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Full text of "Alpina, Winterthur"

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! 


genauern Kenntniß der Alpen 
gewiedmet. 


Herausgegeben 


von 


Carl Uliſſes von Salis 
in Marſchlins 


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unb 


Johann Rudolph Steinmuͤller, 
Pfarrer in Rheineck. | 


Dritter Band. 


rr Yee 


Winterthur 1808, 
in der Steineriſchen Buchhandlung, 


— — — :::: — Te — — — 
r O78 78, Te MW a i a 


Vorbericht. 


Aufzemuntert durch den Wunſch, der in allen 
Recenſionen geaͤuſſert wird, die uns bis jezt, die 
Alpina betreffend, zu Geſichte gekommen, daß 
dieſes Werk möchte fortgeſezt werden, übergeben 
wir hier den dritten Band deſſelben dem Publi⸗ 
eum. Moͤge auch dieſer mit Güte aufgenommen 
werden! Um aber dem anfaͤnglichen Plane, den 
wir uns bei der Herausgabe dieſer Schrift vor⸗ 
geſezt haben, naͤmlich Materialien zu einer voll⸗ 
ſtaͤndigen Beſchreibung der ganzen Alpenkette 
zu ſammeln, immer mehr zu entſprechen, ſuchen 
mir nicht nur eben fo viel Nachrichten über die 
ſuͤdliche als über die nördliche Seite der Alpen⸗ 
kette mitzutheilen, ſondern wir trachten auch 
durch Benutzung größerer Werke und kleinerer 
Brochuͤren, die nicht leicht in den Buchhandel 
kommen, beſonders derjenigen, die in Frankreich 
und in Italien erſcheinen, und durch Vereini⸗ 
gung alles desjenigen, ſo uns uͤber den naͤmli⸗ 
chen Gegenſtand bekannt iſt, dieſe Nachrichten ſo 
umfaſſend als möglich zu liefern. Wir wuͤnſchen, 
daß die in dieſem Bande vorkommenden Verſu⸗ 
che den Beifall der Leſer erhalten moͤgen. 


IV 


Um die Anzeige aller Werke immer mehr zu 
vervollſtaͤndigen, die zur Litteratur der Alpen 
gehoͤren, haben wir dieſesmal folgende nachzu⸗ 
holen: 


Observations made in Savoy of Mountains by 
means of the Barometer being an Examina- 
tion of Msr. de Lucs Rales. By sir George 
Schukburgh. London, 1777. 4. 


Ackermann (D über die Cretinen, eine Mens 
ſchenabart in den Alpen. Goͤttingen, 1790. 
gr. 8. 
A. v. Braune Salzburgiſche Flora. Drey Baͤn⸗ 
de. Salzburg, 1797. 8. 
N. T. Hoest Icones et descriptiones graminum 
Austriacar um. Vindobonz, 1801. Fol. 2 Vol. 


Colpo d'ochio fisico, storico e civile della ri- 
; € 3 $ > 
viera Benacense di Gaetano Gargani. Brescia, 
1804. 8. 


Reiſe durch Tyrol in die, oͤſterreichiſchen Provin⸗ 
zen Italiens im Fruͤhjahr 1804 von Caſpar 
Grafen von Sternberg. Mit vier Kupfer⸗ 
tafeln. Regensburg, 1806. 4. | 

Reiſe in die Rhaͤtiſchen Alpen, vorzüglich in bos 
taniſcher Hinficht, im Sommer 1804, von 
Caſpar Graf von Sternberg. Nürnberg, 
1806. 8. 

Explication du tableau des hauteurs principales 


V 


du globe terrestre, publié par Chr. de Me- 
chel. A Berlin, 1806. 4. 


Dazu gehört eine Vorſtellung auf Imperial 
Folio mit dem Titel: 


Tableau des hauteurs principales du globe fondé 
sur les mesures les plus exactes et publié 
à Berlin par Chr. de Mechel en 1806. 

Tafel der Gebirgshoͤhen von Europa, nebſt ih- 
ren Vegetationsgraͤnzen und Luſtſchichten, 
verglichen mit den Cordilleren unter dem 
Aequator. Dargeſtellt von Carl Ritter / und 
geſtochen von J. Carl Ausfeld. 

Lettre sur le Valais, sur les mœurs de ses habi- 

. tans, avec les tableaux pittoresques de ce 

Pays, et une notice des productions natu- 
relles les plus remarquables. Par M. Echas- 
seriaux. Paris, 1806. 8. 

Das Muſaͤum der Naturgeſchichte Helvetiens in 
Bern, oder Beſchreibungen und Abbildun⸗ 
gen der merkwuͤrdigſten Gegenſtaͤnde, die in 
den naturhiſtoriſchen Sammlungen auf der 
Bibliothek, Gallerie in Bern enthalten find, 
Herausgegeben von Friedr. Meisner. Bern 
1807. Zwey Hefte mit illum. und ſchwarzen 
Kupfern. 4. 

J. H. Maffei periodi istorici e topografici delle 
valli di Non e Sole nel Tirolo meridionale. 


Inspruk, 1806. 4. Mit Charten. 


VE 
Voyage en Savoie et dans le midi de la France 
en 1804 et 1806. Paris, 1807. 8. 


Da von den wichtigern neuern Werken, die 
wir hier anfuͤhren, in dem in jedem Bande 
der Alpina vorkommenden Artikel der Littera⸗ 
tur weitlaͤuftige Anzeigen gegeben werden, ſo 
enthalten wir uns hier alles Urtheils und be⸗ 
merken nur von dem lezten, daß darin gar nichts 
vorkommt, was nicht laͤngſt ſchon bekannt gewer 
ſen iſt. 

Um die Ueberſicht aller Huͤlfsquellen zu einer 
vollſtaͤndigen Beſchreibung der ganzen Alpenkette 
noch mehr zu erleichtern, gedenken wir auch die 
in den beßten neuern periodiſchen Schriften zer⸗ 
ſtreuten Abhandlungen, die Kenntniß der Alpen 
betreffend, nach und nach in den Vorberichten 
anzuzeigen. Wir haͤtten ſchon in dieſem Band 
damit den Anfang gemacht, wenn er nicht ſonſt 
ſchon zu ſtark gerathen waͤre. Es ſoll aber un⸗ 
fehlbar im kuͤnftigen geſchehen. 


` Die Redakteurs. 


1 


Inhalt. 


— — 


Auf faͤtze. 


Ta A grostographia alpina, oder Beſchreibung 
ſchweizeriſcher Graͤſer, welche meiſtens auf den 
Alpen und auf der Gebirgskette des Jura 
wachſen. Von J. Gaudin. > 

2, Beytraͤge zur Topographie unb Naturbeſchrei⸗ 
bung des e Von Hauptmann 
Banſi. $ 

3. Kurzgefaßtes Tagebuch alle lien Reife durch 
einen Theil von Buͤndten im Sommer 1806 
von Daniel Meyer.. $ 

4. Verſuch einer oͤkonomiſch topbgtapbiſchen Bo 
ſchreibung der Gemeinde Sigriswyl im Berner 
Oberland von Pfarrer Kuhn. 

5. Auszuͤge aus den Bemerkungen eines ſchweizeri⸗ 
ſchen Wanderers über einige der weniger be 
kannten Gegenden der Alpen von H. C. Eſcher. 

6. Kleine Bergreiſe auf die Sul oder Suleck von 

7. Bergreiſe auf den Nieſen vom Naͤmlichen. 

8. Beiträge zur Unterſuchung der Ueberbleibſel erlo— 
ſchener Vulkane innert dem Gebiete der Alpen. 


Litteratur. 


Reife durch Tyrol in die oͤſterreichiſchen Provinzen 
Italiens von Caſpar Graf von Sternberg. 


VII 


GTT 


26, 


102, 


116, 


179, 


192, 
249, 


308. 


397. 


VHI 
Reife in die Rhaͤtiſchen Alpen von Caſpar Graf 


Sternberg » ; n S. 413. 


Tableau des hauteurs principales du globe 
par Chrétien de Mechel. " 

. Explication du tableau susdit par le méme. : 

Viaggio da Milano ai trè laghi Maggiore, di 
Lugano e di Como di Carlo Amoretti. 


Das Muſeum der Naturgeſchichte Helvetiens in 
Bern durch Friedrich Meisner. ' 


Miszellen 


Aus einem Briefe des Herrn Hauptmann Banfi, 
Aus einem Brief des Ritters Carlo Amoretti. . 


414. 
414. 


419. 


491, 


523. 


5257 


— MM — 2: — — —Ü—ͤ—— — — — 
1 l NN T TN . 78, 78,78, 78, 78, 78, P, 78/78, ⏑ . 


A grostographia alpina, 
boder 
Beſchreibung ſchweizeriſcher Graͤſer, welche mei⸗ 
ſtens auf den Alpen, und auf der Gebirgskette 
des Jura wachſen. 


Von J. Gaudin, 


Pfarrer der deutſchen Gemeinde zu Neuß und Mitglied der 
Société d' Emulation des Cantons Waadt. 


T. 
Aechte Grafen 


Nanpus Borſtengras. 


Spicule sessiles, unifloræ, spicatz; Calix nullus, 
Cor. bivalvis; Gluma exterior ex apice breviter ari- 
stata; Stigma unicum, simplex. 
3. NaRDus stricta. Lin. N. spica setacea, recta, 
secunda Lin. Steifes Borſtengras. 
Hall. helv. 1410. L. sp. pl. 77. Schreb. gram. 
3. p. 65. "Tab. 1. (optima). Host gram, austr. 2. 
Tab. 4. 
„Radix perennis: fibris fuscis, validis. Culmi ris 
gidi, erecti vel survuli, spithamales, vel semipe^ 


at Bo. A 


2 


dales, glabri, leves, striato - angulosi, tenues, no- 
dis perpaucis approximatis prope radicem instructi; 
ceterum enodes ideoque fere nudi. Folia radicalia 
numerosa, densissime cespitosa, setaceo - involuta , 
Juniora erecta, deinde curvula, adultiora fascialiten 
extrorsumque patula, scabra, glaucescentia, rigida, 
durissima, culmo breviora, per fasciculos ad basin 
incrassatos et quasi barbosos, inferne squamis stra- 
mineo nitidis tectos, disposita. Vagine straminea; 
nitide, teretes, margine membranacex; Ligule sub- 
nulle. Folia culmea ceteris consimilia, Ligulis pro- 
minulis, parvis, obtusiusculis; Spica contracta, se- 
cunda, linearis, efecta, rachi hinc convexa, scabri- _ 
uscula, inde ad spiculas excavata; Spicule subcon- 
tiguæ, circiter duodenz , plerumque intense viola- 
ceœ, angustæ, subulate, adpresse, exacte sessiles; 
Glume paulo inzquales, exterior ex apice breviter 
aristata, rigida, subcartilaginea, fere opaca, nervis 
duobus marginalibus, tertioque carinati scabris; in- 
terior albida, scariosa, angusta, externa paulo bre- 
wior, obtusiuscula, dorso concava, binervia, mue 
tica; Arista subulata; Stigma integerrimum, pubes- 
cens arista brevius. (D. v.) 

Diefes Gras it in der Schweiz unter dem Namen 
Naͤtſch bekannt. Es wächst häufig auf den Alpen, auf 
dem Jura, und ſelbſt, wiewohl ſeltener, auf den Ebenen 
in trockenen Weiden, und in unfruchtbaren Wieſen. A. 
Bl. im Fruͤhling und im Sommer. 

Anmerkung. Der einzelne und ganz einfache Grif⸗ 
fel unterſcheidet dieſe Gattung von allen uͤbrigen Graͤſern. 
Ziemlich auffallend iſt auch bey derſelden der Mangel an 
einem Kelche; aber wie muͤtterlich hat nicht die Natur 
fuͤr die Erhaltung des jungen Eyerſtocks durch die beſon⸗ 


~ 


it 


LAE a 


VEM E 
dere Härte unb Feſtigkeit geſorgt, welche fie der aͤuſſeren 


Spelze gab! Der Nutzen dieſes Graſes iſt unbekannt; 


das Vieh laßt es unberührt, und es weicht ſelbſt der Senſe 
des Maͤhers wegen feiner außerordentlichen Steife. 


P H L EU M. Lieſchgras. 
Cal. valvulis æqualibus mucronato aristatis apice 
divergentibus, carinatis, margine interno membras 
naceo, apice truncato, corollam includentibus. (Pa: 


nicula spicata vel spiciformis .densa.) 


2. PuLEUm alpinum. L. Phì: panicula spicata, 
simplici, ovato oblonga; valvulis ciliatis, ari« 
sta ciliata vix longioribus, N. 9L(penegiefdj 
gras. 

Hall. helv. 1529. Lin. sp. pl. 88. Fl. Dan. 
Tab. 213. Host gram. austr. Tom.-3. Tab, 10a 
Scheuchz. gram. 64. Prodr. Tab. 3. 


+ Radix articulata, subrepens, taro multiceps. Cul 
mus pedalis, vel sesquipedalis, foliosus, spe adscen- 
dens. Folia fere Phlei pratensis , sed minora; Ligulæ 
inferiorum brevissimæ, truncatæ, Superiorum autem 


anguste, acute. Vaginæ teretes, læviusculæ; supre: 
ma paulo inflata. Panicula spicata, derisissima, ova- 
to - oblonga, vel, ovato - cylindrica, átropurpureas 


Spiculæ confertissimæ, pedicellis brevissimis, sim: 
plicibus, ramosisque, in lobos vix manifestos dispo: 
sitis. Valvule calycinz margine interno levi, dorsa 


pilis longioribus quam in Phleo pratensi ciliatæ, atis 


stis valvulam ferte æquantibus, inferne etiam hirsu- 


"ie, ceterum exasperatis. Nervi Corolla infra apicem 


*vanescentes, Cetera fere Phlei pratensis: (D. v.) 
Man finder es häufig auf ben Alpenweiden, auf dem 


E 


Jura und auf anderen Bergen in der Schweiz. A. Bl. 
im Heumonat und Auguſt. 

Anmerkung. Dieſes Gras hat ſo viel Aehnlichkeit 
mit dem Wieſen-Lieſchgras, daß der Herr von 
Schreber beyde Arten vereinigt hat. (S. Schreb. Graͤſ. 
Ir Bd. S. 102. Var. 3.) Doch trennt ſie immer noch 
Smith (Fl. brit. 69. N? 3.) und ich glaube ſeinem Bey⸗ 
ſpiel folgen zu muͤſſen, bis die Cultur oder fernere Beob⸗ 
achtungen mich hieruͤber (nts Beſſeren belehrt haben. 


3. PHTLE UN commutatum. N. Phl, panicula spi. 
cata simplici subrotunda; valvulis ciliatis, ari- 
stam nudiusculam zquantibus. N. 

Phleum Geraxdi. Schleicher. 


Radiz valida, ramosa, geniculata, nonnunquam 
multiceps. Culmus raro pedalis, plerumque 4—6 
uncias longus, adscendens , inferne sæpe infractus, 
nodis angustatis atropurpureis. Folia prioris, su- 
premum brevissimum. Ligulæ truncatz, subnullz. 
Vagina suprema longissima, superne inflato ventri- 
cosa. Panicula spicata densissima , subrotunda, ova- 
ta, vel (quod rarius fit). ovato - cylindrica , undique 
cornibus calycinis echinata. WValeulg ut præcedentis 
carina pilis longis diaphanis ciliatz, margine inter- 
no superficis exasperato. Arista glabra, scabriuscu- 
la, valvulam plerumque zquans, imo etiam quan- 
doque superans. Corolla ovata, plerumque mutica; 
Glumd exterior ovata, non truncata, mucronata, 
leviter 5- fida, rarissime in nostris arista brevissima 
ad.medium dorsum instructa, nervis usque ad api- 
cem productis. (D. s.) 


Auf den Höheren Alpen im Wallis an jumpfichten 
Orten; z. B. auf dem Bernhard und auf den Alpen des 


Viſperthals. Ludw. Thomas, Schleicher. Y- Bl. im 
Sommer. 


^4 PHLEZUM Michelii. All.. Phl. panicula spicie 

ai . formi, laxius. lobata, subcylindrica , valvulis 

i lanceolatis, obsolete truncatis, hirsutis, brevis- 
sime aristatis. N. Micheli's Lieſchgras. 


Gud Hall. helv: 1532. All. fl. ped. No 2138. 
P Phleum hirsutum. Sut. fl. helv. 1. p, 34. No 5, 
eov Phleum phalaroideum , Vill. Dauph: 2. p. 
Aenne: No r. 

, Phalaris alpina.. Host Bram austr. Titum 2: 
dit. (Rab. 35. 
‘Radix valida, repens, collo incrassata, multi- 
teps.. Culmus erectus, cubitalis, plerumque erectus 
levissimus, nodis olivaceis constrictis. Folia basi 
valde obliqua, glabra, margine tantum scabra, 2—3 
uncias longa, ad 3 lineas lata lanceolato.- acumina- 
ta, margine angustissimo, membranaceo, albo, ocu- 
lis. nudis conspicáo. Faginæ subteretes, subinde 
laxiusculz ;, superiores longissimz , vix inflate, sæ- 
pius purpurascentes ; Ligulæ elongate , obtusm. Pa- 
nicula spiciformis, mollis, laxius lobata, basi sub- 
interrupta, cylindrica, crassa, 2 — 5 uncias longa , 
viridis, aut purpura leni perfusa, lobis laxiusculis, 
mulüfloris, lanceolátis, (dummodo panicula parum- 
per flectatur) valde conspicuis. Pedunculi verticil- 
lati, inzquales , adpressi, ramosissimi ; longiores basi 
nudi; breviores spiculis ubique tecti. Valvulæ ca- 
Iycinæ lineari lanceolate, longe, anguste, margine 
interiori membranaceo, albido, vel purpurascente, 
pubescente, versus apicem sensim “attenuato, neg 
subito truncato, brevissime aristatæ, apice paulus 


E. 


lum divergentes dorso ciliato - hirsutæ. Corolla in- 
clusa, oblonga, margini interiori valvularum æqua- 
lis, ex albido viridiuscula. Gluma exterior ovato- 
lanceolata, integra, obtusa, concava, nervis 3 sub- 
tilibus, subscabris, usque ad apicem productis; in- 
&erior paulo minor, oblonga, breviter emarginata 
D. v.) a 

Auf hohen Alpen⸗Weiden, auf dem Tſchiera und 
andern Bergen in Buͤndten, J. Scheuchzer. Oberhalb 
Ilfingen, in dem Val de Bagnes u. f. w. auf ben Al⸗ 
pen des Diſtricts Aigle, 3. B. auf dem Berg Bovonnaz. 
21. Bl. im Jul. und Auguft. 

Anmerkung. Dieſe Art hat viel Aehnlichkeit mit 
dem Phleum phalaroides (Phalaris phleoides Lin.) 
deſſen Kelchbaͤlglein mehrentheils etwas haarigt ſind. Der 
erheblichſte Unterſchied beſteht, wie es ſcheint, in der Ge⸗ 
ſtalt und Länge der Afterblaͤttchen (Ligulæ), welche beym 
Phl. phalaroides ſehr kurz und abgeſtuzt find, 


MIL IV u. Hirſegras. 


Spicula uniflore; Cal. valvulis subæqualibus, 
Mentricosis, concavis. Cor. cartilaginea, calice mi- 
nor, semen includens. (Flores paniculati.) 


5. MILIUM effusum Lin. M. spiculis panicula- 
tis diffusis, muticis. Lin. Ausgebreitetes 
Hirſegras. A 

Hall. helv. 1525. Smith fl. brit. 75. No 1. 
Host gram. austr, Tom. 3. Tab. 22. Ehrh. gram. 
Dec. 4. N? 33. 

Radix valida, fusca, articulata , subrepens. Culmi 
recti, cubitales, tripedales, læves, glabri, superne 

Walde attemuati. Folia pedem dimidium et inte 


7 
Srum longa, $—4 lineas lata, intense viridia, mol- 
lia glabra, subpendula, scabriuscula, plana, multi- 
nervia, nervulis pusillis transversis interstincta. Va- 
gina glabre, leves, teretes, suprema folio longiors 
Ligula spectabilis, elongata, obtusa, lacera, 2— 3 li- 
neas longa; Panicula ampla, pyramidalis, sparsa, 
pauciflora, pedunculis paucis verticillatis, longe nu- 
dis, ramosis, inferne levibus, subflexuosis, 5 — 10 
floris, patentissimis, demum reflex is. Pedicelli in- 
erassati, exasperati. Spicule ovatz, parvae, virides, - 
sparse; Valeulg subzquales , glabræ, læviusculæ, 
Per lentem tamen pubescentes, margine angustissi- 
mo albido auctæ, ovatæ, nervis tribus paulo extan- 
tibus percursæ. Glumæ (Smithio optime monente) 
valyulis oppositæ, iisdem paulo breviores, nitidæ 
demum cartilaginez, persistentes , a semine- quod 
tegunt difficillime separandæ, subzquales; exterior 
paulo latior $-nervia. (D. Volk. y) i 
Dieſes ſchoͤne Gras findet man in den Waͤldern, vor⸗ 
zuͤglich aber in Berg- und Alpengegenden. Doch iſt es 
ziemlich felten in der Schweiz. Im Canton Waadt waͤchst 
es in den Wäldern des Val de Prevon d' Avaur 
zwiſchen Gimel und Burtigny am Sura. A. Bl. im Jul. 
und Auguſt. / 
6. MT ETTU confertum Lin. M. floribus panicu- 
latis, confertis, muticis. Lin. Gedrängtes: 
Hirſegras. 
Hall. helv. 1525. &. Lin. Sp. pl. go. N? s, 
Scheuchz. gram. 134. 
- Radix tenuis geniculata. Culmi sesqui vel bicu- 
bitates satis validi; . Folia tenera, infirmia, tenuia, 
|. 6—7 lineas lata, spithamam, sex et plures uncias. 


` 


longa, marginibus asperis, ceterum levia. Vaginæ 
glabre; Ligula tenuis, modo mucronata, modo ob- 
tusa et laciniata 1 —3 lineas longa; Panicula diffu- 
sa, pedalis et altior, prioris paniculz et spiculis si- 
milis, sed spicule multo plures et canferte sunt. 
Valvule -virides margine albido; Glume membrana- 
ces albe; Antheræ luteæ. Scheuchzer, 

Scheuchzer fand diefe Art häufig in den Waͤldern 
des ſteilen Bergs Tſchiera in Bündten. Sie bluͤhet im 
May. ; 

Anmerkung. Dieſes Gras, welches mir völlig uns 
dekannt iſt, haben Haller, Villars, Lamarck und 
andere mit dem vorigen vereinigt. Freylich ſcheinen, nach 
Scheuch zers Beſchreibung, die Kennzeichen, wodurch 
es ſich von dieſem unterſcheidet wenig zahlreich und ziem⸗ 
lich unzulaͤnglich zu ſeyn. Die Liebhaber, welche den Ans 
laß haben, dieſe zweifelhafte Pflanze an ihrem Geburts⸗ 
ort zu beobachten, wuͤrden ſich um die Wiſſenſchaft ver⸗ 
dient machen, wenn ſie dieſelbe genauer unterſuchten, und 
ſie ihren Freunden mittheilten. Hat ſie wohl jenen lieb⸗ 
lichen Geruch, der dem gemeinen Hirſegras, wenn es well 
oder trocken wird, eigen iſt? 


Acrostıs Windhalm. 


Spiculæ 1 flore; Valeule acuminatæ, subuniner- 
Vie, patentes; Corolla calyce minor, scariesa. (Flo- 
res paniculati.) 


* Corolla plerumque aristata. 


7. Asrosrıs alpina. Host. Agr. foliis setaceis, 
pedunculis levibus, gluma exteriore apice bi- 
mucronulata , dorso aristata. N. Alpen: Wind 
balm. | 


9 


Hall. helv. 1477? Scheuchz. gram. 140? et 
Prodr. p. 21. Tab. IV.? ) Host gram. austr. 
Tom. 3. Tab. 49. Decand. fl. fr. 1515? 


Radix fibrosa, perennis. Culmi cespitosi, fascicu- 
lati, erecti, leves, vix semipedales, superne longe 
nudi. Folia setacea, plicato cananiculata, subrigi- 
da, lævia, erecta; radicalia; culmo multo breviora, 
culmea paulo planiora latioraque, parum conspicua, 
vaginis plerumque breviora; Vagine etiam leves, 
profunde striatæ, spe rubellæ, teretes, latiusculz; 
. Ligula oblonga, bifida, lineam unam circiter lon- 
ga; Panicula diffusa, patens, colorata, aristata, pe- 
dunculis plerumque geminis, etiam sub lente bona 
levibus, ramosis, sed paucifloris ; Spicule minutæ, 
vix ulta lineam longæ, sepe vero breviores, clau- 
$2, ovato acutz; Valvule parum inæquales, uni- 
nerviz, ovato lanceolatæ, subcarinatz , dorso exaspe- 
ratæ, coloratæ, margine subciliatæ, corolla longio- 
res; Gluma exterior ovato lanceolata, retusa, apice 
subciliata, obsolete 4-nervia, nervuli duo exterio- 
res in mucronulum breve abeunt: Arista infra mé- 
dium dorsum glumæ inserta, obiter exasperata, re- 
curvo geniculata, flosculo duplo longior; Gluma in- 
terior angustissima, linearis, externa paulo brevior 
spe deficit. (D. v.) : 

O bs, Spiculz sepe bifloræ inveniuntur. 

Dieſes niedliche Alpengras wächst ziemlich haufig auf 
den Felſen der hoͤheren Berge, z. B. auf dem Gott⸗ 
hard, dem Bernhard, dem Simplon u. a. m. A. 
Bl. im Jul. und Aug. i 3 
— 000 ROO —, 
) Die Riſpe ift, nach dieſer Figur, zu lang und zu ſchmal; 
überdem iff die Zahl der Blumen viel größer als bey den 

Exemplaren, die ich beobachtet habe. i 


10 


8. Acrosrıs rupestris Host, A. foliis setaceis, 
« gluma exteriore basi aristata, apice breviter biar- 
ticulata. N. Felfen- Windhalm, 
Hall. helv. 1478? Scheuchz. gram. 141? Host 
gram, austr. Tom. 3. Tab. 5o. 
Agrostis festucoides Villars Delph. Tom. a. 
p. 76. N? g. 
B. Agr. rupestris filiformis, pipica elon- 
gata coarclata. 
E filiformis Vill. Delph. Tom. 2. 
p. 78. No a 
y. Agr. uen aurata, panicula aurata sub- 
patente, valvulis inzqualibus. Hall. helv. 1488. 
Abend aürata, Sut, fl. helv. Tom. 1. p. 67. 
No 7. 


Radix fibrosa, perennis multiceps ; Culmus lzvis, 
erectus, semipedalis, quandoque etiam pedem iunte- 
grum altus; Folia culmo breviora, setacea, scabrius- 
cula, subcanaliculata; Vagine teretes vel subangu- 
lose, latiuscule , leves, foliis longiores, suprema 
longissim&; Ligula lanceolata, truncata, fimbriata, 
Iineam fere longa; Panicula uncialis, biuncialis, in 
planta et florente patens, imo etiam subinde paten- 
tissima, raro viridis, plerumque violacea, in f fere 
"filiformis, in y aurata, maturaque tota nitore me- 
tallico refulgens; pedunculis, lentis mediocris ope, 
scabris, plerumque geminis, quandoque tamen al- 
ternis, vel subverticillatis, plus minus ve flexuosis; 
Spicule oblongæ, lanceolate; Valvule calycinz co- 
rolla paulo longiores, fere zquales (in y autem ma- 
gis inzquales) basi leves a media parte ad apicem 
usque dorso marginibusque exasperatæ, uninervie, 


4 


mucronulatæ; Corolla scariosa, albida; Gluma exte- 
rior oblonga, quasi bifida, retusa, nervulis nonnul» 
lis anastomosantibus percursa, nervi duo laterales 
in aristas brevissimas, sub lente tamen valde con- 
spicuas, abeunt, intermedii etiam duos mucrones 
breviores efficiunt; Arista exasperata recurvo geni- 
culata, spicula duplo longior, ad basin petali inser- 
ta; Gluma interior minima, retusa, ad basin exter- 
ne penicillo pilorum brevissimorum instructa, szpe 
deficit. (D. v.) 

Dieſes Gras kommt häufig in ben Alpenweiden und auf 
den Felſen der hoͤheren Berge vor. Auf dem Berg Fouly, 
Prapioz, Gotthard, Bernhard, Geron u. a. m.; & auf 
dem Gipfel der Thuiri, y auf den Bergen des Val de 
HBagnes, auf dem Kienboden, auf dem Gem mi. 
Hall. fil. 21. Bl. in den Sommer» Monaten. < 

Anmerkung. Der Kelch ſchließt nicht ſelien, beſon⸗ 
ders bey der dritten Abart, zwey Kronen ein, ſo daß in 
dieſem Falle bie Pfanze zu der Schmielen Gattung zu ge» 
Hören ſcheint. Uebrigens weiß ich nicht, ob die Botani⸗ 
ker nicht etwa die Synonymen des großen Hallers, welche 
man ber erſten Varietaͤt und der vorigen Art zuſchreibt, 
verſetzt haben? Die Agrostis 1477 der ſchweizeriſchen 


Pflanzengeſchichte (oll nach der Beſchreibung Grannen Das 


den, deren Länge die des Aehrchens kaum uͤbertrifft, wal 
ches weder Scheuch zer, noch ich, noch ſonſt, fo viel ich 
weiß, irgend jemand beobachtet hat. 


9. AGROSTIS purpurea N. Agr. gluma exteriore 
infra apicem. longissime aristata, panicula patu- 
la pauciflora; spiculis sparsis. N. Yurpurfar 
biger Windhalm. 


Radix annya fibrillis capillaceis, subinde tomen- 


42 


tosis; Culmus sepe unicus, adscendens, ad nodos 
geniculatus, teres, tenuis, nitidus, pedalis, vel ses- 
quipedalis; Folia vix lineam lata brevia, glabra, 
margine scabra, cito marcescentia; Vagine leves, 
plereque foliis breviores, suprema scabriuscula fo- 
lio multo longior; Ligula elongata, obtusa, multi- 
fida; Panicula ampla fere pyramidalis, patula, pe 
dunculis semi- verticillatis, patentissimis, plerumque . 
omnibus inferne longe nudis, purpureis, exaspera- 
tis, pedicellis etiam patentibus, paucifloris; Spicula 
sparse, distantes oblongæ, anguste, nitentes, de- 
mum purpuree; Valvule valde inzquales, mucro- 
nate, nervo dorsali superne tantum scabræ, sub 
lente margine versus apicem serratulatz; exterior 
ovato lanceolata, trinervia, nervis lateralibus eva- 
nidis; interior uninervia, lanceolata, angustior bre- 
viorque; Corolla calyce saepe longior; Arista floscu- 
lo tantum triplo longior, distincte (etiam absque 
lentis adminiculo) infra apicem glumae exterioris 
insérta, recta, exasperata. (D. s.) 


Dieſe neue Art bat mein Freund Ludwig Thomas (des 
bekannten Abraham Thomas Sohn) in dem Alpen⸗ 
thal Ternanche am Fuß des Cervin entdeckt. O. Bl. 
im Jul. und Aug. 


Anmerkung. Sie hat allerdings viel Aehnlichkeit 
mit der Agrostis spica venti , verdient aber wegen ihres 
beſondern habitus, und vorzuͤglich wegen der Geſtalt und 
Beſchaffenheit ihrer Riſpe, einen beſondern Namen; waͤre 
die Granne zuruͤckgebogen und terminal, und die Pflanze 
nicht jaͤhrig, fo koͤnnte man fie für die wenig bekannte 
Agrostis rubra nehmen, welche, fo viel ich weiß, nicht 
in der Schweiz vorkommt. Die unter dieſem Namen von 


13 


Hr. D' Suter aufgeſtellte arundo Hall. helv. 1523. 
gehört gewiß nicht hieher. 


10. Acrosrıs Calamagrostis. Lin. A. petalo ex- 
teriore toto lanato, apice longe aristato, Culmo 
ramoso. Lin. Aeſtiger Windhalm. 


Hall. helv.1521, Lin. sp. pl. 92. N? 4. Scheuchz. 
gram. 146. 
Calamagrostis arundo. Kel. graminum 102. 
No 2. 

Calamagrostis argentea Decand. fl. fr. No 1526. 
Radiæ fibris multis intertextis constans, multi- 
ceps; Culmi cubitales, vel tripedales, valde foliosi, 
erecti, basi saepe ramosi et incrassati , inferne vulga 
rubentes, laevissimi; Folia dura, arundinacéa per 
desiccationem involuta, supra leviter striata, mar- 
gine scabra, subtus laevia et nitida, utrinque gla 
bra, ad 6 uncias longa, 2 circiter lineas lata, acus 
minata, acutissima; Vagine foliis, saltem pleraeque, 
breviores, teretes, laeves; Ligula brevissima, trun- 
cata, basi linea transversa purpurea insignita; Pa 
nicula longa, coarctata, multiflora, satis densa, api 
ce incrassata, ex viridi et argenteo variegata; Pe- 
dunculis semi verticillatis, subflexuosis, ramosis, 
scabris , adpressis , per florescentiam subpatentibus; 
Spicule. 3 lineas longae, lanceolatae, acutae, viri- 
des, albidae, rarius spadiceae; Valvulz lanceolatae, 
"oblongae, acuminatae, uinerviae, nervis latézilibus 
evanidis, concavae, subcarinatae, ad nervos sub- 
pubescentes, valde inaequales, margine late scario- 
$0 argenteae; exterior apice aristiformi ; Gluma ex: 
terna valvula exteriori fere duplo brevior, lanceo- 
lata, villis densis spiculam aequantibus tota obsita; 


14 


apice :3 aristam exasperatam, geniculato recurvam, 
spicula duplo, vel triplo longiorem abit; Gluma in- 
terior tota glabra, externa brevior, multoque angu- 
Stior, scariosa , apice retusa, irregulariter emarginata, 
äntherae longae, flavae, (D. v.) : 

Dieſe ſchoͤne Pfanze findet man am Fuß der Alpen, 
an felſigten und warmen Orten, im Bezirk Aigle, am 
Weg der zu den Salzwerken des Fondemens fuͤhrt; 
zwiſchen Olon und Aigle; an der ſogenannten Tombey⸗ 
Straße; oberhalb Pvorne; auf dem Berg d' Arvelz 
unweit Ormond deſſus, hoͤher als der Wald de la 
Chenau; bey der Quelle der Chandane, nahe bey 
Roſſiniere; zwiſchen Rougemont und Saanenz 
am Ufer des Hinterrheins gegen uber Raͤzüns u. f w. 
.. Bl. im Jul. und Aug. 

Anmerkung. Ungeachtet der haarichten aͤuſſeren 
Spelze kann dieſe Pflanze keinesweges zur Rohrgattung 
gerechnet werden; denn die Haare, welche dieſe Spelze bes 
cken, ſind nicht frey, ſondern an die Svelze ſelbſt ange⸗ 
wachſen. Die Agrostis arundinacea Lin. hingegen ift, 
meines Erachtens, cine Arundo. Die langen , pinfelförs 
migen Haare, welche die Krone umgeben, ohne an Dies 
ſelbe angewachſen zu ſeyn, ſind bey dieſer Art vorhanden; 
hiemit gehoͤrt ſie wohl zur Rohrgattung. 


* Corolla plerumque mutica. 


ai. Á GROS TIS patula. N. A. Culmo basi genicu- 
lato; pedunculis demum divaricatis, basi nodo- 
sis; Spiculis ovato lanceolatis, Corolla calicem, 
subaequante. N. Ausgebreiteter Windhalm. 
Culmi plerumque humiles, semipedales, foliosi, 
ad basin geniculato infracti, superne adscendentes ; 
Folia firma, lanceolata, 1— 3 lineas lata, brevia, 


18 


utrinque et ad margines scabra; FVaginæ strictae, 
laeves; suprema folio multo longior; Ligul« specta- 
biles, ad lineam longae, latae, obtusae; Panicula 
subpyramidalis, pedunculis filiformibus, nodo pur- 
pureo insidentibus, rigidis, scabris, demum divari- 
catis, per desiccationem nequaquam contractis, ple- 
risque, vel omnibus, inferne longe nudis; Spicule 
lineam circiter longae, coloratae, Ovato-lanceolatae, 
vel lanceolatae; WValvule subaequales, lanceolatae, 
vel lineari-lanceolatae, purpureae; exterior carina 
in procerioribus fere tota, in humilioribus tantum 
versus apicem scabra; Gluma exterior calvcem fere 
aequans, ovato oblonga, concava, quasi acuta, in- 
tegriuscula, nervosa; interior duplo brevior, multas 
que angustior, conspicua, emarginata. (D. s.) 

Dieſe Art wächst in den Alpen, unter andern auf dem 
Stockhorn im Canton Bern. 4. Bl. in ben Goma 
mer » Monatgn. Die Exemplare, welche ich beſitze, ver⸗ 
danke ich ber Güte des Herrn von Haller, dem wuͤr⸗ 
digen Sohn unſers ſchweizeriſchen Plinius, und Herrn 
Seringe, einem ſehr geſchickten Pfaanzen⸗Sammler, 
der ſich in Bern aufhaͤlt. 

Anmerkung. Dieſe Prange ſcheint einige Aehnlich⸗ 
keit mit der Agrostis divaricata Hof fm. zu haben, 
unterſcheidet ſich aber von derſelben durch ihre Spelzen, 
welche ſtets kuͤrzer als die Baͤlglein find, und durch ihre 
ziemlich dicken und keineswegs haarfoͤrmigen Riſpen⸗ 
Stiele. f 

S 11A. Pfriemengras. 

Cal. 2 valvis, uniflorus; Cor. gluma exteriore 

arista terminali tortili longissima, basi articulata. 


12. S T1 PA pennata Lin. St. aristis plumosis Hall. 
Federartiges Pfriemengras. 


? 


12 : Hall. helv. 1514. Scheuchz. gram. p. 153. tab. 
3. fig. 13. DB. Barrell. ic. 45. Smith. brit. 138, 
Nei. | 


- Radix fibrosa, perennis; Culmi cespitosi, fascicu- 
lati, sesquipedales, erecti, neutiquam (ut vult Cl. 
Smith) enodes, foliis fere toti vestiti, infra panicu- 
lam pubescentes. Folia vix scabra, longa, expan- 
sa, lineam lata, involuto setacea, intus striata, ex- 
tus laeviorà, radicalia fasciculata, cespitosa. Vagi- 
ne teretes, virides longae, glabrae, laeviusculae, in- 
ferne nitidae; Ligulae elongatae, acutiusculae; Pa- 
nicula cum aristis pedalis et longior, paulo contracta, 
angusta, pauciflora; Pedunculi pauci, breves, ramo- 
si, sed pauciflori, erectiusculi, parum scabri, semi 
verticillati; Spicula graciles, elongatae, viridiuscu- 
lae; Valeule lanceolatae , subquinque nerviae, sub- 
aequales, margine scarioso, angustissimo concavae; 
inferior superiorem basi involvens, carinata 5 ‚supe- 
rior quasi pedicellata, nervulis distinctius extanti- 
bus; utraque in apicem attenuatum , aristiformem , 
laevem, planiusculum , aut involutum , angustissi« 
mum, valvula ipsa duplo, triploque longiorem abit: 
Corolla pedicello dense villoso insidens, subulata, 
fere teres, Calyce brevior; Gluma exterior subcarti- 
laginea, obsolete 5-nervia, basi et margine villosa, 
ceterum nitida; Arista terminalis omnium longissi- 
ma, fere pedalis, inferne spiraliter contorta, nuda- 
que, ceterum elegantissime pennata, pilis nempe 
longis, mollibus, sericeisque, bifariam patentibus 
ornata; Gluma interior laevis, nitida, dorso omnino 
convexa, (D. v.) 

Dieſes zierliche Gras findet man hie und da auf Fel» 
ſen, welche der Sonne ausgeſetzt find, am Fuß der Alpen, 


17 
und auch wohl ſelbſt auf hohen Bergen, z. B. auf den 


| Alpen um Oeſih (Herr Pf. Bridel); in der Gegend 


i 


von Roche und St. Maurice; auf dem Scaletta 
in Buͤndten, u. ſ. w. A. Bl. im Heumonat. 


AR u N D oO. Rohr. 


Calyx bivalvis, uniflorus aut multiflorus. Cor. 
glabra basi pilis longis persistentibusque cincta. 


13. Arunpo Calamagrosiis Lin. Ar. Calycibus 
unifloris, panicula diffusa, spiculis sparsis, val- 
vulis lanceolatis, foliis linearibus. N. Lanzen⸗ 
foͤrmiges Rohr. 

Scheuchz. gram. 124. Lin. sp. pl. 121. No 5, 
(exclus. syn. Scheuchz.) Hall. filius, in Röm. 
arch. Tom. 1. fasc. 2. add. p. 1. sqq. N? 43, in- 
ter species novas. Fl. dan. tab. 180, Ehrh. gram. 
exs. dec. g. N? g. 

i (Hall. helv. 1519, und Ar. Calamagrostis 
Sut, fl. helv. Tom. 1. p. 71. N? 4. gehören nicht 
hieher.) 


Radix „ fibrosa vix repens" (Smith) Culmi cubita: 
les et bicubitales, glabri, laevesque, (superne ra- 
rius scabriusculi) tenues, erecti, basi subinde ramo- 
si; Folia angusta, 3 lineis non latiora, minus arun- 
dinacea, viridia, nec glauca, (desicaüone, bene mo- 
‘nente Scheuchzero, atroviridia) scabriuscula, in no- 
stris glabra; Vagine teretes, laeves, striatae, supre- 
ma folio multo longior; Ligula lanceolata, brevis, 
utrinque decurrens; Panicula oblonga, lanceolata, 
primum angusta et coaretata, demum latiuscula, dif- 
fusa, non walde multiflora, ex purpureo et viridi 
variegata, pedunculis ramosis, verticillatis, $cabxis; 

zr Bd. 


15 


Spicule lanceolatae, basi vix ventricosae, purpuras- 
centes, 2 fere lineas longae; Valvule calycinae lon- 
gitudine subaequales, lanceolatae, latiusculae, acu- 
iissimae, carinatae, vix involutae, carina scabrius- 
culae, major minore fere duplo latior; Corolla in 
lana spiculam aequante delitescens; Gluma exterior 
subnervosa apice breviter bifida, laciniis laceris, mu- 
cronatis; Arista exigua, pilis baseos fere brevior, in 
nostris dorsalis, in specimine Erharti et in anglicis 
inter lacinias apice glumae inserta. (D. s.) 

In ben Wäldern am Fuß des Tſchiera im Scham⸗ 
ſerthal, Scheuchzer; an feuchten Orten laͤngs den Hecken 
unweit Guͤmlingen im Canton Bern, wo ſie vom Herrn 
Staatsrath Alb. von Haller, der ſie mir guͤtigſt mitgetheilt 
hat, zuerſt iſt beobachtet worden. 4. Bl. im Jul. und 
Aug. 


14. ARUNDO pseudophragmitis Hal. fil. Ar. pa- 
nicula laxiuscula, spiculis unifloris, subsecun- 
dis, valvulis elongato linearibus, arista termi- 
nali, calycerh aequante. N. Mittleres Rohr. 


Hall. fil. in Röm. arch. I. c. inter species 
novas. Sut. fl. helv. 1. 71. Ne 5. 


Diefe Pflanze hat mir Herr v. Haller, ber fie zuerſt beob> 
achtete, guͤtigſt mitgetheilt. Ihre Aehnlichkeit mit Arun- 
do epigeios iſt freylich nicht zu verkennen, und der Herr 
Entdecker iſt, nach den Briefen, womit er mich beehrt, 
jezt beynahe der Meynung, ſie ſey nur bloße Varietaͤt von 
derſelben; indeſſen laͤßt ſie ſich doch durch folgende Merk⸗ 
male von dem Land-Rohr unterſcheiden. 

Culmis tennioribus, laeviusculis; Foliis fere linea- 
ribus, nec lanceolatis, perinde tamen glaucis; Vagi 
pis laeviusgulis, suprema ſolio multo longiore; Pa- 


I 19 
nicula patente latiuscula; Spiculis minus dense con- 
gestis; Valvule inaequales; Glumá& exterior calyce 
paulo brevior, apice leviter bifida, aristam e basi di- 
visioais emittens; interior exteriore paulo minor, 
oblonga, apice bifida; Arista scabra, oculo nudo fa- 
cile conspicua, pappo longior, calycem aequans, vel 
saepius superans. (D. s.) c 

An dem Damm des Holzplatzes der Stadt Bern. Herr 
v. Haller. Dieſe Pflanze waͤchst auch im Wallis, wo ſie 
von dem Herrn Prior Murith, der ſie mir mitgetheilt hat, 
ift gefunden worden. A. 


15. ARUN DO montana N. Ar. calycibus uniflo- 
ris corolla paule longioribus; Gluma exteriore 
inferne aristata; Arista geniculata. N. Wind⸗ 

E halmartiges Rohr. 
Hall. helv. 1522. Agrostis arundinacea. 
Lin. sp. pl. gı. N? 3? Hall. fil. in Róm. Arch. 
I. c. Decand. fl. fr. N? 1527. 
a. Arundo acutiflora. Schrader germ. 1, p. 
217. N? 7. 
B. Arundo varia. Schrad. germ. 1. p. 216. 
Ne 6, 
Agrostis pseudo arundinacea. Schleich. pl. 
exs. Cent. 1. N? 8, 


" Radix repens, articulata, tunicata; Culmi erecti, 
vel basi modice genieulati, cubitales, teretes, glabri 
laevesque, sub panicula quandoque scabriusculi, fo- 
liosi; Folia glabra, utrinque, pxesertim subtus, mar- 
ginibusque scabra, recentia plana, per desiccationem 
saepe involuta, longa, ad 2 lineas lata; Vagine gla- 
brae, teretes, laeves, vel scabriusculae; suprema fo- 
Ho paulo longior; Ligüla oblonga, ovata, obtusa; 


20 


Panicula oblonga coarctata, ante et post anthesin 
fere spiciformis, plerumque valde multiflora, pedun- 
culis semi- verticillatis, scabriusculis, ramosissimis, 
inaequalibus, inferne breviter nudis; Spiculae angu- 
stae, oblongae, lanceolatae, uniflorae, acutae, ex 
viridi purpurascentes, subinde pallidae; Valvule ca- 
lycinae corolla paulo longiores, erectiusculae, parum 
inaequales, plerumque uninerviae, carinatae, lan- 
ceolatae, acutiusculae , carina fere tota exasperata 5 
Corolla glabra, sessilis, basi penicillo pilorum plus 
minusve densorum, demum  elongatorum , spicu- 
lamque fere aequantium cincta; Gluma exterior al- 
bida, scariosa, nervosa, nervis brevissime pubescen- 
"tibus, involuta, apice fissa, laciniis sublaceris, mu- 
cronulatis, infra medium dorsum aristata; interna 
duplo minor, apice sublacera; Arista calyce longior 
scabra, geniculata, contorta. (D. v.) 

Man findet diefe Art ziemlich haufig in den Wäldern 
der Berge unb der Alpen: auf dem Uetliberg, bey ben 
Truͤmmern der Burg Manned; an den Ufern der Sihl; 
auf dem. Berg Danfer; um Bern; im Bezirk Aigle; 
oberhalb Bonmont; am Fuß des Do laz u. f. w. A. 
Bl. im Jun. und Jul. 

Anmerkung. Die Varietaͤt 8, welche nicht in Waͤl⸗ 
dern, ſondern in Cümpfen, ſowohl auf den Bergen als 
auf der Ebene, z. B. bey Noville vorkommt, erkennt 
man an ihrer ſchmaͤleren Riſpe und an der geringern Ans 
zahl der Blumen. Die Arundo, Hall. helv. 1523, 
hat man zu verſchiedenen Malen an den von dieſem großen 
Mann angezeigten Orten vergeblich geſucht. S. die oben 
erwaͤhnte Abhandlung des Herrn Staatsrathes von Haller 
in Roͤmers Archiv. Die Herren Schleicher und Thomas, 
Vater und Sohn, haben diefe Berge mit beſonderer Rüͤck⸗ 


^ 21 


fibt auf die Halleriſche Pfanze durchfucht, ohne fie finden: 
zu koͤnnen. Erſterer hat aber daſelbſt Arundo montana 
oder Agrostis arudinacea mit Spelzen, die mit unge⸗ 
woͤhnlich langen undgdichten Haaren umgeben waren, ges 
ſammelt. Sollte etwa dieſe merkwuͤrdige Abart, wovon 
ich Exemplare beſitze, die verlorne Halleriſche Pflanze ſeyn? 


AIR A. Schmiellen. 


Cal. biflorus, valvulis erectis scariosis; Cor. duae 
(sine rudimento flosculi tertii) plerumque aristatae; 
Arista ad basin glumae exterioris inserta. 

Anmerkung. Von dem in ben Thälern unb auf 
dem ebenen Lande gemeinen Raſen-Schmiellen findet 
man in den Alpen einige ſchoͤne Abarten, unter andern eine 
mit gruͤnlich⸗goldener Riſpe, welche ich in Abraham Tho⸗ 
mas älteren Sammlungen unter dem Namen Arundo, 
Hall. helv. 1523, fand. Man erkennt dieſe ſchoͤne Pflanze 
immer an der tief gefurchten oberen Seite der Blaͤtter. 


16. AT RA flexuosa. Lin. A. foliis setaceis pani- 

| cula trichotoma, flexuosa; Corollis basi villo- 

sis, calycem æquantibus; altera peduneulatas 
N. Gewundene Schmiellen, 


. 


Var. æ. Spiculis majoribus, magis coloratis , . 
panicula coarctata. 

Hall. helv. 1486. «. Scheuchz. gram. 216. Pro- 
diom, Tab. IV. 

A ira montana. Sut. Fl. helv. 1. 41. Ne 5. 
Wilden. sp. pl. 1. 359. No 9. Leers herb. No 61. 
P- 24. Tab. 5. fig. 1. 


Die A ira montana von Rinne gehört, nach Smiths 
Erinnerung, keineswegs hieher. 


22 


1 Var. B. Spiculis minoribus albidis, panicu- 
la patente. 
Hall. helv. 486. B. Scheuchz. gram. 218. Pro- 
drom. Tab. VI. 
A ira flexuosa, Sut. Fl. helv. 1. 41. N? 6. 
æ, B. Smith Brit. 85. N° g. Host gram. austr. 
Tom. 2. Tab. 4. 3. 


z 


Radix fibrosa multiceps; Culmi pedales, sesqui- 
pedales, laeves, glabri, teretes, erecti, quandoque 
subnudi, rigidiusculi; Folia radicalia numerosa, fasci- 
culata, setacea, plana, sed angustissima, subcanali- 
culata, tenera, laevia, culmo multo breviora; cul- 
mea breviora, rigidiora, scabriuscula; Pagine lon- 
gae, striatae, glabrae, plus minusve scabrae, saepius 
coloratae; Ligula oblonga, profunde bifida, laciniis 
obtusis; Panicula trichotoma, pauciflora, flexuosa, — 
in g contracta et quasi spiciformis, — in ß patens 
fere divaricata, pedunculis longis, longe nudis, se- 
mel, bis vel ter trichotomis, saepe coloratis, quan- 
-doque sublaevibus; Spicule grandiusculae, ad 3 li- 
neas longae, erectae, ex argenteo et purpureo ele- 
ganter variegatae, — in g minores, minusve colo- 
ratae; Valvule parum inaequales, scariosae, conca- 
vae, nervo unico, subevanido, carina scabra; Co- 
rolle scariosae, albidae, vel variegatae, calyce vix 
breviores, quandoque etiam paula longiores, altera 
inferior sessilis, altera breviter pedicellata, pedicello 
villoso, utraque basi pilis conspicuis cincta; Gluma 
exterior apice bifida, vel erosa; fere enervia, supra 
basin aristata, interior fere aequalis, apice bifida; 
Arista capillacea, debilis, primum erecta, demum 
geniculato recurva, scabra, spiculis paulo longior; 
Anthere rubrae , vel violaceae, (D. v.) 


25 


e. Dieſes ſchoͤne Gras wächst häufig auf den Alpen⸗ 
weiden, oberhalb Weſen; auf den Bergen Javernaz, 
Enzeindaz, Geron u. f. w. B in den Waldungen am 
Fuß der Alpen; in einem Eichenwald bey Michelfel⸗ 
den. A. Bl. im Jul. und Aug. i 


P O A. Stifpenaras. 
„Spicula basi rotundata; Cal. bivalvis, multiflo- 
rus; Cor. bivalvis, glumis ovatis, acutiusculis, mu- 
ticis. Smith. Rachis propria spicularum (plerum- 
que) lævis. j 
* Spiculis glaberrimis. 


17. P o 4 disticha. Jacq. P. Spica ovata, disticha; 
Spiculis compressis, quadrifloris, sessilibus. N.. 
Zweyzeiliges Riſpengras. 
Hall. helv. 1447 app. 2. ad Scheuchz. ggam.. 
p- 47. No 30 PP 
P. Disticha, Host gram. austr. 2. Tab. 76. 
Sturm Deutschl. Fl. 1e Abthl. 1s Heft. Tab. 1. 


Radix dura, fast lignosa, fibris eximie longis 5. 
Cespites fasciculati, basi tunicis validis striatisque 
tecti; Folia radicalia numerosa, cespitosa, setacea y. 
angulosa, glabra læviaque, modo Culmum fere zquan- 
tia, modo eodem multo breviora, Culmea paucissi- 
ma, involuta, ceteris breviora, quandoque omnino 
nulla; Vaginæ foliis longiores, stricte , semi mem- 
branacez; Lisulz albe, lineam unam circiter longæ; 
Culmi erecti, 3 — 6 pollices longi, superne scabrius- 
culi; Spica ex albo, cæruleo variegata, ovata, ex spi- 
culis 8 — 12 sessilibus , secundis, sicque imbricatis, 
ut altera parte exacte distichæ sint et rachis nuda 
compareat, altera vero parte dense imbricatæ rachirz 


24 ' 


omnino tegant; Spicule ovatæ, distichæ, 3—6 floræ; 
Rachis communis sepe subflexuosa; Valvule fere 
sequales, ovato lanceolatæ, concava, valde carina- 
tæ, basi virides, dorso dilutius intensiusve czrulez, 
apice margineque late scariosz , nervo dorsali exaspe- 
rate; Gluma exterior valvulis simillima, sed paulo 
major, iisdem coloribus picta, nervo valido, scabro 
sæpius in mucronem producto; interna alba, scario- 
sa, tenera, ad nervos angulorum ciliata. (D. v.) 


Dieſe in der Schweiz ſehr feltene Art, kommt nur auf 
den hoͤchſten Bergen in Bundten und im Wallis vor. 
Herr Prior Murith hat ſie auf der Catogne de St. 
Branchier gefunden, und ſie mir guͤtigſt mitgetheilt. 2L. 
Bl. im Jul. und Aug. 

Anmerkung. Die Poa disticha hat allerdings in 
ihrem habitus viel Aehnlichkeit mit den Seslerien, daher 
Allioni ihr auch den Namen Po a Seslerioides gegeben hat. 
Indeſſen iſt es, meines Erachtens, ſehr ungewiß, ob die 
Sesleria 1447. Hall. helv. zu dieſer Pflanze gehoͤre? Hal⸗ 
ler ſchreibt jener ausdruͤcklich einen doppelten Kelch zu, 
welches keineswegs einem Riſpengras zukommt. Auch habe 
ich bey meinem Freund, Herrn D* Römer, einen Nomen⸗ 
clator geſehen, worin der verewigte Canonicus Geßner die 
Sesleria 1447. Cynosurus sphoerocephalus genannt hatte. 
In Rhetiens Gebuͤrgen wird man wohl uͤber fruͤh oder 
ſpaͤt die Ses ler ia tenella finden und fo die Wahrſchein⸗ 

lichkeit noch groͤßer machen, daß die Poa, Hall. helv. 
3447, eher zu dieſer als zur Poa disticha gehöre, 


18. PO A rubens. Willd. P. cespitibus complana- 
tis, culmo compresso, spiculis, 5 - floris, coro!- 
lis, ovato- lanceolatis 5- nerviis. N. Roͤthli⸗ 
ches Riſpengras. : 


25 


Willd, sp. pl. x. p. 339. Decand. fl. franc. 
N? 1605. * 


Poa sylvatica. Vil. Delph. 2. p. 128. Tab. 3° 
Chaix in fl. Delph. 1. p. 316. (exclus. synon.) 
Sut. fl. helv. 1. p. 48. 


Radix repens, stolonifera; Cespites s. foliorum 
radicalium fasciculi (optime monente Cl. Viliars, 
fere ut in Antherico calyculato L., aut in iridibus) 
complanati, lati, superne dilatati; Culmi cubitales, 
foliosi, erecti, læves, compressi; Folia plana, vel 
sæpius ad carinam complicata, apice cucullata ut ex- 
plicari, nisi rumpantur, nequeant, lineari lanceola- 
ta subito acuminata, nec vere obtusa, lata, brevia 
(presertim caulina), lzviuscula, margine tamen sca- 
bra, dorso glandulis raris, non nisi lentis acrioris 
ope conspicuis conspersa; Vaginæ radicales brevissi- 
mz, caulinz foliis longiores, scabriusculæ, omnes 
acute carinatæ, compressæ, striate; Ligulæ inferio- 
res brevissimæ, truncatz; superiores longiores, ova- 
tæ, obtuse; Panicula diffusa, oblonga, patens, ex 
viridi et atrospadiceo, variegata; Pedunculi-semi vez- 
ticillati, ramosi, filiformes, scabri, basi modo nudi, 
modo toti apiculis tecti; Spicula ovate, acute, 3—4 
lineas longe, ex atro viridantes, plerumque 4—5 
flore; Calyx corollis minor, valvulis valde inzqua- 
libus, lineari lanceolatis, nervis extantibus; superior 
trinervia, inferior uninervia; Corolle subdistantes, 
ovato oblongæ; Rachis propria fere levis, vix sub 
lente valida scabriuscula; Gluma exterior ovato lan- 
ceolata, latiuscula, acute carinata, glaberrima, cari- 
na tamen scabra, nervis 5, oculo nudo etiam con- 
spicuis, percursa, margine angustissime scarioso , 


26 


apice acutissimo; interior semiscariosa, elliptica, ex- 
teriori angustior, subtruncata, leviter incisa, ad flexu- 
re angulos ciliato- scabra; Stigmata, filamentaque 
brevissima; Anthere corollam zquantes. (D. v.) 
Auf ben Weiden der Alpen nicht felten. Es kommt z. B. 
auf dem Simplon, auf dem Fouli u. a. m. auch auf 
dem Jura hie und da vor. A. Bl. im Jul. und Aug. 


19. Poa sudetica Haenke. P. Cespitibus compla- 
natis, culmo compresso, spiculis subtrifloris, 
corollis lanceolatis , obsolete nervosis. N. 
(Schleſiſches Riſpengras). 

Willd. sp. pl. 1. p. 389. Host. gram. austr. 
3 Tab. 13 optima. Schrad, germ. 1. p. 295. 


Poa sylvatica. Krock. Siles. 1. p. 133. 


Habitus prioris a qua modice differt; panicula 
saepe verticillatim interrupta, saepe coarctata; spi- 
culis laete viridibus, oblongis, plerumque 3 floris, 
gluma exteriore lanceolata , angusta obsolete 5 nervia. 
(D. v.) 

Auf den niedrigern Alpen oberhalb Bex Lud. Thomas. 
A. Bl. im Jul. und Aug. 

Anmerkung. Da ich dieſe Pflanze niemals lebendig 
geſehen, kann ich die angezeigte Diagnoſe von den ſchwarzen, 
faſt unmerklichen Rippen an den Spelzen nicht verbuͤrgen; 
ſollten mich meine trockenen Exemplare getaͤuſcht haben, ſo 
muͤßte man die vorige Art, nach Herrn Schrader's Beyſpiel 
ganz weglaſſen, und mit der Schleſiſchen vereinigen. 

* * Corollis pubescentibus, basi liberis, nec 
lanugine complicata, protrahendaque 
connexis. 


20. Poa nemoralis Lin, P. Ligulisesubnullis, 


27 


foliis basi plicatis vagina latioribus, panicula elon- 
gata; corollis sub nervosis, pubescentibus. N. (Wald⸗ 
Riſpengras). 

Anmerkung. Von den zahlreichen Spielarten dieſes 
Riſpengraſes werde ich nur diejenigen ausheben, welche aus» 
ſchließlich in den Alpen, oder in bergigten ee vor⸗ 
kommen. 

1. PO A nemoralis vulgaris N. P. panicula pauci- 
flora nutante, calyce spiculas exiguas subbifloras 
subzquante, culmo debili. N. 


3. Nodis culmeis spongioso cirrhosis villosisque. 
Scheuchz. gram. p. 165. J. J. Scheuchz. itin. alp. p. 38. 
Tab. 5. fig. 1. Hall. helv. 1469. $. 


Habitus omnino varietatis vulgaris ,, circa geni- 
cula glomerulas prodit flamentorum fuscorum vel 
ex fusco subluteorum , cirrhosorum, varioque flexu 
intortorum, quae per lentem conspecta radicularum 
capillarium schema repraesentant" (Scheuchz. I. c.) 
Panicula valde pauciflora, nutans; Culmus exiguus. 
(D. s.) 

Dieſe merkwuͤrdige Abart findet man hie und da an 
ſchattigen Orten in guter ſchwarzer Alpenerde: Dans le val 
de Lie ou d’Illiers; im Engelbergerthal um das 
Bruderloch; in den Alpen oberhalb Ber; in ben Wäls 
dern ohnweit Vvonand; Joh. Gay. A. Bl. im Jul. 
und Aug. 

Anmerkung. In den Schwaͤmmchen an den Halm— 
knoten habe ich, wie ſchon vorher Hr. Gouan Inſekten⸗ 
Larven gefunden. 

2° Po 4 nemoralis montana. N. P. panicula pau- 
cillora nutante; spiculis grandiusculis, subquinque- 
floris, calyce longioribus, coloratis; culmo debili. N. 


28 


Culmus debilis, pedalis vel sesquipedalis; pani- 
cula oblonga, pauciflora, subnutans; Pedunculis fili- 
formibus, plerumque geminatis, rectis nec flexuosis; 
Spicule oblongae, eliipticae, basi minus rotundata, 
coloratae, 3 lineas longae, calycem excedentes; co- 
rolae 4—5, basi villos®, non omnino liberae, sed 
pilis lanuginosis, protrahendis, brevissimis subcon- 
nexae, inferne marginibus dorsoque villosae. (D. v.) 

In ben Wäldern des Jura. A. Bl. im Jun. und Jul. 


22. Po A glauca Smith. P. panicula spiciformi 
stricta; spiculis subtrifloris; glumis obtusis, villosis; 
culmis rigidis; foliis patentibus. (Rafenartiges 
Riſpengras.) 


Smith fl. brit. 3 in add. p. 1388. N° 16. 
Hall. helv. 1468. (vix hujus loci) an potius 
1459? 

Radix fibrosa, cespitosa, culmi cespitosi , fascicu- 
lati, duri, rigidi, semipedales, vel pedales, inferne 
tantüm foliosi, striati , laevissimi; folia angusta, 
patentia, subtus margineque scabra; brevia, fere ut 
in nemorali basi plicata; vagine folia saepe aequantes, 
vel superantes, profunde striatae , laeves; Ligula 
subnulla, truncata; panicula spiciformis , stricta, 
pauciflora, subsecunda; pedunculis brevibus, scabris, 
1—3 floris, erectis, vel adpressis; Spicule ovatae, 
parvae, latiusculae, compressae, bi vel saepius tri- 
florae, basi rotundatae, ex glauco, violaceo et aureo 
variegatae, calycem longe excedentes; Valvule par- 
vae, inaequales, exterior carinata, carina scabra; 
ovato acuminata, subinde mucronatula, trinervia 
interior lanceolata, obsolete trinervia, nervis'nempe 
lateralibus cito evanescentibus; Corolle distinctae; 


29 


Rachis propria teres hinc scabriuscula ; Gluma exterior 
ovata, apice obtusa, saepe quasi retuso, carinata, 
obsolete 5-nervia, nervis nempe 4 lateralibus vix 
conspicuis, infra medium evanidis, basi glauca, 
dorso purpurea, superne late scariosa, aurata, apice 
albida, dorso, basi, marginibus inferne villosa potius- 
quam pubescens, omnino libera; interior lineari 


.. lanceolata, flexurae nervis ciliato scabris, validis, 


approximatis , purpureis, ceterum scariosa , albas 
herba sola glauca; Anther@ luteae. D. v.) 


Anmerkung. Ob diefe Prange von der Poa mon- 
tana. Allion. pedem. verſchieden fey, getraue ich mir nicht 
zu entſcheiden; indeſſen vermuthe ich es. Ich beſitze zwar 
Exemplare von dieſer Poa montana, die aus dem Her⸗ 
barium von Allioni ſelbſt kommen; ſie gehoͤren aber nicht 
zu meiner Glauca, fonbern zu einer andern Art, welche 
ich unter dem Namen P. Aspera beſchrieben habe. Beyde 
Arten konnten gar leicht verwechſelt werden, indem fie 
eine auffallende Aehnlichkeit im habitus haben. — Herr 
Schrader glaubt die P. glauca Smith fey nicht hits 
reichend von P. nemoralis verſchieden. Ob aber das 
solum alpinum allein die vielen Abänderungen an allen 
Theilen der Planze hervorbringen konnte, daruͤber wirde 
allein die Cultur in einem Garten entſcheiden. 

Sie wächst hie und da auf hoͤhern Alpen, auf Felſen 
die der Sonne ausgeſetzt ind, Auf Enzein daz unterhalb 
der Sennhütten. A. Bl. im Jul. und Aug. 

22. Poa annua, Linné. P. panicula secunda, 
pedunculis geminis divaricatis, culmo obliquo, 
compressiusculo , radice annua. N. (Jaͤhriges 
Riſpengras.) ; 

6. Poa annue varia N. P. panicula secunda , pe 


30 


dunculis alternis, patenti erectis, corollis subsenis, 
carinis subpubescentibus glabriusculis. N. 


Poa variegata Schleich. Cat. pl. p. 38. (excl. Syn. 
- Hall.) l t 


Habitus fere vulgaris; folia tamen angustiora 5 
Panicula elegans, pauciflora, erecta, rigidiuscula ; 
Rachi ad pedunculorum basin sui-refracta; Pedun- 
culis plerumque solitariis, patenti- erectis, rigidius- 
culis, lavibus; Spicule lanceolatae, pulcherrime ver- 
sicolores, 6 — 7 florae, fere totae glabrae: Corollæ 
distinctae, remotiusculae; Rachis propria ut in vul- 
gari levis; Gluma exterior obtusa, inferne viridis, 
dorso saturate purpurea, apice margineque anguste 
scariosa, albida vel sepius aurata, glabriuscula, carina 
iantum obsolete pubescente, nervis 4, lateralibus vix 
conspicuis; interior ut in communi, nervis flexurae 
extantibus, sed minus copiose pubescentibus. (D. v.) 


An ben Baͤchen, auf den höheren Alpen; auf der 
Scheideck. Seringe. Auf dem Gotthard haufig. 
O Bl. im Sommer. 

ite Anmerkung. Dieſe Art iſt gewiß nicht die Po a 
1456. y. von Haller; denn nach der Beſchreibung des uns 
ſterblichen Mannes, hat dieſe Spelzen, welche weit haarigter 
find als die der Po a alpina (1456, a); an unferer Pflanze 
hingegen ſind die Spelzen immer faſt ganz glatt; doch ſcheint 
fie allerdings zum gramen 190. Ne 2. Scheuchz. agr. und 
Prodr. Tab. 3. zu gehoͤren. 

' ete Anmerkung. Die meiſten Botaniker waren big- 
her der Meynung, daß die Poa humilis Ehrh. (gram. 
exs. Dec. 12. No 115.) entweder eine Abart des jaͤhrigen 
Riſpengraſes, oder doch eine mit derſelben verwandte Art 
fey, und man koͤnnte daher wegen der gefärbten Aehrchen, 


31 


und der nur unter einem halbrechten Winkel offenen Riſpen⸗ 
ſtiele unſerer Varie, leicht auf den Gedanken gerathen, 
diefe fey die Po a humilis Ehrh, Allein diefe it von allen 
Spielarten des jaͤhrigen Riſpengraſes gang verſchieden. 
Ihre Wurzel iſt wahrſcheinlich nicht jaͤhrig; Halm und 
Blaͤtter ſind etwas ſteif, und die Aehrchen enthalten wenig 
Bluͤthen. Endlich ſind die Spelze von unten mit langen 
verflochtenen Haaren verſehen, welches weder bey der Poa 
alpina noch bey der Poa annua der Fall it. So viel ich 
weiß, iſt die P. kumilis in der Schweiz nirgends gefunden 
worden. Denn es ſcheint ganz ohne Grund zu ſeyn, daß 
der fonft (o ſcharfſinnige und dehutſame Smith unter den 
Synonymen der P. humilis die Poa 1456. y angeführt hat. 
Nach Herrn Schrader iſt die Ehrhardtiſche Pflanze weiter 
nichts als eine Spielart der Po a pratensis; welches aller⸗ 
dings nicht ohne Wahrſcheinlichkeit iſt. 


23. Poa alpina Lin. P. panicula brevi, pedun- 
culis geminis; corollis basi sericeis ciliatisque, 
obsolete nervosis, spiculis sub sexíloris. N, 
(Alpen: Rifpengras,) 

Hall. hely. 1456. a. Scheuchz. gram. 186. Prodr. 
20. Tab. 3. Lin. sp. pl. 99. N? 3. Hostgram. austr. 
2. Tab. 76. Smith fl. brit. 100. N? 8. Schrad. germ. 
1. p. 292. N? 12. 
8. Panicula vivipara, 
Hall. I. c. B. Scheuchz. gram. 212. Ne 3, Tab. 4. 
f. 14. Host l. figuraque Cit. 

Radix fibrosa : Culmus pedalis vel sesquipedalis, 
erectus vel adscendens, nodis paucis instructus, gla- 
ber, lævis, superne nudus, szpe purpurascens: Folia 
ad 2 lineas lata, 1—3 ve uncias longa, glabra, fere 


32 Y 


levia, obtusa et in mucronem subito acuminata 5 
Vagina fasciculorum, s. radicales erectae, breves; 
Ligula. truncata, brevissima: Vagine culmeae lon- 
gissimae, teretes, leves; Ligula lanceolata, acuta, 
longiuscula; Panicula pulcherrima , lata, brevis, 
ovata vel rotundata; Pedunculis geminátis, plerum- 
que scabriusculis, duo infimi, in exemplis juranis, 
patulis. divaricaii, longe nudi, a reliquis remoti, 
ceteri approximati, breviores, erectiusculi, densi, 
multiflori; panicula in speciminibus alpinis minus 
densa, pedunculis paucifloris, zquidistàntibus, zqua- 
lioribus; Spicule $— 3 lineas longae, ovato lanceo- 
latae, compressae, distinctae, ‘plerumque 5—6 floræ, 
eleganter ex viridi violacco et luteo variegatae; Co- 
rolle omnino libere: Valvule parum inzquales, ovato 
lanceolatae, nervis tribus paulo extantibus instructz, 
margine late scariosae, acute carinatae, nervo dorsali 
scabro: superior sxpe mucronata: Gluma exterior 
acute carinata, inferne marginibus dense ciliata, ca- 
rinaque sericea, obsolete 5- nervia (nervis intermediis 
vix conspicuis) ovata, acuta, valde concava, margi- 
pibus apiceque scariosa, interior leviter bifida, ad 
nervos scabra. (D, v.) 

Dieſes ſchoͤne Gras findet man haͤufig auf den Alpenweiden 
und auf dem Jura; es gewaͤhrt dem Vieh ein trefiches 
Futter. . Bl. im Jul. und Aug. 

B. Spiculae sæpe in bulbum, florum corollis, caly- 
‚cibusque in foliola mutatis, evadit, ut panicula tota 
vivipara fiat. (D. v.) 

Auf den Alpen, auch auf dem Jura. 3. B. au creuz 
Au vent. Hall. 


34: Pos frigida N. P, panicula coarctata, oblonga, 


Ms u 


33 
vorollis carina marginibusque pubescentibus, 
subenerviis, spiculis subquadzifloris. N. (Glet⸗ 
ſcher⸗Riſpengras.) 

Radix fibrosa, (vix repens) perennis; Cesplites 
basi in fasciculum oblongum , tunicis emarcidis tec 
tum, collecti. Culmi vix semipedales, erecti, l2ves; 
fere usque ad paniculam foliosi, nodis bievissimis; 
sub vaginis latitäntibus: Folia fere prioris, sic et 
Vagine, omnia glaucescentia: Ligule oblongae, in- 


. €isae ; inferiores subdeltoideae acutae; superiores 


Obtusae , quasi truncatae, crenatae vel multifidae t 
Panicula erectiuscula, apiée tamen subinde nutans; 
valde coarctata, spieamque laxiorem mentiens, ob- 
longa, pedunculis solitariis vel geminis, scabriuseulis; 
ramosis, erectis: Spiculz imbricatae, oblongae, ovató 
lanceolatae, grandiusculae, juniores glaucae, adultaé 
ex purpureo et luteo variegatae, 3—4 florae: Co: 
rolle liberae, WValeula superior fere tota scariosa; 
ovato acuta, obsolete trinervia; nervis lateralibus 
vix conspicuis, evanidis, acute carinata, nervo dor- 
sali scabro, in mucronulum sæpe preducio ; inferior 
brevior angusüorque, uninervia; Gluma exterior 
Ov ? acuta; valde concava; uninervia, carina su- 
Perne scabra, inferne pubescente (nec sericea) mar- 
ginibus versus basin ciliatis? inferior angusta, supe- 


' riorem longitudine zquans, ad netvos flexurae viri 


des validosque ciliata. (D. v.) 

Dieſe Art wächst in der Nähe der Gletſcher, z. B. 
au- dessous du glacier de Plan- nove; dans la vallée de 
Bagnes etc. A. Bl. im Jul. und Aug. | 

Anmerkung. Dieſe Art hat allerdings viel Aehn⸗ 
lichkeit mit der vorigen; doch ift der habitus verſchieden! 

9r Vd. C 


34 


auch unterſcheidet man beyde Arten an den Blatthaͤutchen, 
an der Riſpe, an den Bälglein, und an den Spelzen. 
Gehört etwa die Po a supina des gelehrten Herrn Cd ras 
der hieher? allein dieſer ſchreibt feiner Pflanze eine fries 
chende Wurzel und offene Riſpen zu, welches mit der unſe⸗ 
rigen nicht uͤbereinzukommen ſcheint. Herr Schrader fuͤhrt 
unter den Synonymen ſeiner Supina auch Hall. helv. 1456. 
y. an; aber dieſe Citation iſt ohne Zweifel falſch; denn 
nach Herrn Schrader ſind die Spelzen superiori parte 
glabrae, inferiori parte imprimis carina et margine 
parce villosae; nach Haller hergegen ift basis folliculi 
multo uberiori (quam in Alpina) et albo serico tecta. 
Unter den Synonymen ber P. supina finde ich aud) P. va- 
riegata Hall. fil. in Schleich. Catal. p. 38. Diefe Pflanze 
kann aber ſchlechterdings nicht zur Supina gehören; denn 
ber Herr Staatsrath von Haller ſelbſt ift jezt der Meynung, 
dieſe variegata ſey eine bloße Varietaͤt der annua, wovon 
mich zu uͤberzeugen auch ich mehr als einmal in den 
Alpen die Gelegenheit fand. 

25. Poa brevifolia N. P. panicula ovata, angusta 
patente; spiculis subquadrifloris; corollis dorso 
sericeis; foliis culmeis brevissimis. N. (Kurz⸗ 
blaͤttriges Riſpengras.) 

Habitus fere ‚frigide ; Ligulis culmeis acutis, co- 
rolisque dorso et margine evidentius sericeis, ad 
alpinam florum fa brica ad utramque accedit; Culmus 
trientalis vel brev ior, basiszpe geniculatus 5 superne 
longe nudus, inferne duabus vaginis longissimis 
vestitus, levis glaberque: Folia omnia brevissima, 
latiuscula, culmè a vix semiuncialia: Panicula ovata, 
Parva, angusta, colorata, pedunculis lævissimis ge- 
minis, patentibus : Spicula pauciflor@, non magnæ, 
esicra fere alpina. (D. v.) 


35 


Sie kommt auf höheren Alpen aber ziemlich felten vor. 
A la vallée de Bagnes; auch auf dem Bernhard u. ſ. w. 
A. Bl. in den Sommermonaten. 

Anmerkung. Unſere Pflanze iſt wohl ganz die P. 
collina Host gram. austr. 3. Tab. 66. die, nach Herrn 
Schraders Bemerkung, von der P. badensis Willd, 
wenigſtens als Varietaͤt verſchieden ift ; ungeachtet Hr. Hoſt 
dieſe unter ſeinen Synonymen anfuͤhrt. Den Namen Col. 
lina habe ich deswegen nicht beybehalten, weil dieſe Art 
nicht auf Huͤgeln, ſondern auf hohen Bergen bey uns 
waͤchst. Im uͤbrigen behauptet Herr Schrader, daß dieſt 
Pflanze von der P. alpina nicht verſchieden ſey. 

** Corollis basi lanugine protrahenda connexisj 

Ligula subnulla. 


26. Poa coarctata Hall. fil. P. panicula inultiflora 
oblongata, coarctata ; spiculis ellipticis, acutis; 
culmis firmis, cespitosis. N, (Mauer-Riſpen⸗ 
gras.) 

P. coarctata Hall. fil. in notis ineditis, 

P. cespitosa Poiret Encycl. method. 5. P. 73 
N? 6, 

Hall. helv. 1468 ? ? 

Radix fibrosa subrepens, valde cespitosa; Culmi 
numerosi , fasciculati , erectiusculi, v. geniculati , 
multinodes, foliosi, firmi, rigidiusculi, levissimi, 
spe ut tota planta glaucescentes: Folia brevia, rigi- 
diuscula, angusta, subscabra; superiora vaginis paulo 
longiora: Vagine breves, striatæ, fere angulatae., 
foliis angustiores : Ligule truncatae subnullae, vix 
conspicuae: Panicula elongata, coarctata, fere spici- 
formis; Pedunculis plerumque semi verticillatis, erec- 
tiusculis, vel adpzessis , brevibus, ramosis: Spicula 


36 


ellipticae, acutae, parvae, 3, vel rarius, 4 florae, 
coloratae, ceterum fere ut in'sequenti: Corollae basi 
lanugine plus minusve longa densaque, conspicue 
connexae, qua nota a nemorali facile disti epe 
(D. v.) > 

Diefe dem Wald-Niſpengras Ähnliche Art findet man 
käufig an trockenen, der Sonne ausgeſetzten Orten, an 
Felſen, auch im Thal auf den Mauren. A. Bl. im Jun. 
und Jul. und ſpaͤter in den Alpen. 


27. Po glaucanthos N. P. panicula pyramidali, 
multiflora; spiculis ellipticis, acutis, subquinque 
floris; culmo firmo foliisque glaucis. N. (Nel 
kengruͤnes Riſpengras.) 

Po a glauca Schleich. pl. exs. cent. 4, Ne 8. 

Poiret Encycl. meth. 5. p. 73. N? 7? Fl. dan. i 
Tab. 964? 

Priori et nemorali affinis, Radix subrepens, pe- 
rennis: Culmi erecti, læves vel scabriusculi, superne 
nudi, firmi, ut tota planta valde glauci, cubitales, 
basi subramosi: Folia plana, sesquilineam lata, 
scabra ; suprema vaginis modo longiora, modo bre- 
viora: Vagina sepe scabriusculae, longae, teretes, 

Sed carinatae : Ligulæ truncatae, brevissimae, plerum- 
que subnullae, quandoque dimidiam fere lineam 
longae: Panicula pulchra glauca , pyramidalis, mul- 
tiflora , patula; Pedunculis semiverticillatis, sub- 
flexuosis, scabris, inzqualibus, ramosis: Spicule 
ellipticae , acutae, distantes, ex glauco, violaceo et 
luteo variegatae: Rachis propria scabra: Valvula su. 
perior oblonga, lanceolata, acutissima , acute cari 
nata, marginibus late scariosa, obsolete trinervia, 
mervis lateralibus cite evanidis, carina scabra; in 


37 


ferior brevior angustiótque, uninervia, lineari lau. 
ceolata: Corollg 3—5, basi lanugine rara, sed longe 
A protrahenda constrictae, calyce longiores; Gluma 
exterior oblonga, angusta , lanceolata , carinata , 
-~ uninervia, obtusa vel subretusa , apice marginibusque 
scariosa, basi sericea; interna angustior, bifida, al- 
- bida, nervis scabris. (D. v.) 
Auf den Bergen in waͤrmeren Gegenden e 
1 Morcel, und an andern Orten im Unterwallis; a 


n Montets bey Bex, u. ſ. w. A. Bl. im Jun. unb ane 
1% 2 


28. Poa juncoides N. P. panicula pauciflora; spi- 
culis subtrifloris, ovato lanceolatis, seminibus 
ovatis; stigmatibus persistentibus. N. (Sim fenes 
foͤrmiges Riſpengras.) N 
Culmi erecti, leves, multinodes, graciles sed 

- firmuli, pedales, velsesquipedales; Nodi levissimi, 
nigrescentes; Folia lineam unam vel sesquilineam 

Jata, omnia vaginis longiora, versus apicem scabrius-. 

cula, ceterum glabra, acutissima, basi ut in affinibus. 

plicata; Vagine leves, teretes, foliis angustiores z 

Ligulæ truncatae, brevissimae, subnullae: Panicula 

ovata vel oblonga, angusta, pauciflora; Pedunculis 

- gemiverticillatis vel (quod rarius) binatis, ramosis, 
= scabris, erectiusculis; Spicula ovato lanceolatae, par- 

*. wae, per maturitatem latae, bi vel triflorae, ex viridi 

j griseae, leni purpura suffusae: Corollz basi lanugine 

3 .Batis copiosa, longissime protrahenda, adhærentes 3 

k Walvule parum inæquales, lanceolatae, angustae, 
-  xarinatae, marginibus subscariosae, acutae , uniner- 

. wiae, vel obsolete trinerviae; Cluma exterior lanceo- 

lata, nervis tribus conspicuis, paulo extantibus ins« 

. fucta, basi dense ciliata, carinaque villosa, apice 


" 


ds 
scarlosa; interior lineari laneeolata, valde angusta, ` 
nervis scabriusculis: Rachis propria subpubescens, 
gemina ovata, viridia, junci vel caricis capsulis[similia; 
Stigmata pubescentia, persistentia, Stylus elongatus. 
D. v.) 

Eine Alpenpftanze. Ich fand fie im Jahr 1804. in 
Savoyen au nant Bourant, à la montée du M. Bonhomme. 
Im nemlichen Jahr ſammelte ſie ebenfalls mein Freund 
Ludw. Thomas am Savoyſchen Hochgebirg, und ſchickte 
Exemplare von derſelben an Herrn Villars, der ſie fuͤr eine 
eigene Art erklärte, und Poa tenuis nannte. 4. Bl. im 
Jul. und Aug. 


*** Corollis basi lanugine protrahenda connexis; 
Ligula exserta, pedunculis geminatis vel 
solitariis, 


29. Poa aspera N. P. panicula coarctata, flexuosas 
corollis obsolete nervosis, subvillosis; culmis 
cespitosis, scabris, N. (Rauhes Riſpengras.) 


Radix fibrosa, dense cespitosa, culmi numerosi, 
fasciculati, rigidi, semipedales, erectiusculi, basi 
foliosi, superne longe nudi, subangulosi, scabri: 
Folia patentia, brevia, vaginas supremas vix æquan- 
tia, lineam fere lata, acuta, scabra, rigida: Vagina 
stricte, sepius scabriusculæ, profunde striatæ, fere 
angulose: Ligula exserta, subdeltoidea, lineam di- 
midiam vel integram longa: Nodi culmeisub vaginis 
sese mutuo tegentibus latitantes: Panicula stricta, 
€oarctata, pauciflora, Rachi scabra, eximie flexuosa, 
Pedunculis spe adpressis, rarius erecto patentibus, 
subramosis, valde scabris, rigidis , geminatis; Spiculg 
evato lanceolatæ, grandiusculæ, distichz , compresse, 


39 


| 
eolorate, 3—4 flore: Valvule inzquales plerumque 
intense purpurez , spicula breviores, acutæ, carinatæ, 
concavæ, marginibus scariosis, carina scabræ; su- 
perior ovato lanceolata, trinervia, nervis lateralibus 
evanidis; inferior brevior angustiorque , obsolete 
trinervias Corolle distinctz , lanugine satis copiosa, 
longe protrahenda, basi constricte ; Rachis propria 
hinc levis, inde pubescens; Gluma exterior ovata 
carinata obsolete 5-nervia, basi ad nervos villosa, 
denique ciliata, obtusa, apice subretuso, marginibus. 
scariosis, carina superne scabra; interior elliptica, 
angustior, scariosa, apice emarginata, ad flexuræ 
nervos scabra.. (D. v.) 

Dieſe Pflanze ift nicht felten auf den ON und wächst 
auf Felſen die der Sonne ausgeſetzt find. Ich habe fie unter 
andern auf hohen Bergen oberhalb Bagnes, auf dem 
Tzermotanaz gefunden. A. Bl. im Jul. und Aug. 


Anmerkung. Ihr aͤuſſeres Anſehen hat viel aͤhn⸗ 
liches mit der Poa glauca Smith, womit fie ohne Zweifel 
oft verwechſelt worden iſt. Ich beſitze ein Exemplar davon, 
welches im Allioniſchen Herbarium, unter dem Namen, 
Pod montana geweſen iſt, fo daß ich die Poa montana 
Allioni nicht unter den Synonymen der Glauca anfuͤhren 
duͤrfte. Es fraͤgt ſich aber, ob Herr Allioni nicht beyde 
Pflanzen als zu einer und derſelben Art gehoͤrend, angeſehen 
habe? Indeſſen find es gewiß zwey ganz verſchiedene 
Pflanzen. Unſere aspera erkennt man am rauhen Halm, 
an den laͤnglichen Blatthaͤutchen, und an den zaͤhen Haaren, 
womit der untere Theil der Spelzen verſehen iſt. Ich 
kenne keine Beſchreibung von dieſer Pflanze. 


30. Poa distichophylla N. P. radice repente, foliis. 
culmorum sterilium distichis; panicula flexuosa* 


spieulis sübtrifloris, basi sericeis. N. (Faͤcher⸗ 
blaͤttriges Riſpengras.) 


Poa flexuosa Schleich. pl. exs. 


Radix repens, longissima, articulata, hinc inde 
stolones cespitosos, ipsosque reptantes protrudens ; 
Culmi juniores, adhucque steriles bi vel triunciales, 
toti folis patentibus, alternis, æquedistantibus, 
pulchre distichis obsessi: Culmi floriferi erectiusculi, 
vel adscendentes, leves, semipedales, vel pedales, 
superne longe nudi, profunde striati: Folia culmea 
vix disticha, inzqualiter distantia, erecto- patentia, 
superiora vaginis multo breviora; omnia læviuscula, 
$lauca, tenera, lineari lanceolata, acuta, brevia, 
inferne sesquilineam lata: Vagine striate leves, 
supremæ longissimz: Ligula omnes exsertæ if2 ad 
3/4 lin. long, obtusz, superiores laciniate: Pani 
cula oblonga, coarctata, flexuosa, multiflora; Pedun- 
culis plerumque geminatis, filiformibus, crassiusculis, 
flexuosis, lzviusculis, vel obiter scabris, brevibus, 
erectiusculis: Spicule tri-rarius quinquefloræ, ob- 
longe, acute, ex glauco, violaceo et albo pulchre 
variegate, totius fere generis maxime (reperitur 
tamen varietas cujus spicule parvæ remaneant) $ 
Valvule parum inæquales, acute carinatz, obsolete 
trinerviæ, nervis nempe lateralibus vix conspicuis, 
coloratæ, marginibus scariose, carina scabra, acu- 
tissime: Gluma exterior oblonga, acuta , rarius ob- 
tusiuscula, carinata, basi glauca, superne eleganter 
violacea, marginibus albis, obsolete 5-nervia, nervis 
carinaque versus basin sericeis, ibidem marginibus 
copiose ciliata, interior albida, obiter bifida, ad 
$exuiz nervos scabra; Corolla in hac specie lanugine 


— 


4 


topiosa longissime protrahenda basi constrictæ sunt. 
QD. v) | 
Sie koͤmmt ziemlich Häufig am Ufer der Alpenbaͤche im 
Sand vor, und ſcheint beflimmt zu ſeyn, wie dag Triticum 
repens, die Arundo arenaria und aͤhnliche Pflanzen die 
lockere Erde feſt zu halten, und andern Gewaͤchſen einen 
dauerhaften ſicheren Boden zu gewähren. Auf bem Lio fon, 
auf dem Bonhomme in Savoyen, auf den Walliſer 
Alpen u.f. w. A. Bl. im Jul. und Aug. 
Anmerkung. Gehört etwa die Poa Hall. hel v. 1458 
hieher? Dieſe foll nach Hallers Beſchreibung eine entfernte 
Aehnlichkeit mit der Poa annua haben, welches mit der 
unſerigen, wenigſtens in Abſicht der zweyzeiligen Blätter an 
den juͤngeren Halmen allerdings der Fall iſt. Auch ſcheinen 
die uͤbrigen Charactere, die der große Mann ſeiner Pflanze 
zuſchreibt, ſo ziemlich auf die Poa distichophyla zu paſſen. 
Hergegen iſt die Poa humilis Ehrh. eine ganz andere Art. 


32. P o4 pallens Hall. fil. P. radice repente, pani- 
cula pauciflora patula, capillari, apice nutante, 
* corollis obsolete nervosis. N. (Gelbliches 
Riſpengras.) 
Hall. fil. in notis ined. — Seringe cat. gram. 
exsicc. i 


Radiz repens; Culmus levis, gracilis, attenuatus, _ 
inferne foliosus, superne longe nudus; Folia brevia, 
inter se fere zqualia, infima tamen ceteris multo 
bréviora, superiora vagina duplo vel triplo breviora; 
omnia sesquilineam fere lata, glabriuscula , apice ob- 
tusiusculo cucullata; Vaginæ teretes, stricte, leves, 
glaucescentes; Ligule superiores exsertæ, oblongæ, 
obtusae, multifidae; inferiores breves, subtruncatae, 
infimae subnullae, (sic in nostris, monente autem 

* 


42 


ampliss. Hallero fil. subinde omnes oblongae sunt); 
Panicula brevis, lata, patentissima , valde pauciflora, 
apice nutans; Rachi vix ac ne vix flexuosa, gra- 
cilima, pedunculis capillaribus laeviusculis, gemi-. 
natis, patentissimis, longiusculis , inferne longe 
nudis, 2 —6 floris; Spicule ovatae, latae, ex luteolo 
pallide virescentes, 3-vel 4 florae; Valvule parum 
inaequales, oblongae, acuminatae, carinatae, ad 
margines vix scariosae, obsolete trinerviae; superior 
paulo latior longiorque; Corolle distinctae, remo- 
tiusculae, lanugine complicata, copiosa, protrahenda 
ad basin constrictae; Gluma exterior ovato- lanceolata 
acuminata, obsolete 5-nervia, nervis lateralibus 
quatuor vix conspicuis, acuta, carinata, ad carinam 
inferne scabriuscula, inferne et ad nervos orales 
dense pubescens; interior valde angusta, lincaris, 
scariosa, exteriore paulo brevior, ad nervos validos 
flexurae scabro-ciliata. (D. s.) 

Dieſe Art it von Heren Seringe in den Bernerifchen : 
unb Walliſer Alpen entdeckt worden. Sie waͤchst nament⸗ 
lich auf dem Stockhorn. A. Bl. im Jul. und Aug. 

Anmerkung. Sie hat mehr Aehnlichkeit mit der 
vorigen als mit irgend einer andern mir bekannten Art. 
Indeſſen ſcheinen ihr die faͤcherfoͤrmigen Ausläufer zu fehlen. 
Die Geſtalt und Beſchaffenheit der Riſpe iſt ganz verſchieden, 
und die Spelzen zeichnen fich durch ihre Länge und ihre ſcharfe 
Spitze vor. Mit der Alpina wird fie wohl niemand pct» 
wechſeln, und die aͤuſſerſt ſchwachen Rippen an den Spelzen 
unter ſcheiden fie von der Pratensis hinlaͤnglich. 


32. Poa laxa Willd. P. panicula contracta, subra- 
cemosa, nutante, flexuosa ; spiculis subtrifloris, 
late ovatis, pubescentibus; pedunculis filifor- 


mibus N. (Schlaffes Rifpengras.) 


= 


43 


Hall. helv. 1457. Scheuchz. gram. 163. Prodr. 
Tab. IV. 

Poa laxa Willd. sp. pl. 1. p. 38. Sut. fl. helv. 
1. p. 45. Ne 3. 

Schrad. germ. 1. p. 291. Ne 11. Host gram. 
austr. 3. Tab. 15. 


Poa elegans Decand. fl. fr. 3. N? 1615. 
Po a flexuosa Smith brit. p. 101. N° g. 


Radix fibrosa, valde cespitosa (sic mihi ut 
Scheuchzero et Smithio visa est, Cl. Schraderus 
tamen ei radicem repentem tribuit); Cespites dense 
fasciculati, numerosi; Culmi laeves, 3— 5 uncias 
alti, erecti, compressiusculi , subglauci, superne 
nudi; Folia lineam fere lata, lanceolato-Iinearia, 
laevissima, margine tantum scabriuscula, obtusius- 
cula, tenera, vaginis longiora ; Vagine laxae, mar- 
gine scariosae , inferne dilatatae, plerumque leviter 
purpurascentes , laevissimae , vix striatae; Ligule 
omnes exsertae, elongataę, acutae ; Panicula elegans 
in racemum oblongum, spiciformem coarctata, un- 
cialis vel biuncialis, ex 13 — 20 spiculis approximatis 
constans; Pedunculi geminati; superiores alterni soli- 
tariique; omnes basi nudi, filiformes, laeviusculi , 
flexuosi, erecti, pauciflori; Spiculz late ovatae, dis- 
tichae, bi-vel szpius triflorae, ex viridi, violaceo 
et albo variegatae; Valoulæ corollas fere æquantes, 
parum inzquales, oblongae, acutae, sepe mucronu- 
lätae, obsolete trinerviae, carina scabriusculae: Co- 
rolle lanugine brevi, parca, complicata, curvula, 
vix protrahenda ad basin connexaes Gluma exterior 
inferne viridis, dorso purpurea, apice alba, ovato 
lanceolata, obtusiuscula, carina superne scabra in- 


44 


ferne pubescente, inferne etiam ad nervos orales 
parce villosa, obsolete 3 vel 5 nervia, nervis nempe 
lateralibus omnibus vix per lentem acriorem conspi- 
cuis; interior multo angustior- sed fere zque longa; 
scariosa, ad nervos subcolorata, pubescens. (D. v.) 


Dieſes zierliche Gras findet man auf den Weiden und 
an graſigten Felſen auf den hoͤheren Bergen; auf dem großen 
Bernhard; auf Tzermotanaz au-dessus du val de 
Bag nes; auf dem Bernardin, unweit der Quelle des 
Hinter⸗Rheins, u. ſ. w. A. Bl. im Jul. uno Aug. 


33. Poa minor N. P. panicula subracemosa, con- 
tracta, capillari, nutante parciflora; Spiculis 
oblongis subsexfloris, sericeis. N. (Kleineres 
Riſpengras.) | 

Hall. helv. 1456. var. y? (Das von dieſem 
großen Mann angeführte Scheuchzeriſche Synonym 
gehört wohl nicht pieper.) 


Radix fibrosa, plerumque minus quam in priore 
cespitosa : Culmi 3—6 — 9 uncias longi, filiformes, 
debiles, sed erectiusculi, basi szpe ramosi , foliosi, 
nodis parvis, parum conspicuis instructi; Folia vix 
lineam lata, linearia, acuta, læviuscula; Vagine 
fere strictae, leves, striatae, suprema folio multo 
longior; Ligule omnes exsertae, inferiores breves, 
obtusiusculae, superiores elongatae, acutae; Panicula 
elegantissima, oblonga, coarctata, szepe fere linearis, 
pauciflora ex 6— 12 spiculis constans), imprimis 
ante florescentiam nutans, effoeta erectiuscula; Pe- 
dunculis levibus, capillaceis, solitariis vel geminatis, 
rectis, vix unquam flexuosis, fere appressis, sub 
spiculis modice incrassatis, paucifloris; Spiculae ol 


45, 


longae, ovatae, 2—3 Tineas longae, florentes latius- 
culae, ex viridi, violaceo et albo variegatae, 4—6 
florae; Valeul quoad longitudinem parum inzqua- 
les, corollis fere breviores, carinatae, ovato lanceo- 
latae, valde acutae, carina scabrae;'superior latior, . 
pauloque longior, ovato acuminata, obsolete tri- 
hervia, inferior fere uninervia; Gluma exterior in- 
ferne viridis, dorso violacea, apice marginibusque 
alba, ovato-lanceolata, acuta, obsolete 5-nervia, 
nervis 4 lateralibus vix sub bona lente conspicuis, 
Carina superne scabra, inferne sericea, ad margines 
versus basin ciliata, interior albida, angusta, ad 
nervos flexurae viridescens , scabriusculaques Co- 
folle distichae, distinctae,,basi lanugine louge pro- 
trahenda, plus minus ve copiosa constrictae. (D. v.) 


Dieſes ſchoͤne Gras findet man wie das vorige, auf 
hohen Gebirgen; auf dem Bernhard, auf den Bergen 
oberhalb Ber und Aigle u. ſ. w. Bl. im Jul. und Aug. 


Anmerkung. Das kleinere Riſpengras hat allerdings 
mehr Aehnlichkeit mit der vorigen Art als mit dem Alpen⸗ 
Riſpengras; doch koͤnnte man es eher als unſere Poa 
annua varia mit der Alpina verwechſeln; daher, und 
aus andern ſchon angefühzten Gründen, glaube ich keines⸗ 

wegs, daß die Varia die wahre 1456 y ſey. Das leichteſte 
Kennzeichen, woran man die Minor vor der Laxa unters 
ſcheiden kann, beſteht in den langen und zaͤhen Haaren, 
woran die Kronenſpelzen der P. minor haͤngen bleiben, und 
welche der Laxa beynahe ganz fehlen. 
* Corolla basi lanugine protrahenda 
constricta, . 
Ligula exserta; pedunculis semiver- 
1icillatis. 


46 . 


34. Poa hybrida N. P. panicula elongata, spiculis 
pubescentibus, glumis acuminatis, nervosisy 
culmo vaginisque compressis; radice repente. N. 
(Bastard Riſpengras.) 


Radix repens, articulata, valida, squamosa: Cul- 
mi ancipites, subangulosi, inferne crassi, versus 
apicem valde attenuati, foliosi, superne nudi, 3—4 
pedes longi, læves vel scabriusculi: Cespites juniores 
sicut in sudetica valde complanati; Folia ad 3—4 
lineas lata, utrinque et ad margine sscabra, longissi- 
ma, lanceolato-linearia, acuminata, apice vix cu- 
cullata, sed acutissima ; Vagine omnes foliis bre- 
viores, profunde striatæ, ancipites carinatæque, plus 
minus ve scabrz; Ligulæ exsertæ, truncatæ, infe- 
riores brevissimæ, superiores paulo langiores: Pani- 
cula elongata multiflora, atrovirens, erectiuscula, 
vel apice paulum nutans; Pedunculis semiverticillatis, 
tenuissimis, scabris, longis, yalde ramosis, multi- 
floris: Spicule compresse , distiche , oblonge, 3—4 
floræ; Valvule valde inzquales, superior lineari lan- 
ceolata, acutissima, trinervia, carina scabra; inferior 
exigua, uninervia, albida; Corollg calyce majores, 
distincte, ut per florescentiam rachis propria conspi- 
cua sit, basi lanugine breviter protrahenda raraque 
constrictæ, elongate, angusue; Gluma exterior ex- 
pansa, ovato lanceolata, acuta, apice tantum sca- 
riosa, ceterum viridis, nervis quinque validis ins- 
iructa, acute carinata, carina scabra, versus basin 
autem parce pubescenti; interior angusta externam 
longitudine fere zquans, albida, ad nervos flexurz 
approximata, scabra, apice retusa, emarginata. (D. v.) 


Dieſe neue Art wärst auf den hoͤchſten Bergen ber 


' 


47 


Jurakette, mo mein Freund Gay fie zuerſt beobachtet 
hat; auf der Dolaz und au creux du vent, ſie iſt ſelten. 
A. Bl. im Jul. und Aug. 

Anmerkung. Eine Mittelart zwiſchen der P. pra- 
tensis, und der Sylvatica; doch hat fie mehr Aehnlichkeit 
mit dieſer als mit jener. 


KO EL E RA. Pers. Koͤlera. 


Cal. herbaceus, subtriflorus, Cor. acuminato ob- 
longæ, fasciculato cristatæ, calycem subzquantess 
Gluma exterior ex apice aristata, vel mutica; Panicula 
" Spiciformis, densa. 


35. Ko RTERA vallsiuca N. K. panicula dense 
spicata, glabriuscula, submutica; foliis infe- 
rioribus involuto setaceis „ glaberrimis. N. 
(Walliſer Koͤle ra.) 

Festuca Hall. helv. 1445. Scheuchz. gram. 16g. 

A ira vallesiaca Sut. fl. hel v. 1. P. 42. N? g. 

Air a vallesiaca Allion, auct. p. 40. 

Aira glauca? Schrad. germ. 1. p. 256. No 3, 
(Dieſes Synonym ſcheint wohl hieher zu gehoͤren; 
doch paßt die Beſchreibung nicht in allen Stuͤcken.) 

Radiz fibrosa; Cespites in fasciculum cylindra- 
€eum , ut in Sesleria cerulea, inferne tunicis fibrosis, 
emarcidis tectum elongati; Folia radicalia brevia, 
levissima glaberrimaque, rigida, curvula; Culmea 
plana, glabra, scabra; omnia cum vaginis glauca : 
Ligula exserta sed brevissima , truncata; Culmus 
glaber, levis, foliis paucis instructus, semipedalis , 
pedalis; Panicula uncialis, dense spicata basi haud 
interrupta, eleganter ex viridi et argenteo variegata; 


48 i 

Spiculæ biflorz vel rarius triflore, in rachi communi 
fere sessiles; Pedicellis nempe propriis vix conspicuis, 
quamvis revera bi et trifloris; Gluma exterior scabra è 
ad carinam modo glabra, modo villosa, Cetera fere 
ut in K. cristata (P oa cristata Lin.) (D. v.) 

Dieſe Art findet man haufig im Unterwallis am Rande 
der Ancker und auf Bergen die der Sonne ausgeſetzt ſind. 
A. Bl. im Sommer. 

Anmerkung. Die Kennzeichen, wodurch ſie m von 
der ſogenannten Aira cristata unterſcheidet, erhalten fich 
in der Cultur, ungeachtet der großen Veraͤnderung, die man 
in dieſem Zuſtand an ihr wahrnimmt. Die Wurzelblaͤtter 
werden flach und rauh, bleiben aber lauch⸗gruͤn und glatt; 
aber die Riſpe wird aͤſtiger und weniger dicht, und die 
Spelzen an der Ruͤckenrippe viel haarigter. 


36. Korrrma hirsuta. N. K. panicula spiciformi, 
aristata hirsuta; Culmo superne tomentoso. N, 
(Haarichte Koͤlera.) 

Festuca hirsuta Hall. fil. in notis ined. Flor: 
fr. No 1593? 2 
Aira hirsuta Schleich. Cat. pl: p. 55; 


Radix fibrosa? pgrennis; Folia radicalia per fasci« 
eulos vaginatos disposita; Culmea perpauca; omnia 
viridia, brevia, angustissima, carinato -convolata ; 
glabra ; ; Vaging radicales exteriores in fasciculis la- 
tissimz, membranacez, transversim corrugatæ; Gul- 
mer longissimæ, glabre; Ligulæ breves, truncatæ; 
Culmus fere pedalis, superne longe nudus, inferne 
glaber, lævisque; sub panicula plus minus ve tomen: 
tosus; Panicula spiciformis, cylindrica , vel ovata; 
nitens, ex violaceo «t viridi aurata ; Pedunculi ramosi, 


49 


sub multiflori, lobos distinctissimos efficientes; Spi: 
cule bi et trifloræ, ovato-lanceolatz, breviter pedi: 
cellate, Valvula exterior trinervia, corollam sub: 
æquans; interior duplo brevior, angustior, utraque 
margine scariosa, subcolorata, concava, lanceolata, 
1eütissima , glabra vel pilosa. Corolla suprema, sive 
tertia sterilis ; Gluma fere æquales; exterior totá 
superficie hirsuta, ex viridi violacea, märginibus 


. &urea; interior scariosa, albida, glaberrima, apice 


leviter bifida; Arista recta, scabra, violacea, in gluma 
exteriori exacte terminalis, lineam dimidiam inte 


. gram- ve longa. (D. s.) 


Herr Schleicher hat diefe Art auf dem Berg Trepal 
im Veltlin entdeckt. 4 Bl. im Sommer. 

ite Anmerkung. Dem habitus nach gleicht fie der 
Aira subspicata, gehört aber unſtreitig zu der Gattung 
Keolera , indem der Bau der Baͤlglein und Spelzen ganz 
mit der Aira cristata uͤbereinkommt. 

zte Anmerkung. Unſere Keelerä cristata war zuerſt 
nach dem großen Linus eine Aira, dann cine Poa; Smith 
und Schrader halten (ie für eine Aira; Haller, Villars 
und Decandolle wollen eine Festuca daraus machen. Wenn 


die gelehrteſten Botaniker fid) über die Gattung einer Pflanze 


nicht vereinigen koͤnnen, ſo muß ſie wohl eine eigene fuͤr ſich 


ausmachen. Alſo hätte meines Erachtens Herr Permon - - 


ganz recht, eine neue Gattung für die fogenannte Aira 
pes und die damit verwandten Arten zu errichten. 


SESLE RIA. Scop Sesleria 


Cal. bivalvis, 2—3 florus, subaristatus, Cor. bi- 
glümis, gluma exterior obtusa 3—5 dentata; semen 
liberum, (panicula spicata.) 

3t Bd. » 


$0 


37. SESLERIA carulea Scop. S. panicula spicata 
oblonga, bracteata; Spiculis subtrifloris, gluma 
exteriori tri vel quinque aristata, aristis brevi- 
bus. N. (Blaue Seslerie.) 

Hall. helv. 1446. Scheuchz. gram. 83. Tab. 2. 
fig. 9. 1 

S. ccrulea Smith brit. g4. Ne ı. Host gram. 
austr. 2. Tab. 98. 


Schrader germ. 1. p. 273. N?3. ° 


Cynosurus cœruleus Lin. sp. pl. p. 106. Sut. 
fl. helv. 1. p. 77. IN? 4. 


Radix fibris filiformibus, parum divisis, longissi- 
mis cespitosa; Cespites interni in fasciculum elon- 
gatum vaginis emarcidis, stramineis striatisque tectum 
collecti: Folia radicalia fasciculata, obtusa, mollia, 
plana, lineam circiter lata, 4— 5 uncias longa, gla- 
bra, marginibus scabriuscula. Culmi erecti, parum 
foliosi, superne longe nudi, glabri lzvesque , infra 
paniculam scabriusculi, compressi vel teretiusculi, 
trientales vel pedales: Nodi prope basin ? —3ve sub 
vaginis latitantes : Folia culmea perpauca, brevissima, 
reliquis fere latiora, late elliptica, obtusa: Vagine 
radicales brevissimae ; culmeae longissimae, strictae, 
teretes, laeves: Ligula culmum amplectens cylindra- 
cea, lineam dimidiam longa, apice horisontaliter . 
truncata: Panicula spicata, fere simplex, oblonga, 
sæpe ovata, densa, plerumque secunda, ex viridi et 
cœruleo variegata, subinde etiam purpura leni suffu- 
sa, nitida: Rachis flexuosa, hinc spiculis tecta, inde 
saepius in conspectum veniens: Bracteæ ad basin 
spicularum inferiorum positae, amplexicaules, latae, 


A 


Scariosae, ovatae, uninerviae, mucronatae, integrae 
, 5 A 


vel dentatae: Spicule brevissime pedicellatae vel 
sessiles, numerosae, imbricatae, compressae, ovato 
lanceolatae, bi- vel triflorae; Valeule corollis bre- 
viores, fere aequales, ovatae, acutae, scariosae, 
uninerviae , nervo valido, laevi, plerumque in 
aristam brevissimam producto , apice ciliatae, obsolete 
denticulatae; Gluma exterior subscariosa, colorata, 
concava, ubique fere aeque lata, ampla, ciliata, 


quinque-nervia, apice bi-vel quadrifida, nervis la- 


teralibus subinde confluentibus et tunc in aristas duas 
brevissimas productis, quandoque omnibus in aristam 
brevissimam desinentibus, intermedio validiori ex 


. apice aristam ceteris duplo fere longiorem emittente; 


interior minor, oblonga apice bifida, ad nervos flexu- 
rae in mueronulos brevissimos productos ciliata; 
genitalia exserta; stigmata elongata. (D. v.) 

Dieſes ſchoͤne Gras iſt ſehr gemein auf den Alpen und auf 
dem Jura. Man findet es auch auf dem Uetliberg und 
auf dem Laͤgerberg an ſchattichten Felſen. J. Bl. fos 
bald der Schnee verſchwunden iſt, ſchon im Merz und April 


bey uns am Fuß des Jura, aber fpátec im Hochgebuͤrge. 


FzsTUCA Lin. Schwingel. 

Cal. bivalvis multiflorus ; spiculae compressae, 
distichae; Gluma exterior acuminata, plerumque 
aristata; arista terminalis; Rachis propria scabra; 
semen corollae adnatum, 

* Ligula ad basin folii truncata, subnulla, ad 
margines conspicue biaurita ; folia radicalia 
setacea, 


38. Festuca vivipara Smith. F. panicula goaxe- 


52 


tata, corollis compressis muticis, calyce-que 
subpubescentibus; Culmo tetragono. Sm. 


Smith fl. brit. 1. 114. 2. — Hall. helv 144% 
BB et y B. 
Scheuchz. agr. 213. et Prodr. T. 1. 

Radix et Culmus ut in Festuca ovina L. (Fest. 
tenuifolia Schrad. Hoffm.) folia recurva, angulato 
setacea, minus rigida et omnino laevia, laete viridia; 
Panicula abbreviata, subsimplex , erecta, secunda ; 
Rachi pedunculisque angulatis, scabris; Spiculw erec- - 
tae, ovato-lanceolatae, plerumque mollissimae pu- 
bescentes; Valvule valde inaequales, lanceolatae, 
acuminatae, carinatae, angulatae, pubescentes; Co- 
rolle 4 vel 5, arcte imbricatae, lanceolatae, acumi- 
natae, müticae, acute carinatae, angulatae, magis 
minusve compressae, nervosae, totae pubescentes, 
rarius glabrae; superiores 3 vel 3, metamorphosi glu- 
marum in folia, viviparæ; Glumæ interiores margine 
nunquam non pubescunt." 

y? In hortis, monente Linnæo ut et Witheringio 
ex observationibus D. Gough, perpetuo VIVE 
manet. Videtur species ab ovina distincta. Smith 1. c.“ 

Auf trockenen Alpenweiden. Scheuchz. A. Bl. im 
Jul. Smith. 

Anmerkung. Ich habe nie das Vergnuͤgen gehabt 
dieſe Pflanze zu finden, oder auch nur ein trocknes 
Exemplar von derſelben zu ſehen. Daher habe ich obige 
Beſchreibung des ſcharfſinnigen Smiths, welche mit der 
Figur und der Beſchreibung Scheuchzer's von dieſer Art 
genau uͤbereinkommt, entlehnen muͤſſen. Herr Schrader 
hält fie in feiner Fl. germ. 1. p. 319. var. y. für eine Abart 
feiner Ovina; doch ſcheint fie allerdings mehr Aehnlichleit 
mit feiner tenuifolia zu haben. 


53 


39. Festuca halleri Villars. F. panicula spici- 
formi, subsimplici pedunculis spicula brevio- 
fibus, aristis glumam subæquantibus; foliis 
€ulmi$ setaceo complicatis N. (Hallerifcher- 
Schwingel.) 

Hall. helv. 1441. 


F. halleri Villars Delph. 2. p. 103. Ne 13. 
Sut. fl. helv, 1. p. 58. Ne 11. 


F. ovina Schleich. exs. cent. 3. Ne 14. (quam. 
ad suam ovinam etiam refert Cl. Schrader germe, 

p. 319. Ne 2. «) j 
Radix fibrosa, perennis, dense cespitosa: Culmz 
folis modo vix longiores, modo multo altiores , 
3—5 unciales, erecti, sub panicula obscure tetra- 
goni, læviusculi, superne nudi: Folia radicalia nu- 
merosa, 2—3 uncias longa, glaucescentia, setaceo» 
angulosa, tenuia, minime involuta, fere omnino: 
levia, ad margines per lenten przvalidam tenuissime 
denticulata; culmea 2 vel 3 secundum carinam com- 
plicata, reliquis paulo breviora latioraque: Vagine: 
strictae, leves, striatae, foliis multo longiores :: 
Ligulæ biauritae, ad basin folii vix conspicuae: Pa- 
nicula angustissima , secunda, racemiformis, pauci- 
flora, ex spiculis adeo approximatis constans ut spicam 
continuam efficiant, semuncialis, vix unquam un- 
cialis: Pedunculi solitarii, rarius geminati, erecti, 
scabri, uniflori, rarissime biflori, spiculis multo 
breviores: Spicule oblongae, distichae , compressae, 
3—5 florae, ex viridi, violaceo cinereae: Valoulæ 
valde inzquales; superior distincte trinervia, lan- 
ceolata, ad margines anguste scariosa, acute carinata g. 
fere levis, vel superne. carina scabriuscula, nervos 

L] 


54 


dorsali in mueronulum producto; inferior duplo 
fere brevior, linearis, angusta , uninervia, ad cari- 
nam superne scabra: Corolle distantes, teretiusculae, 
subulatae, oblongae; Gluma exterior plerumque gla- 
bra, rarius ad margines ciliata, ovata, acuta, vix 
carinata, nervis 5 parum conspicuis notata; Arista 
terminalis scabra, flavescens vel violacea, plerumque 
glumam zquans vel ea longior; Gluma interior ex- 
^ternae longitudine, ad flexurae nervos pubescens, 
apice bifido, laciniis acutis, pubescentibus: Fila- 
menta brevissima, Anthere elongatae, violaceae vel 
luteae. (D. v.) 

Diefe merkwürdige Art wächst auf den hoͤchſten Gee 
buͤrgen der Alpen, auf den Felſen und an grafigten Stellen. 
2L Bl. im Jul. und Aug. 

Anmerkung. Ihre Aehrchen ſind ohngefaͤhr doppelt 
größer als die der Ovina Lin. (tenuifolia Schrad.) auch 
iſt die Riſpe bey weitem nicht ſo breit, und die Laͤnge der 
Grannen unterſcheidet ſie hinlaͤnglich, ſowohl von dieſer als 
von allen damit verwandten Arten, die Hallerſche Befchrei- 
bung iſt treffend; doch ſchreibt ſie ihr haarichte Aehrchen zu, 
welches ich niemals beobachten konnte. 


40. FES HUGA alpina Sut. F. panicula stricta , 
subramosa, aristis breviusculis; foliis culmoque 
capilfaceis mollibus. N. (91Ipgen» C djmingel.) 

Sur. fl. helv. 1. p. 55. Ne 5. 

Hallbr. helv. 1442. ô. Scheuchz. Agr. 288. 
Species pumila, 

Festuca alpina Seringe gram. exs. 


Radix fibrosa, valida, dense multiceps: Culmi 
ienwissimi, capillacei, sub panicula distincte tetras 


55 


goni, leves, superne longe nudi, ad geniculum 


supremum sæpe infracti, 4— 8 uncias longi: Folia 
radicalia culmo parum breviora, valde numerosa, 
eespitosa, tenuissima , mollia, viridia, omnino fere 
levia, dorso convexa, facie canaliculata; culmea- 
ceteris consimilia: V agine foliis latiores longioresque , 
strictae, leves: Lisula ut in priori, biaurita, auri- 
«ulis obtusis, seariosis, albidis: Panicula viridis, vix 
uncialis, valde angusta et coarctata, pedunculis soli- 
tariis, spicula vix longioribus, inferiori uno alterove 
bifloro triflorove, reliquis simplicissim is; Spiculæ 
subquadriflorae, distichae, glabrae, virides; Valvule 
inzquales, angustissimae; superior obscure trinervia, 
longitudine glumas circiter equans; Corolle distincte, 
remotiusculàe , subteretes, sed distincte carinatae y 
glabrae; Gluma exterior tencra, oblonga, lineari- 
lanceolata, concava, carina scabriuscula , obsolete 
5-nervia, nervis nempe 4 lateralibus infra mediam 
glumam evanidis, vix que conspicuis; Arisia gluma 
sua brevior, scabra, tenera, subtilis que; Gluma in- 
terior angustissima apice leviter bifida, laciniis acu- 
tisimis, nervis flexurae ad apicem usque scabrius- 
culis: Anthere filamentis breviores, nec elongatae 


flavae. (D. v.) 


Dieſe Art it nicht felten an graſigten Stellen auf den 
Alpen; z. B. auf folgenden Bergen: Gemmi, Yaver- 
naj, Fouly, Enzeindaz, Richard, Surchaup, 
Seron u. ſ. w. A. Bl. im Jul. und Aug. ; 

Anmerkung. Der unter der Riſpe deutlich pleveciate- 


Halm, und die kleinen Aehrchen zeigen die Aehnlichkeit 


dieſer Art mit der ovina; allein die Duͤnne und vornehmlich. 
die Stricklein ihrer Blätter. erlauben mir nicht fie damit zu; 
vereinigen. 


56 


41. Frsrwca pallida N. F. panicula patente 
ramosa ; spiculis demum dilatato - distichis; foliis 
mollibus, capillaceis; culmeis complicatis. N. 
(Blaffer Schwingel.) 

Radix fibrosa, cespitosa; Folia radicalia numerosa, 
fere ut in priori capillacea, sed magis complicata , 
minus numerosa ;, Culmea latiora crassioraque ; V a- 
gine leves, folis longiores, strictae; Ligula ut in 
prioribus biaurita, auriculis conspicuis, inzqualibus, 
obtusis, scariosis; Culmi semipedales, trientales, 
glabri, læviusculi, foliis multo crassiores, teretiusculi, 
superne tamen sub angulosi, inferne tantum foliosi ; 
Panicula per florescentiam plerumque patens, rarius 
coarctata, ceterum lata, uncialis vel sescuncialis, - 
pedunculis vulgo geminatis, subramosis, paucifloris , 
vel unifloris, subflexuosis, scabriusculis; Spicula 
florentes que fere latae ac longae, quod huic speciei 
proprium videtur, glabrae, ex viridi pallido flavi- 
cantes, vel auratae, valde distichae, 4— 5 florae ; 
Valvule inzquales lineari lanceolatae , leves, cari- 
natae, fere uninerviae; Corolla subulatae , distantes, 
acutiuscule earinatae, ad carinam inferne leves, su- 
perne scabriusculae ; Gluma exterior concava, lan- 
ceolata, marginibus anguste scariosa, obsolete 5 - ner- 
via, nervis lateralibus omnibus vix conspicuis; 
Arista scabra, gluma sua multo brevior; Gluma in- 
terior externam longitudine fere æquans, ad flexurae 
nervos sub lente ciliato scabra, apice leviter bifida, 
laciniis brevibus, obtusis, breviter hispidis; Aniheræ 
breviusculae, luteae. (D. s.) 

Diele merkwürdige Art hat mein Freund Herr Ludw. 
Thomas auf den Alpen im Wallis und oberhalb Bex 
entdeckt. A. Bl. im Jul. und Aug. 


57 


43. FzsTUCcA violacea N. F. panicula sub patente 
ramosa; aristis brevibus; foliis capillaceis, molli- 
bus; culmeis brevissimis, capillaceo complicatis. 


„Festuca violacea Seringe gram, exs. 


Radix fibrosa, cespitosa; Folia setaceo angulosa, 
minus tenuia quam in duabus prioribus, sed duplo 
tenuiora quam ovine Schraderi (stricte Host), viridiq; 
culmo multo breviora, fere lævia; Culmea brevissima, 
ceteris multo latiora, complicato setacea; Vaginae 
longissimae, striatae, leves; Ligula biaurita, auri- 
culis exiguis, inæqualibus, rotundatis; Culmi erecti, 
- levissimi, plerumque infra paniculam exacte tetra- 
goni, foliis multo crassiores, superne longe nudi, 
4—5 uncias longi, rarius pedales; Panicula sub- 
patens, etiam florens angusta, pedunculis sæpe ge- 
minis, violaceis, scabris, cum rachi subflexuosis, 
spiculis multo longioribus, sæpe unifloris, inferiori- 
bus dumtaxat uno alterove bi- vel trifloris; Spiculæ 
oblongo ellipticae, florentes valde distichae, com- 
pressae, leviusculae, coloratae; Valvula superior 
lanceolata, mucronulata, trinervia, carinata, superne 
ad margines et carinam brevissime ciliato scabra; in- 
ferior multo. minor, linearis, uninervia; Corolle 
4—5ve, subdistantes, oblongo subulatae, superne 
paulum carinatae, basi virides, dorso apiceque atro- 
violaceae, fere absque nitore; Gluma exterior eon- 
cava, nervis 5 etiam sub lente vix conspicuis in- 
structa , ovato lanceolata, carina superne scabriuscula; 
Arista scabra, gluma multo brevior; Gluma interior 
ad flexurae nervos glabriuscula, vel brevissime pu- 
bescens, obsolete bifida, apice pilis brevibus diver- 
gentibus donata; Anthere lutcae. (D. v.) 


v - à 
5$ 


Sie kommt ziemlich haufig auf den Alpen vor. U, Bl. 
in Sommermonaten. 

Anmerkung. Der gelehrte Herr Staatsrath von 
Haller, dem ich dieſe Pflanze mittheilte, haͤlt ſie fuͤr eine 
wahre Art; ihre charakteriſtiſchen Kennzeichen erhalten ſich, 
nach ſeiner Erfahrung, in der Cultur. Im habitus hat 
ſie zwar mit der folgenden Art viel Aehnlichkeit; allein die 
kurzen Grannen und die viel duͤnnern Blaͤtter, vornemlich 
am Halm, unterſcheiden ſie hinlaͤnglich von derſelben. 


43. Fx STU GA nigrescens Lamark. F. panicula, 
patente ramosa, aristis glumam subzequantibus;. 
foliis culmeis planiusculis, glabriusculis. N. 
(Schwaͤrzlicher Schwingel.) 

Hall. helv. 1440. (excl. synon. Scheuchzeri.) 

F. nigrescens Lamark Encycl. method. 3. p. 
460. N? 9. 

F. rubra Leers herb. Ne 33? 


Radix fibrosa, cespitosa; Folia radicalia stricta, 
4—5 uncias longa, tenuissima , viridia, scabra, 
setaceo angulosa, culmo multo breviora; Culmea 
planiuscula 1f2 vel 3/4 lineam lata, facie quandoque 
pubescentia, brevia; Vagina teretes, leves, foliis 
longiores; Ligule breves ad basin folii tamen conspi- 
cuae, truncatae, biauritae, auriculis obsoletis, valde 
inzqualibus, subfuscis; Culmus pedalis vel paulo 
longior, superne longe nudus, lævissimus, striatus, 
teretiusculus , superne vix angulosus : Panicula ob- 
longa, patens, composita, pedunculis gemiriis, cum, 
rachi interne subflexuosa scabris valdeque angulosis; 
inferioribus ramosis 2—5 floris: Spicule plerumque 
4—5 florae, ovatae, compressae, ex viridi et atro- - 


59 


violaceo variegatae, absque nitore: Valyule inzqua- 
les, carinatae, coloratae, fere uninerviae, vel obso- 
lete trinerviae; superior lanceolato acuminata, ad 
margines anguste scariosa, versus apicem tenuissime 
ciliato scabra, ad carinam scabriuscula; inferior bre- 
vior, multoque angustior, carina superne scabrius- 
cula; Corolle approximatae, subulato oblongae, su- 
perne tantum carinatae, inferne virides, dorso apice- 
que violacae; Gluma exterior ovato lanceolata obso- 
lete 5 nervia, ad margines, carinam que imprimis 
superne, ciliato scabra ; Arista 1 % vel 2 lineas longa 
glumam szpe fere quans, erecta, scabra , nigrescens; 
Gluma interior externá fere longior, angusta , subcolo- 
rata, ad flexurae nervos pubescens, apice bifida, la- 
ciniis obtusiusculis, ciliatis; Anthieræ luteae, fila- 
mentis longiores. (D. v.) 


Diefe Art findet man haufig auf ben Alpen und auf dem 
Jura, wo fie auf ben Weiden wächst. A. Bl. im Jul. 
und Aug. * 

Anmerkung. Nach Herrn Profeſſor Schrader's 
Meynung iſt die F. rubra Leers nur eine Abart der F. du- 
riuscula, mit welcher ich die unſrige doch nicht vereinigen 
mochte. j 


44. FEsTUCA rubra Lin. minor. F. panicula ra- 


mosiuscula, aristis brevibus; foliis culmeis com- 
plicatis radice repente N. (Rother Schwingel.) 


Festuca rubra y. Smith brit. 1. 116. N? 4. 

Scheuchz. gram. p. 287. Tab. 6. f. 9?? (Nec 
descriptio nec figura probe convenire videtur.) 

Festuca stricta Schleich. pl. exs. cent. 3, No 15. 
(excl. synon. Hostii.) 


60 


Radix late repens,' articulato squamosa, stolo- 
nifera; Folia radicalia minus dense cespitosa, crassi- 
uscula, setaceo involuta, glaucescentia, ad margines 
scabriuscula, dorso levia, intus striata, vixque pu- 
bescentia, brevia; Vagine foliis breviores, striatae 
retrorsuffi plus minusve pubescentes, latae, membra- 
naceae; Culmi fere pedales, erecti, teretiusculi, stria- 
ti, glabri lævesque, superne nudi; Folia culmea 
ceteris consimilia sed paulo longiora; Vagine strictae, 
Iæves, purpurascentes, striatae , foliis multo longiores; 
Ligula biaurita, auriculis exiguis, scariosis; Panicula 
in nostris speciminibus stricta, ramosiuscula, vel 
fere simplex, pedunculis scabris, brevibus, sepe uni- 
floris, rarius bi-vel trifloris, alternis vel geminatis; 
Spicule fere vulgaris, sed paulo minores, minusque 
coloratae, corollis evidentius nervesis. (D. s.) 

Dieſe Abart des gemeinen rothen Schwingels bat Here 
Schleicher an kieſigten Orten am Ufer des Genferſees ges 
gammelt. A. Sie blüht am Ende des Fruͤhlings. 

Anmerkung. Sie unterſcheidet ſich vom gemeinen 
rothen Schwingel bloß durch ihre kleinern Aehrchen, und 
durch ihre faſt glatten und viel ſchmaͤlern Halmblaͤtter. 
Eine eigene Art ſcheint ſie nicht auszumachen. 


45. FE STU CA levigata N. F. panicula imbricata, 
spiculis lanceolatis; foliis glaucescentibus, ri- 
gidis; radicalibns setaceo involutis , culmeis 
planiusculis. (Glatter Schwingel.) 

` Radix fibrosa, valida, dense cespitosa; Folia ra- 

dicalia numerosa, crassa, anguloso setacea, arcte 
involuta, duta, rigida, hinc convexa, inde plana 
vel subcanaliculata , superne glabra læviaque, intus 
brevissime pubescentia, culmo florente paulo bre- 


` 


61 


viora, glaucescentia; Vagina foliis breviores, latae, 
stramineae, pilis brevibus crebrisque pubescentes , 
haud raro tamen glaberrimae; Folia culmea plana, 
‚vel laxius complicata, ceteris minus rigida, sed vix 
lasiora, multoque breviora; Vagine strictae, plerum- 
que leves, foliis duplo triploque longiores; Ligula 
biaurita, auriculis minutis, obtusis, subfuscis; Culmi 
pedales vel breviores, glabri levesque, sub-com- 
presso-angulosi, foliis vix crassiores, foliosi, superne 
tantum nudi; Panicula dense multiflora, subpatens, 
oblonga, latiuscula ex viridi cum dilutioris violacei 
admixtione glaucescens; Pedunculi cum rachi inferne 
flexuosi , scabro pubescentes, erectiusculi, angulosi, 
plerumque solitarii; inferiores 3 — 7 flori; supremi 
breves indivisi; Spicule glabrae, fere que leves, lan- 
ceolatae, minus distichae, 4— 5 florae, spiculis F. 


' ovine Schrad. (strictæ Host; 1442 « Hall. helv.) duplo 


| 


' 


indi ie. Ceu imr "a mele ZT 


saltem longiores: Valvule valde inzquales; Superior 
nervis tribus sat validis instructa, ovato lanceolata, 
ad carinam superne scabriuscula, marginibus subci- 
liata; inferior angusta, lineari-lanceolata, ad carinam 
superne plus minusve scabra: Corolle demum distan- 
tes, oblongo subulatae, superne carinatae; Gluma 
exterior nervis 5 distinctis, sed parum extantibus 


notata, viridiuscula , glabra, nervo dorsali superne 


scabriusculo, margine subscarioso, pallidé violaceo, 

 angustissimo instructa; Ariste gluma plerumque 
multo breviores, quandoque eam fere zquantes, 
scabrae, violzceae; gluma interior flexurae nervis a 
margine remotis, leviusculis, vel breviter pubes- 
centibus, apice obiter emarginata. (D. v.) 


Dieſe Art ift gemein auf den Alpen, wo fie in guter 


62 

ſchwarzer Erde wächst ; auf dem Lio ſon, auf Lavaraz, 
Surchamp u. ſ. w. A. Bl. im Jul. und Aug. 
Anmerkung. Dieſe Art ſcheint viel aͤhnliches mit der 
F. glauca Lamark zu haben; doch glaube ich ſie von der⸗ 
ſelben wirklich verſchieden; die Blätter find es, fo die Riſpe 
und die Aehrchen, auch der Standort: denn die glauca 
wächst in einem ſehr ſandigten, der Sonne ausgeſetzten 
Boden: an ihr iſt iles die lauchgruͤne Farbe ſtaͤrker und 
auffallender. 


* * Ligula exserta, foliis setaceis. 


46. FEsTUcCA pumila Villars. F. panicula erecta, 
pedunculis solitariis geminisve; spiculis teres 
tiusculis, breviter aristatis, vel submuticis, N, 

Hall. helv. 1439, 

F.pumila Vill. Delph. 2. 102. N° 13. Sut. fl. 
helv. 1. 57. N° g. œ var. spiculis 3—4 floris 
aristatis. 

F.pumila Host. gram, austr. 2. Tab. g1. Schrad. 
germ. 1. 335. N° 6. Schleich. pl. exsic. cent. 3. 
N? 16. 

B var. spiculis 5 — 6 floris submuticis, foliis 
xigidioribus. 

F. varia Host gram. austr, 2 Tab. go. Schrad. 

, germ. 1. 324. N? 5. 
'A! 


Radix fibrosa, nigrescens, cespitosa: Folia longa, 
rarius brevia, setacea, tenuia, subangulosa, scabri- 
uscula, plus minusve dura, modo fere viridia, modo 
evidentius glauca, tuncque rigidiora; culmea 3 —3 
ceteris consimilia, vagina sua breviora vel longiora ; 
Vaginæ scabriusculae vel fere laves ; strictae: Ligula 


o 63 


exserta, dorso pubescens minutissime ciliata, ovata 
demum lacera: Culmi superne nudi, sub panicula 
obsolete angulati, scabriusculi, 3—uneias longi, 
(in var. g semipedales vel trientales) foliis plerum- 
que longiores: Panicula elegantissima, patens, latius. 
cula, erecta, uncialis, pedunculis solitariis, geminis 
ve, scabris, subflexuosis; inferioribus divisis, szpe 
3 —4 floris: Spicule nitentes ante florescentiam tere- 
tiusculae, deinde compressae, subdistichae, ex viridi 
violaceo et aureo variegatae, plerumque (etiam in 
var. 8) 4— 5 florae: Valeule corollis paulo breviores, 


parum inzquales, variegatae, laeviusculae, apice 


tandem ad carinam scabrae; superior ovato lanceolata, 


ou 


7 


obsolete trinervia, nervis lateralibus vix conspicuis, 
cito evanescentibus; inferior angustior, lineari-lan- 


ceolata, uninervia: Corolle oblongae, teretiusculae, 


versus apicem acute carinatae , approximatae (in var. 
B demum remotae) ; Gluma exterior ovato oblonga, 
apice szpe breviter bifida, nervis 4 lateralibus eva- 
nidis, parumque conspicuis, apice scariosa, superne 
plus minusve exasperata, ceterum lævis glabraque, 
basi viridis, dorso pulchre violacea, apice metallico 
nitore flavescens: Arista vix exacte terminalis, sca- 
briuscula, colorata, gluma sua multo brevior, spe 
subnulla; Gluma interior'plus minusve colorata apice 
breviter bifida, ad flexurz nervos distincte pubescens. 
(D. v.) j 

Dieſe Pflanze, welche zu den niedlichſten Graͤſern gehört, 
ſindet man faſt uͤberall auf den Alpen. Sonderbar iſt es, 
daß der große Haller (ic nur auf dem Berg Taveyannaz 
gefunden, und daß Scheuchzer ſie gar nicht gekannt hat. 
A. Bl. im Jul. und Aug. 

Anmerkung. Die beyden Spielarten habe ich oſt in 


63 . 


unſern Alpen, erſtere auch auf bem Thoiry der zur Kette 
des Jura gehoͤrt, beobachtet. Allein die Struktur der 
Aehrchen ift in beyden fo ganz die gleiche, und man findet 
ſo viele Zwiſchenvarietaͤten, welche mit eben ſo vielem Rechte 
zu der einen als zu der andern gehoͤren, daß ich ſie durchaus 
nicht trennen kann. in 


47. FEsTUCA pilosa Hall. fil. F. panicula semi 
verticillata, flexuosa; spiculis ovatis, subtri- 
floris, subaristatis; rachi propria infra corollag 
pilosa. N. (Haarichter Schwingel.) 

P. pilosa Hall. fil. in notis ined. Schleich. pl. 
exsicc. cent. 2. N° 10. 


F. rhatica Sut. fl. helv. 1. 56. No 8. (exclus; 
syn.) ex ipso anthore. Decand, fl. fr. N° 159o. 


F. poaformis Host gram. austr. $. Tab. 81. 


Radix fibrosa, multiceps: Culmi semipedales, pe- 
dales, filiformes , erecti, lævissimi, superne nudi: 
Folia radicalia scabriuscula, angustissima, ætate fere 
levia tuncque paulo latiora, sed setaceo involuta, - 
erectiuscula, acutissima, valde inæqualia, nonnulla 
culmo paulo breviora, culmea latiora, planiuscula 
vel complicata: V aging foliis potius breviores, laves: 
Ligule omnes exsertz ; inferiorum foliorum breves, 
ovatae; culmeorum elongatae , fere lanceolatae , ple- 
rumque lacere: Panicula multiflora , patens, per 
dessiccationem modice coarctata, erecta, vel apice 
nutans, pedunculis longiusculis, inferne nudis, su- 
perne divisis, cum rachi flexuosis, scabriusculis, 
patulis, semiverticillatis numerosisqne: Spicule ele- 
gantes, ovatae, distichae, subtrillorae , nitentes, ex 
viridi violaceo et aureoargenteove variegatae: Valeule 


65 


valde inæquales muriculatae, versicolores, carinatae, 
margine late scariosae ; superior ovato acuminata, 
obsolete trinervia, nervis lateralibus vix conspicuis, 
titoque eyanidis; inferior valde angusta , lineari lan- 


ceolata: Corolle 2 —3ve fertiles, distinctae, suprema 


\ 


abortiva : Rachis propria ad unum latus pubescens, 
infra corellas penicillo pilorum longiusculorum divet- 
gentiumque (qua nota planta nostra ab omnibus con- 
generibus abunde differt) instructa: Gluma exterior 
ampla, levis, carina tamen superne scabriuscula, 
inferne verò pilis parcis brevibusque pubescens, ovata, 
concava, fere omnino uninervia, cum nervi 4 late- 
rales etiam sub lente acerrima vix compareant, in- 
ferne viridis, superne violacea, apice scarioso-alba 
velflavicans: Arista scabriuscula, brevissima, oculo 
nudo vix conspicua, subinde exacte terminalis, sæpe 
infra apicem nascitur: Gluma interior externä brevior 
angustiorque, albida , ad flexuræ nervos validos viri» 
desque pectinato-pubescens: Antheræ in eadem pani- 
cula luteae, violaceae, vel ex utroque colore varie: 
gatae. (D. s.) 

Dieſes feltene und zierliche Gras entdeckte zuerſt Herr 


Schleicher in den Gebuͤrgen von Graubündten; vor 
etwa zwey Jahren fand es aber auch Herr Seringe in den 
Walliſer Alpen. A. Bl. im Jul. und Aug? Hoſt. 


*** Ligula exserta, folia latiuscula rigida, 
pungentia, 


48. Festuca flavescens Bellard. F. panicula 
ramosa, subpatente; spiculis teretiusculis, 
. oblongis, submuticis; corollis obsolete ner- 
vosis; pedunculis scabris. N. (Gelblicher 
Schwingel.) 
ze Bd. E 


66 


F. flavescens. Bellar. app. p. 11. Host gram. 
austr. tom. 3. Tab. 19. 


Bell. in actis Taur. 5. p. 217, Decand. fl. fr. 
Tom. 3. in add. 719. N? 1582. 


Radix fibrosa, perennis multiceps: Cespites densi, 
zigidi durique: Folie radicalia numerosa, culmis 
paulo breviora, leviuscula, arcte involuta, crassa, 
rigida, acutissima, apice pungentia, intus subpu- 
bescentia, culmea superiora reliquis breviora, cete- 
rum fere conformia: Vagine inferioreslax®, albidæ, 
membranaceæ, breves; superiores foliis longiores, 
magis stricte, læviusculæ, profunde striate: Ligula 
exserta, longiuscula, fissilis; Culmi sub panicula fere 
angulosi, plus minusve scabri, pedales et cubitales, 
erecti, superne nudi; Panicula oblonga coarctata, 
sed non spiciformis, secunda, apice sepe nutans; 
Pedunculis angulosis valde scabris, ramesis (supremis 
.indivisis) elongatis, solitariis, rarius geminis; Spi- 
cule ex albido virescentes , subinde purpura violacea 
leni suſfusæ, oblongz , primum teretiusculz, demum 
distichæ, 3—4 lineas longe, 4—6 florz; Valeul& 
valde inzquales, albidæ, totæ scariose, leves; su- 
perior concava, ovato lanceolata, acuta, nervo dor- 
sali conspicuo, lateralibus 2 vel 4 vix conspicuis, 
citoqne evanescentibus; inferior lanceolata, uni- 
nervia; Corolle oblongæ, glabra, fere leves, cari- 
nate, demum remotiuscule ; Gluma exterior oyato- 
lanceolata, ad carinam, precipue versus basin, sca- 
briuscula, nervo dorsali valido, reliquis 4 vix con- 
Spicuis, evanidis, apice subbifida, nervo dorsali in 
mucronem, vel rarius in Aristum brevem producto; 
interior mede integra, mode breviter bifida, longa, 


* 


67 


angustä, ad flexurge. nervos pubescens; Anthera 
luteæ. (D. v.) 

Sie waͤchst auf, den hoͤhern Bergen in den Alpen, wo 
ich ſie bisher nur im Urgebirge beobachtet habe. Herr 
Clavel de Brenles fand fie im Saaſſer-Thal im Obere 
wallis, und ich auf dem St. Bernhard ſowohl auf der 
Walliſer als auf der Piemonteſiſchen Seite des Berges. 


A. Bl. im Jul, und Aug. 


49. FEST UA spadicea Lin. F. panicula erecta, 
coarctata, patenteve; spiculis ovatis muticis , 
corollis nervosis, pedunculis lævibus. N. (Gol d⸗ 
Scıwingel,) 

Hall: hely. 1463. (ſcheint allerdings hieher zu 
gehoͤren, ungeachtet der gelehrte Herr von Wulfen 
nicht dieſe Nummer ſondern 1436 für die F. spadicea 
hält, s. Schrad. germ. 1. p. 335.) 

F. spadicea Sut. fl. helv. 1. p. 58. Ne 13. Smith 
in act. soc. Iinn. Londin. 1. p. 113. Tab. 10, 2. 
p. 101. Schrad, I. c. Ne 14. Host gram. austr. 3, 
Tab. 20. a 


Radix fibrosa, multiceps; Culmi cubitales, tripe- 
dales, læves, teretes, obiter striati, erecti, superne 


- longe nudi; Folia radicalia dura, rigida, levia, 
182 lineas lata, sed stricte involuta, ut fere cylin- 


drica videantur, pedalia et longiora; eorum V agine 
breves, ampla, stramines, versus basin dilatatæ, in 
filamenta fatiscentes; Folia culmea ceteris breviora, 
vaginis longiora; omnia levia glabraque, facie 
striata, incana; Vagine culmex flavicantes, breves, 

fere ancipites, strictæ, ad angulos scabriuscule; Li. 
gula inferiores obsoleta, superiores exsert®, bilobz, 


68 


breves, lobis obtusis; Pahicula in planta nostra spici- 
formis, crassa, basi interrupta ; pedunculis appressis 
(in speciminibus austriacis patula); Pedunculi fili- 
formes, solitarii vel gemini, elongati, ramosi, basi 
longe nudi, teretes lævesque; Spiculæ grandes, sub 
4 flore, ovatæ, compresse, fere semunciales, ap- 
proximate; Valvulz inæquales, totz scariosæ, lan- 
ceolatz, acute, læyes, nitentes, fusce, ad margines 
albe, fere uninerviæ; Corolla oblongæ, teretes, sed 
acute carinatz, approximatæ; Rachis propria extus 
scabriuscula, gradibus sub flosculis hinc strumosis ; 
Glume fere zquales; exterior ex aureo spadicea, ad 
margines alba scariosaque, apice vulgo purpurascens, 
absque nitore, 5 nervia, nervis dorsali et 2 latera- 
libus validis, his tamen cum intermediis 2 infra 
apicem evanidis, ad carinam scabra, superficie minu- 
tissime muriculata, nervo dorsali non raro in mucro- 
nulum producto; interior albida, longa, apice ple- 
rumque breviter bifida, ad flexurz nervos vix scabri- 
uscula ; Semen oblongum, crassum, glumis dimidio 
brevius, hinc anguloso convexum, inde late sulca- 
tum, glumæ internz adnatum, apice absolute pu- 
bescens. (D. v.) 


Dieſe feltene und merkwuͤrdige Planze fand zuerſt Herr 
Dick auf feinen Reifen in Buͤndten; eben daſelbſt ſammelte 
ſie in der Folge Herr Schleicher, ſo wie auch auf dem 
Generoſo, wo ich ſie ebenfalls beobachtet habe; ſie waͤchst 
daſelbſt auf den hoͤchſten Gipfeln des Bergs, und bildet große 
Raſenſtuͤcke. Man findet ſie auch auf andern Bergen der 
italieniſchen Schweiz, unweit Lugano. Canon. Verda. 
A. Bl. im Jun. und Jul. Im Aug. ſind die Saamen reif. 


* * Ligula exserta; folia omnia plana. 


65 


5o, FrsTUGA calamaria Smith. F. panicula pa- 
tente, mutica; valvulis spicula multo brevio- 
ribus; gluma exteriori trinervia. N. (Wald⸗ 
Schwingel.) , 

Smith brit. 1. p. 121. N° g. 
F. sylvatica Villars. Delph. 2. p. 105. N° 163 
Schrad. germ. 1. p. 337. N? 16. 


Poa trinervata Ehrh. gram. exsicc. Dec. 4, 
N? 36. fl. dan. Tab. 1145 (optima) 


Sut. fl. helv. 1. p. 48. Ne 12. 


Radix fibrosa, subrepens: Folia radicalia nume- 
rosa, fasciculata, ensiformia, lanceolata, acutissima, 
glabra, arida, plana, pedalia.et longiora, ad 4 lineas- 
inferne lata, dorso cinerea, facie lzte viridia, nervo 
dossali valido percursa, scabriuscula, ad margines 
secantia: Culmi teretes erecti, 3 pedales et longiores, 
glabri, sub panicula scabriusculi , superne longe 
nudi: Folia culmea gradatim superne breviora, reli- 
quis consimilia sed minora: Vagine glabrae, scabrius- 


culae, striatae, supremae foliis longiores: Ligula 


exserta, valde brevis, obtusissima , truncata; Auri- 
«ule parvae, scariosae ad basin foliorum inferiorum ; 
Panicula patens, multiflora, ramosissima , 3 —5 un- 
cialis, apice subnutans; Pedunculi gemini vel terni, 
angulosi , elongati, scabriusculi, superne divisi, 
multiflori- que: Spicule glabrae, scabriusculae ad 
3 lineas longae, latae, disticho - compressae , ovatae, 


. virides, vel ex viridi spadiceae 3 — 5 florae: Valvule 


walde inzquales, corollis breviores, lineares, an- 
gustae; superior obsolete trinervia, acuminata :' Ce- 


‘zalle. distinctae, subulatae, acute carinatae, acua- 


70 

tissimae , sed muticae; Rachis propria hinc scabrius- 
cula; Gluma exterior lanceolata, acuminato - mucro- 
nata, trinervia, nervis extantibus, scabriuscula, ad 
margines ciliato scabra ; interior fere major, intus 
fere omnino concava, apice emarginata, ad nervos 
fexurae scabra. (D. v.) 

Dieſe Pflanze it nicht felten in den Waͤldern auf den 
Bergen; oberhalb Bex, Lud. Thomas, Schleicher. Auf 
dem Jura bey Arſier, oberhalb Bonmont und 
Larive u. f. w. A. Bl. im Jul. — Herr Davall ſoll 
ſie zuerſt in der Schweiz beobachtet haben. 


51. FE STU CA Scheuchzeri N. F. panicula oblonga, 
mutica; valvulis spiculam subæquantibus; 
gluma exteriori 5 nervia; radice repente. N. 
(Scheuchzeriſcher Schwingel.) 

Scheuchz. agr. 278. Hall. helv. 1436. 


Festuca aurea Lamark Enc. method. 2. p. 460. 
N? 8. y? 

Festuca pulchella Schrad. germ. i. p. 336. 
N? 15. Tab. 5. fig. 5? 


Radix repens, stolonifera, fasciculos paucos pa- 
rumque cespitosos agens: Folia radicalia in fasciculos 
squamis latis brevibusque fuscis tectos collecta, ? —4 
uncialia, nervo dorsali instructa, utrinque glabra, 
læviuscula, plana, per desiccationem sese invol- 
ventia, linearia, acuta, lineam unam wel sesqui- 
lineam lata, læte viridia: Culmi pedales, sesquipe- 
dales, erecti, l&ves, teretes, foliosi; Folia culmea, 
etiam suprema, vaginam sæpe zquantia, reliquis 
consimilia: Vagina striatae leves, strictae: Ligula 
exserta subfusca, brevis, truncata: Panicula formosa, * 


71 


patens, oblonga, 2—3 uncialis, subsecunda, apice 
sepe nutans; Pedunculi solitarii, sæpius geminati, 
teretes, superne divisi, longi, per lentem etiam 
leves, apice scabriusculi: Spiculg ovatae, distichae, 
quadriflorae, glabrae, muticae: Valvule parum in- 
zquales, spicula paulo breviores, totae scariosae, 
purpurascentes , vel albidae; superior ovato -lanceo- 
lata, obsolete trinervia, nervis nempe lateralibus: 
parum conspicuis, infra mediam valvulam evanes- 
centibus; inferior uninervia : Corolle oblongae , su- 
bulatae, acute carinatae, parum remotae: Rachis. 
propria generis; Gluma exterior superficie scabrius- 
i cula, inferne ciliato scabra, ovato lanceolata, acuta ,. 
nervis lateralibus sub apice evanidis, dorso extanti- 
bus percursa, dọrsali infra apicem scariosum , subinde 
in mucronulum protenso, basi viridis, dorso violaceo, 

. superne albida; interior externam saltem æquans s 
scariosa, ad flexurae nervos plus minusve pubescens g 
apice bifida. (D. v.) 

Dieſe merkwürdige Art hatte man, wie es ſcheint, feit 
Scheuchzers Zeiten nicht mehr beobachtet, und Haller ſah 
ſie nur trocken im Scheuchzeriſchen Herbarium. Sie iſt 
dennoch nicht ſelten auf den Alpen. Ich fand ſie vor etwa 
acht Jahren in den Saanen-⸗Alpen, oberhalb Oe ſch. 
Seither hat fie auch Herr Geringe auf dem Stockhorn; 

Lud. Thomas auf feinen Alpen, und ich wieder auf La varaz 
gefunden. A. Bl. im Jul. und Aug. 

Anmerkung. Nur im trockenen Zuſtand, und in 
einem ſchon alten Herbarium, worinn die Pflanzen ihre 

meiſten eigenthuͤmlichen Charaktere zu verlieren pregen y 

konnte fie von einem Haller für eine Varietaͤt der festuca 
1435 angeſehen werden, und waͤre es auch nur wegen der 
Struktur der Blätter, der Ligula u. f. w. — Die festucs 


72 ' 

pulchella Schrad. I. c. unterſcheidet (id) nur durch ihre 
faſerichte Wurzel, den viel hoͤhern Halm, und die spiculæ 
teretiuscule — Allein Blätter, Blatthaͤutchen, Riſpe, 
Riſpenzweige, Baͤlglein und Spelzen ſcheinen in beyden 
Pflanzen die groͤßeſte Aehnlichkeit zu haben. „ Gluma ex- 
terior 5-nervis, tota superficie ad lentem pilis bre- 
vissimis rigidulis scabra" Schrad. — Ganz wie bey der 
unſrigen; auch die Figur hat viel Aehnlichkeit. 


Avzsna Haber. 


Cal. (plerumque) multiflorus: Cor. gluma exte- 
ylori teretiuscula, dorso aristata. Arista geniculata, 
contorta. „ Semen plerumque corolla corticatum. " 
Schrad. 


52. A v EN A pratensis Lin. A. panicula subspicata , 
elongata; spiculis subquinquefloris, rachi pro- 
pria pilosa , foliis involutis, scabris. N. (Wie⸗ 
ſen⸗Haber.) 

„ Hall. helv. 1499. æ, Scheuchz. gram. p. 230. 

Avena pratensis Sut. fl. helv. 1. p. 69. N? 13. 
Ehrh. gram. exsicc. Dec. 12. N° 117. Leers 
herb. p. 43. N° 92. Tab. 9. fig. 1. Host gram. 
austr. 2, Tab. 51. Smith brit. p. 141. N? 3. Schrad. 
germ, 1. p. 385. N? 16. 

p. Avena bromoides ? Lin. sp. pl. 1666. N? 16. 
(plantam linneanam absque hesitatione cum 
varietate à conjungit el. Smith) Hall. helv, 
1499 g. Sut. fl. helv. 1. p. 69. Ne 14. 


Scheuchz. agr, p. 223. Tab. 4. fig. 21 et 22. 


Ld 


Radix fibrosa, dura, perennis; Culmi pedales, 
sesquipedales, nodo unico conspicuo inferne instructi; 


73 


teteris sub vaginis baseos latitantibus, superne longe 
nudi, glabri levesque, erecti: Folia radicalia sesqui- 
lineam lata, carinato involuta, scabriuscula, mar- 
gine cartilagineo, albido, angusto serrulato-scabro ; 
Culmea breviora, pleraque prope basin sita, supre- 
mum brevisimum, etiam involutum: Vaginæ te- 
retes, striatae, aculeis brevissimis retroflexis scabrae, 
suprema longissima; Ligula | oblonga, lanceolata , 
acutiuscula; Panicula subspicata, elongata, valde 
angusta, pedunculis scabris, adpressis, brevissimis , 
plerumque simplicibus, ad basin. spicae quandoque 
geminis, valdeque inzqualibus ; supremis subnullis ; 
Spicule grandiusculae, 7—ıo lineas longae, ob- 
ovatae, erectae, compresso-distichae, ex viridi et 
Bpadiceo argenteae, 4— florae; Valvule inæquales, 
lanceolato-acuminatae, margine et apice late sca- 
riosae, dorso versus basin coloratae, carinatae, nervis 
lateralibus ad mediam valvulam evanidis, carina 
' Ecabriuscula: Corolle omnes aristatae, teretiusculae , 
infra apicem coloratae, rachi propriae denticulatae, 
valde pilosae insidentes; Gluma exterior apice sca- 
rjoso, uno alterove mucronulo instructa, fere bifida, 
obsolete nervosa, nervo dorsali exasperato, medio 
dorso aristata; interior multo minor, tota scariosa, 
elliptico- oblonga, apice bifida; Arista valida, scabra, 
infra medium geniculata, refract#, subgeniculo valde 
contorta , purpurascens, superne dilutior, corolla 
duplo longior. (D. v.) 
5. A priori tantum foliis minus asperis, vaginis 
levibus, spiculis paulo majoribus, aristisque valde 
divaricatis squarrosisque modice differt. (D. v.) 

© In unfruchtbaren Wieſen auf den Bergen und in der 
Nähe der Alpen. A. Bl. im Fun, und Jul. — 6 Auf 


74 


der Spluͤgen; auf Fouly und Feman, auch auf dem 
Berg aman. A. Bl. im Aug. 


53. Av ENA versicolor Villars. A. panicula abbre- 
viata; spiculis subquinquefloris, rachi propria 
villosa; folis planis leviusculis. (Bunter 
Haber.) 

Hall. helv. 1500. 8 gram. 231. Prodr. 
Tab. 3. 


Av. versicolor Vill. Delph. 2. p. 142. Tab. 4. 
Sut. fl. helv. 3. p. 69. N? 15. Schrad. Be 1. 
Pp. 384. Ne 15. 
Av. Scheuchzeri Host grani: austr. 2. Tab. 52. 
(bona). 


Radix fibrosa perennis, parum cespitosa: Culmi 
erecti, teretes , apud nos leyes, pedales, superne 
Jonge nudi, binodes, nodo unico conspicuo versus 
basin instructi: Folia radicalia reliquis angustiora , 
complicata, cito emarcescentia, brevia; culmea 
pauea, plana, brevia, ı—3 lineas lata, obtusa, 
apice subcartilaginea , utrinque levia, margine tan- 
tum scabriuscula: Vagine teretes, glabrae, kevissi- 
mae: Ligula oblonga, acuta: Panicula brevis, sub- 
ovata, plus minusve coarctata, per florescentiam 
subinde tamen patens, pedunculis 1 —3 floris, brevi- 
bus, inferioribus subinde geminis, reliquis solitariis; 
Spicule fere omnes pedicellatae, plerumque 5- florz, 
teretiusculae, vel modice compressae , splendentes, 
ex luteo rufescente, et intenso violaceo variegatae 
marginibus argenteae: Valeule inzquales, ovato- 
lanceolatae , inferne coloratae, marginibus late sca- 
ziosae, trinerviae, nervis lateralibus infra medium. 


(8 


evanidis; superior major, acuminato-apiculata: Co- 
rolle coloratae, oblongae, teretiusculae, basi peni- 
cilo pilorum cinctae, rachi propria denticulatae, 
brevibus pilis obsitae insidentes; suprema sterilis ; 
omnes aristatae; Gluma exterior ovato-lanceolata, 
obsolete 5-nervia, apice scariosa, breviter bifida, 
laciniis mucronulatis, medio dorso aristata ; Arista 
violacea, fere ad medium geniculata, refracta, in- 
ferne violacea, corolla duplo longior; Gluma interior 
externä minor, dorso planiuscula, ad flexurae angulos 
breviter ciliata, latiuscula, scariosa, apice bifida, 
(D. v.) 

Dieſe ſchoͤne Art kommt auf hoͤhern Alpen nicht ſehr 
felten vor: auf dem St. Bernhard; oberhalb Bagnes; 
auf Fouly, Gotthard, Surſee, Adula u. ſ. w. 
In Savoyen auf dem Berg Les granges, au-dessus de 
N. D. d'abondance. A. Bl. im Jul. und Aug. 


76 


Beytraͤg e 
zur 


Topographie und Naturbeſchreibung 
des Ober-Engadins. 


Aus Nachrichten von Hrn. Hauptmann H. Hanfi in Campfeer. 


Die große Gebirgskette, welche den Theil Buͤndens dies⸗ 
ſeits der Alpen von dem jenſeitigen trennt, laͤuft, vom 
Maloja an, mit einer andern parallel, welche Buͤnden 
von Italien ſcheidet. Beyde ſchlieſſen das Engadin zwiſchen 
ſich, Buͤndens anſehnlichſtes Thal, deſſen Laͤnge, vom 
Maloja bis an die Graͤnze des Tirols, (St. Martinsbruck) 
18 Stunden betraͤgt. í 

Der Inn (il Eent) an Größe Buͤndens zweyter Fluß — 
durchſtroͤmt von Suͤdweſt nach Nordoſt die ganze Långe 
des Thals, dem er (den meiſten Etymologien zufolge) auch 
den Namen gab. 1) 

Da wo ein Nebenaſt der ſuͤdoͤſtlichen Bergkette (der 


1) Nach der aͤlteſten Etymologie (Campells) ſoll der romanſche 
Name Engiadina von den romanſchen Worten en co d'Oen 
(in capite Oeni) entſtanden ſeyn. Andere geben ihm die Bes 
deutung: Oeni gadina, andere: im Gaden des Inns: Enge 
des Inns (von der Enge bey St. Martinsbruck) x. Genug, 
um die Unfruchtbarkeit etymologiſcher Gruͤbeleyen zu beweiſen, 
in einem Lande, deffen Urſprache man nicht kennt. Unrichtig⸗ 
ift es, wenn Norrmann (p. 2392.) und Ebel [ Anleit. T. II. 
P. 266.] fagen: das Thal heiße in der Landesſprache en co. 
d'oen, es heißt blos Engiadina. 


77 


Caſanna⸗Berg) mehr gegen Norden in das Thal eindringt, 
ſenkt, ihm gegenuͤber, der Scaletta ebenfalls einen Arm 
herunter, und dieſe beyden theilen das Engadin, indem ſie 
es hier verengen, in das Obere und Untere. Jenes hat 
7 Stunden, dieſes 11 St. Laͤnge. 

Die Thalflaͤche des Ober-Engadins ſchließt fid) an die 
eine Seite des Maloja, und ſinkt von da, fanft wie der 
Inn, der ſie durchſchlaͤngelt, hinab. Ihre Breite betraͤgt 
1/4 bis 1/2 Stund. Zu beyden Seiten vertiefen fich 
Neben⸗Thaͤler in die Gebirge, deren richtige Darſtellung 
man in allen Landcharten vergebens ſucht, ſo wie uͤber⸗ 
haupt unter allen Theilen Buͤndens das Engadin bisher am 

unrichtigſten gezeichnet und beſchrieben wurde, „ 
Die Abſicht dieſes Aufſatzes iſt, zur Berichtigung jener 

geographiſchen Irrthuͤmer und zur genauern Kenntniß dieſes 
Thals beyzutragen. Da aber Hr. Hptm. Banfi fid) nur 
ſeit den leztern Jahren im Ober⸗Engadin aufhaͤlt, die Berge 
nicht ſelbſt zu bereiſen Anlaß hatte, und von andern Thal⸗ 
bewohnern mit groͤſter Muͤhe oft nur unvollſtaͤndige Nach⸗ 
richten bekam, ſo wird dies zur Entſchuldigung dienen, 
wenn der Zweck nicht vollſtaͤndig erreicht wurde. 

Unter den Nebenthaͤlern die ſich vom Hauptthal des 
Engadins in die ſuͤdoͤſtliche Bergkette, b. h. gegen Italien, 
ſenken, oͤffnet ſich 
1) zunaͤchſt am Maloja, das enge Muͤrett⸗Thal, zwiſchen 

Schneebergen, uͤber welche Sommers ein ſchauderhafter 

Weg für Fußgaͤnger und Saumpferde, *) in das velt⸗ 
lineriſche Nebenthal Malengo geht. 
2) In gleicher Richtung mit jenem, ein heureiches, 2 

Stunden langes Thal, das die Bergeller (die es meiſtens 


*) Irrig iſt es, wenn Ebel (T. I. 119.) von St. Moritz aus, einen 
Weg über Muͤrett gehen läßt. Der Weg uͤber Muͤrett geht 
von Maloja aus. 


T$ 


bewohnen) Feet, und die Engadiner Fegs nennen 
(auf den Landcharten heißt es Fait). Ueber feine 
Gletſcher gelangt man gleichfalls nach Malengo. Der 
Weg durch Feet iſt die naͤchſte Communication mit dem 
Veltlin. Der Vorſchlag, einen Paß fuͤr Saumpferde 
von Malengo durch Feet zu öffnen, und Bruͤcken über 
die Riſſe des dort ſchmalen Gletſchers zu bauen, wurde 
ehemals von Sonders gemacht, und ein, deswegen 
von Seglio abgeſchickter Deputirter uͤberzeugte ſich 
ebenfalls von der Ausführbarkeit dieſes Projects, das 
indeſſen nicht verſucht wurde. 


3) Ueber das Thal oder die Thaͤler zwiſchen dieſem und 


dem erſten, ſehlen uns genaue Nachrichten. Aus dem 
Feetthal oͤffnet ſich von Nordweſt gegen Suͤdoſt, ob 
Isola, ein Bergthal Namens Vtuoz, in die Bergkette 
zwiſchen Feet und Muͤrett. Auf der Reiſe uͤber Muͤrett 
liegt es links, und hat auch einen Paß nach Malengo, 
wiewohl nur fuͤr Jaͤger. 


4) Das Thal Pontresina od. Bernina, breiter und bes 


traͤchtlicher als die vorigen. Sein hinterſtes Ende ik 
von demjenigen des Feetthals 3 Stunden entfernt, 
welchen Weg, über lauter Gletſcherſlaͤche, gute Berge 
gaͤnger im Sommer ſchon gebraucht haben. 

Wo man aus dem Hauptthal des Inns, in das 
Pontreſina⸗Thal geht, ſpaltet ſich lezteres gleich in 2 
Aeſte. Der rechter Hand, fuͤhrt in zwey Thaͤler: Rosana 
(od. Rosèg) und Morteraccia; fie endigen in Gletſcher. 
Der andere, oder das eigentliche Pontreſinerthal, dringt 
weiter vor, und fuͤhrt durch zwey Thaͤler uͤber den 
Berninaberg nach Poschiavo, nämlich durch Pischadé 
(in 7 Stunden vom Dorf Pontreſina aus) und durch 
Cavaglia (in 6 Stunden). Die Graͤnze zwiſchen dem 
Pontreſiner und Poſchiaverthal iſt der ad) Cambrain 


79 


der die Bergſtraße des Bernina durchſießt, unb fid) in 
den Leg alv (meien Ste) ergießt. (Von Pontreſina 
bis zum Leg alv ſind 4 Stunden). 

Vorber ſenkt das Pontreſina⸗Thal noch zwey Neben⸗ 

thäler in die Berge linker Hand (d. h. links für den 
der nach Puſchlap reif) nämlich a) ben Wirthshaͤuſern 
auf Bernina gegenüber, ein Thal aus welchem man 
über eine Anhöhe in Val da Fain, einen Seitenaſt 
des Luvinerthals, gelangt. Val da Fain zicht eine 
Stunde lang von Weſt nach Suͤdoſt, und führt in das 
eigentliche Luvinerlhal 1). Zu innerſt in Val da Fain 
(Heuthal) ſteht die Graͤnzmarche zwiſchen Pontreſina, 
Lupin und Bormio. Auch kann man von Pontreſina 
durch Val da Fain nach Bormio reifen, wobey Luvin 
linker Hand bleibt. 
b) Das zweyte Nebenthal, naͤher am Dorf Pontreſina, 
heißt Val Langard, und iſt eher eine bloße Alp zu 
nennen. Dergleichen unbedeutende Bergthaͤler zaͤhlt 
man zwiſchen Val da Fain unb dem Engadin, oder 
den Bergen Monterasch, Gravatscha und Müsella, 
$ eigentlich 5. - 

5) Val Camovera, oder Chiamuera öffnet fid) bey 

Camogask, führt gleichfalls in das Luvinerthal (in 

4 1j2 St. bis Luvin) und fiot zu hinterſt an Val 
da Fain. 

6) Val Casanna od. Chaschauna. Auch dieſes führt 
nach Luvin, an welches es durch den Bergſattel Give 
graͤnzt. Von Scanfs erreicht man in 2 ı[2 St. die 


72 Nicht mit Lavin im U. Engadin zu verwechſeln. Eigentlich 
beißt es Val di Livigno, und ſollte daher eher Livinerthal 
geſchrieben werden, allein wir wählen obige, dem Sprach⸗ 
gebrauch nicht ganz fremde Schreibeart, um den Gleichlau; 

mit Val Leventina, (deutſch Liymerthal) zu vermeiden. 


80 


Ebene der Caſanna Alp, von da in x 1/2 St. bie Höhe 
des Caſannabergs; ſteigt in 1/2 St. bis in das Thaͤlchen 
Fidriga od. Federis hinab, und von da nach Luvin 
in 1 Stund. 

Steigt man die Caſanna Alp hinauf, ſo oͤffnet ſich 
rechts ein tiefes Thal gegen Weſten, das die Alpen 
Vaüglia Sura und Suot enthält, Links, gegen Often, 
liegen in einem andern Nebenthal die Alpen Purkehr 

‚und Turpchium. Zu hinterſt in Turpchium theilt 
ſich dieſes Thal wieder in zwey Aeſte, deren einer, 
Müschains, fich oͤſtlich wendet und naͤchſt Zernez, ob 
der Schanze, links dem Spoͤl, endigt. Der andere 
kehrt fich füdlich gegen Luvin und wird von einer hohen 
Felspyramide begraͤnzt, x). 

Wir wenden uns nun zur nordweſtlichen Bergkette und 

fangen wieder von der Seite des Maloja an. 

1) Der Julierpaß iſt — wie ihn Hr. Miniſter Ulyſſes v. 
Salis Marſchlins 2) febr richtig nennt — ein Jr hohes 
Bergthal, durch welches man aus dem Engadin nach 
Bivio und ins Oberhalbſteiner-Thal gelangt. Der 
Weg feigt von Silvaplana nicht febr (teil hinauf und 
zwiſchen zwey zugeſpitzten Felſen hindurch. Der Felſen 
linker Hand — eine Pyramide — heißt Pitz Püla- 
schin 3), der rechter Hand, ob Campfeer, Monte- 


1) Bis nicht die Hauptpunkte der vielen, zwiſchen Engadin, 
Bormio und Puſchlav durcheinander geſchobenen, Thaler richtig 
beſtimmt und gezeichnet ſind, muß jede Beſchreibung undeutlich 
ausfallen, denn die wenigſten Berichterſtatter ſind im Stande 
die Lage eines Thals geographiſch genau anzugeben. 

2) In feinem Verſuch einer Beſchreibung der Gebirge der Rep. 
Graubuͤnden. S. Faͤſis Biblioth. 1797. 

3) Pülasch Floh; diminutiv: Pülaschin, alfo Floͤhleinſpitze. In 
alten Urkunden Pülascher, 


3 


— 


81 


rasch 1). Den Namen Julier trägt heut zu Tage 
kein Berg dieſer Gegend, nur der Raum zwiſchen 
dieſen beyden Felſen, als Bergpaß, wird fo genannt. 
Hier ehen am Wege die beyden für Säulen gehal— 
tenen Steine; wahrſcheinlicher Opferſteine 2). 

Eine Viertelſtunde vom Dorf Bewers beginnt ein, 
noch ſehr unbekanntes, und auf allen Charten falſch 
gezeichnetes, Thal: das Beverſerthal, la Vall 
Bever, das, nach einer Stunde, bey Serra in 
Gianda enger wird, hinter den Berg, von Samaden 
und Cellerina herum reicht, und ſich zulezt durch 
zwey Ausgaͤnge ins Oberhalbſteiner-Thal offnet, ſo⸗ 
wohl gegen Tinzen als gegen Sur. 

Auf der Seite gegen den Julier bildet es ein enges 
Rebenthaͤlchen, Picuolg genannt, und da wo das 
Bewerſerthal an den ob Campfeer ſtehenden Berg 
Suvretta gránjt (welcher den Monterasch vom St. 
Moritzer⸗Berg ſcheidet), erſtreckt fid) vom Suvretta 
gegen Creſta, von Weſt nach Oſt, ein Stundlanges 
Thal: Val Gian Dugs. Auſſer dem Weg, der durch 
das Bewerſerthal fuͤr Fußgaͤnger ſowohl nach Tinzen 
als nach Sur fuͤhrt, kann man auch, im Sommer 
und zu Fuß, durch dieſes Thal nach Berguͤn reifen, 
und hat 2 Stunden naͤher als auf dem gewoͤhnlichen 
Weg über Mbula, Lezterer Berg und das Wirthshaus 
zum weiſſen Stein, bleiben rechts. Vom Weiffenftein 


t endlich fann man dutch das Bewerſerthal und von da 


i) Diefen und ähnliche Namen tragen viele €tgabinet * Berges 


Die Endfylbe arsch deutet auf Größe [das italien. accio]: 
Monteratsch, Muntatseh, Vallatscha, Campatsch etc, 


å) Nach einer Bemerkung im Silvaplaner urbario von 1764, gebt 
die Gránje von Silvaplana nech bis i$ Klafter jenſeits der 


Saͤulen. 


3r Bd. 5 


82 


nach St. Moritz in 4 Stunden, (alſo ebenfalls um 
vieles naͤher) gelangen. Der Albula-Berg und Paß 
erhebt ſich ſogleich hinter Pont und fuͤhrt in 4 Stunden 
nach Berguͤn. Auf der Seite des Engadins kommt 
man hier durch kein Thal, und es iſt daher ein 
großer Irrthum, wenn Ebel (Anleitung ꝛc. ꝛc. ſowohl 
Art. Albula als Pont) den Albula-Paß durch das 
Thal Chiamuera gehen laͤßt ). Die Benennung 
Teufelspaß, die er ihm beylegt, iſt im Engadin 
unbekannt. 


4) Bon Scanfs vertieft ſich ein beträchtliches Thal, links 


in die große Bergkette. Bey Salzana iſt es in zwey 
Aeſte getheilt, wovon der großere rechter Hand durch 
einen beſchwerlichen Weg uͤber den ſteilen Scaletta in 
das Diſchmathal lein Nebenthal der Landſchaft Davos) 
fuͤhrt (von Caljana bis Davos 7 St.); der andere 
Aſt, linker Hand, leitet in das (ebenfalls davoſiſche) 
Thal Sartig. Aus einem andern Seitenaſt des Sal⸗ 
zanerthals, Val Fontana, od. auch der Schaafboden 
(Stevel della Beschia) genannt, kann man links in 
Val Tuors, welches nach Bergün führt. Zwey Stund 
weit vom Schaafboden iſt in dieſem Thal ein See (von 
der Groͤße des Campfeerer Sees) wo der Zuger Boden 
an den von Berguͤn graͤnzt. 
So viel Intereſſantes die großen Gletſcher der ſuͤdoͤſtlichen 


*) Ebel iſt zu dieſem Fehler, und vielen andern, durch Lehmann 


verführt worden, in deſſen „Rep. Graubuͤnden“ T, I. p. 333 » 
aus dem Thal Chiamuguera ein Bach vom Albula in den Inn 
fließt. Der Albulabach fällt freylich in den Inn, aber gerade 
von entgegengeſetzter Seite als der von Chiamuera. Zwey 
Blätter weiter hinten [p. 337 u. 38.] togen wir bey Lehmann 
auf einen ahnlichen Fehler, wo er aus dem Thal Casanna und 
Ghiaschauna zwey verſchiedene Thaͤler macht. \ 


u 83 
Bergkette darbieten mögen, fo kann über ihre Lage noch 
nichts naͤheres gegeben werden als ſchon in der Alpina 
Bd. I. p. 314. ſteht. Die nordweſtliche Gebirgsgraͤnze hat 
ebenfalls mehrere Gletſcher, ſowohl auf Scaletta, als 
zwiſchen Albula und Julier. Zwiſchen dieſen zwey Bergen 
erhebt ſich ein ſehr hoher Felſen, von dem man eine der 
weiteſten Ausſichten hat. In Berguͤn nennt man ihn Cinuols, 
in Oberhalbſtein Pitz oder Vadretg d'Err (man gelangt 
durch das Thal Err dahin) und weiter hinten Vadretg da 
Flex ). In dieſer Gegend liegen mehrere Gletſcher. Der 
innerſte, der an die Julier-Alp ſtoͤßt, liegt ob Picuolg und 
hat 1/2 Stund im Umfang. Von Serra in Gianda bis zu 
dieſem Gletſcher braucht man 3 Stunden. Der zweyte, 
bey Suvretta, beſteht aus Eisbedeckten Gebirgen, und 
nicht aus Thaͤlern die mit Eis gefuͤllt ſind. Der dritte 
befindet fid) 1 Stunde davon weiter auswaͤrts. Dieſe drey 
ſind an der rechten Seite des Bewerſer-Thals (wenn man 
dem Lauf des Bewerſerwaſſers nachfolgt). Auf der linken 
Seite dieſes Thals liegen vielleicht die Gletſcher, welche der 
Oberhalbſteiner: von Err und von Flix nennt, doch 
fehlen hieruͤber genauere Nachrichten. 

Kleine iſolirte Eismaſſen liegen auf vielen Bergen des 
Engadins, fo z. B. eine auf dem Berg 3/4 St. ſuͤdweſtwaͤrts 
uͤber der St. Moritzer Sauerquelle, wo der Uebergang von 
Surleg nach Rofana ift. Anno 1795 End Junis, nachdem 
es 6 Tage nicht geregnet hatte, bey hellem Wetter, geſchah 
aus dieſem Gletſcher ein ploͤtzlicher Ausbruch gegen das 
Dorf Surleg. Der Bach, in den dieſer Gletſcher ausfieft, 


ns ii 
*) Im H. Engadin kennt man den Namen Err gar nicht. Diefe 
unglaubliche Abweichungen in der Benennung der gleichen Gee 
beirge macht eben alles Nachforſchen fo ſchwierig und bringt (9 
viele Verwirrung in die Berichte, 


84 


ſchwoll ungewoͤhnlich an, und fite fid) aus bem Gletſcher 
mit unglaublich bohem Schutt. 

Im obern Theil des Thals folgen 4 engverbundene Seen 
auf einander. 

Der Silſerſee (Leg di Seglio) x / Stund lang 
und 3/4 breit, unweit dem Maloja, erhaͤlt ſein Waſſer von 
mehrern Baͤchen, unter denen man den Ausfluß eines kleinen 
Sees auf der ſuͤdoͤſtlichen Seite des Septmer⸗Gipfels, (don 
in alten Zeiten als die eigentliche Quelle des Inns aus⸗ 
zeichnete. Man bemerkte dabey, daß 3 benachbarte Seen 
auf dem Septmer ihre Gewaͤſſer in 3 verſchiedene Weltgegen⸗ 
den gießen; denn der eben erwaͤhnte giebt das ſeinige durch 
den Inn und die Donau dem ſchwarzen Meere; und von 
ſeinen zwey noch kleinern Nachbarn ergießt ſich der weſtliche 
in die Mera und das mittellaͤndiſche Meer, der andere durch 
das Oberhalbſteiner Waſſer und den Rhein gegen Norden.“) 

Dieſer See hängt durch einen ſchmaͤlern, 1/4 St. langen 
Ausfluß, Lagiazzöl genannt, mit dem See von Silva— 
plana zuſammen. Lezterer empfaͤngt, bey der Vereini⸗ 
gung mit jenem, einen ſtarken Bach, den die Gletſcher zu 


*) Otto von Freyſing [farb r158] Chron. L. 7. e. 17. ſagt: — per 
jugum Septimi montis; quo rhenus [der Oberhalbſteiner⸗ 
Rhein] et Oenus fluvii oriuntur. [f. Fragm. der Staatsgeſch. 
des Veltlins T. III. 51.] Man hielt alſo damals jenen Bach 
vom Septmer fuͤr die Innquelle. Ob dieſer See Lago die 
Lungin heiſſe, wie Fäſi und Ebel ihn nennen, ift uns unbe» 
kannt; lezterer nennt ſeinen Abfluß beym Wirthshaus auf 
Maloja aqua d'Oen. Nach Berichten aus dortiger Gegend 
iſt dieſer Bach vom Septmer der Ausfluß eines ſumpfichten 
Teiches, und fließt von Weſten nach Oſten in den Silſer⸗See. 
Die Gegend ſeines Durchfluſſes heißt Degn; eben ſo hieß eine, 
nuumehr abgebrannte Wohnung, welche dort ſtand, und der 
Bach trägt von der Gegend den Namen aqua Degn, 


* 


2 


85 


innerſt im Feetthal ausgießen. Will man die Quelle des 
Inns im ſtaͤrkſten der obern Baͤche ſuchen, fo gebührt uns 
ſtreitig dem Feetbach dieſe Ehre; da aber die Bruͤcke bey 
Baselgia über den Ausſtuß des Silſerſees, Punt Eent 
heißt, fo feint der landesuͤbliche Sprachgebrauch nicht 
den Feetbach für die Innquelle zu erkennen. 

Der Silvaplaner⸗See wird durch eine Erdzunge, die 
ihn bis auf einen Canal von 80 Schritt Breite einengt, in 
den obern und untern getheilt (jener ı/2 Stund, dier 6 
Minuten lang). Auſſer dem Feetbach vereinigt ſich mit 
dem obern Silvaplanerſee ein noch ſtaͤrkerer Bach unweit 
dem Dorf Silvaplana, der vom Julier herabkommt. 
Ferner einer von Sils, einer von Surleg, und zwiſchen 


beyden ein Alpbach. 


Hierauf trennt eine zweyte Erdzunge (Pite) den untern 


Silvaplanerſee vom Campfeerer, und laͤßt bem Waſſer— 


nur einen 40 Schuh breiten Durchfſuß (la Stretta del Pitz) 
der niemals zugefriert. Der Ausfuß des, 20 Minuten 
langen Campfeerer⸗Sees, heißt Sela ), (oder, wie andere 
wollen, Sella), wird (soo Schritt unter dem See) durch 
den aus dem Suvrettagletſcher entſpringenden Campfeerer⸗ 
Bach verſtaͤrkt. 

Nach 20 Minuten Lauf, und nachdem fie rechter Hand 
3 kleine Gewaͤſſer aufgenommen, ergießt ſich die Sela in den 


er Dieſer Name kommt in alten Geſetzen dieſes hals, als dee 
Abfluß eines aufgeſchwellten Wafers (z. B. bey Wäfferungen) 
vor. In einer Urk. Biſchof Friedrichs v. Chur für Andr. Plant 
zu Zutz (Viſpran 1288 Freyt. vor Palmtag) heißt auch der 
Abfluß des Silſerſees, la Sala. Daß dieſer nun Lagiazzöl 
genennt wird, mag daber kommen, weil Lavinenſtoͤße ihn vera 
ſchuͤtteten und zu einer Art Sumpf ausbreiteten. Schon 
Campell (in der Mitte des réten Jahrhunderts) fennt ihn unte s. 
lezterm Namen und Zuſtand. 


$6 


St. Moritzer⸗See. Dieſer nimmt linker Hand 2 Bäche, 
rechts aber ein Bergwaſſer auf; und ein Ausfluß, vereinigt 
mit dem des Stazer⸗Sees (der Stazer-See, von unbe- 
traͤchtlicher Größe, aber tief, liegt rechts vom Inn im Celles 
riner-Wald) ſtuͤrzt hierauf (durch Chiarnadüras) über 
Felſen herab, und bildet eine, nicht wegen Hoͤhe, aber 
wegen Waſſermenge, ſehenswuͤrdige Cascade, denn in [ego 
terer Hinſicht moͤchte dieſer Innfall unter allen ſchweize⸗ 
riſchen Waſſerfaͤllen dem des Rheins am naͤchſten kommen 1). 
Die Bruͤcke über den Ausfſuß des St. Moritzer⸗Sees heißt 
Punt Sela, aber gerade unter dem Waſſerfall faͤngt wieder 
der Rame Eent (Inn) an. 

Auf ſeinem weitern Lauf durch die Ebene von Cellerina 
und Samaden, empfaͤngt der Inn linker Hand einen Bach 
bey Creta; bey Cellerina den Schlattein, die reichliche Cae 


madner⸗Quelle, und den Bewerfer- Bach. Rechts ſtuͤrzt ein 


wildes Gletſcherwaſſer, Flag genannt, ſeine gruͤnlich-weiſſen 
Wellen in den klarea Inn. Es iſt der Abfluß des Bernina⸗ 
Gletſchers, der ſich aus vielen Gletſcherbaͤchen im Pontre⸗ 
ſiner⸗Thal und deſſen Nebenzweigen vereinigt. 


Die kleine verſumpfende Quelle Fontana merla (Amſel⸗ 


brunnen) zwiſchen Bewers und Pont, wird hier nur des— 
wegen angemerkt, weil ſie das O. Engadin in zwey politiſche 
Theile theilt. 
Nicht weit unter dieſer Quelle, jenſeits, vermehrt der 
Bach l'ova (aqua) del aram den Inn. Bey Pont 
(dieſſeits) liefert der Albula ſein Waſſer, und jenſeits 


Camogask das ſeinige. Dann ergießt ſich wieder linker 


3) Genaue Beſchreibung dieſer Seen war um deſto noͤthiger, da 
fie auf der Meyeriſchen Charte ſo aͤuſſerſt falſch gezeichnet find, 
Man findet daſelbſt nur 3. St. Moritz liegt auf dieſer Charte, 
fatt am Anfang, am Ende eines Sees, und Campfeer, vom 
See und der Landstraße entfernt, gar in einem Nebenthal 1. fa w. 


* 


$7 


Hand des Inns bey Madulein ein Bach aus bem Thaͤlchen 
Eschia 1). Zutz giebt dem Hauptſtrom 2 Baͤche, und 
die Thaler Casanna und Salzana führen ihm die verz 
einigten Gewaͤſſer ihrer Seitenthaͤler zu. Endlich ſcheidet 
ein kleiner Bach aus dem Zobel (Vergſurche) über welchen 
die Bruͤcke Pont alto fuͤhrt, das Gebiet des obern Enga⸗ 
dins vom untern. 

Auſſer den oben genannten Seen, ſind noch mehrere 
kleinere vorhanden. Z. B. auf Maloja, Muͤrett zu, feita 
waͤrts vom Paß abgelegen, der See Cuvlotsch. Ob Gre- 
vas alvas, einer, und 3 im Walde, Campfeer gegenuͤber: 
leg falcum, leg marsch, leg nair; ferner leg Uvischel, 
im Walde gegen Surleg. Von den beyden Seen auf Ber— 
nina, an der Puſchlaver⸗Graͤnze, hat der kleinere 1/4, der 
groͤßere 3/4 St. im Umfang. 

Schon der Anblick des Thals deutet an, daß es ein vom 
Waſſer zwiſchen den Bergen ausgehöltes Becken if. Tra- 
ditionen beſtaͤtigen dies, und noch jezt waͤren an manchen 
Stellen geringe Hinderniſſe im Stande, den Abſuß des 

Waſſers zu hemmen und das Thal in einen See zu vers 
wandeln ). 

Allmaͤlig ſtuͤrzte von den begraͤnzenden Bergen aufge 
lockerter Schutt in die Seefaͤche, zwang das Waſſer fich ein 
tieferes Bette zu graben, die Hinderniſſe ſeines Laufs zu 
durchbrechen, und bildete ſo die gruͤnen Huͤgel die jezt vom 


X) Dieſes Thaͤlchen graͤnzt links durch den Berg Gusldauna an 
Albula, und endigt an den Graͤnzen des Berguͤner Gebiets. 
-*) Campell hat die Tradition, daß Madulein ehemals mitten im: 
See geſtanden, und daher feinen Namen erhalten habe. Der- 
Inn hat im obern Thal eine große Neigung zu verſumpfen. 
Der Felſen des Junfalls unter St. Moritz mußte deswegen 
1733 erniedrigt werden. Ein Erdſchlipf iſt hinreichend, Nas 

Waſſer austreten gui machen. 


88 


untern Theil der Berge an, gleich Erdzungen, allmaͤlig 
zugeſpitzter und niedriger gegen die Mitte des Thals 
auslaufen. 

Oben am Berge Monteraſch, bey Silvaplana, ſind die 
Furchen ſichtbar, nach welchen ſein Schutt in das Thal 
ſluͤrzte, und den See bis zur Enge von go Schritten zuruͤck⸗ 
ſtieß. Auf dieſem Huͤgel wuchſen, vielleicht nach Jahr⸗ 
hunderten, Waͤlder (Silva plana) die der Menſch zulezt 
ausrottete und ſich da anſiedelte. Aber noch findet man in 
den Gütern bis 6 Schuh tief, die gleichen rothen Steine, 
die ihren Bruch nahe bey den Julierſaͤulen haben. Der 
naͤmliche Berg ebnete mit ſeinem Schutt die Abgruͤnde des 
Julierpaſſes und machte ihn zum ſicherſten unſerer Bergwege. 

Ein aͤhnlicher Abfall vom St. Moritzerberg iſt die wal⸗ 
dige Steige (Somplatz) zwiſchen Campfeer und St. Moritz, 
wo der Inn ſich eine enge Oeffnung nach und nach aus⸗ 
ſpuͤlen mußte. 

Ueberbleibſel ſolcher Abſtuͤrze ſind die hohen iſolirten 
Felsſtücke hin und wieder in den Gütern, z. B. bey St. 
Moritz und Campfeer. 

Um die groͤſten Maſſen von unſern Bergen in das Thal 
hinabzuſtuͤrzen, bedarf es weder Erdbeben noch anderer 
Naturrevolutionen. Die Einwirkungen des Regen- und 
Schneewaſſers ſind dazu hinreichend. Erſt wenn man die 
heftigen Folgen anhaltender Regenguͤſſe auf den hohen 
Bergen kennt, fuͤhlt man, wie wohlthaͤtig es fuͤr die Thaͤler 
iſt, daß die meiſten Regen, ſelbſt im Sommer, auf den 
Berggipfeln als Schnee niederfallen. Bey anhaltendem 
warmen Regen ſchwellen die kleinen Bergwaſſer durch hin⸗ 
eingeſpuͤlte Erde, Steine, Baumſtaͤmme zu Rieſengroͤße, 
reiſſen Häuſer weg und füllen die Ebene mit Schutt. Die 
gefährlichſten dieſer Art im O. Engadin find der Schlattein 
zwiſchen Creſta und Cellerina, zwey bey Samaden, der 


89 


Camogaskerbach ), einer zwiſchen Zutz und Scanfs u. a. m. 
In dieſer Hinſicht ſind die Seen des Inns dem Thal eine 
große Wohlthat, denn in ihnen legen die wilden Bergwaſſer 
ihren Schutt nieder. : 

Auch bie Lawinen, welche bey aufthauendem Schnee 
entſtehen (geſchtoßne oder Grund⸗Lawinen) führen vielen 
Schutt von den Bergen herab. Auf dieſe Art iſt der gefaͤhr— 
lichſte Lawinenplatz des O. Engadins, Val da Cloter 
(Mausfallenthal, naͤchſt bey Fontana merla) ganz conver 
geworden. 5 

Die Hoͤhe des O. Engadins iſt noch unbeſtimmt. Ebel 
giebt fit 4200 — 4800 F. über dem Meer an; Caſtberg 
hingegen berechnet ſie nach den Barometerbeobachtungen 
Hrn. Perinis auf roso Toiſen (folglich 6300 F., ein bt» 
traͤchtlicher Unterſchied!) Daß dieſes Thal hoch liege, ete 
fahrt man gleichſam mechaniſch, denn im Thale ſelbſt 
erreicht man, faſt ohne zu ſteigen, die Hoͤhen des Maloja 
und Bernina; dennoch find bevdes beträchtliche Berge für 
den, der aus Italien heraufſteigt. Die Hoͤhe moͤchte alſo 
ſchon hinreichen dem Thal das Clima der Berge zu geben, 
mit denen es den langen Winter, den Mangel an Laubholz 
und die Alpenpflanzen gemein hat, (leztere wachſen rings 
um die Doͤrfer des O. Engadins, Achillea moschata 
unter Campfeer am Ufer des Inns). Allein eben ſo viel 
als die Hoͤhe, moͤgen auch die Umgebungen des Thals zu 
feiner Verwilderung beytragen. In der That it das Enga⸗ 
din gegen jeden warmen Einfluß mit Eis gleichſam ver— 
panzert. Ein Kranz von Gletſchern ruht zwiſchen ihm und 
dem nahen Italien. Der gluͤhendſte Sirocco muß hier 


*) Dieſer riß 1772, 7. Sept. mehrere Häufer des Dorfs nieder und 
verheerte zwey Alpen fo, daß fie ſeitdem nicht mehr koͤnnen 
heſetzt werden. 


90 d 
abgekühlt werden. Von Nordoſt und Suͤdweſt, wo das 
Thal offen iſt, wehen ungehindert die Winde aus zwey 
andern, ebenfalls von Gletſchern beherrſchten Thaͤlern (dem 
U. Engadin und Bergell). Die heftigen unmittelbaren 
Nord⸗ und Suͤdwinde hingegen koͤnnen nur ſtellenweis ein- 
dringen. Lezterer iſt feucht und ſtellt ſich gleich ſam periodiſch 
ein, naͤmlich vom April bis Anfang Septembers bey gutem 
Wetter von Morgens 9 Uhr bis s Uhr Abends. (Schon 
das bloße Zuſammentreffen der warmen, von der Sonne 
erhitzten italieniſchen Atmosphaͤre mit den Gletſchern und 
der hieſigen kalten Luftregion kann dieſen regelmaͤßigen 
Luftzug begreiflich machen. Es mag ebenfalls von den 
Gletſchern herruͤhren, daß die geringſte Aenderung des 
Windes die auffallendſte Verwandlung der Temperatur 
hervorbringt. Oft weht bey den brennenden Strahlen 
der Mittagsſonne plotzlich ein ſchneidender Luftzug, und 
auf den waͤrmſten Tag folgt eine Nacht mit Reifen. 
Das Wetter it daher auch meiſtens febr unbeſtaͤndig. Die 
meiſten Regenwolken kommen von den Gletſchern ob Feet 
und Bondo, ſeltner noͤrdlich von Davos. / 
Im Ganzen ift der obere Theil des Thals höher und 
kaͤlter als der untere, aber jede einzelne Gegend hat ihr 
eigenes Clima, je nachdem ſie gewiſſen Luftzuͤgen ausgeſetzt 
oder davor geſchuͤtzt iſt. Die meiſten obern Doͤrfer, bis an 
St. Moritz leiden mehr oder weniger vom Maloja Durchzug: 
Baſelgia auſſerdem vom Feeter und Silvaplana vom Julier, 
Campfeer vom Suvretta. Bey Samaden entſteht, eben: 
falls vom Suvretta, durch eine Bergkluft ein Windzug, 
vent Montiröl genannt, der in Samaden ſelbſt (welches 
er überfiegt) weniger empfindlich it, als in dem entfernten 
Pontreſina, wo er alles erſtarrt. Der Bernina ſendet hin— 
gegen eine nicht kalte Luft nach Samaden. Bewers wird 
vom Zug ſeines eigenen Thals erkaͤltet; Pont vom Albula 


91 


und fo wie Camogask ſelbſt, vom Camogasker Thalwind. 
Zutz, ſaſt keinem Windzug ausgeſetzt — genießt das milə 
deſte Clima von allen. Schon auf Scanfs wirken kalte 
Luͤfte aus Salzana und Caſanna, und Salzana fibi wird 
noch rauher vom Scaletta beherrſcht. 


Die Luft dieſes Thals iſt im hoͤchſten Grad trocknend, 
beſonders im Fruͤhjahr, wo ſie eine unbehagliche Spannung 
der Geſichtshaut erregt. Ein Beweis, wie ſehr diefe Luft 
der Faͤulniß widerſtehe iſt es, daß im obern Thal (von 
St. Moritz an) vom October bis im Man kein Fleiſch gea 
raͤuchert, ſondern blos an der Luft gedoͤrrt wird. Man 
glaubt, es wuͤrde ſogar im Sommer nicht verweſen, wenn 
es, dem Luftzug ausgeſetzt, vor Fliegen bewahrt werden 
konnte. Fiſche bleiben fo vom October bis im Mär; uns 
verdorben. Der Wein haͤlt ſich in den hieſigen Kellern ſehr 
lange und wird vortreflich, 


„Neun Monat Winter, unb drey Monat Ealt” fo ſagt 
von dem hieſigen Clima ein abſchreckendes Spruͤchwort, und 
es hat nicht unrecht. Kaum 3 Monate, und dieſe nicht 
einmal ununterbrochen, kann der O. Engadiner ohne ge— 
peites Zimmer zubringen. Im Juny und July ſchneyt es 
oft durch das ganze Thal, und im hoͤchſten Sommer vergeht 
kaum eine Woche ohne Reifen. Dennoch iſt der Sommer 
angenehm; die leichte Atmosphaͤre, der reine tiefblaue 
Himmel erheitern das Gemuͤth. Schwuͤhl iſt es hier nie, 
wenn gleich im Sonnenſchein heiß. In gewiſſen Sommern 
G. B. 1804) faf man Hoͤherauch (Kay) auch in dieſem 
Thal. Schon im Auguſt verwandeln die Reifen das helle 
Grün der hoͤchſten Bergweiden in verblichnes Braun, aber 
wann der Herbſt ſich naͤhert fallen ſie ſo ſtark, daß das Thal 
glänzt als ware es uͤberſchneyt. Hoͤchſt ſelten ſieht man 
bier dicke Herbſtnebel, auch diefe Jahrszeit it angenehm 


= 


92 


aber fie enteilt fo (nell; bie Natur erſtarrt, und das Thal 
huͤllt ſich jn tiefen Schnee. 

Die Kaͤlte it zwar ſtark und anhaltend (Ab. 1789 war 
fie bis 24?) aber fie tritt nicht plotzlich mit aller Macht ein. 
Eine Schneedecke, gewoͤhnlich von 3—5 Fuß Tiefe (auf den 
Bergen noch tiefer) ſchuͤtzt die ruhenden Ebenen. Die 
empfindlichſte Kalte fühlt man an einigen Orten, wo fid) 
Winters Froſtrauch úber dem Inn ſehen lågt. End No- 
vembers (um Andreas) gefrieren immer die Seen zu, und 
Anfang Januars bahnt man uͤber das Eis und faͤhrt ge— 
woͤhnlich bis Mitte März daruͤber. Erſt im May thauen 
die Seen ganz auf. Den sten May 1799 fuhr noch frans 
zoͤſiſche Artillerie daruͤber, ohne Gefahr. Der Schnee 


ſchmilzt überhaupt langſam weg, halbgeſchmolzen friert er 


über Nacht wieder fo fet, daß man im Frühling bis 9 Uhr 


Morgens mit beladnen Schlitten darüber wegfaͤhrt. Erf 


wenn das Auſthauen recht im Gange it, bildet fid) ein 
ſtarker Nebel und verzehrt den Schnee oft in 24 Stunden 
Ellentief, weit ſchneller als der Sonnenſchein. Ueberhaupt 
iſt der Anblick des Engadins am traurigſten im Maͤrz und 
April, wo in waͤrmern Thaͤlern der junge Fruͤhling ſchon 
erwacht it. Dann liegt es noch im Winterſchlaf, einzelne 
Hügel enthuͤllen fich zwar, aber je mehr der Schnee vers 


ſchwindet, deſto abſcheulicher werden die Straßen übers 


ſchwemmt. 

In der Haͤlfte Mays *) entfriert endlich der Boden, und 
die Lerchenwaͤlder verkuͤnden durch grüne Nadelbuͤſchelchen 
das Ende des Winters. 

Eine allmaͤlige Verwilderung des Climas in dieſem Thal 
beweist man durch die Vermehrung der Gletſcher. Zwar 


) Den 15. Juny 1792 war zu Silvaplana die Erde ſtellenweiſe 
noch 3 Fuß tief gefroren. 


93 


giebt es Sommer (z. B. 1864) wo alle Gletſcher bey 
warmen Regen abnehmen. Allein man zaͤhlt viele Gletſcher, 
die erſt ſeit Mannsgedenken entſtanden ſind (z. B. neun in 
der Gegend von Sils, und zwar auf Sonnenſeite). 

Vom Hagel leidet das Thal ſehr wenig, und dem Blitz⸗ 
ſchlag ift nur die Gegend von Samaden, vorzuͤglich die fos 
genannte Campagna, zwiſchen Samaden und Pontreſina, 
ausgeſetzt ) 

Dem Mangel wiſſenſchaftlicher Unterſuchungen des Cli⸗ 
mas dieſes Thals iſt es zuzuſchreiben, daß die hier mitge⸗ 
theilten Nachrichten nicht tiefer eindringen als die alltaͤg⸗ 
lichſte Erfahrung. Eben ſo duͤrftig fallen die nachfolgenden 
Notizen uͤber die hieſigen Naturproducte aus, da beſonders 


weder Mineralogie noch Botanik die Faͤcher des Sammlers 


dieſer Rachrichten ſind. In naturhiſtoriſcher Hinſicht iſt 
dies Thal überhaupt eine Terra incognita. Unter allen 
ſeinen, zum Theil ſehr wohlhabenden Bewohnern, ſucht 
man vergebens einen Mann, der ſeine Muße der Naturkunde 
widnie, fo reich auch der Stoff für den Beobachter wäre, 
An dem unlängſt verſtorbnen Hrn. Peter Perini in Scanfs 
befag das Engadin einen Kenner des Berg baues, der aber 
leider nichts Schriftliches hinterlaſſen hat. 

Vorzuͤglich der Unterſuchung eines Mineralogen werth 
waͤre eine Ader aͤchten Lawetzſteines, die ſich im Feetthal 
befinden ſoll. Vor 40 Jahren war die Rede davon ſie zu 
bearbeiten, es unterblied aber. Vielleicht hat dieſe Ader 
Verbindung mit derjenigen von Proſto. Oben auf dem 
Julier finden fich bemerkenswerthe, ſchon gerundete Steine. 
Bey Sils iſt ein ſehr brauchbarer Bruch fuͤr Steinmetzen⸗ 


*) 1806 im July ſchlug der Blitz in ben Kirchenthurm von Samaden. 
In der Campagna und uͤber dem Samadner Kalkofen ſtehen 
viele vom Blitz an den Gipfeln beſchaͤdigte Lerchbaͤume. 


94 


arbeit, aus welchem aber bisher ſchlechte und theure Arbeit 
geliefert wurde. Der Petersthurm zu Samaden iſt aus 
einem gelben Tuffſtein dieſes Thals erbaut, der manchen 
Stein anderer Art in ſeiner Mitte eingeſchloſſen enthaͤlt. 
Die Gypsberge bey Ct. Moritz find auffallend; auch Gas 
maden hat eine Gypsgrube, unweit dein Dorfe. Bey 
Surleg hingegen findet ſich kein Kalkſtein, auſſer ein einziger 
ſehr großer, der bey dem oben erwähnten Gletſcher-Ausbruch 
ausgeworfen wurde. i 

Toͤpferthon von allen Farben hat man faſt in jeder 
Gemeinde. i 

Gemsjaͤger fanden auf der Höhe der Gebirge Ammonds 
hoͤrner von 1 Zoll Laͤnge und 2 Linien Dicke, und im Be⸗ 
werſerthal entdeckte man einſt, von einem Lerchenſtamm 
umwachſen, einen Markaſit von 2 ½ Linien cubiſch. 

Eiſen wurde in der (oben bemerkten) Caſanner-Alp 
Turpchium gegraben. Hr. Perini fand daſelbſt Eiſenerze, 
und noch jezt ſieht man den Schutt des dort geſtandenen 
Schmelzofens. Nach der Sage ſollten auf Cumbrigna ob 
Purkehr, Golderze ſeyn, allein Hr. Perini fand in den 
abgefallenen Bruͤchen dieſer ſchwindelnd ſteilen Gegend keine 
Spur davon. In einem andern Nebenthal von Scanfs, 
Val Varusch, foll aus einer Ruͤfe eine Salzquelle ente 
ſpringen. Eine Quelle auf Celleriner-Gebiet hat etwas 
Schwefelgeſchmack. So berühmt der Sauerbrunnen von 
St. Moritz iſt, ſo beſitzt man noch immer keine richtige 
chemiſche Zergliederung deſſelben. Diejenige des Hrn. 
Apothekers Morell (in Ebels Anleitung) muß mit ganz 
verdorbenem Waſſer vorgenommen worden ſeyn, da ſie ihm 
den Eiſengehalt abſpricht, der doch an der Quelle ſelbſt, 
ſchon mehrmals vermittelt Gallaͤpfeln if erwieſen worden. 
Etwa 400 Schritte unter dieſer Quelle iſt eine andere welche 
ſchwaͤcher ift und verſuͤmpft, und nah an Surleg eine Dritte, ~ 


95 


die vom Zufuß anderer Waſſer gefchwächt wird. Der 
Botaniker haͤtte im O. Engadin den intereſſanteſten Stand⸗ 
punkt, die Alppflanzen, die ihn hier umringen, zu ſtudiren, 
und der nahe Uebergang ins waͤrmere italieniſche Clima 
(durch Bergell oder Puſchlav), fo wie der Umſtand, daß 
dieſes Thal von der Hauptkette der Alpen begraͤnzt wird, 


alſo die Vegetation der Urgebirge darbietet — gaͤbe reichen 


Stoff zu neuen Beobachtungen. 

Wie ſehr waͤre es zu wuͤnſchen, daß Hr. Pfr. Pol ſeine 
Beobachtungen über die Flora feines vaͤterlichen Thales dem 
Publikum nicht vorenthalten möchte } 

In dem Thale ſelbſt hat die Vegetation ihre merkbaren 
Stufen. ; 

Auf der Höhe des Maloja iſt alles kahl und erſtorben. 
Hier fehlt der Holzwuchs ganz, bald aber zeigen ſich viele 
Zwergfohren (Pinus mugho). Grevas alvas, 1/2 Stund 
oberhalb der Straße, iſt mit dieſen (romanſch Zuondra) 


umgeben, auch beginnen hier hochſtaͤmmige Holzarten, 
Zirbelnußbaͤume (Arben, Pinus cembra) und Lerchen. 


In der Silvaplaner Waldung werden nur dieſe Arten ge⸗ 
funden, in der Campfeerer etwas wenige Rothtannen, bey 


Sils ebenfalls. Mehr in St. Moritzer Waldung. Die 


darauf folgenden untern Gemeinden haben weit weniger 


Arben als die obern, beſonders auf der rechten Seite des 
Inns, auf der linken hingegen hat Camogask und Salzana 


ſchoͤne Arbenwaͤlder; und von Camogask abwärts N 
auch Fohren. 
Laubholz waͤchst nirgends, etwas Geſtaͤnde aus genommen, 


. B. Erlen, kleiner Hollunder mit rothen Beeren (Sambu- 


cus racemosa), Vogelbeeren (Sorbus aucuparia, Guͤr⸗ 
guͤtſch/ romanſch Culaischen), wilde Roſenſtauden, weiſſe 
Pappeln, Zwergweiden, Sand⸗Sewen (vermuthlich Tama- 


. xix germanica) und, von Samaden abwaͤrts, Faulbaum. 


96 


Berberis vulgaris fiet man bey Can(á, Lonicera 
xylosteum und alpigena hin und wieder; allenthalben 
ſehr Häufig Heidel- und Preuſelbeeren, und Himbeeren 
(romanſch Uzuns, Gilüdas und Ampas). 

Sils pflanzt kein Korn, aber Flachs und weiſſe Ruͤben. 
Zu Campfeer ſieht man die erſten Kornfelder, und je weiter 
unten, deſto mehr. 

Das Nadelholz erreicht in dieſem Thal ben vortrefichften 
Wuchs, und vielleicht ſind in keiner Gegend Europas ſo 
ſchoͤne und zahlreiche Arben zu ſehen, als in dieſem Thal. 
Sie machen hier ganze Waͤlder aus. Der groͤſte Arbenwald 
ſteht zwiſchen Sils und Silvaplana, und zwiſchen Statz 
und Pontreſina. Die Groͤße dieſes Baums ſteigt hier von 
70 bis 80 Fuß, man findet aber keine ſo dicke Staͤmme 
mehr als vor Zeiten, denn fehlerhafte Forſtwirthſchaft ſteht 
hier dem Gedeihen der Waͤlder ſehr im Wege. Arbenbretter 
von 11/2 Schuh Breite ſind beynahe die breiteſten die man 
jezt noch ſieht; nur an Orten wo die Zufuhr ſchwer iſt 
(z. B. hin und wieder im Statzer⸗Wald) findet man noch 
Staͤmme von 2 Schuh Dicke. Ehemals hatte man 2 F. 
8 Z. breite Bretter. Auf gutem fettem Grund und an der 
Sonne hat dieſer Baum auch in hohen Gegenden betraͤcht— 
lichen Wachsthum ). Auf magerm ſteinichtem Boden bleibt 
er kleiner und braſtet ſich tiefer unter. Man hat Arben 
gefunden die im Gedraͤng aufgewachſen waren, 4 Zoll uͤber 
dem Boden nur 4 Linien im Durchmeſſer hatten, und bey 
einer Hoͤhe von 5 Fuß nur zu oberſt einen Nadelbuſch 
trugen. Das Alter das der Arbenbaum gewöhnlich erreicht, 
giebt man hier zu 300 Jahren an. Stämme von 12 Schuh 


*) Wie ſehr die Sonne ſeinen Wachsthum befoͤrdert, kann man 
an den Sahrringen (eben, die auf der Sonnenfeite des Stamms 
immer viel breiter ſind als auf der andern, í 


97 


Höhe und 21/2 Zoll Durchmeſſer, die allein, der Sonne 
ausgeſezt, ſtanden, und noch nicht $o Jahr alt ſind, tragen 
ſchoͤn reife Frucht. 

Dieſe Frucht, die ſogenannten Zirbelnüßchen (Nusch 
»ignas), find die Würze der Engadiner Geſellſchaften. Ihre 
Kerne ſchmecken zwar ſuͤß, aber bey anhaltendem Genuß 
erregt die innere, den Kern umgebende braune Haut ein 
unangenehmes Gefuͤhl im Hals. Man ſchlaͤgt kein Oehl 
aus den Kernen, auch find fie kein Ausfuhrartikel, ſondern 
werden (auſſer was davon in andere Gegenden als Geſchenk 
geht) im Thal ſelbſt verzehrt. Es iſt unglaublich, wie weit 
es manche Perſonen in der Gewohnheit Zirbelnuͤßchen zu 
knacken, bringen. 

Je fetter der Baum ſteht, deſto größer werden die Zapfen 
und Nuͤßchen. Ein Sack Zapfen, der 12 Quartanen Korn 
halt, giebt gewöhnlich 1 ſtarke Quarta Ruͤßchen. Um 

leztere aus den harzigen Schuppen heraus zu bringen, legt 
man die Zapfen an einen feuchten Ort, z. B. in den Keller. 
Die Nuͤßchen doͤrrt man, damit ſie nicht, wie es ſonſt leicht 
geſchieht, ranzig werden. 

Die Nuͤſſe gerathen nicht alle Jahr, zuweilen 4— 5 und 
mehr Jahre nicht, wozu mehrere Urſachen mitwirken. 
Vielleicht erſchoͤpft ſich dieſer Baum, wie mancher andere, 
bey den Gerathjahren. Die Froͤſte tragen auch viel dazu bey, 
oder, wie man genauer beobachtet haben will, vielmehr 
die Lüfte welche beym Aufthauen wehen; (denn Froͤſte giebt 
48 alljährlich im Engadin, das Fruͤhjahr hindurch). Oft 
findet man Bluͤthen die, auf dem gleichen Stamm, theils 

vom Froft getödtet, theils noch friſch find, Was im erſten 
Fruͤhling ober Sommer bluͤhte, haͤngt im Herbſt als Haſel— 
nug oder Eichel großer Zapfen am Baum; erreicht im fols 
genden Sommer die Groͤße eines Egs, und if im Sept, 
oder October (noch großer und bald mehr bald weniger 

zt Bd. * 


98 

länglich) reif. Jung ſtehen die Zapfen zu s und mehr im 
Kreiſe beyſammen, ausgewachſen aber bleiben nur noch 
etwa 2— 3. 

Mehr als alle Witterung traͤgt die Art ſie zu ſammeln, 
zur Vermehrung der Fehljahre bey. Statt zu warten bis 
die Zapfen von ſelbſt fallen ), verbietet man blos, fie vor 
einem gewiſſen Tag — den man jedesmal beſtimmt — 
zu leſen. Kaum iſt dieſer Tag angebrochen, ſo macht ſich 
alles in der Gemeinde, was dazu Luſt hat, auf, und geht in 


den Wald. Man zieht die ſchlechteſten Kleider an, und 


Weibsper ſonen verſehen fic) mit Beinkleidern, um auf die 
Baͤume klettern zu koͤnnen. Man beſchmiert ſich mit Fett, 
um das Klebrichte des Harzes zu vermindern. Die Zapfen 
ſitzen an den hoͤchſten und äuſſerſten Zweigen, deßwegen ift 
ſchon das Hinaufklettern beſchwerlich und gefahrvoll. Dann 
ſchlaͤgt man mit einer Stange an die Zapfen. Die Zeitigen 
fallen, die Unzeitigen halten feſt; aber hieran kehrt man ſich 
nicht, lieber wird der Zweig abgebrochen und mit ihm die 
Erndte des kuͤnſtigen Jahrs (die jungen Zapfen an den 
aͤuſſerſten Enden des Zweigs) zerſtoͤrt. Manche find ges 
wiſſenlos genug, den ganzen Gipfel des Baums mit einem, 
an eine Stange befeſtigten Beil abzuhauen **). Abends 
zieht die ganze Geſellſchaft, zerlumpt, und an Geſicht und 
Haͤnden ſchwarz, nach Hauſe, und mancher hat an Einem 
Tag wohl 20 Baͤume verdorben. Gewoͤhnlich geht die 
Zapfenleſe nicht vorbey ohne ungluͤcklichen Fall. 

Durch diefe Ausplünderung, fo wie durch das Streue⸗ 
kratzen, wird der Nachwuchs in den Arbenwaͤldern nicht 


) Zu Celerina war dies 1609 wirklich durch ein, leider nicht 
mehr beſtehendes Geſez, verordnet. 

27) An Verboten gegen ſolche Beſchaͤdigungen fehlt es nicht, 
aber an Aufſicht. , 


— 


99 


wenig gehindert, da überdies noch viele Thiere den Zirbel⸗ 
nuͤßchen nachſtellen. 

Aehnlich jenen Wilden, die den Baum umhauen um 
die Frucht bequemer genießen zu koͤnnen, verwuͤſten die 
Engadiner, einer bloßen Naſcherey wegen, ihre Arben⸗ 
waͤlder (der Rutzen dieſer Nüßchen bey Schwindſuchten ift 
febr problematic) und im Lande ſelbſt weiß man nichts 
davon). Dies ſcheint um fo undegreificher,, da ihnen doch 
das Holz dieſes Baums (Schember) ſo große Dienſte leiſtet. 
Alle Wohnſtuben im Engadin werden damit getaͤfelt. Es 
nimmt eine febr feine Glaͤttung an, und behaͤlt; wenn man 
es (wie hier geſchieyt) fleißig waſcht, eine helle angenehme 
Farbe. Die Schreiner unterſcheiden maͤnnliches und weib⸗ 
liches Zirbelnußholz. Erſteres foll roͤthlicher und ſproͤder 
ſeyn als das leztere, das man wegen ſeiner groͤßern Zartheit 
und weiſſern Farbe höher ſchaͤzt. Das männliche foll ſtaͤrkere 
Wurzeln, und öfters Pfahlwurzeln haben, auch will man 
in der Rinde und Richtung der Aeſte einen Unterſchied bea 
merken. Vieleicht hängt alles dies blos von der Lage des 
Baums ab; hingegen giebt es in Auſehung der Zapfen 
zwey ganz beſtimmte, bisher von keinem Botanker beſchrie⸗ 
bene, Varietaͤten dieſes Baums. Bey der einen hat der 
reife Zapfen eine gruͤnliche, bey der andern eine violetbraune 
Farbe. Leztere (inb gewoͤhnlich größer als erſtere. Dieſer 
Unterſchied kommt nicht von der mehrern oder mindern 
Reife, ſondern bleibt ſich immer gleich. 
Der Feuchte widerſteht das Arbenholz nicht lang. Holz⸗ 
milben greifen öfters den ſtehenden Stamm an, und fehe 
bald den gefaͤllten, wenn man ihn unter der Rinde laͤßt. 
Der Baumſpecht pickt in die Arbenbaͤume febr haufig Soll» 
tief; und in dem Arbengetaͤfel niſtet die Raupe eines Nacht⸗ 
ſchmetterlings. Man verferligt um Engadin alles Milch⸗ 
geſchirr ven ſolchem Holz, es foll aber dem Tannenholz an 


100 y 
Güte hlezu nachſtehen und viel ſchneller leck werden. Allent⸗ 
halben, wo es nicht beſtaͤndig trocken ſteht, an Staͤllen, in 
der Erde, bey Waſſerwehren, eingemanert und auf Dächern, 
fault es ſchnell. Auch iſt es kein Vorbauungsmittel gegen 
die Motten, wie einige Schriſtſteller glaubten, nur find die 
Motten in den kalten Gegenden, wo die Arbe waͤchst, ohne⸗ 
hin ſeltner. Ausgefuͤhrt wird dies Holz nicht, denn die 
Holz⸗Ausfuhr uͤberhaupt iſt im Engadin verboten. 

Beym Verbrennen kniſtert das Arbenholz weniger als 
die Tanne, und brennt langſamer, giebt einen angenehmen 
Geruch, mehr und beſſere Kohlen, iſt aber nicht heitzender. 
Die Lauge aus der Aſche iſt ſchwach, doch geben die — 
beſſere Aſche. 

Am Stamm ſchwizt Harz aus, und ſezt fid) in trockner 
Geſtalt an, man hat aber keine beſondere Eigenſchaft deſſel⸗ 
ben bemerkt. Die aͤuſſerſten Zweige enthalten im Fruͤhjahr 
einen febr ftuͤſſigen harzigen Saft. Unrichtig iff die Bes 
hauptung, daß die Arbennadeln weder vom Rindoieh noch 
von den Ziegen gefreſſen werden. 

Als Heilmittel wird unter den hieſigen Pflanzen die 
Achillea moschata haͤufig gebraucht, fie hat viel Staͤr— 
kendes. Betraͤchtliche Quantitaͤten davon werden nach 
Frankreich und Sachſen verſendet, und dienen den dortigen 
Engadiner Liqueurfabrikanten zu Bereitung einer Art ſolcher 
Getraͤnke, in Berlin und Dresden Bittermagen genannt. 
Sie iſt eine Lieblingsnahrung der Murmelthiere. 

Auſſer den haͤufigen Gemſen unb Murmelthieren, die dem 
Naturforſcher Stoff zu Beobachtungen geben koͤnnten, 
giebt es Kohl⸗Fuͤchſe, Dachſen, Haafen, Eichhörnchen. 
Die Fuͤchſe, Dachſen und Haaſen ſind kleiner Art; ein 
alter grauer Haaſe wiegt, unausgeweidet, 3 — 4 Pfund. 
Ferner zahlreiche kleine Feldmaͤuſe, die den Gütern Schaden 
thun. Maulwuͤrfe und Ratten hat man nicht, aber Haus⸗ 


101. 


und Spitzmaͤuſe und Waſſerratten. Die hieſigen Wieſel 
bekommen Winters, gleich den grauen Haaſen, eine ganz 
weiſſe Farbe; im Frühjahr find fie oft roth und weiß gefedt. 
Man bemerkt, daß es Wetterveraͤnderung andeute, wenn 
‚fe aus ihren Löchern hervorkommen. 


Die Seen des Ober Engadins ſind ſehr reich an Forellen, 
beſonders der Silſerſee, und ihrer Farbe nach ſcheint es 
mehrere Varietaͤten zu geben. Einige ſind dunkel ſchwarz⸗ 
grau mit hellern Flecken, andere gelbbraun mit rothen 
Flecken. Erſtere find unſchmackhafter und weniger fleiſchig 
als leztere, auch haben ſie einen ſtumpfern Kopf. Im 
Sommer iſt ihre Haut Silberfarb mit ſchwarzen Punkten, 
erſt im Spaͤtjahr wird fie dunkler. Dieſe nennt man Schilds. 
Die rothpunktirten verdunkeln auch im Herbſt ihre Farbe, 
und laichen ſtaͤrker und anhaltender als die Schilds; es giebt 
aber unter ihnen wieder zwey Arten; bey der einen find die 
Punkte kleiner, bey der andern größer (wie Schrotkoͤrner 
von Nro. 4.) und mit einem feinen ſchwarzen Ring um⸗ 
geben. Erſtere (inb ſchmackhafter. Rothbefteiſchte Forellen, 
wie bey dem Weiſſenſtein auf Albula, giebt es hier keine. 
Die hieſigen Forellen wachſen eher in die Dicke als Laͤnge. 
Eine von 45 Pf. war 11 franz. Zoll breit und 3 Schuh lang, 
da eine Ilanke zu Trung, von gleicher Långe und 6 franz. 
Zoll Breite nur 18 Pf. wog. Zur Zeit der Laiche ziehen 
fie den Inn hinauf, und verirren fid), um Sandboden zu, 
“finden, bis in Wäfferungsgräben. Die groͤßern kommen 
dann aus der Tiefe der Seen in die ſeichtern Canaͤle zwiſchen 
den Seen und werden da mit Zinken geſtochen. Ueberhaupt- 
ſchont man die Fiſche in dieſer Zeit gar nicht, und pöfelt fie- 
gerade waͤhrend des Herbſtes ein, obgleich fie dann weniger 
ſchmackhaft find. Man verſteht hier den Fiſchfang gar- 
nicht fft. nur am Ufer, und nie in der Mitte der Seen, 


^ 


102 


wo (id) doch die großen Fiſche aufhalten, die die kleinern 
verfchlinaen. 

Unter dem wilden Geflügel dieſes Thais findet man keine 
Urhahnen; Schneehuͤhner kommen zwar nicht in das Thal 
ſelbſt, aber ganz nah auf die Berge, auch ins Thal Feet, 
wo Perniſen in Schlingen gefangen werden. Birkhuͤhner 
ficbt man zu Surleg und Maria nacht den Haͤuſern und bey 
Fontana Merla nah an der Straße. 

Gemeine und Tauch⸗Enten kommen im Spaͤtjahr in 
die Seen; Schneegaͤnſe zuweilen. Waſſeramſeln und 
Ringamſeln giebt es auch. Wilde Tauben zeigen ſich 
manchmal; Schnepfen nicht. Die Lerche iſt der erſte 
wiederkehrende Vogel. Die Schwalben kommen im April, 
wenn der Boden noch mit Schnee bedeckt iſt, und ziehen 
im September ab. 

Wachteln zogen vormals bis Cellerina; jezt hoͤrt man 
aber ſelten eine und vermißt die Nachtigallen ganz, der⸗ 
gleichen man ehemals in den Gebuͤſchen am Inn unter dem 
St. Moritzer Innfall gehört haben will. Sogar die Spatzen 
werden ſeltner, ſo daß in Campfeer felten einer geſehen 
wird. Weiter unten find fie häufiger. 


Eine wahrhaft aͤrgerliche Gewohnheit in dieſem Thal, 


Vogeieyer aus den Neſtern zu nehmen, fie, mit Zwiſchen⸗ 
lagen von Scharlach, an Faͤden zu reihen und als Kraͤnze 
(wahrlich zur Schande des Verfertigers) an die Stuben⸗ 
decke aufzuhaͤngen — verdient auch bemerkt zu werden. 
Unter den Inſekten iſt hier keines laͤſtiger als eine Art 
kleiner Heuſchrecken, die ſich in zahlloſer Menge auf den 
Wieſen aufhalten. Sie richten am Heu großen Schaden 
an, welches beſonders zu Pontreſina mehrere Jahre lang 
der Fall war, ſo weit, daß ſie ſogar am Boden liegende 
Kleider ſollen angefreſſen haben. Man verſaͤumt, ſie durch 
Herbſtwaͤſſeruag zu vermindern, und ein Spottgedicht ſagt: 


I 
| 


103 


die (NB. reformirte) Gemeinde Pontreſina habe damals 
Ain den achtziger Jahren) lieber einen Kapuziner kommen 
laſſen, um dieſe laͤſtigen Thiere wegzubannen. 

Schnecken giebt es oberhalb Cellerina nicht; Kreuz⸗ 
ſpinnen ſind im obern Thal ebenfalls ſelten. Die Ottern 
erreichen im Ober: Engadin bey weitem nicht die Größe 
wie im Untern. 


Kurzgefaßtes 


ee e e 


neinen Reife durch einen Theil von Bünden) 
im Sommer 1806 
von 
Daniel Meyer, 
Apotheker von St. Gallen. 


Den z4ſten Juny um 9 Uhr des Morgens unter ziem⸗ 
lich unguͤnſtigen Auſpicien in Abſicht auf das Wetter, 
traten wir, Herr Doctor Scherb, Herr Pfarrer Daͤniker 
und ich mit meiner Pflanzen⸗Capſel auf dem Ruͤcken, unfere 
Reife an. Nicht weit von Teufen trafen wir auf die- 
neue Landſtraße, die von dort aus nach dem Buͤehler, durch- 
eine kleine Strecke des Cantons Inner⸗Rhoden, über drey: 
neue Bruͤcken hin und wieder über den Rothbach führt, 
ziemlich eben iſt und d) nicht weit vom Biehler wieder in 


104 


die alte Straße verliert. Der Weg nach Gais wird durch 
dieſes verdienſtliche Werk, das dem Canton (in welchem 
ſonſt wenig von der Art zur Reife gedeiht) Ehre macht, 
weit fahrbarer. Zur Seite dieſes Weges, nicht weit vom 
Bache, waͤchst das niedliche Polygonum viviparum fehe 
haufig und ſchoͤn. Nahe am Buͤehler führe ein Fußweg 
neben einer neuen Spinnmaſchine vorbey, die durch Metien 
dort errichtet wird. — Nicht weit von Gais, auf dem Wege 
nach Eichberg, wo ſich nach und nach eine ſchoͤne Ausſicht 
in das Rheinthal eroͤffnet, bluͤht haͤufig das Sedum villosum 
und zwiſchen Kobelwies und dem Bade rechts an dem 
Felſen die Digitalis lute mit ihren kleinen gelben Röhren, 
In dem Felſen des Hirſchenſprungs wurzelt die Potentilla 
caulescens. Bey Buͤchel fuhren wir über ben trüben Rhein 
und betraten jenſeits das neue Koͤnigreich Bayern; eine 
kleine Stunde ſezten wir unſern Weg an dem rechten Ufer 
des Rheins noch fort, die Appenzeller-Berge des Camor, 
Hohekaſten, Canzel, Stauberen und Furglenfirſt zur 
Rechten; zur Linken Vorarlberger-Gebirge, vor uns 
Buͤndten und uͤber uns Ausſicht auf guͤnſtigeres Wetter. 
In Ruggellen hielten wir unſer erſtes Nachtlager. 

Den 25ſten. Herrlich beleuchteten die Strahlen der 
aufgehenden Sonne die Spitzen der beſchneyten Gebirge. 
Ein angenehmer Fußpfad führte uns an dem Ufer des 
Rheins in einer Stunde nach Benderen, von da entfernten 
wir uns in etwas von ihm bis Tſchan und Vadutz. Nicht 
weit von Balzers betraten wir die Graͤnze des Buͤndtner⸗ 
Landes und an eben der Stelle quillt unter der Landſtraße 
hervor eine reichhaltige Quelle, der St. Catharinabrunnen 
genaunt. Von da ſteigt man nun in die Citadelle Hel⸗ 
vetiens, in das aus fruchtbaren Bergen, aus hohen Ges 
birgsthaſern und ewigen Gletſchern beſtehende Buͤnd ten; 
gau&g oluyte hier das Hedysarum onobrychis. Bepnahe 


103 


ganz oben am Luzienſteig findet man noch ein Thor unb 
einige Rudera von der Mauer, die ehmals den Paß aus 


Deutſchland nach Buͤndten vertheidigen half, und ſchon en 
aͤlterer Zeit bald von den Kaiſerlichen und bald wieder von 
den Franzoſen erobert wurde. Steigt man auf der andern 
Seite nach Meyenfeld herunter, ſo ſieht man die wilde 
Tamin wie ſie aus ihrer ſchwarzen Schlucht ſich in den 
Rhein ergießt; oben am Berge ſteht einſam das Kloſter 
Pfeffers. — Eine ſtarke Stunde von Mevenfeld mußten 
wir über das rauhe Bette der wilden Landquart, die ſchon 
hundert Jucharte Landes mit Schutt und Steinen úber 
ſchwemmt hat. Ueberhaupt trafen wir auf unſerer Reiſe 
noch mehreremale auf Stellen, wo die wilden Waldwaſſer 
ihre oft ganz unbedeutende Bäten erweitert und eine furcht» 
bare Menge von Schutt und großen Granitbloͤcken über 
Landſtraßen und Felder geworfen haben. Ein ſchreckliches 
grauſendes Schauſpiel muß es ſeyn, wenn in kinem Aufruhr 
der Natur nach einem ſtarken Gewitterregen oder Wolken⸗ 
bruch in den Bergen, ein ſolches Waldwaſſer mit ſeinen 
ungeheuren Laſten daher geſtuͤrzt koͤmmt — hier iſt keine 
Rettung mehr; was ihm bey ſeinem jaͤhen Sturze im Wege 
ſteht, wird mit fortgerollt, bis es ſeine Kraft in einem 
groͤßern Strome verliert. Daher iſt auch die Exiſtenz der 
Bergdoͤrfer, wenn ſie in der Naͤhe eines ſolchen, dem An⸗ 
ſchein nach noch ſo kleinen Baches ſtehen, doch immer 
precaͤr. 

In einem angenehmen Thal, umgeben von hohen Ge— 
birgen, zur Linken den Kamberg und den 7875 Fuß erhabe⸗ 
nen Falkniß, die Doͤrfer Malans, Igis, das Schloß 
Marſchlins, eine Ausſicht durch die Schlucht der Landquart 
in die rohen Gebirge Brettigaͤus — ſo kamen wir nach 
Zizers, von wo wir nach einem Abendtrunke unſern Weg, 
zur Rechten den 6598 Fuß hohen Galanda und an 


106 
feinem Fuß die Dörfer unten und Haldenſtein, 
durch Maſantz nach Chur fortſetzten. 

Den ꝛzöſten Vormittags benutzte ich zu einem Spazier⸗ 
gange an dem Berge uͤber dem Städtchen, wenn man nach 
der kleinen Einſiedeley geht; ich fand daſelbſt febr haufig 
das ſouſt in der Schweiz ziemlich feltene Lotus dorycnium 
aber das (a Suters Flora angegebene Kennzeichen der 
Species, foliis quinatis taugt nicht — ich fand eben ſo 
viel Exemplare mit 6, 7 und s Blaͤttchen, ja noch mehr 
als mit fuͤnfen. Nach dem Mittageſſen festen wir unſere 
Reife fort. Ziemlich (teil bergan führt die Straße in x 1/4 
Stunde nach Malix; links genießt man einer wilden Aus: 
ſicht in das Schanfiker⸗Thal, auf die Dörfer Maladers, 
St. Peter, Peiſt, und in der Tiefe ſtroͤmt die Pleſ fur. 
Bey Churwalden paſſirten wir die kleine aber wilde Rabins / 
die fid) ebenfalls in die Pleſſur ergießt. — Eine halbe Stunde 
weiter bey Parvan hatten wir zur Linken das rothe Horn 
oder den Ketzigerberg 7845 Fuß hoch, an welchem ehemals 
auf Eiſen gegraben wurde. Auf der Hoͤhe nach Lenz zu 
fand (id) die Androsace villosa, Tussilago alpina — 
beſonders ſchoͤn und haͤufig das nach Vanillen duftende 
Satyrium nigrum auch mit der roſenfarbenen Varietaͤt. 


Ferner die Globularia cordifolia apargia aurea eic. 


Spaͤt kamen wir nach Lenz. 

Den 27ſten. Durch einen kleinen Irrthum gelangten 
wir nach Fazerol, wir wendeten uns links nach Brientz, 
durch das Thal ſtroͤmt die Albula, die wir nun heute nicht 
mehr verließen; rechts liegt Sura va und hier fand ich 
am Felſen eine Art von Aſtragalus, uͤber welche ich 
noch im Zweifel tebe. Bey dem Alveneuer⸗Bad bluͤhte die 
Saponaria ocymoides. Nicht weit von fier paſſirten wir 
das Davoſer Landwaſſer; links fuͤhrt ein Weg nach Davos, 
in der Höhe liegt das Doͤrſchen Lat ſch. Von Filiſur aus 


—— ä — 


107 


verengert (id) das Thal und wird immer wilder. Ziemlich 
lang geht es noch in der Ebene durch Waldung — dann 
fuͤhrt wieder eine Brucke uͤber die Albula, der Weg fuͤhrt 
bergan; bald iſt man in einer fürchterlich romantiſch wilden 
Gegend, quer uͤber den Abgrund fuͤhrt ein Felſenweg; in 
einer grauſen Tiefe windet ſich die Albula um den Felſen 
herum; eine Mauer ſichert den Wanderer vor der Gefahr 
des Herunterſtuͤrzens. — Schon früher fand id) Lathyrus 
sylvaticus — hier ganz oben an dem Felſen bluͤbte an- 
tirrhinum alpinum, Filago leontopodium, Thalictrum 
aquilegifolium , Saponaria ocymoides, Silene acaulis, 
Andryala lanata, Plantago alpina, Aster alpinus. — 
So gelangten wir nach dem einſamen Berguͤn. Mehr oder 
weniger in der Naͤhe der brauſen den Albula führt der Weg 
immer bergan durch kleine Alpenthaͤler von ungeheuren 
Bergkoloſſen umgeben — nach dem noch einſamern Weiffen: 
ſtein; ein Wirthshaus dicht an einem kleinen See ohnweit 
des Urſprungs der Albula, ſteile nackte Felſenſpitzen ccs 
heben ſich ringsherum — Auf dem naͤchſten Huͤgel fand ich 
Sazifraga burseriana, Vaccinium uliginosum. — Nebel 
und Regen verboten mir aber das weitere Herumklettern 
und nahmen mir den Genuß der romantiſchen Alpen-Anſicht. 
Herrliche Forellen aus dem kleinen See waren unfer Nacht— 
eſſen und gute Betten ſtaͤrkten unſere Glieder zur naͤchſten 
Tagreiſe. \ 
Den 28ſten fruͤh mit Anbruch des Tages ſezten wir 
unſere Reife fort — noch eine halbe Stunde hat man zu 
ſteigen, zwiſchen den loſen Steinen draͤngt ſich die herrlich 
duftende Daphne cneorum hervor. Silene acaulis röthet 
einzelne Stellen, haufig zeigt fich der Ranunculus alpestris , 
aber ſelten nur hin und wieder der Ranunculus parnassi- 
folius. Jezt auf der Höhe ſieht es furchtbar chaotiſch aus; 
es ſcheint als wenn der Schöpfer „es werde Ordnung“ 


108 


auszuſprechen vergeffen hätte, ringsumher nichts als unge 
heure Felſentruͤmmer ſonderbar durcheinander geworfen, 
begraͤnzt von hohen nackten Felſenwaͤnden und Spitzen; der 
Wanderer glaubt fid) in einen unbewohnten Planeten vers 
ſetzt — nur die Straße, die auch fuͤr Pferde gangbar iſt, 
erinnert ihn an das Werk menſchlicher Hände — ſparſam 
zeigt fich hie und da ein Rumex scutatus zwiſchen den Felſen⸗ 
blóden. Das Ganze tragt die Spuren eines ungeheuren 
Bergſturzes. | 

Kaum ſteigt man indeſſen auf der andern Seite einige: 
hundert Schritte herunter, fo wird der Boden wieder grun 
und die Viola calcarata, die ich nirgends (o Daufig und 
fhòn geſehen habe als hier, bedeckt ganze Strecken mit 
ihrem Blau — häufig erfcheint auch das Lepidium alpinum 
und die Draba aizoides, Wir folgten nun einem andern 
Bach bis an den Inn. Wir ſehen das ſchoͤne Thal des 
Ober⸗Engadins, die Dörfer Madulein, Ponte Cam- 
pogaft. Wir find unten am Ufer des Oenus und ſetzen 
unſern Weg auf der fehr gut unterhaltenen Landſtraße längs. 
ſeinen Ufern durch Bevers, Samada, Cellerina, 
Creta nach St. Moritz fort. — Das Einzige was dieſem 
herrlichen, mit den praͤchtigſten Matten und Lerchenwaldern 
verſehenen Thale fehlt, iſt Laubholz — nirgends erblickt 
das Auge einen Fruchtbaum. Häufig blüht am Wege das 
Semper vivum arachnoideum; ſeltner montanum, Nach 
eingenommenem Mittagsmahl beſuchten wir die Quelle und 
genoſſen das treniche Waſſer, das in Anſehung feiner Wirk⸗ 
ſamkeit mit dem Pyrmonterwaſſer, dem vielfach geruͤhmten, 
wetteifert. In haufigen Blaſen, fo wie auch im Geſchmack 
zeigt fich der Ueberfug an Luftfäure — der Niederſchlag. 
deutet auf Eiſen, welches fid) ebenfalls ſchon durch den 
Geſchmack, evident genug aber durch chemiſche Reagentien 
darſiellt. Ich habe von dieſem Wafer, welches ich ſchen 


109 


Drey Jahre im Keller aufbewahrte, durch Gallaͤpſel⸗Tinctur 
einen ſtarken ſchwarzen Niederſchlag erhalten; der Krug 
war aber gut zugemacht, fo daß die Luftſäure nicht ente 
weichen konnte. Vier Stunden nach ſeiner Oeffnung prüfte 
ich es wieder und erhielt keine Spur einer Truͤbung, zum 
deutlichen Beweiſe, daß das Eiſen, welches darin enthalten 
it, nur durch die Kohlenſaͤure in demſelben aufgelost bleibt 
und heraus faͤllt, ſobald dieje entweicht. — Nur hiedurch 
wird es mir erklaͤrdar, wie der ſonſt geſchickte Herr Apotheker 
Morell in Bern, dieſem Waſſer ſeinen Eiſengehalt abſprechen 
konnte. Ewig Schade, daß nicht mehr Sorgfalt auf dieſen 
Kurort verwendet wird. Was ließen ſich nicht mit geringen 
Koken für ſchoͤne Anlagen auf dem herrlichen Plaͤtzchen un 
mittelbar vor der Quelle anbringen; aber von allem dem 
ift gar nicht die Rede, kaum daß noch die Quelle gedeckt ift. 
In ſolchem Zuſtande ift das gehalt reichſte Mineralwaſſer der 
Schweiz, wahrend fo viele andere, die kaum mehr als ordi- 
naͤres gutes Brunnenwaſſer find, mit Sorgfalt gefaßt und 
vielfach auspoſaunt werden. 

Auf dem Platz vor der Quelle blüht haͤufg das Tri 
folium alpinum und die Anemone apiifolia, die nach Haller 
und andern nur Varietaͤt von der A. alpina iſt. Doch 
muß ich geſtehen, daß alle Blumen die ich hier fand, bes 
ſtimmt gelb und keine einzige in der ganzen Gegend weißlich 
oder ins Weiſſe uͤbergieng. 

Noch ehe wir nach Silvaplana kamen, Überfiel uns ein 
heftiger Regen, deſſen ungeachtet ſezten wir unſern Marſch 
bald wieder fort. — Immer ſchoͤner und romantiſcher 
wird das Thal; ein ſchoͤner See ergießt fid) durch ſchmalt 
Streifen des Inns in den andern und an den Ufern dieſer 
niedlichen Seen führt die gut unterhaltene Landſtraße ent- 
lang — ausnehmend artig liegt das Dorf Sils zwiſchen 
zwey Seen in der Mitte. Etwas weiter gegen Maloja 


110 


fand ich ganze Felſen von Serpentinſtein, der fid) vielleicht 
auch wie der Saͤchſiſche benutzen ließe. — Eine Species 
von Cheiranthus war die einzige botaniſche Ausbeute, die ich 
auf unſerm ſchnellen Marſch machen konnte. 

Den 2gften. Gerne hätte ich hier von Maloja aus den 
nahe liegenden Gletſcher beſucht, aber meine Reiſegeſell⸗ 
ſchafter waren zu beſchraͤnkt in der Zeit und ich mußte mich 
nach ihnen richten. Auf einer ſehr gut unterhaltenen breiten 
Straße kamen wir ſteil herunter nach Caſaccia; an den 
Felſen und im Walde bluͤht haͤufig die Saxifraga cunei- 
folia und die Cacalia alpina. Rechts erhebt fid) der 
Septmer, uͤber den ein Weg nach Lenz fuͤhrt; von ihm 
herunter ſtuͤrzt ein Waſſerfall, der mit eine Quelle der Maira 
bildet, die von ihm und Maloja herſtammt und der wir 
nun von hier bis nach Cleven beynahe nicht von der Seite 
weichen. Uns zur Linken und vor uns erheben ſich unge⸗ 
heure Bergkoloſſen, die noch zur Kette des Bernina gehoͤren 
und uns von der ehmaligen Grafſchaft Veltlin ſcheiden. 
Wir kehren uns rechts und ſehen vor uns in der Tiefe die 
Doͤrfer Vico ſoprano, Burgo novo, Stampa 
und weit in das Bergell hinunter; Häufig bluͤhte hier 
Anthericum liliastrum und nicht weit von Vico ſoprano 
flatterte der Papilio apollo in ſolcher Menge herum, wie 
ich ihn in meinem Leben noch nicht geſehen habe; hier haͤtte 
man Schaͤtze fuͤr deutſche Entomologen ſammeln koͤnnen, 
die ihn ſchwerlich ſo haͤufig zu ſehen bekommen; denn es 
wäre ein Leichtes geweſen, in Zeit von ein Paar Stunden 
mehr als so Exemplare mit der Schmetterlings⸗Scheere zu 
fangen. Immer zur Seite die tobende Maira kamen 
wir von Burgo novo aus durch Stampa nach Promontoͤng, 
wo eine ziemlich hohe Bruͤcke uͤber dieſelbe fuͤhrt. An dem 
Felſen unter der Bruͤcke, doch ohne Moͤglichkeit dazu ge— 
langen zu koͤnnen, bluͤhte das Liliun bulbiferum; an dem 


111 


Wege findet (id) häufig die Astrantia minor. Um uns 
berum ſehen wir nichts als Kaſtanien und Nußbaͤume. 
Ueberhaupt bildet jezt das ganze Bergell von hier bis nach 
Chiavenna einen continuirlichen Wald von Kaſtanien, die 
bis an die ſteilen Felſenwaͤnde hinanklimmen. Bey Cafta- 
ſegna paſſirten wir den lezten Ort in der Schweiz, deren 
Graͤnze mit einer hoͤlzernen Stange und der Aufſchrift: 
Confederazione degli Suizzeri, bezeichnet ijt. 

Wir find im Königreiche Italien, umgeben von Hun⸗ 
derttauſenden von Kaſtanienbaͤumen; an den Felſen waͤchst 
der ſchoͤne Cytisus nigricans; in den Mauerritzen Sedum 
dasyphyllum. So kamen wir nahe an der Stelle vorbey, 
wo ehmals das Städtchen Plurs tand ohne es zu ahnden; 
jezt verbirgt ſie ſich unter einem Wald von Kaſtanien — 
ein Bild der fid) ſelbſt zerſtoͤrenden und wieder erzeugenden 
Natur. 5 

Ihr Auge fab die Eich’ im Keime, (ab 

Den Regen der ‚fie nezt, den Sturm der fie entblättert, 
Den Lenz der fie verjüngt , den Blitz der fie zerſchmettert, 
Ihr ift nichts klein, nichts groß, nichts fern, nichts nah. 
Ob dort ein Xerxes, daß das Meer ihn trage, 
Voll Zorns ihm Ruthenſchlaͤge giebt 

Und ein Inſekt mit kleinem Fluͤgelſchlage 
Den Tropfen hier am Waſſer⸗Eymer truͤbt: 
Ihr gilt es gleich! — ob drunten oder droben, 
Was ihre Hand erſchuf, in Nichts zerſtirbt; 
Ob Monden leuchten? Ob Veſuve toben? 
Ein Irrwiſch oder Irrſtern untergeht? 
Ob Saifendlaſen oder Sonnengloben 
Zerplagen ? — wenn das Ganze nur beſtebt. 


Falk PROMETHEUS. 


Mit Mufe betrachteten wir noch den Waſſerfall al aqua. 
Fraggia nahe bey Chiavenna, wo wir Abends um zo Uhr 
anlangten, 


112 


Den zoſten. Wir verließen bie Maira um bem Felſen⸗ 
bette der wildtobenden Lira, die ſich hier in erſtere ergießt, 
bis auf den Splügen zu folgen. Zwiſchen Mauern, mit 
denen die Reben eingefaßt (inb, koͤmmt man in einer Biers 
telſtunde nach Vat; nicht weit von hier fand ich das Sedum 
anacampsera ; fd ſtiegen wir nach St. Giacomo, Sta Maria 
di Gallivazio, va, leon nach Creston; hier öffnet fid) 
ein Thal das freylich für dieſe Gegend und dieſes Clima 
den etwas zu ſchoͤnen Namen des Campo dolcino fuͤhrt; 
doch mag es ihn verdienen, wenn man gerade daher fómmt, 
wohin wir jezt gehen werden. In Campo dolcino fors 
derte man uns die Paͤſſe ab; ich hatte mich mit keinem ver: 
ſehen, konnte aber fuͤglich mit meiner Pflanzen ⸗Capſel und 
Gepaͤcke für den Bedienten meiner beyden Reiſegeſellſchafter 
gelten. Von hier aus verengert ſich der Weg wieder; man 
ſtoͤßt auf einen herrlichen Waſſerfall; ganze Felſen ſind gelb 
bedeckt mit Spartium scoparium; weiter fand ich die 
Sazifraga stellaris, aber nur einige Exemplare von der 
Atragone alpina. Von Iſola aus wird nun der Weg 
ſteiler und intereſſanter, beſonders uͤber den ſogenannten 
Cardinell. Die furchtbarſten Abgründe zur Seite ſteigt 
man zum Theil an ſteiler Felſenwand entlang; in der 
ſcheußlichen Tiefe braußt die Lira; an einigen Stellen iſt 
der Weg wegen der Lawinen bedeckt. Recht von Herzen 
bedauerten wir die beladenen Saumroſſe, die mit uns dieſen 
Weg machten, deren wir von Cleven bis Spluͤgen vielleicht 
an 200 zaͤhlten. Auch fanden wir an mehrern Stellen aud» 
gebleichte Gerippe von Pferden, die wahrſcheinlich der Laſt 
ihrer Arbeit unterlegen, von den Saͤumern in den Abgrund 
geworfen oder ſonſt ihrem grauſamen Schickſal uͤberlaſſen 
worden (inb. — Hier fand ich die Saxifraga aspera. 
Zwey Stunden von Joola eroͤffnet fid) nun wieder ein eins 
fames Alpenthal von Schneeſpitzen, Gletſchern und kahlen 


e 113 


Selfen umgeden. Ein einzeln ſtehendes großes Wirthshaus 
dient Sommer und Winter den Saͤumern zum Wechſeln 
der Pferde ıc. Nicht weit von hier betraten wir wieder 
das geliebte Vaterland. Bald hatten wir die Hoͤhe des 
Berges erreicht; hin und wieder konnten wir noch uͤber 
Schnee wandern. Ganz oben fand ſich das niedliche Are 
ahericum serotinum ; weiter unten gegen Spluͤgen die Pe- 
dicularis recutita. Im Dorfe Spluͤgen am Fuße des 
Kammbergs am Hinter- Rhein endeten wir unſere Tagreiſe; 
der daſige Wirth zeigte uns verſchiedene artige Sachen, 
beſonders Früchte, die er aus dem weiſſen Marmor der 
Gegend zu bearbeiten weiß. 

Den ifen Heumonat. Anf det linken Seite des Rheins 
kamen wir in einer Stunde nach Suffers. Ad dextram 
vie inter Schams et Splügen; heißt es in Suters Flora, 
foll das niedliche Pffaͤnzchen wachſen, das des unfterblichen 
Linné Namen trägt, Linnea boreälis. Unausgeſetzt wandte 
ich meine Augen dahin; ich fand fle auch noch ehe wir ganz 
an die erte Bride der Roffen gelangten, aber zu meis 
nem größten Verdruße noch nicht in der Bluͤthe. Sie wächst 
ſowohl auf der rechten als auf der linken Seite des Rheins, 
zur Rechten und zur Linken des Weges. (Drey Wochen 
ſpaͤter fand ſie mein Freund Hr. Hiller, Lehrer in Troͤgen, 
Haufig bey St. Moritz). In voller Bluͤthe prangte hingegen 
die Saxifraga cuneifolia mit ihren zatten Stielen. Noch 
ehe man aus den Roffen heraustritt, führt eine Brücke uͤber 
das Averſer Landwaſſer, das ſich hier in den Hinter⸗Rhein 
ergießt; in dieſer Kluft fat ich wieder das ſtolze Lilium 
bulbiferum ; wie viel lieber wäre mir die beſcheidene Bluͤthe 
der holden Linnea geweſen? 

Wir durchwanderten das Schamſerthal. Zwiſchen dem 

Pignierbad und Zillis fand ich die Gale ga officinalis und 

den Astragalus campesttis. Eine ſtarke Viertelſtunde von 
at Pd. H 


414 e: 


lezterm Orte geht der merkwürdige Weg an, der unſchicklich 
den Namen der Via mala führt, denn er iſt durchaus nicht 
gefährlich. Bey der gmeoten und dritten Brücke in einer 
furchtbar wilden Gegend ſtuͤrzt (id) der tobende Rhein brau⸗ 
ſend durch eine ſcheußlich tiefe und enge Kluft; ſo enge 
drängen ihn die ſteilen kahlen Felſenwaͤnde zuſammen, daß 
ſein Bette an einer Stelle kaum 2 Fuß breit zu ſeyn ſcheint. 
Gerne verweilten wir einige Augenblicke in dieſer grauſen⸗ 
vollen Wildniß und ſezten dann Ril und langſam unſern 
Weg fort, die Seele voll von den Schreckniſſen der Natur, 
die wir ſo eben geſehen hatten. Bey dem einſamen Rongella 
faͤngt man bald an herunter zu ſteigen; von Zeit zu Zeit 
zeigen ſich einige Ausſichten auf den Heinzenberg und ſeine 
Doͤrfer. — Jezt ſind wir unten am Bette der ſchwarzen 
Nolla; ich ſage der ſchwarzen — ein an ſich unbedeutender 
Bach, der aber das Verderben mit ſich daherwaͤlzt — ſein 
Weg fuͤhrt ihn weiter oben an lockern Thonſchieferfelſen 
vorbey, die er untergraͤbt und mit ſich daherwaͤlzt; ſein 
Waſſer war ganz dicht davon wie ein Brey; ſchon hat er 
auch bey Tuſis Haͤuſer und Gaͤrten mit fortgeſchwemmt und 
droht bey neuen Anſchwellungen dem ganzen Flecken ges 
faͤhrlich zu werden. Hier ergießt er ſich in den Rhein, 
theilt den klaren Wellen deſſelben ſeine ſchmutzige Farbe 
mit; bald kommt auch die Albula dazu und erfaͤhrt das 
gleiche Schickſal; fo auch ſpaͤter der Vorder: Rhein, unb 
alles was ſich in den vereinten Strom ergießt, wird von 
dem unbedeutenden Bach ſo getruͤbt, daß er ſich nicht 
aufhellen kann, bis ſich der lockere Schiefer in dem großen 
Becken des Bodenſees ſezt. 

Wir find im Domletſchger⸗Thale, dem ſchoͤnſten und 
bevölkertſten des ganzen Cantons, der nur 73000 Seelen 
- «uf 140 Quadratmeilen zählt. Uns zur Linken der ſchoͤne 
Heinzenderg mit ſeinen Doͤrfern; gegenuͤber Sils und das 


145: 


Schloß Hohen⸗Realta. Bey Fuͤrſtenau paffirten wir den 
Rhein. In Rothenbrunnen bey dem gefaͤlligen Badewirth 
fanden wir ein leidliches Nachtlager. 

Den zten früh verließen wir das Eiſen- und Schwefel 
bad, das ganz neu eingerichtet wird. Eine Stunde lang 
fuͤhrt der Weg dicht an dem Rheine vorbey, dann wendet 
man ſich rechts in das Thal von Embs, wo eine ganze 
Reihe von abgeſonderten kegelfoͤrmigen Huͤgelchen unſere 
Aufmerkſamkeit an ſich zogen. — Ebel giebt in der neuen 
Auflage feines Handbuchs eine Hypotheſe ihrer Entſtehung. 
Von Embs aus hat man wieder links vor ſich den Ga⸗ 
landa und am Fuße deſſelben die Schloͤſſer Feldſperg und 
Haldenſtein. Chur ſieht man nicht bis man nahe dabey 
ift. Hier uͤbergab ich nun meine Pflanzen und uͤberfuͤſſi⸗ 
gen Kleidungsſtuͤcke dem Fuhrmann, und that wohl daran, 
denn von nun an verließ uns die Gunſt des Wetters, ſo 
daß auf unſerer fernern Tour nach St. Gallen an ein 
weiteres SSotanijiten nicht mehr zu denken war. 


116 


Ver ſuſch 
einer oͤconomiſch⸗topographiſchen Beſchreibung 
der Gemeinde 
Sigriswyl, 


im Berner-Oberlande. 


e 
A. Topographie. 


S 


I. Lage und Gränzen 


Die Gemeinde oder Landſchaft Sigriswyl hat gegen Suͤd⸗ 
oft die ſchroffen und hohen Fluͤh- oder Feldwände von Beaz 
tenberg zur Graͤnze, die das enge aber mit fruchtbaren Al⸗ 
pen geſegnete Juſtithal einſchließen. Gegen Suͤdweſt, von 
Meerligen bis ans Oertli, iſt der Thunerſee die Graͤnze; 
hier aber, jenſeits dem ſogeheiſſenen Guͤndrichbach, faͤngt 
die Graͤnze gegen Hilterfingen an, die der Nordweſtſeite der 
Blume und des Margels nach durch das Teufethal, das 
nach Hilterfingen geboͤrt, bis auf Franzes- Egg hinlaͤuft, 
wo die Gemeinde Sigriswyl mit Schwarzenegg zuſam⸗ 
menflögt , defen Graͤnze von hier an über dem Gris hin 
dis an den hinterſten Theil des Sigriswylgrates läuft, me 
unfre Alpen mit den Schürfitz⸗Alven zuſammentreffen. 
Die Gemeinde liegt demnach zwiſchen den Beatenbergfiüe 
ben und der Blume, hat vom See an bis an die Nord⸗ 


11? 


graͤnze ſtarke drey Stunden Ränge und eirca eine Stund 
in der Breite. 


II. Ovtſchaften. 


Es befinden fid) in die ſer Gemeinde folgende Ortſchaf⸗ 
ten, die, wenn ſie als Dorfgemeinden zuſammentreten, die 
ganze buͤrgerliche Eintheilung abgeben. 


I, 


2 


Ringeldswyl, liegt an der Weſtſeite der Blume, 
gehoͤrt in allen buͤrgerlichen Angelegenheiten zu Sigris⸗ 
wyl, aber in allen kirchlichen nach Hilterfingen. 

Aeſchlen und Tſchingel, an der Suͤdſeite des 


Margels (ſo heißt der aͤuſſerſte, gegen den See de. 


3. 


4 


$. 


kehrte Hügel der Blume), haben eine gemeinſchaſt⸗ 
liche, alternierende Schule, und ſind durch den graͤß⸗ 
lichen tiefen Graben, die Gumi, den der Gunten⸗ 
bach ausgefreſſen hat, von Sigriswyl getrennt. Hoͤ⸗ 
her gegen Norden, gerade am Fuße der Blume, liegt 
das 

Dorf Schwanden, wozu mehrere zerſtreute Haͤu— 
ſer gehoͤren, deren einige zuſammen unter der Benen⸗ 
nung am Beyweg begriffen find. Es hat auch eine 
eigene Schule. 

Gerade hinter Schwanden, beym ſogenannten 
Rothmos, fängt ein ſchmales Thaͤlchen an, das dem. 
bintern ſich ſenkenden Theile der Blume nach gegen 
Norden laͤuft und ſich etwas ſenkt. Hier, in einen 


ſchon betraͤchtlich höheren und rauheren Lage, auf 


den Halden der hintern Theile der Blume, liegen 

Meyersmad und Buchholz, eine Anzahl zerſtreu⸗ 
ter Haͤuſer mit einem gemeinfchaftlichen Schulhaus. 
Oſtwaͤrts derſelben, in der wildeſten und hoͤchſten Ges 
gend der Gemeinde, find wieder einige zerſtreute Haͤuſer, 
am Reuſch oder Roͤſch genannt, mit einer Schule. 


418 


Hier ſchlleßen nun die gemeinen Güter und bic Alpen 
an und laufen bis an das ſuͤdliche Ende des Sigris⸗ 
wyler-Grates. Hier, unter den aͤuſſerſten drohenden 


Spitzen dieſes Grates, die- Herr Not. Studer mit 


1 


LI 


9. 


dem Namen der Ralligſtöcke auf feiner Karte der Als 
penkette bezeichnete, liegen die Ortſchaften 
Oberhauſen und Wyler, und unten am See denn, 
das beruͤchtigte ſchweizeriſche Abdera, 

Meerligen, ein ziemlich großes, wegen wenigem 
Platz febr enge zuſammengebautes Dorf. Es vers 
dankt den größten Theil feines Bodens dem Grand, 
den der aus dem Juſtithal herkommende Bach in den 
See ſchwemmte. Daher liegt ein großer Theil ihres 
Erdreichs jenſeits des Sees zwiſchen Leißigen und 
Spietz, was eine reiche Quelle von Muͤhe und Arbeit 
fuͤr die Bewohner wird. Auch hier iſt eine ziemlich 
ſtarke Schule. Zu dieſer Dorfgemeinde gehoͤrt das 
Schloß Ralligen am See. Ehedem war es ein 
Bauernhof, deſſen Beſitzer ohne Erben abſtarb, und 
ſein Gut dem Kloſter Interlaken verſchrieb. Das Klo⸗ 
fier, im Beſitz aller Zehnten, baute nun ein ſtattliches 
Zehndhaus mit Nebengebaͤuden, wovon noch zerfal⸗ 
lende Mauern uͤbrig ſind. Bey der Reformation ward 
es verkauft, und — per varios casus et tot diseri 
mina rerum iſt es nun wieder in den Haͤnden von 
Bauern. 

Gunten, ebenfalls am See, und auf Bachgrund 
(Bachthale) erbaut, hat die meiſten Weintrotten und 
eine kleine Schule. 

Sigriswyl ſelbſt, mit Kirche, Pfarrhaus und Schu⸗ 
le, liegt auf der Höhe über dem See, in einer (chio 
nen ſonnigen Lage; und in gleicher Hoͤhe, jedoch naͤ⸗ 
her gegen Meerligen, 


119 


zo, Endorf, (das änere Dorf), das ein Schulhaus hat, 
wohin auch die Kinder von Wyler und Oberhauſen zur 
Schule gehen. 


III. Beſchaffenheit des Bodens. 

Der Grund und Boden dieſer Gemeinde beſteht, mit 
Ausnahme des Berggrates, aus einer zuſammengeſchwemm— 
ten Maffe, die bald derber verbunden feſte Nagelfluh augs 
macht, wie z. B. zwiſchen Gunten und Stampach ſich in 
den See ſenkt; bald aber lockerer zuſammengeworfen iſt, 
wie oben unter Schwanden, beym ſogenannten Buͤhl, 
u. a. O. Hie und da liegen große Felsbloͤcke ganz oder 
halb zu Tage, wie denn vor einigen Jahren hier uͤber dem 
Dorfe ein ganzes Haus mit Kellern und auch die Stals 
lung von einem einzigen ſolchen geſprengten Stein unters 
mauert wurde. Meiſtens beſtehen dieſe aus Kalkſtein, bie 
und da findet fid) aber auch ein ſchoͤner Granit, wovon, 
z. B. im Graben hinter Gunten ein Stuͤck lag, das zu 
einigen Muͤhlſteinen verarbeitet wurde. — Die obere Erd 
rinde uͤber dieſer Nagelfluh iſt jedoch von der Art, daß ſie 
jede Pflanzung geſtattet. Wo die fleißige Hand des Bez 
bauers hilft, wie um die Dörfer herum, da ift, wie wir 
weiter unten ſehen werden, der Boden ſehr abtraͤglich / und 
wuͤrde es bey beſſerer Beſorgung noch mehr werden. Aber 
ſchon ſchlechter iſt der Abtrag in den ſogenannten Weiden, 
und noch ſchlechter auf den weitläufigen Allmenten, wo 
das bekannte Spruͤchlein res communis res nullius fich- 

auf jedem Schritte beſtaͤtigt. 

Die ganze Gemeinde hat, als eine MAE we⸗ 
nig ebenes Land, ausgenommen etwa um Sigriswyl und- 
Endorf herum. Steil ſteigt der Boden vom See an bis 
über Schwanden hinauf, wo dann enge Thaͤlchen, feile- 
Hügel und tiefe Graben die Oberfäche ſehr ungleich mas 


120 * 


chen; und mehrere kleine oder grögere Bäche zerreiffen fe 
nach allen Richtungen. 


IV. Bach e. 

a. Der Guntenbach läuft aus mehreren Graben um 
Schwanden zuſammen und hat ſich einen ſehr tiefen 
Graben ausgehoͤhlt, der vom Beyweg bis an den Set 
läuft / wo der Bach das oben weggeriſſene Erdreich 
nach und nach, jedoch wegen den ſteilen Ufern und der 
Tiefe des Sees, langſam zu neuem Lande anlegt. 
Im Jahre 1690 riß ſich oben beym Buͤhl ein großes 
Stuͤck Land weg, ſtürzte in den Bach und ſchwellte 
ihn dadurch ſo an, daß er bey ſeinem Losbruch den 
13 Julii die Mühle hinten im Graben wegriß, mos 
bey drey Menſchen ums Leben kamen. 

b. Der Bach im Juſtisthale hat ſeinen Anfang 
ganz hinten im Thale, nimmt unterwegs mehrere ſehr 
beträchtliche Brunnquellen auf und fallt bey Meerli⸗ 
gen in den See. 

e. Die Zulg. Ein kleiner Arm davon nimmt ſeinen 
Urſprung hinter dem Rothmos, laͤuft gegen Norden 
unter Meyersmad hin, nimmt einige andere Bäche 
auf und vereinigt ſich hinter Schwarzeneg mit der 
eigentlichen Zulg, die untenher Thun in die Aare faͤllt. 

& Der Guͤndrichbach; kommt oben von Ringolds⸗ 
wyl her und faͤllt am Oertli, an der March von Hil⸗ 
terfingen, in den See. — Andere kleinere Baͤche übers 
gehen wir. 


V. Berge, Huͤgel und Thaͤler. 

e Der Grat läuft der Långe der Gemeind nach und 
kit an der Oſtſeite das Juſtithal. Es ift ein ſehr 
ſchmaler Feläruͤcken von Kalkfels, auf deffen vorderm 


121 


breiteſtem Theile zwey kleine Alpen, auf den hintern 
aber lauter Schafweiden find, — Tiefe Schruͤnde und 
Löcher, worein oft kleineres Vieh ſtuͤrzte, eine Menge 
ganz oder halb loſer größerer oder kleinerer uͤberein— 
ander gethuͤrmter Felsbloͤcke, und beſonders eine lange 
weite Spalte, die vom Rothhorn, dem hoͤchſten Gipfel, 
bis an das ſuͤdliche Ende des Grates in einem forts 
laͤuft und graͤßliche Spuren einer wilden Zerſtoͤrung 
zeigt, — das alles heißt mich glauben, daß dieſer 
Bergruͤcken nicht zugleich mit feinem Geſtein gebildet 
wurde, ſondern — weniaſtens großentheils — aus 
dem Einſtuͤrzen und Zuſammenwerfen höherer Gebirge 
entſtanden ſey. 

Unter dem genannten Rothhorn, an der Seite ge⸗ 
gen das Juſtithal, befindet ſich eine merkwuͤrdige, ſehr 
geraͤumige Höhle, das Schafloch. Ihr Eingang ift 
weit und bequem, gegen Suͤdoſt gekehrt; inwendig aber 
wendet ſie ſich krumm von Suͤden nach Weſten. Mit 
Hülfe einer Fackel gelangt man über große, von oben 
herabgeſtuͤrzte Felsſtuͤcke gegen den Hintergrund der 
Höhle. Hier deckt immerwaͤhrendes Eis den Boden, 
und mehrere große Eiskegel, deren Geflalt und Zahl 
aber mit jedem Jahre aͤndert, machen beym Fackel⸗ 
ſchein einen ſonderbaren, aber ſehr ſchoͤnen Anblick. 
Sie verdanken ihre Entſtehung dem Waſſer, das von 
der Decke der Höhle beſtaͤndig herabtraͤuft, im Winter 
gefriert, im Sommer aber nie ganz aufthauen kann / 
weil die Tiefe der Hoͤhle und ihre ſchiefe Wendung der 
Waͤrme des Sommers keinen Eingang verſtattet. — 
Hieher werden bey einfallendem Schneewetter im Som⸗ 
mer unſere Schafe getrieben. Daher iſt der Boden, 
wenigſtens in dem vordern Theil, mit einer tüchtigen 

Lage von altem Schafbau uͤberdeckt, von dem hie und 


122 


da etwas in Gåden mit großer Mühe auf bic Güter 
herabgeſchaft wird. 


.Die Blume verdient zwar kaum den MAN eines 


Berges, indem fie eigentlich nur ein zuſammenge— 
ſchwemmter Hügel it; der aber doch hoch über die- 
jenigen hervorragt, die von Thun her nach dem Hoch⸗ 
gebirge hinanſteigen. Sie nimmt ihren Anfang unten 
am See zwiſchen Oberhofen und Gunten und heißt 
bis uͤber Tſchingel hinauf Margel. Hier erhebt ſie 
ſich noch einmal bis uͤber Schwanden, wo auf ihrem 
hoͤchſten Gipfel ehedem ein Wachfeuer tand, und ſenkt 
ſich nun bis uͤber Franzenegg in die Zulg. Zwiſchen 
ihr und dem Grat liegt die ganze Gemeinde, die nun 
in ihrem hintern Theile noch zwey vorzuͤgliche, der 
Länge nach laufende Rücken hat: die Sauſenegg, 
die von groͤßeren und kleineren, bald derberen bald 
ſehr weichen Sandſteinbrocken uͤbereinander geworfen 
iſt; — und den Schnabel, einen mit Wald bedeck⸗ 
ten hohen Huͤgel. 


.Das Juſtithal, Ueſtiſtahl in der UiibiMididr; 


fodert in der Topographie dieſer Gemeinde billig feine 
Stelle. Seine Långe mag von Meerligen bis hinten 
an die ſogenannte Scheibe an die 8 Stunden betra⸗ 
gen; die Breite aber von einer Berghalde zur andern 
kaum 1/8 Stund. In feinen hintern Theilen iſt es 
eben, gegen Meerligen fenét es fich aber ſtark und if: 
von dem genannten Bache und mehreren ſchoͤnen Nuel- 
len bewaͤſſert. Acht unſerer ſchoͤnſten Alpen liegen in 
dieſem Thale und liefern einen reichen Ertrag des treff- 
lichſten Kaͤſes. Hinten ſchließt das Thal ein Berg, der 
hier die Scheibe heißt, aber nicht mit jener im Ems 
menthal darf verwechſelt werden. Ueber dieſen Berg 
rechts fuͤhrt der Weg gegen Seefeld, den Hohgant und 


123 


Habkeren; links ift die enge Oeffnung zwiſchen dem- 
ſelben und dem hinterſten Theile unſers Grates mit 
einem Schuttkegel, Sulzi, oder Gulzig Riſeten ae 
nannt, zum Theil ausgefüllt, wohinuͤber ein Weg ges 
gen Eriz; geht. ) s 
d. Noch muß id) eines Bergfalles Meldung thun, 
bey dem der Mangel an Datis auch darum zu be 
dauern iſt, weil die Sage geht, eine Stadt Roll ſey 
dadurch verſchuͤttet worden. Ich zweifle an einer Stadt, 
aber Wohnungen mögen da wohl geſtanden haben, ins 
dem vor einigen Jahren unter einem großen Felsſtuͤck 
eiferne Werkzeuge gefunden wurden. Ein ganzer Gips 
fel der Ralligſtoͤcke hat fich losgeriſſen und in den See 
geſtuͤrzt, wovon die Rudera von Ralligen bis ins Dorf 
Meerligen hinein liegen. Es ſind zum Theil ſehr große 
Bloͤcke eines ſehr feſten Kalkſteins, da hingegen die 
Wand, von der ſich dieſer losriß, ein ſchiefrichtes, 
brüchiges Geſtein zeigt. Der Gerbebach bey Meerligen, 
der dieſen Fall in feiner Länge durchfließt, mag wohl 
die kraͤftigſte Veranlaſſung dazu geweſen feon, 


V. Climat, Witterung tx. 


So wie die einzelnen Theile der Gemeinde in ihrer Lage 
beträchtlich von einander abweichen, fo ift auch das Cli- 
mat nicht für alle das Naͤmliche. Unten am See, Guns 
ten, Ralligen, Meerligen iſt das Climat ſo milde, als 
man's im Oberlande nur immer haben will. Die Weins 
berge, Obf und Nuͤße gedeihen gerne und ſehr gut, fo daß 
z. B. der Beſitzer des Herzigenackers bey Gunten vor eini— 
gen Jahren feinen rothen Wein zu 8 Batzen nach Thun verz 
kauft haben ſoll. Am Oertli, gerade hinter der March ge⸗ 
gen Hilterfingen, ſteht ein Kaſtanienbaum, der ſehr ſchoͤn 
gewachſen iſt, anch in guten Jahren einen Theil ſeiner 


124 


Früchte zur Reife bringt, obgleich der Befitser keinerley 
Veredlung je damit verſucht hat. ö 

Höher am Berge hinauf, um Aeſchlen, Sigriswyl, 
Tſchingel, it das Climat ſchon rauher. An erſterem Orte 


gedeiht zwar das Obst noch gut, allein die heftigern Winde, 


ſpaͤthe Froͤſte ꝛc. ſetzen diefe Gegenden doch um Vieles ge— 
gen die untern zuruͤcke. Nicht felten wird Obst, Rüge unb 
die oberen Theile des Weinbergs um Sigriswyl und En— 
dorf herum vom Froſte beſchaͤdigt, dieweil um Gunten 
und Meerligen herum alles unverſehrt bleibt; wie z. B. 
1802 den 16 May geſchah. Auch wird der Wein aus den 
oberſten Theilen weniger geſchaͤtzt als der aus den mittlern 
und untern. Indeſſen macht die ſonnige, gegen Suͤden 
gekehrte Lage, und der Schirm den Margel, Blume und 


die höheren Theile der Gemeinde uns gegen die Nordwinde 


gewähren „ das Climat hier doch noch fehe angenehm. Der 
Schnee hält nie ſonderlich lange und verlaͤßt uns gemei— 
niglich ro bis 14 und mehr Tage fruͤher als Aeſche und 
Leißigen. — Im Pfarrgarten gedeihen Pfirſchen, Apriko— 
ſen und Feigen, und ſie bluͤhen und reiſen wohl ſo ge⸗ 
ſchwinde als um Bern herum. Flachs und Hanf wird 
ſchon Ende Merz und Anfangs April geſuͤet, und mit fruͤ— 
hen Kartoffeln treiben einige Speculation auf dem Markte 
zu Thun. 

Merklich rauher aber iſt ſchon und ſpaͤter die Lage um 
Schwanden herum, noch ſpaͤter im Reuſch und am ſpaͤte⸗ 
ſten in Mayersmad, wo eines Theils das enge Thaͤlchen 
gegen Norden offen, hingegen von der Blume ſtark bes 
ſchattet und uͤberall mit hohen waldichten Hügeln einges 
ſchloſſen ifi. Auch ift die Obfipfanzung hier febr gering, 
hat aber manchmal den Vortheil, daß die viel ſpaͤtere Biù- 
the unbeſchaͤdigt entkommt, wenn fie in den untern Theis 
Ten der Gemeinde laͤngſt vom Froſte zu Grunde gerichtet 


D i - . 
SER m De ne = 


125 


worden if. In dieſen ſchon beträchtlich hohen Orten fallt 
nun gemeiniglich viel Schnee, der auch lange haͤlt. Doch 
macht die verſchiedene Lage und Strich der Fruͤhlings-Ne⸗ 
bel hier manche Diverſion. Reuſch hat manchmal war⸗ 
men Sonnenſchein, erwachende Vegetation und keimende 
Blumen (Tussilago, Zeitroͤsli. Bellis perennis), wenn 
wir zu Sigriswyl in dichtem Nebel und Schueegeſtoͤber 
begraben liegen. 

Krankheiten, an denen das Climat oder die Lage des 
Ortes Schuld haͤtte, kenne ich keine. Vielmehr iſt die 
Luft rein und geſund und das Waſſer meiſt gut. Ich werde 
bey dem Abſchnitte von der Lebensart der Einwohner das 
Weitere hierüber anmerken. 


B. Oeconomie. 


Alles was der reichen, freygebigen Mutter Natur aus 
ihren immer offenen, ſegensvollen Haͤnden entfaͤllt; was 
durch die arbeitende Hand der Bewohner erworben wird, 
und zur Nahrung, Kleidung, Unterhalt und Wohl ſtand 
bieſiger Gemeinde beytraͤgt, vereinigt fic) vorzüglich unter 
zwey großen Geſichtspunkten, den Viehſtand und feine Be 
nutzung und den eigentlichen Landbau. Denn was auf 
die Rechnung von Handwerksſieiß und Induſtrie kaͤme, ift 
hier ſehr gering. 


E ende ſeine Beſchaffenheit und Be⸗ 
nutzung. 


A Hornvieh. 


Im Umfange der Gemeinde Sigriswyl liegen mehrere 
ſehr ſchoͤne Alpen, das gemeine Gut ift von ſehr betraͤchtli⸗ 
chem Umfange, die Gemeinde an ſich ſtark bevoͤlkert, und 


426 | 
ſchon daraus laßt ſich auf einen ziemlichen Viehſtand ſchlieſ⸗ 
ſen. Auch macht der Abtrag deſſelben einen der ſolideſten 
Zweige ihres Wohlſtandes aus, und es ware allerdings zu 
wuͤnſchen, daß ſie zur Veredlung und Erhoͤhung deſſelben 
thaͤtiger ſeyn moͤchten. 

1. Wir machen den Anfang mit der Alpen wir th⸗ 
ſchaft, als dem betraͤchtlichſten Theile unſers Viehbeſtan⸗ 
des, und finden da folgende 

Alpen mit ihrer Seyung. 


a. Juſtithal; hinter dem Sigriswoler Grat. 


Vorderberg , 1 : 26 Kühe. 
Buͤfel E k 1 3 26 — 
Fluͤhlauenen i " 26 — 
Erfter vorder Mittelberg . 1 30 — 
Zweyter vorder Mittelberg 4 30 — 
Hinter Mittelberg A " 64 — 
Hinterer Berg . : 3 24 — 


Summa: 226 Kühe. 
Dazu kommt noch ein Berg von * 32 — 
der hinten im Juſtithal liegt und mit dem obengenannten 
hinterſten Sigriswyl-Berg eine gemeinſame, ſehr ſchoͤne 
Hütte beſitzt, aber eigenthuͤmlich nach Oberhofen gehört. 
Das enge Thal naͤhrt alſo eine Zahl von 258 Kuͤhen. 
Alle dieſe Alpen oder Berge, wie ſie hier heißen, liegen 
in dem Thale die Quere, ſo daß die Weidplaͤtze an den beyd⸗ 
ſeitigen ſteilen Berghalden empor ſteigen, wohin die Kuͤhe 
mit Muͤhe muͤſſen getrieben und ſorgfaͤltig gehirtet werden. 
Die Alpen ſind theils mit kleinen trockenen Mauern, theils 
aber auch mit Zaͤunen von unordentlich uͤber einander ge⸗ 
worfenen jungen Tannen und Geſtraͤuch von einander ge⸗ 
trennt. Jene Art waͤre um ſo da mehr dieſer vorzuziehn, 
da dadurch die Alpen von den jaͤhrlich, beſonders von den 


127 


Beatenbergwaͤnden herabrollenden Steinen gereinigt, und 
dabey der Holzwuchs geſchont würde. Der Bach, der das 
Thal in feiner ganzen Långe durchſtroͤmt, und einige fchöne 
Brunnenquellen, die in dieſen fließen, dienen zum Traͤnken, 
unb auf Ffühlauenen haben die Bergbeſitzer vor einigen 
Jahren einen laufenden Brunnen mit ziemlichen Koſten zur 
Alphuͤtte geleitet. Der in dieſem Thale verfertigte Kås ift 
der beſte, der in dieſer Gemeinde gemacht wird, und hat aus⸗ 
waͤrts auch im Handel einen ausgezeichneten Werth. Wahr⸗ 
ſcheinlich bringen einerſeits eben jene wilden ſteinigen Berge 
halden manche ſchmackhaftere Futterpflanze hervor, die auf 
andern unſrer Alpen mangelt. Andern Theils mag aber 
auch die Enge des Thales und ſeine hohen Einfaſſungen dazu 
beytragen, indem der ſtarke erfriſchende Thau von der ſpaͤten 
Sonne nicht ſo leicht ganz aufgetroͤcknet wird, das Gras 
viel friſcher und ſaftreicher bleibt, und an auch nahr⸗ 
hafter iſt. 

b. Alpen vor oder auf dem Grat. 
Getten alp, die vordere . 40 Kuͤhe. 
Gettenalp, die hintere 46 
Alpigeln eee ut 
OORO NSR EN mas, om, $ 
Maͤſcher ERDE) RT Tr kung 
Bergli, das vordere emm pum, o nri * 
Bergli, das hintere e . 5 Lauf NI AS 
I. Hoͤrnli . + + E . 24 
EDI VUL QUOS 26 
3. Hoͤrnli vporso Peut sinu 18 
ee uuo uve 18 


Cum, 241. 


Dieſe zu obigen 258 aus bem Juſtithal gerechnet, fliege bie 
Seyung famtlicher Alpen unſrer Gemeinde auf 499 Stuͤcke. 


198 


Hiebey iſt aber anzumerken, 1) daß wenn ſchon alle 
dieſe Alpen eigentlich im Gebiete der Gemeinde liegen, ſie 
doch nicht alle Eigenthum von Gemeindsgenoſſen ſind, nicht 
alle mit hieſigem Vieh beſetzt werden, und wir alſo nicht 
die ganze Summe bey der Berechnung des Totals vom 
Viehſtand in Anſchlag bringen duͤrfen. 2) Auch auf eigent⸗ 
lichen Sigriswyler Alpen geht noch manches fremde Stüd 
Vieh, das um Lohn eingedungen, oder mit Recht einge⸗ 
kauft wird. 

Sicherer Abzug von obiger Summe der 499 iſt 
der Oberhofenberrr g 32. 
Bas dritte Hörnum 4. 18. 
vom vierten 1/3 qo MIS Tu WU 6. 
6 6, 
blieben alfo . a vn c 443 Stüuͤck. 

Den übrigen Abzug kann ich darum nicht beſtimmen, 
weil er bald mit jedem Jahre wechſelt. 

Die beyden Bergli liegen ganz oben auf dem Grat, und 
haben eine ſehr beſchwerliche Zu- und Vonfahrt. Das 
vordere iſt aber ein ſchoͤner ziemlich flacher Boden, und 
hat zum Traͤnken einen Weiher (Sekli, ſagen die Hirten) 
defen Wafer fhr geſund ſeyn foll, obgleich Feuerkroͤten 
(Rana Bombina) und Molche (Lacerta lacustris 1.) 
in Menge darin herumſchwimmen. Ein Projektmacher, der 


vor einigen Jahren dieſe Alp beſaß, grub ſo lange in den 


höher liegenden Felſen und übereinander geworfenen Truͤm— 
mern herum, bis er eine Ader lebendigen Waſſers fand, die 
er in Röhren (Duͤnkeln) näher zur Hütte leitete, und dieſer 
kleine Brunnen hat in trocknen Sommern, wo das gewoͤhn⸗ 
liche Traͤnkewaſſer vertrocknet war, treſſiche Dienſte geleiſtet. 
Er führte das ablaufende Waſſer ſogar bis unter die Alps 
Hütte in einen gegrabenen Weiher, und waͤſſerte einen Theil 
der Alp. Der Brunnen beſteht noch, aber das Uebrige if 
ſeither zerfallen. 


129 


Schon wilder iſt das hintere Bergli. Vloßer nackter 
Kalkfels, zerriſſen und gefpalten, deckt große Strecken, fefe 
große Blöcke liegen umher und tiefe Schruͤnde finden fid) 
aller Orten. Dennoch ſoll das Gras hier beſſer als auf dem 
vordern ſeyn. — Die uͤbrigen der genannten Alpen liegen 
am Fuße des Grates. Alle haben wenigſtens eine, oder 
iwey Hütten, mit hinlänglicher Beſtallung für das Vieh, 
einer Küche zum Kaͤsmachen, einem Kaͤsgaden, (wenn 
nicht ein eigener Kaͤsſpeicher naͤher oder ferner von der Huͤtte 
gebaut if) einen Gaden für die Hirten, und einen Milch⸗ 
gaden. Die Huͤtten ſind aus uͤbereinander gelegten meiſt 
ungezimmerten Balken gebaut, und nur die ſchoͤne Hütte 
im hinterſten Juſtithal-Berg bis unter das Dach gemauert. 
Die Stäue find mit Dielen belegt (bruͤginet) und haben in 
der Mitte einen kleinen Graben, durch den der fallende 
Dünger in einen auſſer der Hütte angebrachten Kaſten ges 
bracht wird. — Die Stelle für den Kaͤſekeſſel ift meiſt in 
, ben Boden gegraben, ausgemauert, und gerade ſo geräus 
mig , daß der Kaͤſer dabey ſtehn, und den Keſſel wenden 
kann. Das Vieh wird aber nur zum Melken, bey Unge⸗ 
witter und waͤhrend der groͤßten Hitze des Tages in die 
Ställe getrieben. 

Das Perſonale, das dieſe Alpen beſorgt, iſt mehr oder 
weniger zahlreich, je nachdem die Alp mehr oder weniger 
fiort beſetzt ift, aber nie höher als vier. i 

Der Bergmeiſter oder Käfer, der die Auſſcht uͤber die 
ganze Alp und die Fabrikation der Milchwaare auf fich hat 
bezieht einen Sommerlohn von $ Kron. oder 12 1/4 Franken. 
Der Knecht und der Kuͤhhirt 2 Kron. ro Btz. oder 6 Franken. 
Ueberdies nimmt bey der Theilung der Produkte im Herbſte, 
jeder einen Kaͤs, bekommt oben drein in toto 1 Krone 
Trinkgeld, 3o Btz, für Brod, und im Frühling beym Auf 
fahren auf die Alp 2 iu Kaͤs per Kuh. Sind dieſe verzehrt / 

95 Bd. J 


130 


fo kann er von dem Produkte des Berges nach Beduͤrfniß 
ſich naͤhren. 

Gemeiniglich wird dreymal im Sommer auf unſern 
Bergen gemeſſen; einmal etwan 8 Tage nach der Bergfahrt, 
bann mitten im Sommer, und endlich kurz vor der Abfahrt. 
Hieruͤber, ſo wie uͤber die Vergleichung dieſer Meſſungen 
wird genaue Rechnung gehalten. Im Sanenland meffen 
fie nur einmal im Sommer, etwa 3 Tage nach der Auf 
fahrt. 10 Pf. Milch heißen bey uns ein Zieger. Dieſer 
iſt in 16 Loͤffel abgetheilt, nicht eigentlich Loͤffel oder ein 
Maaß, ſondern ein Gewicht von 2 ½ Viertel Pf. Weſſen 
Kuh nun 12 Löffel mißt, der hat ein Dreyhaupt, oder 
3/4 vom Zieger, und zieht das Loos um das was ihm 
mangelt. Faͤllt nun noch ein Loͤffel durchs Loos weg, ſo 
muß er kaufen. Hat er 13 Löffel, fo verkauft er 1 Löffel. 
Hat er 13 1/2, fo verkauft er 17 Löffel, Hat er 14, fo 
kauft er 2 bis auf 16. Ein Loͤffel gilt 8 — 10 Btz. Ein 
Zieger bringt an der Theilung, nach verglichenen 3 Meſſun⸗ 
gen circa 140 Pf. Kaͤſe, und 4 Naſcheid Zieger etwa 28 
Bg. an Werth. 

Im Sanenland iſt die Meſſung etwas verfchieden, denn 
hier rechnen fie nach Naͤpfen. Ein Napf haltet 2 Maaß 
Milch, die Maaß zus Pf. das Pfund à 17 Unzen gerechnet. 
Ein Napf im Meſſen wirft an der Theilung 120 — 130 Pf. 
Kaſe aus. Eben aus dieſer Angabe vermuthe ich, daß 
die 140 Pf. die oben auf einen Zieger unſrer Meſſung 
gerechnet ſind, zu hoch angegeben ſeyn moͤchten; doch 
mag ſich das daher erklaͤren, daß man im Sanenland im 
Durchſchnitt nur 12 — 13 Wochen Sommernutzuug rechnet, 
hier aber in guten Jahren die Berge wohl bis 16 Wochen 
beſetzt ſind. Ende May oder Anfang Brachmonats fahrt 
man auf den Berg und nutzt bis Ende September. Oſt 
wird aber dieſe Alpzeit durch einen ſpaͤten Schnee unter 


* 


131 
, 


brochen, wie z. B. den 13 Jung 1801 unb 22 Juny 1805, 
wo das Vieh ab allen unſern Alpen heim mußte. 

Der Abtrag, den unſre Alpen in guten Jahren bringen, 
iſt ſchoͤn, und macht, wo nicht den groͤßten, doch wenigſtens 
den ſolideſten Theil des Vermoͤgens hieſiger Gemeindsge— 
noſſen aus. Freylich (inb es nur wenige vorzuͤgliche Kühe, 
die zwey volle Zieger oder 20 Pf. meſſen, und alſo ein 
Ertrag von 280 Pf. fetten Kaͤſes lieferten. Allein auch ein 
geringerer Raub if immer noch ein Beweis von der Bora 
zuͤglichkeit unfter, beſonders der Juſtitbaler-Alpen. Dens 
noch wuͤrde der Augenſchein jeden unbefangenen Beobachter 
uͤberzeugen, daß durch eine feißigere Beſorgung fich manches 
noch beſſern ließe. Da die meiſten unſrer Alpen unten an 
den Halden unſres Grates oder der Beatenberg-Wand 
liegen, ſo ſind große Strecken derſelben durch die herab— 
rollenden Steine bedeckt und der Vegetation entzogen. Hie 
und da werden dieſe nun zwar zuſammengeworfen, kleine 
Teraſſen daraus gebaut, und mit Raſenſtücken belegt; 
allein das geſchieht lange nicht flicig genug. Und ware 
es nicht beffer, wenn die Alpſtaͤfel gemaurt, und die 
Alpen mit trocknen Mauern fatt mit holzfreſſenden Zaͤu⸗ 
nen getrennt wuͤrden? Da wuͤrden die Steine weggeſchaſt, 


nuͤtzlich verbraucht, Boden gewonnen, Holz erſpart und 


obendrein deſſer und ſolider gebaut. — Eben ſo liegen 
viele Stellen unnuͤtz, die mit Praͤgel (Senecio flor. 
aurant.) — Eiſenhut, (Chile, Fuchswuͤrze, Napellus) 
mit Diſteln und anderm Unkraute bedeckt ſind, ohne daß 
jemand an ſeine Ausrottung Hand anlegt. — Große 
Strecken liegen verſumpft und zeugen ſchlechtes Gras, 
wo doch mit einigen Abzuggraͤben ſo leicht zu helfen 
waͤre. Vorzuͤglich aber koͤnnte der vom Vieh in den 
Staͤllen fallende Dünger beffer angewandt werden. Wenn 
auf jeder Alp eigene Platze zu Heuland cingefihlagen, uns 


432 $ 
als ſolche geduͤngt und beſorgt würden, fo wären fie bey 
einem ſpaͤten Schnee nicht in die harte Nothwendigkeit ver⸗ 
fetzt, entweder abzufahren, und in den Doͤrfern wieder die 
Wieſen abaͤzen zu muͤſſen, wie im Juny 1805. oder ihren 
Kuͤhen ſtundenweit das Heu auf dem Kopfe muͤhſelig hinzu⸗ 
ſchleppen. Das alles ſehen nun die Hirten ſelbſt wohl ein, 
nehmen aber die Muͤhe nicht, Hand an das nuͤtzliche Werk 
der Verbeſſerung zu legen. Sie haben, meynen ſie, den 
Winter und Fruͤhling uͤber der harten Arbeit genug gehabt, 
der Sommer iſt zur Ruhe und Wohlleben, und die beſten 
Stunden des Tages zum lieben Schlafe beſtimmt. Dann 
treibt der kommende Winter ihn wieder ins Dorf, er wird 
Bauer, und vertauſcht feine Ruhe mit harter Arbeit. 
So viel uͤber dieſen einen Zweig unſeres Viehſtandes. 

Wir wenden uns zum andern, der 0 

2. Die Sommerkuͤhe detrift, die nicht auf den Alpen, 
ſondern auf dem gemeinen Gut geſoͤmmert werden. Vorerſt 
hier eine Tabelle, die ich aus dem Seyrodel der Gemeinde 
ausgezogen habe, und die alles groͤßere oder kleinere Vieh 
enthalt, das 1802 auf gemeinem Gut ſoͤmmerte. 


Dorfſchaften. 

Pferde. Kühe. Rinder. Kälber. Ziegen, Schaaſe., 
Schwanden . 8%, 44, 28, ; 19b u 
Meyersmad „ e. 6. 13 IUE 
Buchhol; — 8. — 2. 16. 5. 
Reuſch Ho 15. a Ule A 
Ringoldswyl e 27 P 
Tſchingel r ERS i 
Aeſchlen . CEU (7 $4. 66, 
Sigriswyl a4 . 36% 8 94. 73% 
Endorf A n B BEER 17 K 
Wyler 81^ 45,7 92, r vA 49. 45. 
Gunten — 10. „ 25, 8. 
Merligen „ — 656, 17, 1940. 4% 299 
Einige Hinterſaͤßſen ? — — — 2324 5, 390 


Sum. 26, 524 227. 154. 799. 481. 


133 


Weber diefe Tabelle nun borerſt einige erlaͤuternde Bes 
merkungen. 

\ Kalb heißt ein Stuck Hornvieh bis zum erſten Jahr, 

nun wird's ein Rind bis zum erſten Kalb, wo es * 
Namen Kuh erhaͤlt. 

Meerligen hat ſeine Allment im Zuſtithal, „und auf 
Seefeld einen eigenen Guſtiberg, der 1803 mit 54 Stuͤck 
jungen Hornviehs beſetzt war. Allgemein aber iſt die eigent— 
liche Bejagung, wenigſtens in Schmialvich, ſtaͤrker als dieſe 
Tabelle angiebt, weil hierin immer Betrug getrieben wird. 

Von den Pferden, Schaafen und Ziegen handeln wir 
in eigenen Paragraphen, uud halten uns hier blos an das 
Hornvieh. 

Schon obige Tabelle heißt auf eine ziemliche Ausdehnung 
der hieſigen Allmenten ſchließen, wenn auch nicht eine alte 
Sage den ohngefaͤhren Halt des ſaͤmtlichen gemeinen Guts, 
wie es von Graf Eberhard von Kyburg um soo Pf. „ mit 
z allen Graben, Waſſerruͤmſen, Hochwaͤldern und hohes 
» Wildpret und Federſpiel allein ausgenommen“, erkauft 
wurde — auf 80% oo Jucharten ſetzte. Geſetzt aber auch, 
daß diefe Angabe zu hoch wäre, fo bleibt in der Wirklich 
keit, wie der Augenſchein lehrt, immer noch eine auſſer⸗ 
ordentliche Strecke Landes, wovon freylich Waͤlder, Felſen, 
Bache, Graben te. viel wegnehmen. Es beſteht ſaͤmt⸗ 
liches gemeines Gut aus folgenden drey Abtheilungen. 

a. Die Allment (Allmi), Sie faͤugt etwa eine kleine 
halbe Stunde über. dem Dorfe Sigriswyl an, ſtreckt fid. 
in der Breite von den Halden des Grates bis faſt an den 
Graben des Guntenbachs, und in der Laͤnge bis an die 
vordere Alp. Dazu kommt noch Margel und Blume, die 
meiſt Allmentboden find, und eine Menge größerer und 
kleinerer Strecken, die hie und da an Bächen, Gräben und. 
Nainen verſtreut find. ^ 


434 


b. Die vordere Alp, togt an die Allment, von der 
ſie durch eine trockne Mauer geſchieden iſt. Sie hat beynahe 
die ganze Breite der Gemeinde vom Fuße der Blume bis an 
den Fuß des Grates; in ihr liegt die Sauſeneg und der 
Schnabel, zwey ziemliche Hugel. Sie mag etwa 4 
Stunde in der Lange haben, und ſtoͤßt an die zie Abtheilung. 


c. Die Hintere Alp, die von einem ſehr betraͤcht⸗ 
lichen Umfange it, und, nach dem eigenen Ausſpruch 
hieſiger Gemeindsgenoſſen, zu Alpen beſſer angewendet waͤre, 
und beſſeren Abtrag liefern wuͤrde, als manche wirkliche Alp. 
Ehedem wurde alles Vieh einige Tag im Fruͤhjahr dahin 
getrieben, und der da verfertigte Kås foll von ausge— 
zeichneter VBortrefichkeit geweſen ſeyn. Jetzt aber ſömmern 
nur die Pferde, Kaͤlber und Rinder da. Den eigentlichen 
Halt des Grund und Bodens hieſiger Gemeind, oder die 
Zahl der Jucharten des Gemeinen oder Partikular-Gutes — 
mithin die eigentliche Groͤße der Gemeinde anzugeben ift 
mir nicht moͤglich, 1) weil kein einziger von allen hieſigen 
Bewohnern, die ich daruͤber befragte, ſich auch nur von 
ferne zu einer unmaßgeblichen Schatzung fábig hielt, und 
2) weil der Gemeinds⸗Cadaſter, nach dem Zeugniß feiner 
Verfertiger ſelbſt, nicht ſo genau gemacht wurde, daß ich 
mich auf feine Angaben auch nur einigermaßen hätte vers 
laſſen koͤnnen. 3) Nach Kuhwinterungen würde ich rechnen, 
wenn irgend eine ſichere Angabe daruber vorhanden wäre, 
und die Nachfrage nach ſolchen nicht eigentlich zu meinem 
Beruf gehörigen Dingen, nicht mit Mißtrauen angeſehn 
würde, als waͤre es um neue Auflagen und Abgaben zu thun, 
und als wollte ich die Gemeinde verrathen. 


Die Art der Benutzung dieſes gemeinen Gutes iſt fols 
gende. Ein Theil deſſelben iſt aͤrmeren und unvermoͤgenden 
Gemeindsgenoſſen zur Anpfanzug uͤberlaſſen, wovon wir 


135 
bey Gelegenheit des Armenweſens handeln werden. Der 
größte Theil aber it Viehweide. 

Ohngefehr zur Zeit der Bergfahrt, gemeiniglich etwas 
vorher, treibt nun jeder ſein Vieh auf ſeine behoͤrige Allment, 
was er nemlich nicht auf Alpen ſoͤmmern will. Jeder Ges 
meindsgenoſſe kann 2 Kuͤhe treiben. Die Allment wird 
zuerſt beſetzt. Fit fit abgeäzt, fo wird von der Gemeinde 
gemehret, ob man in die vordere Alp fahren wolle, und 
wenn? und eben fo, wenn man aus dieſer wieder in die 

Allment faͤhrt. Zwey, drey oder vier Partikularen treten 
zuſammen, treiben ihre Kuͤhe in den nemlichen Stall, deren 
eine Menge hin und wieder erbaut find, melken zuſammen, 
beſorgen das Vieh jeder eine Woche im Kehr, und theilen 
das Produkt von Zeit zu Zeit. Hier werden aber nur halb— 
fette Kaͤſe gemacht, ſo daß einmal z. B. des Morgens die 
Milch ganz, des Abends aber abgerahmt in den Keet 
koͤmmt. Aus dem Rahm wird Butter gemacht, dieſe und 
die Kaͤſe werden von Zeit zu Zeit getheilt, die Kaͤsmilch⸗ 
aber jeden Abend ins Dorf gebracht. Dieſe Behandlung. 
ähnelt beynahe der Alvenbenutzung am Nieſen, wo eben» 
falls mehrere Partikularen eine gemeinſchaftliche Huͤtte be⸗ 
ſitzen, (deren etwa 6 oder 8 auf der untern und 6 in der 
obern Weide ſtehen), durch einen aus ihrem Mittel das 
Vieh beſorgen, und ebenfalls die Kaͤſemilch in die Doͤrfer 
bringen laſſen. Die Abgaben an die Gemeinde fuͤr die 
Allmentbenutzung ſind nicht groß. Eine Kuh bezahlt 40 Btz. 
Wer in der Ordnung den altern Stier halt, bezieht aus 
dem Gemeindſeckel 20 Bg., für den juͤngern 10 Bg, und 
der beſte erhält noch 20 Bg, mehr. Treibt einer gar nichts 
auf das gemeine Gut, und pflanzt auch nichts darauf, ſo⸗ 
bezahlt ihm der Seckelmeiſter 40 Bg, Pflanzt er aber, fé- 
erhält er nur 30 Btz. 

Alte ſogenannte junge Waar, d. i. das Hornvieh biz 


136 


zum erten Kalb, fommert in der hintern Alp. Ein eigener 
ſogenannter Rinderhirte ift beſtellt, fie mit Hülfe einiger 
Knechte zu beſorgen. Er bezieht von jedem Stuͤck Vieh 
1 Bg und verrechnet dem Eigenthuͤmer die Ausgabe für 
Salz. Von einem jüngeren Rind wird 20 Bg, in den Gee 
meiadſeckel bezahlt, und von einem aͤltern wie von einer 
Kuh. Von einem Kalb s Btz. wenn fein Eigenthuͤmer nur 
1 Kuh auf das gemeine Gut treibt. Treibt er aber 2 Kuͤhe, 
ſo zahlt er fuͤr das Kalb 10 Btz. 

Die Beſorgung dieſes betraͤchtlichen gemeinen Gutes 
zeuget nun von einer großen Indolenz und Nachlaͤßigkeit. 
Zwar wird allemal im Fruͤhling ein Gemeindwerk angeſtellt, 
um die Steine auf Haufen zu bringen, die Scheidmauern 
auszubeſſern ꝛc.; abet fo viele große verſumpfte Stellen durch 
Graͤben auszutrocknen, dem Wegreiſſen der Baͤche und 
Graͤben zu begegnen, und das Erdreich gegen Schlipfe und 
Lawinen zu ſchirmen, daran denkt niemand. Es giebt 
Stellen im gemeinen Land, durch die der allgemeine Kirch⸗ 
weg geht, der beynahe Jahr fuͤr Jahr neu muß gemacht 
werden, weil er nie feſt gemacht wird. — Beſonders iſt die 
Beſorgung der jungen Waaren in der hintern Alp ſchlecht. 
Eine Menge Huͤttchen und Staͤlle ſind gebaut, in denen 
das Vieh Schutz und Schirm beym Ungewitter, oder gegen 
die groͤßte Hitze ſuchen ſoll. Aber viele dieſer Staͤlle ſind 
zuſammengefault und eingeſtürzt, in andern ſteckt das Vieh 
bis an die Knie im haͤßlichſten Koth; das Traͤnkewaſſer wird 
uͤbel beſorgt, und viele ſchoͤne Stellen liegen im Sumpfe. 

Ehedem war die Sey, d. i. die Benutzung des gemeinen 
Gutes und die Abgaben davon, an die Gemeinde wohl um 
die Hälfte wohlfeiler. Es konnte z. B. einer 10 Füße treiz 
ben, und bezahlte dafür nicht mehr, als jetzt für viere. 
So wie ader die Lebensbeduͤrfniſſe im Preiſe Reigen, fü 
miis auch z. B. die Armenſteuern höher ſteigen; und fo 


137 


wie die Auslagen der Gemeinde, ſonderlich feit unſrer un- 
glücklichen Revolution ſtiegen, (o mußten fie auch die Ein⸗ 
nahmen zu vermehren ſuchen. 

Nun wäre — zwar nicht der kuͤrzeſte aber doch der 
vernünftigſte und ſolideſte Weg wohl der geweſen, das 
Gemeindland in alle Wege zu verbeſſern, durch Reigigere 
Cultur höheren Abtrag herauszubringen, und fo den realen 
Gewinn zu vermehren. Aber durch die Erhöhung des Sey» 
geldes gewinnt die Gemeinde nur aus ihrem eigenen Sacke, 
ohne daß der Partikular jetzt ſonderlich mehr Gewinn aus 
der Benutzung des gemeinen Gutes zoͤge als ehmals. 
Der Kaͤs gilt freylich jetzt mehr als ehedem, aber von 
dem was auf den Allmenten gekaͤſet wird, kommt nicht 
ſonderlich viel in den Handel, und andre Lebensbeduͤrfniſſe 
mifen auch theurer erkauft werden. Hier wäre alfo ums 
ſtreitig viel zu verbeſſern, viel zu gewinnen. Aber erſt muß 
die eiſerne Nothwendigkeit e ehe ich hierin etwas 
zu hoffen wage. 

3. Die Winterbeſorgung ankie Viehes bleibt uns 
nun noch zu betrachten übrig. So wie im' Herbſte das 
Vieh von den Alpen und Allmenten heim koͤmmt, genießt 
es die Herbſtweid auf den Guͤtern bis es einſchneyt; wobey 
fie, da die Güter ſehr verſtuͤckelt und nicht mit Hecken durchs 
aus eingefriſtet ſind, von Kindern oder aͤltern Leuten muͤſſen 
gehirtet werden. — Auf dieſen Guͤtern, die oft Stunden⸗ 
weit vom Wohnorte des Eigenthuͤmers entfernt ſind, fteben 
eine Menge kleiner Scheuern, die unten den Stall, und 
oben den Heuboden, Buͤhni, enthalten. Die Ställe find 
durchaus niedrig, ohne Quftlócber, alfo ſehr dumpfig. 
Selten findet man eine Futterrauffe (Bahren), ſondern 
blos eine niedrige Krippe, die aber hier Bahrni heißt, in 
die das Futter auch nicht von oben herab geworfen werden 
kann, ſondern herab und durch den Stall getragen werden 


138 


muß, wozu mehr Zeit erfordert wird, unb wobey mehr Futter 
verloren geht. Hinter dem Vieh ift eine Vertiefung anges 
bracht, die die Stelle eines Dunggrabens vertreten ſoll, 
auch Schorgraben heißt, aber zu eng und klein iſt, um 
ſeinem Endzweck zu entſprechen. Der Dung (Bau) wird 
durch eine eigene gevierte, etwa 2 Schuh vom Boden des 
Stalles erhoͤhte Oeffnung in der einen Wand, herausge⸗ 
worfen, liegt da an der Wand des Stalles auf einem un⸗ 
ordentlichen Haufen, unb die Jauche (Gülle) fließt voͤllig 
unbenutzt in die Straßen, oder ſonſt weg. Die Milch wird 
im Winter zu kleinen Hauskaͤſen, Mutſchli, angewandt, 
die meiſt 2 Drittel fett ſind, und nicht in einem Kaͤſereif 
(Jaͤrb) ſondern in einem hölzernen Napf mit durchloͤchertem 
Boden, (Vaͤckere) gemacht werden. Man verfertigt dann 
auch etwas Butter zum Hausgebrauche, und die Kaͤſemilch. 
iſt Jahr aus und ein das gewoͤhnlichſte Getraͤnk bey Tiſche, 
wird aber immer ſehr warm getrunken. 


Eine große Beſchwerde bey unſrer Viehzucht iſt die 
Herbeyſchaffung der Streue. Da unfer Getraidebau lange 
nicht hinreicht, mit hinlaͤnglichem Stroh uns zu verſorgen, 
ſo muß ſich der Bauer ſogenannte wilde Streue mit vieler 
Muͤhe herbeyſchaffen. Meiſt iſt es Laub von Buchen, 
Ahornen und Nuß- und Obſtbaͤumen, oder Liſche, die ent⸗ 
weder auf gemeinem Gute erſteigert, oder hie und da auf 
eigenthuͤmlichem Streueland, (Streuere) genommen 
wird. — Hie und da brauchen ſie auch Tannenzweige. Da 
aber unſre Waldungen ſehr entlegen, und die Wege aus⸗ 
nehmend beſchwerlich find, (o bleibt der groͤßte Theil bed» 
ſelben im Walde liegen. Wie nuͤtzlich waͤre in dieſer Hin⸗ 
ſicht das Anpflanzen von allerley Pappelarten an den haͤufigen 
Baͤchen und Graͤben, die neben der Befeſtigung des Erd— 
reichs durch ihre Wurzeln und Verhütung der Erdlawinen, 


139 


mit ihrem weicheren Laube eine reichlichere und beſſere 

Streue lieferten als das unverwesliche Buchenlaub. 

Ich ſchließe dieſen Abſchnitt uͤber die Viehzucht mit einigen 

4. allgemeinen Bemerkungen. 

Eine eigene oder ausgezeichnete Rage von Hornvieh ſucht 
man hier vergebens. Man findet ſchwerere Kühe vom un⸗ 
tern, und leichtere kleinere aus dem eigentlichen Oberlande, 
die auf den Maͤrkten von Thun und Unterſeen gekauft mete 
den. Gerne jedoch zieht der Bauer ſein Vieh ſelbſt. Schade 
nur, daß die Zuchtſtiere viel zu jung, ſchon im zweyten Jahre, 
und die Kuͤhe noch fruͤher wenn der Inſtinkt erwacht, (wenn 
fie tieren) zur Zucht gelaſſen werden, daher die Stiere 
meiſt ſehr klein und unanſehnlich ſind, und die Rage mat 
nicht ausgezeichnet gut werden kann. 

1 Mehr als zur Milchbenutzung wird nicht aufgezogen, 
daher auch kein eigentlicher großer Handel damit getrieben 
wird. Verſchnittene Stiere werden hier keine gehalten. 
Wer nicht in feiner Ordnung genoͤthigt it, auf die Alp oder 
Allment den Stier zu halten, verkauft ſobald möglich die 
männlichen Kaͤlber an die Metzger nach Thun. Was aufgezo⸗ 
gen werden foll, wird mit Milch, die nach und nach mit Waſſer 
verdunnt wird, auch mit gekochter Suppe aus einem Kübel 
mit einem Saugzapfen (Kalbergelte) getraͤnkt. Den Auf 
guß auf Heublumen kennt man hier nicht. Geſchlachtet 
wird etwa auf den Winter, jedoch nicht ſonderlich viel. 

Unter den Krankheiten des Rindviehs, deren man hier 
wenige kennt, verdient die vorzuͤglichſte bemerkt zu werden. 
Sie heißt der Angriff, und befaͤllt nur die Rinder von 

1 1fa Jahren. Die Krankheit fängt mit einer Geſchwulſt 
an einem hintern, ſelten an einem vordern Fuße an, (wo— 
ben das Thier, da fie plötzlich kommt, einen gewaltigen 
Sprung thut), dieſe ſteigt das Bein hinauf und zwar ſehr 
ſchnell, und tritt fie in den Leib, fo folgt der Tod unver 


149 


meidlich. Das angegriffene Glied wird ſchwarz, und würde 
es zeitig genug über der Geſchwulſt feſt unterbunden, fo 
koͤnnte das Thier gerettet werden. Noch ſicherer aber iſt 
ein ſchneller Aderlaß an dem angegriffenen Theile, oder 
auch nur einige Einſchnitte mit einem Meſſer, wodurch der 
jetzige Rinderhirte mehrere gerettet hat. — Fragte ich um 
die Urſache dieſer Krankheit, ſo kam es auf einen boͤſen 
Wind, oder gar auf den Angriff eines unſauberen Geiſtes 
heraus. Ein alter Kuͤher aber, den ich einmal darüber 
befragte, ſetzt die Urſache in eine Entzuͤndung des Gebluͤtes, 
welche das Vieh gerade im ſtaͤrkſten Wachsthum und Voll⸗ 
bluͤtigkeit, oder wie er ſprach, im flüffigften Alter, 
beſiele, und durch Blutlaſſen am ſicherſten geheilt wuͤrde. 
Und mich duͤnkt die Erklaͤrung iſt ſehr vernünftig. 


B. Pferde. 


Die Pferdezucht kann in hieſiger Gemeinde nicht wohl 
von großer Bedeutung ſeyn. Die rauhe bergigte Lage, die 
beſchwerlichen Wege und Straßen, und der Mangel an 
duͤrrem Futter, das gemeiniglich kaum zur Winterung des 
nuͤtzlichern Hornviehes hinreicht, ſtehen hier vorzüglich im 
Wege. Daher wird der Ackerbau bis auf wenige Aus⸗ 
nahmen, meiſt blos durch Menſchenhaͤnde verſehen, und 
die Hacke tritt an die Stelle des Pfluges, fo wie ber Trans⸗ 
port der Lebens beduͤrfniſſe fich auf dem Rücken der Menſchen 
macht. ; 

Kein Befchäler (Hengſt) wird hier gehalten, fondern 
die Stuten werden auswaͤrts hingefuͤhrt. — Und doch find 
einige Umftande vorhanden, welche die Pferdezucht, wo 
nicht zu eigenem Gebrauche, doch als einen lukrativen Haus 
delszweig empfehlen koͤnnten. — Die Stuten haben nemlich 
den ganzen Sommer uͤber keine Arbeit, ein wichtiger und 


144 


vortheilhafter Umſtand zur Zucht. Sie laufen ſrey und 
unbeſchlagen in der hintern Alp herum, wobey ſie geſund, 
fett und ſpiegelglatt werden. Wurden ihnen nun eigene 
trockene Weidpläge eingezaͤunt, wo fie, abgeſondert vom 
Hornvieh, ſommerten, fo müßte das für Stuten und Fohlen 
fehe zutraͤglich ſeyn. Aber nun läuft alles, Pferde, junge 
Rinder, Kaͤlber, Fohlen bunt durcheinander. 

Im Herbſte werden ſie heimgeholt, beſchlagen, und in 
der Weinleſe gebraucht, den Moſt vom Rebberge in die 
Trotten zu ſchaffen. Die meiſte und beſchwerlichſte Arbeit 
aber iſt die Holzfuhre, die den ganzen Winter uͤber waͤhrt, 
und bey der Entlegenheit der Waldungen, Tiefe des gewoͤhn⸗ 
lich fallenden Schnees, und den beſchwerlichen Wegen allera 
dings ſehr muͤhſelig, oft ſogar fuͤr Mann und Pferd gefaͤhr⸗ 
lich if. — Sobald aber der Frühling angebrochen ift, und 
die wenigen Pfluͤge beſtellt (inb, fo kommt das Pferd wieder 
in ſeine muͤßige Freyheit. — Von jedem werden 4 Kronen 
oder 10 Franken in den Gemeindſeckel bezahlt. 


i 1. Shaafe 

Die Schaafjucht ift hier einer der betraͤchtlichern Zweige 
der Viehzucht. Richt ſo betraͤchtlich indeſſen, als es nach 
der Lage der Dinge leicht moͤglich waͤre. 

In den hieſigen Bergen, auf Grat, und an den Fels⸗ 
waͤnden gegen Beatenberg find beträchtliche Strecken Landes, 
die nur von Schaafen genutzt werden koͤnnen, dieſen aber 
die vortreſſichſte Nahrung geben. Der ganze hintere Theil 
unſeres Grates vom Rothborn an bis ans Ende iſt bloße 
Schaaſweide. Hinten im Juſtithal, an der ſogenannten 
Scheibe, und an der Beatenberg Seite hin, liegt ein 
Schaafberg Schweiffi, n 1463 mit 230 Sthaafen. 


142 

beſetzt war, und doch noch zum Theil geheuet wurde. 1805 

war der nemliche Schaafberg von der Gemeinde um 12 

Kronen verliehen worden. Der Beſteher ſoͤmmerte daſelbſt 

140 Schaafe, von deren jedem ihm 7 Btz. bezahlt wurde, 

thut 39 Kronen, s Btz. Dabey 22 Ziegen zu 7 Bg. thut 

6 Kron. 4 Btz. Ueberdies rechnet er auf ohngefaͤhr 3 Klafter 

des beſten Heues, und maͤſtete noch ein Kalb, von dem er 

20 Kronen zu loͤſen hoffte. Ein Beweis, daß diefe Schaaf⸗ 
weide ſehr abtraͤglich iſt. — Die Alp Buͤfel hat oben in den 

Felſen einen kleinen Strich Landes, Schild, wo auf jede 

der 26 Kuͤhen ein Schaaf geht. — 1802 war auch das 

hintere Bergli, das oden unter unſern Alpen zu 5 Kuh 

Scyung angegeben it, mit 118 Schaafen und 6o Ziegen 

beſezt, und der Beſitzer fand feine Rechnung febr gut das 
bey. Alle dieſe Berge beduͤrfen ſehr wenig Einfriſtung, 

und die Seltenheit von reiſſenden Thieren macht die Huth 

ſehr leicht. Sie ſind meiſt gemeines Gut, alſo in voͤlliger 

Freyheit beſtmoͤglich benutzt werden zu koͤnnen, indem keine 

andere Gemeinde einige Rechte daran hat. — Die Abga— 
ben und Unkoſten ſind geringe. Es wird fuͤr den ganzen 
Sommer von Anfang April bis Martini nur 10 Krz. Sey 

an die Gemeinde bezahlt, 1 Bg, dem Hirten auf Grat 

und 1 Krz. fuͤr Salz. Der Hirte im Dorf, der ſie vor 


und nach der Alpfahrt zur Weide treibt, bezieht im Fruͤh⸗ 


ling 3 Krz., im Herbſt 4 Krz. vom Stuͤck, ſamt der Nah⸗ 
rung. In einigen Doͤrfern bis 8 Krz. Wie leicht koͤnnte 
unter dieſen Umſtaͤnden die Schaafzucht hier veredelt und 
zu einem der gewinnreichſten Nahrungszweige gemacht wer— 
ben, — Wenn die Beſitzer unter fich uͤbereinkaͤmen, nur, 
feinwollige Schaafe unter ihrer Heerde zu dulden; oder, 
da die rauhere, groͤbere Wolle ihren Werth im Handel und 
zum Hausgebrauche auch hat, wenigſtens die grobwolligen 
Schaafe von den feinwolligen getrennt zu halten; — wenn 


1 


| 


143 
fie alle ihre Schaafweiden mit eigenen Schaafen benutzten, 
und alfo mehr Schaafe hielten, fo könnte ſicher die Zucht 
dieſes nuͤtzlichen Thieres eine reiche Quelle des Wohlſtan⸗ 
des fuͤr hieſige Gemeinde werden. Aber nun laͤuft alles 
in ihrer Heerde untereinander; die großen ſtarken, grob— 
wolligen Widder behaupten meiſt gegen die ſchwaͤcheren, 
feinwolligen die Oberhand und verderben die Zucht. Und 
da die Wolle weder bey der Schur noch nachher gehörig 
geſöndert wird, fo kommt daraus nie kein ſchoͤnes Tuch 
zu Stande. — Nicht felten fallen die Laͤmmer in der un 
geſchickteſten Zeit, kommen ſchwach auf den Berg, erkran— 
ken, oder ſtuͤrzen zu Tode. Schneit es im Sommer, ſo 
werden ſie in das ſchon genannte Schafloch getrieben, bis 
der Schnee wegſchmilzt, oder ſie werden wieder in die Doͤr⸗ 
fer gebracht, wie z. B. den 16 Jul. 1802. Die Winter⸗ 
beſorgung unſrer Schaafe ſcheint mir eher fehlerhaft, als 


zur Veredlung der Zucht geeignet. Entweder fie find una 


tew dem Hornvieh und erhalten das Futter, das von dies 
fein verſchmaͤht wird, oder fie haben eigene kleine dumpfige 
Ställe. Selten wird der Dung herausgeſchaft, fondern 
ſo lange als moͤglich aufeinander im Stalle gelaſſen, da⸗ 
mit er in der uͤbertriebenen Stallwaͤrme beſſer faule. Hier 


ſteht nun das Schaaf in feinem Kothe, in dumpfer Hitze, 


und genießt das ſchlechteſte Futter; muß dabey nicht” feine 
Wolle, mehr noch ſeine Geſundheit leiden? Eben die warme 


dichte Wollenbekleidung des Schaafes zeigt, daß es ein 
Thier fuͤr die kalten Climate iſt, mithin auch eine kalte 


Luft zu ſeiner Geſundheit bedarf. Iſt es alſo nicht offen⸗ 
bar verkehrt, wenn man ſie wie Thiere des heißeſten Him⸗ 


melsſtriches behandelt, und ſie in ihren heißen engen Staͤl⸗ 


len, wie die Heeringe in einer Tonne zuſammenpackt? Ich 
fuͤrchte, ſo lange dieſe Behandlungsart dieſes nuͤtzlichen 
Hausthieres beynahe in unſerm Lande allgemein bleibt, fo 


144 


lange helfen ung feine ſpaniſchen Widder. Denn nicht 
ſowohl das Einführen fremder Racen als die zweckmaͤßige 
Behandlung und Fütterung dient zur Veredlung der Zucht. 

Das ganze, unverſchnittene Maͤnnchen, der Widder, 
heißt hier Stack, der verſchnittene, Ur fel und Te 
dad Weibchen Au. 


2. Die Ziege fpielt keine unbedeutende Rolle unter 
unſern Hausthieren, indem ihrer, nach vorangegangenem 
Verzeichniß, über 700 auf gemeinem Gute ſömmern. Sie 
ſind hier auch nicht etwa nur das Milchvieh des Armen, 
dem ſie die Stelle der Kuh vertreten muͤßten, die er nicht 
zu halten vermoͤchte, ſondern ieder, auch der beßte Bauer, 
haͤlt derſelben einige, um im Sommer, waͤhrend ſeine 
Kuͤhe auf der Alp oder dem gemeinen Gut weiden, Milch 
für ſeine Kinder, oder zum Kaffe, oder ſonſt in die Haus⸗ 
haltung zu haben. Wer die Ziegenmilch nicht auf dieſe 
Weiſe braucht, vermiſcht ſie Fruͤhling, Herbſt und Winter 
mit der Kuhmilch und ſo kommt ſie in die Hauskaͤſe. Ein 
eigener Hirte treibt ſie jeden Morgen zur Weide und am 
Abend ins Dorf zuruͤcke, denn auf den Alpen, ausgenom⸗ 
men Bergli, gehen keine Ziegen. Er bezieht bis 4 Bhi 
Hirtenlohn vom Stuͤck und die Nahrung. Alle die Kla⸗ 
gen ‚die gemeiniglich über dieſes naͤſchige, dabey aber uns 
entbehrliche Hausthier gefuͤhrt werden, ſind auch hier voll⸗ 
kommen gegründet. Huͤthen die Hirten in den hintern Ges 
genden der Gemeinde, ſo uͤberlaſſen fie die Heerde oft fo 
lange ihrem Willen, laufen auf die benachbarten Alpen, 
und tbun ſich da guͤtlich, indeſſen die Ziegen im Walde 
und Weiden herumlaufen und den ohnehin ſparſamen Holz⸗ 
wuchs zu Grunde richten. Hiebey kommt ihnen das ſon⸗ 
derbare Vorurtheil zu gute, als ob eben das Abfreſſen des 
oberſten Gipfels eines jungen Baumes ihm vorthellhaft 


145 


ware, indem er dann ſtaͤrker in die Wurzeln treibe, und 
nachher nur deſto frecher aufwachſe. — Die Zicklein (Gis 


Ken) find im Fruͤhiahr den Leuten eft fo uͤberlaͤſtig, daß 


fie heimlich in fremde Ställe gebracht werden, um ihrer 
los zu werden, und die Milch recht bald benutzen zu koͤn⸗ 
nen. Daher ſieht man hier auch keine verſchnittenen Boͤcke 
oder Schiner, wie ſie hier heißen. 


D. Schweinzucht. 
Die Schweinzucht iſt hier von keinem ſonderlichen Be⸗ 
lang, denn auch mit dieſem Zweige der Viehzucht wird wei, 


ter kein Handel getrieben, als daß die Ferkel, die man nicht 


zu eigenem Hausgebrauch aufziehen will, verkauft werden. 
— Den Sommer bringen die meiſten, wenigſtens die Al 
tern Schweine, auf den Alpen zu, wo ſie viel ans Fleiſch 


legen, und beym Berggraſe und der Schotte ſich trefflich 


wohl befinden, obgleich letere ihnen nicht gewarmt wird, 
wie z. B. in den Stafeln am Niefen üblich if, Die Mas 
fung wird auch eben nicht mit ſonderlichem Fleiße Detrita 


ben, und wohl felten ein Schwein ganz ausgemaͤſtet, wozu 


die Frucht hier fehlt. Einige ſetzen an deren Platz Meel 
beeren, (Cratægus oxyacantha? ) die fte ihnen weich 
kochen, und es iſt Schade, daß dieſe mehlichte Frucht nicht 
ſieißiger benutzt wird. 

Das Maͤnnchen vom Schwein heißt Beer, und wenn's 


vnsfünitm ik Mog. 


und fo viel denn alſo úber die Viehzucht hieſiger Ges 


meinde. Von Federvieh und Bienenzucht ſchweige ich darum, 


weil beydes hier von gar keiner Bedeutung it; wenig Huͤh⸗ 
ner, gar keine Gaͤnſe, keine Tauben und ſehr wenig Bie 


nen gehalten werden. 


zr Bd. À K 


146 


! 


II. Land⸗ Oekonomie. 


A. Wieſen und ihre Beſorgung. 


Ich ſchließe dieſes Kapitel unmittelbar an das vom Vieh⸗ 
ſtande an, weil es damit in der genauſten Beruͤhrung ſteht, 
und für jenen von der groͤßten Wichtigkeit iſt. — und 
hier treffen wir auf ein großes Hinderniß der Landcultur, 
auf die unſinnige Verſtuͤckelung des Landes. Stirbt ein 
Vater und hinterlaͤßt mehrere Soͤhne, ſo wird keiner den 
andern auskaufen, ſondern das Land wird unter ſie gts 
theilt; indem hier alles Bauer ſeyn will und die Hands 
werke keine Haͤnde finden. Daher muß am Ende das Land 
in lauter kleine Stuͤcke zerſchnitten werden. Selten findet 
man eine Jucharte, die ganz dem naͤmlichen Eigenthuͤmer 
gehörte, aber wohl viele Stücke von der Größe eines gemei 
nen Zimmers, die mehr als einem Beſitzer gehören; Stuͤcke 
mit Obſtbaͤumen, an deren Früchten 2, 4, 6 oder mehs 
rere Haushaltungen Antheil haben, nur nicht der Beſitzer 
des darunter liegenden Landes. — Hier ſind alſo keine ei⸗ 
gentlichen Güter und Hoͤfe moͤglich wie im Emmenthale, 
wo zufolge eines eigenthuͤmlichen Landesgeſetzes der juͤngſte 
Sohn allemal das liegende Gut des Vaters um eine billige, 
oft ſehr niedrige Schatzung, voraus erhält, und die uͤbri⸗ 
gen Soͤhne und Töchter mit Geld oder Anweiſungen ꝛc. 
abgefunden werden. Da bleiben die ſchoͤnen Guͤter bey⸗ 
ſammen und werden beſſer bearbeitet. Die andern Soͤhne 
mifen entweder einen Hof erheurathen, oder lernen ein 
Handwerk, deren die meiſten dort gefunden werden, oder 
werfen fich auf die Leinwand fabrication und Handlung, 
die zum Reichthum jenes Landes fo viel beytrug. — Hier 
aber drückt die erbaͤrmlichſte Verſtuͤckelung der Güter alles 
iu Boden. Der Baner hat fein Land an 10 — 20 Orten, 


` 


147 


oft weit auseinander; muß oft eine volle Stunde laufen, 
um ein Paar Buͤrden Heu unter Dach zu bringen; oder 
im Winter durch tiefen Schnee waten, um zweymal des 
Tages ſein Vieh zu beſorgen. Wie viel Zeit wird damit 
verlaufen, wie viel Land in Fußwegen zertreten, wie viel 
Nahrungsmittel verſchleppt, wie beſchwerlich das Vieh im 
Winter von einem Orte ins andre gezuͤgelt; welche Menge 
Holzes wird zu den unzaͤhligen kleinen Scheunen und Be 
ſtallungen, die uͤberall herum zerſtreut ſind, erfordert! — 
Und eben daher koͤmmt mir die Unmöglichkeit, die Quana 
titaͤt des Landes auch nur annähernd zu beſtimmen. Kei⸗ 
ner, den ich daruͤber befragte, getraute fid) auch nur von 
ferne ein Maaß anzugeben, und die Cadaſter-Angaben 
kannte ich aus ſicheren Quellen als ſo unzuverlaͤßig, daß ich 
mir auch nach ihnen nichts zu beſtimmen getraute. 
Man unterſcheidet übrigens hier gebauenes Land, mas 
geres Land und Weiden. Erſteres liegt näher um die Woh⸗ 
nungen und Hoefer herum und iff von gutem Abtrage, lez— 
teres liegt entfernter, giebt eine magere Heuerndte und 
etwas Herbſtweid. Die Weiden liegen meiſt in den hoͤhe⸗ 
ren hinterſten Theilen der Gemeinde und werden ungefaͤhr 
wie gebauenes Matland behandelt. — Dieſes empfaͤngt, 
ſo wie im Frühling der Schnee bricht, den erſten Dung, 
der ziemlich genau daruͤber ausgebreitet (verzettet) wird. 
Iſt das Gras in feinem uͤppigſten Wuchſe, fo wird das 
ES in die Wieſen zur Weide gelaffen, wo es das beßte 
Futter abaͤzt, aber auch eine Menge zertritt und mit feis 
nem Dunge beſudelt. Sie geben zwar an, das zweyte Gras 
falle deſto feiner aus und liefere beſſeres Heu. Es waͤre 
aber zu unterſuchen, ob nicht durch Abmaͤhen des Graſes 
und Begießung mit Jauche eben das erhalten werden koͤnnte, 
da dann das Zertreten, Beſchmutzen und Verderben des 
Grafs und das Verſchleppen des Dunges vermieden bliebe, 


14$ 


Sie behaupten weiter, das abgeäste Gras wachſe lieber nach 
als das abgemaͤhte; das Vieh muͤſſe ſich an das Weiden 
gewöhnen ehe es auf die magern Allmenten oder zum kur⸗ 
zen Berggraſe komme. Wahr iſt, daß die Kuͤhe dabey recht 
gut ſtehen und viel an die Milch legen; daß, obgleich im 
Emmenthale dieſes Abaͤtzen nicht gebräuchlich ifl, dennoch 
die Kuͤher für Agung in einer Wieſe gerne 5 Batzen von 
der Kuh taͤglich bezahlen; daß die Freiburger-Kuͤher kein 
Geld ſparen, um ihre Kühe fo auf die Bergfahrt vorzube⸗ 
reiten, und den Nutzen den ganzen Sommer hindurch ſpuͤ⸗ 
ren; und daß die Heuerndte an ſolchen abgeaͤzten Stellen 
wohl etwas ſpaͤter, aber nicht viel weniger ergiebig aug- 
fallt; mithin diefe Verfahrungsart nicht fo ſchlimm ift, als 
fie beym erſten Anblick ſcheinen möchte, — Iſt eine Stelle 
ſo abgeaͤzt, ſo wird ſie zum zweyten Male mit Dung uͤber⸗ 
legt, und zu feiner Zeit geheuet, geemdet, und obendrein 
liefert es Herbſtweide, giebt alfo einen vierfachen Raub. — 
Heu und Emd wird nicht in Fudern oder ff Schlitten, 
fordern in großen, mit einem Stricke zuſammengebundenen 


Buͤrden auf dem Kopf in die Buͤhnen gebracht, wobey das 
Aufnehmen einer foichen Lat und die gewaltſame Bewe⸗ 


gung beym Aufſtehen in Verwunderung ſetzen, daß Leids 
ſchaͤden nicht noch haͤufiger ſind. — Das Heu wird nur 
mit dem Rechen waͤhrend dem Doͤrren gewendet, und die 
hoͤlzerne, dreyzackichte Heugabel, die im Lande unten und 


im Emmenthale uͤblich iſt, kennt man hier nicht, ſondern 


bedient ſich einer leichten eiſernen mit zweyen Zinken. — So 


wie die Kühe von den Alpen kommen, treten fie in die Herbſt⸗ 


weide und genießen dieſe bis der Schnee fie in die Ställe treibt. 

Da nun die Quantttaͤt des Winterfutters mit der Quan⸗ 
titàt der Sommernahrung in einem ſolchen Verhaͤltniße 
ſteht, daß erſteres oft febr ſparſam muß gereicht werden, 
und gegen den Frühling, oder bey ſpaͤtem Eintretem Defo 


3 


B 


149 


ſelben, oder unerwartetem ſpaͤtem Schnee auf den Ber 
gen, oft eine harte Futterklemme entſteht, ſo fuͤhrt das 
wohl auf den Wunſch, daß man in dieſer Gemeinde auf 
die Futtervermehrung mehr Fleiß verwenden moͤchte. Und 
das wäre keineswegs eine ſchwierige Sache, da fo mans 
cher duͤrre Rain, ſo manche magere Wieſe die Anpflanzung 
der Esparſette anrathet, die aber hier nicht gefunden wird, 
und zwar auch aus dem Grunde, weil ſie das Vieh blaͤhe. 
Wenn aber auch der angebohrne Widerwille gegen neue 


Pflanzungen ihnen das nicht geſtattet, (o ſollten fie wenig— 


ſiens ihre Jauche (Guͤlle) beffer zu Rathe halten, wodurch 
viel eigentlicher Dung erſpart wuͤrde, den fie bey ihrem Res 
benbau immer fo noͤthig haben. Und nur dann, wenn fie 
eben ſo viel Vieh bequem wintern könnten als erforderlich 
ift ihre Beige zu beſetzen, wenn die Winterungen zu den 
Soͤmmerungen im ſchoͤnen Verhaͤltniße ſtuͤnden, nur dann 
koͤnnte man meines Erachtens mit der Beſorgung ihres 
Viehſtandes ganz zufrieden ſeyn. 


B. Weinbau. 


Die ganze gegen den See ſich neigende, nach Suͤden 
gewendete Seite der Gemeinde iſt in ihren unteren Thei— 
len mit Weinreben bepflanzt. In Folge einer A 1792 


X vorgenommenen obrigkeitlichen Schatzung fanden (id) bas 
mals an Zehndpfichtigem Rebland 195 1/2 Jucharte und 


apum 


| einige Klafter. Dieſe find aber eben ſo zerſtuͤckelt wie das 


übrige Land, fo daß ich nur zwey ganze Jucharten kenne, 


die beyde der Obrigkeit ſelbſt gehören. — Nicht Zehndpfich⸗ 


-i 


. tig find aber die Reben zu Meerligen und die jenſcits dem 
Gunteybach gelegenen Reben im (ogenannten Ruͤbisberg, 


welche letztere ihren Zehnden an Partikularen bezahlen, mits ' 


hin in obiger Schatzung nicht begriffen ſind. 


Der Abtrag obiger 195 1/2 Jucharte ward nach einem 


150 : 


Durchſchnitt von ro Jahren zu 25 Zuͤber Moſt per Ju⸗ 
charte gerechnet, alſo im Ganzen 4887 1/2 Zuͤber. Hieraus 
läßt fic) ungefaͤhr der Halt und Abtrag unſeres Weinber- 
ges bemerken. 

Die hieſigen Landleute finden ſelbſt das Quantum ihres 
Reblandes zu groß im Verhaͤltniß mit Wieſen und Acker- 
land. Waͤre des Weinlandes weniger, ſo wuͤrde viel Dung 
erſpart, der mit Vortheil auf das magere Heuland ange 
wandt, dadurch mehr Futter gewonnen, der Viehſtand 
vermehrt und eben dadurch der Weg zur Verbeſſerung der 
Alpen und des gemeinen Gutes gebahnt, dann aber auch 
der Wohlſtand der Gemeinde auf einen weit ſicherern Grund 
gebaut werden koͤnnte, als auf den muͤhſeligen, oft unſt— 
cheren Weinbau, wo oft eine ungluͤckliche Viertelſtunde oder 
eine kalte Fruͤhlingsnacht den ganzen Gewinn und allen ge⸗ 
hofften Lohn fuͤr Muͤhe, Arbeit und Schweiß vernichtet. 
Indeſſen iſt die Lage unſrer Reben nicht ſo, daß ſie zur 
Verwandlung in Wieſen riethe, und der Gewinn, den ſie 
in guten Jahren bringen, verbunden mit der großen Nei⸗ 
gung zum lieben Wein, gilt bey ihnen fuͤr die beßte Schutz⸗ 
ſchrift des Weines. 

Im Winter und Anfangs Fruͤhlings wird der Dung in 
die Reben gefuͤhrt, die regelmaͤßig alle Jahre, und wahr⸗ 
ſcheinlich nur zu ſtark, geduͤngt werden. Im Winter wer⸗ 
den fie nicht gedeckt, ſondern bleiben aufrecht; werden im 
Fruͤhjahr beſchnitten, wobey gemeiniglich nur zwey Ruthen 
ſtehen bleiben, die in Bogen gebuͤckt und mit Stroh gez 
bunden werden. Zur Vermehrung der Reben braucht man 
hier blos das ſogenannte Gruben, da ein Zweig des al” 
ten Stockes tief in die Erde gelegt wird, ſo daß nur ſeine 
Soitze vorſteht. Vom Zweigen oder andern Vermehrungs⸗ 
arten wird nichts geuͤbt. Eben fo wenig fanden die, ans 
derwaͤrts mit Vortheil angewandten Froſtfeuer hier Eins 


151 


gang, gegen die der Aberglaube, als gegen eine Verſuchung 
Gottes, die laͤcherlichſten Einwuͤrfe macht. 

Traubenarten ſind vorzuͤglich dreye bekannt; die wel⸗ 
ſchen, mit weit auseinander ſtehenden Beeren, laͤngerem 
Kamme (Grappe) und vom beßten Geſchmacke; — 
Hun dſch, wo die Beeren dicht in einander gedraͤngt ſind, 
die den meiſten aber lange nicht den beßten Wein geben, 
da fie unangenehmen Geſchmackes find, und Elber, bie 
zwiſchen beyden das Mittel halten, doch den welſchen nå» 
her kommen. Sie wachſen alle durcheinander, werden auch 
ohne Unterſchied durcheinander gemoſtet, ſo wie der beßte 
Wein vom certen Drucke mit dem vom letzten ohne Untera 
ſchied vermiſcht wird. Rother Wein wird bis jezt von ei⸗ 
nem einzigen Partikularen gepflanzt, — Die Trauben wers 
den in eichenen Zuͤbern mit hölzernen Keulen vermoſtet und 
kommen von da unter die rege (Trüel), deren zweyerley 
hier in Gebrauche find, die Schraubentruͤel und Bal 
kentrüel heißen, da bey den erſten die Schraube unmit⸗ 
telbar auf die im Truͤelbette aufgehaͤuften Trauben 
wirkt, beym andern aber ein ſchwerer eichener Balken, der- 
vorne mit einer Steinlaſt an einer Schraube beſchwert iſt, 
den Druck verurſacht. Was nun unter der Preße weg⸗ 
fließt heißt Malte, und wird erſt dann Wein, wenn ev: 
eine Zeitlang gegohren hat. 

Der hieſige Wein iſt von keiner ſonderlich guten Qua⸗ 
litàt, und fo wie aller Wein am Thuner ſee die Stich ſcheibe 
der Witzlinge. Es kann auch wohl im Oberlande, bey ci» 
ner Lage von mehr als 1780 Fuß über dem mittellanbifcbett 
Meere, und in der Nachbarſchaft der Gletſcher kein wore 
zuͤglicher Wein erwartet werden, wenn auch wirklich mehr 
raiſonirte Sorgfalt auf feine Anpflanzung und Beſorgung 
verwendet wuͤrde. Allgemein gilt jedoch die Meynung, daß 
der Wein von Oberhofen und am Dedit der beßte fey; dann 


153 ; 

folgt Sigriswyl und Ralligen, Spies, Meerligen und der 
ſchlechteſte waͤchst zu Thun hinter der Stadt. — In der 
Beſorgung fehlt es aber vorzuͤglich an den Kellern, die zu 
klein, dumpfig und im Sommer zu warm find; an den Ges 
ſchirren, Abziehen u. dgl.; daher er ſehr leicht weich wird, 
und darum oft um liederlichen Preis muß verkauft werden, 
da ſie ihn nicht bis auf gelegene Zeit und beſſern Preis 
gut erhalten koͤnnen. — Gilt er aber nicht genug, ſo hat 
jeder Partikular das Recht, ſeinen Wein in ſeinem Hauſe 
ſelbſt auszuſchenken, wobey frevlich für fichere Loſung, deſto 
weniger aber fuͤr die Sittlichkeit der Bewohner geſorgt iſt. 
Die Treber werden zu Brantenwein angewandt, der hier 
haufig getrunken wird. 

Hier muß ein merkwuͤrdiger Umſtand Angerer wer⸗ 
den, eine Krankheit unter den Reben, die hier Herders 
ber heißt. Ganze große Strecken im Rebberge fierben ab, 
und auch neugepflanzte Reben kommen nicht fort. Das 
Uebel iſt anſteckend und frißt um ſich wie der Krebs. Man 
behauptet zuverſichtlich und allgemein, man koͤnne am Werk 
zeuge, an Rebpfaͤhlen, ja ſogar mit der Erde, die an den 
Schuhen klebt, den Krankheitsſtoff weiter tragen. So ſoll 
es durch alte Rebenpfaͤhle nach Ralligen verpflanzt und 
durch weggeſchwemmte Erde verbreitet worden ſeyn. Der 
Angriff geht auf die Wurzel, welche zu faulen anfaͤngt. 
Die Erde iſt muͤrbe wie Aſche, haͤngt nicht zuſammen, 
ballt ſich nicht. Die Wurzeln, Enden der Weinpfaͤhle, alles 
Holzichte im Boden uͤberzieht ſich mit Schimmel, fault, 
und ſtinkt wie die Erde ſelbſt, worin fie ſtehen. Korn, 
Kraut, Kohl und andere Pflanzungen gedeihen im naͤmli⸗ 
chen Boden recht gut, ſogar ſoll nach mehreren Jahren 
dann die Rebe felbft wieder darin wachſen koͤnnen. — Die 
Bewohner hieſiger Gemeinde geben als Urſache dieſer Krank⸗ 
beit an, daß vor langen Jahren einige, zu Meerligen abge⸗ 


153 


pruͤgelte Zigeuner, etwas in die Weinberge aus Rache vers 
graben hätten, woraus das Uebel entſtanden ſey. Natira 
licher vermuthen aber kluͤgere Leute, die allzugroße Quan⸗ 
tität des Dunges möchte Schuld daran ſeyn und das übers 
duͤngte Erdreich die Wurzeln angreifen. Andere ſuchen den 
Grund in der ſchlechten Qualität des Duͤngers, der hier 
und da in die Reben gebracht werde, da z. B. Schweine⸗ 
miſt anfänglich zwar ſehr ſtark treibt, aber für die Reben 
zu hitzig it, Und noch andere ſuchen das Uebel gar in ci» 
nem Lichen subterraneus. Ich kann hieruͤber nicht ente 
ſcheiden, obgleich ich auch ſehr geneigt waͤre, den Grund 
im Dung zu ſuchen; aber ich glaube, daß den nachtheili— 
gen Wirkungen in Vielem vorgebogen werden koͤnnte, wenn 
die Leute weniger ſtarrkoͤpfig gegen jede Neuerung waͤren. 
Herr Oberſt von Wattenwyl in Oberhofen bepflanzte vor 
einigen Jahren feine, durch den Verderber nackt geworde⸗ 
nen Stellen mit Elſaßer-Reben, und hat nun keinen Ber: 
derber mehr, denn die Elſaßer gedeihen recht gut. So ſind 
in den Weinbergen à la Cote Stellen, die nur die ſoge⸗ 


nannten gros rouges vertragen. — Das wiſſen fie hier, 
. unb feben die Reben von Oberhofen mit Augen; wie leicht 


waͤre das nachzuahmen! 


^ Ackerbau. 


Da hier keine eigentlichen Aecker ſind, und das Getreide 
nur in ſehr kleinen Stuͤcken gepflanzt wird, ſo laͤßt ſich auch 
das Verhaͤltniß des Ackerlandes zum Wieſenland nicht wohl 
nach Jucharten, ſondern blos für fich, nach dem etwanni⸗— 


gen Betrag berechnen. — Ein alter Pfrundrodel ohne Das 
tum beſtimmt den Zehnten zu 20 Muͤtt Haber und 20 Muͤtt 


Dinkel. Seither hat aber dieſes Verhaͤltniß ſehr geaͤndert. 
Die Anpfanzung des Habers verminderte fid) in eben dem 
Maaße wie der Dinkel mehr gepflanzt wurde; mit der Bea 


154 


voͤlkerung der Gemeinde mußte auch die Cultur feigen und 
jezt mag der Zehnte im Durchſchnitt ſeine 9o — 100 Muͤtt 
Korn auswerfen; fo daß alfo an die goo — 1000 Muͤtt 


jährlich hier geerndtet würden, welches für eine Oberlaͤn⸗ 


der- Gemeinde immer noch viel it. Ueberdem iff noch nes 
ben dem, was die aͤrmern auf gemeinem Gute pfanzen, 
noch ſonſt viel zehndfreyes Land. Gerſte, Haber, Wei⸗ 
zen ꝛc. ſind unter obiger allgemeinen Angabe begriffen. — 
Man pflanzt hier ſowohl Winter- als Sommerfrucht oder 
Dinkel, und ſeit einigen Jahren verſchiedene Arten von 
Weitzen, der ein ſehr nahrhaftes derbes Brodt giebt, aber, 
wie fie hier behaupten, durch fein grobes Stroh den Boz 
den allzuſehr ausſaugt. Die Pflanzung der Gerte und des 
Habers vermindert ſich ſeit einigen Jahren, und der Rog⸗ 
gen iſt wenig bekannt. 

Da die bergichte Lage und Beſchaffenheit der Gemeinde 
den Gebrauch des Maced an den meiſten Orten nicht er⸗ 
laubt, ſo wird das Land gemeiniglich mit dem Karſt um⸗ 
geſchlagen. Zum Saͤen haben die Leute hier wenig Ge— 
ſchick; ſie haben keinen freyen Wurf, ſondern ſtreuen den 
Saamen ziemlich unordentlich in ihre kleinen Plaͤtze und 
bringen es mit der Haue unter. Der Gebrauch der Egge 
oder Eichte it hier nicht bekannt. Das Stecken des fore 
nes, das bey der Kleinheit ihrer Pflanzungen ſo rath⸗ 
fam und leicht aus fuͤhrbar ware, will ihnen vorerſt noch 
nicht einleuchten, ſo noͤthig ihnen auch die Erſparniß des 
Saamkornes waͤre. Eine Pfanzungsart, die bey der aͤr⸗ 
meren Claſſe in Frankreich uͤblich ſeyn ſoll, waͤre ſolchen 
Pflanzungen im muͤrben Erdreich ganz angemeſſen. Mit 
einer breiten Harke (Rechen), worinn die Zähne 4 Zoll 
von einander abſtehen, werden reihenweiſe Löcher in die 
Erde geſchlagen, worein die Koͤrner gelegt werden, die 
man dann mit der Harke zudeckt. 


155 


Gegen den Brand im Getreide gebrauchen fie hier die 
Einweichung des Saamenkorns in Vitriolwaſſer, und ruͤh— 


men dieſes Mittel als hinlaͤnglich zur Verhütung. 


Durchweg wird mit der Sichel geſchnitten, und das 
Getreide wird nach dem Dreſchen in einer Wanne rein ge 
macht, da wenige reichere Bauern fogenafinte Roͤnlen bes 
ſitzen. Die Bauern backen das wenigſte Brodt ſelbſt; die 
Müller nehmen das Korn in Empfang und liefern das 
Brodt dafuͤr, ſo wie ſie auch auf dem Markte zu Thun 
Getreide kaufen, vermahlen und backen, und N hieſige Ge⸗ 


meinde mit Brodt verſorgen. 


Koͤnnte es einmal dahin gebracht werden, daß auch 


nur ein Theil des gemeinen Gutes dem Weidgang ent— 


tifen, getheilt und gebaut würde, fo ließe ſich der Aders 
bau hier ſehr leicht hoͤher bringen. Dann wuͤrde das Miß⸗ 
verhaͤltniß des Brodtbeduͤrfnißes zur Pflanzung des Getrei— 
des geringer, und eine wichtige Zugabe zum Wohlſtande 
der Gemeinde gewonnen. Das gluͤckliche Beyſpiel ihrer 
Nachbarn in Thun und Schwarzeneck ſollte fie hiezu cro 
muntern. Allein da jeder Gemeindsgenoſſe ein gleiches un⸗ 
beſtimmtes Recht darauf hat, und nicht wie z. B. zu 
Schwarzeneck jedem ſein Antheil nach 4, 6, 8 oder mehr 
Füßen, oder 1, x ½, 2 te. Kuhrechten vorher ſchon bes 
ſtimmt iſt; da die Beſchaffenheit des Bodens ſehr ungleich 


iſt, und alfo die einen oder andern fid) verkuͤrzt glauben 


wuͤrden, da einige Theile und namentlich die beßten am 
weiteſten von den Doͤrfern entlegen ſind; da auch unter den 
verſchiedenen Dorfſchaften, aus denen die Gemeinde beſteht, 
keine ſonderlich freundſchaftliche Harmonie beſteht, und im- 
mer eine die andere mit mißtrauiſchen Augen anſieht; ſo 
laßt fich ſobald noch keine Verbeſſerung hierin erwarten, 
um ſo weniger, da hier Hans Schlendrian wohlfeſtgeſeſſener 
Dorfmeiſter, und ſein Herkommen heilig iſt!! 


156 


D. Obſtpflanzung. 


Der Hiefige Obſtwachs it von keinem ſonderlichen Be: 
lang. Die am See liegenden Orte, Gunten, Ralligen, 
Meerligen, hahen hierin vor den höher gelegenen einen 
Vorzug, indem ſie von den ſpaͤten Nachtfroͤſten weniger 
leiden. Der Nußbaum ift in ziemlicher Menge vorhanden, 
und als die vorzuͤglichſte Oelpflanze geſchaͤzt. Birnen und 
Aepfel werden mehr gruͤn nach Thun verkauft als gedoͤrrt. 
Kirſchen und Zwetſchen werden mehr zu gebrannten Waf 
ſern verwandt als gedoͤrrt und aufgeſpart, und damit ein 
geſundes nuͤtzliches Nahrungsmittel, eine Ergutckung für 
Kranke, die bey ihren derben Speiſen fo ubei fic) befinden, 
in ein ungeſundes, verderbliches Getraͤnke verwandelt. — 
Der Obſtwein, der ſeit etwas Zeit in hieſigen Gegenden 
bekannt zu werden anfängt, konnte vielleicht der nicht ger 
nug beherzigten Cultur des Obſtes aufhelfen. Allein mote 
der die Quantitaͤt noch die Qualitaͤt unſeres Obſtes rathet 
für jezt dazu. Man müßte zuerſt auch das eigentliche Bers 
fahren beym Obſtweinmachen beſſer kennen, ehe man ſich 
hier viel davon verſprechen koͤnnte. Dazu ſteht der Obſt⸗ 
wein hier im Rufe, als verurſache er Blähungen und hätte 
keine Kraft. — Auf dem gemeinen Gute ſtehen gar keine 
Obſtbaͤume, und zwar meit aus dem Grunde der Unſſcher⸗ 
heit der Früchte. Und diefe Diebereyen, die hier durchgaͤn⸗ 
gig mit vieler Frechheit ausgeuͤbt werden, find ein vorzuͤg⸗ 
liches Hinderniß der Baumpfanzung. Kirſchen und Zwet 
ſchen find vorzüglich unſicher; letztere bleiben daher telten 
bis zu voͤlliger Zeitigung am Baum, und taugen eben 
darum zu nichts als zu Zwetſchengeiſt. Selbſt junge Baus 
me werden geſtohlen, und für Diebe mag niemand pian- 
zen. Auch in dieſem Zweige waͤren der Verbeſſerungen 
noch manche zu wuͤnſchen. 


457 


E. Die Waldungen. 


Die hieſige Gemeinde war ehedem ſo wenig holzarm 
als irgend eine in unſerm Lande. Noch nicht gar zu lange 
iſt es her, daß die hintere Gemeinde ſo durchaus Wal⸗ 
dung war, daß man jedes Stuͤck Vieh für einen Raub der 
Woͤlfe hielt, das über das ſogenannte, gleich hinter Schwan⸗ 
den gelegene Rothmos ſich verirrte. Allein hier war, wie 
an vielen andern Orten, der Heberfiuß der naͤchſte Weg zur 
Armuth; er veranlaßte Mißbrauch und Verſchwendung eis 
nes Beduͤrfnißes, das ficher nicht unter die letzten dieſes 
Lebens gehoͤrt. Eines Theils machte zwar die ſteigende 
Bevoͤlkerung die Vermehrung des Acker- und Wieſenlau⸗ 
des und daher die Verminderung der Waldungen noͤthig, 
und begreifiich wurden dazu nicht die entfernteren und raus 
heren, fonbern die näher und bequemer gelegenen Gegenden 
gewaͤhlt. Auf der andern Seite mochte aber wohl ſchon 
damals die egoiſtiſche Bequemlichkeit herrſchen, fid) die Ges 
winnung dieſes unentbehrlichen Materials ſo leicht als moͤg⸗ 
lich zu machen; und es der Sorge der Nachkommen zu 
uͤberlaſſen, ob fie in Höhlen unter der Erde wohnen, im 
Winter frieren, und ihre Speiſen roh genießen, oder mit 
unſaͤglicher Mühe, mit Leib» und Lebensgefahr fid) ihr Des 
nöthigtes Bau- unb Brennholz herbeyſchaffen wollen. Und 
dahin iſt doch beynahe ſchon die jetzige Generation gebracht, 
ohne jedoch kluͤger und ſparſamer geworden ju ſeyn. Unſre 


Gemeindswaldungen, gegen welche die eigenthuͤmlichen 


Vaͤlder in keinen Betracht kommen, ſind wirklich ſo weit 


zuruͤcke gehauen, daß fic die hinterſten und unwegſamſten 
Theile der Gemeinde einnehmen, und die Herbeyſchaffung 
des Holzes ohne Widerrede die muͤhſeligſte und gefährliche 
Arbeit hieſiger Laudleute it. Beynahe kein Winter ver 
seht, daß nicht zer ſchmetterte Gliedmaßen oder gar der Tod 


158 A 


die Frucht ihrer übeln Haushaltung im Forſtweſen iſt; ba 
ſie an viele Orte mit keinem Pferde oder Fuhrwerk hin⸗ 
koͤnnen, das Holz aus tiefen Graͤben durch Mannshohen 
Schnee bis zum Schlitten tragen, und dann durch ab⸗ 
ſchuͤßige Wege nach Hauſe ſchleppen müffen. Sie ſtimmen 
alle ſelbſt darin uͤberein, daß, beſonders fuͤr Bauholz und 
Dachſchindeln, in wenigen Jahren der Mangel ſehr druͤ— 
dend werden muͤſſe, und dennoch geht die fehlerhafteſte 
Oeconomie immer ihren Gang fort. — Zwar wird jedem 
Particular, an einer jaͤhrlich dazu angeſezten Holzgemeinde, 
ſein Antheil in gemeinen Waͤldern angewieſen, und ihm 
die Stämme verzeigt, welche er ſchlagen foll, Aber regel— 
maͤßige Haue werden, nicht veranſtaltet; jeder haut ſeinen 
Theil im Walde um, und bringt er ſeinen Antheil heuer 
nicht fort, fo fault er ſicher im Walde, und er laͤßt fic) 
uͤbers Jahr einen neuen verzeigen, wenn er nicht bequemer 
irgendwo frevlen kann. Die geſchlagenen Stellen und den 
jungen Aufwachs mit Gräben oder Hecken zu ſchirmen, if 
hier nicht gebraͤuchlich, und ſo treibt das Vieh, beſonders 
die naͤſchige Ziege, frey ihr verderbliches Spiel darin. Die 
Hirten auf den Alpen brennen kein anderes Licht als But⸗ 
ter mit Harz vermiſcht, welches ſie durch die Kuͤhbuben, 
zum großen Nachtheil der Waldung, ohne Schonung und 
Vorſicht aus ben Baͤumen hauen lafen, die dadurch gemeis 
niglich toͤdlich mißhandelt werden. An vielen Orten ſtehen 
die Stoͤcke Mannshoch, um ſich beym Hauen nicht 
buͤcken zu muͤſſen, und faulen im Walde. Ich kenne 
Stellen, wohin doch die Zufuhr ſehr bequem waͤre, und 
wo das Holz haufenweis uͤbereinander liegt und fault, ohne 
benutzt zu werden. Vor etwas Zeit fieng ein Mann in den 
hinteren Gegenden an, aus den Stoͤcken und faulenden 
Staͤmmen Potaſche zu fieden; es ward ihm aber, als ein 
dem gemeinen Nutzen ſchaͤdliches Beginnen, von den Bor 


159 


geſetzten unterſagt. Vor einigen Jahren entſtand Uneinig⸗ 
keit zwiſchen Meerligen und den uͤbrigen Gemeinden, welche 
erſtere des Holzfrevels in einem Buchwalde beſchuldigten. 
Der Streit ward am Ende ſo geſchlichtet, daß der ganze 
Wald niedergehauen wurde, um dem Frevel vorzubeugen. 
Sapient sat! 

Zu dieſer uͤbeln Beſorgung der Waͤlder kommt nun noch 
die gegenwärtig fo ſtarke Holzeonſumtion. Die Haͤuſer find 
zwar meiſtentheils mit gemauerten Kellern unterzogen; uͤbri— 
gens aber ganz von Holz und mit dicken, ſogenannten 
Schwar⸗ Schindeln gedeckt, die eben das ſchoͤnſte Holz ets 
fordern, Zu jedem Haufe geboren mehrere, auf dem zera 
ſtüuͤckten Lande herum ſtehende Scheunen, die ebenfalls durch» 
aus von Holz find. Nun der Aufwand in Stegen und 
Bruͤcken, zur Befeſtigung rißigen Erdreichs, zu den vielen 
Waſſerleitungen bey den Scheunen, zu den Rebenpfaͤh⸗ 
len ꝛc. das alles zur Feuerung, womit nicht ſparſam ums 
gegangen wird, hinzugeſetzt, macht einen Holzverbrauch, 
dem unſere Waͤlder in Kurzem gewiß nicht mehr gewachſen 
ſeyn werden. À 
Die hieſigen Wälder beſtehen uͤbrigens meiſt aus den 
Rothtannen und Weißtannen (Pinus abies et picea). 
Die Fichte (Pin. silvestris, Fohre) ift ſeltener. So auch 
die Buche (fagus silvat.) und die Eiche (quercus robur.) 
Der große und kleine Ahorn (acer pseudoplatanus et pla- 
tanoides) ſind hier noch lange nicht fo haͤufig als auf dem 
benachbarten Beatenberge. Die Erle (Betula alnus) wachst 
an Waſſern und Gräben genugſam, und ſteht in Gefell- 
ſchaft des Sarbaums (populus nigra). Die Bergroſe 
. ( Rhodod. ferrugineum; hier Hüuͤhnerblume, weil die 
Berghuͤhner feh gerne darein verſetzen) wird zur Feuerung 
gar nicht angewandt. 

Zwar hat die Natur zur Feuerung hieſigen Bewohnern 


U 


160 


guten Torf im gemeinen Lande, auf dem ſogenannten Feld⸗ 
mos bey Schwanden, angewieſen. Kleine damit angeſtellte 
Proben haben die gute Qualitaͤt erwieſen. Aber noch pfans 
zen ſie nur Kraut und Kohl darauf, und laſſen dieſen 
Schatz im Acker vergraben liegen, bis einſt der Mg ſie 
zum Gebrauche zwingt. 


F. Erdfruͤchte, Hanf, Flachs, Oel c. 

Die übrigen Nothwendigkeiten einer Haushaltung, Erd⸗ 
ſpeiſen, Gemuͤſe, Flachs ꝛc. werden alle hier ſelbſt gepflanzt, 
jedoch auch wenig mehr als eben hier verbraucht wird. 

Die Kartoffeln ſind die beliebteſte, Jahr aus und 
ein häufig genoſſene Speiſe. Sie werden in Menge iger 
pflanzt, und mehr als irgend etwas anderes nach Thun zu 
Markte gebracht. Man kennt hier die meiſten anderwaͤrts 
bekannten Arten und pflanzt ſie. Aber feit etwas Zeit fte 
hen die ſogenannten Amerikaner in vorzuͤglichem Anſehen. 
Sie ſind ſowohl in der Haut als im Fleiſche roth und weiß⸗ 
gelb gefleckt und heißen daher bey Vielen Schaͤggenz fie 
ſind fruchtbar, halten ſich ſehr gut im Keller; muͤſſen da 
eine Zeitlang gelegen haben, ehe man ſie brauchen kann, 
und ſind erſt dann am beßten, wenn im folgenden Jahre 
alle andern aufgezehrt find, Entweder werden die Kartof- 
feln in neu aufgebrochenes oder geſchaͤltes Land, auf dem 
die Raſenſtuͤcke verbrannt wurden, oder in ſchon bearbeitete 
Stellen gepflanzt, und meiſt ſtark geduͤngt. Das Land wird 
mit dem Karſt umgeſchlagen, der Duͤnger in die Furche ge⸗ 
zogen, die Kartoffel⸗Stuͤcke auf denſelben gelegt und zuge 
deckt, und das Unkraut zu feiner Zeit fleißig weggeſchaft. 
Im folgenden Jahre wird dann dieſe Stelle oft mit Din⸗ 
kel oder Weizen beſaͤet. Fleißige Hausmuͤtter treiben die 
Kartoffeln durch die Muͤhle, doͤrren ſie und bewahren ſie 
auf den Winter; eine Verfahrungsart, die allgemeiner in 


101 


werden verdiente, als fe noch zur Seit tft, Einige verfer⸗ 
tigen fich auch Staͤrkmehl (Ammelmehl) für ihren Haugs 
gebrauch aus den Kartoffeln. Brantenwein daraus zu 
brennen iſt bis jetzt gluͤcklicher Weiſe noch nicht verſucht 
worden. 

Weiße und gelbe Ruben, erſtere unter dem Nds 
men Rafi, werden genug für das Vedürfniß hieſiger Ber 
wohner gepflanzt. Das Kraut davon dient zum Viehfut— 
ter, beſonders fuͤr Schaafe und Ziegen, denen auch wohl 
die Ruͤbe ſelbſt zerſchnitten vorgelegt wird. Man pflanzt 
ſowohl frühe oder Sommerruͤben als ſpaͤte , nachdem Hanf 


und Flachs gezogen ift; dieſes it die gewoͤhnlichere Weiſe. 


Alle Huͤlſenfruͤchte heißen überhaupt hier Fiſel (von 
Phaselus?) Was anderwaͤrts Bohnen heißt, heißt hier 
Erbg, und die eigentlichen Erbſen heiſſen Rin gelerb— 
ſen. Bohne gilt hier nur von den großen ſogeheiſſenen 
Saubohnen. Alle diefe Arten werden zum Hausgebrau⸗ 
che hier ziemlich haufig gepflanzt, entweder als Einfaſſung 
der übrigen Pflanzungen, oder in den Garten am Haufe; 
oder in den Reben, wo ſie wegen dem lockeren, wohl ge⸗ 


duͤngten Boden vorzüglich gedeihen. Die Saubohnen wera 
den zum Theil an eigenen Stellen, zum Theil mit und un⸗ 


ter den Kartoffeln gepflanzt, gedoͤrrt, und fuͤr die Schweine 


vermahlen. 


Flachs und Hanf (Werch) pfanzt jede Haushal⸗ 


tung zu eigenem Gebrauche. Schon Ende Maͤrz oder Ans 


fangs April wird geſaͤet, damit die Pflanze durch fruͤheres 


Wachsthum erſtarke ehe die Crbübbe darüber gerathen: 


Iſt es etwa einer Hand hoch / fo wirds gejaͤttet. Nachdem 
es gezogen und an der Sonne, auf, Wieſen ausgebreitet, 


gedoͤrrt ift, wird es entweder mit der Hand (gereitet) oder 
auf der Breche gebrochen, gerieben, und meiſt von 


fremden Hechlern gehechelt; geſponnen und zu eigenem Ge⸗ 
zr BÀ: R 


102 


brauche meiſt hier verwoben. — Was am Flachsſaamen 
nicht zur kuͤnftigen Ausſaat aufgeſpart wird, wird zu Oel 
geſchlagen, und macht neben den Nuͤßen die vorzuͤglichſte 
Oelpflanze aus; doch nimmt ſeit etwas Zeit auch die Reps⸗ 
pflanzung uͤberhand. Der Mohn hingegen wird hier nicht 
gepflanzt wie an andern Orten, und die wenige Aufmerk— 
ſamkeit, die fie überhaupt der Delpfanzung ſchenken, macht, 
daß ſie immer viel kaufen und Butter oder anderes Fett 
in ihren Lampen brennen muͤſſen. 

Die hieſigen Gaͤrten verdienen zwar diefen Namen 
nicht; denn was fo heißt, it nur eine unordentliche Pflan⸗ 
zung nahe am Hauſe, worinne Salat, Latich, Mangold, 
Kohl u. dgl. hier und da etwa ein Rosmarin oder Roſen⸗ 
ſtock gepflanzt wird; alles ohne Ordnung, krumm, kraus 
und bunt durcheinander, und meiſt ohne Zaun. Ihre uͤbri⸗ 
gen Pflanzungen haben mei weit mehr Ordnung und ma⸗ 
chen die Hauptſache aus. 


C. Ueber die Einwohner und ihre Lebensart x 


1. Die reine geſunde Luft, in welcher die Bewohner 
dieſer Gemeinde leben; ihre meiſt in Milch und Milchpro⸗ 
dukten oder nahrhaften und leichten Gemuͤſen beſtehende 
einfache Nahrung, das meiſt gute und reine Waſſer, lieſſen 
hier einen ſtarken und gefunden Menſchenſchlag von lans 
ger Lebensdauer erwarten. Wirklich findet ſich auch in der 
ganzen großen Gemeinde kein einziger Bloͤdſinniger, Stum⸗ 
mer u. dgl., wie ſie in den Emmenthaler⸗Schaͤchen (d. i. 
den tieferen, an Waſſern gelegenen Orten) fo gemein find, 
Aber neben obigen vortheilhaften Umſtanden ſteht auch 
mancher nachtheilige, Ihre Arbeiten ſind meiſt ſehr hart 
und beſchwerlich. Wer den Sommer nicht auf dem Berge 
zubringt, hat bey der bergichten Lage des Landes nicht gute 
Zeit, wo Pferd und Pflug meit unbrauchbar find, die ei⸗ 


163 
gene Kraft des Menſchen alles machen muß, Zentnerſchwere 
Raften von Heu auf dem Kopfe, und jedes nicht ſelbſtgezo— 
gene Lebensbeduͤrfniß, Brodt, Salz ꝛc. im Ruͤckkorbe her⸗ 
getragen werden muß; und naht der Winter, ſo bringt er 
die halsbrechende Arbeit im Walde. Dabey heyrathen beyde 
Geſchlechter viel zu fruͤhe, und zeugen Kinder ehe ihr eigta 
ner Körper fein Wachsthum vollendet hat. Das Weib, 
auf dem bod) fo Vieles fuͤr die fünftige Generation beruht, 
wird, auch waͤhrend der Schwangerſchaft, hier nicht im 
Geringſten geſchont, und hat uͤberhaupt ein beſchwerliches 
Daſeyn. Der Mann iſt oft den ganzen Sommer nicht zu 
Hauſe, und dann liegt alle Laſt der Haushaltung und alle 
Arbeit auf dem Weide. Die Hutte am Rüden, die Wiege 
mit dem juͤngſten Kinde queer uͤber gelegt, die uͤbrigen Kin— 

der hinten drein, zieht ſie mit dem Strickſtrumpfe in der 
Hand, in die Reben, und hält da in der brennenden Hitze 
den ganzen Tag aus; die Schürze der Mutter, uͤber vier 
Rebenpfaͤhle geſpannt, iff aller Schirm fuͤr die Wiege, und 
am Abend kehrt fie eben fo nach Haufe, um müde unb 
matt die dortigen Gefchäfte auch noch zu vollenden. Daß 
hochſchwangere Weiber maͤhen, dreſchen, ſogar Heu tra— 
gen if keine Seltenheit. Sicher aber wirkt auch der haus 
fige Genuß des Weines und gebrannter Waſſer ſehr auf die 
Diepravation der Menſchen hier, da Manner und Weiber 
und Kinder Brantenwein, Kirſchen- und Zwetſchengeiſt 
reichlich genießen. 
Daher iſt nun das äußere Anſehen dieſer Menſchenart 
taub und wenig empfehlend. Starke, rauhe Zuge und 
braungelbe Haut (inb beyden Geſchlechtern eigen. Die Weis 
der werden fruͤhe alt. Die Maͤnner ſind ſtark und breit— 
ſchultricht, haben eine eingebogene Haltung, halten die 
Fuße auseinander und die Kniee zuſammen und haben ci» 
nen ſehr derben Gang. Die meiſten körperlichen Gebrechen 


164 


find Brüche und Lähmungen oder offene Schaden an den 
Beinen. N 

2. Landarbeit und Alpenwirthſchaft find beynahe ihre 
einzigen Beſchaͤſtigungen; Handwerker find wenige. Der 
Hufſchmied, von fünf Muͤllern viere, und zwey Maurer von 
dreyen ſind Fremde. Einige Schneider und Schuhmacher, 
zwey oder dreye, die hoͤlzerne Schuhe verfertigen, mehrere 
Zimmerleute und ein abgelebter Uhrmacher, nebſt einem 
Schreiner machen unſern ganzen Handwerksſtand aus. In 
Meerligen ſind Steinbrecher, die im Bergfalle arbeiten und 
aus den harten Steinen Fundamentſtuͤcke, Fenſter- unb 
Thuͤrpfoſten, Brunnentroͤge tc. verfertigen. 

Mehr Handarbeit wird durch die Weiber verrichtet. Sie 
ſpinnen fuͤr ihren Hausgebrauch Werch, Flachs und Wolle, 
und für die Seidenfabrikanten in Thun und Bern Seide. 
Mehrere von ihnen weben leinene, halbleinene und wollene 
Zeuge, wie ſie hier getragen werden. Sie haben dazu 
keine Keller, wie im Emmenthale, die vielleicht wegen der 
feuchten Luft dem Garn zutraͤglich, aber gewiß der Ge⸗ 
fundheit des Arbeiters nachtheilig find; ſondern die Stuͤhle 
ſtehen entweder in den Stuben, oder in den oberen Gemás 
chern (Gaden). Auch giebts unter den Weibern Naͤthe⸗ 
rinnen und Schneiderinnen. 

3. Die Bevölkerung, die gegenwärtig 2000 Köpfe uͤber⸗ 
ſteigen mag, nimmt in der Regel immer zu. Die allfaͤl⸗ 
lige Urbarmachung des Landes oder die Erhoͤhung des Ab⸗ 
trages ſteht durchaus in keinem Verhaͤltniß mit der zuneh⸗ 
menden Volksmenge. Es fragt ſich alſo: Wovon leben 
die neuen Ankoͤmmlinge, wenn ſie keine Handwerke trei⸗ 
ben? Hieruͤber giebt ein Umſtand Licht, der, alles wohl 
erwogen, für die Gemeinde kaum vortheilhaft ſeyn möchte, 
Jaͤhrlich wandern naͤmlich eine Menge hieſiger Bewshner, 
Juͤnglinge und Männer, aus der Gemeinde und ziehen ins 


1 165 


ehemalige Bisthum Baſel, ins Neuenburgiſche, in die Bie⸗ 
lerberge ꝛc. wo fie fid) als Kuͤher- oder Bauernknechte vere 
dingen, den Sommer uͤber bleiben und im Herbſte wieder 
heim kommen. Die Mädchen treten als Maͤgde in Dienſte 
und bleiben oft mehrere Jahre, oſt auch nur fuͤr den Som⸗ 
mer und oſt auf immer weg, wenn ſie ſich verheyrathen. 
Es giebt ganze Familien, die in drey, fünf und mehr Ge⸗ 
nerationen ihre Gemeinde nie wieder betreten haben; und 
ich weiß, daß ſich mehrere hieſige Angehoͤrige in Holland, 
England, Rußland, ſogar in Amerika befinden. 

Nun bringen zwar einige der jaͤhrlich Zuruͤckkehrenden 
oft einen ſchoͤnen Geldverdienſt und hier und da einer ei— 
nen hellern Kopf mit. Die Zahl der Conſumenten wird 
fuͤr einen großen Theil des Jahres vermindert und frem⸗ 
des Geld kommt in die Gemeinde. Allein viele laſſen einen 
großen Theil ihres Sommerverdienſtes unterwegs ſchon und 
dann den Winter über in den Schenken; und iind der Cons 
ſumenten weniger, ſo ſind auch der arbeitenden und der 
erwerbenden Haͤnde weniger, die mit Vortheil zu Hauſe 
haͤtten angewandt werden koͤnnen. Die Zahl der fremden 
Weiber mehrt ſich von Jahr zu Jahr, und wenige gerei⸗ 
chen der Gemeinde zum Vortheil. Was aber eine der drüs 
ckendſten Folgen dieſer Auswanderungen iſt, das iff bie 
Menge der unehelichen Kinder, die der Gemeinde von die⸗ 
ſen auswaͤrtigen Angehoͤrigen zugeſandt werden, und die, 
da fie alle aus dem Armengut muͤſſen verpflegt werden, ne 
ben den vielen andern Armen, eine der druͤckendſten Ge⸗ 
meindslaſten ausmachen. Und doch danken dieſe Ungluͤck⸗ 
lichen alle, bis auf Wenige, ihre Entſtehung eben dieſen 
Auswanderungen beyder Geſchlechter. — Endlich lehrt die 
Erfahrung, daß die meiſten ſo lange weg bleiben, als ſie 
auswärts zu leben finden, und indeſſen der Gemeinde nichts 
nutzen; dann aber alt und arm heimkehren, der Gemeinde 


£66 


zur Laft fallen, ober fid) mit großem Aufwande Steuren zu⸗ 
ſenden laſſen. 

Wenn die arbeitenden Haͤnde hier blieben, ihren Fleiß 
auf das gemeine Gut verwendeten, und aus dieſein, kaum 
zu feinem halben Abtrage benutzten Schage mehr Vortheil 
zoͤgen; wenn nicht alles nur Bauer oder Hirte, ſondern der 
eine und andere auch Handwerker werden wollte, dann koͤnn⸗ 
ten, meines Erachtens, obige Nachtheile vermieden werden, 
ohne daß die Vortheile ganz damit verloren giengen. 


D. Einige naturhiſtoriſche Bemerkungen. 


Obſchon hieſige Gegend an Naturmerkwuͤrdigkeiten eben 
nicht ſonderlich reich iſt, ſo bietet ſie doch ihre Eigenthuͤm⸗ 
lichkeiten dar, die unter den Hånden eines erfahrnern Nas 
turforſchers vielleicht intereſſant werden koͤnnten. Mit un⸗ 
ſerm Berggrate fangt das eigentliche Kalkgebirge an. Was 
tiefer nach Bern zu liegt, die Blume, bie Höhen um Thun ꝛc. 
iſt entweder Nagelfluh, Sandſtein, oder aufgeſchwemmtes 
lockeres Geſchiebe. Der Grat läuft von Norden nach Cii» 
den, iſt etwa 2 Stunden lang, und wo er am breiteſten iſt 
kaum zwey Scheibenſchuͤße breit; an andern Orten, bejone 
ders gegen Norden, ganz ſchneidend. Seine beyden Hala 
den ſind ſehr gaͤhe; die oͤſtliche gegen das Juſtithal und 
Beatenberg, meiſt mit Waldung bedeckt, hat unten die 
Alpweiden des Thales; die weſtliche iſt meiſt gemeines Gut 
und im Sommer mit einigen Kaͤlbern oder Schaafen be⸗ 
ſetzt. Jenſeits des Juſtithales ſetzt das Gebuͤrge über Bea⸗ 
tenberg fort, und ſchließt ſich hinten an den Hohgant oder 
die Emmenthaler Furka. Und wohl meiſt von dieſen Ge⸗ 
genden aus mag fid) unſre Gemeinde mit Wildpret bevoͤl⸗ 
kern, da ſonſt bey der geringen Breite unſeres Grates, 
der Nacktheit des groͤßern Theils ſeiner Halden und dem 
biegen Mangel an Wald nicht viel zu erwarten if, Die 


467 


mfe unb der Berghaſe find auch hier einheimiſch, 
doch während der helvetiſchen Jagdfreyheit ſehr zufammen, 
geſchoſſen worden. Dachſe und Füchfe find nicht fels 
ten, wegen dem felfichten geſpaltenen Boden aber ſchwer zu 
graben. Der Marder, noch häufiger aber der Iltis 
(hier Daͤs, Daͤſe) finden ſich auch hier. Beynahe jeden 
Sommer erhalten unſre hintern Berge Beſuch von einem 
Wolfe, der aber meiſt durch unregelmaͤßige Jagden ver⸗ 
ſcheucht und ſelten geſchoſſen wird. Ungeachtet unferer- 
Nachbarſchaft mit Beatenberg und Habkeren, wo Geyer 
und Ad ler keine Seltenheit ſind, zeigen fid) diefe Vögel doch 
felten hier, und immer nur im Vorbeygange. — Strix 
Bubo ift hier, doch nicht haufig; wohl aber Strix Aluco. 


Alle Spechtarten find hier vorhanden, auch der Tridacty-- 


lus; nur den Canas habe ich nie geſehen. Cuculus ca- 
norus ift bis in die Hintengen Berggegenden gemein, und 
den Rufus faf ich auch einmal. — Corvus frugilegus. 
erſcheint hie und da vom Herbſte bis ins Fruͤhjahr in einer 
großen Schaar aber nicht alle Jahre. Corv. Cornix ift: - 
ſelten, Pyrhocorax aber haͤufiger. Die Farbenvarietaͤt in 
Schnabel und Fuͤßen if zuverlaͤßig nur Unterſchied des Als. 
ters, da mich die Erfahrung belehrt hat, daß die jungen 


Voͤgel ſchwarze Schnaͤbel und Fuͤße haben, welche letztere 


dann braun werden, und mit dem Alter ins Rothe uͤber⸗ 


gehen, fe wie der Schnabel gelb wird. 

Von der Gattung Lanius fah ich fehe wenige Vögel, 

und immer nur vom Spinitorquus. 
Tringilla domestica ift in einer einzigen Schaar um 

die Kirche und das Pfarrhaus herum, anderswo in der Ge⸗ 
meinde ſah ich ihn nie. 


Von Droſſelarten haben wir hier in den hintern Ge⸗ 
genden den Turdg. viscivorus, musicus, Pilaris, llia-- 
«u$, lorquatus und Merula. 


163 

Motacilla alpina (Aecenter alpinus) fommi i 
Winter in die Dörfer, und wird in Pferdeharnen Schlin⸗ 
gen, oder in Meiſenkaſten gefangen. 

Saxicola Oenanthe unb Rubetre zeigen fid) alle Jahre 
auf den Viehweiden. 

Tetrao Urogallus, Tetrix, Bonasia und Lagopus 
bewohnen unſern Grat und brüten hier. Ardea vulgaris 
hie und da am See. 


Von Waſſervögeln und Strandvoͤgeln kann ich wenig 
fagen; nur Anas boschas, fer. und Mergus serrator 
ſind mir zu Geſichte gekommen. ; 

In der ganzen Gemeinde iſt kein eigentlicher Fiſcher; 
die Fiſche werden entweder bey ſtillem See am Ufer ges 
ſchoſſen, oder im Fruͤhling beym Zuͤnden gefangen. In 
einer ſtillen finſtern Nacht geht eine kleine Geſellſchaft zu 
Schiffe, zuͤndet vorne in einer Pfanne ein Feuer von Kien⸗ 
holz an, und die durch den Schein deſſelben herzugelockten 
Fiſche werden entweder mit einem vielzackichten Inſtru⸗ 
mente, das Gehre heißt, geſtochen, oder mit einem klei⸗ 
nen, an einem Kreutz von Reifen ausgeſpannten und an ei⸗ 
ner Stange befeſtigten Garne, Baͤhre, lebendig gefangen. 


Aus dem Pfanzenreich bemerke ich blos die Enziane 
(gentiana lutea), deren Wurzeln auch hier zu Brantwein 
gebrannt werden; und das Rennthiermoos (Lichen islan- 
dicus, Lungenkraut). Dieſes wächst häufig auf bem Grae 
te, wird aber wenig benutzt; doch moͤgen ihm unſere all⸗ 
dort weidenden Schaafe vielleicht ihr gutes Gedeihen zu ver⸗ 
danken haben. 

An merkwuͤrdigen Mineralien ſind wir wohl nicht ſon⸗ 
derlich reich. Von den zu Meerligen verarbeiteten Kalk⸗ 
feinen haben wir oben geſprochen. Die Bruchſtuͤcke Coma 
men nach Thun in die Kalkofen. 


; 165 
Den Sanddſteln holt man von der Sauſenegg, ci 
nem Hügel hinter dem Beywege. Eg ift aber da kein ei 
gentlicher Fels, ſondern blos zuſammengeworfene Bruch⸗ 
ſtuͤcke von verſchiedener Qualität, zum Theil feft; zum 
Theil aber ganz muͤrbe und unbrauchbar. Er iſt aber 
grobkoͤrnig und nicht rein, und wird zu Ofenplatten unb 
Feuerſtaͤtten benutzt. Der Sand von daher ward ſonſt in 
die, nun ſtille ſtehende Glashuͤtte zu Thun geliefert. 
Thon und Laim zu Ziegeln und Toͤpferarbeit fins 
det fid haufig und von guter Beſchaffenheit, wie kleine 
Proben gezeigt haben. Wären der Brennmaterialien mehr, 
ſo waͤre wenigſtens fuͤr einige Toͤpfer Arbeit genug da. 
Vor einigen Jahren ward hier ein kleines Steinkoh— 
len⸗Werk betrieben. Ob aus Unkenntniß der Arbeiter 
oder aus Mangel und weniger Menge der Kohlen blieb es 
liegen und niemand arbeitet mehr da. 
Nicht weit von der naͤmlichen Stelle iſt ein Loch im 
Fels, aus dem die Leute Mondmilch herausholen, und 
als Arzney fuͤrs Vieh gedrauchen. 


Auszüge 
aus den Bemerkungen 
eines | 


ſchweitzerſchen Wanderers 


uͤber 
einige der weniger bekannten 


Gegenden der Alpen. 


Nicht aus Reiſebeſchreibungen, ſondern durch muͤndliche 
Berichte hatten wir vernommen, daß vom Dorfe Waſen 
an der Gotthardsſtraße im Reußthal ein guter Berg⸗ 
pfad durch ein ſchoͤnes Thal, im Mayen genannt, uͤber 
eine hohe Scheidecke in das Berneriſche Gadmerthal 
und von da in das ſchoͤne Hasliland heruͤberfuͤhre, und 
daher entſchloßen wir uns dieſe kleine Entdeckungsreiſe in 
unſern Alpen vorzunehmen ). Zwar ift der Anblick des 
Ausgangs des Mayenthals gegen das Reußthal, 
gleich unterhalb dem ſchoͤnen Dorf Waſen, nicht ſehr cine 
ladend; denn es iſt nur eine ſcheußliche, mehrere hundert 
Fuß tiefe, und nur wenige Klafter weite Felſenkluft, die 
von finſtern, ſenkrecht abgeſchnittenen Felſenwaͤnden einge⸗ 
ſchloſſen ift, und aus der der weiße ſchaͤumende Mayens 
bach wild herausſtroͤmt, um fid) mit der nahen Reuß zu 
vereinigen: „Hier herein kriechen ſollten wir,“ ſagte einer 


*) In dem ſehr zweckmaͤßig eingerichteten und ziemlich vollſtaͤn⸗ 
digen Itinéraire du St. Gothard von Struve 
in Lauſanne, Baſel s, ift eine kurze Anzeige Diefes 

Safes. 


471 


aus uns, als er biefe, wahrſcheinlich vom wilden Berga 
ſtrome ſelbſt eingeſchnittene, tiefe Kluft fab, und nur der 
zuverſichtliche Gang der geuͤbtern Bergwanderer unſerer, 
Reiſegeſellſchaft, gegen das auf einem hohen Abſatz des 
Reußthals liegende Dorf Waſen, und ſein ſchon lange 
gewuͤnſchtes Wirthshaus, floͤßte unſerm noch ſchüchternen 
Geſellſchafter wieder einiges Zutrauen ein. 

Die Kirche des Dorfs Waſen fand ſich nach einer 
Barometerbeobachtung 1750 Fuß über den Vierwalds 
ſtaͤdterſee, welcher ſelbſt ungeſaͤhr 1300 Fuß über der 
Meeresſlaͤche ſeyn mag, erhaben; alfo erhebt fich das Reu ga 


thal über feiner Vereinigung mit dem Maderanerthal 


berm Dorf Amſtaͤg, welches 300 Fuß Höher als der 
Vierwaldſtaͤdter ſee liegt, weit betraͤchtlicher, als nach 


jener Vereinigung, indem W a fen nur zwey und eine halbe 


Stunde von Amſtaͤg entfernt iſt, da hingegen dieſes drey 
und eine halbe Stunde Wegs hinter dem See liegt. 
In Begleitung des muntern Sohns des Mesmers tras 


ten wir Abends um 5 Uhr die Reife ins Mayenthal 


7 


an: ungeachtet die Kirche von Waſen 386 Fuß uͤber der 
Vereinigung des Mayenbachs mit der Reuß liegt, fo 
fliegen wir doch gleich vom Dorf Waſen, an der nords 
weſtlichen Gebirgskette des Reußthals ſteil empor: eine 
rohe mit ſcharfkantigen Steinen, die meiſt aus Granit bes 
ſtehen, aufgehaͤufte Bergſtraße fuͤhrte uns zwiſchen den ſteil 
abhängigen Wieſen, die den unterſten Abhang dieſer Berga 
kette bekleiden, gegen die hoͤhere kahle Felſenregion herauf; 


bald hat man das Dorf Waſen tief unter ſeinen Fuͤßen, 


aber doch gewinnt die Ausſicht uͤber das Reußthal da⸗ 
durch wenig Weitlaͤufigkeit, denn die beyden Gebirgsket⸗ 


ten, die daſſelbe einſchlieſſen, ſind zu nahe an einander ge⸗ 


drängt, zu feil abhängig und zu hoch, um an ihrem ims 
mer noch tiefen Abhang ausgedehntere Geſichtskreiſe zu er⸗ 


472 


lauben, als in der Tiefe des Thales ſelbſt. Bald aefellten 
ſich mehrere Fünglinge von Waſen zu uns, die in die 
hoͤhern Gebirge heraufſteigen wollten, um das ſogenannte 
Wildheu von denjenigen noch ſchwach begrasten Gebirgs⸗ 
ſtellen zu ſammeln, wo, wegen Steilheit und Gefaͤhrlich⸗ 
keit der Bergpfade, kein Vieh mehr hingetrieben werden 
darf. Nachdem ſich dieſe muntere Jugend erſt einzeln uͤber 
unſern Aufzug, unsre Beobachtungsinſtrumente, beſonders 
aber uͤber unſern Barometer, den ſie gar nicht zu erklaͤren 
wußte, luſtig gemacht hatte, lieſſen ſie ſich, nachdem ſie 
von unſerm Fuͤhrer erfahren, daß wir auch Schweitzer 
ſeyen, bald in froͤhliche Geſpraͤche mit uns ein; ſie ſprachen 
mit viel Beurtheilungskraft von allen Landesangelegenhei— 
ten; nur wann von Gegenſtaͤnden die Rede war, wo cins 
zelne religioͤſe Vorurtheile auch nur von Ferne mit ins Spiel 
famen, nur dann vermißte man den gefunden Blick und 
die helle Beurtheilung bey dieſen rohen Soͤhnen der Natur 
— aber wer wundert ſich noch uͤber dieſe Verblendung uͤber 
Gegenſtaͤnde, wo der bloße geſunde Menſchenverſtand nicht 
mehr auskommen kann, wenn man diejenigen Maͤnner, 
welche über dieſe hoͤhern Begriffe Auskunft und Heiterkeit 
verbreiten ſollten, wie es unſer Fall war, im öffentlichen 
Wirthshauſe den ganzen langen Nachmittag durch, mit 
demjenigen Eifer und der Begierigkeit Karten ſpielen ſieht, 
wie ſie an ihrer eigenen und dadurch an ihrer Gemeinden 
Aufklärung arbeiten ſollten; abgeſtumpft war jedes höhere 
Gefühl von Wißbegierde und Beduͤrfniß nach edlerer Kul- 
tur bey den ſchwarzgekleideten Volkshirten, die wir in der 
offenen Schenkſtube geſehen hatten, daher ihre ganzen Geis 
ſteskraͤfte auf ihr dickbeſchmutztes Kartenſpiel, gleichwie ihre 
koͤrperlichen Vergnuͤgungen in ihren großen neben ihnen ſte⸗ 
henden Pokalen koncentrirt waren. ; 
Wir fliegen ungefähr wahrend einer halben Stunde an 


178 


dieſem fteilen Gebirgsabhang bergan, ehe wir den eigentlis 
chen Ausgang des Mayenthals gegen das Reußthal 
erreichten, und fanden uns nun in einem etwan eine Biers 
telſtunde breiten begrasten Thale, das fidh weit gegen Norda 
weſten in die Hochgebirge hineinzieht, und von einigen bes 
gletſcherten, von der Abendſonne an ihrem Rand prächtig 
beleuchteten Felſenſirſten gänzlich beſchloſſen ſcheint. Kahle 
Felſengebirge, die nur noch ſelten an ihrem Fuß einige 
Wieſen, und an ihrem Abhang einige zwergartige Tan— 
nenbaͤume, häufiger aber ſteile Schuttkegel von herabges 
rollten Steinen hatten, machten die beyden Seiten dieſes 
Thales aus. Scheußlich große Felſenmaſſen, die meiſt gra⸗ 
nitartig ſind, liegen haufenweiſe am Fuß der beydſeitigen 
Gebirgsketten in den Thalwieſen zerſtreut, und erinnern, 
in Verbindung mit jenen ausgedehnten, ſich immer noch 
aͤufnenden Schuttkegeln, an eine, freylich ſchwache, doch 
aber beynahe ununterbrochen fortwirkende allmaͤhlige Sere 
truͤmmerung dieſer unzerſtoͤrbar ausſehenden Gebirge. Leicht 
beobachtet man einige Verſchiedenheit in dem aͤußern Anſe— 
hen der beydſeitigen Gebirgsketten, von denen die noͤrdli⸗ 
chere viel zackigter und wilder ausſieht, als die ihr gegen- 
überfichende ſudlichere, welche mehr glatte Flächen in ih⸗ 
rem Ab hange enthaͤlt; dieſer ungleiche Anblick der beyden 
Thalſeiten rührt von einiger Verſchiedenheit in ihrer Ges 
birgsart her, indem die Suͤdſeite deynahe ganz granitar⸗ 
tig, die Nordſeite hingegen mehr gneisartig und alſo mehr 
und minder ſchieferig ift; die Gebirgslagen oder Schichten 
find an beyden Gebirgsketten ſehr (teil, oft deynahe fent» 
recht gegen Suͤden eingeſenkt und alſo etwas gegen Norden 
uͤberhaͤngend. 

Nicht fern von dieſem Ausgang des Mayenthals 
gegen das Reußthal ſtoͤßt man auf eine Schanze mit ei⸗ 
nigen Gebaͤuden und einer engen Pforte, durch die die ein- 


474 | 

zige Straße des Thales durchgeht; die Schanze ſelbſt bts 
ſteht kus einer viereckigten gut gebauten Redoute, die ein 
febr ſtarkes Revetement von großen Granitbloͤcken, einen 
tiefen Graben, eine ebenfalls gut gemauerte Contreeſcarpe 
und ſelbſt noch eine Art bedeckten Weges hat, und welche 
zur Beſtreichung dieſer Straße, die einen Eingang aus 
dem Canton Bern in das Herz des Cantons Uri liefert, 
wahrſcheinlich ſchon in fruͤhern einheimiſchen Kriegen ange⸗ 
legt, aber vielleicht zu ſorgfaͤltig fuͤr die gegenwaͤrtigen 
friedlichen innern Verhaͤitniße Helvetiens unterhalten 
ft; fo wie uns auch unſre muntern Begleiter von Waſen 
etwas zu froͤhlich und zu lebhaft zuriefen: „Nicht wahr, 
dieß wäre eine harte Nuͤße, die die Berner erf aufbeißen 
müßten, che fie uns beſuchen koͤnnten;' vermuthlich auch 
eine Idee, die von jenen im Wirthshaus ſpielenden ſchwarz 
gekleideten Maͤnnern des Friedens in dieſe muntern Koͤpfe 
eingeblaſen wurde: wahr iſts, daß die Anlage, Situation 
und Conſtruktion dieſer Redoute zur Beſchuͤtzung dieſes 
Eingangs in den Canton Uri febr gut gewählt und augs- 
geführt find; allein fo wie die Feyer des Siegesfeſtes von 
Vilmergen im Canton Bern aufgehoben wurde, ſo ſollte 
billig auch die Humanitaͤt, oder auch nur der Patriotis⸗ 
mus der Urner dieſes Feſtungswerk fich zertruͤmmern laß 
ſen. Nur wenig ſteigt das Mayenthal gegen ſeinen 
tiefen Hintergrund hin bergan; meiſt it der von den beyd⸗ 
ſeitigen Gebirgsketten fanft gegen den Mayenbach ab⸗ 
haͤngige Thalgrund von ſchoͤnen Wieſen bedeckt, die dem 
im langen Winter aus noch hoͤhern Gebirgsthaͤlern herab⸗ 
ſteigenden Viehe ſeine Stallfuͤtterung gewaͤhren; meiſt ſind 
dieſe ſchoͤnen kraftreichen Wieſen gegen den felſigten Ab» 
hang der Gebirge von einem dunkeln Band kleiner Tannen⸗ 
baͤume umſchlungen, aber nicht felten t der grasreiche Wits 
ſengrund des Thales von ſcheußlichen Schuttkegeln, die cire 


17$ 


zelne unbedeutendſcheinende oft ganz ausgetrocknete Bergs 
baͤche aus hoͤhern Gebirgsgegenden herauswaͤlzten, und 
oft als Folge eines einzigen Gewitterregens anlegten, tratte 
rig unterbrochen; und ſelbſt der Mayenbach tritet zu— 
weilen aus feinem mit Felſen und Steinen angehaͤuften 
Bethe und überfchüttet einzelne Strecken mit feinen uns 
fruchtbaren Geſchieben. 

Eine ſchlechte hoͤlzerne Bruͤcke fuͤhrt die Straße nach 
einer kleinen halben Stunde, von der Schanze an gerech— 
net, an die noͤrdliche Seite des Thales heruͤber, welche 
hier etwas ſteiler abhaͤngig und roher iſt als die entgegen⸗ 
geſetzte Flaͤchenſeite. Allmaͤhlig erweitert ſich das Thal 
merklich, und im nahen Hintergrund deſſelben erſcheint ein 
kleines zerſtreutes Doͤrfchen mit einer kleinen Pfarrkirche; 
ſo wie man ſich dieſem naͤhert, wird der Thalgrund ſelbſt 
beſſer bebaut und fruchtbarer, als beym tiefern von den 
Wohnungen entfernten Ausgang des Thales; die gebünge 
ten Wieſen bringen hier groͤßeres, fetteres Gras hervor, 
und find hie und da, beſonders in der Nähe des Dorfes 
im Mayen, von einzelnen Feldern, in denen nicht nur 
Erdapfel, ſondern ſelbſt Getraide waͤchst, angenehm un⸗ 
terbrochen. Ungemein lieblich war das Ganze dieſer bo» 
hen, durch die untergehende Abendſonne nur noch ſchwach 
beleuchteten Gegend; ſchoͤn kontraſtirte der fruchtbare 
Thalgrund mit den beydfeitigen finftern Gebirgsabhaͤngen, 
die denfelben einſchloßen; meiſt waren die Einwohner auf 
den reichen Wieſen zerſtreut und mit Einſammlung des 
Heues eifrig beſchaͤftigt; vor uns hin hatten wir das zer⸗ 
‚freute Doͤrfchen mit feiner Kapelle; jedes Haus ift einzeln 
in der Nähe eines kleinen Krautgaͤrtchens gebaut, und ge- 
waͤhrt das Bild friedlicher Genügſamkeit; das Thal ſcheint 
hinter dem Dorf betcbloffen zu ſeyn, nur erheben fich noch 
im tieffien Hintergrund die begletſcherten Felſenfirſten, wel- 


41766 — 

che bie öftliche Fortſetzung des Schloßberges in den 
Surenenalpen ſind; in kaltes Grau iſt ihre Eismaſſt 
und die fie einſchließende Felſen gehuͤllt, nur noch der auf» 
ſerſte Rand iſt von der hinter ihnen untergegangenen Sonne 
vergoldet. Dieſe becisten Gebirge ſcheinen das kleine Thaͤl⸗ 
chen gänzlich einzuſchließen und zu einem von der übrigen 
Welt abgeſonderten friedlichen und ungeftört ruhigen Gan» 
ien zu bilden; auch ift dieſes Bild von gaͤnzlicher Abſoͤnde⸗ 
rung dieſes glücklichen Hochgebirgsthaͤlchens nicht ganz uns 
richtig; denn ungeachtet das Dorfen ſelbſt 2860 Fuß über 
dem Vierwaldſtaͤtterſee liegt, und während ſieben bis acht 
Monden in Schnee gaͤnzlich eingehuͤllt iſt, ſo leben doch 
ſeine Einwohner das ganze Jahr in dieſer hohen Gegend, 
und gewöhnen (id) dabey fo ſehr an ihre Abſonderung bon 
ihren Landsleuten und Nachbaren im Reußthal, daß ſie 
auch dann, wann der Sommer ihnen leichtere Gemein⸗ 
ſchaft geſtattet, nur wenig Gebrauch davon machen; ges 
nuͤgſam beſorgen fie ibr Vieh und deſſen Weide und Wins 
terfuͤtterung, feine Produkte geben ihnen ihre Nahrung, ihre 
Leckerbiſſen beſtehen in dem Ertrag ihrer kleinen Felder, 
auch das Waſſer ſelbſt liefert ihnen der enge Bezirk ihres 
Thales aus den Gletſchern, die einen ſo ſchoͤnen Hinter⸗ 
grund in ihrer mahleriſchen Gegend bilden; nur wenig 
Wein kommt in dieſes Thal, und ſelbſt der Caffee, der 
ſonſt bis in die engſten Hochgebirgsthaͤler, bis in die einſame 


Huͤtte des Aelplers und in die aͤrmlichſte Stube des Baum⸗ 


wollenſpinners ſich einſchlich, fand noch ziemlich ſelten den 
Eingang in die genügfamen Hütten im Mayen. Gleis 
chen Schritt mit dieſer einfachen Lebensart gieng aber auch 
die Kultur dieſer Menſchen; wenig andere Kenntniße als 
die, die in der unmittelbarſten Verbindung mit dem Er⸗ 
werb der unentbehrlichſten Lebensbeduͤrfniße find, drangen 
bis hieher, aber eben deswegen find auch wenig Vorurtheile 


177 


hier eingeſchlichen; einfach und natuͤrlich iff jedes Wort 
dieſer Menſchen und freylich leer, aber dagegen auch wenig 
verſchoben ihr Kopf. Des großen Einfußes wegen, den die 
geiſtlichen Herren meiſt auf ſolche Menſchen haben, haͤtten 
wir gerne unſre Nachtherderge beym Pfarrer, der fich ziem⸗ 
lich leicht zur Gaſtfreundſchaft verſtehen ſoll, genommen; 
allein ungluͤcklicherweiſe war der Paftor abweſend, und feine 
Schweſtern ſo leutſcheuhe, daß ſie ſich einſperrten, um nicht 
in Gefahr zu kommen, Fremde zu beherbergen. 

Auch uͤber dieſem Dorf iſt das Mayenthal immer 
noch ein ſchwach abhaͤngiger Wieſengrund, der auf zwey 
Seiten von hohen, zum Theil noch ſchwach bewaldeten Ge⸗ 
birgsketten eingeſchloſſen it, und fid) ſanft gegen die in fci» 
nem Hintergrunde liegenden Schneegebirge erhebt und all 
maͤhlig verengert. Auf der Höhe der ſuͤdlichen Gebirgs— 
kette wird man bald einer blendend weißen, ſeltſam ausge⸗ 
zackten Eismaſſe gewahr, die fid) laͤngs- der Höhe diefer- 
Felſenwand gleich einem Geſimſe fortzieht und allmaͤhlig 
flárfer wird. Dieſe hellweißen, ſchwach durchſcheinenden, 
in ihren Schattenſtellen himmelblau gefaͤrbten, bald zackig⸗ 
ten, bald pyramidalen, unordentlich über einander gehäuft 
| ausſehenden, mächtigen Eisfchollen find der aͤuſſerſte Rand 
eines ausgedehnten Gletſchers, der ſich auf dem hoͤhern, 
weniger ſteil eingeſenkten Abhang dieſes Gebirges befindet 
und bey einer auch nur kleinen Ausdehnung ſich ins Mayen⸗ 
thal ſelbſt herabſtuͤrzen, und da unfehlbar traurige Bera 
i wuͤſtungen in dieſem grasreichen Thaͤlchen verurſachen 
mußte. Ehe man eine halbe Stunde über das erſte Dorf 
im Mayen heraufgeſtiegen ift, findet man ein zwey⸗ 
tes etwas mehr gedrängt zuſammengebautes Doͤrfchen, 
Faͤhrnigen genannt, deffen Anblick noch auffallender und 
merkwuͤrdiger als der des tiefer liegenden Dorfes iſt; denn 


ier iſt das Thal merklich enger, ſein naher Hintergrund, 
zr Bd. M 


178 


der aus waldigen Huͤgeln beſteht, die von jenen hohen 
Schneegebirgen unmittelbar bekroͤnt zu ſeyn ſcheinen, iſt 
wilder und beſonders der Contraſt eines durch das ganze 
Jahr ununterbrochen bewohnten Dorfes, das in ſeiner 
Naͤhe zwiſchen einem reichen Wieſengrund noch Kornfelder 
und Krautgaͤrten hat, und uͤber welchem auf einer nur 
wenige hundert Fuß hohen ganz nahen Felſenwand ein bes 
traͤchtlicher Gletſcher mit ſeiner ausdaurenden hohen Eis⸗ 
maffe erſcheint, fo defremdend, daß der noch mit der Nas 
tur der Alpen unbekanntere Wanderer betroffen ſtille ſteht 
und fid) nicht leicht die Möglichkeit erklären kann: daß 
Menſchen ſich ſo zahlreich in einer ſo hohen Region fuͤr 
beſtaͤndig anſiedeln konnten, wo neben ihnen betraͤchtliche 
Eismaſſen der Waͤrme des Sommers trotzen und jeden 
Winter einen ſo betraͤchtlichen Zuwachs erhalten, daß ſie 
zu ausdaurenden Gletſchern ſich gebildet haben. Leicht 
glaubt dann der Fremdling, daß nur traurige Armuth dieſe 
Menſchen in ſo hohe und wilde Regionen herauftreiben 
konnte, wo, wie er waͤhnt, nur mit der aͤußerſten Anſtren⸗ 
gung aller menſchlichen Kraͤfte ein karger Lebensunterhalt 
erworben werden kann; aber meiſt ruhig und unbeſorgt iſt 
das Leben der Einwohner ſolcher Dörfer; denn fie ſam⸗ 
meln im Sommer das Gras ihrer fetten Thalwieſen, waͤh⸗ 
rend dem ihr Vieh in noch hoͤhern Regionen weidet, und 
ihnen durch ſeine Produkte entweder Vorrath fuͤr den lan⸗ 
gen Winter, oder im Fall von Verhandlung jener Pros 
dukte, hinlaͤngliche Mittel verſchaft ſich den Lebensunterhalt 
für den langen ruhigen Winter zu verſchaffen; ungleich wes 


niger Ungemach hat alſo der Bewohner dieſer Regionen 


als der Bebauer unſrer reichen Thalffuren; beynahe keiner 
Gefahr ift die Erwerbsquelle dieſer Bergbewohner ausge- 
ſezt, da hingegen fo leicht früher Winter oder ſpaͤter Fruͤh⸗ 
lingéfroft, Ungewitter, Mißwachs und fo viele andere Era 


179 


eigniſſe der Natur dem Bewohner der faͤchern, kiefern Gea 
genden Helvetiens ſeinen noͤthigen Unterhalt raubt und ihn 
bey der muͤhſamſten Lebensart in Mangel und Ungemach 
verſezt. Daher auch der heitere frohe Blick dieſer Berg— 
bewohner, daher ihre offne zuverſichtliche Freymuthigkeit, 
ihr fo leicht aufzuweckender munterer Scherz und das fo 
auffallend Ungezwungene und Ruhige in ihrem ganzen Bes 
tragen. Die Hoͤhenmeſſung, die wir in dieſem Dörfchen 
vornahmen, verſchaffte uns die Freude, die Einwohner deh 
ſelben ſaͤmtlich um uns her vereinigt zu ſehen; erſt lachten 
fie über alle unſre ihnen unerklaͤrbaren mitgeſchleppten Bes 
duͤrfniße; ſobald ſie aber wahrnahmen, daß das Meiſte da— 
von zu Beobachtungen uͤber die Beſchaffenheit ihrer Gebirge 
diene, zeigten ſie eine ausgezeichnete Wißbegierde; einer, 
der auch ſchon etwas von einem Barometer gehört hatte, 
fragte uns ob morgen ſchoͤn Wetter ſeyn werde, und mit 
einer Leichtigkeit, die wir noch ſelten unter Landbewohnern 
vorfanden, begriff er auf eine einfache Anzeige hin, daß 
wir ihm hieruͤber keine Auskunft geben könnten, wen der 
Barometerſtand mehr durch die Hoͤhe eines Standpunkts 
als durch die Witterung verändert werde. Mit der glet- 
chen Leichtigkeit erklaͤrte auch dieſer Bergbewohner in ei— 
nem großen Kreiſe die Natur unſers Geſchaͤſts. Auffallend 
yi war uns, daß ungeachtet des frohen Muths dieſer Mens 
ſchen und ungeachtet ihrer, im Ganzen genommen, ruhi⸗ 
; gen unb glücklichen Lebensart, fo wenig Schönheit in ihə 
rer Geſichtsbildung, ſelbſt beym weiblichen Geſchlechte, fich 
vorfand; ihr Körper ift mehr kurz und dick als lang; er 
enthält das Gepraͤg koͤrperlicher Stärke und die Geſichts⸗ 
zuͤge eine Art von Rohheit und Groͤbe, welche nicht immer 
den Bergbewohnern eigen iſt, und gerade mit der feinern 
A Bildung ihrer Nachbaren, der Berneriſchen Bergbewoh— 
ner, zum Theil wenigſtens, kontraſtirt. Die Hoͤhe dieſes N 


180 
Dorfes ift 3400 Fuß úber dem Vierwaldſtaͤdterſee, alfo 4700 
Fuß über der Meeresfäaͤche. i 
Ungeachtet (chon die fanfte Abenddaͤmmerung dieſer rei- 
nen Luftregion, welche hauptfächlich durch die lange Be- 
leuchtung der benachbarten Schneegebirge bewirkt wird, 
der einbrechenden Nacht wich, ſo wanderten wir doch noch 
weiter in dieſem Thale fort, um noch eine Sennhuͤtte zu 
erreichen, von wo wir den ſolgenden Tag deſto fruͤher die 
Scheidecke des Thales beſteigen könnten. Bald verengerte 
ſich das Thal betraͤchtlich und wird ſteiler anſteigend und 
wilder. Der immer noch hellglaͤnzende Gletſcher auf der 
ſuͤdlichern Felſenwand wied immer betraͤchtlicher und giebt 
einen großen Begriff von der Ausdehnung des noch hinter 
ihm verborgenen Eisthales. Einige waldigte finftere Hügel 
vereinigen die beyden fich ſchon ſehr nahe gerückten Gebirge» 
ketten, und macher fo den eigentlichen unmittelbaren Hin⸗ 
tergrund des bewohnten Theils des Mayenthals aus; 
aber noch zieht ſich das Ganze dieſes Thales noch mehrere 
Stunden weit mit einer ſuͤdweſtlichen Biegung in die Hoch⸗ 
gebirge herauf; der Mayenbach durchſchneidet dieſe Huͤ⸗ 
gelkette, welche das aͤußere bewohnte Maventhal von 
dem innern unbewohnten abſondert, aber dieſes iſt doch 
noch ſo hoch uͤber jenes erhaben, daß der ſtarke Bergſtrom 
einen ausgezeichnet ſchoͤnen Waſſerfall gleich neben dem fin- 
ſtern Bergpfade bildet, da wo er in das untere Thal her⸗ 
abfließt; wild ſtuͤrzen feine Fluthen zwiſchen tief ausge⸗ 
ſchwemmten Felſen herab in den finſtern Abgrund, die hoͤ— 
here Waſſermaſſe ſcheint die tiefere, welche in ihrem Fall 
durch den Widerſtand der Luft etwas gehemmt wird, her⸗ 
abzudruͤcken, bis auch fie wieder durch den fortdaurenden 
ſtarken Zuffuß in den finſtern Abgrund hingeſchleudert wird; 
ſtarke Wolken von Waſſerdunſt ſteigen aus der fuͤrchterlichen 
Tiefe herauf und erfuͤllen die ganze geſchloſſene Gegend, die 


151 


vom Getöfe des wild heradſturzenden Bachs betaͤubend wies 
derhallt, mit ihrem durchdringenden, ſanften, ununterbroches 
nen Regen. Nun war die Nacht gänzlich eingebrochen und 
wir giengen mit Muͤhe den rohen beſchwerlichen Bergpfad, 
der wieder an die füdliche Seite des Thales übergegangen 
war, fort; endlich nach 9 Uhr Abends erreichten wir die 
erſte Sennhuͤtte des Thals, welche dem Wirth in Waſen 
gehoͤrt, und wo wir auf die von unſerm Fuͤhrer mitgebrachte 
Empfehlung hin, gut aufgenommen wurden. In dieſer 
Sennhuͤtte find noch Bequemlichkeiten vorhanden, die ſonſt 
nicht zum Weſen derſelben gehoͤren: ein geſchloßner Raum 
derſelben iſt zu einer Stube mit Tiſch, Baͤnken und ſelbſt 
mit Betten, verſehen, umgeſchaffen worden; die Hirten 
wollten uns dieſe abtreten, aber wir zogen vor, ganz nach 
achter Alpenart uns mit unſern Kleidern, nach dem genof 
ſenen Abendbrodt, das durch die ſchmackhaften Milchſpeiſen 
und Butter, recht leckerhaft fuͤr uns war, in das Heu, wel⸗ 
ches in einem abgeſoͤnderten Gebaͤude aufbewahrt wird, zu 
verkriechen und da eben fo gut und erquickend nach unfrer- 
ſtarken Tagesreiſe auszuruhen, wie wenn wir in unſern 
gewoͤhnlichen Betten geſchlafen hätten. Dieſe Alpenhuͤtte , 
Hunsalp genannt, liegt 3650 Fuß úber dem Vierwald⸗ 
ſtaͤdterſee. 
Bern anbrechendem Tage machten wir uns aus unferme: 
guten Lager auf, um die Gegend zu betrachten, in der wie 
die Nacht zugebracht hatten; die Hütte liegt am noͤrdli⸗ 
chen Abhang der ſuͤdlichen Gebirgskette des engen Thals; 
einſam und oͤde iſt ſowohl der unebene Thalgrund als auch 
die ſchwach begrasten Gebirgsabhaͤnge, deren Hoͤhe aus 
kahlen Felswaͤnden beſteht, ohne daß dunkle Waldungen, 
wie in tiefern Gebirgen, die begrasten Gegenden von der 
Felſenregion abſoͤndern; denn ſchon iſt das Clima hier zu 
rauh und die Luft zu duͤnne um noch einigen Holzwachs 


— 


182 

zu geſtatten. Das Thal kruͤmmt fid) nun von feiner voris 
gen nordweſtlichen Richtung ab, ganz gegen Suͤdweſten hers 
ein; bald wird es wieder weiter und beynahe ganz hori⸗ 
zontal — aber doch fehlt ihm ganz der ſanfte angenehme 
Anblick, welchen das untere Mayenthal gewaͤhrt; die 
Vegetation iſt zu aͤrmlich, zu gleichförmig mit der der Ge⸗ 
birgsabhaͤnge; das Ganze iſt oͤde und ſcheint unbelebt zu 
ſeyn. Gerne eilt man durch ſolche einſame Gegenden hin, 
um abwechslendere, merkwuͤrdigere Gegenſtaͤnde zu ſuchen. 
Bald verengert ſich das Thal aufs neue und wird wieder 
ſteiler anſteigend: doch noch ehe man dieſe horizontallie— 
gende Ebene verläßt, findet man fie ganz von herabgerollten 
grauen Kalkſteinfeiſen und Geſchieben uͤberſaͤet. Dieſe Era 
ſcheinung iſt in den Hochgebirgsthaͤlern nicht ſelten, da 
zwiſchen den ausgedehnten Gneis formationen noch beträcht- 
liche Kalkſteinlager anſtehend vorkommen; auch iſt ſie fuͤr 
die Bewohnbarkeit dieſer hohen Gegenden fehe wichtig, 
denn oft find diefe Thaͤler 10 bis 20 Stunden von den 
aͤußeren Kalkſteinformationen entfernt, und daher würde 
die 9Infieblung der Menſchen in ſolchen Thaͤlern ohne dies 
ſen wohlthaͤtigen Umſtand betraͤchtlich erſchwert. 

Wenn man durch diefe zweyte Verengerung des Mayens 
thales heraufgeſtiegen iſt, ſo findet man wieder einen ebe⸗ 
nen weiten Thalgrund, in welchem einige Sennhuͤtten (tes 
hen, und welcher durch eine zahlreiche Viehheerde belebt 
war; zugleich auch wird die Natur des Thales ſelbſt und 
feiner beydfeitigen Gebirge auf einmal merkwuͤrdiger und 
ſchoͤner. Hier vereinigen ſich die beyden Gebirgsketten, 
zwiſchen denen das Mayenthal fortlief, unmittelbar 
durch einen ziemlich hohen Bergruͤcken, die Suſtenſcheid⸗ 
eck, mit einander. An der Suͤdſeite der Scheideck haͤngt 
ein ausgedehnter prächtiger Gletſcher, der Suſtenglet⸗ 
ſcher in dieſen lezten Hintergrund des Mayenthals 


, 


183. 


herab; noch näher zeigt fid) an der gleichen Suͤdſeite des 
Thales ein zweyter ausgedehnter Gletſcher, der mit jenem, 
welcher ſchon beym Dorf Faͤhrnigen erſchien, zuſammen⸗ 
haͤngt; die Quellen des Mayenbachs fliegen aus dieſen 
blendend weißen, ſcheußlich zerriſſenen, ausgedehnten Eis⸗ 
maffen heraus, über die fie umgebenden Gletſcherwaͤlle her⸗ 
ab, und vereinigen fich im fanften Wieſengrund des Thales 
ſelbſt. Noch gehören diefe Gletſcher zu keinen ausgedehn— 
ten Eisfeldern, ſondern fie find von derjenigen Art, die 
einzeln an dem Abhang der Gebirge, meiſt im dunkeln und 
engen Hintergrund eines wenig von der Sonne beleuchteten 
Eisthales durch die Kälte der Sphäre entſtehen, und fich. 
dann oft betraͤchtlich ausdehnen: Aber auch diefe iſolirten 
Gletſchermaſſen, die noch meiſt mit dem ewigen Schnee 
der fie umgebenden Gebirge zuſammenhaͤngen, zeigen uns 


gefaͤhr die gleichen Erſcheinungen, wie diejenigen Gletſcher, 


| 
| 
| 
| 


SIT 


welche nur Ausſſuͤße ber Eisfelder find; denn auch fie find 
ſcheußlich verſchrundet und ihre einzelnen Theile ſeltſam⸗ 
zerzackt, in fo fern fie auf einer ſtark abhängigen Fläche lies. 


gen; und auch fie haben meit mehr und minder betraͤcht— 


liche Gletſcherwaͤlle um ſich her, folglich rutſchen auch fie- 
allmaͤhlig, theils durch ihre eigene Schwere, theils durch 
den Druck der hoͤhern Eis- und Schneemaſſen in die Tiefe 
des Thals herab, und haͤufen ſo die Geſchiebe, den Sand 


und die wenige Erde, die ſich vor ihnen her befinden, in 
Waͤlle, die ſie wie Schanzen umgeben, auf. 


— 


Ungemein belebt wird die ganze Gegend durch die Nahe 


ſolcher ausgedehnten Gleiſcher, deren blendend weiße, an 


den Schattenſtellen ins Himmelblaue und zuweilen ſelbſt 
bis ins Meergruͤne uͤbergehende Farbe, fo angenehm mit- 
dem gleichfoͤrmigen Grün des ganzen übrigen Thales cons 
traſtirt. Die jungen Quellen der Bergſtroͤme ſprudeln 
milchweiß unter dem Eis der Gletſcher hervor; nicht ſelten 


184 


kommen einzelne Alpkuͤhe oder Geißen an dieſe Quellen, 
der die ganze Erde befeuchtenden und befruchtenden Ges 
waͤſſer, um da Erfriſchung zu ſuchen; ungemein mahleri⸗ 
ſche Gruppen bilden ſich dann in dieſen ſeltſamen Gegen⸗ 
den; nicht fern von dieſen ewigen Eismaſſen ſteht die Alp⸗ 
Hütte, und giebt dem Ganzen durch die Thaͤtigkeit ihrer Bes 
wohner und das Gebloͤck der ſie umgebenden Heerde noch 
mehr Leben, und ſchafft die ganze Gegend zu einem ſo ſelt— 
famen Gemaͤhlde um, das den Fremdling ſolcher Gegen⸗ 
den mit dem lebhafteſten Erſtaunen und Bewunderung ers 
fúlt. Wir wollten uns noch vor Erſteigung des nahen Ges 
birgs mit guter Alpenmilch erquicken, aber ſie ward uns 
etwas trotzig, ſelbſt nach Anerbietung von Bezahlung vers 
ſagt. Dieſe fo ungaſtfreundliche Verweigerung ift eine nicht 
feltene Erſcheinung in den Alpen, die auch ungeachtet des 
anſcheinend Harten und Unangenehmen fuͤr den Wanderer, 
doch einen moraliſch-guten Grund hat: denn ſelten ſind 
die wahren Eigenthuͤmer in dieſen Huͤtten, ſondern ſehr 
oft nur Knechte, deren Treue die ſorgfaͤltigſte Zuſammen⸗ 
ſparung der Milch erfordert, um jeden Tag moͤglichſt große 
Kaͤſe, die immer am verkaͤuflichſten find, herauszubringen; 
und die nöthige Erlabung einer Reiſegeſellſchaft von et wa 
ſechs Perſonen kann leicht im täglichen Milchvorrath ſehr 
ſpürbar werden. So widrig alſo für den duͤrftigen Wan- 
derer ein ſolcher Abſchlag iſt, ſo muß man ſich mit der 
ſtrengen Treue dieſer Alpenbewohner troͤſten, und iſt man 
recht hungerig oder durſtig, fo fodere man Suffi (geron⸗ 
nene Milch, aus der die Kasmaffe ſchon abgenommen iſt) 
und dieſe, welche mit etwas Zieger gemengt die gewoͤhnli⸗ 
che Nahrung des Aelplers ausmacht, wird einem nur ſelten 
verſagt werden. 

Nun ſtiegen wir aus dieſem oberſten Hintergrund des 
Mayenthals, an der weſtlichen Seite deſſelben an die 


185 


Suſtenſcheideck herauf. Ein ſteiler aber guter Fuß— 
pfad, der zuweilen ſelbſt von Saumpferden und von Horn- 
vieh gebraucht wird, fuͤhrt den Wanderer an dieſem meiſt 
noch begrasten, nur felten felſigten Gebirgsabhang Hers 
auf, den man ungefaͤhr in einer Stunde erſteigt, und mit 
dieſem auf einmal einer ganz neuen Ausſicht gegen Suͤd— 
weſten hin genießt. Von Suͤden her zieht ſich eine hohe 
Gebirgskette ganz nahe bey dieſer Scheidecke durch gegen 
Norden heruͤber, und endigt ſich gegen das Thal, welches 
man gegen Suͤdweſt hin zu feinen Füßen hat; dieſes Ge 
birge, welches hier der Steinberg genannt wird, iſt ſo 
allgemein in ewigen Schnee eingehuͤllt, daß nur ſelten einige 
zackigte Felſengraͤte ſeines Gerippes am Tage liegen; ſein 
hoͤchſter breiter Gipfel aber als eine ungeheuer ausgedehnte 
ganz reine Schneekupel erſcheint; denn auch nicht ein eins 
ziges Fel ſenſtuͤck ſticht an demſelben unter dieſem praͤchtig 
blendenden Schneemantel heraus. Dieſer Steinberg, wel: 
cher, von dieſem Standpunkt aus betrachtet, drey große 
unter einander zuſammenhaͤngende Gebirgsſtoͤcke bildet, wo— 
von aber nur der hoͤchſte ſuͤdlichſte ganz allgemein in ewi- 
gen Schnee eingehuͤllt iſt, macht die weſtliche Seite eines 
ſehr ausgedehnten Eisthales, des Triſtgletſchers aus, 
der gegen Suͤden hin durch den Rhonegletſcher dem 
Rho dan hier aber durch den Steinberggletſcher dem 
Steinbach, einem Arm der Aare, ihre erſten und ſtaͤrk— 
ſten Quellen giebt. Von Norden her zieht ſich gegen das 
naͤmliche Thal, in welches ſich der Steinberg endigt, 
und welches man zu ſeinen Fuͤßen hat, eine ganz kahle, 
beynahe vertikal abgeſchnittene, zackigte Gebirgskette hers 
aus, die eine beynahe ununterbrochene Felſenwand bildet, 
die durch ihre dunkelbraune Farbe ſehr auffallend mit dem 
blendenden Weiß des gegenuͤberſtehenden Steinbergs cone 
traſtirt. Dieſe gräßliche Felſenwand ift die ſuͤdlichſte Forts 


486 


ſetzung der Titliskette, deren aͤußerſter pyramidaler Ge⸗ 
birgsſtock der Telliſtock heißt. Hinter dem Telliſt ock 
hervor zieht fid) gegen Süden heraus eine entferntere Ges 
birgskette, die ſich aber bald mit einem abgerundeten Ge⸗ 
birgsruͤcken, der Planblatte, endigt, welche wegen tha. 
ren ausgedehnten Eiſenſteinffoͤtzen bekannt it. Zwiſchen dies 
ſen beyden Hauptgebirgsketten, dem Steinberge und 
der Planblatte, die von bier aus eine Fortſetzung des 
Telliſtocks zu ſeyn ſcheint, ungeachtet fie durch ein Thal, 
den Gentelboden, von einander getrennt ſind, ſieht man 
einige ferne niedere Gebirge, welche die ſuͤdliche Seite des 
Haslilands ausmachen; das Thal ſelbſt aber, welches 
von unſerm Standpunkt aus gegen das Hasli heraus 
fuͤhrt, iſt durch die beydſeitigen Gebirgsabhaͤnge, welche 
bey den Thalbiegungen in einander eingreifen, dem Auge 
verſchloſſen. 

Weniger mannigfaltig it die entgegengeſezte nordoͤſtli⸗ 
che Ausſicht der Suſtenſcheideck. Sie ſtellte uns nur 
eine ununterbrochene Hochgebirgskette entgegen, in der 
grauſe Felſenfirſten mit ihrer ſchwarzbraunen Farbe ſich nur 
deswegen aus der allgemeinen Schneeregion eines ausge⸗ 
dehnten Eis feldes erheben, weil ihre Abhaͤnge ſo ſteil ſind, 
daß kein Schnee ſich je an ihnen feſtſetzen kann. Man be⸗ 
wundert die mannigfaltigen Formen dieſer hoͤchſten Gipfel 
einer ausgedehnten Hochgebirgsgegend und unterſucht die 
Verſchiedenheiten, welche meiſt die mehr oder mindere € teile 
heit des untergeſezten Gebirges in dem ausgedehnten Eis⸗ 
feld hervorbringt, aber doch findet das Auge keinen anges 
nehmen Ruhepunkt in einer fo allgemein ſtheußlich wilden 
Ausſicht, und die Einbildungskraft fuͤhlt ſich zu wenig 
Spielraum in einer ſolchen durchaus oͤden, graͤßlichen Ge⸗ 
gend; gerne wendet man (id) alfo wieder gegen die jenſei— 
tigen Gebirge, wo man ein großes Thal ſich zwiſchen die⸗ 


157 


ſelben heraufziehen ſieht, und wo die Einbildungskraft in 
dem Kontrat der allgemein vergletſcherten Gebirge in der 
Habe eines bewohnten Thals, und in der Erblickung einer 
entferntern ſanftern Ausſicht Nahrung genug findet, um 
fid) angenehme Bilder daraus zu ſchaffen. Dieſe meré 
wuͤrdige Scheidecke, welche das Urnerſche Mayenthal 
von dem Bernerſchen Steinbachthal trennt, iſt 
nach den angeſtellten Barometerbeobachtungen 6022 Fuß 
uͤber den Vierwaldſtaͤdterſee, ſolglich 7322 Fuß uͤber der 
Meerespäche erhaben. Ungeachtet dieſer ſchon betraͤchtli⸗ 
chen Höhe bemerkten wir noch keine -jener auffallenden Era 
ſcheinungen einer fo dünnen Atmosphäre dieſer hohen Res 


gionen; wir athmeten ſo leicht als im Thale und beweg⸗ 


ten uns eben (o frc) und froh als in unfrer gewöhnlichen 
Atmosphaͤre; einzig erſchien uns die Luft mit einer merk⸗ 
lich dunklern blauen Farbe als in tiefern Gegenden, und 
daher auch ward das blendend Weiße der Schneegebirge 
und Gletſcher ſo auffallend lebhaft und ſelbſt ſehr bald fuͤr 
die Augen ermuͤdend. 
Man ſteigt nicht lange an der Bernerſchen Seite der 


Suſtenſcheideck herab, fo erblickt man auf einmal den 


ausgedehnten prächtigen Steinberggletſcher unmittels 
bar neben ſich und unter ſeinen Fuͤßen. Dieſer einmalige 
Anblick iſt beynahe betaͤubend fuͤr den Fremdling der Hoch— 
gebirgsgegenden. Schon war die Vegetation in dieſer tie- 
fern Gegend, in die man herabſtieg, etwas reicher als auf 


jener rohen Scheidecke; etwas entfernt im tiefen Thale 
zeigte fid) wieder dunkle Waldung, man erwartet bald den 


Anblick eines anmuthigen grünen Thales von einer Genn- 
Hütte und einer Viehheerde angenehm belebt; fatt deffen 
hat man gleich unter ſich ein weites Thal, in welches ein 
ungeheurer Gletſcher herabhaͤngt und daſſelbe allgemein cins 


nimmt. Man ik noch (o hoch uber ihm erhaben, daß das 


188 


Auge durch die ſcheußlichen weit offenen Eisſchrunden bis 
in das Innere dieſer graͤßlichen Eismaſſen hereinſieht; man 
glaubt einen maͤchtigen zuſammengeſtuͤrzten Eisberg unter 
ſich zertruͤmmert zu erblicken, ſo ſchrecklich zerriſſen und 
zackicht ift die Glet ſchermaſſe, wegen dem ſteil eingeſenkten 
Abhange, auf welchem ſie liegt; nur der tiefere Theil des 
Gletſchers ſcheint wieder in eine ruhigere Lage gekommen 
zu ſeyn; feine Oberflaͤche ift glatt, und nur von gegen die 
Ziefe hin auseinander laufenden Schrunden durchſchnitten; 
hoch uͤber dem Gletſcher ſieht man jene durchaus in Schnee 
und Eis eingehuͤllten Gebirge, welche das ausgedehnte Eis⸗ 
thal des Triſtgletſchers umzingeln, von dem der 
Steinberggletſcher ein Ausfluß it; gegen die Tiefe 
hin iff der Gletſcher mit einem hochaufgethuͤrmten Glet- 
ſcherwalle umzingelt, der die tiefern Gegenden vor demſel⸗ 
ben zu ſchuͤtzen ſcheint, aber bald erkennt man, daß dieſer 
Wall einzig aus Geſchieben beſteht, die der Gletſcher eben 
durch fein allmaͤhliges Vorrutſchen auf diefe Art auſthuͤrm— 
te, und alſo der tiefer liegenden Alphuͤtte, die man bald 
ebenfalls erblickt und ſie mit zahlreichen Viehheerden bis an 
die Gletſcherwaͤlle hin umgeben ſieht, traurige Zerſtoͤrung 
oder doch Ueberſchuͤttung ihrer fetten Weiden anzudrohen 
ſcheint. 

Wahrend dem ganzen Weg nach der Steinalphütte 
genießt man immerfort den großen Anblick des ganz nàs 
hen, ausgedehnten praͤchtigen Steinberggletſchers, 
welcher immer neue Parthien zeigt, indem er aus dem Ste 
fammenfiuß der Eismaſſe aus mehrern kleinern Nebenthaͤ— 
lern entſteht, die fid) mit dem großen Hauptgletſcher verei 
nigen, und dadurch die groͤßte Mannigfaltigkeit der For⸗ 
men der einzelnen Eismaſſen und ihrer Auf- und Ueber— 
einanderhaͤufung hervorbringt; denn nur durch die verſchie⸗ 
dene Beſchaffenheit der Gebirgsabhaͤnge, uͤber welche die 


189 


Gletſcher aus den hoͤhern Eisthaͤlern herausgetrieben mere 
den und allmaͤhlig herabrutſchen, um in der waͤrmern At⸗ 
mosphaͤre tieferer Thaler abzuſchmelzen, nur die Verſchie⸗ 
denheit dieſes Abhangs bringt die Mannigfaltigkeit in den 
Formen der einzelnen Eisſtuͤcke hervor; indem die Gletſcher⸗ 
maffe auf ſteilen Abhaͤngen ſich fiarker zerreißt und alfo 
zackichtere Formen annimmt als auf ebneren Abhaͤngen, 
wo ſie meiſt nur von einzelnen Eisſchrunden durchſchnitten 
wird. 

Auch in mineralogiſcher Ruͤckſicht iff der Paß über Su⸗ 


fien merkwuͤrdig: auf der Scheide ſelbſt it das anſte⸗ 


hende Gebirge ein mehr und minder ſich dem Glimmer⸗ 
ſchiefer naͤhernder Gneis; die Gletſcherwaͤlle des tein 
berggletſchers beſtehen beynahe allgemein aus tom back⸗ 
braunem Glimmerſchiefer; doch findet man an der Nord⸗ 
ſeite des Gletſchers, in der Nähe des Bergpfades, eine 
große Mannigfaltigkeit von Hornblendeſchiefer und Stenith, 


welche wahrſcheinlich von einem aus den noͤrdlicher liegen⸗ 


den Gebirgen herausſtroͤmenden Bache, herabgerollt wurden. 

Willkommen war uns die offene frohe Gaſtfreundlichkeit 
der Bewohner der Steinalphütte, wo wir nach einem 
beynahe fuͤnfſtuͤndigen, freylich nicht ſchnellen Marſch, mit 
fetter Alpſpeiſe fruͤhſtuͤckten. Dieſe mit einem ausſchließend 
fuͤr die Menſchen eingeſchloßnen Raume oder Kammer ver⸗ 


ſehene Alphuͤtte liegt 1182 Fuß tiefer als Suftenf Heid 


eck, alfo doch noch 6140 Fuß über der Meereöfäche, 
Von hier an fuͤhrt das enge wilde Steinbachthal 


| in das Gadmerthal herab; meiſt iſt der Weg wegen 


ſeiner Steilheit und Rohheit muͤhſam; das Thal ſelbſt iſt 
von zwey parallel mit einander fortlaufenden, meiſt mit 
Waldung bekleideten, ſteil abhaͤngenden Gebirgsketten ein- 
geſchloſſen und meiſt ſo enge, daß der Bach beynahe immer 
den ganzen Thalgrund einnimmt. Nachdem man ungefaͤhr 


190 

während einer Stunde muͤhſam bergan geſtiegen iſt, ſieht 
man, am noch ſehr tief unter einem liegenden Ausgang 
des Steinbachthals gegen das breite Gadmerthal, 
das gutausſehende Dorf Gadmen im ſchoͤnen Wieſen⸗ 
grund zerſtreut liegen; aber doch hat man uͤber eine Stunde 
bergab zu ſteigen, ehe man dieſes große Berneriſche Dorf 
erreicht, deſſen Einwohner ungleich roher und ungebildeter 
zu fenn ſcheinen, als die des übrigen fo ſchoͤnen Bernerge 
biets; freylich wird auch nur ſehr nachlaͤßig fuͤr ihre Aus⸗ 
bildung geſorgt, indem ihr Pfarrer 3 Stunden von ihnen 
entfernt wohnt und fie alle 14 Tage nur ein Mal befucht, 
in ſo fern er nicht auch von dieſem Beſuch durch ſchlechte 
Witterung abgehalten wird; neben dieſem, ſo ſehr auch der 
Anblick dieſes Thals ſchoͤn und anmuthig iſt, wenn man 
von der Suſtenſcheideck herab koͤmmt, fo ift es doch 
an ſich betrachtet roh, wild und von andern bewohnten Ge⸗ 
genden ſehr abgeſoͤndert, denn gegen Suͤdoſten hat es die 
wilden Gebirge, in welchen das Steinbachthal liegt, 
gegen Nordweſten die ſcheußliche Gebirgskette des Titlis, 
welche hier eine beynahe ſenkrechte Felſenwand dem Gad 
merthal zukehrt; gegen Nordoſten iſt das Thal gaͤnzlich 
durch die graͤßlichen, ſcheußlich vergletſcherten Uraths— 
hoͤrner beſchloſſen, welche in der Geſellſchaft des Titlis 
ſelbſten einen fürchterlich wilden Hintergrund dieſer Gegend 
bilden; gegen Suͤdweſten endlich laͤuft freylich das Gad⸗ 
merthal gegen das ſchoͤne Hasliland aus, allein eine 
drey Stunden lauge ſehr wenig bewohnte Strecke dieſes 
Thales ſelbſt trennt die Einwohner von Gadmen ſo ſehr 
von ihren Nachbarn, daß nur wenig Umgang zwiſchen ih⸗ 
nen ſtatt hat, ſo daß jene groͤßtentheils iſolirt leben, und 
da meiſt Viehzucht mit ſehr wenigem Feldbau verbunden, 
ihre Nahrungs- und Erwerbsquelle ausmacht, fo leben fie 
ſelbſt unter fid) ziemlich abgeſoͤndert und erhalten bey dieſer 


f 191 


Lebensart wenig Kultur: hiermit find natürlich auch rohere 
und einfachere Sitten verbunden, welche aber ja nicht als 
Beweis von hoͤherem moraliſchem Werth angeſehen werden 
müffen, denn fo weit als die menſchlichen Leidenſchaften 
ſich in ſolchen Gegenden und unter ſolchen Umſtaͤnden zu 


aͤußern den Anlaß haben, zeigen fic fich auch da noch in 


ihren mannigfaltigen Ausartungen. Das Dorf Gadmen 
liegt 4146 Fuß uͤber der Meeresflaͤche. Schwarze Gewit⸗ 
terwolken umhuͤllten allmaͤhlig die zackichten Gipfel der 
Urathshörner; ſchon rollte der Donner in der Ferne; 
wir eilten gegen den Ausgang des Thales hin, um noch 
vor dem Ungewitter in die ſchoͤnen Fluren des Haslilands 
heraus zu kommen. Bald huͤllten fich auch die nahen Fel- 
ſenwaͤnde mit ihren hohen Gipfeln in ſchwarze Wolken ein; 
finſter war der Anblick des ſonſt ſchon meiſt engen und we⸗ 
nig bewohnten Thals. Laut rollte der Donner uͤber uns 
und hallte fuͤrchterlich wieder im engen Thale, wo uns nur 
felten eine einfame Wohnung im Schatten ſchoͤner Nuß 
baͤume erſchien. Nach einem heftigen Gewitterregen erheis 
terte ſich wieder der Himmel und wir bewunderten die 
großen ſchönen Formen der nahen Gebirge, deren feil cin 
geſenkter Abhang ſich meiſt ununterbrochen, in den hoch 
aufgeſchwollenen Strom, der ſich durch das Thal ſchaͤu⸗ 
mend herabftürzt, verliert. So rauh und kahl auch die 
Gipfel dieſer kahlen Felſengebirge ſind, ſo angenehm iſt 
hingegen ihr tiefer Abhang bekleidet; denn ſchöne Wieſen 
wechſeln nun mit ſtarken Gruppen von Nußbaͤumen ab, 


hinter denen oft eine einſame Wohnung im Schatten mit 


ihrem Krautgärtchen ruht, und dicke Tannenwaldung ſön⸗ 
dert diefe fruchtbare Region von den kahlen Felſenfrſten ab. 

Bald geyt die Titliskette mit der ſuͤdweſtlichen Ecke 
des Telliſtocks aus, und ſo vereinigt ſich das Gentel⸗ 
thal mit dem nn welches nun von hier an 


192 


Muͤllithal heißt. In ber Nähe diefer Vereinigung [legt 
die Schmelzhuͤtte, worin der Eiſenſtein der nahen Plan— 
blatte verarbeitet wird. Noch eine kleine Stunde mane 
dert man zwiſchen Wieſen und einzelnen beſchatteten Woh⸗ 
nungen durch und erreicht dann das Dorf Grund im 
Hasliland, welches 5292 Fuß unter der Suſtenſcheideck 
und alfo noch 2030 Fuß über der Meeresfaͤche liegt. 


8 
Kleine 
FA TM obit SA a ager sit atag afaa 
auf die 


Sul oder Suleck. 


Donnerſtag den 18 Juli 1806, 


Sieben Tage waren bereits in einem zweckwidrigen Thal⸗ 
leben verſtrichen; manches vergnuͤgtes Stuͤndchen hatte es 
zwar ausgefüllt; und ich glaube, es hätte fich vortrefflich 
zu einem Curleben geeignet, wäre Vergnügen und Zeitver⸗ 
treib einziger Zweck unſrer Reiſe und unſers Aufenthaltes 
in dieſen Gegenden geweſen, welche mein Arzt und ich, 
uͤbereinſtim mend, ausgewählt hatten. Erſterer wegen der 
vorzuͤglich gefunden Ziegenmolte' und der veränderten Luft; 
ich wegen dem Intereſſe, das ich an dieſer Gegend genome 
men und wegen der Naͤhe der Naturſeltenheiten, welche 
mit Muſe zu betrachten, ich laͤngſt den Wunſch gehabt 
hatte; zwey Abſichten führten alſo einem gemeinſamen Ziele 
zu, das auch zwey verſchiedene, anziehende Seiten barbot, 

Unſer Senn brachte jeden Morgen frühe die kraͤftige 


| 193 


Molken von der Höhe feiner Werkſtaͤtte an dem Har⸗ 
der ins Thal herunter. Wir ſchluͤrſten den Geſundheits⸗ 
trunk bald in unſerer laͤndlichen, durch die Gefaͤlligkeit und 
Freundſchaft unſers Hauswirths für uns anziehend gewor⸗ 
denen Wohnung, im Mittelpunkt der reizenden Thalebene, 
— bald auf der Laube des Gaſthauſes zu Interlaken, in 
Gemeinſchaft und Nachbarſchaſt mit andern Bekannten, 
Freunden und Mit⸗Curgaͤſten; die Vormittage vergiengen 
ſo unter Trinken und Spazieren, ſo weit die bewaͤſſerten 
Wege es zuließen. Die Rachmittage waren mehr dem ges 
ſellſchaftlichen Umgange gewiedmet. So lernten wir Ge 
gend und Leute kennen und uns daran erfreuen. 

Aber ein Vogel, der mit andern im Keſicht cingefperrt 
it und die trefflichſten Speiſen erhält, tau ſcht leicht dieſe 
Wohlthaten gegen feine Freyheit aus; gewoͤhnt fid) indeſ⸗ 
ſen vielleicht eher an ſeine Lage, als ein Freund der Berge 
und der freyen, weiten Schöpfung, wenn eine Wolkenhuͤlle 
den Umkreis feiner Blicke verengt und er fid in einen fleis 
nen Raum gebannet ſiehet, waͤhrend die erhabenſten Schau⸗ 
ſpiele der Natur, nicht weit entfernt, dennoch fuͤr ihn un⸗ 
zugänglich oder gar unſichtbar (inb. Es muß etwas Aehn— 
liches in ſeiner Empfindung mit derjenigen liegen, welche 

dem Tantalus als Straſe zugedacht war. Ungefaͤhr fð 
ergieng es uns; fieben Tage waren zerronnen, und noch 
ſtuhnden wir erft in den Vorhallen des Tempels, ohne def 
ſen Inneres mit einem Blicke geſehen, geſchweige betreten 
zu haben; vielleicht konnte noch ein größerer Theil der zu? 
gemeſſenen Aufenthaltszeit in eben fo pergeblichem Karren 
verfließen, wenn man nach dem Anfchein urtheilte. Wenn 
auch ein ſchoͤner Tag endlich heranbrach, fo bedurften die 
lange benäßten Wege der nótbigen Zeit, um von ungeuͤb⸗ 
ten Fußgaͤngern betreten zu werden. 
Solch ein, bisher ſeltener Tag verkuͤndigte (id) endlich 
zr Bd. N 


194 

an einem Mittwoch, ben 17 Juli, und brachte ganz neues 
Leben und Weben unter die Geſchoͤpfe in der kleinen In⸗ 
terlaker-Welt; die lange zuruͤckgehaltenen Entwürfe ente 
fpannen (id); die Sehebegierde bedurfte Erweiterung; aber 
noch mußte man Ruͤckſicht auf die Beſchaffenheit der 
Straßen nehmen; ſo kam es, daß die Ausfuͤhrung des 
Entwurfes, die Thaͤler von Lauterbrunnen, Grin⸗ 
delwald und Hasli zu bereiſen, noch nicht gleich auf 
ben isten, ſondern auf den roten vertaget wurde. Auf 
den ıgten hingegen ward ein gemeinſchaftliches, fröhliches 
Mittagmahl aller, durch Bekanntſchaft verbrüderter Nach⸗ 
~ barn und Curgaͤſte verabredet. Eine allgemeine, faſt unges 
truͤbte Harmonie linderte die Prufung anderer Beraubun⸗ 
gen. — Solche Vereinigungs-Anlaͤſſe bringen ihr Gutes 
mit ſich; ſind aber auch nicht unentbehrlich; in meinem 
Gemuͤth entſpann fid) nun eine ſchwierige Berathung: — 
Sollte ich den ſchoͤnen morgenden Tag fuͤr die laͤngſterſehnte 
Anſchauung der nur an einem fſolchen Tag genießbaren 
Naturſcenen ungenuͤtzt vorbeygehen laffen, und den Vergnuͤ⸗ 
gungen der Geſellſchaſt froͤhnen, oder fite ich mich über 
‚mögliche , auch wahrſcheinliche Beurtheilung meiner Sons 
derung hinwegſetzen, und den Tag der Befriedigung meiner 
geſpannten Sehbegierde wiedmen, wenn ſchon ſonſt Alles 
beym froͤhlichen Tiſche vereiniget waͤre? — Die Wagſchaale 
meiner Bergluſt uͤberwog; ich dachte: Jezt, oder vielleicht 
lange nicht mehr iſt ein Anlaß vorhanden, wo du ihr nach⸗ 
hängen kannſt, aber freylich ein Opfer dafür bringen muſtiz 
wer buͤrget fuͤr die Dauer oder Wiederkunft des Anlaßes 
bey dieſen veraͤnderlichen Luftumſtaͤnden? Auf! ich will hin, 
und fie ſehen, die große Natur; unter der Geſtalt, in meto 
cher ich ſie, dey aller Mannigfaltigkeit, in der ſie ſich ſchon 
meinem bewundernden Blicke dargeſtellt batte, noch nite 
mals nahe genug geſehen habe. Und der Entſchluß war 


SUMMUM. 


- 
x 


193 
gereift; ich hatte ihn nicht zu bereuen. — Jezt kam es 
noch auf die Wahl an, auf welche Weiſe der ſich verſpre⸗ 
chende morgende Tag benuͤzt werden ſollte; ſie war ſchwer; 
der Reichthum an Gegenſtaͤnden machte mich verlegen; bes 
denklich ſahe ich die Berge rings herum an, denn es ver⸗ 
ſtehet ſich, daß der neue Genuß, den ich mir verſchaffen 
wollte, nur auf einer Hoͤhe geſucht werden mußte, wo die 
moͤglichſt mannigfaltigen, bisher ungeſehenen Gegenſtände 
zugleich ins Auge fallen koͤnnten; meine Abſicht war, das— 
jenige doch wenigſtens von einer maͤßigen Ferne zu betrach⸗ 
ten, dem ich jezt mich ned) nicht naͤhern konnte, und was 
einer gemeinſchaftlichen Bereifung mehrerer Gefährten vors 
behalten war. Es waren die Gegenden und Hochgebirge 
hinter der ſuͤdlichen Bergkette, welche unfer Thal von die 
ſer Seite umſchloß, was mich hauptſaͤchlich anzog; und 
um diefe beſehen zu koͤnnen, fucbte ich den möglich vor⸗ 
theilhafteſten Standpunkt. j 

Rechter Hand an dem Eingang ins Thal gegen Bai 
terbrunnen fängt eine Felſenkette an, die fib, fo zu far 
gen, ununterbrochen bis hinter Lauterbrunn fortſezt, je 


dennoch von Zeit zu Zeit durch kleine, von herabſtürzenden 


Baͤchen ausgehoͤhlte Thaͤler durchſchnitten wird; den erſten 
Hauptring dieſer Bergreyhe bildet eine hohe Spitze, die 
Suleck genannt, deren bauchigte untere Region, gegen 
das Lauterbrunnerthal, die Ei (enfIub heißt; bie habere; 


k nördliche Ecke, an deren Fuß die Saxeten unb die Luͤt⸗ 


ſchine ſich vereinigen, heißt die Rothenfluh, und iſt, 
um ſolche in einem Nu denen zu bezeichnen, welche die 


vorhin erwähnten Proſpecte kennen, diejenige Bergmaſſe, 
welche hinter dem Alt⸗Schloß Unſpunnen in mehreren 
Abſaͤtzen rechts hinanſteigt; die eigentliche Suleckſpitze fes 


bet man in dem Kupferſtiche nicht mehr; auf der Höhe Dies 
ſes noch nicht ſehr bekannten Berges ſollte man, nach mei⸗ 


196 


ner Vermuthung, denn niemand konnte mir umſtaͤndliche 
und ſichere Nachrichten mittheilen, etwas von den merk⸗ 
würdigen und intereffanten Gegenden erblicken koͤnnen, wel⸗ 
che der voruͤberſtehende Breitlauinen- oder, wie ich 
glaube richtiger genannt, Ißelten-Berg, den Thalbe⸗ 
wohnern von Interlaken verbirgt; man mußte uͤberdieß 
die beyden hervorragenden, prächtigen Gebirge, ſamt ifj 
ren, dem Thal gaͤnzlich verborgenen Nachbarn, auf jenem 
Standpunkte nicht nur ſehen, ſondern in einem ſolchen 
Zuſammenhange ſehen, wie es in mehrerer Naͤhe, aber in 
der Tiefe des geſchlagnen Weges, zwiſchen den Felsthuͤrmen, 
unmoͤglich geſchehen koͤnnte. Waren dieſe Schluͤße nicht 
Taͤuſchung, konnte ich meinen Vorſatz ausführen, und 
wuͤrden hernach neue Luft- und Dunſtbewegungen unſere 
gemeinſchaftliche Reiſe hintertreiben, ſo konnte mich dann 
die Beraubung weniger ſchmerzen; ich hatte die Pracht ge⸗ 
ſehen, nach deren Beſchauung mich geluͤſtete; ich konnte 
dann ausrufen: Jezt, heilige Natur, nachdem ich deine 
Herrlichkeit geſehen, kann dein Verehrer ruhig hingehen! 

So ungefaͤhr waren die Gedanken, Abſichten, Empfin⸗ 
dungen und Hoffnungen beſchaffen, mit denen ich mich am 
heitern Abend des 17 Juli ernſtlich zur Beſteigung des 
Berges anſchickte, als der Kranz von Roſen und Gold, 
den die untergehende Sonne um die Gegend ausbreitete, 
einen ſchoͤnen Tag verkuͤndete. | 

Noch‘ waltete ein kleines Bedenken; — ich wollte fe 
hen, genießen; aber! aber dazu heißt es: Geſtiegen! 
Einige Winke verriethen mir eben nicht, daß, um auf die 
Suleck zu kommen, man auf Roſenpfaden wandeln 
wuͤrde; und ob ich ſchon in meiner Geſchaͤfts- und Men⸗ 
ſchenſchule auch nicht auf Roſenpfaden wandle, ſondern 
mir manchen Fußſtoß verſetze, ſo lerne ich dabey doch nicht 
— ein guter Gaͤnger zu werden. Kriechen mag ich nicht; 


en 


197 


da muß ich wohl oft ſtolpern. — — Seit meinen Kna⸗ 
den⸗Reischen auf den Camor, auf den Goezen und 
da herumliegende Gebirge, it manches Jaͤhrchen dahin ges 
flo(jcn; und die Beine werden Alter, beſonders diejenigen 
eines Molkentrinkenden; — auf den umliegenden Anhoͤhen 
Zuͤrichs hatte ich zwar wenige ſchoͤne Abendſtunden vers 
faumt, Auge⸗, Bruſt- und Beine ⸗ſtaͤrkende Voruͤbungen 
zu halten; und die Hoͤhen des Uetli, des Albis, der 
Laͤgeren — ſollten dieſe mir unbekannt ſeyn? — Aber 
alle dieſe Verſuche waren nichts gegen die Probe, welche 
ich jezt beſtehen wollte. Doch ſie ſollte ſelbſt wieder Vor⸗ 
übung anderer Ausmaͤrſche ſeyn. Sie hat mich manchen 
Schweißtropfen gekoſtet, und dieß Bergreischen wird einen 
dauernden Plaz unter meinen Reminiscenzen behalten. Das 
fuͤr ward keine meiner vorgefaßten Erwartungen getaͤuſcht; 
fie wurden übertroffen. — Nur fehlte mir ein mitfühlens 
der, mitbeobachtender und mittheilender Gefaͤhrte. Alles 


war an die Tafel gebannet, auf welche ich von dem hohen 


Stande hernach fat herabſehen konnte, den ich zu erſtre⸗ 
ben gedachte. — Ein ſolcher mittheilſamer Freund oder 
Niemand! — Nur Alleinſeyn kann auf Betrachtungsreifen- 
den Mangel erſetzen. 

Die vierte Stunde des Morgens vom x8teu wurde zur 
Abreiſe feſtgeſezt; ſchon um 3 Uhr benachrichtigte mich das 
Gebell des alten, getreuen Haushundes von der Naͤhe des 
mir verſprochenen Fuͤhrers; ich ſprang ans Fenſter; er 
war's; und zugleich ſah ich zu meiner unbegrenzten Freu⸗ 
de die Sterne am graͤulicht⸗blauen Himmel glaͤnzen; mein 
Feldgeraͤth, das in Ebels Anleitung, ein Paar Specials 


Charten von dieſen Gebirgsgegenden, einem Fernrohr und 


Alpenſtock und etlichen Kleinigkeiten beſtuhnd, ward eins⸗ 
weilen, bis auf erfolgende Erleichterung, noch mit einem 
vortrefflichen Stück. Kalt⸗Braten, mit Zunge und zwei 


498 


Flaſchen Wein vermehrt, welche, auf gefaͤllige Veranſtal⸗ 
tung meines Hauswirths, nebſt einem Kirſchwaſſer⸗Schnaͤps⸗ 
chen, ſtatt Schotten, auf dem Tiſche eines untern Sims 
mers prangten. Mit Schlag 4 Uhr trat ich in der Stille 
des angenehmen, kuͤhlen Morgens, mit erneuertem Gefuͤhl 
meines Weſens, die Wanderſchaft über die bethaute Ebene 
zwiſchen unſerer Wohnung und dem Klein-Rugen Dis 
gelan; mein Fuͤhrer voraus; ein braver, und in allen um⸗ 
liegenden Gebirgen und Gegenden, einzig auf der Su leck 
noch nicht genugſam bewanderter Mann; — feine Geſpraͤ⸗ 
chigkeit machte mir Freude, wenn fie ſchon manche Gedan— 
kenfolge unterbrach, die fich zu entſpinnen anſieng, weil 
der gegenſeitige Stoff nicht mit einander guadrirte. Der 
Hügel mit feinen Tannenbuͤſchen war zurückgelegt , und es 
oͤffnete ſich die Anſicht des jenſeitigen, zirkelfoͤrmigen Baum⸗ 
gartens. — Das nah geſtreifte Unſpunne wich vorbey, 
und zeigte die ſuͤdliche Geſtalt feiner Ruinen; in dem ſchoͤ⸗ 
nen Dorfe Wildersweil, wo wir gegen ; Uhr durchka⸗ 
men, war bereits Alles Leben, (Vielleicht gieng man in 
Paris eben zu Bette!) 

Der zur Rechten herabtobende Saxeten-Strom, von 
nun an unſer, bald nahe, bald ferne Seitenbegleiter, 
rauſcht unter einer Bruͤcke vorbey, und gibt den Waſſern 
der Luͤtſchine neuen Schwung; ihre vereinigte Kraft 
bahnet ſich Weg nach dem Brienzerſee, dem Ruheziel 
ihres Laufs. Dieſem ſo nahe, uͤberlaͤßt die juͤngere Saxe⸗ 
ten die Ehre des Namens ihrer aͤltern, bereistern Geſpie⸗ 
lin, welche die Waſſer von mehr denn achtzig verſchiedenen 
Baͤchen und Wafferfällen in ihrem Schooße mittraͤgt, obs 
gleich bey unpartheyiſchem Entſcheide des Wettſtreits die 
Anſpruͤche der Saxeten vielleicht eben (o gerecht ſeyn moͤch⸗ 
ten, weil fie in derjenigen Richtung vom Berge herab— 
kürzt, welche die vereinten Flüge in ihrem Lauf gegen den 


a 199. 


See verfolgen; die Luͤtſchine hingegen eine et was ſchwer⸗ 
fällige Wendung aus dem Thal um die Ecke des Boͤn in⸗ 
ger- Berges herum zu machen hat; die Quelle der erfteren: 
iſt vielleicht eben ſo betraͤchtlich, als diejenige einer der bey⸗ 
den urſpruͤnglichen Luͤtſchinen. Doch, ich lafe fie friedlich 
dahin ſprudeln! Waͤhrend dieſer kurzen Einmiſchung in die 
Angelegenbeiten der beyden Nayaden hat auch mein Fuͤh— 
rer bereits eine kleine Berathſchlagung mit einem Landmann: 
gepfſogen, aus deren Reſultat ich wahrnehme, daß wir 
ein Paar hundert Schritte weit über Stauden und Stoͤcke 
mehr nach rechter Seite hinſteuern muͤſſen. Dergleichen 
kleine Deliberationen gab es in der Folge noch mehrere, 
und waren gewoͤhnlich die Frucht der Converſations-Liebe 
meines Leiters. In ſteter Reſignation unterwarf ich mich 


den Ausſpruͤchen dieſer Conclaven; fuͤr mich ſelbſt war die 


kleine Pauſezeit nie verloren; es gab deren ohnedem noch 
manche: denn mit jedem Schritte aufwaͤrts wechſelten und 
erweiterten ſich die mir neuen Szenen auf allen Seiten. 
Gottlob! daß kein Verbot des Ruͤckblicks auf mir haftete. 
Gleichwohl machte mancher ſolcher Ruͤckblicke mich zur 
Saͤule, die der geſpraͤchige, gutmuͤthige Führer dann wies 
der ins Leben zuruͤckrief. 


"T Saft hätte mich derſelbe, und zugleich fein Bericht, 


2 


ixi 


daß es einige Jahre her feo, feirdem-er mit einer, auf die 


Bellen: Alp ziehenden Heerde, dieſen Wegl betreten habe, 
— bey Wittersweil bewogen, den ebneren Weg links ins 


große Thal einzuſchlagen; in zwey Stuͤndchen haͤtte ich den 


Staubbach erreicht, haͤtte ihn zur ſchicklichſten Stunde, 
bey Sonnenbeleuchtung, ſehen koͤnnen, und waͤre ſo ohne 


E 


Bedenklichkeiten und Gefahren, nach Befriedigung eines 


Haupttheils der Neugierde fo vieler Reiſenden und Wall- 


fahrtenden, mit leichter Anſtrengung auf den Mittag wie⸗ 
der in Interlaken angekommen; — jedoch der erſte Vor⸗ 


200 ud 


fag blieb feſt; Lauterbrunnen konnte mir minder ents 
gehen, Sulek aber hieng von Umſtaͤnden ab, wie fie feig 
Monden nur heute zuſammentrafen; vielleicht nicht wieder 
zuruͤckkehren konnten. Was haͤtte ich dann nicht verloren! 
Alfo friſch, mein lieber Chriſtian, den Weg rechts einge⸗ 
ſchlagen! Nicht lange blieb die Steigluſt unbefriediget; 
der Weg führte auf einmal einen Treppen aͤhnlichen, hoͤchſt⸗ 
gaͤhen, hoͤckerichten Steig (über die Rothenfluh) bins 
auf; die Tritte waren ſo hoch und uneben, daß die Haͤnde 
an einigen Orten ſo viel zu ſchaffen hatten als die Beine; 
und oft fo ſchmal, daß kaum die Breite des Fußes Plaz 
greifen konnte; ſo dauerte es ungefaͤhr eine halbe Stunde. 
Zur Seite ſtroͤmte zwiſchen zahlloſem Geſtein und Felsbros 
cken, mit uͤbertaͤubendem Geraͤuſche, die Saxeten herab. 
Nach und nach, ſo wie man hoͤher kommt, entfernt ſie 
ſich fuͤr etwas Zeit aus den Augen und man hoͤrt kaum 
noch ihr Rauschen aus der Tiefe herauf. Noch eine halbe 
Stunde weiter gehet es über ſchoͤne, mit Scheunen und 
kleinen Huͤtten beſezte Weyden und Halb-Wieſen ziemlich 
gaͤh hinan, bis zum Eintritt in das ſtille und einſame 
Sapetenthal, welches faſt eine Stunde lang auf wohl 
gebahntem Fußwege durch Waldung führt. Die Anhöhe 
über die Rothenfluh — ein Name, der (id) ehmals über 
das ganze Gebirge erſtreckt haben ſoll — iſt eines Ruͤck⸗ 
blicks würdig und fattiget das fchlürfende Auge mit der 
Mannigfaltigkeit einer gedoppelten Anſicht. Seitwaͤrts durch 
die Lucke, zwiſchen dem ſtozigten, roͤthlichten Bergſtocke, 
weichen man umgehet, und zwiſchen der gegenuͤberliegenden 
Ißelten, verbirgt (id) zwar das jungfraͤuliche Schnee⸗ 
gebirge; dagegen erſcheinen in ganzer Groͤße und Pracht 
bie beyden neben ihm ſtehenden Eyger mit den Gletſchern 
in ihren Zwiſchenraͤumen und Abhaͤngen; etwas weiterhin 
verdeckt die Bergwand auch diefe, und in etwas groͤßerer 


201 


Ferne uͤberraſcht der unvermuthete Anblick des Werter- 
hornes, das zwiſchen der Ißelten-Kette zur Linken, 
und dem Berg Itram zur Rechten hindurchſieht. Figur 
und Lage ließen mir es vermuthen, und die Ausſage des 
Fuͤhrers machte mir es zur Gewißheit, daß die durch dieſe 
Luͤcke hindurch erſichtliche, zackichte, weiß bedeckte Felſen⸗ 
burg. das Wetterhorn feye, Seine mächtigen Nachbarn 
werden noch von nähern Bergen verdeckt. — Mehr zur Lin⸗ 
ken, nordoͤſtlich, ſcheidet die Breitlauinen- oder CY els 
ten⸗Bergecke jenen erhabenen aber wildern Theil der Ana 
ſicht von einem Schauplaz ganz verſchiedener Art und Na⸗ 
tur. Zu meinen Fügen fließt die Lütſchine durchs feyer⸗ 
liche Alpenthal dahin; ein Theil der ſchoͤnen bevoͤlkerten 
Ebene von Gſteig, Wilderswyl und Matten liegt 
in lieblichem Verein bis an den Brienzerſee vor mir 
ausgebreitet, den das Auge faſt der ganzen Laͤnge nach 
beherrſcht, und dem die Luͤtſchine ihre Waſſer uͤbergiebt, 
waͤhrend unweit davon die Aare ſich ihr entwindet; die 
ſtolze Bergkette des Harders, welche das eine Ufer die ſes 
Sees und der Aare begrenzt und mir bisher alle, hinter 
ihr gelegenen Gegenſtaͤnde verdeckt hatte, faͤngt an, ſich zu 
beſcheiden; das Hohgant im Entlebuch, die Quell, 
mutter der Emme, zeigt ihre Spitze und veranlaßt mei- 
nen Chriſtian, mir viel von der Herrlichkeit ihrer Ausſicht 
und dem bequemern Wege dahin, zu erzaͤhlen, und ein 
neues Project in mir zu entſpinnen. Bey der ganzen Szene 
fehlte mir nur die Verſchoͤnerung durch den Anblick des 
Aufgangs der Sonne, welche mir anfänglich die Iſelten⸗ 
Bergkette am linken Ufer des Brienzerſees, nachher die 
Waldung verbarg. Ihr Wiederſchein und die allmaͤhlige 
Erhellung der Gebirge auf der andern Seite des Sees 
verkuͤndeten aber ihre Ankunft am Horizont. 

Nach geſaͤttigtem Durge meiner Augen — denjenigen 


202 


des Mundes vergaß ich jezt — festen wir unſern Weg fort, 
und betraten das ſchmale, allmaͤhlig fic) kruͤmmende Thal; 
zur Linken dunngeſaͤete Forcen und Tannen, am Fuße der 
roͤthlichten Felſenwand, welche da und dorten (ic) zwiſchen⸗ 
durch zeigte; zur Rechten war etwas dichterer Wald, der 
ſich in ungemeßne Tiefe gegen der toſenden Saxeten hin⸗ 


abſentte, und mir jo den Abgrund zur Seite verbarg, 


wenigſtens minder gefaͤhrlich machte; ungeachtet des gaͤhen 
Abſchußes ſah ich friſch abgehauene Baͤume, deren Lage 
zu errathen geben koͤnnte, wie es mit dem Fallen zugegan⸗ 
gen ſey; mein Fuͤhrer erzaͤhlte, daß die Leute ſich an Sei— 
len herablaſſen und oft ſo halb ſchwebend die gefaͤhrliche 
Verrichtung vornehmen muͤßten; was nicht heraufgebracht 
oder verkohlet werden kann, ftürgt an das Bette der Saxe⸗ 
ten herunter, wo es an Ort und Stelle verſtuͤckt weggetra⸗ 
gen und oft auf das andere, minder feile Ufer beruͤberge— 
ſchafft werden muß; oder es bleibt irgendwo haͤngen, bis 
es nach Jahren ein gluͤcklicher Umſtand lofet, oder — bis 
es verfaulet. Es gehet eine betraͤchtliche Meuge des ſchoͤn⸗ 
ſten Holzes zu Grunde, weil es zur Zeit noch an beſſern 
Einrichtungen, oder an der Möglichkeit gebricht, des Wuchs 
ſes habhaft zu werden, und weil die oͤrtliche Lage zum 
Verkauf und Transport nicht guͤnſtig iſt. Links am Wege 
fichet man eine veroͤdete Grotten-aͤhnliche Oeffnung, und 
ein Ofengeruͤſt, das ehemals zu einer Kalkbrennerey gedie⸗ 
net haben mag, was zum Theil auf die Verwandtſchaft 
der benachbarten Felſenart mit dem Kalkgeſchlechte hindeu⸗ 
ten wuͤrde, wenn es auch andere Umſtaͤnde nicht muth⸗ 
maßen ließen. 

Die duͤſtere Anſicht von Wald und Felſen, und die 
feyerliche Stille des einſamen Thals, welche nur durch das 
ferne Toſen der von Fels zu Fels durch die Schlucht herab— 
Rürzenden Saxeten unterbrochen wird, ward in etwas durch 


203 


die Ruͤckſeite des Abendberges belebt, welcher jenſeits 
des Stroms, in paralleler Richtung, die dießſeitige Bergz 
reihe verfolget, und mit zahlreichen Hütten beſtreuet iſt, 
deren Bewohner oder Befiger eben den heutigen fonen 
Tag in Eile mit Grasabmaͤhen benuzten; unfer waldigtes 
Thal biegt (ic) in ſanfter Ruͤndung links, und zeiget we- 
nige einzelne Wohnungen dieß- und das von der Welt ab» 
geſchnittene Doͤrfchen Saxeten jenſeits; Grasabſchnei— 
den war da allgemeine Beſchaͤftigung; die Saxeten murs 
melte wieder freundlich bald links bald rechts neben uns 
vorbey, fo wie die ſchmaͤler werdende Enge und die zahl— 
loſen Felſenſtuͤcke und Kieſel, die ſich haͤufen, auf die eine 

oder auf die andere Seite heruͤber noͤthigen. Der Brüs 
ckenbau iſt in dieſer Gegend noch zu keiner Vollkommenheit 
gediehen, obgleich es weder an Sprengwerk noch an Hàng- 
werk mangelt. Jeder Wanderer kann ſich nach eigenem 
Syſteme bauen, wenn er nicht Barfuͤßer⸗ Manier vorzie⸗ 
hen will. 

Die Kette des Abendberges wird in dem Maaße, 
wie ihre Höhe zunimmt, nach und nach wilder, nackter. 
Auch die linke Seite des Hinweges veraͤndert in etwas ihre 
Geſtalt, indem das Gelaͤnde, welches mit Waldung bedeckt 
iſt, ſich mehr bergan erhebt, und einen Zwiſchenraum bis 

zum Strom für Wieſen und Weyden übrig läßt, die man 
eine Strecke weit durchwandert, bis Felſenſchutt, Graus 
und Anzeigen von Zerſtoͤrung den Anblick wieder veraͤndern 
und den Weg zu verſperren ſcheinen. Seit beynahe zwey 
Stunden, vom Eingang in das ſchattichte Thal an, wo 
auf einmal ein Vorhang die lieblichen, geruͤndeten For— 
men ſowohl, als die himmelanſtredenden, zackichten Ge 
ſtalten des Erdoberſaͤche-Theils verbarg, welcher auf der 
Anhoͤhe der Rothenfluh noch einige Augenblicke meine 
Neugierde und Bewunderung gefeſſelt hielt, — ſchien ich 


204 


mir in einen ganz andern Welttheil verſezt zu ſeyn; fo ſehr 
haben binnen kurzer Zeit auf dieſem intereſſanten, immer 
abwechſelnden Wege, das Sanfte der bewohnten, belebten, 
ſlaͤchern Gegenden dem Erhabenen, — dieſes wieder dem 
Einſamen, Feyerlichen, Stillen, — dieſes dem Schauer⸗ 
lichen, Wilden, Plaz gemacht. Noch mehrere Veraͤnde⸗ 
rungen bleiben vorbehalten, die ich nicht zu benennen, noch 
zu claffificiren vermag. 

Hier, fat mitten in dem Wirkungskreiſe der anſcheinen⸗ 
den Zerſtoͤrung, liegt, zum Erſtaunen des Thalbereiſers, 
das Hirten- Dorfen Saxeten, am Fuß des Berges, 
den ich bisher, unbekannt mit ſeiner wahren Benennung, 
vielleicht irrig, aber nur darum Abendberg heiße, weil 
er die ununterbrochen mit dem, in der Ebene alſo benanns 
ten, Berg zuſammenhaͤngende, ſuͤdweſtliche Fortſetzung iſt, 
und hier auch, ſeiner Lage nach, wiederum dieſen Namen 
mit Recht zu verdienen anfaͤngt. Das Doͤrfchen gehoͤrt in 
die Kirchengenoſſenſchaft der, zwey Stunden davon entfern⸗ 
ten Gemeinde G'ſteig, deren Seelſorger die Verpflich⸗ 
tung haben ſoll, monatlich einmal ſich perſoͤnlich hieher zu 
verfuͤgen, gleichwie in ein anderes, noch weiter von G'ſteig 
abgelegenes Felſendoͤrfchen, genannt Eiſenfluh, welches 
in den ſuͤdlichern Hoͤhen uͤber dem Lauterbrunner-Thale 
liegt; das heißt denn doch mit Kopf und Fuͤßen am Heil 
der anvertrauten Seelen gearbeitet; dafuͤr geſchiehet es aber 
auch bey dem unverwoͤhnten, unſchuldigen Hirtenvoͤlkchen 
mit Frucht; und gewiß bedarf daſſelbe manches Zuſpruches 
nicht, der vergebens durch Staͤdter-Ohren ſtroͤmt. 
Die Bauart der kleinen, einfachen, in gleichfoͤrmiger 
Entfernung von einander abſtehenden Haͤuschen zeigt an, 
daß nicht nur auf Felſen, ſondern auch auf Erfahrung und 
Vorſicht gebauet worden ift; da es einmal hier gedauert 
ſeyn mußte, wo Steine, aus dem Himmel herabrollend, 


e 205 


fo gar was Seltenes nicht ſeyn muͤſſen. Die Gegend if 
damit wie beſaͤet, und etwas weiterhin dicht bedeckt; man 
fichet es einigen Bruchſtuͤcken deutlich an, daß fie vom 
neueſten Datum ſeyn konnten. Der Name Saxeten (Saxe. 
tum) bedeutet genugſam die ſchon in altern Zeiten bes 
kannte, felſichte Beſchaffenheit der Gegend. — Quer vor 
uns über ſcheint ſich das Thal zu ſchließen; deutlich zeiget 
fich, daß die Felſenkette links, deren Spitze die Suleck 
iſt, und diejenige rechts, fo mit dem Abendberge anhebt, 
und ſich, dem Lauf der Saxeten nach, allmaͤhlig in die 
Spitze der Schwalmeren verlaͤuft, in einem Halbzirkel 
zuſammen ſtoßen. Ich ſehe den zweifelnden Blick meines 
Fuͤhrers die vorſtehende Felſenmauer und die Bergwaͤnde 
zur Seite durchſpaͤhen, und frage mich ſelbſt, welcher Weg 
uns wohl auf die begehrte Höhe führen werde? — Es ift zu 
i vermuthen, daß wir den ſchmalen, vielleicht mit abgemaͤ⸗ 
8 hetem Gras bedeckten Weg uͤberſehen hatten, den wir ſchon 
fruͤher bey Saxeten, unten an der Waldung, hätten links 
einſchlagen follen, und daß wir alfo zu weit vorwaͤrts gt» 
kommen waren. Chriſtian vertroͤſtete mich, ungeachtet als 
les Anſcheins, daß wir auf dem rechten Wege und zwar 
auf dem gewöhnlichen Wege der Kuͤhhirten wandelten, 
wenn ſie auf die Alp treiben; und daß ein kuͤrzerer Weg, 
(den ich im Heraufſteigen minder als im Herabſteigen ge⸗ 
fürchtet Hätte), für mich hätte allzuſchwierig ſeyn mögen, 
Eine Fehlſchuͤtzen⸗Ausrede meines gutmeynenden Führers, 
wie fich zeigen wird! — So ungeheuer indeſſen der Um 
weg war, auf dem er mich fuͤhrte, ſo hat er mich nie ge⸗ 
reuet, vielmehr ſeitdem oft gefreuet, da er mir neue, mati 
. nigfaltige Anſichten aufdeckte, und uns von einer Seite auf 
die Höhe fuͤhrte, die mir, nach einiger Wanderung ín Shat- 
ten und Wild niß, deſto nuhr Ueberraſchung gewaͤhrte. Doch 
ich elle mit den Gedanten auf die Höhe vor; wår ich nur 


206 0 


ſchon dort! werden wenigſtens Sie, M.. 44 
denken. Nach zwey Stunden Wegs erſt werde ich davon 
Bericht geben koͤnnen. Es gehet vorher noch tuͤchtig bergan; 
— aber fiehe, Entſchaͤdigung! — Von einer ſenkrechten 
Felswand zur Linken plátfd)ert ein niedlicher Waſſerfall 
herab und vereinigt fid) mit der Saxeten, welche nahe ba» 
bey ſelbſten von elner Höhe, die, ich weiß nicht wie, übers. 
fliegen werden muß, ſchaͤumend hervor- und in das gemein⸗ 
ſchaftliche Becken hereinſtuͤrzt. Zwey Waſſerfaͤlle von ganz 
verſchiedener Art in einem Ueberblick! Kaum hat Auge 
und Ohr fic) an dem fanft herabgkeitenden, in Staub sers 
rinnenden Waſſer des erſteren ergöͤzt, fo ziehet nach weni⸗ 
gen Schritten die ſtaͤrkere, gedraͤngte Waſſerfuͤlle des zwey⸗ 
ten, die Aufmerkſamkeit an ich. Chriſtian, auf meine Fras 
ge, wie hoch wohl der erfiere ſeyn möchte, meynte, es wäre 
ſo viel als Nichts, wenn man eine vierzigſproͤßige Leiter an 
die Felſenwand hinanſtellte, welche wohl ein Paar hundert 
Schuhe hoch ſeyn muͤßte; was ich nicht glauben wollte. 
Eine andere Wendung ſeiner Erlaͤuterungen gab dieſer Mey⸗ 
nung mehr Gewicht und erhoͤhete den Fall, wo er ernies 
driget werden ſollte; er gebrauchte nämlich den berühmten 
Staubbach zum Maaßſtabe, und bemerkte mir, daß die⸗ 
ſer wohl faſt noch einmal ſo hoch ſeye als jener; — das 
Augenmaaß dieſer, des bekannten Anblicks gewohnten Leute 
truͤgt felten in ſtarkem Grade; dieß angenommen und be⸗ 
dacht, daß der Staubbach bey Lauterbrunn goo Fuß 
hoch befunden worden iſt, ſo durfte man doch, ohne der 
Sache zu viel zu thun, eine Höhe von 400“ für den Elek 
nern Staubbach im Saxetenthal annehmen. Ma 
les defen wurd’ ich noch beffer uͤberzeuget, da ich beym 


Heranſteigen des nahen ſogenannten Breit-Rains, vom 


Fuß des Waſſerfalles an bis auf t Horizontalhoͤhe feines 
Anfangs, ungefähr 25 ununterbrochene Minuten Weges 


207 
zurücklegen mußte; dieß gäbe auf jede Minute Weges im 
Durchſchnitt 16 Fuß ſenkrechte Hoͤhe; ob dieß allzuſtark 
angenommen ſeyn moͤge, wird eine leichte Berechnung bald 
lebren; die Geſchwindigkeit des Schrittes mochte ungefahr 
6o auf die Minute, und die Höhe auf jeden Schritt alfo 
gegen 3 Zoll betragen haben. Bey diefe Langſamkeit des 
Schrittes waͤre auf einer Ebene, jeden Schritt zu 2 Schu⸗ 
hen angenommen, in jeder Minute eine Diſtanz von 120 
Fuß zurückgelegt worden. Beym Heraufſteigen aber kann 
man hoͤchſtens 90 — 100 Wegs auf die Minute, oder 
i 1½ auf den Schritt annehmen. Die Steile des Breiz 
ten» Rains betrug zum wenigſten einen Winkel von 36 Gra- 
den; man beſteigt ſolche Anhoͤyen aber gewöhnlich in ſchlaͤng⸗ 
lichter Richtung. Gedenkt man ſich nun einen rechtwink⸗ 
lichten Triangel, defen kleinere ſenkrecht auf der größeren 
ſtehende Cathete 16/ betruͤge, und die Höhe des in einer 
Minute beſtiegenen Rains vorſtellte; die Hypothenuſe oder 
der in einer Minute zuruͤckgelegte ſteile Weg aber wäre 
900, fo würde fid) zeigen, daß der kleine Winkel zwiſchen 
der Hypothenuſe und der laͤngern Cathete, welcher die Schie⸗ 
fe des Rains vorſtellt, eben nicht ſehr uͤbertrieben, und in 
ziemlicher Uebereinſtimmung mit der Steile des ſchlaͤng— 
lichten Weges herauskommen wuͤrde. — Dieſe verſchieden⸗ 
ſeitige Veifahrungsart, nach welcher ich mir öfters durch 
Vernunſtzwang, oder, will man, durch Verechnungsz wang 
eine Ueberzeugung abnoͤthigen kann, die das hoͤchſt trüges 
riſche und ungleich urtheilende Augenmaaß nicht aufdrin- 
gen konnte, — ſoll bloß zur Beſtimmung des Grades der 
Wahrſcheinlichkeit und Zuverlaͤßigkeit dienen, welche der 
ungefaͤhren Schritteineffung angetraut werden doͤrfen. Die 
Angewoͤhnung einer gewißen Regelmaͤßigkeit des Schrittes 
auf gegebene Zeit und Diſtanz kann, bey aͤhnlichen Promp⸗ 
tar ⸗Meſſungen, Dienfie mangelnder Werkzeuge in fo weit 


208 


verſehen, als es der Zweck des Augenblicks erfordert, und 
als es auf einige Schuhe mehr oder minder ankommen 
kann. i 

Nach dieſer vorbeygaͤnglichen Höͤheſchaͤtzung des ſchoͤ⸗ 
nen, mitten von der praͤchtig-roͤthlichten, ſenkrechten Fels 
ſenwand herabraͤuſchelnden Falles des Bella-Bachs, cre 
ſchien er mir nun in doppelt reſpectabler Geſtalt. — Als 
ich oben uͤber dem Fall den Vach durch eine ſteile Weyde 
herabffießen fab, und mir das von ihm zu beyden Seiten 
benezte ſchluͤpfrige Gras dachte, welches die Sonne ſeit 
langer Zeit nicht beſchienen hatte, und ich von dem Fuͤh⸗ 
rer hoͤrte, daß unſer Weg, nach einer baldigen Schwen⸗ 
kung zur Linken, queer uͤber denſelben hingehen wuͤrde, da, 
ich muß es geſtehen, erſchien er mir in fuͤrchterlicher Ges 
ſtalt; das angenehme Gefuͤhl, worein ſein erſter Anblick, 
das ſeidenartige, fanfte Raͤuſcheln feines Herabgleitens, 
und das Plaͤtſchern am Fuße deſſelben mich in dieſen eins 
famen Oertern eingewiegt hatte, gieng bey jener Nachricht 
in etwas baͤngliche Empfindung uͤber. Meſſen und Rech⸗ 
nen vergieng mir. Doch Ruͤckwaͤrtsgehen paßte nicht zu 
meinem Vorſatze; die Verſicherung des Fuͤhrers, daß es in 
der Naͤhe nicht ſo gefaͤhrlich ſcheine, und die auf der Hoͤhe 
des Breit Rains wirklich gemachte Entdeckung, daß die 
Entfernung des Fußſteiges von dem Fall etwas roger und 
dieſer Steig etwas minder glatt und ſchluͤpfrig ſeye als die 
perſpectiviſche Anſicht von unten herauf gedrohet hatte, — 
machten mich bald wieder der uͤberraſchenden Eindruͤcke em⸗ 
pfaͤnglicher, welche ich durch die Erweiterung und Veraͤn⸗ 
derung des Geſichtskreyſes erhielt, der ſich auf der Hoͤhe 
des Rains unvermuthet öffnete. Ich hatte mich am Ende 
des wilden, felſigten Thals geglaubt, das der Breite-Rain 
wie ein Querdamm verſperrt; hinter demſelben umſchloßen 
den Horizont hohe, noch mit Schnee belegte Felsgipfel; 


209 


eine ſchauerliche, nur bom Waſſerfall und von der Sareten 
belebte Stille und Einfoͤrmigkeit herrſchte zwiſchen den bey⸗ 
den Bergreihen, welche keinem Sonnenblicke Durchgang 
vergoͤnnten. Auf einmal erſcholl harmoniſches Gelaͤut ei⸗ 
ner Sennte in der nahen Alp Reßleren, deren Grün, 
mit lebendigen Geſchoͤpfen beſaͤet, vor mir ausgebreitet lag. 
Aus einem zur Rechten gelegenen Tannwaͤldchen ertönte 
uns frohes Jauchzen vom Munde der Hirten entgegen; ich 
erwiederte es aus überfliegendem Herzen; an der Woͤlbung 
der Felſen, die das Ganze in ſchoͤner Ruͤndung umkraͤnz⸗ 
ten, wiederhallten vielfach unſere Stimmen. Wie belohnt 
war ich jezt für den Umweg! Zur Vollendung hatte mir 
Chriſtian die Hoffnung in den Kopf geſetzt, daß ich heute 
vielleicht Gemschen zu ſehen bekommen wuͤrde; meine Ein⸗ 
Wibungiicoft fab deren bald auf den umliegenden Bergz 
ſpitzen; auf einem Zacken der Schwalmeren oder 
Schwalmenegg, wie mein Führer es hieß, ſtuhnd ein 
ſolches Thier; ganz deutlich zu ſehen; — es hat ja ordent⸗ 
lich zwey Hoͤrner nach Gemſenart und iſt ohne Zweifel eben 
jezt auf Schildwache; — Chriſtian meynte aber, es koͤnnte 
wohl nur eine Ziege fem, font würde fie nicht fo fille fie» 
hen; ihre Geſtalt, ihre Farbe, ihr Bart, ihre Groͤße, al— 
les waͤre mehr ziegenmaͤßig. Er pfiff; ich jauchzte; denn 
ich verſtehe weder den Gemſen noch den Maͤuſen zu pfei⸗ 
ſen. Umſonſt! das Gems behielt ſeinen Poſten, hatte 
aber doch, wie uns daͤuchte, eine kleine Wendung gemacht; 
die Folge wird zeigen, wer Recht hatte. — Mich wunderte 
indeß beym Anblick des Schnees auf dieſen Bergen nur / 
wie die Schwalbeneck zu dieſem Namen gekommen ſey; 
denn gewiß iff dort kein Sommeraufenthalt für diefe Art 
von Vögeln. Chriſtian konnte mir keine etymologiſche Auf 
löfung geben, und eine andere ift noch ſchwerer; es müßte 
denn etwa die ganze Ründung dieſes ſonderbaren Erde⸗ 
37 Qv. r O 


210 


winkels ben Namen von der Zirkelform erhalten haben, 
welche die Schwalben ſo oft in ihrem Fluge beſchreiben? 
— Die Naͤhe der Schwalmere und Abendbergkette, welche 
einen minder ſchwierigen Durchpaß zu geſtatten ſchien als 
die Felswaͤnde der Suleck, bewog Chriſtianen, hier aber⸗ 
mals einen Verſuch mit mir anzuſtellen und mich zu einem 
Beſuch des jenſeitig benachbarten Kienthals einzuladen, 
deffen Ausgang mit dem Canderthal nahe bey N iden 
dach unb Mühlenen zuſammenſtoßt; aber mich zogen 
jezt die Schaugenuͤße auf der naͤhernden hohen Zinne der 
Suleck an. 

Ich verließ ungern dieſe Oerter und wendete denſelben 
oft einen Ruͤckblick zu. — Die Gebirgsgruppe, welche hier 
ſo nahe vor meinem Auge lag, ward mir noch durch den 
beygefallenen Gedanken intereſſant, daß ſie nicht nur die 
Zeugmutter der nördlich abfiefenden Saxeten und der 
Bella, fonbern auch des jenſeitigen Staubbaches if, 
von deſſen Quelle ich nicht mehr allzuentfernt ſeyn konnte. 
Alles deutet auf die Geſchwiſterſchaft dieſer Waſſer. 

Abermals ohne Bruͤcke mußte die ſteinreiche Saxeten, 
unfern hinter ihrem Sturze, uͤberſchritten werden, und ich 
befand mich wieder uͤber ihrem rechten Ufer, auf der ſoge⸗ 
nannten Bellenſtaffel. Eine gute Strecke weit mußte 
ich auf dieſer Seite ruͤckwaͤrts, doch allmaͤhlig gegen die 
kegelfoͤrmige Suled hinanſteigen, von deren Fuß die Bella 
da und dort unter einer Schnee- und Eisdecke berabflof ; 
der. befürchtete Schritt über dieſelbe ward glücklich gemacht; 
zwar war das umliegende kurze Gras vom langanhalten⸗ 
den Regen befeuchtet und ſchluͤpfrig geworden; aber bete 
ſchiedenes kleines Geſtraͤuch verſchaffte Anlehnpunkte; und 
wenn die ſchwache, loſe Sperrung von faulen Baumaͤſtchen 
vor der Oeffnung, durch welche der Bach gegen feinen ſenk⸗ 
rechten Fall herabſtuͤrzt, den Fallenden eben nicht in den 


211 


Wirklichkeit ſchuͤtzen wuͤrde, fo hat fie doch für die Idee 
ſo lange etwas Beruhigendes, als man keine naͤhere Un— 
terſuchung anſtellt. — So wie mir Chriſtian alles Moͤgli⸗ 
che verſprochen hatte, ſo hielt er auch Wort und fuͤhrte 
mich uͤber Lagen von gefrornem Schnee, die er mit dem 
Namen Gletſcher beehrte; da ich jedoch kaum glaube, daß 
dieſer Schnee in heißen Sommern liegen bleibe, obſchon die 
Sonnenſtrahlen dieſe Seite des Berges wenig beſuchen, 
ſo glaube ich auch nicht, daß jener Name den Eisbruͤcken 
mit Recht gebuͤhre, welche noch da und dort uͤber kleine 
Nebenbaͤchgen geſchlagen waren; mit großer Vorſicht unt 
giengen wir meiſtens diefe Bruͤcken und klimmten, mit un 
betraͤchtlichem Gewinnſt, den ſchluͤpfrigen Waͤnden der 
Schluchten nach. — Laͤngſt hatten wir einen, etwas ges 
bahnten, aber entſezlich tief- lettigten Weg verlafen. — 
Hinter einem Erdeaufwurf erſchien eine Sennhuͤtte, deren 
kothigter Zugang mit zahlloſen Fußſtapfen von Kuͤhen reich⸗ 
lich bezeichnet war. Indeß ein willkommner Anblick fuͤr 
meinen guten Begleiter, der nach Milchſpeiſen duͤrſtete, 
und welchem ein Paar Zuͤge alten Weins ſtatt Staͤrkung 
etwas Uebelkeit erregt hatten. Die Ober-Bellenalp, bes 
ren Gipfel das Ziel meines Unternehmens mir zunickte, 
lag nicht ferne über uns; gerne hätte ich dieſelbe noch vor 
dem Mittagsmahl erreicht, das wir ſeibſt mitgenommen 
hatten. Aber mein Geleitsmann, der unſchuldiger Weiſe 
durch wenige, in der Hitze genommene Züge des unges 
wohnten La -côte - Getränfs etwas aus der Fuge gekom⸗ 
men war, war nicht von feinem Plane abzubringen. Er 
klopfte an; niemand that auf. Er oͤffnete; niemand war 
zugegen. Er rief, huſtete, pfiff; niemand antwortete. Er 
ſuchte, und Nichts fand er. Beſſer als dieſe vergebli— 
chen Bemühungen hätte auf der Welt nichts meine Ab ſſicht 
begünftigen koͤnnen, von der Stelle zu kommen. Bald ers 


212 


blickten wir eine zahlreiche Kuh- und Ziegenheerde auf eis 
ner Anhoͤhe zur Linken; geleitet vom Regierungsſtab eines 
einzigen Hirtenknaben. Ihr nothwendiges Vereinigungs⸗ 
mittel, die Schellen, toͤnten wiederum harmoniſch entge⸗ 
gen; ich ſage harmoniſch, wenn auch ſchon der Unterſchied 
zwiſchen dieſer Harmonie derjenigen einer Hofkapelle ſehr 
fuͤhlbar iſt; aber es faͤllt doch auf, mit welcher Sorgfalt 
und muſikaliſchem Gefuͤhl die Berg-Sennen, ohne Kennt⸗ 
niß der Terzen und Quinten, darauf ſehen, daß ſogar 
deym Zuſammenreimen der Kuhſchellen das Ohr nicht cb 
wa durch Mißtoͤne verletzt werde, welche nicht zuſammen⸗ 
gehören. Die Thiere ſelbſt ſcheinen ordentlich fid) bey Dies 
ſer Schicklichkeit der Auswahl ihrer Halszierde zu gefal⸗ 
len. — Mein Fuͤhrer ſezte ſich zu einer kleinen Conferenz 
mit dem Hirt auf einen Stein; — mich drang es vor⸗ 
waͤrts; drey kleine Viertelſtunden entfernt lag der Buͤhel, 
auf dem ich meine Augenweyde erwartete, uͤber welcher ich 
alles übrige vergaß. Seitwaͤrts neben der Heerde, welche 
eben ſich in ganzer Schlachtordnung naͤherte, hinter einem 
kleinen Abhang vorbey, der mich verbarg, eilte ich etwas 
verdoppelten und ungezaͤhlten Schrittes allein bergan. Nur 
die angenehme uͤberraſchende Bemerkung der, hier neben 
einer Schneelage blühenden, fanftriechenden Alpveilchen, 
(die ich bisher auf andern Bergen nicht angetroffen habe), 
unterbrachen meinen Gang zur Sammlung eines Büfchele 
chens, das ich, leyder! wieder verlor, als ich beyde Haͤnde 
gebrauchte, um über einen ſchluͤpfrigen Schneeabhang weg⸗ 
zueilen. — Es gieng ſich in dieſer herrlichen, bis hieher 
kuͤhlen Alpenluft ſo angenehm und leicht, daß ich nur die⸗ 
fer Luft meine wenige Müdigkeit nach fünf und einer Hale 
ben Stunde Marſches zumeſſen kann; aber jezt haͤtte es 
bald angefangen Ernſt zu werden. Die Sonnenſtrahlen 
drangen mit ganzer Kraft herein, als ich der freyer beſchie⸗ 


213. 


nenen Höhe nahete; ich wollte jedoch ans naͤhernde Ziel. 
Mein Begleiter war weit zuruͤck; wir ſahen uns nicht mehr; 
ich alſo ganz allein auf dieſer unbekannten Hoͤhe! — Dieß 
Alleinſeyn fuͤr kurze Zeit an einem ſolchen Orte, in einem 
Augenblicke wie der, welcher (id) näherte, eben dieß war. 
mir jezt Beduͤrfniß. — Ich weiß nicht die unausdruͤckbare, 
kuͤhl⸗durchſchauernde Empfindung zu benennen, welche 
mich zuweilen ergreift, wenn ich allein mich einer Berg⸗ 
hoͤhe nähere; ein Gefühl, das ich noch niemals wieder in: 
mir erkennen konnte, wenn es in der Geſellſchaft oder Nacha- 
barſchaſt eines andern lebenden Weſens geſchiehet. Ein 
einziger ſolcher Augenblick füllt mir mehr aus, als Jahre 
kaͤltern Denkens und Beobachtens der bloßen Vernunft. 
Jezt war ich der oberſten Stufe, der Zinne, nahe, 
welche, nach meiner Hoffnung, die nie geſehenen Wunder 
der erhabenſten, auf Erden ſichtbaren Theile der Schöpfung- 
vor die Augen ſtellen ſollte. — Der blaue, von keinem 
Duͤnſtchen am weiten Horizont getruͤbte Himmel, war mir 
Vorbote gekroͤnter Muͤhe, wenn nicht vollkommen befrie⸗ 
digter Erwartung. Eine weiße Spitze, welche oͤſtlich in. 
den blauen Himmel hineinſtach, war der erſte Gegenſtand, 
der meinen Blick auffieng, noch ehe die fünf oder ſechs lez⸗ 
ten Schritte auf die Hoͤhe der gruͤnen Firſt gethan waren; 
ſo viel ich mich erinnern kann, war es das Wetterhorn; 
dieſes hervorſtehende Gebirge, wenn ſchon nicht das hoͤchſte 
jener Gegenden, iſt, zufolge feiner örtlichen Lage, beynahe 
immer dag certe und lezte, welches mir auf verſchiedenen 
Bergbeſuchen ins Auge fil, — Ein jeder der lezten, kurs 
zen, mir jezt Gold werthen Schritte, that mir einen brei⸗ 
ten Streifen vom Horizont, eine ganze Landſtrecke auf. 
Nun war ich oben! — — — Wie ſoll ich's ausſprechen, 
| — womit die Befriedigung meines ganzen Innern benen⸗ 
nen? Was fuͤr ein vollguͤltiger Augenblick! — Erlaſſen 


214 


Sie mirr . die Worte, welche 
ausdruͤcken ſollten, auf welche Weiſe jezt mein lange vers 
haltener Drang, meine heutige Anſtrengung und meine 
Aufopferung geſellſchaftlicher Vergnuͤgung belohnet war! — 
Ich kann nicht mehr ſagen, als: ich erhielt noch weit mehr 
als ich geſucht und gehofft hatte und als ich von dieſem 
Standpunkt mit Wahrſcheinlichkeit hatte erwarten koͤnnen. 
— Ich bedurfte einige Minuten zur noͤthigen Sammlung 
meiner Faſſungs- und Unterſcheidungskraͤfte; denn jene 
himmelanſtrebenden, blendenden, von keinem Menſchenfuß 
betretenen Maſſen, die Gegenſtaͤnde unerfchöpfter Betrach— 
tung und Bewunderung ſo vieler aͤlterer und neuerer For— 
ſcher, des Staunens der zahlloſen, feit Jahrhunderten nur 
um des Anblicks willen hier durchwallenden, aus den fers 
nen Ebenen Neugierdevoll herbeyſtroͤmenden Reiſenden; 
dieſe gewaltigen, von der allmaͤchtigen Hand des Schoͤpfers 
zu wichtigen Zwecken geformten und aneinander gereiheten 
Gebirge, wenigſtens eine Kette der merkwuͤrdigſten unter 
denſelben; — dieſe Werke der Großkuͤnſtlerin Natur und 
noch fo viele andere, um- und nebenliegende, fie noch 
mehr heraushebende, und ſelbſten zum Nutzen, zum Vers 
gnuͤgen und zur Bewunderung geſchaffenen mannigfaltigen 
Formen, die der Gedanke Gottes zum Daſeyn erhob, — 
alles das vor ein Paar Sekunden hinter dem Vorhange 
von etlichen Schritten Weges verborgen, und auf einmal 
vor meinen Augen ſo nahe aufgedeckt! — Eine große, im⸗ 
merwaͤhrende Ausſtellung, die die Natur veranſtaltet hat! 
— Ach, wohin verſinken die Ausſtellungen der beruͤhmte⸗ 
ſten Werke von Menſchenhaͤnden, wenn man ſich dabey 
nur einen Augenblick auf den Schauplaz in der Nähe von 
einer der großen Werkſtaͤtten der Natur hindenkt! — Tra⸗ 
gen Sie Gedult mit mie, s 00V. VS FR 
daß ich noch nicht eine kalte, bedaͤchtliche Herzaͤhlung und 


215 
Benennung aller von der Höhe der Suleck-Alp aus ers 
ſichtlichen Gegenſtaͤnde vor Augen legen konnte und nicht 
können werde. Allzuviel Verſchiedenes, Reues, ſtroͤmte 
auf mich an, um es in Ordnung reyhen zu können. Auch. 
koͤnnte ich nichts als Ihnen ſchon bekannte Namen dar⸗ 
felen. Was ich hier fah, koͤnnte vielleicht für Sie we 
der etwas Neues ſeyn, noch fuͤr die Wiſſenſchaft irgend ei⸗ 
nen Beytrag liefern. Was ich eher gewuͤnſcht hätte geben. 
zu können, wäre das: Wie die erhabenen Naturgegen⸗ 
ſtaͤnde an dieſer Stelle ſich dem Auge darbieten. — Nicht 
nur die Menge ihrer Mannigfaltigkeiten zeiget die Uner, 
ſchoͤpflichkeit des Stoffes; ſondern die mancherley Stellun⸗ 
gen und Lagen, von welchen aus, — und die vielerley Be⸗ 
ziehungen, Umſtaͤnde und Zeiten in und unter welchen ſie 
geſehen werden koͤnnen, erweitern noch mehr das unuͤber— 
ſehbare Feld von Betrachtungen. Und wie vielerley Spe⸗ 
tialzwecke, die den Beobachtungen zum Grunde liegen 
koͤnnen, erneuern nicht jedesmal das hohe Intereſſe der Be⸗ 
ſteigung eines Berges! — Der Geognoſt, der Mineralog, 
der Pflanzenkundige, der Geograph, der Mathematiker, 
der Phyſiker im engern und weitern Verſtande, der Mah⸗ 
ler, der Dichter, der Philoſoph, der Kriegsmann, der 
Gemsjaͤger, der Hirte, der Reiſende überhaupt; wie mans 
che Claſſe waͤre nicht noch beyzuſetzen! Jede findet beſondere 
Grunde und Anregungen, Unter den vielen unbekannten, 
auf's Unbegreiflichſte hintangelaſſenen Stellungen und 
Standpunkten auf Helvetiens Gebirgen it die Suleck 
eine derjenigen, welche ſowohl wegen ihrer beſondern Lage, 
als auch wegen der verſchiedenartigen und romantiſchen 
Anſichten auf dem, freylich etwas beſchwerlichen Wege da, 
hin, mehrere Aufmerkſamkeit verdiente, als ihr gewiedmet 
wird; indeſſen Schwaͤrme von Reiſenden, unwiſſend der 
nahen Zinne, am Fuß ihrer Felſen unten im Thal aufs 


216 


dem gefchlagenen Wege vorbeywallen und ſtuͤckweiſe befe 
hen, was hier in einem Ueberblick zuſammengefaßt wer⸗ 
den kann. Nicht in der Ausdehnung des Geſichtskreyſes 
und in der Freyheit der Ausſicht waͤre es, worin diejenige 
auf der Suleck mit den Capital-Ausſichten Helvetiens, als 
auf einem Sentis und Camor, auf einem Rigi, auf 
einem Nieſen, auf einer Dole, u. a. m. verglichen mere 
den duͤrfte; aber das Eigenthuͤmliche der ſichtbaren Ge⸗ 
genftände ſelbſt, und der Art, mie fie fid) auf dieſem 
Standpunkte darſtellen, wuͤrde allein ſchon ihn mit Recht 
unter die Claße beruͤhmterer Standpunkte reyhen. — Oder 
hat mich wohl die erſte Empfindung bey den neuen Anſich⸗ 
ten zu weit in meinem Privaturtheile hingeriſſen? Dich 
entſcheide, wer an Ort und Stelle geweſen. Entzuͤcken war 
freylich meine erſte Empfindung; unerſaͤttliches Hinſtaunen 
und Reue des Verlaſſenmuͤſſens die lezte, nach einem faſt 
vierſtuͤndigen Aufenthalte. — Hier vereinigte der geſammte 
Ueberblick die verſchiedenen Hauptcharactere von maleriſchen 
Anſichten, welche auf einander folgend, den Weg vom 
ebenen Thal an bis auf dieſe Hoͤhe, mir ſo intereſſant ge⸗ 
macht hatten; ein einziges Gemaͤhlde umfaßte nun das 
Epiſch⸗Laͤndliche der anmutbigen Gegenden von Unſpun⸗ 
nen und Interlaken; das Gewaltige, Erhabene des 
Zwiſchenblicks an der Rothenfluh; das Melancholiſch⸗ 
Einſame des filen, waldichten Saxetenthals; das 
Schauerlich⸗Wilde ſeines Hintergrundes; das uͤberraſchend 
Idylliſche der romantiſchen Neßlern-Alp. — 

Der Geſichtskreis theilt ſich noch in einer andern, mit 
ſcharfen Linien gezeichneter Rangordnung. 1. Weft- und 
ſuͤdweſtlich: Gehemmte Ausſicht an graue Bergmaſſen. 2. 
Mehr nördlich: Geoͤffnete Ausſicht in blaͤulichte Ferne. 
3. Nordoͤſtlich: Nahe grüne Fläche; erkennbare Gegen⸗ 
ſtaͤnde. 4. Südlich und ſüdoͤſtlich: Die weißen Hochge⸗ 
birge und Gletſcher. 


217 


So weit giengen meine erſten Unterſcheidungen als der 
Fuͤhrer, nach einer kleinen halben Stunde verfſoßener, fto 
liger Einſamkeit, mit Munition und Proviant auf der Hoͤhe 
ankam. Es war um ro Uhr. Die Sonne ſchoß ihre 
Strahlen derbe auf unſre Haͤupter und Rüden herab. 
Nun mein er ftes Beduͤrfniß, Sehen, einfhweiten unge 
ſtoͤrte Befriedigung erhalten hatte, regte fich auch ein anz 
deres. Jezt, nach ſechsſtuͤndigem, ununterbrochenem Stei⸗ 
gen und Stehen, nachdem fich bie waͤllenden Bewegungen 
des Gebluͤtes und der Lunge, fcit dieſer vorläufigen , rubis 


gen Betrachtung, etwas zur Ruhe gelegt hatten, machte 


ich mit einem deſondern Wohlbehagen die Anſtalten zum 
Lager und zur Mahlzeit. 

Der Berg ſtreckt eine ſchmale, zu beyden Seiten felz 
ſichte, oben aber mit grünem Raſen bedeckte, mehrere Huns 
dert Schritte lange Zunge oͤſtlich gegen dem Luͤtſchinen⸗ 
thal herfuͤr; von dem aͤußerſten, fpi zugehenden Ende fu 
fen wieder einige ſteile Abſaͤtze herab; auf einem dieſer Abs 
ſaͤtze, dem vorzuͤglichſten Standpunkt, wie mich daͤuchte, 
ſchlug ich das Gezelt auf, das in einem Schirme beſtand, 
der an den hohen, in den Boden geſteckten Alpſtock gebun⸗ 
den war; die Luft faufelte fanft und geftattete die Einrich⸗ 
tung dieſes auf duͤnnem Fuße ſtehenden, ſeidenen Daches, 
unter deſſen kuͤhlendem Schatten wir uns lagerten, und 
die eßbaren ſowohl als die papiernen Habſeligkeiten aus⸗ 
breiteten. Da gieng nun eine andere Art von Seligkeit 
an, die Sie mir, der ich noch nüchtern bin, (ein Glaͤschen 


Kirſchwaſſer um halb vier Uhr ausbedungen) und meinem 


Fuͤhrer gewiß auch herzlich goͤnnen werden. Ein Stuͤck 
Brodt mit Fleiſch und einem Trunk Wein im Munde des 
Muͤden, unter freyem Himmel genoſſen — welch eine un⸗ 
vergleichbare Erquickung gegen die bedeckte Tafel in der 
Stubenluft des tiefen Thals! — An hoͤrbarer und filler 


21$ 


Unterhaltung mangelte es mir nicht; die Geſpraͤchigkeit 
meines wiedererholten Reiſegeſellen erhielt jezt ungeſtoͤrten 
Lauf; ſeine Erklaͤrungen und Benennungen der Berge und 
Gegenden, ſo weit er ſie kannte, und ſeine Bemerkungen, 
Anecdoten und Erzaͤhlungen vergnuͤgten mich weit mehr, 
als manche Unterhaltung eines Geſellſchafters, der nur 
von ſeinem theuren Ich ſpricht und nur ſich ſelbſt gern 
hoͤrt; mehr als das auf- und abmeſſende Beyſitzen man⸗ 
ches Tiſchnachbars; mehr als das geraͤuſchvolle, (id) durch⸗ 
kreuzende, viel- und nichtsſagende Murmeln einer zahlrei— 
chen Geſellſchaft in Gaſthoͤfen und an Gelagen; mehr als die 
Wohlthat des Großen, wenn er die Gnade ermeifet , ein 
Paar Worte vom Wetter zu ſprechen. | 
Alles rings umher ſtimmte mich heute zu frohem Ges 
fuͤhle. Es war mir ein intereſſantes Schauſpiel, die großen 
Gegenſtaͤnde, von denen id) fo manches Neugierde ⸗reizen⸗ 
des, doch oft febr Verſchiedenes gehört und geleſen hatte, 
ſo zu ſagen von Angeſicht zu Angeſicht betrachten, ja ihnen 
gewißermaßen in den Buſen hinein ſehen und ſie nach mei⸗ 
ner individuellen Anſicht vergleichen und wuͤrdigen zu koͤn⸗ 
nen. Was mein Führer in Anſehung der Benennungen 
nicht vollſtaͤndig liefern konnte, das erſezten mir die mit⸗ 
genommenen Charten und Ebel. — Waͤhrend ich (nach⸗ 
dem Comus und Bachus empfangen hatten, was ihrer 
war) mit Bchaglichkeit auf dem weichen Raſen im Schat⸗ 
ten entlang geſtreckt die herumliegenden Szenen mit den 
Augen verſchlang und jene ſchriftlichen Anweiſer um Rath 
fragte, war mein Chriſtian, der bemerkte, daß nach uͤber— 
ſtandenem Bergmahl die Hauptſache noch nicht abgethan 
war, — ein bischen eingeſchlummert; ſo daß ich mich wie⸗ 
der allein befand. — Bisher war mir das Ganze des ſicht⸗ 
baren Theils der Erdoberfläche gleichſam in Maffe, oder, 
darf ichs heißen, als Gemaͤhlde vor Augen geſchwebt; jezt, 


b 


- 


219 


da id) mir die einzelnen Theile etwas naͤher bekannt ge 
macht hatte, betrachtete ich auch das Einzelne mit ere 
neuertem Intereſſe. O! wie flogen auf dieſe Weiſe zwey 
neue Stündchen unvermerkt vorbey! Ich ſchwamm mit den 
Gedanken in dem Geſichtskreiſe umher, und war faſt eben 
ſo ſehr als der Schlummernde, vielleicht ſezt Traͤumende, 
der Wirklichkeit des Ortes und der Lage, worin ich war, 
entruͤckt. — Doch dieſer Traum hat fich meinem Gedaͤcht⸗ 
niße bleibend eingepraͤgt; und einige wenige an Ort und 
Stell aufgenommene Notamina halfen da und dort wies 
der zu rechte, wo ſich meine heutige Erndte etwa mit den 
geſehenen Gegenſtaͤnden auf ſpaͤtern, gleich nachfolgenden 
Reischen haͤtten vermiſchen wollen. : 
Suid Sie, v ein fo langem 
Umwege mit mir auf die Hoͤhe geführt habe, bin ichs Fh- 
nen vor der Herunterreiſe, die das ihrige auf ſich hat, 
ſchuldig, auch noch, ſo gut ich kann, die in dem Horizonte 
der Suleckalp liegenden Gegenſtaͤnde zu benennen. Um 
die gleiche Ordnung zu beobachten, die ich weiter oben 
beobachtete als ich die vier Hauptcharactere dieſer Ausſicht 
zu ſchildern trachtete, fange ich auf der, den Horizont bes 
grenzenden, weſtlichen Seite an. Die felſichte, etwas mit 
Schnee belegte Bergkette, welche ſich dort zur Linken an die 
hohe Schwalmeren anſchließt, verlaͤuft ſich gegen der 
Rechten in den nach und nach herabſtufenden, und in 
gleichem Maaß allmaͤhlig mehr mit Pflanzwuchs gezierten 
Abendberg, deffen aͤußerſtes Ende fid in die Ebene von 
Interlaken herabſenkt. An dieſer, fo eigentlich im Bros 
fil fich darſtellenden Bergwand kam es mir als etwas Eis 
genthuͤmliches vor, wie ſelbige, in regelmaͤßiger Anreyhung 
von ſechs oder ſieben Felſenknoten, in foͤrmlicher Kettenge⸗ 
ſtalt an Höhe abnimmt, und im aͤußern Anſehen fid) ver- 
aͤndert; der oberſte Knoten, die Schwalmere, iſt mit blei⸗ 


220 


bendem Schnee, auf der Hinterfeite, die wahrſcheinlich 
minder ſteil aber weniger beſchienen iſt, vielleicht mit Eis 
bedeckt. Eine unmerklich an Hoͤhe abnehmende Wand ver⸗ 
bindet dieſen erſten, herfuͤrragenden Felſenknoten mit einem 
wenig niedrigern, nur noch mit wenigem Schnee belegten 
Fels, auf welchen, mehrere hundert Schritte weiter, eine 
auf gleiche Weiſe eingeklammerte Woͤlbung folget, wo kein 
Schnee mehr liegt; weiter hinab, immer gegen die Rechte 
herumbiegend, zeigt ſich hierauf ein aͤhnlich geſtalteter, ums 
merklich kleinerer Knoten, auf welchem gegen die untere 
Seite einige magere, duͤnn geſaͤete Forren anfangen ſicht⸗ 
bar zu werden; ein fuͤnfter ſchließt ſich bald an, der dis 
höher hinauf mit Weyden und Waldung bedeckt und mins 
der ſteil iſt; man ſiehet keinen nackten Felſen mehr; die 
ſechste, noch merkbare Woͤlbung des Berges iſt ganz mit 
dem anmuthigen Gruͤn von fettern Weyden auf der Hoͤhe 
und von Wieſen an ihrem Fuße bekleidet; der lezte, ins 
Thal auslaufende Knoten pranget mit dichter Hochwaldung; 
der Fuß iſt mit bewohnten Huͤtten belebt, und der Grath 
laßt einzelne Plaͤtze von ſchoͤnen Alpweyden ſehen. So bot 
fich mir in perſpectiviſcher Ferne jene Bergreyhe bar , wels 
che das Saxetenthal nordweſtlich umſchließt, und an 
deren Fuß ich vor einigen Stunden wandelte. Ich be— 
daure genug, daß es außer meiner Sphäre liegt, nicht nur 
uͤber die Veraͤnderung der Anſicht dieſes ſonderbaren Ge— 
birgsarms, ſondern auch uͤber ſeine Schichtung und die 
allmaͤhlg ſich veraͤndernde Erd- und Steinart etwas ſagen 
zu können. Vielleicht daß ſolche Unterſuchungen und die 
wiederholte Beobachtung aͤhnlicher Phaͤnomene bey andern 
Gebirgsketten, die von einer gewißen Entfernung aus in 
ihrem Durchſchnitte betrachtet würden, zu neuen Aufs 
ſchluͤßen fuͤhren koͤnnten, die dem Geognoſt intereſſant ſeyn 
muͤßten. 


221 


Jene Abendbergreyhe, die freylich ſchon an und für fid) 
ſelbſt eine Denkſtoff-darbietende Anficht gewährt, verbirgt 
der etwas niedrigern Suleckalp mit ihrem hoͤchſten Theil 
alle, hieher demſelben gelegenen Gegenſtaͤnde. — Aber uͤber 
den, tiefer gegen das große Thal hin ſich ſenkenden, mehr 
nordweſtlichen Abhang oder Grath hinweg, ſchweift das 
Auge uͤber den angenehmen Thunerſee und den groͤßten 
Theil feines linken Ufers, ungefähr von Leyſingen an, 
uͤber das Schloß Spie; hin, bis Thun; der Nieſen 
mit feinem Gefolge ſtuhnd heute unverhuͤllt in feiner gane 
zen Größe und Form, mit feinen grünen, ſuͤdoͤſtlichen A 
pen vor Augen; weiterhin das nacktere Stockhorn; zwi⸗ 
ſchen hindurch die Gegend von Wimmis am Eingang 
des Simmenthals. — Von dem rechten Ufer dieſes 
Sees war ein Theil durch St. Beats Vorgebirge vers 
deckt. — So die Ausſicht jenſeits; — dießſeits ſchmuͤckten 
die bebluͤmten, eben mit muntern Viehheerden bedeckten 
Suled- und Bellen: Alpen den tiefern Zwiſchenraum von 
meinem Standpunkte bis zur Felſenwand, jenem Ketten⸗ 
gebirge gegenuͤber. 

Laͤngs über die ſpiegelnde Fläche des Thunersee, in 
die weite blaͤulichte Ferne hinaus, ſchwaͤrmte nun der Blick 
auch auf den ebnern Gefilden eines großen Theils vom 
Berneriſchen und Freyburgiſchen Gelände, bis an die Fura» 
kette hinuͤber. Die Stadt Bern ſelbſt habe ich wegen 
der Krümmung einer Huͤgelkette am rechten Ufer der Aar 
nicht erkennen können. — Mehr nördlich, queer über die 
naͤhern Ebenen von Unterſeen und Interlaken hin, ſchloßen 
die ſich oͤſtlich herumbiegenden Bergreyhen des St. Beats 
und des Harders die anmuthige Thalgegend von Habcheren 
ein. Mehrere Emmenthaler- und Entlebucher-Gebirge, 
und hoͤher als die uͤbrigen, der Hohgant, wieſen ihre 
Haͤupter. Am fernen Horizont, in der Richtung, nach 


- 222 


welcher das Habcherenthal eine Luͤcke öffnete , zeigte fich ein 
blaͤulichter Bergſtreifen; mein Fuͤhrer ließ es ſich, ganz und 
halb wach, nicht nehmen, daß es die in meinem engern 
Vaterlaͤndchen gelegene Laͤgeren ſeye; und ich habe, die 
etwas ſtarke Entfernung ausgenommen, keine Gruͤnde der 
Widerlegung oder der Unwahrſcheinlichkeit auffinden füns 
nen. — Dieſe Entdeckung machte mir beſondere Freude 
und gab meiner herumſchweifenden Phantaſie neue Nah⸗ 
rung. Dort druͤben alſo hatte ich ein ſichtbares Zeichen 
der Naͤhe und Lage meiner Vaterſtadt, von der ich durch 
mehrere Tagreiſen abgeſchnitten war! Und hier, zu mei 
nen Füßen, in gleicher Linie, der Ort meines vergnügten 
Curaufenthaltes. Wie ein Plan lag fie vor mir ausgebrei⸗ 
tet, die, mit allem Schönen der ſanften Natur ausgeſtat⸗ 
tete, ruͤndlichte Fläche, mit ihren zahlloſen, das Grün der 
Wieſen und Baͤume noch mehr belebenden Wohnungen. — 
Ich wuͤhle mit dem Auge im Innern der veroͤdeten, mit 
Tannen bekränzten Alt: Burg Unſpunnen. Das Fernrohr 
in der Hand, erkenne ich deutlich unſere zwar laͤndliche 
aber faſt neue, wohlgebaute Wohnung; und eben fo deut> 
lich das Gaſthaus in Interlaken, auf deſſen Altane eben 
jezt die Geſellſchaft der Gegend beym fröhlichen Mahle ver» 
ſammelt iſt. Aber auch ich genoß hier ein Mahl, wie es 
in keinem Gaſthofe der Welt gefunden werden kann. 
Ueber die lachende Ebene hin, nordoͤſtlich, der liebliche 
Brienzerſee, als Gegenſtuͤck der nordweſtlichen Seite. Weit 
hinaus, jenſeits, Spitzen von Unterwaldner-Gebirgen. 
Mehr oͤſtlich ſcheidet die Bergkette der Ißelten jenes 
ſchoͤne, von zwey Seen und dem Aaarfluß bewaͤſſerte Thal 
von einem andern, welches der ganzen dreyſtuͤndigen Laͤnge 
nach, gerade vorhin ausgedehnet, dicht mit Huͤtten und 
Scheunen beſaͤet, fid) allmaͤhlig gegen das Grindelwald, 
am Ufer der ſchlaͤngelnden Luͤtſchine hinaufziehet, die durch 


223 


das Thal in vielen kleinen, fat unmerkbaren Abſaͤtzen 
Yerabfiegt, und durch ihre Vereinigung mit der andern, 
von Lauterbrunn herkommenden Lütſchine, ein anmuthi⸗ 
ges, zugleich dem Ohre noch genießbares Schauſpick vete 
ſchafft, indem das fröhliche Rauſchen des Zuſammentref— 
fens der beyden Schweſtern bey Zweyluͤtſchinen bis auf 
die Höhe der ſtillen Alp hinaufdringt. — Jene gegen dem 
Interlakerthal und dem Brienzerſee terraſſen-aͤhnlich aba 
geſtufete, faſt bis in die Hoͤhe mit allen Arten von Gruͤn 
gezierte Ißelten⸗Bergreyhe bietet auf der Seite gegen 
den Hochalpen eine viel rauhere, ſteilere Anſicht dar; dieſe 
Ruͤckſeite ſtoͤßt aber nicht unmittelbar an das Schwarzluͤt— 
ſchinenthal, ſondern andere Anhaͤnge fuͤllen den ſtumpfen 
Winkel aus, der ſich in der Biegung bey Zweyluͤtſchenen 
bildet. Eine Seite des gerade vorliegenden Berges tram 
begrenzet dieſes Thal jenſeits des Stroms. — Den ſich et⸗ 
was tiefer ſenkenden hintern Theil dieſes Berges bedeckt das 
Gruͤn der Wengerenalp, das von dem blendenden Weiß 
des nahen Schneegebirges noch ſtaͤrker erhoͤhet wird. Das 
Lauterbrunnerthal zu Fuͤßen ſcheidet die weſtlich ſehende, 
ſtotzigte Wand des Gebirgsſtoßes Itram, an defer Fuß 
die Hunnenfluh liegt, von der gegenuͤberſtehenden Gel» 
ſenmauer, auf welche die Abdachung der Berggipfel ges 
bauet iſt, unter welchen die Suleck zunaͤchſt emporragt. — 
Dieſe letztere Gebirgsgruppe iſt die fruchtbare Quellmutter 
der Waſſerfaͤlle, die aus ihrem Schooße oͤſtlich in das 
Thal von Lauterbrunnen, weſtlich gegen dem Kienthal pers 
abfließen. 

Majeſtaͤtiſch erhebt ſich hinter dem mannichfach gemiſch⸗ 
ten Vorgrund dieſer Ausſichten die weiße Firſtkette der Hoch⸗ 
alpen, und umzaͤunet das Ganze mit einer Mauer von 
Eis thuͤrmen, die tief im Suͤdoſten anhebt, und fich bis ge» 
gen Sudweſten fortziehet. Unzählige weiße Spitzen in der 


Z 


` 


224 


Ferne, über deren Namen ich mir nicht genugſam be⸗ 
ſtimmte Notiz aus dem Munde meines Fuͤhrers und aus 
den Papieren zuſammenreimen konnte. Die ungefähre oͤrt⸗ 
liche Lage und das Verhaͤltniß der ſcheinbaren Hoͤhe, ruͤck⸗ 
ſichtlich der Entfernung, verſchwiſterte oft meine Phantaſie 
mit der Ueberzeugung, dieſe und jene Spitze hinter und 
neben den Engels, den Wetter-, den Schreck⸗, den 
Vieſcher-Hoͤrnern möchte etwa die Grim ſel, der 
Zinkenſtock, das Lauter-Aar- oder gar das geheim⸗ 
nißvolle Finſter⸗Aar-Horn ſeyn, welches das Schickſal 
gehabt hat, von den Voreltern ein wenig uͤberſehen zu wers 
den, weil es, obſchon an wahrer Hoͤhe alle umgebenden 
Spitzen beherrſchend, (wie forgfältige Meſſungen gelehrt 
haben), ſich beſcheiden in finſterer Abgeſchiedenheit hinter 
Maſſen verbirgt, welche etwas kecker ſich gegen das Auge 
herfuͤrdraͤngen, das gewöhnt it, nur auf das Naͤhere feine 
Aufmerkſamkeit zu richten. Unſichtbar fuͤr manchen Blick, 
aber wohlthuend wirkend, ſendet das Finſter-Aar-Horn 
aus ſeinem, von Schnee und Eis umgebenen Hinterhalte 
den fernern, begluͤcktern Gegenden die Laͤnder-befruchtende 
Aare aus den reichhaltigen, unwandelbaren Gletſcherquel⸗ 
len zu; feit 6000 Jahren unbeſorgt, ob es vom fpielenden 
Menſchengeſchlechte bemerkt und in den Rang der erhabens 
fien, ſichtbaren Körper aufgenommen oder als nicht exiſti⸗ 
rend betrachtet werde. — Wo bin ich bingerathen! Wo 
hat mich die Einbildungskraft hingefuͤhrt? — Vielleicht 
dahin, wo das koͤrperliche Auge auf der Suleck nicht ein⸗ 
mal hindringen konnte! Denn, ich geſtehe, manches Traͤum⸗ 
chen, in welchem ich zu ſehen glaubte, ward mir beym 
Zuſammenhalten der Charten wieder verwiſcht, nach mel» 
cher oft die Unmoͤglichkeit des Sehens, durch die in gera⸗ 
der Linie hintereinander ſtehende Richtung der Gegenſtaͤnde, 
ſich erwies. — Ob indeß nicht noch die Möglichkeit fati 


225 


haben könnte, daß ein kleines verfehltes Puͤnktchen auf 
dem Papier leicht in der Wirklichkeit einige tauſend Fuß 
Unterſchied nach ſich zoͤge; und ob nicht in Betrachtung 
zu ziehen ſeyn möchte, daß die Spitzen der Berge, be 
ſonders auf einer Hoͤhe beobachtet, ſich weit weniger ver⸗ 
decken, als die breitern Poſtamente derſelben? — das mas 
ren Fragen, die mir nicht gaͤnzlich den Glauben verboten, 
wo ich ihn gerne aufnahm, wenn die Charten mich eines 
andern belehren wollten. 

Das anhaltende und oft wiederholte Beſchauen des afa 
lernaͤchſt zur Rechten ins Aug fallenden prachtvollen Trios 
der Jungfrau, des Moͤnchs und des Eygers und ihz 
rer Gletſcher, deren Beleuchtung fid) von Stund zu Stunde 
veranderte, hatte zur Folge, daß die übermaitigte Neus 
gierde des faſt geblendeten Auges dann und wann wieder 
gerne zum erholenden Anblick des grünen, kleinen Paras 
dieſes zurückkehrte, welches auf der entgegenſtehenden lins 
ken Seite meines Gezeltes zu Fuͤßen lag. — Hier haͤtte 
ich mir fuͤr ein Paar Stuͤndchen das Doppelgeſicht eines 
Janus wuͤnſchen moͤgen, um keinen Unterbruch zu leiden. 
Doch Janus haͤtte dann auch nicht ſo den immerwieder⸗ 
kehrenden Vollgenuß der Abwechslung zum Lohne gehabt, 
wie er jezt mir zu Theil ward, ohne daß ich auf meinem 
Felſenſattel einen Fuß zu bewegen bedurfte, 

Die prächtige, ins reine Blau des Himmels fid) verlie⸗ 
tende Begrenzung reichte uͤber das Breithorn, der 
Jungfrau Nachbar, bis in die Naͤhe des Tſchingel⸗ 
Gletſchers; der fernere ſüdweſtliche Theil des Amphithea⸗ 
ters ward durch das Schwarz⸗ und Schilthorn und 
andere naͤher liegenden Gebirge zweyten Ranges verdeckt, 

welche fid) an die Schwalmeren anknüpfen. Zunachſt 
erhob fich noch eine Zuckerhut⸗foͤrmige, gäbe Spitze. Es 

it Zeit zu bekennen, daß dieß die eigentliche Suleck⸗ 

zr Bd. H 


226 


ſpitze war, welche ich von Rechts wegen noch zu beſtei⸗ 
gen gehabt haͤtte, um den hoͤchſten Punkt des Berges zu 
erreichen; ungezweifelt mußte dorten der Horizont noch aus⸗ 
gedehnter ſeyn, und beſonders in Anſehung der hohen Als 
pengipfel noch neue Merkwuͤrdigkeiten aufſchließen. Allein 
ich troͤſtete mich mit der Wahrſcheinlichkeit, daß, nach der 
Lage dieſer Spitze zu urtheilen, der Gewinn an Verlaͤnge⸗ 
rung der Geſichtslinie gegen Suͤdoſt, Suͤden und Suͤd⸗ 
weſten durch einen Verluſt von nähern, intereſſanten Ans 
ſichten aufgewogen worden waͤre; und zwar von ſolchen, 
die dem Amphitheater der Schneegebirge das angenehmſte 
Gegenſtuͤck geliefert haͤtten. Die Dazwiſchenkunft anderer 
Gebirgs⸗Aerme haͤtte leicht jene lieblich harmonierenden 
Parthien in der Linie des Brienzer- und Thunerſees, das 
anmuthige Flaͤchenland zu Fuͤßen der Rothenfluh und des 
Abendberges, das geradlinicht beherrſchte, ſchoͤne Luͤtſchi⸗ 
nenthal bis an die Wendung gegen Grindelwald, wahr⸗ 
ſcheinlich auch das ferne Gelaͤnde, dieſſeits des Jura, neis 
diſch verbergen koͤnnen; welche alle jezt durch und neben 
abgeruͤndeten Vertiefungen und Zwiſchenraͤumen ſo uͤber⸗ 
raſchend fuͤr mein Auge durchſchimmerten. Es iſt ein be⸗ 
kannt genug erwieſener Satz, daß nicht immer die Hoͤhe, 
ſondern auch die Lage des Standpunktes, den vortheilhaß 
tern Ausſchlag giebt. — Verſchiedene Umſtaͤnde haben mich 
unterdeſſen zur Ueberzeugung gefuͤhrt, daß die ſenkrechte 
Hoͤhe der Suleckalp bereits eher uͤber als unter 
4100 franz. Schuhe über dem Thunerſee, mithin gegen 
5900 / über das mittellaͤndiſche Meer erhaben, und alfo 
noch ein Paar Hundert Fuß höher ſeyn muͤſſe als der Rigi⸗ 
Culm. Der Suleckſpitze muͤßten noch einige hundert 
Schuh zugegeben werden. Eine Hoͤhe dritten Ranges, 
welche zu deutlichen, dennoch etwas umfaſſenden Beobach⸗ 
tungen und intereſſanten An- und Umſichten (cor geeignet 


227 
zu ſeyn ſcheinet, da der Horizont (dion ziemlich ausgedeh⸗ 
net iſt, und dennoch die tieferen Gegenſtaͤnde ziemlich un⸗ 
terſchiedbar und kenntlich bleiben. Doch ich nehme mir 
vor, wenn Witterung und Umſtaͤnde beguͤnſtigen, in pere 
einigter Geſellſchaft die Probe der Ausſicht auf einer Höhe 
zweyten Ranges zu machen. — Ich bedauerte jezt hier den 
Mangel an Werkzeugen und praktiſcher Fertigkeit, um eini⸗ 
gen Bemerkungen und Vergleichungen gegenſeitiger Bergs 


hoͤhen mehr Feſtigkelt geben zu koͤnnen. Für die Eile hatte 


ich mir Abends vorher ein aͤußerſt einfaches und wohlfeiles 
Werkzeug verfertiget und mitgenommen, womit ich we⸗ 
nigſtens mit ziemlicher Genauigkeit beſtimmen kann, ob 
eine, nicht gar zu entfernte, ſchtbare Höhe mehr ober mins 
der als mein Standpunkt, oder als eine andere Hoͤhe, er⸗ 
haben (e). Dieß kleine, in meiner Brieftafche tragbare 
Werkzeug, das in einem rechtwinklichten Triangel von Kar- 
tendeckel, einer Bleykugel und einer Nadel beſtuhnd, ſezte 
ich jezt in Thaͤtigkeit, und verſuchte, mittelſt der gegebe⸗ 
nen, bekannten Höhe des weſtlich voruͤberſtehenden Nie len, 
annähernd diejenige der Suleek herauszufinden. Der 
Gipfel der erſteren raget um ein Viertel ſeiner ſcheinbaren 
Hoͤhe über leztere hervor. Darf ich, um der Kurze des 
Ausdrucks willen, einſtweilen ſcheinbare Höhe diejenige 
fiber der Erdſlaͤche am Thunerſee, und wahre Höhe die 
jenige über das mittellaͤndiſche Meer benennen? — Nun 
hat der Nieſen, nach den Meſſungen des Heren Profeſſor 
Tralles, eine ſcheinbare Hoͤhe von circa 3550 franz. 
Fuß , oder eine wahre Höhe von 7300. Zoͤge man nun 
ein Viertheil von 3550 ab, ſo ergaͤbe fid) für die ſcheinbare 
Hoͤhe der Suleckalp ungefähr 4166 / oder circa 5940 / als 
ihre wahre Höhe. (Eine zwey Tage ſpaͤter gemachte Bes 
merkung auf der Wengerenalp bewies, daß noch etli⸗ 
che hundert Fuß muͤſſen zugegeben werden.) So fand ich, 


— 


228 


daß die wahre Höhe der Spitze des Hohgants auch 
nicht unter 6000! betragen koͤnnte. Diejenige der hoͤchſten 
Spitzen des Jura, welche ich erkennen konnte, beſonders 
des Laͤgeren⸗Zweiges, lagen unter meiner Horizontal⸗ 
Linie; die Entfernung aber war ſchon zu ſtark, und der 
Saum dieſer Gebirge ſtach zu wenig mit dem blaͤulichten 
Dufte ab, als daß ſich mit meinem fchwachen Ruͤſtzeuge 
etwas Annaͤherndes haͤtte berechnen laſſen. — Im Oſten 
hieng ein blauer, etwas kothigt ſcheinender Streifen zwi⸗ 
ſchen der dießſeitigen Wand des Wetterhorns und der 
jenſeitigen des Mettenberges herab; mit etwas Ers 
ſtaunen hoͤrte ich, dieß ſey der ſogenannte große Gletſcher 
von Grindelwald; ich geſtehe, daß ich unter dieſem 
Namen etwas ganz anderes zu ſehen erwartet hatte. Ich 
ſchien, wie von einer Zinne, auf denſelben herunter blia 
cken zu koͤnnen; freylich iſt's nur ein Ausſchuß des Ueber⸗ 
flußes der hoͤhern Eisregionen, und hat ſich, nach allen 
neuern Augenbezeugnißen, , feit den letzten Jahren betraͤcht⸗ 
lich verringert. Ich traute jedoch meinen Augen kaum, 
als ich, nach wiederholt-angeſezter Beobachtung, den obe⸗ 
ren, ſichtbaren Theil dieſes winzigen, blauen Streifens in 
wenigſtens horizontaler Hoͤhe mit der Suleckalp befand, 
auf der ich mich ſo erhaben glaubte. 

Dieſer Streifen orientirte mich etwas in jenen Gegen⸗ 
den, die mein Fuß noch nicht betreten hatte, die ich aber 
zwey Tage nachher mit neuem Intereſſe durchwanderte. — 
Das mit Koth beworfene, kaum das Hellblau des klaren 
Eiſes durchlaſſende Ausſehen des Gletſchers möchte vielleicht 
daher kommen, weil man hier gewißermaßen das Profil 
der Gletſcherſchruͤnde ſiehet, welches die abwechſelnden La⸗ 
gen und die Miſchung von Eisſchutt und Steingeſchiebe 
zeiget. Dieſer Gletſcher war uͤbrigens der einzige, der mir 
in blaͤulichter Farbe erſchien; alle andern in den hoͤhern, 


z 229 
fecoen Regionen, zwiſchen den Felsthuͤrmen und an den 
Abhaͤngen gelegenen Eisdecken, fo wie (ic jezt von der 
Sonne beſchienen waren, glaͤnzten mehr in weißer, kaum 
etwas ins Hellgruͤne ſpielenden Farbe. — Ungemein vers 
ſchieden find indeß die oberflächlichen Formen, Größen und 
Situationen dieſer beeiſeten Abhaͤnge; denn als Eisfeld, 
bey welchem Namen der Nichtaugenzeuge ſich eine weite 
flache Ebene vorſtellt, wollte fi mir an der Vorderſeite 
der ſichtbaren Gebirgsreyhe nicht eine einzige Geſtalt vor 
Augen ſtellen; mehrere ſolcher Gletſcher waren von bloßen, 
mit Schnee bedeckten Felsabhaͤngen kaum zu unterſcheiden, 
bis eine veraͤnderte Beleuchtung den wahren Abſtand in 
Farbe, Form und Glaͤtte aufdeckte; diefe Eisfirnen, wel- 
che mit den Eisthaͤlern nicht zu verwechſeln ſind, welcht 
zwiſchen den hoͤchſten Firſten und hinter denſelben liegen, 
hängen nicht, wie dief, oder hoͤchſt felten miteinander 
zuſammen, ſondern bekleiden das Gebirge, auf einzelnen. 
Stellen zerſtreut umherliegend; ihr Daſeyn, ihr Umfang: 
und ihre Dauer ſcheinen mehr von gelegentlichen Umſtaͤn⸗ 
den und Ereignißen herzuruͤhren, als jene Anfuͤllungen, 
die ewigen, unwandelbaren Behälter mehrtauſendjaͤhrigen 
Eiſes, und die Stammquellen der Fluͤße, welche die Thaͤ⸗ 
ler ausgehoͤhlt haben, um fernen Gegenden erfriſchende, 
und zu gegenſeitigem Verkehr einladende Waſſer zuzubrins 
gen. Dergleichen zerſtreute Firnen zaͤhlte ich nur allein 
zwiſchen den Felſenſchruͤnden der Jungfrau uͤber fuͤnfe, 
darunter einer, von maͤchtigem Umfange, ihr wie eine 
Schuͤrze herabhaͤngt. Die Furchen, welche allen dieſen 
Gletſchern ein etwas unebenes, dem durch Zaubermacht 
auf einmal unbeweglich feſt gehaltenen Strome aͤhnliches 
Ausſehen geben, haben ſaͤmtlich ihre Richtung von oben 
herunter; ein einziger derſelben, der naͤher am Rande 
gegen den innern Eyger liegt, machte mir durch ſeine Lage 


230 s 
und Geſtalt viel zu ſchaffen, um ihn mit ben bekannten Sy⸗ 
ſtemen der Gletſcherformation in Uebereinſtimmung zu brine 
gen; indem derſelbe an einer freyen, erhabenen Stelle ſte⸗ 
het und fo geſtaltet it, daß die Furchen von dem erhoͤhe⸗ 
ten Ruͤcken aus zu beyden Seiten etwas ſchraͤge herunter⸗ 
laufen, ungefaͤhr wie die Ruͤcken eines Grathes. 
Ich feke Ihre Gedult. ET ER RE 
feine längere Probe mit Herzaͤhlung der tauſend andern, 
vielleicht unreifen Bemerkungen hieruͤber, die ſich mir zu⸗ 
draͤngten. — Wenn Ihnen nicht, wie ſeitdem auch mir, 
bereits bekannt waͤre, daß, nach den Meſſungen des Herrn 
Profeſſor Tralles, die Höhen der gewaltigen Bergmaſ—⸗ 
fen, welche fich hier der Beobachtung fo nahe darſtellen, 
von 10, 0 bis über 12/800 Fuß betragen, daß mithin 
das Jungfrauhorn z. B. (deſſen hoͤchſte und hinterſte 
Spitze gewiß noch entfernter iſt als man glaubt) welches 
11,100 — — Fuß über den Thunerſee erhaben befunden 
worden, noch um circa 7ooo/ oder faſt 7/atel über die 
gleichartige Hoͤhe der Suleck emporragt, — ſo wuͤrden 
Sie an dieſer Stelle ohne Zweifel das Erſtaunen getheilt 
haben, welches mich uͤbernahm, da ich hier in einer Hoͤhe 
zu ſeyn waͤhnte, wo ich glaubte, ſo recht in das Aller⸗ 
innerſte der Mitte des Gebirges hereinzublicken, und bey 
näherer Beobachtung erfuhr, daß meine Horizontalhoͤhe, 
welche ein wenig über die tiefer= liegend fcheinende Wens 
gerenalp hinſtreifte, eben ert anfieng , den fichtbaren 
Fuß des Golo(fen zu erreichen, welcher dieſer fchönen Alp 
gegenuͤber ſtehet! — Wie froh war ich jezt uͤber ein elen⸗ 
des , einfaͤltiges Werkzeug, das wenigſtens im Stande war, 
mir manche Wahrheit zu hinterbringen, und den Duͤnkel, 
hoch zu ſtehen, bey naͤherer Beleuchtung zu gehoͤriger Tiefe 
herabſtimmte; dagegen die Bewunderung und das In⸗ 
tereſſe fuͤr die erhabenen, da vor Augen ſtehenden Natur⸗ 


231 


werke erhöhete. — Nicht etwa bag diefe relative, koͤrper⸗ 

liche Groͤße und Höhe das Bewundernswuͤrdige der Ges, 
genſtaͤnde allein ausmachen! Denn alſobald wuͤrden ſie 

zum Nichts herabſinken bey dem Gedanken an die Größe 

der Erde ſelbſt, auf deren Oberfläche fie unmerkbare Stäubs 

chen ſind; — noch tiefer beym Gedanken an die Himmels⸗ 

koͤrper, in deren Zuſammenhang dieſe Erde einen Atom 

bildet! 

Aber jene Bemerkung trug dazu bey, des Menſchen 
Kleinheit, die Niedrigkeit des muͤheſam errungenen Gipfels, 
dargegen die Erhabenheit der zuerſt mißwertheten Hoch⸗ 
werke der Natur ins wahre Licht zu ſtellen. Auch bie vora 
derſte Spitze des nahen Berges Itram, die Vorburg der 
Wengerenalp, eine der beyden Spitzen, welche man 
in dem oftberuften Kupferſtiche zwiſchen den beyden Dos 
bern, dunkeln Bergmaſſen hindurch in perſpectiviſcher Enta 
fernung ſiehet, — dieſe zeigte ſich hier alſobald dem bloßen 
Auge hoͤher als die Suleckalp, obſchon fie im Proſpect viel. 
niedriger ſcheinet. Jezt urtheile man aus dieſem einzelnen 
Umſtande auf die Höhe der noch ſtaͤrker entfernten, weißen 
Schneegebirge, deren Körper fich über alles Nähere zu ers 
heben, und — wie von anderer Natur als die dunklern, 
niedrigern, hinfaͤlligern Erdekoͤrper — dem Himmel fich- 
zuſchwingen zu wollen ſcheinen. 

Der innere Eyger, jezt Moͤnch genannt, giebt an 
Hoͤhe der Jungfrau, ſo wie der aͤußere dem inneren, 
wenig nach; und ſie wuͤrden, der Unbeſteiglichkeit wegen, 
den poetiſchen Ramen Jungfrau, wie noch viele andere 
Berggipfel, eben ſo wohl verdient haben, welchen die ga⸗ 
lante neuere Welt vorzugsweiſe der maͤchtigſten, wohlge⸗ 
ſoͤrmteſten und zugleich (neben dem Finfter- War s Horn F 
der hoͤchſten Maſſe dieſer Gegend beygelegt hat. Der jetzige 
Name dieſer Jungfrau, mit dem ſteinernen Herz, fcheine- 


/ 


232 


+ 

bey den derbern Vorvaͤtern noch nicht bekannt geweſen zu 
ſeyn, obſchon fie das gewaltige Gebäude nicht uͤber ſehen 
haben koͤnnen. Ich finde genau an der Stelle, wo dieſes 
Gebirge ſtehet, in den aͤltern Landcharten ein Großhorn; 
characteriſtiſche Benennung, die keinem andern Berge in 
der Nachbarſchaft mit beſonderem Rechte und mit gänzli⸗ 
cher Verſchweigung des Jungfrau-Gebirgs haͤtte zuge⸗ 
titelt werden koͤnnen, und von der jezt niemand mehr viel 
wiſſen will, weßwegen ich an Kenner Chriſtian appellire. — 

Zwiſchen der Jungfrau und der Bluͤmlisalp, mel» 
che von Einigen will Frau betitelt werden, liegt noch das 
ſogenannte Breithorn, welches auch in den alten Char⸗ 
ten an dieſer Stelle gefunden wird, und ſeinen Namen be— 
hauptet hat. Das alles begreife ich; aber auf welche Weiſe 
die Jungfrau und die Frau an die Stelle und neben 
die Stelle jener zwey Hörner, des Groß- und des Breit- 
Horns, zu ſtehen gekommen ſeyen — das habe ich noch 
nicht ausrechnen koͤnnen. — Die Verwechslung und Ver⸗ 
wirrung der Namen nimmt uͤberhand, und die Leute ſpie⸗ 
len damit; ſonſt haͤtte man nicht vollends noch den Moͤnch 
aus dem Lauterbrunnerthale, wo ihm die Jungfrau den 
Fuß auf den Nacken ſetzt, an die Stelle des innern Eyg ers 
gepflanzt, und ihn ihr zum triumphirenden und gefaͤhrli⸗ 
chen Nachbar hingeſtellt. — Wie ſehr die Namen der Berge 
und ihre Celebritaͤt Revolutionen erdulden, und wie die 
ſuͤßere, jetzige Welt den Gegenſtaͤnden (verſtehet ſich meiſt 
den lebloſen Gegenſtaͤnden) großmuͤthigſt ſchoͤnere Namen 
verleihet, davon giebt auch der hohe / zum Helden der Zeit 
gewordene Montblanc Zeugniß, den die ungereiste Vor⸗ 
weit uͤberſah, und der aus einem vermaledeyten Ber 
ge, wie die Anwohner der Gegend ihn hießen, zum Weiß⸗ 
berge befördert worden ift, ſeitdem ein eingeſtürztes, vere 
wittertes Stuͤck Felſen der Bergkette am Genferſee jenen, 


233 


P 


hinter dem Umhang verborgen geweſenen Rieſen den ver- 
wunderten Seebewohnern am Forat enthüllt und befanns 
ter gemacht hatte. 

Mein Fuͤhrer erzaͤhlte m verfchiedene Beyſpiele von 
vergeblichen, zum Theil ungluͤcklichen Verſuchen, den € y» 
ger zu beſteigen. Dieſer praͤchtige, auf eine faſt kegel⸗ 
maͤßig vyramidaliſche Felſenwand gegruͤndete Berg reizte 
ohne Zweifel am meiſten zu ſolchen Verſuchen, durch eine 
anfcheınende Möglichkeit des Gelingens; aber (o weit noch 
ohne Frucht. Der Eine kehrte auf halbem Wege wieder 
zuruͤck; ein anderer buͤßte fein verwegenes, weiter gefuͤhr— 
tes Unternehmen mit dem Todesſturz; ein dritter gelangte 
faſt zum Ziele, fand aber den Ruͤckweg nicht wieder, und 
die Gebeine des Verhungerten liegen vielleicht noch auf eis 
nem Felſenabſatze ober unter dem Schnee. Eine traurige, 
aber mehr zweifel- als wahrhafte Geſchichte ware dieje⸗ 
nige, ſo ſich vor vielen Jahren mit einem Englaͤnder zuge⸗ 
tragen haben ſollte, der durchaus den Gipfel erſteigen moll 
te, ihn wirklich erſtieg, und entweder als Zeichen ſeines 
Dortſeyns, oder als Nothzeichen auf der Hoͤhe des Eygers 
ein Feuer angezuͤndet habe, nachher aber nie wieder zum 
Vorſchein gekommen ſeye. Woher indeſſen das Holz zu 
jenem Feuer auf der beſchneyten Spitze zugetragen worden 
ſeye, habe ich von Chriſtian nicht erfahren koͤnnen. 

Was doch manche Menſchen zu dem halsbrechenden Un⸗ 
ternehmen wohl treiben mag, Hoͤhen erklimmen zu wollen, 
die nicht fuͤr ihr Element geſchaffen zu ſeyn ſcheinen, und 
auf denen oft kein Genuß des Muͤden wartet als derjenige, 
einen Augenblick auf feine Mitgenoſſenſchaft — herabſehen, 
einen großen Geſichtskreis beherrſchen zu koͤnnen! Es muß 
etwas Bezauberndes in dieſem Herabſehen, in dieſem Be 
heerrſchen liegen! Wenn nur das fatale Herunterſteigen 

nicht waͤre! — Freylich hat die Nachempfindung nach ge⸗ 


254 


lungenen, etwas gewagten Unternehmungen auch ihren bes 
ſondern Reiz. Aber wie ungleich belohnet iſt das Beſtre⸗ 
ben! oft minder als das leichtere Gelingen. — Der Name 
eines Jaques Balmat, des von ſeinen Mit⸗Cameraden 
verlachten und verlaſſenen Jaques Balmat, welcher den 
Weg auf den Gipfel des Montblanc nach endloſen Ver⸗ 
ſuchen auf einer eigenen Seite geſucht, auch ihn zuerſt 
und allein gefunden hatte, — iſt mit Muͤhe aus der 
Vergeſſenheit gerettet worden. Der Name eines Ganf 
ſure aber iſt verewigt; nicht ſo faſt darum, weil er mit 
raſtloſer Beharrlichkeit, mit Scharfſinn, mit Enthuſias⸗ 
mus fuͤr das Schoͤne in der Natur, ihre geheimen Pfade 
erſpaͤhete, und auch da und dort dem Faden nahe kam, 
welcher in ihre Werkſtaͤtte leitet, — diefe ſtillern Bemuͤhun⸗ 
gen wären noch lange den uneingeweihten Augen verbor- 
gen und unbekannt geblieben; aber jezt wiſſen Tauſende 
fuͤr Einen, daß Sauſſure, nach Balmats und D. 
Paccards Führung, den hoͤchſten bekannten Gipfel in 
Europa beſtiegen hatte; ein Unternehmen, das ihm durch 
alle mögliche, mit Laubthalern fid) verfchaffte Ausruͤſtung 
fuͤr eine Caravane von zwanzig Perſonen, und mittelſt vier 
Tagen Zeit, zwar nicht leicht, aber doch minder ſchwierig 
und gefahrvoll geworden ſeyn mußte, als es die erte Ente 
deckung für den einſam wandelnden Bal mat geweſen war. 

Und was war der wahre Gewinn des mißlichen Unters 
nehmens außer dem Ruhm, außer der Hoͤhemeſſung oder 
vielmehr der Zuſammenſtellung des Reſultats der Baros 
meterbeobachtung mit den fruͤhern trigonometriſchen Meſ⸗ 
ſungen, und außer einigen minder wichtigen phyſiſchen Ex⸗ 
perimenten, die der Forſcher wegen Kaͤlte, Duͤnne der Luft, 
Blenden des Schnees und Kürze der geſtatteten Aufent⸗ 
haltszeit nicht nach Abſicht vervollſtaͤndigen konnte? — Die 
teu» erzählte, aber demuͤthigende Bemerkung von Umſtaͤn⸗ 


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4 


234 


den, welche gefchaffen waren, ein beliebtes Ideengebaͤude 
der Geognoſie ſchwanken zu machen, das auf einen viel⸗ 
jaͤhrig befeſtneten Grund von einzelnen Erfahrungen und 
Beobachtungen gebauet war. Tauſendfaͤltig wiederholte, 
täglich in die Augen fallende Beobachtungen im Thal, Das 
ben bey berühmten Männern. von jeher die Idee einhei⸗ 
miſch gemacht, daß die hoͤchſten Alpen eine gewiße Mits 
tellinie bilden, neben welcher zu beyden Seiten herab, in 
allmaͤhliger Abſtufung bis in die Hauptebenen, die andern, 
minder hohen Gebirgskeiten alfo fortlaufen, daß, wenn 
die Laͤngenthaͤler, welche fid) dadurch bilden, ausgefüllt 
wuͤrden, man die hoͤchſten Spitzen von der Ebene aus auf 
fanftem Abhange beſteigen koͤnnte. — Dieſe, im Allgemei⸗ 
nen zutreffende Bemerkung ſcheinet ſich auch in Anſehung 
des Montblanc von einer Seite her zu erwahren. Wird 
dieſer hoͤchſte der Alpen-Magnaten von einer Anhöhe auf 
der ſchweizeriſchen Seite des Genferſees, in einer etwas Des 
deutenden Entfernung betrachtet, ſo ſcheinet er ſein Haupt 
wie ein König aus der Mitte der von verſchiedenen Rich⸗ 
tungen gegen ihn hinanſteigenden Gebirgsmaſſen emporzu⸗ 
heben. Wie billig auch und wie angemeſſen den Regeln 
der Symmetrie und jenem Satze iff es nicht, daß der maͤch⸗ 
tige Vergefuͤrſt mit dem Schneemantel und Eishaupte, 
recht in der Mitte ſeiner Gewaltigen ſey, und daß er die 
kleinern, bloß zum Fruͤchtetragen nuͤtzenden, in der Nähe 
allzuſehr den herabrollenden Felstruͤmmern und Lauwinen 
ausgeſezten Mitgenoſſen feines Reichs, in gebührender Ent» 
fernung halte. Aber welch ein fataler Streich für die fele 
ſigte Majeſtaͤt! Herr von Sauſſure und bald nach ihm 
auch Herr Bourrit dringen durch alle Schwierigkeiten 
auf die Hoͤhe ihres Scheitels, um Augenzeugen von der 
Herrlich keit ihres Reiches zu ſeyn, und daſſelbe von dem 
Mittelpunkte der koͤniglichen Reſidenz aus zu uͤberſchauen. 


236 


Und fiche, die große Centralmaſſe findet (id) in einer norde 
weſtlichen Ecke des Bundesſtaates der Alpen verpflanzt! — 
Oeſtlich und ſuͤdlich rollen unabhaͤngig zahlloſe, bald be⸗ 
ſchneyte, bald unbeſchneyte, bald zackichte, bald ſtumpfere, 
bald hoͤhere, bald niedrigere Berggipfel aus unabſehbarer 
Ferne, ohne beſtimmte Ordnung, uͤbereinander daher, und 
die blaͤulichten Duͤnſte der Luft hemmen auf der gewalti⸗ 
gen Höhe vor 14,700 Fuß die freye, klare Ausſicht auf 
die entferntere Umriſſe des weiten Geſichtskreiſes. — So 
verſchwand alfo das Luftgebaͤude der Gentralitat der hoͤch⸗ 
ften Alpengipfel. Es hatte ohnedem ſpaͤter einen Stoß des 
kommen durch die Beobachtung der Lage des Montroſa 
an den Walliſiſchen und Piemonteſiſchen Grenzen. Dieſes 
praͤchtige, kreisfoͤrmige, aus vielen Gipfeln, wie die Blaͤt⸗ 
ter einer Roſe zuſammengeſezte Gebirg, deſſen hoͤchſte Spitze, 
nach Herrn Sauſſures Meſſung, bloß ungefähr zo Klaf⸗ 
ter der Hoͤhe des Montblanc nachgiebt, ſcheinet ſuͤdoͤſtlich 
in der Hochgebirgskette, ſo ferne ſie Kette genennet werden 
kann, das Gegenſtuͤck zum Montblanc, in Abſicht auf Höhe 
und Lage gegen die umſtehenden Gebirge, aufzuſtellen, in⸗ 
dem feine mittaͤglichen Abhaͤnge ſich febr bald in die Ebes 
nen Italiens verlieren, ſeine noͤrdliche Seite aber mit un⸗ 
zaͤhligen, nord- und weſtwaͤrts gehenden, beſchneyten Spi⸗ 
tzen zuſammenhaͤngt. 

Ss manche Syſtem⸗ verwirrende Bemerkung aus ke 
Beſchreibungen zuſammengetragen werden könnte, die mir 
zu Augen gekommen ſind, ſo machte wenigſtens die eben 
angefuͤhrte, mit gedoppelter Thatſache belegte Bemerkung 
Eindruck bey mir; ich erinnerte mich ihrer auf der Hoͤhe 
der Suleckalp, wo ich darum auch in dieſer beſondern Hin⸗ 
ſicht einen Blick auf die umliegenden Gebirge warf. Mein 
Standpunkt mochte aber theils zu niedrig, theils zu eine 
feitig für ſolcherley, den Geologen eigentlich näher ange 


237 


henden Beobachtungen ſeyn, als daß irgend eine, in ein 
Syſtem hineinpaſſende Beſchaffenheit der Formen und Las 
gen, hätte aus dem Dickicht der Gebirgsmaſſen hervortre⸗ 
ten wollen. — Viel Uebereinſtimmendes und Aehnliches in 
Geſtalt, Höhe, Unterlage und Abſcheidung der verſchiede⸗ 
nen Spitzen, welche miteinander eine Kettenlinie oder einen 
Aſt von der groͤßern Stammkette bilden; doch keine eigent⸗ 
liche, in gleicher Richtung fortlaufende Kette. Dieſe Kets 
tenform iſt nur von Ferne ſcheinbar. Die Gipfel mans 
nigfaltiger Geſtalt und Namen ſtehen vereinzelt; nur ihre 
Grundlagen haͤngen miteinander naͤher zuſammen; darin 
unterſcheiden (id) dieſe Hochgebirge weſentlich von den 

niedrigern Bergen, welche gewöhnlich einen ziemlich Jans 
ge ununterbrochenen Grath oder Firſt bilden. Eine, ge⸗ 
wißermaßen als Kette zu betrachtende Linie von Schnee⸗ 
gebirgen ſcheinet ſich, nach dem Geſichtspunkte der Suleck, 
von dem Breithorn an uͤber die Jungfrau, den 
Mönch und das Vieſcherhorn, gegen dem Finfters 
Aar⸗Horn und Zinkenſtock hinzuziehen, und macht 
ungefähr die Grenzlinie vom Wallis gegen bem Bera 
ner⸗Oberland; diefe Linie enthält die zwey hoͤchſten 
Gipfel dieſer Gegenden. Nebenaͤſte dieſer Linie, welche 
eben ſo viele Eis⸗Querthaͤler bilden, und auf denen nicht 
minder bemerkenswerthe Spitzen thronen, als diejenige eis 
nes Schreckhorns, eines Lauter-Aarhornus, eines 
Wetterhorns und eines Eygers, ſcheinen abgebroche⸗ 
nere, gefönderte Bergruͤcken zu bilden, welche an ihrem 
noͤrdlichen Ende ſich ins gruͤne Thal, im Gebiete der Berge 
zweyten Ranges herabſenken, südlich aber mit den bg- 
nachbarten Gebirgsmaſſen ihrer Verwandtſchaft zuſammen⸗ 
treffen. a 
Faßt man einzelne Gipfel ins Auge, ſo ſind der Aus⸗ 
nahmen unzaͤhlige; dennoch erweiſet ſich auch hier im Gan⸗ 


255 

zen, daß die allmaͤhlige Höhe der zuſammengehoͤrenden 
Bergfamilien mit ihrer Entfernung von der Gegend ſchwin⸗ 
det, worin die hoͤchſten Alpen herrſchen. — Wie es auf der 
mittaͤglichen Seite derſelben ausſiehet, weiß ich nicht. Nach 
meinen Gewaͤhrsmaͤnnern erſtreckt ſich das Gebiet des Ei⸗ 
ſes und Schnees dort noch gewaltig weit, und beſtaͤtiget 
demnach aufs neue den Erfahrungsſatz, daß nicht immer 
die hoͤchſten Alpengipfel auf der Mittellinie der Hochgebirge 
ſtehen; wozu die abgelegene Gruppe des Titlis einen neuen 
Beytrag liefern mag. 

Es it Zeit, Sie.. mit den 
neugebackenen Bemerkungen zu verſchonen, die noch bey 
mancher Beobachtung auf dem intereſſanten Standpunkte 
der Suleck ſich hinandraͤngten, und durch den Federkiel 
auszuſtroͤmen drohen. Wer koͤnnte und wollte alles, was 
oft mit Blitzesſchnelle durch die Gedanken ſtreift, mit Wor⸗ 
ten ausbilden; wer die Empfindungen ausdruͤcken, die ſich 
deym Anblick der prachtvollen, fuͤr den ungeuͤbten Augen⸗ 
zeugen ſo neuen, alle Beſchteibungen hinter ſich zuruͤcklaſ⸗ 
ſenden Naturſzenen, des ganzen Weſeus bemeiſtern! — 
Seelige Augenblicke ungeſtoͤrter, ungetruͤbter, ganz und in⸗ 
nig den vorliegenden Gegenſtaͤnden gewiedmeter Betrach⸗ 
tungen, — ach, welch ein Unterſchied gegen denjenigen, 
die ſich im bevoͤlkerten Thale dem ſtillen, aber durch tau⸗ 
fend kleine Umſtaͤnde geſtoͤrten Beobachter, von ſelbſt auf 
dringen! Ruhige, reine, wonnige Augenblicke! Euch werde 
ich nie vergeſſen. — Vierthalb Stuͤndchen waren voruͤber⸗ 
geeilt. Die Sehbegierde wuchs mit dem Genuße. Aber 
es ruͤckte die Zeit heran, wo ich wieder zu mir ſelbſt und 
zur Unterwelt zuruͤckkehren mußte. Das herrliche, ſtufen⸗ 
weiſe aufeinander folgende Grün, Weiß und Blau am ſuͤd⸗ 
lichen Horizonte war noch in ſeiner ganzen Reinheit. Ge⸗ 
gen halb ein Uhr erhoben ſich nordwaͤrts zuerſt einige leichte 


239 


nach unb nach wachſende Nebel aus den Tiefen zwiſchen 
den Entlibucher- und Emmenthaler-Gebirgen, und wie 
mich daͤuchte, gegen dem Saume der Laͤgeren. Bald nach⸗ 
her ſtreifte ein kleines, kaum ſichtbares Woͤlkchen, auf ganz 
anderer Seite, uͤber die rund ausgehoͤhlte Luͤcke zwiſchen 
dem Mönch unb der Jungfrau allgemach daher; dieſer, in 
hieſigen Gegenden faſt untruͤgliche Vorbote veraͤnderter Luft⸗ 
beſchaffenheit, und die bekannte Erfahrung, wie geſchwind 
und wie heftig oft auf den Berghoͤhen die Ungewitter ſich 
zuſammenziehen, beſtimmte nach kurzem Rathſchlag die Ab⸗ 
reiſe; der Gedanke an dieſe unvermeidliche Nothwendig⸗ 
keit und an den Ruͤckweg hinabwaͤrts fieng an, fid) den bids 
herigen, unbeſorgten Betrachtungen beyzugeſellen; der fuͤnf 
Stunden lange, erſte Weg konnte jezt nicht mehr viel Ue⸗ 


berraſchendes haben, und einige zwar kurze aber beſorgli⸗ 
che Paſſages, die beym Herunterſteigen noch mehr Bedenk⸗ 


lichkeit als beym Heraufſteigen hatten erregen koͤnnen, ent» 
ſchuldigten noch mehr den Vorſatz, ſich nach einem andern 
Ruͤckweg umzuſehen. Mein Fuͤhrer hatte anfaͤnglich ſo was 
von der Moͤglichkeit verlauten laſſen, daß wir durch den 
kuͤrzeſten Pfad ins Luͤtſchenenthal herabſteigen koͤnnten. Al⸗ 
lein unſere Recognoſcirung zeigte, zunaͤchſt unſern Fuͤßen, 
nur grauſe Zeichen älterer und neuerer Zertruͤmmerung des 
Berggebaͤudes, deſſen ſonſt praͤchtige roͤthliche, faſt hori⸗ 
zontal geſchichtete Felslager weiter unten einen deſto ſtaͤr⸗ 
kern Contraſt neben der graͤßlichen Kluft bildete, die ſich 
ſuͤdoͤſtlich von der Suleckſpitze herabziehet, und welche zu 
uͤberſchreiten nur einem kraͤchzenden Raben geſtattet ſeyn 
konnte, der eben die oͤde Stille dieſer Oerter mit ſeiner 
Stimme unterbrach. — Doch es mußte, es mußte Fuß 
an das Werk der Rückreife gelegt werden. Denn die Sonne 
fant ſchon wieder von der Hoͤhe ihres Bogens gegen bit 
weſtlichen Gebirge hinab. Das Rauſchen des Zuſammen⸗ 


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240 


legens meiner Papiere war Chriſtianens erwachendem Ohr 
eine willkommene Muff, Er ſchnallte, wie wieder neu bes 
lebt, auf, und dachte an keinen der ungenuͤgſamen Ruͤck⸗ 
blicke, welche meinen Ruͤckmarſch uͤber den Ruͤcken der 
kleinen Bergzunge ſo oft verzoͤgerten, ehe der lezte Schritt 
auf einmal den Umhang vor Berg und Thal zuzog. 
Chriſtian hatte laͤngſt ſolidere Genuͤße vorbereitet, und 
fuͤhrte mich ganz noͤrdlich vom erſten Ruͤckwege ab, einer 
Sennhuͤtte zu, die wir zwar abermals leer an Menſchen 
fanden, wo er indeß bey Zeiten ſich und mir die Erlaubniß 
ausgewirkt hatte, nach Herzensluſt in die Brennten greifen 
zu koͤnnen. Die Erlaubnig war nur muͤndlich, nach Als 
pen⸗Parole, von bem eine Viertelſtunde entfernten Hiro 
tenjungen gegeben, aber nicht auf Stempelpapier ausgefer⸗ 
tiget worden. Ich trug ein wenig Bedenken, den Gaſthof 
in Abweſenheit des Wirthes zu betreten. Aber zum Gluͤck, 
nach einer Viertelſtuude, in welcher ich respectu der Mol⸗ 
ken, Zieger und Milch mehr gelernet habe, als bisher im 
ganzen Leben, — kam auch unſer zutrauende Gaſtgeb in 
die Huͤtte, und freute ſich nicht wenig, die entfernt geglaub⸗ 
ten, ſo lange unſichtbar geweſenen Fremdlinge tapfer ins 
Brey fahrend, zu ſehen. Warum mußte ich ihm doch die 
Freude damit verderben, daß ich ihm einen, fuͤr die laben⸗ 
de Wohlthat allzuſchlechten Beweis von Erkenntlichkeit au fà 
zwingen mußte! Wie gut und wohlwollend iſt der 
Menſch in ſeinem, dem Naturzuſtande nahen Elemente, 
und in des Einſamkeit! Wie veraͤndert und raͤthſelhaft ers 
ſcheinet er in den verwickelteren Verhaͤltnißen der Geſell⸗ 
ſchaft! — Der gaſtfreundliche Hirt fuͤhrte uns ein gut Stuͤck 


weit bis ans Ende feiner Alp, wo er uns dann die Anwei⸗ 


ſung mitgab, wie wir von da aus einen viel kuͤrzern Weg 
in das Saxetenthal herab finden koͤnnten, als den, auf 
welchem wir heraufgeſtiegen waren; wir hatten der Him 


LA 


244 


weiſung ferner beduͤrfen, waͤre nicht des Hirten Gegenwart 
bey feiner Heerde noͤthiger geweſen als meine Bergreiſe. — 
Es dauerte nicht lange, ſo verlor ſich der vorliegende Fuß⸗ 
pfad gaͤnzlich aus dem Geſicht; ſo fern die kaum unter⸗ 
ſcheidb aren, einzeln auf dem ſchluͤpfrigen, glatten Wafer 
zum Vorſchein kommenden Fußſtapfen mit dem, Namen 
Pfad belegt werden koͤnnen; wo nur die Breite des Fußes 
zwiſchen dem gaͤhen Rayn zur einen, und dem noch ſtei⸗ 
lern Abſturz zur andern Seite, Plaz greifen konnte. Auf 
dieſe Weiſe gleng's ziemlich ermuͤdend, einige Zeit in ſchlaͤn⸗ 
geinder Richtung, über eine ſchroffe, nach und nach kah⸗ 
ler werdende Bergwand herab. Nur noch ein Paar hun⸗ 
dert Schritte und wir koͤnnen nicht mehr verirren, ſagte 
mein, in der Gewißheit des Satzes ſelbſt zweifelnder Fuͤh⸗ 
rer, indem ſein Auge links, rechts und vorwaͤrts die Moͤg⸗ 
lichkeit erſpaͤhete, über den unvermutheten, dazwiſchen (ice 
henden Schopf herabzukommen. — So hieß er die ſteilen, 
kahlen Felsſtrecken. — Unter dieſen vergeſſe ich einen ſchmalen 
Grath nicht, der den fcharfen Winkel zwiſchen zwey gaͤhnen⸗ 


den Tiefen ausfuͤllt, und auf welchem der einzige mögliche 


Weg hinabfuͤhrte. — Mein guter und ſorgſamer Fuͤhrer, 


der zwar minen guten Willen, alle Wege zu wandeln, wo⸗ 


hin er mich leitete, aber auch meine Ungeuͤbtheit, auf die⸗ 
fen ſchroffen Bergwaͤnden herabzueilen, bemerkte, wo mein 
langer Alpenſtock zum unentbehrlichen Geraͤth geworden 
mar; und der auch wahrnahm, daß meinen glatten Stie⸗ 


ſelſohlen das weſentliche Erforderniß der Benaglung mana 
gelte, — gieng immer voran und rieth mir, dicht hinter 


ihm nachzufolgen, damit ich, bey etwanigem Fallen, mich 

gleich an ihn halten fónnte, — Braver Mann! der Um⸗ 

flanb ift an fich geringfügig; aber deine Sorgfalt und das 

Vergeſſen deiner ſelbſt im gefaͤhrlichen Augenblicke war tau⸗ 

fendmal mehr werth, als was ich dir bezahlen konnts, 
zr Bd. 


242 


und als taufend Werke, die beſſer belohnet und belobet 
werden. — Nur deine Logik war heute unrichtig. Man⸗ 
che bedenkliche Stelle, die wir jezt durchirrten, hatte fid) 
ſchon im Heraufſteigen von ferne gezeigt; wir ließen ſie ſeit⸗ 
wärts und wählten den laͤngern Pfad, aber jezt, im Hers 
unterſteigen, das dem erfahrenſten und geuͤbteſten Gaͤnger 
ſtets mehr Nachdenken abnoͤthiget als das Heraufſteigen, 
jezt erſt ſollte und mußte das Unternehmen gewagt, und 
meine genoſſenen Stunden noch mit etwas Gefahr, Muͤhe 
und Angſt bezahlt werden. — Zeigt ſich indeſſen nicht bey 
vielen, wichtigern Vorfallenheiten der Welt, daß die Logik 
mehr wie Schulwiſſenſchaft behandelt, als in der Aus⸗ 
uͤbung angewendet wird? 

In dieſen Felsabhaͤngen war ich gaͤnzlich deſorientirt; 
wußte wohl ungefaͤhr, daß wir mehr noͤrdlich gekommen 
waren, aber noch nicht, um wie viel, und ob wir ſchon 
den, von einer Wand unter unſern Füßen herabgleitenden 
Waſſerfall vorbeygeſchritten waͤren oder nicht? — Dieſer, 
nochmals fuͤrchterlich gewordene Waſſerfall ſchwebte mir 
jezt wieder vor, und ich glaubte, immer ſein Rauſchen 
unter mir zu hören, — Wir gelangten endlich auf eine Eleis 
ne, begruͤnete Terraſſe des Berges, auf welcher ich einen 
Augenblick die Recapitulation des Vergangenen, Chriſtian 
aber den Plan zum Bevorſtehenden machte. Etwas tiefer 
zeigte ſich eine minder ſteile Grasweide, und quer durch 
dieſelbe gehend, eine kleine Waſſerleitung; wir hatten ſie 
von ferne für einen leicht hingeworfenen Stangenhag anges 
ſehen und uns auf das nahe Daſeyn von Menſchen gefreuet, 
die uns aus dem Labyrinth haͤtten erloͤſen koͤnnen; aber es 
war keine Spur von der Naͤhe eines ſolchen Weſens zu 
entdecken. Wir folgten der Waſſerleitung, die nun auch 
unſere Leiterin ſeyn ſollte, von ihrem Anfange an bis zu 
der Stelle, wo ſie, oben an einem dichten Walde, der alle 


243 
— benahm, (id) wieder in die Erde verlor. Das 
fehe ſpaͤrlich fie&enbe Wafer war ganz lau, man duͤrfte 
ſagen warm; wäre etwa gar ein verborgener, unterirdi— 
feber Geſundheitsſchatz hier in der Nähe? — Faft Harte 
ich zu melden vergeſſen, daß jene Gemſe oder Ziege, uͤber 
deren Haut und Hoͤrner mein Fuͤhrer und ich, vor etwa 
fünf Stunden, ungleicher Meynung geweſen waren, noch 
dieſen Augenblick an feiner Stelle ſtuhnd; unfere etwas Do» 
here und noͤrdlichere Stellung zeigte jezt zwey kleine fpir 
tzige Zaͤhne am Rand des grauen Felſens, hinter und gwis 
ſchen denen noch etwas Schnee dergeſtalt gelegen war, daß 
die Form eines gehoͤrnten Thiers wohl einen Augenblick 
fich in einem, eben von Gemſen traͤumenden Kopfe anbil 
den konnte. i 
Oben an dem ſchwarzen Walde angelangt, der ſich 
gaͤhe in das tiefe Thal herunterzog, von welchem die Care 
ten wieder hoͤrbar durch das Dunkel des Zwiſchenraumes 
zu unſern Ohren heraufrauſchte, — und endlich in die bes 
ruhigende Gewißheit verſezt, daß die bewaͤſſerte, ſenkrechte 
Felſenwand zur Linken ſeyn muͤſſe; aber noch nicht ſicher, 
ob etwa noch eine unbewaͤſſerte Rieſentreppenſtufe dem un⸗ 
durchdringlichen Walde zur Unterlag diene? — entſtand 
nun die Frage: ob rechts oder links, oben am Walde hin, 
um einen durchdringbaren Pfad ins Thal hinunter zu fin— 
den? — Der glatte, wenn ſchon nicht ebene Theil des 
Weges war zuruͤckgelegt; jezt gieng der rauhe, holperichte 
und dornichte Pfad an; wir wählten die nördlich fortges 
hende Richtung. Eine Strecke von einer Stunde Wegs 
war zwiſchen dem Walde und einzelnen Büfchen durchlof⸗ 
‚fen, ohne daß (id) die Möglichkeit mehr näherte, einen bes 
tretbaren Pfad durch das ſchwarze Labyrinth ins Thal her 
unter zu finden; der Verfuch waͤre fortgeſetzt worden, haͤtte 
nicht ploͤzlich eine Grauſen⸗erweckende Felſenwand jeden 


244 


fernern Schritt verboten; zwiſchen magern Tannen hits 
durch, die am Rande überhiengen, lächelte der ferne, noch 
tiefe, unerreichbare Garten von Interlaken entgegen; die 
Hoͤhe hatte ſich noch nicht merklich vermindert, und aͤngſt⸗ 
lich ſchweiſte jezt der Blick noch über den jenſeitigen at» 
der, auf die Entlibuchiſchen Gebirge hinuͤber. In dieſer 
Einſamkeit, wo nicht einmal der, ſonſt in allen umliegen⸗ 
den Gegenden und Bergen bewanderte Fuͤhrer ſich zurecht⸗ 
finden konnte; mit dem Gefuͤhl anfangender Muͤdigkeit, 
und beym Gedanken, daß vielleicht Dunkelbeit und Gewit⸗ 
ter hereinbrechen koͤnnten; in dieſer Lage war mir ſo ganz 
wohl nicht zu Muthe. Die vergeblich durchwanderte Stun⸗ 
de ward wiederum auf's neue gemeſſen, und mit einer Vier⸗ 
telſtunde ruͤckwaͤrts noch vermehrt. Kleine und große Fels⸗ 
brocken, die oben uͤber dem Walde herum lagen, zeigten 
an, daß derſelde gewiß eine vortreffliche Schutzwehre fuͤr 
das Saxectenthal fepe, welches ſonſt unfehlbar fehr oft von 
Schneelauwen und Felsſtuͤrzen von dieſer Seite her heim⸗ 
gesucht werden muͤßte. — Noth bricht Eiſen; — da kein 
ſichtbarer Ausweg aus der Felſeninſel zu entdecken war; 
der unten liegende Wald mit verwachſenem Geſtraͤuch und 
zerbrochenen, uͤbereinander liegenden Baͤumen verſchloſſen 
ſchien, und ich mich nicht mehr baͤtte entſchließen koͤnnen, 
den mit Gefahr zuruͤckgelegten Weg auf die obere Hoͤhe 
wieder hinanzuklimmen, und den erſten Umweg zu ſuchen, 
— fo ward man eines Handels, recta durch den Forſt 
herabzubrechen und fortzuſteuern, bis ein Strahl des id» 
tes von unten heraufſchimmern und vielleicht Menſchen⸗ 
ſpuren zu entdecken ſeyn wuͤrden; denn hier oben ſcheint 
feit Jahrdutzenden keine Art an den Baum gelegt worden 
zu ſeyn. Die Abſenkung des Waldes, in deſſen Dickicht 
zahlloſe alte, ſchon uͤberwachſene, zum Theil auch neuere 
nackte Felstruͤmmer zerſtreut lagen, welche das dunkle Chaos 


245. 


von ganz und Balb verfaulten, und von ſtehenden Baͤumen 
jedes Alters, und von dornigtem Geſtraͤuche, noch anſchau⸗ 
licher abbildeten, — mag zum mindeſten 50 Grade Detrás 
gen haben. — Ich uͤberlaſſe es Ihrer mahlenden Ein⸗ 
bildungs kraft... ' fid) bieftn liebli⸗ 
chen Spaziergang zu denken, der ſo ermuͤdend als hals⸗ 
brechend war, und wo mir jezt der lange, mit einem Gems⸗ 
hoͤrnchen verſehene Alpenſtock bald zur rettenden Stuͤtze, 
bald zum Fal - drohenden Hinderniß ward. An einigen 
Stellen, mitten im weiten Forſtbezirke befanden fid) ganz 
glatte, ſparſam mit kurzem Gras oder mit Moos bewach⸗ 
ſene Plaͤtze, wo das Herunterſteigen minder mit den Fuͤßen 
als mit einem andern Ehrengliede meines Körpers vollfuͤhrt 
werden mußte; eine ſolche, ziemlich beträchtliche und be» 
leuchtete Stelle taͤuſchte uns einmal fo ſehr, daß Chris 
ſtianen das Recitativ anwandelte: Jezt ſind wir bald auf 
gutem Wege, da drunten ſind Wieſen! — aber die ſchoͤne 
Anſicht war von kurzer Dauer; von neuem mußte in dun⸗ 
keln, immer dichtern Orkus hinabgeſtiegen werden. One 
dem ich bey einem ſolchen neuen Eintritte meine, heute 
etwas hart auf die Probe geſezten Kraͤfte ſammelte, rauſcht 
es durch die Baumwipfel daher, und ein großer grauer 
Vogel ſetzt ſich zehen Schritte von uns auf einen alten 
Baumſtumpen; faft eine Viertelsminute konnten wir ihn 
betrachten, ehe er unſere nahe Gegenwart bemerkte, und, 
von einer leiſen Bewegung aufgeſchreckt, von dannen flog. 
Ich glaubte einen Auerhahn geſehen zu haben; Chriſtian 
aber überzeugte fich, es feye ein junger Geyer geweſen, 
welches die Farbe, der gekruͤmmte Schnabel und der man⸗ 
gelnde rothe Augenring zur ſtaͤrkern Wahrſcheinlichkeit ma⸗ 
chen. — Nach einer abermaligen kleinen halben Stunde 
Arbeit mit Haͤnden und Fuͤßen begann es von der Tiefe 
berauf etwas heller zu werden; Spuren von Forſtarbeiten 


24 ý 


zeigten fich; ein herrliches Gruͤn von Wieſen winkte den 
Verirrten von unten herauf Trof zu; es war keine Taͤu⸗ 
ſchung mehr. Stimmen von Menſchen und Vieh erſchol⸗ 
len in die lange obe Stille, die bisher nur vom rauſchen⸗ 
den Laube und von den unter den Fuͤßen wegrollenden 
Steinen, oder von dem Flattern eines Waldvogels unters 
brochen worden war. Das freundliche Dürfen Saxeten 
lag da unten jenſeits des gleichnahmigen Strohms, ſchon 
weiter ruͤckwaͤrts zur Linken; uͤber demſelben hob der Grath 
des Abendberges ſich wieder empor. Obſchon nun noch 
eine aͤußerſt gaͤhe Weide vom Ende des Waldes bis zur 
bewohnten Gegend des Thales herunter zu durchſchneiden, 
dann noch ein Stuͤndchen Thalweg zu durchwandern, die 
ſtotzigte Rothenfluh herabzuſteigen, und hernach eine 
ſtarke Stunde ebener Bahn durch die Fläche von Wilders— 
weil und Matten oder uͤber den Rugenhuͤgel zu durchwan⸗ 
dern blieb: — ſo hob ſich bey der froͤhlichen Entdeckung 
das einſtimmige Duett an: Jezt ſind wir wie bey Hauſe! 
Sot Sennen, welche uns begegneten und Kopfſchuͤttelnd 
unſre Abentheuer anhoͤrten, auch ſelbſt geſinnet waren, 
noch dieſen Abend auf die Suleckalp zu gehen, belehrz 
ten uns, daß wir nur noch etliche und fuͤnfzig Schritte 
weiter zurück, oben am Walde hin, haͤtten gehen follen, 
ſo haͤtten wir den Fußſteig gefunden, den die Sennen zu 
nehmen pflegen. 

Nun ward mir das einſame, vom ebenen Fußweg durch⸗ 
ſchnittene Saxetenthal zum lieblichen Spaziergange; alle 
Müdigkeit wurde vergeſſen; der Schatten des Waldes, den 
wir jezt betraten, gab an dieſem, noch immer heiter gez 
kliebenen Sommerabend, angenehme Kuͤhlung. Friſch und 
munter gieng's durch das Schattenthal hin; die Erinne⸗ 
rungen des Geſehenen nahm ich mit mir; die kleinen Muͤh⸗ 
Fligkeiten ließ ich zuruͤck; ſah indeſſen noch einige Mal an 


24T 


die hohen Felswaͤnde Dinan, wie der Schiffer in freyer 
See auf eine Klippe zuruͤckblickt, auf welcher ihm Stran⸗ 
dung drohete. Noch zwey Schritte waren bis zum Ende 
des, von Daͤmmerung umgebenen Spazierweges, in der 
arcadiſchen Gegend von Saxeten bis zur Rothenſſuh. Die 
Blaͤtter des lezten Waldgebuͤſches zu beyden Seiten und 
über dem gewoͤlbten Laubgange liſpelten, von fanftem. 
Abendluͤften bewegt; ich traͤumte wandelnd von arcadi⸗ 
ſchem Hirtenleben und von manchem, das nur in Arcas 
dien jemals zu finden geweſen ſeyn mag, — da lag un⸗ 
verſehens das froͤhliche Gelaͤnde mit allen Umkraͤnzungen 
und Farbenmiſchungen, wie durch einen Zauberſchlag heta: 
vorgerufen, vor mir ausgebreitet. — In ſolchen unverſe⸗ 
henen Augenblicken ift es beſonders, daß fid) diefe wirkli⸗ 


che Welt in ihrer wahren Schoͤnheit zeiget, und ſchoͤner, 


mannigfaltiger, als keine dichteriſche Phan taſie, deren Bils 
der doch immer nur Stuͤckweiſe aus dieſer Welt zuſammen⸗ 
gefickt find, fid) ausdenken könnte. Nur nicht allenthal— 
ben zu nahe getreten, ehe man wohl betrachtet hat, ob 
gierige Weſpen oder geſchaͤftige Bienen eben aus der (tos 
nen Blume ſaugen, welche zu pfuͤcken die Hand (id) auga 
ſtreckt, oder ob Nattern unter dem einladenden Grasſitze 
verborgen kriechen! — Unbekuͤmmert um Weſpen und Nata 
tern wiedmete ich dem angenehmen Ruheplaͤzchen, hier un— 
ter freyem Himmel, auf dem oberſten Theil der ſteilen 
Rothenfluh, (welche nod) immer gegen 2000 / über die 
Flaͤche Interlakens erhaben ſeyn mag), noch ein Viertel⸗ 
ſtuͤndchen, faßte mit gierigem Auge in vollen Zügen die 
gedaͤmpften Strahlen von den mannigfachen Gegenſtaͤnden 
im weiten Geſichtskreiſe in mein Inneres auf, und betrat 
dann den Steig, welcher ins belebte Thal hinabfuͤhrt. 
Nicht ferne von jener Stelle ruheten zwey, mit Milchbuͤt⸗ 
zen beladene Juͤnglinge auf dem Raſen; beydes wahre 


248 


Endymions⸗Geſichter, wie id) in meinem Leben keine ges 
ſehen habe; zwey Menſchenmodelle, wie ſie nur die unge⸗ 
ſtoͤrte Hand der Natur in jenem hohen, reinluͤftigen Thale 
der Unſchuld und Einfachheit bilden konnte, wo ſie ihre 
Heymath hatten; die Sonne, welche nur wenige Stunden 
in den hohen Sommertagen dieſes Thal beſcheinet, hat das 
Weiß und Roth dieſer Naturlieblinge noch nicht gebraunt, 
Wenn das am rauhern Theile ſtatt ſindet, was wuͤrde 
man wohl am mildern ſehen? Es oͤffnet ſich da ein 
neues, intereſſantes Feld von Beobachtungen, welches mit 
harten Felſentruͤmmern etwas minder beſaͤet it, als das 
Beobachtungsfeld des Geognoſten. 

Nach dieſer vorbeygaͤnglichen Betrachtung hielt nichts 
mehr meine befluͤgelten Schritte über die ſteile, aber ans 
muthig beſtufete Fluh hinab, und durch den Baumgarten 
pon Wittersweil, G'ſteig, Matten und Aarmuͤl⸗ 
le, auf, wo ich Abends um 6 Uhr anlangte, nachdem, 
außer einigen Vorboten des morgenden Tages, kein Woͤlk⸗ 
chen meine heutige, kleine Bergreiſe getruͤbt hatte. — Chri⸗ 
ſtian, welcher etwas Unzufriedenheit befuͤrchtet hatte, be⸗ 
ruhigte ſich uͤber unſere gemachten Umwege, als ich ihm 
noch ein Trinkgeld uͤber das Verſprochene hinaus gab; 
Naber ich konnte ja mit Gewißheit annehmen, daß die Vers 
irrung, welche ihm ſelbſt mehr Zeit, Mühe und Unruhe vers 
urſacht hatte, mir aber, nach geſchehener Sache, nichts we⸗ 
niger als Reue erregte, keineswegs Abſicht zum Grund haben 
konnte; und ſein Verhalten verdient nicht nur meine Erkennt⸗ 
lichkeit, ſondern das Zeugniß meiner beßten Zufriedenheit. 

Mein heutiger Tag hatte mir die Stelle mancher Luſt⸗ 
barkeit vertreten, auf welche die Ruhe des Schlafes nicht 
ſo wohl haͤtte ſchmecken koͤnnen, als ſie es jezt den ermuͤ⸗ 
deten Gliedern that. Und ſie bedurften dieß; denn mit dem 
morgenden Tag gebt ihnen neue Arbeit an. 


243 
Bere ten 
auf den 
Spp ET REG 


Den 26 und 27 Juli 1805. 


Eine der Qiebling8 « Erinnerungen aus der Zeit meiner 
Molkencur in den Gegenden Interlakens, ift der Aus» 
flug auf den, bisher noch nicht febr beſuchten Nie ſen, 
deſſen Angedenken wenigſtens ſeit dem von Raͤbmann an⸗ 
- gehörten Geſpraͤche mit dem Stockhorn, etwas in Bera 
geſſenheit gekommen zu ſeyn ſcheint. belg Beſchreibung 
hatte unſre Aufmerkſamkeit auf die weitgedehnte Aus ſicht 
und merkwuͤrdige Lage dieſes Berges zuerſt wiederum hin- 
gelenkt. — Mein Arzt, wenn er hier erfährt, daß ich aber? 
mals ein Maaß Ziegenmolken dadurch verſaͤumt habe, wird 
ſich gewiß mit mir ausſoͤhnen beym Gedanken, daß der⸗ 
gleichen Reischen, die nicht alle Tage in einem Menſchen⸗ 
leben zu Gebote ſtehen, mir noch heutiges Tages wohl⸗ 
thun; daß die Bilder von den geſehenen neuen Gegenſtaͤn⸗ 
den, welche die ſtets begabende Natur zur Beſchauung dars 
ſtellt, und deren fanfte aber bleibende Eindrücke fid) nica 
mals mehr verwiſchen; da hingegen eine, bloß phyſiſche 
Ausbeſſerung der leiblichen Maſchine, ohne Verbindung 
und Zuſammenwirkung mit Heilmitteln jener Art, neuen 
Anſtoͤßen gar bald weichen muͤßte. — Ueber alles das fehlte 
es an Schülern des heil. Aeſculaps nicht, welche ſelbſt 
entweder mit Ratb oder mit Beyſpiel vorleuchteten; und 
einer der einwirkendſten Ueberredungsgruͤnde fuͤr mich, 
wenn es um einen Ausflug zu thun war, wurde das Wort 
eines meiner Reiſefreunde, — die beßte Entſchuldigung vor 


250 


meinem Arzte werde diejenige ſeyn, wenn ich geſund und 
vergnügt nach Haufe komme. Gegen dieſen einleuchtenden 
Satz, wenn ihm ſchon zur Zeit noch eine Premiße mars 
gelte, ließ fidh nichts einwenden. Gott ſey Dank, ich habe 
die Entſchuldigung leiten koͤnnen. Alſo darf ich nun ges 
troſt von meinen Meynungen, Leben und Thaten waͤhrend 
dem Aufenthalte in dieſen Gegenden Rechenſchaft ablegen. 

Die Wallfahrt auf den Gipfel des Nieſen war bes 
ſchloſſen. Nur bliebs eine geraume Weile bey den from— 
men Unterhaltungen und Entwürfen hieruͤber; denn über 
die meiſte Zeit hielt ſich derſelbe in eine pyramidaliſche 
Wolke verhuͤllet; und oft wenn er uns des Adends bey 
Sonnenuntergang das prächtige und immer etwas veraͤn— 
derte Schauſpiel ſeiner Enthuͤllung, und ſtatt deſſen der 
Umgebung mit einem gewißen, ganz undeſchreibbaren, 
bald ins Violette, bald ins Roſenrothe, bald ins Gelb— 
lichte ſpielenden, von der Sonne durchgluͤheten Duft oder 
Staube gab, und wir dann eilends Reiſe-Apparat und 
Ebel auf morgenden Tag bereit ſtellten, ſo zertruͤmmerte 
ein Morgennebel, der an den Bergen hinauf» und hinab— 
wogte, den Entſchluß wieder. Aber die Abrede auf den 
erten Sonnenblick war gemacht, und die Deliberation 
konnte und ſollte dann nur kurz ſeyn. 

Der Fall war da gegen 9 Uhr Vormittags des 26 Juli. 
Ploͤzlich gerieth das Thal in Bewegung; Curriere ſſogen 
von Interlaken nach Aarmuͤhle, von Aarmuͤhle nach In⸗ 
terlaken; Herr L.. . f, der verdienſtvolle Hofmei⸗ 
ſter bey Herrn Oberamtmann daſelbſt, hatte laͤngſt gleiche 
Abſicht genaͤhret, und war, nebſt drey Knaben dieſes lez— 
tern, in den Pilgerbund getreten. — Zu allſeitiger Freude 
entſchloßen (id) auch der kuͤrzlich angekommene He. P.. 
Sch.. . . . . und feine wuͤrdige Gattin, welche im Sinn 
hatten, die Ausfahrt nach Brienz, Meyringen, Grin⸗ 


251 
delwald, Lauterbrunnen zu beginnen, — leztere zu 
verfchieben und das Nie ſen-Reischen mit uns zu halten. 
So war denn die Bergtruppe organiſirt, und ſchon etwas 
nach 10 Uhr begann ſelbige, halb zu Wagen, halb zu 
Fuß, ihren Marſch nach dem Neuhaus, wo fie fid, nad). 
kurzem Aufenthalte, in ein bedecktes Schiff ſetzte. Der hei⸗ 
terſte Himmel bekroͤnte unſer Vorhaben, und ſtimmte alles 
zu froher Laune, der Wuͤrze jeder geſellſchaftlichen Unter⸗ 
nehmung dieſer Art. Wie eine Minute waren die anderk— 
halb Stunden der Ueberfahrt nach Leyſingen auf dem 
ſpiegelhellen, dann und wann von einem ſanften Luͤftchen 
bewegten See, verflogen. Eben fo ſchnell verfog ein Stund— 
chen bey dem freundſchaftlich uns aufnehmenden, wuͤrdi⸗ 
gen Herrn Pfarrer, der uns einen Wegweiſer mitgab und 
mit einigen zweck maͤßigen Mitteln zu fernerer Stärkung 
der, bis hieher eben noch nicht ſehr angeſtrengten Kraͤfte, 
verſah. Von guten Wünfchen und freundlicher Einladung 
bey der Ruͤckkunſt begleiter, traten wir nun ſaͤmtlich die 
Fußwanderſchaft längs und über den Grath des wohlbe— 
bauten Leyſinger⸗, Krattiger- und Aeſchi-Huͤgels 
an. Die angenehmen Ueberſichten auf das jenſeitige felſigte 
Ufer der Ralligen⸗, St. Beaten: unb Wandfluh, 
dann langs über den gekruͤmmten See, hinabwaͤrts, und 
auf das ruͤckwaͤrts gelegene, als Halbinſel erſcheinende I n⸗ 
terlaken, geben vortreffliche Vorwaͤnde zu Ruhepunkten. 
Das fuͤnf Viertelſtunden lange Eylaͤndchen, zwiſchen dem 
Brienzer⸗ und Thunerſee, der Aar und der üt 
ſchine zeigte ſich in der perſpektiviſchen Ferne nur als ein 
ſchmales Strichgen, das ſich durch den Kirchthurm des 
Kloſters Interlaken fennbar machte. Vor uns hin ete 
hob der annaͤhernde Nieſen, in immer furchtbarerer Ge⸗ 
ſtalt, fein Haupt. Nach ungefähr zwey Stunden erreiche 
ten wir Muͤllenen am Fuge deſſelben, an der Straße, 


252 

welche von Bern und Thun her, nad der Gemmi 
und den Leuf: Bädern führt, — nahe am Zuſammen⸗ 
fuge dee Cander und des Kiens, wo auch die Thaͤler 
gleiches Namens ſich vereinigen, und dem Auge ihre, bis 
an die Schneegeſilde hinanſtufenden, lieblich-gruͤnen Eins 
hoͤhlungen fat bis in ihren hinterſten Grund darſtellen. 
In ſtolzer Pracht erhebt ſich aus dieſem Hintergrunde die 
beſchneite Bluͤmlisalp oder die Frau; ein Gletſcher 
ſtarret da hinab, wo, nach der Tradition, einſt ein Weg 
zwiſchen fetten, beblümten Alpen, nach dem Wallis ge⸗ 
fuhrt haben fol, Aeußerſt intereſſant kam mir die Lage 
und Gegend des Doͤrfchens Müllenen vor, welches zum 
nahe gelegenen Pfarrdorf Rickenbach, naher beym Sue 
ſammenſtoß obiger beyden Thaͤler, und derjenigen des C a ne 
bere und Frutingen-Thales gehört. 

Auf dem Hinwege gegen Müllenen, hinter Aeſchi, 
hatte ich einige Stuͤcke des ſogenannten Wurſtſteins oder 
Nagelfluh wahrgenommen. Dieſe Erſcheinung beſchaͤftigte 
mich einige Augenblicke, da dieſe Gegend, wie ich glaubte, 
durch weite Seekluͤfte und durch Berge von anderer Fels⸗ 
art von derjenigen Gegend getrennt it, wo, zufolge Bee 
ſchreibungen, die Formation der Nagelſſuh gebirge aufhört; 
(ic fübrt auf den Gedanken, daß kleinere Stuͤcke von der⸗ 
gleichen Steinart und Zuſammenſetzung ſich wohl auch 
haͤtten erzeugen koͤnnen, ohne daß ſie als abgeriſſene, durch 
entſezliche, alles durcheinander werfende Erderſchuͤtterungen, 
von den entferutern Hauptgebirgen getrennte Stuͤcke, ane 
geſehen werden muͤßten. Keine wie diefe ſonderbare Stein⸗ 
art entgegnet meinem Auge öfter in allen Gegenden und 
allen Richtungen meiner Spaziergaͤnge. Wenn ich mir 
dann die Möglichkeit ihres Daherſſuthens von ihrer wahr⸗ 
ſcheinlichen Urſtaͤtte eineignen kann, fo geſchiehet ee oft auf 
Unkoſten irgend einer andern aufſtoßenden Unmöglichkeit, 


253 


wenigſtens Unwahrſcheinlichkeit, bie fid) darbietet, und es 

bleibt mir die Auswahl zwiſchen dem größern Wunder, 
das die kuͤnſtliche Erklärung zu loͤſen giebt, oder einem 
kleinern, fuͤr die ſchaffende Natur nicht ſchweren Wun⸗ 
der, zu treffen. 

Wo find meine Gefährten? — Ich glaube, — wabr⸗ 
haftig, ich glaube, ſie ſind einer nach dem andern bey dem 
Stuͤck Nagelffuh vorüber gezogen; als wenn es nichts wäre, 
als in verhaͤrtetes Pfaler eingeknetete Kieſelſteine, woruͤber 
fid) der Kopf eben nicht zu zerbrechen haͤtte, da die Fuͤße 
genug zu thun haben. Vielleicht gar, mochten ſie denken, 
ift es bloßes Cement⸗Ueberbleibſel von Gebäuden, die die 
Rieſen, welche die Erde nach Ovids Urkunden einſt be⸗ 
wohnten, erbaut hatten, und dieſe Rieſen konnten das, 
was wir jezt als Steine anſehen, gar leicht fuͤr Sand ge⸗ 
braucht haben? — Da hab' ich, mittelſt einiger Schweiß⸗ 
tropfen, meine, Plan» gemäß fortſchreitende Geſellſchaft 
wieder. — Bey dem Herrn Wirth in Muͤllenen ift Hülfe. 
Die zweyſtuͤndige Strapaze bedarf Erholung; das Nach⸗ 
mittag- Pfemmet, welches wir zum Fenſter hinaus dichte 
vor uns ſehen, wird hoͤchſt bedenklich angeblickt; es laͤßt 
fid) von unten herauf und von oben herab mit Muße meſ⸗ 
fen, bleibt aber durchaus unbeweglich und unerlaͤßlich. — 
Ueber einem ſteilen Grath der rauhern, oͤſtlichen Seite des 
Nieſen zeigt ſich ein kleiner Fußſteig am Rande des gaͤh⸗ 
nenden Abgrundes gegen den See. Dieß koͤnnte wohl der 
kuͤrzeſte Weg ſeyn, um auf den Gipfel herauf, oder we⸗ 
nigſtens von oben herab, zu gelangen. Zum Gluͤck aber 
war es nicht der unſrige; ſonſt moͤchte da wohl vorher 
eine Laͤuterung und Prüfung der feſtbleibenden und der 
vergaͤnglichen Entſchluͤße ſtatt gefunden haben. — Unſer 
neubeſtellte Fuhrer verſprach einen nicht im mindeſten gge 
faͤhrlichen Weg. Der bisherige Wegweiſer von Leyſingen 

f . | 


| 


254 


nach Muͤllenen jauchzte freudig, als wir auch ihn, der 
den Rieſen noch nicht beſtiegen hatte, beybehielten, und 
er die Buͤrde unſerer kleinen Reiſehabſeligkeiten mit dem 
neuen Cameraden theilen konnte. Sie hatte ſich aber auch 
mit einigen Bouteillen Wein und Brodt vermehrt; denn, 
ſo viel zu vernehmen war, ſollten die Gafthöfe auf dem 
Nie ſen gar nicht gut beſtellt, und noch ſchwerer zu fins 
den ſeyn. Wo wir die Sennen, welche, je nach der Jahrs⸗ 
zeit und Umſtaͤnden, ihre Stelle verändern, dießmal fin⸗ 
den wuͤrden, war eine gar ungewiße Sache. Eine Cara⸗ 
vane von (ilf bergluſtigen Perſonen bedurfte, in gewißen 
moͤglichen Faͤllen, etwas mehr als der reinen Alpenluft 
und der ſchoͤnen Ausſicht; es ward eine Bewaffnung in 
Maſſa veranſtaltet, was ich jeder nachfolgenden Geſell⸗ 
ſchaft freundlich gerathen haben wollte, und es iſt aus Er⸗ 
fahrung geſprochen, wenn ich ſage, daß Appetit und Durſt 
in der Atmosphaͤre des Nie fen vortrefflich gedeihen. Auf 
ſolche Weiſe aus- und inwendig gegen die Schrecken und 
Angriffe dieſer zwey Gegner ausgeruͤſtet, hob ſich gegen 
3 Uhr Nachmittags das Werk unſerer Beine ernſtlich an. 
Gleich nach dem Uebergang uͤber die Cander, unfern hin— 
ter dem Wirthshauſe, beginnet alſobald der ſteile Pfad, 
und ziehet ſich links; dann etwas ebner uͤber Wieſen und 
durch ein Waͤldchen ſo weit hinauf, bis man den Ruͤcken 
des Berges gewonnen hat. Denn auch bey die fem Berge, 
deſſen Zuſammenſetzung aus ſchraͤge aufliegenden, gegen 
Suͤdoſt ſich ſenkenden Felslagen beſtehet, tritet der Fall ein, 
daß die Erſteigung am beßten auf dem Ruͤcken deſſelben 
angebahnet werden kann, den dieſe ſchraͤgen Lager bilden. 
Hat man dieſe Ruͤckſeite auf einem angenehm abwechſelnden 
Pfade etwa innert einer Stunde erreicht, ſo wird derſelbe 
etwas einfoͤrmiger und ſteil, aber im mindeſten nicht ge⸗ 
faͤhrlich; auf ſolche Weiſe und in gleicher Zeit laßt fic 


nem 
s 200 


vielleicht kein Berg von naͤmlicher Hoͤhe beſteigen; (aft 
zwey Drittheile des Weges führen über eine lange (cile, 
durch zwey Baͤche von benachbarten Triſten geſchiedene 
Weyde, in fortgeſezter gleicher Richtung, von einem Ab⸗ 
faz zum andern fat unmittelbar dem Gipfel bea. ie fem 
zu; auf andern Bergen muß man den Hoͤhen meiſt nur 
auf mancherley Wendungen beyzukommen trachten, wie 
das Beyſpiel der niedrigern Suleckalp mich ſattſam 
belehrt hat, und die Rigi⸗, die Wengerenalp, der 
Pilatus, hundert andere, erklaͤrlich machen. Nichts deſto 
weniger macht die truͤgende Naͤhe des faſt immer ſichtbaren 
Gipfels des Nieſen ſowohl als der Bettfluh, die man 
leicht für jenen hält, daß die verfchiedenen Ab⸗ und Ne 
benwege, welche gerade nach erſterem hinzufuͤhren fheis 
nen, doch irre leiten würden; die Einfoͤrmigkeit und die 
Ausdehnung der benachbart herumliegenden Alpweiden, 
die zerſtreuenden Seiten- und Ruͤckblicke auf die, dem Ho⸗ 
rizont nach und nach entſteigenden, majeſtaͤtiſchen Gegen⸗ 
ſtaͤnde, und auf die zu Füßen liegenden, anmuthigen, bes 
lebten Thaͤler an der Cander, — alles dieß macht den 
oͤftern Rath eines Fuͤhrers nicht unentbehrlich. Dieſe Ruͤck⸗ 
blicke und Seitenblicke haͤtte ich mir um alles in der Welt 
nicht abgewoͤhnen koͤnnen; fie machten den Weg, der dem 
vor ſich ſehenden Wanderer hoͤchſt einfoͤrmig und beſchwer⸗ 
lich vorgekommen waͤre, zum intereſſanteſten Pfade. Das 
ſichtbare Fort ſchreiten nach der Hoͤhe; das Sinken der vor, 
uͤberſtehenden Gebirge, und die Entdeckung neuer, hinter 
ihnen gelegenen Thaler und Bergſpitzen; die merkliche Er 
weiterung des Horizonts; das Heranſteigen der beſchnei⸗ 
ten, bisher verdeckten, hohen Firſten; das immer naͤher 


' rüdenbe Ziel der Beſchauung nach Muße, — alles das 


hat für den, Schritt für Schritt belohnten Wanderer, fei- 
nen beſondern Reiz. — Indeß war das Ziel immer ent⸗ 


256 ' 


feenter als es ſchien. Wenn man glaubt, die oberſte Höhe 
eines Abſatzes erreicht zu haben, befindet man ſich am 
Fuße eines aͤhnlichen folgenden, der, durch optiſche Taͤu⸗ 
ſchung, nur ein kleiner Beyſatz des vorigen zu ſeyn geſchie⸗ 
nen hatte. j 

In ein und untheilbarer Geſellſchaft ward anfänglich, 
und ganz nach den geſunden Regeln des Bergſteigens, ge⸗ 
ſtiegen, das heißt, langſamlich, bedaͤchtlich. Bald aber 
theilte ſie ſich unvermerkt in verſchiedene Factionen, und 


zerſtreute ſich in einen weit auseinander gedehnten Zug. 


Die Extreme waren erſtlich diejenigen, welche ſich bey je⸗ 
nem Syſtem wohl befanden und ausdauernd dabey ver⸗ 
harrten; zweytens diejenigen, deren Entwürfe fid), bey 
Anſicht der Möglichkeit der Ausführung, erweiterten, und 
die noch dieſen Abend gerne das Schauſpiel des Sonnen⸗ 
untergangs auf dem Gipfel des Nieſen koſten wollten; 
daher ein wenig den Vorſprung nahmen. Ich hatte mich 
zu letzteren geſellet. Eine andere Parthie folte die Com⸗ 
municationslinie beſetzt halten. So wards gedacht; doch 
nicht gemacht. — Einer der beyden Fuͤhrer ſollte bey dem 
hinterſt zuruͤckbleibenden Theile verbleiben; der andere, dem 
Rock und Wamns getroſt übergeben worden war, (id) zu 
dem Vortrab halten. Allein dieſer Vortrupp, der ſich ſelbſt 
nach und nach in die Laͤnge zerſtreute, und keine Buͤrde 
auf dem Rücken ſpuͤrte, kam im Amtseifer etwas zu raſch 
vor und verlor Fuͤhrer und Geſellſchaft ganz aus dem Ge⸗ 
fldit$e und aus dem Gehoͤrkreiſe; und zulezt befand ich 
mich allein voraus. Der Fußweg verlor fid) in den hoͤ⸗ 
hern Alpweiden, die ſich erweiterten, und an benachbarte 
andere Alpſtoͤße anſchloßen, welche vom Niefen an ruͤck⸗ 
waͤrts ſich fuͤdweſtlich fortziehen. Auch uns zur Rechten, 
mehr noͤrdlich, war ein Alpgebiet durch ein Bachtobel von 
unſerm Wege geſchieden. Noch weit und fern vor mir, 


257 


und links neden mir war keine Cennbütte, kein lebendes 
Weſen zu entdecken; und Doch ſchienen die Gipfel des 
Nieſen und der faſt hoͤhern Bettfluh nicht mehr ferne. 
Endlich winkte zur Rechten in einiger Hoͤhe das jedem muͤ⸗ 
den Bergwanderer willkommene Zeichen des aufſteigenden 
Rauches einer Huͤtte. Welch ein Schrecken! — ſie fand 
fid) durch eine tiefausgehoͤhlte Kluft getrennt; — und nur 
eine einzige! Es war nach aller Beſchreibung ſehr zwei⸗ 
felhaft, ob dieſe einſame Huͤtte, obgleich dem Gipfel des 
Nieſen näher ſcheinend, unſre geſuchte Herberge ſeyn 
koͤnnte; und ſie haͤtte nur durch einen ungeheuern Ruͤck⸗ 
und Umweg erreicht werden koͤnnen. Ich verfolgte alſo 
meine bisherige Richtung, und ſtieß endlich auf ein kleines 
nomadiſches Doͤrſchen von Hütten, deren Zugänge ringsum 
mit den Fußſtapfen der gehoͤrnten Bewohner dieſes Som⸗ 
meraufenthaltes bezeichnet waren. Aber ach! auch da war 
kein Laut eines beſeelten Geſchoͤpfes zu vernehmen; kein 
Raͤuchgen dampfte aus den Schindeldaͤchgen heraus; die 
Sennen mußten ſich in hoͤhere oder entferntere Gegenden 
gezogen haben — Wohin wohl? — Die Spitze des Ber⸗ 
ges erſchien fhón (o nahe; freylich war am Ende die ſe 
das gemeinſchaſtliche Ziel, und verſprach eine ſchoͤne Aus⸗ 
ſicht bey Sonnenbeleuchtung; aber die Ausſicht auf eine 
Nachtherberge verdunfelte fih; in den Schnappſaͤcken uns 
ferer Führer war zwar etwas wider die Anfälle in Eins 
ſamkeiten enthalten; dieſe Führer waren aber ſamt Rock 
und Wamms bey der großen Armee zuruͤckgeblieben. Und 
dieſe konnte einen andern Weg eingeſchlagen, ein anderes 
Nachtlager ausgewaͤhlt haben. Es konnte mir gehen, wie 
dem buͤßenden Tantalus, der erquickende Fruͤchte und 
Labetrank in ſeiner Naͤhe wußte, bey quálenbem Hunger 
und Durſt aber ſie nicht erreichen konnte. Solch eine Er⸗ 
fahrung wollte ich vermeiden; ich rief gegen die Tiefe 
z Bd, P d 


258 


herab; bie naͤchſte antwortende Stimme war diejenige ei⸗ 
nes Selbſtzweifelnden und Wiederfragenden; doch es war 
die Stimme eines Mitgefaͤhrten. Neugeſpornt gieng ich 
vorwaͤrts, in der Abſicht, die nahe, aber ſeit einer Stunde 
immer gleich nahe Spitze noch geſchwind zu erreichen, und 
von dort aus den gegenwaͤrtigen Aufenthalt irgend einer 
Heerde zu entdecken. Hinter jedem erſtiegenen Abſatz dehnte 
fich wieder ein neuer vor mir aus. Die beſchwerliche Zick⸗ 
zack⸗Wanderſchaft über die bald verwitterten, bald von 
haͤrtern Steintruͤmmern verunebneten Weiden, und uͤber 
einige Waſſerruͤnſe, gab nicht mehr ergiebig aus. Endlich, 
o freudige Entdeckung! zuerſt das anaͤlpelnde Geſchell, und 
dann der Rauch einiger Huͤtten, die Fahne, um welche 
ſich die ganze Geſellſchaft unfehlbar wieder verſammeln 
und vereinigen mußte. — Seyd mir gegruͤßt! — haͤtte ich 
beym Anblick der weidenden Heerde dald geſagt; — wo 


ihr ſeyd, da giebt's Milch; wo Milch it, da müffen Senn» 


Hütten in der Naͤhe ſeyn, und dieſe waren bald vor dem 
Auge. Ich rufte meine Entdeckung dem naͤchſtanruͤckenden 
Gefaͤhrten, Hen D. S.. .... zu, der, nebſt einem der 
bre) muntern Knaben, welche nicht zuruͤckbleiden wollten, 
bald eintraf. ; 

Mit luſtigen Gauckelſpruͤngen eilte ein junger, vierbei⸗ 
nigter Sultan aus dem Alpenſerail herbey; er ſoll nur, 
wie es hieß, ſeine bewillkommende Freundlichkeit gegen die 
anlangenden Fremdlinge haben aͤußern wollen. Jede Ge- 
gend und jedes Volk hat ſeine Gebraͤuche. Des hieſigen 
Ceremoniels aber nicht alſogleich unterrichtet, und ganz al⸗ 
lein auf dieſer Hochburg angelangt, — (es iſt übrigens 
eine meiner vielen Ungeſchicklichkeiten, daß ich nicht mit 
dem Vieh umzugehen weiß —) war ich einſtweilen auf 
das Dach der naͤchſten Sennhütte geſtiegen, als ich Riegel 
und Klimper an der kleinen Thüre nicht ſogleich finden 


259 


fonnte, und empfieng dann alida getröft die Bewillkom⸗ 
mungs⸗Complimente des gehoͤrnten Ceremonien- Meifters, 
bis die Innhaber des Hauſes herankamen, und mich von 
dem Dach herab in die Sennhuͤtte einluden. Dieſer Ort 
ward jedoch noch einige Male mein Lieblings-Beobach⸗ 
tungsſitz, obſchon ich das Vergnügen auch hatte, die praͤch⸗ 
tige Anſicht der ſuͤdlichen Gegenſtaͤnde und des geſtirnten 
Himmels, waͤhrend der Racht unter dieſem Dache ge⸗ 
lagert, durch daſſelbe hindurch zu ſehen. 

Das Vorhaben, heute Abends noch den Gipfel des 
MNieſen zu betreten, mußte aufgegeben werden. Der 
Abend war ſtark herangerückt; unſre Oberkleider in den 
ſichern Haͤnden des noch fernen Tragers, und ohne die— 
ſelben unrathſam, den erwaͤrmten Leib dem friſchen Winde 
auszuſetzen, welcher ſtets auf der freyen Hoͤhe reaieret; 
und dann der wunderbar lautende Bericht, daß noch ans 
derthalb Stunden Wegs dis zur Spitze zuruͤckzulegen ſeyen; 
endlich unſre für einmal befriedigten Beine; alles das 
waren eben ſo viele Opponenten. Nur bey unſerm kleinen, 
zwölf» bis dreyzehnjaͤhrigen, wackern Vortrabs⸗Gefaͤhrten 
war die Luft unuͤberwindlich geworden. Die vorläufigen 
Verrichtungen des Quartiermeiſteramts, die gaftfretindits 
chen Anerbieten und Gefaͤlligkeiten des Sennen, und einige 
Augenblicke, die das Auge den erſten Betrachtungen des 
auf der Suͤdſeite eroͤffneten Amphitheaters der Hochalpen 


wiedmete, hatten unſere Aufmerkſamkeit etwas zerſtreut; 


wir wollten dem Knaben rufen, um bey Milch und Rahm 
ſich etwas zu erholen; da antwortete keine Stimme. Wir 
ſuchten ihn und fanden ihn nicht; ein vermuthender Blick 
bergan entdeckte den Bergklimmer, der durch kein Rufen 
noch Pfeifen vom Vorſatz abzudringen war. Ihn hatte 
die ſcheinbare Nähe des Gipfels getäufcht, und er wollte 
ihn durchaus heute noch beſtiegen haben. Zum Gluͤck und 


260 


zu unferer Beruhigung wieſen einige Schwierigkeiten des ums 
bekannten Weges den muthigen, kleinen Unternehmer von 
ſelbſten zurück. Die Spitze ſcheint allerdings für fehr gt» 
uͤbte Berggaͤnger auch auf dem geraͤdeſten Wege erſteiglich; 
wie es aber unter dem Monde nicht lauter kletterluſtige 
Pilger giebt, und der geraͤdeſte Weg freylich immer der 
naͤchſte, aber der am ſeltenſten betretene iſt, — ſo findet 
fic) auch hier für die zahlreichen Liebhaber der Bequemlich⸗ 
keit ein Umweg von guten anderthalb Stunden. Wir wa⸗ 
ren froh, den jungen Kletterling wieder mitten durch die 
gutmuͤthige, ihre Geſchaͤfte forttreibende Kuͤh - und Ziegen- 
heerde hindurch wandelnd, bey uns einruͤcken zu ſehen. 
Jezt ſammelten ſich nach und nach die zerſtreuten Truͤpp⸗ 
chen der Geſellſchaft bey der ſtillen, friedlichen Herberge, 
welche ein Perſonal von 14 — 15 Inſaßen kaum faſſen 
konnte, das wir mit dem Senn, (dem Schulmeiſter von 
Muͤllenen), feiner Tochter und einem oder zwey Mitges 
huͤlfen ausmachten. — In kurzer Zeit lag ein kleines Ras 
turalien-Cabinet, Nieſen-maͤßigen Beſtandes und Ans 
denkens, ausgekramet da, wozu ein jeder fein Schaͤrfchen 
an Blumen, Graͤſern, Wurzeln, Moofen, Schwaͤmmen, 
Steinen, Kaͤfern u. f. f. deygetragen hatte. — Der Ruͤ⸗ 
cken des Nieſen ſoll, ſo viel im Vorbeygang demerkt 
werden wollte und konnte, fuͤr den Liebhaber der Pflanzen⸗ 
kunde, der ſich hieher begiebt, keine mittelmaͤßige Ausbeute 
an ſeltenen Gewaͤchſen verſprechen. Und der Mineralien⸗ 
ſammler haͤtte vielleicht Vergnügen, fih an den verſchie⸗ 
denartigen Zuſammenſetzungen aus den Elementen des 
Steinreichs zu erluſtigen, wovon fid) auf und unfern dem 
Wege, und auf dem Dache der Sennhuͤtten mannigfaltige 
Muſter vorfinden ; Ueberreſte zerſplitterter Trümmer, Dee 
zen Urftätte ohne Zweifel auf den Firſten der Nie ſen⸗ 
kette zu finden wären, welcht vitlleicht einſt noch weit höher 


261 


als jezt unter den Außenwerken der Hochalpenlinie empor» 
geragt haben mochte. 

Bey allen, getreulich zuſammengetragenen Bemerkun⸗ 
gen, Meynungen und Vermuthungen uͤber das Bemer⸗ 
kenswuͤrdige auf dem Wege und auf der Stelle, blieb in» 
deſſen, als eines der erſten Beduͤrfniße, die Nachfrage nach 
den minder ſpeculativen, mehr practifch » nuͤzlichen Merb 
wuͤrdigkeiten im Innern der Sennhuͤtte nicht aus; ſie hat⸗ 
ten die wunderbare Kraft, muͤde Beme zu ſtaͤrken, trocke⸗ 
nen Hals und Mund zu erfriſchen. Erſt nach einem un⸗ 
entbehrlichen Vorſpiel konnten wie uns ungetheilt dem fei” 
nern Genuße überlaffen, den die Betrachtung des vor uns 
eröffneten, herrlichen Schauplatzes uns als etwelchen Vor⸗ 
geſchmack des morgenden Tages gab; die Vorderſeite, naͤm⸗ 
lich der nördliche und weſtliche Theil des Horizontes war 

hier durch den Grath des Nieſen verſchloſſen, hinter 
welchem wir gelagert waren; aber die oͤſtliche und ſuͤdli⸗ 
che Seite, der majeſtaͤtiſche, nicht in die Wolken, ſondern 
ins Blau des hohen Himmels hineingrenzende Hauptab⸗ 
ſchnitt des Geſichtskreiſes war bereits vor uns aufgethan. 
Der prächtige, vom Goldglanz der Abendfonne überfioffene 
Bogen von Schneefirſten war ausgeſpannt und umgab das 
dunkelgruͤne, mit Recht benannt Garten ⸗aͤhnliche Vorge⸗ 
gelaͤnde, welches jezt ſchon in Schatten der Daͤmmerung⸗ 
hinſank. Ich uͤberließ mich ganz und gar auf meinem 
Dachſitze dem ungetrübten Augengenuße, und vertiefte mich 
endlich ſo vollends am herrlichen, durch gaͤnzlich eingebro⸗ 
chene, ſternenvolle Nacht nicht unterbrochenen, nur alle 
maͤhlig veränderten Schauspiele, — daß ich in meiner Als 
leinheit kaum wahrnahm, wie die kuͤhle Luft des Abends; 
Eines um das Andere von der Geſellſchaft ins Innere der 
zwar geraͤumigen, aber wohl angefuͤllten Zelle bannte, — 
bis der zum Dach herausqualmende Rauch auch mich au. 


262 | 
eine andere Ruheſtelle erinnerte, und in die Hütte zuruͤck, 
wies. Welch einen ſonderbaren Auftritt bot ſelbige dar! 
Gut, daß wir keinem Carricatur-Mahler unter die ſchreck⸗ 
lichen Haͤnde fielen. Bey dem matten Schimmer zweyer, 
mit Behaͤugſeln aller Art, als: mit Tuͤchern , Kleidern, 
Stiefeln, Hemden, Struͤmpfen u. ſ. f. ganz umgebener 
Feuer, ſaß die ganze Gruppe jezt im verdunkelnden Qualm 
des Rauches, der feinen Ausweg ſuchte, wo er konnte, eis 
ner Zigeunerbande nicht unaͤhnlich, — in verſchiedenen Yars 
thien herumgelagert. Wir ergoͤzten uns an unſerm eige— 
nen Aublicke. Camine waren nicht zu entdecken; dafur 
Zugloͤcher zur Genuͤge, die den Nebenzweck fleißiger Luft⸗ 
erfriſchung reichlich erfüllten. Gegen eilf Uhr hatte fid) uns 
vermerkt ein Mitglied der genug durchraͤucherten Geſellſchaft 
um das andere in dieſes oder jenes Eck unter den Daͤchern 
unſerer und einer benachbarten Huͤtte verkrochen. Morpheus 
Schlafkoͤrner druͤckten ſanft auf die Augenlieder, glitſchten 
aber faſt alle herunter. Nicht etwa, daß tiefes Einſinken 
und die Hitze der Federbetten den Schlaf verſcheucht haͤt⸗ 
ten; aber der Lagerort und die Laune der Geſellſchaft 
ſtimmte nun einmal nicht mit einem feſten Schlafe zus 
ſammen. Nach gluͤcklicher Erkletterung einer Stelle, dicht 
an der obern Wand, gleich unter dem Dache, welches mir 
heute als Beobachtungsſitz und gegenwärtig als Betthim⸗ 
mel diente, hatte ich vortreffliche Gelegenheit, — auf dem 
knörrigten Lager neben Hrn SS. . dahingeſtreckt, — 
naͤchtliche Beobachtungen am geſtirnten Himmel anzuſtel⸗ 
len, und den Lauf der Stunden nach dem Fortruͤcken des 
Drions ahzuzaͤhlen. Durch die Spaͤlte und Lücken der 
morſchen Wand weheten kuͤhle, nur zu kuͤhle Luͤftchen her⸗ 
ein; ich hätte gern den allzugeſchaͤftigen Zephyrchen einige 
Ruhe gegoͤnnet. Dafur aber fiel auch durch eben diefe 
Lacken das Auge auf das neue und ganz eigene Schau⸗ 


265 


ſpiel, das der prächtige, durch die Nacht ſchimmernde, 
weite Schneebogen ihm entgegen wies. 

Bey allem dem war nun vollends, zu Beſaͤnftigung 
des Schlafs, auch noch fuͤr Serenade geſorget. Einige 
Schweine und Ziegen in naher Rachbarſchaft verriethen 
von Zeit zu Zeit ihre kleinen Zaͤnkereyen. Ein krankes Stud 
Hornvieh, unter gleicher Firſt gelagert, ſandte dann und 
wann einen ſchnaubend⸗ſeufzenden Ton herauf. Aus uns 
bekannten und unvermutheten Winkeln und Rachbarſchaf⸗ 
ten kamen allerhand Toͤne und Nachahmungen als Zeichen 
der Wachbarkeit vom muthwilligern Theil der Gefellichafe 
heruͤber. So waren die Auſpieien, unter welchen man 
haͤtte ſchlafen folen! Stunden abzuzaͤylen gab's nicht 
viele. Gegen ein Uhr war ſchon wieder alles lebendig 
und auf den Fuͤßen. Die guten Leute werden lange an 
dieſe unruhige Nacht denken, die wir ihnen verurfachtene 
Das Feuer loderte wieder am Heerde. 

(Den 27 Juli.) Beym Schein zweyer tannerner Fa⸗ 
ckeln, die der Senn und einer ſeiner Mitgehuͤlfen theils 
voraus, theils in der Mitte des langen Zugs trugen, tta» 
ten wir fruͤhe Morgens vor zwey Uhr den ſteilen, hoͤcke⸗ 
richten Pfad nach der Spitze des Berges an, kamen ganz 
nahe an der Bettfluh, der zweyten und hoͤchſten Spitze 
der Nieſen⸗Bergfamilie, vorbey, wandten uns dann 
wieder rechts, und erreichten, etwas nach drey Uhr, abers 
mals in febr zerfplitterten Truͤppchen, die Hoͤhe. Es iff 
fat undegreifich, wie der fo klein ſcheinende Raum zwis 
ſchen derſelben und der Sennhuͤtte nur in anderthalb bis 
zwey Stunden zuruͤckgelegt werden kann; der ſtarke Bo⸗ 
gen aber, den unſer rauhe Weg bildete; die ermuͤdenden, 
aufhaltenden, vielen und tiefen Spaͤlte in dem Waſen; die 
rauben, quarzkoͤrnigt uͤberzuͤckerten Steine, welche imme: 
gehäufter) je näher der Spitze, im Wege liegen; die nite: 


` 


264 

len, halb aufliegenden, halb im Boden vergrabenen Fels⸗ 
blöde, welche umgangen werden muͤſſen; — alles das find 
kleine, Raͤthſel⸗loͤſende Hinderniße für den allzuraſchen 
Bergſtuͤrmer. Dieſer naͤchtliche Spaziergang beym Fackel⸗ 
ſchein, welcher zuweilen die ganze lange, ſich bergan ſchlaͤn⸗ 
gelnde Proceſſion erheiterte, zuweilen aber ſich den Lezt⸗ 
nachkommenden, unter denen ich mich eine Weile befand, 
hinter einer Kruͤmmung entzog, hatte indeſſen ſeine beſon⸗ 
dern Reize, und hinterließ in meinem Andenken bleibende 
Eindruͤcke. Die tiefern Thaͤler lagen in finſtern Schatten; 
nur die Reyhe der Hochgebirge glaͤnzte allein unter allen 
umliegenden Gegenſtaͤnden der Schöpfung aus dem Dune 
kel hervor. Ueber ihnen blinkte durch die reine Atmos⸗ 
phaͤre hindurch das unzaͤhlbare Geſtirn herab. Doch zeigte 
fi) da und dort ein kleines verdaͤchtiges Wolkenſtreifchen 
am Horizont, welches das durchbrechende Weiß der Schnee⸗ 
gebirgskette unterbrach. — Aber jenes Dunkel, welches 
waͤhrend dem groͤßten Theil des Wegs noch über die ties 
fern Gegenden ausgebreitet lag, hinderte von dieſer Seite 
die allzufruͤhzeitigen Ruͤckblicke der Sehbegierde; die ganze 
Pracht des eröffneten Schauplatzes ſollte uns erſt bey kom⸗ 
mender Helle auf der Hoͤhe, und dann in voller Ausdeh⸗ 
nung zu Theil werden. Auch dort noch ſchwebte zu tiefe 
Daͤmmerung uͤber Berg und Thal, um den einsmaligen 
Ueberblick des Ganzen zu faſſen, das die Sonne uns nach⸗ 
her aufdedte, 

Ehe man noch zum eigentlichen, fuͤr die Ueberſicht vor⸗ 
theilhafteſten Standpunkt auf dem Gipfel gelangt, muß 
man noch einige hundert Schritte weit, dem ſchmalen 
Grathe des Berges nach, oſtwaͤrts, neben und über uns 
zählige, durch- und aufeinander liegende Bruchſtuͤcke des 
einſt eingeſtuͤtzten, hoͤhern Felſenkopfs, hinwandeln; zur 
Rechten lag der zwar begruͤnte, aber aͤußerſt gäbe Abs 


265 
hang des Berges, den wir erſtiegen hatten; gleich zur Lin 
ken der graͤßliche, ganz mit Steintruͤmmern uͤberlegte Ab⸗ 
ſchuß gegen dem tief zu Fügen liegenden Thal und See. 
Ich hatte mich, bey Annäherung der Höhe, aus dem Hin⸗ 
tertrupp des Zuges nach dem Vordertrupp begeben, hinter 
welchem die Fackel bereits ausgelöfcht war; ich wollte die 
Eindruͤcke des erſten Anblicks und des Alleinſeyns auf der 
einſamen, feyerlichen Stelle des Berggipfels unmittelbar 
ſelbſt auffaſſen. Aber ich war nicht mehr der Erſtange⸗ 
kommene. Schon hatte Hr. D. S.. . . . . die Spitze ct» 
reicht, und hinter einem, den Nordwind abhaltenden Stein 
Poſto genommen. Noch ruheten Berg und Thal unter 
den Fittigen der Nacht. Nur nach einer Minute Samm⸗ 
lung und Aufenthalt, bey Abweſenheit der brennenden Fas 
ckeln, ließen fid) allmählich die Hauptumriſſe des vor uns 
eröffneten Schauplatzes erkennen. Die Kleinheit, in wel⸗ 
cher da zuvoͤrderſt die beyden Seen zwiſchen Thun und 
Brienz erſchienen; die anſcheinende Nähe der beyden, 
mehr als neun Stunden von einander entfernten, und jezt 
unter einem ſehr ſpitzen Winkel ſich im Auge begegnenden 
See⸗Ende, zwiſchen welchen das Eylaͤndchen von Inter⸗ 
taten kaum vor einem Nichts zu erkennen war; dag 
Pian- oder hoͤchſtens Reliefs ähnliche der Gegend; die Cas 
nalfoͤrmige Einfaſſung jener Seen, zwiſchen den ſchwarz⸗ 
dunkeln Bergwaͤnden zu beyden Seiten; das chaotiſche 
Dunkel, welches nordweſtlich über der entferntern, weiten 
Ebene ſchwebte; — das alles hatte etwas ganz beſonders 
Schauerliches. Erſt bey anbrechender Morgendaͤmmerung 


traten die Gegenſtaͤnde allmaͤhlich deutlicher heraus und 


ſchienen ſich mit der zunehmenden Helle zu vergroͤßern und 
zu erweitern. Die verſchiedenen Thalaushoͤhlungen innert 
den unzaͤhligen Bergſpitzen, welche gleich Anfangs die Aus⸗ 
ſicht etwas verworren und verſchloſſen zu machen ſchienen, 


266 


ließen fic nach und nach unterſcheiden. Aber die Morgens 
kuͤhle war gegen 4 Uhr bis zur durchdringenden Kaͤlte am» 
geſtiegen. Gewiß waͤre der Reaumuͤrſche Thermometer bis 
1 Grad unter o geſunken, obſchon es der 27 Heumonat 
war. Wäre Waſſer in der Nähe geweſen, vielleicht haͤtte 
ſich eine Probe mit deſſen Gefrieren machen laffen, Un⸗ 
geachtet dieſer Temperatur ſummte, was mich ſehr wun⸗ 
derte, eine Menge großer Kaͤfer, in Groͤße und Farbe wie 
Hornißen, um uns herum, und verſchwanden ſpaͤterhin. — 
Eine, gewißermaßen fuͤrchterliche Stille, die auf der oͤden 
Stelle und uͤber dem weiten Kreyſe herrſchte, ward durch 
nichts unterbrochen, als durch die Stimme der nach und 
nach auf dem ſchmalen Plaͤzchen ankommenden Geſellſchaft. 
Uebrigens hatten ſchon geſtrigen Abends, noch mehr bey 
heutigem Morgenſpaziergang, die ſaͤmtlichen Stimmen, 
beſonders die melodiſchen Geſaͤnge der Singluſtigen, unver⸗ 
merkt in Toͤne ausgeartet, die dem Blaſen und Keuchen 
viel aͤbnlicher ſchallten, als einer Romanze, und dem Muth» 
willen, — verſteht ſich nach geendigter Strapate/ — reich⸗ 
lichen Stoff gaben. 

Eine Stille von der Art, wie ſie jezt hier in der Frühe 
des Morgens herrſchte, it etwas den beträchtlichen Höhen 
ganz Eigenes, im tiefen Thale ganz Unbekanntes. Auf et⸗ 
was mindern Höhen bünft man fid) noch nicht fo ſehr von 
der Welt abgeſchieden; man hoͤrt etwa aus einem benach⸗ 
barten, bewaldeten Thak das Schlagen einer Holzart; 
das Jauchzen eines Hirten, das Rauſchen eines Stroms, 
das Bruͤllen des Viehes irgend einer nahen Sennte, oder 
endlich, den lieblichen Geſang eines in den angrenzenden 
Forſt hinuͤberflatternden Raben. Nichts mehr von dieſer 
Art auf einer dden Feloſpitze, wie diefe hier, wenigſtens 
um dieſe fruͤhe Stunde. Die Sennte iſt weder ſicht⸗ noch 
hörbar, — Wie einſam und abgeſoͤndert von den lebenden 


267 


Geſchoͤpfen dieſes Erdballs müßte man fid) wohl auf einer 
Hoͤhe befinden, die weit groͤßer iſt als dieſe Bergſpitze; 
z. B. auf dem Gipfel eines Montblanc, zu defen Höhe 
wir hier nur erſt den halben, und zwar den minder be⸗ 
ſorglichen Weg zurückgelegt hätten; wo die Umgebung mit 
Schnee und Eis den Gedanken und die Empfindung der 
Einſamkeit verſtaͤrken; und wo kein Ton aus der bewohn⸗ 
ten Tiefe heraufdringen kann, — ſondern hoͤchſtens etwa 
das Pfeifen eines verfolgten, ſich verirrenden Gemſen, oder 
das dumpfe Brüllen einer herabſtuͤrzenden Lauwine, oder 
des krachenden Eiſes, die Stille unterbricht. Wie erha⸗ 
ben uͤber jene, dort unten noch in dem dunkeln Thal zu 
Fuͤßen ſchlummernden Weſen wir zu ſeyn duͤnkten; wie 
bald aus dieſem Duͤnkel herausgeriſſen beym Gedanken, 
daß auf einem Montblanc wir nicht nur zweymal ſo 
hoch, und auf dem Cimboraſſo in Suͤdamerica noch 
um circa 4500 Schuh hoͤher als auf lezterem ſtehen wuͤr⸗ 
den; ſondern daß ſogar in einer nicht ſehr großen Entfer⸗ 
nung von hier, naͤmlich an der Seite des Matterhorns 
im ſuͤdlichen Wallis, ein gangbarer Paß uͤber eine Hoͤhe 
fuͤhrt, welche über 2600 Fuß die Spitze des Nieſen übers 
ſteigt, und daß daſelbſt noch Spuren ehmaliger Mauer⸗ 
befefigungen vorhanden ſeyn follen! 

Es naͤherte ſich uns ein Schauſpiel, das einſtweilen 
die Aufmerkſamkeit von allen andern Betrachtungen ab⸗ 
und auf ſich allein hinzog. Zwar ſchienen die Vorbedeu⸗ 

tungen am Horizont unſerer Erwartung nicht ganz guͤn⸗ 
ſtig. Die Wolkenſtreifen vermehrten und vergrößerten fid) 
gegen Oſt und Suͤdoſt. Meines Beduͤnkens machten ſie 
die Szene, auf die wir harreten, dauernder, abwechſeln⸗ 
der, glaͤnzender. Sie errathen, was ich meyne. — Die 
Koͤnigin des Tages ruͤckte mit ihrem Hofſtaat heran; lange 
voraus eilten die Silberſaͤume der Woͤlkchen, die immer 


268 


heller und blendender wurden unb über die oͤſtlichen Ges 

Dirge daher ſchwebten. — Wie es aber auf ſolchen Höhen 

zu geſchehen pflegt, die Szene verzögerte fid) faſt meyr, als 

ſich mit der Ungeduld von Frierenden vertragen wollte. 

Wir bauten mitunter auf die Hoffnung, daß die Strahlen 

der ankommenden Sonne unſerm Zittern und Klaffen ein 

Ende machen wuͤrden. — Der Anblick der Geſellſchaft haͤtte 

einem unpartheyiſchen, wohl in Pelz eingehuͤllten Belau⸗ 
ſcher zu dem Nachtſtücke des geſtrigen Abends in der Senn⸗ 

Hütte, hier ein vortreffliches Morgenſtuͤck geliefert. 

Mit uͤbereinander geſchlagenen Armen, in wohlbehag⸗ 
lichem Alleingenuße feines Sitzes, ſaß Hr. D. S 
hinter einem, vertical aufgeſtellten Steine, einem Parallele⸗ 
pipaͤdum von ungefaͤhr 3 1/2 Schuh Höhe, x 1/2! Breite 
und ıf2 Dicke, den irgend eine ſchlotternde Geſellſchaft hier 
aufgerichtet haben mochte. Hier hatte ſich derſelbe bey Zeiten 
ein Bläschen ausgeſchieden, das feinen Rüden ſchuͤtzte; vor 
dem Winde namlich. Dieſer aufrechtſtehende, fuͤnfthalb⸗ 
centnerichte Lehnrücken war in feiner Senkgerechtigkeit von 
hinten durch ein kleines Steinchen unterftüst. Das Plaͤz⸗ 
chen war gut; wie aber einſt uͤber dem Koͤnig, — ich 
glaub' es war Dyoniſius, — ein Schwerdt an einem 
Haare hieng, alſo hieng die Gefahr des Umſturzes jener 
Lehne über dem Rücken des heutigen Beſitzers vom Nies 
fen, Thron. Indeſſen uͤberwog die wohlthuende Cmpfin» 
dung des Augenblicks die Betrachtung anderer Moͤglich⸗ 
keiten. 

Mit recognoſcirendem Blicke, — ein weißes Tuch, åpn, 
lich einem Chorhemde, ftatt Mantel, über die vom ſchnei⸗ 
denden Luft etwas zuſammenſchnurrenden Achſeln umge⸗ 
legt, — ſpaziert Hr. Pr. S.. . . .. geſchaͤftigen Schrittes 
dem Grath des Gipfels nach hinauf und herunter, fote 
ſchet, ob nicht noch etwa ein herbergender Winkel oder 


269 


Stein irgendwo zu entdecken wäre; wie auf einer Canzel 
er ſchien er in Meßprieſterlichem Tof an der Ecke des Nies 

fen» Gipfels. Aber ach! kein Stein erbarmte fid des 

Frierenden. 

Abwechſelnd nickend, — von Schlaf und Kaͤlte be⸗ 
ſtuͤmmt, — ſaßen, in Mitte der beweglichen Gruppe, Frau 
Pr. S.. . .. und der juͤngſte T.... mit Tüchern über 
deckt, um dem Winde den Zugang zu verſperren. 

Gerade hinter dieſen troͤſteten ſich auf andere Weiſe ge⸗ 
gen die Kaͤlte vorſichtige Freunde, auch Fackel⸗ und Pro⸗ 
vianttrager, mit ben weislichſt anhers gebrachten Flaſchen. 
Dieß Waͤrmungsſyſtem fand Beyfall; Sitzende ſtuhnden 
auf; Marſchirende ſtanden ſtill; Staunende erwachten. 
Bald hatte ſich ein dichter Kreis um die ſprudelnde La 
cöte- Quelle gebildet. Grimmen und Hauptweh, welche 
da und dort einigen, ſonſt Singluſtigen, ſaure Mienen ab⸗ 
genoͤthigt hatten, wichen; und das Gefuͤhl des Wohlbeha⸗ 
gens ſtroͤmte nachher bald wieder in jauchzende Töne aus. 

Den Zeigefinger abwechſelnd an die Naſe, dann wie⸗ 
der in die Taſche haltend, mochte Referent ſelbſt, — wel⸗ 
cher ſchuͤchtern an dem Abhang des Berges ſtand, um feine 
wunderbare Beſchaffenheit naͤher zu beſehen, dann aber 
wieder die Haͤnde vor dem Winde verbarg, — in dieſem 
kalten Stuͤndchen manch winterliches Geſicht geſchnitten 
haben ; er vergaß indeſſen das mit Erfolg angefangene Ex⸗ 
periment der innern Erwaͤrmung nicht und trat zur ſtaͤr⸗ 
kenden Flaſche hin. 

i So viel jedes ſchlotternde Mitglied mit feiner eigenen 
Haut zu thun batte, fo erluſtigte es fich an der comiſchen 
Figur und Zuſammenſtellung der ganzen Gruppe. Unter 

manchem Schnack war ein, zwar Strapazartiges, doch 
unpergeßliches Stundchen vergangen, ehe die Sonne enda 
lich beranſtieg. - 


270 

est ward alls rege. Die Ankunft dieſes praͤchtigen 
Weltkoͤrpers belebte auf's Neue. Die ganze Anſicht vers 
aͤnderte ſich; des Frierens ward einſtweilen vergeſſen. Die 
herrliche Szene zu beſchreiben, — das laß ich wohl brei 
ben! — So wie ſie uͤberhaupt dem innern Gefuͤhl noch 
weit mehr als dem Auge ſagt, ſo fuͤhlte gewiß ein Jeder 
von uns mehr, als mit Worten geſagt werden koͤnnte. 
Nur das kann ich ſtammeln: Der einzige Augenblick, — 
es war wohl der eigentliche Uebergang von der Daͤmme⸗ 
rung zum Tag nur ein kurzer Zeitpunkt, — aber dieſer 
Augenblick allein, wenn die Umſtände fid) zu feiner Vers 
herrlichung vereinigen, belohnet das Unternehmen. Ein 
ſolcher Augenblick, in Verbindung geſetzt mit dem, was 
ihm unmittelbar vorhergehet und folget, bey dieſer guͤn⸗ 
ſtigen Vereinigung der Wefchönernden Umſtaͤnde, it ein 
Genuß von ſo ungewoͤhnlicher Art, daß man denſelben, — 
einmal den ſchicklichen Anlaß verſcherzt, — oft in einem 
Menſchenleben nicht wieder erhaſchen könnte, Es erdreuſte 
(id) nur niemand, weder mit Pinſel, noch mit Feder ab; 
copeyen zu wollen, welche Wirkung die, vom blendenden 
Mittelpunkte der hervorbrechenden Sonne aus, mit Bli⸗ 
tzesſchnelle ſich nach allen Richtungen verbreitenden Strah⸗ 
len auf das ſtarr gefeſſelte Auge machen; welche Veraͤn⸗ 
derung in dem auf einmal erhelleten Horizonte vorgehet, 
deſſen Begrenzung gleich vorhero von den fruͤhern Ausflügen 
der Sonne vergoldet erſchienen war; wie jezt in Kurzem 
die, kaum noch in Schatten eingehuͤllten, niedrigern Berge 
und Gegenden ringsum von dem beleuchtenden, , allgenüs 
genden Glanze jenes Feuerkoͤrpers uͤbergoſſen werden; wie 
die bisher unbemerkt gebliebenen Gegenſtaͤnde nach einan⸗ 
der, wie aus der Erde ſteigend, hervortreten, und der ganze 
Umkreis des Geſichtsgebiets ſeine Geſtalt verwandelt! 

Hier erfuhr ich wieder einen Beweis wie wenig es als 


274 


allgemein und unbedingt angenommen werden fann, 
daß die zuerſt von der Morgen» oder zulezt von der Abends 
ſonne beſchienenen Bergſpitzen in jedem Falle als die hoͤch⸗ 


ſten anzuſehen ſeyen. Einige ſchwärzliche, niedrigere Berga 


hoͤrner, uns gegen Weſten und Suͤdweſt, erſchienen im 
Goldglanze des jugendlichen Morgens, noch ehe alle Gip⸗ 
fel der hoͤchſten Schneegebirge auf füdlicher und ſuͤdoͤſtli⸗ 
chen Seite fid) aus der mattſchimmernden, nächtlichen Bes 
kleidung herausgeworfen hatten. Es hatte auch heute Ph oͤ⸗ 
bus das erhabene Haupt der Jungfrau noch um einen, 


kaum unterſcheidbaren Moment ſpaͤther begruͤßt, als das 


oͤſtlichere Wetterhorn. Dieß ift begreifbar. — Heute 
an dieſem, morgen an jenem; je nach dem Stand der 


Sonne und der Lage der Zwiſchengebirgen; oder auch von 


Wolken. Nicht ſo regulaͤr als ich mirs vorgeſtellt hatte, 
verbreitete ſich das Sonnenlicht zuerſt auf die oderſten und 


von dieſen auf@die, tiefern Regionen. Dagegen hatten die 
vielen, zerſtreuten, zuerſt uͤber die Berge in Oſten der 


Sonne vorausgeeilten, blendend-weiß beſaͤumten Woͤlk⸗ 
chen, eine ſolche zufaͤllige, mannigfaltig uͤberraſchende Strah⸗ 
lenvertheilung bewirkt, die in meinen Augen dem Schau⸗ 
ſpiele noch weit hoͤhere Pracht verliehen, als die erwartete, 
reguläre Vertheilung von oben nach unten zu hätte bewir⸗ 
ken koͤnnen. ) 

So erklärt ſichs mir zugleich, was ich in Zürich bey 
oͤfterer Beobachtung des Sonnen » Untergangs bemerkte, 
warum zuweilen der Himmel ⸗anſtrebende Toͤdiberg ſich 
noch fruͤher in den abendlichen Schatten taucht, als der 


naͤhere, der untergehenden Sonne dannzumal vielleicht 


ſreyer ausgeſetzte, aber 12 — 1300 Fuß niedrigere Glaͤr⸗ 
niſch, oder die Windgelle, oder die Surennen; — 
warum zu andern Zeiten hinwiederum der Toͤdi lezter 
des Abends und erſter des Morgens iſt. 


/ 


372 = 


Nicht gar lange genoß das unerfättliche Auge den 
prachtvollen Anblick des unmittelbar von der Sonne bes 
glaͤnzten Horizonts. Sie verbarg ſich ſehr bald hinter den, 
ſich immer mehr ſammelnden Wolken, und erſchien uns 
nicht wieder bis nach angetretener Ruͤckreiſe ab der Spitze. 
Deſto aufmerkſamer weilten nun die Blicke über dem irdi⸗ 
ſchen Theile des Geſichtskreiſes. Erſt jezt, bey der wieder 
veränderten, etwas allgemeiner werdenden Beleuchtung, 
ſoͤnderten fid) die verſchiedenen Parthien der weiten, ente 
zuckenden Ausſicht. Nur gegen der, nordweſtlich geleges 
nen, großen Thalebene hin war die Luft etwas durch nebs 
lichte Duͤnſte getruͤbt, welche uns die deutliche Anſicht der, 
von der ſchlaͤngelnden Aar umſchloßenen Stadt Bern, 
benahmen, von wo aus man ſonſt ſo gut, beſonders auf 
der Schanze und Platteforme, den aufmerken⸗ erregenden 
Anblick des Nieſen hat. Da die Diſtanz in gerader Li⸗ 
nie kaum ſieben Stunden beträgt, fo muͤßke man bei ganz 
heiterer Luft mit einem guten Fernrohr ſehr wohl bis auf 
das Innere der Stadt hinabſehen koͤnnen. 

Weit über dieſelbe hinaus, tief ins Serganié dia 
und Solothurniſche hinein, folget ber Blick dem Laufe 
der Aar, und dem fruchtbaren Gelaͤnde zu ſeiner Seite, 
bis er durch die Kette des quer hinuͤberziehenden, bläulich» 
ten Jura gehemmt wird. Nur die allmaͤhlige Rundung 
des Bogens der Erdoberfläche mag verhindern, daß das 
Auge nicht über dieſe Bergkette hinausreichen, und auch 
den Lauf des Rheins, längs dem Elſaß nach, verfol⸗ 
gen kann; denn dieſe Kette, deren allerhoͤchſte Spitzen, 
als: der Thoiry und die Dole hinter News (Rion); 
welche, nach den Meſſungen der Herren Pictet und von 
Sauffure, erſtere 4062, leztere 3945 Fuß über den Gens 
ferſee , mithin circa 3300 Fuß über den Thunerſee, 
und zwiſchen 3160 — 3130 Fuß über dem mittellaͤn diſchen 


273 


Meere erhaben (inb, — reicht ba, wo (ie den Geſichtskreis 
abſchneidet, kaum etwas über die Hälfte der ſcheinbaren 
Hoͤhe des Nieſen, welcher, nach Berechnung des Herrn 
Profeſſor Tralles, an die 5560 über den Thunerſee, 
oder 7340 über das Meer erhaben ift; was der Höhe 
von ungefaͤhr 28 — 3o ſenkrecht uͤbereinander geſtellten 
Muͤnſterthuͤrmen gleich kommen wurde. Allerdings für 
Molken⸗Curgenoſſen bereits das Ziel eines artigen Spa⸗ 
zierganges. 

Etwas mehr zur Rechten, noͤrdlich, erfreute es mich, 
zwiſchen den Lücken verſchiedener Bergreihen des Entli⸗ 
buchs und Ober-Emmenthals hindurch, einen Bergs 
zweig zu erblicken, der hier deutlich einer Fortſetzung der 
unterbrochenen Jurakette ähnlich erſchien, und den 
ich, der Richtung, Geſtalt und Entfernung nach, getroſt 
fuͤr die Laͤgeren, drey Stunden von meiner Vaterſtadt, 
annehmen zu koͤnnen glaubte. Iſt ſie es, ſo muß vielleicht 
auch die Spitze des Nieſen mit einem guten Fernrohr 
von dort aus ſichtbar ſeyn, was ein Spaziergang kuͤnfti⸗ 
gen Sommers in Erfahrung zu bringen trachten ſoll. In⸗ 
deß mag lezteres, wegen der ſpitzern Form des Nieſen, 
ungeachtet ſeiner ſo betraͤchtlich ſtaͤrkeren Hoͤhe, doch ſchwe⸗ 
rer fallen, als der umgekehrte Fall, weil die Laͤgeren 
ihren langen, ſattel foͤrmigen Grath der Länge nach queer 
vorüber darweiſet, und unter ihren uͤbrigen Gebirgsnach⸗ 
barn fich kennbarer macht, als die Nie ſenſpitze nms 
ter den ihrigen von jener Seite her betrachtet. Vielleicht 
würde das helle Weiß der beſchneyten Gipfel hinter dem 
Nieſen das Dunkel ſeiner zertruͤmmerten Vorderſeite et⸗ 
was herausheben, wenn nicht noch mehrere unbeſchneyte 
und ſchwaͤrzlichtere Felſengipfel und Graͤthe en 
gelegen waͤren. 

"EMI pem des zu Füßen bünkenden Thunerſees ev 
ar Bd. S 


274 


goͤtzen die zwey Zwillings⸗Geſtalten der Ralligen⸗ und 
Beatenfluh, und ihr Zwiſchenthaͤlchen das, ſchon fruͤ⸗ 
her im Heraufſteigen dadurch uͤberraſchte Auge. 

Weit uͤber dieſelben hinaus raget nordoͤſtlich eine 
unzaͤhlbare Menge von Bergſpitzen, in dem Ausſchnitte des 
Horizonts, zwiſchen dem Lauf der Emme, den beyden 
Seen von Thun bis Brienz und dem Anfange der ſicht⸗ 
baren Hochgebirgskette gegen Oſten hervor. — Unter den⸗ 
ſelben zeichneten ſich etwas aus, der Napf und das Hoh⸗ 
gant am Schluße des gegenuͤberliegenden Habchern⸗ 
thals, ſo ſich hier dem Auge nicht ſo gut als auf der 
Suleck darboten. Am aͤußerſten Ende der weitausge⸗ 
breiteten Gebirgsmaſſe in dieſem Ausſchnitt erhebt ſich eine 
hoͤrnigte Felſengruppe, deren Spitzen ich, nach Richtung, 
Hoͤhe und Entfernung zu urtheilen, mit Herrn D. Ebel 
fuͤr den Pilatus zu halten um ſo geneigter bin, da ich 
ſeitdem durch eine intereſſante Reiſebeſchreibung belehrt wor⸗ 
den bin, daß auch der Nie ſen gar deutlich auf jenem 
Berge erkannt werde. Die Ramen vieler anderer Gebirge 
jenes Ausſchnittes, der die groͤßten Theile der Cantone 
Luzern und Unterwalden befaßt, waren uns noch 
nicht genugſam bekannt. Mit Huͤlfe Ebels und einer 
guten Charte haͤtten wir uns vielleicht in dem Berggewirre 
ein wenig orientiren koͤnnen; allein die Kaͤlte und die be⸗ 
wegte Luft ließen dergleichen Beſchaͤftigung nicht zu. Was 
mir ſonſten das Intereſſe fuͤr Bergausſichten und einige 
oberflaͤchliche Kenntniß von deren Namen und Lage erhoͤ⸗ 
het, iſt eben die daher entſtehende Leichtigkeit, ſich dann 
von ſelbſten, ohne weitere Anleitung und Nachfrage, auch 
fiber die Lage der ſichtbaren ſowohl als der verdeckten Ort⸗ 
ſchaften, Seen und uͤbriger intereſſirender Gegenſtaͤnde, 
orientiren zu koͤnnen. Hat man ſich einmal mehrere, ſich 
etwas auszeichnende Formen, mit Namen und Lage feſt 


275 


in das Gedaͤchtniß gedruͤckt, fo gewinnt man mehr als 
einmal den Vortheil, entfernte, nie betretene Gegenden 
und Berge beſtimmt benennen und bezeichnen zu koͤnnen, 
wo es anderen, oͤfters dort in der Naͤhe ſelbſt geweſenen 
Perſonen nicht möglich iſt. — Je hoͤher und freyer der 
Standpunkt, je leichter es ſeyn wird, den Blick in alle 
Biegungen der Berge und Thaͤler ſo zu ſagen hinunter zu 
tauchen; je reicher alſo der Stoff zu Berechnungen und 
Verbindungen, die dem Geographen und dem Topogra⸗ 
phen, ſo wie dem Geologen wichtig und intereſſant ſeyn 
koͤnnen. Es ſcheint mir deswegen auch, es fónne nicht 
genug darauf gedrungen werden, daß Perſonen, welche 
ſich unterſtehen, dem Publicum Landcharten von Gegen⸗ 
den als zuverlaͤßig aufzutiſchen, die mit Huͤgeln und Ber⸗ 
gen durchſchnitten find, — allervoͤrderſt die Mühe nehmen, 
ſich auf einige wohlgewaͤhlte Haupthoͤhen zu begeben, und 
von dort aus die Richtigkeit der Linien und Winkel zu er⸗ 
wahren, in welchen die, — einmal ſicher bekannten, — 
Ortſchaften und Bergſpitzen ꝛc. gegen einander gelegen ſind. 
Mit Recht wird wohl⸗geſagt, daß der Standpunkt auf 
dem Gipfel des Nieſen Liner der anziehendſten für den 
Beobachter von Gebirgsformationen und für den Liebha— 
ber des Nachdenkens über die vorhandenen Beweiſe ches 
maliger Erdveraͤnderungen (ey. Die Betrachtungen Hiers 
über, und die in die Urzeiten der Vorwelt zuruͤckſchwaͤr— 
menden Vermuthungen aller Art, haben auch fuͤr den 
bloßen Dilettanten ein hohes, nie verſiegendes Intereſſe. 
Aoer wie taͤuſchend ift nicht die Seligkeit der Einbildungs⸗ 
kraft, welche, alles Gegenwaͤrtige um ſich her vergeſſend, 
nur don einſt geſchehenen Erſchuͤtterungen, Einſtuͤrzen, 
Aus und Durchbruͤchen, Zerberſtungen und entſezlichen, 
alle Begriffe uͤberwaͤlzenden Waſſerffuthen traͤumt! — Hat 
die Gluͤckliche den Faden ergriffen oder zu greifen geglaubt, 


276 £ 


der zum Aufſchluß über eine Erſcheinung führen follte, fehe, 
ſo zerreißt ihn eine andere Erſcheinung, oder gar die zaͤn⸗ 
kiſche Vernunft. — Hat Irene auf ihrer reißenden Fahrt 
auf den daherdonnernden Waſſerſſuthen glücklich die haͤr⸗ 
teten Felſen durchbrochen, und die weichern ſtehen gelaſ⸗ 
ſen oder umgangen, ſo tritet jene in den Weg mit den 
Layen-maͤßigen Fragen: Wo dann die aͤußerſt freygebig 
eingeſchenkten Fluthen zuerſt ihren Aufenthalt hatten? — 
Welche ungeheure, undurchdringliche Waſſer-Urnen zwi⸗ 
ſchen den Spitzen der ehvorigen Hochgebirge vorhanden ge⸗ 
weſen und allzumal eingeſtuͤrzt ſeyn muͤſſen, um die vielen, 
von der Vorſtellungskraft niemalen maͤchtig genug gedach⸗ 
ten Ströme nach allen Richtungen zu ergießen, welche die 
Erklaͤrungsluſt abzulaſſen vonnöthen hat, um von allen 
Durchbruͤchen und Formen der Gebirge; von allen, dem 
Mutterſchooß entrollten, entfernt herumliegenden Felsblös 
cken, und von allen ausgewuͤhlten Seebecken und Thalkluͤf⸗ 
ten, Rede und Antwort geben zu koͤnnen? 

So it z. B. die Phantaſie des Beobachters auf dem 
Gipfel des Nieſen, ohne viele, Gegeneinſprache der Bers 
nunft, gar bald geeignet, die zu feinen Fuͤßen entlang aus⸗ 
gedehnte Einhoͤhlung des Aarbertes, einer fruͤhern, ger 
waltſamen Durchſtroͤmung der von den Hoͤhen losgebro— 
chenen Waſſer zuzuſchreiben; nur faͤllt es ſchwer, ſich in 
dieſen Höhen, bie (id) an den Gebirgsſtock des Gotthards 
anſchließen, einerſeits eine genugſame Waſſermaſſe zu den⸗ 
ken, welche auf gleiche Art dem Rhonethal oder Wals 
lis, dem Teſſin- oder Livinenthal, dem Reuß⸗ 
oder Urithal, und dem Aarthal ſeinen erſten Urſprung 
hätte geben koͤnnen; auf der andern Seite fich eine Bors 
ſtellung zu machen, wie der Einſturz des Gebirges, der 
den eingedaͤmmten Waſſern den Weg oͤffnete, auf allen 
vier Seiten zugleich haͤtte geſchehen koͤnnen; und, wenn 


277 


er nicht zu gleicher Zeit geſchah, wie es hätte kommen 
können, daß der erſte Aus bruch irgendwo nicht alle andern, 
in der Hoͤhe eingeſchloſſenen Waſſer, nach gleicher Seite 
hingezogen hätte? Man mügte wenigſtens den Fall aris 
nehmen, daß die verſchiedenen hohen Waſſerbecken ſaͤmt⸗ 
lich hermetiſch verſchloſſen, und in keiner nachbarſchaftli⸗ 
chen, hydroſtatiſchen Verbindung mit einander geweſen rods 
ren; oder man muͤßte ſich nur den fucceffiven Ausbruch 
einzelner ſolcher Waſſerbehaͤlter denken, wo dann aber 
deſto ſchwerer zu begreifen ſeyn wuͤrde, wie die Kraft und 
Mafe eines ſolchen einzelnen Ausbruchs die ungeheucrn 
Wirkungen haͤtte hervorbringen koͤnnen, welche den Waſſer⸗ 
flutbén zugeſchrieben werden? — Wenn endlich der lange 
Aufenthalt des, einſt über der weiten Erde verbreiteten 
Meeres, fo viele Ueberbleibſel von ſeither verfiginerten Körs 
pern des P langen» und Thierreichs hinten hatte, 
warum iſt, nach faſt einſtimmigen Berichten, keine Spur 
davon auf denjenigen hohen Stellen zu finden, wo das 
Waſſer noch lange zuruͤckgeblieben ſeyn ſollte, als dasjenige 
der tiefern Gegenden ſchon laͤngſt abgefoffen und vertrock— 
net war? — Oder liegen dergleichen Ueberreſte etwa un— 
ter der Eisdecke vergraben, die, nach erfolgtem Ablauf 
der Waſſer, einſtuͤrzte, zu Boden ſank und vielleicht gar 
den erſten Grund der jetzigen Eisthaͤler legte? — Oder war 
vielleicht die kalte Luft und der felſigte Boden jener Hoͤhen 
dem Pflanzenwuchs eben ſo wenig zutraͤglich, als das mit 
dichter Eisrinde bedeckte Waſſer jener kalten Hoͤhen den 
Thieren? — Aber. . . .es juckt mich nach einer 
noch unzaͤhligen Menge von Wenn, Oder und Aber, 
deren fruchtbarer Geburtsort auf dem Nieſen iſt, wohin 
ich doch wieder zuruͤckkehren muß. 

Verſunken in unbeweglichem Staunen in die unuͤber⸗ 
ſehbare, unordentlich durch⸗ und uͤbereinander geworfen 


| 278 


ſcheinende Mafe von Bergen hinein, verſuchte ich's auf 
alle moͤgliche Weiſe, zu einem Reſultate zu gelangen, das 
ich mit irgend einem der, mir zur Kenntniß gekommenen 
Syſteme über die Bildung der Berge und der Erde übers 
haupt, haͤtte vereinbaren koͤnnen. Aber ſey es, daß die 
Zeit meines ungeſtoͤrten Beobachtens zu kurz, oder die Luft 
nicht helle genug war, oder daß die Kälte an ruhiger Bes 
trachtung hinderte, oder daß mich die Gegenwart einer 
muntern Geſellſchaft allzuſehr zerſtreute, — ich geſtehe, 
daß ich damals ſo wenig als jezt, wo die Ausſicht noch 
unausloͤſchlich vor meinem Gedaͤchtniße ſchwebt, unmoͤg⸗ 
lich bey mir ſelbſt ein zuſammenhaͤngendes Gebäude aufs 
richten konnte. Es gewann aber der Gedanke Plaz bey mir, 
es koͤnnte doch wohl ſeyn, daß die Natur, oder, richtiger 
geſprochen Schöpfer des Weltalls und der Erde, von 
deſſen Bau wir nichts begreifen, — die Unebenheiten 
dieſes unſers Wohnplatzes, die wir Berge und Thaͤler nen⸗ 
nen, eben nicht auf einmal, oder nach einem gewißen, 
einfoͤrmigen Syſtem haͤtte werden laſſen, ſondern daß es 
in ſeiner Macht gelegen ſey, viele und ganz verſchiedene 
Urſachen, Veranlaſſungen und Ereigniße zu ungleichen Zei⸗ 
ten wirken zu laſſen, um eine und ebendieſelbe, fuͤr uns 
ganz aͤhnliche Erſcheinung hervorzubringen; und umgekehrt, 
daß derſelbe viele verſchiedene Formen und Erſcheinungen 
durch eine und ebendieſelbe Urſache und Veranlaſſung Hers 
vorzubringen vermoͤchte. Vergeblich und uͤberſluͤßig haben 
von jeher die beruͤhmteſten und einſichtsvollſten Naturfor⸗ 
ſcher ihre Phantaſie angeſtrengt, um das Verfahren zu 
ergruͤnden, welches der Baumeiſter des Weltalls bey der 
Bildung der Erde befolgt haben mochte; und auszudenken, 
was die allgemeine, uns unter dem Namen der Suͤndfuth 
bekannte Ueberſchwemmung der Erde, zu ihrer dermalis 
gen aͤußern Geſtalt mitgewirkt haben mochte. Nur ein 


279: 


Paar Beyſpiele hier, was für ein ſonderbares Spiel die: 
Phantaſie oft treiben kann. Sie ſind aus fruͤhern Zeiten, 
wo manche, heut zu Tage bekannte, Entdeckung noch nicht 
gemachet war. 

Der Eine verglich die neugeſchaffene Erde einem Ey, 
worin zuerſt die dichteſten und ſchwerſten Theile, gleich ei⸗ 
nem Dotter, fid) nach dem Mittelpunkt gezogen; die fluͤßi⸗ 
gen Theile ſich zuſammengeſellet, und um den Hauptkern 


a geſammelt; die leichtern, oͤlichten und harzichten Theile 


~ 


aber fid) zu aͤußerſt herum angeſezt, nach und nach vers 
haͤrtet, und zu einer frucht- und bewohnbaren Erddecke ges 
bildet haben. Bey erfolgtem Signal zerdorſtete diefe aͤußere 
Schale; ſiehe da, Berge und Thaͤler; — die innere Fluß 
ſigkeit drang hervor und erfuͤllte die Unebenheiten; ſiehe da, 
Meere und Seen. j 

Ein Anderer ließ unſere Erde’ gleich. anfänglich aus 
verſchiedenen Materien, wie aus einer Art Leim zuſammen⸗ 


baden; oberflächlich erhartete fie nach und nach, aber nicht 


fo durch und durch, daß, nachdem fie gegen 1600 Jahre 


bewohnbar geweſen, ſie nicht bey erfolgtem Einbruch der 


Waſſer gaͤnzlich wieder zu einem Brey umgewuͤhlt wor⸗ 
den wäre; da dann, als die Materie fich wieder etwas 
zur Ruhe geſetzt hatte, die ſchwerſten Theile ſich zu Boden, 
b. i. gegen dem Mittelpunkte geſenkt hatten, und die leich⸗ 
tern oben geblieben und verhärtet waren; da aber beym 


NMiederſinken ſchwerere und leichtere Theile fid) oft den Weg 


vertreten hatten, und erſtere da und dort oben auf gekom⸗ 
men, verurſachte ihr Gewicht Einſtuͤrze und Bruͤche; — 
da waren Berge, Kluͤfte und Hoͤhlen; da war Spielraum 


‚für die eindringenden Waſſer. 


Ein Dritter laͤßt einen Comet dichte an dem feurigen 
Sonnenkoͤrper vorbeyſchweifen, und einige kleine, nachher 


in Glasguß zerſchmolzene Splitter davon ins Weite hinaus⸗ 


280 


ſchleudern. Unter denfelben befand fid) auch unſre jetzige, 
durch die rollende Bewegung zur Kugel gebildete Erde; 
deren aͤußere, zuerſt verhaͤrtete, vormals Funken⸗ſpruͤhen⸗ 
de, das heißt, mit Vulkanen uͤberſaͤete Rinde, nach cinis 
gen Jahrtauſenden bis zur Bewohnbarkeit abgekuͤhlt, — 
jedoch, wie es mit den, der Luft und Feuchtigkeit ausgeſez⸗ 
ten Sachen oft gebet, viele Rife, Spaͤlte und Unebenhei⸗ 
ten bekommen hat; dieſe ſind nicht anders, als die Berge 
und Kluͤfte; das Meer iſt eine Kleinigkeit, und hat ſich in 
den tiefern Riſſen des, mit Wolken umhuͤlleten Erdbodens, 
nach und nach aus dem Zufuße aller erhoͤheten Stellen ges 
ſammelt, u. f. w. — Ob diefe Geſpinnſte der Einbildungs— 
kraft in Spaß oder Ernſt gemeint geweſen ſeyen, weiß ich 
nicht; ernſtlich wurden ſie verfochten; ernſtlich widerlegt; 
ſpaͤtere Syſtematiker feilten, aͤnderten, ruͤckten ſogar an 
der Erdaxe ; aber keines der bisherigen Gebaͤude, oft bloß 
auf einſeitiger Beobachtung gewißer Formen und Verbin⸗ 
dungen beruhend, die mit irgend einer neuen, gluͤcklichen 
Hirngeburt ſich vereinbarten, — blieb auf ſeinem Grunde 
feſt ſtehen; es war ein Spiel, womit der Geiſt ſich eine 
Weile Kurzweil trieb, bis ein neueres auf die Bahn kam. 
— Worauf es mit unſerm Wohnboden gegenwaͤrtig beru 
het, kann ich Ihnen. wahrhaftig 
nicht ſagen. Unterdeſſen laſſet uns getroſt und froͤhlich auf 
der angenehmen, abgekuͤhlten Erde, und auf den mannig⸗ 
faltigen , von der Natur geſtickten Fußteppichen herumwan⸗ 
deln, wenn wir ſchon die Methode ihrer wundervollen Vera 
fertigung nicht verſtehen! — Wozu der vergeblichen Ans 
ſtrengung des Nachdenkens uͤber Dinge, die nun einmal 
für uns noch unerklaͤrbar zu ſeyn beſtimmt, wohl aber 
zum Genuße, zu weiſem Gebrauche, zu froher Betrachtung 
unb zum Nachdenken, — nicht über deren Entſtehungeart, 
ſondern über deren Zweck, Einfluß und Zuſammenhang 


281 


unter einander und mit uns, — vor Augen gelegt find. 
Es it auch eher das Gelingen der Geiſtesanſtrengung hier- 
uͤber weit naͤher dem Gebiete der Moͤglichkeit, und hat 
nähern Bezug auf unfer Daſeyn und unfer Gluͤck. — Will 
dann die Phantaſie aber durchaus bey der Sache eine Rolle 
ſpielen, — hat ſie nicht beym Anblick der verſchiedenen 
Gegenden ab einem hohen Berge, wie im Thal und auf 
der Ebene, Raum genug dazu, wenn fie fid) alle die vers 
gangenen, gegenwärtigen und kuͤnſtig möglichen Veraͤnde⸗ 
rungen und Ereigniße der Oberflaͤche dieſer Erde denkt und 
mahlet, ohne eben in die innern Grundurſachen davon 
dringen zu wollen. — Wie weit iſt man denn ſeit 6000 
Jahren in dieſer Wiſſenſchaft fortgeſchritten; weiß man et⸗ 
was mehr als bloße Woͤrter? — ſagt man uns z. B. beym 
Anblicke eines Geſteins, eines Berges, eines Thales u. ſ. w. 
dieß iſt durch Cryſtalliſation, durch Gerinnung, durch An— 
ſetzung, durch Niederſenkung, durch Erhöhung, durch 
Meerſtroͤme, durch Vulkane, durch Erdbeben, durch Waſ— 
ſerfſuthen entſtanden, — haben wir nun einen beſſern Bes 
griff von der Sache? Wiſſen wir z. B. wie die Natur 
bey der ſogenannten Cryſtalliſirung zu Werke gehet? Ken— 
nen wir die Grundurſache eines Meerſtroms? Begreifen 
wir, was zuerſt jenes Waſſer ſo in Bewegung geſetzt hat, 
daß es die Oberfläche der ganzen Erde deckte, und bey ſei— 
nem Wiederabſuß die größten, ſchwerſten Körper mit uns 
geheurer Staͤrke und Schnelligkeit dahin riß und Meilen⸗ 
weit verſetzte? — Muͤßte man nicht immer weiter hinauf 
nach Entdeckung der fruͤhern Urſachen ſtreben, und am 
Ende enthuͤllen wollen, auf welche Weiſe der Wille des 
Schoͤpfers zuerſt auf die Koͤrperwelt wirkt, um eine erfte 
Urſache hervorzubringen, welche die Ereigniße und Revolu⸗ 
tionen nach ſich ziehet, wovon wir bloß die Folgen ſehen, 
wenn unſere Wißbegierde auf dieſer Seite ganz befriedigt 


282 


werden wollte? — Hätte es dem Schöpfer der Welt gefal⸗ 
len, uns die Wiſſenſchaft zu geſtatten, nicht nur deſſen, 
was fuͤr uns da iſt, ſondern auch, wie es entſtanden 
waͤre, — wuͤrde er nun ſchon beynahe 6ooo Jahre haben 
vorüberüiegen laffen, ehe, nach (o vieler Anſtrengung des 
Denkens, nur der mindeſte Anſchein vorhanden waͤre, daß 
dieſes oder jenes Syſtem der Wahrheit naͤher ſey als das 
andere? — Es iſt in Sachen des Ergruͤndens der ſicht⸗ 
baren Dinge in der Natur faſt wie in den wichtigen An⸗ 
gelegetheiten der unſichtbaren Dinge. Würden die bere 
kenden Menſchen eben ſo viele Muͤhe und Geiſteskraͤfte auf 
das verwenden, was ſie wiſſen ſollten? (vom Thun 
hier nichts zu ſagen) — wie weit mehr koͤnnten fie wiß 
ſen? wie viel Stoff fuͤr die Wißbegierde bliebe noch uͤbrig? 
— In welches Paradies ließe fid) der Erdboden umſchaf⸗ 
fen? Wie viel leichter wuͤrde dann die gegenſeitige Mit⸗ 
theilung und der Verkehr überzeugender Gedanken, und wie 
viel ſchneller der Anwachs jeder Kenntniß werden? 

Ein Beobachter auf dem Gipfel des Nie ſen hat beym 
Anblick der unzaͤhlbaren, uͤbereinander geworfenen Berge, 
welche hier vor dem Auge ſtehen, irgendwo bemerkt, man 
fehe deutlich, daß wir nur auf den Trümmern einer gere 
flörten Welt herumwandeln. Ich möchte vorerſt mit der 
Frage antworten: Ob denn die bergichte Schweiz die 
ganze Welt, und nicht vielmehr ein unbedeutendes Pünkte 
chen auf der Oberflaͤche derſelben fey? Wenn denn jene 
fuͤr die noch weit kleinern, aber denkenden Geſchoͤpfe, ſo 
groß ſcheinenden Bergmaſſen und Vertiefungen als Zeichen 
ehemaliger Zertruͤmmerung einer regelmaͤßiger gebildeten 
Erde angeſehen ſeyn muͤſſen, — wie wohlthuend iſt nicht 
dabey die Betrachtung der Harmonie der Lage, in wel⸗ 
cher dieſe Truͤmmer gegen einander zu ſtehen gekommen 
find, deren mannigfaltig abwechſelnde Geſtalt, Höhe, Lage, 


* 


2 


283 


Anbauung, Benutzung und Beſtimmung unfer Aude ergoͤzt, 
Tauſende zur Betrachtung ihrer in ſich faſſenden Wunder 
hinzuziehet, Hunderttauſenden Unterhalt verſchafft, und auf 
Millionen durch Einfluͤße wohlthaͤtig wirkt, woran fie nicht 
denken! — Leben nicht die gluͤcklichſten, faft doͤrft' ich fas 
gen, auch die beſtgearteten Menſchen in den Zwiſchenraͤu⸗ 
men jener, hinter einander angehaͤufter Truͤmmer? Wie 
beneidenslos finden dieſe nicht jene weiten, langweiligen, 
von keinem kuͤhlen Schatten bebaumter Huͤgel, erquickten 

Ebenen der glatten Erde! Von den Sandwuͤſten Arabiens 
haben ſie nur keinen Begriff. Ueber den oͤden Ozean nach 
Gold hinzuſchiffen, haben ſie nicht noͤthig; ſie haben, was 
ſie beduͤrfen, mehr brauchen ſie nicht. Jene, unordentlich 
ſcheinenden Truͤmmer endlich, wie wunderbar ſind ſie 
doch von der Zerſtoͤrung durcheinander geworfen worden! 
Nicht anders, als wenn eine maͤchtige Hand, von einem 
weiſen und wohlwollenden Geiſte geleitet, ſelbige fo geord— 
net haͤtte. In der Mitte, am entfernteſten von den Woh⸗ 
nungen der Menſchen, ſeh' ich dort eine Reihe hoch erha- 
bener, mit Eis und Schnee belegter Gebirge, deren Be— 
ſtimmung zwar nicht Bewohnbarkeit oder Anbauung iſt, 
dagegen aber viele andere wichtige Zwecke bezielet, welche 
den groͤßten Einfluß bis auf die entfernteſten Thalbewohner 
haben. Wie wunderbar fügt es ſich, daß eben dieſe Mafs 
ſen meiſtens von einer ſolchen Zuſammenſetzung ſind, die 
der Verwitterung und Zerſtoͤrung am wenigſten nachgiebt, 
und ganz für ihren Zweck und für die lange Dauer deffels 
ben geſchaffen ſcheint. Wie wundervoll, daß die leichter 
verwitternden, und in Pflanzen naͤhrende Erde fich verwan⸗ 
delnden, kalkartigen Truͤmmer, in allmaͤhliger Abſtufung, 
ſich meiſtens naͤher gegen die bewohnbaren Thaͤler und 
Flaͤchen hinabſenken; ganz, als wenn dieſes, dem Plans 

enwuchs ſo zutraͤgliche, und in fo vielen andern Ruͤckſich⸗ 


284 


ten dem Menſchen unmittelbar nuͤtzliche Material, mehr 
für defen Nachbarſchaft gemacht wäre, und den immer- 


waͤhrenden Zufluß der fruchtbringenden Erde ſichern ſollte! 


— Und jene weit ausgebreiteten Gebirgsaͤſte und ihre Seis 
tenzweige, und deren Ribben, welche den Waſſern, die 
auf den Höhen quillen, nach allen Richtungen Abrufe ver⸗ 
ſchaffen, die das Land traͤnken, ehe ſie ſich beym Haupt⸗ 


fug vereinigen; jene unzaͤhligen Thaler, längs und innert. 


denen fo viele Gluͤckliche und Beſchaͤftigte fid) angeſiedelt 
haben; jene Kluͤfte, die wahren Kreuz- und Querſtraßen 
der belebenden, erfriſchenden Waſſer, welche zerſtreut von 
dem weitausgeſpannten Gebirgsbogen herabfiegen, und alle 
fich in einem gemeinſchaftlichen Mutterſchooße verſammeln, 
von welchem aus ſich wiederum neue Quell-bildende, Laͤn⸗ 
der⸗befruchtende Duͤnſte entwinden; die ganze hoͤchſt ab⸗ 
ſichtvoll geregelte Vertheilung und Lage der großen Erde— 
truͤmmer, und noch ſo viele andere, dem Aufmerkſamen 
nicht entgehende Einrichtungen, — ſind ſie wohl auch etwa 
das Werk des Zufalls oder einer zerſtoͤrendeen Umwand⸗ 
lung des Erdbodens? — So iſt dann ohne Zweifel das 
Regelloſe der, dort aufeinander und hintereinander gethuͤrm⸗ 
ten Felſenmaſſen, nur ſcheinbar. Ein oͤfteres Beobachten 
von verſchiedenen Seiten laͤßt Ordnung da finden, wo der 
erſte fücbtige Blick Unordnung ſah. 

Faſt einen aͤhalichen Anblick, wie zur Rechten des 
Aarkeſſels, gewähren die vielen Felsſpitzen in dem Hos 
rizontausſchnitte zur Linken deſſelben. Aber die weſtlich 
und ſuͤdweſtlich ſich fortziehenden Ketten des Nieſen und 
des Stockhorns, welche die herrlichen Sim men⸗, 
Sanen⸗, Adelboden:, Frutigen und Canderthaͤ⸗ 
ler ein- und umſchließen, beſchraͤnken die Ausſicht auf dies 
fer Seite etwas, und verdecken diejenige auf den praͤch⸗ 
tigen Genfer ſee mit feinen Geſtaden, der ſonſt hier, 


285 


nach feiner Långe hin, vom Auge beherrſcht werden und 
die Ausſicht vervollkommnen würde, der fie, beſonders mir, 
tauſendfach anziehender gemacht haͤtte. — Auch die Stadt 
Freyburg bleibt hinter den Wänden der vorſtehenden 
Stockhornkette verborgen, deren hoͤchſte, auf unſerm 
Uetli bey Zuͤrich bey Abendbeleuchtung ſichtbare Spitze 
dem Nieſen nur etwa soo! an Höhe nachgiebt. Aber 
zur Rechten, neben derſelben hin, bis zum Ufer der War, 
ſchweift das Auge noch weit uͤber die Freyburgiſchen und 
Berneriſchen Gefilde weg, bis zu den hellblaͤulichen Strei— 
fen, welche die Hügel von Neuenburg, Biel und 
Murten umkraͤnzen. Ueberaus angenehm ſtellen ſich, in 
einem Kreiſe um den Fuß des Nie ſen herum, die mit. 
Wohnungen und Scheunen beſtreuten Hügel langs der 
Cander, über Richenbach, Muͤllenen, Aeſchi bis 
Wimmis, dar; aber ſchoͤner noch die erſteren im Her 
aufſteigen, weil der ſteile Rücken des Berges dem Beob— 
achter auf der Spitze den naͤchſt gelegenen Theil davon 
verbirgt. 

Reizend und mannigfaltig ſind die Anſichten im weiten 
Umkreiſe von Often über Norden nach Welten; aber uns 
vergleichbar und feſſelnd iſt diejenige, welche das Segment 
im mittaͤglichen, ſuͤdoͤſtlichen und ſuͤdweſtlichen Horizonte 
darbietet, und jene aneinanderhaͤngende Reihe der Hochge⸗ 
birge umfaßt, welche jedesmal den wundervollſten, zuerſt 
anziehenden Theil der Ausſichten verſchaffen. Welche Wir⸗ 
kungen macht nicht öfters auf den gefuͤhlvollen Reiſenden, 
der von fernen Ebenen hieher koͤmmt, die majeſtaͤtiſche 
Anſicht der glaͤnzenden, großen Koͤrpermaſſen, welche den 
Sehgierigen, der von einem Ende Europens ſich in dieſe 
Gegenden begiebt, für die Mühe niemals unbelohnet lafen, 
Es muß ein beſonderer, geheimer Zauber über dieſen cro 
habenſten unter den Erdkoͤrpern liegen, der es bewirkt, 


2$6 


daß der Bergliebhaber, (es ift eine eigene Krankheit um 
die Bergeſucht), wenn er auch zwanzig Mal ſich mit dem 
Anblicke von Schnee- und Eisgebirgen vertraut gemacht, 
und ſo zu ſagen geſaͤttiget hat, beym naͤchſten Anlaße, 
der's ihm erlaubt, wiederum mit verdoppelter Luſt dahin 
zuruͤckkehrt, wo er ſie anſtaunen und bewundern kann. — 
Der Gemſejaͤger, dem in ihren unwirthbaren Hoͤhen nichts 
als Muͤhſeligkeiten, Beraubungen, Hunger, Durſt, Ges 
witter, Froſt und tauſenderley Gefahren entgegnen, kehrt, 
wenn er die Fruͤchte ſeiner ſauern Arbeit, einige winzige, 
unſichere Thaler eingelöst hat, welche geſchwinder, leichter, 
gefahr⸗ und muͤheloſer im Thal haͤtten errungen werden 
koͤnnen, den Bitten der beunruhigten Seinigen fich fods 
reiſſend, auf's Neue ſeinen Gebirgen zu, und trotzet den, 
ihm bekannten, nicht deſto minder wirklichen Gefahren. — 
Jener Naturforſcher, — von keiner Nothwendigkeit irdi⸗ 
(der Sorge gedrungen, — ſehnet fi, nach langer Cabi⸗ 
netsberechnung und Zuſammenhaltung fruͤherer Beobach— 
tungen auf jenen, ſeinem Geiſte ſtets neue Raͤthſel darbie— 
tenden Höhen, — nach dem Augenblicke, wo die erwaͤr— 
menden Strahlen der Fruͤhlingsſonne ihm wieder geſtat⸗ 
ten, ſich dieſen wundervollen Gegenſtaͤnden der Natur zu 
naͤhern, und zuruͤckgebliebene Zweifel zu loͤſen. — Vertieft 
im Anſchauen der majeſtaͤtiſchen, Staunen erregenden 
Maſſen, und im Nachſinnen über deren Urſprung, ehma— 
lige und gegenwaͤrtige Beſchaffenheit, — die verſchiedenen 
Moͤglichkeiten erwaͤgend, dringt er mit Forſcherblick im⸗ 
mer weiter ein, entdeckt einen Reichthum von Stoff zur 
Betrachtung, zur Berechnung, folglich zum Genuße fuͤr 
ſeinen Geiſt, da, wo der gewoͤhnliche Beſchauer ſonſt nichts 
zu ſehen findet, Er klimmt, — ſonſt nur der Mühe ge 
wohnt, ſeine Mineralienſammlung, ſein Herbarium, ſein 
zoologiſches Magazin zu ordnen und ju bereiſen, — von 


287 


Berg zu Berg, von Felſen zu Felfen, von Eisſchluchten zu 
Eismeeren, verliert fich in ben einöden, falten, von der uͤbri⸗ 
gen Welt abgefonberten Regionen, vergißt diefe, und (df, 
und feine Beduͤrfniße. Mehr als Speiſe und Trank und 
Lager iſt ihm eine Entdeckung, welche fuͤr den oder dieſen 
verfochtenen, wider den oder dieſen beſtrittenen Satz zu 
ſprechen ſcheinet; es ift ein koͤſtlicher Schatz, der ihm die 
Mühe lohnet, Muͤhſeligkeiten und Gefahr zu uͤberſtehen. 
Und findet er auch nichts dergleichen, fo hät es doch et- 
was maͤchtig Anziehendes und Feierliches fuͤr ihn, da zu 
ſtehen, wo, nach Wahrſcheinlichkeit, noch kein Fuß eines 
Sterblichen geſtanden war; oder uͤber den Wolken und Wol⸗ 
kenbehaͤltern erhaben, und jenen Stellen nahe zu ſeyn, von 
woher die erfriſchenden Waſſer entquillen, welche ſich zu 
Strömen bilden, und weite und ferne Länder nach allen 
Richtungen wohlthuend durchfließen.“ 

Muß nicht der Anblick ſolcher Erdmaſſen, dis nicht bloß 
als tobte Stein» und Schneehaufen zu betrachten find, 
fondern fo viel Wunderbares enthalten, und fo Vielen Vie⸗ 
les ſind; deren Daſeyn ſo wichtigen Bezug auf die Erden⸗ 
bewohner hat; einen der reinſten und vollſten Genuͤße für 
diejenigen gewaͤhren, bie ihn zu faſſen fo glücklich find! 

: Einen ſolchen Anblick verſchafft die Stelle auf bem Gips 
fel des Nie ſen, wie ihn nur wenige Stellen darbieten. 

In ebenrechter Entfernung von der Hochgebirgskette, um 
einen ſchoͤnen Theil derſelben mit dem Auge zu umfa(fenz 
in ebenrechter Naͤhe, um einzelne Parthien davon deutlich 
genug erkennen und betrachten zu koͤnnen; in ebenrechter 
Hoͤhe, um den Blick uͤber die ganze Form der voruͤberlie⸗ 
genden Berge ausdehnen, und in die, vom Thal aus niche 
ſichtbaren Schruͤnde und Vertiefungen tauchen zu können. 
Zwar bildet das Amphitheater keinen ſo weiten Bogen als 
auf dem Rigiberg, und einigen wenigen andern Stellen; 


288 


noch ſind die Gegenſtaͤnde ſo deutlich und nahe, wie ſie 
mein Auge auf der Suleckalp uͤberraſcht hatten; oder 
wie fie noch weit naͤher, aber in beſchraͤnkterem Umkreiſe, 
auf der Wengerenalp ſich darſtellen; aber der Stande 
punkt haͤlt ein Mittel zwiſchen den beyden Hauptarten ei⸗ 
ner genußreichen Anſicht der Schneegebirge. — Schon um 
etwas uͤber die Hälfte der Hoͤhe der erhabenſten, von den 
gegenuͤberſtehenden, und nahe gegen zwey Drittheil derje— 
nigen von den uͤbrigen, in gleicher Kette befindlichen Ber⸗ 
gen, bietet der Gipfel des Nieſen eine ausgewaͤhlte Bes 
obachtungsſtelle dar. Und ſchwerlich wird fid) außer Dies 
fem und dem weitſichtigen, circa goo0' hohen Fauls 
horn (in dem Gebirgsſtock zwiſchen dem Brienzerſee 
und dem Thal von Grindelwald) irgend eine Stelle 
von gleicher Lage und Hoͤhe finden, die nicht entweder mit 
bleibendem Schnee belegt ſeye, oder wohin der Zugang 
nicht uͤber Schnee oder Eis führe, was ich auf der Reiſe 
nach der minder hohen, aber ſchwerer zugänglichen Sulect 
ſelbſt erfahren unb von gebirgskundigen Perſonen gehoͤrt 
habe. — Die Regel, daß die Linie des immerwaͤhrend blei⸗ 
benden Schnees ſich in dieſen Gegenden nicht unter die 
Hoͤhe von etwa 13 — 1400 Klaftern hinabziehe, ſchien mir, 
wenigſtens in dieſem Regen-, folglich auch Schnee- reichen 
Jahre, auf der nördlichen Seite der gegenuͤberſtehenden 
Alpenkette da und dort eine Aus nahme zu leiden; denn es 
war leicht zu unterſcheiden, daß die Linie des anfangend 
herrſchenden Schnees an der Bluͤmlis alp, an dem Dols 
denhorn und an der Altels ſich heute, den 27 Juli, 
nicht über der Horizontalhoͤhe des Nieſengipfels beo 
fand. — Es bleibt immer ein ſonderbarer, noch nicht ge⸗ 
nug erklaͤrter Umſtand, daß mit der ſteigenden Hoͤhe die 
Kaͤlte zunimmt, obſchon die Sonnenſtrahlen einen kuͤrzern 
Luft⸗ und Dunſtraum durchzulaufen haben, und mithin 


A | 289 


in ihrer unmittelbaren Wirkung weniger gehindert werden, 
als nahe an der Feuchtigkeit o vollern Oberfläche der tiefern 
Gegenden. — Wenn die ſtaͤrkere Entfernung eines Berge 
gipfels von dem Hauptſitze der natürlichen Wärme der Erde 
einen Hauptgrund davon ausmacht, ſo ſollte man dafuͤr 
halten, daß mit dem Eindringen ins Innere derſelben dieſe 
Waͤrme fuͤhlbarer wuͤrde, was aber gegen die Erfahrung 
lauft; jene natuͤrliche Waͤrme, deren Quelle uns unbekannt 
iſt, (es muͤßte denn, — glaube, wer da glauben mag, — 
Buͤffons noch gluͤhender Erden -Kern angenommen mwera 
den wollen), theilt ſich doch allen, mit der Erde zuſam— 
menhaͤngenden Koͤrpern, mithin auch den Felſen mit, wel⸗ 
che gegen den Erdball wie ein Nichts zu betrachten ſind, 
und deren Materie doch wenigſtens eben ſo gut geeignet 
wäre, den Waͤrmeſtoff aufzufaſſen, beyzubehalten und den 
nahen Koͤrpern mitzutheilen, als die ſchwammichtere Ma⸗ 
terie der ebnern, tiefern Erde. — Die Quellen unſerer 
vornehmſten Stroͤme entſpringen in den hoͤchſten, kaͤlteſten 
Gegenden, wo die untern Lagen einer, mehrere hundert 
Schuh dicken Eisrinde, in ſteter Schmelzung unterhalten 
werden, waͤhrend von oben herab neuer Zuwachs von 
Schnee und Eis entſtehet. Ehe alſo die erſten Anfaͤnge 
eines Gletſchers ſchon vorhanden waren, konnte die Abwe⸗ 
ſenheit oder Entfernung jener natuͤrlichen, innern Erdewaͤr⸗ 
me keinen Grund zur Anlegung von Eismaſſen geben; ſon— 
dern dieſe ſcheint wohl in aͤußern Umſtaͤnden geſucht 
werden zu muͤſſen. — Die auf den Höhen mehr herrſchen⸗— 
den, rauhen Luͤfte machen die Kaͤlte wohl fuͤhlbar, aber 
noch nicht begreiflicher ; es mangelt dieſem Grunde der 
Urgrund, warum es eben auf den Höhen ift, daß kaͤl⸗ 
tere, rauhere Winde wehen als in der Ebene. — Ob etwa 
die Sonne und der Mond, dieſe getreuen Aushelfer in 
manchen Erklaͤrungsnothen, vielleicht auch hier fich hüͤlfe 
3t Bd. T 


290 * 

reich erzeigen, und durch ihren Einfug auf die Atmosphäre 
der Erde diejenigen Bewegungen in der obern Luft zuerſt 
veranlaſſen, welche jene Winde hervorbringen, die in den 
obern Gegenden freyern, ungehemmteren Spielraum ha⸗ 
ben als in den untern, und deswegen der Wirkſamkeit des, 
ſowohl von innen heraus- als von oben herabkommenden 
Waͤrmeſtoffs ſtaͤrker entgegenarbeiten, — alles das will ich 
dahin geſtellt ſeyn laſſen. 

Gewiß iſt es, daß das Broͤckchen Erde, welches die 
Spitze des Nieſen ausmacht, uns feine anwohnende Waͤr⸗ 
me in ſehr ſtiefmuͤtterlichem Maaße mittheilte, und daß 
das Wenige, was uns davon zu gut kam, durch einen 
rauhen, von den ſuͤdweſtlichen Nachbarn zugeſandten Wind, 
noch ziemlich verduͤnnet wurde. Die ſpitze Form des Berg⸗ 
gipfels, feine allen Winden b loßgeſtelte Lage, und die 
Nähe der Schnee- und Eisgebirge gaben uns ungezwei⸗ 
felt eine Probe des Maximums von Kühlung, deren feine 
bedeutende Hoͤhe an und fuͤr ſich empfaͤnglich iſt — den⸗ 
noch iſt keine Spur von Schnee oder Eis ringsum vor⸗ 
handen, ungeachtet dergleichen oft, Sommer und Winter, 
auf mindern Hoͤhen anzutreffen iſt. Der Berg iſt auf als 
len Seiten zu abſchuͤßig, als daß eine genugſame Menge 
Schnee irgendwo bleibenden Fuß faſſen koͤnnte; frey von 
der Sonne beſchienen; auf (üblicher Seite kein naher Berg, 
der ihn in Schatten verſetzt, oder eine Schlucht bildet, 
worinnen bleibend Eis fich anſetzen koͤnnte; vielweniger 
noch auf oſtlicher und nördlicher Seite, mo fico der Berg 
in grauſenvolle, von weitem Falten ahnliche Abgründe 
ſpaltet, die unmittelbar bis in das Hauptthal hinunter 
reichen. Jene eigenthuͤmliche Form welche den Nie ſen 
einer Pyramide, von den Titanen gebaut, um den Olymp 
zu beſtuͤrmen, fo aͤhnlich macht, — verhindert ohne Zwei⸗ 
fel, daß entweder keine betraͤchtliche Schneelauwine fido 


$ 204 
bilden, und in irgend eine befchattete Kluft hinunterſtür⸗ 
zen kann, wo ihr Liegenbleiben einem Gletſcher das Das 
ſeyn geben koͤnnte; oder die kleinern, deſto oͤftern Lauwi— 
nen rollen ſo tief gegen dem Thal herab, daß die Kaͤlte 
daſelbſt niemals fo ſtark bleiben koͤnnte, um das Schmel— 
zen zu verhindern. Was einſt geſchehen koͤnnte, wenn etwa 
durch Wegſpuͤhlung der duͤnne aufliegenden Dammerde, 
und deren Anhaͤufung bey irgend einer Unebenheit Schluch⸗ 
ten entſtuͤhnden, hinter weichen kleine Schneelauwinen Plaz 
greifen und beſchattet bleiben koͤnnten, das vermoͤgte ich 
nicht haarklein zu erzaͤhlen. 

Was uns betraf, wir hatten jezt genug mit der Ge⸗ 
genwart zu thun. Die Hoffnung ward zu Dunſt, daß die 
aufgehende Sonne nach und nach die Lebensgeiſter erwär— 
men werde. Dennoch haͤtte es Muͤhe gekoſtet, die Stelle 
zu verlaſſen, wo der Sinn unſers aͤußern Gefuͤhls die kleine 
Zeche fuͤr den herrlichen Genuß bezahlen mußte, den das 
innere Gefuͤhl ſich hier durch das Auge verſchaffte, haͤtten 
nicht einige Anzeigen bevorſtehender Wetteraͤnderung uns 
herausgeriſſen, und den Aufbruch ab der Spitze des Nies 
fen zur Nothwendigkeß gemacht. Gern haͤtte ich, um 
den gleichen Preis, noch länger frieren mogen, denn zwey 
Stuͤndchen Aufenthalt find kurz für einen Beobachtungs⸗ 
kreis von der Ausdehnung dieſes Standpunktes. Der Wunſch 
war einſtimmig, daß jemand, mit gehörigem Eifer, Tas 
lent, Muße, Geduld und Gelegenheit verſehen, ſich hinter 


I die allerdings intereſſante Arbeit hermachen, und von der 


Spitze des Nieſen aus ein Panorama vom Geſichtskreiſe 
nach einem, etwas betraͤchtlichen Maaßſtabe aufnehmen 
möchte, (Wir vernahmen kurz nachher, daß dieſer Ent> 
wurf bereits bey einem Kuͤnſtler Wurzel gefaßt habe, der, 
wenn irgend jemand, den erforderlichen Sinn und Eifer, 
das Talent und die nachbarliche Gelegenheit hierzu hätte.) 


^" 


292 


Gewig hat, nach meiner Empfindung zu urtheilen, jedes 
Mitglied der Getellfchaft in dem Gedaͤchtniß ein Panorama 
von der Ausſicht des Nieſen davon getragen, das unver⸗ 
geßlich und unvertilgbar und unentfuͤhrbar, aber — nicht 
mittheilbar iſt; und ein Vergnuͤgen ohne Mittheilung iſt 
nur Halbvergnuͤgen; es bedarf, um es allein zu genießen, 
beynahe die gleiche Kraft, wie das ungetheilte Gefühl wis 
driger Empfindungen. — Nichts iſt ſchwieriger als die Auf⸗ 
gabe, durch woͤrtliche Darſtellung einen deutlichen und leb 
haften Begriff einer geſehenen Ausſicht mittheilen zu wol⸗ 
len; auch nur in fo weit, daß fie dem Geiſte des Zuhoͤ⸗ 
renden oder Leſenden ungefähr fo ähnlich, wie ein treues 
Gemaͤhlde dem Original vorkomme. Die feuervolle Feder 
eines Bourrit, die Umſtaͤndlichkeit eines Sauffure und 
die natürlich » einfache Beſchreibung eines Ebels vereint, 
vermögen es nicht. Hoͤchſtens wird es gelingen, nur ſtuͤck⸗ 
weiſe einen Theil des Ganzen um den andern anſchaulich 
zu machen; aber der Zuſammenhang deſſelben, eben das, 
was auf den Beſchauer die erſte und vornehmlichſte Wir⸗ 
kung macht, dieſer muß dabey immer mangeln. Nur eine 
getreue, perſpectiv-gemaͤße Zeichnung, verbunden mit eis 
ner Charte von der abzubildenden Gegend, und mit einer 
wahrhaften, umſtaͤndlichen Beſchreibung kann denen zu 
Hülfe kommen, welche fich nicht perſoͤnlich an Ort und 
Stelle begeben koͤnnen. Der Beſitz der holden Zeichnungs⸗ 
kunſt verſchafft zwar das Vergnuͤgen, Freunden einſtweilen 
die geſchwindeſte, anſchaulich-moͤgliche Darſtellung vom 
Geſehenen zu geben. Wenn ſie aber nicht irre fuͤhren will, 
ſo muß ſie, meines Beduͤnkens, mit einigen mathemati⸗ 
fen Vorkenntniten begleitet ſeyn; diefe verhindern, daß 
nicht oft das Augenſcheinliche durch Mangel des Wahr⸗ 
ſcheinlichen feine Wirkung verliert, 

Kaum voͤllige zwey Stunden hatten wir auf dem er⸗ 


Ld 


- 


293 


habenen Gipfel, zum Theil noch unter Daͤmmerung und 
Warten auf die heranſteigende Sonne, zum Theil unter 
Betrachtung der nach und nach erhellten Gegenſtaͤnde der 
jezt mit der Sommerkleidung prangenden Natur zugebracht; 
abwechſelnd in filee Bewunderung ihrer Schönheit und 
Mannigfaltigkeit, und in lautern Aeußerungen des vergnuͤ— 
genden Gefuͤhls. Im tiefen Thale waren die Mitmenſchen 
noch in fügem Schlummer eingewiegt. — Was für ein 
Heer von Gedanken mit der ihnen nur eigenen Schnellig⸗ 
keit, waͤhrend der kurzen Zeit, aber an einer ſolchen Stelle, 
zu einer ſolchen Stunde, fid) in dem fuͤhlenden Beobach⸗ 
ter herzu- und heruͤberdraͤngten, kann fich nur derjenige bes 
greift machen, welcher es ſchon verſucht hat, einen fleis 
nen Theil davon in Worten auszudrucken. Wie unmóge 
lich es fey, weiß nur die ſer. 

Junger Verehrer und Forſcher der unerforfchlichen Wun⸗ 
der der Natur! Willſt du dieſelben in der Nähe und in 
ihrer wahren Größe ſehen, fo mache dich auf, verlaſſe für 
einen Augenblick dein enges Cabinet von Mineralien, Kraus 
tern, Blumen, Voͤgeln, Inſekten, und andern, dem reis 
chen Schmucke der Natur entfallenen oder entriſſenen Theils 
chen; begieb dich auf eine Hoͤhe der Schweitzeralpen; die 
große Naturalienſammlung, fo du da nach Herzensluſt bes 
trachten und durchgehen kannſt, ift dein, ift aller Mitfuͤh⸗ 
lenden Eigenthum. Hier bedarfſt du kein Microſcop, um. 
das Wunderbare zu ſehen. Alles, was du ſieheſt, ift bei» 
ner Bewunderung, deines Nachdenkens würdig. Die Aus- 
ſicht auf die nahen und fernen, großen Gegenſtaͤnde der. 
Schoͤpfung; der abwechſelnd herrſchende Ton dieſer ver⸗ 
ſchiedenen Werke; das liebliche Grün der Thaͤler unb Hia 
gel; das froͤhliche Blau der Seen und des darin ſich ſpie⸗ 
gelnden Himmels; die Silberfaͤden der Baͤche und Fluͤße; 
das feyerliche Dunkel der Waͤlder; das majeſtaͤtiſch empora- 


294 


ragende, blendende Weiß der unerſtiegenen Schneeftrſten ^ 
— alles dieß, — was foll ich bey der zu großen Mannig⸗ 
faltigkeit mehr berühren, — iſt ſtaͤrkende Nahrung m dein 
anderes wie fuͤr dein inneres Auge. 

Ihr, die mit den Muͤhſeligkeiten und Verdrüßlichteiten 
irgend eines undankbaren Berufes, oder mit andern Un⸗ 
gemaͤchlichkeiten dieſes Erdelebens zu kaͤmpfen habet, und 
euch eine wiederherſtellende Zerſtreuung ſuchet, waͤhlet euch, 
wenn immer die Umſtaͤnde es zugeben, Ruhepunkte auf, 
oder nahe an den Höhen unſers Vaterlandes; innert feis 
nen heimlichen Thaͤlern und Gebirgen. Hier athmet ihr 
frey und leicht; hier haͤnget ihr ungeſtoͤrt dem nach, was 
euerer Seele Angenehmes ſich darbietet; hier findet ihr 
leicht, und ohne Diogenes Laterne, Menſchen; und ſolche, 
unter denen euch wohl iſt; denn ſie verſtehen euch, und ihr 
fie; weil fie nur gerade das unter jedem Worte denken 
was es ausdruͤckt; die tuͤckiſche Neckſucht plaget ſie nicht, 
und ſtoͤrt nicht euern Ideengang *). Wie belohnet ſich 
alſo die kleine Muͤhe, die es erfordert, in dieſe gluͤcklichen 
Gegenden zu wandern, auf ſo manche Weiſe! — Ehe das 
Unternehmen begonnen, hat ſich euere Phantaſie ſchon Tage 
und Wochen vorher angenehm damit beſchaͤftiget, was ihr 
auf jenen Zinnen des Tempels der Natur, wie einen ſol⸗ 
chen nur die Schweiz und wenige Gegenden des be⸗ 
wohnten Erdbodens beſitzen, noch nie Geſehenes erblicken 
werdet; wie nahe ihr jene ſeltenen Maſſen werdet betrach⸗ 
ten koͤnnen, die das Staunen der von ferne herzuwallfahr⸗ 
tenden Reiſenden erregen; wie ihr, mit einem Ueberblicke, 
ganze Laͤnder umfaſſen; wie ihr Gegenden und Stellen 
näher vor Augen haben werdet, welche durch Thaten un⸗ 


) Noch fiepet der gute Menſch allenthalben zum Menſchen 
heraus, und hat fid noch nicht ſchuͤchtern ins Aer zu⸗ 
ruͤckgez ogen. 


298 


ſerer Vorvaͤter ſich verewiget haben! — Und habet ihr dann 
in der Wirklichkeit geſehen und gekoſtet, was euch die Er⸗ 
wartung und Vorkenntniß davon verſprochen, — ſo bleibt 
noch lange ein unzerſtoͤrbares Bild davon in euerer Seele 
zuruck; und indem ihr euern Lieben bey Haufe und euern 
Freunden davon erzaͤhlet, genießet ihr zum zweyten, zum 
dritten Mal. Ihr ſehet mit einem gewißen Vergnuͤgen auf 
einige wenige Muͤhſeligkeiten zurück, die ihr nun beym wies 
derholten Genuße nicht mehr zu bekaͤmpfen habet; ihr 
bringt eine verſtaͤrkte Gefundheit und einen Vorrath von 
Erinnerungen mit nach Hauſe, der neue Munterkeit und 
neue Kraft zur Wie derfortſetzung euerer Geſchaͤfte einfoͤßt, 
und manche lindernde Zerſtreuung zwiſchen den unangeneh⸗ 
mern Augenblicken darbietet, welche von einem Leben im 
Dickigt des Erdengewirrs untrennbar ſind. 

Wir eilen ab der Spitze des Nie ſen herab. Nach⸗ 
dem einmal die ſuͤdliche Seite deſſelben, wohin unfre Ruͤck⸗ 
reife fid) richtete, einen Vorhang úber die Ausſicht gegen 
die noͤrdliche Seite hin gezogen, zugleich aber auch dem 
rauhen Winde einen Riegel geſchoben hatte, und nun beé 
uns da und dort ſich wieder Spuren zeigten, daß, nach 
Befriedigung des Geſichtsorgans, auch andere Sinnen ihre 
Rechte einnehmen wollten, ſo gieng es ziemlich vaſch und 
uͤberecks, in zerſtreuten Haͤuſchen, den Berg hinab, der 
Sennhuͤtte zu. — Das körperliche Gefühl erfreute fi) der 
waͤrmenden Kraft der wiederhervorgetretenen Sonne; bald 
ſcholl das Geklingel der Kuhſchellen dem Ohr wieder ent⸗ 
gegen, und verkündigte die Naͤhe der Alpheerden, deren. 
koͤſtliche Milch, Zieger und Rahm, dem waͤſſernden Gau⸗ 
men durch den, aus der Huͤtte emporſteigenden Rauch, 
entgegen winkten. Nicht kleine Troͤſtungen fuͤr das Frieren 
waren uns in der niedrigen, kleinen Hütte vorbehalten 
deren Anblick uns jezt, nach uͤberſtaudener Arbeit, lieber 


296 

war, als oft manchem Schwelger im Thal die Anſicht feb 
nes freudeloſen Prachtgebaͤudes ſeyn mag. Etwas ſteil und 
beſchwerlich war der Weg vom Gipfel bis zu dieſer unſrer 
Ruhſtaͤtte herab. Es gab unerfättliche Beſtauner der ge- 
genuͤberſtehenden praͤchtigen Alpenkette, denen oft das 
Schickſal jenes Sternſehers drohete, welcher in den vor 
Augen liegenden Graben ſtolperte, als er ſich eben mit 
dem Aug in Sonnenwelten verſetzte. Zwar giebt es keine 
gefahrvolle, ſchroffe Felſen, oder ſchwindelnde Abgruͤnde; 
aber der Weg führt immerfort uͤber glatte, ſchluͤpfrige, von 
vielen Erdrißen durchkreuzte Weiden, hin und wieder mit 
Steinbloͤcken beſtreut, welche fuͤr eine anprellende Naſe hart 
genug wären. Deſto koͤſtlicher ſchmeckten uns nun die, von 
den gaſtfreundlichen Sennen bereiteten, aus reinlichem hoͤl⸗ 
zernem Geſchirr genoſſenen Milchſpeiſen. Drolligt genug 
mogte die Mahlzeit ausgeſehen haben, da die Sennte ganz 
und gar nicht auf ſo zahlreiche Gaͤſte gefaßt, und weder mit 
Lehnſtuͤhlen noch Tafeln verſehen war. Unſer Speiſeſaal 
war alſo unter freyem Himmel, neben der Thuͤre der Senn⸗ 
huͤtte. Sitze und Tiſche beſtuhnden aus einem Baumſtaͤmm⸗ 
chen, einigen wackelnden, alten Kuͤbeln, und, wie es auf 
dem Nieſen Mode it, aus einbeinigen Melkſtuͤhlen, die 
man ſich an gebuͤhrendem Ort anbindet. Um den Service 
war ein Kreis von zwey Gliedern geſchloſſen, wobey, nach 
den Regeln der kleinen Tactik, das zweyte Glied ſein Tem⸗ 
po ergriff, wenn das erſte bey der Ladung eine Luͤcke dar⸗ 
bot. Die Tafelmuſik ward von den neugierigen, freund» 
lich gewordenen Rindern, Schaaſen und Ziegen beſorgt. 
Auch der Rachtiſch mangelte nicht; wer hatte dieſen hier 
geſucht! Es fand ſich, nach ſorgfaͤltiger Unterſuchung der 
Geſtelle in der Sennhuͤtte, daß ein altes Ueberreſtchen von 
gemahlenem Caffeepulver vorhanden war. Der ſtaͤrkſte Reiz 
des Appetits war zwar uͤberwunden. Die Milchſuppe, der 


297 
Nydel, und alle die Producte der Combination und Ge 
ſchaͤftigkeit eines Bergſennen, hatten ihn geſtillet; aber ein 
Caffee auf dem Nie ſen gehört doch unter die denkwuͤrdi⸗ 
gen Abentheuer einer wandernden Geſellſchaft; darum ward 
zu Werk geſchritten, und ich feyerlichſt zu einem Bergreiſe⸗ 
geſellſchafts⸗Obercaffeekoch ernennet und proclamirt. Die 
Erwartung war groß, und mußte groß ſeyn, weil die Senn⸗ 
huͤtte mit Gom anne und allem demjenigen, was zu cie 
nem Caffee-Trinkapparat gehört, eben fo gut verſehen, 
als meine Praxis in der edeln Kunſt, ihn zu bereiten, cro 
probt war. Mit Huͤlfe einer Pfanne, worin ſiedendes Waſ— 
ſer und das Pulver zuſammen gekocht wurden; mit einem 
weißen Tüchlein, wodurch das Gekoͤch hindurchgefiebt und 
die geſottene Milch, NB. auch Rahm, hineingemiſcht wur⸗ 
de, — kam ein Caffee zu Stande, mit welchem vielleicht 
bis auf den heutigen Tag noch wenige zu vergleichen ge— 
weſen ſeyn mochten. Die ganze Operation iſt hier zum 
Nutzen und Frommen aller derer beſchrieben, welche ohne 
Caffee nicht leben koͤnnen, und dennoch geſinnet find, diefe 
hoͤhern Gegenden zu beſuchen. So etwas mag immer zu 
einem vortrefflichen Schaueſſen dienen. Das Nuͤzlichſte bae 
bey iſt, wenn der Appetit kernhaft, und die Sennte im 
Uebrigen wohl mit Nydel und anderem Schmackhaften vers 
ſehen ift, í 

Noch vor dieſer ſtaͤrkenden Operation, und ehe unfere 

ganze Geſellſchaft, nach und nach vom Gipfel herunter an» 
langend, ſich um den gelblichten Rahm, wie die Adler um 
den Schaafbraten verſammelt hatte, genoß ich noch eine 
eigene Mahlzeit auf meinem Lieblingsthrone, dem Dach 
der Sennhuͤtte, auf das ich zu einer Generalmuſterung 
ſaͤmtlicher Felſenſpitzen voruͤber noch einmal geſtiegen war, 
um mir deren Geſtalt, Lage und Höhe, fo weit fie mir 
dem Namen nach bekannt wii recht deutlich ins Ge⸗ 


298 


daͤchtniß zu prägen. Bey diefer Betrachtung, welche mich 
abermals in andere Regionen verſetzte, als wo ich wirklich 
war, und nothwendig bald ſeyn ſollte, fiel mir erſt jezt 
die Form des Doldenhornes, ſuͤdweſtlich, in der Rich⸗ 
tung gegen der Altels vor der Gemmi und zwiſchen 
der nähern Bluͤmlisalp, etwas auf; fie ſchien mir fo 
was ganz Eigenthuͤmliches, und von der allgemein herr⸗ 
ſchenden Form der uͤbrigen Hochgebirgsgipfel Abweichendes 
zu haben, daß ich den Umſtand nicht unberührt laſſen kann. 
Jeder der voͤrderſten und ſichtbarſten Hauptfiguranten hat 
zwar auch, von gewißer Entfernung und Richtung ange⸗ 
ſehen, ſeine, ihn beſonders auszeichnende Geſtalt. Das, 
einem Dom zu feiner Kirche aͤhnliche Verhaͤltniß des W e tə 
terhorns zu feinem verlaͤngerten Ruͤcken; der, auf dem 
Mettenberg aufſitzende, Lorſtige Cameelbuckel des 
Schreckhorns; die kammaͤhnliche Felſenreihe der Vie⸗ 
ſcherhoͤrner, mit dem hornartigfien aller Felſenhoͤrner, 
dem Finſteraar an der entfernteſten Spitze; das Klee⸗ 
blatt des keilfoͤrmigen Eygers, des ſteuerfoͤrmigen Moͤnchs 
und der bleygerecht aufſtehenden Jungfrau; die zeltaͤhn⸗ 
liche Bluͤmlis alp; die zahnigten Alteld» unb Gem 
miftöcke, (einige andere Vergleichungen muß ich in petto 
behalten), alle dieſe und entferntere, endlich in blaͤulichten 
Duft zerfließenden Geſtalten boten dem Auge und der ſpie⸗ 
lenden Einbildung ein abwechſelndes Schauſpiel dar; aber 
das Gleichfoͤrmige ihrer ſchaͤrfer abgeſchnittenen, zackigtern, 
meiſt firſtaͤhnlichen Gipfel iſt nicht zu verkennen. Nur das 
Doldenhorn, in gleicher Linie und Höhe, wie feine lezt⸗ 
benannten Nachbarn, will feine Verwandtſchaſt mit bens 
ſelben verlaͤugnen, und ſtellt eine; mehr rundlichte und 
glatte Oberflaͤche vor Augen; es fehlt mir die Zeichnungs⸗ 
kunſt, um die der oͤſtlichen Seite dargebotene Form die⸗ 
ſes Gebirgs anſchaulich zu machen; und die Vergleichun⸗ 


299 


gen find, wie bekannt, hinkende Gehuͤlfen; es gehet damit 
wie denen, welche etwa in dem Rand einer Wolke, oder 
in den gefrornen Scheiben irgend eine Aehnlichkeit erken⸗ 
nen, die andern Leuten nicht im Hirne leuchten will; — 
eben fo könnte leicht eine Vergleichung der Figur des D o l» 
denhorns, etwa mit einer, ſeitwaͤrts geborſtenen Blut⸗ 
wurſt, oder mit einem Apfel, davon ein Quartier ausge⸗ 
ſchnitten waͤre, oder mit der Kuppel eines runden Doms, 
woran noch ein Paar Quartiere mangeln, oder mit sc. 1c. 
ein ſchreckliches Schickſal erleben. Es faͤllt mir einerſeits 
eben ſo ſchwer zu begreifen, welche wunderbare Kraft die⸗ 
ſem Gebirge die gegenwaͤrtige Geſtalt angebildet habe, und 
zu glauben, daß irgend eine ploͤzliche, gewaltſame Zerreiſ⸗ 
ſung die Urſache der großen Luͤcke geweſen ſey, — als an⸗ 
derſeits, daß eine allmaͤhlige, ſtufenweiſe Erweiterung der 
ungeheuern Luͤcke, ſtatt gefunden habe, welche von oben 
herab dem Einſchnitt eines Herzens vielleicht auch nicht 
ganz unaͤhlich ſeyn moͤchte. Dieſer Einſchnitt iſt vollkom⸗ 
men mit Schnee bedeckt, gleichwie die rundlichte, glatte 
Oberflaͤche der beyden Flügel; und zeigt wenigſtens keine 
Wahrſcheinlichkeit, daß feit einem fehe langen Zeitraum 
merkliche Veraͤnderungen durch etwaniges Nachruͤtſchen des 
dazwiſchen befindlichen Erdreichs vorgegangen ſeyen; auch 
konnte ich dießſeits keine Spur entdecken, wohin die Truͤm⸗ 
mer der ſo ſymmetriſch losgeriſſenen Theile der Felſenmaſſe 
ſich hingewendet haben moͤchten. Ich laſſe ſie einſtweilen 
liegen, bis Bergkundige mehr Licht verbreitet haben wer⸗ 
den. Es war Zeit, die Augen anderswohin zu wenden. 
Es mochte gegen 8 oder halb 9 Uhr geweſen ſeyn; die 
Vorboten nahenden Geſtürms mehrten fich unb hießen uns 
an die Ruͤckreiſe denken. Wir ſchickten uns dazu an; die 
Trager ſchnallten die Habſeligkeiten, welche ſich um einige 
Flaſchen erleichtert Hatten, zuſammen; die behaglichen Sitze 


300 

am milden Sonnenfchein, der oft durchs Gewoͤlke brach, 
mußten verlaſſen werden; und die erquickten Körper wur⸗ 
den mit Seufzen auf die, noch nicht völlig ins Gleichge⸗ 
wicht gebrachten Beine geſtellt, deren Geſchaͤftsgang jezt 
anfieng wichtiger zu werden als beym Mahle. Wir nah⸗ 
men Abſchied von den guten Leuten, welche ſeit geſtern 
Abends durch eine fo zahlreiche und mitunter etwas unru⸗ 
hige Einquartierung die Nacht hindurch an der ſo noͤthi— 
gen Ruhe geſtoͤrt und gewiß in ihren Sennlichen Verrich⸗ 
tungen gehindert worden; die dennoch aber, wahrend uns 
ſerm ganzen Aufenthalte, mit den zuvorkommendſten Dienſt— 
leiſtungen und mit allen Anerbietungen, die in ihren Mit⸗ 
teln und in ihren Begriffen von Bedürfnif ſtanden, bemuͤ— 
het geweſen waren. Wir konnten unſern Dank gegen dieſe 
Leute auf keine andere Weiſe ſichtbar zu erkennen geben, 
als auf diejenige, womit oft im gemeinen Leben die Ber 
mögendere gegen Aermere, glauben, ihren Dank für Dienſte 
und Gutthaten genugſam abgethan zu haben. Ich erwaͤhne 
des Umſtandes bloß, weil wir aus dem Benehmen unſers 
Wirthes einen Beweis von Uneigennuͤtzigkeit und wahrer 
Gaſtfreundſchaft zu ſchoͤpfen den Anlaß hatten, wie ſich's 
bey aͤhnlichen Fällen im Thalleben ſelten finden würde. Es 
war namlich bey Berichtigung dieſer kleinen Angelegenheit), 
welche gewöhnlich dem guten Willen der Gaͤſte uͤberlaſſen 
bleibt, eine, dem Wirth nachtheilige Irrung, vorgegan⸗ 
gen, die wir erſt nachher entdeckten und durch ſichere Ge⸗ 
legenheit gut zu machen trachteten; ungeachtet deſſen hatte 
uns die Freundlichkeit und die Art, womit er von uns 
Abſchied nahm, ſo geſchienen, wie ſie nur von der voll⸗ 
kommenſten Zufriedenheit mit dem Dankszeichen hätte eve 
wartet werden koͤnnen. Wie wuͤrden Unbefriedigte ſich an⸗ 
derswo geberden, wo Genuͤgſamkeit ſeltener bey Hauſe zu 
finden iſt? — Ueberhaupt beſtaͤtiget ſich mir immer mehr, 


301 


auch bey den kleinſten Umſtaͤnden, die Bemerkung, daf,der 
Menſch in der beſchaͤſtigten Einſamkeit, ebendemſelben Wez 
fen im Gewuͤhl der Menge nicht gleich ſiehet. — Gottlob, 
noch ſind nicht alle Grundſaͤtze und Schluͤße der gemeinen 
Politik in den Aufenthalt der Alpenbewohner hinaufgedrun⸗ 
gen. Noch its daſelbſt Mode, und möge es immer da» 
ſelbſt Mode bleiben, daß das Gute fuͤr gut, und das Nie— 
drige fuͤr niedrig angeſehen wird! — Selige Gegenden! wo 
es (id) doch, bey etwas Genuͤgſamkeit, ruhige und unges 
truͤbte Stunden mußte leben laffen, um fid) vom Gewirr 
des Staͤdterlebens zu erholen, und zu neuer Ausdauer ei⸗ 
nes Zuſtandes zu ſtaͤrken, in welchem fo oft die Welt und 
die Dinge um den Wahrheit-Liebenden herum, nicht ſo 
ſind und nicht ſo kommen, wie ſie nach der Ordnung ſei⸗ 
ner Ordnung ⸗gewoͤhnten Ideen ſeyn und ausfallen ſollten; 
wo oft ein unvermeidliches Geſchicke ihn mitten in das 
Dickicht der geſchaͤftigen Welt hinein ſchleudert, und ihn 
hindert, mehr als einige, allzuſeltene Stunden dem haͤus— 
lichen Lebensgenuße, dem engern Kreiſe von Geliebten (id) 
ſelbſt und der fügen Einſamkeit zu wiedmen. 

An einem ſolchen Orte muͤßte gewiß dem befchäftigten 
Geiſte des Forſchers und Bewunderers der Naturmerkwuͤr— 
digkeiten und ihrer Schönheiten eben fo wenig die Weile 

lang werden, als ſie es dem Hirten wird, welcher den 
Sommer hindurch, unter ſtets gleichfoͤrmiger Tags beſchaͤf⸗ 
tigung des Huͤtens, des Melkens, des Kaͤſe- und Butter 
machens und dergleichen, auf jenen einſamen Höhen zu⸗ 
bringt, und der mit einem kleinern Vorrath von Ideen, 
Erinnerungen und Entwurfsſtoffen, verſehen ſeyn kann, als 
der gebildetere (2) Staͤdter, welcher ſolche aus einem reich⸗ 
haltigen Magazine ſchoͤpfen, mit ſich hinaufnehmen, ſich 
mit litterariſchen Waffen gegen die Langeweile verſehen 
vini — Dennoch duͤnkt jenem Hirten die Stunde des 


302 


Herbſtes immer zu nahe, wo er feinen Aufenthalt des 
Selbſtſeyns und der Freyheit verlaſſen, und in das zwar 
mildere, kurzweiligere, aber ſorgenreichere Thal hinunter⸗ 
wandern muß; wo andere Geſchaͤfte, auch andere ente 
mungen ſeines Wollens und Wirkens ihn erwarten, und 
beym kommenden Fruͤhling wieder ín den Berg hinauf treis 
ben, woſelbſt, bey verminderter menſchlicher Geſellſchaft / 
lauter gute, nuͤzliche, freundliche, dankbare, nichts arg⸗ 
woͤhnende Geſchoͤpfe, ohne Falſch und ohne Miß brauch ijs 
rer Staͤrke, ihn umgeben. — Wie Haller ſingt: 


„Sobald der rauhe Nord der Luͤfte Reich verlieret, 

„Und ein belebter Saft in alle Weſen dringt, 

„ Wann fich der Erde Schooß mit neuem Schmucke zieret, 

„Den ihr ein holder Weſt auf lauen Fluͤgeln bringt; 

„So bald fiicbt auch das Volk aus den verhaften Gründen, 

„Woraus noch kaum der Schnee mit truͤben Strömen fließt, 

„Und eilt den Alpen zu, das erſte Gras zu finden, 

„Wo kaum noch durch das Eis der Kräuter Spitze ſprießt; 

„Die Heerd verläßt den Stall, und grüßt den Berg mit 
Freuden, . 

„Den Frühling und Natur zu feinem Nutzen kleiden.“ 


Bey den Spaziergaͤngen in den Alpen bleibt die oft ge 
machte Bemerkung immer gleich auffallend, wie eine ganze 
Heerde von großen, ſtarken, mit Angriffs- und Vertheidi⸗ 
gungswaffen verſehener Thiere, auf freyem Plaz und unz 
gebunden, fid) von einem ohnmaͤchtigen Kinde leiten, treis 
ben, zurechteweiſen laſſe. Was für folgenreiche Schluͤße 
laſſen ſich nicht ſchon aus dieſem einzigen Fingerzeig des 
wahren Unterſchiedes zwiſchen Menſch und Thier und der 
Rechte und Beſtimmungen des erſteren abziehen, — wenn 
auch ſonſt nichts auf der Welt den Verirrenden zurecht⸗ 
weiſen koͤnnte, der den Menſchen darum bloß zum erſten 
und vollkommenſt organiſirten der Thiere herabwuͤrdigen 


303 


will, weil ihm die Stufe vom gewandteſten Thiere zum 
duͤmmſten Menſchen nicht ſichtbar genug vorkoͤmmt! — 
Erſcheinet derſelbe als Koͤrper, — freylich aͤußerſt klein, 
inſofern man auf einem hohen Berge rund herum ledende 
und lebloſe Beweiſe der Schoͤpfung, nur den Menſchen 
nirgends, ſiehet, — ſo erhebt ſich das Gefuͤhl, Menſch zu 
ſeyn, wieder hoͤher, wenn man erwiegt, daß alles, was 
auf der Oberfaaͤche der Erde ſichtbar it, man darf fagen 
der ganze Erdball, um des vernuͤnftigen Geſchoͤpfes willen 
da ift, das wir Menſch nennen; und daß dieſe Oberfläche 
durch die Arbeiten und Wirkungen dieſes Geſchoͤpfes zum 
Theil ſo geſtaltet erſcheinet, wie wir ſie ſehen; daß die 
zahlloſen, im Thal dort unten geſaͤeten Wohnungen unb 
kuͤnſtliche Gebäude, die Dörfer und Schloͤßer, welche jene 
Seen auf beyden Ufern zieren; jene Miſchung von Wies 
ſen, Aeckern und Waͤldern, die die Ausficht fo vermannig⸗ 
faltigen; jene Arbeiten der Kunſt und der Ausdauer, meto 
che dem wilden Strome ſeinen unſchaͤdlichen Lauf in den 
See anweiſet, defen ehemalige Straße nun mit nuͤtzlicher 
Waldung bedeckt iſt; — daß das alles das Werk dieſes un⸗ 
ſichtbar kleinen Geſchoͤpfes ift, welches unter jenen Hütten 
thronet. — Gegenuͤber ſiehet man freylich auch die Gren⸗ 
zen ſeiner Macht und Ohnmacht. — Die lieblichen gruͤnen 
Weiden, welche der Menſch vielleicht Jahrhunderte lang 
zu ſeinem Unterhalt benutzen konnte, und denen der Name 
Bluͤmlisalp einſt wohl nicht um des gegenwaͤrtig bate 
auf haſtenden Schnees und Eiſes willen gegeben worden 
war, fi find nun vom ewigen Winter ihres Schmuckes ent» 
kleidet; und ein ehemaliger Paß, welcher nebenhin in die 
Walliſiſchen Thaͤler geführt hatte, ift geſperrt oder hoͤch⸗ 
ſtens den Gemſen brauchbar. Und um jenes, dort uͤber 
den Wolkenſtreifen hervorragende Haupt der Jungfrau 
mit Berührung zu ent weihen, hat der Menſch aller anae: 


304 


wandten Mühe ungeachtet, das Privilegium noch nicht mit 
den Gemſen theilen können, das diefe vielleicht ſelbſt noch 
nicht errungen haben. 

So wie um die Geſellſchaft eines Gedankenloſen, alſo 
iſt's eine Plage um diejenige eines Gedankenbelaſteten; ſehr 
gluͤcklich, daß dergleichen Kriſen des Wanderers nicht im⸗ 
mer anhaltend dauern koͤnnen, und er fruͤher oder ſpaͤter 
wieder durchs Geſez der Nothwendigkeit in ſein gehoͤriges 
Gleis zuruͤckgefuͤhrt wird. Unſere eilfkoͤpfigte Truppe hatte 
der Beyſpiele aller Art aufzuweiſen gehabt, wenn nicht 
jeder Kopf ſeiner Augen ſelbſt benoͤthiget geweſen waͤre. 
Da iſt ein Trio, welches durch irgend einen Abſprung der 
Gedanken voraus und ziemlich links gekommen iſt; waͤh⸗ 
rend dort ein Paͤaͤtzben, das fid) bey Sammlung feltnerer 
Blumen und Kraͤuter etwas zu weit rechter Hand verirret 
hat, wiederum auf den richtigen Weg zuruͤckgerufen und 
zurückgefuͤhrt werden muß. Unsere Führer, die fid) billi⸗ 
gerinagen als Leiter und Hirten zu betrachten hatten, aber 
dem inſubordinirten Haufen nicht nach allen Richtungen 
folgen konnten, blieben, gut neutral, zuruck und uͤberſehen 
das Ganze. Ueberhaupt, die Geſellſchaft gleicht entweder 
einem vom nachjagenden Schrecken auseinander geſtaͤubten 
Haufen, oder es gilt die Wette, wer zuerſt im ſichern Has 
fen bey Muͤllenen anländen koͤnne. Der Fall ſchien ct» 
was dringend werden zu wollen. In dem Thale, welches 
fich gegen die Bluͤmlis alp hinanziebet, verfinſterten Wol⸗ 
ken und eilends daherſchwebende Rebel ihre Anſicht; ſie 
naͤherten fich uns ſelbſt immer drohender, unb fer bald 
hatten wir es nicht nur ſicht-ſondern fuͤhlbar. Doch der 
Gewitterſchauer dauerte nicht lange; noch ebenrecht hatte 
ich mit zwey andern, vorauseilenden Gefaͤhrten das Gluͤck, 
unter dem Vordach des einzigen, am Wege befindlichen, 
aber dermal unbewohnten Haͤuschens, etwas unter der 


308 


Mitte des Berges, unter Schutz zu kommen; weiter oben 
war im naͤmlichen Augenblicke nichts von Regen verſpuͤrt 
worden; drum weilen oft beſſer iſt als eilen. — In 
Müllenen vereinigte fid) die Geſellſchaft nach und nach 
wieder gluͤcklich und ohne die naͤndeſte unangenehme Be⸗ 
gegniß bey dem beitellten Suͤppchen, welchem aber der 
Herr Wirth, nach Erfahrungs-bewaͤhrtem Schluße, ver⸗ 
bindlichſt einige Trachten mehr beyfuͤgte, als die Abrede 
gelautet hatte. Er wußte, daß die Bergreiſe geſunden und 
geſundmachenden Appetit giebt. Auch erwieſe Rd) vollkom⸗ 
men die Probhaͤltigkeit ſeines Satzes. 

Mit ungemeinem Wohlbehagen betrachteten wir nun 
aus dem Fenſter die vor uns ſchwebende Spitze des N ies 
fen und ſahen auf das vollendete Werk zuruͤck. Obgleich 
noch 3 1/2 Stunden von Hauſe, glaubten wir uns, als 
wie daſelbſt angekommen. Dennoch drohete der kleine 
Ueberreſt des ebnern Weges mehr Begegniße, als der weis 
tere und hoͤckerichte gethan hatte. Der groͤßte Theil der 
Geſellſchaft gieng wieder zu Fuß über den Hügel von Aes 
fhi zuruͤck nach Leyſingen, zu unſerm freundſchaftlich 
aufnehmenden Herrn Pfarrer, bey welchem die Wieder⸗ 
vereinigung geſchehen ſollte. Mit Herrn S.. . und feis 
ner Gattin machte ich noch zu Wagen den kleinen Neben⸗ 
ſprung auf Spiez, um daſige romantiſche Gegenden und 
die Stammwohnung der verdienſtvollen Familie von Bu⸗ 
benberg zu ſehen. Obſchon der Wagen mit einem et⸗ 
was ſcheuen Pferde beſpannt, und von einem Neuling im 
Fahrweſen geführt war, fo gieng die Fahrt doch gluͤcklich 
von ſtatten. — Das traurige Ereigniß it bekannt, wos 
durch die zwey lezten Sproͤßlinge jenes Geſchlechtes an ei⸗ 
ner Luſtfahrt auf dem Thunerſee, eben bey der hochzeitlis 
chen Veranlaſſung, wodurch daſſelbe neue Befeſtigung und 
Fortdauer erhalten ſollte, verungluͤckten und in den Wellen 

zr Bd. N 


306 


verſchwanden. — Nicht ganz ohne vorüberſchwebende Er⸗ 

innerungen an dieſe Erzaͤhlung und einige wenige andere 
Ereigniße auf dieſem, ſonſt anmuthigen See, uͤberließen 
wir uns demfeiben in egaem ſchmalen, wankenden Kahn 
ohne Lehne noch Bedeckung, unter Führung zweyer weib⸗ 
licher Schiffer, denen das Fahr- und Steuerweſen auch 
hier zu Lande faſt voͤllig in die Haͤnde gegeben zu ſeyn ſchei⸗ 

net. Sie nahmen die Richtung nad) Leyſingen in ge- 
raͤdeſter Linie, quer über einen Buſen des Sees hin. Von 
hintenher ſammelten fid) um den Horizont Gewitterwoͤlk— 
chen, welche nach und nach den Nieſen und ſeine Nach⸗ 
barn umhuͤllten; die Luft ward kuͤhler und gieng etwas 
friſch; was dann von unſern Steuerinnen zum Aufziehen 
eines alten Lumpens, genannt Segel, benuzt ward, der 
bis an den Rand des Schiffes herabgieng, und uns vol⸗ 
lends noch die Ausſicht vorwärts auf unfer verabredetes 
Ziel in Leyſingen benahm. Ungeachtet eint und andere 
ernſte Betrachtung Stille gebot, und der Schlaf, bey et⸗ 
was Müdigkeit, gerne bey uns eingekehrt wäre, fo ers 
laubte es der Gedanke an die Moͤglichkeit nicht, daß der 
Einſchlummernde leicht uͤber das niedrige Bord hinaus in 
das Bette des Sees haͤtte rollen koͤnnen; das Sauſen des 
Windes und ſein Klappern am Segel erhielten bey Wach⸗ 
ſamkeit. Doch das Gubernium der handfeſten Seebeldinnen 
ward gut geführt, wir kamen nach etwa anderthalb Stuns 
den, die oͤfters nur in dreyen zuruͤckgelegt werden, dem 
Lande wieder naͤher, und erblickten durch ein Loch des 
Segels das nahe Pfarrhaus Leyſingen, und unſre, ein 
Stuͤndchen vorher dort angekommene Mitgeſellſchaft; noch 


ein Paar Ruderſtoͤße, und die Landung war gluͤcklich vols f 


fuͤhrt. Kühn ſtießen die See⸗gewohnten Schifferinnen alſo⸗ 
gleich wieder vom Lande, dem nahenden Geſtoͤber entaee 
gen, und waren bald in demſelben verborgen; ſie glaubten, 


307 


noch vor eintretender Gefahr und Dunkelheit ihre Hey⸗ 
math oder wenigſtens ein demſelben nahes Geſtad erreia 
chen zu koͤnnen. 

Nachdem wir uns bey dem Herrn Pfarrer in etwas 
geſammelt und ſeinen ſtaͤrkenden Vortrag wohl zu Herzen 
gezogen, uͤberhaupt bey dieſem wackern Mann uns der aes 
faͤlligſten Aufnahme zu erfreuen gehabt hatten, traten auch 
wir die baldige Ruͤckfarth an; die dann ſchüͤchtern dem nae 
hen Ufer, dem Fuße des felſigten Abendberges nach zu 
Waſſer, doch immer vom nahenden Geſtoͤber verfolgt, bis 
auf Weißenau, bey der ehemaligen Landungsilatte, wo 
der See die Aar empfängt, gemacht wurde; und lanaten 
Abends bey Zeiten bey unſerm Freunde und Bewirther 
an, — faſt in dem naͤmlichen Augenblicke, da ein anderer 
Theil der Curgeſellſchaft von einer Excurſion uͤber Grin— 
delwald und Mayringen zuruͤckgekommen war. Es 
wuͤrde fich haben fragen lafen, ob ein unpartheyiſcher Sus 
hoͤrer an dieſem Abend aus den ſtroͤmenden Erzaͤhlungen 
der beyden, wiederzufammengefloffenen Geſellſchaften, mo» 
von die eine ihre oft lichen, die andre ihre weltlichen 
Denkwuͤrdigkeiten zu Markt brachte, etwas Zuſammen⸗ 
haͤngendes haͤtte abfaſſen koͤnnen. — Nur die allgemeine 
Freude war einſtimmig , fich ohne irgend einen erheblichen 
unangenehmen Zufall wiederum am fröhlichen Tiſche vere 
einiget zu ſehen. j 


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808 


Beitraͤg e 
zur ; 1 
Unterſuchung der Ueberbleibſel 
kbrloſche ner Sy aL Ua me 
innert dem Gebiete der Alpen 


von 
Carl Ulißes von Salis Marſchlins. 


Einleitung. 


Zu den Zeiten, waͤhrend welchen man ſo gerne uͤberall 
Ueberreſte von feuerſpeyenden Bergen aufſpuͤren wollte, 
mußten auch dergleichen innert dem Gebiete der Alpen an⸗ 
getroffen werden. Der zwar nur von einer einzigen Seite 
kegelfoͤrmig erſcheinende Schwytzerhacken am Vierwaldſtaͤt⸗ 
terſce, der uͤbrigens aus dichtem grauem Kalkſtein beſteht, 
kam, auch ín den Ruf eines Vulkans, weil der unter dem 
Kalkſtein fid) befindende Sandſtein, durch bie Auswitterung 
einer weißen, haufig in dieſer ſeltenen Sandſteinart einge⸗ 
fprengten Kalkerde eine Lava⸗aͤhnliche Porofität zeigt, obe 
gleich in demſelden Verſteinerungen, ja fogar unverſehrte 
Auſterſchaalen enthalten ſind.“) So aͤußerte der beruͤhmte 
Thouvenel in einem Briefe an mich die Vermuthung, 
und ich habe Urſache zu glauben, daß er dieſelbe auch in 
einer ſeiner Schriften oͤffentlich bekannt gemacht habe, daß 
von Cerlach an unter Sargans bis gegen Mollis 
im Canton Glarus, dem linken Ufer des Wallenſtatter⸗ 
ſees nach, die Gegend vulkaniſch ſeyn moͤchte. Er ſchließt 


^) Siehe Alpina iſter Band Seite 279. 


309 


dieſes aus den Empfindungen, welche fein lebendiger Elek⸗ 


trometer, Pennet, in dieſer Gegend hatte.“) Seine 

Worte ſind folgende: i 
„Von Ragaz an bis eine halbe Stunde unter Cars 

„gans deuteten die Empfindungen Pennets auf ein una 


„ terirdiſches Lager von unverwittertem Schwefelficd ans 


2 derthalb Stund. Von Halbmeil bis Cerlach ein. 


vs Lager von Schwefel in ſechs gleichlaufenden, ſehr dúnta 


— s nen Schichten. Anzeige einer theilweiſen Vulkaniſation, 


u — 


„die man (tet an den Grenzen der wahren vulkaniſchen. 


„ Feuerheerde findet, fo wie man laͤngs den vormals vul⸗ 


» kaniſchen Schwefeladern immer Gänge von unverwitter⸗ 


zs tem Schwefelkies antrift. 


„Eine halbe Stunde von Wallenſtatt und zwey und 


„eine halbe Stunde weiter gegen Norden bis auf Muͤh— 


vlihorn fehlt dieſes Kies- und Schwefellager ganz; eine. 
v» gewiße Anzeige, daß alfo hier der Mittelpunkt des phle— 


s» graͤiſchen Heerdes zu ſuchen ift; das noch unzerſtoͤrte 
e ——ÉÉÉ 


*) Im Jahr 1792 machte Thouvenel feine Ideen über die 
unterirdiſche Elektrometrie bekannt. Ich habe einen Theil 
davon nebſt feinen in Buͤndten und in Zurich gemachten Bere 
ſuchen in einem Werkchen „Ueber unterirdiſche Elek 
trometrie 1. Zürich 1794. 8. bei Ziegler“ dem deutſchen 
Publicum mitgetheilt. Sein Syſtem machte beſonders in 
Italien großes Aufſehen und erregte einen hartnaͤckigen Fee 
derkrieg. Sobald daſelbſt der Revolutionskrieg ausbrach, 
nahm jener ſein Ende und man hoͤrte von der Rabdomanzie 
wenig mehr, als auf einmal im vorigen Jahr der berübmte- 
Ritter einen lebendigen Elektrometer, Ciampetti ge» 
nannt, an den Ufern des Lago di Garda kennen lernte 
und ihn mit fid) auf München nahm, um daſelbſt die ges- 
nauſten Verſuche mit ihm anzuſtellen. Mit Ungeduld er⸗ 
wartet man die Reſultate derſelben. 


$10 


„Kieslager findet ſich nun links in den Gebirgen des Cana 
„tons Glarus, und rechts auf dem nördlichen Ufer des 
» Wallenſtatterſees. 

„Von Muͤhlihorn auf Mollis, wenn man über 
„den Kirenzerberg geht, den ich fuͤr halb vulkaniſch halte , 
„ ſpuͤrt man auf einer Ausdehnung von anderthalb Stuns 
„den das Kieslager wieder. Es bildet eine Zwiſchenwand 
„ zwiſchen dem obbemeldten und einem neuen Feuerſchlund. 

„Von Mollis auf Naͤfels und von dort auf D bera 
»bilten fehlt jenes Lager wieder ganz, hingegen von 
„Ober- auf Niederbilten, in einer Breite von 7 bis 
„800 Fuß merkt man wieder Schwefelgaͤnge, und hier 
„endet ſich mit den Alpiniſchen Bergen ſeiner Breite nach 
» das Kieslager, das ich feiner Laͤnge nach vom Gotthard 
„bis auf Sargans verfolgt habe. Es ſcheint alſo, daß 
„ſowohl das Land am oͤſtlichen, als am füdlichen Ufer 
„des Wallenſtatterſees am Abhang der Glarnergebirge in 
„einer Strecke von 6 bis 7 Stunden vulkaniſirt fey, und 
„mir kommt vor, daß die Steinarten, die man an Ort 
„und Stelle findet, und davon ich Ihnen Muſter ſende, 
„wenigſtens die Angabe zweifelhaft machen. 

Weder an den überfandten Probſtuͤcken, noch laut meis 
nen nachher gemachten Unterſuchungen, konnte ich etwas 
Vulkaniſches finden. Um dasjenige beſtimmen zu koͤnnen, 
was unter der Erde iſt, dazu fehlt mir das elektrometri⸗ 
ſche Gefuͤhl. Immer iſt es merkwuͤrdig, was uns Ebel 
in feiner Anleitung die Schweiz zu bereiſen, Artikel Walz 
leuſtatterſee, Theil IV. Seite 225. ſagt: 

„Die Felſen um den Wallenſee beſtehen aus grauem 
„und gelblichem Kalkſtein. An der Suͤdſeite ſtreichen in 
„belraͤchtlicher Höhe rothe Kalkſtein- und Thonſchiefer-La⸗ 
„ger zwiſchen dem Kalkſtein durch, aus denen der Roth⸗ 
„ bach zwiſchen Muͤhlihorn und Murg ſehr viele Truͤm⸗ 


& 
311 


„mer herabfuhrt. Dieſe rothen Thonſteinlager gehören: 
„zu der rothen Thonſteinformation des Canton Glarus. 
„Nur etwas ſuͤdlicher, oberhalb Mels, werden aus Dies 
„ ftr rothen Thonſteinbreccie Muͤhlſteine gebrochen.“) Am: 
Ufer bei Muͤhlihorn liegen eine Menge ſchwarze, fot 
» harte glänzende Truͤmmerblocke, welche ein eigenes Ges 
„webe in ihrem Innern zeigen. 

„Aus dieſen und andern Wahrnehmungen glaubt ein: 
1 franzoͤſiſcher Mineralog hier die Spuren eines verloſche⸗ 
znen Vulkans entdeckt zu haben. Meinen Beobachtungen 
z zufolge babe ich nichts Vulkaniſches hier auffinden koͤn⸗ 
„nen. Merkwuͤrdig indeſſen ift es, daß defe Gegend ganz 
„ beſonders Erdbeben ausgeſezt if. Vom September 1763. 
„bis May 1764 ſpuͤrte man zu Muͤhlihorn fuͤnfzig Er 
s» ſchuͤtterungen. Före Richtung geht von Weit nach Dit; 
„namlich ihre Wirkung wird hauptſaͤchlich von dem Liuth- 
zo thal im Canton Glarus quer durch das Sernftthal nach 
„Müͤhlihorn, von hier quer über den See nach dem Quins. 
„tenberge, von da durchs obere Toggenburg in die Ges 
v» gend von Wildhaus, und weſtlich weiter durch die Lands 
»fchaft Sax verſpuͤrt. Die Schichtenlage der Felſen des. 


+) „Bei Murg ſenkt fid) diefe ſogenannte Thonſte information 
„bis an das Seeufer herab; fie beſteht aus rothem botte 
„ ſchiefer, der durch Beimengung feiner und kleiner Sande 
und Glimmerkoͤrnchen in Grauwackeſchiefer uͤbergeht; une 
„regelmäßige, grob und großkörnige Lager einer ebenfalls 
„rothen Grauwacke wechſeln oft mit dem Schiefer ab, und 
„ gehen nicht felten durch allmaͤhlige Verkleinerung des 
„Korns in den Schiefer über. In der Alp Bärenboden, 
„am öftlichen Fuße des Moͤrſchen, liegt der Alpenkalkſtein 
- unverkennbar auf dieſer rothen Grauwackenformation auf 
„An verſchiedenen Stellen der Suͤdſeite des Wallenſces zei⸗ 
„ten fih Eiſenſteinlager anſte hend. (Eichen) 


* 
312 


„Wallenſees ift nicht überall bie namlich, Die Schichten 
s ber erten Kalkſteinfelſen oberhalb Weſen ſenken nad) Suͤ⸗ 
„den, beugen ſich unter Ammon in concaven Linien durch, 
„und ſteigen am Quintenberge und an den ſieben Kuhfir⸗ 
» ften fo febr aufwärts, daß fie fid) an dieſen Hoͤrnern nach 
„Norden einſenken, während an den Füßen des Sichel⸗ 
„und Ochſenkamms die Schichten nach Süden ſenken. 
„An der Suͤdſeite zeigen fid) gleichfalls nördliche und ſuͤd⸗ 
„liche Schichteneinſenkungen. — Die Richtung des vier 
„Stunden langen “) Sees ſchneidet die Streichungslinie 
„der Felſenkette faſt quer durch; ſie mußte alſo mitten in 
„ihrer Koͤpermaſſe durchriſſen werden, wozu eine Gewalt 
„nothwendig war, die alle menſchliche Vorſtellung uͤber⸗ 
» ſteigt. 

Mit noch mehr Zuverſicht wurden die kegelfoͤrmigen 
Huͤgel, welche ſich im Hegaͤu erheben, unter den Namen 
Hohentwiel, Hohenſtoffeln, Hohenkraͤhen, Hohenheuen, 
u. ſ. w. dekannt ſind, und welche die nordweſtlichſte Ge⸗ 
birgsformation der Alpen ausmachen, für erloſchene Vul⸗ 
kane erklaͤrt. Ich weiß nicht ob Herrn von Beroldin⸗ 
gen oder dem Grafen Raſumofski die Ehre dieſer Ent⸗ 
deckung gehört. Gewig it es, daß der erſtere an verfchies 
denen Orten ſeines Werks: Die Vulkane aͤlterer und neues 
rer Zeiten ıc. Mannheim 1791. 8. als z. B. im xften Theile 
©. 207, im 2ten Theil S. 255. ſagt, wo es heißt: „Ich 
ſelbſt fand denſelden (den Zeolith) in dem Cantoß Hes 
güu bei dem großen ehemaligen Vulkan bei Hobenftofs 
feln. **) Daß der andere ſchon 1788 diefe Gegend bes 


*) Er ift faſt durchgängig vier bis fuͤnfhundert Fuß tief. 

*) Ob Herr von Baroldingen auch in feinem Werke: „Bes 
obachtungen, Zweifel und Fragen die Mineralogie uͤberhaupt 
und ein natuͤrliches Syſtem insbeſondere betreffend, Hanno⸗ 


\ 


313 


ſucht und ihre Vulkanitaͤt vermuthet habe, finden wir im 
Intelligenzblatt der Allgemeinen Litteraturzeitung 1791. 
Nro 139; in Voigts Magazin der Phyſſk im Sten Band, 
ıften Stück, Seite 183, und im Bergmaͤuniſchen Jour⸗ 
nal, sten Jahrgang, ıften Band, Seite 188. Hier liefet 
man: 

„Schon feit einigen Jahren haben verſchiedene Natura 
„ forſcher vermuthet, der nicht weit von Schafhauſen fez 
„hende iſolirte Hügel, auf welchem die Feſtung Hohent— 
„wiel liegt, moͤchte ehmals durch unterirdiſches Feuer ent⸗ 
„ſtanden, und hiemit doch wenigſtens in der Schweiz, wo 
„bisher noch keine zuverlaͤßige Spuren von vulkaniſchen 
„Produkten *) angetroffen worden, ein ausgebrannter Vul⸗ 
„kan zu finden ſeyn. Der Graf von Raſumofsky be 
„ ſuchte, durch einen ſchweizeriſchen Naturforfcher aufge⸗ 
„muntert, im November 1788 dieſe Gegend, ſah ſchon 
„in einem Kabinete zu Schafhauſen wahren Baſalt von 
„dem Berge Hohenſtoffel, und fand nachher in dem Hü- 
„gel von Hohentwiel viele Steinarten, welche den vulka— 
„niſchen Urſprung deſſelben fo ziemlich deutlich (2) zu bes 
„weiſen fchienen. — Herr Fleurian von Bellevue, wel 
„cher in der Geſellſchaft des Herrn Dolomieu lezthin 
„ weitlaͤuſtige Reifen durch die vulkaniſchen Gegenden von 
„Italien und Sizilien gemacht, und zuverlaͤßige (?) Kennt: 


- niße von dergleichen Gegenſtaͤnden zu ſammeln die beßten 


„Gelegenheiten gehabt, beſuchte dieſen Sommer auch vcre 


» ſchiedene, auf den ſchwaͤbiſchen Grenzen ſtehende Hügel, 


ver. 8. Fünf Verſuche“ von dieſen ſogenannten Vulkanen 
redet, iſt mir unbekannt, da ich dieſes Werk nicht beſitze. 

*) Dief heißt wohl hier nicht mehr und nicht weniger, als daß 
man dort ſeither noch keinen Baſalt angetroffen habe. (An⸗ 
merk, der Herausgeber des Bergm. Journ.) 


314 


„als Hohenſtoffeln, Hohenheuen, Ueberberg, Hohenkraͤ⸗ 
„hen, Hohentwiel ꝛc. und hat an allen deutliche Spuren 
„eines vulkaniſchen Urſprungs bemerkt.“) Dieſe fünf Hü 
„ gel liegen in einem zwey Stunden breiten und anderthalb 
„Stunden langen Diſtrikte. Hohenſtoffein, Hohenheuen⸗ 
„und Hohentwiel find die hoͤchſten unter denſelben, etwa 
»309 Klafter über den Rhein erhaben, von kegelfoͤrmiger 
„Geſtalt und iſolirt; die andern, etwas niedriger, ſteigen 
„unter gleicher Geſtalt aus einem hohen Hügel von abge⸗ 
„rundeten Geſchieben empor ); alle find zu oberſt ſenk⸗ 
„recht abgeſchnitten. Man bemerkt an denſelben weder 
„Verglaſungen noch friſche Schlacke; keiner hat etwas Kras 
„ter- ähnliches auch in ihren Zwiſchenraͤumen it nichts 
„dergleichen anzutreffen. Nur auf Hohenheuen erkennt man 
„noch die Geſtalt der alten Lavaſtroͤme T), und zwar am 
„der Stelle, wo der Hügel vor 20 Jahren eingeſtuͤrzt iſt, 
„und wo die Lapen mit Lagen von vulkaniſchen Breccien 
) Daf fich dieſes nur nicht etwa auf aͤbnliche Beobachtungen 
gruͤndet, dergleichen im Bergmänniſchen Journ. 1788. Band 2, 
Seite 906. angefuͤhrt werden. (Anmerk. der Herausgeber 
des Bergm. Journ.) 
) Wahrſcheinlich ig der Baſalt darauf aufgeſezt. (Anmerk. 
wie oben.) 
+) Woran erkennt man es doch, daß es Lavaſtroͤme find? Es 
waͤre ſehr zu wuͤnſchen, daß die Herren Vulkaniſten, die ſo 
viel von alten Lavaſtröͤmen ſprechen, uns einmal zeigten, 
was dieſelben Karakteriſtiſches haben, und wodurch fie fel» 
bige von andern Gebirgsſchichten zu unterſcheiden im Stande 
ſind. Es ſteht zu befuͤrchten, daß es den meiſten damit ſo 
gehen mag, wie Herrn Faujas de St. Fond, der das 
Bette eines kleinen Fluͤßchens, welches die Lager eines Bafalte 
bergs entblost hatte, für einen alten Lavaſtrom anſah. Siehe 
obige Note. 


315 


„abwechſeln. Die Kalkſpaͤthe unb ſehr ſchoͤnen Zeolithe 
„von verſchiedenen Farben, welche fid) durch das Durchs 
» fintern des Waſſers in den hieſigen Laven (Baſalten) und 
„den Kluͤften derſelben angeſezt haben; die vielen Anhaͤu⸗ 
„fungen von abgerundeten Geſchieben, und die bier herum 
„allgemein herrſchende Unordnung im Innern der Erde 
„ſcheinen deutlich genug zu zeigen, daß dieſe Vulkane 
„(Baſaltberge) unter dem Ocean gebildet worden, und 
„nachher ſehr große Veraͤnderungen haben ausſtehen muͤſ— 
„ſen. 

Man bemerkt ſchon aus den Fragzeichen, eingeklam⸗ 
merten Woͤrtern und den Anmerkungen der Herausgeber 
des Bergmaͤnniſchen Journals, daß ſie an der Vulkanitaͤt 
dieſer Huͤgel zweifeln. So gieng es auch dem verewigten 
Widenmann, der ſie beſuchte, und im ſechsten Jahr— 
gang des Journals, rfen Band, Seite 96 in einem Briefe 
ſagt: , i 

„Zur Berichtigung der Nachricht des Grafen Ra ſu⸗ 
„mofsky von Hohentwiel will ich Sie nur verfichern +, 
„daß der Felſen, auf dem die Feſtung ſteht, aus Porphyra 
„ſchiefer beſteht, der auf einigen Kluͤſten eine beſondere 
„Art von einem oraniengelben, ſternfoͤrmig auseinander 

„ laufenden Zeolithe hat. Dafür halte ich namlich dieſes 
- ^» Foſſil einſtweilen, ungeachtet es keine Gallerte mit Sal: 
y peterſaͤure giebt, vielleicht auch ein eigenes Miſchungs⸗ 


— 


*) Da man nun alfo doch genoͤthigt iff, das Waſſer bei der Ente 
ſtehung der Baſaltberge zu Huͤlfe zu nehmen, und da (id) 
alle Erſcheinungen dabei hinlaͤnglich aus den Wirkungen deſ— 
ſelben erklaͤren laſſen, wozu will man denn ganz unnoͤthiger 
Weiſe noch eine zweyte Kraft annehmen, deren Mitwirkung 
ſchlechterdings nicht zu erweiſen iſt, und mit allen dabei vor⸗ 
kommenden Erſcheinungen gänzlich im Woderſpruch ſteht ic. sc. 


816 


„verhaͤltniß hat unb alfo eine eigene Gattung ausmacht ). 
„Sie koͤnnen nun felbit urtheilen, ob die SDulfanitàt des 
„Hohentwieler-Felſen fo ausgemacht it, als der Herr 
„Graf zu glauben ſcheint. 

Mir iſt nicht bekannt, ob ſeit Widenmann jemand 
dieſe Gegend unterſucht und irgendwo beſchrieben habe “). 
Im Fruͤhling 1804 reiſete mein Freund Efcher dahin 
und ſchrieb mir nachher: „Die Hohentwieler⸗Revier lie⸗ 
ferte mir nicht ein einziges Datum fuͤr die Vulkanitaͤt, 
aber viele für den naßen Weg. „Auch unter der ausge 
ſuchten Sammlung daſiger Produkte, womit er mich be⸗ 
ſchenkt hat, fand ich wohl Baſalte, die mit Laven vom 
Veſuv, deren ich eine febr ſtarke Sammlung fo wie vom 
Aetna beſitze, eine taͤuſchende Aehnlichkeit haben; Porphir⸗ 
ſchiefer, die Laven vom Aetna beim flüchtigen Ueberblick 
ſehr gleich ſehen; Traß, Baſaltiſcher Traß und Baſalt⸗ 
breccie, deren Pendant ich genug unter meinen aͤchtvulka⸗ 
niſchen Produkten antreffe. Doch muß ich bekennen, daß 
ich ſeit meiner genauen Bekanntſchaft mit den Produkten 
der Floͤztrapp⸗Formation keinen Augenblick anſtehe, nach 
meiner freylich nichts bedeutenden Meynung, jene Stein⸗ 
arten aus dem Hegaͤu, unter welchen ſich auch Mandel⸗ 


*) Seit der Analiſe des beruͤhmten Klaproth wird dieſes Soffil 
Natrolith genannt, gehört aber doch nach den neueſten Mis 
neralſy temen zur Sippſchaft des Zeoliths. Siehe C. C. £ e o no 
hardi, K. F. Merz und Dr. J. Kopp Syſtematiſch ta» 
bellariſche Ueberſicht und Charakteriſtik der Mineralkoͤrper. 
Frankf. 1806. Fol. Seite 15. 

) Im vierten Bande der neuen Schriften der Geſellſchaft 
Naturforſchender Freunde in Berlin (Ito) foll fid) eine Be» 
ſchreibung dieſer merkwuͤrdigen Gegend befinden. Ich habe 
aber denſelben noch nicht erhalten koͤnnen. Da ſie von Herrn 
Bergrath Selb ik, fo wird fie gewiß ſehr inte re ant eon, 


317 


ſteine befinden, fuͤr ſolche zu erklaͤren. Eine ausfuͤhrliche 
Beſchreibung dieſer Gegend, die mich in meiner Meynung 
noch mehre beſtaͤrkt hat, hat uns Herr von Manuel im 
erten Theil der Denkſchriften der vaterlaͤndiſchen Gefell- 
ſchaft der Kere und Naturforſcher Schwabens, Tuͤbin⸗ 
gen 1805. 8. Seite 266 geliefert. Ich glaube ſie reicht 
einſtweilen hin ein jedes unbefangene Urtheil über diefe Huͤ— 
gel zu beſtimmen. 

Die von Herrn Baron von Dietrich im Breisgau 
entdeckten Vulkane (ſiehe Mémoires des savans étran- 
gers Tom. X. p. 435. und Journal de physique, Sep- 
tembre 1783.), welche Herr von Saufſure als ſolche 
beſtaͤtigte (ſiehe K. W. Rofe Sammlung einiger Schrif⸗ 
ten über vulkaniſche Gegenſtaͤnde S. 1.), gehoͤren nicht 
mehr in das Gebiet der Alpen. Ich bemerke nur, daß 
man aus der Beſchreibung des leztern ſelbſt auf die Muth⸗ 
maßung gerathet, daß auch hier die Entſtehung durch Feuer 
noch nicht ſo ganz erwieſen iſt. 

Weit mehr Anzeigen ehemaliger Feuerberge, und zwar 
viel näher an der Hauptkeite, will man auf der Südfeite 
der Alpen gefunden haben. Ja man ſtellte ſich eine ganze 
Reihe erloſchener Vulkane von den Eupaneiſchen Huͤgeln 
bis an die Ufer des Lago maggiore vor, welche dem Fuße 
der Alpen parallel laufen. Wir wollen von Weſten nach 
Oſten die bis jezt bekannten angeben. 

1. Am weſtlichen Ufer des Lago maggiore bei Intra, 
am Fuße des Monte simmolo, fand der Ritter Amo⸗ 
retti Lava und Baſalt » ähnliche Steine, die ibn auf die 
Vermuthung brachten, daß daſelbſt vor Zeiten ein Vulkan 
möchte vorhanden geweren ſeyn. Ich werde am Ende dies 
fee Ueberſicht die Ueberſetzung des Aufſatzes liefern, mel» 
chen dieſer Gelehrte im 2often Theile Seite 410 der von 
ihm herausgegebenem Opuscoli scelti über dieſen Gegen: 


318 


ſtand eingeruͤckt hat. Aus demſelben wird ſich die Natur 
dieſer Steinarten am beßten kennen lernen. 

2. Zwiſchen dem oͤſtlichen Ufer des Lago maggiore und 
dem weſtlichen des Lago di Lugano, in der Mitte zwi⸗ 
ſchen den Orten Grantola und Cunardo, liegen ge⸗ 
wiße Huͤgel, welche ſchon im Jahr 1790 Herr Fleurian 
de Bellevue als erloſchene Vulkane erklaͤrte. Der Padre 
Ermenegildo Pini widerſprach ihm in ſeinem Werke 
d'alcuni Fossili singolari della Lombardia austriaca, 
Milano 1790. 8. Es entſtand auch hier ein Feuer⸗ und 
Waſſerſtreit, den aber beyde dem großen Kenner der Vul⸗ 
fane, Dolomieu, zur Entſcheidung anheimſtellten. Er 
unterſuchte die Gegend zweymal, und laut dem Rapport, 
den er dem Conseil des Mines über feine Reife ges 
macht hat, ſcheint es, daß er eher der Meynung des Herrn 
von Bellevue beipflichte ). Dieſem Streite hat aber 
der auch in Deutſchland bekannte Giufeppe Gai 
tieri durch folgende Schrift ein Ende gemacht: Confu- 
tazione della opinione di alcuni mineraloghi sulla 
volcaneità de’ monticelli collocati tra Grantola e Cu- 
nardo nel dipartimento del Lario. Milano 1807. 8. 


— M MM M — 
*) Journal No 41. Seite 391. J'ai traversé le lac majeur 
pour aller juger une question soumise depuis quelques 
années à ma decision et qui s'étoit élevée entre un ha- 
bile mindralogiste francais et un savant italien. Le P, 
Pini niait l'existetice d'un volcan éteint que Fleuriam de 
Bellevue croyoit avoir découvert au centre du groupe de 
montagnes qui occupe l'espace entre le lac Lugano et 
le lac majeur. L'examen des circonstances locales m'a 
presque laissé dans la méme indécision ou m'avaient mie 
les écrits des deux contendans ; et quoique quelques rai- 
sons (formes plutót par la difficulté d'expliquer, autre- 
ment que par l'action des volcans, la situation singu- 


€ 318 


Ich werde eine Ueberſetzung davon mit Auslaſſung aller 
uͤberflͤßigen Nebenſachen liefern. 

3. Herr Lamanon hatte geglaubt in den Gebirgen 
unweit Lugano Laven angetroffen zu haben. Es zeigte 
ſich aber hernach, daß es Trapp (2) geweſen war. (Siehe 
Etrennes de tout age pour 1790.) 

4. Schon in ſeinem 1782 herausgegebenen Werke: 
Sulla storia naturale della provincia Bergamasca hatte 
Herr Giovanni Mairone das Daſeyn vulkaniſcher Ue⸗ 
berbleibſel in der Valle Seriana und zwar (Seite 41) 
in dem Thaͤlchen des Piano di Gandino und (Seite 
51) in der Val Bondione behauptet. Im Jahr 1791 
aber machte er im raten Theile der Opuscoli scelti Seite 
217 eine vulkaniſche Erde bekannt, die man zu Albino, 
einem Marktflecken in der Val Seriana findet, die bas 
ſelbſt Lavezzara genannt, wie bie Puzzolane in Nies 
der⸗Italien und der Traß in Deutſchland und Holland 
zu Mauern unter dem Waſſer gebraucht wird. Man koͤnnte 
ſie, ſagte er, eine thonartige Puzzolane nennen; ſie iſt von 
graugelblicher Farbe, ziemlich zuſammenhaͤngend, aber er⸗ 
big und bruͤchig; enthaͤlt zerreiblichen vulkaniſchen Kryſo⸗ 


— MÀ 


liere de certaines substances et leur aspect equivoque, 
que par des caractères vraiment distinctifs) me fassent 
croire que la balance doit pencher en faveur du francais, 

. je n'oserois prononcer un jugement formel, tant est di- 
ficile la décision de quelques problémes géologiques, 
quoique tout ce qui les concerne soit circonscrit dans 
un petit espace; tant les produits de l'eau ont quelques- 
fois de rapports avec ceux modifiés par les agens volca- 
niques; tant sont mysterieux et equivoques les procédés 
employés par la nature pour la constitution de certaines 
eontrées; et tant enfin sent variés les effets de ses opi- 
Tations successive, 


320 


lith (Olivin? J und dann und wann einen kleinen Schoͤrl⸗ 
kriſtall (Hornblende?). Sie if febr der dritten Abaͤnde⸗ 
rung der Pouzzolane aͤhnlich, welche Faujas de St. 
Fond im ıgten Kapitel feiner Mineralogie der Vulkane 
anfuͤhrt. 


„Gegenüber von Albino, wo (id) die Val Seriana 


„ zu einem ſchoͤnen fruchtbaren Buſen erweitert, der um und 
„um mit hohen (teilen Bergen umkraͤnzt ift, befindet ſich 
„jenſeits des Fluges Ser io der ſogenannte Hügel di Val⸗ 
„alta. Er enthält verſchiedene kleine Ebenen und einige 
„Einſenkungen, die vulkaniſchen Kratern vollkommen aͤhn⸗ 
„lich ſind. Dieſe Vertiefungen engen ſich in unterirdiſche 
„Gallerien zu, deren Muͤndungen mit groben Geſchieben vers 
» flopft ſind, das von den Umgebungen heruntergerollt ift; 
„und deren eine Menge unter der vegerabilifchen Oberfaͤ⸗ 
„che dieſer Gegend vorhanden ſind. Sie beſtehen aus Gra⸗ 
„nit, Vorfirit, Quarz, Spat und febr groben Kalkſtein⸗ 
„fen, und tragen unverkennbare Zeichen an fid) vom 
„Feuer veraͤndert worden zu ſeyn. Nicht weit davon he⸗ 
„finden ſich einige Thaͤlchen, deren Bildung den Verdacht 
„erregen, erloſchene Feuerberge geweſen zu ſeyn. Die her» 
„abſtuͤrzenden Waſſer und eine der großen Revolutionen, 
„deren unfer Erdball fo manche erfahren hat, zerſtoͤrten 
„ dieſe Krater, und durch die Lange der Zeit wurden dieſe 
„Verwuͤſtungen wieder mit vegetabiliſcher Erde bedeckt. 
„Hier ift es, wo man einige Fuß tief unter der Oberfaaͤ⸗ 
„che unſere vulkaniſche Erde findet, welche nicht felten 
„ von Lagen eines gemeinen Thons begleitet wird. Weit 
„ haͤuſiger aber ift fie mit Granit, Quarz, Porſirit, Sco» 
„lith? und Hornſteingeſchieben vermiſcht. Auch triſt man 
„ kleine Schoͤrlkriſtalle, calcinirten Tufſtein und vitrioliſche 
„Steine darin an.“ 5 

Ich folge dem Verfaſſer nicht weiter in ſeinen Vermn⸗ 


d 


321 


thungen, wo und wie ein Vulkan gewirkt habe, und ob 
der Berg Tinello auch ein ſolcher geweſen. Ich habe 
genug geſagt um den Wunſch zu erregen, daß ein aͤchter 
Mineraloge und Geognoſt dieſe Gegend beſuchen und uns 
eine genaue Beſchreibung davon geben moͤge. 


5. Der Graf Gaetano Maggi ſoll auch auf dem 
Breſcianiſchen Ueberreſte erloſchener Vulkane gefunden Has 
ben. Ich erwarte noch die beſtimmteren Nachrichten date 
uͤber und werde ſie zu ſeiner Zeit mittheilen. 


6. Auf dem wegen ſeinen ſeltenen Pflanzen beruͤhmten 
Monte Baldo hatte der Canonicus Volta ſchon vor 
20 Jahren Spuren vulkaniſcher Produkte angetroffen. Er 
hat davon im 12ten Theil der Opuscoli scelti Seite 35 
geſprochen. Der wegen ſeinen mineralogiſchen Kenntnißen 
berühmte Johann Arduini ſagt von dieſen Ueberbleib— 
ſeln im sten Theile der Schriften der Italieniſchen Socie⸗ 
taͤt Seite 104 in einer Abhandlung „Ueber die Anzeigen 
ſehr alter Vulkane in den Vicentiniſchen, Veroneſiſchen 
und Trentiniſchen Alpen“ Folgendes: „Der Monte Bal⸗ 
„do, welcher zwiſchen der Etſch und dem Gardaſee liegt, 
„weiſet dergleichen Spuren an verſchiedenen Orten auf, 
„und zwar in der Nachbarſchaft von Corona und von 


„Ferrara, und auf dem Berge i Zochi genannt; fo 


„auch auf demjenigen, der le Acque negre benannt 
„it, und auf deſſelben hoͤchſten Spitze, Montemag⸗ 
„giore betitelt, und zwar in einer weitläufigen Vertie⸗ 
„fung, die ein vulkaniſcher Krater zu ſeyn ſcheint, auf 


„der Weſtſeite dieſer Spitze und gegen den See abhängig. 


„Auf den ſteilen Klippen des naͤmlichen Berges, welche 

„ſich über der ſchmalen Ebene von Malſeſine erheben, 

„längs einem febr abſchuͤßigen Schlunde, fand ich einen 

„langen Spalt voller vulkaniſcher Mineralien, Sie liegen 
Zr By. tA 


322 


„auch am Fuße jener Klippen in großer Menge, ſind ſehr 
„ſchwarz und febr hart.“ 

Etwas deutlicher als dieſe aͤußerſt oberflächlichen und 
unbeſtimmten Angaben, aber fuͤr den Geognoſten eben ſo 
unbefriedigend, ſind die Rachrichten, welche uns der Graf 
von Sternberg in feiner Reife durch Tyrol in die oͤſterrei— 
chiſchen Provinzen Italiens im Fruͤhjahr 1804. Regens⸗ 
burg. 1806, 4. *) mittheilt. Schon dei St. Bilio, 
ziemlich weit unten am linken Ufer des Sees, welches ganz 
als Fuß des Monte Baldo angeſehen wird, ſah er 
(S. 111) concentriſche Lavakugeln, fo wie ſie auf den 
Eugancen vorkommen, und Stuͤcke von Baſalt, die ihm 
als Fuͤndlinge aufſtießen, und deren Daſeyn auf dieſen Ge» 
loſſen von Kalkfloͤzgebirgen ihm febr auffallend ſchien. Dies 
ſes Raͤthſel hat ſich ihm aber in der Folge ganz beſtimmt 
aufgeklaͤrt (S. 113). „Auf der Grenzſcheidung des italie⸗ 
„ niſchen und (vormals) oͤſterreichiſchen Gebiets gieng ich 
„(ſagt der Verfaſſer) per le Scalette einen Pfad, der eis 
„ner Treppe aͤynlich iſt, herab in das Thal, wo die Berg⸗ 
„werke der Gruͤnerde, bekannt unter dem Namen Verone⸗ 
„fer -Grin, (id) befinden. Ich hatte kaum die Halfte der 
„Treppe zuruͤckgelegt, ſo zeigten ſich anfangs einzelne Stuͤcke 
„von vierkantigem Baſalt und Baſaltkugeln mit vielen 
„glaͤnzenden Stellen im Bruch. Etwas tiefer ſchiebt ſich 
„an die groͤßere Kalkfelſenmaſſe ein niedriges Gebirge an, 
„welches ganz vulkaniſcher Bildung zu ſeyn ſcheinet. Das 
„Thal wird von einem kleinen Bach getrennt, und zu beis 
„den Seiten, ſowohl unter dem Berg Triſpina als i Pia⸗ 
sheti, ſtreichen die Adern der Grünerde, — Der Berg 
„beſteht durchgehends aus poroͤſem, baſaltartigem Mans 


*) Siehe etwas mehr von dieſem Werke in der Litteratur bie» 
fes Bands der Alpina, 


323 


„ delſtein, von graulich ſchwaͤrzlicher, oft dunkler, beinahe 
»ſchwarzer Farbe u. f. m. *) — Nach Herrn Faujas 
„de St. Fond neuer Klaſſifikation der vulkaniſchen Pros 
„dukte wuͤrde alſo der Berg, in welchem die Gruͤnerde 
„gefunden wird, in die dritte Klaſſe, zweite Abtheilung, 
» fünfte Art, mandelſteinartige Laven mit Kuͤgelchen von 
„Kalk ſpath (Laves amygdaloides avec des Globules 
„de Spath calcaire) gehören. 
„Als ich aus dem Stollen wieder herauskam und un⸗ 
» ter dem aufgehaͤuften Berg auch mehrere Kugeln fand, 
„welche beym Zerſchlagen unter den obern concentriſchen 
» Ringen in der Mitte viele glaͤnzende Theile zeigten, fo 
„erinnerte ich mich der aͤhnlichen Wiigeln die ich an der 
» jenſeitigen Wurzel des Baldo bei St. Bilio gefuns 
„den hatte; ich nahm mir daher vor, den vulkaniſchen 
„Spuren nachzugehen und verfolgte ſie durch mehrere Thaͤ— 
„ler, bis ich fie unter Trümmern eingeſtürzter Kalkſoſe 
„verlor. Als ich bei der Boite, (ſo nennt man hier zu 
„Land die von Baumaͤſten zufammengeflochtenen großen, 
„aber ziemlich ſchlechten Alpenhuͤtten) hervorkam, fab ich 
„an dem ſchroffen nackten Kalkfelſen eine runde, mit duns 
» kelbrauner Erde bedeckte Bergkuppe angelehnt; ich kroch 
uv in einen Waſſerriß, der aus ihr hervorkam, und fand fos 
v gleich den vierkantigen Baſalt und alle vulkaniſche Spu⸗ 
„ren wieder, die ich in dem tiefern Thale verlaſſen hatte. 
„Von der Boite gieng ich über einen ſchmalen Felsruͤ— 
„cken, welcher le Canalette von einem zweyten Thale 
„am Fuße des Altiſſimo trennet. So wie ich in die⸗ 


) Da ich die febr intereſſanten Nachrichten des Herrn Grafen 

von dieſer Gruͤnerde in der Alpina ganz mittheilen werde, 
fo hebe ich hier nur aus, was unmittelbar zu meinem Zwecke 
dient. : 


> 


324 


»ft8 Thal trat, faf ich auch wieder ſchwarzes Geſtein, 
„das ich bald für Baſalt erkannte. Als ich vom Altif 
»fimo aus, der 6324 Fuß hoch ift, die Gegend um € az 
„nelette, wo ich herkam, beſah, fo entdeckte ich, daß 
„die beiden Thaler, welche jezt durch einen ſchmalen Berg⸗ 
„rücen getrennt find, einſt ein einziges hoͤheres rundes 
„Thal gebildet haben mochten, welches mit der gewoͤhn— 
„lichen Form eines Kraters viele Aehnlichkeit hat. Da 
„ id) an den ienfeitigen Wurzeln des Bal do ebenfalls Stan? 
„genbaſalte und Baſaltkugeln angetroffen; ſo iſt zu ver— 
„muthen, daß durch irgend ein Thal, deren unzaͤhlige dieſe 
„lange Gebirgskette theilen, ein aͤhnlicher Baſaltſtrom irs 
„gendwo herunterg allein da er vielleicht mit einge⸗ 
„ ſtuͤrzten Kalkmaſſen uͤberdeckt ift, fo gluͤckte es mir nicht, 
„ihn zu finden, ſo einſig ich auch nachgeforſcht habe. — 
„Als ich eine der hoͤhern Bergſpitzen, Cima delle Fes 
„neſtre erreichte, fo veraͤnderte der Kalktſtein feine einfoͤr— 
„mige Geſtalt, und da ich einige Stücke abgeſchlagen und 
„näher unter ſucht hatte, fo fand ich, daß dieſe ganze Spitze 
„des Berges aus lauter kleinen, ganz gleichfaͤrmigen Mus 
„ſcheln eines Geſchlechts beſtand. Ich nahm ſogleich die 
„Baro meterhoͤhe und fand fie 6650 Pariſer-Fuß. Als die 
„Cima delle Feneſtre noch unter den Wogen ruhte, 
„konnten freylich in den Euganeen, in den Vicentiner- 
» unb Veroneſer-Gebirgen, alle Canelette und in dem 
„Thal, wo das Veroneſer-Gruͤn bricht, nur Ausbruͤche 
„der Vulkane unter dem Meere ſtatt haben. Es mußten 
„daher nach der Meynung der neuern Vulkaniſten in Frant- 
„ reich fich blos Baſalte bilden. Durch diefe Ausbruͤche ente 
„fanden aber große Aushoͤhlungen in den Tiefen der Erde, 
„aus welchen die Vulkane ihre Materialien hergenommen 
„hatten, welche bei zufaͤlligem Eindringen des Waſſers 
u durch die Ausdehnung der Waſſerduͤnſte Einbrüche und 


325 


»Einftürze zur Folge haben mußten. Nothwendig mußten 
» ſodann die Waſſer nachſtuͤrzen und die hoͤhern Bergſpitzen 
„die atmosphaͤriſche Luft erreichen. Die Kalkberge trock— 
„neten ab und wurden durch Verwitterung fuͤr Vegetation 
„empfaͤnglich; und die Vulkane, welche unter dem Meere 
„Baſalt bildeten, erzeugten in Beruͤhrung mit der atmos— 
„ phaͤriſchen Luft, welche die Schmelzung beguͤnſtigt, La⸗ 
„ven aller Art.” 

7. 8. 9. 10. Die veronefifchen Gebirge, die Monti 
Berici, die vicentiniſchen und bie euganeiſchen Hügel fols 
len häufige Spuren erloſchener Vulkane enthalten. In 
dieſer Ruͤckſicht find fie aus den Schriften Strange's, 
Arduini, Ferbers, Fortis, fo wie vieler Auffäge im 
Giornale d'Italia genugſam bekannt. Auch der oben be— i 
nannte Herr Graf von Sternberg hat alle dieſe Gegens 
den beſucht und in denſelben Bafalte und Laven gefunden. 
Mir iſt aber unbekannt, ob je ein Mineralog aus der Wer— 
neriſchen Schule eben dieſe Gebirge genau unterſucht und 
geognoſtiſch beſchrieben hat). Bis dahin begnüge ich mir, 
ſie nur als ſolche anzufuͤhren, in welchen Produkte der 
Trappformation unſtreitig angetroffen werden. 

ir. Nach Arduini trift man auch in den tridentini— 
ſchen Alpen Spuren ſehr alter Vulkane an. Er ſagt in der 
oben angefuͤhrten Abhandlung: 

»In den tridentiniſchen Alpen, die an die unfrigen. 
» ſtoßen, fehlt es auch nicht an Anzeigen fehe alter Vulkane. 
„Ich habe dergleichen neben der Etſch in der Nachbar— 


*) Herr Arduini ſpricht wohl im angeführten Aufſatze von 
einem berühmten auslaͤndiſchen Mineralogen, der alle diefe 
ſogenannten vulkaniſchen Gegenden durchreiſet, aber gar nichts 
Vulkaniſches wollte gefunden haben, allein er. nennt ihn: 
nicht. t 


$26 

»fdjaft von Ffiera geſehen, fo wie in den Gebirgen bite 
„ fer Gerichtsbarkeit auf der rechten Seite des Flußes. So 
„giebt es auch dergleichen auf dem Berge von Lavaro— 
„ne, auf welchem die Bergwaſſer Aftico, der in das bis 
» centiniſche lauft, und Centa, die fich mit der Brent a 
„ bereinigt, entſpringen.“ 


12. Doch noch weit naͤher be Hauptkette der Alpen, 


bei Trento ſelbſt, glaubte man alte Vulkane zu beſitzen. 
Von Buch ſagt in ſeinen geognoſtiſchen Beobachtungen 
Seite 305: 

» Zwifchen den vielen Landhaͤuſern, die hier (bei Trens 
„to) auf der Höhe den Abhang bedecken, liegen an mehs 
„tern Orten, fogar in der Nähe der linſenfoͤrmigen Vers 
„ ſteinerungen, ganz kleine zur Trappformation gehörige 
„Lager. Kaum kann man die Mafe Fels nennen, denn 
„ ſie erhebt fich nur wenig, und ihre Erſtreckung it auf 
v» wenige Fuß beſchraͤnkt. Gewöhnlich eine roͤthlich-braune 
» Wade mit kleinen Mandeln von Kalkſpath, oder Was 
„ ckenſtuͤcke, die Kalkſpath verbindet. Ich wage es nicht, 
»ein Urtheil uͤber Entſtehung dieſer Maſſen zu faͤllen — 
„Vtelleicht gehoͤrt auch dieſe unter die vielen Geheimniße, 
„welche über die Trappformation in fo reichlichem Maße 
s verbreitet find. Alle Lager, die ich hier fab, ruhten of 
„ fenbar auf dem Kalkſtein, waren von ihm aber niemals 
„ umfchloffen. Hoͤher hinauf und weiter gegen Pergine 
„ hin follen ähnliche Lager ausgedehnter auf den Höhen der 
„Kalkberge liegen. Herr Sall Armi zeigte mir einen, 
„etwas ſteiler als die umgebenden (id) erhebenden Berg, 
„den man wegen den Dort fich findenden baſaltiſchen Pros 
„ dukten für vulkaniſch hielt.“ 

13. Ich erinnere mich, irgendwo geleſen zu haben, daß 
ſogar die Gegend um Faſſa und das Groͤdenthal, welche 
zwiſchen der Hauptkette der Alpen und der hohen Kalk⸗ 


P 


327 


ſtein⸗Nebenkette ſuͤdlich vom Puſterthale liegen, Anzeigen 
vulkaniſcher Produkte enthalten. Wenn ſchon Arduini in 
der mehrmals angefuͤhrten Abhandlung behauptet, daß die 
Wirkungen der unterirdiſchen Feuer fid) auch auf den höch» 
ſten Bergen, ja in den Alpen ſelbſt geaͤuſſert haben; fo fiel 
mir jene Nachricht doch ſehr auf. In dem intereſſanten 
Schreiben des Herrn Alois Pfaundlers von Sterns 
feld über die merkwürdige Gegend von Faſſa im Tirol 
(ſiehe von Molls Annalen der Berg- und Huͤttenkunde, 
ter Band Seite 161) fand ich Aufſchluß, was für vul— 
kaniſche Produkte daſelbſt gefunden wuͤrden. Er meldet 
Seite 166: 
„In einer Entfernung von ein er halben Stunde, naͤm— 
v lich bey ber Mühle Cota, geht das in dieſer Gegend 
v fbr zerkluͤftete, und meit nir aus zuſammengerollten 
„ Bruchſtuͤcken beſtehende Floͤzgebirge in Wade über. — Der 
„Uebergang it dort, obſchon Dammerde und Waldung 
„ bieles bedeckten, dennoch ganz deutlich, und man ficbt 
„hier und da, daß der Grund des Wackengebirgs auf 
» Floͤzkalkbruchſtuͤcken aufſizt, daß diefe Bruchſtuͤcke je Dos 
her, je kleiner und abgerundeter erſcheinen, und daß in 
„dem naͤmlichen Verhaͤltniße auch die thonige oder mer» 
„ gelartige Bindungsmaſſe fid) vermehre und endlich in 
„ Wacke uͤbergehe. Es kann hier nicht mehr zweifelhaft 
„bleiben, daß die Wade auf mergelartigen Kalkfloͤzen aufa 
» ſitze; daß fie ſelbſt daraus entſtanden, und daß dieſe Ent— 
s» ſtehung und Bildung nach den gewöhnlichen Geſetzen der 
„Schwere durch einen Niederſchlag erfolgt fey. Uebrigens 
z zeigt dieſes Wackengebirge ſelbſt hier gar keine Floͤzar⸗ 
tigkeit, und geht höher im Gebirge (wie ich auf einer 
5 frühern Reife beobachtet hatte) in wahren Mandelftein- 
do über, welcher außer baſaltiſcher Hornblende, Kalkſpath⸗ 
„und Zeolithkuͤgelchen, auch hier und da Kalkſteinſtuͤckchen 
v kingeſchloſſen hat.“ 


328 


„Dieſe Wacke zieht ſich links des Baches bis gegen Ab» | 
„tei zu. Eine Viertelſtunde von der Mühle wird die Wade 
„ganz ſchwarz und dicht und ſcheint in Baſalt uͤberzuge⸗ 
„hen. Da aber der Berg oder vielmehr die einzige ſicht— 
„bare ſteile Bergwand dort ganz vom Bache beſpuͤlt iſt, 
„und fid) der Weg über eine Brücke bergan rechts wens 
„det, ſo iſt es beinahe unmoͤglich, dieſes Gebirge, das 
„übrigens wegen feiner ſteilen Höhe von beilaͤuſig 300 Klaf⸗ 
„tern, und wegen feiner ſchwarzen Farbe einen fürchterlich“ 
»fchönen Anblick gewährt, naͤher zu beurtheilen. — Nur 
„fo viel lågt fid) von der Gegenſeite jenſeits des Baches 
„deutlich ſehen, daß es hier und da auf einem ſchmalla— 
„gigen, beinahe ſenkrecht ſtehenden Floͤze (welches vermuth⸗ 
„lich falé- und mergelartig it) aufſitze, daß hierauf zu⸗ 
„ſammengekuͤttete Kalkſteine ruhen, die fid) höher bald bere 
„lieren, und dann das Gebirge ſelbſt dicht und gleichfoͤrmig 
„zu werden anfange. 

„Der Weg, welcher dieſem Berge gegenuͤber lauft, iſt 
„anfangs, an der Bruͤcke, und eine kleine Strecke weiter 
„hin ganz über ſchwarze thonige Erde gebahnt. Ein tie 
„fer Graben, der rechts dieſer Bruͤcke ſich hoch vom Ge⸗ 
„birge herabzieht, beſteht ganz aus dieſer ſchwarzen Erde, 
„die gay aus zermalmter Wade, Baſalt, Mandelſtein 
„und Sandſteingeſchieben entſtanden zu ſeyn ſcheint. Diez 
„fer Umſtand läßt diefe Gebirge oder vielmehr Bruchſtuͤcke 
„dieſer zerſtoͤrten Gebirgsarten noch weiter gegen Welten 
„hin vermuthen. Indeſſen ſieht man ſchon 300 Schritte 
„weiter längs des Weges nicht eine Spur von dieſen Ge⸗ 
„birgsarten mehr, und die Gebirge rechts bis Calfosgo 
„find Kalkfelſen ohne Verſteinerungen, und auch bei denen, 
„die hoͤher liegen, kann man keine Reigung zur Floͤzform, 
„hoͤchſtens zur Wuͤrfelform in großer Maffe beobachten. 

„Links dagegen zeigen (id) bis Abtei noch immer Ueber⸗ 


329 


„bleibfel von Wacke⸗ und Mandelfteingebirgen , die auf 
„Kalkſteinfloͤzen aufzuſitzen ſcheinen. Hinter Abtei aber ragt 
„nun ein Theil jener hohen Kalkgebirge furchtbar empor, 
„die ſich nach Buchenſtein, Faſſa und Ampeſſo und 
„von da ins Venezianiſche und Kaͤrnthen ziehen. Sie ſchei⸗ 
„nen ganz aus Urkalkſtein zu beſtehen. 

„Ich komme wieder auf den Weg nach Corfara zu— 
»tüd. Eine Stunde bevor man dieſen Ort erreicht, erz 
„blickt man links jenſeits des Bachs einen Kalkberg, der 
„ nicht floͤzartig zu ſeyn ſcheint. Sezt man über den Bach 
„auf der dahin führenden Bruͤcke, fo findet man (id) über 
„raſcht auf dem Kalkgebirge baſaltartige Wade aufſitzen 
„oder vielmehr angelehnt zu ſehen. Dieſe Wade hat durchs, 
„aus nichts Floͤzartiges; und bildet gegen Corfara zu 
„das ganze Gebirge, das ſich gegen Buchenſtein hin in 
„ ſanften Hügeln erſtreckt. — Man kann von dieſem, zwar 
„nicht ſehr hohen Berge ſagen, daß eine Haͤlfte gegen Suͤ— 
„den aus Baſalt und Wacke, die andere gegen Norden aus 
„Kalkgebirge beſtehe. — Was fich vom erſtern nad) Bus 

„chenſtein zieht, wird von den ringsum emporragenden 
„Kalkfelſen verdeckt und abgeſchnitten. 

„Auf dem Alpwege nach Gröden bei Calfuſchg fab 
„ich etwas vom Wege ſeitwaͤrts ein kleines iſolirtes Hi- 
„geſchen von Mandelſtein, das allem Anſchein nach nur 
„ein Ueberbleibſel von einem verſchwemmten oder verwit— 
„terten Mandelſteingebirge iſt. Es bricht Leucith' und roͤth⸗ 
„licher Zeolith, beyde ganz verwittert und zerkluͤftet, darin. 
„Wenn man die Höhe dieſes Alpenweges nach anderthalb— 
„ſtuͤndigem muͤhſamem Steigen erreicht hat, ſieht man ace 
„gen Oſt, Suͤd und Norden, ſo weit das Auge reicht, 
„nur ungeheure, kahle, ſteile, fuͤrchterliche Kalkfelſen, die 
„nur durch die Einſchnitte der Thaͤler unterbrochen wers 
„den, oder hier und da ein Wacken ⸗, Mandelſtein⸗ oder 


m. 


330 


„ Porphirbergchen in ihrem Fuße überfchatten. Der Weg 
„ bon der Alp Ferrara nach Plan in Gröden läuft 
„ ſehr ſteil abwaͤrts, und fo wie man (id) dieſem Orte naͤ⸗ 
s» bett, ſieht man links und rechts kleine Hügel von Wade 
„und Mandelſtein, die oft in einander ganz übergehen. 

„Auch von Plan nach Faſſa lauft der Weg uͤber 
„ die hohe Alp Schabatzes zwiſchen ungeheuren Kalkfel⸗ 
„sen. So wie man dieſe Alp von Plan aus hinanſteigt, 
» zeigen fid) gleich anfangs kleine Mandelſteinhuͤgel und 
„ wackenartige Geſchiebe auf dem Wege umher. Eine halbe 
„Stunde von Plan rechts vom Wege, ſeitwaͤrts, findet 
„man einen etwas beträchtlichen Mandelſteinhuͤgel, wo 
3 ſchoͤner röthlich weißer Zeolith auch etwas Lencith cine 
„brechen. Die ganze Alpe Schabatzes iff bis oben ganz 
„mit Grasboden bedeckt, indeſſen lafen die hervorragen⸗ 
„den Mandelſtein- und Wackehuͤgelchen, fo wie die ſchwarze 
„körnige, thonige Dammerde ſchließen, daß die ganze Flå» 
„che, welche von den Kalkfelſen auf beiden Seiten begraͤnzt 
sit, oder vielmehr die Ausfuͤllung dieſes Alpenthales aus 
„Wacke und Mandelſtein und deren Truͤmmern beſtehe. 

„Von der Hoͤhe dieſer Alpe geht es anfangs ſanft und 
„dann ſehr ſteil uͤber Kalkgebirge (worauf nur hoch oben 
„noch ein Mandelſteinbuͤgelchen, tiefer aber nichts mehr 
„davon zum Vorſchein kommt) gegen Campidel di 
5 Faſſa abwaͤrts; dieſer Ort (heint mit Plan in Grós 
„den in gleicher Tiefe zu liegen. Auf dem Wege von 
„Campidell nad) Mazin, Pera und Vigo ift das 
„eben nicht febr hohe Gebirge rechts und links Baſalt⸗, 
„Wacke⸗, Mandelſtein⸗ und Porphirartiges Geſtein mit al» 
„len feinen wechſelſeitigen Uebergaͤngen von kegelfoͤrmigen 
„Kuppen. Was hier und in der Gerne über diefe Berge 
„höher hinausragt, it Kalkgebirge. 

» In dieſen Mandelſtein⸗ und Porphirartigen Gebirgen, 


f 331 


„die der Thalbewohner zum Unterſchied der Kalkgebirge 
„ſchwarze Steine nennt, und die beſonders in betraͤchtli— 
„cher Hoͤhe und nahe bey den Kuppen ſehr poros ſind, 
„finden (id) mehr und weniger Prehnithe, Zeolithe, Kalk⸗ 
„und Quarzdruſen, Calzedone und Agate. Dieſe Stein⸗ 


„gattungen finden (id) allerwaͤrts, wo fid) jene Mandel⸗ 


„ſteingebirge von Faffa aus hinziehen“ ). 

Ich hoffe, meine Leſer werden es mir nicht uͤbel neh— 
men, daß ich dieſen Brief beinahe woͤrtlich eingeruͤckt habe. 
Er verbreitet zu viel Licht uͤber das Vorkommen der von 
andern als vulkaniſche Produkte angeſehenen Steinarten, 
um hier nicht am rechten Orte zu ſtehen. 

Ob weiter gegen Oſten innert dem Gebiete der Alpen 
vermeintliche Ueberreſte feuerſpeyender Berge ſind gefunden 
worden, iſt mir nicht bekannt. 

Von den in dieſer Einleitung angeführten und noch nicht 
genugſam bekannten, für vulkaniſch gehaltenen Gegenden, 
genauere Nachrichten nach und nach mitzutheilen, iſt meine 
Abſicht, und erſt dann, wenn wir naͤhere Kenntniß von 
denſelben erlangt haben, wird es vielleicht moͤglich ſeyn, 
deutlichere Begriffe vom Vorkommen der Trappformation 
und von ihrem Verhalten gegen andere Formationen zu 
ekommen. 


„) Siehe auch Alpina Tom. I. S. 421. 


| 


Erſter Beitrag. 


Vom Trapp des Monte ſimmolo unweit 
Intra am Lago maggiore. 
Vom Ritter Carlo Amoretti in Mailand. 
(Siehe Opuscoli scelti, Tom. XX. Seite 410.) 


^ Ich befand mich im Anfange des Jahrs 1797 zu 
Int ra am Langenſee bei zwey großmuͤthigen Goͤnnern, und 
benuzte die durch die Aufhebung der landwirthſchaftlich- 
patriotiſchen Geſellſchaft von Mailand *) mir wider meinen 
Willen ertheilte Muße, indem ich waͤhrend den ſchoͤnen 


Wintertagen die Gebirge der Gegend, und die zwey Baͤche, 


zwiſchen welchen dieſer wohlhabende Marktflecken gebaut 
iſt, durchſuchte. Waͤhrend dem ich nach merkwuͤrdigen 
Naturprodukten forſchte, ſtießen mir im noͤrdlichen Fluß, 


Fiume di St. Giovanni genannt, ziemlich haufig 


eine Art Steine auf, die ich ihrer Farbe, ihrem Korne, ih— 
rer eckigten Bildung wegen, obgleich vom Waſſer und Hin- 
und Herrollen ziemlich ausgerundet, fuͤr Laven oder Baſalte 


hielt. Ich trug einige Stuͤcke in die damals in vollem 


Gange ſich befindende Glashuͤtte der Herren Peretti, um 
Verſuche damit machen zu laſſen, ob ſich die Steine zu 
ſchwarzem Glaſe, aus welchem Bouteillen gebildet werden 
konnten, ſchmelzen wuͤrden, falls fie wirklich Baſalt mae 
ren. Ich wußte wohl, daß man an mehrern Oertern aus 
Baſalten und Laven erloſchener Vulkane vortrefiche ſchwarze 
Bouteillen macht. 


Ich legte meine Steinſtuͤckchen auf den Rand eines 


*) Der Verfaſſer war beſtaͤndiger Seeretaͤr dieſer nuͤzlichen Ges 
fell ſchaft. 


333 


großen Schmelztiegels, in welchem das Glas ſchon geſchmol⸗ 
zen war, und in wenigen Minuten war ihre Oberſaͤche 
verglaſet. Nun wurde die Probe in einem ſehr kleinen 
Schmelztiegel gemacht, und der Oberſchmelzer der Huͤtte, 
der in ſeiner Kunſt ſonſt wohl erfahren iſt, konnte ſich nicht 
genugſam verwundern, als er diefe harten Steine fid) [o ges 
ſchwinde ungemahlen und ohne Fluß in ein dichtes glaͤnzend 
ſchwarzes Glas verwandeln ſah. 

Dieſer Verſuch beſtaͤrkte meinen Verdacht, daß dieſe 
Steine vulkaniſche Produkte ſeyn möchten, welches ich auch 
noch aus zwey andern Betrachtungen ſchloß. Erſtens aus 
der Analogie: Laͤngs dem Fuße der Alpen, ſagte ich, zieht 
fid) eine Reihe erloſchener Vulkane, die bei den Euganei⸗ 
ſchen Hügeln anfangt und durch die Beriſchen, Vicentini— 
ſchen und Veroneſiſchen fortlaͤuft. Sie ſind den Natur— 
forſchern bekannt, und der Ritter Strange, der Abs 
bate Fortis ) und andere haben fie beſchrieben und 
Abbildungen geliefert. Der Canonicus Volta hat die 
Spuren dieſer Vulkane auf dem Monte Baldo, der 
Graf Gaetano Maggi im Breſcianiſchen unb Maironi 
da Ponte *) im Bergamaskiſchen gefunden. In den 
Umgebungen des Comerſees ſind bis jezt noch keine geſe— 
hen worden, hingegen foll es, nach dem Zeugniß eines Ges 
lehrten unweit dem Luganerſee geben, und zwiſchen bits 


*) Opuscoli scelti Tom. I. p. 75. Ueberſ. in Webers mie 
neralogiſchen Beſchreibungen. Bern 1792, 8. Th. 1. S. 1. 
Fortis della valle volcanico marina di Ronca. Venezia. 
1778. 4. Am. " 

**) Opuscoli scelti. Tom. XII. ©. 35. Maggi's Abhand- 
lung id noch in Handſchrift, foll aber im zten Theil der 
Geſchichte der Rabdomanzie benuzt werden. Maironi 
in Opuscoli scelti. Tom. XIV. S. 217, Am, 


334 | T 
fem und dem langen See möchte wohl einer in Val Cut 
via geweſen ſeyn *), von welchem nun der bei Intra 
das lezte Glied der ganzen Kette vorſtellt. 

Zweytens aus einer mir gemachten Erzählung, Lord 
Briſtol, Biſchof von Londonderi, ein beruͤhmter Natur⸗ 
forſcher, war nur aus dieſem Grunde nach Intra gerei⸗ 
fet, weil er gehoͤrt hatte, daß fid) daſelbſt ein erloſchener 
Vulkan befinde. Er beſtieg die Spitze des Monte Sim» 
molo, um die Spuren zu ſuchen. Die Alten nannten 
dicen Berg Mons fummus, ein Name, den auch ans 
dere Vulkane fuͤhren. 

3. Ob Lord Briſtol dieſe Spuren gefunden, habe ich 

nicht erfahren koͤnnen. Dieſe Erzaͤhlung bewog mich aber, 
mit verſchiedenen guten Freunden dieſen ſehr hohen Berg 
zu beſteigen. Wir giengen von St. Giorgio auf St. 
Martino und auf Roncaccia, und von da kletterten 
wir nicht ohne Muͤhe auf den Gipfel. Wir ſtiegen her⸗ 
nach zur Kapelle von Nava herunter, dann wieder herauf 
auf Premeno, und indem wir nordwaͤrts von St. Sal⸗ 
vatore vorbeikamen, kehrten wir über Carzana und 
Rizzano nach Intra zuruͤck. 
PARDI” fanden zwar gar nichts Vulkaniſches, aber ſehr 
merkwuͤrdig kamen uns die großen Granitbloͤcke vor, wel 
che auf der ganzen Oberfaͤche und auf dem Kamme dies 
fes abgeſondett ſtehenden Berges zerſtreut liegen, da doch 
der Berg ſelbſt gar keinen anſtehenden Granit enthaͤlt. 

Weil fid) nun in Suͤdweſt naͤchſt dem herrlichen Buſen, 
in welchem die Borrgmeifchen Inſeln prangen, der be 
ruͤhmte Berg von Baveno erhebt, wo der Granit auf 
dem Schiefer und dieſer auf dem Thon ruht, ſo ſchloßen 


— — 


*) Viaggio ai tre Laghi. Seite 54. Siehe oben, ** vom 
Vulkan di Grantola die Rede iff. . 


— Ed 


335 


wir, bag auch vor Zeiten der Monte Cimmolo eine 
Granitdecke gehabt haben moͤge, die der Lauf der Zeiten 
oder Revolutionen zerſtoͤrt, und davon die Ueberbleibſel 
noch zuruͤckgeblieben ſind. Auch er beſteht ganz aus Gneis, 
unter welchem ſich in verſchiedenen Stellen, die die Waſſer 


aufgedeckt haben, der Thon zeiget. Der Gneis wird oͤfters 


von Quarzadern, manchmal auch von Schwefelkiesadern 
durchſchnitten; nur nahe am Fuße des Berges, den wir 
damals nicht unterſuchten, findet man die Lager der Stein⸗ 


art, von der hier die Rede it “). — — **) 


Als ich wieder auf Intra kam, beſuchte ich das La⸗ 


her dieſer, wie ich damals glaubte, vulkaniſchen Geſchiebe, 
welches am felſigen Ufer des Baches zu finden iſt, der bei 
Se laſeo durch Aushoͤhlungen des Felſens und Waſſer⸗ 
- fälle eine ſchrecklich⸗ fone Gegend bildet. 


5. Als ich aber wahrnahm, daß unter den Geſchieben 
ſelbſt viele Verſchiedenheit ſtatt hatte, ſo vermuthete ich 


auch mehrere Lager in dieſer Gegend, da Farbe, Feinheit 


des Korns und Miſchung ſo ungleich waren. Ich durch⸗ 


*) Bei einer andern Reiſe beſuchte ich den Berg Torione, der 
durch das tiefe Thal, in welchem der Fluß von St. Gio⸗ 
vanni ſtroͤmt, vom Simmolo getrennt iſt. Auch Lord 
Briſtol ſoll da geweſen ſeyn und wirklich den Vulcan ge⸗ 
funden haben, indem an einer Stelle der Berg ganz zerſtoͤrt 
ausſieht, und daſelbſt der Schnee nie liegen bleibt. Ich 

gieng über Caprezio hinauf, fand aber nichts Vulkani⸗ 
ſches, wohl aber Lager eben dieſer Geſchiebe. An dem Orte, 
wo der Schnee ſogleich wegſchmilzt, fand ich eine alte ver⸗ 
laſſene Kupferkiesader. Am. 

**) Meinem Plane getreu lafe ich alles dasjenige in meiner 
Ueberſetzung aus, was technologiſch iſt, und begnuͤge mich 
zu fagen, daß feine Verſuche, Bouteillen aus dieſem Trapp 
zu ſchmelzen, vollkommen gelungen ſind. 


336 i 


ſuchte alfo mit Aufmerkſamkeit die ganze Gegend und fand 
zu verſchiedenen Zeiten nicht wenige Lager, die beinahe alle 
ſenkrecht ſind, und ihre Richtung von Suͤdſuͤdweſt nach 
Nordnordoſt haben, beinahe an den Abhaͤngen des Mon— 
te Simmolo; einige ausgenommen, die ich auch in ana 
dern Gegenden antraf, wie ich hernach erzaͤhlen werde. 
Hier folgt die Anzeige der Lagerſtellen und die merkwuͤr— 
dig ſten äußern Eigenſchaften dieſer Geſchiebe. 

A. Zwiſchen der Bruͤcke zu Pozzaccio unb Na- 
mello: Das Lager ſezt uͤber den Fluß und iſt 15 — 20 
Fuß breit. Die Geſchiebe brechen in keilfoͤrmige und in 
rhombenartige Stuͤcke; das Korn ift fein, die Farbe afıh> 
farbig; dringt unregelmaͤßig durch den Schiefer. Sowohl 
am Ufer als im Bett des Flußes findet man Stuͤcke, die 
8 bis 10 Kubikfuß enthalten. Dieſe Art gleicht dem Cor- 
neus Trapezius solidus ccrulescens. Waller sist. Min. 
cdit. 4773. Tom. I. S. 361, 

B. Eine halbe Meile am See, an bem linfen Ufer 
des Flußes: Das Lager ift 8 bis 10 Fuß breit, und ſcheint 
den Schiefer gegen Oſten in die Hoͤhe gehoben zu haben. 
Die Farbe der Geſchiebe ift dunkler, der Bruch grobkoͤrni⸗ 
ger, die Bruchſtuͤcke aber von gleicher Geſtalt als Ne A. 
Corneus Trapezius solidus nigrescens. Wall. Ib. 

C. Zwiſchen der Kirche von St. Giovanni unb 
bem neugebauten £anbgute Cacciapiatti: Drey Lager 
ſetzen über die Straße, das zweyte mißt über vierzig Fuß 
in der Breite. Dieſe Steinart iſt ſehr hart, grobkoͤrnig, 
grau wegen dem beigemengten Feldſpath, in unregelmaͤßi⸗ 
gen Prismen, zerfaͤllt manchmal in convexe Bruchſtuͤcke. 
Trapezium viridescens, Spatho scintillanti albo mix- 
tum. Born Index fossil. 

D. Wenn man von der kleinen Kapelle della Da 
donna della Vigna zum Dorfe Biganzuolo hin 


337 


aufſteigt, fo ſtoͤßt man zwiſchen den erſten Haͤuſern auf ein 
Lager, das den drey eben erwaͤhnten aͤhnlich iſt, und auf 
ein anderes ob dem Dorfe von blaͤulichter, hin und wieder 
ocherartiger Farbe, feinkörnigem Bruche und rhomboida⸗ 
liſchen Bruchſtücken wie A. 

E. Der Bach bei Selaſco, deſſen Aushoͤhlungen das 
Innere des Berges manche Klafter weit entblöst haben, 
wird von drey Lagern durchſchnitten, und zwar naͤchſt den 
drey Waſſerfaͤllen unfern vom See. Der untterſte it ders 
jenige, von dem wir oben geſprochen haben; er neigt ſich 
gegen Oſten, und macht in der Höhe beinahe einen rechten 
Winkel mit dem Schiefer, der fid) gegen Welten zieht. Defs 
ſen Geſchiebe haben einen feinkoͤrnigen ebenen Bruch. Manch⸗ 
mal haben fie eine faſerige Oberflaͤche, die meiſtens ſchwaͤrz⸗ 
lich, doch zuweilen auch ockerfaͤrbig iſt. Sie brechen in 
Rhomben und Prismen von allerlei Figuren. Trapezium 
solidum nigrescens partialis aliquando acerosis. Born 
loc. cit, 151. Er ift weicher als die bisher beſchriebenen 
Arten, erhaͤrtet fid) aber im Feuer; zuweilen findet man 
Flimmern von Goldkies, Kuͤgelchen von Ocker und bald run⸗ 
de bald laͤngliche Hoͤhlungen darin. Geroͤſtet und zerſtoßen 
wird er vom Magnet angezogen. Er giebt kein Feuer am 

Stahl wie einige andere, brauſet aber etwas mit den Saͤu⸗ 
ren. Im Schiefer, der uͤber ihm liegt, ſieht man kleine 
Gaͤnge von Eiſenkies und eine Art einer glaͤnzenden, blei— 
farbnen Erde, die nicht übel dem Mo pödaͤn ähnelt, Die 
Geſchiebe der zwey obern Lager ſind ungefaͤhr wie dieſe, nur 

dichter. Das eine durchſchneidet den ſchoͤnen Waſſerfall, 
der gerade dem Haufe gegen über die ſthoͤne Grotte bildet; 
das andere iſt dem oberen Stockwerk gegen uͤber. Cor— 
neus Trapezius colore nigrescente, paulo durior, 
Waller. 
F. Bon Selaſco bis jenſeits Frino, dem See nach, 
gr Dh, i 3 


336 

ſieht man verſchtedene Lager dieſer Steinart, welche hier faſt 
durchgaͤngig mit weißem Feldſpath gemengt ift, und fe roti» 
ter man gegen Norden kommt, je haͤufiger trifft man den⸗ 
ſelben darin an. In einigen ſcheint kriſtalliſirter Kalkſpath 
als Bindungsmiktel vorhanden zu ſeyn. Dieſe Lager deh— 
nen ſich nicht einmal bis Ghiffa aus, welches drey Meis 
len von Intra entfernt it, nur trifft man einzelne Gee 
ſchiebe auf dein Ufer des Sees an ). Sie gehoͤren zu 
No C, nur enthalten fie weniger und regelmaͤßigern Gelbe 
ſpath. 

6. Man benutzte ſchon feit einigen Wochen diefe Stein» 
art und man wußte nicht was es war. Ich hielt ſie fuͤr 
vulkaniſch, weil dieſe Lager ſehr viel Aehnlichkeit mit den 
Lavalagern der erloſchenen Vulkane im Paduaniſchen, Bis 
centiniſchen und Veroneſiſchen hatten. Da ich aber weder 
Bimsſteine, noch ſchlwammige Laven, Cipolloni *), noch 
vulkaniſche Glaͤſer, noch irgend etwas bemerkte, das Wir- 
kungen des Feuers verraͤth, fo feng ich ſelbſt an zu zwei⸗ 


— 


*) Vordem ich groͤßere Reiſen in die Alpen auf dieſer Seite 
unternahm, fand ich dergleichen Gefchieblager nirgends als 
am Fuße des Gim molo, ausgenommen jenes bei Capre- 
zio (S. No 30 und eines, welches den Fluß von St. Bew 
nardino, nahe ein der Brücke bei Uneio durchſetzt. Beide 
auch in der Nachbarſchaft des Simmolo. Hernach aber 
zeigten (id) mir dergleichen Lager bei Cavaglio und unter 
Spocio in der Val Canobina und bei Caſtiglione 
in der Val Anz aſca. Von dort an aber bis zu den Glet⸗ 
ſchern des Monte Roſa fab ich keine mehr. am. 

*) Ich kenne keine Steinart unter dem Namen Cipolloni. 
Schwerlich iſt hier der weiße, mit gruͤnem Talk durchaderte 
Marmo Cipolino gemeint. Ob unter Cipolloni Baſaltku- 
geln verſtanden werden, deren Schaalen wie Zwiebelblaͤtter 
auf einander liegen, kann ich nicht fagen, 


839 


feln. Noch mehr Gründe, die mich in meiner Meynung 
erſchuͤtterten, werde ich weiter unten anführen, Während - 
dem ich in der Ungewißheit ſowohl uͤber den Urſprung als 
den Namen dieſer Steinart ſchwebte, leitete mich Herr 
Franz von Odmark, damals Director der Borromaͤi— 
ſchen Goldkies-Minen in Val Anzasca, zuerſt auf die 
Spur, daß diefe Steinart Trapp ſeyn möchte, und in et^ 

nem Bändchen des Bergmännifchen Journals, welches er 
mir zu leihen die Guͤte hatte, fand ich nun die Ueberzeu— 
gung, daß ich mich nicht geirrt hatte “). Man ſieht in 
dem daſelbſt enthaltenen Aufſatz des Herrn Werners, wie 
viel die Schweden úber diefe Steinart geſchrieben haben, 
und als ich meinen Stein mit den Beſchreibungen vergli⸗ 
chen hatte, fand ich ihn dem ſchwediſchen Trapp ſehr aͤhn⸗ 
lich. Er gleicht in den Würfel: und Rhomben-foͤrmigen 
Bruchſtuͤcken. Wegen diefen bezeichnete ihn Linne“ mit 
dem Namen Saxum Trapezum, zuvor hatte er ihn Schis- 
tus cinereus duriusculus scriptura cana genannt. Er 
ſagt, zuweilen feo er ſchiefrig, kalkartig, indem er ein we— 
nig mit Saͤuren aufbrauſe und mit dem Stahl kein Feuer 
gebe, welches auch bey unſerm der Fall if; Auch die Eis 
genſchaften, welche Rinmann, Cronſtedt, Herme— 
lin, Wallerius und Bergmann dem Trapp beilegen, 
paſſen auf unſere Steinart. Der erſte nennt ihn eine horn» 
artige, eiſenroſtfarbige Gebirgsart, ſagt, daß ſie ſich oͤfters 
in der Nachbarſchaft von Erzadern einfinde, daß ſie geroͤ— 
ſtet vom Magnet angezogen werde, daß ſie neun pro cento 
Eiſen enthalte, zu einem ſchwarzen Glaſe ſchmelze, daß ſich 
ihr Gewicht zu demjenigen des Waſſers wie 14: 5 ver 
halte, und daß es ſehr viele Abaͤnderungen gebe. Cron— 
ſtedt glaubt, der Trapp ſey von marzialiſcher Erde und 


— 


) Bergmoͤnniſches Journal. Juli 1793. Seite 46. 


340 


verhaͤrtetem Thon zuſammengeſetzt, bemerkt, bag er oft, 
beſonders der grobkoͤrnige, Feldſpath enthalte. Er fuͤhrt 
feine Eigenheit, fich in Rhomben und Wuͤrfeln zu fpalten, 
an, zwoͤlf vom Hundert Eiſen zu enthalten, und in den 
Glashuͤtten gebraucht zu werden, ſchwarze Bouteillen dar⸗ 
aus zu verfertigen. Auch ſoll er dem Baſalt aͤhnlich ſeyn. 
Hermelin und Waller ius fagen ungefähr das Naͤm⸗ 
liche. Bergmann, nachdem er alle obigen Eigen⸗ 
ſchaften angegeben, Hält fb beſonders bei feiner Achnlich» 
keit mit dem Baſalt auf und vergleicht den ſchwediſchen 
mit einem Stuͤcke von dem ſaͤulenfoͤrmigen Baſalt von der 
Inſel Staffa. Ich werde hernach von der Uebereinſtim⸗ 
mung des Trapps mit der Lava handeln. Die von mir 
gefundene Steinart befag alle oben angeführten Eigenſchaf⸗ 
ten, denn da es beinahe ſo viele Abaͤnderungen giebt, als 
ich verſchiedene Lagerſtaͤtten zaͤhlte, fo beſaß die eine Art 
diejenigen Eigenſchaften, die der andern fehlten, welches 
ſich aus dem oben Geſagten erhellt. 

7. Doch aber iſt unſer Trapp von dem ſchwediſchen 
in zwey Ruͤckſichten febr verſchieden. Den unfrigen trifft 
man beinahe immer am Fuße des Berges in ſenkrechten, 
oder wenigſtens ſtark ſich neigenden Lagern an. Er bildet 
mit dem Schiefer einen ſpitzigen Winkel und mißt meiſtens 
in der Breite wenige Klafter, ja oft wenige Schuhe. Der 
ſchwediſche Trapp hingegen bildet auf der Hoͤhe der Berge 
große horizontale Lager, und da er fich vermittelſt der bits 
len Spalten in Würfel und Rhomben theilt, ſo ſtellt er uns 
gebeure Treppen vor, von woher er auch den Namen hat. 
Allein dieſe Schwierigkeit, die mir groß ſchien, ſo lang 
ich den ſchwediſchen Trapp mit dem meinigen vergleichen 
wollte, verſchwand bei den Beſchreibungen des fchottlandis 
ſchen und corſikaniſchen Trarps von den Gelehrten F auz 
ias de St. Fond und Batras Der erſte (Essay sur 


* 


344 


les roches de Trapp et voyage en Angleterre etc.) 
vedet nicht nur oft von Trappgaͤngen, fondern bemerkt 
auch, daß ſie in einigen Gegenden Schottlands Channels, 
d. f, Kanäle, genannt werden, weil ſie zwiſchen zwey an⸗ 
dern Steinarten, und meiſtens zwar im Schiefer fo ein- 
geſchloſſen find, als wenn fie Rüfig dadurch geſtroͤmt waͤren. 
Zu gleicher Zeit führt er eine daſelbſt vorkommende Art Trapp 
an, der mit Feldſpath- und Schörl-? Stuͤcken, auch bis⸗ 
weilen mit Kalkkuͤgelchen gemengt ift. Sie nennen ihn ba» 
ſelbſt Toadſtone wegen der Aehnlichkeit mit einer Schlan⸗ 
genhaut. Wir koͤnnten unter den unſrigen aͤhnliche auf 
weiſen. Der andere ſah große Trappbaͤnke in Corſika, und 
haͤlt ſich lange bei ihnen auf. (Memoire sur le Trapp 
et les roches volcaniques etc.) \ 
8. Auffallender iff der Unterſchied zwiſchen unſerm 
Trapp und dem ſchwediſchen in den Reſultaten der chymi— 
ſchen Analyſis. Beſagter Herr von Od mark zerlegte den. 
unſrigen; Bergmann aber hatte den ſchwediſchen ana⸗ 
liſirt. Folgendes ſind die Reſultate: 
Der ſchwediſche nach Bergmann: 


Kieſelerde . : . * 050 

Alaunerde . E S ces. 
Eiſen 5 d MP RN T 
Bittererde , 1 y 002 
Luftſaurer Kalk. oog 
; 100 

Der Trapp am langen See nach Herrn bon Ddmdek: 

Kiefelerde . í 4 018 
Alaunerde . n 7 817 
Eiſenkalk . à oog 
Bittererde . 5 3 042 
Vitriolſaͤure , ^  oo6 
Waſſer. s 4 A 003: 


95 


* 


343 


Wer da weiß, wie viele Abaͤnderungen es nur unter 
den Trapparten eines Landes allein giebt, die nicht nur 
aͤußerlich, ſondern auch in ihren innern Beſtandtheilen vere 
ſchieden ſind, wird ſich uͤber die Abweichung in dieſen zwey 
Analiſen nicht verwundern. Man werfe nur einen Blick 
auf das Verzeichniß der Trapparten, welche Faujas de 
St. Fond ſowohl in England als in Frankreich beobach⸗ 
tet hat. Noch mehr: Der naͤmliche Faujas theilt uns 
die Zerlegung eines Trapps von Derbishire mit, de— 
ren Reſultat mit den obigen auch nicht uͤbereinſtimmt: 


Kieſelerde . . " 063 
Thonerde . i e 014 
Kalkerde . š . 008 
Eifen " ; TOR 

99. 


Da nun die Schwedifchen und Schottiſchen in Anfe 
hung ihrer Beſtandtheile ſo weit von einander abweichen, 
ſo kann unſere Steinart wohl auch zum Trapp gehoͤren, 
obgleich auch feine Beſtandtheile mit denjenigen der obi- 
gen nicht, wohl aber die übrigen Eigenſchaften übereins 
ſtimmen. Man muß auch bemerken, daß Bergmann 
zu gleicher Zeit den ſchwediſchen Trapp und die Baſalte 
von Staffa zerlegte und- vollkommen die naͤmlichen Res 
ſultate erhielt. Nun aber beſitzen wir eine Analiſe der 
Baſalte von Staffa durch Faujas, die ganz anders 
lautet, naͤmlich: 


Kie ſelerde . " i 040 
Thonerde . H 4 020 
Kalkerde . fs : 12 
Bittererde . 1 cog 
Eifen í : tw. OE 


98. 


343 


Man kann alſo vermittelſt der verſchiehenen Reſulta⸗ 
ten nicht mit Sicherheit auch auf die Verſchiedenheit der 
Steinarten ſchließen, beſonders wo es nur eine Abweichung, 
im Verhaͤltniß der Beſtandtheile betrift. Der naͤmliche 
Faujas verſichert bei dieſer Gelegenheit, daß er von zwey 
Stuͤcken Lava, die aͤußerlich einander vollkommen aͤhnlich 
waren, nicht im Stande geweſen fey, die naͤmlichen Res 
ſultate zu erhalten. Die Menge der Bitterer de ändert von 
X — 16, der Kieſelerde von 40 — 66, des Eiſens von 6 
zu 25 ab. Selbſt der Herr von Odmark geſtand mir, 
daß er unſern Trapp nicht mit der gewuͤnſchten Genauig⸗ 
keit habe zerlegen können, denn er habe z. B. die Fluß⸗ 
ſpathſaͤure deutlich genug am von ihr angegriffenen Glaſe, 
welches er zu den Verſuchen gebraucht, bemerkt, und doch 
in den Reſultaten keine herausgebracht. So laͤßt uns die 
leichte Schmelzbarkeit dieſes Trapps vermuthen, daß er 
auch Kali enthalte, deren franzoͤſiſche und deutſche Schei⸗ 
dekuͤnſtler im Leucit und in andern Steinarten gefunden, 
doch hat ihn keiner der oben Angefuͤhrten darin entdecken 
koͤnnen. Es ſcheint alſo aus dem bisher Geſagten, daß 
unſere Steinart ein Trapp ſey. Aber was iſt der Trapp, 
und wie entſtand er? Vor Rin mann, der zuerſt dieſen 
Ramen aufgebracht hat, wurde er nicht vom Hornſtein uns 
terſchieden. Wirklich ſtimmt er mit demſelben in vielen 
Stuͤcken uͤberein; in dem gleichartigen Gewebe, im Thon⸗ 
geruche, im weißen Striche, in der leichten Schmelzbar— 
keit, die Eubifchen oder rhomboidaliſchen Bruchſtuͤcke u. f. w., 
und noch jezt giebt es Mineralogen, die dieſe zwey Stein⸗ 
arten nicht unterſcheiden Ennen. Unter diefe zähle ich den 
Ritter Giveni (ſiehe feine Litologia vesuviana), ob er 
gleich die Abweichungen kannte, die der Prof. Ferrara 
und der berühmte firman unter dieſen beyden Steina 
arten beſtimmt haben. Der erſte, nachdem er zum voraus 


-344 


bemerkt hat, daß verſchiedene Baſalte und Laven, bevor 
das Feuer auf ſie gewirkt, Hornſteine oder Trapp waren, 
ſagt in ſeiner Geſchichte des Aetna, daß der eine von dem 
andern nur in dem Verhaͤltniß der Beſtandtheile verſchie⸗ 
den feo, desnach auch der zweyte harter als der erſte iſt, 
und das vulkaniſche Feuer aus dem erſten eine aufgebla⸗ 
ſene, leichte und gelbliche, aus dem andern aber eine dichte 
Lava bilde. Kirwan, der beyde ſehr genau zerlegte, 
fand im Trapp die naͤmlichen Beſtandtheile wie Berga 
mann, im Hornſtein aber: 


Kieſelerde VERE TT 
Thonerde . $ „ 22 
Kalkerde 4 „ 602 
Vittererde . 4 „ 6016 
Eiſen . ^ . 623 

100 


Deshalb ordnete ev; den Trapp zu den kieſelartigen und 
den Hornſtein zu den thonartigen Steinen. 

10. Was endlich den Urſprung des Trapps anbelangt, 

fo möchte aus dem Bishergeſagten erhellen, daß er weit 
eher dem Waſſer als dem Feuer zuzuſchreiben ſey; doch iſt 
die Sache noch gar nicht ſo ausgemacht, daß ſie nicht zu 
vielem Streit und zu ſehr verſchiedenen Meynungen Anlaß 
gegeben haͤtte. 
Bergmann iſt ſo ſehr vom naßen Urſprung des Trapps 
uͤberzeugt, daß er ſogar wegen der Analogie, die er zwi⸗ 
ſchen dem Trapp und dem Saͤulenbaſalt fand, auch ge⸗ 
neigt it, dem leztern einen ähnlichen zuzumuthen ). 


) Verſchiedene italieniſche Mineralogen können fid) noch nicht 
vollends uͤberzeugen, daß der Saͤulenbaſalt eben ſo gut als 
andere Produkte der Floͤztrappformation nagen Urſprungs ſeyn 
Tonne. 


345 


Hingegen ſchreiben ihm Werner, von dem wir oben 
geſprochen haben n), White hurſt und andere, die Fau 
jas anfuͤhrt, auch Barral, der die corſikaniſchen Trappe 
unterſucht hat, beſtimmt einen vulkaniſchen Urſprung zu. 
Dieſer leztere iſt davon ſo ſehr eingenommen, daß er auch 
den Floͤztrapp, deffen große Schichten doch offenbar einen 
neptuniſchen Urſprung andeuten, wenn derſelbe nicht nur 
zwiſchen dem Schiefer, ſondern auch zwiſchen dem Gras 
nit liegt, zu den vulkaniſchen Produkten zaͤhlt. Er ſieht 
die Trappgaͤnge als Lavaſtrom-Bette an, die in ihrer na- 
‚ türlichen Lage geblieben find, die Schichten aber als den 
Satz aufgelöster Laven, den das Waſſer weggeſchwemmt, 
hier niedergefaͤllt und daraus eine neue Steinart gebildet 
habe, ja der Granit feihft foll aus nichts anderm als aus 
durch die Laͤnge der Zeit und der Wirkung des Waſſers 
verhaͤrteter und kriſtalliſirter vulkaniſcher Aſche beſtehen. 

Andere ſchlagen die Mittelſtraße ein. Da Camara und 
vor ihm ſchon der Commandeur Dolomieu fanden ſo 
viele Aehnlichkeit, ja man kann ſagen Uebereinſtimmung 
zwiſchen dem Trapp in natuͤrlichem Zuſtand und demjeni⸗ 
gen, den die Wirkung des Feuers in einen geſchmolzenen 
geſezt hat, daß nach ihnen der bloße Anblick des Steines 
hinreiche, ohne auf die Localitaͤt, wo er vorkommt, Ruͤck⸗ 
ſicht zu nehmen, die Frage ſeines Urſprungs unentſcheid— 
bar zu machen. Der beruͤhmte Spalanzani, der mit 


) Hier irret der wuͤrdige Verfaſſer. Werner ſchreibt weder 

in dem angefuͤhrten Aufſatz, noch, ſo viel mir bekannt iſt, 
anders wo dem Trapp einen vulkaniſchen Urſprung zu. Im 

Gegentheil erklaͤrt er Seite 90, daß er keinen Unterſchied 

zwiſchen Baſalt und Trapp finde, und daß er jenen fuͤr 

neptuniſch halt, iff allgemein bekannt, und zeigt fich auch 
in der Anmerkung S. 93. 


346 

fo viel Scharffinn, Geduld und Muth die Vulkane des 
Koͤnigreichs beyder Sizilien durchforſcht hat, eine Menge 
Produkte von daher auf Pavia gebracht und unterſucht hat, 
fuͤhrt den Trapp ſehr ſelten, deſto oͤfter aber den Hornſtein 
an, meynt, wie die oben angefuͤhrten Naturforſcher, daß 
beyde Steinarten eigentlich dem Waſſer angehoͤren, daß aber 
das Feuer fie öfters in Laven verwandelt hat, ohne vieles 
an ihren Beſtandtheilen zu aͤndern. Faujas, der der Un⸗ 
terſuchung des Trapps am meiſten Zeit und Auſmerkſam⸗ 
keit gewiedmet hat, verſichert, denſelben ſtets unter ſolchen 
Umſtaͤnden geſehen zu haben, daß der Urſprung deſſelben 
auf dem trockenen Wege gar nicht gedenkbar ſey; fuͤhrt 
auch verſchiedene beruͤhmte Naturforſcher an, die das Naͤm⸗ 
liche behaupten. 

11. Nun aber treffen bei unſerer Steinart die naͤmli⸗ 
chen Umſtaͤnde ein, die ihn vermochten, dem Trapp das 
Entſtehen auf trockenem Wege zu verſagen. Auch hier fins 
det man in ſeiner Nachbarſchaft kein wirklich vulkaniſches 
Produkt; man bemerkt keine Wirkung des Feuers an den 
auf oder unter ihm liegenden Steinarten, welches meiſtens 
Thonſchiefer (inb. Der Schwefelkies und Eifen und ans 
dere Metalladern, die das Feuer ſchwerlich ganz verſchont 
haben wuͤrde, liegen unverſehrt da; daß der Trapp Gaͤnge 
bildet, kann hier auch nicht den mindeſten Eindruck mas 
chen, denn neben dem Trapp ſieht man oͤfters bei uns 
Quarzgaͤnge, dem doch niemand einen vulkaniſchen Urs 
ſprung zuſchreiben wird. Gleichlaufend und zunaͤchſt dem 
Trappgange, der jenſeits der Bruͤcke von Uncio (fiehe 
IN? 5. erſtere Note S. 338) ſichtbar ift, befindet fid) ein 
breiter, gerader, wie der Trapp fid) neigender und ihm 
gleichlaufender Quarzgang mit Schwefelkies. Einen aͤhn⸗ 
lichen Gang findet man im Fluße bei Num. A., einen ans 
dern nicht fern von dem Trapp Num. B. Dergleichen 


: 347 
Quarzgaͤnge giebt es an verfchiedenen Orten unſerer Ges 
gend, und dem Naturforſcher werden diejenigen nicht ent- 
gehen, welche die Thonſchieferlagen der Jſola bella 
durchſchneiden. Auch in den Gebirgen der Nachbarſchaft 
ſieht man Kalkſchichten und Erzgaͤnge, welche den Cic 
fer, in welchem fie fich zeigen, ſenkrecht durchſchneiden, 
und der berühmte Marmorbruch della Candoglia, der 
fuͤr den Dom zu Mailand benuzt wird, vier Meilen von 
Intra, wird von ſchoͤnen Eiſenerzgaͤngen begleitet und 
durchſchnitten. Das Vorkommen in Gängen beweiſet alfo 
nichts für die Vulkanitaͤt des verbaniſchen Trapps, in deſ⸗ 
fen Geſellſchaft noch uͤberdieß nie die concentriſchen $us 
geln angetroffen werden, die Barral neben dem Corſika⸗ 
niſchen beobachtet hat. 

Noch muß ich einer ſchoͤnen und ſonderbaren Erſchei— 
nung gedenken, bie ſich bei dem aus unſerm Trapp ges 
ſchmolzenen Glaſe zeiget, und die mir wenigſtens als ganz 
neu vorgekommen iſt. 

In den Glashuͤtten, in welchen man nur einen Theil 
des Jahrs arbeitet, hat man die Gewohnheit, beym Eins 
ſtellen der Arbeit in den Haͤven ein Paar Zoll hoch geſchmol— 
zene Glasmaſſe zu laſſen, dann die Oefen zuzumauern, auf 
daß ſie die Hitze ſo lang als moͤglich behalten. So bleibt 
die Maffe ziemlich lange flüigig und verhaͤrtet fid) nur ſehr 
langſam. Wenn der Ofen ganz erkaltet ift, fo öffnet man 
ihn, nimmt die Haven heraus, und weil fie zu fernerm Gee 
brauch untüchtig find, werden fic in Stuͤcke zerſchlagen⸗ 
ſamt der noch darin enthaltenen Glasmaſſe, dieſe aber wird 
wieder gemahlen und als Zuſatz zum Fluß gebraucht. Als 
man nun in der Glashuͤtte zu Intra dieſe verhaͤrtete 
Glasmaſſe aus unſerm Trapp geſchmolzen zum erſtenmal 
ſah, verwunderte man ſich nicht wenig, als ſie nicht ſchwarz, 
ſondern himmelblau mit goldenen Sternen beſtreut war; 


348 


in andern Häven war fie dunkelgruͤn mit weißen Sternchen 
oder eher Bluͤmchen, mit einem perlenmutterartigen Schim⸗ 
mer. Bei einigen dieſer blauen Glaͤſern zeigten fich die 
Sternchen nur auf der Oberfläche, bei andern und zwar 
bei den dickern befand fid) die Oberfläche ſchwarz und erſt 
darunter das Glas blau mit Sternchen, und zwar durch 
die ganze Maſſe zerſtreut, doch am haͤufigſten zu unterſt, 
wo ſie dicht bei einander liegen, doch ſo, daß man mit be⸗ 
waffnetem Auge die Kriſtalliſation erkennen kann. Sie ſtellt 
einen goldenen Stern mit ſpitzigen Stacheln, nicht unaͤhn⸗ 
lich der Waſſerkaſtanie, vor. 


Zweyter Beytrag. 


Widerlegung der Meynung einiger Mineralo⸗ 
gen, daß die Huͤgel zwiſchen Grantola und 
Cunardo, im Departement des Lario, 
vulkaniſch ſeyen. 


Von 


Joſeph Gautieri, 


Mitglies des geſetzgebenden Raths und der proviſoriſchen Commiſſion der 
Erjadern und des Forſtweſens im Königreich Italien, Mitglied vieler 
gelehrten Geſellſchaften 1c. ꝛc. 


Mailand 1807. svo. ) 


Nachdem ich den Huͤgel zwiſchen Grantola und Cu⸗ 
nardo genau durchforſcht und auf allen Seiten beſehen: 


*) Auch in der Ueberſetzung dieſer, dem Ritter Carlo Ama 
retti zugeeigneten Flugſchrift werde ich mir erlauben alles 
dasjenige abzukuͤrzen oder auszulaſſen, was nicht unmittel⸗ 
bar zu unſerm Zweck dient. 


349 


nachdem ich die Steinarten, die ſich an ihren Abhaͤngen 
und in ihrer Nachbarfchaft finden, mit Aufmerkſamkeit uns 
terſucht, auch die ganze umliegende Gegend in Augenſchein 
genommen habe; nachdem ich endlich alles geleſen habe, 
was fuͤr und wider die Vulkanitaͤt dieſer Huͤgel iſt geſchrie⸗ 
ben worden, glaube ich befugt zu ſeyn zu erklaͤren, daß 
weder jene Huͤgel jemals erloſchene Feuerberge geweſen, 
noch die daſelbſt befindlichen Steinarten die Wirkung eines 
unterirdiſchen Feuers an ſich erfahren haben. 

um die Sache deutlicher auseinander zu ſetzen und meine 
Urtheile feſter zu begruͤnden, halte ich für nothwendig, alle 
Umſtaͤnde getreu anzufuͤhren, die der Meynung der Herren 
Fleurian de Bellevue und Dolomieu und aller 
derjenigen, die fuͤr die Vulkanitaͤt dieſer Gegend geſtimmt 
haben, guͤnſtig ſind, und ſie erſt hernach zu widerlegen. 
Ich bediene mich dabei der naͤmlichen Worte, mit welchen 
fie im Viaggio ài tre laghi Seite 134 in der dritten Auf⸗ 
Pr beſchrieben find, 
| .Die Huͤgel oder Erhöhungen, die man für tebet» 
ki Estne Vulkane hält, unb welche ob Grantola 
und unter Cunardo liegen, und zwar ungefaͤhr im Mit⸗ 
telpunkt der Berggruppe, die den Zwiſchenraum zwiſchen 
dem Langen» und dem Luganerſee einnimmt, find rundlich, 
roͤthlich und beinahe kahl. 

2. Es ſind deren viele. 

3. Einer von ihnen wird Maus eee der 
verbrannte Berg genannt. 

4. Die roͤthliche Steinart, von welcher dieſe Huͤgel 
zuſammengeſetzt find, enthält öfters Hoͤhlungen, und zwar 
länglichen Loͤchern aͤhnlich, die das Feuer in den Laven 
hervorbringt. 

5. Man bemerkt auf dieſen Steinen gewiße Wulſten 


350 


und unregelmaͤßige Bänder, welche den Lauf geſchmolze⸗ 
ner Materie anzuzeigen ſcheinen. 

6. Hie und da bemerkt man nierenfoͤrmige Kriſtalli⸗ 
ſazionen, deren Gewebe ſehr dem Karneol gleicht. 

7. Man findet auf ihr auch Stuͤcke einer ſchwarzen 
oder ſchwaͤrzlichen glaſigen Subſtanz, die ſehr leicht ſchmilzt. 
Fleurian nannte ſie glaſige Lava. Sie brechen immer 
in rhomboidaliſche oder viereckige Stuͤcke, beſitzen zwey mag⸗ 
netiſche Pole, davon der eine die Magnetnadel an ſich zieht, 
der andere zuruͤckſtoßt. Dieſe Steine findet man al Prato 
della Selva und al Campaccio. 

8. Da wo beym Saſſo freddo die rothen Steine 
aufhoͤren, findet man eine Art Puzzolana, die man zu 
Zeiten gebraucht hat, um unter Waſſer zu arbeiten. 


So weit die Gruͤnde des Herrn von Bellevue, de⸗ 
nen man, wie Sie ſehr wohl bemerken, nei zwey 
beifuͤgen kann: 

9. Der Berg von Marchirolo und berienide von 
Cunardo find inwendig hohl. 

10. In Valgana giebt es Thon, welcher demjenis 
gen im Vicentiniſchen ſehr aͤhnlich iſt, den die beruͤhmten 
Mineralogen Arduini und Fortis als aufgeloͤſete Lava 
angeſehen haben. 

Und um gar keinen Umſtand zu berſchweigen, der der 
Meynung der Herren von Bellevue unb Dolomien 
nur einiges Gewicht geben koͤnnte, will ich noch folgende 
Bemerkungen anfuͤhren, die der Ritter Pini zum Theil 
ſchon widerlegt hat, die at doch hier ihren Plaz vers 
dienen. 

xi, Unweit Brincis giebt es Steine, die ihrer Bil 
dung, Zuſammenſetzung und verhaͤltnißmaͤßigen Leichtigkeit 
nach den Einguß des Feuers empfunden zu haben ſcheinen. 


i 


351 
12. Nicht weit von befagten Hügeln kommen Steins 


kohlen und Steinoͤl an den Tag. 


13. In der Nachbarſchaft des Saffo brugiato 
und anderer Hügel ſieht man Aushoͤhlungen in der Erde. 
14. Wenn man an gewißen Stellen mit dem Fuße 


ſtark auf die Erde ſtampft, fo giebt fie einen hohlen Ton 
von ſich. 


15. Die Seen von Ghirla und von Brincio ſchei⸗ 
nen Krater von Vulkanen geweſen zu ſeyn. 
16. Unter den rothen Steinen und auch in der Nach⸗ 


k barſchaft derſelben bricht beinahe überall der Majolicas 


Marmor, ein feinkoͤrniger Kalkſtein, der nichts Floͤzartiges 


oder Zeichen der Aufſchwemmung an fich hat. Er zera 


bricht leicht, hat einen großmuſchlichen Bruch, iſt uͤberall 
zerſpalten und voller Eiſen und Braunſteinaͤderchen oder 
Neſter von Kieſelſtein, Hornſtein, Feuerſtein, Jaspis oder 
Chalzedon. 

17. Das Thal und der Berg, wo der ſchwarze glaſige 
Stein gefunden wird, heißt das Teufelsthal und der Teu 
ſelsſtein (Val e Sasso del Ciapin). Eine Benennung, 
die wenigſtens beweiſet, daß das Volk an eine Verbren— 
nung deſſelben glaube. 

18. Verſchiedene Oerter in dieſer Gegend haben Nas 
men, die auf eine vorhergegangene Entzuͤndung und auf 
daſelbſt geftoſſene Lavaſtroͤme ſchließen lafen; z. B. Lave 
no, Lavena, Arſo, Bruſinpiano, Caldiero, Cree 


menaga, Rancio ꝛc. ic. 


19. Auf dem Gipfel des Ruͤckens, del Montagnuo⸗ 


lo genannt, fibt man noch jezt eine Aushoͤhlung, die ei- 
nem Krater aͤhnlich iſt. 


20. Es hat ſich oͤfters zugetragen, daß der See von 
Ghirla, unweit von den Hügeln bei Grantola, an- 
gefangen hat zu ſieden und aufzukochen. 


352 


Wären den Herren Fleurian de Bellevue und 
Dolomieu alle dieſe Umſtaͤnde bekannt geweſen, wer 
haͤtte ſie dann von ihrer Meynung zuruͤckgebracht? Und 
doch weder ein einzelner noch alle angeführten Umſtaͤnde 
zuſammengenommen, werden einen wahren Geognoſten und 
Oryktognoſten ihrer Meynung beitreten machen. Hier fol⸗ 
gen die Beweiſe: 

1. Weder die Bildung, noch die Farbe, noch die Nackt⸗ 
heit der Huͤgel koͤnnen uns bewegen, ſie fuͤr Vulkane zu 
halten, oder fuͤr Auswuͤrfe von Vulkanen, denn die Vul⸗ 
kane find oben nicht piramidenfoͤrmig und rund, fondern 
eher abgeſchnitten und hohl; zweytens ſind dieſe Huͤgel cis 
ner ſo nahe am andern oder eher auf dem andern, und ſo 
klein, daß der Durchmeſſer einiger von ihnen kaum hun⸗ 
dert Metres betraͤgt; drittens wenn ſie auch Auswuͤrfe von 
Vulkanen wären, welches noch am eheſten angehen koͤnnte, 
ſo könnten ſie nicht kegelfoͤrmig und rund ſeyn, ſondern 
müßten einen in die Långe gezogenen Berg vorſtellen; viets 
tens weil endlich die kegelfoͤrmige Figur den Porphyr- und 
Kalkbergen, welches dieſe ſind, eigen iſt. 

Die Farbe der Mineralien kann bey keinem Geognoſten 
den mindeſten Eindruck machen, und uͤberdieß find die vul⸗ 
kanischen Produkte weit mehr ſchwarz, ja weiß und aſch⸗ 
farben. Was endlich die Nacktheit der Huͤgel anbelangt, 
ſo waͤre dieſelbe eher ein Beweis gegen die Vulkanitaͤt, da 
gemeiniglich keine Berge mit einer reichern Vegetation bee 
kleidet find als die meiſten alten ſich auflöfenden Laven ). 

Dieſe Hügel find aus andern Gründen von aller Vege⸗ 


—— 


») Ich habe in meinen Reifen durch einige Provinzen des Koͤ⸗ 
nigreichs Neapels Seite 210 bemerkt, daß es Laven giebt, 
die in wenig Jahren fruchtbar werden; hingegen andere, 
die Jahrhunderte lang eine unfruchthare Wüſte darſtellen. 


353 


kation entblöst, i. Weil der Stein zu viel rothes Eiſen⸗ 
oxyd enthaͤlt. 2. Weil der Stein meiſtens noch zu wenig 
verwittert tt 3. Weil die Hügel fo ſteil find, daß die 
Regen immer die Theile mit ſich fortführen, die fid) nach 
und nach zerſetzen. Sollte man auch mit Senebier, 
Voigt, Veltheim, Beroldingen, Spalanzant 
und andern berübmten Vulkaniſten annehmen, daß fie wie 
Santorini und die Lipariſchen Inſeln aus dem Waſſer 
emporgehoben worden ſeyen, fo wird deswegen doch niga 
mand dieſe Wirkung dem Feuer zuſchreiben duͤrfen. 
2. 

Eben weil dieſer Hügel fo viele find, können fie deſto 
weniger Vulkane geweſen ſeyn, weil fie vermuthlich ende 


lich in einen einzigen ſich vereinigt haͤtten. Ich kenne die 
Behauptung wohl, daß die ganze Kette der Cordilleren vula 
kaniſch ſeyn folle, aber dieſes it zum Theil noch nicht bes 
wieſen, und zum Theil kann zwiſchen den Gipfeln der Cors 


dilleren und der Huͤgelchen von Grantola gar keine Bers 
gleichung fatt finden. Glaubt man aber, daß diefe His 
gel Auswürfe eines Vulkans find, und ihre Menge eben 


die Menge der Auswüͤrfe beweiſe, fo behaupte ich dagegen, 


daß wenn viele Auswuͤrfe erfolgt wären, fo müßten auch 
verſchiedene Schichtungen und verſchiedene Arten von La⸗ 


ven da ſeyn. Da aber dieſe Hügel ganz gleichförmig ges 
ſchichtet und aus der naͤmlichen Steinart beflehen, fo fallt 
auch dieſe Vorausſetzung weg. 


j $5 
Beinahe verdient der Grund der Benennungen nur kei⸗ 


ner Erwähnung, denn man weiß, wie viele falſche Schluͤße 
bald in jeder Wiſſenſchaft daher ſind gefolgert worden. Ich 
für meinen Theil glaube, daß der Monte brugiato 
nur daher feinen Namen führe, weil, wie auch Pini 
meint, daſelbſt ein ganzer Wald verbrannt ift, wie es in 


zr Vd. 


$54 


den Bergen öfters gefchieht, und wie es auf dem unweit. 
davon entfernten Montagnuolo wirklich erfolgt ift, oder 
weil er gewiße Kennzeichen an ſich traͤgt, die einen ſolchen 
Brand bezeichnen, als die Nacktheit des Geſteines und die 
dunkelrothe und ſchwaͤrzliche Farbe. Die Nacktheit haͤngt, 
wie ich ſchon geſagt habe, von der Lage und den beinahe 
ſenkrechten Schichten ab. So werden die Granitfelſen der 
Agogna *) da, wo ſie beinahe ſenkrechte Platten bil⸗ 
den, immer nackt bleiben, und hoͤchſtens koͤnnen ſie von 
Flechten und Mooſen bekleidet werden. Was aber die 
ſchwaͤrzliche Farbe einiger dieſer Huͤgel betrift, ſo kommt 
ſie theils von einer Ueberſaͤurung des Eiſens her, die, wo 
nicht dem Licht, doch gewiß dem Schnee und dem Regen 
zuzuſchreiben iſt; theils aber geben ihnen auch die vom naͤm⸗ 
lichen Oxyd ſchwaͤrzlich gefaͤrbten Mooſe und Flechten ein 
dunkles Anſehen. Ja felbſt die Heide, die an einigen Or⸗ 
ten ſehr haͤufig waͤchst, faͤrbt ſich ſchwarz, wenn ſie dem 
Verfaulen nahe iſt, und wird nebſt den Baumblaͤttern 
und ihrer Feuchtigkeit zu einer Art von Torf, der auch 
dazu beiträgt, dem Berge von ferne ein ſchwaͤrzeres Ans 
ſehen zu geben. Uebrigens nennen nur die Einwohner von 
Cunardo den obbeſchriedenen Hügel Monte brugim 
to, diejenigen von Ferrera aber Saſſo nero. 


E ade 
Wenn es ſchon richtig it, daß der rothe und dunkel⸗ 
rothe Stein, aus welchem dieſe Huͤgel beſtehen, Blaſen und 
kleine Löcher enthält, die bey dem erſten Ueberblick denje⸗ 
nigen aͤhnlich ſind, die man an den Laven beobachtet, ſo 
ift deswegen die von Bellevue und andern daraus ge 


*) Vormals die Grafſchaft Anghiera und das No vareſr 
che. 


358 


zogene Folge doch nicht richtig. Die Hügel find freylich von eis 
nem ſolchen Steine zuſammengeſetzt, aber er iſt nicht daſelbſt 
locherig, oder ift es wenigſtens nur auf der Oberfläche und 

in den abgebrochenen Stüden, und nur bei Grantola 
und auf dem Pianaccio (nicht Pienate) bei Meſen⸗ 
zano. Man ſollte einen herumliegenden Stein nicht fuͤr 
vulkaniſch erklaͤren, fo lange man ihn nicht in feiner Ges 
burtsſtaͤtte unterſucht hat. Einige zwar behaupten, daß 
derſelbe durch und durch gleich blaſig und mit Loͤchern ver⸗ 
ſehen ſey, allein ich, der ſo viele Stuͤcke zerſchlagen hat, 
habe das Gegentheil gefunden, und bin nie fo glücklich ges 
weſen, hier ein Stuͤck anzutreffen, Defen Lagen durch und 
durch und uͤberall gleich zellig geweſen waͤren. Auf dem 
Hügel Preja negra, das heißt Pietra nera, und 
nicht Prato nero, fand ich wohl einen gleichſam ge⸗ 
ſchichteten Porphyr, in welchem der Feldſpath beinahe ge⸗ 
ſchichtet und wie Mandeln zuſammengedruͤckt vorkommt, 
aber nie ſtieß mir ein Stuͤck von dieſein Porphyr auf, wels 


ches fo verwittert geweſen, daß der Feldſpath heransgefal⸗ 


len wäre und nur die Löcher hinterlaſſen hatte, obgleich 
genug Geroͤlle und Bruchſtuͤcke von dieſem Porphyr herum— 
liegen. So fieht man zu Pianaſcio den Porphyr mit 
Schichten von Feldſpath mit Speckſtein gemengt, oder mit 
Mandeln von Speckſtein dicht durchzogen, aber nie habe 
ich auch ein herumliegendes und Dein Wetter ganz ausge⸗ 
ſezt geweſenes Stuͤck gefunden, welches eben (o ſchichten⸗ 
artige Zellen gehabt haͤtte. Dieſes wird durch einen ſehr 
überzeugenden Grund bewieſen: der reichlich mit Speck⸗ 
ſtein verſehene Porphyr verwittert viel leichter als derjenige, 
- fe Feldſpath enthält; dieſer iff ſchichtenartig und oft halb 
blaͤtterig, jener dicht und derb; dieſes ift ein Thonporphyr, 
jenes ein Jaspisporphyr; dieſer geht in Granitello, jener 
in Speckſtein über, f 


/ 


356 


Soll ich noch mehrere Gründe anführen? ich glaube 
es fey unnoͤthig, denn bey dergleichen Thatſachen kann doch 
nur die Autopſie entſcheiden. 

Aber diefe nämliche Steinart, aus welcher jene Huͤgel 
zuſammengeſezt ſind, kommen nicht nur an verſchiedenen 
Orten der Valcuvia, ſondern auch in der Valgana, 
in der Valtravaglia, fogar in der Nachbarſchaft fol» 
gender Oerter vor, naͤmlich: Gallarate, Cajdate, 
Caſſano, Oleggio, Invorio, Bolzano, Gozza⸗ 
no, Borgomanero, Maggiora, Anzate, Bocca, 
Cavallirio und Romagnana. Man findet ihn ſehr 
haufig in Gegenden, wo niemals irgend jemand von Vul⸗ 
kanen nur getraͤumt hat. 

Es iſt ein Jaspisporphyr. Schon ſeit Jahrhunderten 
der Unfreundlichkeit des Wetters blosgeſtellt, hat er ſich 
meiſtens zerſezt, faͤlt in Stucke und löst fich in Broͤckel⸗ 
chen, oder gar in feinen Sand auf. Der Feldſpath des 
componirt ſich geſchwinder als die andern Beſtandtheile des 
Porphyrs, und da er weicher als die andern und im Waß 
fet auflósbar ift, fo reifen ihn die Strömungen fort, 
ſo daß, wo man vielen zuſammengeſchwemmten Porphyr⸗ 
fand findet, meiftens kein Feldſpath dabei angetroffen wird. 
Vermuthlich traͤgt ihn das Waſſer anderswo zuſammen, 
und deswegen haben ſich ganze Schichten und Adern von 
Kaolin und Porzellanerde gebildet. 

Daß wirklich das Waſſer dieſen Feldſpath aufloͤſe, bes 
weiſen die Steine genugſam, welche bey der Bruͤcke zu B iz 
roncio unweit Rancio das Straßenpflaſter ausmachen; 
denn da ſie dem Waſſer beſtaͤndig ausgeſezt ſind, ſo hat 
auch daſſelbe den Feldſpath auf ihrer Oberfaͤche meiſtens 
zer ſezt. Ja einige dieſer Steine find auch innwendig voller 
Locher, wie z. B. diejenigen, die man bei Pianaccio 
und bei Grantola antrifft. Ich habe verſchiedene zer⸗ 


. cT 


35T 


flagen und mich uͤberzeugt, daß die Auflöfung der Steine 
uͤberhaupt und des Feld ſpaths insbeſondere von außen nach. 
innen drang, weil einige derſelben nur auf der Oberfläche, 
einige etwas tiefer herein, andere durch und durch des 


Feldſpaths beraubt und alſo mit Hoͤhlungen verſehen ſind. 
Bei einigen ift der Feldſpath nur zum Theil verwittert. 
Da diefe Höhlunge mit einander beinahe alle in Verbin— 


dung ſtehen, ſo konnte das Waſſer uͤberall durchdringen 
und der Feldſpath herausgewaſchen werden. Dieſe einzige 
Beobachtung, die ich immer bei Unterſuchung vulkaniſcher 


Produkte als einen Probierſtein gebrauchte, ſollte jedem. 


Geognoſten genug ſeyn, um dieſen Steinen, ſie moͤgen noch 
fo durchloͤchert, hart und roth ſeyn, den Urſprung durch 


das Feuer zuzumuthen. Denn die löcherichten Laven, fo- 


wie die Schlacken haben wohl Hoͤhlungen, aber ohne Ge— 
meinſchaft unter ſich. Diejenigen Stuͤcke aber, deren Hoͤh— 
lungen nicht zuſammenhaͤngen, die aber doch ſchon lange 
dem Wetter und der Naͤße ausgeſezt lagen, enthalten einen: 
fat ganz in Ocher, oder eher zu fagen, in einen dunkel⸗ 
gelben Thon uͤbergegangenen Feldſpath, welcher nur dann- 


A herausfallen wird, wenn durch bie Långe der Zeit die Zwi- 


ſchenwaͤnde der Zellen durchfreſſen fyn werden. Derglei— 
chen Steine find unter dem Ruͤcken von Pietra negra 


undezu Pianaccio nicht felten, und würden, wenn fie- 


Baſalt waͤren, dem geſteckten Heſſi "an Bafalt nicht uns- 


| ahnlich ſeyn. 


Wie viel aber giebt es loͤcherichte, ja zellichte Steine, 
die deswegen nicht vulkaniſch ſind? Sowohl in Boͤhmen, 


4 in Heffen, als in andern Orten traf ich löcherichten Trapp 


an. Faujas, Werner, Laſius, Coltini, Schmie⸗ 


der, Lenz, Bayer, Pini, fie und ich haben haͤufige 
Locher in vielen andern Steinen geſehen, und um nur 
Von den innlaͤndiſchen zu reden, fo giebt es ja Hoͤhlungen. 


358 


in ben Petroſilexr ), Hornſteinen, thonartigen Steinen, 
Kalkſteinen und Graniten von Valgana, Valcuvia, 
Valtravaglia, um dieſe vermeinten Vulkane herum, ſo 
wie es einen aͤhnlichen rothen Porphyr in den Departe⸗ 
mentern dell Agogna und della Seſia giebt. So 
enthalten auch Petroſilex und Hornſteinniere, die man hin 
und wieder in dieſen Gegenden antrift, Hoͤhlungen. Sie 
waren und ſind zum Theil noch mit Feldſpath und Schwe⸗ 
felkies⸗-Mandeln ausgefuͤllt, die an einigen Orten anfan⸗ 
gen in Verwitterung uͤberzugehen, in andern ſchon permite 
tert, in andern endlich pom Waſſer ſchon aus gewaſchen 
find. Hätten ſich Fleurian und Dolo mien durch dieſe 
Beobachtung, die Pini ſchon vor mir gemacht hatte, nicht 
noch mehr in ihrer Meynung beſtaͤrkt? Aber wenn ſie 
auch wußten, daß in den Schlacken von Auvergne ſol⸗ 
che Schwefelkieſe vorkommen, ſo wußten ſie doch eben ſo⸗ 
wohl, daß man ſie auch in Bergen nicht vermißt, die of⸗ 
fenbar nicht vulkauiſch, ja ſogar aufgeſchwemmt ſind. Auch 
in meinem Departement (dell Agogna) und von andern 
Beiſpielen nicht einmal zu reden, zeigen ſich bei Romag⸗ 


*) Ich muß bekennen, daß ich eigentlich nicht weiß, was die 
Italiener mit ihrem Pietroſelee wollen. Sehr viele Mal 
bedeutet es Kieſelſchiefer, aber nicht allemal, ſo wie (ig mit 
dem Wort Trappo auch manchmal den Baſalt (nicht vul⸗ 
kaniſchen) bezeichnen. Ueberhaupt iſt ihre Terminologie noch 
ſehr unbeſtimmt. Wenn Herr Gautie ri weiter unten ſagt, 
daß die beßten Geologen behaupten, die meiſten Laven Sepen 
aus Petroſilex und Horuſtein gebildet, fo verſteht er wohl 
Baſalt unter Pietroſelee, denn wirklich if derſelbe der Grund» 
ſtoff ſehr vieler Lavaarten. Hier aber, beym Porphyr, weiß 
ich nicht, was da gemeynt iſt, da ich keinen Baſaltporphyr 
kenne, und mir von jenem noch kein Probſtuͤck zu Geſicht 
gekommen. 


$ 


359 


nano Schwefelkieſe und Würfel ſehr haufig in einer Art 
eines Thonjaspißes. Vielleicht brachte die Meynung im 
ni's und vieler anderer, daß der Porphyr aus Petroſiley 
und Jaspis mit Feldſpath zuſammengeſetzt ſey, (welches 
aber nach ſo vielen Beiſpielen, die wir von Thonporphyr 
haben, die Meynung der Neuen, als Born, Voigt und 
hernach Werner, Lenz, Karten, Brochant und 
an derer nicht iſt) den Herrn Fleurian auf den Gedan— 
ken, daß derjenige dieſer Hügel vulkaniſch ſeyn muͤſſe, qus 
dem da die vornehmſten Geologen glauben, daß aus Pes 


troſilex und Hornſtein die meiſten Laven gebildet werden. 


Aber eben deswegen haͤtte er bedenken ſollen, daß, da der 
Grundſtoff dieſes Porphyrs faſt durchgehends aus Petroſilex 


beſteht, er zur Lava geworden waͤre, wenn vulkaniſches 


Feuer hier jemals ſeine Wirkungen geaͤuſſert haͤtte. Auf 
dieſen Porphyr paßt, was de Luc vom Tremolith ſagt. 
Er iſt zu Glas ſchmelzbar, aber nicht zu Glas geſchmol⸗ 
zen und war es auch nie. Die Hauptmaſſe, die den 
groͤßten Theil dieſes Porphyrs ausmacht, gleicht eines 
Theils dem Jaspis, iſt alſo nicht durchſichtig, hat einen 
erdigen und nicht febr muſchlichen Bruch, auch nicht fiharfs 
kantige Bruchſtuͤcke, enthält hin und wieder aͤußerſt kleine 
Glimmerkriſtallen, deswegen er dem Granitello aͤhnelt, mit 
dem er in dieſer Gegend wechſelsweiſe bricht. Daß er mit 


4 den porphyrartigen Laven nichts zu thun hat, ficbt man 
aus bem ſchon Geſagten. Daß dieſer Porphyr ohne als 
maͤhligen Uebergang fich auf einmal an den Kalkſtein ans 
ſchließt, zeigt nur an, daß die Materie, aus der er gebils 
det wurde, ploͤzlich hier abgeſezt wurde. Die Baſaltgaͤnge, 


die man bei Joachimsthal in Boͤhmen, und der Trapp, 


den man bei Selaſca in der Agogna ſieht, ſind des⸗ 
wegen nicht vulkaniſch, weil ihr Hangendes und Liegen⸗ 
des aus einer ganz andern Steinart beſteht. 


360 


Aus dem bisher Angeführten glaube ich folgern zu dürs 
fen, daß wenn es auch in dieſer Gegend je einen Vulkan 
gegeben hat, doch dieſer Porphyr nie ein vulkaniſches Pro⸗ 
dukt geweſen iſt. Wirklich entſtehen Vulkane auf nicht 
entzuͤndlichen Bergen, wenn nur an ihrem Fuß brennba⸗ 
rer Stoff vorhanden iſt. So koͤnnen manche Steine, die 
man neben den Vulkanen findet, ausgeworfen worden ſeyn, 
ohne daß fie das Feuer im mindeſten vermindert hat ), 
welches manchmal weder die Kraft noch die Zeit hat fie 
zu ſchmelzen. Den ſchoͤnſten Beweis deffen geben die Meers 
ſiſche, welche laut den Beobachtungen von Hum bolds 
die amerikaniſchen Vulkane beinahe unverſehrt ausſpeyen. 
Wenn wir alfo mit Solomicu annehmen, daß ein Buls 
kan allerlei Mineralien enthalten kann, und daß die Berge 
von Auvergne Granit und Porphyr ausgeworfen haben, 
fo. wird endlich doch immer erhellen, daß das vulkanifche 
Feuer entweder nicht ſo viel Staͤrke hatte, den Granit und 
den Porphyr zu ſchmelzen, oder daß fie fo vollkommen ges 
ſchmolzen wurden, daß fic ihre aͤußerlichen Kennzeichen 
ganz verloren haben. Was aber der Meynung des Herrn 
von Bellevue den lezten Stoß giebt, iſt die Verbindung 
und Miſchung des Porphyrs mit Steinarten, die gewiß nie 
den Einwirkungen des Feuers blosgeſtellt waren. So iſt 
er am Fuße und auf dem Gipfel des Cu co mit Maffen 


*) Dergleichen Beweiſe lieferte zuvor der Veſuv genug. Waͤh⸗ 
rend meinem Aufenthalt in Neapel in den Jahren 1789 und 
1790 ſammelte ich Kalkſteine von allerlei Arten, mit den 
ſchoͤnſten Veſuvian⸗Kriſtallen, derben Glimmern, Sienitar⸗ 
ten, Granitarten, Sandſteinarten und andern Gebirgsarten 
aus derbem Feldſpath, Kalkſtein und Veſuvian gemengt, die 
ich anderswo nirgends angetroffen habe. Auch Verſteine ru 
gen in Bleyſtichen, und keine ind vom Feuer angegriffen. 


361 


von Petroſilex oder, beſſer zu fagen, von roͤthlichem Jaspis 
verbunden; fo wechſelt er mit ſleiſchrothem Granit oder 
Granitello beym Saſſo bruciago ab; fo ift er an 
dem Orte, wo Pini graben ließ, nahe an der alten Straße 
von Grantola, von Quarzadern durchſchnitten; und ſo 
kommt er auf bem Pianaccio bei Meſenzano meds 
ſelsweiſe mit verſchiedenen Urgebirgsarten vor ic. 

Daß dieſer Porphyr, wenn er der Naͤße ausgeſezt iſt, 
ſeine bald rothe, bald roͤtbliche oder Orangen-Farbe ver⸗ 
liert und eine violette, dann eine braunſchwaͤrzliche und? 
endlich, beſonders wenn er genezt if, eine ſchwarze ane 
nimmt, dieſes werden alle Phyſiker und Chemiker der ver— 
ſchiedenen Oxidation des Eiſes zuſchreiben, von welchem 
dieſer Porphyr und beinahe alle Steine ihre Farbe erhal 
ten. Daher kommt die ſchwarze Farbe des Huͤgels von 
Pietra nera von der Auflöfung des Eiſenoxyds, welches 
ſowohl im Porphyr als im Glimmer des Granitels daſelbſt 
enthalten iſt. 

Unter den verſchiedenen Arten und Abaͤnderungen des 
Porphyrs, welche man in dieſen Gegenden findet, muß ich 
eines ſchoͤnen gruͤnen gedenken, den ich in Geſchieben un⸗ 
weit dem Saſſo ſiretto und an ben Abhaͤngen des Hüs 
gels von Pietra nera fand. Wäre er Härter, fo könnte 
er eine herrliche Politur empfangen und den zierlichſten 
Marmor an Schoͤnheit übertreffen. Ich zweifle gar nicht 
daran, daß er an feinem Lagerort, den ich meines Beſtre— 
bens ungeachtet nicht finden konnte, harter und lebhafter gez 
färbt ſeyn wird. 

| 30105 
Die unregelmaͤßigen Baͤnder und Adern von Quarz, 


Jaspis, Petroſilex und Karneol, die im rothen Porphyr 


] vorkommen, koͤnnen aus folgenden Grinden unmöglich den 
Lauf geſchmolzener Beſtandtheile enthalten: 1. Weil fie 


362 


ſelbſt nicht aus vulkaniſcher Materie beſtehen. 2. Weil fie 
febr felten dünn und unregelmäßig find; 3. nicht immer 
mit einander in Verbindung ſtehen; 4. auch ſich nicht im⸗ 
mer an der aͤußern Oberfläche des Steines befinden; s. fie 
auf einigen Hügeln angetroffen werden; 6. auf dem naͤm⸗ 
lichen Hügel ſelbſt abaͤndern; 7. man fie nicht haͤufiger auf 
der Oberfläche der Hügel, beſonders der obern, auf den 
untern Kalkbergen aber wohl findet; 8. haͤtte endlich der 
Quarz die Wirkung des Feuers erfahren, fo wäre er nicht fo 
durchſcheinend, glaͤnzend dicht und ſo innig mit der Maſſe 
des Porphyrs vereinigt. 


Die Adern in den Steinen, ſowohl in dieſen als in 
andern Gebirgen, verdanken ihre Bildung meiſtens einigen 
naͤmlichen Urſachen, durch welche die, Gänge erzeugt were 
den, und wie dieſe, ſo ſind auch jene oft mit Beſtandthei⸗ 
len angefüllt, die ſich nicht von oben herunter aus dem 
Waſſer niederſchlugen, aber die ſich durch die Geſetze der 
Verwandtſchaft und der Anziehungskraft auszukundſchaften, 
zu nähern und zu vereinigen wußten ... Nur der Unwiſ— 
fende, der die Berge unbeweglich ſieht, Halt fie für volle 
kommen unthaͤtig. Allein es ift Bewegung in ihnen (Tree 
bra kann ihn daruͤber belehren,) es giebt Abſonderungen 
und Ausſonderungen und wie in den organifchen Körpern 
Bildung, Zerſtoͤrung und Wiedererzeugung. Ich will hier 
nicht wiederholen, was ich in einem deutſchen Werke ) 
uͤber den Urſprung, Bildung und Bau des Chalcedons und 
andern ihm verwandten Steinarten geſagt habe. 


— 


*) Joſeph Gautieri Abhandlung úber die Entſtehung, Bil 
dung und den Bau der Chalcedone und der mit ihm vete 
wandten Steinarten, insbeſondere aber des Chaleedons 
von Drefiztyw in Siebenbuͤrgen. Jena 1800. 8. 


363 


6. à 

Die Kriſtalliſazionen einer dem Karneol aͤhnlichen Ma— 
terie, die jemand in dieſem Porphyr will geſehen haben, 
koͤnnen deswegen keine ſeyn, weil ſie nierenfoͤrmig ſind. 
Man kann die Geoden von Lantereck, Oberſtein, 
Walkenried und Boulogne nicht Kriſtalliſazionen nen⸗ 
nen, wenn ſie ſchon in ihrer innwendigen Oberfaͤche nicht 
felten Berg-, Quarz-, Schoͤrl⸗, Eifen-, Spaths und andere 
Kriſtalle enthalten. Aber it denn der Karneol ein vulfa> 
niſches Produkt? Ob ich mich gleich nicht unterſtehe die 
Moͤglichkeit zu laͤugnen, ſo iſt es doch gewiß, daß ſehr viele 


Berge, wo Agate, Chalzedone, Karneole und dergleichen 


Steinarten gefunden werden, wie z. B. in Sardinien, im 


vormaligen Herzogthum Zweybruͤcken, im Harz x. gewiß 


nicht vulkaniſch find. Wer die Heide zwiſchen Harburg, 
Luͤneburg und Celle beſucht hat, wird ſich gewiß uͤber⸗ 
zeugen, daß die Chalzedone, Agate und Karneole, welche 
man daſelbſt zwiſchen dem Sande und den Bruchſtuͤcken 
verwitterter Berge findet, nie ihren Urſprung Vulkanen 
danken konnten, da dieſe Heide die unverkennbarſten Bes 
weiſe an ſich traͤgt, daß ſie nicht vor vielen Jahrhunderten 


vom Meer verlaſſen wurde. Noch muß ich Ihnen ſolgende 


Beobachtungen, die auf dieſe Karneolnieren Bezug haben, 
mittheilen. Erſtens find diefe Nieren ſehr felten; zweitens 
ift dieſer vorgeſchuͤzte Karneol nichts anders als Feuerſtein, 


Hornſtein und Petrofiler, felten mit einer Art egyptiſchem 
aber nicht dendritiſchem Jaspis verbunden; drittens trift 


man diefe Bänder ſehr felten im Porphyr und Häufig im 
darunter liegenden Kalkſtein an. 
& 7. 
Ich habe ſchon geſagt, daß man fo gerne den Gedan— 
ken der rothen Farbe mit demjenigen des Feuers und bens 
jenigen der ſchwarzen mit der Vorſtellung verbrannter Köra 


* 


364 


per verbindet. Schon manchmal haben hier die Sinne über 
die Vernunft den Sieg davon getragen. Aber wird der 
Mineralog, der auf der Straße des Simplons, nahe bei 
rella, ſchwarzgefaͤrbte Berge ſieht, fie deswegen für Vul⸗ 
kane halten? Sollten deswegen der Dachſchiefer, die Horns 
blende, alle Baſaltarten ohne Unterſchied, der Trapp und 
ſo viele andere ſchwarze oder ſchwaͤrzliche Mineralien ein 
Werk des Feuers ſeyn? Warum nicht eben ſowohl das 
ſchwarze Eiſenorid? Mit Recht ſagt Hericaut de Thu⸗ 
r9, daß in der Mineralogie nur wenig bewanderte Lieb— 
haber den Berg von Chalanches wegen der großen Menge 
von weißem ſilberfarbnem Glimmer, den man daſelbſt ſieht, 
als ganz aus Silber beſtehend, anſehen konnten. Ich er⸗ 
warte zwar wohl, daß man mir ſagen wird, daß eben 
verbrannte Koͤrper ſchwarz werden wegen der Oxidation 
und Durchſaͤurung des Eiſens am Feuer. Aber ich bemerke 
erſtens, daß, fo wie die Grade des Feuers, denen die vul⸗ 
kaniſchen Steine ausgeſezt werden konnten und demnach auch 
ihre Schmelzung und Zuſammenſetzung verſchie den ſeyn 
konnte, ſo verſchieden mußten auch die Farben ausfallen. 
Zweytens da in dieſer Gegend der brennbare Stoff fehlt, 
um lange Zeit einen Vulkan zu naͤhren, ſo fehlte auch der 
erforderliche Kohlenſtoff, um die Schmelzung zu unterhals 
ten. Drittens, daß wenn ſich das Eiſen waͤhrend der 
Schmelzung des Steines oridirt hätte, fo würde es wahr 
ſcheinlicher Weiſe wie in vielen andern Laven die Eigene 
ſchaft verloren haben, die Magnetnadel anzuziehen und zu⸗ 
ruͤckzuſtoßen. 
Wegen dieſer lezten Eigenſchaft des ſchwarzen Steines, 
von dem wir ſprechen, haͤtte ihn der bewußte Geolog nicht 
ſo geſchwind, wie es ſcheint geſchehen zu ſeyn, fuͤr vulka— 
niſch erklaͤren ſollen, denn auf der einen Seite giebt es hun— 
dertfaͤltige Beiſpiele von eiſenhaltigen Laven, bei welchen 


* 500 
die Magnetnadel unbeweglich bleibt, und auf der andern 
Seite findet man vielerley und unter ſich ſehr verſchiedene 
Steinarten, an welcher Entſtehung das Feuer gewiß nicht 
den geringſten Antheil gehabt, die die Magnetnadel anzie— 
hen und zuruͤckſtoßen und noch uͤberdieß ſelbſt magnetiſch 
(nb. Zu dieſen gehören der cifenfjaltige Sand von der 
Inſel Elba, das oktaedriſche Eiſen von Fahlun, dasje⸗ 
nige im Malenkertbal im Departement der Adda, 
der polariſirende Serpentin von Humboldts, Flurls, 
Steinhaͤuſers und Schneiders, einige Granitarten 
aus dem Harz u. ſ. w. Man kann mir wohl das Bey⸗ 
ſpiel des Vulkans von Pietramala entgegenſetzen, wel⸗ 
cher die Eigenſchaft hat, einige Steine magnetiſch zu mas 
chen, ich aber werde dagegen unzaͤhlige Beiſpiele von Vul⸗ 
fanen anführen , deren Laven auf keine Weiſe Magnetig 
mus aͤußern, obgleich ſie ſehr reich an Eiſen ſind; ich werde ; 
durch. meine Erfahrungen bartbun, bag dad magnetifirte 
Eifen, wenn es einem leichten Grade der Schmelzung auga 


geſezt wird, feine anziehende Kraft verliert. Der Vulkan 


von Pietramala verhaͤlt ſich gar nicht wie die andern 


Vulkane aͤchter Art, und aus demjenigen was uns Herr 


von Raſumofsky, Spallanzani und andere Mine⸗ 


ralogen von ihm melden, ſcheint es, daß die Gaͤhrung da⸗ 
eſelbſt eher durch die Entzuͤndung des Waſſerſtoffs als durch 
Steinkohlen, Schwefel, oder andere ähnliche verbrennliche 
Materien unterhalten werde. Auch ſpielt die Elektrizität 
daſelbſt ihre Rolle, deren Factor, nach den neueſten Ent⸗ 
deckungen Ritters, mit demjenigen des Magnets idena 
tiſch ſeyn ſoll. Durch dieſe Meynung, welche uns zu glau⸗ 
ben Anlaß giebt, daß die Bafs des Waſſerſtoffs in Kohlen⸗ 


ſtoff betebe, wie ich es anderswo zu vermuthen mich er 


kuhnt habe, wurden wir in den Fall kommen zu erklaͤren, 
wie fid) das Eiſen vermitteiſt der Entziehung des Sauer- 


366 


ſtoffs daſelbſt reduzire, und vermittelt dem hinzukommenen 
der poſitiven Elektrizitaͤt magnetiſch werde. 

Unter den andern Eigenſchaften des ſchwarzen Steines 
hat man auch diejenige beobachtet haben wollen, daß ſeine 
Bruchſtuͤcke beſtaͤndig rhomboidaliſch oder viereckig find. Ich 
habe aber zum oͤftern bemerkt, daß er eben fo oft priömas 
tiſche und ſonſt verſchieden geſtaltete Bruchſtuͤcke zeigt. Dies 
ſes kommt von ſeinem innern Bau und der Menge beinahe 
unſichtbarer Rißchen in demſelben her. Die Abſonderungsfäaͤ⸗ 
chen ſind gewoͤhnlich etwas verwittert, Beweis, daß er be— 
ſtaͤndig und langſam in Bruchſtuͤcke verfchiedener Form zera 
fällt, Dieſes mag wohl die Urſache ſeyn, warum der Bas 
fait, der Trapp und andere aus Thon und Kieſel zuſam— 
mengeſezte und mit wenig fremden großen Koͤrpern gemengte 
Steinarten, nicht anders brechen, welches meiner Mey— 
nung nach dem Verluſt und der Zerſetzung des Waſſers zus 
zuſchreiben iſt, wodurch die Anziehungskraft der Maſſe der 
Steine verringert wird. Ich beſitze Stuͤcke Thon, welche 
der berühmte Kriſtallogravyh Hausmann in der Nachbar- 
ſchaft von Hannover gefunden hat, der fich in dreya, vier o; 
fünfz und ſechsſeitigen Saͤulen theilt, wie gewoͤhnlich der 
Baſalt, und dieſe Figur nehmen auch die Steinkohlen am 
Meißner, wo «e mit Erde gemengt find, und der geſpal— 
tene, an der Sonne oder im Feuer zerfallene Toͤpferthon o 
an. Ich kenne wohl die Meynung Dolomieu’s, daß 
die in das Meer gefloffenen Laven im Erkalten eine regel⸗ 
maͤßige Figur annehmen; mir ſind auch die Verſuche Halls, 
die Entglaſung geſchmolzener Koͤrper bekannt, ja ich bewah⸗ 
re ſelbſt ſaͤulenſoͤrmige Steine auf, die (ic) beym Feuer etz 
nes Schmelzofens kriſtalliſirt haben; aber ich weiß eben fo 
wohl, daß dergleichen Bildungen, wie Herr von Hoff (tbv 
wohl fagt, nichts weniger als wahre Kriſtalliſazionen find, 
auch eben ſo wenig als in jenem ſchwarzen Steine ſich gleich 
bleiben. 


367 


Was iſt denn aber dieſes für ein Stein? Fleuriau 
nannte ihn ohne Bedenken eine glaſige Lava. Allein der 
Name Lava iſt in unſerer Wiſſenſchaft immer ſo irrefuͤh⸗ 
rend, unbeſtimmt und unbedeutend als der Name Mar⸗ 
mor. Alle von Vulkanen geſchmolzenen Steine, die feuer- 
befiandig, von etwas glatter Oberfläche, von eher pechar⸗ 
tigem als Glasglanze ſind, ſollten glaſige Laven genannt 
werden, und doch wie ſehr ſind da die einen von den an⸗ 
dern verſchieden! Pini, nachdem er dieſen Stein genau 
beobachtet und unterſucht hatte, nannte ihn einen glaſigen 
Porphyr. Es it auch wirklich ein wahrer Pechſtein por⸗ 
phyr, leicht fuͤßig, der kleine Stuͤckchen Kieſelſchiefer ente 
haͤlt und die beym erſten Anblick ein fettes, unreines Glas 
ſcheint. Er hat einen ebenen, doch nicht ſehr glatten Bruch; 
angehaucht giebt er einen bitterlichen, thonartigen Geruch 
und verliert den vom Anhauchen entſtandenen Nebel gleich. 
An einer friſchen Bruchſtelle haͤngt er etwas an der Zunge, 
ſtaͤrker aber an einer ſolchen, wo er zu verwittern anfangt. 
Sein Gewicht ift 3606 : 1000, Er it undurchſichtig, ob- 
gleich hart ganz feuerbeſtaͤndig, giebt wenig Funken am 
Stahl und auch diefe mögen eher die kleinen Feldſpathkri⸗ 
ſtallen, oder der Kieſelſchiefer als der Pechſtein verurſachen. 
Beym Zerſtufen bricht er, wie wir ſchon geſagt haben, in 
ſehr verſchieden gebildete Stuͤcke mit ſchneidenden Kanten, 
bed) meiſtens von 30 — 60; fein Glanz it ganz pechar⸗ 
tig, doch wegen feiner unregelmäßigen Oberfiäche ſchim⸗ 
mernd. Seine Farbe geht aus dem Dunkel- und Gruͤnlich⸗ 
ſchwarzen ins Mattſchwaͤrzliche uͤber, und zwar wegen der 
innigen Miſchung mit einer ſehr großen Menge aͤußerſt 
kleiner Feldſpathkriſtallen, die, wie Pini ſchon beobachtet 
hat, in das Meergruͤne ſpielen. Dieſe gruͤnliche Farbe 
kommt aber nur vom Gegenſchein der den Felbſpath ums: 
gebenden ſchwarzgruͤnlichen Maffe, als von feiner eigenen 


36S 

Farbe her, denn 1. fondert man einige Körnerchen her⸗ 
aus, ſo kann man dieſe Farbe nicht wahrnehmen; 2. wird 
dieſer Porphyr geſchliffen, ſo ſcheint der Feldſpath weiß; 
3. in verwitterten Stuͤcken, und beſonders auf ihrer Ober: 
fache, wo der Feldſpath befer in die Augen fallt, ſieht er 
niemals gruͤnlich, ſondern weiß oder gelblich aus; 4. man 
ſieht dieſe Farbe nur bei ſtarkem und ſchief auffallendem 
Licht, welches auch Pini ſehr richtig bemerkt hat; s. auch 
nur dann nimmt man wahr, daß die Feldſpathkoͤrner durch 
das Zerſtuſen von der Mafe des Steins los find, und nur 
an ihr noch hangen. 

Es könnte jemand einwenden, daß der Pechſteinporphye 
auch in den Gebirgen um Tokay, die Fichtel fuͤr vul 
kaniſch erklaͤrt hat, und daſelbſt manchmal in Obſidian⸗ 
vorphyr und in Obſidian ſelbſt übergeht, der doch allge⸗ 
mein als vulkaniſches Produkt angeſehen wird, vorkommt. 
Auf den erſten Einwurf antworte ich, daß der Pechſteinpor⸗ 
phoe in Sachſen und beſonders bei Planiz, Schemnitz 
und Meißen Schichten und ſogar ganze Berge bildet, 
daß ich ihn im Schaft Joſeph der Zweyte bei Windſchacht 
in Ungarn fand, und daß er alſo in Oertern zu finden 
it, die nie kein vulkaniſch Feuer berührt hat. Auf den 
zweyten aber, daß, ob ich gleich den auch von mir beobach⸗ 
teten Uebergang nicht laͤugne, deswegen die Vulkanitaͤt 
nicht bewieſen ſey; denn weder der Obſidian ſelbſt, noch 
der Obſidianporphyr werden von allen Geologen ohne Un⸗ 
terſchied für vulkaniſch erkennt. Zu dem kommt noch, daß 
ſowohl mein Freund Esmarch als andre die Meynung 
Fichtels, als wenn ſowohl die Karpathen als das merk: 
wuͤrdige Vorgebuͤrge, welches die weinreichen Huͤgel von 
Tallya, Zemplin, Szanto, Mada, Tarzal, Sze— 
renes, Keresztur und Tokay bilden, Feuerberge ges 
weſen, ſehr in Zweifel ziehen. Geſezt aber, daß der Pech⸗ 


x 


369 


ſteinporphyr in einigen Orten vulkaniſch ſeyn mag, it er 
es deswegen uͤberall? Nimmermehr! In dem oben angea 
fuͤhrten Joſephsſchacht habe ich den Uebergang des Pechſtein⸗ 
porphyrs in Obfidianporphor geſehen, und fo wie nach den 
Beobachtungen von Humboldt auf Teneriffa, von 
Veltheim, Beroldingen, Voigt und vielen andern 
der Obſidian ſeinen Urſprung dem Feuer zu verdanken hat, 


ſo muß man nach denjenigen von Werner, Pennant, 


Cordiner, Gerhard und Sawareſi in andern Orten 
ihn eben ſo gut dem Waſſer zuſchreiben. So wie es auch 
wahrſcheinlich iſt, daß der Klingſtein (gemeiniglich, aber 
faͤlſchlich Porphyrſchiefer genannt) in Boͤhmen, und nach 
Daubuiſſon auch in Auvergne durch das vulkaniſche 


Feuer gebildet und vollendet wird, ſo giebt es doch bey 
Roſſa in der Val Seſia einen ganzen Berg von Kling⸗ 


ſtein *), wo es gewiß niemand in den Sinn kommen wird 
an Vulkane zu denken. 

Doch genug hievon, ich habe ſchon beedi bewieſen / 
daß Waſſer und Feuer nur als Bedingungen und Gelegen⸗ 
heiten zur Bildung der Koͤrper angeſehen werden muͤſſen, 
und daß die naͤmlichen Mineralien (Delit mag dagegen 
fagen was er will) in gewißen Fallen ihren Urſprung dem 
Feuer, in andern Faͤllen aber dem Waſſer zu verdanken 
haben. Hätte fid Dolomieu feiner Erklärung erinnert, 
daß ſowohl er als andere unmoͤglich durch die aͤußeren und 
chemiſchen Kennzeichen beſtimmen koͤnnen, ob ein Mineral 
auf dem naßen oder trockenen Wege entſtanden ſey, ſo 
wuͤrde er lezthin (naͤmlich im Journal des Mines) ſich 


nicht geaͤuſſert haben, daß er ſich eher zur Meynung ſeines 
Schuͤlers Fleuriau de Bellevue neigen muͤſſe. 


à) Dieſe Angabe iſt merkwürdig, da c8 ſehr felten if, innert 
den Grenzen der Alpen Klingſtein anzutreffen. 
a Bd. A 4 


370 


Betrachtet man die Art, wie der Pechſteinporphyr hier. 
vorkommt, ſo wird man keinen Augenblick anſtehen mit 
mir zu urtheilen, daß er nie geſchmolzen geweſen iſt. Un⸗ 
weit Grantola erſcheint er gleichfoͤrmig, mit dem ro⸗ 
then Porphyr aber ſchief und unter ihm geſchichtet. Iſt 
der rothe Porphyr nicht vulkaniſch, ſo wird es der Pech⸗ 
ſteinvorphyr noch viel weniger ſeyn. Der Pechſteinporphyr 
liegt zu Campaccio unter einer Schichte thoniger und 
ſandiger Erde, welche, wie Pini glaubt, aus der Verwit⸗ 
terung einer Granitart oder des naͤmlichen Porphyrs ent⸗ 
ſtanden ift, und in welcher einzelne Stucke eines ſchwaͤrz— 
lichen, ſehr harten, mit kleinen Feldſpathkoͤrnern und ro— 
then Flecken verſehenen Porphyrs zerſtreut liegen. Man 
wird doch dieſe Schichte nicht fuͤr Lava halten, oder glau⸗ 
ben, daß ſie von der Lava dahin gebracht worden ſey. Aber 
noch mehr. Eben dieſe Schichte wird von einem dunkel⸗ 
rothen, ſehr harten Porphyr bedeckt, auf welchem die ve⸗ 
getabiliſche Erde liegt. Wo iſt nun die Lava, die ſich un⸗ 
ter den Schichten der thonigen und ſandigen Erde, des 
Porphyrs und der vegetabiliſchen Erde einen Weg bahn⸗ 
te!!! ..... Man wird mir wohl fagen, daß fid) diefe 
drey Schichten nach der ſogenannten Lava gebildet haben. 
Ich antworte aber darauf: x. Daß fid) kein Grund ans 
geben laͤßt, den Pechſteinporphyr fuͤr aͤlter als den rothen 
zu halten, da auch dieſer, nach meinen und anderer Geo— 
logen Beobachtungen, ſowohl Uebergangs- als Urgebirge 
bildet. 2. Daß der Pechſteinporphyr hier hin und wieder, 
wie z. B. zu Campaccio, nicht in wagerechten Schichten, 
wie gemeiniglich die Laven liegen, ſondern in ſenkrechten, 
wie der Porphyr im Tirol vorkommt, und auch dieſe wie 
ein (cbr tiefer Gang, der ſenkrecht geſchichtet it. 3. Daß 
in verſchiedenen Orten der ſchwaͤrzliche Porphyr mit dem 
Pechſteinporphyr abwechſelt. 4. Daß der rothe Porphyr 


E 


0 , 374 


unter dem Pechſteinvorphyr liegt. 5. Daß beyde Arten 
Porphyr aus einer aͤhnlichen Maſſe beſtehen, naͤmlich aus 


einer kieſelartig-thonigten, in welcher haufig Bruchſtuͤcke 


und Kriſtalle von Feldſpath und auch Quarz zerſtreut lie⸗ 
gen. 6. Daß man endlich unter den Gebirgsarten, aus 
welchen dieſe Huͤgel zuſammengeſetzt ſind, nichk jene Ver⸗ 


wirrung in der Schichtung wahrnimmt, wie es bei den 
Laven gewoͤhnlich iſt, ſondern das Ganze ſcheint, wie es 
Pini ſehr wohl bemerkt hat, eine einzige große Lage in 


kleinen Schichten abgeſondert. 

Aber ſetzen wir den Fall, der Pechſteinporphyr feye 
eine Lava und habe eine ſehr heftige Schmelzung ausge⸗ 
ſtanden, welches uns ſeine Eigenſchaft, die Magnetnadel 


anzuziehen, vermuthen laffen mußte; warum ift denn der 


in ihm ſo haufig enthaltene Feldſpath nicht geſchmolzen, 


ja warum hat er nicht einmal ſeine kriſtalliniſche Figur 


verloren? Ich meines Theils glaube zuverſichtlich, daß der 
einem fo heftigen Feuer unterworfene Feldſpath ſich haͤtte 
ganz zerſetzen, ja da er ohne große Schwierigkeit ſchmelzt, 
vollkommen aufloͤſen und mit dem Pechſtein eine gleichar⸗ 
tige Maſſe bilden ſollen, die dem ſchoͤnen geſtirnten Glas, 
welches Sie zuerſt mit dem Trapp von Selaſca zuwege 
gebracht haben, nicht unaͤhnlich geweſen waͤre. Aber nichts 
von allem dem, und ich muß bald glauben, daß wenn 


Pini dieſen Porphyr nicht einen glaſigen genannt hatte, 


es vielleicht niemand in den Sinn gekommen wäre, ihn 
für vulkaniſch zu halten. Das glaſige Anſehen nebſt der 


ſchwarzen Farbe dieſes Porphyrs waren hinlaͤnglich zu ei⸗ 
Pus ſolchen falfchen Schluße denjenigen zu verführen, der 
von wahren Vulkanen ein zu lebhaſtes Bild der Schmel⸗ 


zung mitgebracht hatte, 
Zum Beweiſe des Angefuͤhrteß und zur Beſtaͤrkung des 
noch Schwankenden kann ich folgende Gründe anführen: 


372 
1. Nicht die ſteinartige Maffe, ſondern der Feldſpath veia 
urſacht den Glanz in dieſem Porphyr. 2. Er hat die Ei⸗ 
genſchaft, ſeine Schwaͤrze und ſeine Undurchſichtigkeit in ei⸗ 
nem Grade der Hitze zu behalten, bei welchem ſowohl der 
Obſidian als die Lava weiß werden. 3. Er verwittert an 
der Luft ſehr leicht und geht in eine roͤthliche Erde uͤber. 
4. Nicht immer behaͤlt er den gleichen Neigungswinkel mit 
der unter ihm liegenden Steinart. 5. Der Pechſteinpor⸗ 
phyr kommt auch unweit Pianaccio ob Meſenzana, 
der die Valcuvia und einen Theil der Valtravaglia 
vom Langenſee trennt, vor. 6. Die Wahrſcheinlichkeit, wo 
nicht gar die phyſiſche Gewißheit, daß die Thaͤler Cu via 
und Travaglia vor Zeiten vom Waſſer bedeckt waren. 
Dieſes erhellet a. aus den daſelbſt von dem Waſſer zu⸗ 
ruͤckgelaſſenen Verſteinerungen; b. aus dem Vergoͤl, das 
in verſchiedenen Stellen dieſer zwey Thaͤler herausſchwitzt; 
c. aus den nicht ſeltenen Anzeigen von Steinkohlen, die 
in denſelben vorkommen; d. aus den Schichten von Kie⸗ 
feldreccien und Nagelfüh, die bei Meſenzana und anə 
derswo an den Tag kommen; e. aus der Uebereinſtimmung 
der Steinarten auf beiden Seiten der Thaͤler und zwar un⸗ 
ter dieſen beſonders des Ueber gangkalkſteins, des rothen 
Porphyrs und des Pechſteinporphyrs; f. aus der Ueberein⸗ 
ſtimmung der Richtung und Neigung der Schichten obge⸗ 
nannter Steinarten; g. aus der Menge von Seen, die ſich 
zum Theil in dieſen Gegenden noch befinden, oder vor Zei⸗ 
ten da geweſen ſeyn mußten; h. aus der hohen Lage der 
Seen von Mergozzo, Orta, Ghirla, Gana, Va⸗ 
refe, Comabbio, Biandronno und Lugano, wel 
che, weil fie nicht ſtarke Zufúge haben, vermuthlich Ue⸗ 
berreſte des vor Zeiten weit groͤßern Lago maggiore 
ſind; i. aus dem Umſtande, daß die Wafferläche des La go 
maggiore fets niedere wird, fo daß man bald wird ge 


315: 


zwungen werden, den Auslauf des Tizins aus demfelben 
zu vertiefen; k. aus dem Umfang und der Tiefe des Bet— 
tes dieſes Flußes; J. aus den Merkmalen nicht nur einer 
Ueberſchwemmung, ſondern eines fortgeſezten Ausſtroͤmens 
eines großen Flußes, wie der Tizin vermuthlich vor Zeiten 
einer geweſen ſeyn mußte; m. aus der Wahrſcheinlichkeit der 
Sage, daß der See von Orta und der lange See in gleis 
cher Höhe gelegen und fich dieſer bis auf Domo d' Of 
ſola erſtreckt habe; n. aus der Breite des Thales Tra⸗ 
vaglia bei ſeinem Urſprung, naͤmlich bei Porto, Gere 
mignaga, Luino und Maccagno; o. aus der Beob- 
achtung, daß beſonders im Thal Cup ia die hereindrin⸗ 
genden Winkel den herausd ringenden ähnlich find; p. aus 


der abgerundeten Figur aller dieſer Hügel, welche niederer 


7 
í 


als jene zwey Thaͤler find ꝛc. 
8. 
Bei dem Saſſoſſtretto (nicht freddo) hören die 
rothen Steine oder die Geſchiebe und Bruchſtuͤcke des Por⸗ 
phyrs nicht auf, ſondern man findet ſie noch im Thale und 
beinahe in allen herumliegenden Bergen. Dieſes muß ich- 
bemerken, um den falſchen Begriff einer allmaͤhligen Ad» 
nahme zu benehmen, den die Vertheidiger der Meynung, 
die ich beſtreite, zu erfinden wußten. Der Saffo treto 
und jene Huͤgel beſtehen aus dem nämlichen Porphyr. 
Wenn man, von Ferrera herkommend, den Saffo 
ſtretto hinter ſich gelaſſen hat, ſo ſieht man etwas tiefer 
unten und auf beiden Seiten einer kleinen Jaſpisader eine 


| hochrothe Erde, die 4nit dem ſchwaͤrzlichen Porphyr abs 


wechſelt. Anſtatt Puzzolana möchte es wohl Bolus 
ſeyn. Daß ſie keine Puzzolana iſt, beweiſen 1. ihre Farbe. 


2. Ihr Glanz. 3. Ihre Glaͤtte. 4. Ihre abfarbende Eis 


$ 


* 


genſchaft. 5. Der bittere Thongeruch nach dem Anhau— 
chen. 6. Das Anhaͤngen an der Zunge. 7. Ihr, zwar; 


374 


nicht ſtarkes Leuchten, da wo man fie reibt. 8. Endlich 
ihr mit einigem Geraͤuſch verbundenes Zerfallen im Waſſer; 
alles Kennzeichen, die freylich nicht der Puzzolane, wohl 
aber dem armeniſchen Bol zukommen. 

Aber die Puzzolane wird in den Kratern erlofchener ` 
Vulkane gefunden; fie entſteht aus der Zerſetzung der Schlas 
cken. Hier aber iſt weder Lava noch Schlacke, hat auch 
nie keine gegeben; folglich kann man auch keine Puzzolane 
finden, Auch iſt dieſes Mineral weder rundlich noch eckig, 
enthaͤlt weder Schoͤrle noch Feldſpath, noch Granaten, 
kurz es kann kein einziges Kennzeichen der Puzzolane auf⸗ 
weiſen. 

Man findet dieſen Bol nicht nur hier, ſondern auch 
zu Maggiora und Biella, in den Gebirgen der Grafa: 
ſchaften Zemplin und Abujvar in Ungarn an den Ab⸗ 
haͤngen der Porphyrgebirge. Sollte er nicht der Verwit⸗ 
terung des Porphyrs ſeinen Urſprung verdanken? Alle Um⸗ 
ſtaͤnde ſcheinen uns in dieſer Meynung beſtaͤrken zu wollen. 
Uebrigens kommt er hier ſo ſparſam vor, daß man kaum 
ein Paar Pfunde ſammeln koͤnnte. 

Nicht weit von dieſem Orte bricht ein anderes Mine⸗ 
ral, das einige Aehnlichkeit mit dem Trippel zeigt. Allein 
wenn Coca, Voigt, Daubuiſſon, Delametherie, 
Schaub, Lamanon und andere beruͤhmte Vulkaniſten 
ihn ſehen koͤnnten, fo wuͤrden fic ihn gewiß weder für vul⸗ 
kaniſch noch fuͤr pſeudovulkaniſch halten, denn er hat gar 
keine Blaſenraͤume, iſt nicht hart, klingt nicht und haͤngt 
an der Zunge ic. ; 

Neben der rothen jaſpisartigen Ader findet man auch 
eine Art Toͤpferthon, die wirklich zu Geſchirren gebraucht 
werden koͤnnte. Vielleicht hat man fich dieſes Thong ſtatt 
Puzzolane, um im Waſſer zu bauen, bedient. Es kann 
fon, daß es geſchehen its allein nach demjenigen zu nea 


373 


theilen, was ich gehört habe, ift es entweder nie oder doch 
mit ſehr ſchlechtem Erfolg geſchehen. í 


9. 

Sie felber haben in Ihrem obenangeführten Werke ) 
gezeigt, welchen Schluß man aus dem Umſtande ziehen: 
koͤnne, daß der Berg von Marchirolo hohl if. Sie 

ſagen, daß im Jahr 1711 die aus dieſem Berge hervor⸗ 
brechenden Waſſer fo viel Erde und Steine herunter führs 
ten, daß das Bett der Treſa davon aufgefuͤllt wurde, 
fo daß viele Oerter am Lauiſerſee (wie Sor mani verſi⸗ 
chert) uͤberſchwemmt und unter Waſſer geſetzt wurden. 
Sie haben gezeigt, wie fid) diefe Höhlen bilden. Glei— 
chen Urſprung wird auch die Hoͤhle im naͤmlichen Berge 
unter Cunardo gehabt haben, von der ein Schriftiteller- 
aus dem 17ten Jahrhundert ſpricht. Es it auch ganz nas 
tuͤrlich, indem der Kalkſtein, aus welchem der Berg Des 
ſteht, ſehr viel Anlage zur Verwitterung zeigt. Ich, der 
ich auf meinen Reifen immer die merkwürdigen Höhlen 
beſucht habe, kann Sie verſichern, daß ſie beinahe alle, 
wo nicht in Floͤzkalkſtein, doch immer in einem fehr feins 
koͤrnigen, wie dieſer auch iſt, oder im Kalktuf liegen. Be⸗ 
finden fid) die Höhlen von Bremen, Prafonduͤ, 
Gravinate und Biancamonda auf der Ebene von 
Tivana am Comerſee nicht in einem aͤhnlichen Kalkſtein? 
Gewinnt man nicht Alabaſter in den Höhlen bei Frascas 
trolo in Val gana? Weberdieg iſt nicht zu vergeſſen: 
1. Daß wenn diefe Höhlen für Ueberbleibſel ehmaliger 
Feuerberge gehalten werden ſollten, fo muͤßten auf der Seite 
der Trefa noch Laven vorhanden ſeyn, weil fich die Deff 
nung auf dieſer Seite des Berges befindet, 2. Daß wenn 
dieſe Hoͤhlen als Trichter gedient haben, ſo muͤßte doch 


*) Amörstti Viaggio ai tre Laghi. Za Edizione. S. 124. 


376 


die eine oder die andere offen fern. 3. Sollte man bod) 
im Innern des Berges einige Ueberreſte von Laven antref⸗ 
fen. 4. Daß, da die Ausbruͤche unterirdiſcher Waſſer aus 
den Gebirgen bei Melide und Biſcione am Luganer⸗ 
fee fehe plözlich und gewaltig erfolgten, fo muß man für 
erwieſen halten, daß fid) in denſelben große Hoͤhlungen bes 
finden, und daß der Luganerfee anflatt an Waſſer juzu 
nehmen, wie Caſtiglione glaubt, im Gegentheil wegen 
der Menge Materie, die in denſelben iſt gefuͤhrt worden, 
an Tiefe abgenommen habe. 5. Daß verſchiedene von die⸗ 
ſen Hoͤhlen vielleicht im Anfang nur Stollen oder Schaͤchte, 
oder zuſammengeſtuͤrzte Grotten waren, welches die Menge 
der Mineralien beweiſen, die man noch heut zu Tage in 
dieſen Gegenden gewinnt, und vielleicht kommt der Name 
Cunardo ſelbſt muthmaßlich von Cuniculo, Nebengang, 
und derjenige von Lavena von La vena, die Ader, her, 
wo wirklich der erfahrne Odmark eine Erzader bearbei⸗ 
ten laͤßt. 6. Daß wenn man auch die Meynung Berol 
dingens annehmen wollte, daß Feuchtigkeit und Regen 
ſich haͤufig bei vulkaniſchen Bergen wegen der Elektrizitaͤt 
einfinden, die Baſalte und glaſige Laven gegen waͤſſerichte 
Duͤnſte ausüben , fo koͤnnten wir deswegen doch keine guͤn⸗ 
ſtige Folge fuͤr die Meynung Fleuriau's daraus ziehen, 
da man die Hoͤhlen weder im rothen noch im Pechſtein⸗ 
porphyr antrifft. Nehmen Sie endlich an, daß die ſchlam⸗ 
migen Auswuͤrfe, laut dem Dafuͤrhalten des gelehrten 
Spallanzani möglich ſeyen, fo werden Sie aus dem 
Zuſammenhang aller angefuͤhrten Umſtaͤnde finden, daß 
auch dieſe in jener Gegend nicht ſtatt haben konnten. 
10. 

Es iſt noch nicht erwieſen, daß die Erde von Vicenza 
eine verwitterte Lava ſey, und daß ſich dieſe Erde ſtets bey 
Allen erloſchenen Vulkanen finden laſſe. Der Schluß, den 


5 377 
man daraus ziehen wollte, iſt alſo nicht einmal in der Vor⸗ 
ausſetzung haltbar. Die Erde von Valgana kommt ic^ 
mehr in einem Gang als in einem Lager vor, iſt zwiſchen 
Quarz und Granit eingeſchloſſen, die gewiß nicht die Wir⸗ 
kung des Feuers erlitten haben. 

11. 7 

Das geringe Gewicht der Mineralien kann eben ſo we⸗ 
nig als ein Beweis dienen, daß ſie vulkaniſch ſeyen. Es 
giebt ja ſehr viele Mineralien, ja ſogar Erze, als das Zun⸗ 
dererz vom Andreasberg auf dem Harz, der Braunſtein⸗ 
ſchaum von Dognaska im Bannat, das haarichte Spieß⸗ 
glanzerz von Felſobanya in Ungarn, der gelbe Uranocher 
von Joachimsthal in Boͤhmen, das Sumpferz aus dem 
Brandenburgiſchen und aus Pohlen u. ſ. w., die leichter 
ſind als vulkaniſche Produkte, und unter dieſen giebt es 
verſchiedene, die ein betraͤchtliches Gewicht beſitzen, als der 
Veſuvian, der Leucit, der Melanit, der Obſidian, der Ba⸗ 
ſalt und verſchiedene dichte Laven. 

Was aber die Geſtalt und Zuſammenſetzung obgenann⸗ 
ter Steine in den Umgebungen von Brincio betrifft, fo 
kann ich verſichern, daß nichts daran den Verdacht eines 
vulkaniſchen Urſprungs erregen kann. Man muß wohl 
fuͤr Vulkane ſehr eingenommen ſeyn, wenn man nur etwas 
Aehnliches muthmaßen will. So zum Beiſpiel trifft man 

daſelbſt dunkelrothen Porphyr manchmal mit Sreckſtein⸗ 
oder grünem, auch ſchwarzem Glimmer gemengt, gefeit 
ten Hornblendeſchiefer, Geſtelſtein, ſchwaͤrzlichen Glimmers 
ſchiefer (Micascisto) mit runden aſchgrauen Flecken, die 
Matrix von Granaten, und glimmerigen Schiefer (Scisto- 
micaceo) und Kaͤlkſtein an. Wahr ift es, daß man in 
dieſer Gegend ſchwarze Steinchen, die Schlacken aͤhnlich 
find, und Stücke eines weißen kieſelartigen, durchloͤcherten 
und verglaſeten Steines findet; alles Ueberbleibſel von Kopla 


378 


braͤnden und Kalkofen. Eben fo trifft man Steine an, die 
in andern Schmelzoͤfen find verglaſet worden, und eg, if 
möglich, daß es hier manchem wie jenem Naturforſcher 
ergangen iſt, der eine Fritte aus der Glashuͤtte von Mur 
fano für ein vulkaniſches Glas aus den Euganeiſchen ie 
geln nahm. Auch ich erhielt voriges Jahr unter einigen 
Mineralien aus meinem Departement eine Eiſenſchlacke, 
und wenn ich zu den Schuͤrfern nach Vulkanen achörte, 
ſo haͤtte ich mir ſchon eingebildet, daß es in dem Thal An⸗ 
trona, woher ſie kam, einen Vulkan geben muͤſſe. 

Moͤchten doch meine Gegner bedenken, daß ſelbſt La— 
manon nicht weit von hier Lava angetroffen zu haben 
glaubte, die er bei naͤherer Unterſuchung fuͤr Trapp er— 
kannte; daß die runden und ovalen Geſchiebe bei Pader— 
no am Comerſee, und um den Monte roſſo und Sim⸗ 
molo bei Suna in der Agogna (wie Sie ſehr richtig 
bemerkt haben) nichts mit den Baſaltkugeln im Vitenti⸗ 
niſchen zu thun haben. ‘ 

12, 

Es iff nicht zu laͤugnen, daß man in dieſen Gegenden, 
wie bei Ghirla und Ferrera, auf dem Kamm bei 
Rancio zu Selvapiana te. Steinkohlen gefunden, und 
daß Pennet dieſelben in der Nähe von Meſenzana 
und al Pianaccio fühlte. Aber es ift eben fo wahr, 
daß 1. diefe Steinkohlen ungerne brennen. 2. Daß fie eben 
da fehlen, wo man den Krater des Vulkans vermuthete. 
3. Daß man ſie daſelbſt antrifft, wo keine Vulkane ver⸗ 
muthet werden können. 4. Daß fie in gar zu geringer 
Menge im Verhaͤltniß der eingebildeten Vulkane vorkom⸗ 
men. 5. Daß fie, ihren aͤußern Kennzeichen nach zu urs 
theilen, ſich nie entzuͤndet haben. 6. Daß ſie mit Schwe⸗ 
felkies vermiſcht find, und daß fie endlich 7. in febr ges 
neigten Schichten liegen. Berol dingen ſelbſt, der uͤberall 


: 
| aro 


Bulkane fah und glaubte, daß fie von Steinkohlen entſtuͤhn⸗ 
den, wuͤrde ſchwerlich ſie hier vermuthet haben. 
l Auch der Umſtand, daß fich der Porphyr und die Stein» 
kohlen hier beiſammen finden, berechtigt uns nicht, an ei⸗ 
nen Vulkan zu glauben; wirklich find die Beyſpiele der 
Nachbarſchaft der Porphyr- und der Steinkohlenlager nicht 
ſelten, obgleich keine Anzeigen einer nachherigen Entzuͤn⸗ 
dung vorhanden ſind; wie z. B. zu Ilmenau, zu Her⸗ 
mannſtadt und anderswo. 
Was das Bergoͤl betrifft, fo muß ich Ihnen fagen, daß 
man es nicht nur in dem Gebiete von Ferrera und Ran⸗ 
cio, Dexter, die nicht weit von dem berühmten Hügel enta 
ferne fi find, ſondern auch in demjenigen von Meſenzana 
findet, G emeine, welche gegen uͤber oon Grantola, auf 
| der andern Seite des Thals und unter den hohen Bergen 
von St. Martino und St. Michele liegt, welche nie 
in den Ruf verbrannter Vulkane kamen. Laut ben Beobs 
achtungen des Padre Pini und den meinigen ſteckt dics 
fes Steindl zu Ferrera unb Rancio zwiſchen Kalkſtein⸗ 
ſchichten, und bei Meſenza na in einer kieſelartigen Brec 
cie, alſo in Steinen, die kein Geolog fuͤr vulkaniſch haͤlt. 
Es giebt Gegenden genug, wo das Steinöl fehe haufig iit 
wie im Parmeſaniſchen, im Piacentiniſchen, im Modene⸗ 
ſiſchen und in vielen andern Orten, welche der berühmte 
Ritter Boſſi in ſeiner Abhandlung vom Electrum an— 
giebt, in welchen man nie keine Vulkane geſucht hat. In 
unſerer Gegend hinwieder quillt das Steinoͤl fo ſparſam, 
daß feine Erſcheinung der vorgeſchuͤzten Meynung zu einem 
elenden Beweiſe dienen muͤßte. 
Ich will Ihnen zwar nicht verſchweigen, daß ich auf 
- Pianaccio in einem geſchichteten Thonporphyr voller 
Speckſteinmandeln, verwitterten kleinen Feldſpathkoͤrnern 
und ſchwarzem tafelartigem Glimmer, eine Art baſaltiſcher 


/ 


380 


Hornblende gefunden habe. Daß aber dieſes gar nichts für 
jene Meynung ſagen will, wiſſen Sie ſo gut als ich. l 
Ij. 

Was id) unter Nummer 9 gefagt habe, kann auch hier 
angewendet werden. Sowohl der Porphyr als der Kalk— 
ſtein dieſer Gegenden ſind zur Verwitterung ſehr geneigt, 
deswegen enthalten fie fo viel Höhlen und Löcher. Es iſt 
nicht der Muͤhe werth, dergleichen Beweiſe zu beſtreiten, 
deren Unhaltbarkeit ſchon laͤngſt erwieſen iſt. 

14. 

Es befinden ſich wirklich unterirdiſche Hoͤhlen, wie ich 
in Nummer 13 verfichert und in Nummer erklaͤrt habe. 
Allein man bemerkt dieſelben eben da, wo der Boden nicht 
wiederhallt, wie z. B. diejenigen, von denen ich in Num. 9 
ſprach. Bey den zwey oder drey Hoͤhlungen aber, die ich 
ſelbſt entdeckt habe, konnte ich kaum einen Wiederhall be 
merken. Im Gegentheil aber laͤßt ſich ein ſolches dumpfes 
Wiedertoͤnen an Orten bemerken, wo man ſich gar keine Hoͤh⸗ 
lungen vorſtellen kann. So fand Pint ein ſolches auf der 
alten Straße nach Grantola, wo er die ſchiefen Schich⸗ 
ten des rothen und des Pechſteinporphyrs antraf. Die Ur⸗ 
ſache dieſer Erſcheinung finde ich in dem lockern Boden; 
er beſteht aus Bruchſtuͤcken des rothen verwitterten Pora 
phyrs, durch welche der Schall, den darunter liegenden 
Porphurſchichten zugeführt, ſpaͤter vernommen wird. Bers 
ſchiedene Mal habe ich die Beobachtung gemacht, daß dies 
fes Wiedertoͤnen keinen andern Grund hat und dem Echse 
ähnlich iff, Einen ſolchen Schall habe ich auf verſchiede⸗ 
nen torfreichen Wieſen, die auf Felſen ) ruhen, vernom⸗ 


) Der Verfaſſer ſagt Macigno. Auch wieder einer der fo uite 
beſtimmten italieniſchen Ausdrucke in der Mineralogie. Manche 
wal will dieſes Wort nur einen harten Felſen bedeuten, In 


koͤnnen. 


381 


men, wie, um nur vaterlaͤndiſche Beiſpiele anzufuͤhren, 
auf dem Simplon, auf dem Hügel unter Miaſino, 
auf dem Mergozzolo u. a. m., alles Oerter, die gewiß 
niemand für vulkaniſch Halt. 

15. 

Die kleinen Seen bei Ghirla, Brincio und Gara 
find ſehr tief; muß man fie deswegen für Trichter von 
Feuerbergen halten? Welch ein Folgeſchluß!! Aber es 
iſt nicht einmal wahr, daß die Seen von Ghirla und 


Brincio wirklich febr tief (inb; derjenige von Ghirla. 


beſonders wuͤrde ſchon lange ausgetrocknet ſeyn, wenn er 
nicht durch Daͤmme zuſammengehalten wuͤrde, um ſein 
Waſſer zu Muͤhlen und andern Waſſerwerken benutzen zu 


16. 

Ob man gleich den Marmo majolica *) öfters in 
dieſen Gegenden antrifft, obgleich es wahr iſt, daß er die 
angegebenen Kennzeichen beſizt, ſo iſt es doch gar nicht wahr⸗ 


ſcheinlich, daß dieſe Kalkſteinart jedem Feuer ausgeſetzt ge⸗ 


weſen fey. Denn 1. bildet er in der Lombardie nicht nur 
ganze Huͤgel, ſondern auch Gaͤnge an verſchiedenen Or⸗ 
ten. 2. Bedeckt er in der Nachdarſchaft des Luganerſces 


. unb aud) anderswo den rothen Porphyr. 3. Phosphores⸗ 
. eitt er nicht wie derjenige vom Veſuv. 4. Liegt er zum 


Theil unter den Huͤgeln von Grantola und Cunardo, 


die, wie wir ſchon oben erwieſen haben, nicht vulkaniſch 


einigen Orten aber verſteht man dadurch einen glimmertei⸗ 
chen Sandſtein. 

) Was ſonſt die Italiener unter dem Marmo majolica in den 
Muſterſammlungen verkaufen, iſt ein weißer koͤrniger Kalk⸗ 
ſtein. Was aber der Verfaſſer unter dieſem Namen ver⸗ 
feht, iſt mir unbewußt. 


/ 
383 


find, $, Enthält er keine Körper, die je die Wirkung des 
Feuers an ſich erfahren haben. 6. Eben ſo wenig enthaͤlt 
er brennbare Koͤrper, als: Harze, Torf, Steinkohlen, 
Schwefelkieſe und dergleichen in Menge. 

Wahr it es, daß man in dieſer Gegend, überhaupt | 
genommen, keine Verſteinerungen in ihm antrifft. Aber 
beinahe alle Urgebirge haben das naͤmliche Schickſal und 
find deswegen doch keine Vulkane. Und wenn es auf eis 
ner Seite wahr iſt, daß Verſteinerungen auf einen juͤn⸗ 
gern Urſprung der Gebirge deuten, fo beweiſet ihre Abwe—⸗ 
ſenheit auf der andern Seite doch nicht allemal ein höheres 
Alter. Ich weiß wohl, daß einige den Kalkſtein, der nach 
Gioeni das Fundament der veſuvianiſchen Laven aus⸗ 
macht, und nach Spallanzani von den Apenninen aus 
fic unter alle Raven des Königreichs Neapel erſtreckt, fuͤr 
Lava gehalten und deswegen weiße Lava genannt haben, 
Aber mir it eben fo wohl bekannt, daß Gideni und 
viele andere dieſes fuͤr einen Irrthum erklaͤrt und weislich 
dieſen Kalkſtein unter die Primordial-Produkte, d. h. un⸗ 
ter diejenigen gereihet haben, die der Vulkan wohl aus wirſt, 
die aber keineswegs vom Feuer ſind beruͤhrt worden. 

Der Abgang an Verſteinerungen beweifet auf eine eben 
fo unſichere Art die Vulkanitaͤt der Mineralien, als ihre 
Gegenwart die Richtvulkanitaͤt derſelben. Denn wirklich 
die Schlacken von Auvergne, der Mergel des Avey⸗ 
ron, der Poczellanjaspis in Böhmen und andere Steins 
arten, die dem pſeudovulkaniſchen oder dem vulkaniſchen 
Feuer ausgeſezt waren, tragen zu gleicher Zeit bie fen 
zeichen des Feuers und Eindruͤcke bon Pflanzen, Fiſchen 
u. ſ. w. an ſich. eng 

Vielleicht waren einmal die Hügel von Cunardo von 
dem Kalkſteine bedeckt, von dem wir reden, der hernach 
ins Thal herunter ſtuͤrzte, wie es dem Anſchein nach von 


383 


dem Berge zwiſchen Maroggia und Campione in der 
Schweiz geſchehen iſt. Gerne will ich Ihre Entſcheidung 
daruͤber hoͤren. 

17. i 

Schon in Num. habe ich gezeigt, daß es eine mifa 
liche Sache ſey, dem Urſprunge der Benennungen nachzu⸗ 
forſchen. In dieſem Falle aber iſt die Erklaͤrung leicht. 
Dunkle, gehaͤßige und ſchreckliche Sachen ſtellten ſich der 
Einbildungskraft immer in ſchwarzem Gewande vor. Man 
muß ſich alſo nicht verwundern, wenn der Landmann den 
ſchwarzen Pechſteinporphyr don Grantola den Teufels⸗ 
ſtein nannte. Auch die Roͤmer und Griechen dachten ſich 
den Erebus als den Sohn der Finſterniß. 

Doch muß ich hier bemerken, daß laut der Ausſage des 
Herrn Pasqual Angiolini nicht ſowohl der Stein als 
vielmehr das Thal mit dem Namen Thal des Teufels be⸗ 
zeichnet werden, und zwar deswegen, um den Kindern 
Furcht vor demſelben einzufoͤßen, weil es gefährlich iſt. 
Andere erzaͤhlten mir, daß das Thal und der Stein des⸗ 
wegen dieſen haͤßlichen Namen erhielten, weil der ſchwarze 


Porphyr, den man daſelbſt gewann, Feuer gab, und man 


c Lm 


benuzte dieſen Porphyr, um Eiſen daraus zu ziehen, das 


ſich leicht in Stahl verwandeln ließ, und auch deswegen 


daſelbſt Accialone genannt wird. 


18. 
Dieſe Beweiſe find ungefähr fo uͤberzeugend wie die 


vorigen, man kann ſie auch auf die naͤmliche Weiſe wi⸗ 


derlegen. Den ſchon angefübrten Gruͤnden werde ich noch 


ſolgende beifügen: 1. Dieſe Gemeinden find dem vorge 
ſchuͤzten Vulkane nicht alle gleich nahe. 2. Hingegen fuͤh⸗ 
ren die demſelben nächften Oerter keine Nahmen, die auf 
Lava, Brand, Hitze u. f. w. deuten, fo z. E. find Gran⸗ 
tola, Cunardo, Ferrera, Mondonice, Ghirla, 


384 


Meſenzana, Caſſano, Montegrino, Fabiaſco, 
Maſciago, Boſco, Marchirolo, Brinzio, Cas 
biaglio ꝛc. 3. Bei den Oertern aber, die ſolche zwey⸗ 
deutige Namen beſitzen, werden anſtatt der Ueberreſte von 
Vulkanen die unverwerflichſten Kennzeichen der Aufſchwem⸗ 
mung gefunden. So z. B. die Chamiten und andere 
Meerkoͤrper im Kalkſtein bei Saltrio, Beſacio und 
Arſo. Der Name Laveno kommt vom lateiniſchen La- 
biennum und nicht von Lava; und Lavena von La 
vena oder der Erzader, die fid) daſelbſt befindet; Ar fo 
von einer Feuersbrunſt des Ortes und einem Brande (ver⸗ 
muthlich in den Wäldern) der Gegend, fo wie Ar ſago 
von Arsus ager; Bruſinpiano von Prusino piano, 
wie es in einigen vortrefflichen Landcharten, beſonders in 
derjenigen von Scheuchzer von 1712 bezeichnet iſt, oder 
auch von Brugia in piano (Brand in der Ebene), ein 
Zufall, der in den vor Zeiten holzreicheren Gegenden oͤf— 
terer vorkam als jezt; Caldiero von der keſſelfoͤrmigen 
Geſtalt des daſigen Sees, oder auch von der außerordent⸗ 
lichen Hitze, die man da im Sommer erleiden muß; Cre⸗ 
menaga von crematus Ager unb Rancio von der 
Verwitterung des benachbarten Berges, wie es der Fall 
beym Saffo rancio zu Gaeta am Comerſee iſt. Doch 
genug hievon; mag ein neuer Guido Ferrari beſſere Eti— 
mologien ausſinnen. " 
19. 

Wer an Ort und Stelle nicht geweſen iſt, wird ſich 
vielleicht durch dieſen Umſtand taͤuſchen laſſen, allein meine 
Erklarung wird auch dieſe falſche Vorſtellung verſcheuchen. 
1. Befindet ſich dieſes Becken auf der Seite des Gipfels 
und nicht auf dem Scheitel ſelbſt. 2. Seine Tiefe betraͤgt 
drey Fuß und ſein Durchmeſſer zwanzig. 3. Verſchiedene 
dieſer Hügel ſind von Doſſo del Montagnuolo, auf 


388 


dem fid) dieſer angebliche Krater befindet, durch das Thal 


rr 


getrennt. 4. Verſchiedene dieſer Hügel find höher als bea 
ſagtes Becken; und endlich 5. trifft man daſelbſt auch nicht 
die mindeſte Spur von Schlacken, Bimsſteinen, verglafe 
ten Steinen, Puzzolane oder auch dichte und andere Las 
ven, die man gewoͤhnlich in der Nachbarſchaft ſolcher vul⸗ 
kaniſchen Krater findet, an. Ich bin ganz der Meynung 
des Padre Pini, daß es nichts anders als eine der zus 
fälligen Aushoͤhlungen iſt, deren das Waſſer auf den Bers 
gen fo viele bildet. Selbſt Deluc, der da glaubt, daß 
das Meerwaſſer ſtets zur Entzuͤndung des vulkaniſchen Feuers 
mitwirken muͤſſe, würde gewiß beym Anblick dieſer Aus hoͤh⸗ 
lung über diejenigen laͤcheln, die leichtglaͤubig genug ſeyn 
konnten, fie für einen Krater anzuſehen. 

Wenn der Vulkan nach der Meynung Fleuriau's 
feinen Krater bei Fabiaſco in der Val gana hatte, 
und derſelbe gegen Norden etwas vertieft war, warum iſt 
denn daſelbſt der rothe Porphyr ſeltener, warum bleibt eben 
da der Pechſteinporphyr ganz aus, wo er ſich vor dem vor⸗ 
geſchuͤzten Krater nähern folte? Woher kommt es, daß 
die naͤmlichen Steinarten auf der ganz entgegengeſezten Seit € 
zwiſchen Meſenzano und Caſſano, nahe am Pianac⸗ 
cio und in der Val travaglia, viel mehr Hoͤhlungen 
und Blaſenraͤume beſitzen? Es iſt doch offenbar, wie Sie 
es auch bemerkt haben, daß wenn je ein Vulkan vorhanden 
war, ſo hatte er ſeinen Sitz in Val travaglia und 
nicht in Val gana. Aber auch daſelbſt kann ich mir ihn 
theils aus den ſchon angefuͤhrten Gruͤnden nicht denken, 


theils kommt noch alsdann die Unmoͤglichkeit der Entſte⸗ 
pung der Hügel zwiſchen Grantola und Cu nar do dazu, 


deren Abdachung von Oſten nach Weſten geht, und alſo 


derjenigen des Vulkans ganz entgegengeſetzt iſt. Was die 
andern eingebildeten Krater, nämlich den auf dem Doffe 
ze Vd. $5 


386 


di Caftelvechio, der zwifchen dem Berge del Cuco 
und von Caſtelvechio, und denjenigen von Fabia ſco, 
betrifft, ſo bemerke ich nur, daß auch hier alle Arten von 
Laven, ſie moͤgen loͤcherig, ſchwammig oder dicht ſeyn, 
ganz mangeln, daß ſowohl die Lage als der Abgang der 
Raͤnder, fo wie auch die Geringfuͤgigkeit der Aushöhluns 
gen dawider ſprechen. Ein Schüler Pirrons ſelbſt würde 
da nicht mehr zweifeln. 
| 20, 

Die Beifpiele von unerwarteten Auffochungen auf Seen 
find eben fo wenig felten als Bergſtuͤrze. Vermuthlich kom⸗ 
men dieſe außerordentlichen Bewegungen des Seewaſſers 
von Stuͤrzen unter dem Waſſer her. Wenn der Zugerſee 
ſo hoch geweſen waͤre, um denjenigen Theil des Rigi zu 
bedecken, der im vorigen Jahre hinunterſtuͤrzte, welch ein 
fuͤrchterlicher Sturm, Aufkochen und Zerruͤttung wuͤrde 
auf dieſem See erfolgt ſeyn; welch ein Schrecken und Ber 
derben fuͤr die Anwohner des Sees! Ich glaube ohne 
Schwierigkeit, daß dergleichen Schluͤpfe oder Stuͤrze unter 
dem Waſſer die Bewegungen auf der Oberfläche derſelben, 
die man auf den Seen von Genf, Zürich, Annecy, Nenz 
chatel und Conſtanz beobachtet, fo wie die Erhebung und 
das Anwachſen der Waſſer verurſachen, und zwar eher als 
die Ungleichheit des Drucks der Atmosphaͤre, wie von 
Sauffüre und Vaucher glauben, oder die Annäherung 
elektriſcher Wolken, wie Bertrand meint, oder das Une 
geſtumm der Winde, laut Fatio von Duillers, oder 
die Hinderniße, welche Strömungen unter dem Waſſer ans 
treffen, nach dem Beduͤnken des Sartorius, oder end- 
lich das Anwachſen eines Stroms nahe bei ſeiner Muͤndung 
in den See, wie Zallabert vermuthet. Noch mehr Ges 
wicht erhaͤlt meine Meynung durch das Zeugniß Eſchers 
und Patring, da jener am Zuͤrcherſee, dieſer am See 


357 
Baikal vor der Erſcheinung einen entfernten Wiederhall Höre 
ten, und durch die Beobachtungen eben deſſelben Eſchers 
und einiger Fiſcher von Ghirla, die auf ihren ihnen nahe 
gelegenen Seen, nach jenem Wiederhall große Luftblaſen 


bemerkten. Ich koͤnnte noch mehrere Veweiſe aus der Nas 


turlehre zu meinem Vortheil entlehnen, allein da auch Sie 


ſelbſt die ploͤzlichen Aufſiedungen im Comer ſee auf die naͤm⸗ 
liche Art erklaͤren, ſo iſt an dem Geſagten genug. 


Nun glaube ich alle Zweifel geloͤſet zu haben, wenn 
irgend noch jemand dergleichen in Anſehung der Vulkani⸗ 


taͤt der Huͤgel zwiſchen Grantola und Cunardo hegen 


kann. Ich bin uͤberzeugt, daß ſelbſt Fleuriau und Do⸗ 


lo mieu fich durch meine Gründe würden haben überfühs 


ren laſſen. Der lezte wuͤrde ſich erinnern, daß er ſelbſten 
geſagt hat , es ſcheine, die dunkelrothe und grüne Farbe 
ſeyen von den Laven ausgeſchloſſen. 

um nun meiner Behauptung den hoͤchſten Grad der 
Zuverlaͤßigkeit zu geben, will ich noch beifügen: 1. daß 
Pennet felbit, ob er gleich in den umliegenden Gegenden 
uͤberall ſeine ihm eigenthuͤmlichen Anzeigen unter der Erde 
liegender Steinkohlen und Schwefelkieſe an den Tag legte, 


auf dieſen geglaubten Vulkanen gar nichts ſpuͤrte, keine 


von den Wirkungen, die er auf Gegenden fuͤhlte, die wirk— 


lich erloſchene Vulkane enthalten. 2. Daß die ganze Strecke 


im Departement dell Agogna, von Vaſciago bis 


Gozzano und Maggiora, und von dort bis Koma ge 
nano, von dieſem Hauptort durch Gattinara bis in 


die Naͤhe von Trivier, Moſſo und Biella im Pies 


mont mit auf gleiche Art zugerundeten, roͤthlichen und 


nackten Hügeln beſaͤet it, ohne daß doch jemand hier Vul⸗ 


kane oder vulkaniſche Produkte gewittert haͤtte. Auch bei 


‘Somma ſogar giebt es ſolche Huͤgel oder Erdhaufen, 
von denen fien Polyb und Livius zahlen, und de 


388 


hat fie niemand für Feuerberge oder ihre Ueberbleibſel ano 
geſehen. Auf dem Pia nacc io, gegenüber von Granto⸗ 
la, trifft man auch Steinarten an, die denjenigen vollkom⸗ 
men aͤhnlich ſind, davon die vorgeſchuͤzten Vulkane zuſam⸗ 
mengeſetzt ſind, und ſogar auch den oft genannten Pech⸗ 
ſteinporphyr, und doch wird dort niemand Vulkane ſu⸗ 
chen, denn dieſe Steine liegen in ſehr ſtark geneigten 
Schichten unter Urgebirgsarten, wechſeln mit Schichten 
von Speckſtein, Hornblendeſchiefer und Kieſelbreccie 1c. ab, 
und find nur auf der Oberflaͤche und nicht in ihrem In⸗ 
nern blaſig, und follte es auch dergleichen geben, fo find 
es nur Geſchiebe. Noch mehr: bei Mondonico, Se 
dero, Maſciago, Rancio und bem Saffo meredo 
rundliche, roͤthliche und beinahe kahle Hügel, ſehr ahnlich 
und nahe bei denjenigen von Grantola. Warum hielt 
Fleuriau dieſe nicht fe Vulkane? Vermuthlich deswe⸗ 
gen, weil er bemerkte, daß der Kalkſtein auf dem rothen 
Porphyr und Granitello, aus welchen ihre Grundfläche bes 
ſteht, aufliegt, und daß er daher, da dieſes der Fall bei 
allen Bergen am Comer- und Luganerſee iſt, feine vultas 
niſche Gegend auf eine weit ausgebreitete Strecke Landes 
haͤtte ausdehnen muͤſſen, die anſtatt Merkmale des Feuers 
die unverkennbarſten Beweiſe der Aufſchwemmung darlegt. 
Warum ſollte man den Montorfano neben der Ebene 
von Tivano und den Montorfano am Langenſee nicht 
auch fuͤr vulkaniſch erklaͤren? Man ſollte nie zu geſchwind 
nach der aͤußern Geſtalt urtheilen. Ich halte wenigſtens 
die iſolirten Huͤgel zu Schlan in Boͤhmen nicht beſtimmt 
für vulkaniſch, und es it nicht unglaublich, daß Du pua- 
get ſich geirrt habe, wenn er die Pitons in Martinis 
que für Vulkane anficbt. 

Freylich wird man mir entgegnen, bag, um das ehma⸗ 
lige Daſeyn eines Vulkans außer allen Zweifel zu ſetzen, 


DETA PW. 


er POOR . pem qe 


389 


nicht allemal ſonderbare Eigenheiten und Unregelmaͤßigkei⸗ 
ten in der Geſtalt eines Berges nothwendig, ja daß es nicht 
einmal noͤthig iſt, daß dermalen auch nur der Schatten 
eines Vulkans noch vorhanden fey. Wenn man aber zum 
Beweis des Daſeyns ſo wichtige Gruͤnde anfuͤhrt, als viele 
aus Lava beſtehende Huͤgel u. ſ. w., ſo ſollte man doch we⸗ 
nigſtens in der Naͤhe die Spur eines Kraters, wirkliche 
Lava, oder Schlacken, Bimsſteine, Verglaſungen, einige 
Beiſpiele von eingeſtuͤrzten Bergen oder Lagen finden. Aber 
von allem dem ift nichts da. Wenn man nach den Ver- 
ſicherungen Pignets in Ober-Egypten auf dem Sand⸗ 
ſteine Schlacken, Bimsſteine und andere vulkaniſche Pro⸗ 
dukte findet, und deswegen die Regelmaͤßigkeit der daſigen 
Schichten, ſowohl auf den Bergen als in der Ebene doch 
nicht unterbrochen ift, fo muß uns dieſes überzeugen, daß. 
dieſe Produkte entweder vom Waſſer ſind hingeſchwemmt 
worden, oder daß während vielen Jahrhunderten das Wafa 
fer die Laven aufgeloͤſet und nach und nach weggeſchwemmt, 
und dem unzerſtoͤrbaren Sandſtein nur diejenigen zuruͤck⸗ 
gelaſſen haben, die den Wirkungen des Lichts, des Waͤr— 
meſtoffs, der Atmosphäre und des Waſſers widerſtehen 
konnten. Anſtatt Laven, Schlacken und Bimsſteine wech⸗ 
ftn in den Gegenden um Grantola mit dem rothen 
Porphyr, Granit und Granitell (die gewiß kein vernuͤnf⸗ 
tiger Geolog für vulkaniſch Halt), auch Quarz, glimmeri⸗ 
ger Quarz, Granaten führender Glimmerſchiefer, Gneis, 
Hornblendeſchiefer, ſchieferiger und blaͤtteriger Speckſtein, 
Kieſelbreccien, die vielleicht in verſchiedenen Orten und im 
Innern der Gebirge in Mandelſtein oder in Paddingſtone 
übergangen find, Sandſteine mit Speckſtein und Glimmer 
vermiſcht, Nieren von Kieſelſchiefer und Hornſtein, Ueber- 
gangskalkſtein und andere ap nicht vulkaniſche Stein» 


garten. 


390 

Ich ende mit der Verſicherung, bag fo wie Pini nicht 
geſchrieben haͤtte, wenn nicht Fleuriau de Bellevue 
zuerſt die Vulkanitaͤt der Huͤgel bei Grantola behauptet 
haͤtte, ſo waͤre mir das Vergnuͤgen nicht zu Theil gewor⸗ 
den, Ihnen dieſen Brief zu uͤberſenden, wenn nicht D olos 
mieu und ein anderer wuͤrdiger Raturforſcher die Mey⸗ 
nung des Franzoſen unterſtüzt hatten. Ich hoffe, Sie 
und andere werden es mir Dank wiſſen, daß ich unſern 
Landsmann gerechtfertigt habe. 


Nachrichten vom Veroneſer-Gruͤn, 
Verde di Brentonico. 


Aus des Grafen von Sternberg Reife durch Tyrol in die 
oͤſterreichiſchen Provinzen Italiens. Seite 113 et seg. 


Der Monte Baldo, beruͤhmt wegen den ſeltenen 
Pflanzen, die ihn zieren, erſtreckt ſich laͤngs dem oͤſtlichen 
Ufer des paradieſiſchen Lago di garda, erhebt ſich zu ei⸗ 
ner nicht unbeträchtlichen Höhe, und haͤngt unmittelbar 
durch die Gebirgskette, die vom Monte gavia gegen 
Suͤden laͤuft, mit einem Hauptſtamm der Alpen zuſam⸗ 
men. Auch wegen den Mineralien, die er enthaͤlt, und 
von denen wir ſchon einige Meldung gethan haben, iſt er 
des Beſuchs der Naturforſcher wuͤrdig. Unter andern bricht 
auch das allgemein als Farbmaterial bekannte Veroneſer⸗ 
Grün in einem der Thaͤler, die n ihn hereindringen, und 
zwar nicht ferne von der Grenze, wo ſich Cisalpinien von 
dem vormaligen oͤſterreichiſchen Gebiete ſcheidet. Herr Graf 
von Sternberg giebt uns in ſeiner eben angefuͤhrten 
Reiſebeſchreibung Nachrichten vom Vorkommen und den 


» 391 


Beſtandtheilen dieſes Minerals, welche den Lefern der Als 
pina ohne Zweifel willkommen ſeyn werden, und ich da⸗ 
her woͤrtlich mittheilen will. 


„Nach kurzer Mahlzeit ſchickte ich meine Maulthiere 
auf die Alpe alle Canelette und gieng laͤngs einer an⸗ 
dern Reihe von Bergſpitzen, per le Scalette, einen 
Pfad, der einer Treppe aͤhnlich ift, herab in das Thal, wo 
die Bergwerke der Gruͤnerde, bekannt unter dem Namen 
Beronefer » Grün , fich befinden. Ich hatte kaum die Hälfte 
der Treppe zurückgelegt, fo zeigten fid) anfangs einzelne 
Stuͤcke von vierkantigem Baſalt und Baſaltkugeln mit pits 
len glaͤnzenden Stellen im Bruch. Etwas tiefer ſchiebt ſich 
an die groͤßere Kalkfelſenmaſſe ein niedrigeres Gebirge an, 
welches ganz vulkaniſcher Bildung zu ſeyn ſcheint. Das 
Thal wird von einem kleinen Bach getrennt, und zu bei— 
den Seiten, ſowohl unter dem Berg Trispina als i Pia⸗ 
neti, ſtreichen die Adern der Gruͤnerde. Ich befuhr eines 
dieſer Werke, welches dermalen für das maͤchtigſte gehal 
ten wird und nach Brentonico gehoͤrt. Der Berg be— 
ſteht durchgehends aus poroſem, baſaltartigem Mandel 
ſtein, von graulich⸗ſchwaͤrzlicher, oft dunkler, beinahe 
ſchwarzer Farbe. In den oft kleinern, oft groͤßern Höhe 
len oder Poren befinden fid) viele rundliche oder nierenfoͤr⸗ 
mige Körner, zum Theil kriſtalliſirter Kalkſpath. Durch 
dieſes Geſtein windet ſich in verſchiedenen Richtungen eine 
vier bis ſechs Zoll mächtige Ader von Feuer⸗gebendem 
Hornſtein, auf welchen ſowohl als in der Gruͤnerde ſich 
Kugeln von Kalkſpath befinden, welche beym Zerſchlagen 
eine ſtrahlige Bildung zeigen, die aus einem haͤrtern tri- 
ſlalliſirten Punkte nach der Peripherie auslaufen. Dicht ar 
dem Hornſtein und ſeiner Richtung folgend liegt etwa vier 
Zoll ſtark die Glimmererde in Geſtalt eines grünen, fette 


392 


lichen, ſeifenartigen Thones; auch in der Gruͤnerde finden 
ſich kleine harte Koͤrnchen, wie in dem Geſtein, das ihr 
zur Decke dient. Zwiſchen dieſen laufen ſchmaͤlere kieſigte 
Adern, welche von der Gruͤnerde nur dadurch verſchieden 
ſcheinen, daß die in derſelben enthaltenen Eiſentheile, von 
Schwefelgas durchdrungen, in Schwefelkies uͤbergegangen 
ſind, wodurch dieſe Erde eine dunklere Farbe und etwas 
mehr Haͤrte erhalten hat. Nach Herrn Faujas de St. 
Fond neuer Klaſſification der vulkaniſchen Produkte (fiche 
Annales du museum. T. V. S. 330) wuͤrde alfo der 
Berg, in welchem die Gruͤnerde gefunden wird, in die 
dritte Klaſſe, zweyte Abtheilung, fuͤnfte Art; mandelſtein⸗ 
artige Laven mit Kuͤgelchen von Feldſpath gehoͤren. i 

Die Gruͤnerde bricht hier gangartig längs der Ader 
von Hornſtein, und maͤchtiger, als man ſie gewoͤhnlich zu 
finden pflegt. 

Ihre aͤußern Kennzeichen ſind folgende: 

Die Farbe ſchlaͤgt in das Seladongruͤne, im Bruche 
aber iſt ſie etwas dunkler und matt. 

Sie greift ſich zart an und faͤrbt beym Zerreiben zwi⸗ 
ſchen den Fingern ab. 

Wenn ſie mit etwas Glattem geſtrichen wird, ſo nimmt 
fie auf der Oberfläche einen metalliſchen Glanz an. 

Der Bruch iſt unbeſtimmt mit ſtumpfen und durchſich⸗ 
tigen Kanten, die abgebrochene Flaͤche iſt rauh und nicht 
(tft. zu ſammenhaͤngend. N 

Sie iſt leicht zerreiblich, wenn ſie von den beigemiſch⸗ 
ten Koͤrnern gereinigt iſt, und kann zu einem ſehr zarten 
Staub zerrieben werden. 

An der Zunge klebt ſie an, wenn man ſie mit ihr in 
Beruͤhrung bringt. 

Mit Waſſer uͤbergoſſen entwickeln fich viele Luftblaſen; 
und die Erde zerfällt in kleine Stucke, die breyartig werden. 


393 


Beym Abtrocknen an gelinder Waͤrme oder an der 
Sonne behält fie einen beträchtlichen Theil an Wafer zus 
ruͤck, welcher bei der Weißgluͤhhitze allererſt gänzlich ente 
weichet. 

Rach Beſchaffenheit ihrer natürlichen Trockenheit unb. 
des angewendeten Grades von Feuer verliert dieſe Erde 
beim Durchgluͤhen acht bis zwoͤlf Procent und aͤndert ihre 
Farbe ins Braunroͤthliche. 

Nimmt man fie gerade fo, wie fie aus dem Bruche 
kommt, ohne fie vorher zu ſchwemmen, folglich (amt den 
feinen harten Kügelchen, welche beym Zerreiben zwiſchen 
Glasſcheiben feine Ritzen zuruͤcklaſſen, fo enthält dieſelbe 
nach den von mir vorgenommenen Verſuchen: 


Kie ſelerde . $ A 49 
Thonerde . á N 16 
Kalkerde T ; 9 *) 
Eifen y į 16 
Braunſtein . " * 9 
Verluſt . ^ 1 I 
100. 


Da ich meinen Verſuchen bei ihren Abweichungen nicht 
genugſame Genauigkeit zutraute, ſo ſchickte ich eine Por⸗ 
tion von dieſer Gruͤnerde an meinen Bruder, in deſſen che— 
miſche Kenntniße ich vollkommenes Zutrauen ſetzen konnte, 
und erſuchte ihn, dieſelben zu wiederholen. Er war auch 

ſo gefaͤllig, ſich dieſer Arbeit zu unterziehen, und ſchickte 
*) Nach Herrn Profeſſor Mayers Analyſe: Abhandlungen der 
boͤhmiſchen Geſellſchaft. 1787. B. 3. S. 262. wird zwar keine 

Kalkerde angegeben, allein Herr Gmelin a. a. O. S. arg. 

S. 146. hat ihrer ſchon erwaͤhnt; der Thonerde iff aber bisa 

her noch in keiner mir bekannten Analyſe Erwähnung ge⸗ 

ſche hen. y 


394 


mir folgendes Reſultat mit der ganzen Verfahrungsart, des 
ren Bekanntmachung den Chemikern gewiß nicht unwill⸗ 
kommen ſeyn wird. 

Von dieſer Gruͤnerde wurden hundert Theile mit Salza 
ſaͤure, hundert Theile mit rauchender Salpeterſaͤure übers 
goſſen, und zehen Stunden lang in Digeſtion erhalten und 
zulezt eine Stunde lang dem Siedpunkte ausgeſezt. Die 
Farbe wurde nicht geändert, die Salzſaͤure unb die Schwe⸗ 
felſaͤure loͤſeten einen geringen Theil Thonerde auf. Da 
dieſe Saͤure nicht wirkſam zu ſeyn ſchien, ſo wurden die 
milden Laugenſalze verſucht, welche aber ebenfalls auf die 
Farbe dieſer Grünerde keine Veränderungen bewirkten. 

Es wurde daher zur Unterſuchung der Beſtandtheile 
geſchritten. Hundert Theile dieſer Gruͤnerde, nachdem ſie 
auf das feinſte zerrieben und mit kauſtiſchem Pranzenlaus 
genſalz auf das beßte vermengt waren, wurden in einem 
Tiegel von Platina der Gluͤhhitze ausgeſetzt, und zulezt 
durch das Geblaͤſe der Feuersgrad verſtaͤrkt. Als diefe Mis 
ſchung hinreichend durchgluͤht und zu einem feſten Klum— 
pen zuſammengeſchmolzen war, ließ man den Tiegel erkuͤh⸗ 
len und uͤbergoß ihn mit heiß diſtillirtem Waſſer. Nach⸗ 
dem alles wohl ausgelaugt war, wurde dieſer Ruͤckſtand 
noch einmal mit heißem diſtillirtem Waſſer ausgeſpuͤlt, und 
da kein Merkmal von einer Aufloͤſung mehr zu ſpuͤren war, 
fo wurde ſaͤmtliche Lauge mit Salzſaͤure behutſam geſaͤt— 
tigt. Die dadurch gefaͤllte Kieſelerde, nachdem fie ausge⸗ 
fügt und getrocknet war, wurde nochmals mit Schwefel 
ſaͤure in Digeſtion gebracht ), ſodann mit hinreichendem 


—— — v üö . 


) Die Säuren find dem Kali näher verwandt als bie Thons 
erde, fie füllen daher diefe Erde aus dem Kali. Eucyelo⸗ 

vaͤdie der geſammten Chemie von Friedr. Hildebrand 
ir Theil. Theorie. S. 358. S. 352. 


U 


395 


diſtillirtem Wafer ausgeſuͤßt, filtrirt, und nachdem der 
Ruͤckſtand ausgegluͤht wär, wog er 39 ½, unb war reine 
Kieſelerde. Der vom Waſſer nicht aufgeloͤste Ruͤckſtand 
wurde mit rauchender Salpeterſaͤure uͤbergoſſen, aus einer 
Retorte alle Saͤuren uͤbergezogen und endlich eine Stunde 
gegluͤhet; dieſes wurde noch zweymal wiederholt und faz 
dann nach dem Erkalten mit diſtillirtem Waſſer ausgelaugt. 
Es blieb ein Ruͤckſtand, welcher aus Eiſen und etwas Braun⸗ 
ſtein beſtuhnd. Dieſer wurde noch mit einer ſchwachen Sal⸗ 
peterſaͤure uͤbergoſſen und mit derſelben digerirt, welche fo» 
dann filtrirt und der uͤbrigen Aufloͤſung beigemiſcht wurde. 
Sämtliche Aufloͤſungen wurden durch Amonium auf Thon⸗ 
erde verſucht; der erhaltene Niederſchlag mit hinreichendem 
Waſſer ausgekocht, getrocknet und gegluͤht wog 16 1/4. 
Die uͤbrige Fluͤßigkeit wurde zum Theil abgedunſtet und 
mit der erſten auf Kalk verſucht und 6 ½ Theile Kalk- 
erde erhalten. Der Niederſchlag und Ruͤckſtand, ſo aus 
Eiſen und Brhunſtein beſtand, gab bei deſſen Unterſuchung 
18 3/4 an Eiſen, 10 1/4 Braunſtein. Daher (inb folgen⸗ 
des die Beſtandtheile der Gruͤnerde: 
In hundert Theilen 
Verluſt durchs Gluͤhen F 8 1/4 
Kieſelerde . A * 39 1/2 


Thonerde . , » I6 1f 
Kalkerde ` à ^ 6 ıfa 
Eiſenorid . i 41 * $a 
Braunſtein . . re ig 
Verluſt . . ^ 102 
100 ) 


*) Es wird den Leſern der Alpina nicht unangenehm ſeyn, wenn 
ich zur Vergleichung hier einige andere Analyſen der Gruͤn⸗ 
erde anführes 


396 


Dieſer geringe Verluſt lagt vermuthen, daß entweder 
der Beſtandtheil an Eiſen eine ſtaͤrkere Oridation erhalten, 
oder die Thonerde ungeachtet des Ausſuͤßens und Ausalüs 
hens dennoch einen geringen Theil von Saͤure zuruͤckgehal⸗ 
ten habe, welches aber hoͤchſtens 1 Procent betragen kann. 
Wird dieſe Erde mit Schwefelſaͤure auf dem Feuer dige⸗ 
rirt, ſo ſpritzt ſie bei etwas ſtarkem Feuer aus dem Kol⸗ 
ben heraus; ſondert man die kleinen rundlichten oder nie⸗ 
renformigen, weiß oder gelblichten Kalkſpathkoͤrner aus der 
Erde heraus, uͤbergießt fie mit Schwefelſaͤure, fo entſteht 
erf das gewöhnliche Aufbrauſen; fo wie fie aber dem Feuer 
ausgeſezt werden, ſo fangen ſie an zu verpuffen, es entbin⸗ 
den ſich Luftblaſen, und wird das Feuer nicht gleich ge⸗ 
maͤßigt, fo zerſpringt der Kolben. Das Spritzen der Grin- 
erde iſt alſo blos dem Zerſpringen der Kalkſpathkriſtalle, 
welche fid) unter denſelben befinden, zuzuſchreiben. 


Ich fuͤge nur noch den Nachrichten des Herrn Grafen 
bei, daß die Gruͤnerde auch zu Claußen und zu Faſſa 
im Tyrol vorkommt, und da man fie laut unſern beßten 
Handbuͤchern der Mineralogie meiſtens in und bei Mine⸗ 


Nach Wiegleb ): Nach Gerhard ): 
Kier „ „„ 14 Micul u eth 
Kak 23:6 beu „ 

Eiſenoxyd T x Kalk a 
Waſſer 4:4 Eiſenory d. 10 


Nach Mayer +) 
Gruͤnerde von Wißotſchan bei Prag: 
Thon, Kieſelerde, etwas Eiſen und Braunſteinoryd. 


Reuß Lehrbuch der Mineralogie. zn Theils zr Band. Seite 159. 
) Reuß ebendaſelbſt. ar Theil. Seite 208. 
T Leon bhardi sc. Siſtemat. tabell. Ueberſicht der Mineralk. S. 26. 


397 


= #alien antrifft, die der Trappformazion gehören, fo ifl es 
ſehr wahrſcheinlich, daß der Baſalt und der Mandelſtein 
unweit Brentonico auch in dieſe Formazion gereihet 
werden muſſen. 


NTETE ETE e, 


u 


I, 


Reife durch Tyrol in die oͤſterreichiſchen Provin⸗ 
zen Italiens im Fruͤhjahr 1804. Von Ca⸗ 
ſpar Grafen von Sternberg. Mit vier 
Kupfertafeln. Regensburg 1806. 4. 


Unter der Legion von Reiſebuͤchern und Reiſebeſchreibun⸗ 
gen doch wieder ein Werk, aus welchem der Wißbegierige, 
beſonders aber der Naturforſcher und Geograph einigen 
Nutzen ziehen kann, das er gewiß nicht unbefriedigt aus der 
Hand legt. Auch die Kenntniß der Alpen iſt durch daſ⸗ 
ſelbe erweitert worden, und wir erhalten die Beſchreibung 
ſowohl von Gegenden als von einzelnen Gegenſtaͤnden, die 
ein wahrer Gewinn fuͤr die Wiſſenſchaften ſind, deren Ve⸗ 
reicherung unſer Plan umfaßt. 

Die Reiſe des Herrn Grafen gieng von Regensburg 
über Landshut, München, Benediktbayern, Mittelwald, 
Scharniz, Inſpruck, dem Brenner, Brixen, Botzen, Trient 
in die Setti Communi; von da uͤber Baſſano und Padua 
auf Venedig. Von Venedig durch das Paduaniſche, Bis 

zentiniſche und Veroneſiſche auf den beruͤhmten Monte 
baldo am Garbaíte, Von dort beſuchte er verſchiedene, 
ſonſt ſehr unbekannte Thaͤler, die aus dem hohen Alpen⸗ 


398 


ftoi, welchen der Gavia und der Ortles bildet, ausge⸗ 
hen, als das Thal von Breguz und Rendena, die Valli 
di Sole et Non, und indem er die zwey lezten durch⸗ 
kreuzte, beſchloß er den Kreis ſeiner Reiſe wieder in Bozen. 

Unter dem vielen Intereſſanten, das der Herr Verfaſ⸗ 
ſer uͤber dieſe Gegenden ſagt, heben wir nur dasjenige aus, 
was in unſern Plan gehoͤrt und nicht ſchon allgemein bes 
kannt iſt: 

S. 14. Die Wetterſteinwand gehoͤrt in diejenige Haupt⸗ 
nebenkette der Alpen, die ſich nach der fuͤr einmal ange— 
nommenen Meynung bei Finſtermuͤnz von der Hauptkette 
trennt und beinahe parallel mit derſelben auf der noͤrdli— 
chen Seite zwiſchen dem Montafun, Vorarlberg, Schwa⸗ 
ben und Bayern und dem Tyrol laͤuft. Merkwuͤrdig ſind 
uns alſo die angegebenen Hoͤhenmeſſungen in dieſer Wetter⸗ 
ſteinwand, naͤmlich: 

Der Wachſelſtein betraͤgt 5968 Pariſer Schuh. 
Der Alberſpiz . 6138 — — 
der'Bugípig. as i . Pl 

S. 36. Sehr angenehm ſind die Nachrichten, die hier 
von dem zwar zum Vicentiniſchen gehoͤrigen, aber ein ei⸗ 
genes Laͤndchen ausmachenden Sette Communi vor⸗ 
kommen. Beinahe im noͤrdlichen Theil des Vizentiniſchen 
ob Baſſano, zwiſchen den Fluͤßen Brenta und Aftico, 
ba wo die Valſugana die Grenze des ſuͤdlichen Tyrols 
ausmacht, bilden ſteile und ziemlich unfruchtbare Kalkſtein⸗ 
ketten, die aus der ſüdlichen Hauptnebenkalkkette entſprin⸗ 
gen, ein gebirgiges Laͤndchen, welches ungefähr 17 1/2 teuta 


ſche Quadratmeilen begreift. Dieſes Laͤndchen wird von 


ungefähr 30,000 Seelen bewohnt, deren noch dermalige 

Sprache beweist, daß ſie deutſchen Urſprungs ſind. 
Dieſes Volk hatte ſeit vielen Jahrhunderten, waͤhrend 

welchen es manchmal den Herrn aͤnderte, bis zur Revo 


399 


lutionszeit Italiens eine eigene Verfaſſung und befondere 
Freyheiten, die es ſich zu erhalten wußte. In ſieben Ge— 


meinden und fünfzehn Dörfer vertheilt, wovon aber nur 


* 


die erſtern die Glieder der Regierung herzugeben das Recht 
hatten, lebt es hauptſaͤchlich von der Viehzucht, baut aber 
auch Korn, Haber, Gerſte, Taback, zieht auch etwas aus 
den Waldungen, und der Ertrag ſeiner Naturprodukte ſoll 
fich auf 3000,000 Lirè belaufen. Berechnet man nun, daß 
eine Seele 300 Lirè jaͤhrlich braucht, fo fehlen noch 6000,000 
Lire, die durch Induſtrie und Handel hereingebracht mwer 
den muͤſſen. 

Der Hauptnahrungszweig ift die Viehzucht, und in bef 
ſern Zeiten (oll dieß Laͤndchen 100,000 Schaafe, 3000 Kuͤhe 
und 3ooo Pferde, Eſel und Mauleſel beſeſſen haben. Frey⸗ 
lich waͤre es nie im Stand geweſen, eine ſolche Menge Vieh 
ſelbſt zu naͤhren, aber unter ſeine Freyheiten gehoͤrte das 
Recht, daſſelbe auf den Ebenen der zaͤhmern Gegenden, 
jenſeits feinen Gebirgen, während dem Winter weiden [afe 
fen zu dürfen. Sollte ihm daſſelbe nun genommen werden, 
ſo muͤßte es freylich ſehr dabei leiden, und die verhaͤltniß⸗ 
maͤßig große Bevoͤlkerung von 1712 Menſchen auf eine 
Quadratmeile für ein folches Klippenland würde bald bee 
traͤchtlich abnehmen. Die übrigen Gewerbe beſtehen aus 
Holzarbeiten, grober Leinwand, Strohhuͤten, vier Wollen- 
manufakturen, etwas Gerberarbeit, Wuͤrſte (Salami), Woll⸗ 
ſpinnereyen fuͤr die Tuchfabriken von Schio und Tiene 
und einigen Seideſpinnereyen in den untern Gemeinen an 
der Brenta. Das Land iſt arm, und man zaͤhlt im gan⸗ 
zen Lande nur drey Häufer, welche fich über den Mittel, 
ſtand erhoben haben. Auch hier wird das Land wegen der 
Nothwendigkeit, fo viel Korn außer demſelben anzukauſen, 


von allem baaren Geld entbloͤst. Erſt ſeit zwey Jahren 


hat der Erdapfelbau begonnen; haͤtten die Bewohner dieſe 


400 


herrliche Frucht früher angepfanzt, fo wären fie im Jahr 
1802 nicht in den Fall gekommen, von islaͤndiſchem Moos 
in Milch gekocht leben zu muͤſſen, wenn ſie nicht laben 
gern wollten ). 

Die phyſiſche Lage des Landes iſt rauh und wild nicht 
eine einzige fahrbare Straße fuͤhrt dahin, ſondern alles wird 
hinein und hinaus geſaumt. Die bewohnte Flache, oder Def 
ſer, die aufgeſchwemmten Thaͤler zwiſchen Aziago, Ga— 
lio und Rubio find 3030 bis 3385 Pariſer Schub über 
das mittellaͤndiſche Meer erhaben, und werden von den noch 
hoͤhern Felsſpitzen Manazo und Portole, welche von 
Marzari 5480 Pariſer Schuh über Vicenza angegeben 
werden, eingeſchloſſen; eine ununterbrochene Reihe bald 
nackter, bald mit Wald bedeckter Kalkfoͤzgebirge, in web 
chen verſchiedene Marmorbruͤche von weißem, weißroͤthli— 
chem und grauem Marmor gefuuden werden. Alle hoͤhern 
Berge find mehr oder weniger abgeſtuͤrzt, durchkluͤftet; mes 
nige mehr in einer natuͤrlichen horizontalen Lage; zum Theil 


— 


*) Nirgends Dat fid) der Vortheil des Kartoffelbaues auffallen 
der bewieſen als in den Jahren 1799 und tsoo in Buͤndten. 
Dieſes ſehr gebirgige und arme Land wurde gezwungen viele 
tauſend und aber taufend ungebetene Gaͤſte zu ernähren, Alle 
Einwohner haͤtten verhungern muͤſſen, wenn ſie nicht zu den 
Kartoffeln ihre Zuflucht haͤtten nebmen koͤnnen. Auch in 
ſehr wilden Gegenden werden ſie nun gebaut und gedeihen, 
beſonders in Anſehung des Geſchmacks, vortrefflich. Es iſt 
aber wirklich ſonderbar, daß auf der Suͤdſeite der Alpen⸗ 
kette, ſelbſt in ſehr armen unfruchtbaren Gegenden die Ein⸗ 
wohner nur mit Muͤhe dazu gebracht werden koͤnnen, dieſes 
Univerſal- und fpecifiiche Mittel gegen jede Hungersnoth 
anzupflanzen. Der Italiener haͤngt noch febr an feiner fea» 
ftanie und an feiner Polenta, wenn fie ihn noch fo theuer 
koſten. 


- 404 
neiget (id) ihre Richtung nach denen fie einft umgebenden 
Vulkanen (72), zum Theil nach dem tief ausgegrabenen 
Bette der Brenta. Ii Lande ſelbſt findet man Spuren 
von Vulkanen auf dem Wege von Aziago nach Rubio 
unweit Pufferle, und eine etwa drey Klafter mächtige 
Baſaltlage windet ſich zwiſchen dem Buſo und i Ron⸗ 
chi, auf dem Wege aus Valſtagna nach Galio, aus 
dem Kalzfoͤze hervor. Herr Antonio Gaidon verſichert 
in feinen Lettere scritte a S. E. Jacopo Morosini con- 
tenenti osservazioni orittologiche mineralogiche etc. 
fatte nei Contorni di Bassano 1778. auf der Höhe Ca⸗ 
ſteletto bi Rozo zerſtreute Stuͤcke von Lava ') gefun⸗ 
den zu haben, auch will er daſelbſt Spuren von Kratern 

entdeckt haben. Marmorbruͤche findet man bei Valdaſſa 
auf dem Berge Cogolo und andern Orten. In dem 
Kalkfoͤz, welches die Hauptmaſſe der Gebirge ausmacht, 


) Vermuthlich gehört ſowohl der Basalt, den der Herr Vers 
faſſer geſehen hat, als die Lava, von denen Gaidon re— 
det, und fie baſaltiniſche Laven nennt, zu der Trappforma⸗ 
tion. Ob ich gleich ſelbſt aus den Briefen deſſelben, viels 
leicht mit ziemlicher Gewißheit ſchließen koͤnnte, daß alle 
feine vulkaniſchen Anzeigen, die er in den füdlichen Huͤgeln 
der Sette Cummuni will gefunden haben, nur Produkte 
der Floͤßtrappformazion find, fo will ich dennoch nur muth— 
maßen, daß zu den in dieſem Bande ſchon angezeigten Gegen⸗ 

den innert dem Gebiete der Alpen, wo man will Spuren von 
Vulkanen gefunden haben, im Grunde aber die Floͤztrappfor- 
mation fand, auch diefe im untern Theil der Gette Com- 
muni gehoͤrt. Es ift febr wahrſcheinlich, daß diefe Forma⸗ 
tion ſowohl in den Zwiſchenbergen zwiſchen der Hauptkette 
und der ſuͤdlichen Hauptnebenkette, die eigentlich die Nori- 
ſchen Alpen ausmachen, als in den fuͤdlichen Vorbergen eben 
dieſer Alpen zwiſchen dem Kalkſtein öfter vorfemme. 


3t Bd, Ce 


402 Š { 
finden fid) keine Incruſtationen; deſto häufiger find fie aber 

in dem grobförnigten Kalkgeſtein der oberſten Fläche zwis 
ſchen Galio und Aziago, und in der Neigung gegen 
den Aſtico, wo auch verſteinerte Fiſche und Seegraͤſer ac 
funden werden. Aus dieſer Gegend ſtammt auch ein ſehr 
bemerkenswerther verſteinerter Krokodillkopf, den Herr B is 
rolamo Berettoni in Schio aufbewahrt. Er liegt 
in gelbroͤthlichem Kalkſtein. Der untere Kiefer iſt 2 Schuh, 
1 1/2 Zoll Wiener Maaß lang und 8 r/2 Zoll breit. Der 
Oberkiefer iſt von dem Unterkiefer abgeſchoben, die Zaͤhne 
find herausgedruͤckt und liegen zerſtreut umher; nach bem 
jenigen, welche vollkommen erhalten ſind, zu urtheilen, 
war das Thier noch jung; die Doppelzaͤhne, welche ſonſt 
dieſem Thier eigen ſind, kann man zwar nirgends deutlich 
wahrnehmen; indeß kommt die ganze Form des Kopfes 
und der untere beinartige Theil der Zahnwurzel ganz mit 
dem verſteinerten Krokodillskopf aus dem Petersberge bei 
Maſtricht überein , welcher in dem Musée d'histoire na- 
turelle in Paris aufbewahrt wird, und von Herrn Fau— 
jas de St. Fond in ſeiner vortrefflichen Naturgeſchichte 
dieſes Berges Tab. LI. abgebildet iſt. Zu bequemer Ver⸗ 
gleichung iſt auch der aus den Sette Communi in 
dieſem vor uns liegenden Werke in einem um die Haͤlfte 
verkleinerten Maaßſtab abgebildet. Die Erſchuͤtterungen, 
welche dieſe Gebirge erlitten haben, die Durchkluͤftungen, 
welche noch davon die ſichtlichen Spuren tragen, ſind wohl 
auch die Urſache, daß in dieſem Lande, wo doch der Schnee 
auf dem Manazo und Portule bis in den Monat Ju⸗ 
lius liegen bleibt, aͤußerſt wenige Quellen und nur ein ein⸗ 
ziger unbedeutender fortwaͤhrender Bach gefunden werden, 
welchen die Einwohner von Aziago und Galio zur Bes 
waͤſſerung ihrer Wieſen ſorgfaͤltig benutzen. Die im Fruͤh⸗ 
jahre noch fo wüthenden Torrenti, auf welchen ſelbſt bee 


= 


A 


403 


traͤchtlich viele Baͤume herabgeſtuͤrzt werden, find im Som⸗ 
mer alle vertrocknet; dagegen ſtroͤmen vom Fuße des Ge 
birges in den Kanal der Brenta zwey anſehnliche Fluͤße, 
der obere und untere Orliero aus Felsgrotten hervor. 
Eine merkwuͤrdige Erſcheinung iſt die Gegend il Buſo 
auf dem Wege von Valſtagna nach Galio. Der Berg— 


ſtrom, welcher fid) aus verſchiedenen Thaͤlern in der Ges 


gend i Ronchi ſammelt, hat die Kalkmaſſe, die ehemals 
das obere Thal umſchloß, nach und nach gewaltſam durch— 
brochen und ſich einen Weg durch daſſelbe gebahnt, welcher 
ſich in einer Schlangenlinie durchwindet. Die engen Fels 
ſenwaͤnde, die ſich nach oben zuſammenziehen, bilden eine 
Art von Grotte, uͤber deren Mitte einige Spannen des 
azurnen Himmels durch die beleuchteten Aeſte der Baͤume, die 
fie beſchatten, durchblicken. Die verſchieden geſtalteten Fels 


ſen ſind unten nackt, weiter oben mit einer gruͤnen Matte 


von Laubmooſen bedeckt, und endlich mit Stauden und 
Baͤumen uͤberwachſen. Ewiger Schatten und willkommene 
Kühlung erfriſchen hier den muͤden Wanderer *). 


r 


) Aehnliche Bergſchluchten habe ich in meinen Streifereien 
durch den franzoͤſiſchen Jura in den Jahren 1799 und 1800, 
Winterthur bei Steiner. 8. beſchrieben. Ueberhaupt findet 
man ſowohl im Jura als in andern ausgedehnten, meiſtens 
aus Kalkſtein beſtehenden Ketten, ſolche Gegenden, die, ob» 
gleich hohe Bergſpitzen ſich aus ihrer Mitte erheben, dennoch 
ſehr arm an Waſſer ſind; wo die dadurch fließenden Baͤche 
entweder in ſehr tiefen Spalten rinnen, oder am Fuße des 
Gebirges maͤchtig hervorſprudeln, worinn man auch nicht 
wenig Spuren von gewaltſamen Erſchuͤtterungen wahrnimmt. 
Die großen ausgedehnten Hoͤhlen, die ſich in ſolchen Kalk⸗ 
gebirgen finden, und die nicht ſelten zuſammenſtuͤrzen, ete 
klaͤren am eheſten die daſelbſt vorkommenden Naturerſchei⸗ 
nungen. FS PS 


404 

Die Gegend um den Hauptort Aziago (in der Lan: 
Deswrache Schlag! genannt) iſt die freundlichſte im Lande; 
der Ort iſt anſehnlich, hat einen ganz aus Quaderſtuͤcken 
aufgemauerten betraͤchtlichen Kirchthurm und mehrere gut 
gebaute Haͤuſer. 

Die Nation ſcheint wenig Eigenthuͤmliches mehr von 
ihren Stammvaͤtern beibehalten zu haben. Das männliche 
Geſchlecht iſt zwar groß und ſtark, allein dieß iſt der Fall 
in den meiſten Gebirgen. Blaue Augen trifft man durch» 
aus haͤufig im noͤrdlichen Italien an. Die Sitten und 
Gebraͤuche haben mehr das Eigenthuͤmliche der Gebirgsbe⸗ 
wohner, der Hirtenvoͤlker und eines Grenzlandes, als einer 
Nation, und was heißt heut zu Tag Charakter der deut- 
ſchen Nation? Rauhe Lebensart, Genuͤgſamkeit, indu— 
firiofe Behandlung einer ſtiefmuͤtterlichen Natur, aushar— 
render Fleiß, mehr Einfachheit und Witz bei roheren Sit— 
ten und weniger Ausbildung, find hier wie auf andern Gea 
birgen die Hauptbeſtandtheile der Miſchung in dem Volks⸗ 
charakter, der aber durch den beſtaͤndigen Umgang mit den 
Italienern jenſeits des Aftico und den Bewohnern des 
flachen Landes auf den Wochenmaͤrkten zu Baſſano wo 
der größte Verkehr mit den ſieben Gemeinen beſteht, noth- 
wendig ſeine Eigenthuͤmlichkeit laͤngſt verloren haben muß. 


So weit gehen die Nachrichten des Herrn Grafen von 
ben Cette Communiz ich habe noch einige Bemerkuns 
gen über die Sprache derſelben beizufügen, 

„Die meiſten deutſchen Wörter haben ſehr viel Aehnlich— 
keit mit der Tyroler- Sprache, fo wie auch die Ausſprache. 

Doch giebt es verſchiedene, die der eigenthuͤmlichen 
Buͤndnerſprache ganz gleich find, als: Plötscha, Plazre⸗ 
gen, mit Platſcha, das man in Bündten gebraucht, um 
das Getoͤſe des Plazregens, das fein Niederfallen auf die 


c 


— — 


405 


Straße macht, auszudruͤcken. Glastara, Funke; in Vuͤnd⸗ 


ten wird unter Glaſt ein funkelnder Glanz verſtanden. 
Eino und Aina, Großvater und Großmutter, Eni und 
Ana in Buͤndten. Hanego, Anega, Enkel, Enkelin; 
Enigli in Buͤndten. Lailagh, Leintuch; in Buͤndten 


Lilachen. Freithof, Gottesacker; in Buͤndten Frit 


hof. Dille, Heuboden; Tille in Buͤndten. Owa, 
Mutterſchaaf; in Buͤndten Aue u. ſ. w. 

So finde ich auch Woͤrter in dieſer Sprache, die mir 
ſonſt nur im Patois der Veltliner-Sprache vorgekommen 


ſind, als: 


Wampa, Flamme. Crappa, Hirnſchaͤdel. Warba, 
Oheim; im Veltlin Barba. Prugh, Hoſen; im Veltlin 
Braghe. 

So gewiß das noͤrdliche Italien und ganz Rhaͤtien im 
ſiebenten und achten Jahrhundert und auch noch fpäter die 
verdorbene lateiniſche oder eigentlich romaniſche Sprache 
gebrauchten, ſo gewiß wurde dieſelbe durch die Allemannier 
nach und nach aus dem groͤßten Theil von Mhätien vers 
draͤngt, doch ſo, daß man noch immer Spuren derſelben 
antrifft. Die Sette Communi ſind ſehr wahrſcheinlich 
die Ueberbleibſel einer allemanniſchen Kolonie, und in ih⸗ 
rer Sprache findet man allemanniſche, romaniſche und ceh 
tiſche Woͤrter ). 


So merkwuͤrdig auch die Beobachtungen ſind, welche 


Man vergleiche hiemit, was Jofeph Freyherr von ore 
mayr in ſeiner Geſchichte der gefuͤrſteten Grafſchaft Tyrol, 
Tuͤbingen 1806. 8. S. 134 und folgende ſagt. Sonderbar 

iſt es, daß in dem Verzeichniß der Wörter aus dem Dialekt 
der ſieben Gemeinen, welches dieſer Verfaſſer liefert, einige 
ganz verſchieden von denjenigen lauten, die uns der Herr 
Graf mitgetheilt hat. 


406 


der Herr Verfaſſer über die euganeiſchen Hügel im Paduas 
niſchen, uͤber die vicentiniſchen und veroneſiſchen Gebirge 
gemacht hat, ſo verſchiebe ich doch die naͤhere Wuͤrdigung 
derſelben auf ein andermal, um es mit genauerer Kennt⸗ 
niß der Sache thun zu koͤnnen, und begnuͤge mich, die 
Stelle Seite 70 auszuheben, die man als eine allgemeine 
Meberficht dieſer Gegenden betrachten kann. Er ſagt naͤm— 
lich: Betrachtet man von der Zinne des Berges Venda 
die weite Flaͤche, welche noch dermalen in der Gegend von 
Padua nicht so Fuß über der Meeres ſaͤche erhaben ift, 
und großentheils aus Moorland beſtehet, und denkt ſich da— 
bei die Fluͤße Adige, Brenta, Aſtico, Bachilione, 
noch ehe ſie die feſten Mauern der hoͤhern Gebirge ſo tief 
durchſchnitten hatten; wirft man einen Blick auf den Gürs 
tel der Vulkane, welche nahe an Baſſano bei St. M i- 
chele anfangen, und immer laͤngs den hoͤhern Gebirgen 
fortlaufend, zwiſchen den ſieben Gemeinen und Martos 
ftica vorbei, über Sechio, Valdagno, die Kratern 
von Marano und Bolca über Veſtina, Ar zignano 
heraus nach Montecchi ſich erſtrecken, die aufgeſchwemm⸗ 
te Flaͤche des Valle Triſſino und um Vicenza uͤber— 
ſpringen, in den Colli Berici wieder anfangen, bei 
Barbarano auslaufen, und jenſeits des Kanals in ben 
Euganeen wieder erſcheinen; ſo muß man ſich die ganze 
Flaͤche vom Meere uͤberdeckt, und die Reihe der Vulkane 
theils am Ufer deſſelben, theils unter demſelben als In— 
fein denken. Beſucht man ſodann die Kabinette des Ab- 
bate Terzi in Padua, welcher alles ſammelte, was die 
Euganeen enthalten; jenes des Abbate Gaetano Pedoni 
in Vicenza, welcher alle Merkwuͤrdigkeiten der Vicenti⸗ 
ner: Berge vereinigt hat; dann die des Girolamo Hez 
retoni in Schio und des Grafen Gazola in Verona, 
welche die Seltenheiten des Veroneſer⸗Gebiets enthalten, 


407 


und ſieht dort bald vortrefflich erhaltene Conchylien in Bas 
ſalt, oder in vulkaniſcher Erde feſtgehalten, die Fiſche von 
Bolca von Kalklagen uͤberdeckt, und an einen Vulkan 
angelehnt — Kalklagen über Laven hinſtreichend oder La- 
ven zwiſchen Kalkbergen eingeſchoben — fo wird einem das 
Bild der Urwelt ſo ziemlich anſchaulich u. ſ. w. Ich habe 
fuͤr dießmal nur noch die Bemerkung beizufuͤgen, daß der 
Herr Graf in den euganeiſchen Huͤgeln beſtimmte Beweiſe 
des Daſeyns ehemaliger Vulkane will gefunden haben; hin, 
gegen, wenn ich mich nicht ſehr irre, Herr von Buch in 
den naͤmlichen Huͤgeln nichts Vulkaniſches geſehen hat. 

In den vorhergehenden zwey Aufſaͤtzen dieſes Bandes 
der Alpina habe ich ausfuͤhrlich mitgetheilt, was in dieſer 
Reiſebeſchreibung von den vulkaniſchen Ueberreſten am 
Monte Baldo und vom Vorkommen der gruͤnen Erde 
von Brentonico erzaͤhlt wird. 

Mit Vergnügen werden die Lefer der Alpina aud) dags 
jenige vernehmen, was er von jenen beinahe ganz unbe— 
kannten Thaͤlern ſagt, die fich zwiſchen den Bergketten be- 
finden, welche der maͤchtige Alpenſtock vom Ortles bis 
zum Gavia gegen Suͤden und Oſten ausſendet. j 

Beinahe zu obert am Lago di Garda durchreiſete 
er zuerſt das Thal des Ledro, welches gerade gegen We⸗ 
ſten hinanſteigt: Merkwuͤrdig wegen den ſchoͤnen Waſſer— 
fällen, die der Ledro bildet, welcher hin und wieder am 
Fuße der Felſen den Glimmerfchiefer aufdeckt, da hinges 
gen die obere Decke derſelben nur aus Kalkſtein beſteht. 
Bis an den vieleckigten See Ledro iſt das Thal eng, doch von 
Molino weg eben, mit Spelz und ſechszeiliger Gerſte 
reich bebaut. Bei dem See etwas weiter mit Grasmat⸗ 
ten und Nadelholz mahleriſch wechſelnd geht es über Un- 
ter⸗ und Ober⸗Tiarno an einer Erhoͤhung aus, auf deren 
anderer Seite das unbekannte, aber an Pfanzen reiche Thal 


408 

Am pola ſich befindet, welches auch gegen Welten herab⸗ 
geht und in einer Flaͤche endigt, die zur Val Sabbia 
gehört, von der Chieſa durchſtroͤmt. Ob dem einige 
Stunden langen Fdro gehört dieſes Thal zum welfen 
Tyrol, der See aber und das nun ſehr breite Thal un— 
ter demſelben zum Breſſaniſchen. Im tyroliſchen Ans 
theil liegt der nicht unbetraͤchtliche Flecken Storo in 
einer reich bebauten Ebene. Nun zieht ſich das Thal gegen 
Nordnordoſt, und iſt ein wohl bewohntes Wieſenthal; die 
Kalkgebirge verlieren fid) in das Thal, und bei Cinego 
wechſeln fie mit hereingeſchobenen Thongebirgen. Die Chie 
fa entſpringt in der febr betraͤchtlichen Nebenkette, die vom 
Gaviaberge gerade gegen Süden auslauft und die Val 
Gammonica und Val Tromvia vom welſchen Tyrol 
trennt. Bei Prez wendet fid) die Val Sabbia auf eins 
mal gegen Weſten, doch geht ein kleines Thal bis Ron 
cone nordwärts, und wendet fich dann auch gegen Welten 
der eben angezeigten Bergkette zu. Hier uͤberſteigt man 
alfo einen Nebenzweig dieſer Kette, der gegen Often ſtreicht 
und kommt in das Breguzer-Thal, vom Arno durch⸗ 
ſtroͤmt, der auch in jener Kette entſpringt, zuerſt von We— 
ften nach Often, dann aber nach Norden fliegt und fidh zu 
Tion mit der Sarca vereinigt. Dieſes Thal iſt reich an 
Pflanzen und an Erzen. Im ızten Jahrhundert wurden 
hier noch Eiſenwerke getrieben, die jezt wegen Mangel an 
Aufmunterung, wie es ſcheint, liegen bleiben. Auf ſeinem 
Gange bis zum Urſprung des Thales, auf jene mit Schnee 
und Eis bedeckte Gebirgskette, die hier Vedretta genannt 
wird *), fand der Verfaſſer, mitten durch die Kalkſpitzen 
brechend, ob der Alpenhuͤtte Malga di Magiaſone 
*) Vedretta nennen die Alpenbewohner auf der italieniſchen 

Seite jeden Gietſcher, vermutlich von Vedro, Glas. 


409 
eine mächtige Ader von reinem kriſtalliſirtem Schwefelkies, 
und die Bauern brachten ihm mehrere Blepſtufen, die aus 
dieſen Bergen ſtammen ſollen. Uebrigens bildet der Glim— 
merſchiefer hier ſchon ganze Gebirge, doch werden fie manch- 
mal durch Bergreihen von derbem Kalkſtein unterbrochen, 
zwiſchen welchem wieder andere Gebirge eingeſchoben ſind. 

Es wäre febr zu wünfchen, ſagt der Verſaſſer, daß in 
dieſen Gegenden mehrere Manufakturen angelegt wuͤrden, 
um das Holz zu benutzen, das in Windbruͤchen in Meuge 
übereinander gethuͤrmt, fault, fo daß die Wälder Berz 
hauen gleichen, und um den Menſchen Nahrung zu ver— 
ſchaffen. In den beſſern Thaͤlern wird zwar noch Mays 
gebaut und an den Bergen einiges Korn; allein dieß reicht 
nicht zu, um die betraͤchtliche Bevoͤlkerung zu ernähren, 


Deswegen zieht auch ein großer Theil der Einwohner, bes 


ſonders des Breguzerthales, im Winter nach Italien, um 
ſich Nahrung zu verfchaffen. Die Zucht der Seidenivürs 
mer, welche hier febr emſig betrieben wird, gewaͤhrt den 
Einwohnern zwar guten Erwerb, allein der Getreidekauf 
fuͤhrt ales Geld ſehr bald in das Ausland. Der Beamte 
und der Pfarrer geben fic) febr viele Mühe, den Erdaͤpfel— 
bau emporzubringen, allein fie finden ſehr mentg Nach— 
ahmer. 

Bei Tion, wo das Thal di Breguz und das Thal 
di Rendena ſich vereinigen, wendet ſich der Hauptſtrom 
Sarca auf einmal gegen Oſten bis Santa Maria 
ai Sarchi und von dort gerade gegen Suͤden, um her— 
nach bei Porto ſich im Gardaſee zu verlieren. 

Das Thal Rendena zeigt ſich von Norden gegen Suͤ— 


den und fängt in der öfters gedachten hohen Nebenkette 


an. Ein oͤſtlicher Arm aber führt über den Pinal in 
das Valle di Sol, Sulzthal. 
Dieſes Rendenathal iſt wohl angebaut und ſtark bevöl⸗ 


410 


fert, und in den Gebirgen, fo wie bei feinem Urſprung mit 
Alpweiden begabet, in denen man herrliche und ſeltene 
Pflanzen findet. 

Der nur im Sommer fuͤr Saumpferde gangbare Pfad 
uͤber das zu innerſt im Thal liegende einſame Wirthshaus 
Madonna di Campiglio und von da uͤber die aus 
Kalkſtein beſtehende und 7664 Pariſer Schuh meſſende 
Cima delle Craſte führt neben dem beinahe unerſteig— 
lichen Pinal in den obern, gerade gegen Oſten ſtreichen— 
den Theil des Sulzthals. Oben auf der Scheidecke folgt 
man einem engen, ſehr rauhen Thale, Val Camonica, 
dem Ufer des Bergſtroms Meledri. Auch hier haben die 
zerſtreuten Bergdewohner feit der im Jahr 1802 ausgeſtan⸗ 
denen Hungersnoth die ſchaͤdliche Gewohnheit, ganze Wald⸗ 
ſtrecken anzuzuͤnden, und wenn alles Holz eingeaͤſchert iſt, 
das Land umzuhacken, um Korn darin zu pflanzen. Sie 
erhalten zwar zwey gute Erndten, aber dann iſt das Erd— 
reich ausgeſogen, das Holz vergebens verſchwendet, und die 
Erde, pon nichts mehr aufgehalten, wird in das Thal 
heruntergeſpuͤlt. Es iſt ſonderbar, warum ſie nicht das 
Holz beſſer benutzen, da ſie daſſelbe durch den Meledro 
in das Hauptwaſſer des Sulzthales, die Noce, und durch 
daſſelbe in die Etſch ffen koͤnnten. 


Ich werde die leider ziemlich ſparſamen Nachrichten, 
die wir in dieſem Werke von dem Sulzthale finden, bei 
der Darſtellung deſſelben und des Val di Non nach 
J. H. Maffei Periodi istorici e topographici delle 
Valli di Non e Sole nel Tirolo meridionale. Inſpruck 
bei Wagner. 1806. 4. benutzen und gebe nod) zum Be- 
ſchluß etwas aus bem geognoſtiſchen Ruͤckblick und den Bes 
merkungen uͤber den Charakter der Gebirgsbewohner, die im 
lezten Kapitel das ſuͤdliche Tyrol betreffend, enthalten (inb. 


1 


411 


Von Vanal am Gardaſee bis C toro ununterbroche⸗ 
ner Glimmerſchiefer und Kalkſtein; von Storo bis bin 
aus in das Thal Val di Non und Val del Sol die 
eben genannten Gebirgsarten, durch Porphyr - ober Thon- 
gebirge getrennt. 

Der Bewohner der Sette Communi, jener der Ve— 
roneſer⸗Gebirge und der des italieniſchen Tyrols unter— 
ſcheiden ſich wenig. Da ſie alle großen Verkehr mit den 
italieniſchen Staͤdten haben, zum Theil auch den ganzen 
Winter in denſelben zubringen, ſo haben ſie einigen Luxus 
und fremde Sitten mitgebracht, welche mit ihren Bergen 
und dem eigenthuͤmlichen Charakter eines Hirtenvolks nicht 
wenig contraſtiren. Tritt man in eine aͤrmliche Berghütte, 
ſo findet man ein Zimmer und eine Kammer. Die Fen— 
ſter ſind von Papier, welches durch den Rauch ganz braun 
geworden iſt, und nur ſehr wenig Licht durchlaͤßt. Im 
Zimmer it ein Camin, welches zugleich die Stelle des Heer- 
des vertritt, aber ohne Schornſtein. Der Rauch ſoll durch 
eine Oeffnung oberhalb der Thuͤr herausgehen. Das ganze 
Zimmer iſt daher einer Rauchkammer aͤhnlich. Die in— 
nere Einrichtung beſteht aus einem breiten Bette mit Mays- 
froh gefüllt, einem Leintuche und einer leichten Decke, mel 
che im Sommer nicht gebraucht wird; einem großen 
Schrank, einigen Strohſtuͤhlen und einem hoͤlzernen Tiſche. 
Neben dem Camin ift gewöhnlich ein Geſtell von Brettern, 
auf welchem die Kuͤcheneinrichtung prangt, als: kupferne 
und eiſerne Keſſel, Kaßerolle und Pfannen, alles unver: 
zinnt; Waſſereimer, ſechs große weiß und blaue Fayence— 
Schuͤſſeln, vier und zwanzig kleinere und groͤßere Teller, 
zwey bis vier derley oder ganz weiße Weinkruͤge, zwoͤlf 
Paar Beſteck mit vierſpitzigen Gabeln von Eiſen, Loͤffel von 
Meſſing, ſechs geſchnittene Trinkglaͤſer, vier bis ſechs Caf 
feetaffen von Fayence und zwey Caffeekannen von Blech. 


1^ 


412 
Die Wirthshaͤuſer in C toro und manchen Dörfern find 
nicht beffer beſtellt als ſolche Gebirgshuͤtten; dagegen find 


aber die Doͤrfer in dem Thal der Brenta groͤßtentheils von 


Stein gebaut, und vorzuͤglich die Kirchen ſehr oft im beßten 
architektoniſchen Styl mit Pracht aufgeführt. 

Die Bergbewohner, den Augenblick des Jaͤhzorns abe 
gerechnet, ſind froͤhlich und gutmuͤthig, und die Begierde 
nach Geld, welche dem Italiener häufig vorgeworfen wird, 
iſt in dem Gebirge nach einem ſo geringen Maaßſtab be— 
rechnet, daß ſich der Reiſende, der die Sitte kennt, im⸗ 
mer vorher nach den Preiſen zu fragen, ſchwerlich Urſache 
finden wird, fid) zu beklagen. Dienſtfertiger iſt keine Nas 
tion als diefe, und noch uͤberdieß mit Klugheit und Vers 
ſtand, vorzuͤglich wenn man ihrer Eiteikeit etwas zum 
Beßten giebt. Ich habe allenthalben, in Staͤdten, Dir, 
fern und Alpenhuͤtten die beßte Aufnahme und thaͤtige Mit⸗ 
wirkung für den Zweck meiner Reife gefunden, ja jelbft 
mit Wirthen und Poſtillionen, mit denen am fchwerken 
auszukommen iſt, habe ich fuͤr etwa hundert Gulden, die 
ich auf meiner ganzen Reiſe uͤber Bedarf bezahlte, mir 
allen Verdruß und Zeitverluſt abgekauft. In einzelnen 
Thaͤlern der Gebirgsreihe, welche Oberitalien von dem 
ſuͤdlichen Tyrol ſcheidet, find, wie der Porphyr zwischen 
Glimmerſchiefer und Kalkgebirg, auch verſchirdene Men⸗ 


ſchenſtaͤmme eingeſchoben; fo die alte dDeutiche Colonie in 


den ſieben Gemeinden und den Veroneſer-Gebergen; fo 
ein Voͤlkchen in den Thaͤlern hinter dem Aitıco, welches 
ſich von den uͤbrigen Voͤlkern, wie der Granit dieſes Ber, 
ges von ſeinen Bruͤdern unterſcheidet. 

Die Sprache dieſer Bewohner iſt ein Mittelding amis 
ſchen der italieniſchen und der deutſchen, welche aus der 
Corruption dieſer beyden Sprachen enttanden zu ſeyn 
ſcheint. Es find faſt lauter Kramer und Gewerbsleute, 


: 413 


welche mit ihren Waaren das ganze Jahr herumziehen; 
den Einwohnern um Belluno ſcheinen ſie ſich am mei⸗ 
ſten zu naͤhern. 


Roch habe ich zu bemerken, daß zu dieſem ſehr ſauber 
gedruckten Werke vier ſehr ſchoͤne Kupferſtiche gehoͤren. Der 
erſte felt die Grotte bei Orliero vor; der zweyte den 
in der Sette Communi gefundenen verſteinerten Kinn⸗ 
backen des Krokodills; der dritte eine Anſicht der Baſalte 
bei Veſtena und des Bergs Bolca und der vierte die 
Steinbruͤche von Coſtoza. 


2. 


Reiſe in die rhetiſchen Alpen, vorzuͤglich in 
botaniſcher Hinſicht. Im Sommer 1894, 
von Caſpar Graf von Sternberg, Vi⸗ 
cepraͤſidenten und Mitglied der botaniſchen 
Geſellſchaft in Regensburg. Nürnberg , 
1806. 8. 


Mit Freuden ließ ich dieſes Buch kommen, in der Hoff⸗ 
nung, wichtige Beitraͤge zur Flora meines Vaterlandes 
darin zu finden, da ich heut zu Tage keine andere rheti— 
ſche Alpen kenne als diejenigen, die ſich vom Gotthard bis 
zum Ortles erſtrecken. Ich glaube auch, daß dieſer an⸗ 
tiquariſche Name auf die Vorberge der noriſchen und auf 
die tridentiniſchen Alpen nicht mehr paſſe. Doch bin ich 
weit entfernt, mit dem Herrn Verfaſſer deswegen zu rech 
ten, denn der Name mag nun paſſend oder unpaſſend 
ſeyn, genug, das Werkchen, ſo wie die botaniſchen Aus⸗ 
Füge des naͤmlichen Herrn Verfaſſers in Hoppe's bota- 


414 


nifhem Taſchenbuch 1804 Seite 129 find für die Flora 
Alpina überhaupt ein ſchaͤzbares Geſchenk, beſonders um 
die feltenen Pflanzen auf der Suͤdſeite der Alpen kennen 
zu lernen. Das Buch leidet keinen Auszug, indem es in 
keiner Buͤcherſammlung eines Durchforſchers der Alpen fef» 
len darf. Ich fuͤge nur einige wenige Bemerkungen bei. 

Der Citisus alpinus waͤchst in den Nebenthaͤlern des 
Veltlins in den zaͤhmern Alpen unter den Tannen (efr haus 
fig. Die Einwohner gebrauchen das Holz auch zu Pfaͤh— 
len in den Weingaͤrten, und keine ſind ſo dauerhaft als 
dieſe. 

Es iſt doch ſonderbar, auf welchen ſehr verſchiedenen 
Höhen die Pflanzen angetroffen werden. Der Trollius 
europæus erhebt ſich bis zur Hoͤhe von 4000 Fuß uͤber 
dem Meere und die Lonicera alpigena über 6000 Fuß. 
Aber der Hyacinthus botryoides, der um Marſchlins 
aͤußerſt gemein iſt, wird über 2000 Fuß nie gefunden werden. 

Mit Verlangen wird jeder Botaniker dem groͤßern Werke 
des Herrn Grafen entgegen ſehen, welches er in dieſem Buͤ— 
chelchen herauszugeben verſpricht, und deffen baldige t» 
ſcheinung jeder wuͤnſchen muß. 

3. 
Tableau des hauteurs principales du globe fondé 
sur les mesures les plus exactes et publié 
à Berlin par Chrétien de Mechel en 1806. 


Explication du tableau des hauteurs principales 
du globe terrestre. On' y a ajouté quel- 
ques notes instructives ainsi que le nom des 
Savans, qui ont mesuré ces hauteurs. Pu- 


blé par Chr. de Mechel. Berlin 1806, 4. 


415 


Das Tableau ſelbſt ift eine Art von illuminirtem Ku⸗ 
pfer in groͤßtem Chartenformat, auf welchem die hoͤchſten 
Berge, theils den Welttheilen und den merkwuͤrdigſten Ge- 
birgsketten nach nebeneinander auf der gemeinſchaft lichen 
Baſis der Meeres flaͤche, jede Kette durch eine beſondere 
Farbe unterſchieden, als fefe ſpitze Kegel dargeſtellt wer 
den. Man hat dadurch wenigſtens den Vortheil, mit ei— 
nem Ueberblick eine Vergleichung der hoͤchſten Bergſpitzen 
anſtellen zu koͤnnen. Auf der rechten Seite der Charte bea 
ſindet ſich am Rande die umgekehrte Scale des Hoͤhenba— 
rometers von 28 Z., welche den Druck der atmosphaͤri⸗ 
ſchen Luft durch die Hoͤhe der Queckſilberſaͤule anzeigt. 
Die Gradenabtheilung auf der linken Seite aber zeigt uns, 
bei welchen Hoͤhen, ſowohl unter dem Aequator als bei 
uns, der Schnee nicht mehr vergeht. Zur Vergleichung 
ſehen wir oben die Höhe von 3600 after, zu welcher der 
unerſchrockene G uo Luſſac in feiner den 16 September 
1804 unternommenen areoſtatiſchen Reiſe geſtiegen iſt. 

Nebſt einer kleinen Vorrede enthält die Erklaͤrung nichts 
anders als die Namen der dargeſtellten Berge, ihre Hoͤhe 
nach Klafter und die Angabe der Verfaſſer, deren Meſſung 
hier angenommen wird. 

Wir haben es hier nur mit den Spitzen der Alpenkette 
zu tbun, bemerken aber nur, der Vergleichung wegen, 
daß der hoͤchſte Berg der Erdkugel 

der Chimborazo nach Alexander von 


Humboldt x . 3357 Klafter 
und die Stadt Quito auf dem großen 
Plaz nach obigem s . 1506 — 


die Stadt Mexico nach ebendemſelben 1177 — 
Beträgt; alſo eine Höhe ob dem Meere, auf welcher fich 
wohl keine bewohnte Gegenden auf den Alpen befinden, 
wo doch in Amerika, freylich unter oder nahe dem Aequa⸗ 
tor, große Staͤdte liegen. 


416 


Höhen der Berge in den Alpen, welche bie Cen⸗ 


tralkette Europens bilden. 


Die Spitze des Col de Laniere im Departe— 
ment des Baffes Alpes bei Briançon: 
Nach Guerin . 

Die Spitze des Mont ichi aud) bei Brian 
con, Nach dem namlichen í 

Der Monte Vifo. Nach dem Grafen Wagen 

La Roche St. Michel, am Mont Cenis. 
Nach de Sauſſure . à " 

La Tournette, ob Annecy in Savoyen. 
Nach Pictet 

Le Mont Cramont, rechts ius Allee ela 
che, ob Courmayeur. Nach de Sauf 


(ute 2. T 
Mont Vergy, ob Sallenches in n 
Nach Jurine und Berger . e 


Der Montblanc. Nach de Sauffure . 

Die Aiguille d' Argentieres; eine Neben 
ſpitze des Montblanc. Nach Schuch 
burgh . 

Die Spitze des Zuckerbuts, gtsin Norden 
vom großen Ct. Bernhard, Nach dem 
naͤmlichen $ | 3 " 

Der Mont Belan ] i 4 A 

Der Mont ma im Wallis. Nach. 

Der Mont Rofa dem naͤmlichen . 

Das Breithorn J * 

Daus Jungfranhövn im Canton Bern, Nach 
Tralles 

Das inge e$ or ebendafelbfk, Nach dan 
naͤmlichen " * * E 


Klafter. 
2165 ? 


2104 1 
1573. 


1445. 


1178. 


1402, 
1173. 
2446. 


2094. 


1466. 
1722. 
2309. 
2430. 
2002, 


2148. 


2306. 


Der Ballenftöck im Canton Bern. Nach 


Weiß * + * * een 
Der Befchiora,\ + + N. d. naͤmlichen 
Der Fiendo ! * Lepisem des Nach de Sauſſute 
Der Prosa, * (Gotta, es 
Der Bettina in 

der Bal Piora,) A : = — — 


Der Vogels berg in Buͤndten. Nach Müller 

Der Marſolſpitze des Bernardiners. Nach 
dem naͤmlichen , 

Der Piz Piſoc od Taraſp in Bündten. Std 
ungefaͤhrer Schágung + " 

Der Orteles im Tyrol. Nach Gebhard 

Der Plateyfegel im Tyrol. Nach Walcher 

Der Groß Glockner. Nach Schiegg. 

Der Rathhaus berg im Salzburgiſchen. Nach 
Beck. 4 $ é 


Der Wahbmaün ebendafeldft; Nach dem naͤm⸗ 


lichen * E 4 + è 


z — —-—- 0m 


417 


Kiafter, 
1880. 
1662, 
1378. 
1377. 
1397; 
1705. 
1593. 


2100. *) 
2336. **) 
1625. 
1998. 
1364 


1510; 


Be 2 Se — 


*) Nicht vergebens ſagt der Verfaſſer nach ungefaͤhrer Schaͤ⸗ 
tzung. Sie iſt offenbar uͤbertrieben. Ob ich gleich den Berg 
weder trigsnometriſch, noch mit meinem Barometer gemeſ⸗ 
fen habe, fo wollte ich doch, nach der Vergleichung mit 
denjenigen Bergſpitzen in der Naͤhe, deren Höhe mir bes 
kannt ift, glauben, daß der Piz Pizzoe, nicht Piſse, 


hoͤchſtens 10,000 Fuß mißt. 


**) Man ſehe, was ich von der Höhe des Duties im jioega 
ten Band der Alpina Seite 386 geſagt habe. Es iſt wohl 
möglich, daß wir ſowohl vom oben erwaͤhnten Piz Pizzoe 
als vom Ortlels und feinen ſtolzen Nachbarn noch richtige 


Meſſungen erhalten. 
4t Vd⸗ E I 


. 418 
Die Spitze des Priels in Oeſterreich. Nach des Klafter. 


Erzherzogs Rainiers Meſſungen ) 1094. 
Die Spitze des Oetſchers in Steyermark. Nach 

dem naͤmlichen . : 998. 
Die Spitze des Wechſels an den Gränzen Hun⸗ 


garns. Nach dem naͤmlichen . š $89. 


Alpen paͤße. 
Ueber den Col de Ten da in den Seealpen. Nach 
dem Grafen Morozzon. EN Da 
Ueber den Mont Cenis. Nach be Sauffure 1060, 
Ueber den kleinen Bernhard. Nach bem naͤm⸗ 


lichen j * 1125, 
Ueber den Col be fa Seighe. Nach dem naͤm⸗ 

lichen . . 1236, 
Ueber den Col Ferret qwifdjen Sum den und Wal⸗ 

lis. Nach dem naͤmlichen TI . 1191. 
Ueber den großen Bernhard. Nach dem naͤm⸗ 

lichen ; + 1246, 
Ueber den Col des Mont etc: Nach dem 

naͤmlichen ^ , 3 y 1750, 


*) Siehe Alpina ir Band Seite 4or, mo fi) auch die uͤbri⸗ 
gen Meſſungen S. K. H. befinden. 

Wenn ſchon die oben angegebenen Meſſungen meiſtens 
alle bekannt find, fo habe ich fie doch hier mittheilen wollen, 
weil dieſe Ueberſicht der hoͤchſten Alpengipfel von Weſten 
nach Oſten fuͤr den Geologen ſehr intereſſant iſt. Aus dem 
nämlichen Grunde folgen auch die Hoͤhenmeſſungen der bes 
ruͤhmteſten Alpenpaͤße. Wir werden hoffentlich bald im Falle 
ſeyn, die Hoͤhen verſchiedener Berge und Alpenpaͤße, die bis 
jezt noch nie gemeſſen worden waren, liefern zu koͤnnen, 
und die jenigen zu berichtigen, die offenbar unrichtig beftimmt 
ſind. 


— 


- 


2 20 20 u Fl un ul RN UT 


cedes 


419 

Ueber den Simplon im Wallis. Nach de ent, 

Sauſſure . 1029. 
Ueber den Gries ebendaſelbſt. Nach dem naͤm⸗ 

lichen t i 1223, 


Ueber den Gotthard. Nach bet Aan PR 106$. 
Ueber den Splügner: Berg in Bündten. Nach 


Uſteri und Scheuchzer p ^ 988. 
Ueber den Brenner im Tyrol. Nach Herr von 
| Buch A 729. 
Ueber den Heiligenbluter— „Tauern im Sal⸗ X 
burgiſchen. Nach Schiegg . 1343. 
Ueber den Radſtadter-Tauern ebendaſelbſt i 
Nach Karten . 847. 
Ueber ben Katſch — in Kärnthen, Nach 
dem naͤmlichen . . . 816, 
4 


Viaggio da Milano ai tre laghi maggiore, di Lu- 
gano e di Como e ne monti che li circon- 
dano di Carlo Amoretti. Terza edizione. 
Milano 1806. 8. 

Nebſt drey Kärtchen, davon das etfle das Alto Novareſe, 

das zweyte die Laͤnder um und zwiſchen den drey Seen, fuͤr 


welche dieſes Buch als ein Wegweiſer dienen ſoll, und 
das dritte das Veltlin vorſtellt. 


Ich habe der zwey erten Ausgaben dieſes Buchs, wos 


von die erſte im Jahr 1794, die andere im Jahr 18086 


erſchien, im erſten Band der Alpina verſchiedene Mal ge⸗ 
dacht; da ich aber von dem Verfaſſer ſelbſt erfuhr, daß er 
an einer dritten arbeitete, fo wollte ich mit der ausfuͤhrli⸗ 
chen Anzeige deſſelben noch warten, bis ſie herausgekom⸗ 


420 


men ſeyn wuͤrde. Sie if auch wirklich viel vollſtaͤndiger 
als die zwey erſten, doch kann der Beſitzer der zweyten die 
Zuſaͤtze der dritten deſonders haben. 

Für denjenigen, der dieſe drey Seen, naͤmlich den 
Langen⸗, Luganer » und Comerſee, die um- und dazwi⸗ 
ſchen liegenden Gegenden und Gebirge ſelbſt beſuchen will, 
iſt dieſes Buch unentbehrlich, und es waͤre zu wuͤnſchen, 
daß es, mit den hie und da nothwendigen Erörterungen bes 
gleitet, in das Deutſche uͤberſezt wuͤrde. Bei den Leſern 
der Alpina aber hoffe ich einigen Dank zu verdienen, wenn 
ich ihnen bei dieſer Gelegenheit dasjenige unter einen Ge⸗ 
ſichtspunkt bringe, was aus dieſen Gegenden zur Kenntniß 
der Alpen beitragen kann. Nur von demjenigen Theile 
derſelben, der auf der oͤſtlichen Seite des Comerſees liegt, 
werde ich hier nur das Allgemeine mittheilen, weil naͤch⸗ 
ſtens in der Alpina eine Darſtellung derjenigen Hauptne⸗ 
benkette, die fid vom Gapio wefiwarts bis an den Cos 
merſee erſtreckt, und allen ihren gegen Suͤden und Norden 
laufenden Querthaͤlern erſcheinen wird. 

Merkwuͤrdig ift die in dieſer Reife beſchriebene Laͤn⸗ 
derſtrecke, weil alle zwiſchen den zwey hohen Alpenkoloſſen, 
dem Monte Roſa und dem Umbrail, oder eigentlich 
dem erhabenen Gebirgsſtock, aus welchem ſich der Ortles 
emporthuͤrmt, von jenem füblid) und oͤſtlich, don dieſem 
weſtlich, und alle von der dazwiſchen liegenden Hauptkette, 
gegen Süden ſtreichenden Neben- und Zwiſchenketten, in 
derſelben verlieren, weil fat aller Waſſervorrath, den bits 
fer beträchtliche Theil der Alpen in einer Ausdehnung von 
80 Stunden liefert, in die drey Waſſerbecken geliefert wird, 
die hierin enthalten find, welche dann ihren Ueberfuß dem 
Po wieder abgeben. Es iſt alſo der Muͤhe werth, das 
Berggerippe dieſer Abtheilung der Alpen und der dazu ges 
detigen Gegenden naͤher zu kennen. Der Monte Roſa, 


Zu TS 


421 


als bie weſtliche Grenze des Hauptkamms der Alpen, liegt 
unter dem 45, 55, 56“ noͤrdlicher Breite, und 259, 
32, 17“ der Lange. Er it nach den Meſſungen des 
von Sauſſure's 14580 Fuß über das Meer erhaben. 
Die ſonderbare Bildung ſeiner pereinten Gipfel, die einen 
halbgeſchloſſenen Keſſel vorſtellen, iſt aus von Sauſſure 
Voyages dans les alpes, Tom. IV. F. 2138. et seq. 
bekannt. Von dort zieht ſich der Hauptkamm der Alpen 
etwas bogenförmig über den Paß Moro und ben Sims 
plon 6174 gegen Norden, dann über den Gries 7336 
bis zum Gallenſtock 10,972 gegen Nordoſten, dann aber 
über den Furca; Matthorn, Fib ia über 9000 Fuß., 


Fieudo 8268, den Gotthardspaß, wovon das Hoſpizium 


unter 46°, 27', o" nördlicher Breite und 26°, 67, o^ 
Långe liegt, über ben Profa, Stella, Cornera bis 
zum Lukmanier gegen Oſten, von dort, den Bogen ge 
gen Norden ausgenommen, den ihn das Hereindringen des 
Pollenzerthals zu machen verurſacht, bis zu den Ber» 
gellerbergen über den Vogelberg, Tambohorn, 
von welchen man keine genaue Meſſungen hat, die ſich 
aber 10,000 Fuß über das Meer wenigſtens erheben, den 


Spluͤgnerpaß 5928 gegen Often, und von denſelben bis 


auf den Gebirgsſtock des Juliers gegen Nordoſten. Hier 
bildet die Hauptkette einen Knoten wie auf dem Gott— 
hard. Auch von demſelben laufen die Waſſer in drey ver⸗ 
ſchiedene Weltgegenden, gegen Oſten in die Donau, ge⸗ 
gen Süden in den Po und gegen Norden in den Rhein, 
Auch hier theilt ſich die Alpenkette in verſchiedene Arme, 
und man kann nicht beſtimmen, ob man denjenigen, der 
gerade gegen Nordoſten uͤber den Albula, Scaletta, 
Fluela auf der Nordweſtſeite des Engadins fortläufts 
oder den andern, der über den Maloja ſuͤdoͤſtlich in bem 
Murett und von demſelben nordoͤſtlich dem obigen pas 


/ 


422 


rallel auf der füdöftlichen Seite des Engadins läuft, 
weit mehr Gletſcher und hohe Gipfel enthaͤlt, fuͤr die 
Hauptkette halten ſoll. Dieſes unterſuchen wir hier aber 
nicht. Genug daß vom Ofen aus eine febr hohe Neben- 
kette aus dieſer zweyten Hauptkette gegen Suͤdoſten laͤuft 
und an den Grenzen des Cantons Graubuͤndten, der vors 
maligen Grafſchaft Worms und des Tyrols, die ungeheure 
Bergmaſſe bildet, in welcher ſich der Umbrail, der Ort— 
les und Gavia befinden und den oͤſtlichen Grenzpunkt 
der zu beſchreibenden Strecke ausmacht, der unter dem 
46°, 35! nördlicher Breite und 28°, 15“ der Länge uns 
gefaͤhr befindet. Ich fage ungefähr, denn dieſer Punkt ift 
nie genau beſtimmt worden. Auch dieſe Gebirge erreichen 
eine Höhe von mehr als 12,000 Fuß über das Meer. 

Aus dieſer ehrwuͤrdigen Alpenmauer verbreiten ſich nicht 
wenige Arme meiſtens gegen Suͤden, einige gegen Oſten, 
andere gegen Weſten, und bilden die fo große Anzahl Thäs 
ler, die ſich in dieſer eben nicht betraͤchtlichen Laͤnderſtrecke 
befinden. Da noch kein Orograph die Richtung, den Lauf 
und die Zertheilung dieſer Arme oder Nebenketten , ihre 
Hoͤhe und verhaͤltnißmaͤßige Abſtufung genau beſtimmt hat, 
fo kann uns nur eine moͤglichſt treue Beſchreibung der Thaͤ— 
ler einen Begriff vom Berggeripp dieſer Ausdehnung der 
italieniſchen Alpen geben. Sieben von einander ganz ums 
abhaͤngige Hauptthaͤler nehmen ihre Richtung gegen den 
Mittelpunkt, den bie drey Seen, der Langenſee, der Lus 
ganerſee und der Comerſee ausmachen, und in welche alle 
Waſſer dieſer Thaͤler vereinigt werden. Einige kleinere 
Thaͤler werde ich an ihrem Orte bemerken, die auch von 
den andern unabhaͤngig ihren Waſſertribut einem der drey 
Seen zufuͤhren. Von den Thaͤlern, die dieſes nicht thun, 
ſondern geraden Wegs zur Adda oder Po unter dem Co— 
merſee eilen, iſt, wie geſagt, hier die Rede nicht. 


423 


Das weſtlichſte Thal ift das Eſchenthal Val d' D (fos 
la, defen Hauptlug, die Toccia, dei Cavadone in 
den Langenſee faͤllt. Vom Ausfſuß bis Vogogna, zwey 
Stund weit, ſtreicht das Thal gegen Suͤdweſten. Bis 
Ornavaſo it es eben. Von Vogogna aber big zu fei 
nem Urſprung auf dem Gries dringt es neun Stunden 
weit nordwaͤrts hinauf. Bis Domo d' Oſſola, dem 
Hauptorte des Thales, fünf Stunden vom Langenſee, 
nennt man es das untere Eſchenthal, von Domo aber 
aufwärts das obere Eſchenthal, oder auch von Domo 
bis Crodo Val Antigorio und von Crodo bis omes 
mat Val Formazza. à 

Bei Bogogna vereinigt fid) die Anza mit der X oc 
cia oder das Anzascathal mit dem Eſchenthal. 


Dieſes Thal erhebt ſich zuerſt gerade gegen Weſten bis 


5. 


Macugnaga acht und drev Viertelſtunden fang und von 


dort gegen Rordweſten auf die Spitzen des Jt ofa, an des 
ren Fuß es entſpringt. Von Macugnaga auf ben Piz 
zibianco, einem der Gipfel des Monte Roſa, der 
aber nur 9564 Fuß uͤber dem Meere erhaben iſt, acht bis 
neun Stunden. 

Das zweyte Thal, welches obigem parallel von Weſten 
in dem Eſchenthal ſich verliert, it die Val Antros 
na, das fid) bei Billa öffnet und ungefaͤhr fünf Stun- 
den weit gegen Weſtnordweſt, von der Oveſca durch— 
ſtroͤmt, laͤuft. Von dem Orte Antrona piana geht 
ein Weg uͤber einen Nebenberg auf Macugnaga und 
ein anderer ſehr beſchwerlicher uͤber den Paß Moro ins 


Saſſerthal im Wallis. 


Das dritte Thal, welches auch von Weſten herkommt, 
iſt die Val Bugnanca, deſſen Bergſtrom gleich ob 
Domo ín die Zoccia, nach einem Lauf von nur drey 


Stunden, fallt, und feinen Urſprung in einer Nebenkette, 


424 


die aus dem Simplon ausgeht, hat. Es enthält dem 
ungeachtet verſchiedene wohlbevoͤlkerte Doͤrfer. 

Das vierte Thal, Val di Vedro, wird nun bald 
das beruͤhmteſte und beſuchteſte unter allen dieſen Neben- 
thaͤlern werden, denn durch daſſelbe iſt die koſtbare Straße 
erſt jezt verfertigt worden, die nun auch im bequemſten 
Fuhrwerke über den Simplon in das Wallis führt, 
Bei Creola, eine Stunde ob Domo, alio fdon im 
Val Antigorio, ſtuͤrzt ſich der Veriola, der ſeine 
Wiege in den Gletſchern des Simplons verbirgt, in die 
To ſa; von der Hoͤhe des Paſſes bis Creola rechnet man 
acht und eine Viertelſtunde, welche die Laͤnge dieſes gegen 
Nordweſten hinanſteigenden Thales ausmacht. 

Nun vergrößern weiter gegen Norden keine bevoͤlkerte 
Thaͤler mehr das Hauptthal, welches, wie ſchon oben iſt 
demerkt worden, von Crodo an Val Formazza heißt, 
auf allen Seiten Nebenbaͤche aufnimmt, die man auch 
als. Quellen der Tocſeia anſehen kann, und bis auf die 
Scheidecke des Gries fid) vier und eine halbe Stunde 
hinanzieht. Bei Fruta, einem nur im Sommer be⸗ 
wohnten Bergdorfe, fünf Viertelſtunden ob Pom mat, 
dem Hauptort der Val Formazza, geht die Val Do⸗ 
glia gegen Nordoſten, durch welche man in ſechs Stun⸗ 
den uͤber einen Berg durch das Roncher⸗ und Bedret⸗ 
terthal auf Airolo gelangen kann. 

Unter Domo ſtroͤmt die Melezza aus dem Thal 
Vigezza, welches zuerſt gegen Rordoſten, dann gegen 
Oſten auf der Zwiſchenkette zwiſchen dem Eſchen⸗ und 
Mayenthal ſteigt, und mit dieſem Thale ſchließt ſich 
der Kranz der Thaͤler, welche dem Eſchenthal zinsbar 
fnd. 

Die hoͤchſten Punkte, aus welchen diefe Thaler ente 
peingen ind in der Val Anzas sa, die man zu oberſt 


425 


aud) Val Macugnaga nennt; der Rofa, wie bekannt, 
14,580, oder nach Oriani 14,340, Er ifl aber mers 
ſteiglich und von Sauſſure erreichte nur den Pizzi— 
bianco, einen der ſuͤdlichen Gipfel deſſelben, der nur 
9564 Fuß uͤbers Meer erhaben iſt. Von Macugnaga 
bis auf dieſen Gipfel hat man acht Stunden Wegs noͤthig. 
Macugnaga oder das dazu gehoͤrige Doͤrſchen Pecceto 
ift die oberſte bewohnte Gegend. Leider wurde ihre Hohe 
ob dem Meere nicht gemeſſen. Hier ſieht man zwar ſchon 
Roggenfelder, doch ſind Wieſen, mit Buͤſchen von Eſchen 
und Lerchen beſchattet, die fanfte Bekleidung des einſamen 
Bergthals. Von Macugnaga big hinunter auf Ba ne 
zon find vier Stunden. Dieſes Dorf it 2142 Fuß über 
dem Meer erhaben, aber dennoch hort erſt in Campioli, 
welches ungefähr mitten zwiſchen Banzon unb Macug— 
naga liegt, der Weinbau auf, alſo auf einer Hoͤhe, den 
er auf der Nordſeite der Alpen, wo über 2000 Fuß kein 
Wein mehr waͤchst, nie erreicht. Leider iſt auch die Hoͤhe 
von Campioli nicht beſtimmt worden. Es ſcheint, daß 
ſie einige hundert Fuß diejenige von Vanzon uͤbertreffe. 
Von Vanzon bis Pie bi Mulera 4 3/4 Stunden. 
Hier hört das Anzaskathal auf, welches mit der reich» 
ſten Vegetation prangt. Alle Wege, alle Abhaͤnge der 
Berge ſind mit Weinlauben bedeckt, nur an zum Waͤſſern 
empfaͤnglichen Gegenden ſieht man fette Wieſen von uns 
gebeuern Kaſtanien beſchattet. Auch dieſes Thal beſizt das 
Eigenthuͤmliche fo vieler anderer an der Suͤdſeite der Al- 
pen, daß es keine Thalebene hat, ſondern die Abhaͤnge der 
es bildenden Gebirge unter einem ſchiefen Winkel zuſam⸗ 
mentreffen, durch welchen das Thalwaſſer herunter ftücit. 

Von den kleinen Thaͤlern Val Antrona und Val 
Bugnanca beſitzen wir keine Beſtimmungen ihrer Höhe, 
und eben ſo wenig Nachrichten von ihrer Beſchaffenheit. 


.426 


Nur ſo viel mifen wir, daß es daſelbſt weder an Bewoh⸗ 
nern noch Doͤrfern fehlt. n 

Der hoͤchſte bekannte Punkt des Val di Vedro if 
die Scheidecke des Simplons, 6174 Fuß über das 
Meer erhaben. Von dort bis zum erſten bewohnten Dorfe 
Simpelen, welches 4548 Fuß uͤber dem Meer ſteht, 
rechnet man zwey und eine halbe Stunde. Es liegt zwi⸗ 
ſchen Wieſen, von Lerchenbaͤumen beſchattet. Noch zwey 
Stunden abwaͤrts und man befindet fich im Dorfe Guͤnt. 
Unter Guͤnt fangen fogleich die Kaſtanien- und Nußbaͤu⸗ 
me an und in zwey Stunden hat man Divedro erreicht, 
3782 Fuß über dem Meer. Schon uͤber dieſem lachenden 
Dorfe öffnet fid) das Thal, welches mit Weinbergen , 
Kornfeldern und gruͤnen Matten, durch Fruchtbaͤume ss 
ſchattet, bekleidet iſt. Innert zwey Stunden hat man 
von dort Creola, an der Muͤndung des Thales, erreicht. 
Vor Zeiten gieng die Hauptſtraße und ſelbſt die Poſt von 
den Gegenden um den Lago maggiore in das Wal⸗ 
lis, und die wefttiche Schweiz durch das Anzascathal 
und das Macugnagathal über den Paß des Moro 
als den kuͤrzeſten und bequemſten. Allein ſchon ſeit vielen 
Jahren hat man dieſen verlaſſen und den Simplon ge 
wählt. Die Straße wurde nach Art der Bergvaͤſſe vier 
Fuß breit oft uͤber den ſcheußlichſten Abgruͤnden in Felſen, 
in einem Ort auch durch den Felſen geſprengt, meiſtens 
mit großen Granitbloͤcken gepflaſtert; war zwar überall 
ohne Gefahr, doch beinahe überall. abſchreckend, aber mee 
gen den fuͤrchterlichen Schoͤnheiten fuͤr den Naturfreund 
ſehr anziehend. Seit 1801 aber ließ die franzoͤſiſche Re 
gierung durch dieſe Abgruͤnde eine Straße bauen, die den 
Roͤmern Ehre machen würde, Sie iſt überall acht Metres, 
à 37 Zoll, das heißt über 24 Fuß breit, meiſtens durch 
den Granit oder Granatenhaltigen Schiefer gehauen; ehe 


42T 


man von Creola auf Varza kommt, it fie durch ben 
Berg gebrochen, die Gallerie mißt acht Metres in der 
Breite, ſechs in der Hoͤhe und iſt ſechzig Metres lang. 
Mitten in derſelben hat man gegen den Fluß eine große 
Oeffnung angebracht, um Licht in dieſen unterirdiſchen 
Gang zu bringen. Unter Trasquera ift der Fels noch 
einmal, aber nur in der Laͤnge von 10 Metres durchbohrt. 
Bis Gondo iſt der Abfall der Straße auf hundert Fuß 
nur ſechs Fuß. Von dort an wird (ie etwas ſteiler, naͤm— 
lich auf 400 Meter erhebt ſie ſich 32, alſo immer bequem 
genug. Bei dem Bach Friſſinone, der bod) aus ei 
nein Gletſcher herunterſtuͤrzt, iſt neben einem bruͤllenden 
Waſſerfall des Thalſtroms nicht nur eine ſchoͤne Bruͤcke er— 
baut worden, ſondern man wird hier eine unterirdiſche 
Gallerie von 182 Metres in der Laͤnge durchhauen, welche 
mit zwey großen Oeffnungen, um genugſam erhellet zu 
werden, verſehen ſeyn wird. Endlich ift, ehe man auf © a- 
vio kommt, noch eine vierte Gallerie angebracht, die 7e 
Metres lang iſt. Bis hieher wurde die Straße unter der 
Leitung italieniſcher Baumeiſter verfertigt; von hier uͤber— 
nahmen franzoͤſiſche die Aufſicht, und führten die Straße, 
die zuvor aͤußerſt ſteil fich emporwand, durch einen großen 
Umweg bequem auf Simpelen, und in zwey Stunden 
noch hoͤher aber eben ſo bequem zu dem Hoſpital, ei— 
nem thurmartigen, acht Stockwerk hohen Gebäude, wel— 
ches ein reicher Baron von Stockalper aus dem Wal⸗ 
lis vor alten Zeiten bauen ließ. Nun befinden fich fünf 
zehen Geiſtliche, vom nämlichen Orden wie bicienigen auf 
dem großen Bernhard, darin, die ſo lange hier wohnen, 
bis naher an der Scheidecke diejenigen Gebaͤude errich⸗ 
tet ſeyn werden, die zur Ausfuͤhrung ihrer wohlthaͤtigen 
Abſichten erforderlich ſind. Es ſind fuͤr die Erhaltung die⸗ 
fer fünfzehen Mönche vom Königreich Italien genugſame 


428 i 


Einkünfte angewieſen worden. Die Scheidecke ſelbſt 
wird le Plateau genannt, auf deſſen oͤſtlicher Seite ein 
Gletſcher befindlich iſt, der ſein Abwaſſer theils in Italien, 
theils in das Wallis ſendet. Die Straße iſt auf der Seite 
gegen die Sonne angebracht und lauft von da ſehr be⸗ 
quem auf Brieg berunter. So kann nun auch der weich⸗ 
lichſte Reiſende diejenigen erhabenen Naturſchoͤnheiten aus 
ſeinem Wagen mit Sicherheit bewundern, deren Genuß 
bis jezt nur den kuͤhnern zu Theil wurde. ; 

Das Hauptthal oder das eigentliche Eſchenthal bes 
ginnt auf dem Kamm des Griespaßes, von einem ewigen 
Gletſcher verhuͤllt. Er iſt 7338 Fuß ob dem Meer erhoͤht. 
Von hier bis Pommat trifft man nur Weiden und vers 
kruͤppelte Lerchenbaͤume an, und dieſes Dorf ſelbſt, 3 1/4 
Stund von der Scheidecke entfernt, liegt noch 3888 
Fuß ob dem Meere. Hier kann man rechts durch einen 
fintern Tannenwald über die Forca del Boſco in die 
Val Maggia kommen. Merkwuͤrdig it aber hier haupt— 
fächlich der Waſſerfall der Zoccia, den Ebel und Sauf 
fure als cinen der fchönften in den Alpen ſchildern. — 

Drey Viertelſtunden unter Pommat ſieht man die 
erten Nußbaͤume und 2 1/4 Stund weiter, bei St. Roc⸗ 
co, zieren die ſchoͤnſten Fruchtbaͤume die an Wieſen und 
Aeckern reiche und bis au die hoͤchſten Gipfel mit Holz bes 
wachſene Gegend. Endlich trifft man drey Vierte tſtunden 
weiter, zu Pie di Late, die eften Weingelaͤnder an. 
Von hier an bis Domo d' Oſſola, 7 Stunden, ein 
äußerft fruchtbares und ſchoͤnes Thal, voll Doͤrfer im 
Schatten der Fruchtbaͤume und der ſchlanken Pappeln und 


von einem doppelten Kranze übereinander gebauter Wein⸗ 


bergsterraſſen begleitet. Dieſes Staͤdtchen liegt 942 Fuß 
über dem Meere, unter dem 46° nördlicher Breite und 
dem 25°, 41! der Lange, Noch fünf Stunden weiter, 


429 


durch das aͤußerſt anmuthige und fruchtbare untere Eichen» 
thal, und man befindet fid) am Ufer des Lago maggiore, 
636 Fuß uͤber dem Meere, an welchem die Citrone in freyer 
Luft waͤchst und manche der zaͤrtlichſten Pflanzen gedeihen. 

Sowohl die Val Intraſca, welche bei Intra if» 
ren Waſſertribut unter dem Namen des Fiume di St. 
Giovanni dem Langenſee zuführt, als die Val Cano 
bina, die bei Canobio ihre Muͤndung hat, ſind ganz un⸗ 
abhaͤngige, gegen Weſten dringende Thaͤler, zwar bewohnt, 
aber zu unbedeutend, um uns lange aufzuhalten. 

Das zweyte Hauptthal, welches aus den hohen Alpen 


feinen Anfang nimmt unb fid) bis an den Qangen(ce era 


ſtreckt, iſt die Val Maggia, deſſen Hauptſtrom, die 


Maggia bei Locarno in den See ſtuͤrmt. Auch mit 


dieſem vereinigen ſich nicht wenige merkwuͤrdige, doch nicht 
fo betraͤchtliche Thaͤler, als diejenigen, die das Eſchenthal 


vergroͤßern. Dieſe ſtammen faſt alle aus der Hauptkette 


ſelbſt, aber die nun zu beſchreibenden nur aus der Zwi⸗ 


ſchenkette zwifchen dem Eſchen- und dem Maggiat hal. 


her. 

Das erſte nennt man das Centovallithal, welches 
fid) fo zu fagen bei feiner Mündung mit bem On fern oz 
nethal vereinigt, deſſen wir alſo zuerſt gedenken wollen. 
Dieſes Thal laͤuft von Oſten nach Weſten und wird von 
der Melezza durchſtroͤmt, die eigentlich aus dem dop⸗ 


pelten Thale Vegezza kommt. Ich ſage doppelt, denn 


es hat das ganz Eigenthuͤmliche, daß es in der Mitte von 


einem ziemlich hohen Ruͤcken getheilt iſt. Von dieſem laͤuft 


das weſtliche Vegezzathal mit der weſtlichen Melezza 
in das Eſchenthal, enthaͤlt verſchiedene Doͤrfer und vor⸗ 


treffliche Maronen, und gegen Often läuft das oͤſtliche Be» 


gezzathal mit der oͤſtlichen Melezza mehr als vier Stun⸗ 
den lang gegen Ofen, we ſich die leztere zuerſt mit der 


x 


430 


Centovalli, dann mit der Onſernone vereinigt und 
bei Ronco in die Maggia ſtuͤrzt. Dieſes oͤſtliche V e» 
gezzathal it fo fach und fo gebildet, daß man es ihm 
anſieht, vor Zeiten ein See geweſen zu ſeyn. Nun befin⸗ 
den ſich viele Doͤrfer darin, man baut Roggen und haͤlt 
ſchoͤne Wieſen, Weinreben aber ſieht man keine. 
Centovalli ſoll ſich nach Ebel auch von Oſten nach 
Weſten erheben. Ich habe aber Urſache zu glauben, daß 
es gegen Nordweſten anſteigt. Auch durchſtroͤmt bie M ea 
lezza das Centodallithal nicht, ſondern eg ift ein 
eigener Bach, der in die leztere faͤllt, und Ebel hat, wie 
es mir ſcheint, denſelben mit der oͤſtlichen Melezza vers 
wechſelt. Dieſes Thal, obgleich wohl bevoͤlkert, foll eher 
einem Felſenſpalt gleichen, deſſen ſteile, unten zuſammen⸗ 
treffende Seiten doch mit Wieſen und Waͤldern bekleidet 
ſind. Den Namen hat es von den beſtaͤndig aus- und 
einſpringenden Winkeln, die ſo eine Menge Thaͤlchen bil⸗ 
den. Die Suͤdſeite hat drey Monate lang keine Sonne. 
Das Thal Onſernone zieht fich, wie das eben bea 
ſchriebene, vier Stunden weit nordweſtwaͤrts bis zum Berge 
Cannaroſſa hinauf. Der Bach, der es durchſtroͤmt, 
fällt x 12 Stund weit von Locarno in die Mellezza. 
Leider weiß man nichts von dieſem Thale, weil es ganz 
unbeſucht bleibt. 
Das Hauptthal ſelbſt oͤffnet ſich zwey Stunden weit 
von Locarno und dringt nordweſtwaͤrts zwölf Stunden 
weit in bie Alpenkette hinein. Es nennt fid) bis Bignafco 
Val Maggia oder das Meyenthal, und dort theilt 
es ſich in zwey Hauptaͤſte, davon der weſtliche Val del 
Boſco und der oͤſtliche und größere Val Lavizzara 
genannt wird. Dieſe Aeſte theilen ſich gegen ihren Urſprung 
wieder in verſchiedene Rebenarme. Beſonders läuft aus 
dem leten bei Sornico noch die Val Peccia mit ei 


' 

431 
nigen bewohnten Dörfern gegen Nordweſten. Auf der 
Oſtſeite der Val Maggia befinden ſich keine bedeutende 
Thaͤler, die ſich mit denſelbigen vereinigen. 

Das Meyenthal uͤberhaupt entſpringt aus den Gea 
birgen, die von der Suͤdſtite das Roncher- und Be- 
dretterthal einfchliegen und davon der Berg Naret 
der Vereinigungspunkt dreyer Hauptthaͤler, naͤmlich das 
Thal Boſco oder Kavargna, des Peccia- und des 
Lavizzarathals zu ſeyn ſcheint. Man kennt die Hoͤhe 
dieſes Berges nicht. Nur bie Furca del Boſco, wor 
uͤber man aus dieſem Thal in Val Formazza in acht 
Stunden gelangt, ward von Sauſſure gemeſſen. Sie 
i 7212 Fuß hoch. Cerentino, ein Dorf mitten in die- 
fem drey Stunden langen, traurigen, mit ſchwarzem Gies 
hoͤlze bewachſenen Boſcothal, welches auch, wie ſo man⸗ 
che Thaͤler auf der Suͤdſeite der Alpen, keine Thalebene 
hat, it 3036 Fuß hoch. Eine halbe Stunde weiter fins 
unter find die Wieſen ſchon mit großen Nuß⸗ und Kaſta⸗ 
nienbaͤumen bepfanzt. Etwas mehr als eine Stunde weis 
ter hinunter, bei Bugnaſco, fangen ſchon die Weins 
gaͤrten an. Cevio, eine halbe Stunde weiter, ſchon im 
Hauptthale oder doch beym Sufammenfiug beyder Thaͤler, 
vormals die Reſidenz des Landvogts dieſer ehemaligen 
Schweitzer⸗Landvogtei, iſt uͤber das Meer nur 1320 Fuß 
erhaben. Das Lavizzarathal, welches die Fortſetzung 
des Hauptthals, wie wir fon geſagt haben, ausmacht, 
erſtreckt fich noch ſieben Stunden weit bis zu feinem Ur; 
ſprung, wohl bevoͤlkert, mit einigen wohlgebauten Dür> 
fern verſehen, deren Einwohner ſich hauptſaͤchlich mit der 
Viehzucht abgeben und die vortrefflichen, wegen ihrer Weich⸗ 
heit in Stroh eingemachten, fetten Kaͤſe, Formaggie della 
- Paglia, verfertigen. Von Bignaſco unb Cevio, die 
nur drey Viertelſtunden von einander entfernt ſind, laͤuſt 


432 " 
nun das vereinigte Thal bis Someo ziemlich eng, wel⸗ 
ches 1224 Fuß hoch iſt, bei Maggia aber, fuͤnf Vier⸗ 
telſtunden weiter, ſchon ausgedehnter. Bis Locarno hat 
man ein ſehr wohlangebautes, aber weil die Berge ganz 
mit Waͤldern, die Straße ſtets mit Weinlauben bedeckt 
ſind, ſehr einfoͤrmiges Gelaͤnde vor ſich. 

Es wird bei Anlaß, was von dieſen zwey Thaͤlern hier 
geſagt worden, jedem aufmerkſamen Leſer auffallen, wie 
ſteil dieſelben ſind, und wie bald, in Vergleichung mit der 
Nordſeite der Alpen, der Reiſende ſich vom ewigen Winter 
in den Gegenden befindet, wo Citronen an freier Luft reis 
fen und Myrthen die Hecken bekleiden. 

Nach Oriani (fite Opuscoli scelti Tom. XX. 
Seite 379) liegt der Monte Roſa unter dem 45 55/7 
56! ! 1? Die Iſola bella aber im Langenſee 45°, 53“, 
117? Der nämliche Berg, der 2390 Klafter nach ihm 
hoch it und an defen füdlichem Fuß über 7000 Fuß fich 
keine Vegetation mehr zeigt, iſt von dem Auslauf der 
Toccia in den Langenſee, wenn man auch den Kruͤm⸗ 
mungen der Thaͤler folgt, nach denen ſich die Straße rich⸗ 
ten muß, doch nur 15 Stunden davon entfernt, und wie 
weit weniger macht wohl die gerade Linie aus, wie ge⸗ 
ſchwind ſenkt ſich das Land auf dieſer Seite der Alpen! 
Wie nahe obiger Winter und ſuͤdliches Klima! 

Das dritte, zwar nicht aus der Hauptkette ſtammende, 
doch unabhaͤngige Thal it Val Verzaſca. Nach Ebel, 
der uns allein Nachrichten von dieſem Thal giebt, nimmt 
es ſeinen Urſprung auf dem Lavertezzo, ein Queerge⸗ 


Dirge zwiſchen dem Mayen» und Livinerthal, und 


zieht ſich gegen Suͤdſuͤdoſten acht Stunden lang an den 
Langenſee, in welchen der Bach Verzaſca zwiſchen Los 
carno und Magadino ſich verliert. Obſchon ſtark be 
voͤlkert, mit Weinreben, Kornaͤckern, Nuß⸗ und Kaſtanien⸗ 


» 


433 


wäldern, und zu oberſt mit ſchoͤnen Wieſen und fetten 
Weiden bedeckt, nennt er es einen aufgeriſſenen Felſenra⸗ 
chen, deſſen Bergſeiten ſo ſteil ſind, daß der Fußpfad uͤber 
den Abgründen der Verzasca und anderer Bäche ſchwe⸗ 
bend mit wahrer Gefahr fuͤr den Reiſenden ſich fortwindet 
und die Haͤuſer der Einwohner nur uͤbereinander gebaut 
werden koͤnnen. Der Bach fließt in einem fo tiefen Fels 
ſenbette, daß hier die Fiſcher ſo gut wie Gemſen klettern 
können muͤſſen. Nur eine halbe Stunde hinter St. Bara 
tolomeo wird das Thal eben, breit, ſchoͤn und fruchtbar. 
Am Fuß des Lavertezza liegt das Dorf gleiches Na⸗ 
mens und das Thal ſpaltet ſich in zwey Arme, wovon der 
noͤrdliche nur Alpweiden, der nordweſtliche aber zwey Doͤr⸗ 
fer enthält. Von Lavertezza geht man über die Berge 
ſowohl rechts auf Irnis in das Livinerthal als links 
nach Prato in das Lavilzarathal. 

Das vierte Hauptthal, welches, im hoͤchſten Kamm der 
Alpenkette entſpringend, feine Gebirgsketten und feiner 
Waſſerſchatz in den Lombardiſchen Ebenen und Seen ver⸗ 
liert, it das Livinerthal— 

Eigentlich it der Rufenenpaß, welcher zwiſchen dem 
Gries⸗ unb dem Furca⸗Gebirge liegt, der Anfang des 
Livinerthals. Von der Scheidecke bis Airolo 


lauft dieſes Thal von Nordweſt gen Suͤdoſten fünf Stun⸗ 


den lang, heißt bis Ronco Ronkerthal, von dort bis 
Airolo Bedretterthal. Hier vereiniget ſich zuerſt der 
andere Hauptarm des Thales, der von Norden her ab der 
Scheidecke des Gotthards kommt und zum Theil 
Val Tremola heißt, zwey Stunden lang. Auch hier 
entſpringt ein anderer Arm des Teſſins. Von Nord⸗ 
oſten her das Canariathal, welches unweit des Monte 
Sella auf der Gotthardskette ſeinen Anfang nimmt und 
zwey Stunden Laͤnge haben mag. Es geht ein n 
zr Bd. 4 


434 z 


licher Sommerpaß dadurch auf Andermatt ins Urſe⸗ 
rerthal. Von Oſten das Piorathal, wodurch man 
vom Berge Uomo, wo es beginnt, etwas mehr als zwey 
Stunden bis auf Airolo rechnet. Hier durch und das 
auf der andern Seite liegende Uomothal geht eine 
Straße in das Medelſerthal und von da auf Di⸗ 
ſentis. 

Von Airolo bis Poleggio vereinigt ſich kein be⸗ 
traͤchtliches Thal mehr mit dem Livinerthal, welches 
bis hier ſuͤdſuͤdoͤſtlich ſtreicht. Man zaͤhlt acht Stunden 
von Airolo bis Poleggio. Von hier bis Bellin⸗ 
zona iſt die Richtung des Thales, das eigentlich nun 
Rivierathal genannt wird, ganz ſuͤdlich. Bei Polleg⸗ 
gio oder eine Viertelſtunde unter demſelben oͤffnet ſich das 
Pollenzerthal, welches gerade gegen Norden acht Stun⸗ 
den weit bis auf den Kamm des Lukmanniers dringt. 

Das Pontironethal öffnet fich nicht weit von Po- 
leggio gegen Oſten, zieht ſich nur einige Stunden gegen 
das Calankerthal, wohin im Sommer ein Pfad auf 
Ro ſſa fuͤhrt. 

Bei Belinzona vermiſcht die wilde Mueſa ihre 
Wellen mit denjenigen des Teſſins. Sie ſtuͤrmt aus 
dem Miſoxerthal herunter, welches ſich eine halbe 
Stunde ob Vellenz öffnet, bis Grono gegen Norden 
drey und eine halbe Stunde anſteigt, hier das Callan- 
kerthal aufnimmt (welches gegen Weſtnordweſten ſechs 
Stunden lang bis in den Vogelberg geht), und dann 
etwas mehr oͤſtlich noch ſieben Stunden bis zum M u fch ele 
born in der Hauptkette dringt. 

Das Marobierthal vergrößert eine halbe Stunde 
unter Bellenz das Hauptthalwaſſer mit ſeinem Tribut. 
Es entſteht auf dem St. Joͤrisberg, welcher in der Kette 
liegt, die den Comerſes gegen Weſten einſchließt und zieht 


438 


fid) bon ba drey und eine Viertelſtunde weit gegen Suͤd⸗ 
weiten, Von Bellenz bis Magadino, in defen Nabe 
der Teſſin fid) in den Langenſee verliert, ſtreicht das 
Hauptthal noch zwey Stunden lang gegen Suͤdweſten und 
erreicht ſeine Endſchaft. Vom Luvenerpaß bis zum See 
kann man ſeine ganze Laͤnge auf 21 Stunden rechnen. 
Nachdem wir den Grundriß des Liviner und der (id) 
mit ihm vereinigenden Thaͤler gezeichnet haben, ſo wollen 
wir auch noch das Profil derſelben mittheilen, in ſo weit 
es uns bekannt iſt. Das Hoſpitium auf dem Gotthard 
erhebt ſich 6390 Fuß nach Sauſſure uͤber das Meer. 
Airolo, zwey Stunden weiter gegen Suden, aber in 
einer weit zaͤhmern Gegend, 3534 Fuß. Dazio grande, 
zwey und eine halbe Stunde noch weiter gegen Süden, 
2868 Fuß. Hier trifft man ſchon Abricoſen an. Gior— 
nico 1098 Fuß und hier hören ſchon die Weingarten 
auf. Bodio iſt nur eine Stunde weiter und doch findet 
man hier Maulbeer- und Feigenbaͤume. Es (ft alfo zu 
vermuthen, daß man aus andern Urſachen als der Raue 
higkeit des Himmelsſtrichs weiter hinauf als Giornico 
keinen Wein pflanzet. Uſogna, 3 ½ Stund weiter Here 
unter, it nur 270 Fuß tiefer als Gior nico. Das Thal 
iſt nun ziemlich eben und weit, und auf der Suͤdſeite mit 
wahrem italieniſchem Himmelsſtriche begabt. Bellenz, 
welches nur 696 Fuß uͤber dem Meere liegt, erhebt ſich 
nur um 6o Fuß über den Langenſee. Viel ſteiler als das 
Livinerthal, wenigſtens von Giornico weg, find das 
Pollenzer⸗-„Calanker⸗ unb Miforerthbal, Weil 
ich aber keine genauere Meſſungen kenne, ſo mag ich auch 
keine angeben. Uebrigens beſitzen dieſe Thaͤler auch ganz 
den Charakter der andern Thaͤler auf dieſer Seite der Al 
pen. Oben ſehr wild und nur mit Weiden bedeckt zeigen 
ſich in wenigen Stunden die Weinberge und die Ekzeug⸗ 


436 


nige des milden fima 8, Ziemlich wohl benölkert, voll, 
zwar nur kleiner Dorfſchaften, die an den Seiten der 
Berge kleben, tobt der Hauptſuß in enger Schlucht meis 
ſtens von Waſſerfall-zu Waſſerfall hinunter, und nur dann 
und wann erquickt eine ſchoͤne Ebene voll der herrlichſten 
Pflanzungen den durch grauſe Felſengaͤnge erſchrockenen 
Wanderer. i 

Viel rauher und wilder it das Marobierthal, viels 
leicht eher weil es in wenigen Stunden von der Hoͤhe des 
Berges in die Ebene ſtürzt, als weil es von Oſten gen 
Weſten laͤuft. 

Das fünfte Thal, welches fid) in der Ebene verfaͤcht, 
die gegen Süden die drey großen lombardiſchen Seen bes 
granzt, ift das Val d'Agno. Es ſtammt zwar nicht 
aus der Hauptkette der Alpen her, ſondern aus derjenigen 
(tbt. beträchtlichen Nebenkette, die zwiſchen dem Eur ehes 
nill und dem erhabenen Tambo in der Hauptkette an⸗ 
faͤngt, zwiſchen dem Miſox und dem Clevnerthal und 
Sete, dann weſtwaͤrts den Comerſee herunterzieht und 
ſowohl gegen Suͤden als gegen Weſten Nebenarme anga 
ſendet, die die Berge und Huͤgel bilden, welche ſich zwi⸗ 
ſchen dieſen drey Seen befinden. 

Das Thal Ag no entſpringt eigentlich unweit dem St. 
Jorisberg ob Gravedona. Seine geographiſche Lage, 
ſeine Beſchaffenheit, ſein Streichen und Fallen iſt aber noch 
ſo unbekannt, daß ich von demſelben nichts mehr zu ſa⸗ 
gen wage. Nur ſo viel ſcheint gewiß zu ſeyn, daß der 
Fluß Agno die ganze Laͤnge dieſes Thals nordweſtlich durch⸗ 
ſtroͤmt, bei Camignolo aber ſich ſuͤdlich wendet und 
bei Agno in den Lugauerſee fließt. Einige Schriftſteller 
nennen das Agnothal auch JI ſonethal. 

Bis an die Gebirgskette, die den Comerſee weſtlich 
hegraͤnzt, ſcheint es, als wenn alle Thaͤler auf der Süre 


i AST 


feite der Alpen entweder gegen Oſten oder gegen Süden 
ſtreichen und nur Queerthaͤler bilden. Hier aͤndert ſich die 
Natur derſelben in dicem Fache. Von dem: betrachtli 
chen Gebirgsknoten, den der Septmer und Julier bil» 


den, und zwar iſt dieſes nur nach meinem ganz unmaß⸗ 


geblichen Ermeſſen, geht eine hohe Gebirgsketick zwiſchen 
dem Veltlin und dem Bergell und Cleven gerade 
gegen Weſten, beinahe der Hauptkette parallel und bildet 
ein Langenthal von der Spitze des Maloja bis an den 
Clevnerſee. Dieſes Laͤngenthal nennt man von Maloja 
bis Caſtaſegna in einer Laͤnge von fuͤnf Stunden das 
Bergell. Von Caſtaſegna bis an den Clevnerſee vier 
ſtarke Stunden die vormalige Grafſchaft Cleven, oder das 
Plurſer⸗ und Gleonertbal, Eine Stunde weiter uns 


ter Caſtaſegna trifft man die erſten Reben an. Das 


Bergell bringt bis Vico ſoprano nur Gras, bis Bois 
do Korn und hernach gute Kaſtanien hervor. Clever 
prangt ſchon mit einem italieniſchen Himmel und liegt unter- 
46% 15 nördlicher Breite und 27°, 1! der Länge. Hier 
vereinigt fid) das einzige bewohnte Nebenthal mit dem. 
Hauptthal, naͤmlich das St. Jakobsthal, durch wel⸗ 
ches die getriebene Bergſtraße úber den Spluͤgen gerade 
gegen Norden nach Chur geht. Man erreicht in ſechs 
Stunden die Scheidecke des Spluͤguerbergs. Es ifl ein 
aͤußerſt ſteiles von Bergwaſſern und Bergſtuͤrzen verunſtal⸗ 
tetes Thal, in welchem noch verſchiedene Dörfer mitten 


unter fruchtbaren Wieſen und Weiden kleben. Es wird 


von bem giro. durchſtroͤmt. Das Hauptthal durchbrau⸗ 


A Lie die Maira, deren ſtaͤrkere Quelle auf dem Murett, 
ö dem Gletſcher zwiſchen dem Malencherthal und dem. 


Malojathal, die kleinere auf dem Sept mer ent(pringa 


Sie verliert fich in den kleinen Gleonerfee , der durch einen 


balb Stund laugen Zwiſchencanal mit dem Comerſee oco. 


bunden iff, 


438 


Ein ungleich betraͤchtlicheres Laͤngenthal, welches auch 
gegen Weſten laͤuft, und ſeinen großen Waſſervorrath dem 
Comerſee zufuͤhrt, bitdet die ſchon oͤfters angefuͤhrte Ne⸗ 
benkette, die fih vom Gavia bis in den Comerſee era 
ſtreckt. Es iſt das von der Natur zum Paradies beſtimmte 
Veltlin. Von der Scheideck zwiſchen dem Umbrail 
und dem Gavia an, der Grenze des Trentiniſchen oder 
des Sulzthals, bis zum Comerſee betraͤgt die Laͤnge 25 
Stunden. Ein ungeheurer, ganz unbekaynter Gletſcher, 
davon ein Thal das Ende der Welt genannt wird, und 
aus deffen oͤſtlichem Theil der beeiste Ortles hervorſtarrt, 
it die Wiege der ſchoͤnen Ad da, welche dieſes Thal 
durchſtroͤmt. Die vormalige Grafſchaft Worms macht 
den oberſten Theil des Veltlins aus und verſchiedene 
Thaler, worunter fich das ſteile Umbrailthal von Nords 
oſten, das angenehme Pedenoſſerthal von Norden, 
das zweyarmige Furbathal von Suͤdoſten befinden und 
welche zuſammen die Adda bei Worms durch ihre Berg⸗ 
baͤche bilden. Durch das Umbrailthal leitet ein brauch⸗ 
barer Weg ſowohl auf Santa Ma ria in das Muͤn⸗ 
ſterthal, als auf Glurns durchs Suldenthal im 
Etſchland. Durch das Pedenoſſerthal kann man 
ſowohl auf Zernez ins Unterengadin, auf Scanf 
in das Oberengadin und uͤber Bernina auf Pon⸗ 
treſina gleichfalls, aber beinahe zu obert, ins O bero 
engadin. Sowohl von der ſehr hohen, mit Gletſchern 
faft überall bepanzerten, von mir für den Hauptkamm der 
Alpen gehaltenen Kette auf der Rordſeite, als von der 
weit niederern Kette auf der Suͤdſeite verbinden ſich eine 
Menge groͤßere und kleinere Nebenthaͤler mit dem Haupt⸗ 
thale. Auf der Nordſeite, naͤmlich von Oſten anzufangen, 
das Pedenoſſerthal. Dieſes geht ungefähr vier Stun⸗ 
ben weit von Worms gegen Nordnordweſten, und it fak f 


439 


ganz angebaut ober mit Weiden bedeckt. Drey und eine 
halbe Stunde unter Worms, zwiſchen Groſio und 
Groſotto das Groſſinerthal, welches uber vier Stuns 
den weit gegen Nordoſten dringt, ſo daß man zu hinterſt 
uͤber den Berg, neben dem ſehr betraͤchtlichen Gletſcher, 
der dem Bache ſeinen Urſprung giebt, in das obbenannte 
Pedenoſſerthal gelangen kann. Es enthält die ſchoͤn⸗ 
ſten Heuberge und Alpen. 

Von der Madonna di Tirano, zwey und eine 
halbe Stunde unter Groſio, draͤngt ſich das Poſchia⸗ 
verthal, welches man auch bis zum See Val Brus 
ſasca nennt, guert zwey Stunden lang nordwaͤrts, dann 
von dem anmuthigen Po ſchiaverſee weg noch vier Stun⸗ 
den nordoſtwaͤrts auf den alpenreichen Bernina, unb 
wird feiner ganzen Länge nach vom tobenden Poſchia⸗ 
vino durchbrauſet. Es iſt wohl bevoͤlkert, mit Aeckern, 
Wieſen und Weiden reichlich begabet. 

Weit unbedeutender iſt das nur mit Weiden geſegnete 
Pontaſcherthal, welches ob Chiuro, drey Stunden 
unter Tirano, in die noͤrdlichen Gebirge drey Stunden 
weit hinanſteigt, ſich aber in die Zwiſchenkette verliert, 
die zwiſchen dem Weltlin und dem Lanzadathal an 
die Poſchiaver⸗Berge reicht. 

Zwey Stunden weiter unten, bei Sonders, dem 
Hauptorte des Veltlins, fürt der Maller aus dem 
Malenkerthal heraus, welches drey Stunden weit bis 
Chieſa, dem Hauptorte, gerade gegen Norden laͤuft, 
dort ſich in zwey Arme theilt, wovon ſich der rechte, Valle 

di Lanzadars, gerade gegen Nordnordoſten bis an die 
Puſclaver-Grenzen zieht, der linke aber etwas nord” 
weſtlich dem großen Murett⸗Gletſcher zueilt. Beyde 
mögen über vier Stunden lang feyh. Dieſes Thal ift tarë 
bewohnt und mit Kornaͤckern und Wieſen und guten Alpe: 
wohl verſehen. 


ET. | 


Endlich zieht ſich bei Ardenno, vier kleine Stunden 
unter Sonders, das Maſinerthal zuerſt gegen Now 
den, dann aber gegen Nordofien ſechs Stunden weit Dine 
ein. Auch dieſes Thal iſt bei ſeiner Muͤndung bewohnt, 
weiter hinein aber mit vortrefflichen Alpen geſegnet, und 
endet in einem ſehr betraͤchtlichen Gletſcher. Nicht in die 
Adda, ſondern in den Elennerfee endigen zwey feds Stuns 
den lange, zum Theil bewohnte Bergthaͤler, welche in dieſt 
naͤmliche Bergkette / aber von Welten, hineindraͤngen, naͤm⸗ 
lich das aus lauter Alpen beſtehende Val de Ratti von 
Vercelli gegen Suͤdoſten, und das einem Felſenſpalt 
ähnliche, wo der raſende Thalbach hervorſtuͤrmt, weiter 
hinein aber mit ſchoͤnen Alpen verſehene Val di Codera 
bei No vate gegen Ofen, auch aus dem naͤmlichen Glet⸗ 
ſcher herkommend, der einem Arm des Maſino zur 
Quelle dient. 

Aus der ſuͤdlichen Bergkette des Veltlins eilen zwoͤlf 
betraͤchtliche Baͤche und einige unbetraͤchtliche, aus zum 
Theil bewohnten Thaͤlern, der Adda zu. Wir werden 
fic an einem andern Orte beſchreiben. í 

So auffallend die ploͤzliche Senkung aller Queerthaͤler 
auf der Suͤdſeite der Alpen ift, fo unmerklich ift bie Ver⸗ 
fiádung des Veltlins ſelbſten, beſonders von Tir an 
bis zum Comerſee. Deswegen it es auch ein Laͤngen⸗ 
thal. Noch drey Stunden ob Tiran, welches doch zwoͤlf 
ſtarke Stunden vom Comerſee entfernt it, wächst Wein, 
und bei Worms, achtzehn Stunden von der Muͤndung 
des Thales, noch Korn. 

Wenn uns der Ueberblick aller Thaͤler, die ſich in die 
Lombardiſche Ebene vereinigen, mit Recht beſorgen laſſen, 
daß die in denſelben fließenden, meiſtens ſehr reiſſenden 
Waſſer, dieſe fo fruchtbare Ebene endlich ganz zerſtoͤren 
würden, ſo werden wir von dem Anblick fo vieler Waf 


44i 


ſerbehaͤlter getroͤſtet, die diefe Flüge aufnehmen und ihre 
Wuth brechen. Wir wollen die merkwuͤrdigſten beſchreiben. 

Wir fangen beym Comerſee, Lacus Larius, an, 
der vor Zeiten mit dem Clevnerſee nur ein Waſſerbe⸗ 
cken ausgemacht hat, aber durch den Schlamm, den die 


-Adda aus dem Veltlin mit ſich führte, von ihm ift 


abgeſondert worden, und jezt durch einen ziemlich ſchma⸗ 
len und ſeichten Binnenfluß, durch welchen der Clev ners 
fee fein Abwaſſer in den Comer ergießt, verbunden iff. 
tad Oriani liegt Caſtel Baradello neben Eos 
mo unter dem 45°, 470, 13“ nördlicher Breite, und 
26°, 45! 29" der Långe ), und Forte di Fuentes, 
am nördlichen Ende des eigentlichen Comerſees, unter dem 
26°, 8, 29" noͤrdlicher Breite und 27°, 4“, 44" der 
Länge. Chiavenna liegt nach Ebel unter 46? , 815“ 
nördlicher Breite und 294°, ı! der Länge. Da nun dies 
fer Marktſiecken ſchwerlich eine Stunde nördlicher als das 
noͤrdlichſte Ende des Clevnerſees liegt, fo geben uns obige 
Beſtimmungen die wahre Ausdehnung dieſer Seen in der 
Laͤnge an. Gewoͤhnlich giebt man die Laͤnge des ganzen Sees 
zu 10 Stunden und die groͤßte Breite zu einer Stunde 
an. Nach Oriani iſt er 654 Fuß uͤber das Meer erha⸗ 
ben. Es vermiſchen außer der Mera und der Adda 
noch 27 Fluͤße und 37 Baͤche ſich mit dieſem See und er 
ſteigt manchmal 8 mailaͤnd. Braza oder 15 Fuß und 3fa 
über feinesgewöhnliche Oberfläche, Seine Figur ift ders 
jenigen eines umgekehrten X ahnlich, davon der weſtliche 


Arm, vier Stunden lang, bei Como obne Ausfluß aufhoͤrt, 


der oͤſtliche aber, eben fo lang, fich eigentlich bei Lecce 
endigt und wo die Adda ihren Ausfluß nimmt. 


i 


*) Como felber nad) Gioia (Sul dipartimento del Lario. 
Milano, 1804. 8.) unter dem 45°, 48“, za’ nördlicher 
Preite und 269 , 44/, 5o der Länge, 


442 


Der zweyte beträchtliche See it ber Lauiſer. Er 
liegt zwiſchen den Gebirgen und hat deshalb eine unregel⸗ 
maͤßige, nicht zu beſtimmende Figur. | 

Lugano liegt nad) Oriani unter dem 45, 59^, 
56% nördlicher Breite und 26°, 37' 18" der Länge. Nur 
die Fluͤße, die aus dieſen ihn umgebenden, gar nicht hohen 
und im Sommer von allem Schnee entblösten Gebirgen 
entſpringen, naͤhren ihn ſichtbar mit Waſſer, naͤmlich der 
Agno und eine Menge kleine Baͤche. Doch ift die Trefa, 
die bei Porte Treſa auslaͤuft und ſein Abwaſſer bei 
Luvino in den Langenſee fuͤhrt, viel zu waſſerreich, um 
nicht vermuthen zu machen, daß er mit unterirdiſchen Wafa 
feen Gemeinfchaft habe. Merkwürdig it es, daß Bona 
ventura Caſtiglioni in feinem Buche Gallorum, Insu- 
brum antiquæ Sædes. Bergom, 1593. behauptet, daß der 
Luganerſee bis zum Fall des roͤmiſchen Reichs nur eine Art 
Pfuͤtze geweſen, und daß verſchiedene Waſſerausbruͤche, wie er 
ſelbſt einen im Jahr 1528 geſehen, wo aus dem Berge ob 
Campione auf einmal eine ſolche Menge Waſſers heraus» 
brach, daß eine allgemeine Waſſerfſuth befürchtet wurde, 
ihn nach und nach gebildet haben. Auch im Jahr 1711 
warfen die Gebirge unweit Ponte Treſa eine Menge 
Waſſer aus und hemmten den Lauf dieſes Flußes. 

Der Luganerſee it 198 Fuß höher als der Comerſee 
und 126 Fuß hoͤher als der Langenſee, alſo 882 Fuß uͤber 
das Meer erhaben. " 

Der Langenſee, Lago maggiore, Verbanus La- 
cus, ift der dritte der merkwürdigen Seen, die wir hier 
anführen wollen. An feinen Ufern hat Oriani nur 9L ros 
na beſtimmt, welches unter dem 459, 45“, 53“ noͤrd⸗ 
licher Breite und 26°, 12“, 53“ der Länge liegt. Die 
Beſtimmung der Tfola Bella haben wir oben anges 
fuhrt. Nach Ebel liegt Locarno, beinahe zu oberſt 


443 
am See, unter ben 46°, 6', 12" nördlicher Breite. Nach 
der gemeinen Meſſung nimmt man an, daß er ſechszehn 
Stunden lang ſey, von Magadino bis Seste Ca⸗ 
lende, und ſeine groͤßte Breite zwiſchen Luvino und 
Ferriolo zwey und eine balbe Stunde betrage. Nach 
Sauſſure iſt er 636 Fuß über das Meer erhaben, 
646 1/2 aber nad) Oriani, 

Herr von Sauſſure fand ihn bei der Kapelle le 
Bardia, wo er am tiefften ſeyn foll, 335 Fuß tief unb 
die Temperatur 5, 4. Der Graf von Morozzo, in den 
Schriften der koͤnigl. Akademie der Wiſſenſchaſten zu Tu⸗ 
rin, Jahr 1788 — 89, Seite 177 und 213. giebt die Höhe 
des Sees úber dem Meere bei den Borromaͤiſchen Inſeln auf 
732 Fuß, die Tiefe des Sees 100 Klafter, und die Tema 
peratur deſſelben, indem der Reaumuriſche Thermometer an 
der Luft 17 Grad zeigte, auf der Oberflaͤche des Waſſers 
16, in der Tiefe von 200 Fuß xs und in der Tiefe von 
300 14 1/2 ). i 

In den Langenfee ergießen fid) verſchiedene beträchtlis 
che Fluͤße , als der Teffin, die Maggia, die Toccia, 
die Treſa und eine ziemliche Menge von Baͤchen, und 
bei Sesto Calende läuft der Teffin als ein ſehr an, 
ſehnlicher Strom aus demfelben heraus. 

Außer dieſen drey großen Seen befinden ſich noch eine 


) Der große Unterſchied, der zwiſchen den Graden der Teme 
peratur nach Sauſſure und Morozzo ſtatt hat, kommt 
nach Sauſſure, S. 1399, von der Verſchiedenheit der da⸗ 
bei gebrauchten Inſtrumente her. Es iſt zu bemerken, daß 
Sauſſure den 19 Juli 1783 um halb acht Uhr Morgens ſeine 
Verſuche machte; der Thermometer zeigte an der Oberflaͤche 
des Waſſers zo und die Luft 18, 7. Als man ihn um eilf 
Uhr aus dem Waſſer nahm, auf deſſen Oberflaͤche 20, 3 
und an der Luft za, 3 bei einem leichten Winde. 


444 


Menge kleinere, ſowohl zwiſchen beyden Armen des Cos 
merſees, zwiſchen dem Comer und Luganer und dieſem 
und dem Langenſece, auch unter dem Luganer, worunter 
der Vareſerſee einer Erwaͤhnung verdient, als auf der 
Weſtſeite des Langenſees, wo fich der Lago d'Orta aus. 
zeichnet. 

Noch bemerke ich, daß nach Pini “) der Fall des 
Teſſins von feinem Auslauf aus dem Langenſee dis in 
den Po 312 1/2 mailaͤnd. Braza oder 672 Fuß beträgt; 
daß der Fall des Po von ſeiner Vereinigung mit dem 
Teſſin bis zum Ausſtuß in das adriatiſche Meer 105 Br. 
oder 192 Fuß ausmacht; daß der Fall der Adda von 
Lecco unweit ihrem Ausfluß aus dem Comerſee bis zu 
ihrer Mündung in den Po 299 7/12 Br. oder sso Fuß 
und der Fall des Po von feiner Vermiſchung mit der 
Ad da bis zu feiner Mündung 81 Br. oder 148 Fuß um 
gefaͤhr betragen, da ich die Bruͤche nicht in Rechnung ge⸗ 
nommen habe. 

Nach den Beſchreibungen, die wir von dem Haupt⸗ 
kamm der Alpenkette ſelbſt und den damit verbundenen 
Nebenketten vom Monte Roſa bis zum Ortles auf 
der Suͤdſeite haben, ſcheint es, daß alle aus der Haupt⸗ 
kette entſpringenden Thäler, Eleven und Veltlin aus⸗ 
genommen, von ihrem Urſprung, und das Teſſinthal 


*) Dell’ Elevazioni dei prineipali Monti e di diverse altre 
Parti della Lombardia Austriaca. Giornale d'Italia. Tom. 
x8. S. 181 et seq. Man muß aber nicht vergeſſen, daß 
die Meſſungen des Pini immer eine größere Summe als 
diejenigen des Herrn von Sauſſure geben. So giebt 
Pini den Langenſee 762 Fuß übers Meer, v. Sauſ⸗ 
fure nur 636. So der Gotthard 6573 Fuß nach Pini 
und nur 6390 nach v. Sauſſure. Ich nehme den mailänd. 
Brazza zu 22 franzoͤſiſchen Zollen an. 


X 


445 


von Bellenz an bis in ben Langenſee, Queerthaͤler find; 
daß die erſte füdliche Parallelkette oſtwaͤrts dem Gries 
aus der Hauptkette entſpringt, laͤngs dem Roncher- und 
Bedretterthal laͤuft, in der Felſenkluſt von Stalve— 
bro unter Airolo vom Teffin durchſchnitten wird und 
durch das Pollenzer-, Galanker- und Miſoxer⸗ 


thal fortſezt und dort uͤberall von den dieſelben beſpuͤlen⸗ 


den Thalwaſſern durchbrochen wird. Wo und wie aber 
dieſes geſchieht, und wo dieſe Parallelkette aufhoͤrt, ob ſie 
durch den Clevnerſee unterbrochen wird und zur Parallels 
kette gehört, die zwiſchen Cleren und dem Veltlin läuft, iſt 
noch nicht genau beſtimmt. 

Daß eine zweyte Parallelkette bei Platifer im Livi⸗ 


nerthal vom Teffin durchſchnitten wird, kann laut der 


Ausſage Eſchers keinem Zweifel unterworfen ſeyn. (Siehe 
Alpina Tom. 1. S. 43). Wo ſie aber ihren Urſprung in 


der Hauptkette nimmt und wo ſie fortſezt, iſt mir gaͤnz⸗ 


lich unbekannt. Ob ſie mit derjenigen Parallelkette der 
Alpen, die zwiſchen dem Veltlin und den vormals venes 
tianiſchen Landen hinſtreicht, jemals in Verbindung ge⸗ 
ſtanden, laſſe ich dahin geſtellt. 

Eine dritte Parallelkette auf der Suͤdſeite der Alpen 
wird vom Livinerthal bei Giornico durchſchnitten. 
Von ihrem Urſprunge und ihrer ferneren Richtung hat man 


noch keine genaue Kunde, fo febr fie zu wuͤnſchen wäre. 


Viel beſſer kennt man den Urſprung und die Richtung 
der füblicben Parallelkette auf der Oſtſeite des Comer 
ſees. Bleibt man naͤmlich bei der Meynung, daß die 


Hauptkette der Alpen fich auf der Nordſeite des En ga 


yw 


bins befinde, fo entſpringt die erte Parallelkette auf dem 
Umbrail, der durch den Forno mit der Hauptkette ver- 
bunden wird, und zieht gegen Weſten über den Bernine 
und Muret bis an den Cleynerſee. 


446 


Die zweyte Parallelkette entſpringt in dem naͤmlichen 
Gebirgsſtock und ſtreicht über den Tonal und Gavia 
auch gegen Weſt bis an den Comerſee, wo er mit dem 
Legnone endigt. 

Ueberhaupt genommen herrſchen die Urgebirgsforma⸗ 
tionen in allen dieſen Gebirgen und Eſcher ſagt mit 
Recht (Alpina Tom- 1. S. 50): An der Suͤdſeite dieſes 
(Gotthardsprofils) laͤuft die Granitformation mit den ihr 
verwandten Formationen nicht nur durchs ganze Liviner⸗ 
thal herab, ſondern ſezt bis in die Mitte der italieniſchen 
Seen, naͤmlich bis zu den borromaͤiſchen Inſeln im Lan⸗ 
genſee und bis zum Monte Salvatore im Lauiſerſee fort, 
alfo nimmt die Granitformation, in dieſem ihrem recht» 
winklichten Queerdurchſchnitte, eine Breite von beinahe 
30 Stunden oder einen ganzen Breitegrad der Erdober⸗ 
flache ein. 

Ob wir gleich bei weitem noch nicht beſtimmte Nach⸗ 
richten genug vom geognoſtiſchen Verhalten dieſes Abſchnit⸗ 
tes des Alpengebiets, von welchem wir in dieſem Aufſatz 
ſprechen, beſitzen, fo kann doch der Lefer aus demjenigen, 
was C (cher, Alpina Tom. 1. Seite 43 et seq. hin und 
wieder im Aufſaz Seite 266 fagt, was Herr von Gau fe 
fure in feinen Voyages dans les Alpes |, 1737 — 1844 
und 2123 — 2148 meldet, und was uns Ebel in feiner 
Anleitung unter den hieher gehoͤrigen Artikeln berichtet, ſich 
einen ziemlich guten Begriff davon machen. Jeder, der 
fich eine genaue Kenntnig der Alpen zu verſchaffen wünfcht, 
muß diefe zwey Werke beſitzen, und alfo wäre es unnoͤ⸗ 
thig , ſie bier abzuſchreiben. Wenn wir einmal auch mit 
Sorgfalt angeſtellte Beobachtungen uͤber die Gebirge des 
Maira- und. Addathales bekommen, fo koͤnnen wir 
erſt eine geognoſtiſche Ueberſicht dieſes Theils der Alpen 
geben. Bis jezt fehlen und diefe noch ganz, 


447 


Ich komme nun zum eigentlichen Zweck dicks Auria 
tzes und will unter der Geſtalt eines Reiſewegweiſers dieje⸗ 
nigen Merkwuͤrdigkeiten angeben, die ein Naturforſcher in 
den Gegenden finden kann, die in dem vor uns liegenden 
Buche angeführt find, 

Wenn man diefe Reife von Mailand aus beginnt, 
fo iſt es am beßten, um alles zu umfaſſen und nichts bope 
pelt ſehen zu muͤſſen, fid) an dem Ausfluß des Teſſins 
bei Sesto Calende, zu unterſt am Langenſee, zu 
begeben, um dieſen ſowohl da, wo er in der Ebene liegt, 
als wo er ſich in die Alpen hineindraͤngt, unterſuchen zu 
koͤnnen. Freylich trifft man ſowohl bis hieher als bis 9( n» 
gera auf dem oͤſtlichen Ufer des Sees wenig merkwuͤrdi⸗ 
ges an. Es it am beßten in Gesto ein Schiff zu neh⸗ 
men und ſich an dasjenige Ufer fuͤhren zu laſſen, wo man 
etwas Merkwürdiges zu finden glaubt. Am Fuße des das 
ſelbſt am See abgebrochenen Felſens quillt ein Schwefel⸗ 
waſſer hervor. Dieſem Felſen, aus Kalkſtein beſtehend, 
zeigt fich ein ahnlicher auf dem weſtlichen Ufer, und man 
ſieht deutlich, daß der Teſſin diefe einſt zuſammenhaͤn⸗ 
genden durchbrochen hat. Der Kalkſtein ruht auf dem 
Thonſchieſer, it aber auf dem oͤſtlichen Ufer feinkoͤrniger. 
Außer dem Kalkſtein ſieht man zwiſchen Angera und 
Ranco ausgedehnte Lager eines Sandſteins, deffen harte 
Koͤrnchen gefarbt ſind, ſo daß er dem Porphyr aͤhnelt, 
und mit Glatten einen ſchoͤnen Glanz annimt. Gegen⸗ 
fiber von Angera liegt des niedliche, wegen feinem lebs 
haften Tranſitohandel und feinem großen Coloſſe, der den 
Card. Carl Borromeo vorſtellt, beruͤhmte Arona. 
Hier befindet fic) ein Steinbruch eines nicht ſehr feinkoͤr⸗ 
nigen Mormors, aus welchem der Dom in Pavia gebaut 
wird, und der hin und wieder ſchoͤne Dendriten enthaͤlt. 

Wenn man von Arona gegen die borromaͤiſchen Inſeln 


44$ : 


ſteuert, fo ſieht man rechts Jspra, welches nichts Se⸗ 
henswuͤrdiges darbietet, denn weder die ſchweſelhaltige 
Quelle, noch das große Torfgelaͤnde, das ſich bis Angera 
erſtreckt, verdienen einige Ruͤckſicht. Weiter nordwaͤrts 
ſieht man il Saſſo di Santa Catherina, wo man 
im Gewoͤlbe eines Felſenſtuͤcks anſichtig wird, welches auf 
daſſelbe gefallen, zwar durchbohrt, aber doch haͤngen ge⸗ 
blieben ift und nun, feiner Große und Schwere ungeach⸗ 
tet, in der Luft zu ſchweben ſcheint. Der Felſen, an dem 
die Kirche gebaut iſt, beſteht aus feinkoͤrnigem Kalkſtein, 
der manchmal ſchoͤn dunkelroth und weiß genedt if 
Waͤhrend der Fahrt auf dem See erfaͤhrt man von den 
Schiffleuten die Namen der hier regierenden Winde. Den 
Suͤdweſt nennen ſie Inverna, den Weſt Margozzolo, 
Vento oder Maggiore den Nord und Vento Berga- 
masco den Suͤdoſt, der felten blást. So wie man weis 
ter nordwaͤrts ruckt, erheben ſich die Inſeln links aus 
dem See, und entfalten ſich nach und nach die Vorberge 
und hohen Alpenfirſten. Jeder Freund der Kunſt wird 
die magiſchen Inſeln bewundern, die der Reichthum der 
Bo rromaͤi zu Feenpallaͤſten und Gärten umſchuf. Der 
Liebhaber der Natur, nachdem er die Beſchaffenheit des 
Felſens, der nun mit der herrlichen Bekleidung geſchmuͤckt 
iſt, ausgeſpaͤht und einen Urthonſchiefer, mit eiſenhaltigen 
Trappadern durchzogen und mit Quarznieren durchwoben, 
gefunden hat, ergoͤzt ſich an der Groͤße der Agrumen und 
Lorbeerbaͤume, des Sizilianiſchen Himmelsſtrichs wuͤrdig, 
an den kraftvoll emporwachſenden ſuͤdexotiſchen Baͤumen 
und Pflanzen, die hier ihr Vaterland wieder gefunden zu 
haben glauben. 

Wer allenfalls die Waſſerfahrten nicht liebt, kann nun 
auf der neuen prächtigen Simplonſtraße von Ses to bis 
den Inſeln gegenuͤber auf dem weſtlichen Ufer des Sees 


419 
fahren. An manchen Örten hat man den See wegge⸗ 
draͤngt, um der Straße Plaz zu machen, an andern, wie 
von Solcio auf Lefa wurde fie queer durch die Erd 
zungen gezogen, welche Bergſtroͤme in den See hinein gebils 
det haben. Hier bemerkt man, daß die Gebirge nicht mehr 
aus Kalkſtein, ſondern aus Thonſchiefer beſtehen. Hefters / 
wie von Belgirate auf Streſa, iſt ſie auf dem weg⸗ 
geſprengten Felſen ſelbſt gegruͤndet, durch Bruſtmauern ge⸗ 
gen den See verſichert, und dei jedem Baͤchgen mit ſchoͤ⸗ 
nen Granitbruͤcken geziert, den man oft auf der Stelle 
(verſteht ſich in loſen Truͤmmern) fand. Durch das Spren⸗ 
gen der Felſen an den oben angezeigten Oertern kamen 
Kupfer⸗ und Kiesadern an den Tag, die aber nicht reich 
genug fich. befanden, um bauwuͤrdig zu fepm; 

Zu Streſa kommt ſchon der oft Granaten enthal⸗ 
tende Gneis *) an den Tag, und zu Baveno, wohin 
man nach dem Beſuche der Inſeln ſich fuͤhren laͤßt / trifft 
er einen Berg an, deſſen Scheitel aus Grankt beſteht, fo 
wie in Montorfano; alle andre daſelbſt befindliche Ge 
birge find von dem oben angeführten Gneis, aber mit ci 
ner ſolchen Menge Granitblocken auf den Gipfeln unb dem 
Abhange bedeckt, daß man glauben muß, daß fie vor Zeis 
ten auch mit Granit bekroͤnt waren, den die Länge der 
Zeit zertruͤmmert hat. So kann man ſich wenigſtens die 
Menge von Granitbloͤcken erklären, die man auf unſern 
Bergen und in unſern Thaͤlern findet: Der Granit von 
Baveno if wegen dem ſchoͤnen, bald weißen, bald ro 
then friflallifirten Feldſpath beruͤhmt, den Pini zuerſt be 


— 


*) Amoretti fagt Scisto angilloso micaceo. Ob er gleich 
das Wort Gueifs in Klammern dabei einſchließt, fo habe 
ich Urſache zu vermuthen, daß Glimmerſchiefer gemeint if; 


zr Sv; | 7 f 


450 è 

kannt gemacht hat ). Oefters befinden fich zwiſchen den 
viereckigten Kriſtallen deſſelben ſechseckigte Quarzkriſtallen 
und Anzeigen ſchoͤner metalliſcher Kriſtalliſationen. Bei 
den Steinmetzen, die in Oltrefiume wohnen, findet 
man ſehr ſchoͤne Schauſtuͤcke zum kaufen. Unterſucht man 
dieſes Gebirge zu Baveno genau, ſo findet man an dem 
Fuß deſſelben Thon, auf dieſem den obbenannten Gneis 
und auf dem Gneis den Granit. Bei der Unterſuchung 
des Granits ſelbſten kann man die Beweiſe aller bisher 
angenommenen Entſtehungsarten deſſelben finden. Wenn 
man, wie Barral (Mémoire sur le Trap), glaubt, 
daß der Granit eine vulkaniſche Aſche ſey, die ins Meer 
gefallen, und auf deſſen Boden verbunden, erhaͤrtet und 
kriſtalliſirt worden fep, fo wird man darin Geſchiebe von 
andern Steinarten, die öfters eliptiſcher oder rundlicher Fi⸗ 
gur ſind, und die des Vulkans (von dem aber nicht die 
mindeſte Spur mehr uͤbrig iſt) finden. Wer ihn fuͤr ein 
Produkt des Waſſers hält, wird die ſchoͤnen darin enthal⸗ 
tenen Kriſtalliſationen aufweiſen und fagen, daß aus der 
Zerſetzung des Feldſpaths der Kaolin entſtanden ſey, der 
darin vorkommt, und von dem wir noch mehr ſprechen 
werden. Wer endlich behauptet, daß der Granit Schich⸗ 
tenweiſe vorkomme, dem kommen die vielen Spalten zu 
gut, die wirklich die naͤmliche Richtung nehmen, beſonders 
in der Hoͤhe, und er wird die Lagen darin erkennen, die von 
Sauſſure und Dolomieu in allen Graniten geſehen 
haben. Doch wird man nicht diejenigen dicken Adern eis 
nes ſchwaͤrzern und haͤrtern Granits, die die ganze Maſſe 
wie Wuͤrſte unregelmaͤßig durchſchneiden, fuͤr Schichten 


*) Mémoire sur des nouvelles cristallisations de Feldspath . 
et d'autres contenus dans les Granits de Baveno, Milan. 


1779. 8. 


43i 

anſehen. Wer aber nicht an die Schichtung des Granits 
glaubt, der wird zeigen, daß er nur aus ungeheuern Maß 
fen beſteht, worin fid) nur fcfe feine Quarzadern befinden, 
die den Steinmetzen zur Anzeige dienen, wo ſie denſelben 
ſpalten follen, und daß alle andere Adern nur zufaͤllig find 
Auch der Granit von Baveno und der umliegenden 
Orte beſteht aus Quarz, Feldſpath und Glimmer. Der 
Feldſpath it bald weiß, bald fſeiſchroth, und dieſes macht 
den Unterſchied zwiſchen dem Granit von Ba vend und 
Ferioli (welche zuſammenhaͤngen) und demjenigen von 
Monterfano, einem Berge, der iſolirt ſteht, von der 
Sofa und dem See von Mergozzo ganz umgeben ift 
Dort iſt der Feldſpath roth oder pfirſichblüthfarbig, der 
Granit uͤberhaupt hart und ſchoͤn, und koͤmmt manchmal 
dem orientaliſchen gleich, auch ſcheint der zu Feriolo in 
großen ſenkrechten Scheiben zu brechen. Hier aber ent— 
Hält der Granit einen weißen, oft erdig ſcheinenden Feld⸗ 
ſpath, der durch die Zerſetzung der Schwefelkieſe berun 
ſtaltet iſt. Auch befindet ſich dieſer Steinbruch an einem 
bequemern Ort, und man kann da groͤßere Tafeln geiwins 
nen. In den Stuͤcken dieſes Granits, die man zu der 
neuen Straße verwendet hat, fiet man oft große Klums 
pen von ſchwarzem Glimmer und weißem Quarz; in an⸗ 
dern eine überaus große Menge von Hornblende, und in 
andern Stuͤcken wieder anſtatt des Feldſpaths Hyazinthen ;, 
von roͤthlicher Farbe. Ueberhaupt ſind die Hyazinthen 
nicht felten, Man findet fie Haſelnuß groß und hervorſte⸗ 
bend wie Granaten im Glimmerſchieſer. Um dieſe Gras 
nite auf allen Seiten zu beſehen, folgt man zu Trefiume 
dem Bett des Baches, der dort hervörſtürzt. Eine Meile 
von ſeiner Muͤndung haben vor Kurzem einige Arbeiter 


im Bett ſelber und an den Ufern deſſelben eine reiche 


Kupfermine, die aus verſchiedenen Adern beſſeht, gefun⸗ 


482 


den; auch giebt es dort noch andere Erzadern. Laͤngs 
dieſem Bache ſteigt man unter dem Schatten herrlicher 
Kaftanienwälder zu fetten Wieſen, die Alpen genannt, auf 
den Berg Margazzalo. Er beſteht aus Gneis. Zu 
oberſt ſieht man mit Verwunderung unter der ſchoͤnen Wies 
ſendecke eine duͤnne Lage Gneis- und Granitgeroͤlle, dann 
eine Schuh dicke Lage Torf, der nicht nur aus Sumpf⸗ 
pflanzen, ſondern auch aus Staͤmmen und Zweigen von 
Lerchen (Pinus larix), einem Baume beſteht, den man 
doch in der ganzen Gegend nirgends findet. Der Torf 
ruht auf febr feinem Quarzſande, der eine leichte Oher» 
farbe hat. Auf dem Berge herum find überall Granite 
bloͤcke von allerlei Größe verſtreut, an denen man hin 
und wieder Spuren der Verwitterung bemerkt. Auf bits 
ſen Wieſen weiden den ganzen Sommer durch zahlreiche 
Viehheerden. Weit ſich ausd ehnende alte Linden, die die 
ſchoͤnſten Buͤſche bilden, geben ihnen während der Mita 
tagshitze den lieblichſten Schatten; ſie werden daher Me⸗ 
riggiane genannt. 


Ehe nun die Reiſe durch das Eſchenthal hinauf ange⸗ 
treten wird, muß noch das Ufer des Sees bis an die ſchwei⸗ 
zeriſche Grenze deſucht werden. Sowohl Pallanza we⸗ 
gen feiner prächtigen Lage, als Intra wegen feinen fchös 
nen Haͤuſern und ſeinen vielen Manufacturen. Hier ward 
immer ſehr viel Metall, beſonders Kupfer und Eiſen, das 

-man aus der Fremde kommen ließ, verarbeitet; wie fepe 
werden dieſe Fabriken ſteigen, ſeitdem man dieſe Erze in 
den naͤchſt gelegenen Thaͤlern ſelbſt gewinnt. Beruͤhmt ſind 
die Faͤrbereien und ſehr eintraͤglich die Bleichen. Man 
läßt die Tücher roh aus Deutſchland kommen und ſendet 
ſie gebleicht uber Genua bis in Amerika. Eine Meile von 
Intra gegen Norden befindet fic der Weiler Selafen, 

\ 


453 


wo ſich die Trappadern befinden“) und wo vor Zeiten Es 
ſenhaͤmmer angelegt waren. Man bediente fich eines Feuers 
feſten ſchwarzen Thons (vermuthlich war Waſſerblei da— 
bei, denn man findet öfters Neſter in dem Gneis), um 


Tiegel zu verfertigen. Der Bach, der hier vom Berg 


Sim molo herabſtuͤrzt, hat ſich ein Bett von mehr als 


hundert Fuß Tiefe ausgegraben und dabei die ſchoͤnſten 
Grotten und Felſen gebildet. g 
Im Thale Intrasca, welches fid) gegen Nordweſt 


heraufwindet, trifft man nicht nur Lagen von Trapp bei 
Cambiasca, bei Cuſſogno nicht benuzte Schichten 


von Topfſtein, aber bei Ramello eine vor einem Jahr⸗ 
hundert bearbeitete, jezt vernachlaͤßigte Kupfererzader am, 


die ſich weit und bis an den Gipfel des Bergs ausbreitet. 


„ 


3 


Es ift merkwuͤrdig, daß die Stellen, unter welchen in den 


obern Gegenden des Gebirgs die Adern ſtreichen, immer 
ſchneelos bleiben, unb das meiſtens quarzartige Geſtein fid) 
in einer Art von Aufloͤſung befindet. 

Zwiſchen Intra und Briſago it die Bat Cano 
bina zu bemerken, die (id) bis zun Finero auf der 


Hoͤhe der Val Vegezza erſtreckt. Es it zwar ein enges 


und elendes Thal. Die Maͤnner naͤhren fid) vom Verkauf 
der Eichenrinde an die Einwohner von Canobio, me. 


ſich ſehr große Gerbereien befinden. Ja im ſechszehnten 
Jahrhundert follen jaͤhrlich 50,000 kleinere und 12,000- 


größere gegerbte Felle von Canobio auf Drailandevers 
ſandt worden ſeyn. Jezt kann man nicht mehr ſo viel 


zahlen. Doch ſollen die gegerbten Ziegenfelle von beſon⸗ 


derer Guͤte wegen der Reinheit des Waſſers ſeyn. Die 
Weiber gewannen ſchon vor alten Zeiten und noch jezt 


) Wir haben von dieſem Trapp oben einen Aufſaz des Ritters 
Amoretti mitgetheilt, und verweiſen alfo auf denſelben. 


434 

viel durch das Spitzkloͤppeln. Der Berg Finero beſtehn 
aus weißem Urkalkſtein und weiter unten kommt ſchwar⸗ 
zer Hornſtein zu Tag. 

Auf der Reiſe in das Eſchenthal kann man deym Ein⸗ 
flug der Arona in die Toccia einen Abſtecher in dieſes 
Thal und zum See Orta machen. Das erſte enthält 
zwiſchen Lorreglia und Luſſogno ſehr reichhaltige Ei⸗ 
ſenadern, die erſt ſind entdeckt worden, die nun der Schmelz⸗ 

s huͤtte und dem Eiſenhammer in Gravallona, die za 
vor das Eiſen aus den Umgebungen des Comerſees zogen, 
genug Arbeit geben. In dem Bache Arona findet man 
nicht wenig Goldblaͤttchen, die man vermittelſt ungeho⸗ 

belter Bretter abſondert. j 

Der See Orta nähert ſehr viele Aale, die man im 
Ausfluß deſſelben, die Negoglia genannt, wenn der 
See ſtuͤrmiſch iſt, vermittelſt Kiſten faͤngt, deren Boden 
mit eiſernen Stangen ſo eng beſetzt iſt, daß wohl das 
Waſſer, aber nicht die Fiſche, wenn ſie nicht gar klein 
find, durch koͤnnen. Auch hier herrſcht bei den Fiſchern 
der naͤrriſche Aberglaube, daß die Aale Baftarden von ana 
dern unter fid) ganz verſchiedenen Fiſcharten ſeyen ). Zu 
Omegna, einem Flecken beinahe zu oberſt am weſtlichen 
Ufer des Sees, erhebt ſich gegen uͤber in Oſten der unten 
ſchon genannte, hier aus viel roͤtherm Granit beſtehende 
Margazzo; gegen Welten aber beſteht das Innere des Ges 
birgs, wie man aus einer 6o Schuh langen unterirdiſchen 
Grotte ſehen kann, aus einem ungeheuern Lager lofen. 
Sandes. Gegen uͤber von Orta, welches am untern 


) Die Fiſcher am Wallenſtatterſee find nicht dieſer Meynung, 
wenigſtens hat mich einer verſichert, daß er ziemlich fichere- 
Anzeigen habe, doß die Hale letzendige Junge zur Welt 
bringen. i 


455. 


Theile des Sees am öftlichen Ufer liegt, fieht man bie In⸗ 
ſel St. Giulio, die ich nur deswegen anfuͤhre, weil in 
der Legende dieſes Heiligen, der im vierten Jahrhundert 
gelebt hat, ſteht, daß er in einem Schiffchen aus dem 
Ortaſee (Lacus cusius) in den Verbanerſee gefahren ſey. 
Strabo ſagt aber auch, daß der lezte See 150 Stadien, 
alſo 19 italieniſche Meilen breit feg. Er mußte fid) alfo. 
weit uͤber den Ortaſee erſtreckt haben. Man kann frey⸗ 
lich obige Angaben anders erklaͤren, doch habe ich ſie im⸗ 
mer einer Erwähnung würdig geachtet ). 
Doch wir kehren an das Ufer der Tofa oder Tot 
cia zuruͤck und halten uns zuerſt alla Candoglia, 
einem kleinen Dorfe, auf. Hier ſieht man in dem gneis⸗ 
artigen Gebirge einen ſenkrechten, zwanzig Klafter breiten 
Spalt, der ganz mit Marmor ausgefüllt it Der Mar⸗ 
mor ift weiß, doch oͤfters wie der Bardiglis mit bleia 
farbigen Adern durchfloſſen. Auch trifft man hin unb wies: 
der breite Adern von guͤldiſchem und arſenikaliſchem Kies: 
und Bleiglanz an, die, wenn fie verwittern, ihn befleden.. 
Seine ſenkrechten Schichten ſind einige Mal ganz pfirſich⸗ 
bluͤthfarben und halb durchſcheinend, beinahe wie der Ala— 
baſter. Es iſt ein Urkalkſtein, der runde Quarzkoͤrner ent⸗ 
halt. Manchmal ſetzen nicht unbetraͤchtliche Eifenadern bas. 
zwiſchen durch, welche vielleicht bauwuͤrdig wären, wenn 
fie nicht durch die Beimiſchung einiges Kupfers verdorben 
würden, Hier wird (don feit: langer Zeit der Marmor 
zum ungeheuern Bau des Doms in Mailand gebrochen. 
Man bringt ihn in die vorbeifieffende Toccia, von ba: 
er über den See auf den Teſſin, und durch den Na vis- 


— 


3) Der Verfaſſer fireift bier bis in bie Wal Seſia über, ba- 
fie aber nicht in unſern Reiſeplan gehaͤrt, (o. folgen wie 
ihm nicht dahin. 


456 
glio auf Mailand kommt. Man finder dieſen Mar⸗ 
mor nicht nur auch dei Or navaſo und in Val di 
Strona, ſondern auch auf der andern Seite des Bergs, 
wo er feiner und dem Carrara aͤhnlicher ift, ja er ſezt bei 
nahe durch die ganze Lombardie, weil man ihn jenſeits 
dem See (unter dem Namen Majolica) und in den 
Bergen am Comerſee ſieht. Von Ornavaſo bis Vo⸗ 
gogna brechen auf beiden Seiten des Thales in den Ge- 
birgen reiche Erze, und der Vorbeireiſende kann die Adern 
manchmal von der Straße aus erkennen. Im oͤſtlichen 
Gebirge, dd Muggiandone, wird cin Kupferkies bear⸗ 
beitet und in Orn ava ſo geſchmolzen, welches 22 im 
Hundert reines Erz enthält. Um das goldreiche An za fca 
thal zu beſuchen, und den majeſtätiſchen Roſa anzuſtau⸗ 
nen, ba man ihn doch nicht beſteigen kann, verlaͤßt man 
zu Pie de Mulera das Eſchenthal, und ſteigt ſehr 
ſteil durch die Mulera bis Cima mulera herauf. Un⸗ 
weit Caſtiglione ſtoͤßt man auf ein Trapplager , unb 
jenſeits den Mühlen von Calaſca ift zwiſchen dem Thons 
ſchiefer ein Lager eines ſchwaͤrzlichen Marmors, den man 
ba zum Kalk braucht. Dergleichen kommen öfters in den 
Alpen vor und enthalten nie Meerkörper. Jenſeits dieſen 
Mühlen, wenn man (id) der Anza nähert, vergeſſe man 
ja nicht den praͤchtigen Waſſerfall zu Val bianca zu 
beſuchen. Er darf neben den ſchönſten der Schweiz ſte⸗ 
hen bleiben. Auf der Bruͤcke zu Ponte grande, die 
auf einem ungeheuern Granitblock ruht, der, wie ſo viele 
andre in dieſer Gegend, man weiß nicht woher gekommen 
find, da alle Gebirge in der Nachbarſchaſt aus Thonſchit⸗ 
fer beſtehen, genießt man der Anſicht des Monte Roſa 
in ſeiner ganzen Pracht. i 
Jenſeits dem wohl gebauten und (don gelegenen Markt⸗ 
feden Ban io fieht man rechts in der Hohe St. Carlo, 


457 


berühmt wegen der Goldmine, Minte ra de Cani ge 
nannt. Die in dem fünfzehnten Jahrhundert in der Lome 
bardie ſchr anſchnlicht und reiche Familie de Cani war 
Beſttzerin davon, und daher der Name. Ez it ein gold 
paltiges Schwefelkies, reicher als die benachbarten, aber 
in cinem fchwer zuganglichen Orte. Nun erreicht man bald 
Banzont, den Hauptort des Thales, wo der Minera: 


deg bri den Herren Wbafini, die verschiedene Minen 


bearbeiten, ſchöne Probſtufen befchen kann. 

Durch Groppo, Canfinello, Borgone, Erpe 
pomorcelio, mo man große weinfarbige Granirblöde 
fibt, unb Prequartera gelangt man auf Campioli, 
wo nicht nur der Weinbau, ſondern auch Val Anzaſca 
aufhört und Val Macugnaga anfängt. Allein dieſes 
Sol if durch das nahe Zuſammentreten der Gebirge auf 
beiden Seiten der Anza, die nur in einen Spalt zu flicéca 
ſcheint , fo getrennt, daß man nicht begreifen farn, mo 
man weiter kommen foll, Eine lange, aus Lerchenbalken 
kuͤnſtlich gebaute, zwar fid) elaſtiſch wiegende, doch ſichere 
Brucke, führt auf die rechte Seite der Anga und durch 
einen ſteilen Fußſteig, von Rhododendron ferrugineum 
ſchwelgeriſch dekraͤnzt, durch eine ſinſtere Wife, in der 
nur Buchen und Eſchen das Gebirg bekleiden, auf Mors 
gen, das erſte Dorf im von Deutſchen bewohnten Thale 
Macuenaga *. Man wandert bann durch Peſtare⸗ 
ma, Borca, Iſella, Teſtia, Stuffa, auf Ma 
sugnaga, dem Hauptort, Wer aber dem Monte 


Ich enthalte mich in dieſem Aufſatze aller Bemerkungen 
über die Sinwohnet, weil hoffentlich in den folgenden Bän- 
den der Alpina ein Gemälde der Sitten, des Charakters 
und der Lebensart der Bewohner der ſuͤdlichen Alpen nach 


e nod) cricheinen wird. 


458. 


Rofa fe nahe als möglich zu kommen wuͤnſcht, dringt 
bis zum lezten Dorfe im Thale, Peccete, um von dort 
aus nach den Anleitungen von Sauſſure's, der bis 
jezt allein dieſe Gegenden beſchrieben hat, und auf den ich 
verweiſe, weil mir nichts mehr bekannt geworden iſt, ſein 
Gluͤck zu verſuchen. 

Wer nicht fo muthig wie Herr von Sauſſure ift, 
beſucht doch wenigſtens den Gletſcher ob Peccete, aus 
deſſen Mitte ſogar ſchoͤne Lerchenwaͤlder emporſteigen. Er 
bemerkt auf dem Wege dahin die große Menge von Daphne 
laureola, aus deren Beeren man hier eine Art Brantens 
wein brennt. Ihm wird auch der ſehr weiße, blaͤttrige, 
mit ſchwarzem Schoͤrl oder Tourmalin gemengte Gneis. 
auffallen, von dem man große Maſſen neben und in dem 
Gletſcher ſieht, ſo wie ein Lager weißen Thon, zwiſchen 
dem Gneis drinnen. Ob dieſe, oder eine Beimiſchung von 
Kaolin dem Waſſer die ſonderbare weißliche Farbe geben, 
kann ich nicht ſagen. | 

Am meiſten intereſſirt den Mineralogen in dem Thal 
Macugnaga die Menge der Goldminen und ihre Be— 
arbeitung. Zu dieſem Ende muß er ſich auf Peſtarena 
verfuͤgen, wo die meiſten Anlagen ſich befinden. Ueber⸗ 
haupt muͤſſen die Goldminen der Val Anzasca nicht 
nur zu der Roͤmer Zeit ſchon bekannt, ſondern auch ſo reich 
geweſen ſeyn, daß nach Plinius der Senat, aus Beſorgniß 
die Zoͤllner moͤchten zu reich werden, und das Gold zu ſehr 
in ſeinem Werthe fallen, durch ein Dekret befahl, daß nicht 
mehr als sooo Sklaven daran arbeiten ſollten. Auch jezt 
werden noch eine Menge Gruben bearbeitet, beſonders auf 
der rechten Seite des Flußes. Es giebt aber auch auf der 
andern Seite, und Dolomieu hat bemerkt, dag diefe 
Goldadern von einer Seite des Thals zur andern durchſe⸗ 
sen, und alfo vermuthlich daſſelbe vom Wafer ift aus ge⸗ 


439 


hoͤhlt und gebildet worden. Dieſes ſcheint auch die Re- 
gelmaͤßigkeit der Granitbaͤnke und der Gneisſchichten zu 
beweifen, 

Uebrigens hat Herr von Cauffure im vierten Theil 
feiner Reife $. 2132 et seg. alles mitgetheilt, was man 
uͤber die Bearbeitung dieſer Goldminen bis jezt weiß. Ich 
fuͤge nur noch hinzu, daß das gepochte und gewaſchene Erz 
auch noch jezt gehen bis zwölf Gran Gold im Centner giebt, 
bisweilen auch achtzehn. Man koͤnnte auch das Kupfer 
und das Bley benutzen, welches man keiner Aufmerkſam⸗ 
keit würdigt. Das Haus Borromeo bezog vor der Re— 
polution den Zehnten des Ertrags, welcher jaͤhrlich um 
1000 Zechinen verpachtet wurde. Die Paͤchter bereicher⸗ 
zen ſich noch obendrein dabei. Es iſt jedem erlaubt, das 
Gold zu graben und zu waſchen, wenn nur der Zehnte 
bezahlt wird. Daher beſchaͤftigen ſich viele dieſer Thalbe⸗ 
wohner mit nichts anderem, und werden Minerali ge⸗ 
nannt. In ſehr dunkeln und ſtuͤrmiſchen Nächten, (waͤh— 
rend welchen gemeiniglich die Luft und unterirdiſche Clef 
trizitaͤt außer dem Gleichgewicht zu ſeyn pflegen), begeben 
fie (id) an offene Gegenden und lauſchen, ob auf der enta 
gegengeſezten Seite des Berges kleine Flaͤmmchen oder 
Funken emporlodern. Sie bemerken die Stelle ſo genau 
als moͤglich, beſuchen ſie den folgenden Tag, und wenn 
ſie daſelbſt verwitterten oder zerſezten Kies finden, welches 
oͤfters eintrifft, ſo hegen ſie die beßten Hoffnungen und 
fangen an zu graben. Die Adern befinden ſich im Gneis. 
Es giebt auch Molybdaͤn in dieſer Gegend, und im Quarz 
ſchoͤne Titaniten. ; 

Um nicht das Anzascathal zweimal zu durchwan⸗ 
dern, ſchlaͤgt man in Macugnaga den Weg ein, bec 
uͤber einen nicht hohen Berg auf Antrona piana im 
Thal Antrona leitet. Dieſes Thal ift ſehr reich an 


460 


Goldkieſen, fo daß nod) vor wenig Jahren mehr als Butts 
dert Pochwerke daſelbſt waren. Auch bricht ſehr viel Ei- 
ſen, zwar nicht Gang- ſondern Neſterweiſe, welches in 
Schmelzhuͤtten und Haͤmmern, die den Herren Cerretti 
von Villa gehören, bearbeitet wird. Auch graͤbt man 
Topfſtein daſelbſt. l 

Bei Billa trittet man wieder in das Eſchenthal. 
In dem Zwiſchenraume zwiſchen den Muͤndungen des An⸗ 
zasca⸗ unb Antronathales moͤchte für die Mineras 
logen der Gneis merkwuͤrdig ſeyn, der hauptſaͤchlich in die 
fer Strecke bricht, theils Sarizzo, theils Beola von 
einem dabei liegenden Dorfe genannt wird, und nicht nur 
in febr duͤnne Tafeln, ſondern ſogar in ſehr lange und 
duͤnne Saͤulen gebrochen wird, die man anſtatt des Holzes 
zu allerley Unterſtützungen gebrauchen kann. Man verführt 
dieſen Stein, davon ein Hauptmagazin in Pal ka es iſt / 
durch die ganze Lombardie. 

Zwiſchen Billa und Domo Do ſſola ſieht man 
rechts das kleine Thal Anzone, in welchem eine Menge 
Topfſtein, hier Lavezzo oder La vezzella genannt, gts 
graben wird. Man verfertigt nicht nur Kochgeſchirre und 
Oefen, ſondern auch Bauſteine und Verzierungen daraus, 
die, wenn ſie recht polirt werden, dem Bronze aͤhnlich 
ſind. 

Im Domo ſelbſt findet der Naturforſcher wenig Fu- 
tereſſantes. Zu Ceſone, unweit davon, befindet ſich eine 

Topfſteingrube, in der man auch manche Ader Kupfer 
blau antrifft. Auch im Thale Bugnanca, welches ſich 
gleich ob Domo öffnet, fehlt es nicht an reichen Gold 
kie ſen. 

Von Domo auf Creolo wurde wegen den reiſſenden 
Bergwaſſern die neue Straße mit koſtbaren Daͤmmen und 
Bruͤcken verſehen. Auch iſt ſie bald durch den Granit, 


461 
bald durch den Glimmerſchiefer, bald durch den Quarz 
fels gehauen, Ueber ben Wedro, der hier aus dem gleich— 
genannten Thale hervorſtuͤrzt, führt eine Staunen erres 
gende Bruͤcke. 100 Metres breit und 28 Metres uͤber dem 
Fluße erhaben, wird ſie von einem eben ſo hohen Granit— 
thurm in der Mitte unterſtuͤzt. Doch wir verfolgen nicht 
dieſe, ben Naturfreunden ſchon befannte Gegend, die von 
Sauſſure und Dolomieu beſchrieben haben, ſondern 
ſetzen unſere Reiſe gerade gegen Norden ins Thal Anti⸗ 
gorio fort ). 

Unweit Cro do befinden fid) in der Höhe zwey Golda 
kiesadern; die Gangart it Quarz, die Gebirgsart Glime 
merſchiefer. In dieſem Thale, beſonders im obern Theile 


*) Doch verdient noch angeführt zu werden, daß man in der 
Stockalperiſchen Goldmine zu Gont Jey ſenkrechte Gange 
bearbeitet; da der Erzgang von ganz gleicher Beſchaffenheit 
wie diejenigen in Macugnaga ift, fo wird er auch auf 
die naͤmliche Weiſe behandelt. Herr Maffioli, der Un⸗ 
ternehmer dieſes Bergwerks, glaubt, daß die Gaͤnge auf die 
andere Seite des Flußes hinuͤberſetzen, wo er auch vus 
eine Grube geoͤffnet hat. i; 

Ob Gont, wo die Straße wieder etwas ebener wird, 
fällt dem Mineralogen neben einem Bache der ſchoͤnſte blaue 
Schoͤrl (Gpanit?) ſowohl in Buͤſcheln als derb in die Ane 
gen, und nicht weit davon ein ſchwaͤrzlicher Gneis mit ſchoͤ⸗ 

nen Hyazinthen, oder eine Art ſchwarzer Granaten, die die 
Kriſtallform des Hyazinths und ihre Eigenſchaften, und 
nicht des Granats haben, denn dieſer wird durch die galva⸗ 
niſche Wirkung negativ, jener foütio. Man findet diefe 
Hyartıthe auch in loſen Gneisſtuͤcken. Der Granit unweit 
dem unterirdiſchen Gang vor Fraſſinone enthaͤlt großt 
Feldſpathkriſtallen und Feldſpathadern. Wie haͤufig der Do⸗ 
lomit im Divedrothal fid) findet, haben ſchon andere 
Mineralogen bemerkt, 


462 


bei Croved unb Premia, zeigt fid) der Granaten⸗hal⸗ 
tige Talk und Glimmerfchiefer ſehr Häufig. Die größten 
Granaten, die bis einen Zoll im Durchmeſſer haben, kom⸗ 
men im Kirchſpiele St. Michele vor. 

Von Pie di Latte, wo die Weingaͤrten aufhoͤren und 
das Thal Formazza bald anfangt, beginnt auch der Granit, 
Bei St. Roch bewundert man den regelmaͤßig geſchich⸗ 

teten adrigen Granit. Die horizontalen Schichten meſſen 

von zehen bis ſechzig Fuß in die Höhe und wohl dreyhun⸗ 
dert Fuß in die Laͤnge; ſie enthalten Feldſpathadern von 
einigen Zollen in der Breite und der Stein ſpaltet ſo leicht, 
daß man Dachplatten davon bricht, ja man koͤnnte ganze 
Obelisken, wie die weiland aͤgyptiſchen, daraus hauen , 
wenn man ſie nur auch fortbringen koͤnnte. 

Man ſteigt nun al Paſſo und von dort durch einen 
ſchmalen Fußweg auf Foppiano neben geſchichtetem 
Granit und ungeheuern heruntergefallenen Stuͤcken deſſel⸗ 
ben. Auf einem derſelben ift eine kleine Schanze angés 
legt und auf der rechten Seite rauſcht ein ſchoͤner Waſſer⸗ 
fall. Einige dieſer Granitmaſſen verwittern und zwar in 
duͤnne Blaͤtter, manchmal, wenn der Block gerundet iſt, 
in concentriſche Schaalen. Dieſes mag eben ſo ſehr den 
Einwirkungen der Luft, der Sonne und des Regens, als 
dem Umſtande zuzuſchreiben ſeyn, daß die Oberfläche haͤr— 
ter geworden iſt als das Innere und ſich deshalb von ihm 
abſondert. Man erreicht jezt Dommat Formazza, den 
Hauptort des Thales, und von dort in drey Viertelſtunden 
Frua, wo der beruͤhmte Waſſerfall der Toſa zu bewun— 
dern iſt. Ueber den Felſen, über welche fie 600 Fuß hoch 
herunterſtuͤrzt, windet ſich der Weg bis zu der Vereinigung 
zweyer Thaͤler hinauf, wovon das eine uͤber den Gries 
links ins Wallis führt, und das andere, rechts, Baf 
To ſa genannt wird und in das Liviner⸗ oder eher Rona 


463 


cherthal hinuͤber leitet. Um die mineralogiſche Bergreiſe, 
die ich hier durch einen Theil der füblicben Alpen vorſchla⸗ 
ge, bequemer machen zu koͤnnen, rathe ich dieſen lezten 
Weg einzuſchlagen, das Roncherthal und zum Theil 
das Bedretterthal bis Villa herab zu verfolgen und 
zu unterſuchen, und von dort uͤber den Naret und das 
Campo della Torba in das Lavizzarathal zu fleis 
gen. In Anſehung des Uebergangs über den Gries in 
das Wallis muß man bemerken, daß die Toſa nicht 
aus dem Gletſcher, fondern aus einem Forellen -reichen 
See entſpringt; daß links dem Griesgletſcher ſich die Alp 
Betalmat befindet, wo ein ſehr beruͤhmter Kaͤs verfers 
tigt wird. Da der Ritter Amorettt das Lavizzara— 
und Maggiathal, wie es ſcheint, nicht durchreiſet hat, 
und ich alſo nichts demjenigen beizufuͤgen weiß, das wir 
in von Cauffurc und Ebel finden, fò eilen wir durch 
dieſe beide Thaͤler hinunter dis Ronco, und hier folgt 
man der Melezza aufwärts, beſucht das Onſerno ne-, 
Centovalli- und Vegezzathal, von welchem leztern 
ich etwas anzufuͤhren habe. Ich habe ſchon oben bie Corne 
derbarkeit dieſes zweyarmigen Thals bemerkt, welches noch 
nirgends deutlich iſt auseinander geſetzt worden. Derjenige 
Arm, der fid) mit dem Eſchenthal vereinigt, bietet dem 
Naturforſcher wenig Intereſſantes dar. Das Gebirge bes 
ſteht aus einem glimmerigen Thonfchiefer und bei i Bus 
feni it er mit Schichten eines weißlichten Thones durch- 
zogen und in einem ſolchen Zuſtande der Verwitterung, 
daß beſtaͤndig Felsſtuͤcke herunterrollen und den Wanderer 
bedrohen. Hier findet man auch ſchoͤnen kriſtalliſirten Strahl 
fein. Bei Riva ſtürzen Waldſtroͤme über Schichten har⸗ 
ter Breccia hinunter und gewaͤhren einen mahleriſchen 
Anblick. Von der Scheidecke beider Thaͤler weg erhaͤlt die 
oͤſtliche Melezza von Weſten keinen Zuffuß bis Crans, 


464 


In Norden aber erhebt (id) ein hoher Kamm, Piodina 
di Grana genannt, von welchem ein anfehnlicher Bach 
herunterſtroͤmt. Aus dieſen Gegenden wird jaͤhrlich eine 
erſtaunliche Menge Holz durch die Baͤche bis in den Lan⸗ 
genſee geflógt, welche durch kuͤnſtliche Waſſerſchwellen, die 
man hier und in ganz Rord-Italien Serre nennt, dazu 
tuͤchtig gemacht werden. Auf dem Felſen, uͤber welchem 
man von Crana aus in die Hoͤhe ſteigt, findet man ſo— 
wohl weißlichen Thon als auch kleine Eiſenadern. Bald 
erreicht man den adrigen Granit, der auch in Tafeln fpals 
tet, mit welchen man die Straße ſchoͤn gepflaſtert hat. Im 
Bache des Val di Forno, der den Weg, welcher zur 
Alp von Trence führt, durchſchneidet, trifft man ein Las 
ger von Schwefelkies an, das bald derb, bald aber zu 
Staub verwittert it; auch beträchtliche Lager oder vielh 
leicht auch nur Anhaͤufungen eines aͤußerſt feinen und weißen 
Quarz⸗ und Feldſpathſandes, und einer anderen Subſtanz , 
von der ich eben reden will. 

Bei den hoͤchſten Huͤtten naͤmlich, in einem kleinen To⸗ 
bel, unweit dem Schnee, der dort nicht mehr ſchmilzt / 
befindet (id) eine weiße, aus kleinen Kriſtallen, die ganz 
zerreiblich find, beſtehende Steinart, die man mir als Kaoa 
lin zugeſandt hatte. Das Innere des Berges beſteht dort 
aus Granit, der in Tafeln bricht, die gerne in Blaͤtter 
und dieſe in eckige Stuͤcke zerſpalten. So ſieht der ganze 

4 Berg bis auf den Kamm aus, der damit wie mit einem 
ungeheuern, gegen Suͤdweſt ſich ſenkenden Dache bedeckt 
il. Der Kaolin (wenn man ihn fo nennen will) kommt 
in einem Gange vor, der auf den Schichten des Granits 
ſenkrecht aufliegt. Dieſer Gang hat verſchiedene Fuß in 
der Breite und beſteht aus einer ſchwarzgrauen, blaͤtteri⸗ 
gen und zarten Steinart, in welcher ſich der Kaolin als 
weiße erhabene Adern zeiget. Da wo er ganz rein iff, er 


463 


ſcheint er Eriftallifiet in viereckigen fibröfen Saͤulchen, an 
der Spitze abgeſtumpft, mo fie bald ein Viereck, bald eine 
Raute bilden. Die groͤßten Saͤulchen meſſen zwey Li⸗ 
nien in der Långe und 8 Linie im Durchmeſſer. Unter 
den ſehr haͤufigen Kaolinadern giebt es deren, die vier Zoll 
breit find. Bei den Ablöfungen findet man eine grüns 
weißliche Subſtanz, dem Speckſtein in der Farbe und dem 
Anfuͤhlen ahnlich, bie fid) wie der Thon kneten laͤßt. Es 
giebt auch Adern don hartem Quarz in der Naͤhe. Ge— 
trocknet giebt dieſer Kaolin ein ſehr feines Pulver, und 
thut man ihn in das Feuer, ſo wird er noch weißer und 
erhaͤrtet. Vermuthlich würde er fid) in das Porzellan vcre 
glaſen, wenn er einem angemeſſenen Feuersgrad ausgeſetzt 
wuͤrde. Er verdient eine genauere Unterſuchung. Gewiß 
dft es, daß feine Kriſtallen vollkommen denjenigen ähnlich 
find, die man in dem verwitterten weißen Feldſpath von 
Haveno findet. Dieſer Kaolin enthält fehe viel Talls 
erde. Auch der Thon von Baudiffero, den die Gebruͤ⸗ 
der Gioannetti zu Turin für ihre ſchoͤne Porzellanfas 
brike gebrauchen, enthaͤlt 68/100 Talkerde. So wie bits 
fer zum Bleichen des Oels nach der Entdeckung des Pros 
feſſors Bonvicino kann benuzt werden, fo habe ich uns 
ſern Kaolin auch dazu brauchbar gefunden. 

Auf einem Berge, wenige Stunden gegen Often ento 
fernt, entſpringen warme Schwefelquellen, die aber wegen 
der Höhe, in der fie liegen, und dem beſchwerlichen Zus 
gange wenig beſucht werden. Ob Maleſco bricht ein 
weiß und ſchwarzer Marmor, ſo ſchoͤn im Korn als der 
von Carrara. Auch der Topſſtein findet fih in dieſem 
Thale haufig, Bei Maion, dem oͤſtlichſten Dorfe des 
Thales, iſt eine erprobte, doch bisher unbenuzte Eiſenader. 
Sowohl hier am oͤſtlichen als bei Riva am weſtlichen 
Ende des Thals fliegen Felſen von Nagelfuh daſſelbe, 

arm - 6 9 


466 


Der Corvus graculus (nicht eremita) oder die Berg 
dohle mit rothem Schnabel und Fügen foll in dieſen Ges 
birgen haufig ſeyn. 

Ehe wir den Langenſee verlaſſen, wollen wir noch die 
Fiſche bemerken, die in demſelben gefangen werden: 

Der Aal, Muraena anguilla. Die Truſche oder Nals 
raupe, Gadus lota. Die Forelle, Salmo fario. Die 
Schleye, Cypriuus tinca. Der Haͤgling, Cyprinus ago- 
ne. Die Karpfe, Cyprinus carpio. Die Barbe, Cy- 
prinus barbus. Der Blei, Brachsme, Cyprinus bra- 
ma, Cyprinus vairo, Vairone. Der Kaulkopf, Cot- 
tus, Gobio. Der Hecht, Esox, Lucius. Der Stre⸗ 
ber, Perca asper. Das Neunauge, Petromizon bran- 
chialis *). 1 3 

Von Locarno auf Magadino und von dort auf 
Bellenz wird der Naturforſcher eilen, um deſto baͤlder 
das Livinerthal zu erreichen, das ihm beſonders in feinen 
erhabenen Gegenden ſo vielen Stoff zu Unterſuchungen 
reicht. Er wird es, ohne ſich in die mit demſelben ſich 
vereinigenden Rebenthaͤler locken zu laſſen, bis auf den 
Gotthard verfolgen, weder die ſchoͤnen Cyaniten in P ras 
to, noch den elaſtiſchen Dolomit in Campo Longo vers 
geſſen, ſich aber am meiſten in Airolo und feiner Ges 
gend aufhalten. Von Sauſſure, Ebel und das von 
Mechel herausgegebene Itineraire du St. Gotthard wers 


*) Ohne Zweifel enthält dieſer und die andern italieniſchen 
Alpenſeen noch verſchiedene andere Fiſcharten, die entweder 
das ganze Jahr ſich in denſelben aufhalten, oder ſie doch 
jahrlich beſuchen. Allein noch niemand hat die Ichthyolo⸗ 
gie dieſer Gegend ſyſtematiſch und mit Aufmerkſamkeit zu 
feinem Gegenſtand gewählt, Auch hier find noch intereſ⸗ 
fante Aufſchluͤße zu erwarten. 5 


— 


| 467 
den ihm vortreffliche Anleitung geben. Bon Airolo aus 
wird er durch Val Piora und Val Uomo auf die 
Scheidecke des Luckmanniers, von dort durch das 
Pollenzerthal herunter, bis Polleggio, und durch 
daſſelbe hinaufwaͤrts gegen Ofen über einen nicht feb? 
hohen Berg auf Roſſa in das Calankerthal wan— 
dern. Von dort dringt er bis zum Urſprung des Calan— 
tasca, der ihn durch einen im Sommer nicht unbéé 
quemen Alpenpfad zu demjenigen der Moeſa führt, mele 
che auf dem Bernardiner entſpringt. Indem er dem 
Laufe dieſes an ſchoͤnen Waſſerfaͤlen und mahleriſchen 
Berganſichten reichen Stromes folgt, hat er Gelegenheit, 
das ganze Miforerthal bis Bellenz zu durchforſchen, 
und endigt hier einen Kreis, innert welchem er, das Li⸗ 
vinerthal ungerechnet, vier, bis jezt noch ganz unbee 
kannte und ohne Zweifel ſehr merkwuͤrdige Thaͤler zu ſehen 
Gelegenheit hatte *). 

Hat der Reiſende für einen Sommer genug, ſo kann 


er von Bellenz über den Monte Cenere auf Lauis 


reiſen, ſich an den Umgebungen des Lauiſerſees ergoͤtzen 
und feine Ruͤckreiſe über Vareſe auf Mailand neh⸗ 
men. Wuͤnſcht er aber den ganzen Kreis in einem Feld⸗ 
zug zu vollenden, ſo ſchlaͤgt er unter Bellenz das Ma⸗ 
robierthal ein, uͤberſteigt den St. Jortoberg, auf 
deſſen Scheidecke er nichts als durchſichtigen Kriſtall ſieht, 
findet bei Saſſo acuto ſchoͤne Tourmaline, und hin 
, unb wieder im Thale Anzeigen von Eiſenerz, bewundert 
die Capuzinermaͤßige Kleidung der Weiber, welche ihre 
Vorfahren bei Anlaß eines Geluͤddes einfübrten und ihre 


7) In mineralogiſcher Ruͤckſicht hauptſaͤchlich wirde man einige 
Nachrichten in Storrs Alpenreiſe finden, wenn ſeine Spra⸗ 
che verſtändlicher wäre. 


468 


Nachkommen bis jezt beobachten. Ungeachtet der Haͤßlich⸗ 
keit der Kleidung blickt doch die Schönheit des Geſchlechts 
durch, und es weiß unvermerkt ſchoͤne Verzierungen anzu⸗ 
bringen, die die Zunahme des Luxus auch hier beurkun⸗ 
den. Er erreicht nun zu Gravadona das Geſtade des 
anmuthigen Comerſees. 
a Wir haben ſchon von der Lage, Höhe und Groͤße die: 
ſes Sees und einigen andern Eigenfchaften deſſelben ges 
ſprochen. Hier bemerken wir noch, daß er von hoͤhern Bers 
gen, als die zwey andern ſchon beſchriebenen eingeſchloſſen 
it und den Gletſchern weit naher liegt. An ſeinem oͤſtli⸗ 
chen Ufer begraͤnzen ihn gegen den Kamm meiſtens nads 
te Kalkgebirge bis Bellano, an ſeinem weſtlichen bis 
Menagio. Dieſer Kalkſtein ſenkt ſich bald gegen Suͤ— 
den, bald gegen Norden. Von den zwey eben genannten 
Oertern kommen, fo wie man weiter gegen Norden reifet, 
die eigentlichen Urgebirgsarten, naͤmlich Glimmerſchiefer, 
Gneis und Granit an den Tag, in welchen man den Berg⸗ 
kriſtall, Granaten, Feldſpath und Quarz haͤuſfig findet. 
Auch der feinkoͤrnige Urkalkſtein, mit den ſchoͤnſten Farben 
prangend, findet ſich bald Lagerweiſe in tiefen Spalten, 
bald an den Granit- oder Glimmerſchiefer angelehnt. 
Auch trifft man an verſchiedenen Orten eine Menge Thon 
und Quarzſand an. Man kann ſich die Urſache ſeines Da⸗ 
ſeyns nicht leicht erklaͤren. Es iſt nun bekannt genug, 
daß wenn ſchon der Topfſtein bei vielen, beſonders aͤltern 
Mineralogen, Lapis comensis genannt wird, er nicht da⸗ 
ſelbſt, ſondern in den Bergen von Plurs ob Chiavenna 
bricht, und in Como zum Theil verarbeitet, haupſaͤchlich 
aber mit dem meiſtens in Plurs und Claͤven ſelbſt vers 
arbeiteten in Como Handel getrieben wurde. 
Die eigentlichen Kalkgebirge des Comerſees liefern ſchoͤne 
Marmorarten, welche die Italiener durch eine Menge von 
f 


dieti 


, 469 


Mamen zu unterſcheiden wiſſen. Als bie fchönften führen 
wir hier nur den ſchwarzen von Varena, ben weißen 
von Muſſo und die Lumachella von Tramezzina 


an. Auch dieſe Gebirge enthalten ſehr viele Hoͤhlen, in 


denen ſich das Waſſer ſammelt, und durch unterirdiſche 
Oeffnungen wieder ablaͤuft. Nicht ſteil ſind die den See 
einſchließenden Gebirge, ſondern theilen fich, überhaupt ges 
nommen, in zwey Abſaͤtze ab, die beinahe durchgehends die 
gleiche Hoͤhe haben. Auf den Ebenen des erſten Abſatzes, 
der den Drittel der Höhe des ganzen Berges aus macht, 
befinden ſich meiſtens volkreiche und wohlhabende Doͤrfer 
mit den fruchtbarſten Fluren umgeben. Die Ebenen des 
zweyten Abſatzes, die zwey Theile der ganzen Hoͤhe errei— 
chen, enthalten die Alpen oder Sommerweiden des Viehes. 

Auch auf dieſen Gebirgen fallen die großen aber loſen 
Granitmaſſen auf, die auf denſelben herum zerſtreut lies 
gen, und manchmal von einer ſolchen Beſchaffenheit ſind, 
daß ſie von einem ziemlich entfernten Vaterlande herkom— 
men muͤſſen. So findet man den mit großen weißen Gelbe 
ſpathkriſtallen durchſezten Granit, der hier Scerizzo ghian- 
done genannt wird, und ſehr haufig iff, nur am Gotta 
hard anſtehend. 

Wer gerne Syſteme baut, koͤnnte annehmen, daß einſt 
eine ſehr große Waſſerffuth aus Norden gegen Süden citta 
hergeſtroͤmt kam, welche alle dieſe Maſſen auf die Gebirge 
des Comerſees und die andern Seen gewaͤlzt hat, bie das 
mals nur eine Ebene ausmachten; daß fie durch die Kraft 
ihres Falls das Bett des Comerſees ausgegraben, aber 
derfelbe fo hoch geſtanden, daß fein Ausfluß bei Coma 
geweſen, und zwar in das Bett des Sceveſo, deſſen 
noch dermalen beſtehende Spuren einer außerordentlichen 


Breite einen vormals ſehr betraͤchtlichen Fluß anzudeuten. 


ſcheinen. Durch Bergbruͤche, die entweder zu Lecco oder: 


tro . 

bei Malgrate, ob Menagis ober zu Como ſelbſt, als 
Stellen, wo die den See einſchließenden Gebirge nun am 
niederſten ſind, erfolgten, erniedrigte ſich nach und nach 
die Oberfläche des Sees. Alles Geroͤlle, welches die Bäche 
von den Bergen in den See fuͤhrten, bildeten, wie ders 
malen, auch an deffen Oberflaͤche Erdzungen und Ausfüls 
lungen. So wie der See niederer wurde, mußten jene 
Erdzungen Vorgebirge werden, zwiſchen welchen ſich die 
Bergſtroͤme ihren Lauf in den See ſuchen mußten. Die 
ſes erkennt man noch jezt in der Hoͤhe der Gebirge. Die 
theils nach und nach, theils auch ploͤzlich erfolgenden Gena 
kungen der Oberfläche des Sees gaben ſowohl den Abfaken 
als den Vorgebirgen an den Gebirgen ihren Urſprung. 
Daß wirklich eine Fluth von Norden gekommen, die nach 
Süden gefoſſen, ſcheinen die großen Lager von Geroͤlle zu 
beweiſen, die man auch in der Höhe der Thaler und der 
Ufer des Sees, beſonders gegen Suͤden und Suͤdweſten 
antrifft, fo wie auch der Umſtand, daß dieſes Gerelle ime 
mer feiner wird, ſo wie man weiter gegen Suͤden kommt. 
Bei Como folgt auf den nagelßuhartigen Muͤhlſtein der 
feine Sandſtein, daſelbſt Molegna genannt. 

Daß uͤbrigens das Meer einſt alle dieſe Gebirge bedeckt 
habe, duͤrfen wir aus der Menge von Muſchelmarmor 
ſchließen, bie unſre Berge enthalten. Unter den Verſtei— 
nerungen ſind die Ammoniten, jezt Diskoliten genannt, 
febr Häufig. Es if bekannt, daß unſere benachbarten Meere 
das Original derſelben nicht ernaͤhren. 

Die Gebirge des Comerſees ſind nicht arm an Metallen. 
Auf beiden Seiten ziehen (id) Eifen-, Kupfer- und Blei⸗ 
adern durch dieſelben; viele werden noch dermalen benuzt, 
und eine Menge verlaſſener Gruben, die man in den Ges 
birgen antrift, zeigen an, daß vor Zeiten der Bergbau 
vielleicht noch lebhafter geweſen fep. 


ATA 


Unter den vierfüßigen Thieren, welche diefe Gebirge 
bewohnen, befinden fid) keine merkwuͤrdige, die auch nicht 
auf andern Gebirgen angetroffen würden. Nur ift der 
Wolf hier häufiger als anderswo. Unter den Vögeln find 
die manchmal ſehr ſeltnen Meervoͤgel, worunter man fos 
gar den Pellikan, den Flamingo und andere geſehen, be— 
merkenswerth; aud) foll der See feinen Namen Larius 
von einer Art Moeve (Larus) haben, daſelbſt Gabbiano 
genannt, davon der See zu Zeiten wimmelt. Einheimiſch 
und ſehr haͤufig it daſelbſt an den ſteilen Felſen der Tur- 
dus saxatilis, von den Italienern Passero solitario ge- 
nannt, deffen zwar nicht lauter, aber aͤußerſt angenehmer 
Geſang allgemein beliebt iſt. Man kann ihn lange in 
Bauern mit dem Nachtigallenfutter erhalten, und er wird 
ſehr kirre. 

Folgende find die Fiſche, die man im Comerſee fángt s- 

Cyprinus agone, l'Agone, der Hegling. 

— — alburnus, L., l'Arborella, der Uekeley. 

— — barbus, L., il barbo, die Barbe. 

— — carpio, L., la Carpina, die Karpfe. 


— — capeto, Art., il Cavezzale, die Zaͤrthe? 

— — rutilus- idus, L., ul Pico, o Encobia, 
das Rothauge. 

— — leuciscus, L., lo Strigio, der Lauben. 

— — tinca, L., la Tinca, die Schleye. 


— — vairo, il: Vairone. 

Muraena anguilla, L., l'Anguilla, bet 9faf. 
Gadus lota, L., il Bottrisio, die Quappe, Drufches. 
'Esox lucius, L., il lucio, der Hecht. 

Perca asper, L., il Persico, der Streber. 

Salmo trutta, L., la Trotta, die Lachsforelle. 
Petromizon branchialis, L., la Lampreda, dad 

Neunauge. 


, 


472 


Ich bin zwar verſichert, daß weder alle im Comerſee ſich 
aufhaltenden Fiſche hier verzeichnet, noch daß ſie richtig 
genug beſtimmt ſind, doch muß man in einem Lande, wo 
ſich kein Menſch mit der Ichthyologie abgiebt, auch mit 
dem Wenigen zufrieden ſeyn. Ich kann zum Beyſpiel 
nicht glauben, daß Bloch den Agone, den man friſch 
genoſſen am Comerſee als die größte Delicateſſe anfieht, 
nicht ſollte gekannt haben, und doch kann ich ihn in ſei⸗ 
nem Werke nicht finden, denn der unter dem Wort Ag o— 
nen angeführte Fiſch ſcheint ein ganz anderer zu ſeyn. 
Uebrigens gehoͤrt die Lachsforelle, die öfters eine Schwere 
von dreyßig Pfunden erreicht, unter die beßten Fiſche dies 
ſes Sees. Sie wird hauptjächlich im Veltlin in der Adda, 
vermittelſt eigens dazu eingerichteten Lachswaͤhren, im 
Veltlin Peſchiera genannt, gefangen. A 


Ehe nun der Reiſende eine der angenehmſten Spasiers 


fahrten, die ſich nur denken laͤßt, laͤngs den Ufern des 
Sees antrittet, um alle Merkwuͤrdigkeiten der einzelnen 
Oerter zu betrachten, ſollte er zuerſt die zwey Thaͤler be⸗ 
ſuchen, die ihren Waſſerſchatz dieſem See zufuͤhren; ich 
meyne dasjenige, welches die Maira durchſtroͤmt, und 
eigentlich keinen Namen hat, zu oberſt aber das Bergell, 


in der Mitte die vormalige Gerichtsbarkeit Plurs und zu. 


legt die Grafſchaft Claͤven enthält, und das feines gleis 
chen wenig findende Veltlin, von der Adda bewaͤſſert. 
Für den Naturforſcher find beyde Thaͤler aͤußerſt merkwür⸗ 
dig, beſonders fuͤr den Geognoſten, wurden aber noch zu 
wenig beſucht, um fo gekannt zu ſeyn, wie ſie es verdie 
nen. Die nördliche Kette der Gebirge, die das Maira— 
thal vom Malojaberg an einſchließt, beſteht aus der 
Hauptkette der Alpen ſelbſt, die, den talkreichen Septi— 
mer ausgenommen, meiſtens Granit und Gneis enthaͤlt. 
Häuſtg aber kommt dazwiſchen die Formation des weißen, 


473 


halb durchfichtigen Urkalkſteinſchiefers vor. Auf der Suͤd⸗ 
ſeite bieten die ſehr hohen, mit Gletſchern belaſteten Ges 
birge von Murett bis an die Grenzen des Bergells 
meiſtens Granit, von dort an nebſt Granit und Gneis 
auch haufig die Talkfels⸗ und Talkſchiefer-Formation dar. 
In derſelben befinden ſich nicht nur Asbeſt, ſondern auch 
grauer, gruͤnlicher und ganz gelber Sopfítein, der, wie bes. 
kannt, zu Kochgeſchirren ſchon fcit undenklichen Zeiten Deo. 
nuzt wird. Von den Ventarole, Crotti oder Kuͤhl⸗ 
kellern zu Claͤven haben wir im erſten Band der Alpina 
einige Nachrichten angeführt. Weit merkwuͤrdiger und mee 
gen ſeiner unvergleichlichen Fruchtbarkeit anziehender iſt 
das Veltlin, aber den Naturforſchern eben ſo unbekannt. 

Die ganze, ſehr erhabene Gebirgskette, welche daſſelbe 
vor den kalten Nordwinden ſo vollkommen ſchuͤzt, zu oberſt 
vom Muͤnſterthal, dann vom Engadin und zu uns 
terſt vom Mairathal trennt, enthaͤlt meiſtens Granit 
und Gneis, doch kommt in den obern Theilen des Velt⸗ 
ling der Kalkſtein im Thale ſelbſt haufig zu Tag, und in 
dem mittlern untern Theile ſieht man wieder ſehr oft die 
Talkformation anſtehen. In den Gebirgen nordoͤſtlich ob 
Worms im Freelerthal, zu Fratello neben dem 
kleinen See, der Fonte d' Adda genannt wird, befins 
den ſich ſtarke Adern eines ocherartigen Eiſenſteins, welche 
ehedem benuzt wurden. Zu Piatta, zu Premaglio 
und im Pedenoſſerthal, alſo unfern von Worms 
auf der naͤmlichen nordoͤſtlichen und noͤrdlichen Bergkette, 
ſind Adern eines ſilberhaltigen Bleiglanzes im Gneis ge⸗ 
mein. So auch zu Gampeccio, Die heißen Baͤder eine 
halbe Stunde ob Worms find bekannt. Es it merk: 


wuͤrdig, daß daſelbſt der ſogenannte Sauſtein, oder eigents 


lich Stinkſtein nicht ſelten angetroffen wird. 
Unweit dem ſchoͤnen Marktſſecken Ponte hat man 


474 


feit wenig Jahren ſehr reiche Kupferkieſe (vermuthlich in 
dem Pontaskerthal, welches gegen Norden herein— 
dringt), entdeckt, welche auch bearbeitet werden. Eben fo 
find im Malenkerthal, das von Sandrio aus fid) 
gegen Norden zieht, magnetiſche Eiſenkieſe und auch Kus 
pferkieſe gefunden worden. Daſelbſt war ſchon laͤngſt der 
vortreffliche Topfſtein berühmt, der bei La Torne ge 
graben und in dieſem Dorfe verarbeitet wird. Allemal 
naͤchſt am Topfſtein findet ſich der ſehr feine und lange 
Amianth, aus welchein, wie in andern Ländern, Nutzen 
koͤnnte gezogen werden. Dabei findet man alle Abaͤnderun⸗ 
gen von Asbeſt. Unweit der Bruͤcke, wo ſich die Val Ma⸗ 
lenco und Val Lanzada vereinigen, befindet ſich ob 
der Straße der ſehenswerthe Dachplattenbruch, ein feiner, 
harter Glimmerſchiefer, der duͤnne, wie Erz toͤnende, vote 
treffliche Dachplatten liefert, die in einen großen Theil des 
Veltlins verfuͤhrt werden. Auch ein aͤußerſt feiner und 
reiner weißer Marmor dricht zu hinterſt im Thale, unweit 
dem Wirthshaus Al Boſco, und die lezten Weiden, die 
unmittelbar an das ewige Eis des Muretts grenzen, 
find mit einem Teppich der ſeltenſten Alppflanzen bekleidet. 

Das bei Ardenno gegen Nordoſt hereindringende Ma— 
ſinerthal verdient nicht nur wegen feinen heißen Bädern 
beſucht zu werden, ſondern man hat in dem Arm, der bis 
gegen den Muret dringt, auch Kupfer und Eiſenerze ges 
funden, und man behauptet fogar, daß Goldtieſe daſelbſt 
vorhanden ſeyen. 

Die erten Oerter an dem weſtlichen Ufer des Comers 
ſees ſind Gera und Sornico. Im erſten wurde das 
Salz raffinirt, das man bisher immer den Buͤndnern 
lieferte. Auch hier findet fich die naͤmliche Art von Gra⸗ 
nit, wie in Baveno, und ehe dieſes zur italieniſchen Res 
publik geſchlagen wurde, wurde derſelbe häufig auf Maie 


418 


land verführt, um damit bie Straßen zu beſetzen. Auch 
bricht bei St. Fedelino ein vortrefflicher weißer Gra⸗ 
nit. Im Thale ob Gravaddona zeigen fic) viele Spu⸗ 
ren von Eiſenerz. Doch weit ſehenswuͤrdiger ſind die 
Berg- und die Huͤttenwerke des nicht weit davon gegen 
Güden liegenden Dong o. Dort bricht ein reichhaltiges 
Eiſenerz, welchem aber nur zu viel Kupfer beigemengt iſt. 
Es ſcheint dieſe Adern ſetzen mit denjenigen in Verbindung, 
die in der auf der andern Seite der Gebirge liegenden und 
gegen Suͤdweſt ſich ziehenden Val Cavargna bearbeitet 
werden. Das Eiſen waͤre ſehr gut, wenn kein Kupfer 
darin enthalten waͤre, und dieſes aͤußerſt ſchaͤtzbar, wenn 
es häufiger gefunden würde, Nicht weit vom Dorfe be 
finden ſich die Schmelzhuͤtten. Im Jahr 1794 wurden 
49,000 Rubbi, jeden zu 15 ſchweren Pfunden, geſchmolzen. 
Das Kupfer aber wird nur alle drey Jahre verfd)molgen, _ 

Bei Muſſo bricht der bekannte weiße Marmor und 
bei dem kleinen Doͤrfchen Gaeta wird ein Felſen Sasso 
rancio genannt, weil er hin und wieder ganz roth augs 
ſieht. Es ſind Neſter eines ſehr reichen Eiſenochers, der 
ſich leicht gewinnen laͤßt, aber nicht weit fortſetzt. In 
dieſem Ocher trifft man ſchoͤne Kalkſpathdruſen mit cons 
centrifchen Nadeln an. Bei Robiallo gewinnt man in 
Menge einen guten Gyps und dann und wann finden ſich 
Adern ſchoͤnen Frauenglaſes dabei, welches man zu den 
Arbeiten in Scagliola gebraucht. 

La Cadenabbia iſt zwar nur ein Wirthshaus, liegt 
aber ſo vortrefflich beinahe im Mittelpunkte des Comerſees, 
und man war daſelbſt immer ſo wohl bedient, daß der 
Reiſende keinen beſſern Standpunkt waͤhlen kann, von 
welchem er alle Merkwuͤrdigkeiten der Ufer deſſelben befus 
chen kann. Nicht weit ob dem Wirthshauſe liegt Grians 
ta, ein großer Marktgecken, über welchem fich ſchoͤne Grot⸗ 

EI 


47 


ten in dem Kalkſtein, und in dieſem eine Menge Verſtei⸗ 
nerungen, nämlich Ammoniten, Diskoliten, Aſtroiten, 
Fungiten, Buͤkkanditen u. a. m. zeigen. Von La Cade 
nabbia beſucht man zuerſt den Arm des Sees, der bis 
auf Como reicht. Auf dem rechten Ufer findet der Bes 
wunderer der milden Natur die angenehmſte Gegend Ober, 
italiens, den Buſen von Tramezzina, den deswegen die 
reichen Mailänder mit prächtigen Land ſitzen aus ſchmuͤck⸗ 
ten. Das Klima iſt hier zim haͤrteſten Winter ſo mild, 
daß es unnoͤthig iſt, die Pomeranzenbaͤume vor der Kaͤlte 
zu ſchuͤtzen. Nur der Botaniker trifft hier Beſchaͤftigung 
an, denn es wachſen Pflanzen hier, die man ſonſt nur in 
den waͤrmſten Gegenden Italiens findet. Hingegen geht 
der Mineralog beinahe leer aus. Eine der aͤgyptiſchen aͤhn⸗ 
liche Lumachella zwiſchen Viano und Nava; in ſehr 
harten Kalkſpath verwandelte Buͤkkanditen im Saffo 
delle Stampe ob Bolſaniga, die mit ſchwarzem 
Marmor umgeben find und geſchliffen eine treffliche Wirs 
kung hervorbringen, iſt alles, was ihn intereſſiren kann. 
Bei Argegno waͤchst an dem ſteilen Gebirge ſehr haufig 
der Rhus cotinus, deſſen Blaͤtter ſich die Gerber und der 
Wurzeln die Faͤrber häufig bedienen. Gegen über von Ars 
gegno iſt am linken Ufer des Sees derſelbe ſehr tief, und 
hier follen fich nach der Verſicherung einiger Schriftſteller, 
unter andern des Paolo Giovio, eine Art Fiſche auf 
halten, die er Burburi nennt, und die die Groͤße eines 
Herwachſenen Mannes erreichen follen. Es will (ie aber nic 
mand geſehen haben. Von Argegno kann man am be⸗ 
quemſten in das Thal Fntelvi reifen, welches fid) von 
dort gegen Weſtnordweſten zieht. Dieſes ſehr wohl anges 
baute, ſtark bevoͤlkerte und wegen feinen Anſichten intereß 
ſante Thal iſt noch zu unbekannt, um zu beſtimmen, ob 
es dem Naturforſcher auch wichtig ſey. Von ſeinen we⸗ 


477 


gen ihrer Induſtrie merkwürdigen Einwohnern und ihrer 
Lebensart werden wir in der Darſtellung der ſuͤdlichen Als 
penbewohner reden. Die Gebirge linker Hand haͤngen mit 
dem Monte Genoroſo, der wegen feiner prächtigen 
Ausſicht fo befannt it, zuſammen. 

Zwiſchen Urio und Carate, am rechten Ufer des Sees 
liegt ein Dachſchieferbruch, der aber nicht von der feinſten 
Art, doch brauchbar iſt. Man behandelt ihn wie zu La— 
vagna im Genueſiſchen, wo man wie hier der Sonne 
die Kraft zuſchreibt, die leichtere Abloͤſung der Blaͤtter zu 
befördern. 

Bei Bellefo, auf dem linken Ufer des Sees, tehet 
nun Ragelfluh an. Nicht weit unter Velleſo liegt die 
berühmte Pliniana, welche ſchon fo oft iſt beſchrieben 
worden. Man hat das alle Tage periodiſche Wachſen und 

Abnehmen der nie vesſiegenden Quelle, die den Hauptges 
genſtand des Beſuchs dieſes auch in andern Betrachtun— 
tungen ſchoͤnen Landgutes macht, allerlei Urſachen zuge⸗ 
ſchrieben. Ritter Amoretti mill fie in den Wirkungen 
des Windes gefunden haben und erklärt fich folgender 
maßen: m 

Da id) mich einige Monate in der Nachbarſchaft der 
Pliniana aufgehalten, beinahe taͤglich die periodiſche 
Quelle beſucht habe, fo beobachtete ich: Daß die Bewes 
gungen des Waſſers eine genaue Uebereinſtimmung mit den 
Winden zeigten. Ich bemerkte anderswo, daß bei regel⸗ 
‚mäßiger Witterung der Weſtwind, den man hier La Bre va 
nennt, um Mittag fid) auf dem See füblen laͤßt. Es iſt 
bekannt, daß er zuerſt in der Höhe weht, und dann im» 
mer tiefer ſinkt, ſo daß man ihn wirklich auf dem Kamm 
der Gebirge, die fid) über der Pliniana erheben, und die 
ich oft durchkreuzt habe, ſchon um neun Uhr Morgens 
ſpuͤrt. Das Naͤmliche muß ohne Zweifel mit dem Nord 


478 

wind oder Tivano ſtatt finden. Nun fab ich, und dieſe 
Beobachtung hat der Eigenthuͤmer der Quelle, der fie fd 
oft ſieht, beſtaͤtigt, daß dieſelbe gegen die Mitte des Mor⸗ 
gens zu wachſen beginnt, und dann wieder abnimmt. Die 
Dauer des Wachſens ſteht mit dem Winde in Beziehung, 
betraͤgt aber uͤberhaupt drey bis vier Stunden. Wenn ſich 
ein ſtarker Wind laͤnger erhaͤlt, ſo faͤhrt ſie auch viel laͤn⸗ 
ger fort zuzunehmen. Bei ganz ſtillem Wetter bleibt ſie 
unverändert. Daß alfo der Wind dieſes Wachſen verur— 
ſache, ſcheint ſicher zu ſeyn, aber wie geſchieht dieſes? 

In den Gebirgen über der Pliniana giebt es ver- 
ſchiedene Höhlen, die tief in den Berg hineindringen. Ich 
habe fuͤnf beſucht und in einer beſonders (Grotta di Gra- 
vinate) einen Waſſerbehaͤlter gefunden. Nimmt man an, 
daß dieſe unterirdiſche Seen oder Teiche, ſowohl uͤber ſich 
als gegen der Pliniana Oeffnengen haben; daß der 
Wind durch die obern oder dem Abfuf entgegengeſezten 
Oeffnugen ſtark hereinblaſe, ſo wird das Waſſer ſchneller 
und in größerer Menge als gewöhnlich gegen dem Abſfſuß 
getrieben und derſelbe wird vermehrt. Hoͤrt der Wind 
auf, fo ſezt fid) die Oberflaͤche des Waſſers wieder in fein 
gewohntes Gleichgewicht, und da mehr Waſſer abgefoffen 
ift, als der natürliche Zufuß beträgt, fo nimmt die Quelle 
unten ab. Ja wenn der Wind febr ſtark geweht hat, und | 
das Wachsthum unten übermäßig groß geweſen ift, fo 
bleibt die Quelle mehr als einen Tag oder fo lange fill; f 
bis ſich der Waſſerbehaͤlter wieder gefuͤllt hat. 

Wenn dieſe Erklaͤrung ſchon nicht ganz genugthuend 
ift, fo möchte fie doch die natürlicbíte ſeyn, die bis jezt 
gegeben worden ift. Doch wir kehren zu unſter Reife zus 
ruͤck. In Perlaſca muß jeder Liebhaber der Gewaͤchs⸗ 
kunde die Vila Tangi beſuchen, wo der Reichthum und 
der Geſchmack die ſeltenſten europaͤiſchen und außereurs⸗ 


479 


paͤiſchen Ziergewaͤchſe und Baͤume geſammelt hat, bie in 
dieſem ſanften Clima herrlich gedeihen. Sowohl neben 
dem etwas weiter ſuͤdwaͤrts liegenden Blevio als zu Mob 
trafio, auf dem rechten Ufer gegen über, ſieht man Sad» 
ſchieferfelſen und Lagen eines mergelartigen Steines, den 
man zum bauen gebraucht, und in welchem ſich Adern 
von Steinkohlen zeigen. Dieſe Uebereinſtimmung der Ge 
birgsarten und der in denſelben enthaltenen Erz⸗ und 
Steinkohlengaͤngen, die man an ſo vielen Orten des Sees 
bewahrt findet, möchte wohl ein unumſtoͤßlicher Beweis 
ſeyn, daß er einſt durch eine heftige Waſſerfuth audgegras 
ben worden iſt, obgleich ſeine an manchen Stellen ſehr 
beträchtliche Tiefe, die bis unter die Oberfläche des Mee⸗ 
res dringt, dawider zu ſtreiten ſcheint. Zu und ob Mol⸗ 
trafío giebt es wie in Claͤven natürliche Kuͤhlkeller und 
ziemlich tiefe Hoͤhlen, wo in einigen derſelben geſtreifter 
Alabaſter gewonnen wird. Ob Gar vo beſtehen die Hús 
gel aus loſem Geroͤlle. Vieles bietet die Stadt Como 
dem Reiſenden zur Unterhaltung dar. Wir bemerken hier 
nur, daß die Gebirge, welche die Stadt gegen Suͤdweſt 
und Suͤdoſt umgeben, aus einer dichten Nagelfuh beſte— 
hen. Gegen Oſt aber iſt ihr Fuß granttartig, und in der 
Höhe ruht Kalkſtein, der in verhaͤrteten Mergel uͤberzu⸗ 
gehen ſcheint und gerieben einen Schwefelgeruch von ſich 
giebt. Da der Weg von Como auf Mailand den Naa 
turforſcher wenig oder nichts beſchaͤftigen kann, ſo iſt es 
beſſer, wenn er denjenigen auf Lecco waͤhlt, um auch 
den andern Arm des Comerſees zu befahren und bei die 
fer Gelegenheit das Binnengebirg zu ſehen, welches pwi- 
ſchen beiden Armen liegt. 

Der phoͤchſte Punkt in dieſem Binnengebirg find die 
Felswaͤnde, welche den Piano del Tivano umgeben, 
welcher im Mittelpunkt des Dreyecks liegt, welches die 


» 


480 


zwey Arme des Sees und die Ebene von Erba gegen 


Mailand bilden. Dieſer Piano oder Ebene del £i 


va no erhebt fid) 1945 Braccia oder 3566 Fuß über die 
Oberflaͤche des Sees, allein die ihn umgebenden Hörner 


find hoͤher, als: das Corno occidentale di Cango 
1974 Braccia und Santo Primo 2511. Dieſe Ebene 
iſt um und um mit Gebirgen umgeben, und die Waſſer, 


die in dieſelbe herabſtuͤrzen, haben keinen andern Ab— 


lauf als eine in der Mitte berfelben, Buco di Nicolina 
genannte, groͤßere Oeffnung, und einige kleinere, die ſich 
alle in das Innere der Gebirge verlieren, und dann auf 


der andern Seite derſelben vermuthlich ihren Auslauf has 


ben. Dergleichen eingeſchloſſene oder trichterfoͤrmige Ebes 
nen giebt es mehr in dieſen Gegenden, die ſich in Grotten 


oder Hoͤhlen ausleeren, wie von Premeu ob Pognano, 


zu Prafonda ob Blevio, von Gravinate unb Bis 
anca monda ob Velle ſo u. a. m. Die von Gravis 
nate enthaͤlt ein großes Waſſerbehaͤltniß. Die Ebene von 
Tivano beſteht aus Wieſen und bringt eine große Mans 
nigfaltigkeit ſeltener Pflanzen hervor. Der Sorbus an— 


cuparia ift da febr gemein, aus deffen Beeren man einen 


ſauren Saft bereitet, den man anſtatt des Limonienſafts 
in den Faͤrbereien gebraucht. Die Berge beſtehen hier alle 
aus einem mergelartigen Kalkſtein, hin und wieder liegen 
aber große Maſſen von Granit, Gneis und Nagelfiuh zers 
freut umher. Vom Piano del Tiva no ziehen fid) 
längs bei den Serarmen zwey Bergketten, deren beyde Abs 
haͤnge in Abſaͤtze getheilt find, auf welchen fid) Dörfer bes 
finden. Gegen Mittag aber zieht ſich mitten durch das 
Dreyeck, die Val aſſina, vom Lambro durchſtroͤmt, 
der am Piano di Tivano entſpringt. Der Urſprung 
des Lambro ift eine periodiſche Quelle o b Magrelio, 
die Menareſta genannt. Sie befindet ſich in einer Grotte. 


481 
Alle acht Minuten waͤchst die Quelle betrachtlich an, fo 
daß man das Geraͤuſche hoͤrt. Drey Minuten lang nimmt 
ſie zu und fuͤnfe ab. Auch hier ſieht man Granit, Gneis 
und Granat: haltige Glimmerſchiefermaſſen. Die Kaͤmme 
. unb Gipfel dieſer Gebirge bieten ſehr gute Sommerweiden 
und auch die ſchoͤnſten Wieſen dar. Bar mi, eines der 
oberſten Dörfer in dieſem Thal, ift wegen den fetten Schne⸗ 
cken berühmt, die man hier mit dem Tussilago petasi- 
tes maͤſtet. Unter Aſſo, welches vermuthlich dem Thale 
den Ramen giebt, bricht der Majolica-Marmor, und 
in den Gebirgen ob Canzo, Corni di Canzo genannt, 
eine Eiſenader, die noch vor hundert Jahren benuzt wurde, 
am Fuße derſelben aber Kalkſtein mit Verſteinerungen und 
rother Marmor. Unter Canzo befindet ſich der zwey 
Stund lange aber ſehr ſchmale See von Sagrino— 
Hier wird das ſonſt immer mergelartige Gebirg durch Las 
gen von Hornſtein unterbrochen, die bald horizontal, bald 
aber in ſehr ſchiefer Richtung mit dem mergelartigen Kalk⸗ 
ſtein abwechſeln. t 
Wenn man nun von Coms auf Recto treit, fo geht 
die Straße uber St. Martino nach Caſſano. Links 
enthalten die Gebirge und Alpen von Tornso verſteinertes 
Holz, andere Verſteinerungen und Trippel. Rechts aber 
ſieht man Montorfano mit Nagelfluh umgeben, in der 
ſich Kieſelſteine, Granit- und Porphyrſtuͤcke befinden, und 
aus welcher wegen ihrer Haͤrte vortreffliche Muͤhlſteine ges 
macht werden. Wer eine Höhle, Buco del Piombo 
genannt, beſuchen will, verlaͤßt hier die Straße und geht 
über Villa zu einem Waldſtrome, Bova genannt. Diefe 
Höhle mag uber 800 Fuß lang ſeyn, hat hin und wieder 
eine betraͤchtliche Hoͤhe und ſcheint ihre Erweiterung, wo 
nicht ihren Urſprung der Verfolgung einer Bleiader ver- 
danken zu muͤſſen. Das ibis, ift auch hier ittérgelaitla 
er Bd, Hh 


482 


ger Kalk, dann und waun durch Lagen von Feuerſtein uns 
terbrochen. An Verſteinerungen darin fehlt es auch nicht. 
Beſuchenswerth it das unweit der Höhle befindliche Klo- 
fir St. Salvatore wegen der praͤchtigen Ausſicht. 
Man uͤberſieht die mailaͤndiſche Ebene und die mit ſo man⸗ 
chen ſchoͤnen Landhaͤuſern gezierte Ebene von Erba, une 
ter ſich ein ziemlich breites Thal, welches in Norden von 
hohen Bergen eingeſchloſſen, in Suͤden von einem Bogen 
von Huͤgeln umzingelt it. Dieſe Hügel mußten vor Beis 
ten alle Waſſer und beſonders diejenigen des Lam bro 
aufhalten und einen großen See bilden. Hin und wieder 
in dieſer Gegend liegende Torffelder ſcheinen dieſes zu bes 
weiſen. Vermuthlich machten noch zu Zeiten des alten 
Plinius die noch jezt beſtehenden drey Seen von Alſe⸗ 
ria, Puſiano und Oggiono nur einen großen aus. 
Denn er nennt Lib. 3. Cap. 19. den See Eupili, der 
vom Lam bro gebildet werde, wie der Verbanus vom 
Ticin, der Larius von der Adda und der Benacus 
vom Mincius. Heut zu Tage aber hat der Lambro 
mit den Seen von Alſerio und Puſiano keine andere 
Gemeinſchaft als ihr Abwaſſer, und wenn er uͤber ſeine 
Ufer trittet, fo mag fein Ueberwaſſer den Puſiano ers 
reichen. Mit dem See Oggiono, der in den Arm von 
Lecco abficht, hat er gar nichts zu ſchaffen. Sonſt aber 
fließet er zwiſchen den zwey erſtgenannten Seen hin, hat 
fid) vermuthlich durch die Hügel unter Tambrugo einen 
Ausweg gegraben, durch welchen der ganze vormalige See 
bis an die drey übrig gebliebenen abgelaufen ift, die nach 
den Nachrichten des Curato Beretta vormals auch viel 
groͤßer geweſen ſind. 

Von Caſſano geht die Hauptſtraße über Albeſe, 
Buccinigo auf Erba und Puve d' Incino, von wo 
man links auf Cango und in die Val affina fahren 


` 


$ . i 483 


kann, rechts aber, indem man die Seen von Puſiano 
und Oggiono gegen Norden lågt, auf Cuello, Bah 
madrera, Malgrate und Lecco. In der Naͤhe von 
Lecco it der Monte di Brianza wegen feiner herr 
lichen Lage, feinen vielen prächtigen Landhaͤuſern und fets 
nen vortrefflichen Weinen berühmt, Bei Vigano bricht 
ein ſehr bekannter weißer Sandſtein, der ſo weich iſt, daß 
man die feinſten Verzierungen darin anbringen kann. Er 
wird weit und breit verführt, verwittert aber an der Luft 
ſehr leicht. 

Lecco verdient ben Veſuch des Huͤttenmannes, beſon⸗ 
ders des Technologen wegen den vielen Eiſenfabriken, die 
daſelbſt im Gange ſind. Man hat auch erſt kuͤrzlich auf 
den benachbarten Gebirgen bei Acguate Adern von ſpa⸗ 


thigem Eiſenſtein entdeckt, welche benuzt werden. Am gana 


zen weſtlichen Ufer des Armes von Lecco kann den Na⸗ 
turforſcher nichts reizen. Die Gebirge ſind meiſtens von 
Kalkſtein, der ſich hie und da wie bei Limonta zu Mar⸗ 
mor veredelt. Ebendaſelbſt findet fich eine Gypsgrube. Am 
oͤſtlichen Ufer aber zeigt fih ob Badia ein Bleianbruch 
und bei Mandello muß das ganze Gebirge mit Metall 
durchwoben ſeyn. Ueberall findet man Blei, aber nur Nea 
fttt; nirgends Gangweiſe; diefe find aber fo reich, daß 
man ſchon verſchiedene Mal ſiebenzig vom Hundert reines 
Metall erhielt. Man graͤbt wirklich noch jezt Eiſenerz, 
welches aber mit Blei vermiſcht iſt; es wird auf Lecco, 
zum Schmelzofen der Herren Arrigoni geführt. Auch 
alte Stollen und Halden ſieht man noch uberall; es ſcheint 
aber, daß der Bergban nie mit Ernſt und Kenntniß ges 


trieben worden, welches uͤberhaupt in Italien ſelten der 


Fall iſt. 
Noch merkwuͤrdtiger it der ſchoͤne Marktſecken Bares 
na, defen Lage gegen Mittag fo warm if, daß die Ale 


434 3 
zwiſchen den Klippen frei waͤchst und auch zuweilen bluͤht, 
und fogar die ſonſt in Syrien wachſende Pflanze Melia 
azederach daſelbſt gefunden wurde. Hier halten (id) viele 
Marmorarbeiter auf, bei denen man am beßten alle Mar⸗ 
morarten kennen lernen kann, die an den Ufern des Sees 
vorkommen. Beſuchenswerth iſt der etwas weiter gegen 
Suͤden aus einer tauſend Fuß ob dem See erhabenen Grotte 
durch Klippen herunterſtuͤrzende Bach Latte, vermuthlich 
von dem milchweißen Schaum ſo genannt, in den er ſich 
auflöst. Dieſe Grotte foll ſehr weit in den Berg herein⸗ 
dringen, doch glaubt man allgemein, daß der Bach, def 
ſen Waſſer aͤuſſerſt kalt iſt, aus einem Gletſcher ent⸗ 
ſpringt, der ſich auf dem Kamm der Gebirge ob Varena 
befindet. Im März faͤngt dieſer Bach an zu fließen; waͤh⸗ 
rend dem Sommer, je mehr die Waͤrme zunimmt, wird 
er ſtaͤrker und kaͤlter. Am Ende des Herbſts vertrocknet 
er und bleibt den ganzen uͤber Winter aus. Im Jahr 1540 
(wie Serra erzaͤhlt), wo es den ganzen Winter durch 
weder Schnee noch Regen gab, blieb er auch im Sommer 
aus. Hingegen flog er auch den ganzen Winter von 1796, 
waͤhrend welchem es beſtaͤndig regnete. 

Zwiſchen Varena und Bellano kann man ſich in 
weniger Zeit eine artige Marmorſammlung in den Bruͤchen 
ſelbſt machen. Man ſieht den ſchoͤnen ſchwarzen Marmo 
di Varena, der der Pietra paragone (Lidiſchen Stein) 
an Feinheit und Haͤrte nicht unaͤhnlich iſt, in ſehr ſchiefen, 
ja manchmal ſenkrechten Schichten bricht; den Ochiadi- 
no, ſchwarz, mit weißen Augen, welche der Kalkſpath, 
der den Plaz ausgefallener Muſcheln eingenommen hat, 
bildet; den Bindellino oder Baumarmor u. ſ. w. 

Das Orrido di Bellano, ein tiefer gewundener Fels 
ſenſpalt oder Keſſel, in welchen ſich die aus dem Saſſiner⸗ 
thal herausſtrömende Piaverna mit fuͤrchterlichem Ges 


485. 


bruͤlle (kürzt, ift eine ſehenswuͤrdige, fehrecklich-fchöne Na- 
turmerkwuͤrdigkeit. Von Bellano aus geht der Weg in 
das gegen Suͤdoſt fid) ziehende Saſſinerthal, welches 
wir bei einer andern Gelegenheit beſchreiben werden. 
Von Bellano bis zum Ausfluß der Adda in den 
Comerſee bieten die Ufer deſſelben noch manche ſchoͤne An- 
ſichten, aber wenig Merkwuͤrdigkeiten dar. Auch hier ent⸗ 
halten die Gebirge die obbenannten Marmorarten; auch 
hier ſieht man uͤberall Anzeigen von Eiſenerz. In Pio⸗ 
na benuzte man vor Zeiten eine Eiſenader, die derjenigen 
von Dongo gegenuͤber liegt und mit derſelben vor Zeiten 
vermuthlich in Verbindung kand, wie der weiße Marmora 
bruch weiter unten mit demjenigen zu Muſſo. Unter Pio⸗ 
na beſteht das Gebirge aus Nagelfſuh. Am beßten iſt es, 
wenn man von Bellano den See durchkreuzt und fich 
auf Menaggio begiebt. Von hier fuͤhrt ein angeneh⸗ 
mer Weg, der ſich am beßten zu Fuß machen laͤßt, auf 
Porlezza am Lauiſerſee. Man koͤmmt auf Croce hin⸗ 
auf, der hoͤchſten Hoͤhe zwiſchen beyden Seen, die die Straße 
erreicht, dann auf Piano, an einem kleinen See, glei⸗ 
ches Namens gelegen. Zwiſchen Croce und Piano macht 
man einen kleinen Abſtecher auf Cardano, unter welchem 
Dorfe ſich die Huͤttenwerke befinden, in welchen zum Theil 
die Erze des Thals Cavargna, das von Suͤdweſten ge⸗ 
gen Nordoſten von Porlezza aufſteigt, geſchmolzen und 
verarbeitet werden. Hier werden jährlich 60,000 Rupp 
Eiſen und in Val Cavargna ſelbſt 50,00 geſchmolzen. 
Das Thal Cavargna enthaͤlt nicht nur ſehr ergiebige 
Gruben eines vortrefflichen Eiſenerzes, ſondern auch Kus 
pfer und ſilberhaltiges Bley. Nachdem man unter Begna, 
vermittelſt einer fchönen Brücke, über den Cucio, der das 
Thal Cavargna durchſtroͤmt, geſezt hat, kommt man 
auf St. Pietro; wo vor Zeiten das Bley und Silber 


486 


des Thales geſchmolzen wurde, unb dann auf Porlezza, 
in allem ſechs italieniſche Meilen. Von hier auf Lugano 
reifet man am beßten zu Waſſer. Man beſteht unter Wes 
ges die Kuͤhlgrotten zu Caprino, welche von Sauſſure 
ſchon beſchrieben hat. Lugano oder Lauis iſt ein ſehr 
ſchoͤn gelegener und gebaueter Flecken, bietet aber dem Na⸗ 
turforſcher nicht viel Unterhaltung dar. Auſtatt über den 
See in bequemen Schiffen auf Codelago zu ſteuern, 
wählt er den freylich weit muͤhſamern aber febr lehrrei— 
chen Weg über das weſtliche Ufer. Von Lugano feigt 
er zum kleinen See von Muzzano herauf und dort auf 
Agno herunter, welches auch im Innerſten eines der vers 
ſchiedenen Arme dieſes Sees gebaut iſt, und wo der Fluß 
Ag no hereinſlieft. Von hier auf Ponte di Trefa, 
wo fich der Ausfuß des Luganerſees befindet, it nur ein 
kurzer Weg. Der Berg, in deſſen Nachbarſchaſt es ges 
baut iſt, heißt Monte Argentera und lieſerte ſchon in 
aͤltern Zeiten viel Silber, Man ſieht noch ſehr viele alte 
Stollen, davon zwei, die man erſt neulich wieder aufge⸗ 
raumt hat, beweiſen, daß auch die Alten einige Kenntniß 
des Bergbaues beſaßen. Jezt graͤbt man unter der Di⸗ 
rection des Herrn von Odmark filberhaltig Bley, manch⸗ 
mal mit Blende vermiſcht, daſelbſt. Der Gang flreicht 
von Nordweſt gegen Suͤdoſt, beinahe immer ſenkrecht. Es 
ſoll auch daſelbſt Spiesglas und auf der andern Seite der 
Tre ſa guͤldiſches Kies geben. 

Man kann, wenn man will, von Ponte di Treſa 
aus Lavena, wo fid) Erzadern und über denſelben Mars 
mor befindet, Bruſinpiano, wo der Fuß des Berges 
aus Porphyr, der obere Theil aber aus Kalkſtein beſteht, 
und Figino beſuchen, wo fid) die vortrefflichſten Kuͤhl⸗ 
grotten befinden. Will man aber die Gegend beſuchen, 
welche wegen den ausgebrannten Vulkanen beruͤhmt ge⸗ 


487 


worden ift, die Fleur iau de Bellevue dafelbfl.mollte 
gefunden haben und von der wir in dieſem Band einen 
Aufſaz des Herrn Gautierti geliefert haben, fo reiſet 
man von Ponte di Treſa auf Marchirolo und von 
hieraus kann man Grantola, Cunardo unb Fa 
biaſco, wo jene vulkaniſch ſeyn ſollende Gegend liegt, 
bereiſen. Bei Cugliate bricht auch ſilberhaltiges Bley, 
welches vermuthlich mit der Ader auf dem oben benann⸗ 
ten Monte Argentera zuſammenhaͤngt. Von Mar 
chirolo kommt man auf Ferrera, wo vor Zeiten 
Eiſen brach und auch geſchmolzen wurde, und auf 
Ghirla, defen See vortreffliche Fiſche hat, befons 
ders Barſche und Cyprinus vairo, il Vairone. Da. 
die Gegend Ueberfluß an Holz hat, fo hat man dafelbft: 
verſchiedene Eiſenſchmieden angelegt, zu denen man aber 
eben ſo gut die daſelbſt entdeckten Steinkohlen gebrauchen 
koͤnnte. In dieſer Gegend giebt es auch ſilberhaltig Bley 
und guͤldiſch Kies, beſonders aber eine vortreffliche Art 
Topferthon in Menge. Das Thonlager zu Mondonico 
iſt beinahe ſenkrecht, von Granit umgeben. Auch bet 
Gana, wohin man von Ghirla gelangt, ſtehet man ei⸗ 
nen kleinen See, der feinen Abfluß in denjenigen von 
Ghirla hat. Uebrigens beſtehen die Gebirge hier mei⸗ 
ſtens aus Kalkſtein, in denen man Spuren von Bleyminien 
und ſchoͤnen Flußſpath antrifft. Hin und wieder ſtoͤßt 
man auch auf feinen Sandſtein. Gana liegt in einem 
Thale, wo große Porphyrmaſſen auf dem Kalkſtein liegen, 
der fonft anderswo den obern Theil der Gebirge bis in die 
Mitte des Thals einnimmt, wo man deutlich ſieht, wie er 
ſich an den Porphyr, der aͤlter als er iſt, anlehnt. In 
dem Kalkſtein befinden fich Brüche von fhón geffecktem 
Marmor. Hier findet man auch guten Thon und in ben. 
gegenüber liegenden Bergen giebt es Höhlen, warin feine 
Alabaſter bricht. 


488 

Um auch den ſuͤdlichen Theil des Luganerſees zu ſehen, 
reiſet man von Gana auf Porto. In dieſer Gegend 
beſteht das Innere der Gebirge aus Thonſchiefer und der 
obere Theil davon aus Kalkſtein. Man hat guͤldiſch Kies 
in der Hoͤhe und Bley am Fuße derſelben, auch Anzeigen 
von Steinkohlen an zwey Orten gefunden, naͤmlich unten 
zwiſchen bittuminoͤſem Kalkſchiefer und oben zwiſchen duͤn⸗ 
nen Schichten von Mergelſchiefer. 

Von Porto ſteuert man auf Morcotte, und von 
dort in den rechten Arm des Sees, deſſen beyde Ufer man 
nun bis Lugano vor ſich im ſchoͤnſten Proſpekte ſieht. 
Gegen Mittag vom Luganerſee und zwar vom Langenſee 
an bis auf Lecco werden alle Gebirge vom Kalkſtein bes 
deckt, in welchem man ſehr oft Hoͤhlen antrifft. Allein 
dieſer Kalkſtein ruht entweder auf Granit, oder Porphyr, 
oder Schiefer (Thonſchiefer oder Gneis?) und unter dieſen 
kommt oft der Thon vor. Das Gebirge aber auf dem 
oͤſtlichen Ufer des Sees zwiſchen Campione unb Mas 
roggia ift Porphyrartig ohne Kalkbedeckung. Iſt diefe 
etwa in den See herein geſtuͤrzt, der dort ſo ſeicht iſt? 
Auf dem weſtlichen Ufer aber zwiſchen Morcotte und 
Melide beſteht der Berg aus trappartigem Porphyr 
Nachdem man ſo den See betrachtet hat, kehrt man ge— 
rade gegen Suͤden auf Codelago, wo man wieder an 
das Land ſteigt. Von hier beſucht man Mendrio, das 
gegen Norden bis an Val Intel vi hereindringende herr- 
liche Muggiathal, von der Breggia durchfoſſen, 
und den wegen ſeiner herrlichen Ausſicht auf die ganze 
Lombardie und ſeinen ſeltenen Kraͤutern beruͤhmten, ſchon 
oben bemerkten Monte generoſo, auf welchem dieſer 
Fluß entſpringt. Man kann nun über Como oder über 
Vareſe auf Mailand. Zwiſchen Cadelago und Come 
bemerkt der Mineralog auf der linken Seite Kalkſtein und 


439 


an feinem Fuß große Granit? und Gneismaſſen; bei Bas 
lerna aber, im Bett der Breggia, auf einer Seite 
ſehr feinen Sandſtein, auf der andern ungeheure Lager 
von Geſchieben. 

Vareſe verdient den Beſuch des Reiſenden wegen den 
praͤchtigen Landhaͤuſern, die der Mailander-Adel daſelbſt 
beſizt, wegen der ſchoͤnen Ausſicht, welche man auf der 
Madonna del Monte genießt, und endlich wegen den 
viet Seen, dem See von Vareſe, von Biandrone, 
von Ternate und von Comabio, die nebſt den nicht 
weit davon entfernten großen Geſchieben von Granit, 
Gneis, Porphyr und Serpentin, immerhin die Unterſu— 
chung eines Geologen verdienen. Von Vareſe auf Mai⸗ 
land führt der naͤchſte und angenehmſte Weg über Cas 
ronno. 


Anhang. 


Tabelle einiger Hoͤhemeſſungen in der Lombardie 
vom Aſtronomen Ritter Oriani. 


Zur geſchwindern Berechnung wiederholen wir, daß 
der Mailaͤnder Brazza zum Pariſer Fuß ſich verhaͤlt wie 
22 zu 12. e 

Der Langenſee ift 352 G/rx. Braccia über das Meer 
erhaben.) 


Als Baſis angenommen die Oberfläche des Langenſees 
bei Angera. 
Braccia. 
Der Comerſee bei Menagio ift darüber erhaben 4 ofr. 
Der Luganerſee bei Porlezza „ 328. 
See bei Vareſe „34. 


490 


Der Berg Saffo bel Ferro bei Lavena , 


, 


L4 


» 


2 


Pezzo b'Orfeca daſelbſt .» 
di Pino úber Campagnano . 


Der Kirchthurm der Madonna del Monte 


Der Berg 


B. € TT T 4-2 WW 


Ww. 47. Ww" W 


zu Vareſe . . 

Beuſcer, der hoͤchſte um u Doreio 
Campo de Fiori, ebendaſelbſt, 
weſtlicher ^ 4 

Montaveggia, Landhaus der Hrn 
Fumagalli , N A 
St. Gineſio auf dem Kirchthurm. 
St. Primo in der Vall Affina 
Gordona in der Vall Fntelvi. 
Bisbino, ebendafelbft . A 3 
Calvagione oder Generofo . 
Pizzo di Gino im Thal Cavargna 
St. Lucio, ebendaſelbſt i ? 
Corno occidentale di Cango 


bei der Val Affina . ^ 8 


Ceramede ob Tremez, am Go 
merſee, weſtlichen Ufer. 
Poncione bi Mezzegra . : 
Calbega oder della Gada bei 
Porlezza. f 

Reſegone bei Lecco, böchſte Spitze 
Grigna, der noͤrdliche, auch Monte 
Godeno ob Bellano. 6:593 
Grigna, der ſuͤdliche Gipfel. 
Legnoncino, ungefaͤhr ob Der⸗ 
vio Sn asp u ua 


Legnone, weiter oͤſtlich ironia 
Monte Sofa . . Á rds 


Bracchts 


1466. 
1290. 
1665. 


1118. 
1749. 


1738. 


508. 
1100. 
2511. 
2049. 
1908. 
2550. 
3463. 
2261. 


1974. 


2435. 
2497. 


2514. 
2825, 


3716, 
3335. 


2552, 
4083. 
656. 


8 


— 
DX 


E Tm 


491 


f. 


Das Muſeum der Raturgeſchichte Hel⸗ 
vetiens in Bern; oder Beſchreibungen 
und Abbildungen der merkwuͤrdigſten Ge⸗ 
genſtaͤnde, die in den naturhiſtoriſchen 
Sammlungen auf der Bibliothek-Gallerie 
in Bern enthalten ſind. Herausgegeben 
von Friedrich Meisner, Profeſſor der 
Naturgeſchichte und Geographie in Bern. 
Nro 1. mit der Abbildung der jungen 
Steinboͤeke. Nro 2. mit der Abbildung 
der Steinkraͤhe und der Alpendohle. 
Auf Koſten des Herausgebers. 1807. 


Von Pfarrer Steinmuͤller in Rheineck. 


Das Muſeum der Naturgeſchichte auf der 
Öffentlichen Bibliothek in Bern iſt ſchon jezt, obs 
gleich noch im Entſtehen, fuͤr jeden, den dieſes Land, be⸗ 
ſonders in dieſer Hinſicht, intereſſirt, ſehr wichtig. Gewiß 
wird es den Nutzen, den man bey der Anlegung und Er— 
weiterung dieſes Muſeums beabſichtiget, vermehren, und 
es muß ſowohl einheimiſchen als auswaͤrtigen Freunden 
unſerer vaterlaͤndiſchen Naturgeſchichte hoͤchſt angenehm 
ſeyn, wenn nach und nach die intereſſanteſten und merk: 
wuͤrdigſten Gegenſtaͤnde dieſes Cabinets auf eine lehrreiche 
und unterhaltende Weiſe beſchrieben und getreu abgebildet 
werden, was Hr. Meisner in einzelnen Heften von ei⸗ 
nem Quartbogen, wovon 12 Hefte oder N? einen Band 
ausmachen ſollen, zu thun verſpricht. Die zwey erſten vor 
uns liegenden Hefte entſprechen den billigen Erwartungen 


492 


völlig, und id) wuͤnſche recht febr, der verdienſtvolle Hera 
ausgeber möchte vorzüglich durch die thaͤtige Unterſtutzung 
unſers vaterlaͤndiſchen Publicums zur ſchnellen Folge der 
Fortſetzungen ermuntert werden! 

Da diefe zwey erten Hefte die VBeſchreibung und die 
Naturgeſchichte zweyer junger Steinboͤcke, der 
Steinkraͤhe (Corvus gracculus, L.) und der Alpen⸗ 
kraͤhe (Corvus pyrrhocovar, L.) enthalten, und uns 
daruͤber mehrere verdankenswerthe Nachrichten ertheilen, 
ſo verweiſe ich unſere Leſer, anſtatt Auszuͤge daraus zu 
machen, auf dieſe Hefte ſelbſt, und ruͤcke dagegen zur Ver⸗ 
vollſtaͤndigung der Naturgeſchichte dieſer drey verſchiedenen 
Alpendewohner einige Reſultate meiner Bea 
obachtungen und Vergleichungen hier ein. 


Ueber die Verbreitung und den Auen * 
Steinboͤcke. 


Die vielen Steinbockshoͤrner, die man hin und wieder 
in der Schweiz in Schloͤßern als Familien⸗Denkmaͤler, 
und font an andern Orten aufbewahrt ſieht, beweiſen 
hinreichend, daß ehemals die Steinboͤcke auf den ſchwei⸗ 
zer'ſchen Alpengebirgen nicht felten waren, und bee 
ſtaͤtigen die Nachrichten unſerer Geſchichtſchreiber, unter 
denen ſogar Stumpf noch bezeugt: „Daß das Hochge⸗ 
birge viele Steinboͤcke habe, die in der Höhe die unzu— 
gaͤnglichſten Felſen, nahe bey den Gletſchern, bewohnen.“ 

Gegenwaͤrtig iſt dieſes eigentliche Alpenthier außerordent⸗ 
lich vermindert worden, ſo daß man ſogar die gaͤnzliche 
Vertilgung deſſelben beſorgen muß. Man findet es nur 
noch im Thale Cormajeur, an dem mittägigen 
Abhange des Montblancs, und vorzüglich in demə 
jenigen Theile, der zwiſchen dem Montblanc und 
dem St. Bernhardsberge liegt. Nach den Berichten 


493 
des Herrn von Berchem iſt es auf den Bergen, die das 
Savaranchethal bilden, am haͤufigſten aber auf den 
Bergen des Cognethals, welches an das Thal de Pont 
in Piemont angrenzt, und zwar immer auf der mittaͤ— 
gigen Seite, wie auch auf den Bergen, die zwiſchen dem 
Lerca- und Vieſcherthale liegen, anzutreffen. Hr. 
Dr Girtanner zählt gegenwärtig die unbeſteiglichen 
Gletſcher von Aoſt in Savoven zu den vorzuͤglichſten 
Wohnoͤrtern der Steinboͤcke, und bemerkt mit Recht, 
daß ihm dieſe Nachricht von allen Jaͤgern ſey beſtaͤtigt 
worden *). 


*) In unſerm Zeitalter haben Hr. D. Girtanner in Goͤt⸗ 
tingen, von St. Gallen gebürtig, und Hr. von Berchem, 
Secretair der Societät der Wiſſenſchaften zu Lauſanne, ein 
neues Licht über die Naturgeſchichte des Steinbocks verbrei⸗ 
tet, und obſchon dieſe beyden Naturforſcher in einigen Um⸗ 
fanden von einander abweichen, fo haben doch ihre beydſei⸗ 
tigen Bemuͤhungen viel beygetragen, um die Natur und 

Oekonomie dieſes merkwuͤrdigen Thiers zu beleuchten. Be- 
ſie be 

Roziers observations sur la physique, sur l'histoire 
naturelle ete. 4 Tom, 28 — 29. von Girtanner, von 
Berchem und Guͤldenſtaͤdt. 
Mehr oder minder vollſtaͤndige Auszuͤge daraus nebſt ei⸗ 
nigen neuen Bemerkungen ſtehen auch in i 

Lichtenbergs Magazin fúr das Neueſte aus der Phy- 

fif und Naturgeſchichte. IV Band, S. 27 — 37. Beobach⸗ 

tungen uͤber den Steinbock von Girtanner. 

Ebendaſelbſt: III Band, S. 78 — 79; enthält ein 
Schreiben aus Bern an Lichtenberg vom 25 September 1785 
fiber einen Steinbock, den ein Hr. von Wattenweil beſaß. 
Hoͤpfners Maggzin für die Naturkunde Helvetiens, 

II Band, S. 21— 34. Betrachtungen über den wilden tiv» 
ſprung der Hausziege von J. P. Berthout von Ber- 


494 e 

Nach Maironi ba Ponte (Osservazioni sul Di 
partimento del Serio etc. Bergamo, 1803.) foll es auch 
nod) Steinboͤcke auf den unzugaͤnglichſten Felſen zwiſchen 
dem Breſcianiſchen und der Grafſchaft Worms se 
ben, aber ſehr felten. 

Von Berchem berichtet ebenfalls: daß man noch im 
vorigen Jahrhundert auf den Bergketten des obern F aue 
cy ny Steinboͤcke jagte, jezt aber iſt er auch da gaͤnzlich 
ausgerottet. 

Im Tirol waren die Steinboͤcke ſchon ſeit den ur⸗ 
aͤlteſten Zeiten ausgerottet; hingegen im Erzherzogthum 
Salzburg und namentlich im Zillerthale ſind ſolche 
bis zu Ende des 17 Jahrhunderts daſelbſt anzutreffen ges 
weſen, allein zu Anfange des 18 Jahrhunderts wurden 
ſie durch Wilddiebereyen und durch die gar zu vielfaͤltigen 
Steinbocksfaͤnge einiger Biſchoͤffe, welche fie in ib- 
ren Schloßgaͤrten unterbielten, voͤllig ausgerottet, und ſelbſt 
in dieſen ſind diejenigen aus dem Zillerthale ganz aus⸗ 
geſtorben, fo daß der Steinbocksgarten im Schloß zu 
Hellbrunn mehrere Jahre leer blieb, bis in der Mitte 


chem, Dieſer Aufſatz wurde zuerſt in dem Journal de 
Physique pour le Mois de. Novembre 1786 abgedruckt. 
Hoͤpfners Magazin IV Band, S. 533—568. Bes 
ſchreibung und Naturgeſchichte des Steinbocks der Savoi⸗ 
ſchen Alpen von Hr. Bert h. von Berchem, Sohn. Dieſe 
Abhandlung wurde zuerſt in den Mémoires de la société 
de Lausanne, Tom. II. p. 165. abgedruckt, und enthält, 
nebſt einer guten Abbildung, die allervollſtaͤndigſten Nache 
richten, bie wir beſitzen, auch find des Hrn Girtanners 
Bemerkungen darin benuzt worden. 
Hoͤpfners Magazin IV. S, 381 — 390. Bemerkungen 
über den Steinbock. — Ein Auszug aus Girtanners 
Nachrichten von Hoͤpfner. 


498 


des 18 Jahrhunderts der Erzbiſchoff Andreas oder Sig⸗ 
mund vier Stuͤcke erkaufte, davon aber im Jahr 1764 
im Herbſte ein Bock aus dem Garten entwendet wurde. 
Von dieſen vier Steinboͤcken tammen die gegenwaͤrtig noch 
vorhandenen ab, die im Jahr 1785 in 15 beſtanden. Es 
war damals unter denſelben ein Hauptbock, zwey anges 
hende und vier geringere Boͤcke, fuͤnf Mutterziegen und 
drey Junge. Im Jahr 1780 ward fuͤr die Kayſerin ein 
Hauptbock in die Menagerie zu Schönbrunn abge 
ſchickt *). 

Ehmals waren die Steinboͤcke in Graubündten gar 
nicht ſelten, und es iſt merkwuͤrdig, daß er das Wappen 
fo vieler Gemeinden im Gottshausbunde ausmacht. Man 
beſizt wirklich noch einen Brief vom Erzherzog Ferdi⸗ 
nand, d. d. 14 October 1574, worin er von Inſpruck 
aus zwey lebende Steinböde aus Buͤndten verlangt ). 


) Schrank und Moll naturhiſtoriſche Briefe úber Oeſter⸗ 
reich, Salzburg, Paſſau und Berchtesgaden. II Band, 
S. 61 — 70. 


**) „Ferdinand, von Gottes Gnaden Erzherzog zu Oeſter⸗ 
„reich T. 6.” 
„Getreuer, Lieber. Nachdem wir beſonders gnaͤdiglich 
„gerne etliche lebendige Steinbock haben wollten, und dann 
v wir uns erinnern, daß unfer vorgewester Vogt daſelbſt zu 
„Caſtels, Dietegen von Salis aus verſchiener Zeit mit etlichen 
» ſollichen Jungen Steinboͤckhen verſehen, fo it hierauf un- 
„ter gnaͤdigſter Bevelch und Begehren an dich, du wolleſt 
„ gehorſamen Fleiß anwenden, und uns auch ein Paar junge 
„lebendige Steinboͤckh, oder vod) nur einen, auf ehendiſt 
„als moͤglich zuwegenbringen, und gen Inſpruckh uͤberſchi⸗ 
„cken, wie du dann ohne Zweifel ſolliche Steinboͤckhe aus 
„denen Orten, wo ſie der von Salis zuvor bekommen, auch 
„wohl zu handen zubringen wuͤſſen, und unſers gnaͤdigſten 


496 


Sie muͤſſen übrigens (don zu dieſer Zeit ſeltener daſelöſt ata 
worden ſeyn, indem uns der beruͤhmte buͤndneriſche Geſchicht⸗ 
ſchreiber Campell von Zuz im gleichen Jahrgange die Nach⸗ 
richt hinterließ: daß in ſeinem Jahrhundert die Steinboͤcke 
ſehr abgenommen haben, und nur noch ſelten angetroffen 
werden, und zwar in dem noͤrdlichſten Theile der Julier⸗ 
Alpen, in der Gegend von Sils im Engadin, auch hin 
und wieder in den Gebirgen vom Adulaberg und Ber— 
gell, gegen dem beydſeitigen new des Rheins ) 
und vorzuͤglich im Wallis. 

Aus eben dieſem Grunde wurde gaben im Jahr 1612 
unter einer Strafe von 50 Kronen verboten, auf die 
Steinboͤcke Jagd zu machen, obwohl Sprecher in ſei⸗ 
ner Pallas Rhetica, die im Jahr 1617 herauskam, melo 
det: daß zu ſeiner Zeit die Jagd des Steinbocks in den 
Thaͤlern Bergell, Valls und Oberengadin gar 
nicht ungewöhnlich war; dem aber Guler ebenfalls das 
mals zu widerſprechen ſcheint, da er nur bemerkt: Y) daß 
bisweilen noch Steinboͤcke in den Clevner-Bergen ges 
ſehen werden. — Ein anderes Geſetz von 1633, das in 


— 


„Verſehens hierinen an deiner möglichen Bemuͤhung nicht 
„erwinden laſſen wirdeſt. Daran beſchieht unſer gnaͤdiger 
„wohlgefaͤlliger Willen in Gnaden gegen dir zuerkennen. 
„Geben auf unſerm Schloß zu Inſpruckh den 14 October 


5 1874. 
„Ferdinand, u. fe w 


Ueberſchrift: „Unſerm getreuen lieben Hs Georg von 
„Marmels, Landvogt zu Caſtells und den acht Gerichten in 
„ Prettigaͤu. 

„ Caſtells.“ 


*) Noch zu Scheuchzers Zeiten wurde ein Steinbockshorn 


in den Gebirgen des Rhein walds gefunden. 
) S. Culere Rhætian 1616. Fol. S. 193. 


497 


dem folgenden Jahre deſtaͤtiget wurde, legt denen, welche 
einen Steinbock tödten, koͤrperliche Strafen auf. Allein dieſe 
Strenge konnte das Ausſterben dieſer Thierart in Buͤndten 
nicht verhindern, und es iſt wahrſcheinlich, daß die Epoche 
ihrer Ausloͤſchung daſelbſt gerade in die Zeit ficl, wo die 
Regierung, um derſelben vorzubeugen, verbot, Jagd auf 
fie zu machen ). So viel ifi gewiß, daß fid) niemand 
von der gegenwaͤrtigen Generation erinnern kann, daß man 
in Graubuͤndten Steinböcke in einem wilden Zuſtande ges 
funden haͤtte. Zwar wurden in dem Jahr 1750 zwey fols 
cher Thiere in Chur gezeigt, allein dieſe brachte man von 
den Savoiſchen Alpen dahin, mo man fie als eine 
große Seltenheit bewunderte *). 

Die Ausrottung der Steinboͤcke im Glarnerlande 
fällt in die Jahre 15 50 bis 1570. In dem aͤlteſten Raths⸗ 
protocolle dieſes Cantons fand ich die Anzeige der zwey 
Paar Steinbockshoͤrner, welche innwendig auf dem 
Rathhauſe in Glarus neben der Rathſtuben⸗ 
thüre eingemauert find. In den September-Verhand— 
lungen vom Jahr 1550 ſteht namlich folgende kurze Ar 
zeige: „Zwiſchen Paul Wichſer und Hans Wichſer von 
„eines Steinthiers wegen, iſt erkennt: fie ſollent das Wilde 
z pret theilen, und ſollent die Horn meinen Herren” (d. h. 


*) Srancisceus Niger ſchreibt (nach C. Geßner) in fci 
ner Beſchreibung von Graubuͤndten: daß man dieſes Thier 
auf der Jagd ſchone, weil es in den Landeswappen gefuͤhrt 
werde. 

^) Da im helvetiſchen Almanach fút das Jahr 18086 in 
einer geographiſch ſtatiſtiſchen Darſtellung des 
Cantons Graubünbten S. 25 bemerkt wird, der 
Steinbock fep in Bündten beynahe ausgerottet; ſo 
folte dafür ſtehen: En fep daſelbſt völlig vertilgt, 


zr Bd. 21 


498 


der Obrigkeit) „zur Strafe verfallen ſeyn, unb folle der 
„Schutz (id) in unſerm Land des Schießens muͤſſigen. Auf 
» Donftag nach Leodegari” (zu Anfange des Weinmgnats). 
Ferners ſteht bey den Rathsverhandlungen des gleichen 
Jahrs: „Dem Schuͤtzen, fo den Steinbock geſchoſſen, 
„gend meine Herren einen dicken Pfennig. Freytag vor 
» Galli" (ungefähr den 13 Weinmonat). — Ich vermu⸗ 
the, der Schuͤtze vom erſtern fey wahrſcheinlich kein Glara 
ner Landmann, ſondern nur ein auswaͤrtiger Angefiedelter 
geweſen, dem die Jagd verboten war, und dem ein Lande 
mann die Beute ſtreitig machte. Daß ſich aber die Obrig⸗ 
keit die Hörner zueignete, und für einen andern geſchoſſe⸗ 
nen Steinbock ebenfalls gegen Abtretung der Hoͤrner ein 
Schußgeld bezahlte, und beyde Paar Hoͤrner aufbewahrte, 
zeugt deutlich davon, daß dieſe Thierart ſchon damals im 
Lande hochſt feiten geworden ſeye. — Zur Beſtaͤtigung defs 
fen fand ich in einem alten Glarnerlandbuche (Geſetzes⸗ 
coder) vom Jahr 1566 eine Verordnung, welche gebietet: 
Von Martini bis Jacobi kein Rothwild, Gemsthiere, noch 
Steinthiere zu ſchießen; hingegen in einem Landge⸗ 
meind⸗ Protokoll vom Jahr 1573 find die verfchiedenen 
Benennungen des Wildprets enthalten, das den Hinter⸗ 
ſaͤßen zu ſchießen verboten wurde, worin der Steinthiere 
keine Meldung mehr geſchieht. In dieſem Zeitpunkte 
alſo find die Steinboͤcke im Glarnerlande ſchon voͤllig vero 
tilgt geweſen. — Ein Freund verſicherte mich zwar, er 
habe im Jahr 1778 einen Glarner mit einem lebenden 
Steinbocke angetroffen, der damit nach Deutſchland reiste. 
Das Thier habe die Groͤße einer kleinen Ziege gehabt, 
deffen knotige ſchwere Hörner bis über die Mitte des Ris T 
ckens hinausragten un demſelben ein ziemlich unfoͤrmliches 
Anſehen gaben. Allein ungeachtet meiner Nachforſchun⸗ 
gen konnte ich nichts Naͤheres deswegen erfahren. Ver⸗ 


499 
muthlich iſt dieß das gleiche Thier, defen Raff in feiner 
Naturgeſchichte für Kinder erwaͤhnt, und das im obigen 
Jahre in Goͤttingen zur Schau herumgefuͤhrt wurde. 

Auch die Gebirge der Cantone Uri, Schweiz und 
Unterwalden wurden in fruͤhern Zeiten von Steinboͤ— 
cken bewohnt, allein uͤber den Zeitpunkt ihrer Vertilgung 
daſelbſt konnte ich bisdahin gar nichts erfahren. — Von 
dem Herrn Oberamtmann von Steiger in Tſchugg 
bey Erlach wird noch das Horn eines Steinbocks aufdes 
wahrt, den fein Großvater, als er in den fünfziger Jahren 
des vorigen Jahrhunderts in die ehemaligen italieniſchen 
Vogteyen als Syndicator zog, auf dem Gotthard eis 
genhaͤndig erlegte. 

Eben ſo fanden ſich die Steinboͤcke ehmals auch in 
den Bernergebirgen. Ich ſahe zu Unterſeen zwey 
ſchoͤne Hörner eines ſolchen Thiers im Wirthshauſe; und 
ein anderes Paar, das noch im ausgetrockneten Kopfe ei⸗ 
nes Steinbocks, und außen an einem Haufe beveſtigt war, 
und jezt auf der Gallerie in Bern ift, wovon beyde 
Steinböcke in den Lauterbrunner-Alpen geſchoſſen wurden. 
Allein ſchon lange ſind ſie auch hier voͤllig ausgerottet und 
Bourrit irrt ſich ſehr, wenn er in ſeiner Beſchrei— 
bung der Penniniſchen und Rhaͤtiſchen Alpen 
ſagt: Er habe einen Steinbock über die Bergkette, wela 
che Lauterbrunn und Grindelwald von einander ſcheidet, 
wegſetzen geſehen, da kein jezt lebender Jaͤger in dieſem 
Lande jemals einen erblickte. — In gleichem Irrthume 
befand (id) Doctor Langhans *), indem er noch im 


*) S. Beſchreibung verſchiedener Merkwuͤrdigkeiten des Cit- 
menthals, eines Theils des Bernergebiets von 
D. Langhans S. 36. dem es auch Faͤſi in feiner ſchwei⸗ 
zer ſchen Staats- unb Erdbeſchreibung Band I: S. 773 nach⸗ 
ſchrie b. 


$00 


Fahr 1753 fälfchlich behauptete: „Man treffe bisweilen 
„oben auf der Spitze des Engſtlerbergs Steinboͤcke an, 
„ die fid) aber niemals auf niedere Berge hinunterbegeben.“ 
Endlich mag noch als ein Beweis der vor 200 Jahren 
nicht aͤuſſerſten Seltenheit der Steinboͤcke in der Schweiz 
angefuͤhrt werden, was mir Hartmann von St. Gal⸗ 
len meldet: daß dort in den aͤltern Zeiten ſowohl in an⸗ 
geſehenen Privat haͤuſern, als beſonders in öffentlichen Ges 
baͤuden es gebräuchlich war, in den Hausfluren und Vor. 
zimmern ausgeſchnitzelte Hirſchenkoͤpfe mit natuͤrlichen Ge⸗ 
weihen an den Waͤnden zu haben, und daß anſtatt dieſer 
ſonderbar genug auf der dortigen Schneiderzunft aus⸗ 
geſchnitzelte Steinbockskoͤpfe mit natürlichen 
Hoͤrnern ſich fanden. Die Familie der Felſen (die einen 
Steinbock im Wappen führt) hatte zu Anfange des XVII 
Jahrhunderts ein halb Dutzend ſolcher Köpfe mit ſehr 
großen Hoͤrnern der Zunft verehrt; da aber in der Revo⸗ 
lutionszeit des Jahrs 1798 das Zunftgebaͤude an einen 
Privaten verkauft wurde, fo gab der neue Beſttzer diefe 
antiken Verzierungen auf einen Trödel, und das Nachfra⸗ 
gen meines Freundes, wohin fie weiter gekommen ſeyen, 
war hernach vergebens. | 


Herr D' Höpfner verſpricht in feinem Magazin für 
die Naturkunde Helvetiens IV. S. 386, 
die Abbildung und Beſchreibung eines ver⸗ 
ſteinerten Steinbockhorns, 
ſo ſich in der Abtey Engelberg befinde. Ich beſitze dieſes 
merkwuͤrdige Cabinetſtuͤck von der Güte des dortigen Herrn 
Abts, und ich will es hier kuͤrzlich beſchreiben. Der Bach, 
der ſich aus den Gewoͤlben des Tittlis⸗Gletſchers ins Thal 
herauswaͤlzt, brachte daſſelbe mit ſich, und daher fliege 


504. 


ich, daß es Ueberbleibſel eines: auf dieſem Gletſcher einge: 
ſunkenen und verungluͤckten Steinbocks ſeyen. Daß Herr. 
D" Höpfner es unrichtig ein verſteinertes Steins 
bockshorn nannte, wird das Folgende beweiſen. 

Auf dem ganzen Stirnbein, an dem die Stirnhuͤgel 
ziemlich erhaben ſind, ſitzen zwey zugeſpitzte Knochen als 
Fortſatz des Stirnbeines, und die beyden Hörner, die bis 
zur Hälfte hohl und auf dieſen Knochen befeſtiget find, 
mangeln ihnen. Inwendig am Stirnbein ſieht man eis 
nen Anſatz vom Oberkieferknochen, mit der Wurzel der 
Naſeknochen und dem obern Theile des Siebbeins. Eben: 
fo. befindet fid) zu beyden Seiten die ganze Oberfläche der 
Augenhoͤhlen mit ihren Löchern daran. Die zugeſpizte 
Haͤlfte iſt durch das Herumwaͤlzen im Waſſer an Felſen 
und Steinen abgerieben worden, und das Ganze iſt an⸗ 
ſtatt verſteinert vielmehr ziemlich poroͤs und muͤrbe 

Auffallend merkwuͤrdig erſchienen mir zwiſchen der vore 
dern und hintern Tafel des Stirubeins die fehr großen 
Stirnſchleimhoͤhlen, mit den verſchiedenen Abtheilungen, 
die ſich bis an die Spitze des Hornknochens erſtrecken, und 
der daher inwendig uͤberall muſchelfoͤrmig ausgehoͤhlt und 
durchloͤchert it. — Sehr wahrſcheinlich wird dadurch der 
Geruch des Steinbocks ungemein ſtark vermehrt; uͤber⸗ 
haupt aber wuͤrde die genaue Zergliederung und Unterſu⸗ 
chung des Schaͤdels und der Hornknochen eines friſch ges 
toͤdteten Steinbocks gewiß zu fehe intereſſanten Bemerkun⸗ 
gen über den Bau der unzweckmaͤßig ſcheinenden großem. 
Steinbockshoͤrner führen. 

Die außerordentliche Große und Dicke der ſo eben bes 
ſchriebenen Hornknochen faͤllt mir auch noch ſehr auf, und 
lågt mich mit Recht auf die ungewöhnliche Größe der: 
Körner felbſt fliegen, Der Hornknochen eines andern: 
wor mir liegenden ſehr großen Steinbockshorn mißt an 


£02 


der Wurzel im Umfange 6 3/4 Zoll Parif. Maaß, und 
6 Zoll von der Wurzel 5 1/4 Zoll; hingegen der Engels 
bergerknochen im erſtern Falle 8 Zoll und im lezten Fall 
6 1/4 Zoll. — Wahrlich! eine große Verſchiedenheit! 


In der ſchweitzerſchen Rat ionalzeitung ) ſteht 
folgende Anzeige von Paris aus über die dorti⸗— 
gen Steinböcke aus der Schweiz, die ich hier 
woͤrtlich einruͤcke: „In der hieſigen National-Menagerie 
u befinden fid) jezt (fecit 1803) auch drey Steinboͤcke, zwey 
„ Maͤnnchen und ein Weibchen. Landleute aus der Gee 
„ gend des St. Bernhardbergs brachten fie von freyen Stüs 
„cken nach Paris. Eins von den Maͤnnchen iſt aſchgrau, 
„das andere hellfalb. Das Weibchen iſt viel kleiner, 
„ſchlanker und weniger durch feine Hörner belaͤſtiget; es 
„gleicht in der Farbe des Haars dem erſten Maͤnnchen. 
„Ein junges, maͤnnlichen Geſchlechts, das ſie zu Ende des 
„ Aprils warf, ift ihr gleichfalls aͤhnlich, nur haben die 
„Streifen zwar die Richtung, wie bey den Alten, aber fie 
„find dunkler ſchwarz, und das Aſchgrau des Haares iſt 
„heller. Dieſer junge Steinbock hat den naͤmlichen Wuchs 
„und überhaupt des ganze Betragen eines jungen Ziegen⸗ 
„bods. Man it Willens, fo wie die Familie erwaͤchst, 
„die Abkömmlinge zur Verbeſſerung unſerer Ziegenrage 
„anzuwenden. Beym Anblick dieſer Steinboͤcke in der Me⸗ 
„nagerie bleibt dem Beobachter kein Zweifel übrig, daß 
„diefe wilde Art nicht der Urſtamm unferer Hausziege ſey; 
„es it ganz die naͤmliche Bildung, es find ganz die naͤm⸗ 
„lichen Sitten, oder wenigſtens ift kein anderer Unter ſchied, 


„als der aus der Verſchiedenheit ihres Aufenthaltsors 


*) Zuͤrich, in der Geßnerſchen Buchhandlung. 1804, Januar, 
Nro s. 


503 \ 


bund ihrer Lebensart entfpringt. Die in den Gebirgen 
v wohnende Steinboͤcke find viel wilder, folzer und groͤßer; 
s fie nähern fid) vielleicht mehr den Wiederkauern; fie [aus 
» fen vortrefflich, weil fie etwas längere Beine und aug- 
s» gebreitetere und größere Hoͤrner haben. Man fagt: ihr 
„Milz fey wie bey den leztern gebildet, auch hat ihre Bes 
„ gattung mehr Aehnlichkeit mit der der Rehe, als mit 
„der der Boͤcke. Man hatte in der Menagerie Gelegens 
s Dit fid) einen Begriff von ihrer außerordentlichen Be 
„ hendigkeit zu machen. Die Aufſeher glaubten alle nö» 
s thige Vorſicht gebraucht zu haben, indem fie dieſelben 
„ in einen Park einſchloßen, defen Einfaſſungswand faſt 
»3 Metre (9 Fuß) hoch iſt. Allein das Weibchen wußte 
„ herauszukommen; der beſtaͤndigen Zudringlichkeiten der 
„Maͤnnchen uͤberdruͤßig (prang fie gegen die Wand, und 
»überſtieg fie glücklich, indem fie durch die Stärke des 
w Anlaufs und eine wahrhaft unbegreifiche Behendigkeit 
» den Abgang von Klauen oder Händen erſezte. Jezt find 
„ ſie insgeſamt ruhig, zutraulich und ſehr fanftmuͤthig. 
»Die Maͤnnchen ſtoßen oft mit den Koͤpfen gegen einan⸗ 
s der, aber mehr zum Vergnügen als im Ernſte. Bey den 
neuen Einrichtungen in der Menagerie deſtimmt man 
ihnen die erſte Etage eines neuen Gebaͤudes. Man wird 
„ihnen die Mittel erleichtern, ſich von oben herabzuſtur⸗ 
zen und wieder auf einem gekruͤmmten und fchivierigen- 
Wege hinaufzuklettern.“ So weit die Zeitungsnachricht. 

Dieſe vorgeblichen Steinböde find in der Menagerie 
du museum national d'histoire naturelle abgebildet, und 
neben andern mit folgenden Nachrichten begleitet: „Ze 
„ Paseng ou bouc- sauvage, Capra Aegagrus Lin. 
„ Gmel. Masc. et foem. IIs ont été amenés des 
„ environs du mont Blanc à la ménagerie, sous le 
| s nom des Bouquetins (Steinbock) ils ont bien à- 


504 


„ peu-prés la taille, la forme et la couleur qu'on 
» attribue au vrai Bouquetin, mais leurs cornes sont 
„ différentes. Dans Ie vray Bouquetin les cornes 
„ sont presque carrées, et ont une face antérieure 
„ bien marquée , contenue entre deux arrêtes lon- 
» gitudinales obtuses; ici rien de pareil, mais une 
» Seule arréte en avant, comprimée et presque tran- 
„ Chante, comme dans nos boues domestiques. ” 
Es erhellet hieraus, daß die Pariſer Gelehrten hier keinen 
Steinbock beſchreiben; fie berühren nur die Meynung des 
Herrn von Berchem, daß der Aegagrus eine Baſtarder⸗ 
zeugung des Steinbocks und der Hausziege fey, find aber 
nicht ſeiner Meynung. Sie wollen nicht beſtimmen, ob 
die auf ihrer Platte vorgeſtellten Thiere wahre Aegagri 
find, oder nur eine in der Hausthier⸗Sclaverei hervorge⸗ 
brachte Baſtardrage. — Allein ich bezweifle fogar auch 
dieſes leztere, und vermuthe mit großer Wahrſcheinlichkeit, 
daß dieſe Thiere nichts anders ſeyen, als durch gute Al⸗ 
penweide und Pßege zu einer vorzuͤglichen Stärke und Größe 
gezogene gemeine Hausziegen, wie man ſie nicht ſelten in 
den hohen Alpen antrifft. Es iſt nicht das erſtemal, daß 
gemeine Ziegenboͤcke mit außerordentlich großen Hoͤrnern, 
ſelbſt bey ſonſt unter zjchteten Leuten für Steinboͤcke vers 
fauft werden konnten. Ich fehe in der vortrefflichen Abs 
bildung durchaus keinen Unterſchied von den gemeinen 
Ziegen, als die größern Hörner des Bocks, die aber uͤbri⸗ 
gens völlig ziegenbockartig geſtaltet find. 


— 


t ar — 


a Sanae 


S05 


Naturgeſchichte der Steinfrähe 
und der Alpenkraͤhe. 


Corvus graculus L., die Steinkraͤhe. 
S. Gmel. Syst. Nat. Linn. ed. XIII. pl. 277, Nro 18. 


Namen. 


In Bündten die Duͤhle; in den Gavoyers Alpen 
Choucas oder Corneille imperial; dieſen leztern Namen hat 
ſie auch auf dem St. Bernhardsberge; und bey Aigle 
heißt ſie Corneille royale. 


Litteratur. 

Conr. Gessner hist. avium p- 508 — 509. De pyrrho- 
corace, die Ueberſetzung 33 — 34. Von den Alprap⸗ 
pen. Und hist. av. 503. die Ueberſ. 534. 

Brisson Ornithol. II. p. 3. pl. I. fig. 1. Coracia. 

Buffon Oiseaux III. p. 1, t. 1. pl. enlum. 255. Le 
Crave ou le Coracias des Alpes. 

Bechſtein gem, N. Deutſch. II. 447 — 49. Die Steins 
dohle. 

Bechſtein ornithol. Taſchenbuch. S. 91—92. Die Stein 
kraͤhe. 

Böse Europaͤiſche Fauna IV. 484—486. Die Stein⸗ 
dohle. | 

Meisners Muſeum der Naturgefchichte Helvetiens in 

Bern. N 2. fig. 1, Die Steindohle. j N 

Naturgeſchichte der Voͤgel Deutſchlands in getreuen Abbil⸗ 
dungen und Beſchreibungen von Dr Joh. Wolf unb 
D' Bernh. Meyer. Die Steinkraͤhe. 


Anmerkung: Die Naturgeſchichte der Stein 
kraͤhe (Corvus graculus L) und der Alpenkrah e 


à 


506 


(Corvus pyrrhocorax L.) ift von jeher mit einander vers 
wechſelt und nirgends vollſtaͤndig beſchrieben worden. Un» 
ftt Conrad Gicgner kannte den leztern gut, hingegen 
den erſtern gar nicht, daher er auch beyde nicht unterſchei⸗ 
det, und ſogar irrig glaubt, die gelbe Farbe des Schna⸗ 
bels fónne nach der Jahrszeit roth werden. Belou, Ala 
drovand, Ray reden verwirrt von dieſen zwey Vögeln. 
Buͤffon hat ſte ordentlich abgebildet, aber ſehr unvoll⸗ 
ſtaͤndig beſchrieben, und endlich hatten Bechſtein und 
Götze keine Gelegenheit, diefe Voͤgel ſelbſt in der Natur 
zu beobachten. 


Kennzeichen der Art. 


Violetſchwarz, mit einem langen, duͤnnen, ſtark ge⸗ 
bogenen rothen Schnabel und rothen Fuͤßen. e 


Beſchreibung. 


Die Steinkraͤhe it an Groͤße und Geſtalt der Alpen 4 


kraͤhe febr ähnlich, ausgenommen daß der Schnabel bey 
jener duͤnner, laͤnger, ſpitzer auslaufend iſt und ſtark 2 Zoll 
mißt. Ihre Laͤnge betraͤgt 1 Fuß 4 Zoll, ihre Breite 2 Fuß 
4 Zoll, und das Gewicht 15 Loth. Die Iris it braun. 
Der Schnabel iſt hellcorallroth, am Rande und an der 
Spitze etwas durchſcheinend. Die Beine und Zehen et⸗ 
was dunkler roth als der Schnabel; die erſtern ſind 1 Zoll 
10 Linien lang, und die mittlere Zehe ohne Klaue 1 Zoll 
2 Linien; die Klauen find ſchwarz , ſtark gekruͤmmt, ſpitzig, 
unten mit einer Hohlkehle und ſcharfem Rande. Die der 


Hinterzehe ift viel größer, als die der übrigen, und ben 


10 Linien lang. 


Das Gefieder iſt uͤberall ſchwarz, doch mit dem Unter⸗ : 
ſchiede, daß (ic auf dem Kopfe, am Halſe, an der Bruſt, 


f 


l 


A 
! 


507 


dem Bauche und Rüden ins Purpurfarbige, auf den Fluͤ⸗ 
geln und dem Schwanze aber ins Grüne ſchillert. 
Der Schnabel und die Füge der Jungen find gelb. 


Verbreitung, Aufenthalt und Eigenſchaften. 


Nach Wolf und Meyer findet er ſich in Candia, 
Egypten, Perſien, Italien, Lothringen, Ty⸗ 
rol, Steiermark, Kaͤrnthen, Bayern und an 
den weſtlichen Küften von England und Shotts 
land. 

Man trifft ihn auch bey Derbent und in den Cau⸗ 
eafifchen ) und in ben Daͤniſchen ) Gebirgen an. 

Spruͤngli erhielt ihn, nach vielen vergeblichen Bemuͤ⸗ 
hungen von den Ormonder Bergen, ehemals zu Mis 
gle gehoͤrig, auch nachher vom St. Bernhardsberge, 
wo ſie ſich zahlreich aufhalten, und ſich alle Herbſte im 
October ſchaarenweis verſammeln, ſich alsdann zwey bis 
drey Tage dey dem Kloſter aufhalten und dann weiter 
wegziehen; vermuthlich ins Augſtthal. In der gleichen 
Gebirgsreihe gegen Oſten hin, bis an den Gotthard, 
konnte ihn Spruͤngli nicht entdecken, wohl aber mehr 
nach Weſten in den Savoyer⸗Gebirgen. 

Sauffure fand ihn im Paysage du bon homme, 
und auf dem Col de géant, 1763 Fuß über dem mittel« 
laͤndiſchen Meere, ganz mit Eisbergen umgeben. 

Hr. Meisner berichtet, daß ſie auch die Gebirge von 
Faucigny bewohnen und von da nur felten ins Thal 
herabkommen. Des Fruͤhlings beſuchen ſie das neuange⸗ 
baute Land in den hohen Alpen, und naͤhren ſich daſelbſt 
von den Wuͤrmern und Inſekten, die durchs Umackern auf 


) S. Smelins Reifen III. 365, 
**) S. Pallas III. 229. 326, 


508 


die Dberfäche kommen; das fey dann aber auch der ein, 
zige Zeitpunkt, wo es moͤglich werde, ihn zu erlegen. 
Nicht ſelten ſoll er daſelbſt mit den Alpendohlen (Corvus 
pyrrhocorax L.) fiegen, und daher oft mit dieſen bete 
wechſelt werden. 

Meinem Freunde, dem Hrn von Salis in Marſch⸗ 
lins, verdanken wir nun auch die gewiße Nachricht: daß 
ſich die Steinkraͤhen in einigen Berggemeinden Buͤndtens 
aufhalten und in den Kirchthuͤrmen niſten. Sie ziehen da⸗ 
ſelbſt in keiner Jahrszeit, auch des Winters nicht weg, 
bewohnen Paarweiſe einen Kirchthurm, und dulden keine 
andern neben ihnen, find überhaupt lange nicht ſo geſell⸗ 
ſchaftlich, wie die nachfolgende Art, und fliegen niemals 
in die hoͤchſten Gebirgsregionen, ſondern halten ſich immer 
in der Naͤhe ihres Neſtes auf den Aeckern und Wieſen 
auf ). Ihr Flug iſt, wenn ſie ſich in die Hoͤhe ſchwingt, 
wirbelförmig, und ihre Stimme Kraͤh, Kraͤh! Im 
Anffiegen und auch im Sitzen Kraͤhaͤ, Kraͤhaͤ! 


Nahrung. 
Dieſe beſteht des Sommers in Inſekten und Wuͤr⸗ 
mern, und im Winter in Saͤaͤmereyen und Beeren ver⸗ 
ſchiedener Art. 


Fortpflanzung. 

Sie niſten theils auf Felſenabſaͤtzen, theils auf hohen 
Kirchthuͤrmen. Dieſes Leztere iſt der Fall in Buͤndten. Das 
Net ſitzt daſelbſt inwendig zuoberſt im Dache auf dem 
Kreuzbalken. Es it 1 1/2 bis 2 Fuß im Durchmeſſer; 


) Dieſe leztern Nachrichten habe ich erſt neulich von dem 
Hrn von Salis erhalten, und fie find richtig, ob fie fejan 
in einigem ven denen des Hrn Meisners abweichen. 


509 


die Grundlage befteht aus feinen Wurzeln und Lerchens 
zweigen, und dieſe ſind inwendig mit vielen Kuͤhhaaren, 
Schaafwolle und anderm ſehr weich ausgefuͤttert. Das 
Weibchen brütet nur einmal des Jahrs im May und legt 
drey, hoͤchſtens vier Eyer, in der Größe von Tauben-Eyern, 
von Farbe ſchmutzig weiß, mit ſehr vielen hellbraunen Fle⸗ 
cken und Punkten. 

Die Jungen werden ſehr zahm, laufen in der Stube 
herum wie Haushuͤhner, lernen Worte nachſprechen, und 
gewoͤhnen ſich an allerhand Nahrungsmittel. Sie haben 
in den erſten Monaten gelbe und nicht rothe Schnaͤbel. 


Nutzen und Schaden. 


Es ſind voͤllig unſchaͤdliche Thiere, welche durch Ver⸗ 
minderung der Inſekten und Würmer nuͤzlich werden. 


Jagd und Fang. 
Sie ſind in Buͤndten leicht mit der Flinte zu erlegen. 
Die Jungen nimmt man aus dem Neſte. 


Anmerkung: Der Corvus eremita L., den Cons 
rab Geßner unter dem Namen Corvus sylvaticus *) 
beſchrieben, und Linne, auf defen Authoritaͤt hin, in 
das Syſtem aufgenommen hat, exiſtirt als eine beſondere 
Art gar nicht in der Natur, und iſt beſtimmt aus einer 
Verwechslung mit der Steindohle (Corvus graculus) 
entſtanden. 


*) S. Conrad Geßners Vogelbuch — die Reberſetzung. 
S. 424 — 425. 


510 
Corvus pyrrhocorax L., die Alpenkraͤhe. 


S. Gmel, Syst. Nat. L. I. c. 377. sp. TA 


N-. amen. 

Im Glarnerland Alpkraͤhe, Alpkrähet; (die Bo 
nennung Alpkachel, welche Geßner anfuͤhrt, hat ſich 
ganz verloren.) Im Appenzellerlande Bergtule, auch 
Schneekraͤhe. Im Entlibuch Rieſtern, Schnee⸗ 
oder Fluhrieſtern. Im Bernergebiet Daͤvie, Fluh⸗ 
daͤvie, Schneedaͤvie, Daͤhi, Daͤhe; im Oberhasle 
Chaͤfi; in Adelboden Chaͤchly. Bey Weeſen und Ama 
monn am Wallenſtadterſee Wuaͤhlrapp, Alps oder 
Bergtule. In Buͤndten Duͤhli. 


| Litteratur. 

Conr. Gessner histor. avium p. 508 — 50g. De pyrrho- 
corace, Die Ueberſetzung p. 33 — 34. Von den 
Alprappen. : 

Buffon planch. enlum. Nr.531. Choucas des Alpes, 

Bechſteins ornitholog. Taſchenbuch L S. 92. Nr. 7. 
Die Alpenkraͤhe. 

Naturgeſchichte der Voͤgel Deutſchlands in getreuen Abs - 
bildungen und Beſchreibungen. Von Wolf und 
Meyer. Die Schneekraͤhe. 

Meisners Muſeum der Naturgeſchichte Helvetiens in 
Bern. Nr. 2. fig. 1. Die Alpenkraͤhe, Alpen⸗ 
oder Bergdohle. 

Beſchreibung der Schneekraͤhe von J. R. Stein 
müller; in Hartmanns Wochenblatt fuͤr den Can⸗ 
ton Säntis, für das Jahr 1799, 1€ Hälfte S. 68 — 
69. — Dieſen meinen fruͤhern Aufſatz über die Schnee⸗ 
kraͤhe erhalten die Lefer der Alpina hier vermehrt und 
verbeſſert. 


911 


Kennzeichen der Art. 

Schwarz, mit ſchwachem violetten und gruͤnen Schiller; 
Schnabel kurz, vom Citronengelben bis ins Goldgelbe uͤber⸗ 
gehend; Fuͤße zuerſt ſchwarz, dann rothbraun, und endlich 
glänzend Zinnoberroth. 


Beſchreibung. 


Die Alpkraͤhe it x Fuß 3 bis $ Zoll lang, wovon der 
lange Schwanz 7 Zoll mißt; von einer Fluͤgelſpitze bis zur 
andern 2 Fuß 5 bis 8 Zoll breit; und die zuſammenge⸗ 
legten Fluͤgel reichen bis auf einen Zoll an die Schwanz⸗ 
ſpitze. 

Ich beſitze auch als Ausnahme von der Regel ein ſehr 
kleines Exemplar von dieſem Vogel, das 1 Fuß x 1/2 Zoll 
lang iſt, wovon der Schwanz nur s Zoll mißt, und das 
nur 9 Loth ſchwer war. 

Der proportionirte, 1 Zoll lange, wenig gebogene Schna⸗ 
bel it an der Wurzel citrongelb, bisweilen auch orangen⸗ 
gelb, in der Mitte goldgelb, und gewöhnlich oben an der 
Spitze mit einem groͤßern oder kleinern ſchwarzen Fleck 
verſehen. 

Die Augen haben weder am lebenden noch todten Bos 
gel etwas rothes. Der Augenkreis iſt braͤunlich und die 
Pupille ſchwarzblau. 

Der Kopf iſt uͤberhaupt klein, und die Zunge kurz und 
an der Spitze faſt dreyeckig. 

Das Gefieder iſt uͤber den ganzen Koͤrper nebſt Fluͤgeln 
und Schwanz ſchwarz, gegen das Licht gehalten fällt fie 
etwas ins Blaue, außer dem Schwanze, der ins Gruͤnli— 
che ſchillert. 

Die Flügel find ſtark und ſpitzig, und die vierte Schwung⸗ 
ſeder daran die laͤngſte. Sie reichen zuſammengelegt bis 
faſt ans Ende des Schwanzes. 


512 


Die nezfoͤrmigen Beine find 1 Zoll 6 Linien hoch; unb 
mit den ſtark gefchilderten Zehen, welche große ſtark ge⸗ 
kruͤmmte ſchwarze Nagel haben, zinnoberroth und glaͤn⸗ 
zend, wie lakirt “). Die mittlere Zehe mißt mit dem 
Nagel 11, und die hintere 10 Linien. 

Man trifft auch ſehr viele Schneekraͤhen mit glaͤnzend 
ſchwarzen und mit braͤunlichen, ins Zinnoberrothe ſchim⸗ 
mernden Füßen an; die erſtern haben einen dunkler gelben 
oder voͤllig ſchwaͤrzlichen Schnabel, bey den leztern iſt bite 
ſer ſchon gelber; ſie ſind auch zwiſchen den Schildern der 
Zehen und an den Fußſohlen gelb. — — Durch vielfache 
Beobachtungen bin ich nun völlig gewiß, daß dieſe ſchein⸗ 
bare Varietaͤt eine Folge der Jugend iſt, und daß daher 
die jungen Schneekraͤhen vor der erſten Maus ſchwarze 
Fuͤße und Schnaͤbel, im erſten Jahre ſchwarze Fuͤße und 
ſchwarz und gelbe Schnaͤbel, nach der zweyten Maus braͤun⸗ 
liche Fuͤße und gelbe Schnaͤbel mit ſchwarzen Strichen, 
und erſt nach der dritten Maus zinnoberrothe Fuͤße und 
goldgelbe Schnaͤbel erhalten. 

Bey dem Weibchen faͤllt das Schwarze öfters ins 
Braune, beſonders auf den Fluͤgeln und unter dem 
Schwanze. 


Verbreitung, Nahrung und Aufenthalt, den 
vorzuͤglich die erſtere beſtimmt. 


Die Schneekraͤhen find überall in der gebirgis 
gen Schweiz anzutreffen, ſo wie ſie die Noriſchen, 
Kaͤrnthener und die Pyrenaͤiſchen Gebirge bes 
wohnen. ) 
*) Hechftein hatte wahrſcheinlich nur getrücfnete Exemplare 
vor fich, an denen die Farbe derſelben verändert war, dae 
her giebt er der Alpenkraͤhe in feinem ornithologiſchen Ta⸗ 
ſchenbuche faͤlſchlich orangengelbe Fuͤße und Schnabel. 


` 513 


Im Sommer Halten fie fi nur auf den hoͤchſten 
Gebirgsgipfeln der Alpen auf, und zwar in kleiner Ges 
fellfchaft von drey bis vier Familien. Hier naͤhren fie ich 
von Beeren und Saamenkoͤrnern und von Würmern, Kura 
fulionen und Kaͤferlarven (Engerlingen), die fie in jeder 
Jahrszeit, wenn der Boden nicht mit Schnee bedeckt iſt, 
mit dem Schnabel aus der Erde und aus dem Duͤnger 
hervorſuchen. Vor allem andern ſchmecken ihnen die Berg— 
kirſchen angenehm, die gewoͤhnlich zu Ende des Heumo⸗ 
nats reif werden, und die ſie mit den Steinen verſchlin⸗ 
gen. Die Eltern mit ihren Jungen ſammeln ſich alsdann 
ſchaarenweis, um in die tiefer liegenden Gegenden zu fies 
gen, wo dieſe wachſen, und ſie ſind ſo erpicht darauf, daß 
ſie mit Muͤhe abgetrieben werden koͤnnen. 

Zu Anfange des Winters verlaſſen fie ihre wilden 
Wohnungen und fliegen in zahlreicher Geſellſchaft in die 
tiefer liegenden Berge; hingegen bey zunehmender Kaͤlte 
und großem Schnee laſſen ſie ſich am Tage in Schaaren 
von 4 dis soo in das bewohnte Thal herab, und alle 
Abende ziehen ſie fid) dann wieder in die waldigen niedris 
gen Gebirge zurück, In dieſem Zuſtande werden fie fepe 
zahm, beſonders wenn eine heftige Kaͤlte einfallt, fo daß 
man im Gebuͤſche ganz nahe auf ſie hinlaufen kann. 

Im Appenzellerlande machen fie des Winters alfo 
jaͤhrlich während der großen Kälte den Zug nach der gleis 
chen Gegend des angrenzenden Rheinthals bey Kobelwies, 
Kobelwald u. ſ. w.; doch ſobald die Witterung etwas mil⸗ 
der wird fliegen fie ſogleich wieder in die eigentlichen, hoͤher 
liegenden, untern Gebirgsgegenden des Hirſchbergs, Ga⸗ 
bris, der Hundweilerhoͤhe u. ſ. w. 

Eben ſo benehmen fie fid) in den Buͤndnerthaͤlern 
bon Malans bis gegen Chur, im Prettigaͤu u. f. w. 

Im Glarnerlande lagert ſich alle Winter eine Heerde 

9r Vd, KR 


LI 


514 l 


vorzüglich zwiſchen Mollis unb Naͤfels an beyden 
Linthufern, wo fie die haͤufigen Geſtraͤuche daſelbſt in we⸗ 
nigen Tagen von den Berberis, Hahnbutten, Schle⸗ 
hen, Hartriegelbeeren u. a. m. durchaus entledigen, ſo 
daß der arme Gimpel alsdann nur noch kuͤmmerlich 
mit einzelnen uͤbrig gebliebenen Huͤlſen vorlieb nehmen 
muß. 

Auch im Toggenburg traf id) bey Peters zell, 
Brunnadern, am Fuße des Hum melwalds — 
aͤhnliche Schaaren an, und im Urſerenthale, im Has⸗ 
lithale und an andern Orten macht man die gleiche 
Beobachtung. : 

Die Wachholderbeeren find ihnen in jeder Jahrszeit, 
fo wie die Meelbeeren eine angenehme Speiſe; auch ente 
deckte ich des Winters kleine Tannenknoſpen in ihrem Ma⸗ 
gen. Ein Berner-Pfarrer hat einen lebenden lange auf 
ſeinem Zimmer mit Meelbeeren erhalten. 

An den Bächen und Quellwaſſern ſuchen fie die klei⸗ 
nen Schnecken ſehr begierig auf. Ich oͤffnete vor einiger 
Zeit im Merz mehr als ein Dutzend Alpenkraͤhen, die an 
den Quellwaſſern bey Kobelwies im Rhein⸗ 
thale vorbeyzogen, und dieſe hatten in ihren Maͤgen 
viele hundert kleine Exemplare von der borſtigen Schnecke 
(Helix hispida, L.) und von der bernſteinfaͤrbigen (He 
lix succinea, Studer), und auch zu andern Zeiten fand 
ich diefe zwey Schneckenarten ſehr haufig bey ihnen. 

Im bernerſchen Oberlande in der Gegend von 
Sigrisweil beſuchen ſie des Fruͤhjahrs beſonders auch 
die friſchbeſaͤeten Hanfaͤcker, und freſſen fid) daſelbſt (o voll 
von Haufſaamen, daß fie den Bauern großen Schaden 
verurſachen. Auch den ausgeſaͤeten Kornſaamen bohren 
fie aus dem Erdreiche, und verſchlingen ihn haufig in der 
Spreue. Unſer Conr, Geßner bemerkt daher ſchon rich⸗ 


515 
tig von ihnen: daß fic auf den angefacten Aeckern den 
Saamen wie die Tauben wegfreſſen, und alſo ſchaͤdlich 
feyen. . 

Da ſie aͤuſſerſt gefraͤßig ſind und des Winters in aufs 
ſerordentlich großen Geſellſchaften leben , fo koͤnnen fic ſich 
alsdann nur wenige Tage in einer Gegend aufhalten, und 
ſtreichen daher unaufhoͤrlich aus einer Gegend in die andere. 


In Ermanglung der Beeren machen fie oͤfters auch mit 
ihren Stiefbruͤdern, den Kolkraben und Rabenkraͤhen, gez 
meinſchaftliche Sache, und laſſen ſich mit ihnen ein Aas 
wohl ſchmecken. d 

Zur Beförderung der Verdauung enthält der Magen. 
gewoͤhnlich auch mehr oder minder Sandkoͤrner. 


Eigenſchaften. 

Die Alpkraͤhe it im Sommer ein aͤuſſerſt wilder, leb 
hafter und unruhiger Vogel, der fid) alle Augenblicke von’ 
einer Stelle zur andern begiebt, und oft Stundenlange— 
unaufhoͤrlich in einem Kreiſe um die Felſen und Gebirgs— 
gipfel herumfliegt. Wenn fie ſich auf einem Platze nicders 
gelaſſen haben, fo ſchauen fie beſtaͤndig um fih, und tras 
gen Flügel und Schwanz immer etwas erhaben, Damit 
fie zum ſchnellen Auffuge ſtets bereit ſeyen. Ihr Flug ift 
viel ſchneller als der der übrigen Kraͤhen; fic fliegen meijt‘ 
in Kreiſen, und ſteigen in ſchneckenfoͤrmigen Windungen 
nach allen Richtungen in die Höhe; fie beſitzen zugleich die- 
Fertigkeit, ſich mit zuſammengezogenen Fluͤgeln beynahe 
eben fo ſchnell aus der Luft auf die Erde herunterzuftürs- 

zen als die Falken, und nur ganz nahe bey der Erde ent» 
falten ſie ihre Fluͤgel wieder. 

Beym Wegfliegen lafen fe ſtets ihr Geſchrey von fid. 
Hören, das überall ihr Verraͤther ift, indem fic unaufhöd⸗ 


516 j 
lid) Kli, Kiri, Kiril bisweilen aud) Jacick, Jarick! 
von ſich geben. 

Im Sommer figen fie meiſtens auf den hoͤchſten Fel 
ſenabſaͤtzen nieder, und zwar fo, daß man ſie oft ein Paar 
Minuten nicht mehr ſieht; fie fiegen aber auch haufig auf 
die Alpweiden, wo ſie ihre Nahrung ſuchen; man ſieht ſie 
auch bisweilen in jeder Jahrszeit auf Baͤumen und Ge- 
ſtraͤuchen. 

Fliegt einer ſchreyend weg, ſo folgen ihm alle andern 
nach; ſitzt einer nieder, ſo thun dieſes alle andern. 

Sie laufen ſehr behende auf der Erde, necken und zan⸗ 
ken ſich unaufhoͤrlich untereinander, und einer ſucht dem 
andern ſeinen Fraß aus dem Schnabel zu reiſſen. Am al— 
lerlebhafteſten ſind dieſe Voͤgel, wenn die Jungen mehrerer 
Paare auszuffiegen anfangen; alte und junge fliegen als: 
dann unter dem lebhafteſten Geſchrey unaufhörlich aus der 
Hoͤhle und in die Hoͤhle, jagen einander in Kreiſen herum, 
und machen die ſonderbarſten Wendungen. 

Auffallend iſt die Beobachtung, die ich bey dieſen Voͤ— 
geln machte, daß wenn eine angeſchoſſene verwundete 
Schneekraͤhe noch auf dem Boden herumfattert, die ganze 
übrige Schaar wie raſend wird, und fich einige Mal auf 
den verwundeten Vogel herabſtuͤrzt; doch wiederholen ſie 
dieß nicht fo oft, daß man, ohne eine Doppelflinte zu bae 
ben, mehrere Mal auf ſie ſchießen konnte. 

Sie haben ein aͤuſſerſt zaͤhes Leben, und nur grobe 
Schrote toͤdten ſie. 

Dieſer Vogel fliegt im Winter je kaͤlter die Witterung 
und je reiner die Athmosphaͤre iſt deſto hoͤher, hingegen 
wenn es ſchneit oder waͤrmer wird, nur ganz niedrig und 
dem Boden nach, weswegen die Bewohner der oͤſtlichen 
Schwetz aus ſeinem Fluge Wetterprophezeihungen ziehen. 
Abwechſelnd, je nachdem die Witterung iſt, zieht er fih 


4 


- 517. 


in die hoͤhern Gebirge zuruͤck, wenn er aber im Fruͤhlinge 
noch einmal in den Thaͤlern erſcheint, ſo erfolgt aufs Neue 
Schnee, daher fein Name: Schneekraͤhe. 

Im Berner Dberlande hält der Aelpler diefe Bö- 
gel fuͤr Hexen und fuͤr gefaͤhrliche Geiſter; wer nach ihnen 
ſchießt, heißt es, erhält einen derben Schlag von dem Gee 
wehre, wenn dieſes nicht gar' zerſpringt! — Sind ſie da⸗ 
ſelbſt während der Bergheuerndte dem Arbeiter immer uns 
ter dem Rechen, d. h. nahe um ihn herum, ſo ſoll noch 
rauhes ſtuͤrmiſches Wetter mit Schnee folgen. Hingegen 
wenn es des Sommers im Gebirge ſtuͤrmt und ſchneit, 
fo verbergen fic fid) und halten ſich ſtille, ſobald aber die 
Schneekraͤhen wieder lebhafter werden und herumfiegen, 
ſo ſchließt der Aelpler daraus auf beſſere Witterung. 

So ſcheu und wild uͤbrigens dieſe Voͤgel die meiſte Zeit 
des Jahrs ſind, ſo ſcheinen ſie hingegen des Winters, wenn, 
ſie ſich in Heerden zuſammenſchlagen und von Kaͤlte und 
Hunger geplagt werden, und des Sommers, wenn ſie auf 
den Raub der Bergkirſchen losgehen, die Menſchen gar 
nicht zu achten, und laffen fie fo nahe auf fich loskommen, 
daß man ſie faſt mit Haͤnden greifen kann. 


Fortpflanzung. 


Sie niſtet zu Ende des Brachmonats gewoͤhnlich im 
Mittelgebirge auf ſteilen Felſen, in Hoͤhlen, Spaͤlte und 
Zerkluͤftungen, die hoͤchſt felten und nur dem kuͤhnſten Få- 
ger und Ziegenhirte zugaͤnglich ſind. Es iſt mir daher, un⸗ 
geachtet meiner mannigfaltigfien Bemühungen, noch nie 
gelungen, das Neſt und die Eyer dieſes Vogels zu erhalten. 
1 Das weiß ich beſtimmt, daß oͤfters mehrere Paare mite 

einander in der gleichen Hoͤhle bruͤten, und daß die Alten, 
waͤhrend dem ſie Junge haben, haͤufig ſchreyend um das 
Neſt herum fliegen. : 


518 


Nutzen. 


Bisweilen werden ſie an einem Orte gegeſſen. 


Schaden. 


Da, wo ſie Kirſchen antreffen, bleibt auch nicht eine 
einzige übrig. Im Berner „Oberlande find fie auch der 
Getreide- und Hanfaus ſaat ſchaͤdlich. 


Feinde. 


Die Gabelweihe verfolgt die Alten und vorzuͤglich die 
Jungen oft ſehr hartnaͤckig, und fic ſcheuen dieſelben auf 
ſerordentlich. So wurden z. B. vor einigen Jahren in — 
der Schwaͤgalp im Appenzellerlande einige von einem Raub⸗ 
vogel verfolgt, die fic in eine Sennhuͤtte fuͤchteten, und 
ſich da wirklich eher mit den Haͤnden fangen als wieder 
herausjagen liefen, ungeachtet es in der Jahrszeit war, 
wo ſie ſonſt am wildeſten ſind. 

In ihrem Gefieder haust eine kleine Art ſchwarzer Ras 
benlaͤuſe. 

Ich fand den langen Kraͤhenbandwurm in feinen Cine 
geweiden ſehr haͤufig; und mein Freund Kuhn in Bern 
entdeckte darin Ascarides und einen breitgliedrigen, jedoch 
ſehr kurzen Bandwurm. 


Jagd und Fang. 

Sie iſt ſehr ſchwer zu ſchießen, ausgenommen auf die 
Kirſchen ift fie fo erpicht, daß fic auf ſolchen Baͤumen leicht 
mit der Flinte erlegt werden kann; auch macht ſie Hunger 
und Kälte des Winters ſehr firre. 


519 


Zuſaz 

zu der Beſchreibung der Schneekraͤhe, Corvus 

pyrrhocorax, von Hr. Rath D. Wolf in 
Nuͤrnberg. 


(Aus Voigts Magazin für den neuſten Zuſtand der Natur⸗ 
kunde ꝛc. Eilfter Band Seite 554.) 


Ich war ſo gluͤcklich in dieſem Winter ein geſchoßenes 
Exemplar dieſes im mittlern Deutſchland ſo aͤuſſerſt felte» 
nen Vogels aus der Schweiz zu erhalten. Da die Be⸗ 
ſchreibung und Abbildung deſſelben in dem ſiebenten Hefte 
der Naturgeſchichte der Voͤgel Deutſchlands ſchon enthalten 
iſt, und ich meine ſpaͤterhin gemachten Beobachtungen je⸗ 
ner nicht mehr beifügen konnte, fo will ich fie hier mittheilen. 
Lange 1 Fuß 2 ½ Zoll; Breite 2 Fuß 3 Zoll Pariſ. 
Maaß; Schnabel wachsgelb; Zunge 9 Lin. lang, hinten 
2 Lin. breit, dreyeckig, flach, vorn hornartig, dünn, Durchs 
ſcheinend, abgerundet, geſpalten; Fuͤße blaß fleiſchroth; 
Sohlen mattſchwarz; Nagel gekruͤmmt, ſchwarz, ſtumpf. 
Das ganze Gefieder ſchwarz, unb nur mit einem matten 
gruͤnlichen Glanze. Die Fluͤgelſpitzen erreichen, wenn die 
Fluͤgel gefaltet ſind, die Spitze des Schwanzes, deſſen Fe⸗ 
dern gleich abgeſtuzt find. Beym Abbalgen und Zerglie— 
dern fand ich, daß der Scheitel zwiſchen den Augen flach 
iſt. Bei Corvus graculus, den ich zu gleicher Zeit mit 
vorigem erhielt, iſt dieſer Theil etwas vertieft. Der Hin⸗ 
terkopf iſt ſehr rund und eben. In dem Magen fand ich 
eine noch faſt ganze Schneckenſchaale aus der Gattung He- 
“lix, rothe Beeren, welche mir Sauerdornbeeren, Berbc- 
ris vulgaris, zu ſeyn ſchienen, und noch mehrere Saas 
menkoͤrner von einer mir unbekannten Frucht, endlich noch 
ein Granitſteinchen. 


520 


Der Magen war länglich rund und glich dem Magen 
der Koͤrnerfreſſenden Voͤgel. Die innere Haut deſſelben 
war brauntotb, ſtark lederartig mit faſt gleichlaufenden Fal⸗ 
ten. Die Gedaͤrme ſchienen von den Beeren gefaͤrbt zu 
ſeyn. Sie hatten 1 Fuß 6—7 Zoll Laͤnge. Am meiſten 
fiel mir die Speiſeroͤhre auf. Ich unterband fie, blies fie 
auf, und bemerkte nun deutlich, daß ſie eine Art von Kropf 
bildete. Ich füge hier eine nach der natürlichen Größe ges 
machte Zeichnung davon bei. Die Speiſeroͤhre ift vom 
Rachen bis zum Magen etwa 4 Zoll lang. Die groͤßte 
Erweiterung ift im Queerdurchſchnitt 1 1/6 Zoll; etwa 
2 Zoll vor dem Magen verengert fid) die Roͤhre bis zu 
7 Linien im Queerdurchſchnitt. Bei Corvus graculus 
ift die aufgeblaſene Speiferöhre walzenfoͤrmig, unb alfo voͤl— 
lig von der beſchriebenen verſchieden. Ob nun die £ropfs 
artige Speiferöhre dem Corvus pyrrhocorax eigen ift, 
oder ob nur bei dieſem Exemplar zufällig diefe Erweite⸗ 
rung der Sveiſeroͤhre fatt fand, muͤſſen fernere Beobach⸗ 
tungen lehren. 


~ 


Ibid. Seite 356, 
b 
Berichtigender Nachtrag zu Corvus graculus. 


Nürnberg den 27 April 1806. 

In meinem erſten Aufſaz uͤber dieſen Vogel wurde ich 
durch die Unterſuchung feiner Speiſeroͤhre veranlaſſet, zu 
glauben, daß ſie eine kropfartige Erweiterung habe, und 
lieferte daher auch die Zeichnung derſelben. Jezt, nach⸗ 
dem ich durch die Gefaͤlligkeit meiner Schweizerfreunde 
noch einige friſchgeſchoßene Exemplare dieſes Vogels erhal 
ten habe, muß ich meine Behauptung dahin berichtigen; 
daß die Speiſeroͤhre gewöhnlich walzenfoͤrmig fevn mag, 
und jene, von welcher ich eine Zeichnung entwarf, eins 


521 


außergewöhnliche Abweichung von der eigentlichen Form 
ausmachte. Zugleich will ich aber auch dem Vorwurf vor⸗ 
beugen, als ob etwa durch ein allzuſtarkes Aufblaſen der 
Speiſeroͤhre jene kropfartige Erweiterung entſtanden waͤre. 
Dieß iſt der Fall gewiß nicht, da das Aufblaſen mit aller 
Vorſicht geſchah. Es lehrt indeſſen dieſer Verſuch aufs 
neue, daß man von dem Bau, den man an einem gewißen 
Theile des Körpers eines einzigen Exemplars findet, nicht 
immer auf das Daſeyn einer und derſelben Form dieſes 
Theiles bei allen Individuen einer Art ſchließen darf. 
D' Wolf. 


Wir haben es nicht fuͤr nothwendig erachtet, dieſe Zeich⸗ 
nung den Leſern der Alpina mitzutheilen, weil ſie nicht 
die wahre Darſtellung der Speiſeroͤhre des Vogels giebt, 
ſondern nur eine Ausartung derſelben, m vielleicht auch 
nur sufällig ift. 

Die Redakt. 


Miszellen. 


Aus einem Briefe vom 10 Merz 1807 von 
l Hauptmann Heinrich Hanfi. 


Den 28 Februar war um zehn Uhr Morgens die Schnee⸗ 
bahn von Mauriz bis Camfeer (im Oberengadin) auf der 
Suͤdoſtſeite wie mit feinem Schießpulver überfaet, Bei 
genauerer Unterſuchung fand es fih, daß es kleine Inſek⸗ 
ten von einer halben Linie Laͤnge und einer Viertellinie 
Breite waren. Auf der Straße war kaum eine Bewegung 
an ihnen zu bemerken, auch wenn fie mit dem Stocke bee 
ruͤhrt wurden. Hob man aber ein von ihnen beſeztes Stuͤck 
zr Bd, $1 


622 


Schnee mit der Hand in die Höhe, fo verſchwanden fie 
vermittelt einem Sprung wie die Flöhe, Einzeln fonnte 
man keines betrachten, ausgenommen wenn man es zu⸗ 
vor in den Schnee hereindruͤckte, ehe man das Stuͤck Schnee 
aufhob, dann lagen ſie wie todt, auch gegen das Sonnen⸗ 
licht gehalten. Mit bloßen Augen konnte man nichts von 
ihrer Geſtalt unterſcheiden. Sie halten ſich immer an der 
beſchatteten Seite der Straße, und in den von den Pferdes 
tritten in derſelben gemachten Loͤchern auf, nie an der be⸗ 
ſonnten, und um den Mittag, wo die ganze Straße be⸗ 
ſchienen ift, verſchwinden fie vermuthlich ganz. Die Ten, 
peratur war um 1 Uhr Morgens 1 + o Reaum. Des 
Nachmittags fand man ſie wieder an der beſchatteten Seite. 
An den bemoosten Steinen, die uͤber dem Schnee empor⸗ 
ragten, konnte man auch nach genauer Durchforſchung 
keine bemerken. 


In einem Briefe vom 25 April meldet mir der naͤm⸗ 
liche: 

Den 19 April nach anhaltendem Schneewetter und 
darauf folgendem Froſt und ſtillem Wetter fanden ſich wie⸗ 
der ſolche Inſekten auf der Landſtraße. Sie waren nicht 
vom Winde hingeweht, ſondern an der nicht beſonneten 
Seite gelagert; der uͤbrige Theil der Bahn war rein da⸗ 
von ). 


*) Es iſt Podura nivalis, Linn. Vergleiche damit v. Sauſ⸗ 
fure Reiſe in die Alpen. Tom. 5. S. 419. und Alpina 
Tom. 2. S. 63. 

Alnmerk. des Herausg. 


523 


al einem Briefe des Ritters Carlo Amo⸗ 
retti ). 


Mailand den 22 October 1806. 


Ich verließ Mailand den 27 Auguſt und uͤber Va⸗ 
reſe begab ich mich in Val Gana, theils um die Emtia 
pfindungen einiger Perſonen zu beſtaͤtigen, auf welche uns 
terirdiſche, Elektrizität erweckende Körper wirken, theils um 
mit dem Beiſtand eines geſchickten Bergwerk-Directors 
die Gegend bei Ghirla, wo man ſchon vor fuͤnfzehn Fapa 
ren Steinkohlen entdeckt hatte, nebſt der Art zu unterſu— 
chen, wie man den beßten Nutzen daraus ziehen koͤnne. 
Um den erſten Endzweck zu erreichen, hatte ich den ge— 
ſchickten Gärtner der Eufanifchen Villa in Defio 
Ferdinando Villoreſi mitgenommen, welcher auch 


die Pennetiſchen Eigenfchaften beſizt. Da Sie keiner. 


von denjenigen unbedingten Wuͤnſchelruthen-Verdammern⸗ 
find, deren es immer (ohne die Sache genau zu kennen). 
gegeben hat und noch giebt, und Sie mir erſt kuͤrzlich Bes 
weiſe von Inſpruck uͤberſendet haben, daß Pennets Ans 
denken daſelbſt nicht ganz verketzert it, fo theile ich Ihnen. 
Nachrichten von einigen von mir gemachten Verſuchen mit. 
Wir begaben uns alfo in die Gegend von Ghirla, to. 
man eine Steinkohlenader entdeckt hatte, und Villoreſi 
empfand ſie ehe wir ſie ſahen, ſo wie auch eine andere, 
die mit der erſten parallel lauft. In meiner und des Herrn— 
Fumagalli, Prior von Gana, Gegenwart waͤlzte dj. 
ſeine Ruthe von außen nach innen. Ich ließ nun an der 
Stelle, wo er die zweyte Ader angezeigt hatte, nachgra⸗ 
ben, und ob man gleich vermittelſt den mitgebrachten Werk⸗ 


*) Auch gedruckt in der Nuova Scelta d'Opuscoli Tom, 28. 
Seite 3705 


524 
zeugen nicht die Tiefe von zwanzig Fugen erreichen konnte, 
welche der Gegenſchlag ) und die ruͤckwaͤrts gehende Bes 
wegung der unterirdiſchen Elektrometrie angegeben hatte, 
weil zuerſt große, loſe Steine, dann aber der Felſen ſelbſt 
unuͤberwindliche Hinderniße in den Weg legten, ſo ſtießen 
wir doch auf Steinkohlen und auf ſchwarze Erde, die beis 
nahe immer uͤber ihnen liegt, wie Herr Hall erſt kuͤrzlich 
(ſ. Bibl. Brittan. Num. 260.) bemerkt hat. | 
Ich hatte auch Gelegenheit in Val Gana Beobach⸗ 
tungen zu machen, die mir zuvor entgangen waren. Bei 
der Quelle der Margorabbia findet man nicht nur 
Kiesgang, den man fuͤr goldhaltig anſieht, ſondern auch 
ſchoͤnen weißen Quarz, mit Schichten von hartem viols 
blauem, amethyſtartigem Quarze. Da man mich verſi⸗ 
cherte, daß ſich hier auf dem Wege ein Strich wenige Fuß 
breit befinde, auf welchem nie kein Thau bleibt, ſo ließ ich 
nachſuchen und fand einen ſchwefelgelben Sandſtein, der 
gerieben auch einen Schwefelgeruch von ſich giebt. Die 
Erſcheinung ſelbſt aber, in Anſehung des Thaues, konnte 
ich nicht beſtaͤtigen. Wir ſahen auch den periodiſchen Brun⸗ 
nen Orca, der waͤhrend regnichtem Wetter trocken bleibt, 
und bei hellem ſtark fließt. Eine in dieſen Gebirgen nicht 
ſeltene Erſcheinung. Sie bleibt ſelten laͤnger als eine Mi⸗ 
nute aus, und fließt auch nicht laͤnger. — Bei Ghirla 
befindet ſich auch eine Quelle, die beſtaͤndig aͤußerſt feinen 
*) Was dieſer Gegenſchlag und die ruͤckwaͤrts gehende Bewe⸗ 
gung der unterirdiſchen Eleftrometrie fep, habe ich in dem 
Werke: „Ueber unterirdiſche Elektrometrie ꝛc. Zuͤrich bei 
Ziegler und Soͤhnen. S. 32 et seq." erklart. Schon ane 
derswo habe ich bemerkt, daß vermuthlich bald mehr uͤber 
dieſe bis jezt zu ſehr verkannten Erſcheinungen wird bekannt 


gemacht werden. ; 
Anm. des Redakt. 


525 


und weißen Quarzſand mit (id) führt. Ebendaſelbſt iſt beim 
Ausgang des Thales die natürliche Bruͤcke von Niva bee 
merkenswerth, welche das Waſſer gebildet hat. Es durch⸗ 
bohrte den Kalkfelſen, der zuvor das Thal eingeſchloſſen 
hatte und ſamt dem Paludaccio einen See bildete. 
Dieſer Paludaccio iſt eine Ebene neben Gana, wo ich 
eine Menge vortrefflichen Torfs fand *). 

Von Gana uͤber Germinaga begab ich mich an 
den Langenſee und dann zu Schiffe in die Borromaͤiſchen 
Inſeln. Ich ſage dießmal nichts von den rechts uͤber 
Gana liegenden ſogenannten vulkani ſchen Hügeln, über 
deren Urſprung ſich die Gelehrten noch nicht vereinigen koͤn⸗ 
nen. Nur kann ich nicht mit Stillſchweigen uͤbergehen, 
daß ich auch dießmal auf dem See, es iſt, glaube ich, 
ſchon zum ſechsten Mal, die Anzeigen des Pennets und 
des Anfoſſi beſtaͤtigen konnte. Ich ſtand mit einem Fuß 
auf einem naßen Seil, deſſen Ende in das Waſſer herun⸗ 
ter reichte, und in der Hand eine Zwieſtelruthe ). 


*) Der Verfaſſer hat uͤber dieſes und andere Torflager im 
Mailaͤndiſchen eine eigene febr ſchaͤzbare Abhandlung heraus⸗— 
gegeben unter dem Titel: Delle Torbiere esistenti nel 
Dipartimento d'Olona e lime trofi e de loro Vantaggi ed 


Usi. Ragionamento di Carlo Amoretti. Milano, 1807. 4. 


Sie ifi in des erſten Bandes zweytem Theil der Schriften 
des Istituto Nazionale Italiano abgedruckt. 


**) um dieſes zu verſtehen, muß man wiſſen, daß auch der 
Ritter Amoretti in einem gewißen Grad die naͤmliche 
Eigenſchaft wie Pennet beſizt, und daß er auf ſeinen 
Reiſen in Italien verſchiedene Individuen, beſonders aber 
einen gewißen Vincenzo Anfoſſi von Oneglia gefun⸗ 
den, die dieſelbe auch haben, der lezte beſonders in einem 
hohen Grad. Schon Pennet hatte auf ſeiner Fahrt uͤber 
den Langenſee zwiſchen Porto und Intra Empfindungen, 


526 


Von den Borromaͤiſchen Inſeln begab id) mich auf 
Baveno, um die ſehr ſchoͤne und reiche Kupferader noch 
einmal zu ſehen, die man vor einem Jahre im Bett des 
daſigen Flußes entdeckt hatte. Ich fand, daß' die Arbeiter 
verſchiedene andere mit der erſten gleichlaufenden gefunden 
hatten und eben benuzten, die ich ſchon damals durch 
meine Empfindung angezeigt hatte. Leider fehlt es mir an 
Mitteln, von meinen eigenen Entdeckungen Vortheil zu 
ziehen. 

Es waren ein junger Borromeo und ein Rafini 
mit mir gekommen, um Verſuche mit der Wuͤnſchelruthe, 
der Magnetnadel u. f. w. zu machen. Bei dem erſten aͤuſ⸗ 
ſerte ſich nicht die geringſte Empfindung, aber bei dem 
andern drehte ſich die Ruthe von ſich ſelber auf ſeinen Fin⸗ 
gern, bewegte ſich die Magnetnadel, und oft wiederholte 
Verſuche uͤberzeugten ihn endlich des Beſitzes der elektro⸗ 
metriſchen Eigenſchaft. 

Nicht weit von hier, und zwar unter dem Kamm des 
Gebirges, aus welchem man den ſchoͤnen vöthlichen Gras 
nit bei Feriolo in Menge gewinnt, zeigte man mir als 
Steinkohle eine ſchwarze Erde an, die ſich leicht entzuͤndet. 


welche ſich auch bey ſeiner Wuͤnſchelruthe aͤuſſerten, kraft 
welchen er behauptete, daß Steinkohlen und Schwefelkies⸗ 
lager unter dem Boden des Sees durchſetzen. Anfoſſi, 
ohne etwas von Pennet zu wiſſen, hatte am nämlichen 
Orte auch diejenigen Empfindungen, die ſich uͤber derglei⸗ 
chen Lager bei ihm aͤuſſerten. Sie befanden hauptſuͤchlich 
in einem Brennen an den Fußſohlen. Er ſtand mit denſel⸗ 
ben auf einem Eiſen, das mit dem Seewaſſer in Gemeine 
ſchaft geſezt war. Daß der Nitter Amoretti am naͤmli⸗ 
chen Orte zu verſchiedenen Malen die naͤmlichen Empfin⸗ 
dungen hatte, haben wir oben geſchen. 
Anm. d. Redakt. 


$21 


Ich gieng hin und fand ein Torfmoor, in welchem aber 
jede Spur von organiſchen Koͤrpern zerſtoͤrt war. Nur 
bie und da waren noch einige kleine Kohlen zu ſehen. Viel 
Aehnlichkeit fand ich zwiſchen dieſem Torf und der Eölnis 
ſchen Umbererde, deren Gruben Faujas de St. Fond 
im zwanzigſten Theile der Opuscoli.scelti Seite 253 be⸗ 
ſchrieben hat, nur traf ich keine aſtatiſche und afrikaniſche 
Früchte darin an, vielleicht weil ich ihn nicht genau ges 
nug durchſuchen konnte. Merkwuͤrdig iſt es, daß fid) une 
ter dieſem Torffelde, welches ſehr ausgedehnt und drey 
Schuh tief ift, ein Lager des feinſten weißen Quarz» und 
Feldſpathſandes befindet, den man ohne Zweifel benutzen 
koͤnnte. í 
Der Granit der hieſigen und der benachbarten Gebirge 
ift weder für mich, noch für andre, mit denen ich Ver⸗ 
ſuche angeſtellt habe, Elektrizität -erregend, Wohl aber 
find es einige einzelne Maſſen von ſehr verſchiedener Groͤße, 
die man beſonders laͤngs der neuen Straße findet, welche 
ein Veilchen blauer Granit zu ſeyn und, anſtatt tofenros 
then Feldſpath, Granaten zu enthalten ſcheinen. Dieſer 
Stein iſt nicht negativ wie die Granaten, aber wohl po⸗ 
ſitiv wie die Hyazinthen, denen ſie in Anſehung der Farbe 
und der Kriſtalliſation gleichen. Solche, doch etwas groͤßere 
und dunklere Kriſtallen fand ich auch in andern Maſſen 
eines bleifarbnen Thonſchiefers, von welchem fie zwar bes 
deckt waren, aber doch wie erhabene Knoten hervorſtachen. 
Ich war eben mit dieſen Unterſuchungen beſchaͤftigt, als 
mich der Herr Cufani, Schwiegervater des Herrn Bor- 
romeo, aufforderte, mit ihm die praͤchtige neue Straße 
des Simplons bis auf den Gipfel zu beſehen, welches 
ich vor einem Jahr mit ſeinem Herrn Sohn gethan hatte. 
Ich wuͤrde zu weitlaͤuftig werden, wenn ich Ihnen die 
Staunen erregenden Arbeiten an dieſer Straße beſchreiben 


528 l 

wollte, die wenigſtens längs der Diverio überall durch den 
Granit oder granathaltigen Gneis gehauen wurde. Ich 
begnuͤge mich, Ihnen zu ſagen, daß man zwiſchen Arona 
und Ferriolo eine kurze Strecke die Straße durch den 
Kalkſtein, dann aber beinahe immer durch den ſehr ſtark 
geneigten Thonſchiefer geführt hat; daß man öfters darin 
Adern von Arſenikkaliſchem Kies und Kupferkies ſieht. Be 
kannter find in ber Höhe die Goldkiesgaͤnge bei Gralia, 
die Bleigaͤnge zu Gineſio und die zwey kleinen Torfs 
moore ob Streſa und Baveno. Von Feriolo faͤhrt 
man laͤngs dem an der Suͤdſeite ſich erhebenden Granit— 
berge Margozzolo bis zur Strona, úber welche eine 
praͤchtige Bruͤcke fuͤhrt. Von Candoglia, welches ge— 
genuͤber dem Margozzolo auf der Nordſeite der Straße 
liegt, bis auf Vogogna ſah ich und empfand ich mit 
meinen Werkzeugen die vielfältigen beinahe ganz verlaſſe— 
nen Erzadern, zuerſt Kupfer, dann Eiſen, die das ganze 
weite Thal und den Fluß durchſetzen, uͤber welchen man 
ob Ornavaſſo und wieder zu Vogogna kommt. In 
dieſem ſchoͤnen Orte findet man Kupferkies und eine Alaun— 
haltige Erde *). Von hier bis Do mo zeigt fich auf Deis 
den Seiten des Thals der tafelartige Granit, den wir 
Beola nennen. Die Lavezella, eine Topfſteinart, die 
einen Klang von ſich giebt, auch Fonolit genannt wird, 
bricht in Val Antrona und zu Ceſore nahe bei Domo. 


*) Man wird ſchon bemerkt haben, daß in dieſem Briefe matte 
che Nachrichten vorkommen, die ſchon in des naͤmlichen 
Verfaſſers Werk, Viaggio ai trè laghi etc. von welchem 
ich einen Auszug geliefert, enthalten ſind. Ich habe ihn 
deswegen an verſchiedenen Stellen abkuͤrzen muͤſſen, um 
nicht uͤberall das Naͤmliche zweimal zu wiederholen. Ich 
laſſe nur diejenigen ſtehen, die die obigen berichtigen oder 
die ganz neu (inb, 


—-— — — 


222 — 


i : $29 
Bei ber merkwürdigen Brüde zu Creolaß wo der Diva 
tio, der vom Simplon kommt, nebſt dem tafelartigen 
Granit eine Schichte von weißem Marmor durchfreſſen 
hat, wird man uͤber die Opuntien erſtaunen, die hier 
auf dem Felſen wachſen. 

Ich wiederhole hier nicht mehr die Merkwuͤrdigkeiten 
des Vedrothales bis auf die Scheidecke des Sima 
plong, die ich in meinem Werke weitlaͤuftig genug bea 
ſchrieben habe. Aber fagen muß ich Ihnen doch, daß ich 
uͤber das große Torfmoor auf der Scheidecke des Berges 
nicht wenig erftaunt bin. Es ſcheint in drey verſchiedenen 
Epochen gebildet worden zu ſeyn, da es aus drey Lagen 
beſteht, die auch durch die mehr oder weniger helle Farbe 


unterſchieden find ). Noch mehr wunderte id) mich, foa 


wohl ſchon vor einem Jahr als dieſes Jahr, in der Mitte 
des Septembers ganze Schaaren von Schwalben anzutrefs 
fen, die gegen den Hauptkamm der Alpen flogen. Es iſt 
bekannt, daß ſie die Thaͤler der Lombardie ſchon im Anfang 
des Septembers verlaſſen ). Dieſes beſtaͤrkt mich in der 
Meynung, daß dieſe Voͤgel nicht uͤber das Meer ziehen, 
ſondern wie die Fledermaͤuſe den Winter in Hoͤhlen erſtarrt 
zubringen. | 

Auf meiner Ruͤckkehr begab ich mich über den See von 


Orta auf Maggiora, um den unterirdiſchen Wald zu 


“x 


unterſuchen, deſſen Ueverbleibſel man daſelbſt an zwey 
Orten ſieht. Eigen tuch liegt er hundert Fuß tief unter 


—— —— — 


) Deragleichen Torffelder, die manchmal febr tief find, giebt 
es ſehr viele auf den Alpen, Ihre Lage beweiſet meiſtens, 
daß ſie die Ueberreſte von Seen ſind, die durch den einen 
oder den andern Zufall ausgetrocknet oder abgeloffen ſind. 

Anm. d. Redakt. 

*) Sonderbar! unſere Thaͤler auf der Nordſeite der Alpen 
verlaſſen ſie erſt in der Mitte des Herbſtmonats, und zwar 
verſammeln ſie ſich zuerſt haufenweiſe. 

Anm. d. Sev ATE, 


zr Bd. M m 


856 


der Dberläche der Erde, allein durch Bergfälle wurde er 

ans Tageslicht gebracht. Nebſt der Gewaͤchserde befinden 
fich einige Fuße weißen Thong und hernach eine einen Dale 

ben Zoll dicke Schichte verhaͤrteter magnetiſcher Eiſenſand 

daruͤber. Unter dem Eiſen befinden ſich die noch ſehr 

kennbaren Lerchenſtaͤmme. Zwiſchen den Holzſchichten ders. 

ſelben ſieht man ſchwarzes glaͤnzendes Raphta, und unter 

dem Holz ſchwarzen, mit Erdpech durchdrungenen Thon, 

der gut brennt. Aus der Rinde und den Ueberbleibſeln 

dieſer Lerchenſtaͤmme erkennt man, daß ſie von betraͤchtli⸗ 

cher Groͤße geweſen ſind. Es giebt einzelne Stuͤcke unter 

den Staͤmmen, welche verſteinert ſind, aber nicht unter 
den horizontal herausragenden Aeſten. Der Hügel, in wels 

chem es liegt, beſteht oben aus Porphyr, nicht weit da⸗ 

von findet man viele Meermuſcheln, und der Eiſenſand 

macht ſich nach und nach los, ſo daß man viel ſammelt, 
um als Streuſand zu gebrauchen. Sonſt herrſcht hier der 

Kalkſtein, der meiſtens dendritiſch iſt, und Bol von allerlei 

Farben findet fich báufig. Auf dieſen und den benach⸗ 

barten Huͤgeln waͤchst ein vortrefflicher Wein. Hier belu⸗ 

ſtigte mich ein Frauenzimmer, welches aus Neugierde die 

Wuͤnſchelruthe auf die Finger nahm, und damit ſich uͤber 

eine Waſſerader ſtellte. Sie erſchrack nicht wenig als ſich 

dieſelbe auf ihren Haͤnden ſogleich herumdrehte und ſie alſo 

wider ihren Willen die Wirkung der unterirdiſchen Eleks 

trizitaͤt an ſich ſelbſt erkennen mußte. 

Auf meiner Rückreiſe nach Mailand hatte ich zwis 
ſchen Oleggio und dem Teſſin Gelegenheit zu bemer⸗ 
ken, daß der Abhang nicht unmerklich it, ſondern aus vier 
Abſaͤtzen, eben ſo viel ungeheuern Treppentritten aͤhnlich 
beſteht, daß alfo das Waſſer ſatzweiſe abgeflo(fen ift. Bea 
weiſe fuͤr dieſe Behauptung liefern unſere Huͤgel und Seen 
genug. 


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Druckfehler aus dem zweyten Bande. 


Seite 69 Zeile unterſte, lies: Pygmæus anſtatt Pygmatus 


- 105 
S III 


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M. =~ 9204 
-- 210 

- 7 

| — 387 


9 v. unt. l. Schams anſt. Rhams 

6 v. unt. l. Gaffadura anſt. Gravadura 
3 l. Seeſa plana anſt. Scefa placa 

4 l. Kazis anſt. Kazi 

9 v. unt. I, Strilſerberg anf, Trilſerberg 
9 l. Juf anſt. Inf 

10-15 v. unt. I. Luemannier anſt. Luemajer 
6 l. Pollenzerthal anſt. Potenſerthal 

15 l. Miforerthal anſt. Meſaxerthal 

5 v. unt. I, Bernino anf. Beroina 

2 v. unt. l. Comerſee unſt. Comſerſee 

9 J. Morbenner anf, Mobener 

16 I. Bitterthals anſt. Bitlerthals 

9 l. Avers anſt. Aters 

15 l. Campovico anſt. Camporico 

3 v. unt. l. Piora anſt. Piota 

1 l. Certig anſt. Cortig 

16 l. Glarus anſt. Clarus 

- l. Panir anſt. Penig 

1 l. Eſchiertſchen anſt. Tſchirtſchen 

17 Tirano anſt. Firano 

6 und 9 v. unt. l. Bolladore anſt. Bolladonne 
3 l. zweyjzaͤhnige anf, zweyjaͤhrige 

14 v. unt, I. Drofui anf. Drofni u. f. f. 
9 l. ODrofuierthal anfi- Drofnierthal 


POSTER NNI Gm o 
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