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Full text of "Allgemeine Zeitschrift für Geschichte"

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27 
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Zeitschrift 


für 


Oescbichtswissenscbafl. 


Unter  Mitwirkung  der  Herren 

A.  Boeekh,  J«  und  W.  Grimm,  G.  H.  Pertz  und  L«  Ranke 


herausgegeben 


von 


Or.  ir.  Adolph  Scliinldt, 

Privatdocenlen  der  Geschichte  an  der  Universität  zu  Berlin. 


rster  Band. 


Berlin,   1844. 

Verlag  von  Veit  und  Comp. 


Zeitschrift 


I  für 

I 

f 


Geschichtswissenschaft. 


( 


Vorwort. 


Es  ist  geraume  Zeit,  mehr  denn  ein  Jahrzebnd  verflossen, 
seit  zuerst  die  Begründung  einer  gesdiichtlichen  Zeitsdirift 
in  dem  Kreise  zur  Sprache  kam,  aus  dessen  Si^osse 
sie  nun  hervorgeht.  Die  Hebungen  des  Herrn  Professors 
Leopold  Rank«,  an  denen  d^r  Unterzeichnete  mit  seinen 
Freunden  6.  Waitz,  B.  Wilmans,  S.  Hirsch,  W.  Dönniges, 
W.  Gies^reoht  und  R.  E<^pke  mehr  oder  minder  gleichzei- 
tig Theil  nahm,  gaben  dazu  ^n  nächsten  Anlas«.  Seitdem 
ward  der  Plan  immer  eifriger,  und  von  meiner  Seite  zumal 
mit  dem  Erstgenannten  der  Freunde,  sorwie  mit  uns^rm 
hochverehrten  Lehrer  seihst,  verhandelt.  Die  Aufaiuntemn* 
gen  des  Letztem  und  der  eigene  Trieb  der  in  den  Plan  Ein* 
geweifaten  brachten  denselben  mehr  als  einmal  der  Ausfüh- 
rung nahe.  Doch  die  Grösse  und  Bedeutung  des  Untere 
nehraens,  die  wohl  geeignet  ist  das  Selbstvertrauen  des  jän- 
gern  Mannes  einzuschtk^hteni,  jferner  die  zahlreichen  ilusB&» 
ren  Schwierigkeiten  und  die  Aufopferungen,  welche  nothwen- 
dig  damit  veiimnden  sind ,  endKch  auch  zum  Theä  der  un- 
vennei<fliche  Zwiespalt  der  Meinungen,  haben  die  Verwirk- 
lichung, hoffentlich  nicht  zu  ihrem  Nachtheile,  bis  zum  Jahre 
1843  hinausgeschoben. 

Dnd  welch'  ein  Zeitpunkt  konnte  auch  anregender  sein  ? 
In  dem  Jahre  da  die  tausendjährige  Selbstständigkeit  unsers 
Vaterlandes  gefeieit  ward,  in  den  Tagen  da  man  so  viel  von 
Deutschlands  politischer  Einheit  spraeh,   die  mehr  noch  ein 

1* 


IV  Vorwort 

Wunsch  als  eine  Thatsache  ist:  da  durfte  wohl  am  ersten 
auch  der  Gedanke  Kraft  gewinnen,  den  Grundstein  zu  einer 
innigeren  Yermittelung  deutschen  Geistes  —  wenn  auch  nur 
auf  einem  bestimmten  Gebiet  seiner  Wirksamkeit  —  zu  le- 
gen, zur  einmüthigen  Pflege  einer  Wissenschaft,  die  mehr 
als  jede  andere  mit  der  Politik  verwandt,  ja  deren  Mutter 
und  Erzieherin  ist.  Möge  sie  denn  den  Beweis  fahren,  dass 
es  auf  ihrem  Gebiete  wenigstens  keine  tiefgehende  Spaltung, 
keine  wesentliche  Trennung  giebt,  dass  die  Bestrebungen 
von  Ost  und  West  oder  von  Süd  und  Nord  keine  feindseli- 
gen, unversönlichen  Gegensätze  bilden. 

Freilich  müssen  so  gut  in  der  Wissenschaft  wie  in  der 
Politik  Parteien  walten,  weil  ohne  sie  nirgend  Leben  und 
£ntwickelung  ist.  Aber  diese  geistigen  Besonderheiten  müs- 
sen sich  zu  einem  höheren  Ganzen  zusammenfassen,  müssen 
gleichwie  die  politischen  Parteien  in  die  Einheit  des  Staates, 
so  ihrerseits  in  die  Einheit  der  Wissenschaft  aufgehen;  denn 
erst  aus  dem  Zusammenwirken  vieler  Richtungen  bildet  sieh 
die  Gesammtstarke  der  Wahrheit,  wie  aus  vielen  Quellen 
der  Eine  Strom.  Nicht  die  absolute  Zwietracht  also,  noch 
die  absolute  Eintracht  sei  ihr  Princip,  sondern  jene  „zwie- 
trächtige Eintracht'S  die  einer  der  merkwürdigsten  Den- 
ker des  Alterthüms,  zunächst  für  den  Staat,  als  die  Grund- 
bedingung alles  Gedeihens  aufstellte.  Mittel  und  Wege  mö- 
gen verschieden  sein;  aber  das  Ziel  der  Arbeit  ist  ein  ge^ 
meinsames,  und  eben  deshalb  kann  nichts  Wünschenswerther 
erscheinen,'  als  ein  Yereinigungspunkt  der  mannigfalti- 
gen und  zerstreuten  Bestrebungen  deutschen  Geistes  auf 
4iem  Gebiete  der  Geschichtswissenschaft  Einen  sol- 
chen zu  schaffen,  ist  die  erste  und  vornehmste  Bestimmung 
dieser  Zeitschrift;  und  darum  rufen  wir  die  deutschen  Ge- 
lehrten zu  freier,  einmüthiger  Wirksamkeit  auf. 

Diese  thut  um  so  dringender  Noth,  als  die  Geschichts- 
wissenschaft nur  durch  festes  Zusammenhalten  sich  vor 
zweien  Schäden  zu  wahren  vermag,  die  ihre  Würde,  den 
Glauben  an  sie,  ja  ihr  Dasein  mehr  und  mehr  zu  beeinträch- 
tigen drohen.    Der  eine  nagt  an  ihrer  Oberfläche,  der  andere 


Vorwort.  r 

an  ihrem  Kerne,  Ich  meine  den  Missbrauch,  den  die  Par- 
teipresse —  nicht  einer,  sondern  aller  Farben  --  so  häufig 
mit  der  Geschichte  treibt,  und  die  Missgrifie,  deren  sich 
der  wissenschaftliche  Dilettantismus  in  steigendem  Maasse 
schuldig  macht    Reden  wir  von  jenem  zuerst  « 

Die  Gegenwifft  ist  durch  politische,  religiöse  und  sociale 
Interessen  yiel  bewegt;  die  Praxis  und  die  Theorie,  die  Sy- 
steme, die  Ideen  selber  liegen  mit  einander  in  Hader;  mit 
einseitiger  Sdiärfe  stehen  sich  die  Parteien  gegenüber  und 
ringen  nach  Macht  als  dem  Mittel  zur  Uebermacht:  da  ge- 
schieht es  denn  nicht  selten,  dass  die  Geschichte,  um  als 
Deckmantel  selbstsüchtiger  Zwecke  dienen  zu  können  i  ab- 
sichtlich verdreht  und  willkürlich  zurecht  gelegt  wird.  In 
solcher  Zeit  ist  nichts  schwieriger  als  ein  besonnenes  Urtheil 
zu  bewahren  oder  zu  gewinnen,  und  deshalb  nichts  heilsa- 
mer als  die  Erweiterung  und  Vertiefung  des  Studiums 
der  Geschichte,  ohne  welche  allerdings  die  Tagesinteres- 
s^n  weder  klar  verstanden  noch  verständig  berathen  wer- 
den können,  weil  die  Gegenwart  die  werdende  (reschich- 
te  und  das  Yergangene  die  Bedingung  des  Werdenden  ist 
Wenn  es  nun  aber  liir  ein  dringendes  Bedttrfniss  gelten  müss, 
die  geschichtliche  Vergangenheit  bis  auf  den  gegenwärtigen 
Moment  in  ihrer  reinsten  Objectivitat  und  somit  in  ihrer 
vollsten  Wahrheit  zu  erfassen,  um  an  der  gewonnenen  Erkehnt- 
niss  einen  sichern  Leitfaden  durch  die  Gegenwart  und  den 
richtigen  Weg  in  die  nächste  Zukunft  zu  gewinnen:  so  dürf- 
te auch  aus  diesem  Grunde  ein  Unternehmen  zeitgemäss 
und  willkommen  erscheinen,  welches  sich  die  Aufgabe  stellt, 
das  objective  Studium  der  Geschichte  zu  vermitteln. 

Die  Politik  ist  die  filüthe  der  Geschichte  und  die  Ge- 
genwart ihr  Jetztes  Blatt.  Die  Natur  der  Sache  bringt  es 
also  mit  sich,  dass  in  einer  geschichtlichen  Zeitschrift  die 
Politik  nicht  völlig  ausgeschlossen  sein,  dass  auch  die  wis- 
senschaftliche Erörterung  die  Zeitinteressen  und  Zeitereig- 
nisse nicht  immer  unberührt  lassen  kann.  Allein  ein  wis- 
senschaftliches Organ  unterliegt  anderen  Bedingungen  wie 
ein  rein  politisches^    Was  diesem  zur  Empfehlung  dient,  das 


VI  "  Vorwort, 

Abzeichen  einer  bestimmte!»  Farbe,  würde  jenem  zum  Vor- 
wurf gereichen  müssen.  Hier  darf  nicht  der  politische  Glau- 
be, sondern  nur  die  wissenschaftliche  Befähigung  den  Maas- 
stab der  Berechtigung  bilden;  hier  darf  also  nicht  der  Thä- 
tigkeit  eine  Tendenz  vorgeschrieben  werden,  welche  die  Be- 
wegung in  enge  Schranken  bannt  Doch  ebenso  wenig  dür- 
fen freilich  die  Grenzen  unendlich  weite  sein,  sondern  müs- 
sen nach  beiden  Seiten  hin  diejenigen  Extreme  ausschliessen, 
die  es  venrathen,  dass  die  Wissenschaft  ihnen  nur  die  Hülle, 
nicht  der  Kern,  nur  Mittel  der  Willkür,  nicht  Zweck  der 
Forschung  ist  Unsere  Zeitschrift  soll  demnach,  zwar  allsei- 
tig iq  der  Wissenschaft,  in  der  Politik  aber  weder  die  ge- 
duldige Arena  aller  Meinungen,  noch  das  anmassliche  Tri- 
bunal einer  einzigen  sein;  sie  soll  allen  denjenigen  Rich- 
tungen offen  stehen,  welche,  unbeschadet  ihrer  eigenthüm- 
lichen  Modificationen,  doch  darin  übereinkommen,  dass  sie 
das  Grewordene  weder  als  ein  £wiges  noch  als  ein  Abgestor- 
benes, sondern  als  die  lebendige  Grundlage  des  Werdenden 
betrachten,  und  welche  demnach  weder  in  müssigem  Still* 
stehn  und  ängstlichem  Festklammem  an  dem  Yoiiiandenen, 
noch  in  ungestümen  Sprüngen  und  im  Herabbescfaw^ren 
luftiger  Ideale  das  Heil  der  Welt  erblicken,  sondern  vielmehr 
die  organische  Fortbildung  der  geschichtlich  geword^ien 
Zustande  und  die  Befriedigung  wirklicher  Bedürfnisse  auf 
dem  Wege  der  Reformen  erzielen. 

Nur  dem  wissenschaftlichen  Bewusstsein  und  der  lei- 
denschaftslosen Erfahrung  kann  die  Zeitschrift  Baum  gewäh- 
ren« Unter  solchen  Bedingungen  aber  muss  jedwede  histo- 
rische Erscheinung,  also  auch  jedes  politische,  religiöse  und 
sociale  Element  Gegenstand  der  Besprechung  oder  For- 
schung sein  dürfen,  das  Resultat  sei  welches  es  wolle.  Aus- 
schluss wäre  hier  Gewalt,  dem  Wesen  der  Wissenschaft  zu- 
wider und  unwürdig  des  Geistes  unserer  Zeit  Was  vor 
der  Masse  zu  erörtern  bedenklich  sein  könnte,  ist  es  nickt 
auf  dem  wissenschaftlichen  Forum.  Hier  müssen  afle  Fra- 
gen unumwunden  zur  Sprache  kommen  können,  wenn  nickt 
die  Wissenschaft  selbst  ein  Wahn  sein  soll.     Zwar   ist  es 


Vorwort  vii 

nicht  unsere  Absickt,  nur  fär  Gelehrte  ein  Organ  zu  sdiaf- 
fen;  allein  gründliche  und  besonnene  Erörterungen  des  Ver« 
gangenen  oder  Geworctenen  auf  wissenschaftlichenn  Boden, 
dürften  den  oft  so  ungründliehen  und  leidenschaftlichen  fiä- 
sonnements  der  Tagespresse  gegenüber ,  selbst  einem  grös- 
seren Publicum  das  beste  Mittel  gewahren ,  um  die  eigene 
Anschauung  und  Gesinnung  mitBewusstsei^  zu  bilden  und  zu 
kräftigen. 

Wenn  es  also  die  eine  Aufgabe  der  Geschichtswissen- 
schaft ist,  der  Verflüchtigung  nach  aussen  hin,  der  Ober- 
flächlidkkdt  und  dem  Missbrauch  der  Parteiliteratur  ent- 
gegenzutreten: so  liegt  nun  deren  zweite  Aufgabe  darin,  in 
ihrem  eigenen  iHnem  dem  wissenschaftlichen  Dilettantismus 
entgegensEuarbeiten. 

Wer  in  dem  Bergwerk  der  Creschichte  Erspriesslicfaes 
wirken  will,  der  muss  grossen  Ansprüchen  entweder  des  Ta- 
lentes oder  der  Geldirsamkeit  genügen,  der  muss  für  sie 
geboren  oder  erzogen  sein.  Nkht  Jeder  also  ist  berufen. 
Und  doch  —  scdiauen  wir  uns  um  —  wer  drängt  sich  nicht 
alles  ra  ihrem  Eingange!  Wen  sehen  wir  nicht  aUes  in  ihren 
Emgewetden  wühlen  oder  in  ihren  Schachten  hämmern  und 
I»röckeln,  als  <d>  es  nor  des  WoUens  bedürfe  um  grosser 
*  Erfolge  gewiss  zu  sein!  Genug  der  Dilettantismus,  und 
in  seinem  Gefolge  die  Fabrikationssucht,  ist  über  die  6e- 
sdiiohle  gekommen  und  die  Wissenschaft  dient  Vielen 
entweder  zum  Kinderspiel  und  Zeitvertreib,  oder  zu  Spe- 
culationen  und  feilem  Gewerbe.  Und  was  ist  nun  der 
wirkliehe  Erfolg?  Statt  des  Goldes  bekommen  wir  Schlak- 
ken,  der  Hehte  Reinigungsprocess  durch  die  Berufenen  wird 
behindert  und  erschwert,  der  Gewinn  verwandelt  sich  in 
Verlust  und  die  Kunst  der  Forschung,  die  Wissenschaft  als 
solche  gerälh  in  Misscredit  Soll  der  Process  wieder  erieieh-' 
tert  und  beschleunigt,  die  Ergiebigkeit  hergestellt  und  g^ 
steigert,  der  Geschichtswissenscfadt  als  selcher  zur  rollen 
Anerkennung  und  Achtung  verhelfen  werden:  so  nuiss  eine 
gewissenhafte  PrüAing  der  Volfanaditeii  eintreten,  Talent  und 
Gelehrsamkeit  erwogen  und  —  den  Bemfeneii  dorth  die  Nach- 


viii  Vorwort. 

Weisung  etwaniger  Mängel  treulich  zur  Hand  gegangen»  den 
Unberufenen  aber,  die  da  tändelnd  oder  böswillig  verderben 
statt  mühsam  und  aufrichtig  zu  bessern,  ohne  Rückhalt  die 
Meinung  gesagt  werden.  Nur  so  ist  es  möglich,  der  änmass- 
liehen  und  leichtfertigen  Production  einen  Damm  entgegenzu- 
setzen, und  das  Mittel  dazu  gewährt  die  Kritik. 

Doch  wie  soll  diese  geübt  werden?  Aus  ihrer  Bestim- 
mung, zu  fördern  und  zu  hemmen,  ergiebt  sich  die  Haupt- 
summe ihrer  Pflichten.  Sie  muss  vor  Allem  nichts  anders 
wollen  als  die  Wahrheit,  die  Wahrheit  der  Thatsachen  und 
der  Gedanken;  darum  muss  sie  gründlich  —  doch  nicht  mit 
grillenhafter  Peinlichkeit,  gerecht  —  doch  nicht  mit  Scho- 
nungslosigkeit verfahren.  Sie  muss  streng  sein  ohne  Bitter- 
keit, anerkennen  ohne  Uebertreibung,  urtheilen  ohne  Ansehn 
der  Person;  denn  auf  dem  Forum  der  Wissenschaft  darf  es 
keine  persönlichen  oder  Standesunterschiede  geben.  Sie  muss 
ihrer  Stellung  und  der  Würde  der  Wissenschaft  gemäss,  nur 
im  Gewände  des  Ernstes  erscheinen;  der  Geist  der  Frische, 
der  aus  der  Ueberzeugung  und  Begeisterung  quillt,  lann 
dennoch  in  ihr  walten,  ohne  die  Waffen  des  Spottes  und 
der  Ironie.  Endlich  darf  sie  nur  behaupten  was  sie  bewei- 
sen, nur  bekämpfen  was  sie  widerlegen  kann,  das  Zweifei- 
hafte aber  nicht  apodiktisch  .entscheiden;  denn  überall  müs- 
sen nothwendig  Zweifel  bleiben;  sie  sind  die  alleinigen 
Brücken  der  Wahrheit,  die  ewigen  Triebe  der  Wissenschaft^ 

Und  wer  soll  nun  die  Kritik  üben?  Wo  liegt  das  abso-*- 
iute  Kriterium  der  Wahrheit?  Wer  darf  behaupten,  es 
zu  besitzen,  die  letzte  Entscheidung  der  Dinge  in -sich  zu 
tragen?  Zwar  giebt  ps  verschiedene  Maasse  des  Wissens  und 
Könnens,  des  Taktes  und  der  Divination;  und  daher  wird 
auch  in  der  Kritik  das  Maass  der  Gründlichkeit  und  Schärfe 
ein  verschiedenes  sein,  der  Eine  mehr  vermögen  und  mehr 
^gewinnen  als  der  Andere.  Aber  Niemand  ist  unfehlbar,  Ifie- 
mand  allein  im  Besitze  der  Wahrheit,  die  im  Gegentheil 
mehr  oder  minder  in  Vielen,  ja  in  Allen  lebt  und  wirkt 
Darum  darf  die  Kritik,  sowenig  wie  Einer  Person,  sowenig 
auch  Einer  Schule  oder  Richtung  ausschliesslich  anbeimfal-^ 


I 

j 


Vorwort  an 

len;  sonst  läuft  sie  Gefahr  nur  eine  einseitige  Wahrheit  zu 
verfechten,  in  Parteilichkeit  auszuarten  und  nichts  anders 
zu  sein  als  ein  Hebel  der  Gotterie.  Vielmehr  also  müssen  alle 
Persönlichkeiten  und  Richtungen  zugelassen  werden»  die 
jenen  obigen  Forderungen  genügen ,  die  darauf  Anspruch 
machen  dürfen,  mit  Aufrichtigkeit  nach  der  Erkenntniss  des 
Wahren  zu  ringen.  Und  auch  deshalb  ist  es  nothwendig, 
die  Zeitschrift  zu  einem  allgemeinen  deutschen  Unternehmen 
zu  gestalten. 

Aber  Eine  Klippe  liegt  auf  unserm  Wege,  an  der  die 
Eintracht  sdbeitern  dürfte»  wofern  nicht  Jeder  das  Seinige 
thut,  jene  hinwegzuräumen.  Niemand  will  sich  getadelt 
sehen.  Und  doch  mus«  grade  der  Tadel  das  eigentliche 
Principe  der  THerr  aller»  auch  unserer  Kritik  sein;  denn  wo 
Höheres  erzielt»  wo  das  Schlechte  gut,  das  Gute  besser  wer- 
den soH:  da  fährt  nicht  Schmeichelei  zum  Ziele,  da  kann 
nicht  Lob  das  einzige  oder  erste  Mittel  sein.  Kein  Talent 
ist  ohne  Mängel»  auch  der  Stärkste  nicht  ohne  Schwächen» 
und  nie  also  können  die  menschlichen  Erfolge  den  Bedürf- 
nissen der  Wissenschaft  vollkommen  entsprechen.  Wer  es 
demnach  wahrhaft  redlich  mit  der  Wissenschaft  und  mit 
sich  selber  meint,  der  lege  -vor  allem  die  Empfindlichkeit 
ab,  der  lerne  den  Tadel»  $tatt  ihn  zu  hassen»  vielmehr  lieb 
gewinnen»  weil  er  allein  ihn  zur  Erkenntniss  seiner  Mängel 
und  Schwächen  führt»  selbst  wenn  er  nicht  ganz  gerecht 
oder  zu  scharf  aus^sprochen  wäre.  Ist  es  doch  ein  Wider- 
spruch, Freiheit  der  Presse  d.  i.  freie  Kritik  der  öffentlichen 
Zustände  als  das  theuerste  Gut  zu  begehren»  und  die  Kri- 
tik des  eigenen  Lebens  und  Wirkens  als  das  widrigste  Un- 
gema<Sh  nimmer  ertragen  zu  können.  Fürwahr,  soll  man 
es  dem  Staate  verargen  dürfen»  dass  er  für  Angriffe  und 
Vorwürfe  der  Presse  empfindlich  ist»  dann  müssen  erst  die 
Einzelnen»  die  Gelehrten  und  Literaten,  die  Männer  das 
Presse  selbst  aufhören,  es  ihrerseits  zu  sein.  Worte  müs-^ 
sen  durch  Worte  oderThaten  widerlegt  werden;  nicht  durch 
&0II»  Erbitterung  und  Hass.  Man  unterdrücke  also  diese 
ebenso  unseligen  als  unwürdigen  Gefühle ,    dann  wird  jene 


X  Vorwort. 

Klippe  aus  dem  Wege  geräumt,  der  Kampf  ein  wahrhaft 
freier  und  die  Zwietracht  Eintracht  sein. 

Soll  sich  die  Geschichtswissenschaft  als  ein  Ganzes  er- 
fassen, so  muss  sie  in  allen  ihren  Theikn,  Zweigen  und 
Momenten,  den  von  ihr  errungenen  Standpunkt  jederzeit 
möglichst  klar  überschauen  können.  Allein  die  Bedingung 
dessen,  die  Bewältigung  aller  Erscheinungen  von  Seiten  der 
Kritik,  ist  in  Folge  der  ins  Ungeheure  gesteigerten  Producti* 
vität  fast  zur  Unmöglichkeit  geworden.  Daher  erscheint  es 
als  eine  unabweisbare  Pflicht,  neben  der  Einzelkritik  auch 
der  Gollectivkritik  und  von  Zeit  zu  Zeit  selbst  umfassen- 
deren oder  Gesammtübersichten  über  die  einzelnen  Gebiete 
Raum  zu  geben.  Diese  Letzteren  sollen  jedoch  weder  eine 
erschöpfende  Kritik  noch  eine  bloss  erweiterte  Bibliographie 
bilden,  sondern  vielmehr  die  neugewonnenen  Resohate  in 
kurzen  und  scharfen  Umrissen  zu  charakterisiren  trachten 
und  auf  das  noch  zu  Leistende,  auf  Mängel  und  Lttekeii 
aufmerksam  machen.  Dass  Alles  und  Jedes^  im  Strom  der 
Erscheinungen  zur  Sprache  komme,  ist  kaum  bei  der  ängstlich- 
sten Sorge  erreichbar,  aber  auch  um  so  eher  erlässlich,  als 
ja  die  Wissenschaft  ein  organisches  Leben  darstellt,  dessen 
Eigenthümlic&keit  es  ist,  sein  Wesen  im  Grossen  und  Gan- 
zen zu  offenbaren,  ohne  jede  kleinste  Bedingung  seines  W«er- 
dens  und  Wachsens  auf  die  Oberfläche  emporzutragen. 

Das  Reich  der  Wissenschaft  ist  mächtiger,  umfessender 
als  jedes  politische  Dasein.  Es  erstreckt  sich  über  alle  Na- 
tionen der  Erde,  bei  denen  die  Bildung  Wurzel  fasste  und 
Früchte  trug.  Daher  ist  es  eine  fernere  unumgäd^iche  Be- 
stimmung unserer  Zeitschrift,  neben  der  geschichtlichen  Li- 
teratur Deutschlands,  auch  die  des  gesammten  gebildeten 
Auslandes,  soweit  es  irgend  die  Umstände  gestatten,  auf- 
merksam zu  verfolgen. 

Wenn  den  allmähligen  Process  der  Wisse«scbaft  zu  ver- 

^ mittein  die  wesentliche  Aufgabe  der  Kritiken  ist,   so  sollen 

andrerseits  unsere   selbstständigen   Aufsätze   zunächst   dazu 

dienen,  unmittelbar  fordernd  in  denselben  einzugreifen.    Da 

sich  jedoch  die  Zeitschrift  zugleich  das  Ziel  steckt,  eine  im- 


Vonpori.  xi 

mer  grössere  und  aUgemeißere  TheJlnahme  für  die  Geschichts- 
wissenschaft anzuregen»  so  ist  es  wünschenswerth,  dass 
zumal  diese  Aufsätze  durch  die  Wahl  des  Stoffes  und  der 
Form  dasselbe  zu  eireichen  trachten.  Dahin  soll  audi  die 
Uittheifauig  auserlesener  arehiyalischer  Documente  wirken; 
denn  wiewohl  unsere  Zeitschrift  es  nicht  als  ihren  Hauptbe- 
ruf beimchton  kann,  die  Quellen  der  Gesdiichtskunde  selbst 
äoif  jede  Weise  zu  vermehren,  also  unedirte  Denkmäler  der 
Vergac^enfaeit  in  Ifassen  an's  Licht  zu  ziehen,  so  wird  sie 
doch  in  Hdchen  Fallen  mit  Freuden  zu  deren  Yeröfientlichung 
die  Hand  bieten,  wo  sich  neben  der  Erweiterung  des  Wissens 
asäeh  tm  greeses  und  aUgemewies  Interesse  geltend  macht. 

Mir  sdiwebt  ein  Ideal  dessen  Yc»r,  was  die  Zeitschrift 
werden  könnte  and  sollte.  Ich  werde  nicht  ruhen  und  rasten, 
um  ihm  näher  zu  kommen;  doch  wie  weit  ich  es  erreichen 
mag,  weiss  ich  nicht;  denn  wo  eine  Fülle  von  Kräften  erfor- 
derlieh ist,  kann  nicht  Einer  dir  Alles  bürgen.  Darum  will 
ich  Vorsätze  und  Wünsche  nicht  in  das  Gewand  von  Ver- 
sprechungen kleiden.  Denn  mit  lockenden  Vorspiegelungen 
zu  blenden,  ist  mir  fern;  ich  mag  so  wenig  Andere  wie  mich 
selber  täuschen;  auch  ist  es  ehrenwerther  Unternehmungen 
würdiger,  mehr  zu  erzielen  als  zu  verheissen.  Nicht  Alles 
kann  auf  Einmal  errungen  werden;  ja  es  ist  unsere  Auf- 
gabe ewig  zu  ringen  und  niemals  fertig  zu  sein;  denn  wo 
das  Gestalten  aufhört,  beginnt  der  Verfall.  Auch  lässt  nicht 
Jegliches  sich  machen,  Vieles  muss  die  Zeit  erst  werden 
lassen.  Manche  wünschenswerthe  Verbindungen  sind  noch 
nicht  angeknüpft,  andere  noch  nicht  im  rechten  Gange;  doch 
wird  das  Meiste  sicher  gedeihen,  wofern  die  Theilnabme  des 
Publicums  und  der  Gelehrten  eine  ebenso  entschiedene  ist, 
wie  die  Begeisterung  mit  der  das  Werk  im  Gedanken  er- 
fai^st,  und  die  Hingebung  mit  der  dessen  Ausführung  unter- 
nommen ward.  » 

Wir  haben  offen  und  ehrlich  gesprochen;  wir  haben 
das  Verhältniss  unserer  Zeitschrift,  zur  Geschichtswissen- 
schaft und  zu  den  Interessen  derselben  in  Deutschland, 
zur  Politik  und  zur  Tagespresse,    zur  Kritik  und    zum  Di- 


XII 


Vorwort. 


lettantismus  ohne  Aückhalt  dargelegt;  wir  haben  erklärt, 
was  wir  wollen.  Ob  auch  in  den  Angelegenheiten  des  wirk- 
lichen Lebens  unsere  Ansichten  sich  hierhin  oder  dorthin  nei- 
gen mögen:  in  den  Dingen  der  Wissenschaft  leitet  uns  kein 
subjectives  Meinen;  da  blicken  wir  weder  rechts  noch 
links,  sondern  unverwandten  Auges  auf  unser  alleiniges  Ziel, 
auf  die  geschichtliche  Wahrheit.  Und  so  entlassen 
wir  denn,  zwar  nicht  ohne  jene  Schüchternheit,  die  von  der 
üebernahme  grosser  und  schwerer  Pflichten  unzertrennlich 
ist,  doch  in  dem  freudigen  Bewusstsein  eiiier  guten  Sache, 
dieses  erste  Lebenszeichen  einer  Zeitschrift,  welche  so  Gott 
will  keine  flüchtig  vorübergehende,  sondern  eine  dauernde 
sein,  und  für  Wissenschaft  und  Leben  nicht  ohne  Nutzen 
bleiben  wird. 


Berlin,  im  December  1843. 


yt.dolpli  Schniidlt* 


Wfeher  des  Orafen  Hevtzberg*  Abrlss  »einev 
dlploiuatisclieii  liaufbalin. 


Tritt  eine  UDbekannte  Geschichtsquelle  in  den  Kreis  derer, 
welchen  man  bisher  Kunde  und  Belehrung  verdankte,  so  hängt 
das  Ortheil  über  den  Werth,  nächst  ihrer  eigenthümlichen 
Auffassung  der  Thatsachen,  yon  der  Stellung  ab,  die  sie  zu 
den  bereits  vorhandenen  Ueberiieferungen  einnimmt  Hierin 
liegt  die  Kritik  diq  sie  ausübt  und  erfahrt:  indem  das  Alte 
wie  das  Neue  sich  gegenseitig  ausschliessen  oder  bestätigen, 
geht  aus  diesem  Scheidungsprocesse  ein  Drittes  hervor,  eine 
neue  Gestalt  des  Gegenstandes  selbst,  die  richtend  über  bei- 
den steht.  Somit  würde  es  hinreichen,^  das  Verhaltuiss  des 
folgenden  Lebensabrisses  von  Hertzbergs  eigener  Hand  zu  den 
vorhandenen  Schriften  über  den  bekannten  Staatsmann  kurz 
zu  erörtern;  indess  wer  wüsste  nicht,  das»  auf  keinem  Ge- 
biete Täuschungen  häufiger  versucht  worden  sind,  als  in  der 
Literatur  der  Memoiren,  und  wo  liesse  man  sich  leichter, 
lieber  täuschen  als  hier?  Zumal  wenn  man  noch  in  der  At«> 
mosphäre  der  Thatsachen  selbst  lebt;  ihre  Nähe  blendet  und 
verwirrt,  und  Vorurtheil  wie  Aberglaube  erschweren  eine 
klare  Auflassung  der  Gegenwart  nicht  minder  als  der  Anfänge 
der  Geschichte* 

Einig.e  Angaben  wie  fliese  Denkschrift  in  die  Hände  des 
Herausgebers  kam ,  werden  also  nicht  überflüssig*  scheinen, 
da  es  ohnehin  auffallend  sein  kann,  dass  sie  allein  von  den 
Papieren  Hertzbergs  den  Weg  zur  Oeffentlichkeit  gefunden 
hat.    Zunächst  verdanken  wir  sie  dem  im  Jahre  1831  hier 

i 


2  üeber  des  Grafen  Hertaberg  Abriss 

verstorbenen  Professor  Friedrich  Leopold  Brunn;  seit  1786 
Lehrer  am  Joachimsthalschen  Gymnasium,  hatte  er  sich  zu- 
gleich durch  die  verschiedensten  literarischen  Arbeiten  den 
Ruf  eines  thätigen  Schriftstellers  erworben.  Er  ist  der  Her-^ 
ausgeber  und  Uebersetzer  der  PöUnitzischen  Memoiren ,  und 
verfasste  unter  anderem  auch  einen  Bericht  über  die  letzten 
Augenblicke  Friedrichs  des  Grossen  nach  der  Erzählung  des 
Kammerdieners,  in  dessen  Armen  der  König  verschieden  war. 
Im  Jahre  1789  hielt  er  am  Geburtstage  Friedrich  Wilhelms  II. 
nach  hergebrachter  Sitte  die  Festrede;  in  dem  damals  beliebten 
Ramlerschen  Odentone  fiihrte  er  das  Thema  aus:  der  preus- 
sische  Staat  der  glücklichste  unter  allen  Staaten  Europens. 
Unter  den  Zuhörern  befanden  sich  zwei  Männer,  deren  An- 
wesenheit nicht  ohne  Einfluss  war;  durch  den  Widerspruch 
des  einen  gewann  die  Rede  eine  augenblickliche  literarische 
Bedeutung,  der  Beifall  des  andern  brachte  die  folgenden  Blät- 
ter in  Brunns  Hand.  Jener  war  der  Abbate  Denina,  der  sich 
damals  als  Akademiker  in  Berlin  aufhielt,  dieser  der  Minister 
Hertzberg.  Mit  dem  ersten  wurde  Brunn  bald  darauf  in  eine 
literarische  Fehde  verwickelt;  dehn  Denina  fühlte  sich  ver- 
pflichtet, sein  Vaterland^  sowie  Spanien  und  Portugal,  deren 
trauriger  Zustand  allerdings  mit  starken  Farben  geschildert 
worden  war,  gegen  die  Angriffe  des  Redners  zu  vertherdigen.') 
Für  Hertzberg  konnte  eine  solche  Rede  nur  schmeichelhaft 
sein:  noch  im  Hörsaale  forderte  er  Brunn  auf,  sie  drucken  zu 
lassen.  Nicht  damit  zufrieden,  dass  ein  Fragment  davon  im 
Berliner  Journal  für  Aufklärung  erschien,  verlangte  er'  den 
vollständigen  Abdruck,  und  um  jedes  Hinderniss  aus  deni 
Wege  zu  räumen  (unter  anderem  wurde  darin  die  ausbre- 
chende französische  Revolution  als  gross,  schön  und  ehren* 
voll  begrüsst),  übernahm  er  selbst  die  Durchsicht  und  Gensur 
des  Manuscripts.  Die  Rede  erschien  darauf  im  Druck,  voran 
ein  Zueignungsschreiben  an  Hertzfterg,  der  darauf  durch  die 
(Jebersendung  der  beiden  ersten  Bände  seiner  Sammlung  von 


*)  In  der  1790  2u  Berlin  erschienenen  französischen  ücber- 
setaung  des  discorso  sopra  le  vicende  della  letteratura. 


seiner  diplomatischen  Laufbahn.  3 

Staatsschriften  antwortete.  So  viel  berichtet  Brunn  selbst  in 
seinen  hinteriassenen  Papieren.  Die  Zueignung,  so  wie  eine 
von  den  Anmerkungen  mit  denen  er  die  Denkschrift  beglei- 
tet hat,  bestätigen  was  er  mündlich  zu  erzüUen  pflegte,  er 
sei  in  Folge  jener  Rede  oft  in  Hertzbergs  Nähe  gekommen, 
der  sich  in  wiederholten  Gesprächen  offen  und  vertraulich 
über  seine  persönliche  Stellung  ausgesprochen  habe,  nament- 
lich seit  seinem  Rücktritte  von  den  öffentlichen  Geschäften« 
In  einem  Solchen  Augenblicke  des  Vertrauens  übergab  er  ihm 
diesen  Abriss  seines  Lebens,  so  wie  eine  zweite  Denkschrift, 
die  wir  später  mittheilen  werden,  über  das  Bündniss  Preüs- 
sens  und  Polens  im  Jahre  1790,  mit  dem  Bemerken,  sie  als ' 
sein  Eigenthum  anzusehen,  da  er  selbst  nicht > hoffen  dürfe, 
sie  zu  veröfifentliehen;  vielleidit  werde  sich  ihm  die  Gelegen- 
heit dazu  darbieten. 

So  lange  Hertzberg  lebte,  hat  Mch  diese  Gelegenheit  nicht 
gefunden;  etwa  zwanzig  Jahre  nach  seinem  Tode  hatte  Brunn 
die  Absicht,  eine  Uebersetzung  beider  Denkschriften  mit  sei- 
ner Rede  zusanmien  herauszugeben;  warum  es  nicht  dazu 
kam,  ist  unbekannt.  Als  er  in  den  Ruhestand  vers.etzt  wurde, 
übergab  er  sie  mit  seinen  übrigen  literarischen  Papieren  ei- 
nem seiner  Amtsgenossen,  dem  Professor  Köpke,  mit  dem 
ausdrücklichen  Auftrage  den  Wunsch. Hertzbergs  zu  erfiillen« 
Indess  ein  Versuch  diesem  Auftrage  nachzukommen  schlug 
ebenfaifs  fehl :  der  Lebensabriss  wurde  einer  jetzt  eingegange- 
nen historischen  Zeitschrift  angetragen,  doch  der  Inhalt  schien 
bedenklich,  und  die  Aufnahme  wurde  versagt.  Jetzt  endlich 
sind  beide  Denkschriften  dem  Unterzeidhneten  für  die  vorlie- 
gende Zeitschrift  übergeben  worden. 

In  welcher  Weise  hier  die  Mittheilung  erfolgen  solle, 
konnte  einen  Augenblick  zweifelhaft  sein.  Es  schien  indess 
das  Angemessenste  den  Abdruck  des  Originals  als  eines  ak- 
tenmässigen  Dokumentes,  trotz  der  sprachlichen  Mängel«  zu 
geben  und  einige  von  den  Anmerkungen,  die  Brum»  ftir  seine 
Uebersetzung  bestimmt  hatte,  hinzuzufügen.  Das  Original  ist 
offenbar  eine  Reinschrift,  die' ein  Secretair  Hertzbergs  ange- 
fertigt hat;  Lücken  und  einzelne  Sehreibfehler  sind  von  einer 

1* 


'  4        _  lieber  des  Grafm  Hertaberg  Abriss 

andern  Hand  ergänzt  und  verbessert:  eine  Vergleichung  mit 
einigen  Antographen  Hertzbergs  beseitigt  jeden  Zweifel »  ob 
diese  Correcturen  von  seiner  eigenen  Hand  herrübren. 

Doch  kommen  wir  auf  das  Yerhältniss  dieser  Lebens* 
skizze  zu  Hertzbergs  eigenen  Schriften,  wie  zu  den  Biogra- 
phien von  Weddigen  und  Posselt,  von  denen  die  eine  ein 
Jahr,  die  andere  drei  Jahre  nach  seinem  Tode  erschien.  Na- 
mentlich hat  das  Buch  des  Letztern  immer  ein  gewisses  An- 
sehen behauptet,  mit  welchem  Rechte  wird  eine  nähere  Un- 
tersuchung zeigen,  deren  wir  uns  nicht  überhoben  glauben, 
19  80  kleinliche  Einzelheiten' sie  auch  scheinbar  fuhren  mag; 
sie  allein  kann  entscheiden,  mit  welchem  Auge  man  diese 
Denkschrift  zu  betrachten  habe. 

Schon  an  einer  andern  Stelle  hatte  Hertzberg  einen  frei- 
lich nur  flüchtigen  Abriss  iseines  Lebens  gegeben,  in  der  Vor- 
rede zum  dritten  Bande  seiner  Staatsschrüten ,  dessen  Her- 
ausgabe ihm  bekanntlich  im  Laufe  des  Jahres  1792  untersagt 
wurde.  Damals  ist  auch  die  folgende  Denkschrift^  entstanden; 
gleich  aus  den  ersten  Zeilen  ergiebt  sich,  -sie  wurde  im  Laufe 
des  Jahres  1792  verfasst;  später  klagt  Hertzberg,  man  habe 
ihm  so  eben  verboten,  jenen  dritten  Band  zu  veröffentlichen« 
Im  zehnten  Briefe  an  Posselt,  vom  23.  Januar  1792,  befürch- 
tet er  ein  solches  Verbot,  und  am  2.  October  schreibt  er  an 
denselben,  jetzt  sei  es  in  der  That  erfolgt  Dabei  übersendet 
er  ihm  einige  Bogen  des  dritten  Bandes,  als  ein  Gegenge- 
schenk für  Posselts  Geschichte  Gustavs  HL,  und  -spricht  zu- 
gleich von  einem  Anerbieten,  das  jener  gemacht  hatte,  der- 
einst Hertzbergs  Leben  schreiben  zu  wollen.  „Ich  sehe  mit 
Dank,*^  sind  seine  Worte,  „als  ein  Zeichen  Ihrer  fortdauern- 
den guten  Gesinnung  gegen  mich  an,  dass  Sie  mir  anbieten, 
einst  meine  Lebensgeschichte  zu  schreiben :  ich  bin  auch  voll- 
kommen versichert,  dass  Niemand  sie  besser  schreiben  würde. 
£s  ist  aber  eine  schwere  Unternehmung,  die  nicht  wohl  durch 
blosse  Deberschiekungen  von  einigen  Nachrichten  ausgefiihrt 
werden  kann.  Da  meine  vornehmsten  Handlungen  mit  der 
Geschichte  König  Friedrichs  H.  genau  verbunden  gewesen, 
so  hatte  ich  mir  vorgenommen,  sie  in  diese  zu  bringen,  und 


seiner  diplomatischen  Laufbahn.  6 

alles  mit  pi^ces  justificatives  zu  belegen ,  woraus  nun  aber 
wohl  nicht  yiel  werden  wird,  dafern  sich  das  Staatssystem 
hier  nicht  ändert,  und  man  mir  den  Gebrauch  der  Archive 
wieder  verstattet/^  Wäre  unsere  Denkschrift  bereits  damals 
vorhanden  gewesen,  unbezweifelt  hätte  Hertzberg  sie  an  Pos- 
selt geschickt,  oder  ihrer  mindestens  in  seinem  Briefe  gedacht 
Jenes  Anerbieten  und  die  Ueberzeugung  eine  Autobiographie 
nach  seinem  Sinne  sei  für  jetzt  unmöglich,  scheinen  die  Ab- 
fassung dieser  Skizze  veranlasst  zu  haben. 

Demnach  zeigen  beide  Schriften,  der  Pr^cis,  so  hat  Hertz- 
berg seine  Denkschrift  genannt,  wie  der  Recueil  eine  gewisse 
Verwandtschaft  zu  einander.  Der  dritte  Theii  war  unter  Ver- 
hältnissen entstanden,  die  Hertzberg*  immer  mehr  dahin  dräng- 
ten, die  gleichgültige  Rolle  des  Sammlers  von  Aktenstücken 
mit  der  desi  Geschichtsschreibers  t\i  vertauschen.  Die  An- 
merkungen, die  sonst  nur  die  nothwendigsten  Fingerzeige 
enthalten,  werden  hier  zu  ausführlichen  historischen  Erörte- 
rungen, in  denen  der  Verfasser  nur  mit  Mühe  seine  persön- 
liche Gereiztheit  zurückdrängt.  Die  Urkunden  des  Reichen- 
bacher Gongresses  werden  sogar  ohne  weitere  Bemerkung 
durch  eine  fortlaufende  Erzählung  mit  einander  verbunden. 
So  finden  sich  hier  in  mehreren  Noten,  namentlich  wo  Preus- 
sens  Stellung  zu  Polen  und  zur  Pforte  besprochen  wird,  *) 
einzelne  fast  wörtliche  Anklänge  an  den  Pröcis.  Die»  darf 
indess  nicht*  auffallen;  wer  den  Recueil,  besonders  aber  die 
akademischen  Abhandlungen  und  Gelegenheitsreden  Hertz- 
bergs im  Zusammenhange  durchgesehen  hat,  wird  nicht  ver- 
kennet, dass  sie  bei  allem  Adel  der  Gesinnung  in  einer  ge- 
wissen Steife  und  Einförmigkeit  dem  Geschmacke  der  dama*» 
ligen  Zeit  ihren  Tribut  abgetragen  haben.  Hertzberg  hat  ei- 
nige Lieblingsideen  und  Thatsachen,  bei  denen  er  vorzugs- 
weise gern  verweilt,  und  mit  ihnen  kehren  bestimmte  Wen-^ 
düngen  zurück,  die  ihm  fast  stereotyp  geworden  sind. 

Dodi  an  einer  andern  Stelle  glauben  wir  die  Grundlage 
für  den  Haupttheil  des^Pr^cis  gefunden  zuhaben.  Es  ist  dies 


*)  Recueil  des  d^ductions  1. 1.  p.  V.  U  Hl  p.  XIY.  8, 20, 44,  6a 


6  lieber  des  Grafen  Hertzberg  Äbriss 

der  zwölfte  Brief  an  Posselt ,  vom  19.  November  1791,  wo 
wir  ebenfalls  eine  ausführliche  Darstellung  des  Beichenbacher 
Gongresses  lesen.  Statt  mehrer  Beweisstellen,  die  sich  leicht 
darbieten,  mögen  hier  nur  folgende  stehen,  in  denen  sich 
selbst  in  gleichgültigen  Wendungen  eine  wörtliche  Ueberein- 
stimmung  zwischen  dem  Briefe  und  dem  Pr^cis  findet.  Dort 
heisst  es  Seite  21 :  „Es  wurde  dadurch  dahin  gebracht,  dass 
beide  Theile  sich  entschlossen  einen  Friedenscongress  dar- 
über zu  Beichenbach  zu  halten,  ioelchen  su  unterstützen  der 
König  nUt  seiner  grossen  Armee  nach  Schlesien  marschierte. 
Ich  fing  die  Negodation  den  27.  Juni  zu  Reichenbach  mit  den 
zwei  östreichischen  Ministem  an,  und  ward  mit  Vmen  über 
meinen  Plan  in  zwei  Tagen  dahin  einig  u.  s.  w."  Im  Pr^cis: 
Le  roi  se  rendit  au  printems  de  1790  atec  la  plus  grande 
partie  de  son  amUe  en  SiUsie  pour  appuyer  cette  nägoda^ 
tion.  —  Je  suivis  le  roi  en  SiJ^sie  et  fouvris  les  conförenoes 
de  paix  ax^ec  les  deux  plenipotentiaires  Äutrichiens  ä  Reichen-^ 
bach  fvhs  du  camp  du  roi  -et  ainsi  k  Tombre  de  son  arm^e. 
Je  tombais  et  fus  d^accord  avec  les  ministres  Äutrichiens  du 
27.  Juni  jusqu'au  13  de  Juillet  sur  mon  plan  concilintoire  sus- 
dit,  Selon  etc."  Ferner  S.  27:  der  König  setzt  ihm  zwei  Ka- 
binetsminister  zur  Seite  „unter  dem  Yorwande,  d(tss  der  Graf 
Finch  sehr  alt  und  ich  kränklich  töäre,  welches  letztere  doch 

gar  nicht  wahr  ist. Hierauf  konnte  ich  wohl  nicht  Um-- 

ger  mit  Ehren  im  Dienste  bleiben,  sondern  verlangte  meine 
völlige  Demission.**  Pr^is:  ,,Parceque  le  comte  de  Finck  se 
faisait  vietix  et  que  f^tais  maladif,  (ce  qui  n'est  pourtant 

pas  fond^). Voyant  donc  —  que  je  ne  pouvais  phis 

servir  avec  honneur,  je  demandai  mon  congS  absolu/^  End- 
lich S.  29:  „Für  mein  Personel  kann  es  mir  auch  nicht  gleich- 
gültig sein,  dass  ich,  nachdem  ich  46  Jahre  dem  Staaie  mit 
so  vieler  Ehre  und  desselben  Vortheil  gedient,  —  nun  einen 
SUu^,  den  ich  als  mein  Eigenthum  angesehen,  verlassen  soll." 
Im  Pr^cis:  ^yAprks  avoir  servi  V^tat  pendant  47  ans  avec  z^Ie, 
honneur  et  suco^  —  non  comme  un  sujet,  mais  comme  un 
parent,  qui  tenaitä  V^tat  comme  ä  son  patrimoine  et  pour  sa 
vie.^^  Somit  hat  sich  also  in  jenem  Briefe  der  erste  Entwurf 


J 


seiner  diplomatisch^^  Laufbahn.  7 

unserer  Denkschrift,  oder  doch  ein  Dokument  gefunden,  das 
zugleich  mit  ihr  aus  einer  dritten,  vielleicht  noch  unbekann- 
ten Quelle  geflossen  sein  mag. 

Doch  wie  verhalten  sich  nun  die  beiden  bekannten  Bio« 
graphien  Hertzbergs  zu  dem  Pr^cis?  Werfen  wir  zuerst  ei- 
nen BKck  auf  die  ältere.  Der  Prediger  Weddigen  zu  Buch- 
holz im  Mindenschen  war  der  Herausgeber  einer  historisch- 
geographischen  Zeitschrift ,  des  Westphalischen  Magazins. 
Herteberg  hatte  1794  die  Zusendung  eines  vollständigen  Exem- 
plars desselben  verlangt,  und  jenem  dagegen  auf  seine  Bitte 
einige  biographische  Notizen  mitgetheilt  „Unter  den  mir  zu- 
gekommeneu Fragmenten,''  sagt  Weddigen,  „befanden  sich 
auxsh  einige  gedruckte  aus  Weidlich,  Brüggemann  und  an- 
dern;—  sie  waren  mit  Zusätzen  und  Anmerkungen  versehen 
u.  s.  w.'*  Und  welcher  Art  waren  diese  ungedruckten  Frag- 
mente, die  nicht  näher  bezeichnet  werden?  Offenbar  enthiel- 
ten sie  einen  Theil  der  Denkschrift. 

Weddigen  schreibt  S.  33:  „Naeh  seiner  Zurüokkunft  von 
dort  arbeUeie  er  bei  dem  <iuswärtigen  Departement  und  im 
geheimen  Archiv,  wo  er  besonders  viele  Amzüge  zu  den  M^ 
moires  de  Brandenbourg  des  Königs,  als  eine  Historie  des 
dreissifgährigen  Kriegs  in  der  Mark  und  das  Memoire  von 
dem  Mititairstaat  der  Ghurfiirsten  von  Brandenburg,  und  der- 
gleichen mehrere  verfertigte,  und  sich  dadurch  dem  Könige 
Friedrich  IL  bekaamt  machte,  welches  Gelegenheit  gab,  dass 
er  im  Jahre  1747  zum  Legationsrath  ernennet,  und  unter  die 
von  dem  Könige  damals  gestiftete  Pflanzschule  von  jungen 
Edelleuten,  weldhe  zu  auswärtigen  Geschäften  zugezogen  y^nix^ 
Aevky  gesetzt  wurde.^^  Im  Pr^cis  lesen  wir:  ^^Teus  le  bonheur 
de  me- faire  connaitre  a  Fräderic  IL  en  1746,  en  lui  faisant 
les  extraits  des  archißeSy  dont  il  aioait  besoin  pour  les  t»^- 
moires  de  Brandenbourg,  qu'il  composa  aiors.  —  —  Depuis  ce 
tems  lä  il  me  traita  comme  son  Übfe  pour  les  affaires  ^tran- 
g^res,  il  me  mit  dans  les  grandes  arcbives  et  dans  h%  pepinih-e 
du  d^partemfint  itranger,  qu'il  6tabHt  alorSf  avec  k  titre  de 
conseiller  de  ligation,  et  je  commen^ais  ä  traoaiUer  dans 
totttes  les  expMitions  du  dipartement^*  Ferner  bei  Weddigen 


8  lieber  de»  Grafen  HerMerg  Abriss 

S.  36:  „Im  Jahre  1752  erhielt  er  von  der  Kömgl  Akademie 
der  Wissenschaften  zu  Berlin  den  Preis  der  Aufgabe:  üeber 
u.  s.  w.,  welche  Schrift  die  nächste  Veranlassung  gaby  dcus 
er  nicht  allein  zum  Mitgliede  besagter  Akad^me^  sondern  auch 
von  Sr.  K.  Majestät  aus  eigener  Bewegung  zum  geheimen  Le^ 
gationsrathe  ernannt  vmrde^^  Im  Pr6cis:  „II  me  confSra  en 
i732  de  son  propre  mouoement  le  titre  de  conseitter  prici, 
ayant  appris,  que  j'avais  remport6  un  prix  ä  Va^adfynie  par 
une  dissertation,  par  la  quelle  je  fus  en  m6me  tems  (igrigi 
pour  membre  de  Vacad^mie."  Weddigen  S/93:  „Der  jetzige 
König  von  Preussen,  Friedrich  Wilhelm  11.^  der,s9h<m  als 
Kronprinz  den  Grafen  mit  seinem  Zutrauen  beehrt  hatte,  sets&te 
dasselbe  gegen  ihn  auch  während  seiner  Regierung  fort:  —  — 
welches  er  auf  die  Art  gethan,  dass  er  (Hertzberg)  die  mei- 
sten Instructionen  und  Depeschen  für  die  königlichen  Gesandr 
ten  jeden  Posttag  mit  den  dazu  gehörigen  Berichten  aufsetzte^ 
und  dem  Könige  zur  Genehmigung  und  Unterschrift  vorgelegt 
hat.^^  Der  Pr^cis:  „Son  snccessewc  le  roi  regnantaujourd* hui, 
qui  m'avait  d^ä  honor6  auparaicant  de  sa  confiance,  parut 
vouloir  me  la  continuer.  Je  lui  proposais  de  permettre  que 
Selon  Pexemple  du  commencement  du  r^gne  du  feu  rot  jus^ 
qu'A  la  guerre  de  sept  ans,  je  lui  dressais  toutes  les  dipiches 
pour  les  ministres  ätrangers  et  les  enverrais  ä  son.  approba^ 
tion  et  ä  sa  Signatur e  la  veille  de  chaquejour  deposte/^  Dies 
wird  hinreicheDy  die  aufgestellte  Behauptang  zu  rechtfertigen. 

Die  Katastrophe  wird  natürlich  nur  kurz  berührt;  Wed- 
digen begnügt  sich  mit  der  Andeutung,  Hertzberg  habe  sich 
1791  etwas  von  dem  Schauplatze  zurückgezogen.  Gegen  Ende 
verlässt  er  die  Denkschrift  ganz,  sei  es,  dass  ihm  der  Schluss 
nicht  mitgetheilt  worden  War,  oder  dass  er  nicht  weiter  zu 
schreiben  wagte.  Eine  Vorsicht,  die  um  so  erklärlicher  ist, 
da  das  Buch  offenbar  noch  bei  Hertzbergs  Lebzeiten  verfasst 
ist;  seines  Todes  wird  nur  in  der  Vorrede  gedacht. 

Beiweitem  namhafter  ist  das  Leben  Hertzbergs  von  Po^s- 
seit  Posselt  war  ein  Historiker  von  Fac^,  rei^  an  Taleat, 
voll  enthusiastischen  Eifers,  daher  mitunter  einseitig;  er  weiss 
lebhaft  und  anziehend  zu  schreiben,  und  hatte  dem  Manne, 


seiner  diplomatischen  Laufbahn.  9 

dessen  Leben  er  giebt,  nicht  fern  gestanden.  In  Hertzbergs 
Briefen  hatte  er  kein  unbedeutendes  Material  in  Händen,  das 
schon  allein  seinem  Buche  Werth  verleihen  konnte.  Und  den* 
noch  selbst  diesen  Stoff  hat  er  nur  oberflächlich  benutzt,  so 
dass  ihm  bereits  früher  vorgeworfen  wurde,  sein  Buch  sei 
dürftig  ausgefallen,  und  trage  die  Spuren  der  Flüchtigkeit 
So  ist  es  in  dei;  That,  und  in  höherem  Grade  als  man  meint 
Wer  sotlte  es  glauben^  Posselt,  der  gerühmte  Historiker,  den 
Hertzberg  vertrauter  Mittheilungen  würdig  geachtet  hatte,  ent*- 
lehnt  sein  Buch  fast  wörtlich  aus  den  Fragmenten  des  un« 
scheinbaren  Predigers  Weddigen  zu  Buchholz,  ohne  dieses 
Mannes  auch  nur  mit  einem  Worte  zu  gedenken.  Man  wird 
es  uns  gern  erlassen,  auch  dies  mit  einer  Reihe  von  Paral- 
lelstellen  zu  belegen,  sie  bieten  sich  ohnehin  von  selbst  dar; 
nur  eine  sei  erlaubt  hier  anzuführen.  Weddigen  sagt  S.  50: 
„Der  König  hatte  die  Grossmutfa  und  Ehre  seine  Bundes- 
genossen, die  ihn  in  ihrem  Particulierfrieden  nicht  einmal 
genennet  hatten,  in  seinem  Frieden  im  Articie  s^par^  mit 
eiozuschiiess«}.'^  Das  hier  ganz  widersinnige  Wort  „Ehre*' 
hat  Posselt  ebenfalls  in  sein  Buch  hinübergenommen,  S.  18: 
„Er  hatte  die  Grossmuth  und  Ehre  seine  Bundesgenossen, 
die  ihn  in  ihrem  Separatfrieden  nicht  einmal  genannt  hat- 
ten, in  seinen  Frieden  in  einem  besondern  Artikel  mit  einzur 
scfaliessen.'^  Sonst  ändert  er,  wie  man  sieht,  die  steife  und 
geschmacklose  Sprache  seines  Gewährsmannes;  er  versetzt 
die  ErzäUuiig  -mit  Hinweisungen  auf  Griechenland  und  Rom 
und  einigen  allgemeinen  Betrachtungen.  Aber  auch  diese  sind 
nicht  immer  s€»n  Eigenthum;  die  zusammenfassenden  Schluss- 
bemerkunfjen  S.  49  und  50  sind  ein  wörtlicher  Auszug  aus 
Georg  Fx>rsters  Erinnerungen  an  das  Jahr  1790.  So  schrieb 
Posselt;  und  dennoch  möchte  man  vermuthen,  er  habe  die- 
selben Materialien  •  wie  sein  Vorgänger  gehabt  Er  beginnt 
mit  einigen  Nachrichten  über  Hertzbergs  Vater,  die  nähere 
Mittheilungon  von  Seiten  des  Sohnes  vorauszusetzen  schei- 
nen; Weddigeiv  hat  sie  eben  so  wenig  als  ein  Paar  andere 
Stellen,  die  sich  jedoch  in  der  Denkschrift  wiederfinden. 
Diese  Ergebnisse  sind  nicht  so  unbedeutend  als  sie  auf 


10  lieber  des  Grafen  HerUberg  Abriss 

den  ersten  Blick  scheinen  mögen.  Wir  haben  in  dem  Pr^cis 
die  Quelle  der  Schriften  erkannt,  denen  man,  so  oft  von  Hertz- 
berg die  Rede  war,  eine  Stelle  neben  seinem  Becueil  einzu- 
räumen pflegte.  Aber  auch  auf  seinen  politischen  Charakter, 
auf  sein  Verfahren  in  der  Zeit  der  Ungnade  wirft  sie  ein  ge- 
wisses Licht.  Wir  wissen  bestimmt,  Brunn  erhielt  diese  Denk- 
schrift aus  seiner  Hand  mit  der  beigefügten  Gabinetsordre  vom 
5.  Juli  1791,  wir  haben  gesehen  auch  Weddigen  empfing  sie 
von  ihm,  dasselbe  lässt  sich  von  Posselt  vermuthen,  minde- 
stens schickte  ihm  Hertzberg  eine  ausfiihrliche  Darstellung 
des  Reichenbacher  Gongresses,  der  ebenfalls  jene  Gabinets- 
ordre beigelegt  war.  Jener  war  ein  vielseitiger  Schriftsteller, 
der  zweite  Bedacteur  einer  historischen  Zeitschrift^  der  letzte 
Geschichtsschreiber  und  gewsfndter  Journalist  Mehr  als  ein- 
mal hatte  Hertzberg  das  Princip  der  Oeffentlichkeit  ausgespro- 
chen. Bei  der  Reinheit  seiner  Absichten  ftihlte  er  «ich  ge- 
drungen öffentlich  seine  Verwaltung  zu  rechtfertigen;  der 
Weg  dazu  war  ihm  durch  das  Verbot  seines  Buches  abge- 
schnitten, seine  freimüthige  Bede  in  der  Akademie  fiihlte  sich 
gehemmt,*)  da  theilte  er  diesen  Abriss  seines  Lebens  Män- 
nern mit,  von  denen  er  erwarten  durfte,- dass  sie  früher  oder 
später  das  ausfuhren  würden,  was  ihm  selbst  die  Umstände 
versagten. 

Aber  welchen  Eindruck  würde  nicht  diese  Denksehrift 
gemacht  haben,  wenn  sie  unmittelbar  nach  de»  Betchenba- 
cher Gongresse,  wenn  sie  noch  während  Hertzbergs  Leben 
erschienen  wäre,  als  man  noch  in  der  alten  Gabinetspolitik 
lebte,  und  unbefangen  der  beginnenden  Gährung  entgegen- 
sah, ohne  zu  ahnen,  dass  sie  in  ihrer  Kraft  immer  neue  po- 
litische Gestaltungen  zu  schafiißn,  noch  vor  Ablauf  eines  Jahr- 
zehends  jene  Tractate  und  Friedensschlüsse  in  die  Beihe  der 
veralteten  und  vergessenen  hineindrängen  werde.  Damak 
;wücde  dieser  Abriss  zu  seiner  vollen  Bedeutung  gekommen 
sein,  er  würde  als  historisches  Moment  in  das  Leben  selbst 


♦)  Memoire  sur  la  quatri^me  ann^e  du  r^gne  de  Fr6d6ric  Gull- 
laume  II.  p.  26. 


letner  diplomatischen  Laufbahn,  11 

eingreifend  gewirkt  haben.  Ganz  anders  steht  die  Sache  jetzt 
Er  erscheint  aus  seinem  natürlichen  Boden  herausgerissen; 
für  uns  ist  er  nur  ein>  geschichtliches  Dokument,  das  einen 
andern  Maasstab  erfordert,  und  an  die  Stelle  der  ersten  Frage, 
was  diese  Schrift  gewirkt  habe,  tritt  die  zweite  nach  den 
neuen  Aufschlüssen,  die  sie  giebt.  Künstlich  müssen  wir  uns 
auf  den  Standpunkt  zurückversetzen,  aus  dem  Hertzberg 
schrieb;  denn  der  Schwerpunkt  seiner  Ansichten  liegt  auf  ei- 
ner ganz  andern  Seite,  die-Grundlage  seiner  Politik  ist  der 
Gegensatz  gegen  Oestreich.  Es  möge  gestattet  sein,  einen 
Aogenblick  dab^  zu  verweilen. 

Durch  den  iBubertsburger  Frieden  hatte  Preussen  eine 
neue  Richtung  erhalten;  mit  ihm  beginnt  der  zweite  Abschnitt 
seiner  Wirksamkeit  unter  den  gössen  Mächten.  Erringung 
und  Behauptung  einer  Stelle  in-  ihrer  Reihe  war  bisher  das 
Ziel  gewesen;  ein  Kampf  mit  den  Hauptkräften  Europas  un- 
ter der  Führung  des  nächsten,  heftigsten  Gegners  war  die 
Folge.  Nach  dem  Abschlüsse  des  Friedens  war  die  Aufgabe 
in  Deutschland  eine  Stellung  zu  gewinnen,  die  der  europäi- 
sehen  entspreche,  daher  die  vorzugsweise  deutsche  Politik 
Friedrichs  in  der  zweiten  HaMte  seiner  Regierung.  Doch  aber- 
mals musste  man  hier  auf  Oestreich  stossen.  Zugleich  greift 
diese  Richtung  bestimmend  in  den  Gang  der  europäischen 
Verhältnisse  ein;  die  gegenseitige  Neutralisirung  Preussens 
und  Oestreichs  wie  Englands  und  der  bourbonischen  Mächte 
erleichterte  Russlands  Vordringen  gegen  Westen,  wozu  eine 
Macht  nach  der  andern  die  Hand  geboten  hatte. 

Hertzberg  war  ein  Zögling  der  ersten  Periode,  der  zwei- 
ten hatte. er  seine  volle  Manneskraft  gewidmet,  und  ihr  in 
einer  Weise  genug  gethan,  die  ihn  den  bedeutendsten  Staats- 
männern an  die  Seite  setzt  Welchen  Blick  zeigt  er  iiir  die 
europäischen  Verhältnisse?  Wenn  er  auch  mitunter  die  Kräfte 
Preussens  überschätzt,  ist  er  doch  für  die  Mängel  seiner  Lage 
nicht  blind.  So  chimärisch  seine  Pläne  scheinen,  die  er  auf 
dem  Beichenbacher  Gongresse  darlegte,  so  mechanisch  das 
Mittel  des  Ländertausches  war,  das  sie  verwirklichen  sollte, 
dennoch  gehen  sie  aus  einer  tiefen  Erkenntnis»  der  Grund- 


12  lieber  des  Grafen  HertJbberg  Abriss 

lagen  des  Staates  hervor;  es  liegt  in  ihnen  eine  Prophezeiung, 
die  durch  die  spätere  europäische  Umwälzung  glänzend  er* 
füllt  worden  ist.  Wenn  es  zum  Wesen  des  Staatenlenkers 
gehört,  die  Gegenwart  in  ihrem  lebendigen  Zusammenhange 
mit  der  Vergangenheit  zu  begreifen,  um  der  Zukunft  klaren 
Auges  entgegen  zu  sehen,  so  besass  Hertzberg,  mag  er  awh 
bisweilen  einseitig  erscheinen,  dies  Talent  in  hohem  Grade. 
Es  liegt  etwas  Imponirendes  in  der  Sicherheit,  mit  der  er  in 
den  Jahren  1792  und  93  das  Uebergewicht  der  französischen 
Republik,  und  ihr  selbst  das  Schicksal  der  römischen  verkün- 
det, den  baldigen  Uebergang  von  der  Demokratie  zum  Des- 
potismus/) In  der  Vergangenheit  seines  Vaterlandes  ist  er 
heimisch;  in  den  wichtigsten  Staatssachen  handelt  er  mit  ei* 
nem  Hinblick  auf  das  Alterthum,  und  in  der  Zeit  seiner  Un- 
gnade schwebt  ihm  das  Beispiel  des  Ariistides  vor  Augen. 
Das  ist  keine  Affeetation,  etwa  wie  sie  noch  in  der  gleich- 
zeitigen Literaturperiode  erscheint;  die  antike  W«lt  mit  ihren* 
Staatsverhältnissen  ist  wirklich  in  ihm  lebendig,  seine  völlige 
Hingabe  an  den  Staat  ist  ein  ihr  verwandter  Zug.  Die  Ge^ 
radheit,  oft  Starrheit  seiner  Politik,  die  entschiedene  Frei- 
müthigkeit,  mit  der  er  öffentlich  von  dem  Geschehenen  Re- 
chenschaft ablegt,  ja  selbst  der  naive  Ausdruck  seines  freilich 
starken  Selbstbewusstseins,  der  nicht  bei  Mirabeau  allein  ftir 
leere  Prahlerei  galt:**)  dies  alles  hat  etwas  das  an  römische 
Grösse  erinnert.  Doch  es  würde  anmasslich  scheinen,  nach 
Dohms  treff'licher  Charakteristik  dies  weiter  auszuführen:  nur 
noch  einige  Worte  über  die  schliessliche  Katastrophe. 

In  dem  starren  Festhalten  des  Gegensatzes  gegen  Oest- 
reich  lag  auch  die  Einseitigkeit  der  Ansichten  Hertzbergs. 
Auf  dem  Reichenbacher  Gongresse  wurde  es  ihm  klar,  man 
wollte  das  alte  strenge  System  des  Hauses  Brandenburg  mit 


*)  Memoire  sur  le  r^gne  de  Fr^d^ric  II.  27.  Jan.  1793.  p.  4. 
llter  Brief  an  Posselt  vom  2.  October  1792.  Zu  dem  Folgenden  s, 
den  4ten  Brief  an  Posselt  vom  13.  October  1787  über  die  Inter- 
vention in  Holland. 

**)  Histoire  secr^te  1. 1.  p.  145.'  II.  p.  126.  Als  Antwort  darauf 
dient  Hertzbergs  siebenter  Brief  an  Posselt. 


seiner  diplomatischen  Laufbahn.  13 

einem  andern  vertauschen,  aber  er  schien  nicht  zu  sehen,  dass 
seine  Plane  schon  desshalb  scheitern  mussten,  weil  weder 
den  Seemächten  daran  liegen  konnte,  statt  Polens  Preussen 
im  Besitz  von  Danzig  zu  sehen,  und  Oestreich  noch  weniger' 
einwilligen  durfte,  den  gefiirchteten  Nachbar  durch  den  schwa- 
chen, Preussen  auf  Kosten  der  Pforte  stark  zu  machen.  Er 
erkannte  nicht,  w^elcher  Fortschritt  in  einer  Annäherung  an 
Oestreich  liege,  dass  sich  eine  neue  Epoche  liir  die  deutsche 
wie  die  preussische  Politik  vorbereite,  in  der  beide  Haupt- 
mächte im  Einverständniss  an  die  Spitze  Deutschlands  treten 
mussten.  So  erlebt  flertzberg  den  Untergang  einer  Politik, 
die  in  der  langen  Zeit,  wo  er  das  Steuer  führte,  sein  Leit- 
stern gewesen  war,  sein  eigenes  Werk  glaubt  er  in  Frage 
gestellt,  und  sich  selbst  sieht  er  ohne  offene  Anklage  in  den 
Hintergrund  gesetzt.  In  diesem  brennenden  Schmerzgefühl 
eines  verkannten  Patriotismus,  das  sich  nirgend  heftiger,  rück- 
sichtsloser ausspricht,  als  in  den  bekannten  drei  firiefen  vom 
Jahre  1794,  schrieb  er  den  folgenden  Abriss  seines  Lebens 
nieder.  Nur  mit  Mühe  2ügelt  er  den  Ausbruch  seines  Un- 
willens» dat^  Gefiihl  seines  Werthes  steigert  sich  ihm  so  hoch, 
dass  er  auch  seiner  Theilnahme  an  der  Regierung  Friedrichs 
des  Grossen  eine  Bedeutung  beilegt,  die  sie,  so  achtungswerth 
sie  auch  gewesen  war,  doch  sicher  nicht  gehabt  hat  Er  fin- 
det die  erste  Theilung  Polens  weniger  vortheilhaft,  weil  ge- 
gen seinen  Raih  Oestreich  daran  Theil  genommen,  der  Te- 
schener  Friede  würde  ehrenvoller  geworden  sein,  hätte  er 
ihn  schliessen  dürfen r*)  der  Fürstenbund  ist  seine  Idee.    So 


*)  lu  diesem  Sinne  schrieb  Hertzberg  bereits  am  10.  März  1779 
an  den  Grafen  Görz;  siehe  dessen  historische  und  politische  Denk- 
würdigkeiten Thl.  I.  S.  97.  ünbezweifelt  würde  dies  Buch  einen 
grössern  Werth  haben,  wenn  sich  der  Verfasser  auf  das  beschränkt 
hätte,  was  ihm  aus  Gdrz's  Nachlass  zu  Gebote  stand.  Jetzt  gesellt 
es  sich  besonders  in  dem  ersten  Theile  den  Memoiren  bei,  die  durch 
Benutzung  bekannten  Materials  an  Umfang  gewonnen  haben.  Schon 
die  häufige  Verweisung  auf  Görz's  gedruckte  Schpjiten  und  Dohm 
muss  auffallen:  eine  nähere  Untersuchung  ergiebt,  dass  die  ausge- 
führte Erzähltmg,  die  im  ersten  Theile  die  spärlichen  Briefe  von 
und  au  Görz  an  einander  reibt,  hin  und  wieder  -mit  Dohms  Denk- 


14  lieber  des  Grafen  HerMerg  Abriss. 

schreibt  in  seinem  Unmnthe  derselbe  Mann,  welcher  öffent- 
lich wiederholt  hatte,  Friedrich  sei  der  Urheber  und  Vollen- 
der dieses  Gedankens  gewesen,  welcher  einige  Jahre  darauf 
den  ersten  Entwurf  dem  Nachfolger  Friedrichs  zugeschrieben 
hatte,  derselbe  Mann,  der  in  der  besten. Meinung  den  son- 
derbaren Vorschlag  machte,  um  die  Wahrhaftigkeit  der  Ge- 
schichte zu  sichern,  solle  sie,  wie  in  China  und  der  Türkei, 
nur  von  amtlich  dazu  unterrichteten  und  angestellten  Män- 
nern geschrieben  werden.*)  Fern  sei  es,  seine  eigene  histo- 
rische Treue  durch  diese  Widersprüche  verdächtigen  zu  wol- 
len; sie  zeigen  nur  wie  die  Leidenschaft  und  der  unmerkliche 
Einfluss  der  Umstände  auch  den  graden  Mann  mehr  nach 
der  einen  oder  der  anderen  Seite  hinlenken  können.  Nicht 
durch  eines  oder  das  andere  der  von  Hertzberg  angegebenen 
Momente  allein,  durch  ihr  Zusammenwirken  ist  der  Fürsten- 
bund  entstanden,  nach  einer  kurzen  Darstellung  die  er  selbst 
in  seinem  Recueil  giebt,  und  den  gewiss  unbefangenen  ^it- 
theilungen,  die  er  darüber  an  Dohm  machte.**) 

Einen  entschieden  neuen  Aufs^hluss  möchten  sonst  nur 
die  Angaben  über  die  schon  damals  beabsichtigte  Erwerbung 
von  Schwedisch  Pommern  gewähren;  Hertzberg  deutet  nur 
an  was  er  sagen  könnte,  aber  er  spricht  es  nicht  aus,  er  ruft 
die  Nachwelt  auf,  aber  er  will  sich  ihr  nicht  unbedingt  in 
die  Arme  werfen.  Bisweilen  scheint  die  Hoffnung  auf  eine 
Rückkehr  an  das  Staatsruder  durchzuschimmern ,  und  äHzu 
freimüthige  Geständnisse  würden  ihm  den  Weg  zur  Versöb- 
pung  mit  der  Gegenwart  ganz  abschneiden.  Dessen  ungeach- 
tet bleibt  dieser  Lebensabriss  ein  interessantes  Dokument, 
biographisch  sowohl  als  aus  allgemeinem  Gesichtspunkte  be- 
trachtet. Hertzbergs  Charakter  tritt  hier  in  seiner  ganzen  Ei- 


würdigkeiten  wörtlich  übereinstimmt.  —  Hertzbergs  Äeusserung 
über  die  Tbeilnahme  Oestreichs  an  der  Theilang  Polens  bestätigt 
wenigstens,  einen  Punkt  der  Angaben,  die  Goxe  darüber  aus  seinem 
Munde  haben  wollte:  s.  Dohm  Thl.  I.  S.  447. 

*)  Memoire  sur  le  vrai  caract^re  d'une  bonne  histoire.  1788.  p.4. 

**)  Denkwürdigkeiten  Thl.  III.  S.  62.  üebrigens  siehe  die  hier- 
auf bezügliche  Stelle  der  Denkschrift. 


seiner  diplomatiscken  Laußahn.  15 

genthümlichkeit  hervor,  in  seiner  Darstellung  spiegelt  sich  sein 
Bild  treuer  als  es  ein  Anderer  geben  könnte,  und  einen  Mann 
reden  zu  hören,  der  dreissig  Jahre  der  rastlose  Gehülfe  eines 
grossen  Königs  war,  an  dessen  Schöpfungen  er  sich  heran- 
bildete, ist  immer  denk^srürdig,  auch  wenn  er  weniger  sagt, 
als  man  wünschen  möchte.  Somit  übergeben  wir  dem  Pu- 
blikum diese  Denkschrift,  die  ein  halbes  Jahrhundert  auf  den 
Augenblick  gewartet  hat,  wo  es  ihr  vergönnt  sein  würde  an 
das  Licht  zu  treten;  es  ist  ein  historisches  Yermächtniss  des 
Verfassers,  das  bis  auf  das  dritte  Geschlecht  herabgekommen 
ist;  es  zu  erfüllen  wird  eine  Pflicht  der  Pietät,  es  liegt  eine 
Versdhnung  darin,  eine  Gerechtigkeit  der  Geschichte. 

Dr.  Rudolf  Köpke. 


N 


Pixels  tfe  la  carrl^re  diplomatique  du 
Comte  de  Hertzberg'. 


J'ai  eu  le  bonheur,  de  servir  la  monarchie  Prassienne  .pen- 
dant  quarantc-sept  ans,  depuis  l-ann^e  1745,  oü  au  sortir 
de  runiversit6  je  fus  envoy6  comme  secr^taire  de  I^gation  k 
la  diete  d'^lection  de  Tempereur  Fran^ois  I.,  et  oü  k  Tage  de 
dix-neuf  ans  je  m'^tois  tellement  qualifj^  pour  la  carri^re 
diplomatique  par  un  droit  public  de  Brandenbourg/)  que  le 
minist^re  d'alors  douta,  qu'un  6tudiant  soit  capable  d'une  teile 
besogne.  N'^tant  qu'un  gentilhomme  Pom^ranien  sans  for- 
tune  et  sans  liaison,  j'eus  le  bonheur  de  me  faire  connoitre 
k  Fr^deric  II.  en  1746,  en  lui  faisant  les  extraits  des  archives, 
dont  il  avoit  besoin  pour  les  m^moires  de  Brandenbourg,  qu'il 
composa  alors  et  desquels  extraits  il  existe  encere  un  tout 
entier  sur  Tancien  militaire  de  Brandenbourg  de  ma  fa^on 
dans  les  dits  m^moires/*)    Depuis  ce  tems  Ik  il  me  traita 


*)  Diese  Abhandlung  ist  nie  im  Druck,  erschienen,  da  das  Mi- 
nisterium die  Bekanntmachung  desselben  widerrieth.  Küster  giebt 
in  seinen  Accessiones  ad  bibliotbecam  histor.  firandeuburg.  Abth. 
II.  S.  395.  eine  Uebersicht  ihres  Inhalts.  Brunn. 

**)  Ich  habe  diese  französisch  abgefassten  Auszüge  selbst  in 
Händen  gehabt,  und  mit  den  Memoiren  des  Königs  genau  vergli- 
chen. Es  ergab  sich  hieraus,  dass  sie  die  Grundlage  derselben  wa- 
ren, und  dass  der  erlauchte  Schriftsteller  sie  nur  nach  seiner  ori- 
ginellen Manier  umgearbeitet  hatte.  Sie  machten  einen  eng  geschrie- 
benen massigen  Quartband  aus.  Eine  Abschrift  davon  befand  sich 
in  der  Bibliothek  der  Prinzessin  Amalie,  die  sie  dem  Joachimstbal- 
schen  Gymnasium  vermacht  hat,  doch  ist  sie  daselbst  nicht  tuehr 
vorhanden.  «.        Brunn. 


Pricis  de  Iq  camür^  äiplom.  du  comH  de  Hertzberg.     IT 

toimir#  «on  ^^ve  pour  les  afbiriBS  ^triing^nS)  il  me  mit  dBÜ 
les  ^ndes  archives  et  dans  la  p^pmi^fe-  du '  d^artemenl 
^tranger  qü'il  ^ablit  alori,  avec  le  litre  de  conteiller  de  16« 
gation,  et  je  comineii^'s  k  travaiiler  dans  tootei  let  exp^c^ 
tiohs  du  d^parteiiient  En  i749  il  me  confia  Bpr^s  la  morl 
du  Sr.  d^llgen*]  la  garde  du  d^pAt  des  archires  secrMeo, 
qu^oii  app^  le  cabinet  des  archives,  et  qui  contient  les 
trmiis,  les  pactes,  les  testameus  et  tou»  les  titres  impor« 
tans  de  la  maisoh  de  Brandenbourg  avec  les  d^f>6efae8'  les 
plus '  secFibtes.  Je  trouvois  ces  ardiives  dans  le  plus  gra»d 
d^Mtfdre,  empiaquetdes  eneere  dans  une  vmgtaine  de  caissea 
immeases,  dans  lesquelte^  elles  avoient  ^t^  enroyfes  k  Stet-« 
tin'  loraqu'i^n  oraignott  en  1745  fintasion  du  g^n^rai  Grün**) 
il  Berim.  Le  Sr.  dllgen  n'avoit  pas.eu  le  courage  de  les  d6^ 
paqueter;  je  le  fis;  je  remts  tous  ees  mittiers  4e  documens 
mipoplans  k  leur  place;  je  les  lus  tous,  et  c'est  par  li'que 
j'i»  acquis  la  connoissance  de  tous  les  droits  et  int^ts  de 
ia  maison.de  Brandenbourg,  qui  sont  coome  ensoTelis  dan^ 
ma  memoire,  de  sorte  que  je  pins  tout  ^orire  et  expMier 
des  thJt^s  et  des  di6p^(^es,  et  tout  ce  qui  est  n^oessdre 
pour  les  .affaires  ^ti^angferes,  oiAme  sans  le  secours  des  ar-i 
^cfaives.  On  peut  en  trouver  un  essai  dans  certains  arttcies 
sl^tistiques  de  Brandenbowg,  que  j'ai  foumi  k  une  oocäsion 
singnliäi^  pour  le  dretionnaire  eneyelop^dique  de  Paris,  que 
f  ar  diet^  alors  dans  une  oouple  de  maliinAes  k  un  secr^tairv«^ 
et  qu'on  a  r^imprim^  «osuite  dans  le  p^ttotutne  cf^MhI;***) 
Je  contfnfQois.  dans  les  ann^es  1750,  1751,  1709,  k  faire  non 
seulemeot  les  exp^ditiotis  courantes  da  d^ptttement,  mait 
aüssi  les  extraits  de  tomtes  les  n^gocintions  du  roi  pour  son 


*)  Br  starb  1750. 

♦»>  Er  bicfss  Grünne.  •   ^ 

f *.»)>.  Sie  befanden  sich  aicht  bei  dem  Manoscripiei*  6&  sind 
die  bekannten  articles  bistoriques  et  g^ograpfalques  des  6tats  de  la 
rhaison  de  Brahdenbourg  etc.  Berlin  1787.  In  demselben  Jabre  er- 
sebieii  einie  Uebbrsetzung  ton  A::Rode.  fieurtheitungen  gaben  die 
allg'eneiii^  deutsche  BIbIMbdc  Bd.  81.  S;  165.  «md  die  aUgemeine 
LHenImnKMtuhg  1789.  Bd.  1.  B.  59^      '  '  >  »ninn. 

JE«iteakrift  f.  f»Mchi€bi«]itsw.  I.  1844.  2 


IS  PrM$  de  la  eamiärt  diplamaHque 

hiBtoire»  doni  il  n'a  pas  eu  le  temt  de  faire  uaage»'i9aM  doDt 
je  ferois  un  tr^s-exoeUenl,  si  oo  me  laiMe  acbever  rhistoire 
de  Fjt^d^ric  IL  It-me  conföra  en  1758.  de  a<m  propre  mim-* 
yement  le  titre  de  eonseiller  priv<&,  ayant  appris  qiie  j'^yois 
remport^  un  prix  4  Tacad^mie,  par  une  dissertation ,  par  la- 
qoelle  je  fug  en  m^e  tems  agr6gd  pour  membre  de  raoa- 
d^mie*).  G'est  depuis  ce  tems  IJi»  que  j'ai  contiaa^  k  terire  et 
k  publier  ohaque  ann^e  un  ni^aioire  acad^inique  dont  je  joiiü 
icir  un  exemplaire  r^uni/*)  dans  lesquela  j'ai  rendu  un  oompte 
au  public  de  radministration  oivüe  de  Fr^d^rie  II.  dana  le 
eours  de  chaque  ann^e,  surtout  depuis  la  guerre  de  aepl^ua» 
eo  pubJiant  un  detail  de»  aaiäioratious  et  des  bienCails,  qu'il 
a  r^pandü  dans  le  pays  et  quil  a  rendu  par-«Ui  si  flarissant» 
et  qui  ont  fait  voir,  quelles  reasources  avoU:  lä  monarchie  Prus^ 
sienne  bien  gouvern^e  et  qu'elle  n'^loit  paa  öpb^m^e»  maia 
la  plus  solide  de  r£urope  malgr^  aa  ni^iocrit^  Ce  sont  cea 
petits  miämoires,  qui  ont  fait  eonnoitre  Fr^^ric  II«  h  tontQ 
TEkirope  dans  la  qualit^  d'un  roi  bienfaisant,  juate  et  a<^iC  que 
presque  tous  les  souverains  de  TEurope  ont  lu  avec  vndiiä 
et  m'ont  fait  faire  des  complimens  flatteurs  iJMieasus,  teis  qfue 
les  reis  de  France  ^  d'Angleterre,  de  Sardaigne,  le  prince  de 
Brasil  et  saifime  TeHfiereur  Leopold« 

£n  1754  le  roi  ordonna  de  son  chef  au  miniattee,  de 
m'admettre  aux  Conferences  secr^tes  du  oabinety  et  depips 
ce  tems  (4  j^ai  ccMicouru  k  expedier  les  d^pdches  les  plus  im-* 
portantes  et  les  plus  secrfetes.  Lorsqu'il  vouiut  coramence« 
en  1766  la  grande  guerre,  il  me  fit  venir  en  seeret  h  Pots« 
dam  et  me  confia  les  papiers  secrets,  qu'ü  avoit  tir6  par  cor-* 
ruption  des  archives  de  Dresde^  dont  je  lui  fis  un  pr^eis» 
qu'il  communiqua  k  toutes  les  cours. ayant  de  commencer  la 
guerre,  pour  leur  prouver  les  desseins  dangereux  que  les  deux 
cours  imperiales  et  celle  de  Dresde  avoient  form^  centre  lui 
et  qu'il  crut  deveir  pr6venir.  Ayant  ensutte  fait  la  conqu^te 


*)  Die  Abhandhing  erschien  im  Duruck  unter  dem  Titel:  Uebe» 
erate  Bevdlkenun^  der  Marie  Brandenbuii.  Brana; 

^)  Mm  fand  sich  nicht  bei  dem  Ifanuscripte.  Bruan* 


4h  eomte  de  BerMetg.  10 

de  Dresde  il  fit  enlever  des  ardiiTefii  les  originaui  de  eeft 
pttpiers,  suT  lesqtiels  je  cimiposoid  en  peu  de  joun  le  Ak 
mens  m^oire  raisonn^  par  le<piel  presque  tonte  rEurope 
Alt  conrainciie  de  la  jastice  et  de  la  nieemU  de  sa  guerre. 

Je  foumis  au  roi  en  Janvier  1757  par  une  lettre  ano-* 
nyme,  qui  se  trouye  imprim^  k  la  p.  11.  da  1  vol.  de  mes 
Berits  pMkSf  Pid6e  de  faire  une  augmentation  de  Tarm^e  de 
fk^  ä  <guai^nite  mille  homtnes,  pour  forcer  la  goerre  et  pour 
ne  pas  abandonner  ni  la  Prasse»  ni  la  Westphaiie.  II  ex^- 
cuta  cette  fd^  par  la  lev^e  de^  reorues,  et  les  milkaires  m'ont 
lU^sur^  que  cette  nonveUe  lev^e,  qui  ^toit  presque  seule  rest^ 
au  roi  deputs  la  batailie  de  Gollin,  a  le  plus  contribu^  au 
gain  des  batailles  de  Rossbaeh  et  de  Leuthen.  fengageoii 
aussi  les  4tatS  de'  la  Pom^raoie  et.  de  la  Marcbe,  apr^s  la 
perte  de  la  bataitle  de  GolUfi,  &  lever  k  leurs  frais  ces  vingt 
batailloDS  de  oillice,  qui  out  ensuite  d^fendu  Golberg,  Gu-^ 
striti,  Sl^ÜD  et'Magdebourg,  et  ont  feit  la  petite  guerre  si 
fiingnlifefe  et  si  beureuse  areo  les  Russes  et  les  SuMois  en 
PoRT^irfe^  et  put  conserve  cette  ptovince. 

Le  roi  finapp^  de  la  siugularit^  de  la  lettre  susdite,  nie 
eotiftra  en  Janvier  1TS7  Pimportante  charge  de  sonS'-  secr^ 
taire  d'ötat  on  de  preniier  commis  du  d^partement  avec  six 
k  sept  mille  6€us  d'appointemens.  II  me  nomma  la'  m^me  an*« 
n^  coßjoiutement  avec  le  mar^al  Lehwald  pour  faire  la 
paix  avec  les  Su^dois,  ce  qui  n'eut  pourtant  pas  Heu.  Pen*« 
dant  tout  (?)  le  cours  de  la  guerre  de  sept  ans  je  ^uivis  la  cour 
k  Magdebourg,  et  j'accenipagnois  le  comle  de  Finkenstein 
aux  quärtiers  d'biver  du  roi,  comm^  k  Meissen,  k  Breslau  etc. 
C'est  \k  que  je  contribuois  k  faire  en  1762  les  deux  trait^s 
de  paix  avec  la  Su^de  et  la  Russie,  la  reine  de  Su^de  ayant 
6mt  k  moi  une  lettre  secrete,  pour  demander  la  paix«  J'ai 
anssi  exp^diä  pendant  la  guerre  de  sept  ans  pres(pie  toules 
les  d^ductions,  d^clarations  et  d^p^cbes  de  la  cour.  Le  roi 
se  trouvant  ay  commencement  de  Tann^e  1763  dans  le  cas 
de  faire  la  paix  av^  les  deux  cours  de  Yieime  et  de  Dresde«  . 
il  m'appella  de  Berlin  k  Lelpdig»  m'envoya  k  Hubertsbourg  ei 
se  servit  de  moi  flfe«d,  pour  faire  k  l'exclusion  du  comte  de 

2* 


8(1  Pricis  de  la  cßrriäre  d^hmatique 

Finky  qui  ^toit  avec  lui  k  Leipiig»  cette  o^^re  pain.  d«  Hu^ 
biertftbourg,  qui  fut  si  solide  et  si  hoitorid>le  pour  lui  et  pmvc 
woi,  qu'il  vint  cbez  moi  ä  Hu()ertfibourg  et,ine<Ut:  »Je^MMm 
f(61icite,  vous  ayez  fait  la  paix  oomme  moi  seul  contra  ^n 
nombre  d'enuemis."  *) 

II  me  nomma  bieptöt  apr^  pour  second  ministre  d'^tat 
des  afiair^s  ^tratig^res  k  la  place  du  comte  de  Podevils.  Je 
me  contentois  par  modestie  de  cioq  mill^  6cus  d'^ppointemens 
que  le  comte  de  Fink**)  ayoit  eu«  et  c^dotf  lea  flept  mill« 
^us  que  j'avois  eu  auparavant  k  mes  aucce^nsieurs,  (ubaltefiie.« 
Mar^unay«  Diestel  et  Keith,  quoique  j'aye  exerc6  leß.  f^optiiHW 
des  deUK  deruiers  encore  trois  aus  apr^s  la  paii^  de  Huberte«; 
bourg.  .  Dans  le  cours  des  apu^  d^ptiis  1763^—1773,  qui 
^toieat  paeifigues  et  dans  lesqueJies  le  rpif  FxMinc  II.  ^'oc- 
cupQit  principalement  du  sein  d^  r^blur  son  pays  et  le.U^ 
ser  et  d€L  se  fortifier  par  des  alliauces.  sustdut  avec  Jümp^ari 
trice  de  Rusaie»  j'ai  pr^sid^  a?ec  le  comte  de  Finke^stMi 
au  d^partevient  des  affaires  ^trang^res  en  me  cbargeaiit  de 
Texp^dition  des  trait^s  et  des  priucipales  d^^bes  d^/d^ 
partemetit»  dans  cette  ^poque,  qui  fut  si.orageuse  et  tnt^- 
reasante  par  ies  troubles  et  la  pacificatipn  de  la  Pologne  h 
laquelle  le  roi  avoit  taut  de  part.  Lorsque  le  roi  lut  engagö 
par  Texempl^  de  Timp^ratrice  Marie  Tb^r^se  qui  s'empara  ea 
1772  de  la  Staro&itie  Polonoise  de  Zips,  k  cosi^cevoir  avec  rim* 
p^ratrice  de'  Russie  le  projet  du  partage  de  la  Pologne  *'*);  jq 


*)  Die  richlige  Leseart  hat  wohl  Weddigen  S.  50:  Vous  aves  fall 
la  paix  comme  j'ai  fait  la  guerre,  un  contre  plusieurs.  Bei  Dohm  Thl.I. 
S.  78  heissen  die  Worte:  Vous  avez  faitla  paix  comme  moi  la  guerre^ 

**)   Soll  wohl  heissen:  von  Podevils.  Brunn. 

***}  Cela  se  fit  dans  le  tems  que  Madame  la  duchesse  dOuai- 
ri^re  de  Brunsvic  dtoit  avee  le  Roi  an  mois  de  *JaiUet  1772  au  hon-» 
Teau  palais  de  Potsdam,  oü  il  me  fit  demander  par  le  comte  d^ 
Finkenstein,  quelles  pr^tentions  il  pouvoit  avoir  sur  teile  partie.de 
la  Pologne,  sur  quoi  je  lui  proposois  la  Prusse  Polonoise  et  hü  fit 
passer  Tid^ä'  quil  avoit,  de  joindre  Ies  Palatinats  de  Posen  et  de 
Kaiisch  ä  la  Sil^sie,  ce  qui  lui  auroit  fait  manquer  roccasion,  de 
eomhiner  la  Prasse  avec  le  oorps  de  la  monarchie.  .> 

Anmerkung  Hertzl^ergs» 


du  eömte  de  Sert%betg.  31 

lui  fournis  i'id^e  de  s'approprier  la  Prusse  Polonoise.  JTeii 
trouvois  tes  titres  ainsi  que  pour  le  port  important  de  Dan* 
zig ,  je  tes  'constatois  dti  fond  de  rantiquit^  la  plus  recul^ef 
dans  ces  d^ductions,  qiri  out  fall  \AtA  de  brait  dans  ce  temff 
)ji,  et  out  fait  toir  i. tonte  l'Europe,  que  le  roi  de  Prusse 
seul  avoit  de  bonnes  pi^tentkms.  Je  dressois  dans  les  ann4e9 
1772—1775  toutes  les  pi^ces,  toutes  les  d(§p6ches  relatives  U 
eetfe  fifmeuse  affaire  et  ensufte  le  traitS  du  partage  et  celui 
rfe  la  cession  de  la  Prusse  Polonoise  mAme,'  quoiqne  je  me 
Irouvois  alors  dans  un  6tat  de  h^miplexie,  j*ai  eu  alofs  le 
bonheuF  d'obliger  la  Pologne  dans  ce  trait^  de  renoncer  ht 
la  T^ersion  du  royaun^  de  Prasse  apres  Pettinction  de  la 
ligne  maskuline  de  'Brandenbourg,  r^ersion  qui  lui  ^toit  as* 
sut^e  pi«r 'te  trait6  de  Wölau,  et  d'assurer  par^i  la  succes-' 
sfoh  hie  beau  royaume  aux  deux  se^^cfs  de  la  maison  de 
Brand^nboiirg  et  k  Yi^temttier  ainsi,  ce  qui  a  fait  plus  de  peine' 
aux  Polonois  que  la  cession  de  la  Prusse  Polonaise  m^me. 
G'^toit  un  point  essenttef,  auquel  personne  ne  pensoit,  mais 
qui  m'4toit  präsent  par  la  connoissance  des  arcbiTes,  et  par 
l^qtiel  je  crois  m^riter  la  reoonnoissanee  de  toute  la  maison 
de  Brandenbourg  pendant  toute  son  existence.  On  commit 
pourtant  alors  de  grandes  fautes  dans  ce  partage,  surtotiten 
iaissant  prendre  i  PAütriche  sa  portion  et  une  aussi  grande 
en  Pologne.  Je  le  (is  observer,  et  je  conseillois  de  laisser 
phitöt  prendre  k  rAutricbe  sa  portion  sur  les  Turcs,  ce  qu'elle 
auroit  pr6fi6r6  alors,  mais  je  ne  fus  ni  ^cout6  ni  soutenu. 

Le  dernier  Älecteur  de  Bavi^re  *tant  mort  en  1778*)  et 
rcmpereur  Josepli  ayäht  voülu  s^appröprier  üne  grande  par-' 
tie  de  Timportant  duch^  de  Bavi^re,  je  crois  avoir  contribu^ 
le  plus  k  d6terminer  Fr^d^ric  II.  de  s'y  opposer  de  cette 
mani^re  forte  et  magnanime  qui  est  connue.  Je  dressois  alors 
tous  ces  m^möires  nombreux  et  forts'en  raisons,par  lesquelles' 
le  baron  de  Riedesel  combattit  avec  le  prince  de  Kaunitz. 
J'eus  la  principale  pari  k  la  n^gociation',  que  le  minist^re 
Pr^ssien  entretint  sur  cette  alOTaire  avec  le  comte  de  Gobfn^el, 


*)  Er  starb  d^n  30.  December  1777. 


n  PrM$  de  la  carrUre  diplo$Mtique 

h  Berlin  et  areo  le  baren  de  Tbugat  h  Braunau  en  Boheme» 
et  les  n^gooiations  ayant  6t6  inutiles  j'ai  dressö  les  mani- 
festes du  roi,  qui  attira  &  hii  et  ä  moi  le  suffi^ge  de  toute 
TEurope  et  la  reconnoissance  encore  permanente  de  la  fa^ 
miile  palatine  et  de  la  nation  Bavaroise.  Si  on  avoit  voulu 
suivre  mes  avis,  la  oampagne  cpii  s'ensuivit,  attroit  6t6  pliu 
heureuse  qu'elle  ne  iiit.  Ayant  6i6  finie,  on  commen^a  la  n^-^ 
gociation  de  paix  k  Teschen;  je  ne  Tai  pas  fait  direetement, 
mais  j'y  ai  le  plus  eontribu6  en  la  dirigeant  de  Breslau,  o4 
le  roi  avoit  fait  venir  le  ministöre  pour  cet  effet  U  est.  conno 
q[ue  cette  paix  fut  faite  d'une  mani^re,  qui  smgmenta  la  gfoire 
et  la.  consid^ration  du  roi  au  plus  baut  degr6  et  le  fit  re- 
gardei^  dans  toute  l'Europe  comme  le  ginrdien  de  la  balance 
contre  la  maison  d'Autriehe.  Elle  aiiroit  6a  encore  plus  glo- 
rieuse»  si  on  n'avoit  pas  contreearr6  mes  plans  et  si  Ton 
n 'avoit  pas  empöehö,  que  j'allasse  faire  mbi^-m^me  la  pain 
k  Teschen. 

L'empereur  Josepb  ayant  essayö  en  1784  >de  youloir  ac-* 
qu^rir  la  Bavi^re  par  un  ^cbange  contre  les  Pays>^Bas,  le 
roi  Fr^d^ric  IL  s'y  opposa  et  fit  Schoner  ce  dessein  dangereux 
de  la  maniire  connue  par  des  d^elarations  vigeureuses  et  des 
n4goeiations  auxquelles  j'ai  eu  la  princtpale  part  G'est  k 
oette  occasion  que  je  fis  nattre  Tid^e  de  Tunion  'Germanique*), 


♦)  In  der  dissertation  sur  les  v^ritables  richesses  des  6tats  26. 
Jan.  1786  sagt  Hertzberg  S.  23:  „Gelte  gloire  doit  recevoir  un  nou- 
yeaäFelief  d'autant  plus  grand)  si  Ton  consid^re,  que  le  roi  ä  lui* 
m^me.  imagin^^  pouss^,  et  consommö  cegraod  ouvrage  (den  Für 
stenbund)/^  Aehnlich  lautet  die  Stelle  in  dem  memoire  historique 
ßur  la  derni&re  ann^e  de  la  vie  de  Fröd^ric  II.  S.  27.  In  dem  Me- 
moir  vom  6.  Oct.  1791  (wir  haben  nur  die  üebersetzung  zur  Hand) 
lesen  wir  S.  9:  „Der  jetzt  regierende  König,  dessen  Geburtstag  wir 
beute  feien),  hat  hierzu  (zur  Herstelhing  des  GleiclTgewiehts)  vielr. 
leicht  mehr  als  irgend  ein  anderer  Souverain  beigef^agen,  sowohl 
durch  die  fortgesetzte  Bemühung  den  deutschen  Fürstenbünd  auf- 
recht zu  erhalten,  wovon  derselbe  vor  seiner  Thronbesteigung  die 
erste  Idee  gehabt  und  angegeben  hat  u.  s.  w."  Endlich  Recueil  ThI.  II. 
S.  364  heisst  es:  „Le  comte  de  Bertzberg  avoit  eu  quelques  fois  i'oc- 
easion  de  s'entretenir  avec  le  roi  sur  Tidi^e  d'une  associs^on  des 


du  C4fmi9  de  Berinbergt  II 

qui  fat  ccmcliie  k  Berlin  en  1786  prineipalenieiit  pta  mef 
fMis  et  par  ma  plume  afec  ies  ^ledeun  de  Saie  et  dVan« 
novrew  C'Moit  fe  dernier  momiinent  de  la  gloire  de  FrMine  IL 
II  parut  m'avoir  donn^  surtout  apr^s  Tacquii ition  de  Prasse 
et  la  paii  de  Tescben  toute  sa  ooi^nce.  U  me  traita  avec 
une  famiiiarit^  amicale  et  me  fit  renir  toiis  Ies  automnea  k 
Sans-Seucjy  poor  y  pasaer  quelques  semaines  seiil  avee  lui; 
enfio  comme  ii  tomba  dans  sa  derni^re  maladie  bydropique« 
i/  m'apprila  le*9.  de  Joillet  1786  l  San^-Souci  et  m'y  gairda 
seul  JQsqu'i  sa  mort,  qni  arriva  ie  17  d'AoAt,  de  aorte  qu'd 
paroit  qu*il  a  Toofai  qiie  je«  fasse  Ie  t^moin  de  ce  grand 

Son  succesleur  Ie  roi  r^gsant  aujourd'hui,  qui  m'avoil 
Mfk  hoBort  auparafant  de  sa  eonfiance,  parnt  fouloir  me  la 
eootiii«ier.  Je  lui  ppopesois  de  penaettre,  que  selon  FeKempla 
du  comBiefieemeDt  du  xägae  du  feu  roijusqu'ä  la  guerre 
dtif  sept  ans^  je  lui  dreasois  toutes  Jes  d^pddies  pour  )es  mi- 
msifres  ^tmigars  et. Ies  eorerrois  k  son  approbaüon  et  i  sa 
Signatare  la  veüie  de  cbaqjäe^joiur  de  poste.  Gela  fut  approuv6| 
et  j'ai  mü'  gkt6  Ies  affiires  et  y  ai  travatU^  tous  fos  jottra 
16  ii  18  beures  .d'une  maui^re  qid  m'a  paro  avoir  toute  so« 
^pn^tioa  et  qiu  leur  a  doMi^  tout  Ie  suco^s  poasible  jus» 
qu'au  trail6  de  Retckenbaclt 

Le  roi  FrM^rio  IL  ayänt  laissiä  sa  mooarchie  dans  l'^tal 
Ie  pins  iBarKsant  a?ec.une  arm^e  ^galement  bonne  et  nooa- 
brause »  un  tr^sor  coDsid6rablc  et  une  natioii  vigoureu^e »  et 
ayant  jom^  dans  Ies  deraiferes  anntes  de  sa  vie  le  jöle  gkn 
rseux  d'arbitre  de  la  desün^  et  de  la  balance  de  TEurope« 
je  formois  le  plan  pour  le  roi  Fridörie  GuiUaume  IL  d^s  le 
eomnienceinent  de  son  r^gne,  qu*il  devoit  eosetinuer  k  jouer 
ce  TÖie  et  Je  pousser  encore  plus  loin,  en  profitant  des  4>cea« 
sioBs  pour  proeurer  k  sa  monarcbie  ce  qui  lui  taianquoit  an«^ 

princes  pour  le  maintien  de  la  Constitution  Germanique,  iaquelle 
rappella  au  roi  le  Souvenir  de  la  ligue  de  Smalcalde.  Le  roi  reg- 
tiant  aujourd'hui  comme  prince  royal  ent  alors  la  mdme  id6e,  don^ 
salta  lä^dessus  le  c.  de  H.,  et  s'y  pr6para  avee  plösieurd  prinoei 
de 


* 


Bl  PrSda  de  la  akrriere  diplomatique 

eore  et  pour  hii  6ter  ses  iollperfectiotas  locates.  Je  crols  ne 
pas  trop  dire^  que  ee  plan  a  ^t^  exic^M  et  que  ie  ma  jou^ 
Ih  r6ie  d'arbitre  de  l'^quilibre  dans  le  sud  per  la  r^fohition 
de  la  Hollande. ex^cut^e  par  la  yaleur  et  la  pmdence  extra-* 
ordinaire  du  duo  de  Brunsvic.  II  a  abaiss^  par--l&  la  France, 
il  lui  a  6t6  son  kifluence  en  Hollande  et  en  Allema^ne,  il  Ta 
donn^  k  l-Angleterre,  il  a  rendu  k  oelle-ci  la  Konnexion  wrec 
l'AUemagne  perdue  auparavant,  lui  a  a$sur6  ses  pcMisesakins 
dans  rinde  par  Tdiiance  Hollandoise  et  par  ralfianee  eonetoe 
«1 1788  entre  la  Prasse,  TAn^^erre  et  la  Hdlande,  il  a  jetM 
la  base  de  ee  grand  syst^oie  föd^ratif,  par  lequel  ces  tiüia 
puissances  s'assistent  mutuellement  non  seulemeut  pcmr  leur 
defense  mutuelle,  mais  aussi  pour  maintenir  r^quilibre  du 
pouToir  dans  toute  TEurope  en  empdcbant  qu'aucnne  puls«- 
sance  ne  puisse  l'^brankr  par  des  raes  et  des  entreprfses 
ambitieuses»  G'est  dans  cette  vue,  que  je  conmliois  au  röiy 
iorsque  la  guerre  s'alluma  en  1788  entre  les  iejax,  eoucs  idi^ 
p^riales  et  les  Turcs  et  cpie  ceux-ci  fiireat  nieiiao^  d'^tre 
exputs^s  de  l'Europe,  ce  qui  aulroit  pu  proeurer  jt  la  maisoii 
d'Autriofce,  Tancienne  riyale  de  celle  de  Brandebbourg,  uii 
agrandissement  trop  dangereux,  je  .oonsriUois  aa  roi,  que  )a 
Prasse  s'y  oppose  avec  ms  deux  alüä»  et  tkke  de  mainteniF 
r^quilibre  dans  l'orient  et  le  nord,  d'abord  par  une  d^ckira- 
fion  vtgoureuse  et  en  cas  de  besoin  par  une  intörTention  en- 
core  plus  effieace.  Ge  plan  fut  aussi  agr6^  far  l'Anglelerre» 
fnais  principalement  ex6mit6  par  la  Prasse  presque  sans  aucun 
secours  de  ses  allt^s.  Le  roi  de  Sufede  ayant  .commene^  la 
guerre  en  fareur  de  la  Porte  contre  la-ftüissie,  ceüe-ci.  lui 
lächa  de  Daaemarc,  dont  le  prinee  royal  fk  upe  invasion  en 
Sii^  et  auroit  forc6  le  roi  de  Suöde  de  &ire  uae  paix  qui 
auroit  renvers^  sa  nouvelle  r^volution  et  Tauroit  mis  sous  ia 
d^pendanoe  dei  la  Rassie,  si  le  roi  n'avoit  paa  fdrc^  le  Da^ 
nemarc^  par  une  d^claration  mena^ante  que  je  sugg^rois  et 
dressois  et  que  le  Seril  duc  Fr6d6ric  de  Brunsvic  fiit  charg4 
et  6toit  pr^s  d'ex/6cuter,  k  faire  un  trait^  de  neutralitä  avec  lui, 
par  lequel^  le  roi  die  Snhde  fut  mis  en  etat  de  continuer  ia 
guerre  et  de  faire  une  diversien  contre  la  Russie.  Celle  4eF^ 


du  camte  de  Bert%betg,  SS 

vikni  puisBanee  ayaiit  aussi  fMsqoe  subjagu^  la  Pologne  et 
ayai^  ocHichi  un  träit6  secret  avec  le  roi  de  Pologne,  pour 
lui  faim  leY^r  une  arm^e  de  oent  miUe  hoinmes  cpii  deyoit 
6fare  enploy^e  contre  les  Turcs»  et  pour  l'int^griM  de  la  Po- 
logne  c.  ä  d.  contre  la  Prasse,  je  eoaaeiUois  au  roi»  de  faire 
des  d6elaration8  si  vigoureuses  en  Pologne»  que  le  parti  Anti*- 
lUisfiien  prit  Je  ctessus,  seeoua  le  joug  Russieu  et  fit  la  premitee 
rtvojutbn  daiis  ce  pays  lä  sous  les  aaspices  de  la  Pnisse,  ce 
f  ui  ^it  Htäe  et  nöoessaire,  mais  he  devok  paa  Mre  pouaa^ 
ai .  loin  qiie  oela  a  k%ik  £rit  daos  la  seconde  r6f  olutiou  en 
i7S^  contre  thes  aw  tAtke^*  On  peut  dcmc  dire  äTec  rai*« 
son^que  le  roi  ajou6-en  17W  et  1789  le  röle  d'arbitre  de 
Y^ijqiiilibce  däns  le  nofd  ei»  airanduisant  la  SuMe  et  la  Po- 
lygne du  ]0ug  de  la  Buisie,  laquelle  auroit  saus  eela  ea  la 
SvMe,  la  Potogne  et^  le  Danemarc  sous  ses  ordres  et  auroit 
nteie  enlrain^  ia  Prusse  soua  son  despotisme  en  l'environ« 
naiHl;  de  tduii  c6t^  A{«res  af?oir  ainsi  affenni  la  tranquillM 
et  r^qoilihre  du^nord»  le  roi  a  jouiä  en  rn^me  tems  le  ro^me 
rAle  emws  Tofieiit,  en  eopddianl  les'deux  coiirs  imp^iales 
de  ebasaer  les  Tuik»  de  Ffiurope  et  de  feäre  le  partage  de 
lear  grand 'empife.  II  engagea  ses  alli^s  de  faire  tune  d^cla« 
ration  cc^mune  a^x  deux  cours  imperiales,  que  les  alli^s  ne 
pourroient  pa6  perpettre  la  destniction  de  T^quilibre  dans 
I'brient  fax  la^ruine  cte  Tempire  Ottoman,  mais  qa'ils  leur 
eflriienüleur  m^dialion  pär  üne  paix  juste  et  sopporlaUe. 
LeS'  detix  puissances  märüinies  n^  poutoient  qu'adii^rer  k  hr 
i^oiaivalibn  du  loi  de  Prüsse^et  d'6toft  &  Iw  4  Texi^cttter  et 
i  eh  Gourir  les  risques. '  J'ardis  ak>rs  en  vne  le  grand  plan 
que  la  Porte:  devok  6tre  engag^e  a  e^der  ^TAutriche  la  idoU 
datie  et  la  Wallachie^  et  4  la  fiudsie  le-  district  d'Oozafeofi) 
precvinces  inuttles  poor.elie  et  qu'elle  avoit  döjä  perdues,  sani 
que  Ir  roi  de>Bi!aase  fut  Obligo  de  Jes  lui  reconqu^rir,  que 
Fempereur  rendroit  la  Gallioie  k  la  r^puUique  de  Pologne,  qw 
eelle««ei  cMeroit  en  r^tributioh  au  roi  Danzig  et  Thorn  avec 
l^s  Palati^^ts  de  Kaiisch  et  de  Pöenanae  jusqu-ji  ia  Wartha 
e<nitce-,un  bon  trait<§  de  comnerce«  que  la  Kusme  .reDdroü  k 
ktfin^die  un  mMioore  bout  de  laFindandev  (pi'on»appelle  ie« 


96  Pricis  de  la  carrik^e  diphinatique 

limites  de  Ja  paix  de  Nystedt  et  qua  le  roi  de  SuMe  o^deroH 
au  roi  la  Pom^anie  Su^deise  contre  oette  aequisition  terri« 
torielle  et  en  äquivalent  de  quelcpies  mülions  d'6eu8,  sur  quoi 
j'^toiB  d6jä  secr^tement  d'accord  avec  lui  par  le  comte  de 
Borck.   Ge  plan  quelque  vaste  qu'il  paroisse  Mre  n'6toit  pas 
injuste,  n'^tant  proprement  qu'un  behänge  de  contenance, 
que  ies  Turcs  devoient  payer  pour  leurs  fautes  impardoima«» 
bles,  et  dont  ils  poovoient  ^tre  indemnisös  par  la  giMnt» 
g^n^rale  de  toutes  Jes  puissances  suf  leur  existenee  en  Evh 
rope.    II  6toit  d'une  ex^cution  possible  et  m^e  facile  daiia 
r^t^  de  rannte  1789  oü  Tempereur.  Joseph  avoit  M  si  mal-« 
heureux  contre  Ies  Turcs  et  ^toit  Bienae^d'on  soul^vemenl 
g^n^ral  de  ses  sujets.    Le  roi  ayoit  m^me  agr66  ce.frfan,  et 
devoit  Texöcuter  iorsqu'il  alioit  en  AoiU;  1789  a-  la  revw  de 
Sii^sie,  mais  il  fut  eontreöarr^  et  abandonn^pendantmois 
absrace  par  des  >per$onnes  et  pak*  des-oioyens,  qüe  je  ne  veux 
pas  nommer.   Au  retour  de  ia  Sil6sie  je  fus  oblig^  de  dresMV 
une  alliance  avec  la  Porte  Ottomanne ,  que  le  Sr,  de  Bieta 
rendtt  offensive,  en  outr^passant  ses  Instructions.  Joseph  \[I. 
6tant  mort  en  F6vrier  1790,  son  successeur  Leopold  reehercto 
la  paix  et  Famitiö  du  roi  par  une  correspondance  de^quatre 
tettres,  dans  laquelie  JI  offirit  de  restituer  tout  k  la  Porte,  en 
se  r^servant  seuleaient  Ies  limites  de  la  paix  de  Passairowitii 
qui  constituent  la  ville  de  Beigrade  et  le m^diocre  lästrietde 
TAluta  en  Wallachie.   Je  täcfaois  d'en  profiter  dans  la  c&ne-f 
spondance  des  deux  rois  et  proposois  un  plan  coneiliatoire« 
seloo  lequel  Leopold  devoit  garder  le  dit  m^diocre  disiriet  ei 
c^der  par  encontre  un  territoire  plus  grauid  de  la  Gailioie  k 
la  r^publique  de  Pologne,  k  condition  que  eelle-ci  cöde  an 
roi  Ies  villes  de  Danzig  et  de  Tfaorn  avec  une  petite  lisi^e* 
he  roi  se  rendit  au  printems  de  1790  avec  la  jius  grande 
partie  de  son  armöe  en  Silesie  pour  appuyer  celte  n^goeia- 
tion,.ou  pour  donner  la  suite  k  sa  nouvelle  alliance  avec  Ies 
Turcs.    Je  suivis  le  roi  en  SiWsie  et  j'ouvris  Ies  conförencea 
de  paix  avec  Ies  deux  pl^nipotentiaires  Autrichiens  k  Rei*» 
eheöbach  pr^sdu  camp  du  röi  et  ainsi  k  Tombre  de  sonar«* 
m^e.  Je  tombois  et  fus  d'aeoord  avec  Ies  ministres  Autriehian^ 


dtf  oamte  de  UßtMeurg^  SV 

du  27«  Juin  jusqu'au  13.  de  JuiHet  sur  mon  plan  concUia« 
loire  susdit,  gelon  lequel  le  roi  awoit  «u  un  d^dofflinageBient 
eoävenable  de  ses  frais  immenfles  d'armeme&ty  auioii  arrondi 
et  consolid^  sa  monardne  par  l'acquisttion  de  Danzig  et  de 
Thom;  il  auroit  sauv^  les  Turcs  par  un  sacrifiee  trte  m6^ 
diocre,  il  auroit  jett4  une  bonne  base  d'harmonie  avec  TAu«* 
lliche  en  Joi  procurant  une  extension  de  seg  limites  peu  im** 
partanter  mats  n^cessaire  pour  sa  süret^/  il  auroit  procura  k 
h  Polo^ie  un  äquivalent  sextuple  pour  la  perte  de  Dauzig» 
ums  auroit  empöch^  ptnu*  jamais  la  nouvelle  et  seconde  r^- 
Yohition  en  Pologne,  d^^uctive  pour  la  PriMse;  on  «uroit 
fiiir  en  mdme  tems  la  paix  entre  la  Porte  et  la  Ruf  sie  par  la 
eession  d'Oeaaooff.  Enfin  en  auroit  doncili^  par  ce  projet  les 
intör^s  de  toutes  les  puissances  int^ress^es,  sans  humüier  TAu- 
triehe  pdr  u^e  re^titiition  eali^e  de  ses  eonquAtes.  Mais  tout 
eeia  efaangea  enh*e  le  12.  et  13«  Juillet  apr^s  rarrivte  du 
marqois  de  liuecbesini  et. des  deux  ministres  d'An^eterre  et 
de  Hollande.  Geux-^i  propos^rent  au  roi  le  status  quo  stricte 
Selon  lequel  les  deux  cours  imperiales  devoient  6tre  fore^s 
k  restitü^  tout«s  leurs  eonquMes  k  la  Porte  Ottomaane,  sans 
aueune  indemaisatioa  pour  la  Prusse,  et  le  matquis  deLuc^ 
diesiiti  soutenoit  qua  les  Polonois  ne  c^deroient  au  roi  lea 
i»Ues  de  Danzig  et  de  Tborn  pour  aucun  prix.  Je  r^fiitoia 
töutes  ces  objections  et'propositions  dans  une  Conference  que 
j'eus  avec  Je  roi  le  14-  de.  Juillet  k  Schönwalde  en  pr^sence 
du  duo  de  Brpnsvic  et  du  marquis  de  Lucehesini»  mais  le  roi 
insista'  sur  le  Status  quo  strict-^u'on  lui  avoit  fait  a^^r 
comme  plus  bonorable  et  plus  sür,  etm'obligea  k  le  proposer 
le  15.  de  JuiUet  sous  le  lerme  de  dix  jours  aux  pienipoten- 
liaires  Autrichiens..  11s  en  furent  p^trifle  par  la  honte,  qui  en 
f^ailiissoit  sur  Jeur  cour,  mais  celle-'ci  plus  accomnodante 
eAToy^  son  eonsenteffient  en  buit  jours,  et  c'est  lindesrns  qu« 
je  fus  Obligo  de  signer  le  27.  de  luillet  le  fameux  traitd  de 
Reicbenbaebf  par  lequel  la  cour  de  Yieane  fut  obltg^e  de  re-** 
slitiier  i  la  Porte  Ottomanne  toutes  ses  cQoqueieSr  Je  stin 
pillois  encore  de  a»on  chef  que  si  ette  pouvoU  obtenir  w^ore 
qpMbiaes  a^SAtages  de  la*  Porte,  eHe  en  donneroit  u»  iqui\a<^ 


28  Pricis  de  la  cmri^^  dipiomatique 

teilt  au  roi,  en  quoi  je  visois  an' dratriet  de  Holzenplotz  en 
Hauto^il^sie;  mais  on  se  relAcha  de  cette  condition  dans  la 
n^godation  de  ^zistowa,  quoique  la  cour  de  Vienne  arraefatt 
encore  k  la  Porte  deux  districts  en  Wallachie  et  en  Gröatie, 
et  pour  mi^nager  sa  pr^tendue  dignit^,  on  accorda  aussi  que 
le  trait^  de  Reichenbach  ne  seroit  pas  rappelig  ni  nommö 
dan«  le  trait*  de  paix  de  Szistowa,  quoiqu'ii  en  flit  hinique 
base.  Le  roi  a  6ti^  ainsi  raii)itre  de  T^quilibre  dans  Porietfl 
et  a  sauT(§  ia  Porte  Ottomanne  et  rexislence  des  Türcs  eii 
Eiirope,  uniquement  k  ses  risqae3  et  frais  immenses.  II  re«- 
Ron^  taoitement  k  racqui^ition  de  Daftzig  et  de  Thorft,  qu'on 
hii  avoit  repr^sent^e  comme  impossible  et  ihtitile,  quoiqu'elle 
soit  absohmient  necessaire  k  fa  monarcbie  Prtissienne  comme 
la  clef  de  la  mer  baltique,  de  la  Vistule  et  du  commerce  de 
laPoiogne,  ainsi  que  pour  combiner  la  Prusse  avec  le  corps 
d«f  r^tat  et  pour  que  la  possession  n'en  soit  pas  rendue  pr6- 
eaire  et  interrompue  dans  le  cas  d'une  guerre  atec  la  Su^«te 
et  la  Pologne.  On  fit  valoir  ia  diminution  tie  la  douane  de 
Fordon,  qu*il  auroit  fallu  accorder  aux  Polonois  pour  la  ces^ 
sion  de  Danzig»  comme  plus  importante  que  cette  vitle,  quoi-*- 
que  ce  ne  soit  qu'un  objet  mineur  fis-i-vis  de  la  possession 
d'une  ville  aussi  importante  par  les>  raisons,  que  je  viens  d'ai-^ 
l^guer.  On  me  rendit  d^sagr^able  et  odieux  aü  roi  par  \n 
pers6v6rance  avec  laqueile  je  soutins  mes  plans  par  patrio- 
tisme,  quoique  je  le  fisse  avec  soumission  et  que  j'aye  fait  ie 
trait6  de  Reichenbach,  k  la  v^rit^  avec  douleur  et  cotitre  me» 
principeSy  cependant  entiörement  selon  ses  rolont^s  et  d'une^ 
mani^re  si  honorable,  qu'il  m'en  t^moigna  "plusieurs  fois  son' 
parfait  contentenient  et  que  tout  le  monde  a  reconnu,  que  le 
roi  a  dict6  la  paix  k  la  fi^re  maison  d'Autriche,  et  que  par 
ses  suites  ii  a  aussi  obiig^  la  Russie  k  Ia  faire  ensuite,  etfl 
se  conlentant  de  la  cession  tr^Sr-m^diocre  du  district  d'Oe-^ 
zacoff.  Je  crois  donc  avoir  quelque  m^rite  envers  la  Prasse,-, 
d'avoir  augment6  sa  consid^ration,  qui  est  quelque  chose  de 
r^el,  en  soutenant  mon  plan  primordial,  en  propo9ai»t  «t>eir 
pousaant'  Fintervention  du  roi  dans  les  grandes  aMiires  duj 
nord  et  de  Torient  jusqu'i  une  heureuse  issue,  ^^i  tut  op4r^' 


piff  la  traitä  de  fteicbsnbacb,  quoique  le  roi  ak  faH  tens  bH 
^M>Tts  pour  des  puiasanees  ^rangferes,  gratuitaamit  et  gte6^ 
»eaaemeat,  uniquement  po«UF  la  aäretö  0t  h  bien  g^n^ral  da 
l'Europe»  sana  ionger  ä  aes  peopres  iikt6r6ts  et  k  aucwie  ia* 
den^isation  qu'il  pouvait  exiger  k  juato  titre  du  moias  de  la 
piärt  dea  Turcs* 

^  .  Oa  peut  trouyer  tonte  la  suite  de  ces  granda  (^v^nemoDs 
dÜtalU^e  et  justifi^e  dans  ie  troiaidme  vokime  de  raes  ^enta 
fHibiicSf  €pa^  j'ai  iait  iraprimei*  de  la  oieiSleure  foi,  mus  dont 
fe  F(H  yient  da .  tae  d^fendre  ia  publieatioft,  quoique  ia  aimpia 
iMStitra.  de  oet  owrriage  dcwve  bire  voir,  qu'il  ae  ooiitieDt  qu» 
la  8 wpjle  espos^  4es  fiaila»  et  neu  qui  puisae  eiioquer  dea 
piuSMoiaea  ou  dea  peiRsoDDea  queleouques,  ni  d^laire  ao  roi 
«u  nuite  k  ses  inl^r^tSi*) 

Quoique  j'aie  fait  le  traiM  de  Reicheobaeh  atrictemeAft 
aajön  lea  volonte  du  roi  avee  im  travail  immenge,  en  drea« 
aant  ea  m4me  tem$  daaa  ee  congr^a  toutea  les  r^naea  auK 
fih^cbea  de  noa  miuiatrea  ^aogera,  le  roi  commenga  k  mt 
ÜBUniffiket  de  la.froideiir  Qt  k  me  traiter  m^ine  duresient» 
tai^  pendioit  le  eougres  de  Beicbedbacb,  que  surtout  pehdaat 
Ie-s6jour  que.\noua  fimea  quelques  semainea  appte  k  Breslau.*^) 


r    < 


»)  Man  wird  sich  erinperD,  dass  dieser  dritte  Baod  der  Staats: 
§chriften,  dieses  Verbots  ungeachtet,  dennoch  bald  darauf  in  Ham- 
burg ohne  Angabe  des  Dfückorts  in  einem  genauen  Nachdrucke 
erschien.  Ob  Hertzberg  einen  entfernten  Antheil  daran  gehabt  hat, 
weiss  ich  nicht,  nur  das  kann  ich  anfuhren,  dass  er  mir  ins  Ge* 
beim  ein  .Bxanaplar  dasron  aum  Geschauk  macbte.  BrmiD.    < 

.  **)  Hertzberg  er;&äklte  mir.  einst  ia  einer  traulieben  Uoterra.- 
dung,  dass  der  König  gleich  nach  dem  Abschlüsse  der  Reicheuba^ 
eher  Convention  ihn  zu  sich  berufen  und  beim  Eintritt  in  sein  Zim  - 
mer  zu  "ihm  gesagt  habe:  „Ich  wünsche  Ihnen  Glück  zu  Ihrem 
vierten  glüeklidi  vollendeten  Friedensschlüsse*  Er  habe  darauf  ge^ 
a9tw<»1et:  „Nk)ht  mir,  sondern  ledigüob  £w.  Miifastat  komm!  dwaan 
Glückwunsch  zu;  denn  ich  habe  diesen  Friedenstractat  nor  auf  Ib* 
ren  ausdrücklichen  Befehl,  ganz  gegen  meinen  Willen  abgeschlos- 
sen/^ Der  König  habe  ihn  hierauf  bald  wieder  mit  anscheinendem 
Unionen  entlassen.  Brunn. 

Auf  dieses  Gespräch  deutet  Hertzberg  selbst  hin  in  seinem  He< 
cueil  Tbl  01.  S.  XXIIL  in  der  Anmerkung.  ..  '     - 


80  PrM9  de^la  cartiäre  diplof^atique 

Ofi  me  n^gligea  et  me  cacha  tont  oe  qu^ön  put,  surtwt 
ce  qui  se  faisoit  avee  les  Fran^ois  et  en  Pologne.  Sans-  me 
laisser  abattre  per  ies  d^sagr^mens  journaKers  que  j'eiis  k 
e»iuyer,  je  coiitinuai  Texp^tion  de  toutes  Ies  d^p6cbes,  je 
cooBeUfaii  au  roi  de  s'opposer  k  ia  seeonde  Evolution  de  ia 
Pologne  et  T^lection  h^r^ditaire  d'un  roi,  ce  que  S.  M.  l0 
roi  approuva  aussi  alors.  Je  d^tournai  par  de  forte»  reprö- 
sentations  le  projet  que  F^lectenr  de  Mayence  proposa,  dt^ 
faire  61ire  d^8-Iors  Tarcbiduc  Fran^ois  pour  roi  des  Romaiifee 
en  m^me  tems  que  son  p^re  Leopold  fut  tin  emp^^ttr,  ce 
qui  auroit  rendu  Tempire  h^r^ditmre  k  Ia  maison  d'Au^he» 
pour  an  demi  si^cle.  J'entamai  surtout  une  n^oeiation  avec 
Ies  oours  d'Angleterre  et  de  Suede  pour  assorer  au  roi  TaS'i* 
sistance  de  TAngleterre  et  de  Ia  Su^de  dans  Je  dessein  qu'ii 
ätoit  confu  ayec  ses  alii^s^  de  forcer  Ia  cour  de  Bussie  k 
faire  aussi  Ia  paix  avec  Ia  Porte  sur  le  pied  du  status  quot; 
quoique  j'eusse  repr^ent^  au  rot  dans  Ies  n^ociations  4b 
Reiohenbach,  que  cette  entreprise  seroit  träs  diffidle  et  cou«« 
teuse,  dhs  qu'on  n'ayoit  (n'auroit?)  pas  fait  Ia  paix  entre  k 
Rttssie  et  Ia  Porte  k  Toccasion  et  dans  le  traitii  de  RdcbeabMb» 
ce  qui  £toit  possible  et  facile.selon  nion  plan  coacilia!to(ire)  inais 
non  pas  selon  celui  du  Status  quo  strict.  Getto  n^gociation 
devint  inutile,  avec  le  roi  de  Su^de  k  cause  de  ses  pr^ten- 
tions  trop  fortes,  et  m^me  avec  rAi\gleterre  au  mois  de  Mars 
I791y  oü  le  Sr.  Pitt  proposa  au  parlement  Tenvoi  d'une  flotte 
dans  Ia  Baltique,  niais  (?)  ce  qui  fut  empdcb^  par  Ia  trop  forte 
oppoutioii  de  Ia  DatkHi  et  obligea  ia  Prusse  et  Ies  deux  pois*« 
sances  maritimes,  de  renoncer  aux  mesures  vigoureuses  cöntre 
Ia  Russie,  d'envoyer  le  Sr.  Fawkener  k  Petersbourg  et  y  faire 
conclure  Ies  pr^liminaires  tres  mödiocres,  qui  firent  ensuite 
Ia  base  du  traitö  de  paix  eatre  Ia  Russie  et  Ia  Porte  Otto« 
manne,  sans  Tinterventiofi  des  alli^s.  Cette  n^gociation  aurait 
raieux  tourn^,  si  on  n'avoit  pas  contrecarr^  et  r^roqu^  un 
memoire,  que  j*envoyais  au  commencement  de  Mars  ^Londres. 
Ce  fut  dans  ce  mois,  oü  Mr.  de  B.*)  reyint  de  Yienne^ 


*)  Bischofswerder.  Brunn. 


dv  oomte  de  fferi^betg.  St 

et  dati6  le  mois  d'Avrä  ftuivanft,  qu'il  ftit  rtsolu  de  me  faire 
aoitir  du  minist^re  des  affains  ^trang^res.  Le  roi  notüa  k 
aen  oiinist^re  par  hd  ordre  du  1.  de  Mai  1791  qu'il  mroit 
i^sohi,  parceque  le  c^nle  de  Fiek  se  Caiaoit  Wem  et  que 
j'^tois  maladif  (ce  qni  n'est  pourtant  pas  fendA),  de  plaoer  Iß 
eomte  de  SebHle&boiirg*)  et  Mr.  d'Aivensieben  dans  le  d4« 
{tartemenl  comme  ministres,  poar  former  un  conseä,  mus* 
^'auüim  ministre  ne  devmt  entreteiiir  une  ocNTreapondimce 
pmrtiiaB^re  avec  les  ministres  du  roi  dans  l'^tranger.  QaoH* 
^16  je  seotpis  bien,  que  eela  ^it  uniquemeot  dirigi  coiitfe 
noi,  je  Bie  souHiis  pourtairt  aox  yolontte  du  roi.  Je  pasaai 
eQoere  deux  semaines  aiec  les  trois  miniitres  dana  les  con-» 
(ferenoei  öidinairesy  et  j'eiis  mtme  dans  cet  iBterralle  nne 
ecoatsion  de  faire  adopfcer  au  roi  mon  sentiaient  pour  un  ob-» 
jetimportank  de  la  u^goeiaftiou  de  Szistowa  con^e  celui  des 
Irojr 'amtres  minislres;  mais  je  m'apper^us  bient6t  qu*on  eora- 
iH&iifCMt  i  nie  eaeber  ies  n^gooiatioiis  impoptantes  et  surtoul 
qn'on  avoit  pris  uu  arran^enent  secret^  pour  que  je  i\e  viase 
^us  les  d6pAcbe8  de  dos  ibinistres  k  Yienne,  k  Szistowa^  k 
Varäovie,  et  k  Petosbourg,  pour  me  d^rober  ia  eonnoissaftee 
des  u^goeii^oDs,  qu'on  entretenoit  arec  Ia  eour  de  Yienne. 
J'^^  demandcSis  une  ei^lication  aux  trois  ministves,  qui  me 
döelar^ent  que  c'^it  par  «i  ordre  partieulier  du  roi.  YoyBnl 
deno  par  ee  proc^d^  singoiier,  que  j'avois  perdu  sarconfianee 
et  que  je  ne  pourois  plus  servir  aree  bouneur,  je  tui  deman-« 
dai  men  oong^  absdu.  Sur  quoi  je  re^us  Ia  r^ponse  ci-jointe« 
gracieuse  en  appareoce/*}  dans  laquelle  il  ne  voulut  pas  s'ex- 


*)  Kehnfert.  Brunn. 

**)  Tranqailljsez.vous.  J'ai  eu  mes  raisons,  pour  donnerli  mes 
rau^stres,  Vos  coü^gaes,  les  ordres  dont  Vous  Vous  plaignez  dane 
¥otre  leUre  ()e  ce  mois.  Je  n'ai,  soyez  en  persaad^,  absohimeni 
timi  contra  Votre  z^le  et  Votre  patriotisnie.  Vous  en  avez  detin^ 
tarop  de  preoves  pour  pouvoir  en  douter  un  instant  Une  des  prin- 
eipales  raisons,  qui  m'a  engag^  k  donner  )es  ordres,  dont  il  est  que- 
süon,  est,  de  Vous  soulager  du  travaü  fatiguant,  dont  Vous  Ü\e^ 
charg6,  et  mon  dessein  n'a  jamais  ^t^  de  Vous  Met  Vos  ehai^tfs  et 
empUm^  aussi  pau  que  Vos  appointemens,  et  cela  par  une  suite 


SS  PrMs  de  la  ctwriere^tlifßlowlkatique 

pUqüer  sur  la  v^ritable  raison  du  ckaiigeinent,  maii  all^a 
fteutement  que  c'^it  par  cerlaiiies  raitbns  el  pcNir  me  soih 
iager  du  trop  grand  fardeau  dont  jo  m'^Aois  cbarg^»  que  je 
deyoii^  pourtant-  pirder  mes  eraploiA  «t  ams  appoinlemeiM,  et 
que  je  pouvois  m'ocouper  de  la  directiön  de  Taeadiftniie  et  de 
la  cuiture  de  ia  soie  nationale,  aUisi  que  du  dessein  d'^cnire 
1'bistoire  de  Frtd^ric  II.  Je  r^pandts  au  roi  que,  an  vojrant 
ainai  exciu  sans  raison  de  sa  cönfiance  ei  de  k.  pavtie  es«» 
senttelle  du  d^pertement  auquel  j'arois^pr^sid^  avec  hönneof 
et'suec^s  depuis  trente  k  quarante  ans,  je  le  priai  de  m^ 
dispenser  eiiti^reinent  des  afiaires  ^trang^s  et  des  appoin^ 
lernen»  de  dnq  Hiiile  ^cus  que  j'aiois  eu  jmqu'iei ,  qoe  je 
n'aTois  pas  de  grands  biens,  mais  aussi  pasde  gränds besokis^ 
que  je  iie  touIois  pas  dtre  piensiottnaire,  mais  que  je  «onti«* 
nuerbis  gratis  la  directiön  de  Tacadteie  et  de  la  som  nationale^ 
et  que  j'^crirois  rhistoire  de  Fr^dMc  II.  que  j'aveis  tenjears 
regard6  comme  un  ouYrage  de  ma  seule  oomp^tebce  et  le 
plus  utile  que  je  pourrois  faire  pour  la  nation  et  pour  TÜu«* 
Hianit^,  k  cause  des  grands  exemples  qu'elk  foumktiit^  el 
que  j'^tois  peut-^tre  le  seul  en  ^at  d'^rnu  cetta  hialoire 
d'une  maniöre  v^ritablement  pragmatiquey  et  avec  toufos  les 
pi^ces  justificatives,  mais  que  je  priois  en  m^me  teois  le  roi 
instamment  de  s'expliquer  avec  moi  et  de  me  dire  une  rm** 
son  quelconque,  par  laquelle  j'avQis  perdu  sa  cönfiance  et 
encouru  sa  disgraee,  apr^  avoir  senri  T^t  pendant  qual^ 
rante-o  fiept  ans  aveczäle,  honneur  et  sucees,  et  aprte  avinfr 


de  Tamilie  et  de  la  consideration  que  je  Vous  porte*    SoyQz  donc 
en  repos  lä-dessus  et  tr^s  assur^  que  je  prie  Dieu  etc. 
De  la  main  propre  du  roi: 

Je  verrai  aussi  avec  plaisir,  que  Vous  contitiuez  la  ourat^le  de 
tacad^mie,  ainsi  que  la  directiön  de  la  colture  de  la  soie  du  päf«: 
eomme  je  n'ignore  pa^  «que  Voas  Vous  proposez  d'^rira  l'hialoM 
du  feu  roi,  je  verrai  avec  plaisir  que  Vous  y  employez  vos  beurear 
de  loisir,  et  je  donnerai  les  ordres  n^cessaires  aux  archives ,  que 
Ton  Vous  doone  les  pi^ces  n^cessaires  pour  cette  interessante  hi«- 
stoire.  Tenez  Vous  toujours  assur6  de  ma  parfaite  estime  et  MBiMi 
A  Gbarlottanbourg  le  5.  de  Juillet  1791. 

Fr^dt  GutUsaime^.i » 


du  comte  de  Heri%berg.  83 

it^  personnellement  attach^  k  lui  et  k  son  grand  pr£cl6ces* 
seur,  non  comrae  un  sujet  mais  comme  un  parent,  qui  tenoit 
a  r6tat  eomme  k  son  patrimoine  et  pour  sa  vie.  Je  n'ai  ja- 
mais  pu  obtenir  lä-dessus  aucune  explication  ni  r^ponse  ^crite^ 
ni  aucun  acc^s  aupres  de  sa  personne,  mais  il  m'a  toujours 
r^pondu,  qu'il  n'etoit  pas  indispos6  contre  moi,  qu'il  n'avoit 
rien  contre  mon  zele  et  contre  mon  patriotisme.  II  faut  donc 
que  ce  soit  contre  mon  habilet^  et  contre  ma  discr^tion,  dont 
Fr^d^rie  II.,  assez  s^v^re,  ne  s'est  pourtant  jamais  plaint.  Je 
sais  tont^s  les  imputations,  qui  sont  calomnieuses  et  je  les 
pourroLs  ais^ent  n^futer,  si  on  vouloit  seulement  m'^couter  et 
en  yenir  k  une  explication  qu'on  6vite  avec  obstination.  Le 
roi  ne  m'a  pas  parl6  depuis  la  susdite  6poque  du  cinq  de 
JuiUi&t,  il  m'a  fait  inviter  quelques  fois  k  diner  pendant  le  si* 
Jöur  de  la  .princesse  d'Orange,  mais  point  du  tout  pendant  cet 
hiver,  que  (?)  <leux  fois  aux  soupers,  auxquels  je  n'assiste  pas. 
II  m'a  donc.trait^  et  me  regarde  avec  un  froid  gla^ant,  qui 
f»e  fait  regarder  par  toute  la  ville  comme  un  ministre  dis- 
^graciä  et  m'exclu):  presque  des  cours  et  des  soci6t6s  de  la 
viUe.  Je  pourrois  envisager  tout  cela  en  pbilosophe  et  ayec 
indtff6rence,  abandonner  ma  chötive  pension  et  les  petits  liens, 
par  lesquels  je  tiens  encore  k  T^tat  par  l'acad^mie  et  la  cul- 
iure  de  la  soie  nationale  et  me  reti)*'er  dans  ma  cbaumiöre. 
Je  le  ferai  aussi  peut-Atre  bient6t,  mais  je  le  differe  encore 
parceque  je  tiens  encore  trop  k  cette  histoire  de  Fr^d^ric  II., 
que  je  regarde  comme  un  objet  utile  et  n^cessaire,  tant  pour 
le  public  et  la  post^rit^,  que  pour  mon  existence  et  pour 
mon  occupation  pendant  le  reste  de  ma  vie,  et  que  je  re- 
garde les  liaisons  susdites  encore  n^cessaires  pour  parrenir 
ä  ce  but,  et  parcequ'on  m'a  fait  m^me  entendre,  que  si  je 
refusois  absolument  Ja  pension,  oh  ne  me  permettroit  plus 
l'usage  des  archives  pour  Thistoire  de  Fr^d^rio  II.,  parcequ'on 
croit,  que  c'est  un  besoin  pour  moi  et  qu'on  envisage  comme 
d^hoQorant  pour  le  roi,  s'il  me  laisse  aller  sans  pension. 
Gependant  comme  on  vient  de  me  d^fendre  la  publication  du 
troisi^me  volume  de  mes  Berits  publics,  qui  ne  contient  sdre-^ 
ment  rien  de  dioquant  pour  personne,  comme  on  m'a  pres* 

Zeitaclirift  f.  Ge«chichic]it«w.  I.  1844.  3 


34  Pricis  de  la  carri^e  diplomatique 

crit  des  bomes  fort  ^troites  pour  Thistoire  de  Fröd^ric  IL,  en 
ordonnant  que  je  dois  demander  chaque  pi^co  au  ministäre, 
ce  qui  est  impossible,  et  que  je  ne  dois  plus  avoir  accäs  aux 
archives,  que  j'ai  cr66  et  mis  en  ordre,  que  j'ai  pendant  trente 
ans  soud  ma  garde  imm^diate,  et  oü  presque  tous  les  trait^s 
et  d^p^che«  du  rfegne  präsent  et  pr^c^dent  sont  Touvrage  de 
ma  t6te  et  de  ma  main,  et  par  cons^quent  ma  propri^te, 
dont  on  me  d^fend  le  libre  usage  d'une  mani^re  inouie,  je 
n'aurai  plus  rien  k  m^nager,  je  serai  foreö  de  prendre  les 
partis  extremes,  de  renoncer  k  toute  autre  liaison  que  ceiie 
de  r^gnicole,  et  de  transmettre  k  la  post^rit^  les  y^ritables 
causes  de  ma  disgrdce  inouie,  que  je  sais  fort  bien  et  que  je 
peux  mftme  prouver.  Le  rpi  ne  veut  pas  me  les  dire.  U  me 
r^pond  toujours,  qu*il  n'avoit  rien  contre  mon  zfele  et  contre 
mon  patriotisme,  mais  qu'il  Youloit  m6nager  ma  sant^  (ce 
dont  je»n'ai  pas  besoin),  et  qu'il  avoit  des  raisons  pour  faire 
ce  changement  dans  le  minist^re,  pour  en  rendre  la  marche 
plus  exacte  et  plus  mesur^e  (ce  qui  est  justement  le  con- 
traire  dans  la  Situation  pass6e  et  präsente),  et  qu'il  avoit  des 
raisons,  qu'il  ne  trouve  pas  k  propos  de  me  dire,  pour  m'ex- 
clure  de  sa  conGance  du  secret  des  affaires  6trang^res,  dont 
j'ai  61^  le  d6positaire  pendant  un  demi  siöcle.  U  faut  qu'il 
ait  des  raisons  plus  fortes,  pour  traiter  ainsi  un  ministre,  qui 
a  servi  T^tat  dans  une  si  longue  öpoque  avec  la  pleine  con<- 
fiance  de  deux  souverains,  avec  le  suffrage  de  la  nation,  avec 
un  z^le  et  un  succes  marquö,  qui  leur  a  fait  presque  seul  et 
sans  aueun  secours  ^tranger,  k  ses  frais  (n'ayant  jamais  ob* 
tenu  ni  demande  aucun  extraordinaire  (?)  pour  tous  ses  yoyages 
de  n^gociations  et  d'bommage),  buit  trait^s  de  paix  solennels 
(ce  qu'aucun  autre  ministre  n'a  encore  jamais  fait),  des  cen* 
taines  de  d^ductions  g^n^ralement  applaudies  et  de  (deux?)  cent 
mille  däp^ches,  qü'on  peut  soumettre  k  la  censure  la  plus  s^io^re 
de  tout  oonnaisseur  et  homme  d'^tat.  II  faut  des  raisons  bieil 
fortes,  pour  qu'un  souverain  bon,  juste  et  vertueux  prenne 
la  r^soluUon  de  forcer  k  la  retraite  et  de  disgracier  avec  tei 
6clat  un  ministre,  qui  a  ces  titres  par-devers  lui.  J'ai  sou- 
vent  examine  ma  conscience,  si  j'ai  quelque  chose  k  me  re- 


du  comte  de  Berhberg.  35 

proeber,  mais  je  n'en  tronve  pas  le  moindre  sujet  Je  me 
propose  encore  de  m'accuser  moi-m^me  enTers  le  roi  siir 
des  suppositions  possibles  et  de  m'en  justifier.  Je  verrai  alors 
si  on  Youdra  me  r^pondre  et  m'objecter  quelque  chose. 

Je  suis  moralemcnt  persuad6  quH  n'y  a  pas  d'antre  rai- 
son de  ma  disgr^ce,  que  celle:  qu'ön  a  fait  croire  au  roi, 
que  pouf  jouir  d'un  gouvernement  heureux  et  tranquille  il 
n'y  a?oit  pas  d'autre  moyen,  que  celui  d'abandoimer  Tancien 
Systeme  vigoureux  de  la.  maison  de  Brandenbourg,  et  de  s'al- 
lier  ^troitement  aveö  la  cour  de  Vienne,  et  que  pour  cet  ef- 
fet  il  6toit  n^cessaire  d'^carter  un  ministre,  qu'on  croit  trop 
attach^  k  l^'ancien  Systeme,  trop  actif  et  trop  vigoureux  (ce 
qu'on  appelle  turbulent),  qüe  la  cour  de  Vienne  regarde  comme 
8on  ennemi  aeharn^,  et  qui  restant  dans  le  ministire  pour- 
roit  contrecarrer  le  nouveau  Systeme.  Outre  l'induction  qu'on 
peut  tirer  de  ce  qui  s'est  pass6  jusquici,  j'en  ai  une  prcure 
assez  forte  en  mains,  qtte  selon  une  d^p^cbe  du  ministre  An- 
giois  Elgin,*)  le  roi  Leopold  lui  a.dit  k  Florence  et  k  Cre- 
mono  en  propres  termes,  que  depuis  que  le  comte  de  Hertz- 
berg  aYoit  6t^  mis  en  elFet  de  cöt6,  et  que  son  dernier  me- 
moire d^sagr^able  k  la  cour  de  Yienne  pour  la  pacification 
de  Szistowa  aroit  6t6  annuU6,  il  etoit  content  et  pourroit 

*)  Extrait  d'une  des  d^p^ches  du  comte  d'Elgia  ii  sa  cour, 
dat^e  k  Yenise  le  25.  Mai  1791:  L'empereur,  loin  de  dösavouer  la 
declaration  de  son  ministre  k  Mr.  Strattow,  et  de  me  r^peter  ce 
quil  m'avoit  dit  ä  Florence,  r^pliqua,  que  la  Situation  des  affaires 
pr^sentTiit  ast^re  .{k  c^tte  heure?)  un  aspect  tout  diff^rent;  que 
Mr.  de  Hertzberg  avoit  616  en  effet  mis  de  cÄt6,  et  que  Toffice 
envoye  par  ce  ministre  relativement  au  congr^s  de  Sistova,  et 
present^  par  Mr.  de  Jacobi  ä  Vienne  le  30.  d'Avril,  avok  6t6  dans 
le  fond  annulle;  que  S.  M.  le  roi  de  Prusse  avoit  6crit  en  Tur- 
quie  de  la  mani^re  la  plus  conciliatoire;  que  lui  (empereur)  con- 
cevoit'  qu'on  ponvoit  engager  sans  difficaltö  la  Porte  A  acquies- 
cer  ä  i'arrangement  propos6  par  le  comte  Gobenzl;  qu'il  ne  dou- 
toit  pas  de  pouvoir  obtenir  ia  prolongaticm  de  l'armistice;  comme 
aussi  il  ne  pouvoit  pas  exister  des  craintes  sur  le  recommence- 
ment  des  hostilites,  et  qu'enfin  il  ne  pouvoit  pas  penser  ä  terminer 
ses  n^gociations  pendant  que  toutes  les  autres  ötoient  encore  en 
suspens*    7,J'en  serois  seul,  dit-ü,  la  dupe.'^ 

3* 


36    Pricis  de  la  carri^e  diplom,  du  comte  de  Hertsberg. 

entrer  dans  les  vues  des  alli6s,  Ges  propos  remarquables  sup- 
posent  donc  un  concert  pr6c6dent  ä  T^gard  du  comte  de 
Hertzberg  et  ne  laissent  point  de  doute,  que  ce  ministre  a 
^t^  sacrifi^  au  nouveau  Systeme,  et  que  les  deux  plus  grands 
monarques  de  TEurope  lui  ont  fait  Thonneur  de  convenir 
entre  eux  pour  T^carter  de  leurs  affaires.  Si  cela  est,  comme 
il  n'en  faut  pas  douter,  il  faut  bien  qu'un  pauvre  gentiihomme 
Pom^ranien  se  resigne  k  son  sort  et  se  retire  de  bonne  gräce; 
mais  ii  pourroit  exiger,  qu'il  soit  trait6  autrement^  qu'il  ne 
soit  pas  renvoy^  avec  in6pris  par  deux  souverains,  qui  Tont 
autrefois  honorö  de  leur  estime,  comme  le  comte  de  Luc- 
chesini  Ta  t6moign6  de  la  part  du  grand-'duc  Leopold  au 
comte  de  Hertzberg,  et  du  moins  on  ne  peut  pas  trouver  ä 
redire^  que  je  g^misse  d'un  Systeme  qui  doit  absolument  de- 
venir  destnictif  tot  ou  tard  pour  la  patrie  et  pour  les  v^ri- 
tables  intör^ts  de  la  maison  de  Brandenbourg,  qui  par  la  po- 
sition  locale  des  deux  ^tats  ne  peuvent  jamais  6tre  ccHicili^s 
.avec  ceux  de  la  maison  d' Antriebe ,  mais  qui  n'exigent  pas 
toujours  une  guerre,  mais  seulement  une  attention  suivie  pour 
s'^clairer  mutuellement,  et  pour  entretenir  par  ces  meyens 
le  y^ritable  patriotisme  des  deux  partis  pour  lebonheur  et 
la  tranquillit^  de  l'empire  Germanique,  ainst  que  de  toute 
TEurope.  Je  crois  que  j'aurois  jett^  la  base  d'un  Systeme 
aussi  grand  et  aussi  digne  de  deux  grandes  maisons,  si  on 
avoit  admis  mon  plan  conciliatoire  au  congr^s  de  Reichen- 
bach, lequel  ^pargnoit  h  la  cour  de  Yienne  une  grande  hu- 
miliation,  lui  assuroit  ses  fronti^res,  en  fajsoit  autant  k  la 
Prusse  et  la  tiroit  de  son  ^tat  pr^caire,  qui  coneilioit  enfin 
les  TÖritables  int^r^ts  de  toutes  les  puissances  du  nord  et  de 
Forient  de  TEurope  et  leur  assuroit  une  position  et  des  li- 
mites  naturelles,  qui  auroient  6cart6  pour  long-tems  tout  sujet 

4 

de  collision.  Sed  non  erat  in  fatis!  Le  monde  n'a  pas  du 
jouir  de  ce  bonheur,  et  un  homme  d'^tat,  trop  honnAte,  trop 
philosophe  et  patriote,  a  du  6tre  puni  par  la  plus  forte  hu- 
miliation  d'avoir  voulu  procurer  trop  de  bien  k  Thumanit^, 
d'avoir  trop  pr6sum6  de  son  z^le,  et  d'avoir  trop  n6glig6  les 
voies  de  la  politique  ordinaires. 


Der  Verfall  der  TolksrechAe  In  Rom  unter 

den  ersten  Kaisern« 


In  den  blühenden  Zeiten  der  Republik  waren  die  Patricier 
durch  die  Gurien»  die- Plebejer  durch  die  Tribus,  die  Gesammt- 
heit  Beider  durch  die  Genturien  vertreten;  und  diese  drei- 
fache Repräsentation  des  römischen  Yolkes  stellte  die  Grund- 
lage des  Staates,  die  constitüirende  Gewalt  desselben  dar« 
Doch  welcher  ümsehwung  war  seitdem  geschehen!  Die  be- 
sten Lebenskeime  hatte  der  Wandel  der  Zeit  und  der  Bege- 
benheiten erstickt;  freilich  nach  den  Gesetzen  jener  Noth- 
wendigkeit,  mit  der  das  geschichtliche  Leben  überhaupt  zu 
immer  neuien  und  neuen  Gestaltungen  hindrängt. 

Die  Guriatcömitien  waren  in  demselben  Maasse  ver- 
kommen wie  das  Patricia!  Zu  Gicero's  Zeit  und  als  die  Mo- 
narchie sich  anbahnte  9  waren  sie  dem  Wesen  nach  längst 
verschwunden  und  durch  die  geringe  Zahl  der  Patricier  schon 
an  sich  zur  Unmöglichkeit  geworden.  Zwar  blieb  ihr  Name 
noch  als  ein  lebloses  Schattenbild  bestehen,  einmal  in  An- 
wendung auf  die  öffentlichen  Wahlauspicien^]  und  auf  die 
formelle  Verleihung  der  Amtsgewalt,')  andrerseits  in  Rück- 
sicht auf  die  privatrechtlichen  Adoptionen  oder  Arrogationen;  *) 
doch  wurden  bei  diesen  Formalitäten  die  Comitien  nur  noch 


1)  Cic.  adv.  RulL  U.  11.  cf.  Dien.  II.  6. 

2)  Dio  39, 19.  41,  43.  53,  32.  Cic.  adv.  Rull.  IL  10.  ad  fara.  I.  9,  25. 
Gell.  XIII.  15.  Gaj.  I.  5.  fr.  1.  D.  de  const.  princ.  1,  4.  c.  1.  §.  7.  C.  de 
vel.  jur.  enucl.  1,  17. 

3)  App.  b.  civ.  m.  14.  94.  Dio  ^,  5.  Suet.  Oct.  65.  Tac.  HisLI.  15. 


38  Der  Verfall  der  Volksrechte  in  Rom 

durch  die  Yersammlung  der  Pontifices  und  der  Auguren/) 
und  die  30  Curien  durch  30  Lictoren  vertreten.*)  Von  sol- 
chen Ycrsammlungen  ging  also  auch  nach  der  Gründung  des 
Principates  im  Namen  der  erloschenen  Curien  das  Königs- 
gesetz (lex  regia)  als  Guriatgesetz  über  die  Amtsgewalt  (lex 
curiata  de  imperio)  aus,  d.  i.  die  formelle  Einweisung  in  die 
vom  Senate  verliehenen  kaiserlichen  Titel  und  Rechte,  von 
der  das  Bruchstück  der  lex  de  imperio  Yespasiani  noch  jetzt 
eine  unmittelbare  Anschauung  gewährt. 

Die  Tribut-  und  die  Genturiatcomitien  bestanden  da- 
gegen noch  factisch.  Im  6ten  Jahrhundert  der  Republik,  um 
534,')  war  eine  Verschmelzung  Beider  zu  einer  einzigen  Na- 
tionalversammlung versucht  worden,  indem  man  die  Gentu- 
riatcomitien im  populären  Sinne  reformirte.  Biii  zu  dieser 
Zeit  nämlich  hatte  in  denselben,  der  Absicht  ihres.  Gründers 
des  Servius  Tullius  gemäss,  die  Aristokratie  des  Geldes  ein 
entschiedenes  Uebergewicht,  insofern  die  Genturien  der  er- 
sten Klasse  mit  denen  der  Ritter  allein  schon  die  Stminen- 
majorität  ausmachten;  jene  Reform  aber  gab  ihn^,  weil  sie 
die  Genturien  mit  den  Tribus  verband  und  diesen  unterord- 
nete, eine  mehr  demokratische  Geslalt,^)^  welche  «ie' auefa 
bis  in  die  Kaiserzeit  hinein  beibehielten.  Danach  stinnnten 
nunmehr  die  Genturiatcomitien  ebenfalls  niaidi  Tribiis,*) 
deren  es  seitdem  unverändert  35  gab,  so  dass  IB  l^immen 
gegen  17  entschieden.  Diese  35  Gesammtstimmen  zerfielen 
aber,  wie  es  in  der  That  scheint,  in  350  Golbctivstimmeii, 
da  innerhalb  jeder  Tribus  die  alten  Unterscheidungen  nach 
Alter  und  Vermögen  im  Gegensatz  zu  den  Tributcomitien  auf-» 
rechterhalten  wurden  und  die  Abstimmung  gleichwie  in  d^ 


1)  Gfc.  ad  Alt.  IV.  18.  VIU.  3.  pro  domo  14.  Gell.  V.  19.  XV.  27. 
Tac.  1.  c.  Si  te  privatus  lege  curiata  apud  pontifices  ut  moris 
est  adoptarem. 

2)  Cic.  adv.  Rull.  II.  12. 

3)  Vergl.  Götlling  R.  Slaalsverf.  S.  381  ff. 

4)  Dionys.  IV.  21. 

5)  Liv.  29,  37.  Epit.  49.  Polyb.  VI.  14  (12);  Cic.  pro  Plane.. 2a 
adv.  Rull.  II.  2.   Suet.  Gas.  41.  80.  Oct.  56. 


unier  den  ersten  Kaisem.  39 

alten  Genturiatcomitien  centurienweise  geschalt  In  jeder  Tri« 
hus  nämiich  stimmten  die  Aelteren  und  die  Jüngeren  (Senio« 
res  und  Juniores)  gesondert,  und  zwar  beide  Theile  je  in  6 
Klassen/]  so  dass  jede  Tribus  10  Genturien,  alle  35  mithia 
350  Genturien  oder  Theilstimmen  enthielten. 

Das  Alter  war  demnach,  gleichwie  in  der  alten  Centu-^ 
riatverfassung,  durch  dieselbe  Stimmenzahl  vertreten  wie  die 
Jüngeren,  nämlich  durch  5  in  jeder  Tribus,  durch  175  im 
Ganzen.  Das  Vermögen  dagegen  hatte  nicht  mehr  wie  in  je- 
ner das  Ueberge wicht,  weil  jede  der  5  Klassen  eine  gleiche 
Stimmenzahl,  naiplich  in  jeder  Tribus  2  und  im  Ganzen  70 
aufzuweisen  hatte  d.  i.  35  der  Aelteren  und  35  der  Jüngeren.*) 
Auch  verloren  die  Ritter  ihre  ehemalige  selbststandige  Stel-. 
\\m%y  iodem  sie  nicht  mehr  in  18  besonderen  Genturien,  son- 
dern allem  Anscbein  nach,  ja  ohne  allen  Zweifel,  in  denen 
der  ersten  Klasse  der  verschiedenen  Tribus  stimmten,^)  so 
dass  die  Stimmen  der  ersten  Klasse,  die  Ritter  miteingerech- 
net, von  98  auf  70  zurückgeführt  waren  und  nicht  mehr  97 
Stimmen  gegenüber  hatten  wie  sonst,  sondern  ^80,  oder  f  der 
Gesammtstimme  in  jeder  Tribus.  Andrerseits  stimmten  auch 
die  Gapite.  censi  und  die  Proletarier  nicht  mehr  abgesondert, 
sondern  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  mit  der  5ten  Klasse.') 

Die  Ordnung  war  sicher  folgende.  Zuerst  stimmte  die 
aus-  den  ländlichen  Tribus  erlooste  centuria  praerogativa,*) 
die»  da  die  Genturien  klassenweise  berufen  wurden,  natürlich 
stets  der  ersten  Klasse  angehörte,  so  dass  nur  62  Loose  da- 
bei erforderlich  waren,  je  31  für  die  Genturien  der  Aelteren 
und  der  Jüngeren  der.  ersten  Klasse  der  31  ländlichen  Tri- 
bus.  Die  centuria  praerogativa  Aniensis  juniorum '}  bezeich- 

1)  Cic.  pr.  Flacc  7.  Sali,  de  rep.  ord.  U.  8.,  wo  ausdrücklich 
5  Klassen  erwähnt  werden;  bell  Jug.  86.  Cic.  Phil.  II.  33.  Liv.  43, 
16.  cf.  Val.  Max.  VI.  5,  3.  Aur.  Vict.  57, 

2)  Liv.  I,  43. 

3)  Dafür  spricht  auch  wohl  Liv.  29,  37.  imd  43,  16.  im  Ver- 
gleich mit  Val.  Max.  VI.  5, 3.  u.  Aur.  Vict.  57.  s.  GötlUng  S.  385.  390  f. 

4)  S.  Göltling  S.  183. 

5)  Cic.  pr.  Plane.  20.   Fest.  p.  214. 

6)  Liv.  24,  7  (vom  J.  539).  cf.  26,  22.   27,  6. 


40  Der  Verfall  der  Volksrechte  in  Rom 

net  also  z.  B.  die  Genturie  der  ersten  Klasse  der  Jüngeren 
aus  der  Aniensichen  Tribus.  Das  Votum  oder  Suffragiuin  der 
centuria  praerogativa  wurde  den  übrigen  349  Genturien  die 
noch  zu  stimmen  hatten  *]  bekannt  gemacht.  Dann  wurde  die 
erste  Klasse  aller  Tribus,  also  69  Genturien  mit  Abzug  der 
praerogativa,  zu  gleichzeitiger  Abstimmung  berufen;  hierauf 
die  70  Genturien  der  zweiten  Klasse  aller  Tribus;  dann  die 
70  der  Sten,  der  4ten  und  der  5ten  Klasse,  wiederum  hinter- 
einander. Nach  jeder  Klassenabstimmung  ward  das  Resultat 
wenigstens  den  Vorsitzenden  Behörden  sogleich  angezeigt 

Wenn  nun  die  Iste  und  2te  Klasse  mit  der  centuria  prae- 
rogativa gleichlautend  stimmten,  also  140  Genturien  oder  je 
I  einer  jeden  Tribus  einig  waren:  so  lag  die  Entscheidung 
in  der  Abstimmimg  der  3ten  Klasse,  sobald  sie  in  der  Mehr- 
zahl der  Tribus  durch  beipflichtende  Suffragia  jene  f  auf  4- 
brachte.  Aus  diesem  Grunde  hob  z.  B.  Antonius,  um  Dola- 
bella's  Erwählung  zum  Gonsul  zu  verhindern,  nachdem  'zuerst 
die  centuria  praerogativa,  dann  die  Iste  und  die  2te>  Klasse 
denselben  einstimmig  gewählt  hatten,  also  unmittelbar  vor  der 
entscheidenden  Abstimmung  der  3ten  Klasse,  die  Gomtüen 
plötzlich  auf.')  Es  folgt  femer,  dass  wenn  die  ersten  6  Suf«p 
fragia,  d.i.  r%  der  Gesammtstimme,  in  tler  Mehrzahl  der  Tri- 
bus gleichlauteten,  es  der  Abstimmung  der  4ten  und  5ten 
Klasse  gar  nicht  mehr  bedurfte;^)  bei  abweichenden  SuflSra- 
gien  konnten  aber  die  Tribus  in  allen  ihren  Theäen  oder 
sämmtliche  350  Genturien  zur  Abstimmung  gelangen. ')  Doch 
war  es  das  Gewöhnlichste,  sowohl  in  den  Genturiat-  wie' in 
den  Tributcomitien,  dass  der  Praerogativa  die  übrigen  Stim- 
men sich  anschlössen.'') 

1}  Liv.  24,  8:  ceterae  centariae  im  Gegensatz  zur  prae- 
rogativa. 

.  2)  Cic.  Phil.  II.  33.  Bei  Göttling  S.  392  bat  sich  ein  Irrthum 
eingeschlichen;  denn  nach  seiner  dritten  Ansicht  sind  die  Worte 
bfs  tacet  nicht  wie  bei  der  zweiten  zu  verstehen,  sondern  die 
praerojgaliva  ist  nach  jener  nur  eine  Ce'niurie, 

3)  Daher  Cic.  adv.  Ruil  II.  2. 

4)  Daher  Cic.  pr.  Plane.  20. 

5)  Cic.  Phil.  n.  33.  Ascon.  in  Verr.  I.  9. 


unter  den  ersten  Kaisem.  41 

Die  Absicht,  dass  diese  also  umgeformten  Gentoriatco«- 
mitien  die  Form  der  Tributcomitien  allmäUig  ganz  verdrän- 
gen und  zur  alleinigen  Repräsentation  des  Volkes  werden 
sollten»  kam  nie  zur  Verwirklichung.  Das  ultrademokratische 
Princip,  welches  den  Tributcomitien  zu  Grunde  lag,  und  der 
Widerstand  der  Volkstribunen,  die  mit  deren  Aufhebung  auch 
ihrer  eigenen  Allmacht  beraubt  worden  wären,  erhielt  die- 
selben während  der  Republik  aufrecht,  und  das  beginnende 
Principat  liess  sie  wie  alle  übrigen  Formen  vorläufig  fort- 
bestehen. 

Zwar  soll,  nach  der  Meinung  neuerer  Forscher,  wenige 
Zeit  nach  jener  Reform,  nämlich  im  J.'575,  im  Gegensatz  zur 
demokratischeren  Gestaltung  der  Genturiatcomitien,  die  Tri- 
busversafmmlung  —  um  die  beiderseitigen  Principien  gewis- 
sermaassen  auszugleichen  —  eine  aristokratischere  Färbung 
erhalten  haben,  insofern  gewisse  Theile  des  Volkes,  Gorpo- 
ratiionen,  Gollegien,  innerhalb  der  Tribus  nunmehr  die  Ein- 
zelstimmen gebildet  hätten,  aus  denen  die  Gesammtstimme 
erwachsen  sei.  *)  indessen  beruht  dies  nur  auf  einer  Aliss- 
deutung  der  Angabe  des  Livius,  wonach  die  Gensoren  jenes 
Jahres,  wie  es  heisst,  die  Stimmen  änderten,  indem  sie 
die  Tribus  bezirksweise  nach  Stand,  Vermögen  und  Gewerbe 
ordneten.^)  Schon*  der  Umstand,  dass  diese  Nachricht  «ganz 
vereinzelt  dasteht,  und  dass  Livius  selbst  gar  kein  besonde- 
res Gewicht  auf  sie  legt,  zeigt  zur  Gentige,  wie  dabei  nicht 
an  eine  so  radicale  Umwälzung  des  constitutionelten  Princips 
der  Tribuscomitien  selbst  zu  denken  sei,  in  welchem  Falle 
sich  nothwendig  anderweitige  Spuren  hätten  erhalten  und  be- 
stätigende Gombinationen  ergeben  müssen.  Vielmehr  handelt  es 
sich  augensdieinlich  nur  um  eine  neue  Organisation  der  Tribus 
als  Volksabtheilungen>  da  es  natürlich  im  Laufe  der  Zeit  da- 
htngekommen  sein  musste,  dass  die  einzelnen  Mitglieder  ei- 
ner Tribus  in  ganz  verschiedenen  Regionen  ansässig  waren, 


1)  S.  Göttling  S.  396. 

2}  40,  51:  mutarunt  suffragia:  regionatimque  generibus  homi- 
num,  caussisque,  et  quaestibus,  tribus  descripserunt. 


42  Der  Verfall  der  Voltarechte  in  Rom 

alsOy  da  tribus  und  regiones  ursprünglich  Eins  war,  vielfach 
in  einer  ganz  andern  Tribus  stimmten,  als  wozu  sie  ihrem 
Wohnsitze  nach  gehörten.  Die  Gensoren  brachten  nun  diese 
abnormen  Verhältnisse  wieder  in  das  Geleise  zurück,  indem 
sie  die  Tribus  neuerdings  nach  den  Regionen  ordneten,  d.  h. 
jeden  Einzelnen  in  die  Tribus  einschrieben,  zu  der  er  der 
Region  nach  gehörte.  Die  neue  Einschreibung  aber  nach  Stand, 
Vermögen,  Alter,  Gewerbe  u.  s.  w.  war  nichts  anders  als  die 
gewöhnliche  Erneuerung  der  Gensurlisten  Rehufs  der  Gon- 
trolle,  die  nur  diesmal  ausnahmsweise  eine  ungeheuere  Ar- 
beit und  daher  ein  denkwürdiges  Ereigniss  war,  weil  in  Folge 
der  neuen  Tribusordnung  nicht  bloss  einzelne  Nummern  in 
den  Klassen-,  Standes-,  Gewerbe -Listen  u.  s.w.  zu  ändern 
waren,  sondern  alle  Tribusregister  selbst  umgestossen  und 
umgeschrieben,  also  sämmtliche  Rürger  von  Neuem  eingetra- 
gen werden  mussten.  Durch  diese  Versetzung  der  einzekiea 
Rürger  in  die  dem  Rezirke  nach  ihnen  zuständige  Tribus 
wurde  nun  offenbar  nicht  das  Stimmprincip,  sondern  bloss 
die  Stimmordnung  geändert,  insofern  jetzt  in  jeder  Tribus 
theil weise  andere  Personen  stimmten  als  zuvor;  und  dies  heisst 
bei  Livius:  mutarunt  suffragia.  Zugleich  ergiebt  sich,  dass 
diese  Aenderung  ebensowohl  die  Stimmordnung  in  den  Gen- 
turiatcomitien  betraf  wie  in  den  Tributcomitien,  d&  ja  da- 
zumal auch  schon  jene  nach  Tribus  stimmten;  und  hieraus 
erklärt  es  sich  wieder,  dass  Livius  die  Angabe  nicht  ausdnick-* 
lieh  auf  Eine  der  beiden  Versammlungen  bezieht,  weil  sie 
eben  Reide  betraf. 

Es  ist  also  gewiss,  dass  nach  wie  vor  jenem  Zeitpunkt« 
und  bis  zu  ihrem  Absterben  unter  dem  Principate,  in  den 
Tributcomitien  die  Gesammtstimme  der  Tribus,  im  Gegensatz 
zu  den  Genturiatcomitien  nicht  aus  Golloctivstimmen,  sondern 
unmittelbnr  aus  den  Einzelstimmen  der  Tribulen  gebildet 
ward.  Ihr  Princip  war  im  vollsten  Sinne  des  Wortes:  die 
politische  Gleichheit  aller  Rürger;  nur  wurde  auch  in  ihnen 
eine  Tribus  als  Prärogativa  oder  Principium  erloost,  die  zu- 
erst stimmte;  die  übrigen,  jure  vocatae  genannt,  wurden  dann 


'  unier  den  ersten  Kaisern.  43 

gieichEeitig  zur  AbstimmuDg  berufen.  ^)  Das  Stimmredbt  in 
beiden  YersamiBlaogen  erlosch  mit  dem  Yollendeten  sechiig*- 
sten  Jahre. 

Von  alter  Zeit  her  hatten  die  Genturiat-  und  die  Tribut- 
comitien  wesentlich  gleiche  Rechte  gehabt,  nämlich  Beam- 
tenwahl, Criminalgerichtsbarkeit  und  Gesetzgebung; 
aber  Beziehung  und  Bedeutung  waren  verschieden.  Jene  hat* 
ten  die  Wahlen  der  höheren  Behörden:  der  Gonsuln,  Prato- 
ren  und  Gensoren;  diese  der  niederen:  der  Volkstribunen, 
Aediten  und  Quästoren.  Die  Genturienversammlung  hatte  fer- 
ner nur  die  richterliche  Entscheidung  bei  ProYOcationen  in 
Fällen  des  Hochverrathes  oder  der  Perduellio;  die  Tribus- 
versammlung  aber  das  Recht  zugleich  selbst  anzuklagen  und 
zu  richten.  -  Die  Erstere  endlich  war  auf  die  Annahme  oder 
Verwerfung  legislativer  Vorschlage  des  Senates  beschränkt; 
di«  Letztere  hatte  dagegen  bei  der  Gesetzgebung  das  Redbt 
der  Initiative  und  der  Debatte.  Deshalb  mussten  sich  in  dem- 
selben Haasse  wie  das  demokratische  Princip  im  Staate  über- 
haupt durebdmng,  und  schon  seit  der  Zwölftafelgesetzgebung, 
die  Tributcomitien  zur  legislativen  Hauptversammlung  gestal- 
ten; und  deshalb  ^abm  ihnen  auch  der  aristokratische  Sulla 
ntcfat  allein  die  Cteriebtsbarkeit,  sondern  vor  Allem  die  Le- 
gislation>^)  so  dass  nur  das  Wahlrecht  ihnen  übrig  blieb,  — 
während  er  andrerseits  den  Genturiatcomitien  bloss  die  Pro- 
vocatioi^  entzog.  *) 

Zwar  war  dieser  Rejictionsversuch  gegen  die  Demokratie 
nur  vorübergehend,  die  Gomitien  erhielten  ihre  Befugnisse 
im  Allgemeinen  zurück,  und  die  Tribusversammlung  wurde 
sogar  mächtiger  und  zügelloser  denn  je  zuvor,  indem  sie  selbst 
in  Angelegenheiten  der  höhern  Verwaltung^  wie  z.  B,  der  Ver- 
leihung von  Provinzen,  sich  eijDO  Entscheidung  anmaasste.  Da 
jedoch  die  Sullanische  Griminalverfassung,  auf  Vermehrung 
der  stehenden  Gerichtshöfe   oder  der  Geschwornengerichte 

1)  Varro  R.  R.  IIL  17.  vgl.  Ascon.  in  Verr.  I.  9,  der  indessen 
zunächst  die  reformirten  Genturiatcomitien  im  Sinne  hat. 

2)  App.  b,  civ.  I.  60. 

3)  Cic.  Verr.  I.  13,   cf.  App.  b.  civ.  I.  59. 


44  Der  Verfall  der  Volksreckte  in  Rom 

(quaestiones  perpeiuae)  beruhend,  wegen  ihrer  grössern 
Zweckmässigkeit,  ausnahmsweise  Anerkennung  und  Dauer 
gewann:  so  gehörten  wenigstens  Volksgerichte  schon  wäh- 
rend der  letzten  Zeiten  der  Republik  zu  den  seltensten  Er- 
eignissen, und  die  Thätigkeit  sowohl  der  Tribut-  wie  der 
Genturiatcomitien  war  im  Wesentlichen  auf  Wahlen  und 
Gesetze  beschränkt,  als  das  Principat  aus  der  Republik  sieb 
hervorrang. 

Inzwischen  war  seit  dem  siebenten  Jahrhundert  allmäh- 
lig  bei  allen  Angelegenheiten  die  geheime  Abstimmung  durch 
Täfelchen  eingeführt  worden;  zuerst  durch  das  Gabinisdie 
Gesetz  im  Jahre  614  bei  den  Wahlen,  dann  durch  das  Papi- 
rische  im  Jahre  622  auch  bei  der  Entscheidung  über  Gesetze. 
Die  Absicht  war  die  Unabhängigkeit  der  Meinung  zu  sichern, 
die  allerdings  bei  der  offenen  Abstimmung  insofern  gefährdet 
erscheint,  als  nur  zu  oft  das  Wort  feiger  ist  wie  der  Gedanke, 
Gefährlicher  aber  noch  ist  das  geheime  Verfahren,  weil  es  zu 
einem  Deckmantel  der  Gemeinheit  und  Gesinnungslosigkeit 
werden  kann  und  diese  in  so  verderbten'  Zeiten  fast  häufiger 
ist  als  Feigheit.  Es  gewährt  der  Zweizüngigkeit  Schutz  und 
(ordert  die  Restechlichkeit.  Daher  nahm  auch  zumal  bei  den 
Wahlen  das  Bestechungssystem,  allen  Gesetzen  und  Strafen 
zum  Hohn,  in  einer  erschreckenden  Weise  zu.  Verres  hatte 
nicht  weniger  als  500,000  Sestertien  daran  gesetzt  um  Ci- 
cero's  Aedilität  zu  hintertreiben.*)  Die  Tribus,  die  einzelnen 
Genturien  und  bestimmte  Klassen  wurden  durch  Künste  und 
Versprechungen,  durch  Lustbarkeiten,  Gastmäler  oder  baares 
Geld  bearbeitet.*)  Oder  man  gewann  auch  die  bei  der  Ab- 
stimmung beschäftigten  Beamten,  wie  die  Austheiler  der  Tä- 
felchen (divisores),  die  Abnehmer  der  Stimmen  oder  die  Auf- 
seher der  Stimmkasten  (rogatores,  custodes)  und  selbst  die 
das  Resultat  ziehenden  Stimmordner  (diribitores).')  Ja  es  bil- 
deten sich  sogar  nach  Art  der  Handelscompagnien  Gesell- 

1)  Cic.  Venr.  I.  8. 

2)  Cic.  ad  Att.  I,  16.  IV.  15.  Or.  p.  red.  ad  Quir.  7.   Q.  Cic.  de 
petit.  cons.  5.   Or,  pr.  Mur,  32. 

3)  Cic.  pr.  Plane.  18.  vgl.  Göttling  S.  397. 


unter  den  ersten  Kaisem.  4S 

Schäften,  welche  das  Stimmensammeln  als  ein  gut  rentiren- 
des  Geschäft  für  Geld  in  Entreprise  nahmen.  Diese  Sodali-^ 
täten  oder  Goliegien,  die  durch  festes  Zusammenhalten  ihrer 
Mitglieder*)  auch  sonst  einen  vielfach  schädlichen  Einfluss 
auf  die  politische  und  bürgerliche  Ordnung  ausübten,*)  wur- 
den zwar  mehrfach  verboten,  wie  im  Jahre  685  durch  einen 
Senatsbeschiuss, ')  dann  —  nachdem  Glodius  sie  695  herge- 
stellt') —  jm  Jahre  698  durch  das  Licinische  Gesetz;  *)  doch 
schon  die  Wiederholung  der  Verbote  zeigt,  wie  wenig  die- 
selben im  Grunde  fruchteten. 

Unter  solchen  Umständen  wurden  gegen  das  Ende  der 
Republik  die  Comitien  mehr  und  mehr  der  Kampfplatz  ge- 
heimer oder  offener  Umtriebe,  ein  Werkzeug  der  Selbstsucht 
und  des  Ehrgeizes  Einzelner.  Und  so  konnte  es  denn  gesche- 
hen, dass  sie  sogar  Beschlüsse  zu  ihrem  eigenen  Machtheii 
fassten,  ihre  Rechte  der  Willkür  der  Mächtigen  Preis  gaben. 
Sie  selbst  wirkten  dabei  mit,  als  zuerst  Cäsar,')  dann  die 
Triumvirn')  die  .Wahl  aller  oder  der  meisten  Behörden  an 
sich  rissen  und  dergestalt  die  Wahlversammlungen  in  ihren 
alten  Formen  zu  einem  blossen  Schaugepränge  herabwürdig- 
ten. Die  Empfehlungsschreiben,  die  Cäsar  vor  den  Wahltagen 
an  die  Tribus  umbersandte,  kamen  bestimmten  Befehlen  gleich, 
denen  Niemand  zuwiderzuhandeln  wagte.  Sueton  theilt  uns 
das  stehende  Formular  derselben  mit;  sie  lauteten  lakonisch 
genug:  ,>der  Dictator  Cäsar  an  die  und  die  Tribus.  Ich  em- 
pfehle euch  die  und  die  Männer,  damit  sie  durch  eure  Stim- 
men ihre  Würde  empfangen.''*)  Die  einzige  Opposition  ge- 
gen Gäsars  Uebergriflfe  bildeten,  wie  es  scheint,  die  neuer- 

_  -    * 

1)  Daher  die  Bestimmung  der  Lex  Servilia  ed.  Klenze  p.  15. 

2)  Vgl.  Cic.  pr.  Sext.  15.  Waller  Gesch.  d.  R.  R.  S.  253. 

3)  Ascon.  in  Pison.  4. 

4)  Gic  pr.  Sext.  25.  in  Pisoa  4.  Dio  38,  13. 

5)  Cic.  pr.  Plane.  15. 

6)  Suet.  Gas.  41.  76.  Dio  43, 45  sqq.  51.  cl  42,  20.  App.  b.  civ. 
II.  128.  in.  2.  IV.  91.  93. 

7)  Dio  46,  55.  47,  2.  15.  48,  32. 35.  43.  53.  49,  43.  App.  b.  civ. 
IV.  2.  7.   V.  73, 

8)  Suet.  Caes.  41. 


46  Der  Verfall  der  VolkirecMe  in  Rom 

standenen  Collegien  oder  Klubs;  sie  mochten  ihm  heindioh 
bei  den  Gomitien  entgegenarbeiten;  das  nannte  Cäsar  —  wie 
in  freieren  Zeiten  —  Wahlumtriebe,  und  löste  sie  sämmtlich 
auf.^)  Es  scheint,  sie  waren  damals  minder  der  Freiheit  als 
der  Willkür  schädlich. 

Augustus,  indem  er  auf  der  einen  Seite  dem  Volke  die 
Gerichtsbarkeit,  von  deren  Ausübung  es  factisch  schon  ent* 
wohnt  war,  nunmehr  definitiv  entzog,')  stellte  auf  der  andern 
demselben  angeblich  die  alte  Wahifreiheit  zurück.')  Ja  er 
gab  sich  das  Ansehen,  als  ob  er  nidbt  mehr  vermöge  wie  ir- 
gend einer  aus  dem  Volke,  indem  auch  er  an  den  Wahltagen 
wie  jeder  andere  in  den  Tribus  seine  Stimme  abgab.*) 

Allein  diese  erkünstelte  Bescheidenheit  war  nur  eine 
Maske  des  Selbstgefühls  und  jene  Unabhängigkeit  von  gerin- 
gem Belang;  in  der  That  verkürzte  sie  Augustns  mehr  und 
mehr.  Zwar  verpönte  er  durch  strenge  Strafen  bei  den  Be- 
werbungen jede  Zudringlichkeit  und  jede  Bestechung,  doch  — 
das  Eine  wie  das  Andere  übte  er  selbst,  indem  er  an  den 
Wahltagen  mit  seinen  Candidaten  um  Stimmen  bittend  bei 
den  Tribus  die  Bunde  machte,*)  und  an  jeden  Bürger  der 
Fabischen  und  Scaptischen  Tribus,  denen  er  durch  Geburt 
und  Adoption  beiderseits  angehörte,  nicht  weniger  als  1000 
Sesterzen  auszahlen  liess. ')  Alle  Bewerber  mussten  vor  der 
Wahl  bestimmte  Summen  deponiren,  deren  sie  bei  überwies 
sener  Bestechung  verlustig  gingen,^)  und  seine  eigenen  Can- 
didaten machten  hiervon  keine  Ausnahme;  •)  aber  —  was  sie 
zu  unterlassen  gezwungen  waren,  das  that  er  für  sie,  und  so 
konnte  ihnen  das  llebergewicht  über  die  Mitbewerber  nicht 


1)  Suei  Gaes.  43. 

2)  Rede  des  Tiberius  bei  Die  56,  40.  vgl.  unt.  S.  54  n.  1. 

3)  Suet.  Oct.  40.   Dio  53,  21.   56,  40.   54,  30  in  BctreflF  der 
Volkstribunen. 

4)  Suet.  Oct  56:  ut  unas  e  populo. 

5)  Suet.  I.  c.  circuibat  supplicabatque.  cf.    Dio  53,  2!. 

6)  Suet.  1.  c.  40:  a  se  dividebat. 

7)  Dio  55,  5. 

8)  Suet.  Oct.  40, 


unter  den  ersten  Kaisem,  47 

entgdien.  Das  Volk,  heisst  es,  w^ahlte  frei,  nur  sorgte  Augu- 
i^s  dafür,  dass  kein  Untauglicher  designirt  würde;  >)  indess 
^  tauglich  war  nur  wer  ihm  behagte.  Und  so  ist  es  wohl 
richtig  was  Dio  sagt:  ,ydie  Genturiat-  und  die  Tributcomitien 
wurden  zwar  noch  versammelt;  allein^es  geschah  in  ihnen 
nichts,  was  nicht  auch  ihm  genehm  war/' 

Nachdem  er  sich  dergestalt  die  Bahn  geebnet,  ging  er 
einen  Schritt  weiter;  im  Jahre  7  nach  Chr.  designirte  er  Un- 
ruhen halber  die  zu  wählenden  Behörden  sammtlich  selbst, 
und  seit  dieser  Zeit  hielt  er  es  für  überflüssig,  noch  persön- 
lich in  den  Volksversammlungen  zu  erscheinen.  Vielmehr  em- 
pfahl er  fortan  die  yon  ihm  begünstigten  Candidaten  den  Co- 
mitien  in  beiderlei  Gestalt,  gleichwie  Cäsar,  schriftlich.^)  Die 
wiedererstandenen  GoUegien  löste  er  neuerdings  auf.*) 

War  auf  diese  Weise  den  Volksversammlungen  schon  in 
den  letzten  Zeiten  des  Augustus  wenig  mehr  als  die  formelle 
Wahl  verblieben:  so  vofUuhrte  nunmehr  Tiberius  im  Jahre  14 
nach  Ghr.  den  Staatsstreich,  der  ihnen  auch  diese  noch  ent- 
zog; er  übertrug  die  formelle  Wahl  dem  Senate«^)  Ob  Au- 

1)  Dio  53,  21. 

2)  Dio  55,  M. 

3)  Suet.  Oct.  32.  Joseph.  Ant.  14,  10,  S. 

4)  Tac.  Ann.  I.  1^:  Tum  primum  e  campo  comitia  ad  patres 
translata  sunt  Das  ium  heissi  so  viel  wie  „bei  dieser  Gelegenheit^' 
d.  i.  bei  der  Prätoren  wähl  dieses  Jahres.  Trotz  unserer  Achtung  vor 
Herrn  Dir.  Peter,  müssen  wir  doch  dessen  Randglosse  zu  dieser 
Stelle  (in  der  Zeitschrift  f.  d.  Alterthumswissensch.  1842.  S.  917  t) 
als  vollständig  verfehlt  bezeichnen.  Nicht  dass  wir  den  dort  ange- 
gebenen Zusammenhang  laugneten  —  denn  dieser  ist  ja  etwas  so 
Augenfälliges  und  so  Bekanntes,  dass  es  eben  nicht  erst  einer  Ent- 
deckung bedarf — ,  sondern  weil  es  noch  andere  Zusammenhänge 
giebt,  die  dem  Glossator  ofifenbar  entgangen  sind;  im  Wesentlichen 
werden  dieselben  aus  unserer  Darstellung  erhellen,  wenngleich  wir 
die  Beweise  hier  zu  erschöpfen  weder  im  Stande  noch  gesonnen 
sind.  Dass  die  Maassregel  eine  radicale,  auf  alle  Wahlen  bezüg- 
liche war,  zeigt  schon  der  Zusatz  des  Tacitus:  nam  ad  eam  dietn, 
etsi  potissima  arbitrio  principis,  quaedam  tarnen  studlis  tri- 
buum  fiebant.  Also  —  dies  ist  die  natürliche  Folgerung  —  von 
diesem  Tage  an  geschah  durch  die  Gunst  derTribus  nicht  das 
Geringste  mehr. 


46  Der  Verfall  der  Volksrechte  in  Rom 

gustus  ihm  wirklich,  wie  Veilejus  angiebt,*}  eine  eigenhändig 
geschriebene  Anweisung  dazu  hinterlassen,  ist  schwer  zu  ent- 
scheiden; es  ist  nicht  unmöglich,  weil  jener  Schlag  in  der 
That  nur  die  letzte  Gonsequenz  seines  eigenen  Verfahrens 
war,  —  aber  wahrscheinlicher  ist  es  doch,  dass  dem  schlauen 
Tiberius  der  Name  seines  beim  Volke  beliebten  und  vergöt- 
terten Vorgängers  nur  zum  Vorwande  und  Deckmantel  sei- 
ner despotischen  Bestrebungen  dienen  sollte.  Wie  dem  auch 
sei:  hätte  diese  Verfassungsänderung  eine  verfassungsmässige 
sein  sollen,  so  hätte  sich  der  Fürst  darüber  mit  dem  derma- 
iigen  Wahlorgane  d.  Jh.,  nidit  mit  dem  Senate,  sondern  mit 
dem  Volke  vereinbaren  müssen;  und  dies  eben  that  er  nicht 
Daher  überall  Aufregung  und  Murren;  denn  das  Volk  war  zu 
bestürzt  um  zu  schweigen,  aber  auch  zu  zahm  und  geduldig 
um  zu  handeln;  man  ergoss  sich  nur,  wie  Tacitus  sagt,  in 
fruchtlose  Klagen  über  den  Raub  indem  m^n  ihn  geschehen 
Hess.']  Und  so  erlag,  wie  nicht  selten,  das  zagende  Recht 
der  kühnen  Gewalt.  Tiberius  hatte  richtig  gerechnet:  Klagen 
schläfern  die  Thatkraft,  und  die  Zeit  schläfert  die  Klagen  ein. 
Das  Wahlreglement  des  Tiberius  war  folgender  Art.') 
Die  Gonsuln  designirt  er  meist  selbst  nach  Belieben,^)  Aus 
den  Bewerbern  um  die  übrigen  Aemter  bestimmt  er  diejeni- 
gen, welche  zur  definitiven  Wahl  zugelassen  werden  sollen,') 
und  lässt  sie  in  den  Senat  entbieten.  Einige  derselben  em- 
pfiehlt er  ausdrücklich,®)  und  diese  müssen  ohne  Widerrede 
gewählt  werden.  ^)    Die  Anderen  bleiben  ohne  Empfehlung 


1)  n.  124:  primam  principalium  ejus  operum  fuit  ordinatio  comi- 
iiorum;  quam  manu  sua  scriptam  D.  Augustus  reliqaerat. 

2)  Tac.  I.  c.  neque  populus  ademptum  jus  questus  est  nisi 
inani  rumore. 

3)  Dio  58,  20.   Hauptsteile. 

4)  Cf.  Tac.  Ann.  L  81. 

5)  Dies  ist  das  candidatos  nomin are.   Tac.  Ann.  I.  14  fin. 

6)  Unter  den  12  Gandidaten  der  Prälur  4,  also  i.  s.  Tac.  c.  15, 
cl.  c.  14.    Dies  ist  das  commendare  candidatos. 

7)  Cf.  Tac.  Ann.  1. 15:  sine  repulsa  et  ambitu  designandos.  Lex 
de  Yesp.  imp.  4:  quos  ..  commendaverit  •.  eoram  ^.  extra  ordinem 
ratio  habeatur. 


unier  den  ersten  Kaisem.  49 

\ 

sich  selbst  uberlasseii;  unter  ihnen  entscheidet  die  freie  Wahl 
des  Senates  und  m  Vdlle  einer  Stimmengleichheit  nach  al- 
tem Brauche  die  gütliche  Uebereinkunft  der  Bewerber  selbst 
oder  das  Loos.^) 

Wenn  man  nun  bedenkt,  dass  die  jetzt  vom  Senat  voll- 
zogene definitive  Wahl  zuvor  den  Volksversapimlungen,  und 
die  nunmehr  vom  Princeps  geübte  Vorwahl  ehemals  dem  Se- 
nate zustand  y  insofern  dieser  bis  dahin  über  die  Zulässigkeit 
der  Bewerber  entschieden  hatte*):  so  sieht  man,  dass  die 
neue  Wahlordnung  im  Wesentlichen  nichts  anders  war,  als 
ein  centralisirendes  Heraufziehen  der  Gewalten  oder  Macht- 
vöUkommeiJieiten :  die  bisherige  demokratiische  Wahlinstanz 
wurde  in  eine  aristokratische,  und  die  bisherige  aristokra- 
tische in  eine  monarchische  umgewandelt. 

Nach  dem  Wahlact  im  Senate  wurden  zwar  noch,  je 
nachdem  es  sieh  um  höhere  ödere  niedere  Magistrate  han- 
delte, cHe  Genturiat-  oder  Tributcomitien  zusammenberufen, 
um  durch  alte  Förmlichkeiten  dem  neuen  Verfahren  den  Schein 
der  Bechtmässigkeit  zu  geben;  doch  wurden  hier  nur  in  Ge- 
genwart der  Candidaten ')  die  getroffenen  Wahlen  durch  den 
fierold  verkündigt^),  und  dem  Volke  selbst  blieb  nichts  als 


1)  Cic.  pr.  Plane.  33.  Varro  R,  R.  HI.  17.  Dio's  o/io>,oyta  ist  die 
concessh,  nfcbt  die  cotiio  candidatof  um ;  sie  konnte  auch  schon  vor 
der  Abstimmung  stattfinden  (Dio  59,  20),  und  In  diesem  Falle  eine 
Folge  der  co'itlo  sein,  welche  die  vereinten  Intriguen  mehrer  Gan* 
didaten  ^egen  bestimmte  Mitbewerber,  meist  vermittelst  der  con- 
cessio  oder  der  Stimmenabtretung,  bezeichnet. 

2)  Cic.  toga  cand.  p.  524.  Daher  Tac.  Ann.  L  10:  extortom  in- 
vito  senalu  consulatum. 

3)  Daher  comitia  inire.  Suet.  Yesp.  5.;  bei  Dio  5S,  20:  h  t6v 

ö^fiov  oder  sg  TO  9rX^<>og  eaisvcu^ 

4)  Dio  58,  20:  dqx<^<^  oalaq  ist  sicher  nicht  in  aqx^^^^if'^i  zu 
ändern;  dagegen  dürfte  statt  ucrre  iv  s  1^6 vi  6o%eiv  ylyvaa^cu  viel- 
leicht ctxoTt.  gelesen  werden,  wiewohl  auch  dies  nicht  nothwendig 
ist.  ~-  Aus  Suet.  Dom.  10.  erhellt  die  Formel:  c^mitiarum  die  detti- 
umtos  (designatos)  Cotuules  (Tribunos)  praeco  ad  popuhm  (ad  ple- 
bem)  pronuntiat  (renuntiat). 

Zeitschrift  f.  Oe«cbicluclitsw.  1.  1S44.  4 


50  Der  Verfall  der  Volksrechte  tu  Rom 

das  Recht,  sich  durch  Beifallsgeschrei  in  der  Ausäbiuig  ?on 
Rechten  begriffen  zu  wähnen.*] 

Galigula  haschte  Anfangs  auf  jede  Weise  nach  der  Gunst 
des  Volkes.  Neben  anderen  populären  Maassnahmen,  wie  der 
Verleihung  einer  uneingeschränkten  Rede-  und  Schriftfrei- 
heit*), bewerkstelligte  er  auch  im  Jahre  38  nadi  Chr.  die 
Aufhebung  des  Tiberischen  Wahlreglements  und  die  Zurück- 
gabe des  Wahlrechts  an  die  Genturiat-  utid  die  Tributcomi- 
tien  in  der  zuvor  üblichen  Weise.  ^]  Vierundzwanzig  Jahre 
hatten  indessen  das  Volk  von  der  Ausübung  dieses  Rechtes 
entwöhnt  und  lau  gemacht;  auch  blieb  die  Freiheit  nach  wie 
vor  illusorisch,  theils  weil,  die  Beweiber  sich  meist  überhaupt 
nicht  in  grösserer  Zahl  zu  den  Aemteiti  meldeten  als  noth- 
wendig  gewählt  werden  mussten,  öder  do<;h  andefxi  Falls 
schon  vor  der  Wahl  durch  gütliche  Uebereinkunft  unler  sich 
den  Rücktritt  der  Ueberzähligen  bewirkten/ theitsr  aber  und 
vorzüglich  weil  die  kaiserliche  Willkür  nach  wie  vor  dieselbe 
blieb;  daher  war  bald  genug  das  Volk  seines  Rechtes  und 
der  Fürst  seiner  Gnade  überdrüssig.  Und  so  führte  schon  im 
Jahre  39  Galigula,  nachdem  er  auch  den  Zwang  wider  Rede 
und  Schrift  erneuert,^)  das  Tiberische  Wahlreglement  wieder 
ein. ")  Seitdem  ward  dasselbe  in  allen  wesentlichen  Bestim- 
mungen, und  so  auch  mit  der  darin  angeordneten  einfachen 
Renunciation  der  Senatswahlen  ®)  vor  der  einen  oder  der  an- 
dern Volksversammlung  ^} ,  auf  lange  Zeiten  hinaus  und  min- 


1)  Gleichwie  nachmals  bei  der  Renunciation  des  vom  Senat 
erwählten  Kaisers  vor  den  Genturiatcomitien;  s.  Bist.  Aug.  in  Ta-. 
cit.  7,  welche  Stelle  das  lebhafte  Bild  einer  solchen  Scene  giebt.  cf. 
Plin.  pan.  63  sq. 

^)  Stiet.  Calig.  16.   Die  59,  16. 

3)  Die  59,  9.   Suet.  Calig.  1.  c. 

4}  Dio  59,  16. 

5)  Dio  59,  20. 

6)  Vgl  Tao.  Aon.  XIV.  28.  XV.  19.  Plin.  ep.  III.  20.  paneg.  92. 

7)  Vgl  Suet.  Vesp.  5.  Dom.  10.  Plin.  paneg.  63  sq.;  spenUa  ««/*- 
fragia  —  was  man  so  oft  oder  stets  missverstanden  -^  geht  nidit 
auf  das  Volk,  sondern  auf  den  Senat;  daher  c.  92:  tuffragator  im 
ewria^  in  campo  declarator.  So  zerfällt  wohl  der  einzige  Halt,  wor- 


unter  den  ersten  Kaisem,  51 

destens  bis  auf  Alexander  Severus  beibehalten.^)  Dessenun- 
geachtet bediente  man  sich  noch  in  Urkunden  und  Gesetzen 
des  gleissnerischen  Ausdrucks:  der  Fürst  empfehle  seihe  Gan- 
didaten  dem  Senat  und  —  dem  römischen  Volke.*)  So 
weit  erstreckte  sich  die  Mystification. 

In  demselben  Maasse  wie  das  Wahlrecht  verloren  ging» 
verschwand  auch  die  Gesetzgebung  des  Volkes.  Die  Art 
dieses  Verschwindens  acheint  Vielen  unerklärlich,  weil  kein 
alter  Schriftsteller  desselben  als  der  bestimmten  Thatsache 
einer  beistimmten  Zeit  gedenkt.  Allein  dieses  Schweigen  der 
üeberliefening  ward  eben  durch  die  Art  des  Verschwindens 
bedingt,  und  diese  muss  Jiedem  klar  werden,  der  nicht  mit 
der  Oberfläche  der  Thatsachen  sich  begnügt.  Das  scheinbare 
Geheimuiss  liegt  darin,  dass  das  Volk  die  Gesetzgebung  ver- 
lor ohne  dass  der  Fürst  sie  ihm  gradezu  nahm,  dass  die  Aus- 
übung des  Rechtes  aufhörte  ohne  dass  das  Recht  selber  auf- 
gehoben ward.  ^  Und  die  GHinde  dieser  Erscheinung  liegen 
einmal  in  der  Zersplitterung  der  gesetzgebenden  Gewalt,  und 
andrerseits  in  den  Mängeln  der  Gomitialverfassung.  Doch  nur 
das  Nebeneinanderbestehen  beider  Gründe  konnte  jene  Er- 
scheinung hervorrufen. 

Die  legislative  Gewalt  war  vom  ersten  Augenblicke  des 
Principates  an  nach  dem  Muster  der  Bepublik,  welche  die 
Magistratsedicte,  die  Senatusconsulte  und  die  Volksgesetze 


auf  sich  ^e  an  Halbheit  leidende  Behauptung  Bubino's  (Unters.  I. 
105)  stützen  mochte,  dass  das  Wahlresultat  nicht  jedesmal,  sondern 
nur  „fast  jedesmal ^^  durch  den  Imperator  oder  den  Senat  vorher* 
bestimmt  gewesen,  und  dass  den  Volksv^rsammlongen  noch  eine 
„scheinbare  Abstimmung"  verblieben  sei. 

1)  Dio  59;  20:  msm.  tovtou  xd  /Jiev  aXkot^  «ot^OKf^  ttctl  iiel  to'U  Tt- 

ßeqlov^ocot^^itrraro,  BS,  20:  ^ca^aateq  wu  vuv.  Auf  diesen  Zustand  passt 
es  auch,  wenn  Modestinus  (fr.  1.  D.  de  lege  Julia  ambitus)  sa^,  m 
seiner  Zeit  (hodie)  gehöre  die  Ernennung  der  Magistrate  ad  eurem 
principis  und  nicht  mehr  ad  popnii  favorem;  dass  auch  der  Se- 
nat damals  schon  das  formelle  Wahlrecht  verloren  habe,  ist  um  so 
weniger  mit  Sicherheit  daraus  zu  folgern,  als  Modestinus  und  Dio 
um  dieselbe  Zeit  schrieben. 

2)  Lex  de  imp.  Vesp.  4. 

4* 


62  Der  Verfall  der  Volksrechte  in  Rom 

als  allgemeine  Rechtsquellen  anerkannte,  i)  dreifach  getheilt, 
zwischen  Fürst,  Senat  und  Volk.  Der  Fürst  besass  sie,  weil 
er  der  Machterbe  der  ordentlichen  und  der  ausserord^ntli«* 
chen  Magistraturen  wie  der  Dictatur  und  des  Triumvirates 
war,  und  weil  ihm  persönlich  das  Recht  zuerkannt  ward,  aus 
eigener  Machtvollkommenheit  gesetzliche  Bestimmungen  zu 
erlassen,  in  der  Form  von  Decreten,  Rescripten  und  Edicten 
oder  Constitutionen.*)  Die  Beschlüsse  des  Senates  gewan- 
nen schon  seit  der  Lex  Hortensia')  allm'ählig  an  sich  Ge- 
setzeskraft, ohne  der  Bestätigung  des  Volkes  zu  bedürfen;  in 
den  letzten  Zeiten  der  Republik  sind  sie  eine  allgemein  an- 
erkannte Rechtsquelle,*]  und  der  Senat  vollkommen  in  dem 
Ansehen  einer  gesetzgebenden  Behörde.*)  Die  Befugniss  des 
Volkes  war  eine  doppelte;  in  den  Genturiatcomitien  konnte 
es  nur  über  ein  vorgelegtes  Senatusconsult' entscheiden  und 
es  durch  Annahme  zu  einer  Lex  erheben,  in  den  Tributoo- 
mitien  aber  aus  eigener  Machtvollkommenheit  auf  den  Antrag 
oder  die  Rogation  eines  Tribunen  allgemein  bindende  Ge- 
setze, Plebiscite,  später  ebenfalls  Leges  genannt,  erlassen; 
schon  ini  der  letzten  Zeit  der  Republik  galten  die  Volksbe- 
schlüsse beiderlei  Art  ohne  Unterschied  als  Leges.') 

Es  war  nun  der  centralisirenden  Tendenz  des  Principa- 
tes  vollkommen  entsprechend,  wenn  der  Fürst,  sobald  es  auf 


1)  Cic.  Top.  5. 

2)  Lex  de  imp.  Vesp.  6:  ulique,  quaecumque  ex  usu  relpu- 
blicae,  majesiate  divinarum,  humanarum,  publicarum  privatarumque 
rerüm  esse  censebit,  ei  agere  jus  potestasque  sit,  ita  üii  divo  Aug. 
Tiberioque  Claudio  Gaesari  Aug.  Oermanico  fuit. 

3)  TheophiL  I.  2,  6.  6.  cf.  Dionys.  YH.  18. 

4)  Cic.  Top«  5. 

5)  Pompon.  in  L.  2.  §.  9.  D.  de  or.  jur.  1,  2.  §.  5.  I.  de  J,  N. 
G.  et  C.  1,  2.  Theophil.  I.  2,  5, 

6)  Cic.  Top.  5.  pro  leg.  Manil.  24.  Gell.  10,  20.;  besonders  seit 
dem  Hortensischen  Gesetz,  welches  eben  den  Plebisciten  legis  vi- 
cem  verschaffte,  s.  Gell.  15,  27*  TheophiL  1,  c.  L.  2.  §.  8.  D.  de  or. 
jor.  Plin.  H.  N.  16,  15.  Gaj.  I.  3.  §•  4.  L  de  J.  N.  G.  et  C.  Daher 
die  Namen:  lex  Cincia,  lex  Aqailia,  Manilia  u*s,  w.,  die  doch  Pie< 
biscite  bezeichnen. 


unier  den  ersten  Kaisem.  S3 

Erlassung  einer  gesetzlichen  Bestimmung  ankam,  lieber  ent- 
weder die  monarchische  Yermittelung  des  Edictes  oder  die 
oligarchisch-aristokratische  des  Senatusconsultes  in  Anspruch 
nahm,  als  die  demokratische  des  Volksgesetzes.  Zwar  hatte 
er  einen  Widerstand  yon  Seiten  der  Menge  nicht  leicht  zu 
befürchten;  doch  eine  Gewalt ,  die  er  am  liebsten  aliein  be- 
sessen hätte,  musste  er  am  wenigsten  geneigt  sein,  Allen 
preiszugeben.  Und  hierin  liegt  der  eine  Grund  des  allmäh- 
Jigen  Yerschwindens  der  Gomitialgesetzgebung;  denn  hatten 
vor  dem  Principat  die  Gomitien  allein  die  Gesetzgebung  in 
Händen  gehabt,  dann  freilich  hätten  sie  dieselbe  entweder 
auch  fernerhin  beibehalten  müssen  oder  nur  durch  äussere 
Gewalt  verlieren  können;  da  hingegen  noch  andere  Wege  der 
Gesetzgebung  offen  standen ,  mithin  der  volksthümliche  kein 
90thwendiger  war,  so -konnte  das  Principat  diesen  letztem 
ohne  Gewalt  und  doch  mit  Erfolg  dem  Verfall  überliefern, 
dadurch  dass  es  ihn  —  zwar  unverschlossen^  aber  auch  in 
immer  grösseren  Zeiträumen  unbetreten  liess. 

Der  zweite  Grund  liegt  in  dem  grossen  Gebrechen  der 
Qomitialverfassung,  wonach  die  Berufung  der  gesetzgebenden 
Volksversammlungen  keine  Pflicht,  sondern  nur  ein  Recht  der 
betreffenden  Behörden  war,  so  dass  sie  zwar  jederzeit  be- 
rufen werden  konnten,  aber  nicht  gleich  den  Wahlversamm- 
Jungen  zu  bestimmten  Zeiten  berufen  werden  mussten. 
Während  dal^er  die  letzteren  nur  durch  einen  Gewaltschlag, 
wie  ihn  Tiberius  ausführte,  außsuheben  waren,  brauchten  jene 
nur  immer  seltener  und  seltener  berufen  zu  werden,  um  so 
allmählig  und  so  unbemerkt  zu  verschwinden,  dass  die  histo- 
rische Ueberlieferung  nicht  einmal  von  einem  Erlöschen,  ge- 
schweige von  einer  positiven  Rechtsentziehung  Meldung  thun 
konnte.  Hierzu  kommt,  dass  eben  der  Princeps  selbst  jenes 
Recht  der  Berufung,  und  mithin  auch  das  der  Nichtberufung, 
ganz  in  seinen  Händen  hatte;  theils  mittelbar  in  Folge  der 
Abhängigkeit  der  Behörden,  theils  unmittelbar  wegen  seines 
lebenslänglichen  Besitzes  der  consularischcn  und  der  tribuni- 
cischen  Gewalt,  wodurch  die  oberste  Leitung  sowohl  der  Cen- 
turiat-  wie  der  Tributcomitien  ihm  zustand. 


64  Der  Verfall  der  Volkirechfe  in  Rom 

Man  sieht  leicht  ein,  dass  wirklidi  nur  das  Zusammen« 
wirken  beider  Umstände  jenes  Verschwinden  zur  Folge  ha-> 
ben  konnte.  Denn  hätten  die  Gomitien  die  Gesetzgebung  al- 
lein gehabt,  so  hätten  sie  berufen  werden  müssen,  auch  ohne 
dass  es  bestimmte  Termine  der  Zusammenkunft  gab;  und 
hätte  es  umgekehrt,  bestimmte  Termine  gegeben,  so  wären 
sie  zum  Behuf  der  Gesetzgebung  zusammengetreten,  auch  ohne 
dazu  allein  befugt  zu  sein.  Wie  nun  aber  einmal  die  Dinge 
lagen,  konnte  es  in  der  That  dem  gewordenen  Rechte  ge- 
mäss eine  Gesetzgebung  ohne  Volksversammlungen,  und  keine 
gesetzgebende  Volksversammlung  ohne  den  freien  Entschluss 
des  Fürsten  geben.  Wäre  also  auch  die  Fortdauer  der  Co- 
mitialgesetzgebung  eine  Aufrechterhaltung  der  Verfassung  ge- 
wesen,  so  war  das  Gegentheil  kein  offener  .Umsturz  dersel- 
ben ;  die  Volksgerechtsame  starben  nach  dieser  Richtung  hin 
nach  und  nach  in  sich  selbst  ab^  doch  freilich  nur  in  Folge 
des  Umstandes,  dass  die  bisherige  Nahrung  ihnen  absichtlich 
mehr  und  mehr  geschmälert  ward. 

Der  Grad  dieser  Schmälerung  hing  von  der  Stärke  des 
Principates  überhaupt  und  von  dem  Charakter  des  jedesma- 
ligen Princeps  ab.  Augustus,  der  jenes  erst  befestigen  musste, 
liess  noch  eine  grosse  Reihe  von  Gesetzen  durch  das  Organ 
der  Gomitien  ergehen.  Wenigstens  glaubt  man  allgemein,  die 
Gesetze  seiner  Zeit  insofern  sie  leges  genannt  werden  und 
eben  deshalb  als  Volksgesetze  betrachten  zu  müssen^  Dahin 
gehören  nun  1)  die  Leges  Juliae  judiciorum  publicoram  und 
privatorum,  eine  Revision  der  Civil-  vnd  Criminalgerichts- 
ordnung.')  2)  Die  Lex  Julia  de  adulteriis  um  737  d.  St.,  wo- 
nach die  fleischlichen  Vergehen  dem  gewöhnlichen  Gerichts- 
verfahren angeschlossen  und  zugleich  der  Verkauf  der  Dotal- 
grundstiicke  beschränkt  ward.*)   3)  L.  J.  de  ambitu  um  die^ 


1)  Gsg.  IV.  30*  104.  Fragm.Vat.  197  sq.  Suet.Oct.32  und  die  Gtate 
bei  Zimmern  Gesch.  des  R  P.  IL  I.  S.  115  ff.  u.  S.  81  Uv  2;  die  Bestim- 
mungen bei  Dio  54,  18  und  in  L.  un.  §.  4.  D.  de  lege  Jul.  amb.  48, 14« 
sind  jedoch  keineswegs  dieselben.  Auf  diese  Gesetze  bezieht  sich 
ohne  Zweifel  auch  Dio  56,  40. 

2)  Dio  54,  16.   Suet.  Oct.  34.  Horat.  od.  4,  5.    P&uU.  U.  21. 


tmter  den  ersten  Kaisern,  S5 

selbe  Zeity  wodurch  die  Wahlumtriebe  und  Bestechungen  durch 
harte  Strafen  verpönt  wurden.')  4)  L.  J.  majestatis,  gegen  den 
gerichtety  durch  dessen  Rath  oder  Beistand  die  Waffen  wider 
den  Imperator  oder  wider  die  Bepublik  erhoben,  oder  das 
Heer  in  einen  Hinterhalt  verlockt  wird;  sowie  gegen  den, 
welcher  ohne  Befehl  des  Imperators  Krieg  fuhrt,  Aushebun- 
gen veranstaltet,  das  Heer  zum  Aufruhr  reizt,  den  Imperator 
veriässt  u.  s.  w.  Und  nicht  allein  die  That,  sondern  auch  die 
hjto'schen  und  beleidigenden  Worte  wurden  mit  der  schärf- 
sten Ahndung  bedroht')  5]  L.  J.  de  peculatu,  residuis  et  sa- 
crilegio,  gegen  diejenigen,  so  öffentliches  Vermögen  antaste- 
ten.') 6y  Leges  J.  de  vi  publica  et  privata,  gegen  Aufläufe 
und  Zttsammenrottui^n,  gegen  bewaffnete  oder  unbewaffnete 
WidersetzlicULeit  wider  öffentliche  Personen,  und  gegen  Ge- 
waltthätigkeit  wider  Privatleute.^)  7)  L.  J.  de  fraudata  an- 
W^Bf  gegen  Aufkauf  und  wucherlichen  Verkauf  von  Getreide/) 
8)  L.  Julia  et  Pa{Ma  Poppaea,  mit  verschiedenen  Nachträgen 
zwischen  726  und  762,  gegen  die  Sittenlosigkeit  und  die  Ab- 
n^dune  der  ächten  Bürgerschaft,  durch  Feststellung  von  Stra- 
fen wider  Ehe-  und  Kinderlosigkeit  und  von  Belohnungen 
im  entgegengesetzten  Falle.')  9)  L.  J.  vicesimaria  im  Jahre 
759,  welche  eine  Steuer  von  5  Proceui  auf  Erbschaften  und 
Legate  legte,  von  der  indessen  die  allernächsten  Verwandten 
und  die  Armen  frei  waren.')  10)  Die  L.  Aelia  Sentia  757  zur 

B.  §.  2.  Dig.  48,  5.  Inst.  3,  8.  C.  Th.  9,  7.   C  J.  9,  10.    Zimmern 
a.  a.  0.  S.  IW  f. 

1)  Dio  54,  16.  Pauli.  V.  M.  Dig.  48,  14. 

2)  Suet.  Tib.  58.  Tac.  Ann.  I.  72.   PauU.  V.  29.   Dig.  48,  4. 

3)  Säet.  Oct.  34.  Pauli.  V.  27.  Dig,  48,  13. 

4)  Pauli.  V.  26.  Dig.  48,  6.  7. 

5)  Dig.  48,  12. 

6)  Tac.  Ann.  III.  28.  Die  54, 16.  56,  7.  Suet.  Oct.  34  sq.  Horat. 
Epöd.  18,  Prep.  El  2,  6.  Isid.  Etym.  V.  15.  ülp.  XIII— XVm.  L.  44  pr. 
D.  de  ritu  nupt  23,  2.  L.  37  pr.  D.  de  op.  lib.  38, 1.  G^.  U.  206  sq. 
Zimmern  S.  109  ff. 

7)  Dio  55,  25.  Plin.  Paneg.  37.  Jahn  spec.  epigr.  p.  24  n.  2:  proc. 
XX  heredit.  Gaj.  III.  125.  L.  13  de  transact.  2, 15.  L.  37  D.  de  relig. 
11,  7.  L.  68  D.  de  lege  Falc.  35,  2.  Ruhr.  L.  154  D.  de  Y.  S.  50, 16. 
Zimmern  S.  114  f. 


66  Der  Verfall  der  Votksrechie  in  Rom 

Beschränkung  der  Freilassungen.*)  11)  Die  L.Furia  Ganinia76i, 
als  Ergänzung  der  Aelia  Sentia.*)  —  Diese  Gesetze  können 
theils  tribunicische  theils  consularische,  plebiscita  oder  popu* 
liscita  gewesen  sein;  meist  aber  waren  es  wohl  consularischey 
mit  Vorberathung  im  Senate,  doch  so  dass  die  Yolksyersamm- 
lung  gewiss  noch  förmlich  darüber  abstimmte.  Widerstand 
war  um  so  weniger  zu  befürchten,  als  Augustus  noch  der 
öffentlichen  Meinung  gern  Gehör  gab  und  daher,  um  dieselbe 
zu  erkunden,  seine  Gesetzentwürfe  vor  der  eigenen  Entscheid» 
düng  zu  promulgiren  pflegte.  ^) 

Tiberius,  der  das  Principat  schon  befestigt  vorfand,  und 
dessen  Charakter  ebenso  despotisch  dem  Volke,  als  schlau 
dem  Senate  gegenüber  war,  bildet  auch  hier  wieder  einen 
Wendepunkt  Wie  er  das  Wahlrecht  dem  Volke  nahm  und 
es  dem  Senate  übertrug:  so  hat  er  auch  die  legislative  Thä- 
tigkeit  des  letztem  vermehrt,  die  des  erstem  dagegen  so  be- 
deutend vermindert,  dass  sie  fast  ganz  unterdrückt  erscheint 
Daher  gedenkt  Tacitus,  da  wo  er  einen  Ueberblick  über  die 
Lage  der  verschiedenen  Theile  des  Gemeinwesens  während 
der  ersten  10  Jahre  des  Tiberius  zu  geben  sich  ausschickt,/) 
mit  keinem  Worte  einer  Theilnahme  des  Volkes  an  den  Staats* 
geschälten;  vielmehr  togt  er  gleich  von  vorn  herein,  die  öf- 
fentlichen Angelegenheiten,  so  wie  auch  die  wichtigsten  Pri- 
vatsachen seien  im  Senate  abgehandelt  worden.^)  Daher  sind 
auch  kaum  ein  oder  zwei  Volksgesetze  (Leges)  mit  Sicher- 
heit aus  seiner  Regiemng  anzuführen;  nämlich  die  Lex  Junia 
über  die  Freilassungen')  und  eine  Lex  Visellia,^)  von  denen 

1)  Dio  55, 13.  Suet.  Oct.  40.  Dosith.  de  manumiss.  §.  14.  Ulp^.  l 
5.  11  sqq.  XIX.  4  XXV.  7.  Gaj.  L  13. 18.  37  sq.  Dig.  40,  9.  C.  J.  7,  5» 
lost.  I.  5.  6.  III.  8.  Zimmern  S.  113  f. 

2)  Ulp.  1. 24  Cod.  J.  Vn.  3.  Inst.  1. 7.  Säet.  Oct.  40.  Zimmern  a.  a.  O. 

3)  Dio  53,  21. 

4)  Ann.  IV.  6:  Gongniens  crediderim  recensere  cetera^uoque 
rci  publicae  partes,  quibus  modis  ad  eam  diem  habitae  sint.    . 

5)  l  c.  Jam  primmn  publica  negotia  et  privatonim  maxima 
apud  patres  tractabanlur. 

6)  Gaj.  UI.  56.  Dosith.  §.  14.  §.  ult.  I.  de  lib.  1,  5. 

7)  ülp.  lU.  5.  cl.  L.  un.  C.  ad  leg.  ViseU.  9,  2L 


unter  den  ersten  Kaisem.  67 

diQ  erstere  nur  vermuthungsweise  ins  Jahr  772  d.  St.  oder 
19  nach  Chr.,  und  die  andere  777  oder  24  nach  Chr.  ge- 
setzt wird.*) 

Im  Sinne  des  Tiberius  ?erfubren  dessen  Nachfolger.  Das 
Recht  schwand  bin  ohne  völlig  zu  erlöschen.  Einzelne  Leges 
kommen  hin  und  wieder  unter  Claudius  *)  und  Nero,')  noch 
unter  Nerva')  und  Trajan')  vor.  Niemals  wird  man  abej*  ein 
letztes  YoJksgesetz  nachzuweisen  vermögen,  da  es  so  zu  sagen 
Icein  letztes  gab,  indem  die  Grenzen  zwischen  der  Lex  einer« 
seits  und  dem  Senatusconsultum  sowie  der  Constitutio  andrer- 
seits sich  allmäUig  verwischten.*)  Denn  nothwendig  schwand 
Wesen  und  Form  der  Comitialgesetzgebung  gleicherweise  da- 
hin; die  freie  Entscheidung  gestaltete  sich  unfehlbar  schon 
unter  Augustus  zu  einer  nicht  füglich  zu  verweigernden  Sanc- 
tion,^)  und  da  es  sich  demnach  fast  nur  noch  um  ein  for- 
melles Beoht  handelte,  so  dürfte  schon  unter  Tiberius  die 
wirkliche  Abstimmung  ausser  Gebrauch  gekommen  sein.  Wie 
bei  den  Wahlen  wird  man  das  Volk  versammelt,  ihm  das  Ge- 
setz durch  den  Herotd  verkündigt  und  in  den  nie  ausblei- 
benden Acciamationen  den  Schein  der  verfassungsmassigen 
Anerkennung  gesucht  haben.    Endlich  hat  man  dann  selbst 


1)  S.  Zimmern  S.  72.  Andere  setzen  jene  729/oder  gar  schon  671. 

2}  Lex  Claudia  de  mulierum  tutela  Gaj.  I.  157. 171.  Ulp.  XI.  8. 
Ein  anderes  Gesetz  deutet  Tac.  Ann.  XI.  13  an:  lege  lata  saeviliam 
crediforum  coercuit;  es  ist  dies  das  sogenannte  SC.  Macedonianum. 

3)  Lex  Pfetronia  oder  SC.  Turpilianum  über  die  Verantwort- 
lichkeit der  Anldäger.  Tac.  Ann.  14,  41.  Dig.  48,  16.  Cod.  9,  45  u. 
a.  Stellen. 

4)  Lex  agraria  s.  L.  3  §.  1  D.  de  term.  mot.  47,  21. 

5)  Lex  Vectibulici  (?)  s.  L.  3  C.  de  serv.  reip.  man.  7,  9. 
Franke  zur  Geiscb.  Traj,  S.  493. 

6)  Daher  heisst  es  bei  Tac.  Ann.  13,  49:  der  Senat  berathe 
über  leges;  und  daher  wird  ein  und  dasselbe  Gesetz,  "wie  wir  in 
den  voiiiergehenden  Noten  sahen,  bald  lex  bald  senatusconsultum 
genannt;  Ebenso  kommt  schon  unter  Caiigula  ein  Steueredict  als 
lex  vor  (Snet  Cal.  40  sq.),  und  von  einer  Proposition  oder  Relation 
des  Fürsten  im  Senate  wird  oft  genug  der  Ausdruck  legem  ferre 
gebraucht. 

7)  Dio  53,  21. 


58  Der  Verfall  der  Volksrechte  äs  Rom 

diesen  Schein  der  Yoikszusttmmung  für  entbehrlieh  erachtet, 
und  auch  ohne  denselben  die  Beschlüsse  des  Senates  und  die 
Verordnungen  des  Fürsten  an  sich  als  leges  angesehen  und 
als  solche  publicirt. ')  Nichtsdestoweniger  aber  sprach  man 
noch  in  öffentlichen  Urkunden,  der  Ohnmacht  zum  Spott,  von 
der  —  Rechtskraft  der  Befehle  des  Volkes.*) 

Wie  leicht  und  unmerklich  bei  der  Getheiltheit  der  le-* 
gislativen  Gewalt  und  bei  der  Abhängigkeit  der  Gomitialtage 
von  den  Behörden  die  übliche  Sanction  der  Gesetze  Yon  Sei- 
ten des  Volkes  in  Verfall  gerathen  konnte :  davon  geben  selbst 
die  Zeiten  der  Bepublik  hinlängliche  Beweise.  So  war  e» 
ein  uraltes  Recht  gewesen,  dass  nur  das  Volk^von  den  Ge- 
setzen entbinden  könne;  und  doch  hatte  sich  der  Senat  mit 
der  Zeit  in  den  ausschliesslichen  Besitz  dieses  Rechtes  ge- 
setzt. Zwar  pflegte  noch  in  den  hetreffendea  Fällen  dem  Se- 
natusconsulte  die  Glausel  beigefügt  zu  werden,,  dass  darüber 
an  das  Volk,  Behufs  der  Bestätigung  durch  eine  Rogation,  be- 
richtet werden  solle;  allmählig  jedoch  hörte  diese  Berichter- 
stattung auf  und  die  Sache  gedieh  endlich  dahin,  ^ass  nicht 
einmal  mehr  die  Anhängung  jener  Glausel  stattfand.')  Durch 
die  Gewohnheit  setzte  sich  die  Usurpation  so  fes^,  dass  der 
Versuch  des  Tribunen  Gornelius  im  Jahre  686,  das  alte  Volks- 
recht durch  ein  tribunicisches  Gesetz  (ne  quis  nisi  per  popu- 
lum  legibus  solveretur)  wieder  zurückzuführen,  vereitelt  ward 
und  es  ihm  nur  gelang  ein  solches  Gesetz  durchzubringen, 
vermöge  dessen  ein  von  Gesetzen  entbindender  Senatsbe- 
schluss  wenigstens  nur  in  Anwesenheit  von  200  Mitgliedern 

gefasst  werden  durfte;  auch  sollte  zwar  die  Bestätigung  des 
*  ■  ■ " 

1)  £s  wäre  übrigens  nicht  unmöglich,  dass  selbst  scboh  die 
Leges  unter  Augustus,  wenn  auch  nicht  alle,  doch  zum  TheU  nur 
Senatusconsulte  oder  Constitutionen  mit  blosser  ßenunciation  ge- 
wesen wären. 

2)  Lex  de  Yesp.  imp.  8:  perinde  justa  rataque  sint^  ac  si  po- 
pull  plebisve  jussu  acta  essent.  Wer  weiss  es  nicht,  dass  Formeln 
jederzeit  das  Wesen  der  Dinge  überleben!  Ihre  urkundliche  Erschei- 
nung kann  daher  niemals  einen  Maasstab  für  die  Dauer  der  Insti- 
tutionen geben,  durch  die  sie  bedingt  sind. 

3)  Ascoo.  in  arg.  or.  pro  C,  CorneL 


imier  den  ersten  KaUem.  S9 

Volks  wiederum  eingeholt  werden,  kein  Tribun  aber  dagegen 
Einsprache  thun  dürfen,')  —  K^  Wunder  also,  wenn  alt- 
mählig  in  der  Kaiserzeit  die  Senatusconsulte  ohne  Weiteres 
Leges  wurden  und  die  Einholung  der  formellen  Sanction  yon 
Yolkswegen  als  eine  leere  Obsenranz  zuletzt  ganz  unterblieb. 

Auf  dem  Marsfelde  am  Petronischen  Bache  befand  sich 
das  Stadtsgebäude  fiir  die  Nationalversammhingen  in  beider- 
lei Gestalt,  die  sogenannten  Septa,  welche  seit  der  Verschö- 
nerung, die  sie  durch  Augustus  erfuhren,  Julia  beibenannt 
wurden,  und  von  denen  uns  noch  ein  antiker  Grundriss  zum 
Theil  erhalten  ist*)  Zu  den  Septis  gehörte  das  Diribitorium,') 
wo  die  35  Stimmkasten  der  Tribus  bei  den  Tributcomitien 
und  die  350  der  Centurien  bei  den  Genturiateomitien  geöff- 
net, die  Stimmen  sortirt  und  die  Resultate  gezogen  wurden. 
Dies  Geschäft  der  Diribitoren  (oder  Gustoden]  wurde  yor- 
mals  ohne  Zweifel  von  den  350  Richtern  ausgeübt,  welche 
das  Galpurniscfae  Gesetz  eingeführt  hatte,  so  dass  je  10  Rieh-* 
ter*]  den  Stimmkasten  einer  Tribus  ordneten,  und  je  einer 
den  Stimmkasten  einer  Geirturie.  Da  aber  die  Volkstbthei- 
lungen  besonders  seit  der  Erwerbung  des  Bürgerrechts  durch 
die  Italiker,  also  seit  663,  ausserordentlich  an  Stärke  der 
Kop&ahl  zunahmen,  so  vermehrten  sich  in  gleichem  Maasse 
auch  die  Geschäfte  der  Stiramenzählung.  Deshalb  übertrug 
Augustus,  nachdem  inzwischen  auch  die  Zahl  der  Richter  auf 
etwa  4000  gestiegen,  einer  besondern  Decurie  derselben,  den 
SQgenaniiten  Neunhundertmännem,  jenes  Amt.') 

Wie  ist  nun  aber  diese  bisher  so  dunkel  erschienene 
Beamtenzahl  zu.  erklären?  Wohl  einzig  aus  der  Art,  wie  man 
den  Zuwachs  der  Keubürger  seit  dem  Bundesgenossenkriege 


1)  ].  c.  ne  quis  in  senatu  legibus  solyeretur,  nisi  CG  affuissent 
neve  quis,  qaum  soiatus  esset,  intercederet,  quam  de  ea  re  ad  po« 
pulum  ferretur.   Vgl  Göttling  S.  478. 

2)  Graev.  thes.  T.  IV.   Göttiing  S.  386. 

3)  Die  55,  3.  Plin.  H.  N.  16,  40. 

4)  Daher  wohl  das  decurimre  bei  Gic.  pr,  Plane.  18  mit  Rück* 
sieht  auf  die  Bestechlichkeit  der  Stimmordner. 

5)  Plin»  H.  N.  33,  2. 


60  Der  Verfall  der  VoVssr^hte  in  Rom 

untergebracht  hatte.  Nach  Vellejus  (U«  20.)  wurden  die  liali- 
ker  in  8  alte  Tribus  vertheäty  nach  Appian  (b.  ciVb  L  49)  in  10 
neue.  Der  Letztere  hat  gewiss  seine  lateinische  Quelle  nur 
missverstanden,  wenn  er  an  neugebildete  Tribus  denkt;  allein 
die  Zahl  10  kann  nicht  gleicherweise  auf  \einem  Missverstand- 
nisse beruhen  y  noch  der  Ausdruck  ösKorvvovTsQ  corrumpirt 
sein.  Es  werden  also  erst  8,  dann  —  nach  mannigfachen 
Wechselfällen,')  und  in  Folge  neuer  Verleihungen  des  Stimm- 
rechts^) —  10  alte  Tribus  durch  Aufnahme  der  Neubürger 
vermehrt I  also  gleichsam  verdoppelt  wi^rden  sein.')  Und  in 
dieser  Verdoppelung  von  10  Tribus  dürften  nun  die  Neun* 
hundertmänner  des  Augustus  ihre  Begründung  finden.  Denn 
dieselbe  kam  der  Bildung  von  10  neuen  gleu^h.  Für  die  Müh* 
waltung  der  Diribitoren  wenigstens  war  es  so  gut  als  ob 
statt  35  jetzt  45  Tribus ,  oder  statt  350  Genturien  jeiat  450 
gewesen  wären.  Und  zu  diesen  Zahlen  standen  in  der  That 
die  Neunhundert  in  einem  ^[enauen  Verhältnisse,  indem  je  2 
derselben  auf  eine  einfache  Genturie,  oder  je  20  auf  jede  der 
25  einfachen  Tribus  und  je  40  auf  jede  der  10  verdoppelten 
gerechnet  wurden.  — 

DoTsh  dies  Alles  war  nun  dahin,  das  Stimmrecht  der 
Bürger  Anfangs  aus  Politik  aufrediterhalten,  dann  kaum  ge-- 

1)  Dahin  gehört  die  Vertheilung  der  Neabürger  sowie  der  Li- 
bertinen  in  sämmtliche  35  Tribus  durch  Sulpicius  (App.  b.  civ,  I. 
55  sq.  Liv.  ep,  77),  die  von  Sulla  annullirt  (App.  i,  c.  59  fin.),  von 
Cinna  wieder  angeregt  und  von  der  Marianischen  Paftei,  wie  es 
scheint,  neuerdings  eingeführt  ward  (cf.  Ltv.  ep.  84),  bis  sie  wohl 
schliesslich  durch  Sulla  auf  die  Dauer  beseitigt  wurde^  so  dass. fortan 
—  wie  die  Libertinen  wieder  auf  die  4  städtischen  Tribus  (Cic.  pro 
Milon.  33.  cf,  Peyr,  fr.  Cic.  p.  230)  —  so  auch  die  Neubürger  wie- 
der auf  eine  gewisse  Zahl  von  Tribus  beschränkt  waren. 

2)  S.  z.  B.  Liv.  ep.  84.  cl  86. 

3)  Ist  die  Angabe  des  Sisenna  bei  Nonius  (s.  v.  Seuati  u.  ergo), 
dass  L.  Galpurnius  Piso  in  Folge  eines  Senatsbesoblusses  2  neue 
Tribus  hinzugefügt  habe,  wie  kaum  zu  bezweifeln,  auf  diese  Zeit 
zu  beziehen,  wenn  auch  auf  ein  späteres  Jahr  als  Weiland  (de  beil. 
Mars.  p.  63)  andeutet:  so  gewinnt  die  obige  Annahme  der  Steige- 
rung von  8  auf  10,  und  somit  Appian's  Zahl  eine  schlagende  Be- 
stätigung. 


unter  den  &rsien  Kauern.  61 

duldet,  endlich  vernichtet  oder  erstorben.  Seit  Tiberius  — 
dies  ist  unsere  feste  Ueberzeugung  —  wurde  nie  mehr  förm- 
lich abgestimmt.  Die  Volksversammlungen,  obwohl  noch 
Gomitia  genannt,  glichen  doch  keinen  regelmässigen  Gomitien 
mehr,  sondern  nur  tumultuarischen  Goncionen;  und  obwohl 
nach  dem  alten  Geremoniel  der  Tribut-  und  der  Genturiat- 
comitien  zusammenberufen,  hatten  sie  doch  weder  Behörden 
zu  wählen  noch  Gesetze  zu  bestätigen,  sondern  dienten  le- 
diglich zu  einem  blendenden  Schauspiele  äusseren,  oft  auch 
rednerischen  Prunkes;  nie  fehlte  es  an  schallendem  Beifall, 
wenn  der  Kaiser  das  Wort  nahm.  Doch  selbst  diese  bedeu- 
tungslosen, nur  die  Renunciation  vollendeter  Thatsachen  -be- 
zweckenden Berufungen,  wurden  immer  seltener  und  seltener. 
Mit  Tiberius  also  verschwindet  factisch  der  ordo  piebe- 
jus  oder  der  staatsrechtliche  populus  aus  der  römischen  Ge- 
schichte. Es  gab  ieine  JSechte  des  Volkes  mehr.  ^)  Wenn 
daher  das  Prinoip  der  Volkssouveränetät,  soweit  dasselbe  über^ 
haupt  durchfilhrbar  ist^  die  .Grundlage  der  römischen  Repu- 
blik bildete,  so  sidht  man  leicht  ein,  dass  es  schon  die  Ju- 
lier waren  ^  welche  die  Grundfesten  der  Republik  zertrüm- 
mert und  auf  diesen  Trümmern  das  Gebäude  der  AUeinherr- 
sdbaft  gegründet  haben.  Zwar  ist  diese  Alleinherrschaft  unter 
ihnen  noch  nicht  iormeliy  wohl  aber  innerlich  und  wesentlich 
vollendet  Der  Folgezeit  blieb  kaum  m^hr  zu  thun  übrig,  als 
das  Gerüste  abzutragen,  welches  Jene  um  den  Bau  noch  ste-* 
ben  liessetf.    Und  nur  hiermit  säumte  mam 


1)  Unter  den  Beweisstellen  ist  Tac.  Dial.  34—37.  41.  nicht  zu 
übersehen,  wonach  zur  Zeit  der  Unterredung,  d.  i,  unter  Vespasian, 
alle  Debatten  schon  als  lange  verschwunden  gedacht  werden.  Auf 
den  Untergang  des  Stimmrechts  in  längst  verschollener  Zeit  spielt 
Ammian.  14,  6,  6.  an:  Et  olim  licet  otiosae  sint  tribus,  pacataeque 
oenturiae,  et  niilla  sufifragiorum  certamina.  Dass  um  die  Mitte  des 
4»  Jahrh.  jene  Scheincomitien  noch  bestanden,  ist  aus  dieser  Stelle, 
auf  die  mich  Herr  Prof.  Ranke  aufmerksam  machte,  nicht  zu  fol- 
gern; wohl  aber,  dass  der  Name  derTribus  und  Gentarien  immer 
noch  eine  gewisse,  wenn  auch  veränderte  Geltung  hatte. 

Adolph  Schmidt. 


Hofleben  und  BoftUten  der  Fttrstinnen 
Im  seehzehnten  Jahrhimdert« 

Eine    Skizze. 


fw» 


Als  vor  Jahren  der  Verfasser  dieser  Abhandinng  an  einem 
andern  Orte  ein  Bild  vom  Fürstenleben  und  der  Fürstensitte 
im  sechzehnten  Jahrhundert  zu  entwerfen  versuchte ,  schien 
es  ihm  nicht  unpassend,  jenem  Bilde  einst  ein  anderes  vom 
Leben  und  der  Sitte  der  Fürstinnen  derselben  Zeit  zur  Seite 
zu  stellen.  Wenn  er  aber  damals  schon  siVh  zu  dem  Bekennt^ 
nisse  gedrungen  iiihlte,  dass;  ,,wir  noch  nieht  im  Stände  sind, 
Ansprüchen  auf  ein  vollendetes,  in  sieh  abgeschlossenes  und 
abgerundetes  Sittengemälde  dieser  Zeit  vÖUig:€renüge  zu  lei- 
sten; es  müsse  daher  das  Dargebotene  vcnrerst  nur  als  eine 
Art  von  Vorstudien  zu  einem  einstigen  vollständigeren  und 
voUkommneren  Bilde  betrachtet  werden;  es  seien  Skizzen, 
einzelne  Zeichnungen  und  Schattirungen,  die  einsft  2u  einem 
Genregemälde  des  Lebens  und  der  Sitte  der  Zeit  dienen  könn- 
ten", so  gilt  dies  auch  hier  von  dem,  was  als  Cmrisse  und 
Entwürfe  zu  einem  Genrebild  des  Lebens  und  der  Sitte  der 
Fürstinnen  des  sechzehnten  Jahrhunderts  dem  Freunde  ge- 
schichtlicher Sittengemälde  vorgelegt  wird.  Und  es  gilt  viel- 
leicht hier  noch  um  so  mehr,  weil  es  noch  ungleich  grössere 
Mühe  und  Opfer  an  Zeit  gekostet,  um  die  Zeichnung  eini- 
germaassen  abzurunden  und  mit  Farben  und  Tinten  zu  be- 
leben. Den  Fürsten  trieb  das  sturmbewegte  Leben  dieser  gei- 
stiggrossen  Zeit  auf  die  Bühne  der  Vi^elt  hinaus  und  stellte 
ihn  vielfach  in  allen  seinen  Bestrebungen,  Sitten  und  Eigen- 


Hof  leben  und  HofiUten  der  Fürstinnen  etc.  63 

thümlichkeiten  dem  beobachtenden  Blicke  der  Mitwelt  und 
dem  forschenden  Auge  der  Nachwelt  dar.  Anders  aber  die 
Fürstin.  Je  wilder  der  Sturm  von  aussen  tobte,  sei  es  im 
Kampfe  der  Waffen  oder  im  zornerhitzten  Streite  um  Lehr- 
meinungen und  Glaubenssatzung,  um  so  mehr  sah  sie  sich 
vom  öffentlichen  Leben  zurückgedrängt  auf  die  ruhigen  Ge- 
mache ihres  Hofes,  in  die  Kreise  ihrer  häuslichen  Umgebun- 
gen, in  das  Stillleben  ihrer  fürstlichen  Beschäftigungen.  Um 
so  stfhwieriger  aber  ist  es  auch,  sie  in  diesem  ihrem  Still- 
leben 2u  belauschen  9  die  hervorstechenden  Züge  aus  ihrem 
Lebensbilde  getreu  und  wahr  aufzufassen  und  wiederzugeben. 
Der  Reiz  tndess,  der  in  der  Forschung  und  Betrachtung  die- 
ses in  die  Stille  zurückgezogenen  fürstiichen  Lebens  liegt,  hat 
den  Verfasser  dieser  Skizze  die  Mühe  nicht  verdriessen  las- 
sen, mehre  Hunderte  von  Origtnalbriefen  der  Fürstinnen  des 
sechzehnten  Jahrhundertr  hervorzusuchen,  um  aus  ihnen  die 
Züge,  zusammenzulesen,  welche,  wie  es  ihm  schien,  dazu  die- 
nen könnten,  ein  Bild  von.  dem  Leben  dieser  Fürstinnen  zu 
gewinnen.  Was  ihm  an  Licht  und  Leben,  Farben -Ton  und 
Schatten  noch  abgeht,  mögen  Andere,  mag  eine  spätere  Zeit 
daran  noch  vervollständigen.  Das  Gegebene  mag  so  lange  als 
Skizze  dienen. 

Fassen  wir  das  Leben  einer  Fürstin  von  der  Wiege  aul^ 
so  empfing  die'  Welt  das  neugeborene  „Fräulein'^  schon  da- 
mals nicht  mit  der  Freude,  wie  einen  jungen  Sohn.  Wünschte 
mau  der  Mutter  von  nahe  und  fern  auch  Glück  „zu  glückse- 
liger Erlösung  von  der  fraulichen  Bürde  und  zu  solcher  ge- 
benedeieten  Gabe*',  so  versäumte  man  doch  selten,  den  pro- 
phetischen Wunsch  „eines  Erben  in  Jahresfrist*  hinzuzufügen. 
Desgleichen  ward  auch  die  Taufe  des  Fräuleins  mit  ungleich 
wenigerem  Glanz  gefeiert  und  selbst  die  fürstlichen  Pathen- 
geschenke  waren  meist  von  geringerem  Werthe.  Indess  dankt 
dodi  die  Herzogin  ^hna  von  Mecklenburg  dem  Hepzog  von 
Pre]iissen  bei  der  Taufe  ihrer  Tochter  für  das  Pathengeschenk 
nut  den  Worten:  „es  wäre  wahrlich  eines  solchen  tapfern 
und  stattlichen  Geschenkes  uimöthig  gewesra,  denn  dass  wir 


64  Ho  flehen  und  BofHiien  der  Fürstinnen 

Ew.  Liebden  zu  GeYatter  gebeten,  ist  keiner  andern  Ursache 
halber  geschehen,  als  dass  wir  mit  Ew.  Liebden  und  dersel- 
ben herzliebsten  Gemahlin  alte  Treue  und  Freundschaft  wie- 
derum erneuem  wollten." 

Während  der  junge  Prinz,  zum  Alter  des  Unterrichts 
herangereift,  der  Pflege  der  fürstlichen  Mutter  entnommen 
und  der  Führung  und  Belehrung  eines  Hofmeisters  überge- 
ben war4  wuchs  das  Fräulein  in  der  mütterlichen  Umgebung 
zu  einem  höheren  Lebensalter  heran,  ohne  dass  an  eigent* 
liehe  wissenschaftliche  Ausbildung  gedacht  ward.  Es^mäg  als 
Ausnahme  gelten,  dass  Herzog  Albrecht  von  Preussen,  desr 
sen  Gemahlin,  eine  Dänin,  der  deutschen  Schrift  und  Sprache 
damals  noch  nicht  ganz  mächtig  war,  seiner  Tochter  Anna 
Sophia  schon  in  ihrem  siebenten  Jahre  einen  besondem  Leh- 
rer gab,  der  sie  besser  in  der  deutschen  Sprache  unterrich- 
ten sollte,  als  es  die  Mutter  vermochte.*)  Selbst  im  vorge- 
rückten jungfräulichen  Alter  war  von  einem  umfassenden 
Unterricht  und  einer  auch  nur  einigermaassen  gründlichen 
wissenschaftlichen  Belehrung  der  fttrstlichen  Fräulein  damals 
kaum  die  Rede.  Lesen  und  Schreiben,  Religion  und  eine 
Uebersicht  in  der  Geographie  scheinen  in  der  Regel  die  ein- 
zigen Gegenstände  des  Unterrichts  gewesen  zu  sein;  aber>uch 
hierin  blieben  die  Kenntnisse  meistens  höchst  mangelhaft.  Zu- 
weilen kam  noch  einige  Belehrung  in  der  deutschen  und  wohl 
auch  in  der  lateinischen  Sprache  hinzu.  So  erklärt  der  Jtlarkr 
graf  Georg  Friedrich  von  Brandenburg  dem  Hofmeister  Hein- 
rich Schröder  in  einem  Zeugniss,  „dass  er  den  Töchtern  des 
Herzogs  Albrecht  Friedrich  von  Preussen,  Fräulein  Anna  und 
Eleonore,  stets  mit  bestem  Fleisse  aufgewartet  und  dieselben 
in  der  lateinischen  und  deutschen  Sprache  treulich  instituirt 
und  unterwiesen,  nun  aber  zur  weitern  Fortsetzung  seiner 
Studien  nach  seinem  Wunsche  seine  Entlassung  erhalten 
habe.'^  Sonach  blieb  die  geistige  Ausbildung  der  fürstlicbe;i 
Fräulein  in  jeder  Hinsicht  unvollkommen  und  mangelhaft, 


*)  Wir  finden  in  Rechnungen,  dass  der  angenommene  fürsthcfae 
Leiirer  Magister  Jacobus  ein  jäbrliches  Gehalt  von  BO  Mark  erhiell. 


im  sechzehnten  Jährhundert  65 

wovon  aueh  die  Briefe,  welche  sich  aus  ihren  späteren  Jah- 
ren von  ihnen  erhalten  haben,  redende  Zeugen  sind,  denn  sie 
verrathen  nie  eine  Spur  voh  wissenschaftlichen  Kenntnissen 
irgend  einer  Art  und  selbst  die  Sprache  und  Schreibart,  in 
der  sie  abgefasst  sind,  geben  Beweis  von  ihrer  mangelhaften 
geistigen  Ausbildung.  Nur  hie  und  da,  wie  wir  später  sehen 
werden,  durchbrach  der  eigene  Geist  die  Schranken  und  Hem- 
mungen der  Zeit  und  erhob  sich  zu  einer  gewissen  Höhe 
der  Bildung. 

Die  eigentliche  Erziehung  und  Ausbildung  des  fürstlichen 
Fräuleins  fiir  das  Leben  und  für  seine  weibliche  Bestimmung 
erfolgte  Üieils  durch  die  Leitung  und  Führung  der  fürstlichen 
Mutter,  theils  durch  den  Umgang  und  Unterricht  der  Hof- 
meisterin, der  Obervorsteherin  der  Hofjungfrauen  oder  des 
5.  g.  Frauenzimmers,  von  deren  Stellung  am  fürstlichen  Hofe 
wir  späterhin  das  Nähere  hören  werden.  Da  ihr  die  nächste 
Aufgeht  und  äusserliche  Ausbildung  des  fürstlichen  Fräuleins 
anvertraut  wurden,  so  waren  die  Fürstinnen  stets  bemüht, 
Personen,  die  sich  durch  weibliche  Tugenden,  Anstand,  feine 
Sitten  und  Gewandtheit  im  Umgang,  aber  zugleich  auch  durch 
Fertigkeit  und  Geschick  in  weiblichen  feinen  Arbeiten  aus- 
zeichneten, als  Ho&neisterinnen  in  Dienst  zu  nehmen.  Man 
wählte  sie  gewöhnlich  aus  dem  Adel.  Es  war  indess  nicht 
leicht,  Personen  zu  £nden,  die  alle  Tugenden  und  Eigenschaf- 
ten einefr  in  allen  Beziehungen  brauchbaren  Hofmeisterin  ver- 
einigten. Die  Herzogin  Dorothea  von  Preussen  durchmusterte 
vergebens  den  gesammten  w^eiblichen  Adel  ihres  Landes,  um 
eine  geeignete  Person  auszusuchen,  deren  Führung  sie  ihre 
Tochter  Anna  Sophia  anvertrauen  könne.  Sie  musste  Auftrag 
geben,  ihr  eine  solche  aus  Deutschland  zuzusenden.  Sie  ver- 
hiess  ihr  einen  jährlichen  Gehalt  von  zwanzig  Gulden,  aus- 
serdem die  Hofkleidung,  wie  man  sie  allen  andern  Hofjung- 
frauen  jedes  Jahr  zu  geben  pflegte  und  stellte  ihr  die  Aus- 
sicht zur  Verbesserung  ihrer  Besoldung,  wenn  sie  ihren 
Pflichten  und  Obliegenheiten  in  Pflege  und  Führung  des  fürst- 
lichen Fräuleins  treu  und  fleissig  nachkommen  werde.  Häu- 
fig entspann  sich  zwischen  der  Hofmeisterin  und  dem  fürst- 

Zeitsehrtft  f.  Geschichtsw.    I.    1844.  5 


66  Hofleben  imd  Hofsitten  der  Fürstinnen 

liehen  Fräulein  eine  vertraute,  innige  Freundschaft  für  das 
ganze  Leben. 

War  das  fürstliche  Fräulein  zu  mannbaren  Jahren  ge- 
kommen, so  suchten  die  fürstlichen  Aeltern  gerne  Gelegen- 
heit zur  Verheirathung.  Mitunter  aber  traten  beim  Unter- 
bringen der  fürstlichen  Töchter  manche  Sorgen  und  Schwie- 
rigkeiten ein.  Nicht  selten  machten  sich  der  damalige  Reli- 
gionszwist und  die  Spaltung  in  der  Kirche  auch  in  diesen 
Verhältnissen  geltend,  denn  kein  Fürst  des  altkatholischen 
Glaubens  konnte  sich  überwinden,  eine  Tochter  an  einen 
Fürsten  der  neuen  lutherischen  Kirche  zu  vermählen  und  in 
gleicher  Weise  schreckte  den  evangelischen  Fürsten  das  Be- 
kenntniss  des  alten  Glaubens  von  jeder  solchen  Verbindung 
zurück.  So  versuchte  es  im  J.  1551  der  Pfalzgraf  Friedrich  III. 
eine  Verbindung  zwischen  seinem  Vetter,  dem  Markgrafen 
Bernhard  von  Baden,  und  einer  Tochter  der  Gräfin  Elisabeth 
von  Henneberg  (Tochter  des  Kurfürsten  Joachim  I.  von  Bran- 
denburg und  früher  Gemahlin  des  Herzogs  Erich  des- Aeltern 
von  Braunschweig)  durch  Vermittlung  ihrer  Tochter  Elisa- 
beth von  Henneberg  einzuleiten ;  er  Hess  ihr  durch  diese  mel- 
den, dass  der  Markgraf  an  ihrer  Tochter  „Frauchen  Katha- 
rine  Wohlgefallen  gefunden"  und  dass,  wenn  sie  nicht  ab- 
geneigt sei^  er  sich  persönlich  bei  ihr  einfinden  wolle,  um  um 
die  Hand  ihrer  Tochter  zu  werben  und  „dann  nach  ihrem 
Gefallen  es  mit  der  Heirath  richtig  zu  machen."  Als^  indess 
die  Gräfin  sich  näher  um  des  Markgrafen  Persönlichkeit  er- 
kundigte .und  erfuhr,  dass  er  des  Markgrafen  Karl  von  Baden 
rechter  Bruder  sei,  schrieb  sie  dem  H^zog  Albrecfat  von 
Preussen:  „der  ist  ein  Papist;  da  habe  ich  kein  Herz  dazu." 
Sie  hat  darauf  den  eben  genannten  Herzog,  er  möge  ihr  zu 
einer  andern  Veri>indung  ihrer  Tochter,  wenn  es  sein  könne, 
mit  dem  Sohne  des  Kurfürsten  von  Sachsen,  mit  demr  Her- 
zog  von  Lüneburg  oder  am  liebsten  mit  einem  Prinzen  aus 
dem  Hessischen  Fürstenhause  mit  Rath  und  That  zur  Hand 
stehen.  Allein  von  allen  diesen  Wünschen  ging  keiner  in  Er- 
füllung. Sie  gab  daher  endlich  ihre  Tochter  dem  Freiherrn 
Wilhelm  von  Rosenberg,  Burggrafen  von  Böhmen. 


im  sech%ehnim  Jahrhundert.  67 

Lebten  fürstliche  Wittwen  mit  ihren  Fräulein  von  der 
Welt  zurückgezogen  auf  dem  einsamen  Besitzthum  ihres  Leib- 
gedings  und  also  ohne  fielen  Umgang  mit  andern  Fürsten- 
söhnen, so  wusste  die  besorgte  Mutter  gemeinhin  kein  an- 
deres Mittet  zur  Versorgung  ihrer  Töchter,  als  die  Vermitt- 
lung eines  nahe  verwandten  oder  sonst  befreundeten  Fürsten 
anzusprechen.  Hören  wir,  wie  die  Wittwe  des  Herzogs  Al- 
bert VI.  oder  des  Schönen  von  Mecklenburg  Anna  (Tochter 
Ae^  KurfUrsten  Joachim  I.  von  Brandenburg)  bemüht  war, 
ihre  Tochter  Anna  an  den  Mann  zu  bringen.  Sie  hatte  ihr 
Auge  auf  den  Herzog  Magnus  von  Holstein  geworfen  und 
schrieb  deshalb  dem  Herzog  Albrecht  von  Preussen:  „Weil 
Ew.  Liebden  selbst  wissen,  dass  die  Aeitern  nichts  lieber 
sehen,  denn  dass  ihre  Rinder  bei  ihrem  Leben  möchten  ehr- 
lich und  christlich  versorgt  werden  und  ich  auch  nichts  lie- 
ber erfahren  wollte,  als  ddiss  meine  freundliche,  herzliebste 
Tochter  möchte  bei  meinem  Leben  fürstlich  versorgt  und  aus- 
gesteuert werden,  so  bitte  ich  Ew.  Liebden  aufs  freundlichste, 
Ew.  Liebden  wollen  als  der  Herr,  Freund  und  yater  daztt 
helfen  rathen,  dass  meine  Tochter  an  die  Orte  kommen  möchte, 
damit  sie  ihrem  fürstlichen  Stande  nach  versorgt  werde  und 
ich  dess  getröstet  und  erfreut  wäre,  wie  ich  auch  nicht  zwei- 
fele, Ew.  Liebden  werden  der  Sache  ferner  nachdenken.  Ich 
habe  für  meine  Person  bedacht,  wenn  Gott  Friede  mit  Liv- 
land  und  dem  Moskowiter  gebe,  ob  es  dann  mit  Herzog 
Magnus  von  Holstein  gerathen  wäre."  Herzog  Albrecht  in- 
dess  billigte  diesen  Vorschlag  nicht,  weil  ihm  mehrmals  vom 
Herzog  Magnus  Nachrichten  zugekommen  waren,  die  ihn  be- 
denklich machten,  zur  Vermittlung  einer  solchen  Verbindung 
seine  Hand  zu  l^ieten.  Er  gab  jedoch  der  Herzogin  den  Trost, 
für  ihre  Tochter  auf  jede  Weise  zu  sorgen.  Einige  Jahre 
nachher  ward  diese,  nachdem  sie  schon  das  33ste  Jahr  er- 
reicht, an  den  Herzog  Crerhard  von  Kurland  vermählt. 

Noch  grösere  Schwierigkeiten  traten  für  solcheJurstliche 
FrHufein  ein,  die  sich  früher  dem  Klosterleben  gewidmet 
hatten,  später  aber  entweder  gezwungen  oder  freiwillig  ins 
Weltlfeben  zurückgekehrt  waren;  für  sie  boten  sich  fast  nir- 

6* 


68  .  Hofleben  und  HofsUteti  der  Fürstinnen 

gends  Aussichten  zu  ehelichen  Verbindungen  dar,  denn  in 
solchen  Fällen  stellten  selbst  auch  politische  Rücksichten  un- 
überwindliche Hindernisse  entgegen.  In  dieser  Lage  waren 
der  Graf  Wilhelm  IV.  von  Henneberg  und  dessen  Gemahlin 
Anastasia  (Tochter  des  Kurfürsten  Aibrecht  Achilles  von  Bran- 
denburg) mit  ihrer  Tochter  Fräulein  Margaretha,  die  sie  früh- 
zeitig in  ein  Kloster  gegeben  hatten.  Nachdem  ihre  drei  an- 
dern Töchter  bereits  glücklich  vermählt  waren,  hatte  der  Her- 
zog von  Preussen  in  einem  Briefe  an  die  Gräfin  im  Spasse 
die  Bemerkung  fallen  lassen:  wenn  sie  noch  eine  Tochter 
übrig  habe  und  sie  verheirathen  wolle,  so  möge  sie  sich  nur 
an  ihn  wenden,  er  werde  schon  daiiir  sorgen,  dass  sie  einen 
König  bekomme.  Die  Gräfin  in  der  bedrängten  Lage,  in  der 
sich  damals  schon  das  Hennebergische  Fürstenhaus  befand, 
und  überdiess  auch  überreich  mit  Kindern  gesegnet  (denn  sie 
hatte  deren  ihrem  Gemahl  nicht  weniger  als  dreizehn  gebracht}, 
nahm  die  Sache  ernster,  als  es  der  Herzog  erwartet  haben 
mochte.  Sie  fasste  ihn  beim  Wort,  indem  sie  ihm  schrieb: 
Sie  habe  keine  erwachsene  und  mannbare  Tochter  mehr  aus- 
ser einer,  Margarethe  genannt,  die  sie  in  früher  Jugend,  da 
sie  erst  neun  Jahre  alt  gewesen,  in  ein  versperrtes  Kloster 
gethan  habe,  in  der  Absicht,  dass  sie  ihr  Leben  lang  darin 
bleiben  solle;  sie  sei  deshalb  auch  geweiht  und  eingesegnet 
worden.  „Da  sind  aber,  fährt  sie  fort,  im  vergangenen  Auf- 
ruhr (im  Bauernkrieg)  die  Bauern  in  dasselbe  Kloster,  wie 
in  mehre  andere  Klöster  eingefallen  und  haben  es  schier  gar 
verwüstet,  so  dass  die  Nonnen,  die  darin  gewesen,  alle  ver- 
stöbert worden  sind.  Ein  Theil  haben  Männer  genommen;  die 
Obersten  darunter,  nämlich  die  Aebtissin  und  Priorin  sind  seit 
dem  Aufruhr  gestorben;  ein  anderer  Theil  ^nd  wieder  ins 
Niederland  unter  Köln  hinabgezogen,  von  wo  sie  zuvor  aus 
Klöstern  heraufgekommen  waren;  die  übrigen  sind  noch  hin 
und  wieder  bei  ihren  Freunden.  Nun  ist  aber  bei  uns  um-, 
her  mit  den  Jungfrauen  in  den  Klöstern  ein  solches  wildes 
Wesen,  dass  ich  meine  Tochter  nicht  gerne  wieder  in  ein 
Kloster  thun  möchte,  denn  ich  besorge  auch  bei  dem  jetzi- 
gen Wesen,  sie  würde  doch  nicht  darin  bleiben  können  und 


im  sechzehnte  Jahrhundert  69 

ich  müsste  sie  dann  wieder  herausnehmen.  Also  will  ich  sie 
lieber  bei  mir  behalten  und  zusehen,  was  der  liebe  Gott  mit 
ihr  schaffen  will.  Wo  aber  Ew.  Liebden  vermeint,  dass  es 
meiner  Tochter  annehmlich,  nützlich  und  gut  sein  sollte,  so 
würden  mein  Herr  und  Gemahl  und  ich  in  dem  Fall  unser 
Vertrauen  ganz  in  Ew.  Liebden  setzen^  wenn  Ew.  Liebden 
sie  wohl  mit  einem  Manne  versorgen  wollten,  wo  anders  keine 
Scheu  daran  sein  sollte,  dass  sie  eine  Könne  gewesen  ist. 
Sonst  ist  sie  eine  feine,  redliche,  fromme,  züchtige  Metz,  der 
ich,  ob  sie  gleich  nicht  meine  Tochter  wäre,  doch  nichts  an- 
ders nachsagen  könnte/'  Merkwürdig  aber  ist,  wie  die  Gräfin 
den  Herzog  auf  die  Gefahren  aufmerksam  macht,  die  für  die- 
sen Fall  zu  befürchten  seien.  „Ich  will,  fährt  sie  fort,  Ew. 
Liebden  als  meinem  lieben  Vetter  nicht  verschweigen,  dass 
der  Kaiser  und  sein  Bruder,  der  König  von  Ungarn  und  Böh- 
men, einen  grossen  Verdruss  und  Ungnade  auf  einen  werfen, 
der  eine  Nonne  nimmt  oder  der  einer  Nonne  zum  ehelichen 
Stande  hilft;  sie  sprechen  ^  derselbe  sei  gut  lutherisch  und 
dem  sind  sie  dann,  wie  ich  höre,  sehr  feind.  Sollte  also  mei- 
mem  H«rm  und  Gemahl,  mir  und  meinen  Kindern  oder  der 
Herrschaft  Henneherg  Ungutes  daraus  entstehen,  so  wäre  uns 
allen  das  sehr  beschwerlich,  denn  der  kaiserliche  Fiscal  kann 
jetzt  sonst  nichts  mehr,  als  dass  er  sich  über  die  kleinen 
Herren  legt,  die  nicht  grosse  Macht  haben,  und  dieselben 
plagt  Die  grossen  aber,  die  Gewalt  haben,  lässt  er  wohl 
sitzen.^'  Da  die  Gräfin  besorgt,  es  könne  aus  dieser  Angele- 
genheit für  die  Herrschaft  Henneberg  doch  vielleicht  ein  Nach- 
theil entstehen,  so  macht  sie,  wie  sie  sagt,  „aus  ihrem  thö- 
rigten  Kopfe"  dem  Herzog  den  Vorschlag:  er  möge,  damit 
doch  möglicher  Weise  eine  Verheirathung  zu  Stande  kom- 
men könne,  das  Fräulein  Margarethe  an  seinen  Hof  in  sein 
Frauenzimmer  nehmen;  man  könne  dann  ja  sagen:  der  Her- 
zog habe  darum  gebeten,  und  auf  diese  Weise  könnten  sie 
und  ihr  Gemahl,  was  auch  fortan  mit  dem  Fräulein  gesche- 
hen möge,  sich  gegen  den  Kaiser  und  andere  hinlänglich  ver- 
antworten. Dabei  aber  liegt  der  Gräfin  noch  eine  andere 
Sorge  auf  dem  Herzen.    Sie  gesteht  dem  Herzog,  dass  sie 


70  Hofleben  und  Hofsitten  der  Fürstinnen 

und  ihr  Gemahl  mit  grossen  Schulden  beladen  seien,  mehr 
als  sie  gerne  sagen  möge;  es  dürfe  also  auf  die  Verheira- 
thung  des  Fräuleins  nicht  zu  viel  verwandt  werden ,  denn 
sonst  würden  die  von  Schwarzburg  und  ihre  andern  Töchter 
auch  um  so  viel  mehr  fordern ,  wenigstens  doch  verlangen, 
man  solle  einer  so  viel  geben  als  der  andern.  „Wo  es  also, 
fligt  die  Gräfin  hinzu,  Ew.  Liebden  dahin  bringen  könnten, 
dass  wir  nichts  zum  Heiratsgut  geben  dürften  als  allein  ei- 
nen ziemlichen  Schmuck  und  die  Zehrung,  um  sie  zu  Ew. 
Liebden  hineinzubringen,  so  wollten  wir  Ew.  Liebden  URd 
Gott  sehr  danken,  dass  wir  unsere  Tochter  so  hoch  und  ehr- 
lich versorgt  hätten." 

So  sehr  indess  die  Gräfin  bemüht  war,  um  ihre  gewe- 
sene Nonne  mit  einem  Manne  zu  versoi^gen,  so  gingen  doch 
mehre  Jahre  hin,  ohne  dass  sich  eine  Aussicht  eröfihete.  ErsI 
nach  fünf  Jahren  fragte  Herzog  Albrecht  bei  der  Gräfin  wie- 
der nach,  ob  das  Fräulein  noch  ausser  dem  Kloster  sei  und 
was  man  ihr  etwa  als  Abfertigung  oder  Aussteuer  geben 
könne;  er  wolle  sich  jetzt  Mühe  geben,  sie  mit  irgend  einem 
reichen  Polnischen  Herrn  zu  versehen.  EUerauf  antwortet  ihm 
der  alte  Graf  Wilhelm  selbst:  „Unsere  Tochter  hat  gar  keine 
Lust,  wieder  in  ein  Kloster  zu  kommen,  wiewohl  es  uns  den 
jetzigen  Zeitläuften  nach  ganz  beschwerlich  ist,  sie  so  lange 
sitzen  zu  lassen;  denn  Ew.  Liebden  können  selbst  abnehmen, 
dass  solches  kein  Lager-Obst  ist.  Wo  wir  nun  aber  und  un- 
sere liebe  Gemahlin,  da  wir  beide  mit  einem  guten  Alter 
und  schweren  Leib  überfallen  und  oft  auch  viel  krank  sind, 
mit  Tod  abgingen,  so  wäre  sehr  zu  bedenken,  wie  es  jdem 
armen  Mensch  dann  gehen  möchte,  da  wir  hieraussen  nie- 
mand für  sie  haben  bekommen  können,  wäre  es  audi  nur 
ein  schlechter  Graf  oder  Herr  gewesen,  der  sie  hätte  neh- 
men wollen,  weU  sie  eine  Nonne  gewesen  ist  Wir  haben 
deren  keinen  unter  dem  Kurfürsten  von  Sachsen  oder  dem 
Landgrafen  von  Hessen  finden  können.  Wiewohl  uns  viele 
gerathen  haben,  sie  nicht  wieder  ins  Kloster  zu  thun,  so  ha- 
ben sie  doch  alle  Scheu  sie  zu  nehmen,  weil  sie  eine  Nonne 
gewesen  ist.   Darum  wo  Ew.  Liebden  etwas  zu  Wege  brin- 


tut  sech^hnten  Jahrhundert  71 

gen  könnten,  womit  sie  versorgt  werde,  wollten  wir  Ew. 
Lieihlen  gerne  folgen/*  Der  Graf  sdblagt  hierauf  dem  Her- 
*20g  vor,  ob  er  nicht  vielleicht  in  Böhmen  oder  Schlesien  etwa 
durch  den  Herzog  Friedrich  von  Liegnitz,  wenn  unter  diesem 
irgend  Grafen  oder  Herren  sesshaft  wären,  eine  Verbindung 
anknüpfen  könne.  „Was  ihre  Mitgift  und  Ausfertigung  anlangt, 
fährt  der  Graf  fort,  so  wollen  wir  Euch  freundlicher  Mei- 
nung nicht  verbergen,  dass  wir  von. der  Gnade  Gottes  nun 
fünf  Söhne  haben,  die  alle  im  Harnisch  reiten  mit  sechs,  acht 
und  auch  zehn  Pferden.  Dieselbigen  an  den  Fürstenhöfen  zu 
erhalten,  gebt  uns  des  Jahres  nicht  ein  Geringes  .aut  Wir 
haben  auch  noch  eine  erwachsene  und  unvergebene  Tochter 
Walpurg  bei  uns  im  Hause,  desgleichen  eine  bei  unserer 
Muhme  der  Herzogin  von  Gleve  und  Berg,  welche  auch  et- 
was haben  wollen.  Wir  sind  überdies  durch  etliche  Unfälle 
und  Kriegsiäu/te,  wo^iit  wir  einige  Zeit  betreten  gewesen, 
in  Unrath  kpmmen,  so  dass  wir  etwas  viel  schuldig  gewor- 
den sind*  Wir  zeigen  Ew.  Liebden  dies  alles  darum  an,  ob 
uns  dieselbe  bebüJflich  sein  könnte,  dass  wir  die  Tochter 
solchem  nach  fiuch  versehen  und  ausfertigen  köpnten,  und 
ob  dann  das  Heiratsgut  wohl  auf  dreitausend  Gulden  gebracht 
werden  möchte,  in  Betracht  des  weiten  Weges  und  der  gros- 
sen Kost  und  Zehrung,  die  wir  darauf  verwenden  müssten, 
.sie  so  weit  hin  wegzuschicken ,  was  sich  auch  nicht  unt^ 
tausend  Gulden  belaufen  würde,  zudem  was  uns  noch  der 
Schmuck  und  die  Kleidung  kosten  möchte.^  Mit  Bücksicht 
auf  diese  Umstände  bittet 'endlich  der  Graf  den  Herzog:  er 
möge,  darauf  denken,  dass  er  so  leicht  als  möglich  in  der 
Sache  davon  komme,  wiewohl  er  seiner  Seits  alles  thun  wolle, 
was  in  seinem  Vermögen  stehe. 

Herzog  Albrecht,  dem  es  immer  Vergnügen  machte,  sich 
in  Heirathsangelegenheiten  seinen  Freunden  geflUlig  z^  zeigen, 
erwiederte  dem  Grafen:  wenn  er  früher  gievsoisst  hätte,  dass 
der  Graf  seine  Tochter  einem  Freiherrn  geben  wolle,  so 
würde  er  sie  längst  mit  einem  solchen  in  seinem  eigenen 
Lande  haben  versorgen  können;  da  es  indess  jetzt  vielleicht 
möglieh  sei,  sie  in  Schlesien  bei  dem  Herzog  Friedrich  von 


72  Hofleben  und  Hofsitten  der  Fürstinnen 

Liegnitz  unterzubriogeD^  so  wolle  er  sich  zuvörderst  an  die- 
sen wenden,  um  zu  sehen ,  ob  sich  dort  etwas  Gutes  aus- 
richten lasse.  ,,Wo  es  aber,  fügt  er  hinzu,  an  dem  Orte  nicht 
gelingen  würde,  wollen  wir  keinen  Fleiss  sparen,  Rath,  Mit- 
tel und  Wege  zu  erdenken,  ob  wir  sie  in  Polen,  Litthauen 
oder  wo  sich  die  Fälle  mit  der  Zeit  zutragen  würden,  in  un- 
serem Lande  versorgen  könnten.^'  Der  Herzog  bittet  daher 
den  Grafen:  er  möge  sich  einen  kleinen  Verzug  nioht  be- 
'  schwerlich  fallen  und  sich  auf  keine  Weise  bewegen  lassen, 
seine  Tochter  wieder  ins  Kloster  zu  stecken;  wofern  es  ihm 
aber  beschwerlich  sei,  sie  länger  bei  sich  ^u  behalten  oder 
man  vielleicht  in  ihn  dringen  werde,  sie  wieder  in  ein  Klo- 
ster zu  Verstössen,  so  möge  er  sie  ihm  lieber  nach  Preussen 
zuschicken;  er  wolle  sie  als  Freund  bei  sich  behalten,  bis 
sich  eine  Gelegenheit  finde. 

Wie  wir  hier  den  Herzog  Albrecht  von  Preussen  bereit- 
willig finden,  dem  gräflichen  Fräulein  Margarethe  irgendwie 
einen  Mann  zu  verschaffen,  so'war  er  es  auch,  der  dem  jun- 
gen Markgrafen  von  Brandenburg,  nachmaligem  Kurfärslen 
Joachim  H.,  mit  dem  er  so  befreundet  war,  dass  er  sich  mit 
ihm  duzte,  eine  Braut  zu  empfehlen  suchte.  Er  leitete  die 
Heirath  zwischen  ihm  und  seiner  nachmaligen  Gemahlin  Hed- 
wig, einer  Tochter  des  Königs  Sigismund  L  von  Polen,  da- 
durch ein,  dass  er  ihm  die  Prinzessin  auf  folgende  Weise 
schilderte:  „Ich  will  Dir  nicht  bergen,  dass  sie  nicht  alt,  son- 
dern hübsch  und  tugendsam,  auch  gutes  Verstandes,  Geberde 
und  Wesens  ist,  ungefähr  um  ihr  zwanzigstes  Jahr.  In  Summa, 
dass  ich  Dich  mit  langen  Reden  nicht  aufziehe,  so  kann  ich 
Dir  sie  nicht  genugsam  rühmen,  und  sage  das  bei  meiner 
.höchsten  Treue  und  wahrem  Wesen:  wo  ich  diese  jetzige 
fromme  Fürstin ,' meine  liebe  Gemahlin  nicht  hätte  und  mir 
Gott  eiiv  solch  Mensch,  wie  diese  tugendsame  Fürstin  ist, 
von  der  ich  schreibe,  verliehe,  so  wollte  ich  mich  selig  schrei- 
ben und  halten/^ 

Wie  für  den  Herzog  von  Preussen,  so  war  es,  wie  wir 
aus  häufigen  brieflichen  Mittheilungen  ersehen,  auch  für- an- 
dere Fürsten  eine  Art  von  Lieblingsgeschäft,  Heirathsverbin- 


im  sechsiehnten  Jahrhundert.  73 

düngen  zwi  sehen  verwandten  Fürstenhäusern  zu  Stande  zu 
bringen.  So  hatte  der  Landgraf  Philipp  von  Hessen  kaum 
erfahren,  dass  der  Herzog  von  Preussen  eine  schöne,  mann- 
bare Tochter  habe,  als  er  ihm  durch  den  herzoglichen  Rath 
Asverus  Brandt  das  Anerbieten  machen  liess,  sofern  es  der 
Herzog  wünsche,  eine  Verbindung  zwischen  dem  Fräulein 
und  einem  jungen  Pfalzgrafen  zu  Stande  zu  bringen.  Albrecht 
nahm  es  mit  ausserordentlicher  Freude  auf.  „Wir  können 
daraus,  schrieb  er  ihm,  nichts  anders  verspüren^  als  Ew.  Lieb- 
den  freundwilliges  ^  treues  Herz  und  haben  auch  darob  um 
so  viel  mehr  Frohlockung  geschöpft,  als  wir  bedacht,  mit 
welcher  hcAen  Freundschaft,  auch  Erbeinigungsverwandtniss 
die  löblichen  kurfürstlichen  und  ftirstlichen  Häuser  Branden- 
burg und  Hessen,  schon  viele  Jahre  her  einander  verwandt 
sind;  und  dieweil  wir  denn  solche  treue  Freundschaft,  die 
Ew.  Liebden  gegen  uns  tragen,  befinden,  mögen  wir  hinwie- 
der in  gleicher  Treue  und  Vertrauen  unangezeigt  nicht  las- 
sen, dass  wir  nicht  allein  nicht  ungewogen, -  sondern  sehr 
begierig  sind,  da  uns  leidHebe  und  ziemliche  Wege  vorkä- 
men, unsere  geliebte  einzige  Tochter  einem  frommen  Fürsten 
ins  heilige  Reich  deutscher  Nation  zu  verheirathen.^'  Der 
Herzog  ersucht  darauf  den  Landgrafen,  ihm  über  den  Namen, 
die  Verhältnisse,  die  Cresinnungen  und  den  Charakter  des 
jungen  Pfalzgrafen  nähere  Nachrichten  mitzutheilen,  damit  er 
die  Sache  weiter  erwägen  und  mit  seinen  Freunden  und  Ver- 
wandten, insbesondere  mit  dem  Könige  von  Dänemark,  dem 
Bruder  der  Mutter  seiner  Tochter,  in  Berathung  ziehen  könne. 
Wi«  viel  dem  Herzog  daran  gelegen  war,  eine  solche  Verbin- 
dung ins  Werk  gestellt  zu  sehen,  gab  er  dadurch  zu  erkennen, 
dass  er  dem  Landgrafen  alsbald  meldete,  wie  er  seine  Tochter 
auszustatten  gedenke.  Er  schreibt  ihm:  „Wir  wollen  Ew.  Lieb- 
den als  dem  Freunde  vertraulicher  Meinung  nicht  verbergen, 
welcher  Gestalt  wir  unsere  Tochter,  wenn  sie  durch  gnädige 
Schickung  Gottes  verheirathet  wird,  auf  ziemliche  und  leid- 
liche vorgehende  Beredung  nach  altem  Herkommen  des  Hau- 
ses Brandenburg  auszustatten  gesinnt  sind.  Wir  sind  nämlich 
bedacht,  Ihrer  Liebden  zur  Mitgift  20,000  Gulden  neben  ehr- 


74  Hofleben  und  üofsiiten  der  Fürstinnen 

lieber,  fürstlicher  Aussteuerung  an  Kleinodien,  Kleidern,  Ge- 
schmeiden und  was  dem  anhängig,  so  dass  verhoffentlich 
fürstlich  vollfahren  möge,  nach  unserm  Vermögen  zu  geben 
und  sie  sonst  nach  Gelegenheit  der  Herren  und  Beredungen, 
die  hierin  aufzurichten,  dermaassen  fürstlich  zu  versehen,  da- 
mit wo  Ihre  Liebden  nach  Schickung  des  Allerhöchsten  den 
Fall  des  Todes  an  uns  und  der  hochgeborenen  Fürstin,  un- 
serer freundlichen  herzgeliebten  Gemahlin  erlebte,  derselben 
an  dem,  was  die  Natur,  Recht  und  Gerechtigkeit  an  Erb- 
schaft und  sonst  giebt,  nichts  entzogen  werden  solle/'  üee 
Wunsch  des  Herzogs  wurde  indess  nidit  sogleich  erfüllt: 
seine  Tochter  Anna  Sophia  erhielt  erst  mehre  Jahre  später 
den  Herzog  Johann  Albert  von  Mecklenburg  zum  Gemahl. 

Hatte  sich  eine  Aussicht  zu  einer  Verbindung  des  fürst- 
lichen Fräuleins  eröffnet,  so  versäumten  die  Aeltern  nicht, 
zuvor  die  nahen  Verwandt^!  darubeir  zu  Raitbe  zu  ziehen  und 
mati  fand  es  nöthig  sich  zu  entschuldigen,  wenn  dies  aus  ir- 
gend einem  Grunde  nicht  hatte  geschehen  können.  Als  sieh 
der  Landgraf  Georg  von  Leuchtenfaerg  im  J.  1549  mit  seinem 
Sohne  Ludwig  Heinrich  in  den  Niederlanden  einige  Zeijt  am 
Kaiserhofe  aufhielt,  gelang  es  dem  Märkgrafen  Albreeht  von 
Brandenburg,  eine  Verbindung  zwischen  dem  jungen  Prinzen 
und  der  jungen  Gräfin  Mathilde  von  der  Mark  zu  Stande  zu 
bringen.  Sie  musste  aber  aus  mancherlei  Gründen  mit  solr 
eher  £ile  betrieben  werden,  dass  es  nicht  möglieh  war,  die 
nahen  Verwandten  erst  darüber  um  ihren  Rath  zu  fragen. 
Die  Landgräfin  Barbara  von  Leuchtenberg,  eine  Schwester 
des  Herzogs  Albrecht  von  Preussen,  bittet  daher  üi>  dem 
Schreiben,  worin  sie  diesem  mit  grosser  Freude  das  glüdc- 
liche  Veriöbniss  ihres  Sohnes  mit  „der  wohlgeborenen  Jung- 
frau Mathilde  geborene  Gräfin  zur  Mark'^  meldet,  aufs 
Dringendste  um  Entschuldigung,  dass  der  Markgraf  und  ihr 
Gemahl  in  der  Sache,  in  der  sie  unter  andern  Umständen 
gewiss  nichts  ohne  der  andern  Herren  Brüder  und  Vetter 
Wissen,  Rath  und  Willen  verhandelt  und  beschlossen  haben 
würden,  es  diesmal  hätten  unterlassen  müssen^  um  nicht  in 
Gefahr  zu  kommen,  die  treffliche  Partie  aus  der  Hand  gehen 


im  sechzehnten  Jahrhundert  75 

zu  lassen;  denn  abgesehen  von  „der  Jungfrau  Frömmigkeit 
und  ehrlichem  Verhalten  und  dass  sie  furstmässigen  Stam- 
mes sei,  auch  ein  tapferes  fiirstliches  Heiratsgut  erhalten 
werde,  ständen  auch  deren  nächste  Gesippte  und  Verwandte 
beim  Kaiser  in  grossem  Einfluss  und  Ansehen,  dass  man  von 
diesen  sich  manche  Hülfe  versprechen  könne/' 

Hatte  ein  junger  Fürst  noch  nicht  die  persönliche  Be- 
kanntschaft einer  Prinzessin,  die  man  ihm  zugedacht,  gemacht, 
so  sandte  man  ihm  entweder  ein  Porträt  derselben,  eine  Gon- 
terfeiung,  wie  man  es  damals  nannte,  oder  man  suchte  eine 
persönliche  Zusammenkunft  Beider  an  einem  dritten  Für- 
stenhöfe zu  veranstalten,  um  so  „eine  Besichtigung  der  Per- 
sonen'^  möglich  zu  machen.  So  Hess  es  sich  der  Herzog  Ai- 
brecht  von  Preussen  im  J.  1561  viele  Mühe  kosten,  eine  Ver- 
bindung zwischen  detia  Könige  Erich  XIV.  von  Schweden  und 
einer  Prinzessin  von  Mecklenburg  einzuleiten.  Er  hatte  dem 
Könige  das  Fräulein  als  iso  ausgezeichnet  schön  geschildert, 
dass  dieser  ihm  erwiederte:  er  müsse  nach  solcher  Schilde- 
rung wohl  glaiü)en,„dass  die  Person  ihrem  fürstlichen  Stamme 
nach  sehr  schön  und  mit  hodiädeligen  Tugenden  geziert  und 
begabt  sei."  Er  schlug  mehre  Wege  vor,  wie  es  der  Herzog 
möglich  machen  könne,  dass  eine  gegenseitige  Besichtigung 
zwischen  ihnen  Statt  fiade^  „denn,  fugte  er  hinzu,  im  Fall 
naeh  vorgehender  Besichtigung  wir  an  der  Person,  wie  wir 
helfen,  einen  Gefallen  tragen  würden,  so  wüssten  wir  nichts, 
was  uns  sonst  an  Vollfuhrung  solcher  Heiratssache,  sofern 
dadurch  eine,  beständige,  zuverlässige  und  vertraute  Freund- 
schaft zwischen  uns  und  dem  Hause  zu  Mecklenburg  gepflanzt 
und  aufgerichtet  werden  möchte,  besondere  Hindernisse  ent- 
gegenstellen könnte,  da  wir  in  diesen  christlichen  Sachen 
nach  keinem  grossen  Brautschatz  oder  nach  Reichthum,  wo- 
mit wir  ohnedies  von  Gott  reichlich  begabt  sind,  sondern  al- 
lein nach  hochadeligem  fürstlichen  Stamm,  Geblüt,  Tugend 
und  Schönheit  der  Person  trachten."  Die  Verbindung  kam 
jedooh  zum  Glück  des  Fräuleins  von  Mecklenburg  nicht  zu 
Stande.  Der  König  heiratbete  bekanntlich  nachmals  die  Tech- 


76  Hoflebm  und  Hofsitten  der  Fürstinnen 

.ter  eines  Korporals,  ward  bald  darauf  vom  Throne  gesiossen 
und  starb  später  im  Gefangniss. 

So  gleichgültig  gegen  Brautschatz  und  Mitgift  wie  König 
Erich  war  man  sonst  in  der  Regel  nicht;  vielmehr  wurden 
sie  gewöhnlich  als  eine  Sache  von  grosser  Wichtigkeit  be- 
trachtet und  darüber  oft  lange  diplomatische  Verhandlungen 
gepflogen.  Hatten  zwei  junge  fürstliche  Personen  so  viel  Nei- 
gung zu  einander  gewonnen,  dass  sie  sich  zu  einer  gegen- 
seitigen Verbindung  entschlossen,  so  ernannten  die  Väter  ei- 
nige ihrer  vertrautesten  Räthe  zu  Unterhändlern,  die  an  ei- 
nem dritten  Orte  zusammenkamen^  um  über  die  Ausstattung, 
den  Brautschatz  und  die  Mitgift  des  fiirstlichen  Fräuleins  zu 
unterhandeln.  Man  nannte  dies  ,|eine  Ehebeteidigung^';  es 
dauerte  oft  mehre  Wochen,  ehe  man  über  Alles  aufs  Reine 
kam,  denn  man  ging  dabei  mit  grosser  Sorgsamkeit  zu  Werke. 
Hatte  man  dch  endlich  über  alles  Einzelne  genau  verstän- 
digt, so  wurde  mit  aller  diplomatischen  Förmlichkeit  ein  Ehe- 
contract  im  Namen  der  furstlidien  Väter  vpn  den  Gesandten 
abgeschlossen,^  der  über  die  Ausstattung  und  Mitgift  alles  Nö- 
thige  feststellte.  Was  dabei  hauptsächlich  zur  Sprache  kam, 
werden  einige  Beispiele  eriäutem. 

Nachdem  Herzog  Albrecht  von  Preussen  sich  der  Zu- 
stimmung des  Königs  Friederich  I.  von  Dänemark  wegen  der 
Verbindung  mit  dessen  Tochter,  der  Prinzessin  Dorothea  ver- 
sichert, kamen  die  bevollmächtigten  Räthe  beider  Fürsten, 
namentlich  von  Seiten  des  Herzogs  der  Bischof  Erhard  von 
Pomesanien,  der  Burggraf  Peter  von  Dohna,  der  Ritter  Dic- 
terich  von  Schlichen  und  einige  andere  zu  einer  Ehebeteidi- 
gung  in  Flensburg  zusammen  und  es  wurden  nach  vielfachen 
Unterhandlungen  folgende  Bestimmungen  als  Ehecontract  fest^ 
gestellt,  der  später  auch  die  Genehmigung  des  Königs  und 
des  Herzogs  erhielt.  Im  Namen  des  Königs  ward  verspro- 
chen :  er  werde  der  Prinzessin  als  Heirathsgeld  20,000  Gulden 
mitgeben,  welches  in  zwei  Hälften  in  den  Jahren  1527  und 
1528  zu  Kiel  in  guter  Silbermünze  ausgezahlt  werden  solle; 
ausserdem  wolle  er  sie  mit  königlicher  und  fiiFstlieher  Klei^ 
düng,  Kleinodien  und  silbernem  Geschirre,  „wie  es  bei  Kö- 


im  sechzehnten  Jahrhundert.  77 

nigen^  Fürsten  und  Herren  gebräuchlich  und  Gewohnheit 
sei'S  ausstatten  und  bis  an  das  Fürstenthum  Preussen  mit 
tausend  Mann  zum  ehelichen  Beilager  einbringen  und  gelei- 
ten lassen.  Der  Herzog  dagegen  verpflichtete  sich,  seiner  künf- 
tigen Gemahlin,  y^dem  Fräulein  von  Dänemark",  eins  der  bei- 
den Schlösser  Tapiau  oder  Labiau,  welches  später  die  dazu 
verordneten  Räthe  des  Königs  wählen  würden,  zu  „verleib- 
gedingen"  und  die  Fürstin  in  das  gewählte  Schloss  mit  allen 
seinen  Zubehörungen,  Städten,  Märkten,  Dörfern,  Lehen,  des- 
gleichen auch  auf  den  Adel  und  die  Ritterschaft,  die  etwa  in 
dem  Amte  gesessen  seien,  mit  allen  herrlichen  Rechten,  Frei- 
heiten und  Diensten  in  gewöhnlicher  Weise  einzuweisen. 
Werde  die  Fürstin  des  Herzogs  Tod  überleben,  so  solle  sie 
auf  dem  gewählten  Schlosse  „wie  eine  Leibgedingsfrau^^  ih- 
ren Wohnsitz  haben.  Es  werden  ihr  ferner  auf  40,000  Gul- 
den gewisse  Renten  in  den  Geldzinsen,  Zöllen  und  sonstigen 
Nutzungen  itn  Amtsbereiche  des  Schlosses  verordnet  und  ver- 
macht, wobei  aus||rücklich  noch  bestimmt  wird,  dass  das, 
was  in  den  Einkünften  und  im  Rentenertrage  des  Schlosses 
an  der  Rentensumme  etwa  fehlen  werde,  von  den  andern 
naheliegenden  Aemtern  gedeckt  werden  solle.  Alles,  was  von 
Alters  her  an  Schaarwerk,  hohen  und  niedem  Gerichten,  Fi- 
scherei, Holzung  u.  s.  w.  zum  Schlosse  gehört,  solle  dabei 
bleiben  und  ausschliesslich  zur  Haushaltung  und  Unterhaltung 
des  Hofes  der  Fürstin  verwandt  werden.  Was  der  Herzog 
an  Morgengabe  oder  zur  Verbesserung  und  Erhöhung  des 
Leibgedings  seiner  Gemahlin  einst  noch  zuwenden  wolle, 
solle  seiner  Güte  und  Liebe  anheim  gestellt  sein.  Ferner 
verpflichtete  er  sich,  in  einem  besondern  Yerzichtbriefe  ftir 
sich,  seine  Gemahlin  und  ihre  Erben  allen  weitern  Ansprü- 
chen und  Forderungen  an  die  Reiche  Dänemark  und  Nor- 
wegen, sowie  an  die  Fürstenthümer  Schleswig,  Holstein  u.s.w. 
zu  entsagen,  nichts  an  väterlicher  oder  mütterlicher  Erbschaft 
weiter  zu  verlstngen  und  „  mit  solcher  Ausstattung  gesättigt 
zu  sein.''  Nur  wenn  der  König  ohne  männliche  Leibeslehen- 
erben sterbe,  solle  es  dem  Herzog  vorbehalten  bleiben,  für 
seine  Gemahlin  „als  eine  Tochter  von  Dänemark  und  Hol- 


-^ 


78  Hofleben  und  Hofsitten  der  Fürstinnen 

stein  zu  fordern,  was  ihr  von  Rechtswegen  gebühre/'  Dieser 
Verzichtbrief  solle  dem  Könige  noch  vor  dem  ehelichen  Bei- 
lager eingehändigt  werden.  Endlich  ward  noch  festgesetzt, 
dass  im  Fall  der  Herzog  von  seiner  künftigen  Gemahlin  keine 
Erben  erhalten  werde  und  diese  vor  ihm  sterbe,  alles,  was 
das  königliche  Fräulein  als  Heirathsgut,  Brautschatz  und  Klei- 
nodien nach  Preussen  bringen  werde,  dem  Könige  oder  des- 
sen Erben  wieder  anheimfallen  solle. 

Stellen  wir  diesem  Ehecontract  aus  dem  zweiten  Jahr- 
zehend  des  sechzehnten  Jahrhunderts  einen  andern  aus  einer 
spätem  Zeit  zur  Seite,  so  finden  wir  in  diesem  die  Bestim- 
mungen etwas  verändert.  Bei  der  Eheverbindung  des  Pfalz- 
grafen Johann  des  Aeltem  von  Zweibrücken  mit  dem  Fräu- 
lein Magdalene,  der  Tochter  des  Herzogs  Wilhelm  von  Jülich, 
Cleve  und  Berg  im  J.  1579,  musste  der  Pfalzgraf  zuerst  das 
Versprechen  geben,  dass  er  an  einem  bestimmten  Tage  mit 
dem  Fräulein  Magdalene  das  eheliche  Beilager  halten  wolle. 
Dagegen  sicherte  ihm  der  Herzog  nach  sUchem  Beilager  ei- 
nen Brautschatz  von  25,000  Goldgulden  zu  und  versprach, 
solchen  „zum  rechten  Heiratsgut  gegen  gebührliche  Quittung" 
in  Jahresfrist  auszahlen  zu  lassen,  auch  seine  Tochter  „mit 
Kleinodien,  Kleidern,  Schmuck,  Silbergeschirre  ü.  a.,  wie  es 
einer  Fürstin  von  Jülich  wohl  gezieme,  ungefähr  gleich  den 
andern  Schwestern  ehrlich  abzufertigen."  Der  Pfalzgraf  ver- 
hiess  nach  erfolgtem  Beilager  das  Fräulein  mit  einer  iiirstli- 
chen  Morgengabe  von  4000  Gulden  zu  versehen,  „womit  die 
Fürstin  solle  handeln,  thun  und  lassen  können  nach  ihrem 
besten  Wohlgefallen  und  wie  es  Morgengabsrecht  und  Ge- 
wohnheit ist"  Da  herkömmlicher  Weise  die  Verzinsung  der 
Morgengabe  mit  200  Gulden  erst  dann  erfolgte,  wenn  die 
Fürstin  ihren  künftigen  Gemahl  überlebte,  so  versprach  der 
Pfalzgraf,  ihr  gleich  nach  dem  Beilager  jährlich  400  Thaler  in 
vierteljährigen  Zahlungen  als  „tägliches  Handgeld"  anweisen 
zu  lassen.  Sobald  das  Heirathsgut  von  25,000  Gulden  entrich- 
tet sei,  sollte  der  Pfalzgraf  ohne  Verzug  das  Fräulein  aufsein 
Schloss  und  Amt  Landsberg  und  einige  andere  genannte  Be- 
sitzungen mit  voller  obrigkeitlicher  Herrlichkeit  „zu  Wider- 


im  sechzehnten  Jahrhundert.  79 

legufig  und  Gegengeld  des  erwähnten  Heiratsgutes '^  anwei-« 
sen  und  sie  ihm  verschreiben  lassen.  An  jährlichen  Zinsen 
und  Nutzungen  in  dem  verschriebenen  Leibgeding  sicherte 
er  seiner  künftigen  Gemahlin  eine  jährliche  Rente  von  3800 
Gulden,  theils  an  baarem  Gelde  zu  1525  Gulden,  theils  an 
Wein  und  verschiedenen  Getreidelieferungen  zu,  mit  dem  XeT-» 
sprechen,  dass  wenn  das  Schloss  und  Amt  Landsberg  und 
die  übrigen  Besitzungen  den  genannten  Aente- Betrag  nicht 
vollkommen  abwerfen  würden,  der  Abgang  laut  Witthums- 
verschreibung  vom  Pfalzgrafen  aus  dessen  Rentkammer  oder 
andern  Aemtem  zugesteuert  werden  solle.  Der  Fürstin  soll- 
ten in  dem  ihr  zum  Leibgeding  zugeschriebenen  Amte  und 
Schloss  „alle  Obrigkeit,  Gericht  und  Herrlichkeit,  Fischerei, 
Jagd,  Bau-  und  Brennholz  und  sonst  alle  Küchengeftlle^^ 
zugehören,  nur  mit  Ausnahme  der  hohen  landesfurstlichen 
Obrigkeit,  der  Bergwerke,  Bitterlehen,  Reisegefolge,  Steuer, 
Zoll  und  Ungeld,  die  der  Pfalzgraf  sich  vorbehielt.  Nach  Er- 
legung des  Heiratfasgutes  sollten  alle  Einsassen  des  erwähnten 
Amts  und  der  übrigen  Besitzungen  der  Fürstin  eidlich  gelo- 
ben, nach  ihres  Gemahls  Tod  niemand  anderm  als  nur  ihr 
Gehorsam  zu  leisten.  Sobald  die  Fürstin  Wittwe  werde,  soll- 
ten des  Pfalzgrafen  Erben  ihr  das  Schloss  Landsberg  ohne 
weiteres  übergeben  und  es  mit  Hausrath,  Betten  und  Lein- 
wand so  zureichend  versehen,  dass  sie  ihrem  fürstlichen  Stande 
gemäss  daran  keinen  Mangel  leide.  Fehle  ihr  selbst  das  nö-^ 
thige  Silbergeschirr,  so  sollten  des  Pfalzgrafen  Erben  sie  da- 
mit versorgen;  nach  der  Fürstin  Tod  aber  oder  etwaniger 
zweiter  Verheirathung  solle  es  an  das  Fürstenbaus  Zwei- 
brücken wiederutti  zurückfallen.  An  diesem  ihrem  Witthum 
und  Vermächtnisse  solle  die  Fürstin  sich  genügen  lassen  und 
an  das  Land  weiter  keine  Forderung  machen.  Der  Pfalzgraf 
aber  verzichtete  gegen  Empfang  des  erwähnten  Heirathsgutes 
auf  alle  väterliche  und  mütterliche  Erbgüter  oder  sonstigen 
älterlichen  Nachlass  im  Fürstenthum  Jülich,  sowie  auf  alle 
weitern  Ansprüche  und  Forderungen.  Endlich  ward  noch 
festgesetzt,  dass  wenn  die  Fürstin  nach  des  Pfalzgrafen. Tod 
sich  von  neuem  vermählen  werde,  dessen  Erben  verbunden 


80  Hofleben  und  Hofsitten  der  Fürstinnen  etc. 

sein  sollten,  sie  in  Jahresfrist  aus  ilirem  Witthum  mit  der 
Summe  des  Heirathsgutes,  25,000  Gulden ,  auskaufen  und  ihr 
dann  auch  ihren  Kleiderschmuck,  ihre  Kleinodien,  ihr  mit* 
gebrachtes  Silbergeschirr  und  ihren  Häusrath  ungehindert  fol- 
gen zu  lassen;  sterbe  sie  aber  vor  dem  Pfalzgrafen  oder  spä- 
terhin als  Wittwe,  so  solle  jeden  Falls  (sie  möge  Kinder  hin- 
terlassen oder  nicht)  ihr  Heirathsgut  nebst  aller  ihrer  „Fahr- 
niss^'  an  das  Fürstenthum  Zweibrücken  zurückfallen.     . 

Aus  diesen  und  einigen  andern  uns  vorliegenden  Ehe- 
contracten  sehen  wir  also :  es  wurde  jeder  Zeit  bei  der  Ver- 
mählung einer  Fürstin  ein  gewisses  Heirathsgut  als  ein  blei- 
bendes Kapital  an  ihren  künftigen  Gemahl  gezahlt,  der  ihr 
dagegen  eine  ländliche  Besitzung  verschrieb,  worüber  sie  be- 
stimmte oberherrliche  Rechte  erhielt,  aus  welcher  sie  einen 
ihr  zugesicherten  Unterhalt  oder  Ertrag  an  Geld  und  Natu- 
ralien für  ihre  Bedürfnisse  und  ihren  eigenen  liirstlichen  Hof- 
staat bezog  und  auf  der  sie  als  Wittwe  ihren  Wittwensitz 
nehmen  konnte.  In  dieser  Besitzung  stand  ^ie  in  gewisser 
Hinsicht,  jedoch  noch  unter  gewissen  Beschränkungen,'  als 
selbständige  Fürstin  da.  Die  Einzahlung  des  Heirathsgutes  trug 
zugleich  den  Charakter  eines  Zins-  oder  Rentekaufs,  durch 
welchen  die  Fürstin  Ansprüche  auf  bestimmte  Einkünfte  zu 
ihrem  eigenen  Unterhalt  gewann.  IMe  Morgengabe  dagegen 
setzte  der  Fürst  für  seine  künftige  Gemahlin  selbst  fest.  Sie 
bestand  gleichfalls  in  einem  für  die  Fürstin  bestimmten  Ka- 
pital, dessen  Verzinsung  aber  erst  nach  des  Fürsten  Tod  an- 
hob, so  dass  also  erst  die  fürstliche  Wittwe  den  Zinsertrag 
der  Morgengabe  zu  geniessen  hatte.  So  lange  der  Fürst  lebte, 
ward  ihr  ein  gewisses  Handgeld  für  ihre  gewöhnlichen  täg- 
lichen Ausgaben  angewiesen. 

(Fortsetzung  im  nächsten  Heft.) 

J,  Voigt. 


The  life  and  pontificate  of  Gregory  VII.  by  John  William 
Bowden,  M.  A.    In  two  volumes.    London  1840. 

Schriften  des  Auslandes  find^  wenn  sie  nicht  der  Bei« 
letrislik  angehören  oder  die  politischen  Interessen  der  Ge» 
genwart  nahe  berühren,  noch  immer  nur  miäisam  und  sehr 
spi&t  ihren  Weg  zu  uns.  So  ist  auch  das  Leb^  Gregor's  VIL 
¥on  Bowden,  obwohl  sohon  vor  einigen  Jahren  erschienen» 
erst  neuerdings  mehrfach  in  Deutsehland  genannt  worden, 
le  grosseres  Interesse  aber  der  Gegenstand  darbietet»  und  je 
weniger  sich  luetdererseits  eine  Bekanntschaft  mit  d^  Behand- 
lung, die  er  hier  gefunden,  unter  den  Freunden  historischer 
Litaratur  voraussetzen,  lässt,  um  so  mehr  scheint  es  entschul- 
digt, wenn. wir  4ies  Werk  noch  jetzt  einer  Besprechung  un- 
terwerfen. 

Es  ist  auffällig,  dass  Bowd^,  der  eine  ausgebreitete. 
Kenntni^s  der  Quellen  und  Httlfsmittel  zur.  Geschichte  Gre- 
gor's YU.  zeigt,  eine  Schrift  weder  benutzt  noch  erwähnt,  die 
im  J.  1832  Sir  Aoger  Greisley  buchstäblich  unter  demselben 
Titel,  den  Böwden  seinem  Werke  beUegte,  zu  London,  her- 
ausgab. Man  muss  Absicht  in  diesem  Schweigen  yermutbeni 
um  so  mehr  als  die  allgemeine  Tendenz  Bowden's  eine  gaöz 
andere  war,  wie  die  seines  Vorgängers.  —  Greisley  behaup- 
tet: „The  Catholic  religion,  as  it  exists  in  Italy,  is  nothing 
n^re.  than  the  triuotph  of .  fraud  c^er  ignoranee  and  blind- 
ness,"  und  will  grade  dies  au  seiuem  Gegenstande  im  Eiozel- 
nm  darthun;  er  übergiebt  seinem  Yolke  die. Arbeit  5, in  tbe 
hope,  th^t  it  may  confirm  it  in  that  Protestant  belief  whioh 
our  enUghtened  fathers  established,  to  die  happiness  and 
glory.,  of  this  kingdom.^'  Bowden,  ein  offenkundiger  AnhKftger 
der  Lebten  von  Pusey  und  Newm^n,  s^zt  die  Corruption 
der  römis^-katholi sehen  Kirche  im  Grossen  «und  Ganzen  in 
-eine  viel  spätere  Zeit  als  di^,  welche  er  behandelt;  eK  ern 

Zeitschrift  f.  eescbichtsw.  I.   1814.  5 


82  The  life  and  ponüficate  of  Gregory  VIL 

kennt  die  frühere  Entwickelung  jener  Kirche  so  weit  an,  dass 
er  die  bischöfliche  Englands  in  den  engsten  Zusammenhang 
mit  derselben  setzt,  und  den  jetzigen  Zustaad  äusserlicher 
Trennung  (their  present  state  of  outward  Separation)  erst  vom 
J.  1569^  datirt;  ^r  sieht  daher  in  Gregor  a  witness  for  tbe 
truth  delivered  to  the  Ghurch's  care  and  a  reformer  of  the 
ahuses  of  his  time,  und  wenn  er  auch  die  kirchliche  Umge- 
staltung Englands  im  16ten  Jahrhundert  als  nothwendig  und 
wohlthütig  anerkennt,  so  war  ^sie  doch  nach  seiner  Meinung 
TOn  einer  grossen  Zahl  von  liebeln  begleitet,  die  bis  auf  den 
heutigen  Tag  fortgewirkt  haben.  Eine  R^rmatioB  der  Re- 
jbrmation  sdieint  demnach  in  den  Wünschen  und  Absichten 
Bowdeti's  au  liegen,  und  auch  darüber  kann  nach  der  gm-* 
z^n  Haltung  seines  Werkes  kein  Zweifel  sein,'  dass  er  eh«r 
eine  Anntfaernng  an  Rom  als  weitete  Entfemang  ron  den^^ 
selben  vor -Augen  hat 

Wie  in  der  Tendenz  unterscheiden  sich  aber  beide  Bio-» 
graphmv  auch  in  der  Bearbeitung  de&  Gegenstandes  selbst; 
Die  Schrift  von  Greisley  ist  eigentlich  nur  Uebersetzung  und 
theilw^se  Umschmelzung  der  Arbeit  «ine^  italienischen  Ge- 
lehrten^ der  ruhmlos  und  hülflos  starb,  und  dessen  Mami^ 
ftoriptder  Baronet  in  ItaKen,  wahrsch^iiiliob  billig  getiug,  von 
den  Gläubigern  desselben  kaufte.  Dieser  hatte  zu  jeher  po>* 
litifichen  Partei  Italiens  gehört,  welche  alle  Leiden  des  Xan^ 
des,  das  Hinwelken  eines  vormals  so  ruhmrei(Aen  NameitB, 
die  Schwäche  eines  Volkes,  das  einst  die  Welt  zu  beherr** 
sehen  meinte,  der  priesterlichen  Herrschaft  Roms,  dem  mdn«* 
chischen  und  kirchlichen  Despölismus  zuschreibt,  der  von  dort 
ausging:  einer  Partei,  welche  in  Italien  seit  Jahrfaundertw 
existirt,  uäd  weiche  trotz  alier  Verfolgung  nimn/^  unterdrückt 
werden  konnte.  Daher  finden  wir  in  der  Schrift  von  Grcts*^ 
ley  fast  überall  die  politischen  Gesichtspunkte  des  Gegen** 
Standes  mit  besonderem  Bezug  auf  Italien  hervorgehoben^ 
ffierdurch  gewinnt  sie  ein  gewisses  Interesse,  um  so  iqefar, 
da  Manches  aus*  italienischen  Stadtchroniken  geschöpft  isi^ 
die  nicht  allgemein  zugänglich  sind.  Der  Leser  wird  Einzel- 
nes luden,  was  ihm  neu  ist,  aber  selten  ist  das  Neue  rieb- 


by  John  WiUiam  Bowden.  Sd 

tig^  weil  es  dem  italienischen  Antor  ah  aller  Kritik  fehlte, 
nnd  dem  englischen  Bearbeiter  würden  wir  Unrecht  Üiun, 
wenn  wir  ihm  einen  hohem  Grad  der  Einsicht  in  dieser  Be- 
ziehung beimessen  wollten,  als  der  Verfasser  des  Werkes 
selbst  besass.  Greisley's  Zusätze  zu  dem  Original  werden 
schwerlich  mehr  betragen,  als  einige  allgemeine  Reflexionen 
und  mehre  mindestens  überflüssige  Anfuhrungen  aus  der 
neuern  theologikcben  Literatur  Englands. 

In  ganz  anderer  "Weise  ist  das  Werk  Bowden's  entstan- 
den'; er  teilt  sieh  besonders  auf  der  kirchlichen  Seite  seines 
Gegenstandes,  und  hat  sich  von  hier  aus  über  denselben  wohl 
erientirt.  Dass  er  die  Quellen  selbst  eingesehen  und  fleissig 
kenulzt  hat,  zeigt  sich  durchweg;  nicht  weniger  ersichtlich 
wird  jedoch  die  Benutzung  Von  neuern  Hüifsmitteln,  nament- 
libh  solchen,  welche  die  deutsche  Literatur  ihm  darbot  Bow- 
den  fuhrt  als 'solche  vornehmh'cb  die  kirchenhistorischen  Werke 
von  Schröckh  und  Gieseler  an,  wie  das  Leben  Gregorys  YIL 
von  Voigt;  er  behauptet  aber  durch  diese  nur  zu -den  Quel- 
len geföfart  zu  sein,  und  dann  aus  diesen  selbstständig  gear- 
beitet zu  haben.  Wie  uns  scheint,  bedarf  diese  Behauptung 
bedeutender  Beschränkung;  denn  im  Wesentlichen  beruht 
diese  neue  Biographie  Gregorys  doch  auf  den  Resultaten  deut*^ 
scher  Forschung,  und  die  Einsicht  in  die  Quellen  fiifarte  den 
Verfasser  fast  nirgends  vber  jene  hinaus.  Am  aufTälligsCen  ist 
dies  iti  den  Theilen  des  Buches,  welche  die  politiscfaei  Ge** 
schichte  Deutsehlands  und  Italiens  berühren;  diese  sind  fast 
nur  eine  Debersetzung  der  betreflenden  Abschnitte  aus  Steh- 
zel's  Geschichte  der  fränkischen  Kaiser:  ein  Werk,  das  deif 
Verfasser  wohl  gelegentlich  anfuhrt,  aber'weder  unter  seinen 
vorzüglichsten  Hüifsmitteln  elrwähnt,  nocb  grade  da  citirl,  wo 
es  am  nöthwendigsten  gewesen  wäre.  Aus  einer  grossen  Zahl 
von  Beispielen,  durch  welche  wir  diese  Bemerkungen  erwein 
sen  könnten,  heben  wir  aus  den  ersten  Abschnitten  nur  ein- 
zelne  Stellen  hervor,  bei  denen  Steiizel  nicht  genannt  ist 

Stenzel  a.  a.  O.  L  p.  113:  Zu  Pavia  hielt  Heinrich  (IIL) 
mit  neun  und  dreissig  der  angesehensten  Bischöfe  Deutsch- 
lands^, Italiens,  Burgnnds  und  Frankretck  eine  Kirchenver^ 

6* 


84  The  life  and  porUißcate  of  Gregory  YIL 

Sammlung  und  berieth  sich  mit  ihnen  über  die  Lage  des 
papstlichen  Stuhls.  Die  versammelten  Bischöfe  meinten:  es 
sei  ungerecht  einen  Bischof,  vielmehr  einen  Papst,  ungehört 
zti  verurtheilen;  daher  lud  der  König  den  Gregorius  YI.  ein 
zu  ihm  zu  komfaien.  Dieser,  ein  einföhiger  Mann,  hoffie, 
übrigens  sich  keiner  Schuld  bewusst,  den  plipstlichen  Stuhl 
mit  Hülfe  des  Königs  behaupten  zu  können,  kam  zu  ihm  nach 
Piacenza,  und  begleitete  ihn  mit  vielen  Bischöfen  nach  Su- 
tri.  —  Bowden  a.  a.  O.  I.  p.  117. 118:  In  Pavia,  he  held,  on 
the  2oth  of  October,  a  Council,  which  was  attended  by  nine- 
and-tfairty  of  the  most  distinguished  bishops  of  Germany, 
Italy,  Burgundy,  and  France;  with  whom  he  conferred  on 
the  State  of  the  pontificate,  with  a  view  to  the  deposHion-  ol 
all  its  existing  claimants.  But  the  prelates  declared  tfaat  a 
bishop,  and  much  more  a  pope,  could  not  he  condemned 
unheard;  and  Henry  therefore  invited  Gregory  Tl.  to  join 
him  in  northem  Italy.  This  simple  and  Ignorant  man,  trusting 
in  what  h«  considered  the  purity  of  his  intehtions,  and  in 
the  feeling  which  existed  in  the  papal  city  in  his  favour,  un- 
hesitatingly  set  ont  for  the  imperial  court;  and  presenttng 
himself  before  Henry  at  Piacenza,  was  received  by  the  king 
with  all  honour  and  distinction.  Thence  he  proceeded,  with 
the  monarch  and  his  train,  to  Sutri. 

Zu  dem  Datum  citirt  Bowden  Herman.  Gontr.;  aber  es 
findet  sich  dort  nicht,  sondern  ist  mit  der  Quellenangabe  aus 
den  chronologischen  Tabellen  bei  Stenzel  IL  p.  220  entlehnt» 
Die  wahre  Nachweisung  des  Datums  ist  dort  ebenfalls  gege- 
ben, Bowden  hat  sich  nur  in  dem  Ausschreiben  des  Gitais 
vergriffen,  und  ist  in  diesem  Falle  mindestens  nicht  auf  die 
Quellen  zurückgegangen.  Das  received  by  the  king  with  all 
honour  and  distinction  beruht  auch  nicht  auf  dem  gedruck- 
ten Text  des  Bonizo,  den  Bowden  neben  Herrn.  Gonte.  otiH» 
sondern  auf  einer  £mendation  StenzePs;  Gleich  darauf  .findet 
sich  eine  nicht  t>ireniger  angstliche  Benutzung:         *  ^ 

Steiizel  a.  a.  O.:  Es  hatten  sich  die  Grundsatze  des  fal- 
schen I6idör  schon  allgemeiner  festgesetzt,  vermöge  deren 
dem  Pafpst  die  höchste  Gewalt  in  der  Kirche  und  damit  das 


hff  John  WüKam  Bowden,  85 

* 

Redit  zHStand,  alle  an  ihn  gebrachten  Sachen  zu  entschei- 
den,  Richter  aller  Bischöfe  und  Aebte  zu  sein,  ohne  von  die- 
sen gerichtet  werden  zu  können. 

Bowden  a.  a.  O.:  The  principles  of  the  false  Isidore  were 
now  universally  admitted;  and  according  to  these,  the  pope, 
being  himself  the  supreme  judge  of  bishops  and  all  other 
ecciesiastical  dignitaries,  could  not  be  judged  by  them. 

Selbst  wo  gesdiichtliche  Personen  redend  eingeführt  wer- 
den, erinnert  der  Ausdruck  des  Verfassers  bisweilen  mehr  an 
den  des  deutseben  Bearbeiters  als  an  die  ursprüngliche  Quelle. 
So  heissen  die  Worte  Gregorys  VI.  an  die  Synode  /u  Sutri 
bei  Bonizo  p.  8Q2:  Testern  Deum  invoco  in  animam  meam, 
viri  fratresy  me  ex  hoc  remissionem  peccatorum  et  Dei  cre- 
didi  promereri  gratiam;  sed  quia  antiqui  hostis  nunc  cogno- 
9eo  versmtiam,  quid  mihi  sit  faciendum  in  medium  consulite. 

—  Stenxel  übersetzt  p.  113:  Ich  rufe  Gott  als  Zeugen  an, 
dass  ich  durch  das,  was  ich  gethan  habe,  geglaubt  habe,  Yer- 
gebimg  meiner  Sünden  und  die  Gnade  Gottes  zu  erlangen. 
Doch  weü  ich  nun  die  Fallstricke ,  welche  der  böse  Feind 
mir  gelegt  hat,  erkenne^  so  rathet  mir,  was  ich  thun  soll. 

—  Bowden  p.  il9:  I  call  God  to  witness,  that  in  doing  what 
i  did,  I  hoped  to  obtain  the  forgiveness  of  my  sins  and  the 
grace  of  God.  But  now  that  1  see  the  snare  into  which  the 
enemy  kas  entrapped  me,  teil  me  what  I  must  do? 

Auch  Voigt  ist  auf  ähnliche  Weise  benutzt,  und  es  würde 
uns  nicht  schwer  fallen  zu  beweisen,  dass  manche  Irrthümer 
aus  der  Ültem  Biographie  Gregorys  in  die  neuere  übergegan- 
gen sind.  Zuweilen  entsteht  auch  durch  willküriiche  Benut- 
rang  yersdiiedener  lUUfsmittel  eine  Erzählung,  der  alle  Be- 
dmgungen  historischer  Wahrheit  fehlen.  So  erz'ähit  Stenzel, 
Petrus  Damiani  sei  im  Jahre  1062  als  päpstlicher  Legat  nach 
Deutschland  geschickt  worden,  .und  habe  dort  seine  Discep- 
tatio  synodalis  geschrieben.  Bowden  schreibt  dies  nach  und 
ttgt  sogidch  hinzu,  dass  Peter  eine  güi^tige  Aufnahme  am 
königlichen  Hofe  gefunden  habe.  Voigt  erzählt  nach  Baro- 
näss,  dass  die  genannte  Schrift  Peter  Damiani's  zu  Augsburg 
verlesen  sei.    Auch  dies  nimmt  Bowden  auf,  unterlässt  aber 


86  The  life  and  pontificate  of  Gregory  YIL 

nicht,  zugleich  die  bedeutende  Wirkung  zu  bemerken,  welote 
sie  he'rvorgebradit.  Und  doch  ist  weder  die  Reise  Peter's 
noch  die  Vorlesung  seiner  Schrift  zu  Augsburg  zu  beweisen» 
vielmehr  beides  sehr  unwahrscheinlich* 

mensuraque  ficti 
Crescit  et  auditis  aliquid  novus  adiicit  auctor. 

Man  mag  die  tadelnden  Bemerkungen,  die  wir  bisher 
über  die  Behandlung  des  Gegenstandes  erhoben  haben,  fiir 
geringiUgig  halten,  und  wir  würden  uns  sogar  selbst  der 
Kleinmeisterei  anklagen,  wenn  sie  eben  nur  Einzelnheiten 
träfen;  aber  wirklich  bezeichnen  sie  im  Ganzen  und  Grossen 
den  Standpunkt,  auf  welchem  sich  des  Verfassers  Forschung 
halt,  wenn  überhaupt  hier  noch  Von  Forschung  nach  unsem 
Begriffen  die  Rede  sein  kann.  Der  Verfasser  hat  sieh  von 
neueren  Autoren  zu  den  Quellen  fuhren  lassen,  bat  dies« 
selbst  eingesehen  und  durchblättert,  Einzelnes  aus  ihnen  nach- 
getragen, aber  an  eine  kritische  Behandlung  derselben  hat 
er  auch  nicht  yon  weitem  gedacht  Und  diese  war  gerade 
hier  um  so  nöthiger,  da  schon  in  den  Quellen  selbst  sidi 
der  Parteigeist  auf  das  Schroffste  zeigt,  schon  dort  Lügen 
und  Entstellungen  der  Facta  nur  allzu  häufig  sind,  und  die 
Sage  sich  bald  nach  dem  Tode  Gregorys  in  die  au&entischi 
Ueberlieferudg  mischte.  Nur  durch  die  Kritik  der  UeberUe- 
ferung  konnte  die  Darstellung  einen  wissenschaftliche  Grund 
und  Boden  gewinnen,  nur  hierdurch  der  Be^aehtung  neue 
Resultate  gewonnen  werden. 

Es  kann  uns  nicht  beifallen  hier  nachzuholen,  was  der 
Verfasser  versäumte;  doch  wollen  wir  an  einer  einzelnen,  an 
sich  minder  erheblichen  Partie  darthun,  wie  er  Terfuhr,  und 
warum  er  mit  Unrecht  so  verfuhr;  wir  wählen  die  AafiiBge 
der  auf  Gregor  selbst  bezüglichen  Erzählung. 

Das  Geburtsjahr  Hildebrand's  ist  nirgends  überliefert; 
Bowden  setzt  es  mit  Recht  zwischen  die  Jahre  lOlü— 1020, 
doch  muss  es,  da  Hildebrand  bei  seiner  Bückkehr  nach 
Rom  im  J.  1046  noch  ein  Jüngling  genannt  wirid,  1020  nä«- 
her  als  1010  liegen.  Als  seinen  Geburtsort  nennt  Bowden 
mit  Anderen  Saone;  nicht  ganz  genau,  denn  Pandulfus  Pis«, 


by  John  WiUkun  Rou^den.  tu 

der  hier  aus  römvsclien  Katalogen  schQpfti  $ag^  de  cppida 
Roanco,  vielleicht  eine  unzuverlässige  Leseart,  da  in  dem 
Leben,  das  unter  dem  Namen  des  Gardinais  von  Arragonien 
bekannt  ist,  Bonato  jsißhi;  dass  der  Ort  aber  in  dem  Gebiet 
von  Saone  lag,  unterliegt  naeh  andern  Nachrichten  keinem 
Zweifel.*)  0er  Vater  Hildebrand's  wird  an  den  angeführten 
Stellen  Benicus  oder  Bonatus  genannt;  die  erste  Leseart  hat 
iadiessen  wohl  grössere  Autorität  für  sieb. 

Doch  wer  war  Bonicus?  In  welchem  Stande  wurde  Hil- 
debrand geboren?  Wir  berühren  damit  einen  Punkt,  über  den 
lange  und  zum  Theil  mit  Erbitterung  gestritten  ist;  für  un- 
sere Zeit  hat  er  mehr  das  Interesse  der  Neugierde,  als  wis- 
senscka£ttidhe  Bedeutung.  Die  Meinungen,  dass  Hildebrand 
der  S^hb  eraes  Bfirgers  von  Ocvieto  war,  dass  er,  zu  Saone 
gebores^  diesen  Ort  zur  Stadt  erhob,  mit  der  Grafschaft  sei- 
ner Familie  schenkte,  und  so  der  Gründer  des  aldobrandi- 
Biachen  Gfoschleot^s  wurde,  oder  dass  er  aus  der  florentini- 
sdien  Familie  Buondelmonte  abstamme,  —  bedürfen  keiner 
Widerlegttilg  mehr;  wohl  aber  fragt,  sich,  ob  die  aller  Orten 
verbreüiete  .Angabe,  für  die  sich  auch  Bowden  entscheidet, 
daas  Hildebrand  der  Sohn  eines  Zimmermanns  war,  ^^hl 
begründet  sei.  Ihre  Verbreitung  rührt  von  Baronius  her,  doch 
forschte  Pagi  vergeblieh  nach  einer  alten  Autorität  für  die- 
selbe» Eine  selobe  lässt  sich  nun  allerdings  aufbringen,  und 
zwar  die  des  AnnaUataSaxo,  der  z.  J.  1074  an  einer  durch- 
aus sagenvdtlen  Stelle  erzählt,  dass  Hildebrand's  Vater  ein 
Zimmermaan  zu  Rom  gewesen  sei.  Dennoch  halten  wir  die 
Gründe,  die  Papebroch  für  eine  edle  Abkunft  Hildebrand's 
vorgebracht  hafc,.filr  sehr  erheblich,  und  möchten  noch  dafiir 
die '  ganze  Erzählung  Benno's  von  der  Jugend  Hildebrand's 
anfuhren,  da  jener,  obwohl  ein  erbitterter  Gegner  Gregorys, 
nichts  TOn  dessen  unedler  Abkunft  sagt,  sondern  ihn  uns 
vidmelir  von  Kindheit  an  im  Umgänge  mit  den  angesehen- 
sten Personen  zu  Born  zeigt  E&  kehrt  in  der  Geschichte  je- 


*)  Auch  bei  Benzo  Prol.  libr.  VI.  wird  Hiidebrand  Saonensis 
genannt* 


8S  The  life  and  pontißcate  af  Gregory  VIL 

ner  Zeit  oft  wieder ,  dass  man  yerhasste  Personen  grade  ih- 
rer Abkunft  nach  zu  verdächtigen  sacht,  und  dass  dies  auch 
dem  Gregor  widerfahren,  unterliegt  keinem  Zweifel;  denn 
Lambert  erzahlt  zum  X.  1076,  dass  der  Cardinal  Hugo  schon 
damals  über  die  Geburt  und  Erziehung  Hildebrand's  unglaub- 
liche Dinge  verbreitet  Von  welcher  Art  diese  waren,  sehen 
wir  aus  dem  Zeitgenossen  Benzo,  dem  wüthendsten  Feinde 
Gregor's.  Er  sagt  im  Anfange  des  sechsten  Buches  seines 
Panegyricus  von  Hildebrand: 

Natus  matre  suburbana  de  patre  caprario 
GucuUatus  fecit  nidum  in  Petri  solario. 
Wer  diesem  Zeugniss  Glauben  schenkt,  hat  mindestens  die 
Autorität  eines  Zeitgenossen  für  sich;  freilich  fdilt  dabei  die 
Beziehung  auf  das  Gewerbe  Joseph's  von  Nazareth,  der  viel- 
leicht die  ganze  Sage  von  Hildebrand ,  dem  Ztmmemiann^r 
sohne,  ihr  Dasein  verdankt 

Yon  frühester  Jugend  an  wurde  Hildedirand  zu  Rom  er- 
zogen; er  sagt  es  selbst  in  einem  Briefe  an  die  «ächsischen 
Fürsten.  Wahrscheinlich  wurde  er  dem  Kloster  der  h.  Maria 
auf  dem  Aventin,  wo  sein  Oheim  Abt  gewesen  sein  soU, 
übergeben;  dass  aber  dieser  eine  Person  mit  iem  Erzbischof 
Laurentius  von  Amalfi  gewesen  sei,  ist  eine  der.  unbej^öa- 
detsten  Yermuthungen,  die  Bowden  aus  Yoigt  aufgenomm^i 
hat  Früh  trat  Hildebrand  in  den  Orden  des  heiligen  Bene- 
dict, aber  ungern,  wie  er  dies  selbst  bei  der  zweiten  Excon»- 
munication  Heinrichs  sagt;  daher  fallen  die  Betraohtnngeii 
Bowden's  über  die  frühzeitige  Devotion  Hildebrand's  in  ein 
Nichts  zusammen.  Bald  verliess  er  auch  wieder  das  Kh>ster, 
und  lebte  in  der  genauesten  Verbindung  mit  dan  Enämchot 
Laurentius  von  Amalfi  und  dem  Erzpriester  Johannes^  woU 
in  dem  Hause  des  Letzteren,  wo  auch  Laurentius  wohnta 
Ueber  diese  Jugendjahre  Gregor's  ist  besonders  Benno  zu 
benutzen,  der  Born  und  die  dortigen  Verhältnisse  kannte, 
wenn  man  auch  nicht  Allem  Glauben  schenken  darf,  was  er 
von  einem  Manne  sagt,  den  er  aus  innerster  Seele  hasst 
Statt  dessen  ist  Bowden  im  Weiteren  dem  Paul  von  Bern- 
ried gefolgt;  der;  wo  er  nicht  Actenstücke,  die  ihm  bekannt 


by  John  WiUiam  Bowden, 

wurden,  «bsclireibt,  nur  Legendenartiges  enthält  Däss  Hit^ 
debrand  vor  1046  schon  einoial  nadi  Gluny  gereist  sei,  steht 
nicht  einmal  dort,  wie  überhaupt  Bowden  keine  Autorität 
dajfiir  anfahren  kann.  Paul  erzählt  nur  von  einer  Prophezei«- 
ung  des  Abts  Majolus  (nicht  Odilo  wie  Bowden  nach  Voigt 
schreibt)  über  den  jungen  Hildebrand:  eine  offenbare  Sage, 
da  Majolus  schon  994  starb.  Paul  spricht  allerdings  von  ei- 
ner VieisGy  aber  bezeichnet  als  Ziel  derselben  schlechthin 
chis  Frankenland:  „Nach  einigen  Jahren  kehrte  dann  Hilde- 
br^nd  nach  Rom  zurüek,  eine  abermalige  Reise  wurde  durch 
ein  Wunder  vereiteit,  und  Hildebrand  blieb  zu  Rom;  bald 
darauf  starb  Dainasus,  und  Leo  IX.,  der  ihm  folgte,  schloss 
std^  ganz  an  j^en  an.^^  —  So  etwa  erzählt  Paul.  Von  der 
V^bianmmg'Hildel^and's  mit  Gregor  VI.,  von  seiner  Rück- 
kehr mit  Leo  IX..  weiss  derselbe  kein  Wort;  ja  seine  Erzäh- 
Itmg  ^M^  mit  den  offenkundigsten  Thatsachen  im  Wider- 
tpruch.  Und  docji  folgt  ihm  Bowden;  die  Rückkehr  Hilde- 
bfänd's  nach  Rom,  das  Wunder  zu  Aquapendente  wird  nach- 
er^lt,  nur  in  eine  frühere  Zeit  geschoben,  damit  die  ver- 
bürgte Geschichte  doch  auch  ihr  Recht  behalte.  Die  Verban- 
fimmg  HMdebrai^s  mit  Gregor  VI.,  sein  späterer  EintritiT  in 
das  Kh>6ter  Gluny,  seine  Rückkehr  mit  Leo  IX.:  alles  dies 
sind  zu  entftclweden  bezeugte  Thatsachen,  als  dass  sie  Bowden 
nicht  in  der  Hauptsache  hätten  klar  werden  sollen;  doch  fin- 
dei^  siob  auch  hier  frrthümer.  Hildebrand  war  z.  B.  sicher- 
lich nicht  Prior  zu  Gluny;  als  einfacher  Mönch  wird  er  in 
allen  gleichzeitigen  Quellen  genannt,  nur  Ein  späterer  Autor, 
Ot^  von  Freisingen,  erwähnt,  dass  Hildebrand  das  Pi^iorat 
zu  Gluny  bekkndet  habe,  aber  auch  er  fügt  hinzu:  ut  dicitur. 
Wir  ermüden  die  Geduld  unserer  Leser,  und  brechen 
daher  ab;  aber  wir  könnten  die  Erzählung  des  Verfassers  in 
ihrem  weiteren  Verlauf  bis  zum  Tode  Gregorys  —  den^  besten 
Beridt  über  densdben  hat  er  nicht  gekannt;  er  ist  von  ei- 
nem Anhänger  des  Papstes  im  Kloster  Gave  bei  Salerno  ge- 
schrieben, und  Gregor  starb  nach  demselben  plötzlich  an  der 
zu  Salerno  herrschenden  febris  pedicularis  ^  wir  könnten, 
sagin  wir,  diese  ganze  ErzäUu&g  mit  kritischen  Bedenken 


90  The  Ufa  and  pofaißcäte  of  Gt^gory  VIL 

verwandter  Art  begleiten.  Wir  wissen  s^br  wi»hl,  es  giebt 
Viele  ^  die  auf  derartige  Bedenken  k«in  grosses  Gewicht  le-» 
gen,  sondern  in  ibfaen  nur  ein  thöriohtes  Anstreben  subjec-* 
tiver  Willkür  gegen  den  grossen  objectiiren  Gebalt  der  Ge- 
schichte sehen,  und  wir  selbst,  obwohl  uns  die  historische 
Kritik  nicht  für  ein  Spiel  subjeetiver  Eitelkeit  gitt,  sondern, 
im  Gegentheil  für  die  absolute  Forderung  der  Wissenschaft» 
um  zu  ihrer  objectiven  Geltung  zu  gelangen,  sind  dennooh 
weit  davon  entfernt  Grosses  für  klein»  und  Kleines  für  gro«s 
zu  erachten.  Auch  glauben  wir,  dass  sich  die  Geschichte  in 
ihren  grossen  Zügen  dem  geistigen  Auge  ohne  die  mübsam« 
Vermittelüng  specieller  Forschung  gleipbsam  als  eine  Ofibn*- 
barung  enthüllen  könne  und  müsse,  ja  dass  die  höchste  Be- 
deutung derselben  auf  keine  andere  Weise  den  Sterblichen 
ersctdossen  wird.  Aber  nicht  ohne  Argwohn  blicken  wir  auf 
den  Gelehrten,  der  von  dem  Wege  strenger  Forscfaiftg  skh 
entfernt;  denn  wir  fürchten,  dass  wenn  ihm  cfe  Ridie  zu 
sorgsamer  J^rwägung  des  Einzelnen  und  scheinbar  Aeusser^ 
Ucfaen  fehlt,  ihm  sö  auch  die  Besonnenheit  Qnd  Unparteilich^ 
keit  mangelt,  um  die  grossen  Momente  der  welthistorischen 
Bewegung  selbst  in  ihrer  Innern  Wahrheit  m  erkennen;  wir 
furchten,  dass  subjective  Meinungen  sich  hineinschwärzen  in 
die  grossen  Ideen ,  welche  in  der  Geschichte  wirken  wbA 
schaffisn,  dass  diese  Zwecken  dienstbar  gemacht  wird»  die  ihr 
als  freier  Wissenschaft  fern  liegen,  und  dass  der  Mensdi  an 
ihr  meistert  und  bildet,  während  er  von  ihr  gemeistert  und 
gebUdet  werden  soll. 

Wir  leugnen  es  nicht,  auch  bei  der  vorliegenden  Soteift 
scheint  sich  uns  eine  sokbe  Besorgniss  bestätigt  zu  hab^K» 
Bowden  sieht,  in  Gregor  einen  Zeugen  fiäar  die  chrbtiiche 
Wahrheit  selbst,  einen  Mann,  der  das  Christenthunr  gegen 
Gefahren  vertheidigte,  die  es  zu  vernichten  drohten.  Gewiss 
war  Gregor  ein  Zeuge  für  den  Glauben  an  Christus,  der  Hni 
aufrecht  erhielt  in  seinem  gewaltigen  Schicksal;  aber  wie  will 
der  Verfasser  beweisen,  dass  Gregorys  Gegner  in  dem  gros«^ 
sen  Kampfe,  den  er  mit  ihnen  zu  bestehen  hatte,  das  Chri«- 
stenthum  bedrohten?  Haben  sie  nicht  vielmehr  auch  LehrCm 


by  John  WilUqm  Boteden.  91 

.tertheadigt  und  verfocbteu,  die  wir  dU  jetzt  für  d^m  .Chri-^ 
»tefttbuin  gemasser  halteni  als  die  jenes  Papstes,  sdbst?  Bow** 
den  siebt  in  Gregor  einen  grossen  Reformator,  der  vielfaebe 
Gebrecheil  der  Kirche  heilte.  Diese  Gehrechen  waren»  soweit 
sie  jener  Zeit  selbst  klar  wurden,  Simonie  und  das  uniüch-- 
tige  Leben  des  Klerus;  wer  will  läugnen,  dass  Gregor  mit 
aller  Kraft  gegen  sie  angekämpft  hat?  Aber  hat  er  diese  Ge- 
brechen etwa  allein  gesehen,  etwa  allein  gegen  sie  den  Kampf 
unterfiomm«!?.  War  es  nicht  das  gleiche  Streben  iJler  aus-r 
gesei^hneteii  weltlichen  und  geistlichen  Fürsten  des  elften 
Jahrhunderts?  Hierin  liegt  nicht  die  eigentliche  Bedeutung 
des  Hannes;  eher  erkennen  wir  sie  schon  darin,  wie  ex  dem 
undaubem  Lehen  d«r  Gei«tiiehkeit  ein  Ende  machen  wollte. 
Er  verbot  die  Ehe  allen  Klerikern  der  obern  Grade,  er  gebot 
de»  Laien  dies  im  Aufsland  gegen  die  Geistlichkeit  mit  Ge* 
walt,  weun  es  sein  mässte,  durchzusetzen.    Man  erinnere 
fti^  der  Pataria  zu  Mailand  und  des  Briefes  an  Rudolf  von 
Sehwaben  und  BerHioId  von  K&mthen/)   Es  unterliegt  aber 
keinem  Zweifel,  .das6  es  neben  sittlichen  Motiven  doch  vor* 
nehmlicb  kirehlkh->p(diti8che  waren,  die  Gregor  zu  diesem  ge-» 
waltsamen  Verfahi^n" antrieben;  die  Freiheit  der  Kirche  lag 
für  ihn  wesentücb  darin  begründet,  dass  der  Geistliche  ihr 
ganz  gehöre^  und  weder  durch  Abhängigkeit  von  der  Familie 
noch  auch  von  dem  Staate  dem  Dienste  derselben  entzogen 
werda  Daher  steht  das  Investiturgesetz,  sein  eigenstes  Werk, 
m  der  engsten  Beziehung  zu  den  Verordnungen  gegen  die 
Priesterehe;   wie  diese  ein  Angriff  gegen  die  Familie,  war 
jenes  ein  Angriff  ge^n  den  Staat;  mit  gleicher  Energie  und 
gleicher  Gewaltsaaikeit  wurden  beide  geführt.    Freiheit,  ab-» 
solute  Freiheit  der  Kirche:  das  war  das  Ziel  Gregorys.   Auch 
Bowden  giebt  dies  zu,  obwohl  er  es  nicht  in  ganzer  Schärfe 
fasst,  und  allen  Maassregeln  des  Papstes  mehr  einen  rein  sitt*^ 
liehen  Charakter  als  den  eines  ausgeprägten  politisch-kirch- 
lichen Systems  verleihen  möchte.    Wenn  er  nun  aber  in  der 
Freiheit,  welche  Gregor  der  Kirche  zu  erkämpfen  suchte,  nur 


*)  Regest,  II.  ep.  45.  etiam  vi,  si  oportuerii>  prohil»eatis. 


M'  The  life  and  pontificate  of  Gregory  VII. 

eine  Freiheit  von  den  Banden  des  Feudalsystems  sieiAy  mit 
welchem  die  Salier  Kirche  und  Staat  auf  gleiche  Weise  hat« 
ten  umstricken  wollen,  so  hat  er  die  Höhe  und  Tiefe  des 
Gregorianischen  Systems  nicht  ermessen  oder  nicht  ermes- 
sen wollen.  Nidit  das  Feudalsystem  zertrümmern  wollte  Gre- 
gor, sondern  es  erbauen  in  der  grossartigsten  Weise,  er  hatte 
iiir  dasselbe  einen  Plan  entworfen,  wie  er  wohl  zuvor  in 
keines  Menschen  Gedanken  gekommen.  Nach  der  einen  Seite, 
in  dem  System  der  Hierarchie,  wo  er  seit  Jahrhunderten  vor*- 
bereitet  war,  gelang  es  ihm  denselben  so  weit  auszufiihren, 
dass  seine  Nachfolger  auf  dieser  Grundlage  sicher  weiterar« 
beiten  konnten;  nach  der  andern  Seite  hin,  wo  die  weltli« 
chen  Gewalten  in  dies  System  hineingezogen  werden  sdUea, 
misslang  der  Plan,  doch  war  er  darum  nicht  minder  ausge« 
bildet  und  in  der  Ausführung  versucht  Nach  «iner  Freiketl 
der  Kirche  neben  dem  freien  Staate  hat  Gregor  nie  gestr^t; 
wie  hätte  er  auch  an  die  vollständige  Absond^irung,  an  die 
absolute  Trennung  zweier  Mächte  denken  sollen,  die  in  ste« 
ter  Beziehung  und  Wechselwirkung  stehen?  Die  Kirche  als 
eine  fest  geschlossene,  monarchisch  regierte  Macht>  sollte  frei 
sein  von  allen  andern  Mächten,  die  das  Lebeti  beherrschen, 
sie  allein  frei,  und  Staat  und  Familie  von  ihr  in  der  sti'eng-* 
sten  Abhängigkeit.  Die  Kirche  allein  war  ihm  eine  göttliche 
Institution;  der  Staat  ein  Werk  des  Satans*);  die  Ehe  an  sich 
unrein  und  unheilig;  nur  durch  die  Kirche,  nur  ihr  dienend 
könne  auch  sie  geweiht  und  geheiligt  werden.  Wie  Gregor 
so  den  Gedanken  einer  Oberhoheit  nicht  bloss  über  die  Kirche, 
sondern  auch  über  alle  weltlichen  Gewalten,  den  Gedanken 
einer  Universalmonarchie  im  weitesten  Sinne^  des  Wortes  in 
sich  trug,  wie  von  ihm  aus  seine  Thätigkeif  durchgängig  bei- 
stimmt war,  wie  nach  ihm  alle  seine  Handlungen  zu  beur* 
theilen  sind:    das   muss    der    Geschichtschreiber   d^seibon 


*)  Quis  nesciat  reges  et  duces  ab  üs  habuisse  principiuiiiy  qui 
Daum  ignorantes,  superbia,  rapiois^  perfidia,  homicidiis,  postremo 
iiniversis  paene  sceleribus,  mundi  principe,  diabolo  videlicet  agilante, 
super  pares,  scilicet  homines  dominari  caeca  cupiditatcf  et  intole- 
rabili  praesumptione  affectaverunt.  Reg.  ViU.  ep.  3L     ^ 


by  John  William  Bowden.  93 

durchschauen  und  uns  anschaulich  machen.  Wie  wenig  Bow- 
den dies  gethan  hat,  geht  schon  daraus  hervor,  dass  er  die 
Ansprüche,  die  Gregor  auf  die  Lehnshoheit  der  verschiedenen 
Staaten  Europa's  erhob,  herleitet  aus  „einem  Zusatz  von 
Schwäche  zu  den  edelsten  Gefühlen  und  Principien  —  einem 
Zusatz,  welcher  seinen  Ursprung  hat  in  den  verschrobenen 
Ansichten  über  die  Natur  von  Christi  Königreich,  welche  in  dep 
dunkeien  Zeiten  vor  Gregor  allgemein  angenommen  waren/' 
Wir  sind  der  festen  Ueberzeugung,  dass  eine  strenge, 
unparteiische  Forschung  vcm  dem  ausserordentlichen  Manne 
ein  ganz  anderes  Bild  entwerfen  muss,*]  als  seine  Feinde  und 
Widersacher  uns  überliefert  haben;  aber  wir  halten  es  für 
eine  Sünde  ^egen  die  Geschichte,  für  eine  Sünde  gegen  das 
Andenken  Gregor's  selbst,  wenn  seine  neuesten  Bio^aphen 
seine  maebtige  Gestalt  nicht  mehr  in  ihren  festen,  sicheren 
Umrissen  erkennen  lassen,  ihm  Züge  leihen,  die  er  nicht  ge- 
habt hat,  und  sei  eis  auch  um  ihm  zu  schmeichein  oder  ihn 
zu  verschönen.  Gregor  hat  aus  dem,  was  er  wollte  und  dachte» 
der  Welt  kein'Geheimniss  gemacht,  mindestens  dem  nicht  blö- 
den Auge  seine  Absichten  und  Zwecke  deutlich  genug  ent- 
hüllt. Warum  sollten  wir  die  Augen  nicht  öffnen?  Und  wenn 
wir  sehen,  warum  sollten  wir  von  dem  nicht  offen  sprechen, 
was  wir  gesehen  haben? 


*)  Auch  ist  dies  in  allgemeineren  Werken  bereits  in  den  Grund- 
linien geschehen.  Zu  dem  Besten,  was  über  Gregor  gesagt  ist,  rech- 
nen wir  die  Erörterungen  Plank's,  Gieseler's,  Stenzei's  und  v.  Sy- 
bel's  in  der  Geschichte  des  ersten  Kreuzzuges.  Bei  ihnen  findet 
sich  Manches  ausgeführt,  was  wir  oben  nur  andeuten  konnten. 
."■.«•-•  '       , 

Berlin.  Dr.  W.  Giesebrecht. 


j 

• 


Mlftcelle 


1. 

Neueste  Enfdeekungen  zu  Niniveh  nach  den  Berichten  des  französi- 
schen Gonsols  zu  MosiU,  Mr.  Bottft.  —  Ueber  die  ungeheuere  Hauptsta<K 
des  alten  assyrischen  Reiches.,  das  nach  dem  Stifter  der  ältesten  bekann- 
ten Dynastie  Asiens  benannte  Niniveh  (oder  Ninos  der  Griechen),  am  oberh 
Laufe  des  Tigris,  finden  sich  bei  den  Klassikern  nur  eiaie(ei  aus  orientali- 
schen Quellen  geschöpfte  und  daher  wohl  leicht  übertriebene  Angaben  in 
Betreff  ihrer  Pracht  und  Grösse»  Diodorns  giebt  ihr,  wahrscheinlich  nach 
KtesiaS;  480  Stadien  Umfang;  Xenophon,  dessen  Hespila  ohne  Zweifel  den- 
selben alten  Ort  bei  dem  heutigen  Mosul  bezeichnet,  in  der  Anabasis  nacfy 
eigner  Anschauung  6  Parasangen,  d.  i.  480  Stadien;  Strabon  sagt  nur,  die 
Stadt  sei  grösser  gewesen  als  Babylon,  dessen  UmfaDg  er  zu  360  StacHan 
angiebt.  Hinsichtlich  ihrer  Lage,  welche  einig»  der  Alten  an  den  .£uphrat 
setzen,  finden  sich  so  wenig  zuverlässige  -Daten,  dass  Gelehrte  wie  Man- 
nen und  Reiohard  sogar  an  der  Existenz  einei  feiten  NiniVeU  aw  «bera 
Tigris  halten  irre  werden  und  die .  assyrische  Hauptstadt  in  das  Canalland 
des  untern  Tigris -Eiiphratsystems  versetzen  können.  Gleichwohl  ist  die 
Tradition,  wedch^  die  Lage  von  Niniveh  gegenüber  dein  heutigen  Melsul  au 
Ostufer  des  obern  Tigris  bezeichnet,  bei  den  .Orientalen  nie  ausgestorben; 
selbst  spätere  arabische  Schriftsteller  sprechen  noch  von  bedeutenden  Roi- 
nen  und  antilusn  Bildwerken  an  dieser  SteUe^  und  ein  r  neueres  Dorf  da^^b^ 
führt  noch  bei  den  chaldäischen  Christen  den  Namen  Nuniah  (nach.Botla: 
Ninlouah),  während  ihm  die  Orientalen  den  Namen  des  aus  der  Geschichte 
4er  alten  Siädt  b^kannt^nr  Propheten  .'Joops  (w«b.  Ncibby  Juans,  tilrk.  JUimn 
Pejgbamber)  geben.  .Die  Unscheinl)arkeit  der  Reste,  welche  jetzt,  nachdem 
wegen  der  Nähe  einer  grossen  neuern  Stadt  die  bedeutenderen  Baudenk* 
male  der  alten  verschwanden  und  als  Baum^eriat  verbraucht  wor^«n  sind, 
nur  noch  in  grossen  Erdwällen  bestehen,  war  hauptsächlich  daran  Schuld, 
dass  frühere  Reisende,  wie  Tavernier,  Niebuhr  und  Kinneir  ihnen  nicht  ge- 
nügende Auftnerksamkeit  schenkten.  Erst  durch  den- englischen  Consul  in 
Bdghdad,  Mr.  Rieh,  de^  Im  S,  4880  Mosul  besuchte,  haben  wir  gsnaaere 
Untersuchungen  und  Pläne  erhalten,  die  durch  die  Herren  v.  Moltke  und 
V.  Mühlbach  (1838)  und  den  englischen  Reisenden  Mr.  Ainsworth  {4840) 
bestätigt  und  vervollständigt  wurden.  .Nach  ihren  Ergebnissen  bestehen  die 
Reste-  in  Erd-  und  Backs telnwällen  von  20 — 30'  Breite  und  24 — 30'  Höhe, 
die  in  einer  Ausdehnung  von  etwa  30,000  Fuss  ein  unregelmässiges  -Vier- 
eck, den  Haupttheil  der  alten  Stadt,  einscbllessen.  Innerhalb  derselben  er- 
heben sich  zwei  künstliche  von  Backsteinen  aufgeführte  Hügelakröpolen  von 
bedeutendem  Umfang,  mit  den  Dörfern  Kojundschuk  und  NebbyJunus;  das 
ganze  Areal  ist  mit  Backsteinen,  Ziegeln  und  Terracotten,  die  fast  sätnjnt- 
lich  Eeilinschriften  tragen,  sowie  mit  unregelmässigen  Trümmerhaufen  über, 
deckt;  an  einzelnen  SteUen  finden  sich  auch  noch  Quadern  aus  dem  der 
unmittelbaren  Umgebung  von  Mosul  eigenthümlichen  Muschelkalfcstein,  -dem 
%l^oq  xoyx^^'M^''l9^  cl^n  Xenophon  in  den  Ruinen  von  MespUa  bemerkte. 
Grabkammern  von  Quaderbau  mit  Inschriften,  Reliefs  und^  Schmucksachen, 
sollen  nach  Rieh's  Zeugniss  im  Hügel  Kojundschuk  aufgefunden  und  zer- 
stört worden  sein.  Auch  ausserhalb  der  Umwallung  finden  sich  auf  isolir- 
ten  hohen  Punkten  (Zembil  Tepessi  und  Jarimdscheh)  ganz  ähnliche  Trum- 


mert«8te,  die  Yöntädten  angehört  haben  mttgen.  -^  Nachdem  nun  netier> 
lieh  der  seit  Kurzem  hi6taUirte  UranzSaische  Gonstil  lu  Ifoaol,  Hr.  BoUa,  im 
Omfange  dieser  allen  Stadt  einige  weniger  betohnende  Ausgrabongen  *  un- 
ternommen^'  wobei  nur  Ziegel  und  Quadern  mit  Keilinscbriften  entdeckt 
wurden,  hat  er  in  der  Nadhbarschaft  yon  Niniveh,  5  Stunden  nördlich  beim 
Dorfe  Khorsebadi  wo  man  auch  früher  schon  Ziegel  mit  Keilinschriftea 
fand,  eine  Ausgrabung  angefangen,  deren  Resultat  höchst  belohnend  in 
werden  verspricht,  und  deren  Fortgang  daher  auf  Kosten  der  französi- 
schen Regierung,  durch  Yermittelung  der  Minister  des  Innern  und  des 
Unterrichts,  Grafen  Buchatel  und  Herrn  Villemaln,  in  Aussicht  gestellt  ist. 
Die  ersten  Berichte  Botta's  über  das  bis  jetzt  Gefundene,  brieflich  an  den 
gelehrten  Orientalisten  J,  Bfobl  in  Paris  gerichtet,  sind  im  Journal  Asia- 
tlque  4843  no.  7.  p.  64  fL  mitgetheiit.  (Brief  vom  5.  April  d.  J.  mit  42  Ta- 
feln Abbildungen  von  Denkmälem.  Neuere  Briefe  vom  2.  Mai  und  9.  Juni, 
deren  heldige  Publicatioii  versprochen  wird,  sollen  noch  wichtigere  Resul- 
tate ergeben;  vergl.  Ang&b.  Allg.  Zeit.  4843.  No.  474  Beil.  Wir  enthalten  uns 
dariiber  noch  des  Urtheils.)  Nach  denselben  haben  die  Ausgrabungen  auf 
einem  Theil  des  Hügele,  den  das  Dorf  Khorsabad  efnnimmt,  Reste  der  6nmd<> 
mauent  einee  grossen  Psdastes  bloss^Iegt,  die  leider  nur  bis  zu  einer  Döhe 
von  .9 — 40  Fuss  und  zum  Theil  nocti  weniger  erhalten  sind,  Übrigens  aber 
einen  seltenen  Reichtbum  an  Sculpti^en  und  Inschriften  offenbaren.  Auf 
einem,  nach  der  bekannten  assyrisch -babylonischen  Constructionsart  mit 
Ziegeln  in  Asphalt  gelegten  Fussboden,  erheben  sich  jene  Mafuem ;  die  Aus- 
84Pnseiten  bestehen  in  grösseren  und  kleineren,  immer  aber  sehr  dtinnen 
blatten  eines  harten  marmorartigen  Gfp&eSy  welche  ganz  mh  Rehefs  be- 
deckt sind;  das  Innere  ist  durch  eine  thonartige  tmi  Kalk  gemischte  Erde 
ausgefüllt.  Die  Figuren  sind  thells  kolossal,  von  8  bis  9  Fuss  Höbe,  thellB 
in  doppelten  3  Ftfss  hoben  und  durch  4^  Fuss  breite  Keilinscbriften  ge- 
trennten Reihen  geordnet.  Sie  scheinen  durchaus  historische  Facta  darzu- 
stellen; man  bemerkt,  nach  Botta's  Zeichnungen  oder  Beschreibungen,  Bo- 
geBsehülzen  «ind  endete  Krieger,  «um  Theil  zu  Pferde,  auch  mit  Wagen, 
sowie  mir  Andeutungen  von  Festungsmauem;  ferner  andere  mUnnliche  und 
weibliche  Figuren  von  unbesiimmier  Bedeutung.  Unter  den  kolossalen  Fi- 
guren tragen  einige'  eine  sehr  reiche,  mit  sauber  ausgellthrten  Ornamenten 
bedeckte,  vielleicht  priesterliche  oder  königliche  Bekleiduhg.  Im  Styl  und 
der  Ausführung  sind  diese  Sculpturen  nach  Botta's  Meinung,  die  allerdings 
dftpch  seine  S^eielmiingen  bestHtigt  wh'd,  den  Bildwerken  von  PefsepoU« 
sehr  ähnlich,  nur  dass  sie  entschieden  mehr  Leben,  freiere  Bewegung  und 
eine  correctere  Zeichnung  verrathen.  Gleichwohl  fragt  es  sich  noch,  ob 
wir  wirklich,  wns  Botta's  Ansicht  zu  sein  scheint,  in  diesen  Resten  Denk- 
mäler der  ältesten  assyrischen  Kunst  werden  anzuerkennen  haben,  oder 
ob  der  Fortgang  der  Entdeckung  oder  -die  Entzifferung  der  Keilinscbriften 
nicht,  vielleicht  bewefsen  dürfte,  was  man  nach  dem  Styl  der  Sculpturen 
anzunehmen  geneigt  sein  könnte,  dass  der  ganze  Bau  vielmehr  einer  spä«- 
tem,  persischen  Zeit  angehört.  Denn  wenngleich  die  alte  Nlnlveh  seit  der 
medijBCben  Eroberung,  ^nd  so  auch  zu  Xenophon's  Zeit  zerstört  lag,  so 
gedenkt  doch  dieser  Autor  in  derselben  Gegend  königlicher  Paläste  (jSacrt- 
%tla),  auf  die  man  also  füglich  die  erwähnten  Ruinen  beziehen  könnte. 

.    2.  . 

Die  Anzahl  der  historischen  Werke  über  die  Eroberung  Mexfco's  ist 
dof^h  ein  n^ues  vermehrt  worden.  Der  Verfasser  der  „Oesehichte  Spaniens 
unter  Ferdinand  und  Isabella '^,  W.  H.  ^Presdott,  hat  die  Früchte  seiiier  hl« 
storischen  Forschungen  in  jenem  ersten  Werke  noch  nicht  erschöpft  und 
Bentley  in  London  kündigt  so  eben  etnOHistory  of  the  Gonquest  of  Mexico 


96  Miscellen. 

wilh  a  Prelimiaary  View  of  the  ifexican  Givilisation  and  the  Life  of  Um 
Conquerer  Hemando  Gartes  von  dem  genaonten  Verfasser  an.  Zwei  dw 
aasgezeichnetsten  Historiker,  SoUs  und  Robertson,  haben  dasselbe  Thema 
schon  behandelt,  aber  do<A  dem  kritischen  i^ste  des  heutigen  Tages  in 
Hinsicht  der  Genauigkeit  der  QueUenforschuiig  ticht  genügt.  Auch  fehlten 
ihnen  zum  Theil  diese  Quellen.  Preseott  dagegen  konnte  über  das  voll- 
ständigste Material  disponiren;  die  Sammlungen  des  Bon  Juan  Baptista 
Munoz,  des  berühmten  Verfassers  der  Geschichte  Indiens,  des  Don  Navar- 
rete  und  mehrer  anderen,  welche  die  werthvollsten  Documente  aus  den 
Archiven  Spaniens  enthalten,  standen  ihm  zu  Gebote.  Er  hat  sie  fleissig 
benutzt  und  ein  Werk  geliefert,  das  zwar,  was  die  Hauptereignisse  be- 
trifft, nichts  Neues  bringt,  aber  in  den  Einzelheiten  sehr  Vieles  berichtigt 
und  vervollständigt.^  Prescott  hat  den  Robertson  detaillirt;  den  Charakter 
und  die  Bedeutung  der  Ereignisse,  wie  dieser  grosse  Geschichtschreiber 
sie  gezeichnet,  hat  er  unverändert  gelassen,  und  nur  die  Umrisse  mit  eineor 
Menge  von  Einzelnheiten  ausgefüllt.  Ob  deshalb  dies  Werk  wirklieh  ein 
gefühltes  Bedürfniss  war,  ist  zu  bezweifeln.  Uebrigens  zeichnet  es  sich 
durch  seine  Darstellung  vortheilhaft  aus  und  man  findet  Stellen  darin,  wo 
sich  die  Grazie  und  Eleganz  Addispn's  mit  Robertson'«  erhabenein  Schwünge 
und  Gibbon's  glanzvoller  Erzählungsweise  vereint. 

3.  ■      ■     '  ■  .  '-."-. 

Unter  den  Christen  des  Orients  ist  eine  Prophezeiung  verbreitet,  der 
sufolge  die  muhamedanische  Macht  im  Jahre  4844  zu  Grunde  gehen  soU. 
Sie  stützt  sich  auf  Apocal.  4  3,  5.,  wo  von  dem  Drachen,  der  dem  Johannes 
erschienen,  gesagt  wird:  „Es  ward  ihm  gegeben,  dass  es  mit  ihm  wÄbrte 
42  Monate  lang/'  Diese  als  Jahrmonate  genommen  gebei)  die  Zahl  4^60, 
welches  Jahr  der  Hedschrah  am  49.  Januar  4&44  beginnt.  , 

4. 

Die  Philosophie  der  Geschichte  hat  in  der  nettesten  Zeit  in.Deutseh'* 
land  wunderbare  Fortschritte  gemacht.  Was  Herder,  Schiller,  Kant,  Fichte, 
Sobelling  U.A.  leisteten,  waren  geistreiche. Räsonnements  oder  freie  Spe- 
culationen  iiber  die  tiefere  Bedeutung  der  Vergangenheit.  Mit  Heg^ 
trat  die  Construction  der  Geschichte  auf;  das  ganze  Feld  derselben  wurde, 
soweit  es  irgend  anging,  nach  dem  trichotomlschen  Schema  bemesseUt  An 
grossen  Inconsequenzen  fehlte  es  nicht;  vorsichtiger^eise  blieb  iedeaseD 
Hegel  bei  der  Gegenwart  stehen.  Um  diese  grösste  Inconsequenz  der 
philosophischen  Construction  zu  beseitigen,  gaben  seine  Nachfolger  die  Vor-« 
sioht.auf,  und  Gieszkowski  in  seinen  Proleg.  zur  Historiosophie  (4838)  zog 
auch  die  Zukunft  in  die  Gons|ruction  hinein.  Aber  avLCh  er  beobachtete 
noch  einen  gewissen  Grad  von  Zurückhaltung,  insofern  er  nur  die  allge- 
meinen Kategorien  des  Schönen,  Wahren  und  Guten  als  .Maasstab,  «n  die 
Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft  anlegte,  und  deren  Charakter  da- 
nach zu  entwickeln  suchte.  Allein  jede  Richtung  treibt  nun  einmal  ihrem 
äussersten  Extreme  zu,  zieht  ihre  letzten  Consequenzen,  und  so  ist  es  denn 
jetzt  dabin  gekommen,  dass  uns  Herr  Eisenhart  in  seiner  Philosophie  def 
Staats  (4843)  die  Zukunft  sogar  nach  Zahlen  construirt.  Wir  .gedenken  auf 
dies  Buch  zurückzukommen  und  beschränken  uns  daher  nur  auf  das  hier^ 
hergehörige  Schlussresultat  des  Verfassers.  Danach  stehen  der  weltgeschicht- 
lichen Entwickelung  die  bedeutsamsten  Wendepunkte  um  die  Jahre  4  875, 
2350,  2625  und  3000  bevor.  Gewiss,  eine  noch  kühnere  Prophezeiung 
wie  die  eben  gemeldete  der  orientalischen  Christen! 


Btofleben  and  Hofhltten  der  Fttniiimeii 
im  seelizeliiiteii  Jatalmnüewt. 

(P  o  r  t  s  e  t  z  u  n  g.) 


Waren  Brüder  oder  sonst  nahe  Verwandte  vorhanden»  die  im 
Fall  des  Todes  eines  Fürsten  erbliche  Ansprüche  auf  ein  zum 
Leibgeding  verschriebenes  ländliches  Besitzthum  erheben  konn- 
ten, so  war  es  erforderlich,  dass  solche  zur  Leibgedingsver- 
Schreibung  noch  vor  der  Vermählung  ihre  besondere  Einwil- 
ligung ertheilten,  um  die  Fürstin  nach  ihres  Gemahls  Tod 
gegen  Eingriffe  in  ihr  Besitzthum  sicher  zu  stellen.  Vt^ir  fin- 
den Beispiele,  dass  man  zur  Sicherheit  Leibgedingsverscfarei- 
bungen  vom  Kaiser  förmlich  bestätigen  Hess. 

Erst  wenn  auf  diese  Weise  der  Ehecontract  fest  und 
(ärmlich  abgeschlossen,  von  beiden  Seiten  genehmigt  und  die 
junge  Fürstin  in  ihrem  künftigen  ehelichen  Verhältnisse  si- 
cher gestellt  war,  erfolgte  das  eigentliche  feierliche  Verlöb- 
niss.  Wir  finden  es  bei  der  ehelichen  Verbindung  des  Her- 
zogs Albrecht  Friederich  von  Preussen  mit  Fräulein  Maria 
Eleonore,  ältester  Tochter  des  Herzogs  Wilhelm  von  Jülich, 
Cleve  und  Berg,  im  Jahre  1572  auf  folgende  Weise  vollfiihrt 
Der  junge  Fürst  sandte  seinen  Hofmeister  und  einige  seiner 
vornehmsten  Bäthe  mit  diplomatischer  Vollmacht  und  dem 
genehmigten  Ehecontract  an  den  Hof  des  Vaters  der  Prin- 
zessin ab,  wo  sie  angelangt  und  feierlidb  empfangen  sofort 
beim  ^Fürsten  um  Audienz  baten.  Sobald  sie  ihnen  gewährt 
war,  erschienen  sie  am  fiofe,  wo  sie  die  nächsten  Familien- 
glieder und  die  Prinzessin  im  festlichen  Schmuck  versammelt 

ZailMKrift  r.  GMckiebUir.  I.  1844.  7 


98  Hoflebm  und  Hofsitten  der  Fürstinnen 

fanden.  Der  Hofmeister  setzte  zuerst  in  einer  Anrede  an  den 
Herzog  den  Zweck  ihres  Erscheinens,  den  Verlauf  der  Be- 
werbung um  seine  Tochter  und  den  Abschluss  der  bisher 
geführten  Verhandlungen  laut  seiner  Instruction  auseinander. 
„Nachdem  nun  alles,  fügte  er  dann  hinzu,  bis  zum  ehelichen 
Beilager  verglichen  und  vollzogen  ist,  bleibt  jetzt  nur  noch 
übrig,  dass  nach  altem  fürstlichen,  christlichen  Brauch  in  ge- 
genwärtiger Versammlung  das  Jawort  gegeben  werde,  indem 
das  Fräulein  sich  gegen  sie,  die  Gesandten,  verbinde,  die 
künftige  Ehegemahlin  des  Fürsten  zu  sein,  der  um  ihre  Hand 
werbe."  Am  Schlüsse  der  Rede  sprach  er  dann  die  Bitte 
aus:  „der  fürstliche  Vater  möge  jetzt  seine  geliebte  Tochter 
dahin  berichten,  dass  sie  ihr  Jawort  gebe  und  sich  dergestalt 
auf  gepflogene  Tractation  ehelich  verbinde.^'  Darauf  Hess  der 
Fürst  durch  seinen  Kanzler  Antwort  geben  und  in  seinem 
Namen  erklären,  dass  er  auch  seiner  Seits  den  Abschluss  der 
bisherigen  Verhandlungen  genehmige  und  es  somit  sein  Wille 
sei,  „dass  jetzt  der  Abrede  allenthalben  nachgegangen  werde 
und  die  Versprechung  und  das  Haadgelübde  dermassen  von 
seiner  Tochter  im  Namen  der  heiligen  Dreifaltigkeit  gesche- 
hen möge."  Nach  solcher  Erklärung  des  Herzogs  wandte  sich 
der  Gesandte  an  die  junge  Fürstin  mit  der  Frage:  „ob  ihre 
liurstliche  Gnade,  nachdem  sie  ihres  Herrn  Vaters  gnädigen 
Willen  vernominen  und  die  Erlaubniss  empfangen,  den  Für- 
sten, der  um  ihre  Hand  geworben,  zu  ihrem  künftigen  Ehe*^ 
gemahl  zu  haben  begehre?"  Die  Fürstin  zögerte  mit  der  Ant- 
wort, bis  der  Vater  sie  dem  Gesandten  entgegenfahrt^^  wor- 
auf sie  diesem  die  Hand  reichte  und  die  Erklärung  gab:  „weil 
es  meinem  gnädigen  Herrn  Vater  also  gefallt,  bin  ich  es  wohl 
zufrieden."  Der  Gesandte  versprach  ihr  dann  im  Namen  sei- 
nes Herrn,  dass  dieser  sie  als  seine  künftige  Ehegemahlio 
halten  und  anerkennen  und  sidi  ihr  zu  aller  gebührlichen  Treue 
und  Liebe  aufs  freundlichste  erbieten  und  verbinden  wolle. 

War  auf  solche  oder  ähnliche  Weise  das  Verlöbniss  voll- 
aogen,  so  erfolgte  die  Brautbeschenkung.  Der  Gesandte  über- 
reichte der  fürstlichen  Braut  im  Auftrage  seines  Herrn  bald 
ein  prachtvolles  Brautkleid,  bald  auch  kostbares  Pelzwerk, 


im  sechßefmten  Jahrhundert  99 

künstlich  gearbeitete  goldene  Geschmeide  oder  andere  werth- 
volle  Kleinodien.  Auch  die  Eltern  der  Bra«t  wurden  mit 
ansehnlichen  passenden  Geschenken,  Brüder  und  Schwestern 
gewöhnlich  mit  goldenen  Ketten,  kostbaren  Ringen  oder  son- 
stigen Kleinodien  erfreut.  In  der  Regel  bot  auch  der  Gesandte 
seiner  Seits  der  fürstlichen  Braut  irgend  ein  Geschenk  ent* 
gegen.  Wir  finden  z.  B.,  dass  ein  Gesandter  der  Braut  ein 
schöngemaltes  Lädchen  Yon  kostbarem  Holze  mit  Elends-* 
kiauen  und  Bernstein -Oel  zum  Geschenk  überreichte.  Das 
bedeutungsvollste  Greschenk  aber,  welches  damals  gewöhnlieh 
schon  bei  der  Verlobung  gewechselt  wurde,  war  der  Braut* 
und  Bräutigams^Ring,  als  symbolische  Zusicherung  gegensei- 
tiger Treue.  So  schreibt  z.B.  eine  fürstliche  Braut  an  ihren 
fütr^lichen  Sräutigam  im  Jahre  1549:  „loh  habe  von  Ew.  Lieb-* 
itm  den  spitzen  Diamant-Ring  zum  Vermählungs-Ring  em- 
pfangen, wodurch  Ew.  Gnaden  mir  ihre  stete  Treue  verheis- 
set;  dagegen  schicke  ich  wiederum  Ew.  Gnaden  einen  Saphir-> 
Ring  zu  gleicher  steter  Treue  und  verspreche  meine  Zusage 
zu  halten  und  nimmermehr  zu  brechen.'^ 

Während  der  Bratitzeit  wurden  zwischen  Braut  und  Bräu-* 
tigam  fort  und  fort  Geschenke  gewechselt  Bald  erhält  die 
erstere  eine  schöne  goldene  Kette,  an  welcher  des  Bräuti- 
gams Namenszug  in  Edelsteinen  gefasst  hängt  und  „die  sie 
tägHeh  auf  der  blossen  Haut  tragen  soll,'*  bald  erfreut  sie  der 
Bräul%am  mit  einem  prachtvollen  Pelze,  selbst  „ein  Spanio- 
tisches  Höndlein^  wird  von  der  Braut  mit  Freude  aufgenom- 
men, „damit  sie  sich  bis  zum  baldigen  Beilager  hübsch  fein 
und  züdbtig  die  Zeit  vertreibe.'^  Sie  erfreut  dagegen  den 
Bräutigam  bald  mit  einem  Perlenkranz  oder  mit  einer  Stik- 
kerei  von  ihrer  eigenen  Hand,  bald  selbst  auch  mit  einem 
feinen  Bräutigamshemde.  Herzog  Albrecht  von  Preussen  über- 
raschte einmal  seine  Braut,  die  Prinzessin  Dorothea  von  Da- 
nemark,  „  seine  herzallerliebste  Fürstin,  Muhme  und  Bufale^', 
wie  er  sie  nennt,  mit  etlichen  ,  J^umberanzen"  (Poineranzen), 
um  sich  daran  zu  erfrischen;  sie  lasst  dagegen  ihrem  Bräu- 
tigfion  durch  den  Bisciiof  von  Pomesanien  ab  Geadienk  einen 
Dornenkranz  entgegenbringen,  worüber  dör  Herzog  seltsam 

7* 


100  Hofleben  und  EofsUten  der  Fürstinnen 

genug  so  erfreut  ist,  dass  er  seiner  Braut  schreibt;  „Wiewohl 
der  Kranz,  den  Ew.  Liebden  mir  sendet,  von  Dornen  ist,  so 
ist  er  mir  doch  lieber  und  soll  mir  auch  lieber  sein  als  alle 
Rosen-  und  Yeilchenkränze  und  wenn  sie  auch  mit  den  be- 
sten Gypr^ssen  vermengt  wären."  Die  Prinzessin  aber  er- 
wiederte  ihm:  „er  möge  den  Dornenkranz  doch  nicht  so  gar 
hoch  anschlagen,  denn  es  sei  ja  nur  ein  ganz  nichtswürdi- 
ges Ding." 

Während  Braut  und  Bräutigam  sich  auf  solche  Weise 
beschenkten  und  durch  ihre  Geschenke  mitunter  auch  gegen- 
seitig neckten,  besorgten  die  fürstlichen  Eitern  die  Ausstat^ 
tung  der  Braut  Das  Kostbarste  waren  in  der  Begel  die  Kleia- 
odien,  weshalb  sie  im  Ehecontract  jeder  Zeit  ausdrücklich  als 
ein  Theil  der  Aussteuer  mit  ausb^dungen  wurdei^  Als  Bei- 
spiel diene,  was  das  Fräulein  Ann«  von  Preussen  bei  der 
Vermählung  mit  Johann  Sigismund«  Sphn  des  KurAirsten  Joar 
chim  Friedericfa  von  Brandenburg,  im  J.  1694  an  Kleinodien 
zur  Ausstattung  erhielt.  Ein  goldenes  Halsbaüd  mit  18  Rosea 
von  Edelsteinen,  darunter  fünf  Rubin-Rosen,  vier  Diamtnl- 
Rosen  und  neun  glänzende  Perlenstücke,  vom  Meister  Gabriel 
Lange  in  Nürnberg  verfertigt,  kostete  3750  Mark,  ein  anderes 
wurde  mit  3115  Mark  und  ein  drittes  mit  32  Diamanten,  Per- 
len und  goldenen  Rosen  mit  1487  Mark  bezahlt  Ein  viertes 
Halsband,  3000  Mark  an  Werth,  schenkte  der  Braut  die  fürst- 
liche Mutter  aus  ihrem  eigenen  Kieinodienschatze.  Dazu  ka- 
men ferner  eine  goldene  Kette  für  265  Mark,  36  goldene 
Ringe,  darunter  24  mit  Diamanten  für  432  Mark,  60  Ringe 
mit  Rubinen  an  Werth  360  Mark,  48  s.  g.  Kreuzringe,  die 
man  dem  Augsburger  Goldarbeiter  mit  396  Mark  bezahlte« 
Für  Perlen  zum  Schmuck  wurden  1745  Mark  verwendet,  so 
dass  mit  noch  einigen  andern  Kleinodien  dieser  Theil  der 
Ausstattung  des  fürstlichen  Fräuleins  nicht  weniger  als  14,633 
Mark  betrug,  nach  damaligem  Geldw^rthe  schon  ^ine  sehr 
bedeutende  Summe.*) 


*)  Aebnliche  Angaben  über  Brautausstattungen  bei  Rave mann 
Elisabeth  Herzogin  von  Braunschweig  S.  107. 


im  sech^knten  Jahrhundert  loi 

Die  Ausstattung  der  Braut  mit  dem  nöthigen  Silberge* 
räthe  kostete  in  der  Regel  den  fiirstltdlen  Eltern  selbst  keine 
so  grosse  Summe,  denn  man  rechnete  hiebei  auf  die  gewöhn- 
lichen Hochzeitsgeschenke.  Sobald  nämlich  der  Hochzeitstag 
bestimmt  war,  ward  gewöhnlich  eine  grosse  Zahl  von  nahe 
und  fern  gesessenen,  verwandten  oder  sonst  (befreundeten 
Fürsten  und  Fürstinnen  zur  Hochzeitsfeier  eingeladen.  War 
die  Braut  mutterlos,  so  ei^ing  an  eine  nahebefreundete  Für- 
stin zugleich  auch  die  Bitte,  die  Stelle  und  Geschäfte  „der 
Brautmutter  des  Brautfräuletns*'  zu  übernehmen.  Wer  dann 
von  den  geladenen  fnrstiicheo  Gästen  das  Hochzeitsfest  durch 
seine  Gegenwart  verh^rlichte,  brachte  der  Braut  irgend  ein 
wepthvolles  Geschenk,  worauf  der  Name  des  Schenkers  stand, 
einen  silbernen  Becher,  eine  silberne  Schale,  einen  in  Silber 
gefassten  Löffel  von  Meermuschel,  Yenetianische  Gläser  mit 
Schalen,  silberne  Messer  und  Gabeln  oder  irgend  ein  kost- 
bares Kleinod  zu  Schmuck  und  Putz  entgegen.  Es  geschah 
dies  in  der  Begel  am  andern  Morgen  nach  der  Trauung.  Man 
nannte  es  daher  die  Morgengabe.  Hatten  zur  Darreichung 
<^ieser  Weibgesdienke  die  Hochzeitsgäste  sich  im  grossen 
Yersammlungssaale  des  fürstlichen  Schlosses  eingefunden  und 
die  Braut  im  festlichen  Schmucke  auf  einem  erhöhten  Sitze 
sich  niedergelassen,  so  nahte  sich  ihr  zuerst  der  fürstliche 
Bräutigam  selbst  mit  einem  kostbaren  Brautgeschenk;  ihm 
folgten  dann  ihrem  Bange  nach  mit  ihren  Ehrengeschenken 
die  Fürsten,  Grafen  und  Botschafter,  hierauf  auch  die  Für* 
stinnen  und  Gräfinnen;  selbst  die  Landesstädte  sandten  ge- 
wöhnlich Abgeordnete,  um  der  Braut  irgend  welche  Ehren- 
gaben entgegenzubringen.  Waren  Fürsten  verhindert,  dem 
Hochzeitsfeste  beizuwohnen,  so  sandten  sie  gewöhnlich  einen 
ihrer  vornehmeren  Bäthe  als  Stellvertreter,  die  am  Feste  selbst 
den  Bang  ihrer  Fürsten  einnehmend ,  der  Braut  ein  Braut>- 
geschenk  im  Namen  ihrer  Herren  überreichen  mussten.  So 
rühmt  z.  B.  Herzog  Albrecht  von  Preussen  bei  seiner  zwei- 
ten Yermähluug  mit  Anna  Maria,  des  Herzogs  Erich  von 
Braunschweig  Tochter:  der  Kurfürst  Moritz  und  Herzog  Au- 
gust von  Sachsen  hätten  sich  wegen  ihres  Nichterscheinens 


102  Hofleben  und  Hofsittm  der  Fürstinnen 

l)ei  seioem  Hochzeitsfeste  entschuldigt;  ersterer  aber  habe 
durch  einen  Diener  eine  goldene  Kette  geschickt  und  durch 
des  Herzogs  Marschall  der  Braut  zur  Morgengabe  überrei« 
eben  lassen  und  sein  Vetter  Markgraf  Albrecht  der  Jüngere 
habe  diese  ebenfalls  mit  „einem  tapfern  Geschenk  einer  gol*- 
denen  Kette  mit  Edelsteinen"  beehrt.  Die  Ges^enke  zur 
Morgengabe  waren  so  überaus  zahlreich,  dass  der  Herzog  der 
Gemahlin  des  Grafen  Poppo  von  Henneberg  ein  langes  Ver- 
zeichniss  derselben  zusenden  konnte.  Als  später  derselbe  Hör- 
mg  zur  fürstlichen  Hochzeit  oder  ,,Heimfahrt"  des  Fräuleins 
Elisabeth  Landgräßn  von  Leuchtenberg  eingeladen  ward,  er- 
tbeitte  er  seinem  Rath  Ahasverus  Brand,  der  eben  damals  in 
Deutschland  war,  den  Auftrag,  bei  der  Hochzeit  sein  Stell- 
vertreter zu  sein  und  irgend  ein  Kleinod  nebst  einer  golde- 
nen Kette  zum  wenigsten  200  Gulden  an  Werth  von  einem 
Augsburger  Kaufmann  aufzunehlnen  und  der  Braut  am  Hoch- 
zeitstage in  seinem  Namen  zu  überreichen. 

Nach  dem  Hochzeitsfeste  (dessen  Schilderung  hier  filg- 
lieh  unterbleiben  kann,  weil  anderwärts  eine  solche  vo»  uns 
schon  gegeben  ist)  trat  die  fiirstliche  Frau  am  Hofe   ihres 

k 

Gemahls  als  Gebieterin  der  ihr  zugeordneten  Hofdienersehaft 
auf.  Die  Hofhaltung  der  Fürsten  und  Fürstinnen  pflegte  schon 
damals  ziemlich  bedeutend  und  zahlreich  zu  sein.  Gewöhn- 
lich entwarf  der  Fürst  entweder  schon  vor  seiner  Vermah- 
lung oder  sogleich  nach  derselben  nach  einem  ihm  mitge- 
theilten  Muster  für  seine  junge  Gemahlin  eine  s.  g.  Hoford* 
nung  oder  wie  man  es  auch  nannte,  „eine  Ordnung  des 
Frs^uenzimmers.'*  Wir  haben  vier  solcher  Hofbrdiiungen  von 
Höfen  des  südlichen  und  nördlichen  Deutschlands  aus  den 
Jahren  1526,  1535, 1547  und  1560  vor  uns  liegen.  Da  sio  im 
Wesentlichen  mit  einander  übereinstimmen- und  die  Hoford- 
nung, wie  schon  erwähnt,  meist  nach  dem  Muster  andrer 
Höfe  eingerichtet  wurde ,  so  scheint  man  folgern  zu  därfien, 
dass  in  der  feststehenden  Hofordnung  an  fiirstlichen  Höfen 
überhaupt  ein  gewisser  Typfus  herrschte,  der  nur  hie  und^d 
in  unbedeutenden  Veränderungen  abwich.  Legen  wir  die 
vor  uns  liegenden  Hofordnungen  zum  Grunde,  so  gestakd; 


im  sechsiehnten  Jahrhundert.  IM 

sich  der  Hof  der  Fürstin  uogefdbr  in  folgtoder  Weise  und 
Ordnung. 

An  der  Spitze  des  gesammten  Hofpersonals  der  Fürstin 
stand  überall  der  Hofineister  als  Obervorsteher  der  ganzen 
fürstlichen  Dienerschaft,  dem  als  Ordner  des  Hofdienstes  alle, 
die  in  der  Fürstin  Dienst  standen,  zum  pünktlichsten  Gehor- 
sam verpflichtet  waren.  Die  Hofordnung  gebot:  ,,der  Hof- 
meister solle  alle  diejenigen,  welche  der  Fürstin  zugeordnet 
seien,  wer  sie  auch  sein  möchten,  unter  seinem  Befehl  streng 
in  Gehorsam  halten  und  sie  zu  regieren  und  zu  bestrafen 
Volhnaßht  haben;  er  solle  stets  mit  Fleiss  daraufsehen,  dass 
die  Fürstin  ehrlich,  züchtig,  getreulich,  mit  guter  Ordnung 
und  höchstem  Fleisse  wohl  bedient  und  abgewartet  werde.*^ 
Es  lag  ihm  ferner  die  Pflicht  ob,  unter  der  Fürstin  übrigen 
Dienern  und  Dienerinnen  stets  Einigkeit,  gute  Zucht  und 
Aqstand  aufrecht  zu  halten.  Kamen  Beweise  von  Unverträg- 
lichkeit, Zanksucht  oder  unsittlichem  Lebenswandel  eines  fürst- 
lichen Dieners  zu  seiner  Kenntniss,  bemerkte  er  Unordnung 
und  Unachtsamkeit  im  Dienst  oder  Ungehorsam  gegen  gege- 
bene  Befehle  und  gegen  die  Hofordnung,  so  war  er  verbun- 
den, die  Schuldigen  ernstlich  zu  ermahnen,  im  wiederholten 
Falle  sie  zu  bestrafen .  und  blieb  auch  dieses  erfolglos,  der 
Fürstin  oder  dem  Fürsten  davon  Anzeige  zu  machen.  Dies 
seine  Stellung  zu  der  übrigen  Dienerschaft. 

Der  Hofmeister  war  immer  zugleich  der  erste  und  vor- 
nehmste Leibdiener.  Hielt  die  Fürstin  eine  Ausfahrt  zur  Kirche, 
irgendwohin  zur  Tafel  oder  einen  Spazierritt  zum  Vergnügen 
oder  i^g  sie  auf  Reihen,  so  musste  er  sie  begleiten,  ihr  dann 
in  und  aus  dem  Wagen  oder  auf  und  von  dem  Zelter  helfen 
ui^d  überhaupt  in  allen  Dingen  der  Fürstin  zu  Dienst  stehen. 
Ward  er  durch  wichtige  Gründe  an  solcher  Begleitung  ver- 
hiüderl^  so  musste  er  dafür  sorgen,  dass  er  in  seinem  Dienst 
durch  einen  andern  anständig  und  geziemend  vertreten  werde. 
Am  Hofe  selbst  muäste  er  bestandig  in  der  Nähe  der  Für- 
iitin  sein;  alles,  was  an  sie  gelangen  sollte,  nahm  er  zunächst 
in  Empfang  und  ertbeilte,  wenn  es  nöthig  war,  im  Auftrage 
der  Fürstin  die  etwanigen  Antworten  und  Bescheide.    Die 


104  Hofleben  und  Bofsitt^  der  Füntinnen 

Hofordnung  schrieb  ihm  daher  ausdrücklich  vor,  dass  er  ohne 
vorherige  Anzeige  bei  der  Fürstin  steh  nie  auf  längere  Zeit 
aus  ihrer  Nähe  entfernen  dürfe. 

War  der  Fürst  vom  Hofe  abwesend,  so  gingen  manche 
Hofdienste  seines  ihn  begleitenden  Hofmeisters  auf  den  der 
Fürstin  über.  Vornehmlich  hatte  er  dann  die  Oberaufsicht 
über  Küche  und  Tafel;  in  jener  musste  er  darauf  sehen, 
„dass  mit' dem  Essen  sauber  und  reinlich  nach  iiirstlicher 
Ordnung  umgegangen  werde  ;^^  an  dieser  hatte  er  darauf  zu 
achten,  dass  die  Speisen  und  Getränke  fleissig  und  ordent* 
lieh  credenzt  würden,  auch  „dass  die  Zugeordneten  von  Adel 
und  andere  ihren  Dienst  bei  der  Tafel  fleissig  und  züchtig 
abwarteten.^*  Er  war  dafür  verantwortlich,  dass  die  Tafel- 
ordnung auf  keine  Weise  verletzt  oder  gestört  werde«  Er 
hatte  also  darauf  zu  merken ,  dass  im  fürstlichen  Speisesaal 
keiner  von  den  dort  speisenden  Räthen,  Adeligen,  Junkern 
oder  andern  männlichen  Personen  sich  an  die  Tische  der 
Jungfrauen  setze  oder  stelle  oder  über  Tisch  mit  den  Jung- 
frauen Gespräche  halte.  Nur  die  Zwerge  def  Fürstin  und  die 
zur  Aufwartung  bestimmten  Diener  durften  sich  am  Jung- 
frauen-Tische finden  lassen.  Jeder,  der  gegen  die  Tafelord- 
nung handelte  oder  im  Gespräch  Sitte  und  Anstand  verletzte, 
setzte  sich  einer  warnenden  Zurechtweisung  des  Hofmeisters 
aus  und  ward,  wenn  er  sich  nicht  abwehren  liess,  dem  Für- 
sten zur  Bestrafung  angezeigt. 

Der  Hofmeister  hatte  ferner  in  Verbindung  mit  der  Hof- 
meisterin (von  der  sogleich  näher  die  Rede  sein  wird)  die 
Oberaufsicht  über  die  Ordnung  im  s.  g.  Frauenzimmer.  Mit 
diesem  Namen  bezeichnete  man  damals  das  fürstliche  Wohn- 
und  Versammlungszimmer  der  den  weiUiehen  Ho^fstaat  der 
Fürstin  bildenden  Hoffräulein.  Dies  waren  in  der  Regel  Töch- 
ter adeliger  Familien  des  Landes,  die  man  an  den  Hof  bradb^, 
um  sie  theils  in  feiner  Sitte,  Anstand  und  Lebensart  ausbil- 
den, theils  auch  m  feinen,  künstlichen  Handarbeiten,  wie  sre 
damals  besonders  an  fürstlichen  Höfen  betrieben  wurden,  un- 
terrichten zu  lassen.  Diesen  Zweck  finden  wir  ausdrücklich 
in  mehren  Briefen  ausgesprochen,  in  denen  um  die  Aufnahme 


tift  sechaehnien  Jahrhundert  lOS 

adeliger  Fräulein  ins  fürgtliche  Frauenzimmer  gebeteta  wird. 
Den  Unterricht  in  Handarbeiten  und  die  übrige  weibliche  Aus- 
bildung besorgten  ältere  Kammerfrauen,  die  zu  diesem  Zweck 
im  Frauenzimmer  angestellt  waren.    Um  unter  diesen  Hof- 
fräuleiu  Zucht  und  gute  Sitte  aufrecht  zu  erhalten,  waren  in 
der  Hofordnuttg  gewisse  Bestimmungen  vorgeschrieben,  atf 
deren  Befolgung  der  iiirstliche  Hofmeister  zu  sehen  hatte. 
Bevor  z.  B.  um  zwölf  Uhr  Mittags  das  s.  g.  Morgenmahl  ge- 
halten wurde,  durfte  ausser  den  mit  besondem  Diensten  be- 
auftragten männlichen  Personen  niemand  das  Trauenzimmer 
besuchen.   Erst  mit  der  zwölften  Stunde  konnten  Adelige,  je- 
doch aticbnur  wenn  die  Fürstin  einheimisch  war,  ins  Frauen- 
zimmer  in  Gesellschaft  gehen  und  dort  bis   zwei  Uhr   des 
Nachmittags  verweilen,  desgleichen  des  Abends  von  sechs  bis 
um  acht  Uhr.   Sobald  um  zwei  oder  acht  Uhr  der  Kämmerer 
oder  Thürknecfat  dreimah  mit  dem  Hammer  an  die  Thüre 
sdblug,  musste  jeder  ohne  Verzug  das  Frauenzimmer  verlas- 
sen. Es  hing  von  des  Fürsten  imd  der  Fürstin  Befehlen  ab, 
die  Besuchszeit  im  Frauenzimmer  zu  verlängern  oder  zu  ver- 
kürzen, auch  wenn  dazu  Anlass  gegeben  war,  diesem  oder 
jenem  den  Besuch  zu  verbieten  oder  in  gewissen  Zeiten  al- 
len Besuch  des  Frauenzimmers  ganz  zu  untersagen.    In  der 
Besuchszeit  hielten  gewisse  Bestimmungen  Zucht  und  Sitte 
aufrecht;  es  war  „den  Jungfern'^  alles  Hin-  und  Wiederlau- 
fen im  Zimmer  streng  verboten;  es  stand  eine  gewisse  Ord- 
nung fest,  nach  welcher  sie  züchtig  und  ehrsam  auf  einer 
Bank  sitzen  mussten.    Es  war  ihnen  nicht  erlaubt,  stehend 
vor  den  adeligen  Herren  Gespräche  zu  halten;  es  hiess  .viel- 
mehr in  der  Hofordnung:  „die  vom  Adel  sollen  im  Frauen- 
zimmer stets  züchtig  sich  neben  den  Jungfern  niedersetzen 
und  alle  unzüchtigen  Geberden  und  Worte  vermeiden,  wie 
denn  solches  die  adelige  Zucht  und  der  Gebrauch  ehrlicher 
iurstlicher  Frauenzimmer  erfordert.'^ 

Es  war  Pflicht  des  Hofmeisters  und  der  Hofmeisterin, 
die  vorgeschriebene  Ordnung  im  Frauenzimmer  streng  und 
pünktlich  aufrecht  zu  erhalten.  Wer  sich  nicht  anständig  und 
ehrbar  im  Frauenzimmer  benahm  oder  die  bestimmte  Ord- 


10t  Hofkb0i  und  HofsUim  der  Fürstinnen 

Dung  störte,  konnte  vom  Hofmeister  daraus  verwiesen  und 
der  fernere  Besuch  ihm  verweigert  werden.  Der  Hofmeister 
war  daher  ausdrücklich  verpflichtet,  wahren^d  der  Beisuchs- 
stunden  im  Frauenzimmer  anwesend  zu  sein  oder  wenn  er 
verhindert  war,  sich  durch  den  Kämmerer  oder  „eine  aur 
dere  angesehene  Person,  vor  der  man  Scheu  haben  musste,*^ 
in  der  Aufsicht  vertreten  zu  lassen«  Weil  er  fiir  alle  Unord- 
nungen im  Frauenzimmer  verantwortlich  war,  so  durfte  aus- 
ser den  dabei  angestellten  Dienern  und  Dienerinnen  ohne 
sein  oder  der  Hofmeisterin  Wissen  weder  eine  Manns-  noch 
Frauensperson,  am  wenigsten  wenn  sie  unbekannt-war,  in 
dasselbe  zugelassen  werden;  er  durfte  auch  keine  Gemein- 
schaft oder  Verbindung  mit  dem  Frauenzimmer  eriauben-, 
die  in  irgend  einer  Hinsicht  dem  guten  Ru£ei  nachtheilig  wer- 
den oder  auch  nur  Verdacht  erwecken  konnte.  Was  er  in 
.dieser  Hinsicht  anzuordnen  fiir  zweckmässig  fand,  hing  gana 
von  seiner  Bestimmung  ab.  Damit  die  Zugänge  zum  Frauen- 
zimmer zu  gehöriger  Zeit  verschlossen  werden  komäten,  schrieb 
ihm  die  Hofordnung  vor,  daiiir  zu  sorgen,  dass  sowohl  der 
Fürstin  als  den  Jungfrauen  im  Frauenzimmer  der  sogenannte 
Schlaftrunk  stets  zu  gehöriger  Zeit,  nämlich  Abends  noch 
vor  acht  Uhr  gebracht  werde,  denn  bald  nach  dieser  Zeit 
mussten  die  äussern  Zugänge  zum  Frauenzimmer  im  Som- 
mer undWintor  verschlossen  sein  und  durften  ohne  beson- 
dem  Befehl  des  Hofmeisters  oder  der  Hofmeisterin  nicht 
wieder  geöflhet  werden. 

Dies  war  ungefähr  die  Stellung  des  Hofmeisters  der  Für- 
stin nach  den  uns  vorliegenden  Hofordnungen.  In  der  fte- 
^el  war  er  zugleich  auch  Mitglied  des  fürstlichen  Rathes  im4 
nahm  an  dessen  Versammlungen  Theil.  Wir.  finden,  ihn  we- 
nigstens öfter  als  fiath  des  Fürsten  aufgeführt.  .   ^ 

Die  zweite  wichtigste  Person  unter  der  Hofdienerschaft 
einer  Fürstin  war  die  Hofmeisterin,  als  nächste  Vorsteherin 
und  Vorgesetzte  des  Frauenzimmers,  in  der  Regel  adeligen 
Standes.  Man  wählte  dazu  gerne  Wittwen  oder  doch  be- 
jahrtere Personen.  Ueber  ihre  Anstellung  am  Hofe  bestimmte 
gewöhnlich  die  Fürstin  selbst.   Die  Wichtigkeit  ihrer  Pfliph- 


im  sechi^hnien  JahrhuttderL  107 

ten  und  ihrer  Verhältnisse  in  der  tägiidien  Umgebiuig  der 
Fürstin  brachte  es  Ton  selbst  schon  mit  sich»  dass  man  bei 
der  Besetzung  dieses  Hofdienstamtes  stets  mit  grosser  Vor- 
sicht zu  Werke  ging.  Als  z.  B.  die  Herzogin  Dorothea  von 
Preussen  ums  Jahr  1541  ihre  bisherige  Hofmeisterin  Lucia 
von  Meisdorf  wegen  Altersschwäche  aus  dem  Dienst  entlas-» 
sen  musste,  gab  sie  nach  mehren  Orten  hin  wiederholte  Auf« 
träge,  ihr  eine  gute  und  brauchbare  Person  zu  dem  Amte 
in  Vorschlag  zu  bringen  und  da  sie  eine  solche  unter  dem 
Adel  in  Preussen  nicht  finden  konnte,  musste  sie  sich  an 
einige  Bekmmte  in  Deutschland  wenden,  mit  der  Bitte,  ihr 
von  dorther  eine  geeignete  Person  zuzuschicken,  rath  jedoch 
ausdrücklich,  sie  zuYor-aufs  allergenauste  zu  prüfen,  damit 
sie  gut  mit  ihr  versorgt  9§i.  Sie  verspricht  ihr  ein  jährliches 
ßehalt  von  20  Gulden  und  die  gewöhnliche  Hofkleidung, 
mit  der  Aussicht  auf  Verbesserung,  sofern  sie  sich  der  Her- 
zogin mch  ihrem  Gefallen  verhalten  werde. ') 

In  den  Dienst  der  Fürstin  wurde  die  Hofmeisterin  mit 
dem  eidlichen  Gelöbniss  aufgenommen:  „Der  Fürstin  getreu 
und  gewähr  zu  sein,  die  Tage  ihres  Lebens  der  Fürstin  be- 
reitwillig zu  dienen,  ihren  Schaden  zu  warnen  und  zu  oflTen- 
b^ren,  auch  nichts  nachzureden,  woraus  der  Fürstin  oder  dem 
Fürsten  irgend  welcher  Schaden,  Unglimpf  oder  NachthetI 
erfolgen  kdnnte,  vielmehr  alles,  was  ihr  Rathsweise  anvertraut 
CKler  von  der  Fürstin  angezeigt  werde  oder  sie  sonst  von  ihr 
in  Erfahrung  bringe,  bis  ins  Grab  zu  verschweigen.'^  Sie 
musste  ferner  eidlich  versprechen,  die  ihr  vom  Fürsten  über- 
gebeiie  Hofordnung  nie  zu  übertreten,  sich  die  Aufwartung 
4ler  Fürstin  stets  aufs  fleissigste  angelegen  sein  zu  lassen, 
„das  Frauenzimmer  pünktlich  und  treu  zu  regieren,  etwani- 
ger  Zwietracht  und  Uneinigkeit  der  Jungfrauen  und  aller  de«- 
rer,  die  ins  Frauenzimmer  gehörten,  nach  allem  Vermögen 
zuvorzukommen  und  wofern  sich  eine  der  Jungfrauen  eine 
üble  Nachrede  oder  sonstige  Verletzung  guter  Sitte  und  Zucht 


*)  Vgl.  Havemann  Elisabeth  Herzogin  von  Braunschweig-Lü- 
neborg  S.  1% 


los  Hofleben  und  Bofsitten  der  Fürstinnen 

erlauben  werde,  sie  mit  Bath  des  Fürsten,  der  Fürstin  und 
des  Hofmeisters,  wenn  es  diese  nöthig  fänden,  ernstlich  zu 
bestrafen. 

Die  Hofmeisterin  war  demnach,  wie  zum  Theil  schon 
hieraus  ersichtlich  ist^  die  erste  und  nächste  Dienerin  der 
Fürstin  und  [Soweit  es  diese  verlangte,  ihre  beständige  6e* 
sellschafterin  und  Begleiterin.  Hielt  in  des  Fürsten  Abwe->' 
senheit  die  Fürstin  allein  Tafel,  so  mussten  nach  Vorschrift 
der  Hofordnung  die  Hofmeisterin  und  der  Hofmeii$ter  nebst 
einigen  HofFräulein  mit  an  ihrer  Tafel  speisen.  In  des  Für- 
sten Anwesenheit  dagegen  sass  die  Hofmeisterin  mit<  am 
Tische  der  Jungfrauen.  Da  diese  vom  frühen  Morgen  bis 
spät  am  Abend,  wo  sich  die  Fürstin  zur  Buhe  begab,  bestän- 
dig um  ihre  Person  war,  so  ents|Hinn  sieh  gewöhnlich  zwi- 
schen beiden  ein  gewisses  vertrautes  Verhaltniss,  so*  dass  z.B. 
die  Herzogin  Dorothea  von  Preussen  ihre  Hofiiieisterin  Lueia 
von  Meisdorf  nie  anders  als  „unsere  liebe  Mutter'*  nannte. 

Als  Obervorsteherin  der  Hoffräulein  hatte  sie  die  nächste 
Oberaufsicht  und  Verantwortlichkeit  übet  Zucht  und  Ordnung 
im  Frauenzimmer.  Man  war  ihr  daher  hier  in  allem  zum 
strengsten  Gehorsam  verpflichtet,  denn  in  der  Hofordnung 
war  es  ihr  ausdrücklich  als  Pflicht  vorgeschrieben,  „sie  solle 
die  Jungfrauen  im  Frauenzimmer  stets  nach  ihrem  höchsten 
Vermögen  zu  Zucht,  Ehre  und  Bedlichkeit  anhalten,  dafUr 
sorgen,  dass  dieselben  der  Fürstin  zu  behaglichem  WiHen 
ehrbar  dienten,  und  daraufsehen,  dass  unter  ihnen  alles  Ge- 
wäsche und  Gezanke,  was  dem  fürstlichen  Frauenzimmer 
übel  anstehe,  vermieden  werde.  Sie  war  ausserdem  verpflich- 
tet, auch  für  die  Ausbildung  der  Hoffräulein  sowohl  in  sitt^ 
liebem  feinen  Anstand  und  gutem  Benehmen,  als  ifh  Geschick 
zu  weiblichen  Arbeiten  so  viel  als  möglich  Sorge  zu  tragen. 
Was  sie  daher  im  Frauenzimmer  anordnete,  um  Zucht  und 
gute  Sitte  aufrecht  zu  erhalten  und  zu  fördern  oder  Unord* 
nungen  vorzubeugen,  musste  unbedingt  befolgt  werden.  Ohne 
ihre  Erlaubniss  durfte  keine  fremde  Person  das  Frauenzim- 
mer zum  Besuche  betreten.  Wir  finden  sogar  in  der  Hof- 
ordnung die  Vorschrift,  dass  wenn  einer  der  Jungfrauen  im 


im  sechzehnten  Jahrhundert  lOf 

Frattenzimmer  während  der  Nacht  eine  Schwachheit  sufallen 
und  die  Hofmeisterin  dazu  gerufen  werde»  so  solle  sie  sich 
zuerst  wegen  der  Schwachheit  nach  höchstem  Vermögen  er«- 
kundigen  und  nur  wenn  dann  befunden  werde ,  dass  ein 
Doctor  oder  Baibier  nöthig  sei,  solle  deren  einer  „aus  Er- 
fordern unvermeidlicher  Noth,  sonst  aber  keine  andere  Manns- 
person bei  Tag  oder  Nacht  ins  Frauenzimmer  zur  Kranken 
eingelassen  werden." 

Diese  Hoflraulein  oder,  wie  sie  damals  gewöhnlich  hies- 
sen,  Kammerjungfrauen  dienten  der  Fürstin  als  nächste  weib- 
liche Dienerschaft.  Sie  waren  ausschliesslich  adeligen  Stan- 
des und  zwar,  wie  schon  erwähnt,  in  der  Regel  Töchter 
adeliger  Familien  des  Landes.  Nur  ausnahmsweise  kamen 
mitunter  Fälle  yor,  dass  .Fürstinnen  aus  besondem  Rück- 
sichten, bei  höheren  Verwendungen  und  Empfehlungen  auch 
Töchter,  auswärtiger  adeliger  Familien  als  Kammerjungfrauen 
in  ihr  Frauenzimmer  aufnahmen.  Gewöhnlich  mussten  solche» 
wie  es  scheint,  eine  Art  von.  Pension  niederlegen  und  von 
den  Eltern  mit  den  nöthigen  Bedürfnissen  ausgestattet  sein. 
So  verwandte  sich  einmal  der  König  von  Dänemark  bei  der 
Herzogin  von  Preussen  um  die.  Aufnahme  der  Tochter  eines 
seiner  Unterthanen  in  ihr  fürstliches  Frauenzimmer.  Sie  er- 
wiederte  ihm  darauf:  Sie  wolle  ihm  gerne  in  allen  Dingen 
gefifillig  sein;  er  könne  jedoch  leicht  selbst  ermessen,  dass 
sie  ihren  .eigenen  Unterthanen  darin  nicht  wenig  zu  thun 
schuldig  sei  und  diese  vor  allen  andern  fördern  müsse  und 
wolle.  Um  jedoch  dem  Könige  und  den  Eltern  ihren  freund-* 
liehen  Willen  zu. beweisen,  sei  sie  es  zufrieden,  dass  die 
letzteren  ihr  eine  ihrer  Töchter  zuschicken  möchten,  doch 
dergestalt,  wie  sie  hinzuiugt,  dass  sie  auch  dasjenige  bei  ih- 
rer Tochter  thun  und  mitgeben,  was  sie  oder  andere  Ei- 
tern, wenn  sie  eine  Tochter  ins  Kloster  stecken,  zu  thun 
pflegen.  Als  man  indess  der  Herzogin  bald  darauf  meldete: 
die  Eltern  wollten  ihrer  Tochter  nicht  mehr  als  etwa  hun- 
dert Mark  und  etliche  Kleider  mitgeben,  schrieb  sie  dem 
Könige:  unter  solchen  Umständen  könne  sie  die  Jungfrau 
nieht.in  ihr  Frauenzimmer  aufnehmen,  zumal  da,  wie  sie 


IIA  Hoßeben  und  Hofsitten  der  Fürstinnen 

abermals  hinzußigt,  „Wir  auch  dieses  Landes  jund  Fürsten- 
thums  Preussen  Jungfrauen  vor  andern  zu  helfen  schuldig 
sind.  Wo  ihr  aber  die  Aeltern  fünfhundert- Mark  mit  einer 
ziemlichen  Nothdurft  Kleider  und  Geschmuck  mitgeben  und 
solches  so  lange  bis  sie  ausgebracht  wird,  hinterlegen  oder 
ihr  zum  Besten  zu  Zins  machen  wollen,  soll  alsdann  an  uns 
in  dem  zu  freundlichem  Gefallen  nichts  erwunden  werden/^ 
Bei  der  Aufnahme  in  das  fürstliche  Frauenzimmer  musste 
jedes  Hoffräulein  sich  „bei  adeliger,  ehrenreicher  Treue**  eid- 
lich verpflichten,  gewisse  ihr  vorgelegte,  den  Dienst  bei  der 
Fürstin  und  ihr  übriges  Verhalten  betreffende  ^  BestirnrnüYi- 
gen  fest  und  pünktlich  zu  beobachten.  Ausser  dem  allge- 
meinen Versprechen  eines  stets  treuen  Dienstes  musste  sie 
geloben,  Tag  und  Nacht  der  Fürstin  stets  gewärtig  zu  sein, 
so  oft  und  so  lange  es  diese  verlange^  Morgens  und  Abends 
ihr  stets  zum  Dienst  bereit  zu  stehen,  darauf  zu  achten,  dass 
die  Fürstin  ohne  ihren  Willen  nie  und  nirgends  allein  ge^^ 
lassen  werde ,  auch  mit  allem  Fleisse  auf  Speisen  und  Ge^ 
tränke  zu  sehen,  wenn  sie  der  Fürstin  in  ihrer  Kammer, 
auf  Reisen  oder  sonst  irgendwo  gereicht  würden,  damit  al- 
len Gefahren,  die  daraus  entstehen  könnten,  mit  aller  Sorg- 
falt vorgebeugt  werde.  Sie  musste  mit  darauf  achten,  dass 
alles  unordentiiche  Aus-  und  Eingehen  in  der  Fürstin  Zim-^ 
mer  vermieden,  auch  dass  ohne  des  Fürsten  oder  des  Hof- 
meisters Wissen  oder  unangemeldet  niemand  ausser  der  ver-* 
eidigten  Dienerschaft  in  die  fürstlichen  Zimmer  zugelassen 
werde.  Kein  Hoffräulein  durfte  sich  erlauben,  irgend  etwas 
von  Kramwaaren,  Speisen,  Getränken,  Briefen  und  sonst  et- 
was anzunehmen  und  in  die  Kammern  der  Fürstin  zu  tra- 
gen ohne  deren  Vorwissen  und  ohne  sich  zuvor  erkundigt 
zu  haben,  von  wem  und  von  wo  das  Gebrachte  komme. 
Die  Hofordnung  schrieb  ferner  vor:  die  Kammerjungfrauen 
sollten  nicht  minder  wie  die  Hofmeisterin  sich  auch  der 
Wartung  und  Reinigung  der  Kleidung,  der  Gemache  der 
Fürstin  und  „was  sonst  zu  ihrer  zierlichen  Notbdurft  gehtjrt, 
mit  allem  Fleisse  annehmen,  damit  dasselbe  alles  stets-farst- 
liefa  gehalten  werde."   Wann  die  Fürstin  aus  ihrem  Gemache 


im  sechzehnten  Jahrhundert .  111 

gehe,  sollten  ihr  wenigstens  die  Hofmeisterin  mit  etlichen 
Kammerjungfrauen  jeder  Zeit  zu  Dienst  stehen  und  es  in 
gebührlicher  Aufwartung  der  Fürstin  nirgends  an  Fleiss  feh* 
len  lassen. 

Gewann  schon  durch  die  über  die  Absdiiiessung  des 
Frauenzimmers  gegebenen  Bestimmungen  das  Leben  der 
HofTräulein  einen  streng  gehaltenen,  fast  klösterlich  einsamen 
Charakter,  so  schrieb  die  Hofordnung  überdiess  noch  vor, 
dass  sich  kein  HofTräulein  erlauben  dürfe,  irgend  welche 
Briefe,  von  wem  sie  auch  kommen  mochten,  ohne  Erlaubniss 
und  Miiwissen^  der  Hofmeisterin  anzunehmen  oder  auch 
solche  wegzusenden.  Briefe  an  Eltern,  Geschwister  und 
nahe  Verwandte  konnten  nur  dann  „unbesichtigt  aus  dem 
Frauenzimmer  ausgehen ^%  wenn  sie  etwanige  nothwendige 
Bedürfnisse  betrafen;  aber  es  htess  ausdrücklich:  „es  solle 
ailwege  in  solchen  Schreiben  vermieden  bleiben,  irgend  et- 
was anderes  oder  weiterem  aus  dem  Frauenzimmer  zu  schrei-* 
ben-"  Wollten  Freunde  oder  nahe  Verwandte  ein  HoCfräu- 
lein  im  Frauenzimoier  besuchen,  so  durfte  auch  dieses  nur 
im  Beisein  der  Hofmeisterin  geschehen,  „damit  diese,  wie  es 
beisst,  jedesmal  h^^n  möge,  was  sie  mit  einander  zu  schaf-* 
fen  und  zu  reden  haben.^'  Eben  so  durfte  kein  Hoffriluleia 
ohne  der  Hofmeisterin  Eriaubniss  irgend  ein  Geschenk  an- 
nehmen, es  mochte  gross  oder  klein  sein  und  von  wem  es 
auch  kommen' mochte;  noch  viel  weniger  war  es  einer  Hof- 
jungfrau erlaubt,  ohne  der  Hofmeisterin  Beisein  oder  aus- 
drückliche Genehmigung»,  die  freie,  offene  Strasse  zu  be- 
treten. Was  auswärts  zu  besorgen  war,  musste  meist  durch 
Knaben  oder  Diener  geschehen,  die  zu  diesem  Zweck  dem 
Frauenzimmer  zugeordnet  waren. 

Trotz  dieser  Strenge   aber  in  den  Bestimmungen  der 

Hofordnung  galt  es  doch  immer  als  ein  Glück  für  ein  adeli- 
ges Fräulein,  an  einem  Fürstenhofe  in  ein  fürstliches  Frauen- 
zimmer aufgenommen  zu  werden,  wie  wir  aus  den  häufigen 
3ittschreiben  der  Eltern  ersehen,  die  um  die  Aufnahme  ihrer 
Töchter  nachsuchten.  Gemeinhin  fanden  auch  die  Aufgenom- 
menen vonseiten  der  Fürstin  bei  guter  Führung  eine  freundKche 


llü  Hoflehen  und  Hofsitien  der  Fürstinnen 

BebaiulluDg.  So  riihint  man  es  z.  B.  der  edlen  Kurfürstin 
Hedwig  von  Brandenburg  ausdrücklich  nach,  dass  sie  mit 
ihren  Hofiräulein  stets  im  freundlichsten  und  herablassend- 
sten Verkehr  gelebt;  die  liebenswürdige  Herzogin  Dorothea 
von  Preussen  nannte  gewöhnlich  ihre  Hoffräulein  „meine 
liebe  Töchter." 

Hatte  ein  Hoffräulein  eine  Anzahl  von  Jahren  am  fürst- 
lichen Hofe  zugebracht  und  das,  was  damals  zur  feinen  Bil"* 
düng  gehörte,  sich  angeeignet,  so  knüpften  sich  dort  auch 
leichter  als  anderswo  Verbindungen  für  das  künftige  Lebens^ 
glück.  War  eine  solche  geschlossen,  so  sorgten  der  Fürst 
und  die  Fürstin  für  eine  stattliche  Aussteuer  und  Hoch- 
zeitsfeier. Wir  finden  in  mehren  Hofordnungen  die  aus- 
drückliche Bestimmung;  dass  wenn  eine  Jungfrau  von  Adel 
aus  dem  fürstlichen  Frauenzimmer  mit  Rath  und  Einwil- 
ligung des  Herzogs  und  der  Herzogin  sich  zu  verheirathen 
gedenke,  so  wolle  der  Herzog  aus  Gnaden  sie  mit  hundert 
Mark  an  baarem  Gelde  aussteuern.  Geschehe  es  aber,  dass 
eine  zuvor,  ehe  sie  in  das  Frauenzimmer  käme,  ehelich  ver- 
sprochen wäre  oder  unter  einem  Jahre  sich  verheirathen 
werde,  so  wolle  der  Herzog  nicht  verbunden  sein,  ihr  «in 
solches  Heirathsgeld  mitzugeben.  Geschah  das  eheliche  Ver- 
löbniss  einer  Hofjungfrau  mit  des  Fürsten  Vorwissen  und 
Genehmigung,  so  übernahm  dann  die  Fürstin  die  Ausrich- 
tung der  Hochzeit,  sie  bestellte  ihr  die  sogen,  „hochzeitliche 
Ehre."  So  sehen  wir,  um  nur  ein  Beispiel  anzuführen,  di^ 
Herzogin  Dorothea  von  Preussen  sehr  geschäftig  bemüht,  ih- 
rem Hoffräulein  von  Persskau,  der  Tochter  des  Burggrafen 
Moritz  von  Persskau,  das  hochzeitliche  Beilager  so  stattlich 
wie  möglich  auszurichten;  sie  giebt  die  nöthigen  Anordnun- 
gen zur  Hochzeit,  sie  ladet  selbst  den  Vater  zum  Vermäh- 
lungsfeste seiner  Tochter  an  ihren  Hof  ein  u.  s.  w. 

.  Was  die  Anzahl  der  Hoffräulein  im  Frauenzipimer  b^- 
trifit,  so  scheint  diese  an  den  Fürstenhöfen  meisteb»  fest 
bestimmt  gewesen  zu  sein;  sie  war  es  wenigstens  am  Hofe 
des  Herzogs  von  Preussen.  Er  erwiederte  daher  der  Herzo- 
gin von  Münden  auf  deren  Bitte  wegen  Aufnahme  einer  ge- 


im  seck^hnten  Jahrhundert.  113 

wissen  Maria  von  Reden  als  Kammeijungfer  seiner  Gemah- 
lin: „Wir  zweifeln  nicht,  Ew.  Liebden  haben  sich  wohl  2a 
erinnern,  was  wir  uns  diesfalls,  ehe  denn  die  Heirat  zwischen 
uns  und  unserer  Liebden  Gemahlin  beschlossen  worden,  ha- 
ben vernehmen  lassen,  nämlich  dass  wir  eine  Hofordnung 
hätten,  der  wir  nachgingen,  und  weil  wir  uns  gegen  unsere 
ünterthanen  nicht  eines  Weitern  einlassen,  wüssten  wir  uns 
gegen  Fremde  auch  nicht  höher  zu  versprechen."  Der  Her- 
zog erklärte  demnach,  dass  er  gegen  seine  festbestimmte  Hof- 
ordnung das  vorgeschlagene  Fräulein  nicht  bei  sich  aufneh- 
men könne. 

£iner  der  wichtigeren  Hofdiener  der  Fürstinnen  war  aus- 
ser dem  Ho£(neister  der  Kämmerer,  auch  der  Hofkäramerer 
oder  Leihkämmerer  genannt,  weil  er  „mit  allem  treuen  Fleiss 
auf  der  Fürstin  Leib  aufwarten  soll."  Er  war  ebenfalls  ade- 
ligen Standes,  weshalb  es  auch  in  seinem  Amtseide  hiess :  er 
solle  seinem  Amte^  stets  nachkommen,  wie  es  einem  ehrlie- 
benden Diener  von  Adel  ziemt  und  gebührt.  In  diesem  Dienst- 
eide waren  ihm  zugleich  im  Allgemeinen  auch  seine  wichtig* 
sten  Dienstpflichten  vorgeschrieben.  Er  solle,  hiess  es,  die 
tiefste  Verschwiegenheit  über  alles  beobachten,  was  er  beim 
Ein-  und  Ausgehen  in  der  Fürstin  Kammer  oder  sonst  heim- 
lich oder  öfient4ich  erfahre;  er  solle  ferner  stets  sorgsam  dar- 
auf achten ,  dass  das  Frauenzimmer  immer  zur  rechten  Zeit 
geschlossen  werde  und  keinen  ungebührlichen  Aus-  und  Ein- 
gang in  dasselbe  gestatten,  überhaupt  allen  Unordnungen  so 
viel  als  möglich  zuvorkommen.  In  allem,  was  die  Ordnung 
des  Frauetizimmers  vorschrieb  oder  die  Fürstin  und  der  Hof- 
meister ihm  darüber  anbefahl,  war  ihm  die  pünktlichste  Aus- 
führung zur  Pflicht  gemacht.  Sobald  er  im  Frauenzimmer  ir- 
gend eine  Unordnung  oder  irgend  etwas  Ungebührliches  be- 
merkte, was  er  nicht  selbst  abstellen  konnte,  musste  er  dem 
Fürsten  oder  der  Fürstin  darüber  schleunige  Nachricht  geben. 
Ud>erhaupt  galt  die  Specialaufsicht  über  das  iurstliche  Frauen- 
zimmer überall  als  eine  seiner  wichtigsten  Dienstpfliohten. 

Unter  dem  speciellen  Befeiri  des  Hofkämmerers  stand  zu«* 
gleich  die  ganze  übrige  Hofbedienung  der  Fürstin.   Dahin  ge^ 

ZciUchrirt  f.  Geacbichtsw.    I.    1844.  g 


114  Hofleben  und  HofMten  der  Fürstinnen 

körten  die  Kammerjunker,  die  Hoflakaien,  die  KammennSgde 
der  Thürknecht  u.  a.  Die  Kammerjunker  oder  Kammerjungen 
waren  junge  Edelknaben,  welche  theils  den  Dienst  der  Auf- 
wartung an  der  Tafel  oder  im  Gemach  der  Fürstin,  theils 
auch  verschiedene  Dienste  im  Frauenzimmer  m  yerrichten 
hatten.  Nach  der  Hofordnung  mussten  sie  bei  ihrer  Aufnahme 
am  Hofe  das  achte  Jahr  erreicht  haben  und  wurden  mit  dem 
dreizehnten  Jahre  aus  dem  Dienst  entlassen,  denn  es  war 
ausdrücklich  yorgesehrieben,  dass  kein  Edelknabe  über  die-« 
ses  Alter  hinaus  in  das  Frauenzimmer  mehr  zugelassen  wer- 
den dürfe.  Der  Hofkämmerer  hatte  stets  darauf  zu  achten, 
„dass  die  Kammerjungen,  die  der  Fürstin  zu  Dienst  stehen 
soHen,  sich  stets  reinlich,  ehrbar  und  züchtig  hielten  und  auch 
sonst  ihrer  Aufwartung  Gnüge  thaten;  wofern  sie  etwas  ver"^ 
brechen  würden,  solle  er  sie  mit  einer  ziemlichen  Ruthen«* 
strafe  zu  züchtigen  Macht  haben  und  das  zu  thun  auch  schul- 
dig sein.*^  Hatten  jedoch  solche  Edelknaben  sich  während 
ihres  Aufenthalts  am  fürstlichen  Hofe  gut  und  redlich  gefährt, 
so  sorgte  die  Fürstin  dann,  wenn  sie  aus  dem  Hofdienste 
entlassen  wurden,  auch  gerne  für  ihr  weiteres  Fortkommen 
oder  ihre  fernere  Ausbildung  theils  auf  Reisen  theils  auch 
durch  Empfehlungen  an  andere  fürstliche  Höfe.  Ausser  die- 
sen Edelknaben  finden  wir  im  Dienste  der  Fürstinnen  auch 
noch  s.  g.  „grosse  Kammerjungen '%  die  vornehmlich  zu  Be- 
stellungen ausser  dem  fürstlichen  Schlosse  gebraucht  wurden. 
Mit  Ausnahme  der  Edelknaben  wurden  alle  am  Hofe  der 
Fürstin  angestellten  Diener,  vom  Hofmeister  und  der  Hof- 
meisterin an  bis  zum  Thürknecht,  Hofschneider  und  der  Hof- 
wäscherin herab  durch  einen  bei  ihrer  Anstellung  zu  leisten- 
den Eid  in  Treue  und  Pflicht  genommen.  Dieser  Eid  ent- 
hielt theils  allgemeine,  für  Alle  geltende  Bestimmungen,  z.  B, 
in  Betreff  der  Verschwiegenheit  über  alles,  was  von  irgend 
welcher  Wichtigkeit  am  Hofe  der  Fürstin  vorging  oder  die 
persönlichen  Verhältnisse  der  Fürstin  betraf,  theils  wurden 
in  denselben  audi  die  wichtigsten  Dienstvorschriften  bald  im 
Allgemeinen,  bald  auch  in  besondem  Andeutungen  mit  auf- 
genommen.   So  war,  um  nur  ein  Beispiel  anzuführen,  im 


im  sechzehnten  Jahrhundert.  115 

Diensteid  der  lurstlichen  Hofwäscherin  vorgeschrieben:  wenn 
sie  Sachen  der  Fürstin  in  der  Wäsche  habe,  solle  sie  Sachen 
keiner  andern  Person  in  die  der  Fürstin  mit  untermengen, 
auch  niemand  über  solche  Sachen  kommen,  sie  besichtigen 
und  eben  so  wenig  einen  fremden  Menschen  auf  derselben 
Waschbank  waschen  lassen  ohne  höhere  Erlaubniss.  Des« 
gleichen  musste  sie  in  ihrem  Eide  beschwören,  dass  sie  zur 
Kleiderwäsche  der  Fürstin  keine  Weid-Asche  gebrauchen, 
sondern  sie  mit  Seife  und  wie  sich's  sonst  gebührt  fleissig 
waschen  wolle.  Üebrigens  war  diese  Art  der  Vereidigung  der 
gesammten  Hofdienerschaft  fast  an  allen  fürstlichen  Höfen*  ge- 
bräuchlich. Als  einst  die  Herzogin  von  Münden,  Gemahlin 
des  Grafen  Poppe  von  Henneberg,  sich  beim  Herzog  Albrecht 
von  Preussen  über  die  ungebührliche  Behandlung,  die  sie 
von  manchen  ihrer  Hofdiener  erfahren  müsse,  beklagte,  in- 
dem manche  ihre  mit  dem  Handschlag  zugesicherte  Treue 
brächen,  andere  trotzig  sich  weigerten,  ihr  einen  förmlichen 
Diensteid  zu  leisten ,  gab  er  ihr  auf  ihre  Anfrage ,  wie  er  es 
damit  an  seinem  Hofe  halte,  die  Antwort:  „Ew.  Liebden  mö- 
gen wissen,  dass  wir  es  die  Zeit  unserer  fürstlichen  Regie- 
rung und  auch  jetzt  noch  also  halten  und  auch  nicht  anders 
wissen,  als  dass  es  bei  andern  Fürstenhöfen  auch  so  gebräuch- 
lich ist,  nämlich  dass  wir  alle  unsere  Amtleute,  Hofmeister, 
Kanzler,  Marschälle  und  andere  Bäthe,  ebenso  andere  Per- 
sonen, die  zum  Regiment  nothwendig,  desgleichen  die  Leib- 
diener, Kämmerer,  Aerzte  u.  a.  und  dann  auch  die,  welche 
auf  unsern  Tisch  zu  Truchsess-Aemtern,  Küche,  Keller,  Sil- 
berkammer und  überhaupt  keiner  ausgenommen  zur  Aufwar- 
tung unseres  Leibes  verordnet  werden,  mit  leiblichem  Eide 
in  Dienst  annehmen;  dasselbe  findet  auch  bei  den  Dienern 
uncT  Dienerinnen  unserer  Gemahlin  Statt,  es  seien  Hofmei- 
st^rinnen,  Kammerjungfern  oder  andere.  Es  geschehe  wohl| 
fügt  der  Herzog  hinzu,  dass  zuweilen  ein  ehrlicher  Mann  sich 
durch  einen  leiblichen  Eid  beschwert  finde  und  dann  bitte, 
an  Eides  "Statt  Treue  mit  Handgelübde  zusagen  zu  dürfen, 
daher  er  solchen  ehrlichen  Leuten  den  leiblichen  Eid  nach- 
>  lasse,  denn  wenn  einer  solche  veriieissene  Zusage  nicht  hal- 

8* 


116  Hofleben  und  Hofsittm  der  Fürstinnen 

ten  wolle,  so  werde  er  eben  so  wenig  den  Eid  halten.  Bei 
den  Alten  ist  wahrli<;h  ein  solcher  Handstreich  oder  Hand- 
gelübde in  grossem  Ansehen  gewesen  und  es  wundert  uns 
deshalb  um  so  viel  mehr,  warum  es  die  jungen  Leute  jetzt 
dahin  spielen,  zu  meinen,  solches  Gelöbniss  zu  halten  nicht 
schuldig  zu  sein." 

Von  der  Leistung  eines  solchen  Diensteides  waren  dte 
an  den  Höfen  im  fürstlichen  Frauenzimmer  angenommenen 
Zwerge  und  Zwerginnen  ausgenommen.  Wie  es  Zeiten  gab, 
in  denen  ein  Hofnarr,  ein  Geck  oder  Lustigmacher  fast  nodi*« 
wendig  mit  zur  Gompletirung  der  Hofdieoerschaft  gehörte, 
so  waren  im  sechzehnten  Jahrhundert  besonders  Zwerge  und 
Zwerginnen  an  den  Höfen  der  Fürstinnen  eine  Art  von  Lieb- 
lingssache, so  dass  man  sich  alle  mögliche  Mühe  gab»  sich 
solche  irgendwoher  zu  verschafien.  Wir  haben  feine  Anzahl 
von  Briefen  verschiedener  Fürstinnen  an  den  Herzog  voa 
Preussen  vor  uns,  worin  er  ersucht  wird,  solche  kurze  Selt- 
samkeiten von  Menschen  auftreiben  zu  lassen  und  diesem  und 
jenem  Hofe  zuzuschicken.  So  schreibt  ihm  die  Herzogin  Bar- 
bara von  Liegnitz,  eine  geborene  Markgrafin  von  Branden- 
burg: „Ew.  Liebden  geben  wir  freundlicher  Meinung  zu  er- 
kennen, dass  wir  gerne  bei  uns  in  unserem  Frauenzimmer 
eine  Zwergin  sehen  und  haben  wollten.  Demnach  bitten  wir 
Ew.  Liebden  ganz  freundlich,  Ew.  Liebden  wollen  uns,  so- 
fern sie  jetzt  keine  an  ihrem  Hofe  hatten^  eine  solche  Zwer*^ 
gin  in  ihrem  Lande  zu  Wege  bringen  helfen  und  uns  die- 
selbe aufs  eheste  so  es  möglich  ist  allhier  übersenden  und 
zukommen  lassen."  Der  Gemahl  der  Fürstin,  Herzog  Georg 
von  Liegnitz,  spricht  den  Herzog  Albrecht  ebenfalls  um  einen 
Zwerg  für  seine  Gemahlin  an,  mit  der  angelegentlichsten  Bitte» 
ihm  einen  solchen,  woher  es  auch  immer  sein  möge,  aufs 
schleunigste  zu  verschaffen.  Als  vorläufiges  Gegenpräsent  über- 
schickt er  dem  Herzog  ein  Paar  Englische  Hunde  und  ein^ 
Hündin  „von  der  Art,  wie  sie  der  Römische  König  habe." 
Die  Markgräfin  Katharina,  Gemahlin  des  Markgrafen  Johann 
von  Brandenburg,  lässt  es  sich  nicht  verdriessen,  die  Mark- 
gräfin Anna  Sophia  von  Brandenburg  wiederholt  zu  bitten^ 


im  sechzehnten  Jahrhundert,  117 

doch  ja  nicht  zn  vergessen,  ihr  die  versprochene  Zwergin  so 
bald  als  möglich  zuzuschicken;  und  kaum  hat  die  Landgräfin 
Barbara  von  Leuchtenberg  gehört,  dass  Herzog  Albrecht  von 
Preussen  ein  äusserst  niedliches  Zwerglein  an  seinem  Hofe 
habe,  so  quält  sie  diesen  in  ihren  Briefen  drei  Jahre  lang 
mit  der  Bitte,  ihr  das  niedliche  Ding  doch  abzulassen.  Zu- 
erst schreibt  sie  ihm  im  J.  1548:  „Bitte  Ew.  Liebden  ganz 
freuifdifeh,  wo  es  anders  Ew.  Liebden  nicht  zuwider  ist,  ihr 
Zwergle  hinzugeben,  dass  Ew.  Liebden  mir  es  doch  schicke; 
i^  wollte  es  halten,  als  wenn's  mein  Kind  wäre;  doch  wenn 
es  Ew.  Liebden  zuwider  wäre,  so  wollte  ich  es  nicht  begeh- 
ren.^' Der  Herzog  entschuldigt  sich  bei  der  Fürstin,  dass  er 
ihr  das  Zwerglein,  weil  es  seiner  verstorbenen  Gemahlin  zu- 
gehört und  dieser  besonders  lieb  gewesen  sei,  nicht  ablassen 
könne.  Er  verspricht  ihr  aber  ein  anderes  Exemplar  zu  schik-, 
ken;  Darauf  erwiedert . die  Landgräfin:  „So  viel  das  Zwergle 
betriffl;,  so  Ew.  Liebden  bei  sich  haben  und  derselben  gelieb- 
fester  seliger  Gemahlin  zum  Besten  befohlen  gewesen  ist,  so 
sind  wir  es  wohl  zufrieden,  dass  Ew.  Liebden  es  behalten 
und  müsste  uns  ja  leid  sein,  dieweil  es  diese  Gestalt  hat, 
dass  wir  es.  begehren  sollten.  Dass  aber  Ew.  Liebden  im 
Vorhaben  stehen  und  verhoCTen,  an  andern  Orten  einen  Zwerg 
an  sich  zu  bringen  und  so  Ew.  Liebden  den  erlangen,  dass 
sie  uns  damit  begaben  wollten,  das  nehmen  wir  mit  Dank 
an*"  Der  Herzog  tiberschickte  ihr  darauf  im  nächsten  Jahre 
eine  Zwergin.  Allein  die  Fürstin  ist  damit  noch  nicht  be- 
friede, sie  ^ill  nun  gerne  ein  Paar  haben  und  schreibt  da- 
her von  neuem:  „Ew.  Liebden  ist  wohl  noch  gut  wissen, 
dass  sie  mir  geschrieben  haben,  Ew.  Liebden  wollten  mir  ei- 
nen Zwerg  und  eine  Zwergin  schicken;  die  Zwergin  ist  mir 
geworden,  der  Zwerg  aber  nicht,  bitte  daher  ganz  treulich, 
mir  auch  diesen  zu  Wege  zu  bringen.'^  —  Man  machte  mit 
Mlqhen  Zwergen  auch  gerne  Ehrengeschenke  an  andere  be- 
freundete Höfe.  So  wollte  z.  B.  einst  die  Herzogin  Dorothea 
von  Preussen  ihren  Bruder  den  König  Christian  Hl.  von  Dä- 
nemark mit  einem  solchen  Geschenke  erfreuen  und  schrieb 
daher  dem  Obermarsshall  ihres  Gemahls:   „Da  Ihr  uns  zU"- 


118  Ho  flehen  und  Hofsttten  der  Fürstinnen 

nächst  noch  einen  Zwerg  zugesagt,  mit  Yenneldung,  wenn 
wir  denselben  nur  haben  wollten ,  dass  Ihr  uns  in  der  IIa* 
sau  (Masovien)  wohl  noch  etliche  zu  verschaffen  wässtet,  so 
ist  demnach  unser  gnädiges  Begehren  an  Euch,  Ihr  wollet 
uns  zu  gut  noch  etliche  Zwerge  aufbringen,  damit  wir  auch 
die  Königl.  Würde  zu  Dänemark  mit  solchen  verehren  mö- 
gen/' Aus  der  flofordnung  ersehen  wir  übrigens,  dass  diese 
Zwerge  vorzüglich  auch  zur  Aufwartung  bei  der  fdrstli<^en 
Tafel  gebraucht  wurden. 

Wenden-  wir  uns  jetzt  zu  den  Beschäftigungen,  woolk 
sich  die  Fürstinnen  in  den  stillen  Tagen  ihres  Hof lebens  die 
Stunden  zu  verkürzen  pflegten,  so  tritt  uns  hier  alierdings 
ein  ganz  anderes  Büd  des  fürstlichen  Lebens  entgegen,  als 
wir  es  heutiges  Tages  an  fiirstlidien  Höfen  finden.  Mit  Le4>- 
türe  konnten  sich  damals  bei  der  Seltenheit  geeigneter  Bvh 
eher  die  Fürstinnen  wenig  vergnügen,  noch  weniger  gehörte 
Musik  zum  Zeitvertreib  fürstlicher  Frauen;  wir  haben  waiig-^ 
stens  in  ^llen  den  zahlreichen  Briefen,  worin  Fürstinnen  über 
ihre  Beschäftigungen  sprechen,  nicht  ein  einzigesmal  d^r  Mu- 
sik und  eben  so  wenig  der  Malerei  erwähnt  gefunden,  üeber- 
haupt  war  das  Leben  der  Fürstinnen  damals  ungleich  stiller, 
einfacher  und  freudenleerer.  Schon  die  häufige  lai^e  Abwe*- 
senheit  der  Fürsten  von  ihren  Höfen,  wenn  sie  auf  Reichs- 
tagen verweilen  mussten,  Fürstenversammlungen  oder  fijriegs- 
verhältnisse  sie  beschäftigten  oder  andere  wichtige  Angde- 
genheiten  sie  von  ihren  Höfen  entfernt  hielten,  zwang  die 
fürstlichen  Frauen  mittlerweile  zu  einem  zurückgezogenen, 
vergnügungslosen  Stillleben,  dessen  Bild  nur  in  den  verschiede- 
nen Neigungen  der  Fürstinnen  oder  in  äussern  Anlässen  seine 
verschieden  wechselnden  Farben  gewinnt.  Ist  der  Fürst  im 
KriegsCelde,  so  nimmt  auch  die  Fürstin  an  Kriegsereignissen 
lebendigeres  Interesse.  Die  Kurfürstin  Hedwig  von  Branden- 
burg verräth  als  Politikerin  in  ihren  Briefen  häufig  die  regi^ 
Theilnahme  an  politischen  Welthändeln.  Als  ihr  Gemahl  Joa- 
chim IL  im  Jahre  1642  dem  Türkenkrieg  beiwohnte,  erzählte 
sie  dem  Herzog  von  Preussen  mit  grossem  Interesse  von  die- 
sem Kriegszuge;  aber  sie  erkundigte  sich  zugleich  auch  mit 


tm  seck»ehnten  Jahrhmdert  |19 

eifriger  Wissbegier,  ob  es  denn  wirklich  wahr  sei,  dass  sich 
die  Kräige  von  Frankreich  und  Dänemark  mit  den  Türken 
.gegen  den  Kaiser  verbanden  hätten,  um  dessen  Vorhaben  in 
Ungarn  durch  einen  Angriff  auf  Mailand  zu  hindern.  Wie 
sich  diese  Fürstin  in  solcher  Weise  häufig  mit  politischen 
Dingen  beschäftigt,  so  studirt  sich  dagegen  die  Gräfin  Elisa- 
beth von  Henneberg,  eine  Tochter  des  Herzogs  Erich  des 
Aeltern  vcm  Braunschweig,  lange  Zeit  in  die  damaligen  theo- 
logischen, namentlich  in  die  Osiandrischen  Streitigkeiten  hin- 
ein; da  sie  aber  in  ihrer  unglücklichen  Lage  in  diesem  theo-' 
logischen  Gezanke  fiir  ihre  schwergebeugte  Seele  keinen 
Trost  findet,  so  scjireibt  sie  sich  nach  und  nach  ein  Gebet«' 
buch  zusammen,  um  in  der  Beschäftigung  mit  dem  Worte 
Gottes  Linderung  ihres  Kummers  zu  suchen.  „Da  Ew.  Lieb- 
den  midi  ßrmalmt  haben,  schreibt  sie  dem  Herzog  von  Preus- 
sen ,  dass .  ich  heftig  im  Glauben  beten  solle  wider  Gottes, 
Ew.  Liebden  und  meine  Feinde,  so  habe  ich  eine  Zeitlang 
etliche  CoUecten  anä  dem  ganzen  Psalter,  Daniel  und  Judith, 
aus  dem  Mose  und  Ester,  aus  dem  Buche  der  Könige,  aus 
den  Evangelisten,  den  Büchern  der  Maccabäer  und  aus  an- 
derer göttlicher  heiliger  Schrift  zusammengetragen,  woraus 
Ew.  Liebden  die  Angst  meines  Herzens  spüren  können,  auch 
wie  ich  jetzt  |;etrost  wider  Gottes,  meine  und  aller  lieben 
Christen  Feinde  bete.  Ew.  Liebden  halten  mir's  freundlich 
lu  gut,  denn  vor  der  Welt,  bei  den  gottlosen  Höfen,  die  Gott 
nidit  erkennen  wollen»  wird  das  Beten  für  Thorheit  geachtet 
Ab^  kommt  der  Glaube  dazu,  Ew.  Liebden  sollen  erleben, 
was  die  Kraft  des  Gebetes  vermag,  denn  es  betet  nicht  ich 
oder  Ew.  Liebden,  sondern  der  Creist  Gottes  in  uns.  Es  wird 
und  muss  Amen  sein,  dess  bin  ich  gewiss." 

Andere  Fürstinnen  —  und  deren  mochten  in  Deutsche 
land  damals  viele  sein  —  erscheinen  mehr  als  fürstliche  Haus-» 
firauen,  die  sich  selbst  mit  um  die  Einzelheiten  der  ftirstli- 
chen  Hanswirthsehaft  bekümmern.*)  Ein  schönes  Bild  davon 


♦)  Vgl.  was  Havemann  in  s.  Biographie  der  Herzogin  Elisa- 
beth von  Braunschweig -Lüneburg  S.  11  von  dieser  Fürstin  sagt. 


120  Hofleben  und  Hofsitten  der  Fürsiinnen 

giebt  uns  die  edle  Herzogin  Dorothea  von  Preussen,  denn  m 
ihrer  unermüdlichen  Sorge  um  das  fürstliche  Hauswesen  mochte 
sie,  die  Königstochter,  wohl  schwerlich  von  einer  andern 
Fürstin  übertroffen  werden.  Sie  macht  es  sich  zur  Pflicht- 
sache, auf  alle  häuslichen  Verhältnisse  und  Bedürfnisse  ihres 
Hofes  ein  wachsames  Auffe  zu  haben.  Schreibt  ihr  der  Her- 
zog auf  der  Reise:  sie  möge,  wie  sie  pflege,  sich  den  Hof- 
garten und  die  Haushaltung  fleissig  empfohlen  sein  lassen,  sd 
erwiedert  sie  ihm:  „ich  erkenne  mich  zu  allem  dem  schal* 
dig,  wie  Ew.  Liebden  eigene  und  getreue  Dienerin  Euerem 
Gefallen  allwege  nachzukommen;  aber  ich  kann  Ew.  Liebden 
nicht  verbergen,  dass  dieweil  Ew.  Liebden  weg  ^wesen  ist, 
man  nicht  wohl  Haus  gehalten  hat,  wie  ich  selbst  gesehen 
und  mein  Hofmeister  mich  berichtet  hat*'  Befindet  sich  ihr 
Gemahl  auf  einer  Reise  im  Lande,  so  sorgt  sie  auf  jexte  Weise, 
dass  es  ihm  an  nichts,  was  er  nur  wünschen  könne,  fehle.  Wir 
finden,  dass  sie  ihm  selbst  allerlei  Lebensbedürfnisse,  frische 
Butter,  wohlschmeckenden  Käse,  Obst,  Pfefierkücken  «.  d^. 
nachschickt  und  sie  bezeugt  dem  Herzog  ihre  herzinnige 
Freude,  wenn  er  ihr  meldet,  dass  ihm  das  Zugesanette  wohl 
geschmeckt  habe.  Dann  wiederum  lässt  sie  ihm  reine  Hem- 
den und  andere  Leibwäsche,  ja  sogar  eine  vei^esseüe  „Nacht- 
haube*'  nachbringen,  weil  sie  besorgt,  er  möge  sich  den  Kopf 
erkälten.  Schickt  der  Herzog  aus  Krakau  dort^  angekaufteir 
Wein,  Rheinfall  und  Malvasier  nach  Königsberg,  so  trägt,  w 
in  einem  Schreiben  der  Herzogin  auf,  doch  selbst  wohl  zu- 
zusehen, dass  der  Wein  nicht  verderbe  und  nicht  in  fremde 
Hände  komme.  Fehlen  in  der  Hauswirtiischaft  einzelne  Be- 
dürfnisse, so  sorgt  die  Fürstin  fiir  ihre  Herbeischaflung  in 
der  Regel  selbst  Wir  lesen  noch,  wie  sie  z.  B.  der  Feiicilae 
Schürstab  in  Nürnberg  aufträgt:  sie  möge  fiir  sie  ein  Säck- 
chen voll  guter  Linsen  bestellen  und  ihr  von  dort  zuschicken, 
„denn,  fügt  sie  hinzu,  solche  bei  uns  allhie  fast  seltsam  sind 
und  wir  sie  hiesiges  Landes  nicht  wohl  bekommen  können^'; 
und  nachdem  sie  die  Linsen  aus  Nürnberg  erhalten  hat,  dankt 
sie  der  Uebersenderin  äusserst  freundlich,  bestellt  bei  ihr  zu- 
gleich aber  (sie  um  Verzeihung  bittend,  dass  sie  ihr  so  oft 


iiit  sechzehnten  JakrhunderL  121 

besehwerlich  falle),  ihr  etwa  300  Ellen  von  den  allerbesten 
Deberziig^i  zu  Unterbetten  x«  besorgen,  entweder  aus  Nord"- 
fingen  oder  sonst  woher,  wo  man  solche  am  besten  und 
dicksten  mache.  Einer  Königsbergerin,  Hedwig  Rautherin,  die 
nach  Deutschland  reist,  giebt  sie  den  Auftrag  mit,  ihr  draus- 
sen  zu  sechs  grossen  Fürstenbetten  und  sechs  Pfuhlen,  je 
auf  ein  Bette  und  Piiihl  19  Ellen,  guten  und  kleinen,  aller- 
besten gesteiften  Zwillig  anzukaufen  und  nach  Preussen  zu 
schicken/)  Oft  ist  es  fast  spasshaft,  wie  sehr  sich  die  Her- 
zegin um  allerlei  Dinge  in  der  Wirthscfaaft  bekümmert.  Es 
wird  ihr  eine  Probe  Seife  aus  Marienburg  zugeschickt  und 
sie  meldet  darauf,  sie  wolle  es  mit  dem  dortigen  Seifensie- 
der einmal  versuchen  und  wenn  es  trockene  Seife  sei,  den 
Stein  mit  15  Groschen  bezahlen.  Bald  darauf  aber  schreibt 
»e  wieder:  sie  habe  die  neue  Probe  des  Seifensieders  er- 
halten  und  die  Saife  sei  an  sidi  nicht  schlecht;  weil  sie  in- 
dess  der  Venedischen  nicht  gleiche,  auch  an  Geruch  zu  stark 
sei  für  ihre  und  des  Herzogs  Kleider,  so  müsse  sie  für  die 
gefaaMe  Mühe  danken.  Sie  bestellt  sich  dann  die  nöthige 
Seife  aus  Nürnberg.  Auf  die  Leibwasche  des  Herzogs  ver- 
wendet sie  selbst  immer  die  grösste  Aufmerksamkeit  Sie 
sefaiekt  der  Näherin  eine  Anzahl  Hemden  und  den  nöthigen 
Zwirn  zu,  bestimmt  selbst  die  Breite,  Weite  und  Länge  der 
Aermel  und  Kragen,  bittet  aber  zugleich,  die  Arbeit  möglichst 
zu  fijfdem,  weil  es  mit  den  alten  Hemden  des. Herzogs  schon 
sehr  auf  die  Neige  gehe.  Die  Näherin  ersucht  die  Fürstin, 
ihr  die  alten  Hemden  einstweilen  zur  Ausbesserung  zuzu- 
siifaieken,  „denn,  fiigt  sie  hinzu,  sie  habe  ja  auch  der  Herzo- 
gin deren  Kleider,  wenn  sie  zerrissen  gewesen,  wieder  mit 
allem  Fletsse  so  zusammengenäht  und  unterhalten,  dass  sie 
dkselben  noch  jetzt  trage;  wenn  sie  das  nicht  gethan,  so 
würde  die  Herzogin  sie  haben   ablegen  und  wohl  dreissig 


*)  Von  Elisabeth  Herzogin  von  Braunschweig  sagt  Ha  ve mann 
a.  a.  0.:  ,,Mit  eigener  Hand  nahm  sie,  die  umsichtige,  sorgsame 
Hausfrau,  das  Bettinventar  ihres  Sohnes  Erich  zur  Neustadt  auf; 
die  höchste  Ordnung  beobachtete  sie  in  ihren  Ausgaben,  deren  jede 
von  ihr  eingetragen  wcarde.** 


12S  Hofleben  und  Hofsitten  der  FürsUtmen 

Mark  mehr  üir  neue  geben  müssen/^  Um  sich  Nidieriniieii 
fiir  ihren  Hof  zu  erziehen,  gründete  die  Herzogin  eine  be-« 
sondere  Anstalt,  worin  sie  eine  Anzahl  jnnger  Bürgertöchter 
und  Landmädcfaen  von  einer  geschickten  Näherin  unterrichten 
liess  und  für  Lehrgeld  und  Kost  jährlich  25  Mark  zahlte. 

Eben  so  sorgt  die  Herzogin  selbst  häufig  gerne  für  die 
Angelegenheiten  der  herrschaftlichen  Küche.  Es  fehlt  ihr  eine 
tüchtige  Köchin;  sie  kann  aus  ganz  Preussen  keine  solche  be- 
kommen und  schreibt  daher  nach  Nürnberg  an  Felicitas  SchiHT"- 
stabin:  „Nachdem  wir  gerne  eine  gute  Köchin,  die  uns  für 
unsem  Leib  kochen  und  uns  in  unserm  Gemache  auf^vrarten 
thäte,  haben  wollten,  so  bitten  wir  mit  allen  Gnaden,  Ihr 
wollet  Euch  befleissigen,  ob  Ihr  uns  eine  gute  Köchin  über- 
kommen könntet,  denn  wir  einer  solchen  im  Jahre  gerne 
zehn  Gulden  geben  wollen,  und  ob  es  sich  schon  um  ein 
Paar  Gulden  höher  laufen  thäte,  läge  uns  auch  nicht  viel 
daran,  zudem  auch  ein  gutes  Kleid,  so  gut  wir's  unsern  Jung«* 
frauen  in  unserem  Frauenzimmer  zu  geben  pflegen.  Aber  das 
müsstet  Ihr  von  unsertwegen  ihr  hinwieder  mdden,  dass  ihr 
viel  Auslaufens  nicht  gestattet  würde,  sondern  sie  müsste  stiU, 
züchtig  und  verschwiegen  stets  bei  uns  in  unserem  Gemache 
sein  und  auf  unsern  eigenen  Leib  warten.  Hätte  sie  dann 
Lust  bei  uns  hierin  zu  bleiben  und  sich  alsdann  etwan  mit 
der  Zeit  in  andere  Wege  zu  versorgen,  so  sollte  sie  daw 
von  uns  mit  allerlei  Gnaden  gefordert  werden.  Was  Ihr  alao 
von  unsertwegen  ihr  versprechen  und  zusagen  werdet,  das 
soll  ihr  allhier  durch  uns  überreicht  und  gehalten  werden*^ 
Die  Köchin  wird  besorgt  und  zum  Zeichen  der  Dankbarkeit 
fiir  ihre  bisherige*  Dienstgeflissenheit  übersehickt  die  Herzo* 
gin  der  Schürstabin  bald  nachher  einen  goldenen  Schaupfen^ 
nig.  Auch  in  diesen  Angelegenheiten  erstreckt  sidi  die. Auf- 
merksamkeit und  Sorgfalt  der  Herzogin  bis  in  alle  Einjsel- 
heiten.  Nahet  Fastnacht,  so  bestellt  sie  selbst  zwölf  gute 
Lachse  und  etliche  Schock  Neunaugen  fiir  den  herzoglichen 
Tisch;  ein  andermal  lässt  sie  für  20  Gulden  Lachs  und  Neun- 
augen aus  Schleswig  kommen.  Die  Aale,  die  ihr  Hector  von 
Hessberg  besorgt,  kommen  ihr  zu  frisch  und  nicht  genug 


im  seck^ehnten^Jethrhundert.  12S 

getrocknet  zu;   sie  schreibt  ilnn  daher:  «»wenn  Ihr  wiechr 
Aale,  besonders  grosse  erhaltet,-  so  wollet  sie  alsbald  aus- 
nehmen, ihnen  ganz  die  Haut  abstreifen,  sie  dann  mit  Mäge- 
lein  bestecken,  die  Haut  wieder  überziehen  und  also  vollends 
trocknen  lassen/^  Weil  sie  weiss,  dass  ihr  Gemahl  ein  Freund 
von  Kabliau  ist,  so  sdireibt  sie  bald  dahin  bald  dorthin,  um 
sich  solchen  zuschicken  zu  lassen.   Selbst  bis  nach  Helsingör 
lässt  sie  an  den  dortigen  Vogt  Jasper  Kaphengst  das  Gesuch 
ergiehen:  er  möge  jetzt,  da  die  Zeit  nahe,  wo  man  in  Däne- 
mark Makrelen  fange,  ihr  solche  einkaufen  und  eingesalzen 
in  einem  Fässeben  zusenden,  daneben  ihr  auch  einige  Schock 
Makrrien  trocknen  *  lassen.    Die  Herzogin  will  nach  Hemel 
yerreisen;  es  fallt  ihr  aber  ein,  dass  in  ihrem  Garten  zu  Fisch« 
hausen  noch  Weintrauben  hängen,  die  sie  nun  nicht  genies* 
aen  kann;  sie  schreibt  daher  der  Jungfer  Röslerin:  sie  möge 
'die  Trauben  abnehmen  und  eine  Latwerge  daraus  machen, 
jedoch  von  den  weissen  und  rothen  eine  besondere  und  kei- 
nen Zucker  dazu  nehmen.    Sie  selbst  bestellt  für  die  herr- 
schaftliche Küche  bei  den  Amtleuten  zu  Tapiau  und  Neiden- 
burg Rinderflefsch  und  Wildpret  u.  s.  w.   Fehlt  dies  oder  je- 
nes am  herzoglichen  Tischgeräthe,   so   ist  es   ebenfalls  die 
Herzogin,  die  dafiir  $orge  trägt    Sie  lässt  sich  z.B.  die  nö- 
tfaigen  silbernen  Trinkgefasse  in  Nürnberg,  die  nöthigen  Tisch- 
niesser  nach  zugeschickten  Mustern  in  Liegnitz  oder  Memel 
verfertigen  und  da  die  ihr  zugesandten  zu  dünn  und  auA 
sonst  nicht  recht  passend  scheinen,  so  schickt  sie  sie  zurück 
und  bestimmt  aufs  genaueste,  wie  sie  sie  zu  haben  wünsche.*) 
Nahen  die  Freuden  der  Hausmutter,  so  treten  der  Her- 
sogin  auch  neue  Sorgen  entgegen.   Fühlt  sie  sich  von  neuem 
als  Mutter,  so  >giebt  sie  ihrem  Gemahl,  wenn  er  auf  Reisen 
ist,  von  Zeit  zu  Zeit  die  genaueste  Nachricht,  wie  es  mit  ihr 
stehe,  fUgt  dann  aber  hinzu:  „Ich  mödite  Ew.  Liebden  wohl 
gebeten  haben,  dass  Ew.  Liebden  diesen  Brief  ja  vwbrennen 
wolle,  damit  ihn  niemand  anders  zu  sehen  kriegt,  der  mei- 


*)  Aehnliches  berichtet  Ha ve mann  a.  a.  0.  S.  12  von  der  Her- 
BO^  Elisabeth  von  Braunschweig. 


121  Hof  leben  und  HoßiHen  der  Fürstinnen 

ner  damit  spotten  möchte,  denn  zu  Ew.  Li^bden  versehe  ich 
mich  es  nicht,  und  weiss  es  auch  fürwahr,  dass  Ew.  Liebden 
mich  meines  Schreibens  nicht  verdenkt^'  Rückt  die  Zeit  nä- 
her^ wo  sie  >,ihrer  Muiichen  Bürde'*  entbunden  werden  soU, 
so  sorgt  sie  selbst  liir  eine  geschickte  Hebamme  und  gute 
Ainme.  Sie  wendet  sich  dann  an  die  Königin  von  Dänemark 
mit  der  Bitte,  ihr  die  bewusste  erfahrene  Frau  zu  ihrer  Ent- 
bindung zuzuschicken,  „in  Ansehung,  wie  sie  hinzufügt,  dass 
ich  diesmal  mit  einer  erfahrenen,  ehrlichen  Frau  nicht  ver- 
sehen bin."  Ein  andermal  schreibt  sie  unter  denselbigen  Um- 
standen anFelicitas  Schürstabin  in  Nürnberg:  „der  barmlier^ 
zige  Vater  hat  es  nach  seinem  göttlichen  Willen  abermals  attf 
gute  Wege  mit  uns  gebracht.  Dteweil  nun  aber  in  dteden 
Landen  keine  rechtschaffene  gute  Wehemutter,  damit  wir  wcdil 
versorgt  sein  möchten,  zu  bekommen  ist,  so  ist  unser  ganz 
gnädiges  Sinnen  und  Begehren  an  Euch,  weil  diese  Sache 
unsern  eigenen  Leib,  Gesundheit  und  Wohlfahrt  betreffen  thut, 
Ihr  wollet  neben  Eurer  Freundschaft  Euch  nicht  beschweren, 
uns  eine  gute,  verstandige  und  rechtschaffene  Hebamme,  dar- 
auf wir  uns  verlassen  dürfen,  zu  Wege  bringen.'^  Die  Her- 
zogin fugt  hinzu:  man  möge  es  mit  der  Hebamme  so  abma- 
chen, dass  sie  für  immer  in  Preussen  bei  ihr  bleibe;  sie  solle 
so  gehalten  werden,  dass  sie  sich  nicht  zu  beklagen  habe; 
wo  nicht,  so  solle  sie  eine  andere  mit  sich  bringen,  die  sie 
selbst  „nach  ihrer  Art  und  Kunst  abgerichtet  habe"  und  blei- 
ben könne.  Sie  solle  bei  ihr  auf  jede  Weise  gut  versorgt 
w^en.  Eben  so  sorgsam  bemüht  sich  die  Herzogin  selbst 
um  eine  tüchtige  Amme.  Sie  wendet  sich  nach  Danzig,  wo' 
ihr  auch  eine  empfohlen  wird,  die  einen  Sohn  „gut  gemut* 
tert"  hat  Diese  erbietet  sich  auch  bereit,  für  20  Gutden  Lohn, 
ein  Lundisches  Kleid  und  zwölf  Mark  für  ihr  anderwärts  un- 
tergebrachtes Kind  in  den  Dienst  zu  treten.  Die  Herzogin 
aber  schreibt:  ihr  Schreiber  müsse  sich  in  der- Angabe  des 
Lohnes  geirrt  haben;  eine  Amme  bekomme  gewöhnlich  nur 
zehn  Gulden  jährlichen  Lohn  und  so  viel  habe  sie  auch  die- 
ser anbieten  lassen;  da  ihr  indess  einmal  20  Gulden  zugesagt 
seien^  so  wolle  sie  ihr  solche  auch  geben  und  dazu  noch  den 


im  sechiehnten  JahrhimdevL  TM 

6.  g.  Gottespfennig.  —  Nun  ist  die  Herzogin  wieder  selir  be- 
sorgt, dass  alles  glücklich  von  Statten  gehen  möge.  Da  er- 
hält sie  die  Nachricht:  „Heinrich  von  Baumgart  zu  Schönburg 
und  dessen  Frau  sollten  Wissenschaft  haben^  dass  man  schwan- 
gern Frauen,  wenn  sie  über  die  Hälfte  gekommen  seien,  eine 
Ader  lassen  müsse;  dadurch  soUten  die  Kinder  verwahrt  wer- 
den, dass  sie  das  Freischich  (?)  nicht  bekämen/^  Da  sie  nun 
aber  in  Zweifel  ist,  wie  die  Ader  heisse,  an  welchem  Orte 
und  zu  welcher  Zeit  man  sie  lassen  müsse,  so  wendet  aie 
sich  selbst  an  den  genannten  Herrn  mit  der  Bitte  um  nähere 
Belehrung.  Dieser  giebt  sie  und  erhält  dafür  ein  schönet 
Auerhom  zum  Geschenk.  Zu  gleicher  Zeit  schickt  ihr  eine 
befreundete  Fürstin  fiir  ihre  Umstände  auch  gewisse  Yerhair* 
tungsregeln  und  Indicien,  wonach  sie  sich  zu  richten  habe 
und  auf  die .  sie  merken  müsse.  Wir  enthalten  uns,  diese  In- 
dicien hier  weiter  mitzutheilen;  sie  sind  zum  Theil  sehr  son- 
derbar; es  heisst  darin  auch  unter  andern:  man  müsse  dar- 
auf achten,  wie  die  Farbe  unter  dem  Angesichte,  ob  sie  bleich 
oder  roth  sei ,  femer  welchen  Fuss  die  Fürstin  zuerst  vor- 
setze, wenn  sie  aufstehe  und  gehen  wolle.  „Wenn  ich,  fugt 
die  fürstliche  Freundin  hinzu,  über  diese  Artikel  kann  be- 
richtet werden,  will  ich  Ihrer  Liebden  mit  göttlicher  Hülfe 
zuschreiben,  was  Ihre  Liebden  tragt,  ob  es  ein  Herrlein  oder 
ein  Fräulein  sein  wiirde.^^ 

Wenden  wir  uns  wieder  naher  zu  den  Beschäftigungen 
der  Fürstinnen,  so  verbrachten  sie  einen  grossen  Theil  der 
Zeit  ihres  Stilllebens  mit  allerlei  weiblichen  Handarbeiten. 
Dahin  gehörten  Nähen,  Stickereien  und  vorzüglich  auch  Per- 
ienarbeit.  Wir  finden  die  Fürstinnen  häufig  selbst  mit  ihrer 
feinen  Leibwäsche  beschäftigt,  oder  sie  machten  auch  oft  mit 
eigenhändig  verfertigten  Näherarbeiten  Geschenke  an  Freunde 
und  Angehörige.  Die  Markgräfin  Sabine  von  Brandenburg 
wünscht  dem  Herzog  von  Preussen  Glück  zum  Neujahr  und 
tiberschickt  ihm  zugleich  als  Neujahrgeschenk  ein  von  ihren 
eigenen  Händen  verfertigtes  Hemd  mit  der  Bitte,  es  von  ihr 
als  eine  geringe  Verehrung  anzunehmen.  Der  genannte  Her- 
zog hat  die  Herzogin  Anna  Maria  von  Wirtenberg  mit  einem 


I2i  Hofkben  und  Bofsitten  der  Füntinnen 

Gescbenk  von  Bernstein  und  Elendsklauen  erfreut;  sie  über- 
rascht dagegen  den  Herzog  mit  dem  Gegengeschenk  eines 
selbst  genähten  Hemdes,  bittet  aber  zugleich  um  Entschuldi- 
gung, dass  es  noch  nicht  so  weiss  sei,  als  es  eigentlich  sein 
sollte,  weil  sie  sich  der  eiligen  Botschaft  an  den  Herzog  nicht 
vermuthet  habe.  Wiederholt  wird  der  Markgraf  Wilhelm  von 
Brandenburg,  Erzbischof  von  Riga,  von  der  Herzogin  Doro- 
thea von  Preussen  zum  Neujahrsgruss  mit  „etzlichen  schlech- 
ten Hemden'S  die  sie  selbst  verfertigt  hat,  beschenkt,  und 
wie  dieselbe  Fürstin  einmal  den  Herzog  Johann  von  Holsteiit 
mit  dem  Geschenk  eines  Hemdes  und  eines  Kranzes  erfreut, 
so  schreibt  sie  ein  andermal  dam  Grafen  Georg  Ernst  von 
Henneberg:  „Damit  Ew.  Liebden  unsere  Freundwiiligkeit  und 
mütterliche  Treue  zu  spüren,  so  schicken  wir  derselben  ein 
Hemd  und  einen  schlechten  Kranz.*)  Wiewohl  dasselbe  nicht 
alles  dermassen  von  uns  gemacht  ist,  als  es  billig  sein  sollte, 
so  bitten  wir  doch  ganz  freundlich,  Ew.  Liebden  wollen  sol- 
ches zu  freundlichem  Gefallen  von  uns  aufnehmen  und  mehr 
unsem  gewogenen  Willen  denn  die  Geringschätzrgkeit  der 
Gaben  hierin  vermerken,  dasselbe  auch  von  unsertwegen  tra-* 
gen  und  unserer  allewege  im  Besten  dabei  gedenken.'* 

Mehr  aber  noch  waren  Stickereien  und  Perlenarbeiten 
eine  stehende  Beschäftigung  der  Fürstinnen.  Vorzüglich  wer- 
den gestickte  Hauben,  Barette,  s.  g.  Kränze  oder  Kragen, 
Brusthemden,  Koller,  Halstücher  und  Halsbänder,  Armbander, 
Kissen  .auf  Stühlen,  überhaupt  auch  die  Frauenkleider  als  die 
Hauptstickereiarbeiten  der  Fürstinnen  erwähnt.**)  Die  Biuster 
dazu,  wenn  sie  sich  durch  Schönheit  auszeichneten,  schick- 
ten sie  sich  häufig  einander  gegenseitig  zu,  so  dass  ein  schö- 
nes Modelltuch  von  Nürnberg  von  der  Hereogin  Ursula  von 
Münsterberg  zur  Herzogin  Sophia  von  Liegnitz,  von  dieser 
zur  Herzogin  Dorothea  von  Preussen  und  von  dieser  endlich 


*)  Auch  die  Kurfürslin  Hedwig  von  Brandenburg  beschenkte 
ihren  Gemahl  mit  einem  Hemd  und  Kranz;  s.  Zimmermann  Gesch. 
Brandenb.  unter  Kurf.  Joachim  S.  210.  211. 

**)  Zimmermann  a.  a.  0.  S.  64. 


im  icchfiehnten  Jahrhundert  127 

rar  Känigin  von  Dänemark  wanderte/)  In  der  Regel  wiurea 
die  Stickereiarbeiten  stark  mit  Gold  und  Silber  geschmückt 
Der  Geschmack,  den  man  darin  am  meisten  liebte,  war  der 
Italienische;  man  schätzte  daher  yor  allen  auch  „die  Wel- 
schen Muster^,  die  man  sich  aus  Nürnberg  oder  aus  Leipzig 
von  dem  dortigen  reich^i  Italienischen  Kaufmann  Lorenzo  de 
Yillani  kommen  liess.  Auch  diese  künstlichen  Stickereien  dien- 
tea  häufig  zu  fürstlichen  Geschenken.  Der  König  von  Däne- 
mark erhält  sogar  von  der  Herzogin  von  Preussen  einmal 
„ein  schlechtes  Paar  Handschuhe 'S  die  sie  für  ihn  gestickt 
hat,  ,.damit,  wie  sie  sagt,  er  daraus  sehe,  dass  sie  ihn  noch 
nicht  sogar  vergessen  habe'';  der  Königin  macht  sie  zugleidi 
ein  gesticktes  Halskoiler  und  Halstuch  zum  Gesdbenk  und 
erbietet  sich,  ihr  nächstens  auch  etliche  neue  Muster  zu  Hau- 
ben zu  schicken,  die  sie  von  auswärts  erhalten  habe  und  ihr 
sehr  gefielen. 

Yor  allem  beliebt  war  damals  schon  die  Perlenarbeit 
Fast  an  jedem  Füri^nhofe  war  ein  sogenannter  Perlenhefter 
oder  Perlenarbeiter  als  fürstlicher  Diener  angestellt  Sein 
Griialt  war  in  der  Re^l  40  Gulden,  Heizung,  fürstliche  Hof- 
kleidung, Ausspeisung . und  freie  Wohnung,  wofür  er  allesr 
verfertigen  musste,  was  ihm  für  die  Fürstin  und  deren  Töch- 
t^  zur  Verarbeitung  übergeben  wurde.  Ausserdem  beschäf- 
tigten sich  die  Fürstinnen  auch  selbst  viel  mit  allerlei  künst- 
Kehen  Perlenarbeiten.  Es  galt  z.  B«  als  ausgezeichneter 
Kopfsehmuck,  die  Hauben  von  Gold-  und  Silberstoflfen  nebst 
deren  Schlingen  und  Binden  so  geschmackvoll  und  reichlieb 
als  möglich  mit  den  kostbarsten  Perlen  zu  schmücken.  Der 
häufige  Gebrauch  hatte  sie  im  Preise  bedeutend  gesteigert. 
Wir  finden,  dass  eine  Fürstin  sich  bei  dem  Fuggerischen 
Factor  zu  Nümberg  vier  verschiedene  Sorten  bestellt;  von 
der  grössten  Sorte  verlangt  sie  10  Unzen,  die  Unze  zu  un- 
gefilhr  10  oder  12  Gulden,  von  der  zweiten  Sorte  etwa  14 
Unzen,  die  Unze  zu  10  Mark,  von  der  dritten  ebensoviel,  die 
Uiize  zu  8  Mark,  und  von  der  vierten  kleinsten  Sorte  15 


*)  Aehnliches  bei  Havemann  Elisabeth  S»  13. 


128  Hoflebeu  und  Hofsiiten  der  FürsHnnen 

Unzen,  die  Unze  zu  5  Mark.  Eine  andere  Fürstin  ist  mit 
einem  Perlenfaändler  im  Handel  begriffen;  sie  nimmt  ihm  45 
runde  Perlen  ab,  das  Stück  für  17  Groschen,  dann  8  Perlen 
mit  Gold  gefasst,  das  Stück  zu  15  Groschen;  für  20  andere 
aber,  für  welche  der  Verkäufer  24  Groschen  für  ein  Stück 
fordert,  bietet  die  Fürstin  nur  20  Groschen. 

Welcher  bedeutende  Werth  aber  an  Perlen,  Gold-  und 
Silberstickereien  u.  dergl.  darauf  verwandt  wurde,  um  Putz 
und  Kleiderschmuck  der  Fürstin  so  glänzend  und  prachl?oU 
wie  möglich  auszustatten,  können  wir  sehen,  wenn  wir  eir. 
nen  Blick  auf  die  fürstliche  Garderobe  werfen.  Es  bietel 
«ich  uns  dazu  das  Inventarium  der  Garderobe  einer  Herzo«^ 
gin  aus  dem  Jahre  1557  dar,  aus  dem  wir  nur  einen  mässi«^ 
g^i  Auszug  zur  Anschauung  steilen  wollen.  Wir  finden  des 
fürstlichen  Kleiderschmuck  in  drei  Glassen  getheilt.  Di» 
erste  enthält  „die  weiten  Röcke"  in  grosser  Zahl,  darunter 
besonders  glänzend  ein  leberfarbiger  Atlas -RoQk  mit  Her- 
melin geAittert  und  sehr  reich  mit  goldenen  und  silber- 
nen Schnüren  besetzt,  ein  StaatsfcJeid,  welches  die  Fürstin 
scnmückte,  wenn  sie  ausser  ihrem  Schlosse  erschien.  Deit 
reichsten  Kleider-Staat  der  Fürstin  umfasste  die  zweite  Glasse 
„gestickte  enge  Kleider.''  Unter  ihnen  stachen  hervor:  ein 
gestickter  Bock  von  Goldstoff,  aufs  Welsche  Muster  gemacht, 
mit  einem  eine  halbe  Elle  breiten  mit  Perlen  ^stickten  Strichi 
auch  um  die  Aermel  und  um  den. Hals  nebst  dem  Brustlätz- 
lein oder  Brusthemdehen  mit  grosseh,  schönen  Perlen  ge- 
stickt; ein  Kleid  von  Goldstoff,  Gold  übergoldet,  die  Aennd 
oben  mit  Perlen  verbrämt;  zwei  Kleider  von  grauem  und 
braunem  Karmosin- Atlas,  mit  vier  Strichen  von  goldeneip 
Tuch  verbrämt,  mit  goldenen  und  silbernen  Scfaaüren  gestickt, 
obi^  um  den  Brustlatz  mit  einem  Perlengebräme;  ein  ande- 
res, von  graueni  Damast  mit  silbernem  Tuch  und  schwarze« 
Sammet  weinrankenartig  gezäunt  und  aufs  W«kche  Mustac 
gemacht;  dann  ein  Kleid  von  -  grauem  Taffet  mit  schwarzen 
Sammet,  daran  ein  Strich  mit  goldenen  und  silbernen  Schnü- 
ren und  mit  gelbem  Katune  unterlegt,  mit  einem  Brusthemde, 
welches  auf  den  Aermeln  mit  Perlen  gestickt  den  Bucbsta- 


m,  s$cfls6ehntm  Jd^humdert  129 

ben  iL  hat  und  um  die  Anne  mit  P^len  mid  goidenen  Sebnii*- 
reu  besetzt  ist.  In  gleicher  Weise  finden  wir  aueh  die  tibri- 
§m  zahlreichen  Kleider  theils  von  goldenem  und  seidenem  At- 
las, theils  von  verschiedenfarbigem  Sammet,  theils  von  grauem» 
weissem  und  leberfarb%em  Damast  odet  Tobin,  entwed«  mit 
gQldenein  und  silbernem  Tuch  verbrämt  oder  mit  goldenen 
und  silbernen  Schnüren  besetzt,  grossen  TheHs  reich  mit  Per-* 
km  gestickt,  die  meisten  ..nach  Welschem  Muster  oder  Italie«* 
nischer  Mode  verfertij^,  die  sidi  besonders  durch  weite  Aer«« 
mei .  aisgezeicfanet  zu  haben  scheint  Die  dritte  Glasse  enthielt 
die  Brusthemden  theils  von  schwarzem  oder  ]d>erfarbigem 
Sammet  mit  silbernen  und  goldenen  Schnüren  oder  goldenen 
Borten^  theils  von  rothem  Atlas  mit  blauem  Goldstück,  theils 
von  braungoldenem  Damast  oder  schwarzgoldenem  Tobin  u.s.w. 
Die  Ansehaffimg  und  Vervollständigung  dieser  Garderobe 
setzte  die  Fürstin  fort  und  fort  in  Thätigkeit,  den^  sie  sorgt 
immer  selbst  daiur,  dass  die  nöthigen  Kleiderstoffe  in  gebö- 
rigßm  Maasse  vorhanden  sind;  sie  giebt  daher  bald  dahin  bald 
doirtUh  Aufträge,  ihr  die  erforderlichen  Gegenstände  zukom- 
men zu  lassen.  Wir  sehen  z.  B.,  wie  die  Herzogin  von  Preus- 
sen  auf  einmal. bei  einem  Kaufmann  aus  Nürnberg  eine  Be- 
stellung macht,  nach  welcher  er  ihr  senden  soll  vom  besten 
seklefi^n .  Gewand  2a  Ellen  Leibfarbe ,  20  £llen  goldgelben 
Damast,  einen  schwarzen  ganz  guten  Sammet,  3  Elllen  asch- 
ferbigen  Tohin,  8  Ellen  braunen  Sammet,  24  Ellen  aschfar- 
bigen und  läibfarbigen  Sammet,  25  Ellen  rothen  Damast,  20 
Eilen  leibferbigen,  28  Ellen  braunen  und.  8  Ellen  aschfarbigen 
ENftmast,  ausserdem  einen  bedeutenden  Betrag  Yenetianiscfaer 
^eide  und  Veaeüanischer  Borten.  Bestellungen  und  Sendun- 
gen von:  solchem  Umfange  mussten  oft  wiederholt  werden, 
denn  Ausser  den  Bedürfnissen  der  Fürstin  selbst  erforderte 
aueh  die  jährliche  Hofkleidung  der  gesammten  fürstlichen  Hof«« 
dienersehaft,  namentlich  die  ganze  weibliche  Dienerschaft  der 
Fürstk,di6  gesammte  Zahl  der  Kamm^ungfraooi  im  Frauen- 
zimmer für  ihre  Bekleidung  eine  grosse  Masse  sdcter  Klei- 
derstoffe. Der  uns  noch  aufbehaltene,  ihre  Garderobe  und 
ihren  Putz  betreffende  Briefwechsel  deor  genannten  Herzpgia 

Zeitschrift  f.  GescbichUv.    1.    1844.  O 


130  Hofleben  und  BofsiUen  der  FüfsHnnen 

E«igt  sie  uns  in  beständiger  gescbllftKcfaer  Y^rbindong  theils 
mit  Kaufleuten  in  Danzig,  LeipEig^  Nürnberg  u.  s.w.,  theiis 
mit  Perlenhifindlern  und  Perlenheftern  in  Krakau  u.  a.  Bei 
dem  einen  besteilt  sie  ,,ein  Gestick  um  des  Herzogs  Kappet 
bei  dem  andern  Tür  sich  und  ihre  Hofjungfern  grosse  und 
kleine  Hüte;  bald  schickt  sie  nach  Nürnberg  Muster  und  Zeicb« 
nung»  wie  ein  Hut  und  Barett  gemacht  werden  soll,  bald 
Hisstsie  sich  aus  Warschau  Schleier,  seidene  Gürtel,  sohdae 
Kämmd^u.  dgl.  kommen;  bald  wünscht  sie  sich  einige  neue 
Italienische  Muster  und  schreibt  dann  dem  Geschäftsträger 
ihres  Gemahls  in  Rom:  „Da  Ihr  Euch  uns  zu  dienen  mil 
allem  Fleisse  angeboten,  so  ist  unser  gnädiges  Begehren,  Ihr 
wollet  uns  etliche  säuberliche  Formen  und  Modelle  auf  Aw 
Welscfie  Art,  mit  weisser  Seide  ausgenäht,  sonderlieh  auf 
die  neue  Art,  da  die  Leinwand  ausgestochen  und  durch  son- 
derliche Kunst  mit  Rosen  und  Bhimenwerk  wieder  mit  weis«- 
sem  Zwirn  eingezogen  wird,  bestellen  und  mitbringen.  Son« 
derlich  aber  geschähe  uns  zu  gnädigem  Gefallen,  wenn  Ihr 
uns  irgend  ein  feines,  tugendsames  Weib  oder  Jungfrau,  die 
nicht  leiehtfertiger  Art  wäre,  mit  Euch  brächtet,  oder  aber 
wo  diese  nicht  zu  erlangen  wäre,  eine  Mannsperson,  die 
solche  Modelle  und  Formen,  desgleichen  auch  goldepe  Bolz- 
ten, so  man  jetzo  aus  Welschland  bringt,  mjchen  könne/'  > 
Neben  der  Kleidung  gab  überdiess  auch  zahlreicher  und 
inannigfaltiger  Putz  und  Schmuck  den  Fürstinnen  vielfältige 
Beschäftigung,  denn  auch  darin  besorgten  sie  in  der  R^el 
alles  selbst.  Der  Pretiosen -Schatz  der  meisten  Fürstinnen 
war  mit  einem  grossen  Reichthum  yon  Edelsteinen,  Gold^ 
und  Silberarbeiten  und  andern  Kostbarkeiten  angefüllt.  Eti- 
scfaien  daher  die  Fürstin  bei  hohen  Festen  im  vollen  fiirstlb- 
eben  Staat,  so  boten  dieser  Schatz  und  die  flirstKche  Gard^ 
robe  alles  dar,  was  nur  ir^fend  fürstlicher  Schmuck  und  GImmt 
heissen  konnte.  Auf  ihrem  Haupte  glänzten  dann  bald  zwei 
Papageienfedeni  od«r  sehneeweisse  Enten-  oder  Knuuobfe- 
dern,  bald  ein  Perlenkranz  oder  auch  ein  mit  Gold  und  P«r^ 
leu  geschmückter,  gewundener  Kranz;  bald  schniückte  das 
Uauf^  auch  eine  Haube  von  Gold-  und  Seidenstoff  mit  Pei«^ 


J 


Im  sechz^mM  Jakthundert,  13f 

fensteraen  und  golde&en  SciiKagen.  I>^  Hals  nmgfld)  ein 
Halstyand  mit  Smaragden,  Sapfairen,  Rubinen  und  Perle»  ver*^ 
aderl,  daran  irgend  ein  anderes  Kleinod  mit  Terschiedenen 
Edekteioen,  welches  irgend  ein  Fürst  oder  eine  Fürstin  ge^ 
schenkt,  oder  auch  ein  in  Dramanten  und  Rubinen  eingefass*» 
tev  Adler.  Die  Scfauflem  bedeckte  ein  Koller  bald  von  Gold-* 
Stoff,  bald  von  Sammet  mit  Silber  oder  goldenen  Borten  Tei^ 
bfämt,  zuweilen  mit  Hermelin  oder  Maitlem  gegittert,  oder 
auch  von  weissem,  golddurchwebten  Damast  mit  Mördern 
umlerlegt  Auf  der  Brust  hielt  dieses  Koller  ein  goldenes  Heft- 
leih  ansammen,  welches  immer  reich  mit  Smaragden,  Saphi-» 
ren,  Rubinen  und  Ametbistenf  besetzt  und  mit  irgc^nd  einer 
Figur  gescbmüekt  war;  bald  sab  man  daran  „einen  Lands-* 
knecht  «nd  ein  Weiblein^S  bald  „den  Ritter  S.  Georg'S  bald 
„em  Sebweia^r  Weiblem,  einen  Schwan",  u.  dg!.,  und  auch 
dfesief  reich  wk  allerler  Edelsteinen  verziert.  Zuweilen  um- 
sebloss  den  Hals  ein  übergelegter  feingestfckter  Hemdkragen 
mit  goldenen.  Borten,  attf  welchem  dann  goldene  Ketten  ruh- 
ten, die  zum  TheiV  mit  s.  g.  Mühlsteinen  und  Kam^p^fiifdem, 
Peoerbaken  von  Gold,  goldenen  Birnen  oder  andern  Früch- 
ten, balbraaben  Ringen  vl  dgt  geschmückt  waren.^  Statt  der 
goldenen  Ketten  sah  man  auch  noch  s.  g.  Paternoster,  bald* 
wobhis^ende,  bald  von  Gold,  Bernstein  oder  Koraiten,  die 
^itweder  „mk  goldenen  Heiligen"  oder  einem  „Marienbilde 
mit  dem  Jesuskinde"  oder  Meh  „mit  der  Dreifaltigkeit  in 
€rold"  behängt  waren»  In  Sommerszeit  umschlang  die  Brost 
ein  Brusttneh  mit  Perlenborten  in  Laubgewinden,  bald  mit 
dem  Bude  einer  Jungfrau^  eines  Phdnixes,  eines  Schwans, 
eines  Hevzens^  b^ld  mit  irgeüd  einer  andern  Aussi^bmückung 
versehen,  üeber  dem  Brusttuch  hingen  dann  die  goldenen 
Halsketten  mit  Edelsteinen,  welche  zuweilen  goldene  und 
silbeme  Conterfeete  (Bildnisse]  von  Königen^  Kl)niginnen  und 
verwandten  Fttarsten  oder  auch  den  ersten  Namensbucbstaben 
des  fürstliebm  Gemahls  in  Perlen  gestickt  umftssten.  ttfiufig 
waren  dies  Pariser  Arbeiten.  Die  Aermel  sebntückten  künst- 
liebe  Perlenstickereien,  die  allerlei  Figuren  biMeten,  t.  B.  eine 
9<fklle,ya»tt  einem  Vogelfänger,  vi^r  Sapbifen,  fünf  Bubinen, 

9* 


•( 


132  Ho  flehen  und  HofsUien  der  Fürstinnen 

einer  Smaragdlilie,  drei  Rubin-Rosen  und  einem  dreiecki^n 
Diamant,  unter  dem  Vogelfänger  drei  Rubin-  und  Diamant- 
Rosen'^;  ein  anderes  mit  einer  Jungfrau  und  einem  Gesellen 
hatte  Reime  mit  goldenen  Ruchstaben.  Die  Hände  der  Für- 
stin schützten  gegen  Kältiß  und  Sonne  Hispanische  Hand- 
schuhe (sie  waren  die  beliebtesten)  oder  auch  solche  von 
Semischem  Leder.  Die  Finger  schmückten  goldene  Schma- 
rallen-,  Türkiss-,  Diamant-  und  Rubinringe.  Den  Leib  um- 
schloss  der  Gürtel  von  sehr  abwechselnder  Farbe,  immer  mit 
Goldstoff  und  Perlenarbeit  in  Blumen-  und  Laubgewinden, 
Perlenbuchstaben  und  Perlenzügen  aufs  künstlichste  verziert 
und  am  Schlüsse  mit  goldenen  Ringen  und  Stiften  versehen. 
Von  schwarzem  Sammet  verfertigt  trug  er  zuweilen  auch  die- 
ersten  Namensbuchstaben  des  Fürsten  und  der  Fürstin  neben 
zwei  gekrönten  goldenen  Herzen  mit  Laubwerk  umschlungen. 
Er  umfasste  bald  den  fürstlichen  weiten  Atlas-Rock  mit  Her- 
melin gefuttert  und  mit  goldenen  und  silbernen  Schnüren 
besetzt,  bald  das  engere  Kleid  von  Karmosiii-Atlas»  schwar- 
zem Sammet  oder  Damast,  meist  nach  Welscher  Mode  mit 
weiten  Aermehi ,  immer  reich  verbrämt  und  mit  Stickereien 
geschmückt.  Den  Fuss  bedeckte  der  gestickte,  oben  mit  Per- 
len und  einigen  Edelsteinen  gezierte  Schuh. 

Der  Werth  eines  solchen  fürstlichen  Schmuckes  war  nach 
damaligen  Geldverhältnissen  sehr  bedeutend.  Wir  finden,  dass 
ein  Halsband  und  ein  s.g.  Diamant-Jesus  mit  1200  Thalem» 
acht  verschiedene  andere  zum  Schmuck  einer  Fürstin  gehö- 
rige Kleinodien  mit  2710  Thalem,  ein  Armband  mit  160  Tha'* 
lern,  ein  Diamantkreuzehen  mit  70  bis  80  Thalern,  eine  Me- 
daille (damals  Medaye  genannt)  mit  30  bis  40,  aber  auch  mit 
150  und  250  Thalern,  eine  Sehachtel  mit  Perlen  mit  427  Tha- 
lern bezahlt  wurden.  Es  gab  Halsbänder,  die  einen  Werth 
von  3000  bis  zu  3750  Mark  hatten.  Im  J.  1527  iiess  Herzog 
Albrecht  von  Preussen  bei  dem  Meister  Ariiold  Wenck  in 
Nürnberg  iur  seine  Gemahlin  ein  diamantenes  Halsband  ver- 
fertigen, wozu  die  Steine  aus  Venedig  verschrieben  wuitten 
und  vom  Fürsten  mit  2000  Gulden  bezahlt  werden  mussten, 
und  einige  Jahre  spater  zahlte  derselbe  Herzog  fiir  angekÄuf-*' 


im  sechzehnten  Jahrhundert.  133 

ten  Schmuck  seiner  Gemahlin  6597  Thaler.  Im  Jahre  1551 
vervollständigte  die  Herzogin  Anna  Maria,  zweite  Gemahh'n 
des  genannten  Fürsten,  ihren  Schmuck  mit  verschiedenen 
Pretiosen,  die  sie  aus  Nürnberg  vom  Schmuckhändler  Georg 
Schulthess  erhielt  und  zahlte  ihm  dafiir  nahe  an  3000  Gulden. 
Die  schönsten  und  kunstvollsten  Kleinodien  wurden  da- 
mals in  Nürnberg  v^ertigt;  wir  finden  daher  die  Fürstinnen 
mit  den  dortigen  Pretiosen-Händlern  und  Gold-  und  Silber- 
arbeitern Arnold  Wenck,  Georg  Schulthess,  Rüdiger  von  der 
Burg  und  ebenso  mit  dem  schon  erwähnten  Italiener  Lorenzo 
de  Yillani  in.  Leipzig  in  beständiger  Gorrespondenz,  bald  um 
ihren  Staalsschmuck  zu  vervollständigen,  bald  um  Einzelnes 
davon  umTorroen  und  verändern  zu  lassen,  bald  um  bei  ei- 
nem hohen  Feste,  einer  Taufe  oder  einer  Yermählutigsfeier 
mit  iiirstlichen  Geschenken  von  Pretiosen  zu  erfreuen,  oder 
.aWeh.um  einen  schadhaften  Schmuck  ausbessern  zu  lassen. 
Eine  Fürstin  schickt  einige  Edelsteine,  „weä  sie  etliche  Krätze 
bekommenes  nach  Nürnberg,  mit  dem  Auftrag,  sie  von  einem 
Sieinschneider  rein  und  sauber  auspoliren  zu  lassen;  eine  an- 
alere hat  von  einem  Pretiosen-Händler  ein  anscheinend  schö- 
nes Kleinod  2ura  Geschenk  fiir  einen  nahen  Verwandten  ge- 
kauft; allein  die  Billi^eit  des  Preises  erweckt  bald  Verdacht; 
sie  lässt  es  untersuchen  und  man  findet,  die  Fürstin  sei  be- 
rgen, es  seien  s.  g.  „Brillen*'  statt  ächter  Edelsteine  einge- 
setzt. Keine  Fürstin  hatte  vielleicht  mit  ihrem  Schmuck  und 
Putz  mehr  zu  thun  und  keine  war  in  ihren  Bestellungen  sorg- 
samer und  genauer  als  die  Herzogin  I>orothea  von  Preussen; 
sühidct  sie  dem  Goldarbeiter  in  Nürnberg  20  Ungarische  Gul- 
den und  eine  Anzahl  Ringe,  um  sie  zu  einer  Kette  und  einem 
Kleinod  zu  benutzen,  so  ordnet  sie  in  einem  langen  Schrei- 
ben an,'  wie  alles  gemacht  und  „aufs  subtilste  und  mit  Ver- 
setzung der  Steine  so  künstlich  als  möglich  verfertigt  werden 
solle,  oben  in  der  Mitte  solle  ein  Blümlein,  nebenan  Blätter 
und  ein  Stil  sein,  die  Spitzen  aber  so,  dass  man  sich  nicht 
daran  reisse  oder  kratxe  u:  s.  w.  u.  s.  w.'' 

(Schluss  in  einem  spätem  Heft.) 

J.  Voigt 


f 

i 


Vebev  4len  Ausbraidh  üem  wiehen$iaa%gen 


Aas  Mitchen*s  nngedruckten  Memoiren  mitgetheilt  von  L.  Ranke. 


V orbemerkuQg  des  Herausgebers.  —  MilcbeU  reMdirte  um  diß 
Zeit  da  der  siebeiyahrige  Krieg  ausbrach  als  Gesandter  Eng* 
laiids  am  Hofe  f  riedrichs  des  Grossen.  Ausser  seinen  JBe<r 
liebten  und  Depeschen  aus  den  Jahren  1756  ff,  befinden  aicb 
unter  den  im  britischen  Museum  von  ihm  aufbewahrten  Pa* 
(Meren  auch  zusammenbangende  Meo^oiren  (llitcJlieU  papevs 
Vol.  67),  welche,  in  späteren  Jahren  niedergeschrieben^  die 
erste  Zeit  seines  Aufenthaltes  am  Berliner  Hofe  mit^  einer  ge^ 
wissen  Au$rubrlicbkeit  bebandeln,  allmählig  aber  in  ein  bloA* 
ses  Tagebuch  übergehen»  Der  you  Herrn  von  Raumer  in  sei» 
nen  Beitrügen  xur  neueren  Geschichte  (TblJL  S.367)  erwühfttt 
„umständlichere  Bericht  Mitchells,  ohne  Datum^'  ist  niehto 
anders  als  eben  diese  Memoiren.  Die  kurzen  Ausxüge,  welche 
Herr  von  Baumer  daraus  entnahm  (S.  368— 370  u.  S.  373f.)> 
mussten  den  Wunsch  nach  weiteren  Mittbeilungen  rege  ma- 
eben.  Deshalb  schien  es  niebt  unangemessen,  hier  die  Anlange 
dieser  Memoiren  vollständig,  und  zwar,  im*  Gin  Verständnisse 
mit  dem  Herrn  Einsender,  dem  grössern  Publicum  in*  einer 
vom^  Herausgeber  angefertigten  Uebertragong  und  den  Histo<« 
rikern  von  Fach  im  Originaltest  vor  Augen  zu  legen.  Es  be-» 
bedarf  wohl  kaum  der  Erwähnung,  dass  wenn  auch  im  Gros* 
smi  und  Ganzen  die  histprisebe  Treue  der  Mitcheirsoheu  Dar^ 
Stellung  unantastbar  ist,  doch  in  einzelnen  Zügen  und  selbst  in 
der  Auffassung  manches  fiir  den  Kritiker  ta  berichtigen  bleibt 


lieber  den  Ausbruch  des  nebet^fdUirigen  Krieges.     136 

Im  Januar  1756  wurde  der  Vertmg  zwisohen  den  K<V» 
nigen  von  England  und  Preussen  unterveicbnet.  Wie  und 
wann  die  Unterhandlung  begann»  clavon  bin  ich  nicht  voll- 
standig  unterrichtet,  und  ebensowenig  von  den  eigentlichen 
Beweggründen  dieses  Vertrages. 

Auf  Seiten  des  Königs  von  E.  war  der  YortbeiJ  einleuch* 
tend»  da  Hannover  dadurch  sichergestellt  wurde,  ohne  doch 
m  dem  Vertrage  erwähnt  zu  werden. 

Auf  Seiten  des  Königs  von  Pr.  schien  der  vornehmste 
fiewinn  der  zu  sein »  dass  dessen  Besitzungen  in  Preussen 
ilordi  diesen  Vertrag  vor  jedem  Einlall  der  Bussen  gedeckt 
würden,  da  diese  kurze  Zeit  zuvor  sich  zu  einem  Bündnisse 
mit  Enghmd  heiJbeigelasseB  hatten. 

Was  sicli  TOT  und  unmittelbar  nach  der  Unterzeichnung 
jenes  Vertrages  zwischen  den  beiden  Höfen  zutrug,  davon 
Mhe  kk  keine  Kenntniss.  Doch  der  König  von  Pr.  hat  mir 
gesagt:  er  faal>e  die.  festesten  Versicherungen  darüber,  dass 
iluifiland  sich  nicht  rühren  werde. 

Kaum  war  indessen  der  Vertrag  mit  Preussen  bekannt 
geworden,  als  die  Oesterreicher  mit.  allem  am  Bussischen 
Hofe  iimen  zu  Geb(Mte.  stehenden  Einflüsse  darauf  hinarbei- 
Men,  in.  Petersburg  das  englisch-russische  Bündniss  zu  hin- 
tertreiben, das  von  Seiten  der  Kaiserin  Elisabeth  nach  mei-« 
Hern  Dafürhi^ten  ebeii  in  Folge  dessen  längere  Zeit  und  bis 
zum  Monat  [Februar]  unvollzogen  blieb.  Sie  wiesen  auf  die 
MeUigaBg  hin,  die  der  englische  Hof  dem  russischen  zu- 
(^fiigt  habe,  indem  er  ohne  Mitwissen  der  Kaiserin  einen 
Vertrag  mit  Preussen  geschlossen.  Und  nunmehr  begannen 
aie  die  Maske  abzuziehen  und,  aHer  Verpflidaitungen  uneinge** 
denk,  die  sie  dem  Könige  von  £.  und  der  Englischen  Nation 
•ohuldig  waren,  beeilten  sie  ihre  Schritte  um  sich  selbst  in 
die  Arme  Frankreichs  zu.  werfen. 

Um  die  Zeit,  da  der  englisch-^preussische  Vertrag  unter- 
Beiduirt  ward,  kam  der  Herzog  von  Mivernois  als  Gesandter 
Frankreichs  nach  Berlin.  Seine  Unterhandlungen  hatten  kei- 
nen Erfolg.  Zwar  wurde  er  vom  Könige  freundlich  emplan- 
gen;  allein  der  Auftrag,  um  desswillen  er  kam  und  demge- 


136  üeber  de»  Ausbruch  des 

m'äss  er  den  König  yennögen  sollte,  sein  Bündniss  mit  Frank- 
reich zu  erneuem  und  Hannover  anzugreifen,  war  Sr.  Preus* 
sischen  Majestät  nicht  genehm;  und  so  kehrte  der  Herzog 
von  Niyernois,  nachdem  er  [mehre]  Monate  in  Berlin  und 
Potsdam  verweilt,  in  sehr  übler  Laune  wie  ich  hörte,  nach 
Paris  zurück. 

Der  König  von  Pr.  sagte  zu  mir  bei  einer  Unterredui^, 
die  ich  bald  nach  meiner  Ankunft  in  Berlin  mit  ihm  pflog, 
dass  er  das  Benehmen  dieses  Herzogs  nicht  recht  biUigeik 
könne;  er  sei  nicht  frei  und  offen,  sondern  auf  krummem 
Wegen  zu  Werke  gegangen;  und  was  die  Vorschlage  betr^fev 
womit  er  beauftragt  gewesen,  so  könne  er  denselben  kern 
Gehör  schenken,  da  der  König  von  E.  keine  Veranlassofig 
gegeben  habe,  um  einen  Angriff  auf  Hannover  voa  sein^ 
Seite  zu  rechtfertigen.  Zufolge  anderer  (Jnterredongen  habe 
ich  Grund  zu  vermuihen,  dass  der  Yorsoblag  za  einem  An- 
griff auf  Hannover  dem  Könige  von  Pr.  schon  'vor  der  An- 
kunft des  Herzogs  von  Nivemois  durch  Herrn  von  BottüM 
gemacht  worden  sei,  und  zwar  in  einer  sehr  ungeziemenden 
Weise.  In  einem  Briefe  an  den  König  von  Pr.  äusserte  nam* 
lieh  derselbe:  Es  sei  jetzt  gut  Plündern  in. Hannover; 
worauf  indessen  der  König  erwiederte:  eine  solche  Zuom«* 
thung  möchte  zwar  für  Mazarin  (?)  sehr  geeignet  gewesen 
sein;  er  aber  halte  sie  für  den  höchsten  Schimpf,  der  ihm 
angethan  werden  könne. 

Ich  habe  dem  König  von  Pr.  den  Vorwurf  machen  hö- 
ren, dass  er  durch  Unterzeichnung  des  Vertrages  mit  Eng- 
land, kaum  einen  Monat  oder  sechs  Wochen  vor  Ablauf  des 
französischen  Bündnisses,  die  Franzosen  herausgefordert  habe; 
Indessen  kenne  ich  noch  jetzt  den  wahrhaften  Thatbestaad 
nicht,  und  ebensowenig  die  Natur  der  Verpflichtungen  ^ea 
Königs  gegen  Frankreich. 

Gegen  Ende  Januars  1756  ward  ich  benachrichtigt,  dass 
der  König  Georg  gesonnen  sei  mich  als  seinen  Bevollnäch- 
tigten  nach  Berlin  zu  senden,  mit  dem  Gehalt  eines  ausser« 
ordentlichen  Gesandten.    Am  12.  März  hatte  ich  Handkuss 


siebenjährigen  Krieges,  13? 

beim  Könige.   Am  18.  April  veiiiess  ich  England  und  traf  am 
8.  Mai^  über  Hannover  tind  Braunschweig,  in  Berlin  ein. 

Unverweilt  meldete  ich  dem  Grafen  Podewils  meine  An- 
kunft und  hatte  am  11.  zu  Potsdam  meine  erste  Audienz. 
Ais  ich  mein  Be^aubigungsschreiben  dem  Könige  überreichte, 
begleitete  ich  dasselbe  mit  einem  kurzen  Gompliment,  wor* 
auf  Se.  Maj.  mir-  brieflich  antwortete.  Dann  schickte  ich  mioh 
an,  Sr.  Maj.  die  Absichten  zu  eröffnen,  welche  den  König 
meinen  Heirn  bewogen  hatten,  mich  mit  dieser  Sendung  zu 
beehrmi.  Mit  grosrser  Aufmerksamkeit  hörte  er  mir  zu  und 
versetiBte  sogleich,  dass  er  gewissenhaft  den  Vertrag  erfüllen 
werde,  den  er  unlängst  mit  dem  Könige  von  Grossbritannien 
geschlossen.  Er  sprach  die  Meinung  aus,  dass  sich  in  diesem 
Jahre  in  Deutschland  nichts  ereignen  würde,  wollte  es  aber 
mdbt  auf  sieh  nehmen  zu  sagen,  was  in  dem  nächsten  sich 
ereignen  könne.  Er  äusserte  damals,  dass  „alle  Entwürfe, 
welche  die  Höfe  von  Wien  und  Paris  etwa  gehegt  haben 
fiiOchten,  um  unter  dem  Verwände  der  Religion  in  Deutsch- 
land Unruhen  zu  erregen  und  die  Rechte  des  Erbprinzen  ?on 
Hessen  zu  unterstützen,  für  jetzt  wenigstens  bei  Seite  ge- 
schoben wären,  da  der  Prinz  von  Hessen  gegenwärtig  in  Ber- 
Ikk'  sei  und  eifrig  danach  trachte,  in  seine  Dienste  zu  treten.^^ 
—  Hernach  hatte  ich  die^' Ehre  mit  Sr.  Maj.  zu  diniren,  und 
nach  der  Tafel  forderte  er  mich  auf,  die  Nacht  in  Potsdam 
zu  verbleiben  lind  auch  andern  Tages  mit  ihm  zu  speisen. 
Vor  dem  Diner  hatte  icb  ein  sehr  ausführliches  Privatgespräch 
mit  Sr.  Maj., . wofin  er  die  höchste  Achtung  vor  dem  Könige « 
von  E.  kund  gab  und  das  bekräftigte,  was  er  in  der  Audienz 
am  Tage  zuvor  mir  gesagt  hatte.  Er  bemerkte:  „er  wäre  sehr 
wohl  davon  unterrichtet,  dass  zwischen  den  Höfen  von  Wien 
und  Paris  eine  Uebereinkunft  im  Werke  sei,  und  dass  der 
Wiener  Hof  sich  in  grosser  Verlegenheit  darüber  befinde,  auf 
weiche  Weise  er  den  dringenden  Anfragen  begegnen  solle,  wel- 
tkm  [der  englische  Gesandte]  Mr.  Keith  letzthin  beauftragt  wor- 
den sei  an  ihn  zu  richten;  doch  die  Absieht  ginge  dahin,  jed^ 
bestimmten  Antwort  so  lange  auszuweichen,  bis  die  Uebereki- 
kunflT  wirklich  unterzeichnet  wäre,  und  dies  Benehmen  durch 


13t  lieber  den  Äuibruch  des 

das  Verhalten  zu  rechtfertigen,  welche«  unser  Höf  bei  der 
Unterhandlung  des  jüngsten  Vertrages  mit  Preussen  selbst 
beobachtet  habe." 

Üeberhaupt  bat  der  Empfang,  welchen  mir  der  König 
angedejhen  Hess,  meine  kühnsten  Erwartungen  weit  über- 
troffen,  und  die  Art  seines  Benehmens  fand  ich  sehr  abwei'* 
chend  von  den  Vorstellungen,  die  man  mir  darüber  eingeflösst 
Er  empfing  mich  mit  Aufrichtigkeit,  Offenheit  und  Leutselige» 
keit,  und  gab  mir  sehr  bald  (um  jeden  Argwöhn  in  Betreff 
Frankreichs  zu  entfernen)  Aufschluss  über  die  Unterhaiidliuig 
des  Herzogs  von  Nivemois.  Ueber  das  Geschäft,  womit  ich 
beauftragt  war,  sprach  er  ßich  mit  grosser  Klarheit  aus  wed 
legte  nicht  nur  seine  Meinung,  sondern  auch  seinen  B«th 
ohne  Bückhalt  dar.  Ich  konnte  eine  so  hohe  Güte  vön^Sei«- 
ten  des  Königs  nicht  anders  vergelten,  als  indem  ich  auf  die 
möglichst  aufrichtige  und  ehrliche  Weise  zu  Werice  gisg  und 
ihm  in  den  Berichten,  die  ich  meinem  Hofe  einsandtet  (xo** 
rechtigkeit  widerfahren  liessi  ^  Dies  hatte  den  gewoasehten 
Erfolg.  Denn  sein  Zutrauen  wuehs  täglii^,  und  da  ich  ofU 
mals  nach  Potsdam  berufen  wurde  und  gar  manche  lange  und 
geheime  Audienzen  erhielt,  worin  der  König  nicht  nur  was 
ich  ihm  vorzutragen  hatte  mit  grosser  Aufmerksamkeit  ai^ 
hörte,  sondern  sogar  in  vielen  Fällen  mich  aufforderte  meine 
Meinung  als  Privatmann,  nicht  als  Gesandter  auszu^qpreoheo« 
es  betonend,  dass  er  selbst  zu  mir  wie  ein  Freund,  nicht  wie 
ein  König  geredet,  —  so  ermuthigte  mich  diese  H^ablassimg 
Sr.  Maj.,  mich  mit  dem  grössten  Freimuth  und  ohne  allen 
Vorbehalt  zu  äussern. 

Mein  häufiger  Aufenthalt  zu  Potsdam  während  des  Söm« 
mers  und  die  ausgezeichneten  Gunsibezeugungen,  welche  dw 
König  und  demgemäss  die  ganze  könij^idie  Familie,  so  wes 
die  Hof  leute,  mir  zu  Theil  werden  liessen,  flössten  allen,  an- 
deren fremden  Ministern,  die  in  Berlin  residjrten,  vornehm^ 
lieh  aber  dem  französischen  Gesandten,  Herrn  von  Valory, 
eine  grosse  Eifersucht  ein«  Er  beklagte  sich  sogar  über  diesif 
Parteilichkeit  bei  den  Gräfin)  Podewils  und  Finken^tein,  Jhinn 
zufügend,  ich  reizte  den  König  auf  mit  Frankreich  zu  brechen 


•  wC       * 


und  die  WaCn»  zu  ergreifen.  Gnf  Podewils  sagte  mir,  er 
habe  bei  iißs&t  Gelegenhat  mir  Gereehtigkeit  wideriafareoi 
ksseo  und  dem  Henrn  von  Valory  die  VersiclieraDg  gegdbea» 
dass  idb,  weil  eutfenit  den  Kömg  zum  fiegian  des  Krieges 
zu  reizen,  vielmehr  wie  er  sicher  wisse  alles  daran  gesetzt; 
bähe  um  ihm  vorzubeugen,  dass  ich  natürlich  dem  Bündnisse 
mit  Eogland  Gedeihen  wünschen  müsse,  dass  aber  meine  Ab* 
siditeB  und  meine  Sprache  friediieh  wären. 

Iip  Monat  Juni  erhielt  der  Köfuig  die  Nachricht,  dass  der 
Scbulzvertrag  zwischen  Frankreich  und  Oesterreieh  wirklidi 
unteräeicfaiet  sei ,  und  dass  es  ausser  den  Artikeln  im  Ver* 
^age  selbst  noch  besondere  und  geheime  gübe,  die  nur  er- 
rathen  wevden*  könnten.  Man  muthmasste,  dass  dieselben  die 
Abtretung  einif^«  St&dte  oder  gewisser  Districte  in  den  Nie-«- 
d^landen  von  Seite»  des  Kaiserhofes  beträfen. 

Dieser  Vertrag  beunruhigte  den  König  nicht  im  Gering* 
stan.  Er  meinte,  wenn  es  zu  nichts  Weiterem  käme,  als  der 
m  y^rage  gegenseitig  ausbedungenen  Hülfsleistung  von  24000 
Maiin^>  ao  ^i  dies  nur  von  sehr  geringem  Belang.  Aach  schien 
er  nicht  anzunehmen,  dass  diese  Vereinigung  Frankreichs  und 
Oestenreicbs  eine  aofriohtige  und  dauernde  sein  könne.  Denn 
in  dieser  Zeit,  und  obgleich  mit  Frankreich  gespannt,  glaubte 
er  doch  triohl^  dass  dasselbe  nur  im  Entferntesten  die  Absieht 
liege,  wirklieh  nut  ihi6  zu  brechen,  sondern  dass  dessen  der* 
malige  Handlungsweise,  indem  es  sich  den  Anschein  einer 
VerbindiRig  mit  dem  Hause  Oesterreich  gebe,  mehr  in  Em* 
pfindelei  -und  Verdrusls  ihre  Quelle  habe,  als  in  irgend  einem 
festen  politischen  Krineipe,  oder  in  einer  bestimmten  Neigong 
das  bisliirige -System  zu  ändern.  Ebensa  wusste  er  (aus  der 
Abgabe  gewisser  Berichte),  dass  er  der  Frau  von  Ponpadour 
UjD(d  ihren  Creaturen  \%rhasst  sei,  .welche  nun  die  erfolglose 
Sendung  des  Herzogs  von  Nivernois  als  wilikonunenen  Aniass 
benutet  hätlen,  um  seine  Allerehristlichste  M^^stJM;  wider  ihn 
einsun^fnen.  Allein  er  dachte  sich  nteht  die  Möglichkeit^  dass 
(teren  Arglist  dearmassen  im  Kabinet  überwogen  hafaeii  könnte^ 
um  diese  Macht,  mit  der  er  so  lange  verbändet  gewesen  und 
der  er  so  grosse  Dienste  geleistet,  am  ganz  zu.  entfremden. 


140  Ueber  den  Ausbruch  des 

Die  Preussischen  Minister^  obwohl  ihnen  der  Schritt 
Frankreichs  mehr  Besorgniss  einziiflössen  schien,  waren  den«^ 
noch  fest  überzeugt,  dass  dasselbe,  im  Fall  eines  Krieges  in 
Deutschland,  bei  der  Unterstützung  des  Hauses  Oesterreieh 
sich  auf  nichts  weiter  einlassen  würde,  als  auf  Stellung  sei- 
nes Gontingents  in  Truppen  oder  Geld.  In  dieser  Ueberzeu- 
gung  wurden  sie  durch  die  Versicherungen  des  Marquis  yoa 
Yalory  bestärkt,  welcher,  nach  dem  Abgange  des  Herzogs  voA 
Nivernois,  auf  den  Wunsch  des  Königs  von  Pr.,  als  ordent- 
licher Gesandter  nach  Berlin  geschickt  worden  war,  um  den 
Herrn  de  la  Touche  zu  ersetzen,  der  dem  Könige  nidbt  behagt^ 

Als  im  Monat  Mai  ein  Theil  der  Hannoferschen  Trup- 
pen und  8000  Hessen  nach  England  abberufen  wurden,  wa- 
ren die  Hannoverschen  Minister,  die  furchtsamsten  und  leichte 
gläubigsten  all^  Menschen,  sogleidi  yolier  Angst,  Fraakreieh 
werde  sich  in  Marsch  setzen  und  ihr  Land  liberfallen,  bevor 
irgend  eine  Truppenmacht  zu  dessen  Yertheidigung  zusam- 
mengezogen werden  könne.  Die  Nachricht  von  dem  Bund*- 
niss  zwisc£ien  Oesterreieh  und  Frimkreich  erhöhte  'diese  Be^ 
sorgnisse  in  solchem  Grade,  dass  sie  sich  die  Gefahr  scbon 
als  nahe  bevorstehend  und  unabwendbar  dachten.  Auf  ihr 
Ansuchen  erhielt  ich  den  Auftrag,  ^bei  dem  Könige  von  Pr. 
anzufragen,  welchen  Beistand  er  leisten  könnte;  im  Fall  Han- 
nover in  diesem  Sommer  während  der  Abwesenheit  der  Trup- 
pen angegrififen  würde.  Die  Antwort  Sr.  Maj.  stimmte  mit 
den  früheren  Aussprüchen  überein:  „Er  wolle  mit  seinein 
Kopfe  dafür  bürgen,  dass  in  diesem  Jahre  kein  Angriff  statt- 
finden werde;  aber  er  wünsche,  dass  geeignete  Massregeln 
für  das  nächste  angeordnet  würden,  in  Betreffdessen  er  für 
nichts  einstehen  möge.''  Zugleich  übergab  er  mir  ein  ¥ei«» 
zeichniss  derjenigen  Truppen,  deren  Anwerbung  in  Otiutsd^« 
iand  er  als  wünschenswerth  erachtete. 

Das  Ansehn  des  Königs  von  Pr.  genügte  nicht  um  die 
Furcht  der  Hannoveraner  zu  zerstreuen,  weil  ^sie  sich,  eiitbil* 
deten  Frankreich  und  Oesterreieh  dächten  an  sie  attein.  Jth 
ward  daher  beauftragt  dem  Könige  neue  /Vorstdiangen  zu 
machen  und  «auf  eine  Antwort  für  den  eintretenden  Fall  zu 


Mkbef^ähri^n  Krieges.  14  L 

bestellen.  Sa  Maj.  wiederholte  minächst  das  früher  Gesagte» 
itersicberte  jedoch,  dass,  wenn  der  Fall  eintrete,  er  10^000 
Mann  stellen  und,  der  Bewegungen  seiner  Truppeu  unbe- 
schadet, dafiir  Sorge  tragen  wolle,  dass  diese  Zahl  wirklich 
auf  hannoverschem  Gebiet  sieh  befinde,  ehe  noch  die  Fran- 
zosen es  erreichen  könnten.  Hierauf  wurde  idi  von  Seitea 
der  Hannoverschen  Hinister  brieflich  bestürmt,  eine  grössere 
Zahl  auszuwirken  und  eine  genaue  Angabe  der  Begiolenter» 
welche  ihnen  zugesandt  werden  sollten.  Ich  meldete  solches 
dem  Könige;  doch  da  ich  wahrnahm,  dass  diese  unablässige 
Quälerei  einen  üblen  Eindruck  auf  ihn  mache,  so  begnügte 
ich  mich  mit  der  Erneuerung  seines  frühern  Versprechens, 
der  ^  die  Worte  hinzufügte:  „Lassen  Sie  diese  Herren  wis- 
sen, dass  wenn  die«  10,000  Mann  ihnen  zur  Hülfe  gesandt 
werden,  ich  sie  doch  nicht  länger  entbehren  kann  als  bis  zu 
Ende  des  nächsten  Februars,  da  ich  ihrer  anderwärts  bedarf; 
und  nur  unter  dieser  ausdrücklichen  Bedingung  geschehe  es, 
dass  ich  sie  ihnen'  verspräche.'^  Als  ich  ihn  um  eine  gros-, 
ser&  Zahl  anlag,  sagte  er  „das  sei  unmöglich,  wofern  ich  ihm 
nicht  die  ab^sdute  Grewissheit  geben  könne,  dass  Preussen 
llhbeunrähigt  bleiben  würde'*;  vielmehr  rieth  er  „man  solle 
keine  Zeit  verlieren,  um  Truppen  für  das  nächste  Jahr  zu 
w^ben;  er  selbst  habe  seine  Massregein  schon  getroflfen  und 
i$ei  auf  alles  was  sich  etwa  ereignen  möchte  vorbereitet." 

Der  König  bemerkte:  er  wisse,  die  Kaiserin  Maria  The- 
mata' könne  iitoyOOO  Mann  ins  Feld  stellen,  Frankreich  nicht 
über  50,090  (wobei  er  die  deutschen  Regimenter  in  dessen 
Biensten  s»i  20,000  berechnete;  der  Rest  seien  Pfalzische  und* 
Würtembergnehe  Truppen,  mit  einigen  wenigen  französischen 
Biegimentern  vermehrt  um  die  Zahl  voll  zu  machen);  auf  der 
andern  Seite  könne  der  König  von  Grossbritannien,  obgleich 
&r  8000  Mann  nach  England  gesandt,  durch  eine  Vermehrung 
seiner  Truppen  und  dadurch,  dass  er  den  Herzog  von  Braun- 
»ehweig  in  seinen  Sold  nehme,  ein  Heer  von  25  bis  30,000 
Mann  aufbringen;  er  selbst,  der  König  von  Pr.,  vermöge  eine 
Armee  von  100,000  Mann  zu  stellen;  dann  würden  aber  im-, 
mer  noch  30,000  lüissen  nöthig  sein.    Um  den  Zuzug  der- 


■dbea  ni  erkicbtwu,  schlag  er  vor,  bis  h^b  tich  m  Ami  \ 
ihren  StantJqiurtieTen  suoäohat  belegeMn  iUfen  ton  Lienm^  \ 
und  Kurland  an  Bord  ihrer  Galeeren  etnschifi«n  und  m  im  \ 
Preuasischen  und  Potnmerscben  Küsten  eaUang  leselB'.iii  \ 

den  Pommevadten  Häfen  volle  er  ihnen  Quartier  ge^OiW». 
fsm  sie  wttbrend  der  Fahrt  Veranlassung  zar  Landung  hftu 
ten;  zu  Rostock  aber  möge  ihre  AutschtSung  bewiiitweN 
den.  Diese  Ueherfebrt,  so  rechnete  er,  erfordere  im  Ganm 
etwa  vier  Wochen  und  wUrdo  nicht  nur  mithin  viele  Z^Aj 
sondern  auch  den  Truppen  viele  Anstrengung  enpareii-,  ei« 
grosBer  Gewinn  im  Fall  sie  genöthigt  wären  umnittdtMr  in» 
Feld  zu  rücken. 

Gegen  Ende  Juli  übergab  der  franz.  Gesandte  Ibrqj  im 
Valorf  auf  Befehl  seines  Hofes  dem  Gfaferi^  Podewils  eme 
Note  und  hatte  bald  darauf  btim  Könige  eine  Audienz,  wal' 
che  nur  wenige  Minuten  währte.  Graf  Podewils  erzäitte  dent 
Könige,  so  dass  ich  es  bikte,  der  Marquis  habe  betheium 
„er  wolle  seinen  Kopf  daliir  verpfänden,  dass  die  Kaiserin 
Königin  nicht  die  Absicht  habe  ihn  aniugreifen";  worauf  Po- 
dewils  erwiedert:  „Will  Ihr  Hof  dies  verbürgen?"  —  IKer 
untM-lwach  (fiesen  der  König  und  sagte;  „Sie -geben  fehlt 
Frankreich  wiR  versprechen,  der  Kaiserin  keinen  Beistand 
gegen  mich  zu  leisten,  wofern  ieh  meimrieits  verspredien 
will,   keinen  Beistand  dem  Könige  von  Engtand  zu   gefeen. 
Allein  ich  bin  entschlossen,  dergleichen  nicht  zu  thsn^  idi 
will  meine  Verpflichtungen  gegen  England  erftUen."  Darauf^ 
instmirte  er  den  .Grafen  Podewils  über  die  Antwort,  welohe 
er  auf  die  Note  des  Marquis  za  erlassen  habe^   Als  ieb,  nach 
der  AudtenE  des  Letztem,  in  das  Kabinet  des^König»  einbrat« 
äusserte  dieser  mit  einem  Anflug  von  Heiterkeit:  „loh  ^1) 
nicht,  dass  diese  Herren  zu  mir  reden, -wie  man  zu  den  HAl*' 
lündem  redet,  und  dass  sie  mir  sagen,  wHcfaen  Vertrag  ich 
erfiillen  soll  oder  nicht." 

Im  Laufe  dieses  Sommers  erhielt  der  König  Kflnde'ron  ' 
den  Intriguen,  die  der  Wiener  Hof  spann,  um  in  Verfcindang 
mit  Frankreich  und  Russland  ihn  gleit^zeftig  von  allen  Sei- 
ten.  anzugreifen.  In  diese  Versckwörang  hatte  man  auch  den- 


iiebenjährigtn  Krieges.  143 

•ttchsiseb^n  Hof  kineingezogen,  oder  bestrebte  sich  ihn  hin^ 
Moeuziehen;  \md  ?on  hier  ans  wurde  dem  Könige  von  Pr., 
nicht  nur  alles  was  sieh  in  Dresden  begeben,  sondern  audi 
was  ^tt  Wien  und  Petersburg  im  Werke  war,  hinterbracht. 

Die  Bewegungen  der  kaiserlichen  Truppen  in  Böhmen 
gegen  die  Grenzen  von  Schlesien  hin,  der  Anmafsch  verschie- 
dener Regimenter  von  Ungarn  her  und  die  Vermehrungen, 
welche  in  diesen  Truppeniheilen  stattfanden,  dienten  dazu, 
den  Verdadit  des  Königs  gegen  den  Wiener  Hof  zu  erhöhen 
md,  zu  beetärken.  Er  beschioss  daher>  seinen  Gegnern  den 
VoFsprung  abzugewinnen  und  nahm  (indem  er  ihre  Absichten 
als  nidit  m^r  zweifelhaft  betrachtete)  den  Grundsatz  an,  das» 
ea  bessef  sei  zuvorzukommen  als  sich  zuvorkommen  lassen. 
*  Als-  nach  den  Musterungen  der  Preussischen  Truppen,  in 
den  Monaten  Mai  und  Juni,  der  Verdacht  des  Königs  durch 
die  Briefe,  die  er  aus  Schlesien  empfing,  sich  bedeutend  ge- 
steigert iMtte^  Kess  er.  unter  dem  Verwände  eines  Gamiaons- 
wedbsek  seine  Tcuppen«  in  verschiedene  Standquartiere  ein-* 
nuieli  und  steckt^  auch  mehre  Lagerplätze  ab,  die  er  nie- 
mab  einzunehmen  WiUehs  war,  zog  aber  in  der  That  seine 
Straitiiräfte  ^rgestait  zusammen,  dass  er  auf  den  leisesten 
Wink  wo  es  änü  beliebte  marschfertig  sein  konnte,  um  je- 
der' etwa  wider  ihn  gerichteten  M»cht  die  Stirn  zu  bieten. 

Dtes&  Bewegungen  im  Preussischen  Heere  und  die  Ein- 
berufung der  Stabseffidere,  welche  sich  zu  Garisbad  in  Böh- 
men aufhißten,  versetzten  die  Kaiserin  Maria  Theresia  in  so 
gtfosse'Beeorgniss  und  Unruhe,  dass  sie,  darauf  hin,  alles  was 
man  nur  an  Mannschaften  zusammenzuraffen  vermochte,  ei- 
ligst  nach  Böhmen  hineintrieb,  indem  sie  unzweifelhaft  sich 
eittbiUele,  es  sei  auf  einen  Einfall  in  dieses  Land  abgesehen. 
Ihr  Jkfairffeb  der  kaiserlichen  Truppen  nach  Böhmen  e^scbredtte 
die  Preuföiscfaen  Officiere  und  Beamten  in  Schlesien,  und  da 
die  Berichte,  welche  sie  dem  Könige  efnsandten,  wahrscheiti- 
Keh- übertrieben  waren,  so  dienten  sie  dazu,  das  Mi^strauen 
desselben  gegen  den  Wiener  Hof  zu  verstärken  und  «u  be- 
festigen, bis  es  endlich  dahin  gedieh,  dass  er  seinen  Verdacht 
niel^  mehr  als  soteban,  sondern  als  vottkommetie  Gewissheit 


144  Ueber  den  Ausbruch  de$ 

betrachtete.  Und  da  er  nur  zu  wohl  von  den  Unterhandlun- 
gen und  geheimen  Zwecken  unterrichtet  wurde,  welche  wie 
es  hiess  Himmel  und  Erde  in  Bewegung  setzten  um  Frank- 
reich, Russland  und  Sachsen  zu  veranlasseu  gleichzeitig  über 
ihn  herzufallen,  während  Oesterreich  mit  seiner  ganzen  Macht 
in  Schlesien  eindringen  sollte:  so  folgerte  er,  dass  für  ihn 
keine  andere  Rettung  sei,  als  in  Präventivoitassregeln.  Dem- 
nach beschloss  er  die  Kaiserin  in  Böhmen  anzugreifen,  be- 
vor sie  noch  hinlänglich  vorbereitet  sei,  hoffend,  im  FaU  des 
Gelingens  werde  die  schreckenvolle  Verschwörung  in  Dunst 
zerrinnen;  denn  könne  die  als  Haupt  geltendei  Partei  der«* 
messen  geschwächt  werden,  dass  sie  ausser  Stande  wäre  den 
Krieg  im  nächsten  Jahre  zu  unterhalten,  so  müsse  die  ganze 
Last  auf  die  Verbündeten  und,  Genossen  fidlen,  von  denen 
er  keineswegs  annahm  dass  sie  gesonnen  sein  würden  die- 
selbe zu  tragen.  ^ 

In  dieser  Gemüthsstimmung;  voll  von  Argwohn  und  Atiss«^ 
trauen,  fand  ich  den  König,  als  er  mich  um  Ende  Juli  nach 
Potsdam  beschied.  Nachdem  er  mir  die  letztemp'fangenen 
Nachrichten  aus  Schlesien  und  Sachsen  mitg;»tbeilt,  geruht« 
er  mir  seinen  Entschluss  zu  eröffnen,  vermöge  dessen  *er  un- 
verweilt  aufzubrechen  gedenke,  um  seinen  Feinden  zuvorzu- 
kommen und  ihnen  den  Rang  abzulaufen,  da  er  hierin  daü 
einzige  Mittel  sähe,  das  sich  mit  seiner  Sicherheit  vertrage,^ 
so  zahlreichen  und  mächtigen  Widersachern  gegenüber,  lite- 
ren  Kräfte,*  wenn  sie  vereinigt  würden,  bei  weitem  allen  de* 
nen  überlegen  sein  müssten,  die  er  selbst  ins*  Feld. zu  stel- 
len vermöge. 

Zugleich  erklärte  mir  Se.  Majestät  ( wie  er  dies  oft  zu- 
vor gethan),  dass  er  nichts  so  sehr  wünsche  als  den.  Frieden; 
dass  er  zu  behalten  begehre  was  er  besitze,  aber  keineswegs 
die  Absiebt  hege  neue  Erwerbungen  zu  machen.  Idi  erin^ 
nere  mich,  dass  sich  unter  anderen  Berichterstattungen,  wel- 
che mir  der  König  bei  dieser  Gelegenheit  vorzeigte,  einige 
sehr  heftige  und  wie  mir  schien  übertriebene  Meldungen  aus 
Schlesien  befanden,  wonach  die  Oesterreicher  die  Errichtiaig. 
emes  Lagers  auf  einer  von  Schlesien  umscUoftienen  Land^. 


riebenjährigen  Kriege$.  HS 


2UDge  Böhmens  beabsichtigten.  Aus  dieser  Anzeige  in  Yer- 
bindung  mit  anderen  sehloss  der  König,  dass  der  Wiener  Hof 
stefaerlich  bezwecke  ihn  anzugreifen.  Ich  nahm  mir  die  Frei«- 
heit  zu  bemerken,  dass  aus  der  Errichtung  solcher  Lager  die 
Absicht  der  Oesterreicher  nicht  mit  Sicherheit  gefolgert  wer« 
den  köntoe,  insofern  sie  auf  ihrem  eigenen  Gebiete  Yerblie- 
ben;  vielleicht  wäre  ihr  Plan  der,  Se.  Majestät  zu  verlocken 
den  ersten  Streich  zu  thun  und  dergestalt  sie  zu  berechtigen, 
diejenigen  Hülfsleistungen  von  Frankreich  und  Russland  zu 
fordern,  welche  der  Kaiserin  für  den  Fall  zugesagt  seien» 
dass  sie  in  ihren  eigenen  Besitzungen  angegriffen  würde.  Der 
König  antwortete  hierauf,  abgerissen  und  mit  einiger  Aufre- 
gung, indem  er  mir  starr  ins  Gesicht  blickte:  „Wie  me«a 
Bterrl  Was  sehen  Sie  in  meinen  Gesichte?  Glauben  Sie,  dass 
meine.  Nase  gemacht  9ei  umNasens^ber  zu  bekommen?  Bei 
Gott,  ich  werde  sie  mir  nicht  gefallen  lassen  l^Mch  versetzte, 
dass  nach  meinem  Dafürhalten  Niemand  so  kühn  sein  würde 
ihn  zu  beschimpfen;  und  wenn  man  es  thäte,  so  sei  doch 
sein  Charakter  in  Europa  zu  wohl  bekannt,  um  den  gering- 
sten Zweifel  darüber  zu  lassen,  in  welcher  Weise  es  vergol- 
ten werden  würde;  auch  hätte  ich  unter  allen  den  grossen 
Eigenschaften,  die  er  besässe,  noch  niemals  Geduld  und  Ge- 
lassenheit aufzählen  hören.  Er  nahm  diesen  Freimuth  wohl 
auf  und  lachte.  So  gelang  es  mir  seine  Leidenschaftlichkeit 
im  Beginn  ihres  Ausbruchs  .zu  beschwichtigen.  Doch  nach- 
dem er  mir  einige  andere  Berichte  vorgelegt,  sehloss  er  wie- 
der -mit  den  Worten:  „Hier  ist  nicht  zu  helfen!  Diese  Dame 
da  (indem  er  auf  das  Bildniss  der  Kaiserin  wies)  will  Krieg 
haben,  und  sie  soll  ihn  bald  haben.  Ich  weiss  kein  anderes 
Mittel  als  meinen  Feinden  zuvorzukommen;  meine  Mann- 
schaften sind  bereit,  und  ich  muss  diese  Verschwörung  zu 
JH'echen  trachten,  bevor  sie  zu  stark  wird.''  Ich  stellte  ihm 
«un  die  Gefahr  vor,  welche  entstehe ,  den  Englischen  Ein- 
fluss  am  Bussischen  Hofe  gänzlich  zu  vernichten,  wenn  er 
durch  irgend  einen,  ob  auch  dringlichen  Schritt  von  seiner 
Seite,  als  der  angreifende  Theil  dargestellt  werden  könne; 
und  ich  bestand  darauf,  es  sei  noch  Hoihung  vorhanden,  die- 

Z«itMbriCI  f.  GesdiiehUw.  I.  1844.  ±Q 


14C  Ueber  den  Ausbruch  des 

sen  Hof  car  Neutraliät  zu  bestimmen,  wenigstens  im  Fall 
die  Kaiserin  zuerst  angreife;  überdies,  da  die  Ursachen  zur 
Schilderhebang  auf  Verdachtsgründen  und  Privatangaben  be- 
rahten^  von  deren  Triftigkeit  das  übrige  Europa  keine  Kennt* 
niss  habe,  so  wäre  ich  der  ehrerbietigen  Meinung,  dass  es 
in  hohem  Grade  zu  seinem  Vortheil  gereichen  und  nicht  ver- 
fehlen würde  überall  Eindruck  zu  machen,  wenn  er  vorerst 
die  Kaiserin  um  Aufklärung  darüber  anginge,  ob  sie  die  Ab- 
sicht hege  ihn  anzugreifen ,  da  er  Grund  habe  über  die  Bü- 
stfsngen  und  kriegerischen  Anstalten  in  Böhmen  und  ander- 
wilrts  besorgt  zu  sein.  Fiele  die  Antwort  ungeni^end  aus, 
so  würde  er  in  aller  Welt  Augen  g^echtfertigt  s^n,  wenn 
er  zu  seiner  Selbstvertheidigung  von  den  ihm  zu  Gebote  ste- 
henden Kräften  Gebrauch  madie.  Seine  Vorbereitungen  könn- 
ten inzwfiicben  ihren  Fortgang  nehmen;  aucji  würde  der  Zeit- 
verlust ein  sehr  geringer  sein,  nur  die  wenigen  Tage  begrei- 
fend, welche  die  Hin-  und  Zurückreise  des  Gouriers  nach 
und  von  Wien  in  Anspruch  nehme.  —  Dem  Könige  schien 
-dieser  Vorschlag  nicht  genehm,  und  er  gerieth  dlmäUig  sehr 
in  Eifer:  er  kenne  den  Uebermuth  und  4len  Stol»  des  Wie- 
ner Hofes;  eine  solche  Anfrage  wurde  die  Dinge  nur  ver- 
scUimmem^  oad  ihn  sdbst  einer  ho^müthigen  und  beschim- 
pfenden Antwort  aussetzen,  die  er  sich,  wie  er  hinzufügte, 
miM  ge&llen  lassen  würde.  Ich  behauptete:  je  anmassender 
die  Antwort  ausfiele,  desto  besser;  nicht  dass  ich  dächte,  «r 
solle  sie  sich  gefallen  lassen;  allein  es  würde  dies  gewis- 
sermassen  ein  Eingestandniss  der  geheimen  AnsohUtge  dieses 
Hofes  sein,  so  dass  es,  mit  dea  Anzeigen  die  er  über  dessen 
Pläne  erhalten,  in  Verbindung  gebracht,  nicht  verfehlen -kÖBne, 
4ie  übrigen  Mäckto^Eiiropasr  ontgleich  von  seiner  eigenen  fried- 
lichen. Gesibming  und.  von  den  böswilligen  und  ehrgeiztgen 
Absiohlett  des  Wiener  Hofes  zu  überzeugen.  (Jeberdies,  wenn 
von  seiner  Seite  Aufklärungen  gewünscht,  von  d^  Kaiserin 
aber  verweigert  wurden,  so  sähie  ich  nicht  ein,  mit  welchem 
Angesicibt  die  Letztere  Hiäfe  l>egehren  könne,  sei'  es  von 
Frankreich  oder  von  fiussland;  auch  würde  dieser  Umstand 
detti  Englischen  Gesandten  am  Petersburger  Hofe  gewiss  ein 


sieber^ökrigen  Krieges.  147 

iiöchst  wirksames  Mittel  an  die  Hand  geben,  iiin  die  Bussen 
in  Unthätigkeit  zu  erbalten  oder  vielleicht  selbst,  durch  de- 
ren Ansehn  und  Einfluss,  den  Frieden  Europas  zu  bewab* 
ren.  —  Der  König  hörte  Alles  ruhig  an;  dann  aber  versetzte 
er  mit  Wärme :  ,,Nein,  das  kann  nichts  helfen.  Das  kann  die 
Sache  vielleicht  verschlimmern!  Sie  kennen  diese  Leute  nicht; 
es  wird  sie  nur  stolzer  machen,  und  ich  werde  diesen  Leu- 
ten da  nicht  nachgeben."  —  Nach  dieser  sekr  langen  Unter- 
haltung begab  sich  der  König  zur  Mittagstafel,  und  ich  glaubte 
dass  alles  vorüber  sei.  Allein  noch  während  der  Tischzeit 
liess  er  mich  einladen,  in  Potsdam  zu  bleiben  und  am  Abend 
der  Burletta  beizuwohnen,  was  ich  auch  that.  Als  wir  nach 
dem  Schauspiel  durch  den  Garten  zum  Chinesischen  Pa- 
last hingingen,  rief  mich  der  König  zu  sich  heran  und  sagte: 
„Ich  habe  über  das  nachgedacht,  worauf  Sie  diesen  Morgen 
so  angelegentlich  drangen,  und  werde  meinem  Gesandten  zu 
Wien  Anweisung  gdben,  eine  Audienz  bei  der  Kaiserin  selbst, 
ohne  Oazwischenkunft  ihrer  Minister,  zu  begehren.  Vielleicht 
kann  ich  durch  Ueberraschung  eine  Antwort  erlangen;  haben 
sie  indess  Zeit  dieselbe  vorzubereiten,  so  kommt  es  wie  ich 
Ibno^D  gesagt  habe.''  Ich  billigte  diesen  Entschluss  vollkom- 
men; doch  er  setzte  hinzu:  „Wir  werden  sehen I  Aber  ich 
erkläre  ilmen  im  Voraus,  dass  ich  von  dem  allen  nichts 
erwarte,  und  bei  Gott!  ich  werde  diesen  Leuten  da  nicht 
weichen." 

Demzufolge  ging  an  den  Preussischea  Gesandten  zu  Wien, 
Herrn  von  Kling^äf,  nächsten  Tages  der  Befehl  ab  eine  Au- 
dienz zu  fordern,  worin  er  angewiesen  wurde  zu  eröffnen, 
dass  der  König,  beunruhigt  über  die  vor  sich  gehenden  Rü- 
stungen, ihn  beauftragt  habe,  eine  Erklärung  zu  verlangen, 
entweder  schriftlich  oder  mündlich  und  in  Gegenwart  des 
Englischen  und  des  Französischen  Gesandten,  der  Art,  dass 
sie  die  Kaiserin  nicht  damit  umgehe  ihn  in  diesem  oder  dem 
nächsten  Jahre  anzugreifen ;  auch  sei  er  bereit  seinerseits  der 
Kaiserin  eine  gleiche  Erklärung  zu  geben. 

Der  König  harrte  mit  grosser  Ungeduld  der  Rückkunft 
des  Gouriers,  und  sobald  derselbe  eingetroffen,  liess  er  mich 

10* 


148  lieber  dm  Ausbruch  des 

nach  Potsdam  bescheiden  und  theilte  mir  die  erhaltene  Ant- 
wort mit,  die  ihn  keineswegs  befriedigte;  er  fragte  mich  um 
meine  Meinung.  Ich  sagte:  ich  wünschte  sie  wäre  deutli- 
cher, doch  freue  mich  die  Wahrnehmung,  dass  nichts  Belei- 
digendes darin  enthalten  sei.  Hierauf  händigte  er  mir  den 
Auszug  eines  Briefes  ein,  der  zwar  mit  einem  Datum,  doch 
nicht  mjt  der  Angabe  des  Abgangsortes  versehen  war,  und 
forderte  mich  auf  ihn  sorgfältig  durchzulesen.  Es  enthielt  der- 
selbe die  Meldung  von  einem  Gespräche,  das  ein  vertrauter 
Freund  des  Oesterreichischen  Ministers  Grafen  Kaunitz  mit 
diesem  in  Betreff  der  Antwort  gepflogen  habe,  welche  von 
der  Kaiserin  auf  des  Königs  Anfrage  zu  ertheiten  sei.  Wäh- 
rend ich  las,  kotinte  ich  mich  des  Lächelns  nicht  erwehren. 
Dies  gewahrend,  fragte  der  König,  weshalb  ich  lache.  Ich 
suchte  eine  ausweichende  Antwort  zu  geben;  -doch  da  er  in 
midi  drang,  war  ich  zu  dem  Gestandniss  genöthigt,  dass  ich 
deshalb  gelächelt,  weil  mir  diese  Nachricht  zu  gut  und  zu 
umständlich  dünke;  ich  sei  mit  dem  Grafen  Kaunitz  wohl 
bekaiint,  und  hielte  ihn  für  zu  klug  um  irgend  einem  Freunde, 
wer  es  auch  sei,  ein  solches  Geheimniss  anzuvertrauen.  Nach- 
dem ich  mich  über  des  Grafen  Charakter  ausgelassen,. den 
ich  mit  Aufrichtigkeit  schilderte,  geruhte  Se.  Maj.  zu  sagen: 
„Ich  bekenne >  Ihre  Bemerkung  ist  richtig;  dennoch  kommt 
diese  Nachricht  von  guter  Hand,  und  man  darf  darauf  bauen; 
auch  will  ich,  wenn  Sie  noch  irgend  einen  Zweifel  hegen, 
Ihnen  die  Person  nennen;  vielleicht  dürfte  sie  Ihnen  bekannt 
sein;  jedenüalls  bürgt  ihr  Name  allein  dafür,  dass  die  Nach- 
richt zuverlässig  ist.'^  Ich  entschuldigte  mich,  indem  ich  ihm 
versicherte,  dass  ich  es  glaubte;  vermied  es  aber  den  Namen 
der  Person  .von  ihqa  zu  vernehmen,  da  ich  voraussetzte,  es 
möchte  für  Se.  Maj.  beleidigend  sein,  an  dem  zu  zweifeln, 
wovon  er  selbst  so  fest  überzeugt  war.  Damals  hatte  ich 
keine  Ahnung,  dass  dieser  Brief  vom  Grafen  Flemming,  dem 
Sächsischen  Gesandten  zu  Wien  herrühre. 

Der  König  theilte  mir  mit,  er  werde  seinen  Gesandten 
beauftragen  eine  zweite  Anfrage  zu  stellen,  da  die  erste  Ant- 
wort nicht  befriedigend  sei,  und  zwar  ohne  auf  die  Form-» 


siehet^ährigm  Krieges.  149 

lichkeit  der  Anwesenbeit  irgend  eines  fremden  Gesandten  zu 
bestehen;  nur  müsse  die  Erklärung  für  dieses  und  das  nächste 
Jahr  lauten,  wie  oben.  Da  indessen  alle  diese  Anfragen  und 
Antworten  bekannt  gemacht  worden  sind,  so  brauche  ich 
über  sie  hier  nicht  ausführlicher  zu  sein. 

Um  diese  Zeit  erklarte  mir  der  König:  er  sehe,  die  Kai- 
serin wolle  durchaus  Krieg  haben,  und  so  sei  kein  Ausweg 
übrig;  in  Betracht  jedoch  (es  war  nämlich  um  den  Anfang  Au- 
gust), dass  Hannover  gänzlich  von  Truppen  entblösst  sei,  und 
dass  die  Franzosen,  wenn  er  in  so  früher  Jahreszeit  einen  FeM- 
zug  antrete  (und  er  ))ehauptete  ja  marschfertig  zu  sein)  sich 
versucht  fühlen  möchten,  die  Grenzen  Deutschlands  zu  über- 
schreiten und  ihre  Winterquartiere  daselbst  zu  nehmen,  —  in 
Betracht  dessen  wolle  er  seinen  Feldzug  noch  um  einige  Wo- 
chen verschieben,  um  jene  zu  tauschen  (indem  er  seinen  Ge- 
sandten in  Paris  zur  M ittbeilung  der  Schritte  befugte,  die  er 
in  Wien  gethan).  Er  ersuchte  mich,  meinen  Hof  von  dem 
allen  zu  unterrichten  und  zugleich  darauf  zu  dringen,  dass  man 
Truppen  werbe  und  die  Hannoveraner  herübersende. 

Da  die  Antwort  Oesterreichs  auf  die  zweite  Anfrage 
ebenso  unbefriedigend  ausfiel  wie  die  erste,  und  da  sie  zehn 
Tage  später  eintraf  als  der  König  erwartet  hatte  (aus  dem 
Grunde  weil  Herr  von  Klinggräf  Bedenken  trug  sich  zu  ei- 
ner schriftlichen  Ausfertigung  der  Anfrage  zu  verstehen):  so 
beschloss  Se.  Maj.,  sich  augenblicklich  in  Marsch  zu  setzen. 
Er  berief  mich  am  Donnerstag  den  26.  August  und  theilte 
mir  noch  am  Abend  jene  Antwort  mit,  ersuchte  mich  aber 
am  nächsten  Morgen  zu  ihm  zu  kommen.  Da  nun  Hess  er 
sich  zu  mir  ausführlich  über  seinen  Entschluss  eines  unver- 
weilten  Aufbruches  aus  und  erklärte,  dass  er  durch  Sachsen 
gehen  müsse;  doch  habe  er  diesen  Morgen  an  seinen  Ge- 
sandten zu  Wien  eine  dritte  Anweisung  erlassen,  um  noch 
einmal  auf  eine  deutliche  Erklärung  zu  dringen.  Könne  er 
eine  solche  erlangen,  so  werde  er  mit  Vergnügen  umkehren; 
inzwischen  aber  sei  er  entschlossen  zu  marschiren,  da  die 
Jahreszeit  weit  vorgerückt  sei.  Er  forderte  mich  auf,  meinen 
Hof  hiervon  in  Kenntniss  zu  setzen,  sowie  auch  von  dem 


n 


150  Englischer  Text. 

Umstände,  dass  er  seinem  Gesandten  Vollmacht  gegeben  Wien 
zu  verlassen,  wofern  er  keine  Auskunft  erlangen  könne. 

Demgemäss  zog  der  König  folgenden  Tages,  Sonnabend 
den  28.  August,  an  der  Spitze  seiner  Garden  aus  Potsdam  ab; 
eine  andere  Colonne  wurde  durch  den  Prinzen  von  Preus- 
sen  geführt. 

Am  Freitage  darauf  stellte  er  mir  ein  gedrucktes  Exem- 
plar de's  Manifestes  zu,  welches  sogleich  bei  seinem  Ein- 
tritt in  Sachsen  veröffentlicht  werden  sollte,  und  worin  er 
de^  Vorhabens  gedachte,  dieses  Land  als  Unterpfand  in  Be- 
sitz zu  nehmen.  Bei  keiner  Gelegenheit  hatte  er  mir  das 
Geringste  über  seine  Absicht  durch  Sachsen  zu  gehen  gesagt, 
viel  weniger  von  dem  Vorsatze  es  'in  der  Weise  anzugreifen, 
wie  er  es  nunmehr  that. 

Mr.  Keith  hat  nachmals  zu  mir  geäussert,  er  glaube,  er 
sei  die  Ursache,  dass  der  König  von  Preussen  die  dritte  Bot- 
schaft an  die  Kaiserin  abgesandt  habe. 


In  January  1756,  the  treaty  between  the  King  and  the 
King  of  Prussia  was  signed.  How,  and  when  the  negocia- 
tion  was  begun,  I  am  not  thoroughly  informed,  nor  what 
were  the  motives  to  this  treaty. 

On  the  part  of  the  King  the  advantage  was  evident,  as 
Hanover  was  thereby  secured,  though  not  mentioned  in  the 
treaty. 

On  Ihe  part  of  the  King  of  Prussia,  the  chief  advantage 
seems  to  be,  that  by  this  treaty,  bis  dominions  in  Prussia 
were  secured  from  any  invasion  by  the  Russians,  as  they 
had  a  little  before  entered  into  a  treaty  with  England. 

What  passed  before,  and  immediately  after  the  signing 
of  this  treaty  between  the  two  courts,  I  am  ignorant  of.  Bat 
the  King  of  Prussia  has  told  me,  that  he  had  the  strongest 
assurances  that  Russia  would  not  act. 

No  sooner  was  the  treaty  made  public,  than  the  Au- 
strians  began  with  all  their  influcnce  at  the  court  of  Russia 
to  endeavour  to  hinder  the  negociation  of  the  treaty  at  that 


Engüscher  Text  151 

court»  whicb«  I  believe,  by  that  means  was  not  ratiötfd  tili 

some  time  in  the  inoDth  of They  repreaented  to  that 

oourt  the  indignity  the  court  of  England  had  done  to  the 
court  of  Ruasia,  by  entering  into  a  treaty  with  Prusaia  with*; 
out  the  priyity  of  the  Empress  of  Rusaia»  and  they  theo 
began  to  tfarow  off  the  mask,  and  forgetttng  all  the  obligar- 
tions  they  had  to  the  King,  and  to  the  English  nation ,  they 
made  wide  strides  to  throw  themselves  into  the  arma  of  France. 

About  the  time  of  the  signiog  of  the  treaty  between 
England  and  Pnissia,.  the  Duke  de  Mivemois  was  sent  to 
B^in.  His  negociation  did  not  succeed.  He  was  well  recetved 
by  the  King.  But  the  buainesa  he  came  upon,  which  was 
to  engage  the  King  to  renew  his  treaty  with  France,  and  to 
attack  Hahover,  not  being  agreeable  to  his  Prussian  Majesty» 
the  Duke  de  Nivemois,  after  a  stay  of  . . .  months  at  Berlin 
and  Potsdam,  retumed  to  Paris,  highly  out  of  bumour,  as  I 
bave  heard. 

His  Prussian  Majesty  told  me,  in  a  conversation  I  had 
wüh  htm  soon  after  I  came  to  Berlin,  that  he  did  not  roueh 
like  the  manners  of  that  Duke;  he  was  not  frank  and  open, 
but  acted  indirectly;  and  as  for  the  propositions  he  was  char- 
ged  with,  he  could  not  heaAen  to  them,  the  King  of  Eng-* 
laad  haring  done  nothing  that  could  justify  his  attacking  of 
Hanover.  1  bave  reason  to  think  from  other  conversations 
that  the  proposition  of  attacking  Hanover  had  been  made  to 
the  King  ofPrussiabefore  the  arrival  of  the  Duke  ofNiver- 
Bois,  and  that  in  a  very  indecent  manner,  by  Monsr.  de  RouiU6» 
wha  told  the  King  of  Prussia  in  a  letter,  that  there  was 
good  plunder  at  Hanover;  to  which  the  King  replied  that 
*  such  a  proposition  woiüd  have  beeh  very  proper  for  Man** 
darin  (Mazarin?),  and  that  he  considered  it  fi^s  the  highest 
indignity  that  could  be  offered  him. 

I  bave  heard  the  King  of  Prussia  blamed  for  provoking 
the  Frencb,  by  signing  the  treaty  with  England,  about  a  month 
or  six  weeks  before  that  with  France  expired.  But  I  do  not 
yet  know  the  truth  of  the  fact,  nor  what  was  the  nature  of 
his  engagement  with  France. 


1S2  Englischer  Text. 

About  the  end  of  January  1756 ,  1  was  acquainted  tkat 
the  King  thougfat  of  sending  me  lo  Berlin  as  bis  Minister, 
witb  tbe  pay  of  Envoy  Extraordinary.  I  kissed  tbe  King's 
hands  the  12th  of  March  1756.  I  left  England  the  18di  of  April, 
and  arrired  at  Berlin  the  8th  of  May,  having  passed  through 
Hanotrer  and  Brunswick. 

I  immediately  notified  my  arriyal  to  Gount  Podewils,  and 
had  my  first  audience  at  Potsdam  on  the  llth.  —  When  1 
delivered  bis  Majesty's  letter  to  the  King  of  Prussia,  I  acr 
companied  it  witb  a  short  compliment^  to  whieb  bis  Majesty 
answered  by  a  letter.  I  then  proceeded  to  open  to  bis  Ma- 
jesty tbe  yiews  the  King  my  master  had  in  bonouring  me 
witb  tbis  commission,  whiob  he  heard  witb  great  attention, 
and  immediately  replied,  that  he  would  strictly  fulfill  the 
treaty  he  had  lately  entered  into  witb  the  King  of  Great 
Brittain.  He  was  of  opinion  that  nothing  would  happen  in 
Germany  this  year,  but  would  not  take  upon  bim  to  say 
what  might  happen  tbe  next  He  then  said  that  what  designs 
the  court  of  Yienna  and  the  court  of  France  might  have  had 
of  exciting  troubles  in  Germany,  upon  pretence  of  religion, 
and  of  supporting  the  rights  of  the  hereditary  Prince  of  Hesse, 
were,  for  the  present  at  least,  postponed;  as  the  Prince  of 
Hesse  was  now  at  Berlin,  and  very  desirous  to  enter  into 
bis  Service.  —  1  had  afterwards  the  bonour  of  dining  witb 
his  Majesty^  and  aller  dinner  he  desired  me  to  stay  at  Pots- 
dam that  night,  and  dine  witb  bim  next  day.  Before  dinner 
I  had  a  great  deal  of  conversation  witb  his  Majesty  in  pri- 
vate, in  which  he  expressed  tbe  highest  regard  for  the  King, 
and  confirmed  to  me  what  he  had  said  in  the  audience  of 
the  day  before.  He  said  he  was  well  informed  that  a  Con- 
vention was  framing,  between  tbe  courts  of  Yienna  and  France; 
that  tbe  court  of  Yienna  was  greatly  embarrassed  in  what 
manner  to  answer  tbe  instances  which  Mr.  Keith  had  lately 
been  directed  to  make;  but  their  intention  was  to  shift  giving 
any  answer  tili  the  Convention  was  actually  signed,  and  to 
justify  tbis  conduct  by  the  manner  in  which  our  court  had  con- 
ducted  itself  in  the  negociation  of  tbe  late  treaty  with  Prussia. 


EngUscher  Text  153 

'  In  general  the  reception  I  met  with  from  bis  Pnissiaa 
Majesty  very  far  exceeded  my  wärmest  expectations  and  bis 
manner  of  acting  I  found  very  different  from  wbaf  it  bad 
been  represented  to  me.  He  received  me  wiib  candor,  open- 
ness,  and  affability,  and  very  soon  (to  remove  all  suspicion 
witb  regard  to  France)  gaye  an  account  of  tbe  D.  de  Niver- 
nois'  negociation.  Upon  tbe  business  I  was  cbarged  witb  be 
spoke  with  great  precision,  and  gaye,  not  only  bis  opinion, 
b\it  bis  advice  freeiy.  I  could  make  no  retum  to  so  mucb 
goodness  on  tbe  part  of  tbe  King  of  Prussia,  but  by  acting 
in  tbe  most  candid  and  fair  manner  possible,  doing  bim  ju- 
stice in  the  relations  I  sent  to  my  court;  wbicfa  bad  tbe  de* 
sired  effect  For  bis  confidence  increased  daily,  and  as  I  was 
often  sent  for  to  Potsdam,  and  bad  many  long  and  private 
audiences  in  whicb  tbe  King  of  Prussia  not  only  heard  witb 
greät  attention  wbat  I  bad  to  offer,  but  even  on  many  oc- 
casions  desired  me  to  speak  my  opinion  as  a  private  man, 
not  as  a  minister,  urging,  that  he  bad  talked  to  me  as  a 
friend,  not  as  King,  these  indulgences  on  tbe  part  of  bis 
Majesty^  emboldened  me  to  speak  with  the  greatest  freedom, 
and  wtthout  reserve. 

Tbe  frequent  joumeys  I  made  to  Potsdam  during  the 
summer,  and  tbe  distinguished  marks  of  favor  whicb  the  King, 
and  of  consequence,  all  tbe  Royal  Family,  and  the  courtiers, 
shewed^me,  gave  great  jealousy  to  all  tbe  other  foreign  mi- 
Ulsters  residing  at  Berlin^  particularly  to  Monsr.  de  Yalori, 
the  French  Minister.  He  even  complained  of  that  partiaiity 
io  Gount  Podewils  and  Gount  Finkenstein,  adding,  that  I  in- 
stigated  the  King  of  Prussia  to  break  with  France,  and  to 
lake  up  arms.  Gount  Podewils  told  me,  that  on  tbis  occasion 
he  did  me  justice,  by  assuring  Monsr.  de  Yalori,  that  so  far 
from  instigating  tbe  King  to  begin  the  war,  to  bis  certain 
knowledge,  I  bad  done  every  tbing  to  prevent  it,  that  natu- 
rally  I  must  wish  well  to  the  alliance  witb  England,  but  that 
my  views  and  my  language  were  pacific. 

In  tbe  month  of  June  the  King  of  Prussia  bad  notice, 

that  the  defensive  treaty  between  France  and  Vienna  was 


■-"^ 


164  Englischer  Text 

actually  signed;  that  besides  the  articies  in  the  treaty,  there 
were  separate  articies  wbich  could  oaly  be  guessed.  They 
were  conjectured  to  be  conceming  a  cession  to  be  made  by 
the  Imperial  court  of  some  towns,  or  of  certatn  districts  in 
the  low-countries.  ^. 

This  treaty  did  not  in  the  least  alarm  the  King  of  Prus- 
sia.  He  thought  if  it  went  no  farther  thab  the  assistance  sti** 
pulated  reciprocally  in  the  treaty,  of  twenty  four  thousand 
men,  that  it  was  of  very  little  consequence;  and  he  did  not 
seem  to  think,  that  this  union  between  France  and  Austria 
eould  be  cordial  or  lasting.  For,  at  this  time,  though  he  was 
out  of  humour  with  France,  he  did  not  believe  that  France 
had  any  intention  to  break  with  hin),  and  that  what  they  did 
at  this  time,  in  seeming  to  unite  wiüi  the  House  of  Austria, 
proceeded  more  from  peevishness  and  spite,  than  from  any 
ßxed  principle  of  politics,  or  from  any  intention  to  alter  the 
System.  He  knew  hkewise  that  he  was- obnoxious  to  Madame 
de  Pompadour  (on  account  of  certain  reports)  and  to  her 
creatures  who  had  taken  this  opportunity  of  the  unsucoessful 
mission  of  the  D.  de  Nivernois,  to  indispose  his  most  cbri«* 
stian  Majesty  towards  him.  But  he  did  not  imagine  that  their 
malice  could  have  so  far  preyailed  in  the  cabinet,  as  to  alie- 
nate  entirely  that  power  with  whom  he  had  been  so  long 
united,  and  to  whom  he  had  been  so  useful. 

The  Prussian  Ministers,  though  they  seemed  moce  con* 
cemed  at  the  step  France  had  taken,  yet  they  were  firmly 
persuaded  that  France  would  go  no  farther  in  support  of  tfae 
House  of  Austria,  than  to  furnish  their  contingent  in  men  or 
money,  in  case  there  should  be  a  war  in  Germany;  and  they 
were  confirmed  in  this  by  the  assurances  of  the  Marquis  4e 
Yalori,  who,  after  the  D.  de  Nivernois  left  Berlin^  was  sent 
at  the  King  of  Prussia's  desire,  as  ordinary  minister,  in  the 
place  of  Monsr.  de  la  Touche,  who  was  disagreeabie  to  the 
King  of  Prussia. 

As  in  the  month  of  May,  part  of  the  Hanover  troops, 
and  eight  thousand  Hessians  had  been  calied  over  into*  Eng- 
land, the  Ministers  of  Hanover^  the  most  timid  and  credulous 


Englischer  Text  155 

of  mankindy  were  immediately  alarmed  that  France  would 
certainly  march  and  overrun  their  country,  before  any  forco 
couid  be  got  together  to  defend  it.  The  news  of  the  treaty 
between  Austria  and  France  heightened  their  fears  to  such 
a  degree,  that  they  thought  the  danger  imminent  and  una- 
Yoidable.  Upon  their  Suggestion,  I  had  directions  to  ask  Bis 
Prussian  Majesty  what  assistance  he  could  give,  in  case  Han- 
over  was  attacked  this  summer,  during  the  absence  of  the 
troops.  His  Prussian  Majesty's  answer  was  uniform;  —  that 
he  would  answer  with  his  head,  that  no  attempt  would  be 
made  this  year;  but  he  wished  that  proper  measures  were 
concerted  for  the  next,  for  then  he  would  answer  for  nothing; 
and  he  gave  me  a  list  of  such  troops  as  he  thought  might 
be  hired  in  Germany. 

The  authority  of  the  King  of  Prussia  was  not  sufficient 
to  quell  the  fears  of  the  Hanoverians;  as  they  imagined  that 
France  and  Austria  thought  of  thein  solely.  I  was  therefore 
directed  to  make  new  representations  to  the  King  of  Prussia, 
and  to  insi'st  for  an  answer  as  if  the  case  existed.  His  Pnis- 
sifioi  Majesty,  after  repeating  to  me  what  he  had  before  said, 
assur^  me  that  if  the  case  existed,  he  would  furnish  ten 
thousand  men,  and  notwidistanding  the  movements  of  his 
troops,  that  he  would  take  care  that  that  number  should  he 
forthcoming  and  actually  in  the  territory  of  Hanover,  before 
the  French  could  arrive  there.  I  was  then  teased  with  letters 
from  the  Hanover  Ministers  to  procure  a  greater  number» 
and  an  exact  specification  of  the  regiments  that  were  to  be 
gent.  This  I  mentioned  to  the  KiAg  of  Prussia,  but  as  I  found 
it  was  disagreeable  to  him  to  be  constantly  teased,  I  was 
contented  with  his  renewing  Bis  former  promise,  to  which 
he  added ,  „  let  these  gentlemen  know,  that  if  the  ten  thou« 
sand  men  are  sent  to  their  assistance  »•  I  can  spare  them  no 
longer  than  to  the  end  of  next  February,  as  I  shall  have  use 
for  them  elsewhere,  and  it  is  with  this  express  condition 
that  I  promise  them."  Wheh  I  urged  for  a  greater  number 
he  said  thaf  was^  impossible,  unless  I  could  give  absolute  as- 
surances  that  Russia  would  be  quiet,  but  adyised  that  no  time 


15C  Englischer  Text 

shouki  be  lost  in  engaging  the  troops  for  the  next  year,  as  he 
saw  the  storm  began  to  thicken;  that  he  had  already  taken 
his  measures,  and  was  prepared  for  whatever  might  happen. 

The  King  said  he  knew  the  Empress  Queen  could  bring 
one  hundred  thousand  men  into  the  field;  that  France  could 
not  bring  above  fifly  thousand,  of  which  he  reckoned  the 
German  regiments  in  their  service  at  twenty  thousand,  the 
rest  Palatines  and  Wirtemberg  troops,  with  a  few  French 
Regiments  added  to  make  up  the  number;  that  on  the  other 
side,  the  King  of  Great  Brittain,  though  he  had  sent  eigfat 
thousand  of  his  troops  to  England,  could,  by  an  aügmenta- 
tion  of  his  troops,  and  by  taking  the  Duke  of  Brunswicks 
into  his  pay,  have  an  army  of  five  and  twenty  or  thirty  thou- 
sand men;  that  he,  the  King  of  Prussia,  could  bring  an  army 
of  one  hundred  thousand,  but  still  thefe  would  be  wanted 
thirty  thousand  Russians;  that,  in  order  to  facilitat^  the  Co- 
ming of  the  Russians,  he  proposed  that  they  should  embark 
on  board  their  gallies  in  the  ports  of  Livonia  and  Gourlaiid 
nearest  to  their  quarters,  and  sail  along  the  coasts  of  Prus- 
sia and  Pomerania;  that  he  would  give  them  quarters  in  the 
ports  of  Pomerania,  if  they  had  occasion  to  land,  and  they 
might  be  put  on  shore  at  Rostock  (or  Radstaoq),  which  vo-' 
yage,  he  reckoned,  was  in  all  about  four  weeks,  and  would 
be  a  great  saving  of  time,  as  well  as  of  fatigue  to  the  troops, 
in  case  there  was  occasion  for  them  to  enter  upon  imme- 
diate  service. 

Towards  the  end  of  July  the  Marquis  de  Valori,  the 
French  minister  delivered  a  letter  to  Gount  PodewiJs,  by 
order  of  his  court,  and  soon  after  had  an  audience  of  the 
King,  which  lasted  but  a  fe^V"  minutes.  Gount  Podewils  said, 
in  my  hearing,  to  the  King  of  Prussia,  that  the  Marquis  de 
Valori  had  said,  he  would  pawn  his  head  that  the  Empress 
Queen  had  no  intention  to  attack  him;  to  which  Podewils 
replied,  „will  your  Gourt  guarantee  that/^  Here  the  King  of 
Prussia  interrupted  him,  and  said  „you  are  wrong.  France 
will  promise  to  give  no  assistance  to  the  Empress  Queen 
against  me,  provided  I  will,  on  my  part,  promise  to  give  no 


Englischm'  Text  157 

assistance  to  the  King  of  England.  Bat  I  am  resoWed  to  do 
no  such  thing;  I  will  fulfill  my  engagements  with  England/' 
He  then  told  Gount  Podewils  what  answer  to  give  to  the 
Marquis  de  Yalori's  letteir.  When  I  went  into  the  closet^ 
after  the  Marquis  de  Yalori's  audience^  the  King  said,  with 
an  air  of  good  humour:  „Je  ne  veur  pas  que  ces  Messieurs 
me  parlent  comme  on  parle  aux  Hollandois>  et  qu'ils  me  di* 
sent  quel  traitö  je  dois  remplir  ou  non.^' 

During  the  course  of  this  summer,  the  King  of  Prussia 
faad  intelligence  of  the  intrigues  of  the  Court  of  Vienna,  in 
cmijunction  with  France  and  Russia  to  attack  him  at  onee 
on  all  sides;  and  into  this  conspiracy  they  had  drawn,  or 
were  endeavouring  to  draw,  the  court  of  Saxony,  from  whence 
he  had  intelligence,  not  only  of  every  thing  that  had  passed  at 
Dresden,  but  also  of  what  was  doing  at  Vienna  and  Petersburg, 

The  motions  of  the  Imperial  troops  in  Bohemia,  upon 
the  frontier  of  Silesia,  the  march  of  several  regiments  from 
Hungary,  and  the  augmentations  made  in  those  troops,  ser- 
ved  to  heilten  and  confirm  the  suspicions  His  Prussian  Ha- 
jesty  had  of  the  Court  of  Vienna.  He,  therefore,  resolved  to 
be  beforeband  with  them,  and  (looking  upon  their  intentions 
as  no  longer  doubtful)  adopted  this  maxim,  that  it  was  bet- 
ter to  prevent  than  to  be  prevented. 

As,  after  the  reyiews  of  the  Prussian'  Troops,  in  the 
months  of  May  and  June,  his  Prussian  Majesty's  suspicions 
were  greatly  heigfatened  by  the  letters  he  received  fr<»n  Si- 
tesia,  he,  upon  pretence  of  changing  the  garrisons,  made  his 
troops  march  into  different  quarters,  marked  out  several  en- 
campments  which  he  never  intended  to  occupy,  but  drew  his 
forces  togetiber  in  such  a  manner,  that  he  could  march  where 
he  pleased,  upon  a  very  short  notice,  to  oppose  any  force 
that  might  be  brought  against  him. 

These  motions  in  the  Prussian  army,  and  the  recall  of  the 
general  officers  who  were  at  Carlsbad  in  fiohemia,  gave  great 
umbrage  and  alarm  to  the  Empress  Queen,  who,  upwi  that, 
poured  in  as  many  troops  as  could  be  got  together  into  Bo- 
hemia,  as  she  probably  imagined,  that  an  inyasion  was  in- 


7! 

s 


168  Englischer  Testet 

t^ded  of  that  country.  .The  mareh  of  the  Imperial  troops 
into  Bohemia  alarmed  the  King  of  Prussia's  oiBcers  and  mi* 
nisters  in  Silesia,  and  as  is  probable  the  accounts  they  sent, 
to  the  King,  were  exaggerated,  they  served  to  confirm  and 
fortify  the  suspicions  he  had  of  the  Court  of  Vienna,  and,  at 
last,  raised  them  to  such  a  degree,  that  he  no  longer  consi- 
dered  them  as  suspicions,  but  looked  on  them  as  absolute 
certainties.  And  as  he  was  but  too  well  informed  of  Üieir 
negociations  and  secret  views;  that  they  were  moving  heaven 
and  earth  to  engage  France,  Jlussia,  Saxony,  to  fall  upon 
bim  at  once,  whilst  the  Court  of  Vienna,  with  its  whole  force, 
ßhould  invade  Silesia,  he  concluded  there  was  tio  salvation 
but  in  preventive  measures.  He  therefore  resolved  to  attack 
the  Empress  Queen  in  Bohemia,  before  ^he  could  be  suifi* 
ciently  prepared,  hoping  that,  if  he  succeeded.  Uns  formidable 
conspiracy  mi^t  dissipate  in  smoke,  if  the  party  principally 
concerned  could  be  so  far  reduced,  as  not  to  be  in  a  con- 
diüon  to  Support  the  war  next  year,  that  then  the  whole 
bürden  must  faill  upon  the  allies  and  associates,  whiefa  he 
did  not  think  they  were  inclined  to  bear. 

In  this  Situation  of  mind,  fiUed  with  jealousy  and  suspi- 
cion,  I  found  the  King  of  Prussia,  about  the  end  of  July,  at 
Potsdam,  where  he  had  sent  for  me;  and  after  coranmnicft'* 
ting  to  me  the  intelligence  he  had  lately  received  from  Silesia 
and  from  Saxony,  he  was  pleased  to  acquaint  me  with  the 
resolution  he  had  taken«  of  imniediately  marching  to  pre?ent 
his  enemies,  and  to  be  beforehand  with  them,  ais  the  only 
measure  he  tbought  consistent  with  his  saüeity  against  foas 
so  nuroerous  and  so  powerfiil,  whose  force,  if  once  unv- 
ted,  must  be  so  much  superior  to  any  he  cojuld  bring  into 
the  field. 

At  the  same  time  His  Prussian  Majesty  declared  to  me 
(as  he  had  often  done  before)  that  be  wished  for  Qothing  so 
much  as  peace;  that  he  wanted  to  keep  wbat  he  had,  but  had 
no  view  of  making  new  acquisitions.  I  remember^  on  this  oo- 
casion,  amongst  other  pieces  of  intelligence  \diich  His  Prus^ 
sian  Majesty  shewed  me,  there  were  some  very  strong,  and, 


Englischer  Texi.  UW 

as  I  thought,  exaggerated  accounti^  fitHn  Silesia,  of  an  iDten- 
ded  eneampment  upon  a  langue  de  terre  in  Bobemia,  which 
was  enclay^  in  Silesia;  npon  whicli  information,  combined 
witfa  others,  the  King  concloded  that  the  Court  of  Vienna 
certainly  intended  to  attack  him.  I  took  the.  liberty  to  re- 
present,  that  from  such  encampments,  the  intention  of  the 
Austrians  could  not  certainly  be  concluded,  whilst  they  re- 
mained  upon  their  own  territory;  that  perhaps  their  design 
might  be  to  provoke  His  Majesty  to  strike  the  first  biow,  and 
tbereby  to  entitle  them  to  call  for  the  succours  from  France 
and  Russia  stipuiated  in  case  the  Empress  Queen  was  at- 
tacked  in  her  possessions.  He  answered  me  abruptly,  and 
with  some  emotion,  and  looking  me  füll  in  the  face,  „Com<- 
ment,  Monsieur I  Qu'est-ee  que  vous  yoyez  dans  man  yisage? 
Croyez-vous  que  mon  nez  est  fait  pour  recevoir  des  chique- 
naudes?  Par  Dieu,  je  ne  les  soufirirai  pointl'^  —  I  replied 
Ihat  nobody,  I  beb'eved,  would  be  rash  enough  to  afiront  him; 
that  if  they  did^  his  character  was  too  well  known  in  Europe 
(o  leaye  any  doubt  in  what  manner  it  would  be  resented,  and 
Ihat  of  all  the  great  qualities  he  possessed,  I  never  heard 
patience  and  forbearance  reckoned  of  the  number.  He  took 
this  freedom  well,  and  laughed.  It  served  to  allay  his  pas- 
sion  which  was  beginning  to  arise.  But  after  shewing  me 
some  other  pieces  of  intelligence,  he  concluded  with  saying, 
„there  is  no  help  for  it;  that  Lady  (pointing  to  the  Empress 
Queen's  picture)  will  have  war  and  she  shall  have  it  soon« 
1  have  nothing  for  it  but  to  preyent  my  enemies;*my  troops 
are  ready,  and  I  must  endeavour  to  break  ^is  con^)iracy, 
before  it  grows  too  streng/^  I  then  represented  the  danger 
there  was  of  destroying  entirely  the  Etiglish  interest  at  the 
Gourt  of  Russia,  if  by  any,  even  necessary,  act  of  his,  he  could 
be  construed  to  be  the  aggressor,  and  I  insisted  on  the  ho« 
pes  there  were  of  getting  tibat  Gourt  to  be  neutral,  at  least 
in  case  the  Empress  Queen  was  the  aggressor;  that  besides, 
as  the  reasons  for  begkinuig  the  war  were  founded  on  su« 
spicions,  and  on  private  intelligence,  the  ground  ef  which 
was  not  known  to  the  rest  of  Europe,  I  was  humbiy  of  opi- 


liO  Engtiseher  Text. 

nion,  thaf  it  would  be  greatly  for  bis  interest,  and  that  it 
€ouId  not  fall  to  make  an  Impression  every where,  if  he  would 
first  ask  an  ^claircissement  of  the  Empress  Queen,  *to 
know  wbether  she  had  any  intention  to  attack  bim,  as  be 
bad  reason  to  be  alarmed  with  tbe  armaments  and  warlike 
preparations  in  Bohemia  and  elsewbere;  tbat,  if  tbe  answer 
was  not  satisfactory,  all  mankind  would  justify  bis  making 
use  of  tbe  force  be  bad  to  defend  biiuself;  tb^t  tbe  prepara- 
tions be  was  making  migbt  go  on  in  tbe  mean  time>  and 
very  little  time  would  be  lost,  only  tbe  few  days  necessary 
for  a  Courier  to  go  to  and  retum  from  Yienna.  He  did  not 
seem  to  relisb  tbis  proposal,  and  began  to  speak  with  great 
warmtb,  ttiat  be  knew  tbe  insolence  and  fiert^  of  tbe  Court 
of  Yienna;  that  tbe  making  such  a  demand  would  be  only 
making  tbings  worse,  and  exposing  lumself  to  receive  an  ar- 
rogant and  insulting  answer,  wbicb,  be  added,  be  would  not 
bear.  I  urged  that  tbe  more  baugbty  tbe  answer  was,  so 
mucb  tbe  better;  not  that  I  thought  be  sbould  bear,  but  that 
it  would  be  a  sort  of  declaration  of.tbe  seeret  intentions  of 
that  Court,  wbicb,  when  joined  to  tbe  intelligence  be  bad  of 
their  designs,  could  not  fail  at  once  to  convjnce  the  other 
powers  of  Europe  of  bis  pacific  disposition,  and  of  tbe  ma- 
lice  and  ambitious  views  of  tbe  Court  of  Yienna;  that,  b^- 
sides,  if  explanations  were  desired  on  bis  part,  and  reiused 
by  that  Court,  I  did  not  see  with  wbat  face  tbey  could  ask 
succours,  eitber  from  France  or  Russia,  and  it  would  cer- 
tainly  furnish  tbe  King's  Minister  with  a  very  strong  argu- 
ment  at  tbe  Court  of  Petersburg,  to  keep  tbe  Russians  quiet, 
or  perbaps,  by  their  autbority,  to  preserre  tbe  -peace  of  Eu- 
rope. Ue  beard  all  with  patience,  but  replied  witb  warmth; 
„na,  that  will  not  do;  it  may  make  tbings  worse,  vous  ne 
connoissez  pas  ces  gen^;  celä  les  rendra  plus  fiers,  et  je  ne 
c6derai  point  k  ces  gens  lä/'  Tbe  King  then  went  to  dinner 
after  tbis  very  loDg  conversation,  and  I  thought  all  was  over. 
But  in  tbe  time  of  dinner  he  desired  me  to  stay  and  see  the 
Burletta  in  tbe  evening,  wbicb  I  did.  After  tbe  Burletta,  as 
we  were  going  to  the  Palais  Chinois,  in  the  garden,  the  King 


EngUscker  Text  101 

calted  to  me  and  said,  ,,1  haye  reflected  on  what  you  urged 
so  warmly  this  moming,  aod  I  will  ghre  directioiM  to  my 
minister  at  Yienna  to  ask  an  audience  of  the  Eoipress  her« 
seif,  without  tbe  intenrention  of  her  minister;  I  mayperhaps 
get  an  answer  by,  surprise;  bot  if  Uiey  have  time  to  prepare 
it,  it  will  be  as  I  told  you.^^  I  approted  much  of  this  reso* 
lution,  but  he  added,  ^^vons  Terra  (nous  yerrons?),  mais  je 
vous  declare  d'avance  que  je  n'attends  rien  de  tout  eeci  et 
par  Dieu!  je  ne  c^derai  pas  k  ces  gens  \k.^ 

Acoordiagly  Monsr.  de  Klingraaff  had  orders  the  next 
day  to  ask  an  andiencey  in  which  he  was  directed  to  declare, 
tbat  the  King,  alarmed  with  tbe  preparations  that  were  ma- 
hing,  had  directed  him  to  aak  a  declaration^  either  in  writing 
or  veibal,  in  the  presence  of  the  English  and  French  Mini- 
sters, that  she,  the  Empress  Queen,  had  no  Intention  to  at« 
tack  him  either  this  year  or  the  next,  and  he  was  willing  to 
gtve  the  like  declaration  to  the  Empress  Queen. 

His  Prussian  Majesty  waited  with  great  impatience  the 
retum  of  tibe  Courier»  and  so  soon  as  he  had  arrived  he  sent 
for  me,  to  Potsdam,  and  communicated  the  answer  he  had 
received,  with  which  he  was  not  satisfied  and  asked  my  (^i« 
Bion.  I  Said  I  -wished  it  had  been  more  explicit,  but  I  waa 
glad  to  find  there  was  notfaing  offensive  in  it  He  tben  put 
into  my  hands  an  extnict  of  a  letter  dated,  but  the  place  from 
whence  it  came  not  mentioned,  and  desired  me  to  read  it 
carefutty.  This  extract  gaye  an  account  of  a  couTersation  that 
an  intimate  firiend  of  Count  Kaunitz  had  with  him,  concer« 
ning  the  answer  the  Empress  Queen  was  to  give  to  the  King 
of  Prussia's  demand.  As  I  read  it  I  could  not  help  smiling, 
which  the  King  perceiving,  asked  me  why  I  smiled.  I  en« 
deavoured  to  shift  giving  an  answer,  but  he  insisting,  I  was 
obliged  to  own,  that  I  smiled  because  I  thought  the  intelli« 
gence  too  good,  and  too  minute;  that  1  was  acquainted  witfii 
CoiHit  Kaunitz,  and  believed  him  too  wise  to  trust  any  frieud 
whatever  with  such  a  secret.  After  UHking  of  Count  Kiunitz's 
character,  which  I  gave  him  fairly,  his  Majesty  was  pleased 
to  say,  „I  own  your  (^ervation  is  just,  but  this  intelligence 

ZtiUehrift  f.  GMchichtsir.   1.    1844.  ±1 


162  Englischer  Text 

eomes  from  a  good  band,  and  may  be  depended  upon;  and 
if  yoil  itill  ha?e  any  doubt,  1  will  n«n6  tbe  person  ta  yon; 
perhapa  be  may  be  known  to  yon,  bnt  bis  name  alone  will 
aatidy  that  ihd  inteßigence  is  good.^^  I  excused  myself  by  as- 
soripg  bim  täat  I  beliered  it,  but  declined  bearing  tbe  per- 
son's  name,  as  I  tfaougbt  it  might  be  offensive  to  His  Majesty 
to  donbt  of  wfaat  he  so  firmly  believed.  At  this  time  I  had 
no  suspicion  tbat  this  letter  was  firom  €ount  Fleming,  tbe 
Saxon  Minister  at  Yienna. 

His  Prussian  Majesty  told  me  that  he  wouid  direet  his 
minister  to  make  a  second  demand,  as  the  4irst  answer  was 
not  satisiactory,  and  that,  without  insisting  on  any  formaKty 
of  tbe  presence  of  any  foreign  minister,  but  that  the  decla» 
ratioA  must  be  for  this  and  the  ncxt  yesfr^  aa  aböve.  Bat  aH 
these  demands  and  answers  being  made  public,  I  need  not 
bare  >be  moTo  particular  about  them. 

At  this  time  the  King  of  Prussia  declared  to  me,  that 
be'saw  the  Empress  Queen  ^asresoWed  to  have  war^  and 
tliefe  was  iio  help  for  it;  but  tbat  upon  refleetion  (as  thta 
was  about  tfae^beginning  of  August)  that  Manöver  was  quite 
d^garni  of  trobps,  if  he  marched  on  any  expedition  so  early 
in^  thä  teason  (and  he  said  he  was  ready)  the  French  mtgU 
be  lempted  to  come  into  Germany,  and  take  up  their  wlnter- 
quarters  th^e,  he  would  therefore  deiay  for  some  weeks  bis 
expedition,  in  Order  to  deceive  them  (having  ordered  his  Mi^ 
nister  at  Paris  to  communicate  the  steps  be  had  taken  at 
Yienna),  and  he  desired  me  to  acquaint  my  Court  with  this, 
and  at  the  same  time  to  press  them  to  hire.troops,  and  send 
over  tbe  Hanoverians. 

The  answer  to  the  seoond  demand  being  as  lilde  satis- 
fectory  as  the  first,  and  it  coming  ten  days  later  than  he  ex- 
pected  (by  reason  of  a  doubt  Monsr.  de  KJingraaff  had  of 
giving  a  eopy  in  writing),  tbe  Kingimmediately  resolved  to 
march.  He  sent  for  on  Thursday  26th  of  August,  and  com-* 
munkated  the  answer  (bat  night,  but  desired  me  to  came  to 
him  next  moming,  when  he  talked  to  me  fuily  of  his  inten- 
tions  of  marching  forthwith,  declared  that  he  was  to  go  througb 


Englischer  Text  163 

Saiony,  but  that  he  had  that  morning  sent  a  third  order  to 
bis  ininister  at  Yienna,  still  to  insist  for  an  explicit  answer; 
wbicb  if  he  Qpuld  obtain,  he  would  return  with  pleasure,  but 
that,  in  the  mean  time,  he  was  resolved  to  niarch,  as  the 
season  was  far  advanced.  He  desired  me  to  acquaiut  my 
Court  with  this,  and  that  he  had  given  directions  to  bis  Mi- 
nister to  retire  from  Yienna,  if  no  answer  could  be  obtained. 

Accordingly  the  next  day>  saturday  the  28th  August,  he 
marched  from  Potsdam  at  the  head  pf  bis  guards:  another 
column  was  led  by  the  Prince  of  Prussia. 

On  Friday  afternoon,  he  gave  me  a  printed  copy  of  the 
manifesto  to  be  publisbed  as  soon  as  he  entered  Saxony,  in 
wbicb  be  mentions  tbe  taking  that  country  end^pöt  He 
bad  lipon  no  oecasion  said  any  tbing  to  me  of  bis  intention 
of  goiog  tbrough  Saxony,  tar  less  of  invading  it  in  the  man* 
jier  he  did. 

Mr.  Keith  has  since  told  me  that  he  believes  he  wi^  the 
eeqasion  of  tbe  King  of  Prussia  si^ding  the  third  message 
to  the  EQq>res8  Queen. 


11* 


Thttrlnifer  im  liande  Hadelii« 


Es  ist  hiDlänglich  bekannt,  welche  Mühe  den  Forschem  nord- 
deutscher Geschichte  die  Erwähnung  der  Thüringer  an  der 
Nordseeküste  bei  Widuchind.  gemacht  hat  Wer  den  folgen- 
den Erklärungsversuch  billigt,  wird  mir  eine  AufiEählung  der 
früheren  leicht  erlassen,  da  meine  Absicht  dahin  geht,  nicht 
sie  zu  widerlegen,  sondern  wenn  es  möglich  ist,  sie  über- 
flüssig zu  machen.  Ob  ein  solches  Ergebniss  'auf  allgemei- 
neres Interesse  Anspruch  machen  kann,  steht  dahin:  in  der 
sächsischen  Geschichte  hat  es  wenigstens  für  eine  kürzlich 
neubelebte  Gontroverse  Bedeutung,  für  Schaumann's  Erörte- 
rung, die  Saxones  des  Ptolemäus  seien  im  Laufe  d^s  dritten 
Jahrhunderts  über  die  Elbe  in  Norddeutschland  als  Eroberer 
hereingebrochen.  Diese  hat  mich,  wie  ich  gleich  gestehen 
will,  zu  keiner  Zeit  überzeugt  Sie  ist  genöthigt,  sämmtliche 
Zeugnisse,  welche  in  späterer  Zeit  von  freien  Cheruskern  und 
Angrivariern,  Ghauken  und  Haruden  berichten^  schlechthin 
des  Irrthums  zu  zeihen:  ihrerseits  hat  sie,  wenn  man  von 
den  jeder  Deutung  fähigen  Aussagen  des  Saxo  Grammaticus 
absieht,  nur  die  Widuchindsche  Erzählung  zur  Gewähr,  und 
so  scheint  auch  von  sächsischer  Seite  eine  Prüfung  an  der 
Zeit,  ob  jene  älteste  einheimische  Ueberlieferung  in  der  That 
die  sonst  unerweisliche  Hypothese  vertreten  will. 

Widuchind  erzählt  1, 1 :  die  Sachsen  sollen  nach  einigen 
von  den  Dänen  und  Normannen,  nach  andern  von  den  Ma- 
cedoniern  gekommen  sein:  gewiss  ist,  dass  sie  in  Hadeln 
landeten,  hier  mit  Thüringern  zusammentrafen,  und  ihnen 


Thüringer  im  Lande  Hadeln.  165 

durch  doppelten  Betrug  Landbesitz  abgewannen.  Darauf  yon 
einer  britischen  Gesandtschaft  aufgefordert,  unternehmende 
die  Eroberung  Englands,  später,  als  der  fränkische  König 
Theodorich  mit  Irminfried  in  Krieg  geratb,  verbinden  sie 
sich  mit  jenem  und  erhalten  nach  entscheidendem  Antheil 
am  Kampfe  einen  beträchtlichen  Theil  des  thüringischen  Lau* 
des,  wo  die  frühem  Einwohner  von  ihnen  tu  Laten  ge- 
macht werden. 

Grimm  bemerkte  bereits,  dass  diese  Greschichte  nur  von 
einem  Theile  des  Sachsenlandes  reden  will,  also  selbst  bei 
ihrer  Fassung  hat  Schaumann  zur  Stütze  seines  Systems  eine 
Ausdehnung  nöthig.  Das  Entscheidende  aber  für  jeden  An- 
spruch, den  sie  auf  allgemein  sächsische  Bedeutung  machen 
kann,  liegt  offenbar  in  ihrer  Chronologie:  soll  sie  als  Stamm- 
sage aller  Sachsen  über  ihre  Herkunft  gelten,  so  muss  Wi* 
duchind  seinen  Zeitpunkt  für  die  Landung,  als  vor  der  bri- 
tischen Eroberung  liegend,  beglaubigen  können.  Nun  bemer- 
ken wir  sogleich,  dass  seine  Angaben  über  diese  letztere  der 
Sage  selbst  nicht  angehören,  er  citirt  dafür  eine  Historia 
Saxonum  als  Quelle  und  ich  zweifele  nicht,  diese  in  Beda 
(bist,  ecci.l,  15)  wieder  zu  finden.  Die  einzige  bedeutendere 
Abweichung  besteht  darin ,  dass  Beda  die  Gesandtschaft  nur 
erwähnt,  Widuchind  aber  die  von  ihr  gehaltene  Bede  aus- 
fuhrlich mittheilt,  eine  Ausschmückung  des  vorgefundenen 
Stoffes,  die  bei  solchen  Gompilationen  etwas  ganz  gewöhn- 
liches i«t.  Für  die  Zeitrechnung  der  Sage  selbst  steht  also 
aus  diesem ißinschiebsel  Widuchinds  nichts  zu  folgern:  glaubte 
Widuchind  einmal  an  die  Abstammung  aller  Sachsen  von  die- 
sen in  Hadeln  Gelandeten,  so  verstand  es  sich  von  selbst, 
dass  er  den  Zug  nach  England  an  dieser  Stelle  einreihte. 

Nicht  minder  können  wir  aber  auch  nach  meinem  Da- 
fürhalten von  einem  andern  Theile  seines  Berichtes  absehen, 
eben  demjenigen,  auf  welchem  die  Hauptschwierigkeit  der 
ganzen  Erzählung  beruht.  Gleich  nach  der  Landung  treffen 
die  Sachsen  in  Hadeln  mit  den  Thüringern  zusammen,  kau- 
fen diesen  einen  Schooss  voll  Erde  ab,  und  als  die  Thürin- 
ger der  bekannten  List  bei  der  Besitznahme  sich  nicht  lügen 


166  Thüringer  im  Lande  Hadeln. 

woUen,  kommen  sie  scheinbar  unbewafihet  zu  einem  6es|HrtiQh 
und  machen  die  Gegner  mit  den  versteckt  gehalteikeii  Mei-^ 
sem  nieder.  Ausser  Widuchind  wiederholt  diese  Angaben 
das  Loblied  auf  den  H.  Anno  21,  in  etwas  kürzerer  aber  un- 
veränderter Fassung.  Ueber  sein  Yerhaltniss  zu  Widuclund» 
und  in  wie  weit  es  von  demselben  (ur  abhängig  zu  halten 
sei,  kann  ich  nicht  entscheiden,  lege  aber  auch  kein  .Ge- 
wicht darauf.  In  Bezug  auf  das  Ereigniss  selbst  glaube  icbt 
es  liegt  hier  einer  der  häufigen  Fälle  vor,  wo  man  die  Lö- 
sung des  Knotens  nicht  in  den  Sachen,  sondern  bei  den  Et^ 
Zählern  suchen  muss.  Die  beiden  Vorgänge  sind  bekannt  in 
der  deutschen,  und  vor  Allem  sowohl  in  der  sächsischen  als 
in  der  thüringischen  Sagengeschichte,  worüber  die  Zusam- 
menstellung bei  Grimm  (Deutsch«  Sagen  II,  69%  R.  A.  90.  dazu 
noch  Nennius  über  die  Eroberer  Britanniens,  ohne  Frage 
Mascovs  Quelle)  gar  keinen  Zweifel  übrig  lässt.  An  si^h  ist 
also  ihre  Aechtheit  unbedenklich,  aber  ^en  so  gering  au;cii 
die  Sicherheit,  dass  sie  urspriinglicher  und  geschiehtKdier 
Weise  in  diesen  Zusammenhang  gehören.  Hier  und  da  tau- 
chen sie  hervor,  sie  sind  in  Jedermanns  Munde  und  werden 
mit  Leichtigkeit  in  jediB  sächsische  Geschichte  eingeschoben. 
Scheiden  wir  sie  hier  aus,  so  meldet  Widuchind  nichts  an- 
ders mehr,  als  dass  Sachsen,  im  Lande  Haddn  gelandet,  sich 
an  dem  Irminfriedschen  Kriege  betheiligt  hätten. 

Diese  Yermuthungen  würden  mir  für  sich  allein  sdboii 
bündig  genug  erscheinen;  dazu  kommt  dann,  dass  sie  nicht 
nur  nicht  die  besten  Quellen  gewaltsam  verbessern  wollen^ 
sondern  gerade  mit  diesen  Widuchind  erst  in  volleb  Einldang 
setzen.  Die  Ueberlieferung  des  Sachsenspi^ek  III,  44.  weiss 
von  keinem  ZuVischenereigniss  zwischen  der  Landung  und  dar 
letzten  Eroberung  Thüringens,  der  älteste  Gewährsmann  Ru- 
dolf (transl.  Alex.  1.)  sagt  sogar  mit  ausdrücklichster  Bestimmt« 
heit:  Saxonum  gens  ex  Anglis  Britanniae  incoiis  egressa  in 
loco  Hadolaun  appulsa  est  eo  tempore  quo  Thiotricus  ter- 
ram  Irmenfridi  ferro  et  igni  vastavit.  Was  endlich  für  Widb- 
chind  entscheidend  ist,  die  Quedlinburger  Chronik,  welche 
ganz  allein  seine  Aussagen  über  den  Irminfriedschen  Krieg 


Thüringer  im  Lande  Hadeln,  167 

nicht  bloss  wiederholt,  sondern  durch  einige  geographische 
Bestimmungen  erweitert,  welche  also  höchst  wahrscheinlich 
nicht  ihn,  sondern  seine  Quellen  vor  sich  hatte,  stimmt  in 
der  angegebenen  Hinsicht  nicht  zu  ihm,  sondern  genau  zu 
Rudolf  und  lässt  die  Sachsen  erst  im  sechsten  Jahrhundert 
in  Hadeln  landen. 

.  Hiernach  ist  es  klar,  diese  Erzählung  in  ihrer  reinen  Ge- 
stalt hat  die  Absicht  nicht,  sich  lur  die  Stammsage  aller  Ost- 
und  Westphalen  auszugeben.  Sie  berichtet  nur  über  eine 
einzelne  Schaar  von  Ueberelbischen,  welehe  den  Angriff  Theo- 
doridis  ben«ktztet)i  um. einen  Jheil  des  thüringischen  tap^es 
sieb  zuzaeigneuv  D$i»$.  datnfils  noch  alle  (leberlitferung  der 
Saohsea  mfäßk  eng  mit  Stgi6>  ja  mit  Mythus  v^r^ob,  zeigt  die 
Erwühniing  Irings  als  Gottes  der  Milchstrasse :  al$(0  selbst  in 
dieser  engem  AiiOotssung  ka^n  sie  nicht  schwer  in  das  Ge^ 
wicht  einer  streng  geisebiehtlichen  Betrachtung  fallen,  ym  so 
weniger  als  Gregor  von  Tourii  uns  nut  stark  abweichenden 
Tbatsftphea.ifi  durchaus  glaubwürdigem  Berichte  versieht.  Je 
Bäher  aber,  ihr  Geholt  dem. mythischen  Gebiete  steht,  desto 
leiobler  begreift  sich  ihre  spätere  Verbreitung  und  der  gute 
Ghöibe»  in  weteb^m  d«(s  neunte. und  zehnte  Jahrhundert  sie 
als  eine  allen  Sachsen  angehörige  Geschichte  aufnahmen. 

Damit  verit^windet  nun  jeder  Grund,  auf  Widuchiod  sich 
berofend,  aller  sonstigen  Geographie  der  Thüiinger  in  den 
Weg  zu  treten«  oder  die  .Entstehung  des  Sachsenbund^«  auf 
«ndere  Momente  zurückzuführen  als  die  Ursprünge  der  (rän- 
kisdoien  oder  alamfinnischen  Natioa.  Die  Cliera^r  und  ihre 
Mackbarn»  deren  frühere  Einbeit  damals  schon  die  beltigsten 
ErschüliterungeQ  erfahren  hatte,  bedurfte^!  nur  eines  geringen 
Anstosses»  um  sich  unter  neuen.  Formen  auf  die  W.o^n  und 
die  Kiisten  d^  Mordsee  zu  werfen.  Vielleicht  <Uesep  AnstOss 
faßben.  die  bolsteiniscben  Saxones  ihnen  gegeben  und  da»U 
Namen  über  die  neue  Genossenschaft  verbreitet. 
B<mn.  '     T»  Sjbel> 


Ephoroft  ttber  die  Heloten. 


Man  ist  allgemein  der  Ansicht,  Ephoros  habe  angenommen, 
die  sämmtlichen  alten  Einwohner  Lakonike's  $eien  gleich  mit 
dem  Eintritt  der  dorischen  Herrschaft  Heloten  genannt  wor- 
den, und  zeiht  ihn  deshalb  des  Jrrthums,  da  dieser  Name 
zuerst  nur  den  gewaltsam  unterworfenen  Bürgern  einer  oder 
einiger  Städte  beigelegt  und  Ton  diesen  alhnählig  auf  alle 
Sklaven  übertragen  worden  sei.  An  dieser  Eqtstehungsweise 
des  Namens  lässt  sich  freilieh  ebenso  wenig  zweifeln,  wie  an 
dessen  Ableitung  von  SXcü  (dki<r7C(jD,  afyiw),  so  dass  er  der 
Natur  der  Sache  entsprechend  „Kriegsgefangene'^  bedimtet; 
4.aher  giebt  auch  Suidas  (s.  h.  v.)  die  Erklärung:  ot  «^o& 
X^fj^pivTsQ*  6ux  itoKifjLou  i]A/cüxotc^.  Dagegen  ist-  Ephoros 
von  dem  Vorwurfe  des  Irrthums  (s.  z.B.  Hermann:  Antiqq. 
Lacon.  p.20.  Fiedler:  Geogr.  u.  Gesch.  v.  Altgriechenland  S.308) 
zu  reinigen;  denn  die  Stelle  des  Strabon,  worauf  derselbe 
beruht,  ist  augenscheinlich  corrumpirt  Dieser  sagt  nämlich 
(VHJ.  5.  p.  364),  Ephoros  berichte,  die  ersten  dorischen  Kö- 
nige Eurysthenes  und  Prokies  hätten  befohlen:  njnatüwvavraq 
attaVTag  rofvq  'JU^iolKOfvg  ^^a^iardSv  o/uuu>q  Icrovonunjg  uvcu^ 
Hurixovrag  otou  icoMtsious  xai  otpx^twv,  TcaKtitrPoti  6i 
£?Af(ora9*  '^Äyiv  6s  rov  Eni^crp'ivoug  ökptXicrPou  rriv  Igto^ 
vofjJxxv  76CU  cnjvTsXslv  K^ocrroifyu  rfi  Sica^rri]*  to<u^  ^lii;  <y&/ 
aKK<n}g  •uiroiMotxrac,  TCfvg  ^'EXsiofvg  Tonjg  ixcfVTotg  ro  ^'fSihog 
itoii\oraniiv<yvg  aaco<nwnv,  dcaroe  x^arog  dhwvat  icoXi/Lii^ 
9cal  ot^iS^fivai  dbvXou^.  Man  hätte  hier  auf  den  ersten  Blick 
wahrnehmen  dürfen,  dass  die  Worte:  ocaKdorf^ai  ös  EtKunag 
ein  Einschiebsel  sind^  entstanden  durch  Versetzung;  denn  of- 


EphoroM  über  die  Heloten.  169 

fenbar  gehören  sie  hinter  die  Worte :  xpc^vou  dbvArou«.  Wir 
brauchen  jedoch  auf  die  in  der  Sache  und  im  Ausdruck 
begründete  Wahrscheinlichkeit  dieser  Behauptung  um  so  we- 
niger Nachdruck  zu  legen ,  als  sich  die  Aenderung  sogar  als 
eine  absolute  Nothwendigkeit  herausstellt.  Denn  nach  der 
jetzigen  Stellung  jener  Worte  hätten  Eurysthenes  und  Pro- 
kies den  Namen  Heloten  aufgebracht,  nach  der  von  uns  in 
Anspruch  genommenen  aber  der  König  Agis,  —  und  dies 
wird  ja  in  der  später  folgenden,  nicht  genugsam  beachteten 
Bemerkung:  rf^  eSXwTeiav  ol  ns^l  '^Ayiv  bIctIv  o!  »ecxTa- 
ösi^aiVTBq  ausdrücklich  behauptet  Jene  Worte  müssen  also 
in  der  angedeuteten  Weise  versetzt  sein;  denn  unmöglich 
kann  der  Autor  einen  so  groben  Widerspruch,  und  zwar  in 
Einem  AUiemznge,  begangen  haben.  An  dem  Ausdruck  dKwvat 
noXifuf  ersieht  man  deutlich^  dass  Ephoros  dieselbe  Ablei- 
tung des  Namens  geltend  machen  will  wie  Suidas,  zumal  da 
ihm  das  Ethnikon  yon  ^EKog  ausdrücklich  lEiXaioi  lautet  Der 
mittelbare  lostorische  Gewinn  unserer  Erörterung  aber  be- 
steht darin.,  dass  nimmehr  auch  das  Zeugniss  des  Ephoros 
die  Auffassung  tostöttgfc,  gegen  die  er  vorzüglich  bisber  zu. 
streiten  schien. 

Adolph  Schmidt 


lieber  eine  neue  Bearbeitung  des  lieben« 

Muliammed*«« 


Vi<  1  ■ 


Wer  die  öffentlicben  Arbeiten  der  deiil;sGbeii  OrienUiiitoi 
seit  zehn  bis  zwanzig  Jahr^i  von  aussen'  verfolgte,  kdumte 
vielleicht  oft  meinen,  ihi"  Bestreben  sei  zu  wenig  auf  d«i  Ge-* 
winn  reiner  geschichtlicher  Wafarbaitt^n  sowie  auf  Kun^t  und 
Fleiss  geschichtlicher  Darstellungen  gerichlet.  Aui^h  la^t  sieh 
ein  solcher  Vorwurf  nicht  ganz  al«  unstatthaft  abweisen,  fo^ 
fern  überhaupt  aus  manc^n  Ursachen,  deren  Auseinander- 
setzung ich  an  dieser  Stelle  iiirdite,.  in  Deutschland  noch  im- 
mer der  rechte  Sinn  für  wahre  GescÜehtsehreibung  zu  wenig 
angeregt,  wohl  auch  bis  jetzt  zuwenig  anregbar  ii^;  In  an- 
derer Hinsicht  aber  ist  der  bisherige  Mangel  auf  dem.  Orien- 
talischen Gebiete  mehr  für  ein  Glück  zu  halten,  weil  die  ge- 
nauem sprachlichen  Vorbereitungen  der  mannigfachsten  Art, 
welche  jeder  Orientalischen  Geschichtschreibung  einen  ersten 
sichern  Grund  geben  müssen,  grösstentheils  selbst  erst  in  den 
letzten  Jahrzehnden  von  vorn  an  erworben  werden  mussten 
und  in  einigen  Gebieten  sogar  jetzt  noch  nicht  genügend  er- 
worben sind.  Nehmen  wir  z.  B.  das  Arabische,  welches  doch 
schon  seit  längern  Zeiten  unter  Christen  etwas  bekannter 
war,  so  war  im  vorigen  Jahrhunderte  fast  nur  Reiske  ein 
sowohl  in  der  Sprache  viel  erfahrener  als  für  geschichtliche 
Erkenntniss  empfanglicher  Mann:  und  doch  wie  viel  fehlte  ihm 
auch  in  der  arabischen  Philologie  noch,  um  die  Geschichte 
vollkommener  und  sicherer  erkennen  zu  können! 

Indessen   scheint  die  neueste  Zeit  nun  mit  .rascherem 
Schritte  und  besserem  Erfolge  nachholen  zu  wollen,  was  bis 


lieber  eine  neue  Bearbeitung  des  Lebens  Muhammed*s,  171 

dahin  yersäumt  scheinen  konnte.  In  drei  ganz  ?er8chi«denen 
wichtigen  Gebieten  morgenländischer  Geschichte  hat  das  tetite 
Jahr  Geschichts werke  entsteh^i  sehen,  welche  wenigstens 
soviel  erkennen  lassen,  dass  die  langen  Jahre  sprachlicher 
Vorbereitungen  nicht  umsonst  gewesen  sein  wollen,  lieber 
meine  eigene  Geschichte  des  Volkes  Israel,  deren  erster  Band 
zu  Anfange  dieses  Jahres  erschien,  steht  mir  weiter  kein  Ur* 
theil  zu  als  etwa  was  sich  aus  dem  eben  Gesagten  ergiebt 
Von  Lassen,  welcher  0ir  geschichtliche  Untersuchungen  eio 
besonders  glückliches  Geschick  hat,  erscheint  soeben  der  An- 
fang eines  grossen  Werkes  aber  Indische  Alterthumskunde, 
welches,  wenn  es  vollendet  sein  wird,  die  schwachen  Ver- 
suche welche  früher  der  sei.  Bohlen  und  Andere  zu  einem 
ähnlichen  Zwecke  unternahmen,  leicht  ganz  vergessen  machen 
und  eine  Ehrenstelle  in  der  gesanunten  deutsdien  Geschichts- 
literatur  behaupten  wird.  Ferner  ^schien  im  Herbste  vor»* 
gen  Jahres  eine  Lebensbeschreibung  Muhammed's  von  Dr. 
Gustav  Weil,  Bibliothekar  an  der  Universität  zu  Heidelberg, 
welche,  da  siä  in  einem  Bande  vollendet  vorliegt,*)  hier  nä- 
her besprochen  werden  kann. 

Dass  es  diesem  Werke  an  der  ersten  und  nothwendig- 
sten  Vorbedingung,  der  Sicherheit  in  der  Sprache  tler  Quel- 
len, nicht  fehle,  habe  ich  im  Vorigen  bereits  angedeutet;  Le- 
ser aber,  welche  die  ganz  besondem  Verhältnisse  arabischer 
Philologie  nicht  kennen,  mögen  nicht  vergessen,  dass  die  Er- 
füllung dieser  ersten  Bedingung  hier  ausnehmend  schwierig 
ist,  und  dass  die  früheren  Versuche  europäischer  (belehrten 
das  Leben  des  arabischen  Propheten  darzustellen  vorzüglich 
aus  dem  Mangel  an  gehöriger  Fertigkeit  arabische  Handschrif- 
ten sicher  zu  lesen  und  zu  verstehen  äusserst  unvollkommen 
blieben.  In  den  zahlreichen  Anmerkungen  giebt  der  Verf.  oft 
Rechenschaft  über  sein  sprachliches  Verständniss  der  Quel- 
len, vorzüglich  mit  Rücksicht  auf  die  erst  vor  einigen  Jahren 

*)  Mohammed  der  Prophet,  sein  Leben  und  seine  Lehre.  Ans 
handschriftlichen  Quellen  und  dem  Koran  geschöpft  und  dargestellt 
von  Dr.  Gustav  Weil.  Stuttgart  1843.  -  450  Seiten  nebst  8  Seiten 
Orient.  Text. 


172  üeber  eine  neue  Bearbeitung 

erschienene  Lebensbeschreibung  Muhammed's  vom  Herrn  v. 
Hanfmer:  wir  müssen  ihm  in  den  meisten  Fällen  Recht  ge- 
ben, nur  selten  legt  er  etwas  weniger  sicheres  in  die  Worte 
der  Quellen/)  Man  wird  es  auch  besonders  schätzen,  dass 
der  Verf.  auf  die  richtige  Aussprache  der  Eigennamen  allen 
Fleiss  gewandt  hat:  nur  warum  er  den  Namen  Omaija  (yon 
dem  die  Omaija di sehen  Ghalifen  herkommen)  überall  nach 
der  bisher  allerdings  ganz  gewöhnlichen  Weise  Ommeija 
mit  doppeltem  m  schreibt,  hätte  näher  erklärt  werden  müs- 
sen, da  nicht  nur  der  Qämüs,  sondern  auch  andere  Gründe, 
z.  B.  die  Etymologie  gegen  die  Verdoppelung  des  m  sprechen. 
Aehnlich  ist  der  QAmüs  nicht  für  den  Namen  Acrama,  son- 
dern fiir  'Ikrima.**) 

Auch  in  den  übrigen  Vorkenntnissen,  welche  zur  gründ- 
lichen Behandlung  dieser  Geschichte  gehören,  wird  man  bei 
dem  Verf.  nichts  vermissen.  So  ist  fiir  die  ganze  äussere  Be- 
handlung der  Geschichte  Muhammed's  Ton  der  grössten  Wich- 
tigkeit die  Vorfrage,  ob  die  Araber  während  seines  Lebens 
nach  reinen  Mondjahren  rechneten,  oder  nicht;  und  Herr 
Gaussin  de  Perceval  der  Jüngere  zu  Paris  hat  neulich***)  die 
Ansicht  aufgestellt,  dass  erst  Muhammed  und  zwar  bei  sei- 
ner letzten  Wallfahrt  nach  Mekka,  also  kurze  Zeit  vor  seinem 
Tode,  das  reine  Mondjahr  ohne  Einschaltung  eingeführt  habe. 
Der  Mann  dem  wir  sonst  gern  soviel  Ungereimtes  als  mög- 


♦)  Um  von  dieser  Ausnahme  ein  Beispiel  zu  geben,  so  scheint 
mir  der  Verf.  S.  137  in  die  Worte  Hawaii  'Ichashri  Sar.59,2.  zu 
viel  zu  legen,  wenn  er  sie  auf  ^ie  Wegführung  der  Banu-Kainukaa 
beziehen  will;  eine  solche  geschichtliche  Beziehung  müsste  :deutii- 
eher  ausgedrückt  sein;  und  der  Gebrauch  des  Infinitiv  für  das  Par: 
ticip,  worauf  sich  der  Verf.  hier  beruft,  ist  doch  mit  Vorsicht  zu 
beurtheilen.  Ich  vermuthe,  dass  diese  allerdings  schon  alten  Aus- 
legern dunklen  Worte  nichts  bedeuten  als  „auf  den  ersten  Stoss'^ 
d.  i.  sogleich,  augenblicklich. 

**)  In  meiner  Handschrift  der  Sirat  alrasül  Fol  217. 218  wird 
der  Name  zwar  gewöhnlich  ohne  Puncte  gelassen,  einmal  aber  wirk- 
lich mit  i  punctirt. 

***)  In  einer  längern  Abhandlung,  Journal  asiatique  1843 
Avril. 


des  Lebens  Muhammed's.  17S 

lieh  au&ubfinleii  so  leicht  versucht  werden,  scheint  auch 
schlecht  genug  zu  sein  für  die  Einführung  eines  an  sich  so 
rohen  und  unweisen  Gebrauches  als  der  des  reinen  Mond- 
jahres ist  Allein  der  neueste  Lebensbeschreiber  Muhammed's 
wendet  dagegen  mit  Recht  vieles  ein;  und  schon  an  sich  ist 
es  leichter  denkbar,  dass  die  Zurückfährung  des  Mondjahres 
auf  das  Sonnenjahr  bei  einem  Volke,  welches  keinen  Acker- 
bau trieb,  allmählig  in  Verfall  gerathen  sei,  als  dass  ein  Ge- 
setzgeber sie  ohne  Grund  und  Ursache  absichtlich  aufgeho- 
ben habe. 

Fragen  wir,  da  die  gedruckten  Bücher  zur  Ausführung 
seines  Zwedtes  bei  weitem  nicht  genügen  konnten,  welche 
haindschriftlichen  Quellen  dem  Verf.  zu  Gebote  standen:  so 
finden  wir  ihn  auch  von  dieser  Seite  her  gut  gerüstet  £r 
benutzte  ausser  einem  handschriftlichen  Commentare  zum 
Qorane  drei  Lebensbeschreibungen  Muhammed's  von  spätem 
Verfassern,  welche  zwar  sehr  reiche  Sammlungen  aber  zum 
Theile  so  entsteHte^Auf&ssungen  der  Geschichte  Muhammed's 
enthalten^  dass  mit  ihnen  ein  älteres  oder  wo  möglich  das 
älteste  Gesdiichtswerk  über  Muhammed  zu  vergleichen  einem 
sorgfältigen  Geschichtsforscher  unserer  Zeit  und  unseres  Va- 
terlandes fast  uneriässlich  wurde.  Hier  traf  es  sich  nun  glück- 
lich, dass  der  Verf.  das  alte  Geschichtswerk  Ibn-Hischäm's 
nach  einer  sehr  guten  Handschrift,  welche  seit  1838  in  mei- 
nem Besitze,  ist,  noch  zur  rechten  Zeit  benutzen  konnte.  Ich 
hatte  diese  Handschrift  damals  in  der  Hoffnung  erworben,  bald 
selbst  das  Leben  Muhammed's  nach  den  besten  Quellen  zu 
bearbeiten,  freue  mich  nun  aber,  da  andere  Geschäfte  mein 
Vorhaben  in  eine  unbestimmte  Frist  zurückwarfen,  dass  sie 
schon  jetzt  voii  einem  kundigen  Gelehrten  zu  ähnlichem  Zwecke 
mit  Nutzen  gebraucht  ist 

Indem  der  Verf.  diese  ziemlich  reichen  Hülfsmittel  mit 
der  oben  beschriebenen  Vorbereitung  sowie  mit  ausdauern- 
dem Eifer  und  einer  keine  Mühe  scheuenden  Anstrengung 
zu  erschöpfen  suchte:  hat  er  ein. Werk  geschrieben,  welches 
als  die  erste  etwas  zuverlässigere  Geschichte  Muhammed's 
betrachtet  werden  kann  und  den  Anforderungen  der  Wissen- 


-U 


174  lieber  eine  neue  Bearbeitung 

Schaft  in  hoher  Stufe  genügt  Seine  Darstellunggart  igt  ein* 
fi^b  und  schlicht,  doch  nicht  ungefällig;  und  die  Einfachheit 
selbst  wird  unverwöhnten  Lesern  hier  lieber  sein  als  die  ent-- 
weder  hoch  aufgeblasenen  oder  zu  künstlich  verkürzten  Sätze, 
welche  man  jetzt  in  manchen  deutschen  Geschichtswerken 
neuester  Art  findet  Nur  die  Uebertragung  des  in  arabischen 
Eigennamen  so  häufigen  Wortes  Sohn  unmittelbar  nach  ei- 
nem andern  Namen  hat  in  dem  Drucke  oft  etwas  steifes 
und  unverständlicheres,  hätte  jedoch  leidbt  vermieden  wer«^ 
den  können. 

Indess  ist  die  Aufgabe  einen  weltgeschichtlichen  Helden 
wie  Muhammed  war  voUkommner  und  nach  allen  Seiten  ge-*. 
nagend  zu  beschreiben  eine  der  schwersten,  welche  der  wi»«- 
senschaftlushen  Geschichtschreibung  gestellt  werden  kann.  Wir 
besitzen  zwar  über  ihn  verhältnissmässig  sehr  viele  und  man- 
nigfaltige Nachrichten,  indem  von  der  einen  Seite  die 'hohe 
Stufe  von  Verehrung',  zu  welcher  seine  Anhalter  ihn  bald 
nach  seinem  Tode  erhoben,  von  dier  andern  das  Bedürfniss 
der  auf  ihn  zurückgehenden  Gottes-  und  Bechtslebre  soviel 
Ueberbleibsel  seiner  Schriften,  Worte,  und  Thaton  ab  nur 
möglich  sorgsam  zu  erhalten,  mächtig  dahin  wirken  raussten, 
dass  wir  von  keinen  Manne  des  6ten  oder  7ten  christl.  Jabr^ 
hunderts  durch  tieberlieferung  soviel  wissen  können  als  von 
ihm.  Allein  schon  das  Grosse  und  Einzige  dieser  Erscheinung 
selbst  bietet  für  seine  genügende  Auffassung  kein  geringes 
Räthsel;  und  wenn  die  Nichtmuhammedaner  darüber  unend- 
lich leichter  und  freier  urtheilen  können  als  die  Moslims, 
denen  jeder  ernste  Blick  aus  ihrem  Zauberkreise  heraus  al*-* 
lerdings  durch  die  Eigenheit  ihrer  Religion  unmö^ich  ist,  so 
steht  ihnen  desto  naher  die  Gefahr,  die  sonderbare  Erschei- 
nung um  die  eine  oder  andere  Stufe  niedriger  zu  stellen  als 
sie  in  der  Wirklichkeit  gestanden  haben  muss. 

.  Das  ganze  religiöse  Wesen  des  Mannes  der  sidi  das  Sie- 
^1  der  Propheten  nannte  und  der  auch  in  derThat,  wie  die 
Geschichte  nun  im  Grossen  gelehrt  hat>  der  letzte  Prophet 
weltgeschichtlicher  Bedeutung  geworden  ist,  wie  sollen  wir 
es  uns  denken?  Diese  Frage  drängt  sich  auch  dem  reine« 


des  L^ens  IMammed'i.  175 

Gesehiehtoforspcher  üsf«  iukI  der  Verf.  hat  darüber  eine  An- 
sieht  aufgestellt^  welche  viel- Schein  hat  Er  glaubt  nämlich 
aas  yerschiedeneik  Anzei<^n  in  den  arabischen  Erzählungen 
über  sein  Leben  die  Meinmig  der  Byzantiner  vertheidigen  zu 
können^  dass  der  grosse,  starke,  bis  in  Aein  föstes  Jahr  ge« 
sund  und  kräftig  wirkende  Mann  an  der  J^il^sie  fortwäh-* 
rend  gelitten  habe;  die  Selbstiäuschüng  worin  er  sieh  befun-' 
den  habe,  im  Glauben  Engel  zu  sehen  und  Offenbarungen 
rom  Himmel  zu  empfangen  ^  sei  als  eine  Folge  epileptischer 
Anfölle  anzusehen  y  und  jedesmal  wann  er  eine  Offenbarung 
empfangen  (welehes  nach  den  geschichtMcfaen  Spurenr  sehr 
hätti%  der  Fall  gewesen  sein  muss),  sei  er  ron  der  fidlenden 
Smdrt  ergriffen  gewesen.  Aehnlich  ist  es,  wenn  der  Yerf!^ 
meint,  im  Innern  Mubammed's  sei  zuerst  „Reflexion*^  gewe- 
sen, ^döiitt  sei  eist  ^Phantasie*'  hinzugetreten.  SoYiel  jedoch 
ich  selb^  von  dem  allgemeinen  Hergange  der  drei  Zeitstufen 
yenstdie  jn  weiche  sein  ganzes  Leben  zerfällt  (bis  zum  öffent* 
ticheft  Auftretet  ak  Proj^het,  bis  zur  Flucht,  bis  zum  Tode}'), 
wäre  das  Uosse  Naohdenken,  Berechnen  und  Klügeln  erMi 
allmäUig  in  ihm  herrschend  gewordm;  utid  was  den  Zustand 
heftigster  Aufregung  und  Aaserei  betrifit,  so  wird  er  ja  ve» 
fielen  Propheten  des  Alterthums  berichtet  Es  ist  unsU'eitig 
sehr  verdienstiichy  dass  der  Verf.  auch  die  Aussagen  der  By--' 
^ntiner  über  Mahammed 's  Seelen-  und  Körperzustand  einer 
nähern  Aufmerksamk^t  gewürdigt  und  was  sich  dafiir  nach 
arabischen  Quellen  sagen  lässt  sorgfältig  gesammelt  hat:  doch 
würde  man  immer  noch  eine  höhere  Ursache  zur  Erklärung 
der  ganzen  Erscfaeinuiig'Muhammed's  suchen  müssen  als  Re-« 
iexion  und  Epilepsie.  Auch  scheint- es  mir,  als  habe  der  Verf. 
gerade  die  frühere  Geschichte  des  Mannes,  welche  doch  imf 
Ckrinde  die  entscheidende  ist  und  alle  spätere  Entwickelung 
in  ihrem  geheimnissYollen  Busen  trägt,  etwas  weniger  be* 
rttcksiditigt  und  besonders  aus  dem  Qorane  zu  erklären  ge« 
sucht  als  die  spätere. 

♦)  Der  Verf.  hall  nicht  diese  drei  Zeiträume  fest,  sondern  tbeilt 
das  ganze  Leben  Mahammed's  in  neun  Hauptstücke  r  vielleicht  we- 
niger passend  als  die  Sache  selbst  es  fordert. 


176  lieber  eine  neue  Bearbeiiung 

Sehen  wir  sodann  auf  die  lange  Reihe  der  Thaten  oder 
Begegnisse  Mahammed's :  so  werden  uns  viele  ganz  gewöhn^ 
liehe  und  leicht  erklärliche,  aber  auch  nicht  wenige  wunder- 
bare- erzählt;  und  wie  diese  letztern  zu  betrachten  und  zu 
behandeln  seien,  ist  hier  wie  in  allen  ähnlichen  Fällen  die 
schwierigere  Frage.    Der  Verf.  hat  gegen  alle  solche  Wun- 
dererzählungen eine  gewisse  Abneigung  und  die  meisten  er- 
zählt er  gar  nicht;  in  der  That  giebt  es  auch  eine  Menge 
solcher  Erzählungen,  besonders  von  der  ausiuhrlichem  Dar- 
steliungisart,  aus  denen  man  nichts  sieht  als  den  Glauben  und 
dazu  die  Redekunst  der  Zeiten  in  welchen  sie  entstanden* 
Allein  man  sollte  doch  nie  vergessen,  dass  wir  hier  von  Haus 
aus  auf  einem  Gebiete  der  Wunder  uns  befinden,  wobei  ea 
nur  auf  das  Mehr  oder  Weniger,  sowie  auf  die  eigenthüm*« 
liehe  Weise  der  Wunder  und  Wundererzähiungen  ankomiDii* 
Hier  alles  ohne  nähere  Unterscheidung  zu  verwerfen,  möchte 
auch  bei  einem  Propheten  und  ReUgionssttfter  wie  Muhasn^ 
med  nicht  recht  billig  sein,  noch  den  Anford^ungmi  geschieht- 
licher  Wissenschaft  genügen;  denn  sogar  wenn  solche  Erzäh- 
lungen uns  nichts  anzeigten  als  wie  die  Zeitgenossen  ^der 
die  allernächsten  Nachkommen  einen  Mann  wie  Muhaminedt 
in  seinem  Gehen  und  Stehen  auffassten,  würden  wir  sie  ab 
eine  Art  von  geschichtlichen  Zeugnissen  und  Spuren  niel^ 
übersehen  dürfen.    Das  richtige  Verhalten  zu  ihnen  schiene 
mir  also  dieses  zu  sein,  dass  man  zwar  alles  der  Art  wat 
erst  Spätere  in  dem  rhetorischen  Zeitalter  erzählen,  streng 
sonderte  und  höchstens  beispielsweise  einiges  davon  erwähnte, 
was  dagegen  in  so  aken  Quellen,  wie  die  zuvor  erwähnte 
Sirat  alrasül  ist,  sich  findet,  überall  einer  nähern  Ansieht 
imd  Untersuchung  oder  wenigstens  der  Wiedererzählung  wür- 
digte.  Wir  haben  ja  in  diesem  Gebiete  den  seltenen  Vortheilr 
dass  wir  die  verschiedenen  Zeitalter  in  denen  diese  Erzäh- 
lungen sidi  ausbildeten  und  festsetzten,  im  weitesten  Um- 
fange übersehen  und  ruhig  mit  einander  vergleichen  können» 
Am  Ende  des  Lebens  Muhammed's  wirft  der  Verf.  auch 
die  Frage  auf,  warum  er  nichts  bestimmtes  über  seinen  Nach- 
folger ausgesprochen  habe.    Ich  möchte  darin  weniger  eine 


dM  Lebens  Mähämmed's, 177 

tädeln^ürdige  Unealsehlosstoheit  Muhciinined's  sebefr,-  als 
viehoebr  eine  unansweichbare  Folge  der  ausser^rdentlichiiti 
StelloDg  woriti  er  sich  befefid  und  in  der  ibm  schieehterdingl 
niemaiid  im  gewöhnlichen  Sinne 'dds  Wortes  nachfolgeiV'noch 
ihn  beerben  konnte.  Hier  konnte  kein  damals  gebomer  Füfa-^ 
rer  dem  Führer»  kein  Fürst  odeir  König  dem  gleidien  folgeif: 
und  dass  Afubammed  dies  fühlte  und  nicht  etwa  i^nen  Lieb^ 
img  zum  Nachfolger  ernannte,  würde  ififa  ihm  ßher  für  etwa^ 
gttües.  als  fHr  einen  Fehler  anredmen.  Oer  Drang  'der  Uifl^ 
Stande  iBwang  freilich  nach  dem  wirklichen  Tode  des  Mannes 
seine  Anhänger  ihm  aus  eigner  Wahl  einen  'Nachfolger,  ei- 
nen ChaKfen  zu  geben:  aber  die  Geschichte  zeigt  auch,  wi^ 
weit  das  überhaupt  möglich  war,  und  dass  schon  Ton  Mua-^ 
via  oder  vielmehr  von  Othman  an  der  Name  eines  Chalifen 
weselitiich  sinnlos  war.  Auch  möehte  ich  nicht  mit  dem  Verf. 
m^nen,  Omar  habe  sieh  bei  dem  Tode  Muhammed's  „aus 
Politik^'  nur  so  gebellt  als  sei  der  Prophet  unmöglich  ge<- 
sterben,  und  habe  danach  das  Volk  zu  bearbeiten  gesucht. 
Soweit  ich  diesen  zweiten  Chalifen,  mit  dessen  Geschichte 
ich  mich  früher  sehr  viel  nach  handschriftlichen  Quellen  be- 
schäftigt habe,  seinem  Innern  nach  kenne,  war  überhaupt  Po- 
litik in  dilBsem  Sinne  des  Wortes  nie  seine  Sache,  und  am 
wenigsten  war  er  wohl  in  einem  solchen  Augenblicke  der 
Verstellung  fähig.  Die  wichtige  Erzählung  in  der  Strat  al- 
rasül  Fol.  276  f.*)  würde  auch  kaum  den  Sinn  haben  kön- 
nen, den  ihr  der  Verf.  gegeben  hat:  sie  will  entschieden  kei- 
nen andern  Sinn  geben,  als  dass  Omar  und  viele  andere  mit 
ihm  von  der  Gewalt  jenes  schmerzlichen  Augenblickes  hin- 


*)  hl  der  Stelle  welche  der  Verf.  FoL  A  aus  dieser  Handschrift 
darüber  hat  abdrucken  lassen,  sind  durch  Versehen  hinter  abü  bekrin 
ausgefallen  die  Worte:  jaumaidin.  qäla  .  vaachadahä  -Inäsu 
an  abi  bekrin.  —  Uebrigens  ist  dies  auch  die  Hauptstelle  woraus 
der  Verfasser  beweisen  will,  dass  Abubekr  nach  Muhammed's  Tode 
selbsteigen  manches  für  jden  Qoran  erdichtet  und  in  seine  Sammlnng 
eingeschoben  habe:  der  Beweis  dafür  scheint  mir  wenigstens  aus 
den  Stellen  Sur.  3, 138.  21,  35  f.  vgl.  3, 186.  29,  57  nicht  sicher  ge- 
führt zu  werden. 

Zeitschrirc  f.  Oes«liichtsir.    I.    1844.  12 


178  lieber  eine  neue  Bearbeitung  des  Lebens  MufuimmecTs. 

gerissen,  an  einen  wahren  Tod  MuhammedTs  wirklich  nicht 
glauben  konnten  und  deshalb  den  Ausspruch  wie  vergessen 
hatten,  in  welchem  der  Prophet  selbst  vor  Jahren  seinen  ein- 
stigen Tod  angekündigt  hatte;  weder  dies  ist  unglaublich, 
noch  dass  Muhammed  wirklich  seinen  Tod  vorausgesagt  habe. 
Nach  der  Schlacht  von  Ohod,  als  er  für  todt  gebalten  war 
während  Andere  riefen,  dass  wenn  auch  der  Prophet  gefal- 
len doch  sein  Gott  noch  lebe,  hatte  er  wohl  Veranlassung 
zu  einem  solchen  Ausspruche;  und  eine  gewisse  Nüchternheit 
in  dieser  Hinsicht  liegt  überhaupt  im  Wesen  Muhammed's. 

Doch  was  Omar  betrifft,  so  wird  der  gelehrte  Verf.  selbst 
bfild  Gelegenheit  haben  über  ihn  und  seinen  Geist  weiter  zu 
reden.  Wir  können  nämlich  den  Lesern  ankündigen,  dass  der 
Yerf.  auch  das  Leben  der  Gbalifen,  zunächst  das  der  ersten 
vier  in  einem  besondem  Bande,  auf  ähnliche  gründliche  Weise 
aus  gedruckten  und  'handschriftlichen  Quellen  zu  beschreiben 
beabsichtigt;  und  wir  wünschen  ihm  dazu  alles  Gedeihen,, 
sowie  alle  gute  Unterstützung,  welche  vorzüglich  die  Besitzt 
oder  Bewabrer  von  Handschriften  ihm  gewähren  können. 
Tübingen,  29.  Dec,  1843. 

Ewald; 


Vie  politique  et  civile  de  Thomas  Becket,  chancelier  de 
Henri  IL,  ArchevÄque  de  Canterbury,  par  C.  Bataille. 

Paris  1842.    80.    310  pag. 

So  sehr  wir  auch  die  verdienstyollen  Leistungen  der 
neuem  /ninBösisehen  Geschichte  anerkennen  mögen,  so  wer- 
den wir  doch  immer  durch  die  Art  und  Weise  wie  die  Be- 
wegungen des  öffentlichen  Geistes  auch  auf  dem  umfriedeten 
Gebiet  der  geschicbtliGhen  Wissenschaft  ihre  Herrschaft  gel- 
tend machen,  gestört  und  Terletzt  werden  müssen.  Was  nur 
imner  das  französische  Leben  in  seinen  Tiefen  wie  auf  sei- 
ner Oberfläche  erregen  mag,  in  den  historischen  Werken  der 
Periode  findet  es  seinen  getreuen  Abdruck.  Wir  besitzen  deren 
nn  ttitrakatholischen,  ultraliberalen  und  conserrativen  Sinne, 
wir  haben  Geschichtswerke  von  allen  möglichen  Standpunk- 
ten aus  geschrieben,  nur  nicht  von  dem  wahrer  Wissenschaft- 
lichkeit Den  Inhalt  des  Geschehenen  zu  erforschen,  in  die 
Tiefe  geschichtlicher  Erscheinungen  sich  zu  versenken,  und 
das  Leben  der  Nationen  und  der  Einzelnen  unverfdlscht  zu 
reprodnciren,  ist  was  die  neuern  Historiker  meist  noch  we- 
niger kümmert  als  die  altern.  Bei  ihnen  handelt  es  sich  nur 
darum,  welche  Gonsequenzen  für  diese  oder  jene  Parteifrage 
des  Tages  sich  aus  diesem  oder  jenem  Ereigniss  ziehen  lässt; 
von  einer  wissenschaftlichen  Objectivität,  von  dem  wahren 
Yerstiindniss  der  Geschichte  wissen  sie  nichts,  der  Lärm  des 
Tages  lässt  zu  einer  sinnigen  Betrachtung  des  Vergangenen 
weder  Zeit  noch  fi«im. 

Das  heutige  französische  Leben,  man  weiss  es  nur  zu 
gut,  ist  von  den  Bestrebungen  des  Katholicismus  erfüllt,  sich 
zu  rehabilitiren ,  die  Gemüther  wie  vordem  zu  beherrschen 
und  nebenbei  jeden  äusseren  Yortheil,  der  sich  darbieten 
möchte,  nicht  zu  versäumen.  In  dieser  geistigen  Atmosphäre 
ist  auch  vorliegendes  Buch  geschrieben  und  von  ihren  Ein- 

12" 


180  Vie  poRtique  et  civile  de  Thomas  Becket^ 

Aussen  ganz  und  gar  erfüllt  —  eine  Apologie  der  katholiscben 
Kirche  und  ihrer  Ansprüche  auf  weltliche  Herrschaft,  wie  man 
sie  dem  heutigen  liberalen  Frankreich  nicht  zutrauen  sollte. 
Aber  auch  eine  solche  würde  man  gern  willkommen  heis- 
sen,  erfüllte  sie  nur  die  massigsten  wissenschaftlichen  An- 
sprüche. Unser  Autor  zwar  klagt  über  die  Herrschaft  des  Ro- 
mans, er  wendet  sich  mit  seinem  Buche,  das  nichts  von  der 
Lüge  schöner  Täuschungen  entlehne,  an  die  geringe  Zahl  Le- 
ser, welche  für  ernste  geschichtliclie  Darstellungen  Sinn  hät- 
ten; er  spricht  von  seinen  Studien  und  Unters^uchuiigen  und 
rühmt  sich  eine  der  wichtigsten  Tfaatsacben  wenigstem  un*- 
ter  einer  neuen  Form  dargestellt  zu  haben.  Keinem  einiger«* 
maassen  mit  der  Sache  Vertrauten  wird  er  aber  durch  solebe 
Redensarten  impontren.  Sern  Buch  ist  nichts  mehr  und  nichls 
minder  als  ein  geschichtlicher  Roman,  der  den  Ideen  des  mo>- 
dernen  Katholicismus  auch  in  den  untern  Kreisen  Eingang 
verschaffen  soll.  Nebenbei  aber  auch  ein  Plagiat  der  settsam--» 
sten  Art.  Die  schwierigste  Periode  der  englischen  Geschichte 
hat  der  Verf.  zu  behandeln  unternommen,  ohne  die  zahlrei«' 
oben  und  wichtigen  gleichzeitigen  Do<mmente,  -^  ich  will 
nicht  sagen  zu  durchforschen  und  zu  ergründen,  das  vermö* 
gen  selbst  Männer  wie  Tbierry  nicht,  —  aber  ohne  sie  zu 
lesen,  o)ine  sie  selbst  auch  nur  dem  Namen  nach  zu  kennen« 
Er  weiss  nichts  von  der  so  wichtigen  Biographie  des  faeit 
Thomas,  die  sein  Kleriker  Wilhelm,  der  Sohn  des  Siephanw 
(darum  Stephanides  genannt)  verfasst,  nichts  von  dem  sprach^ 
lieh  und  geschichtlich  nicht  minder  m^kwürdigen  altfranzö^ 
stscben  Leben  desselben  Heiligen,  das  Immanuel  Bekkeir  1838 
aus  einer  Wolfenbattier  Handschrift  herausgegeben,  und  des*- 
sen  Lücken,  er  so  gut'  naeh  den  Pariser  Codices  hätte  aus«- 
fiillen  können.*)  Er  kennt  nicht  die  aus  beiDah  600  Briefen 
bestehende  Gorrespondenz  zwischen  Thomas,  Aletander  IH. 
und  Heinrich  H.;  er  weiss  nichts  von  den  Arbeiten  der  Ben 


*)  Neuerdings  hak  Leroux  de  Lincy  aus  letzteren  in  der  Bi- 
bliofteque  de  Töcote  des  Charles  IV.  p.  208  dankehswerthe  Mtlth^i- 
langen  gemacht. 


Archetf^ue  de  Canierbury,  par  C.  Bataille,  181 

nedictiner,  seiner  Landsleute  im  XVI.  und  XVII.  Bande  des 
Recueil  des  historiens  de  France,  und  um  die  mehr  oder 
minder  gleichzeitigen  engliscben  und  normannischen  Chroni-- 
ken  kümmert  er  sich  nun  vollends  gar  nicht.  Bei  einem  so 
wichtigen,  den  innersten  Nerv  des  politischen  und  kirchlichen 
Lebens  der  Nationen  berührenden  Streit,  wie-  der  zwischen 
Thomas  von  Ganterbury  und  Heinridi  II.  war,  hätte  es  je- 
dem Andern  unerlässlich  erschienen,  auch  die  früheren  Zu* 
stünde  des  Staats  und  der  Kirch<$  in  Betrachtung  m  ziehen, 
£e  dutrch  Recht  und  Growohnheit  eingeführte  Scheidung  ih- 
rer beiderseitigen  Gewalten  zu  erfassen  und  jenen  Kampf  in 
seiner  nationalen  und  universalen  Bedeutung  zu  erkennen. 
tFnserm  Autor  kg  Niebts  fem^  als  alles  dies.  Sein  ganzes 
Wissen  hat  er  vielmehr  au$  einem  höchst  mangelhaften  Stu- 
#iuiti  d^r  sogenannten  Vita  quadripartita  (von  Johann  von  Sa- 
üsbury^  -Heribert  Von  Bosaham,  Wilhelm  von  Ganterbury  und 
d^m  Abt'  Alamis  verfasst),  aus  Lingard  und  aus  thierry  ge- 
schöpft. Er  hat  sich  ^kht  gescheut,  im  buntesten  Gemisch 
QueHe  und  Httlfsifiittel  abzuschreiben  und  die  Lücken  mit 
Redensarten  loft  der  seltsamsten  Art  auszuftillen.  Besonders 
0ft  aber  bat  d^r  Letztere  dies  Schicksal  gehabt;  will  man 
sich  die  Mühe  geben  unserm  Verf.  zu  folgen,  so  wird  man 
leicht  Thierry's  Worte  und  Wendungen,  sdbst  da  wo  er  ihn 
nicht  anfuhrt  >  auf's^  Genaueste  wiederfinden  können.  Wun- 
deii)arer  Weise. aber  gelrinnt  doch  die  ganze  Erzählung  un^ 
ter  seinen  Bernden  eine  andere  Farbe  und  Form.  Denn  wäh- 
rend Thierry  dön  Erabisohof  von  Ganterbury  allerdings  nicht 
getiiug  zu  ehren  weiss,  in  ihm  aber  doch  nur  dem  Träger 
Und  Votkämpfe*' der  aksächsichen  Opposition  im  No**mannen- 
staate  huldigt,  macht  er  sich  darum  nicht  zum  Vertheidiger 
dör  mittelalteriiehen«  Kirche  und  ihrer  weltlichen  Ansprüche,, 
und  hat  noch  neuerlich  von  Capefigue  den  Vorwurf  hören 
müssen,  dass  er  die  grosse  organisiteiide  Idee  des  Katholi- 
cismns  nicht  begriffen  habe.  Sein  Ausschreiber  behält  zwar 
j^ne  Grundidee  bei,  weiss  aber  zu  gleicher, Zeit  in  ziemiidi 
geschickter  Weise  Alles  zum  Ruhme  l  und  Preise  der  Kirche 
und  ihrer  Diener  zu  wenden  und  umzudeuten. 


183  Vi^  poüiique  et  civik  de  Thomas  Becket, 

Sehen  wir  auf  einige  Augenblicke  von  dem  vorJiegeaden 
Buche  ab,  und  prüfen  wir  die  von  Thierry  mit  Geist  und 
Geschick  vorgetragene  Ansicht,  dass  in  dem  Kampfe  des  Erz- 
bischofs Thomas  gegen  König  Heinrich  IL  nur  ein  schmerz-- 
liches  Ringen  der  unterdrückten  sächsischen  Nationalität  ge- 
gen die  Tyrannei  und  Brutalität  der  französischen  Norman- 
nen, ein  letztes  Aufathmen  dieses  kräftigen  deutschen  Yolks^ 
Stammes  zu  erblicken  sei»  so  lässt  sich  nicht  läugueni  dass 
diese  Idee  für  den  er^en  Augenblick  etwas  ungemein  bhw^ 
dendes  und  imponirendes  hat  In  der  Thal  auch  hat  sie  si^ 
in  Deutschland  viele  Anhänger,  unter  ihnen  die  tüchtigistea 
und  scharfsinnigsten  Historiker,  zu  verschaffen  gewusst.  Und 
wie  sollte  man  auch  dieser  Ansicht  seioen  Beifoll  versage»? 
Die  Kirche  hätte,  meint  man,  ihre  hohe,  acht  humane.  IfisH 
sion,  die  Uliterdrückten  und  Bedräofgten  in  ihre  Atm^  aaa 
nehmen,  sie  gegen  die  rohe  weUüehe  Gewalt  zu  schützen« 
sie  aufzurichten  und  zu  trösten,  auch  hier  verstanden  und 
auszuAihren  gewusst,  und  so  könne  kein  Zweifel  sein,  wekhe 
Partei  bei  diesem  Streite  im  Rechte. gewesen.  Sehen  wir 
aber  näher  zu,  forschen  wir  nach  den  Beweisen,  so  zerfliesst 
auch  diese  glänzende  Idee  wie  so  viele  andere  der  modemen 
französischen  Historiker  in  Nichts.  Wir  erkennen  vielmehr, 
dass  Thomas,  weit  davon  entfernt  aus  säahsischem  Blute  zu 
entstammen,  ein  so  guter  Normanne  als  alle  Ritter  am  Hofe 
Heinrichs  war,  wir  erfahren  durch  die  vollgültigsten  Beweise, 
dass  sein  Vater  aus  der  villa  Tierrici  in  der  Normandie  ge- 
bürtig und  ritterlichen  Standes  war.  Und  dies  Alles  ersehen 
wir  aus  dem  Stephanides  (ed.  Sparke  p.  11),  der  auch  Thierry 
bekannt  und  von  ihm  vielfach  benutzt  ist.  Nun  wollte  es  das 
Unglück,  dass  er  gerade  diese,  seine  ganze  Hypothese  um-^ 
stürzende  Stelle  iU>ersehen  musste.  Ueberhaupt  aber  liesse 
s^ii  ge,gen  des  sonst  so  verdienten  Historikers  Ansicht  vom 
Sächsisch -Normannischen  Staate  im  Uten  und  12ten  Jahr- 
hundert manches  einwenden.  Das  leidige  Generalisiren  hat 
Ihm.  auch  hier  einen  bösen  Streich  gespielt;  denn  anstatt  die 
Zustände  Englands  in  jener  Zeit  in  der  Fülle  ihrer  Indivi- 
dualität zu  erkennen^  das  nationale  und  kirchliche  Leben  in 


ArcheeSque  de  Canterbury^  par  C.  Bataille.         18t 

semeo  unendlich  zahlreichen  Abstafiingen  und  Ibdificationen 
zu  erforschen  9  hat  er  sich  begnügt,  nur  zwei  Classen  Ein* 
wohner  wahrzunehmen:  die  Eroberer  und  Unterdrücker  nor- 
mannischen Bluts  und  die  Unterworfenen  sächsischer  Ab- 
stammung. Er  hat  nicht  bemerkt,  dass  von  einer  völligen 
Verknechtung  eines  Yolksstammes  durch  den  andern,  wie  sie 
im  Alterthume  vorkommt,  bei  germanischen  Staaten  gar  nicht 
die  Bede  sein  kann;  dass  hier  vielmehr  die  unterworfenen 
JMwen  in  ihrer  Integrität  von  den  siegreichen  Eroberem 
erhalten,  dass  in  England  namentlich  eine  so  kastenhafte  Un- 
terscheidung beider  Stämme  nie  festgehalten,  sondern  von 
den  Königen  die  innigste  Verschmelzung  i>eider  in  Sprache, 
Recht  und  Gewohnheit  beabsichtigt  und  durchgeiiihrt  wor- 
den ist  Ohne  eine  solche  wäre  denn  auch  die  moralische 
Energie  des  englis^en  Volkes  ein  wahrhaft  unerklärliches 
poUti^hes  Rätb^el.  So  w^ss  Thierry  denn  auch  nicht,  dass 
•elbst  manche  sächsische  Edlen  höhen,  und  viele  niederen 
Adels  auch  oaeh  der  Eroberung  ihre  Güter  behalten  und  sich 
mit  dem  norntandischen  später  vermischt  haben;  ihm  ist  völ- 
lig unbekannt»  dass  «luch  umgekehrt  eine  Ergiessung  norman- 
nischer Conwanderer  in  die  rein  sächsischen  Städte  stattge- 
fimden  hat  Zur  letzteren  Classe  gehörte  auch  Gilbert,  der 
Vater  unseres  Thomas,  der,  obwohl  ritterlichen  Standes,  doch 
eine  Londoner  Bürgerin  heirathete  und  daselbst  Bürger  ward, 
wodurch  wie  bekannt,  er  dem  niederen  Adel  des  Königrei- 
ches, der  gentry,  gleichgestellt  wurde.  Doch  gehörte  sein  Sohn 
darum  nicht  zu  den  Sachsen;  wir  besitzen  vielmehr  den  voll- 
ständigsten Beweis,  dass  Thomas  durchaus  sich  nur  als  Nor- 
manne fühlte,  in  der  von  Palgrave  Tom  [i.  bekannt  gemach«* 
ten  Schrift  über  den  Streit  des  Abts  Gauterius  de  Bello  mit 
dem  Bischof  Hilarius  von  Ghichester;  nirgends  auch  tritt  das 
Moment  des  sächsischen  Ursprungs  in  seinen  zahlreichen  Brie- 
fen und  Herzensergiessungen  hervor/)  nirgends  findet  sich 


*)  Auch  der  Name  Decket,  unker  dem  Thomas  einmal  in  der 
Weltgeschichte  bekannt  ist,  möchte  ihm  mit  Recht  streitig  geouieht 
werden  können,  da  keine  der  drei  Biographien,  kein  Brief  oder 
sonstiges  Document  desselben  erwähnt.  £r  findet  sich  zum  ersten 


184  Vie  politique  et  civile  de  Thomas  Becket, ' 

nur  irgend  eJn^  Sympathie  der  siclisischen  ißevölkeruivg  för 
Thomas  angedeutet.  Man  überzeugt^  sieh  leicht,  d«ss  diese 
glänzende  Hypothese  von  Thierry  jedes,  auch  des  geringsten 
Fundamentes  entbehrt,  und  man  wird  bald  zu  d^r  Ansieht 
gefiihrt,  dass  jenem  Kample  ganz  andere  Principien  zu  Grunde 
lagen,  Ideen  wdlt  uniTerselleren  Inhalts  und  allgemeinerer 
Bedeutung,  dass  es  ein  Kampf  war  des  nationalen  Rechtes 
des  Anglo-Normannischen  Staiates  gegen  die  das  nationale 
Leben  in  seiner  Quelle  angreifende  EMfiihning  des  caBöni* 
sehen  Rechtejs,  dass  dieser  Kampf  wesentlich  Englands  spä-«' 
tere  Selbstständigkeit  und  Nationalität  gesichert  hat 

Wollen  wir  nun  auch  Thterry,  der  nun  einmal  in  seiner 
vopgefassten  Meinung  befangen  warv  keiheia  Vorwurf  daraus 
m&ohen,  dass '  er  das  Wesen  jenes  denkwiirdigeh  Streites 
zwischen  Staat  und  Kirche  so  vbllig  verkannt  hat,  so  liesse 
sich  cbcft  an  den  späteren  GeiscUditschreibeir  eine  hÖUerq 
Anforderung' stellen,  «nd  zwar  iim  so  mehr,  als  ertsidil'ja 
freiwillig  2üm  Yertheidiger  der  Kirdheun«(ibrear' Rechte  a^ 
geworfenr^fiat.  Aber  unser  Autor  ist  weit  davon  entfernt,  vim 
der  Entwic^kelung  der  Kirche,  von  der  Auisbdreitung  ihneB 
Rechtes  und  von  ihr^n  Ein-  und  Uebergriflbn  in  das'  bttrger«* 
liehe  Leb^  eigelife  Vorstellungen  zu  hab^;  er  begt^i^  aioti 
auch  an  den  Punkten,  wo  dies  etwa  in  Frage  kommen  köntitej 
Thierry  ganz  einfach  abzuschreiben. 

(Jeberhaupfi  aber  giebt  das  Buch,  in  den  Theilen  wo  wir 
ihm  eine  bedingte  Selbstständigkeit  zuerkennen  müssen,  Zeog- 
niss  von  dein  leichtfertigsten  Studium  des  Verfassers. .  Jener 
Fiction  vom  angelsächsischen  Ursprung  des  Erzbisehofs  Tho« 
mas  ;^u  Liebe  erfindet'  er  gradezu  pag.  d.  dass  derselbe  in 
Frankreich  das  Französisebe  studirt,  p.  53;  dass  man  ei  als 


Maie  in  defiö  thron,  des  J6atnie3  Bromton/ welches  aber  waht^ 
sbheinlioh  erst  unter  Eduard  Ilt  verlasst  worden,  und  zwar  hter 
in  einer  so  sagenhaften  Umgebung  und  in  so  nahem  Gonnex  mit 
dem  Yolksli^e  bei  lamieson,  dasö  ei'  tiin  deswillen  schon  Verdacht 
^r^e^.  Ich  denke  diese  utod^  ähnfrche  verwandte  Fragen  in  deti 
Ei^enrsen  zu  meiner  dtfmnächsl'heranszUgebendenGeschiclitoEiig- 
liiWdd  im  Uten  und  12ten  Jahrhunden  näher  zu  belenciliten. 


Arcket>ique  de  Canlerhuryy  par  C,  Batailk,         185 

eine  kohe  Gunst  befraehtet,  dstss  der  Sohn  eines  Angelsaeh- 
sen  zur  obersten  geistticken  Würde  gelangt  sei,  und  p.  180 
dass  Heinrich  nachher  durcbf  seine  Absetzung  eine  hervortre- 
tende Opposition  der  Angelsachsen  habe  unterdrücken  wol- 
len. Es  fehlen  nieht  die  gröbsten  Verstösse,  die  seltsamsten 
Widersprüche.  So  keisst  es  p.  43.  dass  Theobald,  der  Vor- 
gänger des  Thomas,  vor  der  Thronbesteigung  Alexander's  III. 
gestorben  wäre,  während  der  Verf.  ihn  auf  der  vorhergehen- 
den Seite  Alles  aufbieten  lässt,  um  Heinrich  zur  Anericen- 
nting  jenes  Papstes  zu  bewegen.  Bei  dieser  Veranlassung 
kommt  noch  eine  historische  Unwissenheit  zum  Vorschein. 
Durch  eine  komische  Verwechslung  macht  er  die  weltbekannte 
ScUachft  bei  Legnmio  zu  einer  Seeschlacht,  und  lässt  hier 
die  Vene  ti  an  er  den  Kaiser  besiegen  und  darauf  ihren  Do- 
gen mit  dem  Adriaftischen  Meere  sich  vermählen.  Die  Vita 
quadrip^  fet  wie  gesagt  <fie  'einzige  Quelle,  die  der  Verf.  ge- 
lesen; aber  ilie  Gitale  hieraus  sind  meistens  so  verkehrt,  dass 
mran  sich  freuen  muss,  wenn  ein  einzelnes  einmal  eintriflt. 
B»  sind  ^Pälle' nicht  selten^  wo  Thierry  ganz  richtig  Briefe 
und  andere  Documeilte  nflch  dem  Retnieil  citirt,  unser  Verf. 
aber,'  um  einen  gewiissen  Schein  von  Gelehrsamkeit  zu  ret- 
im,  eta  g^adezu  etfondenes,  sinnloses  Citat  hinsetzt  (so  p. 
181.  13Ö.  214.  216). 

Eine  '  erträglieh  riditt ge-  Chronologie  vermisst  der  Leser 
ebenfalls  v&Hig;  so  ist  es  bekannt,  dass  Thomas  das  Kloster 
m  Pontigny,  wohin  er  sich  geflüchtet,  im  Jahre  1166  verlas- 
si^n  i»usste;  der  Verf.  setzt,  ohne  die  geringste  Gewähr  da- 
t&T  »h^sugebeA,  dtes  in  das  Jahr  1  (68.  Es  srteht  nicht  minder 
fest,  dass  erst  vs\t  dem -Jahre  1173  jene  bekannten  Empörun- 
gen der  Söhne  Heinrich*s  II.  angefangen;  Unser  Autor  lä^st 
ibn  S.  57  schon  im  Jahre  1162  hierdurch  argwöhnisch  wer- 
den. Wir  wissen,  dass  Alöxander  III.  zur  Schlichtung  des  föf 
ihn  höchst  peinlichen  Streites  vi  er  Gesandtschaften  zu  König 
Heinrich  absandte;  rtiaii  ersieht  leicht,  dasS  die  obsch webende 
Frage  bei  jeder  in:  eitt  anderes  Stadium  getreten,  und  äie 
SieiluAg  des  Papstes  zum  englischen  Könige  durch  sciii  mdbi 
oder  imnidcr  günÄtigies  Verhältni^siiri'^et  dotiiialigcn  cüropÄi- 


186  Vie  poHtique  et  civile  de  Thoma$  Becket, 

sehen  Verwickelung  bedingt  war.  Herr  B.  kennt  nur  die  bei- 
den ersten  Legationen,  und  hat  von  dem  Einfluss  der^ailge* 
meinen  Zustande  auf  die  englische  Frage  nur  die  verkdirte- 
sten  Vorstellungen  (p.  163). 

In  dem  materiellen  TheHe  der  Arbeit  dem  Verf.  wei- 
ter nachgeben  zu  wollen,  wäre  ebenso  vergeblich  als  ermü- 
dend. Begnügen  wir  uns  einige  Blicke  auf  seine  Charakter- 
schilderung des  heil.  Thomas  zu  werfen.  Schon  das  Shake- 
speare'sche  Motto,  das  Herrn  Bataille's  Grundgedanken  über 
Thomas  ausspricht:  „ein  Herz  so  fern  vom  Truge  als  der 
Himmel  von  der  Erde"  bezeichnet  diesen  feinen,  gewandten, 
lebensfrohen  und  lebensklugen,  aber  von  den  hierarchi$ebeii 
Ideen  durch  und  durch  erfUlHen,  dabei  energischen  und  ge- 
waltigen Charakter  ganz  und  gar  nicht.  Er  war  viebnehr  ehtr 
geizig,  Hess  sich  des  Königs  Dienste  und  die  höchste  Ganz- 
lerwnrde  gefallen,  so  lange  sie  ihm  Ehre  und  üi^floas,  Reidi- 
thum  und  Wohlleben  versdiaflten;  er  gab  sie  aof,  sobald  ihn 
ein  höherer,  mit  der  Palme  des  Martyrerthums  gekrönteF  Ehr- 
geiz in  die  Arme  der  Kirche  lockte.  Es  ist  falsch  und  nur 
durch  des  Verf.  Unwissenheit  zu  enüchuldigen,  wenn  er  be*« 
hauptet,  Thomas  habe  sich  ernstlich  geweigert  das  ihm  an- 
gebotene Erzbisthum  Ganterbury  anzunehmen,  und  Niemand 
habe  ihn  des  Ehrgeizes  beschuldigt  Wir  wissen  vielmehr  gtn« 
genau,  aus  dem  Briefe  Gilbert  Foliot's  von  London,  welche 
Intriguen,  Drohungen  und  Einschüchterungen  Thomas  in  Be- 
wegung gesetzt,  um  die  höchste  geistliche  Würde  zu  erhal- 
ten. Wir  sehen  ihn  auch  unmittelbar  nachher  daran  gfh^n^ 
seine  hierarchischen  Pläne  zu  verwirklichen,  und  WjBun  ,er 
bei  dem  kräftigen  Widerstände  Heinrichs  noch  einmal  zu- 
rücktritt, als  er  den  König  mit  allen  geistlichen  und  weUU- 
chen  Lords  vereidigt  sieht,  die  Freiheiten  des  Staats  und  d^ 
Landeskirche  der  Römischen  Curie  gegenüber  zu  wahren,  so 
geschieht  dies  nicht  aus  der  guten  Absicht,  die  entgegenge- 
setzten Parteien  zu  versöhnen ,  wie  Herr  B.  p.  88  will,  son- 
dern ist  nur  ein  natürliches  Schwanken  seiner  sonst  so  krtf- 
tigen  Seele,  bevor  er  sich  dem  Tode  weiht.  Dieser  erreicht 
ihn  bei  seiner  Bückkehr  nach  England;  er  hatte  ihn  lange 


ArchevSqtte  de  Canterhury,  par  C.  Bataille.         187 

sehnlichst  gewünscht  und  erwartet.  Noch  konnte  er  fliehen 
ohne  seine  Ueberzeugung  im  Mindesten  zu  verläugnen.  Er 
will  es  nicht,  er  stirbt  Gewiss  auch  ein  Martyrerthum  für 
eine  Idee;  aber  wie  unähnlich  jenem  der  erßten  Blutzeugen 
mit  seinen  reinen  innerlichen  Motiven!  —  ein  Martyrerthum 
des  Ehrgeizes  und  kirchlichen  Hochmuthes.  Und  aus  diesem 
zaben  und  consequenten  Charakter,  aus  diesem  scharfsinnig 
gen  Denker  und  feurigen  Redner,  macht  der  Verf.  ein  lamm- 
frommes Gemüth,  voller  Demuth,  Resignation  und  Reue,  mit 
einem  Worte  einen  F^n^lon  de  la  terre  de  Kent!  Es  versteht 
sich  dabei  von  selbst,  dass  in  des  Verf.  Darstellung  die  Geist* 
lichkeit  überhaupt  ein  Muster  jeder  Tugend  ist,  und  nur  der 
Hof  des  Königs  aus  den  verdorbensten  Menschen  besteht, 
während  doch  die  Zeugnisse  selbst  der  kirchlichen  Schrift- 
steller, und  namentlich  auch  jene  vita  quadrip.,  die  Verderb- 
niss  der  Geistlichen  nicht  arg  genug  schildern  können.  Aber 
dass  sie  Räuber,  Mörder  und  Ehebrecher  waren,  dass  die 
Staatsgewalt  hier  mit  starker  Hand  eingreifen  musste,  und 
dass  darüber  wesentlich  auch  der  Kampf  entbrannte,  darüber 
will  und  darf  der  Verf.  kein  Wort  sagen. 

Haben  wir  dieses  dürftige  Machwerk  der  modernen  ka- 
tholisirenden  Presse  Frankreichs  ausführlicher  besprochen,  als 
es  dasselbe  verdient,  so  geschah  es  theils  der  Wichtigkeit  des 
Gegenstandes  halber,  theils  aber  auch  um  derartige  Insinua- 
tionen ein  iiir  allemal  aus  dem  Gebiete  der  Wissenschaft  zu 
verweisen.  Will  diese  ultrakatholische  Partei  durch  die  Wis- 
senschaft für  ihre  Zwecke  wirken,  so  geschehe  dies  mit  wis«» 
senschaftlicher  Gründlichkeit  und  Gediegenheit.  Vermag  sie 
dies  nicht,  so  thut  sie  besser  zu  schweigen,  und  ihre  Kräfte 
alle  auf  den  Punkt  hinzulenken,  in  den  glaubens-  und  liebe- 
leeren Gemüthern  den  Saamen  wahrhaftigen  und  lebendigen 
Glaubens  zu  säen.  ' 

Dr.  R.  Wilmans. 


i  »  c  e  1  1  e 


5. 

la  einer  Versammlung  der  numismatischen  Gesellschaft  in 
London,  welche  vor  einiger  Zeit  unter  dem  Vorsitze  Lord  Gonynghttm'a 
stattfand,  theilte  der  bekannte  Numismatiker,  Herr  Professor  Akerman,  mit, 
dass  man  in  dem  Kirchspiel  Grondall  in  der  NUhe  eines  alten  römischen 
Lagers,  das  den  Namen  „Gäsars  Camp''  führt;  mehre  alte  Goldmänzen  aus 
den  Zeiten  der  Merowinger  gefunden  habe.  Wenigstens  zeigten  es  einige 
Stucke  deutlicb,  dass  sie  den  ersten  französischen  Königen  dieser  Dynastie 
angehörten.  Dagegen  fanden  sich  darunter  mehrey  w^che  fUr  den  Numit* 
matiker  durchaus  neu  sind;  sie  zeigen  auf  der  ein^n  Seite  ein  bartloses 
Mannesantlitz  und  ein  Kreuz;  auf  der  anderen  das  Wort  „LVNDM^II''  mit 
einem  Kreuz  idnerhaU)  eines  Kreises.  Bs  ist  wohl  bekannt ,  dass  vor  Zeit 
der  Merowinger  die  Münzen  Englands  nur  aus  Silber  gefertigt  wurden,  aber 
die  aufgefundenen  Stücke  scheinen  doch  eine  Ausnahme  von  dieser  Regel 
za  sein;  dena  Herr  Akerman  erkUbte  dieMiben.  oha«  Bedenken  für  eng« 
lische,  aus  welcher  Zeit  sie  auch  immer  stanunen  möchten.  Auch  sollen 
sie  nach  seiner  Behauptung  aus  Londoner  Prägstätte  sein.  Der  Besitzer  der 
Münzen  ist  Herr  G.  E.  hetroj  In  Ewebrt 

Eine  ähnliche  Entdeckung  dieser  Art,  die  inüess  von  grösserer  hiälo- 
rischer  Bedeutung  ist,  wurde  vor  kurzem  auf  der  Insel  Ceylon,  wie  der 
Ceylon  herald  meldet,  zu  Manaar' gemacht.  Unter  dem  Fundamente  ei- 
nes sehr  alten  Gebäudes  fand  man  Th^ile  eines  römischen  Daches,  und 
nach  Forträumung  des  Schuttes  einen  goldenen  Ring  mit  den  Zeichen  ANN. 
PLOG.  von  antiker  Acbeit,  ganz  glatt  und  ähnlich  den  Exemplaren  im  bri- 
tischen Museum,  welche  von  römischen  Rittern  getragen  sein  sollen. .  Man 
kann  vielleicht  den  ehemaligen  Besitzer  dieses  Ringes  aus  einer  Stelle  beim 
HInias  ermitteln,  wo  es  heisst,  dass  der  Zoll- Pächter  «tm  rothen  Meer, 
Annius  Plocaniua,  im  Jahre  60  n.  Chr.  durch  einen  Sturm  an  die  Küstea 
von  Ceylon  verschlagen  sei.    Derselbe  war  vom  Ritterstande. 

Die  Numismatik,  nicht  als  Liebhaberei  sondern  als  Wissenschaft,  hat  in 
England  ausgezeichnete  Vertreter,  deren  Arbeiten  auch  auf-  dem  Gontiaen^ 
vom  Historiker  dankbar  aufgenommen  werden.  Eine  kurze  Notiz  einiger  neu 
erschienenen  Werke  auf  diesem  Gebiete  historischer  Wissraischaft  dürfte» 
darum  von  Interesse  sein.  Cardwell  und  Akerman  sh&d  gegenwärtig  die 
bedeutendsten  Numismatiker  Englands;  der  erstere  ist  Professor  an  der 
Universität  Oxford  für  alte  Geschichte,  und  hat  vor  einiger  Zeit  seine  Voi^ 
lesuugen  über  das  Münzwesen  der  Griechen  und  Römer  veröffentlicht  (Leo- 
tures  on  the  Coinage  of  tbe  Grecks  and  Romans ;  deliverd  in  tho  Univer- 
sity  of  Oxford  by  Edward  Gardwell  D.  D.  PriocipeS  of  St,  Albans  Hall  anü 
Gamden  Professor  of  AncientHistory) ;  der  Letztere  ist, ein  tbätiges  MligUed 
der  Akademie  der  Wissenschaften  in  London,  und  man  besitzt  von  ihm  zwei 
bedeutendere  Werke  über  Numismatik:  A  Numismatic  Manual  by  Yonge 
Akerman  und  A  Descriptive  Gatalogue  of  Rare  and  Unedited  Roman  Goins 
from  the  earliest  period  of  Roman  Coinage  to  the  Extinclion  of  the  Empire 
under  Constantinus  Paleologus  with  numcrous  Plates  from  the  Originals. 
2  Theile.  Das  letzte  Heft  des  Quarterly  Review  beleuchtet  in  einem 
längeren  Artikel  den  Werlh  dieser  Schriften,  von  denen  die  des  Dr.  Card- 
well ihrer  wissenschalllichen  Form  und  der  gründlichen  Forschung  wegen 


di«  ec»t«^Slalle  einniminl*  M«ft  erbttU  in  deri^UMn  nksbft  allein  eine  An- 
leitung. 2ur  PQutiing  <ler.  Bilder  auf  den  tf  Unzen ;  sondern  aooli  eine  voH« 
ständige  GesctUcbte  der  Prfigekanst  bei  den  Alten,  denen  Verständniss  zu 
jener  Deutung,  d.  i.  zur  Aufklärung  lustoriacher  Ereignisse  unerlässlich  ist, 
Bemerkenswerth  ist  es,  dass  Dr.  GaiHwell  der  allgemeinen  Annahme,  die 
firütaesten  Münzen  wären  mit  dem  Bilde  eines  Stieres  oder  wenigstens  ei- 
ner Art  von  Yieh  bezeichnet  gewesen,  entgegentritt.  Diese  Annahme  beruht 
bekanntlich  auf  der  im  Orient  so  verherrschenden  Anbetung  des  Stieres 
und  zürn  Beweise,  dass  man  zuerst  das  Sinnbild  derselben  den  Münzen 
anfprägte,  dient  gewöhnli^äi  die  Stelle  der  Genesis  33,  49  wo  es  hetsst: 
„Jakob  kaufte  ein  Stück  Land  am  hundeit  Stüc&e  Geldes;''  denn  der  he- 
bräische Originaltext  fgr  „Stücke "Geldes"  lautet  „Kesitoth",  was  „Lämmer^' 
heisst,  mit  deren  BUdem  die  MefaDstücke  wahrscheinlich  bezeidinet  waren. 
Obschon  auch  PliniuS  (H.  N.  XXXIIL  3.)  Ton  dem  ersten  Metallgelde  sagt: 
„signalnm  est  notis  pecudum,  unde  et  pecunia  appellata''  so  bleibt  doch 
Dr.  Gardwell  bei  seiner  Behauptung  stehen  und  bemerkt:  „Was  die  ersten 
Münzen  Rom's  betrifft,  so  müssen  wir  gestehen,  dass  wenn  sie  wirklich 
mit  einem  „pecus''  bezeichnet  worden  sind,  doch  kein  Stück  einer  solchen 
MUnzsorte  jetzt  mehr  existirt/'  Der  Reviewer  des  Qüaxterly  berichtigt 
indess  hier  den  gelehrten  Doctor,  und  behauptet,  dass  es  im  britischen  WW- 
senin  ein  Original-Exemplar  von  einem  römischen  As  gäbe,  worauf  das  Bild 
eines  Stieres  sich  fände.  -Ebenso  widerlegt  derselbe  den  Autor  in  Bezug 
auf  die  griechischen  Münzen ,  von  denen  Dr.  Gardwell  gleichfalls  sagt,  dass 
man  noch  kein  Stück  in  Athen  oder  sonst  wo  gefunden  habe,  das,  wie 
Piutareh  von  den  Münzen  der  Zeit  des  Theseus  berichtet,  einen  Stier  als 
Gepräge  habe,  und  dass  man  Überhaupt  deshalb  deren  frühere  Existenz 
bezweifeln  müsse.  Der  Gegenbeweis  des  Reviewer's  ist  etwas  weit  herge*^ 
holt  und  ziemlich  wiHküriieh.  Homer  lässt  nämlich  U.  6,936  den  Diomedes 
die  vom  Glaukos  eingetauschte  Rüstung  auf  iitcerofLßol  iwsaßoltav  schätzen, 
d.  i.  nach  der  Meinung  des  Reviewer's  nicht  auf  409  wirkliche  Stiere  mit 
Hörnern  und  Hufen,  sondern  auf  409  Stiermünzen,  welche  zur  Zeit  des 
Trojanischen  Krieges  in  Athen,  wo  Menestheus,  der  Nachfolger  des  Theseus, 
welcher  nach  Plutarch  solche  Münzen  schlagen  liess,  regierte,  gäng  und 
gäbe  waren.  Wottte  man  jene  hundert  und  nenn  Stiere  für  wirkliche  Stiere 
balten,  so  müsste  man  heute  auch  hundert  Sovereigns  für  hundert  wirk- 
liche Könige  halten]  —  S>ie  römischen  Münzen  thetlt  Dr.  Gardwell  in  Gon- 
sular- Münzen,  ediche  welche  die  höchsten  Magistratspersonen  Rom's  zum 
Andenken  an  Familien-Ereignisse  schlagen  Hessen,  und  in  kaiserliche  Mün- 
zen, solche  welche  auf  Befehl  der  Kaiser  in  Gold  und  Silber  oder  auf  Ver- 
anlassung des  Senates  in  Kupfer  und  Erz  zum  Ruhme  römischer  Wohlfahrt 
und  zur  Ehre  des  dieselbe  schützenden  Augustus  geprägt  wurden.  Unter 
den  erstefen  fällt  die  öftere  Darstellung  des  Hauptes  der  athenischen  Mi- 
nerva, an  den  Eulenschwingen  auf  dem  Helme  kenntlich,  auf,  was  zu  man- 
nigfachen beutungen  Anlass  giebt ;  die  Bedeutung  der  letzteren  besteht  haupt- 
sächlich in  der  treuen  Portraitirung  des  darauf  geprägten  Herrscherbildes, 
welche  Sitte  schon  mit  Julius  Cäsar  den  Anfang  nahm,  und  bis  zum  Sturze 
des  abendländischen  Reiches  fortdauerte.  Doch  sind  die  Bilder  der  Mün- 
zen der  letzten  SOO  Jahre  schon  ungenau  und  weisen  auf  den  Verfall  der 
Kunst  hin. 

6. 

Unter  den  neuesten  Erscheinungen  der  armenischen  Literatur, 
deren  afuslüfailichere  Besprechung  wir  uns  vorbebidten,  verdieat  besonders 
eine  Biographie  Alexanders  desQrossen  erwähnt  zu  werden,  weldie 
in  S:  Lazzaro  bei  Venedig  4849.  gr.  B,   gedruckt  wurde,  und  wahrschein* 


IM  MUceUen. 

lieh  im  5ton  Jahrhandert  unserer  Zeitrectanang  verfliMi,  oder  vielmebr  •«• 
dem  Griechischen  ttbersetzt,  mil  den  beluinnten  Biographien  in  vielfacher  Be- 
ziehung übereinstimmt,  aber  auch  in  vielen  Stücken  von  denselben  abweicht, 

7. 

Ebendaselbst  erscheint  seit  dem  Anfange  des  Jahres  4843  eine  neue 
Zeitschrift  in  vulgür-armenischer  Sprache,  von  welcher  uns  der 
Prospectus  vorliegt,  —  Die  Mechitharisten,  eingedenic  des  von  ihrem  Stifter 
ihnen  vorgezeichneten  Zweckes,,  europäisches  Wissen  und  europäische  Bil- 
dung unter  ihren  Landsleuten  zu  verbreiten,  eines  Zweckes,  dem  die  zu 
Smyrna  und  Constantinopel  schon  seit  längerer  Zeit  von  Armeniern  ausge- 
henden Journale  „Arschaluis  araratean,  d,  h.  die  Morgendämmerung  vom 
Ararat"  und  „Schtemaran  pitani  gitjeleatZ;  d.  h.  Magazin  für  nütsliche  Kennt- 
nisse'' nicht  vollkommen  entsprechen,  haben  diese  Zeitschrift  unter  dem 
Titel  „Bazmaw^p,  d.  h.  der  Polyhistor^  gegründet,  welche  bestimmt  ist, 
in  einfacher,  verständlicher  Sprache  und  auf  eine  angenehme  Weise  die 
Fortschritte  der  Europäer  in  allen  Zweigen  des  Wissens,  die  neuen  Erfin* 
düngen  und  Entdeckungen  in  Künsten  und  Wissenschaften  aller  Art,  wich- 
tige geographische  und  ethnographische  Notizen,  so  wie  ökonomische  und 
tfedicinische  Bemerkungen  in  der  Kürze  mitzutheilen,  Sie  enthält  im  All- 
gemeinen 3  Rubriken:  4}  für  die  Naturwissenschaften  nach  ihrem  ganzen 
Umfange,  Physik,  Chemie,  Astronomie  und  Naturgeschichte  i.  e«  Zoologie, 
Botanik  und  Mineralogie,  so  wie  auch  Geologie  und  BergwerlLskunde ;  3) 
für  die  Oekonomie  oder  Einrichtung  des  Lebens  in  den  Städten,  auf  dem 
]Lande  und  in  der  Familie,  wobei  durch  moralische  Erzählungen  und  Er. 
mahnungen  auf  das  Gemüth  der  Leser,  namentlich  der  Kinder,  eingewirkt 
und  gezeigt  werden  soll,  was  man  zu  thun  habe,  um  sich  und  die  Seini- 
gen glücklich  zugleich  und  reich  zii  machen ;  desgleichen  sollen  darin  lehr- 
reiche Winke  für  den  Landbau,  häusliche  und  diätetische  Regeln  und  nütz« 
liehe  Erfindungen  mitgetheilt  werden ;  3)  für  Geographie,  Ethnographie  und 
Geschichte  der  Gegenwart,  worin  interessante  Reiseberichte,  Biographien 
berühmter  Männer  und  die  Tagesbegebenheiten  besprophen  werden.  Vor- 
zugsweise wird  dabei  auf  die  armenische  Geschichte,  Geographie  und  Li- 
teratur Rücksicht  genommen;  und,  um  das  Angenehme  mit  dem  Nützlichen 
zu  verbinden,  sollen  kleinere  Gedichte,  Fabeln,  und  zur '  Veranscbaulichung 
des  Mitgetheilten,  wo  es  nöthig  ist,  Abbildungen  beigegeben  werden.  Von 
dieser  Zeitschrift  sollen  monatlich  3  Hefte  veröffentlicht  werden, 

8. 
Seit  dem  Monat  August  des  Jahres  4843  (oder  seiC  dem  Anfang  des 
Monats  Redscheb  d»J.  4  359  d.  H.)  erscheint  zu  Constantinopel  die  Fort- 
setzung einer  in  Deutschland  weniger  bekannt  gewordenen  Zeitung  un- 
ter dem  Titel  „DscherideY  havadiz,  d.  h.  Neuigkeitsregister." 
Sie  war  früher  bis  zu  der  Nummer  4  38  gekommen,  und  beginnt  nach  ei- 
ner dre^ährigen  Unterbrechung  mit  der  Nummer  439  unter  demselben  Re- 
dacteur.  Es  wird  von  derselben  regißimässig  jede  Woche  4  Bogen  in  gr.  Fol., 
dem  Format  der  Staatszeitung  (Takvimi  vek^e)  gedruckt  und  ausgegeben, 
und  sie  berichtet  mit  weniger  Umschweif  über  die  Ereignisse  des  In-  und 
Auslandes,  erzählt  kurzweilige  Anecdoten,  und  stellt  in  den  neuesten'  Num. 
mem  schwierige  mathematische  Aufgaben,  deren  Lösung  in  dem  nächsten 
Blatte  erbeten  und  gegeben  wird. 

Bei  den  Ausgrabungen  auf  dem  Gallisch- Römischen  Begrtfbnissplaiza 
twischen  Das  pich  (Aspioium)  und  dem  Schloss  von  Bettange  im  Ganton 
und  Arrondissement  von  Thionvilie  sind  neuerdings  Fragmente  eines  Stein* 


Miscellen.  191 

Obelisken  und  daneben  das  steinerne  Standbild  eines  Stieres  von  natürlicher 
Grösse  entdeckt  worden.  Man  muthmasst,  dass  ^b  ietstere  den  Apis 
darsielle,  dass  diese  ägyptische  Gottheit  mitbin  in  den  dortigen  Gegenden 
verehrt  worden  sei  und  der  Ortsname  Aspicium  von  ihr  abgeleitet  sein 
dürfle.  Daselbst  sind  auch  Medaillen  aus  der  Zeit  des  Valens  und  Yalenti- 
nian's  1,  gefunden  worden. 

10. 
Das  ^Leipziger  Report orium  der  deutschen  und  ausländischen 
Literatur^';  das  in  unermüdlicher  und  erfolgreicher  Weise  nach  immer  grös- 
serer Brauchbarkeit  ringt,  enthält  unterm  29.  Dec.  4  843  eine  sehr  dan- 
kenswerthe  ^^Uebersicht  der  den  Programmen  der  Gymnasien  u.a.  Un- 
terrichlsanstalten  der  Königreiche  Bayern,  Hannover,  Prenssen,  Sachsen, 
des  Kurfürstenthums  Hessen,  der  Grossherzogthümer  Baden,  Sachsen-Weimar 
und  verschiedener  anderer  deutschen  Staaten  in  den  Jahren  4  8*42  und  zum 
Theil  4843  beigegebenen  wissenschaftiichen  Abhandlungen''  (S.  573  ff.}.  Da 
dies^tien  naeh  Fächern  geordnet  und  auch  die  Geschichte  nebst  ih- 
ren Hülfswissen Schäften  vollständig  bedacht  ist:  so  darf  sich  unsere 
Zeitschrift  begnügen,  auf  dies  Jedermann  zugängliche  Hültsmlttel  jetzt  und 
in  Zukunft  zu  verweisen,  «ohne  —  wie  es  die  ursprüngliche  Absicht  war  — 
die  gleiche  Mühwaltung  zu  Übernehmen.  Die  Vermeidung  des  acta  agwe 
ist  unter  allen  Verhältnissen  ein  Gewinn. 

11. 

Die  Zeitschrift  für  Münz-,  Siegel-  und  Wappenkunde,  her- 
ausgegeben von  B.  Köhne,  enthalt  im  öten  Heft  des  3ten  Jahrgangs  zwei 
Aufsätze,  welche  für  den  Historiker  von  Interesse  sind:  4)  die  Römischen 
auf  die  Deutschen  und  Sarmaten  bezüglichen  Münzen.  8}  Münze  des  VM* 
nigs  Xtikolaus  von  Bosnien.  -^  Jener,  iaoch  unbeendigf,  behandelt  die  Kai- 
serzeit bis  auf  Commodus,  dieser  die  einzige  bis  jetzt  bekannte  Bosnische 
Münze,  die  sich  in  der  Gappe'schen  Sammlung  zu  Berlin  befindet» 

12. 

Am  22.  Dec.  des  vorigen  Jahres  constituirte  sich  in  Berlin  eine  nu- 
mismatische Gesellschaft;  die  Begründer  derselben  sind  der  Ge- 
hefmerath  Tölken  und  der  Dr.  Köhne. 

13. 

Von  G.  J.  Hermann  in  Göttingen  sind  in  neuerer  Zeit  zwei  Gele- 
genheitsschriften erschienen,  von  denen  die  eine,  durch  die  Erianger 
Säcularfeier  hervorgerufen,  für  den  Römischen  Gultus,  die  andere,  dem 
Lectionskatalog  von  4843  und  44  vorangeschickt,  für  die  Staatsverfassung 
Athens  von  Bedeutung  ist.  Jene  ist  betitelt :  „de  loco  Apolliois  in  carmine 
Horatii  saeculari'',  diese :  „epicrisis  quaestionis  de  Proödris  apud  Athenienses.'' 

14. 

Von  dem  historischen  Verein  der  fünf  Orte  Lucern,  Uri, 
Schwyz,  Unter walden  und  Zug,  welcher  sich  am  4  0.  Januar  4843 
bildete,  liegen  uns  unter  dem  Titel  „der  Geschichtsfreund"  ( I.  Band.  I.  Lie- 
ferung, Einsiedeln  bei  Gebr.  Benziger)  die  ersten  Mittheilungen  vor,  Sie 
enthalten  4)  Regesten  kaiserlicher  und  königlicher  Urkunden  des  Stadtar- 
chivs Lucern  aus  den  Jahren  840 — 4530.  2)  Actenstücke  über  den  Reichs- 
zoll zu  Fluelen  im  Lande  Uri  4343  —  4  353.  3)  Kirchliche  Documente  aus 
'den  Jahren  4  244 — 4429.  4)  Eine  Sammlung  von  Actenstücken  betreffend 
Hof-,  Stadt-,  Burg-  und  Landrechte,  Vogtei  und  Lehen,  Bündnisse  und  Ur- 
fehden, Eidgenössisches  und  Oesl§rreichisches  955 — 4395.  5)  Theile  des 
Liber  Heremi,  namentlich  a}  Annales  Einsidlenses  majores  84  4 — 4  226.  b) 
Ann.  EinsidU  minores  844—4298. 


IM  MisceUen. 

15, 

Das  bei  Prommanft  tu  Jena  erscheinende  dentsche  Staatsarchiv, 
herausgegeben  vom  Regierangs -Rath  Buddeiis,  enthalt  in  seinem  5ten 
Bande  (4844)  ausser  manchen  werthvollen  staatsrechtlichen  und  staetsölco- 
noraischen  Abhandlungen  auch  interessante  actenmässige  Beiträge  zur  neue- 
sten EntwiclLiung  deutscher  Staaten.  Wir  heben  daranter  namentlich  die 
Yergleichung  des  Landesverfassungsgesetzes  von  Hannover  mit  dem  Staats- 
grundgesetze hervor,  sowie  die  Erläuterung  der  Döcumente  in  Cntersu. 
chungssachen  wider  die  Mitglieder  des  Magistrats  der  Haupt-  und  Resi- 
denzstadt Hannover.  Der  Preussische  Straf-Geselz-Entwurf  nach  dem  Aus- 
schussberichte der  Prettssischen  StSnde  und  die  Postreformen  Oesterreichs 
sind  in  diesem  Bande  ebenfalls  der  Erörterang  unterworfen  worden.  Den 
Standpunkt  und  die  Richtung  des  d.  St.  A.  dürfen  wir  als  bekannt  voraussetzen. 

16. 

.  Herr  Hirsch  Phllippowsky  aus  Polen,  der  durch  die  Herausgabe  ei» 
ner  philologischen  Tafel  bekannt  ist,  die  als  hunderijähriger  Kalender  dten^ 
bereitet  ein  Werk  vor  (hebräisch),  das  aUes,  was  den  jüdischen  Ka- 
lender und  die  jüdische  Chronologie  beCrifil,  in  sich  fassen  soll.  Es 
wird  in  drei  TheUe  zerfallen  und  jeder  derselben  eine  grosse  Anzahl  von 
Tabellen  und  Erlöutenmgen  enthalten. 

IT, 

Notiz  im  Talmud  über  die  ionische  Einwanderung  in  Ita- 
lien ausKleinasien.  Um  das  Gericht  Gottes  über  die  Vergehen  des  Israel. 
Volkes  deutlich  darzustellen,  wohl  auch  zu  rechtfertigen,  wird  im  Talmud, 
(Tract.  Sabath  56,  b  cf.  Sanhedrin  21;  b.)  folgende  Notiz  gegeben:  „Zur  Zeit  als 
König  Salomo  die  Tochter  Pfaaraoh's  freiete,  Hess  sich  (der  Engel)  Gabriel 
nieder,  und  steckte  ein  Rohr  ins  Meer.  An  dieses  setzte-  sich  Erde  an  und 
darauf  wurde  eine  grosse  Stadt  gebaut.  In  einer  Mithintha  wmde  gelehrt: 
Am  selbigen  Tage,  da  Jerobeam  die  beiden  goldenen  Kttlber  einführte,  ei- 
nes in  Betbel,  das  andere  in  Dan,  wurde  eine  Hütte  gebaut,  und  sie  wurde 
das  Italien  loniens.'^  Wer  4ie  hyperbolische  bUderreJcfae  Darstellung  des 
Talmud's  kennt,  wird  wissen,  dass  hier  von  einer  Einwanderung  und  einem 
Emporkommen  die  Rede  ist.  Und  die  ungefähre  Zeit  deutet  auf  jene  hin, 
deren  die  Mythe  in  Folge  der  Zerstörung  Troja's  erwfihnt.  Die  Yerbeira- 
thnng  Salomo's  mit  der  Tochter  des  Aegyptischen  Königs  trifft  ungeföhr 
zwischen  das  Jahr  4048  und  4045  a.  Chr.  cf.  L  Reg.  8,  4.  Die  Einführung 
des  Kälberdienstes  ungefähr  um  das  Jahr  978  a.  Chr.  Es  scheint  also  auf 
das  Emporbiühen  dieser  Einwanderang  und  auf  das  Mächligwerden  der- 
selben hinzuweisen.  Vielleicht,  dass  damit  besonders  die  Erbauung  Lavi- 
nhims  und  Alba's  bezeichnet  ist,  na<^  Diodes  Peparetheus,  der  den  Rab- 
binen  bekannt  gewesen  sein  mag,  wenn  auch  die  Zeit  aus  M^uigel  einer 
genauen  Chronologie  nicht  so  ganz  übereinstimmt, 

1«. 

Der  Culturverein  in  Berlin  hat  in  neuester  Zelt  als  Preis  aufgäbe 
gestellt,  die  Anfertigung  eines  „zum  Unterricht  für  Lehrer  und  zur  Lcctüre 
Gebildeter  geeigneten  Handbuches  der  jüdischen  Geschichte  von 
Alexander  dem  Grossen  bis  auf  unsere  Zeit."  Der  Preis  beträgt  200  Thaler 
und  behält  der  Verfasser  ein  Jahr  lang  das  Recht  über  den  Verlag  seines 
Werkes  zu  verfügen,  Macht  derselbe  keinen  Gebrauch  davon,  so  wird  es 
nach  Ablauf  dieser  Frist  auf  Kosten  des  Vereins  gedruckt  und  als  dessen 
Eigenthum  betrachtet.  Die  Arbeiten  müssen  dem  Secretär  des  Vorstandes, 
Herrn  Ludwig  Lesser,  bis  spätestens  zum  4«  März  4845  zugestellt  werden. 


Barere  von  Tleuzac« 


Als  im  Anfange  des  Jahres  1841  die  Zeitungen  Baräre's  Tod 
verkündigten,  wanderte  man  sich,  dass  er  noch  so  lange  am 
Leben  gewesen;  er  war  wie  verschollen  und  schon  unter  die 
Abgeschiedenen. gerechnet,  ja  in  manchen  Büchern  sein  Tod 
als  um  das  Jahr  1830  erfolgt  berichtet  worden.  Kein  Wun- 
der! Seit  der  Julirevolütion  ans  dem  Exil  nach  Frankreich 
heimgekehrt,  hatte  er  nach  kurzem  Aufenthalte  in  Paris  sich 
nach  seinem  Geburtsorte  Tarbes  im  Departem^t  der  obern 
Pyrenäen,  der  vormaligen  Landschaft  Bigorre,  zurückgezogen 
und  hier  ausser  aller  Berührung  mit  dem  öffentlichen  Leben 
in  stiller  Abgeschiedenheit  seine  letzten  zehn  Jahre  verbracht. 
Er  ist  86  Jahre  iMt  geworden  und  hat  bis  zum  achten  Tage 
vor  seinem  Tode  geschrieben;  sein  handschriftlicher  Nachlass 
ist  sehr  ansehnlich.  Die  Geschichte  hat  seit  einem  halben 
Jahrhunderte  ein  Urtheil  über  ihn;  dieses  lautet  auf  unge- 
meines Talent,  treffliche  Bildung,  ursprüngliche  Ehrenhaftig- 
keit der  Gesinnung,  aber  auf  Charakterschwäche,  auf  Neigung 
im  Sturme  der  Parteiung  zu  laviren  (penchant  k  louvoyer], 
^f  allmählige  Nachgiebigkeit  gegen  die  schreckbaren  Blut- 
menschen der  Revolution,  auf  endliche  Yersunkenheit  in  de- 
ren Dieoste  und  Theilnahme  an  den  grässlichsten  Yerirrungen 
der  Revolution:  es  fragt  sich,  ob  aus  den  Aufzeichnungen, 
die  er  hinterlassen,  der  Geschichte  Stoff  zu  seiner  Entschul- 
digung oder  Rechtfertigung  zuwächst?  Ja,  was  noch  wichtigi^r 
ist,  man  ist  berechtigt  anzunehmen,  dass  die  literarisch^  Hin- 
terlassenschaft eines  Mannes,  der  bei  der  Revolution  eine 
Zeitlang  im  Mittelpuncte  stand,  von  dem  der  Anstoss  zu  ri^n 

ZeiUcbrift  f.  Getchiclitsw.  1.  1814,  j[3 


194  Barbre  von  Vteu^ac. 

senhaftem  Aufschivunge  der  Kraft  ausging,  schätzbare  Auf- 
klärungen über  das  innere  Getriebe  der  Revolution,  über  die 
Geheimnisse  des  Wohlfahrtsausschusses,  dessen  Mitglied  er 
war,  über  den  Charakter  eines  Garnot,  dem  er  sehr  nahe 
stand,  eines  Bobespierre,  dessen  Client  er  eine  Zeitlang  zu 
sein  schien,  eines  St  Just,  Couthon,  Lebas,  die  Robespierre's 
letzte  Genossen  unter  den  Machthabern  waren,  eines  Billaud*- 
Varennes,  Collot  d'Herbois,  tallien,  Fouch6  U;  s.  w.,  denen 
er  sich  zu  Robespierre's  Sturz  beigesellte,  und  über  die  ge- 
heimen Entwürfe  und  Umtriebe  der  Einen  und  der  Andern 
tothalte»  Alle  jene  terroristischen  Amtsgenossen  Bar^re's 
sind  dahin  gestorben,  ohne  historische  Denkwürdigkeiten  2tt 
ttnterlasjien ;  er  allein,  der  raschesten  und  gewandtesten  schrilU 
liehen  Darstellung  mächtig,  von  Napoleon  als  der  bezeichnet, 
welchem  vorzugsweise  die  Geschichtschreibung  der  Revolu- 
tion zukomme,  immer  literarisch  productiv,  in  langem  Ver« 
steck  zu  Bordeaux,  in  fünfzehnjährigem  Exil  zu  Mons  und 
Brüssel,  zuletzt  in  zehnjähriger  Altersnihe  zu  Ti^rbes  reich 
an  Müsse,  schien  berufen  zu  sein,  von  ihnen  mit  zu  beriditen. 
Also  hat  gewiss  jeder  theilnehmende  Beobachter*  der  Ge- 
schichte des  neueren  Frankreichs  mit  ungemeinen  Erwar-  . 
tungen  die  Ankündigung  eines  Buches  vernommen,  welches 
jüngst  aus  Bar^re's  handschriftlichem  Nachlasse  hervorgegan- 
gen ist.   Es  sind  die: 

Mim^ires  de  Barere,  membre  de  la  Constituante  etc.^  pu^ 
bliSi  par  M.  M,  Bippolyte  Carnoi,  membre  de  la  ehambr^ 
des  depuUs,  et  D.atid  (d' Angers)  membre  de  rinstihd}^ 
pHöidis  d'üne  N&tice  historique  par  H.  Cam^t  P&risy  Jtü* 
Labitte  iB42,  i843.  /F.  Volum.  441  436.  374.  4S0  8^ten. 
Das  Elischeineii  dieses  Buches  ist  auch  wegen  äusserer 
Umstäind^  bedeutsam.  Erstlich  schon  darum,  dass  es  hat  er- 
scheinen können,  und  Baräre's  literarische  Hinterlassenschaft 
nicht  wie  die  eines  Mirabeau,  Gambacier^s  u.  s.  w.  unter  Schloss 
imd  Riegel  zurückgehalten  worden  ist.    Zweitens,  dass  die 
Aechtheit  des  Inhaltes  ausser  altem  Zweifel  ist.  Drittens,  dass 
die  Herausgabe  einem  tüchtigen  Manne,  Hipp.  Camot  —  denn 
diesem  hauptsächlich  ist  sie  zu  tefdanken  —  zu  Theil  gewor* 


Bar^e  t>ofi  Vieimac.  195 

den  ist,  demsetben,  der  sich  schon  um  Gr^goire's  Andenken 
verdient  gemacht  hat,  und  der  als  Knabe  in  seines  Vaters 
Hause  181S  Barere  kennen  lernte  und  späterhin  dessen  Yer-^ 
trauen  als  der  Sohn  eines  seiner  treuen  politischen  Freunde 
genoss.  Endlich,  dass  dies  Buch  nur  einen  Theil  des  hand<^ 
schriftlichen  Nachlasses  enthält  und  muthmasslich  noch  man- 
ches Andere  aus  letzterem  veröfiFentlicht  werden  wird.  Die 
5ache  ist  in  gute  Hände  gekommen. 

Hauptbestandtheile  des  Buches  sind  1)  Notice  historique 
sur  Barere  par  H.  Carnot;  2)  M^moires  über  die  assembl^e 
Constituante^  legislative,  «die  Convention  nationale  etc.  3)  Ais 
Einleitung  dazu  Fragmente  aus  dem  Journal,  welches  Barere 
1788  tn  Paris  anlegte:  Le  dernier  jour  de  Paris  sous  Tancien 
regime.  4)  Als  Anhang:  Souvenirs  de  la  Belgique,  aus  der 
Zeit  von  Bar^re's  Exil.  5)  Fragmente  aus  dem  Gompte-rendu, 
das  Barere  in  seiner  Haft  auf  Oleron  und  zu  Saintes  ent^ 
warf,  aber  nicht  zum  Abschluss  brachte.  6)  Portraits.  Die 
wichtigsten  Theile  sind  die  M^moires  und  die  Portraits.  In 
diesen  vornehmlich  spricht  sich  der  Geist  aus,  welchen  das 
gesammte  Buch  athmet.  Von*  diesem  ist,  ehe  wir  ins  Einzelne 
eingelien,  zu  reden. '  Uns  vergegenwärtigt  sich  dabei  das  An* 
denken  an  die  Memoiren  solcher  Theilnehmer  an  der  Bevo- 
lution,  die  sie  überlebt  und  in  der  Müsse  des  Buhestandes 
über  sie  'geschrieben  haben.  Wir  erinnern  uns  vor  Allen  Na* 
poleon's,  dem  es  nicht  sowohl  um  die  Wahrheit,  als  darum 
cu  thun  war,  sich  selbst  und  die  ihn  betreflPenden  Begeben* 
heiten  in  günstigem  Lichte  darzustellen,  und  der  nichts  von 
dem  Blendwerke  des  vormaligen  Gewalthabers  verlaugnet  — 
Levasseur's  von  der  Sarthe,  des  eingefleischten  Terroristen 
der  als  Greis  unwandelbar  bei  den  Grundsätzen  des  Schrek- 
kensystems  beharrt,  Lafayette's,  der  noch  1830  die  Ansichten 
des  Xafares  1789  festhielt,  Montlosier^s,  der  vom  alten  Feu- 
dalismus nichts  abgelegt  hat,  zu  geschweigen  eines  Dumas, 
-Vaublanc,  der  gefälschten  Memoiren  eines  Fouch^,  eines 
-wenig-  bekannten  Bruchstückes  von  der  Hand  des- wackern 
Itounou;  Es  scheint  in  der  Ordnung  zu  sein,  dass  wenige 
dieser  politischen  Charaktere  im  Wesentlichen  von  früheren 

13* 


196  Baräfe  ioon  Vieu^Me. 

ÄDsichteh  zurückgekommen  sind.    Auch  bei  Barere  verläug«* 
net  sich  nicht  eine  aus  der  Zeit  seiner  politischen  Bedeut- 
samkeit und  der  Revoiutionsieidenschaft  stammende  Befan- 
genheit: jedoch  diese  trägt  nicht  den  Charakter  einer  Apo- 
logetik der  Yerimingen  der  Revolution,  an  denen  er  Theil 
gehabt;  sie  erfüllt  sich  zumeist  in  Yorurtheilen,  die  der  mass- 
lose Argwohn»  das  eigentliche  Fieber  der  Bevolution,  erzeugte. 
Dagegen  lasst  sich  als  Grundton  der  Aufzeichnungen  Bar^re's 
über  die  Zeit  des  Terrorismus  das  Bemühen  erkennen»  seine 
Theilnahme  an  der  Handhabung  eines  Systems»  das  er  an 
sich  verwirft;  und  das  in  der  That^  seiner  Natur  nicht  ent- 
sprach, zu  beschönigen  und  den  ^Besinnungen  der  Humanität 
ihr  Recht  widerfahren  zu  lassen;  späterhin  gesellt  sich  dazu 
Bitterkeit  im  Urtheile  über  die  Menschen,  welche  ihm,  dem 
ehemaligen  Terroristen,  Verfolgungen  bereiteten  und  das  Leben 
sauer  machten,  von  Tallien  und  Fr^ron  an  bis  zu  denBourbons. 
Wir  fassen  zunächst  jene  Befangenheit  näher  in's  Auge. 
Hier  haben  wir  die  Hauptstücke  der  in  der  Fieberperiode 
der  Revolution  aufgewucherten  Fabellehre,  ohne  irgend  eine 
Ermässigung,  das  gesammte  Magazin  von  Imputationen  und 
Anschuldigungen,  die  schrankenloseste  Glaubensfähigkeit  und 
unwandelbare  Beharrlichkeit  in  ihr.    Da  hat  Prinz  Lambesc 
12.  Juli  1789  eigenhändig  einen  Greis  niedergesäbelt«   Graf 
Artois  die  Verbrecher  aus  dem  Gefängniss  losgelassen,  da 
will  die  Königin  14.  Juli  die  Nationalversammlung  mit  Ka- 
nonen beschiessen  lassen ,  da  ist  Pitt  der  Urheber  der  Con- 
vention von  Pillnitz,  da  ist  Mirabeau  an  dem  Gifl;e  der  Par- 
tei Lameth  gestorben  (1, 312),  der  Herzog  von  Orleans  durch 
die  Umtriebe  von  Goblenz  hingerichtet  worden,  da  sind  von 
Goblenz  und  London  bestochene  Agenten  des  Auslandes  und 
d^r  Emigration  nicht  bloss  ein  Tallien  etc.,  sondern  auch 
Marat,  Robespierre  (2, 232),  da  ist  der  Aufstand  des  12.  G^r^ 
minal  von  Tallien,  Fr^ron  und  Barras  angestiftet  (2, 262)  oder 
(an  einer  anderen  Stelle)  der  12.  Germinal  und  dazu  der  erste 
Prairial  ein  Werk  Sieyes'  (3,  268),  die  Gonspiration  Ar^na's^ 
Ceracchi's  etc.  ein  blosses  Polizeifabrikat,  Pichegru  im  Ker- 
ker erdrosselt  worden  u.  dgL 


Saräre  e<m  Vtemac,  197 

In  dieser  Richtung  also  Jiaben  wir  nur  den  verjährten 
Nebe],  der  sich  gegen  die  Lichtstrahlen  historischer  Kritik 
und  gegen  eine  grossartige  Ansicht  von  dem  Gange  der  Be- 
Toltttion  verschlossen  gehalten  hat.  Barere,  sieht  man,  hat 
sich  nicht  die  geringste  Mühe  gegeben,  seine  Ansichten  von 
demselben,  wie  sie  in  den  Jahren  1789—1794  sich  gestaltet 
hatten,  zu  berichtigen.  Seine  Beharrlichkeit  in  dem  Glauben, 
dass  das  britische  Cabinet,  Pitt's  Gesinnung  und  Getriebe, 
•ine  Büchse  der  Pandora.  fiir  die  Revolution,  gewesen  sei, 
musste  allerdings  in  der  unläugbaren  Evidenz  der  bösen 
Künste  und  der  Gewissenlosigkeit  der  Pitt'schen  Politik  eine 
tüchtige  Stütze  finden;  und*  andererseits  wies  ihn  seine  pu« 
bHctstische  Schriftstellerci  noch  unter  dem  Directoriuro,  dem 
Gonsulat  und  im  Kaiserreiche  auf  fortwährenden  Antagonis- 
mus gegen  England  hin;  zuletzt  machte  das  Benehmen  Wel- 
Irägton's  den  schmerzlichsten  Eindruck  auf  ihn.  Also  in  Be- 
treff England's  Anklagen,  nichts  als  Anklagen,  mit  und  ohne 
Grund,  —  ebenso  in  Hinsicht  der  Emigranten,  des  Hofes  von 
Coblenz  -^  und  daher  hauptsächlich  eine  schiefe'Stellung  sei- 
ner Motiyiruttg  der  bedeutendsten  Begebenheiten  der  Revo- 
lution. Es  ist  das  Gespenst  der  faction  de  T^tranger,  das  sich 
während  der  Revolution' nie  recht  bannen  Hess,  weil  Wahr- 
heit und  Dichtung  nicht  von  einander  zu  scheiden  waren,  das 
aber  bei  Barere  historischen  Aufklärungen  nicht  im  gering- 
sten Raum  gegeben  hat. 

Nicht  anders  ist  es  mit  seiner  Ansicht  von  Danton,  und 
gerade  in  dieser  möchten  wir  die  auffälligsten  Vorurtheile 
und  einen  oiur  aus  grenzenloser  Leichtfertigkeit  erklärbaren 
Mangel  an  kritischer  Ueberlegung  finden.  Zwar  bekennt  er, 
dass  auch  ihm  die  Urheber  des  Septembermordes  unbekannt 
seien  (2, 37),  wo  er  weiter,  als  sich  ziemt,  hinter  der  Wahr- 
heit zurückgeblieben  ist;  hier  also  scheint  Danton  von  ihm 
mit  minder  Schuld  als  gewöhnlich  belastet  zu  werden;  nach- 
her aber  bezeichnet  er  diesen  als  einen  homme  plein  d'au- 
dace  et  d'une  t6m6rit6  f^roce,  comme  il  Tavait  prouv6  le  2 
et  3  septembre  (3,  267),  häuft  auf  diesen  so  viel  schlimme 
Entwürfe,  dass  Danton  als  der  eigentliche  Mephistopheles  der 


200  Bßräre  von  Vieuzac, 

dem  Uin$täiideD  gerade  von  dem  Redacteur  einer  Meage  Be- 
schlüsse des  Wohlfahrtsausschusses  hätten  erwarten  können; 
jedoch  erklärt  die  Art  wie  Barere,  als  Deportirter,  von  der 
Bühne  abtrat,  diesen  Mangel  genugsam.  Also  sind  wir  auch 
dies  Mal  wieder  auf  den  Wunsch  zurückgeworfen ,  dass  aus 
dem  Archiv  des  Wohlfahrtsausschusses  die  noch  unbekannten 
urkundlichen  historischen  Belege  an's  Licht  kommen  mögen. 
Wir  wenden  uns  zu  dem,  was  Barere  über  sich  seibat 
vorbringt.  Es  hat,  wie  schon  bemerkt,  zum  Charakter  Apo«- 
logie  nicht  des  Systems,  dem  er.  eine  Zeitlang  diente,  son- 
dern seiner  Person  und  der  Art,  wie  diese  jenem  gedient 
habe.  Es  mag  Barere  nicht  zu  übel  angerechnet  werden,  dasd 
er  die  terroristischen  Gräuel,  zu  denen  er  die  Hand,  minde- 
stens durch  seine  Unterschrift,  bot,  fast  insgesammt  mit  Stäi^ 
schweigen  übergangen  hat,  dass  wir  nichts  von  der  Mission 
eines  Lebön  u.  s.  w.  lesen;  wir  können  dagegen  anfiihren» 
dass  in  dem  gesammten  Buche  eine  absichtliche  Fälschung 
der  Geschichte  zu  apologetischen  Zwecken  niii^ht  bemerktet 
ist  und  bestätigen  auch  mit  voller  (Jeb^zeugang,  was  Barere 
von  der  Nichtswürdigkeit  seiner  thermidori&tischen  Widefs^«. 
eher,  eines  Tallien,  Fr^ron  u.  s.  w.  vorbringt.  Wir  glauben 
ihm  gern,  dass  er -im  Grunde:  nicht  bösartig  war,  und  dass 
nur  seine  von  ihm  selbst  eingestandene  (1,  11)  Cbarakt^- 
schwäche,  die  freilich  selten  bei  einem  Menschen  heilloser 
ausgeschlagen  ist,  ihn  in  eineJLage  brachte,  wo  er  seiner 
bessern  Natur  untreu  werden  musste.  Er  ist  bemüht  darzu- 
thun,  was  er  Gutes  gestiftet,  wie  oft  er  Menschen  das  Le- 
ben gerettet  habe:  wohl  ihm,  dass  er  dergleichen  anfiihreiv 
kann.  Besonderes^  Gewicht  legt  er  auf  die  kolossale  Masse 
von  Arbeiten,  die  er  im  Wohlfahrtsausschusse  bewältigt  habe 
(2, 138.  141),  und  als  auf  ruhmvolles  Tagewerk  weist  er  hin 
auf  seine  Berichte  von  den  französischen  Waffenthaten.  Es 
ist,  als  ob  hierbei  das  Bemühen  einer  Assimiiirung  mit  Car- 
not  zu  Grunde  gelegen  habe.  Garnot  ist  sein  Mann;  von  die- 
sem spricht  er  mit  unbedingter  Verehrung  (2,  367.  4, 102  ff.), 
und  hier  wird  ihm  jeder  unbefangene  Urtheiler  beistimmen. 
Also  wie  Gamot,  den  Blick  nur  auf  die  Yertheidigung  des 


Bar^e  ton  Vieusac.  901 

Vatertandes  gewandt,  sich  nicht  um  das  Innere  bekümmerte 
und  auf  Treue  und  Glauben  zu  vielen  die  innere  Waitung 
betrefii^nden  Beschlüssen  des  Wohlfahrtsausschusses  seine  Un« 
terschrift  gab,  ohne  sie  gelesen  zu  haben»  ebenso  scheint  es 
möchte  Barere  ihm  mit  seinen  Heeresberichten  zur  Seite  ste« 
hen;  jener  der  Schöpfer  eines  neuen  Kriegssystems,  Barere 
als  der  Herold  von  den  Wirkungen,  die  es  hatte,  so  dass 
uüter  andern  die  Soldaten  mit  dem  Rufe:  Barere  k  la  tribune! 
im  Jahre  1794  gegen  die  Piemonteser  anstürmten  (2,  133). 
Wir  können  uns  irren,  aber  wenigstens  vermehrt  unsere  Yer- 
muthung  nicht  die  Schuidrechnung  Barire's.  Dass  er  nicht 
EU  den  Plusmachem  der  Revolution  gehörte ,  wird  sich  aus 
seiner  Anfühl^ng  (2, 140),.  er  sei  -—  als  Mitglied  des  Wohlr 
{afartsausschusses  — •■■  genöthigt  gewesen,  von  einem  Freunde 
BU  borgen,  wohl  nicht  sicher  ergeben;  doch  ist  auch  das  €re- 
genthml  nicht  zu  beweisen.  Vollkommen  Recht  hat  er  end-« 
lieh  in  setner  bittern  Klage  über  die  Yerläumduog;  mag  da-* 
diuypch  äxifeb  nic;bt.  in  viaian  Stücken  dargetban  werden,  wie 
übel  er  dabei  g^hren  sei,  so  lässt  sich  vom  Allgemeinen  auf 
das,  was  ihn  betroffen  hat,  anwenden,  dass  die  Verleumdung 
da;&'Pm[ictum  saliens  in  der  Lügenhaftigkeit  der  Revolution 
ist,:  dass  man  das  Schlimmste  am  liebsten  glaubte,  dass  der 
Argwohn  der  Verläumdung  entgegenkam,  der  Parteigeist  sie 
pflegte  und  endlich  in  der  enormen  Leichtgläubigkeit  und 
Leidenschaftlichkeit  ^er  Zeitgenossen  auch  das  Abenteuer- 
lichste die  Gestaltung  ausgemachter  historischer  Thatsachen 
bekam.  Die  Zeichnung,  welche  er  von  dem  Geiste  der  Ver- 
läumdung giebt,  ist  nicht  übertrieben.*)  Auch  werden  manche 


*)  C'est  une  puissance  chez  les  nations  corrompues,  Elle  a  k 
ses  ordres  ringratitude  et  i'envie;  eile  a  une  main  de  fer  qui  tient 
une  plumeempoisonn^e;  eile  a  un  coeur  de  boue  et  une  t^le  da 
bronze.  Elle  frappe  toujours  le  g6nie,  la  vertu,  le  talent,  le  qiMte; 
eile  se  prampoime  ä  tous  les  poavoirs  pour  servir  leurs  passions 
et  pour  mettr^  ses  biographies  et  ses  anecdotes  mensong^res  h 
leur  Solde;  ette  est  sans  oreilles  et  sans  pitiö;  sourde  volontaire  et 
m^düante,  eile  n'^oute  ni  les  faits  vr^is,  ni  les  faitß  justiGcatifs; 
ses  blessures  fönt  des  cicatrices:  qui  restent  toujours  (1.  S).   Dazu 


tos  Barbre  ttm  Vieuwc, 

ihfii  beiitimmen»  wenn  er  sagt:  En  France  le  maavais  ne  tombe 
pas  parce  qu'il  e§t  mauvais,  mais  biea  pareequ'il  est  as6  (3, 21). 
Von  dem  was  er  imEinzeben  anfiibrt  mag  hier  erinnert  werden, 
dass  er  nieht  gesagt  hat:  La  guiUotine  bat  monnaie  k  la  place  de 
r^volution  (2, 128)  und,  was  er  schon  in  seiner  Yertheidigungs-* 
Schrift  vom  Jahre  1794  behauptet  hatte,  dass  sein  Wort:  „U 
n'y  a  que  les  morts,  qui  ne  reviennent  pas^'  nicht  den  scUim««* 
men  Sinn  hat,  den  man  ihm  zur  Zeit  der  Reaction  unter«* 
legte  (2,120).  Es  ist  mit  manchen  dieser  Revolution^prüche 
wie  mit  den  grands  mots  französischer  Könige  und  mit  einer 
Menge  Anekdoten :  Se  non  h  vero,  h  ben  trovato.  Doch  Ba*» 
r^re  sagt  uns  nicht,  dass  er  jenen  Ausspruch  in  einer  Mah^ 
nung  zur  Strenge  4.  Juli  1794  im  National-Gonvente  wieder-- 
holt  hat  (Moniteur  J.  2.  N.  287) !  Als  etff  Hauptstack  von  Apo» 
logie  ist  anzuführen ,  was  Herr  Garnot  in  der  Notice  histo« 
rique  1, 13  ff.  alt  Fragment  aus  den  handscfariftlichen  Auf^ 
Zeichnungen  Barere's  hat  abdrucken  lassen.  Es  ist  aber  zu 
umfänglich,  um  hier  Platz  zu  finden. 

So  mögten  wir  denn  unsere  altgemeinen  Bemerkungen 
mit  dem  Bekenntnisse  schliessen,  dass  aus  den  verliegendton 
4  Bonden  die  Geschichte  der  Revolution  sehr  wenig  neue 
Aufschlüsse  gewinnt,  und  dass  als  das  Wesentliebste  bei  die-* 
ser  literarischen  Erscheinung  die  Anschaulichkeit  der  Eigen- 
schaften Bareres  anzusehen  ist,  wobei  auch  die  Erkenntniss 
Ton  der  Negation  der  Unbefangenheit,  des  Scharfblicks,  der 
Genauigkeit  in  seiner  Auflbssung  und  Darstellung,  ihren  Werth 
hat.  Wir  müssen  uns  schon  darein  ergeben,  von  keinem 
derer,  die  in  der  Revolution  von  einem  bedeutenden  Stande 
puncte  aus  mitgehandelt  haben,  eine  befriedigende  Geschichte 
derselben  aus  irgend  einer  Hinterlassenschaft  zu  ^ben.  Das 
beste  Licht  werden  immer  noch  vertraute  Briefe  und  Auf« 
Zeichnungen  geben:  die  papiers  trouv6$  chez  Bobespierre  und 
die  Correspondance  inödite  de  Napoleon  Bonaparte  können 


2.  73.  —  je  sais  qu'ä  Paris  on  n'^coute  qoe  l'accusation,  et  que 
jamais  on  n'y  peat  faire  entendre  une  jusf^ation:  la  calomnie 
est  le  patrimoine  des  Parisiens. 


Barkre  f>an  Vieunac.  jOt 

als  Beispiel  dienen.  Bei  der  If  ostemng  des  Eituelaen  wollen 
wir  Dichts  übergehen,  was  als  gute  Ausbeule  gelten  kann; 
doch  soll  uns  nicht  bloss  das  kümmern^  was  neue  Aufschlüsse 
giebt,  sondern  auch  was  treffend  bemerkt  ist,  nicht  minder 
aber  was  eine  irrige  Angabe  enthält. 

In  der  Notice  historique  von  H.  Garnot.  finden  wir  der 
Natur  der  Sache  gemäss  ein  H^sum6  aus  den  Memoiren  selbst, 
und  was  der  Herausgeber  ausserdem  überBaräre  zu  sagen 
hatte,  zugleich  aber  einzelne  interessante  Mittheilungen  aus 
Baräre's  Itfanuscripten ,  die  sich  auf  losen  Zetteln  befanden. 
Näinlieh  wie  Herr  Gamet  über  die  Beschaffenheit  des  ge- 
rammten handschriftlichen  Nachlasses  berichtet  (1, 5) ,  befand 
sich  darin  eine  ansehnliche  Zahl  fliegender  Blätter,  bestimmt, 
dem  Texte  der  Memoiren  eingereiht  zu  werden.  Ein  solches 
Fragment  ist  S.  69  über  den  Herzog  von  Orleans  (£galit6>, 
und  in  diesem  S.  51  die  schon  oben  gedachte  wahnhafte  An* 
gäbe,  dass  die  Jotriguen  der  ausgewanderten  Prinzen  von 
Goblenz  dessen  Haft,  Abführung  nach  Marseille  und  —  noch 
fiiehr  —  seine  lUickholung  nach  Paris  zum  Halsprocess  ver- 
ursacht-hätten^!  S.  80  dass  die  Idee  der  Ecole  daMars  in  der 
Ebene  von  Sablons  nicht  von  Robespierre,  sondern  von  Gar- 
not kam.  S.  88  dass  Barere  mit  einer  Geschichte  des  Wohl- 
Mrtsausschusses  umging;  die  id^e  prdiminaire  dazu  ist  S. 
88—103  zu  lesen.  (Jeher  Robespierre  mehrerlei  S.  116  f.,  wor- 
auf-sdion  oben,  hingewiesen  worden  ist.  Von  des  Heraus- 
gebers Zutbaten  bemerken  wir  S.  58:  eine  interessante  Mit- 
fheilttBg  über  die  berühmte  Pamela  Fitzgerald,  die  Barere  in 
dem  Kreise  der  Frau  von  Genlis  hatte  kennen  lernen  (2, 73)» 
und  die  ihn  zu  Paris  kurz  nach  seiner  Rückkehr  dahin.  1830 
besuchte!  -~-  S.  63:  Im  Jahre  1833  ward  Barere  durch  eine  ver- 
traute Mittelsperson  von  Seiten  König  Ludwig-Philipp's  auf«* 
gefördert,  Aufschlüsse  über  die  Katastrophe  des  Herzogs  von 
Orleans  (Egalit6)  zu  geben;  Barere  wies  nach,  dass  der  Wohl- 
fahrtsausschuss  damit  nichts  zu  thun  gehabt  habe^  dass  viel- 
mehr der  Antrag  zum  Gericht  vom  Sicherheitsausschusse  aus- 
gegangen sei,  und  seitd^n  erhielt  er  bis  zu  seinem  Tode 
jährlich  eine  Pension  von  1000  Francs»  —  S.  81;  nach  Mil''« 


ttieiiang  eines  Ohrenzeugen  sagte  Robespierre  einst  von  B«- 
rtre  (nicht  ohne  ein  gewisses  Uebelwollen):  Bar^e  a  pu  com^ 
mettre  quelques  erreurs,  mais  c'est  un  honnÄte  homme,  qui 
aime  son  pays  et  le  sert  mieux  que  personne.    D^s  qu'un 
travail  se  präsente,  il  est  cli5pos6  k  s'en  charger.    II  sait 
tout,  il  connaft  tout,  il  est  propre  k  tout.    Dazu  ge- 
sellt sich  eine  Mittheilung  Prieur's  von  der  Goldküste,  des 
Gollegen  von  Barere  im  Wohlfahrtsausschusse:  lorsque  apr^s- 
de  longues  heures  de  d6bats  anim^s,  qui  noos-tenaietit  sou- 
vent  une  partie  de  la  nuit,  nos  esprits  fatigu^s  ne  pouvaient- 
plus  qu-avec  peine  se  rappeler  les  circufts  que  la  drscussion 
avait  parcourus  et  perdaient  ile  vuer  le  point  principal,  Ba- 
rere prenait  la  parole;  ä  la^suite  d'un  r6sum^  rapide  et  lu- 
mineux  il  posait  nettement  la  question>  et  nous  n'avions  plus 
qu'un  niot  k  dire  pour  la  r^soudre.  —  S.  i23  nadi  David -s 
Mittheilung:  Barere,  mit  diesem  befreundet,  sagte  ihm  9.  Ther« 
midor:  Ne  viens  point  a  cette  s6ance;  tu  n'es  point  un  hmnme 
politique,' tu  te  compromcttrais.  —  S.  154:  Nach  dem  18.  Bru- 
maire  im  Dienste  Bonaparte's,  der  ihm  die.h|irgerliche  Exi- 
stenz wiedergab,  hatte  Barere  diesem  unter  andern  auch  verr- 
trauliche  Berichte  zu  erstatten:  soit  survl'opinion  publique^ 
soit  sur  la  marche  du  gouvernement,  soi^-sur  tout  oe  iqu'^l 
pourra  croire  6tre  interessant  au  premier  consul  de  connaitre, 
mit  dem  Zusätze:  il  peut  ^crire  en  toute  libert^.    Dies  ge"^ 
schab  vom  Anfange  des  Jahres  1803  bis  zu  Ende  1807^  wo 
Bar^e's  freimüthiger  Ton  und  die  Mahnungen  an  fortwäh- 
rende Opposition  der  alten  Aristokratie  im  Bunde  nnt  der 
religiösen  Meinung  (opinion)  Napoleon  missfiel  und  Duroc  an 
Barere  schrieb,  dass  der  Kaiser  nicbt^mebr  Zeit  habe,  diese 
Bulletins  zu  lesen.    Barere  hatte  deren  222  eingesandt.    Im 
Exil  zu  Brüssel  nach  dem  Tode  Napoleon's  gedachte  er  sie 
zu  veröffentlichen,  aber  die  Julirevolution  hinderte  ihn  iin  der 
Ausführung. 

'  Die  Memoiren  fangen  an  Bd.  I.  203.  Was  Barere  ( geb. 
10.  Sept.  1755  zu  Tarbes,  mit  dem  Zunamen  von  Yieuzac, 
einem  Orte,  wo  sein  Yater  einige  Lehnsgefälle  hatte)  von. 
s^ner  Jugendbildung  und  den  Anfängen  und  ersten  Erfolgen 


Bm'ire  von  Vieumt^.  -    2W 

seines  GesehXfts-  und  Literaturiebens  erzählt  —  Eintritt  in 
die  Advocatur  zu  Toulouse,  Vertheidigung  eines  jungen  Mäd- 
chens gegen  die  Anklage  des  Kindesmordes,  Bildung  ein^ 
eonförence  de  charit^  zu  unentgeltlicher  Sachwaltung  für 
Anne,  historisch «publicistische  Studien,  Aufnahme  in  die 
Akademie  der  Wissenschaften  und  der  jeux  floraux  zu  Tou- 
louse —  ist  sehr  geeignet,  für  den  feingebildeten  und  wohl- 
gesinnten Mann  einzunehmen.  Für  den  Alterthumsfreund  ist 
interessant,  dass  Barire  im  Schloss  Beaud^an,  also  in  einer 
G^end,  wohin  nach  der  Annahme  einiger  Historiker  Gäs«r 
gar  nicht  gekommen  sein  soll,  eine  römische  Inschrift  „mon- 
^bus  dicavit  Gaesar^^  fand;  eine  Abhandlung  darüber  las  er 
in  der  Akademie  von  Toulouse;  der  Stein  ist  später  nach 
Paris  gekommen.  Nach  Paris  ging  Barire  im  Jahre  1788; 
seine  gefällige  Persönlichkeit  und  seine  angenehmen  gesell- 
schaftlichen Talente  schatten  ihm  Zutritt  in  hohe  Kreise,  na- 
mentlich zu  der  Herzogin  von  d'Anville,  Mutter  des  Herzogs 
von  Lbrochefoucauld.  Er  schrieb  während  dieser  Zeit  das 
obgedacbte  Tagebuch:  Le  demier  jour  etc.  worin  ausser  der 
Notiz  über  die  im  Hause  der  Herzogin  von  d'Anville  herr- 
schenden liberalen  Ideen  nur  die  Portraits  von  Ludwig  XVL, 
Marie -Antoinette  u.  s.  w.  anziehend  sind.  Als  Deputirter  in 
der  eonstituirenden  Nationalversammlung  redete  Barire  zum 
ersten  Male,  als  über  den  Namen  derselben  debattirt  wurde» 
—  Ueber  tien  2J,  Juni  lesen  wir  S.  256  eine  nicht  unglaub- 
würdige Notiz  (aus  dem  Munde  eines  Garde- du«  corps  und 
eines  königlichen  Thierarztes):  Quand  le  roi  eut  mont^  en 

voiture  sur  la  grande  avenue  du  chAteau,  M.  d'A (Ar^- 

tois)  s'avan^a  et  lui  dit  que  les  d6put^s  des  communes 
re/usaient  de  sortir  de  la  salle  et  qu'il  fallait  les 
faire  sabrer  par  les  gardes-du-corps.  Le  roi  r^pondit 

froidement  par  ces  mots:  Au  chAteau!  M.  d'A insista 

pfus  fort:  Donnez  donc  Tordre  de  les  sabrer,  autre^ 
ment  tout  est  perdu.  —  Allez-y  vous-mftme  ...  On  in- 
sista encore.  Le  roi,  que  gagnait  l'impatience,  dit  k  M.  d'A 

Ailez  vous  faire  f...  Au  chAteau,  au  chAteauI  —  S. 367: 
Bestätigung,  dass  der  Herzog  von  Larochefoucauld--Liancourt 


206  Barhre  Don  VitU!6ae. 

in  der  Nacht  auf  dein  iS.  Juli  zu  Ludwig  XVI.  sagte:  G'est 
une  rÄvolution.  —  S.  271 :  In  der  Nacht  des  4.  Aug.  brachte 
Barere  seine  Stelle  als  conseiller-doyen  der  Senechauss^e 
von  Bigorre  mit  12000  Livres  zum  Opfer.  —  S.  283:  Im  Co* 
mite  des  iettres  de  caehet  angestellt,  erfuhr  Barere,  dass  ein 
Graf  von  Crecqui,  in  Folge  einer  von  seiner  Familie  veran*- 
stalteten  Requisition  bei  der  preussischen  Regierung,  zu  StbU 
tin  im  Kerker  sass.  Ferner  S.  284:  als  die  zwölf  Deputirtea 
der  Bretagne  1788  in  die  Bastille  sollten  und  der  PolizetlteU"» 
tenant  de  Grosne  anzeigte,  dass  dort  kein  Platz  sei,  befahl 
der  Minister  Brienne,  zwölf  Gefangene  aus  der  Bastiile  als 
„Wahnsinnige"  nach  Gharenton  zu  schaffen,  damit  in  jener 
Platz  würde.  —  S.  294:  Barere  war  oft  in  ^lem  Kreise  der 
Frau  von  Genlis,  die  später  ihn  l'exöcrable  nannte. —  S.  319: 
die  National -Versammlung  bekam  so  viel  zu  schreiben,  dass 
Barere  von  einem  gouvernement  plumitif  sprach.  —  Bei  der 
Rückkehr  der  königlichen  Familie  von  der  Flucht  trugen  Bar 
rere  und  Gr^goire  den  Dauphin  auf  ihren  Armen  durch  die 
wilddrohende  Menge  in  die  Tuilerien.  —.  S.  328:  Am  17.  Juli 
1791  gab  Karl  Lameth,  wie  er  selbst  1832  in  der  Deputir- 
tenkammer  ausgesagt  hat,  als  damaliger  Präsident  derNatio- 
naI-Versammlung  an  Bailly  den  Befehl  auf  das  Volk  zu  feuern. 
—  S.  329  von  dem  Bemühen  der  Partei  Lameth  bei  der  Re-^ 
Vision  der  Macht  des  Thrones  aufzuhelfen.  B.  spricht  sehr 
ungünstig  darüber  und  leitet  davon  die  nachherige  Ungunst 
der  Gonstitution  in  der  öffentlichen  Meinung  ab.  Hier  kön* 
nen  wir  ihm  nicht  beistimmen. 

Band  IL  Nach  dem  Schluss  der  constit  N.  V.  bemüht 
sich  H.  V.  Larochefoucauld,  B.  in  Paris  zu  halten;  ihm  war 
das  Ministerium  des  Innern  zugedacht;  B.  aber  ging  nach 
Tarbes.  Nach  Paris  kam  er  §.  Aug.  1792  zurück;  bei  den 
Begebenheiten  des  10.  Aug.  war  er  nur  Beobachter.  Ludwig 
soll  nach  der  Ankunft  in  der  N.  Vers,  den  OberofBeieren 
d^r  Schweizer,  welche  um  Ordre  baten,  gesagt  haben:  Re- 
tournez  k  votre  poste,  et  faites  votre  devoir  (19).  Das  ist 
schwerlich  zu  glauben ;  der  König  gab  Befehl,  die  Vertheidi- 
gung  des  Schlosses  einzustellen.  —  Danton  als  Justizminister 


Bariare  t^^n  Vimuae.  207 

näthigte  B.  eine  Stelle  als  Ministerialralh  auf  (22).  B.  kam 
durch  den  Eintritt  in  den  N.  Gonvent  davon  los.  —  Zur  fit- 
ronde  20g  ibi  Bildung  und  aueh  Vorliebe  für  den  FöderaUs- 
tnus,  der  in  «fmer  Plane  war,  hin  (39);  gegen  Marat  äusserte 
er  anfangs  Abneigung.  —  Bei  dem  Verhör  des  Königs  Prä-* 
sident.des  N.  G.  veranstaltete  er,  dass. diesem  ein  Lehnstuhl 
gesetet  wurde ,  Hess  in  der  Anrede  und  der  Vorieisung  der 
Klagepunkte  den  vom  Gomite  gemachten  Zusatz  Gapet  nach 
Lotus  weg,  und  veranlasste  Valazd,  der  bei  Ueberreichung 
del*  Actenstücke  an  Ludwig  diesem  den  Rücken  zukehrte  und 
über  die  Schulter  hin  sein  Geschäft  verrichtete,  eine  geziei* 
mende  Stellung  anzunehmen  (57).  Als  nachher  Gambac^res 
bei  einer  Mission  an  den  König  Louis  Gapet  sagte,  äusserte 
sieh  dieser  mit  Anerkennung  über  Barire's  Benehmen.  Von 
seinem  Votum  in  der  dreifachen  Abstimmung  über  Ludwig 
schweigt  Barere;  bekanntlich  war  bei  der  Frage  über  Appel- 
lation an  das- VqHc  gerade  sein  negatives  Votum  von  wich- 
tigem Einflüsse.  —  Im  Gomite  de  defense  g^n^rale  arbeiteten 
Danton  und  Lacroix  gegen  Brissot,  Gensonnö  und  deren 
Freunde;  hier  nicht  minder  Reibung  als  im  N.  Gonvent,  aber 
mit  der  besondern  Tendenz,  des  Einflusses  auf  die  Armee 
und  der  Gorrespondenz  mit  den  Feldherren  sich  zu  bemäch* 
tigen  (25).  Mit  Dumouriez  suchte  Danton  ebensowohl  als 
die  Girondisten  genaues  Einverstandniss.  —  S.  77  rechnet  er 
die  Girondisten  zu  der  caste  moderne  des  profiteurs  de 
r^volutions.  —  Den  Bericht,  dass  der  Krieg  an  Spanien 
zu  erklären  sei,  machte  Barere  im  Auftrage  des  Gomite  (60)% 
Di^  Gonspiration  vom  10.  März  1793  (irrig  ist  S.  80  vom  I5ten 
die  Rede)  hält  Bari^fe  für  einen  Versuch,  un  prince  tris  connu 
(den  Herzog  von  Orleans  oder  dessen  ältesten  Sohn!)  an  die 
Spitze  zu  bringen;  der  Tumult,  wo  Fournier  der  Amerikaner 
den  Pöbel  führte,  und  Dumouriez's  Reerbewegung  seien  ver-^ 
abredet  gewesen.  Heber  die  Blindheitl  Was  von  der  aller« 
dings  nicht  ganz  aufgeklärten  Sache  zu  halten  sei,  darüber 
s.  meine  Gesch.  Frankreichs  2, 102  f.  Jedenfalls  galt  es  einen 
Angriff  auf  die  Girondisten.  —  So  will  uns  auch  das  nicht 
glaubhaft  erscheinen^  was  S.  90  erzählt  wird:  Danton  wirkte 


1 
i 

I 


268  Barhre  ttm  Vieuzac. 

dem  Baron  von  Sta^l-Holstein  100,000  Thaler  zu  einer  di«* 
plomatischen  Reise  und  Verhandlung  über  ein  Bündniss  mil 
Sdiweden  aus;  Herr  von  Stael  aber  ging  nur  nach  Goppet 
An  dem  Tage  des  völligen  Sturzes  der  Gironde  2.  Juni  1793 
sprach  Barere  gegen  Henriot  und  begehrte  la  punition  exem- 
plaire  et  instantan^e  de  ce  soldat  insolent,  qui  ose  outrager 
et  violer  la  repr^sentation  nationale  (S.  90).    Das  berichtet 
auch  der  Moniteur,  und  femer  heisst  es,  fiobespierre  habe 
Baröre  eingeschüchtert  (Buchez  et  R.  h.  pari.  28,  45).    Hier 
nun  lautet  es:  Robespierre  kam  zu  Barere  auf  die  Tribüne 
und  sagte  ihm  leise :  Que  faites*vous  ]k1  voüs  faites  un  beau 
gächis.    Barere  aber  sagte  laut:  Le  gdchis  n'est  point  ä  Ja 
tribune,  il  est  au  carrousel,  il.est  1^!  und  vfiü  nun  er^t  die 
obigen  Worte  gegen  Henriot  gesprochen  haben.  Dass  Dpnton 
zwar  den  31.  Mai  betrieben  habe,  ist  ausser  Zweifel;  er  wollte 
die  für  ihn  bedrohliche  Gommission  der  XII.  beseitigen;  dass 
er  aber  den  2.  Juni  gemacht  habe,  ist  nicht  zu  glauben;  er 
liess  die  Sache  nur  gehen,  sie  kam  nun  in  Marat's^  und  Robes^ 
pierre*s  Hand.   Noch  einmalJiess  Barere  sich  als  Widersacher 
der  Unterdrückung  vernebmen;  von  ihm  ging  der  Antrag*  aus, 
den  Departements  Geissein  für  die  verhafteten  Girondisten 
zu  stellen  (95);  durch  ihn  wurde  Danton  bestimmt,  sich  zur 
Geissei  anzubieten:  aber  als  im  N.  Gonvent  Danton  sich  mit 
den  Häuptern  der  Linken  besprach  (unbezweifelt  war  hier 
Robespierre's  Stimme  von  Einfluss)  ward  er  umgestimmt  uiid 
der  ganze  Plan  rückgängig  gemacht.  —  In  dem  zweiten  Wohl- 
fahrtsausschusse (v.  10.  Juli)  war  es  bald  vorbei  mit  Baräre's 
Selbstständigkeit;  27.  Juli  trat  Robespierre  ein  und  nun  war 
Barere  auf  ein  ganzes  Jahr  von  dessen-  Willen  abhängig.   Ir- 
rige Ansicht  hat  Barere  S.  104  von  Danton,  als  habe  dieser 
bei  dem  Betriebe  neuer  Besetzung  und  Einrichtung  des  Wohl- 
fahrtsausschusses Herrschaft  für  sich  im  Sinne  gehabt:  5¥ar«- 
um  trat  er  denn  nicht  ein  in  denselben?  Wir  wiederholen 
es,  die  gesammte  Ansicht  Bar^re's  von  Danton  ist  höchst  be- 
fangen; wir  erinnern  uns  kaum,  eine  so  totale  Verblendung 
in  Betreff  der  Sinnesänderung  und  Parteistellung  Danton's 


Bat^e  etm  Vieusäe.  2M 

Mit  dem  Sturze  der  Gironde  gefaeden  m  haben.*)  Hat  Ba« 
Thre  nie  mit  seinem  Freunde  und  Amtsgenossen  Carnot  über 
Danton  gesprochen?  dessen  Urtheil,  wie  er  es  gegen  mich 
im  Jahre  1818  aussprach,  lautete  ganz  anders;  er  äusserte 
sich  mit  Theilaahme  über  Danton's  Charakter  und  Kraft,  mit 
Geringschifitzung  über  Robespierre.   Als  sein  Verdienst  führt 

^^  '         !■■■        «■  ■      . 

.  *)  Bardre's  Ansicht  von  Danton's  Plänen  ist  eine  radical  aben» 
teaecliche;  in  dem  Compte-rendu  heisst  es  (2.335):  Depuis  long« 
temps,  Daiatpn  cherchait  ä  cr^er  uq  gouvernement  provisoire,  bien 
extreme  dans  ses  mesures,  bien  violent  dans  ses  tnoyens,  bien  en- 
Ti6  par  sa  puissance,  bien  corrompu  par  ses  richesses  ou  ses  pro- 
digälä^s/ei  bieii  6di^QX  par  i'opinion  qü'on  r^pandräit  qu'il'  faisait 
tOQt;  qu'il  ^ail  la  cajise  de  tous  les  maux,  et  le  pöre  de  tous  les 
d^sastres.  Quandce  gouvernement  provisoire  et  colossal  serait  con- 
sacr^  par  des  decrets,  Danton  ge  chargeait  ensuite.  avec  ses  moyens, 
ses  disciples,  son  parli,  son  Systeme  de  sans-culotterie,  ses  ar- 
mUesT^voIuttonnaires,  sont  ribanal  r^volutiounaire,  ses  seclionnaires 
it4(X  sols,  Ses  comitös  r^roldtionnaires  älaJacobite  et  ses  com* 
missaires  du.  con^eü  executif  ä  la  cordeli^re,  ses  journalistes,  ses 
aboyeurs,  et  toute  la  tourbe  des  seclaires;  il  se  chargeait,  dis-je,  de 
soulever  toutes  les  temp^tes  contre  le  gouvernement  et  contre  ia 
Convention  qui  Taurait  cr6ö  oa  tol^re;  de  le  briser  lui  et  ses  membres, 
ou  de  le  fäfre  plier  sous  sa  volonte  personn  eile,  au  milieu  des  orages 
et  des  ^cueils  dont  il  saurait  l'entoQrer.  Si  ce  Systeme  de  violence  ne 
r^ussissait  pas.  ä  perdre  le  gouvernement  et  les  gonvernanls,  alors, 
^^gemhde  ^^fsk^&,  et  oßppsant  ie.caime  plat  ä  la  tempiltjO»  Daa-« 
ton  se  proposait  de.  Jecrier  T^pergie  dii  gouvernement,  en  passant 
brusquement'du  Systeme  de  la  terreur  ä  celui  de  rindulgeoce  etc. 
Bin  wahres  Monstrum  von  Imputation  (welcher  Unsinn,  einem 
Jlienscbcn- solches  Labyrinth  des  gefährlichsten  Pessimismus  beizu- 
legen!) und  von  Argwohn  in  der  Deutung  der  Indulgence  Danton's. 
Es  ist  in  der  Geschichte  der  Revolution  gespensterhafter  Spuk  üiit 
dem  Pessimismus  gelrieben  worden;  nirgends  mehr  als  hier.  Oder 
aber  —  schrieb  Barere  so  in  dem  Compte-rendu  nur  aus  Berech- 
nung? S.  970  folgt  eine  ähnliche  Dectamation,  betreffend  den  stür- 
mischen 5.  Sept.  ]7jD3,  jour  d'anarchique  memoire  i  hier  aber  sind 
es  Robespierre  und  Danton ,  welche,  le  plus  sauguinaire  et  le  plus 
degoütant  despolisme  gründen  wollen  und  die  gesammte  Zeichnung 
passt  nur  zum  geringsten  Theil  auf  Danton.  Barere  hatte  den  Be- 
richt über  die  Beschlüsse  jenes  Tage*  zu  niachen  gehabt;  daher 
erklärt  sfch  seine  Furie  gegen  die,  welchen  er  zu  solchem  Organ 
gedient  hatte. 

ZeiUchrirt  f.  Gescbicktsir.    I.    1844.  j[4 


aift  Barir4  ton  VimuK^ 

Barere  nn,  G«mat  und  Prieur  von  der  Goldkäste  zn  MUgMe« 
dem  dee  WobICfthrlsaasschuBses  vorgescfalagen  zu  haben  (lOS), 
Beeehtungswerth  ist,  was  Baräre  2,  134  von  Bonaparte  er-» 
lühlt:  Als  DugOBiraier  gegen  £nde  1793  einen  Plan  zum  An- 
griff auf  Toulon  entwarfen  hatte^  nahm  Salieetti  auoh  einen 
iweiten  vom .  damaligen  ArtilleriecapiUin  Bonaparte  mit  naeä 
Paris;  Garnot  verschmolz  beide  mit  einander  und  Hess  Bo* 
napärte  zum  Bataiilonsehef  ernennen.  Dies  ist  aber  nicht» 
wie  es  S.  135  heisst,  im  Januar  1794  gewesen;  Toulon  fiel 
ja'  schon  19.  Dec.  1793.  Weiterhin  erzählt  Bariire  (2,  188  J, 
dass  die  Marseiller  Bonaparte  wegen  Wiederherstellung  ihre« 
Forts  verklagten,  dass  aber  diesem  hierauf  die  Bdestigung 
der  Küste  bis  zum  Yar  übertragen  wurde,  Auoh  dies  wirkte 
Carnot  aus.  Wie  hierbei  dieser  Verdienst  hatte,  so  rechnet 
Barere  es  sich  zu  gute  (2,  147),  dass  er  zuerst  darauf  ange- 
tragen habe,  aus  deqi  eroberten  Belgien  die  Meisterwerke 
eines  Rubens  u.  8.w.  ins  Museum  zu  Paris  zu  sdaffen.  Und 
dies  fuhrt  er,  wunderlich  genug,  als  Argument  an,  den  Vor«- 
wurf  des  Vandalismus  zu  entkräften.  Aber  wir  wissen  ja, 
wie  auch  Garnot  und  Bonaparte  hierüber  dachten  (s.  Wachs«« 
muth  Gesch.  Frankr.  2,  547);  'diese  Entführung  von  Sehäteen 
der  Wissenschaft  ,und  Kunst  ist  wesentlicher  Bestandtheil  der 
französischen  Gloire  jener  Zeit.  Ueber  die  Katastrophe  der 
Hebertisten  und  Dantonisten  hat  Barere  kein  Wort.  Was-^er 
von  einem  Entwürfe  der  Verbündeten,  Frankreich  zu  theüei^, 
berichtet  (2,158),  halten  wir  für  voUkoi^men  glaubhaft,  aber 
seltsam  ist  es,  wie  die  Theilungscharte  an  Heran lt*SeebeH«s 
und  durch  diesen  an  Proly  den  „Agenten  des  Auslandes'^  ge- 
langt und  so  verloren  geht,  lieber  St.  Just  theilt  Barire  man- 
ches Interessante  mit;  aber  in  seinen  Zeitangaben  von  St. 
Jttßt's  AbgaBge  zur  Sambre-  und  Maasarmee  und  dessen  Feiiid^ 
Seligkeit  gegen  Hoche  (2,  150.  157, 170)  ist  Anachronismus: 
St  Just  war  nicht  erst  kurz  vor  der  Schlacht  bei  Fleurus 
bei  jener,  und  die  Verhaftung  Hoche's  durch  ihn  fällt  schon 
in  den  Winter  1793/94.  Nach  Barfere  hatte  übrigens  der 
Wobifabrtsausschuss  schon  im  Anfange  des  Jahres  1794  Ver-* 
dacht  gegen  Pichegru  und  versetzte  ihn  deshalb  zur  Nord-* 


Barire  ton  Vioiaae.  211 

«rmee;  Picbegru  zögerte  der  ersten  Ordre  zu  folgea;  Bartee 
Xlmli  die  zweite ,  sehr  gestrenge,  mit  (2, 172).'    Doroh  diese 
Entfernung  Pichegru's  vom  Oberrhein,  meint  er,  sei  der  Y^r-* 
rath  mindestens  aufgeschoben  worden.    Dennoch,  scheint  es^ 
als  ob  für  damals  von  dergleichen  noch  nicht  die  Rede  sein 
kmm.    B.  sagt:  nn  simple  incident  de  correspondance  noos 
Mtira  un  instant  sor  ce  g^n^ral,  erklärt  sieh  aber  nicht  nS-^ 
ber,  was  dies  gewesen  sei.    Saint^Just  iäierragte  an  Fltfiig^ 
kalten  und  Charakterstärke  Robei^ierre  bei  weitem;  er  war 
eigentüeh  der  Mann ,  dem  die  Herrschaft,  wenn  'der  TeiTO^ 
rismus  sieh  langer  ausgelebt  hätte,  zufallen  musster  doeb; 
wenn  ton  eisernem  Willen  wie  Bonaparte ,  hatte  er  nichts 
von  dessen  stürmischer  Kraftäusserung.    Robespierre  sagte 
von  ihm:  Saint*Just  est  taciturne  et  observateur;  mais  j'ai 
remtf'quö,  quant  k  son  physique,  quil  a  beaucoup  de  res- 
semMance  avec  Charles  IX.  (2,  168).    Aber  den  Jähzorn  des 
kMiern  hatte  Saint- Just  nicht:  als  eines  Tages  Robespierre 
über  einiger  ihm  missfälUge  Beschlösse  in  Zorn  war,  sagte 
Saint-Just:.  Galme*toi  doiic,  Tempire  est  au  flegmaiique 
(a.\a.  O.).^    Dass  er  sich  darin  täuschte,  zeigt  sein  Ausgang. 
Sein  Ingrimm  geg^ü  den  Adel,  dem  er  doch  der  Geburt  naeh 
angehörte,  >war  so  gross,  dass  er  darauf  antrug,  jenen  zum 
W^ebau  anzustellen  (2, 169).  —  Man  hat  sich  mit  Recht  ge- 
wundert, wk  Sieyes  der  Guillotine  entgangen  sei.  BedrobI 
wiir  er  allerdings.    Robespierre  nannte  ihn  la  taupe  de  la 
riftvolutioii  und  hielt  ihn  für  sehr  gefährlich  (2,280):  ohne 
den  9.  Thennidor  würde  auch  Sieyes  an  die  Reihe  gekom*'^ 
meü  sein.  —  Von  besonderer  Bedeutsamkeit  ist  es,  zu  er- 
(«kren ,  wodurch  und  wann  eine  Entfremdung  Bar^re's  von 
dem  TriiHnvirat  Robespierre,  Saint- Just  und  Coutbon,  ein- 
trat IMss  Barere  in  den  letzten  Tagen  vor  dem  9.  Tbermidor 
ikien  nicht  mehr  angehörte,  vielmehr  von  ihnen  fttlr  sieb 
fürchtete,  ist  uns  schon  bekannt  (s.  Wachsmuäi  Gesck  Frankr. 
2,  331).  Der  Eindruck,  den  Bar^re's  Armeeberiebte  machten, 
erregte  Saint-Just's  Eifersucht;  er  rief:  Je  demande  que  Ba- 
r^ve  ne  fasse  plus  tant  mousser  toutes  les  vietoires  (2, 149). 
CouAK>n  solhe  das  Geschäft  übernehmen,  scheiterte  aber  bei 

14* 


il2  Barär0  von  Vleuzae. 

dem  ersten  Versnche.    Saint -Just  war  auch  darüber  ärger-« 
lich^.dass  Barere  durch  Requisition  zu  öffentlichen  Diensten 
eine  Menge  EdeUeiMe -von  dem  Gesetze/  das  sie  vom  Parit 
▼erbannte^  zu  eximiren  wusste  (2,  176.  179).    Darauf  klagte 
Dusourny,  ein  Scherge.  Robespierre's,  Barere  bei  den  Jaco- 
binem  an  als  Aristokraten;  Robespierre  zwar  iiess  ihn  ajour-« 
niren;  Camot  aber  prophezeihte  ihm  baldige  Anklage.    Dh 
Gesetz  Yom  22.  Prairial  löste  endlich  den  Bann  des  Schwei«» 
gens  der  Furcht,  indem  es  Alle  und  AH^s  fürchten  *  liess^ 
seitdem  Spaltung  auch  im  Wohlfahrts-  und  Sicheriieitsaus* 
Schüsse  und  Absonderung  Bobespierre's,   Saint -Just's  und 
Couthon's  von  den  übrigen  Mitgliedern  (206),  heftige  Debat- 
ten in  den  vereinigten  beiden  Gomit^'s  und  Bedrohung  Gar« 
not's  durch  Saint-Just.    Dies  Alles  ist  hier  bei  weitem  min- 
der-genau  erzahlt,  als  sich's  schon  längst  aus  Garnot  (expos^ 
etc.)  und  Yilate  (causes  secr^tes)  entnehmen  Iiess»  neuerdings 
aua  Stuart  (r^v^lations)  und  dem  Material  in  Buchez  et  Roux 
(histoire  parlementaire)  ergiebt   Neu  ist  der  Zusatz,  dass  Jto- 
r^re  darauf  Garnot  gegen  Saint-Just  vertheidigt  und  diesem 
erklärt  habe,  dass  er  ihn  nicht  fürchte  (206).    In  deh  secfaa 
Wochep  vor  dem  9.  Tbermidor  war.Bat!ife~  id>er  mehr  von 
einem  taedium  vitae  niedergedrückt,  als  mit  Huthr^m  Wr-^ 
derstande  erfüllt  (2,  212).    Es  wurde  ruchbar,  dass  das  Tri-i- 
umvirat  Listen  fertige  (208),  dass  18  Deputirte  de»'N.  Gonv., 
Tallien»  Barras,  Froren,  Dubois-Granc6  etc.  angeklagt  wer- 
den sollten ;  die  Gegner  des  Triumvirats  beschlossen ,  sie  zu 
vertheidigen  (211).  Am  Ende  des  Messidors  versammelten  sieh 
alle  Mitglieder  der  dem  Triumvirat  ergebenen  48  Revolutions- 
ausschüsse von  Paris  auf  dem  Stadthause;  Baräre  wurde  von 
seinen  Gollegen  vermocht,  ein  Decret  dagegen  auszuwirken 
(210).  Im  Anfange  des  Thermidor  (nicht  Messidor,  wie  es  S. 
213  heisst)  veranlasste  Robespierre  eine  Versammlung  beider 
Gomit^s;  er  begehrte  die  Einsetzung  von  vier  Revolutions- 
gerichten;  Saint-Just  darauf  die  üebertragung  der  Dictatur 
an  Robespierre.  Ausser  Gouthon,  Lebas  und  David  war  Al- 
les dagegen.  Apr^s  une  diseussion  vive  et  courte^  les  dicta- 
teurs^  honteux  et  d^pit^s»  se  virent  ^conduits  etc.  Die  Ordre 


du  joQr,  wodureh  jener  Antrag  beieitigt  wurde,  war  wje  ein« 
Kriegserklärung  auf  den  Tod  (214).  In  der  Nacht  auf  deu  9. 
Thermidar  waren  die  beiden  Gontit^s  Tersaminelti  währeiii 
Bobespierre  mit  seinen  Freunden  bei  den  Jacobinern  war; 
Barere  wurde  beauftragt,  Proclamationen  und  Deorete  für 
dai  folgenden  Tag  auszuarbeiten.  Gambon  brachte  einen  Ba« 
taillonschef  (den  Notar  Lecointre),  der  sich  erbot,  sein  Ba- 
taillon zur  Abwehr  eines  nächtlichen  tleberfalls  heranzufiih« 
ren.  Dazu  kam  es  nicht  (218).  Barere  behauptet,  Saint-Just 
sei  nicht  in  den  Wobifahrtsausschuss  gekommen;  nach  An» 
deren  War  er  da  und  wurde  von  Billaud  und  Gollot  bei  Nie« 
derschreibuhg  einer  Anklagerede  betroffen.  Gewiss  ist,  dass 
er  am  Morgen  des  9.  Thermidor  nicht,  wie  er  rersprochen, 
seine  Bede  den  übrigen  Mitgliedern  des  Wohlfahrtsäusschus-* 
ses  vorlegte.  Ueber  den  9.  Therm,  hat  B.  nichts  zur  Vervollr 
fi^digung  von  dessen  Geschichte:  falsch  ist  seine  Angabei 
dass  Bobespierre  mit  Saint«*JuSt  in  einem  Saale  des  Wohlr 
Cfihrtsaussdiusses  bewacht  und  dort  von  Henriot  befreit  wor- 
den seien  (225);  Bobespierre  ward  gefangen  nach  dem  Lur 
jO^mbourg  und  von  da  im  Triumphe  nach  dem  Stadthause 
gefuhrt. 

Der^z^eite  Tbeil  der  Memoiren  (2,  242  ff.)  geht  bis  zur 
Deportation  Bär^re's.  Er  enthalt  sa  gut  wie  nichts  Beach* 
tungrwrcrtib^^ör -df^-Geschichte  Frankreichs;  von  dem  was 
Barere  betcifit,  bebeirwir  Folgendes  hervor.  Die  Gomaiission- 
der  XXI,  welche  zur  Untersuchung  über  ihn  und  seine  Mit- 
angeklagten besteilt  war,  wollte  mit  19  Stimmen  gegen  2  ihn 
von  aller  Anklage  entlasten;  aber  dem  war  Sieyes  entgegen^ 
behauptend,  man  müsse  über  die  Angeklagten  in  Masse  be- 
rathen.  Dessen  Votum  brachte  Barere  in  den  Halsprocess 
zurück.  Dies  erzählte  1800  Sergent,  der  vormalige  Protokoll- 
führer bei  jenen  Sitzungen,  an  Barere,  gab  es  ihm  nachher 
auch  schriftlich;  B.  führt  diesen  Brief  als  in  seinen  Memoi- 
ren befindlich  an :  aber  er  hat  sich  nicht  vorgefunden  (2, 264)« 
Nach  der  Sitzung,  wo  Barere  seine  Yertheidigungsrede  hielt*, 
kamen  zwei  Deputille  zu  ihm  und  sagten,  wenn  er  auf  der 
Tribüne  Tbatsachen ,  betreffend  Collot's  Mission  nach  Lyon 


214  ^  Barire  v&n  VieuiM, 

tmd  Billaud^s  Gorrespondmit  mit  ilim,  angeben  wollte,  66 
werde  er  durch  besonderes  Decret  freigesprochen  werden. 
bies  Idinte  B.  ab  (2, 275).  Dazu  gesellt  Baröre  die  Mitthei*- 
lung,  dass  Billaud  allein  die  Correspondenz  mit  Collot  und 
Föudi^  in  Lyon  hatte,  dass  ein  Ungenannter  an  Barere  die 
seheussliehe  Lyoner  Proclamation  Ronsin's,  des  Anführers  der 
Refoltttionsarmee  (s.WachsmuthGesch.Frankr.  2,217)  sandte, 
dieser  sie  dem  Wohlfahrtsausschüsse  vorlegte  und  darauf  Göl- 
tet von  Lyon  zurückgerufen  wurde  (2,  275).  Von  S.  285  an 
werden  die  Memoiren  abgebrochen  und  es  folgen  Bruchstücke 
aus  Bar^re's  unvollendeiem  Gompte-**rendu;  was  in  diesen 
bemerkenswerth  ist,  haben  wir  bereits  oben  eingesehaltet. 

Die  Memoiren  werden  fortgesetzt  in  dem  dritten  Baiuie. 
Die  Deportation  Billaud's,  GoHot's  und  Bar^re's  ward  bekannt-^ 
Kch  inmitten  des  Tumults  vom  12.  Germinal  beschlössen;  die- 
ser setzte  sich  fort  am  Morgen  des  13ten;  was  soll  man  mm 
sagen,  wenn  Barere  dies  auf  einen  Anschlag,  ihn*  und  seine 
Crefährten  zu  ermotden,  deutet  (3, 3  f.)! v  Nicht  viel  anders 
klingt  es,  dass  zur  Zeit  wo  Barere  in  Säintes'gefangen  sass, 
zwei  geheime  englische  Agenten  de» N.  Gonvents  dahin  ge- 
kommen seien,  um  in  ihm  dem  englischen  Gouvernement  etA 
Sdilachtopfer  zu  liefern  (3, 41).  Wird  man  ihm  glauben,  dass 
er,  als  sich  Gelegenheit  zur  Flucht  darbot,  diese  nicht  eher 
benutzen  wollte,  als  hh  der  N.  Gonvent  seine  Sitzungen  ge- 
.  schlössen  und  damit  der  Charakter  des  Repräsentanten  für 
Barere  aufgehört  habe  (3,  48)?  Im  Verstecke  zu  Bordeaux 
1795 — 1799  schrieb  Barfere  sein  Buch  sur  la"*  liberW  des  niers, 
ein  Zeugniss  von  seinem  nimmer  rastenden  Hasse  gegen  Eng« 
land.  Doch  mehr  hasste  er  das  Directorium,  das  ihm  nach* 
spürte.  Auch  kann  er  nicht  verschweigen,  was  Pitt  zu  Nion 
von  Rochefort  sagte,  dass  er  fiir  500  Guineen  die  Gopie  von 
den  Plänen  des  Directoriums  zur  Landung  in  Irland  erhalten 
habe  (3, 71).  Ein  Brief  Barfere's  an  Bonaparte  über  die  neue 
Constitution,  die  auf  den  18;  Brumaiire  folgte,  wirkte  bei  Lefcj- 
term  zu  einer  günstigen  Meinung  von  Barfere;  am  5.Friiöaire 
des  J.  8  erhielt  dieser  seine  Freiheit.  Zu  einer  Unterredung 
»Äiit  Bonaparte  berufen,  sprach  er  sich  über  die  Mittel  Franl- 


Baittte  tön  Vieuzac.  t IS 

Mieb  SU  r«gierm  tas  imd  nannte  als  Haaptpttnkte:  jii»ttM 
lit  earacMra.  Noch  im  Januar  1100  wieder  berufen,  bekam 
er  den  Auftrag,  ^&e  Sobrift  Lord  GrenvHle'ft  zu  widirlegeni 
darauf  wurde  ihm  eine  Präfectur  angeboten,  die  er  ausiehlttg; 
dann  «ollte  er  ein  Journal  für  die  Armee  schrerben,  die  ibm 
noch  von  seinen  Berichten  im  N.  Gonvente  her  wohlwolltei 
auch  das  lehnte  er  ab;  ebenso  ist  er  nie  Gensor  der  Jour-« 
»ale  gewesen  (3,101).  --  Nach  der  Conspiration  Ar^na's,  Ce- 
racchi's  u.s.w.,  die  er,  wie  oben  bemerkt,  für  Conspiration  de 
Mrique  erklärt  (d,  116  f.}  und  wobei  er  die  Absiebt  muthma«> 
Sien  lässt,  mehre  entschiedene  Republikaner  in  den  Handel 
«u  verstricken,  indem  bei  der  Untersuchung  nach  Verkehr 
der  Conspiranten  mit  Salicetti,  Biass^na  (!),  Camot  und  fia- 
ri^re  geforsoht  wurde,  sollte  er  Paris  veriassen;  doch  Fouch^ 
mit  welchem  er  immerfort  in  Verbindung  blieb,  vermittelte 
und  er  dui^  MeifoeA.  ~  Nach  dem  Frieden  au  Amiens  be« 
suchen  ihn  mehre  det  naeh  Paris  gekommenen  Engländer, 
Erskine,  Mackenzie,  Kemble,  Francis  Burdett  u.  s.  w.  Gegen 
Keoible  äusserte  Barere,  ob  es  nicht  gut  sein  würde,  wenn  die 
eöglts(^e~n  Miciister  die  8ehmahungen  der  Journale  gegen  den 
eraten  Gonsul  unterdrückten :  da  schlug  Kemble  mit  der  Faust 
auf  den  Tisch  und  schrie,  wenn  das  ein  Minister  versuchte^ 
würde  er  selbst  sich  an  die  Spitze  eines  Volkstumults  stel« 
leu,  um  dem  Menschen,  der  die  Freiheit  der  Presse  irgend 
anzutasten  wage,  das  Haus  zu  demoliren  (3, 1?6).  Nach  Wie« 
derausbrucb  des  Krieges  begann  B.  mit  veijüngtem  Hasse 
sein  Memorial  antibritannique  und  bald  darauf  die  geheime 
Berichterstattung  an  Bonaparte.  Aber  als  sein  Departement 
ihn  zum'  Senat  vorschlug,  ward  dies  von  Paris  aus  hinter- 
trieben. Er  wurde  bekannt  mit  Izquierdo,  dem  spanischen 
Geschäftsträger;  dieser  ward  ihm  so  gewogen,  dass  er  sich 
wegen  geringschätziger  Aeussemngen  über  Barere  für  ihn 
schlagen  wollte  (3,  41];  doch  was  Barere  aus  dessen  Eröff- 
nungen über  die  spanischen  Angelegenheiten  mittheilt,  ist 
nicht  der  Rede  werth.  Die  spanische  Königin,  heisst  es  146, 
licfbte  und  vertheidigte  sehr  ihren  Sohn  Ferdinand  (t). 
Mit  der  Geschichte  es  genau  zu  nehmen,  ist  einmal  nicht 


%U  Barire  ton  Vietuac, 

Büire'fl  Sache*  So  sollen  S.  157  der  Kaiser  Von.  Oestreidi 
imcl  der  König  von  Preussen  bei  dem  Gongress  zu  Erfurt 
gewesen,  700,000  Mann  nach  Russiand  gezogen,  600,000  m 
wenigen  Tagen  zu  Grunde  gegangen,  12,000  Mann  zurückge^ 
kommen  sein  (3,  157.  162.  175).  Während  des  russischen 
Feldzugs  Hess  Savary  (qui  ressemblatt  plutöl  k  un  gendarme 
qu'A  un  ministre]  Barere  kommen,  um  ihn  über  unruhige  Be- 
wegungen in  den  Vorstädten  auszufragen;  auch  Tallien  war 
da.  Man  sieht,  was  man  beiden  noch  immer  zutraute.  Ba- 
r^re's  Journal  wurde  unterdrückt;  zur  Entschädigung  bekam 
er  eine  Viertelactie  des  Journal  de  Paris  (3j  164);  -^  Als  ge- 
heimer Berichterstatter  war  der  vormalige  Redacteur  des  Jour- 
nal de  TEmpire,  Fiev6e,  seit  1809  bei  Napoleon  in  Geltung; 
von  ihm  erzählt  Barere  3,  168  ff.  Einzelnes»  das  fast- auf  Ei- 
fersucht schliessen  lässt.  —  Aus  der  Geisohichte  der  ersten 
Restauration,  während  welcher  Barere  ein  Pamphlet  über  Ei- 
nigung der  Republikaner  und  Royalisten  zu  schreiben  beau^ 
tragt  ward  (3,  202),  noch  ein  Stückchen  Argwohn:  Zum  21. 
Jan.  1815,  dem  Jahrestage  des  Königsmordes  habe  der  Poli- 
zeiminister Dandr^  verkleidete  Gendarmes  vor  die  Thüren  al- 
ler Häuser  der  Königsmörder  besteIH,  und  eine  Anzahl  Ad- 
liger im  Sinne  gehabt,  diese  zu  ermorden;  das  sei  nur  durch 
den  Strassentumult  bei  dem  Begräbniss  der  Schauspielerin 
Raucöux  verhindert  worden  (3,  204  f.).  —  Sphr  ungenügend 
ist  was  Barere  über  die  hundert  Tage  berichtet.  Er  richtete 
zwei  Noten  an  Napoleon,  der  nichts  darauf  erwiedeite,  er 
Hess  drei  Schriften  gegen  den  acte  additionel  ausg^n,  er 
hatte  eine  Adresse  bereit,  der  aber  «ine  andere  von  Garion- 
Nisas  vorgezogen  wurde;  nach  der  Schlacht  bei  Wat^rloo  ver- 
fasste  er  eine  Proclamation,  die  aber  mit  einer  anderen  von 
Jullien  verschmolzen  wurde  (3, 211 — 223).  —  Der  Verbannung 
von  Paris  entzog  sich  Barere  zunächst  durch  siebenmonatli- 
chen Versteck.  Labourdonnaye's  verrufene  Kategorien  legt  er 
Ludwig  XVIII.  bei  (3,  239),  über  den  er  durchweg  das  un- 
vortheilhafteste  Urtheil  fällt.  Nicht  minder  herbe  urtheilt  er 
über  Oeeazes.  Die  Art  wie  Göurtois,  der  Marie- Antoinettens 
Testament  hesass,  seiner  Papiere  beraubt  wurde  (3|  256) »  ist 


JSor^e  ten  Vtettitae.  217 

allerdings  widerwärtig.  —  Im  Januar  1816  fl<di,er  nach  Mom» 
ipäter  Dach  Brüssel.  Den  König  von  Holland  preist  er  we- 
gen des  Schutzes,  den  die  Verbannten  genossen.  Der  fran«, 
Gesandte  Latour  du  Pin  begehrte  u.  a.  Austreibung  Merlin's 
von  Douay.  Dieser  schiffl;e  sich  ein  nach  Amerika,  ward  aber 
durch  Sturm  an  die  Küste  zurückgeworfen;  auf- neues  An- 
dringen Latour  du  Pin's  sagte  der  König:  11  s'^tait  embarqu^, 
Ja  mer  me  Ta  rendu,  je  le  garderai  (3, 255].  —  Was  B.  zum 
Schiuss  der  Memoiren  (3, 265]  über  den  Gang  der  Revolution 
bemerkt,  ermangelt  der.  Richtigkeit,  des  Scharfsinns  und  der 
Ei^abenheit  des  Gesichtspunktes  in  gleichem  Maasse. 

Die  Souvenirs  de  la  Bejgique  3,  275  ff.  sind  von  gerin- 
gem Werthe;  als  Hauptstück  derselben  bezeichnen  wir  die 
Nötiis  über  die  Papiere  Mirabeau's,  die  der  Graf  Lamarck, 
aachher  Herzog  von  Ahremberg,  erbte  und  deren  Herausgabe 
1927  nahe  bevorstand  (3,  345  f.]. 

Die  Portraits,  alleiniger  Inhalt  des  vierten  Bandes,  ent- 
Jiaiten  eine  Menge  Wiederholungen  des  früher  Gesagten,  sind 
Um  besser,  gearbeitet,  als  alles  Frühere.  Wenn  ein  Theil  des 
Bar&re'schen  Nachlasses  zur  Uebertragung  in's  Deutsche  in 
Frage  kommen  sollte,  so  würden  diese  Portraits  zu  empfeh- 
len sein.  Doch  bedarf  es  der  nachbessernden  Hand:  falsche 
An^en  sind  auch  hier  in  Menge;  Anistoresie  geht  durch 
uiid  dufTisk;  Charakteristiken  und  Anekdoten  machen  die  Haupt- 
sache aus.  Es  sind  der  Portraits  92.  Gift  und  Galle  ist  reich- 
lich darin.  Vor  Allem  in  dem  Artikel:  Les  Bourbons  (4,  46 
bis  80).  Ludwig  XYHI.  heisst  faux,  intrigant  et  brouillon  po- 
lijtiqüe;  dies  ist  noch  nicht  das  Harteste;  53:  le  moins  b6te 
et  le  plus  m^chant  des  Bourbons,  il  en  ^tait  aussi  le  plus 
fourbe  et  le  plus  lache  u.  dgl.  B.  erinnert  an  den  unglückli- 
chen Marquis  von  Favras,  der  für  ihn^  an  den  Galgen  kam 
(davon  auch  unter  Lafayette  4,  289].  Schon  in  den  Memoiren 
3,257  erzählt  er,  Ludwig  habe  als  Graf  der  Provence  1789 
bei  dem  Parlament  Schriften  niedergelegt,  die  die  Unechtheit 
der  Kinder  Marie -Antoinettens  beweisen  sollten;  aber  4,  58 
iMlet  es  auf  einen  eigenhändigen  Brief  an  den  Herzog  von 
Fitz-James,  aus  dem  J.  1789,  worin  er  ihn  bittet,  die  Sache 


218  Bw^e  oM  VimiMi 

4i»^  Notobleii  v^yrcttlegen:  jedoch  in  dem  Jahre  gab  es  krine 
y^rsammluDg  der  Notablen  und  das  Ganze  ist  wohl  niohti 
ala  eine  Mystifioation  des  Morning  cbronicle,  das  25.  Febr« 
1833  berichtete,  in  einer  Yersteigening  sei  jetier  Brief  mti 
torgekommen.  —  Von  Danton  lesen  wir  4, 173  eine  schreck«* 
bare  und  schwerlich  zu  bezweifelnde  Aeusserung:  Le  lOaoAt, 
la  r^volution  est  accouch^e  de  la  libertö  r^pablicaine,  le  13 
septembre,  eile  a  d6pos^  Tarri^re-faix.  Von  Foueh6:  Fouch^ 
n'aimait  pas  le  mal  pour  le  plaisir  de  le  feire;  il  e4t  pr^f^rö 
le  bien;  mais  quel  gouvernement  sait  empidyer  ce  moyen^ä? 
Dass  Feucht  nicht  so  böse  war,  als  die  Menge  glauU;,  und 
dass  er  zugleich  Napoleon  gegenüber  eine^  Festigkeit  und  ei- 
genen Willen  hatte,  Hesse  sich  wohl  ddtthun.  Fr^i'on,  TaHieti 
und  Barras  bekommen  begreiflicher  Wejse  schlödlte'^  CetH 
suren,  doch  nicht  schlechter,  als  sie  terdienen.  Barrag  üttfl 
Fr6ron,  heisst  es  222,  hatten  in  Marseille  800,090  Francs  zu- 
sammengebracht, wovon  sie  Rechnung- ablegen  sollten^ 'sie 
brachten  das  angebliche  Protokoll  eines  Misire,  dass  auf  dem 
Wege  nach  Paris  ihr  Wagen  in  einen  Sumpf  gdstttrzt  ^ud 
das  Portefeuille  mit  den  Assignaten  rerloren  gegangen  sei. 
Billig  urtheilt  Barere  über  Lafayette  279  f.,  scboAend  IHSer 
Chateaubriand  und  Talleyrand,  sehr  günstig  über  Lamartifie, 
Manuel  (von  Rix),  Böranger,  Brune,  Buonarotti  (den  Gefti^« 
sen  Babeufs),  Lamarque,  Ney,  Mirabeau  (vou  seiner  Beste« 
chung  sehr  treffend:  il  se  moqua  m^me  de  ses  corrupteurs. 
II  jessemblait  k  ces  femmes,  qu'on  paye  toüjdurs  et  qu'dn 
n'achäte  jamais.  345),  Garnot,  Prieur  von  der  Goldküst^;  da- 
gegen werden  Guizot>  die  Doctrinaires  insgesammt,  Lally- 
Tolendal,  Fürst  Metternich,  Montlosier,  Casimir  P^er,  Rö- 
derer,  Sieyes,  Thiers  und  zuletzt  Wellington  in  dehr  uugün- 
stigem  Lichte  dargestellt.  Zu  dem  Ansprechendsten  in  der 
gesammten  Reihe  Portraits  gehört,  was  Barfere  über  Mirabeau 
und  über  Talleyrand  giebt  Vom  Ersteren  mag  hier  nur  das 
schöne  Wort  stehen,  das  er  über  die  hämischen  Kritiker  sei- 
nes frühern  Lebens  sprach :  Oui,  mes  anciennes  erreurs  coö- 
tent  bien  cheri  la  chose  publique  (364).  Unter  Talleyrand 
finden^  wir  Auszüge  aus  einer  Art  politischen  Testam^nts^  das 


Barkre  i^on  Vieuzac.  219 

er  1«  März  1838  im  Institute  niederlegte  — •  Zeichnungen  ei- 
nes Ministers  der  auswärtigen  Angelegenheiten  comme  il  faut^ 
eines  Gonsuls  und  endlich  Divisionschefs  in  solchem  Mini- 
sterium. Als  zur  Geschichte  der  hohen  Politik  gehörig,  füh- 
ren wir  endlich,  ohne  gerade  Barere  hier  für  einen  vorzüglich 
sichern  Ge\vährsmann  zu  achten,  noch  an  4,  367:  Kaiser  Franz 
war  1815  geneigt  mit  Napoleon  zu  unterhandeln,  aber  als 
Murat  losschlug,  sagte  er:  Comment  puis-je  traiter  avec  Na- 
poleon, quand  il  me  fait  attaquer  par  Murat?  4, 441  f.:  Vom 
Wiener  Congress  aus,  als  ein  Bund  zwischen  Frankreich  und 
Oestrer^h  im  Werke  war,  äusserte  sich  Talleyrand  in  seinem 
Schreiben  an  Ludwig  XVIII.  geringschätzig  über  die  Abkunft 
des  Hauses  Romanow;  Kaiser  Alexander  bekam  Kunde  da^ 
von,  verzieh  dies  nicht  und  daher  kam  es,  dass  Talleyrand 
liäeh  der  zweiten  'Restauration  entlassen  ward. 

Leipzig. 

Dr.  W.  Wachsmuth. 


EiOihav  der  Sachse  nncl  die  nenesfen  Bear- 

belter  seiner  Genchlchte« 


Nächst  dem  Jahrhundert  der  Reforniation  giebt  es  in  dec 
deutschen  Geschichte  vielleicht,  keinen  Abscbnitti   der  sich 
mehr  zu  einem  geschlossenen  Ganzen^abnindete»  und  dessen 
Entwicklungsgang  sich  in  seinen  äussersten  umrissen  leich- 
ter erkennen  liesse,  als  der  Zeitraum  von  dem  Aussterben 
der  Karolinger  bis  auf  den  Beginn  d^r  Habsburgischen  Macht 
Die  leitenden  Ideen  bieten  sich  in  den-  Ereignissen  fast  von 
selbst  dar,  und  sind  von  den  Zeitgenossen  so  vielfach  ausge- 
sprochen worden,  die  einzelnen  Kaiser  treten  so  entschieden 
hervor  und  verbinden  sich  wieder  in  den  drei  grossen  Ge- 
schlechtern zu  so  übersichtlichen  Gruppen»  dass  man  eben  nur . 
dem  Strome  der  Begebenheiten  in  folgen  braucht,  um  auph 
in  der  wissenschaftlichen  Behandlung  des  rechten  Weges  ge- 
rade nicht  zu  fehlen;  dennoch  wird  man  auf  diesen  Yertbeil 
kein  allzu  grosses  Gewicht  legen  dürfen.    Was  sich  uns  auf 
den  ersten  Blick  als  unabweisbar  richtig  darstellt»  ist  nur  das 
Allgemeinste»  aber  wir  haben  es  hier  nicht  mit  dem  Allge- 
meinen allein,  in  seiner  Verbindung  mit  dem  Einzelnen,  mit 
seiner  Erscheinung  in  diesem  haben  wir  es  zu  thun.   Findet 
sich  in  der  Behandlung  solcher  Zeiten  die  Methode  leicht, 
noch  leichter  stellt  sich  ein  Schematismus  ein,  bei  denv  man 
sich  um  so  lieber  beruhigt,  je  weniger  man  ihm  eine  gewisse 
Berechtigung  absprechen  kann.   In  der  Regel  wird  in  umfas- 
senderen Werken  wie  in  Lehrbüchern  die  Geschichte  der  drei 
grossen  Kaiserfamilien  an   dem  Faden  des  Investiturstreits 
abgewickelt;  gern  verweilt  man  länger  bei  den  hervorragen- 


Lothar  der  8ach$e  u.  dU  neuesten  Bearbeiter  etc. 

den  Gestalten,  und  geht  mit  einem  halben  Blicke  bei  den 
andern  vorüber,  auf  deren  Kosten  man  nieht  selten  jene  noch 
weiter  in  den  Vordergrund  stellte;  man  hat  sich  gewöhnt  die 
einen  zu  sehen,  die  andern  zu  übersehen. 

Es  lässt  sich  nicht  leugnen,  zu  denen  die  bald  mit  mehr 
oder  weniger  Absicht  übersehen  worden  sind  gehört  auch 
Lothar  der  Sachse,  und  doch  reiht  er  sich  weder  unwürdig 
den  frühem  Kaisern  an,  noch  sind  die  Ergebnisse  seiner  Herr« 
Schaft  unbedeutend  zu  nennen ;  aber  er  steht  allein  da,  ohne 
Djnüstie,  neben  der  eisernen  Festigkeit  seines  Vorgingers 
schien  er  zu  yeriieren,  und  das  aufsteigende  Gestirn  der  Ho- 
benslaufea  drohte  ihn  schon  bei  seinem  Leben  zu  verdunkeln. 

Noch  zweimal  treten  uns  auf  den  Wendepunkten  der 
deutschen  Geschichte  ähnliche  Gestalten  entgegen,  die  im  Le* 
ben,  wie  jetzt  *in  der  Wissenschaft,  in  mancher  Hinsicht  das- 
selbe Schicksal  hatten  wie  Lothar,  es  sind  Conrad  L  und 
Adolf  von  Nassau.  Man  fertigt  sie  meistens  mit  wenigen  Wor- 
ten ab,  weil  sie  weder  eine  dauernde  Gewalt  begründeten, 
noch  eine  herrschende  mit  ihnen  unterging;  aber  wir  beach- 
ten niißht,  dass  während  ihrer  Unruhe  vollen  Regierung  die 
Mächte^  denen  die  Zuluinft  Deutschlands  gehörte,  wenn  schon 
für  den  Augenblick  zurückgedrängt,  in  der  Stille  immer  tie« 
fere  und  festere -Wurzeln  schlugen.  Was  uns  später  in  dem 
ttberraischeaden  Lichte  einer  neuen  Gestaltung  erscheint,  wie 
die  Herrschaft  der.  Sachsen  unter  Heinrich  L ,  das  erhöhte 
Uebergewicht  mit  dem  Hohenstaufen  und  Habsburger  auftre- 
ten, in  jenen  Zeiten  bildete  oder  kräftigte  es  sich.  Aber  wie 
es  uns  nicht  verstattet  ist  in  das  Geheimniss  des  Werdens 
selbst  einzudringen,  wird  es  uns  auch  nur  selten  so  gut  eine 
neu  hervortretende  Macht  im  Emporwachsen  aus  dem  Keime 
zu  beobachten;  mit  erdrückender  Ueberlegenbeit  steht  das 
Gewordene  in  seiner  ganzen  Grösse  plötzlich  vor  uns,  und 
höchstens  ist  es  uns  noch- gegönnt  seinen  Verfall  eine  Zeit 
lang  zu  hißgleiten,  während  im  Verborgenen  neue  Kräfte  her- 
anreifen. Denn  zunächst  ist  es  das  Gewordene,  nieht  das 
Werdende,  was  den  Geschieh tsohreiber  hervorruft.  Diesem 
Eindrucke  folgten  auch  die  unbefangenen  Chronisten  jener. 


823  Lotlmr^  der  Sachse  und  dk  neueetm 

SMen»  daher  die  yerbäüiiifisini^ige  INirftjgkeii  und  a»ttiu)ter 
der  gäfiiliclie  Mangel  susamBaeiibSngeiider  Ueberlieferungen» 
die  den  Forscher  gerade  da  verlassen,  wo  er  ihrar  am  mei- 
sten bedürfte. 

Und  Ao^  waren  eben  diese  Zeiten  Wendepunkte  der 
deuts^a  Geschichte,  die  von  den  Fürsten,  in  deren  Händen 
das  Cresi^iok  des  Beiches  lag»  besser  in  ihfer  Bedeutung  er<* 
kennt  wurden  als  von  den  mönehischen  Chronisten»  Oewt 
iflrep  wir  nicht,  so  stehen  die  Hegi^iingen  Gonrtd's,  Lofii«r^a 
md  Adolfs  in  einer  gewisten  Yerwandtocbiift  m  üiotnderi^ 
die  2tt  einer  Parallele  aufzufordern  scheMira.  Sie  2^fn  4ie 
Versuche,  welche  die  Fürsten  machten,  der  Herrschaft  kn 
Beiche  eine  andere  Wendung  m  geben,  man  möchte  sagen, 
es  seinem  Schicksale  zu  entziehen,  Y^suche,  die  gerade  das, 
was  man  hatte  vermeiden  wollen,  nur  desto  sidkerer  beiiiei- 
führten,  und  in  denen  eine  Saat  des  Unheils  lag,  die  in  der 
Innern  Zersplitterung  des  Beichs  zuletzt  ihre  Früchte  trog« 
Nach  dem  Tode  des  letzten  Karolingers  bot  man^  den  Saoh-? 
sen  die  Krone  an,  ein  fränkischer  Herrsdier  war  es  der  sie 
davon  trug,  um  so  sicherer  war  sie  nach  sieben  Jahren  des 
KM%pfes  das  Erbtheil  des  jetzt  noch  mächtigern  Saehsenrtam« 
mes .  Als  Heinrieh  Y.  kinderlos  gestorben  war,  fürchteten  diie 
Grossen  nichts  mehr  als  die  aufstreb^ide  Macht  des  v^rwand^ 
ten  Hauses  der  Hohenstaufen,  sie  kehlten  zu  denSacbaeii 
zurück  und  wählten  Lothar.  Doch  was  war  die  Folge?  Naek 
zehnjährigem  Bingen,  liach  einer  augenbltcklidieti  Unterwer« 
fiing  traten  die  Hohenstaufen  mit  ungesehwächier£raft  wie- 
derum auf  den  Wahlplatz,  und  zu  dem  früher  gefürcfateten 
und  darum  abgewiesenen  Hause  kehrte  man  jetzt  um  so  lie-^ 
her  zurück,  weil  sich,  wie  jene  unter  den  fränkischen  Kai-« 
Sern,  so  unter  Lothar  ein  anderes  Geschlecht  erhoben  hatte, 
das  der  Aristokratie  noch  gefährlicher  schien,  die  auf  2wei 
deutschen  Herzogthümern  und  einem  italischen  Lande  ru- 
hende .Macht  der  Weifen.  Was  Lothar  die  Krone  ^etBchattt 
hatte,  musste  sie  seinem  Schwiegersöhne  entreissen;  es  war 
diMeibe  Politik,  die  später  so  oft  geübt  worden  ist,  und  die 
auch  diesmal  den  Best  der  Fürsten  bestimmte  sich  dem  WAht> 


BearbeUer  seiner  Oeschickte,  S33 

acte»  der  die  Krone  an  die  Hohnustaufen  brachte,  ohne  Wi- 
derspruofa  anzuschliessen.  War,  wie  man  gemeint  hat,  Hein«^ 
rieh  der  Stolze  durch  Conrad  III.  um  die  Krone  betrogen 
worden,  so  war  es  Friedrich  von  Hohenstaufen  nicht  minder 
dinreh  Lothar,  aber  im  Ernste  wird  man  keins  von  beiden 
behaupten  können.  Und  nicht  anders  stand  es  mit  Adolf  von 
Nassau.  Dem  anwachsenden  Uebergewicht  des  Hauses  Habs-* 
borg  wollten  sich  die  Fürsten  entziehen,  es  wurde  von  dev 
Htmekift  ausgeschlossen,  nur  um  sie  nach  einem  kurzen 
Zwiichenreich  siegreicher,  kräftiger  wieder  zu  erlangen. 

Boppelt  wichtig  aber  erscheint  Lothars  Stellung,  durch 
die  enge  Yerbittdung^in  welche  die  allgemeinere  Frage  über 
-die  Investitur  mit  den  Kämpfen  um  die  Verfassung  tritt  Dies 
«rkannte  man  ebenso  s^r  als  man  fühlte ,  dass  man  auch 
sein^  Regierung  das  Redit  ein^  historischen  Sichtung  müsse 
angedeihen  lassen,  nachdem  die  Hohenstaufen  und  Franken 
ihre  Gescbidhtselireiber  gefunden  hatten,  und  auch  die  Zei- 
ten der  sächsischen  Kaiser  einer  neuen  Durchforschung  un- 
terworfen worden  wiwen.  Ihn  zum  Mittelpunkte  einer  eige* 
neu  Darstellung  zu  iowshen,  sdiien  um  so  nöthiger,  da  seine 
Herrsdiafl  bidd  als  diarakterloser  Anhang  zu  den  fränkischen 
Zeiten  gezogen,  bald  als  Einleitung  der  Hohenstaufischen  Ge-* 
schichte  geopfert  wurde.  Beide  Standpunkte  konnten  für  die 
Au&ssung  Lothars  nur  ungünstig  wirken,  denn  wo  sich  ein 
eigentfa^mliches  Urtheil  herausstellte,  war  es  in  der  That  nicht 
selten  mehr  ein  Verurlheilen  als  ein  Beurtheilen.  Diese  Rück- 
sichten haben  jetzt  binnen  Jahresfrist  zwei  Monographien 
hervorgerufen:  die  frühere  von  Gervais  in  Verbindung  mit  ei- 
ner Geschichte  Heinrichs  V.*),  das  Ganze  also  eigentlich  eine 
.Darsfelhing'der.Uebergangszeit  von  den  Franken  zu  den  Ho- 
henstaufen;. die  zweite  des  Herrn  Jail^,  die  sich  auf  die  Zeit 
Lothars  beschränkt,  eine  gekrönte  Preisschrift,  erscheint  hier 
i«  neuer  Bearbeitung  vor  dem  Publikumr*) 

*)  Politische  Geschichte  Deutschlands  unter  der  Regierung  der 
Kaiser  Heinrich  V.  u.  Lothar  III.  2ler  Theil:  Kaiser  Lothar  III.  Leipz. 
P.  A.  »rockhaus.  1842. 

**)  Geschichte  des  deutschen  ßeicbes  unier  Lothar  dem  Saoh* 


tit  Loth0t  ihr  8aoh$eunä  dU  neuesten 

Es  ist  hinreichend  bekannt,^  dass  der  Tadel  den  Lothar 
früher  erfuhr,  ihm  in  dem  ersten  Bearbeiter  seiner  Geschieht« 
.einen. warmen  Lobredner  erweckt  hat;  mit  dem  £ifer  eines 
Anwalts  vertheidigt  Gervais  jeden  Fuss  breit  Boden  gegen 
die  Hohenstaufen,  so  wenig  als  möglich  soll  ihnen  von  dem 
Glänze  bleiben,  mit  dem  man  sie  zu  umgeben  gesucht  hat: 
Und  fragen  wir  nun  zuerst  nach  der  Grundansicht  des  jiin«* 
gern  BearbeiterSi  die  sich  an  einigen  verstreuten  Stellen  sei- 
nes Buches  ausgesprochen  findet,  so  können  wir  nicht  der 
Meinung  sein,  dass  sie  sich  wesentlich  von  der  seines  Vor- 
gängers unterschiede,  nur  die  Form  in  der  sie  auftritt  ist  eine 
andere;  Gervais  spricht  entschieden  aus,. was  bei  ihm  imr* 
alimählig  und  nicht  ohne  ein  gewisses  Schwanken  h^vot«* 
tritt  Er  giebt  Lothar  das  höchste  Zeugniss  das  die  Geschichte 
geben  kann,  er  sagt  S.  220:  Es  ist  kein  leeres  Wort^  Lothar 
verstand  seine  Zeit;  und  dock  meint  er  andrerseits  S.  35:  er 
habe  durch  die  Bedingungen  die  er  bei  seiner  Wahl  einging, 
der  Ehre  des  Reichs,  dem  kaiserlichen  Ansehen  eine,  tiefe 
Wunde  geschlagen.    Sollte  Lothar  diese  Zugeständnisse  ge- 
macht haben,  weil  er  einsah  die  Zeit  ertrage,  njcht  mehr  ein 
Kaiserthum,  wie  es  sich  die  Sachsen  und  Franken  dachten; 
es  sei  an  der  Zeit  die  früheten^iispiHiche-iieifabziastiimnen? 
Sicher  hatte.«r..yon.  derWürjje  dj^.Saiserthupis  und  seingr 
Stellung  in  4er  christlijehen  Welt  kefate^'  ^mnge^e  Meinung 
als  seine  Yergängerv  vielmehr  war  isie  es,  die  ihn  zwang  in  • 
derselben  Weise  aufzutreten,  dieselben  Ansprüche  zu  erbe- 
ben, die  jene  gemacht,  und  die  er  als  des  Reiches  Fürst  selbst 
bekämpft  hatte.    Lothar  erscheint  als  ein  edler  versöhnlidier 
Charakter,  der  mit  seiner  Milde  Kraft  und  Entschlossenheit 
des  Handelns  zu  vereinen  weiss;  er  giebt  dem  Reiche  nicht 
nur  die  lang  ersehnte  Ruhe,  auch  den  alten  Glanz  giebt  er 
ihm  zurück,  auf  den  Wegen  der  Ottonen  einherziehend,  stellt 
er  die  Hoheit  und  den  Einfluss  gegen  Dänemark,  .die  W^en- 
den,  die  Böhmen,  die  Ungarn,  in  ünteritalien  wieder  her,  er 


sen.  Eine  von  der  pbilos.  Facultät  zu  Berlin  gekrönte  Preisschrift. 
Berlin.  Verlag  von  Veit  u.  Comp.  1843. 


Bearbeiter  sekier  GesoMchte»  2tS 

geUi^sst  seine  Thatigkeit  mit  einem  zehnjährigen  Landfrieden 
dbf  und  die  Chronisten  preisen  ihn  als  den  Vater  des  Vater- 
landes. Aber  nach  den  inneren  Umwälzungen  die  das  Reich 
seit  einem  halben  Jahrhundert  erfahren  hatte,  musste  es  im- 
mer ^ie-  erste,  wichtigste  Frage  bleiben ,  wie  er  sich  zum 
Papstthum  stellen  werde,  und  eben  in  seinem  Verbältniss  zu 
diiBiSem'  können  wir  nieht  die  ideale  Einheit,  beider  Gewalten 
finden,  die  Gervais  darin  zu  sehen  meint,  noch  die  innere 
UeberzeugUDg  mit  der  sich  Lothar  der  Kirche  unterordnete, 
worin  Herr  Jaifö  ein  religiöses  Bedürfniss  des  Kaisers  zu  er- 
kennen glaubt  Vielmehr  können  wir  seine  Stellung  nach  die- 
ser Seite  hin  nur  eine  schwankende  nennen.  Betrachten  wir 
sie. einen  Augenblick  naher. 

^  In  der  Wahlcapitulation  hatte  Lothar  auch  das  aufge- 
geben, was  das  Goncordat  dem  Kaiser  erhalten  hatte,  bei 
den  AVahJen  der  geistlichen  Fürsten  gegenwärtig  zu  sein:  er 
Uess  es  sich  gefallen  die  Belehnung  mit  den  Regalien  nicht 
an  dem  Gewählten,  wie  es  früher  festgestellt  worden  war, 
sondern  erst  an  dem  Geweihten  zu  vollziehen,  wodurch  sei- 
U^m  Einflüsse  noch  engere  Schranken  gesetzt  wurden.  Ja  er 
ging  noch  einen  Schritt  weiter,  er  erliess  den  bei  seiner  Wahl 
anwesenden  Bischöfen  und  Aebten  den  Lehnseid  (hominium) 
den  sie  früher  geleistet  hatten,  (ut  moris  erat,  sagt  die  nar- 
ratio  de  electione  Lotharii)  und  begnügte  sich  mit  dem  Ge-^ 
lübde  der  Treue  (fidelitas),  während  die  weltlichen  Fürsten 
beides  leisten  mussten.  Damit  hatte  er  dem  Papste,  den  geist- 
lichen Ständen  gegenüber  das  Princip  auf  dem  das  Kaiser- 
ttium  rufaete,  geopfert;  er,  der  oberste  Lehnsherr  der  Christen- 
heit verzichtete  auf  den  Lehnseid  der  geistlichen  Fürsten^  und 
doch  behielten  sie  die  Lehen  in  Händen,  die  sie  vom  Reiche 
hatten,  die  Städte,  die  Herzogthümer,  die  Markgrafschaften 
und  Grafschaften,  das  Mtinzrecbt,  die  2ölle,  die  Märkte  und 
Geriete,  die  Reichsvoigteien  und  Burgen.  Wie  wenig  sie 
selbst  geneigt  waren  ihrem  geistlichen  Charakter  solche  Opfer 
zu  bringen,  hatten  sie  bereits  bei  der  im  Jahra  Uli  versuch- 
tem Ausgleichung  des  Investiturstreits  hinlänglich  gezeigt  (Mo- 
num.  Germ.  legg.  IL  p-  69).    Dnd  was  erkaufte  sich  Lothat 

Z«itschrin  f.  Geschichtsw.    I.    1844.  ^5 


226  Lothar  der  Sackie  und  die  neuesten 

damit?  Nicht  einmal  die  volle  Uebereinstimmung  mit  Bitiem 
Papste,  der  selbst  erst  gegen  einen  Schismatiker  seine  volle 
Würde  erkXmpfen,  mit  des  Kaisers  Kräften  erkämpfen  musste. 
Wir  können  gern  glauben,  dass  es  Lothar  mit  dem  ewigen 
Frieden  zwischen  Reich  und  Kirche  von  dem  er  1131  an  In- 
nocenz  II.  schreibt,  Ernst  war,  aber  die  gebrachten  Opfer 
konnte  auch  sein  Glaube  an  die  Superiorität  der  Kirche  nicht 
verschmerzen.  Wie  hätte  er  sonst  zu  Lüttich  an  den  Papst 
die  Forderung  stellen  können,  die  Investitur  zurückzUgebta, 
wie  sie  vor  dem  Galixtinischen  Goncordat  bestanden,  weif 
das  Reich  allzu  sehr  geschwächt  sei?  Es  ist  kaum  glaublicb, 
dass  die  fromme  Ansprache  des  b.  Bernhard  an  des  Kaisers 
Gewissen  diese  Skrupel  für  immer  beschwichtigt,  oder  dass 
ihre  Kraft  allein  sie  auch  nur  für  jetzt  beseitigt  habe.  Noch 
standen  die  Hohenstaufen  im  Felde,  und  schwerlich  dürften 
die  geistlichen  Stände  auf  eine  Herstellung  des  alten  Verhält- 
nisses eingegangen  sein,  nachdem  sie  die  Freiheit  der  WaM 
kennen  gelernt  hatten. 

Auch  fehlte  es  fernerhin  keineswegs  an  Streitpunkten 
zwischen  der  wettlichen  und  geistlichen  Herrschaft.  Der  Kai* 
ser  will  den  Frieden,  er  giebt  nach,  zwar  nicht  ohne  Wider* 
streben,  nicht  ohne  leise  Versuche  seinen  Anspruch  dun^h«' 
zusetzen,  aber  er  giebt  nach,  und  doch  schützt  ihn  dies  nicht 
vor  weiteren  Anmuthungen.  Die  Wahl  Albero's  von  Trier 
wird  gegen  seinen  Willen  vom  päpstlichen  Legaten  durchge- 
setzt, er  thut  Einspruch,  aber  dennoch  giebt  er  ihm  die  In^ 
vestitur;  er  bleibt  mit  dem  Erzbischof  bis  an  das  Ende  sei- 
ner Regierung  gespannt,  dennoch  ernennt  der  Papst  gerade 
dieaeD  au  seinem  Legaten  iär  Deutschland.  Heinrich  V.  hat|e 
im  Jahre  11  tl  geschworen  ein  Schützer  und  Schirmherr  der 
römischen  Kirche  zu  sein,  sie  in  ihren  Einkünften  und  Nut«*» 
Zungen  zu  wahren,  sie  bei  ihren  Besitzungen,  Ehren  uml 
Rechten  nach  Kräften  zu  erhalten.  Anders  lautete  der  Schwur 
zu  dem  sich  Lothar  zwanzig  Jahre  später  verstand,  ein  si«» 
ekeres  Zeichen,  weiche  Fortschritte  das  kirchliche  Princip  in 
dieser  Zeit  gema<^t  hatte.  Er  gelobte  1133  nicht  nur  die 
Regalien  dts  b.  Petrus  die  der  Papst  besitze  zu  bewahren, 


BearbeUer  seiner  Oesekichie.  237 

sondern  auch  dt6  er  nicht  besitee  herzustellen,  ein  Zuge-* 
stUndoiss,  das  er  sieher  in  der  Absicht  gemacht  hatte,  deri 
Frieden  zu  erhalten,  aber  schon  beim  ntichsten  Schritte  musste 
es  ihn  unausbleiblich  mit  sich  selbst,  mit  dem  Kaiserthum, 
ja  auch  mit  dem  Papste  in  Widerspruch  bringen.  Was  konnte 
nteht  Alles  als  Regal  des  h.  Petrus  in  Anspruch  genommen 
Werden?  Man  erinnere  sich  doch  nur  der  Sprache  die  Gte- 
gorüihrte,  hatte  er  nicht  das  Eigenthum  aller  Menschen  (om- 
ftium  hominum  possessiones)  für  ein  Gut  des  h.  Petrus  er- 
klärt? Dass  Lothar  an  diese  Folgerungen  nicht  dachte,  zeigt 
die  bald  (fintretende  Spannung,  in  die  er  mit  dem  Papste 
gerietb;  aber  hatte  er  nicht  im  Princip  eingeräumt,  was  er 
in  der  That  nicht  zugestehen  wollte  und  konnte? 

Gleich  bei  der  Frage,  die  zunächst  zur  Sprache  kam, 
a^eigten  sich  die  Folgen  dieses  Schrittes.  Lothar  musste  die 
Mathildischen  Erbgüter,  die  von  den  Reichslehen  gewiss  schwer 
oder  gar  nicht  zu  trennen  waren  (Stenzel  fränk.  Kaiser  Th.  L 
S.  668),  von  dem  Papste  zu  Lehen  nehmen.  Wie  oft  hatten 
Ae  Kaiser  nicht  ausgesprochen  Oberlebnsherren  der  Chri- 
stenheit zu  seinr?  Dieser  Kaiser  erliess  den  geistlichen  Für« 
sten  den  Lehnsetd,  er  selbst  leistete  ihn  dem  ersten  geistli- 
eilen  Fürsten  und  wurde  sein  Lehnsmann;  dass  er  es  nur 
ittr  einen  bestimmten  Landstrich  wurde,  konnte  die  Sache 
nicht  ändern,  der  Kaiser  war  Lehnsmann  geworden,  und  da- 
mit hatte  er  das  Princip  des  Kaiserthums  aufgeopfert.  Die- 
selben Auftritte  wiederholten  sich  bei  dem  zweiten  Zuge  nach 
ItaKen.  Salemo,  ünteritdiien  überhaupt,  war  ein  Regal  des 
h.  Petrus;  Innocenz  unterliess  nicht  es  als  solches  in  An- 
spruch zu  nehmen,  Lothar  konnte  nicht  vergessen,  dass  hier 
seine  Vorgänger  seit  mehr  als  hundert  Jahren  Belehnungen 
ertheitt  hatten,  und  doch  hatte  er  geschworen  dem  h.  Petrus 
seine  Regalien  wieder  zu  schaffen.  Ein  heftiger  Streit  «wi- 
schen Papst  und  Kaiser  war  die  Folge,  und  einem  gänzlichen 
Bruche  konnte  nur  durch  ein  neues  Zugeständniss  Lothar's 
vorgebeugt  werden :  man  begnügte  sich  mit  einer  voi^ufigen 
Maassregel,  Kaiser  und  Papst  belehnten  bis  zur  scbliesslichen 
Ausgleichung  der  Sache  tJen  neuen  Herzog  ton  Apulien  gleich* 

15* 


229  Lothar  der  Sachse  und  die  neuesten 

zeilig  mit  derselben  Fahne.  Damit  hatte  Lothar  die  Ober« 
herrscbaft  des  Papstes  in  Unteritalien  neben  der  seinen  an«> 
erkannt,  und  dieser  Opfer  ungeachtet  gab  der  Papst  seiner^ 
seits  in  Nebenfragen,  wie  die  Abtwahl  von  Montecassino  nur 
unter  fortgesetzten  Drohungen  und  Protestationen  jiach.  Ein 
stetes  Nachgeben»  ein  stetes  Weichen  bis  zur  Crefahrdung  des 
Princips  gegenüber  den  immer  steigenden  Anforderungen  4er 
andern  Seite,  ohne  auch  nur  in  Nebendingen  den  Friedea 
erreichen  zu  können,  den  er  aus  itmerster  Ueberzeugung 
wttnschte,  dies  scheint  uns  hier  der  Grundcharakter  der  Re^» 
gierung  Lothars.  War  es  möglich  den  Frieden  herzuslellen: 
er,  der  Mann  der  Partei,  die  so  oft  die  Verbündete  Roms  ge- 
gewesen  war,  der  Herrscher  voll  Milde  und  Kraft  zuglmcb, 
er  hätte  es  gekonnt;  er  wollte  es,  und  was  war  das  firgebniss? 
Wahrlich,  kein  Zeitpunkt  scheint  geeigneter  die  Natur 
dieses  Kampfes  in  das  rechte  Licht  zu  setzen  als  die  Herr-« 
schdft  Lothars»  Wären  die  Weifen  nach  seinem  Tode  an  die 
Stelle  der  Hohenstaufen  getreten,  sie  hätten  dem  Papstthüra 
gegenüber  schwerlich  anders  gehandelt  als  diese,,  hinlängl ich 
hatte  bereits  Heinrich  der  Stolze  seine  Gesinnungen  gegen 
den  Papst  an  den  Tag  gelegt,  und  es  ist  eine  leere  Geschidits- 
mäkelei,  behaupten  wollen,  ihre  Wahl  würde  dem  fieicha 
grosses  Elend  erspart  haben.  Aber  nicht  auf  Namen,  oder 
Personen  kam  es  hier  an,  es  waren  nicht  die  Salier  und  Ho- 
henstaufen, nicht  Gregor  und  Innocenz  die  den  Kampf  führ- 
ten, es  waren  Principien,  die  einmal  in  ihrer  ganzen  Schärfe 
ausgesprochen,  sich  befehden  müssen  bis  auf  den  Tod^  und 
nur  in  ihrer  gegenseitigen  Vernichtung  lag  die  Möglichkeit 
des  Friedens.  Der  die  Macht  besass  zu  lösen  und  zu  binden, 
ini  Himmel  und  auf  Erden,  der  das  freie  Reich  der  Geisten, 
beherrschen  wollte,  er  konnte,  er  durfte  seine  Würde  nicht 
von  dem  Herrscher  dieser  Welt  annehmen ,  es  lag  eia  Wi*^ 
derspruch  darin,  der  die  Idee  des  Primats  nothwendig  ver-^ 
nichten  musste;  mit  dieser  Macht  war  kein  Friede  zu  schlies- 
sen,  denn  nur  in  der  Weltherrschaft  fand  sie  ihre  Erfüllung. 
Und  der  Kaiser,  der  erste  Fürst  der  Christenheit,  von  des-» 
sen  Macht  alle  weltliche  Herrschaft  ein  Ausfluss  war,  er  solltf 


Bearbeiter  seiner  Geschichte,  220 

die  Geidtliohen  mit  allen  Gütern,  die  seit  Karl  dem  Grossen 
in  ihre  Hände  gekommen  waren,  aus  dem  Reichsverbande 
entlassen?  er  sollte  sein  Reich  vom  Papste  2u  Lehen  tragen? 
Er  wäre  vom  Throne  herabgestiegen  und  hätte  sein  Scepter 
mit  eigner  Hand  zerbrochen. 

Doch  kehren  wir  zu  dem  Ruche  zurück,  das  uns  zu  die« 
ser  weiteren  Ausführung  unserer  Ansicht  über  Lothar  Ge- 
legenheit gegeben  hat;  wir  glauben  damit  zugleich  die  Auf«< 
Ibssung,  wie  sie  dort  dargelegt  wird,  einer  Kritik  unterw'or«* 
fen  zu.  haben,  ohne  auf  die  Stellen  noch  besonders  hinwei- 
sen zu  müssen,  in  denen  sie  hervortritt. 

Herr  JafT^hat  sich  in  der  Rehandlung  des  Gegenstandes 
der  Art  und  Weise  angeschlossen,  die  man  die  mehr  kritisch- 
philologische  nennen  kann,  und  die  in  den  letzten  Jahren  al- 
lerdings nicht  ohne  £rfolg  aus  dem  fiereich  der  Alterthums- 
Wissenschaften,  wo  sie  von  jeher  die  übliche  war,  auch  auf 
den  Boden  der  mitt«laltrigen  Forschungen  verpflanzt  worden 
ist.  Er  hat  mit  grosser  Gewissenhaftigkeit  alles  benutzt,  was 
an  Chroniken  und  Urkunden  in  Betracht  kommen  konnte, 
aueh  das  kritische  Verhaltniss  der  Quellen  zu  einander  lässt 
er  nicht  ausser  Acht,  er  thut  keinen  Schritt  vorwärts  ohne 
Prüfung,  und  scheut  nicht  die  Mühe  in  das  kleinste  Detail 
einzudringen.  Wie  es  bei  einer  solchen  Sichtung  des  Stoffs 
üblich  ist,  setzt  der  Verf.  die  Hauptbelegstellen,  die  Hinwei- 
sungen auf  die  minder  bedeutenden,  kleinere  kritische  Erör- 
terungen unter  den  Text,  die  grösseren  verweist  er  in  die 
Beilagen,  deren  er  neun  giebt,  die  seiner  Gelehrsamkeit  noch 
freiem  Spielraum  verstatten.  Namentlich  verdient  hier  die 
siebente  Beilage  hervorgehoben  zu  werden ;  er  giebt  nämlich 
S.  245—270  eine  Uebersicht  sämmtlicher  deutscher  Erzbischöfe 
und  Bischöfe,  die  während  Lothars  Zeiten  auftreten;  Wahl- 
tag, Todestag,  jede  urkundliche  Notiz  die  aufgetrieben  wer- 
den konnte,  ist  hier  in  der  Weise  von  Regesten  eingetragen, 
so  dass  sich  daraus  ein  bedeutendes  Hülfsmittel  Tür  die  Lö- 
sung chronologischer  Fragen  ergab,  das  dem  Verf.  mehr  als 
einmal  trefflich  zu  Statten  kommt.  Der  Vortbeil  einer  um- 
fosseuden  Renulzung  der  Urkunden  erweis  sich  auch  bei  der 


230  Lothar  der  Suchst  und  die  neuesten 

Untersuchung  über  die  Frage;  wann  Herzog  Heinrich  m\t 
Sachsen  belehnt  worden  sei,  die  dahin  entschieden  wird,  dads 
es  vor  1137  nicht  geschehen  sein  k^nne,  da  Heinrieh  bis  auf 
dieses  Jahr  in  den  vorhandenen  Urkunden  nur  als  dux  Bar 
variae  und  marchio  Tusciae,  aber  nicht  als  dux  Saxoniae  er** 
scheint  Weniger  Gewicht  ist  dabei  wohl  auf  die  bestimmte 
Angabe  des  gleichzeitigen  Peter  Diaeohus  zu  legen,  der  $U 
lerdings  die  Belohnung  in  das  Jahr  1137  setzt;  dass  man  aber 
seinen  Erzählungen  über  Dinge,  die  seinem  nächsten  Kreise 
nicht  angehörten,  nicht  überall  trauen  darf,  geht  aus  solchen 
Behauptungen  hervor,  wie,  Innocenz  habe  zu  Lüttich  das  liv>* 
vestiturrecht  an  den  Kaiser  wirklich  abgetreten;  weirt  ihm 
doch  der  Verf.  selbst  in  dem  genauen  Bericht  über  seinen 
Aufenthalt  im  kaiserlichen  Lager  einen  chronologischen  Feh-i 
1er  nach,  S.  211.  Die  abweicfaendeu  Angaben  Dodechin's,  des 
Mönchs  von  Weingarten,  Helmold's,  welche  die  Belehnohg 
mit  Sachsen  auf  1126,  1127,  1136  feststellen,  sucht  derVerf* 
aus  einer  Verleihung  einzelner  sächsischer  Lehen  zu  erkiären, 
eine  Auslegung  iu  der  man  sich  dem  consequenten.  Schwei- 
gen der  Urkunden  gegenüber  fast  gedrungen  siebt,  ob woU 
keiner  der  Chronisten  die  Sache  so  meint,,  alle  drei  sprechen 
nur  von  dem  ducatus  Saxoniae.  Auch  ist  es  aufTallend,  diass 
der  Kaiser  sollte  das  Herzogtfaum  zurückbehalten  haben;  was 
hatte  die  Erbitterung  gegen  die  Franken  mehr  gesteigert  als 
Versuche  dieser  Art? 

Chronologische  Untersuchungen,  auf  die  ohnehin  das  Er-» 
forschen  des  Details  vorzugsweise  hinleitet,  behandelt  der 
Verfasser  überhaupt  mit  Vorliebe,  und  man  kann  nicht  leug-* 
nen,  dass  er  dabei  einen  gewissen  Scharfsinn  entwickelt,  sö 
S.  103  in  der  Erörterung  über  die  Zeit  der  Mainzer  Versamm- 
lung 1131,  über  den  Aufenthalt  des  Kaisers  vor  fienevcnt, 
S.  204,  die  Reise  des  Abtes  von  Montecassino  S.  210  u.  s.  w. ; 
freilich  handelt  es  sich  dabei  meistens  nur  um  einen  Unter- 
schied von  wenigen  Tagen ,  doch  entscheidet  der  Verf.  auch 
auf  diesem  Wege  die  Frage,  ob  Herzog  Conrad  auch  Mark- 
graf von  Tuscien  gewesen  sei,  die  nach  dem  Vorgange  alte'* 
rer  Forscher,  natürlich  mit  Nein  beantwortet  wird.    Femer 


Bearbmier  seiner  Geschichte.  231 

giel>t  er  in  der  achten  Bailage  ein  VerzeioknisB  der  Unter- 
schriften der  Lotharischen  Urkunden;  dass  er  hier  neben  den 
ErjBkanzlern  auch  die  meistens  bedeutungslosen  Kanzler  be* 
rücksiebtigt  hat,  ist  ein  löblicher  Beweis,  dass  er  keinen  Punkt 
ausser  Acht  lassen  wollte,  auf  den  bei  frühem  Untersuchun- 
gen dieser  Art  hingewiesen  worden  ist 

So  stellt  sich  denn  von  dieser  Seite  ein  entschiedener 
Fortschritt  in  der  Bearbeitung  der  Geschichte  Lothars  her- 
aus, das  ^iaterial  ist  gesichtet,  manches  Einzelne  ist  in  ein 
neues  Licht  gestellt,  vieles  schärfer,  sicherer  bestimmt.  Aber 
damit  ist  erst  ein  Theil  der  Aufgabe  gelöst,  und  irren  wir 
nicht,  der  leichter  zu  lösende.  Wir  können  gewiss  am  we- 
ni^teu  geneigt  sein  Forschungen  dieser  Art  in  ihrem  Werthe 
irgendwie  herabzusetzen;  aber  was  helfen  uns  todte  Einzel- 
heiten, wenn  sie  sich  nicht  zu  einem  Bilde  abrunden,  aus 
dessen  Zügen  Geist  und  Leben  zu  uns  sprechen?  was  hilft 
uns  das  wohlgeordnete  Fachwerk  der  Chronologie,  das,  wenn 
es  auch  die  Theile  giebt,  doch  des  geistigen  Bandes  ent- 
behrt? Und  das  ist  es  nach  unserer  Meinung  was  Herrn  Jaffö's 
Buche  fehlt,  worin  es  entschieden  hinter  Gervais  zurücksteht 
Es  kann  nicht  unsere  Absicht  sein  eine  Vergleichung  beider 
Bücher  anzustellen,  aber  ein  Blick  auf  die  frühere  Leistung 
lasst  sich  um  so  weniger  vermeiden,  als  Herr  Jaffö  selbst  be-* 
reits  in  seiner  Vorrede  eine  solche  Vergleichung  angestellt, 
und  sie  einstweilen  mit  ziemlicher  Sicherheit  zu  seinen  Gun- 
sten entschieden*  hat  Wir  haben  hinlänglich  dargethan,  dass 
wir  Gervais'  Grundansicht  für  unrichtig  halten,  aber  wir  müs- 
sen zugestehen,  dass  er  trotz  der  Menge  von  Vermuthungen, 
Combinatipnen,  Betrachtungen  die  sich  in  breitester  Ueberfülle 
geltend  machen,  im  Ganzen  doch  seines  Stoffs  weit  mehr 
Meister  ist  als  der  jüngere  Verf.,  ungeachtet  dieser  in  vielen  ein- 
zelnen Punkten  gegen  ihn  Recht  behält  Bei  seinem  Vorgänger 
findet  derselbe  den  falschen  Pragmatismus  (Vorrede  S.  2).  Im- 
inerhin,  aber  warum  musste  er  hinzusetzen  „dieser  liege  ihm 
ebenso  fern  als  jenem  nahe'';  warum  mit  ein^ai  verdäehtigen- 
den.  Hinblick  auf  jenen  äussern:  ,3Iir  war  es  ciiizig  und  al« 
lein  um  die  Wahrheit  zu  thun";  warum  Gervais'  gewiss  ach- 


232  Lothar  der  Sachse  und  die  neuesten 

tUBgsweithes  BekeBotniss  (Gesch.  Lothars,  Vorrede  S.  L)  über- 
sehen, y^anders  Denkende  der  Unkunde  und  Sorglosigkeit  zu 
zeihen,  oder  seine  Ansichten  für  die  einzig  richtigen  auszu-* 
geben,  halte  er  für  eine  grosse  Anmassung*'? 

Und  hat  sich  denn  der  Yerf.  von  dem  falschen  Pragnia«* 
tismus  frei  gehalten,  den  er  dort  so  vornehm  tadelt?  Gewiss 
hat  er  es  gewollt,  aber  ebenso  gewiss  ist  es  ihm  nicht  immer 
gelungen.  So  weicht  er  S.  28  von  der  gewöhnlichen  Annahme 
ab,  nach  der  sich  bei  der  Wahl  Lothars. die  Sachsen  auf  dem 
rechten  Rheinufer,  Friedrich  von  Hohenstaufen  auf  dem  linken 
lagerte.  Es  handelt  sieh  hier  um  die  Erklärung  der  Worte  ultra 
fihenum  und  ex  altera  parte  in  der  narrat  de  elect.  Loth. 
Aber  weil  Friedrich  nach  demselben  Zeugniss  angeblich  aus 
Furcht  vor  den  Einwohnern  von  Mainz  nicht  in  die  Stadt  zu 
kommen  wagte,  schliesst  der  Verf.,  deshalb  kann  er  sich  nicht 
auf  der  Mainzer,  auf  der  linken  ^eite  des  Rheins  gelagert 
haben,  ein  solches  Verfahren  wäre  wohl  ein  offener  Wider- 
spruch in  Friedrichs  Benehmen  gewesen.  Wie?  darum? 
Weil  Friedrich  nicht  in  die  Stadt  zu  kommen  wagte,  darum 
kann  er  auch  nicht  auf  der  Uferseite  wo  diese  Stadt  lag  ge« 
blieben  sein?  darum  musste  er  eilen  den  breiten  F]u$s  zwi- 
schen sich  und  der  Stadt  zu  sehen?  Wie  soll  man  es  nennen, 
wenn  wir  S.  42  über  die  Verurtheilung  Friedrichs  auf  dem 
Strassburger  Reichstage,  auf  das  Raisonnement  hin,  dass  die 
Quellen  ebenso  wenig  berichten,  er  sei  vorgeladen  worden, 
als  er  sei  nicht  vorgeladen  worden.  Folgendes  lesen:  „Der 
Herzog  aber  erschien  nicht  nur  nicht,  sondern  begann 
sogar  neue  offene  Feindseligkeiten  gegen  den  König.  Also 
darauf  hin  bricht  der  Verf.  über  Friedrich  von>  Hohenstaufen 
den  Stab!  Wo  soll  man  den  falschen  Pragmatismus  suchen^ 
wenn  er  hier  nicht  ist?  Der  Verf.  ist  ferner  nicht  mit  dem 
Grunde  zufrieden,  den  Otto  von  Freisingen  angiebt,  weshalb 
Rainald  die  Belehnung  mit  Burgund  bei  Lothar  nicht  nach- 
suchte, —  nimis  iustitiae  suae  confisus,  —  er  vertraute  auf 
sein  gutes  Recht,  der  Verf.  setzt  S.  64  hinzu:  „oder  weil  er 
den  deuts^chen  Königen  die  Oberherrlichkeit  Burgunds  nach 
dem  Aussterben  der  Franken  absprach."    Er  vermuthet,  in 


Bearh^Uer  »einer  Geschichte.  233 

Bezieirang  auf  diesen  Fall  habe  LoAar  das  Geseti  gegebei^ 
wenn  ein  Vasall  binnen  Jahr  und  Tag  die  ndttiige  Belehming 
aus  gutem  Grunde  (non  doiose,  Monum.  Germ.  legg.  II.  p.  80) 
nicht  nachgesucht  habe,  solle  er  das  Lehen  nicht  verlieren, 
weil  der  Schluss  nahe  liege,  wer  keinen  guten  Grund  bat^ 
verliert  das  Leben.  In  der  That,  eine  sonderbare  Art  indi* 
reeter  Gesetzgebung.  Auch  bestimmte  ein  Gesetz  Conrads  IL 
in  diesem  Falle  entschieden  Verlust  des  Lehens.  Ueberbaupt 
bürdet  der  Verf.  den  Worten  nicht  selten  mehr  auf,  als  sie 
£U  tragen  vermögen;  so  schliesst  ein  Brief  Innocenz  IL  an 
Lotiiar  mit  den  Worten:  et  post  decursum  agonis  Stadium 
incorruptibilis  coronae  suscipias  praemium.  Es  ist  zugege- 
ben, dftss  eine  Wendung  in  der  schwülstigen  und  überiade- 
neu  Sprache  des  Briefs  möglicher  Weise  auf  Lothars  Plan/ 
die  Krone-  auf  seinen  Schwiegersohn  zu  vererben,  gedeutet 
werden  kanq,  aber  zu  viel  ist  es,  auch  den  Sinn  der  enge» 
merkten  Worte  ^  die  nur  eine  geistliche  Vertröstung  enthal- 
te, aus  dem  Zusammenhange  folgendermassen  erklären  zu 
wollen,  wie  der  Verf.  174  A.  86  thut:  „Und  damit  du  nach 
Edüllung  der  von  mir  geforderten  Gegendienste  —  nänilich 
zunächst  des  italienischen  Feldzugs  —  als  Lohn  für  Heinrich 
die  Königskh>ne  empfangest*^  Durch  solche  Erklärungen  Ulssl 
sich  aus  Allem  Alles  machen. 

Es  scheint  nicht  ganz  überflüssig  noch  einige  Bemerkun- 
gen hinzuzufügen,  die  mehr  die  literarische  als  die  historische 
Seite  des  Buchs  betreflen.  Dass  der  Verf.  eine  ausgebreitete 
Kenntniss  und  möglichste  Benutzung  der  literarischen  Hülfs- 
mittel  bei  einer  Monographie  vorzugsweise  nicht  für  gleich- 
gültig erachte,  dafür  giebt  sein  Buch  hinlängliche  Beweise, 
fast  auf  jeder  Seite  zeigt  er  seine  Belesenheit;  aber  wie  er 
sie  zeigt,  darüber-  möchten  wir  mit  ihm  rechten.  Bei  Unter- 
suchungen dieser  Art  schliessen  wir  uns  einer  Reibe  von 
Vorgängern  an,  die  für  uns  gedacht,  geforscht,  gearbeitet  ha- 
ben, mit  den  Ergebnissen  ihres  Fleisses  arbeiten  wir  weiter, 
und  was  wir  Neues  damit  erwerben  ist  in  der  Regel  viel 
weniger  als  wir  empfingen.  Haben  wir  aber  wirklich  eine 
höhere  Stufe  als  jene  erreicht,  ist  es  ein  Wunder,  oder  des 


234  Lothat  der  Saoh$e  und  di0  nrntesien 

Auf  hehens  und  Rühmens  ^ertb^  ^dass  wir  einen  wQitern  Ge- 
fiehtekrei«  haben»  als  der  auf  dessen  Schultern  wir  gestiegen 
sind?  Der  Verf«  scheint  nicht  überall  dieser  Meinung  gewe- 
sen SU  sein.  Nicht  Vorzugsweise  da,  wo  er  andern  Forschern 
ßlwas  m  danken  hat,  führt  er  sie  an,  sondern  wo  er  glaubt 
anmerken  zu  müssen,  dass  er  im  Vergleich  mit  ihnen  Neues 
gebe»  und  doch  wäre  es  der  Billigkeit  wie  der  Kürze  wegen 
rathsam  gewesen,  solche  Hinweisungen  mindestens  da  liicht 
zu  unterlassen,  wo  im  Grunde  nur  wiederholt  wird,  was  jene 
schon  gesagt  hatten.  Warum  verweist  erz.  B.  S.  HO  und  146 
nicht  auf  Dahlmann,  dessen  Ansicht  über  Loüiars  Yerhältniss 
zu  Dänemark  er.  gegen  Giesebrecht  in  dessen  wendischen 
Geschichten  eigentlich  nur  vertritt ,  mit  denselben  Beweis- 
stellen und  Gründen  vertritt,  die  Dahlmann  in  seiner  Ge- 
schichte von  Dänemark  ThL  1.  S.  231,  233  bereits  gegeben 
und  angedeutet  hatte.  Und  gar  von  seinem  unmittelbaren 
Vorgänger,  auf  den  der  Verf.  glaubt  herabsehen  zu  dürfeni 
hätte  er  doch  ja  nichts  annehmen  sollen,  ohne  es^mitdessMi 
Namen  zu  bezeichnen.  Die  naheliegende-  Ausgleichung  der 
sch^nbar  sich  widersprechenden  Stellen  über  Heinrichs  Ver- 
mählung mit  Lotbars  Tochter  (S.  6(X  A.  23),  hatte  schon  Ger- 
vais (S.7d.  A.  1. 2.)  gegeben,  ebenso  den  Grund  warum  wahr- 
scheinlich Karl  von  Flandern  in  der  narrat  de  elect.  Loib. 
als  V^ahlcandidat  gar  nicht  genannt  werde  (S.  18},  und  doch 
wiederholt  dies  der  Verfasser  beinahe  mit  ähnlichen  Worten. 
Diese  Stellen  bei  Gervais-  gehörten  doch  nicht  zu:  denen,  wo 
der  Verf.  besorgen  musste  den  Leser  durch  seine  Widerle- 
gungen zu  belästigen,  wie  er  in  der  Vorrede  S.  V  sagt.  Warum 
endlich  giebt  er  bei  der  Anfuhrung  von  Kaiserurkunden  die 
Nummer  aus  Böhmer's  Regesten  in  der  Regel  nur  da  an,  wa 
er  einen  Druckfehler  oder  sonst  eine  Kleinigkeit  anzumerken 
findet,  da  doch  gerade  das  Gitat  nach  der  Nummer  die  lieber-« 
siebt  bedeutend  erleichtert?  Doch  wdil  nicht  um  ein  Paar 
Citate  mehr  zu  Markte  bringen  zu  können?  doch  nicht  damit 
man  meine  er  sei  ohne  Böhmer's  Hälfe  in  das  Labyrinth  der 
Urkunden  eingedrungen,  und  habe  sich  nieht  an  seiner  Hand, 
sondern  durch  eigene  Kraft  darin  zurechtfinden  temen?  Die 


Hinweisung  auf  die  Nummer  der  RegeM^o  hi  docb  -wotU  dar 
geri9g9te  Dank  dea  man  einem  Abone  ab^tirtt^  kaiifti  4er 
zuerst  diesen  verachutteten  Sobacht  wieder  ziigADgUch  machte. 

Auch  die  Art  wie .  fremde  Meinungen  widerleigt  werden 
acbeixil  uns  nicht  passend.  Wenn  der  Verf.  z.  B.  S.  £3»  A.  Ai 
in  brüskem  Tone  ausruft:.  ,,För  StenzePs  Behauptung  kaan 
ieb  keinen  Beweis  finden*';  wenn  er  S.  79«  A.  24  sskgt:  „Böh-' 
nier  scheint  einen  Ort  Stohka  zu  kennen;  mir  ist  ein  soU 
eher  nicht  bekannt'';  wenn  er  S.  133  von  Luden's  Erfindun- 
gen spriefal  und  S.  193.  die  naiv  klingende  Versicherung  giebt, 
nach  Savigny's  Erörterungen  über  die  Auffindung  der  Pan- 
dekten sei  wohl  nichts  mehr  darüber  zu  sagen;  wenn  er  von 
Widersinnigkeiten^  von  aus-  der  Luft  gegriffenen  Behauptungen 
anderer  spricht:  so  kann  diese  Weise  nicht  für  die  rechte 
gelten.  Scheint  es  doch  fast,  als  erschallten  diese  Aussprüche 
von  einem  Tribunale  herab,  wo  keine  Appellation  gilt.  Allem 
Anseheine  nach  versucht  sich  der  Verf.  zum  ersten  Male  auf 
dem  Gebiete  der  Wissenschaft  öffentlich,  und  so  tritt  er  den 
Meistern  entgegen,  die  „Jahre  lang  bilden  und  sich  nimmer 
genug  thun.''  Es  kann  uns  natürlich  nicht  einfallen  zu  ver- 
langen, eine  fremde  Meinung  solle  auf  Autorität  eines  Na- 
mens angenommen  werden,  das  hiesse  den  Tod  der  Wissen- 
schaft verlangen,  in  der  der  Widerspruch  das  Belebende  ist; 
nur  erscheine  er  in  gehöriger  Form,  nur  trete  er  nicht  als 
Orakelspruch  auf,  der  allem  ferneren  Reden  mit  einem  Schlage 
ein  Ende  machen  will.  Auch  .dürfen  Männer,  die  ihr  Leben 
an  die  Erforschung  solcher  Verhältnisse  gesetzt  haben,  wohl 
einmal  eine  Vermuthung  wagen,  ohne  sie  gleich  mit  Brief 
und  Siegel  zu  belögen;  aber  wir  geben  es  dem  Verfasser  gern 
zu,  dies  ist  eine  Freiheit,  die  nicht  ein  Jeder  in  Anspruch 
nehmen  darf. 

Doch  genug  davon,  und  zum  Schluss  nur  noch  eine  Be- 
merkung. Die  Schreibweise  des  Verfassers  ist  ungleich,  mit- 
unter künstlich  geschraubt  und  hin  und  wieder  allzu  trivial. 
Wie  schwierig  es  auch  sei,  Untersuchungen  und  Darstellun- 
'gen  die  bis  in  das  Einzelnste  gehen  in  ansprechender  Weise 
zu  geben,  hier  hätte  der  Verfasser  gewiss  mehr  thun  können. 


^36    Lothar  der  Sachse  und  dk  neuesten  Bearbeiter  etc. 

Wenigstens  war  mandie  steife  Wendung,  mancher  kleine 
Aitstoss,  wie  S*  45,  wo  Otto  ron  Mähren  feierlich  schwört^ 
seinen  Platz  nur  als  Sieger  oder  Besiegter  verlassen'  zu  wol- 
len, wie  die  beleidigende  Gonstruction  S.  212:  „Lothai^  hielt 
so  fest  an  sie'^  (der  Schutzherrschaft  nümiich),  leicht  hinweg 
zu  räumen;  auch  schwerTällige  Zusammensetzungen,  wie  Söh- 
nelosigkeit,  Gegenkönigschaft  und  dergleichen  konnten  wohl 
vermieden  werden. 

Dr.  Rudolf  Köpke. 


Veber  elnlye  nanptfra^ren  dem  HTordlseheii 

Alterthnms» 


ErsterArtikel 

lli0  Dachsiehenden  Untersuchungen  knüpfen  sich  zunächst  an 
folgende  literarische  Erscheinungen  an:  i)  Skandinavien  tin- 
der  Bedna^Akkm,  Förra  og  Sednare  Afdelningen.  Stockholm 
irykt  hos  Johan  Hörberg.  1834. 1836.  2)  Wikings^^üge,  Staats-^ 
Verfassung  und  Sitten  der  alten  Skandinavier.  Von  A.  M. 
Strinnbolm.  Aus  dem  Schwedisclien  von  Dr.  C.  F.  Frisch,  Sub'- 
rector  am  deutschen  National-- Ltfceo  in  Stockholm.  Erster 
Theil:  die  Wikingszüge.  Zweiter  Theil:  Staatsverfassung  und 
Sitten.  Hamburg  bei  Friedrich  Perthes.  1841.  Die  erstere 
Schrift  liihrt  auch  den  Titel:  „Svenska  Folkets  Historia  fr&n 
.äldste  tili  närwarande  tider.  Första  og  andra  Bandet"  Die 
zweite  giebt  eine  deutsche  Uebersetzung  derjenigen  Theil« 
jenes  Wecks,  welche  die  Geschichte  der  Wikingszüge  und  die 
Darstellung  der  alten  schwedischen  Verfassung  und  Sitten 
enthalten.  Die  beiden  ersten  Abschnitte  der  Einleitung  des 
Original  Werks:  1)  die  Bekanntschaft  der  Alten  mit  dem  skan- 
dinavischen Morden,  so  wie  2)  die  Völkerwanderungen  und 
ersten  Bewohner  Skandinaviens  beabsichtigte,  wie  in  der  Vor- 
rede zum  zweiten  Theil  gesagt  wird,  Herr  Dr.  Frisch  einzeln 
für  sich  erscheinen  zu  lassen,  liegen  indess  meines  Wissens 
dem  deutschen  Publikum  noch  nicht  vor.  Den  Abschnitt,  in 
wekbem  die  eigentliche  politische  Geschichte  Skandinaviens 
wahrend  des  heidnischen  Zeitalters  im  Ortginalwerk  darge- 
stellt wird,  wollte  der  Uebersetzer  theils  darum  nicht  geben, 
weil  diese  Geschichte  wenig  oder  gar  nicht  in  die  Geschichte 


238  lieber  emige  Hauptfragen 

des  übrigen  Europa  eingreift,  theils  auch  darum  nicht,  weil 
seiner  Ueberzeugung  zufolge  nach  den  schätzbaren  Darstel- 
lungen von  Geijer,  Rühs  und  Eckendahl  für  das  deutsche 
gelehrte  Publikum  kein  Bedürfniss  einer  neuen  Darstellung 
mehr  vorhanden  wäre.  Auch  die  Uebersetzung  des  siebenten 
Abschnittes,  der  die  Einführung  des  Ghristenthums  in  Schwe- 
den abhandelt,  wurde  iiir  unnö^g  gehalten»  da  die  6e$pbicfa(e 
derselben  von  Reuterdahl  schon  in  deutscher  uebersetzung 
vorhanden  ist.  In  der  Uebersetzung  bildet  die  Geschichte  der 
Wikingszüge  den  Inhalt  des  ersten  Theils  und  die  Darstel- 
lung der  Verfassung  und  Sitten  den  des  zweiten  Theils.  Im 
Original  werk  wird  dagegen  die  Geschichte  der  WtkingIszügA 
im  zweiten  Theile  behandelt  und  an  diese  die  Darstellung 
der  Sitten  ohne  Absatz  am  Schlüsse  angeknüpft;  die  Darstel- 
lung der  Staatsverfassung  bildet  den  fünften  Abschnitt  des 
fersten  Theils.  Nur  ein  Paar  unbedeutende  Ny)ten  hat  der 
Uebersetzer  dem  Werke  hinzugefügt,  jedoch  aus  dem  ersten 
Theile  des  Originals  S.  270  und  S.  290  ein  Paar  interessante 
Anmerkungen,  in  welchen  die  schwierige  Frage  über  day 
Zeitalter  Ragner  Lothbrok's  untersucht-  wird,  in  den  ersten 
Theil  der  Uebersetzung  S.  23—26  aufgenommen.  Die  Schreib- 
art dieser  letzteren  ist  im  Allgemeinen  als  gut  und  fliessend 
zu  loben ;  doch  theile  ich  nicht  die  Meinung  des  Herrn  Dr. 
Frisch,  dass  der  Aufnahme  von  schwedischen  Ausdrücken,  wie 
Idrott  und  Fosterbnider  nichts  entgegenstehe.  Ein  wahres 
Verdienst  hat  sich  der  Uebersetzer  um  das  Werk  von  Strinn- 
holm  dadurch '  erworben ,  dass  er  den  Inhalt  desselben  itl 
grössere  und  kleinere  Partien  abgetheilt  und  mit  einem  sum- 
marischen Inhaltsverzeichnisse  versehen  hat  Seiner  Versiche- 
rung zufolge  hatte  er  auch  die  citirten  Werke,  wo  sie  ihm 
Zugänglich  waren,  stets  verglichen.  Dies  müsste  ihm  unge- 
mein viel  Zeit  und  Arbeit  gekostet  haben,  da  Strinnholm  nur 
iti  höchst  seltenen  Fällen  eine  einzelne  bestimmte  Stelle  an- 
giebt,  und  nur  im  Allgemeinen  auf  seine  Gewährsmännef 
sich  zu  berufen  pflegt.  • 

üeberhaupt  spricht  sich  eben  nicht  an  dem  ganzen  Werke 
ein^  tiefe  umfassende  Quellenforschung  aus,  durch  welche 


de$  nordischen  Alterthums,  230 

bedeutende,  die  Wissenschaft  bereichernde  neue  Ergebnisse 
z«  Tage  gefördert  worden  wären.  Das  Verdienst  desselben 
besteht  mehr  nur  in  einem  sorgsamen  Zusammenstellen  des-' 
sen,  was  schon  früher  durch  Forschungen  Anderer  ins  Licht 
gestellt  worden  ist.  So  z.  B.  liegen  der  Darstellung  der  Ge- 
schichte der  Normannenzüge  grösstentheils  die  Arbeiten  von 
Depping  zu  Grunde.  Diejenigen  Theile  des  Werks,  die  Herr 
Dr.  Frisch  in  sein  Werk  aufgenommen  hat,  sind  offenbar  die 
betehrendsten.  An  dem,  was  in  den  unübersetzt  gebliebenen 
Theilen  enthalten  ist,  dürfte  die  Kritik  mit  geringen  Ausnah- 
men mancherlei  auszusetzen  haben. 

Die  erste  Abbaodlung,  die  einen  kurzen  Abriss  von  den 
Vorstellungen  der  Alten  über  den  Norden  der  Erde  giebt, 
bietet  nichts  Eigenes  oder  Neues  dar.  pie  zweite  Abhand- 
lung aber,  in  der  von  dien  Völkerwanderungen  und  den  äl- 
testen Bewohnern  des  Nordens  gesprochen  wird,  entwickelt 
Ansichten,  an  denen  in  heutiger  Zeit  kein  Geschichtsforscher 
mehr  festhalten  sollte.  Nach  einer  übersichtlichen  Darstellung 
der  allgemeinsten  Verhältnisse  der  Wanderungen  der  germa- 
nischen Völker,  über  die  römische  und  griechische  Schrift- 
steller Bericht  ertheilen,  wird  eine  Behauptung  aufgestellt, 
deren  Wahrheit  an  und  für  sich  gewiss  nicht  zu  bezweifeln 
ist,  die  indes§,  falsch  gefasst,  Herrn  Strinnholm  zu  Folgerun- 
gen Anlass  giebt,  deren  Richtigkeit  ihm  nicht  zugestanden 
werden  darf.  Mit  Grund  wird  (S.  89)  behauptet,  dass  während 
des  vierten  und  fünften  Jahrhunderts  ein  grosser  lebendiger 
Völkerverkehr  in  dem  ganzen  Ländergebiete  zwischen  Skan- 
dhofarien  und  den  Küsten  des  schwarzen  Meeres  stattgefun- 
den habe.  Von  dieser  Behauptung  aus  wird  übergegangen 
auf  die  Betrachtung  des  Inhalts  der  nordischen  Sagen  und  so 
der  Weg  zu  dem  gefunden,  was  ah  angeblich  historische  Er-- 
tnnerung  in  den  ersten  Gapiteln  der  Ynglinga-Saga  und  in 
der  berüchtigten  Einleitung  zur  jüngeren  Edda  enthalten  ist 
Auf  die  von  Tacitus  erwähnte  Sage  über  Ulysses,  der  bis  zum 
Rhein  gekommen  wäre,  wird  hingewiesen;  so  auch  aufStra- 
bo's  Aspurgianer.  Dies  Wort  hat  aber  so  wenig  mit  dem 
„Gott"  bedeutenden  germanischen  Worte  As  etwas  gemein, 


340  üeber  einige  Hauptfragen 

wie  mit  dem  Stamme  des  geographisch  bedeutenden  Wortes 
yyAsien^'.  Das  Wort  Aspnrg  ist  zusammengesetzt  aus  den  me-* 
dischen  Wörtern  asp  (Pferd)  und  urgos,  von  unbekannter  Be- 
deutung (Schafarik's  slawische  Alterthümer.  Deutsch.  Band  I. 
S.  358).  Die  Alanen  und  Osseten,  die  ursprünglich  am  Kau- 
kasus und  am  kaspischen  Meere  gesessen  haben  sollen,  wer- 
den unbedenklich  als  ihrer  Abstammung  nach  mit  den  Gothen 
verwandt  bezeichnet  (S.  103—105).  Gründliche  Forscher  je- 
doch (Schafarik's  slawische  Alterthümer.  Erstef  Band.  S.  362 
bis  356.  Vergl.  Mannert's  Geographie  der  Griechen  und  Rö- 
mer. Tbl.  4.  S.  264)  nehmen  an,  dass  sie  sarmatischen  Stam- 
mes gewesen  wären.  Als  Hauptbeweis  für  den  germanischen 
Ursprung  der  Alanen  ist  angeführt  worden,  dass  der  Gross- 
vater des  Jordanes  Notar  eines  alanischen  Fürsten  gewesen 
sei.  Pfister  (Geschichte  der  Teutschen.  Bändel.  S.  221)  äussert 
die  Meinung,  dass  er  das  nicht  geworden,  wenn  die  alanische 
Sprache  von  der  gothischen  verschieden  gewesen  wäre.  Es 
scheint  indess,  dass  ein  alanischer  Fürst  bei  seinem  vielfa- 
chen Verkehr  mit  den  Gothen  eines  Dolmetschers  bedurft 
hätte.  Will  man  jedoch  die  Alanen  durchaus  zu  den  germa-* 
nischen  Stämmen  zählen,  so  muss  man  zugleich  annehmen, 
dass  sie  als  berittene  Vorhut  der  Gothen  in  die  Länder  ein-^ 
gerückt  sind,  wo  sie  zuerst  gefunden  werden.  Strinnholm 
greift  freilich  zu  der  Aushülfe,  die  Behauptung  aufzustellen^ 
dass  Perser  und  Germanen,  wie  es  die  Verwandtschaft  der 
Sprache  beweise,  ursprünglich  verwandten  Stammes  wären. 
Allein  dieser  Beweis  ist  zu  allgemein,  als  dass  ef  in  Rück- 
sicht auf  die  Entscheidung  der  Frage  über  die  Einwanderung 
Odin's  irgend  von  Bedeutung  sein  könnte. 

Schaiarik,  der  die  Sage  über  diese  EinwandeHTUng  noch 
historisch  festzuhalten. sucht,  löst  dieselbe  jedoch  eigentlich 
innerlich  auf.  Ihm  zufolge  müssten  Odin  und  seine  Genossen 
gleichfalls  sarmatischen  Ursprungs  gewesen  sein.  Er  sagt  dar- 
über: „Wichtiger  als  die  Alanen  am  Maiotis  und  Pontos  sind 
in  Bezug  auf  slawische  Alterthümer  ihre  Brüder  im  Norden, 
in  der  Nähe  der  alten  nowgoroder  Slawen,  auf  der  Seheide 
der  slawischen  ynd  finnischen  Welt.    Ptolemaios>  die  Peu- 


des  nordischen  Alierthutns,  S4I 

tingerschen  Tafein,  Markiati  von  Heraklea,  anderer  minder 
wichtiger  Zeugnisse  zu  geschweigen,  bezeugen  einstimmig, 
dass  Alanen  im  Norden,  in  der  Nähe  der  Berge  in  welchen 
der  Dniepr  und  die  Düna  entspringen,  gesessen  haben;  ihr 
Ausspruch  gewinnt  durch  die  alte  skandinavische  Volksüber- 
lieferung von  den  Äsen,  die  sich  in  den  skandinavischen  Sa« 
gen  erhielt,  Bestätigung."  —  „Ihre  Horde  (der  Alanen)  hieljt 
sich  auf  jeden  Fall  da  auf,  wo  die  meisten  Ebenen  und  dii 
besten  Weideplätze  sich  fanden,  also  in  den  Gegenden  des 

heutigen  Smolensk,  Mohylew  und  Tschernigow." „Es 

feuchtet  klar  ein,  dass  dieses  Volk  mit  den  einheimischen 
Wanen  und  Jötunen,  d.  h.  den  Winden  und  Finnen  und  den 
dazu  gekommenen  Normannen  bald  in  hartem  Kampfe  lag, 
bald  in  friedlichem  und  ruhigem  Verkehr  stand,  bis  es  end- 
lich, als  Wanen  und  Jötunen  sich  verbanden,  überwunden 
und  vernichtet  wurde.  Aus  dem  Geschlechte  dieser  Äsen  war 
der  gefeiertste  Held  der  skandinavischen  Sagen,  Odin,  dem 
später  Gothen  und  Sweonen  göttliche  Ehre  erwiesen,  ent- 
sprossen." (Schafarik  a.  a.  O.  S.  257.  348.) 

Es  wird  wohl  Niemand,  der  jemals  mit  der  skandinavi- 
schen 'Mythologie  sich  ernstlich  beschäftigt  hat,  der  Ansicht 
des  Herrn  Schafarik  beistimmen.  Dagegen  wird  die  Zeit  nicht 
fern  sein,  in  welcher  jeder  gründliche  Forscher  mit  ihm  (a. 
a.  0.  S.  358.  359)  es  für  „lächerlich"  halten  wird  und  wun- 
derlich, „wie  einige  deutsche  Geschichtschreiber,  noch  nicht 
s^ufirieden  mit  der  über  allen  Zweifel  erhabenen  ürheimath 
der  Deutschen  in  Germanien,  sich  dennoch  in  die  nordischen 
Saigen  vertiefen,  um  den  Ursprung  der  Gothen  und  Sweonen 
bei  den  kaukasischen  Alanen,  den  der  übrigen  Deutschen  aber 
bei  den  Geten  und  Thraken  zu  suchen."  Dass  die  Behaup- 
tung Scbafarik's  (a.  a.  0.  S.  359),  die  Normannen,  Sweonen 
und  Gothen  wären  der  Abkunft  und  den  ursprünglichen  Sitzen 
nach  von  den  Alanen  vollkommen  verschieden,  gegründet  ist» 
daran  kann  kaum  gezweifelt  werden.  Herr  Strinnholm  ist 
indess  anderer  Meinung.  Doch  genügt  ihm  die  Verwandt- 
schaft der  germanischen  Völker  mit  den  Alanen  und  Persern 
noch  nicht.  Er  sucht  auch  eine  Verwandtschaft  mit  den  Grie- 

Zcitsehrift  f.  Gocbicktsv.  I.  1814.  Jg 


343  Ußber  einige  Eauptfragen 

eben  und  Tbrakiern  nachzuweisen,  und  beruft  sieb  dabei  be- 
sonders auf  die  spracblicben  Untersuchungen  von  Rask.  Al- 
lerdings auch  kann  es  wohl  keine  Frage  sein,  dass  die  Ur- 
zustände der  alten  Griechen  und  die  der  alten  Germanen, 
jeroebr  sie  erforscht  werden,  desto  mehr  Beziehungen  geisti- 
ger Urverwandtschaft  nachweisen  werden.  Dies  aber  wird 
niemals  zureichen  liir  den  Zweck  der  Bildung  bestimmter 
Vorstellungen  von  Einwanderungen  einzelner  Stämme  oder 
Schaaren  in  den  Norden.  Wäre  indess  auch  überhaupt  nicht 
die  Erreichung  dieses  Zweckes  unmöglich,  so  würde  sie  ins- 
besondere nicht  eben  erleichtert  werden  durch  die  Art  und 
Weise,  wie  Herr  Strinnbolm  die  Sache  anfasst.  Es  muss  ihm 
die  von  Jordanes  schon,  der  bekanntlich  Geten  und  Gothen 
mit  einander  verwechselte,  in  die  Geschichte  der  Völkerwan- 
derungen hineingebrachte  Verwirrung  als  Mittel-  und  Halt- 
punkt seiner  Hypothesen  dienen.  Gothen  und  Geten  sind  ihm 
gleich  und  die  Geten  thrakischen  Stammes  sind  auch  mit  den 
Trojanern  verwandt;  in  Idavallir  aber  und  Hildskjalf,  der  Höhe 
von  Asgard,  findet  er  den  trojanischen  Ida  wieder,  und  so 
scheint  es  ihm  ein  Leichtes^  in  den  Genossen  des  ältesten 
Odins,  den  er  in  dem  Geat  der  angelsassischen  Stammtafeln 
zu  erkennen  glaubt,  die  idäischen  Dactylen  nachzuweisen 
(S.  112 — 124).  Dabei  beruft  er  sich  denn  auch  auf  die  Sagen 
der  Sachsen  von  ihrer  Herkunft  aus  Griechenland  und  auf 
die  Sagen  der  Franken  über  ihren  trojanischen  Ursprung. 
Eine  Betrachtung  der  Verwandtschaft  der  griechischen  und 
lateinischen  Sprache  mit  der  medisch- persischen  oder  dem 
Zend  führt  ihn  dann  auch  weiter  über  den  Kaukasus  nack 
dem  Osten  hin  und  zu  der  Behauptung,  dass  die  alte  skan- 
dinavische Götterlehre  nicht  minder  mit  der  Lehret  Zoroasters 
als  mit  der  griechischen  Götterlehre  übereinstimme  (S.  130). 
So  wird  der  Weg  gebahnt,  auf  Hoch-Asien  zu  kommen,  als 
auf  die  ursprüngliche  Heimath  von  welcher  die  Völker  aus- 
gezogen wären. 

Zugestanden  freilich  wird,  dass  die  Geschichte  der  Ur- 
yfSiQderungen  für  uns  in  einem  undurchdringlichen  Dunkel 
verborgen  liege;  doch  werden  einige  Blicke  auf  die  Geschichte 


des  nordischen  Alterthums.  243 

der  Länder,  die  an  dem  schwarzen  Meere  und  in  dessen  Nach- 
barschaft h'egen,  geworfen.  Es  wird  auf  die  Urreiche  in  Phry- 
gien,  Lydien  und  Troja  hingewiesen;  auf  die  Kymmerier  und 
Scythen.  Endlich  aber  zeigt  sich  dem  Blicke  des  Herrn  Yer* 
fassers  Alles  in  einem  helleren  Lichte;  die  Geten  machen  sich 
mächtig  und  unter  ihnen  tritt  Dikeneus  auf,  ein  zweiter  Za- 
molxis.  In  diesem  Dikeneus  aber  wird  nun  demzufolge,  was 
der  Wahrscheinlichkeit  entspreche,  derselbe  Mann  erkannt, 
der  als  der  historische  und  letzte  Odin  nach  dem  Norden 
gewandert  wäre  und  das  Reich  Swithiod  gegründet  hätte» 
Die  Mithridatischen  Kriege  sollen  Bewegung  in  das  Volksle- 
ben der  Geten  gebracht  und  so  die  Veranlassung  zur  Aus- 
wanderung geboten  haben  (S.  132—141). 

Nachdem  so  die  eigentliche  historische  Begebenheit  ge- 
funden ist,  wird  nach  der  Annahme,  dass  zu  verschiedenen 
Zeiten  frühere  Einwanderungen  stattgefunden  hätten,  ausein- 
ander gesetzt,  wie  die  Bevölkerung  Skandinaviens  aus  zwei- 
facher Wurzel  erzeugt  und  in  der  Vermischung  zweier  ur- 
sprünglich verschiedener  Stämme  ein  dritter  gebildet  worden 
sei.  Zuerst  hätten  die  an  Kraft,  Stärke  und  Grösse  alle  an- 
deren Menschen  übertreffenden  Jötnar  im  Norden  gewaltet; 
darauf  wäre  ein  anderes  Geschlecht  von  kleinerem  Bau  und 
schwächer  an  Körperkraft,  aber  in  Kraft  des  Geistes  und  des 
Verstandes  überlegen,  gekommen,  hätte  im  Kampfe  mit  den 
Jötnaren  diese  überwunden,  darauf  aber  auch  mit  ihnen  ge- 
schlechtlich sich  verbunden  und  vermischt,  und  so  ein  drit- 
tes Geschlecht  erzeugt.  Dies  letztere  Geschlecht  hätte  sich 
nun  weder  durch  körperliche  Kraft,  noch  durch  geistige  Ei- 
genschaften so  ausgezeichnet,  wie  die  beiden  älteren  Geschlech- 
ter; es  wäre  demselben  jedoch  durch  seine  Künste  gelungen 
göttlicher  Ehren  theilhaftig  zu  werden  (S.  145).  Man  sieht  hier 
nicht  recht  ein,  wo  das  Volk  bleibt  und  wo  die  Menschen 
hergekommen  sein  sollen,  die  die  Mitglieder  des  dritten  Ge- 
schlechts als  Götter  verehrt  haben.  Saxo  nennt  diese  letzte- 
ren Mathematici  (Saxo  edit.  Müller  p.  35),  und  auf  ihn  beruft 
sich  Strinnholm.  Die  ganze  Stelle  bei  Saxo  hat  aber  in  hi- 
storischer Bedeutung  gar  keinen  Sinn,  und  ist  auch  gar  nicht 

16* 


244  Ueber  einige  Hauptfragen 

ia  einer  solchen  aufzufassen.  Sie  bedarf  vielnnehr  einer  my- 
thischen Deutung.  Es  ist  ganz  unläugbar^  dass  Saxo  in  sei- 
ner euhemeristischen  Art  und  Weise  der  Deutung  der  Mythen, 
eine  vorgefundene  theogonische  Göttersage  auf  menschliche 
Verhöltttisse  übertragen  habe.  Es  liegt  hier  am  nächsten,  auf 
die  hellenische  Sage  über  den  Titanenkampf  zu  verweisen. 
Eine  skandinavische  Göttersage,  die  der  ihr  zu  Grunde  lie- 
genden Vorstellung  nach  in  einer  Art  innerer,  geistiger  Ver- 
wandtschaft zu  jener  hellenischen  gestanden  hat,  muss  dem 
Saxo  zu  Ohren  gekommen  sein,  und  er  hat  sie  auf  seine 
Weise  verarbeitet.  Sie  kann  daher  nur  für  den  Mythologen 
Bedeutung  haben,  nicht  aber  für  den,  der  Untersuchungen 
über  die  Geschichte  der  Bevölkerung  Skandinaviens  anstellt. 

Oass  sich  eine  Verschiedenheit  in  Absicht  auf  Cultur- 
stufen  an  den  noch  erhaltenen,  auf  der  Oberfläche  der  Erde 
gefundenen  Steinmonumenten  in  Verbindung  mit  dem,  was 
in  den  Gräbern  gefunden  wird,  nachweisen  lasse,  soll  nicht 
geläugnet  werden.  Es  bleibt  jedoch  selbsjt  noch  zweifelhaft, 
ob  die  von  den  nordischen  Gelehrten  gemachte  Unterschei- 
dung dreier  Zeitalter,  des  Steinalters,  des  Broncealters  und 
des  Eisenalters  durch  und  durch  in  sich  gegründet  ist.  Je- 
denfalls aber  ist  dadurch  nichts  Sicheres  gewonnen  iiir  den 
Zweck  der  Entscheidung  der  Frage  über  die  Urbewohner  von 
Skandinavien  und  über  die  Geschichte  der  Bevölkerung  die-» 
ses  Landes.  Aus  dem  Vorhandensein  der  bekannten  Stein- 
monumente darf  man  noch  nicht  mit  Herrn  Strinnholm  (S. 
146. 148)  schliessen,  dass  die  ältesten  Bewohner  Skandinaviens 
Biesen  gewesen  wären.  Bekanntlich  sind  nirgends  auf  der 
Erde  unter  den  Versteinerungen  Biesenknochen  gefunden 
worden,  so  wenig  wie  Knochen  von  Zwergen.  Hätte  es  aber 
wirklich  einmal  Biesenvölker  auf  der  Erde  gegeben,  so  müss- 
ten  doch  einige  Spuren  davon  sich  gefunden  haben;  denn 
wahrscheinlich  dürfte  die  Annahme  doch  nicht  sein,  dass  die 
Leichname  aller  Biesen  auf  dem  Scheiterhaufen  nach  erfolg- 
tem Tode  verbrannt  wären.  Weiter  auch  kann  die  Hypothese 
von  den  Biesen  nicht  durch  das  gestützt  werden,  was  (S,  148) 
aus  der  Herwara-Sage  entnommen  wird.    Dem  zufolge  soll 


des  nordischen  Alter tkums,  245 

die  nordische  Erde,  ehe  Türken  und  Asiaten  herangekommen 
waren,  von  Riesen  und  Halbriesen  bewohnt  gewesen  sein, 
die  später  sich  Frauen  au&  Mannheim  genommen  und  ihre 
Töchter  dorthin  vermählt  hatten:  so  dass  das  Volk  sich  sehr 
untereinander  vermischt  hätte.  In  dieser  Stelle  werden  die 
Mannheim  bewohnenden  Menschen  in  einen  seltsamen  Ge- 
gensatz zu  den  Biesen  und  Halbriesen  gesetzt.  Man  muss 
darnach  fast  daran  zweifeln,  dass  den  letzteren  Men^henna- 
tur  zugeschrieben  worden  sei ;  dann  aber  entsteht  wieder  eine 
zweite  Frage  über  die  Art  und  Weise  des  Verkehrs  und  der 
Vermischung  der  verschiedenen  Geschlechter.  Alles  indess 
bewegt  sich  hier  in  detn  Kreisen  mythischer  Vorstellungen» 
die  im  euhemeristi sehen  Sinne  falsch  gedeutet  worden  sind. 
Was  die  Herwara-Sage  enthält  muss  einer  ähnlichen  Kritik 
unterworfen  werden,  als  das,  was  Saxo  darbietet. 

Wahr  zwar  ist,  dass  schon  in  der  ältesten  ursprünglichen 
Vorstellung,  wie  sie  der  heidnischen  Zeit  angehört,  ein  mähr«- 
chenhaftes  Verschwimmen  der  mythischen  Anschauungen  her- 
vortritt. Es  scheinen  die  Götter-,  Riesen-  und  Menschen- 
welten in  einander  überzugehen,  ohne  dass  sie  durch  scharfe 
Grenzen  von  einander  geschieden  wären.  Der  Jötunen  oder 
Jötnar  wird  allerdings  manchmal  so  gedacht,  als  ob  sie  Men- 
schennatur hätten  und  wie  in  den  Worten  Gautr  und  Goti 
die  Vorstellungen  von  Gott  und  Gothe  enthalten  sind,  so  sind 
auch  in  dem  Worte  Jötunen  (angelsassisch  Eoten)  die  Vor- 
stellungen von  Riesen  und  Juten  enthalten  (Finn  Magnusen 
Mytholog.  Lex.  p.  111.  219.  Grimm's  deutsche  Mythologie.  S. 
291.  Beowulf  übersetzt  von  Ettmüiler.  S.22.23.  Anmerk.  zu 
V.  1082).  Ein  eigentliches  Uebertragen  dieser  verschiedenen 
Vorstellungen  auf  einander  kommt  jedoch  in  den  Quellen  aus 
der  heidnischen  Zeit  mit  Bestimmtheit  nicht  vor.  Nur  dies 
kann  behauptet  werden,  dass  die  Jötnar  als  die  Bewohner 
jener  felsigten  Gegenden  gedacht  wurden,  in  denen  man  hi- 
storisch die  Finnen,  oder  die  Kwänen  und  Lappen  findet. 
Gross  gebaut  sind  die  Kwänen,  klein  die  Lappen,  und  es 
Hesse  sich  etwa  an  diesen,  zwischen  beiden  Stämmen  statt- 
findenden Gegensatz  die  Vorstellung  des  Gegensatzes  von  Rie* 


246  lieber  einige  Hauptfragen 

gen  und  Zwergen  anknüpfen.    Wesentlich  jedoch  ist  diese 
Vorstellung  mythisch,  wenn  sie  auch  in  einzelnen  Beziehun- 
gen historisch  gewandt  worden  .sein  mag.    Von  fabelhaften, 
seltsam  gestalteten  Felsbewohnern  war  schon  etwas  den  Rö- 
mern zu  Ohren  gekommen.    Tacitus  (Germ.  c.  46)  nennt  sie 
Hellusier,  und   dass  Kaspar  Zeuss  (die  Deutschen  und  die 
Nachbarstämme  S.  77)  diesen  Namen  richtig  gedeutet  hat,  in- 
dem er. denselben  aus  dem  altnordischen  Worte  Hella,  Fels, 
Klippe  erklärt,  wird  ganz  bestimmt  dadurch  erwiesen,  dass 
die  Normänner  bei  ihren  Entdeckungen  in  Amerika  eine  Ge- 
gend, ihrer  felsigten  Beschaffenheit  wegen,  Halluland  genannt 
haben.    Plinius  (1.4.  c.  13)  kennt  die  Hillewionen  als  ein 
sehr  mächtiges  Volk  in  Skandinavien.    Ihr  Name   bedeutet 
ohne  Zweifel  auch  Felsbewohner.    Auf  ein  anderes,  als  auf 
dies  Volk  die  unbestimmtere  und  fabelhaftere  Nachricht  des 
Tacitus  zu  beziehen,  dazu  ist  kein  Grund  vorhanden.   Es  er- 
innern aber  diese  Hellusier,  Felsner  oder  Felsbewohner  an 
die  alte  mythische  Ansicht  der  Skandinavier  von   dem   die 
Felsen  bewohnenden  Riesengeschlecht.    Tacitus  spricht  von 
ihnen  unmittelbar  nachdem  er  von  den  Finnen  geredet  hat. 
Mit  Nothwendigkeit  erhellt  auch  nicht  aus  der  Nachricht  des 
Plinius,   dass  er  seine  Hillewionen  für  Germanen  gehalten 
habe.  Als  Felsbewohner  scheinen  sie  eher  Völkern  lappischen 
oder  wahrscheinlicher  noch  kwänischen  Stammes  anzugehö- 
ren.   Noch  im  elften  Jahrhundert  hatten  die  Berggegenden 
Schwedens  andere  Einwohner  als  das  angebaute  Land.    Es 
waren  dieselben  von  einem  wilden  Volke  bewohnt,  welches 
zuweilen  jährlich,  zuweilen  um  das  dritte  Jahr  aus  seinen 
unbekannten  Schlupfwinkeln  hervorbrach,  Verwüstung  über 
die  Ebenen  verbreitete,  wo  ihm  nicht  kräftig  Widerstand  ge- 
schah, und  eben  so  eilig  zurückkehrte.  Es  waren  dies  Ueber- 
bleibsel  der  älteren  finnischen  Stämme.    Um  die  angegebene 
Zeit  konnte  auch  noch  die  nördlich  am  bothnischen  Meer- 
busen  belegene   schwedische   Provinz   Helsingeland   als   ein 
Hauptsitz  der  Skridfinnen  bezeichnet  werden.    Auch  in  den 
östlich  von  Helsingeland  oberhalb  Wäfmeland  belegenen  Ge- 
genden streiften  noch  im  elften  Jahrhundert  Skridfinnen  und 


des  nordischen  Alterthums.  217 

Finnlappen  in  den  Wildnissen  umher«  (Vgl.  Gesehichte  Schwe- 
dens von  Geijer.  Thl.  I.  S.  61.  93.  98.) 

KwXnen  und  Lappen,  unter  dem  gemeinschaftlichen  Ka- 
men Ton  Finnen  zusammengefasst,  scheinen  allerdings  die 
Urbevölkerung  von  Skandinavien  gebildet  zu  haben.  Betrach- 
tet man  die  durch  Meeresbuchten  sesonderte  und  inselhaft 
auseinandergerissene  Gestalt  des  überall  vom  Wasser  um- 
strömten gebirgigen  Landes,  und  spürt  man  zugleich  dem 
nach,  was  man  noch  im  Allgemeinen  über  den  Gang  der  alt- 
germanischen Gultur  in  Skandinavien  zu  entdecken  im  Stande 
ist,  so  muss  es  einem  sehr  wahrscheinlich  vorkommen,  dass 
germanische  Stämme  hier  nicht  ursprünglich  autochthonisch 
gesessen  haben,  sondern  als  fremde  Ansiedler  ins  Land  ge- 
kommen sind.  Zwar  sassen  in  Norwegen  schon  frühe  ger- 
manische Stämme  bis  Drontheim  hinauf;  der  lebendigste  Ver- 
kehr war  jedoch  stets  an  die  Küsten  geknüpft,  und  die  erste 
Anbauung  des  inneren  Landes  von  Nordskandinavien  ist  von 
dem  westlichen  norwegischen  Küstenlande  ausgegangen.  Go- 
ihen  waren  schon  seit  alten  Zeiten  am  Wenern-  und  Wetter- 
See  angesiedelt.  West-Göthaland  zwischen  beiden  Seen  und 
dem  Kattegat  belegen,  war  ohne  Zweifel  eine  von  den  Land- 
schaften Schwedens,  die  am  frühesten  von  germanischen  Sehaa- 
ren angebaut  worden  ist  (Geschichte  Schwedens  von  Geijer. 
Band  LS.  55).  Eine  Sage  über  die  erste  Ansiedlung  derGo- 
then  in  Skandinavien  fehlt  freilich.  Allein  man  kann  nach 
dem,  was  sagenhaft  über  den  Anbau  der  Kästen  des  Mälar- 
Sees  berichtet  wird,  und  durch  die  Verhältnisse  der  schwe- 
dischen Volklande,  deren  Benennung  nach  Zehn-,  Acht-  und 
Vierhunderten  (Tiundaland,  Attundaland  und  Fierdhundraland) 
auf  eine  ursprünglich  militärische  Ansiedelung  hinweist,  hi- 
storische Bestätigung  gewinnt,  mit  Recht  schliessen,  dass  ur- 
sprünglich die  Gothen  in  einer  ähnlichen  Weise  am  Wenern- 
See  sich  angesiedelt  haben,  wie  später  am  Mälar-See  die 
Schweden.  Weil  an  Seen  die  nordischen  Wikinger  zu  über- 
wintern pflegten,  wurden  sie  von  den  Iren  Lochlaner  ge- 
nannt^ von  Loch  die  See  (O'Connor  Scripten  rer.  hibem.  Tom.L 
epistol.  nuncup.  pag.  122).  Veranlassung  zu  Ansiedelungen  in 


248  Veber  einige  Hauptfragen 

einzelnen  Baehton  an  den  Küsten  werden  zunächst  scbon 
seit  uralten  Zeiten  unternommene  Wikingszüge  gegeben  ha«- 
ben.  In  beziehungsweise  späteren  Zeiten  fand  man  es  gera- 
tben,  von  der  Küste  weg  sich  tiefer  ins  Land  hineinzuziehen, 
um  sich  mehr  gegen  schnelle  seeräuberiscbe  Einfälle  zu  sichern. 
So  verlegte  man  in  den  Gegenden  am  Mälar-See  die  Haupt-^ 
Stadt  von  Sigtuna  nach  üpsala.  I>en  Gothen  mochten  die  Ge- 
genden am  Wenern-  und  Wetter- See  angemessene  Oerter 
zur  Ansiedelung  darbieten.  Man  hielt  sich  bei  der  ferneren 
Anbauung,  wie  dies  namentlich  berder  von  Werma'land  be- 
richtet wird,  an  den  Lauf  der  Flüsse.  Auf  Kämpfer-  oder 
Wikingslebcn  indess,  nicht  aber  auf  Ackerbau,  als  auf  das 
Ursprüngliche,  aus  welchem  die  Verhältnisse  sich  entwickelt 
hatten,  zeigt  auch  das  hin,  dass  das  Ausroden  der  Wälder 
nicht  eben  für  ein  sehr  ehrenvolles  Geschäft  angesehen  ward. 
Ais  Olaf,  König  Ingiald's  Sohn,  von  Iwar  Widfadmi  verdrängt; 
mit  dem  Volke,  welches  ihm  folgen  wollte,  in  die  Wildniss 
zog,  und  es  in  Schweden  bekannt  ward,  dass  er  mit  dem 
Ausroden  von  Wäldern  sich  abgebe,^  fiel  dies  auf,  und  man 
nannte  ihn  den  Zimmermann  (Ynglinga  Saga.  c.  46). 

Wie  im  Alterthum  durch  Vermittlung  der  in  den  uräl- 
testen Zeiten  von  den  tyrrhenischen  Pelasgern  geübten  See- 
räuberei Pelasger  und  später  die  zu  Hellenen  gewordenen 
Griechen  sich  rings  ausbreiteten  über  das  Meer  und  an  den 
verschiedene^  Küsten  barbarischer  Länder  sich  ansiedelten; 
wie  im  Mittelalter  Angelsassen  und  Normannen  die  britischen 
und  gallischen  Küsten  einnahmen:  in  ähnlicher  Art  auch  müs- 
sen in  uralten  Zeiten  germanische  Seeräuber  von  der  südli- 
chen Küste  der  Ostsee  und  von  Jütland  aus  die  Küsten  von 
Skandinavien  besetzt  haben.  Die  finnische  Urbevölkerung  ward, 
wie  in  neueren  Zeiten  in  Nordamerika  die  Eingeborenen  von 
den  Europäern,  immer  weiter  zurückgedrängt  in  die  Gebirge 
und  Wälder. 

In  Erwägung  dessen,  dass  besonders  für  den,  der  sich 
an  Finn  im  Beowulfsliede  und  an  die  irischen  Finnen  der 
Vorzeit  erinnert  (Ren.  Bibern.  Script  ed.  O'Connor.  Tom.  L 
prol.  1.  pag.  94, 104.  prol.  2.  pag.  38.  The  Transactiops  of  th§ 


des  nordischen  Alterlhums.  249 

Roy.  Irish  Acad.  Vol.  I.  antiquit  p.  116],  die  Etymologie  des 
Wortes  Finn  durchaus  nicht  feststeht,  ist  es  keinesweges  mit 
Bestimmtheit  anzugeben,  in  welche  Beziehung  man  den  Zwer- 
gen Finn  (Yöluspa  14]  und  den  als  Finnenbaherrscher  bezeich* 
neten  Jotun  (Höstlanga  fragment  2.  str.  13,  VergL  Svea  Rikes 
Häfder  af  Geijer,  förste  Delen.  p.  274)  zum  Finnenvolk  setzen 
soll.  Sicher  aber  ist,  dass  schon  Snorri  Begebenheiten,  die 
iö  die  heidnische  Zeit  fielen,  erzahlend,  von  einem  Jotun,  Na- 
nsens Swasi  redet,  den  er  als  Finnen  bezeichnet  (Haralds  Saga 
Ens  Harfagra.  c.  25).  E$  könnte  jedoch  Snorri  vielleicht  hier 
seine  euhemeristische  Deutungsweise  der  Mythen  auf  eine 
ake  Sage  angewandt  haben.  Denn  zwar  wird  einfach  erzählt, 
dass  die  Tochter  des  Jötun,  Snafrid,  der  Weiber  Schönste 
dem  Harald  vier  Söhne,  Sigurd,  Halfdan,  Gudrod  und  Rögn- 
walld  geboren  habe;  im  Uebrigen  aber  tragt  die  Sage  einen 
etwas  seltsamen  und  wunderbaren  Charakter  an  sich,  der  sie 
in  das  Bereich  der  Dichtung  erhebt.  Die  Snäfrid  verwirrte 
den  Geist  Haralds  dermassen,  dass  er  aus  Liebe  in  Raserei 
verfiel,  in  welcher  er  seines  Reiches  vergass  und  dessen,  was 
der  Königswiirde  gebührte.  Nach  ihrem  Tode  behielt  sie  noch 
ihre  lebendige  Farbe  und  blieb,  ohne  zu  erblassen  in  ihrem 
Bette  liegen,  an  welchem  der  König  drei  Jahre  lang  sass,  in 
der  Hoffnung,  sie  werde  wieder  erwachen.  Als  aber  Harald 
endlich  von  seinem  Wahnsinn  durch  Thorleif  Spaki  gebeilt 
und  dann  der  Leichnam  der  Snäfrid  auf  den  Scheiterhaufen 
gebracht  ward,  wurde  derselbe  ganz  blau,  und  es  wallten  her- 
aus Schlangen  und  Eidechsen,  Frösche  und  Kröten  und  böse 
Gewürme  alter  Art.  Der  Name  des  Vaters  der  Snäfrid  ist 
etymologisch  auf  das  Wort  „swas*',  welches  süss  oder  wol- 
lüstig bedeutet  (Finn  Blagnusen.  Lex.  Mythol.  p.  469),  zu  be- 
ziehen. Hiernach  dürfte  wohl  die  erwähnte  Sage  mehr  in 
das  Bereich  des  Dichterischen  als  in  das  des  Historischen 
zu  ziehen  sein,  und  Snorri's  Bezeichnung  des  Jötun  als  ei- 
nes Finnen  würde  in  Rücksicht  auf  heidnische  Vorstellungen 
von  keiner  grossen  Bedeutung  sein,  da  sie  von  ihm  -selbit 
in. der  Umrwandelung  der  Sage  herstammen  könnte.  In  der 
späteren  Umbildung  der  heidnischen  Vorstellungen  im  christ^ 


850  Ueber  einige  Hauptfragen 

liehen  Bewtt^ft^eih  gingen  die  Vorstellungen  von  Jötunen  und 
Finnen  in  einander  über,  und  auch  das  freilich  ist  für  die 
heidnische  Zeit  gewiss,  dass  schon  von  Alters  her  das  6e- 
htet,  wo  Finnen  wohnten  und  Jetten  hausten,  in  der  Yor« 
Stellung  zusammenfiel. 

Ist  aber  dies  Yerhältniss  auseinandergesetzt,  so  bleibt  noch 
eine  nähere  Betrachtung  der  Sage  von  der  Einwanderung  der 
Äsen  übrig.  Es  ist  im  Vorhergehenden  versucht  worden,  wie 
weit-  es  möglich  ist,  die  Ansicht  zu  begründen,  dass  Skandi- 
navien nicht  die  ürheimath  der  Stamme  germanischer  Ab- 
kunft, die  dort  schon  frühe  angesessen  gefunden  wurden,  ge- 
bildet hätte.  Sind  denn  die  germanischen  Schaaren  einge- 
wandert, so  müssen  auch  mit  ihnen  ihre  Götter  eingewandert 
sein,  und  in  dieser  Beziehung  erledigt  sich  die  Untersuchung 
von  selbst  Aber  es  liegt  uns  hier  eine  andere  Frage  vor, 
die  theils  durch  die  euhemeristische  Form,  in  der  uns  die 
Sage  von  Odin  aufbehalten  ist,  theils  durcli,  die  Beziehungen 
in  die  die  Äsen  zu  Asien  gesetzt  werden,  angeregt  wird.  Ei- 
nige wollen  von  der  ganzen  Sage  nichts  wissen  (vergl.  Dahl- 
mann's  Geschichte  von  Dänemark.  Band  I.  S.  31.  Desselben 
Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  Geschichte.  Bd.  I.  S.  199. 
375.  Koeppen's  literarische  Einleitung  in  die  nordische  Mytho- 
logie. Berlin  1837.  S.  131  ff.);  Andere  suchen  in  einer  beson- 
neneren Weise,  wie  Strinnholm,  immer  noch  die  Vorstellung 
von  dem  historischen  Odin  festzuhalten  (Svea  Rikes  Häfder 
af  Geijer.  forste  delen.  p.  388 — 394.  Geschichte  Schwedens 
von  Geijer.  Erster  Band.  S.  26.  27).  Es  stellt  sich  jedoch  bei 
diesem  letzteren  Versuche  stets  die  schwer  zu  beantwortende 
psychologische  Frage  entgegen,  wie  es  möglich  geworden  sei, 
dass  auf  einen  eingewanderten  Helden  die  Ehren  und  Wür- 
den des  höchsten  Gottes  übertragen  worden  wären.  Die  tJn- 
auflöslichkeit  dieser  Frage  nebst  dem  Mangel  an  innerem  Zu- 
sammenhang in  der  Sage  in  den  verschiedenen  Formen,  in 
denen  sie  uns  überkommen  ist,  rouss  jedem,  der  die  Art  und 
Weise  berücksichtigt,  wie  überhaupt  die  Gelehrten  des  Mit- 
telalters Sage  und  Geschichte  behandelten,  die  Ueberzeugung 
geben,  dass  in  Beziehung  auf  äusserliche  Geschichte,  auf  ein- 


I 

i 


des  nordischen  AUerthums.  Mi 

zelne  Begebenheiten^  die  sich  Xusserlieh  lagetragen  hdMO 
sollten,  wenig  auf  die  ganze  Sage  zu  geben  ist 

Mit  Bewusstsein  und  Absicht  wurde  im  Mittelalter  die 
Sagengeschichte  eines  Volks,  wenn  es  zum  Christenthom  be- 
kehrt worden  war,  nach  bestimmten  Grundsätzen  umgestal- 
tet. So  heisst  es  in  den  irischen  Annaien  der  vier  Magister: 
„Aetas  GGCCXXXVIII.  Decimus  Annus  Laogarii.  Historiae  et 
Leges  Hiberniae  expurgatae  et  descriptae  ex  collectionibus 
scriptis,  et  retustis  libris  Hiberniae  in  unum  locum  collectis, 
rogante  S.  Patricio.  Hi  sunt  noyem  sapientes  Authores  qui 
id  fecerunt  ibi.  Laogarius,  i.  e.  Rex  Hiberniae,  Gorccns  et 
Darias  tres  Reges,  Patricius,  Benignus  et  Gairnechus 
tres  sanctr,  Ros,  Dubthachus  et  Fergus  tres  Historioiy 
quemadmodum  narrat  distichon  vetus/'  —  „Laogarius,  Gore* 
cus,  Darius  Durus  —  Patricius,  Benignus,  Garnechus  Man- 
suetus,  Ros,  Dubthachus,  Fergus  (Res  nota).  —  Norem  sunt 
Authores  Historiae  magnae/'  —  Nach  welchen  Grundsätzen 
Verfasser  dieser  Art  yerfuhren,  ersieht  man  am  besten  aus 
dem,  was  über  den  irischen  Ghronisten  aus  dem  elften  Jahr- 
hundert, Tigernaeh,  gesagt  wird:  „Denique,  Hibemica  tempora 
cum  exterorum  Regum  temporibus  se  conciliasse  inquit,  non 
solum  chronica  extera  conferens  Julii  Africani,  Eusebii,  Hier- 
onymi,  Marceltini,  Isidori,  Orosii,  Bedae  et  aliorum,  yerum 
etiam  ista  omnia  ad  trutinam  revocando,  juxta  Hebraicam 
veritatem.  „Haec  decursa  per  tanta  Saecula,  ex  Hebraica 
veritate,  prout  potuimus  ostendere  curaTimus'^  (O'Gonnor.  He- 
rum Hibernicarum  scriptor.  Tom.  I.  Epistol.  nuncup.  p.  15. 190. 
Tom.  3.  p.  114). 

In  einer  ähnlichen  Art  wie  die  irischen  Ghronisten  rer- 
fahren  sind  in  Anknüpfung  der  Geschichte  ihres  Volks  an  die 
allgemeine  Weltgeschichte  und  besonders  an  die  hebiüische 
Geschichte,  sind  auch  auf  Island,  nachdem  das  Ghristen- 
thum  hier  eingeführt  wordeu  war,  diejenigen  yerfahren,  die 
mit  geschichtlichen  Studien  sich  beschäftigten.  Es  lag  dabei 
theils  das  Bedürfniss  zu  Grunde,  nachdem  man  in  den  Kreis 
der  allgemeineren  weitgeschichtlichen  Entwickelungen  einge- 
treten war,  auch  des  Bewusstseins  eines  ursprünglichen  Zu- 


M2  Veher  einige  Hauptfragen 

■mMnenhanges  mit  der  allgemeinen  Menschheit  froh  zu  wer-- 
den;  theils  aber  aueh  noch  das  ganz  besondere  Bedürfnisse  die 
eigene  Geschichte  mit  der  heiligen  Geschichte  in  Verbindung 
zu  bringen.  Jenes  erstere  aligemeinere  Bodürfniss  hatten  auch 
schon  in  vorchristlichen  Zeiten  Griechen  und  Römer  gefühlt, 
und  so  waren  unter  jenen  die  Sagen  entstanden  über  alte 
YerbiDdungeu  mit  Aegypten ,  unter  diesen  die  Sage  von  ih- 
rem trojanischen  Ursprünge.  Für  die  Christen  aber  hatte  sich 
durch  das  Hinzukommen  der  Geschichte  des  alten  Testaments 
ein  ganz  neues  Bereich  eröffnet.  Es  entstand  für  sie  nun- 
mehr das  Bedürfniss,  an  diese  Geschichte  ihre  eigene  Sagen- 
gesehichte  anzuknüpfen.  Doch  verfuhr  man  dabei  nach  der 
Verschiedenheit  der  historischen  Zustande  der  verschiedenen 
zum  Ghristenthum  bekehrten  Völker  auf  verschiedene  Weise. 
Die  Iren  und  Angelsassen,  deren  Bewusstsein  die  Idee  des 
römischen  Reichs  ferner  lag,  als  dem  ihrer  christlichen  Brü- 
der auf  dem  festen  Lande,  kümmerten  sich  auch  weniger 
wie  diese  darum,  dass  die  Sagen  über  die  von  dem  Virgil 
besungenen  Heroen  des  römischen  Reichs  mit  in  das  von  ih- 
nen gesponnene  Grewebe  aufgenommen  würden;  einfacher 
vielmehr  begnügten  sie  sich  schon  mit  der  hebräischen  Wahr-r 
heit,  wie  sie  sie  nannten,  und  mit  der  Anknüpfiing  ihrer  Sa- 
gengeschichte an  die  des  alten  Testaments.  Die  irischen. Ge- 
lehrten nahmen  aus  der  ihnen  zu  Gebot^  stehenden  Fülle 
des  Inhalts  der  heidnischen  Sagen  aus  der  Vorzeit  ihres  Volks 
den  Stoff*  her,  um  ihre  Geschichte  bis  auf  die  Zeit  der  Sünd- 
ffluth  zurückzuführen,  und  selbst  noch  weiter.  Vierzig  Jahre 
vor  der  Sündfluth  sollte  Gesoir  mit  fünf  Töchtern  und  drei 
Männern  nach  Irland  gekommen  sein;  sie  hätten  sich  aber 
unter  einander  erschlagen,  und  so  wäre  zuerst  durch  Mord- 
thaten  die  Insel  Irland  mit  Blut  befleckt  worden.  Darauf  wäre 
278  Jahre  nach  de;r  Sündfluth  Parthalon  mit  drei  Söhnen  und 
vier  Frauen  gekommien.  Gegen  afrikanische  Seeräuber  hät- 
ten sie  mit  ihren  Mannen  die  erste  Schlacht,  die  je  auf  Ir- 
land vorgefallen  wäre,  geliefert  Mehre  Jahrhunderte  später  aber 
wären  sie  in  kurzer  Zeit  fast  alle  durch  die  Pest  dahin  ge- 
rafft worden,  und  darauf  hätten  sich  die  Neimidber,  il^m 


des  nordischen  Alierthums.  213 

später  die  Firbolger  auf  der  Insel  niedergelasseiiy  bis  ztiletzt 
nach  den  Zeiten  Salomons  im  vierten  Zeitalter  der  Welt  die 
Schotten,  die  Stammväter  der  heutigen  Iren>  gekommen  wä- 
ren (Nennii  hist.  Brit  edid.  Stevenson.  Londin.  1838.  $.  13. 
O'donnor  script.  rer.  hibernicT  Tom.  I.  prol.  2.  p.  25. 26. 63. 
Tom.  3.  dissert..praelim..p.  2.  8.  Annal.  IV.  Magistr.  p.  2.  5). 
Sie  sollten  ursprünglich  von  den  Scythen,  den  Nachkommoi 
des  MagogSy  des  Sohnes  des  Japhet,  des  Sohnes  Noafa's  her« 
stammen  (Transact.  of  the  roy.  Irish  Academ.  Vol.  16.  part  1« 
pag.  15);  aber  im  Laufe  vieler  Jahrhunderte  aus  Aegypten 
über  Spanien  nach  Irland  gekommen  sein.  Es  ward  nämlich 
erzählt,  dass  zur  Zeit,  in  welcher  die  Israeliten  aus  Aegypten 
gezogen  wären,  ein  vornehmer  Scythe  aus  seinem  Reiche  ver« 
trieben,  mit  grossem  Gefolge  in  Aegypten  sich  aufgehalten 
hätte.  Er  war  nicht  zur  Verfolgung  des  Volkes  Gottes  mit 
den  Aegyptern  ausgezogen,  und  als  diese  nun  ertrunken  wa« 
ren,  Hirchteten  ihre  übrig  gebliebenen  Landsleute,  dass  der 
Scythe  sich  der' Herrschaft  über  sie  bemächtigen  könne.  Sie 
vertrieben  ihn  daher  aus  dem  Lande,  und  nach  mannigfal«* 
tigen  Wanderungen  kamen  sie  nach  Spanien  und  nach  Ver« 
lauf  vielier  Jahre  nach  Irland  (Nennii  hist.  Brilan.  ed.  Ste* 
vensou.  $.  15.  O'Gonnor  script.  rer.  hibern.  Tom.  I.  proleg.  2* 
p.  36.  37).  , 

So  knüpften  in  einer  eigenthümlicben  Weise  die  Iren  jbre 
Sagengeschichte  an  die  Geschichte  des  alten  Testaments  an« 
Die  Stammtafeln  ihrer  Könige  reichen  aber  bei  weitem  nicht 
so  hoch  hinauf.  Die  Stammtafeln  der  schottischen  Könige 
von  Albanien  oder  dem  heutigen  Schottland  werden  zurück* 
geführt  bis  in  das  {unftc  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung 
auf  den  König  Fergus,  den  Sohn  Erik's;  in  Rücksicht  altf 
die  Zeitangaben  der  angeblich  aus  Spanien  geschehenen  Ein« 
Wanderung,  der  Schotten  in  Irland  finden  sich  die  grössten 
Widersprüche,  und  als  ihr  Fürst,  der  sie  aus  Spanien  nach 
Irland  hinübergeftihrt  hätte,  wird  Herimon  genannt  (O'Gon-* 
nor  scriptor.  rer.  hibern.  Tom.  I.  prol.  1.  p.  123. 126. 132«  134. 
prol.  2.  p.  4o.  63.  83.  Annales  Tigernacbi  ad  ann.  502.  Chal« 
mers  Caledonia.   Vol.  L  p.  274.J 


2M  lieber  eimge  Hauptfragen 

Unter  den  mm  Cliristentbum  bekehrten  Angelsassen  führte 
man  die  Stommtefeln  der  Königsgeschlechter  bis  auf  Sem 
oder  auf  Noah  zurück.  Damit  begnügte  man  sich  jedoch, 
ohne  dass  man  wie  die  irischen  Gelehrten  weitläuftigere  Sa- 
gen mit  in  das  gesponnene  GSwebe  hineinverflochten  hätte. 
Die  Frage,  inwieweit  schon  in  der  heidnischen  Zeit  unter 
Angein  und  Sachsen  die  Stemmtefeln  auf  Woden  zurückge- 
filhrt  worden  waren,  ist  mit  aller  Sicherheit  schwer  zu  ent- 
scheiden. Dass  ursprünglich  schon  die  heidnischen  Nordländer, 
in  eben  der  Art  wie  die  Griechen  die  Abstemmung  des  Hyllui^ 
durch  Herakles  vom  Zeus,  die  Abstemmitng  ihrer  Königsge- 
schlechter von  Woden  abgeleitet  hätten,  ist  zwar  nicht  zu 
bezweifeln;  es  fragt  sich  aber  theils  darum ^  inwieweit  die 
verschiedenen  Stemmtafeln  schon  in  der  heidnischen  Zeit  im 
Einzdnen  ausgebildet  gewesen  sein  könnten,  theils  darum^ 
inwieweit  die  von  den  angelsassischen-  Geschichlschreibern 
überlieferten  Stem'mtefeln  mit  den  in  den  heidnischen  Lie- 
dern enthaltenen  durchaus  in  (Jebereinstimmung  gestenden 
hätten.  Das  Erstere  wäre  möglich;  das  Letztere  aber  ist  be- 
stimmt zu  verneinen.  Darin  hat  Kemble  ohne  Zweifel  fiecht, 
w^n  er  (Ueber  die  Stemmtafel  der  Westsachsen.  München 
1836)  sagt:  „Die  ältere  Geschichte  Englands  lehrt  deutlich, 
dass  Befähigung  eine  Krone  zu  tragen  nur  Wodens  ächten 
Nachkömmlingen  zuerkannt  wurde;  die  nobilites  war  hier 
niehts  anders  als  göttliche  Herkunft,  und  sobald  die  Söbnß 
von  einem  geringeren  Stemme  verjagt  worden  waren,  fiel  das 
ganze  Gebäude  der  angelsassischen  Politik,  und  das  Volk  liess 
sieh  gefallen,  einem  normannischen  Herzoge  stett  ihrem  ein- 
heimischen königlichen  Blute  anzugehören."  — •  Nicht  so  si- 
eber ausgemacht  dürfte  das  sein,  was  noch  in  folgenden  Wor- 
ten hinzugefügt  wird:  „Grade  darum,  obwohl  man  längst 
Woden  als  Gott  vergessen  hatte,  sind  die  königlichen  Genea- 
logien der  verschiedenen  angelsassischen  Reiche  so  sorgfältig 
aufbewahrt  worden,  währehd  der  gemeinen  Ansicht  nach 
Woden  selbst  zum  Helden  wurde,  der  sich  durch  Betrug  zum 
Gott  erhoben  haben  sollte,  aber  dennoch  durchaus  der  wahre 
Stifter  und  Stemmvater  der  Geschlechter  blieb."  — 


des  nardi$chen  AUerthumi.  üi 

Schon  aus  dem  was  Grimm  (Deutsche  Mythologie.  Anh. 
S.  3)  darüber  bemerkt,  dass  einige  angelsassische  Chronisten 
nur  Yon  drei  Söhnen  Odin's  redeten,  während  die  meisten 
sieben  nennten,  erhellt  es,  dass  die  verschiedenen  Stammta- 
feln nicht  nach  übereinstimmenden  Vorstellungen  entworfen 
sind.  Die  Dreizahl  würde  auf  die  alte  Heiligkeit,  die  dersel*« 
ben  von  den  alten  germanischen  Völkern  beigelegt  ward,  hin-* 
weisen.  Tacitus  berichtet,  wo  er  nicht  zwar  von  der  Ab- 
stammung der  Könige  redet,  jedoch  von  der  Abstammung  der 
Volksstämme  nach  alten  deutschen  Liedern  spricht,  von  dem 
Vater,  dem  Sohne  und  von  drei  JEnkeln.  Die  jüngere  Edda 
fiisst  das  Wesen  Odins  mehrfach  in  dreifacher  Weise  zusam- 
men: als  Har,  Jafnhar  und  Tredie;  in  dreifacher  Brüderschaft 
als  Odin,  Wilir  und  We;  m  dreifacher  Abstammung  als  Buri, 
Bör  und  Odin.  Die  Dreizahl  würde  der  alten  heidnischen 
Ansicht  offenbar  entsprechender  sein,  als  die  Siebenzahl.  Diese 
letztere  wird  nur  aus  dem  Grunde  gewählt  worden  sein,  weil 
bei  der  Ansiedelung  in  Britannien  zuerst  sieben  angelsassische 
Reiche  gegründet  wurden.  Nach  der  Angabe  die  Kemble  (a« 
a.  O.  S.  35)  aus  einer  Handschrift  giebt,  war  man  aber  auch 
nicht  einig  über  die  Namen  der  sieben  Söhne  Wodens.  Es 
werden  genannt:  Wetha,  Käser,  Wiltegius,  Wiltheagius,  Bel- 
degius,  Wilges  und  Wuitha.  Nach  den  Stammtafeln  die  Grimm 
(a.  a.  0.  S.  3)  aus  den  Chronisten  giebt,  würden  die  Nameu 
der  blieben  Söhne  Wodens  folgende  gewesen  sein:  Vecta,  Ka- 
sere,  Saxneat,  Vihtläg,  Vägdäg,  Bäldäg,  Winta.  Dagegen  giebt 
Kemble  (a.  a.  O.  S.  32]  aus  noch  zwei  andern  Handschriften, 
als  welcher  schon  gedacht  worden  ist,  fünf  Namen  von  Söh- 
nen Wodens  an,  die  auch  nicht  durchaus  mit  den  oben  ge- 
nannten übereinstimmen,  nämlich :  Vecta,  Vepedegius,  Wielac, 
Saxnat,  Beldec  und  Vecta,  Vepedec,  Widac,  Saxwad,  Beldec. 
Weiter  ins  Einzelne  gehende  Vergleichungen  der  aus  gedruck- 
ten Chroniken  zu  schöpfenden  Stammtafeln  noch  anstelleii  zu 
wollen,  dies  würde  bei  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Sacb^ 
ein  müssiges  Bestreben  sein.  Denn  dauerhafte  Früchte  wird 
ein  solches  Bestreben  nur  dann  bringen  können,  wenn  Kemble, 
wie  er  es  versprochen  hat,  die  angelsassischen  Stammtaf^la 


2M  lieber  einige  Hauptfragen 

aus  Handsehriften  mit  Bemerkungen  über  die  Lesarten  voll- 
kommen herausgegeben  haben  wird. 

Was  Kemble  über  die  Namen  aufwärts  von  Woden  bis 
auf  Sem  und  Noah  beibringt,  kann,  wenn  es  auch  in  einer 
Bücksicht  sehr  überzeugend  ist,  in  einer  anderen  Bückstcht 
doch  nicht  als  befriedigend  gelten.  Die  Spuren  alter  Dich<- 
tong,  die  er  in  dieser  Beihe  nachzuweisen  sucht  (a.a.p.S.30), 
sind  dem  gewöhnlichen  Auge  kaum  erkennbar.  Dass  er  my^^ 
thisch  die  Namen  zu  deuten  sucht  ist  gewiss  richtig,  und  auch 
dies,  dass  er  Woden  zuletzt  ganz  in  den  Mittelpunkt  des  My- 
thus hineinbringt.  Es  giebt  mehre  angelsassische  Stammtafeln, 
die  bloss  auf  Woden  zurückgehen,  und  zwar  die  älteste  bei 
Beda  geht  nicht  weiter  (Bedae  histor.  eccies.  1. 1.  c.  15.  Yergl. 
Nennii  bist.  Brit  ed.  StevensonS.  57.58. 59. 60. 61.  Angelsas- 
sische Chronik  ed.  Ingram.  Lond.  1828.  p.  15. 24. 34. 72.  Ethel- 
werd.  edit.  Savilii.  Lond.  1596.  L.  I .  p.  474. 475. 477.  Florent. 
Wigom.  edit.  1601.  p.  556.  557.  559.  581.  Alfredus  Ceverlac. 
ed.Hearne.  Oxon.  1716.  p.  79.  Wilhelm  Malmesbür.  ed.  Hardy. 
1840.  vol.  1.  p.  62.  Bobert  of  Gloucester  ed.  Hearne.  Oxford. 
1824.  p.  228).  Andere  Beihen,  die  über  Woden  hinaufsteigen, 
weichen  sehr  von  einander  ab.  Sie  gehen  entweder  bis  auf 
Bedvig  oder  auf  Sceaf  und  knüpfen  sich  entweder  unmittel- 
bar an  Noah  an  oder  mittelbar  durch  Sem.  Sceaf  soll  einigen 
Artgaben  zufolge  ein  Sohn  Noah's  gewesen  und  in  der  Arche 
geboren  sein,  oder  Geta  oder  Geat  wird  zum  Sohiie  Gottes 
gemacht  (Asser.  in  Anglica,  Normannica  et  Hiberniea  ex  bi- 
bliotheca  Gamdeni.  Francofurt.  1603.  p.  1.  2.  Nennii  bist.  Brit 
ed.  Stevenson.  $.  31.  Florent.  Wigornens.  edit.  1601.  p.  551. 552. 
Simeon  Dutielmens.  ad  ann.  849.  Angelsassische  Chronik  ed* 
Ingram.  Londin.  1823.  p.  23. 95. 96.  Ethelredus  Abbas  Bieval. 
ed.  Twysden.  p.  351.  Henricus  Huntindon.  ed.  SaviUi  1596.  p 
173.  Badulfus  de  Diceto.  ed.  Twysden.  p.529.  Mattbaeus  West- 
monast.  edit  Francofurti  1601.  p.  142  Thomas  Otterbourne 
ed.  Hearne.  scriptor.  rer.  anglic.  Oxoniae  1732.  p.  31. 32.  Lan- 

5v^  gebeck  scriptor.  rer.  dan.   Tom.  L  p.  6— 9). 

Wenn  Kemble  aus  Handschriften  mit  genauen  Lesarten 

^■'  mehr«  Stammtafeln  wird  bekannt  gemacht  haben,  dann  erst 


des  nordiichen  AUerAums.  257 

\irird  man  zu  dem  Werke  einer  näberen.Ver^idiung  schrei- 
ten dürfen.  Dabei  ist  jedoch  zu  -wünschen,  dass  er  die  Ren 
hen  ganz  und  genau,  und  dabei  nicht  bloss  das  geben  möge, 
was  etwa  für  seine  Ansichten  sprechen  könnte.  Soweit  man 
{^genwärtig  zu  urtheiien  im  Stande  ist,  muss  man  wohl  der 
Ueberzeugung  leben,  dass  die  ganze  Reihe  ton  Woden  bis  auf 
Sceaf ,  Bedwig  oder  Geat  und  bis  auf  Sem  oder  Noah  nur 
von  den  christlichen  Mönchen  gemadit  worden  ist«  um  ein« 
Verbindung  zwischen  der  angelsassischen  Sage  und  der  bi«> 
Uischen  Geschichte  zu  Stande  zu  bringen.  Die  Namen  ^  die 
die  Yerfertiger  gewählt  haben,  sind  ohne  Zweifel  der  heid- 
Mschen  Dichtersage  entnommen;  nur  bleibt  es  fiir  jetzt  noch 
sehr  schwer  zu  entscheiden,  ob  alle  Göttemamen  oder  nicht 
einige  vielleicht  Heroennamen  gewesen  sind.  Bedenklieh  übri- 
gens iM  die  Gleichsetzung  des  Wesens  von  Sceaf  und  Odin 
jedenfalls,  da  in  jenem  die  Verherrlichung  des  Friedensgei- 
stes, in  diesem  dagegen  die  des  Kriegergeistes  sich  ausspricht 
Es  gehört  überhaupt  Sceaf  einem  ganz  anderen  Kreise  my- 
thischer Vorstellungen  an,  als  dem,  in  welchem  das  Wesen 
des  Woden  sich  bewegt.  Sceaf  von  der  Korngarbe  benannt 
die  sein  Haupt  schmückte,  schlafend  auf  einem  Schiffe  .ohne 
Ruder  angetrieben  nach  Skandinavien  kommend,  und  erwach- 
sen herrschend  in  Schleswig  oder  Hedeby,  ist  durch  Anord- 
nung eines  auf  Ackerbau  gegründeten  Volkslebens  in  Skan- 
dinavien und  dem  Lande  der  Angeln  der  erste  Stifter  der 
Volksthümlichkeit  geworden.  Woden  dagegen  war  der  Be- 
schützet der  wandernden,  aus  ihrer  Heimath  heraus  auf  Krieg 
und  Eroberung  ziehenden  Heerscfaaaren,  und  inwiefern  sei- 
net  in  den  Stammtafeln  gedacht  wird,^  wird  er  nicht  aufge- 
führt als  Stammvater  des  Volks,  sondern  nur  als  Ahnherr  der 
kd&iglrchen  Geschlechter.  Beowulf  aber,  nicht  der  jüngere, 
deni  gar  kisine  Nachkommen  gegeben  werden,  sondern  jener 
*äitere  Abkömmling  von  Sceaf  war  der  Stammvater  der  neun 
skandinavischen  Volksstämme  germanischer  Abkunft.  Es  heisst 
in  Rücksicht  auf  ihn:  Ab  istis  novem  filiis3oerini  (BeowuU) 
descenderunt  novem  gentes  septentrionalia  inhabitantes,  qui 
quondam  regnum  Britanniae  invaserunt  et  obtinuerunt:  Saxo- 

Zestf«hri(t  f.  Geschichtair.   1.   1S44.  |7 


/«»«' 


258  Ueber  eifäge  Hauptfragen 

fM^  Angli,  Jiithi,  Daci,  Norwagenses,  Gothi,  Wandaii,  Greati 
et  Frisi  (A  tranglation  of  the  anglo-saton  poem  of  Beowulf 
by  JkAn  Kemble.  Lond.  1837.  pogtscript  to  the  preface.  p.  4—8). 
Was  aber  den  ursprünglichen  Stifter  des  Volks,  aus  weichem 
diese  nenn  Stämme  sieh  gebildet  haben ,  den  Sceaf  betrifft» 
so  darf  er  nicht  mit  dem  Schwanenritter  gleich  gesetzt  wer^ 
den.  Leo  hat.es  zwar  gewollt;  der  Schwanenritter  gehört  je- 
doch einem«  ganz  andern  Sagenkreise^^  als  dem  des  Sceaf  aii> 
und  zwar  dem  Kreise  der  romantischen  Dichtungen.  In  der 
Si^e  Ton  Sceaf  ist  nur  die  Vorstelhing  mythisch  verherrlicht, 
wie  in  einem  auf  Ackerbau  gegründeten  und  durch  Acker<r 
bfm  geeinigten  Volksleben  die  germanische  Bevölkerung  de« 
Nordens  in  ihrer  Volksthümlichkeit  sich  ausgebildet  habe,  und 
wie,  nachdem  in  dem  Sohne  Sceaf  s,  dem  SkioM,  der  kräftige 
Vertiiekliger  dieses  Volkes  aufgestanden  wäre,  später  alsdann 
unter  Beowulf  dem  älteren  es  sich  in  neun  Stämme  ausge-* 
breitet  habe.  Charakteristisch  übrigens  tritt  in  allen  vergii«- 
ebenen  angelsassischen  Stammtafeln  dies  hervor^  dass  sie  nir- 
gends Spuren,  wie  sie  anderswo  vorkommeja,  zeigen  von  ei- 
nem Anschliessen  an  das,  was  man  im  Mittelalter  aus  dem 
Virgil  schöpfte. 

Gildas  weiss  so  wenig  von  angelsassischen  Stammtaibh, 
wie  von  der  Abstammung  der  Britten  von  Brutus;  hatte  Übri- 
gens, wenn  auch,  wie  es  nicht  scheint,  ihm  schön  Sa{|^n 
darüber  zu  Ohren  gekommen  waren,  gar  keine  Veranlassung 
davon  zu  reden.  Beda  weiss  nur  von  der  Abstammwig  des 
Beugest  und  des  Horsa  von  Woden.  Dagegen  bringt  Neu- 
nius  schoii  eine,  weitläuftige  Geschichte  bei  von  einem  ge** 
wissen  Brutus,  dessen  Abstammung  von  dem  Aeneits  herge- 
leitet wird,  und  der  nach  mannigfaltigen  Geschicken  auf  die 
Insel  gekommen  sein  soll,  die  nach  ihm  Britännia  genannt 
und  durch  ihn  bevölkert  worden  wäre  (Nennii  hiator.  Brit. 
ed.  Stevenson.  §.  7. 10).  üeber  die  Lebenszeit,  über  die  Pier- 
son des  Nennius  und  über  die  G^esc^ichte  des  ihm  zugeschrie- 
benen Werkes  ist  indess  durchaus  nichts  Zuverlässiges  aus«* 
zumachen  (a.a.O.  Preface  $.  14.) ;  doch  scheint  es,  Aba^  man 
in  Irland  schon  ziemlich  frühe  von  Sagen  wusste,Miie  in  dem, 


des  nordischen  Altertkums.  259 

dem  Nennius  zugeschriebenen  Werke,  welches  im  Laufe  der 
Zeiten  allerdings  manche  Umwandelungen  erlitten  hat^  sich 
finden  (O'Connor  scriptor.  rer.  hibern.  Tom.  I.  proleg.  1.  p.  17. 
130.  proleg.  2.  pag.  26).  Im  üebrigen  soll  es  im  sechsten  Jahr- 
hundert in  Irland  einen  berühmten  Dichter  Namens  Neimius 
oder  Nennius  gegeben  haben  (O'Connor  Script,  rer«  hib.  Tom.I. 
proleg.  2,  pag.  73. 76).  Die  von  Nennius  abgeleitete  Sage  über 
den  Brutus  als  den  Stammvater  der  Britonen  findet  sieb  sp«^'*' 
ter  vielfach  reidier  ausgebildet  wieder  (Vergi.  Henric  Huntind 
cd.  Savilii.  1596.  L.  1.  Fol.  17J.  Galfred,  monemut.  ed.  1587. 
Heidelbergae.  L.  1.  c.  3-^17.  Matthaeus  Westmonast  edii 
Francof.  1601.  p.  8. 11. 13.  Leges  Edowardi  ed.  Wilkins.  p.  206). 
Sie  führt  durch  Aeneas  auf  Troja  zurück,  wie  man  denn 
auch  in  Island  einige  Stammtafeln  findet,  die  jedoch  in  einer 
anderen  Weise  auf  Troja  zurückfahren  (Vergi.  Langfedgatal 
bei  Langebek  scriptor.  rer.  dan.  Tom.  I.  p.  1.  £dda  Islando- 
mm  edit.  Resenii  Havniae.  p.  1665).  In  jenem  Langfedgatal, 
oder  jener  isländischen  Stammtafel,  deren  älteste  Handschrift 
aus  dem  Jahre  1313  ist,  findet  sich,  wie  auch  in  der  Einlei- 
tung zur  jüngeren  Edda  ein  wunderliches  Gemisch  biblischer, 
hellenischer  und  angelsassischer  Sage.  Ausserdem  ist  auch  in 
jenes  Langfedgatal  eine  an  die  Stammsage  der  Ynglinga» 
Saga  sich  anschliessende  Stammtafel  aufgenommen.  Dagegen 
finden  sich  schwedische  Stammtafeln,  die  weit  einfacher  sind, 
an  die  Ynglinga-Saga  sich  anschliessen  und  nicht  über  Inge 
oder  Odin  hinausgehen  (Fant  scriptor.  rer.  suec.  1818.  Tom.  I. 
p.  l^^4.  Vergi.  p.  14).  Andere  schwedische  Stammtafeln  ge- 
hen gar  nicht  einmal  so  weit  (a.  a.  O.  p.  1—21).  Ueber  die 
reiche  Sammlung  von  Stämmtafeln,  die  Suhm  in  seiner  kri- 
tischen Geschichte,  als  Einleitung  zu  seiner  grösseren  Ge- 
schichte von  Dänemark  giebt,  kann  ich  nicht  reden,  weil  ich 
dies  Buch  nicht  zurHand  habe.  Torfäus  (Series  dynastarum. 
L.3i  c.  1.  p.  211.  213.  215^  216)  hat  Stammtafeln,  die  bis  auf 
Skiold  und  Odin  gehen.«  Das  Langfedgatal  giebt  er  (S.  217) 
auch,  sowie  eine  Stammtafel  aus  der  Ynglinga-Saga.  In  sei- 
ner Geschichte  von  Norwegen  (Histor.  Norweg.  L.  3.  c.  13. 
p.  137)  wirft  er  isländif^he,  angelsassiscfae  und  dann.auch  'he— 

17* 


260  Veber  einige  Hauptfragen 

biüische  Stammtafeln  unter  einander.  In  den  verschiedenen 
dänischen  Stammtafeln  bei  Langebek  (scriptor.  rer.  dan.  Tom.  I. 
p.  10—42.  64)  geht  keine  einzige  über  Dan  zurück.  Sveno  hat 
Skiold  und  Peter  Olai  aus  dem  sechzehnten  Jahrhundert  Dan 
als  Stammberm  der  dänischen  Könige  (a.  a.  O.  Tom.I.  p.44.77). 
In  der  nach  dem  Könige  Erich  genannten  Chronik,  die  aus 
der  letzten  Hälfte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  stammt,  wird 
(a.  a.  0.  p.  144)  die  Ansicht  aufgestellt,  dass  es  wahrscheinlich 
sei,  dass  die  Dänen  von  den  Danaern  oder  Griechen  abstamm-* 
tcn.  Im  Uebrigen  werden  Gog  und  Magog  als  die  Urväter 
der  Dänen,  Dan  aber,  wie  auch  in  den,  aus  dem  Anfange  dea 
vierzehnten  Jahrhunderts  stammenden  esromensischen  Jahr-n 
büchern  (a.  a.  O,  p.  149.  WO.  224)  als  erster  König  der  Dä- 
nen genannt 

Der  berühmte  dänische  Geschichtschreiber  aus  dem  zwölf- 
ten Jahrhundert  kennt  den  Odin  wohl,  nicht  aber  als  Ahn- 
herrn der  dänischen  Könige.  Als  Stammväter  des  Volks  nennt 
er  Dan  und  Angul,  und  in  Uebereinstimmung  mit  der  däni-f* 
sehen  und  nordischen  Dichtersage,  nach  welcher  di^  Dänen- 
könige Skioldungen  hiessen,  preist  er  den  Skiold,  ohne  ihn 
in  Rücksicht  auf  Abstammung  in  irgend  eine  Beziehung  zu 
Odin  zu  setzen.  Dies  würde  aber  schon  allein  genügen  für 
den  Beweis,  dass  in  den  dänischen  VolksIiediBm  es  keine  be- 
stimmt ausgebildete  Sage  über  die  Abstammung  ihrer  Könige 
von  Odin  gegeben  hätte;  es  wird  aber  noch  mehr  bestätigt  durch 
das  aus  den  dänischen  Stammtafeki  und  Chroniken  Beige- 
brachte. Läugnen  Hesse  es  sich  nur  von  der  Ansicht  aus» 
dass  nach  der  Bekehrung  von  Dänemark  ein  bewusstes  und 
absichtliches  Bestreben  des  Hofes  und  der  Geistlichkeit  dar- 
auf hingewirkt  habe,  das  Gedächtniss  der  hohen  göttlichen 
Würde  des  Königfhums  aus  der  Erinnerung  des  Volks  zu 
verwischen.  Dies  würde  aber  nicht  wahrscheinlich  sein ,  da 
vielmehr  anderswo  die  christliche  Geistlichkeit  überall  sich 
beschäftigt  zeigte,  die  mythischen  Vorstellungen  in  euheme- 
ristischer  Weise  abzuschwächen.  Hierzu  kommt  noch,  dass 
Peter  Erasmus  Müller  (Critisk  (Jndersögelse  af  Danmarks  og 
Norges  sagnhistorie.  Kiöbenhavn  1823.  p.  184—195)  mit  gros- 


(k$  nordischen  AU&rtkmn$.  Ml 

Mf  Wahrscheinlichkeit  es  nachgewiesen  h$t,  dass  die  ur« 
sprüngliche  Ynglinga-Saga  von  Thiodolf,  wie  sie  dem  Snorri 
vorgelegen  hat,  nicht  über  Fiölner  rückwürts  hinaufgegangen 
sei  Zwar  kann  nicht  gelaugnet  werden,  dass  unter  den  heid«^ 
nischen  Sachsen  und  Skandinaviern  die  königh'che  Würde  ab* 
häügig  gedacht  ward  von  göttlicher  Abstammung;  dieser  Ge« 
danke  wird  sehr  bestimmt  im  Hindlu-Lioth  ausgesprochen 
(IIindlu-*Liod  11.16.  Yergl.  Saga  Olafr  Eonungs  hin  helga.  c.  89. 
Hervarar-'Saga.  Hafn.  1785.  p.  30.)  Doch  folgt  daraus  noch 
»idil,  dass  in  den  alten  heidnischen  Stammtafeln  im  Einzel* 
nen  bestimmt  die  Urerzeugung  unmittelbar  auf  Odin  zurück« 
geführt  wcnrden  sei.  Im  Allgemeinen  können  die  Könige  und 
ihre  Sänger  sehr  wohl  auf  Abkunft  von  den  Äsen,  oder  wie 
bei  den  Gothen  von  den  Ansen  hingewiesen  haben,  ohne  über 
di«  näheren  YerhüHnisse  der  Urerzeugung  sich  auszusprechen. 
So  findet  man  auch  im  Hyndlu-Lioth  weder  die  vier  Königs^ 
gesehiechter,  die  Skioldungen,  die  Skylfingen,  die  Autblingen 
und  die  Ylfingen,  noch  die  anderen  vier  Geschlechter  des 
vornehmeren  und  geringeren  Adels  in  Rücksicht  auf  ihre  Ab^ 
stammung  unmittelbar  an  Odin  oder  an  einen  seiner  Söhne 
geknüpft.  Dies  geschieht  mit  Bestimmtheit  iih  Einzelnen  im 
Hyndlu-Lioth  auch  da  (28)  nicht,  wo  auf  die  Göttersage,  die 
mit  Ragnarokr  endet,  übergegangen  wird. 

Mit  Bestimmtheit  darf  nicht  behauptet  werden,  dass  zur 
Heidenzeit  die  Lieder  über  die  Abstammung  der  königlichen 
und  adlichen  Geschlechter  unmittelbar  bis  auf  Odin  zurück- 
geführt worden  sind.  Es  ist  vielmehr  wahrscheinlich,  dass  in 
Rücksicht  auf  das  Einzelne  dieses  Gegenstandes  die  Dichtung 
sich  in  einem  gewissen  Halbdunkel  gehalten  haben  dürfte. 
Der  christlichen  Geistlichkeit  musste  es  dagegen  sehr  nahe 
liegen.  Alles  anzuwenden,  die  in  der  Brust  der  bekehrten 
Heiden  noch  waltende  Ehrfurcht  vor  den  alten  Göttern  zu 
dampfen;  und  dies  konnte  ihnen  am  leichtesten  gelingen,  wenn 
sie  die  göttlichen  Gestalten  herauszogen  aus  ihrem  himmli- 
sche Glänze  und  durch  Hülfe  einer  euhemeristischen  Deu- 
tung dem  Y.olke  dieselben  als  ganz  gewöhnliche  wirklichei 
weon  auch  heldenhafte  Menschen  darstellten.    Die 


JMJI  Utbrn^  einige  HatipifrageH 

die  über  Odin  riicfcwi&rts  hinaufgehen,  sind  ohne  allen  Zwei**» 
fei  ein  Machwerk  der  christlichen  Geistlichkeit. 

Als  merkwürdig,  woran  auch  schon  Dahlmann  (Forschun*« 
gen  auf  dem  Gebiete  der  Geschichte.  Band  I.  S.  369)  erinnert» 
bleibt  hier  übrigens  noch  zu  erwähnen,  dass  der  Mönch  Theo- 
derich, der  im  zwölften  Jahriiundert  lebte,  berichtet»  dasi 
man  in  Norwegen  für  die,  der  Zeit  Harald  Haarfagers  vor«^ 
angegangenen  Zeiten  keine  zuverlässigen  Stammtafeln  gehabt 
hatte.  Der  Hauptinhalt  des  Liedes  von  Thiodolf  über  da»  Ge*- 
schlecht  der  Ynglinger  muss  indess  sonach  aus  Upsala  stam<- 
tnen:  denn  dass  er  von  dem  Dichter  rein  ej^funden  sei,  ist 
natürlicherweise  nicht  anzunehmen;  höchstens  könnte  jemand 
allenfalls  behaupten  wollen,  es  hätte  sich  Thiodolf  der  Sage 
¥on  Olaf  Tretelgia  bedient,  um  durch  Halfdan  Hwitbein,  den 
er  als  den  Sohn  von  Olaf  bezeichnet,  die  Reihe  der  Ynglin* 
ger  fortzusetzen.  Ohne  eine  solche  Ansicht  vertheidigen  za 
wollen,  mache  ich  nur  darauf  aufmerksam»  dass  das  eigent- 
liche poetische  Moment  in  der  Yngiinga-Saga  in  der  Vorstel- 
lung von  dem  Untergange  des  alten  göttlichen  Königsge-' 
schleehts  im  Iqgiald,  der  seine  Strafe  durch  den  die  Allein- 
herrschaft begründenden  Iwar  Yidfadme  fand,  beruhte.  Was 
übrigens  überhaupt  nicht  zu  läugnen,  ist  dass  es  der  Ge- 
sinnung der  altgermaniscben  Völker  in  der  innersten  Tiefe 
entsprochen  habe,  ihre  Könige  und  das  Recht  auf  die  kö- 
nigliche Würde  von  göttlicher  Abstammung  herzuleiten;  zum 
Beweise  dafür  darf  jedoch  die  Sage  bei  Tacitus  über  die 
Abstammung  der  deutschen  Volksstämme  nicht  angeführt  wer- 
den. Denn  in  ihr  ist  nicht  die  Rede  von  der  Abstammung 
der  Königsgeschlechter.  In  der  britischen  Sage  von  Brutus 
dagegen  scheint  die  Vorstellung  zu  schwanken  zwischen  der 
von  einem  Ahnherrn  des  Fürstengeschlechts  und  der  eines 
Stammvaters  des  britischen  Volks. 

Das  mit  dieser  Sage  verbundene  Moment  der  Anknüpfung 
derselben  an  die  trojanische  Sage,  finden  wir,  mit  Ausnähme 
der  Franken,  nur  wieder  unter  den  Isländern.  Wir  haben 
gesehen,  dass  es  weder  in  der  angelsassischen  upd  also  auch 
nicht  kk  der  sächsischen,  noch  in  der  dänischen,  schwedisehen 


(k$  HOrdocAen  Alt^rihums.  SM 


und  Qorwegiscben  Sage  sich  finde.  Zwar  ist  Gejier  (Stet 
Rikes  Häfder  första  deleo.  p.  396},  um  Strinnkolm's  (Skab« 
dwaYien  under  Hedna-JUdera.  faira  Afdelningen.  f.  118)  bei 
dieser  Oeiegenheit  gar  nicht  xu  gedenken,  immer  noch  an«* 
derer  Meinung.  Er  beruft  sieb,  um  die  Aniicht  von  der  Her« 
kutift  der  germanischen  Nordltnder  aus  dem  Osten  festen^ 
halten,  nqch  darauf,  dass  Dudo  (Du  Ghesne  Hist.  Norm.  Script. 
Pl63)  beriditet,  die  Dänen  hatten  sich  gerühmt,  vonAntenor 
absustammen.  Dudo  ist  indess  schwerlich  jemals  mit  heid- 
nischen Normannen  oder  Danen  zusammengekommen.  Die 
in  dem  Gebiete  des  frankischen  Reichs  unter  Rollo's  Anfüh- 
rung angesiedelten  Normannen  hatten  aber  schon  im  Jahre 
912  das  Gbristentbum  angenommen,  und  die  zu  den  Norman- 
nen geschickten  christlichen  Geistlichen  waren  gewiss  gleich 
nach  der  Bekehrung  jener  betriebsam  genug  gewesen,  die  in 
heidnischen  Liedern  aufbewahrten  Sagen  der  Normannen  für 
ihre  Zwecke  umzudeuten.  Die  Normannen  niögen  ohne  Zwei« 
tri  von  Skandinavien  her  Lieder  mitgebracht  haben,  in  wel«' 
eben  Erinn^ungen  an  die  Thaten  ihrer  Vorfahren  aus  jener 
Zeit,  in  welcher  sie  während  der  Völkerwanderungen  an  der 
Donau  und  am  schwarzen  Meere  herumschwärmten,  enthal- 
ten waren.  Zur  Umbildung  solchen  Stoffes  hatte  schön  frühe 
Jordanes  die  Bahn  gebrochen.  Wilhelm  von  Jumieges,  der 
mit  Kritik  die  Geschichte  Oudo's  behandelte,  erklärt  sich  je- 
dodk  in  Rücksicht  auf  das,  was  er  von  den  älteren  Zeiten 
berichtet,  durchaus  nicht  sicher.  Nachdem  er  die  Weisheit 
de$  Jordai^es  nicht  unberücksichtigt  gelassen  und  auch  auf 
den  Antenor  hingedeutet  hat,  bemerkt  er  über  das,  was  er 
gesagt  hat:  „es  möge  sich  nun  so  oder  so  verhalten,  gewiss 
bleibe,  dass  die  Dänen  von  den  Gothen  herstammten^^  (Sed 
sive  hoc,  sive  illud  exstiterit,  originem  tarnen  a  Gothis  no- 
scuntur  ducere  Dani.  Wilhelm.  Gemmit.  L.  1.  c.  4),  Ordericu» 
Vitalis  spricht  bei  Gelegenheit  der  Angabe  der  Stammtafel 
des  Königs  Eduard  ( Du.  Ghesne  Bist.  Norm.  p.  639)  gar  nicht 
von  einem  Heroen,  der  auf  trojanischen  Ursprung  hinweisen 
käaute;  er  schltesst  sich  natürlicherweise  an  die  angelsassi- 
sdie»  Stamqttafeln  an,  und  würde  hier  gar  nicht  erwähnt 


M4  Veber  eitrige  Eaupiftagen 

worden  sein,  wenn  nicht ^trinnholm  (a.a.O.)  in  eii^r  ganx 
aU|[6nieinen  Weise  sich  auf  ihn  beriefe. 

Der  Beweis,  den  man  für  die  Aecbtheit  der  Sage  Ton 
der  historischen  Einwanderung  Odin's  aus  den  Worten  Paul 
Wamefried's  hat  hernehmen  wollen,  ist  schon  gut  von  Koap«« 
pen  widerlegt  Er  hebt  es  hervor,  dass  in  diesen- Worten 
(Wodan  sane,  quem  adjecta  littera  Godan  dixerunt,  ip^  est» 
qui  apud  Romanos  Mercurius  dicitur^  et  ab  universis  Ger«- 
maniae  gentibus  ut  Deus  ^doratur;  qui  non  circa  haec  tem«- 
pora,  sed  longe  anterius,  nee  in  Germania,  sed.  in  Graeeia 
fuisse  perhibetur.  de  gest  Longob.  L.  1.  c.  9)  die  Behauptung 
liege,  dass  Mercur  oder  Hermes  schon  in  alten  Zeiten  in 
Griechenland  gewesen  wäre,  diese  Worte  sidh  aber  nicht  auf 
den  Namen  von  Wodan  bezögen  (Koeppens  literarische  Ein<- 
leitung  in  die  nordische  Mythologie.  S.  195). 

Ohne  den  Odin  in  irgend  eine,  sei  es  in. eine  freund- 
liche oder  in  eine  feindliche  Beziehung  zu  Troja  setzen  zu 
wollen,  muss  ich  doch  gestehen,  dass  ich  der  bekannten 
Stelle  bei  Tacitus  über  den  Ulyssesr  (Germ.  c.  3)  mehr  Wertfi 
beilegen  möchte ,  als  es  gewöhnlich  geschieht.  Es  fällt  als 
bedeutend  auf,  dass  an  dieser  kurzen  Stelle  drei  Anklänge 
sich  finden:  Ulysses  und  Odysseus  auf  Odin;  Asciburgium  auf 
Asgard;  das  Wort  Laertes  könnte  aber  vielleicht  auf  das  alt« 
skandinavische  Wort  „Lärathr^^  zu  beziehen  sein.  Lärathr 
war,  der  eddaischen  Mythologie  nach,  ein  mythischer  Baum, 
der  auf  dem  Dache  von  Walhalla  wuchs  (Finn  Magnusen. 
Mytholpgiae  Lexic.  v.  Lärathr).  Da  in  der  ältesten  deutschen 
und  nordischen  Religion  der  Baumdienst  eine  so  grosse  Be- 
deutung hatte,  so  dürfte  es  wohl  möglich  genannt  werden, 
dass  in  einer  Sage,  die  an  das,  worüber  Tacitus  so  unklar 
^nd  unbestimmt  berichtet,  geknüpft  gewesen  sein  mag,  eine 
mythische  Vorstellung  vorgetragen  wäre,  nach  welcher  man 
das  Wesen  Odin's  als  aus  dem  Baumgeiste  hervorgetreten, 
von  diesem  erzeugt,  angesehen  habe.  Dass  von  der  Herkunft 
des  Ulysses  über  das  Meer  gesprochen  wird,  berechtigt  noch 
nicht  dasu,  diese  mythische  Gestalt  gerade  zu  einem  Heroen 
tu  machen.  Denn  von  Wanderungen  durch  die  Länder  wuss- 


j 


des  norc^chen  AUerthums.  265 

ten  auch  die  nordischen  Sagen  in  Beziehung  auf  den  als  Gott 
gedachten  Odin  zu  erzählen  (Ynglinga-Sa^a.  c.  3.  Saxo  Grani« 
inat.  ed.  Steph.  p.  13. 45).  Unmöglich  scheint  es  übrigens  gar 
nichts  dass  schon  zu  den  Zeiten  des  Tacitus  eine  Ansiede- 
lung nordischer  Seeräuber  an  den  Ufern  des  Nieder«  Rheins 
steh  gefunden  haben  könnte.  Was  das  Wort  Asciburgium  be« 
trift,  so  ist  es  bekannt,  dass  die  Worte  As,  Aes  auch  in 
Hochdeu^cbland  und  Sachsen  früher  aligemein  in  Gebrauch 
•gewesen  sein  müssen.  Den  Hetruscern  hiessen  die  Götter 
Aesares  oder  Aesi  (Grimm  Deutsche  Mythologie.  S.  17).  Das 
Wort  As  bedeutet  göttliche  Macht,  und  es  lässt  sich  sehr 
wohl  denken,  dass  ein  Ort  am  Rhein  davon  her  den  Namen 
Asciburgium  erhalten  haben  könne ,  dass  daselbst  göttlichen 
Mächten  eine  heilige  Statte  gegründet  gewesen  wäre.  Der 
Name  des  asciburgischen  Gebirges  im  Osten  kann  auch  keine 
Schwierigkeiten  machen.  DieLygier  und  andere  in  den  Ge<* 
bieten  am  Fusse  des  Riesengebirges  herumschweifenden  ger- 
maniischen Hee'rschaaren  haben  sehr  wohl  die  in  den  Wolken 
sich  verlierenden  Gipfel  des  Riesengebirges  als  den  Sitz  der 
Äsen  ansehen  können.  Es  muss  aber  alsdann  dies  Asgard, 
um  in  mythischer  Weise  zu  reden,  allerdings  bezeichnet  wer- 
den als  ein  altes,  als  ein  solches  nämlich,  welches  als  die 
Wohnstätte  von  Geisterwesen  gedacht  ward ,  iur  die  man 
sieh  jedoch  noch  nicht  kunstsymbolisch  bestimmte  Rilder  ge-* 
schaffen  hatte.  Von  Tempeln  und  Götterbildern  spricht  auch 
in  Beziehung  auf  das  Asciburgium  am  Rhein  Tacitus  nicht; 
darf,  was  er  sagt,  auf  den  kriegswüthigen  Odin,  der  herum- 
zog, die  Völker  zu  Streit  und  Kampf  aufzuregen,  bezogen 
werden,  so  ist  bei  ihm  nur  die  Rede  von  einem,  durch  sturm- 
bewegte Meereswogen  herumgetriebenen  Gotte.  Der  Bericht 
scfaliesst  sieh  unmittelbar  dem  über  das  altgermanische  Kriegs- 
gefaeul  an,  und  dass  dies  ganz  zufällig  ist,  ist  wohl  nicht  an- 
zunehmen; es  dürfte  vielmehr  hindeuten  auf  irgend  eine,  in 
der  Art  und  Weise,  wie  dem  Tacitus  seine  Nachrichten  zu- 
gekommen sind,  enthalten  gewesene,  aber  von  ihm  selbst 
kaum  verstandene  Beziehung  des  von  ihm  Ulysses  genannten 
Wesens  zum  Kriege. 


266  V^her  mnige  Ba^lfragen 

Dass  übrigens  dies  ganze  Verhilttniss,  von  welchem  Ta-* 
eitus  spricht >  in  gar  keiner  Beziehung  zur  Ausbildung  der 
Sage  von  der  trojanischen  Abi(unft  der  Äsen  oder  aber  der 
Franken  steht,  leuchtet  von  selbst  ein.  Aus  der  britischen 
Sage  von  der  trojanischen  Abstammung  der  Britannier  köa-* 
neu  sich  die  isländische  and  fränkische  Sage  auch  nicht  e&t* 
wickelt  haben.  0enn  in  wesentlichen  Punkten  weichen  diese 
beiden  unter  einander  verwandten  Sagen  von  der  britischen 
ab;  besonders  aber  darin,  dass  Brutus  über  Italien  gekom-. 
men  sein  soll,  die  Franken  und  Äsen  aber  nach  dem  Falle 
von  Troja  nördlich  gezogen  wären. 

Zur  Geschichte  der  Sage  hat  Wilhelm  Grimm  das  Be* 
dratendste  beigebracht  Ich  kann  daher  nicht  umbin  die  Haupt»* 
stelle,  auf  die  es  hier  ankommt,  wörtlidi  wiederzugeben.  Es 
heisst  aber  bei  Grimm:  „Prosper  Aquitanus  (Gontinuator  dos 
Eusebitts,  st.  um  463)  erwähnt  unter  der  Begierung  des  Kai* 
sers  Gratianus:  Priamus  quidam  regnat  in  Francia,  quantam 
altius  colligero  potuimus  c:  lY.''  (Vergl.  Du  Chesne.  Tom.  I. 
p.  1%.  391. 693.  800).  Deutlicher  drückt  Fredegar  Scholastieua 
(st.  658)  die  Sage  aus:  „de  Francorum  regibus  B.  Hieronymns» 
qui  jam  olim  fuerat,  scripsit.^'  (Mit  dieser  Hinweisung  auf  Hie- 
ronymus  ist  jene  angeführte  Stelle  des  Prosper  gemeint)  „Quod 
prius  Virgilii  poetae  narrat  historia,  Priamum  primum  habuisse 
regem,  cum  Troja  fraude  ülixis  caperetur:)exinde  fuisse  egrefr* 
SOS.  Post  ea  Frigam  babuisse  regem  bifaria  divisione  partem 
eorum  Macedoniam  fuisse  aggresjsam,  alios  cum  Friga  vocatoa 
Frigos  Asiam  pervagantes  in  littore  Danubii  fluminis  et  maria 
oceani  consedisse.  Denuo  bifaria  divistone  Europam  media 
ex  ipsis  pars  cum  Francione  eorum  rege  ingressa  fuit,  qui 
Europam  pervagantes  cum  uxoribus  et  liberis  Rheni  ripam 
occuparunt:  nee  procul  a  Rheno  civitatem  ad  instar  Trojae 
nominis  aedificare  conati  sunt;  coeptum  quidem,  sed  imper« 
fectum  opus  remansit.  Residua  eorum  pars,  quae  super  lifr» 
tore  Danubii  remanserat,  electum  a  se  Turchot  nomine  re*** 
gern,  per  quem  vocati  sunt  Turqhi,  et  per  Francionem  hi  aiii 
vocati  sunt  Franci,  multis  post  temporibus  cum  ducibus  etx** 
ternas  dominationes  semper  negantes.  Hist.  Franc,  epit  o.  % 


d^  nordkehen  AUerthim$.,  2i7 

Mit  dem  Fredegar  itimmt  übereia  Aiaioiniu  (st  1008)  in  der 
biftoria  in  der  Zuschrift  an  den  Abt  Abbon,  in  der  Vorrede 
e.  iO  und  zu  Anfang  des  ersten  Bucfaea;  er  sagt  aud),  dasi 
diiehe  Autoren  dasselbe  angäben.  £in  gleiches  «ithält  eine 
alte  handschriftliche  französische  Chronik:  Mäanges  tirös  d'uoe 
gr.  bibtiotbfeqtte.  V.  272.  Die  Gesta  Francorum  (der  Verf.  der* 
selben  lebte  um  720)  haben  folgende  Steüe,  c.  1.2.:  Alii  au-« 
tem  de  principibus  ejus  Priamus  et  Antenor  cum  aliis  Yiris 
de  exereitu  Trpjanorum  XII.  miilia  fugerunt  cum  navibus,  qui 
introeuntes  ripas  Tanais  fluminis  per  Maeotides  pAludes  na-« 
vigaverunt  et  pervenenint  ad  terminos  finitimos  Pannoniaruim 
—  Uli  quoque^  egressi  a  Sicambria  veneitmt  in  extremis  par« 
tibus  Rheni  fluminis  in  Gennaniarum  oppidis,  Ulicque  inha<^ 
bitaveniBft.  Wie  geneigt  man  gewesen  an  die  Trojaner  sieb 
aszuknäplen,  beweist  eine  Stelle  bei  Paul  Wamefried  (st  vor 
800.  de  gest.  Longob.  L.  6.  c.  23.) :  boe  tempore  apud  Galliaa 
in  Francorum  regnum  Anchis  Arnulphi  filius,  qui  de  nomine 
Anchisae  quondam  Trojani  creditur  appellatus,  sub  nomine 
majoris  domus  gerebat  principatum;  und  noch  mehr  das  £pi- 
liphium  der  Rothais,  Toditer  des  Königs  Pipih: 

asi  abayus  Ancfaise  potens,  qui  diicit  ab  illo 
Trojane  Anchisa  longo  post  tempore  nomen, 
Thom.  Aqttinas  a  S.  Joseph,  de  orig.  gent.  Franc,  p.  43.  Ghifllet, 
Vindic  hi^  p.  429. 453.  Idem  in  Lampad.  ad.  Vindic.  p.  5.  -r 
Sigeberlus  Gemblacensis  (zweite  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts) 
sagt:  Yalentinianus  eorum  virtute  delectatus,  eos  qui  prius  vo-^ 
eati  erant  Trojani,  deinde  Antenoridae,  postea  etiam  Sicaiabri 
Franeos  attica  (?)  lingua  appellavit,  quod  latina  lingua  inter- 
pretatur:  feroces  —  undecunque  ergo  denominati  sunt  t'ranci: 
quäntum  altius  colligere  potuerunt  bistoriographi,  hie  Pria« 
mus  regnabat  super  eos  tempore  prioris  Yalentiniani.  Nam 
ex  ipso  regis  nomine  recollentes  nobilitatem  illius  Priami,  sub 
quo  eversa  est  Troja^  inde  glcNriabantur  gentis  suae  manasse 
porimordia«  Das  letztere  hat  wahrscheinlich  den  Prosper  Aqui-* 
tan.  zur  Quelle'^  (Altdäntsche  Heldenlidier,  Balladen  und  MäP« 
dien,  übersetzt  von  Wilhefaaa  Carl  Grimm.  Heidelberg  1811. 
S,  434— 43^). 


K 


268  Ueber  ebiige  Hauptfragen 

Hier  dem  Herrn  Grimm  noch  weiter  in  spätere  Zeiten 
m  folgen,  in  welchen  die  Sage  von  der  trojanischen  Abkunft 
in  die  Kreise  der  romantischen  Dichtung  aufgenommen  und 
in  ihnen  vielfach  verarbeitet  ward,  ist  für  den  hier  zunächst 
Tcvliegenden  Zweck  niclit  nothwendig.  Nur  will  ich  noch  Ei- 
niges, was  den  Gegenstand  näher  berührt,  anderswo  herneh- 
men. In  der  Vita  Sigeberti  IlL  (Du  Ghesne  hist  franc.  Tom.L 
p.  591),  deren  gegenwärtige  Abfassung  in  das  llte  Jahrhundert 
fiiilt,  heisst  es :  Postquam  Graeci  nobilem  Frigide  urbem  eyer- 
terunt  Aeneas  et  Antenor  nobiles  Trojanorum  cum  reliqui» 
Trojanomm  ad  exteras  nationes  se  contulerunt^  Aeneam  qui« 
dem  ad  Italiam  venisse  et  Romani  Imperii  fundamehta  je- 
cisse  etiam  a  Scholaribus  cantatur.  At  duodecim  millia  Tro- 
janorum, qni  Antenorem  sequuti,  Scythiae  regiones  pervagati, 
circa  Meothidas  palud^s  consederunt,  et  ab  Antenore  Ante* 
noridae  vocati  sunt.  Hinc  in  Virgilio  iegitur  (1.242): 
Antenor  potuit  mediis  elapsus  Achivis 
liliricos  penetrare  sinus,  atque  intima  tutus 
Regna  Libumorum  et  fontem  superare  Timavi.  - 
Quorum  Posteri  condita  civitate  metropoli  sui  Regni,  quam 
Sicambriam  nominaverunl,  a  qua  etiam  Sicambri  denomi- 
nati  sunt 

Die  Gesta  Francorum  enthalten  noch  mehr  als  was  Grimm 
aus  ihnen  beigebracht  hat,  und  was  ich  allerdings  um  so  mehr 
ßir  wichtig  halte,  weil  sich  daran  später  Betrachtungen  an^ 
knüpfen  lassen  über  die  Gestalt  der  Sage  von  der  Einwan- 
derung der  Äsen,  wie  sie  Snorri  hat.  Nach  dem  gegebenen 
Berichte  darüber,  dass  die  flüchtigen  Trojaner  nach  den  mäo- 
tischen  Sümpfen  geschifil  und  zu  den  Grenzländern  von  Pan- 
nonien  gekommen  wären,  fahren  die  Gesta  Francorum  in  fol- 
gender Art  fort:  „Missisque  per  gyrum  exploratoribus,  de- 
prehenderunt  e  vicino  locum  suae  habitaUonis  congruum^ 
remotum  videlicet  e  communi  habitatione  hominum,  nullis 
cultum  vomeribus,  marinis  fluctibus  undique  circumseptum« 
Ibi  itaque  fixere  tentoria,  et  resumptis  animis  civftatem  aedi«* 
ficaveruDt,  quam  Sicambriam  appeilavere.  Viri  igitur  isti  foi^ 
tes  et  validi  consueta  ferocitate  suffulti  contra  Yicinos  arma 


j 


des  nordischen  AUerthums.  8W 

moventes,  per  gyrum  finitima  devastantes  famam  sui  nomiDis 
vulgaverunt  ubique.  Et  quoties  de  propriis  finibus  Panno- 
nianim  populus  hos  exturbare  yolaisset,  toties  frustratis  vi* 
ribus  eorum  gladiis  caedebatur,  nee  ad  debellandos  eos  aliqua 
poterat  facultate  eonsurgere.  —  cumqae  eos  nee  arrois  nee 
yiribus,  nee  suffragiis  aliquibus  de  propriis  agellis  extrudere 
potQtssent,  tandem  ab  insectationibus  eorum  desistentes,  qndi 
ante  persecuti  sunt  ut  inimieos,  contra  velle  postmodum  eoe* 
perunt  colere  ac  ?enerari  quasi  ^dominos  ac  vicinos.  GreTe-» 
runt  itaque  in  gentem  magnam,  et  inhabitaferunt  Sioantbriain 
usque  ad  tempora  Vaientiniani  Imperatoris.  Habebant  duceli 
et  Primarios  et  universos  ordines  magnatorum''  (Du  Chesne 
bist.  Franc.  Tom.  I.  p.  800]«  In  anderen  kleineren  Bruchstük- 
ken  faeisst  es:  „coeperuntque  aedificare  civitatem  ob  memo- 
riate  (ob  memoriam)  appellaveruntque  eam  Sicambriam/'  — 
,9  et  coeperunt  aedificare  civitatem  ob  memoriale  eorum  ap« 
peHaveruntque  Sicambriam.  Habitaveruntque  iüic  annis  mul-< 
tis,  creveruntque  in  gentem  magnam  (a.  a.  0/  Tom.  L  p.  692). 
Nach  einer  sorgfältigen  Yergleichung  aller  vorausgeschickten 
Stellen,  in  welchen  mehrfach  auf  Yirgii  zurückgewiesen  wird, 
erhellt  es  zur  Genüge,  dass  das,  was  in  der  Sage  den  Ur-^ 
Sprung  der  Franken  an  Troja  knüpft,  aus  jenem  Dichter  ge- 
nommen ist  Die  erste  Andeutung  auf  die  Sage  von  diesem 
Zusafflimehhange  findet  sich  bei  Prosper  Aquitanus  aus  dem 
fönften  Jahrhundert,  aus  einer  Zeit,  in  der  schon  hier  und 
da  Ahnungen  sich  regen  konnten  über  das,  was  aus  dem  kräf*^ 
tigen  GristederJPranken  geschichtlich  sidi  werde  entwickeln 
können.  Im  Fortgange  der  reicheren  Entwickelung  des  ge- 
schichtlichen Lebens  der  Franken  entwickelte  sich  auch  die 
Sage  reicher;  und  besonders  seit  Dagoberts  L  Zeiten,  seit 
denen  *  die  grossen  Hausmayer  aufstehen,  um  Recht  und  Ge«* 
rechtigkeit  im  Reiche  wieder  herzustellen,  und  darauf  ihre 
Macht  tu  gründen,  muss  sich  die  reichere  Sage,  von  der  Fre- 
degär  spricht,  ausgebildet  haben.  Schon  unter  Chlotar  IL 
war,  nachdem  er  Herr  von  der  ganzen  fränkischen  Monarchie 
geworden,  die  durchaus  überwiegende  Macht  der  Gemein«» 
sdbaft  Getreuer  äusserlich  und  öffentlich  hwvorgetreten  (Vergi. 


V 
t 


270  Veber  einigt  Hauptfragen 

Unterging  der  Naturstaaten.  S.  74. 75).  Hiermit  aber  rnndste 
sieh  zugleich  ein  tieferes  Bewusstsein  von  der  heroischen 
Bedeutung  ihrer  Geschichte  in  dem  Geiste  der  Franken  re- 
gen. Diesem  Bewusstsein  entsprach  die  Anknüpfung  ihrer 
Urgeschichte  an  die  Heroenwelt  des  Alterthums,  ganz  beson- 
ders aber  an  die  der  alten  Roma,  von  wo  aus  jene  Weltmacht 
sich  entwickelt  hatte,  an  deren  Stelle  im  Westen  zu  treten 
schon  der  Beruf  Ton  ihnen  gefühlt  ward.  Was  aber  die  Sage 
Ton  dem  Treiben  der  Vorfahren  der  Franken  an  den  Grenz- 
endem von  Pannonien  betrifft ,  so  ist  diese  aus  der  allge- 
meinen germanischen  Sage  über  die  Geschichte  und  das  Krie- 
gerleban  der  germanischen  Heerschaaren  genommen,  welches 
sie  an  den  Küsten  des  schwarzen  Meeres  getührt  haben,  ehe 
sie  nach  dem  Westen  gedrängt  wurden.  Oass  die  StammVäter 
der  Franken  aus  Pannonien  gekommen  wären,  ist  nicht  wahr- 
scheinlich, wenn  a^ch  Gregor  von.  Tours  (Du  Ghesne  bist, 
Franc.  Tom.  I.  p.  279)  berichtet,  dass  Tiele  es  behaupteten. 
Wenigstes  würde  von  einem  angeblichen  Sikambrien  unfern 
des  Tanais  keine  Spur  nachzuweisen  sein,  und  die  Franken 
treten  auch  nicht  erst  unter  Gratian  oder  Yalentinian  I.  aus  ei- 
nem östlich  belegenen  Sikambrien  in  der  GeseUehte  auf,  und  in 
Verbindung  mit  den  Bömern.  Dass  ihre  Vorfahren  gewisser- 
naassen  als  Räuber,  die  sich  in  ihnen  ursprünglich  fremden 
Ländern  die  alten  Landbewohner  unterworfen  und  sich  zu 
herrschenden  Rerehsständen  erhoben  hätten,  geschildert  wer- 
den, dies  entspricht  ganz  dem  Geiste  der  geschichtlichen  Ent- 
wicklungen aUer  germanischen  Reiche  des  Mittelalters, 

Sehen  wir  aber  sonst  noch  weiter  auf  die  Sage,  in  welcher* 
von  einer  unfern  des  Tanais  gegründeten  Stadt  die  Rede  ist, 
so  finden  wir  ganz  unläugbar,  dass  Snorri  Stnrleson  hieraus 
seine  Angabe  von  der  Lage  des  alten  Asgard's  genommen 
habe.  Dass  überhaupt  die  Isländer  bei  Feststellung  der  Stamm- 
tafeln der  nordischen  Künigsgeschlechter  fränkische  Annalen 
benutzt  haben,  dafür  lassen  sidi  auch  noch  andere  Spuren 
nächweisen.  Are  Frode,  der  älteste  isländische  Geschieht- 
sdireiber;  stellt  an  die  Spitze  seiner  Stammtafel  des  Geschlech- 
tes der  Yngiing^r  einen  Türkenkönig.  Er  hat  denselben  ohne: 


des  nordischen  AUerthums,  271 

Zweifel  von  Fredegar  her,  der  schon  im  siebenten  Jabriran- 
dert  Y(m  einem  alten  Könige  trojanischen  Geschlechtes  zu 
wissen  giailbte,  der  früher  über  die  an  der  Donau  zurttckge« 
bliebenen  nach  ihm  Turchi  genannten  Yolksschaaren  geherrsdit 
haben  sollte.  In  Rymbegia,  einem  chronologischen,  zur  Ord- 
nung der  christlichen  Festzeiten  abgefassten  Werke,  dessen 
gegenwärtige  Form  aus  der  letzten  Hälfte  des  vierzehnten 
Jahrhunderts  stammt»  wird  gesagt,  dass  alle  in  der  norwegt«> 
sehen  Sprache  abgefassten  Erzähhingen,  denen  Wahriüeit  za 
Grunde  Hege,  die  Geschichten  begännen  mit  der  der  Türken 
und  Männer  aus  Asien  (Rymbegla.  Pars  L  cap.  1.  $.  1.).  Im 
Widersprach  mit  den  eddaischen  Mythen  wird  Odin  ein  Sohn 
Thors  genannt,  jener  aber  als  der  bezeichnet,  von  dem  viele 
Kjönigsgesehlecbter.  ihre  Abstammung  herleiteten.  In  der  Ein*» 
lekung  zur  jüngeren  Edda  ist  Alles  voller  Fabeln.  Hier  wird 
Alles  dmrch  die  seltsamsten  Etymologien  verwirrt.  Tros  und 
Thor,  Sibylla  und  Sif,  Frigida  und  Frigg  werden  mit  einen« 
der  in  Verbindung  gebradit.  Nicht  jedoch  liegt  in  den  Sagen 
der  jüngeren  Edda  die  Wurzel  der  Sage  von  der  trojanischen 
Abkunft  der  Äsen,  noch  in  den  aus  heidnischer  Zeit  herstam* 
men^n  Liedern  der  älteren  Edda.  Der  Ursprung  derselben 
muss  hergeleit^  werden  aus  der  Sage,  die  unter  den  Fran* 
hen  in  dem  Maasse  reicher  sich  ausgebildet  hat,  in  weldiem 
in  ihrem  Bevirussisein  die  Ahnung  von  dem  inneren  Zusam« 
menhange  ihrer  Geschichte  mit  der  gesammten  allgemeinen 
Weltgeschichte  sich  regte. 

Wenn  indess  auch  die  trojanische  Sage  aus  den  mythi- 
schen Vorstellungen  der  Nordländer  entlemt  werden  muss, 
so  entsteht  doch  noch  wieder  die  andere  Frage,  ob  denn  die 
bei  Are  Frode  und  in  Rymbegla  vorkommende,  auf  den  Osten 
hinweisende  Sage  vom  Türkenkönige  und  von  den  Türken 
und  Männern  ausAsien,  die  bei  Saxo  gleichfalls  auf  den  Osten' 
hindeutende  Sage  von  dem  Sitze  der  Asengötter  zu  Byzanz, 
und  die  Sage  Snorri's  über  das  grosse  Svithiod  gänzlich  zur 
Seite  zu  schieben  wären,  als  erst  in  spätem  diristlichen  Zei- 
ten gemacht.  Der  blosse  Verkehr  der  im  Mittelalter  durch 
die  Wäringer  zwischen  Skan^navien  und  Konstantinopel  ver- 


272  lieber  ekwge  Hauptfragen 

▼ermittelt  ward,  genügt  um  so  weniger  zur  Erläuterung  der 
Frage  darüber»  wie  Saxo  zu  seiner  Ansicht  gekommen  sei, 
um  wie  mebr  eine  im  Allgemeinen  auf  den  Osten  hinwei«* 
sende  Ansicht  im  Norden  ?erbreitet  war.  Dass  diese  noch 
aus  der  heidnischen  Zeit  stammt,  das  lässt  sich  meiner  (Jeher- 
Zeugung  nach  mit  grosser  Sicherheit  beweisen.  Zuerst  tritt 
Einem  hier  die  Vorstellung  yon  dem  grossen  Svithiod  ent-* 
gegen.  Man  hat  zwar  behaupten  wollen»  dass  diese  Vorstel- 
lung keine  ursprünglich  nordische  sei»  sondern  erst  entstan* 
den  in  Folge  einer  sprachlichen  Verwirrung»  indem  maa  aus 
dem  Worte  Skythia  Svithiod  gemadit  hätte  (Geijer  Svea  Ri* 
kes  HäfiJer.  första  delen.  p.  391.  Koeppen  liteittrisdie  Einlei«« 
tung  in  die  nordische  Mythologie.  S.  180).  Diese  Beimuptung 
lüsst  sich  indess  leicht  widerlegen.  Schon  Ihre  hatte  auf  eine 
Sfanliche  Verwechselung»  fiber  seltsam  genug  im  umgekehrten 
Sinne  hingewiesen  (Ihre  Glossar,  p.  839).  Er  hatte  geglaubt» 
dass  die  Griechen  und  Römer  das  W^ort  Svithiod  in  Skytiiia 
verkehrt  hätten.  Muss  nun  auch  diese  Ansicht  gänzlich  zu- 
rückgewiesen werdra»  so  ist  doch  der  Gedanke»  worauf  sie 
sich  stützt»  nicht  ohne  Bedeutung.  Ihre  legt  nämlich  auf.  das 
Wort  „Thiod",  in  dessen  Bedeutung  yon  Volk  ein  grosses 
Gewicht  und  schliesst  daraus»  dass  es  der  ursprüngliche  Name 
für  Skythia  gewesen  wäre.  Das  Wort  »»Swi'^  ist  nun  ohne 
Zweifel  zusammengezogen  aus  »»Sueven^S  und  SvitUod  heisst 
.  Suevenvolk.  Verfolgt  man  diesen  Gedanken  weiter»  und  er- 
wägt man  zugleich  dabei»  wie  schon  bei  Tacitus  die  östlichen 
Grenzen  der  Bereiche  der  Sueven  ins  Unbestimmte  sich  ver- 
lieren» wie  aber  nicht  gar  lange  nach  seiner  Zeit  germanische 
Kriegerschaaren  von  den  Küsten  der  Ostsee  her  bis  au  die 
des  schwarzen  Meeres  sich  ausbreiteten  und  das  ganze  von 
Snc^ri  Gross -Svithiod  genannte  Land  ihrer  Herrschaft  un- 
terwarfen: so  muss  man  doch  wohl  auf  den  Gedanken  ge- 
führt werden»  wie  es  allerdings  möglich  sei»  dies  ganze  grosse 
Gebiet  habe  seit  der  Zeit»  seit  welcher  die  Gothen  in  dem- 
selben geherrscht  hatten»  im  Norden  den  Namen  Svithiod 
erhalten.  Dazu  kommt»  dass  Gross-Svithiod  auch  noch  un- 
ter dem  Namen  von  Godheimar  bekannt  war  (Ynglinga-Saga 


i 


dei  nordioAen  Älierthüms.  273 

c.  9).  In  der  Bedeutung,  in  welcher  Snorri'dies  letztere  Wort 
gebraucht,  mag  er  wohl  Götterwelten  darunter  verstanden 
haben.  Da  jedoch  Godthiod  ebensowohl  Gothenvolk  als  Göt^ 
teriieimath  heissen  kann  (Vergl.  Finn  M agnusen  Mythol.  Lexic* 
T.  Godthiod),  so  ist  man  berechtigt  ein  Aehnliches  von  God«* 
heimr  zu  behaupten.  Kapitel  15.  wird  indess  wieder  God** 
kttms  gedacht,  und  da  dies  mit  Beziehung  auf  den  alten  Odin 
geschieht,  so  muss  das  Wort  auch  hier  in  der  Bedeutung  von 
G^llerwiit  genommen  werden.  Sehr  wichtig  aber  ist,  dais 
zi^ieich  dabei  6ros$-Switfaiods  gedacht  wird,  in  welchem 
Swegdir,  der  ausgezogen  war,  Godheim  und  den-  alten  Odin 
an£msaeben,  viele  seiner  Blutsfireunde  fand.  Das  was  hier 
Ton  Swegdtr  erzählt  wird,  der  bei  seiner  zweiten  Ausfahrt 
naeä  dem  Osten  in  Gross  -  Swithiod  seinen  Untergang  fand, 
mochte  ich  nicht  mit  Preter  Erasmus  Müller  (Gritisk  Under- 
sögeise  of  Danemarks  og  Norges  äagnhistorie.  p,  194)  als  ein 
gelehrtes  Einschiebsel  ansehen.  Eines  Theils  zeigt  die  Form 
.  dieser  Sage  im  Allgemeinen  zu  Sjehr  auf  heidnische  Yorstel«? 
kuigsweisen  hin;  anderentheils  ist  in  dieser  Sage  offenbar 
auch*  eine  mythische  Erinnerung  erhalten  an  alte  Wikings-- 
woge  der  Vorzeit  gegen  den  Osten.  Ich  kann  in  dieser  gan-» 
Ben  Sage  nur  eine- Bestärkung  für  meine  (Jeberzeugung  fin« 
den,.dass  schon  zur  Zeit  des  Heidenthums  eine  Vorstellung 
geherrscht  luibe,  nach  welcher  im  Lande  des  Ostens,  in  Gross- 
Swübiod,  Godheimr  uhd  der  alte  Odin  gesucht  wurden. 
Mesem  entsprechen  die  in  den  früheren  Kapiteln  (2^^6)  auch 
freilich  in  euhemeristischer  Deutung  umgebildeten  mythischen 
VorsteUongen  über  das  alte  und  neue  Asgard.  Es  hängen 
aber  mit  diesen  Vorstellungen  anch  die  über  die  Wanen  enge 
zttsammm. 

Kachdem  Äsen  und  Wanen  Frieden  geschlossen  hatten» 
'  setzte  Odin  die  Häupter  der  Wanen,  den  Niord  und  Frey  xu 
Opferprieftem  und  die  Freya  als  Priesterin  ein. 

Fasst  man  diese  Sage  in 'ihrer  mythischen  Form  einfach 
ftttfy  so  muss  man  gestehen,  dass  in  derselben  die  Erinnerung 
an  jeine  Entwicklung,  an  eine  Umwandlung  in  Bezug  auf 
die  Formen  des  religiösen  Lebens  der  Nordländer  festgehfil-* 

Zeitochrin  f.  G«schichtsir.   I.   1844»  ^^ 


^ 


274  ÜAer  eimge  Saupf fragen 

ten  ist.  In  der  Art  und  Weise  wie  des  Niord's,  des  Frty's 
und  der  Freya  gedacht  wird,  erkennt  man  leicht  die  Hindeo- 
tung  auf  eine  Veränderang,  und  zwar  auf  eine  reichere  und 
man  möchte  sagen ,  auf  eine  festere  Ausbildung  der  Formen 
des  Götterdienstes  (Vergl.  Cap.l2).  Von  Entwicklungen,  wn 
Umwandlungen  in  den  religiösen  Formen  der  Odinsfereliref 
hatte  auch  Saxo  erfahren.  Es  heisst  nämlich  bei  an,  daia 
fur  Zeit  Hadings  Odin  allgemein  als  Gott  gegolten  habe,  dier« 
lelbe  jedoch  voneugswetse  in  Up«ila  Terdbrt  worden  wte^e. 
Nun  hätten  die  Könige  des  Nordens,  um  diesen  ihren  Gott 
besonders  zu  ehren,  ein  goldenes  Bild  verfertigen  lassen  und 
dasselbe  wie  Saxo  die  Sache  nimmt,  nach  Byzanz,  wo  er 
Asgard  hinyerlegt,  geschickt.  Darüber  wäre  Odin  sehr  erfrsut 
gewesen;  die  Frigg  jedoch  hätte  aus  Prunksucht,  und  Hab^ 
sucht  nach  dem  Golde  getrachtet,  welches  als  Zierralb  das 
Bild  geschmückt;  sie  hätte  einige  Schmiede:  verftftrt,  im»  das 
Bild  des  Goldes  zu  berauben;  Odin  aber  habe  diese  Schmede 
aufhängen  und  sein  Bild  darauf  auf  einem  hohen  Oite  aoEf« 
stellen  lassen.  Darauf  aber  soll  die  Frigg  in  ihrem  unbe« 
zwinglichen  Verlangen  nach  dem  Golde  meh  einem  ihr^-Die«> 
ner  hingegebai  haben,  damit  dieser  zum  Dank  daiiir  das  Bid 
seines  goldenen  Schmuckes  beraube  und  ihr  üb^lidhve.  &o 
nun  auf  zweifache  Weise  entehrt,  sei  Odin  davon  gegangen 
m  die  weite  Welt,  und  darauf  hab<)  sich-  M  anderer  Zaube- 
rer, Mitodin  genannt,  durch  seine  Zauberkünste  an  j^ros  SieHe 
zu  setzen  gewusst.  Dieser  Mitodin  habe  darauf  einen  nemii 
Religionsdienst  eingeführt,  indem  er  sic^  ^egen  die  his  dahin 
gegoltene  Sitte  aufgelehnt  habe,  nach  welcher  man  den  Zorn 
der  Götter  und  Geister  durch  allgemeine  Opfer,  die  ihnen 
allen  gemeinsam  dargeboten  wurden,  zu  versöhn^  suehle. 
Bbiie  0]»fersitte  soll  durch  ihn  iiir  die  Zukunft  verboten  und 
dagegen  der  Gebrauch  eingeführt  worden  sein,  einer  jeden 
der  göttlichen  Mächte  besondere  Opfer  darzureidien. 

Der  wahre  Odin  kehrte  zwar  wieder  nach  einiger  Zeit 
von  seiner  Wanderung  zurück,  und  vertrieb  denMttodin  nebat 
anderen  sogenannten  Zauberern,  die  unter  dessen  Zwiscjben- 
horrscludl  sich  götüicher  Ehren  angemaasst  hatten  (Saxo  Gram- 


4€$  nördUehen  ÄUertkum.  215 

iQftt  adit  Ifulleri.  p.  42.  43.  44).  Das  Wesentliche  jedoch,  was 
MUodio  eingeführt  hatte,  blieb :  besondere,  einzelnen  Göttem 
geleistete  Opfer  nämlich,  und  ein  darnach  sich  heraussteUen*- 
der  klarer  und  bestimmter  sich  bewusst  gewordener  Poly-^ 
theismus.  Dies  erhellt  theils  aus  den  Formeti,  wie  der  skant- 
4tiiaTisciie  Götterdiedst  historisch  bestanden  hat,  theiis  dai^ 
«n»,  das$  Iladiiig  tor  seinem  Tode  noch  selbst  sich  bewogw 
ath^dMi  Fro  oder  Frey  ein  Unheil  abwehrendes  Opfa*  «d^ 
m^eileti  (a.  a.  O.  p.  49. 60). 

Das  Freibltrt,  wie  es  von  den  Nordländern  genannt  ward, 
<M|er  das  dem  Freir  tu  Ehren  angestallte  Opfer  blieb  in  spä- 
torn  iKeiteft  eines  der  wichtigsten  Hauptopfer.  Es  kommt  keine 
Spiir  davon  vor,  dass  ^  schon  vor  Hadings  Zeit^  bestanden 
^tte.  Die  Slifbug  desselben  scheint  überhaupt  erst  diesem 
königlichen  Heros  zugeschrieben  worden  zu  sein.  Denn  zu 
«einer  Zek  z^gt  sieh  überhaupt,  wie  aus  der  beigebrachten 
Sage  über  Odin  und  Frigg  erhellt,  die  Spur  einer  religiösen 
fiewegwg  in  dem  Geiste  d&r  Nordländer.  HaAng  wird  ab 
•in  Heros  ^geschildert,  der  mit  den  über-  und  unterirdischen 
Dingen  in  einem  gewissen  nähern  Verkehr  gestanden  hätt^ 
£r  ward  noch  bei  seinen  Lebzeiten  durch  ein  Geisterweib 
onter  die  Erde  gezogen  und  durch  düstere  Wolkengegend  und 
auf  vielbttretenem  Pfade  zur  grünen  Wiese  geführt,  von  wel-^ 
iilier  eine  im  Wirbel  der  Strömung  aus  Waffen  sich  hauende 
Brüeke  über  den  Fluss  dorthin  den  Weg  bahnte,  wo  täglich 
die  in  der  Sdilacht  gefallenen  Helden  kämpften  (a.a.0.p.51). 

Ea  kann  keinem  Zweifel  unterworfen  sein ,  dass  in  den 
Sagen,  die  dem  Saxo  vorgelegen  haben,  sehr  bestimmte  An-^ 
dentungen  iti>er  bedeutende  innere  Umwandlungen  in  dem 
raii^ösen  Bewusstsein  der  Skandinavier  enthalten  gevralen 
sein  müssen.  Die  Zeit  dieser  Umwandluflg  setzte  die  Sage 
mjtiiisdi  in  die  Zeit  Hadings,  eines  alten  heroischen  Königti 
Das  Wesentliche  dabei  war  aber,  dass  das  religiöse  BewussU 
aein  sich  während  dieser  Entwicklung  hervorrang  aus  allge««* 
meioeren,  unbestimmteren  Vorstellungen  von  geistigen  und 
Sbyturmächteü,  die  über  das  Leben  walteten,  zu  klareren  An^ 
aehaauttgen  n»t  bestimmten  Umrissen  von  Göttem »  d^ea 

18* 


276  Vaier  einige  ßaupifruffm 

ganzM  Wesen  baeh  dem  Yorbifde  des  mensebltdien  Lebens 
«ofgefasst  ward»  Dies  spricht  sich  sehr  bestimmt  aus  in  der 
Sage  Yon  der  neu  eingeführten  Sitte  des  Bilder-  und  Opfer-i> 
dienstes.  Nicht  mehr  im  Allgemeinen  wurden,  wie  früher 
den  göttlichen  Mächten  die  Opfer  gebracht,  sondern  Ton  nun 
«Q  einzelnen  besonderen  Gottheiten,  die  einzelnen  besonder 
ffen  Kreisen  des  Lebens  vorstanden  und  deren  Macht  innere 
Mb  bestinmiter  Kreise  und  besonderer  Grenzen  sich  bewegte^ 
Ein  ähnliches  Moment  der  religiösen  Entwiclchingen  uoler 
den  Griechen  versetzt  deren  Sage  in  die  Zeit  des  Kehrops. 
Um  diese  Zeit  sollten  die  Götter  den  Beschluss  gefe»5t  ha-^ 
ben,  Städte  zu  gründen,  in  wekhen  einem  jeden  imter  ifaneü 
besondere  Ehren  erwiesen  würden  (Apollodor.  L.  3.  c,  4.  *$.  i)* 
Anderen  Sagen  zufolge  sollte  die  nach  diesem  Beschlüsse  er«- 
folgte  Austheihing  der  yerschiedenen  Aemter*  an  die  Götter, 
bei  welcher  die  Bereiche  ihrer  Macht  bestimmt  worden  wih 
ren  und  sie  zugleich  mit  den  Menschen  über  die  Opfer  und 
Ehren,  die  ihnen  von  diesen  zu  leisten  wären,  sich  ansgegli^ 
eben  hätten,  zu  Mekone,  dem  späteren  Sikyon,  geschehen  sria 
(VergL  Stuhr's  Reiigions- Systeme  der  Hellenen.  S.  167). 

Nach  dem  Vorhergehenden  indess  ist  es  klar,  dass  so«» 
wohl  bei  Snorri  wie  bei  Saxo  aus  der  vorchristlichen  Zeit 
herstammende  Erinnerungen  sich  finden,  die  auf  Umwand«^ 
lungen  in  der  Entwickhing  der  Beligionsformen  der  Skandi'^ 
navier  hinweisen.  Es  knüpft  sich  daran  das  an,  was  auch  in 
der  jüngeren  Edda  über  den  Gegensatz  des  alten  und  neuen 
Asgards  gesagt  wird.  Bei  Saxo  aber  wird  in  der  Sage  von 
der  Errichtung  des  Götterbildes  auf  den  Ursprung  des  Btt^ 
c^dienstes,  der  an  jene  Umwandlungen  geknüpft  gewesen 
wärei  hingedeutet  Das  Moment  der  Einfuhrung  des  Bilder-« 
dienstes  gehört  aber  mit  zu  dem  Bedeutendsten  in  Absiekl 
auf  dm  Cregensatz  der  Religionsformen  der  germanjschen 
Völker,  wie  Tacitus  sie  schildert,  und  wie  sie  dagegen  sich 
abspiegeln  an  den  isländischen  Liedern  und  Sagen.  Keine 
SfKur  von  Bilderdienst  findet  sich  bei  Tacitus.  In  Skandina- 
vieti  dagegen  war  der  Götterdienst  durchaus  und  auf  das 
Engste  an  Bilderdienst  geknüpft  und  es  waren  hier  den  Göt^ 


J 


dm  nordiieken  AUerihumM.  277 

tem  IQ  einer  gunz  nrnnSssigen  Anzahl,  in  einzelnen  Tempeln 
an  hundert  Bilder  erriehtet  (Jornsvikinga-^Saga.  c  12.  Vefgt 
Pornmanna  sögur.  II.  153). 

Was  lieh  an  NacbrtdUen  über  die  Geschichte  des  Bil«< 
derdienstes  unter  den  germanischen  Heerschaaren,  die  an  d^ 
Kogenamten  Völkerwanderung  Theil  genommen  haben,  mdn 
finden  fälsst,  hat  Jakob  Grimm  fleissig  gesammelt  und  zusamf* 
mengestetit  (Deutsche  Mythologie.  S.  72—84).  Im  Allgemeinen 
Iflaube  ich  hier  die  Yermuthung  aaüstellen  zu  dürfen,  dasa 
die  Germanen  nur  erst  nachdem  sie  mit  der  römisdien  Welt 
bekannt  geworden  waren«  und  nur  erst  in  Folge  dieser  Be« 
kanntscbaft  dazu  im  Geiste  angeregt  w^orden  sind,  ihren  Göt^ 
tem  Bilder  zu  errichten.  Im  Einzelnen  aber  ist  hier  dies 
besonders  hervorzuheben,  dass  das  älteste  Zeugniss  über  BiU 
^^tenst  bei  den  Germanen  erst  in  die  zweite  Hälfte  des 
vierten  Jahrhunderts  zurückführt.  Es  wird  (Sozomenus.  bist 
ecoles.  I.  6.  c.  37)  der  vielfachen  Gefahren ,  in  welchen  II1<- 
fifats  unter  den  heidnisohen  Gotben  schwebte,  gedacht  Da<« 
bei  wird  gesprochen  von  den  Verfolgungen,  die  die  Cbristeii 
unter  den  Gotben  zur  Zeit  des  in  dem  Jahre  382  verstorben 
neu  gothisehen  Kdnigs  Athanarich  erlitten  hätten.  Zugleich 
wird  erzählt,  wie  Athanarich  befohlen  habe,  das  Bild  auf  ei^ 
nem  Wagen  vor  den  Wohnungen  aller  des  Ghristentbumi 
Verdächtigen  berttrazufiibren;  weigerten  sie  sich  uiederzufaU 
len  und  zu  opfern,  so  sollte  ihnen  das  Haus  über  dem  Kopfe 
angezündet  werden  (Yergl.  Grimm  a.  a.  O.  S.  73). 

Ob  das  oben  erwähnte  Bild  ein  Götterbild  oder  des  Kö« 
nig^  3iid  oder  das  Bild  von  Athanarichs  Vater  gewesen  sei, 
ist  schwer  mit  Bestimmtheit  auszumachen.  Der  Vater  Atha* 
narich's  hatte  wegen  seines  Heldenmutbs  und  Verstandes  bei 
Konstantin  in  solchem  An^ehn  gestanden,  dass  ihm  eine  Bild** 
Säule  errichtet  worden  war  (Mascov's  Geschichte  der  Deutschen 
Thl.1).  Mag  es  sich  indess  mit  dem  gothischen  Bilde  verhalten, 
wie  es  will,  man  findet  in  demselben  die  Spur  von  Bilder- 
verehrung bei  germanischen  Völkern  im  vierten  Jahrhundert 
Sezomenus  spricht  aber  auch  noch  von  der  helienisc}ien  Weise 
der  gotte»ii(|nstlichen  Gd)räucbe  der  Barbaren,  und  dasa,  will 


278  Veb^  €m%e  Hat^tfragm 

Grimin  wW»  <iieser  Kircb6D«ebriftote]ler  ikhrflfixaQ  tat  ipvmi^ 
gesetit  haben  ioUte»  ist  um  so  weniger  anzuneboieo,  weil  ea 
docb  scbeint,  dass  von  ibm  das  Hellenische  auf  das  Barba* 
r&die  in  irgend  einer  Weise  bezogen  wird.  Einwirkungen 
•wn  Seiten  des  in  der  römiseben  Welt  noch  nicht  ersterbe-» 
nen  heidnischen  Geistes  auf  die  ivotben  zn  einer  Zeit»  m 
wehber  das  Ghrbtentbum  sich  unter  sie  anszubreiteft  aoboii 
aogeboben  httte,  können  sehr  wohl  stattgefunden  babev.  Na^ 
mentlich  liegt  die  Yeroiuthung  nicht  fern ,  dals  der  IMenst 
der  Muttor  der  Götter,  der  im  dritten  und  nerton  Jabfaun- 
dort  im  römischen  Reiche  so  lebendig  auigefalüht  war,  mit 
dem  Dienste  einer  weiblichen  Gottheit  der  Gothen,  d^fett 
Wesen  etwa  dem  der  altdeutschen  Nertbus  entsproehen  bUte, 
verknüpft  worden  sein  könnte. 

Da  gar  keine  früheren  Spuren  eines  Bilderdienstes  in  der 
Geschichte  der  germanischen  Völker  vorkommen,  die  Ger- 
manen zu  den  Zeiten  des  Tacitus  aber  den  Bilderdienst  noch 
nickt  ausgebildet  hatten,  so  sind  wir  nicht  nur  bereobl^gf, 
sondern  sogar  kritisch  verpflichtet,  uns  an  den  angefüfarteA 
Bericht  des  Sozomenus  zu  halten.  Ind»n  wir  aber  dies  tbuui 
geht  uns  ein  grosses  Licht  auf  über  die  Geschichte  d^  re«> 
Kgiösen  Entwicklungen  im  Geiste  der  germanischen  Yölken 
Die  Umwandlungen  in  dieser  Geschichte,  in  Folge  deren  die 
Religion  der  Skandinavier  ihre  eigenthUmlicbe  und  von  der 
der  alten  Germanen  verschiedene  Gestalt  gewann,  mässton 
ihren  Ursprüngen  nach  in  die  Zeiten  der  Ttfikerwanderan*« 
gen  gesetzt  werden. 

Die  Bekanntschaft  mit  der  römischen  und  griechischen 
Welt,  die  mancherlei  Kämpfe,  die  die  germanischen  Heer- 
schaaren  unter  sich  und  mit  den  ihnen  fremden  Völkern,  so« 
wie  auch  mit  der  Natur  zu  bestehen  hatten,  müssen  ihren 
Geist  sehr  lebhaft  angeregt  haben.  Ohne  grossen  Einfluss  auf 
den  ganzen  Gang  der  Entwicklungen  im  Geiste  der  Germa- 
nen konnte  dies  Alles  nicht  bleiben.  Diese  erste  Bewegubg 
ward  aber,  nachdem  der  Anstoss  gegeben  war,  in  der  Ge- 
schichte eines  grossen  Theiles  der  germattischen  Völker  plötz- 
lich hk  ihrer  Entwicklung  gestört  in  Folge  der  Bekehrung 


d^  nordischen  ÄUerthum,  Vis 

lum  GbriBteDtbum.  Dass  auch  die  nordischen  Völker  auf  die 
lebendigite  Weise  mit  iu  die  allgemeine  Bewegung  der  Yöl« 
kerwäoderungen  hineingezogen  gewesen,  ist  eine  Sache  diet 
bentigas  Tages  allgemein  anerkannt  ist  und  keines  besonde<- 
fm  Beweises  weiter  bedarf.  Nach  dem  Ende  der  Völkerr 
waadenuigen  aber  blieben  die  nordischen  Völker  sich  selbst 
überlassen,  von  der  christlichen  Welt  ausgeschlossen»  Ihr  her 
ben  bewegte  sich  nunmehr  in  eigenen  Kreisen  und  auf  eine 
e^entbämliche  Weise  konnte  das  zur  Entwicklung  gedeihen, 
was  in  seinen  Keimen  angeregt  worden  war.  Diese  Entwick- 
lungen und  die  Anregungen  dazu  hatten  aber  viele  innei'e 
Kämpfe  im  Geiste  erzeugen  müssen.  Davon  zeugt  auch  im 
Allgomeinen  der  Geist»  der  in  der  Religion  der  Skandinavier 
harscht  und  der  ganze  Charakter  derselben.  Im  Besonderen 
ab^  geben  die  oben  erwähnten  Sagen  von  Saxo  und  Snorri 
den  Beweis  für  die  Behauptung,  dass  ehe  das  religiöse  Be-^ 
wosstsein  der  skandinavischen  Heiden  in  der  denselben  ei- 
genthümlicfaen  Form  zu  einem  gewissen  Maasse  von  Klarheit 
sich  ausgebildet  habe,  grosse  Verwirrungen  und  Kämpfe  ini 
Geifite  zu  überwinden  gewesen  sind.  Was  beide  Gescbichtr 
sdireiber  erzählen,  das  müssen  sie  aus  Sagen  entnommen  ha-^ 
ben,  in  welchen  Erinnerungen  an  Entwicklungen  und  Um« 
Wandlungen  im  religiösen  Bew.usstsein,  sowie  an  Einfiihrung 
neuer  Formen  des  Götterdienstes  aufbehalten  waren. 

In  euhemeristischer  Deutung  sind  freilich  diese  Sagen 
von  den  christlichen  Geschichtschreibern  sehr  entstellt  wor- 
den. So  ist  dem  Snorri  Odin  ein  herrschender  Heeresfurst 
im  östlich  belegenen  Asalande.  Dieser  Fürst  führt  Krieg  mit 
dem  benachbarten  Volke  der  Wanen  und  überlasst  darauf» 
nachdem  er  Frieden  mit  ihnen  geschlossen  hat,  die  Herrschaft 
-im  alten  A^gard^  der  Hauptopferstätte  im  Asalan^,  seinen  bei- 
den Brüdern  We  4md  Wilir.  Selbst  aber  zieht  er  mit  allen 
Göttern  nebst  vielem  anderen  Menschenvolk  nach  dem  Nor- 
den und  kommt  zuletzt  an  den  Mälar-See,  wo  er  Sigtuna 
sein  neues  Heiligthum  gründet  ( Ynglinga-Saga.  c.  4. 5).  Saxo 
weiss  von  diesem  Zuge  zwar  nidits  and  hat  seU>st  nicht  ein- 
mal eine  bestimmt  ausgebildete  Vorstellung  von  liem  Gegen:^ 


280  Ü$ber  einige  Sauptfragem 

iatze  des  alten  und  neuen  Asgards.  Auf  die  Eioftthrong  ei«* 
nes  neuen  Götter-^  und  Opferdienstes  deutet  er  jedoch  ebenap 
bestimmt,  wie  in  der  Vorstellung  von  Byzanz,  als  dem  Sitatt 
der  Götter,  auf  den  Osten  hin  (ed.  Müllen  p.  50).  Unter  den 
Sachsen  hatte  von  einer  auf  den  Osten  hindeutenden  SifK, 
nach  welcher  die  Sachsen  von  einer  Schaar  aus  dem  Heere 
Alexanders  abstammen  sollten,  bekanntlich  auch  Wittechind 
gehört 

Besonders  merkwürdig  und  mit  Bestimmtheit  den  siche- 
ren Beweis  für  die  Behauptung  liefernd,  dass  die  Odiosreli« 
gion  ein  Erzeugniss  dessen  sei,  was  an  inneren  Kämpfen  in 
der  Seele  der  nordischen  Völker,  die  später  noch  im  Heideii«* 
thum  verharrten,  in  Folge  der  Bewegungen  d<^r  Völkerwaar* 
derungen  angeregt  worden,  ist  was  wir  über  die  Geschickte 
des  Dienstes  des  Gottes  Frey  wissen.  Frey  wird  nicht  nur 
von  Snorri  ( Ynglinga-Saga.  c.  12]  als  derjenige  gekannt»  der 
den  Dienst  der  Götter  von  Alt-Sigtuna  nach  Upsalir  verlegte» 
und  hier  mit  höherer  Pracht  denselben  neu  ordnete;  aueh 
Saxo  vielmehr  kennt  ihn  als  Hauptvorstand  des  Heiligthums 
zu  Upsala,  und  als  den  Gott,,  dem  hier  das  Opfer  angestellt 
ward.  Frey  aber  war  nicht  vom  Asengeschlecbte,  sondern 
gehörte  dem  Geschlechte  der  Wanen  an,  die  erst  kurz  vor 
der  Zeit  der  Gründung  von  Sigtuna  in  die  Gemeinschaft  der 
Äsen  aufgenommen  worden  waren.  Es  hatten  die  Waneoi 
wie  es  sich  an  dem  Wesen  der  Häupter  derselben,  des  Niofd, 
des  Frey  und  der  Freie,  in  deren  Gestalt  als  Wanengöttio» 
ausspricht,  ganz  neue  Elemente  in  das  religiöse  Leben  der 
Nordländer  gebracht.  In  Wahn  sich  bewegende  dionysische 
Sinnenlust  war  mit  ihrer  Aufnahme  in  die  Gemeinschaft  der 
Äsen  erwacht,  und  hiernach  bestimmt  sich  der  Gegensatz  vom 
alten  und  nc^uen  Asgard,  den  auch  Saxo  andeutet,  inwiefern 
er  von  Umwandlungen  in  den  Religionsformen,  von  der  Aus«* 
bildung  ein6s  sich  klarer  bewusst  gewordenen  Polytheismus 
und  des  Bilder-  und  Opferdienstes  spricht  Mit  diesem  Dienste, 
und  an  den  Wanendienst  sich  anschliessend ,  war  aber  auch 
eine  Form  verknüpft,  die  sicher  nicht  altgermanischen  Ur- 
sprungs sein  kann^  sondern  auf  hellenischen  Ursprung  mit 


des  narcksehen  AHßtihum.  tSl 

Bestimnitbeit  hinweist  Adam  von  Bremen  (hiftt  eoelesiart. 
e.  223)  erzahlt,  dass  zu  Upsala  das  Bild  des  Frey. mit  einem 
grossen  Phallus  geschmückt  gewesen  wäre.  Das«  sich  Adaaa 
▼on  Bremen  in  seinem  Berichte  nicht  geirrt  haben  kann,  son« 
d^n  dass  wirklieh  mit  dem  Dienste  der  drei  Wanengötter 
ein  Phallusdienst  in  gewisser  Form  verbunden  gewesen  sei^ 
erbellt  aus  folgender  Stelle  der  Einleitung  in  die  jüngere  Edda* 
Es  heisst  nach  der  lateinischen  Uebersetzung  (c.  3.)  daselbst: 
$,Ouamvis  aut^m  Satumus  Jovi  coelum  distribuisset,  terram  ni« 
bitominus  affectavit;  idcireo  regnum  paternum  hostiliter  inva-« 
dens  ocGupavit,  membraque  virilia  patri  amputari  et  in  mare 
projici  curavit,  unde  nata  creditur  Venus  dicta,  et  Dea  amorum« 
Gaeterum  ubi  Satumus  a  filio  Jove  castratus  esset,  ex  Greta 
in  Italiam  aufugit,  ubi  tunc  ejusmodi  degebant  gentes»  quae 
nibil  laborabant,  sed  ex  fructibus  et  herbis  victitabant,  antra 
et  terrae  speluncas  inhabitantes.  Quo  quum  pervenisset  Sa<» 
tümus,  mutato  nomine  Niordum  se  vocabat,  ut  filius  Jupiter 
ia^rtior  Geret  ubinam  loci  degeret  Primus  ibi  homines  arare 
et  viueas  plantare  docuit  Quoniam  vero  in  illis  locis  terra 
erat  rotre  fertilis,  proventum  copiosis$imum  cito  dedit.  Incola« 
aotem  Niordum  hunc  Principem  sibi  delegerunt,  et  sie  omni« 
illa  regna  in  suam  redegit  possessionem."  —  Welche  wun- 
derliche Verwirrung  in  Fofge  von  Vermischung  griechischer 
und  skamlinavischer  Mythen  auch  in  dieser  Stelle  herrscht» 
getäugnet  kann  gar  nicht  werden»  dass  der  Verfasser  jener 
Einleitung  Kunde  von  einem  mit  dem  Dienste  der  Wanen» 
götter  verknüpften  Phallusdienst  gehabt  haben  muss. 

Das  Hauptergebniss  jedoch  würde  folgendes  sein:  In  der 
altgermanischen  Welt  hatte  sich  allerdings  schon  eine  poly- 
theistische Verehrung  von  geistigen  Mächten,  die  besonders 
über  die  Kriegsgeschicke  walteten»  herausgebildet;  auch  hatte 
sich  eine  an  den  Dienst  der  Mutter  Erde  sich  anknüpfende  Ver«< 
ehrung  von  Naturmächten  entwickelt:  doch  bis  zur  Ausbildung 
einer  plastischen  Anschauungsform  im  kunstsymbolischen  Bil- 
derdienste war  es  noch  nicht  gediehen.  Dazu  gedieh  es  vielmehr 
erst  nach  der  Zeit  der  Völkerwanderungen  im  Norden  unter 
den  germanischen  Völkern^  die  nicht,  wie  die  nach  dem  Sü- 


2tö     Ueber  dnige  Hauj^fragen  des  nord.  Alterthums, 

den  gesogenen  zum  Christenthiun  sich  bekehrten»  sondern  im 
Heidenthum  verharrten.  Es  geschah  in  Folge  dessen^  was  in 
ihrem  Gebte  angeregt  worden  war  durch  den  zu  jener  Zeil 
lebhafter  angeregten  Verkehr  mit  den  gebildeten  Völkern  der 
alten  Weh.  So  bildeten  sich  in  kunstsymbolischer  Form  ^ 
religiösen  Vorstellnngen  um,  und  es  entstand  eine  neue  WcM 
der  Götter  im  Gegensatze  zu  der  Welt  der  alten  Götter.  IKe 
Keime  zur  Anregung  dieser  neumi  geistigen  Schöpfangen  wa«» 
ren  ausgesäet  worden  während  der  Zeit,  in  welcher  die  aus- 
fahrenden Kriegerschaaren  in  den  lebhaftesten  Kämpfen  mit 
der  Römerwelt  sich  befunden  hatten.  In  die  Gegenden,  wovon 
die  Anregungen  ausgegangen,  ward  auch  von  der  mythiseheii 
Vorstellung  die  Stätte  gesetzt,  von  wo  aus  0<Kn  mit  den  Asaa 
nach  dem  Norden  ausgezogen  wäre,  um  hier  das  neue  As- 
gard  zu  erbauen.  Hierauf  sieh  beziehende  mydiisdie  Vor«« 
stefiungen  hat  Saxo  gewiss  auch  in  den  Sagen,  aus  doien 
er  den  Inhalt  seiner  Geschiebte  nahm,  gründen.  Dazu  in-« 
deas,  diese  Stätte  durch  die  Bezeichnung  von  Byzanz  geo^ 
graphisch  näher  zu  bestimmen,  mag  er  allerdings  veranlass 
worden  sein  in  Folge  des  Verhältnisses,  welches  im  Mittel« 
alter  zwischen  dem  Norden  und  Konstantinopel  durdi  Ver«^ 
mitthmg  derWäringer  bestand;  doch  schwerlidi  wird  er  dar«? 
Juach  seine  Sage  von  der  südöstlichen  Lage  4er  Götter  ganv 
und  gar  erfunden  haben.  Mit  Ausnahme  dessen,  was  die  fie«« 
üeicfanung  von  Bjzanz  betrifit,  hält  sich  seine  Ansicht  allge«t 
meiner  und  mehr  von  Systemsucht  frei,  als  die  Snorri's.  Der 
Hauptfehler  bei  beiden,  und  bei  dem  letzteren  in  einem  noch 
weit  höheren  Maasse,  besteht  aber  in  der  euhemeristiflchen 
AufiassungS'-  und  Deutungsweise,  in  welcher  das,  was  nur 
auf  innere  geistige  Kämpfe  und  Entwicklungen,  zu  denen  die 
sogenannte  grosse  Völkerwanderung  in  Beziehung  steht,  8e» 
deutung  hat,  und  eben  deshalb  nur  mythisch  zu  ÜMsen,  aus« 
serlich  genommen  und  historisch  gedeutet  worden  ist  Strinn«« 
holm  hat  sich  desselben  Fehlers  schuldig  gemacht. 

P.  F.  Stttbn 


Aiwtof  AÜ0U  In  Beslelmiig  auf  die  evan- 
gpellMteii  Ftt»rt;en  Deutoeliland«* 


Im  Bewegungen  in  der  evangelischen  Kirche  Deutschlands, 
die  seit  einigen  Jahrzehenten  in  mehrfacher,  zum  Theil  ent« 
gegengesetzter  Riclitung  wahrgenommen  werden,  haben  nxk*» 
ter  andern  veranlasst,  die  Bewandtniss  jenes  vidjährigen  Kriegs 
von  neuem  ins  Auge  zu  fassen,  in  welchem  die  kirchlichen  und 
politischen  Triebrüder  auf  die  eigenthtimlichste  Weise  durch 
l^ander  liefen,  und  jene  sich  zuletzt  in  diesen  fast  verlonm« 
Namentlich  wird  über  die  Absidht  gestritten,  die  den  Nor-* 
dischen  Helden  au£  den  Schauplatz  desselben  gefuhrt  hat  £i^ 
ner  in  Leipzig^  vor  etwa  zehn  Jahren  gegründeten  erangeUseh«^ 
kirchiidien  Stiftung,  freudig  begriisst  von  allen,  die  durch  die 
Schale  auf  den  Kern  des  Ghristenthums  dringen,  haben  die 
Urheber  durch  Beilegung  seines  Namens  eine  Weihe  zu  ge-it 
hen  gemeint,  deren  sie  nicht  bedarf.  Was  den  Schwedischen 
Kl>nig  bewogen  hat,  in  die  Deutschen  kirchlich-bürgerlffchen 
F^hdsetigkeiten  einzugreifen,  ist  bekannt;  eine  ausiährlidie 
Wiederholung  wäre  überflüssig;  nur  darauf  ist  es  hier  abge- 
sehen, durch  bündige  Zusammenstellung  der  wesentlichea 
Thatsacheh  den  damaligen  Stand  der  Dinge  in  Erinnerung  zu 
bringen,  um  den  Maasstab  fiir  das  Verdienst  Gustaf  Adolfs 
aufimstellen. 

Seit  dem  Jahre  1618  befand  sich  Deütsohbnd  in  einem 
Zustancte  allgemeiner  Verwirrung  und  zusammengesetzter 
Kampfe.  Was  vor  63  Jahren  in  dem  Friedensvertrage  zu 
Augsburg  für  alle  Zeiten  als  allgemein  unverbrüchlich  fest-« 
gesetzt  worden,  erftdir  von  katholischer  Scate  auf  Beidhis« 


284  Gustaf  Adolf  in  Beziehung  auf  die 

und  Kreis* Tagen j  in  den  fieichsgerichten  und  Städtischen 
Behörden  oft  Verletzungen;  die  Schritte  aber  der  evangeli- 
schen Fürsten  zur  Behauptung  ihrer  Rechte  gingen  bald  über 
die  kirchliche  Gränze.  Sie  schlössen  einen  mächtigen  Bund, 
dem  sich  ein  katholischer  drohend  entgegen  stellte.  Die  ihr 
Glaubensbekenntniss  auf  brüderliche  Eintracht  abgelegt  hat« 
ten,  erhoben  gegen  einander  das  Schwert!  In  dem  Wahlver« 
trage  hatte  das  Reicbsoberhaupt  versprochen,  'keine  fremde 
Kriegsvölker  in  das  Reich  zu  ziehen,  es  rückten  aber  Spanter 
aus  den  Niederlanden  hervor;  und  auch  die  Evangelischen 
riefen  Ausländer,  Dänen,  zu  Hülfe,  und  bekriegten  ihren  Lehn- 
berrn.  Welche  Verwickelung  des  staatsgesetzlichen  und  des 
sittlichen  Zustandes!  Da  halte  doch  Jeder  die  Hand  zurüidß 
von  dem  Schwerte  rechtsthümlicherMacbtspr»cbel  Zum  Glück 
ereignen  sich  im'  Leben  eines  Volks  nur  selten  StreitftUe,  für 
die  kein  menschlicher  Richter  zuständig  ist 

Christian  der  Vierte  von  Dänemark,  der  würdigste  Man» 
unter  so  vielen,  die  in  jener  Zeit  der  Zerrültungen  auftreten^ 
hatte  der  angelegentlichen  Auffoderung  der  bedrängten  evan- 
gelischen Fürsten  Gehör  gegeben.  Bei  alUr  Tapferkeit  abwi 
allem  beharrlichen  Muthe  erlag  er  doch  endlich  der  (Jeber-> 
macht  sowohl  des  Oesterreichischen  und  des  Heeres  der  ver«« 
bündeten  katholischen  Fürsten  unter  dem  grausamen  Tilty» 
als  der  furchtbaren  Waldsteinschen  Horde.  Immer  weiter  und 
weiter  zurückgedrängt,  ward  er  endlich  auf  die  Inseln  seihetf 
Reichs  beschränkt  Mit  Ausnahme  einiger  festen  Plätze  und 
Stellungen  kam  der  ganze  südliche  Rand  der  westlichen  Ge- 
gend des  Baltischen  Meeres,  Jütland,  Schleswig,  Holstein; 
Mecklenburg  und  fast  ganz  Pommern  in  die  Gewalt  der  ka« 
äiolischcn  Heere  unter  Oesterreichischer  Oberherrschaft.  Ein 
so  überschwengliches  Waffenglück,  wie  wäre  das  mit  MäsSi- 
gung  zu  ertragen  gewesen!  Es  verführte  zu  übereilten,  weit 
aussehenden  Entwürfen.  Eine  Oesterreichische  Seemacht  am 
Baltischen  Meere;  eine  Landung  vermittelst  Hansischer  Scbiffli 
auf  den  Dänischen  Inseln  und  wohl  noch  weiter  östlich;  di« 
Benutzung  des  einträglichen  Nordischen  Handels  für  die  be- 
dürftige Schatzktmmer:  dies  schien  nicht  ausser  dem  Bereidve 


etangeüschen  Fürsten  DetUschiands.  28t 

ii&r  Möglichkeit  zu  liegen.  Und  welcher  Glanz  für  die  Re- 
gierang Ferdinands  des  Zweiten,  wenn  er  die  Nordgränze 
Deutscfaiands  weiter  hinausgenickt  hiitte,  als  Karl  der  Grossei 

Bei  diesen  Vorgängen  in  den  westlichen  Ländern  der 
^dküste  blieb  Gustaf  Adolf  während  seiner  Feldzüge  in  den 
OftUchen  kein  gleichgültiger  Zuschauer;  nur  nahmen  die  Kriege 
mit  seinem  leibiieben  Vetter  Siegmund  Ton  Polen  alle  Streit« 
krtifte  in  Anspruoh.  Auch  in  Ansehung  der  Frage,  auf  wel-* 
lAer  Seite  in  diesen  schon  unter  Gustafs  Vater  begonnenen 
Familienfeindseligkeiten  das  Recht  gelegen,  muss  der  äussere 
Gerichtshof  sich  bescheiden,  nicht  zuständig  zu  sein.  Im  Fort«* 
gange  der  Schwedisch -Polnischen  Kriege  erhielt  Siegmund 
fon  seinem  Schwager  Ferdinand  dem  Zweiten  1627  ein  mäch- 
tiges HüUsheer  unter  dem  Befehle  "eines  Herzogs  Adolf  aus 
dem  Holstein -Gottorpschen  Hause,  im  nächsten  Jahre  aber 
folgte  ein  stärkeres  unter  dem  Brandenburger  von  Arnim.  In 
einem  hitzigen  Treffen  mit  letzterm  in  dem  damals  Polni- 
schen Preussen  gerieth  Gustaf  selbst,  doch  unerkannt,  in  Ge- 
fengensehaft,  ward  aber  sogleich  von  den  Seinigen  wieder  in 
Freiheit  gesetzt. 

Sehr  viele  Kamen,  befleckt  auf  mancherlei  Art,  hat  die 
Geschichte  iur  die  Nachwelt  aufzubewahren;  darunter  ist  aber 
nur  ein  Richelieu.  Waffengewalt,  Ränke,  Geldleistungen,  alle 
Mittel  wusste  dieser  Geistliche  mit  Geschick  anzuwenden,  um 
an  der  Lösung  der  alten  Aufgabe  Frankreichs  fortzuarbeiten, 
die  Macht  des  Spanisch -Oesterreichischen  Hauses,  des  un- 
versöhnlich gehassten  Nebenbuhlers,  zu  brechen.  Wenn  Ri* 
(^eKeu  zur  Erreichung  dieses  Zweckes  den  berühmten  Hel- 
den an  der  Nieder -Weichsel  ausersah,  so  durfte  er,  in  Er- 
wägung der  angefiihrten  Umstände,  an  dessen  Zugänglichkeit 
für  seine  Aufregung  nicht  zweifeln;  denn  es  sass  noch  in 
Gustaf  der  Stachel  des  Verdrusses,  in  die  Hände  der  Croa- 
ten  gefallen  zu  sein ;  und  eine  Oesterreichische  Nachbarschaft 
wäre  den  Schweden  sehr  ungelegen  gewesen.  ^  Zweckmässig 
begann  Richelieu  damit,  durch  einen  gewandten  Unterhänd- 
ler im  September  1629  einen  sechsjährigen  Waffenstillstand 
zwischen  den  streitenden  Vettern  zu  vermitteln ,  damit  <ler 


am  Gustaf  Adolf  in  BesUekung  auf  die 

Sdiwdde  nicht  abgehalten  würde,  für  Frankraieh  und  (ür  mh 
«elbst  in  Deutschland  aufzutreten.  In  den  weiteien  Verhand* 
lußgen,  die  durch  das  Ansinnen  der  Französischen  Herrs<^-^ 
sucht  und  den  Widerstand  des  Schwedischen  Selbstgefühls 
verzi^ert  wurden»  war  nur  die  Bede  von  den  ?erietzte&  StäM»- 
gerechtsamen  der  Deutschen  Fürsten ,  und  dem  Trachten 
Oesterreiehs  nach  allgemeiner  Oberherrsekaft»  weld^m  Ein* 
hirit  2u  thun  Gustaf  berufen  sei.  Einer  Unteratttaaing  iH 
evangelischen  Sache  ward  nicht  gedacht;  und  wenn  Riehelieni 
vorgab,  die  evangelischen  Fürsten  erwarteten  in  Guitaf  Adotf 
ihren  Erretter,  so  sollte  dies  nur  heissen:  iasafem  sie  in  ihr 
ren  Freiheiten  und  Rechten  gekränkt  oder  bedrc^t  wäma. 

Endlich  waren  alle  Bedenklichkeiten  beseitigt,  und  der 
Entschluss  des  kühnen  Mannes  zur  Reife  gehingt«  Er  mnmi» 
freilich  seinen  gebietenden  Namen  in  die  Wagschale,  legen, 
denn  mit  kaum  15000  Mann,  die  er  im  Junius  1630  an  die 
Pommerschen  Küsten  führte,  gegen  die  Oerterreichische  und 
die  Macht  des  katholischen  Bundes,  und  gegen  so  geübtfi, 
alles  Menschengeiubl  verleugnende  Feldherren  anmrückea, 
konnte  ein  tollkühnes  Unternehmen  zu  sein,  und  den  Sf)0tt 
zu  rechtfertigen  scheinen,  der  sich  in  den  Worten  aiuliess: 
„mag  der  Schneekönig  nur  kommen I'^  In  (ter  Beschwerde^ 
Schrift,  die  er  zur  Rechtsbegründung  seiuec^  (JeberfaUs  bekanut 
machte,  ward  Gewicht  darauf  gelegt,  dass  Ferdinand  ^m 
Könige  Siegmund,  dem  Feinde  Schwedens,  Kriegshülle  ge- 
leistet habe.  Nicht  weniger  machte  Gustaf  eine  von  Oester«* 
reich  ihm  widerfahme,  völkerschaMiche  Beleidigung  gdteud, 
mit  der  es  sich  verhielt,  wie  folgt  Schon  im  Frübjabr^  1628 
hatte  er  nach  Stralsund  eine  Besatzung  geschickt,  von  der 
Bürgerschaft,  da  sie  von^  ihrem  Lande sherm  und  den  Hanse- 
städten keinen  Schutz  erlangte,  als  eine  in  dem  Oesteirei- 
chiscfa-Piinischen  Kriege  parteilose  Macht  angerufen»  Als  min 
Oesterreich  durch  mehrere  zusammentreffende  Umstände  be- 
wogen wurde,  mit  Dänemark  Friede  zu  schliessen,  köuicte 
Gustaf,  als  damaliger  Herr  von  einer  so  bedeutenden  Festung 
im  Bereiche  des  Kriegsschauplatzes ,  auf  Tbeilnahme  an  deq 
Verhandlungen  Anspruch  machen,  die  zu  Lübek  im  Mai*  1629 


eöangeliichen  Fürsten  DeuUehhmds.  863 

S<att  hatten.  Da  'wurden  aber  seine  Berollmächtigten  schnöd« 
cunickgewiesen. 

Im  Rücken  durch  die  genannte  Festung  gedeckt,  kotmte 
der  Könige  behutsam  und  allmählig,  Fortschritte  in  Pommern 
machen ;  der  Herzog  jnusste  sich  anschliessen.  Nachdem  Gu- 
rtaf  die  in  Polen  nicht  mehr  nöthige  Kriegsmannschaft  an 
sieh  gezogen  hatte,  auch  Verstärkung  aus  dem  eroberten  Lief- 
land eingetroffen  war,  rückte  er  vor  in  die  Mark  Branden- 
burg. Jetct  hielt  ihn  der  Torsichtige  Richelieu  für  hinreichend 
beglaubigt,  und  nahm  ihn  zu  Bärwalde  im  Januar  1631  in 
Französischen  Sold,  wenn  auch  nur  in  einen  geringen.  Von 
V«rtbeidigung  der  evangelischen  Kirche  wiederum  keine  l^ur 
in  dem  Vertrage,  wc^l  aber  von  Schonung  der  Katholischen. 
fat  Anfange  des  Monats  April  wurde  Frankfurt  an  der  Oder 
erobert,  wobei  das  Schwedische  Kriegsvolk  die  Stadt  und  die 
Oesterreichischen  Gefangnen  auf  das  grausamste  behandelte. 

Es  kömmt  nun  darauf  an,  wie  zunächst  die  Kuriursten 
von  Brandenburg  und  Sachsen  den  Sieger  aufgenommen  ha-* 
ben,  beide,  wie  die  übrigen  evangelischen  Fürsten,  von  Fer- 
dinand in  ihrer  Religionsfreih^t  bedroht.  Bei  Georg  Wilhelm 
von  Brandenburg  kam  die  Verschwägerung  mit  Gustaf  nicht 
in  Betracht;  er  sträubte  sich  lange,  mit  einer  auswärtigen 
Macht  eine  Verbindung  gegen  die  einheimische  oberste  Be- 
hörde einrogeheo;  und  wenn  endlich  Göstrin  und  Spandau 
eingeräumt  wurden,  so  wich  man  nur  der  Gewalt.  Johann 
Georg  von  Sachsen,  ebenfalls  mit  Gustaf  verwandt,  veranstal- 
tete im  Frühjahre  1631  zu  Leipzig  eine  Versammlung  der 
evangelischen  Stände,  worin  dieselben  keineswegs  eine  Ver- 
bindung mit  Schweden ,  sondern  zu  ihrer  Selbsthülfe  ein 
Schutzbündniss  gegen  Missbräuche  der  reichsoberhauptlichen 
Gewalt  beschlossen.  In  einer  starken  Sprache,  doch  mit  ehr- 
erbietiger Haltung,  erklärten  sie,  die  Drangsale  nicht  länger 
dulden* zu  können,  die  ihren  Landen  durch  die  unaufhörli- 
chen Kriegszüge  und  Gewaltthätigkeiten  der  Oesterreichischen 
Heerhaufen  zugefügt  würden,  und  wodurch  Ferdinand  den 
von  ihm  „hochbetho^erten  königlichen  Wahlvertrag''  verletze. 
Sie  wären  daher  genöthigt,  mit  vereinigten  Kräften  sich  zu 


268      Gustaf  Adolf  in  Beziehung  auf  die  eoangel  etc. 

schützen,  und  den  vom  Könige  erlassenen,  willkürlichen,  ih- 
ren wohlerworbenen  kirchlichen  Rechten  zuwider  laufenden 
Vertilgungen  sich  nicht  zu  unterwerfen.  Diese  Beschlüsse 
sind  jedoch  nicht  zur  Ausführung  gekommen.  Denn  ehe  die 
Streitkräfte  zusammengezogen  und  geordnet  waren,  rückte 
der  Zerstörer  von  Magdeburg  heran;  da  konnten  fireilkh  die 
Evangelischen  nicht  anstehen,  den  Schwedischen  Fahnen  ra 
folgen; 

Was  demnach  Gustaf  Adolf  gewollt,  und  nach  Riebelieiii^ 
Plane  gesollt  hat,  das  ist  erreicht  worden,  zuerst  durch  ihn 
selbst,  darauf  durch  seine  ihn  überlebenden  Feldherren,  in 
deren  verwickelten  Kriegszugen  das  Wort  Anwendung  ge- 
funden hat:  „der  Krieg  nährt  sich  selbst/*  Der  Oesterreichi- 
sehen  Macht  sollte  dadurch  Einhalt  gethan  werden,  dass  sie 
verhindert  würde,  die  Deutschen  Fürsten  in  eine  Abhängig- 
keit vom  Königthum  zurück  zu  versetzen,  wie  solche  in  der 
frühem  Zeit  bestanden  hatte.  Der  Erfolg  hat  dann  allerdings 
mit  sich  gebracht,  dass  die  evangelischen  unter  diesen  Für- 
sten für  sich  und  ihre  Uuterthanen  auch  die  vollkommene 
Freiheit  ihrer  Bekennung  behauptet  haben,  unverkennbar  ohne 
besondere  Beabsichtigung  Gustafs.  Denn  mit  der  staatsredil« 
liehen  Selbstständigkeit  wäre  auch  die  knrchenrecbtlieiie  ge^ 
schmälert,  wohl  gar  unterdrückt  worden,  was  unleugbar  eine 
Beschränkung  der  freien  Forschung  zur  Folge  gehabt  halte: 
und  um  wie  vieles  Gediegene,  Unvergängliche  wäre  dann 
Deutschland,  wäre  die  Welt  ärmer! 

Bonn. 

UüUmann« 


,* 


IJiig'edrttektes  Sehvelben  Frtedvleli^«  von 
0entx  an  den  Redactenr  des  Hfttniberir^i^ 

Correspondenten« 

Mitgetheilt  von  C,  Fl.  Seebode. 


Vorbemerkungen  des  Herausgebers. 

Hie  schriftlichen  Reliquien  eines  Mannes,  der  in  den  bedeu-« 
tendsten  Krisen  unsers  Jahrhunderts  einen  weityenweigten 
Einfluss  auf  die  Gestaltung  der  Europaischen  Angelegenhei- 
ten ausübte,  der  bei  mehr  als  einem  Anlass  hinter  der  Schau- 
bühne des  politischen  Dramas  eine  leitende  Rolle  zu  spielen 
schien,  werden,  auf  welchem  Standpunkt  der  Reurtheilung 
man  auch  stehen  mag,  immer  Beachtung  verdienen  und  In- 
teresse erwecken,  auch  wenn  sie  nicht  sowohl  neue  Auf«* 
Schlüsse  über  historische  Erlebnisse,  als  vielmehr  nur  Beiträge 
zur  nähern  Charakteristik  ihres  Urhebers  gewähren.  Diese 
Betrachtung  ist  es,  welche  uns  bewpg,  dem  nachfolgenden 
Schreiben,  dessen  Yeröffentlichung  dem  Herrn  Einsender  bis-« 
her  an  mehr  als  einem  Orte  misslang,  gern  und  bereitwiiUg 
einen  Platz  in  unserer  Zeitschrift  einzuräumen.  Niemand  ge- 
wiss wird  uns  die  Absicht  unterlegen,  als  wollten  wir  die 
llissstimmungen  vergangener  Tage  wiederbeleben,  wenn  wir, 
um  dem  Historiker  zu  einer  allseitigen  Würdigung  derVer-* 
gangenheit  die  Bahn  nach  Kräften  zu  ebenen,  keine  Cielegen'^ 
heit  zur  Vermehrung  des  Stoffes  oder  zur  Erweiterung  de^  .v^ 
Gesichtskreises  vorübergehen  lassen.  *        *^ 

Das  Schreiben  Friedrich's  von  Gentz  ist  vom  6.  Augusb 
1808  datirt  und  an  den  damaligen  Redacteur  des  Nümber*. 

Z«iUcIirin  f.  Oeschiclitsw.      1.   1844*  |9 


't  » 


290       Ungedfucktes  Schreiben  Friedrieh* s  ton  Genti 

ger  Gorrespondenten  von  und  für  Deutschland  Dr. 
Wendel  gerichtet,  welcher  vor  einigen  Jahren  als  H.  S.  GoL 
Gothaischer  Rath  zu  Goburg  verstarb  und  das  Andenken  ei- 
nes als  Schulmann  wie  als  Schriftsteller  verdienten  Mannes 
hinterliess.    Der  noch  lebenden  ehrwürdigen  Wittwe  dessel- 
ben, der  Inhaberin  des  Originals,  verdankt  der  Einsender,  Herr 
Reg.  Referend.  Seebode  in  Berlin,  die  Abschrift  und  die  Voll- 
mMfat  zflor  V«r9lbnt)tehung  towohl  jenet  Scbreibtas  wie  dier 
ufltom  iA.  August  darauf  ergaogenea  Antwort    Dea  Aidass 
2U  dem  erstem  gab  «in  kurzer  Artikel  im  Nürnberger  Gorre- 
spondenten vom  26.  Juli  1808  (No.  208.  S.  834),  durch  dessen 
Inhalt  Gentz  sich  verletzt  fühlte;  derselbe  lautete,  gemäss  dem 
Extract,  welchen  uns  die  gegenwärtige  Expedition  des  Blattes 
auf  unser  Ansuchen  gefälligst  zukommen  Hess,  folgendermassen: 
„Von  der  Donau,  21.  Juli.    Der  bekannte  Schrift- 
stdler  Gentz  hält  sich  gegenwärtig  zu  Toeplitz  im  Bade 
auf.  Das  preussisdie  Eriegsmanifest  gegen  Frankreich,  da- 
von er  Verfasser  ist,  hat  ihn  so  sehr  angegriffen,  dass  er 
noch  jetzt  die  Folgen  davon  empfindet,  und  sich  auf  An- 
rathen  verständiger  Aerzte  ins  Bad  begeben  hat.   Er  seilest 
soll  wünschen,  sich  im  Lethe  baden  zu  kommen"  [können?]. 
Die  gänzliche  Zurückweisung  des  Gerüchtes  hinsichtlich 
der  Aii^rschaft  des  Kriegsmanifestes   war  der  Hauptzweck 
des  Gentzischen  Schreibens.  Deshalb  dürfte  es,  um  den  rich- 
tigen Standpunkt  zur  Würdigung  des  Inhaltes  zu  gewinnen, 
keineswegs  überflüssig  sein,  der  Mittheilung  desselben  dieje- 
nigen Attfiudilttsse  über  diesen  Punkt  voranzuschidcen^  welche 
der  Verfasser  damals  noch  zurückhielt  und  die  fai  seinem  nun- 
mehr audi  im  Original  vorliegenden  Tagebuche  enthalten  sind 
(Journal  de  ee  qui  m'est  arriv^  de  plus  marquant  dans  le 
voyage  qwe  j'ai  fait  au  quartier- g6n6ral  de  S.  M.  le  Boi  de 
Prasse.  Lb  2.d'Octobre  1806  et  jours  suivans.  S.  Schlesier: 
Hi^oires  et  Jettres  in^d.  du  chev.  de  Gentz.  1841.  p.  221  sqq.). 
Zunächst  fragt  es  sich:  welche  Motive  lagen  seiner  Be- 
rufung nach  Erfurt  im  Jahre  1806  zu  Grunde?  Die  Aeuss&* 
rang,  die  Gentz  am  7.  Octobar  niederschrieb :  ,  je  commen^ai 
•  i.  i  soup^onner  que  Teffet  que  ma  pr^sence  semblait  pro- 


an  den  Redacieur  des  Nürnberger  Correspondmien.   201 

duire^  pouvait  bien  ayoir  i^iA  le  principal  motif  par  lequel 
les  ministres  m'avaient  invit^  '^  (p.  267),  dürfen  wir  als  blosse 
Yermuthung  auf  sich  beruhen  lassen.  Wichtiger  ist  was  der 
Graf  Haugwitz  darüber  am  5ten  zu  ihm  sagte:  ,,le  fait  est 
qu'il  s'agissait  de  gagner  Yotre  opinion  en  favenr  de  notre 

entreprise. Les  objets  particuliers,  pour  lesquels  je  Yous 

demanderai  Yotre  avis,  quelque  importans  qu'ils  puissent  Atre 
en  eux-m^mes,  ne  sont  cependant  qoe  des  accessoires;  ie 
principal,  c'est  que  Yous  soyez  notre  ami"  (p.  236).  Darauf, 
meldet  Gentz  weiter,  machte  er  mir  den  Yorschlag  „que  je 
Passistasse  pendant  quelques  jours  de  mes  conseite,  et,  en 
cas  de  besoin,  de  ma  plume"  (p.  250).  —  „II  me  dit  qu'il 
avait  k  me  demander,  avant  tout,  de  me  cbarger  de  la  r6- 
vision  d'un  manifeste^  r6dig6  par  Mr.  Lombard,  et  de 
la  traduction  de  cette  pi^ce  en  allemand.  II  m'assura  que  je 
trouverais  Lombard  dans  des  dispositions  dont  je  serais  bien 
content,  prät  k  accueillir  toutes  les  remarques  et  toutes  les 
critiques  que  je  pourrais  lui  communiquer  sur  son  travail, 
et  Ji  y  faire  tous  les  changemens  que  je  proposerais.  —  H 
me  demanda  ensuite  de  r^diger  un  articie  en  r^ponse  k  ceux 
que  les  Journaux  Fran^ais  avaient  publi^s  sous  les  dates 
fictives  de  Dresde  et  de  Gassei,  relativement  k  la  Situation  de 
ces  deux  cours,  et  k  leurs  rapports  avec  la  Prusse"  (p.  251). 

Gentz  entsprach  den  Wünschen  des  Ministers.  „Rentr£ 
chez  moi,  erzählt  er  S.  251, ...  j'ai  r6dig6  l'article  sur  les  deux 
cours  Electorales,  tel  qu'il  a  6t6  imprim6  dans  la  gacette 
d'Erfurt  du  7.  Octobre."  Am  6ten  Yormittags  war  Gentz  beim 
Kabinetsrath  Lombard.  „II  me  parla,  heisst  es  S.  259,  de  son 
manifeste,  en  disant  qu*il  ^tait  fait  depuis  huit  jours,  mais 
que  depuis  qu'il  avait  su  que  le  Roi  m'avait  appel^,  iln'a- 
rait  plus  Touln  y  toucher  sans  connaitre  mon  avis  sur  oette 
pifece."  Nach  Tische  wollte  man  „procöder  k  la  lecture  et  k 
Texamen  du  manifeste."  Und  so  geschah  es.  Hören  wir  nun 
darüber  den  wörtlichen  Bericht  (p.  262—266). 

„La  premiere  lecture  faite,  il  me  proposa  de  discuter  U 
pifece  articie  par  articie.  II  adopta  nori  seulement  arec  faci- 
lit^,  mais  ayec  le  plus  grand  empressement,  toutes  les  obser«^ 

19* 


292       Vngedrucktes  Schreiben  Friedrich*s  eon  Gents 

vations  que  je  crus  devoir  lui  faire;  il  n'en  repoussa  pas  une. 
11  y  avait  une  quaniit6  de  passages  qui  se  ressentaient  de  ce 
ton  ind^cent  qui  m 'avait  tant  r^volt^  contre  la  lettre  [k  Na- 
poleon]; il  les  supprima  ou  les  modifia  tous.  II  me  soUicita 
quelquefois  de  prendre  la  plume  pour  exprimer  avec  plus  de 
pricision  la  tournure  que  je  voulais  substituer  k  la  sienne; 
ce  fttt  lä  la  seule  Operation  par  laquelle  j'ai  directement  con- 
couru  k  certains  passages  de  ce  mauifeste/'  Dann  geht  der 
Verf.  auf  einige  Einzelheiten  ein.  »^Le  paragraphe  qui  rap- 
pelte l'assassinat  de  Mr.  le  Duc  d'Enghieui  se  trouva  r^dig^ 
ä  peu  pr^s  dans  les  termes  qui  m'avaient  violemment  choqui 
dans  la  lettre.  II  le  changea  d'apr^s  mon  conseil.  Mais  ici 
je  ne  me  bornai  pas  k  une  simple  critique  de  r^daction.  Je 
lui  demandai  etc.  —  Je  reproduisis  la  m£me  Observation  k 
propos  de  plusieurs  autres  paragraphes;  il  me  repondit  chaque 
fois  que  le  Roi  le  voulait  ainsi;  apris  quoi  il  n'y  eut  plus 
rien  k  dire.  —  11  y  avait  un  article  oü  le  Roi  faisait  valoir 
contre  Napoleon  la  d^marche  faite  il  y  a  quelques  ann6es 
pour  ettgager  Louis  XVIII.  k  renoncer  k  son  droit  k  la  cöu* 
rönne.  Get  article  6tait  d'un  scandale  outrageant  Je  repr^- 
sentai  k  Lombard  combien  la  Prusse  6tait  int^ress^e  k  faire 
oublier  cette  odieuse  transaction.  II  supprima  le  passage.  — * 
La  partie  du  manifeste  qui  contenait  la  justification  de  la 
Prasse  sur  les  trait^s  de  Yienne  et  de  Paris »  fut  celle  oü  je 
refüsai  toute  concurrence^  m^me  celle  d'une  critique  de  rö- 
daction.  —  Lä  oü  pour  la  premi^re  fois  il  ötait  question  du 
Hanovre  ....  il  se  trouvait  un  passage  dans  lequel  on  atta- 
quait  directement  les  principes  du  gouvernement  Anglaii^  par 
rapport  k  la  navigation  des  neutres.  Je  fis  sentir  Timprudence 
de  cette  tirade  dans  un  moment  oü  on  voulait  se  rapprocher 
de  l'Angleterre;  j'allais  en  dömontrer  la  futilit^^  lorsqu'il  se 
d^termina  tout  court  k  la  retrancher.  —  Le  moment  le  plus 
difBcile  et  le  plus  orageux  de  cette  longue  s^ance  fut  celui 
oü  nous  discutions  la  p^roraison.  Apr^s  les  mots  qui  d^ig- 
nent  TEmpereur  de  Russie,  il  y  avait  un  passage  de  quelques 
lignes  oü,  Sans  avoir  nonam^  TAutriche,  on  en  parlait  dans 
d^s  termes  qui  n'ötaient  absolument  applicables  qu'ä  eile.  Le 


an  den  lUdacteur  des  Nürnberger  Correepondenten.  293 

sens  de  cette  6traDge  allusion  iUit  que  TEmpereur  secoo* 
derait  ia  Prusse  de  ses  voeux,  s'il  ne  pouyait  pas  le  faire  de 
ses  efforts.  D^jk  k  Ia  premi^re  lecture  j'avais  ^t^  si  frapp6 
de  ce  passage^  que  je  m'^tais  bien  promis  de  le  faire  dispa- 
raitre  k  tout  prix.  Je  repr^sentai  k  Lombard  ce  qu'il  y  avait 
d'ißjuste,  dlnd^licat  et  de  cniel  k  compromettre  gratuitement 
une  puissance  qui,  par  quelque  raison  que  ce  füt,  ne  voulait 
pas  se  pr^cipiter  dans  Ia  lutte;  j'en  appelai  aussi  k  Tint^r^t 
bien  entendu  de  Ia  Prusse,  qui  ne  Tengageait  certainement 
pas  k  s'ali^ner  Ia  Cour  de  Yienne,  en  Ia  violentant  ouTerte- 
ment  dans  sa  marche.  Je  rencontrai  dans  cette  discussion 
plus  de  t^nacit^  et  de  r^sistance  qu'il  n'y  en  avait  eu  dans 
aucune  autre  partie  du  travaiL  II  se  retrancha  de  nouveau 
derri^re  Tobjection  embarrassanle  que  le  Roi  Tavait  youlu 
aißsi;  mais  depuis  que  je  m'6tais  aper^u  k  quel  point  il  6tait 
le  maitre  absolu  de  ia  r6daction,  cette  objection  ne  fit  plus 
son  eflet.  Gependant  je  vis  de  plus  en  plus  que,  pour  rem- 
porter  ici  Ia  victoire,  il  s'agissait  d'une  grande  fermet^.  Je  lui 
d^clarai  donc  enfin  tout  net  que^  si  ce  passage  n'^tait  point 
supprim^,  non  seulement  je  ne  me  priterais  jamais  k  Ia  tra-* 
duction  du  manifeste,  mais  que  je  le  renierais  hautement,  que 
je  m'inscrirais  en  faux  contre  cette  pi^ce;  et  de  plus,  je  me 
croirais  oblig^  de  quitter  incessamment  Erfurt;  je  le  quit* 
terais  dans  Ia  nuit,  apr^s  avoir  expliqu6  au  Boi  par  une  lettre 
que  je  remettrais  au  Gomte  Goetzen  le  motif  de  mon  döpart 
pr^cipit^.  II  me  regarda  d'un  air  de  surprise;  et  apr^s  avoir 
r^fl^chi  pendant  quelques  secondes,  il  prit  brusquement  Ia 
plume  et  effa^a  le  touf  Am  Schlüsse  beisst  es  (p.  266 sq.]: 
„La  pi^ce  qui  fut  discut^e  ce  soir  6tait  de  Ia  premi^re  im-< 
portance;  eile  devait  influer  sous  tant  de  rapports  sur  le  sort 
futur  de  Ia  Prusse,  et  il  d^pendait  de  Lombard  tout  seul 
de  Ia  r^diger,  de  Ia  modifier,  de  Ia  renforcer  ou  de  Ia  ren-> 
verser  avec  moi;  ni  le  ftoi,  ni  le  Gomte  Haugwitz,  ni  per- 
sonne ne  fut  consult^  sur  aucune  de  ces  Operations;  car  le 
manifeste  resta absolument tel  qu'il  ötait  sorti  de  nos  mains; 
et  le  Roi  ne  Ta  pas  m^me  revu  avant  qu'il  füt  imprim^  et 
publik  1'^    Hierauf  ersuchte  ihn  Lombard,  die  Uebersetzuug 


294       Vngedrucktes  Schreiben  Friedrich's  eön  Genti 

möglichst  zu  beschleunigen.  „Je  Tentrepris,  sagt  der  Verfl, 
en  rentrant  chez  moi,  et  y  ayant  consacrö  toute  la  nuit,  je 
la  tenninai  k  huit  heures  du  roatin/^ 

Sein  Wirken  war  damit  noch  nicht  abgeschlossen.  Am 
8.  Oct.  schreibt  er  (p.  287):  ,,Apräs  dtner,  le  Gomte  Haugwitz 
m'a  pri^y  au  nom  du  Roi,  de  r6diger  une  prociamation  k  l'ar- 
m^e  sur  Fobjet  et  ie  caract^re  de  la  guerre;  une  autre  adres- 
s6e  au  public  de  la  monarchie  Prussienne  dans  le  m^me  sens; 
et  —  ce  qui  me  parut  assez  bizarre  —  une  pri^re  pour  Ätre 
r^it6e  dans  les  ^glises  (NB.  Ges  deux  demieres  pi^ces  n'ont 
jamais  yu  le  jour).^'  Der  Auftrag  in  Betreff  der  Prociamation 
an  die  Truppen  wurde  vollständig  von  ihm  erfüllt;  wie  und 
in  welcher  Weise,  setzt  er  p.  305 — 307  auseinander.  Um  diese 
Prociamation  und  um  das  Manifest  bewegten  sich  die  Haupt- 
interessen. ,,Nous  avons  din6,  schreibt  er  am  10.  Oct,  chez 
le  Comte  Haugwitz.  II  ^tait  de  la  meilleure  humeur  du  monde 
....  Taffaire  de  la  prociamation  ^tait  termin^c;  le  mani- 
feste s'imprimait  k  Weimar"  (p.  3il).  Daher  auch  Lombardes 
Erkenntiicfakeit;  „il  m'a  remerci6,  heisst  es  p.  311  sq.,  de  la 
maniöre  la  plus  affectueuse  du  bien  qu'il  pr^tendait  Hre  r6- 
sutt^  de  mon  s6jour;  il  m'a  dit  que  le  Roi  y  6tait  6galement 
sensible,  et  que,  dans  des  tems  plus  tranquilles,  il  s'en  sou- 
viendrait  avec  reconnaissance.'^ 

Aus  diesem  allen  erhellt,  dass  man  Herrn  von  Gentz  nicht 
nur  überhaupt  eine  höchst  umfangreiche  diplomatische  Thä- 
tigkeit  in  den  Octobertagen  des  Jahres  1806,  sondern  insbe- 
sondere auch  —  zwar  nicht  die  Autorschaft,  wohl  aber  eine 
sehr  bedeutende  Theilnahme  an  der  definitiven  Gonstituirung 
und  Bedaction  des  französischen  Textes  des  Manifestes  bei- 
zumessen berechtigt  ist,  und  dass  er  namentlich  Verfasser  der 
deutschen  Version  desselben  war.  Nur  aus  dem  Bewusstsein 
dieser  Mitwirkung  und  mancher  ermuthigenden  Verheissun- 
gen*)  erklärt  sich  jenes  VorgefiihI,  vermöge  dessen  er  schon 

*)  Man  s.  z.B.  p.  243:  faites  entrevoir  l'avenir  sous  un  aspect 
qui  ^loigne  absoIumeDt  toute  idee  d'inter^t  personnel ,  et  j' ose  r6- 
pondre  non  seulement  de  l'opinion,  mais  encore  de  la 
faveur  et  de  la  confiance  g^nörales.    Worauf  Haugwitz  er- 


an  dm  Redacteur  de»  Mmb&rger  Correspondmten. 

damals  die  AnschuldigaDgen ,  die  später  gegen  ihn  erhoben 
wurden,  voraussah :  ,^'ai  rassemblö  et  consign^  dans  ua  mi* 
moire  toutes  mes  id^es  sur  Torigine  de  cette  guerre.  Ca  mi^ 
moire  me  seryira  un  jour  pour  r6pondre  k  la  sottise  et  ä  la 
calomnie  qui  ne  nianqueront  pas  de  m'accuser  d'y  avoir  oCHiw 
tribu^  par  mes  conseils''  (p.  324). 

Hören  wir  nunmehr  die  Worte  seines  Schreibens,  in  dem, 
sich  wenigstens,  neben  der  Wahrheit  mancher  allgemeinen 
Betrachtung,  jene  grosse  Gewandtheit  und  jenes  Talent  nicht 
Yerkennen  lassen,  welche  allen  seinen  Schriften  so  eigen  sind. 


Teplitz  am  6ten  August  1808. 

Seit  geraumer  Zeit  war  ich  einer  der  erklärtesten  Freunde 
und  einer  der  thätigsten  Betorderer  Ihrer  Zeitung.  Die  Reich- 
haltigkeit dieses  Blattes  an  interessanten,  oft  ihm  allein  eig«* 
nen  Artikeln,  die,  freylich  nicht  absolute,  aber  doch  Yorglei- 
ehungsweise  höchst  rühmliche  Unabhängigkeit  desselben,  der 
gemässigte  Ton,  die  correkte  und  anständige  Schreibart,  die 
darin  herrschen,  sichern  ihm,  nach  meiner  Ueberzeugypg,  den 
ersten  Rang  unter  allen  heutigen  Zeitungen  Deutschlands.  So 
urteilte  ich  von  dem  Augenblick  an,  da  ich  näher  mit  Ihrer 
Zeitung  bekannt  wurde,  bis  auf  diesen  Tag;  und  da  in  dem 
Lande,  in, welchem  ich  lebe,  meine  Stimme  nicht  ganz  dme 
Gewicht  ist,  so  darf  ich  mir  schmeicheln,  zu  der  besondem 
Gunst  und  dem  immer  noch  steigenden  Beyfall,  die  dieser 
Zeitung  in  den  Oesterreichiscben  Provinzen  zu  Theil  gewor« 
den  sind,  das  meinige  beygetragen  zu  haben. 

Ob  Ihnen  hieton  gleich  nichts  bekannt  seyn  konnte,  so 
war  ich  doch  nicht  wenig  erstaunt,  in  No.  208  eben  dieses, 
von  mir  bey  jeder  Gelegenheit  gepriesenen  Blattes,  einen  ge- 
gen mich  gerichteten,  höchst  unanständigen,  höchst  ungerech- 
ten, besonders  aber  —  worauf  ich  am  meisten  insistiren  mögte 
—  eines  Platzes  in  einer  solchen  Zeitung  durchaus  UAWÜr«* 
digen  Artikel  zu  finden. 


wiedert:  si  Yous  partiez  apr^s  ne  m'avoir  dit  que  ce!a,  je  me  f6« 
liciterais  bien  de  Yous  avoir  vu. 


S96       üngedmckies  Schreiben  Friedrich's  ton  Getrii 

Seit  einigen  Jahren  bin  ich  mit  Ausfällen  dieser  Art  so 
gesKttiget,  dass  ich  sie,  in  der  Regel ,  mit  der  vollkommen* 
sten  Gleichgültigkeit  lese.  Nie  habe  ich  auch  nur  einen  der 
geringsten  Notiz  gewürdigt;  theils  aus  gerechtem  Stolz,  theils 
weil  es  mir  thörigt  geschienen  haben  würde,  die  überaus 
erwünschte  Lage,  in  welcher  ich  mich  befinde,  durch  öffent- 
liche Streitigkeiten  mit  Gegnern,  die  ich  sammt  und  sonders 
verachte,  zu  compromittiren  oder  zu  verbittern.  Im  gegen- 
wärtigen Fall  mache  ich  die  erste,  und  vermuthlich  für  lange 
Zeit  einzige  Ausnahme;  sie  sey  Ihnen  ein  Beweis  der  auf- 
richtigen Achtung,  welche  Sie  mir  eingeflösst  haben. 

Zuvörderst  muss  ich  im  Allgemeinen  bemerken,  dass  wohl 
nicht  leicht  etwas  unbilligeres,  etwas  undelikateres  gedacht 
werden  kann,  als,  einen  Mann,  der  sich  von  dem  öffentlichen 
Schauplatz,  und  nahmentlich  von  allem  Antheil  an  öffentli- 
chen Discussionen  ganz  zurückzog,  der  seit  den  Katastrophen 
die  das  Schicksal  Deutschlands  entschieden,  nichts  von  sich 
hören  Hess,  der  Niemanden  angreift.  Niemanden  beunruhigt, 
gegen  Ijiemanden  zu  Felde  ziehen  will,  bey  j^der  Gelegen- 
heit, und  oft  sogar  (wie  z.  B.  auch  diesmal)  ohne  alle  Ver- 
anlassung, zum  Gegenstande  unbefugter  Sarkasmen  zu  ma- 
chen. Gesetzt,  es  wäre  wahr,  „dass  ich  aus  dem  Lethe  zu 
trinken  wünschte ,''  so  würde  ich  doch  nicht  begreifen,  mit 
welchem  Rechte  man  mir  diese  letzte  Labung  verkümmern 
wollte.  Mich  dünlt,  meine  vieljährigen,  wenn  auch  leider 
fruchtlosen  Anstrengungen  für  die  Aufrechthaltung  der  Un- 
abhängigkeit des  gemeinschaftlichen  Vaterlandes,  und  für  das, 
von  wahrer  Freiheit  unzertrennliche  Interesse  des  Europäi- 
schen Gemeinwesens,  hätten  wenigstens  so  viel  für  mich  be- 
wirken sollen,  dass  man  mir  einige  Ruhe,  wenn  ich  nichts 
als  diese  mehr  begehre,  gönnte,  dass  man  mich  nicht  ohne 
Unterlass  vor  das  Tribunal  eines  Publikums  schleppte  i  mit 
welchem,  so  wie  es  heute  beschaffen  ist,  ich  so  gern  jede 
Berührung  vermeiden  mögte. 

Da  ich  mich  nun  aber  einmal  entschlossen  habe,  über 
den  mir  anstössigen  Artikel  zu  sprechen,  so  will  ich  mich 
auch  einer  nahem  Zergliederung  desselben  nicht  entziehen, 


an  den  Redacteur  jdes  Nürnberger  Correspondenten.  897 

und  Ihnen  zeigen,  wie  viel  grobe  Irrthümer  hier  in  wenigen 
Zeilen  versammelt  sind.  Ich  bin  zum  Voraus  fest  überzeugt» 
dass  Sie  diesen  Artikel  nicht  geschaffen  haben»  dass  er  ent- 
weder aus  einem  andern  mir  unbekannten  Blatte»  oder  aus 
irgend  einer  noch  schlechtem  Quelle  an  Sie  gelangt  ist  Aus 
dem»  was  ich  Ihnen  sagen  werde»  mögen  Sie  indessen  auf 
den  allgemeinen  €harakter  der  Waffen  sdiliessen,  mit  wel* 
chen  die  Feinde  der  guten  Sache  —  denn  nur  diese  allein 
sind  die  meinigen  —  mich  zu  bekämpfen  pflegen. 

1.  Ich  bin  nicht  der  Verfasser  des  Preussischen  Krieges-» 
Manifestes.  —  Ich  befand  mich,  nach  vorhergegangner  vier- 
jähriger Trennung  von  Preussen»  im  Haupt- Quartier  zu  Er- 
flirt>  als  jenes  Manifest  erschien.  Dieser  Umstand  hat  die 
Fabel»  als  wenn  ich  es  geschrieben  hätte  —  nicht  erzeugt, 
aber  möglich  gemacht.  Wenn  Sie  und  die  Welt  einst  erfah- 
ren werden»  auf  welche  Veranlassung»  wie,  warum»  unter 
welchen  Gonjunkturen»  mit  welchen  Zwecken  etc.  ich  da- 
mals in  Erfurt  war»*)  so  werden  Sie,  das  weiss  ich»  aufrich- 
tig bedauern»  Sich  je»  auch  nur  mittelbar  und  entfeent»  zum 
Werkzeuge  irgend  einer»  mit  jenem  grossen  Moment  zusam- 
menhängenden Schmähung  oder  Verleumdung  gegen  mich 
herabgelassen  zu  haben.  Mehr  kann  ich  für  jetzt  nicht  sa- 
gen ;  auch  gehe  ich  hier»  aus  guten  Gründen»  in  keine  nähere 
Beurteilung  des  mir  fälschlich  zugeschriebnen  Manifestes  ein» 
und  erkläre  mich  nicht  darüber»  ob»  und  in  wie  fern  ich  es 
mir  zur  Ehre  rechnen  würde»  oder  nicht,  es  verfasst  zu  ha- 
ben. Nur  so  viel  füge  ich  hinzu:  Die  Personen»  welche  der 
Französischen  Regierung  im  ersten  Augenblick  die  Meynung 
beybrachten»  ich  sey  der  Verfasser  dieses  Manifestes,  wussten 
bestimmt»  dass  ich  es  nicht  war,  und  griffen  zu  der  Lüge» 
um  den  wahren  Verfasser»  der  sich»  wie  sie  glaubten»  in  ei- 
ner grossen  Gefahr  befand»  zu  retten.  Seit  langer  Zeit  ist 
dieser  letztere»  nicht  bloss  der  französischen  Regierung,  son- 


*)  Diese  Zwecke  haben  wir  im  Obigen  kennen  gelernt,  und 
darunter  gehörte  vor  Allem  (avant  tout)  die  Revision  des  Hani* 
festes.  Anmerke  des  Uerausg. 


298       JJngedruoMe$  Schreiben  Friedrick's  ton  Genta 

dern  allen  unterrichteten  Personen  in  Frankreich  und  Deutsch« 
land  bekannt;  nur  Unwissenheit  oder  Bosheit  kann  heute 
noch  mich  mit  ihm  vermengen. 

2*  Hätte  ich  mich  also  Krankheits  halber  nach  Teplitz 
begeben,  so  wäre  meine  Krankheit  wenigstens  nicht  die  Folge 
des  Prenssischen  Krieges-Manifestes  gewesen.  Das  Faktum 
ist  aber,  dass  ich  weder  Krankheits-  noch  auch  nur  Bades- 
halber in  Teplitz  bin,  da  ich  mich,  Gottlob,  einer  guten  und 
festen  Gesundheit  erfreue.  Ich  habe  seit  zwey  Jahren  mei- 
nen gewöhnlidien  Wohn -Ort  in  Prag  gehabt;  nichts  war 
daher  natürlicher,  als  dass  ich  den  grössten  Theil  des  Som- 
mers, so  im  vorigen  Jahre,  so  in  diesem,  an  einem  nur  12 
Meilen  von  Prag  entfernten  Orte  zubrachte,  der  in  dieser 
Jahreszeit  der  Sammel-Platz  vieler  meiner  Freunde,  und  vie- 
ler interessanten  Personen  aus  allen  Theilen  von  Deutsch- 
land ist.  —  Auf  diese  Weise  fallt  der  ganze  Spott  über  meine 
angebliche  Bade-Gur,  gleich  mit  seiner  Basis,  zusammen. 

3.  Der  Zusatz,  „  ich  wünschte  mich  im'  Letibe  baden  zu 
können,^  kann  nur  zweierley  Sinn  haben.  Dieser  flache  Scherz 
soll  entweder  ausdrücken,  dass  ich  in  Rücksicht  auf  die  aus 
meinem  bisherigen  politischen  Wandel  geflossnen  Unannehm- 
lichkeiten und  Widerwärtigkeiten,  heute  alles  darum  gäbe, 
anders  gedacht,  oder  anders  gehandelt  zu  haben.  Oder  er 
soll  gar  glauben  machen,  dass  ich  voll  innrer  Unzufriedenheit 
und  Reue  über  meine  bisherigen  strafbaren  Grundsätze,  und 
endlich  zu  einer  bessern  Einsicht  gelangt,  gern  vergässe,  was 
ich  in  den  Zeiten  meiner  Verblendung  geschrieben  und  ge- 
than.  Eins  wäre  gerade  so  richtig  gesehen,  als  das  andre« 
Ich  würde  nicht  klagen,  wenn  ich  der  Märtyrer  der  grossen 
und  heiligen  Sache  geworden  wäre,  für  die  ich  so  lange  ge- 
kämpft habe.  Es  hat  Gott  aber  anders  gefallen.  Meine  Lage 
ist  bis  jetzt  die  glücklichste,  die  sich  in  diesen  Zeiten  der 
allgemeinen  Bedrängniss  nur  denken  lässt;  sie  ist  in  vielen 
Rücksichten  sogar  glänzend;  und  gerade  dies  bringt  meine 
Gegner  am  meisten  wider  mich  auf.  Ich  besitze  alles,  was 
das  Leben  angenehm  machen  kann;  ich  befinde  mich  über- 
dies in  Verhältnissen;  die  es  wohl  der  Mühe  werth  seyn  mag. 


an  dm  Redacieur  des  Nürnberger  Corre$p<mdenien, 

tu  beneiden;  im  vollen  Genüsse  der  Achtung  und  Freund- 
schaft der  edelsten  und  vortrefflichsten  Personen  mein«*  Zeit 
Dies  ist  eine  der  Ursachen  meiner  unersehütterlidien  Gleidw 
giUtigkeit  gegen  das  ohnmächtige  Geschwäti  der  Libellisten. 
-^  Soll  aber  das  ,,Trinken  aus  dem  Lethe'^  so  gemeint  seyn, 
dass  es  mich  aus  üeberzeugung  gereute  die  poKtiscbto 
Grundsätze,  um  derentwillen  man  mich  heute  verdammt,  be- 
kannt zu  haben,  so  wünschte  ich  wohl,  Ihnen  die  ganze  La-« 
cherlichkeit  einer  solchen  Insinuation  fühlbar  machen  zu  kön- 
nen. Wie,  in  alier  Welt,  sollte  ich  dazu  kommen,  Grundsätze 
zu  bereuen,  deren  Nicht -Anerkennung  oder  Nicht-Befolgung 
uns  sämmtlich  ins  Verderben  gestürzt  hat?  Wodurch  sollte 
ich  gerade  jetzt  zu  der  Einsicht  in  die  Falschheit  eines  Sj-* 
stems  gebracht  worden  seyn,  dessen  Wahrheit,  in  so  fern  sie 
äussrer  Beweise  bedurfte,  die  Erfahrung  jedes  Tages  mit  der 
Stimme  des  Donners  bekräftiget?  Ist  denn  etwa  Europa,  ist 
denn  nahmentlich  Deutschland,  durch  den  Triumph  des  ent- 
gegengesetzten SysteR)s  so  frey,  so  selbständig,  so  reich,  so 
bItAend  geworden,  dass  ich  mich  zu  schämen  hätte,  das,  was 
solche  Resultate  herbeygefiihrt,  hartnäckig  verkannt  zu  haben? 
Oder  was  ist  geschehen,  worüber  ich  mich  mit  Vorwürfen 
quälen  müsste?  Habe  ich  all  dieses  Elend,  diese  Schmach, 
diese  Knechtschaft,  diesen  bodenlösen  Verfall  nicht  tausend 
und  tausendmal  (und  zwar  noch  in  ganz  anderer  Weise,  als 
Sie  jemals  ahnden  mögen,  wenn  Sie  nichts  als  etwa  meine 
unbedeutenden  Druck- Schriften  von  mir  kennen]  vorausge- 
sagt? Dass  die  Resultate  für  mich  sprechen,  das  erkennen 
schon  alle  vernünftige  und  rechtliche  Menschen  dieser  Zeit, 
und  werden  es,  je  länger  je  mächtiger  erkennen:  die  Ge- 
schichte und  die  Nachwelt  wird  für  das  Uebrige  sorgen.  In 
so  fem  bloss  von  persönlicher  Befriedigung  die  Rede  ist,  kann 
ich  auf  meine  politische  Laufbahn  gewiss  mit  Wohlgefallen 
zurücksehen;  aber  freylich  ist  dies  Wohlgefallen  mit  den  bit- 
tersten Schmerzen  gemischt;  mein  Sieg  wurde  theuer  erkauft; 
die  Gerechtigkeit,  die  mir  endlich  widerfahren  muss,  erhebt 
sich  aus  den  Trümmern  alles  dessen,  was  gross  und  herrlich 
auf  Erden  war. 


300       Ungedrucktei  Schmben  Friedrich's  tön  Genta 

Jetzt  zum  Schluss  und  zum  eigentlichen  Zweck  dieses 
Briefes.  Wenn  Sie  der  Mann  sind,  für  den  ich  Sie  bisher 
gehalten  habe,  und  wenn  Ihre  Verhältnisse  Sie  nicht  schlech- 
terdings in  die  Unmöglichkeit  versetzen,  das  mir  zugefügte 
Unrecht  einigermassen  wieder  gut  zu  machen,  so  werden  Sie 
mich  durch  eine  gelegentliche  Berichtigung  jenes  anstössigen 
Artikels  verbinden.  Ich  wünsche  sie,  um  ganz  freymüthig 
gegen  Sie  zu  sprechen,  nur  aus  einem  einzigen  Grunde.  Es 
liegt  mir  nehmlich  gerade  jetzt  daran,  die  Idee,  dass  ich  an 
politischen  Verhandlungen  noch  irgend  Theil  hätte,  möglichst 

zu  entfernen.*) Was  Sie  zu  diesem  Ende  zu  sagen  ha«» 

ben  würden,  müsste  also  ungefähr  (denn  ich  will  Ihnen 
keineswegs  Vorschriften  geben]  folgendergestalt  lauten: 

„Was  neulich  in  öffentlichen  Blättern  über  Hrn.  v.  G. 
und  seinen  Aufenthalt  in  Teplitz  gesagt  worden  ist,  scheint 
um  so  unbilliger  zu  seyn,  da  Jedermann  weiss,  dass  dieser 
sonst  auf  so  vielfache  Weise  thätige  Mann,  seit  einigen  Jah- 
ren**) an  den  politischen  Angelegenheiten  keinen  Theil  mehr 
genommen  hat,  auch  sich  in  keine  öffentliche  Discussionen 
gemischt  hat.  Da  Prag  jetzt  sein  gewöhnlicher  Wohnort  ist, 
so  liegt  wohl  nichts  befremdendes  darin,  dass  er  einen  Theil 
des  Sommers,  auch  ohne  sich  des  Bades  zu  bedienen,  in 
Teplitz  zubringt.  Uebrigens  ist  es  heute  ziemlich  allgemein 
bekannt,  dass  man  ihn  mit  Unrecht  für  den  Verfasser  des 
Preussischen  Krieges-Manifestes  gehalten  hat^^ 

Ein  so  unschuldiger,  so  gemässigter,  so  trockner  Artikel 
kann  Sie,  so  viel  ich  es  zu  übersehen  vermag,  mit  Nieman- 
den compromittiren.  Sollten  Sie  aber  anderer  Meynung  seyn, 
so  haben  Sie  wenigstens  die  kleine  Gefälligkeit  fär  mich,  mir 
in  einem  Privat*Schreiben  (von  welchem  ich  keinen  weitem 
Gebrauch  zu  machen  heilig  verspreche)  den  Empfang  des  ge- 
genwärtigen anzuzeigen;  und  legen  Sie  dieses  Schreiben  nur 
gefälligst,  unter  der  Adresse  des  Herrn  Zeitungs-Expeditor 

*)  In  diesen  Worten  dürfte  der  Schlüssel  zum  Verständniss 
des  ganzen  Schreibens  liegen.  Anm.  des  Herausg. 

**)  Dies  ist  schon  mit  Rücksicht  auf  seine  Thätigkeit  zu  Erfurt 
nicht  ganz  genau.  Anm.  des  Berausg. 


an  dm  Bedaeteur  des  Nürnberger  Correspandenten.  901 

Schwartz  in  Prag,  in  eins  der  Zeitungs-Pakete,  welches  Sie 
dem  Prager  Postamte  zuschicken.  Auf  diesem  Wege  gdangt 
es  am  sichersten  in  meine  Hände. 

Nehmen  Sie  unterdessen  die  Versicherung  meiner  ganz 
besonderen,  selbst  durch  jenen  von  Ihnen  wahrscheinlich 
keineswegs  verschuldeten  Artikel  nicht  geschwächten  Hoch* 
achtung  an 

Friedrich  v.  Gentz, 

Ritter  des  Nordstern -Ordens  und  Kaiaerlicb 
Oesterreichischer  Hofratb, 


Erwiederung. 

Nürnberg,  16.  August  1808. 
Auf  Ihre  verehrte  Zuschrift  vom  6ten  dieses  haben  wir 
nicht  gesäumt,  eine  Berichtigung  in  unser  Blatt  unter  dem 
Artikel  Oesterreich  aufzunehmen.*)  Wir  glaubten  nicht  nöthig 
zu  haben,  uns  wegen  des  Ihnen  aufgefallenen  Artikels  zu 
entschuldigen.  Sie  wissen  es  selbst,  dass  itir  die,  welche  ins 
höhere  Leben  der  Politik  und  Literatur  hinüber  treten,  ein 
anderer  Maasstab  ihrer  Bestrebungen  entsteht,  als  wenn  sie 
in  gewöhnlichen  bürgerlichen  Verhältnissen  geblieben  wären. 
Die  grossen  Interessen,  welche  das  jetzige  Europa  theilen, 
erzeugen  nothwendig  eigene  Betrachtungen  über  Diejenigen, 
welche  auf  dem  grossen  Schauplatz  auftraten.    Die  vorzüg- 


«)  Sie  findet  sich  in  No.  229  (16.  Aug.  1808)  p.915  und  lautet 
also:  „Oestreich  (Prag).  Was  neulich  in  öffentlichen  Blättern  über 
Herrn  v.  Gentz  und  seinen  Aufenthalt  zu  Töplitz  gemeldet  wurde, 
Ist  dahin  zu  berichtigen,  dass,  da  Prag  jetzt  sein  gewöhnlicher 
Wohnort  ist,  derselbe  einen  Theil  des  Sommers,  auch  ohne  sich 
des  Bades  zu  bedienen,  in  Töplitz  zubringt  Wie  man  allgemein 
versichert,  hat  Herr  von  Gentz  seit  einigen  Jahren  an  politischen 
Angelegenheiten  keinen  Antheil  mehr  genommen;  auch  soll  es  jetzt 
ziemlich  allgemein  bekannt  seyn,  dass  man  ihn  mit  Unrecht  für 
den  Verfasser  des  preussischen  Kriegsmanifestes  gehalten  hat/' 
Auch  diese  Mittheilufig  verdanken  wir  der  gegenwärtigen  Expedition. 

Anm.  des  Herausg. 


802     üngedrucktei  Schreiben  Friedrich^s  v.  Genta  etc. 

liehe  Anerkennung,  die  unser  Blatt  bey  Ihnen  gefunden  fcftt, 
ist  uns  übrigens  sehr  ehrenvoll,  und  wir  wünschen,  dass  Sie 
auch  jetzt  nicht  anders  darüber  urtheilen  mögen.  Denn  wir 
können  Sie  versichern,  dass  wir  durchaus  ohne  persönliche 
Aaiinosttät  gegen  Sie  sind,  und  Ihren  Talenten  vcrfle  Gerech- 
tigkeit widerfahren  lassen,  ob  wir  ^ich  über  politische  Sy«- 
steme  nicht  einerley  Meynung  mit  Ihnen  seyn  können.  Und 
mit  dieser  Versicherung  empfehlen  wir  uns  zur  fernem 
Achtung. 

Die  Redaktion  des  Correspondenten  von  und 

für  Deutschland. 


Das  Steatozeltnngpiweiien  der  Römer« 


Vorwort. 

Die  folgende  Abhandlung  ist,  als  Theil  eines  grössern  Gan- 
zen über  die  Quellen  zur  Geschichte  des  römischen  Kaiser- 
reiches, im  Jahre  1837  entstanden  und  in  dieser  Verbindung 
zum  Behufe  der  Habilitation  im  Winter  1839/40  bei  der  hie- 
sigen philosophischen  Facultät  eingereicht  worden.  Daraus 
erhellt  ihre  Unabhängigkeit  von  den  Arbeiten  Le  Glerc's  und 
Lieberkühn's,  von  denen  die  erstere  (des  journaux  chez  les 
Romains)  1838,  die  andere  (de  diurnis  Romanorum  actis)  1840 
erschien.  Beide  habe  ich  erst  jetzt  (1844)  bei  der  Wieder- 
durchsicht meines  Aufsatzes  zu  vergleichen  Gelegenheit  ge- 
habt Wiewohl  sich  hierbei  theils  überraschende  Ueberein- 
stimmungen,  theils  bedeutende  Abweichungen  ergaben,  fühlte 
ich  mich  doch  in  keiner  Weise  zu  wesentlichen  Aenderungen 
veranlasst,  einerseits  um  meine  Resultate  in  ihrer  Selbststän- 
digkeit aufrecht  zu  erhalten,  andrerseits  weil  die  divergiren- 
den  Beweisführungen  nirgend  meine  üeberzeugung  zu  er- 
schüttern vermochten.  Ausserdem  ist  der  Organismus  meiner 
Arbeit  ein  durchaus  anderer  wie  bei  allen  meinen  Vorgän- 
gern von  Lipsius  und  Emesti  an.  Kam  es  diesen  mehr  oder 
minder  auf  Sammlung^  Zusammenstellung,  Vervollständigung 
und  Abgrenzung  des  Stoffes  an:  so  war  es  mir  vornehmlich 
um  Gruppirung  desselben  nach  Gesichtspunkten  und  Richr 
iungen  zu  thun.  Während  z.  B.  Le  Giere  die  Fragmente  im 
Texte  zu  kritischen  Zwecken,  wenn  auch  nicht  immer  kritisch 
verarbeitet,  dann  im  Anhange,  nicht  ohne  Missbrauch  des 
Raumes^  dieselben  noch  einmal  und  zwar  in  chronologiscl^ 


304  Das  Staatszeitungiteesen  der  Römer. 

Ordnung  aneinanderreiht,  schien  es  mir  vor  allem  wünschens- 
werth  einerseits )  sov/eit  es  der  beglaubigte  Stoff  und  die 
nothwendige  Kürze  gestatteten,  auf  den  historischen  Zusam- 
menhang der  ofBciellen  Journalistik  mit  den  jedesmaligen  po- 
litischen Zustanden,  namentlich  auf  den  Gegensatz  der  repu- 
blicanischen  und  der  monarchischen  Physiognomie  des  Insti- 
tutes hinzuweisen )  und  andrerseits  durch  Verbindung  des 
Gleichartigen  und  durch  Bubricirung  des  Inhaltes  ein  mög- 
lichst anschauliches  Bild  von  der  Beschaffenheit  der  römischen 
Staatszeitung  unter  kaiserlicher  Bedaction  zu  entwerfen.  Le 
Glerc's  Arbeit  ist,  beiläufig  gesagt,  noch  dadurch  merkwür- 
dig, dass  sie  die  beissendsten  Anfechtungen  gegen  Miebuhr 
enthält  (p.  146  sqq.  157  sq.  und  besonders  p.  164  sq.),  die  wohl 
je  zum  Vorschein  gekommen;  in  wieweit  dieselben  begrün- 
det oder  unbegründet  sind,  erörtern  wir  vielleicht  bei  ande- 
rer Gelegenheit 

Im  Uebrigen  glaube  ich  einer  Becension  der  modernen 
Literatur  mich  enthalten  zu  dürfen;  den  bedeutendsten  Bang 
darin  nimmt  jedenfalls  an  Inhalt  wie  an  Umfang  das  eben 
besprochene  Buch  ein,  dessen  Vorzüge  ich  um  so  freudiger 
anerkenne,  als  sie  die  Mängel  bei  weitem  überwiegen.  Da- 
gegen musste  ich  im  Folgenden  mich  entschliessen,  die  klas- 
sischen Beweisstellen  vollständig  und  zwar  grossentheils  im 
Original  vorzufuhren,  damit  Jeder  über  deren  Beziehungen 
selbst  urtheilen  könne  und  damit  wir  bei  einem  später  zu 
liefernden  Artikel,  über  den  Verfall  der  Denkfreiheit  im  AI- 
terthum,  auf  festeren  Grundlagen  zu  fussen  vermögen. 


Als  Momente  des  römischen  Staatszeitungswesens  sind 
1)  die  Annales  Maximi  oder  die  jährlichen  Staatsberichte,  2) 
die  Acta  populi  fiomani  diurna  oder  die  tägliche  Staatszei- 
tung und  3]  die  Acta  senatus  diurna  oder  die  Senatszeitung 
zu  betrachten. 

Die  Natur  dieser  Institute  lässt  sich  nur  aus  ihrem  ge- 
schichtlichen Zusammenhange  begreifen;  doch  können  wir 
hier  (wo  es  sich  nur  um  einen  Zweck  imter  vielen  handelt) 
bloss  die  SttBsersten  Umrisse  desselben  andeuten. 


Entwicklungsitadien.  305 

Entwicklungsstadien. 

Den  Phasen  der  römischen  Staatsentwicklung  mussten 
notb wendig  die  Weisen  ihrer  öffentlichen  Ueberliefening 
entsprechen.  So  lange  der  Staat,  ungeachtet  seiner  verschie- 
denen Bestandtheile,  sich  als  eine  Einheit  fühlte  —  so  lange 
bedurfte  es  auch  nur  Eines  Organes.  Das  Uebergewicht  der 
Patricier,  das  Gleichgewicht  beider  Stande  und  das  Ueber- 
gewicht der  Populären  bezeichnen  die  drei  Phasen  der,  in 
der  letzteren  schon  dem  Zerfall  entgegengehenden,  Staats- 
einheit. Der  ersteren  entsprechen  nun  augenscheinlich  die 
im  patricischen  Sinne  durch  den  Oberpriester  von  Staats- 
wegen redigirten  Jahresberichte,  die  Annales  Maximi;  sie 
behaupteten  sich  nalurgemäss  über  die  Zeiten  des  patrici- 
schen Uebergewichtes  hinaus  auch  während  der  ganzen  Zeit 
des  Gleichgewichtes  beider  Stände,  weil  nur  dann  erst  radi- 
cale  Umwälzungen  eintreten,  wenn  das  Neue  über  das  Niveau 
des  Alten  hinaus  zur  entschiedenen  Uebermacht  gelangt,  — 
also  bis  zur  Zeit  der  populären  Demonstrationen  durch  die 
Gracchen  oder  bis  zum  zweiten  Viertel  des  7ten  Jahrhunderte 
d.  St.;  nur  mit  dem  Unterschiede,  wie  es  scheint,  dass  sie 
bis  zur  Gleichstellung  beider  Stände  gegen  Ende  des  4ten 
Jahrhunderts  bloss  den  Patriciern,  und  erst  von  da  ab,  oder 
im  5ten,  auch  den  Plebejern  zugänglich  wurden.  Daher  sagt 
noch  Ganulejus  im  Jahre  309  in  seiner  Rede  an  die  Quiri- 
ten  bei  Liv.  IV.  3:  Obsecro  vos,  si  non  ad  fastos,  non  ad 
commentarios  pontificum  admittimur:  ne  ea  quidem 
scimus,  quae  omnes  peregrini  etiam  sciunt?  Gonsules  in  lo««» 
cum  regum  successisse?  etc.,  während  Gic.  de  Orat.  II.  12,  52 
ohne  Beschränkung  von  der  Ausstellung  des  Albums  spricht, 
potestas  ut  esset  populo  cognoscendi. 

Mit  der  aufschwellenden  Macht  der  Populären  aber  gin« 
gen  um  624  die  Annales  max.  ganz  ein  (Gic.  I.  c.  usque  ad 
P.  Mucium  Pontificem  maximum  d.  i.  623)  und  an  deren  Stelle 
traten  unmittelbar,  nach  meiner  Ansicht,  der  neuen  Phase 
des  Staates  wiederum  genau  entsprechend,  die  im  populä- 
ren Sinne  von  Staatswegen  redigirten  Tagesberichte,  die 
Acta  popuH  Romani  diurna. 

ZfiUehrirt  f.  Geschichtsw.   I.    1844.  20 


306  Das  StaaU^tungswesm  der  Römer, 

Als  nun  aber  allmählig  durch  die  Bürgerkriege  die  Ein- 
heit des  Staates  sich  in  eine  unversöhnbare  Z  weih  ei  t  spal- 
tete, und  das  eine  Element  in  der  Senatsgewalt,  das  an- 
dere in  der  Volksgewalt  sowohl  Vorwand  als  Rückhalt 
suchte:  da  trat  naturgenaäss  endlich,  und  zwar  im  Jahre  695, 
ein  zweites  Staatsorgan,  ein  Senatsjournal  (acta  senatus 
diurna)  den  actis  populi,als  dem  Volks  Journal,  selbstständig 

gegenüber. 

Das  Principat  brachte  schliesslich  den  Staat  wieder  zu 
einer  formellen  Einheit,  und  so  geschah  es  —  zumal  da  der 
Senat  auch  jetzt  noch  als  Vertreter  des  Gemeinwesens  eine  dem 
Fürsten  bedenkliche  Wichtigkeit  beibehielt  —  dass  schon  seit 
Augustus  die  Acta  senatus,  zwar  ununterbrochen  protokoUirt, 
aber  ferner  nicht  mehr  publicirt  werden  durften  (Suet  Oct.  36), 
dass  mithin  seitdem  die  Acta  populi  wiederum  das  einzige 
öffentliche  Organ,  die  allgemeine  Staatszeitung,  wur- 
den und  blieben. 

Was  ich  hier  als  Resultat  vorangestellt,  ist  in  mehrfa«- 
oher  Beziehung  nunmehr  zu  belegen. 

Die  jährlichen  Staatsberichte. 

Dass  die  Annales  maximi  —  auch  Annales  Pontificum, 
Annales  Pontificum  maximorum,  commentarii  Pontificum,  An- 
nales publici  und  vorzugsweise  Annales  genannt  —  in  Rom's 
Ursprung  ihre  Wurzel  haben,  wird  schon  durch  Cicero's  An- 
gabe hinlänglich  verbürgt  (de  Orat.  II.  12,  52:  Erat  historia 
nihil  aliud,  nisi  annalium  confectio:  cujus  rei  memoriaeque 
publicae  retinendae  causa  ab  initio  rerum  Romanarum 
usque  ad  P.  Mucium  Pontif.  max.,  res  omnes  singulorum  an- 
norum  mandabat  litteris  Pontifex  maximus  referebatque  in 
album  et  proponebat  tabulam  domi,  potestas  ut  esset  populo 
Gognoscendi,  ii,  qui  etiam  nunc  Annales  maximi  nominantur. 
cf.  Hist.  Aug.  in  Tacit.  c.  1.  ed.  Salm,  p.226.  B:  Quod,  post 
excessum  Romuli,  factum  pontifices,  penes  quos  scribendae 
historiae  potestas  fuit,  in  literas  retulerunt,  ut  etc.).  Daher  be- 
zeichnen sie  die  roheslen  Anfänge  der  römischen  Prosa  (Quint 
X.  2^7:  quid  erat  futurum,  si  nemo  plus  effecisset  eo,  quem 


Dk  jährlkken  Staatibttichte.  307 

seqaebatur?  ....  nihil  in  historiis  supra  Pontificum  «rnales 
haberemus:  ratibus  adhuc  navigaretur).  Die  Sprache  hatte 
später  bei  der  Veraltung  vieler  Wörter  manche  Dunkelheit 
(Quint.  YIII.  2, 12).  Obgleich  die  Anordnung  nach  Jahren  ih- 
nen den  Namen  gab  (cf.  Diomed.  de  orat  III.  ap.  Putsch, 
p.  480:  Annales  inscribuntur,  quod  singulorum  fere  anuoro« 
actus  contineanty  sicut  publici  annales,  quos  pontifiees 
scribaeque  conficiunt  de  Romanis,  quod  Romanorum  res  ge- 
stas  declarant),  so  wurden  doch  innerhalb  jedes  Jahres  die 
Ereignisse  nach  Tagen  —  natürlich  nicht  nach  sämmtlichen, 
sondern  nur  nach  den  denkwürdigen  —  rubricirt  (Serv* 
ad  Aen.  I.  373:  Ita  autem  annales  conficiebantur:  tabulam  de- 
albatam  quotannis  Pont.  Max.  habuit,  in  qua  praescriptis  con- 
sulum  nominibus  et  aliorum  magistratuum  digna  memoratu 
notare  consueverat,  domi  militiaeque,  terra  marique  gesta  per 
singulos  dies.  Cujus  diligentiae  annuos  commentarios  in 
octoginta  libros  veteres  retulerunt,  eosque  a  Pontificibus  Max., 
a  quibus  fiebant,  Annales  Maximos  appellarunt.*)  Sie  waren 
also  gleichsam  eine  privilegirte  Universalchronik  (auch  Macrob. 
Sat. III. 2  sagt:  Pontificibus  permissa  est  potestas  memo* 
riam  rerum  gestarum  in  tabulas  conferendi).  Oass  sie  bei  der 
gallischen  Eroberung  364  grösstentheils  untergingen,  erhellt 
aus  Livius  (VI.  1:  quae  in  commentariis  pontificum  aliis«» 
que  publicis  privatisque  erant  monumentis  —  namentlich  wohl 
einzelne  Vertragsurkunden  —  incensa  urbe  pleraeque  inter- 
iere.**);  dass  sie  aber  möglichst  restaurirt  wurden,  geht  aus 
Servius  hervor,  dem  zufolge  die  nachmalige  vollständige  Aus- 
gabe auf  gewöhnlichem  Schreibmaterial  80  Rücher  betrug, 
wovon  Gellius  in  Retreff  der  Statue  des  Horatius  Codes  das 
Ute  citirt  (lY.  5,  6).  lieber  die  gleichzeitige  Publication  ist 
manches  Irrige  behauptet  oder  gemuthmasst  worden.    Nach 


*)  Le  Clerc  (p.  14.  cl.  226)  u.  A.  haben  diese  Stelle  gänzlich  miss 
verstanden  und  daher  fälschlich  verdächtigt 

**)  Auch  ohne  dies  Zeugniss  wäre  ein  Transport  nach  Caere 
oder  dem  Capitol,  wie  ihn  Le  Giere  p.  76  sq.  voraussetzt,  ganz  un- 
glaublich. Zu  einem  so  colossalen  Unternehmen  blieb  in  der  all* 
gemeinen  Bestürzung  keine  Zeit. 

20* 


SOS  Das  Siacttsi^tungsicesen  der  Römer. 

den  angezogenen  Stellen  gebrauchte  offenbar  der  Pontifex  Maxi< 
mus  zu  jeder  Jahresübersicht  nur  Eine  Tafel,  die  nach  Ab- 
lauf desselben  im  Archiv  seines  Palastes  aufgestellt  ward. 
Eine  eigentliche  Bekanntmachung  fand  also  gar  nicht  statt; 
die  Oeffentlichkeit  bestand  nur  darin,  dass  der  Eintritt  in  das 
Pontificalarchiv  oder  die  Einsicht  in  die  dort  aufgerichteten 
Tafeln  den  Patriciern,  später  auch  den  Plebejern  gestattet  war« 

Uebergang  in  die  tägliche  Staatszeitung. 

Die  Hauptsache  ist  nun  aber  die.  Wenn  einerseits  nach 
Cicero'd  Angabe  die  Redaction  der  Annales  niax.  mit  P.  Mu- 
eius  um  624  aufhörte,  und  andrerseits  mit  Berufung  auf  Sue- 
ton  (Jul.  Gaes.  c.  20)  behauptet  wird,  die  der  Acta  populi  habe 
erst  mit  Gäsar's  erstem  Consulate  d.  i.  im  Jahre  695  begon- 
nen :  so  wurde  sich  eine  Unterbrechung  der  öffentlichen  lieber- 
lieferung  von  70  Jahren  ergeben,  die  doch  in  Wahrheit  allen 
Glauben  übersteigt  Die  meisten  Untersuchungen  haben  die 
Verwirrung  eher  vermehrt  als  vermindert,  namentlich  seit  Er- 
scheinung der  Dodweirschen  Fragmente.  Wer  daher  nicht 
keck  genug  war,  den  Sueton  der  Lüge  oder  der  Unwissen- 
heit zu  zeihen,  der  nahm  entweder  wirklich  jene  Lücke  an 
oder  Hess  —  was  jederzeit  das  Bequemste  ist  —  die  Sache  auf 
sich  beruhen. 

Meine  Behauptung,  dass  die  Acta  populi  gleichsam  das 
populäre  Surrogat  der  Annales  max.  waren  und  unmittelbar 
anfingen  als  diese  aufhörten,  ist,  däucht  mich,  schon  durch 
die  politischen  Gonstellationen  zur  Zeit  des  P.  Mucius  be- 
glaubigt; doch  denke  ich  auch  durch  positive  Argumente  sie 
begründen  zu  können.*) 


*)  Le  Clerc,  sehe  ich  nan,  behauptet  im  Wesentlichen  dasselbe, 
wiewohl  er  eine  geringe  Unterbrechung  gelten  lässt,  p.  326:  les  uns 
avaient  succöd^  aux  autres  avec  assez  peu  d'interruplion,  vgl.  p.  225 
u.  anderwärts.  Seine  Beweisführung  beruht  aber  theils  auf  falschen, 
theils  auf  ungenügenden  Grundlagen,  s.  unt.  S.  311.  Anm.  Auch  an- 
dere Gelehrte  vor  ihm  haben  Aehnliches  vermuthet,  doch  ebenso* 
wenig  erwiesen.  Lieberkühn's  Einwände  und  abweichende  Aufstel* 
langen  (p.  15)  sind  nicht  stichhaltig. 


Ueberpang  in  die  tägliche  Staat$%eUung.  909 

i)  Zttoiichst  fällt  auf,  dass  wir  auch  für  die  Zeit  nach 
624  noch  Annales  als  Organ  öffentlicher  Ueberliefening  citirt 
finden.  So  bei  Plinius  dem  Aelteren,  der  bekanntlich^  wo  es 
sich  um  Privatannalen  handelt,  den  Namen  des  Autors  anzu«- 
fuhren  pflegt,  als:  Ennius,  Fabius  Pictor,  Galpumius  Piso, 
Porcius  Gato,  Gassius  Hemina,  Yalerius  Antias,  Gnejus  Gel« 
lius,  Licinius  Macer  u.  s.  w.,  die  öffentlichen  dagegen  schlecht«« 
hin  durch  Annales  bezeichnet.  Die  hierher  gehörigen  Stellen, 
auf  die  Jahre  647  bis  693  bezäglicb,  sind  folgende:  \.  13, 17. 
inauspicata  est  et  incendiaria  avis,  propter  quam  saepenu- 
mero  lustratam  Urbem  in  Annalibus  invenimus,  sicut  L. 
Gassio,  G.  Mario  Goss.  (i.e.  647  a.  {].),  quo  anno  et  bubona 
viso  lustrata  est.  Quae  sit  avis  ea,  nee  reperitur,  nee  tradi« 
tur.  X.2i,25:  invenitur  in  Annalibus,  in  Ariminensi  agro, 
M.  Lepido,  Q<  Gatulo  Goss.  (i.  e.  676)  in  villa  Galerii  locutum 
gallinaceum,  semel,  quod  equidem  sciam.  YIII.  51,  78:  So|i«« 
dum  aprum  Bomanorum  primus  in  epulis  adposuit  P.  Ser^ 
vilius  Rullus,  pater  ejus  Bulli,  qui  Ciceronis  Gonsulatu  legem 
agrariam  promulgavit  (i.e.  691].  Tam  propinqua  origo  nunc 
quotidianae  rei  est.  Et  hoc  Annales  notarunt,  herum  scili- 
cet  ad  emendationem  morum :  quibus  non  tota  quidem  coena, 
sed  in  principio,  bini  ternique  pariter  manduntur  apri.  YIU. 
36,54:  Anna] ib US  notatum  est,  M.  Pisone,  M.  Messalla  Gosf» 
(i.  e.  693)  a.  d.  XIV  Galendas  Octobr.  Domitium  Ahenobarbum 
Aedilem  curulem  ursos  Numidicos  centum  et  totidem  vena- 
tores  Aetbiopas  in  circo  dedisse;  miror  adjectum  Numidicos 
fuisse,  quum  in  Africa  ursum  non  gigni  constet. 

Diese  Gitato  entsprechen  nun  augenscheinlich  ihrem  In-* 
halte  nach  sowohl  der  Natur  der  Annales  maximi  wie  der 
Acta  populi;  weil  jedoch  Jene  schon  eingegangen  waren,  so 
müssen  offenbar  die  Letzteren  —  als  Aequivalent  und  gleich* 
sam  als  Fortsetzung  der  Ersteren  —  gemeint  sein.  Da  es 
sich  sicher  mehr  um  einen  Wechsel  der  Redaction  und  der 
Tendenz  als  des  Titels  ursprünglich  gehandelt,  so  kann  der 
Ausdruck  Annales  im  Grunde  nicht  befremden.  Wie  die  Form 
sich  wesentlich  gleich  blieb,  insofern  Beide  tageweise  (per 
singulos  dies)  geordnet  waren^^  so  mag  auch  der  Name  Acta 


y 


SlO  I>a$  SfMt$%eUung$toe$en  ikr  Rötner. 

nicht  unmittelbar  den  Namen  Annales  verdrängt  haben.  Auch 
liegt  ja  keineswegs  in  Gicero's  Worten,  dass  mit  Mucius  die 
Abfassung  der  Annalen  (confectio  Annalium)  überhaupt,  son- 
dern nur,  dass  mit  ihm  die  der  Annales  maximi  aufhörte. 
Einen  officiellen  Titel  gab  es  überdies  sicher  nicht,  d.h.  die 
ausgestellten  Tafeln  führten  keine  Ueberschrift.  Ist  doch  selbst 
der  Titel  Annales  maximi  augenscheinlich  erst  später  ge- 
macht, d.  h.  nach  ihrem  Eingehen  oder  ihrem  Abschluss,  wie 
aus  Senrius  erhellt  (s.  oben  S.  307],  also  wohl  eben  nur  im 
Gegensatze  zur  neuen  Redaction.  Das  Institut  wurde  zwar 
jedenfalls  erweitert;  denn  über  jeden  Tag  ward  nunmehr 
referirt,  was  die  Entstehung  des  Ausdrucks  Acta  diurna  be- 
dingt; dass  es  aber  lange  noch  im  gewöhnlichen  Leben  ebenso 
gut  Annales  populi  wie  Diurna  populi  genannt  werden  konnte, 
sieht  Jeder  ein,  da  solche  Tagebücher  immer  auch  Jahr- 
bücher sind  und  Jahrgange  bilden.  Daher  denn  auch  z.B. 
der  Ausdruck:  in  ejus  anni  acta  relatum  bei  Plin.  H.  N.  iL 

56,  57  und:  ex  actis  ejus  anni  bei  Asconius  Ped.  ad  Gic. 
pro  Mil.  p.  47  ed.  Orell. 

Endlich  müssen  wir  noch  berücksichtigen,  dass  in  der 
Kaiserzeit  die  ursprünglichen  Motive,  die  politischen  Gesichts- 
punkte des  Institutes  längst  verwischt  waren;  der  Gelehrte 
hatte  bei  Betrachtung  beider  Sammlungen  nur  ein  literari- 
sches Interesse;  er  durfte  sie  als  zwei  Theile  Eines  Ganzen, 
als  wesentlich  gleichartige  Serien  einer  allgemeinen  Staats- 
oder Stadtchronik  ansehen;  er  durfte  das  Ganze  und  somit 
beide  Theile  als  annales,  wenn  auch  nicht  beide  als  diurna 
bezeichnen.  So  gehen  denn  bei  Plinius  jene  obigen  Gitate 
augenscheinlich  auf  die  zweite  Serie,  andere  wie  z.  B.  YIII. 

57,  82:  Annales  tradunt  (über  das  J.  538)  auf  die  erste,  und 
noch  andere  wie  IL  53,  54:  Annalium  memoria  und  VIII.  57, 
82 :  Annales  refertos  habemus  auf  das  Ganze  überhaupt.  Da- 
her findet  sich  selbst  noch  für  die  Zeiten  des  Principates  der 
Ausdruck  Annales,  wo  unzweifelhaft  die  Acta  diurna  gemeint 
sind.  Man  sehe  nur  Hist.  Aug.  in  Opil.  Macrin.  c.  3.  ed.  Salm, 
p.  93  E:  De  ipso  quae  in  annales  relata  sunt,  proferam.  Fer- 
ner in  Alex.  Sev.  c.l.  p.  114  B:  Interfecto  Vario  Heliogabalo 


j 


lieber  gang  in  die  tägtiche  Staatszeitung,  311 

—  sie  enim  maluimus  dicere  quam  Antoninum,  quia  et  nihil 
Antoninorum  pestis  illa  ostendit,  et  hoc  nomen  ex  annali* 
bus,  senatus  auctoritate,  erasum  est.  Hier  ist  deutlich 
von  öffentlichen  Annalen  die  Rede,  doch  so,  dass  der  Aus- 
druck das  Genus  bezeichnet,  dem  als  Species  die  Acta  sena- 
tus, die  Acta  populi  und  die  fasti  angehören.  Am  Entschie- 
densten ist  die  Stelle  in  Alex.  Sev.  c.  67.  p.  134  B :  dimisso 
senatu  Gapitolium  ascendit,  atque  inde  re  divina  facta  et  tu- 
nicis  Persicis  in  templo  locatis,  concionem  hujusmodi  habüit: 
„Quirites,  vicimus  Persas,  milites  divitcs  reduximus,  vobis 
congiarium  polticemur,  cras  ludos  circenses  Persicos  dabi- 
nius.^^  Haec  nos  et  in  annalibus  et  apud  multos  reperi- 
mus.  Wiederum  sind  öffentliche  annales  gemeint,  denn  sie 
stehen  im  Gegensatz  zu  den  Privatschriftstellern;  aber  auch 
den  Actis  senatus  werden  sie  hier  entgegengesetzt,  aus  de- 
nen die  unmittelbar  vorhergehende  Relation  ausdrücklich 
entlehnt  ist;  ebensowenig  kann  von  den  fastis  die  Rede  sein, 
da  schon  das  Angeführte  in  diesen  unmöglich  Platz  finden 
konnte  und  das  hujusmodi  überdies  zeigt,  die  Rede  sei  in 
der  Quelle  selbst  noch  ^ausführlicher  gewesen.  So  müssen 
demnach  die  Acta  populi  gemeint  sein. 

2)  Andrerseits  erscheinen  nun  die  Acta  populi  wirklich 
auch  schon  unter  ihrem  gebräuchlichen  Mamen  vor  dem 
3.695.  Doch  habe  ich  nicht  das  DodweH'sche  Fragment  vom 
J.  692  im  Sinne,  denn  ich  suche  nur  nach  sicheren  Stützen; 
auch  nicht  etwa  Zell's  Berufungen  [im  Morgenblatt  1835.  No. 
146  ff.)  auf  Cicero  ad  Att.  VI.  2  und  auf  Asellio  (bei  Gell.  V.  18), 

—  denn  jenes  Citat,  weil  zweifelsohne  auf  704  d.  St.  sich 
beziehend,  ist  irrthümlich  und  dieses,  weil  die  Erwähnung 
von  Diarienschreibern  das  Vorhandensein  der  Acta  populi 
diurna  nicht  bedingt,  kraftlos.*)  Vielmehr  bringt  die  Entschei- 
dung wiederum  Plinius.  Invenitur  in  Actis,  heisst  es  L.  VH* 


*)  Ebenso  falsch  sind  die  Berufungen  Le  Cierc's  p.  230  sqq. 
sowohl  auf  Asellio,  der  eben  nur  von  Privattagebüchern  redet,  als 
auf  Dio  Cassius  47,  6,  welcher  die  archivalischen  Slaatsdocumente 
jeglicher  Art  bezeichnet,  und  auf  Tac.  diai.  37,  wo  es  sich  um  acta 
forensia  handelt. 


312  Doi  Staatimtungswesen  der  Römer. 

53,  54  9  Feiice  Russato  (d.  i.  russatae  oder  rubeae  factionis) 
auriga  elato,  in  roguni  ejus  unum  e  faventibus  jecisse  sese: 
frivolum  dictu,  ne  hoc  gloriae  artlGcis  daretur,  adversis  stu«- 
diis  copia  odoram  corniptum  criminantibus.  Dies  geschah, 
wie  aus  dem  Folgenden  (Quum  ante  non  multo  M.  Lepi- 
dus  ....  crematus  est.  dl.  c.  36.  Plut.  in  Pomp.  c.  16]  erhellti 
bald  nach  677  oder  noch  in  diesem  Jahre  selbst.  Eines  an- 
deren Beweises  bedarf  es  nicht;  dieser  genügt  vollkommen.*) 
Nur  mag  noch  einer  Berufung  desselben  Autor's  auf  das  J* 
640  gedacht  werden,  die,  wenn  auch  unter  anderer  Bezeich- 
nung auftretend  und  daher  an  sich  weniger  entscheidend,  bei 
dem  Aufhören  der  Annales  max.  nur  auf  die  Acta  populi  zu 
beziehen  ist:  11.56,57:  relatum  in  monumenta  est,  lacteet 
sanguine  pluisse  M.  Acilio,  G.  Porcio  Goss.  et  saepe  alias. 

3)  Gar  oft  tragt  ein  blosses  Missverständniss  die  Schuld 
alier  Verwirrung.  Sueton,  dessen  Autorität  in  einem  ihm 
notbwendig  geläu6gen  Thema  anzutasten  gefährlich  ist,  an- 
statt mit  unserer  Behauptung  im  Widerspruch  zu  stehen,  giebt 
vielmehr,  wie  mir  scheint,  eine  Bestätigung  derselben;  schwer- 
lich hat  man  den  Sinn  seiner  Worte  richtig  erwogen.  Die 
Stelle  lautet  (Gaes.  20):  inito  honore  (sc.  Gaesar  consul)  pri- 
mus  instituit,  ut  tam  senatus,  quam  populi,  diurna  acta  con- 
fierent  et  publicarentur.  Dies  ist  nicht  gleich  senatus  et  po- 

*)  Le  Clerc,  wie  alle  üebrigen,  hat  ihn  ganz  übersehen;  zwar 
kennt  er  jene  Stelle,  versetzt  aber  das  Ereigniss  ganz  willkürlich 
unter  Nero  in  das  Jahr  819,  das  Lieberkühn  p.  11  getrost  von  ihm 
entlehnt.  Von  Gründen  ist  natürlich  keine  Spur.  Ce  fait,  sagt  Le 
Clerc  p.  395,  dont  Pline  n'assigne  point  la  date,  parait  convenir 
assez  au  regne  de  N6ron;  und  p.  182  meint  er,  das  Datum  sei  cer- 
tainement  aussi  de  l'^poque  impöriale.  Das  ist  Alles.  Und  doch  war 
die  Zeitbestimmung  so  einfach  und  leicht  zu  ermitteln!  Denn  die 
Identität  jenes  Lepidus  mit  dem  im  J.  oder  um's  J.  677  verstorbenen 
Vater  des  Triumvir  ist  schon  aus  den  angezogenen  Stellen  voll- 
kommen klar,  und  mithin  kann  das  ante  non  multo  nicht  im  Sinne 
von,,  vor  nicht  langer  Zeit"  mit  Rücksicht  auf  den  Zeitpunkt  da 
Plinius  dies  schrieb,  gesagt  sein  —  denn  inzwischen  war  ein  hal- 
bes Jahrhundert  verflossen  — ,  sondern  ^s  muss  notbwendig  im 
Sinne  von  „nicht  lange  zuvor"  auf  das  zuvorgemeldete  Ereigniss 
zurückbezogen  werden. 


Ueberpang  in  die  tägKche  Staahzeitung.  SIS 

pull,  wie  man  angenommen,  sondern  heisst  nur:  £r  verord«» 
nete,  dass  (fortan)  ebensowohl  des  Senates,  wie  (bisher 
schon)  des  Volkes  — .tagliche  Verhandlungen  aufgezeichnet 
und  veröffentlicht  werden  sollten.  Tam-quam  ist  hier  so  viel 
als  ita-ut,  das  Sueton  wegen  des  vorhergehenden  ut  nicht 
gebrauchen  konnte;  so  viel  als  tantum-quantum,  eodem  mo«* 
do  quo  (ac),  oder  etiam  senatus  —  non  tantum  populi;  in 
diesem  Sinne  kommt  es  bei  Sueton  öfter  vor  z.  B.  Gaes.  74. 
Aug.  66.*)  —  Die  Neuerung  ist  also,  dass  neben  den  Actis 
populi  nunmehr  auch  Acta  senatus  erschienen;  nur  das  mag 
man  in  Betracht  der  noch  vorhandenen  Gitate  zugeben,  dass 
von  der  Zeit  an,  der  Name  Acta  populi  den  Ausdrück  An« 
nales  entschiedener  verdrängte.  — 

Die  scheinbare  Lücke  in  der  öffentlichen  (Jeberlieferung  der 
Tagesereignisse  von  624  bis  695  verschwindet  somit  jedenfalls. 

Wenn  Atticus,  um  die  bisherige  Vernachlässigung  der 
Geschichtschreibung  bei  den  Römern  darzuthun,  sagt  (Gic« 
de  legg.  I.  2,  6):  Nam  post  annales  pontificum  maximorum, 
quibus  nihil  esse  potest  jucundius  (nicht  jejunius):  si  aut  ad 
Fabium,  aut  ad  Gatonem,  aut  ad  Pisonem,  aut  ad  Fannium, 
aut  ad  Vennonium  venias:  ...  quid  tarn  exile,  quam  isti  om- 
nes?  —  so  kann  uns  die  Uebergehung  der  Acta  populi,  un- 
geachtet sie  die  Annales  max.  unmittelbar  ersetzten,  nicht 
verwundern.  Aus  diesen  Letzteren  entwickelten  sich  eben 
zwei  ganz  verschiedene  Momente :  einmal  nach  der  Seite  des 
Lebens  hin  die  Tagesblätter,  die  Acta  populi  diurna,  andrer- 
seits nach  der  Seite  der  Wissenschaft  hin  die  annalistische 
Privatgeschichtschreibung.  Atticus  also,  der  nur  von  der  wei- 
teren Entwicklung  der  Geschichtschreibung  handeln  will, 
konnte  und  durfte  nicht  die  Acta  populi  auffuhren,  die  zwar 
fiir  die  Nachwelt  eine  Quelle,  nicht  aber  für  die  Mitwelt  ein 
Genus  der  Geschichte  waren  (dasselbe  gilt  auch  von  der  Stelle 
de  orat.  IL  12).    Während  die  Annalisten  nur  die  historisch 


*)  Es  kann  mich  nur  freuen,  diese  in  vollkommener  Unabhän- 
gigkeit entstandene  Auslegung  auch  bei  Le  Giere  p.  197  und  Lie- 
berkübn  p.  15  anzutreffen. 


314  Das  Staatsmimgstcesm  der  Römer, 

merkwürdigen  Dinge  aufzeichneten,  beschäftigten  sich  die 
Acta  populi  grossentheils  mit  alltäglichen.  Und  hierin  fin- 
det denn  auch  die  so  oft  missverstandene  Stelle  des  Tacitus 
Ann.  XUI.  31  ihre  vollständige,  mit  dem  Schweigen  Gicero's 
übereinstimmende  Erklärung:  Nerone  secundum,  L.  Pisone 
Coss.  (810  a.  11.)  pauca  memoria  digna  evenere,  nisi  cui  libeat 
(Tacitus,  muss  man  sich  vorstellen,  hatte  hier  den  betreffen- 
den Jahrgang  der  Xcta  populi  diurna  vor  Augen)  laudandis 
fundamentis  et  trabibus,  quis  molem  amphitheatri  apud 
campum  Martis  Caesar  exstruxerat,  volumina  implere,  cum 
ex  dignitate  populi  Romani  repertum  sit,  res  inlustres  an- 
nalibus,  talia  diurnis  Urbis  Actis  mandare  d.h.:  „da  es  doch 
der  Würde  des  Rom.  Volkes  angemessen  erfunden  worden, 
Merkwürdiges  Geschichtswerken,  Alltägliches  den  Tages- 
blättern zu  überantworten."  Man  sollte  wohl  einsehen,  dass 
es  sich  hier  um  Vertheilung  des  Stoffes  in  zwei  gleichzei- 
tige üeberlieferungsweisen  handeln  muss,  mithin  nicht  von 
den  Annalibus  maximis  die  Rede  sein  kann,  als  welche  auf- 
gehört ehe  die  Acta  begannen. 

Die  DodwelTschen  Fragmente. 

Nach  dem  Bisherigen  wird  man  zugeben,  dass,  wären 
die  DodwelFschen  Fragmente  (App.  ad  Praell.  Camd.  p.  665  sqq. 
690  sqq.)»  ^^  l>bi*'s  pontificum  linteis  nach  Is.  Yossius,  ex 
Actis  Urbis  diurnis  nach  Dodwell,  der  damit  aber  einen  ganz 
falschen  Begriff  verbindet,  in  der  That  acht:  so  könnte  das 
erstere  vom  Jahre  586  nur  auf  die  Annales  max.,  das  zweite 
vom  J.  692  nur  auf  die  Acta  populi  bezogen  werden. 

Von  vielen  Seiten  indessen  und  mit  Recht  sind  sie  ver- 
worfen worden.*)  Namentlich  hat  Wesseling  (Probabilium  li- 
ber  sing.  Franeq.  1731.  c.  39  p.  354—385)  durch  eine  lange 
Reihe  von  Argumenten  ihre  Autorität  erschüttert;  die  we- 
sentlichsten derselben  —  denn  nicht  alle  freilich  sind  gleich 


*)  Auch  von  Le  Clerc  p.  261  sqq.  Lieberkühn  dagegen  hat  ver- 
sprochen (p.  17),  diese  Fragmente  als  acht  zu  vertheidigen;  ich  bin 
begierig  zu  sehen,  wie  man  es  anstellt  um  schwarz  als  weiss  er- 
scheinen zu  lassen« 


Die  DödweWschen  Fragmente,  315 

haltbar  —  scheinen  folgende:  1)  der  Fascenwechsel  habe  nicht 
täglich,  sondern  monatlich  stattgefunden  2)  das  scutum  Gim- 
bricum  sei  mit  Rücksicht  auf  Gic.  Or.  II.  66  und  Quint  YI.  3 
späteren  Ursprungs  3}  das  vexillum  rubeum  in  arce  positum 
immer  nur  auf  die  Gomitien,  nicht  auf  Aushebungen  bezüg-* 
lieh.  In  Betreff  des  2ten  Fragmentes  insbesondere  noch:  4) 
die  Guria  Pompeja  habe  damals  noch  gar  nicht  bestanden 
5]  die  Feindschaft  zwischen  Milo  und  Glodius  erst  später  be* 
gönnen  6)  das  Grabmal  der  gens  Gaecilia  sich  nicht  an  der 
Aurelischen^  sondern  an  der  Appischen  Strasse  befunden  7) 
in  dem  betreffenden  Jahre  habe  es  keine  Gensoren  gegeben. 
—  Was  vorher  Dodwell  selbst  über  den  Fascenwechsel  und 
über  die  Gensur  zur  Vertheidigung  der  Fragmente  gesagt  (s. 
p.  668  sq.  und  p.  732  sq.),  steht  augenscheinlich  auf  zu  schwa* 
chen  und  künstlichen  Füssen,  und  der  tumultus  inter  operas 
Glodii  et  servos  T.  Annii  zwang  ihn  selbst  sogar  zu  einem 
partiellen  Verdacht  (p.  708:  Utinam  de  fide  constaret  Aucto- 
ris Apographi  Petayiani,  num  hoc  loco  in  marmore  repererit 
haec  verba,  an  in  alia  tabula  reperta,  quam  ipsam  hujus  par- 
tem  credidit,  huc  ipse  transtulerit).  Die  übrigen  Punkte  be- 
rührt Dodwell  gar  nicht. 

Ernesti  (Exe.  I.  ad  Suet.  Gaes.  20),  an  den  man  am  mei- 
sten appellirt,  macht  gegen  die  Fragmente  drei  Einwände; 
doch  grade  diese  sind  am  wenigsten  entscheidend.  1)  Die 
zum  Theil  wörtliche  Uebereinstimmung  von  Fr.  1.  Prid.  Kai. 
April,  und  Kai.  April,  mit  Liv.  44,  22.  Daraus  lässt  sich  aber 
noch  nicht  schliessen,  dass  dies  aus  Livius  entnommen  sei; 
dieser  konnte  ja  selbst  seine  Angaben  aus  den  Annal.  max. 
geschöpft  haben.  Das  verhehlt  sich  auch  Ernesti  nicht  ganz; 
um  so  mehr  dringt  er  2)  auf  Beachtung  des  Styls.  Schon 
Gamerarius  und  Yelserus  behaupteten:  haec  fragmenta  neque 
Colons  neque  succi  esse  pro  aetate,  quam  affectant  (Vels.  ep. 
ad  Gamer.  50.  p.  840.  bei  Fabric.  bibl.  lat.  ed.  Ern.  Y.  III.  p. 
315);  Ernesti  meint,  der  Styl  entspreche  vielmehr  dem  livia- 
nischen  Zeitalter.  Allein  einmal  wird  man  zugestehen  müs- 
sen, dass  die  Diction  jederzeit  ein  missliches  Kriterium  sei; 
dann  aber  auch,  dass  der  historische  und  der  Kanzleistyl  zu 


31S  Dm  StiMis9eitungsice$en  der  Römer. 

alleu  Zeiten  von  einander  abweichen.  Der  der  Annales  max* 
hielt  ohne  Zweifel  mit  der  Ausbildung  der  Umgangssprache 
stets  gleichen  Schritt,  während  natürlich  der  der  Senatuscon^ 
sulte,  Plebiscite,  Edicte  u.  s.  w.,  durch  ein  sprödes  Formel- 
wesen festgehalten,  weit  hinter  derselben  zuriickblieb.  Eine 
Vergleichung  mit  dem  Sc.  de  Bacchanalibus  vom  J.  568  darf 
also  zu  keinen  Folgerungen  Anlass  geben.  Doch  hiervon  auch 
abgesehen^  fände  ja  grade  diese  Schwierigkeit  die  einfachste 
Lösung,  wenn,  wie  doch  Dodwell  will,  die  Fragmente  als 
jüngere  Gopie  zu  betrachten  wären,  so  dass  die  Diction  des 
Originals  modernisirt  worden  sein  könnte.  Wenn  Ernesti 
endlich  3)  mit  Bücksicht  auf  Suet.  Gaes.  20  die  Meinung  hegt, 
es  habe  vor  69ä  gar  keine  Acta  populi  gegeben,  so  haben 
wir  dies  Bedenken  schon  erledigt  und  überdies  könnte  da- 
mit wenigstens  Frag.  1,  als  auf  die  Annales  Qiax.  bezüglich, 
nicht  erschüttert  werden. 

Dagegen  vermehren  zwei  äussere  Umstände,  die  man 
bisher  nicht  genugsam  gewürdigt,  entschieden  den  Verdacht.*) 

1)  Die  Herkunft  der  Inschriften  ist  durchaus  räthselhaft 
(s.  Dodw.  Praell«  YUI.  $•  X.  app.  $.  I.  $.  X.  und  praef.  ad.  fr.  2. 
p.  690).  Fragm.  I.  theilte  zuerst  Pigb.  Ann.  ad  an.  585  mit; 
es  war  ihm  zugekommen  durch  Jacobus  Susius  aus  den  Pa- 
pieren von  Ludovicus  Yives.  Beinesius  ( Synt  Insc.  Glass. 
IV.  2—8)  entnahm  es  aus  Pighius,  und  Grävius  liess  es  zu 
Suet.  Gaes.  20  (ed.  alt.)  abdrucken.  Dodwell  erhielt  beide  Frag- 
mente von  Hadrianus  Beverlandius;  dieser  hatte  sie  von  Is. 
Vossius  bekommen,  Vossius  aber  dieselben  aus  den  Papieren 
von  Paulus  Petavius  abgeschrieben;  auch  erwähnt  er  ih- 
rer in  seiner  Ausgabe  des  Gatull  Lond.  1684  p.  333  sq.  Pe- 
tavius endlich,  so  sagt  Dodwell,  collegerat  haec  editioni- 
que  paraverat  inedito  inscriptionum  volumine.  Dieser  Aus- 
druck ist  völlig  nichtssagend.  Kommt  es  doch  darauf  an  zu 
wissen,  woher  Vives  und  Petavius  zu  ihren  Abschriften  ge- 
langten: hierüber  grade  verlautet  Nichts.   Ebenso  wenig  er- 


*)  Auch  neuerdings  ist  nnr  Le  Clerc  p.  262  sqq.  auf  den  zu< 
erst  zu  erwähnenden  näher  eingegangen» 


j 


Die  DodwelVschen  Fragmente.  317 

fährt  man  von  dem  Aussehen  der  Originale,  noch  wo  sie 
gefunden  und  wo  sie  bewahrt  worden.  Die  Autopsie  des 
Yives  bezweifelt  Dodwell  selbst,  und  auch  die  des  Petavius 
stellt  er  nur  als  Möglichkeit  hin  (app.  §.  I  fin.).  Bemerkens- 
werth  ist  noch ,  dass  die  einzige  Autorität  für  Fr.  2,  das  so-* 
genannte  apographum  Yossianum  mit  Minuskeln  geschrieben 
ist  und  ohne  Rücksicht  auf  Abtheilung  der  Linien;  das  an- 
tike Ansehn  bei  Dodwell  ist  nur  ein  Kunststück. 

2]  Die  Annales  max.,  und  wahrscheinlich  auch  die  Acta 
populi,  wurden  gleich  den  Edicten  durch  tabulae  dealbatae» 
wie  wir  aus  Cicero  und  Servius  sahen,  d.  h.  auf  übergypsten 
Holztafeln,  mit  aufgetragener  Dinten-  oder  Farbenschriffc,  pu-* 
blicirt;  die  fraglichen  Fragmente  aber,  heisst  es,  wären  auf 
Marmortafeln  eingegraben.  Diese  Angabe  ist  äusserst  ver- 
fänglich; sie  scheint  deshalb  erfunden,  weil  die  Erhaltung  der 
tabulae  dealbatae  selbst,  ihrer  Beschaffenheit  nach,  allerdings 
nicht  hätte  glaublich  erscheinen  können,  und  somit  involvirt 
sie  das  Geständniss,  dass  jene  Fragmente  wenigstens  nicht 
Theile  des  Originals  sind.  Wirklich  betrachtet  Dodwell  App. 
§.  X.  p.  663  sie  als  Reste  einer  späteren,  zur  Zeit  des  Au- 
gustus  oder  des  Tiberius  angefertigten  Edition  der  Annales 
und  der  Acta.  Nun  ist  zwar  keineswegs  zu  bezweifeln,  dass 
es  von  diesen  Sammlungen  im  Alterthum  Abschriften  genug 
gegeben;  aber  von  einer  Marmorausgabe  zu  träumen,  gränzt 
an  Wahnwitz.  Die  fasti  Praenestini,  ja  selbst  die  noch  be- 
wunderungswürdigeren fasti  Capitolini  müssten  gegen  ein  sol- 
ches Unternehmen,  zu  dem  zwischen  2  und  300,000  Marmor- 
platten vonnöthen  gewesen  wären,  äusserst  winzig  erscheinen. 
Und  dieses  ungeheure  Monument  wäre  von  der  Erde  spurlos 
verschwunden,  während  jene  winzigeren  in  so  beträchtlichen 
Resten  auf  uns  gekommen  sind?  In  der  That  ein  so  colos- 
«ales  Unternehmen  konnte  entweder  nicht  ausgeführt  wer- 
den, oder  —  einmal  ausgeführt  —  nie  untcrgehn.  Wenn  nun 
demnach  jene  angeblichen  Marmortafeln  weder  Original  noch 
Copie  sein  können:  was  sind  sie  dann  anders  als  eine  Fiction? 

Auch  springt,  wie  mir  wenigstens  scheint,  der  Anlass 
der  Erdichtung  ziemlich  grell  in  die  Augen.  Schon  vorlängst 


318  Das  8taaismtungstee$en  der  Römer. 

machte  sich,  namentlich  unter  den  Juristen,  die  Meinung  gel- 
tend, welche  auch  bis  in  die  neueste  Zeit  herein  Verfechter 
fand,  dass  nämlich  die  Edicta  perpetua  nicht  erst  durch  die 
lex  Cornelia  im  Jahre  687  entstanden  seien,  sondern  wahr« 
scheinKch  schon  im  6ten  Jahrhundert  seit  dem  häufigieren 
Verkehr  mit  den  Peregrinen.  Dieser  allerdings  gewichtige 
Streitpunkt  wird  nun  auf  eine  überraschende  Weise  durch 
das  angebliche  Fragment  vom  Jahre  586  entschieden,  wo  es 
gleich  von  vorn  herein  heisst:  V.  Kai.  Aprileis  ....  hora. 
octava  .  senatus .  coactus .  in .  Hostilia  .  S .  G .  factum  .  est. 
uti .  praetor  es  .  ex  .  suis  .  perpetuis.edictis.  jus.di«- 
cerent.  So  erfuhr  man  mit  Einem  Male  Jahr,  Tag  und  Stunde. 
Da  liegt  doch  wohl  die  Vermuthung  nahe,  dass  einen  eifri«- 
gen  Anhänger  jener  Ansicht  der  Kittel,  sie  über  alle  Zweifel 
zu  erheben,  zum  Entdecker  d.  i.  zum  Erfinder  dieser  Inschrift 
machte.  Natürlich  musste  er,  um  nicht  augenblicklich  Miss- 
trauen zu  erregen,  dem  Betrüge  eine  grössere  Ausdehnung 
geben,  wobei  sich  Gelegenheit  fand,  auch  Zweifel  anderer 
Art  leicht  und  keck  zur  Entscheidung  zu  bringen.  Wirklich 
ward  Mancher  und  selbst  Heineccius  bestochen ;  die  meisten 
Juristen  indessen  haben  auch  ihrerseits  sich  gegen  die  Aecht^ 
heit  erklärt,  wie  Bach,  Biener,  Zimmern  (Gesch.  des  röm. 
Privalrechts  I.  Erste  Abth.  {).  124  n.  9)  u.  A.  —  Derselbe  Au-* 
tor,  einmal  in  seiner  Weise  sich  gefallend,  brachte  dann  auch 
das  2te  Fragm.  zu  Stande.  Der  befremdende  Umstand,  dass 
dem  Pighius  nur  das  Erstere  bekannt  ward,  ungeachtet  doch 
beide  augenscheinlich  als  zusammengehörig  und  an  Einem 
Orte  gefunden  gedacht  werden  sollen,  —  wird  eben  nur  da- 
durch erklärbar,  dass  das  2te  nicht  gleichzeitig  die  Werkstatt 
verlassen.  Dies  bekam  erst  Petavius  zur  weiteren  Besorgung; 
denn  gegen  ihn  kann  sich  der  Verdacht  so  wenig  richten  wie 
gegen  Vossius,  wohl  aber  auf  Susius  und  vor  Allen  auf  Vi- 
ves.  Nachträglich  fand  ich  in  der  That  bei  Voss,  ad  GatuU. 
p.  334  einen  festern  Anhalt  für  die  Richtung  meines  Verdach- 
tes. Eo  autem  libentius  hoc  moneo,  sagt  er,  quod  necdum 
in  lucem  prodiere  haec  fragraenta.  Partem  duntaxat  exhibuit 
Pighius  in  suis  Annalibus,  sed  longe  plura  sunt,  quae  penes 


Die  Siaatss&eitung  der  Republik.  319 

me  sunt,  quaeque  ipse  non  vidit,  quamvis  utraque 
ex  eodem  Ludovici  Vivis  vetustissimo  ut  opinor  exem- 
plari  fuerint  descripta.  Danach  hätten  denn  wirklich  die 
Fragmente  des  Petavius  und  des  Pighius  aus  einer  und  der- 
selben Quelle  gestammt,  aus  den  Papieren  des  Ludovicus 
Yives.  Ich  stehe  daher  nicht  an,  in  diesem  spanischen  Ge- 
lehrten des  16.  Jahrhunderts  den  Erfinder  jener  Fragmente 
zu  bezeichnen,  um  so  weniger,  als  es  ja  bekannt  ist,  wie 
derselbe  mit  seiner  juristischen  Natur  auch  eine  poetische 
also  erfinderische  verband,  wie  er  das  System  der  Rechts- 
wissenschaft (aedes  legum)  im  Gewände  der  Dichtung  be- 
handelte, und  wie  er  eben  hierbei  das  alte  Rechtslatein  in  so 
tre£Plichem  Rococcostyle  zu  handhaben  wusste,  dass  Nichtken^ 
ner  desselben  daraus  einen  Beweis  für  die  Verdorbenheit  der 
lateinischen  Sprache  jener  Zeit  entnehmen  zu  dürfen  glaub- 
ten (vgl.  u.  A.  Hugo:  Lehrb.  d.  Gesch.  des  R.  R.  seit  Justinian. 
1818.  S.  224)  —  Umstände,  die  gewiss  nicht  geeignet  sind, 
das  Misstrauen  gegen  ihn  zu  heben.*)  Dass  der  Verfasser  der 
Fragmente,  wer  er  auch  sei,  Geschick  besass,  ist  nicht  zu 
läugnen,  und  immerhin  behält  sein  Machwerk  als  eine  Re- 
eonstruction  der  Art  und  Weise,  in  welcher  etwa  die  Anna- 
les max.  und  später  die  Acta  populi  abgefasst  worden,  noch 
ein  gewisses  Interesse.  In  keinem  Stücke  aber  darf  es  Ein- 
fluss  üben  auf  unsere  Untersuchung,  zu  der  wir  jetzt  zu- 
rückkehren. 

Die  Staatszeitung  der  Republik. 

Wenn  Anfangs  die  Acta  populi  in  ihrem  Gepräge  noch 
wesentlich  mit  den  Annal.  max.  übereinstimmen  mochten: 
so  musste  doch  allmählig  eine  zwiefache  Verschiedenheit,  in 


*)  Le  Clerc  wendet  dennoch  —  freilich  ohne  diese  Umstände 
geltend  zu  machen  und  nur  der  Absicht  desselben  die  Fragmente 
des  Ennius  zu  sammeln  gedenkend  (p.  321),  sowie  der  Thatsache, 
dass  aus  Spanien  überhaupt  damals  viele  verdächtige  Denkmäler 
hervorgingen  (p.  264)  —  seinen  Verdacht  von  ihm  ab  (p.  320)  und 
gänzlich  auf  Sigonius  hin  (p.  321),  ohne  dass  sich  dafür  irgendwie 
positive  oder  specielle  Anknüpfungspunkte  auffinden  Hessen. 


320  Das  Staatsieitungstoesen  der  Römer. 

Bezug  auf  Inhalt  und  Form,  sich  heraussteilen.  Der  Inhalt 
der  Annales  max.  hatte  sich  auf  die  politischen  und  reli- 
giösen Angelegenheiten  beschränkt,  der  der  Acta  populi 
dehnte  sich  auch,  so  zu  sagen,  auf  die  häuslichen  Ereig- 
nisse des  Volkes  oder  der  Stadt  aus,  und  schon  hierdurch 
ist  zum  Theil  die  Verschiedenheit  der  Form  bedingt,  indem 
die  Letzteren  einen  grösseren  Umfang  gewinnen  mussten  und 
täglich  erschienen.  (Jeberdies,  hatte  früher  das  patricische 
und  das  Optimaten- Interesse  darin  vorgeherrscht,  so  trat 
,  nunmehr  das  des  Volkes  und  der  Populären  in  den  Vorder- 
grund. Das  Institut  bekam  eine  entschieden  populäre  Tendenz. 

VV^ie  ungemein  reichhaltig  die  Staatszeitung  der  Repu- 
blik war,  lässt  sich  zumal  aus  den  Andeutungen  in  den  Ci- 
ceronischen Briefen  entnehmen,  obwohl  die  städtischen  Ta- 
gesberichte, auf  die  sich  dieselben  beziehen,  meist  nicht  mit 
der  ofliciellen  Zeitung  identisch^  sondern  nur  nach  ihrem 
Muster  redigirte  Privatrelationen  sind. 

Es  ist  unverkennbar,  dass  viele  Artikel  nur  Futter  für 
Neugier,  Geklätsch  und  Aberglauben  waren.  Durch  eine  Menge 
von  Abentheuerlichkeiten  und  Wundergeschichten,  durch  Cu- 
riositäten  und  Trivialitäten,  wurde  der  Leser,  je  nach  seinem 
Geschmack,  unterhalten  oder  gelangweilt  Da  las  man  denn 
z.  B.  wie  es  im  Jahre  640  Milch  und  Blut  geregnet;  wie  die 
Erscheinung  des  Brandvogels,  von  dem  Plinius  nichts  Näheres 
weiss,  die  Stadt  in  Schrecken  gesetzt  und  eine  Sühnung  ver- 
anlasst; wie  im  Gebiet  von  Arimini  auf  der  Villa  des  Gale- 
rius  ein  Hahn  gesprochen;  wie  Servilius  RuUus  zuerst  unter 
den  Römern  ein  ganzes  Wildschwein  aufgetischt;  wie  bei  der 
Bestattung  des  Felix,  eines  Wagenlenkers  von  der  rothen  Par- 
tei, einer  seiner  Anhänger  sich  in  den  Scheiterhaufen  gestürzt, 
die  Gegenpartei  aber  behauptet  habe,  um  den  Ruhm  des 
Künstlers  zu  verkleinern,  er  sei  durch  die  Menge  der  Wohl- 
gerüche betäubt  worden;  wie  der  Curulädil  Ahenobarbus  am 
18.  September  693  im  Circus  eine  Thierhetze  veranstaltet,  wo 
100  Numidische  Bären  und  ebenso  viele  Aethiopische  Jäger 
gekämpft  —  eine  prahlerische  Anzeige,  da  es  wie  Plinius  be- 
merkt in  Numidien  gar  keine  Bären  gab  (s.  die  Stellen  oben 


Die  Staatszeitung  der  Republik,  321 

S.  309  u.  312).  Alle  diese  Züge  gehören  freilich  in  die  ersten 
Zeiten  der  Redaction  der  Staatszeitung,  meist  in  die  zweite 
Hälfte  des  7ten  Jahrhunderts  d.  St.  Dass  es  aber  auch  in  den 
letzten  Zeiten  der  Republik,  in  den  Anfangen  des  8ten  Jahr- 
hunderts nicht  anders  war,  erhellt  aus  Cicero.  Auch  jetzt 
noch  las  man  darin  allerhand  Anekdoten  und  Gerüchte  (Gael. 
ap.  Gic.  ad  div.  8,  1:  fabulae,  rumores),  allerhand  Anzeigen 
und  Rerichterstattungen  über  Schauspiele,  Leichenbegängnisse 
U.S.W.  (Gael.  ibid.  8,  II:  ludorum  explosiones,  et  funerum, 
et  ineptiarum  ceterarum),  die  Programme  der  Fechterspiele, 
die  Vertagungen  der  Gerichtstermine  u.  dgl.  mehr  (Gic.  ib.  2, 8: 
gladiatorum  compositiones,  vadimonia  dilata,  et  Ghresti  com- 
pilationem,  et  ea,  quae  nobis,  quum  Romae  sumus,  narrare 
nemo  audeat.*)  Ebenso  fehlte  es  auch  nicht  an  offenbaren 
Wundern  (Plin.  H.  N.  2,  66,  57). 

Nichtsdestoweniger  überwog  sicherlich  der  politische  Theil 
der  Zeitung  sowohl  an  Interesse  wie  an  Ausdehnung.  Man 
fand  darin  die  Senatusconsulte  und  Edicte  (Gael.  I.  c.  8, 1 :  se- 
natusconsulta,  edicta),  die  Yolksbeschlüsse,  die  politischen 
Debatten  und  Reden  (Gael.  ib.  8, 11:  Quam  quisque  senten- 
tiam  dixerit,  in  commentario  est  rerum  urbanarum).  Deshalb 
war  ihre  Zusendung  für  die  auswärtigen  Staatsmänner  un- 
entbehrlich um  sich  im  Niveau  der  Ereignisse  zu  erhalten. 
In  den  ersten  Tagen  des  Mai  704  schrieb  Gicero  an  Atticus 
(6,2):  „Ich  habe  die  städtischen  Zeitungen  (acta  urbana]  bis 
zum  7.  März  empfangen."  Er  erfuhr  daraus,  dass  der  Tribun 
Gurio  sich  den  Antragen  der  Gonsuin  über  die  fernere  Re- 
setzung  der  Statthalterschaften,  wodurch  das  Interesse  Gäsars 
gefährdet  und  Gicero's  Hoffnung  auf  die  Rückkehr  nach  Rom 
vereitelt  werden  konnte,  nebst  einigen  seiner  Gollegen  wi- 


♦)  Chreslus  war  entweder  ein  berüchtigter  Spitzbube  oder  ein 
Priyatzeitungsschreiber,  je  nachdem  man  den  Ausdruck  eompilati^ 
auffasst.  Da  wir  von  ihm  weiter  nichts  wissen,  ist  eine  absolute 
Entscheidung  nicht  möglich;  doch  neige  ich  zur  letztern  Erklärung, 
da  die  Existenz  von  bezahlten  Privatzeilungsschreibern  gewiss  ist 

(Cael.  ib.  8,  l:  hunc  laborem  alteri  delegavi ne  molestiam  tibi 

cum  impensa  mea  exhibeam). 

Zeitschrift  f.  Getchiehtsw.   I.   1844.  2t 


822  Das  Staats^iungswesen  der  Römer. 

dersetzt  habe.  Daher  fahrt  er  nach  dem  Obigen  fort:  „Ich 
ersehe,  dass  in  Folge  der  Standhaftigkeit  unsers  Gurio  alles 
eher  als  die  Angelegenheit  der. Provinzen  im  Senate  verhan- 
delt werden  wird.  Also  rechne  ich  mit  Zuversicht  auf  unser 
baldiges  Wiedersehn/^  Ein  andermal,  im  Jahre  710,  schreibt 
Cicero  an  GorniGcius  (ad  div.  1?,  23):  „Dass  die  städtischen 
Zeitungen  (rerum  urbanarum  acta)  dir  ühersandt  werden,  weiss 
ich  bestimmt;  widrigenfalls  würde  ich  selbst  dir  Bericht  er- 
statten." Und  wiederum  im  Jahre  711  an  G.  Gassius  (ad  div. 
12,8):  „Das  Verbrechen  deines  Verwandten  Lepidus,  seine 
ausserordentliche  Leichtfertigkeit  und  Unbeständigkeit,  wirst 
du  wohl  aus  den  Zeitungen  (ex  actis)  erfahren  haben,  welche 
dir,  wie  ich  gewiss  weiss,  zugesandt  werden." 

Nicht  minder  erhellt  der  Reichthum  und  die  Bedeutung 
der  politischen  Nachrichten  aus  dem  Umstände,  dass  für  die 
spätere  Erläuterung  der  Giceronischen  Reden  die  Staatszei- 
tung eine  wesentliche  Grundlage  bildete;  sie  war  dem  As- 
conius  eine  Hauptquelle;  „ich  habe,  schreibt  er,  die  Tages- 
blätter dieser  ganzen  Zeit  durchgelesen"  (ad  Gic.  or.  pro  Mi- 
Ion,  p.  44:  Acta  etiam  totius  illius  temporis  persecutus  sum). 
Aus  ihnen  stammt  eine  Fülle  von  Material  bei  ihm  her;  öf- 
ters citirt  er  sie  ausdrücklich.  Umterm  8.  Juli  700  d.  St  &nd 
er  darin  die  Nachricht,  dass  P.  Valerius  Triarius  den  Scaurus 
wegen  Erpressungen  vor  dem  Prätor  M.  Gato  angeklagt  habe, 
drei  Tage  nach  der  Freisprechung  des  G.  Gato  (ad  Gic.  or.  pr. 
Scaur.  p.  19:  ut  in  actis  scriptum  est).  Aus  einem  frühern 
Jahrgange  (6%  d.  St.)  ersah  er,  dass  Pompejus  von  einem 
Freigelassenen  des  Glodius  mit  Namen  Damio  damals  form** 
lieh  belagert  worden  sei.  In  einem  Artikel  vom  18.  August 
hiess  es  daselbst:  der  Volkstribun  L.  Novius,  des  Glodius 
College  habe,  als  Damio  gegen  den  Prätor  Flavius  die  Tri- 
bunen anrief  und  diese  darüber  beriethen ,  sich  bei  der  Ab- 
stimmung also  vernehmen  lassen :  „Ich  bin  durch  diesen  Hand- 
langer des  P.  Glodius  verwundet,  durch  bewaffnete  Rotten, 
durch  ausgestellte  Posten  von  der  Theilnahme  an  den  öffent- 
lichen Angelegenheiten  zurückgedrängt  worden;  Gn.  Pompe- 
jus ward  belagert   Da  man  jetzt  mich  anruft,  werde  ich  das 


I 


Die  Siaatizeitung  der  Republik.  823 

Beispiel  desjenigen  nicht  nachahmeD,  den  ich  tadiei  und  den 
Urtbeilsspruch  aufheben."  Und  nunmehr  liess  er  sich  auf  die 
Intercessien  ein  (ad  Gic.  or.  pr.  Mil.  p.  47:  ut  ex  actis  ejus  anni 
cognovi,  in  quibus  XV  Gal.  Sept  etc.). 

Die  Bürgerkriege  hatten  den  Zwiespalt  zwischen  Senat 
und  Volk  unversöhnlich  gemacht;  Senats«-  und  Volkspartei 
standen  sich  lauernd  und  in  gewaltsamen  Krisen  als  blinde 
Factionen  gegenüber.  Um  das  Jahr  700  d.  St  war  Milo  ein 
Haupt  der  ersteren,  Glodius  ein  Führer  der  letzteren.  Dar« 
aus  entsprangen  persönliche  Reibungen  und  endlich  im  Jahre 
702  erfolgte  bei  der  zufälligen  Begegnung  auf  der  Appischen 
Strasse  die  Ermordung  des  Glodius  durch  die  Begleiter  des 
Milo.  Kaum  verbreitete  sich  die  Kunde  in  Rom,  als  das  Volk 
sich  zusammenrottete  und  die  Tribunen ,  welche  wie  Muna- 
tius  Plancus,  Gajus  Sallustius  und  Quintus  Pompejus^  An- 
hänger des  Glodius  waren,  durch  stürmische  Reden  die  Menge 
aufwiegelten.  Seitdem  wogte  der  Aufruhr  durch  die  Strassen; 
die  Wuth  wandte  sich  gegen  den  gesammten  Senat  wie  gegen 
die  einzelnen  Häupter  seiner  Partei.  Zum  Unglück  herrschte, 
durch  Vereitelung  der  Gonsulwahlen  ein  Interregnum,  so  dass 
die  Aufrechterfaaltung  der  Ordnung  und  die  Abwehr  des  Un-* 
fugs  kaum  möglich  war.  Da  geschah  es  denn,  dass  bei  der 
Verbrennung  der  Leiche  des  Glodius  auf  dem  Forum  der  Se- 
natspalast in  Flammen  gesetzt,  das  Haus  des  Milo  obwohl 
vergeblich  angegriffen,  das  des  Lepidus  aber  belagert,  erstürmt 
und  demolirt  ward,  weil  dieser  als  Interrex  die  Gonsulwah- 
len verweigerte^  damit  nicht  in  diesem  kritischen  Augenblicke 
die  Gegner  Milo's  gewählt  würden.  Der  Senat  befand  sich 
in  der  grössten  Bedrängniss;  er  war  für  Milo  gesinnt  und 
durfte  doch  die  That  gegen  Glodius  nicht  rechtfertigen;  er 
war  in  seinem  Köiper  und  in  seinen  Gliedern  verletzt  wor- 
den und  vermochte  doch  nicht  auf  eigene  Hand  den  Sturm 
zu  beschwören.  Um  daher  die  Ruhe  nur  einigermassen  wie- 
derherzustellen, sah  er  sich  endlich  genöthigt,  den  grossen 
Pompejus,  trotz  seiner  schwankenden  politischen  Grundsätze, 
zum  alteinigen  Gonsul  mit  ausserordentlicher  Machtvollkom- 
menheit zu  ernennen. 

21* 


324  Das  StcMti&eUungstoesen  der  Römer. 

Alle  diese  Ereignisse  und  Stimmungen  nun  fanden,  sammt 
den  mannigfaltigen  Zwischen  vorfallen  und  Folgen,  in  der 
Staatszeitung  das  Organ  ihrer  Verbreitung.  Dort  las  man, 
dass  Milo  am  20.  Januar  von  Rom  abgereist  war  um  sich 
nach  Lanuvium  zu  begeben  (Ascon.  adCic.  or.proMil.p.32); 
dass  an  diesem  Tage,  dem  der  Ermordung  des  Clodius,  die 
Tribunen  Sallustius  und  Q.  Pompejus,  Milo's  Feinde,  vor  der 
Volksmenge  Reden  hielten,  die  auch  ausführlich  in  der  Zei- 
tung mitgetheilt  wurden,  und  von  denen  die  des  Letztgenann- 
ten nach  dem  ürtheil  des  Asconius  einen  besonders  aufrüh- 
rischen  Charakter  trug  {ib.  p.  49) ;  ferner  dass  am  28.  Februar 
ein  Senatsbeschluss  zu  Stande  kam,  des  Inhaltes:  die  Ermor- 
dung des  Clodius,  die  Brandstiftung  in  der  Curie  und  der 
Angriff  auf  das  Haus  des  Lepidus  seien  als  Staatsverbrechen 
zu  betrachten  (ib.  p.  44). 

Die  Sitzung,  in  der  dieser  Beschluss  gefasst  wurde,  war 
sehr  stürmisch  und  wichtig.  In  ihr  siegte  das  Volksinteresse 
über  das  senatorische.  Die  Einleitung  eines  Processes  gegen 
Milo  wurde  natürlich  als  unvermeidlich  anerkannt;  doch  wollte 
der  Senat,  nach  dem  Vorschlage  des  Hortensius,  dass  die 
Untersuchung  zwar  ausserordentlicherweise  d.  i.  vor  allen  an- 
deren vorgenommen,  aber  nach  den  bisherigen  Gesetzen, 
vor  dem  Quästor  geführt  werden  sollte.  Da  verlangte  ein 
Mitglied,  ein  gewesener  Prätor,  die  Theilung  d.  h.  die  be- 
sondere Abstimmung  über  jeden  der  beiden  Artikel  dieses 
Vorschlags,  und  nunmehr  ging  der  erstere  allein  durch,  wah- 
rend der  zweite  durch  die  Intercession  der  Tribunen  verei- 
telt ward  (cf.  Cic.  pro  Mil.  c.  5  sq.). 

Die  Staatszeitung  enthielt  über  diese  merkwürdige  Sit- 
zung unter  dem  28.  Februar  nichts  weiter  als  die  Bekannt- 
machung jenes  oben  gemeldeten  Senatsbeschlusses  (Ascon. 
i.  c.  ultra  relatum  in  Acta  illo  die  nihil).  Unter  dem  1.  März 
zeigte  sie  aber  an,  dass  an  diesem  Tage  der  Tribun  Munatius 
in  einer  Concio  (Meeting)  dem  Volke  über  die  Vorgänge  im 
Senate  am  Tage  zuvor  ausführlich  Bericht  erstattet  habe.  Die 
V -^  ,ri  n^iMia^rici  riri^firlhrn  wnrdr  ebenfalls  dort  mitgetheilt;  darin  kam 
^v->^  -  «-A.  folgende  Stelle  vor:  „A.  Hortensius,  indem  er  eine  aus- 


Die  Staatszeitung  der  Republik.  325 

serordentliche  Untersuchung  vor  dem  Quästor  beantragte,  hat 
sich  dadurch  das  Schicksal  bereitet,  dass  er,  während  ihm  ein 
geringes  Quantum  Gelindigkeit  mundete,  ein  grosses  Quan- 
tum Bitterkeit  verschlucken  musste.  Denn  dem  erfinderischen 
Menschen  trat  auch  für  uns  ein  erfinderischer  Geist  entge- 
gen; wir  fanden  einen  Fufius,  der  da  ausrief:  ich  verlange 
die  Theilung.  Und  nun  legte  ich  und  Sallustius  gegen  den 
zweiten  Theil  des  Antrags  Einspruch  ein"  (ib.  p.  44:  Quod 
Q.  Hortensius  dixisset,  ut  extra  ordinem  quaereretur  apud 
quaestorem,  aestimare  futurum,  ut,  quum  pusillum  edisset 
dulcedinis^  largiter  acerbitatis  devoraret.  Adversus  hominem 
ingeniosum  ingenio  usi  sumus;  invenimus  Fufium,  qui  dice- 
ret,  Divide.  Reliquae  parti  sententiae  ego  et  Sallustius  in- 
tercessimus). 

Demnach  wurde  bekanntlich  der  Process  in  Folge  eines 
neuen  Gesetzes,  welches  Pompejus  erliess,  vor  einem  be- 
sondern Untersuchungsgerichte  verhandelt.  Der  Ausgang  liess 
sich  vorhersehen;  trotz  der  Vertheidigung  Cicero's  und  der 
Einwände  Gato's  wurde  Milo  durch  38  Stimmen  unter  51 
verurtheilt  und  ging  ins  Exil.  In  einem  Artikel  des  betref- 
fenden Jahrganges  der  Staatszeitung  las  man  später,  da  Wun- 
der nun  einmal  bei  keinem  bedeutenden  Ereignisse  zu  ent- 
behren waren,  dass  es  während  der  Vertheidigung  Milo's  im 
April  Ziegelsteine  geregnet  habe  (Plin.  H.  N.  ?,  66^  57). 

Die  bisherigen  Anführungen  dürften  zugleich  genügen, 
um  die  von  Ernesti  ausgehende  Meinung  zu  entkräften,  als 
sei  die  Abfassung  der  Acta  (confectio  actorum]  nach  Gäsar's 
erstem  Gansulate  unterbrochen  worden.  Freilich  ist  die  Be- 
hauptung leichter  als  die  Widerlegung,  da  wir  allerdings  nicht 
über  jeden  Jahrgang,  geschweige  über  jede  Tagesnummer, 
Rechenschaft  zu  geben  vermögen.  Allein  Nichts  spricht  für 
sie.  Alles  dagegen,  und  namentlich  eben  die  Reihe  von  Be- 
rufungen auf  die  Acta  der  Jahre  695  bis  711,  die  wir  aus 
Gicero,  Asconius  und  Plinius  beigebracht,  und  denen  noch 
Dio  44,11  für  das  Jahr  710  hinzuzuftigen  ist.   Von  den  Stel-  ^ 

len  bei  Gicero  —  und  nur  sie  kennt  Ernesti  —  bezieheir  sic||g^' 
die  ad  Att.  6, 2  ad  div.  2, 15  u.'12,23,  wie  man  auch  klügeln 


326  Das  Staats&eiiungswesen  der  Römer, 

mag,  gleichviel  ob  mittelbar  oder  unmittelbar ,  auf  die  offi- 
ciellen  Acta  urbana  d.  i.  auf  die  Acta  populi  allein  oder  mit 
Einschluss  der  Acta  senatus,  die  während  dieser  Zeit  neben 
ihnen  bestanden  haben  dürften  und  sich  jetzt  nicht  mehr  mit 
Sicherheit  von  ihnen  unterscheiden  lassen.  Dass  den  Diplo*- 
maten,  wie  Cicero,  wenn  sie  in  der  Provinz  sich  aufhielten, 
diese  ofBciellen  Zeitungsnachrichten  nicht  immer  genügten, 
kann  schwerlich  befremden,  da  dieselben  doch  meist  nur 
Facta,  nicht  Motive  darstellten,  und  auch  jene  nicht  einmal 
stets  im  Detail;  ja  manche  interessante  Angelegenheit  blieb 
auch  wohl  ganz  unberührt.  So  schreibt  Cicero  im  Jahre  704 
an  Calius  (ad  div.  2, 15):  „(Jeher  Ocella  hast  du  mir  in  we- 
nig verstandlicher  Weise  geschrieben  (vgl.  8,7],  und  in  den 
Zeitungsberichten  finde  ich  darüber  nichts'^  (in  Actis  non  erat). 
Deshalb  nahmen  die  auswärtigen  Römer  gern  die  Feder  ih- 
rer Freunde  oder,  wo  dies  nicht  anging,  die  Schreiberzunft 
in  Anspruch,  um  entweder  das  an  sie  zu  übersendende  Ex- 
emplar der  Acta  mit  Zusätzen  zu  begleiten  oder  mit  Zugrun- 
delegung derselben,  theils  abkürzend  theils  erweiternd,  selbst- 
ständige Relationen  abzufassen.  Eine  solche  von  einem  Schrei- 
ber gefertigte  Gompilation  haben  die  Briefe  ad  div.  8, 1  (s.  ob. 
S.  321).  2. 11  und  2, 8  zum  Gegenstande.  Diese  Verschieden- 
heit von  den  officiellen  Actis  urbanis  stellt  sich  auf  den  er- 
sten Blick  heraus,  und  daher  wird  auch  nicht  dieser  specielle 
Titel,  sondern  der  allgemeine  Ausdruck  „rerum  urbanarum 
commentarius^  gebraucht.  Ein  Grund,  die  officiellen  Acta 
urbana  hier  zu  erwähnen,  war  wie  Jeder  einsehen  muss,  der 
diese  Briefe  aufmerksam  liest,  gar  nicht  vorhanden;  mithin 
ist  auch  aus  der  blossen  Nichterwähnung  keineswegs  auf 
Nichtexistenz  zu  schliessen.  Am  wenigsten  aber  kann  man 
den  Einwurf  machen:  „Wozu  Privatrelationen,  wenn  es  öf- 
fentliche gab?'^  Denn  bei  jenen  kam  es  ja  nicht  darauf  an, 
diese  zu  ersetzen,  sondern  sie  zu  übertreffen.  Liest  man 
doch  heut  auch  bei  wichtigen  Anlässen  lieber  Privatcorre- 
spondenzen  als  die  nackten  Referate  officieller  Zeitungen. 
Auch  dem  Cicero  war  es  nicht  um  blosse  Thatsachen  zu 
thun;  er  wollte  über  die  Angelegenheiten  des  Staates  einen 


Die  Senatszeitung.  327 

Staatsmann  vernehmen;  er  verlangte  tiefeingehende  Erörte- 
rungen, feine  Beobachtungen,  Ansichten,  Rasonnements.  Die- 
sen Ansprüchen  konnten  selbst  die  Privatrelationen  nicht  im- 
mer genügen,  zumal  wenn  man  es  sich  bequem  machte  und 
die  Arbeit  gegen  ein  Honorar  einem  Zeitungsschreiber  über- 
trug. Daher  schreibt  Cicero  zürnend  an  Gälius,  der  ihm  jene 
Compilation  von  fremder  Hand  geschickt:  „Wie?  damit  meinst 
du  hätte  ich  dich  beauftragt,  mir  die  Programme  der  Fech- 
terspiele, die  Vertagungen  der  Gerichtstermine,  die  Diebereien 
(oder  Schreibereien)  eines  Ghrestus  (s.  ob.  S.  321)  und  über- 
haupt solche  Dinge  mitzutheilen,  die  mir,  wenn  ich  in  Rom 
bin,  niemand  zu  erzählen  wagt?  ....  Nein,  weder  Vergangenes 
noch  Gegenwärtiges,  sondern  das  Zukünftige  erwarte  ich  von 
dir,  als  einem  weit  in  das  Ferne  vorausblickendeu  Manne, 
besprochen  zu  sehen,  damit  ich  aus  deinen  Briefen,  indem 
ich  die  Lage  des  Staates  darin  erkenne,  zu  entnehmen  ver- 
möge, in  welcher  Art  dessen  Bau  sich  gestalten  werde''  (ad 
div.  2, 8:  Quare  ego  nee  praeterita  nee  praesentia  abs  te,  sed, 
ut  ab  homine  longe  in  posterum  prospiciente,  futura  exspecto, 
ut  ex  tuis  litteris,  quum  formam  reipublicae  viderim,  quäle 
aedificium  futurum  sit,  scire  possim). 

Die  Senatszeitung. 

Es  war  ohne  Zweifel  der  endlos  sich  fortspinnende  Gon- 
flict  zwischen  Volk  und  Senat,  welcher  in  diesem  den  Wunsch 
nach  einer  journalistischen  Vertretung  den  täglichen  Volks- 
berichten gegenüber  entstehen  Hess.  Dass  in  den  letzteren 
eine  gewisse  Einseitigkeit  vorherrschen  musste,  insofern  sie 
vor  Allem  die  Interessen  der  Gomitien,  die  Rechte  des  Vol- 
kes wahrnahmen,  leuchtet  ein.  Nur  durch  eine  selbstständige 
Publicistik  des  Senates  konnte  das  senatorische  Interesse  in 
Ansehn  erhalten,  jene  Einseitigkeit  aufgehoben  und  so  zu  sa- 
gen das  Gleichgewicht  der  Parteien  hergestellt  werden. 

Die  Senatszeitung  war  also  augenscheinlich  ein  Bedürf- 
niss  für  den  Senat  selbst,  und  mithin  kann  die  Begründung 
derselben  durch  Gäsar  im  Jahre  695  nicht  als  eine  Intrigue 
gegen  die  Gurie,  sondern  vielmehr  nur  als  eine  Goncession 


330  Das  St(tats!6eitttngsu>esm  der  Römer. 

meist  nur  im  Interesse  des  Privatgebrauchs  der  Gonsuln 
oder  des  betreffenden  Referenten,  wie  das  more  majorum  bei 
demselben  anzudeuten  scheint. 

Aus  dem  allen  geht  hervor,  dass  Gäsar's  Neuerung  in 
der  That  keine  urplötzliche,  sondern  eine  allmählig  vorberei-* 
tete,  eine  Forderung  der  Zeit  war.  Es  gab  vor  ihm  Proto- 
kolle von  Senatsverhandlungen  und  Publicationen  solcher  Pro- 
tokolle; der  Fortschritt  bestand  darin,  dass  er  die  Ausnahme 
zur  Regel  erhob.    So  begannen  die  Acta  senatus  diurna. 

Die  Senatszeitung  bildete  ein  von  den  Actis  populi  ge- 
trenntes selbstständiges  Journal  und  keineswegs,  wie  so  Viele 
zu  glauben  scheinen,*)  ein  mit  jenen  verbundenes  Institut. 
Hiergegen  sprechen  alle  Zeugnisse,  und  (ürwahr!  diese  bei- 
den Redactionen  hätten  am  allerwenigsten  in  dieser  Zeit  sich 
mit  einander  vertragen.  Dass  die  Protokolle  wortgetreu  und 
vollständig  wiedergegeben  wurden,  lässt  sich  schwerlich  be- 
zweifeln. Ob  aber  unter  Gasar  die  Herausgabe  der  Acta 
senatus  Unterbrechungen  erlitt,  mag  dahingestellt  bleiben; 
denn  Entscheidung  ist  Willkür,  wo  es  weder  für  noch  wi- 
der sichere  Data  giebt  Nur  Ein  Umstand  möchte  indirect 
für  die  Unterbrechung  zeugen;  doch  nicht  das  Schweigen 
Gicero's  —  denn  der  Ausdruck  Acta  urbana  könnte  bei  ihm 
die  Acta  senatus  zugleich  mit  den  Actis  populi  umfassen  — , 
sondern  die  augenscheinliche  Nichtbenutzung  von  Senatsacten 
durch  Asconius,  zumal  in  Betreff  der  Milonischen  Angelegen- 
heiten des  Jahres  702,  ungeachtet  er  sagt,  er  habe  die  Acta 
dieser  ganzen  Zeit  durchmustert  (s.  ob.  S.  322);  doch  könnte 
es  auch  sein,  dass  bei  diesen  Worten  die  Acta  senatus  sei- 
nen Gedanken  ebenso  fern  lagen,  wie  im  Allgemeinen  seinen 
Zwecken;  denn  er  hatte  mit  Reden  vor  dem  Volke,  nicht  vor 
dem  Senate,  zu  thun  und  seine  Forschung  kann  sich  deshalb 
freiwillig,  vielleicht  auch  unfreiwillig,  auf  die  zugänglicheren 
Acta  populi  beschränkt  haben.  Wie  dem  nun  auch  sei,  so 
viel  ist  gewiss,  dass  das  Ende  der  Senatszeitung  ihrem  An- 
fang sehr  nahe  liegt,  und  dass  dasselbe  durch  die  gleichen 


*)  Auch  Le  Clerc. 


Die  StaatszeUung  der  Monarchie.  331 

Motive  bedingt  wurde,  wie  die  Umgestaltung  der  Acta  populi. 
Das  Principat  bildet  den  Wendepunkt.  Es  war  ohne  Zwei- 
fel schon  in  den  Anfängen  des  Augusteischen  Zeitalters,  als 
das  Verbot  gegen  die  Senatszeitung  erging  (Suet.  Aug.  36: 
auctor,  ne  acta  senatus  publicarentur).  Die  Protokolle  wur- 
den nach  wie  vor  fortgesetzt;  aber  sie  blieben  geheim  und 
nur  ein  kurzer  Extract  derselben  ging  fortan,  unter  dem  Ein- 
flüsse einer  oft  despotischen  Gensur,  in  die  Acta  populi  über, 
die  dergestalt  nunmehr,  der  centralisirenden  Tendenz  der  Mon- 
archie und  der  Einheit  der  Staatsidee  entsprechend,  zur  Be- 
deutung einer  allgemeinen  Staatszeitung  erhoben  wur- 
den. Allein  Charakter  und  Haltung  derselben  waren  jetzt 
ganz  anderer  Art  und  geben  zu  näherer  Betrachtung  Anlass. 

Die  Staatszeitung  der  Monarchie. 

Ueberwog  zur  Zeit  der  Bepublik  der  politische  Inhalt 
der  Staatszeitung  bei  weitem  allen  übrigen  Stoff,  weil  das 
Volk  als  Substanz  des  Staates  keinen  Grund  hatte  seine  ei- 
genen Angelegenheiten,  Thatcn  und  Interessen  zu  verbergen 
und  die  Freiheit  der  öffentlichen  Mittheilung  zu  beschränken: 
so  musste  doch  mit  der  Begründung  des  Principates  auch 
hierin  ein  Wendepunkt  eintreten.  Die  Souveränetat  ging  von 
dem  Volke  an  den  Fürsten  über;  die  Bechte  der  Gomitien 
wurden  zerbröckelt  und  aufgelöst;  die  öffentliche  Leitung  al- 
ler wichtigen  Angelegenheiten  wurde  mehr  oder  minder  zu 
einer  geheimen;  das  pulsirende  Leben  des  Staates  zog  sich 
von  dem  Forum  in  den  Palast,  von  der  Bednerbühne  in  das 
Kabinet  des  Fürsten  zurück.  Nur  in  der  Curie  des  Senates 
verblieb  noch  ein  kümmerlicher  Best  der  alten  Freiheit.  Kein 
Wunder  also,  wenn  die  aufkeimende  Monarchie,  wenn  schon 
Augustus,  ihr  eigentlicher  Werkmeister,,  um  die  Begierung 
wie  den  Händen  so  auch  den  Augen  des  Volkes  zu  entzie- 
hen, einmal  die  Veröffentlichung  der  Senatsprotokolle  verbot 
oder  mit  anderen  Worten  die  Senatszeitung  gänzlich  unter- 
drückte, andrerseits  aber  die  politischen  MittheUungen  der 
Staatszeitung  auf  ein  äusserstes  Minimum  zu  beschränken 
und  ihr  überhaupt  ein  dem  nunmehrigen  Bestände  der  Dinge 


3.^  Dm  Staatszeitungsicesen  der  Römer. 

entsprechendes  Gepräge  zu  verleihen  sich  bemühte.  Es  kam 
darauf  an,  den  Freiheitsdrang  allmahlig  an  Unterwürfigkeit, 
die  Herrschlust  an  Gehorsam,  die  politische  Selbstthatigkeit 
des  Volkes  an  Passivität  und  Apathie  zu  gewöhnen.  Es  kam 
darauf  an,  die  Römer  zu  Unterthanen  zu  erziehen.  Und  nach 
diesen  Gesichtspunkten  musste  auch  die  geistige  Nahrung, 
die  dem  Volke  durch  die  Staatszeitung  täglich  verabreicht 
wurde,  fortan  bemessen  und  zubereitet  werden.  Die  Ange- 
legenheiten des  Hofes,  die  Gnadenbezeugungen  des  Fürsten 
mussten  den  Vordergrund  einnehmen  um  zu  imponifen,  der 
Eitelkeit  zu  schmeicheln  und  zum  Wetteifer  im  Trachten  nach 
Gunst  und  Ehren  anzuspornen;  die  Thätigkeit  des  Senates 
musste  soweit  sie  an  Freimuth  gränzte  vorsichtig  umschleiert, 
sobald  sie  entschiedenen  Servilismus  athmete  als  Muster  zur 
Schau  gestellt  werden;  die  Menge  musste  man  durchaus  in 
der  Unkenntniss  über  ihre  wahren  Interessen  zu  erhalten  su- 
chen, und  um  dieselben  vergessen  zu  machen,  ihr  ein  buntes 
Ragout  von  Alltäglichkeiten  und  Lapalien  auftischen,  das,  ge- 
würzt mit  einer  Portion  frivoler  Gurifsitäten  oder  aufheitern- 
den Anekdotenwitzes  und  gehörig  versetzt  mit  einer  Dosis 
züchtiger  Gottesfurcht  oder  niederschlagenden  Aberglaubens, 
hinlänglich  geeignet  schien  zugleich  ab-  und  anzuziehen,  zu 
zerstreuen  und  zu  sättigen. 

Doch  alles  dies  werden  wir  deutlicher  erkennen  oder 
doch  gründlicher  ahnen,  wenn  wir,  soweit  es  die  kärglichen 
Notizen  darüber  zulassen,  den  Inhalt  der  Römischen  Staats- 
zeitung, wie  er  in  der  Kaiserzeit  beschaffen  war,  hier  näher 
betrachten.  Derselbe  lässt  sich  etwa  folgendermassen  gliedern: 

I.  Hofberichte.  Wir  dürfen  dieselben  schon  seit  der 
Dictatur  des  Julius  Cäsar  datiren,  der  zuerst  das  öffentliche 
Organ  seinen  Zwecken  dienstbar  machte.  So  erschien  auf 
sein  Geheiss  unterm  15.  Februar  710  in  der  Staatszeitung  die 
Anzeige  „es  sei  ihm  vom  Volke  durch  Vermittlung  des  Con- 
suls  die  Königswürde  angeboten  worden,  doch  habe  er  die- 
selbe nicht  anzunehmen  geruht.'^  Man  sieht,  dass  dies  eine 
leere  Insinuation  war,  die  mit  der  Zeit  Früchte  tragen  sollte 
oder  konnte;  denn  man  weiss,  dass  der  Kern  dieser  Demuth 


Die  Staaisseitung  der  Monarchie.  333 

der  Ehrgeiz  war,  dass  die  Römer  den  Königstitel  hassten 
und  nur  der  ihn  liebte,  der  ihn  zurückwies  (Dio  44,  11:  iq 
rd  oSito^Lvri^LaTa  iyypaxpij^ai  «toi'rjorfiv,  Stl  Tijv  ßaoriXsiav 
flcopci  Tou  6ji/UL<yu  öid  totj  iSitaTov  6uSofjLSV^v[v  ol  ot5x  iöi^orro^ 
Es  ist  hier  natürlich  nicht  an  die  Acta  senatus  zu  denken; 
aber  ebenso  wenig  auch  an  die  Fasti,  obgleich  wir  aus  Gic. 
Phil.  IL  34, 87  wissen,  dass  auch  in  diese  die  Notiz  eingetra- 
gen ward;  denn  dies  geschah  keineswegs  auf  Gäsar's,  son- 
dern wie  Cicero  ausdrücklich  sagt  auf  des  Antonius  Anord- 
nung; also  sind  es  zwei  ganz  verschiedene  Insertionen).  Im 
Jahre  716  liess  Augustus  durch  die  Zeitung  bekannt  machen 
„der  von  der  Livia  geborne  Knabe  sei  von  ihm  dem  Yater 
desselben,  dem  Nero  zugestellt  worden"  (Dio  48,44:  iq  rd 
iSÄO^vij^aTa  iyy^d'^aq,  ort  KoZcrcxp  t6  ysvwil^ev  Aioxjtqf, 
Tji  iaxncyu  ^uvacxl  'xatÖiov  NcptüVt  tcj)  icorpl  dniöonsca).  Die 
Scheu  vor  der  Oeffentlichkeit  bildete  übrigens  bald  genug  die 
steifen  Formen  der  Hofetikette  aus;  allen  Mitgliedern  des 
fürstlichen  Hauses,  den  Prinzen  und  Prinzessinnen  wurde  in 
Haltung  und  Benehmen  ein  beengender  Zwang  auferlegt;  von 
Augustus  heisst  es  ausdrücklich,  er  habe  Tochter  und  Enke-r 
linnen  angebalten,  nie  heimlich  und  nichts  Anderes  zu  thun 
oder  zu  reden,  als  was  in  die  Tagesblätter  aufgenommen  wer- 
den könne  ( Suet.  Aug.  64 :  vetaretque  loqui  aut  agere  quid- 
quam  nisi  propalam  et  quod  in  diurnos  commentarios 
referreturj.  Freilich  brachte  dieser  Zwang,  wie  so  häufig,  die 
entgegengesetzte  Wirkung  hervor,  und  die  chronique  scan- 
daleuse  des  Hofes  schwoll  um  so  mehr  im  Munde  des  Vol- 
kes an,  je  geflissentlicher  die  Regierung  die  Thatsachen  zu 
verheimlichen  suchte,  indem  sie  dem  officiellen  Organ  ein 
unverbrüchliches  Stillschweigen  zur  Pflicht  machte. 

Indessen  brachte,  wie  einst  die  unterworfene  Welt  der 
siegestrunkenen  Republik,  so  jetzt  das  unterwürfige  Rom  den 
stolzen  Unterdrückern  der  eigenen  Freiheit  den  Tribut  seiner 
Huldigungen  dar;  seitdem  begannen  die  eigentlichen  Gour- 
oder  Empfangs-  und  Audienzberichte,  die  nicht  minder  der 
weiblichen  Eitelkeit  innerhalb  des  Palastes,  wie  der  männli- 
chen ausserhalb  desselben,  scfameicbelten.    Da  las  man  denn 


334  Das  Staatssieitungsu>esen  der  Römer. 

nunmehr  in  den  öffentlichen  Blättern:  die  Kaiserin  habe  ge* 
ruht  an  dem  und  dem  Tage  die  und  die  Personen  in  der  und 
der  Weise  zu  empfangen.  So  erzählt  Dio  zum  Jahre  767 
ausdrücklich,  die  Kaiserin  Livia  habe,  so  oft  sie  in  ihren  Cre«- 
mächem  die  Aufwartungen  des  Senates  und  des  Volkes  an- 
nahm, einen  Bericht  darüber  in  die  Staatszeitung  einrücken 
lassen  (57,  12:  '^cdw  yd^  fxkya  itae  iSacep  'gcacrau;  raq  «90* 
aPtv  yuvauxaq  wyxwro,  worra  occu  rfiv  ßorvhfiv  xai  toü  dij* 
m&v  TOTJQ  iSlrshovraq  oixad«  dcntourofiiivoug  aBi  tcotb  icröe^ 
^<a^ae,  xai  ronuro  occu  ig  rd  örnnocria  vno/ubvi^/UtaTa 
icry^dcpacrPau).  Und  ganz  dasselbe  meidet  er  zum  Jahre  801 
von  der  Kaiserin  Agrippina  (60,  33:  rfiq  ^''ky^vtauv^g  onöötlig 
To  icocpa^tai;  j^mtroy  d^JKa  rd  tb  äKha  xat  ijicep  a\}Toi;  rov 
RXorudtov  i6\iv(xro,  ocou  iv  xoiviS  rojjg  ßoxs^oinsvorvg  i^cma- 
^rro,  9caL  Tiyuro  Tuxi  igrd  aS9i:o^Lvr]/.iocra  «cs^a^ero.  cf.  Tac 
Ann.  13,  18).  Hof*  und  audienzfähig  war  übrigens  dsonunal 
noch,  wie  aus  diesen  Stellen  erhellt,  jeder  der  es  sein  wollte. 
Sichtung  und  Maass  ward  erst  nöthig,  als  der  Grundsatz  ,je 
mehr  je  besser'^  dessen  man  Anfangs  bedurfte  um  nur  ei« 
nige  Früchte  zu  erndten,  endlich  deren  zu  viele  trug. 

Nicht  minder  wesentlich  erschien  es  dem  Hofe,  das  grös- 
sere Publicum  zu  unterrichten,  welche  Schauspiele  oder  Lust- 
barkeiten die  fürstlichen  Personen  mit  ihrer  Gegenwart  be- 
ehrt hatten.  So  unterliess  es  Gommodus  niemals,  so  oft  er 
einem  Fechterspiele  beigewohnt,  dies  durch  die  Staatszeitung 
bekannt  zu  machen  (Hist.  Aug.  ed.  Salm.  p.  50.  G:  Ludum 
[sc.  gladiatorum]  semper  ingressus  est,  et  quoties  ingredere- 
tur,  publicis  monumentis  indi  jussit).  Ja  in  Herrschern, 
wie  der  ebengenannte,  nahm  die  Eitelkeit,  von  sich  reden  zu 
machen,  einen  so  schaamlosen  Gharakter  an,  dass  die  Staats- 
zeitung selbst  mitunter  zu  einer  chronique  scandaleuse  sich 
gestaltete.  Denn  Gommodus  pflegte  ohne  Scheu  sogar  dieje-^ 
nigen  seiner  Handlungen  in  derselben  zu  veröffentlichen,  welche 
der  bessere  Theii  des  Publicums  ihm  übel  deutete  oder  wohl 
selbst  als  Beweise  von  Rohheit,  Grausamkeit  und  ausschwei-* 
fender  Lebensweise  verdammte  und  mit  dem  Titel  von  Schand- 
thaten  brandmarkte  (ib.  c.l5.  p.  51.  G:  habuit  praeterea  morem, 


Die  Siaatszeitung  der  Monarchie.  336 

ut  omnia  quae  turpiter,  quae  impure,  quae  crudeiitery  quae 
gladiatorie,  quae  lenonice  faceret,  actis  ürbis  indi  juberet, 
ut  Marii  Maximi  scripta  testantur).  Nicht  unähnlich  verfuhr 
Tiberius,  indem  er  auf  dem  gleichen  Wege  die  schlimmsten 
Seiten  seines  Charakters,  die  schmachvollsten  Handlungen 
seines  Lebens  zur  Schau  stellte;  aber  seiner  Verfahrungsweise 
lagen,  wie  überall  so  auch  hier,  schlaue  politische  Absichten 
zu  Grunde.  Er  wollte  seine  Widersacher  vernichten;  deshalb 
spürte  er  ihren  geheimsten  Aeusserungcn,  selbst  im  Zwiege- 
spräche, nach  oder  dichtete  ihnen  solche  an,  die  sein  Gewis- 
sen ihm  als  möglich  erscheinen  Hess;  dann  aber  gebot  er  alle 
dergleichen  Aeusserungen  als  thatsachliche  durch  die  Zeitun- 
gen zu  verbreiten,  um  dergestalt  die  Verfolgungen,  mit  denen 
er  umging,  im  Voraus  und  wenn  auch  nur  scheinbar  vor  der 
öfientlichen  Meinung  zu  rechtfertigen  (Dio67,  23  zum  J.  775: 
xal  ydp  bI  iv  oSocop^rc^  Ttq  xai  nrpo^  eva  öisT^syPi]  tl,  xom 
rcfVTo  idri/aoo'igvsv,  wcrrs  nai  ig  ra  otoiva  aJico/tivrj/uara 
ea^aquc^ai.  otcu  ttoKhoauq  ql  [lii^  eIou  tiq^  wq  iigrji^vct, 
s4  ^*>v  EcxvTtp  on/injdsc,  itpocrxccraft^fgvStTo,  Sicwq  wg  öocaioTora 
S^L^Bor^at  vo/uLLcrPsiii)^ 

Abgesehen  von  diesen  theils  unwesentlichen  theils  un- 
würdigen Artikeln,  die  unter  besseren  Regenten  gewiss  sehr 
zusammenschmolzen^  diente  die  Staatszeitung  öfters  auch  zur 
Verbreitung  kaiserlicher  Erlasse,  Constitutionen  und  Edicte. 
Auf  diese  Weise  wurde  z.  B.  das  Rescript  Trajan's  gegen 
Bestechung  und  Prävarication  der  Advocaten  bekannt  gemacht 
(Plin,  epp.  5, 14:  Pauci  dies,  et  über  principis  severus,  et  ta- 
men  moderatus.  Legesipsum;  est  in  publicis  actis).  Doch 
immer  geschah  dies  sicher  nicht,  wie  schon  durch  Rückschluss 
daraus  erhellt,  dass  Caligula  sein  Steueredict  deshalb  mit 
so  ausserordentlich  kleinen  Buchstaben  ausfertigen  und  die 
Erztafel  in  dem  unzugänglichsten  Winkel  anbringen  liess,  da- 
mit Niemand  es  abschreiben  könne  und  mithin  aus  (Jnkennt^ 
niss  der  darin  enthaltenen  Bestimmungen  recht  viele  Contra- 
ventionen  begangen  würden  (Suet  Calig.  41). 

IL  Senatsberichte.  Diese  bestanden  natürlich  ge- 
meinhin nur  in  höchst  dürftigen  Auszügen  aus  den  Proto- 


336  Das  Staatsmtungsicesen  der  Römer, 

kollen  der  Senatssitzungen,  mit  Angabe  der  vom  Senate  ge- 
fassten  Beschlüsse.  Dies  folgt  schon  aus  Tac.  Ann.  16,  2?. 
Denn  als  unter  Nero  der  freimüthige  Thrasea  lange  vergeb- 
lich oder  nur  mit  matten  Erfolgen  gegen  den  Servilismus  des 
Senates  angekämpft  und  endlich  es  vorgezogen  hatte,  lieber 
die  Curie  gar  nicht  mehr  zu  betreten,  als  durch  seine  An- 
wesenheit bei  Fernerstehenden  den  Glauben  zu  erregen,  er 
gebe  den  schaamlosen  und  entwürdigenden  Decreten  dersel- 
ben seine  Zustimmung:  da,  heisst  es  bei  Tacitus  (zum  Jahre 
819],  wurden  in  den  Provinzen  und  bei  den  Heeren  die  Rö- 
mischen Tagesblätter  nur  um  so  eifriger  gelesen,  um  zu  er- 
fahren, was  Thrasea  nicht  gethan  habe,  d.  h.  um  die  Ent^ 
Wicklung  zu  verfolgen,  welche  die  Haltung  des  Senates  nun- 
mehr nach  dem  Rücktritt  seines  edelsten  Mitgliedes  und  dem 
•Verstummen  der  letzten  Opposition  nehmen  werde  (diurna 
populi  Romani  per  provincias,  per  exercitus  curatius  le- 
gunturi  ut  noscatur,  quae  Thrasea  non  fecerit).  Unter  der 
Rubrik  der  Senatsberichte  wurde  ohne  Zweifel  auch  der  Ver- 
lauf und  Ausgang  der  wichtigsten  Staatsprocesse,  die  vor  dem 
Senate  als  oberstem  Griminalgerichtshof  gefuhrt  wurden,  be- 
kannt gemacht. 

Nur  zuweilen  ging  ausnahmsweise  der  Inhalt  der  Sit- 
zungsprotokolle  ausfiihrlich  in  die  Staatszeitung  über.  Zum 
erstenmal,  wie  es  scheint,  im  Jahre  851,  als  Trajan  in  der 
€urie  feierlich  empfangen  ward;  an  die  Einzelheiten  dieser 
Sitzung  und  an  die  freudigen  Zurufe  des  Senates  erinnernd, 
sagt  daher  Plinius  d.  Jüngere  (paneg.  75):  „Doch  wozu  suche 
und  sammle  ich  das  Einzelne?  als  ob  ich  in  eine  Rede  zu- 
sammenzufassen ...  vermöchte,  was  ihr,  versammelte  Väter, 
beschlösset  sowohl  in  die  öffentliche  Zeitung  einrücken  als 
in  Erz  eingraben  zu  lassen^'  (et  in  publica  acta  mittenda, 
et  incidenda  in  aere.  Auf  dies  zwiefache  Moment  bezieht 
steh  auch  das  folgende:  et  in  vulgus  exire,  et  posteris  tradi, 
so  dass  es  unmöglich  ist  die  publica  acta  mit  den  Erztafein 
zu  identificiren). 

"       Und  was  enthielten  denn  nun  diese  ausführlicheren  Se- 
natsberichte  der  Staatszeitung?  Sicher  nichts  Gefährliches. 


Die  Staatszeilung  der  Monarchie.  337 

Nur  Beweise  wetteifernder  Unterthänigkeit,  eine  Mustersamm- 
lung schlüpfriger  Tiraden,  einen  Wust  schmeichlerischer  Ac- 
clamationen,  des  Thrones  so  wenig  wie  der  Curie  würdig, 

—  eine  Anleitung  zur  Nachahmung  fiir  das  Volk.  Wie  un- 
ermesslich  war  doch  die  Kluft,  die  zwischen  der  Zeit  des  Au- 
gustus  und  des  Trajan  lag!  die  langen  Zeiten  schmachvoller 
Tyrannei  hatten  ihre  Wirkung  nicht  verfehlt.  Selbst  als  der 
beste  Fürst  den  Thron  bestieg,  vermochte  der  Senat  sich  nicht 
zu  ermannen;  der  knechtische  Sinn  hatte  sich  schon  zu  tief 
eingenistet,  nur  dass  seine  Aeusserungen,  einst  durch  Zwang 
und  Furcht  aus  den  Lippen  gepresst,  jetzt  freiwillige  waren 
oder  im  Geleise  der  Gewohnheit  sich  bewegten.  „Heil  dir!" 
rief  man  dem  Trajan  in  der  Curie  zu.  „Vertraue  uns!  Ver- 
traue dir!"  —  „Mögen  die  Götter  dich  lieben,  wie  du  uns!" 

—  „Mögen  die  Götter  uns  lieben,  wie  du  uns  liebst!"  — 
„Heil  uns!"  —  dergleichen  war  es,  was  in  der  Staatszeitung 
stand  und  was  man  in  Erz  graben  Hess  (Plin.  1.  c.  74). 

Die  Verfasser  der  Historia  Augusta  liefern  eine  fast  un- 
absehbare Reihe  von  Beiträgen  ähnlichen  Gepräges  zur  Cha- 
rakteristik des  Senates,  sowie  seiner  Sitzungsprotokolle  und 
der  Berichte,  die  aus  diesen  in  die  Staatszeitung  übergingen. 
Wer  Lust  hat,  der  lese  sie.  Sie  gewähren  ein  sprechendes 
Gemälde  der  tiefsten  menschlichen  und  politischen  Erniedri- 
gung, über  das  auch  der  flüchtigste  Blick  nicht  hingleiten 
kann  ohne  unwillkürlich  Ekel  und  Abscheu  zu  erregen.  Da 
kann  man  auf  das  Genaueste  ersehen,  wie  oft  jeder  einzelne 
huldigende  Zuruf  des  Senates  wiederholt  wurde,  ob  man  fiinf- 
oder  zehn-  bis  achtzigmal  rief:  „dich  mögen  uns  die  Götter 
erhalten"  oder  „dich  haben  wir  stets  gewünscht"  oder  „nach 
dir  sehnte  sich  der  Staat"  u.  s.  w.  (s.  z.  B.  in  Claud.  4.  in 
Tac.  5).  Die  Kunst  der  Protokollirung  war  in  der  That  zu 
einer  staunenswerthen  Höhe  gediehen. 

Wir  können  uns,  trotz  unsers  Widerwillens,  der  Pflicht 
nicht  entziehn,  dem  Leser  wenigstens  Eine  Probe  als  Beleg 
vorzuführen,  und  zwar  die  wörtliche  Abschrift  eines  Artikels 
der  Staatszeitung  vom  Jahre  975  d.  St.  Doch  bemerken  wir, 
dass  diese  Probe  noch  zu  den  gemassigteren  gehört»   Es  han- 

Zeitschrift  f.  GescIiiehUw.    I.    1844.  22 


338  Das  Staats^eitungstvesen  der  Römer. 

delt  sich  um  die  Ablehnung  der  Beinamen  ;,Antoninus''  und  des 
„Grossen^'  durch  den  Kaiser  Alexander  Severus.  Die  Historia 
Augusta,  welcher  es  niemals  um  künstlerische  Form,  sondern 
um  trockne  Aneinanderreihung  urkundlicher  Documente  zu 
thun  ist,  beginnt  ohne  Umschweife  also  (in  Alex.  Sev.  c.  6  sqq.) : 
Aus  der  Staatszeitung  vom  6.  März  (Ex  Actis  Urbis 
a.  d.  pridie  nonas  martias):  Als  der  Senat  sich  in  der  Curie, 
nämlich  im  geweihten  Tempel  der  Eintracht,  zahlreich  ver- 
sammelt und  den  Aurelius  Alexander  Cäsar  Augustus  zur 
Theilnahme  eingeladen  hatte,  lehnte  dieser  es  anfangs  ab, 
weil  er  wusste,  dass  ihm  zu  erweisende  Ehrenbezeugungen 
den  Gegenstand  der  Verhandlung  bilden  sollten.  Endlich  er* 
schien  er  jedoch  und  wurde  mit  folgendem  Zuruf  empfan- 
gen: „Tugendhafter  Augustus,  mögen  die  Götter  dich  erhal- 
ten! Kaiser  Alexander,  mögen  die  Götter  dich  erhalten!  die 
Götter  gaben  dich  uns,  mögen  die  Götter  dich  uns  bewah- 
ren! die  Götter  haben  dich  den  Händen  eines  Sünders  [He- 
liogabaPs]  entrissen,  mögen  die  Götter  dir  langes  Leben  ver- 
leihen! Auch  du  hast  das  Joch  des  sündhaften  Tyrannen  ge- 
tragen; auch  du  seufztest  beim  Anblick  des  Sünders  und 
Wollüstlings.  Ihn  haben  die  Götter  ausgerottet,  mögen  dich 
die  Götter  erhalten!  Mit  Recht  ward  der  schmachvolle  Kaiser 
verurtheilt  Heil  uns  unter  deiner  Herrschaft,  Heil  dem  Staate ! 
Zum  abschreckenden  Beispiel  ist  der  Schändliche  am  Haken 
geschleift  worden,  mit  Recht  bestraft  der  schwelgerische  Kai- 
ser, mit  Recht  bestraft  der  Beflecker  der  Ehren.  Dem  Alex- 
ander verleihen  die  unsterblichen  Götter  Leben;  hier  offen- 
bart sich  das  Gericht  der  Götter  !^^  Als  Alexander  seinen  Dank 
ausgesprochen,  erscholl  der  Zuruf:  „Antoninus  Alexander, 
mögen  die  Götter  dich  erhalten!  Antoninus  Aurelius,  mögen 
die  Götter  dich  erhalten!  Antoninus  Pius,  mögen  die  Götter 
dich  erhalten!  Nimm  den  Namen  Antoninus  an,  wir  bitten 
dich !  Eingedenk  jener  guten  Kaiser  lass  dich  Antoninus  nen- 
nen! Reinige  du  den  Namen  der  Antonine;  was  Jener  schän- 
dete, das  reinige  du!  Stelle  die  Würde  des  Antoninischen 
Namens  wieder  her.  Möge  das  Blut  der  Antonine  sich  in 
dir  erkennen !  Räche  die  Verunglimpfung  des  Marcus/  räche 


J 


Die  Siaats^tung  der  Monarchie.  339 

die  Verunglimpfung  des  Verus,  räche  die  Verunglimpfung 
des  Bassianus!  Schlimmer  als  Gommodus  war  allein  Helio- 
gabal;  er  war  weder  Kaiser  noch  Antoninus,  noch  Bürger, 
noch  Senator,  noch  adelig,  noch  Römer.  In  dir  ruht  unser 
Heil,  in  dir  unser  Leben,  damit  wir  des  Lebens  froh  wer- 
den! Es  lebe  Alexander  den  Antoninen  gleich,  damit  wir  des 
Lebens  froh  werden!  Er  werde  Antoniuus  genannt,  als  An- 
toninus  weihe  er  die  Tempel  der  Antonine!  die  Parther  und 
die  Perser  besiege  Antoninus!  den  geweihten  Namen  em- 
pfange ein  Geweihter!  den  geweihten  Namen  empfange  ein 
Reiner!  den  Namen  des  Antoninus,  den  Namen  der  Antonine 
mögen  die  Götter  beschützen!  In  dir  und  durch  dich  besit- 
zen wir  Alles,  o  Antoninus!'^  Auf  diese  Acciamationen  ant- 
wortete Aurelius  Alexander  Cäsar  Augustus:  „Dank  sei  euch, 
versammelte  Väter,  nicht  jetzt  zuerst,  sondern  auch  wegen 
der  Gäsarwürde,  wegen  der  Erhaltung  meines  Lebens,  we- 
gen der  Ertheilung  des  Augustustitels,  der  Oberpriesterwürde, 
der  tribunicischen  und  der  proconsularischen  Gewalt:  Ehren, 
die  ihr  mir  durch  eine  Gunst  ohne  Gleichen,  sämmtlich  an 
Einem  Tage  beigelegt."  Kaum  hatte  er  diese  Worte  gespro- 
chen^ als  man  ihm  von  Neuem  zurief:  „Alle  diese  Ehren 
hast  du  angenommen,  so  nimm  nun  auch  den  Namen  Anto- 
ninus an!  das  darf  der  Senat,  das  dürfen  die  Antonine  ver- 
dienen! Antoninus  Augustus,  mögen  die  Götter  dich  schützen! 
Mögen  die  Götter  dich  Antoninus  erhalten!  den  Münzen  werde 
der  Name  der  Antonine  zurückgegeben,  die  Tempel  der  An- 
tonine weihe  ein  Antoninus!"  Aurelius  Alexander  Augustus 
erwiederte:  „Ich  beschwöre  euch,  versammelte  Väter,  ver- 
setzt mich  nicht  in  die  bedenkliche  Nothwendigkeit,  einem 
so  grossen  Namen  genügen  zu  müssen;  zumal  da  schon  der 
Name  den  ich  führe,  obwohl  ein  ausländischer  [Alexander], 
mir  eine  Bürde  scheint  Fürwahr,  alle  solche  ausgezeichnete 
Namen  sind  niederdrückend.  Wer  wollte  etwa  einen  Stum- 
men Cicero  nennen?  wer  einen  Unwissenden  Varro?  wer 
einen  Ruchlosen  Metellus?  Und  —  was  die  Götter  verhüten 
mögen  —  wenn  Jemand  ohne  seinem  Namen  zu  entsprechen 
im  Glänze  der  höchsten  Würden  verweilt,  wer  würde  ihn 

22* 


-     *■ 


340  Das  Staatszeitungstvesen  der  Römer. 

dulden?^'  Die  nämlichen  Acciamationen  erschollen^  wie  zu- 
vor; der  Kaiser  aber  sprach:  „Von  welcher  Bedeutung  der 
Antoninen  Name  (nomen)  oder  vielmehr  ihr  himmlisches  Wal- 
ten (numen)  war,  das  ist  gewiss,  geneigte  Väter,  noch  in 
eurem  Gedächtnisse.  Gilt  es  Frömmigkeit:  wer  war  heiliger 
als  Pius?  Gilt  es  tiefes  Wissen:  wer  weiser  als  Marcus? 
Gilt  es  Redlichkeit:  wer  offener  als  Verus?  Gilt  es  Tapfer- 
keit: wer  tapferer  als  Bassianus?  Denn  des  Gommodus  will 
ich  jetzt  nicht  gedenken,  der  eben  um  so  verabscheuungs- 
würdiger  war,  weil  er  bei  solchen  Sitten  den  Namen  Anto- 
ninus  beibehielt.  Diadumenus  aber  war  noch  zu  jung,  hatte 
noch  nicht  Zeit  gehabt  den  Namen  zu  verdienen,  den  die 
Schlauheit  des  Vaters  ihm  zuführte."  Wiederum  erfolgten 
Acciamationen,  wie  zuvor.  Der  Kaiser  fuhr  fort:  „Neuerlich 
aber  —  wohl  erinnert  ihr  euch  dessen,  versammelte  Väter! 
—  als  jenes  Ungethüm,  das  an  Schaamlosigkeit  nicht  nur  alle 
zweifussigen,  sondern  selbst  alle  vierfussigen  Geschöpfe  über- 
traf, den  Namen  Antoninus  sich  anmasste  und  in  Schand- 
thaten  und  Schwelgereien  den  Sieg  über  die  Nerone,  die  Vi- 
tellier  und  die  Gommodus  davontrug:  wie  war  da  das  Seuf- 
zen allgemein,  wie  herrschte  da  unter  allen  Klassen  des 
Volkes  und  in  allen  ehrenwerthen  Kreisen  nur  Eine  Stimme 
darüber,  dass  dieser  nicht  mit  göttlichem  Rechte  (rite)  An- 
toninus heisse,  und  dass  durch  diese  Pest  der  so  erhabene 
Name  geschändet  werde."  Bei  diesen  Worten  rief  man  ihm 
zu:  „Solch'  Unglück  mögen  die  Götter  verhüten!  Unter  dei- 
ner Herrschaft  fürchten  wir  dies  nicht;  unter  deiner  Führung 
sind  wir  davor  sicher.  Du  hast  gesiegt  über  die  Laster,  ge- 
siegt über  die  Verbrechen,  gesiegt  über  die  Schmach.  Du 
hast  dem  Namen  Antoninus  Ehre  gemacht.  Wir  sind  unbe- 
sorgt, wir  sind  voll  guten  Vorurtheils.  Wir  haben  dich  von 
Kindheit  an  erprobt  und  erproben  dich  auch  jetzt."  Der  Kai- 
ser erwiederte:  „Nicht  deshalb,  versammelte  Väter,  scheue 
ich  mich  jenen  in  Aller  Augen  so  ehrwürdigen  Namen  an- 
zunehmen, weil  ich  besorgte,  ich  möchte  in  ein  ähnliches 
lasterhaftes  Leben  verfallen,  oder  weil  ich  mich  des  Namens 
schämte;  allein  einmal  widersteht  es  mir,  den  Namen  einer 


Die  Staatsieitung  der  Monarchie.  341 

fremden  Familie  mir  anzumassen,  und  andrerseits  glaube  ich 
auch,  dass  dessen  Gewicht  mich  niederdrücken  dürfte/'  Neue 
Acclamationen  wie  zuvor.  Dann  fuhr  er  fort:  „Gewissl  so 
gut  wie  den  Namen  des  Antoninus,  kann  ich  auch  den  Na- 
men des  Trajan  und  des  Titus  und  des  Yespasian  annehmen/' 
Bei  diesen  Worten  unterbrach  ihn  der  Ruf:  „In  gleichem 
Sinne  wie  Augustus,  so  heisse  auch  Antoninus!''  Darauf  der 
Kaiser:  „Ich  sehe  wohl,  versammelte  Väter,  was  euch  be- 
wegt, diesen  mir  beizulegen.  Der  erste  Augustus  ist  der  erste 
Urheber  des  Reiches,  und  sein  Name  ist  uns  Allen  gleich- 
wie durch  Adoption  oder  Erbrecht  überkommen;  die  Anto- 
nine selbst  hiessen  Augusti.  Den  Namen  Antoninus  dagegen 
hat  Pius  nach  wirklichem  Adoptionsrecht  auf  Marcus  und 
Verus  übertragen;  Gommodus  erhielt  ihn  als  ein  Erbstück; 
bei  Diadumenus  war  er  etwas  Absichtsloses,  bei  Bassianus 
eine  AflTectation  und  —  bei  Aurelius  Alexander  würde  er  lä- 
cherlich sein."  Nunmehr  erscholl  der  Zuruf:  „Alexander  Au- 
gustus, die  Götter  mögen  dich  schützen!  Heil  ob  deiner  Be- 
scheidenheit, deiner  Klugheit,  deiner  Untadelhaftigkeit,  deiner 
Sittenreinheit!  Jetzt  erkennen  wir,  was  du  uns  sein  wirst; 
hieran  erproben  wir  dich!  Du  wirst  es  bewirken,  dass  die 
Fürsten  wählen  des  Senates  gut  ausfallen;  bewirken,  dass  das 
ürtheil  des  Senates  für  das  beste  gilt.  Alexander  Augustus, 
mögen  die  Götter  dich  schützen!  Mag  denn  der  Antoninen 
Tempel  Alexander  Augustus  weihen!  Dich,  unsern  Gasar,  un- 
sern  Augustus,  unsern  Imperator,  mögen  die  Götter  erhalten! 
Sieg,  Glück  und  Herrschaft  viele  Jahre  lang!"  Kaiser  Alex- 
ander nahm  von  Neuem  das  Wort:  „Ich  sehe,  versammelte 
Väter,  dass  ich  erreicht  habe  was  ich  wollte,  und  ftlr  diese 
Gewährung  kann  ich  nicht  umhin  die  grösste  Erkenntlichkeit 
zu  hegen  und  zu  bethätigen,  indem  ich  danach  ringen  werde, 
dass  auch  der  Name  den  ich  mit  auf  den  Thron  gebracht 
würdig  genug  sei,  um  von  Anderen  begehrt  und  guten  Für- 
sten durch  das  Urtheil  eurer  Pietät  zuerkannt  zu  werden." 
Nach  diesen  Worten  ertönte  der  Ruf:  „Grosser  Alexander, 
die  Götter  mögen  dich  schützen!  Hast  du  den  Namen  Anto- 
ninus zurückgewiesen,  so  nimm  den  Beinamen  des  Grossen 


342  Doi  Staatszeitungswesen  der  Römer. 

an!  Grosser  Alexander,  die  Götter  mögen  dich  schützen!^' 
Als  dieser  Ruf  sich  immer  wieder  erneuerte,  sagte  Alexander 
Augustus:  „Eher  durfte  ich^  versammelte  Vater,  den  Namen 
der  Antonine  annehmen;  denn  dafür  Hesse  sich  doch,  wenn 
auch  nur  einigermassen,  die  Blutsverwandtschaft  oder  der 
gleiche  Beruf  zur  Führung  des  kaiserlichen  Titels  geltend 
machen.  Aus  welchem  Grunde  aber  sollte  ich  den  Namen 
des  Grossen  annehmen?  Was  habe  ich  denn  schon  Grosses 
gethan?  Alexander  hat  ihn  erst  nach  grossen  Thaten,  Pom- 
pejus  erst  nach  grossen  Triumphen  angenommen.  Lasset  also 
ab,  ehrwürdige  Väter,  und  selbst  grossmächtig  (magnifici) 
wie  ihr  seid,  haltet  mich  lieber  für  einen  der  Eurigen,  als 
dass  ihr  den  Namen  des  Grossen  auf  mich  übertraget/'  Hier- 
auf erschallten  die  Acciamationen :  „Aurelius  Alexander  Au- 
gustus, die  Götter  mögen  dich  schützen !''  und  so  weiter  wie 
es  Sitte  war  (Et  reliqua  ex  more). 

Damit  endet,  nicht  die  Sitzung  —  denn  nach  dieser  glor- 
reichen Debatte  wurden  noch  andere  Dinge  verhandelt  (ib. 
c.  12)  — ,  wohl  aber  das  Excerpt  des  Verfassers,  demgemäss 
der  Monarch  allerdings  dem  servilen  Senate  gegenüber  im 
vortheilhaftesten  Lichte  erscheint  Eines  weiteren  Gommen- 
tars  dieser  und  ähnlicher  Stellen  bedarf  es  nicht;  das  einzig 
Interessante  ist  das  Resultat,  dass  die  Staatszeitung  höchst 
langweilig  war.*) 

III.  Volksberichte  —  die  Acta  populi  im  eigentlichen 
und  ursprünglichen  Sinne.  Hier  offenbarte  sich  in  dem  Ge- 
halt der  Staatszeitung  der  ungeheuerste  Abstand  zwischen  den 


*)  Le  Giere  hat  die  Stellen  aus  der  Bist.  Aug.  über  Marc.  Au- 
rel  (p.  397  sq.)  und  über  Commodus  (p.  399  sqq.),  sowie  aus  Au- 
rel  Vict.  überPertinax  (p.  405  sq.)  mil  Unrecht  unter  die  Zeitungs- 
fragmente aufgenommen.  Zwar  standen  sie  sicher  in  den  Senats- 
protokollen; dass  sie  aber  daraus  in  die  Acta  populi  übergegangen 
wären,  dafür  findet  sich  nicht  die  leiseste  Andeutung,  und  die  blosse 
Voraussetzung  ist  um  so  gewagter,  als  anerkannterweise  die  Ver- 
fasser der  Hist.  Aug.  und  die  Gewährsmänner  derselben  so  gut  wie 
vor  ihnen  Tacitus,  Sueton  u.  a.  Geschichtschreiber  auch  unmit- 
telbar aus  den  Senatsprotokollen  schöpften.  Nicht  minder  unbe- 
gründet sind  die  sämmtlichen  Gitate  bei  Le  Giere  p.  418. 


Die  Staatss&eitung  der  Monarchie.  343 

Zeiten  der  Republik  und  denen  der  Monarchie.  Denn  ein  poli- 
tisches Interesse  konnten  diese  Berichte  nur  so  lange  gewäh- 
ren, als  sie  der  Thatenreflex  der  souveränen  oder  autonomen 
Volksversammlungen  waren,  als  die  Regesten  derselben  ihren 
Mittelpunkt  bildeten.  Schon  in  den  Anfängen  des  Principates 
aber,  wie  wir  neulich  zeigten  (Heft  1.  dieser  Zeitschr.  S.  37  ff.), 
verschwanden  die  Rechte  des  Volkes^  verstummten  die  Go- 
mitien.  Und  je  mehr  dergestalt  die  politische  Bedeutung  des 
Volkes  und  der  Gomitien  erlosch,  je  mehr  schrumpften  auch 
die  Volksberichte  zusammen,  je  mehr  wurde  diese  Rubrik 
auf  das  sociale  Leben  angewiesen  und  mit  Referaten  gefut- 
tert, die  ebenso  schaal  als  unschädlich  waren.  Hier  fand  das 
Volk  täglich  die  sprechenden  Beweise  seiner  Erniedrigung; 
doch  nahm  unter  den  Wirkungen  der  Zeit  und  dieses  offi- 
ciellen  Gängelbandes  die  Zahl  derer  mehr  und  mehr  ab,  de- 
nen der  Vergleich  mit  der  Vergangenheit  die  Gegenwart  zu 
entwürdigen  schien.  Hofdienste  Gnaden  und  Aemter  Hessen 
den  Ehrgeizigen,  Almosen  Brodspenden  und  Spiele  den  Müs- 
siggänger  den  Verlust  souveräner  Rechte  vergessen.  Von 
Geschlecht  zu  Geschlecht  gewann  der  politische  Indifferen- 
tismus grösseres  Terrain. 

Debatten  der  Volksredner  also,  Plebiscite  und  Leges  im 
eigentlichen  Sinne  oder  Volks ge setze,  sowie  auch  Volks- 
wahlen, konnte  die  Staatszeitung  wenigstens  seit  der  Re- 
gierung des  Tiberius  (s.  Heft  l.S.  47  f.  56  f.  61),  dessen  Politik 
das  System  der  Centralisation  selbst  gewaltsam  ins  Leben 
einführte,  nicht  mehr  mittheilen;  wohl  aber  durfte  sie  nun 
um  desto  ausführlicher  von  Volksfesten  und  Lustbarkeiten 
Kunde  geben,  von  Gircusspielen  und  Gladiatorenkämpfen, 
überhaupt  von  Allem,  worin  das  Wesen  der  Dinge  am  we- 
nigsten besteht. 

Nur,  wie  im  wirklichen  Leben  an  die  Verkündigung  der 
vom  Fürsten  und  dem  Senate  vollzogenen  Wahlen  und  Ge- 
setze vor  den  Schattenbildern  der  abgestorbenen  Gomitien 
(s.  Heft  1.  S.  49  f.  57  f.),  so  knüpften  sich  in  den  Mittheilungen 
der  Staatszeitung  an  die  Berichte  über  diese  Verkündigungs- 
scenen  für  das  Volk  die  einzigen  politischen  Erinnerungen 


344  Das  StaatszeUungswesen  der  Römer. 

grösserer  Tage  an.  Allein  auch  diese  Erinnerungen  mussten 
für  den  bessern  Theil  desselben  betrübend  und  demüthigend 
erscheinen.  Denn  statt  der  Resultate  seiner  Abstimmungen 
las  es  jetzt  nur  die  Zergliederung  seiner  tausendstimmigen 
Acciamationen.  Die  Renunciation  der  vom  Senat  vollzogenen 
Kaiserwahlen  spielte  eine  Hauptrolle.  Die  Historia  Augusta 
hat  uns  bei  Gelegenheit  der  £rwählung  des  Kaisers  Tacitus 
in  einem  kurzen  Auszug  das  Bild  einer  solchen  Scene  erhal- 
ten, das  der  Verfasser  oder  sein  Gewährsmann  nirgend  an- 
ders woher  entlehnt  haben  kann,  als  aus  der  von  ihm  aus- 
drücklich benutzten  Staatszeitung  (inProb.  c.  2:  usus  ...  actis 
etiam  senatus  ac  populi).  Es  heisst  daselbst  (inTacit.  c. 7): 
„Aus  dem  Senat  begab  man  sich  auf  das  Marsfeld.  Dort  be- 
stieg Tacitus  die  Gomitialbühne  und  der  Stadtprafect  Aelius 
Gesetianus  hielt  folgende  Anrede:  „„Hochwürdige  Soldaten 
und  hochverehrte  Quiriten  (Vos,  sanctissimi  milites,  et  sacra- 
tissimi  vos  Quirites)!  Ihr  habt  nunmehr  einen  Fürsten,  wel- 
chen nach  dem  Wunsche  aller  Heere  der  Senat  erwählt  hat. 
Tacitus  ist  es,  dieser  hocherhabene  Mann,  der,  wie  er  bis- 
her durch  seine  Rathschläge  das  Gemeinwesen  förderte,  nun- 
mehr dasselbe  durch  seine  Befehle  und  Beschlüsse  fördern 
mag.''"  Sogleich  erhob  sich  das  Beifallsgeschrei  des  Volkes: 
„„Glückseligster  Tacitus  Augustus,  mögen  die  Götter  dich 
erhalten!"''  und  was  man  sonst  noch  bei  solcher  Gelegenheit 
zuzurufen  pflegt"  (et  reliqua,  quae  solent  dici). 

Zuweilen  Hessen  sich  auch  statt  der  früheren  Volksred- 
ner die  Kaiser  selbst  vor  dem  Volke  vernehmen,  und  die 
Staatszeitung  ermangelte  nicht,  dergleichen  Acte  zu  beschrei- 
ben und  die  kaiserlichen  Reden  wiederzugeben.  So  las  man 
darin,  als  Alexander  Severus  mit  prächtigen  Siegesnachrich- 
ten von  seinem  in  den  Erfolgen  sehr  zweideutigen  Feldzuge 
gegen  Persien  nach  Rom  zurückgekehrt  war  und  zunächst 
dem  Senate  seine  glorreichen  Bulletins  selbst  verkündet  hatte, 
—  wie  er  nach  der  Aufhebung  der  Senatssitzung  sich  auf 
das  Capitol  begeben,  dort  geopfert  und  die  persischen  Ge- 
wänder im  Tempel  niedergelegt,  dann  aber  an  das  Volk  eine 
Rede  gehalten  habe,  etwa  des  Inhaltes:  „Quiriten!  Wir  ha- 


Die  Staatszeitung  der  Monarchie.  345 

ben  die  Perser  besiegt;  wir  haben  die  Truppen  beutebeladen 
zurückgeführt.  Euch  versprechen  wir  eine  Geldspende;  auch 
werden  wir  morgen  im  Circus  persische  Spiele  veranstalten" 
(Hist.  Aug.  in  Alex.  Sev.  c.  57.  s.  ob.  S.  314,  wo  wir  schon 
nachgewiesen,  dass  die  als  Quelle  citirten  Staatsannalen  nichts 
anders  gewesen  sein  können,  als  der  betreffende  Jahrgang 
der  Staatszeitung). 

IV.  Magistratsberichf e.  z.  B.  Mittheilungen  aus  den 
Verhandlungen  vor  den  Gonsuln.  Dahin  gehört  ein  Begegniss 
unter  Domitian  im  Jahre  846  oder  847,  welches  Plinius  der 
Jüngere  (epp.  7,  33)  erzählt.  Der  Senat  hatte  ihn  und  den 
berühmten  Herennius  Senecio  zu  Vertretern  der  Provinz  Bä- 
tica  gegen  Babius  Massa  bestellt;  dieser  war  verurtheilt  und 
sein  Vermögen  auf  Senatsbeschluss  vorläufig  mit  Beschlag 
belegt  worden.  Es  war  die  Gefahr  vorhanden,  dass  durch 
geheime  Mittel  und  Opfer  der  Verurtheilte  das  Vermögen 
wieder  an  sich  brächte  und  der  Provinz  die  gebührende  Schad- 
loshaltuttg  entginge.  Die  beiden  Advocaten  wollten  deshalb 
die  Gonsuln  bitten,  dafür  Sorge  zu  tragen,  dass  das  Vermö- 
gen nicht  durch  die  Verwahrenden  verschleudert  würde.  „Wir 
kamen,  erzählt  er,  zu  den  Gonsuln  (venimus  ad  consules); 
Senecio  sagte  was  zur  Sache  gehört,  Einiges  fügte  ich  hinzu. 
Kaum  schwiegen  wir  still,  als  Massa  sich  beklagte,  Senecio 
habe  nicht  die  Pflicht  eines  Anwalts,  sondern  die  Bitterkeit 
eines  Feindes  gegen  ihn  erfüllt,  und  denselben  des  Majestäts- 
verbrechens der  beleidigten  Ehrfurcht  (impietatis)  beschuldigte. 
Jedermann  entsetzte  sich.  Ich  aber  sagte:  ich  fürchte,  er- 
lauchte Gonsuln,  Massa  zieht  mir  durch  sein  Stillschweigen, 
insofern  er  nicht  auch  niich  beschuldigt,  den  Vorwurf  der 
Prävarication  zu  (d.  h.  den  Verdacht,  es  insgeheim  mit  ihm 
gehalten,  sein  Interesse  beim  Process  begünstigt  zu  haben). 
Dieser  Ausspruch  wurde  sogleich  aufgefasst  und  nachmals 
vielfach  gerühmt."  Und  von  diesem  Hergange  sagt  nun  Pli- 
nius vorher  selbst,  er  wäre  in  den  actis  publicis  verzeichnet. 
Die  Scene  desselben  war  allem  Anschein  nach  nicht  die  Se- 
natsversammlung, wie  Walch  (ad  Agricol.  p.  113  sq.)  und  Zell 
(a.  a.  O.)  annehmen,  sondern  das  Audienzlocal  der  Gonsuln; 


346  Das  Siaatszeitungswesen  der  Römer. 

daher  es  kurz  zuvor  heisst:  Senecio,  <)uuin  explorasset«  con- 
sules  postulationibus  vacaturos.  Dafür  als^  dass  auch 
Senatsvorgänge  in  die  Acta  populi  aufgenommen  worden  seien, 
dürfte  wenigstens  diese  Stelle  nicht,  wie  jene  behaupten, 
einen  Beleg  geben.  Dass  es  sich  aber  hier  wirklich  um  ei- 
nen Artikel  der  Staatszeitung  handelt,  geht,  wenn  noch  einem 
Zweifel  Raum  bleiben  könnte,  aus  der  ganzen  Fassung  des 
Briefes  hervor.  Dieser  ist  an  den  Geschichtschreiber  Tacitus 
gerichtet,  der  diese  Handlung  des  eitlen  Plinius  in  seinen  be- 
rühmten Historien  verherrlichen  soll.  Und  Plinius  sagt:  „ich 
bezeichne  dir  diese  Handlung,  obwohl  sie,  als  in  den  actis 
publicis  enthalten,  deiner  Aufmerksamkeit  nicht 
entgehen  kann.  Nun  hätte  sie  aber  doch  dem  Tacitus  sehr 
wohl  entgehen  können,  wenn  etwa  hier  die  Actenstücke  der 
Magistratsarchive,  die  Tacitus  niemals  citirt  und  unmöglich 
erschöpfend  benutzen  konnte,  gemeint  wären  und  nicht  viel- 
mehr eben  die  Acta  populi  oder  Urbis  diuma,  deren  Jahr- 
gänge Tacitus  offenkuudigerweise  gewissenhaft  durchmusterte 
und  deshalb  auch  mehr  wie  einmal  citirt. 

y.  Vermischte  Nachrichten.  Dieselben  lassen  sich 
etwa  folgendermassen  rubriciren,  wobei  es  sich  natürlich  nur 
um  die  Unterscheidung  des  Inhaltes,  nicht  um  die  Gonstati- 
rung  eines  ofliciellen  Schemas  für  die  Reihefolge  handelt: 

1.  Leichenbegängnisse  vornehmer  Personen.  So 
wurden  z.  B.  die  Trauerfeierlichkeiten  bei  der  Bestattung  der 
Beste  des  Germanicus  unter  Tiberius  im  Jahre  773  ausführ- 
lich in  der  Staatszeitung  beschrieben  und  die  Functionen  an- 
gegeben, welche  die  einzelnen  Mitglieder  des  fürstlichen  Hau- 
ses dabei  übernommen  hatten ;  deshalb  wundert  sich  Tacitus, 
selbst  in  diesem  den  Tagesereignissen  gewidmeten  Organe 
die  Mutter  des  Germanicus,  Antonia,  nirgend  bei  dieser  Feier 
besonders  aufgeführt  zu  finden  (Ann.  3,  3:  matrem  Antonianri 
non  apud  auctores  rerum,  non  diuma  actorum  scriptura 
reperio  uUo  insigni  officio  functam,  cum  super  Agrippinam  et 
Drusum  et  Glaudium  ceteri  quoque  consanguinei  nominatim 
perscripti  sint). 

2.  Localanordnungen.  z.B.  die  Erweiterung  der  Stadt- 


Die  Staatszeitung  der  Monarchie.  347 

grenzen  unter  Claudius  (Tac.  Ann.  12,  24:  quos  tum  Clau- 
dius terminos  posuerit  facile  cognitu  et  publicis  actis  per- 
scriptum). 

3.  Bauten.  So  gab  die  Staatszeitung  sehr  gewissenhaft 
fortlaufende  lobpreisende  Berichte  über  den  Bau  des  Amphi- 
theaters unter  Nero  im  Jahre  810;  sie  war  von  diesem  Ge- 
genstande um  so  mehr  erfällt,  als  Nero  dafür  sorgte,  dass 
der  Stoff  zu  wichtigeren  Artikeln  ihr  gebrach  und  die  Meldung 
denkwürdigerer  Thaten  eine  Unmöglichkeit  war.  Daher  schrieb 
Tacitus,  nachdem  er  diesen  Jahrgang  durchblättert  und  die 
politische  Ebbe  darin  wahrgenommen  hatte,  nicht  ohne  Bit- 
terkeit jene  Worte  nieder  (Ann.  13, 31) :  „Als  Nero  zum  zwei- 
tenmal nebst  L.  Piso  Consul  war,  geschah  wenig,  das  der 
üeberlieferung  werth  wäre,  —  man  müsste  denn  etwa  Lust 
haben,  mit  Lobpreisungen  der  Steinmassen  und  Gebalke,  wo- 
durch der  Kaiser  den  Koloss  von  Amphitheater  am  Marsfelde 
zu  Stande  brachte,  die  Bände  anzufüllen,  während  es  doch 
der  Würde  des  Römischen  Volkes  entsprechend  befunden 
ward,  wichtige  Ereignisse  den  Jahrbüchern  anzuvertrauen 
(annalibus  d.i.  Geschichtswerken,  wie  sie  eben  Tacitus  schrieb), 
dergleichen  Dinge  aber  den  Tagesblättem  der  Stadt  zu 
überlassen"  (diurnis  ürbis  Actis  vgl.  ob.  S.  314).  —  Wer  sollte 
es  glauben,  dass  die  despotische  Censur  des  Hofes  sich  sogar 
auf  diese  gleichgültigen  Artikel  erstreckte!  Und  doch  war  dem 
so.  Unter  Tiberius  im  Jahre  775  wurde  der  grösste  Säulen- 
gang in  Rom,  der  sich  nach  der  einen  Seite  gesenkt  hatte, 
auf  eine  bewunderungswürdige  Weise  wieder  aufgerichtet 
Die  Kunst  des  Baumeisters,  der  dieses  Werk  vollbrachte,  er- 
regte so  sehr  die  Missgunst  des  Kaisers,  dass  er  verbot  des- 
sen Namen  in  den  Zeitungen  anzugeben,  damit  derselbe  nicht 
auf  die  Nachwelt  käme  (Dio  57,  21 :  oiJx  sitsrps^sv  aoJrd  iq 
Toe  nj'sto/iivri/iiara  icrypoKpUvat) ;  und  wirklich  gerieth  der- 
selbe dadurch  in  Vergessenheit.  Dio,  der  nicht  minder  fleis- 
sig  wie  Tacitus  die  Jahrgänge  der  Staatszeitung  bei  seinem 
Geschichts werke  zu  Rathe  zog,  fand  darin  den  Namen  des 
Künstlers  nicht,  wohl  aber  wie  es  scheint  die  Beschreibung 
seines  Verfahrens.   „Er  befestigte,  heisst  es,  die  Grundsteine 


348  Das  Staats^eitungswesen  der  Rötner. 

des  Säulenganges  so,  dass  sie  sich  nicht  verschieben  konn- 
ten, Hess  den  übrigen  Theil  des  Baues  ganz  mit  wollenen 
und  leinenen  Decken  umwickeln,  das  Ganze  aber  überall  mit 
Seilen  umspannen,  und  hob  es  dann  durch  das  gleichzeitige 
Anziehen  vieler  Menschen  und  Maschienen  wieder  in  die 
alte  Lage.'^ 

4.  Naturereignisse  und  Wunder.  Im  Jahre  800  d. 
St  zeigte  z.  B.  die  Staatszeitung  an,  dass  der  Yogel  Phönix  er- 
schienen, eingefangen,  nach  Rom  transportirt  und  auf  Befehl 
des  Kaisers  Claudius  nunmehr  im  Gomitium  ausgestellt  wor- 
den sei  (Plin.  H.  N.  10,  2:  actis  testatum  est.  Solin.  33,  14: 
actis  etiam  Urbis  continetur),  Dass  es  indess  ein  un'ächter 
gewesen,  setzt  Plinius  hinzu,  würde  Niemand  bezweifeln. 

5.  Merkwürdige  Vorfälle  und  Anekdoten.  Unterm 
Uten  April  749  meldete  z.B.  die  Staatszeitung:  G.  Grispinus 
Hilarus,  aus  einer  ehrenwerthen  plebejischen  Familie  von  Fä- 
sulä,  habe  in  einer  grossen  und  feierlichen  Procession,  be- 
gleitet von  9  Kindern,  worunter  2  Töchter,  von  27  Enkeln, 
8  Enkelinnen  und  29  Urenkeln,  dem  Jupiter  auf  dem  Gapitol 
ein  Opfer  dargebracht  (Plin.  1.  c.  7, 13, 11 :  in  actis  temporum 
divi  Augusti  invenitur,  XII  consulatu  ejus,  Lucioque  Sylla 
collega,  a.  d.  III  Idus  Aprilis  etc.).  —  Unterm  lOten  Januar 
781  berichtete  sie  ein  merkwürdiges  Beispiel  von  der  Treue 
und  Hingebung  der  Hunde  für  ihre  Herren.  Als  nämlich  Ti- 
tius  Sabinus  und  dessen  Sklaven  zum  Tode  verurtheilt  wor- 
den, habe  man  nicht  vermocht,  den  Hund  eines  der  letzteren 
vom  Gefängnisse  zu  entfernen;  als  man  den  Leichnam  die 
Stufen  der  Gemonien  hinabgeworfen,  sei  er  dennoch  nicht 
von  dem  Körper  gewichen  und  habe,  umringt  von  einer  gros- 
sen Volksmenge,  kläglich  geheult  und  gewimmert;  als  ihm 
Jemand  ein  Stück  Brod  zugeworfen,  habe  er  es  zum  Munde 
seines  todten  Herrn  getragen,  und  sobald  der  Leichnam  in 
die  Tiber  gestürzt  worden,  habe  er  sich  nachgestürzt  und  den 
Körper  schwimmend  über  dem  Wasser  zu  erhalten  gesucht, 
während  die  Menge  von  allen  Seiten  herbeigeströmt  sei,  um 
die  Treue  dieses  Thieres  zu  bewundern  (Plin.  1.  c.  8,  40,  61: 
actis  populi  Romani  testatum.  vgl.  Dio  58,  1  wo  jedoch 


Die  Staatss^tung  der  Monarchie,  349 

Sabinus  selbst  als  Herr  des  Hundes  gilt).  Von  der  Gehässig- 
keit dieser  Hinrichtung  ohne  gerichtlichen  Urtheilsspruch,  von 
der  Schändlichkeit  eines  solchen  Justizdespotismus,  sprach 
natürlich  die  Zeitung  nicht.  — 

Zu  dieser  Rubrik  dürfen  wir  auch  wohl  die  Prophezeiung 
rechnen,  welche  die  Historia  Augusta  in  Opil.  Macrin.  c.  3 
aus  den  Staatsannalen  entlehnte  d.i.  aus  einem  der  Jahr- 
gänge der  Staatszeitung  (s.  oben  S.  310).  Die  Himmelsprie- 
sterin  zu  Garthago,  heisst  es  daselbst,  welche  von  der  Gott- 
heit beseelt  die  Zukunft  zu  verkünden  pflegt,  als  sie  einst 
unter  Antoninus  dem  Frommen  durch  den  Proconsul  über 
die  Lage  des  Staates  und  über  die  Herrschaft  befragt  wurde, 
befahl  sobald  sie  auf  die  Fürsten  zu  reden  kam,  mit  lauter 
Stimme  zu  zählen,  wie  oft  sie  „ Antoninus ''  sage;  und  dar- 
auf, wie  alle  deutlich  vernahmen,  nannte  sie  den  Namen 
„Antoninus  Augustus'^  achtmal.  Jedermann  hatte  daraus  ge- 
folgert, Antoninus  der  Fromme  werde  acht  Jahre  regieren. 
Als  aber  derselbe  diese  Zahl  von  Jahren  überschritt,  so  wa- 
ren die  Gläubigen  damals  und  später  überzeugt,  dass  die  Pro- 
phetin etwas  anderes  angedeutet  habe;  nämlich  die  Zahl  de- 
rer, welche  den  Namen  Antoninus  führten  d.  i.  Pius,  Marcus 
Aurelius,  Yerus,  Gommodus,  Garacallus,  Geta,  Diadumenus 
und  Heliogabalus. 

6.  Hinrichtungen.  Dass  die  Ankündigung  derselben 
in  der  Staatszeitung  mit  Namhaftmachung  der  Delinquenten 
Regel  war,  ergiebt  sich  genugsam  daraus,  dass  die  geheime 
Hofjustiz  der  Tyrannen  in  gewissen  Fällen  eine  Ausnahme 
forderte.  So  verbot  Domitian  im  Jahre  844  ausdrücklich,  die 
Namen  der  Hingerichteten  daselbst  aufzuführen,  damit  ihr 
Andenken  nicht  auf  die  Nachwelt  käme  (Dio67, 11:  (So-^'JW 
liur\6ß/iu(x  ^iVTj^LT]  vdSv  S^avaToxj^vwv  'UjtoksicpPji  sxtjihvcrs 
crcpdq  sg  rd  ajÄo^Lvri^aTa  io'ypaq)i]a;at).  Dies  Verbot  kann 
sich  durchaus  nur.  auf  die  Acta  populi  beziehen;  denn  den 
betreffenden  Executionen  ging  kein  Process,  keine  schriftliche 
Verhandlung  voraus  {rwv  y^a/n/naTwv  xwpig),  und  Domitian 
referirte  nicht  einmal  darüber  im  Senate  (ibid.),  so  dass  iu 
den  geheimen  Senatsprotokollen  (Acta  senatus,  vÄo^LVTJ^iaTa 


350  Das  Staats^tungswesen  der  Römer. 

rfiq  ßiyvKiiQ.  Dio  78, 22)  jene  Namen  auch  ohneYerbot  gar 
keinen  Platz  finden  konnten. 

VI.  PrivataDgelegenheiten.  Diese  begriffen  nament- 
lich einzelne  Anzeigen  von  Geburts-  und  Todesfällen,  von 
Ehebündnissen  und  Scheidungen,  doch  mit  Beschränkung  auf 
die  höheren  Stände.  Für  die  Geburtsanzeigen  sind  die  Be- 
weise am  deutlichsten.  So  fand  Sueton  darin,  dass  Tiberius 
am  16.  Nov.  712  geboren  sei  (Tib.  c.  5:  Sic  enim  in  fastos 
actaque  publica  relatum  est.  Die  Zusammenstellung  mit 
den  Fastis  lässt  keinen  Zweifel  über  die  Bedeutung  der  Acta 
publica  zu].  Ebenso  ergab  sich  daraus,  dass  Galigula  zu  An- 
tium  geboren  wurde  (Gal.  c.  8:  Ego  in  actis,  Antii  editum 
invenio ...  Sequenda  est  igitur  quae  sola  restat  publici  in- 
strumenti  auctoritas.*)  Diese  Bezeichnung  als  ein  öffent- 
liches Organ  weist  wiederum  jede  andere  Deutung  zurück; 
ja  die  Beziehung  auf  die  Geburtslisten  im  Aerararchiv  ist  hier 
eine  vollkommene  Unmöglichkeit,  da  ja  ein  zu  Antium  Ge- 
bomer  nicht  in  Rom  angemeldet  sein  konnte).  Zweifelhafter 
erscheinen  die  Stellen  der  Hist.  Aug.  in  Gord.  trib.  c.  4  und 
in  Ant.  Diadum.  c.  6.,  des  Seneca  de  benef.  3, 16  u.  A.  Das 
Meiste  überhaupt,  was  Lipsius  und  seine  Nachfolger  in  die- 
sen Kreis  ziehen,  stellt  sich  allerdings  als  eine  Verwechse- 
lung mit  den  Actis  magistratuum  dar,  von  denen  ich  ein  an- 
dermal, handeln  werde.  Vornehmlich  übersteigt  der  Glaube 
an  die  Namhaftmachung  sämmtlicher  Geburtsfalle  in  den  Actis 
populi  alle  Wahrscheinlichkeit.  Dazu  war  schwerlich  Raum 
genug.  Nur  summarische  Uebersiehten  scheint  es,  sowohl 
der  Geburts-  wie  der  Sterbefälle,  wurden  wie  bei  uns  in 
den  Tagesblättern  veröffentlicht.  Darauf  deutet  zumal  die 
merkwürdige  Stelle  im  Petronius,  wo  zur  PersifiQirung  des 
Trimalchio,  in  der  Art  der  Acta  ürbis  wie  es  ausdrück- 
lich heisst,  und  zur  Parodirung  derselben,  eine  formliche  Zei- 
tung über  die  Ereignisse  auf  dessen  Gütern  vorgelesen  wird 
Durch  Petronius  kommt  uns  daher  überhaupt  Inhalt  und  Form 


*)  Wer  die  Lesart  „quae  sola  actorum  restat  et  publici  instr. 
auct."  adoptirt,  muss  wohl  wenigstens  ut  für  ei  setzen. 


Die  Staaiszeitung  der  Monarchie.  351 

der  Staatszeitung  auf  bessere  und  beglaubigtere  Weise  zur 
Anschauung,  wie  durch  die  Dodwell'schen  Fragmente.  Es 
heisst  daselbst  (Satyr,  c.  53): 

Actuarius  ...  tanquam  Urbis  acta  recitarit: 

„Den  26.  Juli.  Auf  dem  Gumanischen  Landgute,  welches 
dem  Trimalchio  gehört^  wurden  30  Knaben  und  40  Mädchen 
geboren.  Aus  der  Tenne  in  den  Speicher  wurden  500,000 
Scheffel  Getreide  eingebracht  .500  Ochsen  wurden  gezähmt. 
An  demselben  Tage  wurde  der  Sklave  Mithridates  gekreuzigt, 
weil  er  von  dem  Genius  unsers  Gajus  übel  gesprochen.  Am 
selben  Tage  wurden  100,000  Sesterzien,  welche  nicht  placirt 
werden  konnten,  in  die  Kasse  deponirt.  Am  selben  Tage  fand 
eine  Feuersbrunst  in  den  Pompejanischen  Gärten  statt,  welche 
in  der  Wohnung  des  Pächters  Nasta  ausbrach.'' 

Wie?  unterbrach  Trimalchio,  seit  wann  sind  die  Pom- 
pejanischen Gärten  für  mich  angekauft?  —  Im  vorigen  Jahre, 
versetzte  der  Actuarius,  und  deshalb  sind  sie  noch  nicht  in 
den  Rechenschaftsbericht  gekommen.  —  Trimalchio  erblasste 
und  rief:  Was  auch  iiir  Güter  für  mich  angekauft  sein  mö- 
gen, wenn  ich  nicht  innerhalb  6  Monaten  davon  in  Kennt- 
niss  gesetzt  werde,  so  verbiete  ich  sie  mir  in  Rechnung  zu 
stellen.  — 

Hierauf  wurden  auch  die  Edicte  der  Aedilen  verlesen 
und  die  Testamente  der  Waldhüter,  worin  Trimalchio  aus- 
drücklich enterbt  wurde;  dann  die  Schuldbestände  der  Päch- 
ter, und  die  Yerstossung  einer  Freigelassenen  durch  den  Ober- 
aufseher, der  dieselbe  im  Beischlaf  mit  einem  Bader  über- 
rascht hatte;  die  Verweisung  eines  Portiers  nach  Bajae,  die 
Anklage  gegen  den  Zahlmeister  und  der  Urtheilsspruch  von 
Seiten  der  Kammerdiener. 

Soweit  Petronius.  Zu  wie  interessanten  Yergleichungen 
mit  den  Zeiten  Nero 's  giebt  nicht  dies  Product  der  Phantasie 
Anlassl  Es  offenbart  sich  in  ihm  eine  feine  und  doch  sinn- 
liche Ironie,  sowohl  gegen  die  ganze  saubere  Wirthschaft  des 
damaligen  Hofes  und  die  Rechtslosigkeit  der  Zustände,  wie 
gegen  die  Schaamlosigkeit,  mit  der  die  Staatszeitung  sich  zum 
ofßciellen  Ausdruck  der  Regierung  machte,  gegen  die  poli- 


352  Das  Staatszeitungswesen  der  Römer. 

tische  Bedeutungiosigkeit  und  Nüchternheit,  die  sie  durch 
athemiose  Kleinigkeitskrämerei  und  durch  ein  bunt  geschmink- 
tes Golorit  vergeblich  der  Aufmerksamkeit  zu  entziehen  suchte. 
Sie  war  und  blieb  nur  ein  klägliches  Surrogat  dessen,  was 
sie  einst  gewesen  und  unter  dem  Drange  der  Umstände  nicht 
mehr  sein  konnte.  Ihre  Bedeutung  fiir  den  Geschichtschrei- 
ber der  Kaiserzeit  wie  Tacitus,  Sueton  und  Dio  Gassius,  be- 
stand nur  darin,  dass  sie  als  privilegirtes  amtliches  Organ  der 
Staatsgewalten  einen  mageren  Extract  der  Staatsereignisse 
enthielt,  soweit  deren  Veröffentlichung  aus  dem  geheimen  Ka-' 
binetsarchiy  (scrinium  principis,  secreta  principis),  dem  Archiii 
der  kaiserlichen  Staatskanzlei  (scrinia  palatii],  den  Senatspro- 
tokolien  (acta  senatus)  und  den  Magistratsarcbiven  (acta  ma- 
gistratuum)  der  Begierung  räthlich  oder  zulässig  erschien.  Die 
gewissenhafte  Forschung  durfte  sich  mit  ihnen  ebenso  wenig 
oder  weniger  noch  begnügen,  wie  wir  etwa  mit  den  Zeitungs- 
nachrichten unserer  Tage;  und  sie  that  es  nicht.  Als  nach- 
mals aber  Schriflsteller  wie  die  Verfasser  der  Historia  Au- 
gusta,  nicht  mit  Maass  und  Vorsicht,  sondern  mit  wahrer 
Wollust  diesen  Staub  und  Plunder  aufwühlten,  um  nur  ihre 
Aermlichkeit  mit  Lumpen  und  buntem  Flickwerk  zu  ver- 
decken: da  war  es  klar,  dass  die  Geschichtschreibung  des 
Alterthums  ihrem  Grabe  entgegenging. 

Redaction  und  Publication. 

Der  vollständige  und  eigentliche  Titel  der  Staatszeitung 
lautete  unzweifelhaft:  „Acta  populi  Romani  diuma.^'  Daraus 
entstanden  aber  der  Kürze  halber  die  Bezeichnungen  „Acta 
diuma"  und  „Acta  populi"  (hierfür  wieder  „Acta  publica"), 
oder  auch  ganz  einfach  „Diurna"  und  „Acta"  vorzugsweise 
als  (Jniversaljournal,  sowie  einst  die  „Annales  pontificum 
maximorum"  als  Universalchronik  vorzugsweise  „Annales" 
genannt  wurden.  Da  Rom  den  Staat  repräsentirte,  so  muss- 
ten  natürlich  die  Ereignisse  der  Hauptstadt  den  Hauptinhalt 
der  Acta  ausmachen,  und  daraus  erklärt  sich  nun  auch  die 
Benennung  „AcU  ürbis"  und  „Acta  urbana." 

^  Die  Redaction,  über  die  wir  noch  im  Dunkeln  sind,  wurde 


Redaction  tmd  Publication.  363 

wahrscheinlich  durch  die  Stadtquästoren,  nachmals  durch  den 
Stadtpräfecten ,  mit  Hülfe  vieler  Schreiber  (scribae,  librarii, 
actuarii  oder  actarii,  notarii,  censuales)  besorgt.  Jedoch  stand 
dieselbe,  wie  sich  von  selbst  versteht  und  wir  schon  vielfach 
zu  bemerken  Gelegenheit  hatten,  durchaus  unter  dem  Ein* 
fluss  des  Hofes.  Schon  unter  Gäsar's  Dictatur  büsste  die 
Staatszeitung  ihre  Unabhängigkeit  ein.  Seitdem  waltete  eine 
strenge  Gensur.  Auf  höchsten  Befehl  wurde  das  eine  und 
andere  eingerückt  oder  dies  und  jenes  übergangen.  Die 
freisinnigen  Anfänge  eines  Tiberius,  Galigula  und  Nero,  muss- 
ten  zwar  auch  eine  günstige  Rückwirkung  auf  die  Haltung 
der  Staatszeitung  ausüben;  allein  jene  Ghancen  währten  nicht 
lange,  und  der  Liberalismus  wich  nur  einer  um  so  drücken- 
deren Gedankentyrannei.  Der  intrigante  Tiberius,  vor  dessen 
geheimer  Polizei  auch  das  Geheimste  nicht  verborgeü  blieb 
(s.  Tac.  Ann.  1,  74.  vgl.  4,67.  6,  7),  affectirte  zumal  sehr  eifrig 
einen  Schein  von  erhabener  Freisinnigkeit,  indem  er  alle, 
selbst  die  gröbsten  Schmähungen  der  Opposition  durch  die 
Tagesblätter  veröffentlichen  Hess,  doch  eben  nur,  wie  sich 
früher  zeigte  (S.  335],  um  desto  ungescheuter  und  sicherer 
seine  Opfer  zu  treffen.  Selbst  in  Aeusserlichkeiten  machte 
sich  dieser  Einfluss  geltend,  so  dass  z.  B.  die  von  Glaudius 
erfundenen  3  Buchstaben  gleich  in  der  Staatszeitung  zur  An- 
wendung gebracht  wurden,  wie  Sueton  (Glaud.  41)  erzählt: 
exstat  talis  scriptura  in  plerisque  libris,  actis  diurnis  (für: 
ae  diurnis)  titulisque  operum»  Der  Styl  stellt  sich  als  eine 
Vermittlung  der  Umgangs-  und  der  Büchersprache  dar«  Da- 
her sagt  Quintilian  (X.  3,  17  sq.):  Ex  Graeco  translata  vel 
Sallustii  plurima,  quale  est:  Vulgus  amat  fieri ...  Et  jam  vul- 
gatum  Actis  quoque:  Saucius  pectus. 

Die  tägliche  Publication  geschah  ohne  Zweifel  in  dop*« 
pelter  Art:  einmal  wurde  gewiss  zur  Kenntnissnahme  für 
Alle,  namentlich  für  die  ärmeren  Klassen,  eine  Tafel  öffent^ 
lieh  ausgestellt;*)  dann  aber  auch  eine  Menge  von  Exempla- 


*)  Hierauf  zumal  bezieht  sich  wohl  das  ex  aünalibüs  senaluft 
auctoritate  erasum  der  Bist.  Aug.  in  Alex.  Sev.  c.  1.  vgl.  S.  311. 

Zeitoehrift  f.  GeMkicbtoir.   1.    1844.  23 


354  Das  Staatszeitungswesen  der  Römer. 

reo  auf  gewöhnlichem  Schreibmaterial  in  die  vornehmen  und 
reicheren  Häuser  der  Hauptstadt,  so  wie  durch  ganz  Italien 
und  alle  Provinzen  ausgegeben.  Daher  sagt  Juvenal  in  sei- 
ner Schilderung  des  müssigen  und  grausamen  Treibens  der 
römischen  Damen  Sat  YL  482  sqq.:  pictae  vestis  considerat 
aurum,  Et  caedit;  longi  relegit  transversa  diurni,  Et 
caedit*)  —  und  Gossutianus  bei  Tacitus  in  der  schon  ange-^ 
führten  Stelle  Ann.  XVI.  22:  diurna  populi  Rom.  per  pro- 
vincias,  per  exercitus  curatius  ieguntur.  Ob  die  Exem- 
plare gestempelt  oder  von  Amtswegen  signirt  wurden,  weiss 
ich  nicht  zu  sagen ;  es  hat  Manches  ifiir  und  wider  sich.  Je- 
denfalls wurden  Originalabschriften  öffentlich  aufbewahrt.  Die 
versandten  Acta  mögen  nicht  immer  ohne  Zusätze  gebliehen 
sein,  oft  auch  wie  in  Cicero's  Zeit  nur  die  Anknüpfungspunkte 
gründlicherer  Privatcorrespondenzen  gebildet  haben;  denn  wre 
damals,  so  Hessen  noch  jetzt  abwesende  Staatsmänner  an  ihre 
Freunde  zu  Rom  die  Mahnung  ergehen:  „urbana  acta  par- 
scribe"  (Plin.  epp.  9,  15).  Dass  es  neben  der  ofSciellen  Zei- 
tung noch  Privatinstitute  ähnlicher  Art,  etwa  als  Unterneh- 
mungen von  Budbhändiern  oder  Sdireibem,  gegeben  habe, 
ist  zumal  für  die  Zeiten  der  eifersüchtigen  Kaiserherrschaft 
höchst  unwahrscheinlich;  keine  Spur  berechtigt  zu  einer  sol- 
chen Annahme.  Sie  würde  auch  sicher  dann  keine  Begrün- 
dung finden,  wenn  man  über  die  mehrerwähnte  compilatio 
Chresti  (s.  S.  321.  326  f.],  sowie  über  die  Bedeutung  der  re- 
gesta  scribarum  porticus  Porphyreticae  (Hist  Aug.  in  Prob, 
c.  2)  und  ähnliche  Institute  vollständig  auf's  Reine  kommen 
könnte;  jene  Regesten  werden  wenigstens  von  d«n  actis  se- 
natus  und  populi  in  der  angeführten  Stelle  deutlich  unter- 
schieden. Jedenfalls  erinnern  die  Acta  vielfach  an  die  spä- 
teren Informationi  und  Fogli  d'awisi  Italiens,  die  zwischen 
ihnen  und  den  modernen,  durch  die  Presse  einflussreicheren 
Zeitungen  eine  Art  von  Uebergang  bilden.   Dass  in  der  Kai- 


♦)  Ich  weiss  wohl  dass  Viele,  und  selbst  der  Scholiast,  unter 
düirmtm  hier  den  Tagesbericht  des  Hausintendanten  verstehen ;  doch 
bleibt  mir  die  Beziehung  mindestens  zweifelhaft. 


RedacHon  und  Publication,  355 

serzeit,  ungeachtet  des  Verfalls  der  politischen  Artikel,  das 
äussere  Interesse  an  den  Actis  populi  bedeutend,  ja  bedeu- 
tender sein  musste  wie  in  der  Republik,  ist  klar  genug;  denn 
je  mehr  die  Oeffentlichkeit  schwand,  je  geringer  die  Zahl  de- 
rer wurde,  welche  noch  an  der  Regierung  Antheil  hatten,  je 
mehr  nahm  natürlich  die  Zahl  derjenigen  zu,  welche  aus  der 
Staatszeitung  allein  eine  gewisse,  wenn  auch  nur  dürftige 
Relehrung  über  den  Gang  der  Verwaltung  schöpfen  konnten. 
Unbeträchtlich  kann  der  Umfang  der  einzelnen  Tagesnum- 
mern nicht  gewesen  sein;  dies  ergiebt  sich  sowohl  aus  der 
Mannigfaltigkeit  des  Stoffes,  als  aus  JuvenaFs  Worten. 

Adolph  Schmidt 


23* 


Der  ietxlge  Zustand  der  nittnzkiindllcheii 

ü^lsjieiijicliaft« 


Die  Münzen  gew'ähren  em  doppeltes  historisches  Interesse, 
zuerst  ein  gewissermassen  inneres,  als  Geld,  also  in  staats- 
ökonomischer Beziehung,  dann  ein  äusseres,  durch  die  Vor- 
stellungen, welche  sie  tragen. 

In  ersterer  Beziehung  haben  schon  die  Alten,  namentlich 
Dardanos,  Diodor,  Heron,  Didymos,  Priscian  u.  A.  die  Nu- 
mismatik behandelt:  den  archäologischen  Nutzen  aus  ihr  zu 
ziehen,  konnte  natürlich  nur  eine  Aufgabe  für  neuere  Ge- 
lehrte sein. 

Der  grosse  Yortheil,  die  grosse  Unterstützung,  welche 
die  Münzen  dem  Studium  der  Geschichte  gewähren,  sind 
schon  vielfach  anerkannt  worden.  Die  Geschichte  ganzer  Dy- 
nastien, ja  grosser  Reiche  lässt  sich  einigermassen  nur  durch 
ihre  Münzreihen  herstellen;  jeder  weiss  wie  wichtig  die  Mün- 
zen sind  für  die  Epigraphik,  Mythologie,  Ikonographie^  He- 
raldik u.  s.  w.  Andererseits  sind  aber  zu  genauer  Erklärung 
der  Münzen  auch  gründliche  historische  Kenntnisse  erfor- 
derlich. Wir  erwähnen  beispielsweise  hier  nur  die  Münzen 
der  Königin  Philistis.  Dass  dieselbe  in  Sicilien  gelebt  hat, 
wie  sie  ausgesehen,  sogar  approximativ  die  Jahre,  in  welchen 
sie  herrschte,  kann  der  Numismatiker  wohl  bestimmen:  ihre 
näheren  Lebensumstände,  welche  gewiss  zur  Erklärung  der 
langen  Münzreihe,  die  man  von  ihr  aufzuweisen  hat,  beitra- 
gen, zu  erforschen,  das  ist  die  Aufgabe  des  Historikers. 

Um  sich  aber  specielle  numismatische  Kenntnisse  zu  er- 
werben, muss  man  bei  dem  jetzigen  Zustande  der  Münzkunde 


Der  jetzige  Zustand  der  münakundL  Wissenschaft.    3^7 

viel  Zeit  und  Mühe  verwenden.  Meist  wird  daher  dem  6e- 
schicbts-  und  Alterthumsforscher  die  Müsse  dazu  fehlen:  er 
ist  auf  die  im  Fache  der  Numismatik  erschienenen  Bücher 
angewiesen,  die  ihm  aber  in  vielen,  ja  in  den  meisten  Fällen 
den  Rath,  welchen  er  in  ihnen  zu  suchen  gedenkt,  versagen 
werden.  Viele  und  grosse  Länder  entbehren  noch  ganz  der 
numismatischen  Bearbeitung,  andere  können  nur  dürftige  und 
unvollständige  Beschreibungen  ihrer  Gepräge  aufweisen.  Die 
Zahl  der  grösseren  gründlichen  münzkundlichen  Schriften  ist 
sehr  gering. 

Um  aber  mit  gehörigem  Erfolge  in  der  Numismatik  zu 
arbeiten,  muss  man  ihr  ein  ganzes  Leben  widmen.  Wie  we- 
nige Gelehrte  vermögen  dies  aber  aus  eigenen  Mitteln?  Es 
ist  daher  die  Pflicht  des  Staates,  mit  gründlichen  Vorkennt- 
nissen begabte  Männer  zur  Bearbeitung  seiner  Münzgeschichte 
durch  eine  angemessene  und  ehrenvolle  ihnen  dargebotene 
Stellung  zu  gewinnen.  Was  auf  diese  Weise  erzielt  werden 
kann,  das  beweisen  wohl  zur  Genüge  die  beiden  einzigen 
von  Staatswegen  der  Numismatik  bestimmten  Stellen:  die  Pro- 
fessur der  Münzkunde  an  der  Wiener  Universität,  mit  wel<« 
eher  bekleidet  Eckhel  seine  unsterbliche  Doctrina  nümmorum 
veterum  schrieb  und  der  Fauteuil,  bestimmt  der  Numismatik 
in  der  Königl.  Akademie  des  inscriptions  et  helles  lettres  zu 
Paris,  in  welchem  Mionnet  seine  mühsame,  von  eisernem 
Fleiss  zeugende  Description  des  m^dailles  Grecques  et  Ro- 
maines verfasste.  Dank  der  Oesterreichischen,  Dank  der  Fran- 
zösischen Regierung,  dass  sie  durch  ihre  Liberalität  die  bei* 
den  umfassendsten,  unentbehrlichsten  Werke  ins  Leben  riefen. 

Ist  nun  auch  durch  diese  beiden  Werke  gewiss-ermas- 
sen  die  Aufgabe  für  die  alte  Numismatik  gelöst,  d.  h.  bie- 
ten sie  dem  Historiker  und  Alterthumsforscher  das  Material 
iiir  ihre  Untersuchungen,  so  bleibt  doch  auch  für  die  alte 
Münzkunde  noch  unendlich  viel  zu  thun  übrig.  Zwar  findet 
man  selten  antike  Münzen,  die  noch  nicht  bekannt  gemacht 
sind,  aber  wie  viele  der  schon  vielfach  beschriebenen  sind 
noch  nicht  gehörig  erklärt,  aus  wie  vielen  ist  noch  nicht  der 
Nutzen  gezogen,  den  sie  ßxt  die  Geschichte  enthalten! 


358  Der  jetzige  Zttetand  der 

,  Betrachten  wir  kurz  was  seit  Eckhel,  Mionnet  und  Se« 
itini  auf  dem  Gebiete  der  alten  Münzkunde  geschehen  ist 

Unter  den  Italienischen  Arbeiten  sind  besonders  die 
fon  Biccioy  das  vollständigste  Werk  über  die  Römischen  Fa- 
milienmünzent  ferner  das  tüchtige,  fleissige  Buch  von  Marchi 
und  Tessieri:  TAes  grave  del  Museo  Kircheriano  hervorzu- 
heben. Daran  schliessen  sich  die  Werke  von  Mi  Hingen: 
Gonsid^rations  sur  la  Mumismatique  de  l'ancienne  Italie  und 
Fiorelli:  osservazioni  sopra  talune  monete  rare  di  cittji  Gre- 
che.  Auch  enthalten  die  Annali  und  das  Bulletino  des  ar- 
chäologischen Instituts  zu  Rom  manche  interessante  numis- 
matische Aufsätze  von  Gavedoni»  Fontana,  Minervino, 
Rathgeber  u.  A. 

Ausser  deSaulcy's  essai  de  Classification  des  monnaies 
autonomes  de  l'Espagne  ist  für  Spaniens  alte  Numismatik 
in  neuester  Zeit  (seit  Sestini's  descrizione  delle  medaglie 
Ispane)  gar  nichts  geschehen.  In  Portugal  ist  unseres  Wis- 
sens in  diesem  Jahrhunderte  nur  das  Lexicon  numismogra- 
phiae  Lusitaniae  (Lissabon  1835]  herausgekommen.  Viele  Werke 
haben  wir  dagegen  Französischen  Gelehrten  zu  verdanken. 
Ihr  Eifer  und  Fleiss  hat  sich  vorzüglich  den  früher  sehr  ver- 
nachlässigten vaterländischen  (Gallischen]  Münzen  zugewendet, 
welche  namentlich  de  la  Saussaye  (Numismatique  de  la 
Gaule  Marbonnaise),  Gartier,  der  Baron  Grazannes,  Bar- 
th61emy,  der  Marquis  deLagoy  (meist  in  der  von  Gartier 
und  de  la  Saussaye  redigirten  trefflichen  Revue  numisma- 
tique] durch  interessante  Beiträge  bereichert  haben.  Ihnen 
aehliesst  sichLelewel  an  durch  seine  6tudes  numtsmatiques 
et  arch^ologiques,  type  Gaulois,  ein  fleissiges,  viel  Aufschluss 
gebendes  Werk. 

Ueber  andere  antike  Münzen  haben  ausser  den  angeführ- 
ten Gelehrten  geschrieben,  vor  Allen  Letronne,  dessen  Gon- 
sid^rations  g6närales  sur  F^valuation  des  monnaies  Grecques 
et  Romaines,  Tabulae  octo  nummorum,  ponderum  etc.  und  die 
Aufsätze  über  die  Münzen  der  Ptolemäer  von  tiefer,  gründ- 
licher Gelehrsamkeit  zeugen,  femer  der  Herzog  von  Luynes, 
Lenormant,  Miliin,  du  Mersan,  de  Witte,  Raoul- 


mün^kundUchen  Wissenschaft  369 

Rocbette,  de  Longp^rier  u.  A.   Die  meisten  ihrer  Auf- 
sätze sind  in  der  erwähnten  Revue  numismatique  mitgetheilt 

In  den  Niederlanden  ist  in  letzter  Zeit  für  das  Stu- 
dium alter  Münzen  wenig  gethan.  Gewiss  wird  dasselbe  durch 
die  seit  einiger  Zeit  bestehende  numismatische  Gesellschaft 
zu  Tirlemont  neuen  Aufschwung  erhalten. 

Mehr  geschieht  in  England,  dessen  schöne  und  reiche 
Sammlungen  zum  münzkundlichen  Studium  anregen.  An  der 
Spitze  der  Englischen  Mumismatiker  steht  der  unermüdliche 
J.  Yonge  Akerman,  Secretär  der  numismatischen  Ge- 
sellschaft. Von  ihm  giebt  es  verschiedene  Werke,  von  wel- 
chen wir  besonders:  a  descriptive  Catalogue  of  rare  and  une- 
dited  Roman  Goins,  Coins  of  the  Romans,  relating  to  Britain 
(zweite  Ai^flage),  numismatic  Manual  und  das  noch  nicht  voll- 
endete Greek  Goins  of  Gities  and  Princes  hervorheben.  Dann 
gebührt  Akerman  das  Verdienst,  eine  Zeitschrifl;  für  Münz- 
kunde (von  welcher  als  numismatic  Journal  drei  und  als  nu- 
mismatic Ghronicle  sechs  Bände  bereits  erschienen  sind],  be- 
gründet zu  haben,  in  welcher  die  antike  Münzkunde,  ausser 
durch  den  Herausgeber,  namentlich  durch  Birch  und  Bor** 
rell,  zwei  eifrige  Sammler,  vertreten  wird.  Auch  die  Werke 
von  Gardwell  (Lectures  on  the  Goinage  of  the  Greeks  and 
Romans},  Payne-Knight  (nummi  veteres  civitat  etc.),  Wil- 
son (Ariana  antiqua),  Prinsep  (in  Galcutta)  und  Gombe 
dürfen  wir  nicht  mit  Stillschweigen  übergehen.  Millingen, 
welcher  seit  langer  Zeit  sich  in  Italien  aufhält,  haben  wir 
bereits  oben  erwähnt 

In  Dänemark,  wo  an  der  Spitze  der  Münzkenner  der 
König  selbst  steht,  haben  Ramus,  Falbe  und  der  leider  für 
die  Wissenschaft  zu  früh  gestorbene  Bröndsted  vielfach  die 
alte  Münzkunde  bereichert  Falbe  wird  binnen  Kurzem  un- 
ter den  Auspicien  des  Königs  ein  umfassendes  Werk  über 
die  alten  Münzen  Afrika 's  herausgeben,  dessen  epigraphi- 
scben  Theil,  so  weit  er  das  Punische  betrifft,  der  rühm- 
lichst bekannte  Orientalist  Lindberg  bearbeitet 

In  Russland  haben  sich  v.  Köhler,  v.  Bartholomaei, 
V.  Morgenstern  und  v.  Preller  (die  beiden  letzteren  in 


360  Der  jetmge  Zustand  der 

Dorpat)  zum  Theil  nicht  geringe  Verdienste  um  die  Numis- 
matik erworben. 

Verhältnissmassig  wenig  ist  für  die  alte  Münzkunde  da- 
gegen in  Deutschland  geschehen.  Vt^ohl  mögen  dies  die 
an  antiken  Münzen  verhältnissmüssig  armen  Sammlungen  die- 
ses Landes  verschulden.  Dennoch  verdanken  die  Münzfreuhde 
das  trefflichste  numismatische  Werk,  welches  in  diesem  Jahr- 
hundert erschienen  ist,  einem  Deutschen  Gelehrten.  V(^ir  mei- 
nen Boeckh's  Metrologie,  worin  die  alten  Münzfüsse  auf 
das  Scharfsinnigste  und  Gründlichste  dargestellt  sind.  Zu  den 
achtbaren  Deutschen  Forschem  auf  dem  Gebiete  der  alten 
Münzkunde  gehören  femer:  v.  Steinbüchel  und  Arneth, 
Eckhel's  Nachfolger,  beide  in  Wien,  Streber  in  Mün- 
chen, Gerhard,  Panofka  und  Pinder  in  Berlin,  Lasi- 
sen  in  Bonn  u.  s.  w.  Auch  theilen  die  mit  dem  Jahrgang 
1838  beschlossenen  Blätter  für  Münzkunde,  von  Grote  zu 
Hannover  herausgegeben,  ferner  die  Leitzmann'sche  numis- 
matische Zeitung  und  die  vom  Schreiber  dieses  im  J.  1841 
begonnene  Zeitschrift  für  Münz-,  Siegel-  und  Wappenkunde 
manche  Aufsätze  über  antike  Münzen  mit,  von  Grote fend, 
Rathgeber,  v.  Donop,  v.  Rauch  u.  A. 

Bleibt  nun  auch  für  die  alte  Münzkunde,  namentlich  für 
die  Gepräge  Asiens  noch  Manches  zu  thun  übrig,  wie  viel 
mehr  muss  für  die  mittelalterliche  Numismatik  geschehen,  um 
welche  man  sich  noch  gar  zu  wenig  bekümmert  hat!  Hier 
ist  die  Aufgabe,  ein  Lehrgebäude  zu  errichten,  wie  es  Eck- 
hei  für  die  antike  Münzkunde  erbaut  hat.  Aber  um  dies  zu 
versuchen,  sind  noch  unendlich  viel  Vorarbeiten  nöthig!  Zwar 
ist  die  Anzahl  der  guten  Monographien  über  die  Mittelalter- 
münzen nicht  gering,  um  aber  ein  Ganzes,  ein  System  bilden 
zu  können,  müssen  noch  viel  tüchtige  Schriften  verfasst  wer- 
den. Wohl  mögen  die  Schwierigkeiten,  welche  dem  Forscher 
in  mannigfacher  und  in  grösserer  Anzahl  bei  den  mittelal- 
terlichen, als  bei  den  antiken  Münzen  entgegentreten,  man- 
chen abgeschreckt  haben,  ersteren  seinen  Fleiss  zuzuwenden. 
Kann  man  auch  den  mittelalterlichen  Münzen  Kunstwerth 
nicht  absprechen,  so  muss  man  doch  gestehen»  dass  sie  in 


mümkundlichen  Wissenschaft  361 

dieser  Beziehung  von  den  alten  übertrofien  werden;  dazu 
kommt,  dass  wir  aus  dem  Mittelalter  nicht  allein  von  den 
Ländern,  welche  im  sogenannten  classischen  Alterthum  münz- 
ten, Gepräge  haben,  sondern  auch  noch  zahlreiche  numisma- 
tische Denkmäler  von  vielen  anderen,  welche  sich  früher  ohne 
solche  beholfen  hatten.  Man  denke  nur  an  das  in  numisma- 
tischer Hinsicht  so  äusserst  fruchtbare  Deutschland.  Auch 
waren  namentlich  in  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Zeit- 
rechnung im  unendlich  grossen  Römischen  Reiche  ausser  dem 
Kaiser  wenige  Städte  und  Dynasten  münzberechtigt;  wie  be- 
deutend ist  aber  die  Anzahl  der  weltlichen  und  geistlichen 
Herren,  Städte  u.  s.  w.  gewesen,  welche  im  Mittelalter  prä- 
gen durften  und  wie  genau  muss  man  die  Geschichte  der- 
selben kennen,  um  ihre  Münzgeschichte  zu  bearbeiten!  End- 
lich machen  die  vielen  stummen  Münzep,  d.  h.  solche,  welche 
nicht  in  Aufschriften  oder  Ghiffem  den  Münzherrn  nennen, 
das  Studium  der  mittelalterlichen  Numismatik  schwierig. 

Im  Folgenden  sagen  wir  also  weniger,  was  bereits  ge- 
schehen ist,  als  vielmehr,  was  noch  geschehen  muss. 

Werke,  welche  das  ganze  Mittelalter  umfassen,  besitzen 
wir  nur  zwei:  Leitzmann's  unbrauchbaren  Leitfaden  und 
LeleweTs  Numismatique  du  moyen  dge,  ein  achtungs- 
werthes  Buch,  in  welchem  besonders  diejcipigen  Länder,  de- 
ren Münzcabinete  dem  Verfasser  offen  standen,  namentlich 
die  Niederlande  und  Frankreich  mit  Erfolg  bearbeitet 
sind.  Für  Deutschland  und  den  Norden  konnte  aber  der 
Verfasser  aus  Mangel  an  gründlichen  Quellenschriften  nicht 
das  Genügende  leisten.  Dann  sind  hier  auch  Mader's  kri- 
tische Beiträge,  ein  Werk  über  dessen  Werth  es  nur  eine 
Stimme  giebt,  und  zum  Theil  auch  ftir  die  spätere  Numisma- 
tik, welche  wir  hier  gleich  der  mittelalterlichen  anschliessen, 
die  sogenannten  Cabinete  (Beschreibungen  einzelner  Münz- 
sorten), namentlich  Madai's  Thaler-Gabinet,  neu  und  sorg- 
fältig bearbeitet  vom  Ritter  v.  Schulthess- Rechberg, 
Weisen' s  Gulden -Gabinet,  Joachim's  Groschen -Gabinet, 
nebst  den  Beitragen  von  Böhmen,  Götz  und  dem  Verfas- 
ser, Reinhardts  Kupfer-Cabinet  u. s.  w.  zu  nennen;  ebenso 


362  Der  jehige  Zustand  der 

einige  brauchbare  Auctions-Cataloge»  z.B«  der  v.  Ampach'- 
sche  (verfasst  Ton  Knauth)  u.s.  w. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  den  einzelnen  Landern.  Zu 
Griechenland  rechnen  wir  die  Byzantinischen  Münzen, 
welche  nach  Zeit  und  Stil  dem  Mittelalter  zugezählt  werden 
müssen.  Ausser  dem  Baran  Marchant  hat  sich  um  sie  in 
neuester  Zeit  besonders  der  Französische  Akademiker  de 
Saulcy  Verdienste  erworben  (in  seinem  Essai  de  classifica« 
tion  des  suites  mon6taires  Byzantines  und  in  der  Revue  nu-* 
mismattque).  Eine  neue  Bearbeitung  dieser  Münzen  bereiten 
Pinder  und  Friedländer  in  Berlin  vor.  Ueber  die  Mün- 
zen der  Kreuzfahrer  besitzen  wir  brauchbare  und  interes- 
sante Abhandlungen,  ausser  von  Marchant  und  de  Saulcy 
namentlich  auch  von  Munter  (om  Frankemes  Mynter  en 
Orienten). 

Besser  gepflegt  ist  die  Italienische  Numismatik,  über 
welche  im  vorigen  Jahrhundert  viele  tüchtige  Monographien 
erschienen  sind.  Die  Münzen  der  alten  Gothischen  Könige 
in  Italien  hat  der  Marquis  de  Lagoy  bearbeitet,  über  die 
der  Herzöge  von  Benevent  und  Salerno  steht  ein  inter- 
essanter Aufsatz  von  St  Quintino  im  VI.  Bande  derBevue 
numismatique.  Mit  Herausgabe  der  ältesten  Neapolitani- 
schen Münzen  beschäftigt  sich  der  Fürst  St.  Giorgio.  Ueber 
die  Savoyischen  Münzen  hat  Promis  ein  treffliches  Werk 
geschrieben,  Gazzera  über  die  der  Grafen  von  Desana, 
Gandolphi  über  Genua,  Viani  überMassa  und  Pistoja; 
interessante  Beiträge  zur  Lombardischen  Münzgeschichte 
und  der  des  benachbarten  Trient  hat  Graf  Giovanelli  ge- 
geben. Indessen  fehlt  auch  hier  noch  Manches,  namentlich 
Münzgeschichten  von  Florenz,  vom  Kirchenstaat  u.s.w. 

Fast  ganz  vernachlässigt  ist  Spanien,  dessen  Münzen 
aus  der  Zeit  der  Westgothischen  Könige  nach  Florez  ei- 
gentlich nur  noch  G.  Piot  in  derfievue.de  la  numismatique 
3elge  einige  Aufmerksamkeit  geschenkt  hat.  Lieber  spätere 
Spanische  Münzen  besitzen  wir  mit  Ausnahme  d'er  Bücher 
von  Lastanosa  und  Saez  gar  nichts.  Ebenso  vernachlässigt 
ist  Portugal,  über  dessen  Münzkunde  seit  den  wenigen  von 


müudsundliehen  Wissenschaft.  363 

Faria^  Sousa,  Gerhardt  u. s.w.  mitgetheilten  Bemerkun- 
gen,  also  seit  einem  halben  Jahrhundert,  gar  nichts  ge- 
schrieben ist. 

Erfreulich  ist  dagegen  der  Fortschritt  auch  des  Studiums 
der  Mittelaltermünzen  in  Frankreich.  Ausser  den  schon 
oben  genannten  Gelehrten,  welche  meist  ihre  treflPlichen  Un- 
tersuchungen in  der  Revue  numismatique  niedergelegt  haben, 
müssen  wir  besonders  Foug^re  und  Gonbrouse  nennen, 
deren  Gatalogue  raisonn^  des  monnaies  nationales  de  France 
von  Eifer  und  Kenntnissen  zeugt.  Eine  trefiliche  Münzge- 
schichte von  St  Omer  hat  Hermand  geschrieben,  interes- 
sante Briefe  über  die  Münzgeschichte  Frankreichs:  Gar-^ 
tier,  die  Gepräge  der  Normandie  hat  Lecointre-Dupont, 
die  der  Picardie:  Rigollot  behandelt  u. s.  w. 

Auch  die  zur  neuesten  Geschichte  gehörigen  Münzen  sind 
in  keinem  Lande  so  beachtet  worden,  wie  in  Frankreich. 
Die  Denkmünzen,  welche  sich  auf  die  Revolution  bezie- 
hen, haben  Mi  Hin  undHennin  herausgegeben,  die  zur  Ge- 
schichte Napoleon's  gehörigen:  Rougeot  de  Briel,  Bras- 
seux  u.  A. 

Was  die  Deutschen  Provinzen  Frankreichs  betrifit,  so 
existirt  eine  gute  Münzgeschichte  des  Elsasses  vom  Baron 
Berstett,  eine  schöne  Abhandlung  über  die  Strassburger 
Münzen  von  Levrault  und  lobenswerthe  Arbeiten  über  die 
Numismatik  Lothringen's  von  de  Saulcy. 

Wir  dürfen  hier  die  Bemerkung  nicht  unterlassen,  dass 
das  Studium  der  Numismatik  in  Frankreich  nicht  wenig  durch 
die  jährlich  von  der  Akademie  des  inscriptions  vertheilten 
Preise  für  die  besten  münzkundlichen  Werke  unterstützt  wird. 

Auch  Belgien  hat  tüchtige  Münzfreunde  aufzuweisen, 
deren  Untersuchungen  meist  früher  in  der  Revue  numisma-t 
tique  Fran^aise,  jetzt  aber  in  der  neu  begründeten  Revue  Beige 
publicirt  werden.  Ausser  dem  schon  genannten  Piot  gehö«^ 
ren  hierher:  Meynaerts,  Grioth  u.  A.  Renesse's  Münzge- 
schichte Lüttich's  lässt  noch  Manches  zu  wünschen  übrig. 

An  der  Spitze  der  Numtsmatiker  in  den  Niederlanden 
stehen  van  der  Ghijs,   dessen  interessante  Tydschrift  van 


364  Der  jetzige  Zustand  der 

algemene  Munt-en  Penningkunde  leider  schon  mit  dem  Jahr* 
gang  1835  beschlossen  ist,  van  Orden,  Verachter,  Ver- 
kade  u.  a.  m.  Eine  Beschreibung  der  Niederländischen  Me- 
daillen des  Gothaischen  Museums  hat  Rathgeber  verfasst. 

Für  den  Eifer  des  Studiums  der  Münzwissenschafl;  in 
England  zeugt,  dass  von  Ruding's  meisterhaften  Annais 
of  the  Goinage  schon  im  Jahre  1838  eine  dritte  Auflage  er- 
schienen ist  Von  grossem  Interesse  sind  auch  das  Buch  von 
Hawkins:  British  Silver  Goins,  mehre  kleine  Schriften  von 
TUl,  viele  Aufsätze  von  ersterem,  Haigh,  Smythe,  Smith 
u.  A.  in  Akerman's  Zeitschrift,  sowie  das  Buch  Ainslie's: 
lllustrations  of  the  Anglofrench  Goinage.  lieber  die  Irlän- 
dischen Münzen  hat  Lindsay  ein  lobenswerthes  Werk:  a 
view  of  the  Goinage  of  Ireland  geschrieben,  auch  der  Auf- 
satz von  Aquilla  Smith:  on  the  Irish  Goins  of  Edward  the 
Fourth  in  den  Transactions  of  the  Royal  Irish  Academy  ist 
zu  erwähnen.  Die  Schottischen  Münzen  sind  seit  Snel- 
ling  und  Gardonnel  nicht  bearbeitet  worden. 

Auch  für  die  Dänische  Münzkunde  ist  viel  geschehen. 
Eine  neue  Ausgabe  der  Bescrivelse  over  Danske  Mynter  og 
Medailler,  auf  Veranlassung  des  Königs  selbst  bearbeitet,  wird 
binnen  Kurzem  erscheinen.  Zwei  tüchtige  und  verdienstvolle 
Numismatiker,  von  welchen  auch  viele  vortrefflich  redigirte 
Münz-Gataloge  existiren,  Thomsen  und  Devegge  sind  ihre 
Verfasser.  Viele  gute  kleine  Abhandlungen  über  alte  Dänische 
Münzen  hat  auch  Ramus  geschrieben.  Etwas  vernachlässigt 
ist  die  Holsteinsche  Münzkunde;  gewiss  wird  ihrer  in  der 
erwähnten  neuen  Ausgabe  der  Bescrivelse  gedacht  werden. 

Ueber  die  Schwedischen  Münzen  ist  seit  Brenner, 
Berch  und  den  Ergänzungen  zu  letzterem  von  Silferstolpe 
kein  neueres  bedeutenderes  Werk  erschienen.  Vorbereitet  wird 
ein  solches  von  Hiidebrand,  Königl.  Reichsantiquar,  einem 
trefflichen  Kenner  der  typischen  Monumente  seines  Vaterlandes. 

Die  Norwegische  Numismatik,  seit  Brenner  ganz  ver- 
gessen, hat  an  Holmboe  einen  tüchtigen  Vertreter  gefunden. 
Seine  Schrift:  de  prisca  re  monetaria  Norvegiae  ist  interes- 
sant und  belehrend. 


münskundlichen  Wissenschaft.  365 

Viel  ist  (ür  die  Russischen  Münzen  geschehen.  Aus- 
ser den  älteren  Werken  von  Schlözer,  Pansner  u.  s.  w., 
sind  vorzüglich  zu  nennen:  Ghaudoir's  aper^u  sur  les  mon- 
naies  Busses  und  die  fleissigen  Schriften  Tschertkoff's,  na- 
mentlich seine  noch  nicht  beendigte  Opisanie  Monet  Rus- 
kich,  welche  in  Heften  erscheint.  Die  Russischen  Denk- 
münzen, früher  von  fiicaud  de  Tiregale  herausgegeben, 
erscheinen  jetzt  in  einer  neuen  Bearbeitung  durch  die  ar- 
chäographische  Gommission,  unter  Leitung  des  ausgezeich- 
neten Numismatikers  v.  Reiche I.  Beiträge  zur  Liefländi- 
schen  und  Esthnischen  Münzgeschichte  enthält  des  Ver- 
fassers Zeitschrift  für  Münzkunde. 

In  wenig  Ländern  geschieht  aber  so  viel  für  die  Münz- 
kunde, wie  in  Polen:  die  brauchbarsten  Werke  über  Pol- 
nische Münzen  sind  die  von  Gzacki,  Leiewel,  Bandtkie 
u.  s.  w.  Eine  Arbeit  über  die  Gepräge  von  Alexander  L  an, 
von  einem  tüchtigen  Kenner  dieser  Münzen  v.  Zagorski  ver- 
fasst,  ist  schon  im  Druck  begriffen;  ein  ähnliches  Unterneh- 
men soll  zu  Posen  betrieben  werden.  An  älteren  Polni- 
schen Münzen  ist  eine  bedeutende  Ansahl  in  des  Verfassers 
Zeitschrift  für  Münzkunde  bekannt  gemacht  worden.  Die 
Denkmünzen  hat  Bentkowski  kurz  zusammengestellt,  Graf 
Raczynski  aber  in  einem  Prachtwerke  bildlich  und  mit  hi- 
storischen Erklärungen  versehen  mitgetheilt. 

Für  die  Böhmische  Münzkunde,  welche  durch  Voigt 
eine  vortreffliche,  wenn  auch  jetzt  nicht  mehr  ganz  genü- 
gende Bearbeitung  erfahren  hat,  wirkt  besonders  Hanka. 
Mehre  fleissige  Abhandlungen  aus  seiner  Feder  enthalten  die 
Verhandlungen  des  Böhmischen  Museums. 

Ungarn's  Münzen,  über  welche  namentlich  Schönvis- 
ner  zwei  brauchbare  Werke  geschrieben  hat,  werden  neu 
von  J.  Rupp  bearbeitet.  Das  erste  Heft  dieses  Werkes,  die 
Münzen  des  Arpadischen  Hauses  .enthaltend,  zeugt  für  die 
Kenntnisse  und  den  Fleiss  des  Verfassers.  Der  Münzen  Sie- 
benbürgens hatten  sichSchmeizel  und  nach  ihm  der  oben 
erwähnte  Schönvisner  angenommen;  auch  sie  wird  Rupp 
im  letzten  Theile  seines  angekündigten  Werkes  behandeln.  Die 


366  Der  jetzige  Zustand  der 

Slavonischen  Crepräge  sind  ebenfalls  von  Schönvisner 
sowohl  wie  von  Rupp  berücksichtigt  worden. 

Die  Servischen  Münzen  hingegen  können  sich  noch 
keiner  genaueren  Bearbeitung  erfreuen.  Ausser  der  kleinen 
Schrift  von  Zanetti:  de  nummis  regum  Mysiae  findet  man 
über  sie  noch  einzelne  Notizen  in  Dawidowitsch's  Za- 
bawnik,  Köppen's  Spisok  ruskim  pamjatn  und  der  Ljetopis 
srbsky.  Die  bekannten  Münzen  der  Moldau  und  der  Wal~ 
lachei,  so  wie  die  einzige  bis  jetzt  bekannte  Bosnische, 
sind  in  des  Verfassers  Zeitschrift  für  Münzkunde  mitgetheilt 

Für  Deutschlands  Numismatik  ist  viel,  aber  lange  nicht 
genug  geschehen.  Einen  tüchtigen  kurzen  Abriss  der  Deut- 
schen Münzgeschichte  hat  v.  Praun  gegeben.*)  Wohl  wäre 
es  an  der  Zeit,  dieses  Buch  umzuarbeiten  und  bis  auf  un- 
sere Tage  fortzuführen.  Aueh  das  Münzarchiv  des  Teutschen 
Reidis  von  Hirsch  sollte  wohl  fortgesetzt  werden.  Letzte- 
res ist  auf  Privatkosten  freilich  nicht  ausführbar.  Die  Sedis- 
vacanz-  und  Gapitels -Münzen  Deutscher  Stifter  hat  Zeper- 
nick  mit  Fleiss  gesammelt  und  bekannt  gemacht.  —  Wen- 
den wir  uns  nun  zu  den  einzelnen  Provinzen  Deutschlands. 

Unter  den  älteren  Werken,  welche  Oesterreich's  Nu- 
mismatik behandeln,  ist  vor  allen  Herrgott's  Numotheca 
Austriaca  zu  nennen.  In  neuester  Zeit  haben  v.  Karajan, 
Primi sser  und  namentlich  der  fleissige  und  kenntnissreiche 
Bergmann  brauchbare  Abhandlungen  über  das  Oesterrei- 
chische  Münzwesen  geschrieben.  Auch  des  letzteren  „Me- 
daillen auf  berühmte  Männer  des  Kaiserthum's  0  esterreich'* 
verdienen  eine  lobende  Erwähnung.  Eine  Oesterreichische 
Münzgeschichte  existirt  aber  noch  nicht 

Noch  weniger  hat  man  sich  um  die  Münzen  der  dem 
Preussischen  Staate  jetzt  angehörenden  Länder  bekümmert. 
Die  für  die  Geschichte  der  Mark  Brandenburg  so  höchst 
wichtigen  Münzen  sind  noeh  nicht  zu  einer  Münzgeschichte 
dieser  Provinz  zusammengestellt   Deber  sie  haben  wir  nichts 


*)  Das  Werk  enthält  auch  Nachrichten  über  das  Münzwesen 
der  Spanier,  Franzosen,  Engländer  u.  s.  w. 


müwikundtkihen  Wissenschaft.  367 

als  die  Rau' sehen  Tafeln  und  einzelne  Abhandlungen  von 
Mader,  Adler,  Spiess  und  dem  Verfasser.  Namentlich  hat 
Spie  SS  in  seinen  Brandenburgischen  Münzbelustigungen  sehr 
viele  Denk-  und  Gurrentmünzen  des  regierenden  Hauses  mit- 
getheilt;  andere  Denkmünzen  desselben  enthalten  die  Werke 
von  Oelrichs,  Seyler,  Gütther  und  Bolzenthal. 

Noch  schlimmer  sieht  es  mit  der  Provinz  Pommern  aus: 
einige  wenige  Notizen  über  ihre  alten  Gepräge  geben  die 
Baltischen  Studien;  die  Stralsundischen  Münzen  sind,  jedoch 
nicht  vollständig,  in  Gadebusch's  Pommerscher  Sammlung 
beschrieben.  Die  Provinz  Preussen  dagegen  hat  anVoss- 
berg  einen  tüchtigen  Bearbeiter  gefunden.  Seine  beiden  Werke: 
die  ältesten  Münzen  der  Städte  Danzig,  Elbing  und  Thorn 
und  Geschichte  der  Preussischen  Münzen  und  Siegel  von  frü- 
hester Zeit  bis  zum  Ende  der  Herrschaft  des  Ordens,  so  wie 
die  Aufsätze  über  die  Preuss.  Münzgeschichte  zur  Zeit  Kö- 
nig Sigismund's  I.  und  die  Belagerungsmünzen  Danzig's 
vom  Jahr  1577,  zeigen  dass  er  Meister  in  seinem  Fache  ist 

Was  die  Provinz  Sachsen  betrifit,  so  werden  die  älte- 
sten Münzen  derselben,  über  welche  «um  Theil  Leukfeld 
die  ersten  Nachrichten  gegeben  hat,  von  einem  tüchtigen  Nu- 
mismatiker v.Posern-Klett  bearbeitet  Die  Herausgabe  einer 
Halberstädtischen  Münzgeschichte  von  Hecht  ist  durch 
den  Tod  des  letzteren,  hoffentlich  nicht  auf  lange  Zeit  auf- 
geschoben worden.  Mit  einer  Magdeburgischen  Münzge- 
schichte beschäftigt  sich  Wiggert  Von  v.  Hagen's  Beschrei- 
bung der  Manns  feldischen  Münzen  sind  zwei  Auflagen  er- 
schienen, die  letzte  schon  1778.  Die  mannigfachen  Gepräge 
der  Grafen  von  Stollberg  hat  man  fast  gar  nicht  beachtet. 
Auch  enthält  Leitzmann's  Zeitschrift  manchen  interessan- 
ten Beitrag  zur  Münzgeschichte  dieser  Provinz. 

Schlesien  hat  durch  Dewerdeck  schon  vor  140  Jah- 
ren eine  recht  tüchtige  Münzgeschichte  erhalten»  Seit  dieser 
Zeit  sind  aber  namentlidi  viele  Schlqsische  Mittelaltermünzen 
bekannt  geworden,  von  welchen  nur  Mader  eine  geringe 
Anzahl  publicirt  hat    Eine  neue  Bearbeitung  und  Vervoll- 


368  Der  jetzige  Zustand  der 

ständigung  des  Dewerdeck^schen  Buches  wäre  gewiss  ein 
dankeswerthes  Unternehmen. 

Von  den  Münzen  der  Provinz  Westphalen  sind  nicht 
wenige  in  6 rote' s  Blättern  für  Münzkunde  bekannt  gemacht 
worden.  Niesert's  Münstersche  Münzgeschichte  lässt  viel 
zu  wünschen  übrig. 

Wenig  beachtet  sind  die  Münzen  der  Rheinprovinzen. 
JSohTs  Beschreibung  der  Trierschen  Münzen,  eine  achtungs- 
werthe  Arbeit,  wird  nächstens  in  einer  zweiten  Ausgabe  er- 
scheinen. Walraf's  Beschreibung  der  Gölniscben  Münzen  ist 
ein  blosser  Katalog.  Auch  über  einzelne  Münzen  dieser  Ge- 
genden steht  mancher  gute  Aufsatz  in  Grote's  Blättern. 

Fast  gänzlich  vernachlässigt  ist  Bayern' s  Münzkunde. 
Für  die  Mittelaltermünzen  dieses  Landes  giebt  es  nur  die  Ab- 
handlung von  Obermayr,  einige  der  späteren  Münzen  hat 
Streber  in  verschiedenen  Schriften  und  die  neuesten  Krä- 
mer in  seinem  Ehrenbuch  erläutert.  Für  die  Münzen  der 
Pfalzgrafen  am  Rhein  belehren  am  besten  Widmer's 
Schriften.  Die  Augsburgischen  Münzen  des  Mittelalters 
hat  Beyschlag,  die  jtambergischen:  Heller,  die  Nürn- 
bergis oben:  Will  (in  seinen  Münzbelustigungen)  und  Kief- 
haber,  die  Regensburgischen  (der  Stadt)  P lato  bekannt 
gemacht  u.  s.  w.  Aber  die  zahlreichen  Gepräge  der  Bisthümer 
Passau,  Eichstädt,  Regensburg,  Würzburg,  der  Gra- 
fen von  Oettingen,  der  Städte  Augsburg  u.  s.  w.  hat  noch 
keiner  vollständig  bearbeitet 

Mit  Würtemberg  sieht  es  nicht  besser  aus.  Viele  Mün- 
zen des  regierenden  Hauses  hat  Sattler  beschrieben,  einige 
ältere  auch  Beyschlag,  welcher  auch  andere  zu  diesem 
Lande  gehörige  Gepräge  in  seiner  Suevisch- Allemannischen 
Münzgeschichte  aufgeführt  hat.  Bin  der 's  Münzgeschichte 
ülm's  (in  den  Würtembergischen  Jahrbüchern)  dürfen  wir 
nicht  unberührt  lassen. 

Kein  Land  ist  aber  in  numismatischer  Hinsicht  so  gründ- 
lich bearbeitet,  wie  Sachsen.  Unter  den  älteren  Büchern 
sind,  ausser  vielen  anderen,  die  Schriften  von  Tenzel,  na- 
mentlich seine  Saxonia  numismatica,  femer  Klotzsch's 


münAkundlioh^  Wissenschaft  369 

Versuch  einer  Kur-Sachs.  Münzgeschichte,  dann  Wagner's 
Schockgroschen,  Böhmen's  und  Götz's  Beiträge  zum  Gro« 
schen-Cabinet  zu  erwähnen.  Zu  den  neueren  gehören  noch 
Dassdorf's  Leitfaden  und  die  gelehrten  Abhandlungen  des 
schon  genannten  v.  Posern -Klett  in  den  Berichten  der 
Deutschen  Gesellschaft  zu  Leipzig.  Wie  schon  bemerkt,  ist 
der  Letztere  mit  Herausgabe  einer  umfassenden  Sächsischen 
Münzgeschicbte  während  des  Mittelalters  beschäftigt» 

Eine  Münzgeschichte  des  Braunschweig'schen  Hau- 
ses hatte  Schlaeger  bearbeitet,  sie  ist  aber  nicht  im  Druck 
erschienen.  Viele  Münzen  dieser  Familie  enthalten  Scheid's 
Origines  Guelficae  und  das  nur  in  100  Exemplaren  abge- 
druckte „vollständige  Braunschweig  -  Lüneburgische 
Münz-  und  Medaillen- Gabinet ^^  von  v.  Praun.  Die  Erzbi«- 
schöflich  Bremischen  Münzen  sind  von  Botermund  und 
Grote  (in  seinen  Blättern  ftir  Münzkunde],  die  Goslar'schen 
Münzen  in  Heineccius'  Sylloge,  so  wie  in  Leitzmann's 
Zeitschrift,  die  Göttingischen  und  Hildesheim'schen 
ebenfalls  in  letzterer  kurz  beschrieben.  Auch  Grote's  Blätr 
ter  für  Münzkunde  enthalten  manchen  Beitrag  zur  Münzge- 
schichte des  Königreichs  Hannover.  Sein  Werk  über  die 
Ostfriesischea  Münzen  ist  noch  nicht  erschienen. 

An  die  Numismatik  vieler  der  kleinern  Deutschen  Staa- 
ten hat  man  wohl  kaum  gedacht  Eine  Badensche  Münz- 
geschichte bearbeitet  Freiherr  von  Berstett  Hessen 's.  älp 
teste  Münzen  sind  zum  Theil  in  einer  Schrift  Seeländer's 
und  in  Plato's  Schreiben  über  die  Hofgeismars  che  Münze 
beschrieben.  Hessische  Groschen  sind  von  Meusel  im  li- 
terarisch-statistischen Magazin  aufgeführt.  Ein  nur  einiger- 
maassen  auf  Vollständigkeit  Anspruch  machendes  Buch  über 
die  Hessische  Münzgeschichte  giebt  es  noch  nicht.  Die 
Mainzer  Münzen  hat  Würdtweiik  kurz  beschrieben:,  sein 
Werk  erfordert  viele  Nachträge.  Eine  Abhandlung  über  die 
Fuldaischen  Münzen  etistirt  von  Hinkelbein. 

Ueber  die  Mecklenburgischen  Münzen  belehren  vor-^ 
züglich  die  Schriften  von  Evers;  auch  enthalten  die  Jahrbü- 
cher des  Mecklenburgischen  historischen  Vereins  manche  in*»- 

ZcitscliriCI  f.  GMchicIitsir.   1.    1844.  24 


370  Dtr  jetzige  Zmiand  der 

leressantc  numismatische  Aufsätze  von  Lisch,  Masch  und 
Kretschmer.  Gewiss  werden  die  Mecklenburgischen  Nu- 
mismatiker  eine  neue  Bearbeitung  der  Münzgeschichte  ihres 
Vaterlandes  nicht  lange  verschieben. 

Sehr  mangelhaft  behandelt  sind  dieAnhaitschen  Mün- 
zen (eigentlich  nur  von  Beckmann  in  seiner  historia  Anhal- 
lina  und  in  den  Nachträgen  dazu  von  Lenz),  die  Reussi- 
schen (von  Büchner,  Haynisch  und  Buchner),  etwas 
weniger  die  Schwarzburgischen  (von  Brügleb,  Hell- 
bach, Lesser,  Lindner  und  Wermuth).  Nassau,  Lippe 
und  Wal  deck  können  auch  nicht  eine  ihren  Münzen  gewid- 
mete Schrift  aufweisen.  Viel  Aufmerksamkeit  hat  man  hin- 
gegen den  Münzen  der  vier  freien  Städte  (mit  Ausnahme 
Frankfurts)  geschenkt  Für  Hamburg  ist  besonders  zu  nen- 
rx^  Langermann's  in  zwei  Auflagen  (zuletzt  im  J.  1802)  eiw 
sdiienenes  Münz-  und  Medaillen -Vergnügen  und  die  im 
Jahre  1843  von  dem  historischen  Verein  begonnene  Fortset- 
zung desselben,  in  welcher  allmäblig  sämmtliche  Hamburgische 
iarepräge  bekannt  gemacht  werden  sollen.  Um  Lübeck's  Nu- 
mismatik haben  sich  vefdient  gemacht:  Seelen  (durch  eine 
grosse  Anzahl  kleiner  Abhandlungen),  v.  Meilen,  Müller, 
Schnobel  und  in  neuester  Zeit  Grautoff  (im  3ten  Bande 
seiner  historischen  Schriften),  um  Bremen's  namentlich 
iüaissel.  lieber  Frankfurt's  Münzen  handeln  fast  allein  Mo- 
Titz  (Einleitung  in  die  Staatsverfassung  der  Reichsstadt 
Frankfurt)  und  Albrecht  (Mittheilungen  zur  Geschichte 
der  Reichsmünzstätten). 

Das  Münzwesen  der  Schweiz  im  Allgemeinen  haben 
ausser  Haller  nur  Hagenauer  (Statistik  der  Schweiz)  und 
Pestalozzi  (Beträge  zur  Schweizerischen  Münzgesdiichte) 
bearbeitet  lieber  Baseler  Münzen  schrieben  Schöpflin 
(Alsatia  illustrata)  und  der  schon  oben  erwähnte  Albrecbt, 
die  Bern  er  sind,  freilich  nicht  vollständig,  im  Elenchus  nu- 
mismatum  bibliothecae  reip.  Bernatis  aufgefiihrt.  Eine  Arbeit 
über  sie  von  Ruchat  ist  nicht  im  Druck  erschienen.  Die 
ältesten  Zürcher  Münzen  hat  ein  tüchtiger  Kenner  dersei- 
l>en,  Meyer,  herausgegeben,   üeber  die  Münzen  der  übrigen 


münzkundlicken  Wissenschaft,  371 

Gantone  haben  wir  zum  Theil  nur  sehr  mangelhafte  Notizen 
und  wäre  es  wohl  zu  wünschen,  dass  die  Schweizerischen 
Münzhebfaaber  eine  gründliche  Bearbeitung  ihrer  vaterländi- 
schen Gepräge  vornähmen. 

Mit  einem  gründlichen  Studium  der  orientalischen 
Münzkunde  hat  man  sich  erst  in  neuester  Zeit  beschäftigt. 
Die  beiden  Tychsen,  Hallenberg  und  Adler  waren  mit 
die  ersten^  welche  dieses  fast  ganz  vernachlässigte  Feld  be- 
bauten. Unter  ihren  Nachfolgern  müssen  vor  Allen  Casti- 
glioni,  Schiepati,  Marsden,  Wilson  und  vorzüglich  der 
EckJiel  der  orientalischen  Münzkunde,  v.  Fräfan,  genannt 
werden.  Gross  ist  die  Belehrung,  welche  der  Numismatito' 
dem  ziddzt  erwähnten  Forscher  verdankt  Die  Münzen  dar 
Sasaniden,  Ispebed's  u.  s.  w.  haben  ausser  den  genafinten 
Gelehrten^  auch  de  Longp^rier,  t.  Dorn  und  Olshauseo 
erläutert,  die  Armenischen:  Brosset 

Amerika's  Gepräge,  obgleich  sie  nur  den  letzten  Jahr- 
iumderten  angehören,  sind  ziemlich  zahlreieh.  Zusammen- 
^estellt  hat  sie  nock  Niemand.  Die  Münzen  der  Goloni6Q 
sind  meii^  in  den  Werken,  welche  die  Numismatik  des  Mut- 
tarlandes  behandeln,  aufgeführt  Dasselbe  findet  grössteoiheiJs 
mxA  bei  den  Asiatischen  und  Afrikanischea  Golontal-* 
münzen  statt 

Eine  genügende  Ton  artistischem  Gesidilspuiikt  aufgelassie 
Geschichte  der  Stempelschneidekimst  giebt  es  »och  nicht 
Das  bis  jetzt  beste  Werk  darüber  ist  das  von  Boizenftbai. 
Mit  Abfassung  einer  neuen  Bibliotbeca  numarU,  wieleh^  mehr 
als  die  blossen  Titel  enthalte  soll,  ist  v.  Böse  beschäftigt 

Dies  wäre  in  der  Kürze  «ler  Abriss  von  dei»,  was  h«upt- 
sachlieh  in  der  Münzkunde  bis  jetzt  geschehen  i^.  Die 
Lücken,  welche  noch  ausgefiütt  werden  nrässen,  sind  sehr 
bedeutend  und,  wie  wir  im  Eingange  gesa^  haben,  nur  dunch 
liberale  Unt^stützung  von  oben  her,  kann  ein  f^ründltches, 
umfassendes  Werk  über  die  mittelalterliche  und  neuere  Münz- 
^eschidhte  zu  Stande  gebracht  werden. 

B.  Kühne. 


24 


Stuttgart  u.  Tübingen  b.  Cotta  1813.   Mittelitalien 

vor  den  Zeiten  römischer  Herrschaft;  nach  seinen 

Denkmalen  dargestellt  von  Dr.  Wilhelm  Abeken,  Se- 

cretär  des  archäologischen  Instituts  zu  Rom  u.  s.  w.   Mit 

eilf  Tafeln.  XVIII.  u.  446  S.  8.  (3  Thlr.  6  gGr.)     • 

Sogleich  in  den  ersten  Worten  seiner  Vorrede  erkennt 
der  leider  zu  früh  verstorbene  Verfasser  dieses  schätzbaren 
Buches  mit  Dank  die  vielfachen  Bemühungen  derjenigen, 
welche  seit  Niebuhr's  erstem  Auftreten  das  alte  Italien  zum 
Gegenstande  ihrer  Forschungen  wählten,  und  entweder  das 
Dunkel  seiner  Völkergeschichte  zu  erhellen  suchten,  oder  zur 
Kenntniss  der  Sprache  und  Mythologie  der  altitalisched  Völ- 
kerstämme beitrugen.  Nur  für  die  italische  Kunstgeschidite 
vermisste  er  mit  Recht  noch  eine  nicht  bloss  compendiarische 
und  abgebrochene,  sondern  zusammenhängende  Verarbeitung 
des  reichen  Materials,  welches  die  neuern  Entdeckungen  und 
Untersuchungen  zusammengetragen  haben,  und  der  aus  einer 
gründlichen  Verarbeitung  der  vorliegenden  Elemente  zu  (er- 
wartende Gewinn  bestimmte  ihn  zur  Herausgabe  seines  Werks, 
dessen  Werth  und  Leistung  er  selbst  sehr  richtig  in  folgen- 
den Worten  schildert.  „Schon  die  mit  Dodwell  und  der  Dio- 
„nigi  beginnenden,  seitdem  mit  Fleiss  fortgeführten  Unter- 
„  suchungen  altitalischer  Staedtereste  geben  der  historiseh- 
„topographischen  Betrachtung  des  Landes  neues  Leben;  grös- 
„ser  aber  wird  der  Ertrag  für  das  Leben  des  Volkes  selbst 
„noch  werden,  wenn  man  jene  Bauten  auch  künstlerischer- 
,)Seit8  ins  Auge  fasst,  die  Art  und  Weise  der  alten  Fortifi-^ 
„cation,  die  unter  verschiedenen  Bedingungen  des  Locals  und 
„dds  Materials  sich  bildende  Baukunst  des  Gebirgs  und  der 
«yEhene;  wenn  man  die  ganze  sich  in  dem  Städtebau  ent- 
„wickelnde Ireofemk  schärfer  betrachtet,  und  dieser  Betrach- 
„tung  die.  Betrachtung  auch  der  übrigen  Reste  alter  Archi- 


MitieliiäHen  eor  den  ZeUen  römischer  Herrschaft.    873 

9,M[tur,  der  bürgerlichen  sowöbl  als  der  heiligen,  anscbliesst 
,f —  Was  die  Denkmsller  bildender  Kunst  betrifit,  so  hat  diu 
jyEröfinung  etruskischer  Thesauren  bereits  einen  weiten  Bliök 
„in  .ein  frühes  italisches  Kunstleben  vergönnt.  —  Etrurien 
,,  steht  als  reich  gebildetes  Land  vor  unsern  Augen.  Die  Kunst 
„wird  Hebel  der  Politik  und  Religion,  besonders  in  dem  Un- 
stern südlichen  Theil  des  Landes,  wo  Tarquinii  als  Haupt* 
„Stadt  des  tyrrhenisch-rasenischen  Staates  glänzt  Der  grie- 
„chische,  von  Korinth  aus  wirkende,  durch  die  Namen  des 
„Demarat  und  seiner  Genossen  bezeichnete  Einfluss  ist  nun 
„durch  einen  Theil  der  gemalten  Yasen  bestätigt,  welche 
„grade  durch  ihre  strenge  Sonderung  von  den  mehr  das  Ge* 
„präge  des  Orients  tragenden  Metall-  und  rohen  Terracot- 
„tenarbeiten  einen  besondern  Werth  als  Denkmäler  des  mit 
„dem  ausgebreiteten  Handel  sich  ausbreitenden  griechischen 
„Kunstlebens  erhalten.  —  Es  ist  dasselbe  griechische  Kunst- 
„leben,  welches  in  dem  mitern  opisch^n  Lande  die  tiefsten 
„Wurzeln  schlägt,  geschirmt,  gekräftigt  durch  fortwährenden 
„Verkehr  mit  dem  griechischen  Mutterlande,  welches,  wie  es 
„scheint,  auch  auf  das  tarquinische^  über  einen  Theil  des 
„latinischen  Uferlandes  «ich  erstreckende  Reich  den  lebeu'»- 
„digsten  Einfluss  übt,  und  Gumä  mit  den  latinischen  sowohl 
„als  altetruskischen  Handelsstädten  in  naher  Verbindung  er- 
hält —  Bei  der  italischen  Baukunst  kommt  man  auf  den 
letzten  tyrrhenischen  Stamm  zurück,  den  wir  zunächst  in 
„alten  Städteanlagen  durch  das  ganze  mittlere  Land  verfol- 
„gen,  aber  zeigen^  dass  grössere  Gultur,  günstigere  Bedingun- 
gen des  Locals  unter  dem  tyrrhenisch-etruskischen  Stamme 
grössere  technische  Bildung  erzeugen;  dass  hier  vermuthlich 
^, der  künstlichere  Steinschnitt,  der  Bogen  sich  ausbildete; 
„dass  die  eigentliche  kunstreichere  Architektur,  der  Tempel*- 
„und  Gräberbau,  freilich  auf  wesentlichen,  der  ganzen  mitt- 
„leren  Halbinsel  angehörigen  Grundlagen  sich  hier  zu  einem 
„gewissen  Normal  Charakter  erhoben  hat.  —  Die  vorliegende 
^,  Arbeit  ist  die  Frucht  eines  mehr  als  fünijährigen  Aufenthalts 
„in  Italien.  Auf  Reisen  in  die  nächste* latinisc^it^Ua^egend 
„Roms,  in  Etrurien,  in  Gampani^y  in  das  mittter^  Gebirgs^ 


99 


99 
99 


371    MMeHMkn  vor  den  ZeUen  rämiseher  Btmekaß; 

^land»  nidite  der  Verfasier  den  Schauplatz  seiner  Fondmii- 
„gd^f  wie  von  der  geographisdien  Seite,  so  nadi  den  erbal- 
lytenen  Denkmälern  der  Baukunst  kennen  xa  lernen/* 

Für  die  Darstellung  der  etruskisebra  Kunst  war  ausser 
den  mannigfaltigen  Priyatsammlungen  von  Denkmälern  in  Ita- 
lien die  Gründung  des  Museums  etruskiscber  Alt^lmnier 
vom  regierenden  Papste  im  Jahre  1837  ein  besonders  begün- 
stigender (Jmstand.  Die  in  Bezug  auf  die  älteste  Culturge- 
schichte  so  v^chtigen  statistischen  Notizen  der  cäretanischen 
vnd  alsietinischen  Funde  verdankt  der  Verf.  der  Güte  der  um 
iie  Ausgrabui^en  in  jenen  Gegenden  so  verdienten  Frau 
Herzogin  von  Sermoneta,  die  vorzüglichsten  Hülfsmittel  zur 
Betrachtung  der  campanischen  Kunst  aber  einem  dreimaligen 
Jüngern  Aufenthalte  in  Neapel,  besonders  dem  letzten,  m  wel- 
chem ihm  die  freie  Benutzung  der  Münzsammlung  des  kö- 
niglichen Museums  vergönnt  war.  Seine  persönliche  Stellung 
als  Secretär  des  archäologischen  Instituts  verschaflte  ihm  un- 
ter vielen  andern  Hülfsmitteln  auch  einen  lebhaften  Verkehr 
mit  allerlei  trefflichen,  um  die  Geschichte  ihres  Vaterlandes 
patriotisch  bemühten  Männern,  deren  Monographien,  die  kein 
Buchhandel  über  die  Grenzen  Italiens  verbreitet,  gleichwohl 
eine  erstaunlidie  Fülle  schätzbaren  archäologischen  Materials 
bieten.  Des  Verlassers  früher  Tod  vereitelte  dessen  Absicht, 
dem  Buche  ein  Verzeichniss  der  zahlreichen  italienischen  Mo- 
nographien, die  er  benutzte,  nebst  der  Charakteristik  densel- 
ben, sowie  ein  Verzeichniss  der  Sammlungen  von  Altertiul- 
mem  und  Münzen,  beizufiigen,  und  vernichtete  zugleich  den 
Plan,  den  vorliegenden  Forschungen  einen  zweiten  Band  fol- 
gen zu  lassen,  welcher  zufolge  der  Versicherung  von  Sulpiz 
Boisser6e  in  München  die  Kunstgeschichte  Boms  und  <kr 
römischen  Nachbarländer  von  dem  Zeitpunkte  der  samniti- 
schen  Kriege  bis  zu  der  Herrschaft  des  Augustus  behandeln 
sollte.  Auch  was  der  Verf.  zu  einer  Monographie  über  das 
Capitol  und  zu  einer  Mythologie  Italiens  gesammelt  hatte,  ist 
nun  für  uns  verloren,  sowie  manches  Andere  auf  dem  Felde 
der  archäologischen  Wissenschaft,  wozu  er  reiches  Material 
f;esammelt  hatte.    Im  vorliegenden  Werke,  welches  er  noch 


nach  äemm  Denkmaien  dargesMU  von  W.  iidetoi.    37$ 

bis  zam  Register  voliendele,  beschreibt  die  Einleitung  das 
älteste  mittlere  Italien,  und  zwar  1)  Etrusker  und  Umbrer, 
2)  Latiner^  3)  Sabiner  und  sabellische  Stamme  S.  1 — 120  choH 
rographisch  und  historisch.  Zu  den  obem  sabellischen  Stäm- 
men zählt  er  ausser  den  Sabinern  und  Aequiculem  oder 
Aequiculanern,  welche  er  von  den  Aequem  des  hohen  und 
unwirthlichen  Gebirges  gegen  die  latinische  Ebene  unter- 
scheidet,  die  Marser,  Herniker  und  Peligner;  zu  den  untern 
die  Gampanier  und  Samniten  nebst  den  Picentinem,  vor  wel- 
chen er  die  Volsker  und  Aurunker  einschaltet;  zu  den  sabel- 
lischen Stammen  am  Adrias  aber  auch  Apulien  nebst  den 
Frentanern,  Marrucinern,  Vestinern  und  Picentinem  in  Pi- 
cenum.  So  schätzenswerth  die  chorographische  Uebersicht 
dieser  Völker  ist,  so  wenig  befriedigen  die  historischen  An- 
sichten und  gelegentlichen  Spracherläuterungen,  in  welchen 
er  mehr  fremder  Autorität  als  eigener  Forschung  folgt,  und 
in  einer  Nachschrift  selbst  der  von  Sir  William  Betham 
in  seiner  Etruria  Geltica  behaupteten  Aehnlichkeit  des 
Gtmskischen  mit  der  irischen  Sprache  nicht  zu  widerspre«- 
chen  wagt.  Wie  erfolgreich  eine  ernstere  und  genauere  geo- 
graphische Betrachtung  des  Landes  im  Ritter'schen  Sinne  für 
die  Geschichte  Italiens  sein  würde,  ist  dem  Verf.  selbst  recht 
fiihlbar  geworden,  als  er  eine  lebendige,  auf  Autopsie  der 
natürlichen  Verhältnisse  beruhende  Physiognomik  des  ältesten 
mittleren  Italiens  zu  entwerfen  versuchte. 

Er  Hess  es  sich  vorzüglich  angelegen  sein,  zur  Begrün- 
dung einer  Kunstgeschichte  von  Altitalien  die  Denkmäler  selbst 
mit  möglichster  Gewissenhaftigkeit  zu  untersuch.en,  und  jede 
der  beiden  Hauptformen  der  Kunst,  die  Architektur  und  die 
bildende  und  zeichnende  Kunst,  in  ihrem  besondern  histori** 
sehen  Charakter  zu  behandeln.  Bei  der  Architektur  S.  125 
bis  260  betrachtet  er  zuerst  die  ältesten  Städtebauer  und  die 
ältesten  Burgen,  die  Anlage  und  Bildung  der  Städte  und  den 
Mauerbau  in  Etrurien  und  Umbrien,  in  der  latinischen  Eben^ 
und  dem  Albanergebirge,  in  der  Sabina  und  dem  Aequerge«- 
birge,  in  der  marsischen  Hochebene,  dem  Pelignerthale  und 
Hermkergebirge,  dem  östlichen  und  westlichen  Volskergebirgß, 


376    Miitelitalieti  eor  den  Zeiten  römischer  Herrschaß; 

dem  Aürunkergebirge,  Samnium  und  Gampanien.  Die  Zeich- 
nungen der  ersten  Tafel  entwickeln  folgende  sich  entspre- 
chende Hauptstufen  für  den  polygonen  und  den  Quaderbau: 

1)  ungeschnittene  oder  wenig     Quadern  ohne  Gleichmässig- 
geschnittene  polygone  Stei-  keit  geschnitten  nach  dem  in- 
ne  mit  vorherrschend  hori-  dividuellen  Charakter  des  je- 
zontaler  Lage ;   verbunden  desmaligen  Bruchs.  Taf.  I.  4. 
durch    kleinere   Zwischen- 
steine. Taf.  I.  I. 

2)  zugeschnitt.  polygone  Stei-     regelmässig  geschnittene  Qua- 
ne,   wohl  in  einander  ge-  dern.  Taf.  I.  5. 

fügt.  Taf.  I.  2. 

3)  systemat.  entwickelter  Po-     systemat.  entwickelter  Qua- 
iygonbau.  Taf.  I.  3.  derbau.  Taf.  l.  6. 

4)  Verdrängung  des  Polygonbaues  durch  den  Quaderbau,  aber 
fortdauernd  partielle  Einwirkung  und  Anwendung  des  er- 
steren.  Dazu  kommen  noch  auf  Taf.  1. 7.  der  Wall  von  Alba, 
8.  der  Ziegelbau  nach  Vitruv,  und  9  a.  9  b.  das  Emplecton 
nach  Vitruv.  —  Hierauf  bespricht  der  Verf.  die  Bogen-  und 
Gewölbeconstruction  nebst  den  Befestigungen  alter  Städte, 
über  welche  die  Thore  und  Eingänge  der  zweiten  Tafel  be- 
lehren, die  hydraulischen  Anlagen,  Strassen  und  Briicken, 
Privat-  und  öffentliche  Bauten  des  Gerichts  und  Verkehrs, 
und  Nachträgliches  über  Brunnenhäuser  und  Cisternen.  Auf 
die  Anlagen  der  Volkslustbarkeit  lässt  er  die  Tempel  und 
Gräber  folgen,  wozoi  die  dritte,  vierte  und  fünfte  Tafel  be- 
lehrende Zeichnungen  liefern.  Im  Tempelbau  geht  das  kunst- 
reiche Etrurien  den  übrigen  italischen  Stämmen  voran,  bei  wel- 
chen sich  der  toscanische  Tempel  auf  Taf.  HI.  als  eigenthümlich 
italisch  neben  den  griechischen  hinstellt.  Im  Gräberbau  un- 
terscheidet der  Verf.  1)  ältere  Grundformen  der  Gräber  (Grä- 
ber von  Gäre,  Pyrgoi,  Alsium,  Chiusi  u.  s.  w.);  die  Nurhagen 
und  Riesengräber  Sardiniens  auf  Taf.  IV.  2)  ausgebildetere 
Gräberformen  von  Tarquinii,  Chiusi,  Volterra,  Vulci  u. s.w. 
auf  Taf.  V.  3)  die  Felsengräber  von  Toscanella,  Gastel  d'Asso, 
Norchia,  Sutri.  —  Bei  der  Plastik  und  Malerei  S.  261—352, 
weicher  die  sechs  letzten  Tafeln  gewidmet  sind,  stellt  der 


nach  seinen  Denkmalen  dargestellt  t^on  W.  Ahmten,    377 

Verf.  die  Entwicklung  der  bildenden  Kunst  zuerst  nach  den 
vörbdndenen  Denkmälern  in  den  drei  Haupttfaeilen  des  mitt^ 
leren  Landes,  Etrurien  und  Dmbrien,  Latium  und  der  Sabina, 
Campanien  mit  Anschluss  von  Samnium  und  dem  nördlichen 
Lucanien  und  den  Landern  des  adriatischeh  Meeres  dar  und 
giebt  dann  in  einem  Anhange  eine  Uebersicfat  der  in  Italien 
geübten  Künste  in  ihrer  Technik  und  ihren  Leistungen  S.  3S3 
bis  427.  So  überschauet  er  unter  den  einzelnen  Kunstgattun- 
gen der  Plastik  1)  die  Thonarbeit,  2)  die  Metallarbeit,  3)  die 
Glas-  und  Schmelzarbeit,  4)  die  Steinarbeit,  5)  die  Arbeit  i« 
Holz,  Elfenbein,  Bernstein,  wozu  die  sechste,  siebente  und 
achte  Tafel  Beispiele  liefern,  sowie  die  neunte  und  zehnte 
Tafel  über  die  Malerei  belehren,  bei  welcher  der  Verf.  zuerst 
die  freie  Entfaltung  des  Pinsels  auf  Vasen  und  Wänden,  dann 
die  angewandte  Malerei  (gemalte  Terracotten,  Steinarbeiten 
u*s.w.)  bespricht  Dem  Namen*  und  (Sachregister  und  Ver- 
zeichnisse der  Tafeln,  deren  elfte  als  numismatische  Beilage 
unter  vierzehn  Silbermünzen  auch  eine  unedirte  von  Popu^ 
lohia  mit  dem  Löwen  nebst  einer  lucanischen  Erzmünze  Ver- 
zeichnet  (S.  428 — 445),  ist  noch  eine  Seite  zugegeben,  welche 
Druckfehler  und  Verbesserungen  anzeigt,  aber  die  nur  allaiu 
häufigen  Druckfehler  bei  w^tem  nicht  erschöpft,  vielmehr 
noch  neue  hinzuftigt,  wie  wenn  fiir  Aelalia  auf  Kyrnos  bei 
Herodot  1,  165  f.  nicht  Alalia,  sondern  Aethalia  zu  lesen 
verlangt  wird. 

Obgleich  der  Verf.  versichert,  dass  die  Untersuchung  der 
Denkmäler  selbst  fiir  ihn  das  Leitende  gewesen,  und  schritt^ 
lidhe  Nachrichten  nur  da  berücksichtigt  und  zusammengetra^*- 
gen  seien,  wo  sie,  mit  vorhandenen  Resten  zusammengehal- 
ten, zu  Resultaten  fiihren;  so  blieb  ihm  doch  nicht  leioht  ir^ 
gend  ein  Werk  unbenutzt,  welches  die  von  ihm  behandelten 
Gegenstände  berührt.  Nur  der  Ref.  darf  sich  nicht  rühmen 
von  ihm  benutzt  zu  sein,  obwohl  die  Verbesserungen  d^ 
letzten  Seite  darauf  hindeuten,  dass  er  seine  Beiträge  zur 
Greographie  und  Geschichte  von  Altitalien  vielleicht  noch  be«^ 
nutzt  haben  würde  wenn  er  länger  gelebt  hätte.  Wenigstens 
will  er  die  von  den  Alten  gegebene  Deutung  des  Aborigi- 


378    MUMUeUien  eor  den  ZeUen  römischer  Berrschaft; 

iier-Niune»B  ab  origine,  gegen  weldie  der  Boreigonen«- 
Name  bei  Lykophron  der  sicherste  Beweis  sei,  nicht  verbür^ 
gen,  und  verwahrt  sieh  zugleich,  in  dem  Namen  Aequi  Fa- 
ll sei  einen  Bezug  auf  die  Ebene  zu  sehen.  Er  beruft  sich 
hierbei  auf  eine  Anmericung ,  in  welcher  er  Aequi  als  einen 
Volksnamen  erkennt,  dessen  Wurzel  auch  die  Oerter  Aecla- 
num  und  Equus  tuticus  in  der  Nachbarschaft  der  samni- 
tiscfaen  Hirpiner  enthalten.  Dass  er  Höhenbewohner  bezeichne, 
wie  Latium  eine  Niederung  oder  Flachland  gleich  Campa- 
nien,  sagt  er  jedoch  so  wenig,  als  er  die  Volsker  für  Sumpf- 
bewohner erkennt  In  der  corrupten  Stelle  Strabo's  V,  2.  9. 
pag.  226  will  er  mit  Grosskurd  AlxmMov  ^osXrco^av  statt  des 
nirgends  erwähnten  Ahcov/uLKpoKioTiov  lesen.  Wenn  er  aber 
Prisci  Latini  durch  lateinische  Prisker  übersetzt,  und 
damit  den  eben  so  gemissbrauchten  Namen  der  Gasker  ver- 
gleicht, und  die  Prisker  sowohl  ab  Gasker  fiir  Abor%iner  er- 
klärt, unter  deren  Namen  die  Gasker,  Aequer  und  Yolsker 
zum  Theil  als  Rest  der  ältesten  italischen  Bevölkerung  da- 
stehen: so  spricht  sich  darin  eine  gleiche  Verwirrung  der 
Begriffs  aus,  wie  wenn  sogleich  auf  der  ersten  Seite  des  Bu- 
ches gesagt  wird,  dass  rätische  Gebirgsstamme,  von  Norden 
herabsteigend  und  am  rechten  Tiberufer  mit  tyrrheniscben 
Urbe wohnern  oder  Pelasgern,  die  zu  den  Aboriginern 
kamen,  gemischt,  das  etruskische  Volk  bildeten,  das  untere 
Land  dagegen  von  griechischen  Ansiedlungen  seit  Alters 
den  Namen  Magna  Graecia  trug,  und  die  Halbinsel  in  ih- 
ren mitdem  Landschaften,  wo  die  Aboriginer  weilten,  Italia 
propria  biesa*  Von  Unklarheit  zeugt  schon  der  häufige  Gor 
brauch  von  Zusammensetzungen,  wie  tyrrhenisch-sikelisch 
und  tyrrfaeniscb-opisch  neben  tyrrhenisoh-rasenisch 
oder  tyrrhenisch-etruskisch,  und  tyrrbenisch-pelas- 
gischund  pelasgisch-umbrisch  neben  sabellisch-tyrr- 
henisch  und  sabelHsch-oskisch.  Zu  sehr  auf  des  Öio- 
nysios  Worte  bauend,  dehnt  der  Verf.  mit  Niebubr  den  Na- 
men der  Pelasger  zu  weit  aus,  und  weil  er  den  tyrrheniscben 
Namen  in  Italien  eben  so  innig  mit  dem  sikelischen  verwach- 
sen glaubt,  wie  er  von  den  Griechen  mit  dem  paiasgischen 


nach  seinen  Denkmalen  dargeiteUi  eon  W.  Abeken.    379 

verbunden  wird,  hält  er  mit  Otfried  Maller  gans  verschiedene 
barbarische  Völker  für  ursprÜBgliche  Verwandte  der  Helle«> 
Aen.   Ob  er  gleich  nicht  leugnet,  dass  die  Sage  von  den  Tyrr- 
hener-Pelasgern  eine  italische  Urbevölkerung  scheidet,  welche 
die  umbrisehe  heisst,  und  in  dem  ganzen  Lande  von  einem 
Meere  zum  andern  herrschend  war,  verwirft  er  doch  das 
scharfe  Scheidemesser,  welches  Lepsius  in  seiner,  vom  Verf. 
in  der  Jenaer  L.  Z.  1842.  No.  289  f.  angezeigten  Schrift  über 
die  tyrrhenischen  Pelasger  in  Etrurien  zwischen  Tyrrhener 
und  Umbrer  gesteckt  habe,  um  die  Tyrrhener  in  die  Stelle 
der  als  chimärisch  verworfenen  Rasener  zu  erheben,  weil  es 
ihm  unerlässlich  scheint^  den  tyrrhenischen  Namen  sich  eng 
im  Ansohluss  an  den  umbrischen,  die  Umbrer  sich  theilweise 
zu  Tyrrhenem  werdend  zu  denken,  in  der  Art,  dass  wir  in 
ihnen  beiden,  und  besonders  in  ihrer  Vereinigung,  das  ur*- 
griechische  Element  ausgesprochen  finden,  welches  die  Alten 
pelasgiscb  heissen.  Es  gab  nach  ihm  eine  Zeit,  wo  die  Etrush- 
ker  mit  den  übrigen  pelasgischen  Stämmen  Italiens  ein  ver- 
wandtsdiaftliches  Band  der  Sprache  und  Bildung  enger  ver- 
schlungen hielt,  und  das  Fremde,  welches  in  das  Etruskische 
hineinkam,  kam  durch  die  Wanderungen  aus  dem  obem  Ge- 
birge.  Da  sich  nach  des  Verfassers  Ansicht  nur  so  das  spa- 
tere Etruskische  vom  Lateinischen  schied,  welches,  wie  das 
Altetruskische,  urgriechisch  war  und,  alles  Drängens  verschie- 
dener Völkerschaften  ungeachtet,  um  ihres  gleich  griechischen 
Ursprunges  willen  unvermischt  blieb:  so  kann  es  nicht  be- 
fremden, wenn  der  Verf.  den  Namen  Glusium's  von  dem 
verschlossenen,  des  Abflusses  entbehrenden  Wasser  seiner 
Gegend  ableitet.    Der  tyrrhenische  Name,  aus  welchem 
ebensowohl  Etruria  als.Tuscia  undToscana  ward,  hängt 
dem  Verf.  mit  rii^oriQ  oder  turris  fär  Tcv^yoq  zusammen; 
aus  dem  Stamme  tx;$>^  oder  turs  soll  aber  auch  eben  so- 
wohl Tarchon  und  Tarchufin  oder  Tarquinius,  ja  Tar- 
raco  und  Trasimenus  für  Tarsimenus,  als  Tyrrhus, 
Turnus  und  tyrannus,  gebildet  sein.    Noch  mehr  sol- 
cher irrigen  Etymologien  und  Ansichten  über  Verwandtschaft, 
Verzweigung  und  Ursprung  der  einzelnen  Völker  Altitaliens 


380  Mi^cellen. 

anzufiihren,  enthalt  sidi  der  Referent,  um  nicht  durch  Her- 
vorheben der  schwachen  Seite  undankbar  zu  scheinen  gegen 
die  fielfachen  Belehrungen  in  dem,  wo  nicht  fremde  Auto- 
rität, sondern  Autopsie  des  Verfassers  Urtheil  leitete. 
Hannover.  6.  F.  Grotefiend. 


HlAcellen« 


19. 

VolksibÜmliches  Recht  und   nationale  Gesetzgebung.   — 
Seit  der  Zeit  der  Befreiungskriege  und  als  ThiJMiut  auf  die  Nothwendigkeit 
eines  allgemeinen  bürgerlichen  Gesetzbuches  für  Deutschland  hinwies,  hat 
sich  die  dffentUche  Meinung  wohl  nie  wieder  mit  so  entschiedener  TheiU 
nähme  dieser  wichtigen  Frage  zugewandt,    wie  in    den  lelztverflossenen 
Jahren.     Wir  brauchen  nicht  an  die  verschiedenen  Ereignisse  zu  erinnern, 
welche  dazu  mehr  oder  minder  Anregung  gaben.   Es  Ittsst  sich  schwerlich 
verkennen,  dass  die  nationalen  Bestrebungen  Deutschlands  immer  grössere 
Ausdehnung  und  Kraft  gewinnen,  dass  das  Ideal  der  Einheit  des  allgemei- 
nen Vaterlandes,   lange  Zeit  das  nebelhafte  Phantom  eines  unbewussten 
jugendlichen  Dranges  und   poetischer  Schwärmerei,   in  verklärterer  Gestalt 
sich  nicht  minder  der  oberen   und  höchsten  Schiebten  wie   der   mittleren 
und  unteren  bemächtigt,  und  einer  vernUnlUgen  selbstbewusst^a  Yerwirk- 
liohung  entgegengeht.    In  diesem  Sinne  hatte  die  tausencU^rige  Feier  der 
Selbstständigkeit  Deutschlands  mehr  die  Bedeutung  einer  Mahnung  an  die 
Zukunft  als  einer  Erinnerung  an  die  Vergangenheit;  und  in  dieser  Bedeu- 
tung liegt  ihre  eigentliche  Weihe  für  die  Gegenwart,  sowie  ihre  Fruchtbar- 
keit für  die  Geschichte.    Indem  die  Hinwendung  zu  einem  klaren  und  be- 
Bttanmten  Ziele,  zu  dem  Ziel  einer  einheitlichen  Gestaltung  deutschen  Sin- 
nes und  Lebens,  sich  allmählig  in  allen  Gebieten  des  Geistes  und  unter 
allen  Interessen  der  Wirklichkeit  Raum  verschafft,   wird  sie  die  beste  Ge- 
^  "wHIhr  leisten  für  eine  ruhige,  besonnene  und  friedliche  Entwicklung  der 
Dinge,  die  nur  da  mit  Störungen  bedroht  ist,  wo  es  dem  Gedanken  an  ei- 
nem Ziele,  oder  der  Aufgabe  an  Klarheit,   oder  dem  Wollen  an  Ernst  ge- 
bricht. Bei  solcher  Deberzeugung  können  wir  die  „Zeitschrift  für  volks- 
thüniliches   Recht  und  nationale   Gesetzgebung,    herausgegeben 
von  Gustav  Eberty"  (Halle  bei  Lippert  und  Schmidt),  welche  seit  dem 
Januar  d«  J.  in  Monatsheften  erscheint,  nicht  anders  denn  als  ein  gutes  eiw 
treuliches  Zeichen  begrüssen,  da  sie  den  einheitlichen  und  volksthümlichen 
Bestrebungen  in  Deutschland  auf  dem  Gebiete  des  Rechtes  einen  Mittel- 
punkt und  eine  allgemeinere  Thellnahme  zu  erwecken  verspricht.     Doch 
mit  Recht  erstrebt  sie,  nicht  eine  hastige,  sondern  eine  allmählige  schritt- 
weise Entwicklung,  —  Beweis  genug,  dass  sie  die  schwierige  Natur  ihres 
Zweckes  vollkommen  würdigt  und  dass  sie,  worin  so  häufig  gefehlt  wird, 
neben  der^  Erkenntniss  des  Notwendigen,  des  Endzieles,    auch  die   des 
Möglichen,  der  vorhandenen  Mittel,  zum  Maassstab  ihres  Wirkens  gemacht 
hat.    Denn  das  eüiheiUiche  und  volksthümliche  Streben,  das  sie  vertreten 
IpriU,  geht,  wie  es  im  Vorwort  heisst,  nicht  unmittelbar  darauf  aus,  an  die 
^'lep.e  der  mannigfachen  Gesetzgebungen   Deutschlands   einen  einförmigen 
"^Cotfex  2u  setzen;  es  sucht  vlehnebr  auf  wissenscbaaUchem  Wege  eine 


i 


v 


MisceUen.  381 

Einheit  in  den  Rechtsnormen  herzustellen,  weiche  von  seltwt  eine  Binheit 
in  der  Geselzgehung  aus  sich  hervortreiben  wird.  Zu  dieser  ist  Dentsch- 
lond  jetzt  auf  dem  Gebiete  des  Handels-  und  Wechselrechts  einerseits  durch 
den  Zollverein,  andererseits  durch  den  vermehrten  Verkehr  überhaupt  ge- 
nOthigt.  Aber  es  drängt  sich  diese  Nolhwendigkeit  vor  Allem  da  auf,  wo 
es  sich  um  die  höchsten  Güter  des  Lebens  handelt,  in  dem  Stralirechte« 
Man  erkennt  es  als  unnatürlich,  dass  in  den  38  Staaten  Deutschlands  ver« 
schiedene  Bestimmungen  nicht  nur  über  Strafverfiihren  und  Strafmaasse, 
sondern  über  die  Strafbarkeit  der  Handlungen  selbst  gelten,  und  dass  Jetzt 
der  Zeitpunkt  zu  einer  Einigung  über  diese  Gegenstände  gekommen,  zeigi 
die  nie  gesehene  ihnen  zugewandte  gesetzgeberische  Thätigkeit,  bei  wel* 
eher  sich  nicht  bloss  der  Juristenstand,  sondern  das  Volk  betheUigt  weiss. 
— -  Es  wird  dieser  neuen  Zeitschrift  gewiss  nicht  an  Anklang  und  Erfolg 
mangeln,  wofern  sie  alle  ihre  Kr&fte  auf  die  Verfolgung  ihres  Hauptzweckes 
concentrirt.  Bas  Leben  und  die  Literatur  gehen  so  oft  Hand  in  Hand ;  was 
für  die  letztere  jene  journalistische  Erscheinung  zu  werden  verspricht,  dazn 
dürfte  für  das  erstere  sich  der  deutsche  Advocatenverein  gestalten,  wenn 
seine  BUdung  nicht  verkümmert  wird  und  wenn  seine  Absichten  gleicher- 
weise das  Mögliche  wie  das  Nothwendige,  das  Gegebene  wie  das  Erstrebte 
beachten..  Jedenfalls  wäre  es  gewagt,  das  Kind  vor  der  Geburt  zu  verur- 
theilen;  denn  nur  an  den  Früchten  sollt  ihr  sie  erkennen. 

20. 

Positives  Völkerrecht.  —  Das  erste  Heft  der  ebengenannlen  Zeit- 
schrift giebt  einen  Aufsatz  „zur  wissenschaftlichen  Begründung 
des  Völkerrechts^'  von  Dr.  H.  Hälschner  in  Bonn,  der  vieles  Beach- 
tenswerthe  enthält.  Unter  allen  Zweigen  der  Rechtswissenschaft  ist  in  der 
That  der  des  Völkerrechtes  am  weitesten  zurückgeblieben,  wie  er  denn 
auch  der  jüngste  unter  ihnen  ist  und  nicht  eher  als  im  4  7ten  Jahrhundert 
seine  ersten  bedeutenden  Triebe  entwickelte.  Kein  Wunderl  denn  im  AI- 
terthum  mangelte  das  Rechtsbewusstsein  in  den  Grundsätzen  des  Völker- 
verkehrs, und  im  Mittelalter  wurde  das  Völkerrecht  gleichsam  vom  Kirchen- 
und  Lehnrecht  absorbirt.  Aber  auch  jetzt  noch  ist  es  nicht  zu  einem  wis- 
senschaftlichen System  gediehen,  vielmehr  das  Völkerrecht  noch  immer  im 
Kampfe  um  sein  Dasein  begriffen.  Hugo  Grotius  erfasste  zwar  schon  das 
Verhältniss  der  Staaten  und  Völker  zu  einander  als  ein  positiv  rechtliches; 
allein  seitdem  wurde  die  Lehre  des  positiven  Völkerrechts  mehr  und  mehr 
durch  die  Phantasien  des  natürlichen  verdrängt,  das  die  Existenz  des  er- 
steren  oft  gradezu  in  Abrede  stellte.  Erst  als  gründliche  Quellensammlun- 
gen das  Dasein  positiver,  historisch  entstandener  Völkerrechtsgrundsätze 
augenscheinlich  erwiesen,  verschaffte  sich  das  positive  Völkerrecht  wenige 
stens  eine  factische  Anerkennung  und  nunmehr  wurde  Moser  der  eigent- 
liche Begründer  der  praktischen  europäischen  Völkerrechtswissenschaft,  der 
es  nicht  sowohl  darauf  ankommt  zu  sagen,  was  sein  könnte  oder  soUto, 
sondern  zu  zeigen  was  unter  den  Völkern  wirklich  Rechtens  ist  und  war« 
Vor  allem  kam  es  auf  die  historische  Begründung  des  Völkerrechts  an; 
was  Grotius  für  seine  Zeit  geleistet  wurde  ge Wissermassen  durch  Ward's 
Arbeit  über  die  Geschichte  des  Völkerrechts  bis  auf  des  Erstem  Zeitalter 
ergänzt,  und  durch  Wheaton's  Hist.  des  progrös  du  droit  des  gens  en 
Europe  depuis  la  paix  de  Westphalie  jusqu'au  congrös  de  Vienne  welter 
fortgeführt.  Zugleich  wurde  der  Völkerrechtsgeschichte  durch  Materialien- 
sammlungen vorgearbeitet,  wie  die  sehr  schätzenswerthen  von  Martens 
(Gauses  c^löbres  du  droit  des  gens.  %  vol.  48S7  und  Nouvelles  causes  oö- 
löbres  du  droU  des  gens.  9  vol.  4843.  Leipz.  F.  A.  Brockbaus).  Auch  ^ das 
Bedürfioiss  nach  einer  wissenschaftlichen  Begründung  des  Völkerr^^ts 


3g2  Miicdien. 

macbte  steh  immer  fühlbarer,  und  ihm  verdankeD  wir  die  Pütter' sehen 
BeHrtlge  zur  VöUcerrechts-^eschichte  und  Wissenschaft  (Leipz.  A.  Wienbrack. 
4843)  welche  in  ihrem  ersten  Abschnitt  Begriff  und  Wesen  des  praktischen 
europttischen  Völkerrechts  festzostellen  suchen,  sowie  die  oben  an^eliikrte 
Abhandlung  von  Hälschner.     Wir  erachten  diese  Bestrebungen  fUr  heil- 
sam und  im  Interesse  der  Wissenschaft  für  um  so  dringender  nothwendig, 
als  trotz  aUer  Qaellensammlungen,  trotz  alier  historischen  Vorarbeiten  und 
systematischen  Versuche,  die  Existenz  des  positiven  Völkerrechts,  wie  ge- 
sagt noch  bis  heutigen  Tages  bedroht  erscheint,  —  wie  denn  anch  jüngst 
noch  der  Recensent  des  Pütter'schen  Buches  in  den  Bü lau' sehen  Jahr- 
büchein  sich  den  Zweiflern  und  Ungläidiigen  zugesellte.     Als  ob  ein  Ge- 
wohnheitsrecht nur  dann  erst  für  ein  positives  gelten  könne,  wenn 
ein  schriftlicher  Codex  dessen  Grundsjitze  sinnlich  darsteHtl  Oder  hört 
«in  Becht  auf  Recht  zu  sein,  darum  weil  es  verletzt  werden  kann  nnd  ver- 
letzt wird?  Gewiss  so  wenig,  wie  die  Ausnahme  die  Regel  umstöBst,  oder 
•wie  das  Verbrechen  das  Recht  Innerhalb  des  einzelnen  Staates  anfheb«. 
Die  Grundsätze  des  Völkerverkehrs  beruhen  einzig  anf  dem  gemeinaamea 
Rechtabewusstsein  der  Völker,  und  eben  deshalb  ist  ihr  Inbegriff  ein  posi- 
tiv«« Völkerrecht.     Wir  woUen  Herrn  Hilsehner  nicht  in  die  Einzelheiten 
seiner  Untersaebung  folgen;  wir  pflichten  ihm  bei,  wenn  er  auch  in  den 
Wechselbeziehung^  der  Völker  dem  Rechte  die  Macht  zutraut,  ohne  welche 
allerdings  das  Recht  kein  Recht  ist     Der  Staat,  sagt  er,  ist  nicht  die  ab- 
solute Macht,  sondern  ein  Höheres  über  ihm  Stehendes  ist  das  Staaten- 
liy  Stern,  aus  dem  der  einzelne  Staat  nicht  heraustreten  kann.    Dieses  mit 
seinen  gemeinsamen  Interessen  stellt  in  seiner  sittlichen  Einheit  die  aon- 
verlhie  gesetzgebende  Macht  dar,  deren  Gebote  die  Gesetze  des  posi- 
tiven Völkerrechts  sind.   Das  verleUte  Völkerrecht  stellt  sich  in  letzter  In- 
stanz darch  den  Erieg  wieder  her.    Aber  die  reifere  Entwicklang  des  eu- 
topäischen  Staatensystems  hat  allmlihlig  diese  ultima  ratio  mehr  und  mehr 
entbehrlich  zu  machen  gesucht.     WeU  die  Verletzung  eines  Staates  mehr 
oder  minder  alle  übrigen  berührt,  ist  das  Staatensystem  selbst  sein  eigener 
Arzt,  der  völkerrechtliche  Richter.    Ja,  seine  Wirkungen  reichen  weit  über 
die  Grenzen  Europa's  hinaus,  wofür  die  Gegenwart  ein  treffendes  Beispiel 
^wäbrL   Die  Absetzung  der  Königin  Pomareh  auf  Otaheiti  ist  eine  of- 
fenbare Verletzung. des  Völkerrechts;  der  Widerruf  wäre  sidber  nicht  sobald 
erfolgt,  stünde  Frankreicdi  mit  seinem  nationalen  Ehrgeize  ganz  isolirt  da; 
iler  Wledetlierst^er  des  verletzten  Völkerre<dits  in  diesem  speeieUen  FaUe 
ist  in  der  That  nicht  Frankreich,  nicht  das  französiscbe  Ministerium,  son- 
dern das  gemeinsame  Interesse  nnd  die  sittliche  Macht  des  europäischen 
fitaatensystems.   Auch  dürfen  wir  wohl  darauf  hinweisen,  dass  die  völker- 
fecbtUchen  Schiedsgerichte  mehr  nnd  mehr  in  Aufiiahme  kommen.     „Die 
Vertrtkge  des  Wiener  Congresses,  sagt  Herr  H.,  sind  der  bereits  4648  dic- 
tirte  und  4846  erneuerte  völkerrechtliche  Landfriede,  und  die  europäische 
Pieotarciiie  ist  unser  vbikerrechtliches  Rei<äiskammergericlit.    Man  darf  nicht 
linrchten,  dass  heut  noch  ia  Europa  ein  Streit  ausbrechen  werde,  der  nicht 
dieser  Jury  unseres  Staatensystems  vorgetragen,  von  ihr  reiflich  erwogen 
nnd  abgeortheilt  würde.   Auch  wird  man  ihr  die  Macht  ihren  Urtheilsspruch 
auszufilhren,  wohl  nicht  absprechen  wollen.^*     Unterwerfen  sich  die  Strei- 
tenden drai  UxQkeü  nicht,  dann  ist  der  Krieg  gleichsam  ein  weiteres  Rechts- 
mittel, „die  Appellation  an  das  einzig  wahre  Gottesurtbeil,  die  Berufung  auf 
das  UrtbeU  der  Geschichte.^^  —  Was  für  diesen  Zweig  der  Rechtswissen- 
schaft fernerhin  Noth  thut,  kann  nicht  zweiib&aft  sein ;  die  nächste  Aufgabe 
ist  allerdings  die,  eine  vollständige  Geschichte  des  Völkerrechts  zu  liefern. 
Erst  auf  dieser  Grundlage  wird  sich  ehi  vollständiges  System  des  heutigen 
europäischen  Völkerrechts  erheben  können.   Dann  wird  dem  positiven  Völr 


Mi$ceUm.  383 

kerrecht  auch  das  natürliche  wieder  helfend  zur  Seite  treten  dürfen,  vm 
die  Rechtsregeln  zu  Recbtsbegriffen  zn  erbeben;  wobei  der  Rechtsphiloso- 
phie der  Anspruch  nicht  verkümmert  werden  wird,  durch  Entwicklung  wis- 
senschaftlicher Systeme  den  Bildungen  des  wirklichen  Lebens  voranzuschrei- 
ten,  die  nur  durch  einen  allmttbligen  historischen  Process  zur  Reife  gedei* 
hen  können. 

21. 
Bildnisse  der  deutschen  Könige  und  Kaiser.  —  Wir  machen 
auf  ein  schönes  Taterländisches  Unternehmen  aufmerksam,  dessen  Begrün- 
dung wir  dem  unvergesslichen  Friedrich  Perthes  verdanken;  die  Vorberei- 
tungen dazu  beschäftigten  ihn  noch  in  den  letzten  Tagen  seines  Lebens; 
tlie  erste  Probe,  die  nunmehr  unter  dem  obigen  Titel  als  erstes  Beft  vor- 
liegt (Hamburg  und  Gotha,  Fr.  u.  Andr.  Perthes.  4844),  soUte  er  nicht  mehr 
erblicken.  Alle  Bfldnisse  der  Beherrscher  Deutschlands  von  Karl  dem  Gros- 
sen bis  auf  Franz  IL  werden  hier  Platz  finden  und  mit  „charakteristischen 
Lebensbeschreibungen''  von  dem  um  die  Verbreitung  der  Keantoiss  deut- 
scher Geschichte  vielverdienten  Ober-Schulrath  Fr.  Kohlrausch  begleitet 
werden.  Die  Zeichnungen  sind  nach  Siegeln,  Münzen,  Grabmttlem,  Denk- 
mttleiD  und  Origtealbildnissen  vom  Professor  Heinr.  Schneider  aus  Koburg 
gefertigt  und  in  der  xylographischen  Anstalt  zu  München  in  Holz  geschnit- 
ten. Die  AusftUirung  der  vorliegenden  7  Bildnisse  Karl's  des  Grossfn,  Lud- 
wig's  des  Frommen,  Ludv^s  des  Deutschen,  Karl's  des  Dieken,  Arnulfs, 
Ludwig's  des  Kindes  und  Konrad's  I.  ist  sehr  sauber  und  sorgfttltig.  Die 
Auffindung  beglaubigter  Quellen  war  mit  grossen  Schwierigkeiten  verknüpft, 
und  noch  immer  bleibt  für  die  folgenden  Reihen  eine  UauptlUdce,  nämlich 
die  Bildnisse  der  salischen  Kaiser;  möchte  die  an  Alle  gerichtete  Bitte, 
die  Verlagshandluag  von  den  etwa  voiliandenen  brauchbaren  Quellen  in 
Betreff  dieser  Letzteren  in  Kenntniss  zu  setzen,  nicht  ohne  vielseitigen  und 
genügenden  Erfolg  bleiben,  damit  einem  so  würdigen  Unternehmen,  dem 
wir  den  besten  Fortgang  wünschen,  die  Bahn  möglichst  geebnet  werde. 

22. 

Die  kritischen  Urtheile  der  Literarischen  Zeitung.  —  Wir 
haben  uns  anheischig  gemacht  in  unserer  Zeitschrift  eine  ehrliche  und  auf- 
richtige Kritik  zu  üben ;  das  ernste  Interesse  der  Wissenschaft  gebietet  uns 
aber  auch,  vor  jeder  unehrlichen  und  vehmartigen  zu  warnen«  Deshalb 
fühlen  wir  uns  berufen,  eine  Thatsache  zu  veröflientlichen,  welche  mit 
deutscher  Redlichkeit  im  schneidendsten  Widersprach  steht.  FreBich  betrHR 
sie  uns;  doch  nicht  darum  führen  wir  sie  an,  sondern  weU  nar  dieser 
Umstand  uns  zu  der  ungeahnten  Entdeckung  führte,  dass  die  Redactien 
der  Literarischen  Zeitung  unter  dem  Deckmantel  der  Anonymität  ih- 
rer Mitarbeiter  das  verpönte  Gewerbe  der  Urtheile -Fälschung  treibt, 
die  No.  47  d.  J.  enthält  eine  Anzeige  der  beiden  ersten  Hefte  unserer  Zeli- 
schrift,  worin  folgende  Stelle  vorkommt:  „Unter  den  andern  selbstständigen 
Arbeiten  zeichnet  sich  die  des  Herrn  Herausgebers  über  den  Verfall  der 
Volksrechte  in  Rom  unter  den  ersten  Kaisem  durch  eine  wwar  ttwm»  fgt^ 
dekiäe^  aber  9om»t  gute  Darstellung  vortheUhaft  aas,  wenn  auch  die  ge- 
fundenen Resultate  nkht  neu  timd.**  Es  kommt  uns  hier  durchaus  nicht 
auf  Inhalt  und  Werth  des  UrtheUs  an,  sondern  eindg  und  aHein  auf  desee» 
Ursprung.  Man  mag  uns  zutrauen,  und  wir  werden  Jede  Gelegenheit  wahr- 
nehmen es  zu  bewähren,  dass  Tadel  uns  nicht  verdriesst.  Da  jedoch  die 
durch  die  Schrift  hervorgehobenen  Urtheile  mit  allen  uns  anderweitig  zu- 
gegangenen, sowohl  brieflichen  als  mündlichen,  im  graden  Gegensatze  stan- 
den: so  wandelte  uns  die  gewiss  verzeihliche  Neugier  an,  den  Namen  des 
Recensenten  zu  erfahren.    Die  Redaction  der  Lit.  Ztg.  weigerte  sich,  ihn  zu 


3g4  Miiceüen. 

nennen.    Und  so  wäre  wohl  das  geheime  und  unwürdige  Gewerbe  derseU 
ben  noch  Wnger  verborgen  geblieben ,  hätte  nicht  ein  Zufall  uns  den  Ro- 
censenten  entdeckt  und  entgegengeführt,  der  gleich  bei  unserm  ersten  ru- 
higen Einwurf  gegen  jene  Worte  die  überraschende  Erklärung  abgab,  dass 
seinUrtbeil  ohne  sein  Wissen  durch  Einschaltung  und  Streichung 
völlig  entstellt  worden  sei.     Er  erbot  sich  uns  das  Manuscript   vorzule- 
gen, worin   in  der   That  die  Worte  ^,zftar  —  sonst"   ganz  fehlten,   der 
Sohluss  aber  lautete:  „wenn  auch  die  Resultate  nicht  durchgehends  neu 
sein  moehisn,^^    Durch  das  eigenmächtige  und  später  auch  eingestandene 
Verfahren  der  Redaction  war  also  das  Unheil  des  Recensenten  stiUschwei- 
gends  fast  in  das  grade  Gegentheil  umgewandelt  worden.  —   Was  bleibt 
nach  dieser  Thatsache  noch  zu  sagen  übrig  1  Hat  man  nicht  ein  Recht  ähn- 
liche Fälschungen  bei  allen  Urtheilen  der  Liter.  Ztg«  vorauszusetzen? 
Wird  man  fortan  sie  anders  als  mit  Misstrauen  zur  Hand  nehmen,  dürfen? 
0er  Schriftsteller  der  vor  das  kritische  Foram  der  Lit.  Ztg.  gezogen  wird, 
das  Publicum  das  in  ihren  Spalten  über  den  Werth  dör  neuesten  Erschei- 
nungen sich  orienliren  will,  glauben  die  competenten  Aussprüche  sach. 
verständiger  Richter  zu  vernehmen.   Allein  beide  werden  gröblich  hinter  gan- 
gen, wenn  die  Urtbeile  der  gelehrten  und  ehrenhaften  Mitarbeiter  zuvor  eine 
geheime  Instanz  passiren  müssen,  die  man  durchaus  für.  in  comp  et  ent 
erklären  muss ;  zumal  da  die  Liter.  Ztg.  dem  Gesammtgebiete  der  Literatur 
gewidmet  ist  und   doch  die  Redaction   derselben  unmöglich  den  Inbegriff 
aller  vier  J^aculläten  darstellen,  unmöglich  die  Resultate  alles  menschlichen 
Wissens  in  sich  aufgenommen  haben  kann.    In  welches  Labyrinth  von  Miss 
griffen  muss  sich  also  der  eine  Geist  verirren,  wenn  er  in  allen  Tief^ 
und  auf  allen  Höhen  der  Wissenschaft  sein  eigenes  Licht  als  maassgebend 
leuchten  lassen  wUl.     Der  Beweis   liegt  vor  Augen.     Wir   würden  sicher 
Herrn  Brandes   eine  grosse  Verlegenheit  bereiten,  wollten  wir  die  Auf- 
forderung an  ihn  richten,  die  Resultate  jenes  Aufsatzes,  die  ihm  „nicht  neu 
sind'*   sämmtlich  anderwärts  nachzuweisen,  —  es  müsste  denn  Werke  über 
die  röm.  Geschichte  geben,  die  nur  für  ihn  geschrieben  sind.   Lieber  möch- 
ten wir  jedoch  ihn  fragen,  ob  etwa  auch  der  Inhalt  dieses  Excurses  kein 
neues  Resultat  enthalte,  ob  vielleicht  die  UrtheUs-Fälschungen  der  Lit.  Ztg. 
so  alt  seien,  wie  seine  Stellnng  als  Herausgeber  derselben.    Man  rede  uns 
nicht  von  Redactionsbefugnissen  1    Diese  können  sich  bei  einer  wissen- 
schaftlichen Zeitschrift  immer  nur  auf  die  Form  und  gewissermaassen 
auf  den  Anstand  erstrecken ;  niemals  aber  darf  eine  Redaction  so  weit  ge- 
hen, den  Sinn  der  richterüchen  Ausspruche  ihrer  Mitarbeiter  von  Fach  nach 
WUlkür  und  Laune  heimlich  umzustossen.    Das  ist  ein  Verfahren,  welches 
Treue  und  Glauben  zu  Grunde  richtet  und  wofür  es  im  Lexicon  der  Höf- 
lichkeiten keinen  Ausdruck  giebt.    Wir  warnen  also  vor  den  Urtheilen  .der 
Liter.  Ztg.  1  Und  wir  werden  so  lange  an  der  Ehrlichkeit  ihrer  Kritik  zwei- 
feln, so  lange  vor  ihr  zu  warnen  fortfahren,  bis  sie  den  einzig  rechtschaf- 
fenen Weg  einschlägt,   der  ihr  zur  Herstellung  ihres  Credites  noch  übrig 
bleibt,  —  Aufhebung  der  Anonymität.    Die  volle  Gerechtigkeit  ist  von  der 
Oeffentlichkeit  untrennbar.    Wer  sich  berufen  glaubt  zu  reden  und  zu  rich- 
ten, der  schaue  der  Welt  frei  und  offen  ins  Angesicht.    Nur  wer  sich  den 
BUcken  Aller  aussetzt,  wird  nichts  behaupten  als  was  er  vertreten  kann; 
nur  wer  öffentlich  richtet^  richtet  gerecht. 


lieber  die  Iielstungren  der  Enfflttnder  auf 
dem  Geblelie  der  KirclieiigeAehlchte 

Kng^lands. 


iVenn  Objectivitöt  und  strenge  UDpaiteiiichkeit  die  nothwen-*> 
digen  Eigenschaften  des  Historikers  sind,  und  nur  der  die 
Palme  erringen  kann,  der  sich  über  die  hadernden  Partei^ 
ansichten  erhebt,  und  aus  einiger  Ferne  die  Ereignisse  be- 
trachtet, die  er  zu  beschreiben  unternimmt,  so  kann  keiner 
der  englischen  oder  schottischen  Kirchengeschichtschreiber 
auf  den  Namen  eines  wahren  Historikers  Anspruch  machen. 
Denn  da  in  Britannien  Religion  und  Kirche  viel  mehr  mit 
dem  Staat  und  dem  öffentlichen  Leben  verknüpft  sind  als  auf 
dem  Festlande,  und  von  jeher  alle  theologischen  Streitfragen 
eine  nachhaltige  praktische  Wirkung  bei  dem  Volke  hatten, 
so  wurden  stets  die  Begebenheiten  der  Vergangenheit  mit 
Beziehung  auf  die  Folgen  in  der  Gegenwart  angeschaut  und 
lobend  oder  tadelnd,  rechtfertigend  oder  verwerfend,  je  nach 
der  eigenen  Richtung  und  dem  Standpunkte  des  Darstellers, 
beurtheilt.  Daher  erscheint  jede  Kirehengeschichte  unter  der 
Färbung  derjenigen  Religionspartei,  zu  der  sich  der  Verfasser 
bekennt,  und  es  ist  deswegen  jeder  kirchlichen  Gesellschaft 
die  Nothwendigkeit  auferlegt,  die  Geschichte  ihrer  Entstehung 
und  Ausbildung  und  ihre  Verhältnisse  zu  den  andern  Kir-* 
eben  und  Sekten  von  ihrem  eigenen  Standpunkte  aus  dar- 
zustellen, weil  sie  von  den  übrigen  nur  mit  Tadel  und  Vor- 
würfen erwähnt  wird.  Dies  hat  einerseits  die  Folge,  dass  die 
Streitfragen  von  mehren  Seiten  beleuchtet  und  dadurch  kla- 
rer werden,  andrerseits  aber,  dass  der  Leser,  der  ausser  dem 

ZeiUcbrifl  f.  GMchiekUir.  I.  1844.  25 


386        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

Treiben  dieser  Religionsparteien  steht  und  die  absichtliche 
Einseitigkeit  nicht  Yon  vorne  herein  kennt,  leicht  zu  einer 
schiefen  Ansicht  oder  zu  einem  unrichtigen  Urtheil  gefuhrt 
wird.  Dies  ist  aber  in  der  Geschichte  Englands  von  grösse- 
rer Wichtigkeit  als  bei  andern  Ländern,  weil  durch  die  enge 
Verbindung  von  Kirche  und  Staat  die  religiöse  Ansicht  auch 
zugleich  den  Maassstab  zur  Beurtheilung  fast  aller  Ereignisse 
des  sechzehnten  und  siebenzehnten  Jahrhunderts  und  zur 
Würdigung  der  Regenten  und  Regierimgen  an  die  Hand 
giebt,  und  die  politische  Geschichte  dieser  Zeit  mehr  oder 
minder  von  dem  religiösen  Impulse  des  Volks  und  der  ent- 
gegenstrebenden Richtung  der  Könige  und  ihrer  Staats-  und 
Kirchen-Diener  ausgeht  Die  Kämpfe  über  Disciplin  und  Ad- 
ministration der  Kirche  und  über  dieses  oder  jenes  Dogma 
sind  also  in  England  nicht  blosse  Zänkereien  zelotischer,  ei- 
gensinniger Theologen,  die  eine  vorübergehende  Aufregung 
bei  ihren  Anhängern  hervorrufen,  sondern  es  sind  Lebens- 
fragen, durch  welche  die  grossartigsten  Begebenheiten  im 
Staate  herbeigeführt  werden.  Die  hartnäckige  Anhänglichkeit 
an  das  anglicanische  Episcopat  hat  einen  der  kräftigsten  Kö- 
nige aus  dem  Hause  Stuart  auf  das  Blutgerüst  gefuhrt,  und 
das  Bestreben,  eine,  umgestürzte  Kirche  wieder  aufzurichten, 
hat  seinen  Sohn  vom  Thron  gestürzt  und  dessen  Nachkom- 
men um  ihr  schönes  Erbe  gebracht  Dass  diese  Religions- 
wuth,  diese  gewaltigen  Parteikämpfe  auf  die  Kircbenhistori- 
ker  dieser  und  der  folgenden  Zeit  eine  starke  Nachwirkung 
ausüben  und  auf  Urtheil  und  Darstellung  influiren  mussten, 
ist  leicht  begreiflich,  besonders  wenn  man  bedenkt,  dass  das 
englische  Volk  eine  entschiedene  Richtung  zum  kirchlichen 
Rigorismus  und  zum  religiösen  Fanatismus  hat,  wie  sich  so- 
wohl aus  den  harten  Verordnungen  der  Episcopalen  gegen 
die  Nonconformisten  als  aus  der  Zerrissenheit  und  endlosen 
Separation  der  zahlreichen  Sektirer  ergiebt,  und  dasff  auf  der 
andern  Seite  die  bekannte  Loyalität  gar  Manchen  zu  der  An- 
sicht fuhrt,  dass  der  Wille  des  Regenten  als  Gesetz  zu  be- 
trachten und  mit  passiver  Unterwürfigkeit  zu  befolgen  sei.  — 
Was  aber  ausserdem  eine  klare  Auffassung  der  englischen 


Gebiete  der  K%rckenge»chichte  Englands.  387 

Reformation  und  der  daraus  hervorgegangenen  Kampfe  noch 
erschwert,  ist  ihre  Eigenthümlichkeit  und  die  besondere  Ent* 
Wicklung  der  kirchlichen  und  reh'giösen  Zustände,  was  so* 
wohl  von  der  insularischen  Lage  des  Landes  als  von  dem 
abgeschlossenen,  das  Fremde  sich  schwer  aneignenden  Cha- 
rakter der  Nation  herrührt,  und  wodurch  der  Maassstab  der 
Vergleichung  mit  ähnlichen  Erscheinungen  anderer  Länder 
abgeht.  — 

So  verschieden  sich  nun  auch  die  Auflassungs-  und  Dar- 
stellungsweise der  englischen  Reformation  und  ihrer  Folgen 
bei  den  verschiedenen  Glaubensgenossen  äussert,  so  lassen 
sie  sich  doch  in  drei  fiauptklassen  eintheilen,  in  Katholi- 
ken, Episcopalen  und  Dissenters.  Die  ersten  und  letz- 
ten sind  sich  ihres  Zieles  genau  bewusst  und  daher  von  glei- 
chem Parteieifer  beseelt,  ja  nicht  selten  in  ihrer  Polemik 
übereinstimmend,  da  sie  denselben  Gegner  bekämpfen  und 
unter  demselben  Drucke  seufzen;  ihre  Tendenz  giebt  sich 
durch  mannigfache  Entstellung  und  Färbung  der  Begeben- 
heiten kund,  wodurch  die  Wahrheit  verhüllt  und  der  Drtheil- 
lose  leicht  irre  geführt  wird.  Die  mittlem  dagegen  sind  sehr 
ungleichartig,  je  nachdem  die  Einflüsse  waren,  unter  denen 
sie  schrieben,  so  dass  sich  die  Einen  der  katholischen  An- 
sicht vor  der  Reformation  anschliessen,  wie  die  heutigen  Pu- 
seyiten,  die  Andern  mehr  auf  dem  Standpunkte  der  deutschen 
Protestanten  stehen  und  daher  den  Dissenters  näher  kom* 
men.  Als  Repräsentant  jener  Gattung  kann  Jeremias  Col- 
lier dienen,  während  die  letztere  Richtung  von  Gilbert 
Burnet  vertreten  wird.  Zwischen  beiden  steht  noch  eine 
dritte  Partei,  die  hochkirchlich -protestantische,  gleich  feind- 
selig gegen  Calvin  und  Luther  wie  gegen  Rom  und  Papis- 
mus.  —  In  dem  Folgenden  wollen  wir  nun  über  die  Reprä- 
sentanten dieser  verschiedenen  Richtungen,  mit  Ausnahme 
der  Dissenters,  einige  Angaben  zusammenstellen,  unsere  Auf^ 
merksamkeit  jedoch  hauptsächlich  dem  Bischof  Gilbert  Bur- 
net, als  dem  bedeutendsten  darunter  zuwenden.  Wir  beab- 
sichtigen dabei  nicht  nur  unser  Scherflein  zur  Aufhellung 
einer  wichtigen  Periode  der  Kirchengeschichte  beizutragen, 

25* 


388        Ueber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

sondern  auch  den  Beweis  zu  liefern,  dass  die  heutigen  Be- 
strebungen der  Puseyiten  in  England  nicht  als  eine   neue, 
losgerissene  Erscheinung  zu  betrachten  seien,  sondern  dass 
in  verschiedenen  Epochen  der  frühern  Kirchengeschichte  sich 
ähnliche   Tendenzen  mit  weit  grösserer  Aussicht  auf  Er- 
folg geltend  zu  machen  gesucht  haben,  und  dass  sich  demnach 
auch  hier  die  Worte  des  Dichters  bewähren,  dass  die  Sonne 
nichts  Neues  mehr  sehe.  Wir  wünschen  ^]i  zeigen,  dass  seit 
Jahrhunderten  unter  der  englischen  Geistlichkeit  und  nament- 
lich auf  der  conservativen  Universität  Oxford   sich  Männer 
befunden  haben,  die  nach  einer  nähern  Verbindung  der  eng- 
lischen Kirche  mit  der  römisch-katholischen  strebten  und  die 
Reformation  als  ein  verhängnissvoUes  Ereigniss  betrachteten, 
dass  aber  von  jeher  in  der  englischen  Nation  ein  durchaus 
protestantischer  Sinn  herrschend  war,  an  dem  alle  diese  Be- 
strebungen scheiterten.    Wer  daher  heutzutage  an  das  Trei- 
ben einiger  Theologen  in  Oxford  Hoffnungen  und  Befürch- 
tungen knüpft,  der  verkennt  den  gesunden  Sinn  des  engli- 
schen Volks,  das  zu  sehr  am  Beeilen  hängt,  als  dass  es  sich 
aus  seinem  freien  Besitzthume  vertreiben,  und  seinen  klaren, 
praktischen  Verstand  unter  ein  glänzendes  Joch  beugen  liesse. 
Selbst  wenn   solche   antireformatorische  Ansichten  bei   der 
Geistlichkeit  mehr  Eingang  finden  sollten,  als  dies  bis  jetzt 
der  Fall  scheint,  wäre  noch  wenig  für  die  englische  Kirche 
zu  furchten,  da  dergleichen  Grundsätze  nicht  ihre  Wurzeln 
in  der  Nation  haben,  sondern  als  dürre  Theorien  ohne  Boden 
und  Halt  in  der  Luft  schweben,  das  Volk  aber  gewöhnlich 
so  lange  geduldig  zusieht,  bis  ihm  das  Treiben  zu  arg  wird, 
und  es  dann  mit  einem  derben  Schlag  der  verkehrten  Neue- 
rung Einhalt  thut.    Kein  Volk  bildet  sich  mit  einem  richti- 
gem Takt  seine  eigenen  Ideen  und  Grundsätze,  als  das  eng- 
lische,  und  nur  was  mit  diesen   zusammentrifit,   kann  auf 
Geltung  und  Erfolg  rechnen.    Im  siebenzehnten  Jahrhundert 
begünstigte  der  Hof  und  ein  grosser  Theil  des  Klerus  die 
katholischen  Tendenzen,  und  dennoch  trug  die  Richtung  des 
Volks  den  Sieg  davon;  wie  sollte  man  also  jetzt,  wo  man 
die  Regierung  keiner  solchen  Zuneigung  beschuldigen  kann 


I 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  EuglatidSj.  369 

und  der  Sinn  des  Volks  derselbe  geblieben  ist,  von  einer 
hyperconservativen  Fraction  wirkliche  Gefahr  für  die  eng« 
lisch-protestantische  Kirche  befürchten?  — 

Zum  bessern  Verständniss  des  Folgenden  wird  es  nöthig 
sein,  einige  einleitende  Worte  über  den  kirchlichen  Zustand 
Englands  und  über  das  Verhältniss  der  Regenten  zu  den  re« 
ligiösen  Tendenzen  des  Volks  von  der  Reformation  bis  zur 
Vertreibung  Jacobs  II.  vorauszuschicken. 

A.    Schicksale  der  englischen  Kirche  von  Heinrich  VIII. 

bis  zur  Vertreibung  lacobs  II. 

Heinrich  VIII.  war  dem  päpstlichen  Stuhle  und  der 
römischen  Kirche  mehr  zugethan,  als  irgend  einer  der  gleich- 
zeitigen Regenten.  Während  Carl  V.  die  Verlegenheiten  des 
römischen  Hofs  oft  absichtlich  durch  Beschützung  seiner  6eg* 
ner  vermehrte,  um  eigene  Vortheile  daraus  zu  ziehen,  schrieb 
Heinrich  in  heiligem  Eifer  für  die  Kirche  gegen  Luther  ein 
Buch  und  forderte  in  Briefen  die  sächsischen  Fürsten  zur 
Vertilgung  „des  schuftigen  Mönchs,  der  ewigen  Quelle  der 
Lüge"  auf.  Ais  die  kaiserlichen  Truppen  verheerend  in  Rom 
eindrangen  (Mai  1527)  und  Papst  Clemens  VII.  hülflos  und 
verlassen  in  das  Castell  sich  flüchten  musste,  war  Heinrich 
der  einzige,  der  sich  seiner  annahm  und  ihm  Unterstützung 
gewährte.  Daher  war  auch  der  Papste  der  diese  Gesinnung 
kannte  und  schätzte,  dem  König  von  England  besonders  zu- 
gethan und  stellte  ihm  eine  befriedigende  Lösung  der  Ehe- 
scheidungssache in  Aussicht,  wenn  nur  erst  die  kaiserlichen 
Truppen  seine  Staaten  geräumt  hätten.  Allein  die  Umstände 
wurden  verwickelter.  Carl  V.  nahm  sich  seiner  Tante  an  und 
hinderte  den  Papst  an  dem  Vollzug  seines  Versprechens.  Cle- 
mens hofite  sich  durch  italienische  Schlauheit  durchzuwin- 
den; allein  die  Ungeduld  des  sinnlichen  Königs  vereitelte 
seine  Pläne;  er  überlistete  sich  selbst  und  brachte  die  rö- 
mische Tiara  um  ihre  schönste  Perle.  —  Heinrich  liess  ei- 
genmächtig  durch  den  Erzbischof  Cranmer  die  Scheidung  voll- 
ziehen und  sich  bald  nachher  mit  Anna  Boleyn  trauen,  und 
da  die  Curie,  die  unter  spanischem  Einflüsse  handelte,  die 


390        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

nachträgliche  Bestätigung  venagte,  so  wurden  im  Laufe  der 
dreissiger  Jahre  eine  Reihe  von  Pariamentsbeschlüssen  und 
Regierungsverordnungen  erlassen,  welche  das  locker  gewor- 
dene Band  zwischen  der  englischen  Landeskirehe  und  der 
römischen  Curie  lösten  und  die  päpstlichen  Rechte  und  Prä- 
rogativen der  Krone  zutheilten.  Nach  Abschaffung  des  römi- 
schen Primats  erklärte  sich  der  König  zum  „Oberhaupt  der 
englischen  und  irischen  Kirche  auf  Erden  unter  Christus '% 
nahm  als  solches  die  Annaten  und  alle  Sportein,  die  für  Dis- 
pensationen, Appellationen  u.  drgl.  an  die  Curie  flössen,  für 
sich  in  Anspruch,  Hess  sich  den  Zehnten  von  allen  geistlichen 
Stellen  bezahlen  und  heischte  von  seinen  Unterthanen  einen 
neuen,  sogenannten  Suprematseid.  Sodann  „inhibirte^^  er  auf 
einige  Zeit  alle  geistliche  Jurisdiction  und  ertheilte  hernach 
den  einzelnen  Bischöfen,  auf  besonderes  Ersuchen,  im  Namen 
des  Königs  „von  dem  alle  geistliche  Jurisdiction  ausfliesst^', 
aufs  Neue  die  Befugniss,  ihre  Episcopalrechte  auszuüben. 
Die  folgenreichste  aber,  und  mit  den  grössten  Ungerechtig- 
keiten verbundene  Maassregel  war  die  Aufhebung  aller  Klö- 
ster und  Einziehung  ihres  Guts  und  Vermögens.  — 

Wenn  auf  diese  Weise  Heinrich  YIIL  den  Grund  zu  dem 
äussern  Organismus  der  anglicanischen  Kirche  legte,  so  war 
^r  dagegen  ein  zu  grosser  Anhänger  des  herrschenden  Reli- 
gionssystems und  der  Lehren  des  Thomas  von  Aquino,  als 
dass  er  damit  auch  zugleich  in  eine  Reformation  der  kirch^ 
liehen  Satzungen  nach  dem  Vorgänge  der  deutschen  Fürsten, 
oder  in  die  Begründung  einer  Kirche  nach  den  Vorschriften 
der  Apostel  gewilligt  hätte.  Seine  Gesinnung  blieb  katho- 
lisch und  mit  despotischer  Hand  zwang  er  sein  Volk  sich  mit 
dem  zu  begnügen  und  in  das  zu  fügen,  was  er  willkürlich 
und  launisch  beizubehalten  oder  zu  ändern  beschloss.  Der 
alte  Dogmenglaube  und  der  herkömmliche  Cultus  wurden 
mit  wenigen  Modificationen  beibehalten,  während  man  die 
Pfeiler,  auf  denen  sie  ruhten,  umstiess;  und  wer  sich  beige- 
hen liess,  die  getroffenen  Neuerungen  zu  missbilligen,  oder 
an  dem  Alten,  das  noch  bestand,  Anstoss  zu  nehmen,  starb 
eines  gewaltsamen  Todes,  so  dass  die  Hand  des  Scharfrich- 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands,  391 

ters  über  Papisten  wie  über  Reformirten  schwebte.  Ja  selbst 
der  Weg  der  Orthodoxie  war  durch  widersprechende  Ge* 
setze  und  launenhafte  Verfugungen  gefahrvoll  und  unsicher; 
denn  was  heute  als  rechtgläubig  galt,  konnte  morgen  häre- 
tisch sein.  Das  Lesen  der  Bibel,  das  anfangs  Niemandem  ver- 
sagt war,  wurde  später  nur  den  Gebildeten  gestattet,  und 
die  Hoffnungen  derer,  die  eine  zeitgemässe  Reform  des  kirch- 
lichen Lehrbegrifis  erwarteten,  wurden  durch  die  sogenann- 
ten sechs  Blutartikel  und  die  grausamen  Strafbestimmungen 
gegen  deren  üebertreter  schrecklich  getäuscht. 

Die  Aufhebung  dieses  Gesetzes  der  Blutartikel  war  da- 
her unter  der  Regierung  Eduards  VI.  der  Anfang  einer 
durchgreifendem  Reform  der  Kirche,  die  auf  Anordnung  des 
Protectors  Somerset  und  unter  den  Auspicien  Granmers  vor- 
genommen wurde.  In  Betreff  der  äussern  Verfassung  schloss 
man  sich  dabei  an  die  von  Heinrich  VHI.  getroffenen  Anord- 
nungen an,  die  aufs  Neue  sanctionirt  wurden;  was  dagegen 
Gultus,  Disciplin  und  Lehrbegriff  angeht,  so  verliess  man  die 
bisherigen  Formen  und  Satzungen  und  gab  der  englischen 
Kirche  durch  Bearbeitung  und  Einführung  der  symbolischen 
Bücher  eine  eigenthümliche  Gestalt  und  einen  von  den  übri- 
gen protestantischen  Kirchen  in  vielen  Punkten  abweichen- 
den Inhalt  Diese  Bücher  bestanden  in  einer  neuen,  auf  dem 
allgemeinen  Ritual-  und  Gebetbuche  (common -prayer-book) 
beruhenden  Liturgie,  in  dem  Homilienbuch,  in  der  Gonfes- 
sion  der  zweiundvierzig,  unter  Elisabeth  auf  neununddreissig 
reducirten  Artikel,  und  in  einer  neuen  Sammlung  ausgewähl- 
ter canonischer  Gesetze.  Die  Abstellung  der  Messe  und  Hei- 
ligenverehrung, die  Einfuhrung  der  Landessprache  beim  Got- 
tesdienste, die  freie  Benutzung  der  übersetzten  Bibel,  die 
Communion  unter  beiderlei  Gestalt  und  die,  wenn  gleich  mit 
einigen  BeschränkuDgen  gestattete,  Priesterehe  hatte  diese 
erste  Form  der  anglicani sehen  Kirche  mit  ihren  reformirten 
Schwesterkirchen  des  Festlandes  gemein;  dagegen  schlugen 
die  englischen  Reformatoren  bei  Abfassung  der  Liturgie  ei- 
nen eigentbümlichen  Weg  ein,  indem  sie  von  den  altern  zur 
Gewohnheit  gewordenen  Formen  mehr  beibehielten  als  bei 


392        Ueber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

jenen  der  Fall  war,  absichtlich  keinen  auswärtigen  Theologen 
zu  Rathe  zogen  und  den  angebotenen  Beistand  Galvin's  ent- 
schieden von  sich  wiesen.  Sie  hielten  es  für  besser  dabei 
nicht  auf  das  apostolische  Zeitalter  zurückzugehen,  wie  die 
Reformatoren  des  Festlandes  thaten,  sondern  die  kirchlichen 
Formen,  wie  sie  sich  in  den  sechs  ersten  Jahrhunderten  nach 
und  nach  ausgebildet  hatten,  zum  Grunde  zu  legen  und  Al-^ 
les  beizubehalten,  was  nicht  grade  zum  Aberglauben  führte, 
oder  dem  Papismus  zur  Folie  diente.  Daher  äusserte  sich 
auch  Calvin  in  mehren  Briefen  sehr  missbilligend  über  die 
Beibehaltung  des  „papistischen  Trödels''  in  dem  englischen 
Ritualbuohe,  das  bald  nach  seinem  Erscheinen  von  dem  Schot- 
ten Alexander  Alesius  ins  Lateinische  übersetzt  wurde.  — 
Uebrigens  schändete  sich  auch  diese  Regierung  durch  Kir- 
chenraub und  bedrohte  die  Unglücklichen,  die  in  Folge  der 
Klosteraiifhebung  als  brodlose  Vagabunden  und  Bettler  um- 
herirrten, mit  den  härtesten  Strafen,  während  zur  Errichtung 
des  Somerset-Palastes  am  Strande  der  Themse  zwei  Kirchen, 
zwei  Kapellen  und  drei  bischöfliche  Wohnungen  niederge- 
rissen wurden. 

Unter  der  Regierung  der  katholischen  Maria  Tudor 
wurde  das  servile  Parlament  dahin  gebracht,  die  meisten  die- 
ser Bestimmungen  wieder  aufzuheben.  Die  Liturgie  wurde 
„als  Neuerung  und  Erfindung  einiger  weniger  Männer  von 
singulären  Ansichten''  abgeschafft,  das  book  of  common  prayer 
aus  dem  Gottesdienste  entfernt,  der  Kelch  den  Caien  entzo- 
gen, die  Priesterehe  untersagt  und  die  Messe  wieder  einge- 
führt; bei  der  Ordination  der  Bischöfe  sollte  der  alte  Ritus 
beobachtet  werden  und  die  früheren  canonischen  Gesetze 
wieder  ihre  Gültigkeit  erhalten.  Auch  wurde  das  der  Krone 
zugefallene  Kirchenvermögen  zur  Restauration  einiger  Klöster 
verwendet,  die  aber  keinen  längern  Bestand  hatten,  als  die 
Regierung  der  Gründerin.  —  Die  Wiedereinführung  des  päpst- 
lichen Primats  und  der  geistlichen  Jurisdiction  fand  dage- 
gen anfangs  Widerstand  und  konnte  erst  im  dritten  Parla- 
ment, nachdem  der  neue  Cardin.*»»- Legat  Reginald  Polus  die 
Besitzer  der  Klöster-  und  Kirchengüter  über  den  Fortgenuss 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  393 

ihrer  erworbenen  Besitzungen  beruhigt  hatte,  durchgesetzt 
werden.  Die  Erneuerung  des  Gesetzes  de  comburendo  hae- 
retico  gab  der  bigotten,  menschenfeindlichen  Königin  die  Mit- 
tel an  die  Hand,  ihrem  lang  gehegten  Hass  gegen  die  Pro- 
testanten Luft  zu  machen  und  ihre  Rache  zu  befriedigen.  Die 
Flamme  des  Fanatismus  loderte  in  allen  Gegenden  des  Rei- 
ches und  Schaaren  flüchtiger  Reformirten  verliessen  das  Land 
des  Schreckens  und  suchten  ein  Asyl  in  den  glaubensver- 
wandten Staaten  Deutschlands  und  der  Schweiz.  — 

Doch  dauerte  dieser  Zustand  nicht  lange.  Schon  im  No- 
vember 1558  bestieg  Elisabeth  den  englischen  Thron;  und 
da  sie  einer  Kirche ,  nach  deren  Principien  sie  für  illegitim 
und  regierungsunfähig  galt,  nicht  zur  Herrschaft  verhelfen 
durfte,  so  Hess  sie  in  dem  ersten  Parlamente  1559  die  Be- 
schlüsse der  vorhergehenden  Regierung  abrogiren  und  durch 
die  sogenannte  Uniformitätsakte  den  Zustand  der  Kirche,  wie 
er  unter  Eduard  bestanden,  wieder  einführen.  Alle  Diener 
der  Kirche  und  des  Staats  wurden  sofort,  unter  Androhung 
der  Absetzung  und  anderer  Strafen  genöthigt,  eidlich  zu  ge- 
loben, dass  sie  die  Königin  als  Oberhaupt  der  Kirche  aner- 
kennen, jede  fremde  Jurisdiction  als  ungültig  verwerfen  und 
allen  Bestimmungen  der  symbolischen  Bücher,  die  einer  neuen 
Revision  unterworfen  wurden,  aufs  Genaueste  nachkommen 
wollten.  Dadurch  ward  Elisabeth  unbeschrankte  Gebieterin 
des  Glaubens  und  der  Gewissen  ihrer  Unterthanen,  und  da 
ihr  zugleich  die  Befugniss  zustand,  ihre  Autorität  in  kirchli- 
chen Dingen  Andern  zu  übertragen,  woraus  die  so  gehässige 
hohe  Gommission  hervorging,  so  wurde  jede  geistige  Re- 
gung, die  sich  auf  kirchlichem  Gebiete  zeigte,  einer  Art  In- 
quisition unterworfen,  und  dadurch  eine  Opposition  hervor- 
gerufen. Denn  eine  Kirche,  wie  die  anglicanische  Episcopal- 
oder  Hochkirche,  die  zwischen  der  römisch-katholischen  und 
der  reformirten  in  der  Mitte  steht,  in  Gultus  und  Hierarchie 
an  die  erstere,  dem  LehrbegriSe  nach  an  die  letztere  sich 
anschliessend,  konnte  nicht  Jedermann  befriedigen.  Sie  entriss 
den  Katholiken  zu  viel,  und  liess  den  Reformirten,  die  man 
mit  dem  Namen  Puritaner  belegte,  zu  viel  bestehen;  daher 


394        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

sich  beide,  trotz  der  Verfolgungen^  die  sie  sich  dadurch  zu- 
zogen, als  NoDConformisten  ausschieden.  Indessen  wären  die 
Katholiken  unter  Elisabeth  wenig  gefährdet  gewesen,  hätten 
sie  nicht  durch  Gonspirationen,  die  von  den  überseeischen 
Seminarien  zu  Gunsten  ihrer  katholischen  Gegnerin  Maria 
Stuart  fortwährend  angesponnen  und  unterhalten  wurden, 
den  Zorn  der  strengen  Gebieterin  geweckt.  Denn  Elisabeth 
war  den  kirchlichen  Geremonien  und  der  äusseren  Pracht 
beim  Gottesdienst  sehr  zugethan  und  sah  darin  ein  wirksa- 
mes Mittel,  das  Volk  in  heiliger  Ehrfurcht  vor  der  Religion 
und  in  Gehorsam  und  Unterwürfigkeit  gegen  die  Obrigkeit 
zu  erhalten,  während  ihr  die  demokratischen  Grundsätze  der 
Puritaner  und  der  einfache  Gultus  der  presbyterischen  Kirche 
durchaus  zuwider  waren.*)  —  Durch  die  Uniformitäts-Akte 
erlangte,  die  anglicanisch- protestantische  Kirche  in  England 
entschieden  den  Sieg,  so  dass  von  dieser  Zeit  an  der  Kampf 
zwischen  Katholiken  und  Protestanten  als  ein  ungleicher, 
weniger  Interesse  erregt,  als  die  Streitigkeiten  zwischen  den 
hochkirchlichen  Episcopalen  und  der  puritanischen  Opposition. 
Die  sogenannten  Puritaner,  der  Stamm  aller  nachfol- 
genden Sekten  in  England,  bestanden  anfangs  hauptsächlich 
aus  flüchtigen  Protestanten,  die  unter  Maria  in  Deutschland 
und  der  Schweiz  ein  Asyl  gesucht  und  bei  der  Thronbestei- 
gung der  Elisabeth  wieder  in  ihre  Heimath  zurückgekehrt 
waren.  Während  ihres  Exils  hatten  sie  sich  in  Frankfurt, 
Strassburg,  Basel,  Genf  u.  a.  O.  niedergelassen  und  mit  Ein- 
willigung der  obrigkeitlichen  Behörden  ihren  eigenen  Got- 
tesdienst eingerichtet,  dabei  aber  nach  dem  Vorbilde  der  cal- 
vinischen Kirchen  mancherlei  Aenderungen  in  der  Liturgie 
Eduards  VI.  vorgenommen  und  überhaupt  grösstentheils  eine 
Vorliebe  für  den  einfachen  Gultus  und  die  durchgreifendem 
Reformen  des  Festlandes  gewonnen.    Nach  ihrer  Rückkehr 


*)  um  die  Katholiken  versöhnlicher  zu  stimmen  Hess  Elisabeth 
aus  dem  common -prayer-book  mehre  Stellen  und  Ausdrücke,  die 
ihnen  anstössig  sein  konnten,  entfernen  z.B.  die  Bitte,  der  Herr 
solle  sie  erlösen  von  der  Tyrannei  des  Bischofs  von  Rom  und  sei- 
nen verfluchten  Unternehmungen. 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  395 

hofiten  sie  daher  zu  bewirken,  dass  bei  der  neuen  Organi- 
sation der  Kirche  das  common-prayer-book  und  die  Liturgie 
von  allem  dem  „gereinigt^'  würde,  was  sie  die  Hefe  des  Anti- 
christs  und  den  papistischen  Cnflath  nannten,  zumal  da  sich 
Männer  von  wissenschaftlichem  Rufe,  wie  Job.  Fox,  der  Mar- 
tyrologe^  Miles  Goverdale  u.  A.  unter  ihnen  befanden.    Aber 
die  üniformitätsakte  schlug  alle  ihre  Hoffnungen  nieder  und 
Hess  ihnen  nichts  übrig,  als  durch  die  Weigerung  sich  der 
„papistischen"  Gewänder  beim  Gottesdienste  zu  bedienen 
und  verschiedene  Geremonien,   wie  das  Knieen  beim  Em- 
pfange des  Abendmahls,  mitzumachen,  ihre  Missbilligung  aus- 
zudrücken.    Durch  Härte,  Verfolgung   und   Amtsentsetzung 
nahm  ihre  Zahl  und  ihr  Eifer  zu.    Die  consequente  Durch- 
fuhrung calvinischer  Principien  mehrte  die  Divergenzpunkte, 
bis  zuletzt  die  Grundsätze  der  Puritaner  über  Kirchenverfas- 
sung, Disciplin  und  Gultus  denen  der  Hochkirche  grade  ge- 
genüberstanden.   Denn  während  in  der  Nationalkirche,  wie 
bei   der  Staatsverwaltung,   das   aristokratisch  -  hierarchische 
Princip  dominirte,  waren  die  Fundamental-Lehren  der  puri- 
tanischen Kirchengemeinschaft  rein   demokratisch;   während 
dort  eine  starre  Form  jede  freie  Bewegung  aufhob  und  das 
religiöse  Bewusstsein  aller  Glieder  in  enge  Fesseln  schlug, 
bildete  sich  hier  nach  und  nach  das  voluntary  principle,  „das 
Princip  der  unbedingten  Freiwilligkeit  in  Beziehung  auf  die 
Verbindung  des  Einzelnen  mit  der  Kirche"  (ühden,  Zustände 
der  anglican.  Kirche  p.  5),  und  während  dort  das  liturgische 
Element  und  ein  fixirtes  Geremoniel  beim  Gottesdienste  vor- 
waltete und  die  Predigt  durch  bestimmte  Regeln  auf  einen 
engen  Ideenkreis  beschränkt  war,  herrschte  hier  eine  schmuck- 
und  kunstlose  Einfachheit,  und  bei  dem  aller  Poesie  und  Phan* 
tasie  ermangelnden  Gottesdienste  war  die  freie  Rede  des  Pre- 
digers, als  der  momentane  Erguss  einer  göttlichen  Begeiste- 
rung>  der  überwiegende  Bestandtheil. 

Die  Puritaner  strebten  Anfangs  nach  calvinisch-presbyte- 
rianischen  Einrichtungen,  wonach  der  Wille  des  Einzelnen 
der  republicanischen  Kirchengemeinde  und  ihrer  Repräsen- 
tanten, den  Presbyterien,  Synoden  und  Kirchenversammlun- 


396        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

gen  untergeordnet  war.  Sie  verwarfen  keineswegs  die  Idee 
einer  Staatskirche,  sofern  dieselbe  nur  nach  ihren  Principien 
organisirt  wäre,  daher  sie  sich  auch  nicht  separirten,  son- 
dern nur  als  Opposition  innerhalb  der  Nationalkirche  selbst 
ihre  Ansichten  geltend  zu  machen  suchten.  Aber  schon  im 
letzten  Viertel  des  sechzehnten  Jahrhunderts  trennten  sich 
die  Independenten  oder  Gongregationalisten,  realisirten  zuerst 
in  Holland  unter  Gartwright,  Brown,  Ainsworth  u.  A.,  nach- 
her an  der  Massachusettsbay  und  in  Connecticut,  den  Grund- 
satz des  voluntary  principle  als  freie  Kirchensekte  und  tra- 
ten bald  den  presbyterianischen  Puritanern,  aus  deren  Schooss 
sie  hervorgegangen  waren,  eben  so  feindselig  gegenüber,  wie 
diese  den  Episcopalen.*)  —  Der  stete  Verkehr  der  Indepen- 
denten mit  dem  Mutterlande  pflanzte  ihre  Ansichten  daselbst 
fort,  und  erleichterte  Vielen  von  ihnen^  im  folgenden  Jahr- 
hunderte, als  sich  die  Umstände  zu  ihren  Gunsten  gestalte- 
ten, die  Rückkehr  in  ihre  Heimath.  — 

Mit  Jacobs  I.  Thronbesteigung  erwarteten  die  Purita- 
ner wie  die  Katholiken  Milderung  der  gegen  sie  bestehenden 
Gesetze;  jene  weil  Jacob  in  der  presbyterianischen  Kirche, 
deren  Grundsätze  nicht  wesentlich  von  denen  der  Puritaner 
abwichen,  erzogen  worden  war,  und  öfters  geäussert  hatte, 
„er  danke  Gott,  dass  er  ihn  in  der  reinsten  aller  Kirchen  gebo- 
ren werden  liess,  an  der  er  daher  auch  bis  zu  seinem  Tode 
festhalten  wolle";  diese  weil  er  von  jeher  Nachsicht  gegen 
sie  geübt  und  vor  seiner  Thronerlangung  Milderung  der  Re- 
ligionsgesetze und  Gewissensfreiheit  ihnen  ausdrücklich  in 
Aussicht  gestellt  hatte,  wenn  sie  ihm  nicht  entgegenwirkten. 

Die  Puritaner  wurden  jedoch  bald  inne,  dass  jene  Ver- 
sicherung Jacobs  nur  aus  Heuchelei  und  aus  Furcht  vor  der 
rücksichtslosen  Derbheit  der  presbyterianischen  Prediger  her- 
floss,  dass  aber  der  König  im  Herzen  die  demokratisch -re- 
publicanische  Verfassung  der  schottischen  Kirche  verabscheue, 
wie  dies  aus  seinem,  damals  noch  wenig  bekannten  Buche 

*)  Dies  haben  wir  bereits  ausgesprochen  und  weiter  ausgeführt 
in  einer  Recension  der  Schriften  von  Gabler  und  üliden  über  die  Zu- 
stande der  anglicanischen  Kirche  in  den  Heidelb.  Jahrbüchern  1843. 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  397 

„Basiiicon  doron'^  hervorging,  worin  die  Ansicht  niedergelegt 
war,  dass  eine  republicanische  Kirchen  Verfassung  mit  einer 
Monarchie  unvereinbar  sei,  eine  Ansicht,  die  sein  ganzes  spä- 
teres Verfahren  gegen  die  Dissenters  bestimmte,  und  die  in 
dem  Grundsatze  ausgesprochen  war:  „Kein  Bischof,  kein 
König/'  Jacobs  Vorliebe  für  die  Episcopalkirche  hing  mit 
seinem  Streben  nach  absoluter  Macht  und  mit 'seinen  ho- 
hen Ideen  von  der  göttlichen  Würde  der  Könige  zusammen, 
die  er  in  einer  zweiten  Schrift  dem  bestürzten  Volke  dar- 
legte, wo  er  aus  den  SchUderungen  Samuels  von  den  Lei- 
den und  Bedrückungen,  die  das  israelitische  Volk  unter  dem 
despotischen  Scepter  eines  orientalischen  Monarchen  zu  er- 
warten hätte,  den  Schluss  zieht,  dass  nach  den  Worten  Got- 
tes dem  König  absolute  Gewalt  ohne  alle  Beschränkung  zu- 
stehe, das  Volk  aber  keine  Rechte  habe  und  zum  „passiven 
Gehorsam'^  verpflichtet  sei.  —  In  dem  Golloquium  von  Hamp- 
ton-court,  das  Jacob  auf  eine  „tausendhändige  Petition"  der 
Puritaner  anordnete  und  worin  er  selbst  trotz  einem  Theo- 
logen disputirte  und  argumentirte,  erklärte  er  daher  densel- 
ben auch,  „dass  sich  Presbyterialverfassung  mit  Monarchie 
vertrüge  wie  Gott  mit  dem  Teufel,  und  dass  er  nicht  gewillt 
sei,  seine  Beschlüsse  und  Handlungen  von  Jack  und  Tom 
kritisiren  zu  lassen,  wobei  der  eine  sage:  so  muss  es  sein, 
der  andere  aber  aufstehe  und  sage:  Nein!  so  wollen  wir's 
haben!''  Alles  was  die  Puritaner  erlangten,  war,  ausser  der 
genauem  Bestimmung  einiger  Glaubensartikel,  die  neue  noch 
heut  zu  Tage  in  der  englischen  Kirche  gebrauchte  Bibelüber- 
setzung, mit  Ausschluss  der  apokryphischen  Bücher,  weil  die 
ältere  viele  Fehler  enthielt,  die  Genfer  Bibel  aber,  welche 
die  Puritaner  eingeführt  wünschten,  ihrer  kühnen  Anmer- 
kungen wegen  dem  König  ebenso  missfiel,  wie  sie  seiner 
Vorgängerin  missfallen  hatte.  —  Somit  blieb  den  puritani- 
schen Nonconformisten  nichts  übrig,  als  sich  entweder  der 
anglicanischen  Kirche,  deren  Satzungen  jetzt  durch  einen 
neuen  canonischen  Codex,  unter  der  Leitung  des  servilen 
Erzbischofs  Bancroffc,  noch  schroffer  dargestellt  wurden,  zu 
fügen,  oder  sich  als  excommunicirte,  rechtlose  Sektirer  und 


398        Veber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

Disscnters  allen  Verfolgungen  und  Bedrückungen  biossgestellt 
zu  sehen.  Sie  wählten  das  letztere  Loos  und  traten  dem 
Staat  und  seiner  Kirche  feindselig  gegenüber.  Ihre  einzige 
Waffe  blieb  die  Presse  und  trotz  mannigfacher  Verbote  ge- 
gen den  Verlag  puritanischer  Schriften,  ward  fortwährend 
eine  heftige  Polemik  gegen  die  Episcopalkirche  unterhalten, 
wobei  der  König  nicht  geschont  wurde. 

Wie  Jacob  i.  mit   entschiedener  Abneigung  gegen   die 
Puritaner  nach  England  kam,  so  hegte  er  dagegen  von  Ju- 
gend auf  eine  grosse  Vorliebe  für  die  Katholiken.    Es  ist 
höchst  merkwürdig,  wie  sich  in  allen  Gliedern  der  Familie 
Stuart  eine  Neigung  zur  römischen  Kirche  beurkundet,  die 
nicht  durch  Erziehung  geweckt  und  durch  Jugendeindrücke 
werth  gemacht  wurde,  sondern  die  wie  ein  unheilbringendes 
Erbtheil  von  den  Eltern  auf  die  Kinder  überging  und  an  al- 
lem Unglück,  das  die  Familie  betroffen,  Ursache  war.  Jacob, 
der  als  zweijähriges  Kind  seiner  Mutter  entrissen  und  von 
Buchanan  im  Hass  gegen  die  Katholiken  auferzogen  wurde, 
der  in   seiner  Jugend   die   heftigsten  Invectiven   gegen  den 
päpstlichen  Antichrist  und  die  römische  Hure  hören  musgte, 
der  zeigte   schon  als  König  von  Schottland  unbegreifliche 
Nachsicht  gegen  die  Umtriebe  spanischer  Emissäre  und  Je- 
suiten, die  in  Verbindung  mit  einigen  katholischen  Edelleuten 
seine  Regierung  beunruhigten,  und  Hess  sich  nur  mit  innerm 
Widerstreben  zuweilen  durch  die  laute  Stimme  des  entrü- 
steten Volks  bewegen,  Strafen  über  sie  zu  verhängen,  die  er 
aber  bei  der  ersten  Gelegenheit  wieder  aufhob.  Jacob  hätte 
daher  auch  gern  die  Versprechungen,  die  er  den  englischein 
Katholiken  des  In-  und  Auslandes  machen  Hess,  sogleich  er- 
füllt, wenn  ihn  nicht  die  laute  Stimme  des  Volks  daran  ge- 
hindert hätte.    Der  unzeitige  Bacheplan  einiger  fanatischen 
Katholiken,  die  in  dem  Aufschub  eine  Weigerung  erblickten, 
zwang  ihn  später  ihnen  den  Eid  of  allegiance  aufzulegen  und 
durch  mehre  strenge  Gesetze  gegen  die  Neigung  seines  Her- 
zens Bedrückungen  über  sie  zu  verhängen.  Das  unpopuläre  Be- 
streben, seinen  Sohn  Carl  mit  einqr  katholischen  Prinzessin  zu 
vermählen,  war  noch  ein  Nachklang  seiner  geheimen  Neigung. 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  399 

Durch  diese  Zuneigung  zu  dem  Katholicismus,  die  auch 
auf  Jacobs  Sohn  Carl  I.  überging,  verdarben  sich  die  Stuarts 
ihre  Stellung  der  protestantischen  Nation  gegenüber  und  ver- 
stärkten die  Reihen  der  Puritaner,  zumal  da  jetzt  zu  der 
Furcht  vor  einer  Restauration  des  Papismus  noch  die  Be* 
sorgniss  vor  einer  Vernichtung  der  politischen  Volksrechte 
sich  gesellte.  Daher  wurden  die  Puritaner  aus  verachteten 
Sektirern  nun  auf  einmal  Kämpfer  für  religiöse  und  politische 
Freiheit;  ihre  Forderungen  und  Ansichten  fanden  in  der  Masse 
der  Nation  desto  stärkern  Anklang,  je  schroffer  Carl  I.  den- 
selben entgegentrat,  und  je  mehr  die  Stuarts  überhaupt  den 
Geist  und  die  Richtung  des  Volks  nicht  begriffen  und  nicht 
anerkennen  wollten.  —  Zu  einer  Zeit,  wo  die  Tendenz  der 
Masse  auf  Vereinfachung  des  Gultus  ging,  schenkte  Carl  sein 
ganzes  Vertrauen  einem  Prälaten  (Laud),  der  schon  als  Bi- 
schof von  London  sich  durch  Strenge  gegen  die  protestanti- 
schen Nonconformisten ,  durch  überspannte  Grundsätze  von 
dem  göttlichen  Rechte  der  Könige  und  dem  passiven  Gehor- 
sam der  Völker,  und  durch  eine  unzeitige  Neigung  fiir  kirch- 
liche Geremonien  und  pomphaften  Gottesdienst  allgemein  ver- 
hasst  gemacht  hatte.  —  Selbst  die  Episcopalen  wurden  gegen 
ihn  aufgebracht,  zumal  als  die  Beschuldigung  laut  wurde,  er 
habe  das  anglicanische  Glaubensbekenntniss  durch  den  viel 
bestrittenen  Zusatz  verfälscht,  nach  welchem  „die  Kirche 
Macht  habe  Ritus  und  Geremonien  anzuordnen,  und  entschei- 
dende Autorität  in  Sachen  des  Glaubens^S  ein  Zusatz,  der  in 
der  von  Garl  I.  veranstalteten  Edition  der  Glaubensartikel  zu 
lesen  war,  während  er  in  einigen  frühern  Ausgaben  sich  nicht 
vorfand,  und  dem  man  die  Absicht  zuschrieb,  den  Weg  zur 
Einführung  des  Katholicismus  zu  bahnen  und  dem  Parlamente 
die  Einmischung  in  die  kirchlichen  Angelegenheiten  zu  ent- 
ziehen. Als  nun  gar  dieser  eifrige  Episcopale  nach  dem  Tode 
des  milden  Abbot  auf  den  erzbischöflichen  Stuhl  von  Ganter- 
bury  erhoben  wurde,  und  durch  neue  Gonsacrirung  der  Pauls- 
kirche, durch  Ausschmückung  mehrer  Gathedralen  mit  Bil- 
dern und  Ornamenten,  durch  Einführung  neuer,  der  römischen 
Kirche  sich  anschliessender  Geremonien  bei  dem  öffentlichen 


400        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

Gottesdienste,  die  Gerüchte  von  einer  beabsichtigten  Wieder- 
einfühning  des  katholischen  Religionssystems  in  England  im- 
mer glaubwürdiger  machte,  da  nahm  die  Aufregung  des  über 
seine  bürgerliche  und  kirchliche  Freiheit  besorgten  Volkes 
mehr  und  mehr  zu.  Puritanische  Prediger,  die  von  dem  ze- 
lotischen Prälaten  unbarmherzig  von  ihren  Stellen  getrieben 
und  dem  Elende  Preis  gegeben  wurden,  zogen  im  Lande 
umher  und  reizten  durch  fanatische  Reden  die  erhitzten  Ge- 
müther noch  mehr  auf.  Man  sah  im  Gefolge  der  Königin  fast 
lauter  Katholiken  oder  Convertiten,  darunter  Priester  und 
Jesuiten  von  verdächtigem  Streben;  man  vernahm,  dass  dem 
Erzbischof  selbst  zweimal  von  Rom  aus  der  Cardinalshut  an- 
geboten worden  sei,  und  dass  darüber  zwischen  ihm  und  dem 
König  Berathungen  stattgefunden  hätten;  man  bemerkte,  dass 
ein  päpstlicher  Legat,  Panzani,  sich  in  London  aufhielt  und 
offen  mit  dem  Hof  verkehrte,  und  dass  Will.  Hamilton  im 
Namen  der  Königin,  aber  mit  Wissen  ihres  Gemahls  längere 
Zeit  in  Rom  residirte;  man  erfuhr,  dass  zwei  anglicanische 
Bischöfe,  Goodman  von  Gloucester  und  Montague  von  Chi- 
chester  thätig  an  einer  Vereinigung  mit  „der  römischen  Mut- 
terkirche" arbeiteten.  Dies  alles  goss  Oel  in  die  Flamme  und 
reizte  die  mit  Argwohn  erfüllten  Gemüther  des  Volks  zur 
Empörung.  Sollten  ihre  Väter  (so  wurde  gefragt)  die  Leiden 
der  Verbannung  und  die  Marter  des  Feuertodes  darum  er- 
duldet haben,  damit  noch  vor  Abfluss  eines  Jahrhunderts  der 
Geist  wieder  in  die  Fesseln  römischer  Arglist  geschmiedet 

würde?  — 

Statt  diese  Stimmung  des  Volkes  zu  beachten,  glaubte 
der  verblendete  König  durch  strenge  Bestrafung  der  Wider- 
sacher der  bestehenden  Kirche,  durch  Drohungen  gegen  die 
Verletzer  des  göttlichen  Rechts  der  Könige  und  durch  abge- 
drungene Eide,  „dass  die  bischöfliche  Kirche  und  ihre  hie- 
rarchische Verfassung  die  einzig  rechtmässige  sei",  die  ver- 
wegene Opposition  unterdrücken  zu  können.  Allein  dieser 
Weg  führte  den  König  weit  vom  Ziele  ab,  er  führte  ihn  ei- 
nem Abgrunde  zu,  den  er  erst  mit  Schrecken  gewahr  ward, 
als  er  den  Rückweg  verloren  hatte.  —  Der  erste  Anstoss  zur 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englandi.  401 

Empörung  ging  übrigens  von  Schottland  aus.  Auch  hier  sollte 
eine  bischöfliche  Jurisdiction,  mit  der  hohen  Commission  im 
Gefolge,  die  demokratischen  Synoden  und  Presbyterien  er- 
setzen ,  ein  neuer  canonischer  Codex  der  legislativen  Auto- 
nomie der  Kirchenversammlung  ein  Ende  machen,  das  book 
of  common-prayer  die  freien  und  kühnen  Predigten  der  Geist- 
lichen verhindern  und  eine  hierarchische  Rangordnung  den 
übermüthigen  Stolz  der  Gleichheit  brechen  und  Ehrgeiz,  Egois- 
mus und  menschliche  Schwächen  unter  den  Predigern  wek- 
ken.  Da  erhob  sich  das  Volk  in  Masse  gegen  die  Errichtung 
des  „Baaldienstes  ^^;  unter  Fasten  und  Beten  wurde  der  alte 
Govenant  „zur  Beschützung  der  reinen  Religion  und  Kirche 
gegen  papistische  Irrlehren  und  Gorruptionen*'  erneuert;  und 
die  muth-  und  willenlosen  Truppen  des  Königs  erlagen  der 
fanatischen  Wuth  der  zahllosen  Presbyterianer,  deren  Siege 
von  den  Engländern  mit  Frohlocken  begrüsst  wurden  und 
dem  „langen  Parlamente",  das  mit  ihnen  in  Verbindung  trat, 
bald  Gelegenheit  gaben,  Bache  an  ihren  Gegnern  zu  nehmen. 
—  Die  Verhaftung  des  Metropoliten  Laud,  die  Anklage  und 
Gefangennehfflung  von  zwölf  protestirenden  Bischöfen,   die 
Abschaffung  des  Episcopats  und  der  hohen  Commission  und 
die  Wiedereinsetzung  der  früher  verjagten  puritanischen  Geist- 
lichen bildeten  das  Vorspiel  zu  den  kirchlichen  Neuerungen, 
die  im  Jahre  1643  und  44  vorgenommen  wurden.  Eine  Com- 
mission von  120  geistlichen  und  30  weltlichen  Gliedern  kam 
nämlich  nach  langen  und  heftigen  Debatten  zu  dem  Beschluss, 
dass  an  die  Stelle  des  common  prayer-book  und  der  angli- 
eanischen  Liturgie  das  sogenannte   directory  for  the  public 
worship,  das  im  Wesentlichen  mit  der  presbyterianischen 
Kirchenform  übereinstimmte,  als  Norm  des  Glaubens  und  des 
Cultus  eingeftihrt  werden  sollte.    Sofort  wurden,  wie  beim 
Beginne  der  Beformation,  Bilder,  Ornamente,  Orgeln  u.  dgL 
aus  den  Kirchen  entfernt,  die  gemalten  Fenster  eingeschla- 
gen, Monumente,  die  als  Träger  „des  Aberglaubens  und  der 
Abgötterei"  angesehen  werden  konnten,  niedergerissen,  Man- 
tel, Kragen  und  Kappe  den  Geistlichen  untersagt  und  eine 
Menge  unnützer  Feiertage  aufgehoben.    Den  Predigern  war 

Zeitsolirift  P.  GescbicbUw.    1.    1844.  26 


402       Ueber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

es  nun  gestattet,  sich  in  langen  Reden  mit  Freiheit  über  alle 
Punkte  der  Religion  und  über  alle  Ereignisse  im  Staat  und 
Leben  zu  ergehen  und  selbst  das  Privatleben  der  sündigen 
Glieder  ihrer  Kirche  einer  Prüfung  zu  unterwerfen,  um  zu 
untersuchen,  wer  würdig  sei,  sich  dem  Tische  des  Herrn  zu 
nähern  und  wer  nicht.  —  Die  Enthauptung  des  Erzbischofa 
bezeichnete  eine  neue  Aera  in  der  englischen  Kirche  und  die 
Herrschaft  der  früher  schwer  bedrückten  und  verfolgten  Pu- 
ritaner, die  jetzt  die  Geissei  der  Verfolgung  über  die  Nacken 
ihrer  ehemaligen  Verfolger  schwangen  und  aus  Bedrückten 
Bedrücker  wurden.  Die  Erscheinungen  blieben  dieselben,  aber 
die  Spieler  auf  der  Schaubühne  des  Lebens  hatten  ihre  RoI-» 
len  gewechselt  — 

In  Folge  des  Directoriums  wurde  das  kirchliche  England 
in  Provinzen,  diese  in  Glassen  und  die  Glassen  in  Pres- 
byterien  eingetheilt.  Aber  Ruhe  und  Zufriedenheit  kehrte 
darum  nichik  in  die  Gemüther  ein.  Die  orthodoxe  presbyte- 
rianische  Partei  beschwerte  sich,  dass  das  Parlament  eine 
ungesetzliche  Autorität  über  die  Kirche,  ihre  Versammlungen 
und  ihre  Diener  ausübe  und  das  despotische  Regiment  der 
zelotischen  Geistlichen  nicht  in  seiner  vollen  Ausdehnung 
dulden  wolle;  die  Independenten,  die  vermöge  ihres  Enthu- 
siasmus, ihres  Eifers  und  ihrer  Energie  bei  dem  Parlamente, 
der  Armee  und  der  Bürgerschaft  immer  mehr  an  Ansehen 
gewannen,  und  die  nicht  gewillt  waren,  ihre  Freiheit  und 
Unabhängigkeit,  um  derenwillen  Viele  von  ihnen  früher  ihre 
Heimath  verlassen  hatten,  jetzt  der  Controle  eines  fremden 
Kirchenregiments  unterzuordnen,  murrten,  dass  der  kirchliche 
Despotismus  nur  eine  andere  Form  angenommen  hätte,  und 
dass  nun  statt  einiger  wenigen  Bichöfe  eine  zahllose  Schaar 
Geistlicher  ihre  Zwingherrschaft  übten.  Sie  verlangten,  dass 
jede  kirchliche  Gemeinde  aütonomische  Rechte  über  Glauben, 
Gultus  und  Disciplin  habe,  dass  alle  Kirchengemeinden,  die 
sich  durch  das  freiwillige  Zusammentreten  gleichgesinnter 
Glaubigen  bildeten,  coordinirt  seien,  und  dass  Niemand  ge- 
zwungen werde,  sein  Gewissen  unter  eine  allgemeine  Vor- 
schrift zu  beugen,  sondern  dass  Jedermann  Gott  nach  eigenem 


Gebiete  rfei*  Kirchengeschichte  Englands.  403 

Ermessen  diene;  Verschiedenheit  des  Glaubens  und  Gultus 
müsse  folglich  erlaubt  und  Toleranz  heilige  Pflicht  sein.  Ihr 
grosser  Beschützer  war  Cromwell;  ihre  Fürsprecher  die  Ju- 
risten und  Politiker,  welche  keine  kirchliche  Autorität  unab- 
hängig von  der  weltlichen  Obrigkeit  dulden  wollten  und  das 
göttliche  Recht  der  Presbyterial-Einrichtung  verwarfen.  Ihre 
Stärke  beruhte  in  der  Armee  und  in  den  zahllosen  Sekten, 
die  um  diese  Zeit  unter  den  verschiedensten  Namen  und  mit 
den  wunderlichsten  Ansichten  aus  dem  chaotischen  Zustande 
hervortraten  und  sich  alle  unter  die  Fahne  der  Independen- 
ten  oder  Gongregationalisten  reihten,  so  wie  in  der  grossen 
Menge  der  Libertinen,  die  die  Ascetik  der  Presbyterianer  und 
ihre  strenge  Disciplin  scheuten.  Ihre  Macht  wuchs  von  Tag 
zu  Tag  und  es  liegt  in  der  Natur  einer  Revolution,  dass  die 
Partei,  die  mit  verwegenem  Sinn  die  extremste  Richtung  ver- 
folgt, zuletzt  den  Sieg  davon  trägt.  Wie  daher  Lands  Hin- 
richtung den  Triumph  der  Presbyterianer  über  die  Hochkirche 
bezeichnete,  so  ist  die  Verurtheilungund  Hinrichtung  Carls  I. 
als  der  Sieg  kirchlicher  Ungebundenheit  über  die  starre  Form 
der  Synodal-Yerfassung,  und  als  der  Uebergang  einer  stren- 
gen Demokratie  in  eine  zügellose  Ochlokratie  zu  betrachten. 
—  Aber  in  einer  Revolution  ist  kein  Stillstand  möglich,  und 
die  siegreiche  Ansicht,  mag  sie  auch  noch  so  extravagant  sein» 
findet  immer  wieder  ihre  heftigsten  Bekämpfer  in  solchen, 
die  nach  derselben  Richtung  noch  weiter  gehen,  bis  das  un- 
haltbare Aeusserste  die  Herrschaft  erlangt,  aber  nur  um  sie 
dem  Gegensatze  wieder  in  die  Hände  zu  spielen.  So  wurden 
die  Ansichten  der  Independenten,  als  der  persönlichen  Frei- 
heit noch  immer  zu  nahe  tretend,  bekämpft  von  der  neuen 
Sekte  der  Levellers,  die  sogar  das  Band  einer  kirchlichen 
Gemeinschaft  und  jede  fifirte  Form  des  Gottesdienstes  als 
die  Freiheit  des  Gewissens  beengend  verwarfen,  und  nur  die 
Eingebungen  der  von  Gott  verliehenen  Vernunft  als  maass- 
gebend  fiir  Religion  und  Gultus  statuirten.  Diesen  kirchlichen 
Ansichten  entsprachen  ihre  politischen  Grundsätze  von  der 
Verwerflichkeit  jeder  monarchischen  Regierungsform,  von  der 
Selbstregierung  des  Volks  und  der  allgemeinen  Wahlberech- 

26* 


404        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

tigung  bei  Besetzung  der  Repräsentantenstellen,  die  durch 
schnellen  Wechsel  möglichst  Vielen  zugänglich  gemacht  wer- 
den sollten. 

Während  der  republicanischen  Zeit  blieb  die  pres- 
byterianische  Kirchenform  in  England  die  herrschende  und 
das  Episcopal-System  ausser  Gebrauch.  Da  aber  unter  allen 
Ständen  die  Richtung  nach  dem  Religiösen  vorherrschend  war, 
und  die  Freiheit  des  Gewissens  von  allen  Unzufriedenen  in 
Anspruch  genommen   wurde,   so  war  diese  Zeit  besonders 
fruchtbar  an  neuen  Sekten,  die  sich  an  allen  Ecken  und  En- 
den des  Reiches  erhoben  und  als  Separatisten  der  herrschen- 
den Kirche  gegenüberstellten.  In  jenen  Tagen  religiöser  Auf- 
regung fand  jede,  auch  die  absurdeste  Ansicht  ihre  Anhänger 
und  ihre  Märtyrer,  und  je  auffallender  die  Ansicht  sich  äus- 
serte, desto  sicherer  konnte  sie  auf  Erfolg  rechnen.  Der  kirch- 
liche Zustand  in  England  war  damals ,  wie  heut  zu  Tage  in 
Nordamerika,  in  das  dem  katholischen  Autoritätsglauben  ent- 
gegengesetzte Extrem  übergeschlagen,  indem  sich  Jedermann 
berufen  fühlte,  die  Bibel,  deren  Erklärung  in  der  katholischen 
Kirche  der  individuellen  Willkür  entzogen  ist,  nach  seinem 
Sinne  und  seiner  Einsicht  zu  deuten  und  dabei  mehr  der 
göttlichen  Inspiration   als  menschlicher  Autorität  folgen  zu 
müssen  glaubte.    Von  diesen  Sekten  waren  viele  nur  ephe- 
mere Ausgeburten  einer  fanatischen  Zeit  und  von  eben  so 
kurzer  Dauer,  wie  diese  selbst.    Was  die  Grenzen  der  Be- 
sonnenheit und  der  nüchternen  Vernunft  überschreitet,   ist 
nie  mehr  als  eine  flüchtige  Erscheinung  des  Tages.  —  An- 
dere verloren  sich  unter  den  grössern  überlebenden  Sekten 
der  Puritaner  und  Independenten;  noch  andere  haben,  wie 
die  Quäker,  bis  auf  den  heutigen  Tag  eine  unbestrittene, 
selbstständige  Existenz.    Gromwelf,  selbst  ein  Kind  des  reli- 
giösen Fanatismus  jener  Zeit,  legte  den  Sekten,  so  lange  sie 
harmlos  blieben  ^  keine  Hindernisse  in  den  Weg;  nur  wenn 
die  excentrische  Richtung  die  Institute  des  Staats,  und  der 
herrschenden  Kirche  bedrohte,  wie  im  Jahre  1653,  als  das 
sogenannte  Barebone-Parlament  die  Patronatsrechte  und  die 
Zehnten  abschaffen  wollte,  dann  trat  Cromwell  dem  Treiben 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englatids,  405 

der  Schwärmer  entgegen  und  hielt  Besonnenheit  und  Ver- 
nunft mit  starker  Hand  aufrecht. 

Nach  der  Restauration  suchte  der  Hof  in  Kirche  und 
Staat  alles  wieder  auf  den  alten  Fuss  zu  stellen,  ging  aber 
in  seinen  reactionären  Bestrebungen  immer  weiter,  bis  der 
[Jebertritt  zum  Katholicismus  erfolgte,  und  eine  heue  Thron- 
änderung bewirkte.  Carl  U.,  das  Bild  eines  charakterlosen, 
schwachen  und  egoistischen  Fürsten,  war  entweder  schon 
während  seines  Exils  in  Frankreich  zur  römischen  Kirche 
übergetreten  oder  hatte  doch  wenigstens  solche  Vorliebe  für 
dieselbe  gewonnen,  dass  es  späterhin  Ludwig  XIV.  nicht 
schwer  fiel,  durch  Geld  und.  Mätressen  ihn  förmlich  zu  der- 
selben hinüberzulocken,  obgleich  dies  der  Nation  bis  zu  des 
Königs  Tod  ein  Geheimniss  blieb.  Die  Erinnerung  an  die 
Härte  der  presbyterianischen  Geistlichen  während  seiner  ver- 
hängnissYollen  Jugendjahre,  die  Abneigung  des  genusssüchti- 
gen Fürsten  vor  der  ascetischen  Strenge  der  Puritaner  und 
das  Bedürfniss,  für  ein  wollüstiges  und  lasteryolles  Leben 
eine  leichte  Absolution  zu  erlangen  und  durch  eine  erheu- 
chelte Busse  den  ruhigen  Fortgenuss  aller  sinnlichen  Freuden 
zu  erkaufen,  —  dies  waren  die  Motive,  die  Carl  U.  dem  Ka- 
tholicismus geneigt  machten  und  ihn  auf  eine  Bahn  führten, 
auf  der  er  Heuchelei,  Doppelzüngigkeit,  Falschheit,  Wortbrü- 
chigkeit und  ähnliche  Untugenden  nicht  vermeiden  konnte.  — 
Die  Declaration  von  Breda,  in  welcher  „zarten  Gewissen '^ 
Glaubensfreiheit  zugesagt,  und  die  Versicherung  gegeben  war, 
„dass  Niemand  wegen  Religionsverschiedenheit  beunruhigt 
oder  in  gerichtliche  Untersuchung  gezogen  werden  sollte,  vor- 
ausgesetzt, dass  er  den  Frieden  des  Reichs  nicht  störe'S  wurde 
schon  im  ersten  Jahr  seiner  Regierung  schmählich  verletzt, 
als  in  Folge  der  Gorporations-  und  Uniformitätsakte  alle 
Nonconformisten ,  die  sich  weigerten,  den  Suprematseid  zu 
leisten,  dem  Covenant  (der  durch  die  Hand  des  Büttels  öf- 
fentlich verbrannt  wurde)  zu  entsagen,  und  ihre  ungeheu- 
chelte  Uebereinstimmung  mit  allen  Punkten  des  allgemeinen 
Ritual-  und  Gebetbuchs  eidlich  zu  erhärten,  für  unfähig  er- 
klärt wurden,  irgend  ein  Amt  in  Staat  und  Kirche  zu  beklei- 


406        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

den;  eine  Verfügung  die  über  zweitausend  presbyterianiscfae 
Geistlichen  ihrer  Stellen  beraubte  und  mit  Weib  und  Kind 
dem  Elende  Preis  gab.  Es  währte  nicht  lange,  so  sah  man 
die  Episcopalkirche  wieder  im  yolien  Genüsse  ihrer  Güter» 
Rechte  und  Privilegien,  die  Hierarchie  in  ihrer  ganzen  Aus- 
dehnung wieder  hergestellt,  alle  drückenden  Gesetze  gegen 
die  Nonconformisten  erneuert  und  eine  unduldsame  Geist- 
lichkeit von  Neuem  im  Besitze  der  frühem  Macht  und  von 
dem  Wunsche  getrieben,  sich  an  den  Puritanern  für  die  er- 
littene Schmach  zu  rächen.  So  lange  daher  ihr  Zorn  nur 
gegen  die  Dissenters  gerichtet  war,  fand  die  zeiotische  Geist- 
lichkeit an  dem  König  und  der  Regierung  kräftige  Unter- 
stützung. Die  sogenannte  Gonventikel-Akte  vom  Jahre  1664 
und  1670  erklärte  alle  religiösen  Zusammenkünfte  von  mehr 
als  fünf  Personen,  wobei  nicht  die  Bestimmungen  des  allge- 
meinen Gebets-  und  Ritualbuchs  zum  Grunde  gelegt  wären, 
für  ungesetzlich  und  aufrührerisch  und  bedrohte  deren  Theil- 
nehmer  mit  schweren  Strafen.  Dies  geschah  darum,  weil  die 
abgesetzten  puritanischen  Geistlichen,  die  bei  ihren  bisheri- 
gen Pfarrkiridem  Mitleid,  Hülfe  und  Anhänglichkeit  fanden, 
heimlich  Bet-  und  Andachtsstunden  hielten,  die  mehr  besucht 
wurden,  als  der  anglicanische  Gottesdienst,  woher  es  kam, 
dass  sich  Sekten  und  Gonventikel  auf  beunruhigende  Weise 
mehrten  und  wiederholte  Strafbestimmungen  hervorriefen. 

Aber  nachdem  die  Episcopalen  ihre  Rache  an  den  Dis- 
senters gestillt  hatten,  und  die  Strenge  der  Nonconformisten- 
Gesetze  auch  die  Katholiken  traf,  da  erinnerte  sich  Carl  wie- 
der seiner  frühern,  von  Breda  aus  erlassenen  Zusicherungen 
und  wünschte  eine  Milderung  derselben.  Eine  königliche  De- 
daration,  dass  der  Krone  das  Recht  zustehe,  von  den  Geset- 
zen gegen  die  Nonconformisten  zu  dispensiren,  sollte  den 
Weg  bahnen.  Allein  das  Parlament  durchschaute  die  Absicht 
und  erklärte  diese  Declaration  für  illegal.  Dies  unterbrach 
auf  einige  Jahre  das  Vorhaben  des  Königs.  Als  er  aber  mit 
Ludwig  XIV.  einen  Vertrag  abgeschlossen  hatte,  wonach  er 
verpflichtet  war,  zur  katholischen  Kirche  überzutreten  und  in 
Verbindung  mit  Frankreich  die  protestantischen  Holländer  zu 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  407 

bekriegen,  ging  ihm  der  Druck,  unter  dem  die  Katholiken 
seufzten,  noch  mehr  zu  Herzen,  weshalb  er  im  März  1672 
eine  neue  Declaration  erliess,  worin  er  „vermöge  seiner  höch- 
sten Macht  in  kirchlichen  Dingen '^  alle  Strafgesetze  gegen 
Nonconformisten  fiir  suspendirt  erklärte,  religiöse  Versamm- 
lungen an  bestimmten  Orten  erlaubte  und  die  dissentirendep 
Priester  unter  den  Schutz  der  weltlichen  Obrigkeit  stellte.  — 
Diese  Yerfligung  suchte  Carl  als  Vollziehung  seiner  Declara- 
tion Yon  Breda  darzustellen  und  die  protestantischen  Dissen- 
ters  zu  dem  Glauben  zu  bringen,  es  sei  vornehmlich  eine 
Vergünstigung  für  sie.  Allein  der  König  hatte  durch  seine 
Härte  und  Willkür  gegen  die  Puritaner  schon  zu  oft  und  zu 
deuüich  seine  wahre  Gesinnung  verrathen,  als  dass  man  jetzt, 
wo  im  ganzen  Lande  laute  Klagen  über  Zunahme  des  Pa- 
pismus  ertönten,  sich  dmrch  diese  Maske  hätte  täuschen  las- 
sen. Die  Presbyterianer  und  Independenten  nahmen  daher 
die  gebotene  Toleranz  kalt  auf,  und  Baxter  schickte  sogar 
das  Gehalt,  das  ihm  wie  den  übrigen  einflussreichsten  puri- 
tanischen Predigern  verabreicht  wurde,  dem  Hof  zurück,  weil 
er  darin  ein  Mittel  sah,  die  diss^iitirenden  Geistlichen  zum 
Schweigen  zu  bringen.  Mit  Entrüstung  nahm  dagegen  die 
hochkirchliche  Nation  diese  zur  Toleranz  führende  Decl^ra-i- 
jtion  auf,  in  der  sie  den  ersten  Schritt  zum  Papismus  erblickte; 
und  da  um  dieselbe  Zeit  die  Kunde  laut  ward,  dass  die  Her- 
zogin von  York  vor  ihrem  Tode  von  einem  Franeiskaner- 
laönch  nach  römischem  Bitas  die  Sterbesacramente  empfan- 
gen hätte,  und  das  Gerücht  ging,  dass  der  Herzog  selbst  Ka-r 
jtholik  sei  und  der  Krieg  gegen  Holland  der  Vernichtung  des 
Protestantismus  gelte:  so  verlangte  das  nächste  Parlament  sp 
dringend  die  Zurücknahme  der  Di^i^ration,  da^s  Ludwig  XIV. 
selbst  dem  König  rieth^  dem  erwachten  Fanatismus  nachzu- 
geben, ehe  er  aufs  Neue  die  Flam^ie  des  Bürgerkrieges  ent- 
zünde, und  dass  Carl  es  für  gerathea  hielt,  sowohl  seine 
Verfügung  zu  annulliren,  als  die  mit  Ungestüm  begehrte  so- 
genannte Testafcte  zu  bestätigen  (März  1673).  Nach  dieser 
Akte  wurden  alle  diejenigen,  die  sich  weigern  würden  den 
Eid  der  Treue  und  des  kirchlichen  Supremats  zu  leisten,  das 


408       lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

Abendmahl  nach  dem  Ritus  der  anglicanischen  Kirche  za 
nehmen,  und  eine  Declaration  gegen  die  Transsubstantiations* 
lehre  zu  unterzeichnen,  für  unfähig  erklärt,  irgend  ein  mili- 
tärisches oder  civiles  Amt  zu  bekleiden.  Die  Folge  davon 
war,  dass  der  Herzog  seiner  Stelle  eines  Gross-Admirals  ent- 
sagen und  dadurch  seine  Conversion  bekannt  machen  musste; 
und  als  einige  Jahre  darauf  die  Nation  durch  die  gerichtli- 
chen Verhandlungen  über  die  „papistischen  Gomplotte^^  in 
die  grösste  Aufregung  gesetzt  wurde  und  die  Schotten  durch 
die  Ermordung  des  Erzbischofs  Sharp,  der  sich  zur  Begrün- 
dung des  Episcopalsystems  in  jenem  Lande  hatte  gebrauchen 
lassen,  die  ganze  Hofpartei  mit  Schrecken  fällten  über  den 
neuerwachten  Fanatismus,  da  gab  der  Herzog  dem  Verlangen 
des  Königs  und  der  öffentlichen  Stimme  nach  und  Terliess 
England  auf  einige  Zeit  Diese  Vorgänge  brachten  die  Epi- 
scopalen  und  Dissenters  einander  näher  und  es  erhoben  sich 
im  Pariamente  viele  Stimmen  für  eine  Milderung  der  gegen 
diese  bestehenden  Gesetze.  Aber  erst  als  man  die  unzuver- 
lässigen Anzeigen  von  jenen  papistischen  Complotten  gegen 
das  Leben  des  Königs  benutzen  wollte,  um  die  Katholiken 
durch  neue  Akte  von  dem  Ober-  und  Unterhaus  auszuschlies- 
sen,  wurde  die  Bestimmung  der  Testakte  über  die  Verpflich- 
tung, das  Abendmahl  nach  dem  Bitus  der  anglicainischen 
Kirche  zu  nehmen,  aufgehoben,  um  die  Dissenters,  deren  Bei- 
stand  zur  Durchführung  des  Antrags  nützlich  war,  für  die 
Sache  zu  gewinnen.  Daraus  geht  hervor,  dass  bei  der  zu- 
nehmenden Macht  der  Katholiken  und  bei  der  wahrscheinli- 
chen Aussicht  auf  einen  katholischen  Thronfolger,  dessen 
Ausschliessung  von  dem  ünterhause  im  Jahre  1680  vergebens 
beantragt  wurde,  die  anglicanischen  und  nonconformisUschen 
Protestanten  sich  näherten,  um  dem  gemeinschaftlichen  Feinde 
kräftiger  entgegentreten  zu  können.  — 

Carl  U.  hatte  sich  äusserlich  immer  zu  der  Landeskirche 
gehalten  und  erst  kurz  vor  seinem  Tode  seine  Heuchelei  of- 
fenkundig gemacht,  dadurch  dass  er  aus  den  Händen  eines 
katholischen  Priesters  die  Sterbesacramente  empfing;  Ja- 
cob U.  dagegen  war  ein  zu  eifriger  Gonvertit,  als  dass  er 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  409 

mit  einer  blossen  Duldung  seines  Glaubens  sich  zufrieden 
gegeben  hatte.  Mit  dem  Eifer  eines  Missionärs  und  dem 
Trotze  eines  Fanatikers  ergriff  er  Maassregeln,  die  dem  Volke 
seine  Absicht»  die  katholische  Kirche  zur  herrschenden  zu 
erheben )  verrathen  mussten.  Wie  Julianus  der  Apostat  (mit 
dem  ihn  Samuel  Johnson  verglichen  hatte,  dafür  aber  im  J. 
1686  an  den  Pranger  gestellt,  öffentlich  gepeitscht  und  mit 
einer  Geldstrafe  belegt  wurde)  umgab  er  seine  Person  mit 
Leuten  seines  Glaubens,  und  erhob  in  der  Verwaltung  des 
Staats  und  in  der  Armee  Gonvertiten  und  Katholiken  zu  den 
höchsten  Stellen,  mit  Zurücksetzung  der  hochkirchlichen  Pro- 
testanten. Er  schickte  einen  Gesandten  an  den  Papst  und 
nahm  einen  päpstlichen  Nuncius  an,  er  stellte  im  Schloss  die 
Messe  wieder  her  und  gestattete  den  kathoUschen  Gultus  in 
Privatkapellen;  er  gewährte  den  Jesuiten  und  andern  Ordens- 
brüdern sichern  Aufenthalt  in  seinem  Reich,  beförderte  Gon- 
Versionen  durch  Anstellungen  und  andere  Vortheile  und  si- 
cherte sogar  den  übergetretenen  Geistlichen  den  Fortgenuss 
ihrer  bisherigen  Pfründen.  Die  Aussicht  auf  irdische  Vor- 
theile, auf  Aemter  und  Ehrenstellen,  verfehlte  ihre  Wirkung 
nicht  bei  den  Schwachen,  die  Verführung  war  zu  lockend 
und  das  Beispiel  von  Oben  gab  manchem  Scheingründe  zur 
Beschwichtigung  seines  mahnenden  Gewissens.  Der  Befehl 
alle,  die  unter  der  vorhergehenden  Regierung  wegen  Verwei- 
gerung des  Eides  der  Treue  und  des  Supremats  in^Haft  ge- 
bracht worden  waren,  in  Freiheit  zu  setzen,  gab  etliche  tau- 
send Nonconformisten  der  menschlichen  Gesellschaft  zurück. 
Darunter  befanden  sich  auch  4)rotestantische  Dissenters.  Da- 
mit aber  nicht  die  Meinung  Geltung  fände,  als  ob  des  Kö- 
nigs Herz  auch  mit  diesen  Mitleid  fühle,  wie  verkehrte  Lob- 
redner glauben  machen  wollten,  liess  er  bald  nachher  das 
bekannte  Buch  des  Hugenotten- Geistlichen  Claude  über  die 
Verfolgungen  der  Protestanten  in  Frankreich  öffentlich  durch 
die  Hand  des  Henkers  verbrennen  und  sprach  somit  seine 
Billigung  der  von  Ludwig  XIV.  angewendeten  Maassregeln 
aus.  —  Doch  konnte  Jacob  nicht  auf  Erfolg  rechnen,  so  lange 
die  Testakte  noch  in  Kraft  war.   Um  daher  deren  Abschaffung 


i\ 


410       Ueber  die  Lekhingm  der  Engländer  auf  dem 

vorzubereiten^  oder  ihre  Wirkung  zu  lähmen,  wurde  von  dem 
Gerichtshofe  der  Kings-bench,  dessen  Räthe  von  dem  König 
zuvor  sorgfältig  sondirt  und  die  widerspenstigen  passend  er- 
setzt worden  waren,  der  Grundsatz  geltend  gemacht:  „es 
stehe  in  der  Madit  des  souveränen  Königs  von  England  in 
gewissen  Fällen  von  den  Reichs -Gesetzen  zu  dispensiren.^^ 
Dies  hatte  zuerst  die  Folge,  dass  in  der  Armee  die  höchsten 
Refehlshaberstellen  Katholiken  und  Gonvertiten  übertragen 
wurden;  und  als  dies  hie  und  da  unter  der  Geistlichkeit 
Murren  erzeugte,  und  die  bestandige  Mahnung  von  den  Kan- 
zeln herab,  „fest  an  dem  protestantischen  Glauben  zu  halten 
und  sich  nicht  von  den  Irrthümem  des  Papstthums  umgarnen 
zu  lassen^S  das  Volk  in  Aufregung  brachte,  so  erging  an  dio 
Geistlichen  der  Befehl,  sich  aller  Gontroverspredigten  zu  ent- 
halten und  nur  Moral  und  Gottesfurcht  zu  lehren.  Gompton, 
Bischof  von  London,  eine  kräftige  Säule  der  Opposition,  lei- 
stete diesem  Befehle  nicht  Folge,  und  wurde  daher  von  dem 
neuen,  zur  Untersuchung  derartiger  Vergehen  eingesetzten 
Deiegatenhof  unter  dem  Vorsitze  des  Erzbiscfaofs  von  Gaa- 
terbury,  seines  Amtes  beraubt,  aber  von  dem  Volke  als  Mär- 
tyrer verehrt  — 

Bei  der  feindseligen  Stimmung  des  Volks,  die  sich  bei 
jeder  Gelegenheit  kund  gab,  konnte  Jacob  zur  Durdiführung 
fieiner  Pläne  nur  auf  die  Hülfe  der  Armee  rechnen,  weshalb 
er  darauf  bedacht  war,  die  zuverlässigsten  Leute  zu  Befehls- 
habern zu  machen.  Wie  sehr  musste  es  ihn  daher  empören, 
dass  ein  Pamphlet  von  demselben  Samuel  Johnson,  das  sich 
bald  in  Aller  Händen  befand,  auch  hier  Misstrauen  und  Feind- 
schaft zu  erzeugen  suchte,  indem  es  die  Soldaten  aufforderte 
„fest  bei  der  Wahrheit  zu  beharren,  sich  nicht  mit  den  blut- 
dürstige und  abgötteriscfaen  Papisten  zu  verbinden,  und  ei- 
nem Dienste  zu  entsagen,  dessen  Zweck  sei,  Messhäuser  auf-^ 
9!m*ichten  und  die  Nation  unter  die  Herrschaft  von  Fremdlin- 
gen zu  bringen.'^  Diese  Mahnung  verfehlte  ihre  Wirkung  nicht, 
wenn  gleich  der  Schuldige  zu  einer  harten  Geldbusse  und  zu 
der  entehrenden  Strafe  verurtheilt  wurde,  dreimal  am  Pranger 
m  stehen  und  von  Tyhurn  nach  Newgate  gegeisselt  zu  werden. 


Gebiete  der  Kirchenge$ckichte  Englands.  411 

Mit  dem  der  ganzen  Familie  Stuart  eigenthümlichen  Starr- 
sinn fuhr  jedoch  Jacob  II.  fort  durch  Prociamationen  in  Schott* 
land  und  England  seinen  Giaubensgenossen  die  Rechte  zu 
ertheilen,  die  ihnen  durch  die  Landesgesetze  versagt  waren* 
Aber  die  presbyterianischen,  dem  religiösen  Fanatismus  so 
zugänglichen  Schotten  widersetzten  sich  der  Ausübung  einer 
streitigen  Prärogative  und  erklärten,  „Toleranz  liege  nicht  in 
dem  Bereiche  der  weltlichen  Obrigkeit  und  sei  unvereinbar 
mit  Gottes  Geboten ;  ihr  Zweck  wäre,  Tyrannei  au&urichten^ 
und  ihr  Bestreben,  die  Herzen  der  Protestanten  dem  Papis- 
mus  zu  öfihen  und  somit  Ketzerei,  Gotteslästerung  und  Ab* 
götterei  zu  gestatten/'  Eine  ähnliche  Aufregung  bewirkte  in 
England  die  Declaration,  wodurch  alle  Strafgesetze  wegen 
Uebertretang  kirchlicher  Bestimmungen  ausser  Wirkung  ge* 
setzt  und  die  Abnahme  irgend  eines  Beligionseides  als  Be- 
dingung des  Zutritts  zu  einem  Amte  verboten  wurde.  Ein 
solcher  Versuch  hatte  schon  unter  der  vorhergehenden  Be* 
gierung,  wo  doch  der  König  sich  noch  äusserlich  zu  der  eng- 
lischen Kirche  hielt,  den  heftigsten  Widerspruch  gefunden; 
welche  Unruhe  und  Bewegung  musste  sich  daher  jetzt  erst 
der  Gemüther  bemächtigen,  wo  alle  Schritte  des  Königs  da* 
hin  gingen,  die  katholische  Kirche  zur  herrschenden  zu  er- 
heben! wo  die  gesetzwidrigen  Eingriffe  in  die  Verfassung  der 
Landesuniversitäten  die  Geistlichen  und  Gelehrten  um  deA 
Fortgenuss  ihrer  Einkünfte  besorgt  machten,  und  die  offen- 
kundigsten Wahlumtriebe  und  Wahlbeherrschung  bei  der  Bil- 
dung eines  neuen  Parlaments  die  Nation  überzeugten,  dass 
der  König,  im  Widerspruch  mit  seinem  Krönungseide,  die 
Aufhebung  der  Testakte  und  die  Einführung  einer  allgemei- 
nen Toleranz  auf  legalem  Wege  zu  erstreben  sudie,  um  dann 
alimählig  die  bestehende  Kirdie  zu  ändern?  Ais  daher  der 
Geistlichkeit  die  Weisung  ertheilt  wurde,  die  Pix>cUmatioQ 
in  der  Kirche  zur  Zeit  des  gewöhnlichen  Gottesdienstes  zu 
verlesen,  weigerten  sich  sieben  Bischöfe,  dem  Befehl  nach- 
zukommen und  reichten  eine  Protestation  dagegen  ein.  Wü- 
tfaend  über  diese  Vermessenheit  Hess  der  unbesonnene  Fürst 
die  Prälaten  anklagen  und  in  den  Tower  bringen.    Auf  dem 


f^-'-' 


4t2        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

Zuge  dahin  wurden  sie  von  dem  Volke  wie  Heilige  verehrt 
und  kniend  ihr  Segen  erfleht,  und  die  Worte  der  Schrift,  die 
grade  an  jenem  Tage  (9.  Juni)  als  lesson  in  allen  Kirchen  ge- 
hört wurden  (2.  Gor.  6, 2):  ,,lch  habe  dich  in  der  angenehmen 
Zeit  erhöret,  und  habe  dir  am  Tage  des  Heils  geholfen.   Se- 
het jetzt  ist  die  angenehme  Zeit,  jetzt  ist  der  Tag  des  Heils^S 
machten  auf  die  bewegten  Gemüther  einen  unglaublichen  Ein- 
drudc  und  belebten  die  Hoffnung  des  Volks  auf  den  Retter, 
der  ihm  aus  der  Ferne  zukommen  sollte.  Die  Freisprechung 
der  Angeklagten  wurde  wie  ein  Siegesfest  mit  Freudenfeuer 
und  Jubelgeschrei  gefeiert,  was  den  König  von  der  nahen 
Gefahr  hätte  überzeugen  müssen,  wenn  er  nicht  in  unbegreif- 
licher Verblendung  die  Augeii  vor  dem  gähnenden  Abgrund 
absichtlich  verschlossen  hätte.   Die  Geburt  eines  Prinzen,  die 
von  ihm  als  glückliches  Ereigniss  zur  Vollendung  seiner  Pläne 
begrüsst,  von  der  Nation  aber  als  unheilvolle  Mystification 
mit  Besorgniss  und  Misstrauen  betrachtet  wurde,  beschleu- 
nigte die  Unternehmung  seines  Schwiegersohnes  Wilhelm  von 
Oranien,  mit  dem  schon  lange  die  Partei  der  protestantischen 
Malcontenten  und  Whigs  in  geheime  Verbindung  getreten  war, 
und  in  dessen  Nähe  sich  Schaaren  von  englischen  Flüchtlin- 
gen befanden.   Unter  diesen  war  auch  der  Geschichtschreiber 
Burnet,  der  im  Namen  aller  geflüchteten  und  verbannten 
Engländer  das  merkwürdige  Memoriale  verfasste,  von  dem 
Wilhelm  8000  Exemplare  mit  sich  führte,  als  er  Anstalten 
machte,  den  Händen  seines  Schwiegervaters  ein  Scepter  zu 
entreissen,  das  dieser  unfähig  zu  führen  war.  —  Jacob  H. 
wurde  zu  seinem  Schaden  bald  gewahr,  wie  gefährlich  es  sei, 
dem  Grundsätze  Baum  zu  geben,  dass  man  Gesetze  und  Eid- 
schwüre durch  sophistische  Deutung  umgehen  könne.   Denn 
wie  er  seinen  Krönungseid  und  die  Testakte  unbeachtet  bei 
Seite  schob,  so  hielt  sich  auch  die  Nation  nicht  länger  an 
die  Akte  vom  passiven  Gehorsam  und  von  der  Gesetzwidrig- 
keit eines  bewaffneten  Widerstandes  gebunden,  die  während 
der  vorhergehenden  Begierung  unter  grosser  Bewegung  durch- 
gesetzt und  von  Jacob  immer  strenge  aufrecht  erhalten  wor- 
den war.   Der  Boden,  auf  dem  er  stand,  war  durch  Verratb, 


Gebiete  der  Kirchengesckkhie  Englands.  413 

Heuchelei  und  Meineid,  mit  welchen  die.  Stuarts  die  Nation 
vertraut  gemacht  hatten,  wankend  geworden;  dies  bemerkte 
jetzt  Jacob  mit  Schrecken  und  yerliess  in  Verzweiflung  das 
Land  seiner  Geburt,  um  dessen  schönen  Thron  er  sich  und 
seine  Nachkommen  in  thörichter  Verblendung  gebracht  hatte. 
Wilhelm  nahm  ohne  Schwerdtstreich  Besitz  von  dem  Reiche 
und  regulirte  im  Einvernehmen  mit  den  Vertretern  der  Na- 
tion die  Gesetze  in  Staat  und  Kirche  so,  dass  für  die  Zukunft 
die  Herrschaft  der  Reichsstatuten  nicht  mehr  durch  Maass-> 
regeln  der  Willkür  beeinträchtigt  werden  konnte.  Das  Dis- 
pensationsrecht  wurde  abgeschafll,  den  Uniformitatsgesetzen 
und  der  Testakte  die  frühere  Geltung  zurückgegeben  und  al- 
len geistlichen  und  weltlichen  Unterthanen  ein  neuer  Eid  der 
Treue  und  Anhänglichkeit  an  den  König  Wilhelm  und  die 
Königin  Maria  auferlegt.  Diese  letztere  Bestimmung  fand  aber 
heftige  Gegner,  besonders  unter  der  Geistlichkeit,  von  wel- 
cher viele  Glieder  aus  verschiedenen  Gründen  der  Revolution 
abgeneigt  waren.  Die  Einen  sahen  jeden  Widerstand  gegen 
die  Obrigkeit  als  unerlaubt  an  und  hielten  an  der  Lehre  vom 
passiven  Gehorsam,  die  sie  so  viele  Jahre  lang  als  Glaubens- 
artikel der  englischen  Kirche  verkündigt  hatten,  fest;  Andere 
waren  dem  Hause  Stuart  aus  Grundsätzen  der  Legitimität 
oder  aus  persönlicher  Anhänglichkeit  gewogen;  Andere  bil- 
ligten die  Bestrebungen  einer  Versöhnung  der  anglicanischen 
Kirche  mit  der  katholischen  „Mutterkirche 'S  und  noch  An- 
dere standen  aus  überspannten  Begriffen  von  der  Wichtigkeit 
der  Episcopaleinrichtung  und  der  ununterbrochenen  Succes- 
sion  der  Bischofsweihe  der  katholischen  Kirche  viel  näher, 
als  der  protestantischen  und  f^^chteten  von  dem  neuen  Kö- 
nig, der  in  der  calvinischen  Kirche  erzogen  worden  war,  und 
ihre  beschränkten,  exclusiven  Grundsätze  nicht  billigte,  Ge- 
fahr für  die  Herrschaft  ihres  hierarchischen  Systems.  Die 
Zahl  der  letzteren  nahm  besonders  zu,  als  Wilhelm  den  For- 
derungen der  Schotten  nachgab  und  in  die  Abschafliing  des 
Episcopats  und  die  Wiederherstellung  der  presbyterianischen 
Verfassung  willigte  und  als  er  und  Bischof  Burnet  von  Sa- 
lisbury,  der  des  Königs  Vertrauen  besass,  die  drückenden 


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414        Ueber  die  Lditungen  der  Engländer  auf  dem 

Gesetze  gegen  die  Dissenters  zu  mildern  und  ihnen  den  Weg 
zum  Uebertritt  in  die  Landeskirche  durch  allerlei  Zugeständ- 
nisse zu  erleichtern  suchten.  Eine  Menge  Geistlicher  yer- 
weigerten  daher  den  Eid  der  Treue  und  wurden  als  Non- 
conformisten  nach  Ablauf  eines  bestimmten  Termins  ihrer 
Stellen  entsetzt  Sie  verharrten  in  einer  trotzigen  Resigna* 
tion,  ihre  Hoffnung  auf  die  Bückkehr  der  vertriebenen  Kö- 
nigsfamilie gründend,  erschwerten  und  beunruhigten  auf  alle 
Weise  die  Regierung  des  neuen  Herrscherpaares  und  wid- 
meten ihre  Müsse  und  ihre  Talente  der  Verfechtung  legiti- 
mistischer  und  hierarchischer  Grundsätze.  Einer  der  bedeu- 
tendsten unter  diesen  eidweigernden  Nonconformisten 
(non -Jurors)  war  Jeremias  Collier.  — 

B.   Die  englischen  Kirchenhistoriker  seit  der  Reformation. 

a)  Die  altern  bis  auf  Gilbert  Burnet. 

Aus  dem  Vorstehenden  ist  ersichtlich,  welchen  Wech- 
selfällen die  englische  Kirche  unterworfen  war,  und  wie  be- 
deutend die  Einflüsse  des  Hofes  und  der  Regierung  in  ver- 
schiedenen Perioden  auf  die  religiösen  Ansichten  und  die 
Gestaltung  der  Kirche  eingewirkt  haben.  Man  darf  sich  da- 
her nicht  wundem,  wenn  die  kirchlichen  Ereignisse,  die  in 
der  innigsten  Wechselwirkung  mit  der  Verfassung  und  Ver- 
waltung des  Staats  standen,  von  den  englischen  Geschicht- 
schreibern auf  die  verschiedenste  Weise  dargestellt  und  be- 
urtheilt  werden,  so  wie  man  sich  auch  nicht  wundem  wird, 
dass  Gewissenszwang,  Proselytenmacherei ,  Intoleranz  und 
rücksichtslose  Verketzerungssucbt  religiösen  Indifferentismus 
und  antichristliche  Tendenzen  herbeiführten,  wie  wir  sie  bei 
den  Deisten  der  nächstfolgenden  Zeit  erkennen,  und  dass  auf 
der  andern  Seite  bei  unbeugsamem  Naturen  sich  engherziger 
Sektengeist  und  starrer  Zelotismus  festsetzte.  — 

Diese  Verschiedenheit  der  Ansichten  und  Urtheile  der 
Kirchenhistoriker  giebt  sich  nicht  nur  in  der  Darstellung  der 
Reformation  und  ihrer  Folgen  kund,  sondern  schon  in  der 
Auffassung  der  altern  Religionsgeschichtc.  Während  nämlich 
die  Katholiken  die  altbritische  Kirche  vor  Augustinus  ganz 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  415 

ignoriren  oder  ihre  Verschiedenheit  von  der  römisch-katho- 
lischen in  Abrede  stellen,  legen  die  Puritaner  und  Presbyte- 
rianer  grade  darauf  das  grösste  Gewicht  und  suchen  die  An- 
sicht zu  begründen,  dass  in  den  ersten  Jahrhunderten  des 
Ghristenthums,  als  durch  Missionare  des  Morgenlandes  das 
Eyangelium  in  Britannien  verkündet  worden  sei,  die  Kirche 
keine  Bischöfe  und  kein  sichtbares  Oberhaupt  gehabt  habe. 
Sie  betrachten  also  die  calvinische  und  presbyterianisdie  Kir- 
chenform als  die  rein -apostolische,  die  mehre  Jahrhunderte 
durch  antichristlichen  Aberglauben  und  Götzendienst  unter- 
drückt und  latent  gewesen  sei,  bis  die  Reformation  die  Hülle 
abgestreift  habe,  und  lassen  folglich  die  römisch-katholische 
Kirche  des  Mittelalters  gar  nicht  als  apostolische  oder  als 
deren  Fortsetzung  gelten.  Dieser  Ansicht  sind  die  akatholi- 
schen Disserters  in  England  und  die  Anhänger  der  presbyte- 
rianischen  Kirche  in  Schottland,  sowohl  die  altern  wie  Knox 
und  Georg  Buchanan,  als  die  neuern,  wie  Maccrie,  Ja- 
mieson  (history  of  the  Guldees)  und  viele  Andere.  Nach  ih- 
rer Annahme  flüchteten  sich  zur  Zeit  der  Diocietianischen 
Verfolgung  und  während  der  angelsächsischen  Kriege  viele 
Christen  nach  Schottland,  führten  dort,  unter  dem  Namen 
Guideer,  ein  frommes  Eremitenleben  und  theilten  ihrer  heid- 
nischen Umgebung  das  Ghristenthum  in  apostolischer  Ein- 
fachheit mit.  Die  von  ihnen  begründete  Kirche  habe  in  ur- 
sprünglicher Reinheit  mehre  Jahrhunderte  bestanden,  bis  im 
9ten  und  lüten  Säculum  die  Guideer  den  römischen  Bischö- 
fen und  die  evangelische  Lehre  dem  katholischen  Kirchen- 
system mit  seinen  traditionellen  Zuthaten  und  Auswüchsen 
allmählig  erlegen  sei.  Die  englischen  Episcopalen  stehen  in 
diesem  Punkte  auf  Seiten  der  Katholiken,  indem  auch  sie 
keinen  wesentlichen  Unterschied  zwischen  der  alt -britischen 
und  römisch-katholischen  Kirche  gelten  lassen,  vielmehr  das 
sechste  und  siebente  Jahrhundert  der  christlichen  Zeitrech- 
nung als  normgebend  für  Gultus,  Verfassung  und  LehrbegrifF 
annehmen,  und  zugestehen,  dass  in  der  römischen  Kirche  die 
apostolische  enthalten  sei,  wenn  gleich  mit  mancherlei  un- 
gehörigen Zuthaten  und  Missbräuchen  umhüllt,  die  die  an- 


416        Veber  die  Leistungen  der  Engländer  au f  dem 

glicanische  Kirche  abgestreift  und  somit  jene  in  ihrer  ur- 
sprünglichen Reinheit  wiederhergestellt  hätte.  Daher  hält  auch 
die  Hochkirche  die  ununterbrochene  Succession  des  Episco- 
pats  und  die  Katholicität  und  ausschliessliche  Uniformität  mit 
Strenge  und  in  Nachahmung  der  altern  katholischen  Kirche 
fest.  Die  Episcopalen  sehen  daher  in  der  Reformation  kein 
Schisma^  wie  die  Katholiken,  sondern  nur  den  Akt  einer  Zu- 
rückführung  zu  dem  Zustande,  wie  er  einige  Jahrhunderte 
früher  bestanden ,  und  suchen  aus  der  Geschichte  den  Be- 
weis zu  liefern,  dass  sowohl  die  angelsächsischen  Könige  als 
die  ersten  Regenten  aus  dem  normannischen  Hause  das  kirch- 
liche Primat  besessen  hätten,  und  dass  durch  schwache  Für- 
sten und  schlaue  Päpste  die  Freiheiten  der  angücanischen 
Kirche,  die  ebenso  sicher  und  klar  gewesen  seien,  wie  die 
der  gallicanischen,  nach  und  nach  vernichtet  worden  wären, 
bis  Heinrich  YUL  und  seine  Nachfolger  die  königlichen  Rechte 
sich  wieder  zugeeignet  und  die  Kirche  von  der  usurpirten 
Autorität  des  römischen  Bischofs  befreit  hätten.  Deshalb  suchte 
Roger  Twisden  in  einer  eigenen  Schrift  „historical  vindica- 
tion  of  the  church  of  England ^^  zu  beweisen,  dass  die  eng- 
lischen Könige  von  jeher  das  Primat  in  sacris  geübt  und  da- 
her auf  legalem  Wege  den  Usurpationen  und  Erpressungen 
der  römischen  Bischöfe  ein  Ende  gemacht  hätten.  — .. 

Am  meisten  wird  jedoch  die  Darstellung  und  Beurthei- 
lung  der  Reformation  und  ihrer  Folgen  von  den  subjecti- 
ven  Ansichten  der  Kirchenhistoriker  bestimmt,  so  dass  man 
den  Autoren  des  sechzehnten  Jahrhunderts,  welcher  Kirche 
sie  auch  angehören  mögen,  nur  mit  grosser  Vorsicht  trauen 
darf,  da  sie  im  Parteieifer  durchaus  die  Gränzen  der  Wahr- 
heit überschreiten.  Zum  Beweise  dieser  Behauptung  wollen 
wir  unter  vielen  nur  die  zwei  bekanntesten  Geschichtschrei- 
ber Sanders  und  Fox  erwähnen.  Der  erstere  war  zur  Zeit 
der  Königin  Maria  Professor  des  canonischen  Rechts  in  Ox-. 
ford  und  Parteigänger  des  Gardinais  Reginald  Polus,  nach 
dessen  Angaben  er  hauptsächlich  sein  Buch  (vera  et  sincera 
historia  schismatis  Anglicani,  de  ejus  origine  ac  progressu 
cet  aucta  per  Ed.  Risbtonum  Gol.  Agrip.  1628)  verfasst  hat. 


Gebiete  der  KirchengeicMchte  Englands.  417 

Unter  Elisabeth  seines  Amtes  entsetzt,  wanderte  er  anfangs 
in  Italien  umher,  begleitete  den  Cardinal  Hosius  auf  das  Gon- 
eilium  von  Trident  und  erhielt  später  die  Stelle  eines  Pro- 
fessors in  Löwen,  wo  er  1571  durch  ein  Werk  „de  yisibiK 
monarchia  Ecclesiae^'  die  Aufmerksamkeit  der  Curie  erregte, 
und  von  dieser  Zeit  an  bei  geheimen  Unterhandlungen  in 
Spanien  und  den  Niederlanden  mehrfach  von  dem  römischen 
Hof  benutzt  wurde,  bis  er  1583  als  päpstlicher  Nuncius  in 
Irland  den  Hungertod  starb,  als  er  sich  genöthigt  sah  in  Wäl- 
dern und  Einöden  Schutz  gegen  die  Verfolgungen  und  Nach- 
stellungen zu  suchen,  die  er  sich  durch  seine  Umtriebe  ge- 
gen die  Regierung  der  Königin  Elisabeth  zugezogen  hatte. 
Sanders  war  Fanatiker  ohne  moralischen  oder  wissenschaft- 
lichen Werth,  ein  untergeordnetes  Werkzeug  des  römischen 
Hofes  und  ein  unheimlicher  Unruhstifter  während  der  Reli- 
gionskämpfe des  sechzehnten  Jahrhunderts.  Da  sein  Buch 
durchaus  nur  den  Zweck  hatte,  die  Reformation  zu  verun- 
glimpfen und  als  den  Ausfluss  der  niedrigsten  Leidenschaften 
darzustellen,  so  wurde  es  im  folgenden  Jahrhundert  von  den 
Jesuiten  benutzt,  um  unter  den  Stuarts  die  anglicanische 
Kirche  zu  untergraben,  und  zu  dem  Behufe  von  Rishton  die 
oben  erwähnte,  mit  einer  Fortsetzung  versehene  Ausgabe  ver- 
anstaltet, in  welcher  die  auffallendsten  Lögen  und  Verleum- 
dungen weggelassen  wurden,  um  der  Verbreitung  des  Buches 
iiicht  zu  schaden.  In  dieser  Gestalt  wurde  es  dann  ins  Eng- 
Ksche,  Italienische  und  Französische  übersetzt  und  erregte 
zur  Zeit,  als  in  Frankreich  die  Conversionen  betrieben  wur- 
den und  den  Katholiken  in  England  sich  die  glänzendsten 
Aussichten  öffneten,  eine  solche  Aufmerksamkeit,  dass  Burnet 
dadurch  zuerst  veranlasst  wurde,  die  Geschichte  der  engli- 
schen Reformation  vom  entgegengesetzten  Standpunkte  aus 
zu  schreiben  und  die  Reformatoren  von  dem  Vorwurfe  un- 
lauterer Motive  zu  reinigen.  —  In  der  Darstellung  der  Ehe- 
scheidungssache und  des  Schismas  folgt  Sanders,  wie  gesagt, 
den  Angaben  des  Cardinal  Polus.  Dieser,  ein  naher  Ver- 
wandter des  königlichen  Hauses  lebte  zur  Zeit  als  Heinrich 
VIII.  mit  dem  päpstlichen  Stuhle  in  Zwist  gerieth,  in  Italien« 

ZeitMkrift  f.  Geschichttw.   I.    1844.  27 


418        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

wo  ihfn  sein  Baog»  seine  Bildung  und  sein  liebenswürdiger 
Charakter  eine  Menge  distinguirter  Freunde,  wie  Bembo,  Sa- 
dolet,  Contarini  u.  A.  erwarben.  Der  Kömg,  ein  freigebiger 
Gönner  aller  Gelehrten  und  Literaten  unterstützte  ihn  mit 
<einem  reichliehen  Jahrgehalte  und  setzte  ihn  dadurch  in  den 
Stand,  in  beneidenswerther  Müsse  seinen  Studien  obzuliegen 
und  iti  seinem  eleganten  Hause  die  Kenner  und  Förderer  der 
humanistischen  Studien  zu  versammeln.  In  der  Erwartung^ 
dass  Peius  sich  dafür  dankbar  erweisen  würde,  ersuchte  ihn 
Heinrich,  das  königliche  Supremat  in  einer  Schrift  zu  ver- 
theidigeo,  war  aber  nicht  wenig  erstaunt,  als  er  statt  der  er- 
warteten Bechtfertigung  das  Buch  „pro  ecclesiastic^e  unitatis 
defensione*'*)  erhielt,  das  nicht  nur  seine  Schritte  gegen  den 
römischen  Hof  in  dem  schwärzesten  Lichte  darstellte,  son- 
dern den  König  selbst  und  Anna  Boleyn,  „die  neue  JezabeP^ 
mit  den  empörendsten  Benennungen  und  Insulten  belegte« 
Heinrich  wird  als  Tyrann,  als  Ehebrecher,  als  Kirchenräuber, 
als  Bedrücker  seines  Volks  mit  Ahab,  Nero  und  Domitian 
verglichen,  und  seine  Ehe  mit  Anna  Boleyn  dadurch  noch 
soandalöser  gemacht,  dass  ihm  vorgeworfen  wird,  er  habe 
früher  mit  deren  Schwester  in  einem  ähnlichen  Verhältnisse 
gestanden.  Alle  diese  Vorwürfe  und  Beschimpfungen  nimmt 
Sanders  auf»  giebt  sich  aber  damit  noch  nicht  zufrieden,  son- 
dern stellt,  um  den  schismatischen  König  auch  noch  mit  der 
Schmach  der  Blutschande  zu  besudeln,  die  absurde  Behaup- 
tung auf,  Heinrich  habe  auch  mit  der  Mutter  beider  Schwe- 
stern ehebrecherischen  Umgang  gehabt  und  sei  der  leibliche 
Vater  der  Anna  gewesen.  Diese  unglückliche  Frau  wird  über- 
haupt von  ihm  auf  die  schändlichste  Weise  verleumdet;  schon 
in  ihrem  fünf;iehnten  Jahre  habe  sie  sich  von  einem  Diener 
ihres  Vaters  und  von  dessen  Kaplan  missbrauchen  lassen,  und 
in  Frankreich  habe  sie  ein  so  schmähliches  Leben  geführt, 
dass  n^n  sie  allgemein  die  Miethstute  (hackney)  genannt  habe, 

*)  Der  volle  Titel:  Reginaldi  Poli  Card.  Brilanni  pro  eccles.  uni- 
tatis defensione  libri  lY.,  in  quibus  conatus  est,  maximo  studio  ec- 
desiae  Romanae  Primatum  constabilire.  ^  In  Deutschland  zuerst 
im  Jahre  1555- 


Sebieie  der  Kirchenge$ckiehte  Englands.  419 

u.  dergl.  ID.;  ja  sogar  als  hüsslicb,  verwachsen  und  aussStzig 
wird  sie  dargestellt!  —  Auch  die  Angabe,  dass  die  Ehe  zwi- 
schen Prinz  Arthur  uiid  seiner  Gemahlin  Catharina  nicht 
fleischlich  vollzogen  worden  sei,  wodurch  Heinrichs  Gewis- 
seusscrupel  als  heuchlerisch  und  nichtig  dargestellt  werden 
sollten,  rührt  von  Polus  her.  —  Es  würde  uns  zu  weit  füh- 
ren, die  zahllosen  Lügen,  Irrthümer  und  Verleumdungen  in 
Sanders  Budbe  auch  nur  anzudeuten,  weshalb  wir  auf  Bur- 
nets Reformations- Geschichte  verweisen,  wo  man  am  Ende 
jedes  Bandes  dieselben  nicht  nur  angegeben,  sondern  auch 
widerlegt  findet.  —  Fanatiker,  wie  Sanders,  haben  von  wafa« 
rer  Geschichte  keinen  Begriff;  sie  suchen  darin  nur  Belege 
zur  Begründung  ihrer  Ansichten  und  entstellen  und  verdre- 
hen alles,  was  nicht  in  ihren  Kram  passt  Da  solche  beute 
einen  so  hohen  oder  so  tiefen  Standpunkt  einnehmen,  dass 
sie  nicht  mehr  von  den  kleinlichen  ftücksichten  der  Schaam 
incommodirt  werden,  so  haben  sie  gegen  den  ehrlichen  Mann 
gewonnenes  Spiel  und  die  grosse  Zahl  urtbeilsloser  Leser 
wird  dcirch  eine  kecke  Lüge  nur  zu  leicht  getäuscht.  Dies 
wusste  Sanders  und  sein  Fortsetzer  Rishton  sehr  gut  Ein- 
gedenk des  lateinischen  Sprudis  erzählen  sie  daher  mit  der 
grössten  Zuversicht  erlogme  oder  entstellte  Thatsachen  in 
ruhiger  Sprache  und  mit  erheuchelter  Mässigung;  und  da 
dies  in  gefälliger  Form  geschiebt,  so  konnte  das  Buch,  das 
künstlich  gehoben  und  verbreitet  wurde,  seine  Wirkung  nicht 
verfehlen.  —  Als  Gegensatz  zu  Sanders  kann  Johann  Fox, 
der  Martjrologe  angesehen  werden,  der  wenige  Jahre  nach 
jenem  starb  (1587).  Als  eifriger  Anhänger  der  Reformation 
verliess  er  unter  Maria  Tudor  sein  Vaterland,  hielt  sieh  län- 
gere Zeit  in  der  Schweiz  auf,  wo  er  grosse  Liebe  für  die 
demokratische  Verfassung  der  reformirten  Kirche  Zwingli'i 
und  Galvin's  einsog,  und  kehrte  nach  der  Thronbesteigung 
der  Elisabeth  wieder  nach  England  zurück.  Seine  Creschichte 
der  protestantischen  Märtyrer,  die  er  während  seines  Exils 
vwfasste,  erschien  zuerst  lateinisch  als  allgemeine  Kirchen- 
f^eschichte  von  England  (Gommentarius  rerum  in  Ecclesia 
gestarum  a  Wiciefo  ad  suam  aetatem),  wurde  aber  nachher 

27* 


420       lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

ins  Englische  übersetzt  und  erweitert,  nachdem  die  zahlrei- 
chen Irrthümer  und  üngenauigkeiten  der  ersten  Editionen 
berichtigt  worden  waren.  Die  vollständigste  und  schönste 
Ausgabe  erschien  im  Jahre  1684  in  drei  grossen  Foliobänden 
mit  vielen  Kupfern  unter  dem  Titel:. „Acts  and  monuments 
of  Martyrs/*  Fox  ist  ein  ebenso  eifriger  Parteimann  für  die 
Protestanten,  wie  Sanders  für  den  Katholicismus  oder  viel- 
mehr Papismus,  und  muss  daher  mit  ebenso  grosser  Vorsicht 
gelesen  werden,  wie  dieser.  Aber  was  den  sittlichen  Cha- 
rakter beider  angeht,  so  ist  ein  himmelweiter  Unterschied 
zwischen  ihnen.  Dem  Römlinge  ist  Religion  und  Gfaristen- 
thum  ebenso  sehr  Nebensache  wie  Wahrheit  und  Geschichte; 
er  sieht  nur  Heil  und  Tugend  in  der  Verbindung  mit  der 
römischen  Kirche  und  dem  Papste,  in  der  Reformation  nur 
ein  Vi^erk  des  Satans  und  in  allen,  die  dabei  mitwirkten, 
dessen  Diener,  in  denen  daher  nichts  als  Laster  und  Sünd- 
haftigkeit wohnen  kann.  Fox  dagegen  ist  ein  durchaus  from- 
mer Mann,  begeistert  für  den  Sieg  des  apostolischen  Ghri- 
stenthums,  in  dem  er  allein  das  Heil  der  Welt  erblickt,  eia 
Zelote  zur  Ehre  Gottes,  und  intolerant  aus  innigster  Ueber- 
zeugung,  dass  die  katholische  Kirche  die  Schöpfung  des  An- 
tichrists  sei,  gegründet  zum  Verderben  der  Menschen.  Wäh- 
rend Sanders  mit  seinem  Geifer  alle  Reförderer  der  Refor- 
mation besudelt  und  aus  seiner  schwarzen  Seele  giftigen 
Argwohn  und  boshafte  Reschuldigungen  mit  kalter  Ruhe  über 
sie  ausgiesst,  lässt  Fox  gar  keinen  Verdacht  gegen  die  Rein- 
heit ihrer  Gesinnung  aufkommen,  weil  seine  eigene  Seele 
selbst  ganz  frei  davon  ist,  und  während  Sanders  die  Hinrich- 
tung eines  Häretikers  als  die  gerechte  Strafe  für  sein  Ver- 
gehen betrachtet,  sieht  Fox  in  den  verfolgten  Lollarden  und 
Protestanten  die  schuldlosen  Opfer  einer  blinden  Wuth,  wo- 
mit der  Antichrist  die  herrschende  Kirche  heimgesucht  habe 
und  verweilt  mit  der  grössten  Umständlichkeit  bei  allen  ih- 
ren Worten  und  Handlungen,  um  den  Leser  zu  erbauen  und 
einen  ähnlichen  gottergebenen  Sinn  in  ihm  zu  erwecken.  Er 
polemisirt  nicht,  weil  er  bei  allen  redlichen  Menschen  die- 
selbe Gesinnung  voraussetzt  und  seine  Exciamationen  und 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  421 

Invectiven  über  die  Härte  und  Grausamkeit  der  Papisten, 
gelten  mehr  dem  Vater  der  Sünde  und  des  Uebels,  fiir  des- 
sen unfreiwillige  Diener  er  sie  ansieht,  als  ihnen  selbst.  Diese 
Lauterkeit  der  Gesinnung  des  Martyrologen  fand  auch  stets 
Anerkennung  und  machte,  dass  sein  Werk,  das  der  Ausfluss 
eines  blinden  aber  ehrlichen  Enthusiasmus  ist,  im  sechzehn« 
ten  und  siebenzehnten  Jahrhundert  ein  Lieblingsbuch  aller 
ernsten  Protestanten  wurde,  und  dass  selbst  Elisabeth,  die 
dem  Verfasser  als  einem  Anhänger  der  ersten  puritanischen 
Opposition  und  eifrigen  Nonconformisten  abgeneigt  war,  und 
ihn  durch  Zurücksetzung  absichtlich  kränkte,  das  Buch  der 
Märtyrer  fortwährend  mit  grosser  Liebe  las.  — 

Im  siebenzehnten  Jahrhundert  bekämpften  die  englischen 
Kirchenhistoriker  weniger  die  Ansichten  der  Katholiken  als 
die  demokratischen  Grundsätze  der  Puritaner  und  Presbyte* 
rianer,  die  immer  tiefere  Wurzel  schlugen  und  den  Boden 
unter  ihren  Füssen  wanken  machten.  Dieser  Kampf  brachte 
die  anglicanischen  Schriftsteller  den  Katholiken,  deren  Basis 
die  Bestimmungen  der  römischen  Kirche  sind,  viel  näher  als 
den  Protestanten  des  Festlandes,  die  ihre  Ansichten  auf  Cal- 
vin und  die  andern  Beformatoren  zurückführten;  und  da  der 
Kampf  den  engen  Kreis  der  Theologie  verliess  und  sich  im 
Staatsleben  praktische  Geltung  verschafile,  so  hatte  der  Sieg 
dieser  oder  jener  Ansicht  Einfluss  auf  die  ganze  Existenz 
dessen,  der  sich  zu  ihr  bekannte,  und  aus  dem  Ton  und  der 
Farbe  der  meisten  Kirchenhistoriker  lässt  sich  die  Zeit  und 
die  Bichtung  der  Begierung,  unter  der  sie  schrieben,  erken- 
nen. Einer  der  bekanntesten  Schriftsteller  unter  Carl  L  und 
während  der  Bepublik  war  Thomas  Füller,  ein  gelehrter 
Geistlicher  und  Polyhistor.  Als  Anhänger  des  Königs  verlor 
er  in  der  Bevolution  sein  Amt,  aber  sein  schmiegsamer  Cha- 
rakter und  sein  vorsichtiges  Benehmen  schützte  ihn  gegen 
Verfolgung  und  verschafile  ihm  unter  Cromwell  wieder  eine 
Anstellung,  die  ihn  jedoch  nicht  abhielt,  sich  thätig  für  die 
Kückberufung  Carls  II.  zu  verwenden,  der  ihn  daher  auch 
später  zu  seinem  Kaplan  machte  und  ihn  sicher  auf  einen 
Bischofssitz  befördert  hätte^  wenn  nicht  Füller  schon  ein  Jahr 


42*2        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

nach  der  Restauration  (I(i61)  auf  einer  Reise  gestorben  wäre. 
Thomas  Füller  hat  unter  vielen  andern  Werken  auch  eine 
englische  Kirehengeschichte  von  der  ersten  Pflanzung  des 
ChristentBums  bis  zum  Tode  Gari  I.  (des  Märtyrers,  wie  er 
▼OD  den  Episcopalen  genannt  wird)  geschrieben  (London  1655. 
Fol),  die  ganz  das  Gpepräge  des  Torsichtigen,  zurückhaUenden 
Verfassers  an  sich  tragt.  Deiicate  Punkte,  die  seine  Ansicb-^ 
ten  hätten  verratiien  können,  übergeht  er,  wie  die  Episcopai-» 
kämpfe  („bellum  episcopale")  in  Schottland  unter  Gari  I.  und 
zwar,  wie  er  selbst  sagt,  „weil  Niemand  Mitleiden  mit  ihm 
fühlen  würde,  wenn  er  unnütz  in  Disteln  griffe,  die  ihn  nichts 
angingen  und  sich  so  die  Finger  zersteche,  und  dann  weil 
hier  der  umgekehrte  Fall  eintrete  wie  bei  der  alten  Geschichte, 
wo  man  mit  mehr  Sicherheit  als  Wahrheit  die  Dinge  dar- 
stellen könne,  während  jetzt  die  Wahrheit  leicht  zu  ermit- 
teln aber  gefahrbringend  sei."  Bei  der  Aenderung  der  Litur- 
gie im  J.  1645  sagt  er:  „Ich  bin  der  Meinung,  dass  es  recht 
(lawful)  und  sicher  (iir  mich  ist,  die  Argumente  pro  und  con- 
tra kurz  anzugeben  und  meine  eigene  Ansicht  für  mich  zu 
behalten,  die  nicht  verdient,  dass  der  Leser  davon  Notiz  nimmt*^ 
und  vergleicht  dann  das  Geschäft  eines  Historikers  mit  dem 
eines  Heroldes,  der,  wenn  er  nicht  den  Spion  mache,  bei 
Freund  und  Feind  ungekränkt  Zugang  finde.  —  Das  Buch 
ist  übrigens  nicht  ohne  Werth,  besonders  wegen  des  Reicb- 
thums  an  Particularitäten  und  seltenen  Notizen  über  Perso- 
nen und  Institute,  wie  z.  B.  die  englischen  Abteien  und  Klö- 
ster bei  ihm  besonders  gut  und  ausführlich  behandelt  sind. 
Dagegen  ist  der  Styl  im  höchsten  Grade  manierirt  und  einer 
geschichtlichen  Darstellung  ganz  und  gar  unangemessen.  Der 
Verfasser  kann  sich  nicht  enthalten,  jedes  Ereigniss,  das  er 
erzählt,  mit  Bemerkungen,  Glossen  und  witzigen  Einfällen  zu 
begleiten,  wodurch  der  Faden  der  Geschichtserzählung  in  un- 
lählige  Stücke  zerrissen  wird  und  der  Leser  nur  mühsam 
eine  Uebersicht  der  Begebenheiten  gewinnt.  Eingeschaltete 
Tabellen,  Controversen,  Documente  u.  dgl.  unterbrechen  noch 
mehr  den  einfachen  Gang  und  erschweren  die  fortlaufende 
Leetüre.    Das  Bestreben  des  Verfassers^  sich  möglichst  viele 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  423 

Freunde  zu  erwerben,  wird  auch  daraus  ersichtlich,  dasls  jede 
der  zahlreichen  ünterabtheilungen  (sections),  in  die  das  Buch 
zerfällt,  eine  besondere  Dedication  mit  einer  kleinen  Zueig- 
BUDgsrede  enthält  Ausser  einer  protestantischen  Färbung  hat 
übrigens  das  Werk  so  wenig  als  der  Verfasser  einen  entschie« 
denen  Charakter.  — 

Ein  Jahr  nach  Füller  starb  Peter  Heylin  (geb.  1600), 
ein  Mann  von  Kraft,  Energie  und  Charakterfestigkeit,  wenn 
gleich  von  verwerflichen  Principien.  Er  war  einer  der  Ka* 
plane  Carl  I.  und  begünstigt  von  dem  Erzbischof  Land,  des- 
sen Ansichten  und  Tendenzen  er  theilte,  daher  er  auch  bei 
der  steigenden  Macht  der  Puritaner  die  Ungunst  des  Schick«« 
sals,  das  den  Erzbischof  und  seine  Anhänger  verfolgte,  zu 
erfahren  hatte.  Bei  der  Abschaffung  der  englischen  Liturgie 
wurde  er  als  strenger  Episcopale  seines  Amtes  entsetzt  und 
seinem  Vermögens  für  verlustig  erklärt  und  musste  mit  sei« 
9er  Familie  flüchtig  und  darbend  im  Lande  umherziehen,  von 
dem  kargen  Ertrag  einer  Art  royalistischer  Zeitschrift  „Mer- 
curius  Aulicus"  und  von  der  Unterstützung  mildthätiger 
Freunde  lebend.  Dennoch  hielt  er  fest  an  seinen  Ansichten 
und  ertrug  Leiden  und  Verfolgung,  in  der  Hofihung,  dass  ein 
besserer  Zustand  der  Dinge  für  ihn  eintreten  würde,  wenn 
der  Sohn  des  hingerichteten  Monarchen  den  Thron  seiner 
Väter  wieder  bestiege.  Aber  seine  Hoffnungen  gingen  nicht 
in  Erfüllung.  Er  bekam  zwar  wieder  ein  geistliches  Amt, 
das  ihn  ernährte,  aber  er  verstand  die  Kunst  nicht,  den  cha- 
rakterlosen, leichtsinnigen  Fürsten  zu  gewinnen,  der  alte 
Freunde  und  frühere  Wohlthaten  schnell  über  den  Genüssen 
des  Augenblicks  vergass ,  und  Charakterfestigkeit  weniger 
schätzte  als  geschmeidige  Charakterlosigkeit  Dieser  Undank 
sehmerzte  ihn  tief  und  beschleunigte  seinen  Tod.  Er  hatte 
seine  Feder  und  sein  Leben  der  Vertheidigung  absoluter  Macht 
in  Kirche  und  Staat  und  der  Begründung  des  passiven  Ge- 
horsams bei  den  Unterthanen  gewidmet,  und  was  war  sein 
Lohn  ftir  den  Hass  und  die  Verfolgungen,  die  er  sich  dadurch 
zugeaogen?  Ein  Subdiaconat  bei  Westminster,  während  An- 
dere, die  ihm  in  jeder  Beziehung  untergeordnet  waren,  Bis- 


424        Uebet'  die  Leitungen  der  Engländer^  auf  dem 

thümer  und  Prälatensteilen  inne  hatten.  —  Heylin's  Kirchen-' 
geschichtet)  von  der  im  Jahre  1674  bereits  die  dritte  Auflage 
in  klein  Folio  veranstaltet  wurde,  ist  ein  höchst  merkwürdi- 
ges unJ  bedeutendes  Buch,  wie  schon  daraus  hervorgeht,  das» 
man  den  Uebertritt  des  Herzogs  von  York,  des  nachmaligen 
Königs  Jacobs  II.,  dem  Einflüsse  desselben  zuschrieb.  E» 
wurde  abgefasst  zur  Zeit  der  Herrschaft  der  Presbyterianer 
und  Independenten,  die  Heylin  von  Grund  der  Seele  hasste, 
und  der  Grimm  über  den  verwirrten  Zustand  der  Kirche,  un- 
ter dem  er  schrieb,  lässt  sich  allenthalben  erkennen.  Die  Ge- 
schichte beginnt  erst  mit  Eduard  VI.,  obwohl  gelegentlich  aucb 
der  frühern  Veränderungen  unter  Heinrich  VID.  gedacht  wird, 
und  geht  bis  zum  Jahre  1566.  Der  Schluss  des  Buchs  ent^ 
hält  einen  heftigen  Ausfall  auf  die  Puritaner,  „die  klein  an- 
fingen, mit  Kappe,  Kragen  und  Bischofskleidung,  aber  nach 
und  nach  auf  die  höchsten  Punkte  losgingen,  auf  eine  gänz- 
liche Aenderung  in  Kirche  und  Staat,  auf  Verfälschung  der 
Lehre,  auf  Umsturz  der  Liturgie  und  des  gesetzlich  einge- 
führten Gultus.  Aber  die  Enthüllung  dieser  gefährlichen  Lehre, 
die  geheimen  Gomplotte  und  offenen  Anschläge,  wodurch  sie 
nicht  nur  das  Dach  und  die  Mauern  dieses  göttlichen  Baues 
niederrissen,  sondern  sogar  die  Fundamente  untergruben,  zie- 
men sich  besser  für  eine  Geschichte  der  Presbyterianer  oder 
Arianen  Für  jetzt  genüge  es,  die  wahre  Basis  unserer  Kirche 
und  ihren  primitiven  Glanz  gezeigt  zu  haben,  damit  man  deut- 
lich sehen  möge,  wie  arg  sie  verwirrt  und  wie  entsetzlich 
sie  entstellt  wurde  durch  unruhige  Köpfe,  deren  Streben  so 
unvereinbar  mit  den  Rechten  der  Monarchie  als  mit  der  kirch- 
lichen Kleidung,  mit  der  Episcopal- Verfassung  und  mit  den 
fixirten  Gebetsformeln  isf  Bei  Abfassung  seiner  Geschichte 
hatte  Heylin  einen  praktischen  Zweck  im  Auge.  Da  nämlich 


*)  Ecclesia  reslaurata:  tbe  history  of  the  reformation  of  the 
church  of  England,  containing  the  beginning,  progress  and  suc- 
cesses  of  it;  the  counsels  by  wbicb  it  was  conducted,  the  ruies  of 
piety  and  prudence  upon  which  it  was  foundeo,  the  several  steps 
by  which  it  was  promoted  or  retarded  in  the  change  of  times. 
LoBd.  1674.  3  ed.  Fol. 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  425 

während  der  Revolution  und  des  Protectorats  die  währe  Kirche 
zu  Grunde  gegangen  sei,  dieselbe  folglich  von  dem  neuen 
König  eben  so  wiederhergestellt  werden  müsste,  wie  die 
monarchische  Verfassung,  die  nach  seiner  Ansicht  ohne  jene 
keinen  Bestand  und  kein  Fundament  hätte,  so  sollte  der  frü- 
here Zustand  der  Episcopalkirche  in  historischer  Entwicklung 
anschaulich  gemacht  werden,  damit  Carl  II.  sich  bei  der  Reor- 
ganisation darnach  richten  könnte.  Dabei  wünscht  er  aber 
alles  das  geändert  und  verbessert,  was  anfangs  durch  mensch- 
liche Leidenschaften  oder  Vorurtheile  verfehlt  worden  war, 
und  was  zum  Theil  den  Untergang  des  Episcopalsystems  durch 
die  demokratische  Kirchenform  herbeigeführt  hatte.  Dazu  ge- 
hörte vornehmlich  eine  grössere  Autorität  der  Kirche  und 
ihrer  Diener,  Restitution  des  Kirchenvermögens  und  Wieder- 
herstellung der  religiösen  Institute,  wodurch  das  geistliche 
Regiment  mehr  Macht  bekäme,  die  Kirchengesetze  mehr  Kraft 
und  Ansehen  erhielten  und  die  geistigen  und  religiösen  Be- 
strebungen des  Volks  leichter  beherrscht  und  besser  über- 
wacht werden  könnten.  Zu  dem  Zweck  hebt  er  besonders 
die  Unlauterkeit  der  Motive  hervor,  von  denen  die  Beförde- 
rer der  Reformation  geleitet  worden  seien,  weist  nach,  wie 
wenig  bei  dem  Vi^erke  selbst  wahre  innere  Ueberzeugung  thä- 
tig  gewesen  wäre,  und  zieht  die  Leidenschaften  und  Schwach- 
heiten der  Handelnden,  die  Ungerechtigkeit  und  Schädlichkeit 
so  mancher  Neuerung  und  die  selbstsüchtige  Gesinnung,  aus 
der  sie  grösstentheils  floss,  unbarmherzig  ans  Licht,  während 
er  mit  grossem  Interesse  bei  der  Restitution  der  Klöster  und 
Stifter  unter  Maria  verweilt  und  die  hohe  Gommission  als 
9,das  Bollwerk  der  Erhaltung  der  anglicanischen  Kirche'^  dar- 
stellt. —  Die  Bitterkeit  seiner  Seele  giebt  sich  in  der  Heftig- 
keit der  Sprache  und  in  der  Schärfe  seines  Tadels  kund,  be- 
sonders wenn  er  auf  Männer  von  demokratischer  Richtung 
in  der  Kirche  zu  sprechen  kommt,  wie  er  denn  kein  BedA- 
ken  trägt,  Knox  „den  grossen  Brandstifter ''  (incendiary)  zu 
nennen  und  Calvin  als  den  Urheber  alles  Unglücks  der  eng- 
lischen Kirche  anzuklagen.  —  Heylin's  Kirchengeschichte  hat 
drei  Vorzüge:  Gründlichkeit^  Genauigkeit  und  Klarheit,  aber 


426        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

künstlerische  Vollendung,  Grazie  und  Unparteilichkeit  fehlen 
ihr  gänzlich.  — 

b)  Gilbert  Buniet  und  seine  Gegner. 

Unter  allen  Kirchenhistorikem  stand  und  steht  noch  jetzt 
bei  dem  englischen  Volke  keiner  in  so  hohem  Ansehen,  als 
Gilbert  Burnet,  ein  Beweis,  dass  er  die  Reformation  aus 
dem  Gesichtspunkte  der  Mehrzahl  der  Nation  auflasste  und 
darstellte,  und  sich  nicht  von  dieser  oder  jener  beschränkten 
Parteiansicht  leiten  Hess.  Es  möge  uns  daher  vergönnt  sein, 
etwas  länger  bei  ihm  zu  verweilen,  um  so  mehr  ab  die  Um- 
stände seines  Lebens  aus  seinen  Memoiren  (Burnets  history 
of  his  own  time.  Lond.  1809.  4  voll.  8.)  genau  bekannt  sind. 
—  Gilbert  Burnet  wurde  im  September  1643  in  Edinburg  ge- 
boren und  stammte  aus  einer  sehr  angesehenen  durch  ihren 
Eifer  für  die  schottische  Nationalkirche  ausgezeichneten  Fa- 
milie. Sein  Vater,  ein  bekannter  Jurist  und  Sachwalter,  gab 
seinem  talentvollen  Sohne  eine  vortreffliche  Erziehung  und 
bestimmte  ihn  für  den  gleichen  Beruf,  dem  er  sein  Leben 
gewidmet  hatte.  Aber  Burnet  folgte  dem  innem  Drang,  der 
ihn  zur  Theologie  führte,  ohne  jedoch  das  Studium  der  Ju- 
risprudenz ganz  aufzugeben,  was  ihm  besonders  zur  Erlan- 
gung einer  richtigen  und  klaren  Einsicht  in  das  Wesen  der 
Administration,  der  Gesetzgebung  und  des  ganzen  Staatsor- 
ganismus förderlich  war.  Nach  vollendeten  Studien  wäre  es 
dem  hochbegabten  jungen  Manne  leicht  gewesen,  in  Kurzem 
ein  bedeutendes  Kirchenamt  und  grossen  Einfluss  zu  erlan- 
gen, wenn  er  von  den  Zeitumständen  einen  klugen  Gebrauch 
hätte  machen  wollen.  Denn  damals  befand  sich  die  schottische 
Nationalkirche  durch  die  Einführung  des  Episcopats  in  dem 
Zustande  grosser  Verwirrung  und  Parteiung,  und  der  Hof 
suchte  auf  alle  Weise  Anhänger  und  Beförderer  seiner  Ab- 
siAiten  zu  gewinnen  und  würde  die  Unterstützung  eines  so 
vielversprechenden  Mannes,  wie  Burnet,  den  der  angesehenste 
unter  den  neuen  Bischöfen,  Leightoun,  seiner  Freundschaft 
und  seiner  besondern  Aufinerksamkeit  würdigte,  und  der  durch 
seine  Geburt  und  Familienverbindungen  der  Regierung  höchst 


Gebiete  der  Kirchengesckichte  Englands.  427 

ntitElich  hätte  werden  können,  sehr  gut  vergolten  haben.  Aber 
Burnet  zeigte  schon  frühe  jenen  scharfen  Blick  und  jenen 
richtigen  Takt,  der  ihn  später  aus  so  mancher  schwierigen 
Lage  rettete,  und  ihn  immer  dasjenige  erkennen  und  ergrei- 
fen lehrte,  was  Bestand  zu  haben  schien.  Er  liess  sich  nie 
als  Beförderer  eines  launenhaften  Plans,  nie  als  Vermittler 
einer  Unternehmung  gebrauchen,  die  der  Gesinnung  der  Na- 
tion widerstrebten  und  nicht  ihre  Wurzeln  im  Volke  hatten. 
Er  war  ein  Feind  jeder  hohlen  Theorie,  die  sich,  von  Oben 
geschützt,  auf  einem  ungeeigneten  Boden  breit  zu  machen 
suchte.  Er  lehnte  daher  alle  Anträge  einer  Anstellung  ab^ 
und  begab  sich  auf  Reisen,  zuerst  nach  England  und  von  da 
im  J.  1664  nach  Holland  und  Frankreich,  wo  er  seine  Stu- 
dien eifrig  fortsetzte  und  mit  den  ausgezeichnetsten  Theolo- 
gen dieser  Länder,  besonders  mit  den  berühmten  Hugenotten- 
Predigern  von  Gharenton,  Daillö  und  Morus,  Verbindungen 
anknüpfte.  Erst  nach  seiner  Rückkehr  übernahm  er  die  Pfarr- 
stelle zu  Saltoun,  die  er  aber  schan  um  1$69  auf  Zureden 
seines  Freundes  Leightoun  mit  der  Stelle  eines  Professors 
der  Theologie  in  Glasgow  vertauschte.  —  Um  diese  Zeit  war 
die  Parteiung  in  der  schottischen  Kirche  und  der  Zwiespalt 
unter  den  presbyterianischen  und  bischöflichen  Geistlichen 
sehr  gross,  und  bei  allen  wohlgesinnten  Patrioten  der  Wunsch 
rege  geworden,  der  zunehmenden  Verwirrung  und  Gahrung 
durch  eine  Vermittlung  zwischen  den  beiden  äussersten  An- 
sichten zu  steuern.  Burnet,  der  als  Freund  religiöser  Tole- 
ranz bekannt  war,  wurde  dabei  vielfach  um  Rath  angegangen, 
und  gab  sich  alle  Mühe,  die  streitigen  Punkte  auf  eine  feste^ 
gemässigte  Basis  zu  stellen.  Ueber  Ritus  und  Geremonien 
hegte  er  die  liberale  Ansicht:  „keine  seien  so  schlecht,  das» 
sie  die  Menschen  schlecht  machen  könnten,  und  keine  so  gcrt, 
dass  die  Menschen  dadurch  gut  würden.^^  Aber  Toleranz  fin- 
det in  Zeiten  religiösen  Fanatismus  keine  Anerkennung,  viel- 
mehr Hass  und  Verfolgung  von  allen  Seiten.  Dies  erfuhr 
auch  Burnet.  Die  Presbyterianer  zürnten,  dass  er  die  eng- 
lische Liturgie  beim  Gottesdienste  anwendete,  und  der  Epi- 
scopalverfassung  mehr  zugethan  als  abgeneigt  schien;  die  fipi- 


428        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

scopaien  dagegen  hassten  ihn,  weil  er  die  Bedrückung  und 
Verfolgung  der  Nonconfomiisten  missbilligte  und  an  eine  Se- 
ligkeit ausser  dem  Bereiche  der  englischen  Kirche  zu  glau- 
ben wagte.  — 

Während  seines  Aufenthaltes  in  Glasgow  erhielt  Bumet 
von  der  Herzogin  von  Hamilton  den  Auftrag,  die  Geschichte 
des  Ministeriums  ihres  Vaters  und  Oheims,  worüber  sie  viele 
ungeordnete  Papiere  besass,  zu  schreiben,  ein  Auftrag,  der 
ihn  zuerst  mit  dem  Herzoge  von  Lauderdale  in  Verbindung 
brachte.  Dieser  erbot  sich  nämlich  zu  mündlichen  Mitthei- 
lungen und  fasste  zu  dem  Schriftsteller  bald  solches  Vertrauen, 
dass  es  nur  in  dessen  Macht  gestanden  hätte,  zu  einem  der 
wichtigsten  Aemter  im  Staat  oder  in  der  Kirche  emporzu- 
steigen. Aber  der  Charakter  dieses  schottischen  Edelmanns, 
der  despotisch  gegen  Untergebene  und  kriechend  gegen  Hö- 
here war,  der  aus  Servilität  sich  als  Werkzeug  gebrauchen 
liess,  um  bei  seinen  Landsleuten  die  absolute  Königsmacht 
in  Kirche  und  Staat  einzuführen,  und  der  aus  Wohldienerei 
den  glühenden  Eifer  eines  presbyterianischen  Govenanters  mit 
einem  kalten  Indifferentismus  vertauschte^  schreckte  den  frei- 
sinnigen auf  seinen  eigenen  Werth  stolzen  Bumet  von  einer 
nähern  Verbindung  ab.  Sein  grader,  von  dem  Gefühle  der 
Freiheit  durchdrungener  Geist  verschmähte  die  Mittel  und 
Wege,  durch  die  man  damals  zu  Amt  und  Würde  gelangte 
und  Fürstengunst  erwarb,  und  sein  Grundsatz,  sich  nicht  als 
Werkzeug  zur  Ausführung  unpopulärer,  von  einem  nach  ab- 
soluter Gewalt  strebenden  König  ersonnener  Willkür-Maass- 
regeln  benutzen  zu  lassen,  hiSlt  ihn  ab,  von  dem  Anerbieten, 
unter  vier  vacanten  schottischen  Bisthümern  eins  auszuwäh- 
len, Gebrauch  zu  mächen.  Aus  Klugheit  und  aus  Patriotis- 
mus suchte  er  sein  Streben  stets  mit  den  Tendenzen  der 
Nation  zu  assimiliren  und  jede  Parteirichtung,  die  nicht  auf 
allgemeine  Geltung  zählen  konnte^  zu  vermeiden,  und  wenn 
er  gleich  im  J.  1672  ein  Buch  zu  Gunsten  des  Episcopalsy- 
stems,  und  über  die  ünrechtmässigkeit  eines  bewaffneten  Wi- 
derstandes aus  Gründen  der  Beligion,  herausgab,  so  weigerte 
er  sich  dennoch  abermals  ein  Bisthum,  selbst  mit  dem  An- 


Gebiete  4er  Kirohengeschichte  Engbmde.  479 

rechte  auf  das  erste  vacante  Erzbisthum,  anzunehmen,  um 
nicht  dem  Verdachte  und  der  Nachrede  Raum  zu  geben,  als 
habe  er  seine  Ansichten  aus  selbstsüchtigem  Streben  den 
Wünschen  des  Hofes  accommodirt 

Burnet  hatte  bereits  so  sehr  die  allgemeine  Aufmerk- 
samkeit erregt,  dass,  als  er  im  J.  1673  behufs  des  Drucks 
der  „memoirs  of  the  dukes  of  Hamilton*'  nach  London  reiste, 
der  König  ihn  aus  eigenem  Antrieb  zu  einem  seiner  Kapläne 
ernannte  und  der  Henog  von  York  einige  Unterredungen  mit 
ihm  hielt.  In  denselben  wurde  mehrmals  die  Frage  verhan- 
delt, ob  die  katholische  oder  die  anglicanische  Kirche  den 
Vorzug  verdiene,  wobei  sich  der  Herzog,  um  den  Ursprung 
der  letztem  herabzuwürdigen,  auf  Heylin's  Reformationsge- 
schichte berief  und  zum  Beweise  der  Richtigkeit  seiner  An- 
sicht unter  anderm  auf  die  Grundsätze  der  meisten  englischen 
Prälaten  hinwies,  die  der  katholischen  Lehre  viel  näher  stän- 
den, als  die  der  Jüngern  Generation.  Burnet  und  sein  Freund 
Stillingfteet^  der  durch  jenen  bei  dem  Herzoge  eingeführt 
worden  war,  bestritten  seine  Beweisführung,  warnten  ihn 
vor  den  Folgen  eines  (Jebertritts  zu  einer  Kirche,  die  dem 
Volke  verhasst  sei,  wie  er  aus  der  Gesinnung  der  jungem 
Geistlichkeit,  die  er  als  die  Gesinnung  der  ganzen  Nation  be- 
trachten dürfe,  entnehmen  könne,  und  riethen  ihm,  ja  nicht 
zu  fest  auf  den  streitigen  Grundsatz  des  passiven  Gehorsams 
zu  bauen.  Sie  erboten  sich  zu  einer  Disputation  mit  zwei 
katholischen  Theologen,  was  aber  der  Herzog  ablehnte.  Auf 
gleiche  Weise  benutzte  er  die  Gunst  die  ihm  der  König  er- 
wies, um  diesen  aus  der  moralischen  Versunkenheit  und  ent- 
nervenden Lasterhaftigkeit  zu  reissen.  — 

Diese  Gunst  dauerte  indessen  nicht  lange.  In  dem  schot- 
tischen Parlament  des  folgenden  Jahres  1674  erhob  sich  gegen 
Lauderdale's  Administration  ein  heftiger  Sturm,  der  von  einer 
Opposition  ausging,  an  deren  Spitze  der  Herzog  von  Hamil- 
ton, ein  Freund  und  Gönner  unsers  Geschichtschreibers  stand. 
Dies  genügte  dem  leidenschaftlichen  Lauderdale,  der  auf  Bur- 
nets wachsendes  Ansehen  bei  Hofe  neidisch  war,  um  diesen 
dem  König  als  einen  der  Urheber  des  Widerstandes  zu  be- 


430        lieber  die  Leistungm  der  Engländer  auf  dem 

zeichnen.  Carl  strich  ihn  daher  sogleich  aus  der  Liste  seiner 
Kapläne,  und  als  dieser,  um  dem  Schauplatze  der  Partei- 
wuth  zu  entgehen,  sein  Lehramt  in  Glasgow  aufgab  und  in 
London  ein  untergeordnetes  Predigeramt  zu  erhalten  suchte, 
hintertrieb  er  lange  seine  Wiederanstellung.  Dennoch  erhielt 
Burnet  zuletzt  eine  Patronat^pfarre  und  zeichnete  sich  bald 
so  sehr  als  Prediger  aus,  dass  seine  Kirche  jedesmal  gedrängt 
voll  war.  „Seine  Reden  enthielten  keine  studirten  Phrasen 
oder  abgerundete  Perioden,  wie  sie  damals  zu  sehr  im  Schwung 
waren;  sondern  es  war  die  Kraft  seiner  Beweisführung,  die 
Wärme  seiner  Sprache  und  die  Würde  seines  Wesens,  ver- 
bunden mit  dem  Anstände  und  der  Grazie  seiner  Person,  was 
Aufmerksamkeit  gebot;  und  da  das  was  er  stgke  immer  von 
Herzen  kam,  so  ging  es  auch  seinen  Zuböre^rn  stets  zuHerzen.^  *) 
Während  der  neun  Jahre,  die  er  in  diesem  Amte  zu- 
brachte, untemabm  er  das  widitigste  Werk  seines  Lebens, 
die  Geschichte  der  engtischen  Reformation.  Keine  Zeit  konnte 
für  ein  solches  Werk  geeigneter  sein  als  jene,  und  kein  Mann 
geschickter  dazu  als  Burnet.  Die  Neigung  des  Holes  für  den 
Katholicismus  war.  kein  Gefaeimniss  und  erregte  in  der  Na- 
tion allgemeines  Missfallea;  die  Willfährigkeit  der  meisten 
Bischöfe  und  hochgestellten  Prätaten  den  Wünschen  des  Kö- 
nigs und  seines  feuders  nachzukommen,  füllte  die  Freunde 
des  Protestantismus  und  die  Anhänger  einer  freien  Repri^ 
seatativ-Verfassikng  mit  banger  Besorgniss  für  die  Zukunft 
und  der  Beifall,  womit  die  kurz  vorher  veranstaltete  franzö- 
sische Ud)ersetzung  des  Sanders'schen  Buchs  in  gewissen 
Kreisen  aufgenonusnen  wurde»  empörte  jeden  Freund  der 
Wahrheit.  Burnet,  dessen  Sehriftstellertaknt  ebenso  aner- 
kannt war,  wie  sein  Mulh  und  seine  Freisinnigkeit,  wurde 
daher  von  vielen  Seiten  ange^mgen,  eine  Gescbkdkte  der  Re- 
formation vom  protestantischen  Standpunkte  aus  zu  schrei- 
ben, und  die  Feinde  und  Verleumder  dieses  grossartigen  Er- 
eignisses zu  widerlegen.   Er  Itess  sich  bereitwillig  findai  und 


*)  Burnels  Leben  von  seinem  Sohn  Thom.  Burnet,  vor  dem 
ersten  Bande  der  „history  of  bis  own  ttme/^ 


Gebiete  der  Kirchengeschichie  Englands.  431 

sammelte  mit  grossem  Fleisse  das  dazu  erforderliche  Mate- 
rial. Er  erhielt  anfangs  Zutritt  zu  der  Bibliothek  der  Familie 
Gotton,  in  der  sich  liesonders  wichtige  Manuscripte  über  diese 
Epoche  befanden.  Kaum  aber  wurde  seine  Absicht  bekannt, 
so  bewirkte  Lauderdate  bei  dem  Eigenthümer,  dass  Bumet 
nicht  ferner  zugelassen  wurde,  indem  er  denselben  als  einen 
Gegner  der  königlichen  Prärogative  darstellte,  der  von  den 
Documenten  einen  schädlichen  Gebrauch  machen  würde.  Erst 
nach  Erscheinung  des  ersten  Bandes  wurde  das  Verbot  su- 
ruckgenommen  und  ihm  die  weitere  Benutzung  gestattet. 

Dieser  erste  Band  erschien  im  Jahre  1679,  also  in  einem 
Augenblicke,  wo  die  ganze  Nation  durch  Gerüchte  von  pa- 
pistischen  Gomplotten  in  Agitation  gehalten  wurde,  und  die 
Oenunciationen  des  Titus  Oates  u.  A.  gerichtliche  Untersu- 
chungen der  aufregendsten  Art  herbeiführten.  Der  Beifall, 
mit  dem  daher  das  Werk  aufgenommen  ward,  war  so  unge- 
theilt,  dass  sich  die  beiden  Parlameatshäuser  bewogen  fan- 
den, dem  Verfasser  für  ein  solches  Nationaldocument  öffent- 
lich zu  danken  und  ihn  zur  Fortsetzung  aubumuntern.  In 
weniger  als  zwei  Jahren  erschien  auch  der  zweite  Theil,  der 
bis  zur  üniformitätsakte  im  Jahre  1559  geht,  mit  welcher  die 
Beformation  als  abgeschlossen  angesehen  werden  kann.  Eine 
reiche  Sammlung  von  Urkunden  aller  Art  ist  jedem  Bande 
angehängt  und  erhöht  den  Werth  des  Buches.  So  gross  war 
die  schriftstellerische  Gewandtheit  Burnels,  dass  er  den  hi- 
storischen Text  innerhalb  sechs  Wochen  niederschrieb,  nach- 
dem er  das  Material  geordnet  hatte.  Noch  hei  Lebzeiten  des 
Verfassers  erschienen  vier  Auflagen  in  Folio  und  seitdem  eine 
fünfte  in  sechs  Octavbänden;  und  zur  leichtern  Verbreitung 
veranstaltete  Burnet  selbst  einen  Auszug,  wobei  die  Samm- 
lung der  Documente  wegblieb.  Vof  der  Bekanntmachung 
wurde  das  Werk  von  dem  Erzbischof  Tillotson  und  dem  ge- 
lehrten Bischof  Stillingfleet  durchgesehen  und  vier  Ueberset- 
zungen^  darunter  eine  lateinische  und  eine  französische,  mach- 
ten dasselbe  bald  Jedermann  zugänglich.  — 

BujTftets  Beformatiosksgescbichte  war  den  englischen  und 
französischen  Fi oselytenmachern  ein  Dorn  im  Auge.  Ein  Buch, 


432        Veber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

das  in  schöner  Form  und  in  einem  klaren,  männlich -krafti- 
gen Styl  die  Gebrechen  der  kathoh'schen  Kirche,  die  mora- 
lische Gesunkenheit  der  Klostergeisth'chen,  die  Unwissenheit, 
Yerweltlichung  und  Sinnlichkeit  des  Klerus  vor  und  zu  der 
Zeit  der  Reformation  anschaulich  macht,  das  die  Inconsequenz, 
Charakterlosigkeit  und  eitle  Selbstsucht  eines  Gardiner  und 
Bonner  in  das  hellste  Licht  stellt,  das  galisüchtige,  menschen- 
feindliche Gemüth  der  Königin  Maria  aufdeckt  und  von  den 
gepriesenen  Märtyrern  der  katholischen  Kirche,  namentlich 
Ton  Thomas  Morus,  den  Schleier  wegzieht,  der  seine  Schwä- 
chen verhüllte  —  ein  solches  Buch  musste  am   engJischea 
Hofe  ebenso  grosses  Aergerhiss  erregen,  wie  am  französi- 
schen, wo  man  grade  den  gewaltigen  Schlag  gegen  die  Hu- 
genotten beabsichtigte,  und  die  Reformation  ^nur  unter  der 
Färbung  eines  Bossuet  und  ähnlicher  Parteischriftsteller  dar- 
gestellt wünschte.  Es  erschienen  daher  mehre  Gegenschriften, 
worunter  eine  französische  von  Le  Grand  zur  Rechtferti- 
gung der  Geschichte  des  englischen  Schisma's  von  Sanders 
und  eine  englische  von  Warton,  dem  Verfasser  der  Anglia 
Sacra,  unter  dem  Namen  Harm  er  (A  specimen  of  some  er- 
rors   and  defects  in  the  history  of  the  refbrmation  of  the 
church  of  England),  die  bedeutendsten  sein  möchten.   Mit  Le 
Grand  hatte  Bumet  im  J.  1685  eine  flüchtige  Bekanntschaft 
gemacht  und  bei  einer  Mahlzeit  in  dem  Hause  eines  ihrer 
gemeinschaftlichen  Freunde  alle  seine  Einwendungen,  wie  er 
glaubte,  widerlegt.    Er  war  daher  sehr  überrascht,  als  der- 
selbe einige  Jahre  darauf  ein  Werk  in  drei  Bänden  heraus- 
gab, wovon  der  erste   den  Ehescheidungsprocess  und  das 
Schisma  von  römisch-katholischem  Standpunkte   darstellte, 
die  beiden  andern  aber  Briefe  und  Documente  zum  Belege 
seiner  Darstellung  enthielten,   und  worin  sich  sehr  heftige 
Ausfalle  gegen  Bumet  und  seine  Reformationsgeschichte  vor- 
fanden.   Der  andere  war  ein  englischer  Geistlicher  und  An- 
hänger des  Erzbischofs  Sancroft,  von  dem  er  die  Zusicherung 
der  nächsten  vacanten  Präbende  erhalten  hatte.     Als   aber 
Sancroft  nach  der  Vertreibung  Jacobs  H.  den  Conformitäts- 
eid  verweigerte  und  daher  seine  Stelle  an  Tillotson,  einen 


Gebiete  der  Kirchetigesi^hichte  Englands,  433 

Freund  und  Gönner  von  Burnet  abtreten  musste,  wandte 
sich  Warton  an  den  letztern  mit  der  Bitte,  ihm  bei  Tillotson 
die  Bestätigung  jener  Zusicherung  auszuwirken.  Da  aber  der 
Erzbischof  nicht  darauf  einging,  so  glaubte  sich  Warton  von 
Burnet  vernachlässigt  oder  betrogen  und  rächte  sich  durch 
Bekämpfung  der  Beformationsgeschichte.  — >  Wichtiger  als 
diese  Schriften,  deren  feindselige  Tendenz  sich  leicht  aus  der 
Bitterkeit  des  Styls  erkennen  Hess,  war  dagegen  ein  Buch« 
das  im  Anfang  des  achtzehnten  Jahrhunderts  erschien  und 
das  Burnets  Werk  weniger  durch  directe  Polemik  als  durch 
Verschiedenheit  der  Darstellung  und  Richtung  und  durch  ent- 
gegengesetzte Beurtheilung  der  Resultate  in  den  Augen  der 
Leser  zu  entkräften  suchte.  Dieses  Buch  war  die  englische 
Kirchengeschichte  von  Jeremias  Collier,  von  dem  später 
ausführlicher  die  Rede  sein  wird.  —  Diese  verschiedenen 
Angriffe,  verbunden  mit  einigen  wohlmeinenden  Bemerkungen 
und  Andeutungen  über  Irrthümer  und  Versehen,  die  ihm  von 
mehren  Seiten  in  guter  Absicht  mitgetheilt  wurden,  bestimm- 
ten Burnet  nach  mehr  als  dreissigjähriger  Unterbrechung  im 
J.  1715  einen  dritten  Band  der  Beformationsgeschichte  her- 
auszugeben, der  alle  Nachträge,  Ergänzungen  und  Verbesse- 
rungen enthielt,  .die  er  während  der  Zeit,  in  welcher  auch 
Rymer's  wichtige  Sammlung  von  Urkunden  und  Staats- 
papieren erschienen  war,  zusammen  zu  tragen  Gelegenheit 
hatte,  fn  dieser  Gestalt  liegt  nun  das  Werk  vor  uns,  ein 
merkwürdiges  Denkmal  des  Fleisses  und  der  Ueberzeugungs- 
treue  des  Verfassers,  dessen  fernere  Schicksale  wir  jetzt  noch 
kurz  andeuten  wollen.  — 

An  den  Verhandlungen  über  die  Thronausschliessung,  des 
Herzogs  von  York,  die  im  Anfang  der  achtziger  Jahre  mit 
grosser  Animosität  geführt  wurden,  nahm  Bumet  indirect 
thätigen  Antheil,  und  suchte  der  gemässigten  Ansicht,  die  zu- 
nächst auf  Sicherstellung  der  Verfassung  in  Kirche  und  Staat 
durch  Ernennung  eines  Regenten  drang,  den  Sieg  zu  ver- 
schaffen. Nicht  als  ob  er  die  unbedingte  Ausschliessung  für 
unerlaubt  gehalten  hätte,  sondern  aus  Gründen  der  Klugheit, 
die  er  selbst  im  zweiten  Theil  seiner  Memoiren  entwickelt 

Z«itMhrifl  f.  G«8chicktstr.  1.  1844.  28 


434        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

hat.  Aber  selbst  diese  gemässigte  Ansicht,  wonach  der  pa«- 
pistische  Herzog  in  die  Reihe  der  Minderjährigen  oder  Wahn- 
witzigen gestellt  wurde»  musste  dem  Hofe  missfallen,  und 
war  natürlich  nicht  geeignet,  dem  Verfasser  der  Kirchenge- 
schichte die  verlorene  Gunst  wieder  zu  erwerben.  Dennoch 
aber  glaubte  der  König  ihn  schonen  zu  müssen,  um  nicht 
die  Reihen  der  Opposition  durch  diese  bedeutende  Persön- 
lichkeit zu  verstärken;  ja  er  verbarg  sogar  seinen  grossen 
Aerger  über  den  insolenten  Brief,  den  Burnet  um  dieselbe 
Zeit  an  ihn  richtete,  und  worin  er  ihm  Wahrheiten  sagte, 
die  selten  zu  den  Ohren  der  Fürsten  dringen,  weshalb  es 
uns  gestattet  sein  möge,  dessen  Inhalt  kurz  anzudeuten :  Nach- 
dem er  dem  König  zu  verstehen  gegeben  hat,  dass  das  Volk 
die  ganze  Schuld  der  kritischen  Lage  des  Reichs  einzig  und 
allein  ihm  zur  Last  lege,  sagt  er,  dass  nach  der  übereinstim- 
menden Ansicht  aller  Wohlmeinenden  es  nur  Ein  Mittel  gebe» 
alle  diese  Schwierigkeiten  zu  heben.  Dies  Mittel  sei  aber 
nicht  ein  Wechsel  im  Ministerium  oder  im  Staatsrath,  nicht 
eine  neue  Alliance  oder  eine  Parlamentssitzung  —  nein!  es 
sei  eine  gänzliche  Sinnesänderung  in  dem  Monarchen  selbst, 
eine  Besserung  des  Herzens,  eine  Umwandlung  des  Lebens. 
„Erlauben  Sie  mir'S  fährt  er  fort,  „Ihnen  .mit  aller  Demuth 
eines  Unterthanen  zu  sagen,  dass  alles  Misstrauen,  mit  dem 
Ihr  Volk  Sie  betrachtet,  dass  alle  Verlegenheiten,  in  denen 
Sie  sich  befinden^  dass  der  ganze  Unwille  des  Himmels,  der 
auf  Ihnen  liegt,  und  der  sich  in  der  Vernichtung  aller  Ihrer 
Rathschläge  kund  giebt,  lediglich  daher  kommt,  dass  Sie  Gott 
nicht  gefürchtet  und  ihm  nicht  gedient,  sondern  sich  sünd- 
haften Lüsten  überlassen  haben/*  Der  König  solle  nicht  glau- 
ben, weil  einige  Leute  der  Opposition  sich  um  Religion  nicht 
viel  kümmerten,  dass  dies  auch  bei  der  Masse  des  Volkes  so 
sei;  nein!  im  Volke  lebe  noch  ein  religiöser  Sinn,  der  recht 
gut  Heuchelei  von  wahrer  Frömmigkeit  zu  unterscheiden 
wisse,  und  der  Anstoss  nehme  an  dem  Leben  und  Treiben 
des  Königs  und  seiner  Umgebung.  Darum  fordert  er  ihn 
dringend  auf,  sich  zu  bessern,  damit  die  Nation  wieder  Zu- 
trauen gewinne  und  nicht  allen  scandalösen  Gerüchten  Glau- 


Gebiete  der  Kirchetigeschichte  Etiglands.  43;> 

ben  schenke;  er  solle  alle  diejenigen,  die  Veranlassung  zur 
Sünde  gäben,  besonders  die  Frauen,  aus  seiner  Nabe  ent* 
fernen  und  den  Hof  reformiren;  „wenn  Ew.  Majestät '^  sagt 
er,  „sich  aufrichtig  und  ernstlich  der  Religion  zuwenden,  so 
werden  Sie  bald  eine  reine  Freude  von  ganz  anderer  Natur, 
als  die  aus  grober  Sinnlichkeit  entspringt,  in  Ihrem  Innern 
empQnden.  Gott  wird  mit  Ihnen  sein  in  Frieden  und  alle 
Ihre  Rathschläge  lenken  und  segnen,  alle  guten  Menschen 
werden  sich  Ihnen  zuwenden  und  alle  Schlechten  beschämt 
bei  Seite  treten  und  sich  bessern."  Schliesslich  fuhrt  er  ihm 
zu  Gemüthe  wie  gröblich  er  sich  gegen  Gott  versündigt  habe, 
der  ihn  aus  so  vielen  Gefahren  so  wunderbar  errettet  hätte, 
und  ermahnt  ihn,  nicht  dessen  gerechte  Gerichte  auf  sein 
Haupt  zu  laden,  die  ihn  leicht  als  ein  warnendes  Beispiel  für 
künftige  Generationen  hinstellen  und  zeitlich  und  ewig  zu 
Grunde  richten  könnten;  schlage  der  König  diese  Mahnung 
in  den  Wind,  so  würde  er  (Burnet)  einst  am  grossen  Tage 
des  Gerichtes  Zeugniss  gegen  ihn  ablegen.  Wenn  schon  Carl 
seinen  Unwillen  über  diesen  Brief  für  den  Augenblick  ver- 
barg, so  merkte  doch  Burnet  die  zunehmende  Ungunst  des 
Hofes  und  zog  sich  zurück,  um  sich  keiner  Verfolgung  aus- 
zusetzen. Als  aber  einige  Zeit  nachher  das  sogenannte  fiye« 
bouse-Gomplot  entdeckt  wurde  und  dem  Hofe  Gelegenheit 
gab,  sich  der  einflussreicfasten  Häupter  der  protestantischen 
Opposition  zu  entledigen,  kam  auch  Burnet  in  Gefahr.  Denn 
er  war  ein  vertrauter  Freund  des  Grafen  von  Essex  und  des 
Lord  Bussel,  wagte  es,  den  letztern  während  seiner  Gefan* 
genschaft  öfters  zu  besuchen,  und  war  ihm  sogar  bei  AbCfts- 
sung  seiner  letzten  Rede,  die  so  grosse  Sensation  im  Lande 
machte,  behülflich.  Nach  der  Hinrichtung  des  Lords  wurde 
daher  Burnet  mit  dem  nachherigen  Erzbischof  Tillotson  g4^ 
richtlich  vernommen,  und  wenn  gleich  nichts  auf  ihn  heraus* 
kam,  weil  er  zu  vorsichtig  war,  sich  in  ein  so  chimärisches 
Unternehmen  einzulassen,  so  schwebte  doch  dieselbe  Gefahr, 
die  Bussel  und  Sidney  traf,  über  allen  Häuptern  der  prote- 
stantischen Opposition,  was  Burnet  bewog,  sein  Vaterland 
auf  einige  Zeit  zu  verlassen  und  sich  nach  Paris  zu  begel)an 

28* 


436        lieber  (Ue  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

(1683).  -~  Eine  Predigt,  worin  er  den  Papismus  mit  einem 
Löwenrachen  verglich,  der  Alle  zu  verschlingen  drohe,  zog 
ihni  bald  nach  seiner  Rückkehr  den  Verlust  seiner  Pfarrstelle 
und  das  Verbot  zu,  je  wieder  in  London  zu  predigen,  wo- 
durch er  zu  guter  Zeit  aller  Verpflichtung  gegen  die  Regie- 
rung ledig  wurde,  und  daher  bei  der  Thronbesteigung  Ja- 
cobs IL  ohne  Anstoss  das  Reich  abermals  verlassen  konnte. 
Er  erneuerte  in  Frankreich  die  alte  Freundschaft  mit  mehren 
ausgezeichneten  Hugenotten,  wozu  auch  der  Marschall  Schora- 
burg  gehörte,  und  trat  dann  eine  Reise  nach  Rom  und  an- 
dern Städten  Italiens  an.  Das  letztere  wurde  ihm  yon  yieXen 
Seiten  widerrathen,  allein  er  war  so  fern  von  alier  Furcht, 
dass  ihn  nichts  von  seinem  Vorsatze  abbrachte^  und  dass  er 
sogar  in  der  Metropole  der  katholischen  Kirche  kühne  Aeus- 
serungen  über  die  „babylonische  Hure"  auszusprechen  wagte. 
—  In  Frankreich  und  der  Schweiz  glich  seine  Reise  einem 
Triumphzuge;  überall  bemühte  man  sich  ihn  zu  sehen  und 
selbst  von  hochgestellten  Katholiken  wurde  ihm  geschmei- 
chelt, in  der  eitlen  Hoffnung  ihn  flir  ihre  Sache  zu  gewinnen. 
Im  J.  1686  begab  er  sich  dann  in  die  Niederlande,  wo  er  bei 
Wilhelm  von  Oranien  und  seiner  Gemahlin  die  freundlichste 
Aufnahme  fand  und  bald  die  Seele  der  geheimen  Pläne  die- 
ses Fürsten  auf  den  englischen  Thron  wurde.  Rurnet  drang 
darauf,  die  Flotte  in  bessern  Stand  zu  setzen;  auf  seinen  Rath 
verwendeten  sich  Wilhelm  und  Maria  bei  Jacob  für  den  sus* 
pendirten  Rischof  von  London;  von  ihm  rührten  die  gehei- 
men Instructionen  her,  mit  denen  sich  Dyckvelt  nach  England 
begab;  und  die  Declarationen,  die  später  Wilhelm  bei  seiner 
Landung  verbreiten  Hess,  waren  von  Rurnet  theils  entworfen, 
theils  revidirt  worden.  In  diesen  Declarationen  wurde  zuerst 
nachgewiesen,  dass  die  Eingriffe  in  die  Verfassung  des  Staats 
und  der  Kirche  und  die  vereitelten  Versuche,  den  König  von 
diesem  frevelhaften  Reginnen  in  Güte  abzubringen,  die  Un- 
ternehmung des  Prinzen  und  seiner  Gemahlin,  als  der  näch- 
sten Erben,  rechtfertigten,  uud  dass  es  ihnen  nach  göttlichen 
und  menschlichen  Gesetzen  zustehe,  ihre  Rechte,  die  man 
ihnen  durch  einen  untergeschobenen  Erben   zu   entreissen 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  437 

trachte,  zu  wahren;  sodann  wurde  darin  der  Nation  die  Zu- 
sicherung gegeben,  dass  der  Prinz  die  gesetzliche  Ordnung 
in  Staat  und  Kirche  zurückführen  uhd  für  Erhaltung  der 
reinen  Religion  und  der  kirchlichen  Institutionen  des  Landes 
Sorge  tragen  würde.  —  Burnet  war  es  auch,  der  den  Prin- 
zen abhielt  in  die  Falle  zu  gehen,  die  ihm  Jacob  durch  den 
bekannten  Quäker  Penn  stellen  liess.  Dieser  nämlich  sollte 
das  Panier  einer  allgemeinen  Toleranz  aufpflanzen,  um  unter 
diesem  Schein  der  Humanität  und  Freisinnigkeit  die  Einwil- 
ligung des  Prinzen  in  die  Aufhebung  der  Testakte  zu  bewir- 
ken. Auf  Burnets  Rath  wies  aber  Wilhelm  diese  Anmuthung, 
die  ihm  bei  der  englischen  Nation  sehr  geschadet  hätte,  von 
sich,  mit  der  Bemerkung,  er  erkenne  zwar  den  hohen  Werth 
der  Toleranz  und  werde  dieselbe  stets  üben,  finde  aber,  dass 
die  Bestimmungen  der  Testakte  zur  Erhaltung  des  Protestan- 
tismus in  England  nothwendig  seien. 

Diese  Wirksamkeit  des  englischen  Historikers  entging 
dem  Hofe  in  London,  wo  er  ohnedies  wegen  seiner  Refor- 
mationsgeschichte übel  angeschrieben  stand,  nicht  lange,  und 
da  Burnet  zu  gleicher  Zeit  in  seinem  Reiseberichte  das  Elend 
der  Nationen,  die  unter  dem  niederdrückenden  Einflüsse  des 
Papismus  und  unter  der  Willkürherrschaft  absoluter  Fürsten 
ständen,  in  den  grellsten  Farben  und  auf  die  anschaulichste 
Weise  darstellte ,  und  dadurch  den  Bestrebungen  Jacobs  auf 
eine  sehr  fühlbare  Weise  entgegenwirkte,  so  brach  die  lange 
zurückgehaltene  Wuth  des  Königs  endlich  gegen  ihn  los.  Er 
verlangte  in  zwei  fulminanten  Briefen  an  seine  Tochter  die 
schleunige  Entfernung  Burnets  vom  Hofe,  und  schickte  sei- 
nem Gesandten  die  strenge  Weisung,  nicht  eher  wieder  mit 
der  holländischen  Regierung  in  Relation  zu  treten,  bis  dem 
treulosen  Schriftsteller  jeder  Besuch  bei  Hofe  untersagt  sei. 
Als  dies  aber  ohne  Wirkung  blieb,  und  die  Nachricht,  dass 
Burnet  im  Begriffe  stehe,  sich  mit  einer  reichen,  hochgebil- 
deten Dame  aus  einer  der  ersten  holländischen  Familien  zu 
vermählen,  seine  Widersacher  mit  Neid  erfüllte,  wurde  schnell 
eine  Klage  wegen  Hochverraths  in  England  gegen  ihn  an- 
hängig gemacht,  um  diese  Yerheirathung  zu  hintertreiben. 


438        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

Aber  ehe  noch  die  officielle  Kunde  bievon  nach  dem  Haag 
gelangte,  hatten  seine  Freunde  seine  Naturalisation  in  Hol-^ 
land  bewirkt,  so  dass  Burnet  das  Ansuchen,  in  sein  Vater- 
land zurückzukehren  um  sich  wegen  seiner  Anklage  zu  recht- 
fertigen, mit  der  Bemerkung  abwies,  er  sei  jetzt  den  verei- 
nigten Staaten  Tr^e  und  Gehorsam  schuldig,  nicht  aber  dem 
König  Yon  England.  Auf  dieses  hin  wurde  er  als  HochTer- 
räther  für  vogelfrei  (outlaw)  erklärt  und  bei  den  Generalstaa- 
ten, zufolge  eines  alten  Vertrags,  auf  seine  Auslieferung  an- 
getragen. Aber  weder  dieses  Begehren  noch  das  Verlangen 
ihn  des  Landes  zu  verweisen,  fand  bei  der  niederländischen 
Regierung  Gewährung.  Man  gab  zur  Antwort:  Burnet  sei 
durch  seine  Naturalisirung  ein  Glied  ihres  Staates  geworden 
und  könne  nicht  verbannt  werden;  wolle  der  König  aber  die 
gegen  ihn  vorliegenden  Klagepunkte  ihnen  mittheilen,  so  wä- 
ren sie  bereit,  den  Beschuldigten  vor  ihr  einheimisches  Ge- 
richt zu  stellen.  —  Der  englische  Hof  ging  darauf  nicht  ein, 
und  hofite  durch  gedungene  Mörder  sich  leichter  seines  Tod- 
feindes entledigen  zu  können ;  aber  er  war  von  Verrath  um- 
lauert und  Bumet  erhielt  daher  zur  rechten  Zeit  Warnung. 

Als  die  Revolution  glücklich  zu  Ende  gefuhrt  war,  und 
Wilhelm  und  Maria  sich  im  ruhigen  Besitze  des  Thrones  be- 
fanden, gehörte  Burnet  zu  den  einflussreichsten  Männern  in 
England  und  half  vornehmlich  die  neue  Ordnung  der  Dinge 
in  Kirche  und  Staat  begründen.  Bei  Besetzung  der  geistii«^ 
chen  Stellen  richtete  sich  die  neue  Regierung  besonders  nach 
seinem  Rathe  und  rühmlich  muss  man  anerkennen,  dass  er 
seinen  toleranten  Grundsätzen  so  viel  als  thunlich  treu  blieb» 
dass  er  die  gesetzlichen  Bestimmungen  gegen  die  eidverwei- 
gemden  Kleriker  nach  Kräften  zu  mildern  suchte,  dass  er  sich 
bemühte  Versöhnung  und  gegenseitiges  Vertrauen  zu  begrün- 
den, und  dass  er  namentlich  mit  der  grössten  Selbstentsa- 
gung von  seinem  Einflüsse  Gebrauch  machte.  Generositiit 
war  überhaupt  ein  Charakterzug  bei  Burnet.  Dies  hatte  er 
bei  seiner  ersten  Heirath  bewiesen,  als  er  auf  das  grosse  Ver- 
mögen seiner  Gattin  Margaretha  Kennedy,  einer  Tochter  des 
Grafen  von  Cassiiis«  förmlich  Verzicht  leistete,  und  bewies  m 


^ 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  439 

auch  jetzt,  wo  ihm  jede  kirchliche  Stelle  offen  stand  und  er 
nach  keiner  einzigen  trachtete.  Als  das  Bisthum  Salisburjr 
erledigt  wurde,  brachte  er  seiner  Gewohnheit  gemäss  einen 
seiner  Freunde  dafür  in  Vorschlag.  Aber  diesmal  antwortete 
ihm  der  König  mit  scheinbarer  Kälte :  ,»er  habe  schon  einen 
andern  ausersehen",  und  am  folgenden  Tage  erhielt  Burnet 
selbst  die  Ernennung  zu  dieser  Würde.  — 

Auf  diesem  Posten  wirkte  Burnet  bis  an  seinen  Tod  im 
J.  1715  thätig  und  erfolgreich  fiir  Kirche  und  Staat  lieber 
die  Vergangenheit  suchte  er  den  Schleier  der  Vergessenheit 
zu  ziehen  und  die  Wunden  der  Parteiung  zu  heilen;  gross- 
müthig  vergab  er  frühere  Kränkungen  und  feindselige  Gesin- 
nung, trug  keinem  seiner  Gegner  Groll  nach  und  rächte  sich 
an  Niemand  wegen  empfangener  Beleidigungen  Mit  Muth 
und  Consequenz  verfocht  er  im  Parlament  wie  bei  seiner 
Amtsführung  die  grosse  und  schöne  Idee  der  wahren  Tole- 
ranz, wie  er  früher  die  erheuchelte  verworfen  und  bekämpft 
hatte.  Er  suchte  die  Lage  der  eidweigernden  Geistlichen  (non- 
jurors)  so  viel  in  seinen  Kräften  stand,  zu  erleichtern  und 
hatte  Nachsicht  mit  dem  religiösen  Starrsinn  der  Dissenters, 
und  um  die  Gegner  der  englischen  Kirche  zu  vermindern, 
suchte  er  die  Mängel  und  Schlacken,  die  dem  Episcopalsy- 
stem  anklebten,  möglichst  zu  heben  und  namentlich  die  Geistr 
lichkeit,  die  so  viele  Blossen  zu  Angriffen  gab,  zu  grösserer 
Thätigkeit  und  zu  einem  religiösen  Lebenswandel  anzuhal- 
ten/) Er  selbst  konnte  als  Vorbild  eines  Predigers,  Seelsor- 
gers und  Administrators  gelten,  war  zu  jeder  Zeit  eine  Stütze 
und  Zuflucht  des  Bedrängten,  ein  Wohlthäter  der  Armen,  fiir 
deren  Versorgung  durch  Staatsanstalten  er  eifrig  wirkte,  und 
ein  musterhaflier  Haus-  und  Familienvater.  Ungeachtet  sei- 
ner vielen  Amtsgeschäfte  fand  er  immer  noch  Zeit  für  scbrift- 
stellerische  Arbeiten,  unter  denen  besonders  eine  Abhandlung 
über  die  39  Artikel   der  englischen  Kirche  und   die  Ge- 

*)  Die  sich  zu  diesen  Ansichten  von  Verträglichkeit  und  Milde 
bekannten  nannte  man  in  der  Folge  die  low-church-party,  im  Ge- 
gensatz zu  den  starren,  exclusivea  Episcopalen,  die  man  die  high- 
church-men  nennt 


440        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

schichte  seiner  Zeit,  die  sein  Sohn  nach  seinem  Tode 
als  nachgelassenes  Werk  herausgab,  die  wichtigsten  sind.  — 

Burnet  kann  als  einer  der  glücklichsten  Sterblichen  an* 
gesehen  werden,  was  gewiss  viel  sagen  will  bei  einem  Manne, 
der  in  einer  bewegten  Zeit  lebte  und  handelnd  in  die  gros- 
sen Ereignisse  der  Weltgeschichte  eingriff.  Dieses  Glück  be- 
ruhte übrigens  lediglich  auf  der  Beschaffenheit  seines  Geistes 
und  seiner  Seele,  auf  der  richtigen  Entfernung  von  allen  Ex- 
tremen und  Schwindeleien  und  auf  dem  klaren  Erkennen 
dessen,  was  der  Nation  fromme.  Ein  heller  Kopf,  eine  gross- 
müthige,  von  kleinen  Fehlem  und  Untugenden,  wie  von  hef- 
tigen Leidenschaften  freie  Seele,  ein  begabter  Geist,  waren 
Eigenschaften,  die,  verbunden  mit  Patriotismus,  mit  religiöser 
Ueberzeugungstreue  ohne  Fanatismus,  und  mit  Tendenzen, 
die  in  dem  Herzen  des  Volkes  ihre  Wurzeln  hatten,  natür- 
Hcherweise  des  äussern  Erfolgs  nicht  ermangeln  konnten. 
Bumet  war  glücklich  in  der  Ehe,  glücklich  in  der  Wahl  sei- 
ner Freunde  und  glücklich  in  seiner  literarischen  Thatigkeit 
wie  bei  der  Ausftibrung  seiner  Berufsgeschüfte.  Die  Geburt 
hatte  ihm  eine  Stellung  angewiesen,  die  von  Neid  und  von 
Sorgen  gleich  entfernt  war,  und  nie  störten  Zweifel  und  Kämpfe 
zwischen  seiner  innern  Ueberzeugung  und  dem  was  er  äus- 
serlich  in  Religion  und  Politik  bekannte ,  die  Ruhe  seiner 
Seele.  Auf  welcher  Seite  er  kämpfte,  da  war  stets  der  Sieg; 
und  noch  kurz  vor  seinem  Tode  hatte  er  die  Freude  das 
Haus  Hannover,  dessen  Ansprüche  auf  den  britischen  Thron 
er  lange  mit  Eifer  unterstützt  hatte,*}  zur  Regierung  ia  Eng- 
land gelangen  zu  sehen. 

Einen  Gegensatz  zu  Burnet  in  Ansichten,  Tendenzen  und 
Schicksalen  bildet  Je  rem  ias  Collier  (1650—1726),  ein  Mann, 
dessen  Ueberzeugungstreue,  auch  wenn  man  seine  Grund- 
sätze verwerflich  findet,  doch  alle  Achtung  verdient.  Collier, 
derJSohn  eines  englischen  Geistlichen,  widmete  sich  dem  Be*- 
rufe  seines  Vaters  und  bekleidete  unter  Carl  IJ.  und  Jacob  H. 


*)  Vgl.  zwei  Briefe  der  Churfürstin  Sophia  von  Hannover  d.  d. 
Hermhausen  1701  in  Buruets  Leben  von  seinem  Sohn. 


Gebiete  der  Kircliengetchichte  Englands,  441 

einige  untergeordnete  kirchliche  Aemter,  bis  die  Revolution 
von  1688  seiner  Wirksamkeit  als  Geistlicher  ein  Ende  machte 
und  seine  Laufbahn  durchbrach.  Da  er  nämlich  ein  strenger 
Verfechter  des  leidenden  Gehorsams  war  und  jeden  Wider- 
stand gegen  das  legitime  Herrscherhaus  als  frevelhaft  ansah, 
so  blieb  er  dem  vertriebenen  König  treu  und  verweigerte 
der  neuen  Regierung  den  Huldigungseid ,  weil  er  dadurch 
seine  Zufriedenheit  mit  dem  bestehenden  Zustande  zu  erken- 
nen gegeben  und  ein  Ereigniss  gebilligt  hätte,  das  er  von 
Grund  seiner  Seele  als  sündhaft  und  gottlos  verdammte.  Die 
nächste  Folge  davon  war,  dass  er  als  eidweigemder  Wider- 
spenstiger seines  Kirchenamtes  entsetzt  und  dadurch  in  der 
feindseligen  Stimmung  gegen  die  Regierung  verhärtet  und 
erhalten  wurde.  —  Um  diese  Zeit  gab  es  unter  der  englischen 
Geistlichkeit  hauptsächlich  drei  Parteien:  die  Einen,  die  un- 
ter Jacob  H.  die  Opposition  gebildet  hatten,  fügten  sich  mit 
Freuden  der  neuen  Ordnung  der  Dinge,^zu  deren  Herbeifüh- 
rung sie  wesentlich  beigetragen  hatten,  leisteten  der  Obrig- 
keit de  facto,  von  welcher  allein  die  Bibel  spreche,  unbedenk- 
lich den  Huldigungseid  und  wurden  bei  Besetzung  vacanter 
Pfründen  vorzugsweise  bedacht.  Die  zweite  Klasse  missbil- 
ligte im  Innern  die  Revolution  und  den  Grui^dsatz  der  Selbst- 
hülfe und  war  von  der  bindenden  Kraft  des  dem  vertriebenen 
König  geleisteten  Eides  überzeugt;  —  allein  zeitliche  Yor- 
theile,  Mangel  an  Charakterstärke,  ängstliche  Sorge  für  ihren 
künftigen  Unterhalt  und  so  manche  andere  Motive,  an  die 
sich  der  Schwache  klammert,  wenn  er  ein  nach  seiner  An- 
sicht mit  Ungerechtigkeit  gepaartes  Gut  ergreifen  und  die  mit 
Gefahr  verbundene  gerechte  Sache  fahren  lassen  will,  bewo- 
gen Viele,  den  vorgeschriebenen  Eid  zu  leisten  und  sich  durch 
sophistische  Deutungen  und  casuistische  Glauseln  durchzu- 
winden, zum  grossen  Nachtheil  der  Sittlichkeit  und  der  Ehr- 
furcht vor  dem  Eide.  Die  dritte  Klasse  endlich  sah  die  Lehre 
vom  passiven  Gehorsam  und  der  Unerlaubtheit  jedes  Wider- 
standes für  einen  wesentlichen  Bestandtheil  der  englischen 
Kirche  an,  weigerte  sich  die  neue  Regierung  durch  den  ge- 
forderten Huldigungseid,  der  mit  dem  unter  der  vorhergehen- 


442        lieber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

den  Regierung  geleisteten  in  Widerspruch  stand,  anznerken- 
nen  und  hielt  es  iür  ihre  Pflicht,  aus  allen  Kräften  die  Rück- 
kehr des  vertriebenen  Königs  zu  bewirken.  Diese  letztere 
Partei,  die  man  Non- Jurors  oder  Jacobiten  nannte,  und  zu 
denen  Collier  gehörte,  verfocht  ihre  Ansichten  besonders  ei-* 
frig  durch  die  Presse  und  stellte  die  Grunde  ihrer  Gegner, 
und  namentlich  die  Sophistereien  der  aus  Schwachheit  oder 
äussern  Rücksichten  sich  accommodirenden  Kleriker  in  ihrer 
ganzen  Blosse  dar,  indem  sie  mit  Gonsequenz  die  Theorie 
vom  leidenden  Gehorsam  durchführte  und  die  Worte  der  hei-- 
ligen  Schrift  zu  ihren  Gunsten  deutete.  Unter  den  Schriften 
dieser  Art  erregte  besonders  ein  Pan^phlet  von  Collier:  „the 
desertion  discussed'*  grosses  Aufsehen,  da  es  gegen  die  Grund-- 
Sätze  Bumets,  der  damals  bei  den  neuen  Machthabem  als 
Prophet  angesehen  wurde,  gerichtet  war.  Mehre  feindselig« 
Aeusserungen  gegen  die  Regierung  und  ihre  Anhänger,  die 
sich  darin  vorfanden^  gaben  Anstoss  und  hatten  seine  erste 
Verhaftung  und  Einsperrung  in  Newgate-prison  zur  Folge, 
aus  dem  er  jedoch  nach  einiger  Zeit  ohne  weitere  Procedur 
wieder  entlassen  wurde.  Als  er  aber  fortfuhr,  durch  feind- 
selige Schriften  die  Regierung  und  die  conformistische  Geist- 
lichkeit in  den  Augen  des  Volks  herunterzusetzen  und  eine 
Reise  nach  Kent  im  J.  1692  ihn  dem  Verdachte  einer  Cor- 
respondenz  mit  Jacob  II.  aussetzte,  wurde  er  zum  zweiten- 
mal verhaftet,  erkaufte  anfangs  seine  Freilassung  durch  eine 
Bürgschaft,  bereute  dann  aber  seine  Schwäche  und  übergab 
sich  selbst  wieder  dem  Gerichte.  Nach  einiget  Zeit  gelang 
es  jedoch  der  Verwendung  seiner  Freunde,  ihm  die  Freiheit 
wieder  zu  erwirken.  Allein  dies  alles  brach  weder  seinen 
Mnth  noch  seine  Ueberzeugungstreue.  Als  im  Jahre  1696  ein 
Complot  gegen  das  Leben  des  Königs  Wilhelm  entdeckt  wurde 
und  die  Richter  auf  ungenügende  und  unzuverlässige  Beweise 
hin  über  Sir  Will.  Perkins  und  Sir  John  Friend  das  Schul- 
dig aussprachen  und  sie  als  Hochverräther  zum  Tode  verur- 
theilten,  wagte  es  Collier  mit  zwei  andern  eidweigemden 
Geistlichen,  Snatt  und  Cook,  dieselben  auf  den  Richtplatz  za 
begleiten  und  sie  im  Angesichte  des  Volks  durdi  Auflegung 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  443 

der  Hände  von  der  Schuld  zu  absolviren.  Diese  öffentliche 
Demonstration  einer  feindseligen  Gesinnung  zog  neue  Ver«^ 
folgungen  über  Collier  und  seine  Gefährten  herab.  Das  Ge- 
richt entschied,  dass  sie  durch  diese  Handlung,  welche  die 
Verbrecher  yon  der  Sünde  lossprach  und  die  dadurch  er- 
wirkte Strafe  als  eine  ungerechte  darstellte,  das  hochverrä*^ 
thcrische  Unternehmen  derselben  gerechtfertigt  und  Andere 
zu  ahnlichem  Beginnen  aufgefordert  hätten,  liess  Snatt  und 
Cook  in  Newgate  einkerkern  und  erklarte  Collier,  der  sich 
verborgen  hielt  und  in  einer  neuen  Schrift  sein  Verfahren 
aus  dem  Beispiele  der  primitiven  Kirche  unter  heidnischer 
Obrigkeit  zu  vertheidigen  suchte,  für  schütz-  und  rechtlos 
(outlaw).  —  üebrigens  erregte  dieses  Ereigniss  so  grosse 
Aufmerksamkeit  unter  dem  Volke,  dass  die  Regierung  die 
zwei  Erzbischöfe  und  zwölf  Bischöfe  bewog,  eine  Declaration 
bekannt  zu  machen,  worin  sie  die  Absolution  durch  Hände- 
auflegen  ohne  vorausgegangene  Beichte  und  Sinnesänderung 
als  unerlaubt  verdammten,  und  ihren  Abscheu  gegen  das  fre- 
velhafte Unternehmen  der  beiden  Verurtheiiten  offen  ausspra« 
eben.  —  Unter  der  Regierung  der  Königin  Anna  wurden  ver- 
schiedene Versuche  gemacht,  Collier  zu  versöhnen  und  in  ein 
actives  Glied  der  Kirche  umzuwandeln;  allein  er  verharrte  in 
seinem  Trotze  und  bewahrte  seine  Anhänglichkeit  einem  Für- 
stenhause, das  einer  so  consequenten  Treue  durchaus  un- 
würdig war.  — 

Die  englische  Kirchengeschichte,  wovon  im  J.  1708  der 
erste  und  1714  der  zweite  Band  zu  London  in  Folio  erschien,*) 
ist  Colliers  bedeutendstes  Werk.  Dass  darin  aber  nicht  eine 
unparteiische  und  vorurtheilsfreie  Darstellung  der  kirchlichen 
Ereignisse  zu  suchen  sei,  sondern  vielmehr  eine  nach  sub- 
jectiven  Tendenzen  und  Ansichten  gemodelte  Geschichte,  lässt 
sich  schon  aus  dem  obigen  Abrisse  seines  Lebens  erwarten« 


*)  Au  ecclesiasticai  history  of  Great-Britain,  cbicfly  of  England, 
from  the  first  planting  of  Ghristianity,  to  the  End  of  the  reign  of 
King  Charles  II.  cet.  first  volume  comes  down  to  the  End  of  the 
reign  of  King  Henry  Vit  second  vol.  beginning  at  the  reign  of 
Henry  VIR.  and  oontlnued  to  the  death  of  King  Charles  11. 


444        Ueber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

Ef  will  zwar  für  einen  episcopaien  Protestanten  gelten,  der 
sich  bei  der  Darstellung  der  Reformation  „weder  zu  viel  Frei- 
heit gegen  die  Todten  erlaube,  noch  sich  zu  sehr  einschüch- 
tern lasse  durch  die  Lebenden 'S  steht  aber  ganz  auf  katho- 
lischem, ja  man  kann  sagen  auf  römisch  -  hierarchischem 
Standpunkte,  sowohl  in  der  altern  Geschichte,  wo  er  Partei 
für  Anselm  von  Ganterbury  und  Thomas  v.  Becket  nimmt, 
als  in  der  spätem,  wo  er  Luther  einen  „Aufreizer  zu  bür- 
gerlicher Empörung  im  Reich''  nennt,  von  Galvin  sagt,  ^,er 
sei  ein  Feind  der  Gewissensfreiheit  und  jeder  Art  von  Mas- 
sigung  gewesen"  und  Knox  beschuldigt  „er  sei  mit  der  Bi- 
bel so  roh  umgegangen,  wie  mit  der  weltlichen  Obrigkeit, 
gegen  die  er  das  Volk  zur  Insurrection  aufgewiegelt  hätte." 
In  der  Darstellung  der  englischen  Reformation  verweilt  er 
mit  Vorliebe  bei  den  Schwächen  und  Inconsequenzen  Gran- 
mers,  hebt  mit  innerer  Befriedigung  die  Gharakterlosigkeit, 
Servilität  und  Selbstsucht  Gromwells  und  der  übrigen  Beför- 
derer der  kirchlichen  Neuerungen  hervor,  sieht  in  der  Auf- 
bebung d^r  Klöster,  die  er  lediglich  von  der  Habsucht  der 
königlichen  Rathgeber  ableitet,  den  Verfall  der  Wissenschaft 
und  der  Jugenderziehung  und  stellt  die  hingerichteten  katho- 
lischen Priester  als  Männer  von  Tugend,  Bildung  und  üeber- 
zeugungstreue  dar,  zu  deren  Untergang  man  erdichtete  Ver- 
schwörungen und  unerwiesene  Theilnafame  an  den  Insurrec- 
tionen  benutzt  hätte.  Gardiner  findet  in  Collier  einen  eifrigen 
Apologeten  und  König  Garl  IL  wird  als  ein  hochbegabter 
Regent  dargestellt,  der  zwar  in  seinem  Privatleben  einige 
Schwächen  bewiesen,  aber  die  Factionen  mit  kräftiger  Hand 
niedergehalten  und  bezwungen  habe.  —  Seine  Ansichten  und 
Urtheile  über  Personen  und  Ereignisse  werden  von  dem  ka- 
tholischen Historiker  Lingard,  der  auf  Colliers  Schultern 
steht,  im  Wesentlichen  getheilt  und  können  aus  diesem  ta- 
lentvollen Schriftsteller  am  besten  erkannt  werden.  Beide  lie- 
fern den  Beweis,  dass  mit  Ruhe  und  Mässigung  in  der  Dar- 
stellung, Tugend  und  Ueberzeugungstreue,  Begeisterung  und 
Sinnesadel  leichter  bekrittelt,  bezweifelt  und  um  die  allge- 
meine Bewunderung  und  Anerkennung  gebracht  werden  kön- 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  445 

nen,  als  durch  grobe  Verleumdung  und  zelotisches  Schimpfen. 
Wenn  das  Hohe  und  Edle  durch  heimtückische  Bemerkun- 
gen seiner  Blume  beraubt  und  in  den  Staub  gezogen  ist^  so 
sinkt  sein  Werk  in  die  gewöhnliche  Beihe  menschlicher  Tha- 
ten  und  der  Glanz  der  Poesie  und  die  Glorie  eines  höhern 
Ursprungs  fällt  wurzellos  zu  Boden.  Um  die  Beformation,  in 
deren  grossartigen  Folgen  mancher  vielleicht  die  Hand  Got- 
tes erkennen  möchte,  in  das  Bereich  der  Alltäglichkeit  her- 
abzuziehen^ bestreben  sich  gewisse  Leute^  die  sonst  für  gött- 
liche Einwirkungen  in  kleinen  Dingen  einen  sehr  gläubigen 
Sinn  haben,  dieses  Ereigniss  lediglich  von  einigen  unruhigen, 
malcontenten  Männern  herzuleiten,  in  denen  sich  dann  mo- 
ralische Fehler,  Schwachheiten,  Leidenschaften  und  sündhafte 
Gelüste  als  Motive  ihrer  Handlungen  leicht  auffinden  lassen. 
Haben  sie  so  den  Boden  der  Beformation  für  steril  und  die 
Wurzel  für  faul  erklärt,  so  fragen  sie,  wie  daraus  gute  Früchte 
entstehen  könnten,  und  weisen  auf  den  Baum  der  altern 
Kirche  hin,  dessen  Früchte  sie  als  gesunde  anpreisen,  weil 
die  Wurzeln  keine  solche  Gebrechen  an  sich  trügen,  verges- 
sen aber  dabei,  dass  der  Protestantismus  die  alten  Wurzeln 
unangetastet  liess  und  nur  das  üppige  Beiwerk  und  die  Scbma- 
rozerpflanzen ,  die  dem  Baum  und  seinen  Früchten  den  Un- 
tergang drohten,  abschnitt.  —  Ein  Bau,  dessen  Säulen  Yer- 
kleinerungssucht,  Splitterrichterei,  Bosheit  und  Verleumdung 
sind,  kann  nur  den  Schwachen  und  Urtheilslosen  bestechen 
und  täuschen;  das  gesunde  Auge  der  Kräftigen  im  Volke 
durchschaut  die  Bisse  und  die  morsche  Basis  und  lässt  sich 
durch  den  äussern  Firniss  nicht  bestechen.  — 

Hiermit  wäre  unsere  Aufgabe  gelöst,  bei  der  wir,  wie 
Anfangs  erwähnt,  den  doppelten  Zweck  hatten,  einen  kleinen 
Beitrag  zur  Aufhellung  der  englischen  Kirchengeschichte  zu 
liefern  und  dann  historisch  nachzuweisen,  dass  alle  Versuche 
die  römische  Kirche  in  Britannien  wieder  in  die  Höhe  zu 
bringen,  stets  an  dem  durchaus  protestantischen  Sinne  des 
Volks  gescheitert  sind,  woraus  der  Schluss  gezogen  werden 
darf,  dass  die  Bestrebungen  der  heutigen  Puseyiten  ebenso 
erfolglos  in  sich  selbst  zerüallen  werden,  wie  die  ähnlichen 


446        Ueber  die  Leistungen  der  Engländer  auf  dem 

des  siebenzehnten  Jahrhunderts.  Die  Hoffnungen,  die  unlängst 
der  Cardinal  Pacca  aussprach  (AUgem.  Zeitung,  Sept.  1843. 
No.  258):  „Segnet  der  Herr  fort  und  fort  den  Eifer  und  die 
Arbeiten  unsers  Klerus  in  England,  so  wird  man  die  prote- 
stantischen Prediger  bald  von  dem  grössten  Theil  ihrer  Heerde 
verlassen  sehen ^S  wagen  wir  daher  dreist,  gestützt  auf  die 
Vorgänge  der  Geschichte,  als  illusorisch  zu  bezeichnen.  Es 
steht  nicht  mehr  in  der  Macht  eines  Fürsten  oder  einiger 
weniger  Menschen,  eine  Kirche  zur  Herrschaft  zu  erheben, 
die  nicht  in  dem  Herzen  des  Volks  wurzelt.  Dass  aber  in 
dem  englischen  Volke  das  protestantische  Element  durchaus 
dominirt,  beweist  die  Geschichte  der  drei  letzten  Jahrhun- 
derte und  beweisen  die  heissen  Kämpfe,  in  denen  es  sein 
Herzblut  vergoss,  um  nicht  von  Neuem  in  das  Joch  des  „pa- 
pistischen Aberglaubens'*  geschmiedet  zu  werden.  Ja  wir 
(^uben  sogar  behaupten  zu  dürfen,  dass  die  grosse  Masse 
des  Volks  eigentlich  dem  Galvinismus  zusteuerte,  dass  es  sich 
die  anglicanische  Kirche  nur  darum  gefallen  Hess,  weil  es 
nicht  in  seiner  Macht  stand,  eine  vollkommene  Reformation 
zu  erstreben,  und  dass  es  sich  nur  darum  unter  die  Fahne 
der  Episcopalkirche  stellte,  weil  sonst  die  bevorzugten  Stände, 
die  alle  Ursache  hatten  mit  dieser  halben  Reform  zufrieden 
zu  sein,  sich  nicht  mit  ihm  gegen  den  Papismus  vereinigt 
hätten.  Das  englische  Volk  verfocht  also  die  Sache  der  bi- 
schöflichen Hochkirche  bloss  deswegen,  weil  sie  zugleich  die 
Sache  des  Protestantismus  war,  zeigte  aber  sowohl  zur  Zeit 
der  Revolution,  wo  die  Volksgrundsätze  die  Oberhand  be- 
kamen, als  später  durch  Sektenwesen  und  Separatismus,  dass 
es  gegen  die  anglicanische  Kirche  eine  innere  Abneigung  habe, 
dass  es  sich  derselben  nur  eben  so  füge  wie  dem  Regimente 
der  Landesaristokratie,  für  welche  diese  Kirche  zunächst  ge- 
schaffen ist,  und  dass  es  sich  bisher  bloss  darum  zu  ihr  ge- 
halten habe,  weil  dadurch  dem  grössern  üebel,  dem  Papis- 
mus, der  Eingang  verwehrt  wurde.  Unser  Prognostiken  lautet 
also  etwas  verschieden  von  dem  des  obenerwähnten  Gardi- 
nals.  Wir  sagen  nämlich:  Wenn  die  englische  Landeskirche, 
die  nicht  in  der  grossen  Masse  der  Nation,  sondern  nur  in 


Gebiete  der  Kirchengeschichte  Englands.  447 

den  obern  Regionen  ihren  Halt  hat,  zu  Grunde  gebt,  so  wird 
sofort  nicht  der  Katholicismus  zur  Herrschaft  gelangen,  son* 
dern  der  Galvinismus,  grade  wie  wenn  durch  eine  Revolution 
die  gegenwärtige  politische  Verfassung  Englands  untergehen 
sollte,  nicht  ein  Uebergang  zum  Absolutismus,  sondern  zum 
Demokratismus  erfolgen  würde.  —  Nicht  die  Theorien  eini- 
ger Theologen,  nicht  der  affectirte  Enthusiasmus  für  Mittel- 
alter und  Kunst,  der  sich  in  einigen  Axistokratenfamilien  kund 
giebt,  können  für  die  Zukunft  der  englischen  Kirche  maass- 
gebend  sein,  sondern  die  Richtung  des  Volks,  das  sich  in 
demselben  Grade  immer  mehr  von  der  Landeskirche  separirt 
und  in  demokratischen  Sekten  seine  Befriedigung  sucht,  wie 
die  Träger  des  Episcopalsystems  sich  dem  römischen  Papis- 
mus  nähern.  — 

Heidelberg  am  letzten  September  1843. 

Dr.  George  Weber. 


Das  ü^endenland  unter  liOthar  dem  Sach- 
sen« nacli  P.  Jaffö's  Darstellnng-. 


JaflK's  vor  Kurzem  erschienene  Geschichte  des  Deutschen 
Reiches  unter  Lothar  dem  Sachsen  handelt  begreiflich  auch 
von  dem,  was  in  der  Zeit  im  Wendenlande  geschah.  Ich  un- 
terwerfe diesen  Theil  der  genannten  Schrift  einer  eigenen 
Kritik,  weil  der  Gegenstand  mir  im  Detail  bekannt  ist,  und 
weil  der  Verf.  meine  Wendischen  Geschichten  auf  mehren 
Punkten  angreift,  wo  ich  nicht  weichen  kann. 

Die  Erzählung  der  hierher  gehörigen  Begebenheiten  geht, 
wie  es  in  den  Kaiser-  und  Beichsgeschichten  zu  geschehen 
pflegt,  schattenhaft  genug  an  dem  Leser  vorüber;  sie  ist  durch- 
weg als  Nebensache  behandelt.  Aber  Noten  und  Beilagen, 
welche  die  Erzählung  begleiten,  lassen  sich  auf  specielle  Un- 
tersuchungen ein.  Diese  berühren  theils  Thatsachen,  theils 
Zeitbestimmungen.    Erstere  am  wenigsten. 

Der  Abodritenfiirst  Heinrich  hatte  vorher  gesagt,  sein 
Geschlecht  werde  bald  aussterben.  So  berichtet  Helmold  [L 
48).  Herr  Jaff)^  findet  darin  (S.  107.  Anm.  8)  eine  Bestätigung 
der  in  den  Wendischen  Geschichten  (Bd.  TL  S.  20S)  als  ein 
ungegründetes  Gerücht  bezeichneten  Angabe  Saxo's,  der  Abo- 
drite  habe  mit  Uebergehung  seiner  eigenen,  von  ihm  für  un- 
fähig erachteten  Söhne  den  würdigeren  Schleswiger  Herzog 
Knud  La  ward  zu  seinem  Erben  ernannt,  was  dieser  nach 
langer  Weigerung  angenommen.  Aber  einen  Anspruch  hat 
Knud  nach  Heinrichs  Tode  nicht  erhoben;  es  ist  also  anzu-» 
nehmen,  dass  auch  ein  rechtskräftiger  Erbvertrag  nicht  ge- 


Das  Wtndmbmd  unter  Loihdr  dem  Sacheen  etc.     449 

ftoUossen.*]  Was  die  Fürsten  im  Privatgespräch  verbandelt 
haben,  was  sie  gewünscht,  erwartet,  gebofift,  meldet  die  Ge*^ 
schichte  nicht,  es  kommt  auch  auf  den  unwirklich  gebliebe- 
nen Willen  nicht  an,  sondern  auf  die  That. 

Broder  Boissen,  der  Yerf.  einer  Schleswiger  Chronik, 
fand  in  einer  Sammlung  Danischer  Lieder  (Liber  cantilena- 
rum  Danicarum  ist  der  Ausdruck  des  Chronisten)  den  7.  Ja- 
nuar als  den  Todestag  des  Rnud  Laward  angegeben  (Mencken 
Script,  rer.  Germ.  T.  III.  p.  580).  Denselben  Tag  nennt  auch 
die  Knytiingersage.  Daraus  schliesst  Herr  Jaffi§  (S.  108.  Anm. 
10),  diese  sei  einerlei  mit  dem  Buche,  dessen  Boissen  gedenkt 
Der  Einfall  ist  nicht  besonders  glücklich.  Ein  in  Isländischer 
Sprache^  in  Prosa  verfasstes  Geschichtsbuch  kann  unmöglich 
ein  Dänisches  Liederbuch  genannt  werden. 

Die  Wendischen  Geschichten  (B.  IL  S.  335. 336)  haben  als 
Hypothese  ausgesprochen,  in  dem  Vertrage,  den  der  Dänen- 
könig Niels  im  J.  1131  mit  dem  Könige  Lothar  schioss,  habe 
letzterer  dem  Sohne  des  erstem,  dem  Magnus,  der  den  Abo- 
dritenkönig  Knud  Laward  umgebracht  hatte,  das  erledigte 
Wendische  Gebiet  zu  Lehen  gegeben.  Saxo,  Helmold  und 
der  Sächsische  Annalist  sind  die  Gewährsmänner,  auf  welche 
dabei  Rücksicht  genommen.  Die  Bosower  Annalen  sind  nicht 
benutzt,  weil  was  sie  berichten**)  mit  der  Aussage  der  bei- 
den Hauptzeugeo»  des  Saxo  und  des  Helmold,  nicht  überein- 
stimmt. Nach  diesen  hat  nämlicb  Magnus,  der  Sohn  des  re^ 
gierenden  Dänenkönigs,  aber  niemals  selbst  regierender  Herr 

«)  Gleicher  Ansicht  ist  P.  E.  Müller  (Critisk  Undersögelse  af 
Saxos  Histories  syr  sidste  Böger.  S.  151). 

**)  Die  Worte  um  die  es  sich  hier  handelt,  lauten r  Lotharius 
contra  partes  easdem  (nach  Dänemark)  exercitum  movit:  cujus  ti- 
more  omnes  illius  gentis  velut  arena  maris  ad^rebellandam  in  unum 
coacti,  cum  ex  adverso  exercitum  regis  multo  licet  minorem,  lori- 
catum  conspiciunt,  divinitus  perterriti,  se  suaque  dedentes,  dextra$ 
petunt,  utque  rex  ipsorum  proprium  regnum  ah  ipso  et  ab  Omni- 
bus imperatoribus  suscipere  debeat,  constituunt,  et  ut  eidem  suo 
regi  idem  beneficium  impendere  dfgnetur,  humiliter  obsecrant.  Ann, 
Bosov.  113L 

Zeitichrift  f.  Gtacliiditeir.   1.    1844.  29 


460       Da$  Wendentand  unter  Lothar  dem  Sachsen, 

in  DKnemark,  dem  Lothar  selbst  die  Buldigang  geleistet/) 
Die  Worte  der  Bosower  Annalen  dagegen  können  gramma- 
tisch nichts  anders  heissen  als  dies:  die  Dänen  setzten  fest, 
ihr  König  (Niels)  solle  sein  Reich,  das  Dünische,  vom  lotfiar 
zu  Lehen  nehmen,  und  baten,  Lothar  möge  es  demselben  ih- 
rem Könige  zu  Lehen  reichen.  Herr  Jaffi&  hat  eine  andere 
Inteipretation  versucht  (S.  110.  Anm.  23.  94).  Darnach  soll 
„derselbe  ihr  König '^  den  Magnus  bezeichnen.  Mir  scheint, 
das  heisst  der  Sprache  viel  zumuthen.  Und  Helmold  und 
Saxo  kommen  auch  dabei  nicht  zu  ihrem  Recht;  nach  ihnen 
ist  Magnus  und  er  aHein  der  HuMigende,  also  auch  der  Be- 
lehnte; das  Lehn,  das  er  empfing,  kann  aber  Dänemark  nicht 
gewesen  sein,  denn  dies  war  in  der  Hand  seines  Vaiters;  es 
war  mithin  vermuthlich  das  Abodritenreich,  welches  durch 
den  Tod  des  Knud  eriedigt  worden.  Das  Widersinnige,  das 
mein  Gegner  darin  findet,  wenn  Lotibat  auszog  Knud's  Tod 
zu  rädien  und  doch  dessen  Mörder  mit  dem  Reich  des  Ge- 
mordeten beschenkte,  vermag  ich  nicht  zu  erkennen.  Was 
geschah,  war  den  Rechtsvorstellungen  der  Zeit  vollkommen 
gemüiss.  Magnus  hatte  den  Knud,  Lothars  Lehnsmann,  in 
Seeland  ersdilagen.  Dafiir  wur  er  nach  Erichs  Se<eUindischem 
Recht  dem  Deutschen  Könige  zu  einer  Busse  von  46  Mark 
verpfliditet  (K^Merup  Rosenvinge  Dänische  Rechtsgeschichte 
übersetzt  von  Homeyer.  S.  66).  Er  zahKe  das  Hundertfache, 
4000  Mark.  Damit  war  der  Todtsehlag  rechtlich  gesühnt,  und 
einer  weitem  Vereinbarung  Lothars  mit  Magnus,  der  Auf- 
nahme des  Letztern  unter  die  Lehnsträger  des  Erstem  stand 
nichts  im  Wege. 

Tiefer  greifend  als  diese  Streitfragen,  Welche  das  Fac- 
tische  berühren,  sind  die  chronologischen.  Es  sind  deren  fion^ 
drei  unter  sich  tag  verbunden,  zwei  isölirte. 

Ton  den  letztem  betrifil  die  eine  Otto's  vofo  Bamberg 
zweite  Missionsreise  nach  Pommern,  die  andere  den  Aufstand 
der  Magdeburger  gegen  den  Erzbischof  Norbert 


*)  ut  Magnus  Romani  imperii  mililem  ageret  sagt  Saxo.  Ebenso 
Helmold  vom  Magnus:  homfnio  impunitatem  adeptus  est. 


j 


naph  P.  Jaff6\$  Darstellung.  45t 

Die  Wanderung  des  Bischofes  setzt  Herr  Jaff^  mit  Us- 
sermann  und  auf  dessen  Argumente  gestützt  in  das  J.  1127. 
Aus  Sefrids  Angaben,  meiot  er,  lasse  sich  die  Zeit  nicht  mit 
Sicherheit  entnehmen  (S.  67. 269).  Die  Wendischen  Geschieh* 
ten  (Bd.  II.  S.  307)  haben  zu  zeigen  gesucht,  dass  dem  nicht 
so  ist:  Sefrid  giebt  das  Jahr  1128.  Doch  könnte  der  Bio- 
graph geirrt  haben.  Das  eine  cter  dafiir  Yorgebrachten  Argu* 
mente,  das  aus  Ebbe  entnommene,  überzeugt  noch  nicht.  Was 
£bbo  berichtet,  lässt  sich  mit  den  Angaben  Sefrids  und  des 
Heiligenkreuzer  Ungenannten  noch  inuner  vereinigen  (Wen« 
dtsche  Geschichten  B.  II.  S.  302).  Dagegen  würde  der  Brief 
des  Abtes  Wigand,  den  Andreas,  in  die  ErzSUung  der  ersten 
Reise  Otto's  eingeflochten,  enthält  (Andr.  Jasch.  II.  16.  Andr. 
Grets.  IL  43),  unbedingt  inr  üssermann's  Meinung  entscheid 
den,  wenn  nachgewiesen  w«ure,  dass  der  hier  erwäinte  „Ty- 
rann Konrad''  der  Hohenstaufe  Konrad  ist.  Denn  dieser  war, 
als  Otto  zum  ersten  Male  nach  Pommern  ging,  noch  nicht 
im  Besitz  von  Nürnberg.  Er  nahm  die  Veste  als  Erbtheil  in 
Anspruch,  meldet  Otto  Ton  Freisingen  (De  gestis  Frid.  1. 16), 
mithin  «rsl  nach  detn  Tode  Heinrichs  V.,  da  der  Bischof  von 
Bamberg  sdion  wieder  daheim  war.  Wigands  Brief  müsste 
dann  in  die  Zeit  der  zweiten  Missionsreise  gehören,  diese 
aber  wäre  nicht  in  das  Jahr  1128  zu  s^en,  denn  damals 
hielt  sich  Konrad  in  Italien  auf.  Die  Angriffe  auf  das  Bam- 
berger Bisthiim,  deren  das  Schreiben  gedenkt,  müssten  dann 
mit  den  Kämpfen  zusammenfallen,  welche  die  Bosower  An- 
nalen  und  andere  beim  Jahre  1127  erzählen.  So  lange  aber 
noch  nidht  feststeht,  dass  der  Tyrann  der  Hohenstaufe  ist, 
wird  die  Chronologie  Sefrids  und  des  Heiligenkreuzer  Unge- 
nannien  in  Kraft  bleiben,  und  das  nm  so  mehr,  da  der  Brief 
Wigands  m  Jer  Stelle,  wo  er  sich  fiiidet,  nicht  erst  im  fünf- 
zehnten Jahrhundert  durdb  Andreas  eingeschaltet  ist,  sond^n 
bereits  durch  Ebbo,  vor  dem  Jahre  1163,  wie  Kleropin  neuer- 
dings gezeigt  bat.*) 

*)  Ballische  Studien  IX.  H.  1,  S.  32.  87.  Das  Jahr  1163,  als  Toj 
desjahr  des  Ebbo^  giebt  Jack  (Beschreibung  der  Bibliothek  zu  Bam- 
berg. II.  S.  XI.),  aus  einem  handschriftlichen  Nekrolog. 

29* 


452        J><i9  Wendenland  unier  Lothar  dem  Sachsen, 

Dem  AafstaDd  der  Magdeburger  gegen  den  Norbert  giebt 
Herr  Jaff6  seine  Stelle  im  Jahr  1129  und  beruft  sich  dabei 
eben  sowohl  auf  den  Sächsischen  Chronographen  und  die 
Lauterberger  Chronik,  als  auf  die  Vita  Norberti  (S*  246).  Doch 
ist  die  letztere  nichts  weniger  als  im  Einklang  mit  den  bei- 
den ersten  und  dem  Sächsischen  Annalisten,  sie  ergiebt  viel- 
mehr, dass  der  Aufstand  in  das  Jahr  113jL  gehört  (Wendische 
Geschichten  B.  IL  S.  340.  341). 

Die  drei  zusammen  gehörigen  Zeitbestimmungen  bespricht 
Herr  Jaffi6  in  einer  eigenen  Beilage  (S.  232—235).  Es  han- 
delt sich  hier  zuerst  um  das  Todesjahr  des  Wendenfiirsteii 
Heinrich.  Als  solches  nennt  mein  Gegner  das  Jahr  1127»  die 
Wendischen  Geschichten  haben  das  Jahr  1119  angenommen. 
Die  Abweichung  ist  also  bedeutend  genug. 

Wie  ich  zu  meinem  Resultat  gelangt  bin,  liegt  am  Tage: 
ich  habe  mich  an  die  Angaben  Helmolds  gehalten.  Vicelin 
starb  am  12.  Dec.  1154,  nachdem  er  fünf  Jahre  und  neun 
Wochen  Bischof  gewesen  (Helm.  1. 78).  Vor  seiner  Erhebung 
zum  Bischof  hatte  er  bereits  30  Jahre  in  Holstein  gelebt 
(Helm.  L  69).  Der  Aufenthalt  in  Holstein  nahm  bald  nach  dem 
Tode  des  Fürsten  Heinrich  seinen  Anfang  (Helm.  I.  46.  47). 
Zwischen  Heinrichs  und  Yicelins  Tode  liegen  also  minde- 
stens 35  Jahre  und  9  Wochen  d.  h.  Heinrich  kann  nicht  nach 
dem  11.  October  1119  gestorben  sein.  Die  Chronologie  der 
Wendischen  Geschichten  ist^  demnach  die  des  Helmold. 

Herr  Jaff6  schlägt  einen  andern  Weg  ein.  „Das  von  Got- 
schalk  begründete  Wendische  Reich  Slavien  —  äussert  er 
(S.  4)  — ,  welches  sich  längs  der  Ostsee  von  Holstein  ösüich 
bis  zur  Peene  erstreckte  und  die  Stämme  der  Wagrier,  Po- 
laber,  Obotriten,  Kissiner,  Circipaner  und  Ranen  umfasste, 
ward  jetzt  von  dem  Sohne  Gotschalks,  Heinrich,  beherrscht'' 
Als  Gewährsmann  für  die  hier  gegebene  Grenze  wird  Hel- 
mold (I.  36)  genannt  Aber  Helmold  begrenzt  yölbg  anders. 
Er  fügt  zu  den  genannten  Völkerschaften  noch  die  Luitizer, 
die  Pommern  und  alle  Nationen  der  Slaven  zwischen  der 
Elbe  und  dem  Baltischen  Meere  weithin  bis  an  das  Land  der 


nach  P.  Jaffi's  Darstellung.  453 

Polen/)  Die  Grenzbezeichnung  des  Chronisten  ist  also  um 
mehr  als  die  Hälfte  verkürzt  Ein  Grund,  warum  so  yerfah- 
ren,  findet  sich  nirgend  angegeben,  nicht  einmal  die  Anzeige, 
dass  so  verfahren.  Und  doch  liegt  am  Tage,  wie  schwer  die 
ausgelassenen  Worte  bei  der  Lösung  der  vorliegenden  Frage 
in  die  Wagschaale  fallen.  Mit  Helmold's  Chronologie  sind  sie 
sehr  wohl  im  Einklänge,  völlig  unvereinbar  aber  mit  der  An- 
nahme, Fürst  Heinrich,  der  Abodrite,  sei  erst  im  Jahre  1127 
gestorben.  Denn  bereits  1120  wurde  Pommern  von  der  Pol- 
nischen Grenze  an  bis  über  die  Oder,  im  folgenden  Jahre 
auch  das  Luitizerland  bis  in  die  Nähe  der  Müritz  dem  i^o- 
lenherzoge  Boleslav  unterthan  und  tributpflichtig;  drei  Jahre 
später  unternahm  Otto  von  Bamberg  seine  erste  Missionsreise 
auf  Polnischen  Antrieb  und  unter  Polnischem  Schutze:  Für^t 
Heinrich  hatte  damals  in  diesen  Gegenden  nichts  zu  gebieten. 

Indessen  mit  dem  Ignoriren  jener  von  Helmold  berich- 
teten Thatsachen  ist  das  gesuchte  Ziel  nicht  erreicht:  Herr 
Jaff6  muss  auch  die  Zeitbestimmungen  des  Chronisten  an- 
greifen. Er  setzt  Vicelin's  Aufenthalt  in  Holstein  vor  seiner 
Bischofsweihe  von  30  Jahren  auf  22  herab  und  meint,  bei 
den  vielen  Zahlenverstümmelungen  in  den  Urkunden  des  Mit- 
telalters werde  die  Hypothese  wohl  nicht  für  gewagt  zu  hal- 
ten sein  (S.  233). 

Und  warum  das  alles?  Um  zwei  von  Helmold  genannte 
Namen  zu  behaupten,  die  mit  der  bestimmt  ausgesprochenen 
Chronologie  desselben  unvereinbar  sind.  Die  an  jei^e  Namen 
geknüpften  Thatsachen  stehen,  ihrem  wesentlichen  Inhalte 
nach,  in  keinem  Widerspruch  mit  ihr. 

Vicelin  empfing  die  kirchliche  Priesterweihe,  bevor  er 
nach  Holstein  ging,  durch  den  Erzbischof  Norbert  von  Mag- 
deburg.  So  erzählt  Helmold  (1. 46).  Diese  Angabe  ist  von  den 


*)  Servieruntque  Ranorum  populi  Henrico  sub  tributo,  quem- 
admodum  Wagiri,  Polabi,  Obotriti,  Kycini,  Gircipani,  Luiici,  Pome- 
rani  et  universae  Slavorum  nationeS)  quae  sunt  iater  Albiam  et 
mare  Balticum  et  longissimo  tractu  portenduntur  usque  ad  terram 
Polonorum.  Super  omnes  hos  imperavit  Henricus,  vocatusque  est 
rex  in  omni  Slavorum  et  Nordalbingorum  provincia.  Helm.  1. 36. 


454        Das  Wendenland  unter  Lothar  dem  Sachsen^ 

Wendischen  Geschichten  als  theilweise  unrichtig  bezeichnet. 
Ihr  Argument  ist  aber  keinesweges^  wie  Herr  Jaff6  ihnen 
Schuld  giebty  die  Frage:  wozu  hätte  sich  Vicelin  ton  eineon 
andern  weihen  lassen,  als  dem  Bremer  Erzbischofe,  der  ihm 
geneigt  war,  in  dessen  Diöcese  er  lebte  and  als  Heidenbote 
lu  wirken  torbatte?  Mein  Buch  enthält  die  angeführten  Worte» 
doch  in  einem  ganz  andeni  Zusammenhange.  Dafür  dass  Nor- 
bert die  Geremonie  der  Priesterweihe  am  Vicelin  nicht  voll- 
zogen, ist  kein  anderer  Grund  geltend  gemacht,  als  der  am 
Tage  liegende  chronologische/]  Norbert  trat  sein  Amt  erst 
am  18.  Juli  1126  an,  nachdem,  Helmolds  anderweitigen  An- 
gaben zufolge,  Yicelin  bereits  nahe  an  sieben  Jahre  als  Prie- 
ster in  Holstein  gewirkt  hatte.  Da  nun  Norbert  nicht  der 
Consecrirende  war,  so  liegt  der  Neugier  die  Frage  nah,  wer 
es  gewesen.  Die  Wendischen  Geschichten  haben  geantwortet 
(Bd.  H.  S.  246):  „Yermuthlich''  Erzbischof  Friedrich.  Es  ist 
also  wiederum  unrichtig,  wenn  Herr  JaffiS  sagt:  Giesebrecht 
setzt  zuversichtlich  fiir  Norbert,  den  Erzbischof  von  Magde- 
burg, Friedrich,  den  Erzbischof  von  Bremen,  ein.  Nachdem 
einmal  dargethan,  dass  der  erstere  die  Weihe  nicht  vollzog, 
ist  so  wenig  mir,  als  der  Geschichte  überhaupt  viel  daran 
gelegen  zu  wissen,  wer  sie  vollzogen  hat.  Bei  weitem  mehr 
Wichtigkeit  hat  es,  zu  untersuchen,  wie  Helmold  zu  jenem 
Irrthum  gekommen,  da  er  seine  Nachrichten  von  Yicelin,  wenn 
nicht  alle,  doch  gewiss  zum  Theil  aus  dessen  eigenem  Munde 
vernommen  hat.  Ich  habe  nachzuweisen  gesucht  (Wendische 
Geschichten  B.  U.  S.  245] ,  dass  durch  Norberts  Beispiel  und 
die  von  ihm  angeregte  ascetische  Bewegung  Vicelin  allerdings 
die  innere  Weihe  zum  Priester  empfangen  hat,  dass  also  ih- 
rem wesentlichen  Inhalte  nach  die  Thatsache,  welche  Helr- 
mold  berichtet,  vollkommen  wahr  ist,  dass  aber  der  Chronist 
geirrt  hat,  indem  er  von  der  äussern  Geremonie  der  Weihe 
verstand,  was  in  einem  viel  tieferen  Sinne  gemeint  war. 


*)  Wendische  Geschichten  B.  IL  S.  246.  Anm.  1.  steht:  ,,Darch 
Norbert  gewiss  nicht,  wie  in  der  vorhergehenden  Note  ge* 
zeigt  ist.   Die  vorhergehende  Note  aber  steht  S.  245.  Anm.  1. 


nach  P.  Jaß's  Darstellung.  4a5 

Wie  durch  Norbert  zum  Prierter  geweiht,  so  wurde 
durch  den  firzbischof  Adalbero  Yicelin  nach  Holstein  geführt, 
berichtet  Helmold  (1. 47)  weiter.  Das  ist  ein  Irrthum,  erwie- 
dern  die  Wendischen  Geschichten  (fi.  IL  S. 246.  Anm. 2),  der 
aus  dem  ersten  hinsichth'ch  der  Ordination  Yicelins  geflossen 
ist;  Adalbero  gelangte  erst  im  J.  1123  zum  Hamburger  Er;*- 
Stift.  Za  verstehen  ist  also  allerdings  Adalbero's  Vorgänger 
Friedrich;  dass  aber  dieser  Name  statt  jenes  zu  lesen,  habe 
ich  nirgend  gesagt:  Herr  Jaff6  behauptet  das  mit  Unrecht  von 
mir  (S.  233).  Ich  verlange  keinen  Buchstaben  in  dem  Texte 
des  Helmold  geändert;  mein  Widerpart  ist  es,  der  die  Worte 
des  Chronisten,  seiner  Conjecturalkritik  gemäss,  umgestalten, 
duobus  et  viginti  annis  für  triginta  annis  setzen  will. 

Für  eine  so  leichte  Aenderung,  wie  Herr  JafTö  meint, 
lässt  sich  das  nicht  halten.  Unrichtige  Zeitangaben  Gnden 
sich  allerdings  in  den  geschichtlichen  Denkmälern  des  Mit- 
telalters j  wie  jeder  andern  Periode,  aber  eben  sowohl  un^ 
richtige  Angaben  der  Namen  und  der  Thatsachen.  Sämmt* 
liehe  drei  Unrichtigkeiten  sind  also  auch  im  Helmold  mög^ 
lieh.  Zeitangaben  und  Angaben  der  Thatsachen  des  Autors 
stimmen  aber,  wie  dargethan,  unter  sich  und  mit  andern 
glaubhaften  Berichterstattern  vollkommen  überein,  nicht  so 
die  Namen  und  nur  die  Namen,  denn  die  mit  ihnen  veiv 
knüpften  Thatsachen  bleiben  von  jenem  Zwiespalt  unberührt, 
die  ein^,  Yicelins  Einführung  in  Holstein  durch  den  Ham^ 
hurger  Erzbischof,  durchaus,  die  andere,  die  Priesterweiho 
Yicelins  durch  Norbert,  in  dem,  was  wesentlich  an  ihr  ist. 
Wo  hat  nun  die  Kritik  den  wirklichen  Irrthum  zu  suchen? 
Darf  sie  Thatsachen  ignoriren,  Zeitbestimmungen  ändern,  da- 
mit die  Namen  Recht  behalten,  oder  wird  sie  das  Yersehen 
auf  dieser  Seite  finden  und  dessen  Ursprung  aufdecken  wol- 
len? Das  ist  die  Alternative,  um  die  es  sich  handelt.  Ich 
habe  mich  für  das  Letztere  entschieden,  sehe  auch  in  dem, 
was  mir  eingewandt  worden,  keinen  Grund  von  meiner  An** 
sieht  abzugehen. 

Nächst  dem  Todesjahre  Heinrichs  wird  das  Todesjahr  des 
Hoisteiner  Grafen  Adolf  von  Scbauenburg  Jn  Frage  gestellt 


458       Das  WendenUmd  unter  Lothar  dem  Sachsen, 

er  Mch  dem  Waffenbandwerk  suge wendet  Dass  er  vor  dem 
Vater  gestorben,  dass  diesem  der  jüngere  Sobn  unmittelbar 
im  Grafenamt  gefolgt,  kann  nur  eine  befangene  Auslegung  in 
Helmolds  Worten  sucben  und  finden. 

Es  ist  somit  kein  Grund»  Lerbeke's  Nacbricbt  zu  ver- 
werfen. An  welchem  Tage  des  Jahres  1125  die  Kapelle  und 
der  Altar  des  heiligen  Paneratius  in  Schauenburg  eingeweiht 
wurden,  bleibt  zweifelhaft.  Nach  der  freilidb  nicht  immer  und 
nicht  Sngstlich  befolgten  kirchlichen  Sitte,  dergleichen  Hand- 
lungen an  dem  Tage  des  Heiligen  vorzunehmen »  dem  das 
Crebäude  als  Opfer  dargebracht  wurde,  lässt  sich  verm uthen» 
der  Tag  der  Kirchweihe  sei  der  12.  Mai  gewesen.  Die  letzte 
Thätigkeit  des  Grafen  Adolf,  die  sich  bestimmt  nachweisen 
lässt,  ist  dessen  Theilnahme  an  einem  Wendenkriege  Lothars 
zu  Gunsten  des  Svantipolk  in  der  letzten  Hälfte  des  Jahres 
1121.*)  Zwischen  dem  24.  Juni  1121  und»  wenn  die  oben  er- 
wähnte Vermuthung  Grund  hat,  dem  12.  Hai  1125  oder  spar 
testens  dem  31.  December  1125  muss  demnach  das  Todes- 
jahr des  Grafen  Adolf  liegen.  Das,  nach  Meiboms  Angabe, 
von  Manchen  angenommene  J.  1122  ist  nicht  verbürgt,  steht 
aber  gewiss  der  Wahrheit  bedeutend  näher,  als  die  Zeitbe- 
stimmung des  Ghronicon  Holsatiae. 

Eine  dritte  chronologische  Frage  schliesst  sich  der  eben 
besprochenen  an,  die,  wann  Knud  Laward  das  Abodriten- 
reich,  das  früher  Heinrich  besass,  \om  Lothar  empfangen. 
Bei  Lebzeiten  des  Holsteiner  Grafen  Adolf  L:  das  leidet,  nach 
Helmold  (L  53),  keinen  Zweifel.  Also,  nach  Lerbeke,  vor  1125. 

Dem  tritt  Herr  Jaff<§  entgegen  (S.  235).  Saxo,  meint  er, 
3etzt  das  fragliche  Ereigniss  in  die  Kaiserzeit  des  Lothar;  das 
ist  unrichtig,  man  muss  die  Königszeit  verstehen,  aber  nicht 
die  Zeit,  da  Lothar  erst  Herzog  war,  denn  die  Annales  Bar- 
tholiniani  geben  für  Knuds  Erhebung  zum  Wendenkönige  aus- 
drücklich das  Jahr  1128. 


*}  Ann.  Saxo  1131.  Heim.  I.  48.  Vergl.  Wendische  Geschichten 
Bv  11.  S.  215.  216.  Dass  der  Feldzug  nach  dem  24.  Juni  zu  setzen, 
^seigt  Jaff6  S.  17.  Anm.  49. 


nach  P.  Jaß's  Darstellung.  459 

Dabei  ist  nur  ausser  Acht  gelassen,  dass  die  Annaien, 
deren  Zeugniss  den  Ausschlag  geben  soll,  gar  nichts  bewei- 
sen können.  Schon  ihre  Name  deutet  an,  und  Langebek  hat 
es  in  der  Einleitung  zu  ihnen  eigens  bemerkt  (Langebek  Script, 
rer.  Danic.  T.  I.  p.334}:  sie  sind  eine  Arbeit  ganz  neuer  Zeit, 
Ton  dem  bekannten  Dänischen  Historiker  Thomas  Bartboh'n, 
am  Ende  des  siebenzehnten  Jahrhunderts  verfasst 

Woher  Bartholins  Angabe  stammt,  kann  nicht  zweifel- 
haft sein.  Die  Annaien  verweisen  mehrfach  auf  Hamsfort;  in 
dessen  Chronologie  (Langebek  Script,  rer.  Dan.  T.  L  p.  272} 
findet  sich  auch  wieder,  was  jene  beim  Jahre  1128  melden. 
Herr  Jaff^  hätte  also  besser  gethan,  sich  auf  diesen  alteren 
Gewährsmann  zu  berufen. 

Aber  auch  Hamsfort  gehört  erst  dem  Ende  des  sechzehn- 
ten Jahrhunderts  an.  Er  hat  freilich  aus  älteren,  zum  Theil 
sogar  aus  nicht  mehr  vorhandenen  Urkunden  und  andern 
Denkmälern  geschöpft;  doch  als  unmittelbar  entlehnt  darf 
man  nur  den  kleinern  Theil  seiner  Zeitangaben  betrachten, 
der  bei  weitem  grössere  ist  durch  mehr  oder  minder  genaue 
Rechnung  gefunden  oder  ganz  hypothetisch.  Die  Jahreszahl, 
welche  er  für  Knuds  Krönung  ansetzt,  kann  nur  als  eine  von 
der  letzterwähnten  Art  gelten,  weil  sie  in  Widerspruch  steht 
mit  der  von  Lerbeke  gegebenen,  die  augenscheinlich  den  Cha- 
rakter der  Unmittelbarkeit  an  sich  trägt  Der  Hoftag  in  Schles- 
wig, auf  dem  Knud  Laward  vor  dem  Dänenkönige  und  den 
Dänen  zuerst  als  König  der  Wenden  erschien  (Helm.  L  50), 
kann  im  J.  1128  stattgefunden  haben,  die  Ernennung  Knuds 
durch  Lothar  kann  nicht  später  als  1125  geschehen  sein,  ver- 
muthlich  erfolgte  sie  früher. 

Stettin. 

Ludwig  Giesebrechtf 


Quadro  elementar  das  Rela^des  politicas  e  diplomaticas  de 
Portugal  com  as  diversas  Potencias  do  mundo ,  desde  o 
principio  da  Honarchia  Portugueza  at^  aos  nossos  dias; 
ordenadoy  e  composto  pelo  Visconde  de  Santarem  da  Aca- 
demia  Real  das  Sciencias  de  Lisboa,  Madrid,  Napoles,  Cor- 
respondente  do  Instituto  Real  de  Franga,  et€.  Impresso 
por  ordem  do  Governo  Portuguez.  Pariz.  Em  casa  de 
J.  P.  Aillaud.  8.  1842  Tom.  I.  IL  1843  Tom.  lU. 

Tortugal,  an  sich  von  geringem  Umfang  und  jetzt  von 
Wenigem  Einfluss  auf  die  politische  Weltlage,  nahm  einst 
wegen  seiner  glorreichen  Entdeckungen,  seiner  ausgedehnten 
herrlichen  Besitzungen  in  andern  Welttheilen,  wegen  seines 
Welthandels  und  der  Beichthümer,  die  es  aus  diesem  wie 
aus  jenen  schöpfte,  unter  den  Staaten  Europas  eine  sehr  be- 
deutende Stelle  ein,  und  stand  mit  allen  Ländern,  in  welchen 
Handel  und  Verkehr  blühten  oder  nur  erst  sich  entfalteten, 
in  unmittelbaren  oder  mittelbaren  Beziehungen.  An  diese 
merkantilischen  Beziehungen  knüpften  sich  andere,  mehr  po- 
litischer oder  völkerrechtlicher  Natur.  Es  bildete  sich  ein  Sy- 
stem der  Verhältnisse  Portugals  zu  andern  Staaten,  das  zum 
Theil  unbestimmt  und  ungeregelt  blieb,  zum  Tbeil  aber  durch 
Verträge  und  urkundliches  Uebereinkommen  festgestellt  und 
geordnet  war.  Von  der  grossen  Menge  von  Urkunden,  welche 
diese  auswärtigen  Verhältnisse  Portugals  betreffen,  waren  bis- 
her vornehmlich  nur  diejenigen  im  Auslande  bekannt,  welche 
in  die  in  andern  Staaten  veranstalteten  Sammlungen  von 
Verträgen  von  Seiten  dieser  aufgenommen  waren  (wie  dies  ein 
Blick  z.  B.  in  Martens'  Gours  diplomatique  zeigt).  Viele  Ur- 
kunden dieser  Art,  welche  mehr  Portugal  angingen  oder  in 
den  betreffenden  auswärtigen  Sammlungen  unbeachtet  geblie- 
ben waren,  fanden  sich  zerstreut  in  portugiesischen  Urkun- 


Quadro  elementar  das  IMofou  politicas  etc.       461 

densammluDgen  für  andere  Zwecke,  oder  lagen  handschrift* 
lieh  im  Staub  der  Archive  oder  Bibliotheken  begraben.  Jene 
zu  sammeln,  diese  ans  Licht  cu  ziehen  und  beide  für  wis- 
senschafdiche  und  staatliehe  Zwecke  zu  ordnen,  war  eine 
ebenso  umfassende  und  schwierige,  als  nützliche  Aufgabe. 
Nur  ein  Gelehrter,  der  mit  einer  günstigen  äussern  Stellung 
die  erforderlichen  vielfachen  Kenntnisse  und  geistige  Befähi-* 
gung,  unermüdlichen  Eifer  und  eine  alle  Schwierigkeiten 
überwindende  Ausdauer  verbindet,  konnte  den  Muth  fassen, 
sich  eine  solche  Aufgabe  zu  stellen  und  durfte  die  Hoffnung 
hegen,  sie  einst  befriedigend  zu  lösen.  Der  Verfasser  des 
oben  genannten  Werkes  vereinigt  alle  diese  Bedingungen  und 
Eigenschaften  in  vorzüglichem  Grade  in  sich.  Abgesehen  von 
seinen  übrigen  günstigen  Verhältnissen,  muss  hier  seine  frü- 
here Anstellung  bei  dem  königlichen  Archiv  der  Torre  do 
Tombo,  wenn  wir  nicht  irren,  als  Director  desselben,  her- 
vorgehoben werden,  und  seine  in  diesem  Amt  erworbene 
Kenntniss  der  Urkunden  dieses  Archivs,  eine  Kenntniss,  wie 
er  sich  ausdrückt  (HI.  141)  „nicht  von  Tagen,  sondern  von 
fünfzehn  Jahren,  in  denen  wir  das  Archiv  frequentirten'^; 
ebenso  sein  vieljähriger  Aufenthalt  in  Paris,  wo  es  ihm  ver- 
gönnt war,  in  unabhängiger  Müsse  die  reichen  Minen  aus- 
zubeuten, welche  ihm  für  seinen  Zweck  die  dortigen  Hand- 
schriftensammlungen>darboten.  Die  historischen  Schriften  des 
Visconde  de  Santarem ,  die  sich  vorzüglich  auf  seine  vater- 
ländische Geschichte  und  zwar  auf  sehr  verschiedenartige  Ge- 
genstände und  Seiten  derselben  beziehen,  geben  genugsam 
Zeugnisse  seiner  Tüchtigkeit  zu  einem  solchen  Unternehmen. 
Für  die  Liebe  endlich,  mit  der  er  sich  diesem  Unternehmen 
hingegeben,  und  die  Ausdauer  in  seinen  Bestrebungen  spre- 
chen jene  dreissig  Jahre,  welche  er,  nach  seiner  Angabe, 
diesen  Studien  und  Arbeiten  gewidmet  hat. 

Um  seiner  Aufgabe  zu  genügen  durchforschte  der  Ver- 
fasser sorgfältig  alle  portugiesische  Chroniken  und  veröffent- 
lichte vaterländische  Schriften,  in  gleicher  Weise  alle  Chro- 
niken Spaniens  aus  dem  Zeitraum  von  acht  Jahrhunderten, 
durchging  die  Werke  über  die  Geschichte  von  Frankreich  von 


168  Qnadro  etementar  dag  ReUvQoes  polU%ca$ 

Crregor  Y<m  Tours  bis  B^lrand  de  MaUevtHe  imd  im  AUge* 
flaomen  die  Geschichte  der  europäischen  StsAteu^  durchsuchle 
«Ue  politischen  Memoiren  und  ebenso  die  Geschiehtswerke 
aber  die  Gongresse,  die  seit  dem  Vertrag  von  Yervins  gebal- 
ien  wurden.  Er  sammelte  ferner  alle  auf  seinen  Zweck  be- 
lügliohen  historischen  Kotizen  und  ungedrttdUe  Urkunden 
1)  in  der  TCMireflPlich«n  ttandschriftensammlung  der  königli- 
ehen Bibliothek  in  Lissabon,  2)  in  der  Manuscriptensamm- 
hing  der  Bibliodiek  der  Krone  rem  Bio  de  Janeiro,  3)  in  der 
k.<öoiglickea  Biblic^ek  von  Rio  de  Janeiro,  4)  in  dem  höchst 
racbeo  königlichen  Archiv  der  Toire  do  Tombo,  5)  in  der 
Sammlung  des  Klosters  Jesus,  i6)  in  der  sehr  bedeutenden 
Samnlung  der  Bibliothek  fon  S.  Vtcente  de  Fora,  7)  in  der 
•ebenso  sehatzenswerthen,  sehr  umfossenden  Sammlung  der 
äientiteken  Bibliothek  kk  lissabon,  6)  in  den  Manuscripten 
4e8  Hauses  der  Grafen  da  Ponte,  wo  die  amtUdien  Gorre- 
spoiidenzen  des  ersten  Grafen  da  Ponte  im  Original  aufbe- 
wahrt werden,  9)  in  den  Handschriften  des  Hauses  da  Cuoha, 
10}  in  der  grossen  MannscriptensammJung  des  flanses  Vova^ 
bal,  11)  in  der  des  Hauses  das  Gaif  eas  in  den  Negotiat^nen 
mit  Rom,  London  .und  HbHaad,  12)  in  den  ifandschriften  des 
JfMS  Pauk)  Bezerra,  13)  in  den  Archi?«i  Yon  Frankreich, 
14)  in  d^  Sammlung  der  köni^hen  Bibliothek  in  Paris,  und 
«ttss^dem  in  vielen  Privateammfamigen.  Nachdem  der  Vis- 
•eonde  eine  Uebersidit  der  in  der  Handsohriftensuttralung  der 
königL  BäbUothdc  in  Lissabon  beindRchen  C^sandtsehaAsbe* 
ridite,  Gorrefipondenzen,  Diarien,  Memoiren,  Negetiationeii, 
Tracta^  u.  s.^.  gegeben  hat  (L  53— *6S),  schliesst  er  mit  4er 
Bemerkung:  es  würde  viel  zu  weit  fuhren,  wollte  idi  alle 
Suhsidien  anfiihren,  die  ich  in  dieser  „importantissima  col- 
Jec^£o^  gefunden  habe.  Der  Viroonde  besitzt  jedoeh  alle  Sum* 
marien  dieser  Sammlung,  welche  jetat  im  königl.  Archiv  der 
Torre  do  T^wnbo  aufbewahrt  wird,  lieber  das  köaigl.  Archiy 
iler  Torre  do  Tombo  äussert  4er  Visconde  de  Switarem:  Der 
iuig^bliche  Beichtfaum  desselben  an  Staatsurkund^  ist  so 
ansserordenUich,  dass  ich  Uer  kaum  die  Zahl  dkrer  ansage- 
ton  vermag,  die  sich  in  den  beiden  Abtheiiung»i>  „das  Ga- 


e  diphmatiöai  de  PoHugoi  etc.  463 

tetas  und  Cüironologioo^*  beteickxiet,  finden.  Die  erste  um«- 
fesst  beiläufig  700  öifentliche  Urkunden,  die  andere  921.  -* 
Hinsichtlich  der  zahireidien,  hierher  gehörigen  Urkunden,  die 
in  der  königlichen  Bibliothek  in  Paris  und  in  den  Archiven 
Frankreichs  aufbewahrt  werden,  verweist  der  Verfasser  auf 
seine  NoUcia  dos  Mss.  pertencentes  ao  Direito  pubiico  ex- 
terno  diplomatico  de  Portugal  etc.,  que  existem  na  fiiblio- 
theca  real  de  Pariz,  e  outras  da  mesma  Capital,  e  nos  Archi- 
vos  de  Franga,  welche  die  königliche  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  Lissabon  im  i.  ±9ß!7  drucken  Hess.  —  Unter  den 
Priyatsammlungen ,  die  dem  Yisconde  reiche  Hülfsmittel  ge«- 
w'ährten,  hebt  er  die  Sammlungen  der  Häuser  Pombal  und 
-da  Ponte  hervor.  In  der  ersten  sammelte  er  eine  grosse  Menge 
Handeisprivilegien,  die  vom  Anfeng  der  Monarchie  an  den 
Engländern  bewilligt  wurden ,  und  die  Verhandlungen  Pom- 
hals  bei  den  Missionen  nach  Deutschland  und  England,  welche 
sechs  Bände  fällen. 

Alle  Urkunden,  die  steh  auf  Verhältnisse  zwischen  Por*- 
tugal  (mit  Eibschluss  seiner  ehemaligen  und  jetfigen  Besit* 
Zungen  in  and^n  Weittheilen)  und  den  verschiedenen  Staa^ 
tdn  Europas  in  irgend  einer  Weise  beziehen,  oder  Aufschluss 
-darüber  geben,  werden  von  dem  Verfasser  zugezogen,  zunächst 
mitörlich  alle  Friedenssehltisse,  Bündnisse,  Waffenstillstände, 
Handdsverträge,  Grenzbestimmungen  u.s.w.;  dann  alleEdicte, 
Gesetze  und  Privilegien,  welche  entweder  in  Folge  von  Ver« 
trägen,  oder  nach  besonderem  Uebereinkommen  der  betref- 
fenden Höfe  zu  Gunsten  der  Ausländer  erlassen  und  bewii«- 
ligt  wurden;  ferner  die  Gorrespondenzen  der  portugiesischen 
Könige  mit  andern  Regenten  (bis  zum  ISten  Jahriiundert  smd 
einige  dieser  Sdreiben,  bemerkt  der  Visconde  de  San^rem, 
von  so  grosser  Wichtigkeit,  wie  die  Verträge  und  Gonven- 
tionen,  die  oft  denselben  einverieibt  sind;  es  war  dies  da<^ 
mafs  die  kürzere  und  gewöhnliche  Art  zu  unterhandeln),  die 
apostdischen  Bullen  und  Rescripte,  weldte  mittelst  diploma- 
tischer Verhandlungen  erlangt  worden.  Ausserdem  nahm  der 
Verfasser  auch  Testftmente  der  Könige  von  Portugal  auf,  weO, 
ebglei^  sie  grossentheils  keine  Documente  der  poKttscben 


461  Quadro  elementar  das  Retofoes  poUHcoi 

Diplomatie  seien ,  in  vielen  die  Thronfolge  geregelt  werde 
und  die  Könige  in  denselben  aber  andere  Gegenstände  Y^r*- 
fiigungen  träfen ,  die  mit  dem  auswärtigen  Staatsrecht  der 
Nation  eng  zusammenhingen.  Ebenso  räumte  er  einigen  in- 
ländischen Schenkungen  eine  Stelle  ein,  weil  sie  Bedingun- 
gen enthielten,  die  eine  unmittelbare  Beziehung  auf  die  aus- 
wärtigen Staatsverhältnisse  hätten. 

Im  Besitz  dieses  grossen  Urkundenschatzes  und  zahlloser 
historischer  Notizen  und  Nachweisungen  konnte  nun  der  Yis- 
conde  de  S.  seinen  umfassenden  Plan  entwerfen  und  aus- 
fuhren. Er  umschliesst  mehre  Werke.  Zuerst  den  Quadro 
elementar  das  rela^des  politicas  e  diplomaticas  de  Portugal 
com  as  diyersas  potencias  do  mundo,  der  in  einer  Reihe  von 
Bänden  die  Summarien  der  Urkunden  und  die  historischen 
Nachweise  der  bezüglichen  Thatsachen  in  chronologischer 
Ordnung  enthalten  wird.  Der  Quadro  elementar  soll  nach 
des  Verfassers  Absicht  die  Grundlage  eines  zweiten  Werks 
sein,  einer  systematisch  geordneten  Urkundensanunluog,  eines 
„Gorpo  Diplomatico  Portuguez^',  dessen  Herausgabe  später 
erfolgen  wird.  Endlich  beabsichtigt  der  Yisconde  de  S.  diese 
grosse  Arbeit  mit  einem  dritten  Werk  zu  beschliessen,  das 
die  Ergänzung  jener  bilden  soll,  mit  einer  politischen  Ge- 
schichte von  Portugal,  gegründet  auf  die  in  der  diplomatischen 
Sammlung  veröffentlichten  Verträge  und  übrigen  Urkunden 
(U.  78,  79.  H  8). 

Den  Inhalt  des  Quadro  elementar,  von  welchem  drei 
Bände  erschienen  sind,  theilt  der  Verfasser  in  28  Abschnitte, 
von  denen  der  erste  die  Summarien  von  Urkunden  über 
Grenzbestimmungen  Portugals  enthält,  der  zweite  Privilegien 
und  Gesetze,  welche  im  Allgemeinen  die  Ausländer^  ihren 
Handel  u.  s.  w.  betreffen,  der  dritte  bis  vierzehnte  Gonces- 
sionen  und. Privilegien  im  Besondern  zwischen  Portugal  und 
Spanien,  Frankreich,  Italien,  England,  Holland,  Deutschland, 
Dänemark,  Schweden,  Bussland,  den  Barbaresken- Staaten, 
den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika,  endlich  Asien.  Die 
Abschnitte  15 — 28  umfassen  die  diplomatischen  Beziehungen, 
und  zwar  der  fünfzehnte  diejenigen  zwischen  Portugal  und 


j 


e  diplomaticds  de  Portugal  etc.  465 

den  verschiedenen  Reichen,  aus  welchen  Spanien  früher  be- 
stand,  und  der  spanischen  Monarchie  bis  auf  unsere  Tage^ 
die  folgenden  Abschnitte  Portugals  diplomatische  Verhältnisse 
zu  Frankreich,  zur  römischen  Curie,  zu  Italien  (Neapel,  Sa- 
voyen,  Parma,  Venedig,  Genua  und  Sicilien),  zu  England^ 
Holland,  Dänemark,  Schweden,  Preussen,  zum  Deutschen 
Reich,  zur  Türkei,  zu  Afrika  und  den  Barbaresken,  den  Ver- 
einigten Staaten  von  Aroerika  und  zu  Asien. 

Der  erste  Band  enthält  die  ersten  vierzehn  Abschnitte 
und  den  Anfang  des  fünfzehnten,  der  diplomatischen  Verhält- 
nisse zwischen  Portugal  und  Spanien  bis  ins  Jahr  1495,  diese 
von  Seite  98  bis  394.  Der  zweite  Band  setzt  die  Summa- 
rien und  Inhaltsanzeigen  des  fünfzehnten  Abschnitts  vom  J. 
1495  bis  zum  Jahr  1815,  15.  Mai  fort.  Die  Summarien  der 
Verhandlungen,  welche  in  die  Regierung  des  Königs  Joifo  VI. 
fallen,  werden  für  spätere  Supplementbände  aufgehoben.  Von 
den  Gründen,  die  den  Verfasser  zu  diesem  Abbrechen  be- 
stimmten, ist  ihm  einer  der  entscheidensten  die  Lostrennung 
Brasiliens.  Die  diplomatischen  Verhältnisse  zwischen  Portu- 
gal und  Spanien  reichen  bis  S.  330,  dann  folgen  Zusätze  zu 
den  ersten  zwei  Bänden  von  S.  333 — 442  und  Berichtigun- 
gen. Die  beiden  ersten  Bände  enthalten  2225  Summarien  und 
Inhaltsangaben. 

Der  dritte  Band  umschliesst  den  sechzehnten  Abschnitt, 
die  diplomatischen  Beziehungen  Portugals  zu  Frankreich,  vom 
Anfang  jener  Monarchie  bis  zum  Jahr  1638  Febr.  (der  vierte 
Band  wird  sie  bis  auf  unsere  Tage  fortführen,  vgl.  III.  141). 
Ungeachtet  der  erste  Regent  Portugals,  der  Graf  Heinrich, 
von  französischer  Abkunft  war  und  zwischen  den  Portugie- 
sen und  Franzosen  mancherlei  Berührungen  stattfinden  muss- 
ten,  sind  die  historischen  Nachrichten  davon  in  den  portu- 
giesischen Schriftstellern  sowohl,  als  in  den  gleichzeitigen 
französischen  höchst  spärlich,  —  eine  Erscheinung,  deren 
Gründe  nicht  weit  zu  suchen  sind.  Aus  der  Regierungszeit 
des  Grafen  Heinrich  enthält  der  Quadro  elementar  nur  eine 
Urkunde  (aus  dem  Archiv  der  Torre  do  Tombo).  Auch  in 
den  französischen  Schriftstellern  des  12ten,  13ten  und  14teih 

Zeitschrift  f.  Oeschiclttsw.    I.    1844.  3Q 


466  Quadro  elementar  das  Rela^^es  poUticas 

selbst  noch  des  15ten  Jahrhunderts  fand  der  Verfasser  nur 
sehr  dürftige  historische  Notizen  in  Betreff  Portugals;  doch 
waren  ihm  einige  geschichtliche  Nachrichten  aus  dem  letzten 
Jahrhundert  von  wesentlichem  Nutzen,  die  ersten  von  dem 
berühmten  Olivier  de  la  Marche,  dessen  Memoires  den  Zeit- 
raum von  1435 — 1488  umfassen ,  weitere  dann  in  den  Me- 
moires von  Jacques  du  Clerq  u.  A.  Auch  die  französischen 
Memoires  und  Histoires  aus  dem  16ten  Jahrhundert  boten 
ihm  keine  reiche  Ernte  dar,  und  die  Durchforschung  von  26 
gleichzeitigen  französischen  Schriftstellern,  welche  alle  an  den 
politischen  Ereignissen  von  1547 — 1594  mehr  oder  weniger 
Antheil  nahmen,  gewährte  ihm  nur  eine  geringe  Ausbeute. 

Allein  nicht  viel  mehr  fand  der  Verfasser  für  seinen 
Zweck  in  den  portugiesischen  Chroniken  von  Femao  Lopes, 
Buy  de  Pina,  Damiao  de  Goes  u.  And.  Am  meisten  fällt  es 
ihm  mit  Recht  auf,  dass  Francisco  de  Andrade,  der  die  Ghro« 
nik  eines  Königs  schrieb,  unter  dessen  Regierung  Portugal  in 
häufigen  und  wichtigen  Berührungen  mit  Frankreich  stand, 
80  Weniges  in  dieser  Beziehung  erwähnt,  nicht  ein  einzig* 
mal  eine  Urkunde  des  Archivs  anführt,  und  während  er  Guarda 
Mor  der  Torre  do  Tombo  war,  wo  fast  alle  Urkunden,  von 
denen  der  Yisconde  de  Santarem  die  Summarien  giebt,  sich 
fanden,  von  diesen  keinen  Gebrauch  in  seiner  grossen  Chro- 
nik machte.  Und  doch,  fügt  der  Yisconde  hinzu,  sind  diese 
so  zahlreich,  dass,  wenn  wir  diejenigen,  weiche  sich  auf  Por- 
tugals Verhältnisse  zu  Frankreich  in  der  Regierung  JoSo's  JIL 
beziehen,  publiciren  wollten,  wir  mit  ihnen  einen  beträchtli- 
cheren Band  füllen  würden,  als  die  ganze  Chronik  von  An- 
drade bildet. 

Der  dritte  Band  enthält  beiläufig  740  Summarien,  von 
denen  400  ungedruckt  sind  und  mehr  als  200  nicht  in  der 
Torre  do  Tombo  sich  finden.  Aus  diesem  Archiv  hat  der 
Verfasser  221  entnommen.  Wäre  daher  dieser  Band  nur  mit 
den  Urkunden  aus  der  Torre  do  Tombo  ausgestattet  worden, 
so  würden  „beinah  die  Hälffce  der  inedirten  Documente,  die 
er  enthält,  ihm  fehlen '%  ungeachtet,  bemerkt  der  Visoonde 
de  Santarem,  des  Ungeheuern  Urkundenschatzes,  der  in  die- 


e  diplomaticas  de  Portugal  etc.  467 

sem  Archiv  aufbewahrt  wird,  und  ungeachtet  dasselbe  eins 
der  reichsten  und  kostbarsten  in  Europa  ist. 

Wir  beschränken  uns  hier  auf  diese  blos  berichtijche 
Anzeige  der  ersten  drei  Bände  eines  Werkes,  über  das  erst 
dann,  wenn  es  vollendet  vor  uns  liegen  wird,  ein  vollstän- 
diges und  richtiges  Ortheil  gefällt  werden  kann.  Aber  schon 
ans  diesen  drei  Bänden  ergiebt  sich  die  hohe  Wichtigkeit  die- 
ses Werkes,  wie  das  grosse  Verdienst  seines  Herausgebers. 

Giessen. 

Dr.  Schäfer. 


Praktisches  Handbuch  der  historischen  Chronologie   aller 

Zeiten  und  Völker,  besonders  des  Mittelalters,  von 

Dr.  Eduard  Brinckmeier.   Leipzig  1843.    Verlag 

von  Adolph  Wienbrack. 

Die  unabweisbare  Forderung  der  Wissensdiaft  an  den 
Historiker,  das  Geschehene  der  Zeit  nach  zu  ordnen,  um  es 
so  in  seiner  Wahrheit,  als  Wirkung  und  wiederum  als  Ur- 
sache erkennen  zu  können,  macht  ihm  die  Chronologie  zu 
einer  nothwendigen  Hülfswissenschaft.  Zwar  haben  nun  alle 
Völker,  wenn  sie  nicht  in  eine  gänzliche  Versumpfung  gera- 
then  sind  und  allen  Sinn  für  Entwicklung  verloren  haben, 
ihre  Geschichten  in  einer  mehr  oder  weniger  streng  chrono- 
logischen Ordnung  überliefert,  aber  diese  konnten  ebenso  we- 
nig von  denselben  Epochen  aus  sich  fugen,  als  die  verschie- 
denen Nationalitäten  bei  getrennter  geographischer  Lage  von 
denselben  Ereignissen  berührt  worden  sind.  Weiter  mach- 
ten sich  selbst  innerhalb  der  so  entstandenen  verschiedenar- 
tigen Acren  Divergenzen  geltend,  indem  man  die  Zeit  man- 
nigfachen Theilungen  unterwarf  nnd  die  Zeittheile  mannigfach 
benannte.  Eine  Hauptaufgabe  der  chronologischen  Wissen- 
schaft ist  es  nun,  diese  Verschiedenheiten  in  ihrem  Wesen 
zu  entwickeln  und  so  dem  Geschichtsforscher  die  Reduction 
von  einander  abweichender  Anordnungen  der  Ereignisse  auf 

30* 


468  Praktisches  Handbuch  der  historischen 

eine  einzige  möglich  zu  machen.  Doch  selbst  mit  dieser  theo-' 
retischen  Kenntniss  bleibt  der  Historiker  immer  in  einzelnen 
Fällen  auf  mühsame,  zeitraubende  Berechnungen  angewiesen, 
da  ein  Hülfsbuch,  das  durch  übersichtliche  tabellarische  Zu- 
sammenstellungen ihm  jene  Mühe  ersparte,  bisher  noch  fehlt. 
Diese  Lücke  in  der  Literatur  will  Herr  Brinckmeier  mit 
dem  vorliegenden  Buche  ausfiillen.  Es  ist  in  sechs  Abschnitte 
getheilt»  von  denen  die  ersten  fünf  den  mehr  theoretischen 
Theil  der  Wissenschaft,  Begriffsentwicklungen  und  Erklärun- 
gen bietet,  um  den  Leser  in  den  Stand  zu  setzen,  die  im 
sechsten  Abschnitte  enthaltenen  Tabellen  zum  praktischen 
Gebrauche  benutzen  zu  können.  —  Immer  sind  die  elemen- 
tarischen Begriffe,  die  das  Fundament  einer  Wissenschaft 
bilden,  sichere  Probiersteine  für  den  Werth  einer  wissen- 
schaftlichen Leistung;  denn  hier  muss  es  sich  zeigen,  ob  der 
Verfasser  das  Wesen  seines  Gegenstandes  verstanden  hat. 
Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  betrachtet  lässt  uns  das  be- 
sprochene Buch  nicht  zu  einem  günstigen  Urtheil  kommen. 
Nirgends  klare  und  erschöpfende  Entwicklung.  So  heisst  es, 
um  gleich  ein  Beispiel  zu  geben,  Seite  7:  „Der  Mondcyclus 
ist  ein  neunzehnjähriger  Zeitraum,  dessen  jedesmaliges 
Jahr  die  güldene  Zahl  heisst^*  und  dann  wieder  S.  49: 
„der  Mondcyclus  heisst  —  die  güldene  Zahl^'  und 
wenige  Linien  weiter:  „die  güldene  Zahl,  oder  die  Zahl 
des  Jahres  im  Mondcyclus."  Von  diesen  drei  Erklärun- 
gen ist  die  erste  unverständlich,  die  zweite  falsch  und  die 
dritte  erst  nähert  sich  der  Wahrheit.  —  An  eine  systemati- 
sche Anordnung  des  Stoffes  ist  im  Einzelnen  so  wenig  als 
im  Ganzen  zu  denken.  Von  der  pisanischen  und  floren- 
t in i sehen  christlichen  Zeitrechnung  wird  S.  32  inmitten  zwi- 
schen der  syrischen  und  ägyptischen  gehandelt,  nachdem 
schon  vorher  die  gemeine  christliche  Aere,  dann  die  Acren 
von  der  Erschaffung  der  Welt  und  unmittelbar  darauf 
die  römische  Zeitrechnung  durchgenommen  worden  sind. 
Der  Verfasser  sagt  zwar  (Vorrede  S.  XV),  es  habe  „eine  ei- 
gentlich pragmatischeEntwicklung  der  Wissenschaft  der  Chro- 
nologie zu  geben,  nicht  in  seinem  Plane  gelegenes  doch  fugt 


Chronologie  aller  Zeiten  und  Völker.  469 

er  selbst  hinzu,  er  „suchte  das  ganze  Gebiet  der  Chronolo- 
gie unter  bestimmte  Rubriken  und  zwar  so  zu  ordnen,  dass 
Uebersichtlichkeit  und  damit  praktische  Brauchbarkeit  iur  alle 
vorkommende  Falle  erzielt  würde/'  Wie  wenig  aber  dies 
Ziel  bei  einem  so  willkürlichen  Zusammenwürfeln  des  Stof- 
fes erreicht  ist,  springt  in  die  Augen. 

Minder  billig  wäre  es  vielleicht,  die  obwohl  zum  öftem 
wiederholte  Aussage  des  Verfassers  (so  Vorrede  S.  XIV),  y,das 
Buch  enthalte  alles^  dessen  man  zu  dem  Zwecke,  die  histo- 
rischen und  urkundlichen  Daten  zu  prüfen  und  zu  reduciren 
bedarf'^  peinlich  zu  verfolgen,  da  schon  auf  dem  Titel  an- 
gedeutet wird,  dass  es  besonders  zum  Gebrauch  für  die 
Geschichte  des  Mittelalters  bestimmt  ist.  Es  muss  daher 
nun  vornehmlich  zu  untersuchen  sein,  inwiefern  die  prakti- 
schen Tabellen  des  sechsten  Abschnittes  dieser  Bestimmung 
entsprechen. 

An  Bezeichnungen  der  Jahre  haben  Chroniken,  beson- 
ders aber  die  Urkunden  des  Mittelalters  einen  grossen  Beich- 
thum.  Die  blosse  Zählung  der  Jahre  nach  Christo  würde 
in  der  That  eine  grosse  Unbestimmtheit  gelassen  haben,  weil 
man  an  verschiedenen  Orten  den  Jahresanfang  so  sehr  von 
einander  abweichend  nahm,  dass  in  Pisa  dasselbe  Jahr  nach 
Christo  an  demselben  25.  März  endete,  mit  dem  es  in  Flo- 
renz anfing.  Man  suchte  daher  durch  Hinzufugen  der  Indic- 
tionen,  Epakten,  Concurrenten  des  gemeinten  Jahres  dieses 
näher  zu  bestimmen,  besonders  aber  durch  die  Bemerkung, 
im  wievielsten  Jahre  der  Regierung  des  Kaisers,  des  Königs, 
oder  des  Papstes,  der  Vi^ürde  der  Bischöfe,  selbst  der  Aebte 
u.  s.  w.  das  betreffende  Ereigniss  geschehen  sei.  —  In  Bezug 
hierauf  vermisst  man  nun  in  dem  vorliegenden  Buche  zu- 
nächst eine  Tabelle,  in  der  die  erwähnten  Jahresbezeichnun- 
gen für  alle  Jahre  des  ganzen  Mittelalters  nebeneinander  ge- 
stellt sind.  Die  Indictionen  findet  man  in  der  Tabelle  IX. 
nur  vom  Jahre  1000,  und  die  Epakten  ebendaselbst  gar  nur 
vom  J.  1583  ab  ausgerechnet.  Um  so  grossem  Raum  neh- 
men von  S.  235  bis  303  die  Verzeichnisse  der  deutschen 
Kaiser  und  Könige,  der  Könige  von  Frankreich,  England 


470  Praktisches  Handbuch  der  historischen 

and  der  Päpste  samipt  ihren  Datirungsmethoden  und  Re- 
gierungsepochen  ein.  Aber  abgesehen  davon,  das»  weder  die 
Herrscher  der  andern  Länder  noch  die  Bischöfe  überhaupt  auf- 
geführt werden,  so  sind  auch  die  gegebenen  Verzeichnisse  reich 
an  Irrthümern  und  Fehlern.  Man  wird  dies  natürlich  findto, 
wenn  man  erfahrt,  dass  dem  Verfasser  z.  B.  für  die  deutschen 
Könige  (s.  Note  zu  S.  235)  y^namentiich  Georgisches  Bege- 
sten  dis  Anhalt  und  Quelle  gedient  haben/^  Er  setzt,  um  aus 
dem  Vielen  Einiges  zu  erwähnen,  S.  239  die  Krönung  Otto's  I. 
zu  Acben  auf  den  2.  Juli  936»  an  welchem  Tage,  wie  S.  236 
richtig  angegeben  wird,  sein  Vater  Heinrich  I.  zu  Memleben 
starb.  Die  Erwähl  ung  Lothars  des  Sachsen  setzt  er  S.  243 
zum  21.  August  1 125,  während  die  Wähler  erst  am  24.  August 
sich  versammelt  haben;  die  Krönung  Conrads  IIL  ebendaselbst 
zum  18.  Mai  1138  u*  s.  w.  Das  chronologische  Verzeichniss  der 
Päpste  ist  so  mangelhaft,  dass  mehre  der  heiligen  Väter  ganz 
ausgelassen  sind;  so  fehlen  Seite  292,  weiche  die  Päpste  von 
904  bis  985  enthält,  folgende :  Anastasius  lU.,  Lando,  Leo  VI., 
Johann  XL,  Martin  UL,  Agapit  IL,  Johann  XIL,  Benedict  V., 
Benedict  VL  und  Donus  U. 

Sehen  wir  nun»  was  in  dem  Buche  für  die  Beduction 
der  mittelalterlichen  Tagesbezeichnungen  getban  ist.  Man 
bediente  sich  im  Mittelalter  entweder  der  römischen  Zählung 
nach  Calenden,  Nonen  und  Iden,  oder  deutete  die  Tage  nur 
durch  die  an  ihnen  gefeierten  kirchlichen  Feste  an;  oft  fin-« 
den  sich  auch  beide  Bezeichnungen  nebeneinander«  Der  Feste 
giebt  es  aber  bewegliche  und  unbewegliche.  Die  Stel- 
lung jener  ist  in  ein  festes  Zeitrerhältniss  zum  selbst  beweg- 
lichen Osterfeste  gesetzt,  welches  nach  der  Bestimmung  des 
Nicäisdien  Concils  am  Sonntag  des  auf  das  FrüUingsäqui- 
noctium  zunächst  folgenden  Vollmondviertels  gefeiert  wurde, 
und  daher  auf  jeden  Tag  vom  22.  März  bis  25.  April  fallen  konnte. 
Um  nun  das  Datum  eines  beweglichen  Festes  zu  finden,  muss 
man  in  dem  besprochenen  Buche  zuerst  durch  Tab.  L  die 
güldene  Zahl  des  Jahres,  dann  durch  Tab.  IL,  IIL  oder  IV. 
den  entsprechenden  Sonntagsbuchstaben  in  Erfahrung 
bringen,  hierauf  ergiebt  sich  durch  das  Zusammenhalten  bei«- 


Chronologie  aller  Zeiten  und  Völker,  471 

der  in  der  Tab.  Yll.  der  Ostersonntag  des  Jahres,  mit 
dessen  Kenntniss  man  endlich  in  der  Tab.  X.  das  verlangte 
Datum  findet;  und  will  man,  was  oft  zur  Kritik  einer  Angabe 
sehr  nothwendig  ist,  auch  den  Wochentag  wissen,  auf  den 
dasselbe  Fest  gefallen  ist,  so  muss  Tab.  Y.  zu  Rathe  gezogen 
werden.  Nicht  weniger  also,  als  sieben  verschiedene  Tabel- 
len sind  zu  berücksichtigen,  um  ganz  einfach  die  Lage  eines 
beweglichen  Festes  (für  die  Jahre  bis  1000  n.  Chr.  wenig- 
stens, denn  ausgerechnet  sind  in  der  Tab.  IX.  die  Ostertage 
nur  für  die  Jahre  von  1000  ab)  in  Monat  und  Woche  zu 
finden I  Das  müsste  doch  wohl  ein  praktisches  Handbuch 
der  Chronologie,  welches  in  den  Stand  setzen  will  (s.  Vor- 
rede S.  Yll.),  „ohne  Mühe  genau  jedes  Datum  augenblicklich 
zu  reduciren^S  mit  einem  Blicke  überschauen  lassen;  eine 
Aufgabe,  die  überdies  seit  fast  zwanzig  Jahren  bereits  ge- 
löst ist.  Ich  meine  das  Buch  von  Meier  Kornick  (System 
der  Zeitrechnung  in  chronologischen  Tabellen.  Berlin  1825), 
das  wie  mir  scheint  von  Historikern  weniger  benutzt  wird, 
als  es  verdient.  Es  enthält  dieses  Buch  nicht  bloss  fast  alle 
Tabellen  die  Herr  Brinckmeier  mittheilt  ausführlicher  und  über- 
sichtlicher, sondern  ist  auch  mit  der  erwähnten  Aufgabe  aufs 
Glücklichste  zu  Stande  gekommen.  Da  nämlich  das  Datum 
des  Osterfestes  jeder  Tag  vom  22.  März  bis  25.  April  sein 
kann,  so  giebt  Kornick  auf  jeden  dieser  35  Tage  einen  voll^ 
ständigen  Kalender.  Man  darf  daher  nur  das  Datum  des 
Ostersonntags  wissen  (und  dies  findet  man  in  seiner  13ten 
Tabelle  für  alle  Jahre  von  326  n.  Chr.  ab  berechnet),  um  sich 
dann  den  Kalender  des  Jahres  aufzuschlagen.  ~ 

In  Ansehung  der  unbeweglichen  Feste,  die  meist  an 
jene  Unzahl  von  Heiligen  geknüpft  sind,  deren  die  kaUioIiscbe 
Kirche  im  Mittelalter  fast  täglich  mehr  bekam,  kenne  ich  die 
Schwierigkeit,  mit  der  Herr  Brinckmeier  zu  kämpfen  gehabt 
haben  würde,  wenn  er  da  hätte  vollständig  sein  und  allen 
Anforderungen  genügen  wollen.  Er  begnügt  sich  in  der  Tab. 
XYI.  ein  alphabetisches  „Yerzeichniss  der  gebräuchlich*^ 
sten  unbeweglichen  Feste  und  Heiligentage  ^'  und  in  der 
Tab.  XYII.  eben  ein  solches  für  die  ,)in  Deutschland  im  Uiin 


472  Praktisches  Handbuch  der  historischen 

telalter  gebräuchlichen  Benennungen  der  Tage  und  Kirchen«- 
feste  ^'  zu  geben.    Von  dem  erstem  meint  der  Verfasser  S. 
128,  ^>es  sei  so  vollständig,  als  es  theils  die  Gränzen  dieses 
Werkes  erlaubten,  anderntbeils  aber  es  nur  immer  mög- 
lich war.'*    In  der  That  aber  ist  es  so  unzureichend,  dass 
ihm  die  fehlenden  Heiligen  in  Menge  hergezählt  werden  kön- 
nen.  Für  den  Januar  z.B.  will  ich  nur  folgende  erwähnen: 
Lucianus  et  Maximus  (8.  Jan.),  Jocundus  et  Qüirinus  (9.  Jan.), 
Johannes  PP.  et  S.  Gyriacus  ( 12.  Jan. ) ,  Bonitus  ep.  et  conf. 
(15.  Jan.),  Honoratus  ep.  et  conf.  (19.  Jan.),  Audifax  (20.  Jan.), 
Machianus  et  Eugenius  (23.  Jan.),  Projectus  Mart  (25.  Jan.), 
Aldegundis  regina  (30.  Jan.],  Goncordius  Mart.  (31.  Jan.).  Kicht 
minder  mangelhaft  sind  darin  die  Angaben  der  an  verschie- 
denen Orten  gebrauchten  verschiedenen  Monatstage  zur 
Feier  derselben  Heiligen.   Einige  Beispiele  in  dieser  Bezie- 
hung für  den  Februar.    Bei  Augustini  translatio  steht  nur 
der  11.  October,  doch  ist  sie  im  Galendrier  ^de  Mismes  b. 
M6nard  bist,  de  Nismes  IV.  Notes  p.  7  zum  28.  Februar  ge- 
setzt. Bei  Eulalia  steht  nur  der  12.  Februar,  während  sie  im 
Necrol.  S.  Michael,  b.  Wedekind  Noten  IX.  auch  zum  4.  Fe-* 
bruar  gehört   Pantaleon  ist  auf  den  28.  Juli  angesetzt,  wie- 
wohl er  nach   dem  Galendarium  S.  Maximini  b.  Hontheim 
Prodrom.  I.  373  auch  am  18.  Februar  gefeiert  wurde  u.  s.  w. 
Dazu  kommt,  dass  Herr  Brinckmeier,  besonders  in  Tab.  XVI., 
ganz  dogmatisch  verfährt  und  ohne  irgend  eine  Quellenan- 
gabe seinen  Heiligen  die  Plätze  anweist.    Ein  Vorwurf,  der 
sich  fast  allen  Theilen  dieses  Buches  mehr  oder  minder  ma-<> 
eben  lässt  und  den  der  Verf.  auch  dann  nicht  zurückzuwei-> 
sen  im  Rechte  sein  würde,  wenn  seine  Resultate  überall  der 
Wahrheit  getreu  wären,  da  es  in  der  Wissenschaft  keinen 
Glauben  giebt. 

Ein  allgemeines  Galendarium  der  Heiligen  des  Mittelal- 
ters überhaupt,  das  dem  Historiker  von  Nutzen  wäre,  müsste 
unserer  Meinung  nach  ganz  anders  angefertigt  werden,  als 
es  in  diesem  Buche  geschehen  ist.  Zunächst  müssten  die 
vielen  bereits  gedruckten  Galendarien,  Nekrologien,  Martyro- 
logien,  vor  allem  aber  die  reichen  Schätze  der  Acta  Sancto- 


Chronologie  aUer  Zeiten  und  Völker.  473 

rum  dazu  ausgebeutet,  jedem  Tage  die  dazu  gehörigen  Hei- 
ligen mit  soweit  als  möglich  genauer  Angabe  ihrer  Ganoni- 
sationszeit  und  (wenn  sie  nicht  zu  allgemeiner  Gültigkeit 
gekommen  sind]  d^r  Oertlichkeit,  wo  sie  gefeiert  wurden, 
beigefügt  und  alles  dies  mit  pünktlicher  Nennung  und  auf 
Heimath  und  Entstehungszeit  Bezug  nehmender  Kritik  der 
Quellen  versehen  werden.  Dahinter  erst  könnte  ein  alpha- 
betisches Verzeichniss  der  Heiligen  folgen,  um  das  Auffinden 
im  Galendarium  selbst  zu  erleichtern.  — 

Wenn  wir  nun  schliesslich  das  Resultat  unserer  Beur- 
theilung  zusammenfassen,  so  ergab  sich  uns  das  Theore- 
tische in  dem  Buche  des  Herrn  Brinckmeier  als  unsystema- 
tisch, unklar  und  fehlerhaft,  das  Praktische  als  unvollstän- 
dige reich  an  Irrthümern,  in  Bezug  auf  Uebersichtlichkeit 
hinter  früheren  Leistungen  zurückstehend  und  genügender 
wissenschaftlicher  Begründung  ermangelnd,  mit  einem  Worte 
als  unpraktisch. 

Philipp  Jaff^. 


Schreiben  an  den  Herausgeber. 

Göttingen  den  45.  Februar  4844. 

Hochgeehrtester  HerrI 

In  dem  Februarhefle  der  Zeitschrift  für  Geschichtswissenschaft,  wel- 
ches mir  so  eben  zu  Gesichte  kommt,  führen  Sie  meine  Antiqq.  LacoD. 
p.  20  als  Beispiel  eines  Vorwurfs  an,  der,  wie  Sie  sagen,  allgemein  aber 
mit  Unrecht  dem  Berichte  des  Ephoros  über  die  Heloten  gemacht  werde. 
So  geringfügig  die  Sache  ist,  so  kann  es  mir  doch  nicht  gleichgültig  sein, 
eines  Urtheils  geziehen  zu  werden,  dessen  Ungrund  man  „auf  den  ersten 
Blick  hätte  wahrnehmen  dürfen'',  und  ich  muss  daher  bitten,  gegenwärtige 
Reclamation  dagegen  in  Ihr  nächstes  Heft  aufzunehmen.  Ich  habe  nirgends, 
und  am  Wenigsten  an  jener  Stelle,  Ephoros  den  angedeuteten  Vorwurf  ge- 
macht, sondern  nur  gesagt,  worauf  auch  Ihr  ganzer  Aufsatz  beruht,  dass 
Strabons  Darstellung,  wie  sie  vorliege  ( qualem  Strabo  servavit)  viele 
Widersprüche  enthalte;  von  Ephoros  dagegen  sage  ich  in  der  Note  aus- 
drücklich :  neque  ipse  Ephorus  hanc  originationem  (die  von  Hellanikos  und 
Pausanias  gegebene)  ignorasse  aut  rejecisse  videtur,  und  citire  dabei  selbst 
die  nach  Ihrer  Angabe  „nicht  genugsam  beachteten'^  Worte :  t^  ehtdretav 
ot  TCsqi  Kyiv  tL<TLV  OL  otaTodslioLvtsqf  zum  deutUchen  Beweise,  dass  ich 
die  Widersprüche  des  Strabonischen  Textes  nicht  auf  Ephoros  Rechnung 
schrieb.  Wohl  aber  weiche  ich  von  Ihrem  Aufsatze  selbst  in  seinen  zwei 
wesentlichen  Resultaten  ab  und  wage  mir  zu  schmeicheln,  dass  auch  Sie, 
wenn  Sie  sich  nicht  bloss  mit  dem  ersten  Blicke  begnügen  wollen,  mir 


474  Schreiben  an  den  Heramgeber. 

Recht  geben  werden ,  dass  die  von  Ihnen  vorgeschlagene  UmateUung  je- 
denfalls bedenklich  ist,   und  selbst  wenn  sie  irgendwie  zulässig  wäre,  ein 
Zengniss  des  Ephoros  für  die  Ableitung  von  stXuiq  aus  iXuj  daraus   nim- 
mermehr folgen  wUrde.   Denn  auch  angenommen,  dass  Strabon  oder  EplM)- 
ro8  selbst  geschrieben  hatte:   TOtjq  ös   EX/etox^s  ..«  otaid  otqdxoq  aXtavou 
teoXijUff   %a£   otqL^^at    öoijXoxjq^   otOL)^s7cr^aL   öL  e&>/WTag,   so  liegt  doch 
dabei  auf  dem  Worte  oKm^ai  als  solchem  zu  wenig  Nachdruck,  als  dass 
man  schon  in  dieser  äusserlicben  Aufeinanderfolge  von  aXiwvac  und  ftXiw- 
rtq  eine  etymologische  Beziehung  erblicken  dürfte;  und  ist  es  denn  Über- 
haupt oXcn/at  mid  nicht  vielmehr  a>alv,  ^ woher  M iiller  und  die  ihm  folgen 
Jenes  Wort  ableiten?    Ob  aXlffnu)  und  e^u  in  der  Wurzel  Eins  oder  ver- 
schieden sind,  kommt  dafUr  nicht  in  Betracht;  gesetzt  auch  sie  wären  im 
Sanskrit  Eins,  so  würde  ^doch  darum  ein  Grieche  der  makedonischen  Zeit 
zwischen  a>Javcu  und   £L%{ag  kaum   einen   Gieichklang,   geschweige   denn 
eine  Stammsverwandtschaft  gefunden  haben;  und  am  Ende  sind  Sie  seihst 
in  einem  unerUftrlichen  Irrthum  begriffen,  wenn  Sie  bei  irgend  einem  Al- 
ten eine  andere  Etymologie  für  Ei^wg  als  die  von  der  Stadt  Helos  vor- 
aussetzen.   Suidas,  den  Sie  dafür  anführen,  sagt  in  seinen  beiden  Artikeln 
nur:   04  f4  acx/ta^t^b^  6cnjM>L  ^ci/o/acvoi,  ouro  torG    £>iou$,  und:    ot 
flTQurrot   XBiqia^evTSQy   xwv    EXoq  v^  xcikcv  otxowrwv;   die  Phrase   61» 
geoXe/uuix}  ^^u>x6rsq  finde  ich  überall  nicht;  auch  der  Platonische  Scholiast, 
auf  welchen  sich  Müller  (Dorier  B.  II.  S.  33)  beruft,  hat  nur  die  Etymologie 
von    £>ioq,  und  wenn  also  auch  Ephoros  so  geschrieben  hätte,  wie  Sie 
vorschlagen,  so  würde  er  mir  doch  nur  als  einer  der  Vielen  gelten,  die 
da  annahmen,  dass  BtTMiTsq  die  altspartanische  Namensform  für  die  in  ge- 
wöhnlicher Sprache   KKslol  oder  ^EXadrat.  genannten  Einwohner  von  He- 
los gewesen  sei.     Eine  einzige  Stelle,   die   Sie  jedoch   nicht   citirt  haben, 
könnte  die  Möglichkeit  einer  andern  Ableitung  voraussetzen  lassen  (Etymol. 
M.  p.  300):    uXiOTsq  TCaqd  A-atuiSoufLovcoiq  ot  ro^ot    o&   el   alx/^o^Xunfov 
öoxsXoL  yLVO/LtsvoL  1^  axo  TOTJ  e>iOV5,  wo  letzteres  allerdings  alternativ  ge- 
sagt scheint ;  inzwischen  auch  abgesehen  davon,  dass  in  dem  ersten  Theile 
des  Satzes  doch  gar  keine  ersichtliche  Etymologie  enthalten  ist,   wird  die 
Richtigkeit  der  auch  weiterhin  corrumpirten  Stelle  schon  dadurch  zweifel- 
haft, dass  bei  Suidas  und  dem  Platonischen  Scboliasten,  die  sonst  im  We- 
sentlichen mit  ihr  übereinstimmen  und  offenbar  aus  gleicher  Quelle  geflos- 
sen sind,  grade  das  disjunctive  »q  fehlt,  und  dieses  also  wahrscheinlich  eine 
Zelle  höher  hinanf  zwischen  ro^ot  und  «4  gehört;  wo  auch  jene  beiden 
4tai  einschieben.    Was  aber  Ihre  Umstellung  der  Worte  ocaiXfia^ou  6e  £<- 
Xiaraq  selbst  betrifft,  so  haben  Sie  jedenfalls  übersehen,  dass  solche  dahin^ 
wo   Sie  ihnen  ihren   Platz  anweisen,   nach  öo'oXcnjq  aus  dem  einfachen 
Grunde  nicht  passen,  weil  dort  noch  ein  ganz  langer  Satz  folgt,  der  durch 
keinen  Zwischengedanken  unterbrochen  werden  darf:  «oet  ocqi^^cit  ögv*- 
Xoxyq  1*1  xaxtolq  xKTtv^   taqva  tov  t%ovxa  fJurjr^sXeiy^tqfyuv   Bislvat  juu^rs 
9CtaXi8LV  «4»  Twv  oqtav  rcn)r<yvql  Wollte  man  mithin  ja  umstellen,  so  wäre 
pur  vor  xat  ocqL^ijyat  nach  7to%e/ui($   ein  Platz  übrig,  und   wirklich  hat 
hierher  auch  bereits  Valckenaer  (ad  Theocriti  Adoniaz.  p,  268)  die  frag- 
lichen Worte  zu  setzen  vorgeschlagen ;  aber  auch  hier  drängt  sich  mir  das. 
Wie  mir   dünkt,  nicht  unerhebliche  Bedenken   auf,  dass  mitten  zwischen 
aX/Svac  und  ^qi^^vou,  unmöglich  habe  xa^iftcr^ae,  sondern  mir  xXii^^^^a» 
gesagt  werden  können,  während   an  seiner  Jet^zigen  SteUe  der  Inf.  Prae- 
sentis  oder  vielleicht  Imperfecti  ganz  wohl  zn  elvoti  passt.    Die  sachlichen 
Schwierigkeiten,  welche  diese  Vulgatlesart  enthält,  habe  ich  freilich  seihet 
a.  a.  0.  nicht  verkannt;  gleichwohl  halte  i(±i  es  für   gerathener  sie  der 
compilatorischen  Kürze  des  Beferenten   Strabon  selbst  als  einem  von  des- 
sen Abschreibern  beizumessen,  und  ohne  folglich  in  den  von  Ihnen  ge- 


Erwiederung,  475 

rügten  Vorwurf  gegen  Ephoros  einzustimmen,  kann  ich  dennoch  das  Mit- 
tel, das  Sie  zu  dessen  Beseitigung  gewählt  haben,  mit  einer  umsichtigen 
Kritik  nicht  vereinbar  finden. 

Ich  hoffe,  hochgeehrtester  Herr,  dass  Sie  diese  hingeworfenen  Bemer^ 
kungen  nicht  zu  unwissenschaftlich  finden  werden,  um  ihnen  den  wörtli- 
chen Abdruck  in  Ihrer  Zeitschrift  zu  gönnen.  Habe  ich  einen  Punkt  über- 
sehen, der  sie  zu  widerlegen  dient,  so  werde  ich  jede  freundliche  Bel^- 
rung  ebenso  dankbar  annehmen,  als  ich  meinen  nur  der  Sache  geltenden 
Widerspruch  mit  dem  unverttnderten  Ausdrucke  achtungsvoller  Theilnahme 
an  Ihren  Bestrebungen  verbinde,  in  welcher  ich  bin  und  verharre 

Ihr 

ganz  ergebenster 

K.  Fr.  Hermann. 


Erwiederung. 


Berlin  den  45.  April  4844. 
Hochgeehrtester  HerrI 

Wenn  ich  die  Erwiederung  auf  Ihre  geehrte  Zuschrift  vom  45.  Febr. 
länger  anstehen  liess,  als  Sie  erwarten  mochten:  so  bitte  ich  Sie,  dies 
neben  der  Ausdehnung  meiner  Geschäfte  auch  dem  Umstände  zuzuschrei- 
ben, dass  es  mir  nicht  räthUch  dünkt,  bei  solchen  Anlässen  den  Stimmun- 
gen des  ersten  Eindruckes  nachzugeben. 

Ich  bin  stets  überzeugt  gewesen,  dass  sich  die  Meinungen  leichter 
verständigen  würden,  müsste  das  Mittel  der  Verständigung  nicht  die  Sprache 
sein.  Auch  der  vorliegende  Fall  bekräftigt  diese  Ueberzeugung ;  denn  das 
Ergebniss  desselben  dürfte  im  Wesentlichen  kein  anderes  sein,  als  dass 
ich  Sie  und  Sie  mich  missverstanden. 

Sie  sagen,  Sie  hätten  nirgends  und  am  wenigsten  a.  a.  0.  dem  Epho- 
ros den  Vorwurf  des  (rrthums  gemacht,  die  Widersprüche  des  Straboni- 
scben  Textes  nicht  auf  seine  Rechnung  geschrieben.  Allein  in  Ihrer  Note 
heisst  es  ausdrücklich  von  Ephoros:  „licet  universos  perioecos 
Et>iUTag  dictos  narret  oppidique  incolas  E'Xislo'ug  potius  appellet,  bel- 
lum tamen  etc.  etc.  Hieraus  glaubte  ich  —  zumal  da  Sie  auch  weiterhin 
immer  nur  von  Ephoros  und  von  den  Dingen  sprechen  „quae  illius  levi- 
tas  deformavit^'  —  scbliessen  zu  müssen:  4)  dass  Sie  wirklich  annäh- 
men, Ephoros  selbst  habe  die  Periöken  mit  den  Heloten  identiflcirt,  und 
9)  dass  Sie  ihm  den  Vorwurf  des  Irrthums  machen;  denn  wenn  man 
sagt  „obgleich  Ephoros  dies  und  das  erzählt,  äussert  er  dennoch  dies 
und  jenes  (was  damit  nicht  im  Einklänge  steht) '^,  so  zeiht  man  damit  doch 
wohl  ihn  und  keinen  andern  des  Widerspruchs,  und  wen  man  des  Wi- 
derspruchs zeiht,  den  klagt  man  mindestens  des  Irrthums  an.  Trafen  in. 
dessen  meine  Folgerungen  mit  Ihren  Absichten  nicht  zusammen,  so  bitte 
ich  Sie  zu  bedenken,  ob  ein  Missverständniss  von  meiner  .Seite  möglicli 
gewesen  wäre,  wenn  Sie  etwa  geschrieben  hätten:  „licet  Strabo  euiq 
narrare  contendat^'  oder  Aehnlicbes. 

Ich  sei,  sagen  Sie,  vielleicht  selbst  in  einem  unerklärUchen  Irrthom 
begriffen,  wenn  ich  bei  irgend  einem  Alten  eine  andere  Etymologie  fUr 
E£>jw9  als  die  von  der  Stadt  Helos  voraussetze.  Thäte  ich  dies,  so  könnte 
ich  mich  damit  trösten,  diesen  nnerklärlicben  Irrthum  mit  einem  Manne 
wie  Otf.  MüUer  zu  theUen,  der  ja  in  Betreff  der  Etymologie  von  b>m  aus* 
drücklich  behauptet:   „Man  kannte  diese  Ableitung  im  Alterthuin^',  und 


476  Erwiederung. 

sich  zum  Beweise  dessen  nur  Beispiels  lialber  auf  die  Plirase  des  Pia* 
tonisclien  Scboliaslen  beruft:  "Eihwvzq  ot  «4  cu%ftxihaitiiv  dovAiot.  Ja  Sie 
selbst  macben  im  Grunde  dieser  Ansicht  eine  Concession,  indem  Sie  die 
Umstellung  der  Worte  xo^ictcr^oet  6z  tCkmaiq  zurückweisen;  denn  da  es 
nach  der  Jetzigen  Stellung  derselben  schon  vor  dem  Aufstände  von  Helos 
Heiloten  gab,  so  mUsste  doch  mindestens  diese  alte  Ueberlieferung  eine 
andere  Etymologie  als  die  von  Helos  voraussetzen  lassen.  Auch  gestehe 
ich  allerdings,  dass  es  mir,  worauf  ich  nachher  zurückkommen  werde, 
keineswegs  unmöglich  erscheint,  die  Erklärungen  der  Alten  in  der  von 
Ihnen  zurückgewiesenen;  d.  h.  in  MüUer's  Auffassungsweise  zu  deuten  oder 
auszubeuten.  Allein  in  meiner  Notiz  über  Ephoros  habe  ich  dies  nicht 
gethan,  wenigstens  nicht  direct;  und  es  liegt  also  wohl  nur  ein  Missver- 
stttndoiss  von  Ihrer  Seite  zu  Grunde.  Ich  hatte  geäussert:  ,,An  dieser 
Entstehongsweise  des  Namens  (d.  h.  insofern  man  ihn  „zuerst  nur  den 
gewaltsam  unterworfenen''  Einwohnern,  nicht  den  gesammten  Pe- 
rlöken,  beigelegt)  lasse  sich  so  wenig  zweifeln,  wie  an  dessen  Ableitaoer 
von  tKv\  daher  gebe  auch  Suidas  die  Erldärung:  oc  ic^wtol  %tL^ta^ 
>«VT«g'*  d.  h.  die  zuerst  gewaltsam  Unterworfenen.  Das  „da- 
her'' bezieht  sich  also  auf  den  Vordersatz  über  die  „Entstehungsweise'' 
zurück,  während  Sie  es  ohne  Zweifel  auf  den  Nachsatz  bezogen. —  Wei- 
terhin äusserte  ich:  „An  dem  Ausdruck  oXtavot  ttoXs/ttw  ersehe  man 
deutlich,  dass  Ephoros  dieselbe  Ableitung  des  Namens  geltend  machen 
wolle  wie  Suidas''  d.h.  dieselbe  historische  Ableitung,  als  Benennung 
der  zuerst  gewaltsam  Unterworfenen,  nicht  der  gesammten  Periö- 
ken,  wie  die  jetzige  Stellung  der  Worte  %a>/et(r^at  6s  BtT^wrag  glauben 
macht.  Deshalb  hatte  ich  auch  die  zwar  von  Fiedler  S.  433  in  sehr  zwei- 
deutiger Weise  citirte,  sicher  aber  nur  aus  den  Worten  des  Ephoros  ge- 
bildete Phrase  „6td  gtoT^/tov  ^>MMrTtq"  als  Paraphrase  der  Erklärung 
des  Suidas  zur  Seite  gestellt,  um  durch  diese  Prolepsis  von  vom  herein 
auf  die  beiderseitige  Uebereinstimmung  hinzuleiten;  wobei  nur  statt  des 
deutlicheren  „i.  e."  beim  Druck  ein  blosser  Punkt  als  griechisches  Kolon 
sich  einschlich  —  ein  Versehen,  das  bei  so  vielen  und  verschiedenartigen 
Gorrecturen  gewiss  sehr  verzeihlich  ist  und  gleich  anderen,  unseren  Druck- 
bestimmungen gemäss,  auch  ohne  dies  am  Schlüsse  des  ersten  Bandes 
berichtigt  worden  wäre.*)  Freilich  ging  ich  nun  einen  Schritt  weiter, 
wenn  ich,  um  die  Uebereinstimmung  des  Ephoros  mit  Suidas  in  der  hi- 
storischen Ableitung  des  Namens  zu  erhärten,  hinzufügte:  „zumal  da 
ihm  das  Ethnikon  von^EXo?  ausdrücddich  EX^iot  lautet'';  d.  h.  allerdings, 
insofern  er  vielleicht  gar  die  Etymologie  von  %%v  geltend  machen  will,  so 
dass  die  Heloten  ihm  selbst  der  Wortbedeutung  und  um  so  sicherer  also 
auch,  gleichwie  dem  Suidas,  der  Thatsache  nach  gewaltsam  Unter« 
worfene  wären.  Gewiss,  hätte  ich  jetzt  jenen  Passus  zu  schreiben,  ich 
würde  ihn,  um  ähnlichen  Missverständnissen  vorzubeugen,  wenn  auch  mit 
Aufopferung  einer  wesentlichen  Nuance,  etwa  so  fassen:  „An  dem  Aus- 
druck a^vcu  7eo\i /uLtf  ersieht  man  deutlich,  dass  Ephoros  dieselbe  Ent- 
stehungsweise des  Namens  geltend  machen  will  wie  Suidas,  vielleicht 
sogar  die  Etymologie  von  ahto,  zumal  da  ihm  u.  s.  w."  Hiermit 
gebe  ich  also  zu,  dass  ich  mich  der  Unbestimmtheit  im  Ausdruck  schul- 
dig gemacht;  doch  darf  ich  hoffen,  dass  Sie,  in  Rücksicht  der  oben  dar- 
gelegten Gründe  meines  eigenen  Missverständnisses,  mir  diesen  Fehl  nicht 
allzuhoch  anrechnen  werden. 


*)  Ein  weit  unangenehmeres  hat  sich  in  meinen  Beitrag  zum  4len 
Hefte  eingeschlichen,  wo  S.  34S  Z.  4  u.  5  von  unten  „ein  halbes  Jahrhun- 
dert" statt  „ein  und  ein  halbes  Jahrhnidert"  gedruckt  steht. 


Eneiederung.  477 

Habe  ich  dergestall  die  Annahme;  dass  Epboros  "B.i'kfaq  etymologisch 
von  Bkfa  abgeleitet  haben  könne ,  eben  nur  als  eine  bedingte  Möglichkeit 
hindurchschimmern  lassen  und  sie  durchaus  nur  als  etwas  Nebensäch- 
liches, nicht  als  ein  wesentliches  Resultat,  wie  Sie  es  nennen, 
betrachtet:  so  ist  es  mir  noch  weniger  beigekommen ,  zwischen  £t>>w> 
itq  und  okKwi/au.  einen  etymologischen  Zusammenhang  geltend  zu 
machen.  Wenn  ich  aXto-xci),  gleichwie  ja  auch  ot^u,  mit  «Xito  identi* 
flcirte,  so  geschah  dies  doch  einzig  vom  Standpunkt  der  Synonymik; 
und  wenn  ich  daher  aus  dem  Ausdruck  aXw^ai,  ^coXi/mta  d.  h.  aus  dem 
Umstände,  dass  Ephoros  die  Yerknechteten  ausdrücklich  als  mit  Waffen^ 
gewalt  Unterjochte  bezeichnet,  in  Verbindung  mit  der  abweichenden 
Fgrm  des  Ethnikons,  die  Yermuthung  entlehne,  er  selbst  nehme  vielleicht 
EiXunsg  im  Sinne  von  Kriegsgefangenen  d.  h.  sei  der  Etymologie  von 
sXia  sich  bewusst:  so  brauche  ich  darum  noch  keineswegs  zwischen 
tOwTsq  oder  i%stv  und  a^&vau.  etymologisch  irgend  einen  engern  Zu- 
sammenhang vorauszusetzen,  als  etwa  zwischen  den  deutschen  Wörtern 
gefangen  und  unterjocht.  Wiewohl  ich  übrigens  in  meinem  Auf- 
satze darüber  schwieg,  würde  ich  doch  auf  Befragung  keinen  Augenblick 
anstehen,  meine  Ueberzeugung  dahin  auszusprechen,  dass  ich  allerdings 
ahlaway  aA*6(a  und  %7^ta  in  der  Wurzel  für  Eins  halte.  Auch  ist  Müller 
nicht  der  Erste,  der  die  Ableitung  des  Helotennamens  von  einem  Particip 
geltend  machte ;  äusserte  doch  z.  B.  schon  Riemer  in  seinem  Lexicon, 
dass  jenes  Substantiv  „vom  Particip  ah^q  statt  soO^vq^*  gebildet  sei. 

War  es  mir  also  nicht  um  Etymologien  zu  thun,  beobachtete  ich 
grade  hierin  eine  absichtliche  Zurückhaltung  und  hatte  ich  eben  deshalb 
gar  keinen  Grund  von  den  Gitaten,  die  Sie  anfahren,  meinerseits  einen 
Gebrauch  zu  machen,  der  nothwendig  das  Maass  meiner  Aufgabe  über- 
schritten haben  würde:  so  glaube  ich  doch  nunmehr  einiger  darauf  be* 
züglichen  Bemerkungen  mich  nicht  enthalten  zu  müssen.  Es  scheint 
in  der  That  sehr  zweifelhaft,  ob  die  Definitionen  der  Alten  ipehr  die  wahn- 
hafte Etymologie  von  E\oqt  oder  die  ursprüngUche  von  £%u>  bekräftigen; 
denn  wiewohl  sie  den  Ursprung  des  Sklavennamens  mit  der  gewaltsamen 
UnterwerAmg  von  Helos  in  Verbindung  bringen:  so  folgt  doch  hieraus 
noch  nichts,  wofern  man  nicht  absichtlich  mit  Pausan.  und  Steph.  Byz. 
von  der  unwahrscheinlichen  Voraussetzung  ausgeht,  dass  EtTMntq  das  Eth* 
Bikon  von  EX^og  gewesen  sei.  Warum  sollten  denn  die  zuerst  gewalt- 
sam Unterworfenen,  die  a'owro<.  xsioa^meq  oder  die  il  otlxuuoCkM' 
Tfov  o<yvM)i  yBVo/uLSvot  oder  die  xara  xqaxoq  qjAKdxo»^  xom^^^,  selbst 
wenn  es  —  wie  doch  aus  bekannten  Gründen  sehr  zu  bezweifeln  —  die 
Bewohner  von  Helos  waren,  den  Namen  eiXtarsq  nicht  dennoch  im  Sinne 
von  „Kriegsgefangenen'^  erhalten  haben  können?  Und  worin  liegt  da- 
her die  Noth wendigkeit,  aus  der  äusserlichen  Verbindung  mit  Helos,  aus 
dem  zufälligen  Zusammentreffen,  dass  die  ersten  Heiloten  angeblich  die 
Heieier  waren,  den  Schluss  zu  ziehen,  die  Alten  hätten  Ei'XiwTsq  nur  als 
ein  Ethnikon,  als  eine  andere  Form  für  £>«etot  betrachtet?  Man  ist  also 
wohl  ebenso  berechtigt,  in  ihren  Definitionen  die  Etymologie  von  ^tXuneq 
aus  dem  Sinn  der  von  ihnen  gebrauchten  Wörter  x^iqta^ivrsq^  alxfjLcL" 
Xbrroi,  okKlavcu  u.  s.  w.  zu  deduciren,  als  aus  dem  Anklänge  an  den  Namen 
der  Stadt.  Diese  zwiefache  Deduction  ist  daher  auch  auf  die  Phrase  des 
Harpocr.  oder  Hellan.,  und  selbst  auf  die  Worte  des  Pausan.  anwendbar; 
denn  wenn  er  von  den  Bewohnern  von  Helos  als  den  zuerst^  Verknechte- 
ten sagt:  EcXonc?  l'iO^^aav  gtQwrot,  oea^aare^  yB  xat  ijcrav:  so  ist 
diese  Ausdrucksweise  um  nichts  weniger  zutreffend,  wenn  man  annimmt, 
seine  Quelle  nehme  Et^ursg  im  Sinne  von  „  Kriegsgefangenen '',  was  er 
selbst  freUich,  wie  aus  dem  nachfolgenden  Vergleich  erhellt,  nicht  thut. 


478  Erwiederung. 

Ich  will  keineswegs  behaupten;  dass  diese  Deulangsweise  auf  Unfehlbar« 
keit  Anspruch  machen  könne;  vielmehr  glaube  ich,  dass  in  den  vorhan- 
denen Definitionen   das   Bewusstsein    der   wahrhaften  Bedeutung    des 
Namens  theils  schon   geschwunden,    thefls   im  Schwinden   begriffen    ist; 
doch  muss  einmal  Otf.  Müller  nothwendig  von  derselben  Ansicht  über  die 
Doppelsinnigkeit  derselben  geleitet  worden  sein,   wenn  er  grade  aus  den 
Worten  des  Schol.  einen  Beweis  für  die  Bekanntschaft  des  Alterthums  mit 
der  Etymologie  von  tXw  entnehmen  zu  dürfen  glaubt,  und  überdies  drückt 
sich  ihre  Unsicherheit  und   Halbheit  deutUch  genug  in  der  Fassung  des 
Etym.  Magn.  aus,  wenn  die  jetzige  Stellung  des  ^  der  Absicht  des  Autors 
entspricht,  und  nur  etwa  hinter  vo^ol  ein  ttcu  ausgefallen  sein  sollte,  was 
nicht  einmal  nothwendig  erscheint.     Freilich  stammen  die  meisten  dieser 
Definitionen  aus  einer  oder  zweien  älteren  Quellen,  von   denen   die   eine 
vielleicht  Hellanikos  ist;   aber  warum   sollte  man  nicht  annehmen  dürfen, 
dass   Sinn    und  Ausdrucksweise   der    Quelle    grade    Im    Etym.  Magn.   am 
treusten  wiedergegeben  und  vielmehr  bei  Harpocr.,  Suid.  und  dem  PJaton. 
Scholiaslen    bis  zur  verschwiromenden  Unbestimmtheit  oder  gar  bis  ztir 
Einseitigkeit  getrübt  worden  sei.    Wenigstens  kann  daraus,  dass  die  Stelle 
des  Etym.  weiterhin  comimpirt  erscheint,  noch  nicht  folgen,  dass  sie  es 
auch  hier  ist;  und  an  sich  ist  es  wohl  leichter  erklärlich,  dass  ein  i^  mit 
oder  oboe  Absicht  ausgelassen  wird,  als  dass  es  irgendwo  zufällig  in  den 
Text  hineingerSth ;  zumal  da  Suidas  und  der  Piaton.  Scholiast  hier  schwer- 
lieh    für    zwei    verschiedene  Gewährsmänner   gelten    künnen.     Uebrigens 
wäre  es  nicht  unmöglich,   dass  die  hier  dargelegten  Vermuthungen,  die 
ich  aus  Furcht  vor  jeder  Uebereilung  nirgend  geltend  gemacht  habe  und 
ohne  den  gegenwärtigen  Anlass  vielleicht  nie  ausgesprochen  haben  würde 
—  auf  die  tbeilweise  Unbestimmtlieit  in  meinem  Aufsatze,  doch  jedenfaUs 
nur   wider    meinen    WUlen    und    mir   unbewusst,    einen    Einflass   geübt 
hätten.  — 

In  Betreff  der  Umstellung  der  Worte  otaXjsiff^ou  6s  E%tataq  wusste 
ich  in  der  That  nicht,  dass  schon  Valckenaer  eine  mit  der  meinigen  im 
Princip  so  vollkommen  übereinstimmende  Vermuthung  aufgestellt  habe. 
Diese  Belehrung  kommt  mir  zu  Statten.  Denn  wenn  Sie  die  Umstellung 
überhaupt  für  bedenklich  und  mit  einer  umsichtigen  Kritik  nicht  vereinbar 
erachten,  so  könnte  ich  mich  wiederum  damit  trösten,  dass  dies  Unheil 
zugleich  zwei  so  berühmte  Autoritäten  wie  Valckenaer  und  Otf.  Müller 
trifft;  denn  da  der  Letztere  zu  der  Stelle  ,;Ueber  die  Entstehung  dieses 
Verhältnisses  sagt  die  gewöhnliche  Nachricht  u.  s.  w/^  den  Ephoros  bei 
Strabon  mit  dem  Zusatz  „nach  Välckenaers  Aenderung'^  citirt:  bo 
meint  er  doch  unfehlbar  die  hier  in  Rede  stehende,  und  adoptirt  sie  also 
ohne  allen  Vorbehalt.  Nichtsdestoweniger  bemerke  icli  zu  meiner  Ver- 
theidigung  4}  dass  es  mir  zunächst  nur  um  den  Beweis  zu  thun  war,  im 
Text  des  Ephoros  müsse  das  Moment,  welches  bei  Strabon  durch  die  Worte 
ica>r.  Öl  Ei'Xi.  ausgedrückt  ist,  nothwendig  da  sich  befunden  haben,  wo 
er  von  den  Maassnahmen  des  Agis  handelte,  und  nicht  —  wie  Strabon'a 
Text  glauben  macht  —  da,  wo  er  von  Eurysthenes  und  Prokies  sprach. 
Die  Worte  njv  siX^areiav  et  *fgt  Aytv  ecatv  o«  otaTa5fi4avTfff  lassen 
darüber,  nach  meiner  Ueberzeugung,  nicht  den  geringsten  Zweifel  zu,  und 
eben  deshalb  durfte  ich  sie  auch  als  nicht  genugsam  beachtete  bezeich- 
nen; denn  wiewohl  Sie  dieselben  allerdings  selbst  anführten,  halte  ich 
doch  jede  Quellenangabe  für  eine  nicht  genugsam  beachtete,  aus  der 
man  eben  nicht  so  viel  folgert,  als  daraus  gefolgert  werden  kann.  Sie 
Ihrerseits  folgern  nun  aus  jenen  Worten  nur  den  Widerspruch,  insofern 
danach  Ephoros  die  Ableitung  des  Hellan.  und  Pausen,  gekannt  zu  haben 
scheine.    Von  meinem  Standpunkte  aus  konnte  mir  das  nicht  genügen, 


Erwiederung,  479 

^venn  ich  vielmebr  daraus  folgerte,  dass  Epboros  den  Satz,  mit  dem  sie 
im  schneidefidsten  Widerspruche  stehen ;  im  Vorhergehenden  gar  nicht 
geschrieben  d.  h.  nicht  erzählt  haben  könne,  die  gesammten 
Periöken  seien  Heiloten  genannt  worden,  wie  Sie  dies  nach  Ihrer 
Aeusserung  „licet  —  narret'^  anzunehmen  schienen^  —  S)  glaubte  ich  aber 
einen  Schritt  weiter  gehen,  die  Worte  xaX .  öl  EtX;.  für  versetzt  erklären 
und  somit  auch  den  Strabon  von  der  Schuld,  wenigstens  von  jeder  un« 
mittelbaren,  freisprechen  zu  müssen.  Denn  unmöglich  —  wiederhole  ich 
—  kann  ein  Autor  einen  so  groben  Widerspruch  in  Einem  Athemznge 
begehen.  Doch  will  ich  darum  noch  nicht  entscheiden,  ob  Valckenaer's 
Annahme  oder  die  meinige  unverfönglicher  sei,  und  noch  weniger  ist  es 
meine  Absicht,  den  Strabonischen  Text  ohne  Weiteres  emendirt  zu  se- 
hen. Sicher  würde  ich  als  Herausgeber  desselben,  wofern  nicht  diploma* 
tische  Kriterien  Gewissheit  geben,  die  Stelle  lassen  wie  sie  ist;  denn  das 
Hineinbringen  von  blossen  Gonjecturen  in  die  klassischen  Texte  ist  im 
Allgemeinen  gewiss  das  geeignetste  Mittel,  die  Authenticitöt  zu  verringern 
statt  zu  erhöhen.  Aber  ebenso  sicher  würde  ich  auch  als  Commentator 
auf  das  Augenfällige,  Uuabweisliche  bestehen  und  behaupten,  was  ich  hier 
behaupte.  —  3)  bin  ich  mir  nicht  bewusst,  etwas  Wesentliches  und  na- 
mentlich nicht  die  Worte  hinter  ocQ6>^at  doyjXoxyq  übersehen,  sondern 
nur  nach  einer  Kürze  gerungen  zu  haben,  die  ich  nun  aufgeben  muss. 
Zunächst  kann  ich  mich  nicht  überzeugen,  dass  der  Genius  der  griech. 
Sprache  von  so  eigentbümlicher  Sprödigkeit  sein  sollte,  um  der  Satzbil- 
düng:  xQt^i^va^  öoiSKoxjq^ 'ncckBia^cu  ös  £t>uurag,  tXL  ra'tcroiq  9e.  t,  >/.  ein 
absolutes  Hinderniss  entgegenzustellen;  denn  wenn  auch  selbst  an  dieser 
Stelle  9c>i«;>ifva&  vorzuziehen  wäre,  so  kann  es  doch  wenigstens  Nieman- 
dem einfallen,  das  igte  raxTCtg  auf  den  Zwischensatz  statt  auf  otqt^ifi'cu 
zurückzubeziehen ;  und  wenn  es  auch  nicht  zu  behaupten  ist,  dass  die 
Diction  schön  und  ohne  allen  Anstoss  sein  würde,  so  wüsste  ich  doch 
keine  Sprache,  in  der  eine  solche  Satzfügung  nicht  wenigstens  zulässig 
sei.  Im  Uebrigen  lassen  sich  hunderterlei  Gombinationen  denken,  wodurch 
die  Versetzung  bewirkt  worden  sein  kann,  ohne  dass  wir  dem  Strabon 
selbst  eine  mehr  als  mittelbare  Schuld  beizumessen  brauchen.  Das 
Wahrscheinlichste  ist,  er  habe  jenen  Satz  im  Concept  ausgelassen  und 
nachträglich  am  Rande  hingeschrieben,  in  der  Absicht,  dass  er  hinter 
^o'iiXo'u?  eingeschaltet  werde.  Sei  es  nun,  dass  er  selbst  das  Einschale 
tungszeichen  vergass,  od<'r  dass  der  erste  Abschreiber  des  Manuscriptes 
es  übersah  oder  auch  mit  einem  bedeutungslosen  verwechselte,  welches 
durch  Streichungen  und  Gorrecturen  hinter  dqxsuav  veranlasst,  dort  zu- 
fällig stehn  geblieben  sein  konnte:  genug  die  Einschaltung  der  Randbemer» 
kung  an  einen  falschen  Ort  von  Seiten  emes  Gopisten,  der  für  eine 
Selbstprüfung  der  Sache  so  wenig  Interesse  haben  konnte  wie  die  unsri- 
gen,  trägt  gewiss  nicht  den  Gharakter  des  Unglaublichen. 

Gestatten  Sie  mir  nun  aber,  zu  dem  überzugehen,  was  mir  selbst 
die  Hauptsache  ist.  Denn  ich  kann  durchaus  nicht  damit  übereinstimmen, 
dass  Sie  die  Umstellung  jener  Worte  wiederum  als  wesentliches  Re- 
sultat meines  Aufsatzes  bezeichnen;  dann  wäre  dieselbe  mir  Zweck  ge- 
wesen, während  sie  in  der  That  mir  nur  als  Mittel  diente.  Mein  we- 
sentliches Resultat  war  kein  philologisches,  sondern  ein  literar- 
historisches, ein  Beitrag  zur  Würdigung  des  Epboros  als  Geschichts« 
quelle.  Dies  ergiebt  sich  schon  daraus,  dass  der  Titel  nicht  etwa  lautete 
„Emendation  einer  Stelle  des  Strabon '',  sondern  vielmehr  eben  „Epboros 
über  die  Heloten."  Der  Schluss  aber  zeigt  dies  vollends  deutlich.  Denn 
„der  mittelbare  Gewinn  unserer  Erörterung,  heisst  es  daselbst,  besteht 
darin,  dass  nunmehr  auch  das  Zeugniss  des  Epboros  die  Auffassung  be- 


480  Encie<ierung, 

BtfiUgt,  gegen  die  er  vorzüglich  bisher  zu  streiten  schien/^  Und  an  die- 
sem mir  einzig  wesentlichen  Resultate  werde  ich  wohl  ewig  festhalten, 
wenn  man  auch  darüber  rechten  mag,  ob  das  Mittel,  welches  zu  demsel- 
ben führte,  dieser  oder  jener  Anwendung  fähig  sei;  denn  dies  Mittel,  d,  h. 
der  Beweis,  dass  das  %a>f.  ob  nX».  dem  Sinne  nach  in  der  Relation  des 
BphoroB  erst  auf  die  Erwähnung  der  Maassnahmen  des  Agis  gefolgt  sein 
kiinne,  behttlt  seine  volle  Kraft,  gleichviel  ob  man  den  fraglichen  Satz  in 
dem  Strabonischen  Excerpt  hinter  oKSvcu  9Co>afJL<^  oder  hinter  ^qi^TJvcu 
6oi$XfOvs  setzen,  oder  ihn  auch  in  seiner  bisherigen  Stellung  aus  philolo- 
gischen Gründen  vertheidigen  und  aus  diplomatischen  belassen  will.  Und 
hierin  werden  Sie  gewiss  mir  beipflichten.  Denn  eine  andere  Alternative 
giebt  es  nicht  als  die:  Entweder  wirft  man  dem  Ephoros  keinen  Irrthum 
vor  —  und  dann  muss  man  jene  Umstellung  der  Momente  im  Sinne 
des  Ephoros  gelten  lassen;  oder  man  lässt  dieselbe  nicht  gelten  — 
dann  aber  ist  man  genöthigt,  den  Ephoros  selbst  des  Widerspruchs  d.  h. 
des  Irrthums  zu  zeihen.  Die  einzige,  freiUch  revolutionäre  Art,  wie  man 
allenfalls  eine  Rettung  des  Textes  versuchen  könnte,  wäre  die  A.n- 
nahme  eines  Doppelbegriffs  der  Heloüe;  eine  solche  haben  Sie  jedoch 
nicht  gegen  mich  geltend  gemacht. 

Ueber  die  Geringfügigkeit  der  Frage,  die  uns  hier  beschäftigt,  stimme 
ich  Ihnen  schliesslich  aus  voller  Seele  bei.  Gewiss  ist  sie  im  Yerhältniss 
znm  Grossen  und  Ganzen  der  Vergangenheit  von  höchst  untergeordneter 
Bedeutung,  im  Yerhältniss  zu  den  spannenden  Interessen  der  Gegenwart 
sogar  entschieden  gleichgültig.  Allein  nichtsdestoweniger  hat  jeder  Punkt  in  der 
Wissenschall,  und  wenn  es  nur  das  leiseste  und  versteckteste  Pünktchen 
ist,  einen  triftigen  Anspruch  auf  Ergründung,  da  ja  selbst  der  scheinbar 
isolirteste  durch  eine  Reihe  von  Uebergängen  mit  dem  Grossen  und  Gan- 
zen in  Berührung  steht.  Deshalb  glaubte  auch  ich,  den  vorliegenden  nä- 
her besichtigen  zu  dürfen,  ohne  mich  darum  zu  kümmern  nocii  darüber 
zu  täuschen,  ob  es  eine  der  strotzenden  Früchte  am  Baum  der  Erkennt- 
niss  griechischen  Wesens  sei,  um  die  es  sich  handle,  oder  nur  eine  der 
saftlosen  Fasern  seiner  zahllosen  und  staubbedeckten  Wurzeln. 

In  der  festen  Zuversicht,  hochgeehrtester  Herr,  dass  die  freundlichen 
und  wohlthuenden  Beziehungen,  die  mir  mit  Ihnen  zu  unterhalten  vergönnt 
war,  durch  diese  Episode  keine  Störung  erleiden  werden  und  überhaupt 
keiner  anderen  Wandelung  als  der  des  Wachsthums  und  der  Erstarkung 
fähig  seien,  bitte  ich  Sie,  die  Versicherung  der  vollkommenen  Dankbarkelt 
für  die  reichen  Belehrungen  zu  genehmigen,  die  aus  Ihren  Schriften  mir 
zugeflossen  sind,  sowie  der  aufrichtigen  Hingebung,  mit  der  ich  mich  Ih- 
rem ferneren  Wohlwollen  empfehle  und  hochachtungsvoll  verharre 

Ihr 

ganz  gehorsamster 
Adolph  Schmidt. 

N.  S.  Es  gereicht  mir  zur  Genugthuung,  Ihnen  nachträglich  melden 
zu  können,  dass  Hr.  G.  R.  Böckh,  mit  dem  ich  so  eben  sprach,  in  Be- 
treff der  Strabonischen  Stelle  ganz  meiner  Ansicht  ist  und  mich  sogar  au- 
genfällig davon  überzeugte,  indem  er  mir  sein  Handexemplar  vorwies, 
worin  er  die  Worte  xa\  ös  Et>».  längst  als  ein  Einschiebsel  bezeichnet 
hatte;  auch  er  hält  dieselben  für  versetzt  und  meine  Einschaltung  hinter 
nqt^yij^cu  Öoijhfyuq  für  unverfänglich  und  zulässig. 


/^ 


Schreiben  an  den  Heransgeber, 

die 

^€ke»ehlehte  Deutoeblands  von  I§06— iS80 

von  Prof«  CMedrieli  Billau«  Hamb.  iM9.^ 

betreffend. 


loh  versprach  Ihnen,  geehrter  Freund,  eine  Anzeige  der  Ge- 
schichte Deutschlands  von  Bülau.  Es  schien  mir  der  Versuch, 
dem  Deutschen  Volk  eine  zusammenhängende  und  wissen- 
schaftlich gegründete  Darstellung  seiner  neuesten  Geschichte 
zu  geben,  in  so  hohem  Maasse  bedeutsam  und  für  die  Ent- 
wicklung unserer  öffentlichen  Verhältnisse,  über  die  in  ge- 
schichtlicher Rückschau  allein  ein  rechtes  Bewusstsein  ge«* 
Wonnen  werden  kann,  so  einfiussreich,  dass  ich  es  für  ver- 
dienstlich hielt,  mit  Sorgfalt  und  Aufrichtigkeit  das  Geleistete 
zu  prüfen  und  zu  besprechen;  das  um  so  mehr,  da  bei  der 
allgemeinen  Anerkennung,  deren  der  Charakter  und  das  Ta- 
lent des  Herrn  Verfassetrs  geniesst,  gewisse  Einseitigkeiten 
und  Schroffheiten  der  Ansicht,  wie  sie  in  diesem  schon  weit 
verbreiteten  Buch  vorliegen,  einen  Einfluss  gewinnen  wer- 
den, dem  wenigstens  der  motivirte  Protest  einer  entgegen- 
gesetzten Ansichtsweise  nacheilen  zu  müssen  schien.  Aber 
eben  dieser  Umstand,  durch  den  meine  Besprechung  des  Bu- 
ches tiberwiegend  auf  publicistisches  Gebiet  gedrängt  werden 
musste,  schien  mir  dieselbe  der  Tendenz  Ihrer  Zeitschrift  mehr 
und  mehr  zu  entfremden.  Ich  begnüge  mich  Ihnen  statt  ei- 
ner förmlichen  Recension  einige  Bemerkungen  zu  übersen- 
den, indem  ich  es  Ihrer  Entscheidung  überlasse,  ob  Sie  den- 
selben einen  Platz  in  Ihrer  Zeitschrift  gewähren  wollen. 

Zeitschrift  f.  GescIiicliUtr.   I.   1844.  3£ 


482      Schreiben  an  den  Herausgeber,  die  ,yGeschichte 

Zunächst:  wanim  die  Geschichte  Deutschlands  nur  bis 
1830?  Das  Jahrzehent  darnach  ist  weder  der  Erforschung 
unzugänglicher  noch  gar  des  Interesses  minder  werth  als  das 
grosse  decrescendo  bis  zu  dem  genannten  Jahre.  Wie  war  die 
deutsche  Presse  stumpf»  muthlos,  servil  geworden;  man  wandte 
sich  mit  Ekel  von  den  deutschen  Zeitungen  und  Brochüren, 
von  der  stagnirenden  Publicistik  unseres  Vaterlandes  zu  denen 
Englands  und  Frankreichs;  selbst  die  Erinnerungen  unserer 
grossen  Freiheitskriege  erhielten  mehr  und  mehr  die  Farbe 
die  ihnen  Frankreich  und  England  gab.  Die  Zeit  der  Eman- 
cipation  und  der  Julirevolution  fand  ans  des  Interesses  mid 
des  Verständnisses  unserer  heimisehen  Angelegenheiten  ent- 
wöhnt; wie  mancher  schmerzliche  Irrthum  seit  1830  stammt 
uns  daher.    Aber  wir  fanden  uns  allmählig  zurecht;  die  Ei- 
destreue von  1837  durchschütterte  uns;  und  als  das  Wetter- 
leuchten von  1840  ernste  Gefahr  zu  verkünden  schien,  sahen 
wir  mit  frohem  Erstaunen,  dass  wir  einiger,  dass  wir  deut- 
scher waren,  als  wir  uns  zugetraut;  ein  frischer  Hauch  wehte 
über  Deutschland  und  erweckte  einen  Frühling  neuer  Hoff- 
nungen.   Ich  meine,   ein  rechtes   Verständniss  des  neuen 
Deutschlands  hätte  den  Darsteller  seiner  Geschichte  nicht  ra- 
sten lassen  bei  der  in  unaufgelöster  Dissonanz  schliessenden 
Fermate  der  Reaction;  es  hätte  ihn  getrieben^  das  Jahrzehent 
des  Liberalismus  zu  durcheilen,  um  uns  zu  dem  Jahre  zu 
fuhren,  mit  dem  sich  der  Blick  der  Völker  von  Frankreich, 
der  Blick  der  Kabinette  von  Russland  hinweg  und  nach  In- 
nen zu  wenden  schien,  um  endlich  in  erneutem,  treulichst 
gegenseitigen  Verständniss  und  Vertrauen  das  langersehnte 
nationale  Stadium  des  deutschen  Wesens  zu  beginnen. 

Oder  bat  Deutschland  seit  1815  überhaupt  keine  Ge- 
schichte, sondern  „nur  Zustände  und  Begegnisse'S  etwa  ei- 
nige demagogische  Umtriebe,  ständische  Debatten,  administra- 
tive Verbesserungen,  Notizen  fiir  den  Gothaischen  Kalender? 
bat  es  keine  Geschichte,  kein  Woher  und  Wohin,  keine  Er- 
innerung und  Zukunft,  keinen  Kampf  grosser  Tendenzen  und 
bewegender  Principien?  lebt  es  so  hin  ohne  Hoffnung  und 
Besorgniss? 


Deuischlands  von  1806—1830''  betreffend.         483 

Allerdings  giebt  es  wohlmeinende  Männer,  nach  deren 
Ansicht  die  Geschichte  bis  1815  reicht  und  von  da  an  die 
Maassregeln  beginnen.  Aber  wo  ist  deren  Berechtigung,  wo 
deren  Norm,  deren  Wirkung?  hat  Deutschland  eine  neueste 
Geschichte,  so  ist  sie  von  mächtiger,  unwiderleglicher  Bered* 
samkeit,  und  vielleicht  da  am  meisten,  wo  sie  zu  verstum- 
men scheint  Und  diese  Beredsamkeit  der  Thatsachen  ist  die 
Sprache  des  Historikers,  mit  ihr  trifil  er  uns  in  das  Herz. 
Gern  entbehren  wir  dann  Bemerkungen,  wie  die:  dass  die 
Badensche  Verfassung  als  beste  Verfassung  in  den  Augen  der 
Liberalen  nachmals  von  der  Kurhessischen  ausgestochen 
worden,  dass  die  Liberalen  nicht  immer  den  schärfsten  staats- 
rechtlichen Blick  haben  (S.  559),  oder  bei  Gelegenheit  des 
auto-da-f6  auf  der  Wartburg:  dass  der  Hamburger  Corre- 
spondent  heut  wohl  auch  mit  ins  Feuer  kommen  dürfte  (S. 
437),  oder  S.  271  die  „bemerkenswerthe"  Beobachtung  über 
Bordelle.  Oder  gehören  diese  und  zahlreiche  ähnliche  Bemer- 
kungen auch  zu  den  „politischen  Beflexionen'S  mit  denen 
Herr  Bülau  manches  aufzuhellen  geglaubt  hat?  (S.  IV.) 

Von  Herrn  Bülau  wird  es  niemand  anders  erwarten,  als 
dass  seine  Darstellung  viel  Umsichtiges  und  Treffendes  ent- 
hält; und  die  Anerkennung,  die  derselben  ein  Meister  unse- 
rer Wissenschaft  gezollt  hat,  überhebt  mich  der  freilich  dank- 
bareren Mühe,  das  Werthvolle  ausdrücklich  hervorzuheben. 

Vielen  wird  dieselbe  in  dem  Maass  wertbvoller  erschei- 
nen, als  Herr  Bülau  gewissen  Antipathien  Worte  leiht,  welche 
innerhalb  des  deutschen  Vaterlandes  nur  zu  populär  sind. 
Wahrlich  den  Historiker  ziert  nichts  mehr  als  strenge  Ge- 
rechtigkeit; sie  hat  doppelten  Werth,  wenn  er  sie  auch  da 
übt,  wo  glänzende  Thaten,  grosse  und  mit  Aufopferung  er^ 
zielte  Leistungen,  der  feste  Blick  des  Selbstvertrauens  und 
der  bewussten  Kraft  das  minder  geübte  Urtheil  blenden  und 
verwirren  könnten.  Aber  je  strenger  er  urtheilt,  desto  siche- 
rer begründet,  desto  überzeugender  sei  seine  Gerechtigkeit. 
Nur  der  sittliche  Zorn  eines  Tacitus  hat  das  Becht  bitter  zu 
sein;  nur  die  grosse  geschichtliche  Auflassung  eines  Thucy- 
dides  versöhnt  mit  jenem  herben  Ernst  der  Betrachtung,  der 

31* 


^  I 


484      Schreiben  an  den  Herausgeber,  die  „Gesckichte 

für  sich  nichts  mehr  hoffend  und  fürchtend  auf  den  wirren 
Wechsel  menschlicher  Dinge,  auf  die  blöde  Ohnmacht  mensch- 
lichen Wollens  und  Könnens  hinabblickt 

Es  ist  ein  ernstes  und  feierliches  Amt  den  Fürsten  und 
Völkern  den  Spiegel  der  Selbstbeschauung  vorzuhalten,  ihnen 
der  Dolmetsch  ihrer  Geschichte  zu  sein.  Da  sollen  sie  inne 
werden,  was  sie  geirrt  und  verschuldet,  und  wie  doch  die 
gütige  Hand  der  Vorsehung  ihnen  Irrthum  und  Schuld  zum 
Heil  gewandt  hat;  da  sollen  sie  erkennen,  was  sie  unrettbar 
verloren  und  was  sie  an  Anspruch,  Recht  und  Hoflhung  er- 
worben haben;  da  sollen  sie  beides^  ihre  Kraft  und  ihre 
Schwäche,  schauen,  um  an  dem  erkannten  Beruf  ihrer  ge- 
schichtlichen Stellung  sich  emporzurichten  zu  ernsterem  Vor- 
satz. Wehe  dem,  der  mit  einem  Lügenbild  ihrer  Vergangen- 
heit sie  über  sich  selbst  irre  macht,  der  ihnen  ihre  Schwäche 
preiset  als  weise  Vorsicht,  und  was  sie  aus  Frevellust  oder 
im  bethörenden  Drang  der  Umstände  Arges  gethan,  als  eine 
Bethätigung  ihres  guten  Rechtes  beschönigt,  der  erniedrigt, 
was  sie  Grosses  vollbracht  und  den  erquickenden  Sonnen- 
blick einer  hehren  Begeisterung  ihnen  zu  verhüllen  sucht  mit 
dem  aufgewühlten  Staub  rechthaberischer  Engherzigkeit  und 
dem  wirren  Nebeldunst  selbstgefälliger  Sophistik.  —  Noch 
leben  Männer  genug  unter  uns,  die  Zeugen  der  schmachvollen 
Fremdherrschaft,  Zeugen  der  glorreichen  Erhebung  Deutsch- 
lands gewesen;  noch  jetzt  erfüllt  sie  jede  Erinnerung  jener 
ernsten  Zeiten  mit  einer  Wärme,  die  uns  in  der  Fieberbaf-^ 
tigkeit  unserer  Stimmungen  schmerzlich  gemahnt,  was  wir 
entbehren.  Schönere  Erinnerungen  hat  Deutschland  nicht,  sie 
sind  der  Grundstein  dessen,  was  wir  haben  und  hoffen.  Und 
bei  allem  Herrlichsten  jener  Zeit  begegnet  uns  stets  zuerst 
PreussensName.  Was  einst  Athen  bei  Marathon  und  Salamis  iur 
Griechenland,  das  war  Preussen  damals  für  unser  Vaterland. 
Wohl  hatte  das  altmächtige  Sparta  die  Ehre  der  Führung, 
aber  es  zögerte  mit  seiner  Hülfe  ^  es  grollte  der  aufstreben- 
den Kraft  der  jungen  Freiheit.  Wohl  half  Theben  dem  ge- 
waltigen Fremdling;  es  ward  nach  errungenem  Siege  dem 
Gott  verzehntet.    Aber  die  Rettung  Griechenlands;  auch  die 


Deutschlands  eon  iSOe—iSSO''  betreffend,         485 

der  Uellenen  jenseits  des  Meeres,  —  nicht  allein  aber  beson- 
ders der  Athener  Werk  —  ward  ihnen  eben  nicht  gedankt; 
man  nahm  es  hin,  als  hätten  sie  nur  ihre  Pflicht  gethan,  oder 
als  hätten  sie  nur  sich  zu  retten  den  Namen  des  Griechen- 
thums  vorangestellt;  und  die  andern  Staaten  sahen  mit  Ei- 
fersucht auf  die  bewusste  Kraft  des  Perikleischen  Staates,  in 
dessen  Macht  doch  allein  der  Schirm  des  zerrissenen  Grie- 
chenthums,  die  würdige  Vertretung  und  Erhebung  des  helle- 
nischen Namens,  die  fortschreitende  Entwicklung  der  hoch- 
berufenen Nation  war.  Denn  auch  des  Barbaren  Hülfe  suchte 
Sparta  zum  Kampf  wider  Athen;  und  dass  Griechenland  seine 
„ Freiheit ^^  gegen  Athen  zu  schützen  eifersüchtig  war,  das 
brachte  erst  die  ertödtende  Herrschaft  Sparta's  über  die  Hel- 
lenen, dann  den  Untergang  aller  Freiheit.  Wohl  uns,  dass 
unser  Vaterland  in  dem  deutschen  Bunde  eine  Form  fand, 
die  das  Hadern  um  die  deutsche  Hegemonie  fuir  immer  zu 
entfernen  vermag,  wenn  man  ihn  redlich  will,  dass  Preussen 
und  Oesterreich  selbst  die  Gründung  forderten,  die  hinfort 
Deutschland  als  einen  unauflöslichen  Verein,  als  eine  in  po- 
litischer Einheit  verbundene  Gesammtmacht  [Schlussacte  Art. 
2.5.)  „wieder  in  der  Keihe  der  Mächte  erscheinen  lassen  sollte^' 
(Worte  des  Präsidialgesandten  in  der  Eröffnungsrede  1817). 
Wie  nun  behandelt  Herr  Bülau  die  deutsche  Geschichte 
jenes  Zeitraums?  Ich  will  nur  von  dem  sprechen,  was  er  in 
Beziehung  auf  Preussen  äussert.  Nicht  als  gäben  die  ander- 
weitigen Darstellungen  nicht  mannigfachen  Anlass  zu  nähe- 
ren Beleuchtungen,  aber  das  über  Preussen  Gesagte  ist  theils 
in  besonderem  Grade  charakteristisch  fiir  den  Standpunkt  des 
Herrn  Verf.,  theils  von  der  Art,  dass  mit  der  Geltung  der- 
artiger Ansichten  mehr  noch  das  deutsche  als  das  preussische 
Interesse  gefährdet  sein  würde.  Freilich  die  grosse  Kunsf 
der  Anordnung  und  Darstellung,  die  durch  kleine  Nüancirun- 
gen,  durch  die  Wahl  des  Wortes,  die  Wahl  dessen  was  mit- 
getheilt,  was  übergangen  wird  u.  s.  w.,  ihren  Eindruck  zu 
erzielen  gewusst  hat,  macht  es  mir  unmöglich,  die  Farbe,  die 
durchschimmernde  Stimmung,  die  das  Ganze  durchzieht  und 
den  Leser  umspinnt,  so  abzulösen,  dass  ich  sie  vorweisen 


486      Si^reiben  an  den  Herausgeber,  die  „Geichichie 

und  in  ihren  einzelnen  Verwendungen  controliren  könnte. 
Aber  wer  das  Buch  zur  Hand  genommen,  wird  an  sich  sei« 
her  den  Eindruck  dieser  Stimmung  erfahren,  und  je  nach 
seiner  individuellen  Weise  Genugthuung  oder  Unmuth  em* 
pfunden  haben.  Wenigstens  geistig  gehoben,  zu  gutem  Vor- 
satz gestärkt,  zu  neu^  Liebe  und  Hoffnung  fiir  das  deutsche 
Vaterland  entzündet  haben  wohl  die  Wenigsten  das  durch* 
iesene  Buch  aus  der  Hand  gelegt.  Oder  hat  Herr  Bülau  der- 
gleichen auch  gar  nicht  gewollt,  sondern  nur  „nach  Wahrheit'^ 
gestrebt?  Aber  grade  die  Wahrheit  und  gar  die  Wahrheit  der 
Geschichte  unserer  neuen  Zeit  kann  nicht  anders  als  das  wir- 
ken, was  diese  Geschichte  Deutschlands  entbehren  lässt. 

Doch  nun  zu  Herrn  Bülau's  Darstellung  Preussens ;  we- 
nigstens die  hervorstechendsten  Aeusserungen  mögen  im  Fol- 
genden zusammengestellt  werden. 

Rückwärts  blickend  sagt  er:  „Preussens  frühere  Grösse 
hatte  darin  bestanden,  dass  seine  Regenten  mit  Geschick  und 
Kühnheit  die  Umstände  zur  Vereinigung  einer  Ländermasse 
benutzt  hatten,  in  deren  Besitz  ein  unternehmender  Fürst 
mit  Redeutung  in  den  europäischen  Staatshändeln  mitspre- 
chen konnte;  und  dass  es  unter  der  Regierung  eines  klugen 
Monarchen  einen  auf  verschiedenen  Seiten,  den  Zeitansichten 
gemäss,  sorgfältig  geordneten  Verwaltungsmechanismus  erhal* 
ten  hatte*'  (S.  83).  Wenigstens  der  Geschichtsforscher  (als  sol- 
cher zu  gelten  macht  Herr  Bülau  S.  IV.  „keinen  Anspruch**) 
wird  hier  Preussens  Verhältniss  zum  Protestantismus  ausge- 
lassen zu  sehen  bedenklich  finden,  wird  hier  das  Bild  Fried- 
richs H.  und  seiner  Bedeutung  bei  Weitem  nicht  wiederer- 
kennen. Bekannt  ist,  in  welchem  Verhältniss  zu  dem  grossen 
Könige  das  allgemeine  Landrecht  steht:  „freilich  nur  ein  gros- 
ses Gasuistenmagazin,  das  in  Vielem  den  Stempel  der  eng- 
herzigen Ansicht  der  Zeit  und  des  Kreises  seiner  Entste- 
hung trug**  (S.  95),  ein  Urtheil,  das  wenigstens  den  Charak- 
ter jener  Godification  nicht  erschöpfend  bezeichnet.  Ferner: 
„Preussen,  das  nachher  jenes  (deutsche)  Gesammtgefuhl  am 
strengsten  in  Anspruch  nahm,  hatte  das  Meiste  gethan 
es  zu  zerstören**  (vergl.  S.  158. 162).    Das  ist  freilich  die 


DmtMchlands  von  1806—1830''  betreffend.         487 

gewöhnlicbe  Ansicht ,  aber  der  Geschichtsforscher  wird  sich 
ernstlich  bedenken  sie  zu  wiederholen;  jedenfalls  tragt  jedes 
deutsche  Färstenhaus,  das  österreichische  an  der  Spitze,  glei«- 
che  Schuld;  dem  vollkommen  rechtmässig  erwählten  Kaiser 
Carl  YII.  weigerte  Oesterreich  die  Anerkennung,  versagte  es 
die  Reichsarchive;  das  österreichische  Kabinet  suchte  und 
gewann  die  Allianz  des  französischen,  „dem,  wie  Herr  Bülau 
meint,  nur  innere  Feinde  oder  kurzsichtig  Betrogene  sich  ohne 
Misstrauen  zuneigten"  (S.  3),  zu  jenem  siebenjährigen  Kriege, 
in  dem  der  Sieg  von  Rossbach  recht  eigentlich  als  ein  na- 
tionaler, als  eine  Genugthuung  für  tausendfachen  Schimpf, 
den  Deutschland  von  Frankreich  zu  erleiden  gehabt,  mit  Ju- 
bel begrüsst  wurde.  An  Preussen  begann  sich  ein  deutsches 
Nationalgefiihl  von  Neuem  emporzurichten;  und  von  Fried- 
richs II.  Fürstenbunde  konnte  Johannes  Müller  sagen t  „ganz 
Deutschland  erwachte  zu  frohen  Hoffnungen,  Europa  schien 
bereit  uns  zu  bewundern  —  versuchen  auch  wir  endlich  ein- 
mal den  Machtsprung  zu  thun,  hinaus  über  Jahrhundert  alte 
Pedanterie  —  zu  achtem  Reichszusammenhang,  dann  auch  zu 
gemeinem  Yaterlandsgeist,  damit  auch  wir  endlich  sagen  dür- 
fen: wir  sind  eine  Nation."  Das  ward  1787  geschrieben. 
Den  ungeheuren  Ereignissen  der  Revolution  gegenüber,  ver- 
lor da  Preussen  allein  die  Besonnenheit,  den  rechten  Weg, 
die  sichere  Basis  ernster  Gerechtigkeit? 

Niemand  wird  die  Gewaltsamkeiten  und  Rechtsverletzun- 
gen in  Abrede  stellen,  mit  denen  die  Territorial-  und  Reichsver- 
hältnisse Deutschlands  vernichtet  worden  sind;  niemand  wird 
loben  oder  rechtfertigen  wollen,  was.  gethan  ist;  aber  zum 
Heil  war's,  dass  es  geschah.  Das  alte  Reich  war  vollkommen 
verbraucht;  sollte  die  Nation  gerettet  werden,  so  mussten  die 
alten  wüsten  Trümmer  abgetragen,  die  tausendfach  hemmen- 
den, zur  Lüge  gewordenen  Formen,  an  denen  Deutschland 
krebshaft  krankte,  zerbrochen,  es  musste  zu  einer  Entwick- 
lung fortgeschritten  werden,  die  man  als  die  des  Volkes  zum 
Staatsbürgerthum  wird  bezeichnen  dürfen. 

Es  ist  bekannt,  in  wie  grossartigem  Sinne  Preussen  nach 
der  furchtbaren  Bewältigung  sich  reorganisirte.  Nicht  als  ver- 


468      Schreiben  an  den  Herausgeber,  die  „GeechkMe 

mochte  Herr  Bülau  die  Bedeutung  und  die  sittliche  Hoheit 
dieser  unvergesilichen  Jahre  in  Abrede  zu  stellen;  aber  er 
ist  unermüdlich,  kleine  Mäkeleien  beizufiigen  und  die  Schat- 
ten, die  da  so  wenig  wie  bei  jedem  anderen  menschlidien 
Thun  gefehlt  haben,  hervorzuheben.  Wenn  er  es  rühmen 
muss,  wie  die  Regierung  einen  Grundstein  nach  dem  an- 
dern in  geordnetem  Bau  legte,  so  fügt  er  hinzu:  „ruhig,  ge- 
räuschloser als  sonst  der  Preussen  Art  ist^'  (S.  84); 
und  ähnlich  S.  108:  „der  höher  gehobene  Yolkssinn,  einfa- 
cher, ernster,  nach  der  erhaltenen  Lehre  weniger 
prahlerisch' auftretend."  Damit  stimmen  denn  freilich  (S.i08} 
„die,  man  möchte  sagen,  von  tugendhafter  Reue  zeugen- 
den ernsten,  unablässigen  Anstrengungen,  womit  Preussen 
die  Ursachen  des  früheren  Unheils  zu  beseitigen  gesucht  hat" 
Wie  merkwürdig  sticht  dagegen  die  schonende  Zartheit  ab, 
mit  der  Herr  Bülau  Oesterreich  behandelt:  „wenn  es  auch 
nicht  durch  entschlossenen  Uebergang  zu  einem  neuen  Sy- 
stem seines  Staatslebens  sieh  ein  neues  Mittel  zum  Siege  m 
sehaflfen  gedachte,  wenn  es  auch  den  Kampf  im  WesentUcheci 
mit  den  alten  Mitteln  zu  fähren  vorhatte  und  nur  schwache 
Versuche  machte  eine  secundäre  Beihülfe  anderer  Elemente 
zu  verursachen  (der  Kundige  weiss,  wie  viel  dieser  Euphe- 
mismus in  seinem  Schoosse  birgt],  so  bestrebte  es  sich  doch 
dem  alten  System  eine  frischere  Lebenskraft,  den  alten  Mit- 
teln höhere  Wirksamkeit  zu  verleihen,  sie  alle  von  den  hem- 
menden Gebrechen  und  Missbräuchen,  von  Schlaffheit  und 
Unfähigkeit  nach  Kräften  zu  reinigen.'^  Mach  Gebühr  wer- 
den die  poHemden  Umgestaltungen  in  der  Mehrzahl  der  Rhein- 
bundstaaten ausführlich  behandelt,  aber  erst  das  Gegenbiid 
der  alten  kläglichen  Zustände,  der  „geheimen  Truhen 'S  der 
Kleinbürgerei,  des  alten  Processwesens  u.  s.  w.,  würde  die 
Wohlthaten  die  jene  Gewaltsamkeiten  mit  sich  brachten,  nach 
Gebühr  vergegenwärtigt  haben. 

Die  preussischen  Organisationen 'selbst  sind  nach  Herrn 
Bülau  „in  den  meisten  Theilen  nur  ein  Nacheilen  in  Punk- 
ten,  in  denen  Preussen  hinter  den  andern,  auch  deutschen 
Staaten  zurückgeblieben  war"  (S.  87).   Wenn  das  preussische 


Deutschlands  t>on  1806— 1830^'  betreffend.         489 

Miiitörsystem  „doch  nur  eine  Modification  der  in  den 
meisten  Staaten  angenommenen  französischen  Gonscription'' 
genannt  wird,  so  wird  nicht  hinzugefügt,  dass  eben  in  jener 
Modification  der  grosse  Unterschied  des  preussischen  Wehr- 
systems von  dem  Codex  der  Hölle,  wie  Chateaubriand  die 
Gonscription  genannt  hat,  h'egt.  Selbst  wenn  Herr  Bülau  S.  90 
sagt:  „vor  Allem  wusste  man  der  allgemeinen  Militärpflicht 
einen  volksthümlichen,  erhebenden  Charakter  zu  geben  u.s.w/S 
so  ist  damit  der  einfachen  Wahrheit  eines  grossen  Princips 
bei  Weitem  nicht  Genüge  geleistet.*)  In  ähnlicher  Weise 
subtrahirend  spricht  Herr  Bülau  über  die  Städteordnung  (S. 
87):  „ein  einziges  Moment  giebt  es,  worin  Preussen  allein 
dasteht  ....  und  doch  ist  auch  diese  yortheilhafte  Eigen- 
thümlichkeit  Preussens  nur  eine  natürliche  Reaction  gegen 
eine  früher  höchst  tadelnswerthe  Eigenthümlichkeit 
desselben  Staates ''  u.  s.  w.  Und  damit  man  ja  nicht  zu  gut 
denke  von  der  „tugendhaften  Reue*'  des  preussischen  Volkes 
wird  hinzugefügt:  „und  doch  fand  grade  dieser  Theil  der 
Reform  selbst  auf  Seiten  Widerspruch,  die  der  Gedanke  der 
Wiedergeburt  im  hohen  Maasse  belebte";  und  zu  dieser  all- 
gemeinen Bezeichnung  wird  als  beweisendes  Factum  ein  Auf- 
satz aus  den  „Zeiten"  angeführt,  in  dem  eben  ein  Princip, 
wie  es  in  der  Napoleonischen  Verwaltung  und  in  den  „vor- 
ausgeeilten" deutschen  Staaten  seine  Stelle  hatte,  zur  „Bil- 
dung einer  Gesammtmacht"  empfohlen  wird.  Endlich  in 
Summa:  „es  sind  auch  hier  viele  Missgriffe  vorgekommen 
(begreiflich!),  man  hat  bald  zu  viel,  bald  zu  wenig  gethan 

*)  Ich  habe  vorausgesetzt,  dass  Herr  Bülau  diejenige  Efnrichr 
tung  des  Miiit'arwesens  meint,  welche  bereits  in  dem  Reglement 
vom  6.  Aug.  1S08  als  Princip  ausgesprochen  wurde,  factisch  1813 
zur  Ausführung  kam  und  durch  das  Gesetz  vom  3.  Sept.  1817  mit 
den  denkwürdigen  Worten  sanctionirt  wurde:  ,,die  Einrichtungen 
die  den  Sieg  hervorgebracht,  und  deren  Beibehaltung  von  der  gan- 
zen Nation  gewünscht  wird,  bilden  die  Grundsätze  der  Kriegsver- 
fassung." Sollte  dagegen  Herr  Bülau  das  meinen,  was  bei  der  Nicht- 
durchführung  jenes  neuen  Princips  von  1808 — 1813  in  der  That 
einstweilen  galt,  so  würde  nicht  zu  begreifen  sein,  wie  das  ein 
modificirtes  Conscriptionssystem  genannt  werden  könnte. 


490     Schreiben  an  den  Herausgeber,  Ae  „GeecMeUe 

(aber  doch  gethan),  man  ist  auf  manchen  Punkten  und  na- 
mentlich hinsichth'ch  der  Vieiregiererei  und  der  Volksbevor- 
mundung dem  Uebel  nicht  auf  die  Wurzel  gegangen, 
man  hatte  auch  das  deutsche  Princip  (welches?)  zu  sehr  ver- 
gessen, und  war  in  manchen  französisch  revolutionären  Ideen 
(ein  Ausdruck,  der  nie  seine  Wirkung  verfehlt)  unwillkürlich 
und  unbewusst  zu  sehr  befangen"  (S.  88).  Freilich  folgt  dann 
ein  anerkennendes  Aber  doch,  nur  dass  es  sofort  wieder 
ein  diminuendo  merkwürdiger  Art  enthält:  „aber  doch  lebte 
in  jenen  preussischen  Maassregeln   ein   ernster  Wille,   ein 
höherer  Ernst  ais  diese  Gesetzgebung  noch  gekannt  hatte^ 
u.  s.  w.    Wenn  erst  damals  Preussen  das  Piüdicat  höheren 
Ernstes  in  seiner  Gresetzgebung  verdient  haben  soll,  wie  will 
Herr  Bülau  dann  beispielsweise  die  österreichische  Gesetz- 
gebung jener  Zeit  bezeichnen,  die  ohne  „tugendhafte  Reue^^ 
in  der  alten,  oder  richtiger  in  der  nach  Joseph  IL  wieder- 
hergestellten alten  Weise  beharrte  und  selbst  das  Gensurgesetz 
von  1810  in  Aituram  oblivionem  gegeben  zu  haben  schien, 
bis  es  1841  von  Neuem  zur  Nachachtung  bezeichnet  wurde. 
Oder  meint  Herr  Bülau  ernstlich,  dass  nur  eben  Preussen 
bis  1808  seiner  Legislation  einen  minder  hohen  Ernst  gewid- 
met habe?  Oder  will  er  Preussen  damit  ehren,  dass  er  die« 
sem  Staat  als  Versäumniss  anrechnet,  was  er  bei  andern  auch 
nicht  einmal  in  Anspruch  nimmt?  Freilich  er  lasst  merken, 
dass  Preussen  wohl  vorwärts  musste,  wenn  es  nicht  völlig 
verloren  sein  wollte;  aber  verdient  nicht  eben  dieser  Wille, 
verdient  nicht  die  Einsicht  und  Kühnheit  gleich  diesen  Weg 
zu  wählen  und  mit  edelster  Hochsinnigkeit,  mit  edelstem  Ver- 
trauen zu  verfolgen,  die  Anerkennung  der  Geschichte?  Nicht 
fin  wenig  anders  als  andere  Staaten -der  Zeit,  nicht  ein 
wenig  besser  in  diesen  und  jenen  Einrichtungen  war  dies 
Preussen  nach  1807;   es  bildete  sich  dort  ein  qualitativ 
|3inderes,   es  ward  das  wiedergebome  Preussen  ein  Staat 
der  neuen  Zeit,  der  erste,  der  den  grossen  Gegensatz  zu  dem 
die  Revolution  Europa  polarisirt  hatte,  auf  positive  Weise 
zu  vermitteln  begann.     Begann  freilich;  in  der  ungeheuren 
Arbeit  jener  grossen  sechs  Jahre  vermochte  der  Staat,  ha- 


DeuUcklandi  mn  i806-'i830'<  beireffend.         491 

misch  entkräftet,  argwöhnisch  umlauert,  mit  stets  neuer  Ver- 
nichtung bedroht,  wie  er  es  wurde,  nicht  Alles  zu  vollbrin- 
gen. Am  meisten  bedauert  Herr  Bülau,  dass  der  freiere  Geist 
jener  Zeit  nicht  auch  die  Justiz  durchdrungen  (S.  95),.  nicht 
auch  dem  platten  Lande  eine  der  Städteordnung  entsprechende 
Organisation  gezeitigt  habe  (S.  96).  Wahrlich,  wir  mit  ihm. 
An  Stein's  Namen  knüpft  sich  Tor  Allem  die  Wiederge- 
burt Preussens.  Das  hehre  Bild  des  gewaltigen  Mannes  ragt 
hochhinaus  über  die  Kothwürfe,  die  neuerdings  wieder  be- 
liebt worden  sind.  Die  Ehrfurcht  Niebuhr's,  die  Hingebung 
Arndt's,  die  Freundschaft  Gneisenau's  und  Schamhorst's,  die 
emporblickende  Hochachtung  des  Melanthon  Gagern,  das  sind 
Zeugnisse,  denen  gegenüber  Herrn  Hofrath  Dorow's  Erlebtes 
mehr  zu  seiner  als  zu  Stein's  Beurtheilung  dienen  zu  dürfen 
scheint.  In  Herrn  Bülau's  Darstellung  wird  man  allerdings 
das  Bild  Stein's  nicht  verkennen,  nur  dass  er  es  vorgezogen 
hat,  hier  die  Schatten  stärker  hervorzuheben  als  etwa  bei  den 
beiden  Fürsten  Staatskanzlern,  mit  denen  jenen  zu  verglei- 
chen man  sich  so  oft  veranlasst  fühlt  Herr  Bülau  sagt  von 
Stein:  „im  Hauptwerk  meist  das  Richtige  treffend,  mochten 
ihn  einzelne  Einseitigkeiten,  Schroffheiten  und  eine  gewisse 
Rechthaberei  im  Einzelnen  der  Ausführung  zuweilen  zu  Miss- 
griffen verleiten,  die  er  späterhin  als  solche  zu  erkennen  selbst 
am  ersten  bereit  war"  (S*  86).  Im  weiteren  Verlauf  der  Dar- 
stellung wird  er  mit  und  ohne  Nennung  seines  Namens  in 
einer  Weise  bezeichnet,  welche  ein  rechtes  Verständniss  sei- 
nes Charakters,  seines  Strebens  und  der  Zeitverhältnisse  un- 
möglich gemacht  haben  würde;  so  besonders  S.  273 — 275. 
Unter  anderm  wird  es  sehr  richtig  gefunden,  wenn  v.  Hippel 
sagt:  „von  dem  ehemaligen  Mitgliede  der  unmittelbaren  Reichs- 
ritterschaft ist  nicht  anzunehmen^  dass  alle  im  Geist  des 
weitesten  Liberalismus  von  ihm  ausgegangenen  Reformen 
aus  innerer  Ueberzeugung  geflossen  seien."  Der  Brief- 
wechsel mit  Gagern  soll  Derartiges  erweisen.  Was  derselbe 
vor  Allem  erweiset,  ist  die  hohe  sittliche  Würde  und  Strenge 
Stein's,  die  allein  schon  jeden  Gedanken  an  solche  innere  Un- 
wahrheit, wie  sie  Herr  Bülau  mit  Hippel  annehmen  zu  müs- 


492      Schreiben  an  den  Berausgeber,  die  „Geschichte 

sen  glaubt,  entfernen  sollte.  Es  ist  zu  beklagen,  dass  Herr 
Bülau  nicht  etwa  statt  der  des  Breitesten  abgedruckten  Wart- 
burgsreden dem  Abschiedsschreiben  Stein's  vom  24.  Nov.  180S 
eine  Stelle  gegönnt  hat;  aus  demselben  würde  man  besser 
als  aus  der  Beurtheilung  des  Herrn  Verf.  den  Geist,  in  dem 
Preussens  Reorganisation  begonnen  wurde,  erkennen. 

Ich  will  nicht  weitergehen  ohne  einen  Punkt  berührt  zu 
haben,  der  sich  eben  hier  der  Beobachtung  aufdrangt   Frei- 
lich man  läuft  Gefahr  weder  für  vornehm  noch  für  eingeweiht 
in  die  höhere  Staatsweisheit  zu  gelten,  wenn  man  solchen 
Trivialitäten  und  Privatangelegenheiten  wie  etwa  Ehrbarkeit, 
Sittenreinheit,  Frömmigkeit,  mehr  als  eine  statistische  Bedeu* 
tung  zur  Charakteristik  der  „füllenden  Masse*'  beilegt.  Wenn 
aber  irgend  etwas,  namentlich  in  den  höheren  Kreisen,  das 
Leben  des  19ten  Jahrhunderts  von  dem  des  18ten  scheidet, 
so  ist  es  dies,  dass  die  nichtswürdige  Libertinage  und  Frivo- 
lität des  ancien  regime,  die  bodenlose  Genusssucht,  die  Fratze 
conventioneller  Ehre  für  immer  gebrandmarkt,  dass  man  bür- 
gerlicher, wenn  auch  noch  nicht  staatsbürgerlich  geworden 
ist    Es  hängt  an  dieser  Wandelung  eine  segensreiche  Reihe 
von  Folgen  für  das  Wohl  der  Völker,  für  das  Heil  der  Staa- 
ten, für  die  Förderung  unserer  höchsten  Aufgaben.  Friedrich 
von  Gentz,  um  von  Andern  nicht  zu  sprechen,  wird  jeder  um 
seiner  glänzenden  Talente  willen  bewundem,  in  seiner  Hin- 
gebung an  die  Interessen  Oesterreichs,  nachdem  er  Preussen 
aufgegeben,  hochschätzen;  aber  das  Alterthum  hatte  fiecfat, 
die  Epikuräer  für  eine  Pest  des  Staates  zu  halten;  sie  sind 
es  mehr  als  die  Demagogen.  —  Wie  tief  versunken  waren 
unsere  Höfe,  geistliche  wie  weltliche,  kleine  wie  grosse,  um 
den  Anfang  des  Jahrhunderts.   Um  so  gerechter  war  die  herz- 
liche Verehrung  der  Preussen  für  ihr  jugendliches  Königs- 
paar, das  ihnen  in  Treue,  Frömmigkeit,  sittlicher  Würde,  in 
jeder  häuslichen  Tugend  und  Pflicht  ein  mahnendes  Muster 
gewährte.    Ich  bedaure,  dass  Herr  Bülau  nicht  Notiz  davon 
genommen  hat,  ^welche  hohe  Bedeutung  grade  diese  Tugen- 
den, mit  denen  das  Königspaar  den  Thron  zierte,  für  die  Ent- 
wicklung Preussens  gehabt  haben;  er  begnügt  sich  mit  der 


Deutschlands  von  ISOß-^iSSO''  betreffend.         493 

faden  Redensart:  ,,mit  dem  Tode  der  tiefgekrankten  Königin 
erhielt  der  tiefe  Ingrimm  der  preussischen  Nation  gegen  Frank« 
reich  eine  wahrhaft  religiöse  Weihe"!!  (S.  82).  Freilich 
mehr  noch  bedauern  dürfte  man  den  Standpunkt  der  Beür- 
theilung,  der  sich  S.  108  in  den  Worten  ausspricht:  ^^der  Prinz 
Louis,  der  der  Klatschsucht  der  gemeinen  Philisterei 
manchen  Zielpunkt  darbof 

Indem  ich  insbesondere  nur  Herrn  Bülau's  Besprechung 
preussischer  „B^g^gi^isse"  verfolge,  wende  ich  mich  sogleich 
zum  Schluss  des  ersten  Abschnitts.  Es  ist  in  hohem  Grade 
charakteristisch,  wie  Herr  Bülau  die  York'sche  Convention  zu 
behandeln  weiss.  „In  dieser  ganzen  Sache  ist  vieles  Dunkle. 
Es  wird  von  Niemand  mehr  ernstlich  geläugnet,  dass  es  York 
möglich,  ja  leicht  war,  die  Convention  zu  vermeiden."  So 
wird  gleich  von  vorn  her  eine  geschickte  Präoccupation  ge- 
macht; von  einer  hochherzigen  und  unendlich  folgenreichen 
That  soll  nichts  als  etwa  eine  entschuldbare  Uebereilung  übrig 
zu  bleiben  scheinen.  „Es  ist  nicht  recht  klar,  worin  der  grosse 
Yortheil  derselben  —  von  dem  moralischen  Eindruck  und  der 
Stellung  zu  Russland  abgesehen  —  bestanden  habe."  Aber 
wer  sieht  davon  ab?  „Gelang  es  so  bald  das  ganze  Preussen 
in  die  Lage  zu  bringen,  dass  es  sich  in  Freiheit  wider  Frank- 
reich erklären  konnte,  so  würde  das  auch  mit  jenem  Armee- 
corps gelungen  sein;  ja  man  kann  glauben,  dass  die  Nähe 
desselben  manches  erleichtert  hatte."  Aber  York  hätte  sich 
nicht  ohne  bedeutenden  Verlust  durchschlagen  können;  das 
oft  gezeigte  Misstrauen  der  französischen  Befehlshaber  würde 
das  Corps  zu  ruiniren  oder  unschädlich  zu  machen  verstan- 
den haben;  Russland  hätte  sofort  Ostpreussen  occupirt  wie 
das  Grossherzogthum  Warschau;  Preussens  Schicksal  wäre 
menschlicher  Berechnung  nach  unrettbar  an  das  Napoleons 
gekettet  geblieben.  Der  König  selbst  sprach  gegen  den  fran- 
zösischen Gesandten  die  Besorgniss  aus,  dass  das  Volk  sich 
ohne  ihn  und  gegen  ihn  beim  Nahen  des  Feindes  erheben 
werde.  Die  einzige  Möglichkeit  das  Corps  fiir  Preussen  und 
den  König  zu  erhalten  und  im  Weiteren  nutzbar  zu  machen, 
war  jene  Convention.   Dann  nach  einigen  eben  so  bedenkli- 


494      Schreiben  an  den  Heramgeber,  die  ,,  Geschickte 

eben  Sätzen:  y,Aacb  lag  in  der  Sache  unbestreitbar  ein  ge- 
wisser moraliscber  Zwang  für  die  Regierung.  Und 
so  war  es  in  jeder  Art  eine  ungeheure  Yerantwort- 
liebkeit,  die  der  General  York  mit  diesem  Schritt  auf  sieb 
nahm/*  Als  hätte  er  das  nicht  in  grossartigster  Weise  selbst 
erkannt  und  ausgesprochen:  „Ew.  Majestät  lege  ich  bereit- 
willigst meinen  Kopf  zu  Füssen,  schrieb  er,  wenn  Sie  mein 
Verfahren  tadelnswerth  finden  sollten.^'  Ein  solches  Bewusst- 
sein  hat  das  Recht  im  grossen  Augenblick  nach  eigenem  Ent- 
scbluss  zu  bandeln;  und  des  Feldberrn,  des  Staatsmannes 
Pflicht  umfasst  mehr,  als  je  eine  Instruction  Yorschreiben 
kann.  HerrBülau  sagt:  „hat  York  diesen  Schritt  nun  kdig-* 
lioh  in  patriotischer  Unlust,  noch  ferner  mit  den  Fran- 
zosen zu  ziehen,  getban?^^  wahrlich  ein  Ausdruck,  der  die 
Stimmungen  und  die  ungeheuren  Alternativen  jener  Zeit  &o 
zu  sagen  parfumirt.  „Oder  hat  er  wohl  gar  die  Absicht  ge- 
habt, einen  gewissen  bestimmenden  Einfluss  auf  die  Ent- 
Schliessungen  seiner  Regierung  zu  üben  ....  konnte  man  aus 
Bücksicht  auf  die  allgemeine  Stimmung  nichts  gegen  ihn  yor- 

nehmen?  musste  man  nicht  wenigstens  im  Interesse 

des  Dienstes  eine  formelle  Genugthuung  suchen,  nicht 

wenigstens  einen  Tadel  aussprechen? Es  ist  ?on  uner- 

messlicher  Wichtigkeit  solche  Beispiele  nicht  aufkommen  zu 
lassen.  Oder  handelte  York  dennoch  in  üebereinstimmung 
mit  höheren,  die  ihn  deckten?  da  erwüchse  wieder  die  Frage, 
welche  Pläne  man  mit  der  Sache  verbunden*'  u.  s.  w.  Es  ist 
nicht  nöthig  diese  Frage  aufzunehmen;  wer  mit  dem  Gang 
der  damaligen  Yerhältnisse  bekannt  ist  und  nicht  Gründe  hat 
von  dem  bereits  Bekannten  nur  einen  Theil,  von  der  gege- 
benen Sachlage  nur  eine  Seite  zu  berücksichtigen,  dem  wird 
die  Rechtfertigung  dessen  was  damals  geschehen ,  weder 
schwierig  noch  bedenklich  sein;  am  wenigsten  wird  er  fUr 
diesen  Fall  mit  Herrn  Bülau  sagen:  „die  hochherzige  Absicht 
und  der  gute  Erfolg  können  natüriich  weder  die  höhere  Pflicht 
überwiegen  noch  die  Mittel  rechtfertigen"  und:  „der  Vortheil, 
den  ein  solches  Verfahren  in  dem  einen  Fall  bringen  mag, 
wird  nur  zu  leicht  durch  die  Gonsequenzen  überwogen,  zu 


Deutschlands  t>on  iSOß-^iSSO''  betreffend.         495 

denen  es  fuhren  kann''  (S.  153)  —  eine  Ansicht,  welche  an 
das  erinnert,  was  seiner  Zeit  der  Staatsrath  Joseph  von  Hu- 
deiist  über  den  hochherzigen  Aufstand  der  Tyroler  1809  ge- 
äussert hat:  „der  Tyroler  Aufstand  ist  ein  böses  Beispiel; 
was  sie  heute  für  den  Kaiser  leisten,  können  sie  ein  ander 
Mal  gegen  ihn  thun'';  zu  Herrn  Bülau's  Ehre  muss  ich  be- 
merken, dass  er  diese  Ansicht  über  die  Tyroler  nicht  getheilt 
hat,  sondern  S.  107  von  der  „schönen  Sache''  der  Tyroler 
spricht.  Doch  zurück  zur  York'schen  Convention.  Dem  fran- 
zösischen Patriotismus  mag  man  es  nachsehen,  wenn  er  von 
dem  unerhörten  Abfall^  von  dem  Pact  der  Treulosigkeit  spricht. 
Aber  von  einem  deutschen  Manne  sollte  man  nicht  erwarten, 
dass  er  alle  die  Momente  übergeht,  die  zur  Erklärung  und 
Rechtfertigung  des  Geschehenen,  zur  Ehre  York's  gereichen. 
Herr  Bülau  unterlässt  anzuführen,  wie  kränkend  und  rück- 
sichtslos das  preussische  Corps  von  Macdonald  behandelt  wor- 
den, dass  Macdonald  selbst  das  verabredete  Rendezvous  auf- 
gegeben, dass  Memel  bereits  drei  Tage  vor  der  Convention 
capitulirt  hatte,  dass  das  österreichische  Corps  ohne  abge- 
schnitten zu  sein  von  Mürat  und  Berthier  am  235ten  und  24sten 
Decb.  aufgefordert  war,  Waffenstillstand  zu  schliessen:  j'ap- 
prendrai  surtout  avec  plaisir,  que  vous  ayez  conclu  un  armi- 
stice  ....  qui  vous  mettrait  ä  m^me  de  bien  asseoir  vos  quar- 
tiers  d'hiver  et  de  vous  y  refaire  de  vos  grandes  fatigues.  — 
Nachdem  Preussen  von  Napoleon  so  behandelt  worden  war, 
wie  seit  1807  unablässig,  nachdem  Napoleon  die  schmach- 
vollen Bedingungen  der  Allianz  vom  24.  Februar  1812  (wie 
Hohn  klingt  es,  wenn  Herr  Bülau  bei  Gelegenheit  der  Pro- 
elamation  von  Kaiisch  formell  mit  Recht  geltend  macht,  dass 
sieh  ja  Preussen  um  die  Allianz  mit  Frankreich  gegen  Russ- 
land beworben  habe  S.  162)  noch  durch  Occupation  von 
Spandau  und  Pillau  überschritten  hatte,  —  nach  solchen  Vor- 
gängen war  es  naturlich,  dass  Preussen  jene  Allianz  für  ein 
Werk  des  Zwanges  und  der  peinlichsten  Noth  hielt  und  ent- 
schlossen war,  sie  sobald  irgend  möglich  zu  brechen  und  sein 
Recht  der  Selbstständigkeit  geltend  zu  machen;  Napoleon  hatte 
keinen  weiteren  Anspruch  auf  Preussens  Bandestreue,  als  so 


496      Schreiben  an  den  Herausgeber,  die  „Gesckiehte 

weit  er  diese  erzwingen  konnte.    In  der  Ernennung  York's 
zum  Befehlshaber  jenes  Corps  an  Grawert's  Stelle  sprach  es 
sich  aus,  wohin  des  Königs  Absicht  gehe;  in  seinem  Bericht 
über  die  Bildung  einer  ostpreussischen  Landwehr  vom  12tea 
Febr.  1813  sagt  York:  „mit  dem  ergebensten  Herzen  und  dem 
Muthy  der  nur  den  treuen  Diener  beseelt,  sage  ich  Ew.  Ma- 
jestät, dass  ausserordentliche  Lagen  auch  ausserordentliche 
Mittel  erheischen;  in  dieser  Ueberzeugung  haben  Ew.  Maje- 
stüt  meinen  Händen  schon  früher  eine  Vollmacht  anvertraut, 
welche  mir  einen  Theil  AJlerhöchstihrer  königlichen  Gewali 
in  besonderen  Fällen  übertrug"  u.  s.  w.   Selbst  dem  Formel- 
len, worauf  Herr  Bülau  so  grosses  Gewicht  legt,  ist  Genüge 
geschehen  durch  die  Gommission,  welche  niedergesetzt  wurde 
zu  untersuchen,  ob  York  wegen  jener  Convention  vor  Kriegs- 
gericht zu  stellen  sei;  sie  hat  ihn  vollkommen  gerechtfertigt 
gefunden.   York  erhielt  bekanntlich  die  Nachricht  von  seiner 
Suspension  nicht  anders  als  durch  den  bekannten  Zeitungs- 
artikel, und  erklärte  dagegen,  dass  diese  Mittheilung  nicht 
als  ofBciell  gelten  könne.   Herr  Bülau  glaubt  fragen  zu  müs- 
sen: „musste  oder  wollte  man  auch  darüber  hinwegsehen, 
wie  er  sich  über  die  Nachricht  von  den  Befehlen  des  Königs 
in  seiner  Sache  aussprach?" 

Gehen  wir  zu  dem  zweiten  Abschnitt  des  Bülau'schen 
Werkes  über,  der  „die  Befreiung  und  Wiedererhebung  Deutsch- 
lands" bespricht.  Es  wiederholt  sich  hier  das  früher  Beob- 
achtete. Herr  Bülau  kann  sich  der  rühmenden  Anerkennung 
dessen,  was  Preussen  in  den  Freiheitskriegen  geleistet,  nicht 
erwehren;  aber  wenigstens  wird  der  Schatten  sorgsam  aus- 
gespannt, der,  wo  so  helles  Licht  ist,  sich  desto  schärfer  ab- 
setzt; es  wird  zur  rechten  Zeit  daran  erinnert,  „dass  Preus- 
sen nicht  für  die  Befreiung  Deutschlands,  sondern  zur  eigenen 
Rettung  und  Erhebung  vom  selbstverschuldeten  Falle  ins  Feld 
zog,  dass  es  Deutschland  zunächst  befreien  wollte,  um  für 
sich  Sicherheit  und  Mitstreiter  zu  erhalten"  (S.  334) ;  —  frei- 
lich mit  demselben  Maasse  wird  den  andern  deutschen  Staa- 
ten keineswegs  gemessen;  nicht  gesagt  wird,  wie  Oesterreich 
1809  sich  ebenfalls,  freilich  vergeblich,  mit  der  Verkündigung 


Deutschlands  tan  1806-^1830*'  betreffend.         497 

der  Befreiung  Deutschlands  erhob,  in  seinen  Proclamationen 
verkündete:  ,,unser  Widerstand  ist  Deutschlands  letzte  Stutze 
zu  seiner  Rettung;  wir  kämpfen,  Deutschland  die  Unabhänr- 
gigkeit  und  Natiohalehre  wieder  zu  verschaffen,  die  ihm  ge-^ 
bahrt/'  von  der  Proclamation  an  die  Bayern  erst  gar  nidit 
zu  sprechen.  —  Herr  Bülau  übergeht  es  zu  bezeichnen,  in 
welchem  Grade  der  Krieg  von  1809,  mit  den  Erzherzögen 
Johann,  Carl,  Ferdinand  an  der  Spitze,  von  dem  Kriege  von 
1813,  in  dem  keiner  der  erlauchten  Erzherzoge  unter  den 
Führern  war,  unterschieden  ist.  Galt  es  gerecht  zu  sein,  so 
hätte  es  eines  bei  Weitem  tieferen  Eingehens  auf  die  Ver- 
hältnisse Oesterreichs  bedurft,  es  hätte  gewürdigt  werden 
müssen,  was  Hannover  seit  seiner  Befreiung  geleist^  hat 
u.  s.  w.  Aber  Herr  Bülau  gewährt  nun  einmal  Preussen  den 
Vorzug  mit  eifersüchtiger  Ausführlichkeit  besprochen  zu  wer- 
den, in  dem  Maasse,  dass  Blüchers  hartes  Verfahren  gegen 
das  sächsische  Corps  im  Mai  1815  in  vollster  Härte  darge- 
stellt wird,  während  die  in  ihren  Momenten  sehr  bezeich- 
nende Lazareth^irthschaft  in  Süddeutschland  mit  einer  kur- 
zen Bemerkung  abgemacht  wird,  in  der  Art,  dass  auch  da 
Preussen  seinen  Theil  bekommt  S.  274. 

Doch  nun  zur  näheren  Betrachtung  dieses  zweiten  Ab- 
schnittes des  Buches. 

Gleich  der  Anfang  wird  gemacht  mit  der  „tugendhaften 
Reue",  und  dass  Preussen  die  und  die  alte  Schuld  gegen 
Deutschland  (Anfang  1813)  durch  herrliche  Gesinnung  gesühnt 
habe.  Wahrlich,  das  ist  richtig,  richtig  auch,  dass  die  Ver-* 
bindung  mit  Russland  manche  Schritte  zu  thun  nöthigte,  die 
einmal  nicht  zu  meiden  waren,  namentlich  nicht,  wenn  Har- 
denbergs^ diplomatische  Vorsicht  den  Abschluss  von  Kaiisch 
^o  lange  verzögerte,  als  es  geschah ;  aber  Herr  Bülau  fugt  da 
wieder  hinzu:  „Schritte,  die  Preussen  später  bereut  hat  oder 
bereut  haben  sollte  (S.  159).  In  seiner  beredten  Anklage 
«.des  Kalischer  Vertrages  unterlässt  er  jede  Andeutung  der 
Entschuldigungsgründe,  deren  für  Preussen  in  der  That  vor- 
handen sind.  Es  ist  übel  wenn  der  Advocat  als  Richter  agirt, 
wenn  der  Publicist  die  Geschichte  schreibt.  „Auch  Preusscaa, 

Zeitschrift  f.  Geschichtevr.  I.  1844.  32 


^    I 


498      Schreiben  an  den  Heramgeber,  die  „Geschichte 

wenn  auch  in  amtlieben  Erlassen  der  strengeren  Wabr- 
heit  die  Ehre  gegeben  und  zunächst  und  bauptsäcblich  nor 
f  on  seiner  eigenen  Befreiung  gesprochen  wurde,  stellte  doch 
den  Credanken  von  Deutschlands  Befreiung  jenem  Ziel  an  die 
Seite"  (S.  160).  Auch  Ton  dem  preussischen  Heer  und  Volk 
wird  Rühmliches  gesagt:  „in  den  preussischen  Kriegern  je-« 
ner  Tage  bemerkte  man  eine  sonst  an  ihnen  ungewohnte  und 
namentlich  mit  der  Zeit  von  Jena  stark  contrastirende  An- 
spruchslosigkeit; ....  dies  und  die  starke  Beimischung  Höher* 
gebildeter  gab  damals  d^  preussischen  Kriegern  einen  Cha- 
rakter, bei  dem  sie  manche  gegen  sie  in  andern  deutschen 
Stummen  bestehenden  Yorurtheile  und  Antipathien  erstickteii 
und  mandie  brandenburgische  Eigenthümlichkeit,  die 
anderwärts  nicht  beliebt  ist,  wie  verschwunden  war.''  Ale 
deutscher  Mann  muss  man  sich  schämen,  von  einem  deut- 
schen Lande  in  solchen  Ausdrücken  sprechen,  so  von  einem 
Heere  sprechen  zu  hören,  in  dem  Pommern,  Preussen,  Schle- 
ster  in  herrlichsten  Thaten  wetteiferten,  einem  %ere,  das 
nicht  ein  modificirtes  Gonscriptionsheer  war,  sondern  ein 
Voiksheer  im  edelsten  Sinne  des  Wortes.  „Es  ist  begreiflich» 
dass  nicht  bei  allen  Gemüthern,  ja  dass  vielleicht  bei  Weni- 
gen ganz  eine  Ueberschätzung  von  mancherlei  AeusserJich- 
keiten,  ein  Hingeben  an  unklare  ...  Phantastereien  und  die 
ungerechte  Schroffheit  gegen  jede  abweichende  ^ance  zu 
vermeiden  war"  u.  s.  w.  (S.  177).  Bei  Gelegenheit  der  von 
dem  Könige  zurückgewiesenen  Inschrift  fiir  die  Kreuze  der 
Landwehrmänner:  „Wehrlos,  ehrlos"  wird  die  Bemerkung 
g^nacht:  „der  ganzen  Idee  der  Inschrift  lag  jene  terroristische 
oder  mildestens  renommistische  Gesinnung  zum  Grunde, 
die  noch  lange  nachgewirkt  bat"  (S.  173).  Und  in  solchem 
Styl  zerbröckelt  und  zerfitzelt  Herr  Bülau  fort  und  fort  die 
Erinnerung  jener  Zeit,  an  der  das  deutsche  Volk  nie  aufhö- 
ren wird  sich  zu  erquicken  und  emporzuriditen. 

War  die  Bevölkerung  Preussens,  von  der  einen  Idee  der 
Befreiung  Preussens  und  Deutschlands  erfüllt,  nur  gewandt 
auf  Kampf  und  Sieg,  so  trat  für  die  Leiter  des  Staates  so-« 
fort  eine  weitere  Rücksicht  in  den  Vordergrund.   Sie  seilten 


Deutschlands  van  1806—1830^'  betreffend.         499 

die  Siege,  die  man  hoffte,  zum  Heil  des  Vaterlandes  benul« 
zen;  sie  mussten  rechtzeitig  das  Nöthige  vorbereitet  haben, 
sie  mussten  im  Voraus  mit  sich  im  Klaren  sein,  wie  die  fer-* 
neren  Verhältnisse  Preussens  und  Deutschlands  geordnet  wer- 
den sollten;  sie  durften  nicht,  wie  Herr  Bülau  verlangt,  die 
Gedanken  „an  Wiedererringung  des  früheren  Areals,  der  frü^ 
beren  SeelenzahP'  sofort  bei  Seite  werfen,  „um  es  dem  freien 
Aufschwünge  des  Volks  zu  überlassen,  dass  sich  das  preus- 
sische  Volk  wieder  zusammeaifände*'  (S.  155);  wahrlich  die 
europäische  Diplomatie  würde  lächelnd  so  gutmüthige  Maxir 
men  auszubeuten  geeilt  haben.  —  l^ur  zu  häufig  sind  oberste 
Leitungen  monarchischer  Staaten,  weit  entfernt  Manifestation 
nen  Einer  bestimmenden  Idee  zu  sein,  das  diagonalenartige 
Resultat  sich  gegenseitig  abschwächender  Tendenzen,  uur  zu 
häufig  eine  mehr  und  mehr  neutralisirende  Verbindung  wi- 
derstrebender Principien;  in  friedlichen  Zeiten  wenigstens 
ohne  plötzlichen  Nachtheil,  wirkt  dergleichen  in  den  Tagen 
grosser  Ereignisse  um  so'  bedenklicher,  je  gewaltiger  die  Be- 
wegung der  Zeit,  je  verwickelter  die  vorliegenden  Verhält- 
nisse, je  nothwendiger  rasche  und  durchgreifende  Entschlüsse 
sind.  Deutlich  genug  zeigt  sich  Derartiges  in  den  diploma- 
tischen Verhältnissen  Preussens  in  jener  Zeit  bestimmend, 
und  das  um  so  mehr,  je  weiter  in  Beziehung  auf  die  deut- 
schen Angelegenheiten,  um  von  den  stilleren  Einflüssen  Witt- 
gensteins und  Anderer  zu  schweigen,  sich  Hardenberg  An* 
sieht  von  der  Steins  entfernte,  die  doch  nicht  bloss  in  einem 
bedeutenden  Tbeil  der  höheren  preussischen  Beamteten  und 
Gommandirenden  vorherrschend  und  der  volksthümlichen  Be- 
wegung Preussens  im  Wesentlichen  entspreehend  war,  son- 
dern zugleich  durch  Steins  Verhältniss  zum  russischen  Kaiser 
eine  neue  Energie  erhielt.  Unbedenklich  mochte  Stein  an 
Bussland  das  Grossherzogthum  Warschau  übertragen  sehen, 
wenn  sich  ihm  die  Hofihungen  erfüllten,  die  er  fUr  die  Re* 
stituirung  Deutsdilands  hegte,  und  welche  sich  weit  von  dem 
ui^lücklichen  Theilungsplan  entfernten,  den,  wenn  ich  recht 
unterrichtet  bin,  Graf  Münster  in  einer  Denkschrift  von  Sar-^ 
torius  gegen  Enie  1813  enireiehte,  und  welcher  auf  die  IdeeA 

32* 


500     Sckreibäi  an  den  Heramgeber,  die  ,,  Geschichte 

Massenbachs  (Memoiren  II.  S.  758)  zurückgegangen  zu  seia 
scheint  Gewiss  in  Steins  Sinne  war  jene  Stelle  in  der  Pro^ 
clamation  von  Kaiisch  geschrieben :  je  schärfer  in  seinen  Um- 
rissen und  Grundzügen  die  Gestaltung  Deutschlands  henror- 
treten  wird  aus  dem  ureigenen  Geist  des  deutschen  Volkes 
u.  s.  w^  Aber  man  kann  nicht  läugnen,  dass  die  Idee  Steins, 
so  kühn  und  grossartig  sie  ^war,  unter  den  gegebenen  Yer«» 
hältnissen  und  bei  den  verwandelten  Vorstellungen  über  den 
Begriff  der  Souveränität  nicht  mehr  liir  ausführbar  gelten 
konnte.  Das  unentschiedene  Verhältniss  zu  Oesterreich  konnte 
nicht  verfehlen  die  ihm  entgegenarbeitende  fiichtung  zu  ver- 
stärken. Wenn  bereits  im  Monat  April  1813  Bayern  mit  sei- 
nen Anträgen  von  den  Verbündeten  an  Oesterreich  gewiesen 
wurde 9  so  zeigt  sich  darin,  wie  viel  von  der  Herstellung 
Deutschlands  Hardenberg  dem  Interesse  Oesterreichs  zu  op- 
fern bereit  war.  Die  Verhandlungen  in  Prag,  in  denen  man 
sich  mit  der  Elbe  als  Grenze  für  Preussen  begnügen  zu  wol- 
len erklärte,  lassen  erkennen,  wie  weit  hinter  den  begeister- 
ten Hoffnungen  der  Patrioten  die  Ansicht  der  Diplomatie 
von  dem,  was  erreichbar  sei,  zurückblieb.  Wie  gross  war  die 
Gefahr,  dass  man  „einen  verderblichen  und  höchst  elenden 
Frieden'^  erhielt.  Die  Herstellung  Deutschlands  aus  dem  ur- 
eigenen Geist  der  Nation  trat  mehr  und  mehr  in  den  Hin- 
tergrund; die  Verträge  von  Ried,  Fulda,  Frankfurt  machten 
sie  unmöglich.  Fortan  erschien  als  das  einzig  Gegebene  und 
Maassgebende  für  die  Herstellung  Deutschlands  die  fieihe 
vertragsmässig  anerkannter  deutscher  Fürsten,  ausgestattet 
mit  allen  Ansprüchen  einer  ausschliesslichen  Legitimität,  in 
der  man  die  tausendfache  Verschlungenheit  territorialer,  stän- 
discher und  Reichsrechte  deutscher  Völker  nicht  mehr  mit 
begriffen  meinen  wollte.  Das  „Gleichgewicht  der  dynastischen 
Interessent^  das  im  Lüneviller  Frieden  eine  so  bedeutende 
Rolle  gespielt  hatte  und  dem  nach  Verlust  des  linken  Rhein- 
ufers zunächst  die  geistlichen  Territorien  geopfert  waren,  das 
dann  die  eben  so  legitimen  Ansprüche  kleinerer  Reichsstände 
verschlungen  hatte,  es  gab  nun  mit  erneuter  Energie  auftre- 
tend die  Krystallisationspunkte  her,  an  denen  sich  aus  der 


Deutschlands  von  1806— i830''  betreffend.         501 

mäefatigsten  nationalen  Bewegung  das  neue  Deutschland  klä- 
ren und  gestalten  sollte.  Sehr  treffend  wurde  in  der  1814 
herausgegebenen  Broschüre  über  die  Gentralyerwaltung  (von 
dem  jetzigen  Minister  Eichhorn]  angegeben,  wie  man  zu  ver- 
fahren gehabt  hatte,  um  über  die  Einschränkungen  der  zu  be- 
reitwillig anerkannten  Souveränitäten,  wie  sie  für  die  Grün- 
dung einer  deutschen  Verfassung  nach  Beendigung  des  Krieges 
nothwendig  werden  mussten,  nicht  als  über  Aufopferungen  Sei- 
tens der  deutschen  Fürsten  nachträglich  unterhandeln  zu  müs- 
sen, sondern  die  Rechte,  welche  man  ihnen  femer  einräumen 
wollte,  als  Vergünstigungen  überlassen  zu  können.  Wo  das 
Recht  zu  solchen  Vornahmen  gewesen  wäre?  Nach  welchem 
Recht  konnten  die  Souveränitäten,  die  der  Rheinbund  pro- 
clamirt  hatte,  gültig  bleiben,  wenn  man  diesen  selbst  aus- 
drücklich und  nach  dem  Princip  der  Herstellungen,  das  man 
wenigstens  aussprach,  desavouirte?  Es  war  eben  die  Aufgabe 
für  Deutschland  wie  für  Europa  einen  neuen  Rechtszustand 
zu  gründen;  vollkommen  sachgemäss  sagten  die  preussischen 
Diplomaten  auf  dem  Wiener  Gongress  gegen  Talleyrand :  que 
fait  ici  le  droit  public?  und  er  war  unverschämt  genug  zu 
erwiedern:  il  fait  que  vous  Ates  ici.  — 

Je  lockerer  nach  solchen  Vorgängen  der  künftige  Ver- 
band zwischen  den  Staaten  des  ehemaligen  Reiches  werden 
musste,  desto  nothwendiger  wurde  für  Preussen,  dass  es  auf 
eine  Wiederherstellung  seines  Gebietes  achtete.  Oesterreich 
hatte  sich  seine  Entschädigungen  bereits  in  Italien  auserse- 
hen. Indem  es  zu  Ried  Bayerns  Territorien  garantirt  hatte, 
war  für  Preussen  Anspach  und  Baireuth  verloren;  Hannover- 
England  hatte  bereits  Ostfriesland  zugesichert  erhalten,  für 
Preussen  ein  unersetzlicher  Verlust;  mit  Russland  konnte  man 
bei  seinen  hohen  Verdiensten  über  das  nationalfremde  War- 
schau nicht  in  Weitläuftigkeit  gerathen  wollen.  Wie  sollte 
Preussen  zu  einem  auch  nur  leidlich  entschädigenden  Besitz, 
zu  einigermaassen  sichernden  Grenzen  gelangen?  Welche  Vor- 
stellungen in  dieser  Beziehung  das  Kabinet  von  Wien  hatte, 
als  es  nach  der  Ankunft  der  Heere  am  Rhein  von  Neuem 
mit  Napoleon  unterhandelte  und  namentlich  die  Rheingrenze 


602      Schreiben  (Ui  den  Herausgeber ,  «Re  ^^  Geschichte 

anbot,  ist  wohl  nicht  ausgesprochen  worden,  doch  zu  erra* 
Ihen  leicht  Aufialiender  ist,  dass  in  dem  ersten  Pariser  Frie- 
den die  preussische  Diplomatie  über  diesen  schwierigsten 
Punkt  keine  Entscheidungen  gefordert  oder  zu  erlangen  ver- 
mocht hat 

Man  glaubte  Sachsen,  dessen  König  seit  der  Leipziger 
Schlacht  Gefangener  war,  für  Preussen  bestimmen  zu  kön- 
nen; selbst  Kaiser  Franz  sprach,  wie  authentisch  versichert 
werden  kann,  bei  seiner  Rückreise  in  Bayern  von  dieser 
Uebertragung  als  von  einer  völlig  ausgemachten  und  unbe- 
denklichen Sache.  Es  ist  bekannt,  welche  beklagenswerthen 
Verwicklungen  sich  auf  dem  Gongress  an  diese  Frage  ge- 
knüpft haben.  Wurde  einmal  das  Princip  der  Legitimität  und 
der  Restauration  aufgestellt,  so  durfte  dies  harte  Gericht  über 
eine  der  ältesten  Dynastien  ein  „gefährliches  Beispiel ^^  ge- 
nanntwerden. Als  „hartnäckigen  Gegner  der  deutschen  Sache^ 
hätte  man  den  König  strafen  können,  wenn  nicht  diese  selbst 
so  entschieden  den  dynastischen  und  anderen,  auch  ausser- 
deutschen  Interessen  nachgesetzt  worden  wäre;  und  dann, 
wer  war  ohne  Schuld,  wenn  man  die  unfreiwilligen  zwin- 
genden Verhängnisse  mit  einrechnen  wollte?  ja  jene  Straf- 
befugniss  selbst  durfte  nach  den  Principien,  die  man  bekannte, 
als  unberechtigt  verworfen  werden.  Sollte  die  Stimme  der 
Völker  irgendwie  gehört  werden,  so  sprach  sich  die  der  Sach- 
sen unzweifelhaft  und  auf  die  rührendste  Weise  für  ihren 
König  aus:  „er  gehöre  vor  Allem  zu  der  ihnen  garantirten 
Integrität  ihrdS  Landes.^*  Dann  mischten  sich  alle  möglichen 
schnöden,  egoistischen,  neidischen,  bethörenden  Virtuositäten 
der  Diplomatie  hinzu,  die  traurige  Frage  zu  einem  rechten 
Gift  für  die  nationale  Ansicht  und  Anordnung  Deutschlands 
zu  machen;  es  gelang  gegen  Preussen,  das  so  Grosses  in  die- 
sem Kriege  geleistet,  eine  Stimmung  hervorzubringen,  die  je- 
der Feind  Deutschlands  nur  mit  innigstem  Wohlge&llen  se- 
hen konnte.  Alle  Antipathien  gegen  Preussen  fanden  eine 
rechte  Genugthuung  darin,  die  Bewunderung  für  das,  was 
Preussen  in  diesem  Kriege  geleistet,  mit  dem  Vorwurf  der 
Habgier  und  Selbstsucht,  der  Ungerechtigkeit  und  terroristi- 


j 


Deulsehlands  ton  1806--^i830''  betreffend.         503 

scher  Anmaassung  dämpfen  zu  könnea.  Und  Herr  Büiau 
sorgt  durch  die  Kunst  seiner  Darstellung  dafür,  dass  dieselbe 
Stimmung  aus  der  Geschichte  Deutschlands  seit  1806  als  na- 
türliches Ergebniss  hervorzugehen  scheint  und  in  den  deut- 
schen Yölkem,  wenn  sie  theilweise  vergessen  sein  sollte,  von 
Neuem  in  lebhafteste  Erinnerung  zurückgerufen  werde. 

Wer  wird  nicht  mit  Freuden  sehen,  wie  Herr  Bülau  mit 
seiner  Anhänglichkeit  für  sein  edles  Fürstenhaus,  fiir  sein 
vaterländisches  Sachsen  sich  selber  ehrt;  er  spricht  es  scharf 
und  rückhaltlos  aus,  dass  Sachsen  bittres  Unrecht  erlitten 
habe.  Aber  wenn  er  die  ganze  Last  dieses  Unrechts  auf  Preus- 
sen  wälzt,  ja  wenn  er  von  diesem  Gefühl  gegen  Preussen 
die  Farbe  seiner  ganzen  Darstellung  bestimmt  werden  lässt, 
so  kann  man  nicht  anders  als  beklagen,-  dass  er  nicht  vor- 
gezogen hat  sich  einer  Aufgabe  zu  versagen,  in  der  er  für 
sein  persönlichstes  Empfinden  entweder  keine  Stelle  find^, 
oder  eine  grosse  Verlockung  fürchten  musste. 

Der  König  von  Preussen  sagte  in  dem  Patent,  mit  wel- 
chem er  von  den  ihm  zugewiesenen  Theilen  Sachsens  besitz 
nahm:  „er  ehre  ihren  Schmerz  als  dem  Ernst  des  deutschen 
Gemüthes  geziemend,  und  als  Bürgschaft  der  künftigen  Treue 
für  das  königliche  Haus,  dem  sie  hinfort  angehören  würden; 
aber  die  Noth wendigkeit  habe  es  so  verlangt  —  nur  Deutsch- 
land hat  gewonnen,  was  Preussen  erworben  haf 

Herr  Bülau  spricht  S.  263  von  dem  „glühenden  Hass^' 
der  Sachsen  gegen  Preussen:  „Gottlob  der  Sachse  hat  die- 
sen Hass  überwinden  gelernt;  aber  vergessen  ist  das  Unrecht 
nicht  und  wird  es  sobald  nicht  werden,  und  jedenfalls  sollte 
man  sich  hüten,  die  alten  Gefühle  so  zu  provociren,  wie  das 
jetzt  wiederholt  geschehen  isf 

Wie  einfach  und  grossartig  ist  in  jenem  königlichen  Wort 
das  Princip  bezeichnet,  kraft  dessen,  wenn  es  jeder  deutsche 
Fürst  oder  Staat  mit  gleicher  Ueberzeugung  für  sich  in  Gel- 
tung nahm,  sie,  die  Verweser  an  dem  grossen  Gemeingut  des 
deutschen  Lebens,  sich  ohne  unheilbare  Verbitterung  der  Ge- 
müther, ohne  den  Vorwurf  des  Undanks  gegen  die  erprobtei;i 
Völker,  ohne  Entwürdigung  des  deutschen  Namens  und  „der 


504      Schreiben  an  den  Herausgeber,  die  ,,  Geschichte 

Becbte  der  Deutscbheit'^  wie  sie  Fürst  Metternich  nannte, 
innerhalb  eines  „Reicbsbundes'*  über  die  Yertbeilung  und  An«- 
ordnung  ibrer  Gebiete  verständigen  konnten.  In  diesem  Prin- 
cip  durfte  Friedrieb  Wilbelm  III.  mit  rubigem  Gewissen  die 
flehende  Bitte  der  Franken  zurückweisen  und  die  treuen 
Ostfriesen,  wenn  auch  auf  Englands  Betreiben /)  an  das 
bundesfreundliche  Hannover  dahingehen;  in  diesem  Princip 
durfte  das  getbeilte  Sachsen  den  einzigen,  aber  einen  gros- 
sen Trost  finden  für  das  unvermeidlich  Nothwendige.  In  ei- 
ner grossartigen  Einheitlichkeit  Deutschlands  als  „Gesammt- 
macht*'  konnten  allein  mit  diesen  die  tausend  anderen  Schäden 
und  Verluste,  welche  unvermeidlich  gewesen,  geheilt,  tau- 
sendfaches Unrecht  und  Gewaltsamkeit  gesühnt,  eine  neue 
Zukunft  erhofft  werden.  Das  war  das  Ausfahrbare,  das  für 
immer  Bleibende  in  dem,  was  Stein  im  Sinne  hatte:  nicht 
bloss  eine  abstracte  Einheit  nationaler  Sympathien,  noch  eine 
fast  nur  diplomatische  wozu  der  in  dem  Grundvertrag  noch 
keineswegs  gebrauchte  Ausdruck  „völkerrechtlioher  Verein'^ 
(Schlussakte  Art  1)  fuhren  musste,  sondern  eine  staatsrecht- 
liche Einheit,  wie  sie  in  kleinerem  Kreise  Meklenburg,  Ein 
verfassungsmässiges  Ganze  unter  zwei  souveränen  Landes- 
fürsten, nach  acht  deutschen  Principien  noch  jetzt  möglich 
zeigt.  —  Aber  die  Zeit  war  noch  nicht  gekommen;  der  mo- 


*)  Herr  Bülau  hätte  wohl  gethan  das  yerhäliriiss  Englands  zu 
Deutschland  und  dessen  Kämpfe  gegen  Napoleon  schärfer  ins  Auge 
zu  fassen  als  S.  220  geschehen  ist;  erst  wenn  man  die  im  vollsten 
Maasse  egoistische  Politik  Englands  für  das  erkennt  was  sie  na- 
mentlich  damals  war,  wird  man  gewisse  Beziehungen  zu  würdigen 
im  Stande  sein,  bei  deren  Darstellung  die  deutschen  Schriftsteller 
noch  immer  ohne  alle  Regung  nationaler  Empfindung  zu  bleiben 
scheinen.  Der  ehemalige  Präsident  Jefferson  sagt  (in  einem  unge- 
druckten Briefe  vom  Jahr  1817,  der  mir  vorliegt):  „the  inextinguish- 
able  hatred  and  hostility  of  England  has  interrupted  for  a  while 
our  peaceable  course  and  sbe  is  now  about  to  pay  the  forfeit  of 
all  her  crimes.  The  demolition  of  Bonaparte  was  but  half 
the  work  of  liberation  for  the  world  from  tyranny;  the 
great  pirate  of  the  ocean  remained,  but  happily  to  sink  under  the 
effects  of  bis  own  vices  and  follies." 


Deutschlands  von  1806—1830''  betreffend.         505 

derne,  man  darf  sagen  Napoleonische  Begriff  der  Souveräni- 
tät hinderte  die  Gründung  einer  bestimmteren  Verfassungs- 
norm, eines  Bundesgerichtes;  Bayern,  um  von  Anderem  zu 
schweigen,  erklärte,  es  trete  dem  Bunde  nur  bei,  weil  es  all- 
gemein gewünscht  werde;  für  sich  habe  es  gar  kein  Interesse 
dabei,  indem  es  alle  Yortheile,  die  der  Bund  gewähren  wolle, 
ebenso  gut  und  besser  durch  besondere  Allianzen  erreichen 
könne.  Nicht  minder  war  die  Entfremdung  zwischen  den 
deutschen  Völkern,  trotz  der  Einigung  der  ersten  Begeiste- 
rung, zu  tief  eingewöhnt  und  zu  leicht  von  Neuem  provocirt, 
als  dass  von  ihnen,  wie  namentlich  in  Norddeutschland  der 
Impuls  zur  Befreiung,  so  nun  von  der  Gesammtheit  der  zu 
einer  staatsrechtlich  innigeren  Einigung  hätte  ausgehen  kön- 
nen. Noch  jetzt  ist  diese  Entfremdung,  wie  nicht  bloss  Herrn 
Bülau's  Buch  beweiset,  bei  Weitem  nicht  überwunden.  Und 
doch  hängt  Deutschlands  Wohl  und  Wehe  daran.  Wie  einst 
LuUier  gesagt  hat,  dass  alle  Unterthanen  der  deutschen  Für- 
sten zugleich  Unterthanen  des  Kaisers,  ja  diesem  mehr  un- 
terthan  als  jenen  seien:  so  muss,  wenn  Deutschland  nicht  die 
Geschichte  Italiens  wiederholen  soll,  jener  Gedanke,  der  in 
den  Entwürfen  der  Bundesakte  von  „Unterthanen  des  deut- 
schen Bundes 'S  von  einem  „Rath  der  Fürsten  und  Stände^' 
(nicht  Städte,  wie  Herr  Bülau  S.  343  zweimal  schreibt]  spre- 
chen Hess,  sorgfältigst  bewahrt,  wieder  aufgenommen,  unab- 
lässig weiter  gebildet  werden. 

Herr  Bülau  scheint  über  die  Lage  und  Zukunft  Deutsch- 
lands anderer  Ansicht  zu  sein.  Er  bezeichnet  die  allgemein 
deutschen  Tendenzen  gern  mit  Hervorhebung  alles  dessen, 
was  wider  sie  einnehmen  kann.  „Der  deutsche  Enthusiasmus 
war  wohl  in  seinen  äusseren  Zeichen  und  Losungsworten 
eine  Zeitlang  Modesache  unter  den  gebildeten  Ständen,  blieb 
aber  Modesache  und  verging  wie  Modesache"  S.  276.  Aller- 
dings sobald  die  Diplomatie  statt  ihn  fest  und  sicher  zu  lei- 
ten, ihm  das  Feld  verstellen  musste,  ward  er,  wie  jede  Idee 
ohne  praktisch  gesicherte  Wirksamkeit,  zur  Phantasterei,  zur 
Garicatur,  zu  jenen  jammervollen  Verirrungen,  die  die  Ju- 
gend der  nächsten  Jahre  so  schwer  büssen  sollte.   Noch  wäh- 


506      Schreiben  an  den  Herausgeber,  die  ,,  Geichichie 

rend  des  Krieges,  wie  bald  waren  die  allgemein  deutseben 
Tendenzen  in  praktischer  Beziehung  auf  die  Steinsche  Cen* 
tralverwaltung  reducirt.    Eben  dieser  wird  von  Herrn  Bülau 
wenig  Anerkenntniss  gezollt:  y,es  wurden  überall  recht  ener- 
gische Maassregeln  getroffen,  und  der  freiwillige  Auf- 
schwung der  deutschen  Nation  ward  auf  tüchtigen  Zwang 
gestützt;  man  vergass  wohl  zuweilen  sich  zu  fragen,  ob  denn, 
nicht  die  vereinte  Kraft  der  vier  Hauptmächte,  um  die  sich 
ja  doch  alles  drehte,  ausreichen  würde,  und  ob  das  Wenige, 
was  man  in  diesem  oder  jenem  kleinen  Landeben  zusammen- 
treiben konnte,  so  viel  Wesentliches  zur  Entscheidung  bei- 
tragen könne '^  (S.  275);  eine  Betrachtungsweise,  die  keine 
Widerlegung  verdient  —  Von  der  Wahl  Repnins  zum  Gou- 
verneur von  Sachsen  Namens  der  Gentralcommission  heisst 
es:  „eine  Wahl,  die  dem  Scharfblick  Steins  grade  keine  Ehre 
macht,''  mit  der  Anmerkung:  „oder  sollte  die  nachfolgende 
preussische  Verwaltung  dadurch  noch  erwünschter  gemacht 
werden?  sie  war  den  Sachsen  noch  widerwärtiger,  denn  in 
Bepnin  war  doch  noch  etwas  Originelles  und  er  gab  zu  la- 
chen und  Anekdoten  zu  erzählen''  (S.  273). 

Mit  Herrn  Bülau  wird  jeder  Besonnene  einverstanden 
sein,  dass  eine  Verschmelzung  Deutschlands  zu  einem  förm- 
lich einheitlichen  Staat  nicht  wünschenswerth  ist  (S.  340). 
Selbst  Stein  hat  nicht  daran  gedacht,  ein  französisch  centra- 
lisirendes  Kaiserthum  für  Deutschland  zu  erstreben.  Wenn 
„enragirte  Preussen"  derartiges  zu  Gunsten  Preussens  ge- 
hofft haben  sollten,  so  ist  es  von  Herrn  Bülau  jedenfalls  ge- 
schickt gemacht,  überspannte  Vorstellungen,  wie  sie  aller  Or- 
ten und  nach  allen  verschiedenartigsten  Bichtungen  hin  vor- 
gekommen sind,  zur  detaillirteren  Charakteristik  Preussens 
allein  hervorzuheben.  Das  preussische  Gabinet  ist  solchen 
Gedanken  durchaus  fern  geblieben.  Herr  Bülau  beutet  jene 
enragirte  Idee  dann  weiter  aus ;  er  findet  Gelegenheit  zu  sa- 
gen: „dabei  soll  noch  von  gewissen  Eigenthümlichkei- 
ten  des  brandenburgischen  Stammcharakters,  welche 
den  übrigen  deutschen  Stämmen  sehr  wenig  behagen,  und 
selbst  in  manchen  preussischen  Provinzen  misliebig  befunden 


Deutschlands  mn  ISOö-^iSSO''  betreffend.         507 

werden,  und  von  dem  Charakter  des  preussischen  Yerwal- 
tungssystems  abgesehen  werden"  und  dazu  die  Anmerkung: 
„denn  auch  hier  (in  den  Provinzen)  ist  das  eben  Gesägte  er* 
probt  worden,  und  die  Mark,  wie  die  Grundlage  und  der 
Prototyp,  so  der  Mittelpunkt  dieses  Staates,  und  der,  auf  wel- 
chen das  Meiste  bezogen  wird;  die  Maassregeln,  durch  welche 
der  gegenwärtige  König  dem  entgegentritt,  sind  es  eben,  die 
ihm  am  meisten  getadelt  werden"  (S.  341).  In  der  That,  eine 
unerwartete  Wendung,  eine  captatio  selbst  auf  die  Gefahr 
hin,  durch  den  sich  von  selbst  darbietenden  Gegensatz  dop- 
pelt anzustossen  und  das  Gedächtniss  von  Personen  und  Ver- 
hältnissen, die  von  dieser  Seite  her  unzweifelhaft  über  allen 
Angriff  erhaben  sind,  gröblichst  zu  verletzen.  Unwürdiger 
aber,  als  in  dieser  Stelle  der  „Geschichte  Deutschlands"  von 
einem  geachteten  Mann  der  Wissenschaft;  dürft^e  über  Preus- 
sen  seit  lange  nicht  in  deutschen  Landen  geschrieben  sein. 

Doch  genug.  Gern  übergehe  ich,  dass,  um  Preussens 
Kampfruhm,  selbst  den  von  Dennewitz  ein  wenig  zu  trüben, 
der  Kronprinz  von  Schweden  auch  da  gepriesen  wird,  wo 
es  schwer  wird  ihn  zu  entschuldigen,*)  —  denn  er  that  Ftir- 


*)  Dem  Unterzeichneten  liegen  die  Aktenstücke  vor,  aus  denen 
sich  der  hohe  Werih  der  kleinen  Schrift  ,,Ueber  die  Schlachten  von 
Gross -Beeren  und  Dennewitz,  von  einem  Augenzeugen"  ergiebt; 
sie  ist  von  einem  dem  Generallieutenant  von  Bülow  dienstlich  und 
verwandtschaftlich  sehr  nahe  stehenden  Militär  und  auf  dessen  un- 
mittelbaren Anlass  verfasst,  und  aus  jenen  Papieren  ergiebt  sich, 
in  wie  hohem  Maasse  rücksichtsvoll  diejenigen  Ausdrücke  in  denif 
Bericht,  welche  sich  auf  den  Antheil  des  Kronprinzen  an  jenen  bei- 
den Schlachten  und  deren  Anordnung  beziehen,  gewählt  sind.  In 
dem  Bulletin  über  die  Schlacht  von  Gross-Beeren,  das  von  dem 
Hauptquartier  des  Kronprinzen  aus  veröflFentlicht  worden  war,  hatte 
es  geheissen:  Seine  Königliche  Hoheit  habe  dem  Generallieutenant 
V.  Bülow  befohlen  den  Feind  anzugreifen  u.  s.  w.  Ein  gleichzei- 
tig von  Bülow  eingesandter  und  für  die  Veröffentlichung  bestimm- 
ter Bericht,  der  das  Sachverhältniss  der  Wahrheit  gemäss  darstellte, 
war  aus  Rücksicht  auf  den  Kronprinzen  Seitens  der  Censur  zu- 
rückgewiesen  worden.  Die  uns  in  authentischer  Abschrift  vorlie- 
gende Correspondenz,  die  sich  darüber  zwischen  Bülow  und  einer 
noch  lebenden  Durchlauchtigen  Person  entspann,  lässt  einen  tiefen 


.  1 


508      Sehreiben  an  den  Herausgeber,  die  y,  Geschichte 

spräche  fiir  den  König  von  Sachsen,  „was  ihm  Sachsen  nie- 
mals vergessen  wird^'  (S.  263).   Ich  übergehe,  was  über  Gru- 
ners  angebh'chen  Terrorismus  gesagt  wird,  übergehe  die  ei- 
genthümlichen  Interpretationen  mit  denen  anmerkungsweise 
die  Proclamationen  u.  s.  w.  des  beginnenden  Kampfes  beglei- 
tet sind;  selbst  Wendungen  wie  S.  101,  wonach  Napoleons 
bekannter  Auftritt  mit  Metternich  (15.  Aug.  1808)  „eine  jener 
unbedachten  oder  übel   angebrachten  persönlichen  Scenen^' 
genannt  wird,   „durch  die  er  wiederholt  verrieth,  dass  er 
nicht  auf  dem  Thron  geboren  war  und  diese  hohen 
Stellungen  nicht  wahrhaft  begriffen  hatte  —  ich  will 
sie  mit  ihrer  petitio  principü  unbesprochen  vorüber  lassen. 
Herr  Bülau,  der  sonst  nicht  näher  auf  die  Kritik  seiner 
Quellen  eingeht,  so  wünschenswerth  eine  solche  z.  B.  in  Be- 
ziehung auf  V.  Hippels  oft  benutzte  Schrift  gewesen  wäre,*) 
äussert  sich  wiederholentlich  mit  grösster  Schärfe  gegen  die 
„Lebensbilder  aus  dem  Befreiungskriege'';  er  sagt  S.  2iS: 
„Jedenfalls  muss  man  ihnen  in  alle  dem   misstrauen,  was 
auch  nur  entfernt  mit  dem  bekannten  Herausgeber  und  sei- 
nen  persönlichen   Stimmungen  und  Interessen   zusammen- 
hängt*'; und  S.  285:  „wenn  irgend  etwas  in  diesem  Buche 
zu  glauben  ist,  so  ist  es  das  zum  Lobe  Oesterreichs  Gesagte; 
denn  das  Buch  ist  von  persönlicher  Malice  gegen  Oester- 
reich  dictirt.*' 


Blick  in  die  schwierigen  Verhällnisse  thun,  unter  denen  die  Nord- 
armee  ihre  unvei^esslichen  Siege  erkämpfte. 

*)  Seite  86  wird  in  Beziehung  auf  Slein's  Abtreten  1808  gesagt: 
„als  eine  dem  Staatsmann  kaum  verzeihlicbe  Unvorsichtigkeit  zum 
nächsten  Anlass  des  Rücktritts  geworden  war"  und  in  der  Anmer- 
kung auf  „Leben  des  Königl.  Preussischen  Staatsministers  Freiherrn 
von  und  zum  Stein,  Leipzig  1841.  2  Thle.  8."  verwiesen.  —  Wäh- 
rend die  sonstigen  Nachrichten  in  diesem  Buch  aus  anderen  be- 
kannten Schriften  zusammengeschrieben  sind,  ist  es  mir  nicht  ge- 
lungen zu  erforschen,  auf  wessen  Autorität  jene  seltsame  Geschichte ' 
nacherzählt  wird.  Meine  Vermuthung,  dass. sie  in  vorliegender  Ge- 
stalt wenigstens  apokryphisch  ist,  hat  sich  bei  weiterer  Nachfrage 
besfätigt;  hoffentlich  wird  die  wahre  Sachlage  bald  völlig  aufgeklärt 
werden  können. 


Deutschlands  ton  1806—1830''  betregend.         509 

So  viel  von  den  zwei  ersten  Abschnitten  der  Bülau*schen 
Geschichte.  Was  sie  behandeln,  ist  ja  eben  die  Zeit  der  völ- 
ligen Zerbröckelung  der  bis  dahin  wenigstens  im  Namen  des 
Reiches  noch  .geeinten  Nation  —  in  der  Souveränität  der  sä- 
cularisirenden  und  mediatisirenden  deutschen  Fürsten  er* 
reichte  die  unselige  Gentrifugalkraft  des  deutschen  Wesens 
ihr  äusserstes  Extrem  —  und  dann  der  mächtig  beginnende 
Rückschlag,  der  Ruf  zur  erneuten,  siegesmächtigen  National- 
einigung, die  Begeisterung  kühn  hinausgreifender  Hoffnun- 
gen, die  ersten  Grundlegungen  zu  einer  neuen  verfassungs- 
mässig gesicherten  deutschen  Nationaleinheit.  Aber  das  Läu- 
terungsfeuer der  Jammerjahre  hatte  die  spröden  Sonderungen 
bei  Weitem  nicht  hinweggeschmolzen,  jene  Begeisterung,  so 
heiss  sie  die  höheren  —  nicht  überall  die  höchsten  —  Schich- 
ten ergriff,  drang  bei  Weitem  nicht  in  die  tieferen  Massen 
hinab.  Diese  zu  vertreten  war  das  nächste  Recht  und  die 
Stütze  jener  Souveränitäten;  fester,  unabhängiger,  monadi- 
scher als  sie  je  gewesen,  wurden  sie  nun.  Eine  grosse  Noth- 
wendigkeit  fährte  unsere  deutschen  Entwicklungen  zunächst 
auf  diese  Formen  hin,  die  allein  den  unbeschreiblich  grossen 
üebergang  aus  dem  alten  Deutschland  zu  der  Zukunft  eines 
neuen,  würdigeren,  friedlich  zu  vermitteln  im  Stande  sind 
Nicht  aus  dem  völligen  Verschwinden  aller  Stammverschie- 
denheiten, wie  Herr  Bülau  S.  370  sagt  —  wie  völlig  irratio- 
nal verhalten  sie  sich  zu  der  politischen  Yertheilung  Deutsch- 
lands; eben  diese  ist  es,  von  der  sie  gefährdet  oder  besser 
gemildert  werden  —  sondern,  was  Herr  Bülau  eben  da  mit 
Unrecht  als  gleichbedeutend  setzt,  „aus  dem  Gefühl  der  na- 
tionalen Einheit,  aus  der  Mitte  des  Volksthums  selbst ''  musa 
die  Weiterbildung  des  1813  glorreich  Begonnenen  hervorge- 
hen. (Jnd  wahrlich,  die  deutschen  Völker  sind  dieses  Weges 
nicht  müssig;  sie  lernen  mehr  und  mehr,  dass  sie  nur  als 
Ein  Volk  die  errungenen  Geistesschätze  bewahren  und  meh- 
ren, den  Fleiss  ihrer  Hände  und  den  Segen  ihrer  Felder  ge- 
deihen sehen  i  vor  der  beutelüsternen  Fremde  ihre  Grenzen 
schützen  und  ihren  inneren  Frieden  sichern  können,  das« 
keins  von  ihnen^  kein  deutscher  Staat  für  sich,  und  wäre  er 


510     Schreiben  an  den  Herausgeber,  die  ,,  Geschichte 

nodi  so  stark,  stark  genug  ist  allein  sich  selbst  oder   gar 
Deutschland  zu  retten,  wenn  die  Stunde  der  Gefahr  da  sein 
wird,  deren  Nahen  sich  niemand  bergen  kann.    Es  gilt  um 
Alles,  dass  „ein  einiges  starkes,  festes,  kampffähiges  deutsciies 
Volk  in  Krieg  und  Frieden  dastehe^'  (Stein).   Wehe  dem,  der 
yon  dem  alten  Hader  anders  spricht,  als  um  yor  ihm  zu  \%'ar- 
nen;  wehe  dem,  der  dem  alten  Hass  und  Hohn  mit  arger 
Kunst  neue  Dolche  schürft!  Nur  zu  leicht  kann  der  selbst- 
mörderische Wahnsinn  —  noch  glimmen  die  Funken,  —  von 
Neuem  erwadien;  und  dann  ist  keine  Rettung.  —  Ein  ern- 
stes und  feierliches  Amt,  seinem  Volk  der  Dolmetsch  seiner 
Geschichte  zu  seini  durch  ihn  spricht  zu  dem  Volk  sein  Ge- 
wissen.  Und  keine  ernstere  Mahnung  hat  unsere  Gescbicbte 
als  das  owoi  cnrvix'^BLV,  dkXd  cru^iMpcAiMV  ecpuv*    — 

Ich  kann  mir  nicht  versagen  noch  über  den  dritten  Ab- 
schnitt des  Bülau'schen  Werkes:  „die  ersten  fünfzehn  /ahre 
des  deutschen  Bundes '*  Einiges  hinzuzufügen. 

Auch  hier  finden  sich  treffliche  Bemerkungen,  6ndet  sieb 
mehr  als  eine  meisterhafte  Darstellung  yon  Zuständen  und 
Stimmungen.  Und  doch  gewährt  der  ganze  Abschnitt  weder 
einen  klaren  Gesammteindruck,  noch  erkennt  man,  worauf 
es  in  den  Bewegungen  jener  fünfzehn  Jahre  eigentlich  an- 
gekommen. Wenn  HerrBülau  meinen  sollte,  dass  die  soge- 
nannten demagogischen  Umtriebe  diese  Bedeutung  haben,  wie 
man  nach  der  grossen  Ausführlichkeit,  womit  er  dieselben 
behandelt  (S.  40(>-~467],  fast  glauben  muss,  so  dürfte  er  mehr 
die  so  zu  sagen  oflicielle  als  eine  historische  Ansicht  vertreten. 

Unendlich  werthvoll  ist  (ur  Deutschland  die  Gründung 
des  Bundes  gewesen;  er  war  die  einzige  Möglichkeit  die  Ver- 
gangenheit und  Zukunft  eines  gesammten  Deutschlands  zu 
vermitteln.  Drohender  noch  erhob  sich  in  jedem  einzelnen 
deutschen  Staate  der  Widerspruch  der  alten  und  neuen  Zeit, 
der  alten  rückwärts  fesselnden  Prätensionen  und  der  neuen 
vorwärts  drängenden  Entwicklungen.  Da  die  einen,  dort  die 
andern  gewannen  einen  Vorsprang,  nirgends  den  Sieg;  in  den 
Händen  der  Regierungen  blieb  die  Macht  über  beide,  die  j 
einzige  Möglichkeit  sie  friedlich  und  zu  gegenseitiger  Förde- 


Deutschlands  mn  iSOG^-iSSO^'  betreffend.         511 

rang  zu  vermitteln.  Nur  dass  damit  sich  leicht  die  Bureau- 
kratie  als  eine  dritte  Partei  bildete,  die,  stark  durch  die  Rou- 
tine des  Begierens,  durch  die  Heimlichkeit  der  öffentiichen 
Verhältnisse,  durch  Gonnexionen  zum  Gewähren  und  Em*' 
pfangen  u.  s.  w.,  statt  zu  vermitteln  neutralisirte,  statt  fort- 
schreitende Entwicklung  zu  fördern  einfriedselig  gehorsames 
Beharren  bei  dem  errungenen  glücklichen  Zustande  als  staats- 
bürgerliche Tugend,  Ghristenpflicht  und  Gesinnung  zu  erwir- 
ken sudite,  —  Maassregeln  statt  Geschichte,  —  ja  man  darf 
sagen  eine  Schranke  unumschränkter  Monarchie,  die  am  we- 
nigsten den  Thron  sichert,  die  freiheitliche  Entwicklung  för- 
dert, der  hohen  sittlichen  Idee  des  Staates  entspricht.  Man 
wird  an  Ghatham's  Wort  erinnert:  „es  steht  etwas  hinter  dem 
Thron,  das  grösser  ist  als  der  Thron.'' 

Und  doch  ist  klar,  dass  wie  in  den  einzelnen  Staaten 
Deutschlands,  so  in  der  „Gesammtmacht'^  überwiegend  nur 
erst  Anfänge  oder  kaum  noch  Anfange  gemacht  sind.  Deutsch- 
land hat  eine  grosse  Vergangenheit  dahingegeben,  einen  tief 
gegründeten  dem  Gesetz  nach  bis  1806  unzweifelhaften 
Rechtszustand  voll  grosser  Garantien  und  grosser  Möglich- 
keiten ohne  Vorbehalt,  Sichersteilung  oder  Verwahrung  in 
die  Hände  der  Wenigen  übergehen  lassen,  welchen  nun  als 
Souveränen  im  deutschen  Bunde  unser  Wohl  und  Wehe  an- 
vertraut ist.  —  Deutschland  ist  von  seiner  grossen  Vergan- 
genheit und  seiner  tausendjährigen  Rechtscontinuität  durch 
eine  tiefe  Kluft  für  immer  getrennt,  alle  unsere  rechtskräf- 
tigen Beziehungen  zu  dem  Vormals  sind  zerrissen  und  durch- 
schnitten, völliger  als  in  Frankreich  immer  neue  Revolutionen 
vermodit  haben.  Deutschland  ist  ganz  auf  die  neue  Zeit  gestellt, 
es  hat  von  der  Zukunft  alles  zu  erwarten  —  oder  zu  fürchten. 

Eben  darum  wäre,  eine  ernste,  wahrhaftige,  unverschleierte 
Darstellung  der  deutschen  Verhältnisse  seit  ihrer  Neugriin- 
dung  von  hoher  Bedeutung.  Vor  nicht  gar  lange  galten  die 
Wenigen,  welche  nicht  das  Neue  über  das  Neueste  vergassen, 
schon  iiir  verdächtig.  Nur  die  beschämende  (Jnkunde  über  die 
Zusammenhänge  unserer  Gegenwart,  über  die  Lage  Deutsch- 
lands im  Ganzen  und  in  seinen  Gliedern,  machte  bei  uns  den 


512      Schreiben  an  den  Herau$geher,  die  ,,  Geschichte 

Streit  der  Ansichten  so  unfruchtbar  und  bodenlos^  machte 
die  Gemüther  statt  sie  aufzuklären  und  zu  stärken,  verwirrt 
und  verbittert  oder  schlaff  und  stumpf.  Wir  sind  wieder  so 
weity  dass  fast  nur  die  trostlose  Alternative  von  Lieblosigkeit 
und  Unehrerbietigkeit  gegen  das  Gewordene  und  Bestehende 
oder  von  serviler  Trägheit  und  frecher  Lobhudelei  gegen  das 
wie  auch  immer  Beliebte,  sei  es  Gewähren  oder  Versagen^ 
vernommen  wird.  Es  war  die  Einsicht  eines  hochherzigen 
Fürsten,  die  sich  eine  gesinnungsvolle  Opposition  wünschte. 
Die  Neugnindung  Deutschlands,  der  Bundesvertrag,  hat  in 
der  Erklärung  mehrer  der  bethe'iligten  Mächte  bei  Unterzeich- 
nung der  Bundesakte  eine  Kritik  erfahren,  die  um  so  beach- 
tenswerther  ist,  je  weniger  sonst  die  Diplomatie  zu  derarti- 
gen Veröffentlichungen  Anlass  zu  suchen  pflegt;  aber  es  war 
die  Zeit,  wo  unter  den  Principien,  welche  die  officiellen  Pro- 
tocoUe  des  Gongresses  aussprachen,  la  juste  attente  des  con- 
temporains  aufgeführt  wurde.  Sie  fanden,  dass  das  Gewährte 
den  Erwartungen  der  Nation  nur  zum  Theil  entsprechen  könne; 
sie  erklärten  es  anzunehmen,  weil  es  keine  Art  von  Yerbesse- 
rung  ausschliesse,  weil  es  besser  sei  vorläufig  einen  weniger 
vollständigen  und  vollkommenen  Bund  als  gar  keinen  erhal- 
ten zu  haben.  Herr  Bülau  dagegen  findet  S.  468:  „den  gan- 
zen Charakter  dieses  Organismus  haben  wohl  selbst  die  Re- 
gierungen erst  nach  und  nach  im  Verfolg  der  Erfahrungen 
kennen  gelernt  und  dann  sich  beschieden,  ihn  nun  für  das 
zu  gebrauchen,  wofür  er  geeignet  war  ü.  s.  w.*'  (vergl.  S.  SSO). 
Wir  bitten  den  geneigten  Leser  sich  selbst  die  weiteren 
Fragen  und  Antworten  aus  diesem  Satze  zu  entwickeln;  sie 
liegen  zu  nah  und  fuhren  zu  weit,  als  dass  ich  sie  hier  aus- 
fähren möchte.  Herr  Bülau  umgeht  es  im  Einzelnen  nach- 
zuweisen, wie  jenes  „nach  und  nach^'  sich  geschichtlich  dar- 
stellt. Allerdings  tritt  seit  den  Garlsbader  Beschlüssen  und 
der  Ausarbeitung  des  Bundesgesetzes  —  nicht  durch  die  Bun- 
desversammlung, wie  der  Grundvertrag  ausdrücklich  bestimmt 
hatte,  sondern  durch  einen  nach  Wien  berufenen  Gongress 
deutscher  Staatsmänner  —  eine  sehr  merkliche  Veränderung 
in  der  Stellung  des  deutschen  Bundes  ein. 


Deutschlands  von  1806—1830^'  betreffend,         513 

Es  ist  sehr  lehrreich  die  energische  Antwort  des  Bun- 
destages (1817)  auf  die  kurhessische  Erklärung  in  Beziehung 
auf  die  westphälischen  Domainenkäufer,  die  Herr  Bülau  S.  476 
mittheilt,  mit  der  österreichischen  Antwort  auf  v.  Wangen- 
heim's  Vortrag  in  derselben  Sache  (vom  4.  Dec.  1823),  die 
Herr  Bülau  nicht  mittheilt,  zu  vergleichen.  Warum  überhaupt 
wird  von  dem  Verlauf  dieser  charakteristischen  Angelegenheit 
nur  der  Anfang  mitgetheilt?  An  ihr  hätte  man  Herrn  Bülau's 
Ausspruch  in  Beziehung  auf  die  Bundeseinrichtung  erproben 
können:  „sie  hat  jedenfalls  den  grossen  Vorzug  einer 
den  wechselnden  Verhältnissen  des  Lebens  sich  an- 
schmiegenden Elasticität"  S.  350. 

Auch  die  auf  Antrag  der  Hansestädte  gepflogenen  Ver- 
handlungen über  den  Schutz  des  deutschen  Handels  gegen  die 
Barbaresken  hätten  um  so  mehr  eine  nähere  Ausführung  ver- 
dient, da  sie  nur  zu  deutlich  zeigen,  in  welcher  Würde  der 
Bund  Deutschland  als  eine  in  politischer  Einheit  verbundene 
Gesammtmacht  zu  repräsentiren  gedachte.  Verdiente  es  keine 
Bemerkung,  inwiefern  diese  deutsche  Gesammtmacht,  als 
welche  der  Bund  Deutschland  wieder  in  die  Reihe  der  Mächte 
treten  lassen  sollte,  bei  den  verschiedentlichen  Gongressen 
mitthätig  war;  oder  dass  eben  diesen  Punkt  die  niemals  des- 
avouirte  königl.  würtembergische  Circularnote  in  Beziehung 
auf  den  Congress  von  Verona  hervorhob;  oder  dass  in  der 
oben  erwähnten  österreichischen  Erklärung  in  Beziehung  auf 
die  von  dem  würtembergischen  Bundestagsgesandten  ausge- 
führten Rechtsgründe  (der  Lehre  vom  ewigen  Staat  u.  s.  w.) 
gesagt  wurde:  „dass  ein  Gang  solcher  Art  bei  allen  befreun- 
deten Staaten,  welche  mit  der  Gesammtheit  dem  monarchi- 
sehen  Princip  huldigen  und  für  dessen  Aufrechterhaltung  zu 
wachen  befugt  sind,  nur  die  lebhaftesten  Besorgnisse  er- 
wecken müsste." 

Herr  Bülau  findet  es  „recht  gut,  dass  Deutschland  nicht 
eine  solche  Organisation  hat,  bei  der  wie  im  Innern  manches 
central isirten  Staates  hinter  jeder  zeitlichen  und  örtlichen  Er- 
scheinung sogleich  ein  Schwall  von  Gesetzen,  Einrichtungen, 
Maassregeln  herstürzt  und  für  Vieles,  dem  die  Selbstthätig- 

Zeitschrift  f.  6«scbichtsir.    1.    1844.  33 


514      Schreiben  an  den  Herausgeber,  die  „Geechichie 

k«it  der  Glieder  vollkommen  gewachsen  würe,  wenn  man  ihm 
nur  freie  Bahn  liesse,  gleich  das  Ganze  in  Unruhe  gesetzt 
wird''  S.  474.  Als  ob  je  eine  Bundescentralgewalt  zu  solchen 
Besorgnissen  Anlass  gäbe  —  oder  vielmehr  (denn  eine  Reihe 
von  Uittelgliedern  lasse  ich  hier  absichtlich  weg)  nur  die 
Stärkung  der  Bundesgewalt  und  ihrer  unmittelbaren  Bezie- 
hung zu  den  „ünterthanen  des  Bundes''  schützt  Deutschland 
vor  der  Gefahr  erneuter  Zersplitterung  und  ihrer  nothwen- 
digen  Folge:  der  besonderen  Verbindungen  zunächst  inner- 
halb des  Bundes  —  der  Yerrückung  des  einzig  wünschens- 
werthen  Schwerpunktes  für  Deutschland  —  der  Bildung,  der 
Wirksamkeit  neuer  Schwerpunkte  —  der  Verwirklichung  des 
politischen  Arrangements,  welches  schon  1B23  das  ^^Mana- 
Script  aus  Süddeutschland"  erneut  zu  sehen  wünschte.  Die 
Ohnmacht  von  Kaiser  und  Reich  war  es,  in  Folge  deren  die 
kleineren  deutschen  Territorien  von  den  grösseren  verschlun- 
gen, das  Reichsgebiet  zwischen  Oesterreich,  Preussen,  Däne- 
mark, Schweden,  Frankreich,  dem  Rheinbund  getbei/t  wur- 
den. Fürchten  wir  in  Deutschland  nichts  mehr  als  die  alt- 
berühmte „teutsche  Freiheit"  und  ^««iirde  sie  uns  von  den 
Dächern  gepredigt.  Mit  höchstem  Recht  preisen  wir  den  Zoll- 
verein. Mach  der  Erklärung  des  Präsidialgesandten  in  der 
Eröffnungsrede  1817  „bezweckt  Art.  19  der  Bundesakte  die 
deutschen  Bundesstaaten  selbst  in  Hinsicht  des  Handels 
und  Verkehrs  so  wie  in  der  Schifffabrt  einander 
nicht  zu  entfremden;  auch  diese  Bestimmung,  heisst  es 
in  jener  Rede,  führt  uns  zu  wohlthätigen  und  gemeinnützi- 
gen Anordnungen,  wodurch  wir  das  Wohl  der  Gegenwart  so 
wie  die  spätere  Zukunft  iur  ganz  Deutschland  sichern  kön- 
nen." Nach  Art.  65  der  Schlussakte  ist  auch  Artikel  19  zur 
ferneren  Bearbeitung  vorbehalten;  die  Bundescentralgewalt 
hat  es  nicht  vermocht  diese  zu  leisten;  der  Zollverein  ist  statt 
ihrer  eingetreten.  Der  Souverän,  welcher  zugleich  Mitglied 
des  Bundes  und  des  englischen  Oberhauses  ist,  und  als  sol- 
cher in  Folge  des  neuerdings  geleisteten  Eides  dieselbe  Pflicht 
wie  jeder  andere  getreue  Unterthan  der  Majestät  von  Eng- 
land hat  für  Englands  Interesse   nach  bestem  Wissen  und 


Deutschlands  von  1806—1830''  betreffend.         515 

Gewissen  zu  handeln  und  zu  rathen,  hat,  gewiss  im  wohl- 
beachteten Interesse  seiner  deutschen  Unterthanen  den  Bei- 
tritt zu  dem  Verein  bisher  von  sich  gewiesen;  das  übrige 
Norddeutschland  bleibt  damit  der  Aussicht  auf  den  Miteintritt 
wenigstens  für  die  nächste  Zukunft  fem.  Und  doch  scheint 
selbst  mit  finanziellen  Verlusten  die  Einigung,  deren  wahrer 
Werth  auf  einem  ganz  anderen  Felde  zu  suchen  ist,  nicht  zu 
theuer  erkauft;  jeder  Schiffsherr  zahlt  gern  einen  Theil  sei- 
nes Gewinnes  an  die  Gilde  gegenseitiger  Versicherung,  dass 
sie  ihn,  wenn  die  Wellen  Schiff  und  Ladung  verschlungen, 
schadlos  halte  für  seinen  Verlufit.  Doch  warum  das  tausendmal 
Gesagte  wiederholen!  Jetzt  wenigstens  sind  in  Hinsicht  des 
Handels  und  Verkehrs  so  wie  der  Schifffahrt  die  deutschen 
Staaten  einander  entfremdet,  ist  Deutschland  in  sich  getheilt, 
bis  zum  Grenzkrieg  der  Schmuggler  in  sich  verfeindet  — 
Es  genüge  an  diesem  Beispiel. 

Wiederholentlich  kommt  Herr  Bülau  darauf  zurück,  dass 
die  deutschen  Fürsten  ihren  Völkern  nicht  durch  Verspre- 
chungen in  den  Jahren  des  Freiheitskrieges  sich  verpflichtet 
hätten;  mehre  Prociamationen,  auf  welche  sich  der  Libera- 
lismus zu  berufen  pflege,  werden  in  diesem  Sinne  commen- 
tirt;  über  die  Wiener  Gongressverhandlungen  wird  gesagt: 
„bei  den  ganzen  Verhandlungen  und  bei  der  Bundesakte  habe 
es  sich  nur  um  Verträge  unter  den  souveränen  Re- 
gierungen,  nicht  um  Zusagen  an  die  Völker  gehan- 
delt'^  (S.  368),  „es  hat  sich  der  Bund  in  seinem  Grundgesetz 

lediglich  als  ein  gegenseitiger  Vertrag  der  Regierungen 

und  in  keiner  Art  als  eine  den  Völkern  gegenüber 
übernommene  Verpflichtung  angekündigt^'  (S.  350).  In- 
dem Herr  Bülau  von  den  Regierungen,  nicht  von  den  Für- 
sten spricht,  giebt  er  selbst  eine  Theorie  auf,  die  wenigstens 
formeller  Weise  seine  Ansicht  zu  rechtfertigen  im  Stande 
wäre.  Wäre  seine  Interpretation  richtig,  so  träfe  nicht,  wie 
Herr  Bülau  S.  387  will,  die  Völker  der  Vorwurf  „die  Regie- 
rungen als  etwas  vom  Volk  Getrenntes,  ihm  Entgegengesetz- 
tes statt  als  dessen  edelsten  und  berechtigtsten  Ausdruck '' 
betrachtet  zu  haben.    Nur  zu  deutlich  hatte  sich  das  Gelilhl 

33* 


516      Schreiben  an  den  Herausgeber,  die  ,,Ge$ch%chie 

dieses  Gegensatzes  auch  in  Deutschland  ausgebildet.    Mag  es 
von  den  Regierungen  oder  den  Unterthancn,  von  den  Fürsten 
oder  den  Völkern  verschuldet  sein,  es  ist  der  traurigste  Irr- 
thum,  an  unseligen  Gonsequenzen,  wie  die  neueste  Geschichte 
zeigt,  nur  zu  reich;  es  trieb  das  ebenso  unsinnige  Princip 
der  Volkssouveränität  hervor;  zwischen  diesen  beiden  gleich 
unwürdigen,   gleich  rationalistischen  Extremen   oscillirt   die 
Entwicklung  der  civilisirten  Welt,  um  sie,  so  Gott  will,  end- 
lich beide  in  dem  lauteren  Begriff  des  Staates,   wo   das 
Gesetz  Souverän  ist,  zu  überwinden.  —  „Versprechua- 
gen"  def  Fürsten  an  die  Völker  mögen  nie  die  Basis  unserer 
Hoffnungen,  unserer  Ansprüche  sein.    In  eiiier  Kritik  über 
die  Verhandlungen  der   würtembergischen  Landstände  \%i6 
und  1816  heisst  es:  „eine  höhere  Nothwendigkeit  als  in  dem 
positiven  Bande  eines  Versprechens,  liegt  in  der  Natur  der 
zu  allgemeiner  Ueberzeugung  gewordenen  Begriffe,  welche 
an  eine  Monarchie  die  Bestimmung  einer  repräsentativen  Ver- 
fassung ,  eines  ^  gesetzmässigen  Zustandes  und  einer  Einwir- 
kung des  Volkes  hei  der  Gesetzgebung  knüpfen.  ^^    Es  war 
Hegel,  der  das  aussprach.    Streben  wir  im  Politischen  dem 
grossen  Vorbilde  nachzuahmen,  das  die  kirchliche  Entwick« 
lung  Deutschlands  in  der  Beformationszeit  gegeben  hat;  wie 
mächtig  erhob  sich  Luther  gegen  die  träge  Versumpfung  des 
Papismus  und  seines  historischen  Bechtes;  aber  nicht  min- 
der schleuderte  er  jene  Garicaturen  seiner  eigenen  Bestre- 
bungen, die  Wiedertäufer,  die  Schwarmgeister,  von  sich  hin- 
weg; er  war  sich  bewusst,  die  wahrhafte  Fortbildung  der  afi- 
gemeinen  Kirche,  das  ächte  historische  Princip  zu  vertreten. 
Ich  habe  nicht  im  Sinn  gehabt,  eine  Becension  des  Bü- 
lau'schen  Werkes  zu  schreiben;   sonst  müsste  ich  aus  den 
zwei  ersten  wie  aus  dem  dritten  Abschnitt  noch  vieles  her- 
vorheben oder  näher  erörtern,  müsste  beklagen,  dass  von 
den  auswärtigen  Einflüssen  auf  den  Verlauf  der  deutschen 
Verhältnisse,  von  den  europäischen  Beziehungen  Preussens 
und  Oesterreichs  so  gut  wie  gar  nicht  die  Bede  ist,  dass  in 
dem  Schluss  ,^die  Vorgänge  in  den  einzelnen  Staaten  betref- 
fend, so  weit  sie  von  einigem  allgemeineren  Interesse  und 


J 


Deutschlands  von  1806—1830''  betreffend.  517 

Einfluss  waren,  Belege  und  Erläuterungen  des  Bemerkten, 
Merkmale  deutscher  Zustände  sind"  (S.  520),  Oesterreich  mit 
U  Seite  abgefunden  wird,  wovon  die  Hälfte  etwa  auf  eine 
Anmerkung  kommt,  die  „die  modificirte  Wiederbelebung  der 
alten  Landesverfassung"  Tyrols  betrifft.  Nan^entlich  würde 
auch  hier  Herrn  Bülau's  Darstellung  der  preussischen  Ange- 
legenheiten näher  zu  beleuchten,  auch  die  Angabe  zu  prüfen 
sein:  „dass  im  Volke  die  ernstere  Richtung  auf  die  Ver- 
fassungsfrage in  den  Hintergrund  trat,  dass  man  sich  viel- 
mehr häufig  darin  gefiel,  mit  einem  gewissen  spötti- 
schen und  hochmüthigen  Lächeln  auf  die  constitu- 
tionellen  Zustände  und  Strebungen  der  kleineren  deutschen 
Staaten  herabzusehen"  u.  s.  w.  (S.  531).  Es  würde  auf  die 
Darstellung  der  sächsischen  Verhältnisse,  auf  den  Bericht  über 
die  Verhandlungen  zur  Gründung  einer  Verfassung  in  Wür- 
temberg  einzugehen,  zu  untersuchen  sein,  warum  Herr  Bülau 
Würtembergs  Erklärung  in  Beziehung  auf  die  politische  Be- 
vormundung der  Staaten  zweiten  Ranges  durch  die  Gross- 
mächte übergangen  hat,  es  würden  einzelne  Irrthümer,  wie 
beispielsweise  die  Aiigabe  über  Mühlenfels  (S.  760),  zu  be- 
richtigen sein  u.  s.  w. 

Herr  Bülau  hat  als  Redacteur  einer  verbreiteten  Zeitung, 
einer  geachteten  historisch  politischen  Zeitschrift,  als  Mitar- 
beiter des  Staatslexicons,  als  sehr  thätiger  publicistischer  und 
historischer  Schriftsteller,  als  Universitätslehrer  einen  Einfluss 
auf  die  öffentliche  Meinung  in  Deutschland,  der  um  so  wirk- 
samer ist,  je  bereitwilliger  das  deutsche  Publicum  auf  Män- 
ner hört,  welche  ihm  die  Garantien  der  Wissenschaftlichkeit, 
des  geachteten  Namens  und  der  amtlichen  Stellung  darbieten. 
Um  so  ausdrücklicher  und  ernstlicher  sei  der  Protest  gegen 
das,  was  in  der  „Geschichte  Deutschlands"  Einseitiges,  Partei- 
liches, Verletzendes,  gegen  das  gemeinsame  Interesse  Deutsch- 
lands Streitendes  gesagt  worden  ist. 

Kiel,  Decemb.  1843. 

Joh.  Gust.  Droysen. 


Die  historischen  Vereine  und  Zeitschriften 

Deutschlands. 


Nächst  den  Wissenschaften,  welche  den  industriellen  Bestre- 
bungen unserer  Zeit  vorarbeiten,  ist  gegenwärtig  die  Ge- 
schichte am  eifrigsten  angebaut.  Welcher  Wetteifer  herrscht 
alte  Documente  zu  sammeln  und  herauszugeben,  dunkle  Par- 
tien der  entfernteren  und  näheren  Vorzeit  zu  beleuchten,  hi- 
storische Vereine  zu  gründen;  selbst  unter  dem  grösseren 
Publicum  zeigt  sich  ein  Durst  nach  geschichtlicher  Belehrung« 
dem  speculatiTe  Buchhändler  und  Schriftsteller  durch  aller- 
hand populäre  Unternehmungen  entgegenkommen.  Es  ist,  als 
ob  der  Geist  vor  der  rascheren  Bewegung  der  Zeit  und  ih- 
ren kritischen  Tendenzen,  die  Alles  in  Frage  stellen,  sich 
flüchten  wollte  auf  den  sicheren  Boden  der  Geschichte,  um 
hier  das  unter  allem  Wechsel  Bleibende,  die  Gesetze  und  Er- 
gebnisse der  Entwicklung,  kennen  zu  lernen.  In  dem  Eifer 
für  geschichtliche  Forschung  steht  unser  Vaterland  andern 
Ländern  keineswegs  nach,  wohl  aber  an  Einheit  der  dahin 
zielenden  Bestrebungen.  Neben  den  Forschungen  einzelner 
Gelehrten  sind  mehr  als  40  Vereine  für  vaterländische  Ge- 
schichte und  Alterthumskunde  geschäftig,  neue  Materialien 
«1  sammeln,  und  man  sollte,  wenn  man  diese  Menge  von 
Kräften  die  sich  in  Bewegung  setzen  übersieht,  meinen,  es 
müssten  schon  bedeutende  Ergebnisse  gewonnen  sein.  Aber 
dem  ist  nicht  so;  wenn  man  genauer  zusieht,  so  findet  man, 
dass  weder  die  Quellen  vollständig  genug  gesammelt,  noch 
die  nöthigen  kritischen  Vorarbeiten  gemacht  sind,  um  eine 
gründliche  Geschichte  schreiben  zu  können,  welche  die  in- 


Die  histor,  Vereine  u.  Zeitschrifteti  Deutschlands.     519 

nere  politische  und  sociale  Entwicklung  Deutschlands  klar 
vor  Augen  stellte.  Es  ist  ^schwierig,  nur  zu  einer  Uebersicht 
dessen  zu  gelangen ,  was  bereits  geleistet  ist  und  was  noch 
fehlt,  und  es  wäre  gut,  wenn  man  einmal  die  Summe  zöge 
von  dem  was  man  hat,  und  dann  die  Mittel  berechnete,  die 
man  noch  braucht,  um  das  Gebäude  in  edlem  Style  auszu- 
fuhren und  würdig  auszuschmücken.  Wir  wollen  in  Nach-» 
stehendem  versuchen,  einen  kleinen  Beitrag  hiezu  zu  geben, 
indem  wir  die  Seite  der  forschenden  Thätigkeit  genauer  be- 
trachten, welche  sich  in  den  geschichtlichen  Vereinen  und 
ihren  Zeitschriften  entwickelt 

Die  Zahl  der  deutschen  Gesellschaften  für  vaterländische 
Geschichte  und  Alterthumskunde  beläuft  sich  auf  44,  von 
denen  die  meisten  ihre  eigene  Zeitschrift  haben.  Davon  hat 
Bayern  allein  8,  Sachsen  und  Thüringen  7,  Würtemberg  4, 
Brandenburg  2,  Baden  2,  Nassau,  die  beiden  Hessen,  Wetz- 
lar, die  Bheinlande,  die  Mosellande,  Westphalen,  Niedersach- 
sen, Hamburg,  Lübeck,  Frankfurt,  Schleswig-Holstein,  Meck- 
lenburg, Pommern,  jedes  einen.  Dazu  kommen  noch  fn  der 
deutschen  Schweiz  6  historische  Gesellschaften.  Aber  nicht 
nur  an  Vereine  knüpft  sich  die  gemeinsame  Forschung,  son- 
dern es  haben  sich  auch  da  und  dort  Mittelpunkte  dafür  in 
selbstständigen  Zeitschriften  gebildet,  von  denen  die  einen 
auf  Specialgeschichte  sich  beschränken ,  während  die  andern 
der  Geschichtsforschung  im  Allgemeinen  gewidmet  sind.  Sol- 
cher Zeitschriften  zählen  wir  7  provinzielle  und  6  von  allge- 
meinerer Richtung.  Man  könnte  sich  freuen  über  diese  rege 
Thätigkeit,  diesen  Eifer  für  Erkenntniss  vaterländischer  Vor- 
zeit, der  sich  einen  Reichthum  von  Organen  schafft,  wenn 
nicht  eben  diese  Mannigfaltigkeit  ein  Bild  von  der  Vereinze- 
lung und  Zersplitterung  wäre,  in  der  das  nationale  Leben  in 
Deutschland  seine  besten  Kräfte  verzehrt,  und  bei  allem  gu- 
ten  Willen  doch  nichts  Grossartiges  zu  Stande  bringt.  Viele 
Vereine  verdanken  ihre  Entstehung  der  Mode  und  dem  Zeit- 
geist, der  in  allen  Gebieten  seine  Arbeit  durch  Associationen 
auszufahren  liebt,  und  häufig  beruht  die  Sache  nur  auf  dem 
guten  Willen  des  Dilettantismus,  der  sich  nicht  immer  mit 


520  Die  historischen  Vereine  und 

günstiger  Gelegenheit  zu  wichtigen  Forschungen  und  dem 
rechten  Tacte  verbindet,  welcher  nöthig  ist,  um  gewichtiges 
Korn  von  leerer  Spreu  zu  unterscheiden.  Manche  aber  sind 
auch  aus  wirklichem  Bedürfniss  und  der  (Jeberzeugung  her- 
vorgegangen, dass  durch  den  Zusammentritt  einer  Gesellschaft 
etwas  erreicht  werden  könnte,  was  dem  Einzelnen  nicht  wohl 
möglich  ist.  So  lange  diese  vielen  Vereine  aber  nicht  plan- 
mässig  zusammenwirken,  ihre  Forschung  nicht  auf  bestimmte 
Punkte  hinrichten  und  mit  wissenschaftlichem  Ernste  betrei- 
ben, werden  nie  bedeutende  Resultate  erzielt  werden. 

Sehen  wir  nun,  wie  die  einzelnen  derartigen  Anstalten 
ihre  Aufgabe  lösen. 

Der  älteste  Verein  ist  die  von  dem  Freiherrn  von  Stein 
gestiftete  und  im  Jan.  1819  zu  Frankfurt  constituirte  Gesell- 
schaft für  Deutschlands  altere  Geschichtskunde.  Die  Aufgabe, 
die  sie  sich  von  Anfang  an  stellte,  ist  eine  kritische  Gesammt- 
ausgabe  der  Quellenschriftsteller  des  deutschen  Mittelalters^ 
welche  Pertz  redigirt,  und  von  der  nun  unter  dem  Titel  Mo- 
numenta  Germaniae  6  Foliobände  erschienen  sind.  Die  Mit- 
glieder verpflichten  sich,  entweder  durch  namhafte  Geldbei- 
träge, oder  Bearbeitung  eines  Quellenschriftstellers,  oder 
Herbeischafiung  von  Handschriften,  oder  Aufsuchung  von 
neuen  noch  unbenutzten  Quellen,  die  Zwecke  der  Gesell- 
schaft zu  fördern.  Das  von  der  Gesellschaft  seit  1820  her- 
ausgegebene Archiv  ist  dazu  bestimmt,  einen  fortlaufenden 
Rechenschaftsbericht  von  den  Bemühungen  des  Gesellschaft 
zu  geben.  Es  handelt  sich  hier  bloss  um  äussere  Quellen- 
kunde; materielle  Forschungen,  Bearbeitungen  einzelner  Par- 
tien der  Geschichte  oder  Mittheilungen  von  historischen  Ma- 
terialien sind  ausgeschlossen.  In  der  angegebenen  Richtung 
'^  ist  nun  in  den  bisherigen  8  Bänden  des  Archivs  viel  geschehen, 
wir  haben  in  demselben  nicht  nur  einen  kritischen  Gommentar 
der  bis  jetzt  erschienenen  Bände  der  Quellensammlung,  son- 
dern auch  eine  umfassende  (Jebersicht  der  auf  verschiedenen 
Bibliotheken  und  Archiven  Europa's  aufgefundenen  Handschrif- 
ten und  Urkunden  zur  deutschen  Geschichte,  sowie  der  be- 
reits gemachten  Vorarbeiten  fiir  die  Fortsetzung  des  Werkes. 


Zeitschriften  Deutschlands.  521 

Durch  die  Stiftung  der  Frankfurter  Gesellschaft  war  ein 
neuer  Eifer  iur  deutsche  Geschichtsforschung  angeregt  wor- 
den, und  es  fingen  nun  da  und  dort  historische  Vereine  an 
sich  zu  bilden.  Einer  der  ersten  und  zugleich  hinsichtlich 
der  Leistungen  einer  der  bedeutendsten  ist  der  Verein  für 
Geschichte  und  Alterthumskunde  Westphalens,  der,  nachdem 
er  mehre  Jahre  zuvor  durch  einen  von  Paul  Wigand  entwor- 
fenen Plan  und  Aufruf  eingeleitet  war,  im  Jahre  1824  zu  Pa- 
derborn förmlich  constituirt  wurde.  Beinahe  gleichzeitig  war 
ein  anderer  in  Münster  entstanden,  der  sich  dann  bald  mit 
dem  Paderborner  vereinigte  und  jetzt  mit  ihm  einen  gemein- 
samen westphälischen  Verein  bildet.  Gleich  im  Beginne  hat 
sich  dieser  als  Hauptaufgabe  seiner  Thätigkeit  die  Sammlung 
und  Herausgabe  der  für  die  Geschichte  Westphalens  wichti- 
gen Urkunden  vorgesetzt,  und  es  wurde  diesem  Plan  von 
Seiten  der  dortigen  Archivbehörden  bereitwillig  Vorschub  ge- 
leistet. Aber  nachdem  die  Vorarbeiten  grossentheils  vollendet 
waren>  fasste  der  Verein  den  Beschluss,  die  Herausgabe  ei- 
nes Urkundenbuchs  zu  unterlassen,  weil  demselben  ein  gros- 
ser Theil  des  Materials  durch  anderweitigen  Abdruck,  be- 
sonders in  Seibertz  Geschichte  Westphalens,  zum  Theil  auch 
im  Archive  des  Vereins  selbst,  vorweggenommen  worden  war, 
und  statt  des  vollständigen  Abdrucks  der  gesammten  Urkun- 
den nur  ausführliche  Regesten  (Inhaltsverzeichnisse)  mit  Aus- 
zügen aus  gleichzeitigen  Geschichtschreibern  zu  veranstalten. 
Nach  dem  neuesten  Jahresbericht  ist  der  ursprüngliche  Plan 
jedoch  wieder  aufgenommen  worden,  und  es  sollen  die  Be- 
gesten  sammt  dem  dazu  gehörigen  Urkundenbuche  demnächst 
erscheinen.  Das  Archiv  kam  seit  1826  bis  1838  in  7  Bänden 
unter  der  Bedaction  des  für  westphälische  Geschichtsforschung 
so  thätigen  Paul  Wigand  heraus.  Bei  seiner  Versetzung  nach 
Wetzlar  ging  die  Bedaction  an  die  beiden  Directoren  der 
Zweigvereine  von  Münster  und  Paderborn,  den  Archivar  H. 
A.  Erhard  und  den  Domkapitular  J.  Meyer  über,  welche  die- 
selbe im  Namen  des  Vereins  bis  auf  die  neueste  Zeit  fort- 
führten. Sowohl  unter  der  früheren,  als  gegenwärtigen  Lei- 
tung giebt  das  Archiv  eine  Reihe  sehr  werthvoller  Forschun- 


522  Die  hktorischen  Vereine  und 

gen  über  alte  Topographie  and  Rechtsverhältnisse  Westpha- 
lens.    Häufig  werden  auch  grössere  Partien  von  Urkunden, 
nach  sacUicber  oder  localer  Beziehung  geordnet,  mitgetheilt 
und  jedem  Band  %|n  chronologisch  geordnetes  Yerzeiehniss 
der  in  demselben  enthaltenen  Urkunden  beigegeben.   Ausser 
den  Beiträgen  zur  Localgeschichte  Westphalens  finden  wir 
auch  allgemeine  Erörterungen  über  Gegenstände  der  histo- 
rischen  Forschung,  über  die  Aufgabe  geschichtlicher  Vereine, 
sowie  kritische  Uebersichten  über  Sammlungen  und  Abdruck 
von  Urkunden.  Im  Ganzen  ist  jedoch  das  rechtsgeschichtliche 
Element  überwiegend.    Wigand  hatte  seit  1831  angefangen, 
dem  Archiv  als  Beilage  Jahrbücher  der  Vereine  für  Geschichte 
und  Alterthumskunde  beizugeben,  die  dazu  dienen  sollten, 
den  Verkehr  dieser  Vereine  untereinander  zn  vermitteln,  von 
ihren  Bestrebungen  und  Leistungen  Kunde  zu  geben  und  so 
ein  Gentralorgan  sämmtlicher  historischer  Vereine  in  Deutsch-^ 
land  zu  bilden.    Sie  lösten  diese  Aufgabe  in  kurzen  Berich- 
ten auf  eine  zweckmässige  Weise,  und  es  ist  daher  sehr  zvl 
bedauern,  dass  der  Herausgeber  wegen  Mangels  an  V3nter- 
Stützung  die  Sache  nicht  fortsetzen  und  mit  dem  12ten  Heft 
im  J.  1838  schliessen  musste.    Auch  seine  Nachfolger  in  der 
Redaction  des  westphälischen  Archivs  haben  diese  Einrichtung 
nicht  wieder  aufgenommen.  Man  sieht  aus  jenen  Uebersich- 
ten, dass  es  allerdings  in  den  Vereinen  an  sehr  tüchtigen 
Bestrebungen  nicht  gefehlt  hat,  aber  auch,  wie  die  wirklidien 
Erfolge  denn  doch  weit  hinter  der  anfänglichen  Begeisterung 
und  den  guten  Vorsätzen  zurückgeblieben  sind,  und  man  sich 
häufig  mit  dem  guten  Willen  begnügen  musste,  da  eben  eine 
grosse  Zahl  der  Mitglieder  nicht  geeignet  war,  den  Zwecken 
des  Vereins  auf  eine  erfolgreiche  Weise  zu  dienen.    Ueber 
die  eigentliche  Aufgabe  solcher  Vereine  spricht  sich  im  7ten 
Bande  des  Wigand'schen  Archivs  H.  A.  Erhard  sehr  verstän- 
dig aus.   Er  bezeichnet  als  Zweck  derselben  1)  Anregung  und 
Erhaltung  der  Theilnahme  für  geschichtliche  Kenntniss,  2) 
Sammlung,  Aufbewahrung  und  Nutzbarmachung  der  Materia- 
lien zur  Geschichtsforschung,  3)  eigene  Bearbeitung  grösserer 


Zeitschriften  Deutschlands.  523 

und  kleinerer  Partien  der  Geschichte  selbst  nach  ihren  ver- 
schiedenen Richtungen. 

Beinahe  gleichzeitig  mit  dem  westphälischen  Verein  ent^ 
stand  der  thüringisch- sächsische  für  Erforschung  vaterländi- 
scher Alterthümer,  der  schon  im  J.  1820  zu  Naumburg  ge- 
gründet wurde.  Dort  gab  er  5  Hefte  Mittheilungen  aus  dem 
Gebiete  historisch-antiquarischer  Forschung  heraus,  die  sehr 
gründliche  Arbeiten  enthalten,  denen  man  wirklich  das  Zeug- 
niss  geben  muss,  dass  sie  die  Alterthumskunde  bedeutend 
gefördert  haben.  Wir  erinnern  an  die  Abhandlung  von  Lep- 
sius  über  den  Dom  zu  Naumburg,  an  die  von  Koberstein 
über  das  Gedicht  vom  Wartburgkrieg,  an  Wilhelms  Geschichte 
des  Klosters  Memleben.  Nach  einigen  Jahren  wurde  dieser 
Verein  nach  Halle  verlegt,  der  Kreis  der  Mitglieder  und  der 
Thätigkeit  erweitert  und  unter  des  Kronprinzen  von  Preus- 
sen  Protectorat  gestellt  Diese  Umgestaltung  scheint  jedoch 
nicht  zum  Gedeihen  des  Vereins  beigetragen  zu  haben.  Prof. 
Kruse  in  Halle  gab  in  Verbindung  mit  demselben  ein  Archiv 
für  alte  und  mittlere  Geographie  heraus,  das  nach  Kruse's 
Abgang  von  Halle  Prof.  Lorentz  besorgte  (Halle  1824  —  30, 
3  Bde.),  aber  die  Theilnahme  war  gering  und  das  Archiv, 
welches  Kruse  eigentlich  allein  schrieb,  war  nur  dem  Namen 
nach  ein  Organ  des  Vereins.  Es  standen  zwar  eine  Menge 
von  Mitgliedern  auf  dem  Papier,  aber  viele  bezahlten  weder 
ihre  Geldbeiträge,  noch  unterstützten  sie  den  Verein  durch 
literarische  Leistungen.  Man  versuchte  nun  durch  eine  neue 
Organisation  der  Gesellschaft,  sie  zu  einer  frischeren  Thätig- 
keit  zu  beleben.  Ein  grosser  Theil  der  bisherigen  Mitglieder 
schied  aus,  der  Verein  wurde  neu  constituirt,  und  der  neue 
Secretär  desselben,  Prof.  Rosenkranz,  gab  die  „Neue  Zeit- 
schrift für  Geschichte  der  germanischen  Völker*'  heraus.  Von 
nun  an  scheint  sich  ein  regeres  Leben  im  Verein  entwickelt 
zu  haben.  Rosenkranz,  in  dessen  Studienkreis  jedoch  diese 
Specialforschung  weniger  passte,  behielt  das  Secretariat  und 
die  Redaction  nur  kurze  Zeit,  und  an  seine  Stelle  trat  Dr. 
K.  E.  Förstemann,  der  seit  dem  J.  1834  die  Vereinszeitschrift 
unter  dem  Titel:  „Neue  Mitiheilungen  aus  dem  Gebiete  hi- 


524  Die  historischen  Vereine  und 

storisch- antiquarischer  Forschungen"  fortsetzte.    Die  Theil- 
nähme  an  dem  Vereine  stieg  und  die  literarischen  Beiträge 
mehrten  sich.   Ihr  Inhalt  ist  ziemlich  mannigfaltiger  Art,  Ar- 
chäologie, alte  Topographie,  Urkunden  und  Statuten  herr- 
schen vor.   Es  finden  sich  darunter  sowohl  urkundliche  Mit- 
theilungen als  selbstständige  Ausarbeitungen  von  wissenschaft- 
lichem Werth  und  allgemeinerem  Interesse,  z.  B.  die  erste 
Landfriedensurkunde  in  deutscher  Sprache  vom  J.  1236,  so- 
wie die  von  1438,  die  Statuten  und  Weisthümer  von  Halle 
und  Nordhausen,  Briefe  berühmter  Männer  aus  der  Refor- 
mationszeit, unter  den  Abhandlungen  die  San  Marte's  über 
Wolfram  von  Eschenbach,  die  Sage  vom  h.  Graal,  die  Ar- 
thursage und  das  Mährchen  des  rothen  Buchs  von  Hergest, 
Lepsius  und  Otte  über  den  Dom  von  Merseburg,   Gervais 
Geschichte  der  Pfalzgrafen  von  Sachsen.    Man  sieht,  dieser 
Verein  ist  einer  von  denen,  die  ihrer  Aufgabe  entsprechen 
und  ihre  Hefte  nicht  mit  unbedeutenden  Beiträgen  von  bloss 
antiquarischem  Werthe  füllen,  deren  man  hier  verhältniss- 
mässig  nur  wenige  findet.   Die  von  dem  Wigand'schen  Archiv 
begonnene  Einrichtung,  von  den  verschiedenen  historischen 
Vereinen  und  ihren  Leistungen  Nachricht  zu  geben,  hat  auch 
dieser  thüringisch-sächsische  Verein  in  Form  von  Correspon- 
denznachrichten  und  Miscellen  wieder  aufgenommen,  ohne 
jedoch   die  Üebersichtlichkeit   des  Vorgängers   zu   erreichen 
und  die  im  Interesse  der  V^issenschaft  so  wünschenswerthe 
Kritik  gegenüber  dem  sich  breit  machenden  Dilettantismus 
zu  üben. 

Eine  besonders  rege  Thätigkeit  in  Gründung  historischer 
Vereine  herrscht  in  Bayern,  wo  die  Sache  durch  die  beson- 
dere Vorliebe  und  Begünstigung  des  Königs  vielfach  unter- 
stützt wird.  Es  ist  der  ausdrücklich  ausgesprochene  Wunsch 
des  Königs,  dass  sich  in  jedem  Kreise  historische  Vereine 
bilden,  und  die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  München, 
sowie  die  Behörden  der  Archive  sind  angewiesen,  diese  Ver- 
eine auf  jede  Weise  zu  unterstützen.  Unter  diesen  Verhält- 
nissen müssen  nun  manche  Schwierigkeiten  wegfallen,  die 
anderswo  den  Eifer  vielfach  lähmen,  auf  der  anderen  Seite 


Zeitschriften  Deutschlands.  525 

veranlasst  die  Begünstigung  von  oben  Manche  zur  Theilnahme, 
weiche  mehr  guten  Willen  als  inneren  Beruf  und  Vorkennt- 
niss  zur  Forschung  mitbringen. 

Einer  der  ältesten  Vereine  in  Bayern  ist  der  baireuthi- 
sche,  der,  im  J.  1827  gestiftet,  sich  im  J.  1830  mit  dem  eben 
neu  entstandenen  Bambefger  vereinigte  und  mit  ihm  einen 
Verein  des  Obermainkreises  bildet,  dessen  gemeinschaftliches 
Organ  das  Archiv  für  Geschichte  und  Alterthumskunde  von 
Oberfranken  ist,  das  als  Fortsetzung  des  früheren  baireuthi- 
sehen  von  E.  L.  von  Hagen  redigirt  wird.  An  dem  älteren 
baireuthischen  nahm  der  Ritter  v.  Lang  thätigen  Antheil  und 
stattete  das  Archiv  mit  einigen  guten  Beiträgen  aus,  auch  die 
spätere  Fortsetzung  bringt  mitunter  werthvolle  Materialien 
und  zwar  nicht  bloss  für  archäologische  Topographie,  sondern 
auch  iiir  Geschichte  des  geistigen  Lebens.  Eine  sehr  löbliche 
Unternehmung  des  Bamberger  Vereins  ist  die  Herausgabe  des 
Renners  von  Hugo  von  Trimberg,  nur  schade,  dass  es  bei 
der  Ausführung  an  der  erforderlichen  kritischen  Sorgfalt  und 
genügenden  philologischen  Vorkenntnissen  fehlte. 

Von  ähnlicher  Richtung  ist  der  im  J.  1830  gegründete 
Verein  des  Rezatkreises  zu  Ansbach,  der  zwar  kein  Archiv, 
aber  Jahresberichte  herausgiebt,  in  welchen  neben  der  Ge- 
schichte der  Gesellschaft  die  Resultate  ihrer  Forschungen  nie- 
dergelegt sind.  Diese  Form  hat  den  Vorzug,  dass  die  Mate- 
rialien schon  gesichtet  und  nur  in  gedrängter  Kürze  mitge- 
theilt  werden.  Die  vier  ersten  Berichte  sind  von  Lang  redi- 
girt, der  überhaupt  einen  guten  Einfluss  auf  die  Richtung 
des  Vereins  geübt  hat,  welcher  auch  jetzt  noch  in  der  wis- 
senschaftlichen Haltung  desselben  sichtbar  ist.  Lang  selbst 
hat  mehre  seiner  Forschungen  den  Jahresberichten  einverleibt, 
so  z.  B.  dem  zweiten  eine  Abhandlung  über  die  Spuren  der 
slavischen  Sprache  in  der  ältesten  Geschichte  Frankens.  Vor- 
herrschend ist  im  Ganzen  auch  hier  die  archäologische  To- 
pographie. 

Der  fruchtbarste  Verein  in  Bayern  ist  der  des  Unter- 
mainkreises  in  Würzburg,  dessen  Archiv  seit  seiner  Gründung 
im  J.  1830  bereits  zu  8  Bänden  angewachsen  ist,  und  beson-« 


536  Die  historischen  Vereine  und 

den  von  dem  iiir  die  Geschichte  Würzburgs  unerroüdlicfa 
thäiigen  Legationsrath  Scharold,  in  dessen  Händen  die  Di- 
rection  des  Vereins  ist,  reichlich  versorgt  wird.    Unter  den 
dargebotenen  Materialien  fanden  wir  manchen  interessanten 
Beitrag  zur  Geschichte  Würzburgs,  aber  auch  manches  Un- 
bedeutende und  Ueberflüssige.  So  r,  B.  B.  IV.  1.  einen  Vortrag 
in  einer  Generalversammlung  des  Vereins:  ,, Unter  welchen 
Bedingungen  kann  eine  fränkische  Geschichte  zu  Stande  kom- 
men?^' worin  wir  statt  eines  gründlichen  Eingehens  auf  den 
gegenwärtigen  Stand  der  Forschung  pomphafte,  nichtssagende 
Declamationen  Gnden,   in  weichen  endh'ch  Thucydides  und 
Tacitus  und  andere  Heroen  der  Geschichtschreibung  als  Vor- 
bilder einer  bayrischen  Geschichte,  Plutarch  und  INepos  a/s 
Vorbilder  eines   fränkischen  Nekrologs  herbeicitirt  werden. 
Im  ersten  Hefte  des  5ten  Bandes  findet  sich  eine  ausführ- 
liche Erzählung  der  Schlacht  von  Dettingen,  wobei  Pölitz's 
Weltgeschichte,   Böttigers  und   Zschokke's  Geschichte  von 
Bayern  doch  allzu  häufig  angeführt  werden.     Die  Auszüge 
aus  Ghmels  Regesten  König  Ruprechts  und  Kaiser  Fried- 
richs lU.  mögen  zwar  eine  bequeme  Vorarbeit  fiir  eine  frän- 
kische Geschichte  sein,  aber  ein  Archiv,  dessen  Zweck  es  ist, 
unbekannte  Materialien  zur  Geschichte  zu  sammeln  und  vor 
dem  Untergang  zu  retten,  hätte  doch  wohl  Anderes  zu  thun, 
als  aus  neuen  Urkundensammlungen,  die  man  überall  bekom* 
men  kann,  Auszüge  zu  geben.  Unter  den  Verdiensten  dieses 
Vereins  ist  auch  noch  anzuführen,  dass  er  vor  einigen  Jah- 
ren dem  Minnesänger  Walther  von  der  Vogelweide  ein  Denk- 
mal errichtet  hat. 

Die  erste  Stelle  unter  allen  historischen  Vereinen  in 
Bayern  dürfte  wohl  in  solider  wissenschaftlicher  Haltung  der 
von  Oberbayern  einnehmen.  Derselbe  wurde  im  Jahre  1838 
hauptsächlich  auf  Betrieb  des  nunmehrigen  zweiten  Vorstan- 
des Freiherrn  v.  Zu  Rhein  gegründet,  und  giebt  seit  1839  ein 
Archiv  heraus,  welches  darin  eine  gewisse  Garantie  des  Ge- 
haltes hat,  dass  sich  die  Redaction  zum  Grundsatz  machte,  nur 
diejenigen  Arbeiten  der  Oeffentlichkeit  zu  übergeben,  welche 
entweder  durch  wissenschaftliche  Behandlung,  oder  durch  die 


Zeitschriften  Deutschlands,  527 

Wichtigkeit  ihres  Gegenstandes  Anspruch  auf  allgemeineres 
Interesse  haben.  In  allen  übrigen  Fällen  wird  nur  das  Be^ 
sultat  der  Forschungen«  in  Kürze  mitgetheilt,  und  es  bleibt 
denen,  die  sich  für  das  Einzelne  besonders  interessiren,  über- 
lassen, die  in  der  Yereinsbibliothek  aufbewahrten  handschrift- 
liehen  Aufsatze  selbst  einzusehen,  lieber  die  Wichtigkie/t  der 
einzelnen  Gegenstände  mag  nun  freilich  das  (Jrtheil  verschie- 
den ausfallen,  aber  wirklich  finden  wir  in  diesem  oberbayri*- 
schen  Archiv  eine  Reihe  von  Mittheilungen,  die  wissenschaft- 
lich gehalten  sind  und  reichliche  Ausbeute  für  die  Geschichte 
geben.  Man  sieht,  dass  man  hier  mit  Forschern  zu  thun  hat, 
die  zu  unterscheiden  wissen,  ob  etwas  historischen  Werth 
hat  oder  nicht*  Als  besonders  werthvoll  sind  zu  nennen:  Höf- 
lers urkundliche  Beiträge  zur  Geschichte  Kaiser  Ludwigs  lY. 
und  der  Unterhandlungen  Bayerns  mit  dem  Papst;  die  Re- 
gesten zur  bayrischen  Geschichte  von  Föringer,  Gumppen- 
berg  und  Hefner;  des  Letzteren  Bericht  über  die  wissen- 
schaftlichen Leistungen  der  Klöster  Benedictbeuren,  Scheyern 
und  Tßgernsee,  und  die  römischen  Denkmäler  Oberbayerns. 
Reichliches  Material,  wenn  gleich  von  verschiedenem 
Werthe  liefert  der  Verein  von  Oberpfalz  und  Begensburg» 
der  seit  1838  ununterbrochen  seine  Verhandlungen  heraus- 
giebt.  Der  Verein  des  Oberdonaukreises,  oder  für  Schwaben 
und  Neuburg,  giebt  seit  1835  seine  Jahresberichte  heraus  und 
beschäftigt  sich  hauptsächlich  mit  Ausgrabungen  und  archäolo- 
gischer Topographie.  Zu  diesen  6  Kreisvereinen*]  kommt  noch 
ein  7ter,  die  Nürnberger  Gesellschaft  für  Erhaltung  der  Denk- 
mäler älterer  deutscher  Geschichte,  Literatur  und  Kunst.  Der 
Gründer  derselben,  Freiherr  Hans  v.  Aufseess,  wollte  damit 
ein  grossartiges  Museum  der  vaterländischen  Alterthümer  ver- 
binden, und  sein  Anzeiger  für  Kunde  des  Mittelalters,  den 
er  damals  herausgab,  sollte  ein  Organ  der  Gesellschaft  und 
ein  Vereinigungspunkt  für  die  verschiedenen  derartigen  Ver- 

*)  Der  hier  übergangene  Verein  von  Niederbayern  zu  Lands- 
hut und  Passau  scheint  noch  kein  Lebenszeichen  gegeben  zu  ha« 
ben;  des  Vereines  der  Rbeinpfalz  wird  weiter  unten  gedacht. 

Anm.  des  Herausg. 


528  Die  historischen  Vereine  und 

eine  werden.  Es  traten  jedoch  unangenehme  Gollisionen  mit 
den  Specialvereinen  Bayerns  ein,  in  Folge  deren  ein  grosser 
Theil  der  Geschenke  von  Aufseess  selbpt  und  anderen  ursprüng- 
lichen Eigenthümern  zurückgezogen  und  die  Thätigkeit  der 
Gesellchaft  auf  Nürnbergische  Geschichte  und  Alterthums- 
künde  beschränkt  wurde.  Von  den  Leistungen  innerhalb  die- 
ses Gebietes  giebt  nun  die  von  M.  M.  Mayer  redigirte  Zeit- 
schriit  „der  Nürnberger  Geschichts-,  Kunst-  und  Alterthums- 
freund^'  Kunde,  in  welcher  interessante  Berichte  über  Denk- 
male der  alten  Kunst  und  Sitte  in  Nürnberg  sich  finden. 
Sämmtliche  bayrische  Vereine  haben  zugleich  die  Aufgabe, 
Vorarbeiten  für  ein  künftiges  historisch-topographisches  Lexi- 
kon von  Bayern  zu  liefern,  und  daher  mag  es  wohl  aueb 
kommen,  dass  in  ihren  Arbeite^  die  Ortsbeschreibung  vor- 
zugsweise bedacht  ist. 

In  dem  Nachbarlande  Bayerns,  in  Würtemberg  ist  der 
Verein  für  Vaterlandskunde  nicht  freier  Zusammentritt  von 
Freunden  und  Forschern  der  vaterländischen  Geschichte,  son- 
dern förmliche  Staatsanstalt.  Im  J.  1820  wurde  ein  topogra- 
phisches Bureau  errichtet,  welches  zunächst  den  Zweck  hat, 
eine  gründliche  statistisch-topographische  Kenntniss  des  Lan- 
des möglich  zu  machen,  und  der  im  J.  1822  vom  König  ge- 
stiftete Verein  für  Vaterlandskunde  ist  nichts  anderes  als  eine 
Erweiterung  dieses  Büreau's  durch  correspondirende  Mitglie- 
der. Beide  Anstalten  stehen  unter  dem  Finanzministerium, 
welches  unter  königlicher  Bestätigung  die  Mitglieder  ernennt. 
Das  Organ  für  Miitheilung  der  vom  Bureau  oder  einzelnen 
Mitgliedern  angestellten  Forschungen  sind  die  im  J.  1818  von 
Memminger  gegründeten  „Würtembergischen  Jahrbücher  für 
vaterländische  Geschichte,  Geographie,  Statistik  und  Topo- 
graphie", bei  denen  jedoch  die  beiden  letzteren  Fächer  vor- 
zugsweise vertreten  sind,  während  die  eigentliche  Geschichts- 
forschung nur  untergeordnete  Berücksichtigung  findet;  doch 
fehlt  es  nicht  an  einzelnen  werthvollen  Arbeiten  auch  aus 
diesem  Fache,  wie  die  von  Pfaff,  Vanotti,  Stalin;  und  jedem 
Jahrgange  wird  eine  kurze  Chronik  des  letztverflossenen  Jah- 
res beigegeben.    Ausser  diesen  Jahrbüchern  wird  vom  stati- 


Zeitschriften  Deutschlands.  529 

stisch-topographischen  Bureau  eine  Reihe  von  historisch-to- 
pographischen Beschreibungen  der  verschiedenen  Oberamts- 
bezirke  herausgegeben,  deren  Bearbeitung  früher  vom  Vor- 
stände des  Bureaus,  Oberfinanzrath  v.  Memminger,  und  nach 
dessen  Tode  von  seinen  Nachfolgern,  deren  mehre  sich  in 
sein  Amt  theilten,  gefertigt  wurde,  die  aber  jetzt  nach  Fä- 
chern vertheilt  von  den  Mitgliedern  des  Bureaus  gemeinschaft- 
lich besorgt  wird.  Bereits  sind  17  Oberamtsbezirke  beschrieben. 

Neben  dieser  Staatsanstalt  bestehen  in  Würtemberg  drei 
Privatvereine  für  Erhaltung  und  Sammlung  vaterländischer 
Alterthümer.  In  Rottweil  wurde  im  J.  1835  aus  Veranlas- 
sung eines  neuaufgefundenen  römischen  Mosaikbodens  ein 
Verein  gegründet,  der  den  ausschliesslichen  Zweck  hat,  die 
dortigen  Alterthümer  aufzusuchen  und  zu  erhalten.  Zu  (Jim 
besteht  ein  Verein  für  Kunst  und  Alterthum  in  Ulm  und 
Oberschwaben,  der  im  J.  1843  seinen  ersten  Bericht  ausge- 
geben hat,  in  welchem  hauptsächlich  die  Erhaltung  und  Re- 
stauration des  Dimer  Münsters  besprochen  wird.  Ein  auf 
ganz  Würtemberg  sich  erstreckender  Alterthumsveretn,  der 
sich  die  Erhaltung,  Sammlung  und  Benutzung  der  Alterthü- 
mer zur  Aufgabe  macht,  hat  sich  im  vorigen  Sommer  in  Stutt- 
gart gebildet,  ohne  jedoch  die  eigentlich  historische  Forschung 
in  den  Kreis  seiner  Wirksamkeit  ziehen  zu  wollen.  Dagegen 
besteht  ein  anderer  Verein  in  Stuttgart,  der  für  die  Literatur 
dei^scher  Geschichtsquellen  sehr  wichtig  werden  kann,  der 
sogenannte  Hterarische  Verein.  Er  giebt  wichtige  alte  Hand- 
schriften oder  sehene  Drucke  neu  heraus,  und  so  sind  bereits 
mehre  ftir  die  deutsche  Geschichte'  bedeutende  Schriften  er- 
schienen, z.  B.  Glosener's  Strassburgische  Chronik,  der  Codex 
Hirsffugiensis,  Ott  Ruiand's  Handlungsbuch,  die  Weingartner 
Liederhandschrift,  und  es  stehen  noch  mehre  wertfavolle  Ge- 
schichtsquellen in  Aussicht.  Es  wäre  zu  wünschen,  dass  be- 
stimmte' Grundsätze  für  den  Kreis  des  Herauszugebenden 
festgestellt  würden  und  sonach  die  Mittel  hauptsächlich  der 
vaterländischen  Geschichte  und  Poesie  zu  gute  kämen. 

In  Baden,  das  in  allen  seinen  Landestheilen  einen  gros- 
sen Reichthum  von  Alterthümem  besitzt,  bestand  bis  auf  die 

Zeitsclirift  f.  OMebielitoir.  I.   1844.  •  34 


530  Die  historischen  Vereine  und 

neueste  Zeit  nur  ein  partieller  Verein,  die  yom  Stadtpfiirrer 
Wilbelmi  in  Sinsheim  im  J.  1830  gestiftete  Gesellschaft  zur 
Erforschung  vaterländischer  Altertbümer,  deren  Thätigkeit 
beinahe  ausschliesslich  auf  Nachgrabungen  gerichtet  ist,  19^0— 
von  die  Resultate  in  Jahresberichten  mitgetheilt  werden.  Aus- 
serdem giebt  der  ArchivarBader  in  Carlsruhe  unter  dem  Ti- 
tel Badenia  eine  Zeitschrift  für  badische  Geschichte  und  Lao- 
deskunde  heraus,  die  aber  weniger  der  gelehrten  Forschung, 
als  der  Verarbeitung  des  vorhandenen  Materials,  oder  patrio- 
tischer Unterhaltung  gewidmet  ist.  Neuestens  (1844)  hat  sich 
auch  in  Baden-Baden  ein  Alterthumsverein  mit  der  Teudenz 
auf  Ausdehnung  über  das  ganze  Land  gebildet.  In  der  bay- 
rischen Rhein -Pfalz  ist  vor  einigen  Jahren  ein  historischer 
Verein  gegründet  worden,  der  im  vergangenen  Jabr  seinen 
ersten  Jahresbericht  ausgegeben  hat. 

In  Nassau  wurde  im  J.  1821  ein  bereits  im  J.  1811  pro- 
jectirter  Verein  constituirt,  dessen  Tendenz,  wie  es  die  Ge- 
legenheit des  Terrains  mit  sich  bringt,  hauptsächlich  aufAf- 
tertbumskunde  gerichtet  ist  Der  Zweck  desselben  ist  nach 
den  Statuten  Sammlung  und  Beschreibung  der  römischen  und 
deutschen  Altertfaümer,  die  Beförderung  der  darauf  Bezug 
habenden  geographischen,  statistischen  und  geschichtlichen 
Aufklärungen,  sowie  die  Sorge  ftir  die  Erhaltung  der  vor- 
handenen Denkmale.  Die  Resultate  der  Vereinsbestrebungen 
werden  in  den  „Annalen  für  Nassauische  Alterthumskunde 
und  Gesdiicbtsforschung'^  niedergelegt,  welche  Archivar  Ba- 
bel redigirt,  der  überhaupt  von  Anfang  an  eine  eifrige  Thä- 
tigkeit fiir  die  Sache  des  Vereins  entwickelte.  Der  HauptsiU 
d?r  Gesellschaft  ist  Wiesbaden,  wo  auch  eip  Museum  von 
Alt^hUmern  errichtet  worden  ist,  das  für  den  Anfang  mit 
den  bereits  vorhandenen  öffentlichen  Sammlungen  ausgestat- 
tet und  in  der  Folge  durch  sehr  werthvolle  Erwerbungen 
des  Vereines  vermehrt  wurde.  Neuerlich  scheint  die  ein» 
Zeitlang  rege  Thätigkeit  der  Gesellschaft  in  Stocken  gerathen 
zu  sein,  wenigstens  folg^m  die  Hefte  der  Annalen  in  grossen 
Zwischenräumen,  wie  von  1839—1843. 

An  einem  ähnlichen  Geschick  scheint  der  im  Jahre  1839 


I 

i 


Zeitschriften  Deutschlands.  531 

entstandene  Verein  inr  Frankfurts  Geschichte  und  Kunst  zu 
leiden.  Sein  Zweck  war  nicht  sowohl,  gelehrte  Forschungen 
anzustellen,  als  das  vorhandene  Material  zti  verarbeiten.  Die 
zwei  ersten  Hefte  des  Archivs  begannen  eine  schöne  Lösung 
dieser  Aufgabe;  eine  ausgezeichnete  Arbeit  des  Bürgermei- 
sters Thomas:  Frankfurter  Annalen  von  793—1300,  stellt  mit 
Machweisungen  aus  Quellen  und  Urkunden  die  auf  Frankfurt 
sich  beziehenden  Data  in  chronologischer  Folge  zusammen; 
aber  seit  jenen  Erstlingen  hat  der  Verein  kein  Lebenszeichen 
von  sich  gegeben,  bis  zu  Anfang  dieses  Jahres  wieder  ein 
reichlich  ausgestattetes  Heft  erschienen  ist. 

Im  Grossherzogthum  Hessen  wurde  im  Jahre  1833  unter 
dem  Präsidium  des  Staatsraths  Eigenbrodt  ein  historischer 
Verein  eröffnet,  der  durch  die  persönliche  Th'atigkeit  seines 
Stifters  sich  bald  Anerkennung  erwarb.  Das  vom  Hofrath 
Steiner  herausgegebene  Archiv  für  hessische  Geschichte  und 
Alterthumskunde  e|)thält  werthvolle  Beiträge  zur  Topographie 
des  Landes;  von  Eigenbrodt  namentlich  finden  wir  eine  Reihe 
von  guten  Abhandlungen  über  alte  Dynastengeschlechter  mit 
beigegebenen  Urkunden. 

In  Hessenkassel  constituirte  sich  im  J.  1834  ein  Verein 
iür  hessische  Geschichte  und  Landeskunde.  Da  hier  Forscher 
wie  Bommel,  Bernhardi  und  Landau  an  der  Spitze  standen, 
so  erhielt  der  Verein  von  Anfang  an  eine  gründlichere  wis- 
senschaftliche Tendenz,  von  der  auch  die  bis  jetzt  erschiene- 
nen Hefte  der  Vereinszeitschrift  zeugen.  Der  in  der  ersten 
Einleitung  ausgesprochene  Zweck  der  Gründer  ist:  über  die 
Geschichte  ihres  Vaterlandes  genauere  und  umfassendere  For- 
schungen anzustellen,  als  Einzelne  dies  zu  thun  im  Stande 
sind,  und  durch  Mittheilungen  über  Landeskunde  Geschmack 
ftlr  vaterländische  Studien  zu  wecken.  Als  besonders  zu  be- 
achtende Aufgabe  der  historischen  Bestrebungen  wird  bezeich- 
net: die  sorgfältige  Erforschung  des  inneren  Lebens  der  Staa- 
ten, der  besonderen  Verhältnisse,  Einrichtungen  und  Gestal- 
tungen in  der  geistigen  Entwicklung  und  Bildung,  nebst  einer 
getreuen  Darstellung  dieser  im  Stillen  wirkenden  Kräfte.  Es 
handelt  sich  also  hier  nicht  von  Sammlung  bloss  ausserlicher 

34* 


532  DU  hiitorischen  Vereine  und 

Notizen  und  von  antiquarischen  Ausgrabungen,  sondern  yon 
Vorarbeiten  zu   einer  Geschichte  des  geistigen  Lebens  der 
deutschen  Nation.  £ine  Abhandlung  von  Gh.  v.  Rommel  B.  L  2* 
über  „Hülfsquellen  der  Landesgescbichte,  welche  weder  zur 
gedruckten  noch  ungedruckten  Literatur  gehören''  giebt  treff- 
liche Winke  darüber,  wie  die  Ueberreste  der  Vorzeit  für  eine 
geistige  Geschichte  auszubeuten  sind.   Die  Natur  des  Landes, 
Gräber,  römische  Schanzen,  alte  Sagen,  Volkssprache,  Orts-, 
namen,  alte  Sitten  und  Rechtsgebraucbe,  Ruinen  und  andere 
Alterthümer  werden   hier  mit   besonderer  Anwendung    aa{ 
Hessen  besprochen  und  gezeigt,  wie  sie  als  GeschichtsqueJlen 
benutzt  werden  können.    Wenn  man  nun  auch  im  weiteren 
Verlauf  der  Zeitschrift  die  Erwartungen,  welche  durch  jene 
Vorsatze  und  AnPänge  erweckt  werden,  nicht  ganz  befriedigt 
findet,  so  trifft  man  doch  durchgehends  Reiträge,  die  durch; 
Wichtigkeit  des   Gegenstandes   und  gründliche  Rehandlung 
desselben   denen   der  besseren  Zeitschriften   gleichkommen. 
Die  als  Supplement  der  Zeitschrift  beigegebene  Monographie 
G.  Landau's  über  die  Rittergesellschaften  in  Hessen  wahrend 
des  14ten  und  15ten  Jahrhunderts  ist  ein  sehr  willkommener 
Anfang  zur  Geschichte  der  so  wichtigen  mittelalterlichen  £i- 
nungen.    Es  ist  die  erste  gründliche  Arbeit  in  diesem  Ge- 
biete, auf  welchem  erst  dann   eine  erschöpfende  Leistung 
möglich  ist,  wenn  die  Urkunden  darüber  bis  auf  die  frühe- 
sten Anfänge  verfolgt  und  gesammelt  sein  werden.  Ein  zwei- 
tes Supplement  ist  die  hier  zum  erstenmale  gedruckte  hes- 
sische Chronik  von  Wigand  Lauze,  die  eine  wichtige  Quelle 
Tür  die  Zeit  Philipp  des  Grossmüthigen  bildet.    Eine  Urkun- 
densammlung wird  von  dem  Vereine  vorbereitet  und  zunächst 
ein  Verzeichniss  sammtlicher  gedruckter  und  in  den  Archiven 
befindlicher  Urkunden  entworfen. 

Eine  sehr  interessante ,  zum  Theil  mit  Hülfe  des  hessi- 
schen und  anderer  deutschen  Vereine  zu  Stande  gekommene 
Unternehmung  ist  die  vom  Ribliothekar  Bernhardi  in  Kassel 
entworfene  Sprachenkarte  von  Deutschland,  worauf  die  ver- 
schiedenen provinziellen  Dialekte  mit  ihren  Nüancirungen  ver- 
zeichnet sind.  Nach  des  Verfassers  ursprünglichem  Plane  sollte 


Zeitschriften  Deutschlands.  533 

dieselbe  ein  gemeinsames  Untemebmen  sämmtiicber  bistori- 
seher  Vereine  in  ganz  Deutschland  sein  und  damit  die  Aus- 
arbeitung genauer  Idiotiken  der  verschiedenen  Mundarten  ver- 
bunden werden.  Die  Mitwirkung  wurde  von  einem  grossen 
Theil  der  Vereine  zugesagt,  jedoch  nicht  so  allgemein  und 
gründlich  geleistet,  als  der  Verfasser  gewünscht  hatte.  Im  J. 
•1843  veröffentlichte  er  nun  das  Resultat  seiner  Nachforschun- 
gen mit  der  Bitte  an  sammtliche  Sprachforscher  und  Vereine, 
ihm  zu  einer  genaueren  Ausfuhrung  und  Vervollständigung 
dieses  ersten  Entwurfs,  der  allgemein  mit  Beifall  aufgenom- 
men wurde,  behülfUch  zu  sein.  Es  wäre  um  so  mehr  zu 
wünschen,  dass  diesem  Aufruf  Folge  geleistet  würde,  da  hier- 
durch der  Anfang  zu  einem  Zusammenwirken  der  Vereine 
gemacht  wäre,  ohne  welches  kaum  bedeutende  Resultate  der 
Vereinsthätigkeit  zu  hoffen  sind. 

In  der  Nachbarschaft  von  Hessen,  in  Wetzlar,  wurde  im 
J.  1834  ein  historischer  Verein  gegründet,  an  dessen  Spitze 
seit  1836  Paul  Wigand  steht,  welcher  den  westphälischen 
Verein  gegründet  und  eine  Reihe  von  Jahren  dessen  Archiv 
redigirt  hat.  Seit  1840  giebt  er  nun  im  Namen  des  Wetz- 
lar'schen  Vereins  Beiträge  für  Geschichte  und  Bechtsalter- 
thümer  heraus,  die  im  Geiste  des  früheren  westphälischen 
Archivs  die  Forschung  würdig  vertreten,  und  sich  nicht  auf 
provinzielle  Geschichte  des  Wetzlar'schen  Bezirks  beschrän- 
ken, sondern  auf  ältere  deutsche  Geschichte  überhaupt  aus- 
dehnen. Im  ersten  Band  macht  der  Herausgeber  auf  die  hi- 
storische Wichtigkeit  des  Wetzlar'schen  Archivs  aufmerksam 
und  spricht  den  Wunsch  aus,  dass  es  durch  Versetzung  in 
ein  passenderes  Local  vor  der  Zerstörung  geschützt,  gesichtet 
und  geordnet,  und  der  Benutzung  zugänglich  gemacht  werde. 
Möchte  dies  indessen  geschehen  sein  und  die  hier  befindli- 
chen Schätze  zweckmässig  ausgebeutet  werden.  An  interes- 
santem Material  für  die  Wetzlar'schen  Beiträge  würde  es 
alsdann  nicht  fehlen. 

Unter  die  an  Denkmalen  des  Alterthums  reichsten  Ge- 
genden gehören  die  preussischen  Bheinlande.  Es  ist  dah^r 
zu  verwundem,  dass  sich  erst  in  neuester  Zeit,  aus  Veran- 


534  Die  historischen  Vereine  und 

lassung  der  im  Herbste  1841  in  Bonn  gehaltenen  Philologen- 
Versammlung  ein  Verein  von  Altertbumsfreunden  gebildet  hat, 
der  sich  zur  Aufgabe  setzt:  für  die  Erhaltung ,  Bekanntma- 
chung und  Erklärung  antiker  Monumente  aller  Art  in  dem 
Stromgebiete  des  Rheins  und  seiner  Nebenflüsse,  von  den 
Alpen  bis  an's  Meer,  Sorge  zu  tragen,  ein  lebhafteres  Inter- 
esse dafür  zu  verbreiten  und  soviel  als  möglich  die  Monu- 
mente aus  ihrer  Vereinzelung  in  öffentliche  Sammlungen  zu 
versetzen.  Die  Jahrbücher  des  Vereins,  von  denen  bis  jetzt 
3  Hefte  erschienen  sind,  enthalten  grundliche  Abhandlungen 
von  mehren  Gelehrten  wie  Lersch,  Düntzer,  Paulj,  Urlichs, 
und  geben  Zeugniss  von  der  soliden  Richtung  des  yerems, 
bei  dem  es  auf  wissenschaftliche  Beleuchtung  der  in  den 
Rheinlanden  befindlichen  Alterthümer  abgesehen  ist.  Der  Stoff 
theilt  sich  in  Abhandlungen,  Miscellen,  Recensionen  und  Chro- 
nik des  Vereins.  Die  beigegebenen  lithographirten  Tafeln,  die 
einen  wesentlichen  Theil  der  Ausstattung  bilden,  sind  mit 
Sorgfalt  ausgefiihrt. 

Auch  die  benachbarten  Moselgegenden  haben  in  St  Wen- 
del und  Ottweiler  einen  Verein  für  Erforschung  und  Samm- 
lung von  Alterthümern,  der  im  J.  1839  einen  Bericht  ausge- 
geben hat,  welcher  die  gefundenen  Alterthümer  mit  grosser 
Genauigkeit  beschreibt,  und  ausserdem  ist  eine  historische 
Zeitschrift  unter  dem  Titel:  „Trier'sches  Archiv  für  Vater- 
landskunde'^  entstanden,  die  ein  Geistlicher  J.  A.  J.  Hansen 
herausgiebt  und  grossentheils  schreibt,  welche  Ref.  aber  nicht 
aus  eigener  Einsicht  kennt. 

Den  westphälischen  Verein  und  seine  bedeutenderen  Lei- 
stungen haben  wir  schon  besprochen.  Da  dieser  sich  jedoch 
nicht  auf  den  Oldenburgischen  und  Hannoverischen  Theil 
Westphalens  erstreckt,  so  hat  sich  nun  auch  fär  diese  Ge- 
gend ein  besonderer  Vereinigungspunkt  der  historischen  For- 
schung gebildet  durch  ein  Archiv  für  friesisch -westphälische 
Geschichte  und  Alterthumskunde,  das  unter  der  Redaction 
von  J.  D.  Möhimann  im  J.  1841  begonnen  worden  ist,  und 
in  seinem  ersten  Bande  eine  Reihe  sehr  tüchtiger  Beiträge  zur 
friesischen  Geschichte  enthält. 


1 


ZeUschriften  Deutschlands,  535 

In  Hannover,  wo  schon  früher  ein  historisches  Archiv 
fiir  Landesgeschichte  einen  Mittelpunkt  iur  dortige  Geschicbts« 
freunde  bildete,  wurde  im  J.  1835  ein  historischer  Verein  für 
Niedersachsen  gegründet,  der  unter  der  Redaction  von  v.  Spil* 
cker  und  Bronnenberg  ein  vaterländisches  Archiv  herausgiebt, 
das  durch  gehaltvolle ,  auch  auf  die  neueren  Zeiten  sich  er«* 
streckende  Beiträge  eine  ehrenvolle  Stelle  unter  den  histori« 
schen  Archiven  Deutschlands  einnimmt.  In  diesem  Vereine 
wurde  vom  Assessor  v.  Mengershausen  der  Antrag  gemacht, 
einen  allgemeinen  Arbeitsplan  für  die  Vereinsglieder  zu  ent^ 
werfen,  und  v.  Wangenheim  machte  darauf  aufmerksam,  dass 
es  zweckmässig  sein  dürfte,  Gegenstände  von  einem  bestimm- 
ten historischen  Interesse  herauszuheben  und  durch  öffent- 
liche Aufforderung  die  Thätigkeit  der  Vereinsmitglieder  oder 
sonstiger  Freunde  der  Geschichte  dafür  in  Anspruch  zu  neh- 
men^ während  der  Verein  es  übernähme,  sowohl  die  einge- 
henden Notizen  zu  sammeln,  als  dieselben  demjenigen,  der 
sich  mit  einer  ausführlichen  Bearbeitung  eines  solchen  Ge- 
genstandes beschäftigen  könnte  und  wollte,  mitzutheilen  und 
zu  verschaffen.  Es  wurden  sofort  beispielsweise  wirklich  solche 
Fragen  vorgelegt,  die  sich  auf  Ermittlung  rechtlicher  Verhält- 
nisse in  Niedersachsen  bezieben.  Es  wäre  sehr  zu  wünschen, 
dass  derlei  Bedürfnisse  auch  in  andern  historischen  Vereinen 
zur  Sprache  gebracht  und  in  erfolgreiche  Erwägung  gezogen 
würden;  denn  wo  der  historische  Eifer  beim  Allgemeinen 
stehen  bleibt  und  nicht  bestimmte  Aufgaben  stellt,  die  erst 
durch  Zusammenwirken  gelöst  werden  können, da  bleibt  es  dem 
Zufall  überlassen,  ob  etwas  Tüchtiges  zu  Stande  kommt,  oder 
nicht;  einzelne  Mitglieder  können  sich  freilich  immerhin  be- 
stimmte Gegenstände  auswählen,  aber  dazu  braucht  man  keine 
Vereine.  Auch  eine  Urkundensammlung,  die  in  zwanglosen 
Lieferungen  herausgegeben  werden  soll,  hat  dieser  Verein 
projectirt,  und  es  ist  bereits  mit  einer  Sammlung  aus  dem 
Archive  des  Klosters  Heiligenrode  der  Anfang  gemacht  worden. 

Mit  einer  bestimmteren  wissenschaftlichen  Haltung  trat 
auch  der  Berliner  Verein  für  Geschichte  der  Mark  Branden- 
burg in's  Leben,  der  sich  im  J.  1837  constituirte ,  aber  erst 


536  Die  historischen  Vereine  und 

im  J.  1841  seine  Arbeiten  unter  dem  Titel  „Märkische  For^ 
scbungen"  herausgab.  Er  theilt  sich  in  3  Sectionen,  eine  tär 
Sammlung. und  Aufbewahrung  geschichtlicher  Quellen,  eine 
zweite  für  Bearbeitung  der  äusseren  und  inneren  Landesge- 
schichte, und  eine  dritte  für  Sprache,  Kunst  und  Alterthümer. 
In  dem  vorliegenden  ersten  sehr  anständig  ausgestatteten 
Bande  der  Vereinsschriften  sind  ausser  dem  ersten  Jahres- 
bericht die  in  den  Monatsversammlungen  der  3  Sectionen  ge- 
haltenen Vorträge  verzeichnet  und  eine  Auswahl  derselbea 
abgedruckt,  die  den  Geist  einer  gründlichen  wissenschaftli- 
chen Forschung  zeigt. 

Ausser  diesem  brandenburgischen  Vereine  besteht  aucA 
noch  ein  altmärkischer  für  Vaterlandskunde  und  Industrie  ia 
Salzwedel  (Neuhaldensleben],  der  viele  Ausgrabungen  veran- 
staltete, Urkunden  sammelte,  eine  Zeitlang  Mittheilungen  her- 
ausgab, aber  dermalen  sich  auf  kurze  Jahresberichte  beschränkt. 

Gleiches  wie  von  dem  neuen  brandenburgischen  ist  von 
zwei  anderen  nordischen  Vereinen  zu  rühmen,  von  dem  Pom— 
mer'schen  und  dem  Mecklenburgischen.  Jener  wurde  schon 
im  J.  1824  gegründet  und  giebt  seit  dem  J.  1832  „baltische 
Studien^'  heraus,  die  sowohl  wichtige  Materialien,  als  auch 
selbstständige  Abhandlungen  enthalten,  z.  B.  eine  Aeihe  Be- 
lationen  vom  westphälischen  Friedenscongress,  Mittheilungen 
über  nordische  Mythologie  von  Mohnike,  wendische  Geschich- 
ten von  Giesebrecht,  und  eine  Pommer'sche  Kunstgeschichte, 
die  das  Besultat  einer  Kunstreise  ist,  welche  Franz  Kugler 
im  J.  1839  durch  Pommern  machte,  und  wobei  er  überra- 
schend viele  Schätze  der  Architektur  fand.  Eine  Urkunden- 
Sammlung  wird  mit  Unterstützung  des  Vereins  und  der  pom- 
mer'schen  Provinzial- Stände  durch  Kosegarten,  Hasselbach 
und  V.  Medem  seit  vielen  Jahren  vorbereitet  und  die  erste 
Lieferung  davon  ist  im  vorigen  Jahre  erschienen.  Die  Her- 
ausgeber sorgen  dabei  nicht  nur  für  einen  möglichst  correc- 
ten  Abdruck,  sondern  begleiten  die  Urkunden  auch  mit  reich- 
haltigen, sprachlichen  und  geschichtlichen  Anmerkungen. 

In  Mecklenburg  besteht  seit  1835  ein  sehr  rühriger  Ver- 
ein, der  1840  angefangen  hat  ausser  den  früheren  Jahresbe- 


Zeitschriften  Deutschlands,  537 

richten  auch  Jahrbücher  herauszugeben,  welche  an  dem  Ar- 
chivar Lisch  einen  in  der  mecklenburgischen  Geschichte  eben 
50  bewanderten  als  daiiir  eifrig  thätigen  Bedacteur  haben  und 
reichliche  Beiträge  zur  mecklenburgischen  Landes*  und  Volks-  . 
geschidite  liefern.  Auch  hat  Lisch  im  Namen  des  Vereins 
bereits  3  Bände  grösstentheils  bisher  ungedruckter  Urkunden 
Jierausgegeben,  die  viel  Merkwürdiges  enthalten. 

In  Kiel  entstand  im  Jahre  1834  ein  Schleswig-Holstein- 
Lauenburgischer  Verein,  d^sen  Organ  ein  reichlich  ausge- 
stattetes Archiv  für  Staats.-  und  Kirchengeschichte  von  Schles- 
wig, Holstein  und  Lauenburg  ist.  Mit  Hülfe  dieses  Vereins 
hat  Prof.  Michelsen  ein  Urkundenbuch  des  Landes  Ditmar- 
schen  herausgegeben,  und  später  wurde  von  demselben  eine 
Urkundensammlung  der  Schleswig-Holstein-Lauenburgischea 
Gesellschaft  für  vaterländische  Geschichte  redigtrt,  von  der 
bereits  zwei  Bände  erschienen  sind. 

In  Hamburg  ist  im  J.  1839  ein  Verein  von  Geschichts- 
freunden zusammengetreten,  dessen  Vorstand  Dr.  Lappenberg 
ist  Schon  von  seiner  Leitung  dürfen  wir  eine  gründliche 
Bichtung  und  ein  klares  Bewusstsein  der  Aufgabe  erwarten, 
und  dieses  bewährt  sich  auch  darin,  dass  sogleich  Sectionen 
gebildet  wurden,  nämlich  eine  historische,  statistische,  topo- 
graphische, biographische,  artistische,  kirchengeschichtliche, 
juristische,  literarische  und  mercantile.  In  den  ersten  Ver- 
sammlungen hielten  die  Vorsteher  der  einzelnen  Sectionen 
Vorträge,  in  welchen  sie  auf  solche  Partien  in  der  Geschichte 
aufmerksam  machten,  welche  eine  genauere  Durchforschung 
bedürfen  und  lohnen,  mehre  Arbeiten  wurden  bereits  ver- 
theilt  und  zu  theilweise  gemeinsamer  Ausführung  übernom- 
men. In  der  historischen  Section  würden  z.  B.  folgende  Ar- 
beiten proponirt:  Eine  Zusammenstellung  dessen,  was  in  alten 
Chroniken  vor  der  Beformation  über  Hamburg  vorkommt; 
Auszüge  aus  den  ältesten  Erbe-  und  Beiitenbüchern  der  Stadt; 
Bearbeitung  der  alten  Stadtrecbnungen.  In  der  kirchenge- 
schichtlichen  Section:  Eine  urkundliche  Geschichte  der  Ein- 
fuhrung der  Beformation  und  der  pietistischea  Bewegungen; 
in  der  literarischen  eine  Geschichte  des  Antheils,  den  Harn- 


538  Die  kUtorischen  Vereine  und 

bürg  an  dem  AaftchwuDg  der  Poesie  im  17ten  und  18ten 
Jahrhundert  nahm.  In  keinem  anderen  Verein  ist  man  zu 
einem  so  ins  Einzelne  ausgeführten  Arbeitsplan  gekommen, 
wie  in  dem  Hamburgischen,  den  wir  in  dieser  Beziehung  aufs 
dringendste  zur  Nachahmung  empfehlen  möchten.  Eine  Yer-> 
einszeitschrifty  die  alsbald  gegründet  wurde,  enthält  ausser 
den  EinleitungSYorträgen  mehre  Berichte  über  bereits  ange- 
stellte Forschungen,  so  von  Lappenbei^  über  die  ältesten 
Schauspiele,  Laurent  über  das  älteste  Bürgerbucb^  Krdibe 
über  Hamburgs  Theilnahme  am  schmalkaldischen  Kriege.  Die 
Aedaction  hat  sich  zum  Grundsatz  gemacht^  nur  solche  Ar- 
beiten aufzunehmen,  welche  neue  Resultate  oder  aus  bisher 
unbekannten  Quellen  eine  festere  Grundlage  für  einzelne  That^ 
Sachen  geben ;  übrigens  sieht  der  Verein  nicht  diese  Zeitschrift, 
sondern  die  Sammlung  von  Materialien  für  ein  bestimmtes 
Fach  und  deren  Verarbeitung  zu  einem  grösseren  Ganzen  als 
seine  Hauptaufgabe  an. 

Lübeck  hat  in  seiner  „Geseilschaft  für  gemeinnützige 
Thätigkeit"  auch  eine  Section  für  Geschichtsforschung,  die 
zwar  noch  keine  Zeitschrift  gegründet,  aber  in  einem  reich- 
haltigen Urkundenbuch  eine  noch  werthvollere  Leistung  auf- 
zuweisen hat. 

Unter  den  nordischen  Geschichtsvereinen  müssen  auch 
noch  einige  genannt  werden,  die  zwar  nicht  dem  eigentlichen 
Deutschland  angehören,  aber  zur  germanischen  Alterthums- 
künde  ansehnliche  Beiträge  geliefert  haben,  nämlich  die  hi- 
storischen Gesellschaften  in  Dänemark  und  den  russischen 
Ostseeprovinzen.  Auf  Betrieb  des  Professors  Rafn  wurde  in 
Kopenhagen  eine  Gesellschaft  für  nordische  Alterthumskunde 
gegründet,  deren  Hauptzweck  ist,  alle  historischen  und  an- 
deren Saga's  des  germanischen  Nordens  herauszugeben,  zu- 
gleich aber  Alles,  was  die  Geschichte,  die  Sprachen  und  AI- 
terthümer  Skandinaviens  beleuchtet,  zur  nähern  Kunde  zu 
bringen.  Schon  in  den  ersten  5  Jahren  ihres  Bestehens  konnte 
diese  Gesellschaft  24  Bände  Quellen  der  nordischen  Saga's 
herausgeben,  und  in  der  Folge  dehnte  sie  ihre  Sammlungen 
auf  grönländische  und  vorcolumbbche  Geschichte  Amerika's 


Zeitichrifien  Deutschlands.  S39 

aus.  Gegenwärtig  ist  wieder  eine  Quellensammiung  für  äl- 
tere Geschichte  des  nördlichen  Europa's  im  Druck  begriffen. 
Eine  Zeitschrift,  neuestens  „Jahrbücher  der  nordischen  AI- 
terthümskunde '^  betitelt,  erläutert  den  Inhalt  der  herausge- 
gebenen Alterthumsschriften  und  theilt  die  von  der  Gesell- 
schaft sonst  noch  angestellten  Forschungen  mit  Da  Letztere 
auch  in  Deutschland  viele  Mitglieder  zählt,  so  hat  sie  vor  ei- 
nigen Jahren  für  dieselben  eine  Auswahl  ihrer  Arbeiten  un- 
ter dem  Titel  „Historisch-antiquarische  Mittheilungen^'  druk«- 
ken  lassen,  die  jedoch  nicht  in  den  Buchhandel  kamen.  Die 
finanziellen  Verhältnisse  dieser  Gesellschaft,  die  unter  der 
Protection  des  Königs  steht,  sind  glänzender  als  bei  irgend 
einem  deutschen  Verein,  das  feste  Vermögen  derselben  be- 
läuft sich  nach  dem  neuesten  Rechenschaftsbericht  auf  35,000 
Reichsbankothaler.  Ausser  dieser  königlichen  Gesellschaft  hat 
sich  im  J.  1840  in  Kopenhagen  noch  ein  anderer  historischer 
Verein  gebildet,  dessen  Zweck  mehr  auf  Quellebstudium  der 
dänischen  Geschichte  gerichtet  ist.  Die  Zeitschrift,  welche 
Justizrath  Molbech  als  Secretär  des  Vereins  herausgiebt,  ent- 
hält bemerkenswerthe  Abhandlungen,  besonders  von. dem  Her- 
ausgeber: über  nationale  Behandlung  der  Geschichte,  Beiträge 
zur  Schilderung  des  dänischen  Bauernstandes,  über  Leibei- 
genschaft und  Ritterthum;  von  Lersen:  eine  Geschichte  der 
Reichstage  in  Dänemark  vom  13ten  Jahrhundert  bis  1660. 

Ein  lebhaftes  Interesse  für  Geschichtsforschung  herrscht 
in  den  russischen  Ostseeprovinzen,  wo  im  J.  1834  eine  Ge- 
sellschaft für  Geschichte  und  Alterthumskunde  entstand,  welche 
in  Riga  ihren  Sitz  hat,  und  die  sowohl  Erhaltung  der  Alter- 
thümer,  als  historische  Forschung  sich  zum  Zwecke  setzt. 
Die  Gesellschaftsverfassung  ist  hier  strenger  als  bei  ähnlichen 
Vereinen  in  Deutschland.  Jedes  Mitglied  verpflichtet  sich  nicht 
nur  überhaupt,  für  die  Zwecke  der  Gesellschaft  nach  Mög- 
lichkeit mitzuwirken,  sondern  ist  auch  gehalten,  an  den  Sit- 
zungen, die  alle  Monate  stattfinden,  Theil  zu  nehmen  und 
die  Aufträge,  welche  ihm  gegeben  werden,  auszuführen.  Die 
Zeitschrift  der  Gesellschaft  enthält  eine  Chronik  des  verflos- 
senen Jahres,  worin  die  bemerkenswerthen  Ereignisse  in  den 


540  Die  hiiiorisciien  Vereine  und 

Ostieeproyinzen  znsammengestelit  werden,  und  die  eingesand— 
tea  Abhandlungen,  soweit  dieselben  von  der  Direction  des 
Abnickes  würdig  befanden  worden  sind.  Eine  Bedingung 
dieser  Würdigkeit  ist  nämlich,  dass  sie  entweder  noch  dunkle 
Thatsachen  der  Geschichte  aufhellen,  oder  durch  Neuheit  des 
Inhalts  und  der  Darstellung  der  Wissenschaft  einen  Zuwachs 
liefern,  oder  auch  gesammelt  das  darbieten,  was  zu  verschie- 
denen Zeiten  vereinzelt  erschienen  ist.  Möchten  doch  auch 
andere  Vereine  fiir  ihre  Zeitschriften  solche  Normen  aüfsteW 
len  und  befolgen. 

£s  würde  uns  zu  weit  fuhren,  wenn  wir  alle  historischen 
Vereine  Deutschlands  n&her  besprechen  wollten,  vieles  müss- 
ten  wir  wiederholen,  von  mehren  konnten  wir  uns  auch  die 
Jahresberichte  nicht  verschaffen.  Wir  begnügen  uns  daher, 
dieselben  summarisch  anzuführen. 

In  Leipzig  besteht  als  Fortsetzung  der  ehemaligen  deut- 
schen Gesellschaft,  in  welcher  einst  Gottsched  den  Vorsitz 
führte,  die  übrigens  indessen  mehrmals,  zuletzt  im  J.  1835, 
eine  Erneuerung  erlebt  hat,  eine  Gesellschaft  zur  Erforschung 
vaterländischer  Sprache  und  Alterthümer,  die  sich  zwar  vor- 
zugsweise mit  Sprachforschung,  mitunter  aber  auch  mit  To- 
pographie, Geschichte  und  Ausgrabungen  befasst  und  einige 
werthvolle  Leistungen  au&uweisen  hat  In  Dresden  bildete 
sich  schon  im  J.  1824  ein  königl.  sächsischer  Verein  fiir  Er- 
forschung und  Erhaltung  vaterländischer  Alterthümer,  der  sich 
später  auch  urkundliche  Forschungen  vorsetzte,  aber  unge- 
achtet wiederholter  Reformen  doch  zu  keinem  Gedeihen  ge- 
langte. Neuestens  scheint  dieser  Verein  ein  literarisches  Or- 
gan bekommen  zu  haben  an  dem  von  Carl  Gautsch  heraus- 
gegebenen Archiv  fiir  sächsische  Geschichte  und  Alterthums- 
künde.*)  In  Altenburg  ist  im  J.  1838  eine  Geschieh ts-  und 
Alterdiumsforschende  Gesellschaft  zusammengetreten,  die  aber 
bis  jetzt  noch  keine  Berichte  ausgegeben  hat.   Ein  voigtlän- 

*)  Vor  Kurzem  erschien,  mit  der  Jahreszahl  1842,  das  zweite 
Heft  der  „Mittheiiungen'^  des  Vereins,  als  Fortsetzung  des  im  Jahre 
1835  herausgegebenen  ersten  Heftes. 

Anm.  des  Herausg. 


Zeitschriften  Deutschlands.  541 

discher  Altertbums verein,  im  Jahre  183d  gegründet,  legt  sich 
hauptsächlich  auf  Nachgrabungen  und  giebt  Jahresberichte  und 
eine  Zeitschrift  unter  dem  Titel  Variscia  heraus;  der  Henne- 
bergische, 1833  gestiftet,  hat  eine  ähnliche  Tendenz,  veran- 
staltete übrigens  auch  ein  Urkundenbuch,  dessen  erster  Theil, 
von  K.  Schöppach  redigirt,  im  J.  1842  erschienen  ist.  In 
Görliz  besteht  seit  1779  eine  Oberlausitzische  Gesellschaft 
der  Wissenschaften,  die  vorzugsweise  im  Fach  der  Geschichte 
thätig  ist,  neuerlich  eine  Sammlung  Scriptores  rerum  Lusa- 
ticarum  {Görliz  I.  IL  1839—41)  herausgiebt,  Urkunden  sam- 
melt, dereq  Abschriften  bereits  18  Folianten  ausmachen,  Preis- 
aufgaben stellt  und  ziemliche  Geldmittel  besitzt.  In  Schlesien 
hat  die  dortige  patriotische  Gesellschaft  ebenfalls  eine  histo- 
rische Tendenz,  und  in  Sohr's  schlesischen  Provinzialblättern 
ein  Organ  für  historische  Mittheilungen,  das  schon  werthvolle 
Arbeiten  lieferte.  In  Königsberg  besteht  seit  mehr  als  100 
Jahren  eine  königliche  deutsche  Gesellschaft,  die  nach  ihrer 
Stiftungsurkunde  die  Bestimmung  hat,  vorzugsweise  deutschen 
Sprachforschungen  ihre  Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  aber 
auch  in  anderen  Gebieten  deutscher  Wissenschaft  thätig  ist, 
und  in  der  neueren  von  F.  W.  Schubert  herausgegebenen 
Sammlung  ihrer  Arbeiten  viele  zum  Theil  recht  gute  histo- 
rische Abhandlungen  zählt. 

Im  Eifer  für  historische  Forschung  steht  die  deutsehe 
Schweiz  dem  übrigen  Deutschland  keineswegs  nach,  und  hat 
vor  demselben  den  Vorzug  eines  planmässigen  Zusammen- 
wirkens. Schon  im  J.  1812  stiftete  der  bernische  Schultheiss 
Friedrich  von  Mülinnen  eine  geschicbtsforschende  Gesellschaft, 
deren  Leistungen  in  dem  schweizerischen  Geschichtsforscher, 
welcher  von  1818 — 1840  von  Wyss  und  Stierlin  redigirt  in 
11  Bänden  zu  Bern  erschien  und  unter  die  besten  histori- 
schen Zeitschriften  gehört,  niedergelegt  sind.  Im  Jahre  1841 
wurde  jene  Gesellschaft  als  eine  allgemein  schweizerische  neu 
constituirt  und  hat  nach  den  Statuten  die  Bestimmung,  die 
allgemeine  Geschichte  der  Schweiz  einerseits  durch  Zusam- 
menhalten ihrer  Forscher  und  Freunde  überhaupt,  sowie  ins- 
besondere der  ihr  gewidroeten  Cantonalgesellsehaften,  ande-* 


644  Die  hisiorischen  Vereine  und 


(6  zur  Schweizergeschichte  enthielt,  aber  seitdem  wie- 
der eingegangen  ist  An  seine  Stelle  traten  Beiträge  zur  va— 
terlindischen  Geschichte,  von  welchen  seit  1839  zwei  Bände 
erschienen  sind,  deren  letzterer  namentlich  Beitrüge  von  all— 
gemein  ansprechendem  Stoff  enthält. 

In  Oesterreich  bestehen'  seit  längerer  Zeit  Provinzialtnu- 
seen  für  Alterthümer,  mit  denen  Zeitschriften  oder  Jahres- 
berichte verbunden  sind.    So  das  Johanneum  zu  Grätz^  das 
Ferdinandeum  zu  Insbruck,  dessen  Curatoren  eine  neue  Zeit- 
schrift für  Landeskunde  redigiren,  das  Museum  Francisco- 
Garolinum  zu  Lipz,  das  Beiträge  zur  Landeskunde  von  Oester- 
reich ob  der  Ens  und  Salzburg  erscheinen  lässt,  und  eine 
ürkundensammlung  vorbereitet.  Ueberdies  steht  noch  ein  Mu- 
sealblatt  damit  in  Verbindung,  das  über  Geschichte,  Natur, 
Kunst  und  Technologie  dieser  Landestheile  berichtet  In  Wien 
bestand  früher  eine  historische  Zeitschrift,  die  in  3  verschie- 
denen Serien  und  Titeln  von  Wegerle,  von  Mühlfeld,  Hohler, 
Ridler  und  KaKenbeck  von  1829*— 37  herausgegeben  wurde. 
Sie  enthielt  sehr  reichliches  Material  (ur  österreichische  Ge- 
schichte, musste  aber  wegen  Mangels  an  Absatz  aufhören. 
Dasselbe  Schicksal  hatte  der  österreichische  Geschichtsforscher 
von  J.  Ghmel,  der  einen  grossen  Reichthum  von  urkundlichen 
Mittheilungen  und  literarischen  Notizen  darbietet,  aber  eben 
dadurch,  dass  er  bloss  rohes  Material  und  gar  keine  Verar- 
beitung giebt,  nur  einen  kleinen  Kreis  von  Abnehmern  und 
Lesern  gewinnen  konnte. 

Unter  den  nicht  provinziellen  Zeitschriften  für  deutsche 
Geschichte  und  Alterthumskunde  haben  wir  mehre,  welche 
den  Leistungen  der  besten  Vereine  gleich  kommen,  sie  zum 
Theil  übertreffen.  Unter  diesen  ist  vor  allen  zu  nennen  Haupt's 
Zeitschrift  ftir  deutsches  Alterthum,  die  zwar  politische  Ge- 
schichte ausschliesst,  aber  lur  Literatur,  Sprache,  Sitten,  Recbts- 
alterthümer  und  Glauben  der  deutschen  Vorzeit  ein  sehr  reich- 
haltiges Archiv  bildet  und  sich  für  diese  Gebiete  die  gedop- 
pelte Aufgabe  setzt,  Unbekanntes  dem  Gebrauche  darzubieten 
und  Vorhandenes  oder  neu  Aufgefundenes  wissenschaftlich  zu 
bearbeiten.   Die  Mittheilung  neuen  Stoffes  ist  in  der  Ausfüh- 


Zeitschriften  Deutschlands.  545 

rung  vorwiegend,  die  wissenschaftliche  Haltung  in  Beitragen 
beiderlei  Art  so  solid  und  präcis,  dass  wir,  wenn  eine  ähn- 
liche Unternehmung  fiir  das  Gesammtgebiet  der  deutschen  Ge- 
schichte sich  aufthun  wollte >  ihr  diese  Zeitschrift  zum  Vor- 
bilde empfehlen  möchten. 

Hormayr's  Taschenbuch  für  vaterländische  Geschichte,  das 
bereits  seinen  33sten  Jahrgang  erlebt  hat,  die  Zwecke  der 
Unterhaltung  und  Forschung  miteinander  zu  vereinigen  sucht, 
und  eine  reichliche  Ausbeute  von  Materialien  darbietet,  nimmt 
eine  ehrenvolle  Stellung  unter  den  historischen  Zeitschriften 
Deutschlands  ein.  Eine  ähnliche  Unternehmung  ist  Heinrich 
Schreiber's  Taschenbuch  für  Geschichte  und  Alterthumskunde 
Süddeutschlands,  von  dem  übrigens  nur  2  Jahrgänge  erschie- 
nen sind,  deren  werthvoller-  Inhalt  das  Ausbleiben  der  Fort- 
setzung sehr  bedauern  lässt.  Ein  Versuch,  das  vorhandene 
Material  der  Geschichte  Schwabens  von  höheren  Gesichts- 
punkten aus  zu  verarbeiten  und  in  einer  ansprechenden  Form 
mitzutheilen,  wurde  von  L.  Bauer  in  Stuttgart  gemacht  in 
seinem  y,Schwaben  wie  es  ist  und  war'^  Stuttg.  1842,  worin 
wichtige  Partien  der  Geschichte  Schwabens,  zum  Theil  auf 
neue  Quellenforschung  gestützt,  von  mehren  einheimischen 
Schriftstellern  in  einer  Reihe  von  Aufsätzen  bearbeitet  wur- 
den.  Leider  ist  es  auch  hier  beim  ersten  Bande  geblieben. 

F.  V.  Baumerts  historisches  Taschenbuch  beschränkt  sich 
nicht  bloss  auf  deutsche  Geschichte,  und  nimmt  vorzugsweise 
solche  Beiträge  auf,  die  irgend  eine  interessante,  in  sich  ab- 
geschlossene Nebenpartie  der  Geschichte  für  die  Unterhaltung 
behandeln.  Obgleich  die  historische  Forschung  dabei  nur  ein 
untergeordneter  Zweck  ist,  so  haben  wir  doch  manchem  Auf- 
satz eine  Bereicherung  der  historischen  Kenntnisse  und  eine 
neue  Zusammenstellung  zu  danken. 

Versuchen  wir  nun  nach  dieser  statistischen  Aufzählung 
der  deutschen  Geschichtsvereine  und  Zeitschriften  die  Besul- 
täte  daraus  zu  ziehen  und  uns  klar  zu  machen,  was  wir  ha- 
ben, was  wir  vermissen  und  was  wir  wollen. 

Dass  eine  rege  Thatigkeit  für  Geschichts-  und  Alterthums- 
forschung  in  Deutschbnd  herrsche,  dass  ein  lebendiges  In- 

Zeitschrirt  f.  Geschirhtsw.    I.    1844.  35 


546  Die  kUtorischen  Vereme  und 

teresso  iur  diese  Stadien  allenthalben  verbreitet  sei^  davon 
giebt  die  Menge  der  tiberall  aufsprossenden  Vereine  und  Zeit- 
schriften ein  unverkennbares  Zeugniss.   Aber  den  eigentiichcn 
Gewinn  für  wissenschaftliche  Erkenntniss  der  Vorzeit  oder 
für  Hebung  des  Nationalbewusstseins  können  wir  denn  doch 
im  Ganzen  nicht  sehr  hoch  anschlagen.   Mangel  an  planmäs- 
siger  Leitung,  an  gegenseitigem  Zusammenwirken,  und  Zer- 
splitterung der  Kräfte  lassen  es  nicht  zu  erheblichen  Erfol- 
gen kommen.  Ein  bei  den  meisten  Vereinen  ausgesprochener 
Zweck  ist  die  allgemeine  Anregung  des  Sinnes  für  Reste  der 
Vorzeit  und  deren  geschichtliche  Kenntniss.   In  dieser  Bezie- 
hung haben  sie  wohlthütig  gewirkt,  und  schon  ihr  Bestehen 
und  ihre  zunehmende  Vermehrung  ist  ein  Beweis,  dass  der 
Antheil  an  Alterthümern  und  Geschichte  im  Wachsthum  be- 
griffen sei.   Um  wie  viel  besser  ist  es  in  dieser  Hinsicht  jetzt, 
als  vor  10  bis  20  Jahren.    Welche  Gleichgültigkeit,  welche 
Zerstörungssucht  gegen  die  (Jeberreste  des  „ finster«  Mittel- 
alters" herrschte  noch  zur  Zeit  der  Auflösung  des  deutschen 
Beiches  selbst  bei  denen,. welche  man  zu  den  Crebildeten  zahlte. 
Wie  vieles  v^irde  damals  verschleudert,  absichtlich  zerstört, 
geschmacklos  modernisirt,  was  man  jetzt  als  ein  Heiligthum 
aufbewahren  und  erhalten  würde.   Für  Aufsuchung  und  Er- 
haltung der  Denkmale  des  Alterthums  und  ihre  Nutzbarma- 
chung für  die  Geschichte  haben  diese  Gesellschaften  viel  ge- 
leistet, auf  manches  alte  Denkmal  der  Baukunst  aufmerksam 
gemacht,  dasselbe  genauer  untersudit  und  beschrieben,  vor 
Verfall  und  Zerstörung  errettet,  zu  (kssen  Bestauration  ¥er- 
holfen,  Sammlungen  von  Alterthümern  angelegt   Der  thürin- 
gisch-sächsische, der  hessische,  nassauische,  pommer'sche  und 
rheinländische  Verein  haben  hierin  schöne  Erfolge  aufzuwei- 
sen, und  überall  eröfihet  sich  den  Vereinen  ein  Wirkungskreis, 
oft  handelt  es  sich  noch  darum,  alte  Gebäude  den  Erspa- 
rungs-  und  Zerstörungsplänen  subalterner  Finanzbeamten,  oder 
modernisirenden  Umgestaltungen  der  Besitzer  zu  entreissen. 
Je  mehr  es  gelingt,  hochgestellte  Männer  zu  gewinnen,  deren 
Wort  Einfluss  und  Geltung  hat,  desto  erfolgreicher  kann  die 
Wirksamkeit  eines  AJterthumsvemns  in  dieser  Hinsicht  sein. 


Zeitschriften  Deutschlands.  547 

Geringer  müssen  wir  die  Yerdienste  der  unterirdischeil 
Alterthumsforscbung ,  der  Nachgrabungen  anschlagen  ^  die 
manche  Vereine  zur  Hauptsache  machen.  Hier  ist  das  Ge- 
biet, auf  dem  sich  der  Dilettantismus  und  die  Guriositaten- 
krämerei  breit  macht,  und  es  ist  oft  wirklich  lächerlich,  mit 
welcher  Wichtigthuerei  einige  alte  Scherben,  Ringe  und  Waf- 
fen, die  aus  einem  Grabe  hervorgezogen  worden  sind,  be- 
schrieben werden,  als  hätte  man  die  wichtigste  Entdeckung 
gemacht.  Wir  wollen  nicht  in  Abrede  ziehen,  dass  mitunter 
interessante  Ueberreste  des  Alterthums  dem  Boden  abgewon- 
nen wurden,  wer  wollte  verkennen,  dass  die  Ausgrabungen 
in  Pompeji  und  Herculanum  uns  das  ganze  häusliche  und 
gesellige  Leben  der  alten  Römer  zur  Anschauung  gebracht 
und  der  Alterthumswissenschaft  die  wichtigsten  Aufschlüsse 
verschafil  haben;  aber  um  so  reichhaltige  Ergebnisse  handelt 
es  sich  bei  uns  nicht,  sondern  meistens  um  einige  alte  Ge- 
fasse,  Opfersteine,  Ringe  und  Schwerter,  die  alle  so  ziemlich 
einander  gleichen,  so  dass  die  Kenner  nicht  klug  daraus  wer- 
den, ob  dieselben  römischen,  celtischen,  germanischen  oder 
slavischen  Ursprungs  sind.  Genau  betrachtet  haben  diese  Aus- 
grabungen nirgends  zu  grossen  Resultaten  gefuhrt,  jedenfalls 
ist  der  Werth  ihrer  Entdeckungen  ein  bloss  secundärer,  in- 
dem sie  anderweitige  Nachrichten  bestätigen,  aufgeworfene 
Vermuthungen  bestärken  und  durch  Gombination  mit  physi- 
schen und  geographischen  Verhältnissen  des  Fundorts  einige 
historische  Ausbeute  gewähren. 

Eine  gewöhnlich  viel  zu  wenig  benutzte  Quelle  histori- 
schen Materials  eröffnet  sich  in  den  lebendigen  Resten  der 
Vorzeit,  in  abergläubischen  Meinungen  und  Gebräuchen,  in 
Rechtsverhältnissen,  alten  Sagen  und  Liedern,  in  eigenthüm- 
licben  Sitten  des  Landvolks,  in  Spruch  Wörtern,  Redensarten 
und  alten  Sprachformen,  die  sich  in  irgend  einem  Provinzial- 
dialekt  erhalten  haben.  Diese  Quellen  werden  viel  zu  wenig 
ausgebeutet,  zum  Theil  weil  Diejenigen,  welche  dem  Volke 
nahe  stehen  und  Gelegenheit  zu  solchen  Beobachtungen  hät- 
ten, nicht  die  erforderliche  historische  Bildung  und  den  rech- 
ten Spürsinn  besitzen.    Da  sollten  nun  Geschichtsvereine  es 

35* 


548  Die  historischen  Vereine  und 

sich  zur  besondern  Aufgabe  machen,  Leute  aufisusuchen  und 
auizuniuntern»  welche  Sinn  und  Beobachtungsgabe  für  derlei 
lebendige  Alterthümer  haben,  sie  sollten  zu  Forschungen  dar- 
über Anleitung  geben  und  die  örtlichen  Gelegenheiten  dazu 
ausmitteln. 

Die  reichste  Ausbeute  (ur  Geschichtsforschung  bleibt  frei- 
lich immer  von  den  geschriebenen  Denkmalen  der  Vorzeit  zu 
erwarten,  von  Urkunden,  Chroniken,  Briefen,  Gedichten,  Flug- 
schriften.   Mit  Becht  haben  mehre  Vereine  Sammlung  und 
Herausgabe  soloher  Stücke  sich  zur  Hauptaufgabe  gemacht, 
so  der  westphälische,  der  schleswig-holsteinische,  der  meck- 
lenburgische,  pommer'sche,  hennebergische.    Die  Thätigkeit 
der  Vereine  als  solcher  und  der  meisten  Mitglieder   muss 
sich  auf  Herbeischaffung  der  Urkunden  aus  den  verschiede- 
nen Stadt-,  Stifts-  und  Familienarchiven  und  auf  Zusammen- 
bringen der  nöthigen  Geldmittel  beschränken.    Um  den  Ur- 
kunden, die  da  und  dort  im  Privatbesitz  oder  sonstwie  ver- 
einzelt sich  befinden,  auf  die  Spur  zu  kommen,  ist  eine  aus- 
gebreitete persönliche  Bekanntschaft  erforderlich,  txl  welcher 
die  Verbindungen  des  Einzelnen  nicht  ausreichen;  wenn  aber 
Jeder  in  seinem  Kreise  nachforscht  und  sammelt,  wenn  man 
namentlich  solche  Männer,  die  sich  aus  Liebhaberei  mit  Sanr>m- 
lung  von  alten  Urkunden  und  Aktenstücken  abgeben,  oder 
durch  Gieburt  im  Besitze  derselben  sind,  selbst  zu  Mitglie- 
dern des  Vereins  und  für  Mittheilung  ihrer  Schätze  gewinnt, 
kann  man  weit  grössere  Vollständigkeit  erreichen,  als  wenn 
nur  ein  Einzelner  für  sich  dergleichen  unternimmt.   Auch  (ur 
Aufbringung  der  Geldmittel  sind   die  Kräfte   eines  Vereins 
nöthig,  wenn  nicht  die  Begierungen  geneigt  sind,  die  nöthi- 
gen Summen  aus  Staatsmitteln  beizusteuern,  was  nicht  über- 
all und  nicht  immer  in  der  zu  wünschenden  Ausdehnung  der 
Fall  ist    Kommt 'es  aber  nun  wirklich  zur  Bearbeitung,  so 
können  nur  einige  Wenige  sich  in  v  die  Arbeit  theilenund  die 
letzte  Bedaction  wird  am  besten  von  einem  Einzigen  besorgt. 
Wcmn  eine  literarische  Arbeit  von  Mehren  gemeinschaftlich 
redigirt  wird,  so  ist  ihr. gewöhnliches  Loos,  dass  sie  entwe- 
der in  Stocken  geräth,  oder  die  Einheit  und  Präcision  der 


Zeitschriften  Deutschlands,  d49 

Ausführung  darunter  leidet.  Die  Schriften  der  gelehrten  Ge- 
sellschaften kommen  ohnehin  selten  ohne  einige  Verwirrung 
zur  Welt.  Fast  überall^  wo  Vereine  mit  Glück  Urkunden- . 
Sammlungen  herausgegeben  haben,  sehen  wir  daher  die  Sache 
von  einzelnen  Gelehrten  ausgeführt,  so  die  Schleswig- HoU 
steinische  von  Michelsen,  die  Mecklenburgische  von  Lisch, 
die  Pommer'sche  von  Hasselbach  und  Kosegarten.  Bei  den 
Urkundensammlungen  zeigt  sich  nun  sogleich  ein  Hauptge- 
brechen des  Vereinswesens,  nämlich  die  Vielheit  und  der 
Mangel  an  planmässigem  Zusammenwirken.  .  Will  jeder  par- 
ticulare  Verein  seine  eigene  Urkundensammlung  veranstalten, 
ohne  mit  den  benachbarten  Uebereinkunft  zu  treffen,  so  müs- 
sen GoUisionen  eintreten;  der  Spätere  will  sich  von  dem  Zu- 
vorgekommenen die  Vollständigkeit  nicht  stören  lassen,  an- 
derswo will  man  das  in  seinem  Plan  gestörte  Unternehmen 
lieber  gar  nicht  mehr  ausfuhren,  und  so  wird  ein  Theii  der 
Urkunden  zwei  und  dreimal,  ein  ariderer  gar  nicht  abgedruckt. 
Derlei  GoUisionen  traten  zwischen  der  Lübecker  und  Schles- 
wig-Holsteiner Sammlung,  zwischen  der  des  westphSlischen 
Vereins  und  Seibertz  Geschichte  Westphalens  ein,  und  wer- 
den bei  den  meisten  particulären  Unternehmungen  der  Art 
eintreten  und  um  so  häuGger  wiederkehren,  je  mehr  diesel- 
ben vervielfältigt  und  eine  zweckmässige  Verständigung  ver- 
säumt wird.  Weniger  Gefahr  der  GoUision  ist  bei  den  selbst- 
ständigen Geschichtsquellen,  die  ihrer  Natur  nach  eine  ver- 
einzelte Herausgabe  zulassen,  wie  z.  B.  Chroniken,  Rechts- 
bücher, Denkmale  der  Poesie.  Der  Antheil  des  Vereins  ist 
auch  hier  die  Wahl  des  Stoffes,  die  Beischaffung  der  Geld- 
mittel, das  Auflinden  der  nöthigen  Handschriften  und  alten 
Drucke;  Sache  des  Einzelnen,  den  der  Verein  damit  beauf- 
tragt, ist  dagegen  die  Vergleichung  und  Revision  des  Textes 
und  die  Beigabe  der  nöthigen  Erläuterungen.  Es  wäre  zu 
wünschen,  dass  die  Vereine  häufiger  als  es  bisher  geschehen, 
durch  Herausgabe  von  einzelnen  Geschichtsquellen,  die  grade 
in  ihrem  Bereiche  sich  finden  und  ihren  Interessen  nahe  lie- 
gen, ihren  Beitrag  zur  Geschichtsforschung  lieferten.  Hier 
kann  die  Vielheit  der  VcreiM  weniger  schaden.   Einige  h^ben 


560  Die  hißiarischm  Vereine  und 

sehr  sdiätzbare  Gaben  dieser  Art  geboten,  so  z«  B.  der  Gor- 
lizer  seine  Sammlung  Scriptores  rerum  Lusaticarum,  der 
Bamberger  den  Renner  Hugo's  von  Trimberg,  der  Kurhes- 
siscbe  Lauze's  Chronik»  der  Schleswig-Holsteinische  altdith- 
marsche  Rechtsquellen,  der  Kopenhagener  die  grosse  Samm* 
lung  der  nordischen  Saga's.  Möchten  doch  andere  Vereine 
diesem  Beispiele  folgen.  An  Städtechroniken,  Statutarrechten, 
alten  Bechnungsbüchern,  die  für  Handels-  und  Vermögens- 
Yerhiltnisse  eine  sehr  wichtige,  noch  lange  nicht  genug  be- 
nutzte Quelle  bilden,  und  anderem  dergleichen  ist  noch  ein 
reichlicher  Stoff  vorbanden,  der  des  Aufsuchens  und  Abdrucks 
werth  wäre. 

Für  Mittheilung  kleinerer  Stücke  unverarbeiteten  Mate- 
rials, sowie  selbststandiger  Bearbeitungen  einzelner  Partien 
der  Crescbichte,  dienen  die  Zeitschriften  und  Jahresberichte, 
die  auch  der  unbedeutendste  Verein  nicht  entbehren  zu  kön- 
nen meint  An  diesen  Unternehmungen  kann  man  denn  am 
besten  sehen,  ob  wissenschaftlicher  Ernst  in  einem  Vereine 
herrscht.   Wir  mussten  oben,  bei  Betrachtung  der  Veteiae  im 
Einzelnen,  manchen  das  Zeugniss  geben,  dass  ihre  Zeitschrif- 
ten werthvolle  Beiträge  «zur  vaterländischen  Geschichte  lie- 
fern und  von  einer  wissenschaftlichen  Bichtung  zeugen.    Na- 
mentlich vom  westphälischen,  thüringisch-sächsischen,  ober- 
bayrischen, kurhessischen,  niedersächsischen,  brandenburgi- 
schen, pommer'scben,  mecklenburgischen,  hamburgiscfaen  gilt 
dieses.   Von  andern  dagegen  kann  man  es  weniger  nihmeD,  in 
einigen  herrscht  das  Unbedeutende  gar  zu  sehr  vor,  und  selbst 
in  den  bessern  läuft  Manches  mitunter,  was  für  die  Geschichte, 
d.  h.  für  die  Fortbewegung  des  Lebens,  für  die  geistige  Ent- 
wicklung des  Volkes,  von  gar  keinem  Belang  ist    Manche 
Laien  nicht  nur,  sondern  auch  mitunter  Gelehrte  vom  Fache, 
sind  in  dem  Irrthum  befangen,  jede  wenn  auch  noch  so  aus- 
serliche  Notiz  aus. alten. Zeiten  habe  geschichtlichen  Werth,  und 
diesem  Vorurtheil  haben  wir  es  zu  danken,  dass  sich  der  Hi- 
storiker durch  einen  Wust  von  Literatur  durcharbeiten  und 
eine  Masse  lesen  muss,  ohne  erhebliche  Ausbeute  zu  gewinnen. 
Mit  solch  unnützem  Krame,  der  «ussieht  wie  Geschichte,  aber 


* 

Zmtschriften  Deutschlands.  551 

es  in  der  That  nicht  ist,  werden  bSulig  auch  die  Zettschrifteo 
der  historischen  Vereine  gefiilit  Man  missverstehe  uns  ja  nicht, 
als  woUten  wir  die  Einzelheiten  gering  schätzen,  o  nein,  wir 
wissen  recht  gut,  dass  eine  geringfügig  scheinende  Notiz,  ei- 
nige Zahlen  aus  einem  Bechnungsbuch,  ein  trockenes  Ge^ 
richtsprotokoll  oft  mehr  werth  ist,  als  eine  lange  Abhandlung 
mit  kunstreichen  Gombinationen  oder  philosophischen  Ueber- 
blicken.  Aber  darin  bewährt  sich  der  historische  Takt  und 
der  .scharfe  Blick  fiir  das  geistige  Leben,  dass  man  das  Wich- 
tige herauszufinden  weiss. 

Besonders  wichtig  fiir  die  Geschichte  sind  alle  Notizen, 
welche  von  den  rechtlichen,  sittlichen,  religiösen  Zuständen 
und  Verhältnissen  eines  Volkes  oder  einer  Gegend  Zeugniss 
geben,  Gerichtsgebräuche>  Klagen  und  Bestrafungen,  Sitten* 
Züge,  Luxus,  Volksfeste,  Ueberreste  alt  heidnischen  Glaubens 
und  ihre  Vermischung  mit  dem  christlichen  Cultus.  So  weit 
von  diesen  Dingen  in  der  Gesetzgebung  Notiz  genommen  wor-^ 
den  ist,  hat  man  wohl  Kunde  davon,  aber  wie  sich  das  ge- 
schriebene Gesetz  im  Leben  ausgebildet,  was  das  freiere  Spiel 
des  Geistes  hinzugethan,  das  findet  den  Weg  nicht  so  leicht 
in  die  Bücher,  sondern  muss  in  seinen  zerstreuten  Spuren, 
die  hin  und  wieder  zufällig  übrig  geblieben  sind  oder  einen 
bleibenden  Einfluss  auf  die  Verhältnisse  ausgeübt  haben,  durch 
eine  verständige  Beobachtung  auigesucht  werden.  Eine  solche 
an  Ort  und  Stelle  anzuregen  und  zu  leiten  wäre  nun  eine 
Sache  fiir  historische  Vereine.  In  der  kurhessischen  Zeitschrift 
wird  in  einer  trefi'lichen  Abfaahdiung  v.  BommePs  Anleitung 
dazu  gegeben,  in  den  Jahresberichten  des  Bezatvereins  finden 
wir  Auszüge  aus  Gerichtsbüchern,  Studien  über  Häuserin- 
schriften, V.  Hormayr  hat  in  seinem  Taschenbuch  fiir  vater- 
ländische Geschichte  eine  stehende  Bubrik  fiir  solche  Notizen 
aus  dem  Volksleben;  aber  in  den  meisten  Vereinsschrifien 
sucht  man  derlei  vergebens,  findet  dagegen  desto  mehr  Be- 
schreibung todter  Alterthümer  und  Büchergelehrsamkeit.  Was 
nun  erstere  betrifil,  so  wurde  schon  oben  die  einseitige  Bich- 
tung  auf's  Ausgraben  gerügt,  die  Berichte  darüber  füllen  ei- 
nige Vereinsschriften,  z.  B.  ^e  Sinsheimer,  beinahe  ganz,  und 


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552  Die  historischen  Vereine  und 

ein  grosser  Theil  davon  möchte  unier  den  Vorrath  von  Ma- 
terialien zu  reebnen  sein,  die  für  die  Geschichte  nur  wenig 
Ausbeute  geben.  In  diese  Classe  gehört  auch  manche  von 
den  in  den  Vereinsheften  abgedruckten  Ortsbeschreibungen , 
die  oft  nur  bei  einer  rein  äusserlichen  Berichterstattung  über 
Archäologie,  Genealogie  und  äussere  Lebensgeschicke  der 
Besitzer  stehen  bleiben.  Sollen  topographische  Mittheiiungen 
für  die  Geschichte  wichtig  werden,  so  müssen  sie  sich  durch- 
aus auf  Begebenheiten  und  Zustände  einlassen,  die  sich  au 
die  Oertlichkeit  knüpfen. 

Unter  die  werthvoilsten  Beiträge  der  historischen  Zeit- 
schriften gehören  unstreitig  die  Urkunden.    Einige  der  bes- 
seren Yereinsschriften,  wie  z.B.  das  westphälische  Archiv 
und  die  Thüringer  Mittheilungen,  verdanken  ihren  Werth  zum 
Theil  den  darin  abgedruckten  Urkunden.    Aber  auch  unter 
den  Uriiunden  giebt  es  manche,  die  wenig  Werth  für  die 
Geschichte  haben,  und  häufig  bekommen  sie  erst  die  rechte 
Bedeutung,  wenn  sie  mit  andern  aus  derselben  Zeit  und  Um- 
gebung in  einem  Urkundenbuche  vereinigt  erscheinen.    Auf 
der  anderen  Seite  will  es  auch  für  den  Charakter  einer  Zeit- 
schrift nicht  recht  passen,  wenn  sie  mit  Urkunden  angefüllt 
ist,  denn  in  einer  Zeitschrift  sucht  man  doch  zeitgemasse 
Verarbeitung  und  nicht .  rohes  Materiak    Man  würde  daher 
wohl  besser  thun,  die  Urkunden  in  der  Begel  für  vollständige 
Sammlungen  aufzusparen  und  sie  nur  dahn  in  Zeitschriften 
mitzutheilen,  wenn  sie  einer  Abhandlung  als  Beleg  dienen, 
oder  grade  einen  neuen  Aufischluss  über  eine  besonders  wich- 
tige Thatsache  geben.  Jedenfalls  sollten  aber  Urkunden  oder 
andere  Materialien  zur  Geschichte  immer  mit  einer  Einfüh- 
rung begleitet  werden,  welche  die  historische  Umgebung  ver- 
gegenwärtigt, und  die  wissenschaftlichen  Ergebnisse  des  neuen 
Fundes  andeutet.  Hierdurch  wird  dem  Freund  der  Geschichte 
der  rohe  Stoff  geniessbar  gemacht,  dem  Mann  vom  Fache  die 
Benutzung  erleichtert,  überhaupt  aber  den  wissenschaftlichen 
Anforderungen  unserer  Zeit   entsprochen,   die   überall  eine 
geistige  Durchdringung  des  Stoffes  verlangt.   Es  kommt  noch 
eine  andere  Bücksicht  hinzu,  w'^lche  eine  ansprechende  Be- 


Zeitschtifien  Deutschlands,  553 

handlungsweise  zur  Pflicht  macht,  nämlich  die  auf  Belebung 
des  Na^tionalbewusstseins.  Denn  man  studirt  und  cultivirt 
Geschichte  nicht  bloss  lim  einen  Drang  der  Gelehrsamkeit 
zu  befriedigen,  sondern  um  durch  die  Erinnerung  an  die  Tha* 
ten,  Geschicke  und  Zustände  der  Vorfahren  das  Volks-  und 
Stammesgefuhl  zu  nähren ;  das  geschieht  aber  durch  trockene 
Materialiensammlungen,  die  der  Laie  nicht  liest,  keineswegs. 
Häufig  werden  solche  Zumuthungen  mit  Berufung  auf  die 
Würde  der  positiven  Wissenschaft  abgewiesen.  Die  Wissen- 
schaft, sagt  man,  wolle  urkundliche  Thatsachen,  kein  Räson- 
nement;  objective  Wahrheit,  keine  subjective  Färbung;  un- 
parteiische Darstellung,  keine  Parteipolitik.  Aber  das  Alles 
will  der  verständige  Freund  der  Geschichte  und  des  Vater- 
landes auch  nicht,  und  jene  Einwendungen  sind  oft  nur  die 
Ausflüchte  der  gelehrten  Pedanterei  und  der  Trägheit,  die 
sich  die  beschwerlichen  Zumuthungen  der  fortschreitenden 
Zeit  und  einer  tieferen  Auffassung  des  Lebens  kn  Namen 
der  Wissenschaft  vom  Leibe  halten  möchte.  Eine  anspre- 
chende Form  der  Darstellung  ist  freilich  nicht  eines  Jeden 
Sache,  doch  bleibt  es  allgemeine  Pflicht,  sie  als  Forderung 
an  sich  zu  stellen. 

Betrachten  wir  nun  die  Leistungen  unserer  historischen 
Vereinszeitschriften,  so  werden  wir  die  meisten  auf  einem 
Standpunkte  finden,  auf  welchem  das  Bedürfniss  dieser  hö- 
heren Wissenschaftlichkeit  und  Popularität  noch  nicht  einmal 
ernstlich  zur  Sprache  gekommen  ist.  Selten  findet  man  sorg- 
fältig durchgearbeitete  Abhandlungen,  welche  die  Resultate 
gründlicher  Quellenforschung  in  geschmackvoller  Darstellung 
vorlegten.  Man  meint  häufig,  für  eine  Zeitschrift  sei  unver- 
arbeitetes Material  oder  nachlässig  hingeworfene  Fragmente 
gut  genug,  oder  glaubt  gar  in  gelehrter  Vornehmheit,  man 
brauche  sich  nicht  zu  den  Ansprüchen  eines  durch  ästhe- 
tische Leetüre  verwöhnten  Publicums  herabzulassen.  Selbst 
die  besseren  thun  wenig,  um  ihre  Stoffe  durch  zweckmässige 
Bearbeitung  dem  allgemeinen  Interesse  näher  zu  bringen.  Die 
Vernachlässigung  dieser  Seite  rächt  sich  dann  freilich  auch 
durch  die  geringe  Theilnabiiie  des  Publicums,  die  kaum  ei- 


554  iM0  kUiarii^AeH  Vereim  und 

oen  Absatz  möglicb  macht,  der  zur  Deckung  der  Druckkosten 
hinreicht 9  geschweige  dena  erlaubte»  auf  Ausstattung  und 
Honorar  etwas  Ansehnliches  zu  verwenden.    Dazu  kommt 
nun,  dass  durch  die  Menge  der  historischen  Zeitschriften  der 
Absatz  sehr  getheilt  wird,    üeberhaupt  ist  es  zu  bedauern, 
dass  die  literarischen  und  pecuniären  Kräfte  für  das  Gebiet 
der  historischen  Forschung  ungemein  zersplittert  werden,  so 
dass  am  Ende  keine  von  den  vielen  Zeitschriften  etwas  Tüch- 
tiges leisten  und  ein  wirksames  Organ  fiir  die  Geschichtsfor- 
sdiung  werden  kann.   Auch  (iir  die  Aufbewahrung  des  Ma- 
terials ist  schlecht  gesorgt,  wenn  dasselbe  in  mehr  als  50 
verschiedenen  Zeitschriften  zerstreut  ist,  das  einzelne  Werth- 
volle  verliert  sich  unter  der  Masse  des  Unbedeutenden,  und 
wenn  man  sich  auch  die  Mühe  nicht  verdriessen  lassen  wollte, 
sich  durch  die  zahllosen  Hefte  der  vielen  Archive,  Jahrbücher 
und  Jahresberichte  durchzuarbeiten,  so  ist  es  beinahe  unmög- 
lich, sie  eintgermaassen  vollständig  zusammenzubringen.  Selbst 
bedeutenderen  öffentlichen  Bibliotheken  in  Deutschland  ist 
nicht  zuzumuthen,  alle  diese  vielen  Provinzialarchive  anzih- 
schaffen,  und  gewiss  wird  man  sie  nirgends  vollständig  bei- 
sammen finden.  Es  wäre  wohl  der  Mühe  werth,  dass  Jemand 
den  zerstreuten  Stoff  nach  wissenschaftlichen  oder  localen 
Rubriken  geordnet  verzeichnete.    Vor  einiger  Zeit  wurde  ein 
Unternehmen  dieser  Art  vom  Bibliothekar  Dr.  Walther   in 
Darmstadt  angekündigt;  möchte  dieser  doch  bald  das  löbliche 
Werk  zur  Ausführung  bringen  und  die  hierzu  nöthige  Un- 
terstützung finden.  Für  die  Zukunft  ist  aber  eine  Verminde- 
rung der  historischen  Zeitschriften  fiir  deren  Gedeihen  sehr 
zu  wünschen.   Man  sage  nicht,  es  sei  ja  grade  erfreulich,  dass 
das  historische  Studium  in  unserem  Vaterlande  so  zunehme, 
und  dass  allenthalben  Organe  desselben  entstehen.  Wir  wol- 
len die  Zeichen  des  regen  Eifers  und  guten  Willens  nicht 
verkennen,  aber  zu  viel  ist  zu  viel.   Es  wäre  ganz  schön,  und 
sowohl  im  Interesse  der  Specialforschung,   als  in  dem  des 
Stamm-  und  Nationalbewusstseins  wünschenswerth,  dass  etwa 
jeder  Stamm  seinen  eigenen  Vereinigungspunkt  für  seine  hi- 
storischen Bestrebungen  hätte.   Sachsen,  Wostphalen,  Rhein- 


Zeitschriften  DeutsMands.  555 

ländeFi  Franken,  Bayern,  Schwaben,  halten  billig  zusammen, 
um  die  Geschichte  ihres  Stammes  anzubauen,  und  gründen 
Vereine  für  ihre  Forschungen  und  Alterthumspflege.    Aber 
bei  diesen  natüiiicben  Einungs*  und  Sonderungsgninden  sollte 
es  dann  auch  bleiben  und  nicht  die  vielfach  wechselnden  po-^ 
litischen  Eintheilungen  zu  weiterer  Ver?ielfältigung  berech- 
tigen.   Braucht  denn  jeder  Kreis,  jedes  kleine  Fürstenthum 
oder  ehemalige  Bisthum  einen  eigenen  Verein,  eine  eigene 
Zeitschrift,  ein  besonderes  Urkundenbuch?  Die  Materialien 
werden  unnöthig  vervielfältigt,  Leute,  denen  es  an  Vorkennt- 
nissen und  wissenschaftlichem  üeberblick  fehlt,  häufen  in 
gutgemeintem  Eifer  Notizen  und  Mittheilungen,  die  entweder 
längst  ausgebeutet  sind,  oder  nicht  viel  Ausbeute  gewähren. 
Alle  diese  Uebel,  an  denen  die  Unternehmungen  der  Ver- 
eine kranken,  würden  zwar  nicht  ganz  gehoben,  aber  doch 
sehr  vermindert  werden,  wenn  nur  jeder  Stamm  oder  jedes 
grössere  Land  einen  eigenen  Verein  hätte.    Es  wäre  schon 
viel  gewonnen,  wenn  nur  die  verschiedenen  obersächsischen, 
niedersächsischen,  rheinischen,  fränkischen  u.s.  w.  je  zu  ei- 
nem Vereine  verschmolzen  würden.    Wie  aber  die  verschie- 
denen Stämme  ein  deutsches  Volk  ausmachen,  in  nationalen 
Angelegenheiten  zusammenhalten  und  einen  Einigungspunkt 
suchen  sollen,  so  sollten  auch  die  verschiedenen  provinziellen 
Vereine  sich  miteinander  verbinden  zu  gemeinsamen  For- 
schungen und  Unternehmungen.    Zu  einem  deutschen  Ver- 
eine sollten  sie  zusammentreten,  aus  ihrer  Mitte  einen  Aus- 
schuss  von  Männern  bewährter  wissenschaftlicher  Tüchtigkeit 
und  nationaler  Gesinnung  wählen,  der  die  Arbeiten  im  Gros- 
sen leitete,  Aufgaben  stellte  und  jedem  Vereine  seinen  An- 
theil  zuwiese.     Eine   damit   zusammenhängende   Zeitschrift 
müsste  ein  Gentralorgan  bilden,  Berichte  von  der  Wirlisam- 
keit  der  einzelnen  Gesellschaften  in   sich  aufnehmen,  eine 
Ucbersicht  über  den  Stand  der  Forschung  und  die  wissen- 
schaftlichen Bedürfnisse  verschaffen,  die  gewonnenen  Resul- 
tate sammeln.    Ein  Vorgang,  der  zu  einem  derartigen  Ver* 
such   ermuthigen   könnte,    ist  die   allgemeine  geschichtsfor- 
schende  Gesellschaft  der  SiJiweiz,  die  auch  die  verschiedenen 


556  DU  historischen  Vermne  und 

Gantonalgesellschaften  in  sich  vereinigt  und  ihre  Jahresberichte 
aufnimmt,  ein  die  ganze  Schweiz  umfassendes  Regestenwerk 
veranstaltet  und  andere  gemeinsame  Unternehmungen  beab- 
sichtigt   Die  Verhältnisse  in  Deutschland  sind  nun  freilich 
etwas  verschieden  von  denen  der  Schweiz,  das  Land  weit 
grösser,  das  politische  Band  zwischen  den  einzelnen  Staaten 
loser,  der  Gemeinsinn  geringer,  aber  doch  wollen  wir  die 
Hoffnung  nicht  ganz  aufgeben,  dass  einmal  etwas  Gemeinsa- 
mes in  Deutschland  zu  Stande  komme  und  so  ein  schwacher 
Anfang  der  Einheit  Deutschlands  wenigstens  auf  dem  Gebiete 
der  Wissenschaft  sich  verwirkliche.   Referent  weiss  nicht,  ob 
die  Idee  eines  solchen  Gesammtvereins  (ur  deutsche  Geschichte 
ausführbar  sein  wird,  aber  er  denkt  sich  die  Sache  etwa  fol-. 
gendermaassen.   Eine  Anzahl  von  Geschichtsfreunden,  die  sich 
in  wissenschaftlichem  Streben  und  nationaler  Gesinnung  be- 
gegnen, tritt  zusammen,  verstandigt  sich  über  die  zu  lösende 
Aufgabe,  erlässt  an  die  Vorstände  der  bestehenden  Vereine 
eine  Aufforderung  zum  Beitritt,  die  Gesammtbeit  derselben 
wählt  dann  einen  Ausschuss,  der  sich  über  die  zu  unterneVi- 
menden  Arbeiten  besprechen,  den  einzelnen  Vereinen  ihren 
Geschäftskreis  zuweisen,  oder  die  freiwillig  angebotene  Ar- 
beit in  ihre  organische  Verbindung  mit  dem  Ganzen  einrei- 
hen müsste.  Als  Beispiel  wie  gemeinsame  Arbeiten  ausgeführt 
würden,  mag  Bernhardi's  Sprachenkarte  dienen.    Hier  hätte 
z.B.  der  Ausschuss  sämmtliche  Vereine  zu  beauftragen,  die 
Dialekte   ihrer  Heimath   in   ihren  Eigenthümlichkeiten   und 
Uebergängen  genau  zu  erforschen,  die  gesammelten  Notizen 
an  den  Urheber  der  Idee  einzuschicken,  der  dann  die  ein- 
zelnen Ergebnisse  zusammenstellte  und  zu  einer  Gesammt- 
übersicht  und  Entwicklungsgeschichte  der  Dialekte  verarbei- 
tete.   Oder  es  handelt  sich  darum,  die  Materialien  zu  einer 
deutschen  Rechtsgeschichte  zu  sammeln,  deren  Etitwicklung 
auf  den  vielfältigsten  örtlichen  Verhältnissen  und  den  daraus 
entspringenden  Modificationen  beruht,  aus  deren  allseitiger 
Beachtung  erst  ein  wissenschaftliches  Resultat  gezogen  wer- 
den kann.   Wäre  nun  ein  Gentral-Geschichtsverein  vorbanden, 
so  könnte  dieser  in  den  verschiedenen  Provinzen  und  Städ- 


Zeitschriften  Deutschlands.  557 

ten  Statutarrechte,  Wetsthümer  und  Gerichtsgebräuche  sam- 
meln, alte  Gerichtsprotocolle  und  Urtele  excerpiren  lassen, 
und  so  die  nöthigen  Notizen  über  provinzielle  Eigenthümlich- 
keiten,  und  den  Zusammenhang  mit  Volks-  und  Stammcha- 
rakter erforschen.  Auf  diese  Weise  könnte  man  auch  zu  den 
Materialien  einer  Geschichte  der  mannigfaltigen  Städte-,  Rit- 
ter- und  Fürsten -Einungen  und  Landfriedensbündnisse  ge- 
langen, wenn  ein  Vereinsausschuss  in  allen  Städte-,  Landes- 
und Adels-Archiven  die  nöthigen  urkundlichen  Nachsuchun- 
gen anstellen  Hesse,  vermittelst  deren  man  jene  Bündnisse 
bis  zu  ihren  ersten  Anfängen  und  vielfachen  Verzweigungen 
verfolgen  könnte,  und  dadurch  bekäme  man  über  einen  we- 
sentlichen Bestandtheil  des  mittelalterlichen  Staatslebens  und 
über  die  Natur  des  deutschen  Reichs  tiefere  Aufschlüsse. 

Dieser  Vereinsorganismus  würde  sowohl  der  deutschen 
Geschichtsforschung  als  dem  einzelnen  Gelehrten  bedeutende 
Vortheile  gewähren.  Dem  Vereine  wäre  es  möglich  erheb- 
liche Resultate  zu  erzielen,  indem  er  die  literarischen  Kräfte 
von  ganz  Deutschland  in  Anspruch  nehmen  und  auf  einen 
Punkt  concentriren  könnte,  der  einzelne  Gelehrte  dagegen 
könnte  auf  energische  Unterstützung,  auf  Vermittlung  des  Zu- 
tritts in  Archive,  erforderliche  Geldmittel  und  Veröffentlichung 
der  Ergebnisse  seiner  Studien  in  einer  weitverbreiteten  Zeit- 
schrift rechnen.  Vielleicht  aber  machte  sich  die  Sache  besser 
ohne  eine  förmlich  constituirte  Gesellschaft,  die  leicht  etwas 
Schwerfälliges  haben  und  der  nöthigen  Einheit  ermangeln 
würde.  Der  freie  Zusammentritt  einiger  Historiker,  von  de- 
nen jeder  in  seinem  Kreise  die  nöthigen  Verbindungen  an- 
knüpfte, wäre  für  die  Leitung  einer  Zeitschrift,  welche  die 
Einheit  der  historischen  Forschung  in  Deutschland  vermitteln 
könnte,  wohl  zweckmässiger.  Bei  einer  solchen  würde  es  sich 
nicht  bloss  um  Sammlung  von  Materialien  handeln,  sondern 
um  eine  kritische  Bewältigung  und  wissenschaftliche  Verar- 
beitung des  bereits  vorhandenen  Stoffes.  Nicht  nur  manche 
Frage  der  Kritik  ist  noch  zu  lösen,  sondern  es  ist  auch  die 
zu  einer  künstlerischen  Anordnung  nöthige  Uebersicht  erst 
zu  gewinnen;  vor  der  MjMse  des  Individuellen  und  Partien- 


ii^  Die  hUtoriiehen  Vereine  und 

Itlrcn  erkennt  man  die  Ideen,  die  sieb  durch  das  Ganze  hin- 
durcbziebcn,  die  Wendepunkte,  in  welchen  der  Knoten  ge- 
schürzt, gelöst  oder  zerfaauen  wurde,  nicht  deutlich  genug, 
man  ist  nicht  klar  daräber,  wie  die  Gebrechen  der  Gegen* 
wart  mitunter  notbwendige  Resultate  der  früheren  Verwick- 
lungen sind,  man  weiss  noch  nicht  die  verborgenen  Anfange 
der  jetzt  zu  Tage  gekommenen  Strömungen  am  rechten  Orte 
aufzusuchen.   Eine  politische  und  sociale  Physiologie  nnüsste 
Licht  und  Zusammenhang  in  unsere  Geschichte  bringen  und 
eine  Philosophie  der  Geschichte  möglich  machen,  unter  der 
wir  freilich  kein  abstractes  Schematisiren  verstehen,  sondern 
eine  objective  firkenntniss  des  geistigen  Lebens,  das  den  äus- 
seren Erscheinungen  zu  Grunde  liegt.  Zu  Lösung  dieser  Auf- 
gabe mitzuwirken  dürfte  jenes  Gentralorgan  Tür  deutsche  Ge- 
schichtsforschung nicht  von  sich  abweisen,  wenn  es  den  For- 
derungen der  deutschen  Wissenschaft  entsprechen  wollte. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  gegenwärtige  Zeitschrift  tar  Ge- 
schichtswissenschaft, die  sich  freilich  zunächst  ^n  umfassen-* 
deres  Gebiet  vorgesetzt  hat,  nicht  die  eben  entwickelte  Aut- 
gabe, nämlich  die,  einen  Yereinigungspunkt  der  historischen 
Vereine  und  der  deutschen  Geschichtsforschung  überhaupt  zu 
bilden,  zu  der  ihrigen  machen  wollte.    In  den  Männern,  die 
an  der  Spitze  stehen,  vereinigen  sich  eben  die  Erfordernisse, 
auf  die  es  hier  hauptsächlich  ankommt:  vertraute  Bekannt- 
schaft mit  dem  inneren  Leben  unserer  Vorfahren,  mit  Recht, 
Sitte,  Glauben  und  Sprache,  umfassende  Kenntniss  der  Ge- 
schichtsquellen, vollendete  Meisterschaft  der  Darstellung  und 
nationale  Gesinnung,  aufs  schönste.   Ihnen  könnte  es  am  ehe- 
sten gelingen,  durch  ihre  Autorität  einen  heilsamen  Einfluss 
auf  Art  der  Forschung,  Kritik  und  Auffassung  zu  gewinnen. 
Die  Mittel,  durch  welche  jene  Aufgabe  zu  lösen  wäre,  wür- 
den sich  aus  Tendenz  und  Bedürfniss  von   selbst  ergeben. 
Abhandlungen,  kritische  Uebersicbten,  mehr  an  Stoffe  als  an 
Büchertitel  anknüpfend»  kurze  kritische  Berichte  über  die  Thä- 
tigkeit  der  vorhandenen  Vereine,  Entwürfe,  Anfragen  müss- 
ten  wohl  die  Hauptformen  seini  in  welchen  auf  Erreichung 
des  Zieles  hingearbeitet  würde.   Di»  Mittheilung  von  Urkun- 


Zeitschriflen  Deutschlands.  559 

den  und  anderen  arcbivali sehen  Aktenstücken  müsste  sich  auf 
besonders  interessante  Stücke  beschränken  und  es  fragt  sich» 
ob  es  nicht  besser  wäre,  auch  diese  besonders  hierfür  be- 
stimmten Sammiungen  zu  überlassen.  Eine  solche  könnte  etwa 
als  unabhängiges  Supplement  mit  der  eigentlichen  Zeitschrift 
in  Verbindung  gesetzt  werden.  Ware  einmal  durch  ein  sol- 
ches Gentralorgan  für  Zusammenhang  der  Vereine,  oberste 
Leitung  ihrer  Arbeiten,  Kritik  der  Forschung,  wissenschaft- 
liche Behandlung  und  nationale  Auffassung  gesorgt,  so  möch- 
ten immerhin  die  einzelnen  Gesellschaften  ihren  provinziellen 
Standpunkt  festhalten,  sich  in  die  Geschichte  ihrer  Heimath 
vertiefen,  und  so  durch  Specialforschung  ihren  Beitrag  zum 
grossen  Ganzen  liefern.  Das  Vorhandensein  einer  tüchtigen 
allgemein  verbreiteten  historischen  Zeitschrift  würde  schon 
von  selbst  die  Zahl  der  übrigen  vermindern,  die  sich  nicht 
durch  eigenthümliche  Leistungen  unentbehrlich  zu  machen 
wüssten.  Je  mehr  kleinere  Bezirke  sich  an  stammesverwandte 
grössere  anschlössen  und  so  der  Kreis  der  Mitarbeiter  und 
Theilnehmer  grösser  und  gewählter  würde,  desto  eher  wären 
glückliche  Erfolge  und  bedeutende  wissenschaftliche  Ergeb- 
nisse zu  hofTen.  Dazu  gehört  aber  auch,  dass  die  Forschun- 
gen nicht  sowohl  auf  todte  Alterthümer^  als  auf  Spuren  des 
politischen  und  socialen  Lebens  ausgehen,  sich  weniger  um 
Erbauungszeii  der  Städte  und  Burgen,  den  Vl^echscl  ihrer  Be^ 
sitzer  und  die  Folge  ihrer  Geschlechter  kümmern,  als  um  ihre 
Einungen  und  Sonderungen  vom  Gemeinwesen,  um  ihre  In- 
teressen und  Bestrebungen.  Auf  Alles,  was  einen  Keim  zur 
Entwicklung  in  sich  trägt,  auf  rechtliche  Verbältnisse,  sitt- 
liche und  religiöse  Zustände,  auf  die  verschiedenen  politi- 
schen und  socialen  Lebensformen  müsste  nmn  seine  beson- 
dere Aufmerksamkeit  richten.  Dann  würden  die  Vereinsarchive 
schon  von  selbst  interessanter  werden,  Leser  und  Abnehmer 
finden,  die  Wissenschaft  und  das  nationale  Bewusstsein  fordern. 

Tübingen. 

Dr.  Klüpfel. 


560  IHe  higtorischem  Vereine  und 

Nachwort  des  Herausgebers. 

Die  in  dem  vorstehenden  Aufsatze  in  voller  Unabhängig- 
keit geäusserten  Wünsche  veranlassen  uns  zu  der  Erklärung^ 
dass  eine  denselben  möglichst  entsprechende  Wirksamkeit  von 
vornherein  in  unserm  Plane  lag.  Das  als  Prospect  ausgege- 
bene Vorwort  zum  ersten  Heft  enthielt  S.  XI  nach  dem  Schluss 
des  ersten  Absatzes  ursprünglich  folgenden  Passus: 

yySoll  unser  Unternehmen ,  wie  wir  es  sehnlich  wün- 
,, sehen,  einen  wahrhaften  Yereinigungspunkt  alier  Bestre- 
„bungeii  deutschen  Geistes  auf  dem  Gebiete  der  Geschichts- 
,9  Wissenschaft  bilden,  äo  muss  es  sich  nothwendig  auch  zu 
„einem  Centralorgan  aller  historischen  Vereine  und  Gesell- 
„Schäften  unseres  Vaterlandes  gestalten,  soweit  dieselben 
„  productive  oder  reproductive  Zwecke  verfolgen.  Dies  kann 
„zunächst  nicht  anders  geschehen,  als  durch  fortlaufende 
„Mittheilungeu  über  ihre  Leistungen  und  Absichten,  und 
„daher  ersuchen  wir  dieselben  dringend,  uns  durch  regef- 
„massige  üebersendung  gedruckter  oder  schnftVicVieT  Be- 
„richte  hierzu  in  den  Stand  zu  setzen.^' 
Allein  im  letzten  entscheidenden  Augenblicke  glaubten  wir 
diesen  Paragraphen  vorläufig  unterdrücken  zu  müssen,  theils 
um   nicht  scheinbar  Huldigungen   darzubringen  wo  wir   in 
Wahrheit  Opfer  heischen,  theils  um  nicht  mehr  zu  verspre- 
chen, als  wir  halten  zu  können  überzeugt  waren,  nicht  Er- 
wartungen zu  erregen,  deren  Verwirklichung  nur  zu  leicht 
an  dem  Mangel  dessen  scheitern  konnte,  was  vor  Allem  dazu 
nötbig  wäre  —  jene  Einigkeit  im  Wollen  und  im  Handeln, 
die  ja  leider  in  unserm  Vaterlande  bis  jetzt  noch  ein  Uto- 
pien ist   Auf  keinem  Gebiet  des  gemeinsamen  Lebens  gleicht 
Deutschland  einem  Individuum  von  Fleisch  und  Blut,   von 
Kopf  und   Herz,   sondern   einzig   nur   den   disjectis  mem- 
bris  poStae;  daher  nirgend  ein  wahrhaftes  Zusammenwirken, 
überall  ein  disharmonisches  Gewirre  von  Bestrebungen,  über- 
all unselige  Splitterrichterei»    Kann  oder  wird  es  auf  dem 
hier  in  Bede  stehenden  anders,  sein?  Mag  die  Zukunft  diese 
Frage  beantworten;  was  wir  unsei«  Theils  zu  ihrer  glückli- 


Zeitschriften  Deutschlands,  561 

chen  Lösung  beitragen  können,  wollen  wir  freudig  thun; 
keine  Mühe,  kein  Ungemach,  keine  Widerwärtigkeit  soll  uns 
verdriessen.  Doch  mögen  wir  uns  vor  Uebereilung  hüten,  da- 
mit nicht  um  so  sicherer  misslinge,  was  mit  der  Zeit  viel- 
leicht wenigstens  reifen  kann.  Für  jetzt  und  nachdem  der 
Torstdiende  Aufsatz  im  Wesentlichen  unsere  Grundsätze  aus- 
gesprochen, so  dass  unsere  Erklärungen  nunmehr  nach  kei- 
ner Seite  hin  zu  falschen  Folgerungen  Anlass  geben  können, 
woUen  wir  jenen  Paragraphen  insofern  in  Kraft  setzen,  als 
wir  uns  zunächst  zu  gelegentlichen  kritischen  Berichten  über 
die  Leistungen  der  einzelnen  Vereine  anheischrg  machen.  Wir 
hoffen  indessen,  dass  wir  nicht  genöthigt  sein  werden,  hier- 
bei für  immer  stehen  zu  bleiben. 


NTotlz  ttber  die  kretiseben  Mnoten. 


Um  den  Raum  nicht  unbenutzt  zu -lassen,  möge  hier  eine 
Vermuthung  Platz  finden.  Die  Bezeichnungen  der  Sklaven  und 
Hörigen  bei  den  Griechen  drücken  in  den  meisten  Fällen 
sprachlich  das  Abhängigkeitsverhältniss  au».  Sollte  nicht  auch 
der  Name  der  (LivtSrat  [(Mv^trai)  in  Kreta,  gleich  denen  der 
dtpaiuMSrai  und  xXocpiura«  daselbst,  auf  das  Yerhältniss  ab- 
hängiger Grundbesitzer  hindeuten?  Wie  nämlich  slKwvriq  von 
einem  Particip  siXtiis,  so  könnte  wohl  auch  /uLvwTriq  von  ei- 
nem Particip  hlvwq  herkommen,  das  seinerseits  ebenso  von 
Hiivw  (^uxvw)  gebildet  sein  würde,  wie  ö/liwq  von  Si/Liu)  ((fbc 
juoo)).  Die  M  noten  wären  demnach  die  auf  den  Staatsbe- 
sitzungen als  Leibeigene  Verbleibenden  oder  Verblie- 
benen, die  glebae  adscripti,  die  Lassen  des  Staats.  Dachte 
man  doch  auch  bei  der  Ableitung  des  Namens  der  Penesten 
schon  im  Alterthum  an  niivaivl  Auch  erinnert  der  Ausdruck 
„mansionarius^'  für  den  steuerpflichtigen  Hüfner  oder  Colo- 
nen, wie  mansus  (a,  um)  für  Hufe^-  an  die  gleiche  Abstammung. 

Adolph  Schmidt 

ZeiUchriA  f.  GescUcbtsw.   1.    1844.  35 


Researches  in  Äsia  minor,  Pontus,  and  Ärmenia ;  with  some 
account  of  their  antiquities  and  geology  by  William  X 
HamiltOD,  Secretary  to  the  geological  society.  In  two 
voluraes.  London  1842.  8.  —  Reisen  in  Kleinasien,  Pon- 
tns  und  Armenien,  nebst  antiquarischen  und  geologiscben 
Forschungen  von  W.  J.  Hamilton.  Deutsch  von  Otto 
Schomburgk,  uebst  Zusätzen  und  Berichtigungen  vonH. 
Kiepert  und  einem  Vorworte  von  Carl  Ritter. 

Leipzig  1843.    2  Bde.   8. 

Kleinasien,  dessen  Küsten  nur  sehr  mangelhaft,  dessen 
Inneres  aber  bis  auf  die  neueste  Zeit  mit  alleiniger  Aasnahme 
der  Hauptstrassen  fast  gar  nicht  bekannt  und  beachtet  wor- 
den war,  hat  besonders  in  dem  letzten  Jahrzehend  die  Auf- 
merksamkeit europäischer  Reisender  erregt,  und  EngVduder, 
Franzosen  und  Deutsdie  haben  dieses  fiir  den  Historiker  und 
Alterthumsforsoher  nicht  weniger  als  für  den  Geographen 
wichtige  Land  in  verschiedenen  Richtungen  durchstreift,  und 
die  Resultate  ihrer  Forschungen  zum  Theil  schon  durch  den 
Druck  veröffentlicht.  Unter  diesen  gebührt  unzweifelhaft  eine 
der  ersten  Stellen  dem  Verfasser  des  vorliegenden  Reisewerks 
W.  J.  Hamilton,  dessen  vielseitige  gründliche  Bildung  in  den 
verschiedenen  Zweigen  der  Naturkunde,  namentlich  der  Geo- 
logie, dessen  historische,  philologische  und  antiquarische 
Kenntnisse,  und  dessen  unermüdlicher  Eifer,  gepaart  mit  der 
grösstmöglichen  Umsicht  und  Genauigkeit  ihn  vor  vielen  An- 
dern dazu  berechtigten  und  beflihigten,  das  Gebiet  der  Lan^ 
derkunite  zu  bebauen  und  zu  erweitern.  Eine  den  Englän- 
dern niehr  als  Andern  inwohnende  Lust  zu  reisen,  theiis 
durch  ihre  vielfachen  Bezidmngen  zu  allen  Theilen  der  Erde, 
theiis  auch  durch  eine  beneidenswerthe  äussere  Lage  bedingt 
und  hervorgerufen,  und  der  lebhafte  Wunsch,  ein  Land  zu 


Researches  in  Äsia  minor,  Pantui  and  Armenia;  etc.   5fö 

Jl>esuoheni  welches  ihm  Gelegenheit  zu  Entdeokungen  darbot, 
bestiaimte  den  Verfasser  grade  diese  Gegenden  zu  dem  Ziele 
seiner  Wanderung  zu  machen;  und  in  der  That  konnte  er 
wohl  kaum  eine  glücklichere  Wahl  treffen,  welche,  wie  das 
Werk  zeigt,  von  dem  glänzendsten  Erfolge  gekrönt  worden 
ist  Passend  hat  er  dabei  die  Form  und  den  Styl  seines  Ta** 
gebuchs  beibehalten,  wodurch  die  Darstellung  an  Lebendig-^ 
keit  und  Interesse  gewinnt,  wenn  gleich,  wie  der  Verfasser 
selbst  in  der  Vorrede  bekennt »  eine  gewisse  Monotonie  da-» 
hei  nicht  zu  vermeiden  ist  Sein  Hauptaugenmerk  war  auf 
vergleichende  Geographie,  auf  Untersuchung  der  Ruinen  und 
auf  genaue  Bestimmung  der  Lage  der  Oerter  nach  astrono* 
mischen  Beobachtungen  gerichtet,  wozu  er  sich  in  den  Ietz<* 
len  3  bis  4  Monaten  vor  seiner  Abreise  gehörig  vorbereitet 
iiatte«  Bald  iiberzeugte  er  sich,  dass  die  bisherigen  Karten 
dieses  Landes  im  höchsten  Grade  uncorrect  und  völlig  un^ 
brauchbar  waren,  und  sparte  deshalb  weder  Zeit  noch  Mühe, 
dieselben  in  den  Theilen  der  Halbinsel,  welche  er  durchreiste, 
BU  berichtigen.  In  steter  Rücksicht  darauf  hielt  er,  abgese-^ 
hen  von  einem  sehr  speciellen  Tagebuche,  ein  genaues  Itine*^ 
rariukn,  in  welches  er  die  Zeit  der  Abreise  und»  den  Compass 
stets  in  der  Hand,  die  Richtung  des  Weges  so  wie  jede  Ver* 
äpdemng,  zuweilen  20 — 25  in  Einer  Stunde,  mit  Bemerkun* 
gen  über  die  physische  Structur  des  Landes  eintrug.  Eine 
Probe  ton  diesem  Itinerarium,  welche  das  Werk  eines  Tages 
darstellt,  findet  sich  in  dem  Anhang  Vol.  IL  p.  397.  Die  grösste 
Sorgfalt  wendete  der  Verfasser  nach  seiner  Rückkehr  auf  die 
Gonstruirung  der  beigefügten  Karte,  indem  er  die  ganze  Rdse 
in  verjüngtem  Maassstabe  mit  Hülfe  des  Gapitän  H.  G.  Ha» 
milton  aufzeichnete,  die  genauen  und  glaubwürdigen  Angaben 
von  Ainswortb,  Fellowes,  Brant,  Ghesney  und  Andern  bei* 
fügte,  die  westlichen  Küsten  insbesondere  nach  den  unter 
den  Gapitans  Gopeland  und  Graves  aufgenommenen  treffii- 
eben  Seekarten  berichtigte,  und  dann  das  Ganze  zur  Vollen** 
düng  und  Vervollständigung  an  Mr.  J.  Arrowsmith  übergab. 
Nächstdem  nahm  insbesondere  die  Geologie  einen  gros-* 
sen  Theil  seiner  Zeit  in  Anspruch,  und  fast  jede  Seite  seines 

36* 


564    Researches  in  A$ia  minor,  Pantus  and  Armema; 

Werkes  giebt  Zeugntss  von  den  in  dieser  Beziehung  von  ihm 
angestellten  lehrreichen  und  gründlichen  Beobachtungen« 

In  Gesellschaft  von  Mr.  Hugh  Edwin  Strickland,  einem 
ebenfalls  tüchtigen  Naturforscher,  namentlich  Ornithologen  und 
Entomologen,  welcher  sich  bereitwillig  fand  ihn  zu  begleiten, 
aber  leider  schon  zu  Anfang  des  nächsten  Jahres  genötbigt 
war  nach  England  zurückzukehren,  yerliess  der  Verfasser  den 

4.  Juli  1835  sein  Vaterland,  besuchte  zunächst  einige  vulka- 
nische Districte  Frankreichs,  um  einen  Typus  zu  haben,  mit 
welche»  er  die  den  Berichten  Strabo's  und  neuerer  Reisen- 
den zufolge  in  vieler  Beziehung  ähnliche  Katakekaumane 
Kleinasiens  vergleichen  könnte,  und  reiste  dann  über  Turin 
nach  Triest,  wo  er  den  24.  August  anlangte.  Da  das  Pakei- 
boot  von  da  nach  Korfii  nicht  vor  dem  1.  September  abgehen 
sollte,  so  benutzten  die  beiden  Reisenden  einen  Theii  der 
Zwischenzeit,  um  die  Grotten  von  Adelsberg,  sowie  die  Queck- 
silber-Minen und  Werke  von  Idria  zu  besichtigen,  wovon 

5.  2  sqq.  eine  genaue  Beschreibung  liefern.  Nach  einer  vier- 
tägigen Fahrt  erreichten  sie  Korfu  den  5.  September,  wo  ein 
anhaltendes  Fieber  seines  Reisegefährten  Herrn  Hamilton  nö- 
thigte  3  Wochen  zu  verweUen,  und  ihm  Gelegenheit  gab,  die 
Insel  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  zu  durchstreifen. 
Den  26.  September  fuhren  sie  von  da  nach  Sta  Maura  und 
den  folgenden  Tag  nach  Kefalonia,  wo  sie  ebenfalls  einige 
Tage  blieben,  um  die  merkwürdigsten  Oerter  daselbst  zu  be- 
sudien.  Den  3.  October  segelten  sie  nach  Ithaka,  und  von 
da  nach  einem  dreitägigen  Aufenthalte  nach  Patras,  wo  sie, 
kaum  gelandet,  sich  bald  von  der  Unpopularität  der  Bayern 
überzeugten.  Von  hier  reisten  sie  über  Korinth  nach  Athen, 
wo  Herr  Hamihon  in  Folge  eines  Fieberanfalls  10  Tage  das 
Zimmer  hüten  musste,  und  gelangten  nach  zwei  stürmischen 
Nächten  auf  einem  Dampfboot  den  31.  October  früh  nach 
Smyrna.  Bakt*  nach  seiner  Ankunft  ergriff  Herrn  Hamilton 
das  Fieber  von  Neuem,  welches  sich  nun  zu  einem  regelmäs- 
sigen Wechselfieber  gestaltete.  Dieses,  und  die  nun  einge- 
tretene ungünstige  Jahreszeit  oöthigte  die  beiden  Reisenden 
ihren  Aufenthalt  in  Smyrna  zu  veriängern,  und  sie  benutzten 


mih  some  account  of  their  antiqukies  etc.  665 

die  Monate  November  und  December  zu  geologischen  Aus- 
flügen und  antiquarischen  Forschuhgen  in  der  Umgegend.  So 
besuchten  sie  an  einem  schönen  Oecembertage  die  an  der 
Nordostspitze  der  Bai  befindlichen  cyklopischen  üeberreste 
und  die  Gräber  bei  Burnubat,  von  denen  eins  als  das  des 
Tantalud  bezeichnet  wird;  Eine  sehr  umständliche  Beschrei- 
bung derselben  pag.  47  sqq.  mit  genauer  Berücksichtigung 
der  hierher  bezüglichen  Steilen  der  Alten  macht  es  mehr  als 
wahrscheinlich,  dass  dies  die  Ruinen  des  alten  Smyrna,  und 
nicht,  wie  Texier  meint,  die  des  alten  Sipylus  sind.  In  der 
Hoffnung,  durch  eine  Seereise  die  letzten  Spuren  des  Fie- 
bers zu  verlieren,  schloss  sich  Herr  Hamilton  Ende  Decem- 
ber einer  mehrwöchentlichen  Kreuzfahrt  an,  welche  zunächst 
nach  Athen  gehen  sollte,  ihn  aber  in  Folge  der  widrigen 
Winde  zuerst  nach  dem  alten  Phokaa,  jetzt  „Fotscha'^  nach 
Herrn  Kieperts  Berichtigung  (nicht  Fouges,  wie  der  Verfas- 
ser schreibt)  genannt,  dann  nach  dem  Kap  S.  Angelo,  der 
Südostspitze  von  Morea,  und  von  da  erst  über  Athen  und. 
Syra  den  27.  Januar  nach  Smyrna  zurückbrachte.  Da  die  un- 
günstige, rauhe  Witterung  noch  fordauerte,  so  schifften  sich 
die  beiden  Reisenden  nach  Konstantinopel  (den  20.  Februar) 
ein,  wo  sie  bis  zum  22.  März  verweilten.  Nun  endlich  hatte 
sich  das  Wetter  gemildert;  sie  kehrten  nach  Kleinasien  zu- 
rück und  begaben  sich  über  Mudaniah  nach  Brussa.  Von  hier 
aus  schlugen  sie  einen  den  europäischen  Reisenden  noch  völ- 
lig unbekannten  Weg  ein,  um  den  Lauf  des  Rhyndakus  bis 
zu  seinen  Quellen  bei  Azani  zu  verfolgen,  und  von  da  nach 
Smyrna  zurückzukehren.  Sie  besuchten  zuvörderst  den  See 
von  Apollonia,  an  dessen  Südende  (nicht  Südostende,  wie  die 
bisherigen  Karten  angaben)  der  Rhyndakus  einmündet,  und 
wendeten  sich  dann  nach  dem  Städtchen  Kirmasli,  an  den 
Ufern  dieses  Flusses  gelegen,  von  wo  sie  einen  Ausflug  nach 
den  3 — 4  engl.  Meilen  nordwestlich  liegenden  Ruinen. zurJia- 
mamli  machten,  welche  ihnen  die  Stelle  der  von  Ptolemäus 
erwähnten  Stadt  „Germe"  oder  JMem  Germe"  zu  bezeich^ 
nen  schienen.  In  dem  District  von  Adranos,  wohin  sie  nun 
kamen^  fanden  sie  abermal^lluinen  einer  Stadt,  in  denen  sie 


566    Reiearckes^m  A$ia  minor,  Ponius  and  Armema; 

naek  der  Aehniichkeil  des  Districtnamen^  die  von  Hadriani 
sn  finden  glaubten.  Sie  gingen  nvn  über  Azani,  dessen  Rui* 
nen  schon  von  Texier  ausfiihrlich  beschrieben  worden  sind^ 
iBid  GhieMiK  nach  Ushak.  Einige  dort  befindliche  Marmor- 
fragmente,  welche  nach  der  Aussage  der  Bewohner  von  dem 
6  Stunden  östlich  entfernten  Dorfe  Ahat  Kieui  gekommen  sein 
sollten,  bewog  sie,  dahin  einen  Abstecher  zu  machen,  und 
sie  entdeckten  dort  grossartige  Ruinen,  welche  sie  für  die 
von  Trajanopolis  hielten.  Aus  einer  in  dem  Dorfe  Segikter 
südwestlich  davon  aufgefundenen  griechischen  Inschrift  er- 
kannten sie,  dass  der  alte  Name  dieses  Ortes  nicht  Eukarpia, 
wie  Arundell  glaubt,  sondern  „Sebaste^*  gewesen  ist;  und 
weiterhin  hatten  sie  Gelegenheit  den  Namen  „Klanudda*% 
weloben  derselbe  Reisende  den  Ruinen  von  Suleimanli  giebt, 
m  „Blaundus^*  zu  rectificiren.  Sie  erreichten  hierauf  die  Ka- 
takekaumene  und  langten  über  Kula,  Adala,  Sardis  in  Smyma 
den  iL  April  an. 

Herr  Striokiand  musste  nun  nach  England  zwräckkehren^ 
und  Herr  Hamilton,  ungewiss  welche  Richtung  er  jetzt  em— 
schlagen  sollte,  lebte  einige  Zeit  in  dem  Dorfe  Bumubat,  bis 
die  Nachricht  von  der  Ankunft  eines  nahen  Verwandten  ibn 
den  6.  Mai  nach  Konstantinopel  rief.  Hier  entschloss  er  sich 
«ehre  Freunde  nach  Trebisond  zu  begleiten,  und  von  da  über 
Erzerum  nach  Kars  und  bis  zu  den  Ruinen  von  Ani  (nicht 
„Anni",  wie  der  Verfasser  schreibt)  vorzudringen  Nach  einer 
dreitägigen  Fahrt  auf  einem  Dampfboot  kamen  sie  den  23. 
Mai  nach  Trebisond.  Hier  erhielt  Herr  Hamilton  die  Gopie 
einer  griechischen  Inschrift,  welche  schon  vollständiger  nebst 
2  andern  und  einer  ausfuhrlichen  Beschreibung  der  Stadt  und 
ganzen  Küste  der  Mechitharist  Minas  Bsheschkean  in  seiner 
vulgär-armenisch  geschriebenen  und  1819  zu  Venedig  edirten 
V,  Darstellung  der  Umgebungen  des  schwarzen  Meeres  ^^  ge- 
geben hat 

Die  Reise  von  Trebisond  über  Erzerum  nach  Kars  bie- 
tet wenig  Neues  dar,  sowip  auch  die  Ruinen  von  Ani  nebst 
einer  vollständigen  Geschichte  dieser  grossen,  unglücklichen 
Stadt  insbesondere  von  dem  elwen  erwähnten  Minas  Bshesch- 


/ 

M>iih  some  account  of  $heir  €mtiqflitie$  eie*         567 

kenn  in  meiner  »,Reise  nach  Lebastan  etc.**  Yen.  1830.  8.  aus- 
fubrlich  dargestellt  worden  sind.  Auf  der  Rückkehr  aber  von 
Kars  nach  Trebisond  schlug  Herr  Hamilton  einen  den  Europäern 
noch  unbekannten  Weg  ein,  welcher  ihn  über  Bardes  durch 
die  Gebirge  nach  Ispir  und  von  dort  an  das  schwarze  Meer 
bei  Rizeh  fuhren  sollte;  in  Ispir  jedoch  sah  er  sich  in  Folge 
der  beunruhigenden  Nachrichten  über  den  Weg  von  da  nach 
Rizefa  gehöthigt»  den  Tschorok  entlang  bis  Baiburt^  und  dann 
auf  der  ihm  schon  bekannten  Strasse  nach  Trebisond  zurück- 
zukehren.  Er  benutzte  diese  Route,  um  die  Silberbergwerke 
van  Gümischkhane  zu  besichtigen,  und  giebt  S.  234  sqq.  eine 
detaillirte  Beschreibung  derseften,  wobei  wir  nur  bemerken, 
dass  eine  Ocka  nach  genauer  Berechnung  nicht  2i  Pfund,  wie 
der  Verf.  annimmt,  £»>iidern  2  Pf.  34  Lth.  enthält. 

Von  Trebisond  reiste  Herr  Hamilton  zu  Lande  die  Küste 
entlang,  und  fand  bei  TireboU  (Tripoli)  die  Argyria  des  Ar- 
rian,  welche  schon  Minas  Bsheschkean  1. 1.  p.  55  sq.  ebenda- 
selbst 3  ital.  Meilen  von  d^r  Stadt  erwähnt  Er  ging  sodann 
über  Kerasun,  das  alte  Pharnakia,  nach  Ordu,  in  welchem  er 
die  Stelle  des  alten  Kotyora  wieder  zu  erkennen  glaubte,  und 
kam  bei  dem  Gap  Jasun  vorbei  nach  Fatsah  und  Unieh  in 
das  Land  der  Chalybes,  wo  er  zu  seiner  Freude  die  Eisen-* 
schmieden  und  Bergleute  entdeckte,  welche  ihn  in  ihrem  gan- 
zen Thun  und  Treiben  an  die  uralten  Chalybes  erinnerten. 
Bei  Thenneh  kam  er  in  das  Land  der  Amazonen,  und  ging 
über  den  Kizil  Irmak  (Halys)  und  Tschobanlar  Tschai  (Evar- 
chus],  wobei  er  die  Städte  und  Flecken  Samsun  (Amisus],  Kum-* 
dschaas  (Konopium),  Tscbai  Ak  Su  (Zagora)  und  Gherseh 
(Karusa)  berührte,  nach  Sinub  (Sinope),  in  Betreff  dessen  wir 
ebenfalls  auf  die  Beschreibung  von  Minas  Bsheschkean  1.  L 
p.  41  sqq.  verweisen.  Hier  veriiess  Herr  Hamilton  die  Küste 
und  wendete  sich  landeinwärts  südöstlich  über  Boiävad  nach 
Yizir  Köpri,  dessen  Alterthümer,  wi^  derselt)e  p.  329  sq.  jeigt, 
falsofalich  die  Steile  des  alten  Ga^elQn  bezeichnen  sollen,  nach 
Miksar  (JNepcäsarea),  in  welchep  ^f  mit  Mannest  auch  das 
alte  Kabira  zu  find^q  glaubt  Ton  hier  aus  ging  s^ine  Reis^ 
wifid^r  siidwestlicb  über  ^/äium^oek  (Kooiaiia  Pantica)  naob 


568    Reiearckes  in  A$ia  minor,  Ponius  and  Ärmenia; 

Tokat,  worüber  Indschidschean  in  seiner  „Beschreibung  des 
neuen  Armeniens''  Venedig  1806.  pag.  289  sqq.  nachzulesen 
ist   Derselbe  giebt  die  Bevölkerung  dieser  Stadt  abweichend 
Yon  Herrn  Hamilton,  aber  offenbar  zu  hoch,  auf  ungefähr 
16000  Häuser  an,  unter  denen  etwa  2600  armenische,  300 
griechische  und  wenige  jüdische,  die  übrigen  sämmtiich  tür- 
kische sein  sollen.    Auf  dem  Wege  yon  Tokat  nach  Amasia 
kam  der  Verf.  über  Turkhal  (Gaziura),  Zilleh  (Zela)  und  über 
das  berühmte  Schlachtfeld,  wo  G^ar  über  Phamaces>  König 
Yon  Pontus  siegte.    In  Amasia  hielt  er  sich  3  Tage  auf,  um 
die  Merkwürdigkeiten  der  Stadt  zu  besichtigen,  welche  pag. 
366  sqq.  beschrieben  werden.   Von  hier  aus  wendete  er  sich 
nach  dem  westlich  gelegenen  und  bisher  noch  von  keinem 
Europäer  besuchten  Tschorum,  in  welchem  er  das  alte  Ta- 
vium  zu  finden  hoffte,  fand  sich  jedoch  in  seinen  Erwartun- 
gen getauscht  und  entdeckte  dasselbe  nach  vielem  vergebli-r 
eben  Suchen  südlich  davon  in   dem  Flecken  Bogbaz  KiöL 
Die  Reise  ging  nun  in  westlicher  Richtung  über  Akdscbab 
Tasch,  dessen  Ruinen  ihm  die  Stelle  von  „Kome*^  zu  bezeich«- 
neu  schienen  (vergl.  Kieperts  Berichtigung  zu  S.  378),  nach 
Engüreh,  dem  alten  Ancyra,  wo  ein  lltagiger  Aufenthalt  ihm 
zum  ersten  Male  Gelegenheit  gab,  die  Bevölkerung  etwas  nä- 
her kennen  zu  lernen  und  interessante  Beobachtungen,  na- 
mentlich über  die  dort  lebenden  Armenier,  die  katholischen 
wie  die  schismatischen,  zu  machen.   Yon  hier  kam  Herr  Ha- 
milton südwestlich  über  Sevri  Hissar,  Bafa  Hjssar,  das  alte 
Pessinus,  Alekiam,  welches  er  für  das  alte  Orcistus  erkannte, 
und  Hergan  Kaleh,  das  alte  Amorium  nach  Afiom  Kara  His- 
sar.   Hierauf  ging  er  in  der  Richtung  von  O.  S.  O.  nach  Ja- 
lobatsch,  um  dort  die  Ruinen  von  Antiochia  zu  besuchen, 
sodann  den  See  von  Egerdir  entlang  über  Egerdir  westlich 
nach  Isbarta,  in  dessen  Nahe  er  die  Ruinen  des  alten  Saga- 
'  lassttsbemerktCj^  entdeckte  nordwestlich  davon  in  demFlek- 
ken  Deenair  das  ake  Apamea  Gibotus,  und  in  dessen  Nähe 
die  ersten  Quellen  des  Ma^ander  wie  des  Marsyas,  fand  west- 
lich davon  bei  Ghonos  (Ghonae)  die  Ruinen  von  Kolossae, 
HierapoKs  und  Laodicea,  femer  ijei  dem  weitern  Verlaufe 


füiih  some  aecount  of  iheir  anti^[mties  etc.         569 

seiner  Reise  die  von  Tripolis,  Antioehia  ad  Maeandrum,  Nysa 
und  Ephesus,  und  traf  den  21.  October  in  Smyrna  wieder 
ein.  Dies  der  Inhalt  des  ersten  Theiles.  Der  zweite  beginnt 
mit  dem  Beriehte  einer  kleinen  Seereise  >  zu  welcher  Herr 
Hamilton  von  einem  Landsmann  aufgefordert,  die  Wintermo- 
nate Yon  Ende  November  bis  Mitte  Februar  benutete.  Aueh 
diese  gab  ihm  Gelegenheit  zu  interessanten  Entdeckungen 
in  den  Ruinen  von  Ritri,  dem  alten  Erytfarä,  von  Teos,  wo 
er  sich  14  Tage  aufhielt,  von  Aisaluk  (Ephesus),  wohin  sie 
einen  Ausflug  zu  Lande  machten,  von  Budrum  (Halikarnas- 
sus),  auf  Rhodus,  wo  er  die  Lage  der  alten  Städte  Lindus, 
Kamirus  und  Jalysus,  so  wie  die  Stelle,  auf  welcher  derKo- 
loss  gestanden  hat,  bestimmt,  und  auf  Syme.    Von  dem  14. 
Februar  bis  16.  April,  dem  Tage  seiner  Rückkehr,  verweilte 
er  mit  wenigen  Ausnahmen  in  Smyrna,  um  sich  zu  seiner 
Reise  nach  Kappadocien  vorzubereiten,  ging  dann  nach  Kon- 
stantinopel,  um  einen  neuen  Ferman  sich  auszuwirken,  da 
die  Zeit  des  bisherigen  abgelaufen  sein  sollte,  und  hatte  dort 
das  seltene  Glück  die  Aja  Sophia  und  die  Moschee  des  Sul- 
tan Ahmed  besichtigen  zu  dürfen.    Den  24.  Mai  verliess  er 
die  Hauptstadt  wieder,  in  der  Absicht  zuvörderst  die  geolo« 
gischen  Verhültnisse  der  Katakekaumene  zu  untersuchen,  wel- 
che er  im  vorigen  Jahre  nur  schnell  durchflogen  hatte,  so- 
dann zu  dem  grossen  Salzsee  in  der  Mitte  Kleinasiens  zu 
reisen,  und  den  Berg  Argaeus  zu  besteigen.  Er  wendete  sich 
zuerst  nach  Mudaniah,  von  da  südwestlich  nach  dem  See  von 
Abullionte,  dem  alten  Apollonia  am  Rbyndacus,  und  dann  an 
dessen  nördlichem  Ufer  entlang  über  CJlubad  (Löpadion)  in 
nordwestlicher  Richtung  nach  Bai  Kiz  (Kyzikus)  und  Erdek 
(Artace).    Von  hier  beschloss  er  den  Lauf  des  Macestus  bis 
an  seine  Quellen  zu  verfolgen,  und  reiste  demnach  meist  süd« 
lieh  nach  dem  See  von  Maniyas,  an  dessen  westlichem  Ufer 
er  in  dem  freundlichen  Dorfe  Kazakli  eine  Kosaken-Golonie 
antraf,  über  Maniyas,  welches  er  Gk  das  alte  Poemanenus 
erkannte,  bis  Singerii,  sodann  öiidich  bei  heissen  Quellen  vor- 
bei nach  Simaul,  in  welche  er  die  Stelle  des  alten  Synaus 
entdeckte ,  so  wie  di^  bei  dem  benachbarten  Kilisse  Kiöt 


570     Reiearcke9  .in  Asia  umor,  Ponius  a»d  Armeaia; 

(^Kirchdorf *')  geftandeni^n  RuiBen  ihn  ttberzeuglen,  dass  dort 
das  phrygische  Aocyra  geitaoden  habe.    In  dem  dicht  dabei 
gelegenen  See  fand  er  auch  den  Ausgangspunkt  des  Iface*- 
fttus.  Nach  einem  zweitägigen  Aitt  gelangte  er  zu  dem  säd- 
südöstlich  von  Simaul  gelegenen  Kula,  und  somit  in  die  Ka- 
takekaumene,  welche  er  bei  einem  achttägigen  Aufenthalt  nach 
allen  Richtungen  durchstreifte  und  durchforschte ,  wobei  er 
zugleich  Gelegenheit  hatte,  die  Ruinen  zweier  Städte  Maeo- 
nia  (in  Megne)  und  Saittae  (in  Sidas  Kaleh)  zu  entdecken. 
Hinsichtlich  eines  ausfiihrlichem  und  genauem  Berichtes  über 
diesen  vulkanischen  District  verweist  der  Verfasser  auf  die 
1, Verhandlungen  der  geologischen  Gesellschaft^^  (neue  Folge 
Bd.  VI.  p.  18  sqq.).   Er  beabsichtigte  nun  zun'äckst  den  Lauf 
des  MXander  zwischen  seiner  Verbindung  mit  dem  Lykus  in 
der  Ebene  von  Hierapolis  und  Ischekli  genauer  zu  untersu- 
chen, und  reiste  von  Kula  bis  Demirdschi  Kiöi  in  südöstli-' 
eher,  von  da  aber  in  nordöstlicher  Richtung  ober  Ischekli 
(Eumenia),  Emir  Hassan  Kiöi  (Euphorbium),  Sarran  (Acari-* 
dos  Come)  bis  Afiom  Kara  Hissar,  in  dessen  Mähe  et  die  SteWo 
des  alten  Synnada  bezeichnete.  Hier  wendete  er  sich  wieder 
sifdöstlich  an  der  Westseite  des  See's  von  Ak  Scheher  vor-* 
bei»  in  dessen  Nähe  er  die  von  Xenophon  (Anab.  1. 9, 13)  er- 
wähnte Quelle  des  Midas  entdeckt  zu  haben  glaubt,  nadi  Ak 
Scheher  (Philomelium),  von  wo  er  auf  geradem  W^e  nach 
dem  grossen  Salzsee  von  Kodsch  Hissar  zu  gelangen  hoffite; 
allein  da  dieser  Theil  des  Landes  im  Sommer  last  ganz  un- 
bewohnt ist,  so  sah  er  sich  genöthigt  zuerst  eine  südöstliche 
und  dann  wieder  eine  nordöstliche  Richtung  zu  verfolgen. 
Dieser  Weg  brachte  ihn  über  Ilghun  (Tyriaeum),  Ladik  (Lao- 
^ea  combusta)  und  über  das  halb  verfallene  Konieh  (Ico- 
nium),  wobei  er  interessante  Bemerkungen  über  den  Zug  des 
jungern  Cyrus  von  Apamea  bis  zu  dieser  Stadt  nach  Xeno- 
phon giebi,  nach  Kara  Bunar,  in  welchem  Orte  er  das  aJte 
BaraUbra  zu  erkennen  ^ubte,  und  dann  wieder  nordöstlich 
nach  Ak  Serai,  welches  er  td^  die  Stelle  des  alten  Archelais 
bezeichnete.    Ein  Abstecher  vcta^da  nach  dem  nahen  Dorfe 
Halvar  Dere,  am  Fasse  des  Hassan  ,4la|[b  zeigte  ihm  die  Rui- 


wiih  some  accauni  of  their  aniif$iiHes  ele;         571 

nen  einer  Stadt,  welche  sieb  ibm  als  die  von  Nazianz  dar- 
stellten. Indschidsehean  1. 1.  p.  318  ist  der  Meinung,  dass  Na-* 
zianz  an  der  Stelle  des  Fleckens  Sinason,  westlich  von  Kai^ 
serieh  zwischen  Indschesu  und  Nigdeh  gestanden  habe.  Herr 
Hamilton  wendete  sich  von  Ak  Serai  nordwestlich,  und  reiste 
den  Salzsee  entlang  bis  Kodsch  Hissar,  von  wo  er  in  südösf-- 
Ucher  Richtung  über  Nemb  Scheher,  Urgub,  wo  er  die  merk- 
würdigen Felsenhöhlen  in  Augenschein  nahm,  nach  Kaiserieh 
(Caesarea)  ging,  dessen  Häuserzahl  ihm  zu  10,000  angegeben 
wurde,  während  Mr.  Brant  8000,  Macdonald  Kinneir  aber 
5 — 6000  angeben.  Indschidschean  1.  I.,  welcher  p.  312  sqq. 
eine  genaue  Topographie  dieser  Stadt  giebt,  zählt  6000  tür- 
kische, 2000  armenische  und  1600  griechische  Häuser.  Von 
hier  machte  Herr  Hamilton  einen  Ausflug  nach  dem  nahen 
Dorfe  Nirse  oder  Nyssa,  um  die  wunderbare  Fontaine  zu 
sehen.  Dort  ist  die  Kirche  des  heiligen  Gregor,  von  welchem 
er  p.  265  sagt,  dass  er  nach  der  Angabe  der  Armenier  ein 
Bruder  des  Basilius  magnus  gewesen  und  von  ihnen  der  ar«-» 
menische  Gregor  genannt  würde.  Das  Letztere  ist  aber  un- 
richtig, da  die  Armenier  den  Bruder  des  Basilius  M.  stets, 
wie  die  Griechen,  Gregorius  Nyssenus  nennen,  und  behaupten, 
dass  dieses  Dorf  an  der  Stelle  des  alten  Nyssa  stehe.  Gf.  In- 
dschidschean 1. 1.  p.  316.  Herr  Hamilton  bestieg  hierauf  den 
Erdschisch  Dagh  (Mons  Argaeus),  und  reiste  südwestlich  bis 
Karaman  (Laranda),  wobei  er  unterwegs  Soanli  Dere  als  das 
alte  Soandus,  Andaval  als  Andabalis  und  Kiz  oder  Kilis  His- 
sar als  Tyana  bestimmte.  Hier  wendete  er  sich  wieder  west« 
lieh,  und  war  so  glücklich  bei  Olu  Bunar  die  Ruinen  von 
Isaura  zu  finden.  Von  hier  ging  die  Reise  wieder  nordwest- 
lich über  Bey  Scheher  und  an  der  Ostseite  des  See's  (Gara- 
litis)  entlang  über  Kereli  (Garallia)  nach  Ak  Hissar,  sodann 
über  Olu  Borlu  (Apollonia)  in  raschen  Märschen,  weil  über- 
all die  Pest  furchtbar  wüthete,  Ischekli,  Allah  Seheher,  Sar- 
dis  etc.  nach  Smyrna,  wo  Herr  HamiMoii  den  25.  August  wie- 
der anlangte,  und  damit  seine' Reisen  und  Forschungen  in 
Kleinasien  beendigte.  —  ßeide  Theile  sind  mit  lithographi- 
schen Darstellungen  dgjMftteressantest^n  und  merkwürdigsten 


572    Re$0arches  i^Aria  minor,  P^mius  and  Armema^ 

Laiid8€liaften  geziert;  am  Scbluss  des  Ganzen  sind  in  meh- 
ren Anhängen  Bemerkungen  zu  einzelnen  Berichten,  die  An*-* 
gäbe  der  einzelnen  Beiserouten  und  der  von  ihm  bestimmten 
Breiten,  eine  Probe  seines  Itinerariums,  und  endlich  die  zahl- 
reichen (455)  von  ihm  mit  der  grösstea  Genauigkeit  copirten 
griechischen  Inschriften  beigefiigt,  welche  letzteren  schon  zunn 
Theil  in  das  Corpus  inscriptionum  mit  aufgenommen  wor- 
den sind.  Zu  bedauern  ist  nur,  dass  er  die  vielen  armeni- 
sehen,  arabitehen  und  persischen  Inschriften,  welche  er  in 
dem  östlichen , Theile  Kleinasiens  besonders  vorfand,  nicht 
(Unfalls  copirt  hat 

Aus  diesem  kurzen  Referat,  in  welchem  wir  mit  Ueber- 
gehung  der  geologischen  Verhältnisse,  welche  er  nirgends 
zu  untersuchen  und  zu  bemerken  unterlassen  hat,  fast  aus- 
sdbliesslich  die  grossentheils  neuen  Bestimmungen  der  Lage 
alter  Ortschaften  berücksichtigt  und  angegeben  haben,  ohne 
auf  die  gelehrten  üntersuchung^i  des  Verfassers  einzugehen, 
geht  schon  zur  Genüge  die  Wichtigkeit  dieses  Werkes  her- 
vor; und  wir  müssen  es  dem  Herrn  Schomburgk  grossen 
Dank  wissen,  dass  er  dasselbe  in  einer  getreuen,  fliessenden 
und  von  einem  empfehlenden  Vorworte  des-  Herrn  Prof.  G. 
Bitter  begleiteten  (Jebersetzung  auch  dem  deutschen  Publi- 
cum zugänglich  gemacht  hat  Auch  diese  hat  die  beiden  dem 
Originale  beigeftigten  Karten,  einige  der  Lithographien,  und 
ausserdem  noch  in  beiden  Theilen  gelehrte  Bemerkungen  und 
Berichtigungen  des  Herrn  Kiepert,  welcher  selbst  einen  Theil 
von  Kleinasien  bereist,  und  sich  vorzugsweise  mit  der  Geo- 
graphie dieses  und  der  angrenzenden  Länder  seit  längerer 
Zeit  beschäftigt  hat 

Da  der  Druck  der  [Jebersetzung  unmittelbar  nach  Er- 
scheinung des  Originals  bewerkstelligt  werden  sollte,  so  ist 
diese  Beschleunigung,  und  vielleicht  auch  die  Entfernung  des 
"Herrn  üeborset^^firp  von  dem  Druckorte  die  Ursache  einiger 
Auslassungen,  MissvBr^ndnisse  und  Druckfehler  geworden, 
welche  letzteren  theilweise,  aber  nicht  vollständig  am  Ende  des 
zweiten  Theiis  angegeben  sind.  >  ^o  ist  das,  was  der  Verfas- 
ser Tom.  L  p.  16  sq.  über  Sir  Homnüc^  '^^^B^^  sagt,  in  der 


mth  some  aecouni  of  ikmr  antkp^ij^  eie.         573 


Uebersetzung  übergangen  worden.  —  p.  29  der  Uebersetznng 
steht  y,yiele  griechische  Stifdte'^  statt  „vier  griech.  St"  cf. 
p.  20.  e.  four.  —  p.  26.  e.  480,000  L.  wofür  p.  34.  d.  490,000 
Pf.  St.  —  p.  35.  e.  one  drachme  equal  to  seyenpence  cf.  p.  42, 
4.  1  Drachme  d.  i.  einen  halben  Schilling.  —  p.  47,  d.  Anm. 
Noct.  Att.  VIII,  10,  für  XVm,  10.  cf.  p.  41,  e.  —  p.  49,  d.  bei 
„Etwa  50  Schiffe"  ist  ausgelassen  „von  englischen  Häfen"  cf. 
p.  43,  e.  —  p.  56,  d.  Anm.  XVI,  1.  für  XIV,  1.  —  p.  86.  Anm. 
Kap.  61  für  Kap.  64.  —  p  112  u.  113,  d.  mehre  Male  „n.  Chr." 
statt  „V.  Chr."  —  p.  116,  d.  u.  s.  w.  the  Lower  Empire  («  Bas 
Empire,  das  byzantinische  Kaiserthum]  stets  übersetzt  durch 
„das  sinkende  römische  Reich."  —  Die  Anmerkungen  p.  116 
.  und  117  sind  verwechselt  —  p.  120,  d.  7i  für  6f  —  p.  139, 
d.  „10  ü.  40  M."  für  „10  ü.  30  M."  —  p.  160,  d.  ist  Gümisch- 
khane  zweimal  für  den  Fluss  dieses  Namens  genommen,  be- 
zeichnet aber  hier  (cf.  p.  166,  e.)  die  gleichnamige  Stadt  — 
p.  200,  d.  „N.  0."  für  „N.  W."  —  p.  202,  d.  „rein  östlich"  für 
,.rein  westlich."  —  p.  215,  d.  „15—50"  für  „6—50".  —  p.  224, 
d.  „360  Okes"  für  „3600  Ocka's".  —  p.225,  d.  „Silber  7600 
Piast"  für  „SUber  7500  Piast"  —  p.  252,  d.  fehlt  die  Anm. 
„Xen.  Anab.  V,  5."  —  p.  254,  d.  „10  Stunden"  für  „18  Stun- 
den." —  p.  255,  d.  Anm.  „c.  115"  flir  „c.  116."  —  p.  262,  d. 
„N.  W.  bei  W."  för  „N.  W.  bei  N."  —  p.  276,  d.  „3  Meilen" 
für  „2  Meilen."  —  p.  286,  d.  „N.  u.  N.  W."  für  „ W.  u.  N.  W.'' 
p.  287,  d.  „Kap.  93"  für  „Kap.  83."  —  p.  294,  d.  „von  mehr 
als  100  Fuss"  (ur  „of  several  hundred  feet  (p.  316,  e.)  i.  e.  von 
einigen  Hundert  Fuss."  —  p.  301,  d.  „ein  ziemlicher  Wagen 
voll"  für  „eine  grosse  Aehre";  der  Uebers.  las  p.  323,  e.  un- 
ten „car"  statt  „ear."  —  p.305,  d.  „S.S.O."  fiir  „O.S.O." 
—  p.  308,  d.  ist  die  Berechnung  in  der  Anm.  nicht  ganz  rich- 
tig, da  1  Piaster  den  Werth  von  2  Silbergroschen  hat,  auch 
sind  2i  penny  nicht  ==  8  Pfennige,  sondern  2  Sgr.  1  Pf.»  wie 
Ham.  richtig  angiebt  —  p.  310,  d.  „Softa  -ein  Mönchsorden" 
soll  heissen  „eine  Art  Mönche"^.  333,  e.  „a  kind  of  monkish 
or  religious  order");  es  bezei^net  eigentlich  Studirende,  die 
sich  zum  geistlichen  Stan^^  ausbilden.  —  p.  312,  d.  und  336,  e. 
ist  ein  historischer  InTlhüm :  Mahmud  II.  war  der  jüngst  ver- 


574  .  .  ^Erklärmg  in  Beiregt 

gtorbeiie  Padiachah;  es  ioll  hier  ohne  Zweifel  heissen  Maho«- 
met  U.  oder  Mehevmed  (i.  e.  Muhammed)  11«,  welcher  den 
Beinamen  Fetih  >,der  Sieger  oder  siegreiche^'  erhielt,  aicht 
Fetik,  wie  im  Original  und  Uebersetzung  steht  —  p.  315,  cL 
?«•  statt  75V  —  p.  324,  d.  „S.  S.  O."  für  „O.  S.  O.''  —  p.  325, 
d.  „in  den  Schriften  des  Gregorias  Thaumaturgus ''  für  ^in 
den  Schriften  des  Gregorius  Nyssenus»  in  der  Biographie  des 
Gregorins  Thaumatnrgus.'*  —  p.  331,  d.  „altmodischen  Schrein'^ 
für  naltmuhammedanische  Kapelle/'  —  p.  335,  d.  „2W  für 
„200a"  —  p,  348,  d,  „100  oder  500  Pf.  St."  für  „100  Beu- 
tel oder  500  Pf.  Sf  —  Die  p.  454,  e.  gegebene  Bescbrei- 
bong  des  Zuges  Yon  Alexius  nach  dem  Berichte  der  Anna 
Comnena  fehlt  in  der  Uebersetzung  p.  417.  —  TU.  IL  p.  84, 
du  „eine  feine  Metallmünze'^  für  „eine  schöne  Kupfermünze"; 
im  Englischen  steht  p.  84:  a  ßne  brass  coin.  etc. 

Petermann. 

Erklärung  in  Betreff  der  Literarischen  Zeitung. 

Als  mir  der  Arlikel  des  Herrn  Dr.  Brandes  in  No.  34  der  LiU  Ztg.  za 
6esichi  gekommen  war,  schrieb  ich  demselben  unterm  7.  Mal  folgenden  Brief: 

„Ew,  WobIgeb4Mnen  haben  in  No.  34  der  L.  Z.  mich  betreffende  Tbau 
sachen  anders  dargestellt,  als  sie  sich  zugetragen. 

„Sie  erwähnen  daselbst  eines  Unheils  über  den  Aufsatz  des  Herrn 
8<duiiidt,  das  Sie  von  einem  Gelehrten  sich  verschafll  und  „dessen  Resul- 
tat" mir  (dem  Referenten  Über  die  beiden  ersten  Hefte  der  Zeitschrift  für 
Geschichtswissenschaft)  „mUgetheilt  worden^,  das  ich  aber  „nicht  in  seiner 
ToUen  Schfirfe  aufgefasst  oder  wiedergeget)en  habe.''  Aus  dieser  ErUfirung 
ist  offenbar  die  Andeutung  zu  entnehmen,  Sie  hfitten  mir  jenes  Urtheil,  in 
welches  Sie  mein  seUostständig  abgegebenes  eigenmächtig  und  ohne  mein 
Yorwisaen  verwandelt  haben,  wiederzugeben  aufgetragen.  Sie  wis- 
sen aber  selbst  am  besten,  dass  von  einer  solchen  Zumuthung,  die  Jeder 
zurilcltweisen  muss,  der  nicht  zu  niedrigen  Handlangerdiensten  sich  herab- 
wttfdigen  will,  niemals  Ihrerseits  gegen  mich  die  Rede  war.  -^  Richtig 
ist  es,  dass  ich  mich  zu  einer  Kritik  des  Aufsatzes,  der  für  die  römische 
Rechtsgeschichte  besondere  Studien  erfordert,  nicht  für  „völlig  compe- 
lent''  erUärt  habe.  Deshalb  ging  aber  auch  meine  Beortheilang  dieses  (so 
wie  einiger  andern  Aufsätze,  über  die  zu  entscheiden  ich  mich  ebenfalls 
lljcttt  Hk  völlig  competent  hielt)  nicht  über  die  Grenzen  dessen  hinaus,  was 
mir  im  AU  gerne in^Mi  «von  dem  Gegenstande  bekannt  war. 

„Ferner  erklären  Sie,  ich  habe  der  Redaction  der  L.  Z.  „kein  Zeichen 
einer  Missbiiligung*'  ihrer  Aenderw^;  meines  Urtheils  gegeben  Sie  schei- 
nen hierbei  den  Umstand  ganz  vergdiwen  zu  haben,  dass  ich  Sie  deshalb 
in  Ihrer  Wohnung  aufgesucht  und  zur  Rede  gestellt  habe.  Sie  müssen  sich 
sehr  wohl  noch  Ihrer  Antwort  erinnern :  Shes  ich  mich  darüber  beruhigen 
mmshte,  indem  bei  der  Anonymität  des  AufiMIps  nicht  ich^  sondern  die 


V 


der  LUerari9cli€H  ZeiiumL  Sf76 


Redactton  der  L.  Z«  die  darin  niedergelegten  UrtheUe  zu  vertreten  hätte. 
AU  ieh  Sie  demaogeaclitet  ersuchte,  in  der  L.  Z.  eine  Erlüfirung  abzugeben, 
dasB  jenes  von  mir  desavonirte  Urttaeil  nicht  vom  Referenten  des  Artikels 
herrühre,  sagten  Sie  mir,  Sie  wollten  erst  abwarten,  ob  Herr  Schmidt  da- 
gegen auftreten  würde. 

„Nach  diesen  Vorgängen  sehe  ich  mich  genötliigt,  mein  Verbältniss  zur 
L.  Z.  als  Mitafbeiter  derseüMn  aufzulösen  und  remittire  Ihnen  hierbei  das 
zur  Kritik  übernommene  Werk. 

„Zugleich  ersuche  ich  Sie,  diesen  Brief  zu  meiner  Rechtfertigung  un- 
verändert und  mit  meiner  Namensunterschrift  versehen  in  einer  der  näch- 
sten Nummern  der  L.  Z.  gefälligst  abdrucken  und  mich  hierüber  Ihre  Em- 
schliessnng  recht  bald  wissen  lassen  zu  wollen.'' 

Da  mir  Herr  Dr.  Brandes  den  Abdruck  dieses  Briefes  verweigerte,  so 
habe  ich  die  Redaotion  dieser  Zeitschrift  ersucht,  ihn  hier  zu  veröffentlichen. 

Philipp  Jaff^ 


Zusätze  des  Herausgebers. 


Es  würde  uns  aufrichtig  gefreut  haben,  hätte  unsere  Erörterung  im 
4.  Heft  diejenigen  Folgen  haben  können,  welche  geeignet  wären  der  L.  Z. 
nicht  nur  bei  den  Anhängern  ihrer  Tendenzen,  sondern  auch  in  den  geg« 
nerischen  Kreisen  die  Achtung  zu  sichern,  auf  die  es  vor  allem  ankonunt 
um  in  dem  Wettstreit  der  Parteien  wie  auf  dem  Gebiet  der  wissenschaft- 
lichen Kritik  eine  allseits  ehrenvolle  und  erfolgreiche  Stellung  einzunehmen. 
Diese  Aussicht  schwindet  indess  mehr  und  mehr.  Weit  davon  entfernt  auf 
warnende  Stimmen  zu  achten,  beharrt  die  Red.  nicht  nur  auf  ihren  ab» 
schüssigen  Wegen,  sondern  geht  mit  unbegreiflichem  M uthwillen  darauf  aus, 
in  den  Augen  sowohl  der  eigenen  Mitarbeiter  wie  des  Publicnms  die  letz- 
ten Ueberbleibsel  ihres  Gredites  selbst  zu  vernichten.  —  Nicht  genug,  dass 
sie  uns  durch  die  gerügte  Crtheilslälschung  auf  demselben  Gebiete  der 
Wissenschaft,  d.  i.  der  Rom.  Geschichte,  zu  verdächtigen  beflissen  war,  für 
welches  eben  wir  bis  dahin  ihr  zur  kritischen  Stütze  gedient;  nicht  ge- 
nug, dass  sie  überliaupt  den  von  ihr  sich  lossagenden  Gelehrten  die 
glänzendsten  Atteste  über  Oberflächlichkeit,  Unklarheit,  Beschränktheit  oder 
ähnUche  Eigenschaften  hinterdrein  zu  schicken  pflegt:  sie  entblödet  sich 
auch  nicht,  ihren  noch  thätigen  Referenten  ins  Gesicht  zu  sagen,  dass 
sie  Schüler  sind,  deren  UrtheÜe  einer  „Berichtigung''  bedürfen.  Hat  sie  wohl 
bedaidit,  dass  sie  das  Publicum  dadurch  berechtigt  von  ihren  unbekannten 
Helfern  auch  seinerseits  keine  vortheUhaflere  Meinung  zu  hegen,  und  dass 
sie  damit  den  Zweifel  in  ihm  rege  macht,  ob  denn  nun  die  falschen  ür- 
theile  derselben  auch  wirklich  stets  und  in  competenter  Weise  beriehligt 
werden?  —  Freilich  affectirt  sie  eine  Gewissenhaftigkeit  in  Einholung  von 
Separatvoten,  die  man  ehren  müsste,  wenn  das  schärfste  Mikroscop  auch 
nur  eine  Spur  davon  entdecken  Hesse;  jedem  gewesenen  und  gegenwär- 
tigen Mitarbeiter  nöthlgt  sie  nur  ein  Lächeln  ab.  Warum  hat  denn  Hr.  B^ 
bei  so  vielen/ ähnlichen  Anlässen,  wo  es  sich  um  Werke  vom  heterogen* 
sten  Inhalt  handelte,  erweislich  nie  daran  gedacht  sich  UrtheÜe  Dritter  tu-, 
verschaffen  um  danach  die  des  Einen  Referenten  zu  iMflehtlgeB^  Und  warum 
hat  er  bei  dem  vorliegenden  nicht  auch  in  Betreff  anderer  Materien,  für 
die  der  Referent  ausdrücklich  sich  ebensowenig  für  „völlig  competent"  er- 
klärt, die  gleiche  Gewissenhaftigkeit  -beobachtet?  Unser  Stes  Heft  enthält 
die  verschiedenartigsten  Beiträge  zur  alten,  mittlem,  neuem  und  neuesten 
Geschichte.  Hat  nun  etwa  Hr.  IjiAei  der  Beurtheilung  desselben  in  No.  sa 
aus  zarter  Bücksicht  flir  dif^ahrbeit  es  ebenfalls  für  „natürlich"  eredH 

r' 

f 

4 


i 


576  ^  Jhi$&%e  de$  Herausgebert, 

tet,  vier  SeptraiTola  d«xa  dazQlioleii,  da  er  ja  selbil  unzweifelbafl  der 
Verl.  derselben  ist  und  doch  unmttgUch  für  irgend  einen  dieser  Gegen- 
stünde,  geschweige  Wx  alle,  als  „völlig  oompetent*'  wird  gelten  können?  — 
Doch  was  ist  tkberiiaupt  Wabrtieit  lOr  die  Red.  der  L.  Z.?  Hat  sie  scbon  mit 
dem  Begriffe  „FKlscbung''  durch  ein  sophistisches  Wortspiel  einen,  unwür. 
digen  Missbrauch  gelrieben :  kann  man  sich  wundem,  wenn  sie  auch  jenen 
haiUgsten  Begriff  der  Wissenschaft  sür  Caricatur  verzerrt?  „Uns  kommt  es 
nur  darauf  an,  ruft  sie  aus,  die  Sache  und  die  Wahrheit  für  sich  reden 
in  lassen,  nicht  aber  den  Antorittttsglanben  zu  befördern.*'   Seltsam!  Will 
Hr.  B.  seine  Wahrheit  für  eine  automatische  Sprechmaschine  ausgeben?  Es 
würde  ihm  nur  wie  Anderen  ergehen.   Weiss  doch  Jedermann,  dass  unter 
dem  verhangenen  Tische  irgend  ein  Orakel  verborgen  ist,  das  bei  Li<dite 
besehen  —  wenn  auch  freilich  wohl  selten  wie  eine  Autoritttt,  doch  Jeder- 
aett  wie  ein  menschliches  Individuum  aussieht.   Seltsamer  noch  ist  es  aber, 
dass  die  L.  Z.  in  demselben  Augenblicke,  wo  sie  dergestalt  dem  Leser  ihre 
Wahrheitsliebe  anpreist,  mit  Verläugnung  aller  Scbaam  es  wagt,  ein  Ge- 
webe der  gröbsten  Tfinschung  zu  spianea.  —  Da  nämlich  Hr.  B.  ein 
offenes  Eingeständnlss  seines  eigenmaichtigen,  aus  unlauteren  Motiven  her- 
vorgegangenen Verfahrens  scheute:  so  blieb  ihm  nichts  übrig,  als  seine 
Yerlegenbeit  so  gut  es  eben  geben  wollte  abzulfiugnen  und  sich  der  Auf- 
gabe zu  unterziehen,  die  Resultate  unsers  Aufsatzes  sämmllich  anderwürts 
nachzuweisen.    Das  Ergebniss  dieses  Versnches  ist  -^  nach  Hm.  B.,.das8 
sein  Ortheil  ein  ,4[egründetes''.  Ja  „eher  mildes  und  schonendes  sIb  stren- 
ges'' war  (wie  gnXdig  im  Munde  eines  Mannes  der  von  der  Sache  nichts 
versteht! ),  —  für  jeden  Unparteiischen  aber,  dass  die  „Wahrheit"  der  L.  Z. 
die  EigenthUmlichkeit  hat,  indem  sie  „für  sich  reden''  will  ihr  Gegen theii 
■n  gebaren.  Hier  die  Beweise;  denn  es  gilt  die  Würde  der  L,Z,  zu  ermessen. 
•  Sie  vergleicht  uDsara  Auftatz  mit  den  Hand-  und  Lehrb\ich.em  von 
Hugo,  Pn^ta,  Burchardi,  Walter  und  Göttling,  d.  h.  von  Autoren  die  als 
Kenner  der  Sache  am  wenigsten  geneigt  sein  dürften,  ihn  nach  Maassgabe 
Ihrer  Schriften  für  überflüssig  zu  erachten.   Gleich  die  Behauptung  mit  der 
sie  debütirt,  dass  „freUich  nur  das  letzte"  von  uns  citirt  sei,  ist  eine  ent- 
schiedene Unwahrheit  wie  S.  45  beweist.  —  Das  Hauptmanöver  der  L.  Z. 
besteht  nun  darin,  dass  sie  fast  alle  wirklichen  Resultate  übergeht,  da- 
gegen möglichst  auf  jeder  Seite  einen  bekannten  Sau,  ehien  Anknupfhngs- 
oder  UebergangspunlU  aus  dem  Zusammenhange  herausreisst,  ein  Paar  Ci- 
tate  aus  jenen  Schriflstellem  daneben  setzt  und  nun  bewiesen  zu  haben 
vorgiebt,  dass  der  Inhalt  aUer  der  Stellen  alt  sei,  die  von  uns  „irgendwie 
als  neue  Resultate  angesehen  werden  könnten."    So  fragt  sie  nichts  danach, 
ob  das  Neue  zunächst  etwa  im  Gusse  des  Ganzen,  in  der  Anschaulichkeit 
der  Entwicklung,  in  der  Auffassung  der  Wendepunkte  und  der  innem  Be- 
deutung des  Gegenstandes  überhaupt  sich  geltend  macht,  noch  ob  es  im 
Besondem  sich  kund  giebt  durch  Umgestaltung  der  Prämissen  oder  Modi- 
Acation  der  Schlüsse,  durch  Auseüianderbalten  oder  Gombiniren  von  Ge* 
sichtspunkten,  durch  Erhärtung  oder  Verwerfung  früherer  Beweismittel   Es 
ist  nicht  davon  die  Rede,  dass  unser  allgemeiner  Zweck  war  zu  erweisen, 
schon  unter  den  Juliem  sei  die  Alleinherrschaft  innerlich  und  wesentlich 
vellendet  worden  (S.  64))  während  die  gangbare  Ansicht  diese  YoUendong 
in  weit  spät^re^ZelASBv versetzt;  es  ist  nicht  davon  die  Rede,  in  weicher 
Weise  wir  den  MacchiavsUismus  der  Julier  in  der  Verdrängung  der  Volks- 
freiheiten durch  den  Absolulismns^charakterisirten  (S.  45  f.  Cäsar,  S.4ft  f. 
Attgttstus,  S.  47  f.  Tiberius,  S.  49  Wendepunkt,  S.  50  f.  CaUgula  und  f  olge- 
seit);  noch  durch  welche  GombinaUon.  wJrN<Ue  „Vielen  unerklärliche"  Art 
des  Verschwindens  der  GomiUalgesetzgebHqß  in  ein  helleres  Licht  stellten 
als  dies  zuver  geschah  (S.  54  -54  inel.).    Ddüien  dUrt  die  L.  Z.  Momente 


Zu$ät»e  de$  Herausgeber^.  ^^ .  577 

wie  die,  dass  gegen  Ende  der  RepublilL  „die  GuriatcomiUen  dem  Wesen 
nach  verseil  wunden  waren''  (S.  37),  dass  ,,di6  Tribut-  und  Centuriatcomitien 
noch  factiscb  bestanden''  (S.  39)  u.  8.w.  Das  ist  doch  grade  so  einfiütig, 
wie  wenn  Jemand  von  einem  Werk  über  die  Reformationsgeschichte,  weil 
darin  von  dem  „Anschlagen  der  llieses  zu  Wittenberg",  von  dem  „Wormser 
Reichstage"  und  der  „Angsburgiscben  Confession"  die  Rede  ist^  behaupten 
woUte,  dass  dessen  Resultate  „nicht  neu"  seien.  Bei  welchem  Theil  des 
PubUcums  hofll  die  L.  Z.  mit  diesem  Experimente,  durch  welches  sich  un- 
sere ganze  Literatur  auf  dem  Gebiete  der  vier  Facultäten  als  resultatios 
erweisen  liesse,  Epoche  zu  machen?  Doch  höchstens  nur  bei  denen,  fUr 
die  es  noch  schlagender  gewesen  wäre,  wenn  Hr.  B.  zu  jedem  einzelnen 
Worte  eine  Belegstelle  etwa  aus  der  Becker'schen  Weltgeschichte  beige- 
bracht hätte.  —  Geben  wir  ein  deutliches  Beispiel  dieser  Art  von  Per  fi- 
dle. Der  Inhalt  von  3.  46  wird  durch  die  AnfUhrung  „Augustus  entzog 
dem  Volke  die  Gerichtsbarkeit,  stellte  ihm  die  Wahlfreiheit  zurück",  der  von 
S.  47  durch  Anführung  der  Prämisse  „War  auf  diese  Weise  den  Volksver- 
sammlungen schon  in  den  letzten  Zeiten  des  Augustus  wenig  mehr  als  die 
formelle  Wahl  verblieben"  mit  dem  Zusätze  abgefertigt:  „Eine  durchaus  be- 
kannte Sache  s.  Walter  S.  284."  Die  Hauptsache  liegt  nun  aber  dazwi- 
schen und  nimmt  den  grössten  TheU  beider  Seiten  ein,  nämlich  die  SchU- 
derung  der  UysUflcationen  deren  sich  Augustus  bediente,  von  der  bei  Walter 
keine  Spur  ist,  und  die  durch  das  obige  Verfahren  glücklich  umgangen 
ward.  —  Natürlich  reicht  dies  Manöver  nicht  immer  aus,  und  die  L.  Z. 
nimmt  daher  auch  zu  solchen  Mitteln  ihre  Zuflucht,  für  die  alle  Bezeich- 
nung aufhört,  weil  sie  auf  dem  Gebiet  wissenschaftlicher  Kritik  nicht  nur 
verpönt,  sondern  auch  unerhört  sind.  S.  59  und  60  steht  bei  uns  eine 
Erörterung  über  die  Richterdecurie  der  Neunhundertmänner,  die  durchaus 
neu  ist  und  eine  wesentliche  Bestätigung  dafür  zu  geben  scheint,  dass  die 
Organisation  der  Tribus-  und  Centuriatcomitien  im  Beginne  der  Kaiserherr- 
schaft wirklich  die  war,  für  die  wir  uns  in  Bezug  auf  die  letzten  Zeiten 
der  Republik  entschieden  hatten  (S.  38.  44.  42).  Wir  leiten  diese  Frage  aus- 
drücklich als  eine  „bisher  dunkel  erschienene"  ein.  Was  thut  aber 
die  L.  Z.  ?  Sie  weicht  klügUch  um  einige  ZeUen  zu  einem  bekannteren  Mo- 
mente zurück,  und  fertigt  nun  S.  59  nüt  den  trügerischen  Worten  ab:  „ist 
eine  resultatlose  Nebenbemerkung."  Dann  springt  sie  sogleich  zu 
S.  64  über.  —  Und  doch  gelangen  wir  erst  nun  zu  dem  Gipfel  dieser 
Taktik;  denn  eben  die  Glossen  zur  Schlussseite  unsers  Aufsatzes  stellen  alle 
Eigenschaften  der  L.  Z.  wie  in  einem  Brennpunkte  dar.  Hier  nämlich  wird 
unser  Hauptresultat  berührt;  aber  wiel  —  Kein  Leser  wird  es  über- 
sehen haben,  dass  unser  besonderer  Zweck  dahin  ging  die  Behauptung 
durchzuführen,  dass  die  wirkUche  Abstimmung  des  Volkes  in  Betreff  so- 
wohl der  Wahlen  wie  der  Gesetzgebung  schon  unter  Tiberius  ganz  aufge- 
hört habe.  Hieran  hat  man  bisher  immer  noch  gezweifelt,  und  zumal  die 
Juristen;  man  hat  vielmehr  in  beiden  Beziehungen  angenommen,  dass  noch 
unter  den  späteren  Kaisern  und  selbst  unter  Trajan  die  Abstimmung  vor- 
gekommen sei.  Für  die  Wahlen  drücken  sich  diese  Zweifel  oder  Annahmen 
noch  in  den  jüngsten  Erörterungen  und  Darstellungen  aus,  wie  z.  B.  bei 
Robino  (4839.  s.  uns.  Aufs.  S.  54),  bei  Peter  (4842.  ebend.  S.  47),  bei  Kofiüm 
(4843.  wo  S.  365  von  Ernennung  der  Obrigkeiten  dureh  dae  Volk  unter 
Trugen  die  Rede^  ist);  für  die  Gesetzgebung  aber. in  der  ganzen  Reihe  der 
Rom.  Rechtsgeschichten  ohne  Ausnahme,  ujoA-  in  Folge  dessen  auch  bei  den 
eigentlichen  Historikern  (S.  z.B.  Hoeck  S.  397.  399).  Die  Zweifels  grün  de 
beruhen  hauptsächlich  für  die  Wahlen  auf  Missdeutungen  der  SteUen  bei 
Tac.  Ann.  4,  45  und  bei  PUn.  pan^[|^63  sq.,  für  die  Gesetzgebung  auf  dem 
Erscheinen  vereinzelter  leges^Wauf  Treyan's  Zeit  und  auf  der  Beharrlioh- 

Z«it«ehrift  f.  OcMUekUT^f' .  1844.  37 

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^•» 


578  .Zusäine  des  Herausgebern, 

keli  mii  der  die  RediUbtotoriker  an  dem  JurisUscheii  Begriff  der  lex  als 
einem  durch  wiriüiche  Abstimmung   sanciionirten  Volksgesetze   festhalten. 
Jene  beiden  Mtssdeutnngen  baben  vi\t  nun  aber  yollständig  besei- 
tigt (S.  47  N.  4  und  S.  50  N.  7,  wobei  wir  die  fraglicbe  Stelle  ansdrllck- 
lich  ats  eine  „so  oft  oder  stets  missverstandene''  bezeicbneten).    Und  hin* 
sicbtlidi  der  sSmmllichen  leges  seit  Tiberius  machten  wir  es  ^ahr- 
scbeinlicb,  dass  sie  Tieimebr  als  durch  blosse  Renunciation  vollzogene 
Gesetze  zu  betractaten  seien  (S.  57);    die  Beweise  bierfUr  erstrecken  sich 
von  S.  54— 58;  die  aUgemeinen  liegen  in  der  Entwicklung  der  Art  und  der 
Gründe  des  Versebwindens  der  Gomitialgesetzgebnng,  wie  man  sie  schvrer- 
lich  anderwärts  finden  wird;  die  besonderen  beniben  auf  dem  nadigewie- 
senen  gleichzeitigen  Verfall  des  nrsprtinglichen  Begriffes  der  lex  (S.  57),  anf 
dem  nie  gebraucbten  argumentum  ex  silentio  und  dem  damit  verbundenen 
positiven  Argumente  bei  Tac.  Ann.  4,  6  (S.  56).    In  Folge  dessen  stellten  wir 
sogar  die  MögUcbkeit  hin,  dass  schon  die  leges  des  Augustus  zum  Theil 
nur  Senatusconsulte  oder  Constitutionen  mit  l>lo8ser  Renunciation  gewesen 
sein  dürften  (8.  58),  obwohl  wir  für  die  Mehrzahl  derselben  eine  wirkliche 
Abstimmung  annahmen  (8.  56) ,  da  Augustus  in  der  That  nur  mit  Behutsam- 
keit vorzuschreiten  wagte,  w&hrend  Tiberius  in  jeder  Beziehung  den  Wen- 
depunkt  zum  Absolutismus  bildete  (S.  47.  56).  •—   Dies  also  sind  augen- 
scheinlich, mag  man  sie  nun  billigen  oder  nicht,  unsere  wesentlichen 
Resultate,  wie  sie  sich  in  ihren  einzelnen  Momenten  auf  den  ganzen  Raum 
von  8.  47-*  64  verlheiien.   Und  wie  verfährt  nun  ihnen  gegenüber  die  L.Z.? 
Ais  ob  gar  nichts  derartiges  vorkäme,  Uisst  sie  die  Frage  in  allen  ihren 
Theilen  vollkommen  unberührt,  bis  sie  zur  Soblussseite  des  Aufsatzes  gre- 
langt,  wo  wir  restimlrend  unsere  Argumentation  in  die  Worte  znsammeii- 
tassen:  ,,Seii  Tiberius  —  dies  ist  unsere  feste  Ueberzeuguog  —  wurde  i\ie 
mehr  förmlich  abgesf immt.''    Diese  Worte  nun ,  als  ob  es  eine  bloss  ge- 
legentliche Aeusserung  wäre,  greift  sie  plötzlich  heraus  und  sagt  keck: 
„Dieser  Satz  ist  nicht  bewiesen^^  [Man  sieht,  dass  es  der  L.  Z.  hier  an 
Citaten  gebrach,  um  dessen  Inhalt  als  alt  zu  bezeichnen]]  —  „Eine  un- 
bewiesene Ueberzeugung  —  fährt  sie  fort  —  ist  kein  Resultat ''  [Also  würe 
z.  B.  Dablmann's  Gesch.  der  engl.  Revol.  ein  resultatloses  Buch?]  — 
„Wenn  er  bewiesen  wttre  [wohl  eine  Hinterthür  des  Gewissens!],  so  ist 
damit  nur  gesagt,  was  wir  längst  wissen,  dass  die  Gewalt  des  Volks  der 
Macht  des  Kaisers  gegenüber  durchaus  nur  illusorisch  war^  [Klingt  dies 
nicht  wie  wenn  Jemand  spräche:  „Wenn  es  auch  bewiesen  wäre,  dass  die 
Reformation  sich  in  dieser  und  nicht  in  jener  Weise  entwickelte,  so  wäre 
damit  nur  gesagt,  was  wir  längst  wissen,  dass  dem  Kathohcismus  gegen- 
über die  Reformation  eintrat'^?].  —  Das  ist  doch  in  der  That  eine  ganze 
Ladung  voll  Lug  und  Trug,  voll  unverschämter  und  zugleich  naiver  Sopiii- 
stikl  Oder  mit  anderen  Worten,  es  ist  die  elgenthümliche  „Wahrheit'^  des 
Hrn.  B.    Die  Wirkubg  derselben  aber  ist  verfehlt;  solche  Schlingen  fangen 
nicht  das  PnbUcum,  sondern  verscheuchen  es.*)  —  So  viel  von  diesem 
charakteristischen  Machwerk.    Jede  der  übrigen  Anführungen  offenbart  nur 
ähnliche  Mittel  oder  neue  Blossen;   die  Bemerkung  zu  S.  56  unsers  Auf- 
satzes legt  überdies,  indem  sie  sich  das  Ansehn  glebt  uns  belehren  zu 

*)  ParaUele.  4»^  der  oben  gedachten  Anzeige  unsers  3ten  Heftes  be« 
merkt  Hr.  B.  ausdrücklk^,  der  Hüllmann'sche  Aufsatz  gehöre  zu  den  „  ge> 
iegentiichen  Misoellen.''  Wozu*^es?  Um  uns  durch  folgende  Apostrophe 
zu  verdächtigen:  „Und  auch  sonst^ vermögen  wir  kaum  zu  billigen,  wenn 
die  „gelegentlichen^^  Anmerkungen  (?(J[  verwendet  (?)  werden,  an  einem 
Namen  zu  mäkein  u.  s.  w/'  —  Nun  ab^  enthält  unser  3tes  Heft;  wie  der 
Augenschein  lehrt,  keine  einzige  Miscdliß. 

V 


Zusätze  des  HeraMsgebers> ,~ 


579 


wollei);  eine  grobe  Unwissenheit  in  der  Sache  sowie  eine  völlige  Nicht- 
kenntniss  des  Tacitus  an  den  Tag,  den  man  freilich  und  namentlich  die 
L.  Z.  häufiger  im  Munde,  als  in  Kopf  und  Berzen  trägt.  Jedenfalls  sind  wir 
nach  diesem  Befund  der  Dinge  nur  um  so  mehr  berechtigt;  bei  unserer 
Warnung  vor  den  Urtheilen  der  L.  Z.  zu  beharren. 

Auf  alle  sonstigen  Insinuationen  erachten  wir  es  unter  unserer  Würde 
nUher  einzugehen.  Unser  alleiniger  Zweck  war,  nicht  unsere  persönli- 
chen Interessen  zumal  gegen  Schattenbilder  und  Hirngespinnste  zu  ver- 
t  heidigen,  sondern  zur  Förderung  der  allgemeinen  dadurch  beizutragen, 
dass  wir  die  Nachlheile  der  unbedingten,  erzwungenen  Anonymität  durch 
positive  Facta  ins  Licht  zu  stellen  suchten.  Der  grösste  Verderb  der 
Journalistik  ist  Mangel  an  Gesinnung.  Wer  die  Oeffentlichkeit  und  Gradheit 
liebt,  hat  auch  die  Pflicht,  lieber  die  eigene  Haut  preiszugeben  als  licht- 
scheuen Umtrieben  schweigend  zuzusehen.  Das  Ist  unser  Standpunkt.  Wir 
bekämpfen  nicht  Principien  oder  Parteien,  aber-  den  Gebrauch  geschlosse- 
ner Visiere  und  krummer  Waffen.  Und  dieser  ist  in  der  L.  Z.,  durch  die 
tendenziöse  Willkür  der  Red.,  nachgrade  zu  einem  so  weitgreifenden  Miss- 
brauch ausgeartet,  dass  man  nicht  länger  umhin  kann,  im  Namen  der  Wis- 
senschaft und  der  Kritik  feierlichst  dagegen  zu  protestiren. 

Doch  sollen  wir  danim.  Gleiches  mit  Gleichem  vergeltend,  der  L.  Z. 
als  solcher  „kein  glückliches  Prognostikon'^  stellen?  Ist  nicht  wenigstens 
die  Möglichkeit  einer  Regeneration  in  ihrer  eigenen  Geschichte  begründet? 
Hat  sie  nicht  die  radicalsten  Umwandlungen  erfahVen,  die  wunderbarste  Ela- 
sUcität  bethätigt,  eine  wahre  Proteusnatur  offenbart?  Unter  Büchner,  aus 
dessen  Zeit  unsere  Mitwirkung  datirt,  in  der  Gestalt  einer  literarischen  Ameise 
hervortretend,  dann  unter  Meyen,  als  der  Junghegelianismus  noch  meist  in 
der  Verpuppung  lag,  einem  ästhetischen  Schmetterlinge  vergleichbar,  bil- 
dete sie  sich  in  den  krilisch-optimistischen  Anfängen  des  Hrn.  B.  zu  einem 
friedlich  grasenden  und  euphemistisch  glöckelnden  Lamme  um,  bis  sie  end- 
lich in  den  neuesten  Jahren  zur  politisch  bibliographischen  Amphibie  gedieh, 
mit  deren  Geburt  erst  die  erzwungene  Anonymität  ins  Leben  trat.  Gegen- 
wärtig, so  scheint  es  uns,  tbut  der  L.  Z.  eine  neue  Metamorphose  und  zu- 
nächst, wir  wiederholen  es,  die  Aufhebung  jenes  Zwanges  noth.  Dahin  ging 
stets  das  Verlangen  der  Mehrzahl  der  Mitarbeiter,  gleichwie  das  unsrige. 
Und  gewiss!  obschon  wir  an  der  L.  Z.  nie  anders  als  durch  kritische  Re- 
ferate wirkten  und  selbst  diese  seit  Einführung  der  Anonymität  auf  ein  äus- 
serstes  Minimum  beschränkten :  so  thut  es  uns  doch  wohl,  dass  wir  durch 
Gründung  der  vorliegenden  Zeitschrift  nunmehr  auch  bei  geringen  Anlässen 
der  Versuchung  überhoben  sind,  uns  einem  Gesetze  zu  fügen,  das  unserer 
Ueberzeugung  widerstrebt.  Die  Verschweigung  des  Namens  bleibe  minde- 
stens in  wissenschaftlichen  Organen  dem  Autor  anheimgeslellt! 


Berichtigungen  zum  ersten  Bande. 


Seite  24 

-  89 

-  150 

-  162 

-  468 

-  177 

-  282 

-  285 

-  312 

-  544 


Zeile  9  von  unten 


oben 


unten 


le  für  de 
Cava  für  Cave 
Nachmittags  für  darauf 
more  für  move 

i.  e.  hinter  ffßi^(j3^svTtq 
Mti  für^'ttn 


des  Sitzes  hinter  Lage 
ohen^fltässiges  für  mächtiges 
wnijmein  und  vor  ein 
^flSen    Megerle  von  für  Wegerle,  von 


Inlialto  -  Verzelclmiis« 


Seite 

Vorwort  des  Herausgebers in 

Ueber  des  Grafen  Hertzberg  Abriss  seiner  diplomatischen 

Laufbahn,  von  Dr.  Rudolf  Köpke 1 

Pr^is  de  la  carriöre  diplomatique  du  Gomte  de  Hertzberg      16 
Der  Verfall  der  Volksrechte  in  Rom  unter  den  ersten  Kaisern^ 

von  Adolph  Schmidt 37 

Hofieben  und  Hofsitten  der  Fürstinnen  im  sechzehnten  Jahr- 
hundert, eine  Skizze  von  J.  Voigt 62 

Bowden:  lifo  and  pontificate  of  Gregory  VO.,  rec.  von  Dr. 
Wilhelm  Giesebrecht SI 

Miscellen:  4.  die  Entdeckungen  zu  Niniveh,  von  Kiepert     «    .     .       94 

5.  Prescott's  Geschichte  der  Srobemng  Mexico'«,  von  Hectisel       95 

3.  Untergang  des  Osmanischen  Reiches,  von  Petermann     .     .       96 

4.  die  neueste  Philosophie  der  Geschichte,  von  Schmidt     «     .       96 

Hofleben  und  Hofsitten  der  Fürstinnen  im  sechzehnten  Jahr- 
hundert, von  J.  Voigt.    (Fortsetzung.) 97 

Ueber  den  Ausbruch  des  siebenjährigen  Krieges.  Aus  Mitchell's 
ungedruckten  Memoiren  mitgetheilt  von  L.  Ranke  .    .    .    134 

Englischer  Text -. ISO 

Thüringer  im  Lande  Hadeln,  von  Heinrich  v.  Sybel  .  .  «  164 
Ephoros  über  die  Heloten,  von  Adolph  Schmidt  ....  168 
Ueber  eine  neue  Bearbeitung  des  Lebens  Muhammed's,  von 

Heinrich  Ewald .    ,    .    170 

Bataille:  Vie  politique  et  civile  de  Thomas  Decket,  rec.  von 
Dr.  Roger  Wilmans 179 

Miscellen :  5.  die  numismatische  Gesellschaft  in  London,  von  H  e  c  h  s  e  1     188 

6.  armenische  Biographie  Alexanders  des 
Grossen 

7.  neue  Zeitschrift  in  vulgir^^rmenischer  .  „  -o« 

>  von  Petermann  .     189 
Sprache 


8.    die  türkische  Zeitung   „Dscherid^f  ha- 
vadiz«.  ^^ 


/ 


Inhalts ^Vermchniss.    "-  581 

Selto 
9.   Ausgrabangen  bei  Dasplch 

40.   Deutsche  Gymnasial -Programme 

H.   Köhne's  Zeitschrift  für  Münz-;  Siegel- 

und  Wappenkunde 

48.    numismatische  Gesellschaft  in  Berlin      \  y^^  Schmidt  190 

43.  C.  Fr.  Hermann's  GelegenheitsschriAen 

44.  historischer  Verein  der  fünf  Orte  Lu- 
zem,  Uri,  Schwyz,  Unterwaiden  und  Zug 

45.  Buddeus'  deutsches  Staatsarchiv. 
4  6.    Philippowsky's  Werk  über  jüdische  Chro- 
nologie 

47.    Noüz  im  Tahnud  über  die  ionische  Ein-  >  von  Hirschfeld  .     192 

Wanderung  in  Italien  aus  Kleinasien 
4  8.   Preisaufgabe  des  Gulturvereins  in  Berlin. 

Barere  von  Vieuzac,  von  W.  Wachsmuth 193 

Lothar  der  Sachse  und  die  neuesten  Bearbeiter  seiner  Ge- 
schichte, von  Rudolf  Köpke     220 

Ueber  einige  Hauptfragen  des  Nordischen  Alterthums,  von  P. 
F.  Stuhr  (erster  Artikel) 237 

Gustaf  Adolf  in  Beziehung  auf  die  evangelischen  Fürsten 
Deutschlands,  von  K.  D.  Hüllmann    ........    283 

Ungedrucktes  Schreiben  Friedrich's  von  Gentz  an  den  Re- 
dacteur  des  Nürnberger  Correspondenlen,  mitgetheilt  von 
L.  Fl  Seebode 289 

Das  Staatszeitungswesen  der  Römer,  von  Adolph  Schmidt 

Vorwort .303 

Entwickiungsstadien 305 

Die  jährlichen  Staatsberichte 306 

Uebergang  in  die  tägliche  Staatszeitung 308 

Die  Dodweü'schen  Fragmente  . ;    .  314 

Die  Staatszeitung  der  Republik 319 

Die  Senatszeitung 327 

Die  Staatszeitung  der  Monarchie 331 

(Inhalt:   4.  Hof  berichte.    S.  Senatsberichte.    3.  Volksberichte. 

4.  Magistratsberichte.   5.  Vermischte  'Nachrichten.  6. 

Privatangelegenheiten.) 

Redaction  und  Publication 352 

Der  jetzige  Zustand  der  müpdEundlichen  Wissenschaft,  von 
B.  Köhne  .    .    ,    .    f*^ 336 


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