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Full text of "Alte und neue Richtungen in der Geschichtswissenschaft"

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Von 



IKarl tmtpu^t 



I. Über gcfd^id^tUdie 2Iuffaffung unb gefd^id^tlid^c Znett|o6e. 
II. Hanfe's 35eenlei^re unb bie 3ungranfianer. 







* 












»etlin 1896, 








1 
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aertners Perlagsbu 
Hermann fjevfclber. 

SW. Sd^dnebetgerficag 


t 26. 


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2W§ iä) im Saläre 1891 ben erften Sanb meiner S)eutfd^en 
©efd^id^te l^erau^gab, mar id^ mir bemulgt, bafe bie il^m ju 
©runbe liegenbe Sluffaffung ber gefd^id^tlii^en SEBiffeufd^aft bei 
ben älteren SBertretern ber ©i^jiplin Slnftofe erregen mürbe. 
^ä) tonnte bemgemäfe eine Debatte über bie ^prinjipien unferer 
SBiffenfd^aft erroorten. 

©tatt beffen gefd^al^ etma^ anbere^. ©elegentlid^ l^at fici^ 
einer ober ber anbere SBertreter älterer 2lnf d^auungen münblid^ 
ober brieflid^ in @rörterungen über ben ©egenftanb mit mir 
eingeladen. 3^ übrigen aber l^errfd^te ©d^meigen, unb nur 
von einer beftimmten, weithin fii^tbaren ©teile an^ mürbe ber 
aSerfud^ gemad^t, mid^ au^fd^Iiefelid^ burd^ ben angeblid^en 3lad^^ 
mei§ einer 2lnjal^l von S)etailfel^lern meinet 93ud^e^ „toiffen^ 
fd^aftli(^ ju üernid^ten" . Sei bem ß^arafter meinet 93ud^e^, 
beffen Slbfid^ten nad^ ganj anberen ©eiten gelten, natürlid^ ol^ne 
erfolg; perfönlid^ l^abe id^ mid^ um biefen ©d^lag ins SBaffer 
ni(^t befonberS gefiimmert. 

Unter biefen Umftänben mar e§ mir eine gro^e ^Jteube, 
afe bag Sanuarl^eft ber ^preufeifd^en Sal^rbüd^er t)on biefem 
Saläre enblid^, menn aud^ erft infolge einer pon mir auSge* 
gangenen 3lnregung, einen Eingriff t)on feiten be§ Äieler ^iftoriferS < 
3?ad^fa]^l gegen 3Ketl^obe unb Sluffaffung meinet 93ud^e§ 
brachte ^ ^roat ergab fi(^ für mi(^ f d^on bei ber erften Seftüre, 

^ f^. dia^^af^l, ^eutfd^e ©efd^id^te oom toirifd^aftUd^en ©tanbpunft, 
?r. 3SBÖ. »anb 83, ©. 48-96. 




J 



/- 




rV l>orn)ort 

ba§ l^ier bcr Äem meiner 9lnf($auunöen nid^t berül^rt toirb, 
aud^ nur ber pierte Sanb meinet 95ud^cg jur eJormulierung be^ 
©egenfafeeg l^erangejogen ift — aber tft e§ bod^ ein Slnfang, bem 
frud^tbare erörterungen folgen fönnen. 

gür mid^ untertag eg t)on Dornl^erein feinem Steifet, ba§ 
e^ meine ^Pflid^t fei, in emftere ©i^fufflonen meiner 3luf* 
faffung ber ©efd^id^t^roiffenfd^aft einjutreten. 9hir bie ??orm 
Hefe fid^ gegenüber bem t)orliegenben, 6Io§ nad^ genjiffen ©eiten 
l^in ausgiebigen Singriff nid^t leidet ftnben. Um ber Erörterung 
eine breitere ©nmblage ju geben, fd^ien eS mir fd^IiefeUd^ 
geeignet, einen aSortrag , ben id^ auf bem Diepgen „ipiftorifd^en 
Slbenb" ^a ©ergangenen 3?opember über einige ©runbfragen 
ber ©efd^id^tgroiffenfd^aft gel^alten l^abe, ber Slbmeifung ber 
Slnftd^ten Slad^fal^fe üorauSgel^en ju laffen, biefe felbft aber jum 
großen ^eil mit ber Darjleffung unb Äriti! ber Sbeenlel^re 
aianfeS ju oerbinben. ©o entfianb bie Heine, jefet t)orliegenbe 
©d^rift. SBie man fid^ aud^ ju ben in il^r vorgetragenen ^n^ 
fid^ten im einjetnen ftetten mag, fo l^offe iä) hoä) barin njeit* 
gel^enber Übereinftimmung }u begegnen, baß in il^r mid^tige, 
einer ©rörterung würbige eJragen unferer ©isjiplin belianbelt pnb. 

Sßipjiö/ ^^^ 27. Januar 1896. 

Hampttift 



1 



I. 



3n bcm roarmen unb gcbanfenrcid^en 9iaci^ruf, xod^tn 
eJriebrid^ 3Keinecfe, ate ^Ditt^crauggcber bct ^iftorifd^en ^tit' 
fc^rift, ^einrid^ von ©pbct gcroibmet {|at (^iftorifd^e ^^U 
fd^rift 75, ©. 390 btö 395), finben fid^ am ©d^Iufe jur 
ßl^araltcriftif ber gegentoärtigcn Sage bcr ©efd^id^t^roiffenfd^aft 
folgenbe ©äfee: „2Bir bemühen un^, bic pDÜtifd^e 2Bei§l^eit 
ber ft)belfd^en ©eneration al§ ®rbe f eftjul^alten ; aber eö fel^lt 
un§> babei ber unmittelbare politifd^e Qmputö, unb fo üerfiegt 
eine Duette be^ 2zben^ für un§. Unfere SEBiffenfd^aft fpaltet 
ftd^ jefet in eine mel^r ju 9lanfe jurüdlenfenbe 9ii(^tung, meldte 
in bem SReid^tum ber 3abrl)unberte fd&roelgt, aber bie Oefd^id^te 
mel^r rok ein äft^etifd^eö ©d&aufpiel geniest unb be^megen in 
ber ©efal^r ber inneren @rfd^laffung fielet, unb in eine ftar! 
pofttioiftifd^ benfenbe, weld^e fid^ atterbing^ beö belebenben 3«= 
fammenl^angeg mit ben fojiaten fragen beg ^ageS berühmt, 
aber an innerer Älarl^eit meit jurüdEftel^t l)inter ben ßeiftungen 
ber fpbelfd^en ©eneration, ju einer mirftid^ l^armonifd^en 6r* 
faffung be§ l^iftorifd^en ßebenö nod^ nid^t gelangt ift unb bei ber 
©infeitigfeit i^rer 3Sorau§fe|ungen aud^ mol^t f (^merlid^ gefangen 
mirb. 3Bir, bie mir meinen, ba§ bie ibealiftifd^e SBeltanfd^auung 
unb ba^ intenfioe ©laat^gefü^l beg älteren ©efd&Ied^te^ fid^ nod^ 
feine^wegg aufgelebt l^aben, motten ein aSermäd^tniS in Xreue 
pflegen, o^ne ba^ mir e^ be^megen epigonenfiaft jum unt)errüd^ 
baren 2)ogma erftarren laffen braud^en. ©^ mirb bann fd^on 

Samprec^t, Stite unb neue SRld^tungen. 1 



• H'v^'wr 



2 I. Über gef(^id?tltc^e 2Iuffaffung unb gefc^td^tlic^c Dlettiobe. 

bie ©tunbe fd^lagen, roo roieber ein frifd^ercr 3Binb in bic 
©egel wel^t, n)0 u)ir mit ben unö übcrfornmenen unb t)on un§ 
weiter gebilbcten Sbeen roieber l^eroortreten lönnen au§ ber 
©tille beg ®elel)rtenlebeng , um bcr Station ju bereifen, ba§ 
unfere emfige 3lrbeit a\xä) für bie Slufgaben ber Gegenwart 
nid^t frud^tloS geblieben ift." 

aJlerfroürbige SBorte t)or ädern bcr 9leftgnation ! ©ollte e§ 
mit ber politifd^^n ©efd^id^tfd^reibung im engeren ©inne mirf^ 
Kd^ fo fd^Iimm [teilen? ©ewife ^at man auf biefem ©ebiete 
fd^on oon „SKeaftionären" gefprod^en. 3lber bie 3luffaffung, 
bafe e^ auf bem ©ebiete ber poHtifd^en ©efd^id^te nur eine 
SKd^tung gäbe, bie ber rüdfroärt^ gemanbten Swngranfianer, ift 
bod^ ju eng. 2Bie foll ba bie SRid^tung ctroa 3:^reitfd^fe§ be^ 
ftimmt werben? Unb wie bie Dieter fübbcutfd^er unb beutfd^- 
öfterreid^ifd^er politifd^er ^iftorifer, t)on ben einjelnen gefd^id^t* 
lid^en SRid^tungen in 3iorbbeutfd^Ianb nid^t ju reben? 3)er 
SHefroIog d^aralteriftert nur eine Heine ©ruppe von poHtifd^en 
Jßiftorifem, beren Stimmung in il^m rid^tig wiebergegeben 
fein mag. 
V 35ie politifd^e ^iftorie afö ©anje^ aber barf mal^rl^aftig 

mit mel^r Dptimi^mu^ in bie B^'fwnft fd^auen. ©d^on be^= 
l)alb, Toeil eine politifd^e Slid^tung neben bem Äonjert anbcr^ 
gearteter 33eftrebungen innerl^alb ber gefamten ©efd^id^t^roiffen« 
fd^aft unerläjslid^ ift. ^^v B^tfaB, ja i^r blojseg Schieftreten 
wäre minbeften^ beim l^eutigen ©tanb ber geifteS^ unb ber 
fpejieff gefd^id^t^miffenfd^aftlid^en ^orfd^ung ein UngtüdE. ^rei^ 
lidji : mit bem alten 5ßrogramm wirb fie nid^t fortleben fönnen. 
©g fd^eint mir ein Srrtum unb ungefd^id^tlid^ gebadet, menn 
man für bicfeg Programm ein SBieberaufleben ber befonberen 
Umftänbe erwartet, unter benen e^ t)or etwa einem l^alben Sal^r* 
i^unbert aufgeteilt würbe. S)ie Heinbeutfd^en gbeale finb er* 
fußt; bie junge beutfd^e ©eneration im Steid^e wie aufeerbalb 
ber f d^warjweiferoten ©renjpfäl^le ftredft ftd^ nad^ SBeiterem ; ein 
glänjenber 3luffd^wung nationalpolitifd^er ©efd^id^t^fd^reibung 
wirb fd^werlid^ an^ einem anberen aU einem irgenbwie aH* 
beutfd^ gefärbten politifd^en Programm fieroorgefien fönnen. 



i 



* I. über gefc^tc^tltc^e 2Iuffaffun9 nnb gefd^tc^tUc^e tXleÜ^obt* 3 

Slber id^ vetxoeik ju lange bei fragen fpejiett poHtifd^= 
^efd^id^ttid^en ©l^arafter^. SBeit me^r ju benfen geben bie 
SBBorte aJleinedfeS über bie anbete ntoberne Strömung in ber 
gefd^id^tlid^en ??orfd^ung, bie ftarf pofitiDiftifd^ benfenbe, wie er 
ftd^ augbrüdtt. 3Slan lann barüber l^inroeggel^en, bafe er fie afe 
nod^ ni($t ju einl^eitRd^er Sluffaffung gelangt l^inftellt, bafe er 
ferner glaubt, il^re einfeitigen SSorau^fefeungen roürben bie ©nt- 
mdlung einer fold^en Sluffaffung augfd^ liefen. S)ie Seroegung 
ift nod^ fo jung, wie bie politifd^e ©efd^id^t^fd&reibung ber 
©eneration ©pbefö war, alö fie in ben uierjiger 3>al^ren in 
jel^r oerroorrener Sffieife „au§ ber ©efd^id^te bie ^ßolitif aufju^ 
erbauen für l^öd^fte 5Rot" l^ielt^: Qui vivra verra. 

2^reten tüir an^ bem SBereid^e ber ^ropliejeiungen auf ben 
S3oben ber SBirflicfifeit, fo bleibt bie ©egenüberfteHung ber 
alten unb neuen Siic^tung ate ber pofitioiftifd^ benfenben unb 
ber ibealiftif d^en : alf o eine ©l^arafterifierung t)om ©tanbpunfte 
ber für beibe Steile angenommenen SBettanfd^auung. (Segen 
me fold^e Stellungnahme mufe meinet ®rmeffen§ ©inroenbung 
erl&oben werben. 3m ^nUxe^t beiber Steile. ®§ fann feinen 
wal^rl^aft roiffenfd^aftlid^en Setrieb ber ©efd^id^te geben, ber 
pd^ abl^ängig badete t)on ben SSorauöfefeungen irgenbroeld^er 
„SBeltanfd^auung", möge biefe ibealiflif (| , pofitioiftifd^ ober 
fonft TOeld^er 3lrt fein. 2)ie ©efd^id^t^ioiffenfd^aft ift im 3lal&men 
ber für bie 3Jnbu!tion geltenben erJenntni^t^eoretifd^en Äautelen 
unb ©rgänjungen eine inbuJtiüe SBiffenf d^af t ; alfo fann nur 
ber jeroeilige ß^arafter beg inbuftioen 93eioet§oerfa^ren^ unb 
beffen üerfd^iebenartige 2luffaffung roal^r^aft wiffeufd^aftlid^e 
©egenfäfie unb Strömungen in it)r begrünben. ©ag ift gerabe 
für bie ©efd^id^t^wiffenfd^aft um fo mel)r ju betonen, atö biefc 
@rfenntni§ aud^ l^eute bei ibren Vertretern nod^ feinegtoeg^ 
©emeingut geworben ifi, obroolil fie an fid^ auf ber ^anb liegt 
unb aufeerbem aud^ nod^ neuerbing^ n)ieberl&olt , j. 93. in bem 
toeitoerbreiteten Sel^rbud^e Sernlieimg unb in ber Einleitung 



* SBortc 3afo6 ©rimmS in ben SSecl^anblungcn bc§ gcanffurter ®er* 
maniftentageS 1866, ©. 16. 

1* 



4 I- Über gefc^tc^tUd^e 2lnffajfnng unb gefc^tc^tl^e ITteti^obe. 

jur jweitcn äluftage be§ erften Sanbe^ meiner 2)eutfd^en ®e^ 
f($id&te, au^brüeflid^ betont roorben ift. 35er ©treit j. S. über 
bag aSerpItnig ber politifd^en ©efd^id^te ju ben fulturgefd^id^t* 
lid^en 3^äd^em unb über ba^ „etgentlid^e" Slrbeit^gebiet ber ®e* 
fd^i($te, TDie er t)or einigen Salären aufS tebl^aftefte gefül^rt 
würbe, l^ätte fonft nid^t aufgeworfen werben Jönnen. @ine 
aSiffenfd^aft d^arafteriftert fid^ erft fefunbär burd^ , bie mel^r 
ober ntinber weite Slbgrenjung ber ©ebiete, worauf fie ftd^ 
bejiel^t ; nur in grofeen Slu^naJ^mef äUen, unb niemals bei inner* 
lid^fter Sluffaffung il^reS 2Berbegange§ , wirb fie einen grunb= 
fäfelid^en g^ortfd^ritt in il^rer (SntwidEIung burd^ ©roberung 
neuer Oebiete mad^en, fonbern immer nur burd^ eine wefentlid^e 
SBeiterbilbung i^rer ^Jletl^obe. 

Unb ein Unterfd^ieb ber SKetl^obe, nid^t ber SBeltanfd^auung^ 
Hegt bei tieferer 33etrad^tung meinet 6rmef[en§ aud^ bem gegen* 
wärtigen ^ortfd^ritt ber ©efd^id^t^wiffenfd^aft ju ©runbe, ber 
bie aSertreter be§ gad^e^ in jwei Heerlager fpaltet. hierüber 
möd^te id^T im folgenben einige furje 2lu§fül^rungen bringen- 

2)er ^Popularifator ber leibnijfd^en ^ßbilofopl^ie, SBolff^ 
unterfd^ieb brei 3lrten ber @rfenntni§, bie matl^ematifd^e, weld^e 
bie S)inge nur nad^ il)ren (Sröfeenüerl^ältniffen betrad^tet, bie 
l^iftorif d^e , wetd^e nur il^re 2)f)atfäd^Iid^!eit feftfteHt, unb bie 
ptlilofopl^ifd^e, weld^e if)re ©rünbe unterfuc^t. 3f^m ftanb alfo 
bie ©efd^id^te nod^ auf bem urfprünglid^ften aUer ©tanbpunfte : 
fie l^atte bag @injelne, bie ifolierte 5El^atfad^e, feftjufteUen unb 
ju bud^en. 

©arüber war nun freilid^ bie ^raji^ ber ®efd^id^t§forfd^ung 
fd^on ju äBolp 3^tt, t)or allem eben burd^ 3Bolp pl^ilo* 
fopl^if d^en Qnfpirator, Seibnij felbfi, weit l)inauggegangen. ©ie 
l^atte bie g^olge ber ©reigniffe ing 3luge gefaxt; fie war nac!^ 
2BoIff§ Einteilung pl)ilofop^ifd^ geworben; fie l^atte bie 2^l)at* 
fad^en ju erflären gefud^t. SBenn fie nun fo oorging, wenn 
fie nad^ bem SBarum fragte, l)atte fie afe 3Jiotor ber ©rflärung 
ba§ 3w^<Jprinjip angewanbt ; benn ber 3^^*^ ^ft ^^^ (^^^ ber 
aSorfteHung be§ S3ewirften erfd^loffene Urfad^e. S)abei waren 
aber bie t)on il^r gefud^ten unb gefunbenen ^voeäe immer 3n* 



I. über gefc^ic^tltcfee 2Iiiffaffiing unb gefc^tc^tltc^e IUetl^obc. 5 

bimbualjroede ; fic fül^rten oon Xi)at^a^t ju X^at^aä)t; fie 
TOaren fingulärcr unb fonfretcr 3latux; fie fd^miegten fid^ bcr 
t)on fo Dielen gcfd^id^tömetl^obifd^en ©rörterungen l^et rool^^ 
befanntcn ,,unenblid^en SWannigfaltigfeit ber gcfd^id^tlid^en Xf)aU 
fad^en" an, 

®3 ift nod^ l^eute ber ©tanbpunft ber älteren gefd^id^t^- 
n)iffenf(^aftlid^en Siid^tung. Unb biefer ©tanbpunft mit feiner 
alleinigen Slnroenbung beö 3w)edf6egriffeg f)at ben unleugbaren 
SSorteil, ungemein leidet üerftänblid^ ju fein, benn er befinbet 
fid^ in Übereinftimmung mit bem ungeläuterten, urfprünglid^en, 
empirifd^en menfd^lid^en Seroufetfein. I)iefem ift titn „ber 
3med ber l^errfd^enbe Segriff, unter roeld^em aUe» ©injelne 
beurteilt mirb : er wirb mit ber Urf ad^e oerfd^moljen, unb Der* 
t)rängt in biefer SSerbinbung alle enormen ber Äaufalität" ^ 
€rft langfam gewinnt bem gegenüber bie Äoufalüerfnüpfung 
im nunmel^r miffenf d^af tlid^ gemanbten Denfen Siaum ; nod^ bie 
pl^r)fifO''tl^eologifd^en Spfteme be§ üorigen ^al^rl^unbert^ finb 
befanntlid^ t)om ©ebanfen allgemeiner B^^^^^^^^inbungen ge* 
tragen. 

©inb nun aber S^ed unb Äaufaloerlnüpfung üoHfommen 
Doneinanber gefd^iebcne inteHeftueHe aSorgänge? Äeine^meg^! 
@ie finb nur oerf d^iebene , unferem ©enfen gleid^ immanente 
Setrad^tung^meifen eine^ unb be^felben SSorgange^. Senfe 
id^ mir bie PorgefteHte SBirfung irgenb eine^ ©efd^el^niffe^ afe 
beffcn Urfad^e, fo n)irb biefc Urfad^e jum 3^^^- 3^^ biefem 
3ufammenl^ang liegt eg aber atlerbingg befd^loffen, bafe ber 
3toedfbegriff im objeftioen ©inne bei eingel^enberer miffenfd^aft* 
lid^er 33etrad^tung nur auf menfd^lid^ inbioibuale, flar gebadete 
^anblungen angemanbt werben fann : benn nur biefe üottjiel^en 
itd^ unter SBerurfa(^ung burd^ flar üorgeftellte Sffiirfungen. 
Salier ift eö t)ollfiänbig rid^tig unb begreiflid^, wenn bie ®e* 
f d^id^t^forfd^ung , fo meit fie e§ mit fold^en eminenten 3wed* 
l^anblungen ju tl^un l^at, fl(^ aud^ an ben Q^edUsti^ aU @r* 
flärung^grunb l^ält. 



1 SButibt, Sogif» I, 631. 



L Über gefd?td^tlid?e 2lttffaffung nnb gefd^ic^tlic^e IlTett^o^e. 

2lbcr finb nun äße mcnfd^lid^cn ^anblungen !(arc unb 
eminente 3w^<J^öni>l"«9^^^ iw befd^riebenen ©inn? Äann ber 
©tnjelne nid^t gerabeju jwedloS l^anbeln? Unb giebt eg nid&t 
ein unenblidö auggebefinte^ ©ebiet gerool^nl^eitMälBigen unb 
generifd^en ^anbeln^, in raeld^em, ba alle in gteid^er gefd^id^t* 
lid^cr £eben§l^altung ©tel^enben aud^ wcfentlid^ gleid^ oerfal^ren^ 
ba§ inbimbueße 3Boment beö %\)}m^ poUJornmen jurüdtritt 
vov ber generifd^en ©leid^mä^igfeit beg ©rgebniffe^ atter ^anh- 
lungen? 35erul^t nid^t auf biefem 3Jloment jebe, ntenfd^lid^e 
^anblungen irgenb weld^er 3lrt er^eüenbe iStatiftif ? Unb läfet 
fid^ ba bei fold^en ^anblungen nod^ von inbioibueHen, eminenten 
unb Haren B^edfen reben? S)er Setrad^tung fd^iebt fid^ l^ier 
afö ©rfenntnigprinjip ftatt be^ ^xoedbtQxi^e^ oietmel^r baS ber 
Äaufalität, fei e§ mittelbar ober unmittelbar, unter. 

®§ ift flar, baJ3 bamit eine 3weiteilung ber gefd^id^tS== 
x Tüiffenfd^aftlid^en 3Jletf)obe aU ber Sletl^obe, jum SSerftänbni^ 
ber menfd^Iid^en ^anblungen ju gelangen, gegeben ift. 3nbi* 
t)ibuale, eminente ^anblungen werben immer burd^ im ©inn 
beö QxotdhtQxifiz^ uerlaufenbe ^x;potl^efen miteinanber ju oer* 
fnüpfen fein, i^anblungen bagegen unb ^anbtunggfompleje, 
meldte ftd) aU einer beftimmten ßeben^l^attung gen)öl)nlid& an= 
gel^örig d^arafterifieren, mitl^in generifd^er 3?atur flnb, merben 
ber 3lufl&ellung burd^ ^^potl^efen bebürfen, bie oon ber 2ln^ 
natime eineg faufaten 3Serl^ältniffeg aufgellen. S5emgemä§ treten 
afö bie beiben ©eiten gefd^id^tlid^er.g^orfd^ung 5perfonen= unb 
/ Sebenöl^altung^gefd^id^te, inbioibuate unb generifd&e ober foHef» 
tit)iftifd&e ©efd^id^te au^einanber. 

greilid^ nid^t in bem ©inne, bafe fte je irgenbwo getrennt 
in abfoluter Sieinl^eit tjorfommen. ©ie pnb üielme^r praftifd^ 
überall aufö innigfte loerquidft. 3n ber Äunftgefd^id^te gel^ört 
j. S. bie (Sefd^id^te be^ ©tite^ ber generif d^en ®efd)id^te, bie 
@ef(^id^te ber Äünftler, infofern fie ©minenteä geteiftet l^aben, 
ber Snbioibualgefd^id^te an. 3lid^t anber^ mutatis mutandi» 
in ber Sitteratur* unb in ber Sied^tSgefd^ic^te, foroie fonft auf 
bem ©ebiete ber fogenannten ©eifte^f» wie ber SBirtfd^aft^* wie 
enblid^ aud^ ber potitifd^en ©efd^id^te. 5Rur ba§ auf bem 



L Über ^e^dfidfilidfe 2lnffa{fung nnb gefd^d^tltc^e VfleÜ^dbe, 7 

einen ©ebiete mel^r bie generifd^e ©efd^id^te, auf bem anbeten 
ntel^r bie ^ßerfonengefd^id^te von Sebeutung fein wirb. 

©inb fo bie beiben 9Ketl&oben ber ^^orfd^ung, bie faufale 
roit bie teleologifd^e, unmittelbar unb aufg innigfte überatt auf 
^iftorifd^em ©oben miteinanber oerfnüpft, fo entfielet um fo mel^r 
bie 5^age na^ il^rer gegenfeitigen quantitatioen 3lbgrenjung. 

Unb l^ier zh^n tobt ber ©treit ber 3Jleinungen. 3)aS oorige 
Sal^rl^unbert l^at, fo toeit e« rationaliftifd^ mar, nod^ alle§ 
l^iftorifd^e ®ef(^el^en au^ ifolierten ©injell^anblungen abgeleitet, 
mitl^in auf bag gefamte ©ebiet ber ©efd^id^te bie ^ßräfumtionen 
perfönlid^^eminenten ßwedl^anbelnö unb inbioibuater ^Pfpd^ologie 
übertragen. ©^ ift ein ©tanbpunlt, ber ^eute tl^eoretifd^ mo&I 
menige Serteibiger mel^r finbet, bie ^ßrajig aber nod^, bemufet 
unb unbewußt, meitl^in bel^errfd^t. 

35em trat aber nun immer mel^r bie g^orberung ber Sin* 
menbung beS Äauf atität^prinjipe^ entgegen : aud^ auf gef ($id^t* 
liebem ©ebiet foHte e§ l^ei^en: scire est per causas scire. 
9Bie weit l^atte biefer, wenn abfolut burd^gefül^rt, nid^t minber 
einfeitige ©tanbpunft 3lu6fid&t auf Erfolg? SWod^ im Seginn 
unfere^ Sal^rl^unbert^ fd&ien er faum ©afein^bered^tigung ju 
finben. 2lber balb jeigte fid^, bag baö Sieid^ ber von nn^ burd^ 
Urfad^e unb SQBirfung oerfnüpft gebadeten SSorgänge, ba^ man 
bigl^er jumeift mit bem be^ med^anifd^en 5Raturgefd^el^en§ iben* 
tifijiert ^at% bamit feine^megö abgefd^loffen mar. @§ er* 
meiterte fid^ üielmel^r von %aQ ju 2^age, unb il^m mürben 
jal^lreid^e ^roüinjen aud^ üottbemufeten fieben^ uutermorfen unb 
bauernb einverleibt, ©o l^at j. S3. nod^ Äant bie Slu^be^inung 
be^ Äaufalprinjipeg auf bie biologifd^en 3Biffenf d^af ten , mie 
fie l^eute burd^gefül^rt ifi, jum guten Steile für unmöglid^ ge* 
l^alten. Unb allbefannt ifi, bafe im Saufe unfere§ ^al^rl^unbert^ 
namentlidö eine grojge SReil^e fojialer SBorgänge unter gemijfen 
Äautelen bef onberS ftatiftifd^en ©^arafter^S bem Sieid^e ber Äaufal* 
jufammenl^änge eingefügt roorben ift: barauf berul^t e§, roenn 
bie Sefrud^tung beö gefd^id^tlid^en 35enfeng neuerbingö nament* 
lid& t)on ber ©ojiologie, ber 3Sölferpfgd^ologie unb oerroanbten 
SBiffenfd^aften au^gel^t. 



8 I. Über gefc^tc^tltc^e 2(nffaffung unb gcfc^ic^tltc^e Uletl^obe. 

Sffio aber foH nun biefe Scroegung auf bem ©cbiete ge=^ 
fd^id^tlid^cn SBerftel^eng cnben? 3ln fid^ ift aud^ l^icr eine faft 
unenbtid^e @nt)etterung ber Äaufaljufammenl^änge benfbar: benn 
eö giebt für i^re erroeiterte SluffteHimg nur ein einjige^ an^' 
fd^liefeenbeS, äufeerft elaftifd^eS Kriterium, ba§ nämlid^, bajs bie 
neuen 3ufammenl|änge fid^ bem ©^fiem ber bi^l^er befannten fau= 
falen Bttfcimmenpnge einfügen ntüffen. Unb tl^atfäd&ttd^ ju einer 
unenblid^en 3leil|e fd^eint biefe ©rroeiterung an§> einem anbern 

1^ ©runbe ju fül^ren. Offenbar ift nämlid^ eine empirif(^e 
ainwenbung be^ ßttJedfprinjipe^ nur unter SBorau^fe^ung ber 
gleid^jeitigen ©ültigfeit be^ Äaufalgefefee^ benfbar, benn aud^ 
bei ben eminenteften unb n)illfürli(^ften ^anblungen fann bie 
SSorftellung be§ ju realifierenben 3wedfe§ tfjatfäd^lid^ ate beffen 
— wenn aud^ geioife ni(^t immer einjige unb oieHeid^t nid^t 
immer le^te — Urfad^e gebadet werben. 2)arum müßten fid) 
^ im ©runbe, bei voller ©urd&fid^tigfeit be§ menfd&lid^en @e=^ 
fd^el^en^, alle, aud^ bie eminent inbimbueHen ^anblungen 
fd^Iiefelid^ bod^ burd^ ben faufalen 9ieju§ erftären taffen: in^ 
fofern ift ba§ ^aufalprinjip ein abfolute^, t)on feinem meta= 
pl)pfifd6en ©pftem abl^ängige^ ^oftulat unfere£ SDenfen^. 
g^reilid^: bei ber unenblid^en SBerfettung t)on Urfad;en unb 
SBirfungen in ber gefd^id^tlid^en SBelt ift bie Söfung ber bamit 
gefteHten 2lufgabe motil niemals ju gewärtigen. 3ft i>od^ bie 
Söfung Dermanbter, nur um vkk^ einfad^erer Probleme aud^ 
ben 3laturu)iffenfd^aften, unb l^ier fogar mieberum ber mit be- 
fonber^ einfad^en ©egebenlieiten red&nenben $^pfif, feine^meg^ 
biSl^er gelungen ober aud^ nur in abfetibarer 3eit a(§ reali- 
fierbar in Slu^ftd^t. ©o oiel aber ift nad^ allem bod^ ftar: 

^^ ba^ $ßrinjip ber faufalen ®rftärung befinbet fid^ im SBorbringen 
gegen bie ©renje gemiffer, bislier nur aug bem 3"5ßdprinjip 
l^er erflärter Äompleye gefd^id^tlid^er SCI^atfad^en. Unb inbem 
eg fo, geftü^t auf bie ©ntwidflung einer ganjen 3lnja^t neuer 
©efd^id^t^roiffenfd^aften unb gel^oben burd^ bie igilfe ber ftatifti- 
f(^en aJletl^obe, aggreffit) Dorfd^reitet, l^at feine Slnroenbung eine 
gemiffe Seflemmung ber SSertreter ber älteren, oornel^mlid^ 
teleologifd^en ®efd&i(^t§metf)obe l^eroorgerufen. 



I. Über gcfc^tc^tUc^e 2Iuffaffung unb gefc^idytlic^c V(iet\:to^e, 9 

Sffiie weit ba nun bag neue 5ßrinjip btöl^er wirtlid^e ®r== 
rungenfd^aften aufjuroeifen ^at, ba§ läfet fid^ ungefäl^r aus 
bem 3wfömmenl^ange entnel^men, in bem eS mit ber eoolutio* 
niftijd^en ©efd^id^tsforfd^ung fielet. @ine entroidfctnbe ©efd^id^tS^ 
fd^reibung ift offenbar nur ba möglid^, roo bie 2:i^atfad^en in 
ber ^orm wiffeufd^aftlid^ miteinanber oerbunben werben fönnen, 
bajs bie 3)arftellung t)on ben frül^eren ju ben fpäteren in aus* 
gebel^nten, in fid& t)on ©lieb ju ©lieb abfotut notroenbigen unb 
iibgefd^loffenen ©d^lufefetten fortfd^reitet. ©ine fold^e ©arftettung 
ift aber nur bei faufater aJletl^obe mögUd^. 2)ie teteologifd^e 
S5etrad^tung fd&liefet ja von ber fpäteren ^batfad^e junäd^ft 
rüdfroärtS auf baS frühere finguläre 3Rotit); eine Äette fold&er 
3lüdEfd6lüffe l^at aber nid^tS in fid^ 5Rotn)enbigeS, ba jebeS aRotio 
biefer Äette, weit an^ freiem (Sntfd^lufe l^eroorge^enb , in fid^ 
baS 3Koment ber SBittfür birgt, ©ben auf ber ^rajiS bloßer 
^erbinbungen fold^er fingulär bafte^enber 2Rotit)e berutit ja bie 
ältere ©efd^id^tSauffaffung; barum ift fie pragmatifd^. 3)ie ^^ 
eüotutioniftifd^e ©efd^id^tsfd^reibung bagegen ift eben burd^ mög= 
lid^ft roeitgel^enbe faufate 9luffaffung beS ©efd^el^enen d^araf^ 
terifiert. 

J^ierDon giebt eS, fo Diel id^ fel^e, nur eine, übrigens aud^ 
nur fd^einbare 2luSnal^me. @S läßt fid& nämtid^ benfen, bafe 
in einem gemiffen 3^alle eine 3leil|e oon eminent inbimbuellen 
^anblungen bennod^ in faufaler golge abgeleitet mirb, — in 
bem gaUe nämlid^, bafe fie von berfelben ^perfon auSgel^t. 
SDann läßt fid^ nämlid^ bie urfprünglid^e Slnlage biefer ^ßerfon 
als ber ^ocuS auffaffen, bem biefe Jpanblungen mit abfoluter 
aiotmenbigfeit faufal entfpringen. aJlan fielet: baS ift ber 
gaU ber ^elbenbiograpl^ie, ber fünfilerifd^ gefd^loffenen SiO'^ 
•grapl^ie überl^aupt. 3n il^r läfet fid^ baS faufale unb baS et)0* 
tutioniftifd^e ^ßrinjip aud^ auf bie finguläre ^erfon^ngefd^id&te 
übertragen, — freilid^ nur, menn unb inbem man ben be= 
Iianbelten ^erfonen eine fo ftabile ©runblage iljreS 2:^unS 
jufd^reibt, mie pe fonft 5ßerfonen minber eminenter ^anblungSart 
in il^rer SebenSl^altung, il^rem generifd^en ©afein befifeen. 

5Run ift aber d^arafteriftifd^, bafe auf bem ©ebiete ber fo=^ 



10 I. Über geWic^tltd^e 2Iuffafl[nng nn^ gefc^id?tlid?e lUetljobe. 

^ genannten reinen politifd^en ©efd^id^te, foweit beren 3)arftettun9 
ben l^öd^ften fünftlerifd^en 3Kot{r)en entfpringt, l^eute üornel^mlid^ 
nur bie Siograpl^ie nod^ blül^t, wie an6) auf anberen ©ebieteU;. 
}. S. bem ber Äunftgef d^id^te , bie l^erüorragenbftcn Stn^änger 
be^ 2ltten faft nur nod^ biefe 2lrt ber ©efd^id^tSfd^reibung pflegen. 
3)amit ift alfo gerabe auf bem ©ebiete, roo ba0 SKoment ber 
^erfonengcfd^i(^te überwiegt, bem eoolutioniftifd^en unb faufalen 
©ebanfen bag größte ©ntgegenfommen beroiefen. 6§ vtxvoü' 
ftänbigt unter biefen Umftänben nur baö 33ilb, wenn bemerft 
^ wirb, bafe bie entroidelnbe ©efd^id^t^betrad^tung im roefentlid&en 
ate bie moberne ©efd^ic^t^betrad^tung par excellence betrad^tet 
ju werben pflegt. 35a§ aUeg bebeutet nun, naä) frül^er 2lu^= 
gefül^rtem, einen raeitgel^enben ©inbrud^ be§ Äaufalprin^ipe^ im 
ba§ gefd^id^ttid)e S)enfen. 

3a man fann fid^ fd^on fragen, ob in biefer Siid^tung 
nid^t bereits l^ier unb ba an^ frohem ©ntl^ufiaMuS ju weit 
gegangen wirb, ^ebenfalls aber mu^ barauf I)ingen)iefen werben^, 
bafe bei ber Unt)olIfommenI)eit beS meufd^Iid^en S)enfenS eine 
l voUe 3luflöfung be§ gefd^id^tUd^en SBerbenS in Äaufaljufammen* 
f)änge mol^f niemals erfolgen mirb, baj5 mitl^in bie teleologifd^e 
©rllärung neben ber faufalen unter allen Umftänben in gewijfen 
©renjen il^re Sered^tigung belialten mirb. 

3d^ fönnte l^iermit meinen Kommentar ju ben 2Borten 
3JfeinedfeS f daließen 2lber eS liegt mir am ^erjen, nod^mals 
auf einen mid^tigen ^unft jurüdEjufommen, nämlid^ auf baS 
3Serl)ältniS jmifd&en Iiiftorifd^er 3Jietf)obe unb gefd^id^tlid^er 
SBeltanfd^auung. ^tnn iä) benfe, eS mirb fid^ gerabe von biefer 
(Seite l)er bei genauer Überlegung am leid^teften ein @int)er^ 
ftänbniS unter aUzn mobernen igiftorifern bal^in erjielen laffen^ 
bafe bie tieffte Semegung ber gefd^id^tlid^en 3Biffenfd^aft fd^lie^^ 
lid& nur von ber ©ntwidlung il)rer 3Retl^obe abl^ängig fein fann. 

Snbent fid^ mit ben 3Jfet^oben jugteid^ bie SBeltanfd^au* 
imgen? Sft mit ber teleogifd^en 3Ret^.obe untrennbar unb not- 
menbig eine beftimmte SBeltanf d^auung , mit ber faufalen eine 
anbere üerfnüpft? ©o t)iel ift flar: in bem 2lugenblidfe, ba 
mir bie reifften grüd^te oom S3aume ber ©rfenntniS pflüdEen 



I. über gefc^tc^tltt^e ^Inffaffung unb gefc^t(^tlt(^e ITTett^obe. H 

werben, lüerben wir atte ®ott fc^auen. 216er bie erfenntnis^ 
tl)eorettfd^en Semül^ungen finb weit, weit oon biefem 3^^!^ 
entfernt. @§ fel^lt nod^ faft alle^ baran, ba§ unferc attgemeinen 
@rfenntnigprinjipien nur @ine ntctapl^t)fifd^e Söfung juliefeen. 
5Run aber bifben bie @rfenntni§prinjipien ber ®ef($i(|t^wiffen* 
fd^aft bod^ nur einen Keinen SJeil ber allgemeinen menf($Ii($en 
©rfenntniSprinjipien. Unb biefer 2;eil foHte erntögli(|en, ja 
jur notwenbigen golge l^aben, wa§ ba§ Oanje nid^t leiflet, 
Tjermuttid^ nimmermel^r leiften fann? @^ ift nic^t^ mit bem 
©ebanfen, baj5 eine beftimmte l^iftorifd^e 3Wetl^obe eine beftimmte 
SBeltanfd^auung au^ fi(| gebären muffe. @o ift eS aud^ nid^t^ 
mit bem ©ebanfen, ben gewiffe I)iftorif d^e SRid^tungen al§ 3Iu§= 
brudE eine^ il^nen ft)mpatf)ifd&en SBertgefül^te^ fultimeren, bafe 
ber eootutioniftifd^en 2Ketljobe nur eine materialiftifd;e SBelt- 
anfd^auung entfpred^en fönne. ^nä) 3Jieinede fprid^t baoon, 
©pbet l^abe „mit 2^rauer in unferer SBiffenfc^aft ben ßinbrud^ 
materialiftifd^er ©ebanfen" gefeljen. (3t)bel f)at ba§ gewiß 
nid^t mit Siedet felien fönnen, infofern biefe ©ebanfen einer 
beftimmten 3Ketl^obe üerbanft würben. @S ift nid^t erft neuere 
bing§ bemerft worben, baß fogar ber barwinifd^e naturaliftifd^e 
©üolutioni^mug in feinem faufalen 3wf<^wtmenljange bie au§= 
gejeid^netfte aKöglid&feit einer fubjeftit) teleologifd&en 33etrad^tung 
unb bamit einer bualiftifd^en SBeltanfd^auung bietet. 3l6er 
@t)bel l^ätte, aud^ abgefel^en von ben gwfommenpngen mit ber 
9Ket]^obe, feinen ®inbrud^ materialiftifc^er ©ebanfen beobad^ten 
fönnen, wenn er nid^t bemfelben fd^weren 2)enlfel^ler rerfaßen 
wäre, ben man jefet bei fo Dielen 2ln^ängern be^ 2llten auf 
l)iftorifd^em ©ebiete wa^irnel^men fann. 2Ber 2Birtfd^aftö= 
gefd^id^tc treibt unb wirtfd^aftlid^e ©inftüffe im gefd^id^tlid^en 
(Sefd^e^en anerfennt, fie gar wol^t in biefeg einfül^rt, gilt 
f)eute einer großen ©ruppe oon ^iftorifern ate SJlaterialift. 
Sffiarum? 3d^ fel^e feinen anbern ©runb atö ben: weil man 
fid^ gewöl^nt l^at, bie wirtfd^aftlid^en ©cfd^el^niffe aU „materielle" 
benen ber Äunft unb Sitteratur, überl^aupt ber Slnfd&auung unb 
beg abftraften SDenfeng entgegenjufefeen , weil man oon „mate=^ 
rießer" unb „ibceHer" Äultur fprid^t. aWerfwürbige Äurjfid^t! 



12 I- Über gefc^tc^tltc^e 2Iuffaffiing unb geft^tc^tltc^e IRett^obe. 

Sebe^ Toirtfd^aftlid^c 3^l^un tft pf^d^otogifd^ genau fo bebtngt 
loie irgenb ein anbetet „getftigc^" 2^l^un; jebe ©ummc roirt- 
fd^aftli(|er ©rrungenfd^aften tft genau fo 9lieberfd^Iag feelifc^er 
SSorgänge wie trgenb ein ©ebid^t, ein die^t^bnä), eine ftaatlid^e 
3nftitution. SKaterialiftifd^ ifl aber bod^ tooI^I nur ber, ber 
geroiffc pfpd^ologifd^^ntetapl^pfifd^e 38orau§feftimgen mad^t? ®er 
pl^itofopl^ifd^e 50iaterialigmug liegt roeit abfeit^ ber l^ier be- 
rül^rten ©egenfäfee- 

3lber eS giebt einen praftifc^en 9Kateriali^muS, — unb 
^im ber, werben ntand&e ^iftorifer meinen, brid^t unter ber 
SBirfung ber Seute von ber ftarf pofitioiftifd^en SBeltanfci^auung, 
bie jugleid^ bie ©üolutioniften pnb, hierein! ®§ ift eine 3ln* 
flage be^ ©efül^Ie^, nid^t be§ aSerftanbe^, bie fid^ l^ier l^ören 
läfet; fie ift barum mit Orünben nid^t ju raibertegen. 9?ur im 
©inne eines argumentum ad hominem fei bal;er auf Q^oIgenbeS 
aufmerffam gemad^t. @§ ift eine in ber ®efd&id&te taufenbfad^ 
tr)ieberl)oIte unb an fld^ in jebem 95etrad^t natürlid^e ®rfal^rung, 
bafe intenfioere Setrad^tungSioeifen , bie neu auftreten unb 
innertialb beren fid^ befannttid^ jeber geiftige g^ortfd^ritt über* 
i)aupt Dolljiel^t, juerft für il^re 3lnn)enbung bie leid^teften Db* 
jelte auffud^en. ©ie fd^einen alfo bei il^rem erften 3luftreten, 
auf ben erften 33tidf gefelien, bie t)orbanbenen Probleme ju Der- 
flad^en, ja in ben ©taub ju jiel)en. 9Kan geftatte ein 33eifpiel 
a\x^ ber neueften Äunftgefd^id^te. SDie 9JlaIerei in freiem Sid^t, 
bie äftl^etifd&e 3luffaffung ber 3lufeenn)elt aU einer lid^tum* 
ftoffenen, ift jmeifeteol^ne ein mefentlid^er g^ortfd^ritt in ber 
äftl^etifd^en S3el)errfd^ung ber Söelt. 2lber woran würbe bie 
neue aRetl^obe juerft erprobt ? ®twa an ben inl^alttid^ l^öd^ften 
Problemen ber 3JlaIerei? 9Ran gebenfe ber Äol^trüben- unb 
©alatblättermalerei, ber ©arfteHung farblofer ^nnenräume mit 
tloHänbif d^en g^enftern ! 3efet freilid^ finb wir längft ber 2lnfänge 
einer met^obifd^ imprefponiftifd^en, inl^altlid^ ibealiftifd^en Äunft 
üerfid^ert. 3lber wie ift injwifd^en über ben materialiftifd^en 
^Serfatt ber Äunft gejetert worben! 

SSebarf eS ber Sttnwenbung biefer ©rfal^rungen auf bie 
Sage ber ®ef d&id^tSwiffenf d^af t ? S)ie faufale SKetl^obe fann 



I. über gefc^id?llic^e 2luffaffung unb gefdytdytlic^e lUetljobe. IS 

nirgcnb^ leidster gel^anb^abt toerbcn atö auf bcm ©cbictc ber ^ 
fojialcn unb Toirtfd^aftlid^en ©rfd^cinungcn. 3Ran laffc il^r 
btef en ©pielraum ! 2)ic 3^it toirb f omnten, roo tl^re SBertreter 
toeiter greifen, wo fie ifire ©renjen fennen lernen, wo fie il^rer 
fclbft vöüxQ fidler fein werben unb roo fie im SBoHgefül^l ber 
il^nen uerliel^enen ©d^Iüffelgetoatt aud^ geroiffe SRätfel beS^ 
wenn man fo roilli, pl^eren geiftigen Seben^ in il^rer SBeife ju 
löfen beftrebt fein toerben. @§ ift aud^ eine immer roieberl^otte 
gefd^id^tli(|e SC^atfad^e, bafe ältere Oeifte^rid^tungen, im Sefi^e 
ber ©eroalt über ba^ jeitgenöffifd^e 2)enfen, weit intoleranter 
finb ate jung emporbringenbe Strömungen. 3Röd^ten bie aSer^ 
treter ber älteren l^iftorifd^en SRid^tung aud^ barin il^re l^iftorifd^e 
©rfal^rung betl)ätigen, bafe fie nid^t nad^ 2lnalogie biefer Xi)aU 
fad^e l^anbeln, fonbern mit ben jüngeren in jene ruhige ®r* 
örterung ber unterfd^eibenben aWerfmate eintreten, bie biefe 
l^erbeijufül^ren geroife beftrebt finb. 

* 
S)en bi^l^erigen Slu^fül^rungen, roie fie oon mir im Dftober 

Dorigen 3al)reS niebergefd^rieben rourben, ift injroifc^en ber 

fd^on in ber SSorrebe erroäl^nte 3luffa^ SRad^fal^te gefolgt. 6r 

entl^ält om ©d&luffe ^ eine Slnjal^l oon met|obologifd^en Öemer* 

fungen, bie fid^ teilroeife auf bag foeben bel^anbelte ^l^ema be* 

jiel^en; e§ mag barum geftattet fein, in il^rer Setrad^tung bie 

3lid^tig!eit beö bi^l^er SSorgetragenen ju prüfen, foroie ju 

einigen weiteren ^Folgerungen ju gelangen. 

Slad^fal^l fnüpft an eine ©teile be^ oierten 33anbeg meiner 

©eutfd^en @efd^i(^te an, roo id^ im älnfd^luffe an bie ©rroäl^nung 

ber ©d^roeijerfage junäc^ft g^olgenbe^ geäußert ^abe: „©tel^t 

biefe Sage mit il^ren 2lu§fül^rungen roie mit ber ganjen Slrt 

il^rer SSorfteHung unb Silbung nun ber 3lrt moberner ®ef d^ii^t^* 

forfd^ung gar fo fern, ift fie Dor allem oon il^r grunbf äftlid^ 

gefd^ieben? ©id^erlid^ roiffen roir ie|t t)on ben frül^eften @nt* 

ftel^ung^oorgängen ber ©ibgenoffenfd^aft oiel me^r unb roeit 

©enauere^, afö bie fagenbilbenbe 5pi^antafie ber ©d^roeijer 

Sürger unb 33auem beg 14. unb 15. Sal^rl^unbertg. Slbcr 

' ?5reu6. 3a§rb. 83, ©. 87 ff. 



14 I- Über gefc^tc^tltc^e ^Inffaffnng unb gefd^td^tltc^e Xlteti^obe. 

f)ahm Toir bief e enoeitertcn Äcnntniffe mit p t i n c i p i c 1 1 anbeten 
^Kitteln gewonnen? 25q8 üolfötümlid^e (Sebenfen fd^uf aus 
einer oberfläd^tid^en ©rinnening an Oefd^el^eneg mit grober 
@mpirie ein ©eroebe, bei bem ftd^ nur nod^ bie ©runbform 
für ben ©infd^tag atö gefd^id^tlid^ ed^t erroeift; mir felien mit 
oerfeinertem 3[uge unb unter intenfiofter Setrad^tung bie SReli^ 
quien einer vergangenen S^it burd^, um auS ilinen bag ganje 
einft ©emefene ju ermitteln. 3lber bie 3Jletl^obe ift im 
©runbe biefetbe: l^ier wie bort arbeitet bie ^l^antafie, 
um bie 2!otaIität be§ ©efd^el^enen mieber J^erjufteHen : baS 
^eute unterfd^eibct fid^ oon bem @inft nur burd^ ben ©ebraud^ 
raffinierterer 5WitteI ber 2lrbeit." 

Siad^fal^t fielet Seite 89 in biefen SBorten mit SRed^t bie 
SBel^auptung, bafe „baS (id^ mürbe jufe|en : pfpd^ifd^e) SSerfal^ren 
bei ©agenbilbung unb SRetonftruftion l^iftorifd^er ©reigniffe (id^ 
mürbe jufefeen : grunbfä^Iid^) baöfelbe fei". ®r menbet bagegen 
ein: „©oute nun nid^t bod^ in ber 3;i^at ein principieller 
Unterfd^ieb jmifd&en bem SSerfal^ren bei ber ©agenbilbung unb 
bem bei ber ©efd^id^tsforfd^ung ftattl^aben! Sitte ©agen* 
bilbung berul^t auf ber 2;i^ätigfeit ber 6inbilbung§Iraft ; aud^ 
bie ©efd^id^tgforfd^ung !ann fid^ ber 3Witroirfung ber ©in^ 
bilbungSfraft ebenforoenig entjiel^en, wie atte anberen SBiffen- 
f d&af ten, bie SRaturroiffenfc^aften nid^t aufgenommen. SBäl^renb 
aber bei ber ©agenbilbung bie ^liantafie frei il^re ©d&öpfung§== 
fraft entfaltet, millfürlid^ bie in ber l^iftorifd^en SBirflid^* 
feit entl^altenen ©reigniffe unterbrüdfenb, umgeftaltenb, ergänjenb 
unb überfiaupt im ©inne ii)ve SIenbenj üermertenb, fo ift i^r 
©ebraud^, mie in jeber, fo aud^ in ber l^iftorifd^en SBiffenfd^aft 
gebunben unb bef d^ränft burd^ ein ©pftem von Siegeln 
unb ^principien, meldte gemäfe bem befonberen Dbjefte beS ©r= 
fennenS auf biefem ©ebiete ber SSerflanb beftimmt unb auf* 
geftettt l^at. 3)en 3}"6egriff bief er SSerf alirungSroeif en , burd^ 
bie eS nn^ möglid^ wirb, ju gefid^erten Äenntniffen 
innerl^alb ber gefd^id^tlid^en SBiffenfd^aft ju gelangen, nennen 

mir bie l^iftorifd^e aJlet^obe 3)aS, ma§ Sampred^t 

afe «raffiniertere SRittel ber 2lrbeit» bejeid^net, baS ift eben 
bie l^iftorifd^e aWetl^obe, errungen unb erprobt an ber -Ratur 



I. über gefd^ic^tlti^e 2Iuffaffuiig unb gefc^ic^tlic^e IHctl^oöe. 15 

bcr Dbjeftc beö gcfd^id^tUcIcn ©rfenncn^, unb eben in ber 
® jiftenj bief er 3Jletl^obe i|l ber p r i n c i p i e 1 1 e Unterf d^ieb be§ 
aSerfaf)ren§ bei ber ©agenbilbung üon bem bei ber ©efd^id^tö^ 
forfd^ung begrünbet, unb barauf berul^t unfere bered^igte Über^ 
jeugung üon bem 6t)Qra!ter ber ©efd^id^te afö einer tüafiren 
3Biffeufd&aft." 

Stad^fal^l gefjt in biefen ©äfeen, bie nad^ meiner ©rfafirung 
gen)i6 bie aJle^r^eit ber l^eutigen beutfd^en ^iftorifer nod^ unter* 
fd^reiben roürbe, von ber ©runbanfd^auung ouS, bafe jroifd^en 
bem pfpc^ifd^en SSerfal^ren bei ber ©agenbitbung unb bem bei ber 
©efdftid^t^forfd^ung ein principieller Unterfd^ieb befiele. ®iefe 
Slnfd^auung Iä6t fid^ alg falfd^ erroeifen. ©eroife: wenn idi 
mid^ l^eute l^infeße unb "iWärd^en ober ©agen „erbenfe", fo ift ber 
Unterfd^ieb t)on ber ©efd^id^teforfd^ung augenfd^einlid^. 3lber 
nid)t fo finb unfere i)iftorifd^en Sagen entftanben. diaä)^ai)l 
rerlennt ifire ©enefi^ ooDfommen, roenn er babei oon freier, toiß* 
fürlid^er ©inbilbung^fraft rebet. ©ie finb entftanben al§ befte, 
nad^ Sage be§ früberen ©eifte^tebenS ehen nod^ möglid^e g^orm 
toa^rtiaftigcr l^iftorifd^er Überlieferung: i^r ^nl^alt ift 
bie niebergefd^Iagene @ef d^id^ te frül)erer Seit. §ätte JUad^fal^I 
nid&t menigfteng an bie befannte ©teile ber Oermania benfen 
lönnen, in ber 2^acitug oon ben Carmina antiqua rebet, „quod 
unum apud Germanos memoriae et annalium genus est?" 
3ft il)m unbefannt, bafe unfere mittelalterlid^en ®pen fid^ nid&t 
genug barin tl^un fönnen, immer roieber ju oerfid^ern, roa^ fie 
erjäfilen, fei jje wäre fo gefd^e{)en, bafe unfere ©pifer biefer 
3eit faft ftetS, mie ber geroiffenl^afte ^iftorifer t)on l^eute, i^re 
Duellen angeben, in ber 2lbfid^t, auf biefe 3lrt bie 3Bal|r^eit 
tl^rer @rjä^Iung ju erl^ärten ^ ? @g l^at niemals eine l)iftorifd^e 
^rabition gegeben, bie nid^t bie oolle Sffial^rfjeit, b. ^. bie SBal^rlieit 
in ber unter ben Umftänben il^rer @ntfteljung nod^ eben möglid^en 
35efreiung oom ©piel ber ^l^antafie, £)ätte oermitteln TOoHen^. 

1 «gl. u. Q. and) öcrnl^cim, Sel^rbud^ ber ^ift. ÜWetl^obe« 6. 104, 149. 
§onter, bie @agaä, bie S'iibelungen „gelungene ©efc^id^te": öern^eim, ®e* 
fc^id^tgforfd^ung unb ©efd^id^täp^ilofopl^ie ©. 4. 

^ 9?g(. auci^ ©immef, ^Probleme ber @efcl^icf|t^pf|i(ofop5ic ©• 5 ff., 51 ff. 
3)ie «pi^antaftc „aller §iftorie SÄutter": aKommfen. mm. (Sefc§. 5, 2. 



16 !• über gefc^tc^iltc^e ^luffaffnng nnb gefc^ic^tltc^e IlTetl^obe. 

5Da§ gilt aud^ t)on ber fagenl&aftcn J^rabition; unb e§ bc^ 
lunbct ein geringe^ (Sinbringen in bie geiftigc SBcIt t)cr* 
gangener Briten, wenn man ba^ leugnet. 3it)if($en ber ®e* 
fd^id^t^forfd&ung t)on l^eute unb ber ©agenbilbung von frül^er 
befielt barum feinertei grunbfäfelid^er Unterfd^ieb: beiben ift 
bie Überlieferung ber SBal^r^eit einjigeg ^kl: Dorl&anben ift 
nur ein grabueller Unterfd^ieb naä^ 9Ka6gabe ber oer* 
fd^iebenartig au^gebilbeten SJlittel jur geftftettung ber SEBal^rl^eit. 

3Jun fönnte man freitid^ fagen: biefe aJlittel jur ^^^ft* 
ftettung ber SBal^rlöeit finb l^eute fo enorm au^gcftaltet, bafe 
fie fid^ mit ben frül^er angeroanbten in feiner SBeife mel^r t)er= 
gleid^en laffen : fo bafe bennod^ — ein wirf lid^ grunbfäfelid^er ja j 

niemals — aber bod^ ein faft grunbfäglid^er Unterfd^ieb j 

jtoifd^en früherem unb l^eutigem gefd^id^tlic^em 2luffaffen be- 
fielet. Unb ba^ ift roofil in jroeiter SlngrifföfteHung bie 9Kei= 
nung SRad^fafil^. 

Offenbar l^aubelt eg fid^ bei ber Erörterung b i e f e r S^rage 
nur nod^ um relatioe 33egripbifferenjen, mittiin nid^t mel^r 
um bie 3Röglid^feit logifd^en Seroeifeg, fonbern nur nod^ um , 

bie ^Beibringung reid^er ©rfal^rungen. 5Run roei^ id^ f el)r wol^l^ 
bafe oon ben meiften g^ad^genoffen unfere 3)ietl)obe, wenn rid^tig 
angeroanbt, aud^ lieute nod^ ate faft unübertrefflid^ angefel^en 
mirb, unb ba§ man il^r bie Ermittelung abfolut ftd^erer @r* 
fenntni^ faft in aße SEBege jutraut, obwohl wir bie 3^it^n 
eine^ geroiffen metl^obifd^en ^aroy^SmuS mol^t l^inter ung l^aben. 
Unb aud^ id^ benfe gewiß von biefer 3Jletl^obe, beren ^anb* 
griffe id^ täglid^ ju leieren befliffen bin, nid^t gering. 9lber 
id^ fann in i^r bod^ nur eine befonber^ intenfto unb reid^ ent* 
TOidfelte S^ed^nif feigen, bie auf an ftd^ fe^r einfädle unb ftet§ 
gefannte ®runbfä|e aufgebaut ift. 3Ran mag ja rul^ig bafür 
bag 2ßort SKetl^obe gebraud^en; e^ ift ju berfelben 3^it ge* 
f d^id&t^raiffenf d^aftlid&en ©d^roärmeng aufgenommen, ba man fleine 
fritifd^e Slrbeiten auf l^iftorifd^em ©ebiete nid^t mel^r mit bem 
befd^eibeneren Söorte ,;Unterfud&ung", fonbern bem präten* 
tiöferen „gorfd^ung" ju bejeid^nen begann. Slber man foH ftd6 , 

beroufet bleiben, bafe bag ganje SSerfal^ren, wie gef agt, auf fel^r 



I. über gefc^ic^tltd^e ^Tuffaffung nnb gefd?id?tltd?e UTctljobe. 17 

einfad^cn, ftet§ gcfannten erfenntnistlieorctifd^en ©runblagen 
berul^t, unb baß feine Slu^bilbung feine^iDegS einem befonberen 
überaus genialen evgrjf^a, fonbern ber notmenbig fortfd^reitenben 
^ntenfität^fteigerung unfrer ©tubien vexhanlt wirb, bag Iieifet eben 
ju bent frül^eren SBerf al^ren l^iftorif d^er ©agenbilbung nid^t in einem 
abfotuten, fonbern einem f e^r roo^I erf ennbaren relativen, 
grabuellen ©egenfafe fielet. SRur bieg, unb nid^t^ anbreg 
^abe iä) an ber von Siad^fal^I jitierten ©tefle be§ merten 
Sanbeg meiner Seutfd^en (Sefd^id^te au^gefül^rt. 

^ä) braud^e jefet aber, ba eg fid^ bei ber ganjen ^rage um 
Beibringung l)iftoriograpl^ifd^er ©rfal^rungen l^anbelt, ba§ 
aUeg t)ier nid^t blofe ouf meinen Äopf t)in ju roiebertiofen, 
fonbern id^ fann j"9t^i<I) ®ibe§l^elfer l^eranjie^en. Unb f)ier 
meife id^ mid^ nun vov allem — unb bag fd^eint mir DöHig 
entfd^eibenb — ber Bwftiwtmung Slanfeg ganj unb gar fidler. 
3Jian lefe in biefer ^infid^t nur, maS Sorenj im jroeiten 
Sanbe feiner ,,@efd^id^tgTOiffenfd^aft", ©. 22 ff., t)on 9ian!ef($en 
Slugfprüd^en jufammengeftellt Iiat^ 

"ifteben meinen Slnfid^ten über ©agenbilbung unb ©efd^id^tö* 
miffenfd^aft f)at Siad^fal^l nod^ befonberg meine 2lnfd^auung 
über ba§ aSerl^ältnig von politifd^er ©efd^id^te unb ftultur* 
gefd^id^te (rid^tiger: ^ßerfonen^ unb S^^ft^ttb^gefd^id&te) in ^in* 
fid^t i^rer metijobologifd^en S3egrünbung angegriffen. 3d^ l^abe 
l^ierju 3)eutfd&e ®ef(^id^te IV, ©. 133 f., ba§ folgenbe geäußert: 
„@ine Snberung (in ber (Sicaltfjeit ber l^iftorifd^en SWetl^obe) 
würbe nur bann eintreten fönnen, menn e^ gelänge, eine geläuterte 
5Pfr|d^ologie in äl^nlid^er SBeife jur (Srunblage l^iftorifd^en 
eJorfd^eng ju entwidfeln, roie bie 3Ked^anif ©runblage natur* 



* 2lm felbcn Drte 6. 33 meint Sorenj auö ber intimen, in biefem 
gatte jroeifel^ol^ne richtig fd^lieftenben Äenntnig Stanfcg l^erauä: „Sßenn 
man bie groge beontroorten follte, ob Slanfc an bie ^Diöglid^feit einer 
egaften SBiffenfd^aft ber ©efd^id^te geglaubt "^at, fo wirb man biefetbe auf 
baä beftimmteftc Derneinen bürfen." Sgl. aud^ unten @. 47 — 48. ^ad^^ 
fal^I (©. 89) l^at bagegen für bie entgegengefe^te 2luffaffung ber 2)inge 
freiließ bie 2lutoritäten XHif)er)^ unb Sern^eimö, jmeier fonft fel^r »er* 
fd^iebener SDcnfer, für fid^. 

Sampred^t, Stlte unb neue Stid^tungen. 2 



ff 

18 L Über gefc^tc^tltc^e 2Iuffaffung unb gefc^tc^tltc^e XTtett^obe* 

toiffenfd^aftlid^er Unterfud^ung gctuorben ift. "J^räte aber, biefer 
g^att ein, fo tüürbe felbft bann nid^t eine ©efd^ic^töfd^reibung, 
weld^e auf bie SJarftettung nur einmal gefd^el^ener n)ir!Iid^er 
SBorgänge au^gel^t, t)or attem alfo bie politifd^e (Sefd)id^t§^ 
fd^reibung, jum Stange einer fogenannten üoHen SBiffenfd^aft 
ju erl^eben fein. S)enn eine ^Pfpd^ologie, als SKed^ani! ber 
©eifte^TOiffenfd^aften gebadet, fann ben Xr)pn§> pft)d^ifd^er SBor* 
gänge nur auS einer 3Jlel^rl^eit beutlid^ Dortiegenber gdlle ent^ 
widEeln^ 3)ie politifd^en SSorgänge aber bieten n)eber biefe 
3Kel^r]^eit, nod^ liegen fie fo beutlid^ beglaubigt t)or, bafe fie 
bie innerften 3Jlotit)e unb ©trebungen ber ^anbelnben jemafe 
j[^ anberS afö üemtutungSroeife ju refonftruieren geftatten. ©o 
toirb bie politifd^e ®ef d^id^tsf d^reibung , roenigftenS bei ein* 
gel^enber 2)arfteIIung , niemals eines romanl&aften 3^9^^ ^nt* 
beirren; fie wirb immer eine, wenn aud^ nod^ fo fpät geborene 
®nfelin fein ber ©age. gür baS fulturgefd^id^tlid^e ©ebiet 
bagegen tä§t jtd^ eine Bw^i^^ft t)orfteIIen, bie auf bem 2Bege 
pfgd^ologifd^nnbuftioer Surd^arbeitung eines maffenl^af ten , in 
fid^ mefentlid^ gleid^artigen aJlateriatS ju üoDüommeneren 
roiffenfd^aftlid^en 2Bal)rt)eiten fü^rt, unb oon il^rem @mpor= 
taud^en mufe ein neues 3^ttalter ber ©efd^id^tSroiffenfd^aft 
erwartet werben." 

SluS ber ©umme ber Semerfungen , meldte 3lad^fal^l 
©. 90—93 feines 3luffafeeS biefen SBorten mibmet, greife id^ 
junäd^ft l^erauS, maS er über bie 3JlögIid^feit einer fid^ereren 93e^ 
grünbung ber ©efd^id^tSroiffenfd^aft auf bie jpf^d^ofogie äufeert. 
®r lel^nt ba bie ,,biSl^erige" ^Pfpd^ologie ab unb erwartet aUeS ^eil 
oon ber angebtid^ neuen, befd^reibenben unb jergliebernben ^f^d^o- 
(ogie, als beren aSerfiinber 35iltl^et) aufgetreten ift^ 3d^ gel^e 
auf bie bamit angeregte Äontrocerfe nid^t ein; fie fann il^re ^ 

* 2)tcfer ©a^ lautet in ber groeiten Auflage: „S)enn felbft eine 
^fpd^ologie, oI« SKed^anif ber ©eifteöwiffenfc^aften gebac^t, würbe bie ^ 

^iefe pf^d^ifd^er SSorgänge nur auö einer 3Rel^r§eit beutlid^ üorliegenber i 

IJäHe entwidteln lönnen." 

2 93er. b. Serl. 2r!b. b. SBiffenfc^often 1894, 1309 ff. Sergl. baju 
t)ie üernid^tcnbe Äritif »on @bbingl^au§, Sl f«^ ^ßf^d^ologie unb ?ßl^9* 
fiologie ber ©inneäorgane SBb. IX, 161 ff. 



I. über gefc^tc^tUc^e 2Iuffafl[nng unb gefc^ic^tlic^c HTctl^obe. 19 

©rlcbigung nur innerl^alb bcr pftjd^ologifd^en aBiffenfd^aft 
ftnbctt, unb jcbe^ fiatentoort über fte ift bc^J^alb ntd^t blofe über* 
flüffig, fonbem t)om Übel, ©enug, ba§ SDiltl^e^ für feine 5Pfpd^o* 
logte in 3lnfprud^ nimmt, baj3 fie „bie ©runblage ber ®eiftegn)iffen== 
fd^aften werben wirb, wie bie SWatl^ematif bie ber 5Raturn)iffen* 
f(|aften i%" unb bafe dia^^a^l fid^ bie^ SSBort aneignet. SJarin 
finb Toir alfo einig — ob man oon 3Ratl^ematif ober 9Ked&anif 
rebet, gilt in biefem Bwf^^wienl^ang gleid& — , bafe irgenb eine 
^Pfpd&otogie einmal alg normative ©runblage ber (Sefd^id^tg* 
miffenfd^aft gebadet toerben fann. 

S5Ba§ bann aber weiter? 3d^ meine, felbft biefer günflige 
IJatt werbe berjenigen ©efd^id^t^fd&reibung, meldte auf bie S)ar' 
fteHung nur einmal gefd^el^ener mirflid^er aSorgänge auö»* 
gel^t, b. 1^. ber ^ßerfonengefd^id^te, nid^t mcfentlid^ ju gute 
fommen, benn bie ooUfte Slnwenbung pfpd^ologifd^er ®runb* 
^%e werbe l^ier bennod^ immer an ber © i n g u l a r i t ä t be§ ®e* 
fd^el^enen unb an ber ungenügenben Überlieferung ber ^nti* 
mität ber SBorgänge fd^eitern. 3)ie politifd^e ©efd^id^te aber 
ift in ilirem Äerne 5ßerfonengef($id^te. ©ünftiger bagegen werbe 
dne fold&e SBenbung wirfen auf bie Oefd^id^te ber 3"ftänbe, 
benn l^ier werbe bie SKnwenbung pftid^ologif d&er ©runbfäfee — bie 
l^ier bie t)iel einfad^eren fojial* unb t)ölfetpfpd^ologif(^en fein 
würben — bei mel^rfad^er Überlieferung gleid^artiger S^l^atfad^en 
leidet bie g^eftfteffung ber J^ppif gewiffer 2;^atfad^enjufammenl^änge 
ermöglid^en. 2Benn id^ bann l^injufefee : bamit werbe ein neue§ 
3eitalter ber ©efd^id^t^wiffenfd^aft eingeleitet werben, fo ift ber 
3ufammenl)ang, oor allem nad^ bem oben ©. 5 ff. 2luggefül^rten, 
flar: alle als tppifd^ begriffenen 2^^atfad&enjufamment)änge 
werben bann nid^t mel^r teleologif d^er , fonbem faufaler S3e* 
trad^tungSweife unterliegen. 

5Rad^fal^l entgegnet bem (©. 92): „S)ie 33el)auptung mufe 
abgelel^nt werben, bafe l^infid^tlid^ ber Slnwenbbarfeit ber 5Pft)d^o* 
logie als ©runblage für bie l^iftorifd^e Unterfud^ung ein Unter- 
fd^ieb jwifd^en politifd^er unb Äulturgefc^id^te befielet, ^tnn 
Weber l^at eS bie politifd^e ©efd^id^te auSfd^liefelid^ mit ber 
@rforfd^ung oon SSorgängen, nod^ aud^ bie ^ulturgefd&id^te 



2 1> aber gefc^tc^iltc^e ^luffaffung unb gefd^tc^iltc^e IRetl^obe. 

au^fd^IiefeU(| mit ber ©rforfd&ung t)on S^^Pänbcn ju tl^un; 
foHtc nid^t aud& bie ©ntioidlung be^ Staaten, aU eine^, unb 
jTDar bcö l^öd^ften, ber meten SBerbänbc menfd^Iid^cr ©emein* 
f (ä&aft, ber Qbeen, von benen er getragen ift, ber Buftänbe unb 
formen feiner Drganifation in ^ßerfaffung unb SSenoaltung in 

^ ba^®ebietpolitifd^er®efd^id^t§fd^reibungge]^ören? ©inbe^nid^t 
aud^ auf beut unermefelid^ weiten ^elbe ber Äutturgefd^id&te bie 
einjelnen ^anblungen großer SWänner, unter beren @influffe fid^ 
aller gortfd^ritt üoUjiel^t? ' 

aWan fielet : SRat^fa^I tritt meinen 2lnft(^ten nid^t entgegen, 
fonbem üerfd^iebt fie, um bann offene J^l^üren einjuf dalagen 

*^ unb mit bem fe^r beftreitbaren ©afie von ber 3lbl^ängigfeit 
alle^ Äulturfortfd^ritteg von einjelnen ^anblimgen großer 
aKänner ju fd^IieJBen. Unb menn er bann weiter (©. 93) l^in* 
jufefet: „SBenn mirunS über bie geftftellung ber 5Cl^atfäd&Ud^* 
feit erl^eben, menn bie l^öl^ere 2^f|ätigfeit ber 3luffaffung in g^rage 
fommt, roenn e^ fid^ für un§ barum l^anbelt, bie SSorgänge 
unb 3wfiänbe ber SSergangenl^eit in ben großen gefd^id^tlid^en 
3ufammen^ang einjug Hebern unb SEBerturteile (!) ju bitben: 
ift unfre 2lufgabe bei ben 2^()atfad^en ber Äutturgefd^id^te bann 
leidster unb fidlerer, atö bei benen ber poHtifd^en ©efd^id^te?" — 
fo ifi er weit iavon entfernt, mit einer fold^en g^rage feine 
^ofition JU t)erbeffern. S)enn wie fönnen biefe ^öl^eren 2luf=' 
gaben für bie ^ßerfonengefd^id^te beffer getöft werben, afe für bie 

i 3wftanb^gefd^id^te, wenn uon uornl^erein feftftel^t, bafe bie not^ 
wenbige 33afig biefer aufgaben, bie Äenntniö ber ©injetoor* 
gänge, fid^ in ber B^ftonb^gefd^id^te mit weit größerer ©id^er* 
f)eit legen läfet, al^ in ber ®ef d^id^te ber 5ßerf onen ? Um biefe 
2^l^atfad^e aber, wie fie burd^ meine grunbtegenben SBemerfungen 
feftgeftettt ift, ju wiberlegen, baju bebarf e^ anbrer 3lrgu* 
mentationen, ate berer, weld^e SRad^fal^l vorbringt. 

3lber id^ Iiöre fragen, warum überl^aupt biefe Erörterung ? 
©ie fnüpft an eine (SntwidEIung ber ^fqd^ologie an, bie afö 
möglid^ ^ingefteHt wirb: fialten wir nn^ an ba§ tl^atfäd^* 
lid^ 58orl(ianbene. ©ewife würbe biefe ©i^fuffton wenig frud^t« 
bar fein, wäre bie in^ 2luge gefaxte 3JJöglid^feit eine entfernte. 



I. über gefd^td^tltd^e 2Iuffaffnng nnb (^eMtc^tltc^e Wieify>be. 21 

^ag ifl ftc aber nid^t ; fie fielet un^ t)or Sugcn, unb fte beginnt fid^ 
in bcr Sluönüfeung ber ©ojialwiffenfd^aften unb ber SBöIter* 
pfpd^ologie für bie gefd^id^tlid^e ©rfenntniS bcr 3^ftänbe von 
%aQ ju XaQ nielir ju oerroirffid^en. «ißier tritt t^ai^&^li^ be* 
reitg ein neiie^ ©ebiet gef d^id^tlid^en ^orf d^enS ju 5Cage ; * l^ier 
(teilen mm 3Retl^oben beftimmte Äaufaljufammenl^änge l^er^; 
unb l^ier erroäd^ft au§ fold&en SBanblungen eine eoolutioniftifd^e 
2)arfteIIung ber ©efd^id^te. 

SRad^fal^l !ommt, im Slnfd^fuB an meine SRejenfion^ oon 
Snamag SBirtf d^af tggef d^id^te , ©. 94 f . feines 9luffafee§ aud^ 
duf biefe 3wfammenl^änge ju fpred^en. @r refapituHert meine 
HuSfül^rungen , bie fid^ bei ©elegenl^eit ber Sefpred^ung eines 
roirtf d^af tSgef d^id^tlid^en SBerf eS naturgemäß junäi^ft auf bie 2öirt- 
f d^af tSgefd^id^te unb na^e öerwanbte S)iSjipIinen bejiel^en, mit ben 
folgenben SGBorten : „SDie ältere aSerfaffungS-- unb 5Red^tSgefd&id^te 
f)at ftd^ ber befd^reibenben 5Wetl^obe bebient, b. ^. fie l^at «fgfte- 
matif ($e Silber ber Swftänbe (eines beftimmt umgrenjten BeitalterS) 
nad^ gewiffen, beffriptiü angelegten Kategorien entworfen» unb 
bort, mo bie jeittid^e 2lufeinanberfoIge mel^rerer fold^er ®e* 
f amtjuftänbe bargeftettt werben follte, mit ben 3KitteIn juriftifd^en 
^enfenS, alfo auf formalem SQSegc, bie Kategorien beS fpäteren 
3uftanbeS (id& fefee jefet jur SSerbeutlid^ung l^inju: üermöge 
einer Slrt SegriffSgefd^id^te) auS ben Kategorien beS anberen, 
frül^eren 3"ftönbeS abgeleitet — ol^ne Siüdffid^t barauf, bafe 
jebe einjelne 2lbleitungStfieorie fid^ bem ©efamtl^abituS beS 
frül^eren toie beS fpäteren B^ft^nbeS einorbnet. SKnberS 
bie neue, bie euolutioniftifd^e ©efd^id^tSforf d^ung ; bei ber 
l^anbelt eS fid^ nid^t mel^r um ftaatSred^tlid^e 3«ftonbSbiIber, 
fonbem um ben SRad^meiS ber jeber einjelnen 3nftitution 
jemeifö ju ©runbe liegenben ©ntmidflungStenbenjen. <35aS 
formale Äleib ber Snftitution, biSl^er ber beoorjugte, ja fafl 
i)er einjige ©egenftanb ber ??orfd^ung, mirb nebenfäd^Iid^, 
«rgiebt Rd^ bod^ feine ©truftur üon felbft, fobalb burd^ eine tiefer 
greif enbe g^orfd^ung bie einjelnen ©ntioidftungSreil^en nad&* 

^ ©. baju oben ©. 5 ff. 

a ^af)xb. f. ytam. u. ©tatift. 1895, ©. 294 ff. 



22 !• Ober gefc^tc^tltc^e ^Cuffaffung unb gefc^tc^tUd^e IHettjobc. 

gewiefen finb, bie biefc ©truftur bebingen. ©o töft ftd^ benn 
Die (|ronologifd^ georbnete 93ilberteifie t)on SScrfafyunggjuftänben 
auf, unb an il^re <Steüe l^at bie ©arftettung eines permanenten 
gluffeg roirtf ($af tlid^er, f ojialer, red^tlid^er Umformungen ju treten, 
beren ien)eitigeS SRebeneinanber ben 3Serfaffung§juftanb einer 
beftimmten Süt auSmad^t. 3ln ©teile ber juriftifd^en 3Ketl^obe 
gelangt bie morpl^ofogifd^e 3Jletl^obe ber SBirtfd^aftö- unb 
©Oäialroiffenfd^aften jur ^errfd^aft.» 2lIIerbingS fott an^ na^ 
Sampred^t nid^t jebe Sefd^reibung beftimmter 3Serfaffung§= 
juftänbe eines 3^itatterS aufl^ören. «3m ©inne einer dind^ 
fd^au auf baS jeweils ©nttt)idelte mirb bie 93efd^rei6ung immer 
il^r Sted^t bel^alten. 2lber ben g^orfd^ungSmetl^oben als fold^en 
wirb fie ferner treten.»" 

SSaS l^ält nun 9tad^fal)l biefen 3luSfütirungen entgegen? 
@S ift breierlei: 1) bei bem ©ootutioniSmuS l^anble eS fid^ 
nid^t um eine 58erfd^iebenl^eit ber 9Jlet{)obe, fonbern nur um 
einen Unterfd^ieb fiinfid^tlid^ beS DbjelteS ber e?orfd^ung; 
2) ber ftatuierte Unterfd^ieb fei nid^t neu: eS fel^le in unfrer 
SEBiffenfd^aft nid^t an SBerfen, bie beibe ^ßrinjipien, baS be= 
firiptiüe unb baS et)oIutioniftifd^e, längfl in muftergültiger SBeife 
tjerbänben; 3) id^ f)ätte meine 2!f)efe nid^t für baS ©efamt* 
gebiet ber @efd^id^tSn)iffenfd&aft burd^gefül^rt. 

3d^ nel^me junäd^ft ben jroeiten Einwurf auf. ©oHte ba 
Slad^fal^I mirllid^ bei mir ben ©lauben üorauSfefeen, id^ bräd^te 
etwas abf olut 3leueS üor ? SebenfaHS l^abe id^ il^m baju feinerlei 
3lnIaJ3 gegeben, ©ewijs finben fid^ in ja^lreid^en SBerfen (ängft 
Slnf ä^e ber neuen Setrad^tungSroeife ; eS fei nur an baS gro^e 
Sßerbienft t)on 3ti|fd^ in biefer SRid^tung erinnert; unb id^ 
felbft erläutere bie mm aWetl^obe ja an SnamaS SBirtfd^aftS* 
gefd^id^te. 3lber biefe 2lnfäfee mad^en, wie grabe SRad^fal^lS &n= 
fprud^ jeigt, eine prinjipieQe SluSfprad^e nid^t überPüffig. 
3ubem finb fie nid^t berartig entwidfelt, ba^ fie ber neuen S3e* 
trad^tungSweife fd^on jum ©iege oerl^olfen l^ätten. SRad^fal^l 
meint jwar, es fel&le unfrer aBiffenfd^aft nid^t an Sffierfen, bie 
neben bem beffriptiüen bem eüolutioniftifd^en ^ßrinjip gleid^* 



I. übet gcfc^tc^tlic^e 2Iuffajfung nnb gcfc^tc^tltc^e UTetliobc. 23 

mäBiß geredet tocrbcn. Er möge biefe aSerfe nennen, bann 
läfet ftd^ l^terüber weiter bi^futieren: t)orIäufi9 l^atte id& bie 
et)otuttoniftifd^e 3Retl^obe atö au^gefprod^ene^ ©anje^ in ber 
angeroanbten ®ef d^id&t^roiffenfij^aft für nod^ jiemli(j^ neu unb ftnbe 
nid^t, ba§ jentanb il^re ®runbfä|e unb il^ren Unterfd^ieb t)om 
^ergebrad^ten bereite eingel^enb unb beutlid^ au^gefprod^en ^at ^ 

3lber — um auf einen weiteren ©infprud^ ^Rad^fal^Ig ju 
fommen — SRac^falil beftreitet ja überl^aupt, bafe ein Unter* 
fd&ieb ber SJietl^obe vorliege; e§ l^anble fid^ nur um eine 58er* 
fd^iebung beg betrad^teten Dbjefte^. ^d^ tonnte biefen ©in* 
wurf ganj auf fid^ berul^en laffen; ob man bie ©ad^e fo ober 
fo betrad^tet, üorau^gefefet nur, ba^ bie neuen ©rgebniffe bleiben, 
ba^ ift ja an fid^ gleichgültig, fiege id^ gleid^rool^I auf ben 
Jiad^roeig ©ewid^t, bafe e^ fid^ um eine aSerf d^iebung ber 3K e * 
tl^obe l^anbelt, bie bann felbftoerftänblid^ ber l^iftorifd&en ®e* 
famtüberUeferung neue ©eiten abgewonnen, mitljin beren S^otal* 
anfid^t aud^ o b j e f t i o t)erf droben l^at, f o gef d^iel^t ba^ nur, um bie 
©puren nid^t oerwifd^en ju laffen, bie ju ber neuen 2luffaffung 
gefütjrt l^aben. ®g ift nid^t ri(^tig, bafe ba^ gorfd^ung^objeft 
fid^ aus fid^ I)erau§ juerft anberS präf entiert l^abe ; e§ ^at oiel* 
mel^r notorifd^ ber Übertragung ber wirtfd^aftSgefd^id^t« 
Ud^*morpl^ologifd^en aJJetl^obe auf baS ©ebiet ber JRed^tS* 
unb aSerfaffungSgefd^id^te beburft, um biefeö in einem anberen 
Sid^te erfd^einen ju (äffen. Q^ liegt l^ier ein mefentlid^eS SBer* 
bienft ber mirtfi^aftSgefd&id^tlid^en 33eu)egung oor, baS man 
nid^t auf anbere Äonten fd^reiben unb bamit oerfürjen foff. 

®nblid^ ber lefete ©inmurf Siad^fal^tö: id^ ptte meine 
5t^efe nid^t für ba§ ©efamtgebiet ber ©efd^id^tSmiffenfd^aft 
burd^gefülirt. ©laubt mo^l SRad^fal^l, bafe eine furge SRecenfion 
t)on 3namag SBirtfd^aftSgefd^id^te baju ber redete Drt mar? 3d^ 
benfe, eS mar genug, xoznn id^ bie ©elegenl^eit ergriff, bort 
außer oon aBirtfd^aftSgefd^id^te aud^ nod^ oon Sied^tS^^ unb 5Ber* 



* 3Wan t)erglcic§e au(§, waS ^ermann (Srimm, 2)eutf(§e SRunbfd^au 
XXn, 4, 101, hemextt f)at 



faffung^gefd^ic^tc ju rebcn. Unb felbft toenn i(^ unbefd^ränftcn 
SRaum unb freiefte ©clegcnl&eit gcl^abt l^ättc: glaubt SRacJ^fal^l, 
ba§ e§ bann ricä^tig geroefen wäre, ein mm^ 5ßrinjip ber äWe* 
tl^obe unb 35arftettung al^balb intl^eoretifd^en Slu^fül^rungen 
auf iebcö ©ebiet ber ®efd^id^tgn)iffenfd^aft ju übertragen? ©S 
wirb ja in biefer ^infid^t ml gerebet; bafe fold^e ©rörte* 
rungen aber jemals großen 3lufeen geftiftet ptten, fann id^ 
ni(|t feigen. SBer metl^obifd^e g^ortfd^ritte erreid^en ju fönnen 
glaubt, ber mu§ fie in ber ^ßraji^ ber g^orfd&ung unb S)ar^ 
ftellung anroenben, fonft wirb ber fd^önfte g=unb o^ne e?olgen 
bleiben. 3d^ l^abe infolgebejfen aud^ Ijeute nod^ nid^t bie 2lb* 
ftd^t, tl^eoretifd^ ju jeigen, roa^ bie Slnroenbung ber eüolutio^ 
niftifd^en 3Ketl^obe ganj im allgemeinen ergiebt. 

?lur eine furje 2lnbeutung in biefem ©inne fei mir l^ier 
geftattet, weil fie t)ietteid^t für ben jtüeiten 2luffa| biefe^ Süd^* 
Iein§ von 2Bert ift. ®ie eoolutioniftifd^e 9)iet^obe wirb über* 
aH, weil fie gegenüber ben bi^l^erigen SBetrad^tung^weifen bie 
i n t e n f i t) e r e ift, bi^l^erige SBorfteHung^f ompieje in il^re Ä o m * 
ponenten auflöfen. ©o n)irb in ber SBerfaffung^gefd^id^te 
j. 35. ber Segriff be^ Sel&nftaate§ nid^t met)r beffriptit) getoonnen, 
fonbern er wirb t)ie(mel^r burd^ 2lufbedEung ber für il^n in feinen 
t)erfd^iebenen SlbwanbfungMomenten beftelienben Kombinationen 
einfad^er , Dornel^mlid^ red^tS- unb mirtfd^aft^gcfd^id^tlid^er 
Komponenten gleid^fam t)erlebenbigt ; in üerwanbter SBeife wirb 
in ber Äunftgefd^id^te unb in ber Sitteraturgefd^id^te mit ben 
jeTOeiligen ©tilen, in ber Sleligion^gefd^id^te mit ben jeweiligen 
^römmigfeitgd^arafteren perfal^ren u. f. m. ®iebt e§ nun für 
bie politifd^e ©efd^id^te im engeren ©inne ein 3lnaIogon ju 
biefem für bie Suft^nb^gef d^id^te leidet erfennbaren 3Serfal^ren ? 
3d& benfe, ja. 3lud^ l^ier fennt man in einen Segriff Derbttj^tete 
SorfteHung^f ompieje , bie eine ©umme un^ rool^l erfennbarer, 
in il^rer toufalen Sebingung nad^jumeifenber Komponenten t)er= 
treten; t)or allem ber grofee SJJeifter ber politifd&en ®efd^id^t^= 
f d^reibung bief e§ Sal^rl^unbert^ l^at mit il^nen operiert : e§ finb 
bie gtanfefd ^en_ 3been. ©ie finb von einer eootutioniftifd^en 
©efd^id^t^f^reibung nid^t minber aufjulöfen, mie bie 5Bor=^ 



. t 



I. über gefc^tc^tltc^e 2Iuffaff ung unb gefc^ic^tlic^e ITtetl^obe* 25 

ftclIunggfompteEe bcr S^ftonb^gcf d^id^te \ S^mefcrn, bat)on 
joirb balb bie Siebe fein. 

Butiäd^ft aber, am ©d^luffe bcr SSenierfungen ju ben me* 
tl^obologifd^en ^ßartien ber Äritif SRad^fal^fö, mag bie ©umme 
ber erreid^ten @rgebniffe gejogen werben. SRad^fal^l l^at meine 
2lnfd^auungen in brei 5ßunften beftritten: in ©ad^en be§ Sßer* 
l^ältnijye^ von ©agenbilbung unb ®ef d^id^t^forf d^ung ; in ©ad^en 
beg Unterfd^iebe^ jwifd^en ^ßerfonen* unb B^ftanb^gefd^id^te 
l^infid^tlid^ ber ©id^erl^eit ber für fie auf bem SBege pfpd^ologifd^er 
SJietl^obe ju geroinnenben ©rgebniffe; enblid^ in ©ad^en ber 
^oolutioniftifd^en 5IKetl^obe. 3" feftem 3ln griff ift er aber 
nur im erften 5ßunfte vorgegangen; bie beiben anbren ®egen= 
ftänbe abweid&enber 9Weinung ^at er nur mit leidet ab- 
juftreifenben hritifd^en Slrabeöfen .umjogen. Unb aud^ im 
erften 5ßunfte waren feine 2lnftdöten leidet ju wiberlegen. ©o 
fonnte unb mufete id^ mid^ aHebem gegenüber auf eine SBieber- 
l^olung meiner 2lnfid&ten befd^ränfen — in ber Hoffnung, ba^ 
eine fold^e SBieberl^oIung einbringenbe Sefer ju neuen, tiefer 
greifenben ©iniDürfen t)eranlaffen wirb. 

^ ©ie finb aud^ beibc gteid^en Urfprungö. S)ic Slanfcfd^en Sbcen 
ftnb iörcm X't)Tp nad^ ©d^öpfungcn ber gbcalpl^iCofop^ie; bie Slbroanbrung 
von Segriffen unb S3egrifföfomplejen in ber ©efc^idjte alg l^iftorifc^ 
ticffter SSorgang ift Befanntlid^ bog SSeseid^nenbe ber ©efc^id^täpl^ilofopl^ie 
<&egel§. 



'. 



IL 

llttnlW0 3t>tenitl)tt unb ble 3nnstankiantv. 



@§ ift nid^t meine Slbfid^t, im fotgenben eine big ing 
einzelne getienbe SJarfteHung ber allgemeinen SSorau^fe^ungen 
unb SKd^tungen be§ Jiiftorifd^en '^tnUn^ bei Sianfe ju geben. 
SRod^ weniger foH e§ in feine @ntn)i(Jtung§ftufen jerkgt unb bie 
fpejieHe 8ebingt{)eit biefer burd^ äußere @inn)irfungen unter* 
fud^t werben. 3lur um eine ©efamtauffaffung be§ ßl^arafterg 
unb beg Snl^alteS ber Sianfefd^en ©ebanfenwelt l^anbelt e§ fid&. 

Sen ©l^arafter biefer 3BeIt mirb man am beften an ber 
S5et)anblung einer ^rage ftubieren, bie, mie ju allen 3^iten , f o 
in ber SRanfe^ roie nod^ in ber ©egenmart praftifd^ offen mar unb 
ift mo mitl^in ein felbftänbigeg 2)enfen fid^ ol&ne Slbl^ängigfeit 
t)on irgenb einer Seite Iier Iei($t am inbioibueHfien äußern tonnte. 
@ine fold^e ^rage bilbet ba^ Problem ber 3BiIIen§freit)eit. 

3tante l^at l^ierju im reifen SUter^ einfeitenb unb ju* 
fammenfaffenb jugleid^ geäußert, auf bem 2ehen ber ©emein- 
fd^aft unb bem ^erl)ältni§ be§ @injelnen ju i^m berul^e ba§ 
©el^eimnig ber jebe^maligen SBelt. ®g finb SBorte, bie fpäter, 
in ber SBorrebe ju ben SDenfmürbigteiten Jßarbenbergg, it)re @r* 
läuterung flnben: ,,3lud^ in ber ©efd^id^te befdmpfen unb burd^* 



1 SlUöemeinc SBcmerfutiflen 1831-49, (S.Sß. 53-54, ©. 571. ^cfter, 
2). 3f- f- ©efd^id^täroiffenfd^. 6, 243, oermutet, fic feien nad) ber Seftüre 
von §egel§ ©efd^id^täpl^ilofop^ic nicbergefd^rieben. 



IL Hanfes ^beenlel^re nnb bie ^ungranfianer. 27 

bringen ftd& g^rei^cit unb SRotwcnbtgfeit. 3)ie g^reil^cit crfd^eint 
mcl^r in 5ßerf önlid^f eitcn , bic SRottüenbigfcit in bem 2tbm be^ 
©emcinroefcng. 2l6cr ift rool^t bie erfte eine oollfommene, unb 
bie anbete, xo&xe fie eine unbebingte?" ^ ^axna^ ift ber att* 
gemeine ©tanbpunft 3tanfeg Hat; er erfennt 2lntinomie von 
greil^eit unb 5Rotn)enbigteit ate praf tif d^ beftel^enb an ; er glaubt 
an eine befd^ränfte SBiUenSfrei^eit. 

2l6er n)ie l^at er fid^ nun ba^ 5ßrobIem näl^er üergegen* 
TOärtigt? ©el^r oft äufeert er fid& ju biefer e?^age; im folgenben 
muffen einige feiner bejeid^nenbften ©ebanfen in d^ronologifd^er 
SReil^e jufammengefteßt werben^. 

,,aBie alles inbiuibuette Seben von bem (Semeinroefen ab- 
l&ängt, bem jeber angel^ört, fo fnüpft fid^ mieber baS Seben 
ber (Staatm an bie affgemeinen 3Serl^ättnif[e ber SBelt an, in 
benen fie emporfommen ober t)erfaffen."^ „Sffienn eine mne 
geiftige Semegung bie 5Ulenfd^en ergriffen l^at, fo ift eS 
immer burd^ großartige 5ßerf önlid^feiten , burd^ bie l^in* 
reifeenbe ©eroalt neuer ^bezn gefd^el^en." * „3Son ber g^erne 
ber ^a\)x^nnhzxte l^er fönnen roir bie großen Äombi* 
nationen, bie in ben Singen liegen, roal^rnel^men ; bie eigent* 
lid^e 2^l^ätigfeit in ber jebeSmaligen ©egenroart aber fann ba^ 
oon nid^t abl^ängen: ba fommt eS affein auf bie rid^tige 
Sel^anblung beS unmittelbar SSorliegenben an, auf bie gute 
©ad^e, bie man ^at, bie moralifd^e Äraft, bie man einfe^t. 
3!)ie 3Romente, bie ben S^^tflö^Ö '^^^ SBeltl^iftorie bebingen, 
finb, id^ möd^te fagen, ein göttlid&eS ©el^eimniS ; ber SBert beS 
3Jlenfd^en Berul^t auf feiner ©elbftbeftimmung unb 5Cf)ätigfeit." ^ 

* S80I. avL(f) SBeltgcfd^. P, 1. 

^ hierbei f)at mir baS ^uc^ oon äBincfler, ^Seopolb von dianfe, 
2i^t^txaf)im aud feinen Söerfen, für bic %exle ber SBerfe ffianU^, weCd^e 
cä »erorbeitet l^at, üielfod^ gute S)ienfte geleiftet. Seiber finbet fid^ aber 
in ben ßilaten 2B.ä eine gro^e Slnja^I von ©tutffei^lern, bie eS nid^t immer 
gelungen ift su berid^tigen. 

* Svit Denetian. ®ef c^. ; (3M. 42, 6 (rool^C nod^ vox ben köpften ge* 
fd^rieben). 

* ^äpfte, ®.2Ö. 37, 295. 

^ 3). @efd^. im Seitalter ber Sieformation; 0.20. 4, 46. 



28 II- Hanfes 3^^^"^^^^^ ^^^ ^^^ 3ungranfianer. 

„@^ gicbt grofec ©rcigniffe in ber SBeltgef d^id^tc , ol^nc große 
^l^aten. ©o Toenig Uttcrarifd^c ©enugtl^uung fie bcm ©rjäl^lcr 
Tüte bem Sefer gewäl^ren, fo finb fie bod^ ber Setrad^tung über* 
üu^ würbig." ^ „SBol^I finb aud^ unter ben neueren SRatipnen 
bann unb wann ©eifter t)on aufeerorbenttid^er Begabung unb 
%i)atitaft erfd^ienen, bur($ toeld^e neue, burd^greifenbe ©ebanfen 
jur 3loxm be^ öffentlid^en Seben^ gemad^t roorben finb, — aber 
nad^ il^rem 3lbgang ift il^r ®rfoIg in ber Siegel tüieber jiDeifel- 
liaft geworben; bie 5fftängel be^ 3?eugegrünbeten finb l^eroor^^ 
getreten, bie SebenSfräfte ber alten Drbnung ber SDinge l^aben 
fid^ mit erfrifd^ter Slnftrengung erl^oben. S)enn bie europäifd^e 
9Belt befielt an^ (glementen oon urfprünglid^er SBerfd^iebenl^eit, 
bereu innerer ©egenfafe unb Äatnpf e^ ebm ift, woran fid^ bie 
3lbwanblungen ber l^iftorifd&en ®pod^en entwidfeln. S)em ßl^r* 
geij ber Sleuerung fefet fid^ ber 3Rut, ba§ ^ergebrad^te ^u be^ 
l^aupten, mit 5Raturnotwenbigfeit entgegen".^ „©o l^od^ man e§ 
anfd^Iagen muß, ba§ bie objeftioen Sbeen, bie mit ber Äultur 
beö menfd^lid^en ©efd^fed&tS oerbunben pnb, jur ©eltung unb 
Stepräfentation gelangen, fo beruf)t bod^ ba§ geiftige Seben 
nid^t fowol^l auf einer gläubigen unb gel^orfamen 3lnnal^mr— »- 
berfelben, aU in einer freien, objeftio vermittelten, alfo aud^ 
befd^ränfenben Slneignung, bie nid^t oljue ©treit unb ©egenfaß 
ju benfen ift." ^ ,Ma^ !ann eine ©eneration ber anberen 33eff ere^ 
I)interlaffen, al^ bie ©umme il^rer @rfal^rungen, bie bann über 
ben Püd&tigen SKoment J)inau^ SBebeutung l^aben, in einer g^orm, 
weld^e fie für alle ^eiUn wirffam mad^t. SDarin liegt bie ibeale 
Unfterblid^Jeit ber ©eifter." * „2)er ©eniu§ ift eine unabl^ängige 
©abe ©otteg ; baß er aber jur ©ntfaltung fommt, baju gel^ört 
bie (Smpfänglid^feit unb ber ©inn ber S^itgenoffen".^ „SBie e^ 
bei großen politifd^en 5ßarteiungen l^erjugel^en pflegt: ber aH* 
gemeine S^q ber ©eifter, ba^ anfeilen einiger großen Flamen, 



1 «Prcug. ©cfd^.; ®.2B. 27/28, 217. 
« granj. ©cfd^.; ®.2B. 10, 3. 
3 (gngr. ©efd^.; @.2B. 14, 37. 
* @ngl. ®efd^.; &M. 15, 93. 
» ®ngl. ®efc§.; ®.2Ö. 15, 99. 



n. Hanfes Jbeenleljre nnb bie 3ttn9ranFianer, 29 

ba§ ©rängen tl^ätigcr ^üf)xet erfc&en bie Überjeugung." ^ „5ßo^ 
litifd^e Söeroegungen fönnen oon perfönlid^en ©tanbpunften au^^ 
gelten ober geförbert werben, fie aber auf ein beftimmteS 3Ra& 
jurücfjubringen, wenn man feinen S^ed erreid^t l^at, wirb faum 
jentaU gelingen." ^ „^ie großen ejceptionellen ©teHungen in 
ber 2Belt werben überl^aupt nid&t aßmäl&Iid^ erworben, mel^r 
burd^ inftinftartigeS ©efül^l al^ burd^ Sered^nung mag fie ber 
©l^rgeij in^ 3luge faffen; im aWoment ber ©ntfd^eibung bieten 
fie fid^ il^m plöfelid^ bar unb werben bann mit @inem 3RaIe 
in Sefife genommen."^ ,,SDag ijl bie eigentümlid^e üKad^t ber 
öffentlichen SKeinung in einer Station, bafe pe aud^ bie ergreift 
unb mit fid^ fortreijst, gegen bie fie Partei nimmt." * ,,©o feft 
finb bie SBirffamfeiten ber oerfd^iebenen ©ewalten nid^t abge* 
grenjt, bafe bod^ nid^t etwas burd^auS gnbioibueHeS jurüdtbliebe, 
wag eine ber l^errfd^enben entgegengefeftte SRid^tung in fid^ 
f daließen unb berfelben Siaum mad^en fann." ^ „2Bie oiel ge* 
waltiger, tiefer, umfaffenber ift baö allgemeine Sebm, baS bie 
Sal^rl^unberte in ununterbrod&ener Strömung erfüllt, ate baS 
perfönlid^e, bem nur eine ©panne S^it gegönnt ift, baS nur 
ba ju fein f d^eint , um ju beginnen , nid^t um ju üoHenben. 
S)ie ©ntfd^lüffe ber aJienfd&en gelten von ber 5KögHd^feit au§, 
weld^e bie attgemeinen S^ftänbe barbieten; bebeutenbe Erfolge 
werben nur unter SKitwirfung ber Iiomogenen SBeltelemente er* 
jielt ; ein jeber erf d^eint beinal^e nur ate eine ©eburt feiner ^eit, 
ate ber SlugbrudE einer aud^ außer il^m üorl^anbenen attgemeinen 
^enbenj. 3lber oon ber anberen ©eite gel(|ören bie ^Perfönlid^*^ 
feiten bod^ aud^ wieber einer moraüfd^en SBeltorbnung an, in 
ber fie ganj il^r eigen finb ; fie l^aben ein felbftänbigeS 2ehtn 
öon originaler Äraft. ^nitm fie, wie man ju fagen liebt, i^re 
3eit repräf entieren , greifen fie bod^ wieber burd& eingeborenen 



1 @n9l. ®cfd^.; ®.3B. 15,311. 

2 @nöl. ®efci^.; @.233. 16, 43. 
8 ©ngl. @efci^.; (5J.2B. 17, 104. 
* ®nöl. ®cf d^. ; ®.2B. 17, 259. 
^ ®nöl. @cf(§.; O.m 21, 27. 



30 n. l^anUs 3beenlet|re nnb bte 3ungranfianer. 

inneren 3lntrieb beftimntenb in biefelbe ein." ^ ,;35ie allgemeine 
Seroegung ift ba§ eigentlid^ ficbenbige in ber ©efd^id&te; roa^xe 
SBebeutung f)at ber Staatsmann nur infofern, afö er fie an 
feiner ©teile förbert unb üietteid^t leitet." ^ „gür bie aKufe ber 
©efd^id^te, wenn id^ fie red^t lenne, giebt eS 3)inge, roeld^e fie 
unbefümmert auf fid^ beruljen laffen fann. SDie aWemoiren 
l^aben ilire bef onbere Stellung in ber Sitteratur ; t)on ben .3^* 
fälligfeiten beS perföntid^en SebenS, baS fie mitteilen, fann ber 
©efd^id^tsfd^reiber abftral^ieren ; fein Slugenmerf ift vor allem 
auf bie allgemeinen 2tngelegenl^eiten gerid^tet."^ ,,aKänner 
t)on l^ol^er 33ebeutung fönnen überl^aupt nie erfefet werben, benn 
bie Sebingungen müßten fid^ mieberl^olen, au^ benen ifire inbi= 
oibuelle Stellung erroad^fen ift." * „©rofee aWänner fd^affen fid& 
i^re Seiten nid^t, aber fie werben aud^ nid^t von il^nen ge- 
fd^affen. ®§ finb originale ©eifter, bie in ben Äampf ber Sbeen 
unb aSeltfräfte felbftänbig eingreifen, bie mäd^tigften berfelben, 
auf benen bie 3"t^"ft berul^t, jufammenfaffen, pe förbern unb 
burd^ fie geförbert werben." ^ ,,S)a§ größte inbioibuette 2^h^n 
ift bod^ nur ein 3Koment in ber SBerfled^tung beS allgemeinen 
fiebeng."« 

3d& l^abe 9lanfe abfid^tlid^ längere S^it l^inburd^ allein baS 
SBort gelaffen, benn nur fo barf id& l^offen, il^m geredet }u werben. 
®g würbe oergebenS fein, ben oorftel^enben Äußerungen eine 
eingel^enbere 2^l^eorie über baS gegenfeitige SSerl^ältnig von 
^reil^eit unb 5Rotwenbigfeit ju entnel^men. Unb e§ wäre leidet, 
in il^nen ftärfere SBiberfprüd^e unb fleinere Unebenl^eiten im ^n^ 
fammenliange be§ ©enfenS nad^juweifen. 

SRanfe ift fein ^pi^ilof opl^ , fo fel^r er eine pl^itofopl^ifd^e 
2lber befifet^. ®r ift „fein auggeflügelt 33ud^", er ift „ein 



1 SBorroort au SBattenftein; ®.SB. 23, e. I. 

2 Sortoort au ^arbenbcrg ; @.SB. 46, ©. VI. 
« SBortoort au ^arbcnberg; @.3B. 46, @. XL 
* Sffieltgcfc^. 1, 306. 

^ Sßertgefc^. V«, 106. 
« SQöcltgefd^. V«, 246. 
■^ SJgl. manU an SRitter, SJenebig 6. Slug. 1830; ®.Sß. 53/54, 238. 



II. l^anhs 3becnleljre nnb btc 3ungran!taner. 31 

9Renfd^ mit feinem SBiberfprud^". ©eine Äußerungen motten 
an^ ber lebenbigen 5ßrajig einer großen l^iftorifd^en ©rfal^rung 
begriffen merben. Snbem biefe fid& bei jebem affgemeinen ©afee 
mit il^rer unenblid^en Äafuiftif üon Äautelen aufbrängt, unb 
gleid^mol^l ju beren Semättigung eine inbioibueffe pl^ilofopl&ifd^e 
^Terminologie nid^t jur 3Serfügung fielet, erl^alten feine Süße* 
rungen etmag ©laftifd^eS unb Unbeftimmte^ , ba^ il^nen pufig 
ben ei^arafter be§ (Srliabenen, bisweilen ben beg S^rioialen 
t)erleit)t. Unb weiter : inbem SRanfe fid^ motil bewußt ift, einen 
Äem fefter Überjeugungen ju l^aben, für biefen Äern aber 
niemate einen formell^aft überlegten unb bi^ in§ S)etail ber 
©rfd^einungen l^inein abgewogenen Slu^brud gefud^t, mit einem 
5SJorte il^n fpftematifiert unb in feinen einzelnen Seftanbteilen 
t)on üieffeid^t miberfpred^enbem Snl^alt gefäubert unb augge= 
glid^en l^at, fd^eut er fid^, überl^aupt bag Slfferl^eiligfte feiner 
Überjeugungen in SBorte ju f äffen. @r gel^t in feinen äuße^ 
rungen immer nur bi§ ju einem gemiffen fünfte; bag tieffte 
Snnere bleibt unerfd^loffen, wie jene ^aine, in benen bie ®er^ 
manen bie ©ottl^eit unmittelbar maltenb badeten, unb e^ wirb 
be^l^alb, gleid^ jenen, „sola reverentia", nur in e^rfurd^t§t)offer 
Segnung gefd^aut. 

Slanfe ftel^t mit einer fold&en geiftigen Haltung ju ben 
pd^ften pl^Hofopl^ifd^en e?ragen teine^megg attein; eg ift, me^ 
nigfteng auf bem ©ebiete germanifd^en ©eifte^leben^ , ba^ ge= 
möl^nlid^e aSerfal^ren großer 3Jlänner, bie nid^t unmittelbar 
pl^ilofopl^ifd^ JU benfen gejtoungen finb, fo j. 35. ©oetl^eS. Sinnen 
äffen tl^ut man unred^t, faßt man au^ einzelnen il^rer Suße- 
tungen mit 2ld^ unb SBel^ ein p^ilofopl^ifd^ abgerunbeteS ©r)ftem 
jufammen; e^ fann fid^ nur um eine unbeftimmter gehaltene 
Umfd^reibung be^ Äernl^aften il^rer 3lnfid^ten l^anbeln. 

^ier ftel^en nun bei SRanfe vov affem jmei ^ßunlte t)öffig feft, 
bie Srennpunfte gleid&fam ber ©ffipfe feinet l)iftorif d^en ©enfen^ : 
bie ibealiftifd^e SBeltanfd^auung im ©inne ber 3>bentität§pl)ilo:= 
fopl^ie unb bie unioerfaliftifd^e 2luffaffung ber ©efd^id^t^ mefent* 
lid^ im ©inne be§ ÄoSmopoliti^mu^ unferer flaffifd^en Sitteratur. 

9ianfe ^at bei ber Seruf^ma^l jmifd^en S^^eologie unb 



32 M. Hanfes 2^^^^^^k^^ ""^ ^^^ ^urtgranf ianer. 

5ßl^iIofopl^ie gefd^tDanlt; er Iiat geprcbtgt; er ^at fid^ immer 
atö einen euangelifd^en ©Triften be!annt. 2l6er er voax nid^t 
ortt)oboj im bogmatifd&en ©inne, fd&on afe ©tubent fonnte et 
ein näl^ere^ SBerl^ättniö jur SDogmatif nid^t gewinnen ; mit bem 
ei^riftentum t)erbanb il^n mlmti)x eine fpontane 5ReIigiofität 
m^ftifd^en &)axatUx^, unb biefe war il^rerfeit^ tüieber burd^ bie 
pl^ilofopl^ifd^en (Strömungen feiner ^nQenhiaf)xe bebingt. 

©ine ber mertoürbigften ©teilen üieUeid^t, bie tief auf 
ben ©runb be§ Stanfefd^en SffiefenS fd^auen laffen, ift biejenige^ 
in ber er bie religiöfen Überjeugungen g^riebrid^S be§ ©ro^en 
ju d^araiterifieren fud^t^ ®r fagt |ier: ,,eine pd^fte Sntetti* 
genj nafim er an unb ftettte fid^ i^r SSer^ltni^ ju bem Uni* 
t)erfum oor wie ba§ ber ©eele jum Seibe. Sei bem S^eftament 
mag e^ il^m begegnet fein, ba^ er 3iatur nannte, maS anbere 
©Ott nennen. S)a^ gel^eimni^oolle 3d& aller ©Eijlenj, meld&e^ 
ber 2BeIt oerf d^minbet , inbem e^ fie erfüllt, uerel^rte er al^ 
über baö aJlenfd^enleben unenblid^ erl^aben. S)ie mpftifd^en 
SBejiel^ungen, burd& weld^e bie Sieligion ©ott unb 3Kenfd^ t)er-' 
mittelt, l^ielt er für eingebilbet; für il^n beftanb biefe Äluft 
in il^rer atte§ ©innenS ber SSernunft fpottenben, geiftig unau§* 
füllbaren SBeite; oon ben Offenbarungen im SBort wollte er 
nid^tg pren." 9luö biefer ©teile ergiebt fid^ für Sianfe afe 
funbamental : ba^ Sewufetfein eineg ©otte^, ber ber 3Belt uer* 
fd^winbet, inbem er fie erfüllt, unb beffen SSerl^ältnig jum 
aJlenfd^en nid^t in pernunftgemäjsen, fonbern in mgfiifd^en Se- 
jiel^ungen oermittelt wirb. 

S)ag ift in ber 2^l^at ber Äem beS frommen ^üi)Un^ bei 
Sianfe. SSon l^ier au§ erfd^eint i^m in bem ajlenfd^en bie 
3)ianifeftation ©otte^^. Unb oon biefem ©tanbpunfte au^ 
fielet er menfd^Iid^eg 2;i^un burd^ eine gel^eimniäüoHe Äraft felbft 
bann befiimmt, menn ju beffen @rflärung an fid^ SSernunft* 
grünbe augjureid^en fd^einen. ©o fagt er in ber ©nglifd^en ©e* 
f^id^te®: „@rfi ein ©pätlebenber oermag bie Umftänbe ju über* 

» 2). 3Käd^te u. ber gütftenbunb; &M, 31, 188/9. 
2 2iagem. SBcmerfungen 1839—49; ®.äö. 53/54, 570. 
8 ®M. 20, 352. 



II. Hanfes 3beenlct^rc unb bie 3ungranfiancr. S3 

bilden, bie bei einem grofeen Ereignis einanber berül^ren unb 
bebingen. 3n bem 3Jloment ber ißonblung fann fte niemanb 
fennen, crroägen unb fid^ bamad^ rid^ten; bie Slftion gefd^iel^t 
meifteng in einem ißalbbunfel Don xoa^xen unb falfd^en SBor* 
fteffungen; um nid^t ungered^t ju werben, mufe man aud& ben 
^rrtümem Sled^nung tragen." Slnberöroo aber meint er^: „@§ 
follte juroeilen fd^einen, aU gäbe e§ in ben aSerroirrungen felbft 
eine gel^eime Äraft, bie ben 9Jlenfd^en bilbet unb emporbringt, 
ber i^nen ju fteuern fällig ift." 

Unb wie in bem aWenfd^en, fo erroeift ftd^ il^m natürlid^ 
erft red^t in bem menfd^Hd^ ©efd&affenen bie 5Dianifeftation 
©otteö. ©0 bejeid^net er j. 35. in bem ^ßolitifd^en ©efpräd^ von 
1836 bie (Staaten alg,,geiftige2öefenl^eiten, originale ©d^öpfungen 
beg 3Kenfd^engeifte§ — man barf fagen ©ebanfen ©otte^". 
Unb er bleibt bei biefer aSorfieHung , trofebem er {)ier g^reil&eit 
unb 9lotroenbigfeit ineinanber üermoben fielet ^ : „9lid^t n)ie bie 
?laturgen)ädöfe erl^eben fid^ bie ©ebilbe ber Staaten: in il^ren 
Slbmanbtungen l^ängt faft baS meifte oon ben Umfiänben, ber 
©inne^TOeife ber 9Kenfd^en, mie (ie eben bei einanber finb, ben 
ju übertoinbenben ©egenfäfeen, bem 3w)edEe, meldten bie Dor^* 
maltenben ©eifter in jebem aWomente oerfolgen, unb bem ©lüdfe 
ab, mit bem ba^ gefd^iel^t. SBenn irgenbroo, fo greifen l^ier 
greil^eit unb 3flotn)enbigfeit ineinanber." 

S)em entfprec^enb bilbet, ba ftd^ in menfd^lid^en ipanb* 
lungen unb beren ©rgebniffen @ott manifeftiert , baS ganje 
gefd^id^tUd^e ©efd^el^en ein göttUd^e^ ©el^ieimnig* ©o finb 
SRanfe namentlid^ bie „SRomente, bie ben g^^rtgang ber ^zlU 
gef d^id&te bebingen, er möd^te fagen, ein göttlid^e^ ©el^eimni^" ^ ; 
bie SBeltgefd^id^te wirb il^m jur aJiär, unb bie gefd^id^tlid^en 
©trömungen finb il^m ,,bie ©efd^idfe ©otteg in ber Sßelt".* 



* ?äpfte; (3.3B. 37, 231. 

2 grana. ©efd^.; ®.?B. 11, 5. 

8 3). ©cfcl^. im 3eitarter ber Sieform.; ©.30. 4, 46. 

* ®5b.; SB.®. 1, 55. 

Sotttpred^t, 2tltc unb neue JRid^tungen. 3 



34 n. Hanfes 3beenletjre unb bie 3ungran!ianer. 

SRun l^at freilid^ SRanfe ntd^t t)er!annt, baß „bem mcnfd^^ 
lid^en ^l^un unb Saffen aud^ nod^ eine ganj anbete, auf bie 
SBebingungen be§ realen S)afein§ gerid^tete SJenbenj inne* 
tüol^nt" ; aber fie ftrebt il|m „bod^ unaufprlid^ nad^ bem &ötU 
lid&en l^in" ^ , fontntt alfo aU felbftänbig nid&t in 33etrad^t. 
3Wit anberen SBorten l^at er biefe Slnfid^t in ben für bie Äenntniö 
feinet SBefen^ fo ungemein wid^tigen „Sittgemeinen 35emer!un* 
gen" 2 auögebrüdft: ,,5Der SBelt ber SBa^r^eit fte^t eine 9Selt 
be^ ©d^eing gegenüber, bie aud^ in bie S^iefe gef)t unb immer 
tieferen ©d^ein entmidEelt, bi^ fie in bie SBef enlofigfeit auögel^t ; 
jene enbet im SBBefen." 

Unter biefen Umftänben giebt e§ „überl^aupt feine menfd^lid^e 
2^1^ätigfeit von mal^r^after geiftiger Sebeutung, bie nid^t in einer 
mel^r ober minber bewußten Sejiel^ung ju ®ott unb göttlid^en 
2)ingen iliren Urf prung l&ätte" ^, unb eg erfd&eint aU ^oftulat, bafe 
bie ©tubien „eine unenblid^e, mit ber l^öd^ften moralifd^en SBelt* 
otbnung üerwanbte Sejiel^ung l^aben muffen, wenn fie ben ©eift 
ju innerer 3lnftrengung anregen fotten" *. 5Bor attem gilt baS 
natürlid^ and^ von ber ©efd^id^te; fie ift ein SIeil ber ,,gött* 
lid^en SBiffenfd^aft". „SBer bie inneren graben beS ©etriebe^ 
ber 9Jlenfd^]^eit, biefen in il^r felber fid^ entwidfelnben unb inm 
Sßorfd^ein fommenben ©eift, ju erfennen üermöd^te, würbe einen 
%äl ber göttlid^en Sffiiffenfd^aft befifeen. 3lttein, ift baS fo ge== 
fd^minb möglid^? 3luö ber 2^iefe ber eingel^enbften Äenntni§ 
attein ift e§ möglid^, feine gel^eimen ©puren ju entnel^men .... 
2Benn 5piato bie l^öd^ften SRefultate feinet SRad^benfen^ barftetten 
TOottte, fo Derl^üttte er fie in ben 3ilx)tf)n^/'^ 

3la^ attebem ift fein 3w^if^I' bie SBeltanfd^auung 9lanfe§ 
ift mpftifd^, unb er felbft, ber mieberl^olt von bem @el^eimni§ 
ber l^iftorifd^en ®ntn)idlung rebet, mürbe aud^ für feine SBe* 
trad^tung ber „©efd^irfe ©otteg in ber SBelt" bag 5ßräbifat 

^ 2Bertflef(5. 1\ 1. 

2 ®.3B. 53/54, 570. SKan l^alte c§ l^iemit sufammcn, baf; ©egcl 
bie Sßeltlid^Icit einmal bie „unenblid^e Sügc" nennt; ^ß^ilfof. b. ®ef(§., @. 4i4. 
8 S). ©efd^.; @.SB. 1, 3. 

* ©eböd^tniSrebe auf &txmm§, $ift. 3. 21, 139. 
» 2iagemeine SBemerfungen, ©.303. 53/54, 570. 



n. Hanfes ^bcenleljre unb bte 3ungranfianer. 35 

einer ntpftifd^en Setrad^tung nid^t abgelel^nt l^aben, benn „an 
bie SBal^rl^eit bcr geiftigen SBcIt glauben: ba§ ift SReligion"^ 

®g ift fd^on lange gejeigt, jüngfi aber t)on ^Ritter befonber^ 
augfül^rlid^ nad^geroiefen worben, bajs bie pl^ilofopl^ifd^en 3ngre=^ 
bienjien biefeS l^iftorifd^en 3Rt)fticiSmu§ aus ben Seigren g^id^teS, 
allgemeiner gefagt auS ber SbentitätSpIjilofopl^ie in e^i(|tefd^er 
g^ärbung ftamnten^ ®ie tiefere ©runblage aber bietet, tüie 
id^ meine , bo(^ ber f d^lid^te eoangelif d^e ©laube in ber ur* ^^ i^ 
fprünglid^ften Iutl)erifd^en ©eftalt. 3Kan mu§ aud^ ^ier t)or ^ 
allem Sftanfe felbft ju SEBorte fommen laffen. 6r l^at in einer 
ber SReben jum fünf jigjäl^rigen 3)oftoriubiIäum ^ afe bie 9Känner, 
bie il^n tjornel^mlid^ angeregt l^aben, neben 2^l^ufpbibe§ unb 
JRiebul^r, Sutl^er unb g^id^te genannt, g^id^te aber bod^ in merf (id^em 
Slbftanb t)on ben 3lnbern. „®ine anbere Slid^tung war e§, bie mid^ 
balb barauf auf bie SBerfe Sutl^crS fül^rte; aud^ fie l&abe id^ üiel^^ 
fad^ ftubiert (als ©tubent in fieipjig) unb burd^ fie feinen 
geringen SmpulS erl^alten. ®aS etwa wären bie brei ©eifter, 
benen id^ bie ©runbelemente »erbanfe, aus benen fid^ meine 
fpäteren l^iftorifd^en ©tubien auferbaut l^aben. ©oHte id& nod^ 
einen merten nennen, fo wäre eS g^id^te, mit beffen @($riften 
id^ mid^ ebenfalls t)iel befd^äftigt l^abe." 2ln biefer entfd^ei== 
benben ©teDe tritt bod^ neben ben beiben ^iftorüern Sutl^er 
fel^r l^eroor. 3d& glaube, mit SRed^t. Sutl^er ift in feiner 5Red^t= 
fertigungSlel^re ber Segrünber jeneS tieffinnigen , unfinnlid^en 
3bealiSmuS gemefen, auS beffen SEBurjeln fpäter, in einem geiftig 
p^er lonpruierten B^^talter, bie SbentitätSpl^ilofopl^ie Iieroor« 
gegangen ift. ©d^on mit ber 3Wuttermild^ Iiat Slanfe biefe 
geiftige Stimmung eingefogen. %ii)it l^at il^r bann mol^I nur 
in gewiffen Siid^tungen eine bestimmtere g^orm geben l^elfen. 

2BaS aber folgt nun auS biefer 2BeItanfd^auung für ben 
^iftorifer JRanfe? (gr mufete in ben großen gefd^id^tlid^en 3^* 
fammenpngen göttlid^e 3Jlanifeftationen, Offenbarungen eines 

1 21. a. D. ©. 571. 

2 «B9I. ä. 93. gefter in 2). Sf. für ©efd^ici^tätoiffenfdö. 6, 238 ff.; 
Flitter, Seopolb ». 9lanfc, SBonner 9le!toratSrebe 1895, ©. 8. 

8 @.gB. 51/52, 589. 

3* 



36 II. Hanfes ^beenlel^re unb bte 3nngranftaner» 

leintet ber un§ üernunftmäfeig erfcnnbarcn SBelt ftcl^cnben ©otte^ 
feigen. @S tft bie eine 3Burjet feiner Sbeenlel^re. 

SDie anbete entfpringt feinem Äo^mopoUtiSmug. S^m ift, 
afe einem Äinbe noä) be^ 18. Satirl^unbert^ , bie (Sefd^id^te 
„il^rer SRatur nad^ unioerfeH" S unb niemals fd^eint il^m für 
biefe Slnfdöauung ber S^^f^l öug einem allgemeinen ©aße l^er 
gelommen ju fein, ben er in ben „2lIIgemeinen Semerfungen" 
(1831—49) in bie SBorte geHeibet ^at: ,,3ebe§ Sa^r^unbert 
l^at bie 2^enbenj, fi($ a(^ ba§ fortgefd&rittenfte ju betrad^ten unb 
alle anberen nur feiner 3fbee nad^ abjumeffen." ^ ^n ber 
^ßragig l^at er bann freilid^ einige ®infd^ränfungen be§ ©e* 
banfeng eintreten laffen. 3tt)ifd^en ben ©injelnen unb bie 
3Kenfd^l^eit, bie i^m übrigen^ immer nur bie europäifd^e bejtt). 
bie beö morgenlänbifd^^abenblänbifd^en Äulturfreife^ ift, [teilten 
fid^ bod^ bie Segriffe beg (Sinjelftaate^ unb ber ©injelnation. 
9iur finb biefe Segriffe bei if)m niemals DöHig ju il^rem SRed^te 
gefommen; mie befonber^ ber Segriff ber Station unit^ 
ftimmt unb tjerblafen bleibt, ift neuerbing^ trefflid^ nad^geroiefen 
roorben^. Slber ganj eliminieren ließen fie fid^ bod^ nid&t. ©o 
muJBten fie nad& 3Jlöglid^Mt untergeorbnet werben, „©o not* 
roenbig in fid^ felbft, fo aHumfaffenb ift bie 2lufeinanber* 
folge ber B^talter, baß aud^ ber mäd^tigfte ©taat oft* nur 
afe ein ©Heb ber ©efamtl^eit erfd^eint, oon it)ren ©d^idE* 
falen umfangen unb bel^errfd^t. SBer e§ einmal oerfud^t l^at, 
bie ©efd^i^te eineg SSolfe^ ate ein ©anje§ in i^rem inneren 
3ufammen^ange ju benfen, il^ren Verlauf anjufd&auen, mirb 
bie ©d^wierigfeit empfunben l^aben, bie l^ieraug entfpringt. S« 
ben einzelnen 3Jiomenten eine^ fid^ fortbilbenben Seben^ nehmen 
n)ir bo(5 bie oerfd^iebenen ©trömungen ber SBeltgefd^id^te toal^r." ^ 

i Sßerroanbtfd^aft u. Unterfd^teb ber ©ift. u. ^olitif; @.2B. 24, 288. 

2 @bb. 53/54, 570. 

3 Flitter a. a. D. ©. 16 f. 3Wan ogl. l^iermit, roaä Sift in ber SBor=» 
r.ebe ju feinem nationalen ©pftem ber politifd^en Öfonomie (1831) auä«» 
fül^rt: SJian Ijabe biöl^er, „üor fauter Wtm\6)f)dt, vov lauter 3nbioibuen 
bie 9flatlonen nic^t gefeiten." 

^ 9Son mir gefperrt. 

5 ©efd^id^te ber ?5äpfte; ©.20. 37, 277/8. 



IL 'Ear^es 3bcenlet|rc unb bte 3ungranftaner. 37 

„2Bic aUe^ inbtoibuctte Scben x>on bcm ©cntcinrocfcn ab* 
l^ängt, bein iebcr onöcl^ört, fo fnüpft ftd^ roicber baS Scben 
bcr Staaten an bie aUgcmeincn SBer^ältniffe bcr SBctt an, 
in bcnen fte emporfommcn ober verfallen." ^ „2)aÄ eigen* 
tümltd^e Seben ber t)erfd^iebenen Stationen in il^rer SBerfled^tung 
untereinanber unb in i^rer Sejicl^ung ju ber ibealen (Semein* 
fd^aft bebingt ben eJortgang in ber ©efd^id^tc ber SKenfd^l^eit." ^ 

3Son l^ier aug getoinnt 3lanfe bann feine allgemeinen Sin* 
fcJ^auungen über bie 3Birlfamfeit ber Sßationalität bejro. be§ 
Staate^ unb ber allgemeinen Äultur in ber ©efd^id^te. 9iirgenb§ 
l^at er fid^ barüber fd^öner geäußert, afe in ber SBorrebe jur 
SEBeltgefd^id^te. 3d^ citiere nur jn)ei ©ä^e: „3)ie ^Rationen 
fönnen in feinem anberen 3iifömmenl^ang in Setrad^t fommen, 
ate inwiefern fie, bie eine auf bie anbere roirfenb, nad&einanber 
«rfd^einen unb untereinanber eine lebenbige ©efamtl^eit aug* 
mad^en." ,,Seinegu)eg§ allein auf Äulturbeftrebungen berul^t 
bie gefd^id^tlid^e ©ntroidflung. ©ie entfpringt nod^ aug 3^* 
pulfen ganj anberer 3lrt, t)orneI|mlid^ bem 2lntagoniSmug ber 
^Rationen, bie um ben Sefift be§ ©oben^ unb um ben 5Borrang 
utitereinanber fämpfen." S)od^ id^ l^abe biefe ©ebanfengänge l^ier 
ttid^t weiter ju verfolgen ^. Älar ifi aud^ bei il^nen, bafe Station 
unb Staat afö 2lgentien ber roeltgefd^id^tlid^en Bewegung er* 
fd^cinen. Unb ba^ gilt Slanfe aud^ für bag Snbioibuum: „9lie* 
wanb ijl febiglid^ ein Sürger beS ©emeinmefeng , bem er ange* 
l^ört; bag SJienf^Iid^e erl^ebt fid^ auS bem 5RationaIen unb über 
t)agfelbe. S)arauf berul^t aDe SRetigion, überbie^ aber aud^ alle 
^eilnal^me an ber ©ntwidflung bei^ menfd^lid^en ©efd^led^t^." * 

Stanfe liat trofe gelegentlid^er Slbmeid^ungen ^ an biefer 
^uffaffung fiänbig f eftgel^alten : ©efd^id^te ift il^m Unioerfal* 
^efd^id^te. @r l^at ftd^ mol^l bal^in geäußert, eine beutfd^e 



1 3ur oenct. ©cfd^.; ®M. 42, 6. 
« Söcltgefd^. Y\ 4. 

» «gl. baju «ittcr a. a. D. ©. 16 f. 
* Söcltgef*. IIS 388. 

» »gl. 8. ». ©crbifdjc ©efc^., (5J.2B. 43/44, 3, unb namentrit^ eine 
-SCufaeidJnung »on 1880, ®.2B. 53/54, 639. 



38 U. Hanfes ^beenUtite nrib bte ^un^xanfxanet. 

SRotionalgefd^id^te fei feine roiffenfd^aftUd^e Sluf gäbe. 2)ot)e l^at 
in fetner treffüd^en Siograpl^ie SRanfeS ^ mit ©rfolg nad&roeifen 
fönnen, bafe anc!^ bie SluSfd^nitte SRanfeg au§ SRationalgeft^id^ten^ 
bie beutfd^e, englifd^e unb franjöfifd^e ©efd^id^te, toie nid^t 
minber bie preufeifd^e ©taat^gef d^id^te, \a aud& bie Siograpl^ien 
SEBttllenfteing unb ^arbenbergg, butd^ou^ vom n)eltgef(^id^t=« 
lid^en ©tanbpunfte gefd^rieben finb. ©aSjenige SBerf diariM, 
bag il^n berühmt mad^te unb wol^l ben l^omogenften Slu^brudt 
feines ©eifteS birgt, bie ©efd^id^te ber ^äpfte, bel^anbelt bie 
einjige grofee Unioerfalgeroalt beS SlbenblanbeS. 

©0 ift SRanfe in jeber t^^afer feinet 3)enfenö, in jebem 
3eitraum feinet langen fiebenS ben foSmopolitifd^en S^enbenjen 
feiner Sugenbjeit treu geblieben, fo treu, xok beut mpftifd^en 
SbealiSmuS einer auf ber ©runblage ber lutl^erifd^en 9tefor* 
mation fid^ erl^ebenben SbentitätSpl^ilofopl^ie. 2lug beiben 
Duetten l^er flofe feine ^iftorifd^e 3luffaffung. 

©emgemäfe ntufete fie einmal ben SRad^roeiS beS weit- 
gefd^id^tlid^en SneinanbergreifenS ber ftaatlid^en unb nationalen 
Äräfte als ber Komponenten ber roeltgefd^id^tlid^en Seroeguuft 
jur Slufgabe l^aben unb mujste ju biefem 3^^^^ ^^^\^ Kräfte 
auffud^en unb in möglid^ft einfad^er ßl^arafteriftif oergegem 
wärtigen. Unb fie mufete femer biefe Kräfte atö SluSflufe beS- 
l^inter ben gefd^id^tlid^en ©rfd^einungen ftel^enben göttlid^en 
^rinjipeS, ate SJlanifeftation ©otteS faffen. @S finb bie SBor* 
ouSfefeungen ber Sftanfefd^en ^beenlel^re. 

S)ie aianfefd^en Sbeen finb eben biefe Kräfte. 3fianfe fann 
fid^ in ber Umfd^reibung i^reS SegriffeS faum genug tl^un. ©ie 
finb bie „objeftiDen Sbeen", bie mit ber Kultur beS menfd^* 
lid^en ©efd^led^teS t)erbunben pnb, bie „l^öl^eren ^potenjen", bie 
„grofeen Kombinationen, bie in ben 35ingen liegen", bie „ange* 
borenen Kräfte ber Elemente, meldte bie SBelt jufammenfeften" ^ 



1 2r,S).«B. 33b. 27. 

" a)iefc Elemente (granj. ©cfd^.; ®.SQ3. 11, 177) tocrbcn onbcrgroo 
btc „Slutoritäten , welche bie obicftiocn Sbecn rcpräfentiercn*, genannt 
(©ngl. @ef(^., ®.äB. 14, 38), unb ed ergiebt ftc^ , ba( fold^e. Autoritäten 
j. S5. ©taat unb Äirdje finb. . : 



IL Hanfes ^betnhiixe unb bie 3ungranfianer» 39 

bie ^^allgemeinen 3bcen, bie ba^ Seben beg menfd^Iid^en @e* 
fd^led^te« in fid^ tragen" ^ u. f. ro. 

2ln brei ©teilen feiner SBerfe t)or aUent, foroeit id^ fel^e, 
fielet 3ianfe auf fie von ben n)eiteften ©efid^t^punften au^ ein. 
©ie muffen, bei ber ©d^roierigfeit, SRanfe^ 2luffaffung auf eine 
!ut^e ^ormel ju bringen, ol^ne fie ju vergewaltigen, l^ier im 
aSBorttaut folgen, „^ä) benfe mid^ nid^t ju täufd^en ober bie 
©darauf en ber ^ifiorie ju überfd^reiten," fagt er an ber erfien 
©teße^, ,;tt)enn id^ an biefer ©teile ein allgemeine^ ®efe^ be^ 
Seben^ njal^r junelimen glaube. Unjraeif ell^af t ift : e^ finb immer 
Äräfte beö lebenbigen ©eifteö, n)eld^e bie SBelt fo oon ©runb 
au^ bewegen. aSorbereitet burd^ bie t)orangegangenen ^af)X' 
l&unberte, erl^eben fie fi(^ ju i^rer 3^^*/ l^eroorgerufen burc^ 
ftarfe unb innerlid^ mäd^tige 5Katuren, auö ben unerforfd^ten 
liefen be^ menfd^lid^en ©eifte^. @^ ift i^r SBefen, bafe fie bie 
aSBeit an fid^ reiben, ju überroältigen fud^en. 3e mel^r eS il^nen 
aber bamit gelingt, je größer ber Ärei§ mirb, ben fie umfaffen, 
befto mel^r treffen fie mit bem eigentümlid^en , unabl^ängigen 
2tbtn jufammen, ba§ fie nid^t fo ganj unb gar ju befiegen, in 
fid^ aufjulöfen vermögen. Salier gefd^iel^t e^ — benn in un* 
aufl^örlid^em SBerben finb fie begriffen — , bafe pe in fid^ felbft 
eine Ummanblung erfal^ren. Sfnbem fie bag grembartige um* 
faffen, nel^men fie fd^on einen 2)eil feinet SBefenö in fid^ auf, 
eg entroidfeln fid^ JRid^tungen in i^nen, 3Komente be^ S)afeinö, 
bie mit il^rer Sbee nid^t fetten in SBiberfprud^ ftefien. @^ fann 
aber nid^t anberg fein, ate ba§ im attgemeinen e?ortfd^ritt aud^ 
biefe toad&fen unb gebeil^en. @g fommt nun barauf an, ba§ 
fie nid^t baS Übergewid^t belommen ; fie mürben fonft bie (Sinl^eit 
unb il^r ^prinjip gerabeju jerftören." SDiefer ©teße, meldte in 
ben breifeiger S^^ren gefd^rieben ifl, fd^liefet fid^ nod& an^ ber- 
felben ^dt eine anbere in ber ©eutfd^en Sfteformationggefd^id^te 
an*. „®ie Sbeen, burd^ meldte menfd^Hd^e 3uftänbe begrünbet 



^ ©crbifd^c ©cfdj. ; ®.SQ3. 43/44, 3. 
2 ^äpftc; ®.SQ3. 37, 471. 
8 ®.SQ3. 1, 55. 



40 n. Hanfes 3beenlet{re unb bte 3utigtatiftaner. 

werben, entl^alten baS ©öttlid^e unb ©roige, aus bcm fie quellen, 
bod^ niemate DoIIftänbtg, in fid&. ©ine 3cit lang finb fie roo^U 
iS)ätXQ, Seben gebenb; neue ©d^öpfungen gelten unter il^rem 
Dbem l^ercor. allein auf @rben lommt nichts ju einem reinen 
unb Doßfommenen SDafein; barum ift aud^ nid^ts unfterblid^. 
SBenn bie 3^tt erfüttt ift, erl^eben fid^ an^ bem SSerfattenben 
SJeftrebungen t)on weiter reid^enbem geiftigen Snl^alt, bie eS 
t)oIIenbö jerfprengen. S)a§ finb bie ©ebanfen ©otteS in ber 
SBelt." ©nblid^ folge eine ©tette auS ben „©rofeen 3Käd^ten". ^ 
„Sflid^t ein fold^eS jufälligeö ©urd^einanberftürmen, Übereinanber* 
l^erfallen, 9?ad^einanberfolgen ber ©taaten unb SSölfer bietet bie 
SBeltgefd^id^te bar, wie eg beim erften Slidfe wol^l ausfielet. 
SHud^ ift bie oft fo jweifell^afte görberung ber Kultur nid^t il^r 
einjiger ^nl^alt. @S finb Gräfte unb jwar geiftige, Seben l^er* 
üorbringenbe Äräfte, felber Seben, eS finb moralifd^e Energien, 
bie tt)ir in ber ©ntroidflung erblidfen. Qu befinieren, unter 3lb:= 
ftraltionen ju bringen finb fie nid^t, aber anfd^auen, wal^rnel^men 
fann man fie; ein aJlitgefül)l il^reS 2)afein§ fann man fid^ 
erjeugen. ©ie billigen auf, nel^men bie SBett ein, treten lierauS 
in bem mannigfaltigften SluSbrudE, beftreiten, befd^ränfen, über- 
wältigen einanber; in il^rer SBed^felwirlung unb 2lufeinanber=^ 
folge, in il^rem Seben, il^rem SBergel^en ober il^rer SBieberbelebung, 
bie bann immer größere gülle, l^öl^ere 93ebeutung, reid^eren Um* 
fang in ftd& f daließt, liegt bag ©e^eimniS ber Sßeltgefd^id^te." 

3Jlan fann au§ ben foeben citierten brei ©teilen alle wefent* 
lid^en ©igentümlid^feiten ber Qjbeenlel^re SianfeS ableiten, unb 
eS bebarf nur geringer S^fäfee aus anberen ^u^erungen 9tanfe§, 
um baj^ SBilb jiemlid& oollftänbig ju mad^en. 

2)ie ^ertunft ber gbeen ift m^ftifd^ na(^ 3^it wie nad^ 
@ntftel^ungigart. ©ie „blül&en auf", fie finb ba „ju il^rer S^iV. 
©ie finb jwar vorbereitet burd^ bie frül^ere menfd^lid^e @nt* 
widflung, fie muffen aud^ ber i5auptfa($e nad^ burd^ große 
^Perfönlid^feiten vermittelt werben^, pe fönnen gelegentlid^ in 

* ®.®. 24, 38 f. 

« ?Päpftc, ®.SB. 37, 295; ogt. baju @ngr. ®ef(§., ®.2B.14, 40; m* 
gemeine Semerlunöen, ®M. 53/54, ©. 570. 



II. Hanfes ^beenUi^te unb bie Jungranftaner. 41 

^röjlcrer glätte tüicberf eieren , aber ftc quellen fletö aug bcm 
©öttltd^en unb ©toigen, an^ ben unerforfd^ten 2^tefen be^ 
ntenfd^Iid^en ©eifted. SEBie bo^ im einjelnen DorjufteHen ift, 
l^at SRanfe gelegentlid^ in oerfd^tebener SBetfe auggefül^rt. jQier 
jtoei S3eifpiele. 3^ ^^n SBerl^anblungen ju ^ßaffou (1552) 
äußert er^* „3^ Stngefid^t ber Äämpfe, toeld^e bie SBelt er- 
fütten, ber Äräfte, bie baju üon beiben ©eiten in Slnroenbung 
gefegt werben, unb ber ©rfolge, bie fid^ ergeben, bilben fid& 
Überjeugungen , bie plöftlid^ l^ert)ortreten unb iebermann er* 
greifen, weil fie au§ bem ©efd^el^enen mit 5Wotmenbigfeit ent' 
fpringen ; man !ann fagen : fie entl^alten (Sef efee für eine wenn 
aud^ erft ferne 3w^«nft in fid^." an einer anberen ©teile ber 2)eut* 
fd^en SReformation^gefd^id^te bemerft er^: „3)ie europäifd^e 
Kultur t)or bem SBeginn ber SWeformation . . . war ein einjige^ 
©ebitbe, au§ ben Äeimen, weld^e bie frül^eren Sal^rl^unberte 
gepflanjt, eigentümlid^ emporgeroad^fen, in roeld^em fid^ göttlid^e 
unb roeltlid^e 3)lad^t, ^P^antafie unb bürre ©d^olaftif, jarte 
Eingebung unb rol^e Oemalt, Religion unb 2lberglaube be'= 
gegneten, in einanber t)erfd^lungen unb burd^ ein gel^eimeS 
@txoa&, ba^ allen gemeinfam war, jufammengel^alten" 

3fn SBirfung treten bie Sbcen, inbem fie bie SEBelt ju 
übermättigen fud^en. 3n biefem Seftreben finb fie mol^Itl^ätig^ 
Sebcn gebenb, f d^öpferif d^ , S5egrünber menfd^lid^er S^^tänhe. 
Äeinc SRad^t fann emporfommen, bie nid^t jugleid^ auf ber 
©runblage ber Sbee berul^t unb in ber 3bee il^re 35cfd^ränfung 
ftnbet®. e?reilid^: „aug ber alle^ anbere negierenben Sbee er== 
i^ebt fid^ notroenbig unb allemal ber ©d^redfen." * ©o finb bie 
3been ,,n)ie Siaturfräfte, roeld^e bilben, abercbenfo mol^l jerfiören"^ 

©ie fönnen babei lange bauem. ©o l^at j. S. „bie ^iet 
ber perfönlid^en ®l^re unb 5pflid^t ber romanifd^^germanifd^en 



1 2)cutfci^c ©cfcSidJtc; OJ.SB. 5, 194. 

a ®M. 1, 165. 

» köpfte; ®M. 37, 381. 

* 2)cutfci^e ©cfdjidjtc; ®.SQ3. 3, 382. 

» ®ngr. ®cf4.; ®.SB. 15, 270. 



42 II. Hanfes 3beenlel^re nnb bie ^»"graiiüaner. 

SBcIt aUcjeit il^rcn cigcntümlid^en &)axalttx vtxlk^m" ^. 2lber 
unfterbtid^ jtnb fie nid^t. S)cnn fie mt^altm ba§ ©öttlid^c unb 
©njige nictnafe ooUftänbig in jtd^. Unb oufeerbem treffen fie^ 
inbem fie bie SBett ju übertDältigen fud^en, mit beut ,;ei9en=^ 
tüntlid^en, unabl^ängigen Seben" jufammen. S)iefeg eigentümlid^e 
Seben ift aber nun feine^roeg^, wie ein mobemer Äopf n)ol)l ju 
benfen geneigt fein möd^te, ba^ 2thzn be^ „©d^eing" ^, b. ^. ber 
,,ntateriellen", ber aujäeribealen SBelt, fonbern melmel^r bag be§ 
inbiüibualen ©eifte^. ,,2lud^ bie Sbeen gelten t)orüber/' fagt 
Sianfe in ber ^reufeifd^en ©efd^id^te^; „wir unterfd&eiben von 
benfelben nod^ bie ©eifter, bie fid^ in i^nen bewegen, fie mit 
tieroorbringen, aber aud^ nod^ ein freiet ©elbft l^aben unb nid^t 
in il^nen aufgellen." 5Die ©eifter nel^men bie ^been nur in 
,,fub)eftit) »ermittelter, alfo aud^ befd^ränfenber Slneignung auf, 
bie nid^t oline ©treit unb @egenfa| ju benfen ift" *. 9?ament* 
Hd^ bie großen 9Känner finb „originale ©eifter, bie in ben 
Äampf ber Sbeen unb 2BeItfräfte fetbftänbig eingreifen" — 
freilid^ aud^ bie „mäd^tigften berfelben, auf benen bie B^^w^ft 
berul^t l^atte, jufammenfaffen, fie förbern unb burd^ fie geförbert 
n)erben" ^. Sn biefen SBorgängen toerben nun bie Qbeen t)er* 
änbert unb nid^t feiten im SEBiberfprud^ ju il^rem eignen 
©l^arafter umgeroanbelt. 6ö entroidfeln pd^ SRid^tungen in il^nen, 
bie, „wenn bie 3^it erfüllt ift", big jur S^fP^^nfluttg il^re§ 
urfprünglid^en ©el^alteö fül^ren fönnen. 

3ubem aber treffen bie 3been in bem Sttugenblidf, ba fie 
ftd^ geltenb mad^en, aud^ auf anbere, fd^on oorl^anbene 3been. 
^it biefen fönnen fie 3lllianjen fd^liefeen unb roieber löfen®, 
fie fönnen fie aber aud^ befämpfen. 3a, ber Äampf ift ba^ 
®en)öl^nlid^e, unb gerabe im Kampfe ber Sbeen ooHjiel^t fid^ bie 
gefd^id^tlid^e Bewegung, ©o erjäl^lt un^ SRanfe von ber Sbee 



* ®ngr. OcfdJ.; &M. 11, 86. 
2 ©. o5cn ©. 34. 

8 &M. 27/28, 540. 

* @ngr. ©cfd^.; @.2B. 14, 37. 
^ SBeltgcfdj. V«, 106. 

« SBeltöef«. IIP, 185. 



n. Hanfes 3becnle^re unb bie Jungranfiatier. 43 

ber 58olföfout)eränetät : „jutocilen jurüdfgebrängt unb nur bie 
SKcinungen bcftitnmenb , aber bann roteber l^eroortretenb , offen 
befannt, niemals realificrt unb immer eingreif enb, ift fie ba§ 
cmig beroeglid^e g^erment ber mobernen SBelt^". 

2)amit finb benn bie flampfe^auflenblide ber 3been, bie 
aftueH geworbenen SKöglid&leiten folgenreid^er SBanblungen in ber 
ftonfteHation ber ^been, bie eigentlichen roeltgefd^id^tlid^en Slugen* 
blicfe^. 3n il^nen wirb baö allgemeine ^efefe be§ fieben^ am 
beften geal^nt, mitgefül^It unb angefd^aut ; l&ier tritt ba§ ®elieim= 
ni^ ber SBeltgef d^id^te , treten bie ©efd^idEe ©otteS in ber 
SEBett am beften fteroor, unb man barf fagen: „^k oberften 
^rinjipien, bie in ben Äonfliften ber geiftigen unb materiellen 
Gräfte bie Dberlianb bel^alten l^aben, beflimmen ba§ Seben in 
ieber feiner ©eftalten"^. 

©ooiel jur gbeenlel^re SRanfe^. a)Jan fielet ol^ne weitere^ : 
biefe 2lnf(j^auungen finb einmal aufg tieffie burd^ ben bia* 
Icftifd&en ©ntroidEIung^projefe ber Sbentität^pl^itofopl^ie beein* 
flufet unb bamit ba§ Korrelat jur SRaturpliilofopl^ie ber erften 
3al^rjel)nte unfere^ ^al^rl^unberts * ; unb anbererfeit^ erinnern 
jie an bie panpfpd&ifd^en SRaturlel^ren beg 16. ^al^ri^unbert^ ^. 
3)ie mpftifd^en Sngrebienjien jener beiben Briten, an beren 
geiftigem ©cl^alt bag S)enfen SRanfe^ ermud^^, ber lütl^erifd&en 
SReformation^jeit unb ber 3^^^ ^^^ ibealiftifd^en 5pi^ilofopl^ie, 
treten in il^nen ju ^age. Sie gefd^id^tlid^e SBelt in ben 
Su^erungen il^re^ 2)afeinS unb aSirfen^ ift nid^tg an^ fid^ 
l^eraug, burd^ Slnnal^me immanenter Äräfte @rf Iärlid^e§ ; nod^ 
Diel Toeniger ift eg bie 2lufgabe, etwa bie ©umme ber gunäd^ft auf 
ber Dberfläd^e in bunter 3Kannigfaltigfeit erfd^einenben Äraft* 
äufeerungen in immer intenfit)erer Unterfud^ung ftet^ fd^ärfer 

1 engl, ©efd^.; SB.®. 16, 328. 

2 3"^^ 93cbeutung beS mit biefcr Seigre »crfnüpften SQBorteä HÄomcnt 
bei Slanfc f. Äitter, 6. 28 f. 

8 ?re«f;. ®efd^. ; ®.SQ3. 29, 270. 

* SWS fold^c ^at fie fdjon Sorenj, ®cfc^ic|t§n)iffenfd^aft I, 268, siem* 
Ii4 beutttd^ bejei^net. 'Stexliii^ Dgl. :8orena 11, 66, legtet 9lbfa|. 

^ 3)ad geigen gerabe fotd^e ©teilen, roo 9lan!e ©efc^td^tSraiffenfc^aft 
unb ^laturroiffenWaft Dergretd^t, f. j. 33. Sorena II, 93. 



44 n. Hanfes Z^emUiitt unb bie '^nn^tanfianex, 

ju d^arafterifteren, toomöglid^ auf einfad^ere immanente ©in- 
fieiten ju rebujieren unb — ate lefete^ 3icl ber g^or* 
fd^ung — auf wenige 2lgentien jurürfjufül^rcn. 2)ag 3^^^ 
be§ miffenfd^aftlid^en 33egreifen§ ift nid^t, trofe oHer $ßofluIate 
unfereg 2)enfeng, Unififation ber ©lemente be^ SBiffen^, fonbcm 
Dielme()r ba^ Slufgel^en in eine große 3<^^t ^on gefd^id^tlid^en 
©onberberoegungen , beren jebe in einer 3bee i^r fpejififd^eg 
3lgeng i)at Slugenfd^einlid^ ift bie 3lnaIogie mit ben aftralen 
unb terreftrifd^en Gräften, ben magifd^en unb aftrologifd^en 
SBorfteHungen be^ 16. ^a^v^nnbtxi^ , foroie mit üermanbten, 
aber abgetönteren äJorfteffungen ber neueren Siaturpl^ilofopl^ie. 

Unb wie ber naturaliftifd^e ^ßanpfpd^i^mu^ trofe gelegent* 
lid^er S^enbenj jum 5ßantl^eigmuS bennod^ im mefentlid^en 
tl^eiftifd^ blieb, jebenfaHä aber ein göttlid^eg ^rinjip l^inter 
allen feinen ,,Äräften" in irgenb einer fd^roer begreiflid^en unb 
l^äufig garnid^t genauer umfd^riebenen g^orm feftl^ielt, fo uerfäl^rt 
aud) SRanfe. @r fielet l^inter feinen Sfbeen ®ott, unb jroar 
einen perfönlid^en ®ott; fel^r entfd^ieben l^at er fid^ gegen bie 
in ^egefö ©tiftem befd^Ioffenen pantl^eiftifd&en 2^enbenjen auö* 
gefprod^en^ 2lber er l^ält e^ nid^t für eine miffenfd^aftlid^e 
3lufgabe, f eftjufteHen , wie bie 3been au^ ®ott l^erüorgel^en ; 
f)ier, ja fd^on in ben gefd^id^tlid^en anfangen jeber 3ibee beginnt 
für i^n bag „©el^eimnig".^ 

3)en 2lnf d^auungen Sianfe^ wirb niemanb eine großartige ©e- 
f d^Ioffenl^eit abfpred^en rooUen. @g ift ein erl^abener, auf innigften 
perfönlid^en Überzeugungen berul^enber ©piritualii^mu^. aber 
man foH aud^ nic^t t)erfennen, baß biefe Slnfd^auungcn t)or allem 
auf einem ©tanbpunft perfönlid^en ©laubeng unb erft 
in jmeiter Sinie auf einem fold^en miffenf d^aftlid^er 
^orfd^ung berul^en, fo fel^r pe fid^ bei SRanfe mit intenfit)er 
efreube an realiftif d^er gcftfteffung ber ©injeltl^otfad^en t)erbanben. 

aJlan l^at biefe Sage ber SDinge t)ielfad^ t)erfannt. 3Ran 
l^at gemeint, 9lanfeg SBeltanfd^auung l^abe feine gefd^id&tlid^e 

* 3n ben öcrd^tcggabener S^orträgen, 303.®. IX«, @. 7. ©. aud^ 
Scfter a. o. D., @. 242 f. 

2 3Jgr. bie d^arafteriftifc^cn 3Wittcirungen bei Sorena I, 288; II, 59, 
mnm. 2. 



IL Hanfes 3beenlel^re unb bie 3ungranFtaner. 45 

Sluffaffung wenig bttü^xt; trofe aller Sbeen bcrul^e biefe allein 
auf ber bloßen SReprobuftton unb SSerarbeitung ber genuinen 
Duellen ^ Unb wenn man bei SRanfe bie 35arftcffung berienigen 
©eiten be^ gefd^id^tlid^en fieben^, bie einer fpirituatiftifd^en 
93etra($tung abgeroanbt finb, t)ernad6läfftgt fanb, l^at man ge* 
glaubt, ba^ mit feiner mel^r äftl^etifd^en SSeranlagung erHären 
ju fönnen. 

3n allebem l^at man Sianfe unred^t getl^an. SRanfe l^at 
bie t)offe SBud^t feiner perfönlid^en Überjeugung in feine ge* 
fd^id^tlic^e 5DarfteIIung l^ineingetragen ; eS ift ganj unmöglid^, 
aud^ nur eine ©eite biefer 3)arftellung ol^ne ^iüdfid^t auf fte 
eingel^enber ju Derftel^en; baö l^at Sorenj in ben t)on SRanfe 
l^anbelnben 5ßartien feiner „Oefd^id&t^miffenfd^aft in Je^upt* 
rid^tungen unb 2lufgaben" einleud^tenb nad^geraiefen. Unb feine 
äftlietifd^e Statur l)at il)n an fx^ feine^roegg gel^inbert, bie 
materieffen Seiten ber gefd^id^tlid^en ©ntwidEtung ju feigen. @r 
l^at gelegentlid^ aud^ bie fojialen (Elemente ber ®reigniffe roo^ 
bead^tet^; er i)at von ber SBolföroirtfd^aft in feiner Siebe beim 
2lntritt ber orbentlid^en ^Profeffur wenigfien^ gefagt: ,,35er 
^iftorifer bebarf . . eine genaue unb leidet jugänglid^e 33efannt* 
fd^aft mit biefcn 2)ingen, n)eit ja gar oft gerabe auf biefem 
©efunbl^eit^juftanbe beB ©taateö bie Urfad^en ber ©reigniffe, 
bie er erforfd^t, berul^en"^, unb er l^at nod^ furj vor feinem 
2^obe ben ©d^reiber biefer ©äfee auf^ lebl^aftefte jur ^ortfefeung 
Toirtf (^aft^gef d^id&tUd^er ©tubien angefpornt*. @r ftanb ferner aud^ 
unter bemßinbrudE ber 3tad^n)irfungen beö gef d^id^tlid^ @en)orbenen, 
f omeit bief e§ auf natürlicher ©runblage berul^t ; bal^er bie merf == 
toürbigen 2lnfä|e ber fpäter t)on fiorenj auSgebilbeten ®ene* 
rationenlel^re^. Slber felbft biefe S5inge erfd^ienen il^m bod^ in 

^ 2)a9egen fdjon gcfter a. a. D., ©. 253. 

2 S^gl. j. 93. JU ben ©rünben beö ^erfoHS bcS cnglifc^en $roteIto« 
rateö nad^ ©romroca ®.2B. 23, 313 f. 

8 @.2B. 24, 288. 

* @cfpräc§ am 1. mai 1886. 

ö 33gr. mmentüd) ^rcufi. @cfc§.; ©.SB. 25, 75, unb (SJefd^. ber 
roman.-gernt. «ölfer, neue 2lufr.; @.2B. 33, 323. 3ur ^atenfc^aft 9lü* 
melinä an ber ®enerationenle§re Sorenjenä f. 93ernl^eint, Sel^r5uc§ ber 
l^ift. aJietl^. S ©. 65. 



46 n. Han!es 3becnleljre nnb bie 3ungranftaner. 

Ilö^erer, mpftif(ä^er Scjieljung ; er fprad^ babei t)on bcn „2lbft($tcn 
ber 5Ratur" ^ Unb er l^at, fo fcl^r il^m atte§ ©efd^el^cnbe eine 
©inl^cit toar ^, unb fo überjcugt er gelegcnttid^ 5poIitif afö ben 
aSerfud^ befiniertc, „inmitten beg Äonfliftg ber 3Beltm(id6te, ber 
ibcalen forool^I aU ber realen, ba^ eigene Sntereffe ju 
TOttl^ren"^, bennod^ niemals bie ntaterieffen S^tereffen al^ ben 
geiftigen irgenbn)ie foorbiniert anerfannt. 33ag größte ©ntgegen* 
fommen, ba^ er auf biefem ©ebiete gejeigt l^at, gel^t bod^ nid^t 
weiter, aU 6i§ ju ber Sel^auptung, ,,bal3 bie ©efamtanftrengung 
ber ©eifter unb Äräf te in einer Station, weld^e alle ©ebiete um* 
fajst, ba^ moralifd^e, inteffeftueHe unb felBft materielle 
Seben, ilircn 3lang beftimmt unb felbft il^re Oefd^ide entfd^eibet" *. 
©ine fold^e Haltung aber war Jeine^roegg burd^ irgenb toeld^en 
äftl^etifd^en 2lbfd^eu beftimmt, fonbem ging ftrift au^ ber 
Sbeenlel^re ]^ert)or unb bamit an^ ber 3lnf d^auung üon ber 
tranfcenbentalen Seftimmung beö ^enfd^en. „©eiftig lebenbige 
aWenfd^en werben melir von ben allgemeinen Sbeen ate t)on 
ben befonberen 3Jntereffen angeregt^.'' „S)ag ©öttlid^e ift immer 
ba§ Sbcale, ba§ ben SlKenfd^en t)oranleud^tet ; bem menfd^lid^en 
2^l^un unb Saffen mol)nt jroar nod^ eine ganj anbere, auf bie 
Sebingungen beg realen S)afein§ gerid^tete 2^enbenj inne, aber 
es ftrebt bod^ unaufl^örlid^ nad^ bem ©öttlid^en l^in ®." 3)abei 
unterliegt aUeS im ©runbe nur bem ©influfe ber Sbeen; ,;bie 
Äünfte — l^aben ben 3been eine ©efialt ju t)erleil^en^;" „bie 
©eifier ju fül^ren, baS l^eifet: toal^rl^aft Äönig fein®;" „unfer 
europäifd^eS ©emeinroefen I6at fid^ nod^ niemals bem ©ebote 
ber reinen ©eraalt unterworfen, nod^ ift eS in jlcbem SKomente 

* $reu^. (SJefc^.; (5J.2ß. 27/28,82. ajian wirb babei an ben „^ian 
ber ^aiviv" ber Äantifc^en, bie „Äunft ber S^^atur* ber gtc^tefd&en, bie 
»Sift ber SSernunff' ber ^egelfd^en ©efc^id^töpl^ilofopl^ie erinnert. 

2 Sgl. a. SB. ben Slnfang ber SWcformationSgcfd^.; &M. l, 3. 

8 3. 3). ©efc^.; ®.2ß. 7, 184. 

^ §ift. 3f. 27, 140. 

5 @ngr. @ef (§. ; ®.9B. 14, 40. 

ö SBertgefd^. 1\ 1. 

■^ 3). (5Jefc§.; ®.3B. 1, 162. S)en ßJebanfen würbe §egel faum l^aben 
anberg äugern fönnen. 

8 granj. @efcl^.; &.m. 8, 92. 



IL Hanfes 3beenleljre nnb bie 3ungranfianer. 47 

mit Sbecn erfüllt gcwefcn * ;" übcrl^aupt : „nid^t huxä) tnomentane 
SSorteile ober biplomattfd^c Äünfte, fonbern burd^ bie ein^ 
geborenen Äräftc ber ©lemente, roeld^e bie SBelt jufammcn* 
fefeen, werben bie großen g^ragen au^gemad^t^/' 

6^ roärc nad^ aUebetn falfd^, bei aller 2lnerfennung ftrenger 
eJorfd^ung unb perfönlid^ realiftifd^en ©inneS, ben l^iftorifd&en 
HK^ftijiSmuS SRanfe^ oon feiner gefd^id^tlid&en 3luffaffung im ein* 
jelnen trennen ju motten: eitn ba^ 3frrationeIIe ift il^m 
baS gefd^id^tlid^e 2lgen§. 2lud^ feine 3Wetl^obe, über beren 
©l^arafter man gegenüber nod^ immer gäng unb gäben gel^eimni^* 
t)offen aSorfteffungen bie augfül^rlid^e Slu^einanberf efeung Soren jen^ ^ 
itad^fefen mag, f)at if)n feine^meg^ oor biefer 2luffaffung be- 
malert, ©ie trat oielmel^r, menn aud^ oline irgenbroie 
jmingenben logifd^en @runb, bod^ bei ber ungemein lebl^aften 
unb einl^eittid&en 3Sorftettung^art 9ianfeg mit feiner aBe[tauf= 
faffung atöbalb in unlö^lid^e Sejiel^ungen. «5Die l^iftorifd^e 
g^orfd^ung/' fagt Slanfe in ber SSorrebe jur ^reufeifd^en ®e* 
fd^id^te (®.2B. 25), „rid^tet fid^ i^rer 5Ratur nad^ auf ba§ 
einzelne. 9lber man mirb jugeftel^en , bajs fie i^ren 3wedf vtx^ 
felilt, menn fie barin befangen bleibt. 2)ie lebenbigen aJlomente 
einer attgemeinen @ntmidE(ung müflen aud^ ben ©egenftanb ber 
gorfd^ung bilben fönnen. 6in^ ieUht ba§ anbere; fie bebingen 
tinb ergänzen fid^ med^fetweife." Q^htn auö biefem 3wfammen* 
l^ang l)at SRanJe feine Sel)re vom SWoment entroirfelt. 216er 
mie biefe Se^re fd^on bie von ben 3been t)orauSfefet, fo 
ift itjm bie ©rfenntni^ ber Sbeen l^öd^fie^ 3Jloment feiner 
e?orf(^ung. 3n biefem ©inne äußert er fid^ jufammenl^ängenb 
unb pd^ft begeid^nenb in ben „3lttgemeinen S3emerfungen", 
1831—49*, über bie l^iftorifd^e g^orfd^ung überl^aupt» ,.3Ran 
muß von ber ©rjäl^lung gleid^fam iljre ^ßl^rafeologie abftreifen; 
man muß fte auf il^ren Äem unb ^nl^alt jurüdEbringen. Db 
eine üöttig malere @ef(^id^te möglid^ ift? 1) ©jafte Äenntni^ 
i)er einjelnen 3Homente ; 2) il^rer perf önlid^en aWotioe ; 3) il^reg 

1 ?Päpfte, Ö.SGß. 37, 376; ogl. Sorcna «• «• ^- Hf 52. 

2 grona. (SJefd^.; ®.2Ö. 11, 177. 

3 ©efd^ic^tStoiffenfc^aft II, ©. 22 f., aud^ ©. 17 f. 
* @.2B. 53/54, 569. 



48 n. Hanfes Z^eenUfyie nxib bic Znnqxanfianex* 

3uf atnntcnToirfen^ , beg gonjen ®etricbe§ ber 5pcrfönüd^feitcit 
unb TDed^fclfeitigen ©intoirfungen ; 4) be^ untoerfalen ^n^ 
fammcnl^angcg. — 5Dag Icfete SRefuItat ift 3Kitgefü^t, 
3Kitn)tffcnf(J^aft beg 21IU/' man fie^t: ^icr ge^t bic 
nttiftifd^c aiuffaffung ol^nc tocitercS, unb jroar ate aUgemeinfte^ 
beftimmenbcS ©rgcbnis, in bie Äonfequcnjen ber 3Hetl^obc mit 
ein. 3)ie gefd^id^tlid^c Sluffaffung SRanfe^ in ilirem ganjen per* 
fönlid^ unb jeitlid^ bebingten ©pirituali^mug ift fein SWoment, 
baS ber 2^l^atfQ($enerfenntnig fern bliebe, wie fie burd^ eine 
rein inbuftioe 3Retf|obe gewonnen wirb: fie üerbinbet ftd^ vieU 
ttiel^r mit biefer, ja bel^errfd^t fie für bie 2)arfteIIung in i^ren 
aUgemeinjien unb mid^tigften Sejiel&ungen : unb gerabe auf biefer 
2)urd^bringung berul^t bie ©igenart ber SBerfe beS 9Keifterg. 

* 

Äonnte SRanfe unter biefen Umftänben eine eigentlid^e ©d^ule 
bilben ? SBar eg benf bar, bafe, ganj abgef el^en von ber genialen 
3lnlage ber 5ßerfönlid^feit , aud^ nur bie intimen jeitlid^en Se- 
bingungen feinet ©d^affen^, UniüerfaliSmu^ unb lut^erifd;* 
fid^tifd^er Spiritualismus, in irgenb einem Äopfe mit einiger 
Originalität mieberum juf ammenträf en ? 2)ie 3Röglid^feit märe 
am el^eften nod^ gegeben geroefen, folange bie gefd^id^tlid&e 
©pejialforfd^ung nod^ nid^t bie SBelt beS Sianfefd^en ,,©d^eineS", 
bie 9Belt ber mirtfd^aftlid^en unb fojialen SBemegung, ber 3Raffen* 
bemegung überliaupt in il^ren SBereid^ gejogen l^atte. 3n ber 
%^at finb ba, aber freilid^ erft am ©d^luffe beS bamit frei* 
gegebenen S^^^^^ö^^tS, Äöpfe menigftenS von SRanfefd^em 35e* 
ftreben aufgetreten. SBäl^renb bie unmittelbaren ©d^üler JRanJeS 
mefentlid^ anbere SBege gingen , fann man jefet t)on einer ©d&ule 
ber Sungranfianer fpred^en, um eine fd^on geprägte Sejeid^* 
nung anjuroenben. 

©ie jerfaHen in jmei ©ruppen. 2)ie erfte berfelben, Scanner 
jefet üxva in ben t)ierjiger unb fünfziger Salären, l^at il^re 
gefd^id^tlid^e 3luSbilbung nod^ vor bem ®rn)a^en ber mobernen 
gef(^id^tlid^en Disziplinen abgefd^loffen. ©ie ftel)t bemfelben 
teiltoeis nod^ mit ber urfprünglid^en ©mpfinbung beS SRanfe* 
fd^en „©d^eineS", teilroeiS aber aud^, ba bie SBebeutung biefeS 



IL Hanfes Z^eenletite nnb bte ^nn^xanfxantv. 49 

©d^eineg fid^ auf jubringen beginnt, ol^ne irgcnbtoie oermittcltcg 
6ingcl)en auf bie neueren Sluffaffungen mit wad^fenber 2lni* 
ntofität gegenüber. SSon anbrer Slrt ift bie jweite, jüngere 
©ruppe. ©ie ift teitoei^ fd^on mit nationalöfonomifd^er S3ilbüng 
t)erfef)en, fann fi(j& jebenfaHg bem ©inbrudf e ber feit ben fiebjiger 
Sal&ren ftärfer entwidelten n)irtf($ttftj5* unb fojialgefd^id^tlid^en 
©tubien burd^aug nid^t mel^r entjiel^en. Slber fie meint nid^t, 
bafe biefe ©tubien ber Slanfefd^en 2luffaffung Slbbrud^ tliäten. 
@ie empfinbet Dielmel^r bie 2lufgabe, fie ber SRanfefd^en 3been^ 
lel^re gänjlid^ einjuorbnen, freiU^ ol^ne beren großen mpftifd^en 
^intergrunb nod^ doU anjuerfennen. ^ierju l^otten fid^ nun l^ier 
unb ba fd^on Heine 3lnfäfee bemerftid^ gemad^t. ©in üöHig 
entfd^Ioffener unb eingel)enber SBerfud^ in biefer Siid^tung iji 
inbeg erft neuerbingg unternommen werben: in bem ung fd^on 
befannten Sluffofe Siad^fafife. 

SBeld^e S3ebeutung biefer Sluffafe l^iemad^ Iiat, ift nid^t ju 
t)erfennen. 3J?an borf jubem vermuten, bajs er nid^t blo§ 
einen inbiüibuetten ©ebanfenertrag SRad^fal^fö entl^ätt, fonbern 
aud^ 3ii^een miebergiebt, bie in ben Greifen Oleid^benfenber balb 
mel^r, balb minber jufammenliängenb t)erbreitet fein mögen, ©o 
ift eg begreif üd^, ba^ il^m in ber SReHameanfünbigung be§ 
ipefteS ber ^preufeifd^en Sal^rbüd^er, in bem er erfd^ienen ift, 
alfo minbefteng unter 3i*ftt^wwng beg gleid^er ©d^ule an- 
gel^örigen ^erau^geberg berfelben, 5Delbrüdf, ba^ S^wflni^ ntit= 
gegeben werben fonnte, „er fteHe bie ^Probleme einer beutfd^en 
©efd^id^t^fd^reibung überl^aupt an^ Sid^t". 

Unter biefen Umftänben finb wir in ber Sage, un^ au^ 
biefem Sluffafee l^erau^ ungefähr ben ©ebanfenfreiö ber ^ung* 
ranÜaner überl^aupt ju üergegenwärtigen, fomeit er ftd^ auf bie 
neueren wirtfd^aft^* unb fojiaIgefdE)id^tlid^en ©tubien bejiel^t 
unb beren SBerl^ältniS jur 3beenlef)re flarjulegen beabfid^tigt. 
3luf jweiertei wirb eg babei anfommen : einmal auf bie g^rage, 
in wetd^er Sffieife benn bie ^beenlel^re, ganj abgefel^en von iS)xex 
pf)ilofopl^ifd&en Sebingtl^eit burd^ bie ibealiftif(^en ©^fteme an^ 
bem 3lnfange unfere^ ^f^tirl^unbertg, gegenüber ber intenfiueren 
gefd^id^t^wiffenfd^aftlid^en ^^orfdjung überl^aupt aufredet erl^alten 

Samprec^t, 2llte unb neue JHic(;tunöen. 4 



50 n« Hanfes 3beenle[jre nnb bte 3ttngranfianer. 

werben fann, unb weiter auf bie S^rage, intoiefern e§ mögüd^ 
ijl, fie gegenüber ben ©rgebniffen gerabe ber n)irtfd^Qftö= 
gefd^id^tlt^en g^orfd^ung aufredet ju erl^alten. S3eibe S^ragen 
follen in biefem Sttbfd^nitt unferer Unterfud^ung beantwortet 
werben ; jur Söfung beiber bietet bie Slrbeit Stad^fal^I^ lel^rreid^e 
Unterlagen. 

®]^e wir inbeg an fie l^erangelien, muffen wir 3iad^faI|I erft 
ju einigen allgemeineren Slu^einanberfefeungen ba^ SBort geben. 
SEBir muffen feftfteHen, bafe Siad^fal^I bie „^Probleme einer 
beutfd^en ©efd^id^t^fd^reibung", entfpred^enb ber Formulierung 
ber liiftoriograpl^ifd^en Slufgaben burd^ bie 3ii>^<itp^iMopl^ie, 
weld^e ba§ SDenfen aller unferer älteren l^iftorifd^en ©d^ulen 
nod^ bel^errfd^t, von üornl^erein für ibentifd^ anfiel)t mit ber 
oeroottlommneten ,,®rfenntnig beg ftaatlid^en SBerbegangeö" 
(©.48), baB er minbefteng ba^ üerfaffung^gefd^id^tlid^e ©ebiet 
in biefem Setrad^t für weitaus baS SBid^tigfte (S. 83) unb 
weitergel^enbe 35eftrebungen jur Sluffaffung beS ©efamtgefd^e^enS 
unfrer ©efd^id^te ^öd^ftenS für „löblid^" ^ätt (@. 87) \ 

Unter biefen Umftänben ift eS jum SSerftänbniS ber an* 
geregten beiben ©injelfragen oor allem notwenbig, ju wiffen, 
wie JRad^fal^l bie beutfd^e 5BerfaffungSgefd^id^te einteilt. 

©ie jerfäHt il^m nun in t)ier 5ßerioben, nämlid^, d^rono* 
logifd^ rol^ bejeid^net, in bie ber Urjeit, beg 6. bi§ 16. Sal^r* 
l^unbertg, beg 16. big 18. Sal^rl^unbertS unb enblid^ bie beS 
19. 3Jal^r^unbertg. 3Son il^nen ift il^m bie erfte bie ber &an^ 
unb ©tammeSoerf affung , bie lefete bie be§ nationalen ©taateS 
unter gewiffen 93ebingungen, weld^e er ©. 86 furj fKjjiert; 
auf beibe ^erioben gel^t er nid^t weiter ein. 

Sie jweite ^eriobe bagegen ift il^m bie 3^it ber „untooll* 
fommenen 2lugbilbung ber ©taatsibee" (©. 78, t)gl. ©. 77), 

^ Slad^fal^I lel^nt bamit ein @inge§en auf bie eigentlid^en Probleme meiner 
Oefd^id^tSbarftettung überhaupt a limine ah. fßql bie jebem 93anbe meiner 
S!)eutfci^en ©efd^id^te oorgebrutfte Slnfünbigung, roonad^ biefe Probleme fidj 
in bem 33erfuc§ fongentrieren , bie „gegenfeitige SBefrud^tung materieller 
unb geiftiger ©ntroicflungämäd^tc innerl^alb ber beutfd^en ©efd^id^tc ftar* 
anlegen, foroie für bie ©efamtentfaltung ber materielten wie geiftigen 
Äultur einl^eitlid^e ©runblagen unb gottfd^ritt^ftufen nad^juroeifen". 



IL Hanfes y>eenhlite unb bie 3ungranfianer* 51 

ber „Unferttflleit ber ©taatöibec" (©. 76), ber „unenttoidelten 
©taatöibee" (©. 75), ber „unbcfannten, abftraften ©taatöibee" 
(©. 70). ©. 84 erl^alten wir au($ eine pofitioere Seftimmuug : bie 
3ett ber ^^unfertigen patrimonialen ©taat^ibee". 3n t^r 
„muffen wir unterfd^eiben" (fo ©. 67; ©rünbe für bie Unter* 
fd^eibung werben nid^t angegeben) jtoei 3l6fd^nitte. 3)er erfte 
mbfd^nitt ge^t big ca. 1100 ober ca. 1075 ^ er ift „be^errfd^t" 
von einem ,,jentraliftifd^en 5prinjipe" (@. 66, 67). 2)er jweite 
3lbfd^nitt reid^t big jum ,,®nbe beg 3KitteIaIterg," bag fel^r 
Derf(^ieben angefe|t wirb, unb ift „von einer ^enbenj ber ©e- 
jentralifation belierrfd^t". 

S)ie britte 5ßeriobe enblid^, alfo bie 3leujeit mit 2lugfd^lul5 
beg 19. Sal^rljunbertg , ift bie 3^it ber abftraften ©taatgibee. 
Sl^re Einteilung fd^wanft, ganj aber ift fie iebenfaUg bel^errfd^t 
nod^ von einer jroeiten 3[bee, ber 3bee ber 3^ntraIifation. 
9Birb nun bie 3Jbee ber 3^ntraIifation ju ©runbe gelegt, fo 
erl^alten wir für fie aroei 3lbfd^ni{te, nämlid^ 1. ben 3eitraum 
ber äufeeren 3^tt^^öHf^tion ber ^Territorien ; er liegt für bie 
9Karf Sranbenburg oor 1470 (©. 65), im allgemeinen in ber 
,, Übergangszeit oom 3Kittelalter ^ur SReujeit" (©. 84), „im 
15. Sa^rl^unbert" (©. 85); 2. ben 3eitraum ber SBirffamfeit 
ber „2ienbenj ber inneren 3^ntralifation" (©. 65, 85). SBirb 
bagegen bag Slugmirfen ber abftraften ©taatsibee ju ©runbe 
gelegt, fo ergeben fid^ jraei anbere 3^iträume, nämlid^ 1. bag 
3eitalter beg bualiftifd^en ©tänbeftaateg , big um etwa 1650; 
2. bag 3eitalter ber abfoluten 3Konar^ie (©. 66, 85—86). 
@g würbe roo^l im ©inne SRad^fal^lg fein, menn man bie 3^it* 
räume ber jraeiten Einteilung bem jroeiten 3^itraum ber erften 
Einteilung alg Unterabteilungen fuborbinierte. 2Bie man aber 
aud^ oerfal^ren mag: immer geprt ber 3^itraum ber äuJBeren 
3entralifation ber SEerritorien d^ronologifd^ eigentlid^ in bie 
jmeite ^eriobe. 

Überfielet man nun ben gangen t)erfaffungggefdeidetlideen 
aSerlauf ber beutfd^en ©efd&id^te nad^ ber Einteilung ^lad^fal^lg, 

^ SSgl. ©. 66 u. 75. 3lacl^fa§( ift in ber d^ronologifc^en SH^gren^ung 
feiner ^erioben fd^roanfenber, alä man TOünfd^en möchte. 



52 II. Hanfes 3^*^"^^^'^^ »w^ ^i^ JnngranKaner. 

t)or ädern Qud^ in ben von il^tn näl^cr d^araltcriftertcn mittleren 
^erioben, fo finbet man il^n, ganj im SRanfefd^en ©inne, toenn 
aud^ ol^ne Betonung be^ göttlid^en ^intergrunbeö 9ianfe^, 
burd^au^ von Sbeen bel^errfd^t^ 

©egenüber biefer allgemeinen 2luffoffung wirb eg junäd^ft 
barauf an!ommen, bie Slnroenbbarfeit ber Sbeenlel^re auf bie 
©umme ber l^cute t)orl^anbenen üerfaffungSgefd^id^tlid^en Äennt* 
niffe an itgenb einem Itaffif d^en S3cifpiele na^juprüfcn. SRad^fol^I 
bietet l&ierju al^balb bie SUiöglid^feit. 2Bir folgen i^m in ber 
S)igpofttion feiner 3lu^fül^rungen , wenn n)ir bie Slntmort ber 

' S^cmcntfprcc^cnb crfdjcint Stad^fo^l @. 92 ber ©taat fd^ledjtl^in „von 
Sbecn getragen". 2)ie 3Röglicl^!cit einer folc^en [triften 9liiffaffung wirb 
bie meiften ber heutigen ^iftorifer junäd^ft in l^ol^em ®rabe befremben, 
ja fic rocrben fie für unbenJbar l^alten. S^ennod^ jcigt fie fidj bei Stadjfa^l 
aufs beutlidjfte. SdJ fü§rc j^ierju junäc^ft bie grage SRadJfal^r« auf ©. 52 
an: „^aite fid^ bie 3^enbenj ftaatlid^er S^ejentralifatton, oon ber bie 
beutfd^e ^erfaffungSgefc^ic^te bamatS be^errfd^t tourbe, in ber ®r« 
ric^tung ber SJanbeSl^errfc^aft crfd^öpft?" ©.56 werben ferner „mit 
ber l^errfd^enbcn fojialen 3bee unoerträglid^e ßwftänbe einer 
niebrigeren Äulturftufe" ermähnt. S5gl. toeiter ©. 67: „3)aä fränüfdj* 
beutfd^e SReic^ »erbanft feine ©ntftcl^ung nid^t fowol^I ber SRatural* 
n)irtfd^aft (road von niemanb bel^auptet n)orben ift) alS oielme^r jener 
/jentraliftifd^enS^cnbena, weld^e feit henkelten ber SSöIfenoanberung 
bie stammt unb SSölferfd^aften ber Urjeit ju immer größeren unb um« 
faffcnberen ftaatlid^en S5er6änben oerfd^molj.* ©.75: „2ln bie ©teile beS 
jentralifttfd^en $atrimonia(ftaateS unb beS ©taatSürd^entumeS ber Karo- 
linger unb Dttonen trat ber reine geubalftaat tl^eofratifd^en @l|arafterä, 
ber feinen Urfprung ber Verfettung ber SEBirfungen ber unent« 
roidelten ©taatäibee mit ben ^ßrinjipien ber %f)eofvaiit unb 
geubalität oerbanfte." ©. 78: 2)er Untergang beä alten fränfifdjen 
SReid^eg „ift feineöroegä bem ©influffe ber 5iaturaln)irtfd^aft jujufc^reibcn 
(n)cr fagt ba§?), fonbem ber unüollfommenen Sluöbilbung ber 
©taatSibee«. ©. 79: „SDer Se^enäftaat beö fränfifd^-beutfd^en Jteidjeg 
war . . ein ®raeugniö ber baä politifc^e, religiöfe unb fojiale Seben 
bel^errfd^enben 3been.* ©.86: im 17. unb 18. Sal^r^unbert rourbe 
„baS bem ©taatäfird^entume gu ©runbe liegenbe ^rinjip ber ©in* 
l^eit von ©taat unb ^ix6)e" abgefd^roäd^t „ju ©unften ber 3bee ber 
ftaatlidjen ^oleranj". JDiefen ©teilen fönnten aai^lreidje anbere, ben gansen 
Sluffa^ von ©eite ju ©eite begleitenbe Sluöfüi^rungen gleid^en ©i^araftecS 
ßinjugefügt werben; fiel^e befonberS nod& ©. 54, 61, 62, 66, 70, 72, 76, 
77, 84, 85. 



n. Hanfes y>tenUlite unb bte 2^^^^^^^^^^^^* 53 

35ctrad&tun8 beffcn entnel^mcn, xoa^ er ©. 54 f. jum beginn 
bcr brittcn ^eriobe äußert, g^rcilid^ tocrben toir babci nid^t 
uml^tn fönncn, längere Slu^fül^rungen Siad^fal^fe ju repro* 
bujieren unb aud^ in ba^ 2)etatl ber beutfd^en SBerfaffung^* 
gefd^id^te etnjutreten, inbe^ eine fold^e SSerfenlung läßt fid^ 
nid^t uetmeiben: nur eingel^enbe Äritif ber (ginjell^eiten lann 
ju einem geftd&erten Urteil über ben roiffenfd^afttid^en aBert bc§ 
von 5Rad^fal^I vorgetragenen ©pftem^ oerl^elfen. S)od^ fott uer^ 
fud^t werben, fo furj ju fein, ate möglid^. 

3um 33eginn ber britten ^Periobe, im Übergang t)om 
^ittelolter jur SReujeit, würbe naä) SRad^fal^I ,,ba^ B^italtcr 
ber ftaatlid^en 35ejentralifation in ©eutfd^lanb abgelöft burd^ 
ein 3^italter neuer S^ntralifation: wid^tige 5luf* 
gaben traten bamate an ben ©taat l^eran, gebieterif^ t)on il^m 
tl^re Söfung l^eifd^enb. S)er ©taat be^ SRittelalter^ l&atte fid^ 
im TOefcntlid^en auf ben 3Wad^t* unb SRed^t^jiDcdf befd^ränft, 
loäl&renb bie gül^ircrfd^aft auf bem ©ebiete ber geiftigen Äultur 
ber Äird^e^ auf bem Oebiete be^ 3Birtfd^aft^Iebeng ben ©täbten^ 
pgefaüen war. S3ei bem SBerfaHe ber ritterlid^cn Sel^nfriegg* 
t)erfaffung unb bcr attbeutfd^en ©erid^tSoerfajfung Dermod^te 
ber ©taat feinem SWad^t* unb Sicd^tgjroedEe nid^t mel^r ju 
genügen: eine neue Drbnung beg Ärieg§= unb ©erid^t^wefen^ 
tnufete^ (V) bal^er gefd^affen werben. 3Jlit bem l^errfd^enben 
ll^eofratifd^en ©pfteme, meld^e^ ben ©taat unbebingt ber Äird^e 
unterwarf unb feine ©elbftänbigfeit erbrüdfte, mu^te (IV) 
■gebrod^en werben. 2)ie mittelalterlid^e ©tabtwirtfd^aft begann 
il^re ©d^wäd^en ju jeigen; bie ©täbte l^atten il^re l^öl^ere roirt* 
fd^aftlii^e ©ntroidflung benüfet, um bag platte Sanb in unleib* 
fl^ ftrenger ölonomifd^er äbl^ängigfeit ju l&alten; aud^ l^ier 
tonnte fid^ ber ©taat ber 5ßflid^t n i d^ t (III) entjiel^en , ben 



1 @o! äBol^in gel^ören faft bad ganae S^ed^tiSleben, raol^in ^otfgpoefle 
unb tttterlid^e Sittcratur, oon anbercm su fd^rocigcn? 

2 ©0 ! SQ3a3 f)at ba« aBirtfd^aftäleben im Staate beä SKitteralterö oor 
bem 12. Sß^rl^unbert be^errfc^t? Söo^in gel^ört bie territoriale SQBirt* 
fdJaftSpoIitif beS 14. unb 15. aal^r^unbertä? 

• §ier unb im folgenbcn oon mir gefperrt. 



54 II. Hanfes 2^eenU}:(xe unb bte 3ungranKaner. 

fd^roffcn ©egcnfaft }u oerföl^ncn. 2)ie ginan^cn mußten (II) 
auf einer neuen 33afi§ geregelt werben, ba bie SBerotelfältigung 
ber ©taat^aufgaben aud^ einen erl^öl^ten ginanjbebarf jur golge 
l^atte; in bie oerfd^iebenften ©ebiete be^ Äulturtebeng mufete 
(I) ber ©taat Iielfenb unb förbemb eingreifen." 

2Bir feigen nad^ 3lad^fal^l : bie^bee ber S^ntralifation wirf te 
fid^ in ben ntannigfaltigften, faft allen Äulturgroeigen angel^ören* 
ben Jlotroenbigfeiten auö. ©el^en wir nun baüon ah, inroie^ 
fern bie t)on SRad^fal^I angefül^rten S^l^otfad^en gefd^id^tlid^ be* 
glaubigt finb ober nid^t, nel^men wir rietmel^r i^re SRid^tigfeit 
burd^roeg an: fo entftel^t junäd^ft bie e?rage: SBarum „mufete" 
ber Btaat aH biefe Jiotroenbigfeiten t)ent)irf lid^en ? ®ie Slnt* 
TOort JRad^fal^fö l^aben wir: er mufetc e^, weil bamafö „roid^tige 
9lufgaben an if)n l^erantraten, gebieterifd^ il&re Söfung f)eifd^enb", 
weil ba^ 3^^talter ber ©ejentralifation burd^ ein fold^e^ ber 
3entra[ifation abgelöft würbe. 

3d^ benfe, bie 2)inge lagen anberS. @rft in ber an^ 
gefül^rten ^ßeriobe fonnte ber ©taat (I) Äulturjwede auf« 
nel)men, weil er erft jefet bie aJlöglid^feit befafe, il^nen vermöge 
gelbwirtfd^aftUd^ Derbefferter SSerwattung geredet ju werben; 
er fonnte (II) auf ®runb berfelben SKögtid^feit einer befferen 
SBerwattung je^t erft ein anbere^ e?inanjft)ftem begrünben, unb 
er fonnte biefe^ ©Aftern, infofern e^ pl^ere ©innal^men ergabt 
burd^ ^inwei^ auf ©rfüUung ber sub I genannten Äultur* 
jwedfe red^tfertigen. Sd^ benfe weiter ju III: ber ©taat 
fonnte erft jefet ber SKuSbeutung^fud^t ber ©täbte entgegen^ 
treten, weil er baju in feiner SSerwaltung unb fd^on l^alb gelb* 
wirtfd^aftlid^en Slu^ftattung beffere 3Kad^tmittel befafe. ^a^ 
benfe id^ erft red^t im ^punfte IV: ba§ „l^errf(^enbe" tl^eo* 
fratifd^e ©pftem l^atte fd^on 3al^rl)unberte „gel^errfd^t" ; erft 
jefet fonnte fid^ il^m ber ©taat ocrmöge fiärferer SKad^tmittel 
entjielien, nad^bent er eg frül^er oft genug t)ergeben§ oerfud^t^. 
mitl)in ba^ 3Jlufe längft, ja von jefier entpfunben l^atte. Unb 
nun gar ^unft V! SSenn ber mittelalterlid^e ©taat auf ben 
„9JJad^t- unb SRed^t^jwedf" befd^ränft war — foHte il^m ba erft 
im 15. Sal^rl^unbert vermöge ber „3bee ber 3^^t^<^Kfßtion'* 



II. ^anUs 3^ß^nl«t?r^ »"^ ^»^ 3tt"Ö'^ö"^iö"^'^* 55 

eingefallen fein, ba^ er eine biefem ^xotäe entfpred&enbe Drb* 
nung beg ÄriegS* unb ©erid^tgwefeng f<ä^öffen muffe? ©r 
wollte fie längfi fd^affen, fonnte fie aber erft ju fcä^affen 
Derfud^en, afe er bie 5Ulittel baju l^atte. 

Sllfo : ber ©taat fonnte jeftt ben von SRad^fa^l jufammen* 
geseilten 2^l^ätigfeit§rid^tungen geredet werben, weil il^m bie 
3Röglid^feit baju gegeben n)ar^ ©oroie biefe oorlianben war, 
n)ie§ fie, unb nid^t irgenb eine mt)ftifd^e 3^i^tralifation§ibee, 
ba^ ftet§ oorl^anbene, ju ben bauernben Kräften ber ©efd^id^te 
gel^örenbe ftaatlid^e 3Wad^t6en)u6tfein, bie ftaatlid^e ©nergie t)or* 
n)ärt§, l^inein in ben ©rroerb neuer ftaatlid^er 2Bir!ung§f reife 
unb bereitete baburd^ einen neuen 33egriff be§ (Staaten t)or. 

galten wir l^ier einen 2lugenblidf inne, um un§ über ba^ 
SBefen be^ von 3lad^fal^l begangenen g^el^ter^ flar ju werben. 
Siac^fal^l oermed^felt in ääm feinen Slu^fü^rungen Urfad^e unb 
SBirfung. ©ine beftimmte ftaatlid^e, menfc^lid^e Energie ift ba. 
Sie ftrebt mirffam ju werben, ©ie !ann ba^ nur innerl^alb 
ber il^r objeftio gegebenen 9Köglid^feiten. ®iefe aJlöglid^feiten 
werben ju il^ren ©unften oeränbert. Sltebalb nüfet fie bie 
®unft ber Sage, um Dorjubringen. ©ie erreid^t babei ein @ r - 
g ebnig, ba^ man fobipjieren fann. SRad^fal^l fobipjiert biefeg 
©rgebnig, fefet eg al^ aJlotit), metleid^t gar ate ein fate* 
gorifd^eg 3RuB, al§ eine SRotwenbigfeit für bie Energie 
unb läfet fie nad^ bem Programm biefer $Rotwenbigfeit Der^^ 
fal^ren. 

2Bie ifi nun ein fo grober gef)ler benfbar? @r ift e^ 
nur beg^alb, weil bie ©ntwidlung grunbfäfelid^ fo oerläuft, 
wie fie gefd^ilbert würbe, aber begleitet wirb von einer fteigenben 
©umme oon SBed^felwirfungen. Snbem bie ftaatlid^e Energie 
gewiffe, frül^er ni^t oor^anbene 3Röglid^feiten ber aiu^wirfung 
t)or fid^ fielet, erfennt fie in ben meiften ptten nid^t fogleid^ 
beren ooHe ätu^beljnung ; fie beginnt it)re S^panfion an irgenb 

^ SBBir imterfuc^en biefe 3Äöglici^!eit i^rer ©erfunft nad^ l^icr nid^t 
weiter; in roefentlid^cn fünften oerbanfte man fie befanntix^ bem 2luf* 
!ommen ber GJelbmrtfd^aft. Xo^ ift ha^ für baS Siel ber oben gefül^rten 
Unterfuc^ung g (ei d^ gültig. 






56 II- Hanfes Jbeenletjrc unb bie J^rtgranftaner. 

einem 3ipf^I- Slber inbem fie nun t)on bem ©tgriffcnen intuitio* 
bebuJtit) weiter auf ba^ ©anje f daließt, wirb fie pd^ ber 3lug= 
bel^nung biefeg ©anjen erft bewußt unb begrüßt bann beffen 
©rfenntniS leidet atö eigene ©(^öpfung, objeftiüiert ate „Sbee". 
^iefe ©elbfttäufd^ung tritt um fo leidster ein, atö bie be* 
ftel^enben unb ftd^ ftetö reränbernben aWöglid^Ieiten für bie SluS* 
mirfcing ber ©nergie in fielen g^ällen burd^ menfd^Iid^eg ^anbeln 
gefd^affen finb, alfo aud^ burd^ menfd^lid&e^ ißanbeln oeränberlid^, 
mitl^in elaftifd^ finb. ^I^re üoHe ©rfenntnig fann mitl^in in 
Dielen gäHen ju bem wirf f amen ©ntfd^luffe, fie ju änbeni, 
fül^ren: e^ fönnen mitl^in „Sbeen", einmal au§ ben Singen 
entmidfelt, fel^r mol^I jur SBeränberung ber ipönblungSmöglid^feiten 
fül^ren. 3lber biefe aSBed^felwirJung barf ben ^^orfd^er bod^ nie 
unb nimmer bag urf prünglid^e , allem weiteren ju ©runbe 
liegenbe SBerl^ältntg üerlennen laffen, bafe bie Sbee erft burd^ 
Slpplifation be^ menfd^lid^en ®enfen§ unb ^anbelng auf bie 
beftel^enben 3Jlöglid^feiten be^ ^anbeln^ ermäd&ft, baß fie in 
ben großen 3wföttimenl^ängen gefd^id^tlid^er ©ntmidflung gegen- 
über ben objeftiüen 9Jlöglid^feiten ber Slu^wirfung ber Energie 
bag 5ßofteriug ift, nid^t bag 5ßriug^ 



1 2lud^ bei Siad^fal^l finbct ftd^ l^ier unb ha dm Sl^nun^ btefer ein« 
fadjen Sufammenl^ängc. ©o fd^lie^t er bie oben ©. 53 unb 54 jitierte 
©tctte mit bem ©a^e: „Söenn aber irgenb einer ber beftel^enben ^Iräger 
ftaatltd^en Sfted^teä unb ftaatUd^er ©croalt cä unternel^men roottte, biefen 
fo ungemein ocrmel^rten ^xoedm unb S3cbürfniffen beö öffentlichen Sebenö 
geredet ju werben, bann mu^te eine ©r^öl^ung feiner SWad^tfüIIe, feine 
perftärlte ©rl^bung über bie il^m untergcorbneten nieberen ©ewalten 
eincrfeitg bie unerlä^lid^e SJoraugfc^ung, anbrerfeitS baä t)or* 
ne^mfte 3iel unb bie notmenbige Solge feineS ©trebenS fein.'' 3Wan fielet 
leidet, baf; ber burd^ bie gcfpcrrten 3Borte angebeutete Oebanfe ber 3been* 
Icl^re IRad^fal^rg biometral raiberfpric^t. 3lud^ fonft fd^roanft er. ©. 56 
fprid^t er t)on einer „burd^ bie Äonfottbation ber ©ebiete unb burdJi bie 
fd^ärfere Einfügung ber lofalen ©eroalten in ben Slal^men be§ ©taatö* 
gangen bewirf ten 3cwtraUfation". ©. 59 läjt er „Xenbengen poKtifd^er 
Sentralifation* von ben Sanbegl^erren „pflegen*. ®anj anberS roieber 
©. 61: l^ier ift bie „^ßotwenbigfeit »erftärfter 3entralif(rflon beS inneren 
©taatiSlebend" bad $lgenS. ^oUfommen auS ber 9%olte bagegen fällt 
Slad&fal^l auf ©. 62. SBaö er §ier fagt, finbet fid^ mut mut. genau ebcnfo 



II. Hanfes 2^eenlelixe nnb bie Jnngranfianen 57 

Xxitt glctd^tool^l btcfe SSerwed^fcIung ein, fo entfielet eben 
l)ie „3bee", etoag SRpftifd^e^, ©upranaturatcg unb 3rrationelIe§. 
@g tft ein %e^lex, bcr aßen Sbecn benfnotroenbig anl^aftet; bie 
^ritif, Tüeld^c foeben gegen bie eine ^bee ber S^^t^^Kf^tion 
geltenb gemad^t roorben ift, trifft mitl^in äße. 

SlHein SRad^fal^I begnügt fid^ nid^t mit ber Umprägung aller 
SBerfaffunggoorgänge in t)age unb unl^altbare SSorgänge von 
„Sbeen"; ebenfo wid^tig ift il^m ber 3la(!^xoei^, ba§ ju bem 
ßeben biefer Qbeen mirtf d^aft^gefd^id^tlid^e ©ntmidlungen 
fo gut wie nid^t^ beitragen, baß fie t)or allem niematö aU 
Urfad^e irgenbroeldjen uerfaffung^gcfd^id^tlid^en SBerbenS aufju* 
faffen finb. ©ben burd^ biefen SRad^roei^ foH bie Slanfefd^e 
SBelt be^ „©d^ein^" au^ neuerbingg mieber, trofe ilirer nid^t 
mel^r ju leugnenben 35ebeutung, com 3lller^eiligften be§ gefd^id^t- 
lid^en ©efd^el^en^ fern gel^alten tüerben; fie foH jroar gefd^id^t* 
lid^e „33ebingung", aber nid^t gefd^id^tlid^e „Urfad^e" fein bürfen. 

SRad^fal^l mad^t ben lüfinen SSerfud^ eine^ Semeifeg in biefer 
Slid^tung üomel^mlid^ in ben Slu^fül^rungen über ben erften 
3eitraum feiner jroeiten 5ßeriobe, atfo bie 3^it t)om 6. Sal^r^ 
l^unbert big ca. 1050. 

@r d^arafterifiert junäd^ft biefen 3^itraum furj auf @. 75 
unb 84. 2)arnad^ ergiebt fid^ bag folgenbe Öilb. 

3)er 3^ittaum beginnt mit ber SSermirflid^ung ber 3bee 
ber 3^"tralifation ; ber ^öl^epunft ber SBirffamfeit biefer 3bee 
liegt in ber ^eit StaxU be^ ©rofeen. „SRad^roirfungen" weifen 
itod^ baö 9. unb 10. gal^rl^unbert auf, eine „Sßad^btüte" bie 
SCerritorien beg beutfd^en Äolonifation^gebiete^. ©rgebnig biefer 
jentrattftifd^en Bewegung ift „ein jentraliftifd^ organiftertcr 
^atrimonialftaat mit formell unbef d^ränfter monard^if d^er 3Rad^t* 
fütte". SDag ,,SSerpltniS biefer SRonard^ie jur Äird^e ift gegeben 
iurd^ ba§ 5ßrinjip be^ ©taatsürd^entum^", feine ,,gefel[fd^aft* 



auSgefül^rt in meiner 2)eutfcl^cn ©efd^id^tc V, 2, @. 534 ff. SRad^fal^r, ber 
biefen öanb nod^ nid^t gekannt f)ai (f. ©. 49, 2lnm.), bemerft ßerabe Don 
biefer ©teile: „3« bem Sampred^tfd^en ©d^enra finben fteilid^ biefe ©e* 
i)anlenreil^en feinen ^la^.* 



58 II. Hanfes Z^^^^^^^^^ ^^^ ^^^ ^nngranKaner. 

Kd^en ©runbtagcn burd^ ba^ in bcr ©ntiDtdIung begriffene 
©pftem (ober ^Prinjip) feubaler ©d^eibung ber ©tänbe nad^ 
ben SBerl^ältniffen (ober SBerfc^iebenl^eiten) be§ 33erufe§ unb beö 
33efifee§". ©iefer ©taat wirb nun aber d^arafterifiert burd^ „bie 
ilin bel^errfd^enbe unfertige patrimoniale ©taatSauffaffung". 
Sie gofge ift, ba§ bie gefeHfd^aftlid^e 3bee unb bie Krd^Iid^e 
3bee „ftärfer finb afö bie rol^e ©taat^ibee jener 3^tt" unb in* 
folgebeffen bie jentraliftifd^e Sbee befiegen. ,,®ie 3bee be^ 
ftaatlid^en 3iif^^"^^^^ötte§ trat in ben ^intergrunb gegen bie 
fird^lid^=religiöfe, gegen bie auf ber SBerfd^iebenlieit ber 33eruf§* 
unb Sefiftoerpltniffe berulienbe fojiale 3bee; bie von biefen 
beiben Sbeen getragenen 9Käd^te fprengten bie ©in^eit be^ 
©taat^KrperS , beffen g^unftionen an fid^ ju reißen trad&tenb. 
Sie ^Regierung ^einrid^S IV. unb ber Snoeftiturftreit bejeid^nen 
ungefäl^r ben entfd^eibenben SBenbepunft." Samit beginnt ein 
neuer S^itraum, „ein 3^4^^^^^^ ^^^ Sejentralifation, ber 2^l^eo* 
fratie unb be§ auf beut ^ßricilegwefen berul^enben reinen g^eubal* 
ftaateg." 

©el)en wir ung in biefer Sarftellung nad^ ben eigentlid^ 
roirffamen g^aftoren um! 9Bir l^aben ate ©egebeneS, aU 6r* 
jeugni^ ber S^ntralifationi^ibee einen jentraliftifd^ organifierten 
©taat : f omit ift bie S^ntralifation^ibee ba^ erfte 2lgen§. 2lber 
ber jentraliftifd^e ©taat l^at ein befonbere^ ^ngrebienö; er ift 
uerfnüpft mit ber ,,rofien ©taat^ibee jener SdV' , biefe „be* 
l^errfd^t" if)n; fie ift bag jtoeite 3lgen§. 2lber fie fiegt nid^t ob; 
mben U)x erlieben fid^ jroei weitere 2lgentien, bie fojiale unb 
bie Krd^lid^^religiöfe 3bee. Siefe fprengen ben ©taat beö QeiU 
altera ber 3^ntraIifationgibee unb führen ein anbereS 3^italter, 
ba^ ber 3fbee ber SDejentralifation, l^erauf. 

©ud^en mir bie 3Birffam!eit biefer einzelnen Slgentien nad^ 
atad^fal^I ju tJerfte^en. 

I. 5ßon ber SBirffamfeit ber fird^Iid^-religiöfenSbee 
erfal^ren mir bei Slad^fa^I menig. gür ben 3eitraum bis ca. 1050 — 
alfo unfere 5ßeriobe — mirb bie Ä i r d^ e einfad^ in bie ariftofra* 
tifd^en SemegungSfreife ber fojialen 3bee eingeorbnet (©. 7S 
unb 74) ; t)on ber SR e I i g i n , ben 33emegungen ber g^römmigleit. 



IL Hanfes 3beenleljre nnh bie ^ungranfianer. 59 

■ » ■ 

tft überl^aupt nid^t bic Siebe. @enauere§ über bie Rrd^Iid^e 3bee 
erfal^ren lotr erft gelegentltd^ ber ©d^itberung ber ©iniDirfung 
beg Sttüeftiturftreiteg, alfo für bie jtoette ^ätfte beS 11. 3al^r= 
l^unbertg; ©. 75 unb 76. „5Dte Stellung be^ ÄaiferS afe 
beg ©(ä^irTnt)09te8 unb beg oberften ^errn ber unberfeHen Äird^e 
würbe abgelöft burd^ ben Slnfprud^ be§ 5ßapfttum§ auf bie 
^errfd^aft über ba§ Ädfertum unb ben ©taat; ber d^riftlid^e 
©otte^ftaat gipfelte j e fe t in ber g^orberung ber Unterwerfung 
be§ ftaatlid^en Seben^ unter bie fird^lid^e Sbee .... ®ie Äird^e 
erHärte eö ate il^r SRed^t, bie ©renje jwifd^en geiftlid^em unb 
fiaatlid^em ®ebiete ju jiel^en." 

2Bir fönnen oon ben von JRad^fal&I genauer gefd^ilberten ^on- 
fequenjen ber fird^Iid^en Sluffaffung abfeilen; wen aber wiH er 
tüol^I glauben mad^en, ba§ biefe 3luffaffung felbft in bem von 
il^m formulierten Snl^alte erft in ber jroeiten ^älfte be^ 11. 3a^r* 
l^unbertö aufgetreten ift? ©obalb ber ©ebanfe eineg ä)Xx\U 
liefen ©otte^ftaateg gefaxt war, feit 2luguftin ift il^r Äern t)or* 
l^anben geroefen, unb bie ^enbenj, biefen ©ebanfen gegen ben 
©taat in Slnraenbung ju bringen, mithin bie „fird^lid^e ^bee" 
Slad^fal^fö, ift feit ntinbeften^ ber jweiten Hälfte be^ 8. ^alir* 
l^unbert^ merfbar. 

63 genügte alfo feine^roegS, wie SRad^falit meint, baö 3luf== 
treten biefer ,;3bee", um fte jum Siege ju fül^ren. ©ine fotd6e 
Slnfid^t mu6 nad^ ber Äenntnig ber SDinge, bie mir jefet befi^en, 
ate burd^auS unjutreffenb bejeid^net werben. 

2Bir wiffen )e|t, unb id^ l^abe eg j. S. in meiner S)eutfd^en 
©efd^id^te II ^ @. 194 f., 224 f., 288 f, 310 f. beutlid^ genug 
au^gefül^rt, bafe baö ißert)orbred^en unb ber ©ieg ber alten 
Ürd^Iid^en g^orberungen nur möglid^ würbe, weil bie Äird^e fid^ 
burd^ bie ©ntwidflung einer neuen g^römmigfeit ber abenb* 
länbifd^en SSöIfer, burd^ eine erftmalige, bem Äultur^uftanb 
biefer SSöIfer entfpred^enbe wal^rl^afte 2lneignung ber d^riftlid^en 
aieligion ju ungeal^nter 3Jfa(^t über bie ©eifter emporgel^oben 
fal^. ©tatt oon einer „fird^Iid^en" l^ätte JRad^fa^I alfo in feinem 
©pfteme wenigfteng von einer „religiöfen 3bee" fpred^en follen. 

aber fd^neite nun etwa biefe religiöje ^bee plöfelid^ oom 



^immell^erab ? aWan t)cr9e9enn)ärti9e fid^ nur, etwa in meinem 
Sud^e an ber Jßanb ber oben angefül^rten ©teilen, au§^ metd^er 
Unfumme t)on gaftoren aller 9?id^tun9en menfd^lid^en &tbtn^ 
fie l^eroorging, mie fie nur eine ©eite be^ gefamten B^itg^ifi^^ 
bilbete ! @g ifi fo bequem, mit 3been ju operieren aU gteid^fam 
|5^ormeIn gefd^id^tlic^en SBerben^; 2lufgabe ber 3^orfd^ung ifteg, 
an ©teile fotd^er ©timbole ba§ Seben mit ben taufenb ©injel* 
i^eiten ju fefeen, in benen eö pulftert. 

IL 2öir gelangen jur „ f o j i a l e n 3 b e e " ; von xf)X, von 
bem ©inrairfen ber „gefettfd^aftlid^en ©runblage", fprid^t 9lad^* 
fal^t ©. 71 ff. er fül^rt ba folgenbe^ au^: 

1. e^ „bilbete fid^" in ber aJleroroingerjeit ein „(Srofe* 
grunbbefifterftanb", au^ bem bie ©rafen, bie fpäteren ^territorial* 
i^erren, entnommen mürben. 3Bie er ftd^ bilbete, wirb nid^t 
gefagt. 2öir fügen l^inju: t)ornel^mIid& infolge mirtfd^aftlid^er 
SSerfd^iebungen. ©enauere^ l^ierüber mag man u. a. SDeutfd^e 
©efc^ic^te P ©. 308 f., 322 f. nad^tefen. 

2. ®g bilbete fid^ ein ,,»erufg!riegerftanb", aU SSorläufer 
be§ fpäteren SRitterftanbeg. ©rünbe: a) ber alte Heerbann 
Derpel. SBarum? 3Jlan fonnte „bie militärifd^en Slufgaben 
eine^ meitau^gebel^nten ^^läd^enftaateö mit bem 3lufgebote ber 
feit il^rer befinitit)en ©efel^aftmad^ung ju S3auern geworbenen 
SJolfögenoffen nid^t mel^r löfen." Sllfo ein mirtfd^aftlid^er 
©runb! SBBeil bie SSolfSgenoffen Sauern geworben ftnb, jinb 
fie für ben fränfifd^en ©taat aU Ärieger nid^t mel^r braud^bar! 
Jgier gel^t SRad^fal^l in ber freilid^ unbemufeten Slnerfennung mirt* 
fd^aftlid^er Urfac^en entfd^ieben weiter, ate id^; vql j. 35. ®. 
@efd^. I^ ©. 312. 3lber er l^at nod^ einen anberen Orunb: 
b) ber 33erufgfriegerftanb bilbete fid^, ^^l^eroorgerufen burd^ ein 
35ebürfni§ fojialer SDifferenjierung, burd^ einen 2l!t nationaler 
Slrbeit^teilung". @^ ift anerfennen^mert, bafe 9lad^fal^l jugiebt, 
ein ©tanb l^abe fid^ burd^ einen 3lft (rid^tiger: in einem Sttt) 
nationaler 2lrbeitSteilung gebilbet, wenn bie SJel^auptuug 
aud^ nid^t gerabe neu ifi. SReu aber ifi e^ gemife, baß ein ©tanb 
üU burd& baS blofee Sebürfnig fojialer S)ifferen}ierung gebilbet 



IL Hanfes 3been lettre unb bie 3ungranfianer» 61 

üorgcftellt toirb. ©olltc ha Slad^fal^I nid^t im ©el^eimcn oud^ ber 
©ebanfe einer ,,3bee" üorgefd^roebt l^aben? 

3. ©rofegrunbbefifeer, Seruf^frieger unb Äönig bilben nun 
bie Slcteure beö ©d^aufpiete, in beffen SBerlauf ber ßel^n^ftaat 
entfielt; ©. 72--73. SRämlid^ fo: a) ,,35urd^ bag »anb ber 
58ajaIIität" werben bie Seruf^frieger an il^re gro^grunbbefifeenben 
S)ienfil^erren unb biefe S)ienftl^erren wieber an ben Äönig ge- 
feffelt. b) „@§ rourbe Siegel", baß ber Äönig feine grofegrunb* 
befifeenben 33af allen, unb eö „würbe aud^ immer mel^r ©itte", 
bafe bie S)ienftl^erren il^re Dafalliftifd^en Seruf^frieger mit 
Senefijien augftatteten. S)iefe X\)at^a^en finb unbejroeifelt. 
Slber marum würbe ba§ Siegel unb ©itte? S)ie äntroort giebt 
Slad^fal^t an anberer ©teile, ©. 74: „5Da ftd^ bag allgemeine 
Untertl^anent)erl^ältnig ate üiel ju fd^wad^ ermiefen liatte, um 
bie l^errfd^enben ©efettfd^aftgftaffen in ber gel^örigen Unter* 
orbnung unter bie Staatsgewalt }u erl^alten, fo t)erfd^ärften 
bie Äaroünger burd^ formen perfönlid^er Unterwerfung, 
burd^ bie SluSbel^nung ber SBafallität unb beS SenefijialwefenS, 
b. 1^. burd^ 3lu§be]^nung beS ©pftemS ber geubalität, bie Slb- 
pngigfeit ber ®ro§en beS Sleid^eS, unb inbem fte auf biefe 
beiben Elemente bie ^eereStjerfaffung nunmel^r grtinbeten, er* 
l^öl^ten fie bie Seiftunggfä|)igfeit beS ©taatSwefenS". Qu^e^ei^n. 
3lber warum l&atte fid^ benn baS allgemeine Untertl^anenDerl^ältniS 
ate mel ju f d^wad^ erwiefen ? ^ier l^at Siad^fal^l feine Slntwort 
mel^r. ^luS einfad^em ©runbe. S)er ©taat ber Äarolinger, 
um mitSlad^fal^l ju reben, ein weitauSgebel^nterg^Iäd^enftaat, l^atte 
ba§ UnglüdE, mit feinen weiten g^Iäd^en in einem 3^itafter ber 
Slaturalwirtfd^aft ju ejiftieren. S)al^er feine genügenben 5ßer* 
fel^rSmittel, feine 3JlögIid^feit bauernber örtlid^er ©eltenbmad^ung 
ber 3^^t^^l0^wölt. S)af)er wieber wad^fenbe Unbotmäfeigfeit 
ber ©rofeen unb bal^er „©d^wäd^e beS allgemeinen Untertl^anen* 
t)erbanbe§" ^ c) SJad^bem Siad^fal^l auf ©. 73 t)on ber Segrünbung 



^ ^af)ev übrigeng aud^ !etne SÖJöglid^fett, ctn ftc§ere§ ftaatlid^cS 
Beamtentum ju Begrünben; fiel^e bagu baö Genauere in meiner 2)eutfd^cn 
@ef «id^tc I«, 308, 324 f. ; W, 102 f., roo ober f einegroegä blog „roirt« 
fd^aftlid^e* @rünbe für biefe @rfd^einung angefül^rt werben, greilid^, mit 



62 n. Hanfes 3beenlet|re unb bte 3un9ranft an er. 

be^ Sc^n^tDcfenö auf SBafalKtät unb Seneftcium gcfprod^en — 
toir l^aben gefeiten, tüic biefe SScgrünbung toefenlli^, xoenn aud^ 
leine^iocgg allein, auf tüirtfd^aftlid^c 3itotm jurüdgel^t — , fäl^rt 
er mit bem DertjängniöDoHen ©afee fort: „SSon biefen Selben 
(feuda) l^at man bie gefamte, auf ber Sßerfd^iebenlieit ber 
Serufg* unb Sefifeoeröältniffe berul&enbe ©efeüfd^aft^* 
r b n u n g be^ 3KitteIalter§ nebft allen ftaat^red^tlid^en 
Äonfequenjen, bie fid^ an fie Inüpfen, bag ©pftem 
ber ejeubatität genannt." 3d^ traute meinen Slugen nid^t, aU 
id^ bag Ia§. Sefet auf einmal, beim ©ingel^en auf bie Singe felbft, 
jeigt fid^ aud^ für 5iad^fal^l, ba§ ber geubalftaat nid^t eine Äonfe* 
quenj ber von ber unentwidEelten ©taat^ibee unter Sei^ilfe ber 
fojialen unb Krd^lid^en 3bee mit ®rfolg auö bem Sattel geliobenen 
3entralifationöibee ift — fonbern ganj einfad^ bie Äonfequenj ber 
mittelalterlid^en (SefeUf d^aft^orbnung ! ©emife ift eg ber ^aupt* 
fad^e nad^ fo , unb id^ n)äre mit SRad^fal^l ganj einig, xoenn er 
fid^ nod^ ju ber weiteren S3emerlung bereit finben wollte, biefe 
©efellfd^aft^orbnung fei nid^t aufgenommen, weil eg fo „Sraud^" 
mürbe, ober meil fid^ etroa^ ,,bilbete", fonbern einfad^, weil bie 
mirtfd^aftlid^en SBerl^ältniffe unb ©ntmidElungen ber ^auptfad^e 
nad^ (neben anberen ©rünben) fo, mie id^ e^ im einzelnen an^ 
gebeutet l^abe, eine fojiale ©ifferenjierung im ©inne ber feubalen 
©efeHfd^aft forberten. 

4. 2lu^ ber ©ntmidElung be^ gegenfeitigen aSerl^ältniffe^ ber 
©rofegrunbbefifeer unb Seruf^frieger (b. ^, ber ariftofratifd^en 
©d^id^ten) unb be^ Äönig^ mar alfo — SRa^fal^l l^at e^ felbft ge* 
fagt — ber ^auptfad^e naä) ber feubale ©taat l^eroorgegangen. 
9Bie fteHten fid^ baju nun bie nieberen ©d^id^ten, vox allem bie 
Sauern ? 9iad^fal^l fommt im aSerlauf feiner JDarfteHung erft jefet 
auf fie ju fpre($en unb fd^ilbert @. 73—74 i^re „nieberfteigenbe 
Semegung" l^infid^tlid^ ilirer red^tlid^en unb fojialen Stellung 
— von ilirer mirtfd^aftlid&en (Stellung ift in biefer aUge* 



ber Segrünbung Sflad^fal^lg §a6e id^ mid^ auc§ nid^t begnügt; er fagt ganj 
einfad^ ©. 74: „@§ rourbe Srouc^", hen l^ol^en ^Beamten ber ^ßrooinstal* 
»erwaltung aud^ i^re Slmt^geroalt jum Selben ju übertragen. 



IL Hanfes 3^^^"^^^*^^ ^^"^ ^*^ 3ungranfianer, 63 

meinen Slnfünbigung beS 2^^ema§ nid^t bie Siebe, ©leid^rool^t 
wag erfal^ren wir? „3luf bie SRaturalbienfte ber großen 
Sülenge feiner Untertl^anen jumal in Ärieg unb ©erid^t war 
ber fränfif(|ie (Staat unter ben erften SDleromingern gegrünbet 
roorben; ba ber Sauer ben fd^roeren ftaattid^en Saften 
nid^t geroad^fen war, fo uermod^te er oft nid^t fein ©igen- 
tum, mitunter fogar nid^t einmal feine g^reil^eit ju beroal^ren" 
unb würbe ^interfaffe eineg ©rofegrunbbefißerg ; biefer aber 
mürbe jum ©runbl^errn. 3llfo: biemirtfd^aftlid^e Stellung 
würbe junäd^ft oeränbert, unb jwar burd^ SJJiotioe ber Jlatural* 
wirtfd^aft; ba§ jog bann eine aSeränberung ber fojialen unb 
red^tlid^en ©tettung nad^ fid^. S)ag ift aud^ nad^ ber S)ar* 
ftellung Slad^fal^B, ja gerabe nac^ il^r, abf olut Kar. 2lud^ SRad^fal^I 
fann fid^ biefem erbrüdfenb beutUd^en 3ufammenl)ang nid^t ent* 
jiel^en. 2l6er er ftellt il^n fid& in feiner 3lrt Dor. „®ewi§ ^abm 
ben ®ang biefer ©ntwidflung ©inrid^tungen beftimmt, wie fie 
in fpätrömif d^er S^it beftanben unb von ben g^ranlen übernommen 
würben, nämlid^ bie Ungleid&artigfeitber33efiftt)erl^ältniffe infolge 
ber ©jiftenj eineg ausgebreiteten weltlid^en unb geiftlid^en @ro^= 
grunbbefi|eS, beSgleid^en bie jur 3^it ber fränfifd^en ©roberung 
l^errfd^enben 5ßatronatSt)erl^äItniffe unb bie mit ber ©rofegrunb^ 
l^errfd^aft oerbunbene 5ßatrimoniaIgerid^tSbarIeit; — niemafö 
jebod^ wäre biefeS SBorbilb fo wirffam geworben, wenn nid^t 
burd^ bie eintieimifd^en 3uftänbe felbft bei bem ©teigen ber 
Äultur SBorauSfefeungen gegeben waren, bie einen berartigen 
SSerlauf ber 2)inge mit Slotwenbigfeit f orberten. " SBeld^e 
„Suftänbe" finb baS nun gewefen? ®S bleibt gerabe nad^ 9lad^^ 
fal^tö SluSfül^rungen fein S^^if^l** ^^ waren wirtfd^aftlid^e, eS 
war wirtfd^aftHd^er SRüdfgang. Unb ber trat nun nad^ 5lad^== 
fal^I mit bem „Steigen ber Äultur" ein. ^ier erfd^eint jum 
erftenmal baö ominöfe ,,©teigenberÄuttur". SBeld^en Segriff bie 
^l^rafe l^ier maSKert, ift nid^t jweifetl^aft: eö ift ber Segriff 
ber naturalwirtfd^aftlid^en ©ntwidflung, bie auS ©rünben, bie 
id& SD. ®efd^. I^ ©. 308 ff. bargelegt l^abe, atterbingg jur 
fojialen 25ifferenjierung in ©rofegrunbbefift unb minberl^äbige 
Sefifeer gefül^rt l^at. 



64 n. Hanfes 3^^^"^^^^^^ unb bie 3ungranfianer. 

SDic ©ntfte^ung her gninbl^olben Älajfcn unter ben (Bvo^^ 
grunbl^errcn ift alfo na^ SRad^fa^l au^fd^liefelid^ (naä) meinet 3luf* 
faffung nur toefentlid^) burc^ wirtfd^aftlid^e aRomcnte bebtngt- 
©ntftanben biefe Ätaffen aber, fo bebeutete bag jnjeifefeol^ne 
eine grofee ©tärfung ber ©runbl^erren. Slud^ SRad^fal^l giebt ia^ 
}u, aber nterfroürbigerroeife roefentlid^ nur nad^ ber mxU 
fd^aftlid^en Seite: „ber ©rofegrunbbefife erful^r baburd^ feine 
beträd^tlid^fte ©rweiterung." S)ie politifd^e SBBirfung bagegen, 
bie ju betonen dia(i)^df)U SDenfart ml nätier Hegen ntüfete, fd^äfet 
er gering: „von bem Snftitute ber ®runbl^errf($aft an fid^ 
brol^te ber JReid^ggeroalt fd^roerlid^ eine ©efal^r." SBir werben 
balb feigen, warum biefe Slnomalie in feinem S)enfen eintritt, 
igier wollen wir junäd^ft nur foIgenbeS f eftfteHen. SBenn SRad^fal^I 
ber @ntwidflung ber grunbl^olben Älaffen nur irgenb einen 
größeren ©influfe auf bie 93ebeutung be^ „@rofegrunbbefifeer= 
ftanbe^" juf($reibt — unb er tl^ut eg — , fo ^ätte er biefelbe 
oor ber ©rörterung be^ politifd^en ©influffeg ber ©runbbefi^er, 
atfo fpätefteng unter -Jlr. 1, barftellen muffen. S)enn wie 
fott man eine politifd^ wirffame fojiale ©d^id^t oon ber S3e* 
beutung ber ©roBgrunbbefifeer oerftel^en, wenn man beren 
treibenbe firäfte nid^t fennt? 2lber Siad^fal^l f dalägt ben um=» 
gelehrten 2Beg ein, ben alten SBeg „oon oben unb außen l^er", 
au^ bem fid^ niemafe bie genetifd^e Slnfid^t eine^ gefd^id^tlid^en 
aSerlaufe^ ergeben fann, ftatt ben einjig jutäffigen „von unten l^er 
unb oon innen l^erau^" ju nel^men. ©o muß er wo^I, um bie 
@rgebniffe ber unteren treibenben Äräfte, bie er 
ni($t fennen wiü unb mit Siebengarten oon ,,fteigenber Äuttur" 
abfertigt, überl^aupt irgenbwie.einjufüfiren, ju mtiftifd^en „Sbeen" 
feine B^^ffi^^t nel^men, b. f). bie ©nergie ber tiefften untv 
elementarften gefd[;id^ttid^en Slrbeit au§ ber Suft greifen. 

5. Unter biefen Umftänben oerftel^t man, baß Slad^fal^l jefet, 
nad^bem er alle gefellfd^aftlid^en Älaffen unb bie Staatsgewalt 
in gegenfeitige Sejieliung gebrad^t Iiat ober wenigftenS l^ätte 
bringen foHen, nod^ ein Kapitel über bie Seamtenariftofratie 
l^injufügen fann. ®r erjälilt ba folgenbeg. „SDie- Beamten* 
ariftofratie , ber S^^begriff ber ^olien weltlid&en unb geiftlid^en 






II. Hanfes Jbeenlct^re »nb bie ^ungranftaner. 65 

SBürbenträger, roax biejcntge gcfellfd^aftHd^e SDiad^t, bie fid^ ber 
Kniglid^cn ^mtxalQeroalt am fcinblid&ftcn gcgcnüberfteffte. 
anfangs in firenger Slbl^ängigfeit gcl^alten, lernten fie fid^ 
balb aU felbftänbige 3Kad&t int (Staate füllen" 
(warum?): fo fam eS jur ©nttl^ronung ber 3Weron)inger. 
Slber nun enoud^fen bie Äarolinger afe nem& ^errfd^ergefd^lcd^t 
unb TOufeten burd^ 2lugbilbung ber e?eubalitcit ben Slbet no(^* 
niafe an ben ©taat ju fetten. „2Ba§ freitid^ bamate eine 
©tärfung ber ©taatögeroalt bebeutete, baS würbe fpäter Urfad^e 
il&reS abermaligen unb bauernben 9ttebergangeg. @S mürbe 
Sraud^ (marum??), ben l^ol^en Beamten ber ^Promnjiat 
üermaltung aud^ il^re 2lmt0geroalt ju ßel^en ju übertragen ; ba* 
burd^ mürbe bie Jeubalifterung beS ©taatSmefenS unb bie Sluf* 
löfung ber ©taatSgemalt entfd^ieben." 3Bir feigen l^ier ein 
jmeimaligeS Slngefien ber ©eamtenariftofratie gegen ben ©taat, 
etma im 6. unb im 9. ga^rl^unbert. 35ie ^id^tigfeit biefer 
S)arfteHung fei l^ier nid^t beanftanbet. 2lber bie ©rünbe? ©ie 
feilten, ©ie lagen tbm nid^t im bfofeen Beamtentum, fonbern in 
ber 2^l^atfad^e, bafe bie Beamten ©rofegrunbl^erren maren. ?lid^t 
atö Beamte — ate fold^e l^ätten fie einfad^ t)om ©taate ab* 
Ijängig fein f önnen — fonbern ate gnmbl^errlid&er 2lbel festen 
fie ftd^ in ben Befife fiaatlid^er ^ol^eitSred^te, junäd^ft auf bem 
2Bege beg Seitens, bann auf bem beS Privilegiums. 

2)äS mill freilid^ SRad^fal^l nid^t SBort liaben, unb barum 
jene fd^on oben l^eroorgel^obene 3lnomatie feines 35enfenS, bie 
fid^ in ben SBorten auSbrüdt: „von bem Qnftitute ber ©runb* 
Iierrfd^aft an fid^ brol^te ber Sleid&Sgeroalt fd^merlid^ eine ®e* 
fal^r." 9?atürlid^: „an fid^" nid^t; biefe oorfid^tig l^injugefe^ten 
SQSorte werben in il^rer Bebeutung erft jefet flar. SBol^I aber in 
Berbinbung mit bem Beamtentum. Slber gerabe biefe Ber* 
binbung lel^nt SRad^fal^I ab, inbem er fortfäl^rt: „Bielmel^r 
mar bie Beamtenariftofratie biejenige gefeUfd^aftlid^e 5Diad^t, 
bie pd^ ber föniglid^en S^ntralgemalt am feinblid^ften gegen- 
überfteate." 

©0 gelangen mir ju folgenbem Ergebnis: 2)ie Beamten* 
ariftolratie mürbe bem Königtum (neben mand^en anberen 

Sampred^t, 3llte unb neue {Richtungen. 5 



66 n. Hanfes y>eenUfyce ünb bie ^un^tanfianex. 

©rünbcn) eben baburd^ gcfälirltd^, bajs fie jugleid5 grofegrunbl^err* 
fd^aftUd^ roax. S^olglid^ war 9lbfd^nitt 5 mit unter 3lbfd^nttt 1 
ju jiel^cn. @rft toenn ba§ gefd^elien, unb toenn oud^ 316== 
fd^nitt 4 unter Slbfd^nitt 1 gejogen roorben wäre, ^ätte ba^ 
^afein be§ frül^mittelalterltd^en 3lbel§ auö ben notraenbigen 
roirtfd&aftlid^en unb fojtalen ^ßräntiffen l^erau^ begriffen werben 
lönnen unb Stad^fal^I fid^ ben fatalen ©ingang erfparen fönnen, 
bafe ein ®ro6grunbbeft|erftanb „fid^ bilbete". 

g^affen wir nun jufammen, wa^ fid^ über bie „f ojiale 3bee" über* 
l^aupt fagen läfet. SDurd^weg Iiaben fid^ SRad^fal^te 3lu§fül^rungen 
afö ni(^t genügenb tief gegrünbet erwiefen ; burd^weg gelangten 
wir, wenn wir bie t)on il^m betretenen SBege ju ©nbe »er- 
folgten, auf wefentUd^ wirtfd^aftlid^e SSorau^fe^ungen feiner 
SDarfteHung. 6ö ift mä)U mit ber fojialen 3bee, bie t)on oben 
wirlenb fojiale ©d^id^ten unb eine fojiat fo unb fo d^arafterifierte 
SSerfaffung erjeugt l^aben foB; ftatt biefer f^ormel l^aben wir 
melmefir tebenbige^, von unten auf queffenbe^ 35afein, unb ftatt 
eine^ 3Sorte^ einen großen, oon un^ übrigens l^ier feineSwegS 
erfd^öpfenb bel^anbetten SReid^tum t)on ©ntwidEIungen gefunben. 

3?un tiat freilid^ aud^ SRad^fal^l baS SebürfniS gefül^It, feiner 
fojialen 3bee an einer ©teile nod^ ein weitere^ treibenbeS 5prin^ 
jip Sujugefetten. 5Die ganje 35arftellung ber SluSwirfung ber 
foäialen Sbee leitet er nämlid^ mit ben SBorten ein: „3m frän^ 
fifd^en (Staate l^atte fid^ unter bem ©influffe ber 
fteigenben Äultur auf ®runb ber in ben 93eruf§^ unb 
SBefifcoerpltniffen eintretenben großen SSerfd^iebungen einet)oB* 
fommene 5KeugeftaItung ber ©efeßfd&aftSorbnung t)olIjogen." 
Stlfo wieber baS unS fd^on befannte 3J?otit) ber fteigenben 
Äultur! 2Ba§ mag SRad^fal^I an biefer ©teile wol^l barunter 
gemeint l^aben? 3^ benfe, nid^tS anbreS aU frül^er: im 
wefentlid^en bie SSorgänge unb Äonfequenjen fteigenber SSolfS- 
wirtfd^aft. 3ft bem fo, fo wären wir \a einig, ^reilic^: bie 
„fojiale 3bee" wäre bann um fo mel^r jum ©d^emen unb bie 
wirtfd^aftlid^e ©inw.irfung um fo ftärfer jur SBirflid^feit ge= 
worben. 

III. Über ba§ britte t)on SRad^fal^l eingefül^rte ägenS, bie 



II. Hanfes 3beenleljrc nnb bte 3o«dranftanen 67 

,,rol^c ©taat^ibce", fönnen wir un§ toiebcr fel^r furj faffcn. 
^iad^fal^I gtebt fie fclbft auf, f oiDxe er il^r cinigcrmafeen tnS ®c* 
fiiä^t fc^aut. ©. 84 bemcrft er, ber ©taat unfrer 5ßeriobe 
toerbe „d^arafteriftert burd^ feine bem niebrtgen 3wfto«i>^ ^^^ 
aßgenteinen Äultur, jutneift ben B^ftö^i^^^ ^^^ 3latnxalroxxU 
fd^aft, angepaßte primitioe unb funftlofe Drganif ation , burd^ 
bte if)n bel^errfd^enbe unfertige, patrimoniale ©taat^auffaffung". 
©oute nun SRad^fal^I nad^ biefem ©afee nod^ bel^aupten, bie xm^ 
fertige ©taat^ibee l^abe bie primitioe ©taat^organifation ge* 
fd^affen unb biefe bann bie niebrige fiultur unb ate einen 
befonber^ n)id&tigen 2ieil berfelben bie 3laturaln)irtf d&af t ? 3id^ 
glaube nid^t. SBie id6 wirb er umgefel^rt f daließen; nid^t um 
ein tefeologif d^e§ , fonbem um ein faufale^ aSertiättniS l^anbett 
eg pd^. 

IV. ©0 bleibt nur no(5 bag üierte 3lgen^, bie 3 b e e ber 
3entraIifation, ju befpred^en. SBoIIen wir ben 6l^ara!ter 
biefer 3bee genauer fennen lernen, f o muffen xoix bie gefamte, oben 
auf ©. 50 f. bargeftellte 5ßeriobeneinteilung ber beutfd^en SBer- 
faffungggefd^id^te, wie fie SWad^fal^l aufgeftettt l^at, l^eranjiel&en. 
aifo: l.^Periobe: Urjeit, oon Stad^f al^I nid^t genauer bel^anbett ; 
2. $ßeriobe: 6. big 16. ^alirl^unbert , a) c. 500-^1050 Seit^^ 
räum ber jentraliftifd^en 3bee unb ber rollen ©taat^ibee, 
b) c. 1050 — 1500 3rftraum ber SJejentraUfation^ibee unb ber 
rollen ©taatöibee; 3. 5ßeriobe: 16. big 18. ^al^rl^unbert, ^txt 
ber jentraliftifd^en 3bee unb ber abftraften ©taatgibee; 
4. 5ßeriobe: 19. Sal^rl^unbert, nid^t genauer bel^anbelt. 

3unäd^ft: Slad^fal^I gel^t auf bie erfte unb o i e r t e ^JJeriobe 
nid^t weiter ein, weil l^ier feine Slbgrenjung mit ber meinigen 
juf ammenf äßt , obrool^t bie beiberfeitigen ©rünbe für bie ge* 
wäl^Ite ©inteitung weit auSeinanber gelten. SBenn mir aber 
bie oierte ^Periobe in feinem ©inne genauer d^arafteriperen 
motten unb baju feine furjen 3lugfätirungen auf ©. 86 benufeen V 



* S)er neue bcutfd^e ©taat berul^t „auf ben ^rinaipien ber natio* 
naicn ©in^eit, ber ftaatlid^en ^olerans in religiöfen SDtngen (bie „3^ec 
ber ftaatltcSen Xolerans" fd^on in ?ßeriobe III wirffam! @. 84) unb ber 

5* 



68 n. Hanfes 2^eenUi:ite unb bie 3nn9ran!taner. 

Toa^ roerben wir ba fagen? S)0(^ nur, bafe bicfe 5ßeriobc eine 
3eit ber jentraliftifd^en 3bee unb ber abftraften ©taatsibee ift, 
3)amit fel^It aber ber Unterfd^ieb gegen bie britte ^ßeriobe! 
Unb aud^ bei ber erften 5ßeriobe ergeben ftd^ ©d^mierigleiten; 
SRad^fal^I d^arafterifiert fie furj (©. 84) aU bie 3^it ,/bet lofen, 
tttomiftifd^en ©au* unb ©tammeöDerfaffung" : läuft bag nid^t 
auf eine „rol^e ©taatöibee" l^inauö? Unb fidler ifi, baß biefe 
3eit in il^rem g^ortfd^ritt t)on 5BöIIerfd^aft ju ©tantm unb SReid^ 
burd^ bie „S^^t^öHfötton^ibee bel^errfd^t" n)irb. 

S)od^ n)ir rootten baö nid^t Sitten urgieren ; bie 5ßeriobifierung 
Siad^fal^te J)at fid^ nad& allem, roa^ biöl^er au^gefül^rt, fd^on ate 
unglüdlid^ genug erroiefen. 3ßir möd^ten nur ba^ eine ju 
bebenfen geben, ©urd^ ade t)ier ^JJerioben läßt fid^ bie 3bee 
ber B^ntralifation unb ber 2)ejentraUfation ©erfolgen. 3latüx^ 
lid^: vomn bie eine nid^t l^errfd^t, muß bie anbere porl^anben 
fein. 3lnn „l^errfd^t" aber bie B^^tralifation^ibee t)on ben Sin* 
fangen ber Urjeit big ca. 1050, unb fie „l^errfd^t" roieber Don 
ca. 1500 big auf l^eute. 

©oute fie ba nid^t eigentlid^ bie 3tegel fein unb bie 
3)ejentraIifationgibee nur bie 2lugnal^me? 3Rit anberen SEBorten, 
ba eg eigentUd^e Slugnal^men für miffenfd^aftlid&eg 9)enfen nid^t 
giebt, f oHte nid^t aud^ ber SJejentralif ationgibee ber 3cit mn c. 1050 
big 1500, wenn aud^ latent, bie S^ntralifationgibee ju ©runbe 
liegen? S)ie genannte 3^it ifi biejenige, in ber fid^ bag alte 9leid^ 
alg 2:räger beg SSerfaffungglebeng untauglid^ erroeifi, in ber 
bag ftaatlid^e Öeben auf bie ^Territorien überjugel^en beginnt. 
3)arin finb n)ir bod^ einig ? Unb aud^ barin, baß in bief er Qdt 
in ben ^Territorien feine S)ejentralifationgibee, fonbem eine 
bigmeilen red^t fräftige B^ntralifationgibee l^errfd^t! aJiit^in 
ift bief er S^i^^öum nur t)om ©tanbpunfte beg Steid^eg aug 
antijentraliftif d^ , jentraliftifd^ bagegen t)om ©tanbpunfte ber 
^Territorien, b. f). t)om ©tanbpunfte ber 2^räger beg aufblühen* 



2lutonomie ber fird^Iid^en ©efcllfd^aften, inbioibuetter unb ftaatäbürgcr« 
lid^cr gret^eit, foroie ber aUgemctnen %e\lnaf)mt an ben altiven politifdjen 
me(^ten\ 



ben, jufünftigen ©taatölebcng an^. Sölttl^in ift aud^ biefer 
Zeitraum bei tieferer Setrad^tung jentraliftifd^. Wlxti)xn finb 
alle 5ßeriobcn jentralifiifcä^ : bie Qanit beutfd^e SBer* 
faffungSgefd^id^te ift oon ber ^bee ber 3^ntralt* 
fation „bel^errfd^t". 

3ft ba§ nun neu? @en)öl^nli($ pffegt man bafflr ju fagen: 
Siebe jufammenlöängenbe nationale Äulturentroidflung «erläuft in 
fieigenber StrbeitSteilung unb bementfpred^enb fteigenber 3lrbeit^^ 
Bereinigung. STn biefer 33en)egung nimmt aud^ unb t)or allem 
ber ©taat teil. @r wirb afe ®anje§ immer jentraliftifd^er 
unb immer betaillierter in feinen örtlid^en ©inroirfungen 35a§ 
finb freitid^ 93infenn)al^r{|eiten, unb feine „^been". 3lber e§ ift 
nun einmal fo: an^ bie befte ^bee diaä)^af)U erweift fid^ afe 
tmfafebar, unb foroeit fte eine SBal^rl^eit entl^ält, fielet biefe 
unter ber weit umfaffenberen SBal^rl^eit ber arbeitsteiligen unb 
arbeitStJereinigenben @ntn)idffung. 

2Bir gelangen je^t jum ©efamtergebniS. S)ie großen 
Slgentien, bie t)ier ^been ber beutfd^en aSerfaffungSgefd^id^te beS 
-6. big 11. Soi^rtjunbertS finb il^re§ ©el^eimniffeS entfteibet. 
hinter il^nen ftel^en fel^r einfädle ©ntroidlung^üorgänge, bie in 
il^rer tiefften Segrünbung auf t)ornetimIid^ mirtf d^af tlid^e SBurjeln 
fül^ren. S)te§ freilid^ nid^t immer. 5Wid^t bal^in ju fül^ren 
fd^eint j. ^. bie fird^Iid^e ^bee. SBon xi)X toürbe man bieg 
nur bann beliaupten fönnen, wenn nad^gemiefen märe, bafe 
bie firc^Iid^en SBorgänge, meldte Siad^fa^ unter bem 3kmen 
ber Rrd^lid^en Qbee jufammenfafet, auf religiöfe ©ntmidflungen, 
biefe religiöfen ©ntroidflungen auf SBanblungen be§ nationalen 
©elbftbemu^tfeinS unb bie SBanbtungen biefeS ©elbftben)ufet== 
feinS mieber in lefeter ^nflönj auf mirtfd^aftlid^e SBanblungen 
jurüdfgingen. SBon biefer ©d^Iu^fette finb mir alle ©lieber 
mit aiuSnal^me beS legten fidler, biefeS aber feine^megS. 3)ieS 
ju l^ören, mirb JRad^fa^I freilid^ erftaunt fein, nad^bem er mid^ 
nad^ einigen menigen SluSfül^rungen beS IV. 95anbeS meiner 
©eutfd^en ©efd^id^te jum 3JlateriaIi§muS oerurteilt l)at. 

3d^ erfenne alfo an — unb fage bamit feineSmegS etroaS 
fftr mid^ SReueS — : in ber beutfd^en aSerfaffungSgefd^id^te beS 



70 n. Hanfes ^^eenUlite unb bie 3>i^9'fönftaner. 

6. big 11. Sal^rl^unbertS , toie in jebem anbeten S^it^öum 
unf erei^ ©taat^leben^, giebt e§ neben ber aSirt fantfeit ber roxxU 
fd^aftlid^en unb fojialen '^altoxtn auö) SBirfungen, bie t)on 
anberen ©eiten l^erfommen, unb id^ will l^injufügen, baß bie 
geiftigen SBirfungen meiner Slnfid^t nad^ mit fortfd^reitenber 
aSoIfön)irtfd&aft unb bamit ftärfer entroidelter nationaler Wuße* 
jeit für geiftige 2)inge immer beträd^tlid^er werben. 2Ba§^ 
id^ aber oemeine unb nad^ ben foeben gegebenen Sluöfül^* 
rungen, wegen beren ©etbftüerftänblid^feit ic^ ben Sefer um 
©ntfd^ulbigung bitte, nid^t einmal, fonbern taufenbmal ju 
t)erneinen ®runb unb SRed^t l^abe, bag ift bie l^pperibea* 
liftifd^e Slnfd^auung, aU ob bie geiftigen firäfte allein 
bie fonftituierenben Äräfte wären, neben benen bie wirt* 
fd^aftlid^en (unb fojialen) 3Jfomente nur alg unroefentlid^e 
,,S3ebingungen" nebenl^er liefen. Jiid^t im geringften fann ba* 
üon bie 3lebe fein; geiftige unb „materielle'' SBirfungen finb» 
gleid^en SRangeg unb fönnen beSl^alb im 9Jlomente il^re^ ©in« 
fluffeö grunbfäftlid^ unabhängig oon, einanber jur Sßirfung ge* 
langen: fie finb foorbiniert, unb jweifeföol^ne finb auf »er* 
faffungggefd^id^tlid^em ©ebiete bie fojialen unb n)irtfd6aftlid^en 
3Jlomente fogar in ben meiften ^titm leid&ter erfennbar unb^ 
aud& bie mäd^tigeren. Äommt SRad^fal^l ju anberen ©rgebniffen, fa 
ift il^m ba^ nur möglid^, inbem er, felbftoerftänblid^ bona 
fide, bie Unterfud^ung ber fonftituierenben Gräfte jebe^mal ba 
abbrid^t, wo für fie eine wirtfd^aftlid^e 83afi§ fic^tbar wirb. 

Unb nun : wag ift bag Oefamtergebnig biefeg ^in^unb^er 
Don ©rörterungen? 3d^ benfe, t)or allem jweierlei. Sluf t)er* 
faffungggefd^id^tlid^em ©ebiete, auf bag SRad^fal^l von oornl^erein 
bie ®igfuffion eingeengt l)at, fönnen „3been" alg 2lgentien 
nid&t anerfannt werben ; fie finb t)ielmel^r, foweit fie nid^t fupro« 
naturaliftifd^e ©igenfd^aften l^aben — mit benen fie erft red&t 
nid^t in bie SBiffenfd^aft gel^ören — , in bie il^rer 2lnfd^auung 
JU ©runbe liegenben tl^atfäd^lid^en, fei eg ibeeUen, fei eg materiellen 
2^enbenjen aufjulöfen. Unbjweiteng: bie 3Belt beg „©d^eing" 
läfet fid^ nid^t }u gunften irgenb einer Sbeologie eliminieren, 
inbem man fid^ auf bie 3lugflud^t jurüdf jiel^t , bie ^bem feien 



II. Hanfes 3&eenleljre unb bie 3ungranfianer» 71 

btt§ „eigcntlid^" SBirfenbe, ber „©d^ein" aber nur bic „S3c* 
bingung" i^irer Slugwirfung. 5Zcin, ber „©(ä^cin" ift cttüag fcl^r 
SRealc^ ; er umfaßt aBelten von pfpd^if d^em fiebert , bie für bie 
enttoidElung nid&t blojs ate „Unterlage" bienen, beren ©influfe 
melmel^r auf ba§ gefd^id^tlid^e SBerben ein ebenfo urfäd^* 
lii^er iji, wie ber ber geiftigen Setoegung. 

3)a0 aHeg junäd&ft auf bent ©ebiete ber SBerfaffung^gefd^icä^te. 
Iber fo wenig id^ mit Siad^fal^l barin einoerftanben bin, ba§ bie 
beutfd^e ©efd^id^te wie überhaupt jebe 5RationaIgefd^id&te nur 
©taatggefd^id^te fei, fo gern bin id^ bod^ bereit, if)xa an biefer ©teße 
in bem uon il^m geroife afö rid^tig empfunbenen Siüdffd^tufe gu 
folgen, bafe, roa^ l^ier für bie SSerfaffung^gefd^id^te ©eltung l^at, 
aud^ für alle anberen g^ragen gefd^id^tlid^en Sebeng gelte. ®ie 
f oeben gefunbenen ©rgebniffe finb allgemeinen 6l^arafter§ ; ganj 
allgemein mufe bie ^beenlel^re tjenoorfen werben, unb ganj au* 
gemein ift e^ rid^tig, bafe bie mirtfd^aftlid^en g^aftoren beS 
gefd^id^tlid^en fieben^ nid^t „©d^ein" finb, fonbem ein lebenbiger, 
oerurfad^enber, gleid^bered^tigter S^eit ber ©efd^id^te felbft. 



Snfofern id^ bie ^beologie JRad^fal^fe ju roiberlegen I)atte, 
fönnte id^ l^ier fd^liefeen. 2lber id^ möd^te eg nid^t. @§ ift flar, 
baB ber 2lu^gang meiner @rörterungen pd^ nid^t mel)r btofe gegen 
bie Sungranfianer menbet, fonbem aud^ gegen ?fianh felbft. 
6ben feine ^fbeenlel^re unb feine X^eoxu t)om ©d^ein, festere 
ja nur baö abfolut notmenbige Äomplement ber ^tzmleffxz, 
finb nid^t l^altbar. ©ie l^aben il^re 3^^^ ge^bt, fie werben 
immer ba§ grofee SKonument einer ganjen ^ßeriobe unferer ®e* 
fd^i($t^fd^reibung unb eine^ genialen ißiftorifer^ bleiben. 3lber 
bie ©efd^id^te ber 2Biffenfd^aft gel^t über fie l^inroeg, wie pe 
über bie metapl^^pfd^^mpftifd^en ©pfteme ber Sbealpl^ilofopl^ie 
I)inn)eggegangen ift^ 



^ 34 hxan^e babei tDol^C !aum su 6emer!en, bag mit ber ^er« 
roerfunö bet SRanfeMett Sbeenlci^re nodj feineäwegS bie ©siftenj unb 
3Birffam!eit von Sbeen in ber ©efc^idjte überl^aupt geleugnet ift. 3n* 
wiefern fte wirfcn unb metljobifd^ ju bel^anbern ftnb, bag wäre erft 



72 II- Hanfes 3^^^"^^^^^^ «"^ ^i^ 3un9ranftaner. 

Bunäd^ft: bic l^cuttgc SBiffenfd^aft ift intenfit)cr geworben, 
©ic betrctd^tet nid^t ntel^r an erfter ©tcHe tüeltgcfd^id^tlid^c 
3ufammcnl^änge, fo tocnig wie bie befd^rcibcnbcn SRaturiüiffcn^^ 
f d^aften nod^ t)om 3ufammcnraffen aller bcfonberen @rf d^cinungen 
beg ßc6en§ unter gewiffe äufeerlid^e Äatcgorien leben, roeld^e, 
im ©inne ber platonifierenben SRaturpl^itofoptiie ber erften 
jQälfte unfereS Sal^rl^unbert^ gefaxt, fel^r wol^l ben gefd^id^t= 
lid^en Sbeen ju Dergleid^en wären. 2Bic l^ier eine ganj anbere, 
intenfit)ere 3lrbeit begonnen tiat, bie in ben biologifd^en 35i§ji* 
plinen t)on ber 93etrad^tung ber ^tUe atö fonftituierenber @in* 
l^eit be§ einzelnen Organismus auSgel^t, fo f)at fid^ aud^ in ben 
l^iftorifd^en ^iSjiplinen bie intenfit)er geworbene g^orfd^ung vox 
allem jenen Problemen beS nationalen ©efd^id^tStebenS jugetoanbt, 
beren ßöfung ftd^ oon einem ©inbringen in bie fonftituierenben 
einfad^ften Äräfte beS gefd^id^tlid^en SeBenS ermarten lä^t. 35er 

/ JRanfefd^e UnioerfaliSmuS, eine ber aSorauSfeftungen ber ^i^een* 
lel^re, finbet junäd^ft feine t)otte ©tätte metir; erft fpäter einmal, 
wenn ber Unterbau ber primitit) fonftituierenben l^iftorifd^en 
Elemente ben 3^itgenoffen aU leiblid^ abgefd^loffen erfd^einen 
wirb, mag er in anberer ©eftalt miffenfd^aftlid^ bered^tigt mieber 
aufleben. 

älber aud^ bie anbere aSorauSfefeung ber SRanfefd^en ^been- 

^ leiere l^at fid^ oerflüd^tigt. ©elien mir t)on ber perfönlid^ mpftifd^en 
g^ärbung ab, meldte bie Seigre gerabe bei Sianfe erl^alten l^at, fo 
liegt fie in ber 2lnnal)me ber Irrationalität alles gefdiid^tlid^en ®e* 
fd^el^enS. S)iefe3lnnal^me aber befleißt nid^tmelirjuSRed^t. Steuere 
3Jletl)oben l^aben meite ©ebiete gefd^id^tlid&en (Sefd^el^enS als 
einer beftimmten Äaufalität unterworfen nad^gemiefen unb fo* 
mit rationalifiert ^ ©o befielet je|t — unb wirb mol^l immer 
beftel^en — in ber ©efd^id^te nebeneinanber eine gro§e ©ruppe 
von aSorgängen, bie fid^ rationaler Unterfud^ung öffnen — eS 
ift bie $Wanfefd^e SBelt beS ©d^einS — , unb eine gro^e ©ruppe 

noc6 ©ad^e ber ©rörtcrung. ©inftioeilcn üergleid^e man bic frctUd^ jiem* 
lic^ unffare 2lrbeit von Sajaruä üBcr bie Sbeen in ber ©efd^id^te, 3f- 
f. «ölferpf^d^ologic unb ©prad^roiffenfdjaft III (1865), 385-486. 
» @. oben ©. 7 ff. 



n. Hanfes y>een\etite nitb bte 3«n9tan!taner. 73 



von ©reigniffcn, für bie ba^ nid^t jutrifft, weil fie rein perfön- 
lid^ unb Dtelfad^ bur($ geniale Staturen bebingt ftnb. Unter 
biefen Umftänben fönnte bie Sbecnlel^re nur bann no^ weiter 
fteftel^en, wenn eS anginge, bie ©ruppe rationalen ©efd^el^enB 
gleid^rool^I in irgenb einer ejorm bem Segriff be§ irrationalen 
unterjuorbnen. ©S liegt auf ber Jpanb, bag bag unmöglid^ 
ift; an ben Sßerfud^en, eö gleid^tool^l ju tl^un, ift SRad^fal^l ge== 
fd^eitert unb werben alle äl^nlid^ benfenben ^ifiorifer fd^eitern. 
^er Segriff be^ irrationalen ift eEflufit)en ß^arafterö; gilt er 
prinzipiell, fo ift ni($t abjufel^en, wag ba^ 3lationale nod^ neben 
if)m foH. 

®anj anber^ ber 35egriff be§ ^Rationalen. 3d^ lann mir 
fel^r TOOl^l eine 3Belt benfen, von ber id^ einen ^eil rational 
begreife, unb oon ber id^ einen anberen S^eil nod^ al^ irrational 
d^aralterifieren nxu^ unter bem aSorbel^alt, bafe bie Sluflöfung 
biefeg irrationalen ^ßoftulat be§ menfd^lid^en ©enfen^ ift unb 
fomit ©ad&e ber S^i^ii^ftr toenn aud^ oiedeid^t einer fpäten ober 
gar unenblid^ entfernten, fein muJ3. ©ö ift bie Sage, in ber 
fid^ bie Slaturtoiffenfd^aft feit Sionarbo ba SSinci, Oalilei unb 
SRewton gegenüber il^ren Dbjeften befinbet. ®^ ift biefelbe Sage, 
in weld^e bie ©efd^id^t^roiffenfd^aft mit bem rationalen 5Ber* 
ftänbnig junäd^ft aud^ nur eine^ 2;eile^ il^rer Dbjefte eingetreten 
ift. Sßon biefem Slugenblid an tonnen wol^l nod^ ^iütffälle jur 
alten rein irrationa^fupranaturaliftif (Jen Slnf d^auung erfolgen, ein 
t)oll!ommener 3lbfall aber nid^t mel^r. Unb bamit ift nunmel^r 
aud^ oon biefer ©eite l^er bie 3lufred^terl^altung ober gar ©nt- 
widlung eine^ l^pperibealiftifd^en ©pftemS jur Oefamterflärung 
t)er gefd^id^tlid^en Vorgänge nid^t mel^r ober nur nod^ aU 3lüd= 
fall benibar. 

SBon beiben 5punften alfo il^re^ 3luggang§ l^er, oon bem 
unioerfaliftifd^en wie bem mpftifd^-tranfcenbentalen, ift bie 
Sibeenlel^re Slanfeg überrounben; il^r SBerfd^winben ift barum 
nur nod^ eine g^rage ber 3^^^- 

Jlatürlid^ finb bie g^olgen eine^ fold^en SBanbete bebeutenb. 
Sd^ möd^te ba^ l^ier nur nod^ für eine g^rage augfül^ren, bie 



II. Hanfes 3been(eifre unb bie ^nn^tanhanex. 



gerabe 9ianlc Dielfad^ bef<i^äfti9t l^t\ für bie g^rage be^ ge* 
fci^i(i^tli(|en ^ortfd^rittcg unb bie bamit eng uerbunbenc ?5ragc 
b^ gefd^id^tlid^en ©ntroidlung. 

3lan!c bcttad^tet biefe e?^age natürlid^ au^fd^Keßlid^ t)om 
umocrfalg^fd^id^tlid^en ©tanbpunft. SBeift bie SBcItgcfd^id^te 
afö ©an jcg einen 3^ortf($ritt auf? bag ift il^m ba^ ^Problem. 

®r näl^ert fid| il^m mit folgenben SSemerfungen ^ : „2)cr 
^ftotif er i)at ein ^auptaugenmerf • erftenS barauf ju rid^ten^ 
wie bie 3Kenfd^en in einer beflimmten ^eriobe gebadet unb 
gelebt l^aben ; bann finbet er, bafe, abgefel^en oon geroiffen un« 
wanbelbaren eroigen jQöuptibeen, }. S. ber moralif d^en , jebe 
©pod^e il^re befonbere S^enbenj unb il^r eigene^ Qbeal l^at. 
SBenn nun aber aud^ jebe ®pod^e an unb für fid^ il^re 33e* 
red^tigung unb il^ren 2Bert l^at, fo barf bod^ nid^t überfeinen 
werben, roa^ au^ xf)x J^eroorging. 3)er ^iftorifer Iiat alfo für^ 
jroeite aud^ ben Unterfd^ieb jroifd^en ben einjelnen ©pod^en 
roal^rjunel^men , um bie innere ^Rotmenbigfeit ber Slufeinanber* 
folge ju betrad^ten." 

Unter ber 3lnmenbung biefer ^Ketl^obe ergiebt fid^ nun 
für SRanfe folgenben : 

1. „@in unbebingter 3^ortf d^ritt , eine l^öd^ft entfd^iebene 
Steigerung ift anjunel^men, foroeit mir bie Oefd^id^te üerfotgen 
ttnnen, im Sereid^e ber materiellen Sntereffen, in meldten aud^ 
ol^ne eine ganj ungel^eure Ummätjung ein SftüdEfd^ritt faum 
mirb ftattfinben fönnen."^ 6r fommt auf biefen ©ebanfen 
nod^ jmeimal jurüd: „3n materiellen Singen nel^me id^ einen 
g^ortfd&ritt an, meil l^ier eines an^ bem anbern l^er* 
oorgel^t"*; „ein g^ortfd^ritt ift anjunel^men in allem, mag ftd^ 
fomol^l auf bie ©rfenntnis ate bie Setrad^tung ber 3latur be* 
jiel^t . . . 2)ieS l^ängt meiter juf amm^en mit bem , mag mir 
©Spanfion nennen. ®ie ©jpanfton ber moralifd^en unb reli* 

1 «Ql. t)or attem bie 33errf)te§gabencr Vorträge I u. II, 903.®. IX^ 
@. 1—13. 

2 21. a. D. @. 5. 
8 21. a. D. (S. 6. 

* 21. a. D. @. 8; von mir gefperrt. 



IL Ranfts 3^^ßnl^^r^ un^ ^»c 3ungran!ianer. 75 

giöfen 3becn, übcrljaupt bcr S^een ber SWcnfd^l^eit ift in einem 
unaufl^örlid^en gortf d^ritt begriffen , unb ba , wo einmal ein 
3KitteIpunft ber Äuttur befielet, ^at biefelbe bie ^^enbenj, fid^ 
nad^ allen ©eiten l^in augjubreiten , aber nid^t fo, bafe man 
fagen fönnte, ber g^ortfd^ritt fei an jebem fünfte ol^ne attcn 
SBiberftanb. — 3n ben mel^r materiellen Sejiel^nngen alfo, 
in ber Sluöbilbung unb Stnmenbung ber ticaltm SBiffenfd^aften 
unb ebenfo in ber ^erbeifül^rung ber cerfd^iebenen Stationen 
unb S^^bioibuen jur 3bee ber 3Jienfd^l^eit unb ber Äultur ift 
ber e?ortfd^ritt ein unbebingter." * 

2. S)iefer unbebingte gortfd^ritt auf ben genannten @e= 
bieten l^at aber für SRanfe wenig öebeutung. @^ finb ja SBor== 
gänge in ber SBelt beg ©d^einS. SBefentlid^e g^rage ift nur, 
ob in ber 2Belt ber Sbeen ein e?ortfd&ritt nad^meigbar ift. 
3tanU l^at fid^ l^ierüber in ben „^päpften"^ l^öd^ft merfmürbig 
im ©inne ber 3)it)ifion unb Integration oon ©ntroidflungg* 
rid^tungen geäujsert: „SBoljl ift eg mal^r, bafe bag Über^anb- 
nel^men ber inneren ©egenfäfee bie ©inl^eit ber ®efamt|)eit 
ftört, aber e^ ift, toenn n)ir unö nid^t täufd^en, ein anbere§ 
©efefe be^ SebenS, ba^ fid^ bamit aud^ jugleid^ eine pi^ere unb 
größere (SntmidElung oor bereitet." 3«beg l^ieroon l^ören n)ir in 
ben Serd^te^gabener Vorträgen nid^ts mel^r. ^ier meint SRanfe 
im aDgemeinen im Slnfd^lu^ an bie oben ©. 74 juerft jitierten 
SBorte: „(Sin geroiffer g^ortfd^ritt ift l^ierbei nid^t ju Derfennen, 
aber id^ möd^te nid^t bel^aupten, baj3 fid^ berfelbe in einer 
geraben Sinie bewegt, fonbern me^r mie ein ©trom, ber fid^ 
auf eigne Söeife einen eignen SBeg bal^nt."^ 

®r neigt fid^ alfo f)ier oon bem Segriffe be^ g^ortfd^ritte^ 
mel^r ju bem ber ©ntmidlung. ©. 4 fü^rt er ba^ naiver au§ : 
S)ie „fortbauernbe Bewegung ber 3Kenfd^l^eit" „berul^t barauf, 
bafe bie großen geiftigen J^enbenjen, roeld^e bie 3Kenfd^l^eit be^ 
l^errfd^en, fid^ balb augeinanber erl^eben, balb aneinanber reil^en. 
3n biefen ^^enbenjen ift aber immer eine beftimmte partifuläre 

1 21. a. o. @. 11-12. 

2 ®.2B. 37, 564. 

^ 95g(. aud^ SBerd^teögobener SSorträgc ©. 2 unten. 



76 n. Hanfes 3becnlel?re wnb btc 3ungranfianer. 

SRid^tung, racld^e tjorroicgt unb bemirft, bafe bie übrigen jurüd* 
treten, ©o war j. 35. in ber jn)eiten ^älfte beö 16. Sfai^r- 
l^unbertg ba§ religiöfe ©lement fo überroiegenb, bafe ba^ litte* 
rarifd^e t)or bentfelben jurücftrat. 3m 18. ^[al^rl^unbert l^ingegen 
gewann ba§ Utilifierung^beftreben ein fold^e^ SCerrain, bo^ vox 
biefem bie Äunjl unb bie if)r oerroanbten 2^^ätigfeiten weicä^cn 
mußten. 3n jeber ©pod^e ber 3Ken[($l^eit äußert fid^ alfo eine 
beftimmte grofee J^enbenj, unb ber g^ortfd^ritt berul^t barauf, 
bofe eine geroiffe Seroegung beS menfd^Iid^en (Seiftet in jeber 
5ßeriobe fid^ barftellt, roeld^e balb bie eine, balb bie anbere 
2^enbenj l^eroorl^ebt unb in berfelben fid^ eigentümlid^ mani* 
feftiert." 3lanfe wirb nid&t niübe, biefen ©ebanfen ju variieren. 
Unb wie er ganj mit feiner S^^eenfel^re juf ammenl^ängt , fo 
filiert er il^n unmittelbar ju ®ott. „@ben barum folgen bie Briten 
aufeinanber, bamit in a 1 1 e n gef d^el^e , voa^ in feiner einzelnen 
möglid^ ift; bamit bie ganje ^ülle beg bem menfd^lid^en ®e* 
fd^led^te üon ber ©ottl^eit eingeliaud^ten geiftigen Seben^ in ber 
Sleil&e ber 3^l)rl)unberte ju 5Cage fomme." * „3Som ©tanb* 
punite ber göttlid^en 3^^^ ^^^^ ^^ ^i^ i^i^ ©ad^e nid^t anbere 
benfen, atö bafe bie aßenfd^l^eit eine unenblid^e 3Kannigfaltigfeit 
t)on ®ntn)idElungen in fid^ birgt, weld^e nad^ unb nad^ jum 
SSorfd^ein ftimmen, unb jwar nad^ Oefefcen, bie un§ unbefannt finb, 
gel^eimniöüoHer unb gröjger, als man benft." ^ 35ei fold^er 3luf* 
faffung fann nun, abgefel^en von ber aHmäljlid^en ©oolution ber 
menfc^lid^en ©igenfd^aften, oon 5ßeriobe ju ^eriobe entweber ein 
fucceffiüer g^ortfd^ritt irgenbroeld^er 3lrt als eintretenb gebadet 
werben ober nid^t. SRad^ bem ©d^luffe beS lefeten ßitateS fielet aber 
f d^on feft, bafe SRanfe einen fold^en g^ortfd^ritt nid^t mit ©id^erl^eit 
anjunel^men ober gar ju erroeifen wagt. @r fd^roanft l^ier el^r- 
furd^tSüott , er fielet in feiner luffaffung ber ©ntroidflung 
eigentlid^ nod^ auf bem ©tanbpunfte SeibnijenS, unb bie 9Jlafe^ 
ftäbe feiner Beurteilung oenoirren fid&. „^d^ glaube, ba§ in 
jeber ©eneration bie n)irflid6e moralifd^e @rö§e ber in jeber 
anberen gleid^ ift, unb ba^ eS in ber moralifd^en (Srö^e gar 

1 3). ®cM.; ®.2ß. 4, 1. 

2 2B.®. IX«, ©. 7. 



IL Hanfes 3beenlcljre nrib bie Z^nqxanfxanev. 77 

feine l^öl^ere ^potenj giebt/' fagt er ©. 8 ber Serd^teggabener 
aSotträge, — unb @. 9 filiert er au^ „ba§ oft frül^ere @po(^en 
t)icl tnoralifd^er waren, ate fpätere'', wie er anberfeit§ ©.11 
äußert: ,,nur ba^ fönne man jugeben, bafe bie früheren Se* 
griffe ber aWoral unDottfornmen waren, aber feitbem ba§ 6^riften= 
tum unb mit il^m bie wal^re ^Bloralität uni) ^Religion erfd^ienen 
ift, fonnte l^ierin fein g^ortfd^ritt mej^r ftattfinben". 

Sei foI(J^en ©d^wanfungen , beren fid^ nod^ mel^rere feft* 
ftetten liefen, tol^nt eS inbeffen nid^t, nod^ weiter ju verweilen. 
S)ie SBurjeln ber ganjen 2lnfd^auung 3lanfe^ liegen ju 2!age, 
unb mit i^nen ftel^t unb faßt fie. ©ie finb gegeben t)or allem 
in ber 3beenlef)re, fowie wieberum in ber Duelle für biefe, im 
mpftifd^en SbealiSmug. 2Bir wiffen, ba§ biefe ©runblagen 
nid^t l^altbar finb — mie follten e§ an§> il^nen abgeleitete 
©äfee fein! 

2)ie neuere ©efd^id^tSwiffenfd^aft wirb bie grage nad^ 
eJortfd^ritt unb ©ntwidElung in ber ©efd^id^te von ganj anberen 
35oraugfefeungen au^ ju beantworten t)erfud&en muffen, gewife 
mit all ber 33efd^eibenl^eit, bie baS Seifpiel SRanfe^ prebigt, 
unb feine^fall^ einftweilen anber^, ate im ©inne ber g^ormu^^ 
lierung t)on ^Problemen. 

3^efi wirb für fie oor allem fielen, ba§ bie e?ragc nid^t von 
uornl^erein t)om unioerfall^iftorifd^en, fonbern junäd&ft oon einem 
t)iel engeren ©tanbpunfte, t)om nationalen, oon unten l^erauf, 
angegriffen werben mu^. 35ie SBeltgef d^id^te verläuft in ber Slb » 
folge ber ^Rationen — fann man für bie ©efd^id^te ber einjelnen 
^Rationen von g^ortfd^ritt unb ©ntwidflung reben? 

S)a§ ift bie erfte g^rage. Unb innerl^alb i|ire^ Sereid^e^ 
wirb wieber, nad^ 3lanfeö 35eifpiel, jwifd&en ben fogenannten 
materietten unb ben fogenannten ibealen ^aftoren ber gefd^id^t* 
lid^en Bewegung unterf (Rieben werben muffen, ^ier wirb man 
in ber 33el^anblung ber materiellen g^aftoren ganj 3lanfe folgen 
fönnen, einfd^liefelid^ ber oon il^m gegebenen 9Koti* 
t)ierung. ©tel^t bamit für bie materielle ©eite ber ®nt' 
widElung eine faufale ©oolution aud^ nad^ SRanfe feft, fo 
tritt bie g^rage auf : wie ftellt fid^ baju bie geiftige ©ntwidflung ? 



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78 n. Hanfes 3beenleljre itnb bie 3itngran!ianer« 

©ic fann nur cmptrifd^, burd^ Bearbeitung ber Derfd^iebenen 
Stationalgefd^id^ten unter bicfem ©efid^tSpunf te , beantwortet 
werben, gür bie beutfd^e ©efd^id^te glaube id^ auf ©runb 
inbuftit) gefül^rter, mid^ feit jwei Sal^rjel^nten befd^äftigenber 
^ ©tubien bel^aupten ju fönnen, bafe bie ^ßerioben geifiiger ®nt^ 
widftung mit benen ber materiellen ©ntwidftung jufammenfaHen 
unb anä) bann, wenn bie ßl^ronologie nid^t t)öttig überein* 
ftimmt, bod^ innerlid^ jufammenl^ängen. inwiefern, ba8 l^abe 
id^ in meiner 2)eutfd^en ®efd^id^te au^gefül^rt. Dh freilid^ 
bamit ein faufaleg SBerl^ättJiiS im ©inne ttvoa ber S^olge geiftiger 
Bewegungen au§ materiellen ober fonftwie gegeben ift, biefe 
g^rage ift nod^ oielfad^ offen, fann jebenfafö feine^wegö oon oom* 
l^erein generell beantwortetet werben, fonbern bebarf vov allem ber 
energifd^ftcn SRat^prüfung im einjelnen unb ber 3^^I^9W«9 in 
tiefere, nod^ in il^r entl^altene fragen, ©ott inbe^ ein attge= 
meiner @rfal^rung§fa| promforifd^ au^gefprod^en werben, fo 
wirb er faum anberS lauten fönnen, afö ungefäl^r im ©inne 
ber Slu^fül^rungen, bie 5p. Bärtig jüngft ju ben ßel^rcn aWarjenö 
in ben 3a^rb. f. ©tat. u. 5WatöI. (britte §olge, S3b. XI, ©. 1 ff., 
namentlid^ ©. 29 ff.) gemad^t l^at. 

Befielet fo für bag nationale SBerben, wie aixä) bie ©ad^e 
im einjelnen fld^ geftalten mag, eine ©oolution, fo ift bamit 
^ freilid^ über ben ©ebanfen be^ ^ortfd^ritte^ nod^ gamid&t^ an^^ 
gefagt. 3)er Begriff beg 3^ortf($ritteg fann junäd^ft fnbjeftio 
aufgefaßt werben : man fann t)om g=ortf d^ritt im ^perfonalfiabitu^ 
be^ ©injelnen reben , unb aud^ innerl^alb bief er Äategorie finb 
wieber taufenb Slbwanbtungen ber BorfteHung , bie moralifd^e, 
intctteftueüe, äftl^etifdbe u. f. w., benfbar. 3?ad^ weld^er foH man 
ba nun urteilen ? Unb urteilt man felbft, bafe für aKe biefe Slb- 
wanblungen fid^ eine fieigenbe ^ntenfität ber SBirffamfeit ergiebt 
— wäre bamit barüber etwas auSgefagt, baß biefe fteigenbe 3n* 
tenfität ein g^ortfd^ritt fei? Offenbar ift ber g^ortfd^ritt in 
biefem Suf^^wenl^ange feine Kategorie ber ©efd^id&tSwiffenfd^aft. 
®r ift e§ aud^ in feinem anbem; benn bie ebm angefteHten 
©rwägungen laffen fid^ au(^ für jebe objeftioe 2luffaffung be§ 
Begriffes mut. mut. wieberl^olen. 3D?an wirb alfo am beften 



IL Hanfes y>een\eltve unb bie 3ungran!taner. 79 

auf gefd^id^ttid^em (Bebiete von g^ortfd^ritt nid^t fpred^cn; jebe 
^Periobe ber ©nttoidflung roitt tjiclmcl^r rein au^ fid^ unb au^ xf)xen 
iprämiffen ol^ne jebcn ©eitenblid unb ol^ne jcbeg SBerturteit 
oerfianben fein. 66en inbent bieg gefd^iel^t, wirb ber ©Solution 
il^r Sled&t. 

Sft aber über ben coolutioniftifd^en ßl^arafter ber nationalen 
-©efc^id^ten fein B^eifel, fo tft bamit über ben weltöefd^id^tlid^en 
IBerlauf immer nod^ fein Urteil gewonnen. Unb id^ möd^te l^ier 
t)om ©tanbpunfte ber ©efd^id^tSwiffeufd^aft vorläufig aud^ nid^t 
•einmal eine SBermutung äußern. Ätar fann man ba einft* 
weilen nid^t feigen; ba^ beroeift, menn irgenb etmag, ba§ 
©d^eitern SlanfeS. SBol^I aber läßt fid^ ba^ näd^fte ^Problem 
formulieren, beffen Söfung einen weiteren ©inblidf üerftatten 
würbe. 6§ fäme barauf an, Slejeptionen unb JRenaiffancen aU 
formen totaler unb jeitlid^er unitjerfalgefd^id^tlid^er SBermittlung 
genauer ju unterfud^en, il^re 3laturgefd&id^te gleid^fam, i^re 
tppifd^en SBorau^fefeungen unb ^onfequenjen f eft jufteden , um 
bann an ber ^anb be§ bamit gewonnenen 3Ka§ftabe^ feftjulegen, 
inwiefern in jebem einjelnen 3^alle eine Siejeption ober eine 
JRenaiffance eine ®ntwidElung über bie ber SRejeption ober 
Sienaiffance ju ©runbe liegenbe Äultur l^inaug ^erbeigefül^rt 
l^at ober nid^t. S)ag wäre aber nid^t bie SBorarbeit für ein 
tiefere^ weltgefd^id^tlid^eg SBerftänbni^ , fonbern nur eine ber 
notwenbigen SSorarbeiten unter melen. 



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^ievet'fc^e ^ofbud^bruderei ©tepl^an @ei6el & Qo. in S((ten6urg. 



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