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Verviflliilligimg vorbehalteu.
Kuiislverlag Max Schmitz, Leipzig- R.
Palestriiia.
ALLGEMEINE ILLUSTRIERTE
ENCYKLOPÄDIE DER
MUSIKGESCHICHTE
VON
PROF. HERMANN RITTER
DOCENT DER MUSIKGESCHICHTE AN DER
KÖNIGLICHEN MUSIKSCHULE I N WÜRZBURG
DRITTER BAND
VERLAGSBUCHHANDLUNG VON MAX SCHMITZ IN
LEIPZIG- R.
Alle Rechte vorbehalten.
Druck von Otto Regel, Leipzig-N.
HAROLD B. LEE LIBRARY
BRiGHAM YOUNG UNiVERS!T>
PROVO, UTAH
Inhalt des III. Bandes.
Einleitung 3
Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien,
hervorgerufen durch die Renaissance.
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom . . 8
2. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Venedig.
a) Die ältere venetianische Tonschule (16. Jahrhundert) 50
b) Die jüngere venetianische Tonschule (17. und 18.
Jahrhundert) 56
3. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Florenz . 62
4. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Neapel.
a) Komponisten der älteren neapolitanischen Ton-
schule 75
b) Komponisten der jüngeren neapolitanischen Ton-
schule 81
5. Bedeutende musikalische Theoretiker auf dem Boden
von Italien im 15., 16. und 17. Jahrhundert .... 87
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik,
vornehmlich in Italien, vom 16. Jahrhundert an. (Die
ersten Anfänge der Instrumentalkomposition in der
römischen und venetianischen Tonschule, die Laute,
die Blasinstrumente, die Anfänge der Orgel- und
Klavierkomposition, die Geige, sowie die Entwicklung
der »Sonate« durch die höhere Ausdrucksfähigkeit
des Klaviers und der Geigeninstrumente) .... 97
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper, sowie der
italienischen Musik überhaupt (Gesangs- und Instru-
mentalvirtuosentum), bis in das 19. Jahrhundert . .129
Bibliographie 179
Die Musikentwicklung auf dem
Boden von Italien,
hervorgerufen durch die Renaissance.
Ritter, Encyklopädie der Musikgeschiclite. III.
Einleitung.
J_}as Altertum war längst gestorben, in Trümmer geworfen
und begraben; in Vergessenheit geraten war die Zeit, in welcher
Unduldsamkeit der Römer die ersten Christen ihrer neuent-
standenen Glaubensanschauungen und der daraus erwachsenen
Lebensgewohnheiten wegen verfolgten, — da erblicken wir in
der christlichen Kirche dieselbe grausame Unduldsamkeit. Die
christliche Kirche war nach und nach in ihren Dogmen und
Satzungen erstarrt, die jede andere Meinung und vor allem
die freie Forschung bedrohten. Wie nun in der Natur Er-
starrung endliche Auflösung hervorruft, so entstand innerhalb
der grofsen Christenheit eine gewisse Unzufriedenheit, die sich
in einem neuen Kultur wellen schlag, den wir mit dem Namen
»Renaissance« bezeichnen, Luft machte. Der unaufhaltsam
sich bethätigende Verstand, sowie die der Natur und dem
wirklichen Leben zugewandten Sinne der Menschen wurden
so lange in ihrem Ausdehnungsvermögen unterdrückt, bis sich,
wie dies beim Dampf der Fall ist, der bei allzugrofsem Drucke
die Wände des Kessels sprengt und sich befreit, auch hier
eine Befreiung vor sich gehen mufste. Kein Wunder daher,
wenn der Mensch in seinem Verlangen wieder in diejenige
Zeit zurückgriff, in welcher nach vielen Seiten hin solche Ideale
im Leben schon einmal verkörpert wurden. Mit seinen Geistes-
und Kunstschätzen zogen die Menschen das Altertum wieder
aus den Trümmern hervor, und trotz mannigfachen Wider-
strebens (ein Beispiel in dieser Hinsicht ist der Fanatiker
Savonarola) schmückte sich auch die Kirche mit den Trümmern
des Altertums, welches man nun als klassisi^jes, d. i. vorbild-
liches, erklärte. Die Zeit der Renaissance, der Wiedergebiu^t
1*
#
4 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
des antiken Geisteslebens mit ihrer schönen Sinnhchkeit und
ihrer natürliclien Denkweise war entstanden und wurde in ihr
Recht eingesetzt. Aus dieser Bewegung erwuchs wieder die
reine Freude am Scliönen, das Aufblülien der Naturwissen-
schaften, eine neue Philosopliie, Ivurz — Sinne, Vernunft und
Pliantasie des Menschen wurden mit einem neuen Lebens-
inlialte erfüllt.
Das Altertum, das in Griechenland und Rom auf Grund
einer mafsvollen Sinnlichkeit, gepaart mit mafsvoUer Ein-
bildungs- oder Vorstellungskraft, eine herrlich-schöne Kultur
hervorgerufen hatte, ging durch das Anwachsen einer zügel-
losen Sinnlichkeit und zügellosen Einbildungskraft zu Grunde.
Mit Entstehung der christlichen Kultur schlug das menschliche
Wesen in das strikte Gegenteil über. Das Auge erfreute sich
nicht mehr an der Natur, nicht mehr an der Schönheit des
menschlichen Körpers, wie es das klassische Altertum that.
Was dort als höchster Vorzug des Menschen galt, wird hier
als sündig erklärt; der Körper, das Fleisch des Menschen
waren sündig, selbst das Denken, der Verstand, die Vernunft
wurden verabscheut. Die einst bewunderten Kunstwerke der
nunmehr als heidnisch betrachteten Kultur wurden zertrümmert,
die Philosophen des Altertums, soweit sie nicht zum Aufbau
der christlichen Kirche beitrugen, als Irrlehrer hingestellt, kurz
gesagt: der Mensch trennte sich von einem natürlichen Leben
und verinnerlichte sich in mafsloser Weise. Der christliche
Mensch verbrachte sein Leben in Vorstellungen von einem
anderen Leben, welches mit dem Erdenleben nichts mehr ge-
mein hatte, und schuf sich mit Hilfe der Phantasie einen
Himmel und eine Hölle, die seinen Idealen von einem nach
dem Tode als wahrerkannten Leben entsprachen. Die Kirche
war die Macht, welche die Menschen im Mittelalter ausschliefs-
lich beherrschte; sie schrieb in allen Dingen vor: dem einzelnen
Individuum, ganzen Völkern, sowie Kaiser und Königen, welche
überhaupt nur durch die Kirche zu herrschen vermochten.
Die Kirche befriedigte nicht nur die Vorstellungskraft der
Menschen jener Zeit im höchsten Mafse, sondern auch den
Sinnen gab sie das, was sie für gut hielt, und ebenso fand
sie, da sie die Denknotwendigkeit des Menschen nicht unter-
drücken konnte, auch für jene ihren Teil in der scholastischen
Philosophie des Mittelalters.
Einleitung. 5
Die Kirche und mit ihr die von ihr beherrschte Menschheit
waren in starre Formen gebracht, und so war seit dem Alter-
tume die menschhche Kulturbewegung von einer natürhch-
schönen Sinnhchkeit und vernünftigen Denkarbeit, soweit die
Mittel und die Erfahrung jener Zeit es gestatteten, nach dem
Gesetze der Federkraft und des Kontrastbedürfnisses der
Menschen, in Phantastik und Idealistik, welche aller Natur,
aller Erfahrung und des vernünftigen Denkens entsagten,
umgeschlagen; eine ins Mafslose ausgeartete Verinnerlichung
und Einbildungskraft hatte als Triebfeder menschlichen Lebens
die Oberhand gewonnen. Kein Wunder, dafs sich die Kirche
in ihrem Fanatismus um ihre Ideale gerade so gebärdete, wie
wir es zur Zeit des absterbenden Altertums gewahren. Es
sei hier nur an die wundervolle echt menschliche Gestalt der
Hypathia in Alexandria erinnert!
J. Burckardt wirft in seiner »Geschichte der Renaissance«
die Frage nach dem ersten modernen Menschen auf und findet
ihn in der Person des Saracenenschülers auf dem Kaiserthron
Friedrich IL — In der Zeit der fränkischen Kaiser von Hein-
rich IV. (1056—1106) an bis zum Hohenstaufen Friedrich I.
(1152—1190) steht das ganze Geistesleben unter dem Einflüsse
der geistlich theologischen Welt- und Lebensanschauung; diese,
die von dem französischen Kloster Clugny ihren Ausgang ge-
nommen hatte, ging darauf hinaus, alles Weltliche im Geistes-
leben zu ersticken, zu vernichten und den Menschen schon
auf Erden ganz dem Himmlischen in Gestalt der Kirche dienst-
bar zu machen. So bildete sich allmählich eine kirchlich-
asketische Welt- und Lebensanschauung heraus, die der ge-
samten christlichen Welt jener Zeit ihre Fesseln anlegte: von
den geistlichen Kreisen drang sie hinaus in die Wissenschaft
und Philosophie, in denen sie als Scholastik zur Herrschaft
gelangte. Auch ins Volk gelangte sie durch die Geistlichen,
die damaligen Träger der Bildung, die Volkslehrer; aber hier
machte sich der germanische Volkscharakter geltend, der für
eine solche Welt- und Lebensanschauung wenig empfänglich
ist; und in diesem Widerstreben gegen die letztere liegt der
Charakter dieser Zeit als einer Übergangszeit vom Mittelalter
zur Neuzeit. (Siehe in dieser Hinsicht Dr. H. Jantzens »Dich-
tungen«, Textproben der mittelhochdeutschen Frühzeit, heraus-
gegeben und mit Einleitungen, Inhaltsangaben und Wörterbuch
6 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
versehen, Leipzig, G. J. Göschen, 154 S., in denen die bezeich-
netsten Eigenschaften der Litteratur dieses Zeitalters vor Augen
geführt werden.)
In Italien, wo die Antike nie ganz verloren gehen konnte,
fand die Anbahnung der Renaissance bewulst schon im 14. Jahr-
hundert statt. Mit den drei Geistern: Dante*), 1265— 1321, Petrarca,
1304—1374, und Boccaccio, 1313 — 1375, brach die Morgenröte
der Wiedergeburt und Entfaltung von Wissenschaften und
Künsten der Antike in Italien an. Plaidierte Petrarca für die
Erhaltung altrömischer Denkmäler und vertiefte sich in die
Dichtungen Virgils sowie der Provengalen, so war Boccaccio
der erste, welcher auf seine Kosten Abschriften der Ilias und
Odyssee aus Griechenland kommen liefs. Es war eine Periode
des Ringens und Kampfes, des Bruches mit dem Alten auf
dem Gebiete der Wissenschaft sowie der bildenden Künste.
Durch das Studium der altgriechischen und lateinischen Si^rache
geschah ein Einblick in das Geistesleben dieser Völker, der die
Wiedergeburt ihres Geisteslebens und ihrer Künste wünschens-
wert erscheinen liefs.
Das 15. Jahrhundert repräsentiert den eigentlichen Über-
gang von den Anschauungen des Mittelalters zu ganz neuen
Ideen in Wissenschaft und Kunst.
Hatten die Niederländer Hubert und Jan van Eyk
(1366—1426) die Malerei in Ölfarben erfunden, durch welche
Technik gröfsere Wärme im Kolorit erzeugt wurde (Antonella
da Messina vermittelte die Technik des Ölmalens, welche bald
epochemachend wurde, von den Niederlanden nach Italien),
so erstand in Johannes Gutenberg (1440 — 1450) der Erfinder
der Buchdruckerkunst. Durch diese beiden Grofsthaten vollzog
sich ein gewaltiger Umschwung in der Malerei und in der
Wissenschaft. Der Erfindung des Musikdruckes mit beweg-
lichen Typen durch Jörg Reyser (1481) in Würzburg wurde
bereits früher gedacht. Auch auf dem Gebiete der Architektur
bemerken wir einen Übergang von den bisherigen baulichen
Traditionen zum antiken Baustile, insofern als dessen Formen
jetzt zur Geltung gelangen. Aus dem mittelalterlichen Burgen-
bau entwickelte sich der Palastbau, indem man ihn durch Hallen
*) Siehe über das langsame aber sichere Aufkeimen der Renaissance
sowie des neuen modernen Menschen das Dante-Werk von Fr. H. Kraus
(1897).
Einleitung. 7
und Arkaden, getragen von schlanken korinthischen Säulen,
verzierte. Die Verwendung antiker Motive zur Ornamentik
an Brunnen, Grabdenkmälern, Thüren und anderen Gegen-
ständen lälst so recht die Rückkehr zu Kunstanschauungen
des Altertums erkennen. In der Plastik gelangte die äulsere
Gestalt des Menschen, gleich wie in der antiken Zeit, zur
schönsten Darstellung, kurz — dramatisches und individuelles
Leben atmeten die Kunst und Sprache wieder.
Dals die Musik bei diesem Wiederaufjauchzen des Menschen
nach Schönheit und bei der Rückkehr des Menschen zu grölserer
Natürlichkeit nicht zu kurz kam, ist wohl begreiflich; denn
gerade die Musik ist immer und stets das Abbild, das Spiegel-
bild des Empfindun^slebens der jeweiligen Zeit.
Ist nun wohl Florenz so recht eigentlich der Ort, wo die
neugewonnenen Lebens- und Kunstanschauungen besonders
in der Musik hervortraten, so ist doch auch auf dem Gebiete
der Kirchenmusik, die in Rom ihre Centrale hatte, der Ein-
flufs nach Hinneigung zur Schönheit und grölster Natürlich-
keit deutlich zu bemerken. Auch sie kann sich des Einflusses
ihrer Zeit nicht entziehen, auch sie streift die alten scholasti-
schen Fesseln ab, in welche sie das Mittelalter gebannt hatte,
und zeitigt eine herrliche Blüte reinster Kunst. Wie wir be-
reits sahen, waren es die Völker des Nordens, vor allem die
Niederländer gewesen, welche Italien auf seine musikalische
Selbständigkeit vorbereitet hatten. Besonders einflufsreich
sehen wir die Niederländer in Rom und Venedig werden, in-
dem sie hier die kontrapunktische und polyphone Schreibweise
auf dem Gebiete des Kunstgesanges im a-capella- Stile ent-
wickelten, so dafs wir von einer römischen und von einer
venetianischen Tonschule reden können.
/^
3DoGCp
1. Die Musikentwickluns; auf dem Boden von Rom.
Wer ist als Begründer der römischen Ton schule anzusehen?
Claudio Goudimel, wahrscheinlich ein Schüler von Josquin
des Pres. Geboren um 1511 in Frankreich in der Franche-
Comte, befand sich Goudimel um 1540 in Rom als Vorstand
einer Musikschule, in welcher u. a. G. Animuccia, S. Bettini,
A. Merulo, G. M. Nanini und G. Palestrina lernten. 1555
kehrte Goudimel nach Paris zurück, wo er Inhaber einer
Notendruckerei wurde, in welcher er mehrere seiner Ton-
werke vervielfältigte. 1562 trat Goudimel zur reformierten
Kirche über, zog sich aber durch Einführung von frisch-
klingenden und natürlich wirkenden Volksliedermelodien in
den Kirchengesang den Hals der Geistlichkeit zu und wurde
in Lyon in der Bartholomäusnacht am 24. August 1572 er-
mordet.
Goudimels Kompositionen weisen einen volkstümlich-ein-
fachen Stil auf. Aufser einigen Sammlungen von fran-
zösischen Chansons bestehen seine Arbeiten meist aus
kirchlichen Ton werken, wie Messen, Motetten, Psalmen,
Magnifikaten etc. In den römischen Kirchenarchiven sind
bis heute noch gröfsere Werke von Goudimel handschrift-
lich enthalten. Veröffentlicht sind von Goudimel folgende
Sammlungen: »Liber quartus ecclesiasticarum cantionum«,
1554. »Horatii Flacci odae ad rhythmos musicos redactae«,
1555. »La fleurs des chansons des deux plus excellens
musiciens etc.«, 1567. Noch im 19. Jahrhundert befanden
sich folgende Werke Goudimels beim calvinistischen Gottes-
dienste im Gebrauche: »Les psaumes de David mis en
musique ä 4 parties, en forme de motets«, 1562 und »Les
psaumes de David mis en rime fran(jaise par Clement Marot
et Theodore de Beze, mis en musique ä 4 parties etc.«, 1565.
(Aus der letzteren Sammlung hat auch die lutherische Kirche
1. Die Musikentwicklimg auf dem Boden von Rom. 9
einzelne Melodien in ihren Kultus herübergenommen, wie
z. B. die Melodien zu den Chorälen »Wenn wir in höchsten
Nöten sein«, »Herr Gott, dich loben wir«, »Freu' dich sehr,
o meine Seele« u. a. m.
Welcher Italiener ist als Vorläufer Palestrinas zu nennen?
Costanzo Festa, geb. in Florenz im Anfange des 16. Jahr-
hunderts, gest. als Sänger der päpstlichen Kapelle am 10. April
1545. Als grölster Kontrapunktiker der römischen Ton-
schule vor Palestrina hat Festa dreistimmige Madrigale,
Motetten, Litaneien, sowie ein schönes Tedeum geschrieben.
Das Tedeum Festas wird noch heutigen Tages am Frohn-
leichnamstage, bei der Papstwahl, sowie bei einer Kardinal-
ernennung von der Sixtinischen Kapelle in der Basilika des
Vatikan gesungen. Sein Stil hat bereits die Anmut, Würde
und Klarheit der Schreibweise Palestrinas, zu dem er sich
ungefähr wie Perugino zu Rafael verhält. Festa trat 1517
in die päpstliche Kapelle, als deren Mitglied er bis zu seinem
Tode verblieb.
Welcher Tondichter war der eigentliche Hauptrepräsentant
der römischen Tonachule?
Palestrina, (Gfovanni Pierluigi da Palestrina, auch Joannes
Peteraloysius Praenestinus genannt), ein Schüler Claudio
Goudimels, ist als das Haupt der römischen Tonschule zu
nennen.
Wann und wo wurde G. P. da Palestrina geboren?
Giovanni Pierluigi da Palestrina wurde in Palestrina (im
alten Präneste) nahe bei Rom im Jahre 1514 oder 1524
geboren.
Was knüpft sich an den Namen Palestrina für die Entwick-
lung der Tonkunst?
An den Namen Palestrina knüpft sich für die Entwick-
lung der Tonkunst zum erstenmale der Begriff höchster
Entfaltung musikalischen Könnens zum Zwecke des Aus-
druckes des tiefst Empfundenen im menschlichen Innern.
Palestrina ist gleich Rafael der Abschlufs einer langvoraus-
gegangenen Kunstentwicklung.
10 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Wann kam Palestrina nach Rom, um Musik zu studieren?
Palestrina kam im Jahre 1540 nach Rom, um in der Schule
Goudimels Musik zu studieren.
Welche SteUung hatte Palestrina zunächst in Rom als Kirchen-
musiker inne?
Die Stelle eines Maestro de' putti (Lehrer der Knaben) in
der Capeila Giulia im Vatikan vom Jahre 1551 an; sein
Aufsehen erregendes Talent trug ihm sehr bald den Titel
»Maestro della Capella della basilica Vaticana« ein.
Welche Werke schrieb Palestrina in der Stellung als »Maestro
de' putti« in der Capella Giulia?
Einen Band 4- und 5-stimmiger Messen, 1554 veröffentlicht
und dem Papst Julius IIL gewidmet, der Palestrina am
13. Januar 1555 in das Kollegium der j)äpstlichen Sänger
berief und ihn zum Leiter und Vorsteher der Sixtinischen
Kapelle machte.
Wann und warum mufste Palestinna aus dem Kollegium der
j)äpstlichen Sänger ausscheiden?
1555 (am 30. Juli). Als Grund wird angegeben, dafs PajDst
Paul IV. (Caraffa ), der nach Julius III. und nach Marcellus IL
Tode als Oberhaupt der römischen Kirche regierte, keinen
verheirateten Sänger in seiner Kapelle leiden konnte. Ein
anderer Grund zur Entlassung Palestrinas aus dem Kollegium
der päpstlichen Sänger soll das im Jahre 1555 heraus-
gegebene erste Buch Madrigale gewesen sein, welche dem
Tondichter wegen der als leichtfertig erkannten Texte bittere
Vorwürfe eintrugen. Obgleich nun die Texte durchaus nicht
leichtfertig oder gar schlüpfrig, sondern in der herkömmlichen
Weise, wie sie bei Madrigalen üblich waren, mifsbilligte
dieselben Papst Paul IV., der als Rigorist bekannt war.
Welche Stellung erhielt Palestrina als Ersatz?
Die Stellung als Kapellmeister an der Lateranischen Hof-
kirche (S. Giovanni im Lateran) 1555 am 1. Oktober.
Welche berühmten Werke schrieb Palestrina als Kapellmeister
an der Kirche S. Giovanni im Lateran?
Das 8-stimmige »Crux fidelis« und die »ImiDroperien«. (Die
Improperien oder Vorwürfe enthalten die Klagen Christi
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 11
Über das Volk, das ihn ans Kreuz geschlagen; dieselben
bewegen sich in einfachen Dreiklangsformen.)
Welche Anstellung erhielt Palestrina nach derjenigen an der
Lateranischen Hofkirche?
Die Kapellmeisterstelle an der Kirche S. Maria Maggiore
im Jahre 1561.
Welches kirchengeschichtliche Ereignis zu Palestrinas Zeit er-
hielt eine Bedeutung in Bezug auf die Lebensfrage der poly-
phonen Tonkunst oder Figuralmusik?
Das Tridentiner Konzil im Jahre 1565. (Todesjahr des
Papstes Pius IV.)
Welche Forderungen wurden auf dem Tridentiner Konzile an
die Kirchenmusik, welche damals im a-capella-Stile wurzelte,
gestellt?
Wiederher- oder Richtigstellung des Chorales oder der alten
Liturgie, ferner weniger Verkünstelung, gröfsere Einfach-
heit und somit bessere Verständlichkeit des gesungenen
Wortes in den a-capella-Chören der sogenannten Figural-
musik. Man beriet in der 22. Sitzung des Konzils, die Musik
bei Messen und überhaupt im Gottesdienste von allem Un-
reinen und Ungehörigen zu säubern. In der 21. Sitzung
wurde ganz allgemein beraten, acht zu geben auf die Mifs-
bräuche in der Musik beim Gottesdienste. (Viele Tonsetzer
komponierten oder kontrapunktierten Messen über weltliche
Lieder, ein Mifsbrauch, der den Widerspruch der geistlichen
Würdenträger erregte; diese wandten sich gegen die kontra-
punktischen Formen und gegen die Figuralmusik, welche,
wie bekannt, das Ergebnis der Bestrebungen während eines
langen Zeitraumes war. Dieselbe wäre beinahe den Synodal-
beschlüssen erlegen, wenn nicht einige Beschützer derselben,
besonders der Abgesandte des Kaisers Ferdinand I. auf dem
Konzile für dieselbe gesprochen hätten.)
Auf welche Weise wurde Palestrina in die Angelegenheit von
der Reform der Kirchenmusik in Bezug auf gröfsere Einfach-
heit im Ausdrucke hineingezogen?
Nach Beendigung des Konzils von 1565 begann Papst Pius IV.
ein Interesse an der Reform der Kirchenmusik zu nehmen
12 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
und übertrug 1564 die Ausführung und Überwachung dieser
Operation acht Kardinälen, unter denen sich Kardinal
Vitellozzo VitelU und Kardinal Carlo Borromeo befanden.
Kardinal Vitellozzo Vitelli bestimmte acht Sänger der päpst-
lichen Kapelle (Antonio Calasans, Federigo Lazisi, Ludovico
Vescovi, Vicenzo Vimercato, Giov. Antonio Merlo, Francesco
des Torres, Francesco Soto und den Niederländer Christian
Haymeden) auf Grundlage ihrer Beratungen Beschlüsse zu
fassen, nach welchen sodann die Bestimmungen für die
Kirchenmusik formuliert werden sollten. Beschlossen wurde:
keine Messen über Volkslieder zu singen und zu Motetten
nur autorisierte Texte zu wählen. Kardinal Borromeo, der
die Verständlichkeit der Texte zur Sprache brachte, kam
auf den Gedanken, Palestrina mit in diese Angelegenheit
hineinzuziehen, denn es wurde bemerkt, dals dasjenige, was
man a^ou der Musik für die Kirche fordere, schon in Festas
»Te Deum laudamus« und in Palestrinas »Improperien« ge-
löst sei. Borromeo liefs Palestrina rufen und legte ihm die
Aufgabe, ein Musterwerk für die Kirche zu schreiben, ans
Herz. Palestrina schuf hierauf drei Messen, deren Motto, von
Palestrinas Händen am Anfange geschrieben, lautet: »Domine
illumina oculos meos«. Am 28. April 1565 fand im Palaste
des Kardinals Vitellozzo Vitelli die Aufführung der drei
Messen statt, wobei die sogenannte Marcellusmesse das
meiste Entzücken erregte. Kardinal Borromeo berichtete
seinem Onkel, dem Papste Pius IV., den Hergang und so
kam es, dals jene Messe am 19. Juni 1565, bei Gelegenheit
der Feier des Bündnisses des päpstlichen Stuhles mit den
Eidgenossen der Schweiz, in der Sixtinischen Kapelle zur
Aufführung gelangte. Borromeo selbst celebrierte am Altare,
und nachdem Palestrinas Musik verklungen war, soll Pius IV.
ausgerufen haben: »Das sind die Harmonien des neuen
Gesanges, welchen der Apostel Johannes aus dem himm-
lischen Jerusalem tönen hörte, und welche uns ein irdischer
Johannes im irdischen Jerusalem hören läfst«.
»Die nachtridentinische Choralreform zu Rom. Ein Bei-
trag zur Musikgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts.« So
betitelt sich ein Buch von P. Rafael Molitor (Leipzig 1901),
das volle Beachtung verdient, da es auf umfangreichen Archiv-
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 13
forschungen beruht. Der Verfasser, der in seinem Werke eine
Menge eingebürgerte Irrtümer berichtigt, benutzte das Material
des spanischen Staatsarchivs zu Simancas, des Archivs der
königlich spanischen Botschaft beim apostolischen Stuhle in
Rom, der Vaticana, des Liceo musicale in Bologna, der Biblio-
theca Angelica und Bibliotheca centrale in Rom, der Bibliotheca
nationale und des Archivio generale di Stato in Florenz, der
Ambrosiana und Brera in Mailand, der Marciana in Venedig,
der Münchener Hof- und Staatsbibliothek u. a. m. Das wert-
volle Werk ist in der wissenschaftlichen Beilage der »Germania«
bald nach Erscheinen eingehend besprochen worden und zwar
im Jahrgang 1901, No. 16 ff.
Der erste Band von P. Molitor befafst sich mit der Choral-
reform unter Gregor XIII. und behandelt zunächst die litur-
gischen Reformen des Breviers und Missale, welche auf An-
regung des Konzils von Trient unter Papst Pius IV. und Pius V.
zur Ausführung gelangten. So umfassend sie auch waren, so
können sie doch nicht anders als eine Restauration, als ein
Wiederaufleben der alten Liturgie genannt werden; sie be-
deuten in Wahrheit einen Sieg der Tradition. Im bewufsten
Gegensatz zu den modernisierenden, zum Teil ganz radikalen
Reformen, welche von selten der Humanisten auf liturgischem
Gebiete angestrebt wurden, hatten sich der Papst und die von
ihm berufenen Kommissionen im Sinne des Tridentinums die
Aufgabe gesetzt, das Bestehende soviel als möglich auf seine
ursprüngliche Gestalt zurückzuführen, kein neues Werk zu
schaffen, sondern das, welches der Vorfahren tief religiöser
Sinn aufgeführt, zu restaurieren, auszubessern und den ver-
änderten Zeitverhältnissen anzupassen. Ganz anders müssen
die Versuche einer Choralreform unter Gregor XIII. und seiner
Nachfolger beurteilt werden. Zeitlich fallen sie mit jenen Ar-
beiten zusammen, welche den apostolischen Stuhl von 1565 — 1614
beschäftigen; ihrem Wesen nach aber sind sie traditionsfeind-
lich und stehen aufserhalb des Rahmens der vom Tridentinum
ins23irierten Reformen; denn obschon in Trient die kirchen-
musikalische Reform eigens besprochen und von mehreren der
anwesenden Prälaten ernste Klagen vorgebracht wurden, so
begnügte sich das Konzil gleichwohl mit einem allgemeinen
Verbote, unwürdige Musik im Gotteshause zur Aufführung zu
bringen, weitere Mafsnahmen den Diöcesanoberen und den
14 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Partikularsynoden überlassend, die auch alsbald mit regem
Eifer die ihnen gewordene Aufgabe im Sinne des Tridentinums
in Angriff nahmen, je nach den Bedürfnissen und Gewohn-
heiten der einzelnen Sprengel etwa gebotene kirchenmusika-
lische Reformen regelten, einen Neudruck der alten Choral-
melodien veranlafsten oder doch für eine handschriftliche
Kopierung und Anpassung der Choralbücher an das neue
Missale Sorge trugen.
P. Molitor bespricht in dieser Hinsicht die wichtigen Be-
stimmungen der Synoden von Gnesen 1578, Mailand 1582,
Aix 1585, Valencia 1590, Olmütz 1591, Breslau 1592, Namur 1601,
Antwerpen 1610, der Agende für Polen 1591, des Erlasses des
Bischofs Otto von Augsburg 1597, der Synoden von Cambrai
1565, von Besan(jon 1581, Rheims 1564 und 1583, der Refor-
mationes generales von Krakau 1621 u. a. m. (Siehe S. 22 ff.)
Eine centrale Leitung der Reform wurde aber von niemandem
in Vorschlag gebracht, noch weniger eine Bearbeitung der
Choralmelodien.
Dafs aber am Ende des 16. und am Anfange des 17. Jahr-
hunderts allerorts fleifsig an der Reform des Cantionales der
römisch-katholischen Kirche gearbeitet wurde, beweisen die
mannigfachen Ausgaben der Liturgie mit Musiknoten. Be-
sonders zu statten kam dieser Reform des katholischen Chorals
die Erfindung des Notendruckes, der nach und nach grofse
Fortschritte gemacht hatte.
Über die ersten Anfänge der nachtridentinischen Choral-
reform ist der Bericht eines römischen Korrespondenten am
spanischen Hofe erhalten. Von diesem Briefe, der vom
25. November 1577 datiert, giebt P. Molitor die deutsche Über-
setzung. Der Brief enthält eine bittere, strenge Kritik, einen
Appell an den Einflufs und die Interessen der spanischen
Krone, durch ein energisches Veto den Weitergang der be-
gonnenen Reformen zu hintertreiben.
Der Unterschrift nach ist es Don Fernando de las Infantas,
ein Mann, den die Geschichte zwar nicht zu den ersten Be-
rühmtheiten jener Zeit rechnet, der aber immerhin als Kom-
ponist einen Namen hatte und auch bei König Philipp IL von
Spanien in besonderer Gnade stand oder wenigstens durch
seine Interpellation in hohe Gunst kam. Gregor XIII. hatte
die Errichtung einer Druckerei oder die Vereinigung der schon
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom.
15
bestehenden römischen Offizinen veranlafst und hierzu selbst
100000 Dukaten hinterlegt. Don Fernando berichtet: »Man
No. 1. Titelblatt aus dem Bamberger Cantional von Caesar de Zaehariis Cremonensi
aus dem Jahre 1594.
(Aus der Bibliothek der kgl. Musikschule iu Würzburg. )
16 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien,
wünscht nämlich in allen Sprachen drucken zu können, damit
die Bücher der katholischen Kirche — gemeint sind hiermit
wohl zunächst die liturgischen, dann aber auch die Schriften
der Väter — von den in anderen Ausgaben verschuldeten
Mängeln frei würden. Bei dieser Gelegenheit hat es nicht
an einem schlimmen Geiste gefehlt, welcher den Gedanken ein-
gab, auch die gregorianischen Melodien in ihrem gesamten
Umfange neu zu drucken, und dabei sollten alle Choralbücher
mit einbegriffen sein, und was die Melodien selbst betrifft, viele
Stellen eine Änderung erfahren, die, wie einige glauben, den
Regeln der Tonkunst nicht entsprechen. Dies ist jedoch nach
meinem Dafürhalten nicht der Fall. Schliefslich wurde ohne
weitere Verständigung Auftrag zur Ausführung gegeben und
die Angelegenheit einem Giovanni da Palestrina und einem
zweiten anvertraut, die beide als Komponisten für die päpst-
liche Kapelle arbeiteten. Diese haben mit der Neubearbeitung
der Bücher begonnen. Obschon sie vorgeben, nur weniges,
das der Tonart oder dem Accente nicht gerecht wird, ändern
und eine grofse Zahl von Ligaturen zur Vermeidung der Weit-
schweifigkeit entfernen zu wollen, so läuft das ganze doch
darauf hinaus, dafs sie alles Bestehende zu Grunde richten
und dieses ein ganz anderes Gesicht bekommt als ehedem.
Mich schmerzt die Sache sehr, da ich klar erkenne, wie
sie blind vom Wege abgehen, so dafs ich mich zu dem Wagnis
verpflichtet glaube, mit meinen schwachen Kräften seine Heilig-
keit und die zur Leitung dieser Druckgeschäfte ernannten
Kardinäle aufzuklären und ihnen mit Gottes Hilfe verstehen
zu geben, wie vorzüglich der Choralgesang der Kirche ist und
wie unüberlegt und unverständig das, was man gegen ihn vor-
bringt. Anstatt die Melodien zu ändern oder zu kürzen, sollte
man sie vielmehr, wie es auch immer geschehen ist, in hohen
Ehren halten als das Werk und die Komposition eines so
glorreichen Heiligen, wie St. Gregorius war und ist; und im
Besitze solcher Wertschätzung befindet sich dieser Gesang
schon viele Jahre und führt darum auch den Namen grego-
rianischer Choral, womit er, wie ich hoffe, nicht schlecht ver-
teidigt werden wird, zumal wenn die Hilfe Ew. Majestät hinzu-
kommt.« Zum Schlüsse giebt sich der Berichterstatter der
guten Hoffnung hin, der König werde »die Angelegenheit in
Wahrheit einzig zu Gottes Ehre und des genannten heiligen
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom.
17
Ruhme so in Schutz nehmen, dals sie selbst zu Gunsten Ew.
Majestät (d. h. des spanischen Buchhandels, der durch die Aus-
gaben Gregors XIII. beeinträchtigt schien), gereichen möge.«
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No. 2. Notenbeispiel aus dem Bamberger Cantional von Caesar de
Zachariis Cremonensi aus dem Jalire 1594.
(Alis der Bibliotliuk der kgl. Musikschule in Wür/.luirg.)
Das päpstliche Breve, welches Palestrina und noch einen
anderen Musiker — die Adresse nennt ihn Annibale Zoilo —
zur Ausführung einer Choralreform berief, datiert vom 25. Ok-
tober 1577, befindet sich in mehrfacher Abschrift unter den
Ritter, Encyklopädie der Musikgeschichte. III. 2
18 Die Musikentwicldung auf dem Boden von Italien.
Akten der medicäischen Druckerei im Archivio di Stato zu
Florenz. P. Molitor hat es zum Gegenstand eingehender Unter-
suchungen gemacht; insbesondere dabei die Fragen erörtert,
welche Absichten Gregor XIII. wohl bestimmen mochten, sein
Breve zu erlassen ; welchen Sinn und Umfang er einer Reform
des Chorals zugestand. Was heilst Reform? so fragt der Ver-
fasser. Etwa Restauration? — Dann war, wenn wir erwägen,
dafs der Papst und ein Mann von der Bedeutung Palestrinas
sich zu ihr verstanden, dieser Entsclilufs eine Approbation der
gregorianischen Melodien, wie sie höher nicht leicht möglich
war; — oder müssen wir unter Reform eine durchgreifende
Umgestaltung, eine Verurteilung verstehen? — Dann war über
die Melodien jener Zeit ein Urteil gesprochen, wie es bis dahin
nicht erhört war. Untersagte der Papst den ferneren Gebrauch
der herkömmlichen Choralgesänge beim Gottesdienste, so war
diesen der rechtliche Boden entzogen, auf dem sie heran-
gewachsen. Und hatte der Choral wirklich aufgehört, die
einem Kunstwerl<:e unentbehrlichen Eigenschaften zu besitzen,
so war sein Recht verwirkt, der -^ Gesang der Kirche« zu sein.
Indes läfst das Breve einen Zweifel über Veranlassung und
Umfang der vom Papste intendierten Reform nicht aufliommen.
Man hatte Gregor XIII. vorgestellt, dafs nach Erscheinen des
reformierten Breviers und Missale in den Ghoralbüchern Fehler
mancherlei Art in grofser Zahl zu Tage getreten seien; jedoch,
niclit Mängel und Abweichungen, die sich im Laufe der Jahr-
liunderte eingeschlichen, sondern Übelstände allerjüngsten
Datums, verursacht bei der vor kurzem notwendig gewordenen
Anpassung des Choralbuches an das neue Brevier und Missale.
»Da man darauf aufmerksam geworden ist, dafs die Anti-
phonarien, Gradualien und Psalterien, deren Choralmelodien
beim Gottesdienste und der Feier der Offizinen in den Kirchen
im Gebrauche sind, nach der vom Trienter Konzil vorge-
schriebenen Herausgabe des Breviers und Missale (post editum
breviarium et missale) infolge der Unkenntnis, Nachlässigl<:eit
oder Böswilligl<:eit der Komponisten, Abschreiber und Drucker
voll sind von einer Unzalil von Barbarismen, Unklarheiten,
Widersprüchen und unnötigem Beiwerke; und da wir von
dem Wunsche beseelt sind, soweit Gottes Beistand es gestattet,
dafür Sorge zu tragen, dafs diese Bücher dem genannten
Brevier und Missale, wie es nicht anders schicklich und passend
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 19
ist, entsprechen und zugleich von allem Ballaste entledigt, frei
von den Barbarismen und Unklarheiten so hergerichtet würden,
dafs aus ihnen Gottes Name in Ehrfurcht, in verständlicher
und frommer Weise könne verherrlicht werden: so haben wir
beschlossen. Euch, deren Erfahrenheit in der Tonkunst und
Komposition, Ergebenheit, Eifer und Gottesfürchtigkeit so viel-
fach bezeugt sind, vor allen anderen für diese schwierige Auf-
gabe zu erwählen, in der festen Zuversicht, dafs Ihr unseren
Wunsch A^ollauf befriedigen werdet.
Zu diesem Zwecke erteilen wir Euch den Auftrag, die Anti-
phonarien .... durchzusehen und soweit es Euch gut er-
scheinen sollte, zu reinigen, zu verbessern und zu reformieren,
und erteilen Euch zu diesem Behufe hiermit kraft apostolischer
Autorität unbeschränkte und freie Befugnis und Ermächti-
gung. . . .« Palestrina und Zoilo sollten also sämtliche Choral-
bücher mit den fortan für die Liturgie mafsgebenden Texten
in Brevier und Missale in Einklang bringen und dabei die
aus früheren Accommodationsversuchen entsprungenen Fehler
— genannt werden Barbarismen, Unklarheiten in Notation oder
Druck, Widersprüche, Überflüssiges — entfernen. Dafs diese
Erklärung des Breve die allein richtige ist, bezeugt die Rota-
Entscheidung vom 2. Juni 1599: »Gregor XIII.«, so heilst es
daselbst, »verlieh durch Breve vom 25. Oktober 1577 den
wohlunterrichteten Musikern P. A. Pränestinus und A. Zoilo
die Berechtigung, die Gradualien .... zu revidieren, zu pur-
gieren und zu reformieren und dieses in der Art und Weise,
dafs, was diese Bücher an Überflüssigem enthalten, unterdrückt
werde und sie nach Beseitigung der Barbarismen und Unklar-
heiten, mit dem tridentinischen Brevier und Missale, wie es
recht und schicklich ist, übereinstimmen.« Endlich ist uns
bekannt, wie das päj^stliche Breve alsbald nach seinem Be-
kanntwerden von selten Palestrinas interpretiert wurde. Die
Erklärung des Meisters geht einfach und klar dahin, dafs die
beiden Musiker keine eigentlichen Änderungen am Choral vor-
zunehmen hätten. — Gregor XIII. wollte keine Neuerungen
auf liturgischem Gebiete. Wie wenig auch im übrigen die
Regierung dieses Papstes der seines Vorgängers glich, so be-
folgte er doch hinsichtlich der Ordnung liturgischer Fragen
dieselben Grundsätze, für die Pius V. gearbeitet hatte. Einen
sprechenden Beweis seiner streng konservativen Gesinnung
2*
20 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
auf diesem Gebiete gab der Papst im Breve vom 25. Januar
1575, das den Kitus der Mailänder Kirche »auf ewig« bestätigt,
und am 8. Feb?niar dieses Jahres schrieb er, es sei Aufgabe
des heiligen Stuhles, alles, was auf Antrieb Gottes oder durch
frommen Eifer in der Liturgie der Kirchen ehemals zum Heile
der Seelen angeordnet worden, für alle Zeiten gewissenhaft
zu erhalten, und was immer in Vergessenheit geraten, wieder
ins Leben zu rufen. Gregor XIII. liels sich zu einer Choral-
reform bestimmen, indes zeigt sein Breve deutlich, welche Ab-
sichten ihn dabei leiteten, welchen Umfang er derselben zu-
gestand.
Einen anderen Standpunkt vertreten nach dem Briefe
D. Fernandos Palestrina und Zoilo. Es schien ihnen, als ob
die alten Gesänge nicht mehr den Anforderungen der Kunst
genügten, für die eine neue Zeit mit neuen Idealen angebrochen
war. Sie erhofften eine Besserung der Melodien, indem sie
dieselben möglichst den Regeln der Kunst anbequemten.
Während den päpstlichen Kommissionen zur Reform des
Breviers und Missale als oberstes Kriterium »die Norm und
Regel der Väter« galt, diente für die beiden Musiker als Mafs-
gabe die Kunst.
Die Kirche hat die Grenzen für eine Bethätigung subjektiver
Schaffenskraft auf dem Gebiete der Kirchenmusik von jeher
sehr weit gezogen. Neben dem Chorale duldet sie neue Kom-
positionen, polyphone a-capella, sogar instrumentierte Sätze.
Umstände der Zeit, des Ortes, Zahl und Fähigkeit der Sänger
erfahren hier weitgehende Rücksicht. Trotzdem ist die Kirche
nie so weit gegangen, auf ihren Choral zu verzichten. Er
blieb der Gesang des Priesters am Altare und des kanonischen
Chors.
An und für sich stand ja einer Umarbeitung des grego-
rianischen Chorals kaum etwas im Wege, sobald nur einmal
die allgemeine Überzeugung sich darüber gewifs war, dafs
seine Melodien ihrem Zwecke in der Liturgie entweder nicht
oder blofs in ungenügender Weise entsprechen; dafs — unter
dieser Voraussetzung — eine Zurückführung auf die ursprüng-
lichen Formen damals unmöglich war oder zu keinem ent-
sprechenden Resultate führte; dafs endlich die Kunst des
16. Jahrhunderts wirklich Besseres an die Stelle des Alten zu
setzen imstande war. Inwieweit diese eine Choralreform recht-
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 21
fertigenden Voraussetzungen damals zutrafen, zeigt uns der
zweite Hauptteil, in dem der Verfasser auf Grund j^ositiver An-
gaben ein Bild über den Zustand des Chorals zur Zeit der
ersten römischen Keformversuche zu entwerfen versucht. Be-
sonderes Interesse verdienen Kapitel 2, das die italienischen
Choralnotendrucke von 1476—1570 sehr eingehend und frühere
Spezialarbeiten auf diesem Gebiete ergänzend bezw. berich-
tigend behandelt; Kapitel 4: die kirchlichen Chöre des 16. Jahr-
hunderts; Kapitel 5: die Choralfrage im 16. Jahrhundert. Letz-
terem Kai^itel entnehmen wir die Stelle: »Fehler abzuleugnen,
welche im Choral des 16. Jahrhunderts thatsächlich vorhanden
waren, oder dieselben auch nur zu beschönigen, haben wir
heute wahrlich keinen Grund. Die Berichte, welche oben mit-
geteilt wurden, erkennen ein Für und Wider in der Choral-
tradition an. Aber keiner derselben stellt die Möglichkeit oder
Konvenienz einer Restauration in Abrede und sollten auch
unsere Ausführungen lückenhaft sein, so erlauben sie doch,
ein ernsthaftes Fragezeichen hinter die Behauptung zu setzen,
dafs vor Beginn der römischen Choralreform >alles nach Kür-
zung der langen Choralmelodien< gerufen hätte und >schon
mehr denn hundert Jahre< hindurch eine Stimmung >in der
Luft gelegen hat, die dem usuellen Gesänge des Mittelalters
durchaus ungünstig war<.«
Soviel von der sogenannten Reformation oder Regeneration
der katholischen Kirchenmusik zur Zeit Palestrinas.
Warum nannte Palestrina jene bekannte Messe »Missa Pajiae
Marcelli« ?
Palestrina hat jene Messe in Erinnerung an den nur 21 Tage
an der Regierung gewesenen Papst Marcellus genannt, weil
derselbe von der Absicht beseelt war, den Gottesdienst der
römisch-katholischen Kirche wieder auf seine echte Feier-
lichkeit zurückzuführen. (Leopold von Ranke sagt vom
Papst Marcellus IL: »Marcellus IL stellte die Reformation
der Kirche, von der die anderen nur schwatzten, wirklich
in seiner eigenen Person dar.«)
Wann trat Palestrina zum zweitenmale die Stellung eines
Kapellmeisters am St. Peter an?
Im Jahre 1571. In seiner Stellung als Kapellmeister am
St. Petersdome trat Palestrina in freundschaftliche Be-
22 Die Musikentwickluug auf dem Boden von Italien.
Ziehungen zu Filippo Neri, für dessen Schulet" er klemere
Stücke komponierte. Fihppo Neri nannte seine im Oratorium
stattfindenden Vorträge aus der biblischen Geschichte, die
er durch darauf bezügliche Gesänge unterbrechen liefs,
»Azioni sacre«, aus denen sich die Kunstgattung des Ora-
toriums (sogenannt nach dem Räume, in welchem die geist-
lichen Übungen stattfanden) entwickelte.
Wo und wann erschien Palestrinas zweites Buch Madrigale?
In Venedig im Jahre 1586.
Welcher Papst ernannte Palestrina zum Gompositore della
Capella apostolica?
Papst Sixtus V., der Nachfolger Gregors XIIL, dem Palestrina
drei Messen gewidmet hatte.
Welches berühmte Werk verfalste Palestrina als Gompositore
della Gapella apostolica?
Die Lamentationen, welche er dem Paj^st Sixtus V. widmete.
Von Interesse ist die Dedikationsrede, die diesem Werke
voraufgeht; sie läfst uns einen Einblick in Palestrinas Ver-
hältnisse thun: »Heiligster Vater! Wenn schon Sorgen aller
Art mit den Studien sich nicht vereinen lassen, so ganz
besonders diejenigen nicht, welche der Mangel an Vermögen
mit sich bringt. Wenn die Mittel A^orhanden sind, die man
zum Leben nötig hat, — mehr zu verlangen wäre ein Zeichen
von Unmäfsigkeit und Unbescheidenheit — kann man sich
der übrigen Sorgen leichter entschlagen. Wie drückend ist
es, arbeiten zu müssen, um sich und den Seinigen einen
standesgemäfsen Lebensunterhalt zu verschaffen, und wie
sehr dies den Geist vom Studium der Wissenschaft abhält,
kann nur derjenige beurteilen, der Erfahrung darin hat.
Ich habe es stets erfahren und erfahre es augenblicklich
am härtesten.«
In welchem Jahre erschien Palestrinas Hymnen werk »Hymnen
für das ganze Kirchenjahr«?
Im Jahre 1589.
Wem widmete Palestrina das fünfte Buch seiner Messen?
Dem Herzog Wilhelm II. von Bayern im Jahre 1590.
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 23
In welchem Jahre erschienen Palestrinas »Offertorien für das
ganze Kirchenjahr«?
Im Jahre 1593.
Wann erfolgte der Tod Palestrinas?
Im Jahre 1594 am 2. Februar. — Filippo Neri reichte Palestrina
die heiligen Sterbesakramente. Die sterblichen Überreste
Palestrinas wurden im St. Peter am Altare St. Simon und
Juda beigesetzt. Sein Grabmal schmückt die Aufschrift:
»Princeps musicae« (Fürst der Musik).
Worin beruht die Bedeutung Palestrinas für die kirchliche
Tonkunst?
Palestrinas Bedeutung für die kirchliche Tonkunst beruht
darin, indem er das zum herrlichen Abschlüsse brachte,
was frühere Zeiten durch ihre Bestrebungen vorbereitet
hatten.
Worin wurzelt Palestrinas Stil?
Palestrinas Stil wurzelt im gregorianischen Kirchengesange,
hat den Charakter heiliger Würde und ist frei von allen
scholastischen Fesseln des Mittelalters. (Thibaut sagt in
seinem Werke »Über Reinheit der Tonkunst«, Heidelberg
1825, über Palestrinas Stil: »Man pflegt den eigentlichen
Kirchenstil nach ihm den Palestrinastil zu nennen, obgleich
vor und neben ihm auch andere in demselben Stil kom-
ponierten, z. B. der Deutsche Senfl, der Spanier Morales,
der Flamländer Orlando di Lasso und andere herrliche
Meister. Auch in den ersten 150 Jahren nach Palestrina
ward in Italien noch viel in jenem Stile komponiert, selbst
von Meistern, welche zugleich im Fache der belebten (welt-
lichen) Musik arbeiteten, wie z. B. von A. Lotti, von Durante
und A. Scarlatti. Thibaut sagt weiter: »Die alten Kirchen-
sachen haben alle einen lateinischen, einfachen erhabenen
Text. Keine deutsche Sprache ist imstande, das Grofse,
Volltönende, Ernste dieser lateinischen Worte wiederzugeben.
Die echte geistliche Musik ist weder durchaus mannigfaltig,
noch leidenschaftlich, weil ihr Gegenstand einfach überirdisch
ist. Sie setzt also ein tiefes, beruhigtes, in sich gekehrtes,
reines Gemüt und eine gediegene Macht der Seele voraus.
24 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
welche das Erhabene lange imvermischt ertragen kann,
und durch die Inbrunst nicht zur weltlichen Leidenschaft
hingerissen wird.« Thibaut, der an Palestrinas Musik Un-
schuld, Einfalt und Kraft rühmt, meint, dafs »alles zunächst
auf die lautere Darstellung« dieser Werke ankäme und er-
zählt eine Anekdote, die auch hier Platz finden möge: Die
unsterbhchen Stücke, welche in der Karwoche in Rom von
den päpstlichen Sängern vorgetragen werden, und mit Recht
stets von den gröfsten Meistern bewundert sind, wurden
lange Zeit niemand mitgeteilt. Endhch erhielt sie der Kaiser
Joseph IL vom Papst. Sie wurden gleich darauf in Wien
versucht, aber Joseph IL schrieb dem Papste: »man könne
in Wien eben nichts daran finden«. Der Papst antwortete
kurz: »man möge sie in Wien wohl nicht zu singen wissen«.
Man kann Palestrina in Parallele mit Rafael Santi stellen.
Eine Parallele zu Rafaels Madonnenbildern bilden die
Marienlieder Palestrinas, welche als eine eigene Gruppe
seiner Kompositionen aufzufassen sind.
Welche Schöpfungen umfassen Palestrinas Werke?
8 Bände mit 360 Motetten, 14 Bände mit 93 authentischen
Messen, 1 Band Hymnen, 2 Bände Lamentationen, 1 Band
Magnifikat und 2 Bände Madrigale.
Für den praktischen Gebrauch sind auf Grundlage der Gesamtaus-
gabe von Haberl, Haller, Mitterer u. a. folgende ausgewählte "Werke
Palestrinas herausgegeben worden :
Missa: Aeterna Christi numera für Alt, Tenor, Bariton und Bafs.
Motette: Exaudi Domine für Sopran, Alt, Tenor und Bafs.
Feria V. in coena Do mini. Erste Lamentation des Gründonners-
tages für Tenor I, II und Bafs I, II.
Feria VI. in Par-asceve. Zweite Lamentation des Karfreitages für
Tenor I, II und Bafs I, IL
Sabbato Sancto. Dritte Lamentation des Karsamstages für Tenor I,
II und Bafs I, IL
Missa: Dies sanctificatus für Sopran, Alt, Tenor und Bafs.
In FestoNativitatisDomini. Motette: Dies sanctificatus für Sopran,
Alt, Tenor und Bafs.
Motette: Sicut cervus desiderat für Sopran, Alt, Tenor und Bafs.
In Festo S. Martini Episc. et Confess. Motette: O quantus luctus
für Sopran, Alt, Tenor und Bafs.
Missa: O sacrum convivium für Sopran, Alt, Tenor I, II und Bafs.
Dominica Resurrectionis Domini. Offertorium für das Osterfest
für Sopran, Alt, Tenor I, II und Bafs.
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 25
In die Ascensionis Domini. Offertorium am Feste Christi Himmel-
fahrt für Sopran, Alt, Tenor I, II und BaXs.
In Dominica Pentecostes. Offertorium am Pfingstfeste für Sopran,
Alt, Tenor I, II und Bafs.
Motette: O admirabile commercium für Cantus, Alt, Tenor I, II und
Bafs.
Sabbati sancti. 3. Lamentation des Karsamstages für Sopran I, II,
Alt, Tenor, Bariton und Bafs.
Motette: 0 bone Jesu. Für Sopran I, II, Alt, Tenor I, II und Bafs.
Improperia. Feria VI. in Parasceve für achtstimmigen Doppelchor.
Wer ist als erster Biograph Palestrinas zu merken?
Abbate Giusepi^e Baini, geb. 1775 in Rom, gest. daselbst
1844 als Kirchenkomponist und Musikgelehrter. Von ihm:
Messen, Motetten, Hymnen und Psalmen, sowie ein »Miserere«,
welches während der Karwoche in der sixtinischen Kapelle
zur Aufführung gelangte. Bekannt ist vor allem sein zwei-
bändiges Werk »Memorie storico-critiche della Aita e delle
opere di Giovanni Pierluigi da Palestrina« 1881.
Wie heifsen die Musikgattungen der Palestrinazeit auf kirch-
lichem Gebiete?
Messe, Motette, Psalm (besonders der 50. Psalm: Miserere),
Madrigale spirituale, Hymne (Lobgesang), Litanei (Kirchen-
gebet), Antiphonie (Wechselgesang), Passionsmusik nach
Evangehen, Magnifikat (Marianischer Lobgesangj, Offer-
torium, Lamentationen, Improperien, Missa pro defunctis
und Falsi bordoni.
Welche Arten von Messen sind (liturgischer- und musikalischer-
weise) zu unterscheiden?
Die Messe beim Hochamte und die Messe für die Ver-
storbenen (Missa pro defunctis oder Totenmesse). Jede
Messe besteht aus sechs Sätzen: 1. Kyrie eleison. Christe
eleison. 2. Gloria (Lobgesang). 3. Credo (Glaubensbekennt-
nis). 4. Sanctus und Ossanna (Heihg). 5. Benedictus (Segens-
spruch). 6. Agnus Dei und Dona nobis pacem etc. (»O
Lamm Gottes« und »Gieb uns Frieden« u. s. w.)
Was ist unter Motette (Motetto, Motettus) zu verstehen?
Unter Motette versteht man ein kurzes, geistliches Chorstück
in a-capella- Stile; denn meistenteils waren die Motetten
26 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
ohne jegliche Begleitung. Motettus ist ursprünglich ein
weltlicher Gesang, jedoch in kontrapunktischer Weise ge-
setzt. Franko von Köln, der älteste auf uns gekommene Schrift-
steller über die Mensuraltheorie (Ende des 12. und Anfang
des 13. Jahrhunderts), erwähnt als erster bei Gelegenheit des
Diskantus den Motettus. Das Wort selbst stammt von »Mot«,
worunter die provengalischen Troubadours einen Vers ver-
standen. Geistliche Texte wurden erst sj)äter verwandt.
Der Musikgelehrte Tinctor (Neapel) erklärt um 1470 die
Motette als ein Tonstück, welches einen wenig ausgedehnten
Gesang mit verschiedenem, gewöhnlich mit religiösem Texte
repräsentiert. Am Ende des 15. Jahrhunderts wurden in
den höheren Kreisen der italienischen Gesellschaft Motetten
zur Unterhaltung derselben vorgetragen. — (Castiglione
erzählt in seinem »Cortegiano« scherzhaft die Anekdote,
dafs eine im Hause der Herzogin von Urbino gesungene
Motette ohne Eindruck auf die Versammlung vorüberging,
bis es angezeigt wurde, dafs dieselbe eine Arbeit des be-
rühmten Josquin des Pres gewesen sei und alle nun natür-
licherweise in Entzücken ausbrachen.)
Was ist unter »Offertorium« zu verstehen?
Unter »Offertorium« ist ein Opfergebet zu verstehen, und
zwar dasjenige, welches in der Messe zwischen Credo und
Sanctus eingeschoben werden kann. (Die Worte des Offer-
toriums haben meistens Bezug auf die Bedeutung des Tages
oder der Festzeit.)
Was ist unter »Lamentationen zu verstehen?
Unter »Lamentationen« versteht man Klagegesänge, und ganz
besonders sind es die Klagelieder Jeremiä, welche von den
Kirchenkomponisten bevorzugt wurden.
Was ist unter »Improperien« zu verstehen?
Unter »Improperien« (von improperium = Schimpf, Be-
schimpfung, Vorwurf) versteht man jene Gesänge, welche
in Kom am Karfreitage früh bei Anbetung des Kreuzes
gesungen wurden.
Was bedeutet »Falso bordone« oder »faux bourdon«?
»Falso bordone« oder »faux bourdon« bedeutet eine Art
des Psalmodierens, bei welchem der eigentliche Grundton
1. Die Musikentwicklimg auf dem Boden von Rom.
27
^DI ANNIBALLE CÖmX^*^
MANTOVANO IL PRIMO LIBRO DE MADRI»
CA 1.1 A CINQ^VE VOCl, CON VNO DIALOGO
A Otto,NoiuracnteJ»LuiCompofti,&ptrAntonioGJrdjnoftampati
&(latiinl.ucc.
A CIN qj/ E
VO C !
InVcnctia ApprcObdi
Antonio (Jurdano.
No. 3.
Titelblatt von Anniballe Coma: Madrigal! a 5 voci 1568.
(In Venetia Appresso di Ant. Gardana.)
W' ■ I'
r C ANTO
All'lSußrisfmo ij fmJlmtisßmt Sifftm tw« Jf nätM».
\1>S
•^'•Jfc gi t vM g:r!^e'i fo H »/««JSu tupfe /iorj pfu lo^ f OK Tf(i
f' " wÄ' M^o mir'l mm /ii t'ianort (w/f / irmh t'ivnol indei monJi tl»«« .
m:S-?:-
3-1^:
frff figior cy*corttfe ftgw dtiie'tffer ffito.
Ali
No. 4.
Notenbeispiel von Anniballe Coma: Madrigal! a 5 voci 1568.
(In Venetia Appresso d! Ant. Gardana.)
28 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
in der Oberstimme liegt, zu dem die unteren Stimmen in
lauter Sext-Accorden fortschritten. (Über Falsi bordoni,
wie dieselben heute in den Vespern der katholischen Kirche
gesungen werden, siehe: »Vesperae de Epiphania Domini ad
4 voce inaequales von J. B. Molitor«, Regensburg 1879;
ferner »Vesperae de Confessoribus non Pontificis« für ge-
mischten Chor von O. Joos, Op. 6, Augsburg, A. Böhm.)
Wie hielsen die Musikgattungen der Palestrinazeit auf aulser-
kirchlichem Gebiete?
Das weltliche Madrigal, die Villanellen(Villotes,Villoten,
Canzone villanesche, d. h. Dorf- oder Bauernlieder, dem Text
nach meist frivoler Art, ohne etwas Volkstümliches zu be-
sitzen. Die Villote alla Neapolitana war von feinerer aber
lasciver Natur und bildete eine eigene Species unter den
Villoten, welche in Italien um das 16. Jahrhundert eine
grofse Verbreitung gefunden hatten, in den höchsten Kreisen
gesungen wurden.) Balli, Ballati, d. h. Tanzlieder, Frot-
toles, d. h. kleine Lieder lustigen und frivolen Inhaltes
gleich unseren Gassenhauern. (Petrucci veröffentlichte in den
Jahren 1504 — 1508 neun Bücher solcher »Frottoles«, mehr-
stimmige Gesänge im einfachen Kontrapunkte, welche die
seichte Ware der Musiklitteratur jener Zeit in der auf ser-
kirchlichen Musik darstellen.) Ferner sind noch zu er-
wähnen: die »Macherate« (Mäskenlieder), Barcajuole (Schiffer-
lieder), Carnascioleschi (Karnevalslieder) und Maggiolate
(Mailieder); letztere wurden nicht nur in Italien, sondern
auch in anderen Ländern Europas in den ersten Tagen des
Maies von Jünglingen zum Tanze um einen unter dem Fenster
der Geliebten aufgepflanzten Maibaume gesungen.
Was ist unter »Madrigal« (Madrigale, Madriali) zu ver-
stehen ?
Unter »Madrigal« ist, wörtlich genommen, ein Schäfergedicht
zu verstehen; denn der Name stammt von »mandra« die
Schafherde — mandrano und mandriale heilst der Schäfer.
Sein Geburtsort ist die Provence, von wo es nach Italien
kam. Casella, der Freund Dantes, wird als einer der ersten
genannt, welcher Madrigale von Lemno in Pistoja kompo-
nierte. Der Inhalt der Madrigale war meist erotischer und
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 29
pastoraler Natur. Der Begründer der altvenetianischen
Tonschiile, Adrian Willaert, gab ihm die tj^pische Form, die
es durch das 16. und 17. Jahrhundert beibehielt, indem er
es aus dem noch einfachen und ziemlich unbeholfenen
Frottole des Venetianer Tonsetzers entwickelte. Mit ihm ver-
vollkommneten seine Landsleute Verdelot und Arcadelt das
Madrigal. Dasselbe bildete gewissermafsen die freie Kunst-
form der weltlichen Musik gegenüber der strengen kirch-
lichen, die als Kammermusik in den Kreisen der höheren Ge-
sellschaft in damaliger Zeit viel kultiviert wurde. Von Italien
seinen Ausgang genommen, verbreitete sich das Madrigal
über Deutschland bis nach England, wo es zu hoher Blüte
gelangte. (Siehe über diesen Punkt die Madrigalisten in
England in Band VI.) Freier und vielgestaltiger trat das
Madrigal der Motette gegenüber; denn während in den mit
den Madrigalen gleichzeitigen Kirchenkompositionen die
alten Tonarten mit ihrer Diatonik herrschten, wurde bei den
Madrigalen schon die Chromatik angewendet. Neben den
weltlichen Madrigalen gab es auch geistliche Madrigale
(madrigale spirituale), jedoch waren die ersteren die ge-
bräuchlichsten. Das Madrigal war meistens ein im freien,
d. h. nicht im strengen Kontrapunkte gesetztes für drei,
vier bis sieben Stimmen komponiertes Gedicht, welches das
Lob der Naturschönheiten und die Liebe zum Gegen stände
hatte. Das Versmafs der Madrigale war meist jambisch, die
Anzahl der Zeilen nicht unter sechs und nicht über drei-
zehn. Von den damaligen Frottolen, Villanellen und Kanzo-
netten, welche in Rhythmik und Kontrapunktik einfach ge-
halten waren, unterschied sich das Madrigal durch eine
kunstvollere Gestaltung und vertrat im Zeitalter der Re-
naissance die Stelle des modernen einstimmigen Liedes mit
Begleitung, überhaupt bildete es die Kammermusik jener
Zeit und in den späteren dramatischen Werken den Chor.
Man verstand in jener Zeit unter Madrigalstil im allge-
meinen den freien und anmutig heiteren musikalischen Aus-
druck gegenüber dem von der Kirche dargebotenen; der
»Stylus madrigalescus« wurde damals als dem »Stylus
ecclesiasticus« entgegengesetzt betrachtet.
Morhof schreibt in seinem Buche von der deutschen
Sprache und Poesie (1700) Seite 586: »Das Madrigal ist zur
30
Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Musik erfunden und angesehen in den Singspielen, die fast
durchgehende Madrigale sind, und wird mit stylo recitativo
ff^Z. ^ §\%^
DI GIOVAN JSTÄS Cdy
LE CANZON VILLANES^CHE
ALLA NAPOLIT A N'A
Aqi
luatrovocir-
Nouamcme da lui compoflo & dato inluce.
LIBRÖ P R I M O.
LJBR
^CVKIMO
InVinegia , ApprcfTo Girolamo Scotto .
M D L X I.
/; pte>a>7hr-}n '■
/J
No. 5. Titelblatt von Le Canzon villanesclie alla napolitaiia a 4 voci.
(In Vinegia appresso Girolama Scotto 1561.)
exprimiert.« — In Walthers musikalischem Lexikon vom
Jahre 1732 ist auf Seite 376 zu lesen: »Die italienischen
Schauspiele sind fast durchgehends Madrigale«. — Mattheson
sagt in seinem »Kapellmeister« Seite 78: »Der Madrigalstil
1. Die Musikentwickhmg auf dem Boden von Rom.
31
gehört sowohl dort (in der Kirche) als auf der Schaubühne
und in den Sälen und Zimmern zu Hause. Ja, er will zu
plMl
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(In Vinegia appresso Girolanio Scotto 15G1.)
diesen Zeiten fast alles in allem sein. Oratorien, sogenannte
Passiones, Selbstgespräche, Unterredungen, Kavaten, Morgen-
und Abendmusiken (aubades et serenades), Kantaten und
Arien und insonderheit die Recitativen, welche im Grunde
32 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
das eigentliche madrigalische Wesen in sich haben, alles
hat dieser Stil unter seiner Gewalt. Ja, die Opern selbst
sind lauter historische Madrigale.«
(Neuerlich hat Dr. M. Seifert die sechsstimmigen Madrigale
von Jan Tollius von 1597 bearbeitet und herausgegeben,
auf die hier hingewiesen sein soll.)
Welche Männer waren unmittelbare Schüler Palestrinas?
Guidetti, der Palestrina bei der ihm vom Papst Gregor XIII.
aufgetragenen Durchsicht des römischen Graduals und Anti-
phonars behilflich war.
Giov. Andrae Dragoni, geb. 1516 in Meldola, gest. 1594
als Kapellmeister am Lateran.
Annibale Stabile, war von 1575—76 Kapellmeister am
Lateran, später an S. Apollinare, von 1592 an an S. Maria
maggiore.
Wer war der persönliche Nachfolger in Palestrinas Stellung?
Ruggiero Giovanelli aus Velletri, derselbe wurde am
12. März 1594 Kapellmeister am St. Peter, nachdem er zuvor
an den Kirchen S. Luigi de Francesi und S. Maria dell' anima
in Rom gewirkt hatte; Giovanelli ist Komponist von Messen
und Motetten, welche im Archive der sixtinischen Kapelle
aufbewahrt sind. (Als Giovanelli seine Stellung am St. Peters-
dom angetreten hatte, schrieb er ein Miserere, das stets
aufgeführt wurde, bis Allegri mit seinem so berühmt ge-
wordenen Miserere dasselbe verdrängte.)
Welche Männer waren Palestrinas bedeutende musikalische
Zeitgenossen und Nachfolger?
Giovanni Maria Nanini, geb. 1545 in Tivoli, gest. 1607
in Rom; derselbe war Schüler Goudimels, kam jedoch später
als Palestrina zu diesem. Nanini erhielt unmittelbar auf
Palestrina die Kai^ellmeisterstelle an S. Maria maggiore.
G. M. Nanini, der in Rom eine Musikschule gründete, an der
auch Palestrina als Lehrer wirkte, war als Musikgelehrter
und schaffender Künstler gleich grofs. Bedeutende Kompo-
sitionen Naninis sind: Die Weihnachtsresponsorien »Hodie
nobis coelorum rex« (sechsstimmig) und »Hodie Christus
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 33
natus est« (vierstimmig); die Motetten »Veni si)onsa Christi
(fünfstimmig), »Exaiidi nos«, »Haec dies quam fecit Domi-
nus« (fünf stimmig) und ein »Stabat mater«. Ferner sind
G. M. Naninis »Lapidabant Stephanum« und »Hie est bea-
tissimus Apostolus Joliannes« (dreistimmig) bedeutende kon-
trapunktische Werke aus dem Jahre 1586, in welchem sich
unter dem gregorianischen Cantus firmus zwei andere
Stimmen im strengsten Kontrapunkte in der Quinte und
Oktave bewegen. Endhch sind von G. M. Nanini noch zu
erwähnen: »Cantate Domino canticum novum« (zweicliörig)
und »O altitudo divitarum«. Ein Traktat Naninis, der hand-
schrifthch vom päpstlichen Sänger Orazio Gritti zu Rom in
der korsinischen Bibliothek erhalten ist, heilst: »Regole di
Giov. Maria e di Bernardino Nanini per fare contrapuncte
a mente sopra il Canto fermo«.
Giovanni Bernardino Nanini, geb. 1560 in Vallerano
(der sogenannte jüngere Nanini), Bruder des Giovanni
Maria Nanini und Schüler desselben, war Kapellmeister an
S. Luigi de Francesi, sowie später an S. Lorenzo in Damaso.
Vielen seiner Chorwerken ist bereits eine grundlegende
Orgelstimme beigegeben (una cum gravi voce ad organi
sonum accomodata). 1612 erschien von ihm eine Sammlung
Madrigale »con licenza de superiori«, wie es auf dem Titel-
blatte heilst. Erwähnenswert von ihm ist auch ein zwölf-
stimmiges Salve regina. G, B. Nanini war der Lehrer von
Orazio Benevoli (gest. 1672), des 1690 gestorbenen Bernabei,
sowie AUessandro Scarlattis, des Begründers der neapoli-
tanischen Tonschule; er starb 1624 in Rom.
Feiice Anerio, geb. 1560 in Rom, gest. daselbst 1630.
Anerio war als bedeutender Tondichter 1551 Palestrinas
Nachfolger am St. Peter. Von ihm: Motetten von vier bis
zwölf Stimmen, vierstimmige Improperien, ein zwölfstimmiges
»Dies irae«, ein achtstimmiges (zweichöriges) Miserere, ein
Buch fünfstimmiger geistlicher Madrigale (1585 bei Gardano
erschienen), sowie ein vierstimmiges »Adoramus te Christe«.
Giovanni Francesco Anerio, geb. 1567 in Rom, gest.
daselbst 1620. War ebenfalls Kapellmeister und Komponist
von Kirchengesangsstücken. Es ist zweifelhaft, ob er ein
Bruder von Feiice Anerio ist.
Ritter, Encyklopädie der Musikgescliichte. III. 3
34 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Gregorio Allegri, geb. 1560 in Rom, gest. daselbst 1652.
Allegri war Schüler G. M. Naninis, trat 1628 als Sänger in
die päpstliche Kapelle und wurde berühmt durch sein doppel-
chöriges Miserere, welches er um 1635 als Sänger der päpst-
lichen Kapelle komponierte. Das »Miserere« ist der 51. Psalm,
der am Mittwoch nachmittags um 4 Uhr in der Karwoche
in der päpstliclien Kapelle bis auf Leo X. als einfaclie
falso-bordonartige Psalmodie gesungen wurde. Musil^alisch-
künstleriscli gestalteten das Miserere Komponisten wie
Festa (1517) und viele andere spätere nach ihm, bis
endlich Allegris Miserere alle vorhergehenden durch seine
eigentümliche Wirkung besiegte. — Ambros sagt über
das Miserere von Allegri: »Der eigentümliche Stil des
Miserere ist wesentlich aus seiner Entstehung in der päpst-
lichen Kapelle zu erklären«. »Die Traditionen der früheren
Zeit der einfachen Falsi bordoni, wie der Kunstkompositionen
seiner (Allegris) Vorgänger mit abwechselnden vier- und
fünfstimmigen Stroj)hen und der neunstimmigen Schluls-
strophe, sind darin durchaus wieder zu erkennen, an man-
chen Stellen wird den Sängern nur der Accord für eine
Menge von Textsilben vorgeschrieben, deren richtige
Accentuierung ihnen selbst überlassen bleibt, es sind Falsi
bordoni. Andere ähnliche Partien, bei denen die Harmonie
wechselt, sind selbstverständlich vollständig ausgeschrieben.
Aber dazwischen treten immer wieder flüssigere, polyphone
Stellen ein, mit ausgeprägten melodischen Motiven, mit sinn-
reicher Verkettung einfach-schöner Imitation. Der Epilog
vereint beide Chöre in einem neunstimmigen Ganzen.« —
Wie auf das Kopieren der in das Archiv der päpstlichen
Kapelle eingetragenen und in derselben gesungenen Chor-
werke die Strafe der Exkommunikation stand — ein Verbot,
welches von den Zeiten Ockenheims und Josquins des Pres
bis hinauf auf Baini aufrecht erhalten wurde — so galt das-
selbe auch von diesem Miserere Allegris, welches Mozart
im Jahre 1770 als vierzehnjähriger Knabe nach zweimaligen
Hören heimlich in Rom niederschrieb.
Was ist von Allegri als Komponist besonders hervorzuheben?
Allegri steht mit einem Fufse in der alten strengen und
echt römischen Ton schule, mit dem andern schon in den An-
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 35
fangen einer neueren Zeit. Allegri gehört — dies ist sehr be-
merlvenswert — zu den ältesten Komponisten für die abso-
lute Instrumentalmusik. Von ihm sind: Kanzonen für
Streichinstrumente (Primo Violino, Secundo Violino,
Alto della Viola, Basso per la Viola mit einer Generalbafs-
stimme für Orgel), Kanzonen für Violino, Cornetto, Liuto
und Theorba, sowie eine »Sinfonia Instrumentalis a
quattro voci per la Viola con Basso per l'Organo«. Bei
diesen Kompositionen Allegris ist die Instrumentalmusik
durchaus noch der Nachhall der Vokalmusik; denn wären
den Noten Textworte unterlegt, so würden sie wie kontra-
punktische Vokalarbeiten dieses Meisters klingen. (Was ist
über den Generalbals, Bassus generalis oder Bassus i3er
l'Organo zu bemerken? Diese Stimme bildet die Darlegung
des harmonischen Fundamentes, hat stets den tiefsten zu
Grunde liegenden Ton des harmonischen Gebäudes und
geht im Einklänge mit den betreffenden Stimmen, wenn
auch eine Mittelstimme, z. B. Alto della Viola, die Grund-
stimme bildet. Der Generalbafs ist somit keine neue inte-
grierende Stimme, da sie schon latent in der jedesmaligen
tiefsten Stimme ist. Siehe A. Parazzi »Della vita di L. Grossi-
Viadana inventore del basso-continuo nel sec. XVI.« Milano
1876.)
Tomaso Ludovico Vittoria, geb. um 1540 zu Avila in
Spanien und gestorben in seinem Vaterlande im Jahre 1608.
Vittoria, der sehr jung nach Rom kam und von den päpst-
lichen Sängern Escobedo und Morales Unterricht in der
Komposition erhielt, war Zeitgenosse und Freund Palestrinas,
der sich zu ihm verhält, wie Rafael zu Correggio. Als
Vorbilder dienten Vittoria für sein Schaffen Palestrina und
G. M. Nanini. Von Vittorias Kompositionen seien erwähnt:
Improperien und Lamentationen, sowie Kompositionen über
Texte, die sich auch bei Palestrina finden, wie: »O magnum
mysterium«, »Veni sponsa Christi«, »Extote fortis hello«,
»Pueri Hebraeorum« und die Motette »O quam gloriosum
est«. Zwei Bücher, Messen aus den Jahren 1583 und 1592,
von denen das erste Philipp IL von Spanien gewidmet ist.
Die Hauptwerke Vittorias sind : 1. Eine grofse Trauermusik
(Officium defunctorum in obitu et obquiis Sacrae impera-
3*
36 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
tricis); sie zerfällt in vier Abschnitte: a) Missa pro defimctis;
b) Versa est in luctum; c) Libera; d) Taedet anima. 2. Das
im Jahre 1581 komponierte Magnifikat und 3. Das Hymnen-
werk auf das ganze Kirchenjahr, Gregor XIII. gewidmet,
ebenfalls aus dem Jahre 1581. (Dafs Vittoria nicht in das
päi^stliche Sängerkollegium aufgenommen wurde, in welchem
wir fast alle bedeutenden Musiker jener Zeit erblicken, wird
dem Hasse zugeschrieben, welchen die Italiener auf die
Spanier seit der Plünderung Pratos 1512 und der Plünde-
rung Roms 1527 hatten. Vittoria wurde 1573 Kapellmeister
des Collegium germanicum und 1575 Kapellmeister von
St. Apollinare.)
Francesco Soriano, geb. in Rom 1549; er war Schüler des
Römers Annibale Zoilo, der von 1561 an Kapellmeister in
St. Giovanni di Laterano und von 1570 an im Kollegium der
päpstlichen Sänger war; später von Nanini, Sorianos Aus-
drucksweise hat etwas energisches und kraftvolles. Von
ihm: die Motetten »Lauda Jerusalem« und »Vidi turbam
magnum«, der Psalm »Credidi propter quod«, ein Buch
Messen aus dem Jahre 1609, eine vierstimmige Passions-
musik, aus dem Jahre 1619 ein Magnifikat und andere
Kirchenkompositionen. (Soriano war derjenige, der Pale-
strinas »Missa Papae Marcelli« achtstimmig setzte.)
Luca Marenzio, geb. 1550 in dem zwischen Brescia und
Bergamo befindlichen Orte Coccaglio, gest. 1599 in Rom am
22. August. Luca Marenzio, dessen Lehrer Giovanni Contini
in Brescia war, wurde besonders als Komponist von Madri-
galen, denen er die klassische Form verlieh, berühmt und
von seinen zeitgenössischen Landsleuten »il piü dolce cigno«
genannt. Seine Madrigale erschienen fünfstimmig in neun
Büchern, Venedig 1580 — 1589; von seinen kirchlichen
Kompositionen seien erwähnt: Motetten für die Texte des
ganzen Jahres aus dem Jahre 1588, sowie ein zwölf stimmiges
»Ave maris Stella«. Die Madrigale Marenzios müssen als
herrliche Blüten der Tonkunst des 16. Jahrhunderts be-
zeichnet werden. Besonders schön sind diejenigen, welche
vierstimmig 1592 in Venedig erschienen und die 1584 in
Rom bei Gardano gedruckten geistlichen Madrigale. In
Marenzios Kunstschaffen kündigen sich bereits die Anfänge
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 37
einer Zeit für die Tonkunst an, in welchem das subjektive
Empfinden in den Vordergrund tritt. Marenzio ist auch als
einer der allerersten Schöpfer eines Bühnenstückes mit
Musik zn nennen, welches er für die Vermählung Ferdinands
von Medici mit Christiane von Lothringen komponierte ; der
Text des Festspieles, welches den Titel »II Combattimento
d'ApoUine col serpente« trug, war von Rinuccini und er-
schien 1591 bei G. Vincenti in Venedig. Den Chören, im
Madrigalstile gehalten, waren Streichinstrumente nach Mafs-
gabe der einzelnen Stimmtonlage beigegeben, welche mit
den betreffenden Stimmen im Einklänge gingen und die-
selben auf solche Weise verstärkten. Marenzios zahlreiche
Kompositionen wurden auch auf serhalb seines Vaterlandes
hochgeschätzt; dies ist ersieh thch an den Ausgaben, welche
z. B. in Deutschland angefertigt wurden. Auch auf Instru-
mente wurden seine Vokalsachen übertragen; so gaben in
Heilbronn 1614 Bernhard Schmid der Jüngere und Johann
Woltz 1617 Vokalkompositionen des Marenzio für Orgel
übertragen heraus. In Antwerpen erschien 1593 von Thalesius
eine Gesamtausgabe von Marenzios Madrigalen. Von Maren-
zios äufseren Lebensumständen sei erwähnt, dafs ihn der
König von Polen an seinen Hof berief und ihn in den
Ritterstand erhob. Des rauhen Klimas wegen kehrte Marenzio
1581 nach Itahen zurück und nahm in Rom die Stellung
eines Kapellmeisters beim Kardinal Aldobrandini an.
Antonio Cifra, war ein Mitschüler Allegris bei Nanini
und zunächst im Collegio germanico thätig, sodann Kapell-
meister in Loretto, darauf im Lateran, welche Stellung er
1620 aufgab, um als Kapellmeister zum Herzog Karl von
Österreich zu gehen. 1629 kehrte Cifra nach Italien zurück,
wo er bis zu seinem Tode verblieb. Gleichwie AUegri, so
wandelte auch Cifra aufser den Wegen im strengen a-
capella- oderPalestrinastile die Pfade einerneu anbrechenden
Zeit und diese Doppelrichtung findet sich von nun an mehr
oder weniger bei allen Musikern Italiens bis auf Scarlatti.
Aufserhalb des Geistes seiner Schöpfungen im strengen
Stile, wie dies die Messe »Conditor ahne siderum« zeigt,
stehen schon die Motetten, welche 1610 in Rom bei Robletti
herauskamen; schon der Titel ist bezeichnend: »Motettae,
38 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
quae binis, ternis et qiiaternis vocis concinantur, ima cum
basso ad Organum etc.« Von Cifras Kompositionen sind
ferner zu erwälmen: Vesperae et Motettae octonis vocibus
decantandae« 1610 in Eom bei Zanetto gedruclct; aus dem
Jahre 1614: »Scherzi e Arie a una, due, tre e quattro voci
per cantar nel clavicembalo, cliittarone o altro simile instro-
mento«, in Venedig erscliienen; 1619 in Eom bei Soldi:
»Eicercari e Canzoni francesi a quattro voci«; 1619 — 1629
erschienen von Cifra in Venedig dreicliörige Motetten.
Agostino Agazzari, geb. 1578 in Siena, gest. 1640 als
Kapellmeister am Dome von Siena. Von Agazzari ist u. a.
ein »Stabat mater« 1611 bei Eicciardo Amatino in Venedig
erschienen. (Dasselbe befindet sich in Proskes »Musica
divina Tom. IV vespertinus« pag. 386.) Man vergleiche dieses
»Stabat mater« mit dem von Palestrina, um zu erkennen,
wie der Palestrinastil durch den Einflufs des dramatischen
Ausdruckes in der Musik jener Zeit bereits alteriert wurde.
Aspirilio Pacelli, war 1601 — 1603 Kapellmeister am St. Peter
in Eom, sodann Kapellmeister beim Polenkönig SigismundllL,
unter welchem er 1623 in Warschau starb. Pacellis Kompo-
sitionen gehören ebenfalls schon der Übergangsepoche vom
reinen Palestrinastile zum späteren, durch die Einmischung
persönlichen Empfindens entstandenen an. Von Pacelli sind
zu erwähnen: Die Motette zu acht Stimmen »Factum est
Silentium«, sowie andere achtstimmige Komi^ositionen, wie
»Veni sancte«, »Cantate Domino« und »Tres sunt qui«.
Francesco Foggia, geb. in Eom 1604, gest. 1688; seine
Lehrer waren Antonio Cifra, Bernardino Nanini und Paolo
Agostini. Auch Foggias Kunstschaffen bildet den Über-
gang vom Palestrinastile, dem Stile heiliger Würde mit Hin-
weglassung alles persönlich leidenschaftlichen, zum Kirchen-
musikstile, der durch persönliches EmjDfindungsleben und
durch das dramatische, sogar durch das theatralische Wesen
beherrscht ist. Foggias Tod ist auch das Ende der grofsen
römischen Musikepoche. Foggia, der keine aufserkirchliche
Musik geschrieben hat, war Kapellmeister des Kurfürsten
Maximilian in Köln, sodann Kapellmeister des Erzherzogs
Leopold von Österreich in Brüssel; nach Beendigung dieser
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 39
Stellung kehrte Foggia nach Italien zurück und zwar als
Kapellmeister der Kathedrale inNaemi; später war er noch
in Rom thätig, zuerst als KaiDcllmeister an der Kirche
St. Maria in Aquiro, sodann an der Basilika St Maria in
Trastevere, bis er 1636 Kapellmeister im Lateran wurde.
Nach letzterer Stellung hat Foggia noch die Kapellmeister-
stellen an St Lorenzo in Damaso und an St Maria maggiore
innegehabt Kompositionen von Foggia sind u. a.: Messen
zu vier bis neun Stimmen, Motetten zu zwei bis fünf
Stimmen, Litaneien, Offertorien und Psalme. Von seinen
dreistimmigen Chorwerken sind erwähnenswert; »Adoramus
Christum regem«, »Dominus et salvator mens«, »Ecce para-
tum nobis«, »Cara mea«, »Salve Regina«.
Wie heilsen die namhaften Meister, welche noch als Epigonen
Palestrinas bezeichnet werden müssen?
Girolamo Frescobaldi, der berühmte römische Organist,
Agostino Diruto von Perugia; Matthäus Simonelli
(Schüler Allegris und Benevolis, zugleich Lehrer Corellis
und Sänger der päpstlichen Kapelle) ; Giov. Maria Casini
aus Florenz; Claudio Casciolini; Bernardo Pasquini
(berühmter Organist); Tomaso Bai (gest 1714, berühmt
geworden durch ein »Miserere«); Giov. Biordi (Mitglied
des päpstlichen Sängerkollegiums) und Ottavio Pitoni
(1750 als 90jähriger gestorben). Ferner sind noch Kompo-
nisten, welche im reinen Palestrinastile schufen, zu nennen:
Pietro Paole Paciotte (geb. in Rom und Kapellmeister
am Seminario Romano); der in Rom lebende Neapohtaner
Fabricio Dentice (von ihm sind ein neunstimmiges
»Miserere« bemerkenswert, sowie die 1580 in Venedig er-
schienenen Motetten; Vincenzo Galilei rühmt ihn als Lauten-
spieler); Placido Falconi von Asola (1573 erschienen von
ihm in Venedig: »Missae introitus per totum annum«, sowie
in den Jahren 1580—1588 in Brescia die Turba, die Passion,
ein Magnifikat und vierstimmige Responsorien; Arcangelo
Crivelli aus Bergamo (seit 1583 päpstlicher Kapellsänger
und 1610 gest); Prospero Santini; Cesare Roilo;
Vincenzo de Grandis; Giov. Locatello; Tiburzius
Massaini (von ihm Motetten zu vier Chören dem Papst
Paul V. gewidmet); Fra Erasmo di Bartolo, genannt il
40 Die Musikentwickluiig auf dem Boden von Italien.
Padre Raimo, geb. 1606 in Gaeta, gest. 1656); Abundio
Antonelli (seit 1608 Kapellmeister an der Lateranischen
Basilika; von ihm sind vierchörige Messen und achtstimmige
Chöre mit Instrumentalbegleitung geschrieben).
Pierfrancesco Valentini, geb. in Rom im Zeitalter Ur-
ban VIIL, gest. in Rom im Jahre 1654. Valentini war
Schüler C. M. Naninis und schuf wahre Monstras auf dem
Gebiete des polychorischen Tonsatzes, welche uns anmuten,
wie die gleichzeitigen Schöpfungen auf dem Gebiete der
Architektur und Plastik. Valentinis Hauptwerk, welches
1645 in Rom in der Typograj)hie von Andreas Phaeus er-
schien, hatte den Titel: »Petri Francis! Valentini, Romani,
in animas purgatorii propriae et novae inventionis Canon,
quatuor compositus subjectis et viginti vocibus, quinque
Choris concinendus, qui ultra dictas viginti voces a pluribus
etiam vocibus, choris et subjectis extendis et amplificare
potest.«
Gregorio Ballabene, der schon in die zweite Hälfte des
18. Jahrhunderts hineinragt, schuf eine zwölfehörige (acht-
undvierzigstimmige) Messe.
Antonio Maria Abbatini (1595 — 1677) war Komponist von
vier- und mehrstimmigen, sowie von 16-, 32- und 48-stimrnigen
Chorwerken. Abbatini, der an den Kirchen S. Giovanni in
Laterano, S. Lorenzo in Damaso, dell' Gesü und S. Maria
maggiore thätig war und auch als Mitarbeiter an Kirchers
»Musurgia« bekannt ist, schrieb u. a. Antii^honien für je
12 Soprane, 12 Alte, 12 Tenöre und 12 Bässe.
Orazio Benevoli (1602 — 1672), ein Schüler des von Bernard
Nanini gebildeten Vincenzo Ugolino, war anfangs Kapell-
meister an S. Luigi de Francesi, von 1643 — 45 in Wien, von
1646 an Kapellmeister an der Kirche S. Maria maggiore in
Rom und schliefslich bis zu seinem Lebensende Kapellmeister
im Vatikan. Von Benevolis Kompositionen seien erwähnt:
die achtstimmigen Messen »in lectulo«, »Paradisii porta«,
»decantabat i^opulus«, die zwölf stimmigen Messen »Solam
exspectu«, und »Angelus Domini«, ferner die 16-stimmigen
Messen »in diluvio aquarum multarum«, »Missa Tira corda«
und »Si Dens pro nobis«. — Eine grofse dreichörige Messe
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 41
mit Orgel, Saiteninstrumenten, 2 Oboen, 4 Flöten und 2 Kla-
rinen schrieb Benevoli zu der am 24. September 1628 in Salz-
burg stattgefundenen Einweihung des neu errichteten Domes.
(Die Partitur besitzt das Mozarteum in Salzburg.)
Virgilio Mazzochi, geb. in Castellano, war 1628 Kapell-
meister im Lateran, von 1629 an Kapellmeister am St. Peter
und ist 1640 in Rom gestorben. Von ihm aus dem Jahre 1628
eine neunstimmige Motette, sowie aus dem Jahre 1638 zwei-
bis achtstimmige Chöre nach Dichtungen vom Papste Ur-
ban YIII. (Pietro della Valle berichtet von V. Mazzochi, dals
er bei der Aufführung eines seiner polychoren Werke die
Sänger in der Kuppel des Petersdomes gruppenweise ver-
teilt habe, und zwar vom inneren Kuppelrande hinauf bis
in die Laterne.)
Domenico Mazzochi, der ältere Bruder von Virgilio
Mazzochi, schrieb u. a. fünfstimmige Madrigale und ist be-
kannt, weil er als Erster die Zeichen -==r =>- für crescendo
und decrescendo anwendete.
Diese letzteren Komponisten, welche die Ausläufer der römi-
schen Tonschule bilden, und die mit Recht mit dem Ausdrucke
»Poly Choristen« bezeichnet werden können, waren einflufs-
reich für die Entwicklung des Tonsatzes:
1. Der allgemeine Bafs, d. i. Generalbafs (bassus generalis),
der zum Zusammenhalten und zum Fundamentieren des
ganzen grofsen Tongebäudes diente, entstand.
2. Bei den Poiy Choristen findet sich zuerst die Verdoppe-
lung einer Stimme durch die Oktave.
Als einer der bedeutendsten Tondichter der römischen Ton-
schule, welche von Palestrina ihren Ausgang nahm, ist
Giuseppe Ottavio Pitoni zu bezeichnen. Pitoni wurde am
18. März 1657 in Rieti geboren und war schon im 16. Jahre
Kapellmeister in Rom. 1677 erhielt Pitoni die Kapellmeister-
stelle am San Marco in Venedig, die er bis zu seinem letzten
Lebensjahre inne hatte. Er starb am 1. Febr. 1743 in Rom.
Von ihm: Motetten, unter denen das grofsartige »Dies irae«,
das als seine beste Arbeit geschätzt wird; ferner mehrere
schöne »Dixit«, von denen das erste für vier Chöre (sechs-
42 Die Musikenlwicklung auf dem Boden von Italien.
zehn stimmig) heute noch in Rom aufgeführt wird. Be-
rühmte Tonwerke Pitonis sind aufser den beiden vorge-
nannten Psalmen, 3— 16-stimmige Messen (»De profundis«,
»Li pastori montagna«, »Mosca«), Hymnen u. a. m. Durante
und Leo sind Pitonis bedeutendste Schüler gewesen.
Der Mittelpunkt des religiösen Kultus ist in Rom die St.
Peterskirche, an welcher der gröfste Teil der vorhergenannten
hauptsächlichsten Vertreter der römischen Tonschule als Sänger
oder als Kapellmeister wirkten. Die Osterwoche sieht nun in
dieser Hauptkirche wohl eines der gröfsten Feste der römisch-
katholischen Kirche. Es dürfte daher auch nicht uninteressant
sein, an dieser Stelle, am Schlüsse der Besprechung der römischen
Tonschule, deren Komponisten durch ihre erhabenen Werke
das feierliche Ceremoniell in St. Peter verherrlichten und zum
Teil heute noch beleben, das Programm der Karwoche mit-
zuteilen.*)
Am Palmsonntag um 9 Uhr vormittags begiebt sich der
Papst nach St. Peter zur Kapelle der Pietä, wo ihn die Kardinäle
empfangen; hier zieht er die päpstlichen Kleider an und wird
auf der Sedia gestatoria (an seinen Seiten die zwei Flabelli
mit den Pfauenaugen) von zwölf rot bekleideten Sedianti nach
der Konfession getragen; voran die Prälaten und Kardinäle.
Die Kardinäle, nach ihrer Rangstufe, küssen huldigend die
Hand des Papstes (Obedienz); dann findet die Palm weihe
statt (die Palmen kommen von San Remo von der Familie
Bresca, welche von Sixtus V. das Privilegium erhielt) ; der Papst
segnet die Palmen, benetzt sie, räuchert sie dreimal und setzt
sich dann; ein Kleriker legt ihm das Gremiale (das seidene
Bischofstuch) auf die Knie, die Kardinäle begeben sich zu ihm,
erhalten die Palme, küssen sie sowie auch die Hand des Papstes;
ihnen folgen der römische Adel, hohe Fremde u. a. m. Gesungen
werden während der Austeilung die vierstimmigen Chöre »Pueri
hebraeorum vestimenta« von Avila, einem Zeitgenossen Pale-
strinas und »Pueri hebraeorum portantes ramos« von Pale-
strina. Jetzt findet die grofse Palmenprozession in der Kirche
statt; der Papst mit der Mitra auf dem Haupte und der Palme
*) Aus »Rom und die Campagna«. Von Dr. Th. Gsell Fels. (Aus der
Sammlung »Meyers Reisehandbücher«. Bibliographisches Institut, Leipzig
und Wien.
1. Die Miisikentwickluno; auf dem Boden von Rom.
43
in der Linken wird auf der Sedia gestatoria getragen; die
Prozession begiebt sich in das Vestibül; zwei Sänger im Innern
der Kirche singen die herrliche Hymne von Theodule d'Orleans:
»Gloria laus et honor Deo«, welche die Sänger im Vestibül
im Wechselgesang wiederholen. Die Messe wird von einem
Kardinal celebriert; den Passionsgesang stimmen drei Priester
(der Tenor erzählt, der Contraalto singt die Ancilla, der Bals
No. 7. St. Pe t erskir che in Rom.
die Partie des Christus, die Kapelle die des Volkes). Nach der
Elevation wird gewöhnlich das sechsstimmige Benedictus von
Baini gesungen. Der Papst kehrt durch die Kapelle des heiligen
Sakramentes zum Vatikan zurück.
Ostermittwoch. In der Capeila Sixtina nach 4 Uhr
päpstliche Kapelle für die Tenebräfeier. Beim ersten Notturno
wird eine vierstimmige Lamentation des Jeremias von Pale-
strina gesungen, dann folgt die zweite und dritte Lamentation,
das zweite und dritte Notturno und nach dem Benedictus der
44 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Landen das berühmte Miserere (der 51. Psalm) vierstimmig
mit zwei Chören, meist eine der drei Kompositionen: 1. von
Allegri 1638; 2. von Bai 1714; 3. von Baini 1821. Das Miserere
wird am Mittwoch, Donnerstag und Freitag gesungen. Bei
jeder Lamentation (Klagelieder Jeremiä) werden zwei Kerzen
des dreieckigen Kandelabers am Altar, der dreizehn Kerzen
enthält, ausgelöscht, das einzige letzte Licht wird unter dem
Altar verborgen, dann knieen Papst und Kardinäle nieder und
beten, tiefe Stille herrscht — plötzlich beginnen die wunder-
baren Töne des Miserere, in zitternden Anklängen und er-
greifender Harmonie die Leiden der Menschheit symbolisierend.
Dann folgt ein leises Geräusch, worauf Papst und Kardinäle
sich zurückziehen. In der Peterskirche zeigt man unmittelbar
nachher von der Loggia über der Statue der Veronika unter
der Kuppel herab die Passionsreliquien: die Lanze, das Holz
vom Kreuz und den Veronikaschleier mit dem Gesicht des
Heilandes.
Ln Hospiz S. Trinitä dei Pellegrini wird eine Stunde nach Ave
Maria die Fulswaschung und das Mahl der armen Pilger
durch die Kongregation der S. Trinitä, der Kardinäle, Fürsten,
Edelleute angehören, veranstaltet. Das Publikum hat freien
Zutritt. Zur gleichen Stunde erfüllen die römischen Fürstinnen
und Damen dieselbe Funktion bei den Pilgerinnen.
Gründonnerstag. Die Glocken aller Kirchen verstummen
bis zum Sonnabend Mittag. Im Lateran Ausstellung des
Abendmahltisches Christi. — In St. Peter 8 Uhr vormittags
Weihe der heiligen Öle und Generalkommunion des Kapitels. —
Um 10 Uhr in der Sixtina päpstliche Kapelle : nach dem grego-
rianischen Gesang, das achtstimmige Motetto: »Fratres ego
enim accepi« von Palestrina. Bei der Messe weiht der Papst
zwei Hostien, legt die eine in einen Kelch und trägt sie in
Prozession nach der Capella Paolina, wo sie nachmittags
ausgestellt und bis zum folgenden Tage aufbewahrt wird. Die
Prozession zieht durch die Sala regia, die Sänger singen das
»Pange lingua«, in der Kapelle das vierstimmige »Tantum ergo«
von Pitoni. Die Gläubigen strömen in die Kapelle, um das
Sakrament anzubeten. Die Prozession begleitet den Papst
wieder zurück nach St. Peter. Etwas vor 12 Uhr erteilt der
Papst, der in die geschmückte und überdachte Loggia, die
aufsen an St, Peter auf den Petersplatz hinab schaut, auf der
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 45
Sedia gestatoria getragen wird, auf dieser sich erhebend den
dreifachen apostolischen Segen, »die solenne Benediction«
(man nennt sie traditionell: »urbi et orbi«, »der Stadt und dem
Erdkreis«), dann lesen zwei Kardinäle lateinisch und italienisch
den Ablafs für die Menge und werfen das Breve unter das
versammelte Volk hinab. Der Papst begiebt sich nun in das
Querschiff, wo um 12 Uhr das Mandatum stattfindet.
Der Papst vollzieht selbst die Fufswaschung (lavanda)
an 13 Priestern oder Diakonen verschiedener Nationen (13, weil
Gregor dem Grofsen Christus unter ihnen erschien). Im rechten
Querschiff von St. Peter befindet sich links die -Bank für die
13 auf einer Erhöhung. Hinter ihnen an der Wand hängt
der Gobelinteppich mit dem Abendmahl (nach dem Fresko
von Lionardo da Vinci in S. Michele di Ripa grande gearbeitet) ;
rechts ist der päpstliche Thron und um ihn die Kardinalsitze.
Der Papst erhebt sich vom Throne, legt das Pluviale ab, um-
gürtet sich mit einer kleinen weifsen Schürze, vor ihm her
schreiten die Scepterträger, ein Ceremonienbeistand mit zwei
Kardinaldiakonen; sie begeben sich auf die Estrade zu den
Aposteln. Diese müssen den rechten Fufs entblöfst haben. Der
Papst kniet vor jedem, setzt jedem denFufs in ein wassergefülltes
silbernes Geschirr, reibt denselben leicht und trocknet ihn mit
einem Tuche, külst ihn, erhebt sich und setzt diese Handlung
von einem zum andern fort. Jeder erhält sogleich vom Papst
einen Blumenstraufs und zwei Erinnerungsmedaillen an die
erhaltene Auszeichnung, eine von Gold, die andre von Silber;
dann kehrt der Papst zum Throne zurück, wäscht sich die
Hände und spricht das »Pater noster«.
Das ganze Gefolge geht jetzt zur vatikanischen Loggia, zur
Speisung dieser Stellvertreter der Apostel. Dort steht auf
einer Estrade ein langer Tisch mit glänzend geschmückter
und reich besetzter Tafel. Zuerst erscheinen Prälaten, dann
die Nobelgarde, dann die 13 Stellvertreter in ihren hohen
weifsen Mützen, weifsem Kragen und Flanellrock, weifser,
brodierter Seitentasche (für die Reste des Mahles) und mit
einem Blumenstraufse in der Hand. Sie warten auf ihrem
Platz, bis der Papst erscheint; er trägt einen wollenen Rock
und mit weifsem Hermelin ausgeschlagenen Überwurf. Ein
Prälat reicht ihm eine mit Spitzen besetzte Schürze; der Papst
giefst den 13 Wasser über die Hände und hält ihnen ein
46 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
silbernes Becken unter. Die Platten werden von den Prälaten
herbeigebracht, welche sie knieend dem Papst überreichen.
Dieser stellt sie nach einem Tischgebet vor die 13 hin und
serviert selbst einige Gerichte des reichlichen Mahles, schenkt
den Speisenden Wein und Wasser ein und verlälst sie nach
einer zweiten Segnung,
Abends werden in der Sixtina wieder um 4 Uhr die Lamen-
tationen und um 6 Uhr das Miserere gesungen. Die Kapelle
ist jetzt völlig schmucklos, Altar und Thron ohne Baldachin
und Verzierung, die Sitze der Kardinale unbedeckt, der Altar
um schieiert.
Karfreitag. Vormittags S^a Uhr päpstliche Kai)elle in
der Sixtina. Der Papst, in violetter Stola, rotem Pluviale,
silbergewirkter Mitra, ohne Ring, erscheint mit vorgetragenem
schleierbehängtem Kreuze, legt seine Mitra ab und betet
knieend, besteigt dann den Thron, wo ihm nur ein Patriarch
assistiert. Die Kardinäle tragen Schuhschnallen von Stahl
oder Silber und violette Kleidung anstatt purpurner. Es folgt
eine lateinische Rede des Generalprokurators der Franziskaner
(konventualen Minoriten) über den Tod Christi. Der Cele-
brierende singt die 18 Gebete für die Menschen aller Reli-
gionen (sie werden stehend angehört, der Diakon giebt das
Zeichen der Kniebeugung nach jedem, ausgenommen nach dem
für die Juden, in Andeutung, dafs sie Christum an diesem
Tage knieend verspotteten). — Bei der ersten Adoration des
Papstes singt die Kapelle die berühmten »Improperia« von
Palestrina, das »Sanctus Dens« und die weitere Liturgie. Die
Kardinäle (ohne Fufsbedeckung) adorieren das Kreuz, jeder
Kardinal opfert einen Goldthaler; dann folgen die übrigen
hohen Würdenträger der Kirche (ihre Gabe erhält der Mon-
signore Sacrestano und die beiden ersten Ceremonienmeister).
Darauf Prozession zur Capeila Paolina: dem Papst mit den Kar-
dinaldiakonen folgen die Prälaten »di fiocchetti«, die aj^osto-
lischen Protonotare. Am Altare der Paolina verrichtet der
Papst ein kurzes Gebet, währenddessen der Sakristarprälat
vom Kardinalgrofspönitentiar den Schlüssel zur Sepulkralurne
erhält; er öffnet das Tabernakel, nimmt den Kelch und über-
giebt ihn durch den Kardinaldiakon dem Papst. Die Prozession
kehrt während des Gesanges »Vexilla regis prodeunt« nach
der Capeila Sixtina zurück. Sowie der Celebrierende die
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 47
Kapelle verlassen hat, beginnt die Vesper. Auf dem Altare
der Capella Sixtina wird das »wahre Kreuz« aufgestellt.
Um 4^/., Uhr ertönen in der Capella Sixtina die drei Notturnen,
die vierstimmige Lamentation, am Ende das fünfstimmige
»Jerusalem« von Allegri und zum drittenmal das »Miserere«.
Der Papst geht dann in ein benachbartes Gemach, zieht den
roten hermelinbelegten Überwurf und die päpstliche Stola an,
setzt den Hut auf und geht mit den Kardinälen und deren
Familien nach St. Peter, wo abermals von der Höhe der
Veronika-Loggia die heiligen Reliquien gezeigt werden; nach
Beendigung seines Gebetes vor der Konfession geht der Papst,
nur von seiner »Familie« begleitet, in den Vatikanpalast
zurück.
Ostersonnabend. Vormittags 8 Uhr im Lateran Wasser-,
Feuer-, Weihrauch- und Kerzenweihe, Gesang der Prophetien,
Exorzismus erwachsener konvertierter Juden, Türken oder
Heiden in der Sakristei und nachherige Taufe derselben im
Baptisterium S. Giovanni durch den Generalvikar. Vorzeigen
der Köpfe St. Peters und St. Pauls. Litaneien und Messe. —
Um 9 Uhr in der Sixtina päpstliche Kapelle. Die Kapelle ist
wieder im Festschmuck; Weihe der Osterkerze; Gesang des
»Exultet«. Beim Vers »Propitius esto« gehen die Admini-
strierenden in die Sakristei und ziehen weifse Kleider an, und
der Celebrierende läfst sich auf seinem Sitze weifse Kleider
reichen. Es folgt die berühmte Missa Papae Marelli von
Palestrina. Dieselbe Messe wird am 29. Juni, am St. Peter-
und Paulstage, gesungen. Die violetten Paramente des Altars
und Thrones werden abgehoben, und silbergestickte erscheinen
darunter, die Altarkerzen angezündet und auf Bronzekandelaber
gestellt. Der Papst zieht ein weifses Gewand an, die Kardinäle
nehmen den roten Hut. Beim Beginne des »Gloria« läuten
alle Kirchenglocken, die seit dem Gründonnerstage verstummt
waren.
Am Ostersonnabend erteilt der Papst den zum Osterfest
gekommenen Priestern und Fremden Audienz. Eine ganze
Galerie des Vatikans ist mit Besuchenden angefüllt; neben
Priestern, Ausländern mit Frauen und Töchtern, Römer mit
der ganzen Familie (die Damen in Trauerkleidern). Die Pala-
frenieri teilen die Anwesenden in zwei Reihen, durch die der
Papst weilsgekleidet schreitet. Er spricht zu den meisten
48 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
einige Worte, die der Angeredete knieend anhört (es ist Sitte,
drei Kniebeugungen zu machen vor dem Fufskufs, und mit
drei Kniebeugungen sich zu verabschieden); das Hauptan-
hegen bildet die Bitte um den Segen des Papstes. Zum Schluls
besteigt der Papst die Estrade und hält eine Ansprache (oft
französisch), erteilt den allgemeinen Segen und entfernt sich.
Man drängt sich dann noch an ihn heran, Eltern bringen
ihre Kinder, man sucht eine segnende Berührung u. s. w.
Ostersonntag. Etwas vor 10 Uhr verläfst der Papst,
die Tiara auf dem Haupte, auf der Sedia gestatoria die Sala
ducale, zieht mit seinem Gefolge durch die Mittelpforte in die
Peterskirche; die Sänger begrüfsen den Papst mit dem be-
rühmten »Tu es Petrus«, im Vestibül empfängt das Peters-
kapitel den Papst. Der Papst besteigt den Thron und bedeckt
sich mit der goldenen Mitra. — Obedienz. Die Kardinäle,
Patriarchen, Erzbischöfe und Bischöfe, die mitrierten Äbte
und die Pönitenziarii von St. Peter küssen dem Papst nach
ihrer Rangfolge, die einen das Knie, die andern den Fufs.
(Der Papst trägt auf der Fufsbekleidung ein goldbrodiertes
Kreuz, das geküfst wird. — Bekleidung. Der Auditor der
Kota umgürtet den Papst mit dem Gremial, ein adliger Laie
giefst ihm Wasser über die Hände, und der Kardinalbischof
bietet das Handtuch dar. Der Kardinaldiakon, der das Evan-
gelium singt, nimmt dem Papst Mitra, Pluviale, Stola und
Gürtel ab; die Prälaten bringen die Pontifik alkleid er, und die
Diakonen ziehen sie ihm an. — Messe. Der Papst celebriert
die Messe selbst; er begiebt sich zu den drei Kardinalpriestern
und umarmt jeden zweimal, der Kardinaldiakon nimmt ihm
die Mitra ab, der Papst macht das Zeichen des Kreuzes und
beginnt den »Introito«. Bei der Indulgentia legt man ihm
die Manipel über. Die Kapelle singt das Graduale und »Vic-
timae pascali« von Matteo Simon eil i. Nach beendigtem
Credo spricht der Papst das »Dominus vobiscum.« Die Kapelle
singt das schöne Gebet von Feiice Anerio. Die Kardinal-
diakonen erhalten die Kommunion, der assistierende Fürst und
die Laien, welche das Kapellrecht haben, sind ebenfalls zur
Kommunion zugelassen. Das Lesen des Evangeliums endigt
die Messe. — Das Presbyterial-Opfer. Der Papst nimmt die
Tiara und besteigt die Sedia gestatoria. Der Kardinalpriester
übergiebt dem Papst eine Börse mit 30 Juliusd'or und spricht:
Das Innere der Si
Altarwand Das jüngste ( :
nischen Kapelle.
3ht . von Michelangelo.
Kuuslvcrlag Max Schmitz, Lcipzig-R.
1. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Rom. 49
»AUerheiligster Vater, das Kapitel und die Kanoniker der
Basilika bieten Euch das gewohnte Opfer für die Messe dar,
die ihr eben sänget«. — Die Verehrung der Reliquien.
Der Zug begiebt sich in die Mitte der Kirche vor die Kon-
fession, ein Kanoniker erscheint in der Veronika-Loggia und
zeigt die Eeliquien. Nach der Veneration begiebt sich der
Zug zur vatikanischen Loggia, die sich gegen den Petersplatz
öffnet. Der Papst erteilt auf seinem Zuge feierlich den Segen
an die Umstehenden. — Der allgemeine päpstliche Segen.
Die Loggia an der Fassade ist mit Tüchern reich geschmückt.
In den Fenstern der Portiken und am P\ifse des Obelisken
stehen Stühle zum Ausleihen, von wo aus man den Paj^st
sehen kann. Das Volk drängt sich auf die Treppe, um den
Obelisken und längs der Kolonnaden. Vor der Benediktion
erscheint in der Loggia das päpstliche Kreuz und die päpst-
lichen Insignien (die Tiaren und Mitren), die auf den Balkon
niedergelegt werden; dann tritt der Papst bis zur Brüstung
vor, die Glocken verstummen, die Fontänen versiegen, auf
dem ungeheuren vollgedrängten Platze ist alles still, die Menge
kniet nieder, der Papst erhebt feierlich die Hände und mit
lauter Stimme segnet er dreimal die Gläubigen. Im Augen-
blick des letzten Amen werden alle Glocken von St. Peter ge-
läutet. Das Volk ruft: Evviva! und schwenkt die Tücher.
Der Papst überschaut die Menge, erhebt sich noch einmal
und erteilt den zweiten stillen Segen. Ein Kardinaldiakon
verliest lateinisch die Ablafsformel für die Anwesenden, ein
zweiter liest sie italienisch; Kopien der Formel werden auf
den Platz hinunteroeworfen.
^4^^
Ritter, Encyklopädie der Mnsikgescliichto. III.
Cf3[t3Ct3Cf:iCf3Ct3[f3C^Cj3[:f:3[:?3[t3^
2. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Venedig.
a) Vertreter der älteren venetianischen Tonschule.
(16. Jahrhundert.)
Welcher niederländische Tonsetzer wird als Begründer der
älteren venetianischen Tonschule angesehen?
Adrian Willaert, geb. 1480 oder 1490 in Brügge, gest. am
7. Dezember 1562 in Venedig. Willaert wurde, nachdem er
in Paris eine Zeit lang Rechtswissenschaft studiert hatte,
Schüler des Kapellmeisters Franz I. Mouton, der wiederum
ein Schüler von Josquin des Pres gewesen war. Wie viele
andere seiner Landsleute (z. B. Philipp Verdelot, Jakob
Arkadelt, Claude Goudimel, Cyprian van Pore, van Boes
und Berchem) wanderte auch Adrian Willaert zu weiterer
musikalischen Ausbildung nach Italien. 1516 erblicken wir
ihn in Rom zur Zeit Leo X., und bald darauf als Kai3ell-
meister Ludwig IL, Königs von Ungarn und Böhmen, der
1526 in der Schlacht bei Mohacz fiel. Noch in diesem Jahre
ging Willaert nach Venedig, wo er bereits im Jahre 1527
die Anstellung eines ersten Kapellmeisters am San Markus-
dome erhielt, anfangs mit 70, später mit 200 Dukaten Ge-
halt. Der Doge Andrea Gritti war es gewesen, der Willaerts
Anstellung bewirkt hatte. Willaert, der als Komponist, Lehrer
und Theoretiker auf dem Boden von Venedig eine grofse
Thätigkeit entfaltete, besuchte seine nordische Heimat noch
zweimal und zwar 1542 und 1556. Leider konnte er in den
letzten Jahren seines Lebens nicht mehr amtlich thätig sein,
da er von schwerer Krankheit befallen wurde. Von zahlreichen
Verehren und Schülern betrauert, starb Willaert im Jahre 1590.
Seine Kompositionen bestehen aus Motetten, Psalmen, Vespern
und Madrigalen. Ganz besonders ist es das Madrigal,
das von Willaert seinen Ausgangspunkt nimmt.
Willaerts Kompositionen, die lediglich im a-capella- Stile
2. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Venedig. 51
geschaffen, also vokaler Natur sind, zeichnen sich durch
reiche Harmonie, schöne Melodik und interessante Rhythmik
aus. Willaert schrieb bereits für mehr als vier Stimmen.
Seine Wechselchöre (doppelchörige Hymnen), wozu die
Markuskirche durch ilire zwei Emporen mit Orgeln Gelegen-
heit bot, trugen Willaert so hohen Euhm ein, dals man von
denselben als von einem »aurum potabile« (trinkbarem Golde
in Tönen) redete. Bei Willaert ist bereits ein Übergang
von den die katholische Liturgie beeinflussenden Kirchen-
tonarten zu den modernen Tonarten zu bemerken. Der
neue Stil der Kirchenmusik, der in der venetianischen Ton-
schule erblüht, ist wohl nicht nur dem Einflüsse Willaerts
zu verdanken, sondern wie dieses selbst das Produkt der
Verhältnisse, Zustände, der Geistesrichtung, der Lebens-
auffassung, überhaupt der Entwicklung des gesamten sozialen
und staatlichen Lebens der Republik Venedig.
Worin unterscheiden sich im allgemeinen die Ausdrucksweisen
auf dem Gebiete der Tonkunst der römischen und der vene-
tianischen Tonschule?
Ist die Ausdrucksweise der römischen Tonschule (Palestrina-
stil) eine tiefinnerliche, so recht der Ausflufs von erhabenen
Empfindungen und heiliger Andacht, wie sie uns aus den
Bildern Peruginos und Rafaels (Madonnenbilder und heilige
Cäcilia) entgegentritt, so ist der Stil der Venetianer glanz-
voll, prächtig; der Hauptschwerpunkt liegt, wie bei Venedigs
Malern, in der koloristischen Wirkung. Sinnlicher Reiz waltet
in den Kompositionen der Venetianer Tonkünstler gegenüber
dem sinnigen und mehr innerlichen Wesen der Schöpfungen
der gleichzeitigen römischen Tonschule vor. — Ein wichtiger
Umstand in der Verschiedenheit venetianischer Chorwerke
von denen der römischen Tonschule war, äufserlich be-
trachtet, schon durch die beiden Gotteshäuser St. Peter in
Rom und San Marco in Venedig bedungen: Gab die päpst-
liche Sängerkapelle in Rom (Sixtina) nur dem a-capella-
Gesange Raum, so war durch die beiden die Apsis des
Markusdomes begrenzenden Emporen, auf denen zugleich
zwei Orgeln Aufstellung finden konnten, schon durch die
Architektur für die bequeme Aufstellung von zwei Chören
gesorgt. (Daher auch Willaerts zweichörige Psalmen, Mo-
4*
52 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
tetten, Hymnen und anderen zweichörigen Kirchenkompo-
sitionen.)
Wie liiefs der Schüler und Nachfolger Willaerts am Markus-
dome in Venedig?
Cyprian van Rore, geb. 1516 in Mecheln (Niederlande),
gest. 1565 in Parma. Van Rore, der schon in jungen Jahren
nach Venedig kam, wurde zunächst als Sänger des Chores
an San Marco angestellt und war als solcher Schüler seines
grofsen Landsmannes Adrian Willaert. Nachdem Cyprian
van Rore auf kurze Zeit Dienste beim Herzog Herkules II.
von Ferrara gethan hatte, kehrte er nach dessen Tode 1559
nach Venedig zurück, wo er 1563 an die Stelle Willaerts als
Kapellmeister an San Marco kam. Dieses Amt vertauschte
er bald mit der Kapellmeisterstelle beim Herzog Farnese
in Parma, wo er 1565 starb. Von ihm: mehrere Sammlungen
Madrigale, vier- bis achtstimmige Motetten, vier- bis sechs-
stimmige Messen, Psalmen, Magnifikate, Passionsmusiken
u. a. m. Bei Cyprian van Rore, durch den Willaerts Be-
strebungen eine Weiterentwicklung fanden, ist schon eine
gesteigerte Ausdrucksweise zu verzeichnen, indem er es
war, der schon von chromatischen Intervallen Gebrauch
machte und so eine Harmonik herbeiführte, die der strengen
Kompositionsweise in den Kirchentonarten widersprach. Die
Deklamation seiner Texte ist die für damalige Zeit denkbar
natürlichste, indem er sich, wenn es anging, nach dem pro-
sodischen Mafse des Wortes richtete.
Wer war der Nachfolger Cyprians van Rore als Kapellmeister
am St. Markusdome in Venedig?
Giuseppe Zarlino, aus dem südlich von Venedig gelegenen
Chioggia gebürtig (von 1517—1589). Zarlino war Schüler
von Willaert und nicht allein ein tüchtiger ausübender
Musiker, sondern auch ein bedeutender Musikgelehrter, so-
wie auch dem Studium der Philosophie, Mathematik, Chemie
und Astronomie ergeben. Zarlino, ursprünglich für den
geistlichen Stand bestimmt, erhielt 1537 die niederen Weihen.
Der Holländer Swelink sowie der Florentiner Vincenzo Galilei
waren Schüler Zarlinos, Von Zarlino: 1558 »Institutione
harmoniche< , 1562 fünf Bücher »Dimonstrationi harmoniche«,
2. Die Musik entwicklung auf dem Boden von Venedig:.
53
dem Dogen Liiigi Mocenigo gewidmet, 1588 acht Bücher
»Monumenti miisicah«. 1574 als Heinrich III. von Valois
auf einer Reise von Polen nach Frankreich über Venedig
kam, wurde er auf dem Bucintoro durch lateinische Gesänge,
von Zarlino komponiert, begrüfst. Zarlinos Zeitgenossen
bezeichneten diese Musik als »musiche bellissime in versi
Xo. 8. St. Markusdoni in Venedig.
latini« ; aufserdem fand bei dieser Gelegenheit eine Fest-
musik von Zarlino im San Marco, sowie im grolsen Rats-
saale des Dogenpalastes die Aufführung des »Orfeo«, mit
Musik A^on Zarlino statt. Von Zarlino ward auch eine
Messe komponiert, die 1577 nach dem Erlöschen der grolsen
Pest, der u. a. auch Tizian zum Opfer fiel, aufgeführt wurde.
Wie hiefsen die Organisten an den Orgeln von San Marco in
Venedig in der letzten Zeit der Wirksamkeit Zarlinos?
Annibale Padovan© , Claudio Älerulo sowie Andrea und
Giovanni Gabrieli.
54 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Andrea Gabriel! (auch genannt Andrea del Canareggio),
geb. 1510 in Venedig, war Schüler Willaerts. Andrea Gabriel!
trat 1536 als Sänger in den Chor von San Marco, in welcher
Stellung er bis 1566 verblieb. Von 1566 bis zu seinem Tode
1586 bekleidete er als Nachfolger Merulos die Stelle eines
zweiten Organisten am Dome. Von ihm: »Psalm! j)oeniten-
tiales«, Venedig 1583, Motetten, Madrigale, sowie Orgelkom-
positionen mit Instrumentalbegleitung. Auch komponierte
er, gleichwie Zarlino, eine Festmusik zu Ehren der An-
wesenheit Heinrich III. von Frankreich: eine acht- und eine
zwölfstimmige Kantate. Ein bedeutender Schüler Andrea
Gabrielis war der deutsche Tonsetzer Leo Hasler.
Claudio Merulo, geb. 1532 in Correggio, weshalb er auch
öfters Claudio da Correggio genannt wird. Vom Jahre 1557
an wirkt Merulo als zweiter, von 1566 an als erster Organist
am San Marco, nachdem Annibale Padovano aus dieser
Stellung geschieden war. Im Vereine mit dem vorher-
genannten Andrea Gabrieli versah Merulo bis zum Jahre 1584
den Organistendienst am Markusdome in Venedig, als ihn der
Herzog Ranuccio Farnese als Organist an die Kirche der
Steccata berief. Bis zu seinem Lebensende, 4. Mai 1604,
entfaltete Claudio Merulo in Parma eine grolse Thätigkeit
als Orgelvirtuos und Komponist. Von ihm: »Missae et
Litaniae« 8 — 12 vocum (1609 erschienen), Motetten, »Sacri
concenti«, 3 — 5-stimmige Madrigale, die mit zu den schönsten
dieser Kunstgattung gehören. Claudio Merulo, der sowohl
als Organist, als auch als Vokalkomponist eine Berühmtheit
seiner Zeit war, gehört zu den Poly Choristen der altvene-
tianischen Tonschule. Auch er komponierte, gleichwie Zarlino
und A. Gabrieli zum Empfange des Königs Heinrich III.
von Frankreich Festkantaten. (Aus dieser Thatsache ist
ersichtlich, wie die Tonsetzer Venedigs ihre Kunst bereits
in den Dienst der öffentlichen politischen Vorgänge stellten,
gleichwie es z. B. der Maler Paolo Veronese that, indem er
zur Verherrlichung seiner Landsleute die Seeschlacht gegen
die Türken bei Lepanto [7. Oktober 1571] malte. Schon in
solchen Thatsachen ist der Unterschied in der Anwendung
der Künste auf dem Boden Roms und Venedigs zu er-
blicken. Während in Rom, mit ganz geringen Ausnahmen
2. Die Musikentwicklung' auf dem Boden von Venedig. 55
die Kunst ausschlielslich geistlichen Zwecken dienstbar war,
wurde sie in Venedig bereits dem politischen und aulser-
kirchlichen Leben geweiht.)
Baldassaro Donato, geb. in Venedig 1545, gest. als Kapell-
meister am San Marco 1603, schlielst sich den Vorhergehen-
den als Komponist bedeutender Vokalwerke an.
Giovanni Gabrieli, geb. 1557 in Venedig, gest. daselbst
am 12. August 1613, wohl der Bedeutendste und Hervor-
ragendste unter den Komponisten der altvenetianischen
Tonschule. G. Gabrieli war im Gesänge, im Orgelspiele,
sowie in der Komposition mit dem Nürnberger Leo Hasler
Schüler seines Onkels A. Gabrieli. Von 1585 an wirkte G. Ga-
brieli am Markusdome als Organist. Besonders bemerkens-
wert sind G. Gabrielis Beziehungen zu Deutschland:
1. Zum Hause Fugger in Augsburg. (Georg Fugger war
Gesandter Kaiser Rudolf IL in Venedig.)
2. Zum Herzog Albrecht V. von Bayern und dessen Söhnen.
(Durch Albrecht V. von Bayern war Orlando di Lasso
nach München berufen worden.)
3. Die Deutschen Heinrich Schütz (Vorläufer des grofsen
J. S. Bach) und Michael Praetorius waren Schüler G. Ga-
brielis.
Giovanni schrieb grofsartige und tiefempfundene Chorwerke,
denen er bereits ein Orchester hinzufügte, das aus Cornetti,
Geigeninstrumenten und Posaunen bestand. Die bedeutend-
sten derselben sind die Symphoniae sacrae, 7-, 8-, 10-, 12-,
14-, 15- et 16-tam vocibus quam instrumentis. Venetia 1597,
sowie die 6— 19-stimmigen Motetten. Nürnberg 1619. Durch
solche Werke wurde selbstverständlich die Prachtentfaltung
der Musik auf dem Boden von Venedig aufserordentlich
gesteigert. Von den Vokalkompositionen G. Gabrielis sind
noch Psalme, einzelne Sätze aus Messen, sowie einige Mag-
nifikate zu erwähnen. Besonders schön sind: »O Domine
Jesu Christe« und der 55. Psalm »Exaudi deus orationem
meam«. Die Instrumentalsätze G. Gabrielis (Ricercari für
Orgel, Sonaten für Blas- und Streichinstrumente, sowie die
Symphoniae sacrae, welche er Fugger in Augsburg widmete)
lassen uns diesen Tondichter neben Allegri als einer der
56 2. Die Musikeiitwicklung auf dem Boden von Italien.
frühesten Komponisten auf dem Gebiete der Instriimental-
musilc erkennen, obwohl der Schwerpunl<:t seines Schaffens
in die Volvahnusilc fällt. Aus seinen Instrumentalsätzen,
von denen J. W. v. Wasielewski einige in seinem Werke
»Instrumentalsätze vom Ende des 16. bis Ende des 17. Jahr-
hunderts, Bonn 1874, mitteilt, ersieht man, wie sehr noch
die Instrumentalmusik jener Zeit der Nachhall der Vokal-
musik war. (Einige dieser Instrumentalsätze wurden auf-
geführt gelegentlich der Vermählung Venedigs mit dem
Meere durch den Dogen. [1796 fand die letzte derartige
feierliche Ceremonie auf dem »Bucintoro« statt; von diesem
Prachtschiffe warf der Doge den Ring in die Fluten mit
den Worten: »Desponsamas te mare in Signum veri per-
petuique Domini.«]) Von den italienischen Schülern G. Ga-
brielis sei hier besonders A. Grani genannt und als Zeit-
genossen und als solche Vertreter der älteren venetianischen
Tonschule Leo Leoni, geb. 1560, Kapellmeister an der
Kathedrale von Vicenza und Giovanni Croce, geb. 1560
in Chioggia, gest. 1610 in Venedig. Croce war Schüler
Zarlinos und Nachfolger B. Donatos als Kapellmeister an
San Marco.
b) Vertreter der jüngeren venetianischen Tonschule.
(17. und Anfang des 18. Jahrhundert.)
Wer waren die Vertreter der jüngeren venetianischen Ton-
schule?
Giovanni Legrenzi, geb. 1625 in Clusone bei Bergamo,
war anfangs Organist an der Kirche Santa Maria Maggiore
in Bergamo, sodann Kapellmeister des Kirchenchores in
Ferrara, kam 1664 nach Venedig, wo er von 1672 — 1685 die
Stellung eines Direktors des Konservatoriums dei mendicanti
bekleidete, welche er 1685 mit der Kapellmeisterstellung am
San Marco vertauschte. Legrenzi starb 1690 in Venedig.
Von ihm: eine grofse Anzahl schöner Messen, Motetten,
Psalmen und andere Kirchenwerke. Das Orchester am San
Marco bestand unter Legrenzi bereits aus 34 Mitgliedern:
11 kleine und 8 grofse Geigen, 2 Viole da braccio, 2 Viole
da gamba, 4 Theorben (Bafslauten), 2 Cornetti, 1 Fagott
und 3 Tromboni (Posaunen). Charakteristisch an diesem
2. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Venedig. 57
Orchester gegenüber dem der Altvenetianer war die grölsere
Anzahl der Streichinstrumente. Legrenzi, der Lehrer von
Antonio Lotti war, ist noch als Komponist von musikdrama-
tischen Werken (ernsten und komischen Opern) zu ver-
zeichnen, in welcher Hinsicht er von der toskanischen
Musikbewegung beeinflulst wurde. Unter seinen Opern
sind hervorzuheben: »Creso«, »Pertinace«, »Eteocle e Po-
linice« und »Achille in Sirio«.
Antonio Lotti, geb. 1G67, wahrscheinlich als Sohn eines
Venetianers, der als Kapellmeister im Dienste des Kur-
fürsten von Hannover stand; gest. am 5. Januar 1740 in
Venedig als Kapellmeister an San Marco. Seine musika-
lische Ausbildung erhielt Lotti am Conservatorio dei men-
dicanti, wo Legrenzi sein Lehrer war. Von 1717—1719
wirkte Lotti als Kapellmeister an der vom Kurfürsten
August dem Starken begründeten italienischen Oper in Dres-
den, nach Venedig zurückgekehrt von 1720 bis zu seinem
Tode an San Marco. Antonio Lotti ist der bedeutendste
Vertreter der jüngeren venetianischen Tonschule und war
fruchtbar als Kirchen-, Madrigal- und Opernkomponist. Seine
Werke zeichnen sich durch schönes Melos, durch Einfach-
heit im Stile sowie durch Charakteristik im Ausdrucke aus
und bezeugen bereits eine freiere Behandlung des instru-
mentalen Apparates, als bisher. Li Bezug auf die Oper ist
Lotti von der Florentiner Bewegung beeinflufst. 1705 er-
schienen von Lotti in Venedig »Duetti, Terzetti e Madrigali,
consacrati alla C. R. Maestä di Giuseppe I imperatore etc.«
Berühmt sind die im a-capella- Stile komponierten »Bene-
dictus deus Israel«, das »Miserere«, der dreistimmige Frauen-
chor mit Streich(iuartettbegleitung »Laudate pueri«, eine
Messe für Männerchor, Psalm 112 für Männerchor, die
Motette »Vere languores nostros«, das sechs- und achtstim-
niige »Crucifixus«, das vierstimmige »Sanctus Dominus«,
die vier- und fünfstimmigen Madrigale, die zwölf »Duetti
di Camera«, Magnifikate, Kyries und mehrere Credos mit
Instrumentalbegleitung. Von Lottis Opern seien hervor-
gehoben: »Achille placato«, »Isaccio Tiranno«, »Porsenna«,
»II Polidoro«, »Costantino« und »Alessandro severo«. Seine
Intermezzi sind zum Teil noch nicht veröffentlicht.
58 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Hervorragende Schüler A. Lottis: Giovanni Battista
Pescetti, Antonio Alberti, Benedetto Marcello, Bal-
dassaro Galuppi, M. Gasparini und Lottis zweiter Nach-
folger am San Marco G. Saratelli aus Padua.
Berühmte musikalische Zeitgenossen Lottis: der Violin-
spieler Tomaso Albin oni, geb. 1674 in Venedig, gest. 1745
daselbst; Komponist von Violin- und Listrumentalkompo-
sitionen, sowie von Kirchensachen und 49 Opern. Antonio
Vivaldi, geb. 1670 in Venedig, gest. 1743 daselbst. Vivaldi,
der Priester war, schrieb aulser Geigensachen, Kirchenkom-
positionen und 28 Opern; er wirkte längere Zeit als Kapell-
meister des Landgrafen von Hessen -Darmstadt. Vivaldi,
selbst ein tüchtiger Violinvirtuose, schrieb Sonaten und
mehrere Konzerte für die Geige, in welchen er die von Torelli
angebahnte Form weiterentwickelte, so dafs sie mustergültig
wurde.
Unter den grofsen Tondichtern der jüngeren venetiani-
schen Tonschule sind noch ganz besonders erwähnenswert
Antonio Caldara, Benedetto Marcello und Baldassaro
Galuppi.
Antonio Caldara, geb. 1678 in Venedig, gest. 28. De-
zember 1763 in Wien, wirkte vier Jahre in Mantua und
war bis 1738 unter Fux Vicekapellmeister am Hofe Karl VI.
in Wien. Von ihm: Kantaten, Hymnen, Messen und Mo-
tetten, welche sich durch schöne kontrapunktische Arbeit
auszeichnen; ferner Sologesänge mit Begleitung des Clavi-
cembalo, zwei-, drei- und vierstimmige Kantaten a-capella
sowie mit Begleitung von Streichinstrumenten, ein 16-stim-
miges »Crucifixus«, die Oratorien »Die Bekehrung König
Chlodwigs von Frankreich«, »Der Triumph der Unschuld«,
»Der Triumph der Liebe«, »Tobia«, »David«, »La passione
di Gesü Christo«, »Morte e sepoltura di Christo« und 69
Opern.
Benedetto Marcello, geb. 1686 in Venedig, gest. 1739 da-
selbst. Marcello, der Schüler Gasj)arinis und Lottis gewesen
ist, war eigentlich nicht Berufsmusiker, sondern Staatsmann;
er safs als solcher im Rate der Vierzig und war Providetor
von Pola, sowie Schatzmeister von Pola. Er starb als Schatz-
2. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Venedig. 59
meister in Brescia am 24. Juli 1739. Marcello komponierte
Kirchen- und Kammermusik, sowie einige wenige musik-
dramatische Werke; auch als Dichter und Musikschriftsteller
war er thätig. Von ihm sind Solokantaten, Kanzonen, zwei-
iind dreistimmige Arien, Konzerte und Sonaten für ver-
schiedene Instrumente, sowie das Oratorium »Judith<' er-
wähnenswert. Das Hauptwerk Marcellos ist das Psalmenwerk
»Estro Poetico armonico. Parafrasi sopra i primi venti-
cinque salmi. Poesia di Giralamo Ascanio Giustiniani-. Venezia
Domenic. Lovise 1724. Weitere 25 Psalmen von Marcello
erschienen in den Jahren 1726 und 1727. Diese 50 Psalmen
umfassen zwei Bände, die mehrere Auflagen erlebten. Be-
sonders interessant und charakteristisch sind die Vorreden,
welche diesem Psalmenwerke voranstehen. Aufser Andeu-
tungen über hebräische und griechische Musik stellt Mar-
cello die Forderung auf, das Wort überall zu seinem Piechte
kommen zu lassen, unnütze Koloraturen und Wiederholungen
fortzulassen; er giebt geradezu der Melodie vor der Har-
monie und vor dem Kontrapunkte den Vorzug. Die Psalmen
sind für eine, zwei, drei und vier Stimmen geschrieben, denen
eine bezifferte Orgel- oder Clavicembalostimme unterliegt;
einige sind mit obligatem Violoncello, andere mit zwei be-
gleitenden Altviolen. Von Marcello, der wohl als einer der be-
deutendsten Musiker der jüngeren venetianischen Tonschule
zu verzeichnen ist, verflacht sich auf dem Boden Venedigs,
sowie überhaupt Italiens die polyphone Musik, die Allein-
herrschaft des melodischen Elementes nimmt ihren Anfang
und das Virtuosentum im Gesänge sowie auf den Instru-
menten steht schon vor den Thüren der Kirchen, Säle und
Theater. B. Marcellos Kompositionen bestehen aufser den
bereits genannten in Madrigalen, Messen, Misereres, den
Oratorien »Giuditta« und >Gioas« in Intermezzis den Kan-
taten »Timoteo«, »Cassandra«, »La stravaganzi«, »L'addio
di Ettore«, »Clori e Dalisio , den Oi^ern »Calisto in Orsa«,
»Arianna«, >La fede riconnosciuto« u. a. m.
Baldassaro Galuppi, geb. 18. Oktober 1706 auf der Insel
Burano bei Venedig, gest. im Januar 1784 in Venedig. Ga-
luppi, der auch unter dem Namen Buranello bekannt ist,
war Kirchen- und Opernkomponist. Seine Ausbildung er-
60 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
hielt Galupi^i auf dem Conservatorio degli inciirabili in
Venedig unter Lotti. Schon bald trat er als Komponist
komischer Oj)ern auf, auf welchem Gebiete er sich später
besonders auszeichnete und Mozart als Vorbild diente. In
London, wo er von 1741 an weilte, führte er die Opern »Pene-
lope«, »Scipione in Cartagine«, »Enrico« und »Tirbace« mit
grofsem Erfolge auf. Im Jahre 1762 sehen wir Galuppi die
Nachfolge G. Saratellis als Kaj^ellmeister am San Marco in
Venedig antreten. Bis 1765 wirkte er als solcher, um einem
Eufe als Hofkapellmeister nach St. Petersburg Folge zu
leisten. Hier war er für die Einführung italienischer Kirchen-
musik thätig und schrieb seine beiden bedeutendsten Opern
»Dido abandonata« und »Ifigenia in Tauride«, welche aufser-
gewöhnlichen Erfolg hatten. Im Jahre 1768 nach Venedig
zurückgekehrt, wirkte er wie früher als Kapellmeister an
San Marco bis zu seinem Lebensende. Sein grofses Ver-
mögen vermachte er den Armen der Stadt Venedig.
Galuppis Stil ist frisch und natürlich, die Melodie steht
im Vordergrunde, aber dieselbe ist, wie es ja den Italienern
eigen, von hinreifsender Gewalt. Gegen 70 Opern sind A^on
ihm geschrieben neben Motetten, Psalmen und Messen, die
aber bereits die frühere Einfachheit aufgeben und sich im
Stile der Ausdrucksweise der Oper nähern. Von seinen
komischen Opern seien erwähnt: »II mondo alla rovescia«,
»II cavaliere delle piume«, welche überall und häufig auf-
geführt wurden. Von Galupi^is ernsten Opern sind aufser
den bereits genannten noch zu bemerken: »Adriano in
Siria«, »Antigona«, »Attalo«, »II Demofoonte«, »Melita«,
»Montezuma« und »Olimpiade«.
Die jüngere venetianische Tonschule steht bereits schon
stark unter dem Einflufs der Musikbewegung, welche von
Florenz und Neapel ihren Ausgang nahm und ist durch
jene eigentlich erst motiviert. Nur der einheitlichen Dar-
stellung der Musikentwicklung Venedigs wegen sei diese
Vorwegnahme gestattet. Diejenige Stadt Italiens, in welcher
sich so recht eigentlich der Einflufs der Renaissance auf
die Musik geltend machte, ist Florenz; hier wurde am Ende
des 16. Jahrhunderts eine spezielle und neue Kunstgattung^
ein echtes Kind der Renaissance — die Ojoer — das Musik-
2. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Venedig. 61
drama, die opera in musica geschaffen. Die Wiedergeburt
des antiken Geisteslebens in Kunst und Wissenschaft hatte
diesen neuen Musikstil zur Folge; derselbe erwuchs nicht
aus der Polyphonie des Mittelalters, sondern aus der Mo-
nodie, dem Einzelgesang, der i^ersönlichen musikalischen
Redeweise, welche von nun an gegenüber dem Überwuchern
des Kontrapunktes in der Musik in Italien herrschend wurde.
Der modern-subjektive Ausdruck in der Musik gewinnt
gegenüber dem mittelalterlich -objektiven Ausdrucke die
Oberhand in der Musik. Dies soll in den nächsten Kapiteln
behandelt werden.
ria.
3. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Florenz.
Welcher Musikstil wird in der toskanischen Tonschiüe be-
gründet?
Der musikdramatische Stil, der sich im stylo parlante, stylo
representativo — im Recitativ kennzeichnet.
Welche Daten sind bezeichnend für den Stand des geistigen
Lebens in Toskana seit Beginn der Renaissance?
1. Auf dem Gebiete der Architektur in Florenz im 15. Jahr-
hundert: Brunellesco (Kupj)elbau des Florentiner Doms) ;
BenedettoMajano;MichelozzoMichelozzi;Cronaca
und Leon Battista Alberti.
2. Auf dem Gebiete der Plastil<:: Nicolo Pisano verkündet
im 13. Jahrhundert schon inmitten der herrschenden
gotischen Stilepoche das Wesen der antil^en Plastik. —
Donatello huldigt einem starken Naturalismus, und seine
Gestalten stehen im schroffen Gegensatze zu den antilcen
sowie zu den bisher mittelalterhchen. — Giovanni Pisano
(Sohn Nicolas) wendet sich wieder dem mittelalterlichen
Stile in der Plastik zu. — In Luca della Robbias Dar-
stellungen zeigt sich der antike Geist für Plastik, der
schliefslich bei Lorenzo Ghiberti (Thüren des Baptiste-
riums) im schönsten und herrlichsten Lichte erscheint.
3. Auf dem Gebiete der Malerei: Während Cimabue und
dessen Schüler Giotto im streng mittelalterlichen Stile
schaffen, ist Masaccio denselben entgegengesetzt durch
lebensvollere Darstellung der Wirklichkeit; ebenso stellen
Orcagna, Signorelli, FraAngelica,Fra Bartolomeo,
Filippo Lippi und Benezzo Gozzoli ihre Gestalten
dramatisch bewegt dar (der eine mehr, der andere weniger)
und wenden sich auf solche Weise dem Natürlichen und
Lebensvollen zu.
3. Die Musikentwickluiig auf dem Boden von Florenz. 03
4. Auf dem Gebiete des Denkens und Empfindens, welches
durch die Wortsprache zum Ausdruck gelangt: Dante,
der grofse Kritiker seiner eigenen Zeit. Petrarca, der
Begründer wissenschafthcher Philologie und Archäologie.
Boccaccio, der als Erster eine unumwundene Aussprache
der natürhchen Empfindungen und Pvegungen führt, frei
von allem ängstlichen und mönchischen Wesen des Mittel-
alters. — Es seien an dieser Stelle auch noch der grofsen
Männer, die in und um Florenz geboren wurden, gedacht,
wie des Leonardo da Vinci (Schüler von Verochio) und
des Bildhauers Sansovino, ganz besonders aber des
Meisters Michelangelo, als bedeutendster aller italieni-
schen bildenden Künstler nach Seite des energischen und
dramatischen Ausdruckes.
5. Die Universalität des Geisteslebens bedeutender florentiner
Künstler: Giotto, Leonardo da Vinci und Michel-
angelo waren Architekt, Bildhauer und Maler in einer
Person. — Architekten und Bildhauer zugleich waren
Filippo Brunellesco, Giovanni Pisano, Jacopo
Sansovino und Benedetto da Majano. Kunsthisto-
riker, Architekt und Maler in einer Person war Giorgio
Varsari. In Orcagna erblicken wir zugleich den Maler
und Bildhauer, sowie in Benvenuto Cellini den Bild-
hauer und berühmtesten Goldschmied seiner Zeit. Aus
den Sonetten Michelangelos ersteht dieser Meister als
beachtenswerter Dichter und Leonardo da Vinci zeigt
sich durch seine Proportionslehre als tüchtiger Gelehrter;
beide grofsen Männer waren bei all ihrem Kunstschaffen
noch ausübend in der Musik, und es ist Thatsache, dafs
Leonardo da Vinci bei Ludovico Sforza ursprünglich als
Improvisator und Lautenspieler angestellt war. (Galileo
Galilei, derjenige Mann, der die bisherigen Anschauungen
vom Universum ins Schwanken brachte, und das Wort
»Und sie bewegt sich doch!« gesprochen haben soll, war
ebenfalls Florentiner.)
Welche Daten sind aus dem politischen und staatlichen Leben
von Florenz zu merken?
300 jährige Periode der Republik vom Anfange des 13. Jahr-
hunderts. Fehden pohtischer, religiöser und städtischer
64 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Parteien. Befehdungen der Uberti und Buondelmonti. Kaiser
Friedrich II. begünstigte die Uberti und es entbrannte vom
Jalire 1246 ein Kampf der Guelfen und Ghibellinen (der
Kaiserhehen und PäpstKchen oder wie es damals hiefs: der
Neri und Bianchi). Dantes Verbannung aus seiner Vater-
stadt Florenz, weil er sich zur Partei des römisch-deutschen
Kaisers hielt. Erste Hälfte des 16. Jahrhunderts: Florenz
unter Despotie Walthers von Brienne, des Herzogs von
Athen. Vertreibung desselben. Siege der Stadt Florenz
über Nachbarstädte (Pisa u. a.), welche neidisch auf die
Machtentfaltung von Florenz blickten. Seit 1378 tritt die
demokratisch gesinnte Familie der Mediceer in den Vorder-
grund und gewinnt für das gesamte Kulturleben in Florenz
Bedeutung. Unter Cosmos und Loren zo von Medici
findet die höchste Kunstblüte in Florenz statt. Unter Cos-
mos waren thätig und mit ihm befreundet: Brunellesco,
Donatello, Michelozzi, Masaccio und Fra Fiesole. Unter
Lorenzo schufen: Signorelli, Palajuolo und der noch junge
Michelangelo. Cosmos von Medici war der Gründer der
sogenannten platonischen Akademie und griechische Gelehrte,
welche aus Konstantinopel vor den Türken geflohen waren,
lebten unter Protektion der Mediceer in Florenz. Lorenzo
von Medici war Reorganisator der Universität Pisa und
beide — Lorenzo und Cosmos — förderten alles, was zum
Humanismus der damaligen Zeit gehörte, als: Philosophie,
Geschichtsforschung und alle Künste. (Zieht man aus allen
Bestreben im florentinischen Geistesleben ein allgemeines
Resultat, so ergiebt sich dasselbe als: Bruch mit den her-
gebrachten mittelalterlichen Anschauungen, Befreiung des
Menschen von dogmatischen Vorurteilen auf allen Gebieten.)
Charakteristisch für das Sich-Aufbäumen des sterbenden
Mittelalters gegen solche Entwicklungen ist die Gestalt des
fanatischen aber edlen Savanarola, der auf dem Markte
von Florenz sein bekanntes Auto da fe von allem Möglichen
aus Kunst und Wissenschaft, — Schriften, Dichtungen,
darunter auch die des Boccaccio, weltliche Musikhefte, Luxus-
gegenstände, schöne Gewänder, antike Statuen, Musikinstru-
mente — veranstaltete. Der Einflufs der Renaissance, welche
von Florenz selbst ihren Ausgang nahm, macht sich auf
allen Gebieten des geistigen Lebens, und zwar in der Eman-
3. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Florenz. 65
cipation der Anschauungen vom bisher Überkommenen
geltend.
Wie äulsert sich der Einfhifs der Renaissance — der durch
jene Zeit gehende Zug eines neuen Geisteslebens auf dem
Gebiete der Tonkunst?
Die Forderung, Rückkehr zur Natur! welche der Zug der
Zeit an die Künste, wie Skulptur und Malerei stellte (eifrig
bemühten sich die bildenden Künstler in der Renaissance-
zeit, Anatomie zu studieren, um die menschliche Gestalt in
ihrer natürlichen Schönheit und Treue wiederzugeben), trat
auch an die Musik heran; sie hiefs: Streben nach natür-
licher, wirklicher, dramatischer Wirkung — musikalische
Rhetorik und dramatisches Pathos, natürliche Vereinigung
von Wort- und Tonsprache. Kampf gegen den Kontra-
punkt und das aus diesem Kampfe entstehende
Musikdrama waren die Haupterscheinungen. (Florenz
war somit der erste Ort in Italien, an welchem das Zeit-
alter der Renaissance auf die Musik einflufsreich wird. In
Florenz hatten die Niederländer keinen bedeutenden Einflufs
ausgeübt; es herrschten dort hauptsächlich die Anschau-
ungen, welche die Wiedergeburt der Antike und das Streben,
den Dualismus zweier Weltkulturen in einen Monismus auf-
gehen zu lassen, hervorrief, von der Mitte des 13. bis zur
Mitte des 16. Jahrhunderts.)
Wo ist der Ursprung der Schaubühne oder des Theaters, auf
welchem sich das Musikdrama darstellte, zu suchen?
Bei den Griechen und Römern des Altertums sowie im
Mittelalter, und zwar in den Schaustücken dieser Zeit, so-
wohl auf dem Boden der Kirche, als auch aufserhalb der-
selben.
Wo sind die ersten Spuren einer Anteilnahme der Musik bei
scenischen Darbietungen zu beobachten?
In den Mysterien, Passionen und Moralitäten, sowie in den
Schaustücken und Masken spielen, welche im Mittelalter und
in der Frührenaissancezeit an einzelnen Höfen aufgeführt
wurden. (Die Musik bestand, wie in den Oratorien des
Filippo Neri, meist in sogenannten Intermezzi — mehr-
Ritter, Encyklopädie der Musikgeschichte. III. 5
66 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
stimmigen Chören, Madrigalen, welche die Schaustellung
gleich Zwischenakten unterbrachen; vom Sologesang war
noch keine Rede. Als Beispiele seien hier die Aufführungen
von Willaerts »Orfeo« bei Anwesenheit Heinrich HL in
Venedig erwähnt. Wie in seiner »Dido«, so bestand auch
im »Orfeo« die Musik aus fünf stimmigen Chören und war
im Grunde nichts weiter, als jenes Duett von Orlando di
Lasso, das den Streit zweier Personen um den Wein im
Keller durch fünfstimmige kontrapunktisch gesetzte Chöre
ausdrückte. — Ferner sei noch als Beispiel für die Be-
schaffenheit der bisherigen musikalisch -dramatischen Auf-
führungen, Maskeraden oder Intermezzi das Festspiel aus
dem Jahre 1597 gelegentlich der Vermählung des Grofs-
herzogs Francesco L von Toskana mit der Venetianerin
Bianca Capello erwähnt, wie dieselben schon seit der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts üblich waren. Es war dieses
Festspiel eigentlich eine Maskerade, unterbrochen durch
Madrigale, die darum auch »Intermezzi« genannt wurden.
WiQ hiefsen diejenigen Männer, welche als Vorkämpfer des
musikdramatischen Stiles und des monodischen Ausdruckes
in der Musik zu bezeichnen sind?
Giovanni Bardi, Vincenzo Galilei, Pietro Strozzi, Emilio del
Cavalieri, Giulio Caccini, Jacopo Peri und der Dichter Otta-
viano Rinuccini.
Was gab die Anregung zu den Musikreformen, welche im
Hause des Grafen Bardi in Florenz diskutiert wurden?
Das Studium des Plato und des Aristoteles. Das Losungs-
wort, welches Bardi auf Grundlage des dritten Buches der
Platonischen Republik austeilte, hiefs: Musik ist eine Ver-
bindung von Wort, Harmonie und Rhythmus, ohne den
Vers und das Wort zu verderben.
Wie heifsen die schriftlichen Quellen für jene Musikreform,
welche mit dem Ende des 16. und mit dem Anfange des
17. Jahrhunderts anhob?
1. Vorrede zur Oper »Euridice« von Giulio Caccini 1600.
2. Vorrede zur Oper »Euridice« von Jacopo Peri 1600.
3. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Florenz. 67
3. Vorrede zum geistlich-musikdramatischen Werke (Ora-
torium) »deir anima e del corpo« von Emilio del
Cavalieri 1600.
4. Vorrede zur Sammkmg monodischer Gesänge »le nuove
musiche« von Giulio Caccini. (In dieser Vorrede nennt
Caccini den Kontrapunkt geradezu den »Zerfleisch er
der Poesie«. Musik ist für ihn nichts als Tonsprache
und Ehythmus, aber so, dals dem Worte die erste Stelle
gebührt, nicht etwa dem Tone. Der Schwerpunkt der
neuen Bestrebungen wurde auf die Betonung und richtige
Deklamation des Wortes im dramatischen Zusammen-
hange gelegt.)
5. Dialogo della musica antica e moderna von Vin-
cenzo Galilei (Bardi gewidmet) 1581 und 1602. (In
dieser Schrift behandelt Galilei die Musik als Ausdruck
des inneren Empfindens und straft die Musik, welche
nicht den Bewegungen der Seele dient, mit Verachtung.
Am Schlüsse sagt Galilei: »Hat doch selbst das Tier eine
Stimme, um auszudrücken, ob ihm wohl oder wehe ist«.)
6. Vorrede zur Oper »Dafne« von Marco Gagliano 1609.
7. »Pinakotheka« und die »Dialoge« von G. V. Eossi
(Janus Micias Erytraeus).
8. De praestantia musica veteris libri tres, totidem dialogis
comprehensi etc. von G. B. Doni 1647.
Wie hiefsen die ersten Versuche in dem neugewonnenen
Musikstile?
Klage des Ugolino (aus Dantes Hölle) für eine Sing-
stimme mit einem Konzerte von Violen (Melodia a voce
sola sopra un Concerto di Viole), sowie die Lamentationen
desJeremias,in ähnlicher Weise behandelt, von Vincenzo
Galilei. Intermedii e Concerti per la comedia rappresen-
tata in Firenze nelle nozze del sereniss. Don Fernando
Medici e Madame Christiana di Loreno, von Giovanni
Bardi 1591. Ferner wirkten auf serordentlich anregend auf
die Komponisten der damaligen Zeit die monodischen Ge-
sänge, welche Giulio Caccini in seinem Werke »Le nuove
musiche« herausgab. (Siehe auch noch: Domenico
Brunetti aus Bologna: »Euterpe« 1606; Jacopo Peri: »Le
5*
68 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
varie musiche« 1609; Radesca da Foggia aus Turin:
»Canzonette, Madrigali, Arie« 1610; Antonio Brunelli aus
Pisa: »Scherzi, Arie, Canzonette, Madrigali« 1616. In Venedig
schufen durch den neuen Musikstil beeinflulst: Giralomo
Fornaci [»Amorosi respini«], Francesco Capello und
Girolamo Marinoni. In Rom: Dur ante [Arie divote],
Hieronymus Kapsberger [Lateinische Poesien des Papstes
Urban VIII.].)
Wo finden sich in der Musikgeschichte anderweitig Spuren
zum Musikdramatischen?
1. Bei Orlando di Lasso, der z. B. einen Dialog kom-
ponierte, in welchem sich Herr und Diener (allerdings in
kontrapunktisch gehaltenen fünistimmigen Chören) um
den Wein im Keller unterhalten. (Siehe Seite 66.)
2. Orazio Vecchi aus dem Modenesischen komponierte
Musik zu der Komödie »l'Anfiparnasso«.
Welches Haus wurde, nachdem der Graf Bardi vom Papst
Clemens VIII. als »Maestro di camera« nach Rom berufen
war, die Heimstätte der neuen musikalischen Bewegung in
Florenz ?
Das Haus des Jacopo Corsi. (In diesem Hause wurde 1594
das erste musikdramatische Werk, Rinuccinis »Dafne« mit
Musik von Jacopo Peri aufgeführt.)
Wie wurde die erste Oper, oder das Schäferspiel »Dafne« von
Jacopo Peri begleitet?
Mit einem Clavicembalo und einer Laute.
Welche namhaften Opern folgten der Oper »Dafne«?
»Orfeo« und »Euridice« von Caccini und Peri, sowie »La
disperazione di Filano« von E. de Cavaliere.
Wie war die Musik dieser anfänglichen Opern eigentlich be-
schaffen?
Die Musik der ersten Opern bestand aus Recitativen, und
zwar aus Secco-Recitativen (d. h. aus nur mit einem General-
basse versehenen musikalischen Deklamationen), sowie aus
instrumentierten Recitativen.
3. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Florenz. 69
Wann wurde »Orfeo« und »Euridice« mit Musik von Caccini
und Peri zum erstenmale in Florenz aufgeführt?
Im Jahre 1600.
Welches geistliche Drama (Oratorium) kam in demselben Jahre
(1600) in Rom zur Aufführung?
»Dell'anima e del corpo« von Emilio de Cavalieri.
Was war durch die Bestrebungen in Florenz am Ende des
16. Jahrhunderts erreicht?
Der lebensvolle Ausdruck des innen Emi^fundenen durch
die persönliche musikalische Redeweise — der Sologesang
oder die Monodie.
Welcher Faktor fehlte aber noch zur Entstehung einer wahren
musikdramatischen Kunst?
Die freie Ausdrucksweise der Instrumentalmusik, welche
sich erst aus den Banden der Vokalmusik, deren Nachhall
sie gewesen war, befreien mufste.
Welcher Komponist war es, der mit vollem Bewufstsein das
weiter entwickelte, was auf dem Boden von Florenz durch
Peri und Caccini begründet war?
Claudio Monteverde, geb. 1568 in Cremona, gest. 1643
in Venedig. (Monteverde erhebt die italienische Oper über
die ersten schwachen Anfänge.)
Wie heifsen die epochemachenden Opern Monteverdes?
»Arianna« und »Orfeo«.
Wann entstand Monteverdes »Arianna« (Ariadne)?
Im Jahre 1607 auf Grundlage der Dichtung von Rinuccini.
(Die Oper wurde zum erstenmale zur Hochzeitsfeier eines
Sohnes des Herzogs Vincenzo Gonzago mit der Infantin
von Savoyen in Mantua aufgeführt.)
Wann entstand Monteverdes »Orfeo«?
Im Jahre 1608.
70 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Was unterscheidet die Opern Monteverdes von denen seiner
Vorgänger?
Monteverdes Opern hatten bereits Sinfonien, welche damals
und später noch die Einleitungsmusik der Oper bezeich-
neten, ebenfalls Kitornelle und Zwischenspiele für Orchester,
ferner kleine Duette, sodann die Anfänge des ariosen Stiles,
vor allem aber war es Monteverde stets um dramatische
Wahrheit zu thun. Monteverde ist der Begründer des pathe-
tischen Stiles in der italienischen Oper.
Wie heifsen Monteverdes bahnbrechende Neuerungen?
1. Der Bruch mit den alten Tonarten, die bekanntlich melo-
discher Natur waren.
2. Freies Einsetzen der Dissonanz.
3. Erstmaliges Anwenden des übermäfsigen Dreiklanges
und des verminderten Septimenaccordes.
4. Anwendung des Tremolo und Pizzicato der Streichin-
strumente,
5. Definitive Unterscheidung zwischen piano und forte.
Welche Instrumente bildeten den Schwerpunkt des Monte-
verdeschen Orchesters?
Die Streichinstrumente, welche er den Holz- und Blechblas-
instrumenten gegenüberstellte.
Welcher Art verläuft die Jugend Monteverdes?
Monteverde trat als Violaspieler in die Kapelle des Herzogs
von Mantua, studierte bei Ingegneri Komposition und trat
sehr bald als Komponist von Messen und Madrigalen,
welche Bewunderung erregten, an die Öffentlichkeit.
Wie heifsen die übrigen Opern Monteverdes aufser »Arianna«
und »Orfeo«?
»Proserpina rapita«, »Adone«, »Le nozze di Enea e Lavinia«
und »L'incoronazione di Popea« (die letzte Schöpfung Monte-
verdes).
Welche Lebensstellung bekleidete Monteverde?
Monteverde bekleidete die Stellung eines Kapellmeisters an
San Marco in Venedig vom Jahre 1613 an. (In dieser Stellung
Aus Monteverdes „Ariadne"
(Mantua 1608).
Erste Strophe des Klagegesanges der verlassenen
Ariadne.
NB. Es ist dies das einzige Bruchstück, welches aus dieser verloren ge-
gangenen Oper Monteverdes erhalten geblieben ist, das uns diesen Ton-
dichter als Begründer des pathetischen Stiles der italienischen Oper zeigt.
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3. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Florenz. 71
auf dem Boden von Venedig entfaltete Monteverde seine
Hauj)tthätigkeit, unterstützt durch seinen Gönner — den
Senator Moeenigo, in dessen Palaste 1624 Monteverdes »II
combattimento di Tancredi e Clorendi« aus Tassos »be-
freitem Jerusalem« mit Aktion zur Aufführung gelangte.
Die von Giulio Strozzi gedichtete »Proserpina rapita« wurde
zur Hochzeitsfeier der Tochter des Senators Moeenigo auf-
geführt.)
Wodurch ist der Senator Moeenigo (Monteverdes Gönner) be-
sonders noch erwähnenswert?
Weil er es war, der im Jahre 1637 das erste öffentliche Opern-
theater auf dem Boden Venedigs errichtete. (Dies erste
Theater war ein Privatunternehmen, dem mehrere folgten,
so dafs es bis 1699 in Venedig bereits 11 Opern theater
gab, die ihre Namen nach den Kirchen erhielten, in deren
Nähe sie errichtet wurden, z. B. II Teatro di S. Cassiano,
Teatro di S. Giovanni Paolo, Teatro S. S. Apostoli, Teatro
di S. Mose u. s. w.)
Wie heifsen einige Komponisten und Dichter von Opern,
welche zur Eröffnung der genannten Bühnen in Venedig zur
Aufführung gelangten?
1641. Giulio Strozzi, Dichter und Komponist von »Pinta
pazza«.
1649. Marcanton Cesti, Komponist der von G. A. Cicog-
nini gedichteten »Orontea«.
1651. Cavalli, Komponist des von Faustini gedichteten
»rOristeo«.
1661. Castrovillari, Komponist des von Artale gedicht-
teten »La Pasife«.
1670. Pasticcio, Komponist der von G. B. Rodetto ge-
dichteten »Adelaida«.
1677. Domenico Freschi, Komponist der von Aureli
gedichteten »Elena rapita da Paride«.
1678. Pallavicini, Komponist des von Corradi gedich-
teten »Vespasiano«.
1699. Piagnetta, Komponist des von Rossi gedichteten
»Paolo Emilio«.
72 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
1699. Riiggiero, Komponist des von Marchi gedichteten
»l'ingannator ingannato«.
Wann wurde in Florenz das erste grolse Theater für das all-
gemeine Publikum eröffnet?
Im Jahre 1652 (es war dies das »Pergola-Theater«).
In welche Zeit fällt die Gründung einer Opernbühne auf dem
Boden von Neapel?
In die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts; diese Bühne
trug den Namen »Florentiner Bühne«.
Welcher Art sind die Einflüsse der Florentiner Bestrebungen
auf die übrige musikalische Welt?
In Italien machten sich zunächst die Bestrebungen der
Florentiner geltend: auf Rom durch Bardi, Caccini, Cavalieri
(geb. um 1550 in Rom) und Carissimi; auf Parma und Bologna
durch Peris »Dafne« und »Euridice«; auf Mantua, Venedig
und Bologna durch Peri, Monteverde und Cavalli; auf
Neapel durch Cavallis »Giasone«.
Nach Frankreich (Paris) wurde durch Cavalli und Floren-
tiner Operisten, welche Mazarin unter Louis XIII. berief,
der Einflufs der Florentiner Bestrebungen getragen. (Auf-
führung von Cavallis Oper »Xerxes« zur Vermählung
Louis XIV.) LuUy, der Florentiner und Schüler Cavallis
war, befestigt die Florentiner Bestrebungen auf dem Boden
von Paris und wird auf solche Weise Begründer der franzö-
sischen Oper. Lully war es, der auch das komische Ele-
ment in die französische Oper einführte (von ihm ist aufser
den Opern auch Musik, Pantomimen und Tänze zu Molieres
Komödien »Monsieur de Pourceaugnac«, »le Bourgeois
gentilhomme« und »l'amour medecin« geschaffen worden).
Nach Deutschland trug Heinrich Schütz als erster den
musikdramatischen Stil Italiens, indem er 1627 in Torgau
die Oper »Dafne« (nach der Rinuccinischen Dichtung von
Opitz bearbeitet) komponierte und zur Aufführung brachte.
Welche Männer sind aufser Caccini, Peri und Monteverde als
Fortentwickler des neuen Musikstiles zu nennen?
1. Francesco Cavalli, eigentlich Caletto geheifsen, geb.
1600 in Crema im Venezianischen, gest. 1676 in Venedig
3. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Florenz. 73
als Kapellmeister und Organist am San Marco in Venedig.
Von ihm die Opern: »Le nozzi di Teti e di Peleo«,
1639 in Venedig aufgeführt und »Giasone«, welche er
für Neapel schrieb. Cavalli, der von Mazarin nach Paris
berufen wurde, um daselbst Opernaufführungen zu leiten,
führte zur Vermählungsfeier Louis XIV. seine Oper
»Xerxes« auf. Aufser den schon genannten Opern von
Cavalli sind noch erwähnenswert: 1640 »Gli amori
d'Apolline e di Dafne« und »La Didone«. Im Jahre
1651 wurde Cavallis »Giasone« in Florenz aufgeführt,
der dadurch bemerkenswert ist, weil in ihm Stücke mit
dem Worte »Aria« überschrieben sind; überhaupt ist
Cavalli einer der ersten, welche anstatt der bis dahin
ausschliefslich gebräuchlichen Recitative und Chöre Arien
(Soli und Duette) in der Oper einführte.
Cavalli, Sohn eines Kirchenkapellmeisters in Crema,
der sich unter Monteverde in Venedig künstlerisch ent-
wickelte, wo er als Sänger, von 1640 als Kapellmeister
am San Marco wirkte, ging, was Charakterzeichnung der
Personen anbetrifft, weit über seinen Lehrer hinaus. Die
Musik ist bei ihm schon ganz natürliche Sprache der
allerfeinsten Regungen des Menschen geworden; die Un-
gelenkigkeit des monodischen Gesanges ist bei ihm schon
vollständig gebrochen, seine Deklamation ist natürlich
und sprachgemäfs ; dies beweisen die weiblichen Vers-
ausgänge, die nicht, wie bei seinen Vorgängern noch oft
langgedehnt und sprachwidrig deklamiert sind. Von
Cavalli wurden in Venedig von 1639 — 1665 34 Opern zur
Aufführung gebracht; er ist mit dem Römer Carissimi
der Schöpfer des schwungvollen Recitatives, welches
beide auf serordentlich weit entwickelten.
2. Giacomo Carissimi, geb. 1604 in Marino, in der Nähe
Roms, gest. 1674 in Rom als Kapellmeister an St. Apolli-
nare. Er entwickelte mit Cavalli, obgleich beide unab-
hängig von einander waren, das Recitativ mit abwechseln-
der Kantilene, verband die Motette mit der Instrumental-
musik und wurde so eigentlich Oratorienkomponist.
Carissimi wandte den neuen Stil auf die Kantate und auf
das Oratorium an (Cantata di camera). Das Orchester
Carissimis bestand bei seinen Oratorien aus zwei Violinen,
74 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Florenz.
Bals und Orgel oder Clavicembalo, bei seinen Kantaten
nur aus Bafs und Clavicembalo. Carissimi, der das Werk
»ars cantandi« verfalste, schrieb aulser »Concerti sacri«,
Motetten und Messen (5 — 12 stimmige), die Oratorien »Das
jüngste Gericht«, »Salomos Urteil« und »Jephta«.
3. Marc' Antonio Cesti, geb. 1625 in Arezzo, gest. 1670 in
Venedig, war Schüler von Carissimi und wie dieser und
Cavalli Fortentwickler des musikdramatischen Stiles, in-
dem er ebenfalls den ariosen Stil in die Oper einführte.
Aufser Madrigalen und Kantaten schrieb Cesti die Opern:
»Orontea« 1649, »Cesare amante«, »Argene«, »La schiava
fortunata«, »Porno d'ora«, »La Dori« u. a. m. Cesti kompo-
nierte meist für venetianische Bühnen.
Welche Opernkomponisten Italiens sind zwischen 1660 und
1700 noch erwähnenswert?
Pagliardi und Teobaldo Gatti aus Florenz, Frances-
chini, Sibelli, Monari, Tosi, Attilio Ariosti aus Bo-
logna, Melani aus Pistoja, Tomasi aus Commachio, Baz-
zani aus Parma, Grossi im Toskanischen geboren, Eovet-
tino aus Venedig, Molinari aus Murano, Partenio aus
dem Friaul gebürtig und am Ende des 17., Anfang des
18. Jahrhunderts der Florentiner Francesco Conti (von
ihm wurde 1722 mit grofsem Beifall in Hamburg die Oper
»Don Quixote in der Sierra Morena« gegeben).
^
^
4. Die Musikentmcklung auf dem Boden von Neapel.
a) Komponisten der älteren neapolitanischen
Tonschule.
Welcher niederländische Musiker und Musikgelehrter weilte
im 15. Jahrhundert auf dem Boden von Neapel?
Tinctor; derselbe gründete in Neapel, gleichwie Goudimel
in Rom und Willaert in Venedig, eine Musikschule, welche
aber nicht den Aufschwung nahm, noch einen charakte-
ristischen Stil hervorbrachte, wie dies in Eom und Venedig
der Fall war. Tinctor, der sich am Ende des 15. Jahr-
hunderts wieder in die Niederlande zurückwandte, widmete
1477 dem Könige von Neapel einen Traktat über den Kon-
trapunkt.
Welcher bedeutende Musiker tritt uns um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts in Neapel entgegen?
Alessandro Stradella, geb. 1645 in Neapel, gest. 1681 in
Genua. (Stradella wurde ermordet.) Auf Stradella, der
seine musikalische Ausbildung in Venedig erhalten hatte,
war ebenfalls der neugefundene musikdramatische Stil
einflulsreich geworden. Stradella, der als ausgezeichneter
Sänger, Violin- und Harfen virtuose gerühmt wird, kompo-
nierte für die Kirche und für die Opernbühne. Von ihm:
Madrigale, Hymnen, Kantaten und Motetten für eine oder
zwei Stimmen, sowie für Chor mit und ohne Instrumental-
begleitung. 1676 schuf Stradella das Oratorium »Susanna«
für Solo, Chor und Streichinstrumente; ein anderes Ora-
torium ist »Esther«. Musikdramatische Werke oder Opern
von Stradella sind: »Circe«, »Dämon«, »Horatius Codes«,
»La forza dell'Amor Paterno«, welch letztere er 1678 für
Genua schrieb, sowie andere dramatische Handlungen, für
den Hof von Ferrara komponiert. (Stradellas hinterlassene
76 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Werke sind in den Bibliotheken von Neapel, Modena und
Venedig zu finden.)
Welcher Mann ist der Hauptvertreter des Musiklebens auf dem
Boden von Neapel?
Alessandro Scarlatti (Vater des berühmten Klavierspielers
und Klavierkomponisten Domenico Scarlatti.) Alessandro
Scarlatti wurde 1649 in Trapani auf Sicilien geboren und
starb 1725 in Neapel, wo er in der Kapelle der heil. Cäcilia
der Kirche vom Monte santo begraben liegt. A. Scarlatti
hatte sowohl in der Schule G. B. Naninis gelernt, als auch
unter Carissimi in Rom studiert. Nach beendigter Studien-
zeit durchreiste Scarlatti sein Vaterland; sah Bologna,
Venedig, sowie Deutschland, wo er in Wien und München
verweilte. Nach seiner Bückkehr wurde er Kapellmeister
der sich in Neapel aufhaltenden Königin Christine von
Schweden, welche als Gönnerin Scarlattis 1688 starb. Hierauf
erhielt Scarlatti die Stellung eines Kapellmeisters beim
König von Neapel und war aufserdem thätig als Lehrer
der Komposition an den Konservatorien von San Onofrio,
dei Poveri di Gesü Christo and Loreto. Über 1000 Werke
werden dem Allessandro Scarlatti zugeschrieben, darunter
200 Messen, Psalme, Madrigale, Serenaden, Solfeggien in
Duettform, Kantaten für eine Solostimme mit einem unter-
legtem Basse, Oratorien und Opern. Von den Oratorien
Scarlattis seien erwähnt: »Die sieben Schmerzen Maria«,
»Das Opfer Abrahams«, »Filippo Neri«, »Das Martyrium der
heil. Theodosia« und »Die Empfängnis der seligsten Jung-
frau«. Von den Kirchenkompositionen Scarlattis: »Missa
quatuor vocum ad canones«, fünf stimmige Messe mit Or-
chester, die zweichörige (zehnstimmige) Pastoralmesse,
ein vierstimmiges Requiem, »Ave Maria coelorum« für
zwei Soprane mit Orgel, mehrere Misereres, sowie sein be-
rühmtes »Tu es Petrus«, welches doppelchörig ist. 1680
wurde eine der ersten Opern Scarlattis »l'Onesta dell'amore«
vom Florentiner Theater in Neapel aufgeführt; 1693 in Rom
»Teodora«, welche mit der für Venedig komponierten Oper
»II Trionfo della liberta« 1707 in letzterer Stadt ebenfalls
in Scene ging; 1709 in Rom »II martirio di santa Cecilia«;
1715 »Tigrane«, 1716 »Carlo Re d'AUemagne«, beide für
4. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Neapel. 77
Neapel komponiert. Dals sich Scarlatti auch wissenschaft-
lich in seiner Kunst bethätigte, beweist seine Schrift »Dis-
corso di musica soj^ra un caso particolare in arte«. Als
Komponist ist A. Scarlatti noch erwähnenswert in seinen
zwei Büchern Toccaten für Orgel sowie für Clavicembalo,
die manches neue und epochemachende enthalten.
Worin besteht zunächst A. Scarlattis epochemachende Be-
deutung?
Darin, indem Scarlatti das, was Carissimi und andere Kom-
ponisten angebahnt hatten, weiterentwickelte — nämlich die
Arie. Wohl gewahren wir schon bei Cavalli den Ausdruck
»Aria« über einigen melodischen Partien, auch treten melo-
dische Episoden bei Peri, Caccini und Monteverde auf, aber
zu einer bestimmten Form, wie bei Scarlatti, hatte sich das
Arioso nicht gestaltet. Scarlatti war es demnach, der die
eigentliche Kantilene in die Oper brachte. War bei den
Florentinern der musikalische Sprechgesang als der richtige
Ausdruck für das musikdramatische Kunstwerk erkannt
und hauptsächlich die Bedeutung des Wortes in den Vorder-
grund gestellt, so wurde in der von A. Scarlatti begründeten
Oper die Melodie — die Cantilene Herrscherin. Somit ist
A. Scarlatti als Mitbegründer der eigentlichen italienischen
Oper zu betrachten, in welcher das melodische Element
vorherrschend geworden ist
Wie ist die »Arie« Scarlattis beschaffen?
Scarlattis »Arie« besteht aus einem Hauptsatze, Mittelsatze
und der Wiederholung des Hauptsatzes. (Diese Grundform
der Arie erhielt sich als mafsgebendes Schema über hundert
Jahre; siehe die italienischen Komponisten Händel, Gluck,
Haydn und Mozart.)
Worin besteht die weitere Bedeutung A. Scarlattis?
In der Weiterausbildung der Fuge und des doppelten
Kontrapunktes, sowie in der Begründung der italienischen
Ouvertüre. (A. Scarlatti formte dieselbe der französischen
entgegengesetzt, indem er zwischen zwei schnelle Sätze
einen langsamen als Mittelsatz schob. Mozart schrieb in dieser
Form z. B. die Ouvertüre zur Oper »Entführung aus dem
Serail«.)
78 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Welche Instrumente bildeten das Orchester Scarlattis?
Streichinstrumente bildeten das Fundament; von Blasinstru-
menten sind meist Flöten, Oboen und Trompeten angewandt.
(Beispiele sind die Orchesterpartitur zu »Filippo Neri« :
Violinen, Altviolen, Violoncelli, Kontrabässe, Flöten, Oboen
und Trompeten; ferner schrieb er zur Oper »Eraclea«:
Violinen, Altviolen, Violoncelli, Kontrabässe, Flöten, Oboen
und Trompeten. A. Scarlatti war auch wohl einer der ersten,
welcher die Violinen in 1. und 2. teilt.)
Wo findet sich ein Verzeichnis der Werke A. Scarlattis?
In der »Biographie universelle des musiciens« von Fetis.
Ein Bildnis A. Scarlattis befindet sich nach einem Ölbilde, von Soli-
merie gestochen, in »Biografia degli nomini illustri di regno di Napoli<,
Napoli 1819.
Wie hiefsen die berühmten Musiker, auf welche A. Scarlatti
einflufsreich geworden ist?
Durante, Logroscino und sein Sohn Domenico Scar-
latti; auch Porpora wird von einigen als Schüler A. Scar-
lattis genannt, sowie der Deutsche Adolf Hasse, der ein-
flufsreich auf Graun und Naumann wurde. Händel
studierte A. Scarlattis Werke in Rom.
Wodurch ist Domenico Scarlatti musikgeschichtlich be-
deutend ?
Durch die Begründung des selbständigen Klavierstiles, so-
wie durch seine Behandlung des Sonatensatzes für Klavier.
(Domenico Scarlatti setzte an die Stelle des alten ausschliefs-
lich polyj)honen Motetten Stiles den freien, klaviermäfsigen,
homoj^honen zwischen Dur- und Molltonarten wechselnden
Tonsatz.) Domenico Scarlatti, der 1683 in Neapel ge-
boren wurde, war Schüler seines Vaters, später Gasparinis
in Rom und der gröfste Klaviervirtuose seiner Zeit, als
welcher er in Rom, Neaj^el, Venedig, London, Lissabon und
Madrid auftrat. Aufser als Komponist für Klavier wirkte
D. Scarlatti auch als Opern- und Kirchenkomponist. Von
1715 — 1719 fungierte D. Scarlatti als Kapellmeister im
Vatikan, dann wurde er an die italienische Oper nach
London als Cembalist berufen. In London brachte D. Scar-
latti seine Oper »Narcisso« zur Aufführung, ging 1721 nach
4. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Neapel. 79
Lissabon, 1725 auf kurze Zeit nach Rom und Neapel. Von
1729 an lebte Scarlatti bis zu seinem Tode (1757) in Madrid,
wo er Lehrer der Königin wurde.
Wie heilsen die übrigen Tondichter der älteren neapolitaner
Tonschule ?
Gaetano Greco, Emanuele Astorga, Francesco Du-
rante, Leonardo Leo, Francesco Teo, Nicolo Lo-
groscino und Nicolo Porpora.
Wann und wo wurde Gaetano Greco geboren?
Greco, der ein bedeutender Kontrapunktist seiner Zeit war,
wurde 1680 in Neapel geboren.
Wie heilsen die Daten den Komponisten und Sänger Ema-
nuele Astorga betreffend?
Astorga wurde 1681 in Palermo geboren und starb 1736 in
Prag in einem Kloster. Astorga, der seinen Namen nach
einem Kloster trägt, in welchem er erzogen, that sich als
Sänger und Komponist 1704 am Hofe von Parma hervor;
1705 unternahm er eine Reise durch Europa; 1726 soll in
Breslau sein Pastorale »Dafne« zur Aufführung gelangt
sein. Berühmt machte ihn sein »Stabat mater«. (Über
Astorgas Leidensgeschichte siehe Rochlitz »Für Freunde
der Tonkunst«.)
Was ist vom Komponisten Francesco Dur ante zu bemerken?
Francesco Dur ante win^de 1684 in Fratta maggiore im
Neapolitanischen geboren und starb 1755 in Neapel. Durante
studierte bei Aless. Scarlatti und Greco in NeajDcl, sowie bei
Pasquini und Pitoni in Rom und wurde 1742 Lehrer am
Konservatorium von Loreto in Neapel. Hauptsächlich schuf
Durante für die Kirche, denn nur ein einziges Stück
ist aus seiner Jugend für die Bühne zu verzeichnen. Von
Durante sind zu verzeichnen: viele Messen (darunter eine
Missa alla Palestrina), Psalme, Antiphone, Hymnen, Motetten
und Litaneien. Die meisten Sachen komponierte Durante
im a-capella-Stil. Mit Instrumentation sind sein achtstim-
miges »Dixit« und seine 1751 für Rom komponierten Lamen-
tationen, letztere mit einer Begleitung von Violinen, Violen
80 Die Musikentwickliing auf dem Boden von Italien.
und Hörnern. Die Instrumentation Durantes weist schon
auf ein treffliches Instrumentenensemble hin, wie z. B. die
Zusammenstellung von Streichinstrumenten, Oboen, Flöten,
Fagotte, Hörner und Trompeten beweist. Durantes Einflufs
als Lehrer war ein sehr bedeutender.
Wer war Leonardo Leo?
Leonardo Leo wurde im Neapolitanischen 1694 geboren
und starb in Neapel 1746; er war Schüler Alessandro Scar-
lattis in Neapel und Schüler Pitonis in Rom, und wirkte an
den Neapolitaner Konservatorien della Pieti und San Onofrio.
Leo ist Komponist von 40 Opern, welche in der Zeit von
1716 — 1743 entstanden; aufser diesen Opern schrieb er
mehrere Oratorien und Kirchensachen. Unter seinen Kirchen-
sachen, die meist mit reicher Instrumentation versehen sind,
ragt ein achtstimmiges Miserere im a-capella- Stile hervor.
Wer waren die drei letzten Meister der älteren neapolitanischen
Musikbewegung ?
Francesco Feo, geb. 1699 in Neaj^el, war Schüler Domenico
Gizzis und Pitonis in Rom und als Gesangsmeister sowie
als Komponist von Opern und Kirchensachen hervorragend.
1725 schrieb er für Rom die Oper »Impermestra«. (Über
seine Kirchenkompositionen siehe in Reichardts »Kunst-
magazin«.)
Nicolo Logroscino, 1700 — 1763; Schüler Scarlattis und
hervorragender Opernkomponist. Die ausgeprägte Seite
seines Schaffens ist die komische Oper, d. h. die opera
buffa — der opera seria entgegengesetzt. Dies ist der
Grund, weshalb Logroscino auch der Vater der komischen
Oper genannt wird.
Nicolo Porpora, geb. 1685 in Neapel und Schüler daselbst
von Aless. Scarlatti am Konservatorium S. Maria di Loreto.
Porporas Ruhm war gleich grofs sowohl als Komponist für
Opern- und Kirchensachen als auch als Gesangslehrer.
(Unter seinen Schülern befinden sich die gröfsten Sänger
und Sängerinnen des 18. Jahrhunderts, wie Broschi [Farinelli],
Caffarelli, Senesino, die Tosi, Bordoni sowie der Deutsche
Anton Hubert, nach PorjDora »Porporino« genannt.) Porpora
4. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Neapel. 81
weilte, nachdem er am Neapeler Konservatorium gewirkt
hatte, längere Zeit in Wien (1725), in Dresden (1729) und in
London, wo er bis 1736 lebte. Von 1754 an weilte Porpora als
Gesangslehrer in Wien, wo Haydn von ihm lernte. Später
wirkte Porpora wieder in Neapel als Kapellmeister an der
Kathedrale und am Konservatorium San Onofrio und starb
hier 1767. Porjjoras zahlreiche Kompositionen bestehen aus
Messen, Oratorien, Psalmen und anderen Kirchensachen;
ferner ungefähr 50 Opern. Kantaten für eine Singstimme
sowie zwölf Violinsonaten sind als Beispiele des »schönen
Stiles« der neapolitanischen Tonschule zu erwähnen.
b) Komponisten der jüngeren neapolitanischen
Tonschule.
Wie heifsen die Vertreter der jüngeren neapolitanischen Ton-
schule?
Giovanni Battista Pergolese, geb. 1710 in Jesi, gest. 1736
in Puzzuoli bei Neapel. Pergolese war Komponist von
Opern- und Kirchensachen und auf dem Konservatorium
dei Poveri in Neapel unter Greco und Durante gebildet
worden. Berühmt wurde Pergolese durch sein dramatisches
Intermezzo, 1731 für Neapel geschrieben, »La Serva padrona«
und durch sein »Stabat mater«. Von seinen Opern seien
aufser der genannten noch erwähnt: das geistliche Drama
»S. Guglielmo d'Aquitania«, »II frate inamorato«, »II prigio-
niere superbo« und »Lirietta e Tracollo«. Schöne Melodik
und graziöse Begleitung derselben durch das Orchester
sind Eigentümlichkeiten Pergoleses.
Leonardo Vinci, geb. 1690 im Neapolitanischen, war Schüler
unter Greco am Konservatorium dei Poveri in Neapel. Vincis
Hauptschaffenszeit fällt in die Jahre von 1719 — 1730, seine
bekanntesten Opern sind »Iphigenia in Tauride«, »Didone
abandonata«, »Siroe oder Farnace« und »Elpidio«.
Nicolo Jomelli, geb. 1714 in Aversa im Königreich Neapel,
gest. 1774 bei Aversa auf seinem Landsitze; war Schüler
von Durante, Porta, Mancini und Feo, auch Leonardo Leo
soll Jomellis Lehrer gewesen sein. Jomelli ist Komponist
von Kirchen werken und Opern. 1740 wurde Jomelli als
Opernkomponist nach Rom berufen, 1741 wandte er sich
Ritter, Encyklopädie der Musikgeschichte. III. 6
82 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
nach Bologna, um beim Padre Martini Studien zu machen,
sodann lebte er abwechselnd in Neapel, Rom und Venedig.
1745 erhielt er die Stellung eines päpstlichen Kapellmeisters,
und wirkte von 1754 an als Oberkapellmeister des Herzogs
Karl von Württemberg in Stuttgart. 1768 kehrte Jomelli
in sein Vaterland zurück. An Opern sind zu nennen: »Ar-
taserse«, »Ifigenia in Aulide«, »Cajo Mario«, »Eumene«,
»Merope«, »Odoardo«, »Demetrio«, »Armida« und »Demo-
fonte«. Von Kirchensachen, welche aber meist ein theatra-
lisches GejDräge tragen, seien bemerkt: ein achtstimmiges
»Laudate«, ein »Benedictus«, ein Eequiem, ein Passionsora-
torium, sowie ein kurz vor seinem Tode beendetes Miserere.
Jomelli ist besonders bemerkenswert durch die Einführung
der ungleichen Stärkegrade, in dem er seine Zuhörer durch
die gelungene Ausführung eines crescendo mit nachfolgen-
dem diminuendo entzückte.
Nicolo Piccini, geb. 1728 in Bari bei Neapel und gest.
1800 in Passy bei Paris; besonders bekannt durch den
epochemachenden Prinzipienstreit auf dem Gebiete der Oper
mit Gluck in Paris. Piccini studierte unter Durantes und
Leos Leitung in Neapel und errang mit seinen ersten Opern
»Olimpiado«, »Alessandro nell' Indie«, »Radomisto« u. a. m.
einen grolsartigen Erfolg, der seinen Ruhm in Italien,
Deutschland, Frankreich sowie in Petersburg begründete.
1773 begab sich Piccini, von der Königin Marie Antoinette
von Frankreich eingeladen, nach Paris, woselbst er die
italienische Musik zu hohen Ehren brachte; seine Opern
»Roland«, »Atys« und »Phaon« errangen grofsen Beifall,
der jedoch 1779 durch Glucks »Iphigenie in Tauris« ge-
brochen wurde. Nicht nur Gluck sondern auch sein Lands-
mann Sacchini bereitete ihm Niederlagen, und als ihn die
Revolution 1790 um seine Stellung brachte, kehrte er nach
Neapel zurück, erlitt sodann wegen seiner revolutionären
Gesinnung eine vierjährige Gefangenschaft, aus der er,
durch Vermittelung des französischen Gesandten befreit,
1798 nach Paris zurückkehrte, woselbst er mit Bewunderung
empfangen wurde. Kummer, Not und Krankheit waren sein
Los in den letzten Lebensjahren. Im Jahre 1800 schuf
Buonaparte für Piccini eine Inspektorstelle am Konser-
vatorium der Musik in Paris, aber der Tod ereilte ihn im
4. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Neapel. 83
72. Lebensjahre. Piccini hat gegen 150 Opern geschrieben, von
denen noch zu nennen sind: »Cecchina<, »Didon«, »Iphigenie
en Tauride«, »Penelope«, »Griselda« und »II serva padrone«.
Pietro Guglielmi, geb. 1727 in Massa Carrara, gest. 1804
in Rom; studierte in Neapel am Konservatorium diSanLoreto
unter Durante und ist als Komponist von beinahe 80 Opern,
Oratorien, Kirchen- und Instrumentalsachen von Bedeutung.
Guglielmi trat zuerst im Jahre 1755 mit einer komischen
Oper vor die Öffentlichkeit, lebte sodann in Venedig, von
wo aus er 1762 als kurfürstlicher Kapellmeister nach Dresden
berufen wurde. 1772 wandte er sich nach kurzem Aufent-
halte in Braunschweig nach London; 1777 kehrte er nach
Neapel zurück und wurde 1793 als päpstlicher Kapellmeister
nach Rom berufen, wo er 1804 starb. Von seinen etwa
200 Werken sind 60 komische Opern zu verzeichnen, unter
denen »I due gemelli«, »I fratelli«, »La bella pescatrice«
und »La pastorella nobile« erwähnenswert sind. Von den
Oratorien ist »Debora e Sisare« bemerkenswert, aufserdem
seine Serenaden, Intermezzi, Klavier- und Gesangswerke.
Antonio Maria Gasparo Sacchini, geb. 1734 in Puzzuoli
im Neapolitanischen, gest. 1786 in Paris, studierte auf dem
Konservatorium für Musik San Onofrio in Neapel unter
Durante Komposition, unter Forenza Violinspiel, und ist
als Opern-, Oratorien-, Kirchen- und Instrumentalkom-
ponist von Bedeutung. Aufser Messen, Streichtrios, Streich-
quartetten, Sonaten und den Oratorien »Esther«, »St. Philipp«,
»Die Makkabäer«, »Jephta« und »Ruths Hochzeit« seien
Sacchinis folgende Oper erwähnt: »Alessandro nell' Indie«,
(diese Oper trug ihm den Ruf eines Konservatoriumsdirektors
in Venedig 1769 ein), »II Cid«, »Lucio Nero«, »Chimene«,
»Dardanus« und »Oedipe ä Colone«. Sacchini hielt sich
aufser in Italien in Deutschland (Stuttgart, München),
Holland und England auf. Von 1782 an war Sacchini
Komponist der grofsen Oper in Paris. Fetis erklärt Sacchinis
Oper »Oedipus auf Kolonos« für dessen bedeutendstes Werk.
Sacchini ist von Piccini und von Gluck in gewissem Sinne
beeinflufst worden.
Tomaso Traetta, geb. 1727; schrieb u. a. 1750 für das
Theater S. Carlo in Neapel die Oper »La Farnace«, sowie
6*
84 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
für das Teatro d' Aliberti in Eom die Oper »Ezio«. Traetta trat
in die Dienste des Hofes von Parma, wurde Kapellmeister am
Konservatorium d'Ospedaletto in Venedig, wandte sich nach
St. Petersburg, ging von dort nach London, wo er 1779 starb.
Giovanni Paisiello, geb. 1741 in Tarent, gest. nach einem
rühm- und glanzreichen Leben, in drückender Lage und
verbittert, 1816 in Neapel. Paisiello erhielt am Konserva-
torium San Onofrio in Neapel unter Durante, sodann unter
Contumacci seine Ausbildung und reifte zu einem der her-
vorragendsten Opernkomponisten der neapolitanischen Schule
heran. 1776 wirkte Paisiello als Opernkomponist in St. Peters-
burg während acht Jahre, in welcher Zeit u. a. die Opern
»La serva padrona«, »II Barbiere di Seviglia«, »Achille in
Giro« und »La finta amante« entstanden. Von der Kaiserin
Katharina mit Reichtümern überhäuft, kehrte Paisiello nach
Italien zurück. Während eines kurzen Aufenthaltes in Wien
schrieb er die komische Oper »II re Teodoro«, sodann als
Kapellmeister der königlichen Hofkapelle nach Neapel be-
rufen, schrieb er »La Molinara«, »II Zingari in fiera« und
»Nina«. 1799 floh Paisiello mit seinem Fürsten beim Aus-
bruche der Revolution nach Sicilien, wurde A'erdächtigt, an
den Umwälzungen beteiligt gewesen zu sein und wandte
sich deshalb fort und zwar nach Paris, wohin er 1802 von
Napoleon berufen wurde. Bis 1804 wirkte Paisiello auf dem
Boden von Paris, wo heftige Kämpfe mit Gherubini und
Mehul ihm den Aufenthalt unangenehm machten. Er ging
nach Neapel zurück, wo er Direktor des neugestalteten
Konservatoriums wurde; aber durch Verdächtigungen seiner
Person beim bourbonischen Königshause verlor er Stellung
und Pension und starb, 74 Jahre alt, in trüben Verhältnissen
in Neapel. Aufser Kirchenwerken schuf Paisiello gegen
150 Opern. Aufser den bereits genannten sind noch her-
vorzuheben: »La grotta di Trofonio«, »La pazza per amore«^
»Proserpina«, »Das Mädchen von Frascati« und »Die ein-
gebildeten Philosophen«. Neben den Opern schrieb Paisiello
Balletts, Kantaten, zwölf Symphonien, d. h. Ouvertüren, ein
Tedeum, das Oratorium »La j^assione di Gesü Ghristo«,
Streichquartette und Klavierstücke. (Schüler Paisiellos war
der Gesangsmeister Nicolo Vaccaj, geb. 1791 in Tolentino.)
4. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Neapel. 85
Domenico C im a rosa, geb. 1749 in A versa im Neapoli-
tanischen, gest. 1801 in Neapel; studierte am Konservatorium
Santa ^Maria di Loreto von 1761—1772 unter Sacchini und
Piccini, ging 1774 nach Eom, wo er für den Karneval die
Oper »Italiana in Londra« schrieb. Während des sechs-
jährigen Aufenthaltes in Eom schrieb Cimarosa 20 Opern,
von 1780 — 1787 u. a. »Ballerina am ante«, »Olimpiade« und
»II sacrificio d'Abramo^ ging auf Einladung der Kaiserin
Katharina nach Rufsland, kehrte aber 1792 aus Gesundheits-
rücksichten nach Italien zurück. Auf der Heimreise schrieb er
in Wien die bekannte Oper »II matrimonio secreto«. 1793
in Neapel zum königlichen Kapellmeister ernannt, wurde er
durch Intriguen und durch Neider als Revolutionär verdäch-
tigt, in den Kerker geworfen, wo er 1801 verschied. Von
seinen Opern, unter denen die komischen die gelungensten
waren, seien noch erwähnt: »Artemisia«, »Gli Orazi e gli
Curiazi«, »Artaserse« und »La Semiramide«.
Valentino Fioravanti, geb. 1768 in Neapel, gest. 1837
auf Capua. Von ihm, der mehrere Jahre päpstlicher Kapell-
meister war, sind viele komische Opern geschrieben, u. a.
»Die Dorfsängerin«.
Welche namhaften Opernkomponisten entwachsen aufser den
bereits genannten dem Boden Neapels in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts?
Christofero Caresana, geb. 1655; Giuseppe Porsile,
geb. 1672; Francesco Mancini, geb. 1674; Carlo Con-
tumacci; Domenico Sarti, geb. 1678; David Perez
(Spanier); Francesco Ciampi; Giuseppe di Majo, geb.
1698, sowie dessen Sohn Ciccio di Majo, geb. 1745; Pietro
Domenico Paradies (Schüler Porporas); der Malteser
Avossa; Pasquale Caffaro; Tomaso Carapella; Ales-
sandro Speranza, geb. 1728; Fedele Fenaroli, geb. 1732;
Nicolo Sala und Terradellus (Schüler Durantes).
Was war durch die Bestrebungen, wie sie auf dem Gebiete
der Oper dem Boden Neapels entstammen, für die Musikent-
wicklung entschieden?
Die Weltherrschaft der Oper und deren Stil auf allen Ge-
bieten der Tonkunst; sogar der Opernstil wurde in die
86 4. Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Kirchenmusik hineingetragen und erst im 19. Jahrhundert
aus derselben durch die Bestrebungen des »Cäcilianismus«
(Fr. X. Witt) wieder entfernt. Wie seit A. Scarlattis Zeit
Neapel als der Ort des Musil^studiums für einen jungen
Musiker galt, so wurde durch die neapolitanische Tonschule
die italienische Oper, Ende des 17., im 18. und der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschend, durch Deutschland,
Frankreich, England, RuCsland und Skandinavien getragen.
Die Neapolitaner sind als Ausbildner der sogenannten
Arienform sowie des vielstimmigen Finales anzusehen. Vor
allem hatte die Melodie die Herrschaft über alle anderen
Faktoren, welche die Musik ausmachen, angetreten. So ist
in dieser Oper, wie sie auf dem Boden von Neapel entstand,
nur wenig mehr von den Bestrebungen, wie sie auf dem
Boden von Florenz in Bezug auf das »Drama mit Musik«
entstanden, zu erblicken. Dies war erst Gluck im 18. Jahr-
hundert und Richard Wagner im 19. Jahrhundert vorbe-
halten. An ein »Musikdrama« wurde bei der nunmehr ent-
standenen »Oper«, welche ganz andere Wege ging, gar
nicht gedacht. Der Gesang, die Melodie (nicht das Wort
oder die Handlung) waren nunmehr die Hauptsache des
musikalischen Kunstwerkes auf der Bühne, welches den
Namen »Oper« erhielt. Die italienische Oper, welche die
dramatische und lebensvolle Entwicklung der einzelnen
Charaktere einbüfste, wurde schlief slich nur noch eine Zu-
sammenstellung von Gesangsnummern, die meist durch
die Anzahl von Stimmen, aus welchen sie bestanden,
unterschieden waren, und nur Arien und Kantilenen, in
denen Sänger sich als Virtuosen zeigen konnten, bildeten
in den italienischen, sowie in den von anderen Nationali-
täten nach italienischem Muster oder in italienischer Manier
komponierten Opern, das Hauptinteresse. Ein wichtiges
Moment aber ist die an der Hand der italienischen Gesangs-
virtuosität, wie sie sich in der Oper entwickelte, die Aus-
bildung der Instrumentaltechnik. Vor allem war es die
Violine, die von der Sopranstimme, wie sie in der Oper ver-
wendet wurde, lernte. Dies wurde auch entscheidend für
die übrigen Instrumente, die bisher in ihrer Anwendung
nur der Nachhall der Vokalmusik gewesen waren.
^^'^^S'^^S'^^
5. Bedeutende musikalische Theoretiker auf dem Boden
von Itahen im 15., 16. und 17. Jahrhundert.
Johannes Tinctor, auch Tinctoris genannt. (Nach Edmund
Vanderstraeten m dessen »La Musique aux Pays-Bas« ist
der ursprünghche Name dieses Niederländers »Jean de
Vaerweres«, weshalb bei der Latinisierung häufig der Genetiv
»Tinctoris« auftritt, um das »de« oder niederländische »van«
auszudrücken.) Nach Johannes Trithemius in dessen »Cata-
logum illustrium vivorum« ist Tinctor in der brabantischen
Stadt Nivelles gegen 1435 geboren, nach Vanderstraeten in
Poperinghe (West-Flandern) im Jahre 1446 und gest. 1511
als Kanonikus in seinem Vaterlande. Der Niederländer
Tinctor ist Begründer der ersten öffentlichen Musikschule
in Italien auf dem Boden von Neapel; es geschah diese
Gründung auf Anlafs des Königs von Neapel und Sicilien,
Ferdinand von Aragonien, bei welchem Tinctor als Capellanus
oder Kaj^ellmeister in Neapel wirkte. Als Komponist exi-
stieren von ihm zwölf dreistimmige Motetten und ein »Deo
gratias« für fünf Stimmen mit Zugrundelegung einer gre-
gorianischen Kirchenmelodie. Als Musikschriftsteller hat
Tinctor für das Studium der mittelalterlichen Musik hoch-
bedeutende Werke verfafst. Vor allem sei sein musikalisches
Lexikon »Terminorum musicae Diffinitorum« genannt, wel-
ches er Beatrix von Aragonien, Königin von Ungarn, wid-
mete; in demselben sind sämtliche im 15. Jahrhundert
gebräuchlichen musikalisch-technischen Ausdrücke erklärt.
Dieses wichtige Werk, von dem Forkel ein Exemplar in
der Herzoglichen Bibliothek in Gotha und Burney eines in
der Bibliothek zu Paris auffand, ist nicht nur das erste
Werk seinesgleichen, sondern auch wohl das älteste im
Druck erschienene Buch über Musik. H. Bellermann über-
setzte dasselbe ins Deutsche. Padre Martini führt in dem
88 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Autoren-Verzeichnisse seiner »Storia della miisica« (3 Bände
1757 — 81) folgende musiktheoretischen Werke Tinctors an:
1) »Tractatus musicae«. 2) »Explanatio manus«. 3) »De
tonorum natura ac proprietate« (am 6. Nov. 1476 beendet).
4) »De notis ac pausis«. 5) »De regulis, valore, imperfectione
et alternatione notarum«. 6) »De arte contrapuncti« (1477
beendet und dem Könige von Neapel gewidmet). Nach An-
gabe von J. Trithemius kommen noch hinzu: 7) »De origine
musicae« und 8) »Epistolae complures«. Von Wichtigkeit
ist besonders Tinctores Werk »Proportionale musices«, wel-
ches in drei Büchern von den Mensuralnoten handelt. —
Zum Schlüsse sei hier noch der Artikel von Trithemius aus
dessen »Catalogum illustrium vivorum« über Tinctor mit-
geteilt: »Johannes Tinctor aus Brabant, geboren in der Stadt
Nivelles und an der Kirche derselben Stadt Canonicus,
beider Rechte Doktor, ehedem Oberkapellmeister und Kantor
des Königs Ferdinand von Neapel, hochgelehrt in jeder
Beziehung, ein grolser Mathematiker, ausgezeichneter Musi-
kus, von feinem Geist und gewandter Beredsamkeit, schrieb
und schreibt viele vortreffliche Werke, wodurch er sich bei
der Mitwelt nützlich, bei der Nachwelt berühmt macht. Von
diesem habe ich nur folgende gefunden: in der Musik drei
Bücher über den Kontrapunkt, dann ein Buch über die
Töne, endlich ein Buch über den Ursprung der Musik. Er
hat ferner eine Anzahl ausgezeichneter Briefe an ver-
schiedene geschrieben, er hat eine Darstellung gemacht,
worin er alle alten Musiker zusammenfafst und Jesum
Christum als den gröfsten Sänger genannt hat. Er lebt
noch in Italien, wo er über verschiedenes schreibt, in einem
Alter von ungefähr 60 Jahren. — Geschrieben unter der
Regierung des Königs Maximilian im Jahre des Herrn 1495,
im dreizehnten Indiktionsjahre« (d. h. vor dem 1. Sept. 1495).
Heinrich Glarean, eigentlich Heinrich Loris (Loritus a
Glarea oder auch Glareanus) genannt, war 1488 im Kanton
Glarus in der Schweiz geboren und starb am 28. Mai 1563
in Freiburg i. Br., wo er öffentliche Vorträge über Litteratur
und Geschichte hielt. Seine praktische und theoretische
Ausbildung erhielt er von Johann Cochläus. Seit 1515 lehrte
Glarean in Basel Mathematik, von Erasmus nach Paris be-
5. Bedeutende musikalische Theoretiker. 89
rufen, hielt er daselbst Vorlesungen über Philosophie und
schöne Wissenschaften, kehrte sodann nach Basel zurück,
von wo ihn 1529 die religiösen Unruhen nach Freiburg i. Br.
vertrieben, in welcher Stadt er bis zu seinem Tode lebte
und wirkte. Von ihm: »Isagoge in musicien« (Basel 1516),
welches Werk von der Solmisation, Mutation, von den Inter-
vallen und den Tonarten handelt. Epochemachend wirkte
Glarean aber durch sein Buch »Dodecachordon« (Basel 1547).
In dem «Dodecachordon« stellt Heinrich Glarean
als erster die Lehre von den zwölf Tonarten auf,
gegenüber den bisher ausschliefslich gebräuchlichen
acht Kirchentönen, wodurch bekanntlich ein grofser
Schritt in der Musikentwicklung weiter gethan
wurde. Das Werk, welches in drei Bücher zerfällt, be-
handelt im ersten die Lehre von den acht Kirchentönen,
auf welche sich damals die meisten Komi^ositionen be-
schränkten; im zweiten Bande stellt Glarean durch Hinzu-
nahme von C Jonisch und A Äolisch seine zwölf Oktaven-
gattungen auf, und im dritten Bande wendet er selbige auf
die Harmonie und auf die Mensuraltheorie an. In diesem
Werke, von dem ein Auszug «Musica epitome ex Glareani
Dodecachordo« (Freiburg 1577) erschien, sind Kompositions-
beispiele von Ockenheim, Hobrecht, Josquim des Pres ent-
halten. Schliefslich sei von Glareanus noch dessen Ausgabe
der Werke des Boethius, die aber erst 1570 veröffentlicht
wurde, zu erwähnen.
Gleichwie Glarean ist als Musiktheoretiker dieser Zeit
hochbedeutend :
Giuseppe Zarlino, geb. 1517 in Chioggia, gest. am 4. Febr.
1590 in Venedig. Obwohl für den geistlichen Stand be-
stimmt, hat Zarlino, der seine Erziehung in einem Kloster
in Chioggia genofs, nicht nur theologischen, philosophischen,
astronomischen, philologischen, sondern vor allem musi-
kalischen Studien obgelegen. Zarlino wirkte vom Jahre 1565
an als Kapellmeister an San Marco in Venedig und hat
mehr noch wie als Komponist als Musiktheoretiker eine
ganz hervorragende Bedeutung für die Musikentwicklung.
Von seinen Kompositionen seien erwähnt: Drei Sammlungen
Vokalkomi^ositionen, die geistlichen Inhaltes sind und
90 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
zwischen 1549 — 1563 erschienen. (Jetzt nebst einer 1551 bis
1556 in Nürnberg veröffenthchten Sammkmg im Besitze der
Königl. BibHothek in München.) Ferner die durch seinen
Schüler Philipp Jnsbert (Usbert) in Venedig 1566 bei Franz
Rampazzoto unter dem Titel »Modulationes sex vocurn«
herausgegebene Sammlung, deren Gesänge als erklärende
Beispiele zu Zarlinos »Institutionen« dienen sollten, wie das
an die Prokuratoren von San Marco gerichtete Vorwort
besagt. Auch verherrlichte Zarlino die am 7. Oktober 1571
in Venedig stattgehabte Feier des Seesieges der Venetianer
über die Türken bei Lepanto musikalisch. Schlielslich ist
noch der im Madrigalstile jener Zeit musikalisch illustrierten
Tragödie »Orfeo« von Zarlino zu gedenken, welche zu
Ehren der Anwesenheit Heinrich III. in Venedig zur Auf-
führung gelangte.
Mehr aber als Zarlinos Vokalkompositionen, die den
strengen Tonsetzer offenbaren, sind seine musiktheoretischen
Werke von Bedeutung. Geradezu bahnbrechend wurde das
in drei Teile zerfallende Werk »Istituzioni harmoniche«
(Venezia 1558, zweite Auflage 1562, dritte Auflage 1573).
Diese hervorragende Arbeit Zarlinos behandelt den Ursprung
und die Aufgabe der Musik, ferner die Natur der Intervalle,
die ihnen zu Grunde liegenden Zahlenverhältnisse und die
Tongeschlechter.
Den Institutionen folgte im Jahre 1571 »Dimostratione
harmoniche, divise in cinque ragionamenti etc.« Dieses
Werk ist deshalb von Bedeutung, weil in demselben Zar-
lino das nach ihm benannte reine diatonische Ton-
system aufstellte und die gleichschwebende Tempera-
tur aufstellte, welche als Grund und Boden der modernen
Musik anzusehen ist. Zarlino zerstörte das Pj'thagoräische
System von den Tonverhältnissen, nach welchem man in
Quinten stimmte und in einer Folge von zwölf Quinten von
C ausgegangen ein His erhielt, das um das kleine Intervall
73 : 74 höher ist als C. Nach abwärts erhielt man Deses,
welches um den gleichen Tonabstand tiefer ist (73 : 74) als C.
Durch Zarlinos diatonisches System wurde auch das komi^li-
zierte Verhältnis der Terz zum Grundtone, die deswegen
seither mit Recht als Dissonanz galt, aufgehoben und auf
solche Weise der Ausbildung der mehrstimmigen Musik
5. Bedeutende musikalische Theoretiker. 91
aiilserordentlicher Vorschub geleistet. Von mm an und in
aller Folge erscheint die Terz als Konsonanz. Auf Grund-
lage des Vergleiches der Tonreihen des Didymus und des
Ptolomäus und des schon diesen altgriechischen Theoretikern
bekannt gewesenen Unterschiedes zwischen dem grolsen
und kleinen Ganztone, schuf Zarlino einfacherere Zahlen-
verhältnisse der einzelnen Töne zum Grundtone, die heute
noch ihre Gültigkeit besitzen.
Altes Zahlen Verhältnis der Töne:
C D E F G
A
B
H
c
Schwingungszahlen: 1 '7s ^^Ui ^Is '^U
'^L.
16'
/n
213 ;
/l2S
2
Intervall: «/s 'U '''Uis 7s 7s
7s
2
•'«/,
Zarlinos Zahlen Verhältnis der Töne:
C D E F G
A
B
H
c
Schwingungszahlen: 1 ^/g 7* ^/s 72
7.
16/
19
15/
/s
2
Intervall: 9/, -% ^«/,, 7^ ^% \ ^7i5
Das dritte Hauptwerk Zarlinos erschien 1588 in Venedig
unter dem Titel: »Sopplementi musicale etc.« bei Fran-
cesco de' Franceschi und wurde zu dem Zwecke verfafst,
die Angriffe, welche Zarlinos Berechnungsweise der Inter-
valle erlitt, zu zerstreuen. Namentlich richtete es sich gegen
seines Schülers Vincenzo Galileis Werk: »Dialoga della
musica antica e deUa moderna«. Zwei weitere Schriften
Zarlinos, die aber bis jetzt nicht aufgefunden wurden, deren
er aber in seinem »Sopplementi« Erwähnung thut, sind: »De
re musica« und »Melopeo o musico perfetto«. Eine im
Korridor des Dogenpalastes von Venedig aufgestellte Büste
von Zarlino, nach einer bei Lebzeiten geprägten Medaille,
ehrt das Andenken dieses grofsen Mannes, der in der
Gruft der Kirche San Lorenzo begraben liegt.
Anknüpfend an die von Zarlino aufgestellte gleich-
schwebende Temperatur oder temperierte Stimmung
und das mit ihr eingeführte moderne System der Dur- und
Moll-Tonart mufs gesagt werden, dafs durch dieselbe erst die
Musik entwicklungsfähig gemacht worden ist im Gegensatz
zur absolut reinen Stimmung. Wir musizieren nun aber
nicht nach physikalischen Gesetzen, sondern nach ästhe-
tischen. Die Wissenschaft hat für jeden Ton die Anzahl
92 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
seiner Schwingungen in der Sekunde festgestellt, und man
wird darnach z. B. den Ton as als höheren, gis als tieferen
erklären. Nun ist aber im musikalisch-ästhetischen Hören as,
wenn es als Leiteton nach unten gebraucht wird, der tiefere
und gis, wenn es als Leite ton nach oben angewendet wird,
der höhere Ton. Der Ton, physikalisch betrachtet, ist etwas
absolut Alleinstehendes, musikalisch gehört, ist er dieses
nicht. Man braucht nur eine Melodie verschieden zu har-
monisieren, um zu dieser Erkenntnis zu kommen; die Töne
der Melodie erscheinen dem Ohre bei verschiedener Har-
monisation in ganz anderer Weise. Die Absicht der abso-
luten (physikalisch reinen) Stimmung ist eine ganz andere
als die musikalisch-ästhetische. Für jene hat jeder Ton
seine bestimmten Schwingungen, für diese ist er bald Grund-
ton, Leiteton nach oben oder nach unten und erhält erst
eine ästhetische Bedeutung. Wir müfsten, wollten wir ge-
nau sein, unsere Oktave in vielmehr Tonintervalle als in 12
teilen, wenn wir nicht musikalisch richtig hören würden
auf Grundlage der temperierten Stimmung. Musikalisch
hören ist eben ein kultiviertes Hören. Die Orientalen haben
für die Teilung der Oktave in Halbe-, Viertel-, Drittel- und
Fünftel-Töne das arabisch-persische Tonsystem nach den
Grundsätzen des Abdul Kadir, des berühmten persischen
Theoretikers im 14. Jahrhundert, wie es Prof. Dr. Riemann
in seiner »Populären Darstellung der Akustik«, Braun-
schweig 1896, Seite 119 u. 120 mitteilt. Die Oktave ist hier
durch die folgenden 18 Tonstufen gegeben: C -Des -Des -
D; aber DwD-Es-E^E-F-Ges-G^G-As-A^A-B-
H-cc. Wo das Zeichen -zwischen zwei Tönen steht, be-
trägt die Stufe ein pythagoreisches Limma -'"'^j^is und wo
das Zeichen ^ steht, beträgt sie nur ein Komma ^' /§„. Das
Limma beträgt nahehin ^Z^, das Komma ^5 des natürlichen
Halbtones ^^is- Streichquartettisten, Bläser und Chorsänger
bringen nun bei unserer heutigen temperierten Stimmung
diese feinen Abstufungen der Töne (je nachdem sie Grund-
töne und Leitetöne sind) klar zu Gehör und Fr. Th. Vischer
hat Recht, wenn er sagt: »Niemand rede von wahrer Bil-
dung, der ungebildete Sinne hat. Wie aber ist das Sehen,
das geistige, nicht blofs das mechanische bei uns vernach-
lässigt. Wer von uns versteht die Kunst des freien, klaren.
5. Bedeutende musikalische Theoretiker. 93
absoluten Sehens? Zahllos sind die Beispiele, die man als
Beweis dieses unkultivierten Sehens anführen könnte. Wie
sieht der Laie, wie sieht dagegen der Künstler!« — Das-
selbe kann auch vom Hören gesagt werden. Wie hört der
Laie und wie hört der Künstler, Um künstlerisch hören zu
lernen, ist es notwendig, Harmonie- und Modulationslehre
zu studieren, und die mannigfachen verwandtschaftlichen
Beziehungen der Accorde verschiedener, selbst der ent-
ferntesten Tonarten kennen zu lernen. Das temperierte
Tonsystem allein ist hierzu befähigt und — das ist eine
Schöpfung Zarlinos.
Giovanni Maria Artusi, Kanonikus von San Salvatore in
Bologna, wirkte am Ende des 16. und am Anfange des
17. Jahrhunderts. In seinem Werke »L'arte del contrapunto
etc.<^ (Venezia 1589) finden sich zum ersten Male die Regeln
vom Generalbasse und vom Kontrapunkte zusammengetragen
und ausführlich dargelegt. Das zweite wichtige Werk ist be-
titelt: »L'Artusi, overo delli imperfettione della moderna
musica, raggionamenti dui, nei quali si ragiona di molto
cose utili e necessarie ai moderni comj^ositori« (Venezia
1600) und enthält die Beschreibung der damals gebräuch-
lichen Musikinstrumente, behandelt die damals streitigen
Punkte der Harmonielehre und eifert gegen die Neuerungen
Claudio Monteverdes in der Musik.
Tigrini, lebte als Stifts- oder Domherr in Arezzo in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts; sein musikalisches
Lehrbuch hatte den Titel: »Compendio della musica,
nel quäle brevemente si tratta dell' arte di contrapunto.
Diviso in quattro libri«. (Venezia 1588, appresso Ricciardo
Amadino in 4^ 136 Seiten. Zweite Ausgabe, Venedig 1602.)
Auch gab Tigrini ein Buch Madrigale heraus: >I1 primo
libro de Madrigali a 6 vocci«. (Venezia, app. Angelo Gar-
dano 1582, in 4« obl.)
Fra Ludovico Zacconi, geb. Mitte des 16. Jahrhunderts in
Pesaro. Als Augustinermönch war er Chordirektor dieses
Klosters und trat 1593 als Sänger in die Kapelle des Erz-
herzogs Karl von Österreich, sowie 1595 in gleicher Eigen-
schaft in die Kapelle des Kurfürsten von Bayern, von wo
94 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
er nach Venedig zurückgekehrt semsoll. Sein Werk »Pra-
tica di Miisica«, Parte L, Venezia 1592, Parte IL, Venezia
1622, gehört mit zu den trefflichsten Quellen werken aus
dieser Zeit. Es behandelt die Anfangsgründe der Musik,
giebt bestimmte Regeln der musikalischen Komposition, den
jeweiligen Stand und die Fortschritte der Musik, sowie die
Beschreibung der damals gebräuchlichen Instrumente. (U. a.
giebt Zacconi die ganze Tonleiter der Violine von g — b-
an, wonach also ein Lagenspiel auf diesem Streichinstru-
mente in jener Zeit ausgeschlossen war.)
Francesco Patrizzi (Ende des 15. und Anfang des 16. Jahr-
hunderts), Bischof von Gaeta, nach den einen in Siena, nach
anderen in Cherso (Dalmatien) 1529 geboren, gest. 1580.
Von ihm: »Arithmetica, Geometria, Musica et Astronomia«,
sowie das Buch »De Regno et Regis institutione libri IX«
(Paris 1580), welches im 15. Kapitel von der Musik, deren
Nützlichkeit und Einflufs auf die moralische Erziehung
handelt. Patrizzi stellt sich noch vollständig auf den alt-
griechischen Standpunkt in Bezug auf Tonverhältnisse.
Ercole Bottrigari, geb. 1531 in Bologna, gest. daselbst am
30. Sept. 1612. Von ihm, als Gegner der philosophischen
und musikalischen Prinzipien des Aristoxenos, eine Streit-
schrift gegen Francesco Patrizzi: »II Patrizzio, ovvero de'
tetracordi armonici di Aristosseno etc.« (Bologna 1583);
ferner: »II desiderio, ovvero de' concerti di varii stromenti
musicali etc.< (Venezia 1594), welche er unter dem Pseudo-
nym Alemanno Benelli herausgab. Aufserdem finden sich
handschriftlich von Bottrigari Übersetzungen altgriechischer
Musikschriftsteller ins Italienische vor. Siehe »Teatro d'huo-
mini letterati« (P. IL p. 171), sowie >Tevo nel musico testore«
(P. L C. 20, p. 28).
Franchino Gaforio (auch Franchinus Gafurius, Gafori oder
Gaforus genannt), war in Lodi am 14. Januar 1451 geboren
und am 25. Juni 1522 als Lehrer der Chorknaben und als
Domsänger in Mailand gestorben. In Mantua und Verona
machte er nach erhaltener Priesterweihe seine musiktheo-
retischen Studien und begab sich nach Genua, sowie nach
Neapel, wo er mit J. Tinctor, Gull. Garnerius, Beruh. Hycaert
5. Bedeutende musikalische Theoretiker. 95
verkehrte und mit Filippo Bononio (Philippus von Caserta)
öffentliche Disputationen über Musik abhielt. Nach Lodi
zurückgekehrt, erhielt er von dort aus die Stellung eines
Chordirektors in Monticello, wirkte sodann als Kirchen-
sänger und Musiklehrer in Bergamo, bis er 1484 seinen
letzten Posten als Domsänger und Lehrer der Chorknaben
am Dom zu Mailand bezog. Von ihm: 1. »Clarissimi et
praestantissimi musici Franchini Gafori Laudensis theoricum
opus musicum disciplinae« (Napoli 1480). Umgearbeitet er-
schien dieses Werk in Mailand 1492 und enthält Abhand-
lungen über die griechische Tonalität, sowie über die Gui-
donische Solmisation. 2. »Pratica musica sive musicae
actiones in 4 libris« (Milano 1496). Spätere Ausgaben er-
schienen 1502 u. 1512. Dieses Werk behandelt den Cantus
planus, die Notation, den Kontrapunkt, die Proportion, das
Tempus u. a. m.*) 3. »Angelicum ac divinum opus musice
Fr. Gafurii Land., regii musici ecclesiasque Mediolanensis
phonasci: materna lingua scriptum etc.« (Milano 1508).
4. »Fr. Gafurii Laud., reg. mus. publice profitentis delubrique
Mediolanensis phonasci: de harmonia musicorum instru-
mentorum opus etc.« (Milano 1518). 5. »Apologia Fr. Gafurii
adversus Joannem Spatarium et complices musico Bono-
nienses« (1520).
Vincenzo Galilei, geb. um 1540 in Florenz, mit Girolamo
Mei ein eifriger Verfechter einer Wiederherstellung der
Musik nach altgriechischen Prinzipien, war guter Sänger
und Lautenspieler und hatte seine Musikstudien bei Zarlino
gemacht, gegen dessen streng kontrapunktisches Harmonie-
system er sich in folgendem Werke wandte: »Discorso
intorno all' opere di Zarlino« (Firenze 1581). Dieser Ab-
handlung folgte: »Dialogo della musica antica e moderna,
in sua difesa, contra Giuseppe Zarlino« (Firenze 1581, 1602).
Das erste Buch, das Galileis Namen begründete, hiefs: »II
Fronimo, dialogo so^^ra l'arte del bene intavolare e retta-
mente, suonare la musica negli strömen ti artificiale, si di
corde come di fiato et in particolare nel liuto« (Venezia
1569, 1583).
*) In der Proskeschen Sammlung befindet sich von beiden Werken
eine Ausgabe, betitelt: »Musica utriusque cantus practica« (Brixen 1497).
96 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Galileo Galilei, geb. 18. Febr. 1564 in Pisa, gest. 8. Jan. 1642
in Florenz, gab in seinem Werke »Discorsi e dimostrazioni
matematiche« (Firenze 1638) Aufschliils über die Schwin-
gungen der Saiten, über die Natur und die Verhältnisse der
Töne, über die Fortpflanzung des Schalles u. a. m. Das
Werk befindet sich auch in 2 Bänden seiner gesammelten
Schriften (Bologna 1655).
Michele Angelo Galilei, geb. im Anfange des 17. Jahrhunderts
als Verwandter der beiden Vorgenannten, war Lautenspieler.
Ihm wird die in Ingolstadt 1620 erschienene Lautentabu-
latur zugeschrieben.
Cf3Cf3(:^Cj3Cf3[t]Cf3Cf3[t3Cj3Cj3Cf3Cf3
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik,
vornehmlich in Italien, vom 16. Jahrhundert an.
(Die ersten Anfänge der Instrumentalkomposition in der römischen und
venetianischen Tonschule, die Laute, die Blasinstrumente, die Anfänge der
Orgel- und Klavierkomposition, die Geige, sowie die Entwicklung der »Sonate«
durch die höhere Ausdrucksfähigkeit des Klaviers und der Geigen-
instrumente.)
Wie erscheint die Instrumentalmusik, soweit sie als Kunst in
Betracht kommt, in ihren ersten Anfängen?
Als vollständiger Nachhall der Vokalmusik. — Man schrieb
für Musikinstrumente, deren Bau und Ausdrucksfähigkeit
sich vom frühen Mittelalter bis hinauf in die Renaissance-
zeit nach und nach entwickelt hatte, gerade so wie für die
menschlichen Stimmen. Bewiesen wird dies durch eine
Menge von Musikstücken aus dem Bereiche der absoluten
Instrumentalmusik jener Zeit, in welcher sie sich noch in
den ersten Anfängen befand. (Siehe hierüber die Musik-
beilagen zu W. J. V. Wasielewskis Büchern »Die Violine im
17. Jahrhundert« und »Geschichte der Instrumentalmusik
im 16. Jahrhundert«.) Was vorher an Instrumentalmusik
existierte, diente keineswegs einem höheren künstlerischen
Ausdrucke. Meist sind es Tänze und Märsche, sowie schlichte
Begleitungen zu Liedern und Gesängen, die uns entgegen-
treten. Um auf künstlerische Bedeutung Anspruch zu
machen, mufste die Instrumentalmusik bei der durch die
Völker des Nordens (Niederländer) und Italiener zur Kunst
erhobenen mehrstimmigen Vokalmusik erst in die Schule
gehen.
Bei welchen Komponisten der römischen Tonschule finden sich
die ersten Versuche der ersten selbständigen Instrumental-
komposition ?
Bei Gregorio Allegri und bei Antonio Cifra.
Ritter, Encyklopädie der Musikgescliiclite. III. 7
98 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Gregorio Allegri ist durch seine Kanzonen für Streich-
instrumente (Primo VioHno, Secondo Violino, Alto della Viola,
Basso per la Viola mit einer Generalbalsstimme für Orgel),
durch seine Kanzonen für Violino, Cornetto (Zinken), Liuto
e Teorba, sowie durch die »Sinfonia Instrumentalis a quattro
voci per la Viola con basso per l'Organo« als einer der
ersten Komj)onisten selbständiger Instrumentalmusik zu be-
trachten. Ebenfalls Antonio Cifra mit seinen 1614 in
Venedig erschienenen »Scherzi e Aria a una, due, tre e
quattro voci per cantar nel clavicembalo, chittarone o altro
simile instrumento«, sowie mit dem 1619 bei Soldi in Eom
veröffentlichten »Ricercari e Canzoni francesi a quattro
voci«.
Bei welchen Komponisten der venetianischen Tonschule finden
sich die ersten selbständigen Instrumentalkompositionen?
Bei Giovanni Gabrieli (1557 — 1613) und bei Florentio
Maschera (Ende des 16. Jahrhunderts).
Giovanni Gabrieli schrieb Ricercari für Orgel, sowie
Sonaten für Blas- und Streichinstrumente, und fügte seinen
drei- und vierstimmigen Chorwerken ein begleitendes Or-
chester, bestehend aus Geigeninstrumenten, Cornetti (Zinken)
und Posaunen hinzu. Besonders erwähnenswert sind G.
Gabrielis »Symphoniae sacrae«. Die ersten Beispiele der
sich aus den Banden der Vokalmusik loslösenden Instru-
mentalmusik bilden die Kanzonen von Florentio Maschera,
der als Organist am Dome zu Brescia Ende des 16. Jahr-
hunderts wirkte. (Siehe die in Bonn a. Rh. von W. J. v.
Wasielewski herausgegebenen Instrumentalsätze des 16. bis
Ende des 17. Jahrhunderts.)
Wer ist aus der toskanischen Musikbewegung zu erwähnen,
der als erster die ihm zu Gebote stehenden Musikinstrumente
nach ihrem Charakter und nach ihrem technischen Vermögen
verwendete?
Claudio Monteverde (1568—1643); er erfand z. B. für die
Streichinstrumente die Effekte des Tremolo und Pizzikato.
Wie hiefsen die Musikinstrumente, welche im 16., 17. und 18.
Jahrhundert auf dem Boden von Italien vorzugsweise als
selbständige musikalische Ausdrucksmittel benützt wurden?
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik.
99
Die Laute (Liuto), die Orgel (Organo), das Klavier (Clavi-
cembalo) und die verschiedenen Geigeninstrumente, welche
unter dem Gemeinnamen »Viola« zusammenzufassen sind;
hauptsächhch errang sich aber die kleine Viola (Violino
oder Geige) durch die Vollkommenheit ihres Baues und
No. 9. Titelblatt einer Lautenschule vom Jahre 1523.
durch die aus diesem resultierende Wirkung eine bevorzugte
Stellung.
Welche Stellung nahm die Laute im Musikleben des 16. und
17. Jahrhunderts sowohl in ItaUen, als auch in Frankreich,
Deutschland und England ein?
Die Laute hatte bis zu jener Zeit, in welcher das Klavier
oder Pianoforte zu einer grölseren Ausdrucksfähigkeit ge-
7*
100 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
langte, eine ähnliche Stellung im Musikleben des 16. und
17. Jahrhunderts, wie dieses Instrument im 19. Jahrhundert.
Dals die Laute in der Hälfte des 18. Jahrhunderts sogar
in den Kirchenmusiken Roms verwendet wurde, wird durch
die Ausgaben des Franzosen Maugars, der sich von 1638
bis 1639 in Rom aufhielt, bestätigt, indem er sagt: »Was
die Instrumentalmusik betrifft, so bestand dieselbe aus einer
Orgel, einem grofsen Klavier (>grand Clavessin<), einer
Lyra, zwei oder drei Violinen und zwei oder drei grofsen
Lauten (Archiluths)«.
Die Laute — das Wort stammt vom arabischen L'eud oder
el'eud — d.h.Holz, und zwar Ahornholz (italienisch: liuto, fran-
zösisch: luth, lateinisch: testudo), reicht bis ins Altertum zu-
rück, denn schon bei den Ägyptern treten uns lautenähnliche
Instrumente entgegen. Dieselbe war nicht nur ein Haupt-
instrument in den Orchestern des Renaissancezeitalters, son-
dern auch das Musikinstrument der Familie und der gesell-
schaftlichen Kreise, kam aber mit Vervollkommnung des
Klaviers und der Streichinstrumente am Ende des 18. Jahr-
hunderts aufser Gebrauch. Wir erblicken im Verlaufe der Ge-
schichte Lauten mit 4 — 24 Saiten bezogen, sowie kleine und
grofse Lauten. Der Resonanzkörper (Bauch oder auch Korpus
genannt) ist nicht, wie jener der Guitarre, flach, sondern gleich
dem einer Schildkrötenschale oder einer halbierten Mandel
gewölbt, aus schmalen und dünnen Spänen zusammengesetzt,
mit einem langen, breiten Hals versehen, an dem ein Wirbel-
kasten befindlich, der meistens im stumpfen Winkel zurück-
gebogen. Die Resonanzdecke der Laute war mit einem
runden Schalloche versehen. Bezogen war die Laute bis
zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit Messing- und
Darmsaiten; sodann kam es auf, für die tieferen Saiten der
Laute, sowie überhaupt der Saiteninstrumente mit Metall-
draht übersi^onnene Darmsaiten zu nehmen. (J. J. Rousseau
nennt in seinem Buche »Traite de la Viole«, 1687, Sainte
Colombe als den Erfinder der übersponnenen Saiten.) Was
die Zahl der Saiten anlangte, so war diese bei den Lauten
verschieden. Es gab, wie bereits bemerkt, Lauten mit 4 bis
24 Saiten. Sebastian Virdung rät in seiner »Musica getutscht«
(siehe diese oder die betreffende Stelle über Besaitung der
Laute in Wasielewskis »Geschichte der Instrumentalmusik
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik.
101
des 16. Jahrhunderts« S. 32 und 33) zur Laute mit elf Saiten.
Die Notation für die Laute hiefs »Lautentabulatur , und als
Erfinder der ersten Tabulaturschrift der Laute wird der
Nürnberger Tonkünstler Conrad Paumann genannt. (Siehe
Chrysanders Jahrbücher für Musik. Bd. IL) Das System
der Lautentabulatur bestand aus sechs Linien,
und besafs weder Versetzungszeichen noch
Schlüssel; nur die Taktart mufste angegeben
werden. (Siehe das Lautenbuch von Hans
Neusiedler, 1535, die Lauten- und Geigen-
schule von Hans Judenkunig, 1523. Virdungs
»Musica getutscht«, Basel 1511, Martin Agri-
colas »Musica Instrumentalis <', Wittenberg 1528,
M. A. Galileis >^Lautentabulatur«, Ingolstadt
1620 u. a. m.) Aufser der gewöhnlichen kleinen
Laute gab es, wie vorher bemerkt, noch eine
gröfsere Laute — Bafslaute, Theorbe, Chitar-
rone oder Archiliuto, französisch Archiluth
genannt; dieselbe soll von Bardella in Italien
erfunden worden sein. Ein Werk über die
Tabulatur der Theorbe oder Bafslaute schrieb
1680 der Bologneser Alessandro Piccini. Die
Theorbe hatte meistens acht oder zehn stär-
kere und bedeutend längere, fast doppelt so
lange Saiten als die Laute, auf serhalb des
Griffbrettes; diese Bafssaiten waren zwei-
chörig, d. h. doppelt (zwei im Einklänge ge-
stimmte Saiten), bildeten die Grundstimme
und dienten für den Wechsel der Tonarten
und wurden, während die linke Hand auf
dem Griff breite arbeitete, mit der rechten
Hand angeschlagen, weshalb der Ausdruck
»Lautenschläger« entstand. Die auf dem Griff-
brette liegenden Saiten waren meist einchörig und wechselten
in der Zahl, am meisten zwischen sechs und acht. Der Re-
sonanzkörper der Theorbe war dem der Laute durchaus
gleich, nur war der Hals, der tiefen Saiten wegen, viel
länger. Man bediente sich der Bafslaute sowohl in der
Kirchen- als auch in der Opernmusik, um in Accorden zu
begleiten oder, wie man sich ausdrückte, den Generalbafs
%
No. 10.
BaTslaute oder
Theorbe.
102 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
darauf zu spielen. (Michael Praetorius sagt im zweiten
Teile seines »Syntagma musicum«: »Die Theorbe ist allein
dahin gerichtet, dals ein Diskant oder Tenor viva voce,
gleich wie zu der Viol de Bastarda, dareingesungen werde«.)
Als älteste Lautenmacher auf dem Boden von Italien sind
bekannt: Lucas Malher, 1415, in Bologna und Max Unver-
dorben in Venedig. Aus dem 16. und 17. Jahrhundert werden
als tüchtige Lautenmacher die Mitglieder der Familie Tieffen-
b ruck er (Duiffobruggar) in Venedig genannt.
Als berühmte Lauten virtuosen sind zu merken: Galilei,
Gauthier, Gerle, Paumann, Hofer, Kohaut, Lauffensteiner, Logi,
Marion de Lorme, Martin, Pelagratzky, Reggio, Roy, Scheidler,
Schindler, Setzkorn, Straube, Weifs, Walter und Ernst Gottl.
Baron. Der letztere war königlich preulsischer Kammer-
musikus, am 17. Februar 1696 in Breslau geboren, am 26. August
1760 in Berlin gestorben und bekannt durch eiiie sehr schätzens-
werte Anleitung zum Lautenspiele. (Nürnberg 1727.)
Aufser der Theorbe sind als Abarten der Laute zu nennen:
die Mandora, Mandoline, Pandure, Pandurine und Guitarre,
wiewohl letztere wohl eher von der alten Zither, Kithara,
Chitarra herzuleiten ist, aus dem Morgenlande zuerst nach
Spanien kam, wo sie heimisch wurde, und sich dann in Frank-
reich, Italien und Deutschland einbürgerte. Ihre Stimmung
ist e a d^ g^ h^ e^ Wie es eine Bafslaute giebt, so giebt es
auch eine Bafsguitarre. Unter Mandora wird eine kleine Art
von Laute verstanden, wie auch die Pandure oder Pandora
eine kleine Laute ist. Auch die noch heute gebräuchliche
Mandoline ist ein lautenartiges Instrument, deren Saiten mit
einem Piektrum in Schwingung versetzt werden. Man unter-
scheidet die neapolitanische und die mailändische Mandoline.
Die erstere hat meistens vier doppelchörige Saiten gg, dd\ aa^
und ee^, die letztere fünf doppelchörige Saiten gg, cc\ ee\ aa^
und dd^. (Heute bedient man sich meistenteils einchörig be-
zogener Mandolinen, die man, wie die Violine, in g d^ a^ und e^
stimmt.) — Die Stimmung der Laute war nach Seb. Vir düng
(1511):
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik.
103
Nach Martin Agricola (1528):
9t
Die drei tiefsten Saiten hielsen von unten nach oben: der
»Grolsbrummer«, »Mittelbrummer« und »Kleinbrummer«, die
übrigen: die »Grofssangsaite«, die »Kleinsangsaite« und die
»Quintsaite«. Wie aus beifolgendem Notenbeispiele ersichtlich,
stimmte bei Martin Agricola die Laute einen ganzen Ton tiefer.
Nach Virdung wurden die einzelnen Griffe der Laute auf
folgende Weise bezeichnet:
Groasprummer.
Mittelprummer.
Clainprommer.
Gross sancksait.
ciain sancksait.
Quintsait.
i (A)
1 (d)
2 (g)
3(h)
4(e)
5(ä)
21 (b)
a (dis)
b (gis)
c (c)
b (f)
c (b)
f (h)
f (e)
9(a)
k (eis)
i(fi^)
f (h)
£(c)
I(f)
m (b)
n (d)
o(g)
P (c)
03 (eis)
q (fis)
r (h)
f (dTs)
t (gTs)
D (eis)
X(d)
s(g)
Y (c)
3(e)
3(ä)
9 (ä)
2Ia (dis)
aa (gis)
bb (eis)
cc (f)
bb (b)
ec (dis)
vff (e)
ff (a)
99 (d)
kk (fis)
it (h)
ff (e)
ü{Y)
Wo finden sich Beispiele von selbständigen Kompositionen
für die Laute?
Beispiele A^on selbständigen Kompositionen für die Laute
finden sich in den von O. Petrucci 1507 und 1508 in Venedig
herausgegebenen vier Lautenbüchern. Das vierte Buch,
welches als Autor den Mailänder Lautenisten Dalza hat,
104
Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien,
enthält Calaten (italienische Tänze im -/^ Takt), Padovanen
(Tänze gravitätischen Charakters), sowie arrangierte Frottoles
mit Vor- und Nachspielen. (Ein Exemplar dieses Lauten-
buches befindet sich in der Brüsseler Bibliothek.) — Als
Beispiel, wie man im 16. Jahrhundert die Laute als Be-
gieitungsinstrument zum Gesänge behandelte, mögen die
70 Frottoles von Francisi Bossinensi gelten, welche 1509
bei O. Petrucci in Venedig erschienen unter dem Titel
»Tenori e contrabassi
intabulati col' Soprano
in canto figurato per
cantar e sonar col liuto
IIb. I<. (Es sind dies
dreistimmige Ton-
stücke, von denen die
obere Stimme gesun-
gen wurde, Tenor und
Bals aber auf der Laute
gespielt wurden.) Dafs
es üblich war, den Ge-
sangstücken Vor- und
Nachspiele beizugeben,
zeigen Dalzas »Ricer-
cari«, welche hier eben
nur die Bedeutung von
Vor- und Nachspielen
haben, und nicht, wie
es später der Fall war, fugenartig gestaltete Tonsätze.
Ricercari, welche als Vor- und Nachspiele zu begreifen
sind, finden sich in Francesco da Milans »Intabula-
tura di Liuto etc.« 1536. — Aus der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts sind Lautenwerke zu erwähnen, die Tänze
von geringem musikalischen Werte enthalten. Als Beispiel
hierfür sei Fabrizio Garosas Tanzschule angeführt. (II
Ballerino. Venetia, apresso Franscesco Ziletti, 1581.) Diese
Tanzweisen bildeten ihrer Zeit die Modewaren der Tanz-
musik und wurden in der Tanzpraxis verwendet. Von
künstlerischem Interesse ist das Lautenbuch von Vincenzo
Galilei aus dem Jahre 1584 mit eingestreuten Lautensätzen;
dieselben sind teils arrangierte Gesangswerke von Lasso,
No. 12.
Zwei Lauten.
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik.
105
Animuccia, Ferabosco, Cypriano de Rore, Morales, Willaert
IL a. m., teils Ricercari eigener Komposition Galileis, welche
meist als Vor- und Nachspiele dienten. (Siehe Nr. 15 der
Musikbeilagen zu W. J. v. Wasielewskis »Die Geschichte der
Instrumentalmusik im 16. Jahrhundert«.)
Welche Musikinstrumente er-
blicken wir im 16. Jahrhundert
aulser Lauten und Theorben
vorzugsweise im Orchester?
Cornetto (Zinken), Clarino
(Naturtrompete) , Trombone
(Posaune), Fagotto, Flauto
und Violen (Geigen). Die Ur-
form der »Cornetti« oder
»Zinken« war das einfache
Hörn einer Ziege oder Kuh. Dieses Instrument, welches im
18. Jahrhundert ausstarb, war vielfach noch in den Händen der
Stadttürmer und Stadtpfeifer. Eine Abart des Zinken war
das »Porzeil«, mit welchem einst von den Festungen Alarm-
signale gegeben wurden. Um den Zinken als Bafsinstrument
zu bauen und die Länge auf praktische Weise zu verkürzen,
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A
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1
B
1
Üt:
1
No. 13.
Primitive Orgel mit Luftschieber.
No. 14. Orgel mit Blasebälgen, als Magrepha schon im Talmud erwähnt.
wurde derselbe als Schlange gebaut, daher der Name »Ser-
pent«. Auch die Oboe existierte schon im 16. Jahrhundert,
obwohl sie erst im 18. Jahrhundert mit der Klarinette in
eigentlichen Gebrauch kam. Die Oboe wurde die Verdrän-
gerin der Schalmei, welche vor ihr üblich war,
Folgende Verse notierte ich von einem alten Bilde im
bayrischen Nationalmuseum zu München. Das Bild, das
106
Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
einen Hautboisten darstellte, schien aus dem Anfange des
18. Jahrhunderts zu sein:
»Weg bäurische Schallmey! Mein Klang mufs dich vertreiben
ich dien auf beede recht in Krieg und Friedens Zeit.
Der Kirche und bey Hof, da du mufst ferne bleiben.
Mir wird der Reben Saft, dir Hefen Bier bereit
du bleibest auf dem Dorf, ich wohn in Schlofs und Städten
Dich ziert ein Pfennig Band und mich die goldne Ketten.«
Um das Jahr 1720 soll die Oboe in Aufnahme gekommen
sein und die Gebrüder Besozzi werden als die ersten ge-
nannt, welche die Oboe als selbständiges Ausdrucksmittel
benützten, indem sie 1735 in Paris auf derselben Konzerte
bliesen. Im Orchester findet sich die Oboe zuerst ange-
wendet in der grofsen dreichörigen Salzburger Messe »Orazio
Benevolis«, welche einen instrumentalen Aufwand von Orgel,
Saiteninstrumenten, zwei Oboen, vier Flöten und zwei Cla-
rinen (Zinken) aufweist. Bekanntlich wurde diese Messe
1628 zum erstenmale im Salzburger Dome aufgeführt.
Als Gegensatz zur
Diskantoboe ist der fast
drei Meter lange »Kon-
trabafs - Pommer« zu
nennen. Überhaupt
baute man oboeartige
Instrumente im 16. Jahr-
hundert in verschiede-
nen Gröfsen, und zwar
nach Mafsgabe der
menschlichen Stimmen :
für Diskant, Alt, Tenor
und Bafs, um sie gleich
den Streichinstrumenten
oder Cornetti zum Ver-
stärken der mehrstim-
migen Kirchenchöre zu
benützen. — (Als Er-
finder der »Klarinette«
ist Joh. Christoph
Denn er, Blasinstru-
No. 15. Altgriechische Wasserorgel. meuteumacher lu Nüm-
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik.
berg, geb. 1655 in Leip-
zig, gest. 1707 in Nürn-
berg, zu nennen. Nach
einigen Angaben ist
1690, nach anderen 1700
dasErfindiingsjahr der
Klarinette. Das mit der
Klarinette verwandte
»Bassethorn« soll 1770
in Passau erfunden
worden sein, jedoch ist
der Name des Erfin-
ders leider unbekannt
geblieben.)
107
Wen nennt die Geschichte
der Musikinstrumente als
Erfinder des »Fagotts«?
No. 16.
Abbildung einer Orgel aus dem Stuttgarter
Psalmenbuche, von Bischof Elfeg 960 gebaut.
Kanonikus Alfranio aus Ferrara, der das Fagott um das
Jahr 1539 herstellte. Das italienische Wort »Fagotto« heifst
zu deutsch »Bündel«. (Siehe das »Dolcian« des 16. Jahr-
No. 17. Tragbare Orgel.
hunderts.) Bekanntlich war Karl Almenraeder ein wesent-
licher Verbesserer des Fagotts, wie aus seiner Abhandlung
108
Die Musikentwicklune auf dem Boden von Italien.
Über die Verbesserung dieses Instrumentes (Mainz) er-
sichtlich ist. — Die Erfindung des Kontrafagotts gehört
erst dem 19. Jahr-
hundert an.
Welche Tasteninstru-
mente weisen das 16,
und 17. Jahrhundert
auf?
Die Orgel und das
Klavier. Das Kla-
vier tritt unter den
Namen Cla^icordi-
um, Clavicymbalum, Claviciterium und Yirginal auf. Seine
Vervollkommnung war, wie die der Orgel, aber erst einer
späteren Zeit vorbehalten. Die Orgel, die erst jetzt beginnt
No. 18. Schnarrwerk.
Beispiel der Tabulaturschrift für die Orgel:
4=t
a f g a b c a
Ach gott vom Hymel
sieh darein.
=ö=t=t
bebe cbag fe|befg agfegf^
a b a
I D
g f 9 a f
Gabe b
D D
b a g a g f g
b b
G D G
^
-ä—^
In moderne Xotenschrift übertragen;
EQfczp
rfe?-
^— gr
-<9— S^
im^
V Ä
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik.
109
ein künstlerisch verwendbares Instrument zu werden, wies
zwei Arten auf: portative und positive, d. i. tragbare
— be
X! OS
und feststehende. Aus kleinen Anfängen (ihr lagen die
Pauspfeife und der Dudelsack als Ur-Instrumente zu Grunde)
hatte sie sich im Verlaufe der Zeit entwickelt. (Siehe die
Abbildungen 13-18.)
110 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Welcher Notation bediente man sich sowohl in Italien als auch
in Frankreich für die Tonstücke der Orgel, sowie für die
anderen Tasteninstrumente ?
Man bediente sich der bisher gebräuchlichen Mensuralnoten-
schrift, während sich in Deutschland eine eigene Tabulatur-
oder Buchstabenschrift herausbildete, die stellenweise auch
auf die Notierung A^on Yokalkompositionen und Stücke
anderer Musikinstrumente angewendet wurde.
Hervorragende Vertreter des Orgelspiels, sowie der
Orgelkomposition auf dem Boden von Italien im
16. und 17. Jahrhundert.
Claudio Merulo, 1563—1604, geb. in Correggio; war von
1557 an Organist an San Marco in Venedig und Komponist
vieler Orgelstücke, unter welchen seine 1598 und 1604 A^er-
öff entlichten Toccaten*) hervorzuheben sind. Ambros be-
merkt von Merulo, dafs er derjenige gewesen sei, welcher
»die Orgelkunst in Italien aus dem Zustande der Halbent-
wicklung, in welcher sie sich damals befunden hatte, erlöst
habe«. — Die Organisten Italiens behaupten jetzt den Rang
wirklicher Künstler, während die deutschen »Orgelschläger«
dieser derben Bezeichnung entsprechend noch lange eben
nur das, allerdings auch respektable Bild braver Handwerker
und schlichter Diener der Kirche darboten.
Ottavio Bariola war Orgelspieler in Mailand an der Kirche
Madonna di S. Celso. Von ihm erschienen im Jahre 1585
nach Merulos Art »Ricercate per suonar d'organe« und 1594
*) Über »Toccata« siehe bei W. J. v. Wasielewski, Seite 146 und 147 des
Buches »Geschichte der Instrumentalmusik des 16. Jahrhunderts«. — Michael
Praetorius sagt in seinem Buche : Syntagma musicum«, Tom. III, part. I,
S. 25, die Toccata sei »ein Präambulum oder Präludium, welches der Or-
ganist, wenn er erstlich uff die Orgel oder Clavicembalum greift, ehe er
ein Mutet oder Fugen anfehet, aus seinem Kopfe vorher fantasiert, mit
schlechten entzelnen Griffen und Coloraturen u. s. w. Sie werden aber
von den Italis meines erachtens, daher mit Namen Toccata also genennet,
weil Toccare heifst längere, attingere, und Toccate, tactus. So sagen auch
die Italiener: Toccato un poco , das heifst: beschlagt das Instrument oder
begreifft das Ciavier ein wenig.«
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik. 111
vier Bücher »Capricci ovvero Canzoni« für Orgel. (Ricercata
war ein Tonstück, gewöhnlich ein Klavier- oder Orgelprä-
ludium in fantasieartiger oder toccatenmäfsiger Form.)
Andrea und Giovanni Gabrieli waren im 16. Jahrhundert
Organisten an San Marco in Venedig. 1594 erschien bei
Angelo Gardano in Venedig »Intonazioni d'Organo di Andrea
Gabrieli e di Giovanni suo nipote Organiste della Sereniss.
Sig. di Venetia etc.«. (Intonationen in allen Tonarten, sowie
Toccaten bilden den Inhalt dieses Sammelwerkes von Orgel-
stücken. Wasielewski sagt: »Die Intonationen sind Prälu-
dien, jedenfalls bestimmt zur Einleitung gröfserer bei kirch-
lichen Funktionen zu Gehör gebrachter Tonwerke. Ihrem
Zwecke entsprechend, haben sie nur geringen Umfang«.)
Aufser Merulo sowie Andrea und Giovanni Gabrieli sind
als Organisten an den beiden Markusorgeln im Verlaufe des
16. und 17. Jahrhunderts bemerkenswert:
Francesco Cavalli, Giambattista Volpe-Rovettino, Pier
Andrea Ziani (auch Giuseppe Guammi genannt), Giam-
paolo Savii (1612), Giambattista Grillo (1619), Carlo
Fillago (1623), Giambattista Berti (1624) und Massimi-
liano Neri.
Einer der bedeutendsten Orgelvirtuosen seiner Zeit war
Girolamo Diruta aus Perugia. Von Diruta, der Schüler
Merulos und Organist in Gobbio, sowie später in Chioggia
war, erschien 1593 in Venedig das in Dialogform verfafste
Buch »II Transilvano«, welches von der wahren Kunst Orgel
und Cembalo zu spielen handelte. (»Sopra il vero modo di
sonar organi e stromento a penna«.)
Paolo Quaglioti in Rom um 1600—1610, war sowohl als
Orgel- wie auch als Cembalospieler von Bedeutung. Ferner
sind zu nennen: Luzzascho Luzzaschi in Ferrara um
die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. Gabrielo Fattorini
aus Faenza um 1600.
Florentio Maschera aus Cremona, Ende des 16. Jahrhun-
derts Organist in Brescia und Komponist von > Canzoni
francesi« (kleine fugierte Sätze) für Orgel. Bernardino
Borghesi, um 1590 Organist in Mailand. Alexandre
112 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Milleville, geb. in Paris, gest. 1589 als Organist und Kapell-
meister am Dome zu Ferrara. Frangois Milleville, geb.
in Ferrara als Sohn des Vorigen, bedeutender Orgelvirtuose,
und als solcher Lehrer von Ercole Pasquini aus Ferrara
(bis 1614 Organist an St. Peter in Kom), sowie von Gira-
lomo Frescobaldi, der als der gröfste Orgelmeister da-
maliger Zeit auf dem Boden von Italien bezeichnet werden
mufs. Frescobaldi entfaltete seine Hauptthätigkeit in Rom;
schon mit 27 Jahren war er Organist an St. Peter, woselbst
bei seinem ersten Auftreten viele tausend Zuhörer zugegen
gewesen sein sollen. Bedeutungsvoll sind Frescobaldis
Toccaten für Orgel. Überhaupt nimmt dieser grofse römische
Musiker in der musikalischen Formenentwicklung einen her-
vorragenden Platz ein, indem er an die Stelle der Fuga
reale die Fuga di tuono setzt. »Das Gesetz musikalischer
Formenentwicklung zeigt sich nicht leicht irgendwo deut-
licher, als wenn man den Weg etwa von Andrea Gabrielis
kurzen Präludien in einzelnen Kirchentonarten über Merulos
Toccaten zu jenen Frescobaldis (und von da weiter zu
J. S. Bach) nimmt.« Weiter sagt Ambros: »Die Fugen-
themen Frescobaldis haben noch nicht die Mannigfaltigkeit
wie bei Seb. Bach, wo sie selbst meist schon ein ganz be-
stimmtes Charakterbild von Freude, Wehmut, Schmerz,
Scherz, düsterem Brüten, heiterem Gaukeln u. s. w. geben
— aber sie haben Physiognomie und insgemein einen Zug
von Energie u. s. w.« »Vergleicht man die Armut der
früheren Orgelkomponisten mit diesem Reichtum, so be-
greift man das Erstaunen der Zeitgenossen über die wunder-
gleiche Erscheinung.« Die vollständig zu ganz festbestimmter
Form ausgebildete Fuge mit ihren nach einem unverrück-
baren Kunstgesetz gemodelten »Beantwortungen«, ihren
Widerschlägen, Divertitimenti u. s. w., wie wir sie in höchster
Vollendung und mit dem bedeutendsten Inhalt bei J. S. Bach
antreffen, dürfen wir bei Frescobaldi*) noch nicht suchen.
Frescobaldi ist wahrscheinlich 1580 in Rom geboren, und
wahrscheinlich zwischen 1650 und 1654 daselbst gestorben.
*) Fr. X. Haberl hat eine Sammlung von 68 Orgelsätzen aus den ge-
druckten Werken Frescobaldis herausgegeben, in welchen des Tondichters
hervorragende Bedeutung für klare und durchsichtige Stimmführung, so-
wie für harmonische und modulatorische Folgerichtigkeit zu Tage treten.
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik. 113
Als Virtuose gröfser wie als Komponist schrieb er Kanzonen,
Hymnen, Madrigale, Motetten, Magnifikate, sowie Toccaten
und Ricercari für Orgel. Von seinen Schülern ist hervor-
ragend :
Joh. Jak. Froberger, geb. 1635 in Halle, gest. 1667 in Heri-
court. Von PYoberger sind Ricercari, Partiten und Tanz-
stücke verfalst, die in Mainz 1695 unter folgendem Titel
erschienen: >Diversi curiose varissime partite di Toccate,
Ricercate, Capricci e Fantasie per gli amatori di cembalo,
organi ed instrumenti«.
Es bedurfte mehr als zweier Menschenalter und der rast-
losen Arbeit deutscher, tüchtiger Organisten, welche im Ver-
gleiche zu ihren Vorgängern, den Koloristen*), wie Riesen
dastehen, ehe es mit der Fuge soweit kam. Ambros sagt
von Frescobaldi: »Mit dem Namen Frescobaldi beginnt die
grofse klassische Zeit des Orgelspiels — er ist nicht blofs
für seine Zeit, sondern für alle Folgezeiten eine imponie-
rende Erscheinung — und wenn seine Nachfolger Froberger
u. a. m. ihn an Glätte überbieten, an Grofsheit kommt ihm
keiner gleich — bis man in der Fortentwicklung der Kunst
auf den Namen Bach stölst«.
Andere aus dieser Epoche zu erwähnende Organisten von
Ruf sind: Adriano Banchieri, geb. in Bologna; Giovanni
Battista Fasolo aus Asti, Franziskanermönch eines Klosters
in Palermo und Verfasser des 1645 in Venedig erschienenen
»Annale organistico«. Bernardo Pasquini, geb. 1637 im
Toskanischen, Organist an S. Maria maggiore in Rom und
Lehrer vieler Wiener Organisten, die ihm Leopold I. als
Schüler zusandte.
Wie heilst der bedeutende und epochemachende Klaviersi^ieler
Italiens am Ende des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts?
*) Siehe »Die Koloristen , Beitrag zur Geschichte des Orgelspiels von
A. G. Ritter, Allgem. Mus.-Zeitung. Jahrg. 1869. Nr. 38 ff. Vergleiche auch
die Arbeiten Frescobaldis mit denen deutscher sogenannter Koloristen«
wie E. N. Ammerbach, Bernhard Schmid der ältere und der jüngere, Jakob
Paix, Johann Woltz u. a. m.
Ritter, Encj'klopädie der Musikgeschichte. III. 8
114 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Domenico Scarlatti*) (1683—1757). Derselbe muls neben
Johann Kuhnau**) (geb. 1660 in Geysing und Vorgänger
J. S. Bachs als Thomaskantor) als Förderer und Bildner
des Sonatenstiles in Italien gelten.
Was unterscheidet Domenico Scarlattis Sonatensätze von den
Instrumentalsätzen der vorhergegangenen und gleichzeitigen
Komponisten ?
Domenico Scarlattis Sonatensätze haben stellenweise schon
zwei zu einander kontrastierende Haui^tthemen, sowie einen
Mittelsatz in der Dominanttonart, vollständig unabhängig
vom Hauj^tsatze, während doch die fugenartigen Instru-
mentalsätze der vorhergegangenen und gleichzeitigen Kom-
ponisten nur ein einziges Thema und Motiv, welches durch-
geführt oder verarbeitet wird, aufweisen.
Neben D. Scarlatti ist Giuseppe Sarti, geb. 1729 in
Faenza, gest. 1802 in Berlin, als italienischer Klaviersonatist
zu erwähnen; von ihm wurden sechs Sonaten für Clavi-
cembalo in London veröffentlicht.
Welches Instrument bildet die Urform des Klaviers oder
Clavichords?
Das Hackbrett, welches als Psalter schon im Altertum er-
scheint, bereits schon im 9. Jahrhundert in St. Gallen als
Musikinstrument benutzt wurde. Dieses Instrument, welches
einen scharfen, durchdringenden Ton besafs, wurde mit zwei
Klöppeln bearbeitet, die jedoch im Piano mit Filz über-
zogen wurden.
Das Hackbrett, das sich nunmehr ins Gebirge zurückge-
zogen hat, wo es noch zu Tanzgelegenheiten benützt wird,
erwähnt noch Ottomar Luscinus 1536 in seiner »Musurgia«,
obwohl in wegwerfender Weise. Jedoch sehen wir es im
15. Jahrhundert noch häufig auf Zeichnungen und Bildern
in den Händen der Menschen.
*) Siehe diesen Tondichter in der neapohtanischen Tonschule, sowie
die von H. v. Bülow herausgegebenen Klavierkompositionen D. Scarlattis.
**) Mit Kuhnau war die Klaviersonate in jetziger Form nahezu fest-
gestellt. Siehe das Werk »Joh. Kuhnaus neue Klavierübung anderer Teil,
das ist: Sieben Partten (Partiten oder Suiten) aus dem Re, Mi, Fa oder
Tertia minore eines jedweden Toni benebst einer Sonata aus dem B, denen
Liebhaber zu gar besonderem Vergnügen aufgesetzt<. Leipzig 1695.
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik. 115
Im Verlaufe des 11. und 12. Jahrhunderts entstand das
Clavichord (seine Erfindung wird Guido von Arezzo zu-
geschrieben); diese erste Klavierform hielt sich bis in die
Zeit des 18. Jahrhunderts. Es gab portative und positive
(tragbare und auf Füfse gestellte) Clavichorde. Die ältesten
Clavichorde bilden einen rechteckigen Kasten ohne Füfse.
Der Mechanismus ist der denkbar einfachste. Die Tasten-
No. 20. Hackbrett.
hebel ruhen in der Mitte auf einem Stifte und schlagen im
hinteren Ende mit einer Messingzunge an die darüber ge-
spannten Metallsaiten (wir sehen also, dafs beim Clavichordum
die Klöppel des uralten Hackbrettes durch Metallzungen er-
setzt wurden, welche am Ende des Tastenhebels angebracht
No. 21. Das älteste Klavier.
waren und die Saiten in Schwingung versetzten) ; die Messing-
zunge wurde Tangente genannt, weil sie die Saite rührte.
Aus diesem Grunde finden wir das Clavichord auch häufig
als »Tangentenklavier« bezeichnet. Die ältesten Clavichorde
waren »gebunden«, d. h. mit »Bünden« (kleinen Stegen)
wie sie die Laute aufwies, die Guitarre und Zither noch
heute aufweisen, versehen, wodurch nämlich zwei oder
8*
116 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
drei benachbarte Töne auf einer Saite erzeugt werden
konnten. Daher kam es, dals das alte Clavichord viel
mehr Tasten als Saiten besafs. Die bundfreien Clavichorde,
bei denen jede Taste ihre Saite hatte, erfand der Orga-
nist Daniel Faber in Crailsheim 1725. Sebastian Virdung
berichtet in seiner »Musica getutscht« (Fasel 1511) schon
von einer Dämpfung des Fortklingens der Töne beim Clavi-
chord. Dieselbe bestand nach Virdungs eigenen Worten
aus »Zötlein von dem Wullentuch, die in die Köre der saiten
geflochten seyndt, das nymt den saiten das kösseln oder
die grobe onfreuntliche hallung oder thönung, das dieselben
nit länger klingen . . .« Was nun den Ton des Clavichords
betrifft, so war derselbe nur klein, aber er gestattete ein
Singen und Schattierungen. Der Nürnberger Hans Heyden
sagt von ihm: Und ob wol der Text mit Worten sich nicht
aussprechen lest, so kan doch der Instrumentist sein Sensum
zu erkennen geben, ob traurige oder fröliche Gedanken in
ihme sind, nachdem er das Ciavier frech oder lind angreifft«.
Noch Philii^p Emanuel Bach schätzte das Clavichord, wie
dies folgender Ausspruch beweist: »Spielt man beständig
auf dem Flügel (Kielflügel), so gewöhnt man sich an, in
einer Farbe zu spielen, und der unterschiedene Anschlag,
welchen blofs ein guter Clavichordspieler auf dem Flügel
herausbringen kann, bleibt verborgen« . Bekanntlich bediente
sich Mozart noch eines Clavichords, denn das häufig fälsch-
lich als Spinett bezeichnete Keiseklavier Mozarts war ein
Clavichord, das auch ein Lieblingsinstrument J. S. Bachs
war. Dr. Oskar Fleischer sagt von diesem Instrumente in
dem Kataloge der Berliner königlichen Instrumentensamm-
lung: »Giebt sich das Ohr, von den massigen Klängen
moderner Musikinstrumente abstrahierend, diesem naiven
Klange hin, so wird es ihn bald sehr reizvoll finden. Es
ist in hervorragendem Mafse geeignet, die Aufmerksamkeit
des Hörers aufs äufserste anzuspannen. Während der volle
Ton unserer Hammerklaviere sich durchaus an die Sinne
wendet, kann man den Klang eines guten Clavichords als
einen durchgeistigten bezeichnen.«
Über den Tonumfang des Clavichords berichtet uns Seb.
Virdung (1511), indem er sagt, man habe zuvor an den
Clavichorden nur die Töne
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik. 117
GAHcdefgabhcdeFgäbhcde
gehabt, also die Giiidonische Tonleiter; dann aber habe man
noch mehrere Schlüssel (claves [Tasten]) für die chromati-
schen Töne hinzugefügt, so dafs man deren 38, nämhch:
F G Gis A B H c eis d dis e f fis g gis a b h
ccisddiseffisggisäbhccisdliseTfisg
anwendete.
Praetorius (1629) berichtet uns von Clavichorden mit
einem Tonumfange von vier Oktaven und zwar von C bis c
in chromatischer Tonfolge; auch berichtet er von einem
enharmonischen Clavichorde, welches er in Prag sah; das-
selbe gab z. B. die Töne eis und des, dis und es, jeden ge-
sondert an und hatte 77 Tasten.
Eine andere Variante des Klaviers in alter Zeit war das
Spinett, auch SiDinettino genannt, das entweder von dem
angeblichen Erfinder Spinetti oder von >spina<^ (Dorn)
seinen Namen hat. Auf dem Ende des Tastenhebels sitzt
beim Spinett lose eine Docke, ein flaches Holzstäbchen, aus
welchem seithch ein spitzer, elastischer Dorn (die spina)
hervorsteht. Beim Anschlag der Taste springt die Docke
in gerader Richtung in die Höhe und der Dorn, gewöhnlich
aus einem Kiele von einer Rabenfeder geschnitten, pizzikiert
die Saite. Der Klang des Spinettes war stärker, wie der
des Clavichordes, aber schwirrend und summend.
Ein Fortschritt über das Spinett erfolgte durch das Clavi-
cymbalum (französisch: Clavecin, italienisch: Cembalo, eng-
lisch: Harpsichord) auch Claviciterium genannt, bei denen
statt der Metallzungen Federkiele (meist waren es Raben-
kiele am Tastenhebel) die Saiten erkhngen machten. Das
Claviciterium hatte statt metallener Saiten Darmsaiten. Beim
Clavicymbalo sind die Saiten in der Richtung der Tasten
gespannt und es ist daher, nach Art der modernen Flügel,
die Klaviatur an der Schmalseite des Kastens, während sie
sich beim Clavichord an der Längsseite desselben befand.
Virginale, ein besonderer Ausdruck für eine Art Clavichord
und Harpsichord, waren vornehmlich in England gebräuch-
lich; war das Virginal ein Portativ, so dafs man es zum
118 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Gebrauche beliebig auf eiueu Tisch stellen konnte, so hatte
das Harpsichord bereits Gestell und Füfse.
Alle diese alten Klaviersysteme verdrängte das sogenannte
Hammerklavier, als dessen Erfinder Bartolo Cristofori
(in Florenz um 1720 lebend) genannt wird. Übrigens streiten
sich die drei Nationen, Italien, Frankreich und Deutschland,
um die Ehre der Erfindung des Hammermechanismus am
Klaviere. In Italien war es Bartolo Cristofori, in Frank-
reich Mharius um 1716 in Paris, und in Deutschland Christoph
Gottlieb Schrötter um 1717 in Nordhausen. Grofsen Teil an
der Vervollkommnung und Verbreitung der Hammermechanik
am Klavier hatte der berühmte Gottfried Silbermann. Es
ist bekannt, dafs bereits Domenico Scarlatti für das Hammer-
klavier schrieb, das sehr bald den Namen Pianoforte d^ian'
e forte) erhielt, weil man durch den Hammeranschlag nach
Belieben schwach (piano) und stark (forte) spielen konnte.
Wir erblicken nun anfangs den Hammermechanismus noch
recht primitiv: nackte, noch nicht belederte Holzhämmer
ohne sogenannte Auslösung, d. h. der Hammer fuhr nur
vermöge seiner Elastizität nach dem Anschlage in seine
Ruhelage zurück. Das Klavier wies fünf Oktaven auf und
als Dämpfung diente ein Lederstreifen, der durch einen
Registerzug unter die Saiten geführt wurde. Den Hammer-
mechanismus mit Auslösung, d. h. jener Mechanismus, der
den Hammer befähigte, indem er kaum die Saite berührt
hatte, »ausgelöst« zu werden, so dafs er sofort in seine
Ruhelage zurückkehrte, wandte wohl als erster der Augs-
burger Stein an. Dieser Mechanismus war der Vorläufer
der sogenannten Wiener Mechanik. Bei der Steinschen
Mechanik war der Hammer nach vorne, den Tasten zu-
gekehrt, im Gegensatz zur späteren englischen Mechanik,
welche den Hammer vorne hebt, so dafs er hinten, von der
Taste abgewendet, die Saite trifft. Mozart schreibt in seinem
an den Vater gerichteten Briefe über die Stein -Klaviere:
»Seine Instrumente haben besonders das vor anderen eigen,
dafs sie mit Auslösung gemacht sind, da giebt sich der
Hundertste nicht damit ab; aber ohne Auslösung ist es
halt nicht möglich, dafs ein Pianoforte nicht schebere oder
nachklinge. Seine Hämmerl, wenn man die Claves anspielt.
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik. 119
fallen in dem Augenblick, da sie an die Saiten hinaiif-
springen, wieder herab . . .«
Der erste Klaviermacher, der die Hammermechanik be-
sonders i^raktisch verwertete, war Gottfried Silbermann, in
Freiberg in Sachsen um 1721 lebend, und von dem Preufsen-
könige Friedrich dem Grofsen durch Geld unterstützt. (Nun
nahmen sich Frankreich und England ganz besonders der
Verbesserung des Pianoforte an, und was man heutzutage
englische Mechanik nennt, hat seinen Ursprung in den
ersten Silbermannschen Instrumenten. Die Deutschen ver-
lielsen nämlich nach dem Tode Silbermanns die von ihm
angewandte Mechanik und erfanden die sogenannte deutsche
Mechanik, während die Silbermannsche durch einen seiner
Schüler, namens Zumpe, nach England gelangte und sich
dort als englische Mechanik ausbildete. Der Unterschied
beruht hauptsächlich in der Art der Befestigung des
Hammers: bei der deutschen Mechanik ruht er auf der
verlängerten Taste selbst, bei der englischen dagegen hat
er seinen Sitz auf einer besonderen Leiste.)
Eine bedeutende Entwicklungsphase für die Instrumental-
musik, ganz besonders für die Streichinstrumente, bildet
die Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts. Wir sehen im
16. Jahrhundert die Glieder der heute gebräuchlichen
Streichinstrumentengruppe auf Grundlage der menschlichen
Stimmen (Sopran, Alt, Tenor und Bafs) erwachsen und Ton-
stücke für dieselben entstehen, die den Namen » Sonata <^
tragen, aufgefafst als ein der »Canzona« oder »Cantata«
entgegengesetztes Musikstück, so genannt, weil sie nicht
gesungen, sondern von Instrumenten ausgeführt wurden.
Die Entwickler der Sonate als Kunstform im Gegensatz
zur anfänglichen »Sonate^, als ein dem Gesangstücke ent-
gegengesetztes Instrumentalstück, waren vornehmlich die
grofsen Geiger des 17. und 18. Jahrhunderts auf dem Boden
von Italien. Vor allem entwickelte sich die Ausdrucksfähig-
keit der kleinen Viola (Violino oder Soprangeige) auf Grund-
lage ihres Baues und ihrer Konstruktion, während das
Klavier eigentlich erst im 19. Jahrhundert seine volle Aus-
drucksfähigkeit erlangte. (Die Tonkunst, welche im Mittel-
alter vorzugsweise der Kirche dienstbar war, gipfelte in der
Vokalmusik, jedoch nach und nach bildete sich der Gebrauch
120 Die MusikentwicMung auf dem Boden von Italien.
heraus, Chöre durch Streichinstrumente, welche man den
einzelnen Stimmen beigab, zu unterstützen, d. h. die ein-
zelnen Chorstimmen zu verstärken. Aus diesem Anlasse
wurden nach Malsgabe der Tonlage einer jeden Stimme
Streichinstrumente konstruiert, von welchen jedes im Unisono
[Einklang] mit der Stimme ging, welcher es beigegeben war.
Martin Agricola berichtet in seiner Schrift »Musica instru-
mentalis« [Wittenberg 1528] über Bogeninstrumente und
teilt dieselben ein in Diskant-, Alt-, Tenor- und Balsgeigen.
Diese Einteilung weist deutlich darauf hin, wie anfangs die
Instrumentalmusik der Nachhall der Vokalmusik war. Durch
die Worte >buone da cantare e suonare<s welche sich häufig
auf den Titeln der damaligen Musikstücke befinden, wurde
deutlich ausgedrückt, dafs die Kanzonen sowohl gesungen,
als auch von Instrumenten gespielt werden konnten. Von
hier an ist nun wahrzunehmen, vor allem durch das Auf-
kommen der italienischen Oper, wie sich die Instrumental-
musik allmählich aus den Banden der Vokalmusik befreit
zu immer grölser werdender Selbständigkeit.)
Welcher Allgemeinname war für die Streichinstrumente ge-
bräuchlich geworden?
Der Name »Viola«. (Aus Viola entstand das Diminutivum
»Violino« für die kleine Geige, ebenfalls das Augmentativum
»Violono«^ für die Bafsgeige, sowie endlich das von Violono
abgeleitete DiminutiA^um » Violoncello <^ für kleine Bafsgeige.
In welche zwei Hauptgattungen zerfielen im 16. und 17. Jahr-
hundert, je nach Gröfse und Art, die Violen oder Geigen-
instrumente?
In Armgeigen (Viola da braccio) und in Kniegeigen (Viola
da gamba). Eine bestimmte Form der Viola oder Geige
war jedoch in dieser Zeit noch nicht feststehend; die Phan-
tasie der Geigenbauer erzeugte die wunderlichsten Formen.
In Virdungs »Musica getutscht«, Basel 1511, wird eine drei-
saitige Geige erwähnt; dieselbe hat noch mandolinartige
Form (die Form des orientalischen Rebek) und halbmond-
förmige Schallöcher. Sodann spricht er von »Welschen
Geigen« mit vier Saiten bezogen, welche er in Diskant-, Alt-,
Tenor- und Bafsgeigen einteilt.
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik.
121
Wann kam bei der Geige die gewölbte Resonanzdecke, sowie
der gewölbte Steg auf, so dals es möglich war, jede Saite
einzeln zu behandeln?
Jm Anfange des 16. Jahrhunderts. (Überhaupt war es unter
all den vielen Violen des 16. und 17. Jahrhunderts die kleine
Viola [Violine oder Soprangeige] die sich eine ganz be-
sondere Stellung errang. In dem Werke »Scintille di musica«
von Giov. M. Lafranco [Brescia 1533] erscheint wohl zum
erstenmale der Ausdruck »Violino«, und dieses Instrument
No. 22.
Diskantgeige
No. 24.
Tenoi'geige.
No. 25.
BaTsgeige.
ist es, das von der menschlichen Sopranstimme, die an der
Hand des Kunstgesanges im Madrigale und in der Oper
eine aufserordentliche Fertigkeit entfaltete, lernte und um-
gekehrt die Sopranstimme wieder von der Geige.)
Wodurch wurde die Herrschaft und das Zu-Ansehen-kommen
der »Violine« bedingt?
Durch den sympathischen Ton derselben, der wiederum
seinen Grund in ihren Konstruktionsverhältnissen hatte.
(Während die meisten der damaligen Violen einen spitigen,
nasalen Klangcharakter hatten, zeigte die kleine Viola, die
Violine, eine freie und offene Kundgebung des Tones, gleich
der schönen menschlichen Stimme.)
122 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Wie heilst derjenige Geigenbauer, welcher der Viohne die noch
heute gebräucliliche Konstruktion und Form gab?
Gaspard Duiff obruggar, geb. in Wälsclitirol im Jahre 1467,
gest. 1530 in Lyon. Duiffobruggar, der eigentlich Tieffen-
brucker hiels und seinen Namen nur italienisierte, lebte als
berühmter Lauten- und Geigenmacher in Bologna, von wo
er durch König Franz I. im Jahre 1510 mit Leonardo da
Vinci und Andrea del Sarto an dessen Hof nach Paris be-
rufen wurde. Aus diesem Jahre datiert auch die älteste
seiner Geigen. (Siehe Friedr. Niederheitmann -Cremona,
eine Charakteristik des italienischen Geigenbaues« [Leipzig
1877], an welcher die halbmondförmigen Schallöcher in
/-Löcher umgestaltet sind. Die Geige ist mit vier Saiten
bezogen, die Resonanzdecke gewölbt, ebenso der Steg, so
dafs jede Saite einzeln behandelt werden konnte. In den
Boden dieser Geige ist die französische Königskrone ein-
gelegt, unter der sich zwei verschlungene F befinden.
[Frangois de France]. Man hat allen Grund anzunehmen,
dals die beiden /-Löcher der Geige, welche zu beiden Seiten
des Steges in die Eesonanzdecke eingeschnitten sind, eben-
falls in der Courtoisie flu' König Franz von Frankreich
seitens Duiffobruggars ihren Ursprung haben.)
Wie hiefsen die berühmtesten Meister des Geigenbaues auf
dem Boden von Italien?
Gaspard da Salo, zweite Hälfte des 16. ,Jahrhunderts.
Giovanni Paolo Maggini aus Brescia, 1590 — 1640,
Andreas Amati, sowie dessen Söhne Hieronymus Amati,
gest. 1638, und Antonio Amati, geb. 1550, welche in Cre-
mona arbeiteten.
Antonio Stradivari (1644—1737), war Schüler des Antonio
Amati und lebte in Cremona.
Giuseppe Guarnerio, 1683—1745, war Brudersohn von
Andrea Guarnerio, welcher Schüler von Nicolai Amati
war und von 1650—1695 schuf; ferner ist noch als hervor-
ragender Meister Pietro Guarnerio zu nennen.
Francesco Ruggeri aus Cremona, Joannes Baptista
Guadagnini aus Mailand und Jannario Gagliano, der
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik.
123
sich Alumnus Antonii Stradivarii nannte, A'ervollständigen
die Keihe der berühmtesten altitahenischen Geigenbauer.
Der gröfste Meister des altitahenischen Geigenbaues, sowie
wohl überhaupt des Geigenbaues ist unstreitig Antonio
Stradivari. (Deut-
scher Abkunft, aber in
Italien geboren, sind
als berühmte Meister
des Geigenbaues zu
nennen: Platner und
Techler, beide Schü-
ler von Stradivari.)
Man unterscheidet drei
Epochen seines Schaf-
fens. Die Geigen der
ersten Ejjoche sind
denen der Amatis noch
sehr ähnlich. (Die Vio-
line der Amatis sind
kleineren Formates.
Die Instrumente von
Andrea, Antonio und
Hieronymus Amati be-
sitzen einen kleinen
und weichen Ton. Die
Decke dieser Geigen
ist in der Mitte sehr
hoch gewölbt. Die Gei-
gen der Brüder Anto-
nio und Hieronymus
Amati sind ebenfalls
hoch gewölbt und ha-
ben an den Rändern
eine förmliche Hohl-
kehle. Ihnen gleichen die Jakob Stainerschen Violinen. Als
die besten Amati-Geigen sind . die von Nicolai Amati be-
kannt; ihr Ton ist grölser und glänzender als der der
übrigen Amati-Geigen. Die Instrumente sind an dem dick
aufgetragenen, goldig glänzenden Lack und an einer kleinen
No. 26. Geige von Stradivari.
124 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Schnecke kenntlich.) Die Geigen der zweiten Epoche haben
schon gröfseres Format, fhichgewölbtere Decke und röthchen
Lack. Die besten Stradivari-Geigen stammen aber aus der
dritten Epoche; sie haben eine noch flachere Wölbung, als
seine früheren Geigen aufweisen, sowie ein noch etwas
gr()fseres Format. Die Ausfiihrung dieser Geigen ist tadellos
und es ist in ihnen das schönste, was die Geigenbaukunst
geliefert hat, geschaffen worden. Der Ton ist grofs, dabei
edel und weich.
Diese Männer und ihre Schüler waren es, welche in der
kleinen Viola — der Violine — ein Streichinstrument von
so ausgezeichneten allgemeinen Eigenschaften schufen, dafs
es in Bezug auf Konstruktion und Tonkundgebung vor-
bildlich für alle übrigen werden mufste. Kein Wunder
daher, wenn wir von nun an die Violine eine solche Herr-
schaft im Musikleben ausüben sehen.
Welche Gegend Italiens ist es vornehmlich, und wie heifsen
die Städte Italiens, wo die Entwicklung des Geigenbaues, des
Geigenspieles und der Geigensonate stattfindet?
Vorzugsweise ist es der Norden Italiens, die Gegend am
Südabhango der Alpen, und besonderen Anteil an dieser
Entwicklung der klassischen Instrumentalmusik haben die
folgenden Städte Oberitaliens: Bologna, Venedig, Cremona,
Brescia, Turin, Mailand, Bergamo, Verona, Treviso, Mantua,
Padua, Pirano, Pisa, Lucca, Livorno und Genua.
In welchen Werken treten uns die Anfänge der Geigentechnik
entgegen?
In den Werken von Biagio Marini aus Brescia, gest. 1660
in Padua und von Garlo Farina, geb. 1570 in Mantua.
(Von Marini erschien 1620 in Venedig ein Solostück für
Violine, betitelt Pomanesca per Violino e Basso«, von Farina
erschienen vierstimmige Instrumentalsätze mit einer kon-
zertierenden ersten Violine, unter denen ein »(Capriccio stra-
vagante« charakteristisch für die Anfänge der Geigentechnik
erscheint; dasselbe bildet in primitiver Weise ein Beispiel
von Tonmalerei, zu welcher die Technik der Violine das
Mittel bietet. Das Werk ist vom Jahre 1627 datiert, als
Farina in kursächsischem Dienst stand und ergeht sich in
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik. 125
Spielereien auf der Violine, wie im Nachahmen des Hiinde-
gebelles, des Gackerns der Henne und anderer Dinge. Farina
war wohl einer der ersten, die Doppelgriffe auf der Geige
anwendeten und Marini einer der ersten, die Triller und
Vorschläge für die Geige schrieben.)
Tarquinio Merula ist erwähnenswert als derjenige, der
die G-Saite der Violine verwendet; bei ihm, bei Battista
Fontana aus Brescia, gest. 1630, sowie bei Filippo Vitali
aus Florenz, wird für ein Violinstück der Ausdruck »Sonata<^
gebraucht, der seither stets mit dem Ausdruck »Canzona«
alterierte.
Wann verliert sich der Ausdruck »Kanzone« für ein Instru-
mentalstück, und wann wird für Instrumentalsätze, speziell für
Geigensätze der Name »Sonate« gebräuchlich?
Von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an.
Welche beiden Arten von Sonaten unterschied man anfangs?
Die »Sonata da Chiesa« und die »Sonata da Camera«.
Wodurch unterschieden sich die »Sonata da Chiesa^ und die
»Sonata da Camera«?
Die »»Sonata da Camera« enthielt meistens Instrumental-
sätze auf Grundlage bestimmter Tanzformen damaliger Zeit,
denen sich Präludien und Ariosos anschlössen, während die
»»Sonata da Chiesa«, ihrem Zwecke in der Kirche entsprechend,
aus ernsten, kontrapunktierten und fugierten Sätzen bestand.
Wer tritt uns auf dem Boden von Venedig unter den Ent-
wicklern der Instrumentalmusik als einer der ersten entgegen?
Giovanni Legrenzi, geb. 1625 in Clusone in der Nähe
von Bergamo, gest. 1690 als Kapellmeister an S. Marco in
Venedig. (Ed. Naumann sagt von Legrenzi: »Er erhob die
>Sonate< zu einem auf das Klassische gerichteten Tonsatze,
und eroberte ihr jenen vornehmen Platz, auf welchem sie
sich noch bis zum heutigen Tage behaui)tet, da ja die Sin-
fonie, die Ouvertüre, das klassische Konzertstück und die
gesamte Kammermusik nur verschiedene Gattungen der
Sonate sind.)
126 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Wie heilsen die übrigen Geiger und Sonatisten Italiens im
17. und 18. Jahrhundert?
Giovanni Battista Vitali, geb. 1644 in Cremona, gest.
1692, war Ausbildner der weltlichen Sonate im edlen Stile.
Giovanni Battista Bassani, 1657 — 1716. Bassani, der
Lehrer des grolsen Corelli, prägt der weltlichen Sonate, wie
G. B. Vitali durch Anlehnung derselben an die Sonata da
Chiesa, den Stempel des Erhabenen auf; in seinen Sonaten
zeigen sich bereits Spuren motivischer Durcharbeitung. Die
Reihenfolge der Sätze einer Sonate bilden z. B. Balletto,
Corrente, Giga und Sarabanda.
Giuseppe Torelli, geb. 1650 in Verona, gest. 1708. Torelli
schrieb die ersten im Sonatenstil komponierten Konzerte
für Violine, und ist durch die Anwendung von Doppelgriffen
und Arpeggien bemerkenswert.
Tomaso Antonio Vitali, geb. 1650 in Bologna, gest. im
ersten Viertel des 18. Jahrhunderts. Seiner bekannten
Ciaconna fiu" die Violine liegt die Form der Variation zu
Grunde; dieselbe ist sicherlich das Vorbild zum Bachschen
Violinsatze gleichen Namens geworden.
Antonio Veracini, geb. in Florenz. Bei ihm wie bei
Torelli verlieren sich die Tänze aus der »Sonata da camera« ;
seine Sonaten bestehen meist aus zwei getragenen und zwei
bewegten Sätzen.
Arcangelo Corelli, geb. 1653 in Fusignano bei Bologna,
gest. in Rom 1713. Corelh besuchte 1692 Paris und 1680
Deutschland, wo er beim Kurfürsten von Bayern in den
Dienst trat. Corelli, dessen Lehrer Bassani, war Begründer
des klassischen Violinspieles und wirkte vornehmlich auf
dem Boden von Rom, weshalb die von ihm ausgegangene
Schule auch die römische genannt wird. Corelli, der ein-
flufsreich auf Ph. Em. Bach wirkte, schrieb »Concerti grossi«
für 7 — 9 Streichinstrumente, sowie 60 Sonaten für Violine
mit Bafs. Von diesen Sonaten sind zu erwähnen: »12 Suo-
nate a violino e violone o cembalo da Arcangelo Corelli da
Fusignano, Op. 5«, Roma 1700; »12 Suonate a tre due violini
e violone col basso per l'organo«, Bologna 1690.
6. Die Entwicklung der absoluten Instrumentalmusik. 127
Wer war der Pionier für das Violoncellospiel, als welcher
Corelli für die Geige in Italien zu gelten hat?
Francisello, gest. 1750 in Neapel.
Wie heifsen die mittel- und unmittelbaren Schüler Corellis?
Giovanni Battista Somis aus Piemont, 1673 — 1763, war
Begründer einer Geigenschule in Turin.
Francesco Geminiani, geb. in Lucca 1680, gest. 1762.
Geminiani war Konzertmeister in Neapel, ging 1714 nach
London, 1748 nach Paris, woselbst er viele seiner Werke
veröffentlichte, 1755 wandte sich Geminiani nach London,
und starb 1763 in Dublin; von ihm ist eine Anleitung zum
Violinspiele geschrieben.
Pietro Locatelli, geb. 1693 in Bergamo, gest. 1764. Von
ihm ist aufser zahlreichen Violinsonaten das Werk »L'arte
del violino« verfafst.
Giuseppe Tartini, geb. 1692 in Istrien, gest. 1770 in Padua,
Wie Corelli im 17. Jahrhundert, so leuchtet Tartini im 18.
Jahrhundert als Geiger und Komponist für sein Instrument.
Seine musikalische Ausbildung erhielt Tartini in einem
Kloster von Assisi, während als Violinspieler Antonio Vera-
cini auf ihn einwirkte, den er zum erstenmale in Venedig
hörte. Tartini führte bis zum Jahre 1728, als er in Padua
eine Geigenschule gründete, ein bewegtes Leben, und schuf
gegen 200 Werke, Variationen, Konzerte, Sonaten für Violine,
sowie die Unterrichtswerke »Schule der Bogenführung« und
»Schule der Verzierungen«. Tartinis Bedeutung auf musik-
wissenschaftlichem Gebiete liegt besonders noch in seiner
Entdeckung der Theorie der Kombinationstöne, wovon seine
Werke »Trattato di musica« 1754, sowie »De' principii dell'
armonia musicale contenuta nel diatonica genere«, PadoA^a
1767, Zeugnis ablegen. Von seinen Schülern sind hervor-
zuheben: Die Italiener Pugnani, geb. 1727 in Turin, gest.
daselbst 1803, Bini, Nardini, Ferrari und Meneghini;
die Deutschen Joh. Gottlieb Graun und Joh. Gottlieb
Naumann, sowie die Franzosen Pagin und Lahousaye.
Der Lieblingsschüler Tartinis war Pietro Nardini, geb.
1725 in Livorno, gest. 1793 in Florenz. Bei ihm und Tartini
macht sich, wie bei Dominico Scarlatti, in den Sonatensätzen
128 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
ein dem Hauptthema gegenübergestelltes zweites Thema
bemerkbar. Von Nardini ist auch eine schöne Sonate für
Altviola zu erwähnen.
Giovanni Battista Viotti, geb. 1753 in Fontanette, war
Schüler von Pugnani, und starb 1824 in London. Muster-
gültig sind Viottis Konzerte für Violine, sowie seine Kom-
positionen für zwei Violinen. Ein bedeutender Schüler
Viottis war der Franzose Baillot, der im Vereine mit Rode
und Kreutzer auf dem Boden von Paris wirkte. Viotti ist
nicht nur einer der bedeutendsten Geiger Italiens gewesen,
sondern auch der Begründer und das Haupt jener grofsen
Geigerschule, aus der Künstler wie Pierre Baillot, Ro-
dolf Kreutzer, Wilhelm Pixis, Pierre Rode und Phi-
lippe Lafont hervorgegangen sind. Die Geiger de Beriot
und Vieuxtemps sind ebenfalls noch auf Viotti zurückzu-
führen.
Wie heifsen aufser den genannten noch einige Italiener, welche
sich auf dem Boden von Italien, sowie durch ihren Einflufs
auf Frankreich, England und Deutschland um die Ausbil-
dung des Violinspieles, sowie des Sonatenstiles verdient ge-
macht haben?
Der Florentiner Valentini, um 1695; Lolli, geb. in Ber-
gamo 1730, gest. 1802 in Neapel; Mestrino, geb. 1748 in
Neapel, gest. 1790 in Paris; Brunnetti aus Pisa, 1753—1807;
Polledro, geb. 1776 bei Turin; der Bologneser Campag-
noli, 1751—1827; Giov. Samartini, der zwischen 1704 und
1774 in Mailand lebte, Luigi Boche rini, geb. 1743 in Lucca,
gest. 1806 in Madrid, sowie Alessandro Rolla, geb. 1757
in Pavia, gest. 1841 in Mailand, war berühmter Violin- und
Violavirtuose seiner Zeit; von 1782 an Kammervirtuose des
Herzogs von Parma und von 1802 an Orchesterdirigent des
Scalatheaters in Mailand, wo er aufserdem noch als Solist
in der Kapelle Eugen Beauharnais' und als Professor am
Konservatorium wirkte. Von ihm zahlreiche Kompositionen
für Violine, sowie für Viola (Etüden, Konzerte, Duos, Trios
und Quartette). Rolla war kurze Zeit Paganinis Lehrer
im Violinspiele.
^
7. Die Weltherrschaft der itahenischen Oper, sowie
der itahenischen Musik überhaupt.
Gesangs- und Instriimentalvirtuosentiim bis ins 19. Jahrhundert.
Mit der Oper, als deren Entstehungsorte Florenz (Opera
seria) und Neapel (Opera buffa) anzusehen sind, sowie mit
dem Virtuosentume im Gesänge, das sich auf die Instrumental-
musik übertrug, trat die italienische Musik ihren Triumphzug
durch die Welt an. Besonders war es die komische Oper, die
Opera buffa der Italiener, die im 18. Jalirhundert mit Sturm-
schritten die civihsierte Welt eroberte. Dies war auch der
Grund, weshalb im 18. Jahrhundert die sich in den strengen
Formen der Kammermusilv (musica di camera) bewegenden
Tonsetzer nicht in dem Mafse zur Geltung kamen als die
Opernkomponisten und die durch ihre Kehlfertiglveit glänzenden
Gesangsvirtuosen, weil ihre Musilv nur einem kleineren Kreise
zugänglich war, während die Oper und das Virtuosentum alle
Kreise interessierte.
Wer ist als eigentlicher Begründer der Opera buffa anzu-
sehen?
Nicolo Logroscino (1700 — 1763), in Neapel geboren, starb
er daselbst, nachdem er von 1747 in Palermo als Lehrer
am Conservatorio dei figliuoli dispersi gewirkt hatte. Bis
zum Auftreten Piccinis (1747) glänzte er ausschlielslich als
Stern am Himmel der italienischen Oper. Von ihm: »II
governatore«, »II vechio marito«, »Tanto bene, tanto male«,
die Opera seria Giunio Bruto« u. a. m.
Welche Komponisten treten neben Logroscino in der komischen
Oper mit Erfolg auf?
Leonardo Leo, geb. 1694 in San Vito degli Schiavi im
Königreich Neapel, gest. 1746 in Neapel.
Ritter, Encyklopädie dei' Musikgeschichte. III. 9
130 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien,
Francesco Conti, geb. 1681 in Florenz, gest. 1732 in Wien.
Giov. Batt. Pergolese, geb. 1710 in Jesi bei Ancona, gest.
1736 in Puzzuoli bei Neapel.
Leonardo Leo studierte am Konservatorium della Pietä de'
Turchini in Neapel, kam nach Rom, wo er sich unter Pitoni
mit Kontrapunkt beschäftigte und kehrte nach Neapel zu-
rück, wo er als zweiter Kapellmeister am Konservatorium
della Pietä de' Turchini, 1716 als Organist der kgl. Kapelle
und 1717 als Kapellmeister der Kirche Santa Maria della
Solitaria wirkte. 1719 fand die Aufführung der ersten Oper
Leos »Sofonisbe« unter grofsem Erfolge statt. Als letzte Stel-
lung bekleidete Leo die Direktorstelle des Konservatoriums
San Onofrio in Neapel und verpflanzte von hier aus, durch
seine Schüler Pergolese, Jomelli, Piccini, Sacchini, Hasse,
Traetta, Fornelli u. a. m., die Traditionen der neapolitanischen
Tonschule über ganz Europa. Leo war der bedeutendste
Repräsentant der neapolitanischen Tonschule in der ersten
Hälfte des 18. Jahrhunderts, und war nicht nur auf allen
Gebieten der Komposition thätig, sondern war auch ein
tüchtiger Lehrer und Virtuose auf der Orgel und dem
Violoncello, das er als erster der Viola di gamba gegen-
über zu einer herrschenden Stellung verhalf. Auch war
Leo der erste, der sich in der komischen Oper der Form
des Rondos bediente. Von seinen 40 Opern seien aufser
der Erstlingsoper »Sofonisbe« erwähnt: die komischen
Opern »II cioe« (»Das heilst«), »Olimpiade«, »La clemenza
di Tito«, »Demofonte« mit der berühmten Arie »Misero
Pargetto«, welche Piccini als das bedeutendste des drama-
tischen Ausdruckes jener Zeit bezeichnete. Ferner »Andro-
mache«, »Alessandro in Persia«, »Giro riconosciuto« und
»Achille in Sciro«. 60 Intermezzi, Serenaden, Kantaten und
Pastorales fiu^ die Bühne, die Oratorien »Santa Elena al
calvario« und »La morte d' Abele«. Für die Kirche schrieb
Leo vier Kantaten, fünf Messen, eine im Palestrinastile, die
anderen drei mit Orchester, ein Tedeum, ein Miserere für
acht Stimmen a-capella, ein vierstimmiges mit Orgel, zwei
Magnifikate, Responsorien, Motetten, Lamentationen, ein Tan-
tum ergo, Allelujahs, ein Ave Maria für Sopran, Streich-
instrumente und Orgel. Zwei Bücher, Orgelfugen, Toccaten
7. Die "Weltherrschaft der italienischen Oper. 131
für Klavier und sechs Violoncellokonzerte, sechs Bücher
Solfeggien für alle Stimmlagen, zwei Bücher Partimenti
(bezifferte Bässe zum Aussetzen) und eine Manuskript ge-
bliebene Musiklehre (Principi di musica) vervollständigen
das grofse und umfangreiche Schaffen Leos.
Francesco Conti, der 1703 als Theorbenspieler in die
kaiserl. Hofkapelle kam, wurde, nachdem er Kammerkompo-
nist und Vice-Hofkapellmeister geworden war, zum Hofkapell-
meister ernannt. Von ihm, aufser zahlreichen Kantaten und
Motetten, Opern im Stile Alessandro Scarlattis »Clotilda«
(1709 auch in London aufgeführt), »Alba Cornelia«, »I Satiri
in Arcadia«, »Ciro«, »Tesseo in Creta«, »Alessandro in
Sidone«, »Penelope«, »Mose preservato«, »Griselda« u. a. m.
Den Haupterfolg hatte aber seine komische Oper »Don
Chichotto« (»Don Quixote«), die 1721 auch in Hamburg ge-
geben wurde und als Muster dieser Art in jener Zeit galt.
Von den weltlichen Kantaten befindet sich eine unter dem
Titel »L'Istro« als Manuskript in der kgl. Bibliothek in
Dresden.
Giovanni Battista Pergolese war Schüler des Conser-
vatorio dei poveri di Gesü Christo in Neapel, wo ihn Dan.
Mattei auf der Violine, Durante und Feo in der Komposition
unterrichteten. Er schrieb ernste und komische Opern,
Kirchen werke, sowie eine Reihe Streichtrios, letztere auf
Bestellung des Prinzen von Stegiiano. Sein erstes erfolg-
reiches Werk war das geistliche Drama »S. Guglielmo
d'Aquilania«, dem eine grofse Messe für zwei Chöre und
Orchester folgte, welche er im Auftrage der Stadt Neapel
verfafst hatte und die als Dankgottesdienst nach einem
glücklich überstandenen Erdbeben in Neapel in der Kirche
S. Maria della Stella zum erstenmale zur Aufführung ge-
langte. Aufserdem sind von Pergolese für die Kirche noch
ein »Dixit<, ein »Laudate«, ein »Salve regina«, sowie das
berühmt gewordene »Stabat mater« geschrieben worden,
welches letztere Werk kurz vor seinem Tode entstand.
Aufser der Kantate »Orfeo« seien noch die Opern »II
prigioniere superbo« und »Lirietta e Tracolla« erwähnt.
Der Ruf Pergoleses wurde aber so recht eigentlich durch
die beiden komischen Opern »La serva padrona« und »Lo
9*
132 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
fratre innamorata« begründet; sie waren es, die ihren Autor
zu einem entscheidenden Siege verhalfen, weil in ihnen
die Grazie der Melodie waltete. Ebenso war das Orchester
reicher und stimmungsvoller als bei anderen behandelt.
Diese Faktoren waren es, welche die Oper »La serva
padrona« in Paris zu einem derartigen Erfolge verhalfen,
dals sie anderen Werken, wie z. B. Arbeiten Lullys und
Kameaus den Eang streitig machte und einen förmlichen
Streit auf dem Boden von Paris zwischen den Vertretern
der italienischen komischen Oper und den Vertretern der
nationalen Oper Frankreichs hervorrief — den Streit der
Buffonisten und Antibuffonisten.
Welcher Philosoph ergriff lebhaft Partei für die Angelegen-
heit Pergoleses?
Jean Jacques Rousseau. Derselbe stellte sich auf die
Seite der italienischen Oper, im Gegensatz zu Rameau und
den bereits verstorbenen LuUy.
Welche beiden Parteien standen sich hier im ästhetischen
Prinzipienstreite gegenüber?
Melodisten und Rhetoriker, oder Melodie und Sprech-
gesang. (Merkwürdig ist es und wohl zu beachten, dafs
Rousseau, als die Bestrebungen des toskanischen Musik-
dramas in Rameaus Werken anfingen, maniriert zu werden,
sich den lebensfrischen italienischen Buffonisten zuwandte,
und als Gluck die wiederum zur Schablone gewordene
italienische Oper regenerierte, im Streite der Gluckisten
und Piccinisten schlief slich auf Seiten Glucks trat.)
Woran krankte die Opera seria oder die ernste Oper der
Italiener zur Zeit Pergoleses?
Am hohlen Pathos; es war derselbe hohle Pathos, wie
dieses an den meisten Bildwerken der Barockzeit wahrzu-
nehmen ist. Die Natürlichkeit des Ausdruckes war einem
unnatürlichen, verkünstelten gewichen und dies war der
Grund, weshalb die urgesunde Komik und die aus dem
frischen Quell des Lebens geschöpften Werke Pergoleses und
seiner Anhänger sowie Nachfolger so fascinierend wirkten.
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 133
Wer ist als Nachfolger Pergoleses auf dem Gebiete der ko-
mischen Oper Italiens zu betrachten?
Nicolo Jomelli, geboren 1714 in Aversa im Neapoli-
tanischen, gestorben 1774 in Aversa. Aufser seinen vierzig
Kirchen werken, worunter ein »Laudate«, ein »Benedictus«,
ein »Requiem«, ein »Passionsoratorium« und ein »Miserere«
bemerkenswert sind, schrieb Jomelli eine Reihe ernster
und komischer Opern, deren letztere sich ganz besonderen
Erfolges erfreuten. Ihre Namen sind: »L'Amore in
maschera«, »La Critica« und »II Matrimonio per Con-
cor so«. Seine musikalischen Studien machte Jomelli am
Konservatorium in Neapel unter Porta, Mancini und Leo,
und trat bald als Komponist von Opern und Kantaten an
die Öffentlichkeit. 1740 wurde er nach Rom berufen, wo
er mehrere beifällig aufgenommene Opern schrieb. 1741
wandte sich Jomelli nach Bologna, um noch beim Padre
Martini sich im strengen Kontrapunkte zu üben. Abwechselnd
lebte er sodann in Rom und Neapel, indem er für dortige
Theater Opern verfafste. In Rom wurde er auf sein acht-
stimmiges »Laudate« hin zum päpstlichen Kapellmeister er-
nannt. 1754 erhielt er die Berufung als Hofkapellmeister
des Herzogs Karl von Württemberg nach Stuttgart, wo er
gegen 20 Opern und mehrere Kirchenwerke schuf und die
Hoftheaterkapelle auf eine ungeahnte Höhe der Vollendung
brachte. 1768 kehrte Jomelli nach Italien zurück, wo er
bis zu seinem Tode in Abgeschiedenheit lebte. Von seinen
Opern sind aufser den schon genannten epochemachenden
drei komischen Opern die grofsen Opern »Ifigenio«, »Cajo
Mario«, »Eumene«, »Merope«, »Odoardo , »Demetrio« und
»Artaserse« zu nennen. Jomellis Kirchenkompositionen
sind durch all zu vieles theatralisches Koloraturenwerk —
ganz im Geiste des damals herrschenden Schnörkelstiles —
unkirchlich, und dem edlen Stile des Palestrinas strikte
entgegengesetzt.
Was ist an der Person Jomellis psychologisch interessant?
Jomelli, der nur sich und seine Werke zu kennen schien,
war eitel und sehr reizbar gegen jede Bemängelung und
Kritik seiner Schöpfungen. Diese Leidenschaft, welche aus
Eifersucht und Neid hervorzugehen schien, spitzte sich
134 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
bei Jomelli ins Ungeheure zu, so dafs sogar der an dem
portugiesischen Opernkomponisten Tardellus verübte Mord
ihm zur Last gelegt wurde. (Leider handelte es sich in
der ganzen Zeit der Weltherrschaft der italienischen Oper,
die es mehr auf oberflächliche Unterhaltung absah und
das Virtuosentum zur Gefolge hatte — nicht mehr um die
Kunst als solche, sondern um Kunstfertigkeiten zur Ver-
herrlichung des eigenen Ichs.)
Wie Pergolese der italienischen komischen Oper die
Weltherrschaft errang, so verschaffte Jomelli der italie-
nischen ernsten oder pathetischen Oper die Anerken-
nung vor aller Welt. Das Dreigestirn am Himmel der italie-
nischen Oper am Ende des 18. Jahrhunderts, welches die All-
macht der italienischen Oper aufrecht erhielt, bestand in
Piccini, Paisiello und Cimarosa. Doch bevor diese be-
handelt werden, seien noch folgende Komponisten der italie-
nischen Oper erwähnt:
Pietro Guglielmi, geb. 1727 in Massa Carrara, gest. 1804
in Rom. Guglielmi studierte am Conservatorium di San
Loretto in Neapel unter Durante und hatte die Freude,
nachdem er in Turin seine erste Oper mit grofsem Erfolge
aufgeführt hatte, an allen Bühnen Italiens seine Werke ge-
geben zu sehen. 1762 wurde er als kurfürstlicher Kapell-
meister nach Dresden berufen, von wo er nach Braun-
schweig und sodann nach London übersiedelte. 1777 kehrte
er nach Neapel zurück, wo Cimarosas Stern aufgegangen
war. 1793 als päpstlicher Kapellmeister nach Rom berufen,
war er als Dirigent und Komponist in dieser Stellung bis
zu seinem Tode thätig. Guglielmi war lange Zeit hindurch
der Modekomponist auf dem Gebiete der komischen Oper,
von denen zu nennen sind: »I capricci d'una Marchesa«,
»I due Soldati«, »II carnavale de Venezia«, »I Viaggiatori
ridicoli«, »Due Nozze ed un Sol Marito«, »La Quakera spiri-
tosa«, »La lanterna di Diogenio«, »I due gemelli«, »I fra-
telli«, »La bella peccatrice«, »La pastorella nobile« u. a. m.
Giuseppe Sarti, geb. 28. Dezember 1729 in Faenza (Kirchen-
staat), gest. 28. Juli 1802 in Berlin auf der Durchreise von
St. Petersburg, war Schüler von Padre Martini in Bologna.
Seine erste Oper »Pompeo in Armenia«, die er mit 22 Jahren
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 135
schrieb, begründete seinen Ruf, so dafs er bereits 1756 als
königlicher Kapellmeister in Kopenhagen wirkte. Sarti
schrieb aulser 42 Opern auch Kirchenkompositionen, von
denen drei Messen und eine Kyrie-Fuge Berühmtheit er-
langten. Von Kopenhagen nach Italien zurückgekehrt,
wandte er sich 1769 nach London, das er 1770 wieder ver-
liels, um die Direktorstelle am Konservatorium Ospedaletto
in Venedig anzutreten. 1779 sehen wir Sarti als Domkapell-
meister in Mailand, welche Stellung er 1784 aufgab, um sich
nach einem kurzen Aufenthalte in Wien nach Rufsland zu
begeben, wohin er in St. Petersburg als Hofmusikdirektor
der Kaiserin Katharina II. berufen wurde. Durch Intriguen
in Ungnade gefallen, trat Sarti in den Dienst Potemkins,
nach dessem Tode er bei der Kaiserin wieder zu Gnaden
kam. 1802 verliefs Sarti Rufsland, um in Italien Erholung
zu suchen, wurde aber in Berlin vom Tode ereilt. Von
seinen Opern sind hervorzuheben: »Le gelosie villane«,
»Le nozze di Dorina«, »Armida e Rinaldo«, sowie seine
vom gröfsten Erfolge gekrönte komische Oper: »Fra due
litiganti« (»Im Trüben ist gut fischen«). Aus dieser Oper,
welche sehr häufig in Wien gegeben wurde, nahm Mozart
in das zweite Finale seines »Don Juan« ein Thema auf.
(»Come un agnello«.) — Auch als Mann der Wissenschaft
hat sich Sarti hervorgethan und zwar durch die Erfindung
eines Apparates, der zur Ermittelung der Schwingungs-
zahlen der Töne diente. Die Petersburger Akademie der
Wissenschaften ernannte Sarti hierfür zu ihrem Mitgliede.
Neben Sarti ist als Komponist auf dem Gebiete der komi-
schen Oper zu nennen:
Antonio S alier i, geb. 19. August 1750 in Legnano im
Venetianischen, gest. 7. Mai 1825 in Wien, erhielt seine
musikalische Ausbildung von seinem Bruder, einem Schüler
Tartinis, und ging nach Venedig, um daselbst seine Studien
weiter fortzusetzen. Hier nahm ihn der Wiener Kammer-
kapellmeister G. Gafsmann an Kindes Statt an. 1766 fand
Salieris Übersiedelung nach Wien statt, wo er bis zu seinem
Lebensende rastlos wirkte. Die gröfste Popularität erlangten
Salieris komische Opern: »Le Donna letterate« (1770), sowie
die im Auftrage Kaiser Josefs geschriebene Oper »Der Rauch-
136 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
fangk ehrer«. Ferner sind von seinen 40 Opern zu nennen:
»II Talismane«, II Ricco d'un giorno«, »Falstaff«, die Ballett-
oper »Don Chisciotte« (»Don Quixote«), die im Auftrage der
Pariser Akademie geschriebene und in Paris 1784 mit grolsem
Erfolge aufgeführte Oper »Les Danaides«, »Tarare« und
»Les Horaces«. Tarare erlangte in der späteren Umarbeitung
als »Axus und Ormus« europäischen Ruf und vermochte es
1788 in Wien Mozarts »Don Juan« in den Schatten zu stellen,
ohne auch nur annähernd dessen Tiefe zu besitzen. Ferner
seien noch erwähnt: »Armida«, »La Semiramide«, zwölf
Oratorien, Kantaten, Ouvertüren, Kammermusikwerke und
Balletts. Salieri, der seine musikalische Laufbahn in Wien
als Mitglied der kaiserlichen Kapelle begann, endete dieselbe
als Hofkapellmeister, welche Ernennung ihm 1789 zu teil
wurde. Seine erste Oi3er »Le Donna letterate« trug ihm
die Zuneigung und Freundschaft Glucks ein, und bekannt
ist, dafs Beethoven mit Salieri verkehrte und Schubert
Schüler des italienischen Maestro war. Zu Mozart stellte
sich Salieri in das Verhältnis eines Rivalen.
Wie hiefs das glänzende Dreigestirn in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts am Opernhimmel Italiens?
Piccini, Paisiello und Cimarosa.
Nicolo Piccini, geb. 1728 in Bari bei Neapel, gest. 7. Mai
1800 in Passy bei Paris, war Schüler des Konservatoriums
San Onofrio in Neapel, als welcher er bereits mit vierzehn
Jahren eintrat, und erlangte eine musikgeschichtliche Be-
deutung nicht nur als Komponist von komischen und ernsten
Opern, sondern durch den bekannten Prinzipienstreit mit
Gluck, der als Wettkampf der Gluckisten und Piccinisten
auf dem Boden von Paris zu Gunsten Glucks ausgefochten
wurde. Leo und Durante waren in Neapel zwölf Jahre
lang die Lehrer Piccinis, der seine dramatische Laufbahn
mit der komischen Oper »Le Donne dispettose« begann.
Unter seinen komischen Opern fand »Cecchina« wohl den
meisten Beifall. Die Opern »Olympiade«, »Alessandro nell'
Indie« und »Radomista« begründeten Piccinis Ruf nicht
nur in Italien, sondern auch in Deutschland, Frankreich
und Rufsland. 1773 wurde Piccini von der Königin Maria
Antoinette nach Paris berufen, um daselbst nicht nur seine
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 137
älteren Opern, sondern auch die neueren »Roland«, »Atys«
und »Phaon« zur Aufführung zu bringen, was unter gröfstem
Beifalle von selten des Hofes und des Publikums geschah.
Wie bereits bei Pergolese gesagt, hatte sich in Paris eine
Partei gebildet, welche gegen die französischen Opernkom-
ponisten die italienischen auf den Schild hob. Hier ist nun
der Keimpunkt des grofsen Streites der Piccinisten und
Gluckisten, der in Paris entbrannte, gelegen. Es war ein
Kampf der ausschlielslichen Melodienoper, wie sie die Italiener
schufen, und des dramatischen Kunstwerkes als solchen auf
dem Gebiete der Oper, wie sie Gluck aufbrachte. In selbst-
loser Weise erklärte sich Piccini nach Aufführung der
Gluckschen »Iphigenie in Tauris« (1779) für besiegt. Aber
nicht nur Gluck, sondern auch Sacchini überflügelte Piccini,
dem 1790 die Revolution das Amt beim Hofe raubte. Wegen
revolutionärer Gesinnung wurde Piccini zu vier Jahren Ge-
fängnis verurteilt, und kam erst 1798 nach Paris zurück, wo
er durch seelische Aufregungen aufgerieben, in Krankheit
verfiel. Napoleon hatte 1800 für ihn noch eine Inspektor-
stelle am Konservatorium geschaffen, aber schon im Mai
dieses Jahres verschied Piccini nach einem rühm- und
sorgenvollen Leben. Ungefähr 150 Opern hat Piccini ge-
schrieben, von denen hier noch »Zenobia«, »Didon«, »Iphigenie
en Tauride«, »Penelope«, »Griselda« und »II serva padrone«
verzeichnet werden mögen, als solche, die durch ihren Melo-
dienreichtum in den Arien, in dem Aufbau ihres Finales
und in der charakteristischen Behandlung des Orchesters
vom Publikum besonders bevorzugt wurden.
Giovanni Paisiello, geb. 9. Mai 1741 in Tarent auf Sicilien,
gest. 5. Juni 1816 in Neapel. Äufsere Lebensverhältnisse:
Paisiello studierte am Konservatorium San Onofrio in Neapel,
an welcher Anstalt er selber später Lehrer wurde. Nach
Erfolgen mit Kirchen werken, Intermezzi, komischen und
ernsten Opern, die des Melodienreichtums wegen geschätzt
wurden, erhielt Paisiello 1776 einen Ruf nach St. Petersburg,
woselbst er acht Jahre verblieb. Mit Auszeichnungen und
Reichtümern überhäuft, kehrte er 1784 in die Heimat zurück,
und zwar nach Neapel als Dirigent der königlichen Kapelle,
trotzdem er wieder nach St. Petersburg und 1788 auch an
138 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
den Hof Friedrich Wilhelm II. nach Berlin berufen wurde.
Beim Ausbruche der politischen Unruhen 1799 floh er mit
dem König von Neapel nach Sicilien und nahm, dem Ver-
dacht zu entgehen, an der Revolution Teil genommen zu
haben, den an ihn ergangenen Ruf Napoleons nach Paris
an, wo er von 1802—1804 wirkte. Durch die Rivalität mit
Cherubini und Mehul veranlafst, verliefs er Paris, um wieder
in seine alte Stellung nach Neapel zurückzukehren. Durch
den Verdacht, dem bourbonischen Königshause verbunden
zu sein, verlor Paisiello seine Stellung und somit auch seine
Pension, so dafs er sogar in Not geriet. Bedrängt und ver-
bittert durch die Abnahme seines Ruhmes — denn Rossini
fing an, alle Opernkomponisten zu verdunkeln — siechte er
im 74. Jahre seines Lebens hin. Sein Schaffen: Paisiello
schuf aufser Kirchenwerken 94 Opern. Aus dieser Fülle
seien genannt: »La serva padrona«, »La Madama umorista«,
»Le Virtuose ridicule«, »L'amore in bello«, »II Marchese
Tulipano«, sowie »II Barbiere di Seviglia« als diejenigen
komischen Opern, die von grofsem Erfolge begleitet waren.
Sein »Barbier« wurde für den Rossinischen vorbildlich.
Andere Opern sind: »La finta amante«, »La Molinara«,
»I Zingari in fiera«, »Nina«, »Je re Teodoro«, »Achille in
Sciro«, »La grotta di Trionfo«, »La pazza per amore« und
»Proserpina«. Daneben sind von Paisiello noch zwölf Sin-
fonien, wie die Ouvertüren der italienischen Komponisten
genannt wurden, zu nennen, ferner ein Tedeum, das Ora-
torium »La passione di Gesü Christo«, Quartette und Klavier-
stücke. — Paisiellos künstlerische Bedeutung: Schönheit der
musikalischen Linie, der Melodie, dabei komisch-dramatische
Wirkungen und Steigerung der einzelnen Akte in den bis
dahin unbekannten vielstimmigen Finales, sowie charakte-
ristische Behandlung des Orchesters besonders in den Blas-
instrumenten.
Domenico Cimarosa, geb. 17. Dezember 1749 (bei Gerber,
Czerny, Fetis und Jahn fällt das Geburtsjahr Cimarosas
zwischen 1749, 1754 und 1755; Canovas Büste trägt die
Jahreszahl 1755) in A versa (Königreich Neapel), gest.
11. Januar 1811 in Venedig. Äufsere Lebensumstände:
Cimarosa besuchte in Neapel die Armenschule. Der Organist
7. Die Weltherrschaft der italienschen Oper. 139
des Minoritenklosters, Pater Poleano, entdeckte die aiilser-
ordentlichen musikalischen Anlagen, bereitete ihn fürs Kon-
servatorium vor, an welchem er (es war am Konservatorium
Santa Maria di Loreto) eine Freistelle erhielt und von
1761 — 1772 unter Sacchinis und Piccinis Leitung studierte.
1774 wandte er sich nach Kom, wo er bis 1780 verweilte
und die beifällig aufgenommene Oper »Italiano in Londra«
schuf. 1787 berief ihn Kaiserin Katharina IL nach St. Peters-
burg, welche Stadt er 1792 aus Gesundheitsrücksichten wieder
verlassen mufste. Er wandte sich nach Wien, wo er die
berühmte komische Oper »II matrimonio segreto« (»Die
heimliche Ehe«) komponierte. Als Cimarosa in Neapel als
königlicher Kapellmeister weilte, hatten ihn Neider, sowie
sogar Paisiello, als Revolutionär angeklagt. Cimarosa, der
seine Begeisterung bei der Occupation Neapels durch Napo-
leon offen zeigte, wurde gefangen genommen und zum Tode
verurteilt. Auf Fürsprache entliels man den Tondichter
nach vierjähriger Gefangenschaft und wies ihn aus Neapel.
Cimarosa, der Venedig aufsuchte, komponierte hier trotz
aller Mühsal und Bedrängnis noch die Oper »Artemisia«,
sowie eine Messe, und starb im 47. Lebensjahre im Jahre 1811.
Sein künstlerisches Schaffen bestand hauptsächlich in komi-
schen Opern. Das erste Werk, welches die Aufmerksamkeit
auf Cimarosa lenkte, war »Le Stravaganze del Conte« im
Jahre 1772. In Rom war es 1774 »La Italiana in Londra«,
welche mit grofsem Erfolge aufgeführt wurde. Weitere
Opern; »Ballerina amante«, »Olimpiade«, »II sacrificio
d'Abramo«, »Artemisia«, »Gli Orazj e gli Curiazj«, »Ataserse«
und »Semiramide«. Doch sein eigentliches Meisterwerk ist
und bleibt die reizende Oper »II matrimonio segreto« (»Die
heimliche Ehe«), die als Prototyp einer echten komischen
Oper gelten mufs. Mit Cimarosa, der ein Vertreter des so-
genannten »schönen Stiles«, wie ihn die neapolitanische Ton-
schule ausgebildet hatte, war, haben wir den Höhepunkt der
komischen Oper erreicht.
Nach Cimarosas ist noch als tüchtiger Vertreter der komi-
schen Oper zu nennen:
Valentino Fioravanti, geb. 1770 in Rom, gest. 1837 in
Capua; derselbe erhielt seine musikalische Ausbildung am
140 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Conservatorio della pietä in Neapel, und wirkte in Turin,
Lissabon, in Neapel und seit 1816 als Kai^ellmeister an
St. Peter in Rom. Viele Lieder, Motetten, Messen, Offertorien
und andere Werke sind aufser seinen Opern von ihm ge-
schaffen worden. Von seinen komischen Opern sind her-
vorzuheben: »Virtuosi ambulanti«, »Cantatrice villane«, »II
Furbo contra il Furbo«, »Gli Amanti comici«, »L'Avaro«,
»La Sposa di due mariti« und »Le Aventure di Bertoldino«,
sowie die ernste Oper »Das Urteil des Paris«. — Sein Sohn
Vincenzo Fioravanti (geb. 1810 in Neapel, gest. 1877),
möge hier genannt werden als Verfasser folgender komi-
schen Opern, die aber denen des Vaters nicht gleichstehen:
»I due caporali«, »Un matrimonio in prigione« u. a. m.
Welcher Komponist liefert das charakteristische Beisi^iel der
Verflachung des Stiles der italienischen komischen Oper?
Vincenzo Martin, aus Valencia gebürtig, aber vollständig
in der italienischen Tonschule erzogen. Seine Oper »Cosa
rara« wurde in Wien anfangs sogar Mozarts »Figaro« vor-
gezogen. (Mozarts Rache im zweiten Finale des »Don Juan«
ist bekannt.)
Waren die angeführten italienischen Meister der komischen
Oper des 18. Jahrhunderts auch gleichbedeutend auf dem Ge-
biete der tragischen, pathetischen oder ernsten Oper?
Nein; Weitschweifigkeit und Hohlheit herrscht sogar viel-
fach in ihren Werken, wie dies z. B. »Cleopatra« und
»Artaserse« von Cimarosa, ferner »Das Urteil des Paris«
von Fioravanti zur Genüge darthun. Selbst Pergolese ist
in seinen ernsten Opern »Olimpiade« und »Adriano in Siria«
nicht besser, als jene. Überhaupt verliert sich im Laufe der
Zeit in der neapolitanischen Musikentwicklung jene Gediegen-
heit, welche im Anfange derselben ganz besonders die Werke
Stradellas und Alessandro Scarlattis auszeichnete. Den
Schlufs dieser ganzen Entwicklung, die aber bereits in
oberflächliches Virtuosentum übergegangen war, bilden Kom-
ponisten wie Nicolo Porpora und Nicola Antonio
Zingarelli.
Nicolo Porpora, geb. 19. August 1686 in Neapel, gest. 1767
daselbst, war Schüler am Konservatorium S. Maria di Loreto
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 141
in Neapel unter Alessandro Scarlatti. Nachdem er an diesem
Konservatorium als Lehrer gewirkt hatte, begab sich Porpora
nach Wien (1725), nach Dresden (1729), wo er als Kapell-
meister fungierte, sodann nach London (von 1729—1736).
Von 1754 an sehen wir ihn wieder auf dem Boden von Wien,
wo Haydn von ihm lernte, bis er kurz vor seinem Tode
nach Neapel zurückkehrte, um als Kapellmeister an der
Kathedrale sowie am Konservatorium zu wirken. Von ihm
sind gegen 50 Opern geschrieben, Messen, Oratorien und
Psalmen, ferner zwölf Violinsonaten, die wertvolle Beiträge
zur Litteratur dieses Instrumentes bilden und viele Kantaten
für eine Singstimme, die sich durch schöne Behandlung des
Recitatives auszeichneten. Porporas Hauptbedeutung hegt in
seiner Thätigkeit als Gesangspädagoge, als welcher er viele
bedeutende Sänger und Sängerinnen ausbildete. Broschi
(Farinelli), Caffarelli, Senesino, die Tosi und Bordoni waren
z. B. aus seiner Gesangschule hervorgegangen.
Nicola Antonio Zingarelli, geb. 4. April 1752 in Neapel,
gest. 5. Mai 1837 daselbst, ist wohl als der letzte Komponist
der grofsen neapolitanischen Ton schule, welche von A. Scar-
latti begründet wurde, zu bezeichnen. Zingarelh war Schüler
des Konservatoriums S. Maria di Loreto in Neapel, fungierte
an demselben mehrere Jahre als Lehrer des Violinspieles.
Seine Gönnerin, die Herzogin von Castelpergamo, gab ihm
Gelegenheit, eine Reihe von Opern zu schreiben, von denen
»Giulietta e Romeo« in Mailand mit Erfolg aufgeführt wurde.
Für Paris schrieb er die Oper »Antigone«, die jedoch wenig
Erfolg hatte. Von 1792 an Domkapellmeister in Mailand, von
1794 an als solcher in Loreto thätig, wurde Zingarelh 1804
zum päpstlichen Kapellmeister in Rom ernannt, wo er bis
zum Jahre 1811 verblieb. Als sich Zingarelli in diesem
Jahre weigerte das Tedeum zur Feier der Geburt des Königs
von Rom (Herzog von Reichstadt) zu dirigieren, wurde er
verhaftet, anfangs nach Civita Vecchia, sodann nach Paris
gebracht, wo Napoleon ihn jedoch begnadigte. Im Jahre 1812
übernahm Zingarelh die Direktion des Konservatoriums San
Sebastiano in Neapel und entfaltete eine grofse Lehrthätig-
keit, aus welcher die Schüler Bellini, Donizetti, Mercadante,
sowie die Sänger Lablache, Tamburini und Duprez ent-
142 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
sprossen. Von 1816 an wirkte Zingarelli auch noch als Kapell-
meister am Dome zu Neapel. Von seinen 41 Opern seien
erwähnt: »Giulietta e Romeo«, »Francesca da Rimini«,
»Montezuma«, »II Conte Ugolino«. Das Oratorium »La di-
struzione de Gerusalemme«, Kantaten, sowie ein vierstimmiges
Miserere a-capella sind von seinen mehreren hundert Kirchen-
werken hervorzuheben. Wie Porpora, war auch Zingarelli
einer der berühmtesten Gesangslehrer seiner Zeit, in welcher
der »bei canto« alles war.
Anmerkung. Wer sich an einzelnen Gesängen der Altitaliener er-
freuen will, dem seien folgende Musikalien empfohlen:
1. Echo d' Italic (Les maitres Italiens des 17. et 18. Siecles), Paris.
2. Acht Arien und Gesänge älterer Tonmeister mit Begleitung des
Klaviers, herausgegeben von Carl Bank. Leipzig.
3. Zwei altitalienische Lieder aus dem Anfange des 18. Jahrhunderts.
Nr. 1. Quel sospiri (Alt); Nr. 2. Mia dolce sposa (Sopran), heraus-
gegeben von Hermann Ritter. Berlin.
4. Zwei altitalienische Gesänge: Nr. 1. Canzonetta von Salvator Rosa
(1615—1673), Nr. 2. Aria von Nicolo Porpora (1686—1767), heraus-
gegeben von Wilh. Kienzl. Kassel.
Wie heilst der bedeutende Musikgelehrte und Kontrapunktist
im 18. Jahrhundert in Italien?
Giovanni ßattista Martini (schlichtweg Padre Martini
genannt), geb. 25. April 1706 in Bologna, gest. 3. Oktober
1784 daselbst. Martini, der 1721 in den Franziskanerorden
trat, unterhielt in Bologna eine Musikschule, aus der viele
hervorragende Musiker hervorgingen. Mehr als seine Kom-
positionen, die in Klavier- und Orgelwerken, sowie in Ora-
torien und Intermezzi bestehen, bedeuten seine Schriften
über Musik, von denen als die hauptsächlichsten zu nennen
sind: »Storia della musica«, 3 Bde., 1757 — 1781, »Esemplare
ossia saggio fundamentale pratice di contrapunto«, 2 Bde.,
1774—1775.
Wer waren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die
eigentlichen italienischen Komponisten der ernsten Oper?
Aufser dem bereits genanntenPiccini(1756 — 1812): Sacchini
(1734—1786), Righini (1756—1812) und Paer (1771—1839).
Mit den letzten beiden schliefst die Reihe der hervorragen-
den Komponisten der Opera seria im 18. Jahrhundert.
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 143
Antonio Maria Gasparo Sacchini, geb. 23. Juli 1734 in
Puzzuoli bei Neapel, gest. 7. Oktober 1786 in Paris, bildete
sich am Konservatorium San Onofrio in Neapel bei Durante
und Forenza in der Komposition und im Violinspiele aus.
Nachdem er durch einige kleine Opern im neapohtanischen
Dialekte bekannt geworden, siedelte er nach Rom über, wo
er seinen »Alessandro nell' Indie« schrieb und hierdurch die
Stellung eines Direktors am Konservatorium der Musik in
Venedig erlangte. Hier wirkte er als Komponist und her-
vorragender Gesangslehrer. Nachdem er auf einer Reise
durch Deutschland in München und Stuttgart geweilt hatte,
siedelte er nach London über, wo er zehn Jahre verblieb
und die Opern »II Cid- und »Lucio Vero« schuf. Von
London wandte sich Sacchini nach Paris, wo er mit den
Opern »II gran Cid<', »Chimene«, »Dardanus« und »Oedipe
ä Colone < erfolgreich auftrat. Von seinen 50 Opern seien
noch »Olimpiade«, »Montezuma«, »Mitridate« und »Renaud«
erwähnt. Aufser kleineren Kirchenwerken schuf Sacchini
die Oratorien »Esther<, »St. Philipp<, »Die Makkabäer«,
»Jephta«, »Ruths Hochzeit«, Messen, sowie Trios, Quartetten,
Sonaten und andere Instrumentalwerke, die alle im Stile des
»bei canto« der neapolitanischen Schule wurzeln.
Vincenzo Righini, geb. 22. Januar 1756 in Bologna, gest.
19. August 1812 daselbst, bildete sich am Konservatorium
seiner Vaterstadt anfangs als Sänger aus, und wandte sich
nach Verlust seiner Stimme unter Padre Martinis Leitung
der Komposition zu. 1776 ging er nach Prag, wo er mit
mehreren seiner Opern Erfolg hatte, gleichwie in Wien,
wohin er 1779 einen Ruf an die Italienische Oper erhielt.
1788 trat Righini beim Kurfürsten von Mainz in den Dienst,
und ging 1793 als Kapellmeister der Italienischen Oper nach
Berlin, wo er bis 1806, als durch die Kriegsunruhen die
Itahenische Oper aufgelöst wurde, verblieb. Nach Italien
zurückgekehrt, starb Righini 1812 in seiner Vaterstadt. Aufser
Messen, Motetten und einem Tedeum sind von Righini folgende
Opern als seine Hauptwerke erwähnenswert: »Tigrane«,
»Aleide al Bivio«, »Enea nel Lazios »Armida« und »Atlanta«.
Fernando Paer, geb. 1. Juni 1771 in Parma, gest. 3. Mai
1839 in Paris, erhielt seine musikalische Ausbildung am
144 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Konservatorium in Neapel, später bei Ghiretti, einem Violin-
spieler der Kapelle des Herzogs von Parma, und schrieb be-
reits mit 16 Jahren zwei Opern, die seinen Ruf in Italien
derart verbreiteten, dals er die Kapellmeisterstelle beim
Herzog von Parma erhielt. Bis 1797 hatte Paer schon mehr
als zwanzig Opern geschrieben. Mit seiner Frau (einer ge-
borenen Ricordi), die Sängerin war, folgte er einem Rufe
als Kapellmeister an das Nationaltheater nach Wien. Hier
schrieb er seine berühmte Oper »Camilla«, die durch Mozart
beeinflulst erscheint und seinen Ruf als Opernkomj)onist
auch in Deutschland befestigte. 1801 ging Paer nach Dresden
als Hofkapellmeister an Naumanns Stelle, und unternahm
von hier aus mehrere Reisen nach Italien und Wien, um
daselbst seine neugeschaffenen Opern aufzuführen. 1807
wurde Paer von Napoleon I. als Kapellmeister nach Paris
berufen, wo er später auch als Leiter der Italienischen Oper
an Spontinis Stelle wirkte. Aufser »Camilla« sind von
Paerschen Opern zu erwähnen: die 1811 in Parma vollendete
Oper »Agnese«, »Le maitre de chapelle« (1824 für Paris ge-
schrieben), »Sargino«, »Griselda«, »Leonora, ossia l'amore
conjugale« (Beethoven antwortete Paer, als dieser jenen
nach Anhören seiner Oper »Leonora« fragte, wie ihm die-
selbe gefallen habe: »Das ist ein Opernstoff für mich!«
Beethoven schuf daraufhin den »Fidelio«), »Achille«, »Dido«,
»Cinna«, »I Molinari« und »Une Caprice de Femme«.
Wie heifsen die drei Deutschen, welche im 18. Jahrhundert
im Stile der Italiener schufen?
Johann Adolf Hasse (1699—1783).
Johann Gottlieb Naumann (1741—1801).
Heinrich Graun (1701—1759).
Dieselben sind als letzte Ausläufer der deutsch-italienischen
Periode der Tonkunst anzusehen. Wohl könnte man diesen
Tondichtern noch die Komponisten Peter von Winter
(1754—1825), Josef Weigl (1766—1843) und Michael Haydn
(1737 — 1806) als Vertreter des deutsch-italienischen Musik-
stiles anreihen.
Johann Adolf Hasse, geb. 25. März 1699 in Bergedorf
(Hamburg), gest. 23. Dez. 1783 in Venedig, studierte bei
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 145
seinem Vater Musik und trat 1719 als Tenorist in die Opern-
truppe des berühmten Reinhold Keiser in Hamburg ein, bei
dem er sich im Gesang, Klavierspiel und in der Kompo-
sition vervoUlvommnete. 1722 folgte er einem Rufe als
Sänger an die Hofbühne von Braunschweig, von wo aus
ihn der Herzog 1721 zur Ausbildung bei Porpora nach
Neapel sandte, um itahenische Gesangskunst und Kompo-
sition gründlich zu studieren. Sehr bald gewann sich Hasse
hier die Zuneigung und Protektion A. Scarlattis, und ward
mit der Komposition einer grofsen Oper für das kgl. Theater
in Neapel beauftragt, welche mit grofsem Erfolge in Scene
g-hm und seinen grofsen Ruf begründete. Neapel, wo ihn
die Damen den »caro Sassone« nannten, verliefs Hasse im
Jahre 1727, um nach Venedig überzusiedeln. Ein Miserere,
welches Hasse in Venedig schuf, brachte ihm die Ernennung
zum Kapellmeister und Professor am Conservatorio degi'
Incurabili ein. Im Jahre 1728 führte er in Neapel die Oper
»Attalo, re di Bitinia«: auf und lebte sodann bis 1730 in
Venedig, wo er sich mit der berühmten Sängerin Faustina
Bordoni, für welche er die beiden Opern »Dalisia und
»Artaserse« schrieb, vermählte. Von Venedig aus folgte
Hasse einem Rufe als Oberkapellmeister an das Dresdener
Hoftheater, wohin auch seine Frau Faustina berufen wurde,
und beide mit einem Gehalte von 12000 Thalern Anstellung
fanden. Dreifsig Jalire schuf Hasse in Dresden, wo er als
erste Oper »Alessandro nell' Indie« schrieb. Seit 1733 ver-
weilte Hasse im Auftrage des Kurfürsten Friedrich August IL
in Kunstangelegenheiten mehrmals in Italien, und wurde
sodann kurze Zeit nach London von der italienischen Opern-
gesellschaft berufen, wo er an dem bekannten Opernkampfe
teilnahm, den Händel mit den Italienern ausfocht. Unter
August III. und dessen Minister Graf Brühl beginnt Hasses
unumschränkter musikalischer Einflufs in Dresden, wo er
als Kirchen- und Opernkomponist nunmehr eine staunens-
werte Fruchtbarkeit entwickelte. 1745 wurde Hasse mit
Friedricli IL von Preufsen bekannt, der ihn vergeblich nach
Berhn zu engagieren versuchte. 1763 wurde das Ehepaar
Hasse durch die Ein Wirkungen des siebenjährigen Krieges ihrer
Stellungen enthoben und pensioniert. Beide lebten von
1763—1769 in Wien, dann in Mailand, wo Hasse den Knaben
Ritter, Encyklopädie der Musikgeschichte. III. 10
146 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Mozart kennen lernte und den bekannten Ausspruch that:
»Dies Kind wird uns alle vergessen machen«. Die letzten
Jahre seines Lebens verbrachte Hasse in Venedig, wo er
im Jahre 1783 starb, nachdem ihm seine Frau 1780 voran-
gegangen war. Von seinen ca. 100 Opern sind zu nennen:
»Artaserse«, »Alessandro nell' Indie«, »Sesostrate«, »De-
metrio«, »Arminio« und »Ruggiero«. Aulserdem kompo-
nierte Hasse eine grolse Reihe von Kirchenmusikstücken,
Kantaten, Messen, Oratorien, Litaneien, Miserere und Kyries.
Johann Gottlieb Naumann, geb. 17. April 1741 in Blase-
witz bei Dresden, gest. 23. Oktober 1801 in Dresden, studierte
von 1758 an bei Tartini in Padua, wo ihn Hasse während
seiner dreijährigen Studienzeit unterstützte und ihn sodann
später bei sich in Venedig aufnahm. 1761 kam Naumann
in Gesellschaft eines jungen Violinvirtuosen namens Pitscher
bis nach Neai^el, beschäftigte sich hier mit dramatischer
Musik, und ging sodann mit Empfehlungen Tartinis nach
Bologna zum Padre Martini, um sich bei demselben im
Kontrapunkt zu üben. 1764 wurde Naumann nach Dresden
als Kirchenkomponist berufen, während 1765 seine Er-
nennung als Kammerkomponist erfolgte. In den Jahren
1765 — 1772 ging Naumann mehrere Male nach Italien, um
sich noch weiter auf dem Gebiete der Oper umzuschauen.
Er schrieb in dieser Zeit für Palermo und Venedig eine
Reihe mit Beifall aufgeführter Opern, und wurde 1776 zum
kurfürstlichen Hofkapellmeister in Dresden ernannt, wo er
als solcher 1801 starb. Aufser 21 Messen, 11 Oratorien,
Hymnen, Motetten und vielen anderen kleinen Kirchen-
werken (u. a. das Klopstocksche Vaterunser), schrieb Nau-
mann gegen 20 Opern, von denen »Achille in Sciro«, »Soli-
mano<, L'Ipermnestra< , »L'Armida<, >Cora<', »Orfeo«, -Elisa«,
»Tutto per amore«, >La dama soldata«, und >Aci e Galatea«
als die besten bekannt sind.
Karl Heinrich Graun, geb. 7. Mai 1701 in Wahrenbrück
(Provinz Sachsen), gest. 8. August 1759 in Berlin. Graun,
der in Dresden die Kreuzschule besuchte, an welcher er
sich zugleich im Gesänge und im Orgelspiele ausbildete,
wirkte anfangs als Sopranist im städtischen Kirchenchore.
1725 wurde er Operntenorist in Braunschweig und 1726
7. Die Weltherrschaft der itaHenischen Oper. 147
Vicekapellmeister daselbst. Hier in Braiinschweig begründete
Graun seinen Ruf als Komponist durch mehrere italienische
Opern und Kirchenwerke, und hier war es auch, wo ihn
Prinz Friedrich von Preulsen (der spätere König Friedrich II.)
bat, als Sänger in die Rheinsberger Schlolskapelle einzu-
treten. Nach seiner Thronbesteigung sandte König Fried-
rich II. von Preulsen Graun nach Italien, um die nötigen
Sänger und Sängerinnen für eine italienische Oper zu be-
schaffen, und ernannte Graun zum ersten Kapellmeister.
In dieser Stellung schrieb nun Graun seine meisten Werke,
und gehörte im Verein mit Philipp Emanuel Bach, Fasch,
Kirnberger und Quantz zu den vertrautesten Freunden
König Friedrich IL (Über das Urteil Friedrich des Grolsen
über Opernsänger und Schauspieler, sowie über die Theater-
verhältnisse in Berlin im 18. Jahrhundert geben folgende
Äulserungen Friedrich des Grofsen Zeugnis: »Die Opern-
leute« schrieb der König an seinen Schatzmeister Treders-
dorf, »Saindt solche Canaillenbagage, dafs ich sie Tausend-
mahl müde bin. Ich jage sie zum Teufel und solche Canaillen
kriegt man doch wieder, ich mus Geld zu Canonen aus-
geben und kann nicht so vihl vohr Haselanten verthun.
Die Astrua und Caristini fordern den Abschiet, es ist Teufels
Crop, ich wollte, dafs sie der Teufel alle holte, die Canaillen
bezahlt man zum Plaisir, um nicht Frisirerei von ihnen zu
haben.« — Als Regel schrieb er dem Baron von Arnim,
dem letzten Schauspieldirektor, den er hatte, vor: vihr
müsset mit den Komödianten nicht so viel Komplimente
machen, sondern die sich ungebührlich betragen, brav be-
strafen.« Auch mit den Tänzern scheint Friedrich der Grofse
seine Not gehabt zu haben, denn er schreibt: »Zulagen
kann ich weder an Denis geben, noch an keinen andern,
dazu bin ich weder reich genug, noch Saindt der mehr
Werth. Wenn sie durchaus vor ihr Tractement nicht bleiben
wollen, mus man andere kommen lassen, die gut Saindt
und vor denselben Preis Capriolen schneiden.«
Unter Grauns Kirchenwerken sind vor allen das Oratorium
»Der Tod Jesu« (Dichtung von Rammler) 1755 zu nennen,
dessen traditionelle Aufführung alljährlich in der Garnisons-
kirche in Berlin bekannt ist. Ferner das »Tedeum«, welches
1756 zur Feier des Prager Friedens geschrieben wurde.
10*
148 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Aulserdem schuf Graun Lieder, Kantaten, Konzerte, Klavier-
und Orgelkompositionen, Werke für Streichinstrumente, so-
wie die Opern »Rodelinde«, »Merope« und >Sylla«. — Alles
aber im herrschenden italienischen Musikstile, der sich in
seinen Werken bereits als echter Barockstil erweist.
Wie hiefsen die bedeutendsten Sänger und Sängerinnen, über-
haupt die berühmtesten Gesangsvirtuosen des 18. Jahrhunderts
auf dem Gebiete der italienischen Oper?
Die Venezianerin Faustina Bordoni (später Hasses Frau),
Vittoria Tesi, die berühmten Kastraten Carestini und
Senesino, Antonio Bernacchi, Giovanni Tedeschi,
Tomaso Guarducci, Caffarelli, der Tenorist Giovanni
Paita, der Sopranist Farinelli und der berühmte Kontra-
Altist Nicolini. (Der Opernsänger Farinelli war Günstling
von König Ferdinand IV. von Spanien [Sohn Philipp IL],
der an Melancholie litt. Dieser ergötzte sich nicht nur an
den Trillern und Koloraturen Farinellis, sondern benützte
den Sänger als Werkzeug, um Stellen im Lande an Meist-
bietende zu verkaufen. So war die Herrschaft der Bour-
bonen in Spanien, wie sie unter denselben in Neapel auch
nicht besser war.) Ferner die Sängerinnen Anna Maria
Strada, Catarina Visconti, die Todi, Cuzzoni, Fran-
cescina, Frasi, Durastanti und Peruzzi.
Wie sah es in der Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts in
Italien aus?
In der Kirchenmusik der Italiener des 18. Jahrhunderts,
die für das gesamte Europa mafsgebend war, herrschte
derselbe Geist, wie er der Oper dieser Zeit eigen war.
Das Kastraten-Lorettentum wurde leider auch in die Kirche
hineingetragen. Verschnörkelte, sentimental - theatralische
Musik war in den Kirchen damaliger Zeit überall zu hören.
Oberflächlich und voll von Effekthascherei, wie das Wesen
der Opera seria des 18. Jahrhunderts, war auch das Wesen
der Kirchenmusik dieses Zeitalters. (Wie sehr grobe Effekt-
hascherei in der Musik an der Tagesordnung war, zeigt
uns der Italiener Pugnani, der im Anfange des 19. Jahr-
hunderts in Deutschland seinen »Werther« [nach Goethes
Werther] aufführte. Dieser »Werther« war ein Tongemälde
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 149
und sollte den Hörer ohne Zuhilfenahme eines Textes alle
Ereignisse und Zustände, die Goethe in seinem Romane
zur Darstellung gebracht, vorführen. Die Musik schilderte
alle Beziehungen Werthers und Lottens, und wenn die
Stelle kam, da der Unglückhche seinem Leben ein Ende
macht, nahm Pugnani, der sein Werk selbst dirigierte, von
seinem Pulte eine geladene Pistole und schofs sie ab.) Über-
haupt ist die Art und das Wesen der Musik, wie sie im
18. Jahrhundert von ItaUen ausging und sich über ganz
Europa verbreitete, aus dem Geistesleben der Menschheit
damahger Zeit zu erklären: Erschlaffung und Versumpfung
des gesamten staatlichen, politischen und bürgerlichen Lebens
war die Signatur dieser Zeit.
Mit welchem Ausdrucke benennt man sehr bezeichnend den
Stil der italienischen Musik des 18. Jahrhunderts?
Mit dem Ausdrucke »musikahscher Zopfstil«. (Derselbe
bildet die Decadence itahenischer Musik einer Zeit, in wel-
cher monarchischer und klerikaler Absolutismus blühten.
Aus diesem Sumpfe und dieser Stagnation auf dem Gebiete
der Tonkunst rettete sich nur die reine Instrumentalmusik,
die wir auf deutschem Boden sich wunderbar weiter ent-
wickeln sehen, wie überhaupt Itahen die Oberherrschaft im
Reiche der Tonkunst nunmehr an Deutschland abtreten
mufste. Die Weltanschauung und die Kulturzustände jener
Zeit machten dies zur Bedingung.)
Welche zwei itaUenischen Tondichter ragen aus dieser Zeit
tiefer politischer und musikalischer Verkommenheit Italiens
hoch über ihre oberflächlichen Zeitgenossen empor?
Luigi Cherubini und Gasparo Spontini; beide stehen
auf der Grenzscheide des 18. und 19. Jahrhunderts.
Luigi Maria Cherubini war 1760 in Florenz geboren und
studierte bei Sarti in Bologna Musik; nachdem er in
Italien seine ersten Opern zur Aufführung gebracht hatte,
wandte er sich 1784 nach London. Von London ging er
1786 nach Paris, sodann nach Turin, 1787 wiederum nach
England und 1788 nach Frankreich, wo er von nun an
ständig lebte und zwar hauptsächlich in Paris. 1822 wurde
Cherubini zum Direktor des Konservatoriums der Musik in
150
Die Musikentwickluno; auf dem Boden von Italien.
Paris ernannt, in
welcher Stellung er
bis zu seinem Tode
(1842) verblieb. Che-
rubini war ein stren-
ger, ernster und
gediegener Musiker,
wie dies seine Werke
beweisen. Im Stile
gleiclien seine Schöi^-
fungen den Hay dn-
schen und Mozart-
;^«^ sehen, welche er sich
^^*^'" Vorbilde
zum vorDilae er-
kor. Von Cherubinis
Opern »Faniska«,
» Anakreon « , »Me-
dea«, »Elisa«, »Lodo-
iska«, »Abencera-
gen«, »Ali Baba«
und »Wasserträger«
ist die letzte am bekanntesten geworden. Aulser den ge-
nannten Opern schuf Cherubini noch eine Reihe von Kirchen-
werken (Messen, von denen die Dmoll-Messe bedeutend ist,
und das Requiem), welche als Meisterwerke vollauf anzu-
sehen sind. Durch sein gediegenes Schaffen trug Cherubini
viel zur Hebung und Klärung eines guten musikalischen
Geschmackes in Frankreich bei. Ein theoretisches Werk
Cherubinis ist sein »Lehrbuch der Fuge und des Kontra-
punktes.
No. 27. L II i g i C h e r ii b i n i.
Gasparo Spontini, geb. in Majolatti bei Jessi am 25.
Februar im Jahre 1772. Seine ersten Musikstudien machte
er am Konservatorium della Pietä de' Turchini in NeajDel vom
Jahre 1791 an, wo Cimarosa seine Studien leitete. Nachdem
er mit einigen Opern Erfolg geliabt hatte, erhielt er die
Hof kapellmeisterstelle in Palermo, welche er bis 1802 inne
hatte. 1803 ging Spontini nach kurzem Aufenthalte in
Marseille nach Paris, wo er von Na^Doleon nach vielen er-
duldeten Intriguen und KämjDfen 1807 zum Kapellmeister
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper.
151
der Kaiserin Josephine ernannt wurde. 1807 erschien die
Oper »Die Vestahn«, welclie Spontini überall bekannt machte.
1809 vollendete er »Ferdinand Cortez«. Nach dem Sturze
Napoleons wurde Spontini von Louis XVIII. zum königl.
Kompositeur ernannt. In das Jahr 1819 fällt die Kompo-
sition der Oper »Olympia« und in das Jahr 1820 die Be-
rufung Spontinis durch Friedrich Wilhelm IIL von Preufsen
als Generalmusikdirektor. Die erste Oper, welche Spontini
für Berlin verfafste, war »Nurmahal oder das Rosenfest
in Kaschmir« (das umgearbeitete Festspiel »Lalla Rookh«).
Es folgten sodann 1823 »Alcidor«, 1829 »Agnes von Hohen-
staufen«. Mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm IV.
kam es zwischen Spontini und der Generalintendanz zu
Konflikten. Spontini, der eine litterarische Fehde begann,
liefs sich eine Majestätsbeleidigung zu Schulden kommen,
wegen welcher er zu neun Monaten Festungshaft verur-
teilt wurde. Der ^
Tondichter, der die
Strafe jedoch nicht
verbüfste, kam um
seine Entlassung ein;
1841 wurde ihm diese
erteilt und Spontini
wandte sich nun 1842
nach Paris, besuchte
1843 noch einmal
Berlin, wo er mit dem
Orden »pour le me-
rite« ausgezeichnet
wurde, und kehrte
1847 nach Italien zu-
rück, wo er 1851 in
Majolatti im 77. Le-
bensjahre starb. --
Aufser den genann-
ten Opern »I)ir
Vestalin« , » Ferdi-
nand Cortez«,» Olym-
pia«, »Nurmahal«, »Alcidor« und >Agnes von Hohenstaufen«
schrieb Spontini »La finta filosofa«, »Julie ou le pot de
No. 28. Gasparo Spontini.
152 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
fleiirs«, »Milton«, »Les Dieux rivaiix«, sodann Balletts,
Märsche und viele Gesänge. Spontini ist so recht der
Schöpfer der Effektoper, wie sie später Aiiber, Halevy und
Meyerbeer kultivierten.
Eigentümlich erscheint es jedoch, und es ist psychologisch
interessant, wie Spontini gegen die Geister, die er doch her-
vorgerufen hatte, eiferte. Einer seiner Briefe, datiert vom
24. August, aus Marienbad giebt hiervon beredtes Zeugnis.
Der Brief, der in französicher Sprache geschrieben ist,
lautet in deutscher Übersetzung:
»Ungeachtet meiner gerechten Abneigung, bestehen Sie, mein vor-
trefflicher Freund, darauf, dafs ich Ihnen einmal meine (vielleicht irrige
oder parteiische) Meinung sage, über den gegenwärtigen Zustand der
dramatischen Musik. Nun, ich will mich dazu verstehen, blofs Ihnen zu
Gefallen; aber nur in wenigen Worten, die ich hinwerfe in süfser Ein-
samkeit, unter den romantischen Tannenwäldern der melancholischen
Umgebungen von Marienbad.
Meine Augen schweifen von der Amalienhöhe über dieses liebliche
Thal, geschmückt mit reizenden Wohnungen, welche malerische Gruppen
bilden. Zu meinem Ohre dringen freundlich um 6 Uhr abends köstliche,
hinreifsende Töne der anmutigsten und süfsesten Gesänge Mozarts,
Haydns, Beethovens, Glucks, Cherubinis, Mehuls, Webers, Spohrs u. a.,
die eine geringe Zahl bescheidener Naturküustler aus Böhmen, besser
für Musik organisiert als andere Völker (Künstler in den drei Sommer-
monaten, Handwerker und Feldarbeiter auf ihren Dörfern das übrige
Jahr hindurch), auf dem Spaziergang aufführen mit seltener, instinkt-
mäfsiger Genauigkeit des Tones, des Rhythmus, der Bewegung, der
Absicht und Auffassung im Kleinsten, endlich mit einem Gefühl, das
mit Staunen mich zu den sanftesten Empfindungen stimmt.
Ja, mein Freund, dies ist die wahre Kunst in der Natur und die
reine Natur in der Kunst, welche ehemals die wirklich grofsen Meister
in Deutschland und Italien hervorriefen, während der Jahrhunderte
ihres fortschreitenden Ruhmes. Aber ach, diese kurzen Zeiten haben
keine Folge mehr! Die zerstörende Geifsel politischer Revolutionen
brachte notwendig durch die Stürme des aus den Schranken getretenen
Menschengeistes auch in die Musik Umwälzung. Diese göttliche Kunst,
die freieste unter allen, die da unmittelbar und plötzlich ergreift, ist
vorzüglich geneigt und aufregend zu den Wallungen stürmischer Leiden-
schaften und krampfhafter Gefühle, bis zur Übertreibung, dem Übermafs,
der Unvernunft, dem Wahnsinn.
In diesen wenigen Zeilen haben sie meine Antwort. Es ist meine
Ansicht von der Oi^ernmusik des Tages, die in zwanzig dicken Bänden
nicht hinreichend auseinanderzusetzen wäre, wollte ich alles untersuchen
und nachweisen. Und wozu sollte das auch dienen?
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 153
Also eine lyrisch-dramatische Revolution, eine traurige, demagogische
Verirrung, eine völlige Lösung der geselligen Ordnung zwischen den
Ideen und Geniuskräften der Menschen in dem Verständnis und der
Ausübung der Grundsätze der Harmonie und Melodie, und noch mehr
in dem richtigen Gefühl des edeln, grofsartigen, pathetischen Ausdrucks,
aus welchem das wahre Ideal, die Vollendung der Kunst entsteht. Daher
kommt es, dals die angebliche Opernmusik des Tages, bis auf seltene
Ausnahmen, fast nichts ist, als eine verstandlose Gewalt (force brutale)
der Effekte, des entsetzlichen, zerreifsenden Lärmens zahlloser Blech-
instrumente, grofser und kleiner Trommeln, grofser Pauken, Cimbeln,
Triangeln, Lärmglocken, Tamtam und Schellen, welche geschickte Setzer
ehedem mit Schicklichkeit und Mafs anwandten bei Kriegsmärschen,
Schlachten, Turnieren und Ritterspielen, sowie in allen musikalischen
Massen der wilden und barbarischen Gattung. Dagegen gebrauchen die
lyrisch-dramatischen Zusammenstopler der neuen Machwerke ohne Unter-
lafs und Unterscheidung dieses gräuliche Getöse dazu, die zarten Herzens-
töne junger Verliebten, Nymphen und Hirten auszudrücken, in Romanzen,
Kavatinen, Arietten, Recitativen, Balladen, Polonaisen und Boleros, so
wie mit diesem Kriegstosen fromme Gesänge der Nonnen, Mönche,
Priester und Patriarchen in Kirchen und Tempeln, Pagoden und Syna-
gogen und Moscheen zu begleiten. Ihnen gilt es gleich, ob sie Gesänge
des Jubels, Triumphes, Sieges vor sich haben, oder wilde Ausrufe auf-
rührerischer Orgien der Verzweiflung und des Todes.
Und diese musikalisch-dramatischen Ungeheuer, die oft ohne einen
Schatten von Prosodie oder richtigen Ausdruck über empörerische, un-
anständige und unreligiöse Texte gesetzt sind, bestehen nur aus über-
häuften und schlecht zusammenhängenden Verknüpfungen gestohlener
Modulationen und Harmonien und bekannter Melodien (wenn durch
Zufall etwa eine vorkommt) in Verkleidungen und Veränderungen ! Es
ist eine wahre Freibeuterei von fremden Ideen, Situationen und Effekten,
die in ungeheurer Menge und Eile aus den Dampffabriken dieser sein
wollenden Neuerer hervorgehen. Die einen durch Unwissenheit und
Marktschreierei, die andern erbittert gegen die Natur, welche ihnen
Einbildungskraft, Gefühl und Geist versagte, alle trachten, ehrsüchtig
und schwindelnd, sich des wohlerworbenen Ruhmes besserer Vorgänger
zu bemächtigen.
Erkennen Sie nicht in dieser künstlerischen Umwälzung die augen-
scheinliche Nachäffung der Julibarrikaden von 1830, denen ich beiwohnte^
deren Vorbereitung ich erkannte, deren Darstellung ich sah, deren Er-
folg die Welt weifs? Und doch ist ein grofser Unterschied zum Vor-
teil der politischen Barrikaden. Diese können zurückkehren zu den
alten Systemen, die man zu Boden warf, und sogar weiter gehen, so-
bald die Hauptfiguren in dem Schauspiele des Aufhebens und Wieder-
einsetzens ihre angemafste Gewalt, unbekümmert um die Gerechtigkeit
der Sache, erst befestigt haben. Aber in der lyrisch-dramatischen Kunst
ist solche Rückkehr gänzlich unmöglich wegen der Unfähigkeit der
musikalischen Usurpatoren, ihren Geist, der einmal alle Schranken über-
sprungen, in das Geleise der künstlerischen Gesetze zurückzuführen, in
154 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
das Gleichgewicht, um Eingebungen von Geist und Gefühl zu empfangen,
die sie nicht besitzen; sie können das nicht wieder werden, was sie nie
waren, weil sie ohne die köstlichen Gaben sind, die Gott seinen Er-
korenen verlieh, welche die unsterblichen Muster der deutschen und
italienischen Musik hervorbrachten. Den Mechanismus der Kunst, Kon-
trapunkt und Fuge kann man mehr oder weniger gut erlernen; Be-
geisterung, Empfindung, Genie aber niemals! —
Aus den Erschütterungen der politischen Revolutionen konnten, wie
die Geschichte lehrt, geschickte Wortführer, Redner, Staatsmänner,
schlaue abtrünnige Diplomaten, reiche Finanzmänner, berühmte Feld-
herrn hervorgehen, aber nie entsprang aus dem Umsturz der bürger-
lichen und religiösen Ordnung ein geistreicher Künstler, Gelehrter oder
Dichter, nie ein grofser Maler, Bildhauer oder Komponist; auch nicht
ein einziger grofser Name in den Künsten, die auf ewig den Ruhm der
beiden bevorzugten Völker ausmachen werden! Denn die in der Musik
bei den Franzosen und anderen Völkern sich hervorthaten, waren Deutsche
und Italiener.
Sie erinnern sich, mein Freund, jener schönen Darstellung der er-
habenen Iphigenia in Tauris, die ich neulich dem entzückten Berliner
Publikum (durch Fräulein Clara Heinefetter) bot; nach der genauen
Partitur und der Überlieferung von Gluck selbst, die mir nach Paris
übersandt wurde von Rey, dem berühmten Leiter des Orchesters.
Dieses grofse Meisterwerk, samt vielen von demselben Gehalt, ge-
hörte einst zu den Lichtgestirnen, die den Horizont der grofsen fran-
zösischen Oper bestrahlten, damals der ersten und einzigen in Europa
in der erhabenen Gattung. Lully, ein Italiener, legte den Grundstein zu
diesem Heiligtum der Kunst in Paris unter Ludwig XIV. ; Rameau und
seine Nacheiferer hielten dasselbe mit einigen Fortschritten; aber Gluck,
Sacchini und Piccini brachten es nach der Mitte des 18. Jahrhunderts
zu solchem Ruhm und Glänze, dafs alles Geschrei der politischen und
musikalischen Revolutionen ihn nie verdunkeln wird.
Ich schlief se also, und glaube fest, dafs die dramatische Musik in
eine der Barbarei nur zu nahe liegende Verderbtheit gesunken ist, dafs
in wenigen Jahren die unvergleichliche Kunst, welche Geist, Seele und
Herz bewältigt, nur noch Gaukler, Marktschreier und Possenreifser des
Mittelalters zu Dolmetschern haben, dafs man die goldne Zeit durch
moderne Saturnalien und Orgien wieder erneuern wird. Dann wird
das grofse Werk und Wunder dieser erbärmlichen Neuerer vollendet,
die niemals etwas neues selbst erfunden (nicht einmal die Orgeln,
Kirchen, Mönche, Maskenbälle in den Opern), sondern mit blofser Ge-
walt, ohne Geist, ihre trügerischen Erfolge erringen, die dann in allen
europäischen Blättern in fast lächerlich klingenden Übertreibungen ge-
priesen, an öffentlichen Orten, in Gesellschaften, durch Abgesandte
empfohlen, durch Tausende von bezahlten Klatschern, bei den Vorstel-
lungen ihrer Ungetüme, ausgeschrieen werden, so wie durch Vereine
und Klubs, durch Parteigeist, und man sagt sogar, durch einen alles-
vermögenden, unwiderstehlichen Talisman. —
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 155
Fügen Sie zu diesem Allen, was wahi'lich keine Kleinigkeit ist, dai's
die meisten der europäischen Haupttheater ohne Erbarmen gierigen
Spekulanten preisgegeben sind, gewöhnlich ganz ohne Kunst und Ge-
fühl, oder betitelten, die derselben Vorrechte sich bedienen, und zwar
um so beklagenswerter, da sie von ihren Herren, namentlich in Deutsch-
land, wahrlich nicht den Auftrag erhielten, die ihnen anvertrauten grofsen
Summen, statt zur Bekämpfung, zur Begünstigung der revolutionären
Propaganda des schlechten Geschmacks, des Ärgernisses und der Ver-
nichtung der dramatischen Kunst zu verwenden, indem sie der Menge
schmeicheln, die so leicht in den Labyrinthen der Auflösung in Sitten
und Kunst zu verwirren ist, und nur immer aus vollem Halse nach
Neuem schreien, wäre es auch die Sintflut, der Feuerregen Sodoms,
das Erdbeben von Lissabon, oder Pest und Cholera.
Dies ist meine Herzensmeinung, vortrefflicher Freund, die ich Ihnen
ganz unbewunden anvertraue, — die ich nicht laut ausrufen, aber eben
so wenig verbergen würde, wenn man mich nötigte, sie zu sagen.
Leben Sie wohl! ich gehe zunächst nach Franzensbrunn, um dort
die 45 Tage meiner Kurzeit zu beendigen, dann nach Prag, darauf nach
Paris. Auf Wiedersehen! Vergessen Sie nicht ihren sehr ergebenen
und ganz aufrichtigen Freund Spontini.«
Wodurch ist die Aufführung von Spontinis »Olympia« in
Berhn 1821 musikgeschichtiich bemerkenswert?
Indem diese Oper von der Spontini feindhch gesonnenen
Partei K. M. v. Webers »Freischütz« gegenübergestellt wurde,
der einen vollständigen Sieg über die italienische Oper
errang.
Wie heifsen die epochemachenden italienischen OpernkomiDO-
nisten des 19. Jahrhunderts?
Grujjpe a) Rossini, Bellini, Donizetti (Pacini, Carafa,
Mercadante), Verdi, Boito, Ponchielli.
Gruppe b) Jungitaliener am Ende des 19. Jahrhunderts:
Mascagni, Leoncavallo, Tasca, Giordano,
Feroni, Spinelli, Bossi, Pizzi, Leoni, Puc-
cini u. a. m.
Gioachimo Antonio Rossini wurde am 29. Februar 1792
in Pesaro geboren, und starb am 14. November 1868 in
Passy bei Paris. (Dieses Datum geben fast alle Biographen
Rossinis an. Der Bürgermeister von Lugo [Provinz Ravenna]
nimmt nun aber für dieses Städtchen die Ehre in Anspruch,
Geburtsort des »Schwanes von Pesaro« zu sein. In der
Sitzung vom 20. November 1868 hat der Gemeinderat dieses
156 Die Musikentwickluiig auf dem Boden von Italien.
Städtchens eine Kommission ernannt, welche die positiven
aktenmäfsigen Belege für Lugo sammeln nnd veröffentlichen
sollte. Der Gemeinderat beschlols: 1. eine Beileidsbezeugung
an Rossinis Wittwe, 2. die Errichtung eines Standbildes von
Rossini in Lugo und 3. den Ankauf und die Erhaltung des
Geburtshauses als ein bleibendes Denkmal für ihren be-
rühmten Mitbürger — Rossini selbst erkannte nur Pesaro als
seinen Geburtsort an; er selbst nannte sich humoristischer-
weise nach dem »le cj^gne de Pesaro«: »Le singe de
Pesaro«.) — Er wurde der malsgebende Komponist der Rich-
tung italienischer Opernkomposition in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts, indem er es verstand, den Zeitge-
schmack des Publikums zu belauschen und demselben in
ausgiebigster Weise Rechnung zu tragen. Die Werke Piccinis,
Paisiellos und Cimarosas wurden ihm daher zur praktischen
Schule, denn es herrschte in jener Zeit der Reaktion, nach
den Stürmen der Revolution und den Freiheitskriegen, im
grofsen Publikum eine gewisse Blasiertheit, eine gewisse
sorglose und heiterer Art, das Leben zu genielsen. Diese
Lebensanschauung bildet auch die Grundlage des Wesens
Rossinischer Musik. — In der Musik wurde Rossini zuerst
von seinem Vater unterrichtet, der in Pesaro Stadttrompeter
und Aufseher der Schlächtereien war. Nachdem er sodann
bei Angelo Tesei in Bologna sich zu einem tüchtigen Klavier-
Spieler und Sänger entwickelt hatte, konnte er 1806 schon
als Leiter einer Privatmusikgesellschaft in Bologna wirken.
Neben Klavier und Gesang hatte Rossini Violine und Hörn
erlernt, mehrere kleinere Kompositionen geschrieben und
die Lücken seiner allgemeinen wissenschaftlichen Bildung
durch Selbststudien ersetzt. 1807 trat Rossini in das
Konservatorium von Bologna ein, um bei Mattel Kontra-
punkt zu studieren, dem er aber sehr wenig zugesprochen
haben soll, dagegen bildete sich Rossini an Haydns und
Mozarts Instrumentalwerken. In Bologna schrieb er eine
Kantate, eine Messe, Chöre, Arien und die Oper »Demetrio
e Polibio«, welche später in Rom zur Aufführung gelangte.
Zwischen den Jahren 1810—1813 schrieb Rossini Kantaten,
sowie eine Reihe komischer und ernster Opern »La cambiale
di matrimonio« (1810), »L'inganno felice«, »Giro in Babi-
lonias »La pietra del paragone«, »L'occasione fa il ladro
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper.
157
u. a. m., welche in Venedig, Mailand, Ferrara und an anderen
Orten in Scene gingen und zwar mit grofsem Erfolge. Ent-
scheidend für Rossinis Volkstümhchkeit wurde aber erst
seine Oper »Tancred«, welche zum erstenmale im Teatro
No. 29. Gioachiino Antonio Rossini.
della Fenice in Venedig im Jahre 1813 die Hörer entzückte.
Dann folgten die Opern »Italiana in Algeri<s ^Aureliano
in Palmira«, »II Turco in Italia« und ^Sigismondo«, welche
sich weniger Beifall errangen und die erste Epoche von
Rossinis Schaffen abschliefsen. 1815 wandte sich Rossini
158 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
von dem Impresario Barbaja am San Carlotheater in Neapel
engagiert, nach Neapel; er mulste sich verpflichten, für das
Carlotheater alle Jahre eine Oper zu schreiben. Es ent-
standen nun zunächst »Elisabetta, regina d'Inghilterra«,
»Torwalda e Dorlisca« bis 1816 Rossinis Hauptwerk »II
Barbiere di Seviglia« erschien, welche Oper ihn in die Reihe
der geschätztesten Opernkomponisten emporhob. Dem »Bar-
bier« folgten die Opern »Teti e Peleo« und »Othello«, so-
dann 1817 »Armida«, »Cenerentola«, sowie »La gazza ladra«,
welche letztere unter Rossinis Leitung während dreier
Monate in Mailand mit stets wachsendem Beifalle gegeben
wurde. Zwischen 1817 und 1820 komponierte Rossini die
Opern »Mose in Egitto« (1818), »La donna del lago« (1819),
»Moametto IL« (1820), ferner für Rom »Matilde di Shabran«
und »Zelmira«. Im Jahre 1822 heiratete Rossini die Sängerin
Colbran; beide folgten dem Impresario Barbaja nach Wien,
woselbst Rossini mit seinen Melodien alles berauschte. Für
Verona, wohin Rossini von Metternich zur Zeit des dort
tagenden Kongresses eingeladen war, schrieb er die Oper
»Semiramide«, und begab sich dann mit seiner Frau über
Paris nach London an die italienische Oper. Nach einem
Jahre kehrte Rossini von London nach Paris zurück, wel-
ches von nun an sein ständiger Aufenthalt wurde. Nach
Paers Ausscheiden wurde ihm die Leitung der Pariser
italienischen Oper übertragen, jedoch ohne Erfolg in dieser
Stellung zu haben, trat Rossini von derselben zurück um
als Kammerkomponist mit einem Gehalte von 20000 Franken
in die Dienste des Königs zu treten. Zur Krönung Karls X.
schrieb Rossini die Oper »II viaggio di Reims«, und 1826
arbeitete er den »Moametto IL« um zur Oper »Le siege de
Corinthe«. 1827 folgte die umgearbeitete Oper »Moise«,
1828 »Le comte d'Ory« und 1829 die grofse Oper »Guillaume
Teil«, welche sich mit seinem »Barbier von Sevilla« von
39 Opern auf dem Rej^ertoire der Opernbühnen erhalten hat.
Mit dem Teil zog sich Rossini von der Kunstthätigkeit
zurück, weilte zunächst in Bologna (1829), ging beim Aus-
bruch der Julirevolution nach Paris (1830) und lebte
darauf von 1836 an in Abgeschiedenheit in Bologna, von wo
aus kleinere Kompositionen, wie Lieder, eine Messe und das
bereits 1832 angefangene, aber erst später vollendete und
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 159
1845 zum erstenmale aufgeführte »Stabat mater« entstanden.
1847 vertrieben Rossini die politischen Unruhen aus Bologna.
Nachdem er sich zum zweitenmale — und zwar mit Olympia
PeUssier — vermählt hatte, verbrachte er einige Jahre in
Florenz als Leiter der dortigen Musikschule, zog aber dann
endhch wieder nach Passy bei Paris, woselbst er eine Villa
bewohnte, in der er 1868 starb. Rossinis Werke bestehen
aus 39 Opern, Kantaten (unter diesen »Egle e Irene«, »La
Riconoscenza« und »II vero Omaggio«), Kammermusik- und
Orchesterwerken, sowie Liedern (»Les Soirees musicales«);
ferner sind Arien, Chöre, zwei Messen und das »Stabat
mater« aus dem Schaffen Rossinis zu merken. In seinem
Nachlasse fanden sich noch folgende Werke: Stücke für
Klavier und Violine, Violoncello, Harmonium, Hörn, 24 Arien,
Lieder, 4 Duette, 14 mehrstimmige Vokalstücke, 1 Requiem
für Kontra-Alt und ein Trauergesang auf den Tod Meyer-
beers.
Wie verhältnismäfsig leicht Rossini arbeitete, wird uns durch die
von seinem Freunde Michotte herausgegebene Selbstbiographie Rossinis«
bekannt gegeben. Michotte zeichnete sich an jedem Abend des Tages,
den er mit Rossini verbracht hatte, die Mitteilungen des Maestro auf,
auch war er die Veranlassung, dafs Rossinis sterbliche Überreste von
Passy nach Santa Croce in Florenz gebracht wurden. — Es war im
Winter vor Rossinis Tode, als Rossini gewisse Vorurteile des Publikums,
zufolge denen er nach der Komposition des »Wilhelm Teil« die Lust an
der Kunst verloren hätte, zu widerlegen suchte. Dabei kam er auf den
aufgeregten Zustand zu sprechen, in dem er sich bei der Komposition
dieses seines Werkes befunden. Er erzählte ungefähr folgendermafsen :
>Wer die Legenden in Betreff meiner damaligen Gleichgültigkeit gegen
die Kunst fabriziert hat, dem könnt Ihr frei sagen: wenn es ein Gesetz
giebt, zufolge dessen die Komponisten unter Strafe artistischer Decadenz
dazu verdammt sind, sich aus Enthusiasmus in die Seiten zu schlagen,
so oft sie einem ihrer früheren Werke gegenüberstehen, — so werde
ich allerdings mich nie jenem Gesetze unterwerfen. Gott weifs es, dafs
ich mit Redlichkeit und Überzeugung auch dann arbeitete, als ich in
den ersten Tagen meines Nomadentums von einer Stadt zur anderen
mich schleppen mufste, und ungefähr fünf Stücke in einem Jahre per
Dampf in Italien zu schreiben gezwungen war. Ich schrieb rapid, da
sich meine Phantasie leicht von einem Gegenstande auf den anderen
übertrug, und doch waren meine Ideen klar und bestimmt. Der Barbier
von Sevilla war die Arbeit von 13 Tagen. Für die Komposition meiner
anderen italienischen Opern brauchte ich selten mehr als einen Monat —
für die Semiramis 33 Tage. Der Wilhelm Teil kostete mich fünf
Monate, das schien mir eine lange Zeit. Ich komponierte diese Oper
160 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
in Petit Bourg, in der Villa meines Freundes Agnado. Dort gab es ein
fröhliches Leben. Ich betrieb mit Leidenschaft Angelfischerei — dies
auch der Grund gewisser Unregelmäfsigkeiten in jenem Werke. Unter
anderem erinnere ich mich, die ganze Verschwörungsscene eines schönen
Morgens im Geiste entworfen zu haben, während ich am Ufer des Teiches
safs und darauf wartete, dafs der Fisch an den Haken anbisse. Mit
einem Male bemerkte ich, dafs ein grofser Karpfen mir die Angelrute
entrissen hatte, während ich voll von Arnold und Gefsler war. Ich
habe fast immer stehend auf einem Schreibtische geschrieben und nichts
von Pianoforte war da. Guter Gott — das Pianoforte! Dieses Instru-
ment in unmittelbarer Nähe pflegt eine Geifsel für die Musikkomponisten
im allgemeinen und für die Theaterkomponisten im besonderen zu sein.
Ich kannte manch einen dieser Unglücklichen, die geradezu mit dem
Pianoforte verwuchsen. Der brave Knabe Bellini z. B. und dann —
mein armer Meyerbeer, der geradezu dreiviertel seines Lebens am
Klavier verbrachte. Und doch hatte er ja Ideen in Fülle, die ihm von
selbst kamen. Aber das war bei ihm so eine alte Gewohnheit, und er
hatte ja damit angefangen, seine Virtuosität am Pianoforte zu bewähren.
Er mifstraute stets seinen Inspirationen, ehe er nicht tausendmal auf
den Tasten manipuliert und auf diese Weise einen Laufpafs in gebühren-
der Form empfangen hatte. Das hat ihn allerdings nicht verhindert,
grofse Arbeiten fertigzubringen, aber Gott weifs zu welchem Preise. —
Mögen die Böswilligen, die alles zu wissen vorgeben, darüber sagen,
was ihnen gefällt. Meyerbeer und ich hatten einander sehr lieb. Das
war eine wolkenlose und gegenseitige Liebe, bis aufs Pianoforte, das
ich ihm seit dem ersten Tage, da wir uns in Venedig kennen gelernt
hatten, stets vorwarf. Was soll ich machen , sagte er zu mir, ich habe
Aufregungen notwendig — das Pianoforte kitzelt mich. Es ist mir nie
gelungen, ihm begreiflich zu machen, dafs er genug Genie hätte, um
solchen Kitzels entbehren zu können. Es war, als ob ich zur Wand
gesprochen. Beim Hause Pleyel hatte er sich ein horizontales Pianoforte
von kleinem Format, mit nur wenigen Oktaven versehen, machen lassen
und war er auf Reisen, so führte er es stets mit sich. So schleppte
mein armer Freund durchs ganze Leben ein wahres Folterwerkzeug mit
sich, und so nährte er unbewufst jenen Geist des Mifstrauens gegen
seine eigenen Arbeiten in sich. Ich sage und wiederhole es: Hütet
Euch vor dem Pianoforte. Mit diesem Instrument komponieren, ist
ein ebenso langwieriges Avie ermüdendes Ding, und nicht weniger ge-
fährlich als entnervend.
Zur näheren Charakteristik Rossinis sei folgendes bemerkt: Rossini
erfreute sich einer merkwürdig seltenen Selbsterkenntnis. So z. B. sagte
er einmal zu seinen Freunden über die Opern, welche zwischen dem »Bar-
bier von Sevilla und -Wilhelm Teil entstanden waren: >Wer eine davon
gehört hat, kennt sie alle!« — Der ehemalige Lehrer Mattei in Bologna
schrieb an Rossini gelegentlich der grofsen Erfolge nach >Tancred< und
der »Italienerin in Algier < : »Unglücklicher, halt ein, du entehrst meine
Schule!« Rossini antwortete hierauf: »Wenn ich nicht mehr gezwungen
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 161
sein werde, um des täglichen Brotes halber sechs Opern im Jahre zu
schreiben, werde ich mich befleilsigen, Kompositionen zu liefern, die Ihres
Beifalles würdig sind<. Sich selber nannte er »einen armen Melodisten .
(>Car je ne suis rien, qu'un pauvre Melodiste!«) — Folgender Brief Rossinis
an einen Herrn Santocavale ist bezeichnend für Rossini als Menschen: Da
mir Ihre Liebe für unsern gemeinschaftlichen Freund Bellini wohl bekannt
ist, so gewährt es mir ein besonderes Vergnügen, Sie zu benachrichtigen,
dafs die von ihm eigens für Paris komponierte Oper >I Puritani einen
brillanten Erfolg gehabt hat. Der Komponist und die Sänger wurden zwei-
mal gerufen, und ich darf behaupten, dafs solche Ehrenbezeugungen in
Paris selten sind und nur dem wahren Talent zu teil werden. Sie sehen
meine Prophezeiungen sind (ich mufs es bekennen) auf eine meine Hoff-
nungen übersteigende Weise in Erfüllung gegangen. In dieser Oper zeigen
sich bemerkenswerte Fortschritte der Instrumentation. Stets habe ich
Bellini anempfohlen, sich von der deutschen Harmonie nicht zu weit ver-
locken zu lassen und jederzeit auf seine glückliche Organisation zu rechnen,
um einfache und des Eindruckes gewisse Melodien zu erfinden. Ich er-
suche Sie, Bellinis brillante Aufnahme meinem guten Caserano mitzuteilen
und ihm zu sagen, dafs die Partitur der Oper I Puritani die vollständigste
sei, die er bis jetzt komponiert hat. Giacomo Rossini. « — Aus diesem Briefe
ist ersichtlich: 1. Hochstehende Geistesfreiheit, in dem Rossini, als Künstler
hohen Ranges, sich über die Errungenschaften eines jüngeren Künstlers
aufrichtig freut und dessen Verdienste öffentlich rühmt. Wie oft sind Neid
und Verkleinerungssucht Eigentümlichkeiten der Künstler untereinander!
2. Zeigt Rossini in diesem Briefe wie er über das Deutschtum in der Musik
denkt, von der er einmal sagte: »Die Deutschen sind von jeher die grofsen
Harmoniker, wir Italiener die Melodiker in der Tonkunst gewesen; seit-
dem sie im Norden aber Mozart hervorgebracht haben, sind wir Südländer
auf unsei-em eigenen Felde geschlagen; denn dieser Mann erhebt sich über
beide Nationen: er vereinigt mit dem ganzen Zauber der Kantilene Italiens
die ganze Gemütstiefe Deutschlands, wie sie in der so genial und reich
entwickelten Harmonie seiner zusammenwirkenden Stimmen hervortritt.
Zum Schlüsse sei noch folgende reizende Geschichte erzählt, welche
Rossini mit dem Komponisten dalP Argine passierte und die von dem
Humor und der feinen Ironie des Maestro zeugt: Ein junger itahenischer
Maestro aus Bologna, namens dall' Argine*) hatte die naiv kühne Idee, den
durch Rossini bereits ziemlich bekannten und beliebten Barbieredi Siviglia«
aufs neue in Musik zu setzen und so den genialen Pesareser gewissermafsen
zu einem musikalischen Zweikampfe herauszufordern. Was tliut nun der
junge, pfiffige Maestro, der, nebenbei gesagt, bisher nur durch seine musi-
kalische Farce »Die beiden Bären (I due orsi ) einen noch dazu äufserst
bescheidenen Erfolg errungen hatte? Angesichts der Gefahr, in die ersieh
mutwillig gestürzt, appelliert er an Rossini selbst, indem er ihm einen neu-
geborenen Barbiere dediziert, um auf diese Weise seine Külinheit mög-
lichst zu bemänteln. Papa Rossini empfängt das an ihn gerichtete Schreiben
*) Von dair Argine sind aufserdem noch die Balletts »Attea«, Velleda«,
»Thea«, »Ondine , »Brahma«, »Aasvero u. a. m.
Ritter, Encyklopädie der Musikgeschichte. III. 11
162 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
des Maestro dall' Argine (vom 2. August) mit gewohnter Bonhommie und
beantwortet dasselbe in nachfolgender geistreich-sarkastischer Weise: Herr
Maestro dall' Argine! Ich bestätige Ihnen den Empfang Ihres sehr ge-
schätzten Schreibens vom 2. d. M. Obwohl Ihr Name mir nicht ganz un-
bekannt ist, da der glänzende Erfolg Ihrer Oper Die beiden Bären auch
bereits bis zu mir gedrungen ist, gewährt es mir eine wahre Befriedigung,
zu sehen, dafs Sie, kühner junger Mann (wie Sie sich selbst nennen!!),
mir durch die beabsichtigte Widmung Ihrer eben vollendeten Oper einiger-
mafsen Ihre Achtung bezeigen Avollen. In Ihrem liebenswürdigen Schreiben
finde ich nur das Wörtchen kühn überflüssig; ich hielt mich wahrlich
nicht für kühn , als ich nach dem Vater Paisiello das reizende Sujet von
Beaumarchais (binnen zwölf Tagen) in Musik setzte. Warum sollten Sie
sich dafür halten, da Sie nach einem halben Jahrhundert und noch dazu
mit neuen musikalischen Formen einen Barbiere schaffen wollen? Jener
Paisiellos wurde erst unlängst in einem der Pariser Theater aufgeführt
und zwar mit einem Erfolge, wie ihn dieses geist- und melodienreiche
musikalische Kleinod vollkommen verdient. Viel wurde bereits und wird
noch zur Stunde zwischen den Kunstfreunden über den Vorzug der älteren
und neueren Tonkunst polemisiert. Sie, mein Herr, sollten sich, ich rate
es Ihnen, an das alte Sprichwort halten, dafs zwischen zwei Streitenden
der Dritte am besten fährt. Euer Wohlgeboren sind, Sie dürfen davon
überzeugt sein, und ich wünsche es auch vom ganzen Herzen, jener glück-
liche Dritte. Möge denn Ihr neuer Barbiere, als ein grofser Bär, im
Vereine mit Ihren bereits komponierten Die beiden Bären ein musika-
lisches Triumvirat bilden und Ihnen, sowie unserem gemeinsamen Vater-
lande einen unvergänglichen Ruhm sichern. Diese innigen Wünsche hegt
für Sie der greise Pesarese, der sich nennt Rossini. — P. S. Die Widmung
Ihres neuen Werkes nehme ich recht gerne an. Empfangen Sie indessen
dafür meinen verbindlichsten Dank. Passj^, 8. August 1868.«
Welche italienischen Opernkomponisten wurden in fast gleicher
Weise von Rossini beeinflulst?
Mercadante, Carafa, Pacini und Battista.
Welches sind die hauptsächlichsten Daten aus dem Leben und
Schaffen der drei Tondichter Mercadante, Carafa und Pacini?
Saverio Mercadante, geb. 1798 in Altamur a bei Neapel,
studierte unter Zingarellis Leitung am Collegio di musica
di San Sebastiano in Neapel. Nachdem er für italienische
Städte, für Spanien und für Wien eine Reihe von Opern
geschrieben hatte, wurde er 1833 als Kapellmeister am
Dome in Novara angestellt, welches Amt er bis 1840 be-
kleidete; im Jahre 1840 zum Direktor des Musikkonser-
vatoriums in Neapel ernannt, erblindete Mercadante 1862
und starb 1870. Von seinen Opern haben in Italien folgende
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 163
Beliebtheit erlangt: »Elisa e Claudio«, » Anacreonte«, »Didone«,
»L'apoteose d'Ercole« und »II Giuramento«.
Michele Carafa, geb. 1785 in Neapel, erhielt seine erste
Musikbildung im Kloster Monte Oliveto zu Neapel, später
bei Cherubini in Paris. Nachdem er als Offizier die Feld-
züge, auch den gegen Rulsland mitgemacht hatte, lebte er
vom Jahre 1827 an ganz seiner Kunst auf dem Boden von
Paris, wo er 1872 als Professor des Conservatoire de musique
starb. Von seinen Opern seien erwähnt: »Iphigenia in
Tauride«, »Gli due Figaro«, »Solitaire«, »Jeanne d'Arc«, »La
violette«, »La fiancee de Lammermoor« und »Masaniello«.
Giovanni Pacini, geb. 1796 in Syrakus, erhielt seine musi-
kalische Ausbildung zunächst in Rom, sodann in Bologna
bei Marchesi und Mattei, später noch in Venedig, wo er als
18 jähriger Jüngling mehrere Kirchenkompositionen und
eine Oper erfolgreich zu Gehör brachte. Pacini, der 1867
als Direktor des Konservatoriums in Viareggio starb, be-
herrschte eine Zeit lang mit seinen vielen Opern (ca. 60 an
der Zahl) alle Bühnen Italiens. Von seinen Opern sind er-
wähnenswert: »Sappho«, »L'ultimo giorno di Pompeia«,
»Gli Arabi nelle Gallie« und »Bertha«.
Vincenzo Battista, NeajDolitaner von Geburt, trat 1843
mit folgenden Opern an die Öffentlichkeit: »Margherita
d'Aragon«, »Emo«, »Irene« und »Alba d'Oro«.
Wie heifsen die drei italienischen Opernkomponisten, welche
aufser Rossini das Opernrepertoire im 19. Jahrhundert (vor
allem in der ersten Hälfte desselben) am meisten beherrschten ?
Bellini, Donizetti und Verdi.
Welches sind die hauptsächlichsten Daten aus Bellinis Leben
und Schaffen?
Vincenzo Bellini wurde am I.November 1801 (nach anderen
1802) in Catania geboren, erhielt seine musikalische Aus-
bildung bei Tritto und Zingarelli in Neapel, sowohl in Ge-
sang als auch in der Komposition. Nachdem sich Bellini
als Komponist von Solostücken für Flöte, Klarinette, Klavier,
von Orchestersachen, Messen und Vespern versucht hatte,
trat er in Neapel 1824 mit der Oper »Adelson e Salvina«
11*
164 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
auf, welche seinen Ruf begründete. Es folgte 1826 die Oper
»Bianca e Fernando«, auf welche hin er Kapellmeister am
Teatro della Scala in Mailand wurde. 1827 erschien »II
Pirata«, welche Oper in Mailand einen grofsen Erfolg hatte,
1828 schuf Bellini »La Straniera«, 1829 »I Capuletti ed il
Montecchi' ( >Romeo und Julia ), 1830 Zaira<, 1831 »La So-
nambula*, welche er für die Pasta in Mailand schrieb, 1832
»Norma«, 1833 »Beatrice di Tenda«. Bellini, der sich 1833
nach London wandte, um daselbst »Norma« und »Beatrice
di Tenda' aufzuführen, kehrte nach Paris zurück, um da-
selbst im Jahre 1834 sein letztes, gröfstes und schönstes
Werk »I Puritani« zu schaffen. 1835 am 24. September
starb Bellini, 33 Jahre alt, in Puteaux bei Paris.
Welches sind die hauptsächlichsten Daten aus Donizettis Leben
und Schaffen?
Gaetano Donizetti, geb. 25. September 1797 in Bergamo,
erhielt seine erste musikalische Ausbildung bei einem ge-
wissen Mayr in seiner Geburtsstadt, sodann von Mattei und
Piloti in Bologna. Mehrere Sinfonien, Messen und Quartette
zeugen von den mit Eifer betriebenen Musikstudien. Um
nicht Jurist zu werden, wurde Donizetti Soldat, verliefs je-
doch den Militärdienst und schuf nun als Opernkomponist
von 1818—1830 eine Reihe von Werken, die mit Erfolg über
die Bühnen Italiens gingen. Aber erst die Zeit von 1831 bis
1835 ging Donizettis Ruf über die Grenzen Italiens hinaus,
vor allem nach Paris und London. 1832 schrieb Donizetti
die Oper »L'elisire d'amore«. 1834 wurde Donizetti Kapell-
meister und Lehrer am Konservatorium zu Neapel, 1838,
nach Zingarellis Tode, Direktor, 1839 gab er diese Stellung
auf, um sich nach Paris zu wenden. Während seines Aufent-
haltes in Neapel schrieb Donizetti 1834 »Lucrezia Borgia<,
1835 »Belisario« und »Lucia di Lammermoor«. In Paris
entstand seine berühmte Oper »La fille du regiment« (»Die
Regimentstochter«). Von 1842 — 1843 lebte Donizetti in Wien,
wo er zum Hofkapellmeister und Kammerkomponisten er-
nannt wurde. In der Wiener Zeit kamen »Linda di Cha-
mounix« und »Don Pasquale« auf die Bühne. In Paris
schuf er im Jahre 1843 »Catarino Cornaro« und »Don
Sebastiano«, welch letztere Oper er selbst in Neapel auf-
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper.
165
führte. Donizetti, der infolge eines Gehirnleidens irrsinnig
geworden war, starb in Bergamo am 8. April 1848. Im
ganzen hat er aufser Kirchensachen, die geringe Bedeutung
besitzen, 64 Opern geschrieben, von denen hier noch aufser
den bereits genannten »La Favorite« als eine der häufigst
gegebenen erwähnt werden mufs.
No. 30. Giuseppe Verdi.
Welches sind die hauptsächlichsten Daten aus Verdis Leben
und Schaffen?
Giuseppe Verdi, geb. 9. Oktober 1814 in Busseto, einem
Marktflecken in Parma, gest. 27. Januar 1901 in Mailand,
ist wohl als der bekannteste und beliebteste italienische
Opernkomponist des 19. Jahrhunderts anzusehen. Selten
haben sich wohl Melodien aus anderen Opern so tief in
das musikalische Gedächtnis des Volkes, namentlich seiner
eigenen Landsleute, eingegraben, wie diejenigen des Maestro
166 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Verdi. Auf allen Leierkastenwalzen der Welt ist das Miserere
aus dem »Trovatore« eingegraben und nimmer wird der
Name seines Kom^^onisten vergessen werden, bis der letzte
Ton auf der letzten Pfeife der letzten Drehorgel verklungen
sein wird. Verdis Tod und Begräbnis gestaltete sich in
Italien zu einer Volksangelegenheit — so lieb hat das ita-
lienische Volk den Schöpfer seiner Lieblingsmelodien. Es
ist nicht zu leugnen, dafs Verdi in seinen ersten Schöpfungen
eine etwas triviale Kompositions weise aufweist, die er später,
besonders in den letzten Jahren, vollständig verlassen hat,
wie dies sein »Othello« und »Falstaff« zur Genüge darthun.
Din*ch Verdi gelangte im Verein mit Eossini, Bellini und
Donizetti die italienische Oper zur eigentlichen Weltherr-
schaft. Verdi, der die dramatische Charakteristik in der
italienischen Oper zur Geltung gebracht hatte, besafs eine
wahrhaft erstaunliche körperliche und geistige Küstigkeit
und Leistungsfähigkeit; zugleich zeigt uns sein dramatisches
Schaffen eine so lange Reihe von Jahren hindurch eine
sehr interessante Entwicklung und ein rastloses Höher-
streben. Giuseppe Verdi, dessen Eigentümlichkeit es war,
sich allen Wandlungen anzuschmiegen, welche die Oper im
19. Jahrhundert durchmachte, zeigt in seinen ersten Werken
bis zum »Ernani« sich ganz in der einseitig-nationalen Tra-
dition und Manier befangen, läfst in seinen späteren Werken
die französische Grofse Oper auf sich einwirken, wie er in
seinen letzten Opern von der »Aida« an, deutlich den Ein-
flufs Richard Wagners zeigt. Sein » Falstaff j und sein
»Othello« sind musikdramatische Gebilde von hoher Be-
deutung. — Verdi wurde als Sohn armer Eltern geboren
und erhielt den ersten Musikunterricht von Provesi, einem
Organisten der Pfarrkirche seines Geburtsortes Busseto.
Schon mit 13 Jahren schrieb Verdi kleinere Orchesterstücke,
Kantaten, Kirchenwerke und Ouvertüren, die eine auf ser-
ordentliche musikalische Begabung verrieten. Als lOjähriger
Jüngling kam er durch die Munificenz eines wohlhabenden
Musikfreundes nach Mailand, um seine musikalische Aus-
bildung am dortigen Konservatorium zu vollenden.
Merkwürdigerweise wurde dem jungen Verdi alle Be-
fähigung zur Musik bei der Aufnahmeprüfung abgesprochen
und die Aufnahme verweigert, worauf er seine Studien beim
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 167
Kapellmeister Lavigna fortsetzte. Verdi kehrte in seinen
Geburtsort zurück, um hier sein erstes Werk, die Oper
»Oberto, conte di San Bonifazio« zu vollenden, dessen erste
Aufführung am 17. November 1839 in Mailand am Teatro
della Scala stattfand. 1840 schon folgte dem Erstlingswerke
die Buffo-Oper »ün giorno di regno«. 1842 am 9. März
ging die grofse Oper »Xabuccodonosor über die Bretter
und 1843 »I Lombardi alla prima Crociata«. (Diese Oper »Die
Longobarden im ersten Kreuzzuge«, zu welchem der Dichter
Solera den Text geliefert hatte, war das erste Werk Verdis,
welches auf Censurschwierigkeiten stiefs. Der damalige
Erzbischof von Mailand hatte gehört, dafs hierbei auf der
Scene Prozessionen vorkämen und Kirchenfahnen herumge-
tragen würden. Verdi gab nicht nach, eilte zum Polizeimeister,
machte energische Vorstellungen und setzte die Aufführung
im Originaltexte durch, nur mit der Konzession, dafs statt
Ave Maria, Salve Maria gesungen wurde. Dieselbe Oper
wurde im Jahre 1847 auch in Paris unter dem Titel »Jeru-
salem« aufgeführt, jedoch ohne bedeutenden Erfolg.
Mit grolsem Erfolge fand am 9. März 1844 im Teatro
della Fenice in Venedig die Aufführung von »Ernani« statt.
Diese Oper, deren Text von Piavo, gab damals der Censur
und der Theaterpolizei viel zu schaffen. Man wollte bei
der Obrigkeit die Verschwörungschöre nicht zulassen, und
das Volk benützte wiederholt einzelne Stellen der neuen Oper
zu antiösterreichischen Demonstrationen. »Ernani«, welche
Oper ihren Weg über fast alle italienischen Bühnen machte,
auch in Wien und Paris mit bedeutendem Erfolge gegeben
wurde, fiel in Florenz durch. Die nächste, und zwar die
siebente Oper Verdis kam in Rom am 3. November 1845
im Teatro Argentino zur Aufführung und hiefs »I due Fos-
cari«, machte jedoch nur wenig Eindruck und kam auch
nicht über die Grenzen Italiens hinaus. Dann folgte »Gio-
vanna d'Arco«, welche trotz der bedeutenden Sängerin
Frezzolini nur einen mäfsigen Erfolg hatte. Von dieser
Oper verwendete Verdi die Ouvertüre später zur Oper »Die
sicilianische Vesper«. Das nächste Werk w^ar die Oper
»Alzira«, dieselbe gelangte am 12. August 1845 in Neaj^el
zur ersten Aufführung; ihr folgte »Attila« 1846 am 17. März,
welche ebenfalls gleich wie »Ernani« in Venedig zu politischen
168 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Demonstrationen benutzt wurde, im allgemeinen aber sich
keines besonderen Erfolges zu erfreuen hatte. In London
fiel »Attila< trotz der grofsartigen Leistung der Cruvelli
durch. Auch das nächste Werk, die Oper »Macbeth«, für
Florenz komponiert und in der dortigen Pergola zum ersten-
male am 14. März 1847 aufgeführt, konnte es aufserhalb
Italiens zu keinem Erfolge bringen, obwohl es durch den
spanischen Tenoristen Palma begeisterte Aufnahme fand.
Nach -Macbeth« erschienen die »Masnadieri« (»Die Räuber«,
Text von Maffei), welche unter persönlicher Leitung Verdis
am Her Majestys Theatre in London am 24. Juni 1847 in
Scene gingen, sind aber, trotzdem die Jennj'" Lind die
Amalie, und Lablache den alten Moor sang, nicht durch-
gedrungen. Am 25. Oktober 1848 erschien auf dem Triester
Theater »II Corsaro«, am 27. Januar 1849 in Rom »Die Schlacht
von Legnano« und am 8. Dezember 1849 »Luisa Miller«
(nach Schillers »Kabale und Liebe«) im San Carlo-Theater
zu Neapel, welche Oper drei Jahre später in Paris mit ge-
ringem Erfolge gegeben wurde. 1850 am 16. November
ging in Triest »Stiffelio«, ohne besonderes Aufsehen zu er-
regen, in Scene, und nun erst kamen die drei Werke auf,
welche Verdis Weltruhm begründeten: »Rigoletto« (erste
Aufführung in Venedig am 11. März 1851), »II Trovatore«
(erste Aufführung in Rom am 19. Januar 1853) und die
»Traviata« (erste Aufführung in Venedig am 11. Mai 1853).
Nur die Traviata« hatte bei ihrer ersten Aufführung keinen
Erfolg, und Verdi schrieb damals an einen seiner Freunde:
»Die Aufführung der >Traviata< hat gestern stattgefunden.
Fiasko! Liegt die Schuld an mir oder an den Sängern?
Die Zeit wird darüber urteilen. < — Am 13. Juli 1855 er-
schien Verdi in Paris mit der Oper »Die sicilianische Vesj^er«,
und am 12. März 1857 ging »Simone Boccanegra« in Venedig
zum erstenmale in Scene. Es folgten am 17. Februar 1859
in Rom »Der Maskenball«, sodann am 10. November 1862
die für St. Petersburg komponierte Oper »La forza del
destino«, am 11. Mai 1867 »Don Carlos« für Paris, und so-
dann am 24. Dezember 1871 die zur Feier der Einweihung
des Suezkanals geschriebene und in Kairo zum ersten-
mal aufgeführte Oper »Aida«. In dieser Oper ist der Ein-
flufs der deutsch- romantischen Oper auf Verdi fühlbar. Am
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper, 169
22. Mai 1874 ertönten in Mailand znm erstenmale die Klänge
von Verdis »Requiem«. Es kann bei diesem Requiem wohl
nicht weiter befremden, dals der Tondichter als Romane
auch in seinem Gottesdienste das Sinnfällige liebt, in der
religiösen Musik Verdis das Opernmäfsige vorherrscht. Un-
willkürlich liegt ein Vergleich mit Mozarts und Berlioz' Re-
quiem« nahe. Hier Natürlichkeit und Schönheit in schönster
Vereinigung und mit den einfachsten Mitteln grofse Wir-
kungen erzielt, dort grofsartigen Gedankenflug und tiefe
Poesie bei kunstreicher Anhäufung kolossaler Mittel, bei
Verdi entzückender, melodischer und harmonischer Wohl-
klang. Dem > Requiem < folgte 1881 die Oper »Othello« und
in den neunziger Jahren die Oper »Falstaff<. Von den
Kammermusikwerken, die Verdi geschaffen hat, ist ein
Streichquartett besonders bekannt geworden.
Verdi, der zwei Mal verehelicht war (das erste Mal mit der
Tochter seines Wohlthäters Barezzi, das zweite Mal mit der
Sängerin Strepponi), lebte die letzte Zeit seines Lebens
zum Teil in Genua, sowie auf seiner Villa in Busseto. In
Mailand schlofs sich sein sangesreicher Mund auf ewig, seine
besten Werke aber ehren sein Andenken auch fernerhin
als Künstler, und seine vielen Wohlthaten, die er schon bei
Lebzeiten den Armen spendete, als Menschen. Er war der
Grofsen einer.
Wie heifst der Lieblingsschüler und Freund Verdis, der nicht
nur als Komponist, sondern auch als Wortdichter in Italien
geschätzt ist?
Arrigo Boito, geb. 24. Februar 1842 in Padua, studierte
Musik am Mailänder Konservatorium und trat 1868 mit der
grofsen Oper >Mefistofele< (nach Goethes »Faust«) an die
Öffentlichkeit. Aufser dieser Oper schrieb Boito noch »Ero
e Leandro« und »Nerone«, sowie zahlreiche dramatische
und novellistische Werke. Erwähnenswert ist, dafs Boito
das Textbuch zu Verdis »Falstaff« verfafst hat.
Welche italienischen Komponisten des 19. Jahrhunderts wandeln
mit Boito ebenfalls die Pfade der sogenannten grofsen Oper?
Amilcare Ponchielli, Komponist von »Gioconda«.
Francesco Cortesi, Komponist von »Mariulizza«.
170 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Besonders ist Amilcare Ponchielli, geb. 1. September 1834
in Paderno Fasolaro, eine hochinteressante miisikahsche Per-
sönhchkeit der neueren Zeit auf dem Boden der italienisclien
Musik. Seine Studien machte derselbe am Mailänder Konser-
vatorium, wo er Schüler von Cagnoni war. Die Not der
Verhältnisse zwangen ihn, eine Stellung als Musikdirektor
der Nationalgarde in Piacenza und sjDäter eine Stelle in
gleicher Eigenschaft in Cremona anzunehmen. Hier in
Cremona brachte Ponchielli seine erste Oper >I promessi
sposi« 1856 zur Aufführung. Weitere Opern waren: 1861
»La Savojarda<, »Roderico re de' Goti< 1864 in Piacenza
aufgeführt. Dann folgten La Stella del monte« und die
Umarbeitung der Oper »I promessi sposi«, welch letztere
Oper einen durchschlagenden Erfolg hatte. Das Ballett >Le
due Gemelli« 1873, »I Lituani« 1874, sowie »Gioconda« 1876
steigerten den Ruf Ponchiellis in Bezug auf künstlerische
Behandlung der grofsen Oper, so dafs er mit Recht zu den
bedeutendsten Komponisten Italiens gezählt werden mufs.
Aufser der Umarbeitung der Oper La Savojarda« unter
dem Titel »Lina«, ist von Ponchielli noch das Scherzo
comico »II Pariatore eterno«, die Kantate »A Gaetano Doni-
zetti«, eine Trauerkantate dem Gedächtnis Manzonis gewid-
met »II 29 Maggio«, das Ballett »Clarina«, die »Fantasia
militare«, die Romanze »Eternamente« für Sopran, mit Be-
gleitung des Pianoforte und Violoncello zu nennen,
Filippo Marchetti, Komponist der Oper »Ruy Blas<s
gest. 1902.
Alberto Franchetti, geb. 1860 in Turin, machte seine
Studien in Venedig, München und Dresden, in letzterer Stadt
als Schüler Dräsekes. Seine erste Arbeit, eine Sinfonie,
wurde in Dresden prämiiert. 27 Jahre alt, schrieb er seine
erste Oper »Asrael«; 1892 folgte »Cristoforo Colombo«,
1894 »Fior d'Alpe«, 1895 »Signor de Pourcegnac« und
1902 »Germania«, die in Mailand zum erstenmale zur Auf-
führung gelangte und eine Episode aus den deutschen Frei-
heitskriegen behandelt.
Durch welchen äufseren Anlafs brach am Ende des 19. Jahr-
hunderts eine neue Epoche für die italienische Oj^er an?
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper.
171
Durch die im Jahre 1890 von dem Mailänder Musik Verleger
Sonzogno ausgeschriebene Opernkonkurrenz, aus welcher
als epochemachender Sieger Pietro Mascagni mit seiner
Oper »Cavalleria rusticana< hervorging. Den zweiten Preis
erhielt Kuggiero Leoncavallo mit seiner Oper »Pagliazzi«
(Bajazzo), 1892 zum erstenmale aufgeführt. Beide Opern
hatten sensationellen Erfolg und machten Schule, denn eine
ganze Reihe jun-
ger Komponisten
entstanden auf
Grund dieser An-
regung.
Pietro Mascag-
ni, geb. 7. Dezem-
ber 1863 in Livor-
no, war Schüler
des Mailänder
Konservatoriums,
sowie von Ponchi-
elli und Saladino,
und wirkte an-
fangs als Kapell-
meister an kleinen
italienischen Büh-
nen, bis er sich in
Cerignola als Diri-
gent des dortigen
Musikvereins nie-
derliefs. Seinen
Ruf als Opernkomponist begründete er mit der Oper »Ca-
valleria rusticana« 1890, jedoch stehen die übrigen Opern
»Freund Fritz«, »Die Rantzau>, >Ratcliff« und »Iris« gegen
sein epochemachendes Erstlingswerk zurück. Aufser diesen
Opern sind noch Lieder von Mascagni zu erwähnen.
Ruggiero Leoncavallo, geb. 8. März 1858 in Neapel,
studierte am Konservatorium in Mailand und ging nach
Paris, wo er 1869 seine erste Oper >»Songe d'une nuit d'ete«
schrieb. Durch die Oper »»Pagliazzi« 1892 wurde auch er,
gleichwie Mascagni, zum berühmten Opernkomponisten
No. 31. Pietro Mascagni.
172 Die Musikentwicklimg auf dem Boden von Italien.
gestempelt. Seine folgenden Werke »IMedici<, sowie -Scenes
de la vie de Boheme < konnten es jedoch nicht zum Erfolge,
wie er den >Pagliazzi< beschieden war, bringen.
Wie heifsen die übrigen Jungitaliener, welche sich am Ende
des 19. Jahrhunderts dem »Verismo« Mascagnis und Leon-
cavallos anschlössen?
Pierantonio Tasca (»A santaLucia«), Umberto Giordano
(»Mala vita«), Vincenzo Feroni (»Rudello«), Nicola Spi-
nelli (»Labilia« und »Abassoporto),Cilea(»Tilda<), Enrico
Bossi (»II Veggente«), Emilio Pizzi (»Editha«), Leoni
(»Raggio di Luna«), Giacomo Puccini (»Boheme«; Scenen
aus Henri Murgers »Scenes de la vie de Boheme«).
Die musikalische Charakteristik im Vereine mit der den
Italienern eigenen Melodik ist das Fesselnde an den Opern
der Jungitaliener, deren Stoffe sich zu dem von denen der
früheren Komponisten durch das sog. Milieu unterscheiden.
Es ist dasselbe, welches der Litteraturrichtung am Ende
des 19. Jahrhunderts zu Grunde liegt: das Volkstum in ve-
ristischer Darstellung. Die Tragik des Volkslebens, im Gegen-
satze zum Leben im Bereiche der obersten Gesellschafts-
klassen, bildet den Unterschied im dichterischen Vorwurfe
der jüngeren und älteren italienischen Opernkomponisten.
Verdi selbst hat dieser neuen Richtung in neidloser Weise
ein grofses Lob gespendet, wie es H. Ehrlich 1892 aus des
Maestros eigenem Munde mitteilte: »Nichtsdestoweniger ist
Mascagni ein sehr grofses Talent und hat auch eine effektvolle
Neuerung gebracht: kurze Opern, ohne unnütze Längen.
Denn sehen Sie, unsere Fehler waren die endlosen, grofsen
Opern, die einen ganzen Abend füllen mufsten. Wir waren
immer gezwungen, daran zu denken, wie die Musik für die
vierthalb Stunden fertig gebracht werde; also grofse Chöre,
die eigentlich sehr wenig mit der Sache selbst zu thun hatten,
gedehnte Scenerien, Soloarien mit allerhand Zwischensätzen,
das alles hielt die Handlung auf. Nun kommt einer mit einer
ein- oder zweiaktigen Oper ohne all das pomphafte Zeug,
die Handlung geht rasch von statten; dabei ein grofses,
leicht erfindendes Talent; das war eine glückliche Neue-
rung, die das Publikum mit Begeisterung aufnahm.«
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 173
Wie heifsen die Namen von italienischen Komponisten, welche
dem 19, Jahrhundert angehören, die bisher noch nicht genannt
wurden ?
Gaetano Gaspari, geb. 1807 in Bologna; Kapellmeister
an St. Petronio, musikalischer Theoretiker, Musikschriftsteller
sowie Komponist von Kirchenmusikwerken.
Michael Costa, geb. 1806 in Neapel; lebte in London als
Kapellmeister der italienischen Oper. Von ihm: die Opern
»Maloine« und »Don Carlos«, die Oratorien »El}^« und >Naa-
mann«, Lieder u. a. m.
Luigi Feiice Rossi, geb. 1805 in Brandizzo, gest. 1863 in
Turin; war Schüler Zingarellis, Musikschriftsteller und Kom-
ponist zahlreicher Kirchenmusikwerke.
Carlo Barbieri, geb. 1822 in Genua, gest. 1867 in Pest;
Schüler Mercadantes und Komponist vieler Opern.
Adolfo Fumagalli, geb. 1828 in Inzago; Schüler des Mai-
länder Konservatoriums, Pianist und Komponist von Opern,
Liedern und Klavierstücken.
Antonio Cagnoni, geb. 1828 in Godiasco. Von ihm: die
Opern »Claudia«, »La tombola«, »Un capriccia di Donnas,
. »Papa Martin« und »Der Lastträger von Havre«.
Giulio Cottrau (Komponist der Oper »Griselda« u. a. m.)
Stefano Gobatti, geb. 1852 in Bergantino, Nachfolger Merca-
dantes als Direktor des Konservatoriums in Neapel. Von
ihm: die Opern »I Goti« und Luce .
Wie heifsen die berühmtesten Sänger und Sängerinnen der
italienischen Oper des 19. Jahrhunderts?
Angelica Catalani, Maria Felicitas Malibran, Sophie
Cruvelli, Adelina und Carlotta Patti, Manoel Garcia,
(Vater der Malibran), Pauline Garcia (Viardot-Garcia),
Pasta, Gertrude Elisabeth Mara, Marchesi, Lablache
u. a. m.
Wie heifst der grofse Violinvirtuose Italiens, der als Begründer
der modernen Violintechnik zu gelten hat?
Nicolo Paganini, geb. 28. Oktober 1782 in Genua, gest.
27. Mai 1840 in Nizza. (Irrtümlich wird meistens das Geburts-
174 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
jähr Paganinis als 1784 bezeichnet, jedoch der Geburtsschein
Paganinis, der sich im Archive der Pfarrei von San Sal-
vator befindet, lautet wörtlich: Anno 1782 die 28. octobris
Nicolaus Paganini [sie] Antonii Filii Johannis Baptistae et
Theresiae Johannis Bocciardo conjugum, natus heri, et hodie
a praeposito baptigatus ; suscipientibus Nicolas Caruta gen.
Bartolome et Columba Maria Farramole uxore«.) Den ersten
Violinunterricht erhielt Paganini vom Violinisten Costa in
Genua, sowie von Rolla und Ghiretti in Parma. In der musi-
kalischen Komposition unterrichtete ihn Paer. Paganini ent-
faltete sehr bald eine beispiellose Technik des Violinspieles;
verblüffende Gewandtheit im mehrstimmigen Flageolet, im
Pizzikatospiele mit den Fingern der linken Hand und stau-
nenerregende Bogentechnik bildeten seine speziellen Eigen-
tümlichkeiten. Die Bedeutung Paganinis beruht daher auch
darin, die Technik des Violinspieles auf eine ungeahnte
Höhe gebracht zu haben. Nach seinen grofsen Konzertreisen
welche in Italien, Österreich, Deutschland, Frankreich und
England stattfanden, zog sich der Virtuose 1835 in seine
Heimat zurück, wo er auf seinem Landgute Gassone bei Genua
lebte und an einem Brustleiden in Nizza 1840 starb. Seinem
Sohne Achille hinterliefs Paganini ein Vermögen von 2 Mil-
lionen Franken ; seine kostbaren acht Violinen hatte er testa-
mentarisch den acht grofsen Meistern des Violinspieles Beriot,
Ernst, Lipinsky, Molique, Mayseder, Ole Bull, Spohr und
Vieuxtemps vermacht. Von Paganini, der auch ein bedeuten-
der Guitarrevirtuose war, sind folgende Werke zu merken:
24 Capricen, 12 Sonaten für Violine, Guitarre und Violoncello,
6 Quatuors, die beiden Konzerte für Violine, die Variationen
»Der Hexentanz«, »Der Karneval von Venedig«, »God save
the King«, »II moto perpetao«, »II palpiti«, Variationen über
ein Thema aus »Moses < auf der G-Saite u. a. m.
Andere berühmte Instrumental - Virtuosen Italiens im
19. Jahrhundert sind:
Der Violinvirtuose Camillo Sivori, geb. 1817 in Genua
(Schüler Paganinis). Antonio Bazzini, geb. 1818 in Brescia,
Violinvirtuose. Von ihm aufser Violinsolis Kammermusik-
werke und Opern, von denen am bekanntesten die Oper
»liranda« wurde. Alfredo Piatti, geb. 1823 in Bergamo
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper.
175
(Violoncellovirtuose), studierte anfangs bei Zanetti, dann bei
Merighi am Mailänder Konservatorium, und unternahm von
1838 an umfangreiche Konzertreisen, die ihn durch ganz Euro-
pa führten. Von 1849 an lebte Piatti in London, lehrend und
komponierend. Zahlreiche Salonkompositionen und Konzert-
sachen für Violoncello sind von ihm geschaffen worden. Gio-
vanni Bottesini, geb. 1823 in Crema, Komponist und Kon-
trabals - Virtuose.
Von ihm : die Opern
»Cristoforo Colom-
bo«, »Michelange-
lo«, »Vinciguerra«,
»Ah Baba«, sowie
Sinfonien, Kammer-
musikwerke, Kon-
zerte und Lieder.
GiulioBriccialdi,
geb. 1818 in Temi
und Carlo Ciardi,
geb. 1818 in Flo-
renz (Flötenvirtu-
osen). Berühmte
Violinvirtuosinnen
Italiens waren das
Geschwisterpaar
Millanolla und
Teresina Tua.
Wie heifsen die bei-
den italienischen Mu-
siker, welche am Ende
des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiete der Kammer- und Kon-
zertmusik ernsten Bestrebungen huldigen?
Giuseppe Buonamici und Giovanni Sgambati. Diese
beiden Italiener gaben sich in ihrem Vaterlande insofern
ernsten musikalischen Bestrebungen hin, indem sie ihr Publi-
kum in die Tiefe und in den Ernst deutsch-klassischer Ton-
kunst einweihten. Sgambati, der seit 1871 als Lehrer für
Klavier und Komposition am Konservatorium in Rom lebt,
ist Schüler von Lifzt und war es, der 186(3 zum erstenmal
No. 32.5.Nicolo Paganini.
176 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
in Italien dessen Dante-Sinfonie, sowie später auch Werke
von Richard Wagner zu Gehör brachte. Wie Sgambati in
Rom, so wirlit Buonamici, der ein Schüler Hans von Bülows
ist, in Florenz. Seine Konzertprogramme weisen neben den
Namen der älteren deutschen Musikklassiker auch die der
neueren Tondichter — Lilzt und Wagner — auf. Ein ganz
besonderes Verdienst hat sich Buonamici erworben, in dem
er auf dem Boden von Italien für das Verständnis Joh.
Seb. Bachs durch Interpretation Bachscher Werke, sowie
dm^ch seine musterhafte Bach- Ausgabe für Klavier thätig war.
Zu erwähnen ist noch der Abbe Perosi als Komponist
von Oratorien (»Die Auferweckung des Lazarus« u. a. m.);
ferner Enrico Bossi, der Direktor des Konservatoriums in
Venedig, als Komponist des Oratoriums »Canticum canti-
corum«, sowie von wertvollen Orgelsachen.
In Rom wirkte der 1902 verstorbene Direktor des »Liceo
di Santa Ceciha«, Filippo Marchetti, dessen Nachfolger der
Komponist Falchi ist. Vor allem aber entfaltet in der Haupt-
stadt Italiens der bereits genannte Giovanni Sgambati
eine segensreiche musikalische Thätigkeit. Derselbe ist in der
Lifztschen Schule gebildet und vereinigt in seiner Person die
Eigenschaften eines Dirigenten, Klaviervirtuosen und Päda-
gogen; von ihm ist 1896 ein »Requiem« geschrieben worden,
das anläfslich der Trauerfeierlichkeiten für König Umberto
umgearbeitet und erweitert ward und jedenfalls neben Bossis
»Canticum canticorum« das bedeutendste ist, was das moderne
Italien auf dem Boden der Musik hervorgebracht hat.
Ein Hauptsitz musikalischen Lebens in Italien ist Bologna,
wo Giuseppe Martucci als Direktor des Konservatoriums
verdienstlich wirkt. Er war es, der gelegentlich des Jubiläums
der Universität von Bologna daselbst Wagners »Tristan und
Isolde« aufführte, nachdem in Bologna bereits 1871 Wagners
»Lohengrin« auf Italiens Boden seine erste erfolgreiche Auf-
führung erlebt hatte. Mailand besitzt ein Konservatorium der
Musik ersten Ranges, in welchem Maestro G. Gallignani als
tüchtiger Direktor wirkt, ebenfalls Venedig in dem »Liceo Mar-
cello« mit Enrico Bossi als Direktor.
7. Die Weltherrschaft der italienischen Oper. 177
In Liiigi Torchi besitzt Italien einen hervorragenden Kri-
tiker und Forscher. In der »Rivista musicale itaUana«, M. I.,
anno VIII fasc. primo) schreibt dieser Musikgelehrte folgen-
des: »Itahen ist betreffs der Wiederaufnahme der klassisclien
Studien hinter anderen Nationen zurückgebheben. Soll es
noch eine eigene Kunst besitzen, so darf diese nicht das Resul-
tat einer Assimiherung fremder Tendenzen und Geschmacks-
richtungen sein — ein Irrtum, dem die neuen italienischen
Komponisten infolge ihres Mangels an Nationalgefühl huldigen
— sondern das Resultat echt italienischer, künstlerischer Er-
ziehung, die zu unverfälschten >Manifestationen italienischen
Geistes hinführt<.« — »Der Staat mufs es verstehen, dafs .die
Grundlage für eine Reorganisation der Musikstudien die end-
liche Einführung der italienischen Klassik in den Konservatorien,
die ja doch Institute italienischer Kunst sind, bilden müsse.
Thut der Staat dies auch nicht, so ist das ein Zeichen, dafs
die Staatslenker ein Problem hervorragenden nationalen Inter-
esses übersehen.«
c-^^^^^^
Ritter, Encyklopädie der Musikgescliichte. III. J2
Bibliographie
zu
Band III: Die Musikentwicklung auf dem Boden
von Italien.
^
12^
(Alle in nachstehendem Verzeichnis aufgeführten Schriften sind zu
beziehen durch die Verlagsbuchhandlung Max Schmitz in Leipzig-R.)
Palestrina, seine Zeitgenossen und Nachfolger.
(Schule von Rom.)
Baini, G., Memorie storico-critiche sulla vita e sulle opere di Giov. Pier-
luigi da Palestrina. 2 Bände. Roma, 1828.
Winterfeld, C. v., Johannes Pierluigi von Palestrina. Breslau, 1832.
Kandier, F. S., Über das Leben und die Werke des G. Pierluigi da
Palestrina. Nach Giuseppe Baini. Leipzig, 1834.
ThibatU, Über Reinheit der Tonkunst. (Mit einem Bildnisse Palestrinas.)
Heidelberg, 1825.
Naumann, E., Italienische Tondichter. (Daraus: Palestrina.) Berlin, 1876.
Bäumker, W., Palestrina. (Ein Beitrag zur kirchenmusikalischen Refor-
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Ambros, A. W., Geschichte der Musik im Zeitalter der Renaissance von
Palestrina an. 4. Band seiner Geschichte der Musik. Leipzig, 1878.
Schelle, Ed., Die päpstliche Sängerschule in Rom, genannt die sixtinische
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Bellerniann, H., Die Mensuralnoten und Taktzeichen des 15. und 16. Jahr-
hunderts. Berlin, 1858.
Becker, C. F., Mehrstimmige Gesänge berühmter Komponisten des 16. Jahr-
hunderts. Dresden.
Spitta, Ph., Palestrina im 16. u. 19. Jahrhundert. Deutsche Rundschau 1894.
Waldersee, Graf Paul, Giovanni Pierluigi da Palestrina und die Gesamt-
Ausgabe seiner Werke. Nr. 52 der Sammlung musikalischer Vorträge.
Leipzig.
Glareani, Dodekachordon. Basil, per St. Petri. Roma, 1547.
Felix, G., Palestrina et la musique sacrec, 1594—1894. Av. plusieurs
planclies. Desclee, 1895.
Molitor, Pater Raphael, Die Choral-Reform unter Gregor XIII. Leipzig, 1901.
Für Nicht -Katholiken seien zum näheren Verständnis der Liturgie,
sowie überhaupt des Ritus der katholischen Kirche folgende Werke
zum Studium empfohlen:
Kothe, Beruh., Musikalisch-liturgisches Wörterbuch für alle Freunde der
Kirchenmusik, insbesondere für Chordirigenten. Breslau, 1890.
Boeckeler, Gregoriusbuch. Wesen und Eigenschaften der katholischen
Kirchenmusik. Aachen.
182 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Krabbel, Christ., Prinzipien der Kirchenmusik. Bonn, 1893.
Krutschek, Paul, Die Kirclienmusilv nacli dem Willen der Kirche. Eine
Instruktion für katholische Chordirigenten. Regensburg, 1897.
Schauerte, Heinr., Die Akte der heil. Musik. Paderborn, 1894.
Schauerte, Heinr., Die natürlichen Teile der heiligen Musik. Paderborn, 1893.
Schauerte, Heinr., Musikalischer Kommentar zum Missale Romanum. Pader-
born, 1893.
Schauerte, Heinr., De musicas sacrae justitia. Paderborn, 1893.
Kirnherger, U. L., Lehr- und Übungsbuch des gregorianischen Choral-
gesanges. Mit 18 Tafeln. Freising, 1888.
Wagner, Peter, Einführung in die gregorianischen Melodien. Ein Hand-
buch der Choralkunde. Mit 13 Tabellen. Freiburg, 1895.
Keller, J. W., Die acht Psalmentöne des gregorianischen Choralgesanges
mit Orgelbegleitung. Aachen, 1856.
Schmelz, Paul, Die Harmonisierung des gregorianischen Choralgesanges.
Düsseldorf.
Schmelz, Paul, Vortrag des Chorales nach Dom. Pothiers Methode. Strafs-
burg, 1897.
Zur Liturgie und Feier des katholischen Kirchenjahres:
Gueranger, Dom. Pr., Das Kirchenjahr. Übersetzt von Dr. Heinrich.
14 Bände. 1888.
Haberl, Dr. Fr. X., Die Feier der heil. Kar- und Osterwoche. Lateinisch
und deutsch, für Gebet und Gesang. Regensburg, 1892.
Kayser, Dr. J., Beiträge zur Geschichte und Erklärung der ältesten Kirchen-
hymnen. Band I 1881, Band II 1886. Paderborn.
Schulte, Dr. Adalh., Die Hymnen des Breviers nebst den Sequenzen des
Missale übersetzt und erklärt. Paderborn, 1898.
Sch7nid, Dr. Ändr., Caeremoniale für Priester, Leviten, Ministranten und
Sänger zu den gewöhnlichen liturgischen Diensten. Mit 60 Abbildungen.
Kösel, 1897.
Schober, G., Caecermoniae missarum solemnium et pontificalium aliaeque
functiones ecclesiasticae. Regensburg, 1894.
Musikentwicklung auf dem Boden von Venedig.
Caffi, F., Storia della musica sacra nella giä Capeila Ducale di San Marco
dal 1378—1797. Venezia, 1854-55.
Nauman7i, E., Das goldene Zeitalter der Tonkunst in Venedig. Heft 248
der Sammlung gemeinwissenschaftlicher Vorträge. Berlin, 1876.
Naumann, E., Italienische Tondichter. Berlin, 1876.
Winterfeld, C. v., Johannes Gabrieli und sein Zeitalter. Berlin, 1834.
Schmid, A., Ottavio dei Petrucci da Fossombrone, der erste Erfinder des
Musiknotendruckes mit beweglichen Metalltypen und seine Nachfolger
im 16. Jahrhundert. Wien, 1845.
(Nach den neuesten Forschungen Prof. Dr. H. Riemanns war Jörg Reyser
in Würzburg 1481 Erfinder der beweglichen Typen.)
Bibliographie. 183
Galvani, L. N., Die Opern von Venedig im 17. Jalirhundert. Mailand, 1880.
(Dieses Werk berichtet über die Thätigkeit von 16 Opernunternehmungen
dieser Glanzzeit Venedigs in der Zeit 1637—1700, giebt in drei Anhängen
noch die Geschichte zweier anderer Unternehmungen, und aulserdem
eine Zusammenstellung gedruckter theatralischer Werke und drei In-
haltsverzeichnisse.)
Scudo, R, Chevalier Sarti oder musikalische Zustände Venedigs im 18.
Jahrhundert. Aus dem Französischen übersetzt und mit musikalischen
Anmerkungen begleitet von O. Kade. Dresden, 1858.
Chilosotti, O., Sulla lettera-critica di Benedetto Marcello contra Antonio
Lotti. Bassano, Pozzato, 1885.
Bigi, Q., Di Claudio Merulo da Corregio, principe dei contrappuntisti e
degli organisti del 16 secolo. Parma, 1861.
Marcello, B., II teatro alla moda ossia metodo sicuro, e facile per ben com-
porre, ed esseguire l'opere italiane in musica all' uso moderno. Stam-
pata ne Borghi di Belisania per Aldivivi Licante. (Satire.) Venezia.
Wiel, Taddeo, I Teatri musicali Veneziani del settecento- Venedig, 1897.
Musikent Wicklung auf dem Boden von Florenz.
Naumann, E., Italienische Tondichter. Berlin, 1876.
Ärteaga, St., Le rivluzioni del teatro italiano. Venezia, 1885. Übersetzt
von Forkel unter dem Titel: Geschichte der italienischen Oper von
ihrem ersten Ursprung bis auf die gegenwärtige Zeit. Leipzig, 1789.
Gevaert, F. A., Die Vokalmusik in Italien unter den Florentiner Meistern
von 1500 — 1630. Neue Berliner Musik-Zeitung, 29. Jahrgang.
Caccini, Giulio, Vorrede zu seiner Oper Euridice«. 1600.
Peri, Jacopo, Vorrede zu seiner Oper »Euridice«. 1600.
Cavalieri, Emilio del, Vorrede zum musikdramatischen Werke Del' anima
e del corpox. 1600.
Galilei, Vincentio, Dialogo della musica antica e modena. 1581 (1. Ausg.)
1602 (2. Ausg.).
Gagliano, M., Vorrede zu seiner Oper Dafne«. 1609.
Doni, J. B., Sämtliche Schriften in 2 Bänden herausgegeben von Ant.
Francesco Gort. Florenz, 1762. Dabei Einzelnes von G. Bardi und Pietro
della Valle.
Grandini, A., Valdrighi F., e Ferrari-Moreni, H., Cronistorio dei teatri di
Modena dal 1558 al 1871. Modena, 1873.
Eitner, Sommer u. a. m.. Die Oper in ihren ersten Anfängen bis zur Mitte
des 18. Jahrhunderts. Enthalten in den Publikationen der Gesellschaft
für Musikforschung. Berlin und Leipzig, Jahrgang I— XXL
Musikentwicklung auf dem Boden von Neapel.
Florino, Fr., Cenno storice sulla scuola musicale de Napoli. Napoli, 1869.
Catalani, Angelo, Delle Opere di Alessandro Stradella esistendi nell' archivio
musicale R. Biblitheka Palatina di Modena. Modena, 1866.
Naumann, E., Italienische Tondichter. Berlin, 1876.
184 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
Florimo, Fr., La scuola musicale di Napoli e i suoi conservatorii eon uno
squardo sulla storia della musica in Italia. Napoli, 1880—82. 4. tome.
Villarosa, March. di, Memorie dei compositori di musica del regno di
Napoli. Napoli, 1840.
Schletterer, H. M., Giovanni Battista Pergolese.
Nr. 17 der Sammlung musikalischer Vorträge.
Litteratiir über die Musikinstrumente.
Die Entwicklung der Instrumentalmusik (vornehmlich auf dem
Boden Italiens) vom 16. Jahrhundert an.
Wasielewski, W. J. v., Geschichte der Instrumentalmusik im 16. Jahrhundert
mit Abbildungen von Instrumenten und Musikbeilagen. Berlin, 1878.
Wasielewski, W. J. v.. Die Violine im 17. Jahrhundert und die Anfänge der
Instrumentalkomposition. Die hierzu gehörenden Musikbeilagen ent-
halten 40 Instrumentalkompositionen aus dem 16. und 17. Jahrhundert.
Bonn, 1874.
Baryon, Untersuchung der Instrumente der Lauten. Nürnberg. 1727.
Virdnng , Sebastian, Musica getutscht. (Deutsche Musik.) Basel, 1511.
(Befindlich in der kgl. Bibliothek zu Berlin, sowie in der k. k. Hofbib-
liothek in Wien.)
Faksimile-Ausgabe von R. Eitner in den Publikationen der Gesellschaft
für Musikforschung. Leipzig u. Berlin, Jahrgang I — XXI.
Agricola, Martin, Musica Instrumentalis. Erste Ausgabe : Wittenberg, 1529.
Zweite Ausgabe: 1542. (Die kgl. Bibliothek in Berlin besitzt beide Aus-
gaben, während die Wiener und Leipziger Bibliothek nur die erste Aus-
gabe besitzen.)
Lafranco, Giov. Maria, Scintille, ossia regola di musica etc. Brescia, 1522.
Luscinius Ottmarus, (Nachtgall) Musurgia seu praxis Musicae. 1536.
Fontego, Silvestro Ganasi del, Regola Rubertina, che iusegna suonare de
Viola d'arco tastada. Venezia, 1543.
Zacconi, Ludovico, Prattica di musica. Venezia, 1592.
Praetorius, Michael, Sjaitagma musicum. 2 Bände. Der zweite Band er-
schien 1619. — Syntagma, 2 Teile, v. d. Instrumenten, veröffentlicht in
den Publikationen der Gesellschaft für Musikforschung. Leipzig u. Berlin,
(Jahrgang I— XXI.
Wasielewski, W. J. v.. Die Violine und ihre Meister. Leipzig.
Niederheitmann, Fr., Cremona. Eine Charakteristik der ital. Geigenbauer
und ihre Instrumente. Leipzig, 1877.
Diehl, N. L., Die Geigenmacher der italienischen Schule. Hamburg, 1876.
Felis, F. J., Antoine Stradivari etc. Paris, 1856.
Ambros, A. W., Die italienischen Organisten. (In dessen Geschichte der
Musik<. 4. Band, von Seite 434ff.). Leipzig, 1878.
Naumann. F., Die grofsen Geiger und italienische Sonatisten. (In dessen
»Italienische Tondichter von Seite 351 ff. Berlin, 1876.
Gerle, Hans, Musica teutsch. Nürnberg, 1532. Dieses Werk erschien 14
Jahre später in vermehrter Auflage; dasselbe befindet sich in der kgl.
Bibliothek zu Berlin.
Bibliographie. 185
Judenkunig, Hatis, Ain schöne künstliche underweisung in diesem Buech-
lein leychtlich zu begreiffen den rechten Grund zu lernen auf der Lautten
und Geigen, mit vleiss gemacht von Hans Judenkunig, pirtig von
Schwebischen Gmünd Lutenist, jetzt zu Wien in Österreich. 1525. (Be-
findlich in der kaiserlichen Bibliothek in Wien.)
Ammerbach, Orgeltabulaturbuch. Dasselbe ist dem theoretischen Inhalte
nach eine Schule für die Tasteninstrumente des 16. Jahrhunderts und
giebt über die Beschaffenheit der Klaviatur, über die in der Tabalatur
vorkommenden Schriftzeichen (Charaktere), über den Fingersatz, über
die Ausführung der Mordanten und Konkordanten, sowie über das
Stimmen eines Instrumenten Aufschlui's. 1571. (Befindlich in der Leip-
ziger Stadtbibliothek.)
Schmid, Bernhard, der Ältere, Tabulaturbuch. Strafsburg, 1577.
Schmid, Bernhard, der Jüngere, Tabulaturbuch. 1607.
Wyssenbach, Rudolph, Tabulaturbuch uff die Lauten. 1550.
Neusiedler, Lauteubuch. 1535.
Schlick, Arnold, Tabulaturen etlicher Lobgesang und liedlen uff die Orgeln
und lauten. 1512.
Lyon, CL, Jean Guyot dit Castileti celebre musicien wallon du XVI e siecle
maitre de chapelle de S. M. l'empereur d'Allemagne Ferdinand ler, ne
ä Chatelet en 1512 Conferences. Charleroi, 1876.
Schlick, Arnold, Spiegel der Orgelmacher und Organisten. Heidelberg, 1511.
(Neuerdings veröffentlicht von R. Eitner in den Monatsheften für Musik-
geschichte. I. Jahrgang, 1869, 5. u. 6. Heft.
Roberti, G., La capella regia di Torino 1515—1870. Torino, 1880.
Braegelmann, B., De scala musica impr. organi et clavichordii ab Euro-
paeis usurpata. Bonn, 1864.
Adlung, J., Musica mechanica organoedi; d. i. gründlicher Unterricht von
der Struktur, Gebrauch etc. der Orgeln, Clavicymbel, Clavichordien und
anderen Instrumenten. 2 Bände mit vielen Abbildungen. Berlin, 1768.
Laute, die, Beschreibung, Geschichte, Verfertigung der Laute. Mit Kupfern.
Enthalten in Krünitz' Encyklopädie 1780.
Fanzago, F., Orazione delle lodi di Gius. Tartini. Con un breve compendio
della vita del medesimo. Padova, 1770.
Rangoni, G. B., Saggio sul gusto della musica col carattere de tre celebri
sonatori di violino Nardini, Lolli e Pugnani. Livorno, 1790. Französisch
und italienisch.
Wasieleivski, W. J. v., Die Violine und ihre Meister. Leipzig, 1869 und
weitere Auflagen.
Die Weltherrschaft der italienischen Oper, sowie der italienischen
Musik überhaupt, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts.
Polko, E., Nicolo Paganini trad. par Ravasini. Milano, 1876.
Schütz, F. C. J., Leben, Charakter und Kunst des Ritters Nicolo Paganini.
Ilmenau, 1830.
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tempo; cenni biogr. ed anedod. Torino, 1882.
186 Die Musikentwicklung auf dem Boden von Italien.
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Dasselbe englisch von J. E. Matthew. London.
Dasselbe deutsch von A. Schnitze. Leipzig.
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und Treiben). Leipzig, 1821.
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Werke. Erfurt, 1810.
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Werke. Erfurt, 1810.
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seiner Werke. Erfurt, 1810.
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Komponisten und Generalmusikdirektor in Berlin. Leipzig, 1827.
Catalani-Volabregue, A., Eine biographische Skizze. Kassel.
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Nr. 21/22 der Sammlung musikalischer Vorträge. Leipzig.
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Nr. 25 der Sammlung musikalischer Vorträge. Leipzig.
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Conestahile, G., Vita di Nicolo Paganini. Perugia, 1851.
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Über Nicolo Paganini. Siehe »Le memorie di Nicolo Paganini^. L'IUu-
stratione italiana, Jahrgang 25, Nr. 42. 1898.
Parazzi, A., Della Vita e delle opere musicali di Lodovico Grossi-Viadana,
inventore del basso-continuo nel sec. XVI. Milano, 1876.
Ott, J., 115 weltliche und einige geistliche Lieder mit deutschem, latein.,
franz. und ital. Text zu 4, 5 u. 6 Stimmen, gesetzt von den bedeutendsten
Meistern des 15. und 16. Jahrhunderts, gesammelt im Jahre 1544. Neue
Ausgabe in Partitur mit beigesetztem Klavierauszuge von R. Eitner,
L. Erk und C. Kade. Berlin, 1873—75.
Vernarecci, A., Ottaviano de Petrucci da Fossombrone, inventore dei tipi
mobili metallici fuse della musica nel sec. XV. 2. Bd. Bologna, 1882.
Gerinello, C, Giuseppe Verdi. Berlin, 1900.
BR.GHAMYOUNGUN-VERSl^
"^ lllliiilH "-