehmen, daß jedes Fibrillensäuremolekül sich bei der 
Restitution wieder an seinen alten Platz begibt. 

Ich sehe also den Prozeß, welcher sich im Nerven fortpflanzt, 
als einen chemisch-physikalischen an, lege aber den Hauptnachdruck 
dabei auf das „chemisch“. Gegen die Auffassung des Leitungsprozesses 
als einen in der Hauptsache chemischen Vorgang hat zuletzt Boruttau 
(1902) eingewandt, daß es keine chemischen Vorgänge gäbe, welche 
sich mit einer Geschwindigkeit von 30—60 m in der Sekunde fort- 
pflanzten. Das schließt aber nicht in sich, daß derartig schnelle 
chemische Prozesse unmöglich seien. Ich kann in den großen Leitungs- 
geschwindigkeiten mancher Nerven keinen Einwand gegen meine Vor- 
stellungen sehen, erblicke aber umgekehrt in den niedrigen Leitungs- 
geschwindigkeiten mancher Nerven (Eledone 50 em bis 1 m in der 
Sekunde [Uexküll, 1894], Anodonta eirca 1 cm in der Sekunde [Fick, 
1863]) einen Einwand gegen rein physikalische Theorien der Nerven- 
leitung. Auch die schnelle Restitutionsfähigkeit und der sicher minimale 
Stoffwechsel im Nerven sind gegen die chemische Natur des Leitungs- 
vorganges ins Feld geführt worden. Beide Einwände kommen in 
Wegfall, wenn man den ehemischen Vorgang nicht in einer Verbrennung 
sondern, wie das hier geschehen ist, in einer Änderung der chemischen 
Affinität sieht. 


FÜNFZEHNTES KAPITEL. 


Die Eigenschaften des Zentralnervensystems 
; im allgemeinen. 


Unterschiede zwischen den peripheren Nerven und dem Zentralnervensystem 

S. 325. — Die Ganglienzellhypothese S. 326—334. — Ihre Widerlegung durch 

das Careinusexperiment S. 328s—330. — Widerlegung der Einwände, welche gegen 
dasselbe erhoben sind S. 332, 333. 


Die durch Nervenleitung vermittelten, am unversehrten Tier auf- 
tretenden Auslösungserscheinungen bezeichnet man, wenn sie einfacherer 
Natur sind, nach dem Vorgange von Prochaska (1800) als Reflexe. 

Bethe, Nervensystem. 21 


322 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 


Die komplizierteren, auf nervöser Basis beruhenden Auslösungserschei- 
nungen, wie sie beim Menschen und vielen höheren Tieren neben 
jenen zur Beobachtung gelangen, besaßen bis vor kurzem keine ein- 
heitliche, physiologische Bezeichnung, denn den Namen ‚Willens- 
handlung“ wird man schwerlich als einen physiologischen anerkennen 
können. Ausgehend von der Tatsache, daß diese komplizierteren Aus- 
lösungserscheinungen ebenso sicher, wie die Reflexe materiell vom 
Nervensystem abhängig sind und daß sie sich objektiv von diesen nur 
durch die große und unberechenbare Variabilität unterscheiden, haben 
Beer, Uexküll und ich (1599) geglaubt, diesen Auslösungserscheinungen 
einen Namen geben zu sollen, welcher sie nicht in einen prinzipiellen 
Gegensatz zu den Reflexen setzt und ihre objektive Zusammengehörigkeit 
mit diesen zum Ausdruck bringt. Wir durften dies um so eher tun, 
als wir zu der Überzeugung gelangt waren, daß das psychische 
Element, welches man so vielfach auch in der Physiologie als in- 
tegrierenden Bestandteil gewisser Handlungen von Menschen und 
Tieren angesehen hat, stets etwas Subjektives bleiben wird und nie 
Objekt exakter Wissenschaft werden kann. Was wir beobachten 
können, sind eben stets nur Bewegungserscheinungen und nichts 
weiter, und diese unterscheiden sich bei den sogenannten Willens- 
handlungen nicht wesentlich von denen bei den Reflexen. Wir fassen 
daher sämtliche nervösen Antwortserscheinungen unter dem Namen 
„Antikinesen‘“ zusammen, behalten für die gesetzmäßig wieder- 
kehrenden Reizbeantwortungen den Namen „Reflex“ bei und be- 
zeichnen die Reizbeantwortungen, in welchen ein variabler Faktor 
enthalten ist, als „Antiklisen“, durch welches Wort weiter nichts prä- 
sumiert wird. 

3ei allen Antikinesen spielt das Nervensystem vor allen Dingen 
die Rolle des leitenden Vermittlers zwischen der reizaufnehmenden 
Oberfläche und den mehr oder weniger weit entfernten effektorischen 
Organen. Wenn wir dem Nervensystem außer der leitenden Funktion 
keine weiteren Eigenschaften zuschreiben, so ist bereits die große 
Masse der Reaktionserscheinungen hinreichend erklärbar. Wir haben 
ja gesehen, daß bei den verschiedenen Tierarten die rezeptorischen 
und effektorischen Fibrillen miteinander unter Gitterbildung in Ver- 
bindung treten. Bei den Tieren, welche ein sehr einfaches und diffuses 
Reflexleben führen, sind diese Gitter ganz diffus ausgebreitet, während 
bei allen höher stehenden Tieren, welche lokalisierter Antikinesen 
fähig sind, Gitterverdichtungen und lange, weit voneinander entfernte 
Gitterteile miteinander verbindende Bahnen zur Beobachtung kommen. 
Auf diese Weise treten gewisse rezeptorische Organe oder Oberflächen- 
teile mit gewissen effektorischen Organen und Organkomplexen in 
nähere Leitungsbeziehungen, durch welche die Verschiedenheit der 


Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 323 


Reaktionen bei Reiz dieser und jener Körperstelle eine ziemlich be- 
friedigende Erklärung findet. In der Tat ist es ja seit langem das 
Bestreben vieler Gehirnanatomen, diese näheren Leitungsbeziehungen 
aufzudecken (Anatomie der Faserbahnen) und die Bewegungserschei- 
nungen durch dieselben verständlich zu machen. Die Kenntnis der 
anatomischen Verbindungswege genügt aber jedenfalls nicht, um das 
Reaktionsvermögen ein und desselben Tieres in genügendem Maße zu 
erklären. Hierauf hat Loeb (1899) in einer interessanten Schrift nach- 
drücklich aufmerksam gemacht. 

Loeb hält, wie es scheint, von bestimmten anatomischen Ver- 
bindungen zwischen zusammenarbeitenden rezeptorischen und effek- 
torischen Organen nicht sehr viel. In der Tat gibt es Fälle genug, 
wo sich die Störungen nach Verletzung gewisser Bahnen ganz wieder 
ausgleichen, so daß also diese Bahnen zum Zustandekommen der be- 
stimmten Effekte nicht unumgänglich nötig sind. Für Loeb ist es die 
Hauptsache, daß überhaupt ein Leitungsweg vorhanden ist; die ge- 
nauere Beschaffenheit desselben ist im ziemlich weiten Grenzen gleich- 
gültige. (Ja die Verbindung braucht eventuell nicht einmal nervöser 
Natur zu sein?). Bestimmend für den Ablauf einer Antikinese ist in 
erster Linie nicht die Art der Leitungswege, sondern die Art und 
Beschaffenheit der effektorischen und noch mehr der rezeptorischen 
Apparate. Diese Organe sind es im wesentlichen, welche die Eigen- 
tümlichkeiten in den Reaktionen der verschiedenen Tiere bedingen. 
An und für sich ist die starke Werteinschätzung der Rezeptions- 
organe nicht neu, derartig extrem ist sie aber bisher wohl nie vertreten 
worden. 

Nach meiner Meinung geht nun zwar Loeb in der Geringschätzung 
der Bahnen und der anatomischen Details zu weit, doch glaube ich 
ihm insoweit zustimmen zu müssen, daß das. Zustandekommen be- 
stimmter Bewegungen und Bewegungskombinationen von der Integrität 
gewisser langer Bahnen in viel höherem Maße unabhängig ist, als den 
Anatomen lieb sein kann. Dies wird aber immer nur dann der Fall 
sein, wenn genügende andre Verbindungen vorhanden sind. So kann 
sich z. B. bei ziekzackförmiger Einkerbung des Rückenmarks (Osawa, 
1882) die Längsleitung von vorn nach hinten und von hinten nach 
vorn bis zu einem hohen Maße wiederherstellen, weil hier außer den 
langen Bahnen genügend kurze vorhanden sind; bei Arthropoden führt 
aber schon die einfache Durchschneidung einer Längskommissur zu 
dauernder Leitungsunterbrechung auf der betreffenden Körperseite, 
weil hier keine gekreuzten Verbindungswege existieren (Bethe, 1897). 

Ich glaube, daß man auf die Art der nervösen Verbindungen 
nach wie vor einen hohen Wert wird legen müssen, denn es gibt kein 
Tier mit diffusem Nervensystem, das zu wirklich koordinierten Gesamt- 

21? 


324 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 


bewegungen befähigt ist, trotzdem es unter diesen Tieren Formen gibt, 
bei denen eine große Vielfältigkeit der rezeptorischen und effektorischen 
Organe vorhanden ist (Medusen, Seeigel). Andrerseits gibt es Tiere, 
die trotz einer großen Einfachheit dieser Organe ein vollendetes Zu- 
sammenarbeiten der Muskulatur zeigen (Hirudineen und andre Würmer); 
ich kann dies nur darauf schieben, daß ihr Nervensystem zentralisiert 
ist und reichliche lange Bahnen besitzt. Ohne Zweifel ist aber der 
Reichtum an Reflexen und koordinierten Bewegungen außer von der Aus- 
bildung und Menge der Leitungswege auch in hohem Maße von der 
Vielfältigkeit der rezeptorischen und effektorischen Organe abhängig. 
Ein Tier, das nur eine Art von rezeptorischen Organen (z. B. nur 
Tangorezeptionsorgane) hat, wird auch bei hochausgebildetem Nerven- 
system nicht so Vielseitiges leisten können, wie es mit allen Arten 
von Rezeptionsorganen ausgerüstet leisten würde. Sein Reflexleben 
muß ärmer sein. Ändrerseits würde einem Tier, das an effektorischen 
Organen nichts besäße als einen Ruderschwanz, ein hochausgebildetes 
Nervensystem und eine Fülle verschiedener Rezeptionsorgane wenig 
nützen. 

Die Tatsache, daß derselbe Reiz, an verschiedene Körperstellen 
angesetzt, verschiedene Effekte zur Folge haben kann und daß ver- 
schiedenartige Reize gesonderte Erscheinungen hervorrufen können, 
wird genügend verständlich, wenn man dem Nervensystem nur Leit- 
fähigkeit und den Rezeptionsorganen spezifische Elektionsfähigkeit zu- 
schreibt. Die Verschiedenheit im anatomischen Aufbau des zentralen 
und peripheren Nervensystems, wie sie uns bei höheren Tieren ent- 
gegentritt, wird dabei hinreichend erklärt, denn sie beruht ja vor allem 
darauf, daß hier die Fibrillengitter, welche die Ausstreuung der Reize 
besorgen, von der Peripherie her an einen Ort zusammengezogen 
sind (S. 100). 

Beim diffusen Nervensystem (den Nervennetzen der Medusen, des 
Blutgefäßsystems der höheren Tiere u. s. w.), sind die rezeptorischen 
und effektorischen Bahnen außerordentlich kurz; die Übertragungs- 
stellen liegen überall in nächster Nähe, sind deshalb aber auch ganz 
zerstreut. Die außerordentliche Verlängerung der rezeptorischen und 
effektorischen Bahnen bei den höheren Tieren und ihre räumliche 
Trennung von den Ausstreuungsstellen hat es hier ermöglicht, beide 
Teile getrennt voneinander zu untersuchen, Versuche, die z. B. an Medusen 
undenkbar sein würden. Diese Untersuchungen haben nun zu Re- 
sultaten geführt, welche eine Gegensätzlichkeit zwischen den effek- 
torischen und rezeptorischen Bahnen einerseits und den Ausstreuungs- 
zebieten andrerseits zu beweisen scheinen. Diese Unterschiede, auf 
die ich zum Teil später ausführlicher zu sprechen komme, sind etwa 
folgende: 


Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 3235 


1. Der periphere Nerv (also die effektorischen und rezeptorischen 
Bahnen) leitet nach beiden Seiten, die Leitung ist also hier reziprok. 
Das Zentralnervensystem (die Ausstreuungsgebiete) leiten nur nach 
einer Richtung, die Leitung ist also irreziprok. (Bei Reizung des 
zentralen Stumpfes einer motorischen Wurzel treten keine Reflex- 
bewegungen auf; der Reiz breitet sich also durchs Rückenmark nur 
von rezeptorischen zu motorischen Fasern aus, aber nicht von motorischen 
zu motorischen.) 

2. Der motorische Nerv reagiert gleich gut auf Einzelreize und 
tetanische Reize. Reflektorisch wirken tetanische Reize ungleich 
besser als Einzelreize. Das Zentralnervensystem setzt dem Einzelreiz 
einen großen Widerstand entgegen, der durch Wiederholung (auch ge- 
ringer Reize) überwunden wird. Erscheinung der Summation. 

3. Die Ausbreitung der Erregung wird beim Passieren der grauen 
Substanz stark verlangsamt. 

4. Das Zentralnervensystem übt einen dauernden Einfluß auf die 

Muskulatur aus, der nach Durchschneidung der motorischen Nerven 
fortfällt. Muskeltonus. 
5. Alle schädigenden Einflüsse wirken viel stärker auf das 
Zentralnervensystem als auf die Nerven. So beeinflussen die Narcotica 
zunächst nur das Zentralnervensystem; sie machen die Antikinesen 
schon zu einer Zeit unmöglich, wo die peripheren Nerven noch gut 
erregbar sind. Strychnin, Nikotin und viele andre Gifte entfalten ihre 
Wirkung am Zentralnervensystem und greifen die peripheren Nerven 
erst viel später oder gar nicht an. (Andre Gifte wie Kurare und 
Kokain setzen mit ihrer Wirkung hauptsächlich am peripheren Nerven- 
ende an; es gibt aber keine Gifte, die zuerst die Nervenstämme selber 
affizieren.) Blutmangel oder ungenügende Sauerstoffzufuhr übt auf 
die peripheren Nerven fast keinen Einfluß aus, während das Zentral- 
nervensystem gegen diese Schädigungen sehr empfindlich ist. Mit diesem 
‚offenbaren, hohen Sauerstoffbedürfnis der Zentralorgane steht der ana- 
tomische Befund in engem Zusammenhang, daß die graue Substanz 
außerordentlich reich an Blutgefäßen ist, während die peripheren 
Nerven und die Stränge des Zentralnervensystems nur spärliche Blut- 
gefäße enthalten. 

6. Das Zentralnervensystem kann der Ausgangspunkt von auto- 
matischen Bewegungen sein, die Nervenstämme aber nicht. 

Diese Unterschiede, welche ich so referiert habe, wie es den 
allgemeinen Anschauungen entspricht, deuten anscheinend darauf hin, 
daß im Zentralnervensystem zu der reinen Leitungserscheinung der 
Nerven mindestens noch einiges hinzukommt; eventuell kann man sie 
aber auch so deuten, daß der Vorgang im Zentralnervensystem über- 
haupt von dem im peripheren Nerven verschieden ist. 


326 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 


Fast so lange, als man die Ganglienzellen (und ihren Zusammen- 
hang mit den Nervenfasern) kennt, führen die meisten Physiologen 
die Eigentümlichkeiten der Zentralorgane auf diese zurück. Es bil- 
dete sich die Vorstellung heraus, daß der rezeptorische Vorgang bis 
zu den motorischen Ganglienzellen unverändert fortgeleitet würde, daß 
er aber hier eine neue Erscheinung auslöste, welche als motorischer 
Impuls dem Muskel zugeleitet würde. Es sollte also in den moto- 
rischen Ganglienzellen eine Auslösung von Spannkräften zustande 
kommen. Demgemäß wurden die Verzögerung des Leitungsvorganges 
und die Irreziprozität in die Ganglienzelle verlegt. Fermer wurde die 
Wirkung der Nervengifte dahin gedeutet, daß sie den Stoffwechsel 
der Ganglienzellen schädigten, und das hohe Sauerstoffbedürfnis der 
Zentralorgane wurde nur auf die Ganglienzellen bezogen. 

Es ist ganz selbstverständlich, daß alle älteren Autoren 
bei diesen Deduktionen unter Ganglienzelle immer nur das verstanden 
haben, was man damals Ganglienzelle oder Ganglienkugel nannte, 
nämlich den Kern und den ihn zunächst umgebenden Protoplasmaleib; 
Achsenzylinder und Protoplasmafortsätze wurden damals begrifflich 
noch vollkommen von der Ganglienzelle getrennt. Seitdem in der 
Neuronentheorie die Lehre aufgestellt wurde, daß Achsenzylinder und 
Protoplasmafortsätze nur Teile der Ganglienzelle seien, hat sich diese 
Auffassung bei den Physiologen nicht verändert: Es wird immer 
noch die Ganglienzelle im alten Sinne als die Reflex- 
vermittlerin angesehen. Wenn auch einige den Anatomen darin 
folgten, daß sie das gesamte Neuron als physiologische Einheit an- 
sprachen, so verlegten sie doch — wie sollte es auch anders sein! — 
die Leitungsverzögerung, die Giftwirkung u. s. w. in Kern—-Protoplasma- 
leib und bezeichneten diesen Komplex nach wie vor als Ganglienzelle. 
Ja es wurde von streng neuronistischer Seite der Versuch zurück- 
gewiesen, das Wort Ganglienzelle (resp. Nervenzelle) seiner alten 


jedeutung zu berauben und mit dem Neuronbegriff zu identifizieren. - 


[Lenhossek (1895), p. 105: „... und es ist daher ohne Frage ge- 
rechtfertigt, wenn man die Bezeichnung Zelle nur für das kernhaltige 
Protoplasmaklümpehen reserviert . . .*.] 

Ich will hier einige Beispiele anführen, welche zeigen sollen, 
was in der Literatur allgemein Ganglienzelle genannt wird. Vielen 
wird dies überflüssig erscheinen; ich muß es aber tun, weil mir selbst 
von physiologischer Seite der Vorwurf gemacht worden ist, ich 
hätte in dem gleich zu beschreibenden Versuch etwas als Ganglien- 
zelle bezeichnet, was in der Tat nur ein Teil der Ganglienzelle sei: 

Rosenthal (1875), p. 13: „Wir sind berechtigt anzunehmen, dab 
die eigentlich wirksamen Elemente des Atemzentrums in ... den 
Ganglienzellen zu suchen sind.“ 


2 ee 


Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 327 


Wundt, Psychologie, 1893, p. 273: „Die Ganglienzellen sind die 
eigentlichen Werkstätten... In den Nervenfasern werden diese Stoffe 
infolge der physiologischen Funktion zum größten Teil verbraucht...“ 

Verworn (1900, 2), p. 107: „Die motorischen Vorderhornzellen 
besorgen selbst die Hemmung des Muskels aktiv, indem sie bei ihrer 
eignen Hemmung einen aktiven Hemmungsvorgang ... dem Muskel 
durch ihren Achsenzylinder übermitteln.“ 

Derselbe (1900, 3), p. 169: „Je länger die Ganglienzelle arbeitet, 
um so mehr entwickeln sich Lähmungserscheinungen.“ 

Derartige Beispiele ließen sich zu hunderten anführen: Aus allen 
geht immer wieder hervor, daß auch in neuerer Zeit kaum ein 
Forscher das Wort Ganglienzelle in einer andern Bedeutung gebraucht 
hat, als in der von Anfang an gebräuchlichen. Wenn vor allem in 
physiologischen Schriften von der Ganglienzelle als dem wahren 
Zentralorgan, dem eigentlichen Reflexzentrum gesprochen wird, so ist 
nie(!) etwas andres gemeint als der Kern mit dem ihm zunächst an- 
liegenden Plasma; auch die Dendriten sind in den allermeisten Fällen 
von dem Begriff ‚„Ganglienzelle‘“‘ ausgeschlossen, weil sie ebenso wie 
der Achsenzylinder der Ganglienzelle als Gegensatz gegenüber- 
gestellt werden. Bis vor kurzem hat niemand den Irrtum begangen, 
die Eigenschaften der Zentralorgane in das gesamte „Neuron“ zu 
verlegen, denn es unterscheiden sich nun mal physiologisch die zen- 
tralen Teile des ‚‚Neurons“ vom peripheren, und für diese Unterschiede 
werden eben von denen, die sie lokalisieren wollen, die Ganglien- 
zellen verantwortlich gemacht. — 

Nun liegen irgend welche positiven Beweise für die zentrale Natur 
der Ganglienzellen nicht vor; was vorgebracht wurde, waren nur Ver- 
mutungen, basierend auf der sicherlich übertriebenen Wertschätzung, 
welche der Kern und die Zelle seit Schleiden, Schwann und Virchow 
genoß. (Daß diese Überschätzung heuristisch von großem Wert war, 
leugne ich natürlich nicht.) Ein Beweis für die zentrale Natur der 
Ganglienzellen war deswegen nicht erbracht, weil sämtliche angeblich 
beweisenden Experimente am ganzen Zentralnervensystem angestellt 
wurden, dieses sich aber von den peripheren Nerven außer durch den 
Gehalt an Ganglienzellen auch durch verschiedenes andre, vor allem 
durch die feinen Verzweigungen und die Gitterbildungen unterscheidet. 

Zwei große Physiologen haben vergeblich auf das unzureichende 
Beweismaterial der Ganglienzellhypothese aufmerksam gemacht, Ludwig 
und Eekhard. Ludwig schrieb 1852 in seinem Lehrbuch der Phy- 
siologie (p. 124), nachdem er die „Beweise“ für die zentrale Natur 
der Ganglienzellen aufgeführt hatte: ‚Das Unzureichende dieses Be- 
weises leuchtet aber sogleich ein, wenn man sich vor die Augen führt, 
daß keineswegs die einzige anatomische Verschiedenheit, zwischen den 


328 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 


Orten, welehe jene Eigentümlichkeiten darbieten und denjenigen, 
welchen sie fehlen, in der Gegenwart der Ganglienkörper liegt. Noch 
weniger wird man aber geneigt, jenen Behauptungen Glauben bei- 
zumessen .. .“ 

Eekhard schreibt 27 Jahre später im Handbuch der Physiologie 
(p. 15): „Seit der Entdeckung der Ganglienzellen sind wir gewöhnt, 
diesen alle diejenigen Tätigkeiten zuzuschreiben, welche wir aus den 
uns bekannten Leistungen der Nervenröhren nicht begreifen können. 
Diese Gewohnheit hat bereits eine solche Macht über uns bekommen, 
daß wir kaum noch danach fragen, wie fest der Grund unseres Ver- 
fahrens ist, und wir sind außerordentlich froh, eine solche Zuflucht 
zu haben.“ 


Die Lagebeziehungen zwischen Ganglienzellen und Neuropil bei 
den Krustazeen ließen in mir Zweifel an der Richtigkeit der Ganglien- 
zellhypothese aufkommen und gaben mir zu gleicher Zeit die Mög- 
lichkeit, die Richtigkeit dieser Hypothese experimentell zu prüfen. Bei 
diesen Tieren liegen die langgestielten, unipolaren Ganglienzellen 
(S. 27) außerhalb derjenigen Gebiete, in denen sich die Nervenfasern 
verzweigen. Wenn jeder Reiz durch die Ganglienzelle hindurchgehen 
müßte, so würde die Erregungswelle den langen Stielfortsatz zweimal 
passieren müssen, einmal auf dem Wege zur Zelle hin und einmal 
auf dem Wege zum Muskel. Einerseits wäre dies nicht sehr ökono- 
misch, andrerseits würde man nicht verstehen, was die Fibrillen für 
eine Bedeutung hätten, welche unter Umgehung der Ganglienzellen 
direkt vom Neuropil aus in die motorischen Fasern übergehen (siehe 
Fig. 12, S. 35). (Die Möglichkeit einer Nichtbeteiligung der uni- 
polaren Ganglienzellen am Reflexvorgang ist vor mir schon von 
Nansen, später auch von Ramön y Cajal ausgesprochen worden.) 

Um die Wertigkeit der Ganglienzellen für die Reflexvorgänge 
experimentell zu prüfen, wählte ich das zentrale Gebiet der zweiten 
Antenne von Careinus Maenas (Bethe, 1897 und 1898). Dieses Ge- 
biet liegt dieht an der Schlundkommissur und nimmt den unteren 
Zipfel des Gehirms ein (Fig. 8, S. 27). Die von der rezeptorischen 
Oberfläche der zweiten Antenne kommenden Fasern (deren Rezeptions- 
zellen peripher unter den Rezeptionshaaren liegen) verlaufen durch den 
Nerven der zweiten Antenne bis in dieses Gebiet, um sich hier zu 
verzweigen (Fig. 8/). Außer diesen rezeptorischen Fasern führt der 
Nerv auch die motorischen, welche mit zwei Ganglienzellpaketen am 
Gehirn in Verbindung stehen (Fig. 8c, und c,). (Wie aus einem be- 
sonderen Experiment hervorgeht, gehören die Elemente c, den Beugern, 
die Elemente c, den Streckern der Antenne an.) 

Wird der Nerv der zweiten Antenne dieht am Gehirn durch- 


Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 329 


schnitten, so ist die Antenne dauernd gelähmt. Während sie normaler- 
weise schräg nach vorne gehalten wird, hängt sie jetzt schlaff herab; 
während sie sonst auf jede Berührung hin sofort eingezogen wird, 
kann man sie nach der Durchschneidung des Nerven so stark reizen, 
wie man will, sie bleibt bewegungslos. Sicherlich ist also das „‚Zen- 
trum“ der Antennenbewegung im Gehirn gelegen! 

Ich trug nun in einer Anzahl von Fällen unter der binokulären 
Lupe und mit Hilfe eines winzigen Messers das Zellpolster e, und ec, 
ab und trennte, um einen eventuellen Einfluß andrer Ganglienzellen 
auszuschließen, das ganze zugehörige Neuropil vom übrigen Gehirn 
und vom Bauchmark (Durchschneidung der betreffenden Schlundkom- 
missur) ab. (Der Schnitt wurde in der auf Figur $S punktierten Linie 
geführt.) Es hängt also mit dem Nerven der zweiten Antenne in den 
guten Fällen nur noch ein Stück Neuropil zusammen, das frei von 
Ganglienzellen ist. Alle Verbindungen mit dem übrigen Zentralnerven- 
system sind aufgehoben. 

Direkt nach der Operation ist nicht nur die Antenne selber, 
sondern auch jedes andere vom Gehirn aus innervierte Organ reflex- 
los. Es ist dies eine Folge der Freilesung. Am Tage nach der 
Operation stellen sich die Reflexe wieder ein. Abgesehen von vielen 
mißglückten Fällen, bei denen das am Nerven hängende Neuropilstück 
in der nach der Sektion angefertigten Schnittserie noch eine größere 
oder kleinere Zahl von Ganglienzellen enthielt, gelang es mir in drei 
Fällen alle Ganglienzellen zu entfernen. In diesen drei Fällen konnten 
nach der Erholung von der Operation folgende Erscheinungen an der 
von einem ganglienzelllosen Stück Zentralsubstanz innervierten Antenne 
beobachtet werden: 

Die Antenne hängt nicht schlaff herab, wie nach Durchschneidung 
des Nerven, sondern wird in der normalen Lage gehalten. Der 
Tonus ist also vorhanden. Beim Berühren wird die Antenne 
flektiert und dann wie bei einem normalen Tier wieder vorgestreckt. 
Die Reflexerregbarkeit ist also ebenfalls erhalten. 
Setzt man hintereinander mehrere schwache an sich unwirksame Reize 
an, so tritt ein Reflex ein. Das ganglienzelllose Neuropil- 
stück ist also noch der Reizsummation fähig. Als einziger 
Unterschied gegen ein normales Tier zeigte sich eine wesentliche Er- 
höhung der Reflexerregbarkeit. 

In den nächsten Tagen nach der Operation nimmt die Reflex- 
erregbarkeit immer mehr ab und ist am vierten Tage ganz erloschen. 
Die Ganglienzellen (wenn man will der kerntragende Teil des 
Neurons, aber nicht der kemtragende Teil der Ganglienzelle, denn 
diese ist ganz und gar und ohng, daß ein Rest bleibt, fortgenommen) 
sind also zu den wesentlichsten Erscheinungen des 


330 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 


Zentralorgans nicht notwendig; Tonus, Reflexvermitt- 
lung und Reizsummation sind auch ohne Ganglien- 
zellen möglich. — Ein dauerndes Bestehen von Reflexen ohne 
Ganglienzellen ist, wie das Experiment lehrte unmöglich. Ich schrieb 
infolgedessen im Anschluß an die Wallersche Lehre den Ganglien- 
zellen eine trophische (und eventuell reflexhemmende) Funktion zu. 
Nach den oben mitgeteilten Befunden (Kapitel 12) ist auch. diese 
trophische Funktion höchst zweifelhaft, so daß also auch diese Eigen- 
schaft den Ganglienzellen genommen werden kann. Das Eintreten der 
Degeneration ist nach jenen Versuchen vielmehr darauf zu beziehen, 
daß der Komplex, den man Neuron nennen mag, an einer relativ 
hohen Stelle verletzt ist, so daß alles Peripherere der Degeneration 
verfallen muß. 

Ein Jahr nach der Publikation meiner Versuche veröffentlichte 
Steinach (1899) (augenscheinlich ohne Kenntnis meiner Arbeit) Be- 
funde, aus denen er den Schluß zieht, daß die Spinalganglien zur 
sensiblen Erregungsleitung nieht notwendig seien. Steinach anämisierte 
die Spinalganglien beim Frosch durch Loslösung von ihrer Umgebung. 
Die Wurzeln wurden täglich freigelegt und oberhalb und unterhalb des 
Ganglions gereizt. Mit der Zeit nimmt die reflektorische Erregbarkeit 
des Ganglions ab; dasselbe ist aber noch zu einer Zeit für 
die unterhalb angesetzten Reize gut durchgängig, wo 
sich die Spinalganglienzellen, wie die histologische Unter- 
suchung zeigte, bereits in einem Stadium hochgradigen 
Zerfalls befinden. Dies ist nach etwa 14 Tagen, aber auch schon 
früher der Fall. Steinach ist der Meinung, daß diese Zellen nicht 
mehr funktionsfähig gewesen seien, daß also die Spinalganglienzellen 
an der Reizleitung direkt nieht beteiligt seien. In einigen Fällen hat 
er auch die Ganglienzellen, nachdem die Anämisierung bereits einige 
Tage gewirkt hatte, mit einem Messer abgekratzt (in einem Fall waren 
alle Zellen bis auf zwei stark veränderte entfernt) und die bleibende 
dünne Brücke noch reizleitend gefunden. 

(Beim ‚Hund fand van Gehuchten [1899] die mit Nikotin ver- 
sifteten Spinalganglien zu einer Zeit, wo die Nervenfasern noch nicht 
affiziert waren, für die Reizleitung undurchgängig. Die Beweiskraft 
dieses Versuches für die Wichtigkeit der Ganglienzellen ist nicht sehr 
sroß, weil bei den Säugetieren, wie es scheint, alle Fibrillen durch 
die Spinalganglienzellen hindurchgehen, sie hier aber der Giftwirkung 
viel mehr ausgesetzt sind als in den Nervenfasern, wo sie durch die 
Hüllen geschützt sind [siehe weiter unten]. Beim Frosch habe ich 
dagegen, wenn auch nicht sehr deutliche Anhaltspunkte dafür ge- 
funden, daß ein Teil der Fibrillen ‚direkt vom peripheren Fortsatz 
der Zellen in den zentralen hineinzieht, ohne also in den Stamm- 


Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 331 


fortsatz und die Zelle einzutreten. Wenn sich dies bestätigt, so ist 
dadurch der Befund Steinachs vom Fibrillenstandpunkt betrachtet, 
durchaus verständlich.) 

So interessant das Steinachsche Experiment ist, so greift es doch 
die Hauptfrage nicht an, weil die Spinalganglienzellen mit dem Reflex- 
vorgang nur mittelbar zu tun haben. Sie nehmen überhaupt andern 
Ganglienzellen gegenüber eine Ausnahmestellung ein, was schon daraus 
hervorgeht, daß sie eine große Widerstandskraft gegenüber der An- 
ämisierung besitzen“(Ehrlich und Brieger, Münzer und andre). Für die 
zentralen Prozesse — Reflexvermittlung, Tonus, Summation u. 8. w. — 
sind sie wohl nie in Anspruch genommen worden. Der Einwand 
Verworns (1900), daß die Zellen in den Steinachschen Experimenten 
doch noch funktionsfähig gewesen sein könnten, weil es von einigen 
andern Zellarten feststeht, daß sie trotz starker histologischer Ver- 
änderungen noch funktionieren können, dürfte doch wohl nieht für 
diejenigen Zellen gelten, die Steinach mit dem Messer abgeschabt 
hat. Leider hat Steinach diesen Versuch nicht auch an ganz normalen 
Spinalganglien ausgeführt. (Es stehen dem vielleicht technische 
Schwierigkeiten im Wege.) 

Bisher sind meine und Steinachs Versuche die einzigen, die wirklich 
an Ganglienzellen ausgeführt worden sind. (Vergleiche die Versuche auf 
S. 226). Alle Forscher, die geglaubt haben, mit Ganglienzellen zu ope- 
rieren und deren Eigenschaften zu studieren, befinden sich, wie Schenk 
(1902) in seiner kritischen Arbeit über die Neuronentheorie ausführt, 
„in einer großen Selbsttäuschung“, weil sie nur an den nervösen Zentren 
arbeiteten, die unter anderm auch Ganglienzellen enthalten. — Hier 
liegen positive Befunde vor und diese zeigen, daß die Ganglienzelle mit 
den Haupteigenschaften des Zentralnervensystems, welche bisher in sie 
hineinverlegt wurden, nichts zu tun haben. Gegen dieselben müssen 
alle theoretischen Erwägungen zurücktreten — wenigstens für die- 
jenigen, welche nicht Naturphilosophen, sondern Naturforscher sind. 
Geliefert ist der Beweis vorläufig allerdings nur für die Ganglienzellen 
von Careinus Maenas. Da aber die Ganglienzellhypothese bei allen 
übrigen Tieren auf grade so schwachen Füßen stand, wie bei diesem 
Tier, so muß dieser eine positive Beweis, der für Wirbeltiere durch 
den Steinachschen Versuch eine gewisse Stütze erhält, solange auch 
für die übrigen Tiere als maßgebend angesehen werden, als nicht 
ein ebenso sicherer Gegenbeweis für die eine oder andre Tiergruppe 
vorgebracht ist.) 


1) Denen, welche an der Exaktheit meiner Beobachtung zweifeln, steht es 
frei den Versuch nachzumachen. Bis dahin verzichte ich darauf, ihnen entgegen- 
zutreten. — Auch das mitleidige Achselzucken, mit dem manche Wirbeltier- 
physiologen allem begegnen, was an Wirbellosen gemacht ist, dürfte hier wohl 


3323 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 


Als ich meinen Versuch beschrieb, hielt ich es für gänzlich aus- 
geschlossen, daß man an seiner Beweiskraft irgend etwas würde aus- 
setzen können. Zu meinem Erstaunen ist er nur von wenigen als 
beweisend anerkannt worden (Nissl, 1898, 1903, v. Uexküll, 1900, 
Schenk, 1902 u. a... Andre Forscher (v. Lenhossek, 1899, Edinger, 
1599, Verworn, 1900 u. a.) sprechen ihm sozusagen jede Beweiskraft 
ab und Langendorff (1902) sagt von ihm, daß er „bekanntlich mehr- 
deutig“ sei. Außer daß meinem Versuch die Wirbellosigkeit des 
Versuchstiers zum Vorwurf gemacht wird, stützen sich die Kritiker 
hauptsächlich darauf, daß die Reflexfunktion des ganglienzelllosen 
Neuropilstücks nur wenige Tage erhalten bleibt und daß ich gar 
nicht die Ganglienzelle, sondern nur einen Teil derselben fort- 
genommen hätte. 

Man beruft sich auf bekannte Versuche an Protozoen, in denen 
sich zeigte, daß das Leben von kernlosen Tierstücken noch einige Zeit 
erhalten bleibt, und man zieht aus dieser Tatsache den Schluß, daß 
mein Carcinusexperiment nichts wesentlich Neues zu Tage gefördert 
hätte. „Es ist also“, schreibt Verworn (1900), „gar keine auffallende 
Erscheinung, wie auch Edinger und Lenhossek schon bemerkt haben, 
wenn durch kernlose Massen von Ganglienzellprotoplasma bei manchen 
Kaltblütern noch einige wenige Tage lang Reflexe vermittelt werden 
können.“ Da ich selber zugegeben hätte, daß ich nur den „kern- 
haltigen Teil des Ganglienzellkörpers‘“ fortgenommen hätte (ich habe 
gesagt „die Ganglienzellen d. h. den kerntragenden Teil des Neurons“, 
was ein sehr großer Unterschied ist), so sei der ganze Versuch „völlig 
belanglos‘ (sie!!). Mit Recht fragt hierauf Schenk (1902), warum die 
Vertreter der Neuronenlehre nicht schon vor mir „die logische Kon- 
sequenz aus jenen Kenntnissen gezogen‘ hätten und warum man die 
Hypothese Nansens, daß die Ganglienzelle (im wahren Sinne) für den 
Reflex unnötig sei, aufs energischste bekämpft habe. 

Tatsächlich ist bei meinem Versuch dasjenige vollständig und ohne 
Rest entfernt, was Verworn und Lenhosseck selber Ganglienzelle 
nennen (siehe die Zitate auf S. 325), nämlich der Kern mit dem 
herumliegenden Protoplasmaklümpehen; vor allen Dingen: es ist das 
entfernt, was alle Physiologen (und nach den obigen Zitaten zu 
schließen auch Verworn), Anatomen, Psychiater und Neurologen als 
eigentliches Reflexzentrum, als Sitz der psychischen Qualitäten u. s. w. 
angesprochen haben! Dieser Versuch, der die Unrichtigkeit der Gan- 
glienzellhypothese (Ganglienzellhypothese in dem einzig möglichen Sinn) 
sehr wenig am Platz sein. Der Reflexvorgang mit allen seinen Eigentümlich- 
keiten ist etwas so Elementares und fast durch die ganze Tierreihe bis auf 
Sinzelheiten Gleichförmiges, daß seine physiologischen Grundlagen wohl ohne 
weiteres überall als gleich angesehen werden können. 


Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 333 


zeigt, wird von Verworn, der dieser Theorie nach seinen letzten Ar- 
beiten auch jetzt noch in dem angegebenen Sinne huldigt, als „völlig 
belanglos‘“ bezeichnet. Wo bleibt da die logische Konsequenz? Wie 
ist dies möglich? Dadurch, daß man meinem Versuch gegenüber — 
und nur in diesem Fall — die Ganglienzelle als das ganze ‚„Neuron“ 
auffaßt. Es würde dies ja konsequent sein, wenn wirklich das 
ganze Neuron eine Zelle repräsentierte (dies ist aber wie oben 
gezeigt höchst zweifelhaft); jedoch hat diese Konsequenz mit 
der zur Diskussion stehenden Frage gar nichts zu tun, 
erstens weil niemand das Wort Ganglienzelle in diesem Sinne gebraucht, 
zweitens weil alle, welche die Ganglienzellhypothese zur Erklärung 
der Sonderheiten des Zentralnervensystems (im Gegensatz zu 
den Eigenschaften der Nervenröhren) benutzen, mit der Ganglien- 
zelle immer nur das meinen können, was ich total fortgenommen 
habe. ') 

Ob Reflexe ohne Ganglienzellen lange oder kurze Zeit möglich 
sind, scheint mir gänzlich gleichgültig. Wenn der Reflexbogen not- 
wendigerweise durch die Ganglienzelle ginge, wenn die Summation 
nur in der Ganglienzelle zustande käme u. s. w., dann müßten diese 
Dinge in demselben Moment unmöglich werden, in dem die Ganglien- 
zellen fortgenommen werden. Ebenso verhält es sich mit der von 
vielen angenommen gewesenen (?) physiologischen Einheit des Neurons. 
Ist es eine Einheit, wie etwa eine Uhr, so muß die Funktion aufhören 
in dem Augenblick, wo ich die Einheit störe (z. B. bei der Uhr das 
Gewicht abhebe). Da aber die Funktion nach Fortnahme der Ganglien- 
zellen noch weiter geht, so kann von einer Einheit (in dem logisch 
allein möglichen Sinne) nicht mehr die Rede sein. 

Selbstverständlieh ist die Ganglienzelle insoweit zum Reflex- 
vorgang nötig, als sie Leitungsweg, d. h. Durchgangspunkt von 
Fibrillen ist. Deshalb wäre es unmöglich (auch dann, wenn die topo- 
graphischen Verhältnisse es nicht verhinderten) ein analoges Experiment 
an Vorderhornzellen von Wirbeltieren zu machen, weil man mit Fort- 
nahme der Zellen alle Verbindungen zerstören würde. Eben dasselbe 
träfe für Hirudineen zu. Ich behaupte nur, daß die Anhäufung be- 


1) Da Verworn in seinem Referat über die Neuronentheorie außer an den 
Stellen, die gegen meinen Versuch gerichtet sind, fast durchgehend das Wort 
Ganglienzelle im alten Sinne gebraucht, so scheint es mir, daß er seine Meinung 
über das, was als Ganglienzelle anzusehen ist, ad hoc verändert hat, sich aber 
in der Eile noch nicht ganz an diese neue Auffassung hat gewöhnen können. 
Die Ganglienzellhypothese, welche ja grade die Unterschiede zwischen den 
Zentren und peripheren Nerven erklären soll, hätte bei der Auffassung Verworns 
gar keinen Sinn, und ich hätte, wenn ich die Ganglienzellen Verworns für über- 
flüssig erklärt hätte, behauptet, daß das Nervensystem keine nervösen Funk- 
tionen hätte. 


334 Die Eigenschaften des Zentralnervensystems im allgemeinen. 


sonders differenzierten Plasmas und der Ganglienzellkern für den 
Reflexvorgang an sich unnötig ist, und ich halte dafür, daß das, 
was man bisher in die Ganglienzellen an sich verlegt hat, Eigenschaft 
der Fibrillengitter ist. Da diese häufig in den Ganglienzellen liegen 
(Hirudineen, sympathische Zellen u. s. w.), so sind dadurch die Ganglien- 
zellen manchmal sekundär (aber nicht durch ihre Zellbeschaffenheit) 
teflexvermittler, Tonusorgane u. s. w., kurz Zentralorgane. 

Wenn man die Sonderheiten des Zentralnervensystems in die 
Ganglienzellen hineinverlegte, so konnte dies Verfahren nicht be- 
anspruchen, die Vorgänge dem Verständnis wesentlich näher gerückt 
zu haben. Der einzige Vorteil der Ganglienzellhypothese war der, daß 
sie die den Nerven fremden Erscheinungen an bestimmte Stellen der 
Zentralteile verlegte, und zwar an Stellen, die sich anatomisch von 
den Fasern stark unterscheiden. Es ist aber sehr die Frage, ob die 
Notwendigkeit einer strengen Lokalisation vorhanden ist und ob nicht 
alle derartigen Versuche mehr anatomischen als funktionell-biologischen 
Anschauungen entsprungen sind. Ein Hauptbeweggrund für die Auf- 
stellung und Verteidigung dieser Hypothese war jedenfalls das Be- 
dürfnis, die Erinnerungsbilder irgendwo an einem bestimmten Platz 
des Nervensystems unterzubringen. Dies Bedürfnis ist aber nur dann 
berechtigt, wenn man die Erinnerungsbilder als etwas dauernd Vor- 
handenes ansieht. Da man aber die Erinnerung mit gutem Recht 
auch als ein Geschehen ansehen kann (Bethe, 1898) und hierbei eine 
Einschachtelung der einzelnen Bilder gänzlich überflüssig wäre, so 
scheint mir ein Ersatz der Ganglienzellhypothese durch Aufweisung 
einer andren, streng lokalisierten und mit besonderen äußerlichen 
Merkmalen ausgestatteten Struktur nicht notwendig. Ich glaube, daß 
sich alle Eigentümlichkeiten des Zentralnervensystems ebensogut oder 
ebensoschlecht wie bisher verstehen lassen, wenn man das nervöse 
Geschehen hier wie im peripheren Nervensystem in das leitende 
Element, die Neurofibrillen hineinverlegt. Hilfsannahmen werden sich 
allerdings dabei ebensowenig vermeiden lassen, als die Ganglienzell- 
hypothese ohne solehe ausgekommen ist. Inwieweit solche Hilfs- 
annahmen zu machen sind, kann sich aber erst zeigen, nachdem das 
vorhandene Material kritisch besprochen und eine Anzahl neuer Be- 
funde beschrieben ist. 


SECHZEHNTES KAPITEL. 
Die Reflexumkehr. 


Die Reflexerscheinungen sind in den Hauptpunkten so allgemein 
bekannt, daß ich auf ihre Aufzählung und detaillierte Beschreibung 
verzichten kann. Natürlich verstehe ich unter Reflex (resp. Antikinese) 
alle Erscheinungen, welche durch Reizung eines Rezeptionsorgans aus- 
gelöst werden und nach Fortleitung des Erregungsvorganges durch 
Zentralteile hindurch an einem effektorischen Organ zur Beobachtung 
gelangen. Hierbei muB ‚Zentralteil‘“‘ im weitesten Sinne des Wortes 
genommen und jede Stelle als solcher angesehen werden, an der eine 
Überleitung von rezeptorischen Bahnen auf effektorische möglich ist. 
Ich würde an Stelle von Zentralteil Reflexbogen sagen, wenn nicht 
mit diesem Wort bereits eine sehr detaillierte und nach meiner Mei- 
nung unrichtige und zu spezielle Vorstellung verknüpft wäre. Als 
Reflexbogen sieht man nämlich in allen Lehrbüchern ein „sensibles“, 
an der Haut endigendes und ein motorisches mit einem Muskel ver- 
bundenes Neuron abgebildet, welche sich berühren. Falsch ist nach 
meiner Meinung an diesem Schema, daß die Erregungsleitung in das 
Neuron als Ganzes verlegt wird, daß die Erregungsleitung unterbrochen 
ist und daß die Ganglienzellen in ihm eine wesentliche Rolle spielen. 
Zu speziell ist diese Vorstellung, weil es bei manchen Tieren, z. B. 
den Medusen, Übergänge von rezeptorischen Bahnen auf effektorische 
gibt, bei denen der Reiz nur eine Zelle passiert. 

Bei den gewöhnlichen Reflexpräparaten vom Frosch zeigen sich 
die Reflexe nur in einfachen Zuckungen des Schenkels (ebenso ist 
bei den meisten Reflexen, welche in der Pathologie eine Rolle spielen, 
der Vorgang eine Zuckung). Diese schnelle und rasch vorübergehende 
Reflexaktion, die Reflexzuekung, ist eine Eigentümlichkeit der ganz 
speziell modifizierten Muskulatur einiger Tierklassen (Vertebraten, 
Arthropoden, Schwimmglockenmuskulatur der Medusen u. s. w.). Sie 
findet sich überall da, wo ein schnelles Reaktionsvermögen von Vorteil 
ist. Bei sehr vielen andern Tieren ist die Bewegungsmuskulatur nur 
langsam eintretender und langsam schwindender Kontraktionen fähig; 
bei diesen Tieren haben auch die Reflexe stets einen mehr tonischen 
Charakter. Dasselbe gilt für die innere Muskulatur der Tiere, deren 
Bewegungsmuskulatur schneller Bewegungen fähig ist. So zeigen der 
Darm, der Ureter, die Iris und andre Organe nur tonische Reflexe. 
Während die schnelle Muskulatur auf Momentanreize reflektorisch 
relativ gut reagiert und auf Dauerreize, besonders auf schwache, bald 


336 Die Reflexumkehr. 


die Funktion einstellt, reagiert die Tonusmuskulatur auf reflektorische 
Momentanreize (wie auch direkt) nur in geringem Maße oder gar nicht, 
auf Dauerreize dagegen, auch wenn sie schwach sind, stark und an- 
dauernd. Die andern effektorischen Organe, vor allem die Drüsen 
schließen sich in ihrem Verhalten der Tonusmuskulatur an. (Im Ge- 
biet der schnellen Muskulatur treten auch tonische Erscheinungen zu 
Tage, doch spielen sie hier eine geringere Rolle.) — 

Man war bis jetzt ziemlich allgemein der Ansicht, daß ein und 
derselbe auf bestimmte Nervenendigungen wirkende Reiz nur immer 
ein und denselben Effekt auszulösen imstande sei. Wenn man z. B. 
auf eine Zehe eines ruhig dasitzenden Frosches einen gelinden Druck 
einwirken läßt, so findet zunächst nur eine leichte Zuekung in den 
Beinmuskeln statt. Wird der Reiz verstärkt, so kommt es zu einem 
Sprung, wenn er größer ist, zu einer Reihe von Sprüngen. Bei sehr 
starker Erregung kann dieselbe eventuell auf andre Systeme über- 
greifen, es können Augenbewegungen und andre Erscheinungen hinzu- 
treten, aber nie kommt es zu Erscheinungen, die dem Effekt schwacher 
Reizung grade entgegengesetzt sind. Bei Steigerung der Reizstärke 
findet hier also nur eine Steigerung des Effektes statt, aber keine 
qualitative Veränderung der Erscheinung. Dies ist nun nicht bei allen 
Tieren der Fall. Es wurde nämlich von Uexküll (1896, 1899 und 
1900) gefunden, daß schwache und starke Reize bei Seeigeln dia- 
metral entgegengesetzte Effekte auszulösen imstande sind. Dieselben 
werden von ihm als die starke und schwache Form des Reflexes 
bezeichnet. 

Wie schon oben erwähnt, sind auf der gewölbten Körperoberfläche 
dieser Tiere mehrere Arten von beweglichen Organen in großer An- 
zahl angebracht. Die auffallendsten, welche den Tieren auch zu 
ihrem Namen verholfen haben, sind die Stacheln, welche mit Kugel- 
gelenken der Schale inseriert sind und durch einen doppelten Mantel 
von Muskulatur nach allen Seiten bewegt werden können. Zwischen 
diesen stehen die Pedicellarien. Dies sind dreigliedrige Zangen, welche 
an Stielen befestigt sind, die ihrerseits wieder auf Kugelgelenken im 
Verhältnis zur Schale bewegt werden können. Morphologisch und 
physiologisch sind die Pedicellarien untereinander nicht gleichwertig; 
bei den meisten Arten lassen sich leicht vier Arten unterscheiden, 
welche v. Uexküll als Giftzangen, Klappzangen, Beißzangen und Putz- 
zangen bezeichnet (zoologisch werden sie als gemmiforme, tridaktyle, 
ophieephale und trifoliate Pedicellarien unterschieden). Zu diesen 
effektorischen Organen kommen noch die Saugfüsse, auf die ich hier 
nicht weiter eingehen will. Mit Ausnahme der Giftzangen besitzen 
alle diese, reflektorisch ziemlich voneinander unabhängigen Organe die 
schwache und starke Form des Reflexes. Am leichtesten läßt sich 


Die Reflexumkehr. 337 


das für die Stacheln zeigen: Reizt man eine Stelle der Seeigelhaut 
mechanisch, so neigen sich die Stacheln der Umgebung der Reizstelle 
zu. Je weiter ein Stachel von der Reizstelle entfernt ist, desto 
schwächer ist seine Bewegung, und in einiger Entfernung tritt über- 
haupt keine Reaktion mehr ein. Das Dekrement, das die Erregung 
im Nervennetz erfährt, ist also sehr groß. Bringt man jetzt an die- 
selbe oder eine andre Stelle einen Tropfen verdünnter Essigsäure, so 
fahren die Stacheln auseinander, neigen sich also vom Reizort fort. 
Man könnte zunächst daran denken, daß hier eine spezifische Wirkung 
der verschiedenen Reize auf gesonderte Endorgane vorliegt; das ist 
aber nicht richtig. Benutzt man nämlich statt der Essigsäure eine 
dünne Ammoniaklösung, so tritt wie beim mechanischen Reiz der 
positive Effekt (der schwache Reflex — Hinneigung zum Reizort) ein, ist 
die Ammoniaklösung stärker, so tritt der negative Effekt, der starke 
Reflex (Fortneigung vom Reizort) auf. Noch deutlicher ist dies bei 
tetanischer Reizung: Leichte Tetanisation einer Hautstelle wirkt wie 
ein mechanischer Reiz, starke Tetanisation wie Essigsäure. Bei Rei- 
zung mit dem konstanten Strom tritt an der Anode der schwache, an 
der Kathode der starke Reflex ein. Mechanischer Reiz wirkt stets 
als schwacher Reiz, die Applikation gewisser Chemikalien stets als 
‚starker Reiz (z. B. Essigsäure); bei Anwendung andrer chemischer 
Reize, z. B. von Ammoniak, erhält man bei schwacher Konzentration 
den schwachen Reflex, bei starker Konzentration den starken Reflex. 

Wie die Untersuchung der Pedicellarien gelehrt hat (Uexküll, 1899) 
ist bei diesen (untereinander und im Verhältnis zu den Stacheln) die 
Schwelle, an der der schwache Reflex in den starken umschlägt, sehr 
verschieden hoch gelegen. Bei den Klappzangen tritt der schwache 
Reflex schon bei ganz leichten mechanischen Reizen (Anbranden- einer 
kleinen Welle) ein; ein etwas stärkerer mechanischer Reiz (Berühren 
der Haut) ruft schon die starke Form des Reflexes hervor. An den 
Beißzangen tritt der schwache Reflex erst bei den mechanischen 
Reizen ein, welche die Klappzangen schon vertreiben, aber auch bei 
diesen tritt der starke Reflex noch im Bereich mechanischer Reize (desto 
mehr natürlich bei chemischen Reizen) auf, wenn sie nämlich heftig 
sind. Die Stacheln zeigen, wie schon gesagt, die starke Form des Re- 
flexes auch bei stärksten mechanischen Reizen nicht, dagegen bei ge- 
wissen chemischen und elektrischen Reizen. Für die Giftzangen tritt die 
schwache Form des Reflexes erst bei chemischer Reizung auf und ist 
durch Verstärkung des Reizes nicht zum Umschlag zu bringen. (Inter- 
essant ist es, daß Arbacia, welche des Schutzmittels der Giftzangen 
entbehrt, keinen starken Stachelreflex besitzt. Die Stacheln sind ihr 
einziger Schutz; würden sie auf irgend einen Reiz auseinanderfahren, 
so würde die Haut allen Angriffen ungeschützt gegenüberstehen. 


3ethe, Nervensystem, 22 


338 Die Reflexumkehr. 


Leider muß ich es mir versagen auf die speziellen Befunde Uexkülls 
einzugehen, welche einen so tiefen Eimblick in das Leben dieser 
teflexrepubliken gewähren, wie wir ihn von kaum einer andren Tierart 
besitzen.) 

Zum Verständnis der schwachen und starken Reflexform sind 
andre Befunde v. Uexkülls von großer Wichtigkeit. Es zeigte sich 
nämlich, daß bei beiden Formen die gleichen Teile der die Stachelbasen 
umgebenden radiär angeordneten Muskeln in Funktion treten. Ein 
Infunktiontreten der Antagonisten ist zwar nicht ausgeschlossen, aber 
es geht jedenfalls ohne dem: Wie aus ‘anatomischen Untersuchungen 
hervorgeht, ist jeder Stachel an seiner Basis von einem aus Nerven- 
fasern und Zellen bestehenden Ring umgeben, der mit dem allgemeinen 
Nervennetz der Haut in Verbindung steht. Jeder Stachel besitzt da- 
durch seine eignen Reflexzentren, so daß auch ein kleines Stück 
Schale mit einem einzigen Stachel alle Erscheinungen zeigt. Wird 
nun an einem solchen Schalenstück die Stachelbasis durch mehrere 
Radiärschnitte, welche bis auf das Kalkgerüst herabgehen und auf der 
Schale weitergeführt werden, in mehrere Sektoren zerlegt, so werden 
dadurch auch die nervösen Verbindungen ‚zwischen den einzelnen 
Sektoren aufgehoben. Wird jetzt an einem der Abschnitte an der 
Schale ein mechanischer Reiz angesetzt, so neigt sich der Stachel der 
Reizstelle wie normal zu. Das ist nicht weiter erstaunlich, weil man 
den Reflex so wie so auf eine Kontraktion der Stachelmuskulatur 
zurückführen würde, welche der Reizstelle zunächst liegt. Wird nun 
aber in derselben Weise ein chemischer Reiz angesetzt, so tritt auch 
wie normal der starke Reflex ein, d. h. Fortneigen von der Reizstelle. 
Da der Reiz zur andern Seite nicht gelangen kann, so kann der 
Effekt nur darauf beruhen, daß der Tonus der dem Reizort zunächst 
gelegenen Muskelpartie gesunken ist (über den Tonus: Kapitel 20). Es 
werden also‘ durch die verschieden starken Reize dieselben Muskeln 
in entgegengesetzter Weise beeinflußt. (Auf direkter Muskelwirkung 
kann der Effekt des zweiten Versuchs nicht beruhen, da alle die Sub- 
stanzen, welche auf die Seeigelmuskulatur direkt wirken, immer nur 
zu einer Tonussteigerung führen. Das Nervensystem ist also bei der 
starken Form des Reflexes beteiligt.) 

Die Tatsache, daß bei mechanischer Reizung einer Hautstelle sich 
die Stacheln der Umgebung zur Reizstelle hinneigen (dann auch die 
Erscheinung der „Reflexverkettung“, auf die ich später zu sprechen 
komme), hat Uexküll zu der Annahme veranlaßt, daß in der Haut 
nicht nur ein Nervennetz existiert, sondern deren mehrere, welche von- 
einander isoliert, die gleichseitigen Muskelpartien der Stacheln mit- 
einander verbinden, so daß also z. B. alle linken und alle rechten, 
alle oberen und alle unteren Radiärmuskeln der Stacheln miteinander 


Die Reflexumkehr. 339 


in Verbindung stehen. Ohne Zweifel ist auf diese Weise die Erklärung 
der Erscheinungen am leichtesten zu bewerkstelligen. Es wird dabei 
aber eine Kompliziertheit des anatomischen Aufbaus vorausgesetzt, 
welehe nicht ganz berechtigt erscheint, wenn man die Verhältnisse 
bei andern anatomisch besser bekannten Tieren in Betracht zieht. Bei 
manchen Medusen (Carmarina), bei denen sicher nur ein einziges 
Nervennetz existiert, kommen Reflexe vor, die mit dem Hinneigen der 
Stacheln zur Reizstelle eine große Ähnlichkeit besitzen; es ist das das 
Hinfahren des Magenstiels zu einer berührten Stelle der Subumbrella. 
Ich glaube, daß sich dieses Verhalten auch ohne bestimmte Bahnen 
dadurch erklärt, daß der Reiz, welcher sich im Nervennetz diffus aus- 
breitet, diejenigen Muskelteile des Magenstiels am stärksten trifft, 
welche mit der Reizstelle auf dem gleichen Radius liegen. Auf die- 
selbe Weise dürfte sich das Hinneigen der Stacheln zum Reizort er- 
klären lassen: Wenn alle Stacheln und überhaupt alle Organe der 
Oberfläche nur durch ein einziges Nervennetz verbunden sind, so wird 
jeder von einer Stelle des Netzes ausgehende Reiz diejenigen Teile 
der Muskulatur jedes Stachels am stärksten treffen, welche dem Reizort 
am nächsten liegen. 

Die Verschiedenheit zwischen schwacher und starker Reflexform 
erklärt Uexküll mit Zuhilfenahme einer besonderen Einrichtung der 
Zentralteile, eventuell der Ganglienzellen, welche er Tonusschalter 
nennt. Tritt der Tonusschalter in Funktion, so tritt Ruhen des Er- 
regungsprozesses ein und diese Ruhe ist gleichbedeutend mit Tonus- 
fall. (Als physikalisches Vergleichsobjekt dient das Pedal eines 
Klaviers.) Der Tonusschalter wird durch den im Nerven ablaufenden 
Prozeß selber in Tätigkeit gesetzt und hindert diesen, wenn ich recht 
verstehe, bis zu den betreffenden Muskeln vorzudringen. Je nach 
Art des innervierten effektorischen Organs, ist das Eintreten der 
Schaltung auf eine geringe oder starke Erregung eingestellt. An und 
für sich tritt also auf jeden Reiz Tonussteigerung ein, wird der Tonus- 
schalter aber durch die starke Erregung selber erregt, so wird der 
Reiz wirkungslos durch diesen. 

Uexküll ist sich wohl bewußt, daß es sich hier nur um einen 
Vergleich handeln kann, der — das muß zugegeben werden — aller- 
dings imstande ist, die merkwürdige Erscheinung vorstellbar zu machen. 
Wäre nicht auf diese Weise eine neue merkwürdige Qualität in das 
Nervensystem hineinverlegt, so würde ich mich mit Uexkülls Auffassung 
zu befreunden versuchen; da es mir aber darauf ankommt, die Eigen- 
schaften des Nervensystems möglichst einfach zu fassen und mit den 
Erklärungen möglichst auf dem Boden bekannter Erscheinungen zu 
bleiben, so will ich hier eine Erklärung zu geben versuchen, die sich 
auch bei andern Gelegenheiten als brauchbar erweisen dürfte. 


22% 


340 Die Reflexumkehr. 


Ich habe es oben wahrscheinlich zu machen gesucht, daß wir im 
Nerven zwei Prozesse anzunehmen haben (wie dies auch schon in 
etwas andrer Weise Hering ausgesprochen hat), nämlich eine Phase, 
welche relativ schnell eintritt und in einer wellenförmig sich aus- 
breitenden Affinitätserhöhung zwischen Fibrille und Fibrillensäure mit 
gleichzeitiger Negativität der betreffenden Stelle besteht, und eine 
zweite langsam sich entwickelnde, restitutorische Phase, bei welcher 
die Affinität zwischen Fibrille und Fibrillensäure vermindert ist. 
Man wird die erste Phase als die erregende ansehen müssen, ist aber 
berechtigt, auch der zweiten Phase eine Wirkung auf die innervierten 
Organe, also in diesem Fall auf die Muskeln, einzuräumen. Wenn die 
erste Phase erregend wirkt, so wird die zweite Phase, da sie entgegen- 
sesetzter Natur ist, hemmend wirken können, also dort, wo es sich 
um Tonusmuskulatur handelt, tonuslösend. Es steht nun der Annahme 
nichts im Wege, daß der Muskel bei dauerndem Wechsel beider 
Phasen, wie wir einen solchen bei allen Dauerreizen (mechanischen 
und vor allem chemischen) voraussetzen können, verschieden reagiert, 
je nachdem die Phasen stark oder schwach sind. Es ist denkbar, 
daß bei schwachem Reiz die erste Phase wirksamer ist, bei starkem 
die zweite. Die Stärke des Reizes, bei welcher die zweite Phase die 
erste an Wirksamkeit übertrifft, wird natürlich wesentlich von der 
Natur des Muskels abhängig sein. Man würde also das frühe Auf- 
treten des starken Reflexes bei den Klappzangen darauf zurückführen, 
daß ihre Muskulatur leichter auf die zweite Phase reagiert als z. B. 
die Muskulatur der Stacheln. — Bei dieser Auffassung ist es nicht 
mehr als natürlich, daß es Muskulaturen gibt, bei denen ein Über- 
wiegen der zweiten Phase unter gewöhnlichen Verhältnissen nie zum 
Ausdruck kommt (Bewegungsmuskulatur der Wirbeltiere, Stachel- 
muskulatur von Arbacia u. s. w.). Daß es gestattet ist, derartige 
Unterschiede in die Muskulatur zu verlegen, folgere ich vor allem aus 
den interessanten Befunden, welche Biedermann (1888) an der Krebs- 
schere gemacht hat. Es lassen sich auch Beispiele anführen, wo 
ohne Zweifel bei Veränderung der Proportion und Stärke zweier zu- 
sammeneinwirkender Reize der Effekt sich ändert. Ich erinnere hier 
nur an den Dichroismus: Durch eine dünne wie durch eine dickere 
Schicht von Chlorophylllösung gehen sowohl rote wie grüne Strahlen 
hindurch, wie die spektroskopische Untersuchung lehrt. Durch die 
dieke Schieht geht weniger grünes und weniger rotes Licht durch, 
aber verhältnismäßig weniger grünes als durch dünne Schichten. 
Sehen wir durch die dünne Schicht, so haben wir eine reine Grün- 
empfindung, sehen wir durch die dieke Schicht, so haben wir +eine 
Rotempfindung, trotzdem nur eine Verschiebung im Mengenverhältnis 
der roten und grünen Strahlen vorliegt. 


Die Reflexumkehr. 341 


Die Seeigel sind nun durchaus nicht die einzigen Tiere, bei denen 
sich eine Reflexumkehr konstatieren läßt; die Erscheinung dürfte viel- 
mehr eine ziemlich häufige sein, nur läßt sich in vielen andern Fällen 
nieht sicher entscheiden, ob nicht bei der stärkeren Reizung andre 
rezeptorische Elemente getroffen werden wie bei der schwachen. In 
einigen Fällen dürfte dies allerdings ausgeschlossen sein. Derartige 
Fälle glaube ich in einer Anzahl von sogenannten Tropismen sehen 
zu dürfen, bei denen häufig bis zu gewissen Reizstärken ein positiver 
Effekt zu beobachten ist, der dann bei stärkerem Reiz ins Gegenteil 
umschlägt. Sehr ähnlich den Stachelreflexen der Seeigel scheint mir 
das Verhalten der Scheren von Krebsen zu sein (Careinus, Cancer, 
Astacus). Wenn man an die Innenseite der geöffneten Schere einen 
Gegenstand bringt, so klappt die Schere zusammen und bleibt lange 
geschlossen. Benutzt man als berührenden Gegenstand die eine Branche 
einer stählernen Schere, so wird wie sonst die Krebsschere geschlossen. 
Drückt man jetzt die Stahlschere zu, wobei es nicht einmal nötig ist ein 
Stück von der Krebsschere abzuschneiden, so öffnet sich die Krebs- 
schere auf diesen starken Reiz hin sofort. Dasselbe läßt sich bei 
tetanischem Reiz erreichen: Bringt man die bis auf die Spitzen mit 
Lack überzogenen Nadelelektroden so zwischen die geöffnete Krebs- 
schere, daß kein Ast derselben berührt wird (das Versuchstier liegt 
in flachem Wasser) und läßt nun bei mäßigem Rollenabstand den 
Induktionsapparat gehen, so wird die Schere geschlossen. Verstärkt 
man den Strom plötzlich, so wird die Schere sofort geöffnet. — Ich 
glaube kaum, daß diese Erscheinung dureh Reizung verschiedener 
rezeptorischer Fasern, von denen die einen einen Schließungsreflex, 
die andern einen Öffnungsreflex hervorrufen, wird erklärt werden 
müssen, sondern ich bin der Ansicht, daß hier beidemal ein und die- 
selben Fasern gereizt werden, daß hier also eine schwache und eine 
starke Reflexform vorliegt. 


SIEBZEHNTES KAPITEL. 


Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungs- 
verzögerung in denselben. 


Seitdem durch Bell, Magendie und viele spätere Untersucher fest- 
gestellt ist, daß die hinteren Rückenmarkswurzeln sensibel, die vor- 
deren motorisch sind, besteht für diese Tiere das Gesetz von der 
Leitungsirreziprozität des Zentralnervensystems, wenn es auch nicht 
gleich in voller Schärfe aufgestellt worden ist. Die allein motorische 
Funktion der vorderen Wurzeln konnte ja nur dann erschlossen werden, 
wenn Irreziprozität bestand; bestände keine, so würde die Reizung 
des zentralen Stumpfes einer vorderen Wurzel Reflexzuckung ergeben 
und nur aus der Tatsache, daß hierbei Reflexzuckungen ausbleiben, 
wurde darauf geschlossen, daß sie frei von zentripetalleitenden Fasern 
seien. — Der konsequente Schluß aus den Resultaten der Wurzel- 
reizung und Wurzeldurchschneidung, daß nämlich nur die Erregungen 
das Zentralnervensystem durchsetzen, welche auf dem Wege zentri- 
petaler (sensibler, rezeptorischer) Fasern eintreten, daß also die Leitung 
einseitig ist, wurde, so weit ich sehe, zuerst von Joh. Müller ge- 
zogen. Um zu sehen, ob die Einseitigkeit der Leitung wirklich 
absolut oder nur relativ ist, vergiftete Joh. Müller Frösche mit Opium 
und durchschnitt ihnen dann die hinteren Wurzeln. Wenn dann die 
Reflexerregbarkeit so stark gestiegen war, daß schon bloßes Er- 
schüttern heftige Bewegungen hervorrief, dann reizte er den frei- 
gelegten Ischiadieus der operierten Seite durch Zerschneiden mecha- 
nisch, erhielt aber trotz der großen Empfindlichkeit der Frösche und 
trotz des starken Reizes keine Reflexaktion. Dadurch war es be- 
wiesen, daß die motorischen Fasern absolut nicht imstande sind, einen 
ihnen zugeführten Reiz durch das Zentralnervensystem hindurch auf 
andre motorische Bahnen zu übertragen. 

Der Müllersche Versuch ist dann später von verschiedenen Seiten 
mit dem gleichen Erfolg wiederholt worden (besonders unter An- 
wendung von Stryehnin). Hermann (1896, 1900) und unabhängig von 
ihm Bernstein (1898) haben die Irreziprozität der Leitung durch Zuhilfe- 
nahme der negativen Schwankung bestätigt: Bei Reizung einer hinteren 
Wurzel wurde negative Schwankung an vorderen Wurzeln erhalten, 
aber nicht umgekehrt. 

So sicher der Irreziprozitätssatz für die Wirbeltiere, wenigstens für 
ihr zentralisiertes Nervensystem gilt, so kann ich ihn doch vor- 


Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungsverzögerung in denselben. 343 


läufig nicht als ein allgemeines Gesetz anerkennen, allerdings auch 
nicht das Gegenteil beweisen. Bei allen wirbellosen Tieren existieren, 
soviel ich weiß, nur wenige Beispiele für rein rezeptorische Nerven 
und kein einziges für einen rein motorischen Nerven. D.h. es sind 
bisher bei diesen Tieren keine Nerven bekannt, deren zentraler Stumpf 
bei der Reizung nicht Reflexzuckungen auslöste. Hier ist also ein 
Beweis für die einseitige Leitung nicht zu erbringen. Bei den richtigen 
Nervennetzen, wie wir sie z. B. bei den Medusen finden, scheint es 
mir höchst wahrscheinlich, daß sie in jeder beliebigen Richtung 
zu leiten imstande sind, und ich werde weiter unten über Befunde 
von Uexküll berichten, welche wohl kaum anders, als durch die An- 
nahme einer reziproken Leitung der Seeigelzentren zu erklären sind. 
Wenn nun auch wirklich die Irreziprozität eine Sonderheit der Wirbel- 
tiere sein sollte, so würde dies die Physiologie nicht der Aufgabe 
überheben, dieselbe verständlich zu machen. Inwieweit ist ein solches 
Verständnis durch die bisherigen Anschauungen erreicht worden ? 
Als eine wirkliche Erklärung ist die Anschauung von Wundt 
(1876) anzusehen. Er nimmt an, daß die Ganglienzellen aus zwei 
Zonen bestehen, einer peripheren, welcher die Reize zugeführt werden, 
und einer zentralen, welche die Reize latent macht und nur auf wieder- 
holte oder sehr starke Reize das Latentgewordene durch den Achsen- 
zylinder abgibt. (Durch diese Einrichtung findet bei Wundt auch die 
Verzögerung der Leitung und die Summation ihre Erklärung.) Leider 
baut sich diese Ansicht auf frühere Annahmen auf, die sicher un- 
richtig sind, so daß ihre weitere Erörterung überflüssig erscheint. 
Seit die Neuronentheorie in Aufnahme gekommen ist, glaubt man 
merkwürdigerweise in ihr den Schlüssel zur Erklärung der Irrezi- 
prozität gefunden zu haben. Man meint nämlich die Ursache der ein- 
seitigen Leitung an die Stelle legen zu können, wo nach der Neu- 
ronentheorie nur Kontakt besteht. Ohne eine weitere besondere ventil- 
artige Einrichtung an dieser Stelle wäre aber bei bestehender, bloßer 
Berührung eine doppelsinnige Leitung der Zentralteile grade so selbst- 
verständlich, wie bei einfacher Kontinuität einer nach beiden Seiten 
leitenden Substanz. Wenn ich in dem oft angewandten Bilde sich 
ladender Konduktoren bleibe: Der Funke springt grade so gut von 
einer Kondensatorkugel zur andern, wie von der andern zur ersten.') 
Ich kann also durchaus nicht zugeben, daß die Konti- 
Suitätstheorie in diesem Punkt den geringsten Vorzug 
vor der Kontinuitätslehre hat. Sie muß ebenso wie 
diese Hilfsannahmen machen, um den Tatbestand zu 


1) Zum Vergleich mit der Entladung zwischen einer Spitze und einer Kugel 
fehlen die anatomischen Vorbedingungen. 


344 Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungsverzögerung in denselben. 


erklären; da nun aber, wie oben gezeigt, alle neueren anatomischen 
Untersuchungen eine Kontinuität des leitenden Elements höchst wahr- 
scheinlich machen und bei manchen Objekten mit Sicherheit beweisen, 
so kann wirklich nicht mehr dieser angebliche Vorzug für die Neu- 
ronentheorie ins Feld geführt werden. (In sehr klarer Weise hat 
bereits Schenk ausgeführt, daß die allgemeine Nervenphysiologie durch 
die Neuronentheorie nichts gewonnen hat.) 

Wenn man auf Grund der Irreziprozität einen Gegensatz zwischen 
peripheren Nerven und Zentralteilen aufstellt, so sieht man es als 
selbstverständlich an, daß der periphere Nerv nach beiden Seiten hin 
gleich gut leitet. — Der Satz der doppelsinnigen Leitung wurde auf 
verschiedene Weise zu beweisen gesucht; von den vielen Versuchen, 
die zu seiner Sicherung angestellt sind, haben sich die allermeisten als 
nicht beweisend erwiesen (Paul Berts Ratte, Verheilungsversuche zwischen 
motorischen und sensiblen Nerven). Als gültige Beweise werden im 
allgemeinen nur die Fortpflanzung der negativen Schwankung nach 
beiden Seiten und der Kühnesche Zweizipfelversuch angesehen. 

Die Untersuchung der negativen Schwankung an beiden Enden 
eines gemischten Nerven hat natürlich gar keine Beweiskraft. An 
rein motorischen oder rein rezeptorischen Nerven sind aber, so viel mir 
bekannt, nur wenige Versuche angestellt (z. B. Kühne). Sie ergaben, 
daß die negative Schwankung nach beiden Seiten verläuft. Dasselbe 
wurde von Pereles und Sachs bei der Reizung des Ischiadieus und 
Ableitung von der motorischen Wurzel und bei Reizung der sensiblen 
Wurzeln und Ableitung vom Ichiadieus konstatiert. Eine quantitative 
Vergleichung hat aber bisher niemand unternommen. Es wäre nun 
doch sehr gut möglich, daß ein Dekrement in der Richtung der nor- 
malen Leitung ganz fehlte, während in der unnatürlichen Richtung 
ein starkes Dekrement vorhanden wäre. Um die doppelsinnige Leitung 
als absolut hinzustellen, hätte man erst zu zeigen, dab sich die 
negative Schwankung in reinen Nerven nach beiden Seiten hin mit 
gleicher Stärke ausbreitet. Mir scheint einiges dafür zu sprechen, 
daß dies nicht der Fall ist. Hierbei habe ich vor allem die von 
du Bois-Reymond entdeckten und von Mendelsohn (1885) weiterunter- 
suchten Achsialströme im Auge, welche doch zu beweisen scheinen, 
daß ein Unterschied zwischen dem Ende, nach dem ein Nerv physio- 
logisch hinleitet, und dem Ende, von dem er fortleitet, existiert. (Leitet 
man von beiden Querschnitten einer motorischen oder sensiblen Wurzel, 
eines Muskelnerven, eines Optieus oder Olfactorius zum Galvanometer 
ab, so bekommt man einen Strom, der nach Mendelsohn der physio- 
logischen Leitungsrichtung entgegengesetzt ist.) 

Der Zweizipfelversuch ist, wie Kühne (1586) selbst ausgeführt 
hat, nur unter gewissen Voraussetzungen beweisend für die doppel- 


Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungsverzögerung in denselben. 345 


sinnige Leitung. Wenn man nämlich die Neurofibrillen als das Lei- 
tende ansieht, wofür (wie Kühne schon damals meinte) viel spräche, 
dann wäre der Versuch nur dann beweisend, wenn die Fibrillen selber 
sich an den Teilungsstellen der Nervenfasern teilten. Es könnte aber 
auch Fibrillen geben, welche an den Teilungsstellen der Nervenfasern 
von einem Muskelzipfel zum andern verliefen und gewissermaßen inter- 
muskuläre Bahnen bildeten. Ich habe diese Frage vor einigen Jahren 
zur histologischen Bearbeitung vergeben, doch stellten sich einer 
sicheren Entscheidung bisher unüberwundene, technische Schwierig- 
keiten in den Weg. Die Beweiskraft des Zweizipfelversuchs bildet also 
noch eine schwebende Frage. Nehmen wir aber an, daß wirkliche 
rückläufige Leitung vorliegt, so ist auch hier über die quantitativen 
Verhältnisse nichts gesagt. 

Wenn ein Dekrement der Erregungsleitung entgegen der natür- 
lichen Leitungsrichtung überhaupt existiert, so steht der Annahme 
nichts im Wege, daß es sich wesentlich vergrößert, wenn die Fibrillen 
sich teilen, wie dies sicherlich im Zentralnervensystem geschieht. Der 
Grund hierfür ist leicht einzusehen. Man kann sich vorstellen, daß 
das Dekrement beim Übergang auf immer weitere Teilungen so stark 
wird, daß eine rückläufige Leitung (von motorischen Fasern auf sen- 
sible oder andre motorische) unmöglich gemacht wird. In der normalen 
Leitungsrichtung, wo das Dekrement fehlen würde, würde dagegen 
einer Ausbreitung des Reizes nichts im Wege stehen. Diese Erklärung 
würde natürlich durch eine andre zu ersetzen sein, wenn neue Unter- 
suchungen zeigen würden, daß ein solches Dekrement im Nerven nicht 
zu konstatieren ist. Übrigens halte ich es nicht für ausgeschlossen, 
daß die Irreziprozität nur habituell ist. 


Die Leitungsverzögerung in den Zentralteilen. 


Die Geschwindigkeit der Nervenleitung in den markhaltigen Ner- 
venfasern, welche zu quergestreiften Muskeln führen, beträgt nach 
den Messungen von Helmholtz beim Frosch ungefähr 27 m in der 
Sekunde (bei Zimmertemperatur). Beim Menschen ist die Geschwindig- 
keit größer. Ungleich geringere Zahlen wurden aber bei marklosen 
Nerven gefunden. Frederieq und Vandervelde fanden beim Hummer- 
nerven nur eine Geschwindigkeit von 6—8 m, Uexküll (1894) bei 
Eledone von 0,4—1 m, Nicolai (1901) beim Olfactorius vom Hecht 
0,06— 0,24 m, und Fick (1863) schätzt die Leitungsgeschwindigkeit 
der Kommissurnerven von Anodonta nur auf 0,01 m in der Sekunde. 
Die Unterschiede der Leitungsgeschwindigkeit sind also außerordentlich 
groß und zwar nieht nur bei den verschiedenen Tierarten, sondern 
auch bei den verschiedenen Nerven ein und desselben Tieres. Auch 
innerhalb ein und desselben Nerven sollte nach Befunden von Munk 


346 Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungsverzögerung in denselben. 


und Rosenthal die Leitungsgeschwindigkeit an verschiedenen Stellen 
verschieden groß sein; doch scheint dies nach den umfangreichen 
Messungen von R. du Bois-Reymond (1900) nicht zutreffend zu sein. 
Wenn nun vielleicht auch die Leitungsgeschwindigkeit in den rezep- 
torischen Nerven eines Tieres nicht so groß ist, wie in den motorischen, 
wie dies Helmholtz, Wundt, Exner und andre in ihren Versuchen 
angenommen haben, so tritt dieser Fehler doch ganz gegenüber der 
großen Leitungsverzögerung zurück, welche sich beim Reflexprozeß in 
den Zentralteilen herausgestellt hat. 

Die ersten derartigen Versuche wurden von Helmholtz (1859) in der 
Weise angestellt, daß er bei einem dekapitierten und stryehninisierten 
Frosch sensible Nerven reizte und die Latenz maß, welche zwischen 
Reizmoment und Zuckung eines schreibenden Muskels vergeht. Zum 
Vergleich wurde der motorische Nerv direkt gereizt und die Differenz 
der Latenzzeiten berechnet. Sie ergab sich zu "/,—"/. Sekunde. 
„Die Übertragung der Reizung im Rückenmark“ nimmt danach „eine 
mehr als zwölfmal so große Zeit in Anspruch, als die Leitung in den 
betreffenden sensiblen und motorischen Nerven“. 

Exner (1874) suchte die Reflexzeit beim Menschen zu bestimmen 
und benutzte den Lidschluß des Menschen als Reflexzuckung. An 
dem Lide des einen Auges war ein Hebel angebracht, welcher die 
Bewegung auf der Kymographiontrommel aufzeichnete. Das Lid des 
andren Auges wurde durch einzelne Induktionsschläge gereizt, und der 
Reizmoment ebenfalls markiert. Bei einem Rollenabstand von 9 em 
betrug die Reflexdauer im Mittel 0,0662’, bei einem Rollenabstand 
von 5 em nur 0,0578’. Exner nimmt für die Länge der Leitungs- 
bahnen, welche diesen Reflex vermitteln, 35 em an; bei einer Leitungs- 
geschwindigkeit von 32 m in der Sekunde würden für diese Strecke 
0,0057" verbraucht. Die Muskellatenz nimmt er halb so groß an wie 
beim Frosch, nämlich zu 0,005”. Zieht man diese Zeitmengen von 
den gefundenen Reflexzeiten ab, so bekommt man als „reduzierte 
Reflexzeit“ d. h. als diejenige Zeit, welehe der eigentliche zentrale 
Vorgang in Anspruch nimmt, 0,047—0,055”. — Diese Zeiten sind 
aber jedenfalls für den einfachen Reflexprozeß zu groß, denn sie sind 
schon beim Frosch geringer (siehe unten). Erstens ist eine gewisse 
Latenzzeit der Rezeptionsorgane der Haut anzunehmen, zweitens ist 
eine Überleitung von rechts nach links nötig, und diese nimmt ebenfalls 
mehr Zeit in Anspruch als reine Nervenleitung. 

Am genauesten ist die Reflexzeit von Wundt (1876) in einer 
konsequent durchgeführten Versuchsreihe untersucht worden. Wundt 
benutzte Reflexpräparate vom Frosch; der Gastroenemius einer Seite 
übertrug seine Bewegung auf das Pendelmyographion; auf der gleichen 
Seite waren die Wurzeln freigelegt, und sowohl die motorische Wurzel, 


Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungsverzögerung in denselben. 347 


von welcher der Gastroenemius innerviert wird, als auch eine gleich- 
seitige, dicht benachbarte hintere Wurzel waren mit Elektroden armiert. 
Die Reizung der motorischen Wurzel gab eine direkte Zuckung (Ver- 
gleichszuckung), die der sensiblen Wurzel eine indirekte, reflektorische 
Zuckung. Es wurde nun die Latenzzeit bei direkter Reizung von 
derjenigen bei indirekter Reizung abgezogen und so die Reflexzeit 
ermittelt. Einen wirklichen Schluß auf die Reflexzeit lassen die 
Kurven nur dann zu, wenn beide Kurven gleich hoch sind; da nun 
zum reflektorischen Effekt stärkere Reize nötig sind, so muß der Reiz 
für die vordere und hintere Wurzel in jedem Versuch gut abgestuft 
werden. Die totale Latenz (vom Reizmoment bis zum Anfang der 
Reflexzuckung) betrug 0,025 —0,050 Sekunden; für die eigentliche 
Reflexzeit ergab sich (nach Abzug der Latenz bei direkter Reizung) 
ein Wert von 0,008—0,015”. Wird der Reiz für beide Reizpunkte 
verstärkt, so wird die totale Latenz sowohl für die direkte, wie für 
die reflektorische Zuekung verkürzt, die Differenz beider, d.h. die 
eigentliche Reflexzeit, bleibt aber ziemlich gleich. — 

Die Schnelligkeit, mit der der Muskel auf den ihm vom Nerven 
zugeführten Reiz reagiert, ist zum großen Teil abhängig von der 
Stärke des zugeführten Reizes. Nach den Untersuchungen von 
v. Vintschgau wird aber auch die Geschwindigkeit der Nervenleitung 
mit zunehmender Reizstärke größer. Eine Folge dieser beiden Faktoren 
ist, daß bei ungenügender Abstufung beider Reize im Reflexversuch 
eine Differenz zwischen der totalen Latenz bei direkter und indirekter 
Reizung entstehen kann, welche der eigentlichen Reflexzeit nicht ent- 
spricht. Wundt nennt diese Zeit die Differenzzeit. Ist der direkte 
Reiz stark, der reflektorische Reiz schwach, wobei die Reflexkurve 
niedriger ausfällt, als die Vergleichskurve, dann ist die Differenz- 
zeit größer als die Reflexzeit. Im umgekehrten Fall wird sie kleiner, 
und es gelang Wundt in einigen Fällen die Differenzzeit nicht nur 
gleich Null, sondern sogar negativ zu machen. Wenn man also jede 
Differenz zwischen Vergleichszuekung und Reflexzuckung als Reflex- 
zeit ansehen würde, dann würde man zu dem Paradoxon gelangen, 
daß der Reflexvorgang unter Umständen schneller abläuft, als der 
Reiz gebraucht, um von der motorischen Wurzel bis zum Muskel zu 
gelangen. Man sieht also, mit welchen Schwierigkeiten es verknüpft 
ist, die wirkliche Reflexzeit zu ermitteln, und es erscheint möglich, 
daß den Bestimmungen Wundts wesentliche Fehler anhaften, indem 
ja seine Annahme, daß bei Kurvengleichheit die Differenzzeit der wirk- 
lichen Reflexzeit entspräche, nicht absolut zwingend ist. Das wird 
man aber jedenfalls zugeben müssen, daß die Reflexzeit mehr Zeit 
in Anspruch nimmt, als bei einfacher Leitung in parallelfaserigen 
Nerven der Fall sein würde, und ich will die Wundtschen Zahlen als 


348 Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungsverzögerung in denselben. 


im wesentlichen richtig hinnehmen, d.h. etwa '/,,.. Sekunde als Ver- 
zögerung beim einfachen Reflex des Frosches. 

Da der Reiz beim Reflexvorgang, wie der Ursprung motorischer 
Nervenfasern aus den motorischen Vorderhornzellen lehrt, durch Gan- 
glienzellen hindurch muß, so wurde die Ursache der Verzögerung in 
die Ganglienzellen hineinverlegt. Wir wissen jetzt, daß der Reiz aber 
auch durch ein Fibrillengitter hindurch muß, um von der rezeptorischen 
Bahn auf die effektorische zu gelangen, und da die spezifische Be- 
teiligung der Ganglienzellen an den Reflexvorgängen nach meinen 
Versuchen höchst zweifelhaft ist, so werden wir auch die Ursache 
der Verzögerung in das Gitter hineinverlegen und annehmen, daß der 
Leitungsprozeß hier einen Widerstand erfährt. Daraus ergibt sich als 
Konsequenz, daß der Widerstand wächst, wenn die Reizwelle mehrere 
Gitter zu durchsetzen hat. Die Verzögerung wird noch größer werden, 
und der auslösende Reiz stärker sein müssen. Daß dies richtig ist, 
zeigen Experimente, welche unter dem Einfluß der Ganglienzell- 
hypothese angestellt sind, und welche unter anderm beweisen sollten, 
daß die Verzögerung größer ist, wenn mehrere Ganglienzellen durch- 
setzt werden müssen. Da nun Gitter und Ganglienzellen immer in 
enger Beziehung zueinander stehen, so gelten die auf die Ganglien- 
zellhypothese stimmenden Versuche grade so gut für die Fibrillen- 
gitterhypothese. 

Wundt (1876) verglich die Dauer der einfachen Reflexzuckung 
(beim Frosch) mit der gekreuzten Reflexzuekung und derjenigen bei 
Längsleitung. (Eine sensible Wurzel der linken Seite wurde gereizt 
und die Bewegung des gekreuzten Gastrocnemius aufgeschrieben. Zum 
Vergleich wurde eine sensible Wurzel der rechten Seite gereizt. — 
Im andern Falle wurde ein Reiz am rechten Vorderarm angesetzt und 
der rechte Gastroenemius schreiben gelassen.) Sowohl bei Querleitung, 
wie bei Längsleitung fand sich die Reflexzeit um etwa 0,004'’' länger 
als bei einfacher Reflexzuckung. 

Einen recht instruktiven Versuch hat Exner (1874) nach dieser 
Riehtung hin angestellt: Er ließ den Gastroenemius eines Frosches 
schreiben. Dieser stand mit dem gesamten herauspräparierten Zentral- 
nervensystem durch den Ischiadieus in Verbindung. Es wurde nun 
das Nervensystem successive vom Großhirn anfangend mit einem 
fallenden Hebel zerquetscht. Der Zeitmoment des Falles wurde unter 
den Kurven des Muskels verzeichnet, der bei jeder neuen Quetschung 
zuckte. Die Latenz blieb ziemlich gleich groß, solange die Quetschung 
im Bereich des Gehirns stattfand. An der Medulla sank sie ziemlich 
plötzlich ab, um dann beim Übergang auf den Nerven noch einmal 
abzufallen. Hieraus wird es wahrscheinlich, daß der Reiz in der 
Medullagegend Zellen resp. Gitter zu passieren hat. 


Die Irreziprozität der Zentralteile und die Leitungsverzögerung in denselben. 349 


Hierher wären auch all die vielen Versuche zu rechnen, welche 
über die Reaktionszeit beim Menschen angestellt sind. Nach unseren 
heutigen anatomischen Vorstellungen hat der Reiz bei derartigen Ver- 
suchen eine große Anzahl von Zellen resp. Gittern zu passieren, und 
es ist daher (ganz abgesehen von eventuellen psychischen Einflüssen) 
nur selbstverständlich, daß diese Vorgänge eine beträchtliche Zeit in 
Anspruch nehmen. Bei starkem Reiz und guter Übung kann man es 
bei der sogenannten muskulären Reaktion (besonders, wenn die den 
Kontakt lösende Hand den Reiz selber in Form eines Induktions- 
schlages empfängt) bis auf etwa 0,08’ herunterbringen. Die sen- 
sorielle Reaktion nimmt bei gleicher Versuchsanordnung etwa 0,12” 
in Anspruch; bei schwachem Reiz noch wesentlich mehr. (Siehe hierüber 
die Lehrbücher der Psychologie.) 

Die Versuche, welche gemacht worden sind, um zu zeigen, daß 
die Verzögerung in die Ganglienzellen zu verlegen ist, können als 
zweideutig angesehen werden, wenn man die neueren Erkenntnisse mit 
in Betracht zieht. Als nur aus Ganglienzellen bestehende Durchgangs- 
stätten sah man die Spinalganglien an. Die Befunde selbst sind noch 
nicht übereinstimmend, indem Exner (1877) keine Verzögerung im 
Spinalganglion fand, von Wundt (1876) und andren aber eine solche 
konstatiert wurde. Wenn es sich herausstellen sollte, daß hier wirk- 
lich eine Verzögerung stattfindet, so ist damit nichts gegen meine 
Ansicht bewiesen, weil die Fibrillen in den Spinalganglien nicht nur 
. Zellen passieren, sondern auch innerhalb dieser Zellen Gitter bilden. 

Wir haben bereits gesehen, daß die Geschwindigkeit der Nerven- 
leitung nicht nur bei verschiedenen Tieren, sondern auch innerhalb 
ein und desselben Tieres sehr verschieden groß ist. Die motorischen 
Nerven des Hechtes dürften wohl ebenso schnell leiten wie die des 
Frosches, im Olfactorius desselben Tieres wurde aber von Nicolai eine 
mehr als hundertmal geringere Geschwindigkeit gemessen. Diese 
schon in den peripheren Nerven bestehenden, enormen 
Unterschiede berechtigen uns inden Fibrillengittern 
eine ebenso langsame Leitung anzunehmen, undaallein 
durch diese Übertragung bekannter Eigenschaften man- 
cher Nerven auf die Zentralteile wird die verlangsamte 
Leitung derselben auch ohne geheimnisvolle Eigen- 
schaften der Ganglienzellen genügend erklärt. 


ACHTZEHNTES KAPITEL. 
Reizsummation und Bahnung. 


Um einen Wirbeltiermuskel vom Nerven aus zu erregen, genügt 
in der Regel ein schnell vorübergehender Reiz, z. B. ein einzelner, 
schwacher Induktionsschlag. Je steiler die Stromschwankung ist, desto 
sicherer ist der Erfolg. Folgen mehrere Reize schnell hintereinander, 
so ist der Erfolg in der Regel größer; die Reize summieren sich und 
der Muskel gerät in einen mehr oder weniger vollkommenen Tetanus, 
der allmählich zu voller Höhe ansteigt. Wirkt der einzelne Instantan- 
reiz nicht auf den motorischen Nerven direkt, sondern wird er an 
einem sensiblen Nerven oder an der Haut angesetzt, so daß die Zentral- 
teile die Leitung vermitteln, dann muß er ungleich größer sein, um 
überhaupt einen Effekt auszulösen. Verhältnismäßig schwache Reize, 
welche auch weniger schroff sein können, bringen dagegen einen aus- 
sedehnten reflektorischen Erfolg hervor, wenn sie sich wiederholen. 
Die Reizsummation ist hier nahezu Bedingung, damit ein Effekt zu- 
stande kommt. Dieser Gegensatz zwischen direkter und reflektorischer 
Erregung würde aber nur dann von prinzipieller Bedeutung sein, wenn 
es nicht Nerven gäbe, die ziemlich dieselben Reizbedingungen ver- 
langen, wie die Zentralteile. 

Während beim Frosch die steileren Öffnungsinduktionsschläge 
wirksamer sind als die weniger steilen Schließungsschläge, ist dies 
bei der Kröte nicht mehr der Fall (Schott und Grützner). Bei vielen 
wirbellosen Tieren ist eine Erregung durch einzelne Induktionsschläge 
überhaupt nicht möglich. Auch die stärksten Schläge geben keine 
Zuckung. Dagegen wirken mehrere einander folgende Schläge auch 
dann gut, wenn sie relativ schwach sind. Tetanische Reize wirken 
gut, einzelne Reize wenig oder gar nicht. Bei Anwendung des kon- 
stanten Stromes ruft eine kurze Schließung ebenfalls keine Reaktion 
hervor, während längere Durchströmung des Nerven eine starke Wir- 
kung hat (Scherennerven vom Krebs und Muschelnerven, Biedermann, 
1886 und 1888, Nerven von Eledone und Sipuneulus, v. Uexküll, 1894, 
Nerven von Aplysia und Nacktschnecken, Bethe). (Bei Mollusken 
liegen die Verhältnisse ührigens nicht klar, weil die Nerven auf dem 
Wege zum Muskel von Zellen unterbrochen sind.) 

Da es hauptsächlich die Nerven mit langsamer Leitung sind, 
welche starke Summationserscheinungen zeigen, so könnte man ver- 
sucht sein, die Summationserscheinungen beim Reflexvorgang allein 
auf die Fibrillengitter zu beziehen, welchen ich eine langsamere Lei- 
tung zuschreibe. Bei genauerer Betrachtung der Summationserschei- 


Reizsummation und Bahnung. 351 


nungen, welche bei den Reflexen zur Beobachtung kommen, dürfte 
diese Erklärung aber nicht als genügend erscheinen: 

Stirling (1574) und Rosenthal (1875) beschrieben, daß ein schwacher 
an sich reflektorisch unwirksamer Reiz bei mehrfacher Wiederholung 
eine gute Reflexzuckung auslösen könne und daß die durch jeden 
Reiz hervorgebrachte latente Veränderung ziemlich lange anhielte. 
Wundt (1876) fand, daß in größeren Abständen an eine hintere Wurzel 
 angesetzte Reize immer eine gleich hohe Reflexzuekung hervorrufen. 
Folgt aber ein zweiter Reiz bald nach Ablauf der ersten Zuekung, 
so ist die zweite Zuckung höher und gedehnter. Noch deutlicher tritt 
dies hervor, wenn die Wurzel vor dem zweiten Reize schwach tetani- 
siert wird. Die Nachwirkung des „modifizierenden Reizes“ war auch 
in diesen Experimenten eine ziemlich lange. 

Genauere Angaben über die Dauer der Nachwirkung verdanken 
wir der Arbeit von Ward (1880). Bei Reizen, welche unter der 
Schwelle blieben, die also an und für sich in größeren Abständen 
angesetzt, noch keinen reflektorischen Effekt hervorriefen, konnten 
Summationserscheinungen noch konstatiert werden, wenn die einzelnen 
Reize (Induktionsschläge) bis zu 1” auseinander lagen. Bei einem 
Reizintervall von 0,05’—0,40"” zeigte sich nun eine ganz gesetz- 
mäßige Erscheinung: Die Reflexzuckung tritt nämlich bei ein und 
demselben Frosch stets nach der gleichen Anzahl von Reizen auf. In 
der Regel genügen fünf bis zwölf hintereinander folgende Reize. — 
Nach diesem Befund zu schließen, bleibt also der durch jeden Einzel- 
reiz hervorgerufene Erregungszustand bis zu 0,4” in unverminderter 
Stärke bestehen und vermag durch jeden folgenden Reiz eine nun 
wieder ebenso lange anhaltende Steigerung zu erfahren. — Es fragt 
sich, ob diese lange Nachwirkung vorhergegangener Reize durch die 
Eigenschaften langsam leitender Fibrillen genügend erklärt wird und 
ob nicht vielleicht dem Widerstand in den Zentralteilen besondere 
Eigenschaften zuzuschreiben sind. 

Wie schon erwähnt, ist der Widerstand in den Zentralteilen in 
der Regel um so größer, je mehr Ganglienzellen resp. Fibrillengitter 
der Reiz zu passieren hat. Diese Eigentümlichkeit war im Prinzip 
bereits klar, ehe die anatomischen Grundlagen zu einer Lokalisierung 
des Widerstandes gegeben waren. ‚Johannes Müller sprach bereits 
den Satz aus, daß bei Reizung einer Körperstelle zunächst die ihr 
benachbarten Muskeln Reflexerscheinungen zeigen und daß erst bei 
stärkerer Reizung die weiter entfernten Muskeln der gleichen Seite 
und die Muskeln der gekreuzten Seite in Aktion treten. Weiter aus- 
geführt findet sich dieser Satz in den von Pflüger (1853) aufgestellten 
Reflexgesetzen. Experimentelle Begründungen wurden dann später 
von Rosenthal (1873) und Wundt (1876) gebracht. Einige Ausnahmen 


352 Reizsummation und Bahnung. 


von dieser Regel sind seit langem bekannt. So kann z. B. bei Säuge- 
tieren ein weit entfernter rezeptorischer Reiz eher eine Pupillenreaktion 
und eine allgemeine Blutdrucksteigerung hervorrufen, als die dem 
Reizort am nächsten verbundenen Muskeln in Aktion treten. Ein sehr 
günstiges Objekt sind auch die ersten Antennen der Brachyuren. 
Diese sind in ständiger zuckender Bewegung. Wird irgendwo am 
Körper ein Reiz angesetzt, der noch keine weiteren Reflexe auslöst, 
so werden doch, falls er nicht allzuschwach ist, die Antennen für 
einen Moment ganz eingezogen. Diese Ausnahmen können aber wohl 
dadurch eine genügende Erklärung finden, daß die betreffenden Mus- 
keln besonders leicht reflektorisch erregbar sind. 

Den Widerstand in den Zentralteilen kann man sich nun eventuell 
in folgender Weise vorstellen: In den Zentralteilen befindet sich in 
der Nähe der Fibrillen außer der ihnen überall angelagerten Fibrillen- 
säure eine andre Substanz, welche mit der Fibrillensäure in Konkurrenz 
um die Affinitätsvalenzen der Fibrillen tritt. Diese Substanz mag von 
einem Substrat immer neu gebildet werden, zu ihrer Bildung Sauer- 
stoff bedürfen und durch Sauerstoff wieder zerstört werden, kurz eine 
sehr labile Substanz sein. Wenn diese einen Teil der Fibrillen- 
valenzen in den Zentralteilen inne hat, sie selbst aber zur Fortleitung 
des Leitungsprozesses nicht taugt, so wird sie es verhindern, daß 
jeder kleinste Reiz und jede kurz vorübergehende Zustandsänderung 
der Umgebung zu einer Reflexbewegung führt. Wären unsere Zentral- 
teile ebenso empfindlich wie die peripheren Nerven, besäßen sie also 
keine Dämpfung, dann würden unsere Muskeln in einem dauernden 
Tanz begriffen sein. Wenn nun jede, durch einen rezeptorischen 
Nerven zugeführte Erregungswelle einen Teil der Konkurrenzsubstanz 
verdrängt und dieser Zustand des Verdrängtseins einige Zeit anhält, 
so muß die Fibrillenbahn bei mehrmaliger Wiederholung des Reizes 
schließlich ganz frei von dieser dämpfenden Substanz werden und der 
nächste Reiz zu einem Reflex führen. Diese Aufhebung der Dämpfung 
hält dann für einige Zeit an und macht sich darin geltend, daß in 
kurzen Intervallen wiederholte und anfangs unwirksame Reize jedesmal 
zu einem Effekt führen. Kommt längere Zeit kein neuer Reiz, so 
wird die Konkurrenz wieder wirksam. 

Diese Hypothese soll nur den Widerstand in den Zentralteilen vor- 
stellbar machen; sie entbehrt aber auch nicht positiver Grundlagen. Daß 
eine Konkurrenzsubstanz im Zentralnervensystem wirklich vorhanden 
ist, scheint mir aus den in Kapitel S mitgeteilten Tatsachen mit 
Sicherheit hervorzugehen. Es wurde hier auch gezeigt, daß sie nicht 
nur in den Ganglienzellen, sondern auch im Grau und in den Strang- 
faseın (aber nieht in den peripheren Nervenfasern) ihre Wirkung 
entfaltet. Es konnte auch wahrscheinlich gemacht werden, daß sie 


Reizsummation und Bahnung. 353 


durch Sauerstoff zerstört wird. — In den Ganglienzellen würde als 
Konkurrenzsubstanz eventuell die Nisslsäure in Betracht kommen. In 
der Tat könnte man eine Anzahl von Daten hierfür anführen: Zu- 
nächst kommt die große Labilität der Nisslsäure in Betracht; dann die 
großen Schwankungen in ihrer Produktion und in der Masse ihres 
Substrates und vermutlichen Erzeugers, der Schollen. Die Bilder, 
welche bei Vergiftungen erzielt wurden, sprechen bald für bald wider 
die Annahme, doch können aus ihnen nach meiner Meinung noch keine 
bindenden Schlüsse gezogen werden, weil in allen Versuchen die Nissl- 
säure und das Substrat nicht genügend auseinander gehalten sind. 
Hier haben neue Untersuchungen einzusetzen, welche vor allem auch 
die Löslichkeitsverhältnisse der Nisslsäure mit in Betracht ziehen. 

Eine Stütze der Annahme sehe ich in folgenden Erscheinungen: 
In den Nervennetzen der Medusensubumbrella und der Herzkammer, 
in welche zahlreiche kleine Ganglienzellen eingestreut sind (S. 87 u. 92), 
ist kein Dekrement der Erregung zu konstatieren. Ist das Netz an 
einer Stelle erregt, und gibt es in der dieser zunächst gelegenen Mus- 
kulatur eine Zuckung, so dehnt sich die Erregung auch mit Sicherheit 
auf die ganze Subumbrella resp. die ganze Herzkammer aus. In 
diesen Zellen fehlt aber, soweit ich sehe, jede Spur von Nisslsäure 
(d. h. primärfärbbarer Zellleibsubstanz). — Legt man das Rücken- 
mark eines Frosches oder eines Hundes frei, ohne eine weitere Ope- 
ration zu machen, so zeigt sich, wie bekannt, fast immer entweder 
direkt oder nach einem Stadium der Depression eine außerordentliche 
Steigerung der Reflexerregbarkeit, aber nur in den Gebieten, welche 
von den bloßgelegten Teilen innerviert werden. Diese Steigerung kann 
mehr als einen Tag anhalten und verschwindet dann allmählich (manch- 
mal tritt sie erst am Tage nach der Operation ein). Bei einer der- 
artigen Operation handelt es sich im wesentlichen wohl um eine vorüber- 
gehende Störung der Blutzufuhr, welche nach Untersuchungen Nissls stets 
mit einer Verminderung der färbbaren Substanz beantwortet wird. — 
Neben der Nisslsäure — wenn dieselbe überhaupt als Konkurrenz 
substanz aufzufassen ist — würde aber jedenfalls noch eine andere 
Substanz in Betracht kommen, da die Abspaltung der Fibrillensäure bei 
der Erstickung nachweislich nicht auf die Ganglienzellen beschränkt ist. 

Bei dieser Auffassung der Summationserscheinungen scheint mir 
die Annahme von Exner (1882), daß die Summation nur ein spezieller 
Fall der Bahnung ist, sehr plausibel. Jeder Reiz bahnt eben durch 
Verdrängung der dämpfenden Substanz den Weg für jeden folgenden. 
Unter Bahnung im engeren Sinne versteht Exner das leichtere An- 
sprechen reflektorischer Erregungen, wenn Reizung gewisser andrer 
Rezeptionsorgane oder Nervensystemteile vorauf gegangen ist oder 
gleichzeitig geschieht: 

Bethe, Nervensystem. 33 


354 Reizsummation und Bahnung. 


Exner reizte bei Kaninchen gleichzeitig oder kurz nacheinander 
die Hirnrinde und eine Pfote. Sind beide Reize unter der Schwelle, 
so geben sie zugleich angesetzt eine Zuckung. Dasselbe ist der 
Fall, wenn sie bis zu 0,6” nacheinander angesetzt werden. Gibt 
jeder Reiz für sich schon eine Zuekung, so ist deren Höhe vergrößert, 
wenn beide Reize zugleich oder kurz hintereinander erfolgen. Auch 
bei Kombination von Schallreiz und Pfotenreiz oder von Schallreiz 
und Rindenreiz ließ sich Bahnung konstatieren. 

Wie mir scheint, haben wir es bei der Bahnung im engeren Sinne 
mit einer sehr weit verbreiteten und für viele nervöse Prozesse höchst 
wichtigen Erscheinung zu tun. So fand z. B. v. Uexküll (1599), daß 
die Giftzangen der Seeigel (gemmiformen Pedicellarien) nur dann auf 
mechanischen Reiz zuklappen, wenn dem mechanischen Reiz ein che- 
mischer vorhergeht. Merzbacher (1900) sah beim Frosch an sich un- 
wirksame mechanische und photische Reize miteinander vereint wirksam. 
— Bei vielen Tieren z. B. beim Frosch und bei den Crustaceen ist zum 
Vollzug des Geschlechtsaktes durch das Männchen das Zusammen- 
wirken chemischer und mechanischer Reize notwendig. Beim Frosch 
(Goltz, 1869) geht dieser chemische Reiz nur während der Geschlechts- 
reife vom Weibchen aus, beim Careinus (Bethe, 1897) nur dann, wenn 
das Weibchen sich eben gehäutet hat. Ist diese Bedingung des chemischen 
Reizes nicht erfüllt, so kann man durch Aneinanderlegen von Männchen 
und Weibchen keine Umklammerung erzielen. (Die Umklammerung 
kommt beim Careinus aber dann zustande, wenn durch Zerschneidung 
der Schlundkommissuren die Verbindung zwischen den Umklammerungs- 
organen und den Chemorezeptionsorganen aufgehoben ist.) Auch aus 
dem Bereich des Bienen- und Ameisenlebens ließen sich eine ganze 
Anzahl derartiger Beispiele anführen. 

In allen diesen Fällen wird man sich mit der Erklärung durch 
Bahnung begnügen können. Diese selbst wird man aber dadurch er- 
klären können, daß der bahnende Reiz dämpfende Hinder- 
nisse an den Fibrillen hinwegräumt. 


NEUNZEHNTES KAPITEL. 


Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem. 
Steigerung der Erregbarkeit durch Alkohol bei den Medusen S. 359. 


Es liegt nicht in dem Plane dieses Buches, in eine Besprechung 
der verschiedenen Nervengifte einzutreten; ich muß dies auch schon 
deshalb unterlassen, weil meine Kenntnisse in der Hauptsache aus 
der Literatur geschöpft sind und sich nur in wenigen Punkten auf 
eigne Beobachtungen stützen können. Daher beschränke ich mich 
darauf, zu untersuchen, ob meiner Auffassung vom nervösen Ge- 
schehen wesentliche Schwierigkeiten aus toxikologischen Tatsachen 
erwachsen. 

So verschieden sich die Wirkungen der einzelnen Nervengifte 
äußern, so kehren doch immer zwei Erscheinungen wieder: Erreg- 
barkeitssteigerung, welche bis zu tetanischen Krämpfen führt, und 
Lähmung. Beide Wirkungen finden sich fast nie ganz voneinander 
getrennt, sondern gehen bei den meisten Giften ineinander über. Bald 
tritt die eine Erscheinung, bald die andre mehr in den Vordergrund. 
Die Erregbarkeitssteigerung kann beinahe oder ganz fehlen (bei den 
eigentlichen Narcotieis); ist aber eine Erregbarkeitssteigerung vor- 
handen (bei Ammoniak, Strycehnin u. s. w.), so geht sie bei stärkerer 
Einwirkung des Giftes stets in Lähmung über. 

Der primäre Angriffspunkt der meisten Gifte liegt in den Zentral- 
teilen; einige wenige (Curare u. s. w.) wirken anscheinend in der 
Hauptsache auf die peripheren Nervenendigungen; es gibt aber kein 
Gift, dessen Wirkung sich zuerst an den Nerven selber bemerkbar 
macht. Viele Forscher haben hierin eine Spezifität der zentralen und 
peripheren Enden der Nerven gegenüber ihren glatt und parallel ver- 
laufenden Teilen sehen wollen. Mir will es aber scheinen — und 
dies ist besonders von anatomischer Seite schon mehrfach angedeutet 
worden — daß der Grund der Bevorzugung nicht unbedingt in spezi- 
fischen Unterschieden gesucht werden muß, sondern bereits hinreichend 
durch mechanische Verhältnisse erklärt werden kann. 

Bei sämtlichen Tieren von den Würmern aufwärts (vielleicht auch 
noch abwärts) sind die eigentlichen Nervenfasern d. h. diejenigen 
Leitungsbahnen, in denen die Neurofibrillen parallel verlaufen und keine 
Verbindungen untereinander eingehen, durch mehr oder weniger schwer 
durchdringliche Hüllen geschützt, während an den peripheren Enden 
und im Neuropil die Nervenfasern resp. die Fibrillen bloßliegen. Am 
besten geschützt sind die markhaltigen Nervenfasern der Wirbeltiere, 
wovon man sich leieht überzeugen kann, wenn man die frischen Fasern 

33* 


356 Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem. 


in möglichst indifferente Farblösungen legt oder ganze Tiere vital 
injiziert (Ehrlich). Außerordentlich langsam und fast ausschließlich 
von den Ranvierschen Schnürringen aus dringt die Farbe zum leitenden 
Element, den Neurofibrillen, vor. Außer, daß die Markscheiden bei 
ihrer fettartigen Beschaffenheit schwer für wasserlösliche Stoffe durch- 
dringlich sind, wirken sie auch, wie mir scheint, insofern schützend, 
als sie nicht nur manche Farbstoffe, sondern auch andre Stoffe z. B. 
Narcotica aufspeichern und so, wenn die Menge derselben nicht zu 
groß ist, an der Einwirkung auf die Fibrillen verhindern. Einen guten 
Schutz gewähren auch die Hüllen der sympathischen Fasern. Viel 
weniger gut sind die marklosen Fasern der Wirbellosen geschützt, 
obgleich die Dieke der Hüllen bei manchen, z. B. bei Mollusken, nicht un- 
erheblich ist. In der grauen Substanz (dem Neuropil) und in den 
Ganglienzellen sind die Fibrillen im Gegensatz zu den peripheren 
Nerven gar nicht oder nur sehr wenig geschützt, so daß jede Substanz, 
die der Blutstrom mit sich führt, sehr leicht an sie herangelangen 
kann. Zu diesen Unterschieden kommt noch, daß die Nerven der 
Wirbeltiere nur schwach mit Blut versorgt werden, während die 
Vaseularisation der Zentralteile sehr stark ist. Bei niederen Tieren 
ist der Unterschied in der Blutversorgung meist nicht sehr groß. 

Es gibt nun, so weit ich aus der Literatur sehe und aus eigner 
Erfahrung weiß, kein einziges Nervengift, das nicht bei längerer Ein- 
wirkung auch die Erregbarkeit der Nervenstämme verändert und 
schließlich für immer oder vorübergehend vernichtet. Dabei ist es 
nicht einmal immer nötig, wesentlich mehr Gift zuzuführen, als 
zur Hervorrufung maximaler Giftwirkungen im Gebiet des Zentral- 
nervensystems nötig ist, sondern man muß nur länger warten, 
bis der Effekt eintritt. Bei Wirbellosen, bei denen die Schutzvorrich- 
tungen der Nervenfasern nicht so stark ausgebildet sind, wie bei 
Wirbeltieren, ist diese Differenz sehr viel geringer. So fand ich z. B. 
bei der Äthernarkose von Langusten (Palinurus), daß dann, wenn die 
Reflexe vollkommen erloschen sind, bereits eine bedeutende Beein- 
trächtigung der direkten Erregbarkeit motorischer Nerven eingetreten 
ist. Mir scheint es daher bei vielen Giften ungerechtfertigt, von ihrer 
spezifischen Wirkung auf die Zentralteile zu sprechen, und ich 
glaube, daß der Hauptgrund, weswegen die Wirkung sich zunächst 
auf Zentralorgane erstreckt, in der größeren Zugänglichkeit dieser Teile 
beruht. Noch weniger scheint es mir berechtigt, von einer spezifischen 
Einwirkung auf die Ganglienzellen (in ihrer Eigenschaft als Zellen) 
zu sprechen und einige Gifte direkt als Ganglienzellgifte zu bezeichnen. 
Man dürfte dies nur dann tun, wenn man den Nachweis geführt, dab 
diese Substanzen auf die Neurofibrillen überhaupt nicht einzuwirken 
imstande sind. 


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Er 


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NEN 


Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem. 357 


Wenn wirklich, wie ich meine, die Eigenschaften des leitenden 
Elements durch das ganze Nervensystem hindurch im Prinzip die 
gleichen sind, so kann das Studium der Giftwirkung an den peripheren 
Nerven entschieden von Nutzen sein, um dem Wesen der Giftwirkung 
näher zu kommen, weil bei diesen Teilen des Nervensystems alle 
Maßnahmen einer besseren Kontrolle unterliegen. Wenn man die 
Voraussetzung der prinzipiellen Gleichartigkeit macht, so kann die 
Tatsache, daß bei der Vergiftung eines normalen Tieres die Gift- 
wirkung auf die Nervenstämme gar keine Rolle spielt, als gleichgültig 
angesehen werden. Bis jetzt hat aber grade diese Tatsache die 
Pharmakologen von einer genügenden Berücksichtigung der Gift- 
wirkung auf die Nerven abgehalten, weil sie von vornherein von der 
prinzipiellen Verschiedenheit zwischen den peripheren Nerven und den 
Zentralteilen überzeugt waren. An den peripheren Nerven kann fest- 
gestellt werden, inwieweit ein Gift auf die Neurofibrillen selber ein- 
zuwirken imstande ist; bleiben dann noch Erscheinungen bei der Ver- 
eiftung des ganzen Tieres übrig, welche sich nieht durch die am 
Nerven gefundenen Einflüsse erklären lassen, so kann man diese auf 
Konto besonderer Eigenschaften der Zentralteile (aber nicht gleich 
der Ganglienzellen) setzen, so weit sie nicht durch periphere Wirkungen 
auf die Muskulatur, die Drüsen, die Endorgane u. s. w. bedingt sind. 
Da wir eine spezifische, in den Zentralteilen dämpfende Substanz 
angenommen haben, so kann es natürlich auch Gifte geben, welche 
speziell diese angreifen. Es kann aber andre geben, welche überall, 
wo sie auf Fibrillen treffen, auf diese und auf sie allein einwirken; 
am stärksten wird dies natürlich dort der Fall sein, wo die Fibrillen 
ihrer Einwirkung ohne Schutz ausgesetzt sind. Schließlich kann es 
Substanzen geben, welche sowohl auf die Fibrillen selber, als auch 
auf die vorausgesetzten Dämpfungen Einfluß haben. 

Als Gifte, bei denen wir nur eine allgemeine Einwirkung auf die 
Fibrillen selber anzunehmen brauchen, möchte ich in erster Linie die 
eigentlichen Narcotica (Äther, Alkohol, Chloroform u. s. w.) ansehen. 
Wie lange bekannt (siehe S. 268), ist es leicht, durch diese Mittel, die 
ja im Grunde allgemeine Lebensgifte sind, periphere Nerven in Nar- 
kose zu versetzen. Es kommt dabei für uns weniger auf die Herab- 
setzung der Erregbarkeit als vielmehr auf die Behinderung der Leit- 
fähigkeit an. Je länger die narkotisierte Strecke ist, desto geringere 
Grade der Narkose reichen aus, um die Leitung auch für stärkste 
Reize zu unterbrechen. Die Erregungen aber, welche bei den Re- 
flexen fortgeleitet werden, erreichen wohl nie die Stärke derer, welche 
bei unseren künstlichen Reizen zustande kommen, wie man wohl 
daraus ersehen kann, daß die reflektorisch vermittelten Erregungen 
motorischer Nerven durch viel geringfügigere Schädigungen unterdrückt 


358 Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem. 


werden als diejenigen, welche. durch direkte Reizung dieser Nerven 
hervorgebracht werden. (So fand z. B. Ducceschi, 1900, daß schon 
bei geringfügiger Kompression eines motorischen Nerven auf reflekto- 
rischem Wege keine Zuckungen mehr vermittelt werden, während ober- 
halb am Nerven angesetzte elektrische Reize noch kräftige Zuckungen 
vermitteln.) Demnach steht der Annahme nichts im Wege, daß die 
bei der Narkose eintretenden zentralen Lähmungen 
auf einer Narkose der im Zentrum freiliegenden Fi- 
brillenbahnen beruhen. 

Wie ich auf Seite 289 gezeigt habe, besteht die Wirkung der 
Nareotica auf die Fibrillen darin, daß sie die Bewegungsfähigkeit der 
Fibrillensäure zuerst verlangsamen und dann aufheben. Hierdurch 
ist ein Weg gegeben, wie man sich überhaupt die Wir- 
kung der Narcotica vorstellen kann. — In den letzten Jahren 
haben Hans Meyer (1899) und Overton (1901) die Beobachtung ge- 
macht, daß alle narkotisierenden Substanzen in Fett löslich sind und 
daß der Grad ihrer Wirksamkeit von dem Grade dieser Lösungsfähigkeit 
abhängig ist. Sie bauen darauf die Hypothese auf, daß die Lösungs- 
fähigkeit in Fettsubstanzen die Ursache der narkotischen Wirkung sei, 
indem sie gewissen Fettsubstanzen der grauen Substanz (Gehirnlipoide), 
vornehmlich der Ganglienzellen, eine Rolle bei den zentralen Prozessen 
zuschreiben. Trotz der überraschenden Übereinstimmung zwischen 
narkotischer Wirkung und der Löslichkeit in Fettkörpern möchte ich 


doch Zweifel gegen die Deutung erheben, daß die Löslichkeit der 


Nareotica in den Gehirnlipoiden (Leeithin, Cholesterin) bei der Narkose 
die Hauptrolle spielt. Nach den Untersuchungen von Thudichum, 
welche einen Anspruch auf Genauigkeit erheben dürfen, ist die Masse an 
ätherlöslichen Substanzen (Kephalin, Leeithin, Cholesterin) in der grauen 
Substanz wesentlich geringer als in der weißen Substanz (1,9°/,:11,5°/,), 
während Meyer und Overton zur Erklärung der größeren Empfindlich- 
keit der grauen Substanz gegen Narcotica ein umgekehrtes Verhältnis 
voraussetzen. — Wie Overton festgestellt hat, ist die relative Menge von 
Alkohol u. s. w., welche zur vollständigen Narkose nötig ist, bei sehr ver- 
schiedenartigen Tieren gleich groß; die Nervensysteme dieser Tiere haben 
aber sicherlich einen sehr verschiedenen relativen Gehalt an ätherlös- 
lichen Substanzen; bei Krustazeen ist der der Ätherauszug z. B. minimal. 

Schließlich sei noch angeführt, daß die Substanzen des Nerven, 
auf welche eine sichtbare Einwirkung der Narcotica zu konstatieren 
ist, die Fibrillen und die Fibrillensäure keine Fettsubstanzen sind. 
Danach möchte ich dem von Hans Meyer und Overton aufgedeckten 
Verhältnis nicht die Bedeutung zuschreiben, welche sie und andre ihm 
geben (siehe Gottlieb, 1902), wenngleich ich eine mittelbare Beteiligung 
der „Gehirnlipoide“ hei der Narkose für wahrscheinlich halte. 


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Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem. 359 


Am peripheren Nerven läßt sich im Anfangsstadium 
der Narkose stets eine Steigerung der Erregbarkeit nach- 
weisen, welche erst allmählich in das depressive Stadium übergeht. 
Eine gesteigerte Erregbarkeit soll nun nach Schmiedeberg, Kraepelin 
und andern bei der Narkose des ganzen Menschen oder Tieres 
nieht existieren. Die zu beobachtenden Exaltationen Berauschter und 
schwach Narkotisierter werden von diesen Autoren auf Lähmung 
von Hemmungsvorrichtungen des Zentralnervensystems zurückgeführt. 
Diese Erklärung ist zwar durchaus ausreichend, aber sie ist doch 
nicht absolut zwingend und es scheint mir nicht ausgeschlossen, daß 
den Exaltationszuständen wenigstens zum Teil eine erhöhte Erregbarkeit 
zu Grunde liegt. Wenn wirklich keinerlei echte Erregbarkeitssteigerung 
bei den Narcotieis der Fettreihe vorkommt, so könnte man hierfür die 
Dämpfungen der Zentralteile verantwortlich machen, welche, wenn sie 
unverändert fortbestehen, sehr wohl die erhöhte Erregbarkeit der 
Fibrillen an der Betätigung verhindern könnten. Daß eine wirkliche 
Steigerung der Erregbarkeit eintreten kann, schließe ich aus Versuchen 
bei Medusen. 

Bekamntlich (s. auch S. 106) erlöschen die spontanen rhythmischen 
Bewegungen der Medusen, wenn man die Tiere der Randkörper beraubt. 
Auf Einzelreize treten einzelne Kontraktionen ein. Wird tetanisch an 
einer Stelle (oder mit dauernden chemischen Reizen) gereizt, so wird 
die Reizung wie beim Herzen mit eignem Rhythmus beantwortet. Hört 
der Reiz auf, so werden auch die rhythmischen Bewegungen wieder 
eingestellt und bleiben bis zum Gewebstode aus, wenn keine neuen 
Reize einwirken und das Wasser frisch erhalten wird. — Zur Be- 
stimmung der Reizschwelle messe ich entweder den Rollenabstand, 
welcher grade imstande ist bei tetanischer Reizung rhythmische Kon- 
traktionen hervorzubringen, oder ich lasse auf das flach auf dem 
Rücken liegende und eben mit Meerwasser bedeckte Tier Wasser- 
tropfen von gleicher Größe fallen und bestimme den Abstand, bei 
welchem grade auf jeden fallenden Tropfen eine Kontraktion erfolgt. 

Nachdem bei einer randkörperfreien Cotylorrhiza die Reiz- 
schwelle bestimmt ist, wird dieselbe in Seewasser gebracht, dem ein 
halbes Volumprozent Alkohol zugesetzt ist. Nach etwa einer Minute 
fängt die Erregbarkeit fast immer an bedeutend zu 
steigen, so daß man die Fallhöhe der Tropfen um mehrere Zenti- 
meter verringern resp. die Rollen weiter voneinander entfernen kann. 
(Z. B. Fallhöhe vorher 20 em, nachher 12—15 em; Rollenabstand 
vorher 12 em, nachher 15 em.) Sehr viel auffälliger ist aber die 
Neigung der Alkoholtiere (NB. ohne Randkörper!) auf ein- 
maligen Reiz, ja sogar spontan rhythmische Kontrak- 
tionsreihen auszuführen, wie sie sonst nur bei Tieren mit 


360 Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem. 


kandkörpern zur Beobachtung gelangen. In der Regel zeigen diese 
Kontraktionen eine geringere Koordination als bei normalen Tieren 
(die Kontraktion beginnt nieht überall zur gleichen Zeit, sondern fängt 
bald hier bald dort an) und die Ausgiebigkeit der Bewegungen ist 
geringer. 

Bei manchen Exemplaren kommt es auf jeden leichten, mecha- 
nischen Reiz nur zu 3—4 Kontraktionen, bei andern treten aber Pe- 
rioden auf, welche an Zahl der Bewegungen die Perioden normaler 
Tiere übersteigen. Die normale Cotylorrhiza macht gewöhnlich nur 
Serien von 20—60 Kontraktionen, auf die Ruhepausen von verschieden 
langer Dauer (5—20'") folgen. Bei randkörperfreien Tieren, die in 
Alkohol-Seewasser lagen, habe ich Serien von 80—400 Kontraktionen 
beobachtet. Nach diesen langen Reihen sind die Tiere in der Regel 
hochgradig erschöpft. Sie bedürfen einer Ruhe von vielen Minuten, 
um eine neue Kontraktionsreihe beginnen zu können und reagieren in 
der ersten Zeit häufig nicht einmal durch Einzelkontraktionen, wenn 
sie berührt werden. Spontane und durch Reiz erzeugte Serien habe 
ich noch nach sechsstündigem Aufenthalt in Alkohol-Seewasser be- 
obachte. Bringt man die Tiere in reines Seewasser 
zurück, so geht die Fähigkeit auf Einzelreize mit Se- 
rien zu antworten wieder verloren und die Reizschwelle 
steigt wieder zur alten Höhe. — Die Alkoholkonzentration 
kann bis zu anderthalb Prozent steigen, ohne daß der Effekt geändert 
wird. Bei höheren Konzentrationen macht sich eine 
depressive, narkotische Wirkung geltend, welche bis zur 
vollkommenen Reflexlosigkeit führt; in reinem Seewasser kann Er- 
holung eintreten. 

Da Alkohol bei lokaler Applikation gar keine oder nur sehr ge- 
ringe Reizung bei den Medusen hervorruft (1—3 Prozent), da ferner 
Ber a Erregbarkeit erst nach einer Latenzzeit von einer oder 
mehreren Minuten eintritt, eine Zeit, die genügen dürfte, um den 
Alkohol bis zur Memenschieht le zu lassen, da schließlich 
die gesteigerte Erregbarkeit stundenlang erhalten bleibt, so glaube ich 
eine reizende Einwirkung auf die epithelialen Nervenendigungen, also 
eine Reflexerregung, ausschließen zu dürfen, und diese Versuche 
dafür anführen zu können, daß der Alkohol (und vielleicht auch andre 
Narcotica der Fettreihe) unter Umständen gesteigerte Reflexerregbar- 
keit erzeugt. — 

Eine in der Hauptsache an der dämpfenden Substanz der Zentral- 
teile angreifende Wirkung möchte ich den eigentlichen Krampfgiften 
zuschreiben, vor allem dem Strychnin. Ich glaube, daß es keine 
Schwierigkeiten bereitet, sich dies vorzustellen. Ich habe oben die 
einfache und durchaus zulässige Annahme gemacht, daß der normale 


Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem. 361 


Widerstand in den Zentralorganen durch eine allein hier vorhandene 
Konkurrenzsubstanz (gegenüber der Fibrillensäure) bedingt wird. Es 
kann nun sehr wohl Substanzen geben, welche diese Konkurrenzsubstanz 
an ihrer Wirksamkeit verhindern oder auch ihre Produktion aufheben, 
ohne die Fibrillen selber und ihre Beziehungen zu der Fibrillensäure 
wesentlich zu verändern. Dadurch würde den zentralen Fibrillen- 
bahnen die Empfindlichkeit der peripheren gegeben. Es könnte auch 
der kleinste Reiz zu einem Effekt führen und es stände der Aus- 
breitung jedes Reizes bis in die entfermtesten Gebiete des Nerven- 
systems nichts im Wege. Da das Stryehnin auf die Fibrillen selber 
nicht ganz wirkungslos ist, so können die später auftretenden zentralen 
Lähmungen eventuell auf eine Beeinflussung dieser bezogen werden. 

Ein weiteres Eingehen auf andre Gifte würde keinen Zweck haben, 
denn ich würde mich dabei in Theorien verlieren, denen der genügende 
Boden fehlt. Was ich zeigen wollte, scheint mir durch das Gegebene 
erreicht, daß sich nämlich von toxikologischer Seite meinen Ideen keine 
Hindernisse in den Weg stellen, daß durch sie sogar eher klarere 
Vorstellungen erlangt werden, als die herrschenden Ansichten ermög- 
liehen. Hervorzuheben ist nur noch folgendes: Man wird mir ein- 
werfen, daß die verschiedenen Gifte in den Zentralteilen ihre Prädi- 
lektionsstellen haben; wenn z. B. die Narcotica in erster Linie auf das 
Großhirn wirken, so könne dies nicht auf den ja überall gleichen 
Fibrillen beruhen. Dagegen ist zu erwidern, daß die Bevorzugung 
immer nur graduell ist und daß sich bereits an sämtlichen andren 
Zentralstätten eine starke Beeinträchtigung bemerklich macht, wenn 
das Sensorium zu schwinden anfängt. In der verschiedenen Dicke der 
Fibrillen, dem verschiedenen Schutz innerhalb der Zentralorgane, der 
verschiedenen Blutversorgung und in vielem andren sind Möglichkeiten 
genug gegeben, um diese Unterschiede verständlich zu machen. — 
Auf die große Wichtigkeit der Blutversorgung und der Sauerstoff- 
sättigung hat bereits Ehrlich vor längerer Zeit in umfassender Weise 
aufmerksam gemacht. Ehrlich hat auch hauptsächlich am Beispiel der 
Nervenendigungen auf Grund seiner ausgedehnten Untersuchungen über 
die Lokalisation von Farbstoffen begreiflich gemacht, wie durch Ver- 
schiedenheiten des Milieus an Organen, die im Grunde eine gleichartige 
chemische Beschaffenheit haben dürften, verschiedenartige Wirkungen 
auf die gleiche Ursache hin eintreten können. 

Einen schwer zu überwindenden Einwand gegen die Ansicht, dab 
auch die Zentralteile in erster Linie Leitungsbahnen sind, könnte ınan 
in dem unzweifelhaft vorhandenen großen Sauerstoffbedürfnis der 
Zentralteile und in ihrer großen Empfindlichkeit gegen Kohlensäure 
sehen. Ich habe diesen Unterschied gegenüber den peripheren Nerven 
bereits oben mit dem Widerstand in Zusammenhang gebracht, welcher 


362 Die Wirkungen von Giften auf das Nervensystem. 


der Verbreitung der Erregung in den Zentralteilen entgegengesetzt 
wird. Wenn dieser Widerstand durch die ständige Produktion einer 
die Bewegungsfähigkeit der Fibrillensäure dämpfenden Substanz hervor- 
gerufen wird, dann ist allerdings eine gewisse Erklärung für den Ge- 
fäßreichtum der Zentralorgane und ihre Empfindlichkeit gegenüber 
Kreislaufsstörungen und Veränderung des Gasgehalts des Blutes ge- 
geben. Ob dies ausreicht, wage ich aber nicht zu entscheiden. Wäh- 
rend ich also eine irgendwie nennenswerte Assimilation und Dissimi- 
lation in den eigentlich leitenden Gebilden, den Neurofibrillen, leugne, 
und vor allem eine aktive Beteiligung der Assimilation und Dissimila- 
tion am Leitungsvorgang in Abrede stelle, nehme ich solche Prozesse 
in den Zentralteilen zur Bildung und Vernichtung der dämpfenden 
Substanz in Anspruch. Die Verblutungs- und Erstieckungskrämpfe finden 
bei dieser Annahme keine Schwierigkeiten der Erklärung. Die Bildung 
der dämpfenden Substanz (der Konkurrenzsubstanz) wird gehemmt 
und damit wird die Erregbarkeit erhöht und die Ausbreitung jedes 
Reizes auf das gesamte Nervensystem findet keinen Widerstand. 

Wie nun aus den im achten Kapitel mitgeteilten Befunden hervor- 
zugehen scheint, wird die Konkurrenzsubstanz intra vitam dauernd durch 
Oxydation zerstört. Diese Oxydation fällt bei Erstickung oder Ver- 
blutung fort. Wenn nun die Bildung der Konkurrenzsubstanz in der 
ersten Zeit nach der Sauerstoffentziehung zwar vermindert ist, aber 
noch fortdauert, so muß die Konkurrenzsubstanz das Übergewicht 
bekommen und die Fibrillensäure überall im Zentralnervensystem aus 
der Verbindung mit den Fibrillen verdrängen (wie dies nachweislich 
der Fall ist; siehe S. 145 u. f.). Dadurch wird die Leitung im Central- 
nervensystem aufgehoben, und die Reflexerregbarkeit erlischt. Noch 
lange, nachdem dies eingetreten ist, werden die peripheren Nerven 
erregbar gefunden; in diesen findet aber nachweislich eine Abspaltung 
der Fibrillensäure nicht statt. 

Ich führe also das Sauerstoffbedürfnis (resp. die 
starke Blutversorgung) der Zentralorgane auf die Pro- 
duktionund Regulierung einer Substanz zurück, welche, 
nur hier vorhanden, der Dämpfung der Reflexe dient.) 


I) Diese Anschauungen scheinen mir mit den neuerdings von Winterstein 
(1900) und Verworn (1900) gemachten Befunden nicht zu kollidieren. 


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ZWANZIGSTES KAPITEL. 


Der Tonus. 


Versuche über den Tonus bei Aplysia S. 368—372. — Bei der Kontraktion tritt 

Wasser aus dem Muskel aus S. 368. — Nach Herausnahme des Zentralnerven- 

systems tritt starke Tonussteigerung ein, welche bis zum Tode andauert S. 370, 

371. — Der Tonus ist ein Ruhezustand S. 371. — Fortleitung des Tonusfalls 
bei Seeigeln S. 372. 


Am Anfang des vorigen Jahrhunderts war vielfach die Meinung 
verbreitet, daß die Muskulatur des Körpers bei ruhiger Haltung vom 
Zentralnervensystem aus in einem dauernden, automatischen Spannungs- 
zustand, dem Tonus erhalten würde (über die Geschichte der Tonusfrage 
siehe Heidenhain, 1856, und Eekhard, 1879). Diese Auffassung hat 
sich insofern als falsch erwiesen, als von einer automatischen Funk- 
tion der Zentralteile hier wohl keine Rede sein kann. Daß aber ein 
wirklicher Tonus existiert, daran kann schon lange kein Zweifel mehr 
existieren, denn ohne eine dauernde und koordinierte Spannung wäre 
es nicht möglich, daß ein Mensch und ein Hund ruhig stehen, ein 
Krebs dauernd seine Antennen vorgestreckt halten, ein Seeigel seine 
Stacheln von sich streeken könnte. Nach Ausschaltung des Nerven- 
systems bricht ein Hund zusammen, sinken die Antennen des Krebses, 
und hängen die Stacheln des Seeigels schlaff herab. Der Tonus als 
physiologisches Phänomen ist geblieben, aber die Ansichten über sein 
Zustandekommen haben sich geändert. 

Seit den Untersuchungen von Brondgeest (1860) ist die Tonus- 
frage sehr viel klarer geworden: Brondgeest durchschnitt dekapitierten 
Fröschen einen Ischiadieus und hängte sie dann senkrecht auf. Das 
selähmte Bein hängt dann schlaff herab, während das andre in einer 
leichten Beugestellung gehalten wird. Dasselbe Resultat erhielt Brond- 
geest, wenn statt des Ischiadieus nur die sensiblen Wurzeln des einen 
Hinterbeins durchschnitten wurden. Die Spannung der Muskeln wird 
also reflektorisch besorgt. (Als Ausgangspunkt der reflektorischen 
Reizung werden die Haut und die rezeptorischen Nervenendigungen 
der Sehnen und Muskeln angesehen.) 

Hermann (1861) fand, daß beim Brondgeestschen Tonus nur ge- 
wisse Muskeln der Beine beteiligt seien und daß die leichte Beuge- 
stellung der Beine beim aufgehängten Tier nichts weiter als eine Vor- 
stufe zu der normalen Beugehaltung im Sitzen sei. Wäre diese beim 
sitzenden Tiere erreicht, so höre der Tonus auf. Durch diese Be- 


364 Der Tonus. 


obachtung wird dem Tonus seine Bedeutung nicht genommen, beson- 
ders da bei vielen andern Muskelgruppen eine Erschlaffung fast nie 
eintritt, wie z. B. bei den Antennenmuskeln der Krebse. Sie kann 
nur dort eintreten, wo bei ruhiger Haltung eine genügende Unter- 
stützung durch die Unterlage stattfindet. Diese fehlt. beim Frosch 
z. B. für den Vorderkörper. (Durch geeignete Maßnahmen kann man 
den Tonus der Vorderbeinmuskel wesentlich erhöhen und eine Ruhe- 
stellung der Frösche erzielen, bei der sie stundenlang auf den ganz 
gestreekten Vorderbeinen ruhen. Verworn, 1897.) 

Bevor der Brondgeestsche Versuch veröffentlicht wurde, hatten 
Heidenhain (1856) und Auerbach (1856), und bald nachher Schwalbe 
(1865) gezeigt, daß sich am Reflexpräparat der Muskel nicht ver- 
längert, wenn der zugehörige Nerv durchschnitten oder seine Leitungs- 
fähigkeit durch einen konstanten Strom unterbrochen wird. Ein Be- 
weis gegen die Existenz eines Tonus kann jetzt nicht mehr in diesen 
Versuchen gesehen werden. Sie beweisen nur, daß ein automatischer 
Tonus wohl nicht existiert und daß der Reflextonus etwas sehr Ver- 
sängliches ist und die Mißhandlungen nicht erträgt, welche die Her- 
richtung solcher Präparate mit sich bringt. Der Tonus hält eben bei 
all den Muskeln und Muskelgruppen, welche unter natürlichen Um- 
ständen nie sehr lange Zeit im Tonus verharren, auch unter unnatür- 
lichen Bedingungen nicht lange an. 

Ein großer Teil der reflektorischen Erregungen, welche den 
Tonus bestimmter Muskeln, z. B. der Hinterbeinmuskeln von Hunden 
und Fröschen, vermitteln, stammt jedenfalls aus denjenigen Gebieten, 
in welchen der Tonus stattfindet. So haben eine ganze Anzahl von 
Arbeiten der letzten Jahre ergeben (H. E. Hering, 1897, Bickel, 1897, 
und andre), daß der Tonus z. B. in den Hinterbeinen wesentlich herab- 
gesetzt wird, wenn die zugehörigen hinteren Wurzeln durchschnitten 
werden. Da ein Tonus aber auch nach Ausschaltung dieser rezep- 
torischen Bahnen noch fortbesteht, so geht daraus hervor, dab er auch, 
wenigstens zum Teil, durch rezeptorische Erregungen andrer Gebiete 
vermittelt wird. Die Arbeit von Merzbacher (4902) über die Resultate 
nach der Durchschneidung der hinteren Wurzeln des Kaudalmarks 
von Hunden hat sogar ergeben, daß eine Änderung im Tonus des 
Schwanzes nicht zu bemerken ist, wenn derselbe auch ganz arezep- 
torisch gemacht ist. 

Eine Hauptquelle der Erregungen für den Reflextonus stammt 
nach den ausgedehnten Untersuchungen von I. R. Ewald (1892) aus 
dauernden Erregungen des inneren Ohrs, des Labyrinths. Nach Fort- 
nahme beider Labyrinthe zeigt sich besonders bei Tauben, aber auch 
deutlich bei allen andern Wirbeltieren eine bedeutende Herabsetzung 
des Muskeltonus und der absoluten Muskelkraft. Da sich der Einfluß 


Der Tonus. 365 


jedes Labyrinths hauptsächlich auf die gekreuzte Muskulatur erstreckt, so 
treten nach Fortnahme eines Labyrinths asymmetrische Körperhaltungen 
(besonders anfallsweise) und ungleichstarke Aktivbewegungen beider 
Seiten auf. ‚(Auch bei Wirbellosen ließen sich ähnliche Einflüsse der 
Statoeysten auf den Tonus der Muskulatur nachweisen [Bethe, 1897].) 
Diese auffallenden Erscheinungen führten Ewald zur Aufstellung der 
Hypothese vom Tonuslabyrinth. Die dauernde Erregung der Mus- 
kulatur vom Labyrinth aus erklärt er durch die Annahme, daß in den 
halbzirkelförmigen Kanälen durch Flimmerhaare ein dauernder Flüssig- 
keitsstrom erzeugt wird, welcher die Rezeptionshaare derselben Gegend 
in eine dauernde Erregung versetzt. Von hier wird sie dann durch 
das Zentralnervensystem zu den Muskeln fortgeleitet. 

Besonders starke tonische Erscheinungen sind bei Wirbeltieren 
an den Sphinkteren der Blase und des Mastdarms zu bemerken. Man 
suchte eine Zeitlang diesen dauernden Verschluß der Leibesöffnungen 
auf Elastizitätsverhältnisse zurückzuführen, weil derselbe auch nach 
dem Tode des Individuums noch fortbesteht. Seit den Untersuchungen 
von Heidenhain und Colberg (1858) ist diese Ansicht aber als unhalt- 
bar erwiesen. Diese Autoren maßen zunächst den Druck, welcher 
beim normalen Kaninchen grade nötig ist, um den Verschluß des 
Sphineter vesicae zu sprengen, d. h. bei welchem grade Harnträufeln 
eintritt. Darauf wurden die Tiere durch Verbluten oder durch Blau- 
säure getötet, wobei der Gegendruck des Sphinkters allmählich ab- 
nimmt, bis auf einen geringen Rest, der auch nach dem Tode bleibt. 
(Manchmal wird während des Verblutungskrampfes Flüssigkeit aus- 
getrieben.) — Vielfache Untersuchungen schienen zu ergeben, daß der 
Tonus der Sphinkteren allein durch das Rückenmark vermittelt werde 
(die zahlreichen Untersuchungen über dies Thema finden sich bei 
Fuld, 1895, referiert). Goltz und Ewald (1896) fanden aber, daß dies 
doch nur zum Teil richtig ist. Bei Hunden, welchen ein großer Teil 
des Rückenmarks und auch die Regionen exstirpiert waren, welche als 
Spinkterenzentren angesprochen wurden, sahen sie zwar zunächst den 
After klaffen, mit der Zeit stellte sich aber wieder ein Tonus des Sphineter 
ani et vesicae ein, welcher durch verschiedenartige Reize der Afterhaut 
verstärkt werden konnte. Bei Einführung eines Fremdkörpers zeigten 
sich auch rhythmische Kontraktionen. (Siehe auch Fuld, 1895.) Wäh- 
rend alle andern quergestreiften Muskeln, welche von dem existirpierten 
Rückenmarksstück aus normalerweise innerviert wurden, der Degene- 
ration anheimfielen, blieb der Sphincter externus erhalten. 

Diese Versuche deuten ohne Zweifel darauf hin, daß die Sphink- 
teren außer vom Rückenmark noch von einem andren Zentrum ab- 
hängig sind, das vermutlich in der Nähe derselben gelegen ist. Ob 
es sich nun bei dem sich wiederherstellenden Sphinkterentonus um 


366 Der Tonus. 


einen wirklichen Reflextonus handelt oder ob das tiefere Zentrum einen 
automatischen Tonus hervorruft, erscheint nieht sicher gestellt. Für 
die Reflexnatur würde allerdings sprechen, daß der Tonus auf Reizung 
der Anusschleimhaut zunimmt. Soweit der Sphinkterentonus vom 
Rückenmark abhängt, ist er wohl sicher als Reflextonus anzusehen, 
da, der Arbeit von Merzbacher (1902) zufolge, nach der Durchschnei- 
dung der zugehörigen sensiblen Wurzeln zunächst derselbe Effekt ein- 
tritt, wie nach Lumbalmarkexstirpation. Später stellt sich wie nach 
dieser der Tonus des Sphineter ani wieder her. (Klaffen des Anus 
nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln hatte schon Gianuzzi be- 
obachtet, da die Tiere aber schnell starben, so war das Resultat nicht 
eindeutig; siehe Fuld, 1895.) 

ei den bisher besprochenen Tatsachen (mit teilweiser Ausnahme 
der letztgenannten) hatten wir es mit dem Tonus von Muskulaturen 
zu tun, die nur schwer in einen tonischen Zustand zu versetzen sind. 
Auf künstlichen Reiz (vom Nerven aus oder direkt) ist es überhaupt 
“ kaum möglich, einen quergestreiften Muskel in einen Zustand dauern- 
der, schwacher Kontraktion zu versetzen. Es ist dies wohl ein Haupt- 
grund, weswegen sich so viele Physiologen anfangs so ablehnend 
gegen einen dauernden Tonus quergestreifter Muskeln verhalten haben. 
— Wesentlich anders liegen die Verhältnisse bei vielen (aber nicht 
allen) glatten Muskeln. Schneidet man z. B. aus einem Mollusken einen 
Muskel heraus (siehe Biedermann, 1886), so bleibt er lange Zeit kon- 
trahiert und geht häufig erst beim Absterben oder bei Anwendung 
unnatürlicher Bedingungen (hauptsächlich Wärmeeinwirkung) in den 
schlaffen Zustand über, welcher für den ungereizten, quergestreiften 
Muskel der natürliche ist. Auf Reizung tritt beim glatten Muskel 
wieder tonische Kontraktion ein, welche nur langsam weicht. 

Diese Tonusmuskulatur tritt uns bei vielen wirbellosen Tieren 
(aber auch bei Wirbeltieren z. B. an den Gefäßen und dem Ureter) 
entgegen. Besonders ausgebildet findet sie sich bei den Seeigeln. 
Die hier obwaltenden, höchst interessanten Verhältnisse haben v. Uex- 
küll zur Aufstellung der Frage bewogen, ob denn überhaupt der 
schlaffe Zustand der oder der einzige Ruhezustand der Tonus- 
muskulatur sei. 

Wir sind so gewöhnt, daß unsere eigne Muskulatur erschlafft, 
wenn wir sie nicht innervieren und daß die meisten Muskeln der 
physiologischen Paradetiere nur in gereiztem Zustande verkürzt sind, 
daß es uns ganz selbstverständlich erscheint, das Stadium des Lang- 
und Schlaffseins überall als einzigen Ruhezustand anzusehen und jeden 
Zustand von Verkürztsein auf Reizung zurückzuführen. Wenn wir 
Seeigel oder Muscheln wären, würde uns das sicherlich nicht so selbst- 
verständlich vorkommen. Unsere Bewegungsmuskulatur, an der so 


Der Tonus. 367 


viele das Wesen der Kontraktion zu ergründen gesucht haben, stellt 
eben nur einen ganz einseitig entwickelten Spezialfall formwechsel- 
fähiger lebender Substanz dar, und es ist sehr die Frage, ob wir die 
an ihr zu beobachtenden Erscheinungen als maßgebenden Ausgangs- 
punkt für allgemeine Betrachtungen über den Formwechsel werden 
benutzen dürfen. 

Uexküll deduziert nun folgendermaßen: Bei den Wirbeltiermuskeln 
steht die Erregung und Erregungsleitung im Vordergrund des Inter- 
esses, bei den Seeigeln tritt beides in den Hintergrund gegen den 
Tonus und die Tonusleitung. Wenn die Erregung eine vorübergehende 
Zustandsänderung darstellt, so ist Dauererregung eine contradicetio in 
adjeeto. Dieser Ausdruck für die tonische Muskulatur muß daher 
fallen, und der Tonus als eine andre Form der Ruhe angesehen werden. 
„Das einzige, was wir von der Lebensintensität einer Zelle zu sehen 
bekommen, ist der Teil, der nicht zur Weiterführung des Lebens dient, 
sondern in irgend einer Form nach außen in Erscheinung tritt. Diese 
Überproduktion an Energie nennen wir Tonus“ (beim Muskel). 

Nach dieser Auffassung würde, wenn ich recht verstehe, ein 
tonusfähiger Muskel in dem Zustand weiter verharren, in den ihn die 
letzte Erregung versetzt hat; er würde zwar nicht mehr erregt sein, 
aber doch Arbeit leisten, indem er mehr Energie produzierte als bei 
schwächerem Tonus. Ich glaube, daß aber noch eine andre Möglich- 
keit vorliegt: Der tonusfähige Muskel leistet nur dann Arbeit, wenn 
er aus einem Zustand in den andern übergeht. Dem Zustande des 
hohen Tonus entspricht wirkliche Ruhe, und er äußert dabei keine 
höhere Lebensintensität nach außen als in schlaffem Zustande. 

Wenn man einen quergestreiften Muskel längere Zeit „willkürlich“ 
oder durch Reizung des Nerven in kontrahiertem Zustande erhalten 
will, so verbraucht der Muskel dabei sehr viel Material und gerät 
bald in einen Zustand hochgradiger Ermüdung. Tonusfähige Muskeln 
können aber stunden- und tagelang im Zustande der Verkürzung 
bleiben, ohne Ermüdung zu zeigen. Würde hierbei dauernd Arbeit 
geleistet, so müßte der Stoffverbrauch nach Analogie quergestreifter 
Muskeln außerordentlich groß sein. Wenn man nun die Blutversorgung 
als Maß des Material- und Sauerstoffverbrauchs gelten läßt, so kann 
schwerlich von einer dauernden Arbeit der Tonusmuskulatur die Rede 
sein, denn ihre Blutversorgung ist in der Regel geringer als die der 
quergestreiften, schnellen Muskulatur. Es wäre denkbar, daß die durch 
die Erregung hervorgebrachte Verkürzung bei den tonisch erregbaren 
Muskeln eine stabile Modifikation des schlaffen Zustandes wäre, die 
ohne Arbeit der Fasern fortbestände und nur auf neue Zustands- 
änderungen hin in andre stabile Ruhelagen umgeändert würde. 

Diese Ansicht schwebt nicht so in der Luft und steht nicht so 


368 Der Tonus. 


ohne Analogien in der unbelebten Natur da, wie es manchem auf den 
ersten Blick scheinen möchte. Schneidet man eine Aplysia auf, so 
kehrt nach kurzer starker Kontraktion die mittlere Schlaffheit der 
Muskulatur zurück. Beim Aufschneiden ist die Leibeshöhlenflüssigkeit 
ausgelaufen. Reizt man nun nach Herausnahme des Zentralnerven- 
systems oftmals die Nerven, so wird aus der sich jedesmal für längere 
oder kürzere Zeit kontrahierenden tonusfähigen Körpermuskulatur 
immer mehr Serum ausgetrieben; die Muskeln werden jedesmal kürzer 
und dünner, so daß der ganze Hautmuskelschlauch nach einiger Zeit 
nur noch ein Drittel oder ein Viertel der Fläche einnimmt, als nach 
dem Aufschneiden. Während dieser Zeit ist die Muskulatur immer 
härter geworden und sie ist jetzt der. Erschlaffane 
überhaupt nicht mehr fähig. Versucht man einen Streifen der 
Muskulatur aus dem Schlauch herauszuschneiden, so zieht er sich 
heftig zusammen und treibt eine Menge Wasser aus; die 
stärkste Verkürzung wird erreicht, wenn man versucht das Körper- 
epithel abzupräparieren. Eine Erschlaffung und Verlängerung 
ist nieht mehr möglich, auch dann nicht, wenn man das Stück 
in Serum legt. — Alle diese Beobachtungen, die übrigens auch an 
manchen andern Mollusken mehr oder weniger leicht gelingen, hat 
schon Schoenlein gemacht, wie er mir seiner Zeit mitteilte, als ich 
ihm dieselben Beobachtungen in Neapel mitteilte. Später hat auch 
Jordan (1901) ähnliches beobachtet. Wie dieser Autor fand, wird 
beim normalen Tier Wasser aus den Muskeln bei jeder Kontraktion 
unter die Haut gepreßt und von da aus wieder in die Muskeln auf- 
genommen. Die Haut einer kontrahierten Stelle bekommt durch diesen 
Wasseraustritt das bekannte warzige Aussehen, das bei der Er- 
schlaffung verschwindet. — Sicher wird übrigens auch Serum in die 
Körperhöhle ausgepreßt. Zur Erschlaffung der Muskeln ist ein ge- 
wisser positiver Druck in der Körperhöhle nötig, wovon ich 
mich mehrfach überzeugt habe. Wenn nicht sofort nach dem Auf- 
schneiden Starre und dauernde Verkürzung der Muskeln eintritt, so 
hat dies wohl darin seinen Grund, daß in den Divertikeln der Körper- 
höhle längere Zeit ein Vorrat von Serum zurückbleibt, welcher, wie 
man sich wenigstens an den Flügeln mit dem Manometer überzeugen 
kann, erst allmählich seinen positiven Druck verliert. 

Wenn also bei der Kontraktion der tonusfähigen Muskeln (wenig- 
stens bei diesen Tieren) Wasser oder Serum ausgetrieben wird, so 
ist es sehr gut denkbar, daß der dadurch bedingte Ver- 
kürzungszustand anhält, ohne daß zur Erhaltung dieses 
Zustandes eine aktive Arbeit geleistet werden muß. 
Der Zustand der schlaffen Faser kann eben dahin geändert sein, daß 
sie zur Wiederaufnahme des verdrängten Wassers keine Tendenz hat. 


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PO a ee 7 


Der Tonus. 369 


Den bei den Reizungsvorgängen einiger Pflanzen beobachteten 
Wasseraustritt hat bekanntlich Pfeffer auf eine plötzliche Aufhebung 
des osmotischen Innendrucks der Zellen zurückgeführt. Es liegt nahe, 
auch bei den Aphysiamuskeln an osmotische Erscheinungen zu denken. 

Die normale Aplysia befindet sich stets in einem schwachen Tonus. 
Vollkommenes Erschlaffen, bei welchem die äußere Haut ganz glatt 
wird, kommt unter normalen Bedingungen gar nicht oder nur an be- 
schränkten Körperpartien (manchmal bei Progressivbewegungen) vor. 
Eine vollkommene Erschlaffung der gesamten Körpermuskulatur ist 
aber immer durch folgende Maßnahmen zu erreichen: 1. Reflektorisch. 
Zu diesem Zweck nimmt man ein Tier, ohne es zu drücken, in die 
Hand und schüttelt es einigemal leise im Seewasser hin und her; 
dabei fühlt man, wie der Körper immer weicher wird, bis er schließ- 
lich eine ganz schlaffe Masse bildet.') 2. Durch Vergiftung. In- 
jiziert man einem Tier Pelletierinsulfat (Schoenlein, 1594) oder Cocain, 
Nieotin, Morphin ?) u. s. w. (Bottazzi, 1899), so tritt eine vollkommene 
Erschlaffung ein. 

Um einen Ausdruck für die Stärke des Tonus zu gewinnen, be- 
nutzte ich ein einfaches Flüssigkeitsmanometer. Eine spitze Glas- 
kanüle mit mehreren seitlichen Öffnungen ist durch einen Schlauch 
mit dem Manometer verbunden und wird der Aplysia von hinten her 
in die Leibeshöhle eingestochen. (Gewöhnlich zieht sich die Haut an 
der Einstichsöffnung so fest um die Kanüle zusammen, daß eine 
Ligatur niebt nötig ist.) Die Aplysia ist grade mit Wasser bedeckt 
und das Manometer so aufgestellt, daß der Nullpunkt in der Höhe 
des Wasserniveaus liegt. — Beim normalen Tier (A. limacina) fand 
ich in der Ruhelage einen durchschnittlichen Druck von 2,5—4,0 em 
Wasser (je nach Individuum verschieden). Bei A. depilans ist der 
Tonus viel stärker (Bottazzi); dementsprechend auch der Innendruck. 


1) Man könnte es nicht für ausgeschlossen halten, daß dieser Tonusfall gar 
nicht auf der peripheren schwachen Erregung beruht, sondern durch passive 
Dehnung der Muskulatur hervorgerufen wird, wofür Analoga durch Uexküll (1900) 
bei Seeigeln bekannt geworden sind. Man kann aber auch eine Erschlaffung 
durch Anbrandenlassen leichter Wasserwellen hervorrufen, was wohl mehr für 
eine periphere Reizung spricht. Drückt man das Tier während des Schwenkens, 
so tritt statt Erschlaffung Kontraktion ein. 

2) Diese Substanzen wirken übrigens nicht, wie Schoenlein von Pelletierin 
meinte, nur auf das Zentralnervensystem ein und auch nicht, wie Bottazzi zu 
meinen scheint, nur auf die Muskulatur. Die Wirkung betrifft bei jeder Dosierung 
immer sowohl das Nervensystem, wie auch die Muskulatur resp. die peripheren 
Nervennetze, was nicht sicher zu entscheiden ist. Bepinseln der freigelegten 
Ganglien mit 1°/, Pelletierinlösung ruft bereits Erschlaffung hervor, wenn auch 
keine ganz maximale; Injektion nach Herausnahme des gesamten Zentralnerven- 
systems bewirkt noch Erschlaffung (siehe auch Jordan). 

Bethe, Nervensystem. 24 


370 Der Tonus. 


Ich habe bei dieser Spezies aber nur wenige Versuche angestellt. 
(Übrigens wäre die Versuchsanordnung noch sehr verbesserungsfähig.) 

Der Normaldruck bleibt bei ein und demselben Tier stets auf der 
gleichen Höhe und schwankt nur, wenn das Tier Bewegungen aus- 
führt. So steigt der Druck bei jedem spontanen Flügelschlag um 
0,5—1,0 em, bei spontaner Retraktion des Kopfes um 1 em oder mehr. 
Tritt auf Reizung eine ausgedehntere Kontraktion ein, so können sich 
Drucksteigerungen von 2—3 cm zeigen. 

Wird nun in der oben angegebenen Weise der Tonus durch 
Schwenken oder durch Pelletierininjektion aufgehoben, so sinkt der 
Innendruck bis auf 1 em, manchmal bis auf 0 herab. — Wäre der 
Zustand der Dauerkontraktion mit einer Arbeitsleistung verbunden, so 
sollte man meinen, daß er abnehmen müßte, wenn das Arbeitsmaterial, 
die Nahrung, entzogen wird. Dies ist aber nicht der Fall. Läßt 
man ein Tier wochenlang hungern, so tritt keine Verringerung des 
Tonus ein; derselbe nimmt sogar eher an Stärke etwas zu. Man 
kann diesem Versuch nicht mit dem Einwand begegnen, daß diese 
Tiere große Reservestoffmengen in sich bergen, denn das Nahrungs- 
bedürfnis der normalen Tiere ist sehr groß. (In den ersten Tagen 
der Karenz findet eine sehr starke Gewichtsabnahme statt, welche 
hauptsächlich auf Wasserverlust zu beruhen scheint. Später ist die 
Gewichtsabnahme nur noch gering; der Tonus besteht aber fort.) 

Sehr viel auffallender werden diese Verhältnisse, wenn man den 
Tonus künstlich steigert. Dies kann, wie Bottazzi gezeigt hat, durch 
Glyeoside geschehen (in noch viel höherem Maße durch Injektion 
von etwas Seewasser, in welchem Chloroform gelöst ist), doch ist 
dies Verfahren für uns nicht brauchbar, weil diese Vergiftungen nur 
vorübergehend wirken, indem sie entweder zum Tode führen oder Er- 
holung zulassen. Sehr viel besser für unsere Zwecke brauchbar ist 
die Tonussteigerung, welche nach Fortnahme des gesamten Zentral- 
nervensystems ') eintritt. Bald nachdem diese Operation ausgeführt 
ist (siehe S. 113) fängt der Tonus an, stark zu steigen. Da die 
Steigerung in sämtlichen Muskeln stattfindet, was beim normalen Tier 
fast nie vorkommt, so erfährt der Innendruck eine ganz unnatürliche 
Erhöhung. Gemessen habe ich Innendrucke von 11—13 cm Wasser, 
wahrscheinlich ist der Druck aber oft noch höher. Diese Tonushöhe 
ist zwar nicht das erreichbare Maximum, denn bei Berührung der 

1) Sie ist für die Kopfteile von der Fortnahme des Cerebralganglions, für 
den größten Teil des übrigen Körpers von der Fortnahme der Pedalganglien 
abhängig. Die unteren Visceralganglien müssen im Tier bleiben, weil es sonst 
nicht atmen kann. — Ich habe diese Befunde bereits 1898 im Neapel gemacht, 
aber nicht veröffentlicht. Inzwischen hat auch Jordan (1901) die partielle Tonus- 
steigerung nach Fortnahme der Pedalganglien beobachtet. 


Der Tonus. 371 


Haut treten noch mehr oder weniger weit ausgedehnte Retraktionen 
ein, aber sie übertrifft doch den Normaltonus sicher um ein Vielfaches. 
Erhält man solche Tiere am Leben, so tritt bis zum Tode!) kein Ab- 
sinken des Tonus ein; er bleibt stets auf gleicher Höhe, wird durch 
Reize noch verstärkt, kann aber durch Pelletierin fast ganz aufgehoben 
und durch Schwenken etwas herabgesetzt werden. (Da durch Schwenken 
und auch durch sanfte Massage niemals ein vollkommener oder auch 
nur starker Tonusfall hervorgerufen werden kann, wie dies beim nor- 
malen Tier der Fall ist, so möchte ich doch den Tonusfall beim 
Schwenken für reflektorischer Natur halten.) 

Wenn man bedenkt, wie groß die Arbeitsleistung sein müßte, um 
den so hervorgerufenen starken Tonus aufrecht zu erhalten, wenn er 
durch fortgesetzte aktive Tätigkeit bedingt wäre, dann wird man zu- 
geben müssen, daß die Tonusmuskulatur wohl andern Ge- 
setzen unterworfen ist, als die Bewegungsmuskulatur 
und daß der Kontraktionszustand dieser Muskeln eine 
andre Form wirklicher Ruhe ist. 

.Es ist nun die Frage, in welchem Abhängigkeitsverhältnis vom 
Nervensystem der Tonus bei diesen Tieren steht: Jordan ist der An- 
sicht, daß die Tonussteigerung sofort nach der Herausnahme der 
Ganglien auftritt. Ich kann mich dem nicht anschließen, verstehe 
aber, wie man zu dieser Ansicht kommen kann, wenn man die Tiere 
bei der Operation vergiftet; weicht nämlich die Giftwirkung, dann 
ist der Effekt schon da. Um die Frage zu entscheiden, sah ich von 
einer Vergiftung der Versuchstiere ab und verhinderte den Austritt 
von Leibesflüssigkeit, der ja manometrische Versuche unmöglich machen 
würde, dadurch, daß ich den Kopfteil mit den Ganglien durch eine 
Ligatur vom übrigen Körper abschnürte. In den Hinterkörper wurde 
dann die Kanüle eingestochen und der Schlundring (die Ganglien) 
durch einen Schnitt in den Kopf freigelegt. Liegt die Ligatur gut, 
so tritt keine Flüssigkeit aus dem Hintertier aus; die Reize gehen aber 
ungehindert von den Ganglien in die hinteren Körperpartien, so daß 
eine wesentliche Veränderung in deren physiologischen Verhalten nicht 
zur Beobachtung kommt (das Tier kriecht, schlägt koordiniert mit den 
Flügeln u. s. w.). 

Nachdem sich der Innendruck auf eine gleichmäßige Höhe ein- 
gestellt hat (er schwankt infolge der durch Operation angeregten Be- 
wegungen zuerst stark), wird der ganze Schlundring herausgenommen. 


1) Ich habe solche Tiere bis zu zehn Tagen am Leben erhalten, während 
welcher Zeit sie natürlich keine Nahrung nehmen konnten. Jordan gelang es, 
Tiere, denen beide Pedalganglien extirpiert waren, über einen Monat am Leben 
zu erhalten. Sie zeigten den erhöhten Tonus in den betroffenen Gebieten bis 
zum Tode. 


247 


372 Der Tonus. 


Der Innendruck bleibt zunächst meist normal. Manchmal sinkt er 
gleich nach der Operation um einen halben bis ganzen Zentimeter, 
niemals aber steigt er direkt und steil in die Höhe. (Wenn die 
Schere scharf ist, so tritt bei der Durchschneidung der Nerven gar 
keine Reaktion, also auch keine Drucksteigerung ein.) Fünf bis 
zehn Minuten nach der Operation beginnt der Druck dann langsam 
zu steigen und erreicht sein definitives und andauerndes Maximum 
nach 20—30 Minuten. In seltenen Fällen spielte sich der Prozeß in 
wenigen Minuten ab. Dies schien dann der Fall zu sein, wenn nach 
der Ganglienexstirpation Reize auf die Haut des Hintertiers eingewirkt 
hatten. Besonders darauf gerichtete Versuche mußten leider aus 
Mangel an Zeit abgebrochen werden, doch scheint es mir schon jetzt 
ziemlich sicher, daß der Tonus sich um so schneller entwickelt, je 
stärkere Reize auf die Haut einwirken. 

Demnach scheint bei diesen Tieren das periphere Nervennetz der 
Hauptvermittler des Reflextonus zu sein. Das Hautnervensystem 
scheint aber nur in sehr geringem Maße die Fähigkeit zu haben, die 
so leicht durch dasselbe vermittelten Tonussteigerungen auch wieder 
zu’ lösen.  Tonuslösung scheint”also "hier, eine, Haspı 
funktion der zentralen Ganglien zu sein. (Auf die von 
Jordan gegebene Erklärung der Tonussteigerung glaube ich nicht ein- 
sehen zu brauchen, da die Grundlagen, auf die sie aufgebaut ist, zum 
Teil auf Irrtümern beruhen.) 

Ganz besondere Verhältnisse in Bezug auf den Tonus hat Uex- 
küll (1900) bei den Seeigeln gefunden: Die Stacheln der meisten 
Seeigel besitzen einen doppelten Ring radial aufgespannter Muskel- 
fäden. Die Fasern des einen Ringes bewegen sich ziemlich schnell 
und zeigen nur geringen Tonus, die andern geraten leicht in hohen 
Tonus und halten ihn lange fest. Alle Bewegungen des Stachels 
können von der schnelleren Muskulatur ausgeführt werden. Bringt 
man nämlich durch Klopfen die Tonusmuskeln in Erregung, so geben 
die Stacheln auf Druck nicht nach; wenn man sie mit Gewalt zu be- 
wegen sucht, so brechen sie entweder ab oder die Tonusmuskulatur 
zerreißt. Ist letzteres geschehen, so sind die Stacheln leicht beweglich 
und die übrigbleibenden schnellen Muskeln können noch alle Reflexe 
(starke und schwache Form u. s. w.) ausführen. Nur die starken Tonus- 
erscheinungen bleiben aus. 

Durch geeignete Maßnahmen, über die im Orginal nachzulesen 
ist, kann der Tonus der Tonusmuskulatur stark herabgesetzt werden. 
Die Stacheln sind jetzt leicht beweglich. Drückt man nun einen 
Stachel leicht und langsam nach einer Seite, so wird dadurch die 
Muskulatur auf einer Seite gedehnt. Diese Erscheinung ist 
aber nicht rein passiv, denn, wenn man mit dem Druck 


Die Hemmung. 373 


nachläßt, so bewegt sich der Stachel in derselben 
Richtung weiter und kehrt erst allmählieh in die Ruhe- 
lagezurück. Die passive Dehnung bringtalso den Tonus 
zum Sinken und er sinkt nachträglich noch weiter. Das 
Auffallendste aber ist, daß alle Stacheln der Nachbarschaft sich 
nach derselben Seite hinneigen. Es folgt also auf den Tonusfall 
bei einem Stachel ein Tonusfall in der gleichgerichteten Muskulatur 
aller Nachbarstacheln. Hieraus muß der Schluß gezogen werden, daß 
bei diesen Tieren die Erregung im Nerven zurückfließen 
kann, wenn man nicht grade annehmen will, daß hier besondere 
rezeptorische Fasern tätig sind. Über die Bedeutung dieses Phänomens 
für das Tier (Uexküll nennt es Reflexverkettung) muß ich auf das 
Orginal verweisen. (Auf die soeben erschienene Arbeit Uexkülls (1903) 
konnte leider nieht mehr eingegangen werden.) 


EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL. 
Die Hemmung. 


So reich das Tatsachenmaterial über nervöse Hemmungsvorgänge !) 
auch ist, so gehört dies Kapitel, was die Deutung anbetrifft, doch zu 
den dunkelsten und am meisten umstrittenen. Kurz gefaßt bestehen 
die Hemmungsvorgänge darin, daß auf Reizung rezeptorischer Nerven, 
gewisser Zentralteile oder intrazentraler Fasern Bewegungserscheinungen 
oder Kontraktionszustände aufgehoben oder an ihrem Zustandekommen 
verhindert werden. 

Die Existenz derartiger Erscheinungen beim Menschen ist schon 
lange bekannt, so besonders die durch „Willkür“ oder reflektorisch 
hervorgerufene Hemmung des Blasen- und Afterverschlusses. Den 
Hauptanstoß zu einem genaueren Studium der Hemmungserscheinungen 
gab aber erst die große Entdeckung der Gebrüder Weber (1845), daß 
die Bewegungen des Herzens vom Vagus aus zum Stillstand gebracht 
werden können. Heutzutage wäre es verfehlt, diesen historischen 


1) Ein die Literatur ziemlich vollständig berücksichtigendes Referat über 
die Hemmungserscheinungen ist vor kurzem von H.E. Hering (1902) publiziert 
worden. 


374 Die Hemmung. 


Ausgangspunkt aller Untersuchungen auch als Ausgangspunkt der 
kritischen Behandlung des Themas zu wählen, weil die Verhältnisse 
am Herzen an und für sich sehr kompliziert liegen und von vielen 
Forschern dadurch in einen Gegensatz zu andern Hemmungserschei- 
nungen gesetzt werden, daß sie die Herzbewegungen als rein mus- 
kulären Ursprungs ansehen, den Vagus also direkt auf die Muskulatur 
wirken lassen. Da im allgemeinen Nerven, welche mit Muskeln in 
Verbindung stehen, bei der Reizung immer Kontraktionen hervorrufen 
und nur unter ganz bestimmten Bedingungen hemmungsähnliche Er- 
scheinungen vermitteln, da zum andren die meisten übrigen Hemmungs- 
erscheinungen nur unter Vermittlung von Zentralteilen zustande kommen, 
so würde bei der Herzhemmung etwas ganz andres vorliegen als bei 
diesen, vorausgesetzt, daß die Herzaktion in Wirklichkeit rein ımyo- 
gener Natur ist. Ich für meine Person bin nun zwar von der Unrich- 
tigkeit der Gaskel-Engelmannschen Auffassung überzeugt und werde 
weiter unten meine Gründe hierfür aufweisen, so lange aber diese 
Frage noch zur Diskussion steht, wird es jedenfalls zweckmäßig sein, 
bei der Erörterung der Hemmungserscheinungen im allgemeinen von 
andern Tatsachen auszugehen. Aus ähnlichen Gründen ist die im 
Jahre 1857 von Pflüger beschriebene Hemmung der Darmperistaltik 
durch Splanchnieusreizung in der Deutung schwierig, weil hier ebenso- 
wenig wie beim Herzen eine Möglichkeit vorhanden ist, die Eigen- 
schaften der Muskulatur für sich zu untersuchen. Die Annahme einer 
direkten Einwirkung der Nervenfasern (des Splanchnieus) auf die 
Muskulatur dürfte hier allerdings wohl nur noch wenig Anklang 
finden, da jetzt die meisten Forscher geneigt sind, die eigentliche 
Darmperistaltik auf nervöse Ursachen zurückzuführen (siehe Star- 
ling, 1902). 

Für die genauere Analyse der Hemmungsvorgänge sind die Be- 
obachtungen am geeignetsten, welche sich auf unumstrittene, durch 
das Zentralnervensystem vermittelte Reflexe beziehen. Ich will zur 
Illustration von den vielen hierhergehörigen Tatsachen nur einige 
wenige Beispiele anführen: Wie Goltz (1869) fand, kann man einen 
Frosch, besonders nach Fortnahme des Großhirns, durch leichtes Streichen 
der Rückenhaut zu einem jedesmaligen Quaken bringen. Läßt man 
gleichzeitig einen nicht zu schwachen Reiz auf andre sensible Nerven 
einwirken, umschnürt man z. B. ein Bein, so bleibt der Quakreflex mit 
Sicherheit fort. — Bei Hunden mit querdurehtrenntem Rückenmark 
treten eine große Reihe von Reflexerscheinungen mit großer Regel- 
mäßigkeit auf. So pendeln solehe Tiere, wenn man den Hinterkörper 
herabhängen läßt, rhythmisch und abwechselnd mit den beiden Hinter- 
beinen. Drückt man den Schwanz oder streicht man sanft über einen 
Oberschenkel, so hört das Pendeln sofort auf, um einige Zeit nach 


Die Hemmung. 375 


dem Aufhören des hemmenden Reizes wieder zu beginnen (Freusberg, 
1575). Bei andauerndem schwachen Reiz tritt das Pendeln überhaupt 
nicht ein. — Hat solch ein Hund ein Bein angezogen, das andre ge- 
streckt und reizt man nun das gestreckte, so wird dieses angezogen, 
zugleich sinkt aber auch das angezogene herab. Derselbe Versuch 
läßt sich leicht auch an Fröschen anstellen, besonders, wenn sie einige 
Zeit im Kalten gewesen sind (Biedermann, 1900). — Sehr prompt 
traten bei großhirnlosen Hunden eine ganze Reihe von Reflexen ein, 
welche beim normalen Tier nur unsicher zu erzielen sind, wie Goltz 
(1876—1892) gezeigt hat. Alle diese Reflexe, z. B. der auf Krabbeln 
der Körperseite eintretende Kratzreflex und der auf Kitzeln des 
Nackens erscheinende Schüttelreflex, lassen sich leicht durch gleich- 
zeitig an andern Körperstellen angesetzte Reize aufheben, wenn sie 
schon eingetreten sind, oder am Eintritt verhindern, wenn der aus- 
lösende Reiz erst später angesetzt wird. 

In allen diesen und vielen andern Fällen wird also die normale 
Beantwortung eines Reizes dadurch verhindert, daß zu gleicher Zeit 
mit dem Reflexreiz (den wir beim Pendeln nicht genau kennen) an 
einer andern Körperstelle ein Reiz einwirkt. Während der Reflex 
selber nur von bestimmten Stellen ausgelöst werden kann, der Kratz- 
reflex z. B. nur von der Seitenfläche des Körpers, kann die Hemmung 
von all den Körperstellen aus hervorgerufen werden, deren Reizung 
nicht eben zu diesem Reflex führt. Soweit mir bekannt, ist es nicht 
möglich einen Reflex von derselben peripheren Stelle aus zu hemmen, 
von der aus er ausgelöst wird. (Ich nehme hiervon den Bubnoff-Heiden- 
hainschen Befund aus, daß die durch Pfotenreiz hervorgebrachte Kon- 
traktion durch Streichen der Pfote nachträglich wieder gelöst 
werden kann.) Systematische Untersuchungen über diesen Punkt 
existieren wohl nur von Wundt (1576). Wurde beim Reflexpräparat 
(siehe S. 346) die Zuckung des Gastrocnemius von einer hinteren 
Wurzel des Ischiadieus aus ausgelöst, so erhielt er bei gleichzeitiger, 
leichter Tetanisation einer benachbarten hinteren Wurzel stets Ver- 
stärkung der Zuckung. Je weiter die tetanisierte Wurzel vom Ur- 
sprung des Ischiadieus entfernt war, desto häufiger trat eine Vermin- 
derung der Reflexwirkung, also Hemmung ein. 

Manchmal müssen die hemmenden Reize stark sein; viele Reflexe 
lassen sich aber durch relativ schwache Reize unterdrücken. Der 
Grund für diese Verschiedenheit scheint mir lediglich darin zu liegen, 
daß die einzelnen Reflexe sehr verschieden stark sind und diese 
Unterschiede in der Stärke sind zu einem guten Teil von der physio- 
logischen Dignität der Reflexe selber abhängig. Je stärker der hem- 
mende Reiz ist, desto mehr Reflexe fallen aus, bis schließlich bei 
sehr starken Reizen auch die notwendigsten Reflexe ausbleiben und 


376 Die Hemmung. 


eine vollständige Reflexlähmung (zum Teil identisch mit dem Begriff 
Shok) eintritt. 

Experimental kann eine solche Reflexlähmung bisweilen durch 
Tetanisation eines Ischiadieus und durch andre starke Reize (beim 
Frosch) erzeugt werden (Notnagel, 1869). Mit großer Sicherheit tritt sie 
stets dadurch ein, daß man einem Frosch einige Tropfen mehrprozentiger 
Kochsalzlösung unter die Rückenhaut bringt.) Fast momentan stellt 
sich auf diesen Eingriff hin eine vollkommene Reflexlosigkeit ein: Die 
Glieder hängen schlaff herab (seltener befinden sie sich vorübergehend 
in einem Zustand tonischen Krampfes) und werden auch auf starkes 
Kneifen nicht angezogen. Die Atmung steht still, die Zunge kann 
herausgezogen werden und sogar der Cornealreflex kann fehlen. 
Selbstverständlich lassen sich die Tiere in diesem Zustand jede Lage, 
auch die Rückenlage, gefallen. Dieser Zustand dauert aber nur 
wenige Minuten, dann kehren die Reflexe allmählich wieder. Ver- 
anlaßt man die Tiere zu einigen starken Bewegungen, so tritt ge- 
wöhnlich die Reflexlähmung noch einigemal für kurze Zeit ein. Auch 
durch Reiben der Rückenhaut kann man neue Anfälle von absoluter 
Reflexhemmung hervorrufen. Nach etwa einer Viertelstunde sind die 
Frösche wieder ganz normal; durch erneute Gabe von Kochsalzlösung 
kann aber der alte Zustand wieder hervorgerufen werden. — Die all- 
gemeine Reflexhemmung kommt hier offenbar durch den starken all- 
gemeinen Reiz zustande, dem die Nervenstämmchen der Rückenhaut 
unterworfen werden. Ist das Kochsalz resorbiert, so hören die Er- 
scheinungen auf. 

Um allgemeine Reflexhemmung hervorzurufen, muß der hemmende 
Reiz erstens sehr stark und zweitens sehr ausgedehnt sein, also viele 
Nervenbahnen zugleich treffen. Schwache allgemeine Reize und starke 
lokale Reize können wohl die Reflexerregbarkeit im allgemeinen herab- 
setzen und einige schwache Reflexe ganz am Zustandekommen ver- 
hindern, aber eine vollkommene Reflexlähmung rufen sie nie hervor. 
Je lokaler ein Reiz ist, desto mehr wirkt er reflexauslösend 
und desto weniger reflexhemmend; je mehr er sich über weite 
Körperstrecken ausbreitet, desto mehr wirkt er reflexhemmend und 
desto weniger reflexauslösend. Der Unterschied zwischen den auf 
schwache Reize hin eintretenden Hemmungserscheinungen und denen, 
welche auf starke (und mehr allgemeine) eintreten, ist also nur gra- 
duell, so daß mir die Aufstellung einer gewissen Gegensätzlichkeit, 
wie sie H. E. Hering vornimmt, ziemlich willkürlich zu sein scheint. 


1) In der Literatur habe ich diese Erscheinung bisher nicht erwähnt ge- 
funden. Aus persönlichen Mitteilungen habe ich aber erfahren, daß sie in ver- 
schiedenen Laboratorien bekannt ist. 


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Die Hemmung. 377 


. 


Eine scharfe Grenze zwischen mehr physiologischen Hemmungs- 
erscheinungen einerseits und der Reflexlähmung und dem Shok andrer- 
seits existiert nicht. 

Im täglichen Reflexleben eines Tieres spielen die starken Reize 
als hemmende Faktoren nur eine untergeordnete Rolle. Auch die 
anfangs erwähnten Hemmungserscheinungen, bei denen irgendwelche 
Reflexe ganz zur Unterdrückung kommen, treten an Wichtigkeit gegen 
partiellere Hemmungen zurück. Diesen verdankt wohl das koordinierte 
Zusammenarbeiten unserer verschiedenen Muskeln zum großen Teil 
seinen Ursprung. Den ersten Schritt zur Erkenntnis dieser Dinge ver- 
danken wir E. Hering und Breuer (1868). 

Nachdem Traube (1847) gezeigt, daß die Atmung bei Reizung 
des zentralen Vagusstumpfes stehen bliebe, und Rosenthal (1862) 
nachgewiesen hatte, daß Vagusreizung ‚„systolischen‘“ Atemstillstand 
(kontrahiertes Zwerchfell), Reizung des Laryngaeus superior „diasto- 
lischen‘“ Atemstillstand (schlaffes Zwerchfell) hervorruft, wurde von 
Hering und Breuer dargetan, daß derartige Hemmungen durch zen- 
tripetale Fasern eine große Rolle bei der gewöhnlichen Atemrhythmik 
spielen. Bei der Inspiration wird die Lunge gedehnt und hierdurch 
werden zentripetale Fasern gereizt, welche die Inspirationsmus- 
kulatur in der weiteren Aktion hemmen, 'sie also zum Erschlaffen 
bringen; andrerseits wird durch das Kollabieren der Lunge bei der 
Expiration ein neuer Reiz ausgeübt, welcher zu einer Hemmung der 
Expiration führt. (Zugleich werden jedesmal die entgegengesetzten 
Muskeln angeregt; siehe S. 398). ,„Wir haben es hier,“ schreibt 
H. E. Hering, „mit der ersten experimentellen Tatsache zu tun, welche 
uns zeigte, daß auf natürlichem Wege erregte zentripetale Nerven in 
entgegengesetzter Weise auf antagonistische Muskelgruppen einzuwirken 
vermögen.“ 

Bereits Charles Bell (1836) hatte die entgegengesetzte Innervie- 
rung antagonistischer Muskeln experimentell zu beweisen gesucht. 
Er hatte die Sehne eines Muskels (Streekmuskel) durchsehnitten und 
sah nun, daß er sich bei jeder Kontraktion seines Antagonisten (des 
zugehörigen Beugers) verlängerte. Dieses Experiment ist durch viel- 
fache Untersuchungen Sheringtons (1893, 1897) und H. E. Herings 
(1895) an den verschiedenartigsten Muskeln und unter verschiedenen 
Versuchsanordnungen nachgeprüft und bestätigt worden. Nach neueren 
Untersuchungen von R. du Bois-Reymond (1902) scheint die Hem- 
mung eines Agonisten bei Kontraktion seines Antagonisten und um- 
gekehrt zwar nicht so spezifisch zu sein, wie es von Sherington 
und Hering hingestellt wird, indem sich der Hemmungsprozeß auch 
auf alle möglichen andern Muskeln erstreckt; im Prinzip wird man 
aber wohl doch diese Lehre von einer hemmenden Wechselwirkung 


378 Die Hemmung. 


aufrechterhalten dürfen. Man darf sie nur nicht zu sehr schema- 
tisieren. 

Seit den Untersuchungen von Setschenow (1863) haben sich viele 
Autoren bemüht, die Hemmung als selbständige Funktion bestimmter 
Zentralteile hinzustellen. Setschenow hing Frösche an der Schnauze 
auf und tauchte eine Pfote in verdünnte Schwefelsäure. Es wurde 
dann die Zeit gemessen, welche vergeht bis die Pfote aus der Säure 
herausgezogen wird (Türksche Methode). Nach Abtragung der Vorder- 
teile des Gehirns (besonders der Sehhügel) fand er die Zeit kürzer als 
bei normalen Tieren, andrerseits wurde sie verlängert, wenn die Seh- 
hügel elektrisch oder chemisch gereizt wurden. Hieraus zog er den 
Schluß, daß im den vorderen Hirnteilen besondere Hemmungszentren 
gelegen seien. Ähnliche Untersuchungen stellte er später (1865) in 
Gemeinschaft mit Paschutin an. Eine reflexhemmende Funktion sollte 
danach nur dem Gehirn, aber nicht dem Rückenmark zukommen. 
Dieser Lehre wurde besonders von Schiffs Schüler Herzen (1864) ent- 
segengetreten. Eine Verkürzung der Reaktion auf Säure, überhaupt 
eine Steigerung der Reflexerregbarkeit, soll immer dann eintreten, 
wenn die Masse der grauen Substanz verkleinert wird (Schiff, 1859), 
gleichgültig, ob vom vorderen oder hinteren Ende des Nervensystems 
Substanz fortgenommen wird. (Leider sind diese hochinteressanten 
Versuche in neuerer Zeit nicht wieder aufgenommen worden.) Eine 
Hemmung von Reflexvorgängen soll ebensogut durch Reizung des 
Rückenmarks oder peripheren Nerven hervorgerufen werden können 
wie durch Reizung der Sehhügel; kurz: die vorderen Teile des Nerven- 
systems hätten, was die Hemmungsvorgänge anbetrifft, nichts Wesent- 
liches vor den übrigen voraus. 

Wenn, wie oben gezeigt wurde, am unverstümmelten Tier um so 
leichter eine Reflexhemmung zu erzielen ist, je ausgedehnter die ge- 
reizten Partien sind, dann hat es nichts Merkwürdiges an sich, daß 
gleiche Effekte durch Reizung von Zentralteilen zu erzielen sind, weil 
ja hier an den meisten Stellen ein Zusammenfluß sehr vieler 
peripherer Bahnen stattfindet. Man reizt hier an einer scheinbar 
zirkumskripten Stelle Fasern, welche an der Peripherie einem großen 
Verbreitungsgebiet und oft vielen weit auseinandergelegenen Haut- 
stellen entsprechen. Am meisten Fasern, welche weit auseinander- 
gelegenen Stellen der Peripherie entsprechen, wird man natürlich auf 
kleinstem Raum an den Stellen des Zentralnervensystems reizen, WO 
allgemeine Sammelstellen sind, also bei Wirbeltieren im Großhirn und 
Mittelhirn, bei Arthropoden in den Globuli u. s. w. Bei dieser Sach- 
lage ist es eigentlich sogar verwunderlich, daß es in diesen Gegenden 
Stellen gibt, deren künstliche Reizung (die ja nie lokal sein kann) zu 
positiven Erfolgen führt (motorische Zonen). 


Die Hemmung. 379 


Daß es im Sinne von Setschenow hemmende Zentren gibt, ist 
wohl allgemein aufgegeben. Wohl allgemein hegt man jetzt die An- 
sicht, daß alle physiologischen Hemmungen auf äußeren Reizen be- 
ruhen, grade so wie sämtliche Bewegungserscheinungen dieses Ur- 
sprunges und nie wirklich spontan sind (siehe Biekel, 1896). Insofern 
wird man aber noch immer von Hemmungszentren sprechen können, 
als gewisse Zentralteile höherer Tiere zu rezeptorischen Nerven, von 
denen besonders leicht hemmende Einflüsse ausgehen, in näherer Be- 
ziehung stehen. In diesem Sinne kann das Großhirn und das Mittel- 
hirn der Wirbeltiere, das Cerebralganglion der Arthropoden und Mollusken 
als Hemmungszentrum angesehen werden. Nach Fortnahme des Groß- 
hirns sind bei Fröschen (Goltz, 1869, Schrader, 1887), Tauben 
(Schrader, 1889) und Hunden (Goltz, 1892) alle Reflexe sehr viel 
leichter und prompter auszulösen, bei manchen dieser Tiere stellt sich 
auch ein fast andauernder Bewegungstrieb ein. Dasselbe ist nach 
Fortnahme des Cerebralganglions bei Mollusken (Cephalopoden, v. Uex- 
küll, 1595, Aplysia, Jordan, 1901, ich) und bei Arthropoden (Bethe, 
1597) zu konstatieren. Ein Hauptanteil an den durch diese Vorderteile 
des Zentralnervensystems vermittelten Hemmungserscheinungen ist Er- 
regungen zuzuschreiben, welche dauernd vom Auge aus zum Nerven- 
system gelangen. Sa konnten Langendorff (1877) und Merzbacher 
(1900) nachweisen, daß beim Frosch Fortnahme der Augen ganz ähn- 
liche Erscheinungen hervorruft wie Fortnahme des Großhirns und ich 
konnte zeigen (1897), daß bei Arthropoden die Blendung häufig von 
einer großen Unruhe und Erhöhung der Reflexerregbarkeit gefolgt wird.') 

Von den vielen Erklärungen, welche die Hemmungserscheinungen 
gefunden haben, hat diejenige von Munk und Schlösser (1580), daß 
nämlich die Hemmung auf Kontraktion der Antagonisten beruhe, den 


1) Eine große Anzahl von Tatsachen, welche ein mehr spezielles Interesse 
haben, will ich hier übergehen. Kurz erwähnt mögen noch folgende Beispiele 
werden: Bubnoff und Heidenhain (1881) ließen nach Freilegung der motorischen 
Zonen den Extensor digitorum communis von Hunden seine Bewegungen auf- 
schreiben. Auf Streichen der Pfote oder auf Rindenreizung trat häufig eine 
Kontraktur des Muskels ein. Diese konnte durch leichtes Streichen der Pfote 
oder durch schwache Tetanisation der motorischen Zone aufgehoben werden. 
Brown-Sequard (1884) konnte durch Reizung nicht motorischer Rindenfelder bei 
Hunden und Kaninchen die Reizbarkeit der motorischen Zonen für mehrere 
Minuten aufheben; er glaubt es hier auch mit einer Hemmung zu tun zu haben. 
Libertini (1895) maß die Reflexzeit eines isolierten Muskels vom Hunde (auf 
Pfotenreiz) vor und nach Exstirpation der motorischen Zonen. Im letzteren Fall 
fand er sie verkürzt und schloß daraus, daß vom Großhirn aus eine dauernde 
Hemmung auf die Muskulatur ausgeübt würde. Der hemmende Einfluß auf die 
vordere Extremität ist stärker als auf die hintere, weil bei dieser die Verkürzung 
der Reflexzeit nach der Gehirnoperation weniger ausgesprochen ist. 


380 Die Hemmung. 


Vorzug der Einfachheit. Es sprechen aber zu viele Gründe gegen 
sie, als daß sie noch ernstlich in Erwägung gezogen werden könnte. 
Schlösser stützt sich unter anderm auf folgendes Experiment: Schneidet 
man einem Quakfrosch den Unterkiefer ab, so sieht man, daß bei 
jedem Quaken die Stimmritze vorgestreckt wird. Hemmt man nun 
den Quakreflex durch eine Beinligatur, so wird der Kehlkopf stark 
zurückgezogen und durch diese Innervation der Antagonisten wird 
der Reflex nach Schlösser gehemmt. Eine genauere Untersuchung 
zeigt aber, daß das Zurückziehen des Kehlkopfs nicht von Dauer ist, 
daß aber trotzdem der Reflex ausbleibt. Außerdem ist beim Quaken 
die enorme Anspannung der Bauchpresse viel wesentlicher als die 
Stellung des Kehlkopfs; die Bauchpresse hat aber gar keine Anta- 
sonisten und man überzeugt sich leicht, daß bei gehemmtem Quak- 
reflex auch nicht die mindeste Kontraktion in der Bauchmuskulatur 
eintritt. Auf solehe Hemmungen, welche an Muskeln zur Beobachtung 
kommen, die keine Antagonisten haben, hat bereits Heidenhain (1881) 
gegen die Munk -Schlössersche Auffassung aufmerksam gemacht. Diese 
Beobachtungen und Beobachtungen an isolierten Muskeln, wie sie von 
ihm selber und später von Sherington und Hering (siehe oben S. 377) 
ausgeführt sind, entziehen jener Auffassung der Hemmungsvorgänge 
den Boden und zeigen, wie Heidenhain sagt, zum mindesten, daß sie 
keine allgemeine Gültigkeit haben kann. 

Offenbar handelt es sich also bei der Hemmung darum, daß ent- 
weder bereits bestehende Kontraktionen aufgehoben werden oder das 
Inaktiontreten von Muskeln verhindert wird. Über das Wie dieser 
Verhinderung resp. Aufhebung können die Ansichten immer noch sehr 
auseinandergehen. Verworn (1900) läßt hier drei Möglichkeiten zu 
(vielleicht wären noch mehr vorhanden): 1. Der motorische Impuls 
wird zum Aufhören gebracht resp. am Eintreten verhindert (das von 
ihm hier unnötigerweise angewandte Wort „Ganglienzelle“ lasse ich 
fort). 2. Es gibt besondere Hemmungsfasern, welche nur die Funktion 
haben, wenn sie erregt werden, die Kontraktion eines Muskels auf- 
zuheben oder am Eintritt zu verhindern. 3. Es gibt keine besonderen 
Hemmungsfasern, aber die gewöhnlichen motorischen Fasern können 
einen, dem Erregungsprozeß entgegengesetzten Vorgang zum Muskel 
hinleiten, welcher Erschlaffung oder Inaktivität hervorruft. Dieser Vor- 
sang wird durch irgend welche besonderen Prozesse im Zentralnerven- 
system (es braucht nicht gleich wieder die Vorderhornzelle zu sein) 
hervorgerufen. 

Verworn glaubt, daß es keine Schwierigkeiten haben könne, 
experimentell zwischen Möglichkeit 1. einerseits und Möglichkeit 2. und 
3. andrerseits eine endgültige Entscheidung zu treffen. Wenn nämlich 
die Hemmung in einem aktiven zum Muskel geleiteten Prozeß be- 


Die Hemmung. 381 


stände, wie es 2. und 3. annehmen, so müßte nach seiner Ansicht 
die Zuckungskurve eines Muskels, der direkt vom Nerven aus von 
Zeit zu Zeit mit einem Induktionsschlag von stets gleicher und sub- 
maximaler Stärke gereizt wird, niedriger werden, wenn zugleich ein 
hemmender Reiz einwirkt. Dieses Experiment müßte allerdings eine 
sichere Entscheidung bringen, wenn der schreibende Muskel nur den 
Reiz empfinge, der von Zeit zu Zeit willkürlich vom Experimentator 
am Nerven angesetzt wird. Nun hängt aber der Muskel durch seinen 
Nerven mit dem Zentralorgan zusammen, welches ja den eventuellen 
hemmenden Vorgang dem Muskel vermitteln soll. Von hier aus kann 
der Muskel ebenfalls Erregungen bekommen, und daß ihm in der Regel 
dauernd solche zufließen, beweist die Tatsache des Muskeltonus. Wenn 
diese Dauererregungen auf hemmende Reize hin eine Verminderung 
erfahren, so muß zum mindesten die Abszissenachse absinken; man 
könnte sich aber auch vorstellen, daß die Zuckungshöhe an sich eine 
Verkleinerung erfährt, denn ein einfaches Subtraktionsexempel braucht 
nicht vorzuliegen. 

Noch andre Erscheinungen sprechen dafür, daß die Einflüsse, 
welche auf den Muskel einwirken, wenn er noch mit dem Zentral- 
nervensystem in Zusammenhang steht, nicht so ganz einfach sind. 
Harleß gab im Jahre 1860 an, daß die direkte Erregbarkeit des 
Froschischiadieus erhöht würde, d.h. daß man schon bei größeren 
Rollenabständen als normal Zuckungen der Muskeln erhält, wenn die 
hinteren Wurzeln durchschnitten sind. (In einem Fall z. B. fand er 
die Reizschwelle des Ischiadieus vor der Wurzeldurchschneidung bei 
105 em Rollenabstand, nach der Durchschneidung bei 152 em.) Ähn- 
liche Resultate erzielte Marcacci (1882). Zu dem grade entgegen- 
gesetzten Ergebnis führten Untersuchungen von Cyon (1865). Er fand 
die Erregbarkeit der vorderen Wurzeln beim Frosch nach Durch- 
schneidung der hinteren Wurzeln stets wesentlich herabgesetzt. Durch 
Guttmann (1867) wurden diese Angaben bestätigt, während v. Bezold 
und Uspensky (1867) und G. Heidenhain (1871) eine Herabsetzung 
der Erregbarkeit leugneten oder sie, wenn vorhanden, auf Anämie 
zurückführten. Letzterer Einwand scheint genügend widerlegt und die 
Negativität der Versuche dieser Autoren, welche keine Herabsetzung 
der Erregbarkeit ergaben, ist wohl zum Teil darauf zurückzuführen, 
daß sie das Versuchsverfahren Cyons nicht einhielten. In neuerer 
Zeit ist die Frage durch italienische Autoren wieder aufgenommen 
und besonders durch Belmondo und Oddi (1890) im Sinne Uyons 
beantwortet worden. Diese Autoren glauben auch den Grund dafür 
gefunden zu haben, weswegen Harleß und Marcacei eine Erhöhung 
der direkten Erregbarkeit fanden. Unterbrachen sie (bei Hunden) die 
Leitungsfähigkeit der hinteren Wurzeln durch Bepinseln mit Cocain- 


382 Die Hemmung. 


lösung, so fanden sie stets eine wesentliche Herabsetzung der Erreg- 
barkeit der vorderen Wurzeln; ebenso bei Durchschneidung derselben 
mit scharfem Instrument. Bei quetschender Durchtrennung trat dagegen, 
besonders im Anfang, eine Steigerung der Erregbarkeit ein. Dieselbe 
Steigerung konnten sie durch schwache, an sich erfolglose Tetanisation 
hinterer Wurzeln erzielen. 

Wenngleich diese neueren Untersuchungen in technischer Be- 
ziehung nicht ganz einwandsfrei sind, so scheint mir doch, den be- 
legenden Kurven nach zu urteilen, etwas an der Sache dran zu sein 
und ich möchte sie nicht so kurzer Hand beiseite schieben und un- 
beachtet lassen, wie dies von Seite mancher Autoren geschehen ist, 
die der Meinung sind, daß man nur in Deutschland und England 
physiologisch zu arbeiten verstehe. Jedenfalls ist eine neue Nach- 
prüfung am Platz und solange ein Beweis für die Unrichtigkeit nieht 
erbracht ist, müssen die positiven Angaben in Erwägung gezogen 
werden. 

Möglicherweise kommt es bei diesen Erregbarkeitsveränderungen 
auf dasselbe hinaus, was schon oben unter Tonus abgehandelt wurde. 
Jedenfalls scheinen von der Peripherie dauernd Reize zum Zentral- 
nervensystem und von hier zu den Muskeln zu gelangen, welche 
zum Teil den Tonus bewirken. Es bleibt dann aber, wenn ich 
Cyon und die Italiener recht verstehe, noch Erregung übrig, welche 
zu keiner weiteren Verkürzung des Muskels führt, welche sich aber 


bei stärkeren Reizen — und auch solehen, die den Nerven direkt 
treffen — zu diesem addiert. Fehlt diese Dauerregung, wie dies 


nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln der Fall ist, so müssen 
stärkere Reize auf den Nerven direkt einwirken, um 
dieselbe Wirkung zu erzielen, wie vorher. Da bei Vor- 
handensein der hinteren Wurzeln noch Überschuß von Erregung be- 
steht, so muß ihre Ausschaltung nicht nur in einem Absinken des 
Tonus sich bemerkbar machen, sondern auch in einer Verkleinerung oder 
in einem direkten Ausbleiben der Zuckungen, welche vorher auf grade 
ausreichende Reize eintraten. 

Die Richtigkeit der beschriebenen Beobachtungen vorausgesetzt, 
kann — theoretisch betrachtet — die durch direkte Erregung des 
Muskelnerven bei bestimmter nicht zu starker Reizung hervorgerufene 
Zuekung bei gleichzeitiger Einwirkung eines hemmenden Reizes ver- 
kleinert werden oder ganz verschwinden, ohne daß die Hemmung 
in einem aktiven zum Muskel geleiteten Prozeß besteht; 
denn es ist ja die Möglichkeit vorhanden, daß der hemmende Reiz 
die dauernd zum Muskel gelangenden, aber schwachen „dynamogenen“ 
Reize (ein Ausdruck, der, soweit mir bekannt, von Brown -Sequard 
[1884] herstammt) aufhebt. Der nach Verworns Meinung entscheidende 


—® nz une 


Die Hemmung. 383 


Versuch kann also unter Umständen ein zweifelhaftes Resultat er- 
geben. 

Versuche dieser Art wurden zuerst von Oddi (1895) am Hunde 
angestellt. Die zu dem einen präparierten Gastroenemius (welcher 
seine Zuckungen aufzeichnete) gehörige vordere Wnrzel wurde frei- 
gelegt, mit Elektroden armiert und (mit Hilfe eines Metronoms) in 
gleichen Abständen mit grade gut wirksamen Induktionsschlägen ge- 
reizt. Hierauf wurde eine bestimmte Stelle des Großhirns aufgesucht 
und faradisch gereizt. Während der Großhirnreizung wurden die 
durch den direkten Nervenreiz erzeugten Muskelkurven ganz klein und 
hörten in manchen Fällen sogar ganz auf. Tonusfall trat bisweilen 
ein, aber nicht beständig. Nach Aufhören der Großhirnreizung dauerte 
die Depression einige Sekunden an; dann kehrte die anfängliche 
Kurvenhöhe (resp. die alte Nervenerregbarkeit) wieder. Noch deut- 
lichere Depressionen mit starkem Tonusabfall und vollkommenem Ver- 
schwinden der Zuckungskurven konnten bei schwacher Tetanisation 
des Rückenmarksquerschnitts erzielt werden. Weitere derartige Ex- 
perimente wurden von Oddi im Jahre 1898 und von Polimanti 1895 
veröffentlicht. 

Manelli (1896) vermied die Bloßlegung des Rückenmarks und 
reizte sonst in derselben Weise den einen Ischiadieus, dessen Gastroc- 
nemius schrieb. Bei faradischer Reizung des andern Ischiadieus 
wurden die direkt erzeugten Zuckungen sehr viel kleiner, häufig sank 
auch der Tonus sehr stark ab. Die depressive Wirkung trat nicht 
sofort ein (was auch Oddi hervorhebt) und überdauerte die Faradi- 
sation des andern Ischiadieus oft viele Sekunden. Um während der 
Depression die gleichen Zuckungen wie vorher und nachher zu er- 
zielen, mußten die Rollen oft um mehrere Zentimeter einander ge- 
nähert werden (Katze).') 

1898 hat dann Starke, ohne die Untersuchungen der italienischen 
Autoren zu kennen, in einer vorläufigen Mitteilung angegeben, daß 
die direkt vom Ischiadieus ausgelösten Zuckungen beim Frosch eine 
Erniedrigung erfahren, wenn das Großhirn gereizt wird. An diese 


Publikation knüpfte Verworn (1900) an — auch er erwähnt die oben 
genannten Autoren nieht — und stellte die oben präzisierten Möglich- 
keiten auf. f 


4) Patrizi (1896) reizte rhythmisch die Nervi phreniei und zeichnete die 
Zwerchfellbewegungen auf. Wurde gleichzeitig der zentrale Vagusstumpf gereizt, 
so wurden die Zwerchfellbewegungen kleiner oder hörten auf. Inzwischen hat 
Hering (1902) gezeigt, daß diese Wirkung auf Innervation von Antagonisten be- 
ruht. Dadurch wird zwar dieser Spezialfall von der Diskussion ausgeschlossen, 
den Versuchen Oddis, Manellis u. s. w. aber kein Abbruch getan, da ja bei ihren 
Experimenten eine Einwirkung von Antogonisten ausgeschlossen war. 


3834 Die Hemmung. 


Verworn suchte sich in seinen eignen Versuchen vor allem vor 
Verschiebung des Ischiadieus auf den Elektroden zu schützen und 
zwar dadurch, daß er den schreibenden Muskel nur noch durch den 
Nerven mit dem übrigen Körper in Verbindung ließ. Er führte seine 
Versuche an Fröschen und Hunden aus. Als hemmenden Reiz be- 
nutzte er Rückenmarksdurchscheidung, Reizung des andern Ischiadieus 
(Nothnagel) und bei Hunden Kneifen des Antagonisten. Im letzteren 
Fall bekam er Absinken des Tonus, aber keine Verkleinerung der 
Zuekungen, bei den Fröschen ergab sich überhaupt keine Veränderung, 
auch kein Tonusabfall. 

Verworn zieht aus diesen negativen Versuchen den Schluß, daß 
bei der Hemmung keine aktiven Prozesse zum Muskel hingeleitet 
werden und schiebt die Resultate Starkes auf unzweckmäßige Ver- 
suchsanordnung, speziell auf Verschiebung des Nerven auf den Elek- 
troden, wodurch ja, wie jeder weiß, sehr leicht Änderungen in der An- 
spruchsfähigkeit entstehen können. 

Durch diese Untersuchungen Verworns scheinen mir die positiven 


Resultate der italienischen Autoren — gegen die er sich allerdings 
gar nicht wendet — nicht aufgehoben; die Frage scheint mir viel- 


mehr einer weiteren Bearbeitung zu bedürfen. Die Resultate der 
italienischen Forscher würden sich ohne Annahme besonderer hem- 
mender Fasern oder den dynamogenen entgegengesetzter Prozesse in 
den gewöhnlichen motorischen Fasern leicht dadurch erklären lassen, 
daß andauernd dynamogene Reize zum Muskel gelangen, welche sich 
zu einem Teil (aber eben nur zum Teil) im Muskeltonus äußern. 
Diese werden durch hemmende Reize aufgehoben (wie es ja für den 
Tonus sicher feststeht), so daß eine Verminderung der Anspruchs- 
fähigkeit des Nerven in Erscheinung tritt. 

Soweit sie sich darüber überhaupt auslassen, scheinen auch die 
italienischen Autoren dieser Deutung ihrer Versuche zuzuneigen. Daß 
sie aus ihren Versuchen auf besondere Hemmungsnervenfasern oder 
entgegengesetzte Prozesse in den motorischen Fasern schließen, habe 
ich nicht herauslesen können. Dieser Überschuß an latenten Reizen 
scheint nach ihren Versuchen außerordentlich leicht durch Hemmungen 
in seiner Wirkung beeinträchtigt zu werden. Nun ist aber schon jede 
Fesselung ein starker hemmender Reiz, der sich in ganz besonders 
hohem Maße bei Fröschen geltend macht. (Am ungehemmten Frosch 
kann man eigentlich nur experimentieren, wenn er ganz frei auf dem 
Tisch sitzt.) Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, 
daß in den Versuchen Verworns, wo durch die verschiedenartigsten 
Vorsichtsmaßregeln eine enorme Masse von hemmenden Reizen an- 
gesetzt wurde, das Resultat der italienischen Forscher nicht zum Aus- 
druck kam. 


Die Hemmung. 385 


Da Verworns Frösche noch einer weiteren Hemmung — zu der 
zweifellos bereits in starkem Maße vorhandenen — fähig waren und 


da hierbei eine Verkleinerung der Kurven nicht zu konstatieren war, 
so wird man in seinen Versuchen vielleicht einen Beweis dafür erblicken 
können, daß es beim Frosch aktive Hemmungsprozesse nicht gibt. Daß 
aber aktive Hemmungen bei anderen Tieren möglich sind, scheint aus 
Versuchen Biedermanns (1888 und 1895) mit Sicherheit hervorzugehen. 

Biedermann durchschnitt an Krebsscheren den Öffnungsmuskel. 
Befand sich nun der Schließmuskel in schwachem Tonus, so er- 
schlaffte er bei schwachen tetanischen Reizen des Scherennerven, um 
erst bei stärkeren tetanischen Reizen in Kontraktion zu geraten. Da 
die Nervenfasern sich im Krebsmuskel direkt zu den Muskelfasern 
begeben (ohne vorher Zentralteile zu passieren), so kann es sich hier 
nur darum handeln, daß dem Muskel zwei verschiedene Prozesse 
übermittelt werden. Ich halte es allerdings nicht, wie Biedermann es 
tut, für zwingend, daß im Scherennerven zwei verschiedene Faser- 
gattungen, motorische und hemmende, vorhanden sind. Man würde 
auch mit einer einzigen Fasergattung auskommen, wenn man die oben 
(S. 340) entwickelte Vorstellung annimmt, daß nämlich der Muskel 
auf die beiden vermutlich vorhandenen Phasen des Nervenerregungs- 
prozesses verschieden reagiert. 

Weniger klar als bei der Krebsschere liegen die Verhältnisse beim 
Muschelschließmuskel, wo Pawlow (1885) ein ähnliches Phänomen be- 
obachtete, beim starken Reflex der Seeigel (Uexküll, siehe S. 336) 
und bei den Muskeln von Aplysia, wo man ebenfalls bei Reizung der 
Nerven mit gut abgestuften Strömen Erschlaffung beobachten kann 
(S. 117). In allen diesen Fällen gehen die Nervenfasern nicht direkt 
in die Muskeln über, sondern es sind Ganglienzellen zwischengeschaltet, 
welchen im Notfall die hemmende Reizwirkung zugeschoben werden 
kann. — Wirkliche Hemmungsfasern, die direkt auf die Muskulatur 
einwirken, werden auch von allen denen, welche sich der Engelmann- 
Gaskelschen Hypothese angeschlossen haben, in den Vagusfasern des 
Herzens gesehen. Hier liegt aber der Fall nicht anders, wie bei See- 
igeln und Mollusken, denn es scheint mir kein Zweifel darüber zu 
bestehen, daß die Vagusfasern nicht direkt auf die Herzmuskulatur 
einwirken. 

Demnach wäre der Biedermannsche Befund an der 
Krebsschere der einzige Fall, wo eine direkt auf einen 
Muskel übertragene Nervenerregung hemmend wirkt. 
Wenn aber solch ein Fall existiert, so darf er nie aus dem Auge 
verloren werden. 

Trotzdem es nun wohl in manchen Fällen eine am Muskel selber 
angreifende Hemmung geben mag, so scheint es doch, daß die große 


Bethe, Nervensystem. 25 


386 Die Hemmung. 


Menge der Hemmungserscheinungen, wie sie oben besprochen wurden, 
auf diesem Wege ihre Erklärung nicht finden kann. Es ist vielmehr 
anzunehmen, daß bei den meisten Hemmungen (der Wirbeltiere) über- 
haupt kein aktiver Prozeß bis zum Muskel geleitet wird, sondern daß 
die Hemmung sich intrazentral abspielt. Sie würde also darin be- 
stehen, daß innerhalb der Zentralteile die Fortleitung von dynamogenen 
Reizen zu den Muskeln verhindert wird, also in etwas rein Negativem. 
Es gehört zu den Verdiensten Goltz’ (1869), diese Vorstellung zum 
erstenmal klar gefaßt und ausgesprochen zu haben. Goltz stellte sich 
die Sache so vor, daß zur Auslösung eines bestimmten Reflexes der 
Reiz von bestimmten Punkten ausgehend den Muskel auf einem be- 
stimmten Wege erreicht. Wirkt gleichzeitig ein hemmender Reiz an 
einer andern Stelle ein, so kreuzt er den Weg des reflexauslösenden 
Reizes und verhindert ihn, seinen Weg fortzusetzen. Hemmender 
und reflexauslösender Reiz würden sich also aufheben, 
indem sie gewissermaßen gegeneinander anrennen. Als 
Punkt, wo dieses gegenseitige sich Aufheben statthat, stellte sich Goltz 
die Ganglienzelle vor, aber nur, wie deutlich aus seinen Worten her- 
vorgeht, in Ermangelung einer besseren anatomischen Grundlage. 

Diese Vorstellung hat sich als sehr fruchtbar erwiesen und ist 
mit einigen Erweiterungen zu ziemlich allgemeiner Anerkennung ge- 
langt. Zu diesen Erweiterungen gehört vor allem der von Bubnoff 
und Heidenhain (1881) und dann von Brown -Sequard (1881) auf- 
gestellte Satz, daß die Hemmung immer am ehesten an den 
Muskeln zum Ausdruck kommt, welehe im Stadium der 
Verkürzung sind, während ruhende Muskeln auf den 
gleichen Reiz hin zur dynamogenen Tätigkeit neigen. 

Die Ganglienzelle als spezifisches Organ scheint mir auch hier 
entbehrlich zu sein, und ich glaube, man kann damit auskommen, 
daß die gegenseitige Aufhebung der Reize im Fibrillengitter zustande 
kommt. Sicherlich hat aber die Goltzsche Vorstellung, daß die Hem- 
mung in allen Zentralteilen zustande kommen kann und zur Er- 
klärung keiner spezifischer Zentren bedarf, sehr viel 
für sich. Mir scheint dies aus einer gelegentlichen Beobachtung hervor- 
zugehen, welche ich an Medusen, also bei Tieren mit einfachst ent- 
wickeltem Nervennetz, zu machen Gelegenheit hatte. 

Wie schon erwähnt (S. 110), machte Nagel die Beobachtung, daß 
Carmarina mit dem Magenstiel nach einer berührten Stelle der Sub- 
umbrella hinfährt und bei schnell nacheinander erfolgender Berührung 
zweier Punkte erst nach dem einen und dann nach dem zweiten. 
Setzt man beide Reize gleichzeitig an gegenüber liegenden Stellen an, 
so schlägt der Magenstiel nach der Stelle der intensiveren Reizung, 
aber immer mit geringerer Intensität, als es der Fall sein würde, 


Die Hemmung. 387 


wenn der eine Reiz allein eingewirkt hätte. Sind beide Reize gleich 
stark, was schwer zu erreichen ist, so findet gar keine Bewegung 
statt. Besser gelingt dies zu zeigen, wenn man mit einem ringförmig 
gebogenen Draht die Subumbrella berührt, wobei alle berührten Stellen 
ungefähr gleichweit von dem zentral gelegenen Magenstiel entfernt 
sein müssen. Ist die Berührung gut ausgeführt, so findet nur eine 
Kontraktion der Glocke statt; der Magenstiel bleibt aber 
ganz ruhig und, wie mir scheint, schlaff, so daß der Bewegungs- 
ausfall also nicht durch gleichzeitige Anspannung aller Magenstiel- 
muskeln erklärt werden kann. Da Hemmungszentren bei diesen Tieren 
schwerlich anzunehmen sind, so bleibt nur die Erklärung, daß sich 
die von allen Seiten radialwärts ausbreitenden Reize tatsächlich gegen- 
seitig aufheben. Eine Hemmung ist, wie noch erwähnt sein möge, 
nie zu erzielen, wenn gleichzeitig mehrere Punkte einer Seite erregt 
werden; der Magenstiel schlägt dann immer mit uneingeschränkter 
Kraft in der Richtung der Resultante. Es ist also hier Erfordernis, 
daß die Reize, um sich gegenseitig aufzuheben, von möglichst ent- 
gegengesetzten Punkten ausgehen. 

Über die Art und Weise, wie sich die Reize untereinander auf- 
heben, liegen bisher nur Vermutungen vor. Man hat versucht, sie als 
einfache Interferenzerscheinung hinzustellen und analoge Befunde an 
Nerven zu erheben. Es soll hier auf die betreffenden Versuche nur 
kurz hingewiesen werden, denn es ist zur Zeit noch ungewiß, ob es 
am Nerven eine wirkliche Interferenz der Reize gibt (Oddi, 1898, 
Kaiser, 1891, Fuld, 1900), oder ob die Erscheinungen, welche zur 
Beobachtung gelangen, auf andre Weise zu erklären sind (Amaya, 
1902, Amaya und Hoffmann, 1902, Boruttau, 1902). 


157 
1 
E43 


ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL. 


Die rhythmischen Bewegungen. 


Die Atemrhythmik 8. 393—408. — Bei Fischen bewirkt Kohlensäurevergiftung 
keine Dyspnoe S. 395. — Der Rhythmus ist hier von der Gasspannung des Blutes 
unabhängig S. 395. — Durch Lähmung der Nervenendigungen in der Mund- und 
Rachenschleimhaut mittels Cocain läßt sich die Atmung ganz zum Stillstand 
bringen S. 401—403. — Die Atmung der Fische ist ein peripher ausgelöster 
Reflex S. 403. — Reizsummation und Refraktärstadium der Zentralteile in 
ihren Beziehungen zu den rhythmischen Bewegungen S. 405—408. — Die rhyth- 
mischen Bewegungen des Wirbeltierherzens und der Medusen S. 408—456. — 
Der normale Rhythmus und seine Abhängigkeit von besonderen Teilen S. 408 
bis 410. — Die Reaktionen des sinuslosen Herzens und der randkörperfreien 
Meduse auf künstliche Reize S. 410—423. — Treppe und „Alles oder Nichts-Gesetz“ 
S. 411. — Rhythmische Kontraktion des sinuslosen Herzens und der randkörper- 
losen Meduse auf kontinuierliche Reize S. 413—422. — Refraktäres Stadium, 
Extrasystole und kompensatorische Ruhe (bei Herz und Meduse) S. 423—427. — 
Die Störung der Synchronität beim Auftreten einer Extrasystole S, 427—432. — 
Die Reizleitung im Herzen und in der Meduse S. 432—448. — Die Schnelligkeit der 
Kontraktionswelle im Hundeherzen S. 448. — Dasselbe im Medusenkörper S. 439 
bis 442. — Beweise dafür, daß die Leitung im Herzen nervös ist S. 442—446. — 
Die Koordination der Herz- und Medusenbewegungen 8. 448—450. — Über die 
Natur des Refraktärstadiums S. 451. — Ursachen und Wesen der rhythmischen 
Bewegungen des Herzens und der Medusen S. 452—456. 


Mit einem großen Teil der rhythmischen Bewegungen ist seit 
langem der Begriff der Automatie fest verbunden. Sie sollten auto- 
matisch sein, weil man keine hinreichende Ursache in der äußeren 
Umgebung entdecken konnte. So wurden die rhythmischen Be- 
wegungen bei der Atmung, die Bewegungen der Blut- und Lymph- 
herzen, die rhythmischen Kontraktionen der Medusen und andre der- 
artige Bewegungserscheinungen für automatisch angesehen und werden 
es zum Teil auch noch heute. Bekanntlich ist das Vorkommen rhyth- 
mischer Bewegungen ebensowenig auf die mit Nervensystem begabten 
Tiere beschränkt, wie das Vermögen überhaupt mit Bewegungen auf 
Zustandsveränderungen zu reagieren; es braucht nur auf die rhyth- 
mischen Bewegungen der Blätter mancher Pflanzen (Oxalis u. a.) und 
an die rhythmischen Kontraktionen gewisser Vacuolen von Infusorien, 
Amöben und einzelligen Pflanzen erinnert zu werden. 

Noch am Anfang des vorigen Jahrhunderts glaubte man es hier 
mit ganz rätselhaften Eigenschaften der lebenden Organismen zu tun 
zu haben, hauptsächlich aus dem Grund, weil man sich nicht vor- 
stellen konnte, wie ohne rhythmische Ursachen rhythmische Wirkungen 
zustande kommen könnten. Später hat man sich dann erinnert, daß 


Die rhythmischen Bewegungen. 389 


auch bei manchen längst bekannten Erscheinungen in der unbelebten 
Natur das Gleiche der Fall ist: Der gleichmäßig über die Getreidefelder 
dahinstreichende Wind versetzt sie in rhythmisch wellenförmige Be- 
wegung. — In dünnem Strahl kontinuierlich aus einer Öffnung aus- 
fließendes Wasser ballt sich zu rhythmisch fallenden Tropfen zusammen, 
weil das Wasser erst abfallen kann, wenn seine Masse größer ist als 
die Oberflächenspannung an der Ausflußöffnung. — Von den vielen 
Beispielen, welche noch angeführt worden sind, sei nur noch ein sehr 
hübsches Experiment erwähnt, das von Quinke (1888) angegeben ist: 
In einem mit Wasser gefüllten Gefäß ist eine horizontale Glasplatte 
angebracht; unter dieser befindet sich eine Luftblase. Von unten her 
steigt ein dünner, auf die Blase gerichteter Alkoholstrahl im Wasser 
auf. Dadurch, daß der Alkohol die Oberflächenspannung an der 
Blasengrenze vermindert, wird die Blase flacher; Wirbelbewegungen 
verhindern auf kurze Zeit den weiteren Zufluß, während welcher Zeit 
die Blase wieder ihre ursprüngliche Gestalt annimmt, und dann beginnt 
das Spiel von neuem. Auf die Weise kann ein sehr regelmäßiges 
Pulsieren der Luftblase hervorgerufen werden. 

Der Vergleich mit derartigen Erscheinungen hat es nahegelest, 
daß auch die Ursache rhythmischer Bewegungen bei Organismen kon- 
tinuierlicher Natur sei oder wenigstens sein kann. Daß eventuell auch 
rhythmische Ursachen vorhanden sein können, ist nicht ausgeschlossen, 
nur muß man sie nicht gleich außerhalb des Organismus suchen. Be- 
steht doch immer die Möglichkeit, daß bei einmal eingeleiteter Be- 
wegung jede Kontraktion den Reiz zur nächstfolgenden abgibt. In den 
meisten Fällen haben sich zwar Erklärungsversuche dieser Art als un- 
haltbar erwiesen, wenn auch immer wieder auf sie zurückgegriffen wird; 
in andern Fällen, so bei der Erklärung des Atemrhythmus, haben sie 
sich aber bis zu einem gewissen Grade aussichtsvoll gezeigt. Auch 
bei den rhythmischen Progressivbewegungen aller mit Beinen, Flügeln, 
Ruderschwänzen u. s. w. begabten Tiere wird wohl allgemein jede 
Einzelbewegung zugleich als ein Teil der Veranlassung zur nächsten 
Bewegung angesehen, während dem auslösenden Reiz (z. B. bei der ins 
Lieht fliegenden Motte das Licht), in der Hauptsache die Rolle zu- 
gesprochen wird, die ganze Maschinerie in Gang zu setzen. Ab- 
geschlossen ist diese Frage allerdings nicht, da nach Durchschneidung 
der hinteren Wurzeln bei Wirbeltieren die Rhythmizität der Progressiv- 
bewegungen wohl geschädigt aber nicht aufgehoben wird. Danach 
möchte es scheinen, als ob der immer wieder rhythmisch an der Peri- 
pherie erzeugte Reiz mehr die Rolle einer Korrektur als die der wirk- 
lichen Ursache der Rhythmizität spielt und daß die eigentliche Ursache 
in uns noch unbekannten Verhältnissen oder in dem kontinuierlichen, 
auslösenden Reiz besteht. 


390 Die rhythmischen Bewegungen. 


Wenn man die Erscheinungen im Gebiet der unbelebten Natur, 
bei denen rhythmische Wirkungen auf kontinuierliche Ursachen hin 
entstehen, untereinander vergleicht, so kommt man zu dem Resultat, 
daß die Rhythmizität auf sehr verschiedene Weise zustande kommen 
kann. Auch in den belebten Wesen liegt die Möglichkeit hierfür vor: 
1. Die kontinuierliche Ursache kann eine äußere und eine innere sein. 
2. Die Stelle, an der die kontinuierliche Ursache den Rhythmus an- 
nimmt, kann bei Tieren mit ausgebildeter reizleitender Substanz 
in dieser selbst, aber auch in der effektorischen Substanz, speziell 
der kontraktilen Substanz gelegen sein. 

Wie schon besprochen, kommen sicherlich bei Lebewesen, die 
eines Nervensystems (aber vielleicht nicht besonderer leitender Struk- 
turen) entbehren, rhythmische Bewegungen vor. In neuerer Zeit mehren 
sich nun die Angaben, daß die Fähigkeit rhythmische Kontraktionen 
auszuführen eine allgemeine Eigenschaft der kontraktilen Substanzen 
ist. Am längsten besteht diese Annahme wohl für die Muskulatur 
des Herzens, welche auf chemische Reize, auf Ausdehnung und Teta- 
nisation (je nach Stärke derselben, aber unabhängig von der Anzahl 
der Unterbrechungen) mit rhythmischen Bewegungen antwortet. Seit 
die refraktäre Phase des Herzens bekannt ist (Marey, 1876), auf der 
ja auch die Unfähigkeit der Herzmuskulatur beruht, unter normalen 
Verhältnissen in Tetanus zu geraten, hat diese Erscheinung an Rätsel- 
haftigkeit eingebüßt. Da man wenigstens gewisse Teile des Herzens, 
besonders die Herzspitze, für frei von Nervenfasern und Ganglienzellen 
hielt, so sah man die Rhythmizität (ebenso wie die Leitung von 
Element zu Element) als Qualität der Muskulatur an. Wie jetzt sicher 
steht, gibt es aber keinen Teil der Herzmuskulatur, der nervenfrei ist 
und, wie ich oben gezeigt habe, ist auch das Experiment, bei welchem 
die Nerven zur Degeneration gebracht werden sollen und bei dem 
sich die Leitungsfähigkeit und die Rhythmizität erhalten zeigte, nicht 
beweiskräftig, daß es sich hier um rein muskuläre Eigenschaften 
handelt (S. 109). Die Möglichkeit, daß die Nervenelemente im Herzen 
mit der Rhythmizität zu tun haben, bleibt also noch bestehen und ist 
später weiter zu diskutieren. Genau wie bei der Herzmuskulatur 
liegen die Verhältnisse bei der Muskulatur der Subumbrella der Me- 
dusen, auf die ich später ausführlicher eingehen werde. 

Nachdem bereits Richet (1882) auf rhythmische Erschlaffungen 
des Krebsmuskels während der Tetanisation ‘aufmerksam gemacht 
hatte, die mit der Periode des erregenden Reizes nichts zu tun haben, 
zeigte Schoenlein (1882), daß auch die Muskeln der Wasserkäfer bei 
Erregung mit frequenten Wechselströmen nieht immer in einen gleich- 
mäßigen Tetanus verfallen. Bei grade wirksamen Stromstärken treten 
entweder rhythmische Zuckungen oder rhythmisch unterbrochene Tetani 


Die rhythmischen Bewegungen. 391 


ein, und erst bei größerer Stromstärke kommt ein gleichmäßiger Tetanus 
zur Entwicklung. Da diese Muskeln wohl frei von Zentralteilen sein 
dürften, so wird man hier die Ursache der Rhythmizität in der Musku- 
latur selber suchen müssen. Das gleiche gilt von den rhythmischen 
Kontraktionen, welche unter anomalen Bedingungen an Skelettmuskeln 
von Wirbeltieren zur Beobachtung gelangen. Während normale Skelett- 
muskeln bei andauerndem Reiz stets in einen gleichmäßigen Tetanus 
verfallen, geraten sie in periodische Zuckungen oder Pulsationen, wenn 
man sie in gewisse Salzlösungen hineinlegt (Biedermann, 1880). Loeh 
(1899) ist es dann gelungen, diese rhythmischen Kontraktionen auf 
die Wirkung bestimmter Ionen (Na, Li, Cs u. s. w.) zurückzuführen. 
Von andren Ionen, besonders K und Ca, fand er, daß sie dem Auf- 
treten derartiger rhythmischer Kontraktionen entgegenwirken. — Auch 
hier dürfte wohl die Fähigkeit zu rhythmischer Aktion ohne weiteres 
der Muskulatur selber zugesprochen werden müssen, da durch gleiech- 
artige isolierte Behandlung der Muskelnerven ein ähnlicher Effekt bisher 
nicht erzielt ist. 

Weniger gesichert ist die myogene Natur der an glatter Musku- 
latur spontan und auf Reizung eintretenden rhythmischen Kontraktionen. 
Nur bei ganz wenigen der zur Untersuchung benutzten Präparate sind 
nervöse Zentralteile in der nächsten Nachbarschaft der glatten Muskel- 
fasern bisher nicht nachgewiesen; das sind der Retraetor penis vom 
Pferd, an welchem Sertoli spontane rhythmische Kontraktionen wahr- 
nahm, und der Retraktormuskel von Sipuneulus nudus, an dem Bottazzi 
die gleiche Erscheinung beobachtete. Ob sie wirklich frei davon sind, 
ist eine andre Frage. Dagegen enthalten die von vielen Autoren an- 
gewandten Präparate vom Darm, Magen und Ösophagus von Wirbeltieren, 
die von Straub (1900) benutzte Körperwandmuskulatur des Regenwurms, 
die von Bottazzi (1898, 1899) untersuchten Ambulakralfüße von See- 
sternen und der Ösophagus von Aplysia mehr oder weniger reich- 
liche nervöse Plexus. Grade das zuletzt genannte Organ, das Bottazzi 
für ganglienfrei hält, besitzt so reichliche Plexusbildungen mit ein- 
gestreuten Ganglienzellen, wie sie mir sonst nur beim Darm der Wirbel- 
tiere bekannt sind. » 

Ein Teil der Autoren, besonders Bottazzi und Straub halten es 
für gesichert, daß die beobachteten durch occulte Reize (‚spontan‘) 
und künstlich hervorgerufenen rhythmischen Kontraktionen nur von 
der glatten Muskulatur selber ausgehen, während P. Schultz (1897) 
dieselben für nervös vermittelt hält, weil sie auf Behandlung mit 
Atropin fortfallen. Obwohl in derartigen Vergiftungsversuchen kein 
sicherer Beweis gesehen werden kann, weil nie eine Schädigung der 
muskulösen Elemente ausgeschlossen ist, so muß man ihnen doch 
gegenüber den Versuchen der andern Autoren das Übergewicht zu- 


392 Die rhythmischen Bewegungen. 


erkennen, weil bei diesen das als Beweis angeführte Fehlen von 
Ganglienzellen meist nur eine willkürliche Annahme ist. Die Frage, 
ob die glatte Muskulatur an sich rhythmischer Kontraktionen fähig ist, 
wird also noch als offen bezeichnet werden müssen. (Siehe auch 
Biedermann, 1902.) 

Daß Pflanzen und Einzellige rhythmische Kontraktionen ohne 
Nervenelemente ausführen können, steht fest. Daß Skelettmuskeln 
der Wirbeltiere unter abnormen Bedingungen und einige Arthropoden- 
muskeln bei gewissen Reizstärken sich rhythmisch kKontrahieren 
können, ist ebenfalls gesichert. Fraglich ist es von den glatten Muskeln 
und den quergestreiften Elementen des Herzens und der Medusen. 
Demnach besteht allerdings die Möglichkeit, daß bei Tieren mit 
Nervensystem gewisse normalerweise vorkommende, rhythmische Be- 
wegungen ohne Vermittlung von Nervenelementen zustande kommen; 
ich sehe aber keinen Zwang, daß dies notwendigerweise oder auch 
nur „höchst wahrscheinlich“ der Fall ist. Was die rhythmischen Kon- 
traktionen anbetrifft, welche man künstlich bei Skelettmuskeln von 
Wirbeltieren und Arthropoden hervorgerufen hat, so sind dieselben 
für die Muskelphysiologie ja von großem Interesse, im Organismus 
wird aber diese Fähigkeit der betreffenden Muskeln schwerlich irgend 
eine Rolle spielen können, weil die notwendigen Bedingungen fehlen. 
Gesetzt den Fall, daß die glatte Muskulatur an sich rhythmischer 
Bewegungen fähig wäre, was ich im allgemeinen für höchst zweifel- 
haft halte, so würde ich doch dieser Fähigkeit innerhalb des Organis- 
mus kaum eine Rolle zusprechen können. Ich könnte mir nur denken, 
daß sie unter normalen Verhältnissen besonders bei den Tieren, deren 
Bewegungsmuskulatur glatt ist, überhaupt nicht zum Ausdruck 
kommt, denn sie würde bei dauerndem Bestehen jedes koordinierte 
Zusammenarbeiten verhindern oder eines besonderen Hemmungssystems 
bedürfen. Auch für die inneren Organe (Darm u. s. w.) würde ich 
sie für unwesentlich halten, weil die Erklärung der hier zu be- 
obachtenden Erscheinungen schwerlich ohne Zuhilfenahme des nun 
einmal überall in reicher Ausdehnung vorhandenen Nervenplexus 
möglich ist. 

Angängig scheint es mir nur dort zu sein, die rhythmische Fähig- 
keit der Muskeln als Erklärung für rhythmische Erscheinungen inner- 
halb des normalen Organismus heranzuziehen, wo es sich um einfachste 
Erscheinungen dieser Art handelt. Das ist z. B. bei den Pulsationen 
der ‚Chromatophoren der |Cephalopoden der Fall, welche Steinach 
(1901) einer genaueren Untersuchung unterwarf. Steinach suchte die 
myogene Natur dieser Pulsationen dadurch zu beweisen, daß er durch 
Abtrennung der Tentakeln vom Körper die Nerven zur Degeneration 
brachte. Er hielt alle Nervenelemente für tot, wenn eine Leitung im 


Die rhythmischen Bewegungen. 393 


Tentakel nicht mehr zu konstatieren war. War dies eingetreten, so 
pulsierten die Chromatophoren noch weiter. Ich kann allerdings in 
diesem Experiment keinen sicheren Ausschluß der Nervenelemente mehr 
sehen, seitdem ich weiß, daß die Zählebigkeit der Nervenelemente 
sehr verschieden groß ist. (Dasselbe habe ich auch gegen Straubs 
Degenerationsexperiment beim Regenwurm einzuwenden.) 

Auf die eventuelle Möglichkeit die Pulsationen des Herzens und 
der Medusen auf myogene Rhythmizität der Muskulatur zurückzuführen, 
werde ich an späterer Stelle eingehen. 

Ich will nun zunächst einen Fall von rhythmischer Tätigkeit 
besprechen, bei welchem es von vornherein ausgeschlossen erscheint, 
sie auf rhythmische Erscheinungen des Muskels zurückzuführen, und 
wo dies auch nie versucht worden ist, weil den betreffenden Muskeln 
unter normalen Verhältnissen keine rhythmischen Fähigkeiten inne- 
wohnen, nämlich die Atembewegungen der Wirbeltiere. 


Die Atemrhythmik. 


Bei allen höheren Wirbeltieren (Säugetiere, Vögel) hat man in 
dem Bedürfnis nach einem bestimmten Gasgehalt des Blutes die haupt- 
sächliche Ursache der Atembewegungen erkannt (Traube, Rosenthal, 
Kußmaul, Pflüger und viele andre). Ungünstige Beschaffenheit des 
Blutes (zu wenig O, zu viel CO, und wohl auch ein Gehalt an andern 
Stoffwechselprodukten des Körpers) erregen direkt diejenigen Teile 
des Zentralnervensystems, von welchen die Innervierung der Atem- 
muskeln besorgt wird. Dieses sogenannte Atemzentrum liegt, wie 
bekannt, in der Medulla oblongata.') Periphere Reize kommen, wie 
später zu besprechen, sicher in Betracht, allein die Atmung geht auch 
vor sich, wenn alle zentripetalen Nerven, die in Betracht kommen, 
durchschnitten sind (Rosenthal). 

Ganz anders liegen die Verhältnisse bei niederen Wirbeltieren 


1) Daß Mangel an Sauerstoff resp. Überschuß an Kohlensäure den Reiz für 
die Respirationsbewegungen abgibt, hat man mit Sicherheit aus folgenden Tat- 
sachen erschließen können: Bei Mangel an Atemluft oder bei unzureichender 
Ausdehnungsfähigkeit der Lungen (Pneumothorax, starkem pleuritischem Ex- 
sudat u. s. w.) wird die Zahl der Respirationen vermehrt und die accessorischen 
Atemmuskeln treten in Tätigkeit. Dieser dyspnoische Zustand tritt auch ein, 
wenn die Atemluft zu wenig Sauerstoff oder zu viel Kohlensäure enthält. Dyspnoe 
tritt auch bei der Verblutung ein. Im Gegensatz dazu hören die aktiven Atem- 
bewegungen auf, wenn das Blut durch starke künstliche Atmung gut durchlüftet 
wird. Sistiert man die künstliche Respiration, so bleibt das Versuchstier längere 
Zeit, ohne zu atmen, liegen und beginnt erst wieder mit denselben, wenn das 
Blut aufhört, überarterialisiert zu sein. Stark O-haltiges Blut übt also keinen 
Atemreiz aus (Zustand der Apnoe). — Beweisend dafür, daß das venöse Blut 
direkt zentral gelegene Gebiete reizt, sind folgende Versuche gewesen: Bei Unter- 


394 Die rhythmischen Bewegungen. 


(Fischen und Amphibien). Bei diesen ist der Gasgehalt des Blutes 
auf die Auslösung der Atembewegungen ohne jeden Einfluß. Setzt 
man einen Frosch in eine reine Kohlensäureatmosphäre oder in 
ein stark kohlensäurehaltiges Gefäß, so kann zwar am Anfang eine 
gewisse Erregung beobachtet werden, welche auf eine periphere 
Reizung zurückzuführen ist (Winterstein, 1900), bald werden die 
Tiere aber wieder ruhig und die Lebensäußerungen erlöschen ganz 
allmählich, ohne daß es zu der für höhere Wirbeltiere so charakte- 
ristischen Dyspnoe kommt (Kropeit, 1898). Genauere Untersuchungen 
über die gleichen Verhältnisse bei Fischen liegen von Schoenlein und 
Willem (1895) vor, und habe ich selber anzustellen Gelegenheit ge- 
nommen. 

Schoenlein und Willem stellten bei Selachiern (Torpedo und 
Seyllium) fest, daß die Zahl der Respirationen in einer wesentlichen 
Abhängigkeit von der Wassermenge steht, welche den Tieren zugeführt 
wird. Das Atemwasser wird bei diesen Tieren durch die Spritzlöcher 
mittels aktiver Erweiterung des Mundraums und Kiemenkorbes auf- 
genommen und nach Verschluß der Spritzlöcher durch kräftige Kon- 
traktion des Kiemenkorbes aus den seitlichstehenden Kiemenspalten 
herausgepreßt (manche Selachier öffnen auch bei der Inspiration das 
Maul, doch scheint mir dabei keine Kommunikation mit dem hinteren 
Rachenraum hergestellt zu werden). Bei der Untersuchung wurden 
Schläuche in beide Spritzlöcher hineingesteckt, und der eine mit einem 
mit Wasser gefüllten Druckgefäß, der andre zur Registrierung der 
Atembewegungen mit einer Mareyschen Trommel verbunden. Floß das 
Wasser langsam, so war die Zahl der Respirationen gering, floß es 
schneller, so vermehrten sich die Bewegungen bis zum Doppelten und 
noch weiter. Bei zu starkem Zufluß hören die aktiven Bewegungen 
schließlieh auf und es tritt Abwehr, Speien und dauernde Öffnung 
des Maules ein. Wird der Zufluß ganz unterbrochen, so entstehen 
noch wenige teils schwache, teils krampfhafte Exspirationen bei aus- 


bindung der Gehirnarterien tritt Dyspnoe auf, ebenso bei Verlegung des venösen 
Abflusses. Am instruktivsten ist folgendes von Frederieq (1900) ausgeführtes 
Experiment: Die Carotiden von zwei nebeneinander liegenden Hunden werden 
wechselseitig miteinander verbunden, so daß das Herzblut des einen durch 
Gehirn und Medulla des andern strömt und umgekehrt, während jeder Hund 
seinen übrigen Körper mit dem eignen Blut versorgt. Wird jetzt dem Hund A 
die Luftzufuhr abgesperrt, so gerät der Hund B dadurch in Dyspnoe, weil das 
venös gewordene Blut des Hundes A sein Zentralnervensystem reizt. Der Hund B 
arterialisiert infolge der Dyspnoe sein Blut sehr stark, kommt aber nicht aus 
der Dyspnoe heraus, weil seine Zentralorgane von dem Blut des Hundes A 
gespeist werden. Das Hauptblut des Hundes A wird immer mehr venös, seine 
Medulla empfängt aber das überarterialisierte Blut des Hundes B; infolgedessen 
gerät der Hund A in Apnoe! 


Die rhythmischen Bewegungen. 395 


geprägten Inspirationen, ist aber das letzte Wasser ausgepreßt, so tritt 
vollkommener (und zwar passiver) Atemstillstand ein. 

Ging schon aus diesen Versuchen hervor, daß die Ursache der 
Atembewegungen wahrscheinlich an der Peripherie zu suchen sei, so 
wurde eine zentrale Ursache derselben noch weiterhin dadurch un- 
wahrscheinlich gemacht, daß die Tiere mit ausgekochtem (also O-freiem) 
Wasser über zwanzig Minuten (weiter wurde der Versuch nicht aus- 
gedehnt) respiriert werden können, ohne daß sich Zeichen von Dyspnoe 
einstellen (Versuche mit Kohlensäure haben die Autoren nicht ange- 
stellt.) Außerdem geht die Atmung bei der Verblutung im alten Tempo 
weiter. Daraus schließen die Verfasser, daß die Atembewegungen 
„durch andre Ursachen hervorgebracht werden, als dureh eine chemi- 
sche dyspnoische Reizung nervöser Medullar- oder Rückenmarkszentren, 
und vielmehr reflektorischer Natur sind“. 

Ich kann diese Angaben in vollem Umfang bestätigen und habe 
versucht, die von Schoenlein und Willem gelassenen Lücken auszu- 
füllen. Meine Versuche sind nur an Seyllium (catulus und canieula) 
angestellt; ein Unterschied in den Resultaten wurde nicht bemerkt. 
Die Tiere wurden auf ein besonderes Brett aufgebunden, eine mit 
mehreren Öffnungen versehene Glaskanüle durch das eine Spritzloch 
gesteckt und ihr andres Ende mit einem Druckgefäß verbunden, das 
mit Seewasser gefüllt war. Dicht an der Kanüle war in den Schlauch 
ein T-Rohr gesetzt, dessen dritter Schenkel mit einer Mareyschen 
Trommel in Verbindung stand. Diese schrieb die Atemschwankungen 
auf. Weiterhin war in den Schlauch ein Dreiwegehahn eingeschaltet, 
mit dessen Hilfe statt des reinen Seewassers andre Flüssigkeiten zu- 
geleitet werden konnten. 

1. Zuleitung ausgekochten Wassers: Mehrere Liter Seewasser wurden 
eine halbe Stunde stark gekocht, und der Verlust an Wasser durch 
ausgekochtes destilliertes Wasser ersetzt. Während des Abkühlens 
waren die Kochflaschen mit Gummistopfen gut verschlossen. — Nach- 
dem der Zufluß von normalem Seewasser so reguliert war, daß das 
Versuchstier gleichmäßig und mit normalem (vorher im Bassin be- 
'stimmtem) Rhythmus die Atembewegungen ausführte und eine ge- 
nügende Reihe von Respirationen aufgeschrieben waren, wurde das 
normale Seewasser gegen das ausgekochte vertauscht. Die Atmung 
ging stets ruhig weiter. Irgend eine dyspnoische Erscheinung kam 
nie zur Beobachtung; die Zahl und Stärke der Bewegungen bleibt 
während der nächsten 30—40 Minuten unverändert. Nach etwa 
40 Minuten oder später fangen die Atembewegungen an schwächer 
und langsamer zu werden. Bisweilen, besonders anfangs, wird die 
ruhige Atmung durch Abwehrbewegungen und Speien unterbrochen. 

2. Respiration mit. kohlensäuregeschwängertem Wasser: Durch 


396 Die rhythmischen Bewegungen. 


einige Liter Seewasser wurde während einer Stunde CO, (gewaschen) 
hindurch geleitet. Wird dieses statt des normalen Seewassers dem 
Hai zugeführt, so beginnt er stets im Moment, wo es in den Mund 
gelangt, zu speien und Abwehrbewegungen zu machen. Während 
dieser Zeit steht die Atmung still. (Ganz denselben Effekt erzielt man, 
wenn man dem normalen Wasser, wie Schoenlein und Willem angeben 
und ich bestätigen kann, reizende Substanzen, Karbol, Chloroform oder 
Alkohol zusetzt oder wenn man Süßwasser zuleitet.) Nach kurzer 
Zeit beginnen wieder die Atembewegungen, und zwar mit dem alten 
Rhythmus und der alten Stärke. Wenn aber der Rhythmus sich ver- 
ändert zeigt, so ist er stets verlangsamt! Dazwischen treten neue 
Spei- und Abwehrbewegungen ein, welche meist die Fortsetzung des 
Experiments verhindern. Manchmal tritt auch langdauernder Atem- 
stillstand ein (bis zu fünf Minuten). Wird jetzt wieder normales See- 
wasser zugeleitet, so bleibt der Atemstillstand gewöhnlich noch mehrere 
Minuten bestehen. Die Atmung beginnt dann später mit ganz lang- 
samem Rhythmus und geht allmählich in den normalen Rhythmus 
über. Irgend welche nachträglichen Zeichen von Dyspnoe kommen 
nicht zur Beobachtung. — Die Abwehr- und Speibewegungen können 
als dyspnoische Zeichen nicht angesehen werden, weil sie eintreten, 
ehe die höhere CO,-Spannung ins Blut übergegangen sein kann. 
Offenbar handelt es sich, wie auch beim ausgekochten Wasser, darum, 
daß die Veränderung in der Wasserqualität einen peripheren Reiz 
hervorruft, der reflektorisch diese Erscheinungen und auch den Atem- 
stillstand auslöst. (Auch bei Fröschen tritt zuerst in einer 00,- 
Atmosphäre meist Erregung ein. Siehe oben.) 

Da ein vollkommen befriedigendes Resultat bei direktem Wechsel 
zwischen normalem Seewasser und CO,-Wasser nicht zu erreichen 
war, wurde ein Versuchstier in eine Wanne mit normalem Seewasser 
gelegt und in dieses CO, eingeleitet. Der Fisch nahm selbst sein 
Atemwasser durch das eine Spritzloch auf (das genügt vollkommen), 
während das andre durch einen Schlauch mit der Mareyschen Trommel 
verbunden war. Speibewegungen und Abwehr treten bei dieser Ver- 
suchsanordnung nür ganz vorübergehend auf, im allgemeinen verläuft 
der Versuch sonst ganz glatt: anfangs bleiben Zahl und Stärke der 
Respirationen ganz unverändert. Allmählich wird die Zahl bei zu- 
nächst gleichbleibender Stärke geringer; aber auch diese vermindert 
sich später, so daß schließlich die Respirationen ganz aufhören. Er- 
stickungskrämpfe treten nieht ein. Die Reflexerregbarkeit nimmt mit 
der Zeit immer mehr ab und erlischt schon vor dem Aufhören der 
Respirationen ganz. Die Tiere sind dann steif wie in der Totenstarre. 
(Durch Übertragen in frisches Seewasser und durch Massage der 
Kiemen kann das Leben wieder angefacht werden, die Atmung be- 


Die rhythmischen Bewegungen. 397 


ginnt sehr langsam von neuem und wird allmählich wieder normal, 
jedoch bleibt der Körper, besonders in seinen hinteren Teilen, steif; 
mir ist es aber nicht geglückt, derartige Tiere dauernd am Leben zu 
erhalten; sie sterben nach einigen Stunden.) 

Als Beleg gebe ich hier von einem Tier die Zeitangaben und 
Ausschnitte aus den Kurven (Fig. 81): Normale Respirationszahl 54 
in der Minute. Zuleitung von CO, 1 h 25; 1 h 50 Respirationszahl 
(Respz.) — 48, 2 h Respz. = 40. Die Respirationen beginnen flacher 
zu werden. Zwischen 1 h 50 und 2 h 10 einige Speibewegungen. 
BehleaRespz.— 3051 21h25) Respz. = 26, 27h BomRespz — 418. 
Das Tier beginnt steif zu wer- 
den. 3h 5 Respz. = 18. Ganz IUWMIVWUVVVUVVUVV 


1m 24’ 
steif und hinten reflexlos. Gleich LER u PBHNIER: 

{ 2. 1n25’C0z 
darauf Aufhören der Atmung. 
3 h 25 in normales Seewasser. +NnNnNnNnNnNnnnnnain 1% 30° 
3 h 35 die ersten schwachen 
Atembewegungen. 

3. Zuleitung von sauerstof- annnnnnnnana 
gesättigtem Wasser. Eine reich- 1n 53° 
BehenNenserseewasserr wurde 3 ee 
BR rekochsundedann durehrdie- 7 "a u rs Lern 
selbe während einer Stunde ein 
kräftiger Strom von reinem 
Sauerstoff durchgeleitet. Nach- 
dem die Respirationen längere 250° 
Zeit bei normalem Seewasser du u 0 0 0 0 
aufgeschrieben waren, wurde rig.81. Atmungskurven von Seyllium. 1h 24 normal. 
das O - gesättigte Wasser zu- 1 h 25 wird co, ins Bassin eingeleitet. Die Respira- 

4 R .. % tionen werden flacher und langsamer und hören ohne 
geleitet. Eine Anderung in der dyspnoische Erscheinungen schließlich ganz auf. 
Zahl und Stärke der Respira- 
tionen trat im einen Fall nicht ein. Im zweiten Versuch wurde eine 
geringe Zunahme der Respirationszahl festgestellt, welche aber 
wahrscheinlich auf einer Temperaturdifferenz beruhte. Jedenfalls ist 
aber von einer Apnoe auch nicht die geringste Andeutung zu be- 
obachten. Da die zugeleitete Wassermenge die Respirationszahl zum 
sroßen Teil bestimmt, so wurde der Versuch auch in der Weise an- 
gestellt, daß das Tier in normaler Weise das Wasser aktiv aufnahm, 
wie dies auch unter 2. für kohlensäurehaltiges Wasser beschrieben 
wurde. Das Tier lag zunächst in einem Bassin mit normalem See- 
wasser. Darauf wurde es in die daneben stehende) Wanne mit O-ge- 
sättistem Wasser gelegt, in welches noch während des ganzen Ver- 
suchs O eingeleitet wurde. Auch hier war keine Spur von Apnoe 
zu bemerken. 


398 Die rhythmischen Bewegungen. 


Wenn man diese Versuche mit den von Schoenlein und Willem 
gefundenen Tatsachen zusammenhält, so wird wohl kein Zweifel mehr 
bestehen können, daß die Respirationsbewegungen der 
Fische (speziell der Selachier) nicht durch chemische Reize 
des Zentralnervensystems verursacht werden. Der Gas- 
gehalt des Blutes, der bei den höheren Wirbeltieren eine so wichtige 
Rolle für den Mechanismus der Atmung spielt, ist hier ohne jeden 
Einfluß auf denselben. Sauerstoffreichtum ruft keine Verlangsamung 
der Respirationen hervor (geschweige denn Apnoe), noch erzeugt 
Sauerstoffmangel resp. Kohlensäureanhäufung Dyspnoe oder auch nur 
eine Andeutung von Atembeschleunigung. 

Ehe ich auf die Respiration der Fische weiter eingehe, will ich 
die bei höheren Wirbeltieren bekannt gewordenen peripheren Hilfs- 
ursachen der Atembewegungen besprechen. 

Nachdem durch Traube (1847) und Rosenthal (1861) die hervor- 
ragende Bedeutung des Vagus für die normale Atmung erkannt war, 
stellten Hering und Breuer (1868) die Lehre auf, daß jede Exspiration 
sich selbst hemme und die nächste Inspiration auslöse, während jede 
Inspiration ihrerseits den Anstoß zur Exspiration gebe und eine weitere 
Inspirationsbewegung verhindere. Der auslösende Reiz sollte im einen 
Fall der bei der Exspiration zustande kommende Lungenkollaps, im 
andern Fall die durch die Inspiration erzeugte Lungendehnung sein, 
und beide Reize sollten von der Lunge durch den Vagus zum Zentral- 
organ geleitet werden. Die Hauptbeweispunkte für diese Ansicht be- 
standen darin, daß bei experimentell herbeigeführtem Kollaps der 
Lunge stets eine starke Innervierung der Inspirationsmuskeln zur Be- 
obachtung kommt, während bei künstlicher Aufblasung der Lunge das 
Umgekehrte der Fall ist. 

Gegen die Richtigkeit dieser Hering-Breuerschen Theorie von der 
Selbststeuerung der Atmung wurden von Guttman (1875) Bedenken 
erhoben, weil er aus seinen Versuchen schließen zu müssen glaubte, 
daß Lungenausdehnung eine inspiratorische Wirkung hätte. Gad wies 
dann (1880) nach, daß Guttman seine Versuche falsch gedeutet habe, 
und daß in der Tat Lungendehnung wie Lungenkollaps in dem von 
Hering und Breuer angegebenen Sinne wirkten. Seitdem sind diese 
Versuche oftmals bestätigt und nach ‘vielen Richtungen hin erweitert 
worden. (Siehe wegen der Literatur Boruttaus Zusammenstellung 
von 1902.) 

Danach kann es jedenfalls nicht zweifelhaft sein, daß die Mög- 
liehkeit einer Selbststeuerung der Atmung im Sinne Hering - Breuers 
besteht. Viel umstritten ist aber noch die Frage, inwieweit bei der 
norınalen Atmung der höheren Wirbeltiere diese Selbststeuerung in 
Betracht kommt. Als Hauptfaktor bei der normalen Atmung wird 


Die rhythmischen Bewegungen. 399 


. 


_—\ 


von Rosenthal (1875) die Wirkung des venösen Blutes auf die Atem- 
zentren angesehen und den von Hering und Breuer nachgewiesenen 
hemmenden resp. anregenden, durch die Vagi vermittelten Reizen nur 
eine unwesentliche Rolle zugeschrieben. Andre Autoren (Gad, 1880, 
Boruttau, 1895, Lewandowsky, 1898, Schenk, 1900 und andere) nehmen 
eine wesentliche Beteiligung der Selbststeuerung auch bei der nor- 
malen Atmung an. Besonders wird die inspirationshemmende Wirkung 
der Lungendehnung für die Erklärung der Phänomene in Anspruch 
genommen. Die meisten Autoren sind sich aber darin einig, daß eine 
befriedigende Erklärung des Atemrhythmus auf Grundlage der Selbst- 
steuerung allein nicht möglich ist und daß eine Anteilnahme des 
venösen Blutreizes auf die Zentren bei der Erklärung nicht entbehrt 
werden kann. 

Demnach würden wir also den augenblicklichen Stand der Frage 
nach der Ursache der rhythmischen Atembewegungen bei den höheren 
Wirbeltieren dahin präzisieren können: Die Ursache der Atmung ist 
eine doppelte. Erstens wirkt auf die Atemzentren der kontinuier- 
liche Reiz des venösen Blutes ein. In welcher Weise dieser zu 
rhythmischen Wirkungen führt, darüber bestehen zunächst nur Ver- 
mutungen. Dieser Reiz genügt, um den Atemrhythmus (wenn auch 
nicht in normaler Weise) zu erhalten (Vagotomie). Zweitens wirken 
auf die Atemzentren Reize ein, welche durch die Atembewegungen 
selbst in rhythmischer Folge hervorgebracht in den Vagi zentral- 
wärts geleitet werden und die Bewegung, welche im Gang ist, hemmen 
und die entgegengesetzte anregen. Wie groß der Anteil einer jeden 
Reizgattung bei der normalen Atmung ist, darüber herrscht keine 
Einigkeit. 

Wie wir gesehen haben, ist bei den Fischen (und Amphibien) ein 
Einfluß des Blutzustandes auf den Atemrhythmus nicht feststellbar. Es 
war daher die von Schoenlein und Willem aufgestellte (aber nur un- 
vollkommen bewiesene) Ansicht zu prüfen, daß der Atemrhythmus 
hier lediglich durch periphere Erregungen, etwa nach Art der Selbst- 
steuerung, hervorgerufen würde. Ich glaubte anfangs diese Frage 
mittels Nervendurchschneidungen entscheiden zu können, habe diese 
Hoffnung aber aufgeben müssen. Derjenige Nerv, welcher anatomisch 
dem Vagus der höheren Wirbeltiere entsprechen soll, unterscheidet sich 
von diesem physiologisch wesentlich dadurch, daß er die motorische 
Versorgung größerer Partien der Skelettmuskulatur besorgt und zwar 
grade diejenigen, welche motorisch erhalten werden müssen, nämlich 
einen Teil der Kiemenbögen. 

Weder Durchschneidungsversuche des Vagus, welche in größerer Anzahl 


angestellt wurden, noch Reizung des peripheren Vagusstammes ließen mich mit 
Sicherheit feststellen, wie viele Kiemenbögen allein vom Vagus innerviert 


400 Die rhythmischen Bewegungen. 


werden; deswegen nicht, weil bei der starken Spannung der Haut eine passive 
Mitbewegung zustande kommen kann. Als sicher kann ich angeben, daß die 
hinteren Kiemenbögen motorisch und sensibel allein vom Vagus innerviert werden 
und daß der erste Kiemenbogen und das Spritzloch vom Vagus ganz unabhängig 
sind und ihre motorische Innervation vom Faeialis erhalten. Möglicherweise wird 
auch der zweite und dritte Kiemenbogen allein vom Vagus versorgt, doch scheint 
es mir besonders für den zweiten nicht ausgeschlossen, daß er neben Vagusfasern 
motorische Fasern vom Facialis erhält. Was die Wirkung auf das Herz an- 
betrifft, so entspricht der Vagus der Fische dem der höheren Wirbeltiere; er 
allein enthält herzhemmende Fasern. Nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung, 
welche die Tiere bei guter Operation tagelang überleben, indem die Atmung mit 
dem vordersten Kiemenbogenpaar zur Erhaltung des Lebens genügt, kann 
das Herz durch keinen Reiz der Peripherie oder der Medulla mehr zum Stehen 
gebracht werden. Sind die Vagi erhalten, so gelingt die Hemmung des Herzens 
sehr leicht. Schon bei mäßig kräftigem Streichen über die Haut kann voll- 
ständiger Stillstand eintreten. Die auffallende Korrelation zwischen Atem- 
bewegungen und Herzbewegungen, welche Schoenlein und Willem beschrieben 
haben, fällt nach doppelseitiger Vagotomie fort. 

Haie, denen beide Vagi durchschnitten waren, atmeten noch voll- 
kommen rhythmisch, wobei natürlich die gelähmten hinteren Kiemen- 
bögen nur passive Bewegungen ausführten. Hieraus ging bereits her- 
vor, daß der Vagus nicht allein derjenige Nerv sein konnte, durch 
den die angenommenen peripheren Reize zum Zentralorgan geleitet 
werden. Daß der Vagus aber auch bei diesen Tieren als Vermittler 
von Atemreizen, besonders von solchen hemmender Natur, eine große 
Rolle spielt, geht aus Versuchen hervor, bei denen Haie vor und nach 
der Vagotomie auf Atemhemmung untersucht wurden. Während bei 
Normaltieren sofort Atemstillstand eintritt, wenn das Seewasser mit 
Süßwasser oder mit karbolhaltigem Wasser vertauscht wird, atmen 
diese Tiere zunächst ganz ruhig weiter und stellen die Atem- 
bewegungen erst nach zwanzig Sekunden und mehr ein. (Übrigens 
fangen normale Tiere bei Respiration mit Süßwasser nach einiger 
Zeit wieder zu atmen an. Dazwischen kommen wieder Stillstände 
und Abwehrbewegungen, aber man kann manchmal ganz lange Atem- 
perioden beobachten.) Auf Abschneidung der Wasserzufuhr 
reagieren dagegen die vagotomierten Tiere ebenso 
prompt, wie normale, mit Atemstillstand. Es ist also nur 
die Wirkung gewisser Hemmungsreize herabgesetzt. 

Gleich hier muß bemerkt werden, daß man die Atmung auf die 
verschiedenste Weise hemmend und fördernd beeinflussen kann. Bei 
jedem stärkeren Reiz des Rumpfes oder des Kopfes (mechanisch und 
elektrisch) kann die Atmung für längere oder kürzere Zeit gehemmt 
werden. Sehr häufig hat diese Hemmung einen ausgesprochen ex- 
spiratorischen Charakter. Am besten zeigt sich dies bei Tieren, die mit 
langsamem Rhythmus (große Exemplare bei niedriger Wassertemperatur) 
atmen. Ist eben eine Exspiration abgelaufen, so tritt bei kräftigem 


WETTE IR 1 


- 
ir 


ESTLUL 


Die rhythmischen Bewegungen. 401 


Reiz des Rumpfes oder bei bloßer leichter Berührung einer Kiemen- 
spalte oder eines Spritzloches sofort eine neue Exspiration ein. Dauert 
die Reizung fort, so löst sich die Kontraktion des Kiemenkorbes 
langsam, und die Atmung bleibt noch einige Zeit ohne bemerkbare 
Aktivstellung des Atemapparats unterbrochen. Ist die Reizung nur 
momentan, so dehnt sich der Kiemenkorb gleich wieder aktiv aus, 
und es erfolgt nach einer etwas verlängerten Pause die nächste Ex- 
spiration. Erfolgt die Berührung einer Kiemenspalte kurz vor einer 
normalen Exspiration, so wird das Wasser mit ganz besonderer Kraft 
ausgetrieben. Für die Haie ist diese Reaktion von großer Wichtig- 
keit, weil sie die Kiemen vor Verunreinigung schützt. Sie tritt stets 
ein, nachdem die Tiere gefressen oder erbrochen haben, wozu sie 
sehr neigen (Schoenlein und Willem) und befördert die im Kiemenkorb 
hängen gebliebenen Nahrungsreste ins umgebende Wasser. (Bei Tieren 
mit durchschnittenem Vagus hängen die gelähmten Kiemenbögen stets 
voll von Speiseresten und Schleimflocken.) 

Da eine gesonderte Unterbrechung der rezeptorischen Bahnen des 
Vagus und der die vorderen Kiemenbögen und das Spritzloch ver- 
sorgenden rezeptorischen Nerven mangels einer genügenden anato- 
mischen Trennung von den motorischen Fasern unmöglich ist (oder 
wenigstens im Augenblick unmöglich scheint), so mußte ich auf 
anderm Wege versuchen, periphere Atemreize auszuschalten. Es ist 
mir dies in überraschend leichter Weise mit Hilfe von Cocain ge- 
lungen. 

Cocainversuch: Ein Hai wird in der oben beschriebenen Weise 
hergerichtet und mit Seewasser respiriert. Mit dem dritten Schenkel 
des Dreiwegehahns ist ein Gefäß verbunden, das etwa 200 cem 
1/,/, Coeainchlorhydratlösung (in Seewasser) enthält. Nachdem eine 
genügende Zahl von Respirationen aufgeschrieben ist, wird das See- 
wasser durch die Lösung des Cocains ersetzt. Die Atmung geht zu- 
nächst ruhig weiter. Speibewegungen kamen zwar einigemal zur Be- 
obachtung, aber nie gleich beim Beginn; auch waren sie nie von 
Atemstillstand begleitet. Etwa nach 1,5’—2’ werden die Atem- 
bewegungen ziemlich plötzlich schwächer und langsamer; nach wei- 
teren 10— 20’ erfolgen nur noch einige schwache Exspirationen in 
Abständen von 5—6” und dann hören dieBewegungen ganz 
auf (Fig. 82). Der so erzeugte Atemstillstand ist weder exspiratorisch 
noch inspiratorisch, sondern ganz passiv. Läßt man etwa eine 
halbe Minute nach Eintritt des Stillstandes wieder 
frisches Seewasser zufließen, so bleibt der Atemstill- 
stand noch viele Minuten erhalten. Dann zeigen sich zuerst 
einige kleine durch lange Pausen getrennte Respirationen, welche all- 
mählich an Stärke und Frequenz zunehmen. Die ursprüngliche 


Bethe, Nervensystem. 26 


402 Die rhythmischen Bewegungen. 


Stärke der Respirationen kehrt schneller wieder als die 
ursprüngliche Frequenz. 

Versuch vom 21. Oktober 1901. 1 & 19’, 36 Respirationen in der Minute. 
1b 20' Cocain !/,°/,; es fließen bis 1 h 22’ 40" 190 cem durch die Kiemen. Die 
Atmung geht zuerst ruhig weiter. 1b 20’ 25” Speien. 1 h 22” Verlangsamung und 
Erniedrigung der Respirationen. 1 h 22’ 20’ Aufhören derselben. 1 h 22’ 40" Wieder- 
zulassen von Seewasser. Der Atemstillstand dauert an bis 1 b 40’ (18 Minuten). 
1 h 40’ die erste schwache Respiration. 1 h 50' Respirationen ziemlich kräftig, 
aber nur 30 in der Minute. 


NINLINLNI NN NN ST mn 
A, 


— 111 1.1 0 Kb bl} Lt Lob 


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Fig. 82. Atmungskurven von Seyllium. Cocainversuche. A Ziemlich unvermittelter Stillstand 
der Atmung 80'' nach Zuführung von Cocain. — B Stillstand nach voraufgehender Verlangsamung. 
1. vor Zuführung der Cocainlösung. — 2. Verlangsamter Rhythmus. — 3. Letzte Respirationen vor 
dem Stillstand. (X = letzte Respiration. S= Spuckbewegung.) 4. Während des Stillstandes durch 
mechanische (,) und faradische Reizung (<) von der Brust aus ausgelöste Respirationsbewegungen. 
Erstere sind steiler und höher. Bei <“ wurden die Elektroden nur einen Augenblick aufgesetzt, bei 
—<—>- blieben sie längere Zeit angesetzt (Alternieren von Inspiration und Exspiration).. Am Anfang 
sind zwei mechanische Reize schnell hintereinander angesetzt, der zweite ist noch fast wirkungslos 
und ergibt nur eine ganz schwache Exspiration. 


Daß es sich hier um einen reflektorischen Atemstillstand handelt, 
ist schon dadurch ganz ausgeschlossen, daß derselbe nie momentan 
eintritt und die Einwirkung der Schädigung so lange überdauert. 
Man könnte aber meinen, daß es sich hier um eine zentrale Vergiftung 
handelt. Das ist aber auch sicher nicht der Fall: Während des 
Atemstillstandes ist die Reflexerregbarkeit nicht nachweisbar ver- 
ändert. Kneift man das Tier in den Schwanz, so treten lebhafte Ab- 
wehrbewegungen ein. Dagegen fällt sofort die vollkommene rezep- 
torische Lähmung der Schleimhaut des Mundes, der Kiemen und der 


nn Fin an us 2 u u 


Die rhythmischen Bewegungen. 403 


Spritzlöcher auf, kurz all der Teile, welche von der Lösung 
direkt bespült werden. Während sonst bei Berührung der 
Kiemenschleimhaut sofort eine heftig Exspiration ein- 
tritt, kann man dieselbe jetztmechanisch malträtieren, 
ohne einen Effekt zu erzielen. Absolut beweisend ist aber 
folgender, stets gelingender Versuch: Wie schon erwähnt, kann man 
fast von allen Körperstellen Exspirationen hervorrufen und zwar um 
so leichter, je näher die gereizte Stelle den Kiemen liest. Wenn 
man nun den in Cocain-Apnoe daliegenden Fisch am 
Auge, an der Schnauze, an einer Brustflosse oder am 
Bauch stark zwickt oder miteinemleichten Induktions- 
strom reizt, so sieht man bei jedem derartigen Reiz 
eine vollkommen koordinierte Exspiration eintreten 
(Schluß des halboffenen Maules und der Spritzlöcher und Kontraktion 
des Kiemenkorbes). Der zentrale Innervationsapparat, wie auch die 
motorischen Apparate müssen also ganz in Ordnung sein. 

Höchst bemerkenswert scheint mir noch folgender, allerdings 
aus Mangel an Zeit nur zweimal erhobene Befund zu sein: Werden 
während der Cocain-Apnoe zwei mechanische Reize kurz hinter- 
einander angesetzt, so ruft nur der erste eine Kontraktion des Kiemen- 
korbes hervor. Damit auch der zweite wirksam ist, muß eine ge- 
wisse Zeit vergangen sein (Fig. 82, 4). Bei andauernder tetanisierender 
Reizung der Brust tritt keine andauernde Exspirationsstellung ein, 
sondern es alternieren (ziemlich unregelmäßig) Exspirationen und In- 
spirationen (Fig. 82, 4). Es besteht also nach jeder Respira- 
tionsbewegung ein ausgesprochenes Refraktärstadium. 

Werden durch Cocain die peripheren rezeptorischen 
Endigungen der Kiemen und der Mundschleimhaut ge- 
lähmt, so ist die Atmung aufgehoben. Nach diesen Ver- 
suchen halte ich es für bewiesen, daß die Atmung der 
Fische (Haie) allein durch periphere Reize verursacht 
wird. 

Ehe ich auf die Natur dieser Reize eingehe, muß ich noch einige 
Worte über die Wirkung der Wärme hinzufügen: Wie Schoenlein und 
Willem gezeigt, ist die Zahl der Respirationen von der Menge des 
zugeführten Wassers in ziemlich weiten Grenzen abhängig. Das nicht 
künstlich respirierte Tier ist hiervon natürlich unabhängig; es nimmt 
immer nur eine bestimmte Wassermenge auf. Das Volum desselben 
scheint mir unter normalen Umständen immer gleich groß zu sein und 
nur die Zahl der Respirationen zu schwanken. Diese ist aber ab- 
hängig und, wie mir scheint, allein abhängig von der Temperatur. 
Um dies festzustellen habe ich Haifische in verschieden temperiertes 
Wasser gesetzt und die Respirationen teils gezählt, teils graphisch 


26* 


404 Die rhythmischen Bewegungen. 


registriert und dann gezählt. Der Höhepunkt der Respirationszahl 
liegt, wie es scheint, bei etwa 20—25° ©. Darüber hinaus wird 
die Zahl der Respirationen höchstens sehr langsam größer. Die Zahl 
selber ist bei verschiedenen Arten und in derselben Art bei ver- 
schieden großen Tieren recht verschieden. Unter 20° nimmt die 
Zahl der Respirationen sehr schnell ab. So zählte ich bei einem 
Tier in Wasser von 19,5° 42 Respirationen in der Minute, bei 
13,6° nur noch 24. Das Wichtige hierbei ist aber, daß die Respirations- 
bewegungen nicht in dem Moment schneller werden, wo 
das wärmere Wasser die Kiemen berührt, sondern daß 
die Beschleunigung sich ganz allmählich im Lauf von 
Minuten ausbildet. (In gleicher Weise tritt die Verlangsamung 
beim Übertragen in kälteres Wasser allmählich ein. Ist die Tem- 
peraturdifferenz sehr groß, so fängt die Änderung in der Respirations- 
zahl schon nach etwa einer halben Minute an und erreicht in wenigen 
Minuten ihr Maximum; je geringer die Differenz, desto langsamer 
tritt die Veränderung ein.) Verlangsamung resp. Beschleunigung der 
Respirationen kann man aber auch bei konstanter Temperatur des 
Atemwassers erreichen, wenn man dem in flachem Wasser liegenden 
Tier ein Stück Eis resp. einen warmen Schwamm auf den heraus- 
ragenden Teil des Schädels legt. (Ich erreichte in diesen Versuchen 
weniger große Zahlendifferenzen als bei der andern Versuchsanord- 
nung.) Ich ziehe aus diesen Versuchen den Schluß, daß 
die Temperatur nicht peripher (wie die Wassermenge), son- 
dern zentral auf den Atemrhythmus wirkt (eventuell auch 
auf die Muskeln. Eine Veränderung der Frequenz tritt 
erst dann ein, wenn das Gehirn die Temperatur der 
Umgebung angenommen hat. 

Auf Grund dieses Versuches und der zuerst von Schoenlein und 
Willem festgestellten Tatsache, daß die Respiration bei Abschneidung 
der Wasserzufuhr aufhört, wenn das letzte Wasser ausgepreßt ist 
(außerdem auf Grund einiger andern Beobachtungen, welche ich vor 
der Veröffentlichung noch einigemal wiederholen möchte), komme ich 
zu dem Schluß, daß die periphere Ursache der Atmung der Haie 
wenigstens zum Teil in einem kontinuierlichen Reiz besteht. Diesen 
kontinuierlichen Reiz sehe ich in dem die Schleimhaut berührenden 
Wasser und zwar in seiner Qualität als Flüssigkeit. Neben diesem 
konstanten Reiz wird man wohl auch rhythmische Reize annehmen 
dürfen, welche ähnlich wie bei den höheren Wirbeltieren durch die 
sewegungen selber hervorgerufen werden. Allein durch eine ‚Selbst- 
steuerung“ dürfte auch bei diesen Tieren der Atemrhythmus nicht er- 
klärt werden können. Das anfängliche Ausbleiben der Bewegungen 
an der Luft, die vollständige Unregelmäßigkeit derselben, wenn sie 


Die rhythmischen Bewegungen. 05 
fe) fe) 9) 


nach längerem Verweilen an der Luft wieder eintreten, die Be- 
schleunigung beim Erwärmen des Gehirns sind Erschemungen, die 
ich mir nicht erklären könnte, wenn die durch jede Inspiration resp. 
Exspiration gesetzten Reize die einzige Ursache des Atemrhythmus 
wären. 

Diese Erscheinungen werden aber plausibel, wenn man in der 
Berührung mit dem Wasser als Flüssigkeit einen konstanten Atemreiz 
sieht, der hier dieselbe Rolle spielen würde wie der zentrale Blutreiz 
bei den höheren Wirbeltieren. Für die höheren Wirbeltiere ist bei 
ihrem großen Sauerstoffbedürfnis und bei ihrer Empfindlichkeit gegen 
Kohlensäureanreicherung in den Geweben eine Anregung der Atmung 
durch die Venosität des Blutes absolutes Bedürfnis. Dagegen sind die 
niederen Wirbeltiere vom Gasgehalt des Blutes bis zu einem gewissen 
Grade unabhängig; zum dauernden Bestand des Lebens ist zwar auch 
hier Sauerstoff und Fortschaffung der Kohlensäure notwendig, aber die 
Tiere sind doch imstande, nach der Entblutung oder nach Ausschluß 
von Sauerstoff noch viele Minuten in ziemlich normaler Weise ihre 
Funktionen auszuüben. Hier liegt also in der Organisation kaum ein 
Bedürfnis, jedenfalls nicht die Notwendigkeit vor, daß die Atmung 
durch die Blutbeschaffenheit angeregt wird. Vor der Respiration 
schlechten Materials, welche sie auf die Dauer schädigen würde, sind 
sie dadureh genügend geschützt, daß dasselbe auf periphere Endorgane 
reizend wirkt, Atemstillstand resp. Ausspeien hervorruft und zu Flucht- 
bewegungen Anlaß gibt, welche erst aufhören, wenn bessere Be- 
dingungen erreicht sind. Beim Haifisch kann man sich hiervon leicht 
überzeugen, wenn man in ihrer Nähe schädliche Stoffe ins Wasser 
bringt: Sowie das hiermit vermischte Wasser in den Mund gelangt, 
speien sie und suchen davon freie Wassergegenden auf. Diese Er- 
scheinung tritt auch bei stark CO,haltigem Wasser prompt ein. Im 
übrigen liegen derartige Bedingungen unter normalen Verhältnissen 
(wenigstens für die Meeresbewohner) wohl überhaupt nie vor. — 

Weder die Atemmuskulatur der höheren, noch die der niederen 
Wirbeltiere ist befähigt auf konstante Reize rhythmische Bewegungen 
auszuführen. Bei tetanischer Reizung treten wenigstens immer Dauer- 
kontraktionen ein. Um nun die Umwandlung des konstanten Blut- 
reizes in die rhythmisch -alternierende Reizung der Atemmuskeln zu 
erklären, hat Rosenthal (1862 u. 1875) die T’heorie aufgestellt, daß 
in den Atemzentren ein Widerstand vorhanden sei, der nur zeitweise 
durchbrochen wird. Er vergleicht diesen Vorgang mit Erscheinungen, 
die z. B. an einem Behälter zur Beobachtung kommen, der unten mit 
einem federnden Ventil verschlossen ist und in den kontinuierlich 
Wasser hineinfließt. Hat das Wasser in dem Gefäß eine bestimmte 
Druckhöhe erreicht, so wird der Widerstand der Feder überwunden 


406 Die rhythmischen Bewegungen. 


und ein gewisses Quantum Wasser fließt durch das Ventil ab. So 
wird aus dem konstanten Zufluß ein rhythmisch unterbrochener Ab- 
fluß. — Solange nur der Spezialfall rhythmischer Atembewegungen 
bekannt war, der bei den höheren Wirbeltieren vorliegt, war ein An- 
schluß an die Reflexerscheinungen, wenn er auch versucht war, nicht 
gut möglich. Nachdem ich bewiesen habe, daß der Atemreiz bei den 
Selachiern peripher angreift und daß er wahrscheinlich in der Haupt- 
sache, wie bei den höheren Wirbeltieren, kontinuierlicher Natur ist, 
scheint das Bindeglied gegeben und die Möglichkeit vorhanden zu sein, 
die Atembewegungen den Summationserscheinungen anzureihen. Wir 
haben bei diesen gesehen, daß kleine an und für sich unwirksame 
(kontinuierlich oder rhythmisch wiederkehrende) Reize sich summieren 
können, um schließlich zu einer Auslösung zu führen. Auch bei diesen 
(S. 352) mußten wir ja einen Widerstand in den Zentralorganen an- 
nehmen, so daß sich die neue Vorstellung von der Rosenthals nicht 
weit entfernt. Bei den Haien bietet es keine Schwierigkeit die 
Respirationsbewegungen als Summationserscheinung aufzufassen. Aber 
auch bei den höheren Wirbeltieren ist dies möglich. Von der Peripherie 
ist hier die Angriffsstelle des Reizes, den Bedürfnissen entsprechend, 
ins Zentrum gerückt. Ob der kontinuierliche Reiz dort an Ganglien- 
zellen angreift, wie die allgemeine Ansicht lautet, oder ob er auf andre 
Stellen des Graus, eventuell auf besondere, bisher noch unbekannte 
Organe wirkt, ist für die Auffassung ganz gleichgültig, daß es sich 
auch hier um eine Summationserscheinung und um eine Art von 
Reflex handelt. Es kommt für den Effekt auf das gleiche hinaus, 
ob der Widerstand dadurch durchbrochen wird, daß (wie bei den ge- 
wöhnlichen Summationserscheinungen und bei der Atmung der Haie) 
ein kontinuierlicher Reiz von der Peripherie her zugeleitet wird, oder 
ob eine konstante, in den Zentralorganen selber gelegene Ursache den 
Widerstand von Zeit zu Zeit aufhebt. 

Ich komme danach zu folgendem Schluß: Soweit die rhyth- 
mische Bewegung der Atmung auf einer kontinuier- 
liehen ; Ursache” beruht, handelt "es sich” um7 eine 
Summationserscheinung und nicht um eine automatische, 
den Reflexbewegungen fremd gegenüberstehende und 
geheimnisvolle Eigenschaft der Ganglienzellen. 

3ei den gewöhnlichen Summationserscheinungen, wie sie z. B. am 
keflexpräparat des Frosches studiert sind, bleibt die einmal ein- 
getretene Durchgängigkeit der Zentralteile einige Zeit erhalten. Die 
Folge davon ist, daß es zu tetanischen Effekten kommen kann, ähnlich 
denen, welche durch direkte Reizung der motorischen Nerven bewirkt 
werden können. Reizt man z. B. den Fuß eines aufgehängten Reflex- 
präparats (die Elektroden sind an demselben befestigt) mit schwachen 


Die rhythmischen Bewegungen. 407 


und wenig frequenten Wechselströmen, so daß nicht gleich beim ersten 
Induktionsschlag der Schenkel angezogen wird, sondern Summation 
vieler nötig ist, so bleibt das Bein längere Zeit angezogen, nachdem 
der Effekt eingetreten ist. Der Erfolg ist also ein dauernderer, als 
wenn man einen einzelnen starken Induktionsschlag einwirken läßt. 
Nach einiger Zeit sinkt aber auch hier das Bein herab, um sich später 
für kürzere Zeit wieder zu heben. Ob es dabei zu einem wirklichen 
rhythmischen Alternieren kommen kann, habe ich weder aus der 
Literatur noch aus den wenigen eignen Versuchen ersehen können. 
Jedenfalls scheint auch hier die durch Summation hervorgerufene 
Überwindung des Widerstandes nieht andauernd zu sein. Sehr viel 
schneller oder sogar momentan scheint sich der einmal überwundene 
Widerstand bei den Zentralteilen wieder herzustellen, welche typische, 
rhythmische Bewegungen vermitteln. 

Für die Atmung der höheren Wirbeltiere liegen, soweit mir be- 
kannt, keine diesbezüglichen Beobachtungen vor. Für die Atmung 
der Selachier glaube ich oben gezeigt zu haben, daß eine refraktäre 
Periode existiert. Es folgt, wie es scheint, auf jede Durchbrechung 
des Widerstandes ein Stadium vollkommner Unerregbarkeit. 

Einen Fall von sehr typischer refraktärer Periode hat Zwaarde- 
maker (1899) beim Lidschlußreflex gefunden. Derselbe wurde durch 
Funken hervorgerufen, welche von dem Auge im Dunkeln übersprangen, 
oder auch durch warmes Anblasen. Folgten zwei Reize dieht auf- 
einander, so war der zweite stets unwirksam. Das Stadium voll- 
ständiger Unerregbarkeit dauerte bis zu 0,5’. Eine Herabsetzung der 
Erregbarkeit war meist noch 1’ nach dem ersten Reiz zu beobachten. 
Ein sehr deutliches Refraktärstadium zeigt sich auch beim Quakreflex 
des Frosches. 

An dieser Stelle möge noch folgende Beobachtung Erwähnung 
finden: Die Bewegungsmuskulatur von Aplysia (siehe S. 117) gerät 
bei starker direkter oder indirekter Reizung (vom Nerven aus) zwar 
nicht in dauernde Kontraktion, aber die Kontraktion hält doch für 
Minuten mit kleinen Schwankungen an. Als Reiz kann in gleicher 
Weise ein tetanisierender Induktionsstrom und ein dauernd geschlossener 
Kettenstrom dienen. Die Muskulatur ist also einer Dauerregung fähig. 
Reizt man nun nach Fortnahme des Zentralnervensystems mit gut 
abgestuftem Wechselstrom oder konstantem Strom (2 kleine Daniell 
und 0,4—1 Ohm im Hauptkreis) einen Flügelnerven (zwischen Nerv 
und Muskel liegt ein Nervennetz, siehe S. 82), so können rhythmische 
Kontraktionen des Flügels eintreten, bei denen ein schwacher Kon- 
traktionszustand mit starken und merkwürdig gut koordinierten Kon- 
traktionen in regelmäßigen Pausen abwechseln. Die Zahl dieser 
rhythmischen Bewegungen ist allerdings immer gering (4—7); die 


408 Die rhythmischen Bewegungen. 


Pausen zwischen zwei Kontraktionen schwanken in den verschiedenen 
Versuchen zwischen 3 und 20 Sekunden. Um eine neue Reihe zu 
bekommen, muß man entweder den Reiz etwas verstärken oder eine 
Ruhepause eintreten lassen. (Diese rhythmischen Bewegungen kann 
man auch nach Fortnahme des Zentralnervensystems, in allerdings 
weniger konstanter Weise, von der andern Seite, nämlich durch schwache 
kontinuierliche Reizung der Flügeloberfläche hervorrufen.) Wie er- 
wähnt, sind rhythmische Flügelschläge der Modus, dessen sich die 
Aplysien beim Schwimmen bedienen; durch diesen Versuch wird die 
Annahme ermöglicht, daß die normalen Flügelschläge durch einen kon- 
tinuierlichen Reiz hervorgerufen werden, der vom Zentralnervensystem 
dem Nervennetz zugeleitet wird, und daß erst hier durch einen 
Widerstand und durch eine Summationserscheinung der Rhythmus zu- 
stande kommt. — 

Durch das Vorhandensein einer relativen und manchmal absoluten 
Refraktärphase in den Zentralorganen bekommt die oben entwickelte 
Auffassung der rhythmischen Atembewegungen einen festeren Halt, und 
die Entstehung rhythmischer Effekte auf kontinuierliche Anlässe hin 
erscheint weniger rätselhaft. 


Die rhythmischen Bewegungen des Wirbeltierherzens und der Medusen. 


Der Vergleich zwischen den Bewegungen des Herzens und denen 
der Medusen wird hier nicht zum erstenmal angestellt. Zuerst tat dies 
komanes (1876), imdem er auf den Rhythmus und seine Abhängigkeit 
von bestimmten Teilen, dann auf die Erscheinung der Treppe und 
des in beiden Fällen zutreffenden „Alles oder Nichts - Gesetzes“ hin- 
wies. Weitere Vergleichspunkte wurden von Uexküll (1901) gewonnen. 
Eingehende Beschäftigung mit den Medusen und dem Herzen haben 
mir gezeigt, daß die Analogie in der Tat noch viel weiter geht, so 
weit, daß ich sagen kann: Es gibt in der ganzen Tierreihe nicht 
zwei Erscheinungen, die sieh bei gleicher Komplikation und bei an- 
nähernd so ferner Verwandtschaft der Objekte derartig ähnlich sind, 
wie Herz- und Medusenbewegungen. Um einen, besonders für ver- 
gleichende Morphologen, paradoxen Ausdruck anzuwenden: Das Herz 
ist gleichsam eine in sich geschlossene und organgewor- 
dene Meduse. 


Der normale Rhythmus und seine Abhängigkeit von 
besonderen Teilen. 


Seitdem Stannius (1852) gezeigt hat, daß das Froschherz stehen 
bleibt, wenn man eine Ligatur zwischen Sinus venosus und Vorhof 


Die rhythmischen Bewegungen. 409 


anlegt, hat man fast allgemein die Ansicht angenommen, daß die nor- 
malen Herzkontraktionen vom Sinus ihren Ausgang nehmen. (Den 
gleichen Effekt erzielt man, wenn der Sinus vom Vorhof ganz abge- 
trennt wird.) An dieser Ansicht ist durch den Nachweis nichts ge- 
ändert worden, daß das Herz in der Regel einige Zeit nach Sinus- 
abtragung wieder anfängt zu schlagen. Bleibt das Herz reizlos liegen, 
so kann der Stillstand stundenlang andauern, manchmal bleibt er auch 
bis zum Absterben erhalten. (Dieser lange Stillstand schließt es aus, 
daß er auf hemmender Vagusreizung beruht, was einige Zeit beson- 
ders von Volkmann behauptet wurde.) Goltz (1861 und 1862) glaubte 
den späteren Wiederbeginn der Pulsationen auf Reize beziehen zu 
müssen, welche durch die Berührung mit der Luft auf das Herz ein- 
wirken, weil es ihm gelang, bei Sinusabschneidung unter Öl den 
Stillstand dauernd zu machen. Hiergegen ist allerdings — und viel- 
leicht mit Recht — eingewandt worden, daß das Herz im Öl erstickte, 
aber jedenfalls ist nie der Beweis geführt worden, daß die Ansicht 
Goltz’ falsch ist. 

Sicher ist, daß das sinuslose Herz durch Reize wieder zu Pul- 
sationen veranlaßt werden kann, zu denen auch gewisse Verletzungen 
(die dritte Stanniussche Ligatur, die Munkschen Stiche, 1566 und 
1878) gerechnet werden können. (Auf diese Erscheinungen werde ich 
später ausführlicher zurückkommen.) Da diese Reize sehr schwach 
sein können, so ist es durchaus nicht ausgeschlossen, daß auch die 
nach Sinusabtragung anscheinend spontan wieder auftretenden Pul- 
sationen durch Reize okkulter Art hervorgerufen werden. Gewisse 
Teile des Herzens, vor allem die sogenannte Herzspitze, zeigen aber 
nie wieder spontane oder spontan erscheinende Pulsationen, so daß 
wenigstens für diese absolut feststeht, daß sie die Reize zu ihren 
normalen Bewegungen von andern Herzteilen erhalten. Wenn nun 
auch wirklich die ganze Kammer oder der Vorhof oder Vorhof + Kammer 
(nach Abtrennung des Sinus) unter Umständen ohne erkennbaren 
äußeren Reiz rhythmische Kontraktionen ausführen können, worüber 
hier nieht diskutiert werden soll, so ändert dies doch nichts daran, 
daß alle diese Teile beim normalen Herzschlag offenbar den Rhythmus 
nicht selbst erzeugen, sondern auf Erregungen reagieren, die ihnen 
vom Sinus zugeführt werden (Engelmann und andre). 

In ganz analoger Weise bilden bei den Medusen, wie Eimer und 
Romanes gezeigt haben (siehe S. 106) die sogenannten Randkörper 
den Ausgangspunkt der rhythmischen Bewegungen. Solange noch ein 
Randkörper vorhanden ist, gehen die rhythmischen Kontraktionen 
weiter, ist auch dieser entfernt, so ist der im Vergleich zu den fort- 
genommenen Teilen so außerordentlich viel größere Rest wie gelähmt. 
Bei den eraspedoten Medusen dauert der Stillstand nach Romanes bis 


410 Die rhythmischen Bewegungen. 


zum Tode; nach Loebs Angabe (1899) treten aber nach etwa 
48 Stunden wieder rhythmische Bewegungen ein. Bei einigen acras- 
peden Medusen (Acalephen), z. B. bei Aurelia, ist der Stillstand (wie 
beim Herzen) von weniger langer Dauer; oft sollen schon nach einigen 
Minuten die Bewegungen wieder ihren Anfang nehmen. Das trifft aber 
nicht für alle acraspeden Medusen zu. Rhizostoma wird, wie Uexküll 
zeigte, dauernd in Ruhe versetzt; dasselbe gilt von Cotylorhiza. 
Bleiben die Tiere lange in abgestandenem Seewasser, so treten auch 
hier manchmal wieder rhythmische Kontraktionen ein, welche aber 
nach Uexküll auf Reize zurückzuführen sind, welche von absterbenden 
Hautpartien ausgehen. Durch stets frisch gehaltenes Wasser kann 
man derartige Reize mit ziemlicher Sicherheit abhalten, und es scheint 
nicht ausgeschlossen, daß sich die obige Angabe Loebs auf schlechtes 
Wasser beziehen läßt. Es wäre dann tatsächlich der Stillstand nach 
Fortnahme der Randkörper ein dauernder, falls andre Reize fern- 
gehalten werden. Dies deckt sich mit der von Goltz für das Herz 
gemachten Annahme, welche aber bisher nur für die Herzspitze mit 
Sicherheit bewiesen werden konnte. 

Unter normalen Umständen schlägt das Herz der Wirbeltiere an- 
dauernd und regelmäßig. Bei pathologischen Zuständen kommt es 
aber zu verschiedenartigen Unregelmäßigkeiten, vor allem zum Aus- 
fall einzelner oder mehrerer Pulse und zu Gruppenbildungen. Das 
Auftreten soleher Gruppen von Pulsationen liegt bei den Medusen in 
der normalen Breite. Die Länge der Gruppen und der Pausen 
schwankt unter verschiedenen Umständen und vor allem bei den ver- 
schiedenen Arten. Bei Rhizostoma bestehen die Gruppen aus Hunderten 
von Pulsen (manchmal fehlen Pausen ganz) und die Pulse sind sehr 
regelmäßig (Fig. 87). Bei Cotylorhiza kommt es selten zu mehr als 
s0—100 aufeinander folgenden Kontraktionen. Dann tritt meist eine 
Pause von dem Wert von 3— 20 Pulsen ein. Häufig sind die Gruppen viel 
kleiner (5— 20), auch wechseln kurze und lange Perioden. Der Rhythmus 
ist bei diesem Tier auch weniger regelmäßig als bei Rhizostoma; das 
gleiche gilt von manchen Craspedoten. (Siehe die Ausführungen von 
Romanes, der sich vergeblich bemüht hat, eine Gesetzmäßigkeit über 
die Periodenbildung aufzustellen.) 


Die Reaktionen des sinuslosen Herzens und der rand- 
körperfreien Meduse auf künstliche Reize. 


Stannius hatte bereits gezeigt, daß das zum Stillstand gebrachte 
Froschherz auf jeden mechanischen Einzelreiz mit einer einfachen 
Systole antwortet. Das Gleiche gilt, wie vielfache spätere Unter- 
suchungen zeigten, auch für einzelne Induktionsschläge. Auf die da- 


Die rhythmischen Bewegungen. 411 


bei zu Tage tretenden Koordinationserscheinungen in der Bewegung 
der einzelnen Herzabteile wird weiter unten eingegangen werden. Hier 
ist es für uns nur wesentlich, daß sich der Effekt stets an allen mit 
der Reizstelle in Verbindung stehenden Herzteilen zeigt, auch wenn 
die normale Anordnung durch Ziekzackschnitte gestört ist. So, wie 
das ganze (sinuslose) Herz, reagiert auch jeder einzelne Teil desselben, 
selbst die spontaner Bewegungen unfähige Herzspitze. 

Ganz das Gleiche läßt sich, wie Eimer und Romanes zuerst ge- 
zeigt haben, für die randkörperfreie Meduse feststellen. Jeder einzelne 


4 


Dr Pan ana sen LE LL ÄRA F ERELLELERLLÄLKELELLRE KL LT 
B 


Fig. 83. Treppenbildung. A von Rhizostoma, DB von 
Cotylorhiza. (Beide im Verlauf normaler Pulsationen). 
C von Carmarina durch elektrische Reize von gleicher 
Größe am randkörperlosen Tier erzeugt. Zeit = 0,5'r. 


mechanische Reiz und jeder überhaupt 

wirksame Induktionsschlag löst eine Tl 

Kontraktion des ganzen Tierrestes aus, HH HHH HH HH 
gleichgültig, ob sich alles im normalen & 

Zusammenhang befindet oder ob der 

Schirm zu einem langen Streifen aufgerollt ist. Jedes kleinste Stück 
des Schirmes, der noch Muskulatur (und Nervennetz) enthält, zeigt 
das Gleiche (siehe S. 106). 

1871 zeigte Bowditsch, daß das sinuslose Herz (oder irgend ein 
Stück desselben) stets mit einer maximalen Zuckung reagiert, wenn 
es überhaupt in Bewegung gerät. Läßt man Induktionsschläge auf 
das Herz einwirken, und verstärkt man dieselben langsam von un- 
wirksamen zu wirksamen, so tritt bei dem eben wirksamen Reiz keine 
kleinere Zuekung ein als bei Reizen, welche beliebig stärker sind. 
Dieses Phänomen ist unter dem Namen „Alles oder Nichts - Gesetz“ 
bekannt. (Über Ausnahmen von dem Gesetz siehe Kronecker 1883.) 
Deszleichen von Bowditsch rührt die Beobachtung her, daß die erste 
Zuckung einer Serie (gleichgültig wie stark der Reiz ist) meist kleiner 


412 Die rhythmischen Bewegungen. 


ist als die nächste und diese wieder kleiner als die folgende und so 
fort, bis schließlich eine gleichmäßige Höhe erreicht ist. Dieses Phä- 
nomen wird als Treppe bezeichnet und kommt auch bei Skelettmuskeln 
zur Beobachtung. 

Das „Alles oder Nichts - Gesetz“ gilt, wie Romanes gezeigt hat, 
und wie ich mich selber durch viele Versuche überzeugt habe, in 
seiner vollen Ausdehnung auch für die Medusen. Auch das Phänomen 
der Treppe läßt sich, wenn auch nicht jedesmal, so doch sehr häufig 
konstatieren. Es kommt auch beim normalen, selbständig pulsierenden 
Tier, besonders bei Cotylorhiza, am Anfang der Pulsgruppen zum Aus- 
druck (Fig. 83). 


Die Bewegungen der Medusen wurden auf folgende Weise aufgeschrieben: 
Das Tier wurde in Rückenlage in eine flache, mit Wachs ausgegossene Schale 
gebracht und mit einigen Stecknadeln nach Bedürfnis am Boden befestigt (meist 
genügen zwei bis drei Nadeln durch den nicht kontraktilen Mittelteil). Der 
Magenstiel wird als überflüssig entfernt. Darauf wurde die Schale soweit mit 
Seewasser gefüllt, daß der Schirmrand sich frei bewegen konnte. In den Schirm- 
rand wurde an einer Stelle ein Haken eingesetzt und der daran befestigte Faden 
über eine Rolle zu einem mit Anschlag versehenen Hebel geführt. Sollte zu 
gleicher Zeit von einem zweiten Punkt des Schirmrandes geschrieben werden, so 
wurde der Faden von der zweiten Stelle meist nicht direkt zu der über dem 
Hebel befindlichen Rolle geführt, sondern zunächst über eine zweite dieht am 
Sehirmrand angebrachte Rolle. Dies geschah, wenn der zweite Punkt dem ersten 
gegenüber lag. Waren die ziehenden Kräfte, wie in einigen späteren Versuchen, 
senkrecht zueinander gerichtet, so mußte der Faden sogar über zwei Hilfsrollen 
geführt werden. Bei der Größe und Kraft der Bewegungen spielen die eventuell 
zu erwartenden Fehler, wie ich mich überzeugt habe, keine wesentliche Rolle. 
(Zwei übereinanderstehende Hebel, mit feiner Einstellung und festangebrachten 
Rollen fand ich auf der zoologischen Station in Neapel vor. Von wem sie an- 
gefertigt sind, ist mir unbekannt.) 

Die angegebene Fixierung des Objektes genügt bei selbständig schlagenden 
Cotylorhizen und bei randkörperlosen Stücken aller Arten. Gute Kurven von 
selbständig schlagenden Rhizostomen und Karmarinen erhält man jedoch auf 
diese Weise nicht, weil sich diese Tiere aufs energischste gegen die Rückenlage 
wehren, solange sie Randkörper besitzen! Dagegen schlägt besonders Rhizostoma 
sehr ruhig und gleichmäßig, wenn man sie in Bauchlage fixiert, wobei aber darauf 
zu achten ist, daß der Schirmrand nirgends anschlägt. Nachdem der Magenstiel 
entfernt ist, steche ich einen Draht mehrfach von oben nach unten und wieder 
nach oben durch das nervenlose Glockenzentrum und wickele die Enden über 
einen Stab, welcher über einem großen Behälter mit Seewasser so befestigt 
ist, daß das Tier grade mit Wasser bedeckt ist. Die Übertragung geschieht 
wie oben. 

Die mechanische Reizung bereitet keine Schwierigkeiten, dagegen muß beim 
Reizen mit dem konstanten Strom oder mit Induktionsschlägen darauf geachtet 
werden, daß die Elektroden bis zur Berührungsstelle mit der Subumbrella gut 
isoliert sind. Am besten kam ich immer zustande, wenn ich elektrisch nicht 
unter Wasser reizte. Das ganze Tier befand sich im Wasser bis auf eine oder 
zwei kleine Stellen, an welchen die Elektroden angelegt wurden. Bei den in 
Bauchlage befestigten Tieren wurde zu diesem Zweck der Schirmrand an einer 


Die rhythmischen Bewegungen. 413 


Stelle nach oben gebogen und so in Zwangslage außer dem Wasser gehalten. 
Die Erregbarkeit erleidet dabei in längerer Zeit keine Einbuße. 

1858 zeigte Heidenhain, daß die nicht pulsierende Herzspitze 
resp. das zum Stillstand gebrachte Herz beim Reizen mit frequenten 
Induktionsschlägen wieder rhythmisch zu schlagen beginnt und zwar um 
so schneller, je stärker die Schläge sind. Bei ganz starken Strömen sollte 
es zu tumultuarischem Tetanus kommen. Der Versuch ist später oft- 
mals wiederholt (siehe Marey, 1876, Engelmanns Versuche am Bulbus, 
1882) und hat zu dem Resultat geführt, daß diese rhythmischen Be- 
wegungen nieht abhängig sind von der Anzahl der Unterbrechungen, 
sondern nur von der Stärke des Reizes; allerdings kommt die Zahl 
der Unterbrechungen insofern in Betracht, als bei einem Rollenabstand, 
bei dem Einzelschläge noch keine Kontraktionen auslösen, bei schnellem 
Wechsel Summierung eintritt. Ein wirklicher Tetanus kommt auch 
bei geringstem Rollenabstand unter normalen Verhältnissen nicht zu- 
stande. Die Kurve behält stets Zacken, die in rhythmischer Reihen- 
folge aufsitzen, jedoch sinkt die Kurve zwischen den Einzelbewegungen 
nicht mehr zur Abszisse ab. Werden die Rollen während der Reizung 
allmählich übereinander geschoben, so nimmt die Zahl der Kontrak- 
tionen bis zu einem bestimmten Punkt zu; dann kann durch noch 
weitere Steigerung der Reizstärke die Zahl nicht mehr vergrößert 
werden. Bei niedriger Temperatur ist diese Maximalzahl kleiner als 
bei höherer (Engelmann). 

Dieselben Verhältnisse zeigen sich auch bei den Medusen. Bei 
faradischer Reizung treten am randkörperlosen Tier wieder rhyth- 
mische Kontraktionen ein (Romanes), und zwar steigt ihre Zahl mit 
der Stärke der Ströme, führt aber auch hier nie zu vollkommenem 
Tetanus (von Uexküll). Die Maximalzahl ist wie beim Herzen bei 
höherer Temperatur größer als bei niederer (Bethe). In Fig. 84 gebe 
ich Kurven, welche die Abhängigkeit von der Reizstärke zeigen. 
Diese rhythmischen Kontraktionen gehen beim Herz und bei der Me- 
duse stets von der gereizten Stelle aus, so daß sich z. B. bei Reizung 
der Herzkammer diese zuerst kontrahiert. Wird das normale Herz oder 
die normale Meduse mit faradischen Reizen behandelt, welche einen 
schnelleren Rhythmus ergeben als den der spontanen Pulsationen, so 
tritt nur der erstere zu Tage (Heidenhain, Bethe). In der Regel 
hören die durch faradische Reizung hervorgerufenen Pulsationen so- 
wohl beim Herzen wie bei den Medusen in dem Augenblick auf, wo 
die Reizung beendet wird. Gelegentlich kann man aber am sinus- 
losen Herzen beobachten, daß die Pulsationen noch einige Zeit nach 
dem Aufhören des Reizes fortdauern (Scherhey, 1880, Bethe). Bei 
den meisten von mir untersuchten Medusenarten habe ich eine der- 
artige Nachwirkung, welche auch beim Herzen immer eine Ausnahme 


414 Die rhythmischen Bewegungen. 


ist, nur unter besonderen Bedingungen (in schlechtem Seewasser, bei 
schwacher Alkohol- oder Kohlensäurevergiftung) beobachtet. Dagegen 
scheint sie bei Carmarina stets vorhanden zu sein, wenn der vorher- 


Bei 2 cm Rollenabstand 


Bei +em Rollenabstand 


Bei 7cm Rollenabstand 


Fig. 84. Rhythmische Kontraktionen, welche bei einer randkörperlosen Cotylorhiza durch faradische 
Reizung bei verschiedenem Rollenabstand erzeugt sind. Der Zeitschreiber gibt halbe Sekunden an. 


chende Reiz intensiv war. (Auch bei Cotylorhiza habe ich mehrmals 
an frischen Exemplaren längere Nachwirkung beobachtet.) Bei diesem 
Tier kann es nach Aufhören des Reizes zu über hundert regelmäßigen 


Die rhythmischen Bewegungen. 415 


Pulsen kommen, auf die dann wieder dauernde Ruhe folgt. Man 
könnte geneigt sein, die Nachwirkung auf eine Veränderung an der 
Reizstelle zurückzuführen, welche nach dem Aufhören des eigentlichen 
Reizes erregend wirkt. Das ist aber bei Carmarina sicher nicht der 
Fall: Schneidet man während der Nachwirkung die 
randkörperfreie Carmarina in zwei Hälften, von denen 
die eine die Reizstelle mit der ganzen Umgebung ent- 


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Fig. 85. Mechanische Reizung des Froschherzens mit dem elektrisch angetriebenen Reizhämmerchen. 

4A Tetanische Reizung des stillstehenden sinuslosen Herzens. B Hervorrufung von Extrasystolen bei 

einem sehr langsam schlagenden Herzen. — Der Reizapparat ist beide Mal auf der Kammer an- 

gesetzt. Unten Reizmarke, in der Mitte Vorkammer, oben Kammer. In B erkennt man, daß das 
Fallen des Hammers /(R) fast keine Veränderung der Kurve gibt. 


hält, so dauern die Pulsationen (in beiden Stücken) 
fort, um nach einiger Zeit in beiden Stücken ziemlich 
sleiechzeitig zu erlöschen. (Durehschneidung gibt nie dauernde 
Pulsationen.) 

Was bei frequenter elektrischer Reizung gilt, gilt auch sowohl für 
das Herz wie die Meduse bei frequenten mechanischen Reizen. Medusen 
werden, wie schon auf S. 359 erwähnt, leicht durch Tropfen erregt, 
welehe auf die Subumbrella fallen. Läßt man die Tropfen langsam 
auf das randkörperfreie Tier fallen, so folgt auf jeden Tropfen eine 


416 Die rhythmischen Bewegungen. 


Systole. Bei gleicher Fallhöhe kann die Zahl dieser rhythmischen 
Kontraktionen bis auf eine bestimmte Höhe gebracht werden, welche 
erst überschritten wird, wenn nicht mehr die Zahl, sondern die Fall- 
höhe (also die Reizstärke) gesteigert wird. 

Nach einem mechanischen Reizverfahren, das weiter unten be- 
schrieben ist, habe ich den ersten Teil auch fürs Herz sicher stellen 
können, daß nämlich die Zahl der Kontraktionen, welche am sinus- 
losen Herz auf mechanische Reize eintreten, bei geringer Zahl propor- 
tional der Reize ist, daß aber von einer variierenden Pulsationszahl 
an keine Vermehrung derselben durch Vermehrung der Reize bewerk- 
stelligt werden kann. Bei Verstärkung der Reize, welche nur in ge- 
ringem Grade möglich war, trat auch eine merkliche Vermehrung der 
Pulsationen ein. (Siehe Fig. 854). Zu den mechanischen Reizen kann 
auch die nur beim Herzen anwendbare Drucksteigerung gerechnet 
werden. Wird der Druck im sinuslosen Herz oder in der Herzspitze 
vermehrt, so treten wieder rhythmische Kontraktionen ein, deren Fre- 
quenz abhängig ist von der Stärke des Druckes (Roßbach, 1874, 
Ludwig und Luchsinger, 1881). 

Zur Methodik der Herzversuche: Die größte Zahl meiner Herzversuche sind 
am ausgeschnittenen Organ ausgeführt. Zum Schreiben habe ich in der Regel 
ausbalancierte Fühlhebel benutzt. Ich gebe dieser älteren Methode vor dem 
jetzt moderneren Suspensionsverfahren überall da (auch beim Herz in situ) den 
Vorzug, wo während des Versuchs gereizt werden soll, weil die Pelotten ge- 
statten, den Reiz an denselben Stellen anzusetzen, welche ihre Bewegung dem 
Hebel mitteilen. Wenn man von zwei oder gar drei Stellen schreibt und von 
ebensovielen Stellen imstande sein will, Reize einwirken zu lassen, so ist für das 
Anbringen der Reize an gesonderten Stellen nur wenig Platz. Einige andre 
Vorteile der Fühlhebel, in der von mir benutzten Ausführung, ergeben sich 
von selbst. — 

Zur elektrischen Reizung waren die Pelotten folgendermaßen konstruiert: 
In zwei dünne Kapillarröhren war je ein Platindraht eingeschmolzen, welcher 
am Ende hervorsah. Beide Röhren waren mit den Längsseiten aneinander ge- 
schmolzen und hatten unten eine gemeinsame Verdickung von 1,5 mm Durch- 
messer. Aus diesem Knopf ragten die zugespitzten Drahtenden '/, mm hervor. 
Diese Doppelröhrchen wurden verschieblich am Hebel befestigt. An die oberen 
Enden der Platindrähte wurde je ein Lamettafaden angelötet, der am Drehpunkt 
des Hebels in einen isolierten Kupferdraht überging. Die beiden Kupferdrähte 
wurden dann zur sekundären Spirale oder zu einer galvanischen Kette geführt. 
Die unteren Spitzen dringen bis zum Glasknopf ins Herz ein und garantieren 
eine stets gleiche Reizung. Sie verhindern auch, daß das Herz sich verschiebt, 
so daß man bei Anwendung mehrerer derartiger Pelotten kaum noch nötig hat, 
das Herz auf der Korkplatte zu befestigen. 

Für die mechanische Reizung wurde die Tatsache verwertet, daß ein frei- 
beweglicher Eisenkern in eine durchströmte Spirale hineingezogen wird. Eine 
Kapillare von 0,5 mm Lumen und 1,5 em Länge wurde mit zwei kleinen Spiralen 
umgeben, einer unteren und einer oberen. Das eine Ende der unteren Spirale 
wird mit einem Ende der oberen Spirale verbunden, und die so übrigbleibenden 
drei Drähte werden wieder mit Lametta wie oben verbunden. Mit Hilfe eines 


Die rhythmischen Bewegungen. 417 


in geeigneter Weise geschalteten Telegraphentasters, kann der Strom eines 
Elements bald durch die eine, bald durch die andre Spirale geschickt werden. 
(Es ist darauf zu achten, daß die Pole der Spulen gleichgerichtet sind, damit 
der Eisenstab nicht ummagnetisiert zu werden braucht.) Um Eindringen von 
Serum in die Kapillare zu verhindern, wird sie am unteren Ende mit sehr 
dünner Kordon-Membran überbunden. Ins Innere kommt ein Eisenstäbehen von 
auszuprobierender Länge. Geht der Strom durch die obere Spirale, so schwebt 
das Stäbchen frei, wird der Strom umgeschaltet, so wird es gegen die Membran 
geschleudert und gibt so einen Reiz auf diejenige Herzstelle ab, auf welcher der 
mit dem kleinen Instrument armierte Hebel ruht. Durch Variation der Strom- 
stärke, welche natürlich bei der Dünne des Drahtes sehr beschränkt bleiben 
muß, und durch Einführung eines kürzeren oder längeren Eisenstäbehens kann die 
Anschlagskraft verändert werden. Da man den Schlüssel bis zu siebenmal in der 
Sekunde mit der Hand bewegen kann, reicht diese Art der Umschaltung vollkommen 
aus, um für das Herz eine tetanische, mechanische Reizung zu erzielen. Da die 
Dämpfung ziemlich stark ist, zeigen die Kurven beim Herunterfallen des Stäbchens 
(also im Reizmoment) nur eine minimale Knieckung, welche nicht stört. Eine 
stärkere Erschütterungserscheinung macht sich beim Emporschnellen des Stäbehens 
geltend (Fig. 85 3). Häßlich sind diese kleinen Zäckchen nur bei frequenter Be- 
wegung des Eisenteils (Fig. 85 4). Das Gesamtbild der Kurve wird jedenfalls 
bei diesem Verfahren sehr viel weniger gestört, als bei dem meist angewandten 
Stechen mit einer Nadel. Außerdem ist die Methode sehr schonend, indem man 
dieselbe Stelle sehr oft reizen kann, ohne daß der Effekt ausbleibt. Die Reizung 
greift sicher nicht mehr als einen halben Millimeter auf die Umgebung über. 


Am längsten ist als Erzeuger rhythmischer Kontraktionen beim 
stillstehenden Herz der konstante Strom bekannt (Eekhard, 1858. 
Weiter ausgeführt von Bernstein, 1871, Scherhey, 1880, und anderen). 
Läßt man den konstanten Strom durch das ganze stillstehende Herz 
oder durch einen Teil hindurch gehen, so tritt bei schwachen Strömen 
nur beim Öffnen und Schließen eine einfache Systole ein. Bei stär- 


kerem Strom — auch wenn das Präparat in denselben hinein- 
geschlichen wird (Bernstein) — setzen rhythmische Kontraktionen ein, 


welche von der Anode (!) ausgehen, so daß sich also die Kammer zuerst 
kontrahiert, wenn der Strom von der Kammer zum Vorhof geht. 
(Hiervon sollen besonders bei schwächeren Strömen Ausnahmen vor- 
kommen.) Beim Schließen und Öffnen des Stromes zueken Vorhof 
und Kammer stets gleichzeitig. Die Dauer der rhythmischen Kon- 
traktionen und ihre Frequenz hängen bis zu einem gewissen Grade 
von der Stromstärke ab. Bei schwachen Strömen sind die Pulse 
langsam und hören bald auf, bei stärkeren folgen sie einander 
schneller und dauern länger an. 

Sowohl die reizende Wirkung der Anode (beim Nerven und 
beim Skelettmuskel geht die Erregung stets von der Kathode aus) 
als auch die Erzeugung eines Rhythmus durch einen konstanten 
Reiz (der doch auch bei Erhöhung des Druckes und bei chemischen 
Reizen vorliegt!) haben die Aufmerksamkeit im hohen Grade erweckt, 
und man hat versucht, diese anscheinend paradoxen Phänomene ihrer 

Bethe, Nervensystem. I7 


418 Die rhythmischen Bewegungen. 


Sonderstellung zu entziehen. Die Wirkung der Anode hat Bernstein 
darauf zurückführen wollen, daß hemmende Apparate in Anelektro- 
tonus versetzt würden, und Kaiser (1894) hat die Wirkung des kon- 
stanten Stroms als rhythmische Erregung des Herzens zu interpretieren 
gesucht, indem das Herz durch die erste Kontraktion eine Widerstands- 
veränderung erzeugte, welche beim Aufhören den Reiz für die nächste 
Systole abgäbe. Sowohl der Versuch, die Umkehr des Erregungs- 
gesetzes (die übrigens nach Verworn auch bei Protisten besteht) als 
eine scheinbare hinzustellen, als auch das Bestreben, die Wirkung 
des konstanten Stroms auf rhythmische Schwankungen desselben zurück- 
zuführen, dürften schwerlich der Tatsache gegenüber aufrecht erhalten 
werden können, daß es gar nicht nötig ist, das ganze Herzstück zu 
durchströmen. Wenn man’ irgendwo am stillstehenden Herzen zwei 
Elektroden aufsetzt, deren Abstand nur 0,5 mm beträgt, so treten bei 
derselben Stromstärke rhythmische Pulsationen ein, bei der man sie 
bei Durehströmung des ganzen Herzens erhält. Man kann den Ver- 
such auch mit dem gleichen Erfolg in der Weise ausführen, daß man 
von der Kammer oder Vorkammer einen langen, dünnen Streifen so 
abtrennt, daß er nur durch eine dünne Brücke mit dem Rest zu- 
sammenhängt und das periphere Ende desselben durchströmt. Gegen 
die Auslegung Kaisers sind auch von Langendorf (1894 und 1895) 
und Trendelenburg (1900) gewichtige Bedenken erhoben. Vor allem 
dürfte sie durch den von Trendelenburg geführten Nachweis widerlegt 
werden, daß die rhythmischen Kontraktionen die Öffnung des Stromes 
bisweilen lange überdauern. Danach wird man also im konstanten 
Strom an sich einen Reiz sehen dürfen, der durch die Strukturen des 
Herzens selber in einen rhythmischen umgewandelt wird. Die rhyth- 
mische Aktion ist hier augenscheinlich durch dieselben Momente be- 
dingt, welche auch andre kontinuierliche Reize mit rhythmischen 
Effekten beantworten lassen. (Ich erinnere hier noch einmal daran, 
daß auch bei Reizung der Nerven von Aplysia mittels des kon- 
stanten Stroms rhythmische Kontraktionen zustande kommen [S. 407]. 
An eine Änderung des Leitungswiderstandes wird hier jedenfalls nicht 
gedacht werden können.) 

Einige Versuche, die ich mit konstanter Durchströmung bei 
Cotylorhiza anstellte, führten zu einem ziemlich mangelhaften Resultat. 
Öffnung und. Schließung lösten Kontraktionen aus; während der 
Schließung traten aber nur vereinzelte Pulsationen ein. Ich bat dann 
Herrn v. Uexküll noch einige Versuche für mich anzustellen, welche 
er bereitwilligst an Rhizostoma ausführte, wofür ich ihm hier nochmals 
danke. Er erhielt hier, gleichgültig wo die Elektroden aufgesetzt 
wurden, bei einem Elektrodenabstand von I em und von einer Strom- 
stärke von 20 Milliampere ab rhythmische Kontraktionen des ganzen 


Die rhythmischen Bewegungen. 419 


Tierstücks. (Ich vermute danach, daß ich seinerzeit bei meinen 
Versuchen zu geringe Stromstärken angewandt habe.) Also auch 
bei Medusen wird konstante Durchströmung irgend eines Teils der 
reizaufnahmefähigen Oberfläche mit rhythmischen Bewegungen be- 
antwortet. 

Auch auf chemische Reize hin führt sowohl das zum Stillstand 
gebrachte Herz wie die randkörperlose Meduse rhythmische Bewegungen 
aus. Für das Herz liegen viele derartige Angaben vor; so können 
rhythmische Pulsationen durch einen aufgelegten Kochsalzkristall, 
durch stärkere Salzlösungen, durch Betupfen mit Salzsäure u. s. w. 
hervorgerufen werden (Langendorff, 1884). — Bei Medusen sind der- 
artige Versuche zuerst von Loeb (1900) ausgeführt worden. Loeb 
kommt bei seinen Versuchen zu dem Resultat, daß es sich um Ionen- 
wirkungen handle, und zwar gäbe es rhythmusanregende Ionen (vor 
allem Na) und rhythmushindernde Ionen (K und Ca). Wird eine Gonio- 
nema in zwei Teile geschnitten, von denen der eine den Randring 
enthält, der andre aus dem Glockenzentrum besteht, so schlägt in 
Seewasser, wie wir oben gesehen, nur der erstere weiter. Bringt er 
nun das Zentrum in isotonische Kochsalzlösung, so fängt es wieder zu 
schlagen an; wird dagegen der Rand in eine Lösung gebracht, welche 
viel Ca und K enthält, so hört er mit den rhythmischen Bewegungen 
auf. Außerdem zeigte sich, daß das normale Tier um so mehr Kon- 
traktionen in der Minute ausführt und daß die Pulsationsreihen um 
so länger sind, je mehr NaCl das Wasser im Verhältnis zu Ca und 
K enthält. Er zieht den Schluß, daß in den Randkörpern, von denen 
normalerweise der Rhythmus ausgeht, das Verhältnis von Na:Ca—+K 
größer sei als in den übrigen Teilen der Glocke. 

So interessant diese Versuche sind, so glaube ich doch, daß Loeb 
in seiner Schlußfolgerung über das Zulässige hinausgeht. Schon der 
Umstand, 'daß die Temperatur und gewisse Reize auf den Rhythmus 
einen starken Einfluß haben, dürfte, soweit sich das im Augenblick 
überblicken läßt, einer so einfachen chemisch - physikalischen Er- 
klärung entgegenstehen, einer Erklärung, welche die erst zu beweisende 
Ansicht zur Grundlage hat, daß der Rhythmus in der Hauptsache 
muskulären Ursprungs ist. Untersuchungen, welche ich selber über 
die Wirkung chemischer Substanzen ausgeführt habe, führten zu Re- 
sultaten, welche vielleicht doch die Loebschen Versuche in einem andern 
Licht erscheinen lassen. 

Da ich Gonionema nicht zur Verfügung hatte, habe ich meine Versuche an 
Carmarina, Cotylorhiza und vor allem an Olindias Müllerii ausgeführt. Unzweifel- 
haft richtig erscheint es mir, daß NaCl am meisten geeignet ist, um rhythmische 
Kontraktionen an randlosen Tieren auszulösen. Die Zahl derselben ist aber bei 
manchen Arten nur gering (Cotylorhiza, Carmarina), wenn man das Tierstück, 


DS 


420 Die rhythmischen Bewegungen. 


wie Loeb es tat, in eine dem Seewasser äquimolekulare Lösung bringt. Wie 
bereits v. Uexküll gezeigt hat, treten aber auch wieder Pulsationen auf, wenn 
nicht das ganze Tierstück der NaCl-Wirkung ausgesetzt, sondern nur an einer 
kleinen Stelle der Subumbrella ein Salzkristall aufgelegt wird. Hierbei entsteht 
natürlich an der betreffenden Stelle eine hypertonische Lösung, man erreicht 
aber auch denselben Effekt, nur mit geringerer Wirkungsdauer, wenn man mit 
dem Pinsel auf eine freiliegende Stelle eine Lösung von Kochsalz heraufbringt, 
welehe isotonisch oder schwach hypertonisch ist. Daraus geht zunächst hervor, 
daß NaCl jedenfalls nebenbei auch die Fähigkeit hat lokal zu reizen. Diese 
Eigenschaft einen lokalen Reiz abzugeben, kommt auch Kaliumsalzen (Acetat 
und Chlorid) und andern Salzen zu. 

Vermehrung des KCl soll nach Loeb normale Tiere zur Ruhe bringen und 
zum Stillstand gebrachte Tiere nicht zu Kontraktionen anreizen. Ich habe dies 
für Carmarina, besonders aber für Olindias nicht in vollem Maße bestätigen 
können. Wurde der Gehalt des Seewassers an KCl auf 1°/, gebracht, so wurde 
die Zahl der rhythmischen Bewegungen normaler Tiere zunächst nicht un- 
erheblich vermehrt, wurde dann geringer und war nach ein bis zwei Minuten 
gleich 0. Randkörperlose Tiere begannen in derselben Lösung meist wieder zu 
pulsieren — bis zu 25 großen Pulsationen —, um nach spätestens einer Minute 
wieder stillzustehen. Dieser Stillstand beruht nun aber nicht auf einem 
Mangel an Anregung zu rhythmischer Bewegung, sondern auf 
direkter Lähmung. Während sonst bei stillstehenden Medusen jede Be- 
rührung und jede faradische Reizung mit Sicherheit Kontraktionen hervorruft, 
kann man nach einem zwei Minuten langen Verweilen in der KCl-reichen Lösung 
so stark reizen, wie man will, es treten keine Kontraktionen ein. 
Diese Lähmung wird aufgehoben, wenn man die Tierstücke (oder die ganzen 
Tiere) in normales Seewasser zurückbringt. Daß die normalen Tiere bei Wieder- 
kehr der Erregbarkeit nach dem Zurückbringen in Seewasser ihre rhyth- 
mischen Bewegungen wieder aufnehmen, kann nicht befremden; auffallend 
ist es aber, daß auch die randlosen Stücke eine Zeitlang pul- 
sieren. Dies tritt mit größerer Sicherheit ein als beim Verbringen in die KCI- 
reiche Lösung. (Es kamen in einzelnen Fällen 50—70 große und regelmäßige 
Pulsationen zur Beobachtung.) 

Längere Reihen von rhythmischen Bewegungen bei randlosen Olindias er- 
zeugte ich, wenn ich sie in Seewasser, dessen KCl-Gehalt nur um 0,25 °/, vermehrt 
war, brachte. Hier können bis zu 75 Pulsationen erfolgen. Nach dem Aufhören 
derselben bleibt die Erregbarkeit noch eine Zeitlang erhöht, so daß 
man auf einen einzelnen mechanischen Reiz, auf den sonst nur eine Systole 
erfolgt, Reihen von drei bis fünf Kontraktionen erhält. Auch faradische Reizung, 
welche bei Olindias sonst nie eine Nachwirkung ergab, gibt hier nach Aufhebung 
des Reizes eine Nachwirkung von drei bis acht Kontraktionen. Allmählieh tritt 
dann auch hier eine depressive Wirkung ein, welche aber nie bis zu 
vollkommener Unerregbarkeit führt. 


Danach muß ich die Behauptung aufstellen, daß eine verhältnismäßige Ver- 
mehrung des KCl-Gehalts zunächst reizend wirkt (Pulsationsvermehrung oder 
Anregung zu solchen) und daß sich erst weiterhin die von Loeb beschriebene, 
depressive Wirkung kund tut. (Die exzitative ist nur bei wenigen Arten aus- 
gesprochen vorhanden und scheint ihm daher entgangen zu sein.) Die depressive 
Wirkung besteht aber in einer Erhöhung der Reizschwelle, welche bis zur voll- 
kommenen Unerregbarkeit führen kann. Gegen die Loebsche Schlußfolgerung, 
daß die Na-Ionen das anregende Element seien, oder wenigstens gegen ihre Ge- 
neralisierung spricht der Befund, daß das normale Seewasser, dessen Na-Gehalt 


Die rhythmischen Bewegungen. 421 


ja nach Loebs Ansicht nicht ausreicht, um das randlose Tier in Pulsationen zu 
versetzen, nach voraufgegangener Behandlung mit zuviel KCl eine ganze Zeit- 
lang rhythmische Kontraktionen auslöst. 


Mir scheint aus diesen und den folgenden Versuchen hervor- 
zugehen, daß fast jede Veränderung in der verhältnismäßigen Zu- 
sammensetzung des Seewassers (und noch mehr solehe Veränderungen 
desselben, bei denen der Bestand an gelösten Stoffen vermehrt oder 
vermindert wird) Veranlassung zu rhythmischen Kontraktionen gibt 
oder die Zahl der bereits vorhandenen vermehrt. Dabei ist es gleich- 
gültig, ob die Veränderung zum abnormen oder zum normalen Ver- 
hältnis hin stattfindet. Bei manchen Arten kommt es nicht zu wirk- 
lichen Kontraktionen, sondern nur zu einer gesteigerten Reizbarkeit. 
Bei gewissen Veränderungen, z. B. bei zu hohem K-Gehalt, kommt es 
sekundär zu einer depressiven Wirkung, welche bei abnorm hohem 
Na-Gehalt nicht eintritt. Ob es sich hier aber um spezifische Wirkung 
der Metallionen handelt, scheint mir zweifelhaft, weil sich ähnliche 
Wirkungen, wie mit KCl auch mit nichtionisierten Körpern und mit 
Kohlensäure erzielen lassen: 


Bei Einleitung von CO, in ein Bassin, in dem sich normale und randlose 
Medusen befinden, wird das Tempo der normalen zunächst erhöht und die bis 
dahin unbewegten Stücke zeigen schwache rhythmische Kontraktionen oder 
wenigstens erhöhte Erregbarkeit. Nach einigen Minuten wird die Erscheinung 
schwächer und schließlich (nach etwa 20’) hören auch die normalen Tiere auf zu 
pulsieren. Zunächst ist noch schwache Erregbarkeit vorhanden, die in 
wenigen Minuten ganz erlischt. Einige Zeit nach dem Zurück- 
bringen in gutes Seewasser fangen die normalen Tiere wieder an 
sich zu bewegen, machen dann ein Stadium durch, in dem die 
Zahl der Kontraktionen weit über die Norm vermehrt ist, um 
dann schließlich wieder ihr altes, der Wassertemperatur und 
Tiergröße entsprechendes Tempo aufzunehmen. Bei den rand- 
losen Tieren zeigt sich stets (nach dem Wasserwechsel) ein Stadium 
erhöhter Erregbarkeit, in dem häufig einige selbständige Kon- 
traktionen zustande kommen. 

Bei Zusatz von Rohrzucker zum Seewasser geraten normale Carmarinen 
und Olindien in wilde Kontraktionen, die bald in Lähmung übergehen. Des- 
gleichen werden randkörperlose Tiere zu längeren Pulsationsreihen (50—60) ver- 
anlaßt. Beim Zurückbringen in reines Seewasser treten zunächst wieder Pul- 
sationen ein, die der normalen Ruhe weichen. Die nötige Zuckermenge ist so 
gering, daß die Veränderung des osmotischen Drucks wohl kaum eine Rolle 
spielt. Versuche mit äquimolekularen Lösungen habe ich leider nicht ausgeführt. 
(Nach Loebs Angaben haben nichtionisierte, indifferente Körper keine Wirkung 
auf den Rhythmus.) Daß Alkohol rhythmische Kontraktionen auslösen kann, ist 
schon oben erwähnt (S. 359); von Essigsäure ist es bereits durch Romanes 
festgestellt. 


Sieher ist aus dieser Zusammenstellung ersicht- 
lich, daß die zum Stillstand gebrachte Meduse in 
ebenso vollkommenem Maße wie das Herz durch che- 


422 Die rhythmischen Bewegungen. 


mische Beeinflussung zum erneuten Schlagen gebracht 
werden kann. Innerhalb dieser Mittel wird man jedenfalls unter- 
scheiden müssen zwischen solchen, welche in derselben Weise, 
wie der faradische Strom, als lokaler Reiz wirken und denen, 
welche die Erregbarkeit des Gewebes erhöhen. Eine ledig- 
lich periphere Reizung glaube ich dem Zucker, der Essigsäure und 
der Kohlensäure, vielleicht auch dem Kaliumchlorid zusprechen zu 
müssen. Diese Substanzen bringen zum Teil sekundäre Lähmungs- 
erscheinungen hervor. Dadurch, daß sie als peripherer Reiz wirken, 
bewirken sie mittelbar eine gesteigerte Erregbarkeit. Alkohol 
wirkt in schwachen Dosen sicherlich nicht als peripherer Reiz, weil 
die Kontraktionen erst nach längerer Zeit eintreten. Ich glaube an- 
nehmen zu dürfen, daß hier eine innerliche und direkte Steigerung 
der Erregbarkeit vorliegt. Sowohl reizend, als auch direkt die Erreg- 
barkeit steigernd scheint NaCl zu wirken. Weitere Untersuchungen 
sind hier aber jedenfalls noch sehr wünschenswert. 

Ich fasse noch einmal zusammen: Beim nieht pulsierenden 
Herzen (oder Teilen desselben) und bei stillstehenden 
Medusen und Medusenstücken wird jeder einmalige 
Reiz, sei er mechanisch oder elektrisch, nur mit einer 
einzigen Kontraktion beantwortet. Dauerreize, gleich- 
gültig, ob sie aus einer schnellen Aufeinanderfolge 
von Einzelreizen bestehen (faradische und wiederholte 
mechanische Reizung), oder kontinuierlich sind (kon- 
stanter Strom, chemische und osmotisch Reize), rufen 
rhythmische Pulsationen hervor. Die Zahl derselben 
ist in gewissen Grenzen von der Stärke des Reizes ab- 
hängig. 

Jeder Teil des Herzens und der Meduse ist also rhythmischer 
Bewegungen fähig, wenn ihm nur genügend starke Reize zugeführt 
werden. Das nötige Reizquantum ist bei den einzelnen Abteilungen 
des Herzens und den verschiedenen Regionen des Medusenkörpers, 
noch mehr bei den verschiedenen Medusenarten sehr verschieden groß, 
und hierauf scheint es zu beruhen, daß manche Medusenarten nach 
Fortnahme der Randkörper und das Herz ohne Sinus anscheinend von 
selber wieder anfangen zu schlagen, während dies bei andern Arten 
und bei der sogenannten Herzspitze nicht der Fall ist. Man wird 
vermuten dürfen, wie das Goltz zuerst für das Herz getan hat und 
wie dies für manche Medusenarten bereits bewiesen ist, daß okkulte 
Reize den Wiederbeginn der Pulsationen verschulden. Eine weitere 
Konsequenz, die ebenfalls zuerst von Goltz ausgesprochen wurde und 
die später von Rosenthal akzeptiert worden ist, ist die, daß auch die 
normalen Herzbewegungen von dauernden geringen Reizen ausgehen, 


Die rhythmischen Bewegungen. 423 


daß aber die Empfindlichkeit der betreffenden Teile, nämlich des 
Sinus, so groß ist, daß es nicht gelingt, alle Reize von ihm fern zu 
halten. Dieser Reflextheorie der Herzaktion stehen die Theorien ent- 
gegen, welche die Herzaktion aus automatischen Eigenschaften der 
Herzganglien (Volkmann, Langendorff und viele andre) oder aus 
automatischen Eigenschaften des Herzmuskels (Gaskel, Engelmann) 
erklären wollen. 

Es soll weiterhin gezeigt werden, inwiefern die Medusen ge- 
eignet sind, hier eine Entscheidung herbeizuführen. Zunächst soll 
aber die Analogie zwischen Herz und Meduse noch weiter durch- 
geführt werden. 


Refraktäres Stadium, Extrasystole und kompensato- 
rısches kulhe. 

Im Jahre 1876 zeigte Marey, daß das Herz während einer ge- 
wissen Zeit der Pulsation nicht reizbar ist. Die Ausdehnung dieses 
Refraktärstadiums schwankt individuell und ist in hohem Maße von 
der Temperatur und der Stärke des Reizes abhängig. Marey stellte 
diese außerordentlich wichtigen Versuche in der Weise an, daß er das 
normal schlagende, im Körper befindliche Froschherz schreiben ließ 
und der Kammer in den verschiedenen Stadien der Zuckungskurve 
einen Induktionsschlag versetzte. Traf der Reiz das Herz während 
der Systole (bei mittlerer Temperatur), so war er unwirksam; er rief 
aber eine neue Systole (systole provoquee, Extrasystole) hervor, wenn 
er am Anfang der Diastole angesetzt wurde. Je später der Reiz an- 
gesetzt wird, desto schneller tritt die Extrasystole ein und desto größer 
ist ihre Stärke. Bei höherer Temperatur nimmt die Ausdehnung des 
Refraktärstadiums ab. 

Diese Befunde wurden von Engelmann, Lowen und andern be- 
stätigt und erweitert. Die Erscheinungen treten auch am ausgeschnit- 
tenen, sinuslosen Herzen in Erscheinung. Folgen zwei Reize dicht 
aufeinander, so ist der zweite unwirksam, solange er in das Refraktär- 
stadium der durch den ersten hervorgerufenen Zuckung fällt (Fig. 86). 

Die Kurven wurden in folgender Weise hergestellt: Die isolierte Kammer 
lag auf einer Korkplatte und war mit einem Schreibhebel versehen, durch dessen 
Pelotte Induktionsschläge zugeführt werden konnten. Am Kymographion waren 
zwei Kontakte angebracht, welche mit zwei getrennten Induktionsapparaten in 
Verbindung standen. Die bei Aufhebung der Kontakte entstehenden Offnungs- 
schläge wurden den Herzelektroden zugeführt. Der eine Kontakt stand fest, 
der andre konnte in seiner Lage zu ersterem durch eine Schraube verschoben 
werden, so daß beide Schläge mehr oder weniger rasch aufeinander folgten. 
Um den Moment der zweiten Reizung auf der Kurve zu markieren, wurde die 
Methode angewandt, einen Induktionsfunken von der Spitze des Schreibhebels 
zur Trommel des Kymographions durchschlagen zu lassen. Diese in Deutschland 
wenig angewandte Methode hat den großen Vorteil, daß man keine Projektion 


4 


[8] 


4 Die rhythmischen Bewegungen. 


auf den Kurven vorzunehmen hat, weil der Funke sich auf der Kurve selbst als 
Punkt markiert. Die gleichzeitige Abgabe eines Offnungsinduktionsschlages für 
das Herz und für die Reizmarke wurde in der Weise bewerkstelligt, daß der 
selbsttätig vom Kymographion geöffnete Stromkreis nur durch die primäre Spirale 
eines Ruhmkorffschen Apparats ging. In geeigneter Entfernung von diesem war 
die sekundäre Spirale eines einfachen Induktionsapparats aufgestellt, welche mit 
den Herzelektroden verbunden war. Auch mit Hilfe des Apparats für mecha- 
nische Reizung ließen sich Extrasystolen gut hervorrufen (Fig. 85 2.). 

Durch die Entdeckung des Refrak- 
tärstadiums ist es Marey gelungen, die 
meisten der im vorigen Abschnitt be- 
sprochenen Erscheinungen verständlich zu 
machen. Daß das Herz bei konstanten 
und tetanischen Reizen mit rhythmischen 
Pulsationen antwortet, daß die Zahl der 
Pulsationen nur von der Stärke des Reizes, 
aber nicht von der Anzahl der Unter- 
brechungen (beim frequenten elektrischen 
und mechanischen Reiz) abhängt, daß 
die Maximalzahl der Pulsationen beim 
Erwärmen zunimmt, alles das ist durch 
die Feststellung, daß ein Refraktärstadium 
existiert und von Temperatur und Stärke 
des Reizes in seiner Ausdehnung abhängt, 
erklärlich geworden. Gewisse Schwierig- 
keiten bietet aber ein andres Phänomen, 
welches Marey gleichzeitig mit dem Re- 
fraktärstadium beschrieben hat: die kom- 
pensatorische Ruhe. 

Marey fand, daß auf jede Extra- 
s | systole (beim spontan schlagenden Herzen) 
ki, Bestimmung dor Ausdehnung cine verlängerte Pause (kompensatorische 
Kammer von Rana temporaria beil4°C. Ruhe) folgt, und zwar ist dieselbe um 

soviel länger wie eine gewöhnliche Pause, 
als die Extrasystole die vorhergehende Pause verkürzt hat. Mit andern 
Worten: vom Beginn der letzten Systole bis zum Beginn der nächst- 
folgenden vergeht grade soviel Zeit, wie zwei normale Systolen mitsamt 
den zugehörigen Diastolen (und Pausen) in Anspruch nehmen (Fig. 89). 
Das „grade soviel“ muß natürlich nicht allzu genau genommen werden. 
Manchmal stimmt es zwar, soweit sich das mit unsern Mitteln fest- 
stellen läßt, wirklich genau, aber es kommen auch recht erhebliche Ab- 
weichungen vor (siehe Lowen, 1886 und Engelmann, 1895). In der Regel 
werden diese aber noch später ausgeglichen. Ist z. B. die kompensato- 
rische Ruhe zu kurz, so ist meist auch die nächste Pause noch verlängert. 


a 


Die rhythmischen Bewegungen. 435 


Was hier für das Herz gesagt ist, könnte mit den gleichen Worten 
für die Medusen gelten. Die Existenz eines Refraktärstadiums glaubte 
ich zwar nach Versuchen, wie sie im vorigen Abschnitt beschrieben 
sind, mit Sicherheit voraussetzen zu dürfen, daß aber auch die kom- 
pensatorische Ruhe zu konstatieren sei, übertraf meine in die Medusen 
gesetzten Hoffnungen.') Ein Refraktärstadium war bei allen 
untersuchten Medusen (Cotylorhiza, Rhizostoma Carmarina, Olin- 
dias) mit Sicherheit zu konstatieren, und zwar nimmt es bei nor- 
maler Wassertemperatur stets zum mindesten die ganze Systole ein. 
Die Latenz ist auch, wie beim Herzen, um so größer, je näher 
der Reiz dem Ende des Refraktärstadiums liegt. Bei 
normal schlagenden Tieren ist auch nach jeder Extrasystole 
eine kompensatorische Ruhe zu beobachten, jedoch kommen 
bei drei von den genannten Arten viel häufiger Unregelmäßigkeiten in 
ihrer Dauer vor, als beim Herzen. Das liegt wohl in der Hauptsache 
daran, daß der Schlag dieser Tiere überhaupt nicht sehr regelmäßig ist. 
Bei Rhizostoma ist dagegen die Dauer der kompensa- 
torischen Ruhe grade so gesetzmäßig, wie beim Herzen. 

Systematische Untersuchungen über die Ausdehnung des Refraktär- 
stadiums konnte ich bei den Medusen nicht vornehmen, weil es mir 
an geeigneten Apparaten fehlte. Die Tatsache an und für sich konnte 
aber mit Sicherheit konstatiert werden (siehe Fig. 87). — Auch bei den 
Medusen ist die Ausdehnung des Refraktärstadiums bei starken Reizen 
kleiner als bei schwachen, eben wirksamen Reizen. Bei höherer 
Temperatur erfährt die Dauer des Refraktärstadiums eine weitere und 
starke Einschränkung. Das Refraktärstadium läßt sich wie beim 
Herzen mit der gleichen Sicherheit bei normalschlagenden Tieren und 
bei randkörperlosen Stücken, denen in verschiedenen Abständen zwei 
Reize zugeführt werden, feststellen. Extrasystolen sind auch hier 
gleich gut durch Induktionsschläge und mechanische Reize hervor- 
zurufen. 

Was die kompensatorische Ruhe anbetrifft, so verweise ich auf 
die in Fig. 87 gegebenen Kurven. Zur Erklärung sei hier noch fol- 
gendes hinzugefügt: Die drei normalen, einer Extrasystole voraus- 
gehenden Pulsationen bezeiechne ich mit 1, 2 und 3, die Pulsation, 
während deren der Reiz angesetzt wird, mit a, die der Extrasystole 
mit 5, die nächste mit ce und so fort. In Kurve Au. C(ita+b=-1-+2 
—2+3=c+d In Kuve Zist «+5<2-+-3; dagegen. ist 
12+3=a-+b5b-+c. In Kurve 2 ist ein Fall abgebildet, der 


1) Nach den Vorstellungen, welche Engelmann (1895) über das Wesen der 
kompensatorischen Ruhe entwickelt hat, war die Existenz einer kompensatorischen 
Ruhe bei den Medusen wohl nicht zu erwarten. 


W% 6 
Fig. 87. Extrasystolen durch Öffnungsschläge erzeugt bei Medusen. A, B, © und E von Rhizostoma, 
nur von einem Punkte des Randes geschrieben. In A und (© entspricht die Länge der kompensato- 


Die rhythmischen Bewegungen. 427 


gelegentlich auch beim Herzen zur Beobachtung kommt: auf den Reiz 
trat keine Extrasystole ein, sondern nur eine Verlängerung der Pause. 
Die Superposition, welche bei einigen Kurven von Cotylorhiza zum 
Ausdruck kommt, scheint auf einer Art von Sehleuderwirkung zu be- 
ruhen, doch kann ich dies nieht sicher beweisen. Bei Rhizostoma 
sind sehr häufig die auf eine Extrasystole folgenden Pulsationen ver- 
kleinert und steigen treppenartig wieder zur Normalhöhe an. 


Die Störung der Synehronität beim Auftreten einer 
Extrasystole. 

Bei spontan schlagenden Medusen, welche von zwei gegenüber- 
liegenden Stellen schrieben und welche an einer dieser Stellen gereizt 
wurden, richtete sich zuerst meine Aufmerksamkeit auf eine Erschei- 
nung, die ich daraufhin auch beim Herzen wiederfinden konnte. So- 
lange die Meduse, sich selbst überlassen, ihre Pulsationen ausführt, 
beginnt jede Systole an allen Stellen des Schirmes 
gleichzeitig und der Verlauf zweier von verschiedenen Stellen auf- 
genommenen Kurven ist ganz parallel. Kleine Abweichungen kommen 
an den Kurven zur Beobachtung, lassen sich aber immer darauf zu- 
rückführen, daß beide Übertragungsfäden nicht gleichstark gespannt 
sind. (Ist der eine Faden etwas loser, so zeichnet die entsprechende 
Kurve etwas später. Durch Änderung der Spannung läßt sich der 
Fehler ausgleichen oder ins Gegenteil verändern.) Wird nun an 
der. einen Stelle ein wirksamer Induktionsschlag an- 
enetzt, so tritt die Extrasystole an dieser Stelle 
wesentlich früher ein, als an der gegenüberliegenden. 
Bei der nächsten oder übernächsten Normalpulsation ist die Syn- 
chronität wieder hergestellt. An Kurven, welche mit langsamer 
Trommelbewegung geschrieben sind (Fig. 87, D und 7), kommt die 
Störung darin zum Ausdruck, daß an der nicht gereizten Stelle die 
Extrasystole der Kurve der vorhergehenden Pulsation an einer tieferen 
Stelle aufsitzt. Infolge des späteren Eintritts ist hier die Extrasystole 
meist auch größer als an der direkt gereizten Seite. Bei schnellerer 
Trommelbewegung kommt der zeitliche Unterschied deutlicher zur 
Geltung. 

Da die Pulsationen bei den Medusen sicherlich von den Rand- 
körpern ausgehen und von diesen stets eine größere Anzahl vorhanden 


rischen Ruhe durchaus dem fürs Herz aufgestellten (aber auch hier nicht immer erfüllten) Gesetz. 

In B fehlt die Extrasystole und ist durch eine verlängerte Pause ersetzt. — D, F und G@ von 

Cotylorhiza. Es ist von zwei gegenüberliegenden Punkten des Randes geschrieben. Der Reiz wirkt 

auf die Stelle, welche der unteren Kurve entspricht. In D ist die kompensatorische Ruhe deutlich, 

in G fehlt die Extrasystole und ist durch eine verlängerte Pause ersetzt. Der Vergleich .der oberen 

und unteren Kurve in D und F zeigt, daß die für gewöhnlich bestehende Synchronität beim An- 
setzen einer Extrasystole gestört wird. Zeit = 0,48’. Darüber die Reizmarke. 


498 Die rhythmischen Bewegungen. 


ist, so hat sich schon Romanes die Frage gestellt, ob immer alle 
Randkörper zu gleicher Zeit in Tätigkeit sind. Für uns sind an dieser 
Stelle nur die Versuche interessant, auf Grund deren er dies für wahrschein- 
lich hält: nahm Romanes alle Randkörper bis auf einen fort, so sah 
er, daß die Kontraktionswelle von dem einen noch vorhandenen Rand- 
körper sich über den übrigen Teil der Glocke ausbreitete. Besonders 
deutlich wurde dies, wenn er den Medusenkörper zu einem langen 
Band aufrollte, an dessen einem Ende der Randkörper saß. — Es 
ist unzweifelhaft richtig, daß in dem letzteren Fall das randkörper- 
freie Ende in der Regel viel später zur Kontraktion kommt, als das 
andre Ende. Bisweilen kann man, das gebe ich zu, auch ohne 
Aufrollung eine Störung der Synchronität beobachten, der- 
art, daß die Seite, wo der Randkörper sitzt, sich etwas früher kon- 
trahiert als die gegenüberliegende. Dies ist aber nur dann der Fall, 
wenn bei der Randkörperfortnahme größere und radiärwärts tief ein- 
schneidende Verletzungen des Schirmrandes stattgefunden haben; sind 
die dem Rande nahegelegenen Partien intakt, so bleibt die normale Syn- 
chronität, soweit das mit unsern Mitteln festzustellen ist, erhalten. (Weiter 
unten werden Befunde mitgeteilt werden, die diesen Unterschied zu 
erklären imstande sind.) Wenn aber auch ein Unterschied im Ein- 
setzen der Systole an der Stelle des Randkörpers und an der gegen- 
überliegenden Stelle des Schirmes zu konstatieren ist, so ist dieser 
niemals auch nur annähernd so groß wie derjenige, 
welcher beim Hervorrufen einer Extrasystole auftritt, 
gleichgültig, ob sie vom randkörperfreien Ende oder in der Nähe des 
Randkörpers ihren Ursprung nimmt (Fig. 88, 4). 

Instruktiv ist auch die Kurve 85 2. Gelegentlich beobachtet man, 
daß ein Tier mit nur noch einem Randkörper oder ein großer, breiter 
Tierstreifen, an dessen einem Ende noch ein Randkörper sitzt, seine 
Kontraktionen ganz einstellt oder durch sehr lange Pausen unterbricht. 
Es sieht gewissermaßen so aus, als ob die im Randkörger sich an- 
sammelnde Spannkraft nieht mehr genügt, das ganze Tier in Be- 
wegung zu versetzen. (Schneidet man nämlich den größten Teil des 
Körpers fort, so führt der kleine, am Randkörper verbliebene Rest 
meist wieder für sehr lange Zeit seine Pulsationen aus.) Bei solchen 
Tieren genügt nun die Zuführung eines kleinen Reizes, um wieder 
eine oder wenn der Reiz konstant ist, mehrere Pulsationen auszulösen. 
Setzt man einen an sich auch für ein randkörperloses Tier wirksamen 
veiz am randkörperfreien Ende an, so sieht man eine Kontrak- 
tion zum Randkörper hinlaufen, kurz darauf antwortet 
aber das ganze Tier mit einer zweiten synehronen 
Zuekung, welche stets ausbleibt, wenn der Randkörper 
entfernt ist. Der Reiz genügt also dazu, eine Kontraktion aus- 


Die rhythmischen Bewegungen. 429 


zulösen und den Randkörper zur „Entladung“ zu bringen. Wie schon 
gesagt, zeigt die erste Kontraktion den Charakter einer 
Extrasystole (keine Synehronität), die zweite den einer 
Spontankontraktion (Synehronität des ganzen Tieres oder Strei- 


ae a RE 


HHHHH HH 


Fig. 88. Störung der Synehronität bei künstlichem Reiz. Cotylorhiza. A Tier mit nur einem Rand- 
körper dicht an der Stelle, welche der oberen Kurve entspricht. Die untere Kurye ist von der 
gegenüberliegenden Randstelle geschrieben; an dieser wird auch der künstliche Reiz angesetzt. Die 
ersten drei Pulsationen sind durch künstlichen Reiz hervorgerufen: Die gereizte Stelle kontrahiert 
sich wesentlich früher als die gegenüberliegende (obere). Die vierte Pulsation ist spontan und 
zeigt vollkommene Synchronität beider Schreibstellen. — B 14 em langer Streifen einer Cotylorhiza 
mit Randkörper an einem Ende. Von diesem Ende aus ist die obere Kurve geschrieben. Die untere 
Kurve ist vom entgegengesetzten Ende geschrieben, an welchem die Reizelektroden liegen. Auf 
jeden Reiz entsteht eine Zuckung asynchronen Charakters und eine zweite reflektierte Zuckung, 
welche synchron ist. 


fens). (Derartige, gewissermaßen reflektierte Zuckungen kann man 
auch beim sinuslosen Herz beobachten, wenn man gleichzeitig Kammer 
und Vorkammer reizt.) 

Ganz analoge Unterschiede zwischen Spontankontraktionen und 


430 Die rhythmischen Bewegungen. 


Extrasystolen habe ich auch beim Herzen feststellen können, nur sind 
hier die zeitlichen Unterschiede bei der Kleinheit des Objekts viel 
eeringer. Vielleicht sind die Unterschiede in Wirklichkeit auch hier ziem- 
lich groß, werden aber dadurch verdeckt, daß durch rein mechanische 
Verhältnisse bereits eine Bewegung eines Kammerabschnittes vor- 
getäuscht wird, wo er noch in Ruhe verharrt. — Beim spontanen Herz- 
schlag des Frosches kontrahiert sich die Spitze ziemlich gleichzeitig mit 
der Kammerbasis oder etwas später. (Beim Säugetierherzen sind Fälle 
beschrieben worden, wo sich die Spitze früher kontrahierte als die 
Basis. Diese für die Theorie sehr interessanten Fälle sollen später 
gewürdigt werden.) Groß ist der Unterschied nie. Nun geht die 
Anregung zur Kammerkontraktion ja sicherlich vom Sinus aus und 
wird der Kammer durch den Vorhof vermittelt. Der Reiz wird also 
auf jeden Fall zuerst zur Basis gelangen und erst später zur Spitze. 
Wenn es sich nun um einen einfachen Leitungsvorgang 
handelte, so müßte das zeitliche Verhältnis zwischen 
Basiskontraktion und Spitzenkontraktion nicht ver- 
schoben werden, wenn ander Basis durch einen mecha- 
nischen oder elektrischen Reiz eine Extrasystole her- 
vorgerufen ‘wird. In ‘Wirklichkeit Tindet "aberzeine 
Veränderung der Art statt, daß die Basis bei künst- 
licher Reizung im Verhältnis zur Spitze früher sich 
kontrahiert, als wenn der Reiz von der Vorkammer zu- 
geleitet wird (Fig. 89, B und ©). Weniger beweisend ist die Ver- 
änderung, wenn sie durch Reiz der Herzspitze hervorgerufen wird, 
auch wenn vorher Basis und Spitze synchron schlugen. Dagegen 
wird eine Aufhebung der Synehronität dann den Vergleich mit den 
Medusenbefunden zulassen, wenn sie bei Aufsetzung zweier Hebel auf 
symmetrische Punkte der Kammerbasis und Reizung des einen Punktes 
zustande kommt (Fig. 89 4). 

In den abgebildeten Fällen, denen ich eine ganze Reihe ähnlicher 
Kurven an die Seite stellen könnte, ist zwar die zeitliche Verschiebung 
zwischen der Kontraktion beider Auflagestellen der Hebel nicht so 
deutlich wie bei den Medusenkurven (was auch gar nicht zu erwarten 
gewesen wäre), aber ich glaube doch, daß sie ohne weiteres zu er- 
kennen ist; vor allen Dingen scheint mir die verhältnismäßig ge- 
ringere Höhe der Extrasystole an der direkt erregten Stelle in mehreren 
Fällen deutlich. (Ich glaube nieht, daß sich die geringere Höhe der 
Extrasystole an der direkt erregten Stelle auf die „lokale Diastole‘“ 
Rossbachs und Auberts zurückführen läßt.) 

Diese Befunde zeigen, daß der natürliche Reiz sowohl beim Herzen 
wie bei der Meduse einen ganz andern Kontraktionsmodus hervor- 
ruft, als der künstliche Reiz. Letzterer ist sicher instantan, er wirft 


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Ad 


432 Die rhythmischen Bewegungen. 


auf einmal an eine Stelle des Gewebes eine große Menge Reizenergie. 
Ich nehme an, daß der natürliche Reiz einen andern Verlauf hat, daß 
er sich nämlich dauernd aber schwach in das Gewebe ergießt und es 
gewissermaßen in allen Teilen, welche in engerem Zusammenhang 
stehen, füllt. Die Entladung kann dann überall nahezu gleichzeitig 
erfolgen. Der Instantanreiz bringt dagegen auf einmal großen Anstoß 
in das Gewebe, so daß die Entladung an der Applikationsstelle früher 
erfolgt, als der Reiz Gelegenheit gehabt hat, sich über das ganze 
Gewebe auszudehnen. Diese Füllungshypothese scheint mir in andern 
Versuchen eine Bestätigung zu erfahren. Ich möchte aber die Ver- 
öffentlichung derselben auf eine spätere Publikation verschieben, weil 
ich noch weiteres Material zu beschaffen hoffe. 

Mag nun diese Deutung richtig sein oder nicht, jedenfalls zeigen 
diese Versuche, daß auch in diesem Punkt eine weitgehende Analogie 
zwischen Herz und Meduse besteht. Nach all dem mitgeteilten Mate- 
rial dürfte der anfangs aufgestellte Satz gerechtfertigt erscheinen, daß 
Herz und Meduse physiologisch eine merkwürdige Ähnlichkeit zeigen. 
Ich halte vom Analogieschluß sehr wenig; jedenfalls werde ich in 
ihm nie einen wirklichen Beweis sehen. Immerhin wird man aber 
bei einer so weit gehenden Analogie zu der Vermutung berechtigt 
sein, daß die materiellen Grundlagen der aufgeführten Erscheinungen 
sich sehr ähnlich sehen oder sogar gleichartig sind. 

Die Medusen sind physiologisch handlicher und anatomisch besser 
zugänglich. Wir werden daher zuzusehen haben, inwieweit sich hier 
eine Erklärung für die angezeigten Erscheinungen geben läßt, und 
wenn dies gelingt, werden wir prüfen müssen, ob die Erscheinungen 
beim Herzen demselben Prinzip unterworfen werden können. Ich be- 
ginne zunächst mit der Frage, ob die Reizleitung in diesen Geweben 
nervöser oder muskulärer Natur ist. 


Die Reizleitung im Herzen und in der -Meduse. 


Ich habe bereits oben den Beweis geführt, daß die Leitung im 
Medusenkörper durch ein besonders, nicht mit der Muskulatur iden- 
tisches Gewebe besorgt wird (S. 86 und 106). Es ließ sich zeigen, daß 
gewisse Teile der Subumbrella keine Muskulatur besitzen, wohl aber 
die Fähigkeit Reize zu leiten. Durch Vergleich dieser Stellen mit 
der Glockenoberfläche, welche überhaupt nicht reizbar ist, wurde ein 
bestimmtes, von der Muskulatur und dem gewöhnlichen Epithel ganz 
verschiedenes Gewebe als dasjenige erkannt, welches die Reizleitung 
vermittelt. Dieses Gewebe breitet sich netzförmig mit eingestreuten 
Zellen überall da aus, wo Leitungsfähigkeit vorhanden ist, auch 
zwischen den Muskeln selber. Der histologische Charakter dieses 
Netzwerks gestattete, es als wahres Nervengewebe anzusprechen, und 


Die rhythmischen Bewegungen. rd 


es ist auch seit seiner Entdeckung stets als solehes angesehen worden. 
Für die Medusen liegt also gar kein Zweifel an der nervösen Natur 
der Reizleitung vor. — Daß das Leitungsvermögen der Muskeln bei 
den Bewegungserscheinungen der Medusen irgend eine wesentliche 
Rolle spielt, ist aber auch ausgeschlossen, weil, wenigstens bei manchen 
Medusenarten, keine Kontinuität der Muskeln besteht und direkt durch 
das Experiment festgestellt werden konnte, daß der Reiz, der einem 
Muskelbündel zugeführt wird, nur auf dieses eine Wirkung ausübt, 
aber nicht zu andern fortgeleitet wird (S. 108). 

Auch beim Herzen haben wir neben der Muskulatur ein sehr 
reiches Nervennetz; darüber kann jetzt gar kein Zweifel mehr be- 
stehen (S. 91). Es würde dem Unbefangenen nur natürlich er- 
scheinen, wenn wir auch hier dem Nervennetz die Eigenschaft der 
Reizleitung zuschreiben und annehmen, daß der Reiz nicht direkt von 
Muskelelement auf Muskelelement übergeht. Daß diese natürliche 
Annahme von bei weitem den meisten Physiologen und Klinikern 
nicht gemacht wird, ist nur aus der historischen Entwicklung zu ver- 
stehen, welche die Herzforschung genommen hat. Als durch Engel- 
mann (1875) gezeigt wurde, daß man die Kammer eines Frosches in 
beliebiger Weise zu einem dünnen Streifen zerschneiden kann, ohne daß 
die Leitung in diesem Bande aufgehoben wird, kannte man im Herzen 
nur die allergröbsten Nervenfasern, und diese liefen in der Kammer 
von der Basis zur Spitze, waren also bei querer Schnittführung durch- 
schnitten. Von einem Nervennetz, einer nervösen Organisation, die 
sich prinzipiell vom übrigen peripheren Nervensystem unterscheidet, 
hatte man noch keine Ahnung. Man durfte also annehmen, daß die 
Leitung von der Muskulatur direkt besorgt würde, weil man von 
dieser ‘annehmen zu müssen glaubte, daß sie nach allen Richtungen 
in Zusammenhang stände. Andre Befunde wurden für die muskuläre 
Leitung ausgenutzt, Befunde, die aber nur zeigten, daß im Herzen 
andre Verhältnisse vorliegen, als im Skelettmuskelsystem und die 
srade so gut auf eine Besonderheit der Herznerven, als auf Merk- 
würdigkeiten des Herzmuskels schließen ließen. 

Als dann die Nervennetze im Herzen durch Ranvier, Dogiel, 
Heymanns und Demoor und andre beschrieben wurden, hatte die Be- 
weiskraft des Engelmannschen Ziekzackversuchs in Wahrheit aus- 
gespielt, denn es war nun sicher gestellt, daß die nervöse Verbindung 
dureh beliebige Schnitte nieht aufgehoben werden kann. Die Theorie 
der rein muskulären Reizleitung im Herzen verlor nach diesen Publi- 
kationen aber nicht an Anhängerschaft. Im Gegenteil! Sie vermehrte 
sich noch nach dieser Zeit zusehends. — Was denn noch eine so 
eigenartige Nervenversorgung anderes zu tun haben sollte, als Reize 
von Muskelelement auf Muskelelement zu übertragen, auf diese Frage 


Bethe, Nervensystem. 28 


434 Die rhythmischen Bewegungen. 


sind alle Verfechter der Muskeltheorie die Antwort schuldig geblieben. 
Entweder wurde die Existenz des Nervennetzes ignoriert, oder es 
wurde der ehemalige Hauptbeweis für die muskuläre Leitung als un- 
wesentlich angesehen und der Accent jetzt auf die Beweise gelegt, 
welche vorher nur Hilfsbelege gewesen waren. Man vergaß dabei 
ganz, daß diese Hilfsbeweise doppelsinnig sind und daß ihnen andre 
Tatsachen, meist pharmakologischer Natur gegenüber stehen, welche 
ziemlich einsinnig für eine nervöse Beteiligung sprechen. In der Tat 
hat die Engelmann-Gaskelsche Theorie unter den Pharmakologen auch 
am wenigsten Anhänger gefunden. 

Prüfen wir nun die früheren Hilfsbeweise und jetzigen Haupt- 
beweise für die muskuläre Natur der Leitung genauer: 

Der älteste dieser Beweise stammt von Rudolph Wagner (1850), 
der überhaupt der, echte, aber fast vergessene Vater der Theorie von 
der rein muskulären Natur der Herzbewegungen ist. Das Herz der 
Hühnerembryonen fängt am zweiten bis dritten Tag der Bebrütung 
zu schlagen an. Zu dieser Zeit fand Wagner aber noch nirgends im 
Körper Nerven. Diese treten erst viel später auf und sind zunächst 
leitungsunfähig. Noch am achten Tage fehlen Reflexe. Hieraus zieht 
er den Schluß, daß das embryonale Herz pulsiert, ehe Nerven vor- 
handen sind, und er schreibt daher den Muskeln die Rolle zu, sich 
automatisch zu bewegen und den Reiz von Teilchen auf Teilchen zu 
übertragen. Bei diesem Schluß bleibt er aber nicht stehen, sondern 
er folgert weiter, „daß auch der gewöhnliche Modus der Herzbewegung 
(bei erwachsenen Tieren) ohne Vermittlung der Nerven zustande kommen 
kann“ und daß der hier vorhandene Nervenapparat wahrscheinlich die 
Bewegungen nur modifiziert, ohne sie hervorzubringen! (Übrigens wird 
schon hier auch für die Bewegungen des Darmes eine muskuläre Lei- 
tung in Anspruch genommen.) 

Der Wagnersche Beweis für die myogene Natur der Leitung im 
embryonalen Herzen erweist sich bei näherer Betrachtung als sehr 
zweideutig. Weil noch keine Nerven leiten, muß die Leitung muskulär 
sein! Was aber den Nerven recht ist, ist den Muskeln billig: erst 
am achten oder neunten Tage kann man auf Reiz die ersten schwachen 
Muskelkontraktionen erzielen, das Herz kontrahiert sich aber schon 
am zweiten. Danach würde man grade so gut den Schluß ziehen 
können, daß auch die Leitung (und Kontraktion) nicht muskulären 
Ursprungs ist, oder man gibt zu, daß im Herzen auch die Nerven eine 
Ausnahme machen. 

Sehr schöne und genaue Untersuchungen über das embryonale 
Herz liegen von Fano (1890) vor, welche von His jun. (1893) bestätigt 
und dureh histologisch-entwieklungsgeschichtliche Untersuchungen und 
einige neue physiologische Versuche vervollständigt wurden. Durch 


Die rhythmischen Bewegungen. 435 


den Nachweis, daß die Herzganglien in das Herz hineinwandern und 
dort erst anlangen, wenn bereits eine Koordination der Herzabschnitte 
zu beobachten ist, glaubt His bewiesen zu haben, daß die Ganglien 
an der Koordination keinen Anteil haben. Dies ist eine Frage, die 
uns später erst zu beschäftigen hat. His nimmt nun an, daß sich 
die Nerven im Herzen noch später entwickeln, indem sie von den 
großen Herzganglien ihren Ursprung nähmen. Daher müßten alle die 
Erscheinungen, welche das embryonale Herz bietet, muskulären Ur- 
sprungs sein. 

Dieser Schluß geht sicherlich zu weit. Bei der Dürftigkeit der 
Methoden, über die die histologische Embryologie zur Zeit gebietet, 
konnte His eigentlich nur über die Herkunft der großen Ganglien- 
zellen etwas aussagen, über die später markhaltigen Fasern schon 
fast nichts und über die zahllosen marklosen Fasern und deren kleine 
damals noch kaum bekannte Ganglienzellen gar nichts. Wo und wann 
diese entstehen, ob sie einwandern oder in loco gebildet werden, dar- 
über ist nichts bekannt, und ehe dies nicht feststeht, kann nicht be- 
hauptet werden, daß die Bewegungen des embryonalen Herzens ohne 
Nervenelemente vor sich gehen. Höchst verdächtig und auf ein früh- 
zeitiges Vorhandensein von Nervenelementen deutend ist der von His 
semachte Befund, daß das embryonale Hühnerherz schon frühzeitig 
auf Muskarin reagiert! 

Der Hissche Beweis für die muskuläre Natur der embryonalen 
Herzbewegungen hat aber noch einen andern schwachen Punkt: Zu 
der Zeit, wo das Herz anfängt zu schlagen, besitzt es noch gar 
keine Muskulatur. Wie Kölliker (1856) zuerst im Zusammenhang 
mit der vorliegenden Frage nachwies, besteht das Herz der Vögel 
und Cephalopoden zu dieser Zeit nur erst aus Zellen. Muskelfasern 
treten erst viel später auf (nach His jun. beim Hühnchen am vierten 
bis fünften Tag!). Ich bin wenigstens der Meinung — und glaube 
damit im Sinne vieler zu sprechen —, daß man nicht alles, was kon- 
traktil ist, Muskel nennen darf. Ob sich später einmal aus den 
Bläschenzellen Muskelfasern entwickeln, ist ganz gleichgültig. Man 
kann also mit vollem Recht sagen, daß die Leitung im embryonalen 
Herzen nicht muskulär ist; His wollte aber grade das Gegenteil be- 
weisen. 

Wie dem aber auch sei: die Verhältnisse im embryonalen Herzen 
sind so sehr von denen des erwachsenen Tieres verschieden, daß aus 
einem Vergleich, vorläufig wenigstens, irgend ein Schluß von Bedeutung 
nicht gezogen werden kann. 

Auf den Degenerationsversuch (Abklemmung der Herzspitze) wurde 
schon oben (S. 109) eingegangen und gezeigt, daß ihm Beweiskraft 
nicht zukommt. 

28* 


436 Die rhythmischen Bewegungen. 


Bei einem andern Beweis für die myogene Natur der Reizleitung 
brauche ich auch nicht lange zu verweilen; es ist die von Engelmann 
semachte Angabe, daß es im Herzen viel weniger Nervenendigungen 
gäbe als Muskelzellen. Diese Frage hat jetzt ein ganz andres Ge- 
sicht angenommen, wo die Ansicht aufgegeben ist, daß das Herzfleisch 
aus lauter kleinen Muskelzellen besteht. Außerdem darf man wohl 
sagen, daß die damaligen Methoden die Erkennung der auch jetzt 
noch unbekannten Nervenendigungen nicht schließen. 

Es bleibt noch ein Beweis, auf den Engelmann zur Zeit auch 
das Hauptgewicht zu legen scheint, daß nämlich die Leitung im 
Herzen für eine Leitung vermittels Nerven viel zu langsam gehe. 

Engelmann zerschnitt die Herzkammer von Fröschen zu einem 
langen Bande und maß die Zeit, welehe zwischen dem Ansetzen eines 
teizes am einen Ende und der Kontraktion des andern Endes ver- 
seht. Die höchste gemessene Fortpflanzungsgeschwindigkeit betrug 
30 mm in der Sekunde, eine Geschwindigkeit, die also tausendmal 
kleiner ist, als die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im markhaltigen 
Froscehnerven. Engelmann zieht hieraus den Schluß, daß die Leitung 
nicht nervöser Natur sei, sondern von den Muskelelementen selber be- 
sorgt würde. Den ersten Schluß, daß es sich nicht um nervöse Lei- 
tung handelt, kann ich verstehen, den zweiten aber nicht. Wenn 
Engelmann die eventuellen Herznerven mit den markhaltigen Nerven 
verglich, so mußte er auch den Herzmuskel mit den quergestreiften 
Muskeln vergleichen, denn die ganze Form der Zuckungskurve, die 
Reizbarkeitsverhältnisse und die histologische Beschaffenheit lassen mit 
diesen viel eher einen Vergleich zu als mit den glatten Muskeln. Die 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den quergestreiften Muskeln ist aber 
von einer andern Größenordnung als die für das Herz angegebene, 
wenn sie auch hinter der der Nerven zurückbleibt. (Für den Frosch- 
muskel nach Bernstein 3000-4000 mm in der Sekunde, also hundert- 
mal soviel als im Herzen; beim Menschen nach Hermann sogar 
10 000—13000 mm). Damals nahm man allerdings noch an, ‘daß der 
Herzmuskel aus kleinen getrennten Muskelzellen bestände; Engelmann 
hält aber noch heute an der Beweiskraft seines Versuches fest. Des- 
halb darf ich vom heutigen histologischen Standpunkt aus sagen: Man 
könnte aus der geringen Leitungsgeschwindigkeit grade so gut folgern, 
daß die Leitung auch nicht muskulär sein könne, sondern von einem 
dritten noch unbekannten Element besorgt würde. 

Engelmann hat aber noch zweierlei ausser acht gelassen: Es ist 
erstens möglich, daß die gewonnene Zahl nieht die wirkliche Leitungs- 
seschwindigkeit des reizleitenden Gewebes gibt, und zweitens, dab 
nicht alle Nervenelemente gleichschnell leiten. Ich habe oben (S. 432) 
eine Ansicht entwickelt, welche ich Füllungshypothese nannte. Ich 


Die rhythmischen Bewegungen. 437 


glaubte aus gewissen, nur zum Teil beschriebenen Versuchen schließen 
zu müssen, daß sich die kontraktile Substanz mit dem Reiz gewisser- 
maßen anfüllt und erst losschlägt, wenn die Füllung eine gewisse 
Höhe erreicht hat. Diese Höhe wird überall gleichzeitig eintreten 
können, wenn der Reiz sich mit geringer Intensität, aber ständig ins 
Gewebe ergießt; dagegen wird sie an der Ansetzungsstelle früher ein- 
treten, wenn sich plötzlich eine große „Reizmenge“ ins Gewebe er- 
sießt. Ein Beispiel wird dies klar machen: Ein flacher Teller möge 
auf einer Anzahl von Stiften stehen, welche das Gewicht des Tellers 
und noch etwas mehr tragen können. Wenn man langsam Wasser 
oder besser eine zähere Flüssigkeit auf den Teller gießt, so wird es 
sich gleichmäßig verbreiten und schließlich werden alle Stifte zugleich 
zusammenbrechen. Gieße ich aber plötzlich eine Menge Wasser auf 
eine Seite des Tellers, so wird er hier zu schwer und die Stifte brechen 
an der betreffenden Seite früher als an den andern. Die Geschwindig- 
keit, mit der sich die Flüssigkeit auf dem Teller verbreitet, braucht 
mit der Geschwindigkeit nicht identisch zu sein, mit der der Zusammen- 
bruch von der einen Seite zur andern fortschreitet. Wennalsoneben 
den Muskelelementen eine spezifische, reizleitende 
Substanz im Herzen vorhanden ist, so ist höchst wahr- 
scheinlieh die Geschwindigkeit der Kontraktionswelle 
nieht mit der Leitungsgeschwindigkeit dieser Substanz 
identisch! 

Engelmann erwähnt, daß beim Frosch eine so geringe Nerven- 
leitungsgeschwindigkeit (30 mm in der Sekunde) nicht bekannt sei, und 
zieht daraus den gewiß nicht zwingenden Schluß, daß auch keine Nerven- 
geschwindigkeit so geringer Größenordnung zu erwarten sei. Unter- 
suchungen über marklose Nerven lagen damals bei Wirbeltieren noch 
nicht vor; es war aber bereits bekannt, daß im Herzen viele marklose 
Fasern existieren, und Fick hatte bereits festgestellt, daß die marklosen 
Fasern der Muschel nur mit einer Gesehwindigkeit von etwa I em in 
der Sekunde leiten, einer Geschwindigkeit, die also noch geringer ist 
als die der Kontraktionswelle im Herzen. Bekannt war auch damals 
schon, daß die Leitungsgesehwindigkeit in den Zentralorganen weit 
geringer ist als im markhaltigen Nerven. Allerdings schob man diese 
Verminderung der Geschwindigkeit damals auf die Ganglienzellen, 
welche Engelmann in den unteren Teilen der Kammer vermißte. 

Ich habe es oben wahrscheinlich zu machen gesucht, dab die 
Verlangsamung der Leitung in den Zentralteilen in den Fibrillengittern 
geschieht. Soleher Fibrillengitter passiert der Reiz beim zentralen 
Reflexvorgang nur wenige, in den Nervennetzen des Frosehherzens aber 
sicherlich schon auf kurzer Strecke hunderte. Wir haben also bereits 
hier eine Handhabe, um die geringe Leitungsgeschwindigkeit im Herzen 


438 Die rhythmischen Bewegungen. 


zu erklären, wenn wirklich die Schnelligkeit der Kontraktionswelle der 
Leitungsgeschwindigkeit des reizleitenden Elements entsprechen sollte. 
Wir brauchen zu dieser Erklärung aber gar nicht zu greifen, seitdem 
Nicolai (1901) nachgewiesen hat, daß schon der parallelfaserige, mark- 
lose Olfactorius des Hechtes (also ohne zwischengeschaltete Fibrillen- 
eitter) nur 5-—20 em in der Sekunde leitet. Das wissen wir jetzt 
ganz sicher, daß die Leitungsgeschwindigkeit der Nerven außerordent- 
lich verschieden sein kann und daß sie offenbar nach den lokalen 
jedürfnissen auch innerhalb ein und desselben Organismus erheblich 
schwankt. Für das kleine Froschherz liegt, das kann man wohl zu- 
geben, kein Bedürfnis zu einer schnellen Leitung vor, und wir müssen, 
wenn diese Bedürfnisfrage richtig ist, erwarten, daß die Leitungs- 
geschwindigkeit bei größeren Herzen größer ist. 

Ehe ich auf diese Frage übergehe, komme ich noch einmal auf 
die Geschwindigkeit der Kontraktionswelle im Froschherzen zurück. 
Engelmann hat im Jahre 1894 den Beweis zu führen gesucht, dab 
auch die Leitung innerhalb des Vorhofs und vom Vorhof zur Kammer 
muskulärer Natur sei und sich dazu ebenfalls des Verfahrens bedient, 
die „Leitungsgeschwindigkeit“ zu bestimmen. Er findet für die Lei- 
tung im Vorhof wesentlich höhere Zahlen, als 1875 für die Leitung 
innerhalb der Kammer, nämlich 90—200 mm in der Sekunde. Sicherlich 
sind seine früheren Zahlen für die Geschwindigkeit der Kontraktions- 
welle in der Kammer zu niedrig, wie er auch selbst jetzt angibt. 

Über die Geschwindigkeit der Kontraktionswelle bei größeren 
Herzen liegen, soweit mir bekannt ist, nur Untersuchungen von 
Schlüter (1902) am Hundeherzen vor. Dieser Autor benutzte ein 
indirektes Verfahren, indem er durch die Aktionsströme des Herzens 
zwei Froschschenkel in Bewegung setzte, deren Nerven je an der 
jasis und an der Spitze des durchbluteten und spontan schlagenden 
Herzens aufgelegt waren. Die zeitliche Differenz zwischen dem Be- 
ginn beider Zuckungen ergab eine Geschwindigkeit von 2—4 m in der 
Sekunde. (Die Versuche sind deswegen nicht ganz eindeutig, weil 
manchmal gar keine Differenz vorhanden war und in andern Fällen 
der auf der Spitze liegende Schenkel eine Zeitlang zuerst zuckte, nach- 
dem er vorher später gezuckt hatte.) 

Wohl bewußt, daß man zu genauen Zahlen nicht gelangen kann, 
schlug ich den von Engelmann beim Froschherzen gezeigten Weg ein. 
Ich entnahm dem ätherisierten oder durch Stich in die Medulla ge- 
töteten Hunde möglichst schnell das Herz, schnitt die Kammer ab und 
rollte sie zu einem S—15 em langen Rande auf. Nach dem Fixieren 
auf einer Korkplatte kam jedes Ende unter einen Schreibhebel, durch 
deren Pelotte Induktionsschläge zugeführt werden konnten. Die Ver- 
suche wurden ausgeführt wie beim Frosehherzen. Da die Geschwindig- 


Die rhythmischen Bewegungen. 439 


keit der Kontraktionswelle bei aufgehobener Blutversorgung und ohne 
künstliche Erwärmung schnell und sichtbarlieh abnimmt, so muß man 
sich natürlich eilen und alles vorher gut vorbereitet haben. Bei ge- 
nügender Hilfe kann der Herzstreifen schon eine Minute nach dem ersten 
Messerschnitt unter den Hebeln liegen und der Versuch beginnen. Wäh- 
rend 2—3 Minuten können dann gewöhnlich Kurven aufgenommen 
werden. Die Ausmessung der Kurven ergab im Anfang des Versuches 
stets ziemlich hohe Geschwindigkeiten. Die höchsten Geschwindigkeiten 
der Kontraktionswelle betrugen 130— 225 em in der Sekunde. Bei einem 
Herzen betrug die Anfangsgeschwindigkeit nur 50 em. Stets sank die 
Zahl ziemlich schnell innerhalb von ungefähr einer Minute auf diese 
Größe herab. Es konnte auch stets ein sehr wesentlicher Unterschied 
zwischen schwachen, grade wirksamen Öffnungsschlägen und starken 
Reizen derselben Art gefunden werden. So betrug die anfängliche 
Geschwindigkeit der Kontraktionswelle bei einem Hundeherzen für 
schwache Reize 56 em, für starke Reize 225 cm. Daß es sich hier 
nicht um ein Übergreifen des Reizes auf weiter entfernte Partien 
handelte, wurde durch besondere Versuche festgestellt, in denen der 
Streifen 2 mm von der Aufsatzstelle der Pelotte entfernt durch- 
schnitten wurde. 

Die Schnelligkeit der Kontraktionswelle beim Hundeherzen übertrifft 
also die des kleinen Froschherzens um mehr als das zehnfache und 
hat schon einen Wert, der die Leitungsgeschwindigkeit vieler Nerven 
übertrifft. Man muß aber vermuten, daß die Geschwindigkeit in Wirk- 
lichkeit noch viel größer ist, weil das Herz zur Zeit der Untersuchung 
schon unter sehr ungünstigen Bedingungen steht. 

Der Wert dieses Vergleichs zwischen großen und kleinen Herzen 
wird erhöht durch entsprechende Versuche an Medusen, von denen wir 
bestimmt wissen, daß die Reizübertragung auf nervösem Wege vor 
sich geht. Das Versuchsverfahren entsprach dem beim Frosch- und 
Hundeherzen angewandten. Auch hier wurde bald das eine und 
bald das andre Ende eines längeren Streifens gereizt und von beiden 
Enden geschrieben. Der Haken wurde stets so eingesetzt, daß nur 
die Kontraktion der Radiärmuskulatur in Betracht kam. Bei andern 
Versuchen wurde nur eine Kurve von einem Ende geschrieben und 
an einem nahen und einem fernen Punkt gereizt. Die Geschwindig- 
keit der Kontraktionswelle ist auch hier, wie beim Herzen, gering, 
wenn die Streifen schmal sind; man muß also die Streifen (nach Ab- 
tragung der Randkörper) so breit wie möglich wählen, d. h. nur eine 
Zirkumferenz nehmen. Bei großen Tieren kann man leicht Streifen 
von 20—40 cm gewinnen. Da die Schnelligkeit wesentlich von der 
Temperatur abhängig ist, so muß hierauf natürlich geachtet werden. 
Auch die Stärke des Reizes und die Schnelligkeit, mit der er wieder- 


440 Die rhythmischen Bewegungen. 


holt wird, spielen eine Rolle. Bis zu einem gewissen Grade nimmt die 
Geschwindigkeit der Kontraktionswelle mit der Häufigkeit der Reizung 
zu und wird bei zu schneller Aufeinanderfolge wieder geringer. Wird 
derselbe Reiz nach längerer Pause in gleichen, nieht zu großen Ab- 
ständen immer wieder angesetzt, so nimmt die Schnelligkeit bis zur 
Erreichung eines Maximums zu. 

An Cotylorhizen von ungefähr 12 cm Durchmesser fand ich bei 
einer Temperatur von 19°C. eine durchschnittliche Geschwindigkeit 
von 300 mm in der Sekunde. 

Um den Einfluß der Temperatur zu zeigen, sei hier folgende Zu- 
sammenstellung gegeben. (Bei einem Streifen von 26 em ausgenutzter 
Länge und bei stets gleichem, ausreichendem Öffnungsschlag wurden 
je 12—20 Messungen gemacht. Der Reiz erfolgte in gleichen Inter- 
vallen. Der Streifen wurde zunächst bei Aquariumstemperatur unter- 
sucht [19,5° C.], dann für zehn Minuten in Wasser von 13,50 0. 
gebracht und hier untersucht; darauf wurde das Wasser auf 25°C. 
erwärmt und wieder nach 10 Minuten geprüft. Die Höhe der Kurven 
betrug 2,7 cm.) 

13,50 19,50 25,00 


Durchschnittsgeschwindigkeit in Zentimetern . 25,4 30,0 42,4 
Latenz der direkt gereizten Partie . . . . 0,368” 0,247 70,16% 


Dauer der Zucekung Ki 0,807 v.:0,55/7 70,48% 

Figur 90 zeigt zwei Zuekungskurven bei verschiedener Tem- 
peratur. 

(Wie man sieht, nimmt die Geschwindigkeit nicht in demselben 
Verhältnis zu, in dem die Latenz abnimmt. Wenn man die geringste 
Zahl gleich 5 setzt, so verhalten sich 

die Geschwindigkeiten wie 5:6:8,4 

die Latenzen aber wie 11,5.:77,525: 
Mir scheint auch dies Verhalten nur dann erklärbar zu sein, wenn 
kontraktile und reizleitende Substanz voneinander getrennt sind.) 

(Hier sei noch eine Tabelle mitgeteilt, welche zeigt, wie nach 
längerer Pause bei gleich großem und in gleichen Intervallen er- 
folgendem Reiz die Schnelligkeit der Kontraktionswelle zunimmt. Das 
Intervall betrug gegen 0,9". Die Zahlen geben die Zeit in Sekunden an, 
welche zwischen dem Ansetzen des Reizes und der Zuckung des dem 
Reiz fernen Hebels vergeht: 0,415, 0,405, 0,400, 0,395, 0,395, 0,395.) 

Die Zahlen liegen also zwischen der Gesehwindigkeit der Kon- 
traktionswellen beim Herzen des Frosches und dem des Hundes. 
Interessant und von wesentlicher Bedeutung ist nun der leider nur 
einmal angestellte Vergleich zwischen einem großen und mittelgroßen 
Exemplar unter gleichen Bedingungen (kleine Exemplare waren zur- 
zeit nicht zu haben). Das eine Exemplar hatte einen Durchmesser von 


Die rhythmischen Bewegungen. 441 


etwa 20 cm, das andre von 12 em (Cotylorhiza). Die Temperatur 
betrug 19,5°C. Der Reiz war gleichstark. Bei dem mittelgroßen 
Exemplar betrug die Geschwindigkeit im Durchschnitt 30,0 em, bei dem 
großen Exemplar 47,2 em! 

Leider habe ich keine kleinen Cotylorhizen und auch keine 
kleinen Medusenarten untersucht. Ich werde dies bald nachholen und 
glaube sicher zu sein, daß man hier Geschwindigkeiten finden wird, 
welche noch unter die beim Froschherzen gefundenen gehen werden. 
Ich muß auch sonst ausdrücklich hervorheben, daß diese Unter- 
suchungen noch nicht als abgeschlossen gelten dürfen, aber ich glaube, 


Fig. 90. Kurven zur‘ Bestimmung der Geschwindigkeit der Kontraktionswelle bei Cotylorhiza bei 
verschiedener Temperatur. Entfernung des Reizortes von dem schreibenden Punkt 26,7 cm. Obere 
Kurven bei 24° C., untere bei 12,5° C.*) 


daß das hier Mitgeteilte als sichergestellte Tatsache gelten kann. Die 
Messungen sind zuverlässig, und auch in der Methode dürfte nichts 
verfehlt sein. Es wäre nur möglich, daß ich noch nicht alle Be- 
dingungen klar erkannt habe, von denen die Geschwindigkeit der 
Kontraktionswelle abhängig ist. Wie schwierig diese Verhältnisse 


1) Alle beigegebenen Kurven sind von einem Zeichner der Verlagsbuch- 
handlung nach den Originalen gepaust. Hierdurch sind kleine Unregelmäßigkeiten 
und Fehler entstanden. Letztere sind aber sicher nirgends im Sinne einer Ver- 
deutlichung ausgefallen. 


449 Die rhythmischen Bewegungen. 


liegen und wie leicht bei ungenügender Kenntnis der Verhältnisse wider- 
streitende Resultate entstehen können, wird aus folgendem ersichtlich: 
Die Geschwindigkeit der Kontraktionswelle ist größer 
in den 'Randpartien, geringer in größerer Nähe des 
Zentrums, und zwar sind diese Unterschiede groß. Bei 
einem Tier von 19 em Durchmesser wurde der muskulöse Teil der 
Glocke zu einem Bande aufgerollt und an der Grenze zwischen Radiär- 
und Zirkulärmuskulatur bis auf eine 1,5 em breite Brücke gespalten 
(siehe Fig. 91). An diesem Ende waren zwei Schreibhebel an den beiden 
Muskelarten angebracht. Es wurde dann einmal vom Ende des Rand- 
streifens und dann von dem des zentraleren Streifens gereizt. Die Tem- 
peratur betrug mehrere Grade über 20°C. (Die genaue Angabe ist 
verloren gegangen.) Die Geschwindigkeit im Randstreifen betrug 54,9 em, 
im mehr zentralen Streifen, welcher die Radiärmuskulatur enthielt, nur 
28,1 cm. Dieser enorme Unterschied erklärt sich daraus, daß das 
Nervennetz am Rande reichlicher vorhanden ist und hier auch Ansätze 
von langen Bahnen enthält. (Es erklärt sich hieraus die weiter oben 
mitgeteilte Tatsache, daß die Synehronität nach Fortnahme aller Rand- 
körper [bis auf einen] ziemlich stark gestört ist, wenn die Randpartien 
bei der Fortnahme erheblich geschädigt wurden.) Man sieht, daß bei 
Unkenntnis dieser Verhältnisse leicht ein Unterschied in der Schnellig- 
keit der Kontraktionswelle zwischen zwei verschiedenen Exemplaren 
gefunden werden kann, ohne daß er in Wirklichkeit da ist. Weitere 
Fehler können entstehen, wenn man die Latenzverhältnisse nicht kennt, 
auf die ich später zurückkomme. Ich glaube aber bei meinen definitiven 
Messungen alle diese Fehlerquellen vermieden zu haben, die auch mir 
anfangs große Schwierigkeiten bereiteten. 

Wir sahen beim Frosehherzen eine langsame Fortpflanzung der 
Kontraktion, beim Hundeherzen eine viel größere. Bei den Medusen, 
wo die Leitung sicher nervös ist, lernten wir eine mittlere Geschwindig- 
keit kennen, fanden aber, daß auch hier den Bedürfnissen entsprechend 
die Gesehwindigkeit bei großen Tieren größer ist, als bei kleinen. 
Damit fällt aber der letzte Beweis Engelmanns für die muskuläre Natur 
der Reizleitung in sich selbst zusammen. 

Wenn ich mich bis hierhin bemüht habe, zu zeigen, daß die 
Leitung im Herzen nervös sein kann, so will ich jetzt Beweise 
aufführen, welche darauf deuten, daß sie nervös sein muß. Sie 
sind mit der myogenen Theorie unvereinbar oder nur dann mit ihr in 
Einklang zu bringen, wenn man noch gekünsteltere Erklärungen heran- 
zieht, als die Theorie der myogenen Natur der Herzbewegungen bis 
jetzt schon gezeitigt hat. 

Engelmann beschrieb im Jahre 1894 einen Fall, welcher ihn selber 
zuerst stutzig gemacht hat. Ein ausgeschnittenes Froschherz hatte 


Die rhythmischen Bewegungen. 443 


aufgehört von selbst zu schlagen. Als er dasselbe am Vorhof reizte 
kontrahierte sich dieser nicht, wohl aber die Kammer und zwar nach 
einer so langen Zeit, daß direkte Kammerreizung ausgeschlossen war 
(bei direkter Kammerreizung ergab sich eine entsprechend kürzere 
Latenz). Wie war dies zu erklären, daß der ruhende Vorhof zu leiten 
imstande war, ohne sich selbst zu kontrahieren? Das schien der 
myogenen Natur der Leitung zu widersprechen. Um diesen Wider- 
spruch zu lösen, fußte Engelmann auf der von Biedermann nach- 
gewiesenen Tatsache, daß der durch partielle Eintauchung in Wasser 
zur Hälfte wasserstarr gemachte Muskel noch zu leiten imstande ist. 
Die Kontraktionsfähigkeit ist aufgehohen, die Leitungsfähigkeit und 
das elektrische Verhalten bleiben aber erhalten. Engelmann fand nun, 
daß der wasserstarre Vorhof ebenfalls noch zu leiten imstande ist und 
sieht hierdurch jeden Einwurf gegen seine Theorie beseitigt. Er ent- 
wickelte sogar im Anschluß an diesen und andre Befunde die An- 
sicht, daß die drei Haupteigenschaften des Herzmuskels, Erregbarkeit, 
Leitungsfähigkeit und Kontraktilität, mehr oder weniger getrennt von- 
einander auftreten könnten. — Gegen diese Trennung nahm H.E. Hering 
(1901) Stellung. Selber ein Anhänger der Muskeltheorie, sieht er sehr 
wohl ein, daß eine solche Trennung nieht möglich ist unter Annahme 
eines einheitlichen Substrats. Er sucht daher zu beweisen (um die 
Muskeltheorie zu halten), daß die Leitungsfähigkeit Hand in Hand 
mit der Kontraktilität abnähme. In der Tat zeigt sich bei der 
Wasserstarre ein starkes Dekrement der Leitung, und er nimmt an, 
daß die Kontraktilität durch mechanische Behinderung etwas eher un- 
sichtbar wird, als auch die Leitungsfähigkeit aufgehoben ist. Dem- 
entsprechend nimmt er an, daß bei noch erhaltener Leitung, aber auf- 
gehobener Kontraktilität des Vorhofs erstere stark herabgesetzt und 
letztere auch noch in geringem Maße vorhanden ist, daß also tatsächlich 
Aufhebung der Leitung und der Kontraktilitäit Hand in Hand gehen. 

Nun zeigte schon Hofmann (1898), daß man die Kontraktions- 
unfähigkeit des Vorhofs bei guterhaltener Leitungsfähigkeit (zur 
Kammer hin) willkürlich durch Vagusreizung hervorrufen kann. Trotz- 
dem er ein Anhänger der Engelmannschen Theorie ist, sieht er in 
dieser Tatsache eine Schwierigkeit für dieselbe. — In sehr viel be- 
quemerer Weise kann man die Kontraktionsunfähigkeit des Vorhofs 
bei der Vergiftung mit Muscarin hervorrufen. Ist die Dosis (ich be- 
nutzte ein Präparat, das mir Herr Dr. Faust freundliehst zur Verfügung 
gestellt hatte) etwas größer als nötig, um grade das Herz zum Stillstand 
zu bringen, so tritt bald ein Zustand ein, in dem auch bei stärkstem 
Vorhofreiz der Vorhof nieht mehr reagiert, die Kammer aber 
noch sehr gut anspricht. Der Latenzunterschied zwischen Vorhof- 
reizung und Kammerreizung in Bezug auf die Kontraktion der Kammer 


444 - Die rhythmischen Bewegungen. 


ist stets so groß, daß an eine direkte Kammererregung bei Vorhofreiz 
nicht zu denken ist. Diesem Einwurf wurde auch dadurch begegnet, 
daß ich Reizungen mit meinem mechanischen Reizapparat ausführte. 
Ich habe nun bei relativ gut erhaltener Leitungsfähigkeit des Vorhofs 
diesen mit den stärksten zulässigen Vergrößerungen während 
der Reizung beobachtet und auch nicht die allergeringste Be- 
wegung wahrnehmen können. (Wie bekannt, wird ja auch die 
Kammerkontraktion bei stärkeren Vergiftungen mit der Zeit immer 
kleiner, um schließlich auch auf starke Reize auszubleiben. Man 
könnte also sagen, daß bei erhaltener Leitungsfähigkeit doch noch 
eine geringe Bewegung der Vorkammermuskeln stattfände. Dies ist 
aber nicht der Fall.) Die Vorkammer kann also leiten, ohne 
eine mit den besten Mitteln nachweisbare Bewegung 
auszuführen. 

Hat nun Engelmann durch die Heranziehung der Wasserstarre 
den Widerspruch gehoben, in welchem diese Erscheinung zur Theorie 
der muskulären Leitung im Herzen steht? Ich glaube nicht! Bei 
der Wasserstarre ist die Reaktionsfähigkeit der Muskeln, wie aus den 
von Hering mitgeteilten Tatsachen hervorgeht, nicht vollkommen auf- 
gehoben, sondern es ist nur das Zustandekommen einer Kontraktion in 
erster Linie mechanisch unmöglich gemacht. Bei der Vagusreizung 
und bei der Muscarineinwirkung wird aber der Muskel nicht 
mechanisch an der Kontraktion verhindert, sondern er ist nur 
gehemmt. Jeden Augenblick kann er seine Kontraktionsfähigkeit 
durch Aufhebung der Reizung oder durch einen Tropfen Atropin 
wieder erlangen. Wir haben es also mit zwei ganz verschiedenen 
Dingen zu tun: Das eine Mal leitet ein Muskel, der noch bis zu einem 
gewissen Grade reagiert, dies aber durch äußere Behinderung mecha- 
nisch nicht mehr äußern kann, das andre Mal soll nach Engelmann 
ein Muskel leiten, der überhaupt nicht in Reaktion tritt. (Daß ein 
sehemmter Muskel überhaupt nicht in Aktion tritt, ist wenigstens die 
allgemeine und durchaus berechtigte Ansicht.) 

Ich muß danach Engelmann gegenüber H. E. Hering vollkommen 
recht geben, daß Leitung und Kontraktilität voneinander getrennt sind, 
kann mich aber durchaus nicht seiner Ansicht anschließen, daß beide 
Funktionen von demselben Gewebe besorgt werden. Mir scheint 
vielmehr in diesem Versuch ein klarer Beweis dafür zn liegen, daß 
ein Gewebe im Herzen existiert, welches leitet, ohne sich 
zu kontrahieren, und solche Gewebe pflegen wirnervös 
zu nennen. 

Waller und Reid (1883) haben gezeigt, daß bei ausgeschnittenen 
Säugetierherzen die Kontraktion der Kammer meist nicht an der Basis 
beginnt, wo der Reiz ohne Zweifel in die Kammer eintritt, sondern 


Die rhythmischen Bewegungen. 445 


an der Spitze. Dieser Befund ist von Schlüter am durehbluteten 
Katzenherzen bestätigt. Langendorff (1902) sieht hierin mit Recht 
eine wesentliche Schwierigkeit für die Engelmannsche Theorie. Wenn 
der Reiz durch die Muskelelemente weiter geleitet wird und die 
ganze Herzbewegung nichts als eine vom Sinus herkommende peristal- 
tische Welle ist, dann muß unter allen Umständen verlangt werden, 
daß die Basis sich immer zuerst kontrahiert. Es kommt also nur auf 
das Faktum an, daß die Kontraktion an der Spitze beginnen kann; 
ob dies unter natürlichen Verhältnissen der Fall ist oder, wie es 
den Anschein hat, nur beim absterbenden Herzen, ist ohne jede Be- 
deutung. 

Ich habe dasselbe Faktum in noch unzweideutigerer Weise an 
zwei Streifen konstatieren können, die aus der Kammer von Hunde- 
herzen geschnitten waren. Die Streifen waren an beiden Enden mit 
Fühlhebeln armiert und wurden an einem Ende (A) mit Öffnungs- 
schlägen gereizt. Nachdem zunächst die Kontraktionswelle 
immer von A ausgegangen war, kontrahierte sich beim 
nächsten Reiz das reizferne Streifenende B zuerst, und 
die Kontraktionswelle lief von daausnach Reizstelle A 
zurück. — Diese Inversion bestand so lange fort, als 
ich mit gleichstarken Öffnungsschlägen reizte. Ich 
verstärkte dann den Reiz, worauf sofort wieder die 
Kontraktion bei A begann. 

Ich erkläre mir diesen Befund in folgender Weise: Die Erregbar- 
keit war aus unbekannten Gründen an beiden Enden verschieden. 
Da nun die Reizschwelle beim Absterben immer mehr wächst, so trat 
ein Moment ein, wo der Reiz für A nicht mehr genügte, um eine 
Kontraktion auszulösen. Der Reiz pflanzte sich aber im Nervennetz 
nach B fort und konnte bei der hier vorhandenen höheren Erregbar- 
keit eine Kontraktion auslösen. Da nun, wenigstens am markhaltigen 
Nerven, die Reizwelle einen Zuwachs erfährt, wenn sie ein Gebiet 
höherer Erregbarkeit passiert, so konnte der Reiz rückläufig von B 
aus auch die Stellen von geringerer Erregbarkeit (bei A) zur Kon- 
traktion bringen. Nachdem der Reiz verstärkt war, genügte er 
wieder, um auch das weniger empfindliche A-Ende direkt zu erregen. 

Dieser Versuch liegt ganz klar und dürfte bei der Annahme einer 
ausschließlich muskulären Leitung nur auf sehr gewaltsame Weise 
erklärt werden können. Mir scheint er unbedingt darauf 
hinzuweisen, daß neben der Muskulatur ein reizlei- 
tendes Element besteht. Als dieses wird man selbst- 
verständlich das allen Bedingungen entsprechende Nervennetz 
ansehen müssen. 

Analoge Fälle hat bereits Romanes bei der Meduse Aurelia be- 


446 Die rhythmischen Bewegungen. 


schrieben. An einem Randstreifen dieses Tieres befand sich nur ein 
Randkörper am einen Ende. Wurde jetzt ganz schwach am andern 
Ende gereizt, so lief eine Kontraktionswelle der am Rande befind- 
lichen Tentakelehen zum Randkörper hin (ohne Kontraktion der 
Glockenmuskulatur), von wo dann eine Kontraktion der Glocken- 
muskulatur zur Reizstelle zurücklief. Ich habe das gleiche an Coty- 
lorhiza beobachtet, wenn der am einen Ende befindliche Randkörper 
keine Kontraktionen mehr auslöste, aber immer noch die kleinste 
Reizschwelle hatte (siehe S. 428). Bei starkem Reiz lief die Kon- 
traktionswelle zum Randkörper hin und erregte hier eine zweite rück- 
läufige Welle. War der Reiz schwach (am randkörperfreien Ende 
angesetzt), so fehlte die erste Welle und nur die rückläufige kam noch 
zustande. — Folgender Befund von William (1888) kann ebenfalls nur 
erklärt werden, wenn ein besonderes reizleitendes Gewebe im Herzen 
vorhanden ist. Bei einem absterbenden Kaninchenherzen gibt Kammer- 
reiz Kontraktion der Kammer; dann folgt eine Kontraktion der großen 
Venen, an die sich erst die des Vorhofs anschließt! 

Wie ich bewiesen zu haben glaube, und wie ja immer noch viele 
Forscher annehmen, gibt es also eine nervöse Leitung im Herzen. 
Spielt neben dieser die vielleicht anzunehmende muskuläre Leitung 
eine Rolle? Bei den Medusen, wo die Muskelbündel voneinander 
getrennt sind, sicher nicht. Ich glaube aber, daß auch im Herzen 
die Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß ist. Beim Herzen des Frosches 
stehen die einzelnen Trabekeln, worauf schon wiederholt von andern 
aufmerksam gemacht ist, in einem oft sehr lockeren Zusammenhang. 
Nicht selten liegt eine dieke Schicht von elastischen Fasern zwischen 
zwei Trabekeln, welche vom Herzlumen bis zum Pericard zieht und, 
soweit sich das auf Schnitten feststellen läßt, nirgends einen wesent- 
lichen Austausch von Muskelfasern zuläßt. Des weiteren erinnere ich 
an die von Heidenhain (1901) sichergestellte Tatsache, daß die Muskel- 
fibrillen nicht miteinander anastomosieren, sondern parallel neben- 
einander herlaufen, wie im Skelettmuskel. Daß dies ein geeignetes 
Mittel ist, den Reiz von Fibrille auf Fibrille zu übertragen, ist mir 
unwahrscheinlich. 

Nach der Anschauung von Engelmann und Gaskel soll auch die 
Leitung vom Vorhof zur Kammer muskulärer Natur sein. Diese Lei- 
tung wird von Gaskel (1884) den sogenannten Blockfasern zu- 
geschrieben, Muskelfasern von embryonalem Charakter, welche bei 
niederen Wirbeltieren nach Stanley Kent eine direkte Verbindung 
zwischen der Muskulatur des Vorhofs und der der Kammer herstellen 
sollen. Da die Leitung beim embryonalen Herzen langsamer ist, als 
beim erwachsenen, so wird diesen Fasern die Rolle zugeschrieben, 
die vom Vorhof zur Kammer verlaufende peristaltische Welle auf- 


Die rhythmischen Bewegungen. 447 


zuhalten und so die Koordination der Herzteile herzustellen. Wie 
schon oben (S. 92) bemerkt, ist es mir im höchsten Grade zweifel- 
haft, daß diese Elemente eine wirkliche Kontinuität herstellen. Nach 
meinen Beobachtungen sind sie von den Muskeln der Kammer überall 
durch elastisches Gewebe getrennt. Ich habe bei der Betrachtung 
meiner Präparate auch nie Zweifel unterdrücken können, daß es sich 
hier wirklich um Muskelelemente handelt. Auch bei Säugern hat 
His jun. Muskelbündel dargestellt, welehe die Muskulatur der Vorhöfe 
mit der der Kammern verbinden. Ich zweifle nieht an der Tatsache, 
daß sich diese Bündel häufig finden lassen, vermisse aber bei His 
den Beweis, daß sie eine wirkliche Anastomose in dem Sinne her- 
stellen, daß die Elemente dieses Bündels auf beiden Seiten in Ele- 
mente der Herzabteilungen übergehen und ihnen nieht nur angelagert 
sind. Außerdem: Diese Verbindung ist sehr spärlich und sie entbehrt 
des embryonalen Charakters, kann also für die Erklärung des Blocks 
kaum in Anspruch genommen werden. Der Nachweis von His (1895), 
daß die Durchschneidung dieser Bündel Allorhythmie hervorruft, kann, 
wie Lomakina (1900) mit Recht hervorhebt, kein Grund für die An- 
nahme muskulärer Leitung sein, weil derselbe Effekt auch bei Unter- 
bindung der die Vorhöfe und Kammern verbindenden Nerven eintritt. 

Die Muskelleitungstheorie steht hier also auf sehr schwachen 
anatomischen Grundlagen; dagegen wissen wir sicher, daß an den 
Klappen entlang eine Unzahl von Nervenfasern in die Kammer hinein- 
ziehen und hier direkt in das Nervennetz übergehen. Bei dieser 
Lage der anatomischen Verhältnisse ziehe ich es unbedingt vor, diesen 
die Überleitung des Reizes zuzuschreiben. Das Experiment kann 
hier, soweit es operativ vorgeht, keine sichere Entscheidung bringen. 
Schneidet man vom Vorhof oder von der Kammer aus die Klappen 
heraus (Löwit, 1881), so nimmt die Kammer nicht mehr an den Pul- 
sationen des Vorhofs teil und, wenn man nach Abtragung des Sinus 
den Vorhof oder die Kammer reizt, so antwortet stets nur der ge- 
reizte Herzabschnitt. Ich habe mich selber hiervon oftmals überzeugt. 
Ob man dabei die Bidderschen Ganglien mitnimmt oder nicht ist ganz 
gleich. Bei einer derartigen Operation zerstört man aber zu gleicher 
Zeit die angebliche Muskelverbindung und die nervöse Verbindung. 
(Aus einigen wenigen Fasern bestehende nervöse Verbindungen ent- 
fernt von den Klappen [S. 96] sind jedenfalls als Ausnahmen an- 
zusehen.) Nimmt man vom Vorhof aus nur die Bidderschen Ganglien 
heraus (v. Wittich), so tritt in der Regel der gleiche Effekt ein; ich 
muß aber zugeben, daß dann in der Regel auch der Atrioventrikular- 
trichter stark geschädigt ist. Einige Autoren geben an, daß nach 
vollständiger Herausnahme der Bidderschen Ganglien noch voll- 
kommene Leitung zwischen Vorhof und Kammer bestehen könne. 


448 Die rhythmischen Bewegungen. 


Wenn sich dies bestätigt, so ist damit noch nieht ausgeschlossen, daß 
die Leitung nervös ist, da wir noch nieht wissen, ob alle zur Kammer 
ziehenden Nervenfasern die Bidderschen Ganglien passieren. 


Die Koordination der Herz- und Medusenbewegungen. 


Wie zuerst Stannius gezeigt hat, kann bei Reiz der Kammer eine 
rückläufige Kontraktionsfolge stattfinden. Eine besondere Aufmerßsam- 
keit hat Munk (1878) dieser Frage zugewandt. Wird das sinuslose 
Herz an der Kammer gereizt, so zuckt sie zuerst und dann nach dem 
bekannten Interall von 0,1 — 0,03” der Vorhof. Bei Reiz des Bulbus 
zuckt erst dieser, dann die Kammer, dann der Vorhof. Bei sehr 
langsam schlagenden Herzen kann man diese Inversion auch ohne 
Sinusfortnahme bewirken, so daß sich z. B. bei Bulbusreiz die Kon- 
traktionsfolge grade umgekehrt verhält wie normal. Wird an ge- 
wissen Stellen eine Verletzung ausgeführt (Stannius, 1852, Munk, 1866 
und 1878), so kommt es bei sinuslosen Herzen zu längerem inversem 
Pulsieren. Löwit (1881) hat auch eine ganze Reihe derartiger Ver- 
suche ausgeführt. Vielleicht neu ist folgende Modifikation: Man 
schneidet am Sinus entlang eimen Streifen von der Vorkammer und 
der Kammer ab, so daß der Sinus durch ein kurzes Vorhofsstück. 
verbunden direkt an der Kammer hängt. Es schlägt zuerst der Sinus, 
dann die Kammer, dann der große Vorhofsrest und kurz darauf der 
Bulbus. Da die normale Reizquelle vorhanden ist, schlagen solehe 
Herzen sehr lange. Ist die Operation gut ausgeführt, so muß nach 
Abschneiden des Sinus Stillstand eintreten. 

In dieser Tatsache der Reziprozität der Herzkoordination sieht 
üngelmann ebenfalls eine Stütze der Muskeltheorie, weil keine rück- 
läufigen Reflexe bekannt seien. Jetzt sind sie bekannt! Sowohl die 
Physiologie der Medusen wie die der Seeigel bietet genügend Bei- 
spiele dafür. hKückläufigkeit ist eben eine Eigentümlichkeit der 
Nervennetze. Also auch von dieser Seite steht dem nichts im Wege, 
die Herzbewegungen auf nervöse Prozesse zurückzuführen. 

Auch bei manchen Medusen gibt es etwas, was der Koordination 
der Herzteile sehr ähnlich ist. Die Ursachen sind hier aber jedenfalls 
ganz andre. Cothylorhiza und verschiedene andre Medusen haben 
zwei ganz voneinander getrennte Muskulaturen, eine parallel und nahe 
dem Rande verlaufende Zirkulärmuskulatur und eine die zentraleren 
Partien einnehmende Radiärmuskulatur. Bei den normalen Pulsationen 
und auch bei der künstlichen Reizung kontrahiert sich zuerst die 
Radiärmuskulatur, wodurch die Glocke gewölbt wird, und dann, wenn 
die Kontraktion der radiären auf der Höhe ist, die zirkuläre, wodurch 
die Glockenöffnung verengt wird (Fig. 91 zeigt an einem kleinen Stück 
die gegenseitige Lage beider Muskulaturen). Auffallend ist, daß die 


Die rhythmischen Bewegungen. 449 


Muskulatur, welche den Randkörpern, von denen ja sicher die Kontrak- 
tionen ausgehen, zunächst liegt, sich später kontrahiert, als die fernere. 
Die Ursache der Erscheinung ist die denkbar einfachste: Die Latenz der 
Zirkulärmuskulatur ist wesentlich größer als die der radiären. Bei 
Spontankurven beträgt die zeitliche Differenz zwischen der Kontraktion 
der radiären und zirkulären Muskulatur (direkt benachbarter Stellen) 
zwischen 0,3 und 0,5” (bei etwa 20° C.). Nimmt.man einen kleinen 
randkörperlosen Sektor und schreibt von der zirkulären und radiären 


h& 
& 


SEN - 


—ı Il — 


Fig. 91. Cotylorhiza. Oben: Aufstellung des Präparats. Unten links: Spontane Kontraktion. Die 

Radiärmuskulatur (R) kontrahiert sich früher als die Zirkulärmuskulatur (©). — Unten rechts: Die 

zirkuläre Muskulatur ist durch einen Schnitt in der Richtung der Pfeile (oben) von der radiären 

getrennt. Der Randkörper (RK) ist außerdem fortgenommen. Sonst ist das Präparat unverändert. 

Durch ein und denselben Induktionsschlag sind beide Stücke gleichzeitig erregt. Das auch jetzt 

noch zu beobachtende Nacheinander in der Kontraktion beider Muskelarten beruht also auf einer 
Verschiedenheit in der Latenz. 


Muskulatur getrennte Kurven, so bekommt man nahezu gleiche Zeit- 
differenzen, wenn man den Reiz das eine Mal über der Zirkulär- 
muskulatur, das andre Mal über der Radiärmuskulatur ansetzt. (Die 
Latenzen schwanken natürlich je nach der Temperatur, verändern sich 
aber auch in noch nicht genauer untersuchter Weise bis zu 15°/,, 
wenn der Reiz oft wiederholt oder verschieden stark gemacht wird. 
Die Abnahme der Latenz ist bei der zirkulären Muskulatur größer als 
bei der radiären.) Durchtrennt man das Tierstück an der Grenze von 
Radiär- und Zirkulärmuskulatur und reizt beide Stücke gleich- 
zeitig, so bleibt das zeitliche Verhältnis das gleiche. 


Bethe, Nervensystem. 99 


450 Die rhythmischen Bewegungen. 


Beide Muskulaturen haben also verschiedene Latenz (falls nicht nervöse 
Verhältnisse im Spiel sind, was mir aber unwahrscheinlich erscheint 
[siehe Fig. 91]). 

Ein derartig einfacher Modus der Koordination ist natürlich für 
das Herz mit seinen vier Abteilungen unmöglich. Hier muß die Ur- 
sache in nervösen Einrichtungen gesucht werden, wie das von allen 
Anhängern der Ganglientheorie getan wird. Vorläufig liegt kein 
wesentlicher Grund vor, den großen Ganglienzellen, welche in den 
verschiedenen Abteilungen liegen, die Anteilnahme an der Koordination 
zu- oder abzusprechen. Gegen eine Anteilnahme derselben könnte 
man höchstens ins Feld führen, daß am Übergang der Kammer in den 
Bulbus solche großen Zellen fehlen. Wenn die großen Ganglienzellen 
etwas mit der Koordination zu tun haben, dann kann man annehmen, 
daß in ihnen ein Widerstand gelegen ist, der das Weiterschreiten der 
Erregung verzögert. Unbedingt nötig haben wir aber die großen 
Ganglienzellen nicht, um die Koordination auf nervösem Wege zu er- 
klären, und es ist sehr gut möglich, daß sie mit derselben gar nichts 
zu tun haben. Engelmann hat zuerst gezeigt, daß die 
Kontraktionswelle im Herzfleisch überall daeine große 
Verzögerung erfährt, wo sie eine schmale Brücke zu 
passieren hat. Stehen mehrere Teile der Kammer durch 
dünne Brücken miteinander in Verbindung, so pulsiert 
jede (bei erhaltenem Zusammenhang mit dem Vorhof) 
gewissermaßen für sich. Ganz dasselbe beobachtete 
ich bei den Medusen, wo ja die Leitung ganz sicher 
nervös ist. Sehr instruktiv ist es, diese Versuche an 
Rhizostoma anzustellen, weil man hier vor der Einmischung 
der Muskulatur sich schützen kann. Stehen zwei Muskel- 
felder (S. 89 und 108) durch das breite muskellose Stück in Zusammen- 
hang, so kontrahieren sich beide bei Reiz des einen so schnell nach- 
einander, daß man mit bloßem Auge keinen Unterschied wahrnimmt. 
teduziert man die Verbindung jetzt auf eine schmale, muskel- 
freie und nur Nerven enthaltende Brücke, so Tan 
das nicht gereizte Muskelfeld erst zu schlagen an, 
wenn das gereizte seine Kontraktion fast beendet hat. 
Wir haben nun gesehen (S. 95), daß sich die vom Vorhof in den 
Ventrikel eintretenden Nervenfasern dort vielfach teilen, Sicher 
tritt dabei eine ungeheure Vervielfachung der Fasern 
ein. Wir haben also etwas ganz ähnliches vor uns (was den nervösen 
Apparat anbetrifft) wie bei dem Versuch mit der dünnen Brücke, und 
es besteht die Möglichkeit allein hieraus die Koordination des Herzens 
und ihre Reziprozität zu erklären. 


a. 


Die rhythmischen Bewegungen. 4 


Uber die Natur des Refraktärstadiums. ; 


Im allgemeinen wird ohne weiteres angenommen, daß das Re- 
fraktärstadium Eigenschaft der Muskulatur des Herzens sei. Diese 
Annahme hat aber zur Voraussetzung, daß die Muskulatur des Herzens 
direkt und zwar leicht 
reizbar ist. Dies ist eine 
unbewiesene Hypothese. 
Es ist sehr gut möglich, 
daß die direkte Erreg- 
barkeit der Herzmuskeln 
eine sehr geringe ist und 
daß die Muskulatur viel 
leichter vom Nervennetz 
her anspricht. In diesem 
Fall ist es möglich, daß 
das  Refraktärstadium 
Eigenschaft des Nerven- 
netzes ist, wie dies be- 
reits Uexküll für das 
Refraktärstadium der Me- 
dusen angenommen hat. 
Ich glaube hierfür einen 
Versuch anführen zu 
können, der allerdings 
nicht absolut beweisend 
ist und der bei denen, 
welche der Muskeltheorie 
huldigen, eine ganz an- 
dre Erklärung finden 
wird. Setzt man an der 
Kammer oderVorkammer 
eines sinuslosen Herzens 
in größeren Pausen einen 
Reiz an, so antwortet 
jede der beiden Abteilun- 
gen mit einer Kontrak- 
tion mit einer zeitlichen 
Differenz von 0,1—0,3"', 
Folgt dem Reiz, nachdem das Refraktärstadium des gereizten Abteils 
vorbei ist, gleich ein zweiter Reiz, so antwortet nur der direkt gereizte 
Teil (Fig. 92 u. 93). Das Refraktärstadium der andern Abteilung ist 
zwar im Moment der Reizung noch nicht ganz vorüber, aber es wäre zu 


29* 


nder liegen. 


andre Herzabteil macht bei 


Der 


Oben Kammerreizung. 


er 
B 


Rana esculenta, sinusloses Herz. Unten Vorhofreizung 
zwei sich schnell folgenden Reizen nur dann eine zweite Zuckung, wenn die Reize ziemlich weit ausei 


Fig. 92. 


452 Die rhythmischen Bewegungen. 


der Zeit vorüber, zu welcher der Reiz bis zu ihr gelangt sein sollte. Wäre 
\lie Muskelleitungstheorie richtig, so müßte eigentlich auch die andre 
Abteilung zucken, weil ja die Fortleitung 
in einer peristaltischen Welle gesehen 
wird, die natürlich immer zustande 
kommen muß, wenn die gereizte Ab- 
teilung sich überhaupt kontrahiert. 
EN A A ERSTE Das Refraktärstadium wird nun 
noch weiter verändert, wenn man in 
folgender Weise vorgeht: Vorhof und 
— m _ı_ Kammer sind mit Schreibhebeln und 
Elektroden versehen. Zuerst wird die 
eine Abteilung gereizt, z. B. die Kam- 
mer. Die Kammer kontrahiert sich, und 
nach der bekannten Latenz auch die 
Vorkammer. Reizt man nun diese, wenn 
ELEDTTFNL NE ihr Refraktärstadium grade vorüber 
ist, das ist zu einer Zeit, wo das 
Refraktärstadium der Kammer längst 
_IÄL—— verschwunden ist, so reagiert nur die 
Vorkammer, die Kammer bleibt aber 
ganz ruhig (Fig. 94 u. 95). Erst bei 
sehr viel später erfolgendem Vorkammer- 
reiz reagiert auch die Kammer mit 
einer Kontraktion. Durch die, die Dia- 
stole noch überdauernde Verminderung 
der Erregbarkeit, welche Engelmann 
beschrieben hat (1894), läßt sich dies 
Faktum nicht erklären, weil ich Öff- 
a nungsschläge von ziemlich bedeutender 
Stärke angewandt habe. Mir scheint, 
daß diese Erscheinung sich besser bei 
der Annahme erklären läßt, daß das 
hefraktärstadium Eigenschaft des Ner- 
vennetzes ist. 


GE EBENEN a ENTER W 1 


Ursachen und Wesen.der rhyth- 
mischen Bewegungen des Her- 


BEN a ERDE Ur zens und der Medusen. 


Fig. 93. Wie Fig. 92. Vorhofsreiz. Jedes Stück Herz und jedes Stück 
Meduse, das Muskel und Nervensubstanz 

enthält, zuckt bei einmaligem Reiz. Diese Erscheinung hat durchaus 
den Charakter eines Reflexes; in der Tat sind auch alle für einen Reflex 


Sn nt Zi rs HE ENT 2 ru EEE 
I — — — — Rn 


Fig. 94. Sinusloses Herz von Esculenta. Obere Kurve Kammer, untere Vorhof. Obere Reizmarke 

= Kammerreiz, untere = Vorhofreiz. Es ist in variierten Abständen erst der Vorhof und dann die 

Kammer gereizt. Auf der untersten Kurve gibt 1 den Punkt an, wo im vorliegenden Fall der Vorhof 

bei direkter Reizung einer neuen Kontraktion fähig war, 2 den Punkt, wo er bei zwei aufeinander 
folgenden Kammerreizen wieder erregbar war. 


454 Die rhythmischen Bewegungen. 


notwendigen anatomischen Bedingungen erfüllt. Es ist daher durchaus 
berechtigt diese Erscheinung, wie es vornehmlich Goltz getan, als Reflex 
zu bezeichnen. An einer Stelle wird ein Reiz angesetzt, dieser wird 


EN I er Se 
EREEEE ee 


Fig. 95. Wie 94, nur daß der Kammerreiz dem Vorhofreiz vorausgeht. In der ersten Kurve bedeutet 

1 den Punkt, wo im vorliegenden Fall die Kammer für einen zweiten Reiz zugänglich war, 2 den 

Punkt, wo sie bei zwei Vorhofreizen wieder einer Zuckung fähig war, und 3 den Punkt, wo sie bei 
der angewandten Anordnung erst wieder reagierte. 


bei Medusen sicher, beim Herzen höchst wahrscheinlich von Nerven 
aufgenommen, auf nervösem Wege durch ein Netz hindurch (das auch 
Ganglienzellen enthält, was aber gleichgültig ist) weiter geleitet und 
auf Muskelelemente unter Ausstreuung übertragen. Eine andre De- 


Die rhythmischen Bewegungen. 455 


finition für Reflex können wir auch für solehe Erscheinungen nicht 
geben, die durchs Zentralnervensystem gehen. Wird ein konstanter 
Reiz angesetzt, so antworten die Herz- und Medusenstücke mit perio- 
dischen Bewegungen. Der notwendige Reiz ist bei den verschiedenen 
Teilen des Herzens verschieden groß und für die normale Meduse 
und das intakte Herz so gering, daß es, wie Goltz sich ausgedrückt 
hat, nicht möglich ist unter seine Schwelle zu kommen. Schon die 
gewöhnlichen äußeren Bedingungen enthalten bei der niedrigen Reiz- 
schwelle Reiz genug. Bei der Meduse ist die Stelle der höchsten 
Erregbarkeit, von der die Kontraktionen normalerweise ausgehen, der 
(die) Randkörper, beim Herzen der Sinus. Ein Unterschied be- 
steht zwischen den einzelnen Herz- und Medusenteilen 
also nur betreffs der Reizschwelle. 

Das, was bei der normalen Pulsation den Reiz abgibt, ist für das 
Herz unbekannt, und es hat keinen Zweck ohne Anhaltspunkte darüber 
zu streiten, ob es von außen kommt oder durch den Stoffwechsel er- 
zeugt wird. Nur möchte ich die Meinung aussprechen, daß es in 
den Muskeln des Sinus, wie die Engelmann - Gaskelsche Theorie will, 
nicht angreift, denn die Ähnlichkeit des Herzens mit der Meduse 
läßt vermuten, daß auch beim Herzen der Reiz nicht 
vom Muskel auf die Nerven übergehen kann (vergleiche 
S. 108). 

Bei den Medusen ist der normale Reiz zum Teil durch eine 
Publikation Uexkülls (1901) bekannt geworden. Uexküll fand, daß 
eine Rhizostoma, der er nur einen Randkörper gelassen hatte, die 
Kontraktionen für längere Zeit einstellte, wenn er den Randkörper 
verhinderte zu schlenkern, daß die Kontraktionen aber wieder be- 
gannen, wenn der Randkörper freigegeben und angestoßen wurde. 
Die Schwingungen, welche die Otolithen in den Randkörpern durch 
jede Bewegung erfahren, sind jedenfalls als reizendes Moment an- 
zusehen. Es handelt sich dabei aber nach meiner Meinung nicht um 
einen Momentanreiz — und auch Uexküll scheint dieser Ansicht nicht 
zu sein — sondern um ein länger dauerndes, wenn auch immer wieder 
erzeugtes Vibrieren. Beweismaterial dafür hoffe ich später einmal 
veröffentlichen zu können. Dies Vibrieren der Otolithen sive Stato- 
lithen ist aber sicherlich nieht der einzige Reiz, der auf die Rand- 
körper wirkt und rhythmische Bewegungen zu unterhalten imstande 
ist. Ich behalte mir vor, auch hierüber bei späterer Gelegenheit aus- 
führlicher zu berichten. 

Die Ursachen der rhythmischen Bewegungen sind vermutlich in 
beiden Fällen Reize konstanter Natur oder können es wenigstens unter 
Umständen sein. Ich glaube, daß daher auch bei den Medusen und 
beim Herzen dem nichts im Wege steht, die rhythmischen Bewegungen 


456 Die rhythmischen Bewegungen. 


als Reflexe anzusehen, bei denen ein konstanter Reiz durch Summation 
zu rhythmischen Entladungen führt. Durch das Vorhandensein eines 
starken Refraktärstadiums wird das Entstehen rhythmischer Erfolge 
gefördert, vielleicht erst möglich gemacht. Da wir ein Refraktär- 
stadium als eine häufige Eigenschaft nervöser Zentralteile (resp. Fibrillen- 
gitter) kennen gelernt haben, so dürfen wir auch hier die refraktäre 
Periode auf das Konto der nervösen Elemente setzen! 


Berichtigungen. 


Seite 27, Figurenerklärung, Zeile 4: Statt „Atenne“ lies „Antenne“. 
„ 167, Zeile 16: Statt „1850“ lies „1858“; statt „1870“ lies „1876“. 
22h. ie 3: Statt „.)“ lies’ „,“. — Zeile 4: Statt :„.“ lies „).“ 
PEIDHAHLEN 3 und 4: Statt „Fig. 64“ lies „Fig. 67“. 

PIE 2DE HS 2: Statt „vom Nerven“ lies „ron den Neurofibrillen“. 

9, 270, 271 und 273: Statt „Grünhagen“ lies „Gruenhagen“. 

,‚ Zeile 11: Statt „1901“ lies „1900“. 

‚ Figurenerklärung, Zeile 2: Statt „Daniel“ lies „Daniell“. 

99, Zeile 13 von unten: Statt „Chronsäureelement“ lies „Chromsäureelement*“. 

»„ 377 und 380: Statt „Sherington“ lies „Sherrington“. 

„ 418, Zeile 21: Statt „Langendorf“ lies „Langendorff“. 

„ 428, „ 13 von unten: Statt „Randkörger“ lies „Randkörper“. 

A375, $: Statt „schließen“ lies „zuließen“. 

sieh Frrss 4 von unten: Statt „Rande“ lies „Bande“. 


Literaturverzeichnis. 


Mit Ausnahme der mit zwei Sternen (*) vor dem Titel versehenen Nummern haben alle hier 
aufgeführten Arbeiten im Original vorgelegen. Da die Separatabzüge von Arbeiten, die in Zeit- 
schriften publiziert sind, häufig fehlerhafte oder unvollständige Angaben über Bandzahl, Jahr- 
gang u. Ss. w. geben, so ist durch ein Sep. hinter der Literaturangabe kenntlich gemacht, falls die 
Arbeit nur in einem Separatabzug vorlag. — Ein Stern (*) vor dem Titel bedeutet, daß die 
Literaturangabe nicht direkt vom Original (das früher einmal eingesehen wurde) abgeschrieben 
worden ist. p. bezieht sich auf die Seitenzahlen der angeführten Literaturnummer, S. auf die Seiten 
dieses Buches, wo die Arbeit zitiert ist. 


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of mieroscop. science Vol. 36, part. 4. — New ser. 1894. I, p. 461. II, p. 483. 
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— — Zur Theorie der Peristaltik. (Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 15, 1878, p. 255.) 
>5.123: 

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Nervenfasern. (Pflügers Arch. Bd. 22, 1880, p. 1—30, Taf. 1.) S. 50, 255. 
— — (mit Hartog und Verhoeff): Der Bulbus aortae des Froschherzens. 

(Pflügers Arch. Bd. 29, 1882, p. 425—468.) S. 413. 

— — Beobachtungen und Versuche am suspendierten Herzen. II. (Über die 
Leitung der Bewegungsreize im Herzen.) (Pflügers Arch. Bd. 56, 1894, p. 149 
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Sachregister. 


Die Ziffern bedeuten die Seitenzahlen. 


Achsenfortsatz, Verjüngung am Ur- 
sprungskegel 60. 

Achsauzylinder (Begriff) 5. 

— embryonale 244. 

— intrazentrale 64. 

— Unterschiede zwischen denen der 
peripheren Nerven und den zentral- 
verlaufenden 145. 

— Verhalten bei Kompression 260, 

— Wirbelloser 28. 

Achsenzylinderhosen 62. 

Achsenzylinderplasma 48. 

Achsenzylinderursprungskegel 131. 

Achsialstrangfasern 202, 205, 206. 

Äquivalentbild der Ganglienzelle 129, 

Äther 284, 287, 297. 1151. 

Athermethode 146. 

Affinität zwischen Fibrille und Fibrillen- 
säure 303, 310, 312, 320. 

Aktinien, Nervensystem 21. 

Aktionsstrom 310, 313, 315. 

Alkohol (Erregbarkeitssteigerung) 359. 

Alles oder Nichts-Gesetz 110, 411. 

Ammoniak zur Leitungsunterbrechung 
1772. 

Anastomosen (Nerven-), 
Nachweis 190. 

— zwischen Neuriten. 65. 

Anastomosieren der Kollateralen 9. 

— der Protoplasmafortsätze 9, 10. 

Anelektrotonus 274. 

Anfangszuckung 298, 317, 318. 

Anfangsstörung bei Nervenreizung 316. 

Anneliden, Nervensystem 22. 

Anode 272, 278. 

Antagonistenhemmung 377. 

Antikinese (Definition) 2, 322. 

Antiklise 322. 

Aplysia 113, 368, 385, 407. 

Apnoe 393. 

Arion, physiologisches 119. 

Arthropoden, Nervensystem 24. 

Assimilation 253, 293. 

Atropin 391. 

Atemrhythmik 393. 

Atemstillstand 377. 

— durch Cocain 401. 

Atemzentrum 393. 

Außengitter 39. 

Ausstrichpräparate 136. 


physiolog. 


Auswachsen von Nerven 213. 

Auswachsungstheorie 234. 

Autogene Regeneration, siehe Regene- 
ration. 

Automatische Bewegungen 325. 

Axostromafärbung 137. 


Bahnen, lange, Genese derselben 100. 

— schnellere Leitung ders. gegenüber 
den Nervennetzen 119. 

— ungefärbte der Ganglienzellen, ihre 
Beziehungen zum Fibrillenverlauf 59. 

Bahnung 350, 353. 

Bandfasern 186, 200. 

Basische Farbstoffe 125, 133. 

Bauchmark 23. 

Bauchganglion 23. 

Belegkörper (Belegungsformationen) 4. 

Biddersche Ganglien 95. 

Block 447. 

Blockfasern 446. 

Blutgefäße 111. 


Careinus Maenas 328. 

Centrosomen 149. 

Chemische Reizung von Herz und Me- 
duse 419—422, 

Chloralose 314. 

Chromatolyse 150, 178. 

Chromatophoren der Cephalopoden 392. 

Cocainversuch (Atmung) 401. 

Coelenteraten, Nervensystem der 20. 

Cotylorhiza, anatomisches 86. 

Central- u. s. w. unter Z. 


Darmperistaltik 374. 

Dämpfende Substanz 360, 362. 

Dauererregung durch den konstanten 
Strom 275, 306. 

Degeneration der Nerven 153. 

— — Beschleunigung durch Reizung 

— — chronische 176. 164. 

— physiologische und morphologische 
158. 

— Schnelligkeit derselben 158, 190. 

— traumatische (entzündliche), paraly- 
tische (sekundäre) 167. 

— nicht erregbarer Nerven 198. 

Dekrement 252. 

Demarkationsstrom 311. 

Dendriten (Begriff) 6. 

31* 


484 


Dendriten (Entwicklung) 245. 
Dichroismus 340. 
Dissimilation 253, 293. 
Drüsen der Schnecken 120. 
Dynamogene Reize 382, 356. 
Dyspnoe 393. 


Echinodermen, Nervensystem 21. 

effektorisch 1. 

Einpflanzen von Nervenstücken 216. 

Elastische Fasern des Herzens 94. 

Elektrotonus (Du Boisscher) 251, 273. 

— (physikalischer) 274. 

— (Pflügerscher) 272, 273, 302. 

Elementargitter Apathys 18, 42. 

Ellipsoide 157. 

Entwicklung der Nervenelemente 233. 

Ermüdung der Nerven 316, 318. 

Erregbarkeitsherabsetzung 267, 269, 272. 

Erregbarkeitssteigerung 258, 269, 272. 

— durch Gifte 355. 

Erregung, Ausbreitung ders. proportio- 
nal der Reizstärke 116. 

Erstickung des Nervengewebes 148. 

Erstickungskrämpfe 362. 

Extrasystole 423, 425, 427, 429. 


Fasermasse, zentrale 41. 

Faradische Reizung von Herz und Me- 
duse 413. 

Färbbare Substanz der Ganglienzellen 
197.432, 

— — der Neurofibrillen, siehe: primäre 
Färbbarkeit. 

Fibrillen, nervöse, siehe: Neurofibrillen. 

Fibrillensäure, Eigenschaften derselben 
143, 147. 

— Verhalten derselben 265, 268, 282, 
285, 287, 293, 303, 362. 

— kein Dissimilationsprodukt 293, 296. 

Fische, Atmung 394. 

Füllungshypothese (Herz, Meduse) 432, 
437. 


Ganglientheorie des Herzens 450: 

Ganglienzellen, Begriff 4, 5. 

— Formverhältnisse bei Wirbellosen 25. 

— der Herzspitze 91, 93. 

— Masse im Verhältnis zu der der fa- 
serigen Elemente 103. 

— Menge im Verhältnis zur Masse der 
Zwischensubstanz in der Hirnrinde 76. 

— Neurofibrillen derselben bei Wirbel- 
tieren 55. 

— — bei Wirbellosen 38. 

— primäre Färbbarkeit 127. 


Sachregister. 


Ganglienzellen, retrograde Veränderun- - 
gen 176. 

— trophische Funktion 
Zentrum, trophisches. 

— zentrale Natur 326. 

Ganglienzellgifte 356. 

Ganglienzellhypothese 327, 328. 

Gehirn der Wirbellosen 23. 

Gehirnlipoide 358. 

Geschlechtsakt 354. 

Giftwirkung 325, 355. 

— auf Ganglienzellen 150. 

Gitter, Definition derselben 38. 

— pericelluläre 61, 65, 69. 

Gliascheide 28, 33. [67. 

Golgische Methode, zur Kritik derselben 

Golginetze 61, 65, 69; Beziehungen zu 
Nervenfasern 72; Beziehungen zu Fi- 
brillen 74. . 

Grau, das 75. [317. 

Gruenhagensches Phänomen 269, 271, 


siehe unter 


Hemmung 373. 

— Theorie 380. 

Hemmungsfasern 380, 385. 

Hemmungszentren 378. 

Herz der Hühnerembryonen 434. 

— Nervennetze 90 u.f. 

— physiologisches 109, 408 u. f. 

— Reizleitung 432. 

— Ursachen der 
wegungen 452. 

Herzganglien 423. 


rhythmischen Be- 


Herzmuskulatur, Trennung zwischen 
Vorhof und Kammer 92. 
Hinterstränge, Autoregeneration der- 


selben 210. 
Hintere Wurzeln 364. 
Hühnerembryonen 237. 
Hypoglossus 227, 231. 


Individualität der Neurofibrillen 17. 

Indifferenzpunkt 272, 281, 309. 

Inkrement 252. 

Innendruck bei Aplysia 369. 

Innengitter 39. 

Interferenz 387. 

Intrazentrale Hemmung 386. 

Inversion der Kontraktionswelle beim 
Herzmuskel 415. 

Ionen 290, 312, 391, 419. 

Irreziprozität der Leitung von Nerv auf 
Muskel (neuer Beweis bei Medusen) 
108. 

— der Zentralteile 325, 342. 


Sachregister. 


Kanälchen der Ganglienzellen 141. 

Katelektrotonus 274. 

Kathode 278, 298. 

— sekundäre Undurchgängigkeit 305. 

Kernleitermodell 251. 

Kernleitertheorie 251, 290, 321. 

Kochsalzhemmung 376. 

Kohlensäure, Wirkung auf Nerven 289, 

— Wirkung auf Medusen 421. [319. 

Kollateralen 9, 30. 

Kommissuren 23. 

Kommissurelemente 28. 

Kompensatorische Ruhe 424, 425. 

Kompression der Nerven 52, 168, 256, 

konduktil 1. [358. 

Konkurrenzsubstanz 145, 352, 361, 362. 

Konnektive 23. 

Konstanter Strom 272. [417. 

— — Wirkung auf Herz und Meduse 

Kontinuität der Neurofibrillen 18, 45. 

Kontinuitätsfrage 9. 

Kontraktionswelle, Geschwindigkeit der- 
selben im Hundeherzen 438, in der 
Meduse 440. 

Kontraktionswelle 
schwindigkeit 437. 

Konvektion 292. 

Koordination der Herzteile 447, 448. 

Korbzellen 64. 

Krampfgifte 360. 

Kratzreflex 375. 

Krebsschere 341, 385. 


Laryngaeus superior 377. 

Labyrinth 364. 

Leitung, doppelsinnige 344. 

Leitungsfähigkeit autoregenerierter Ner- 
ven 193. 

Leitungsgeschwindigkeit im Herzen 436. 

— der Nerven 311, 321, 345, 438. 

Leitungsverzögerung in den Zentral- 
teilen 345. 

Lidschlußreflex 346, 407. 

Lingualis 227. 

Limax, physiologisches 119. 

Lungenkollaps 398. 


Malomnitril 152. 

Markhaltige Nervenfasern 48. 

Marklose Nervenfasern 49. 

Markscheide 156, 201. 

Mechanische Reizung von Herz und 
Meduse 415, 416. 

Medusen (Alkoholwirkung) 359. 

— Beweise für die nervöse Leitung 
107 u.f. 


und Leitungsge- 


Medusen, Hemmung 386. 

— Nervennetz 85. 

— Phpysiologisches 106, 339. 

— rhythmische Bewegungen 408 u. f. 

Melken der Fibrillensäure 287. 

Methylenblau 34, 127, 131, 133. 

Milieu der Organe 361. 

Mollusken, Nervensystem 25. 

— physiologische 113. 

Motorische Elemente (,Neurone“) bei 
Wirbellosen 31. 

Motorischer Impuls 380. 

Motorische Zonen 378. 

Muschelschließmuskel 385. 

Muskeln, rhythmische Eigenschaften 390. 

Muskelfelder und muskelfreie Felder 
von Rhizostoma 89. 

Muskuläre Leitung im Herzen. Kritik 
der Beweise für dieselbe 433 u. f. 

Muskarin 435, 443. 


Nachschwankung, positive 253, 314,316. 

Narcotica 268, 289, 297, 356, 357. 

Narkose 309, 358. 

Negative Schwankung 269, 313. 

Nerv als anatomisch - physiologischer 
Begriff 2. 

Nervendegeneration siehe Degeneration 
der Nerven. 

Nervenfaser (Begriff) 5. — (Ursprung) 7. 

Nervenkompression 52, 168, 256, 359. 

Nervenkörper 4. 

Nervenleitung 248. 

Nervennetze 9, 11. 

— bei Arthropoden 24, 81. 

— an Blutgefäßen 79. ISO. 

— Beziehungen zu markhaltigen Fasern 

— im Froschherz 90. 

— der Medusen 85. 

— bei Mollusken 25, 81. 

— im Darm von Pontobdella. 
fibrillen desselben 24, 84. 
— plıysiologische 107, 109, 110, 111,120, 

121, 324, 372, 433, 454. 
Nervenregeneration siehe Regeneration 
der Nerven. 
Nervenringe 199, 223. 
Nervenscheiden als Schutzorgane 355. 
Nervenstrom 311. 
Nervensystem wirbelloser Tiere 20. 
Nervenzelle (Köllikers) 4. 
Nervenzellen (im Gegensatz zu Gan- 
glienzellen) 238, 243, 245. 
Nervenzellenäquivalent 129. 
Nervös, Begriff desselben 2, 3. 


Neuro- 


486 


Nervöse Fasern 4. 

Neuralrohr 234. 

Neuroblasten 234, 246. 

Neurome 213. 

Neuronentheorie 9, 12, 160, 187, 246, 
326, 343. 

Neurofibrillen 13, 33, 38, 255, 282. 

— autoregenerierter Nerven 195. 

— Degeneration 156. 

— in den Ganglienzellen Wirbelloser 
38—40. — von Wirbeltieren 55. 

— leitende Funktion 19, 51, 261. 

— Methoden sie primär zu färben 135, 

— motorische 18, 37. [146. 

— nackte 34. 

— primäre Färbbarkeit derselben, siehe 
unter Primäre Färbbarkeit. 

— rezeptorische (sensorische) 18, 37. 

Neurofibrillengitter im Neuropil 42. 

— Lagebeziehungen. 97. 

Neurokeratinhülle der Ganglienzellen 65. 

Neuropil 8, 17, 41, 328, 329. 

Neurosomen 66. 

Neurotisation 212. 

Neurotrope Farbstoffe 133. 

Neurotropismus 232. 

Neutralrot 131. 

Netze, Definition derselben 38. 

Nisslsäure, Eigenschaften derselben 144. 


Oberschlundganglion 23. 
Öffnungstetanus 275, 308. 
Öffnungszuckung 307. 

Opticus 229. 

Ösophagus, physiologisches 121. 
Otolithen der Medusen 455. 


Pedicellarien 21, 354. 

Pelletierinsulphat 113, 369. 

Perifibrillärsubstanz 15, 33, 48, 134, 261. 

— Unterbrechung an den Ranvierschen 
Einschnürungen 49. 

Peristaltische Bewegungen (Mollusken) 

Pigment der Ganglienzellen 150. [115. 

Planarien, physiologisches 112. 

Polarisationsbilder 278, 290. 

Polarität der Nerven 218. 

Primäre Färbbarkeit autoregenerierter 
Nerven 195, 197. 

— — Begriff 125. — Wesen 138. 


- — — der Neurofibrillen 133, 244, 255, 
265, 267. — Schwinden derselben bei 
Degeneration 161. — Veränderung 


derselben durch Reizung 298. 
Primärfärbbare Substanz, Lösungsver- 
hältnisse derselben 139, 141. 


Sachregister. 


Primäre Reizung, Methode der 178. 
Primitivfibrillen siehe Neurofibrillen. 


Protoplasmafortsätze, Anastomosieren 


derselben 9. 
— (Begriff) 5. 
— bei Wirbellosen (?) 30. 
— Endigungen 11. 
— reizleitende Natur 61. 
— Unterscheidung zwischen diesen und 
Achsenzylindern 68. 
— Verzweigungsmodus 67. 
Protozoen, kernlose Teile 332. 
Pulsierende Luftblase 389. 
Purkinjesche Zellen 64. 
Pyramidenzellen 58. 


Quakreflex 374, 380, 407. 
Querdurchströmung 306. 


Radialnerven der Echinodermen 21. 

Randkörper der Medusen 20. 

— — — als Stelle der geringsten Reiz- 
schwelle 455. 

— — — Verbindung mit dem Nerven- 
netz SS. 

Ranviersche Einschnürungen 49. 

Reaktionszeit 349. 

Reflex, Definition desselben 2. 

— 322. 

— diffuser 100. 

— ohne Ganglienzellen 226, 329. 

— Hemmung 374. 

Reflexbogen 335. 

Reflexlähmung 376. 

Reflextonus 364, 366. 

Reflexrepublik 338. 

Reflexumkehr 335. 

Reflexverkettung 338, 373. 

Reflexzeit 346. 

Refraktäre Phase (Periode, Stadium) 
390, 403, 407, 423, A451, 456. 

Regeneration der Nerven 182. 

— — — autogene 185, 189. 

— — — bei Erwachsenen 205. 

Regenerationskraft 203. 

Reizleitung im Herzen 432. 

Reizsummation siehe Summation. 

Respiration 393. 

Restitutorische Phase im Nerven 317. 

Retrograde Ganglienzellveränderungen 

Reusssches Phänomen 283. 176. 

Rezeptionsorgane 323, 324. 

Rezeptionszellen 31, 40, 105. 

Reziprozität der Herzkoordination 448. 

Rhizostoma, anatomisches S6. 

Rhythmische Bewegungen 388. 


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Sachregister. 487 


Sauerstoffbedürfnis der Zentralteile 362. 

Schließungstetanus 275. 

Schließungszuckung 307. 

Schlundkommissur 23. 

Schnecken, physiologische 118. 

Schollen, Nisslsche 127. 

Schwannsche Kerne 244. 

— — Vermehrung derselben 200. 

Seeigel (Hemmung) 385. 

— Nervensystem 21. 

— (Tonus) 372. 

Selachier, Atmung 394. 

Selbststeuerung der Atmung 398, 404. 

Sensible Wurzeln, Autoregeneration 
ders. 209. 

Sensorische Bündel 35. 

Sensorishhe Schläuche 35. 

Shok 377. 

Siebplatten an den Ranvierschen Ein- 
schnürungen 50. 

Sinneshaare 31. 

Sinnesnervenzellen 31. 

Sinus venosus als Stelle von geringster 
Reizschwelle 455. 

Sphinkter 365. 

Spinalganglien 330. 

— Exstirpation ders. 208. 

Spinalganglienzellen 58. 

Spindelzellen 200. 

Spitzenbesatz der 
sätze 77. 

Splanchnieusreizung 374. 

Statolithen der Medusen 455. 

Strangdegeneration 163. 

Strychnin 152, 360. 

Subumbrella der Medusen 85. 

Summation der Reize 325, 350, 406, 456. 

Sympathicus 231. 

Synchronität; Störung ders. bei Herz 
und Meduse 427. 


Protoplasmafort- 


Tabelle der Hunde mit Autoregeneration 
der Nerven 191. 

Tastscheiben im Entenschnabel 55. 

Temperatureinfluß auf die Ermüdbar- 
keit der Nerven 316. 

— auf das Polarisationsbild 291. 

Tetanusgift 152. 

Theorie der Nervenleitung 301. 

Tigroid 127. 

Toluidinblau 134. 

Tonus 325, 329, 363, 382. 

Tonusfall (Aplysia) 369. 

Tonuslabyrinth 365. 


Tonusleitung 367. 

Tonusmuskulatur 336, 340, 366. 

Tonusschalter 339. 

Tonussteigerung nach Fortnahme des 
Zentralnervensystems 113, 370. 

Torpedo, Nervenfasern 50. 

— Zellen des Lobus eleetrieus 58. 

Trigeminus 229. 

Trophische Funktion der Ganglienzel- 
len u. s. w. siehe unter Zentrum, tro- 
phisches. 

Tunikaten 25. 


Ureter 111. 


Vagus 231, 373, 377. 

— der Fische 399. 
Verästelte Fortsätze 5. 
Voltasche Alternative 308. 
Vorderhornzellen 57. 


Wachstumskeulen 235. 

Wallersches Gesetz 154, 177, 330. 

Wärmestarre Nerven 266, 287. 

Wasser, destilliertes, Wirkung auf Ner- 
ven 265. 

Wasserstarre Muskeln 443. 

Wirbellose Tiere, Nervensystem der- 
selben 20. 

Wurzeln des Rückenmarks 342. 

— vordere, Veränderung ihrer Erreg- 
barkeit 381. 

Würmer, Nervensystem 22. 

— physiologisches 111, 123. 


Zellfunktion, Lehre der spezifischen 151. 

Zellkettentheorie 236. 

Zentralnervensystem, im anatomischen 
und physiologischen Sinne 23. 

— als einziger Reflexort bei höheren 
Thieren 123. 

— physiolog. Unterschiede zwischen 
diesem und den peripheren Nerven 

Zentralteil 335. [325. 

Zentrum (nutritorisches, trophisches) 154, 
160, 163, 177, 181, 197, 212, 330. 

Ziekzackversuch 433. 

Zuckungsgesetz 274. 

Zusammenheilung zentraler 
stümpfe 220. 

-—— durcehschnittener Nerven 211, 215. 
Methoden dieselbe zu verhindern 189. 

— motorischer und sensibler Nerven- 
fasern 227. 

— peripherer Nervenstümpfe 224. 


Nerven- ’ 


Tafelerklärung. 


Figuren I—III stellen Vorderhornzellen vom Ochsen dar, welche Ausstrich- 
präparaten entnommen sind. Alle drei Präparate wurden gleichzeitig und in 
gleicher Weise mit Alkohol fixiert, in Xylol gebracht und nach einiger Zeit wieder 
in Alkohol übertragen. Von hier an wurden sie verschieden behandelt: 

I. wurde direkt mit Toluidinblau gefärbt, mit Wasser gewaschen und mit 
Ammoniummolybdat fixiert. Es wurde eine Zelle zum Zeichnen ausgewählt, 
welche wenig Nisslschollen enthält. Man sieht zwischen diesen die „ungefärbten 
Bahnen“ in einem rötlichen Ton gefärbt. An vielen Stellen ist eine deutliche 
fibrilläre Streifung vorhanden. 

II. Das Präparat wurde aus reinem Alkohol für 24 Stunden in eine Mischung 
von fünf Teilen Alkohol und einen Teil verdünnter Salzsäure gebracht und dann 
wie I gefärbt und fixiert. Die primäre Färbung der Fibrillen fehlt; es sind nur 
noch die NissIschollen und die Kerne gefärbt. (Genau der gleiche Endeffekt d.h. 
dasselbe Bild wäre erzielt worden, wenn man ein wie I behandeltes Pan 
ohne zu fixieren in Alkohol übertragen hätte.) 

Il. Das Präparat wurde aus dem Alkohol für 24 Stunden in eine Mischiane 
von fünf Teilen destillierten Wassers und einem Teil Salzsäure gebracht und an 
wie I und II gefärbt und fixiert. Die Färbung der Nisslschollen fehlt, der Kern 
zeigt färberische Veränderungen, aber die primäre Färbung der Neurofibrillen ist 
überall erhalten. 

(Die drei Figuren sind bei Ölimmersion aus freier Hand gezeichnet. Sie 
geben keinen optischen Durchschnitt wieder, sondern das, was man bei ver- 
schiedenen Einstellungen sehen konnte. Infolgedessen habe ich auch die über 
die Zellen fortlaufenden Nervenfasern nicht an der Zellperipherie abbrechen lassen.) 

IV und V stellen je einen Teil des Rückenmarksquerschnitts eines Kaninchens 
dar. Das Tier wurde zu Tode ätherisiert. Das Rückenmarksstück, von dem der 
Schnitt IV stammt, wurde mit Äther entwässert, eingebettet und geschnitten. 
Das Stück, von dem der Schnitt V stammt, wurde mit Alkohol fixiert u. s. w. 
Schnitte beider Stücke enden auf denselben Objektträger gebracht und zusammen 
mit Toluidinblau gefärbt, gewaschen und fixiert. Der Unterschied in der Be- 
handlung besteht also nur darin, daß IV nicht in Alkohol gewesen ist. — (Läßt 
man einen Schnitt von dem Ätherblock vor dem Färben in Alkohol, so erhält 
man ein Bild wie V. Bringt man einen Objektträger mit Schnitten von IV und V 
nach dem Färben ohne zu fixieren im Alkohol, so bekommt man in beiden 
Schnittsorten ein reines Nisslbild.) 

Vergleiche im Text S. 141 und 147. 


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Tafel I. 


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Fig. 71. Photogramme von vier Stellen im Verlauf des Schnittes Fig. 70 7. Vergrößerung 300 mal. 
Bei allen vier Aufnahmen wurde gleichlange bei gleicher Lichtquelle (Auerbrenner) exponiert 
(1 Min. 45 Sek.). Die Platten sind genau gleichlange (3 Min. 50 Sek.) mit jedesmal der gleichen 
Menge frisch bereiteten Entwicklers entwickelt. — 4 normale extrapolare Nervenstelle. Achsen- 
zylinder von mittlerer Dunkelheit. Die dünnen, helleren Streifen zwischen denselben sind die 
schwach gefärbten Hüllen der Markscheiden; stellenweise erkennt man auch das Neurokeratingerüst. 
Die dunkleren Flecke sind die Kerne. B Stelle aus der Kathode. Achsenzylinder dieker und viel 
dunkler als in 4. Der Untergrund infolge der darunter und darüber liegenden Fasern dunkler als 
in 4. — (Stelle aus der intrapolaren Strecke, zwischen Indifferenzpunkt und Anode. Die meisten 
Achsenzylinder ganz ungefärbt, rechts ein ziemlich normalgefärbter, in der Mitte einige ganz blasse. — 
D Stelle aus der Anodengegend, etwas nach innen von der Auflagestelle auf der Elektrode. Alle 
Achsenzylinder ungefärbt und nur noch die Kerne und die Hüllen zu sehen. 


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GL Bethe, Albrecht Th 

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siologie des nervensystens 


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