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Full text of "Am Reissbrete 23.1896"

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CQotnell Unioeraitg Ctbtaty 


^ftn Vork 


FROM THE 

BENNO LOEWY LIBRARY 


COLLECTED BY 

BENNO LOEWY 

1894-1919 

BEQUEATHED TO CORNELL UNIVER8ITY 


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AM MEISSBRETTE. 


HANDSCHRIFTLICHE MITTEILUNGEN 

AUS DEN 

UNABHÄNGIGEN LOGEN 


MINERVA ZU DEN DREI PALMEN IN LEIPZIG, 

BALDUIN ZUR LINDE IN LEIPZIG, ARCHIMEDES ZU DEN DREI REISSBRETERN IN ALTENBURG 

ARCHIMEDES ZUM EWIGEN BUNDE IN GERA 
UND KARL ZUM RAÜTENKRANZ IN HILDßURGHAUSEN 

FÜR 

BRR FREIMAURER-MEISTER 

BEGRÜNDET VON BR MARBACH. FORTOEFÜHRT VON BR FUCHS. 

SCHRIFTLEITER: 

BR DR. A. GÜNDEL. 


ORGAN DER GESCHÄFTSSTELLE FÜR DEN AUSTAUSCH DER LOGENLISTEN. 


DREIUNDZWANZIGSTER JAHRGANG. 


LEIPZIG 

DRUCK UND VERLAG VON BR BRUNO ZECHEL. 
1890. 


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/f. 


2i 7 


INHALT. 


Lehrlin^sloge: Lehrlings-Aufnahmeloge. — Die Wahrheit. — Bruder und Freund. 
No. 8/9. — Über ein System frmrscher Ethik. No. 10. — Das maur. Urteil. — ln Ord¬ 
nung. No. 11. 

(lesellenloge: Die Bedeutung der Bezeichnung „Gesell“. No. 3. — Der Zirkel. 
No. 8/9. 

Meisterloge: Zur Meisterbeförderung. No. 1. — Bedeutung und Symbol des 
Meistergrades. No. 2. — Der Unsterblichkeit sgedanke in der Geschichte der alten 
Völker. No. 4 u. 5. — Ansprache bei der Meisterbaförderung. No. 4. — Die Rütsel- 
fragen der Sphinx. No. 6/7. — Wer ist ein Meister? No. 10. — Die Meisterreise. 
No. 11. — Über die Sehnsucht nach dem Jenseits. No. 12. 

Trauerloge: Über die Zufriedenheit. No. 6/7. 

Stiftungsfestloge: Unsere Ideale. No. 6/7. 

Enghund: Die Repräsentanten in den Logen. No. 1. — Philipp Samuel Rosa und 
und das nach ihm benannte Kapitel. No. 2. — Trauerfeier für den f Vorsitzenden des 
Engbundes Br. J. F. Fuchs. No. 3 u. 4. — Ludwig Börne als Freimaurer und Schrift¬ 
steller. No. 6/7. — Joh. H. Voss. No. 12. 

Vermischtes: Zum neuen Jahr. No. 1. — Sinnsprüche. No. 1 u. 12. — Was 
Vernunft und Herz uns lehren. No. 2. — Asträa — Trinkspruch auf die Schwestern. 
No. 5. — Blätter und Blüten. No. 6/7. — Trinkspruch auf die Besuchenden. No. 10. 
— Litterarisches. No. 6/7. 10. 12. — Zurufe Mbc. — Umfrage. No. 12. 

Von der Geschäftsstelle fUr den Austausch der Logenlisten: No. 3. 10. 12. 
Anzeigen: No. 2. 3. 4. 5. 6/7. 8'9. 10. 11. 12. 


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Januar 1896. 


23. Jahrgang. 
Nr. 1. 


Am Eeissbrete. 


Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen 
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu 
den drei Rei.'^sbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum 

Rautenkranz in Hildburghausen. 

Für Brr Freimaurer-Meistei’. 

Begi-ündet von Br Oswald Marbach. Redigirt von Br J. F. Fuchs. 

Dag Blatt wird rorzugsweiae Beitrüge bringen, die in den Logonversammlungeii eines der drei Grade gehalten worden sind, 
sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten des Fr ei m a u r e ri sc h en C orr e sp o nd en z - B u re au’s. Allen an diesem 
unter Leitung der Logo Balduin zur Linde gtehenden Institute betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. 
Einzelne Brr Meister, welche als solche sich legptimirt haben, kbnnon auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 3 Mark 
abonniren und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur aufgenomraen, 
wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgchühr Yon 25 Pfennigen für die gespaltene Potit-Zeilo. 


Inhalt: Zum neuen Jahr. — ^ur Meisterbeförderung. — Die Repräsentanten ln den Logen. — Sinnsprach. 


Znm neaen Jahr. 

Ein Jahr entschwand, — wie eine leise Welle, 
So zittern noch die letzten Klänge nach; 

An eines neu erstandnen Jahres Schwelle 
Stehn wir vereint am frohen Neujahrstag! 

Euch Brüdern sei der erste Gruss geboten, 

Den, wie gestaltet auch der Zeiten Flug, 

Ob Glück ihm schien, ob heft’ge Stürme drohten« 
Das treue Herz im tiefsten Innern trug: 

Froh weilt das Aug* auf der geschlossnen Reihe, 
Dem Bruderzirkel, der sich um uns schlingt: 

0, dass er weiter blühe und gedeihe, 

Und dass ihm jede edle That gelingt! 

Erfüllt von hoch begeisterten Gedanken, 

Trotzt er der wildbewegten Sturmesflut, 

Dem Schiffe gleich, auf dessen festen Planken 
Der Menschen Hoflfnung und Gedeihen ruht! 
Nur eine Kette reiner Bruderliebe 
Lasst Brüder uns im wahren Sinne sein, 

Kein Zwist, kein trennender Gedanke trübe 
Das hohe Ziel, den wir vereint uns weihn. 

Für alle eine Liebe — unbekümmert, 

Ob anders uueh der Bruder glaubt und denkt. 
So wird der wahre Segensbau gezimmert, 

Den keine Macht aus seinen Fugen lenkt. 

So blühe fort vereintes Bruderstreben, 

In diesem und in jedem neuen Jahr, 


Des Glückes ganze Huld sei dir gegeben. 

Und wahre Freude heut* und immerdar! 

Br G. Meyer. 

Zar MeisterbefSrderang. 

Von Br F. Fuchs. 

1. Ansprache. Meine lieben Brr Gesellen! 
Sie sind heute erschienen, um auf die höchste 
Stufe unserer k. K. befördert zu werden. Auf 
eigentümliche Weise wurden Sie in den Meister¬ 
saal geführt, rückwärts, das Gesicht nach aussen 
gewendet, traten Sie durch die Pforte ein. 
Warum? Der Mensch kennt nur, was hinter 
ihm liegt, die Zukunft ist seinen Augen ver¬ 
schlossen. Rückwärts sollen Sie schauen auf 
die zurückgelegte Maurerbahn und das Gewissen 
zum Richter nehmen, noch einmal sich prüfen, 
ob Sie würdig gelebt und gestrebt, das zu 
schauen, was Ihren Augen noch verborgen ist- 
Das Zurückschauen in die Vergangenheit ist 
ein Nachleben im Geiste, ein Klopfen an das 
Menschenherz. Wie tönt dieses Klopfen an Ihr 
Herz in dieser feierlichen Stunde, wo Sie die 
Meisterstufe betreten wollen? Wir können Ihre 
AnWort nicht hören, nur der A. B. d W. 
hört sie. Wir können Sie nur auf Ihr Gewissen, 
diesen unbestechlichen Richter verweisen, der 


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das Bewusstsein der Schuld oder Unschuld prüft; 
dämm wendeten wir Ihre Blicke rückwärts, um 
sich noch einmal mit Ihrem Gewissen zu be¬ 
sprechen. 

Noch eine Wanderung sollen Sie vornehmen, 
die letzte, die Sie an das Ziel führt. Als 
Lehrlinge wanderten Sie an der Hand treuer 
Führer, Ihr Weg war unsicher, das sollte Ihnen 
andeuten, dass der Weg durchs Leben mit vielen 
Gefahren verbunden ist, treue Führer, die Sie 
in Gott und Ihrem Gewissen finden, helfen Ihnen, 
wenn Sie sich deren Führung überlassen, die¬ 
selben überwinden. 

Als Gesellen wanderten Sie mit Freunden 
eng verbunden dem Lichte im Osten zu, eine 
fröhliche und heitere Wandemng; mit treuen 
Freunden und Genossen ging Ihr Weg durchs 
Leben. Nun noch eine Wandemng und dann 
keine weiter. Finster und düster ist es um 
Sie her, das Innere dieses Raumes ist Ihnen 
noch verschlossen. Ihr Gesicht, nach aussen ge¬ 
wendet, wird auf ernste, ja für manchen schreck¬ 
liche Bilder gerichtet sein, Ihr Ohr wird ernste 
Zurufe vernehmen. Aber schreiten Sie mit 
gutem Gewissen den düstern Pfad; konnten Sie 
ohne Gewissensbisse in Ihre Vergangenheit 
blicken, so können Sie auch getrost diesen 
letzten Gang unternehmen, dessen Ende Sie dem 
Ziele alles Irdischen zuführen wird. Auf denn 
zu dieser letzten Wanderung. 

2. Ansprache. Sie sind am Ziele Ihrer 
Wanderung. Vorbereitet waren Sie auf dieses 
Ziel, die Ihnen entgegentretenden Bilder zeigten 
es Ihnen; der dreifache Zuruf: „Gedenke des 
Todes!“ mahnte er Sie nicht daran, dass uns 
der Tod im Leben überall entgegen tritt, dass 
wir uns ihm nicht entziehen können? Die 
Schrecken des Todes überwinden lehrt uns die 
Meistenschaft. Wenden Sie sich um, meine Brr, 
und schauen Sie Ihr einstiges Loos! 

Sie stehen vor einem S . . . ., dem Sinn¬ 
bilde des Todes und der Vernichtung. Wir 
alle sind diesem Schicksale unterworfen. Unsere 
ganze Erdenwallfahrt ist nur eine Wallfahrt zu 
der Ruhe des Todes. Auch diese Ihre letzte 
Wanderung im Maurerternpel, meine Brr, ist 


nichts anderes als ein Bild des letzten Ganges 
im Leben. Ernst ist der Tod, aber furchtbar 
ist er nicht. Wir verfallen zwar dem dunklen 
Loose des Todes, aber der Tod hält uns nicht. 
Wir leben, um zu sterben, aber wir sterben, um 
zu leben. Wir steigen hinab ins Grab, Staub 
kehrt wieder zum Staube zurück, aber der Geist 
schwingt sich empor in das Reich der Ver¬ 
klärung. Der Tod macht den Erden Wanderer 
zu einem Bürger der freien Geisterwelt. All 
unser Streben und Wandern ist eine Heimkehr 
zum Vater; auch wir müssen dem grossen 
Wanderzuge in die kalten Arme des Todes 
folgen, aber das Geistige geht nicht unter und 
die Liebe kennt keinen Tod. Der Tod nimmt 
die Binde von den Augen, er führt durch Nacht 
zum Licht! 

Aber, meine Brr, wer ruhig in das dunkle 
Grab schauen will, wer sicher schreiten will 
über Sarg und Grab dem ewigen Osten zu, der 
muss treu seine Pflicht als Mensch und Maurer 
erfüllt haben, der muss die grosse Kunst des 
Lejpens verstehen, seine Zeit weise zu benutzen 
und würdig sich vorzubereiten zu der letzten 
Pilgerfahrt. Das ist ein wahrhafter Meister der 
Kunst des Lebens, der den Zweck des Lebens 
und die treue Erfüllung seiner Pflicht stets vor 
Augen hat; mit derselben Freudigkeit, mit der 
er durch das Leben gewandert ist, mit derselben 
Zuversicht, mit der er rückwärts geschaut hat 
auf sein vergangenes Leben, wird er auch dem 
letzten Ziele seines Eidenlebens entgegengehen. 
Er weiss, der Führer, dessen Leitung er sich im 
Leben überlassen hat, wird ihn sicher führen 
auch in der schwersten Stunde, auch in der 
schwersten Gefahr über Sarg und Grab in die 
Wohnungen des Friedens und der Seligkeit. 

Wollen Sie, meine Brr, den Weg Ihres 
Lebens in treuer Erfüllung Ihrer Pflicht vollenden, 
so schreiten Sie symbolisch durch die drei 
Meisterschritte über Sarg und Grab dem 
Osten zu. 


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Aus dem Engbund. 

Bepräsentanten in den Logen etc. 

Von Br R. Nitzsche, 

Mitglied der Loge Balduin zui* Linde. 

Zur Wahl meines Themas ^frmrsche Re¬ 
präsentanten“ bin ich dadurch gekommen, dass 
mich der Balduin gerade jetzt gewürdigt hat, 
sein Repräsentant beim hiesigen Phönix zu sein; 
wurde aus diesem Grunde mein Interesse dafür 
erregt, etwas näheres über Zweck und Herkommen 
der R. zu erfahren, so ist es vielleicht auch 
nicht allzu gewagt, bei einem oder dem anderen 
Br einige Geneigtheit zum Zuhören für meinen 
Vortrag vorauszusetzen. 

Schien mir die Behandlung • des Themas 
anfänglich eine ungemein leichte und einfache, 
so wurde ich doch alsbald belehrt, dass dies 
keineswegs der Fall, ja, dass das Thema selbst 
wahrscheinlich nur wenig dankbar sein würde. 
Ist doch eine auch nur einigermassen eingehende 
Behandlung des Themas ohne die Organisation 
der Grosslogen zu berühren, gar nicht denkbar, 
ja sind doch R. getrennt von den Gr.-L. eigent¬ 
lich gar nicht vorhanden. 

Repräsentant ist der Vertreter einer Tochter- 
löge bei der Gr.-L., unter der sie arbeitet; dass die 
Gr.-L. aber im Wesentlichen aus der Repräsen¬ 
tation gebildet und zusammengesetzt werden, 
werden wir später sehen. 

Ich werde mich in dem ersten, die deutschen 
Gr. LL. betreffenden Theile meiner Ausführungen 
thunlichst beschränken, um im zweiten die 
Repräsentantenverhältnisse unserer eigenen gel. 
Loge, sowie des hiesigen Orients überhaupt, einer 
kurzen Erörterung zu unterziehen. 

Der BegriflP Repräsentant bedeutet, wie 
schon bemerkt, im eigentlichen Sinne den Ver¬ 
treter und zwar den ,bevollmächtigten“ Vertreter 
der Tochterloge bei der Gr.-L. Die älteste Gr.-L. 
zu London bestand und wurde gebildet nach 
ihrer ursprünglichen reinen Verfassung aus dem 
Meister und den Vorstehern sämmtlicher ein- 
registrirten Logen, mit dem Gr.-Mstr, dessen 
Deputirten und den Gr.-Aufsehem an ihrer 
Spitze. 


Die Mehrheit jeder einzelnen versammelten 
Loge, hiess es in den alten Verordnungen, hat 
das Recht, ihrem Meister und ihren Vorstehern 
Instructionen zu ertheilen, wie sie bei den 
vierteljährlichen Versammlungen und der jährlichen 
Gr.-L. stimmen sollen; „denn der Mstr. und die 
Vorsteher sind ihre R. und haben deren An¬ 
sichten auszusprechen.“ 

Hieraus ergiebt sich zunächst, dass das, 
was man heute R. nennt, nach der ältesten und 
ursprünglichen Auffassung eigentlich nur die 
Stellvertreter derselben sind, ferner geht aber 
aus der Bestimmung klar hervor, dass die Gr.-L. 
nichts anderes sein soll und auch nichts anderes 
sein kann, als das Organ derGesammtheit der Logen. 

Ich betone das ganz absichtlich, weil viele 
Brr sich über das eigentliche Wesen einer Gr.-L. 
durchaus unklare Vorstellungen machen. 

Die so gegebene Verfassung für die erste 
Gr.-L., welche demnach nur aus den durch ihr 
Amt berufenen R. der Tochterlogen bestand, 
kann man als das Ideal einer Gr.-L. betrachten. 

Wieweit die älteren deutschen Gr.-LL. von 
diesem Ideale abgewichen sind, und wieweit ihm 
die jüngere wieder nahe zn kommen suchten, 
denke ich bald zu zeigen. 

Leider sollte es aber selbst der ersten Gr.-L. 
nicht lange mäglich sein, diese so zweckmässige 
Einrichtung voll aufrecht zu erhalten, die Gr.-L. 
von London, welche ursprünglich nur aus den 
Bauhütten in und um London bestand, gründete 
bald Logen im ganzen Lande. Damit war es 
unmöglich geworden, dass die berufenen Ver¬ 
treter regelmässig selbst zu den Gr.-L.-Versamm- 
luugen erschienen und man gestattete deshalb 
bald, „stellvertretende“ R. zu ernennen. Dass 
in der Folge auch noch alle gewesenen Gross- 
Beamten stimmberechtigte Mitglieder der Gr.-L. 
wurden und man somit immer mehr vom ur¬ 
sprünglichen idealen Zustande abwich, soll nur 
nebenbei erwähnt sein. 

Für die heutige Betrachtung interessirt uns 
ja weniger die weitere Entwicklung der Londoner 
Gr.-L., als vielmehr unsere deutschen R.-Ver¬ 
hältnisse; dass es auch bei uns in Deutschland 
ganz unvermeidbar ist, der R.-Frage näher zu 


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treten, ohne die Zusammensetzung der Gr.-L. 
zu erörtern, habe ich bereits oben gesagt. 

Dabei ist es von vornherein auffallend, 
dass, jemehr die deutschen Gr.-LL. von der 
reinen altenglischen Frmrei abgekommen sind, 
umsoweniger Bedeutung die R. für die Zu¬ 
sammensetzung und Regierung der Gr.-L. haben. 

Sehen wir uns jetzt die einzelnen Gr.-LL. 
etwas näher an: 

Allen voran steht die Grosse National- 
Mutterloge, gen. ,z. d. 3 Weltkugeln“ in Berlin, 
welche a) aus der grossen Mutterl. im „engem“ 
Sinne und b) dem Directorium besteht. — Die 
Gr. Mutterloge setzt sich zusammen aus ge¬ 
wählten Bm der höheren Grade der vier ver¬ 
einigten berliner Tochterl.; das Directorium bilden 
sieben active Bn*, gleichfalls aus der Mutterl. 
— Mitglieder der vereinigten berliner Tochterl., 
welche aber alle auf einer über den Mstrgrad 
hinausgehenden Ordensstufe stehen müssen, sind 
verbunden, bei erfolgter Wahl Repräsentaturen 
der Johannislogen zu übernehmen, und haben 
dann bei den Berathungen der Gr.-L (Mutterl.) 
Sitz und Stimme. 

Es ist also hiernach eine Vertretung der 
Joh.-Logen durch R. aus eigner Mitte hier nicht 
zugelassen, sondern eine solche nur möglich 
durch Mitglieder höherer Grade aus der engem 
Mutterl. Vermuthlich ist damit der Einfluss 
der Joh.-L. und der Joh.-Frmr überhaupt auf 
ein Minimum reduzirt, wenn nicht ganz aus¬ 
geschlossen. 

Die 3 W. begründen die Bestimmung, 
dass nur Brr höherer Grade zu R. ernannt 
werden dürfen, damit, dass sie sagen: 

„da es nötliig ist, dass ein Br, welcher 
bei der Gesetzgebung eine entscheidende 
Stimme haben will, in den höheren 
Ordenskenntnissen nicht fremd sei.“ 

In den Mitgliederverzeichnissen der unter 
dieser Gr.-L. arbeitenden Joh.-LL. ist der R. 
allemal als erstes Ehrenmitglied aufgeführt; 
es lässt sich wohl daraus schon ein Schluss 
ziehen auf sein Verhältniss zu der durch ihn 
vertretenen Loge, 


Das Verfassungsgesetz der Gr. L-L. der 
Frrar v. Deutschland besagt, dass die höchste 
Ordensbehörde aus Bm der drei höchsten Grade 
besteht, ohne deren Einwilligung die Gr. L-L. 
nichts bestimmen kann. Die Tochterl. sind be¬ 
kanntlich unter besondere Provinziall. gestellt, 
und letztere besitzen je einen R bei der Gr.-L., 
der zugleich die Stimmengebung für die einzelnen 
LL. in seiner Hand hat, es aber soviel wie mög¬ 
lich vermeiden soll, für die von ihm vertretene 
L. ohne die vorherige Einholung ihrer Meinung 
eine Stimme abzugeben. 

Die Tochterl. werden bei der hiernach un- 
gemein be.schränkten R. wohl ebensowenig einen 
Einfluss auf die Entschliessungen der Gr. LL. 
ausüben können, wie bei den 3 W. — üebrigeiis 
sind ja gerade die Verhältnisse der Gr. L-L. v. 
D. dem Balduin s. Z. nahe angegangen, wie ich 
später noch kurz erwähnen werde. 

Das oberste „Regierungscollegium“ der 
„Grossen Loge von Preussen gen. Royal Y'oi'k 
zur Freundschaft* besteht aus den Gr.-Be- 
amten, den R. der verbündeten Gr.-LL. und den 
R. der zu ihrem Verein gehörigen Provinzial- und 
unmittelbaren St. Joh -LL. und aus den Ehren¬ 
mitgliedern. 

Die mittelbaren Joh.-LL., also solche, welche 
unter einer Provinziall. stehen, haben ihre R. 
nur bei letzterer und diese hat einen R. bei 
der Gr.-L., welcher ähnlich wie bei der Gr. L-L. 
V. D. die Stimme für jede durch ihn vertretene 
Joh.-L. einzeln abgiebt, aber nur dann, wenn er 
Instructionen hat. 

Hier kommen also die R. wieder etwas 
mehr zur Geltung. 

Eine reiche Blüthenlese von R. ist es, welche 
in der Grossen Loge von Hamburg Sitz und 
Stimme haben. 

Ausser den Gr.-Beamten wird diese Gr.-L. 
gebildet: 

1. aus den R. der enger verbundenen aus¬ 
wärtigen Gr.-LL. 

2. den R. der Provinzialgrossmstr. 

3. den R. der Tochterlogen. 

4. den R. der Gr.-L. bei den auswärtigen 
Gr.-LL. 


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Ein schmerzlicher Verlust, dem wir bereits seit einiger Zeit mit Sorge 
entgegensahen, hat uns betroffen. 

Unser Sehr Ehrwürdiger und gel. Br. 

Friedrich Fuchs, 

Ehrenmeister und Archivar der Loge Balduin zur Linde 

ist am 12. ds. Mts. — als der Satz der ersten, noch von ihm redigirten Nummer 
der Zeitschrift „Am Reissbrete“ bereits fertig gestellt war — im fast vollendeten 
fünfundsiebzigsten Lebensjahre nach längerer Kränklichkeit in den e. O. ein¬ 
gegangen. Der Frmrei und unserer Loge seit mehr als drei Jahrzehnten an¬ 
gehörend, blieb Br. Fuchs, dessen schlicht einfachem, still gefestigtem Sinn 
jede Reformsucht fern lag, den hohen Zielen unseres Menschheitsbundes stets 
mit grösster Treue zugethan und strebte ihnen in Loge und Leben nach; liebe¬ 
volles Wesen im brüderlichen Verkehr und strengste Wahrhaftigkeit der Ge¬ 
sinnung zierten seinen Charakter. 

Als Inhaber der verschiedensten Logenämter, als langjähriger Vorsitzender 
des bei der Loge bestehenden wissenschaftlichen Engbjundes, als Verfasser der 
Logen-Geschichte, als Biograph Marbachs und anderer hervorragender früherer 
Stuhlmeister und Logenmitglieder, als Archivar, der die wichtigen Schriftstücke 
der Loge sorgfältig durchforschte und die Ergebnisse dieser Arbeiten in Folge 
seiner Begabung für historische Darstellung den Brüdern in anschaulichen 
Bildern aus der Vergangenheit vorfuhrte, hat er sich um unsere Loge hoch¬ 
verdient gemacht. Unsere Zeitschrift „Am Reissbrete“ verliert in ihm einen 
langjährigen Freund und Berather, welcher ihr schon zu Lebzeiten ihres unver¬ 
gesslichen Begründers mit regem Interesse nahestand, nach dessen Hinscheiden ihr 
Herausgeber wurde und sie seitdem ganz in Marbach'schem Geiste geleitet hat. 

Trauernd mussten wir den treuen Bruder aus unserer Kette scheiden sehen, 
aber unser Dankesgefiihl für sein unermüdliches maurerisches Wirken wird 
nicht erlöschen und sein Andenken lebt in unserer Aller Herzen. 

Leipzig, 15. Januar 1896. 

Die Loge Balduin zur Linde. 


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5. aus EhreDmitgliedern, zu welchen Brr 

Mstr aller LL. ernannt werden können. 

Abweichend von diesen älteren vier Gr. LL. 
zeigen die drei jüngeren und der reorganisirte 
„eklektische Bund“ eine wesentlich andere der 
frühesten Einrichtung nahekomraende Zusammen¬ 
setzung. 

Die Gr.-L. des Eklektischen Frmrbundes zu 
Frankfurt a M. bildet sich aus dem von sämmt- 
lichen Logen gewählten Grossmstr. und den R. 
der Logen. Jede Loge wählt drei R., doch 
steht es ihr frei, sich unmittelbar dui'ch den 
Mstr V. St. vertreten zu lassen. 

Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei 
der Gr.-L. .zur Eintracht“ in Darmstadt, wo 
jede Tochtevl. durch mindestens zwei R. ver¬ 
treten ist. Auch die Gross-Loge „zur Sonne“ 
in Bayreuth wird von einem Grossmstr., dessen 
Deputirten und den R. der einzelnen Logen zu¬ 
sammengesetzt. 

Eine nicht unwesentliche Abweichung von 
den Bestimmungen der andern Gr. LL. besteht 
darin, dass die Mitglieder der „Sonne“, also 
die R., durch Instructionen angeleitet, aber 
„nicht gebunden“ werden dürfen. 

Bei anderen, wie Frankfurt und Sachsen, 
ist dagegen extra gesagt, dass die „Vertreter“ 
sich genau nach den ertheilten Instructionen zu 
richten haben. 

Die Gr. L-L. von Sachsen besteht aus dem 
Grossbeamtenrath und den Vertretern (R.) der 
Bundeslogen. Dem Grossbeamtenrath liegt die 
Ausführung der gefassten Beschlüsse, sowie die 
Ausübung der Gerechtsame der Gr.-L. ob, wo¬ 
gegen die 

„gesetzgebende Gewalt allein der Ge¬ 
samtheit der Vertreter der Bundeslogen 

zusteht.“ 

Jede Bundesl. ernennt einen Vertreter und 
einen Mitvertreter, seither R. und Co.-R. ge¬ 
nannt, bei der Gr. L-L. 

Die Grossbeamten, Ehrenmitglieder und vor 
allem auch die vier obersten Beamten der 
Bundeslogen haben nur berathende Stimmen. 
Es ist also eine directe Vertretung selbst durch 
den Msti v. St. ausgeschlossen. 


Trotzdem ist aber doch dafür gesorgt, dass 
der Gesammtwille der Bundeslogen zur Geltung 
kommt, dadurch, dass die R. nach den erhaltenen 
Instructionen abstimmen müssen. 

Somit ist unter allen Gr.-LL. bei der von 
Sachsen die Bedeutung der R. am hervor- 
tretendsten und damit kommt auch diese Gr.-L. 
dem urspmnglichen Ideal am nächsten, aber auch 
die andern drei vorhergenannteu lassen in ihrer 
Zusammensetzung klar erkennen, dass sie mit 
unwesentlichen Abweichungen alle den Grund¬ 
gedanken verfolgen, und erfüllen, dass die 
Gr.-L. nichts anderes ist und sein soll, als 
das „Organ der Gesammthcit der Tochter¬ 
logen“. 

Für unsere R.-Betrachtung zerfallen die 
deutschen Gr.-LL. in drei Gruppen, von denen 
die vier letztgenannten die erste bilden; während 
eine Mittelgruppe aus der Hamburger und 
Royal-York besteht. 

Einen abweichenden und ganz exceptionellen 
Standpunkt nimmt die dritte Gruppe, 3 W. und 
G. LL. V. D. ein, welcher durch Entstehung 
und Tradition erklärlich wird. Das hier herr¬ 
schende Hochgradwesen dominirt, und die R., 
soweit solche überhaupt vorhanden, sind nahezu 
einflusslos. 

Meine verehrten Brr! Ich habe mich be¬ 
strebt, die R.-Verhältnisse der deutschen Gr.-LL. 
kurz zu schildern, dabei aber doch wohl Ihre 
Geduld schon zu lange missbraucht. Ich hoöe 
jedoch, dass aus meinen Ausführungen erkennt¬ 
lich war, wie schwer es sein würde, eine weiter¬ 
gehende Einigung, als solche heute besteht, unter 
den deutschen Gr.-LL. herbeizuführen. Immer¬ 
hin soll man aber dahingehende Hoflfnungen und 
Bestrebungen nicht aufgeben; nannte doch ein 
Schriftsteller, der mir übrigens eine wesentliche 
Grundlage gewesen ist, im Jahre 1863 eine 
Einrichtung, wie sie im jetzigen Grosslogentag 
vorhanden ist, etwas, was auf das innigste zu 
wünschen, aber unerreichbar sei. Nun, wir haben 
jetzt diese Vereinigung der Gr.-LL., wir haben 
auch den damals erstrebten Verein deutscher 
Frmr, wamm sollte nicht eine fernere Zeit wieder 
einmal eine günstigere Strömung bringen, welche 


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6 


auch die deutsche Frmrei zu einer national¬ 
einheitlicheren gestaltet. 

Tn einem anderen Sinne als dem bis hier¬ 
her festgehaltenen spricht man von R. und Re¬ 
präsentation in Bezug auf das Verhältniss der 
verschiedenen Gr. LL. untereinander. Es sind dies, 
ähnlich den diplomatischen Gesandten, bei den 
gegenseitig im R.-Verhältniss stehenden Gr.-LL. 
beauftragte Mitglieder derselben, welche die 
Correspondenzen und sonstigen Verkehr unter¬ 
einander vermitteln und Rechte wahren (Ham¬ 
burg) sollen. Sachsen nennt diese R. ,Gross¬ 
vertreter“. 

Wie wir früher gesehen haben, werden zwei 
Gr.-LL. und zwar die Hamburger und Royal York 
sogar mit aus den R. der verbündeten Gr.-LL. 
gebildet; entsprechend dem Gesetz der ersteren 
„haben die R. der mit ihr enger ver¬ 
bundenen, auswärtigen Gr.-L. zur Beför¬ 
derung und Befestigung eines engeren 
freundschaftlichen Verhältnisses bei allen 
Verhandlungen volles Stimmrecht.“ 

Es wird diese Gr.-L. beim Schalfen dieser 
Bestimmung bezw. Einrichtung ja sicher die 
beste maur. Absicht geleitet haben, aber nichts¬ 
destoweniger widerspricht sie doch dem Wesen 
der R.; was haben die R. der befreundeten 
Gr.-L. in einer anderen Gr.-L. mit zu be- 
schliessen! 

Alle jüngeren und reorganisirten deutschen 
Gr.-LL. sind denn auch, wie wir gesehen haben, 
gänzlich davon abgekommen, den „Bericht¬ 
erstattern“ irgend welches Stimmrecht zuzuge¬ 
stehen. 

R. im eigentlichen Sinne sind das also 
nicht und in richtiger Erkenntniss hat unser 
Balduin seine derartigen R., welche er bei den 
befreundeten Gr.-LL. von Hamburg, Frankfurt, 
Darmstadt und Dresden, sowie bei den uns 
nahestehenden unabhängigen LL. ernennt, auch 
in jüngster Zeit „Berichterstatter“ genannt. 

Es soll hier eingefügt sein, dass auch die 
Gr.-LL. von Frankfurt und Darmstadt die Be¬ 
zeichnung R. nicht mehr kennen, sondern nur 
noch von „Vertretern“ und „Berichterstattern“ 


in ihren Gesetzbüchern sprechen, andere LL., wie 
die Schwester-L. Minerva nennt letztere „Corre¬ 
spondenten“. Ebenso spricht auch die Gr.-L. 
V. Sachsen in ihrem neuesten Grundgesetz vom 
28. Nov. 1894 nur noch von „Vertretern“ resp. 
„Grossvertretern*, doch hindert dies nicht daran, 
dass, wie es auch bei uns Sitte ist, die alten 
R. im Sprachgebrauch immer noch beibehalten 
werden. 

Die Gr.-L. Royal York hat auch wieder R. 
bei den Provinziallogen, während die Gr.-L- zur 
Sonne in Bayreuth bei jeder einzelnen Bundes¬ 
loge deren ernennt und ihnen den Titel „Bundes¬ 
repräsentanten“ beilegt. Diese Einrichtung 
begegnet sehr wenig Sympathien und ist zu 
Zeiten heftig angegriffen worden und wie mir 
scheinen will, mit Recht. Dieser R. hat die 
Aufgabe, den Beamtensilzungen der T.-L beizu¬ 
wohnen, über alles wichtige an die Gr.-L. Be¬ 
richt zu erstatten und — „Abweichungen vom 
Gesetze zu melden“. 

Die letztere Bestimmung war es, welche 
öfters zu Missstimmungen Anlass gab. Ist man 
doch soweit gegangen, diesen R. mit einem 
Polizeiaufsichtsbeamten zu vergleichen. 

Das bisher Gesagte genügt wohl, um über 
die bei den Frmr-LL. vorhandenen R.-Verhältnisse 
einen Ueberblick zu gew’ähren, den Gegenstand 
erschöpfend behandeln zu wollen, lag gar nicht 
in der Absicht. Es wird aber andererseits gern 
zugegeben, dass hier und da ein kleiner In'thum 
untergelaufen sein könnte, während sich in allem 
wesentlichen die Darstellung mit den wirklichen 
Verhältnissen decken wird. 

Es sei nun noch gestattet, mit einigen 
Sätzen die R.-Verhältnisse beim Balduin, sowie 
im hiesigen Or. überhaupt zu erörtern. 

Aus der vom S. E. Br Fuchs verffissten 
Geschichte der L. Balduin z. L. ist leicht er¬ 
sichtlich und wohl auch jedem bekannt, dass 
die L. in der ersten Zeit, als sie unter der 
Gr. L-L. V. D. arbeitete, den Br v. Rothe in 
Berlin zu ihrem R. hatte. Wir alle wissen, 
dass das Verhältniss der Tochter zur Mutter 
nur selten ein ungetrübtes war; der Br v. Rothe 
wird deshalb wohl auch nicht viel Freude an 


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7 


seiner Stellung gehabt haben und dies mag der 
Anlass gewesen sein, dass er dieselbe bald nieder¬ 
legte. Man half sich dann damit, die Unter¬ 
handlungen bis zum Ende direct zu führen. 

Während der Zugehörigkeit des Balduin 
zum sächsischen Logenbunde 1815—1824 war 
Br Roch R. in Dresden. Es ist eine allseitig 
bekannte Thatsache, dass auch dieses Zusammen¬ 
gehen nie ein recht freudiges und ungetrübtes 
war. Die Verbindung trug von vornherein den 
Todeskeira in sich und wurde nach oft scharfer 
Auseinandersetzungen wieder gelöst. 

Br Roch hat treu in seiner Stelluiig als 
unser R. ausgehalten; lange hat er seine ver¬ 
mittelnden Dienste unserer L gewidmet, obgleich 
gerade er erfahren musste, dass damals die Re- 
präsentatur des Balduin mit einer Sinecure keine 
Aehnlichkeit hatte. Dafür gebührt ihm noch 
unser später Dank. 

Heute ist die L. B. z. L. unabhängig, sie 
arbeitet unter keiner Gr.-L., und deshalb kennen 
wir auch R, im eigentlichen, eingangs ausge- 
führtera Sinne nicht mehr. — Wie kommt es 
aber dann, dass der B. doch sogenannte R. bei 
der hiesigen Schw.-L. hat? Diese Frage ergiebt 
sich von stdbst und drängt zur Beantwortung. 

Nun, wenn es auch recht schwer sein wird, 
an den heutigen, hiesigen R., oder wie wir jetzt 
sagen „Vertretern“, den eigentlichen R.-Charakter 
noch zu erkennen, so ändert das nichts daran, 
dass der letztere ursprünglich doch vorhanden 
war oder wenigstens vorhanden sein sollte. Ist 
doch die Schaffung der ersten R. zwischen der 
Schw.-L. Minerva z. d. ‘3 P. und B. z. L. auf 
die beabsichtigte Gründung einer Gr.-L. zurück¬ 
zuführen. 

Trn Jahre 1812 traten die damaligen drei 
hiesigen LL. zu einer Besprechung und Beratung 
über Gründung einer Gr.-L. im hiesigen Or. zu¬ 
sammen. Die Verhandlungen zogen sich jedoch 
etwas in die Länge und geriethen schliesslich 
ins Stocken als die Minerva als „Stamm- und 
Mutterl. „den Anspruch der Suprematie über die 
beiden Schw.-L. erhob. — Apollo zog sich 
hierauf etwas verstimmt zurück und schloss 
sich der Gr.-L. von Sachsen an; die Brr Minervas 


näherten sich aber selbst bald wieder in br. 
Weise und verzichteten auf jede Suprematie. 

M. und B. setzten die Verhandlungen allein 
fort und brachten 1820 einen Vertrag zu stände, 
nach welchem beide Logen — »uni eine feste 
und treue Vereinigung unter sich zu begründen“, 
— einen Ausschuss unter dem Namen: „Ge- 
sammtrath der vereinigten Logen Minerva z. d. 
3 P. und Balduin z. Linde“ einsetzten. 

In den Protokollen der Schw.-L. Minerva 
ist hierüber folgendes zu finden: 

„Conferenz zwischen den Deputirten der 
Logen M. z. d. 3 P. und B. z. L. vom 
19. Dezbr. 1819. 

„Der s. ehrw. Mstr v. St. Br Mahlmann 
eröffnet die Sitzung und theilt mit, dass 
die L. M. z. d. 3 P. zu einem Separat¬ 
verein mit der L. B. z. L. geneigt und 
entschlossen sei. Man zeigte sich von 
beiden Seiten hierzu geneigt, und wünschte 
eine noch engere Vereinigung und be¬ 
gründete eine Maurerbehöidc unter dem 
Namen: 

Gesammtrath der L. M. z. d. 3 P. und 
B. z. L. in Leipzig. 

Dieselbe besteht aus 18 Mitgliedern und 
ernennt zu den allgemeinen Versammlungen 
und Conterenzen der Logen Repräsen¬ 
tanten aus seiner Mitte.“ 

In der zweiten Sitzung am 16. Febr. 1820 
wird festgesetzt, dass der R. in der L. einen 
ausgezeichneten Platz, den ersten in der Reihe 
rechter Hand, angewiesen erhalte, und jedesmal 
auf seine Gegenwart im Protokoll hingewiesen 
werde. 

Der § 11 des Vertrages lautet folgender- 
massen: 

„üeberdies sollen seiten jeder L. Brr 
Meister ernannt werden, welche ihre L. 
bei den öffentlichen Arbeiten der anderen 
repräsentiren. Sollten indessen auch 
zu den Conferenzen R. eingeladen werden, 
was lediglich von dem Gutbefinden der 
Logen abhängt, so können diese nur aus 
den Mitgliedern des Gesaramtrathes ent¬ 
nommen werden.“ 


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8 


Die Protokolle unserer Loge hierüber lagen 
mir nicht vor, doch sind dieselben hiermit 
sicher übereinstimmend, wenn nicht gleichlautend, 
wie aus Br. Fuchs Mittheilungen hervorgeht. 
Dass dieser Br den „Gesammtrath* aus 20 Mit¬ 
gliedern bestehen lässt, während vorstehendes 
Protokoll nur 18 Mitglieder bestimmt, schliesst 
eine wesentliche Abweichung nicht in sich. 

Von diesem Gesammtrathe hat man nicht 
viel mehr gehört, er scheint nicht lange bestanden 
zu haben; übrig geblieben sind aber von jener 
„engeren Vereinigung“ die R., welche heute 
noch von der Minerva beim Balduin und um¬ 
gekehrt w'eilen. 

Die historische Grundlage für das Repräsen- 
tationsverhältniss zwischen den zwei ältesten 
hiesigen LL., sowie der R. im hiesigen Or. über¬ 
haupt, ist damit gegeben. 

Mit der L. Apollo wurde auf Wunsch 
dieser L. das R.-Verhältniss vor einigen Jahren, 
zuerst von Minerva, dann von Balduin angebahnt, 
und in jüngster Zeit sind Apollo und B. auch 
mit dem jungen Phoenix durch R. in ein „engeres 
freundschaftliches Verhältniss“ getreten. 

Soviel über das „Herkommen“ der R. im 
hiesigen Or., damit dürfte der Gegenstand auch 
erschöpft und genügend klar gestellt sein. 
Denklich war es nicht ganz ohne Interesse für 
Sie, meine Brr. 

Uebrig bleibt nun vielleicht noch die Frage 
nach dem Zwecke der hiesigen R., da doch eine 
Gr.-L., bei der die Interessen der T. L. wahr¬ 
zunehmen wären, nicht vorhanden ist, nnd auch 
die Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten, 
die ja alle schriftlich besoigt werden, nicht in 
Betracht kommt. 

Eine bestimmte Antwort auf diese Frage 
ist mir nirgends zu Theil geworden, der verehrte 
Br Fuchs schreibt mir darauf: „Die Thätigkeit 
eines R. (hier) kennen Sie ja aus eigner Er¬ 
fahrung“. Ich muss dazu bemerken, dass mir 
als Thätigkeit der Brr R. immer nur deren 
beschauliche Tbeilnahme an den Arbeiten der 
besuchten Bauhütte erschienen ist. 

Unser Gesetzbuch sagt über diesen Punkt 


nur: „Das Beamtencollegium ertheilt den R. 
die Instruction“. 

Es dürfte aber schon einige Zeit her sein, 
als diese Instruction bei uns zum letzten Male 
ertheilt worden ist, und soviel ich habe in Er¬ 
fahrung bringen können, geben auch die gel. 
Schw. L. besondere Instructionen den BrrR. nicht. 

Es erscheint aber auch erlässlich , dies zu 
thun, ist doch der nächste Zweck der R, im 
hies. Ori ein so naheliegender und selbstverständ¬ 
licher, dass er kaum erörtert zu werden braucht. 
Er ist: 

„die Aufrechterhaltung und Förderung der 
br und maur. Beziehungen der LL. unter 
und zu einander“. 

In etwas abgeänderter Hamburger Fassung 
könnte man den Zweck unserer R. auch so zum 
Ausdruck bringen: 

„die R. haben die Aufgabe, dazu bei¬ 
zutragen , ein engeres freundschaftliches 
Verhältniss unter den liegen im hiesigen 
Or. zu befördern und „zu befestigen“. 

Ueber einen weiteren Zweck unserer R., 
der der sein könnte, einen geistig regeren Ver¬ 
kehr unter den LL. gegenseitig herzustellen, so 
dass eine L. von den Arbeiten der anderen 
directen Nutzen haben könnte, liess sich noch 
so manches sagen, doch gehört dies nicht mehr 
in den Rahmen meines Vortrages, den ich damit 
schliesse, dass ich wünsche, die R. aller Arten 
und Benennungen möchten allezeit vom Geiste 
achter Brliebe ei füllt sein, damit sie, die ein 
wichtiges Glied in der maur. Organisation bilden, 
im Sinne der k. K., zu Nutzen und Frommen 
der durch sie vertretenen Logen und zum Segen 
der Frmrei überhaupt wirken. 

Siiinspruch von Br W. Grallert. 

Widriges giebt es gar viel auf der Welt, 

Doch ist es nun einmal nicht anders bestellt. 
Das Beste ist darum, sich willig drein fügen. 
Denn sonst wirst du nimmer dir selber genügen. 
Und immer den Kopf hübsch oben gehalten, 

Da wird sich*s auch schon verträglich gestalten. 


Druck «ud Verlag von Br 1'. runo Zechol in Leipzig. 

Hierzu eine Beilage, das Hinscheiden des Br J. F. Fuchs betr. 


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23. Jahrgang. 
No. 2. 


Am Eeissbrette.[E^“ 


Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen 
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu 
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum 

Rautenkranz in Hildburghausen. 

Für Brr Freimaurer-Meister. 


Begründet von Br Marbach. Fortgeführt von Br Fuchs. 
Schriftleiter: Br Dr. A. Gündel, Leipzig-Reudnitz. 

Das Blatt wird vorzugsweise Beitrilgo bringen, die in den Logonversainnilungen eines der drei Grade 
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für 
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden 
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich ziigeschickt. Einzelne Brr Meister, welche als 
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 3 Mark abonniren 
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf¬ 
genommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebiihr von 
25 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile. 

Inhiilt: Bedeatang und Symbol des Meiatergradet. — Philipp Samuel Rosa und das nach ihm benannte 
Kapitel. — Was Vernunft und Her/, uns lehren. — Anaeige. 


8bPiu. u. gel. 

Noch ist die Kl^e über den Tod des unvergesslichen Br Marbach, des Begründers 
dieses Blattes nicht verstummt, noch hat das Herz nicht so recht die jüngste Trauerkunde 
verstehen wollen, die uns das Abscheiden des treuverdienten Br Fuchs, des zweiten 
Herau.sgebers, meldete, da tritt schon an die fünf unabhängigen Logen die ernste Pflicht 
heran, einen Nachfolger zu be.stimmcn, der das Werk der Vorgänger unverzüglich und 
in deren Sinne und Geiste aufnehme und weiterführc. 

Durch das Vertrauen der gel. Brr meiner Bauhütte „Balduin zur Linde“ und im Ein¬ 
verständnis mit den übrigen vier unabhängigen Logen bin ich dazu berufen worden. Aber 
so sehr ich mich auf der einen Seite dadurch geehrt und der Brüderschaft zu Danke ver¬ 
pflichtet fühle, so sehr empfinde ich auf der andern die ganze Schwäche meines maur. 
Wissens und Könnens. Nur die feste Zuversicht auf die teilweise schon zugesagte Unter¬ 
stützung durch ältere und erfahrnere Brr, sowie die Hoffnung auf die liebevolle Nachsicht 
und Geduld der gel. Brr Leser lassen mich an die schwere Aufgabe mit Freuden gehen 
und an dieser Stelle das Versprechen ablegen, nach bestem Wissen und Gewissen des mir 
anvertraiiten Amtes warten zu wollen. 

Nach wie vor soll das Blatt ganz spcciell der Meisterschaft unserer k. K. ge¬ 
widmet sein und daher namentlich Arbeiten des 2. und 3. Grades aus den gor. und vollk. 
Frmrlogen bringen. Aus dem unversiegbaren Borne maur. Ethik und Geschichte schöpfend, 
soll es der Erbauung und Belehrung dienen und entsprechende Vorträge, Reden und An- 
.sprachen aus den einzelnen Logen, Plngbundsitzungen und dergl. einem weiteren Bruder- 
kreisc zugänglich machen. Auf der Vergangenheit und Gegenwart fassend und die Zukunft 
ins Auge fassend, möge es, ohne einseitig polemische Tendenzen zu verfolgen, Neues im 
Lichte des Alten zu prüfen, Gutes zu erhalten und Unzulängliches zu wandeln suchen und 
dadurch an seinem bescheidenen Teile zur P>kenntnis und Erfa.ssung des innersten Wesens 
der Frmrei mit beitragen. 

Mit brüderl. Grusse i. d. u. h. Z. 

Leipzig, im P'ebruar 1896. 

Br A. Gündel. 


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10 


Bedeatang nnd Symbol des Meister¬ 
grades. 

Ansprache von Br Dr. Wittstock, Mstr v. St. der 

Loge Balduin zur Linde in Leipzig. 

Es ist ein bedeutsamer Schritt im Leben 
des Frmrs, wenn er zum Mstr befördert wird 
Fortan wird er keine Wandrung mehr vornehmen, 
mit dem letzten entscheidenden Schlitte über 
Sarg und Grab ist die Wandrung vollendet, das 
Ziel erreicht, die letzte und höchste Stufe er¬ 
langt. Es giebt allerdings Logen, welche noch 
höhre Grade haben, aber selbst in diesen wird 
doch immer der Meistergrad für einen wichtigen 
Wendepunkt, gleichsam für einen selbstverständ¬ 
lichen bestimmten Abschluss gehalten ; nicht 
jeder Frmr tritt in die Hochgrade ein, aber der 
Meistergrad ist für jeden Mr, und wie schon 
im profanen Leben jeder Mensch vernünftiger 
Weise in dem Fache, welches er ergriffen, nicht 
ein Anfänger bleiben möchte, sondern nach 
immer grösserer Vervollkommnung strebt, so 
hegt auch jeder Frmr, der die Arbeit am rohen 
Stein begonnen, den Wunsch, nicht auf halbem 
Wege stehen zu bleiben, sondern Gesell und 
Mstr zu werden. Wir sagen es uns ja so oft, 
wie schwierig diese Aufgabe ist, wie wir als 
Kinder der Unvollkommenheit auch als Mstr 
immer noch Lehrlinge bleiben und wieviel über¬ 
haupt dazu gehört, wenn wir wirklich Mstr werden 
wollen. Mstr werden wollen! jedes dieser drei 
Wörter hat einen tiefen Gehalt. Ein Mstr ist, 
wer Tüchtiges will und Treffliches schafft, wer 
in dem Gebiete, welchem er sich ergeben. Vol¬ 
lendetes und Mustergültiges, das erreichbar 
Höchste leistet, wer die Idee, welcher er dient 
in ausdauernder formensichrer Arbeit zu vollen¬ 
deten Gebilden zu gestalten weiss. Wie der 
Mstr durch die still wirkende Kraft des Vor¬ 
bildes die Gesellen und Lehrlinge beherrscht, so 
sollen auch die Jünger der Kunst und der 
Lebensweisheit im Anschauen des Meisterwerkes 
sich zu gleicher That begeistert fühlen. Sind 
auch alle Ziele, die der Mensch, doch eben nur 
ein Sohn der Erde, sich stellt, an die Bedingungen 
der Endlichkeit gewiesen, so zeigt sich doch 


der Mstr gerade darin, dass er die Idee, die in 
der Seele ihm leuchtet, geduldig in die realen 
Verhältnisse hinarbeitet und nach den Be¬ 
dingungen des wirklichen Liebens formt und 
bildet, dass er die Gesetze, die allgemein gütigen 
wie die jedem irdischen Sein eigenthümlicben, 
welche die Entwicklung auch seines Werkes 
durchwalten und bestimmen, zu erkennen sucht 
und in Demut und Treue beobachtet, ohne auf 
die Stimme der Welt zu achten, wie lockend 
sie in die Werkstatt hineinklingen möge, das 
Auge nur auf das Kleinod gerichtet, um das er 
wirbt. Und wenn wdr so nach der Meisterschaft 
redlich ringen, so können wir auch den Idealen 
der Kunst und des Lebens näher kommen und 
endlich Meister werden. Dass wir werden, was 
wir werden wollen, hängt von dem Gehalte 
unsers Wollens ab. Wollen ist kein uniiihiges 
Trachten, keine flüchtige Velleität, in plötzlicher 
Lohe hervorbrechend und moigen zusammen¬ 
sinkend in der eignen Asche, heute begeistert 
für die tiefen, deulungsvollen Lehren der königl. 
Kunst und dann nachlasseiid und gleichgültig 
dagegen werdend; nein, das Wollen des Mannes 
ist ohne Wandel und ohne Wechsel, von der 
gleichmässigen Energie des Charakters getragen, 
von Hindernissen nicht gelähmt, aus der selbst¬ 
gewissen Persönlichkeit entspringend, stets seines 
Resultates sicher. Mstr werden wollen! Ist 
dieser Entschluss unsers Wollens ein fester, in 
treuer Arbeit ausdauernder, so ist auch die Hoff¬ 
nung des Werdens eine sichere. 

Die Meisterbeförderung, sagte ich eingangs, 
ist ein bedeutsamer Augenblick in der Laufbahn 
des Frmrs, aber sie ist auch ein ernster Augen¬ 
blick. Schon die äussere Ausstattung der Loge, 
wie das ganze Ritual des Meistergrades ist auf 
eine ernste Stimmung berechnet. Das Charakte¬ 
ristische hierbei ist der Gedanke des Todes. 
Während wir als Lehrlinge in das Leben ge¬ 
leitet wurden, als Gesellen durch das Leben 
wandelten, wird uns in der Meisterloge gleich¬ 
sam der Weg aus dem Leben gezeigt. Finster¬ 
niss ist um uns her, düstere Bilder umgeben 
uns, wir wandeln im Thale des Todes an Ge¬ 
rippen vorüber, vor jedem steht ein Bild dessen, 


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11 


was er selbst weiden muss, und wenn wir uns 
umwenden, sehen wir unsern eignen Sarg. Das 
also wäre das Ziel der frmrischen Wanderung? 
Nachdem man uns als Lehrlinge aus der dunklen 
Kammer des Lebens an die Pforte geführt, wo 
den Suchenden des Lichtes die Binde von den 
Augen fiel, nachdem wir im Gesellengrade in 
den Spiegel der Selbsterkenntnis geschaut, führt 
man uns im letzten Grade wieder in eine dunkle 
Kammer, in die dunkle Kammer des Grabes. So 
sind wir also immer die Suchenden geblieben und 
was hat der Suchende endlieh gefunden? sein 
Grab. Ja, meine Bn*, das ist der Weg aller Welt. 
Der Meistergrad richtet an uns das Wort: Herr, 
lehre mich, dass es ein Ende mit mir haben 
muss und mein Leben ein Ziel hat und ich da¬ 
von muss. — So lange die Erde steht und 
hoffende Jünglinge und wirkende Männer und 
entblätterte Greise schaut, hat keiner gelebt, der 
nicht der dunklen Nacht der Verwesung ent¬ 
gegenschritt. Natur und Geschichte und unser 
eingnes Leben predigen uns täglich und aller 
Orten von der Vergänglichkeit des Irdischen. 
Wie rasch eilt der kurze Frühling des Jahres 
vorüber, und wenn der Sommer die Früchte ge¬ 
reift, der Herbst sie eingesammelt, hüllt lange 
Monate das Leichentnch des Winters die Fluren 
wieder ein. Und wenn wir weite Reisen machen, 
tritt nicht überall der Fuss des Wandrers auf 
Gräber, mahnen nicht überall Ruinen und Trümmer 
an die Asche entschwundener Geschlechter und 
Völker und ihre verklungene Grösse? Die Welt 
ist ein weiter Gottesacker mit verwitterten 
Kreuzen, zerbrochnen Monumenten und einge¬ 
sunkenen Gräbern. Und wir selbst, in dieses 
gemeinsame Loos des irdischen verflochten, sind 
wir mehr als der Schatten der Wolke, der über 
die Wiese fährt, mehr als die eilende Woge, 
die kaum zum Berge emporgehoben, in die Tiefe 
des Meeres hinabsinkt. Wer von uns, meine 
Bn*, hat nicht schon in seiner Familie an einem 
Sarge gestanden, vielleicht schon in der Jugend 
am Sarge des Vaters oder der Mutter, und das 
verwaiste Kind der Wittwe empfand jammernd 
und wehklagend die Schauer des Todes. Oder 
ein andrer sah erschüttert, mit thränenfeuchtem 


Auge die teure Leiche eines lieben Kindes im 
blassen Schmucke des Sarges vor sich liegen 
und es war ihm, als würde ein Stück seines 
eignen Lebens mit in die Gruft gesenkt. Ach, 
mitten ini Frühlingswehen hat die kalte Hand 
des Todes die Blüte gebrochen. Und wer 
birgt uns dafür, dass der Keim des Todes, der 
in uns allen schlummert, nicht seine Früchte 
trägt, ehe das Jahr, das kaum begonnen, zu 
seinem Ende sich neigt? 

Aber, meine 1. Brr, wenn die Meisterlogc 
durch den Blick in das offene Grab uns vor die 
Seele führt, dass wir alle mitten im Leben vom 
Tod umfangen sind, so ist jedoch damit das 
Symbol des Meistergrados noch nicht erschöpft. 
Denn, wie der Frmr gewohnt ist, überall in 
Natur und Leben die Gleichnisse göttlicher Ge¬ 
danken und ewiger Wahrheiten zu schauen, so 
sind auch die Bilder dieses Grades nur Formen 
die aus dem nächtlichen Dunkel zum Lichte sich 
hervorarbeiten, mit ahnungsreicben Knospen er¬ 
füllt und Gelübde und zugleich Hoffnungen in 
sich tragend. Sind wir nicht durch die fünf 
Punkte der Meisterschaft aus dem Grabe er¬ 
hoben worden und also wieder auferstanden? 
Hafien wir nicht sterben gelernt, um zu erwachen, 
zu erwachen zu einem neuen Leben? Wir wurden 
Hirams lebendiger Sohn, sein Nachfolger. Unser 
Hoffnungen und unsere Aussichten deutet diese 
symbolische Handlung an. Statt des Erschlagenen 
wird ein Lebender aufgehoben. Es wäre ein 
trübselig Ding um das Leben des Menschen auf 
dieser Erde, wenn der Sarg, um den wir standen, 
nichts andres zu uns gesprochen hätte, als das 
schauerliche Wort von der Vernichtung alles 
Lebendigen, wenn die Verwesung des Grabes 
uns nicht zugleich hinwiese auf das, was un¬ 
vergänglich und unverweslich ist, wenn der Ge¬ 
danke des Todes nicht gerade durch seine düsteren 
Schrecken uns mahnte, nach dem, was bleibend 
und was ewig ist zu trachten. Ist es doch eine 
ebenso köstliche wie trostreiche Wahrheit, dass 
wir schon inmitten dieser Zeitlichkeit, schon 
unter den Strahlen der irdischen Sonne das 
ewige Leben ergreifen können? Denn wer in 
allem, was er thut und leidet, die Gedanken 


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12 


und die Aufgaben des allmächtigen B. a. W. zu 
erkennen und zu lösen trachtet, wer in seinen 
Werken nicht sich und seine Ehre sucht, sondern 
dass er das Reich Gottes auf Erden baue, wer 
auch die irdischen Güter schuldlos und rein 
geniesst, der hat schon hienieden im Glauben 
das Leben begonnen, dessen er in Ewigkeit sich 
freuen wird, der ist ein Kind Gottes, in ihm 
lebt Gott, er lebt im Sohne, das Göttliche in 
ihm ist lebendig, wenn auch das Irdische dahin 
sinkt, wenn die Haut das Fleisch und das Fleisch 
das Bein verlässt. Wir wissen, der Herr wird 
uns aufrichten, und mit dieser Gewissheit sind 
wir über alle Schrecken des Todes hinaus. Wir 
haben im Meistergrade sterben gelernt. Die 
Schrecken des Todes sind überwunden, wir 
haben gelernt, ihm fest ins Angesicht zu 
schauen und 

Wer dem Tod ins Angesicht schauen kann, 
Der allein ist ein freier Mann. 

Das ist das Meisterstück des Lebens und 
so wollen wir denn, meine 1. Brr, in der Freiheit 
der Kinder Gottes getrost unsern Weg durch 
das Erdenleben weitergehen und immer nach 
den Meistertugenden ringen, nach Reinheit des 
Herzens, Wahrheit in Worten, unermüdetem 
Eifer im Streben nach Guten), Grösse der Seele, 
bis der grosse Weltenmeister, der die Menschen 
lasset sterben und spricht^: „ Kommt wieder 
Menschenkinder“ uns den Weg in die ewigen 
Hütten weist, um die höchste Meisterschaft zu 
empfangen, die Weihe der ewigen Heimat, die 
des Mrs sinnige Sprache den ewigen Osten nennt. 

Aus dem Engbund. 

Philipp Samuel Rosa und das nach 
ihm benannte Kapitel. 

Von Br F. Fuchs f- 

Als ich, meine Brr, vor einiger Zeit über 
Bahrdt und die Deutsche Union der XXII be¬ 
richtete, wurde der Wunsch laut, ähnliche Vor¬ 
träge über die Stifter und Verbreiter von maur. 
Hochgradsystemen etc. zu hören; man meinte, die 
Brr erhielten in dem Wirrwarr der Geschichte 


des Hochgradwes^^ns im vorigen Jahrhundert am 
ersten ein klares Bild, wenn dieselbe an einzelne 
Persönlichkeiten geknüpft iwürde. Es wurden 
u. a. Schubart von Kleefeld, Stark, Johnson, 
Rosa genannt. Ich kann der angeführten An¬ 
sicht nur beistimmen, habe auch früher bereits 
an von Hund die Geschichte der strikten Ob¬ 
servanz an ge knüpft. 

Für meinen heutigen ^Vortrag habe ich Rosa 
und das nach ihm benannte Kapitel gewählt 
darum, weil derselbe seine Thätigkeit hauptsäch¬ 
lich in unserer Nachbarstadt Halle trieb. 

Philipp Samuel Rosa stammte aus dem 
früheren Fürstentum Isenburg, im heutigen Hessen 
gelegen, llber sein Geburtsjahr, seine Kindheit 
und Studienzeit sind keine Nachrichten vorhan¬ 
den. Dass er sich der Theologie gewidmet hatte, 
geht daraus hervor, dass er 1737 als Konsisto- 
rialrat, Superintendent und Oberpfarrer zu St. Jakob 
in Köthen eingeführt wurde. Vorher scheint er 
ein geistliches Amt in Wittgenstein bekleidet zu 
haben, denn hier wurde sein ältester Sohn ge¬ 
boren, der später in Halle Medizin studierte und 
sich als Arzt in Danzig niederliess. 

Unser Rosa wird als liebenswürdig und 
gewandt im Umgänge geschildert, er war ein 
guter Gesellschafter und erwarb sich leicht die 
Zuneigung seiner Umgebung. Auch fehlte es 
ihm nicht an wissenschaftlicher Bildung, davon 
zeugt schon, dass man ihm ein so wichtiges 
geistliches Amt anvertraute. Aber nicht lange 
blieb er in demselben. Wegen seines höchst 
anstössigen Umgangs mit einer Witwe Hankwitz 
wurde er, der selbst Frau und Kinder hatte, 
schon in seinem ersten Amtsjahre in Köthen 
suspendiert. Seine Familie liess er in Köthen 
zurück, er selbst aber begann ein Vagabunden¬ 
leben, bei welchem er die Sucht seiner Zeit¬ 
genossen nach geheimen Wissenschaften und 
Künsten schlau zu benutzen und auszubeuten 
verstand. Als diis fruchtbarste Feld dafür sah 
er die damalige Frmrei mit ihren vielen Ver¬ 
irrungen an, die er noch zu vermehren und für 
seine Zwecke geschickt zu benutzen verstand. 
Er liess sich in die Loge Zu dei^ drei Welt¬ 
kugeln in Berlin aufnehmen — wann, lässt sich 


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13 


nicht nachweisen, es scheint nach einem Briefe 
von ihm 1742 gewesen zu sein. Jedenfalls 
kannte man dort sein Vorleben nicht, sonst würde 
man wohl difficiler bei seiner Aufnahme gewesen 
sein. Er nahm seinen Aufenthalt in Halle und 
erlangte hier als Mitglied der Berliner Loge in 
der zu Halle 1743 errichteten Loge Zu den 
drei goldenen Schlüsseln leicht Eintritt und Auf¬ 
nahme. — (Beiläufig bemerkt, vereinigte sich 
diese Loge mit der 1765 nach dem System der 
strikten Observanz konstituierten, noch jetzt be¬ 
stehenden Ijoge Zu den drei Degen, die darum 
ihr Logenaltcr von 1743 an rechnet und so im 
Jahre 1893 das 150 jährige Bestehen feiern 
konnte.) — 

Rosa machte sich aber hier bald sehr miss¬ 
liebig; seinen liederlichen Lebenswandel setzte 
er fort; die gotteslästerlichen Reden des ehe¬ 
maligen Theolögen, die lügenhaften Ausplaude¬ 
reien der Logenverhandlungen, die prahlerischen 
Anmassungen — er wollte eben als eine Grösse 
anerkannt sein — überstiegen alle Grenzen und 
die Brr wussten nicht, wie sie den schlimmen 
Br abschütteln sollten. Die Loge wendete sich 
nach Berlin, Bi'aunschweig und Hamburg wegen 
der Exklusion eines ganz unwürdigen Brs. Ara 
9. August 1745 wurde über seine Ausschliessung 
abgestimmt und — wie es im Protokoll heisst 

— „sein Angedenken aus unserer gerechten 
Vei*8ammlung und bei allen Frmrn vertilgt“. — 
Doch scheint es mit dieser „Vertilgung“ nicht 
weit her gewesen zu sein, denn schon 1746 
hatte er wieder Eingang in Braunschweig ge- 
lünden; dort hatte er schriftlich viel Nachteiliges 
über die Hallische Loge mitgeteilt — vielleicht 
manches Wahre, aber noch viel mehr Unwahres 

— die Hallenser fanden es nämlich für nötig, 
sich ausführlich zu rechtfertigen. Auch soll 
Rosa in Halle eine Winkelloge errichtet und 
namentlich Studenten in derselben aufgenommen 
haben. In den nächsten Jahren ist über seinen 
Aufenthalt und sein Treiben wenig bekannt ge¬ 
worden. 1754 soll er in Potsdam gewesen sein; 
hier hatte er den Geheimen Kämmerer Fredersdorf 
für sein neues Verfahren, aus Samenstaub Gold 
zu machen, gewonnen. Als dieser aber zu den 


abenteuerlichen Versuchen kein Geld mehr her¬ 
geben wollte, musste Rosa Schulden halber 
Potsdam verlassen. — 

Da bot sich ihm eine neue ergiebige Er¬ 
werbsquelle in der Verbreitung der Clermont- 
schen Hochgrade dar. ln einer Vorstadt von 
Paris hatte der Chevalier de Bonneville den 
24. November 1754 ein Kapitel von Hochgradon 
gegründet. Seinen Namen hatte er von dem 
College de Clermont, einem Jesuitenkloster in 
Paris, von wo aus die Unternehmungen der 
englischen Kronprätendenten aus dem Hause 
Stuart Unterstützung gefunden hatten. In Frank¬ 
reich machte dieses Kapitel, welches vier Grade 
über den drei Mrgraden hatte, keine grossen 
Geschäfte: es wurde bald von andern, noch viel 
mehr Grade zählenden Systemen — namentlich 
den Rittern von Osten und Westen — verdrängt. 
Durch einen französischen Kriegsgefangenen Mar¬ 
quis de Lernais wurde er nach Berlin gebracht. 
Dort gewann er den Baron von Printzen, eine 
Reihe von Jahren Grossmstr der Loge Zu den 
3 Weltkugeln, für das Clermontsche System und 
führte es mit dessen Hilfe in dieser Loge ein. 

Printzen sah in Rosa eine geeignete Per¬ 
son, im Aufträge dieses Hochkapitels und der 
Berliner Gr.-L. die Städte Norddeutschlands zu 
bereisen, deren Logen unterwüi*fig zu machen 
und neue Kapitel der Hochgrade bei ihnen zu 
errichten. Rosa baute und beutete das neue 
System, das man Ordo equester hierosolymitiinus, 
Ritter von Jerusalem, nannte, aus, und er selber 
wurde als Legat dieses Kapitels bevollmächtigt. 

■Rosa teilte die Maximen und Regeln des 
hohen Ordens als ein Heiligtum und streng zu 
verschweigendes Geheimnis mit in einem in la¬ 
teinischer Sprache abgefassten Buche, das voll¬ 
ständige Kenntnis von allen sieben Graden gab. 

Wie schon bemerkt, hatte das System, in 
Deutschland Rosaisches System oder Kapitel ge¬ 
nannt, über den drei Johannisgraden vier Hoch¬ 
grade. Der erste war der sogenannte Schotten- 
grad. Er gründet sich auf folgende Überliefe¬ 
rung: Nach dem Tode Hiram Abifs forderte 
Salomo, um seinem Freunde die gebührende Ehre 
zu erweisen, den Grossinspektor Adoniram auf. 


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14 


Anstalten zu seinem Begräbniss zu machen. 
Dieser errichtete ein prächtiges Grab mit einem 
Obelisken von weissem und schwarzem Marmor. 
Der Eingang zu dem Grabe war zwischen zwei 
Säulen, die einen von drei Kreisen umgebenen 
viereckigen Stein mit dem Buchstaben J tmgen. 
Das Herz des Geschiedenen wurde in eine goldene 
Urne gelegt und auf die Spitze des Obelisken 
gestellt. Drei Tage nach dem Begräbnis be¬ 
suchte Salomo das Grab und verrichtete daselbst 
in Gegenwart der Bit ein Gebet, worauf er, 
Augen und Hände zum Himmel erhoben, aus¬ 
rief: „Es ist vollendet!“ Die Mitglieder dieses 
Grades hatten sich mit philosophischen und 
chemischen Wissenschaften zu beschäftigen. 

Der zweite Hochgrad dieses Systems war 
der maitre 41u oder der Auserwählte. In 
diesem Grade ist die Loge ein Zimmer in Salo¬ 
mos Palast; der Vorsitzende, magister prior ge¬ 
nannt, sitzt auf dem Salomonischen Thron und 
hat ein Zepter in der Hand. Die Glieder dieses 
Grades haben sich mit höheren himmlischen 
Wissenschaften zu beschäftigen: Astronomie 
Astrologie, Geometrie etc. Nach der Ordenssage 
sind neun schottische Ritter unter Anführung 
eines Unbekannten von Salomo ausgeschickt, 
einen der Mörder Hirams, dessen Aufenthalt 
jener wusste, aufzusuchen und wo möglich le¬ 
bendig gefangen zu nehmen. Einer der Suchen¬ 
den findet ihn in einer Höhle, tödtet ihn mit 
dessen eigenem Dolche und bringt den Kopf 
dem Könige. Ihm wird die Übereilung ver¬ 
ziehen. Diese Geschichte muss der Aspirant aus¬ 
führen, daher ist das Erkennungswort necum (?): 
Rache. —r Die Mitglieder dieses Grades sollen 
in den Kreuzzügen Wunder der Tapferkeit ge- 
than haben, besonders in Beschützung der Pilger 
und sollen dafür die Würde der Adlerritter 
bekommen haben. 

Im dritten Grad, dem capitulum illustre 
hatte der Aspirant an einem der Mörder Hirams, 
der längst tot in einem gemauerten Gefängnis 
in Verwesung lag, Rache zu nehmen, ihm 
den Kopf abzuschneiden und den Leib in vier 
Theile zu zerlegen. Diese Ritter sollen als 
Ritter des heiligen Grabes in alten Zeiten 


besonders Christi Grab zu bewachen gehabt 
haben. 

Der vierte Grad endlich, das capitulum 
sublime, nennt den Ritter den Ritter Gottes, 
und er geniesst als erhabenster verklärter Meister 
den Lohn für seines Lebens Ai'beit und Tugend. 
Seine Beschäftigung ist die Metaphysik, ein 
Zweig der Philosophie, der über das Irdische 
hinausgeht. 

Solche Kapitel hat nun Rosa auch in ver¬ 
schiedenen Orten, wie in Jena, Magdeburg, Bay¬ 
reuth, Braunschweig, Hamburg, Halle und auch 
bei unserer Schwesterloge Minerva in Leipzig 
erlichtet. Wie lange letzteres bestanden hat, 
ist mir nicht bekannt — doch jedenfalls nur 
kurze Zeit, da überhaupt das System Rosas sehr 
bald von dem Hundschen System der strikten 
Observanz verdrängt wurde. 

Seine Thätigkeit führte Rosa auch nach 
Halle, wo er von 1759 —1765 seinen festen 
Wohnsitz genommen zu haben scheint. Hier 
war 1756 wieder eine neue Loge Philadelphia 
oder Zu den drei goldenen Armen entstanden, 
die vorzugsweise aus jüngeren, dem Gelehrten¬ 
stande angehörigen Mitgliedern bestand. In dieser 
Loge erscheint Rosa am 17. September 1759 
als besuchender Br, bereits am 1, Oktober wurde 
er als ordentliches Mitglied aufgenommen und 
wusste durch sein einnehmendes Wesen die Brr 
so zu gewinnen, dass er als deputierter Mstr 
die Leitung der Loge in die Hand nehmen und 
deren Arbeiten in seinem Hause abhalten durfte. 
Ehe er 1760 noch förmlich gewählt war, ge- 
rierte er sich bereits als Mstr v. St. Es ist 
anzuerkennen, dass er in diesem Amte für Ord¬ 
nung gesorgt hat: die Versammlungen wurden 
regelmässig gehalten, pünktlich begonnen und 
angemessene Vorträge gehalten, so dass die 
Logen immer zahlreich besucht waren. Aber 
seine Stellung zu den Kapiteln der Hochgrade 
brachte ihn nicht nur mit der eigenen Loge, 
sondern auch in Sachen der Hochgrade selbst 
in Verwirrungen und Unannehmlichkeiten. 

Im Jahre 1763 trat unter vielen hohen 
Titeln, wie Friedrich, Ritter vom grossen Löwen, 
Grossprior des hohen Ordens der Tempelherren 


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zu Jerusalem, Senior des hohen Rates etc, ein 
unverschämter Betrüger auf; er führte den Na¬ 
men Johnson, auch I^eucht und Becker und soll 
ein Jude gewesen sein. Er gab sich für einen 
Abgesandten der geheimen Obern des wahren 
Tempelherrenordens aus, der den Auftrag habe, 
diesen Orden in Deutschland zu erneueni. Er 
enichtete und erneuei*te die Hochkapitel, nahm 
Novizen und Ritter auf, schrieb an alle Kapitel 
und Logen von Deutschland, meldete ihnen seinen 
Auftrag und forderte auf, Deputierte und hoch¬ 
gestellte Beamte zur Belehrung und Unterweisung 
nach Jena zu schicken Dort trieb er damals 
sein Wesen. Als Bedingung hatte er gestellt, 
alle von andern Kapiteln, namentlich die von 
Rosa ausgestellten Diplome und Papiere abzu¬ 
liefern, die dann vernichtet wurden. So wurde 
das vom Berliner Hochkapitel gesandte Patent 
unter Pauken- und Trompetenschall von den 
dienenden Brn verbrannt und, weil sich das 
Berliner Kapitel nicht unterwerfen wollte, wurde 
es für exkludiert erklärt und den andern Ka¬ 
piteln in den gemeinsten Ausdrücken davon 
Nachricht gegeben. 

Uns ist es rein unbegreiflich, wie ein solch 
fremder Mensch eine derartige Macht üben konnte, 
der so vielen angesehenen Männeni das Geld 
aus der Tasche gelockt hatte und der, als er 
seine Mission nachweisen und seine vorgeblichen 
Künste durch die That beweisen sollte, als 
schändlicher Betrüger entlarvt, die Flucht er- 
griflf. — 

Auch Rosa wurde nach Jena gefordert, um 
die Rechtmässigkeit seines, d. h. des Berliner 
Hochkapitels zu beweisen. Johnson prüfte ihn 
selbst und fand ihn sehr unwissend und stellte 
das von ihm veiiretene Kapitel als unrecht¬ 
mässig dar. Rosa soll dies auch zugegeben 
und zugleich versichert haben, er habe schon 
längst sein Amt als legatus generalis aufgeben 
wollen. In Halle stellte er dies alles, um dort 
sein Ansehen zu erhalten, in Abrede und das 
über seine Aussagen aufgenommene Protokoll 
für falsch. Rosa hatte wohl schon längst er¬ 
kannt, dass das von ihm vertretene System auf 
Schwindel beruhe, scheint aber dabei doch in 


Johnson einen bedeutenden Mann zu finden, durch 
den er zu neuem Ansehen und vor allem zu 
neuen Einnahmen kommen könne. Er trat des¬ 
halb mit Johnson insgeheim in Verbindung und 
suchte von ihm Konstitutionspatente für eine 
neue Schotten- und eine neue Johannisloge in 
Halle zu erlangen. Johnson schickte Abschriften 
von den von Rosa erhaltenen Briefen nach Halle; 
es wurden nun den so lange irre geleiteten Brn 
endlich die Augen über ihres Mstrs betrügerisches 
eigennütziges Treiben geöffnet. Dazu kam noch, 
dass er durch seine Stellung zum Kapitel zu 
vielen kostspieligen Reisen genötigt war, deren 
Kosten die Logenkasse tragen musste. Die da¬ 
durch unter den Bm entstandene grosse Unzu¬ 
friedenheit brachte es 1763 dahin, dass er nicht 
nur das Amt des Mstrs v. St. niederlegen musste, 
sondern auch aus der Loge exkludiert wurde. 
In einem von der Loge nach Berlin gerichteten 
Schreiben heisst es: „Br Rosa, dessen Name 
ehedem so beliebt unter den Brn gewesen, ist 
jetzt ein Stein des Anstosses geworden. Sein 
schändliches Leben, dessen abscheuliches Laster 
selbst das Alter noch nicht stumpf gemacht hat, 
seine Verwirrungen im Orden, die Unordnungen, 
die er in der Kasse angerichtet, dienen sowohl 
Profanen als den Brn zum Skandal. Selbst in 
fremden Logen redet man von ihm als von einem 
schändlichen Manne und man ist schon so weit 
gegangen, uns den Zutritt zu versagen, wenn er 
länger auf dem Stuhle würde geblieben sein.“ 

Rosa lebte noch einige Zeit in drückender 
Armut in Halle, dann ist er verschollen; er soll 
in Leyden in Holland gestorben sein. 

Die Loge Philadelphia, an deren Spitze Rosa 
gestanden und in die er sein System eingefübrt 
hatte, wurde von der Berliner Gr.-L. für unecht 
erklärt und verschwindet bald darauf von der 
Bildfläche. Die Brr traten zum grössten Teil 
in die 1765 gegründete -Loge Zu den 3 Degen 
ein. Das Rosasche Kapitel war durch die John- 
sonschen Wirren in seiner Nichtigkeit erkannt 
oder auch nicht erkannt worden. Aber es hatte 
dadurch den Todesstoss bekommen und machte 
dem System der strikten Observanz Platz, zu 
dessen Einführung Johnson trotz seiner Schwin- 


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deleien ünd Betrügereien dem FreiheiTn von Hund 
durch merkwürdige Verkettung der Umstände den 
Weg gebahnt hatte. 

Was Vernnnft nnd Herz uns lehren. 

Von Br G. Fritzsche-Potschai)el f- 

Was ist Wahrheit? — Die Pilatusfrage 
Tönt auch noch herein in unsre Tage, 

Denn bis heute blieb die Antwort aus. 
Forschend steht die Menschheit vor dem Bilde, 
Das die Gottheit weise ihr verhüllte, 

Ob auch oft erfasst von Furcht und Graus. - 

Wird doch, wenn die Jjeidenschaften wüten, 

Tief erschüttert unsrer Seele Frieden, 

Leicht das Herz erfüllt mit blindem Wahn. 
Engbeschränkter Hirne Schreckgestalten, 

Gleich der Schlange Ringe sich entfalten, 

Fn die Glieder schlagend gift’gen Zahn. 

Wehe, wer dann nicht durchs Licht von oben 
Sich beruhigt fühlet und erhoben, 

Mit Erfolg der Hyder sich erwehrt! — 

0, so lasst uns, Brüder, darauf achten, 

Und mit Fleiss jetzt einiges betrachten. 

Was und wie Vernunft und Herz es lehrt! — 

Rein und heilig, fremd den falschen Lüsten, 
Liegt das Kind an Mutterbrüsten, 

Und sein Auge lacht des Himmels Huld; 

Wenn die bösen Stunden es bedrängen. 

Wird der STiahl den Engelstittig sengen, 

Nur der Erde Tochter ist die Schuld. 

Mit der Tugend angebornem Frieden 
Grüsst der Mensch, ein Halbgott, seine Welt; 
Aus dem Reich der Schuld ist er geschieden, 
Wenn der Erde Vorhang fällt. 

Keine Schlange mit verwegenen Lehren, 

Warf ein sündiges Begehren 

In des Menschen unschuldsvolle Brust. 

Die Bestimmung fordert die Beschwerde, 

Die Versuchung ist das Los der Erde, 

Und der Prüfstein ist der Reiz der Lu.st. 

An der Probe soll er sich bewähren, 

Durch Erkenntnis dringen an das Ziel, 

Und zur Stärke soll er wiederkehren, 

Wenn er durch die Schwäche fiel. 


Seine Hülle schlägt mit lohen Flammen 
Um Gefallene zusammen, 

Einen Gott der Rache giebt es nicht. 

Brennend in des eignen Busens Grunde, 

Trägt der Sünder seines Frevels Wunde, 

Seine Reue wird sein Weltgericht. 

Wer der Tugend warnenden Genossen 
Auf der Erde Stadien verschmäht. 

Rückwärts steigt er auf der Menschheit Sprossen, 
Und die Umkehr kommt zu spät. 

W^eit voraus in seligeren Hohen 
Schwebt des Bruders Flügel wehen. 

Wenn er seines Wahnes Nacht durchbrach; 
Unaufhaltsam, in der Himmel Wonnen, 

'iVägt sein Flug von Sonne ihn zu Sonnen, 

Und sein Fittig zuckt entkräftet nach; 

Seine Qual ist ungestilltes Sehnen, 

Des Erreichens Ziel und Ungeduld, 

Und als Strafe tropft in heissen Thränen 
Das Bewusstsein seiner Schuld. 

Doch in diesem sehnsuchtsvollen Ringen 
Trägt mit unsichtbaren Schwingen 
Wachsend ihn der Gnade Himmelskraft, 

Die ihn siegend durch der Trennung Weiten, 

Tn das Morgenrot der Seligkeiten, 

Mit der Hoffnung der Vergebung rafft; 

Bis das volle Strahlenmcer ihn blendet, 

Gott Er schaut in seiner Majestät, 

Und der Seraph, glänzend und vollendet, 

Vor dem Thron des Schr>pfers steht. 

Verlag von Br Brono Zechel. Leipzig. 
Agenda MB. 

Ritual und Material für Bcfi»rderunga- und Unter- 
richtslogen iiu Mstrgra^le von Br OswaUl Marbach. 
Zweite, stark vermehrte Auflage. Manuskript nur 
für Brr Frmr-Mstr. 

Preis Mark 5.26, geb. Mark 6.25. 


Die ehrw. u. gcl. Brr werden höfliehst 
gebeten, bei Neubestellungen auf unsere Zeit¬ 
schrift sich nur der Adresse des 
Br ZbcHbI , L e i p z i jr , Po.ststras.se i 2 , 
bedienen zu wollen. 

Br A. GUndBl. 


Druck nnd Verlag von Br Bruno Zechel in Leipzig. 


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Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen 
Minerva ju den drei Palmen in Leipzig, Balduin-zur Linde in Leipzig, Archimedes zu 
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bande in Gera und Karl zum 

Rautenkranz in Hildburghausen. 

Für Brr Freimaurer-Meister. 

Begründet von Br Marbach. Fortgefiihrt von Br Fuchs. 

Schriftleiter: Br Dr. A. Gündel, Leipzig-Reudnitz. 

Das Blatt wird vorzugsweise Beiträge bringen, die in den Logen Versammlungen eines der drei Grade 
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für 
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Lo^ Balduin zur Linde stehenden 
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Einzelne Brr Meister, welche als 
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 3 Mark ahonniren 
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf- 
enommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgehühr von 
5 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile. _ 


Inhalt: Die Bedeutung der Bezeichnung „Gesell“. — Trauerfeier für den f Yorsitaenden des Bngbnndes 
Br Johann Friedrich Fuchs. — Mitteilungen. — Anzeige. 


. Jahrgang. 
No. 3. 


Am ßeissbrette. 


Die Bedentnng der Bezeichnnng 
„Gesell“. 

Von Br Robert Fischer in Gera. 

Man hat nicht selten dem Gesellengrad jede 
grössere Bedeutung abgesprochen, ihn nackt und 
trocken und dürftig genannt. Verschiedene Be¬ 
arbeitungen hat er deshalb auch schon erfahren. 
Am meisten liegt das wohl daran, dass zu wenig 
in ihm gearbeitet wird, dass die Logen ihn mehr 
oder weniger selbst vernachlässigen. Nur, was 
man öfter und eindringlicher aufnimmt, gewinnt 
eine tiefere Auffassung, ein besseres Verständnis. 
So lange man daher nun einmal die drei Grade 
besitzt und gelten lässt, müssen sie auch einen 
unbestreitbaren Sinn haben. Sonst wäre es besser, 
man gäbe sie ganz auf, wie das ja auch schon 
verlangt worden ist. 

Der Name allein schon giebt genügenden 
Stoff zur Betrachtung des ganzen Grades. Bleibt 
man bei der zunftmässigen Bedeutung stehen, so 
sehen wir, dass der Gesell aus der Lehrlings¬ 
schaft herausgetreten, aber doch noch nicht in 
seiner Kenntnis vollkommen ist. Er bedarf noch 
einer weitern Abschleifung und Veredlung, Ver¬ 
zweigung und Innern Verbindung des gewonnenen 


Materials, um Meister zu werden. Der Frmrgesell 
ist zwar oder soll wenigstens in der Bearbeitung 
seines inwendigen Menschen ei’probt worden sein, 
man soll erkannt haben, dass er fleissig am Bau 
gestanden und die Ecken des rohen Steines zu 
entfernen versucht hat. Aber er hat noch mancher¬ 
lei zu lernen und darf so wenig seine Arbeit des 
Lernens für abgeschlossen betrachten, als der 
Handwerksgesell. Jeder hat in seinem Fach sich 
weiter auszubilden und wird selbst als Meister 
damit nicht fertig, da kein Handwerk still steht, 
sondern durch die Verhältnisse beeinflusst vor¬ 
wärts schreitet So muss auch der Frmrgesell 
sich überzeugt halten, dass ihm noch vieles fehlt 
und die Zeit des Lernens, der Erkenntnis nie endet. 

Wenn der Lehrling nur in Einer Werkstatt 
gestanden hat, führt ihn die Gesellenzeit in andere 
Arbeitsgebiete, um zu erproben, wie weit seine 
Kenntnisse reichen und an andern Verhältnissen 
diese zu erweitern, zu befestigen oder zu korri¬ 
gieren. So wird der Gesell auch als Frmr über 
sein eignes Ich hinweg an andere gewiesen, um 
sich und diese zu messen und im Verkehr mit 
ihnen noch manches abzuschleifen und zu ver¬ 
bessern. Indem die zum Kubus geformten rohen 
Steine aufeinander gestellt werden, muss sich 


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18 


zeigen, wie sie zueinander passen und ob sie die 
ihnen zugewiesene Stellung richtig ausfüllen. Da 
wird es gar oft noch Lücken geben; der Mörtel 
der Liebe hat sie-zu beseitigen, damit harmonisch 
die einzelnen Teile sich zum Ganzen gestalten. 

Das führt zur Gemeinschaft, wo eines sich 
zum andern gesellt. Auch das liegt in der Be¬ 
zeichnung. Die Wanderburschen finden sich in 
der Fremde zusammen, und vereint setzen «ie 
ihre Reise fort. Nur vereinte Steine geben einen 
Bau; nur zusammengehörige Quader machen ein 
schönes Gebäude. Deshalb findet die Gesellen¬ 
wanderung nur in Gemeinschaft, nie vereinzelt 
statt. Es ist das der Typus des ganzen Grades. 
Wenn Brr nicht miteinander in Verbindung treten, 
gleichen sie den zerstreut liegenden Steinen, die 
ihres Zweckes harren, nach Plan und Riss zu¬ 
sammengeschichtet zu werden. Ohne Gemein¬ 
schaftlichkeit, ohne Gesellschaftlichkeit ist auch 
ein frmr Bau nicht denkbar und wertlos; ein 
Konglomerat isolierter Menschen, die einander 
fremd bleiben und sich nicht verstehen lernen, 
infolge dessen aber auch Teile bleiben und nie zu 
einem Ganzen sich gestalten. 

Diese Gemeinschaft setzt schon bei den Wan¬ 
dergesellen, wenn auch nicht, ja am seltensten, 
eine Fachgenossenschaft, wohl aber eine Strebens¬ 
und Gesinnungsgenossenschaft voraus; sonst wird 
gar bald eine Trennung eintreten, die jeden seinen 
eigenen Weg gehen lässt. Wir als Frmrgesellen 
haben diese innere, geistige und seelische Ge¬ 
meinschaft schon von Haus aus, da wir uns als 
Menschen zusammengefunden haben. Sie soll 
während der Gesellenzeit befestigt und weiter 
ausgebildet werden. Das bedingt einen gegen¬ 
seitigen Anschluss, zu dem die Loge mit ihren 
Zusammenkünften die Veranlassung und Gelegen¬ 
heit bietet. An sie sind ganz vorzugsweise die 
Brr Gesellen gewiesen. Sie zu pflegen, ist ihre 
besondere Aufgabe. 

Die Geselligkeit hat ihre natürlichen Freu¬ 
den, die schon in dem Geistes- und Herzensan¬ 
schluss verwandter Seelen liegen. Die rechte 
Wanderschaft wird sie in jedem Fachgenossen 
nähren. Sie findet im Frmrbund hervorragende 
Stützpunkte, der doch nur dem Wahren, Guten 


und Schönen huldigt und dem echten Idealismus 
nachstrebt. Aus diesem Grunde erscheint der 
heitere Charakter der Gesellenbeförderung vor¬ 
nehmlich geeignet, solche Anschauung zu erhöhen 
und lebendig zu erhalten. Alle schönen Künste 
dienen der Veredlung des Menschen und erfüllen 
den nicht am Gewöhnlichen und irdisch Ver¬ 
gänglichen hängenden Menschea mit innerer Freude. 
Sie zeigen sich uns hier in Musik und Gesang, 
wie ja die Wanderburschen nicht minder ihre 
fröhlichen Lieder haben. 

Nur wer in sich selbst zufrieden, frisch und 
fröhlich ist, wird die Lebenswege, die oft genug 
über steinigen Boden gehen, leicht und sicher 
und ohne Gefahr gehen. Ihn ficht nicht an, 
was andere mürrisch macht; ein heiterer Sinn 
ohne Leichtfertigkeit giebt Mut und Kraft zu 
Überwindung von allerlei Hindernissen. Wie der 
Wanderbursche so zur rechten Fachkunst sich 
ausbildet, gelangt der Fi*mrgesell zur wahren 
Lebenskunst und zur verständnisvollen Gemein¬ 
schaft mit der ihn umgebenden Menschheit. 

Man meidet heutzutage in einer gewissen 
Verblendung den alten und schönen Ausdruck 
,Gesell“; und doch giebt es kaum einen, der 
inhaltsreicher und bezeichnender wäre. Was ist 
ein blosser „Gehilfe* dafür? Liegt in ihm ein 
solch tiefer Sinn? Nicht mit Unrecht haben wir 
in unserm Bunde den Namen beibehalten. Er 
klingt so anheimelnd und erinnert an seinen alten 
Glanz in bedeutungsvoller Zeit. Was ist „Ge¬ 
nosse“, der eigentlich doch nur mit uns ge¬ 
messen soll? Wahren wir die Gesellenschaft, 
und möchten die neuen Brr Gesellen sich an ihr 
auffrischen und um so mehr mit uns verwachsen 
zu einer wahrhaft edlen Geselligkeit! — 


Trauerfeier 

fttr den fVorsitzenden des Engbundes 
Br Johann Friedrich Fuchs. 

Von 

BrNitzsche, derz. Versitzender des Engbundes. 

Meine verehrten Brr! Beinahe fünfzehn Jahre 
lang war Br Fuchs der Leiter des Engbundes, 
in 98 Sitzungen hat er selbst den Vorsitz ge- 


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19 


führt, die 100. Sitzung stand nabe bevor und 
es würde ganz sicher die im engen Kreise an¬ 
geregte Idee, dem verehrten Br dabei eine Ehrung 
zu bereiten, allseitig freudig begrüsst worden sein; 
da trat der höhere Wille des a. B. a. W. da¬ 
zwischen. Unser Wille, unsere Hoffnungen mussten 
verstummen und sich in Demut und Ergebenheit 
beugen vor der unerforschliehen Weisheit des 
Allgütigen. 

Br Johann Friedrich Fuchs, der Ehrenmstr 
der Loge Balduin zur Linde, wurde am 12. Januar 
d. J. in den frühesten Morgenstunden abgerufen 
zum höheren Lichte. 

Ihnen allen, meine gel. Brr, wird es ein 
inniges Herzensbedürfnis sein, dem geliebten Heim¬ 
gegangenen den heutigen Abend zu weihen, haben 
wir doch alle ausnahmslos keine andern Gedanken, 
als solche wehmütigen Schmerzes, inniger Trauer 
um den unersetzlichen Verlust, den die Loge 
B. z. L., den aber vor allem unser Engbund er¬ 
fahren hat, heute, wo wir zum ersten male den Stuhl 
leer sehen, auf den man sich nur den Br Fuchs 
denken konnte, heute, wo der E. B. verwaist 
erscheint, verlassen von dem, der unzertrennlich 
von ihm schien und der in seiner Person den 
E. B. recht eigentlich verkörperte. 

Vor wenigen Wochen noch haben wir, meine 
gel. Brr, zum letztenmale die Nekrologe vernom¬ 
men, welche Mstr Fuchs denen weihte, die „ihre 
Wanderung vollendet haben“. Heute hat er voll¬ 
endet, und ich will versuchen, sein reiches Lebens¬ 
bild, das ihn als Menschen und als Frmr zeigen 
soll, an unserm geistigen Auge vorüberzuführen. 

Es ist eine dankbare, ja beinahe eine be¬ 
neidenswerte Aufgabe, dem Br Fuchs diesen 
Liebesdienst erweisen zu dürfen, ihm, der seiner¬ 
seits gegen 150 Nekrologe verfasst hat. Der 
fleissige, nimmer rastende Br hat ganz allein da¬ 
mit schon eine hervorragende Arbeit geleistet, 
was bespnders deutlich wird, wenn man berück-* 
sichtigt, wie schwer es zuweilen gewesen sein 
mag, jenen Brrn etwas liebevolles und doch ge¬ 
rechtes nachzurufen, die uns in der Loge leider 
nur gar zu fremd geblieben waren; und mit welcher 
Zartheit und Brüderlichkeit behandelte er dabei 
jene bedauernswerten Brr, über welche den Richter¬ 


spruch dem höchsten Mstr vorweg zu nehmen, 
die Menschen nur allnusehr geneigt sind. 

Unser gel. Br hat es den Überlebenden leichter 
gemacht, seinen Nekrolog zu verfassen, gleichsam, 
als wollte er auch diese Arbeit noch selbst be¬ 
sorgen, hat er im voraussehenden Geiste in meh¬ 
reren Bändchen seine Lebensgeschichte niederge- 
schriebon. War dieselbe zunächst auch nur für 
seine Familie bestimmt, so ist es doch ganz 
sicher in seinem Sinne, wenn daraus auch die 
innigteilnehmenden Brr unserer Loge über seine 
Lebensschicksale näheres erfahren. 

Die jetzt folgende Darstellung seines pro¬ 
fanen Lebens ist diesen Aufzeichnungen, welche 
mir von seiner Familie zur Verfügung gestellt 
wurden, entnommen. Leider kann ich Ihnen heute 
den reichen Inhalt nur in kurzen Umrissen und 
nur auszugsweise geben. 

Johann Friedrich Fuchs wurde am 8.Febr. 
1821 zu Bergern, einem Wald- und Heidedorfe, 
im Kreise Torgau, geboren. Sein Vater besass 
zwar Haus und Feld, befand sich aber infolge 
schwerer Unglücksfälle (Kriegsplünderung, Feuers¬ 
brunst u. dgl.) in dürftigen Verhältnissen; dazu 
kam, dass er eine zahlreiche Familie zu ernähren 
und den frühen Tod zweier Gattinnen zu beklagen 
hatte. Der Knabe musste tüchtig bei den länd¬ 
lichen Arbeiten helfen und besonders das Vieh 
hüten. Dadurch wurde der Grund zu einer tiefen 
innigen Liebe zur Natur bei ihm gelegt, die ihn 
bis in sein hohes Alter nicht verlassen und immer 
frisch und jung erhalten hat. Sein mächtiger 
Wissens- und Lesetrieb fand nur wenig Stoff, 
ausser Bibel und Gesangbuch, die er fleissig las 
und wodurch er eine Bibelkenntnis erhielt, die 
erstaunlich war. Als besonders gütiges Geschick 
pries er, dass der dortige Pfarrer Dr. Meyer ihn 
unentgeltlich an einem Privatunterricht teilnehmen 
Hess, der ihm eine Vorbildung gab, wie sie zur 
Aufnahme in die mittleren Klassen eines Gym¬ 
nasiums erforderlich war. Doch bei der Mittel¬ 
losigkeit seines Vaters musste er von seinem 
Lieblingswunsche, zu studieren, abstehen und er 
entschloss sich, Lehrer zu werden. 

Dürftig ausgestattet, mit einem halben Gul¬ 
den in der Tasche, der einzigen Mitgift aus dem 


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vHterlichen Hause, kam er nach Zehren bei Meissen, 
wo er in dem Hause des dortigen Kantors freund¬ 
liche Aufnahme fand. Obwohl ihm noch die 
pädagogische Ausbildung fehlte, so musste der 
16 jährige Jüngling doch bereits am 1. Okt. 
1837 die Fühnang einer Klasse von 60 Schülern 
übernehmen. Sein kinderfreundlicher Sinn, seine 
Liebe zur erziehlichen Thätigkeit, sein ausge¬ 
zeichnetes Lehrtalent und namentlich seine le¬ 
bendige Darstellungsweise, sowie die Gabe des 
guten Erzählens halfen ihm über die ersten 
Schwierigkeiten hinweg und Hessen ihn bald die 
Liebe seiner Schüler, wie die Achtung seines 
Lehrers gewinnen. Wenn er auch von diesem 
mancherlei Anregung und Anleitung empßng, so 
hiess es doch für ihn: Hilf dir selbst! Durch 
regen Fleiss und Ausdauer, namentlich auch in 
der Musik, für die er zunächst wenig Anlage 
und gar keine Vorbildung hatte, brachte er es 
soweit, dass er die Lehrerprüfung in Dresden 
mit Auszeichnung bestand. 

Er übernahm zunächst ein Vikariat an der 
Armenschule in Meissen und später in St. Afra, 
wo er zum Teil mit sehr schwierigen Verhält¬ 
nissen zu kämpfen hatte, doch denselben voll¬ 
ständig gewachsen sich zeigte. Nachdem er den 
Auswanderungkonsens von Preussen erhalten hatte, 
übernahm er die Kirchschulstelle zu Weyda bei 
Riesa, wo er aber trotz günstiger Verhältnisse 
nicht lange blieb. Er siedelte 1843 nach Zöschau 
bei Oschatz über, wo er sich noch in demselben 
Jahre mit der ältesten Tochter des Dr. med. 
Grellmann verlobte und bald darauf vermählte. 
Zwar war sie an Hdischen Gütern arm, doch 
wie er selbst in seinem „Leben“ sagt, reich an 
Gütern des Herzens und des Geistes, und sie ist 
ihm jederzeit eine liebe treue Gattin und den 
Kindern eine rechte Mutter gewesen. Der glück¬ 
lichen Ehe entsprossen zwölf Kinder, von denen 
jedoch elf, darunter mehrere hoffnungsvolle reich¬ 
begabte Söhne, frühzeitig starben. Diese schweren 
Schicksalsschläge ertrug er mit bewunderungs¬ 
würdiger Fassung und Gottergebenheit; auch der 
tiefste Schmerz vermochte ihn zwar zu beugen, 
aber nicht zu Boden zu diücken. 

Obwohl das Gehalt in Zöschau ein kärgliches 


war, denn von den 200 Thalern Einkommen musste 
er dem Emeritus 75 Thaler abgeben, so war doch 
sein Leben hier ein ausserordentlich glückliches 
und die hochgehenden sozialen und politischen 
Wogen der vierziger Jahre konnten den stillen 
seligen Frieden des Zöschauer Schulhauses in 
keiner Weise stören. Jedoch die Sorge für seine 
Familie nötigte ihn, sich eine bessere Stelle zu 
suchen, die er auch 1849 in Wellerswalde bei 
Oschatz fand. Mit dieser Stelle war der Genuss 
eines Schullehens verbunden, das er selbst zu 
bewirtschaften beschloss. Doch vernachlässigte 
er dabei durchaus nicht seine amtlichen Pflichten, 
ja er fand sogar noch Zeit und Kraft, junge 
Leute und seine Söhne in Musik, Latein und 
andern Fächern für höhere Schulen vorzubereiten. 
Später wurde er durch seine Vorgesetzten ver¬ 
anlasst, ein Privatschullehrerseminar zu errichten, 
das er länger als acht Jahre leitete und aus dem 
mehr als vierzig Zögliftge hervorgegangen sind, 
die sich zum Teil heute noch in geachteten Stel¬ 
lungen befinden. Denn sein Hauptaugenmerk war 
neben der wissenschaftlichen Bildung auf Bildung 
des sittlichen Charakters und auf Anregung zum 
Fortstudieren gerichtet. Durch dieses Doppel¬ 
amt hatte er aber eine gewaltige Arbeitskraft auf 
sich geladen: nicht nur, dass er sich auf die 
meisten Stunden sorgfältig vorzubereiten hatte, 
er musste auch täglich 10—11 Unterrichtsstunden 
erteilen, ausserdem den Kirchendienst versehen 
und für die Vei*pflegung der jungen Leute, die 
zum grösstenteile mit in seinem Hause wohnten, 
sorgen. Wahrlich, Arbeit genug! Ein Wunder, 
dass die übermässigen Anstrengungen seine kräf¬ 
tige Gesundheit nicht zu erschüttern vermochten. 

Die Befürchtung, dass dies doch geschehen 
könnte, und die Rücksicht auf die Erziehung 
seiner zahlreichen Familie Hessen in ihm den 
Wunsch reifen, in eine grössere Stadt überzu- 
. siedeln. Eine ihm angebotene Anstellung als 
Oberlehrer an einem Königl. Seminar lehnte er 
dankend ab und so wandte er sich nach Leipzig, 
nachdem er zuvor in Chemnitz wohl begründete 
Aussicht auf eine Schuldirektorstelle, aber doch 
keinen Erfolg gehabt hatte. Hier erhielt er eine 
ständige Lehrerstelle an der zweiten Armenschule 


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21 


und hatte auch bald Gelegenheit, in den ersten 
Familien Leipzigs (Beckmann, Mayer, Herfurth, 
Dürbig, Becker, Platzmann, Keil,Demiani, Plantier) 
lohnenden Privatunterricht zu erteilen. Manchen 
Beweis treuer Dankbarkeit hat er aus diesen 
Kreisen empfangen und er genoss in denselben 
ein ungewöhnliches Ansehen. Daneben erteilte 
er noch abends Unterricht im Arbeiterbildungs¬ 
verein und Sonntags in der Schule der poly¬ 
technischen Gesellschaft. So hatte er auch hier 
wieder ein reiches Arbeitsfeld gefunden und täg¬ 
lich zehn Stunden Unterricht zu erteilen; seine 
Kräfte waren wiederum im höchsten Masse an¬ 
gespannt, sodass er das nicht auf die Dauer er¬ 
tragen hätte. 

Da wurde ihm die Aussicht eröffnet, das 
Direktoriat des Pestalozzistiftes zu übernehmen; 
er lehnte es ab; dann sollte er Direktor des 
Waisenhauses werden, das aber infolge des Krieges 
von 1866 anders organisiert wurde und einen 
Arzt als Direktor erhielt. Durch die Güte des 
Bürgermeisters Dr. Stephani, der ihm jederzeit 
sehr freundlich gesinnt war, erhielt er 1867 den 
1. April das Amt eines Kirchenbuchführers zu 
St. Nikolai. Nur schwer konnte er sich ent- 
schliessen, der ihm liebgewordnen Schule, an der 
er 30 Jahr mit Erfolg und Segen gewirkt hatte, 
zu entsagen, und um einen Übergang zu ge¬ 
winnen, erteilte er noch einige Jahre Unterricht 
an der städtischen Gewerbeschule. Das neue 
Amt konnte seinen regen Geist zunächst nicht 
voll befriedigen; doch war es so recht geeignet, 
den in ihm schlummernden geschichtlichen Sinn, 
der bis dahin sich nur wenig bethätigt hatte, 
zu wecken und ihm reiche Nahrung zu geben. 
Dazu kam, dass vor Erlass der Civilstandsord- 
nung die Stellung eines Kirchenbuchführers be¬ 
sonders für die Eheschliessungsvorarbeiten wichtig 
und verantwortungsreich war. Auch brachte ihn 
die neue Stellung in regen Verkehr mit den 
verschiedensten Berufskreisen und erweiterte seine 
Menschenkenntnis und Lebenserfahrung ganz be¬ 
deutend. Übrigens wurde ihm von seiten der 
Geistlichen das grösste Wohlwollen und ein un- 
gemein grosses Vertrauen, namentlich von Dr. Ahl- 
feld, entgegengebracht. 


Neben seinem Amte fand er noch reiche 
Gelegenheit thätig zu sein. Volksbildungsverein, 
Jugend- und Volksbibliotheken, Verein zur An¬ 
erkennung langjähriger Dienstzeit etc. fanden in 
ihm einen regen Förderer. Litterarisch war er 
thätig an der Redaktion der Droguistenzeitung, 
auf dem Gebiete der Münzkunde und der Jugend¬ 
spiele. In alle diese Gebiete arbeitete er sich 
mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit ein. So 
fand sein immer thätiger Geist Gelegenheit ge¬ 
nug, zu schaffen und zu wirken, und dabei 
widmete er den Zeitereignissen und Zeiterschei¬ 
nungen eine rege Teilnahme; doch lag es seiner 
friedliebenden Natur vollständig fern, am poli¬ 
tischen Parteileben auch nur im geringsten sich 
zu beteiligen. Er stand auf einer höheren Warte, 
als auf den Zinnen der Partei. Die Krone seiner 
wissenschaftlichen Thätigkeit und Tüchtigkeit fand 
er in den reifem Jahren in seinen maur. Arbeiten, 
die ihn noch bis kurz vor seinem Tode beschäf¬ 
tigten. Er fühlte sich mächtig zur Loge hin¬ 
gezogen und urteilt darüber in seinem Leben, 
er habe sich hier stets wohl und glücklich ge¬ 
fühlt und erkennt mit Dank an, dass er in seiner 
maur. Laufbahn jederzeit die Zuneigung und das 
Vertrauen der lieben Brr in hohem Grade ge¬ 
nossen habe. 

Sein Leben war reich an Arbeit und Sorge, 
reich an Schmei*z und Trauer. Den grössten 
Schmerz aber brachte ihm das Jahr 1886, als 
ihm in vier Monaten die treue Lebensgefährtin 
im Alter von 66 Jahren, ein Sohn von 26 Jahren 
und einer von 28 Jahren durch den Tod ent¬ 
rissen wurden. Doch er, der so viel ertragen, 
ertrug auch dieses Leid, obwohl damals seine 
Gesundheit doch gefährdet schien. Der harte 
Schicksalsschlag und manche bittere Erfahrung 
in seinem Amtsleben Hessen in ihm aber nun 
den Wunsch zur Reife bringen, sein Amt nieder¬ 
zulegen. Er that dies am 1. Oktober 1887 bei 
seinem goldenen Amtsjubiläum. 30 Jahre hat 
er der Schule gedient und 20 Jahre seine Kraft 
der Kirche gewidmet. Doch blieb ihm von seiten 
seiner Vorgesetzten Behörde die wohlverdiente 
Anerkennung versagt. Es kam aber kein Wort 
der Erbitterung über die Lippen des edlen 


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Mannes. Er hat nie nach Anerkennung gestrebt, 
doch freute sie ihn herzlich, wenn sie ihm dar¬ 
gebracht wurde und er hat viel und reichen 
Dank geerntet. Er hatte Liebe gesäet! Doch 
höher als alle äussere Menschenanerkennung galt 
ihm des Herzens Lohn in der eignen Brust. 

In seiner Lebensweise war er bis in sein 
Alter höchst einfach, mllssig und anspruchslos; 
Regelmässigkeit ging ihm über alles und nur 
bei ganz besondern Gelegenheiten wich er von 
derselben, aber immer nur höchst ungern ab. 
Das grösste Vergnügen war ihm von jeher ge¬ 
wesen, wenn die Ferien kamen, hinaus in die 
Welt zu wandern und Land und Leute kennen 
zu lernen. Mit besonderer Vorliebe suchte er 
in den späteren Jahren die See auf und er fand 
immer hier Stärkung und Kräftigung. Nach seiner 
Pensionierung kaufte er sich in dem freundlich 
gelegenen Dörfchen Diesbar ein eignes Garten¬ 
grundstück mit Weinberg; hier hat er einen 
heiteren und schönen Lebensabend verlebt und 
sich wahrhaft wohl gefühlt. An jedem Baum 
und Strauch hatte er ein reges Interesse, legte 
selbst hier und da Hand an und freute sich 
kindlich, wenn alles fröhlich gedieh und wuchs. 
Sieben Jahre hat er dieses Glück genossen. Im 
vorigen Sommer fing er an zu kränkeln, nach¬ 
dem er noch kurz zuvor die Freude gehabt 
hatte, seine beiden Enkelinnen aus Amerika zu 
sehen und zu herzen. Es schien, als würde 
seine starke Natur sich bald wieder erheben; 
allein es sollte anders kommen. Seine Gestalt 
verfiel allmählich, die Kräfte schwanden immer 
mehr und mehr; aber noch war sein Geist le¬ 
bendig und frisch, und wenn er sprach und er¬ 
zählte, vergass man wohl, dass sein Körper schon 
gebrochen war. Die Hoffnung auf Wiedergenesung 
war mächtig in ihm, selbst noch als er auf dem 
Sterbelager lag. Den Blick nach oben gerichtet, 
den Mund wie zur Rede geöffnet, so entschlief 
er am 12. Januar d. J. früh 3 Uhr. 

Was vergangen, kehrt nicht wieder. 

Aber ging es leuchtend nieder, 

Leuchtet’s lange noch zurück. 

In den Frmrbund und die Loge B. z. L. 
wurde Br Fuchs am 8. Oktober 18G4 während 


der Hammerführung von Heinrich Goetz aufge¬ 
nommen, am 30. September 1865 zum Gesellen 
und am 11. Dezember 1866 zum Meister be¬ 
fördert. 

Es sollte nicht lange währen, bis man die 
besonderen Fähigkeiten des Brs erkannte und 
ihn im Beamtenkollegium zur thätigen Mitarbeit 
heranzog. Im Jahre 1868 wurde er zum pro¬ 
tokollierenden Sekretär ernannt, welche Stellung 
er bis 1882 bekleidete und wobei er besonders 
Gelegenheit hatte, sich in den Geist eines Marbach 
hineinzuarbeiten. Oft noch äusserte unser Br, 
dass es nicht leicht gewesen sei, die geistvollen 
Ausführungen des grossen Meisters, der auch 
recht peinlich sein konnte, in kurzer Fassung 
niederzuschreiben. Nun Fuchs war dazu der 
geeignete Br; seine Protokolle sind nachahmens¬ 
wert; er verstand es, wie nur wenige, nicht nur 
das Ritualgemässe, sondern vor allem den Geist, 
der in den jeweiligen Logenarbeiten herrschte, 
festzuhalten und auch für Nachfolgende noch 
dauernd kenntlich zu zeichnen. ünserm Br 
wohnte, wie wir aus seinen eignen Aufzeichnungen 
wissen, schon lange, bevor er der Loge angehörte, 
echter Frmrgeist inne, dass wir aber in seinen 
späteren Mstrarbeiten in so leicht erkenntlicher¬ 
weise Marbach sehen Geist hervortreten sehen, 
ist sicher zum nicht geringen Teile darauf zu¬ 
rückzuführen, dass er als langjähriger Protokollant 
der Reden Marbachs Gelegenheit hatte, den Geist 
dieses Meisters sich zu eigen zu machen. 

Das grosse Jubiläum unsrer Loge 1876 
brachte unsern bescheidenen Br an die maur. 
Öffentlichkeit durch die von ihm meisterhaft ver¬ 
fasste Geschichte der Loge B. z. L, — Meine 
verehrten Brr, wir alle kennen diese Geschichte, 
welche man eine musterhafte nennt. Nur wenige 
alte Logen aber erfreuen sich einer gleich klaren 
und gleich wahren Darstellung ihrer Vergangen¬ 
heit. Derjenige nur, welcher sich mit geschicht¬ 
lichen Forschungen je befasst, kann annähernd 
ermessen, welche Unsummen von aufopfernder 
Mstrarbeit allein an diesem Buche aufgewandt 
sind. Hätte Br Fuchs nichts weiter gethan, als 
diese Geschichte der ersten hundert Jahre des 
Bundes zu schreiben, er würde doch mit Recht 


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als einer derjenigen verdienten Brr gelten, von 
welchen die Kette Balduins, in die bis heute 
gegen 1800 Brr eingereiht wurden, nur wenige 
aufzuweisen hat. 

Das wichtige Amt eines Protokollanten be¬ 
kleidete Br Fuchs, bis Mstr Marbach infolge 
eintretender Körperschwäche von der Leitung 
der Loge mehr zurücktrat und Heinrich Goetz 
seine Stelle einnahm. Fuchs war nun 1883 
und 84 zweiter und 1885 bis 1891 erster Auf¬ 
seher. Beide Stellungen hat er mit der ihm 
eignen Zuverlässigkeit und Pflichttreue ausge¬ 
füllt, nur wenn es gar nicht anders ging, war 
er einmal nicht am Platze, dagegen hat er schon 
als zweiter, häufiger als erster Aufseher an Stelle 
des Mstrs v. St. die Logenarbeiten geleitet. Alles 
was uns Br Puchs in seinen Arbeiten bot, war 
durchdachte, woblvorbereitete und darum auch 
wohlgelungene Mstrarbeit. Br Fuchs strebte 
in allem, was er gab, nach dem höchsten Mr- 
ziele der Schönheit: dankbar in Erinnerung werden 
besonders seine bei festlicher Tafel gehaltenen 
Trinksprüche auf die Frmrei sein; das Bedeu¬ 
tendere aber waren seine Arbeiten am Reiss¬ 
brette, durch die er in den Mstrlogen uns zur 
Reife für den letzten grossen Schritt über Sarg 
und Grab vorzubereiten suchte, zu dem Schritte 
in das lichtvolle Jenseits, den er uns nun als 
Frmrmstr vorangegangen ist. 

Mit zunehmendem Alter trat Br Fuchs von 
dem Amte des Aufsehers zurück und blieb nur 
noch Archivar der Loge, ein Amt, welches er 
auch schon seit 1884 bekleidete und welches 
er in alter Treue und Liebe beibehielt, bis ihn 
der a. B. a. W. von der Arbeit abberief. Dass 
er freiwillig von dem Amte des Archivars zu¬ 
rückgetreten wäre, ist für alle, die ihn näher 
kannten, eigentlich undenkbar, weil er sich hier 
in seinem Lebenselemente befand. Durch seinen 
profanen Beruf als Kirchenbuchführer und wohl 
auch durch besondere Anlagen war er zum 
Archivar vorherbestimmt. Im engen Zusammen¬ 
hänge damit steht die geschichtliche Forschung 
und hiermit kommen wir zu dem Gebiete, auf 
dem der Heimgegangene das Bedeutendste ge¬ 
leistet hat. 


Die frmrische Wirksamkeit Fuchs* zerfällt 
in drei Teile; den ersten Teil, seine Thätigkeit 
in der Loge, habe ich bereits zu zeichnen ver¬ 
sucht, der zweite bestand in seiner Thätigkeit 
im E. B. und für einen grösseren Brkreis war 
er bekannt als Redakteur der Zeitschrift „Am 
Reissbrette“. — Seine Thätigkeit am „Reissbrette“ 
schliesst eigentlich seine Arbeiten in der Loge 
und im E. B. zusammen, insofern als er in 
dieser Zeitschrift seine bedeutendsten Arbeiten 
jeglicher Art veröffentlichte. Und doch sei es 
gestattet, jetzt ihm zunächst als Freund und 
Berater des „Reissbrettes“ gerecht zu werden, um 
ihn zuletzt als Vorsitzenden des E. B. zu wür¬ 
digen, als welcher er uns hier am nächsten 
stand und am teuersten war. 

Herausgeber des „Reissbrettes“ wurde er, 
nachdem der unvergessliche Begründer desselben 
den Hammer für immer abgegeben hatte. Schon 
früher hatte F. der Zeitschrift nahe gestanden; 
eine glückliche Wahl berief ihn 1885 zum 
fernem Leiter des Blattes, war er doch gerade 
geeignet, es im Marbachschen Sinne weiter zu 
leiten, weil er selbst von diesem Geiste er¬ 
füllt war. 

Und warum hat unser Br soviel Zeit, so¬ 
viel Arbeit und Mühe auf die Herausgabe unsrer 
Zeitschrift verwandt? War es der materielle 
Gewinn, der ihm vielleicht dabei zu teil wurde? 
0 nein, meine Brr, der Idealismus ernährt seine 
Anhänger nur dürftig, das wissen viele geistig 
hochstehenden Männer, welche heute unserm 
Menschheitsbunde, der nur einer hohen Idee dient, 
fern bleiben, das haben aber auch alle Heraus¬ 
geber und Verleger frmr. Zeitschiiften erfahren. 
Der materielle Gewinn war es also nicht, welcher 
ihn am Reissbrette festhielt, wohl aber war es 
neben der Liebe zum Balduin seine Eigenschaft 
als Frmr, welche ihn auch hier bestimmte, sich 
in den Dienst des Menschheitsbundes zu stellen. 

Wir wollen gern glauben, dass Br Fuchs 
nie in ernster Verlegenheit um gediegenen Stoff 
für das Reissbrett war, doch dass die Quellen 
von aussen nicht allzu reichlich flössen -und er 
zum guten Teil auf sich angewiesen war, dafür 
gab er selbst das Zeugnis, indem er gelegentlich 


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sagte: „Das meiste muss man selbst schreiben“ 
und er hat viel geschrieben. Dafür ist dem 
Heimgegangenen aber auch viel Freude zu teil 
geworden. Manche Anerkennung, mancher Dank 
wurde ihm gezollt; besonders wohlthuend dürfte 
es seinem schlichten, einfachen Sinne gewesen 
sein, wenn, wie ich einst Zeuge war, ihm aus¬ 
wärtige Brr ihre Freude darüber aussprachen, 
ihn kennen zu lernen, um ihm den Dank für 
alles, was er ihnen schon geboten, persönlich 
aussprechen zu dürfen. — Die reichen Schätze, 
die Br F. für den E. B. ausgrub, wie auch seine 
Mstrarbeiten, durch das Reissbrett wurden sie 
weiteren Kreisen zu teil; dass man diese Arbeiten 
wohl zu schätzen wusste, dafür ist Beweis, dass 
man ihn ausserhalb unsrer Loge den „einen der 
bedeutendsten Frmr Leipzigs“, den „Nachfolger 
Marbachs“ nannte. Der bescheidene Sinn unsers 
Brs würde diesen Ehrentitel entschieden von 
sich gewiesen haben, dem Toten dürfen wir ihn 
nachrufen, und uns ist es eine Freude, dass 
man einen der unsern so nannte. 

Durch vielfache öffentliche Anerkennungen 
wurde er geehrt, die Schwingen Apollo, Minerva 
z. d. 3 P. und Archimedes im Or. Altenburg er¬ 
nannten ihn in Hervorhebung seiner Verdienste, 
im besonderen um die geschichtliche Forschung, 
zu ihrem Ehrenmitgliede, seine eigne Loge er¬ 
teilte ihm im Jahre 1891 die höchste Würde, 
welche sie zu vergeben hat, indem sie ihm in 
Anerkennung seiner Dienste als „unermüdlicher 
Archivar“ zum Ehrenmeister ernannte. 

Meine verehrten Brr! Das Bild des ver¬ 
klärten Mstrs steht noch so deutlich vor unser 
aller Augen und Seele, seine Thätigkeit und 
Bedeutung in der Loge und für die Frmrei ist 
so wohlbekannt, dass ich mir an dem Gesagten 
genügen lassen darf, um nun noch zu versuchen, 
ihm in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des 
E. B. gerecht zu werden. 

Die Geschichtsforschung und Darstellung war 
dasjenige Gebiet, auf dem Br Fuchs zu Hause 
war, wie selten einer. Durch seinen Beruf dazu 
erzogen, durch Anlage und Geist dazu befähigt, 
war er, in Liebe dafür erglühend, ein auser¬ 


wählter Forscher und Schriftsteller für frmrische 
Geschichte. 

Mit seiner schon erwähnten „Geschichte der 
Loge B. z. L.“ hatte er sich als berufener Ge¬ 
schichtsschreiber eingeführt und es kann keines¬ 
wegs überraschen, dass der Blick Marbachs, den 
die Sorge um den E. B. nie ganz ruhen liess, 
auf unsern Br fiel. (Schluss folgt.) 


Geschichte der g. u. v. Frmrloge Friedrich 
zum weissen Pferd i. Or. Hannover. Zu Anlass 
ihres 150jähr. Bestehens verfasst v. H. Wann er 
d. Alt., zug. Mstr V. St. 

Mit der klaren Darstellung der Entwicklung 
dieser alten Loge giebt der Br Verfasser zugleich 
einen kurz gefassten Abriss der Geschichte des 
Frmrtums überhaupt. Ausserdem fesseln die treff¬ 
lichen Schilderungen des jeweiligen Logenlebens, 
sowie die interessanten Einblicke in den Logen¬ 
betrieb auf den einzelnen Entwicklungsstufen. Die 
beigefügten Bilder der verschiedenen Logenmstr 
und Logenhäuser bilden eine die Ausstattung ver¬ 
vollkommnende Zugabe. 


MitteUnngen 

von der 

(l«sehäfU8telIe für den Austausch der Logenlisten. 

Mitte d. M. hat die erste diesjährige Ver¬ 
sendung stattgefunden und gelangten dabei die 
nachstehend aufgeführten 24 Mitglieder-Verzeich¬ 
nisse etc zur Verteilung: 

Der Johannislogen in Eckemförde — Gera 
(Archimedes, Bericht — Heinrich) — Greiz (320) 

— Hagen — Kassel (Freundschaft) — Kattowitz 
(noch 68) — Kiel — Leipzig (Balduin — Phönix) 

— Löwenberg (93) — Marienwerder — Marne — 
Meiningen (340) — Minden (Aurora) — Neumün- 
ster — Oldenburg (200) — Rawitsch (27S) — Ro¬ 
stock (3 Sterne) — Sangerhausen — Stade (340) 

— Tilsit — Wismar (Vaterlandsliebe 300) und Zeitz. 

Wiederholt bitte ich, fernerhin 

nicht unter 360 

Mitglieder-Verzeichnisse einzusenden. Den Namen 
derjenigen Logen, die weniger als 360 zur Verfügung 
steilten, sind die Zahlen der zur Versendung gelang¬ 
ten Exemplare in ( ) beigesetzt. 

Geschäftsstelle f. d. Austausch der Logenlisten 

Bruno Zechel, 

Bachdrnckerei und Verlag in Leipzig. 

Bauhütte, Jahrgang 1858—1870 

in blau Pappband und gut erhalten 
ist billig zu verkaufen. 

Gef. Anfragen durch BrZechel in Leipzig 
erbeten. 


Druck und Vorlag vou Br Bruno Zeohol iu Deipsig. 

Dieser Nummer liegt ein Prospekt bei von Joh. Georg Rackles in Frankfurt a. M. 


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Am Eeissbrette. 

Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen 
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu 
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum 

Rautenkranz in Hildburghausen. 

Für Brr Freimaurer-Meister. 

Begründet von Br Marbach. Fortgeflihrt von Br Fuchs. 

Schriftleiter: Br Dr. A. Gündel, Leipzig-Reudnitz. 

Das Blatt wird vorzugsweise Beiträge bringen, die in den Logen Versammlungen eines der drei Grade 
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für 
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden 
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Einzelne Brr Meister, welche als 
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 8 Mark abonniren 
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf¬ 
genommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertions^ebühr von 
25 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile. 


April 1896. 


23. Jahrgang. 
No. 4. 


Inhalt; Der ünaterbliohkeitsgedan ke in der Gesohichte der alten Völker. — Ansprache bei der Meister- 
befördernng. — Tranerfeier für den f Vor sit senden des EngbnndesBr Johann Friedrich Fuchs. — Ansei gen. 


Der ünsterblichkeitegedanke in der 
Geschichte der alten Völker. 

Von Br H. Arnold, Mstr v. St. der Loge Phönix 
im Or. Leipzig. 

Wer jemals im Buche der Geschichte ge¬ 
lesen und seine Aufmerksamkeit auf die reli¬ 
giösen Lehren der verschiedenen Völker gerichtet 
hat, der musste finden, wie alle bestrebt waren, 
die Schrecknisse, die der Tod bringt, möglichst 
unwirksam zu machen und die Trauer, in die 
er die Hinterbliebenen eines Dabingeschiedenen 
versetzte, durch möglichst grosse Hoffnungen zu 
mildem. 

Dass dieses Verfahren berechtigt ist, darüber 
kann kein Zweifel sein, und dass es den Men¬ 
schen hinausbebt über Welt und Zeit, wenn er 
sich nicht mit einer Pffanze vergleicht, die, so¬ 
bald sie verwest ist, ihren Lebenszweck erfüllt 
und ihr Dasein beendet hat, ist auch kaum zu 
bestreiten. Die Mittel, die zur Linderung 
der Todesscb recken an ge wendet wurden, sind 
nicht immer die gleichen gewesen; sie können 
also auch nicht immer auf unumstösslicher Wahr¬ 
heit beruht haben; denn die Wahrheit kann nur 
eine sein. Dennoch aber geht durch all die 


religiösen Lehren über den Tod der Grundge¬ 
danke hindurch, dass der Mensch aus Leib und 
Geist besteht, dass nur der Leib eine Beute des 
Todes wird, dass aber der Geist unsterblich, un¬ 
vergänglich ist. 

In Asien, der Wiege des Menschengeschlechts, 
wohnten bereits vor vielen Jahrtausenden reli¬ 
giös durchgebildete Völker, die uns in mancher 
Beziehung zum Muster dienen könnten. Wenn 
sie auch vorwiegend eine reine Natumeligion 
hatten, die sich auf baute einerseits auf die schaf¬ 
fenden, belebenden, erhaltenden und zerstörenden 
Naturkräfte, andrerseits auf den Sternenhimmel 
mit seinen Miriaden von leuchtenden Körpern, 
so war diese Naturreligion doch weit entfernt, 
rein materialistische Anschauungen zu verbreiten; 
im Gegenteil lehrte auch sie die Menschen, den 
Blick zum Himmel zu richten, zu einem a.B.a.W. 

Die Form, in der dieser Gedanke zum Aus¬ 
druck kam, war auch wieder ganz verschieden; 
aber der Endzweck, das Endziel war doch kein 
anderes, als der Glaube an etwas Unsichtbares, 
das all die Wesen auf Erden unmerkbar beein¬ 
flusst, doch so, dass diese selbst nichts dagegen 
ausrichten können. 

So zieht sich die Lehre vom Fortleben des 


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Geistes durch viele Kulte hindurch und es ist 
deshalb nicht ohne Interesse, den Unsterblich¬ 
keitsgedanken in der Geschichte der alten 
Völker einmal weiter zu verfolgen. Die alten 
Inder hatten eine so tiefe Sittenlehre, dass man 
ja noch heute den Zusammenhang zwischen ihr 
und der christlichen Religionslehre nachweisen 
kann. Viele Bilder, die unsre christliche Welt¬ 
anschauung beeinflussen — ich erinnere nur an 
die Offenbarung des ewigen Weltenmeisters durch 
die Geburt eines Kindes — sind schon im alten 
Indien bekannt gewesen. 

Der Brahmaismus, die älteste Religions¬ 
lehre der Inder, stellte dem Menschen die Auf¬ 
gabe, den ewigen Brahma zu erkennen, dann 
aber auch, während des Erdenlebens den Weg 
einzuschlagen, der zu diesem ewigen Wesen empor 
leitet. Für die vier Kasten bestanden besondere 
Vorschriften, wie sie dem schönen Ziele zustreben 
sollten; allein darin stimmen sie alle überein, 
dass sie ihren Leib gewissermassen nur als ein 
Gefäss erkennen sollten, in dem sich die un¬ 
sterbliche Seele auf hielt, dass sie also dieses 
Gefäss rein und fleckenlos erhalten mussten, um 
die Bewohnerin nicht anzustecken mit Erden¬ 
sünden und fleischlichen Gelüsten. 

Nach der Anschauung der Brahmanen hatte 
die menschliche Seele auf Erden überhaupt keine 
Heimat, sondern war von einem fortwährenden 
Sehnen erfüllt, die Bande zu zerreissen, die sie 
an den Körper fesselten, um möglichst bald zum 
himmlischen Paradiese einzugehen. 

Einer Menschenseele konnte deshalb nichts 
Unangenehmeres widerfahren, als wenn die ir¬ 
dische Pilgrimschaft oder der Läuterungsprozess 
bei der Wiedergeburt im Körperlichen durch 
Herabsinken auf eine tiefere Stufe verlängert 
wurde. Damm bestanden die Religionspflichten 
der alten Inder hauptsächlich in einer Reinigung 
der Seele; denn je freier sie war von irgend¬ 
welchem Fehl, desto eher wurde sie von der 
Wanderung von Körper zu Körper entbunden; 
desto früher fand sie den Weg zu dem reinen 
Lichte, in dem Brahma thronte. 

Wenn jemand während seines Lebens seine 
Seele nicht rein erhalten hatte, so wurde diese 


nach dem Tode des Menschen verurteilt, selbst 
in Tiere zu gehen, also auf eine niedrigere Stufe 
herabzusteigen. Daraus erklärt sich auch die 
Scheu der Inder, ein Tier zu töten. Und wenn 
nun jemand die einzelnen, verwickelten Vor¬ 
schriften des strengen Sittengesetzes noch so 
genau beobachtet hatte, so war er, und wäre 
er selbst Brahmane gewesen, keineswegs sicher^ 
dass die Erdenwandemng seiner Seele mit seinem 
Tode wirklich beendet war; denn der Eingang in 
den Schoss Brahmas kann nur durch den voll¬ 
ständigen Sieg des Geistigen über das Körper¬ 
liche erworben werden. Nur demjenigen sollte 
dieser Lohn winken, dessen Seele über Körper- 
und Sinnenwelt vollständig Meister geworden, 
dessen Busen von Trieben und Leidenschaften 
nicht mehr beunruhigt, dessen geistiges Schauen 
so in Brahma versenkt war, dass er die Aussen- 
welt ganz übersah. Die hohem Kasten,*"nament¬ 
lich die der Brahmanen, hatten sich deshalb — 
ähnlich, wie später die Einsiedler der christlichen 
Kirche — wahrhaft asketische Gesetze zur Bän- 
digung der fleischlichen Lüste auferlegt. In der 
Waldeinsamkeit, in einer Höhle oder unter einem 
Baum, zu leben, sich in die heilige Veda zu 
vertiefen und alle Weltlust abzuschwören, galt 
daher für den höchsten Ruhm. Wer es zu Wege 
brachte, seine Seele ganz von dem abzulenken, 
was mit der Sinnenwelt nur irgendwie im Zu¬ 
sammenhänge stand, der konnte den Eingang 
ins ewige Jenseits erhoffen. 

Allzu straff gespannt zerspringt der Bogen: 
das sollten auch die Brahmanen erfahren. Ihr 
Streben nach Allmacht hatte die Gemüter abge¬ 
schreckt und dem Zweifel, sowie der freiem 
Bewegung der Gedanken Raum gewährt. 

Ein Königssohn, der später den Namen 
Buddha, d. h. der Erweckte oder Erleuchtete, 
empfangen hat, war zuerst, nachdem er die ge¬ 
samte Weisheit des Brahmaismus in sich ein¬ 
gesogen und sechs Jahre als Einsiedler in wahrer 
Askese gelebt hatte, als Widersacher gegen die 
alte Lehre aufgetreten; aber auch er geht davon 
aus, dass die Erde nur ein Jammerthal ist, und 
dass die gesamte Menschheit, also Hohe und 
Niedrige, vom Elende befreit werden müsse. 


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27 


Die Lehre des Brahma bot aber gar keinen An¬ 
halt dafür, dass dies überhaupt jemals möglich 
wäre. 

Nach Buddha gab es nun zwar auch eine 
Seelen Wanderung; aber das höchste Ideal Rir 
einen Menschen musste sein das Versinken 
in nichts, den Eingang in die Nirvana. Auch 
Buddha legte dem Körper, gegenüber der Seele, 
nur einen untergeordneten Wert bei; er erkannte 
aber, dass das gewöhnliche Volk nicht zu den 
Kasteiungen, die sich die Priester zur Rein¬ 
erhaltung ihrer Seelen auferlegten, zu bringen 
wäre und gab ihnen deshalb einige praktische 
Lehren, die in drei Hauptpunkte zusammenzu¬ 
fassen sind: 1. Ein möglichst keusches Leben 
und geduldiges Ertragen der Erdenübel, 2. Mit¬ 
leid und Barmherzigkeit gegen die Nebenmen¬ 
schen und 3. Offene Busse für begangenes Un¬ 
recht, aber keine Ruhmredigkeit wegen etwaiger 
guter Thaten. 

Die Thatsache, dass Buddha sein Sittenge¬ 
setz für alle Kasten gleichmässig gab, dass er 
also die Trennung der Menschen in Kasten, die 
durch die Brahmancn so begünstigte strenge 
Abschliessung der einzelnen Stände von einander, 
nicht anerkannte, machte seine Lehre volkstüm¬ 
lich. Dadurch, dass er sich des niedern Volkes 
annahm und ihm einen Weg zeigte, auf dem es 
sein Elend mildern, seine Seele möglichst bald 
in das höchste Nichts zurückführen könnte, ström¬ 
ten ihm besonders die Armen zu und halfen 
seine Lehre verbreiten, sodass diese dem Brah- 
maismus bald überlegen war. 

Wer da meint, dass der Buddhismus, trotz 
der unklaren Versenkung der Seele in das Ur- 
nichts, heute ein überwundener Standpunkt wäre, 
der iiTt ganz gewaltig; denn die Japaner und 
viele Bewohner Chinas und Indiens sind noch 
heute überzeugte Anhänger jener Lehre und 
wissen sie mit grossem Geschicke zu verteidigen. 
Während der grossen Weltausstellung in Chicago 
war u. a. auch ein Religionskongress veranstaltet 
worden, an dem sich Vertreter aller einiger- 
massen berühmt gewordenen Bekenntnisse beteilig¬ 
ten. Bei diesem Kongress haben die Buddhisten 
den Sieg über alle andern Religionsgesellschaften 


davon getragen. Sie verdankten dies besonders 
dem Umstande, dass sie nicht allein in ihrer, 
sondern auch in der Lehre ihrer Gegner genau 
Bescheid wussten, sodass sie auf alle Einwände 
von vornherein gefasst waren. 

Übrigens giebt es auch in christlichen Län¬ 
dern, z. B. in Frankreich, viele Anhänger der 
Lehre des Buddha, ein Zeichen dafür, dass der 
Mann seinerzeit den Volksgeist schon richtig 
beurteilt hat. 

Die Baktrier, die einst die Hochebene von 
Iran bewohnten, hatten hier von der Glut der 
Sonne, den Stürmen der Wüste, von der Winter¬ 
kälte und den Schneewinden soviel zu leiden, 
dass die Gebilde der Menschenhand oft den Zer- 
stöiningen der Elemente preisgegeben waren. Bei 
ihnen musste infolgedessen der Einfluss der Na¬ 
turmächte auf die Welt zum vollen Bewusstsein 
kommen. So reifte denn bei ihnen der Glaube 
an zwei mächtige, in ewigem Kampfe und Wider¬ 
streite liegenden Wesen, ein böses und ein gutes, 
mit einem Anhänge von bösen und guten Geistern 
ohne Zahl. 

Zoroaster hat in seinem heiligen Buche, 
der Zend-Avesta, diese Lehre in ein gewisses 
System gebracht, das wir nur, soweit es den Un¬ 
sterblichkeitsgedanken berührt, erwähnen wollen. 
Die ethischen Aufgaben, die den Gläubigen der 
Zend-Avesta gestellt wurden, bestanden darin, 
sich dem Lichtreiche des Ormuzd, des guten 
Gottes, zuzuwenden, dem Reiche des Bösen, des 
Ahriman, jedoch völlig zu entsagen. Da aber 
das Reich des Lichtes auch das Reich des Reinen 
ist, so ist Reinheit der Sitten der Kern und 
Mittelpunkt aller Tugend. Seele und Leib sind 
vor jeder Befleckung rein zu erhalten, damit 
nicht Ahriman mit seinem Anhänge Gewalt da¬ 
rüber gewinnt. Ein arbeitsames Leben ist das 
beste Mittel zur Abwehr des Unreinen. Rein 
denken, rein reden und rein handeln sind Vor¬ 
schriften Zoroasters, die gar nicht nach Heiden¬ 
tum aussehen. 

Wer sich dem Bösen ergab, dessen Seele 
wurde nach dem Tode den Dämonen, also jenen 
bösen Geistern zugesellt, die das Weltall be¬ 
völkerten und den Menschen allerlei Unheil zn- 


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zufügen suchten. Auch gewisse schädliche Tiere, 
die den Menschen bei seiner Arbeit stören oder 
die Flüchte seines Fleisses vernichten konnten, 
dienten solch unreinen Seelen zum Wohnsitze. 

So leuchtet also durch die drei berühmten 
Religionslehren des asiatischen Heidentums die 
Unsterblichkeit der Seele wie ein Juwel hervor, 
und die Ermahnungen, das Geistige nicht zu 
veninreinigen, klingt so erhaben, so durchaus 
unsern christlichen Anschauungen angepasst, dass 
wir diejenigen nicht begreifen können, die immer 
davon fabeln, dass die Heiden in der Finsternis 
und im Schatten des Todes wandelten. Die 
Sittenlehre, die sie schon besessen, ist sogar 
vielfach noch Weit strenger als die christliche, 
und schliesslich kommt es doch auch gar nicht 
allein auf die Lehre, sondern auf deren Be¬ 
folgung an. Ob wir in dieser Beziehung vor 
diesen alten Völkern Asiens viel voraus haben» 
ist zu bezweifeln. Die Lehren Zoroasters, denen 
z. B. auch die Perser ergeben waren, standen in 
schroflfem Widerspruche zu denen der Phönizier 
und Babylonier; denn diese zwei Völker kannten 
das Gebot der Sittlichkeit, wie wir cs verstehen, 
und wie es auch die Inder, Japanesen und Baktrer 
auslegten, gar nicht; bei ihnen wui*de sogar die 
Lust-Göttin Mylitta durch die grösste Unzucht 
verehrt. Diese Leute wurden auch niemals durch 
ihre Priester zu ernster Einkehr in sich selbst 
veranlasst. Die Folge dieser Thatsache war der 
Untergang jener einst so mächtigen Völker. 

Wo der Unsterblichkeitsgedanke keinen Platz 
hat, da ist auch an einen kräftigen Nachwuchs 
nicht zu denken, da zerfällt alles, selbst das, 
was gut ist, in Staub und Trümmer. So ist 
also der Glaube an die Unsterblichkeit unsrer 
Seele auch ein mächtiges Erziehungsmittel; so 
ist er gewissermassen ein Ideal, das den Men¬ 
schen veranlasst, sich während seines Erdenlebens 
so zu führen, dass er einst in jener Welt ein 
schöneres Heim findet. Der Gottlose, der Un- 
thaten und Verbrechen aller Art mit kaltem 
Blute begeht, hat die Hoffnung auf das Jenseits 
verloren; er hat also auch die Sorge für das Heil 
seiner unsterblichen Seele vollständig aufgegeben. 

Wir wollen unter den alten Völkern, die 


den Unsterblichkeitsgodanken hochhielten, auch 
noch der alten Egypter mit einigen Worten ge¬ 
denken. Bei ihnen brachten es die natürlichen 
Verhältnisse, nämlich die Fmchtbarkeit des Nil- 
thales einerseits und die glühende öde Wüste 
andrerseits, mit sich, dass sich in ihrer Reli¬ 
gionslehre der Gegensatz zwischen Leben und 
Tod in den Vordergrund drängte. Der hell¬ 
leuchtende Raa, der Gott der alles belebenden 
und befruchtenden Sonne, der sich selbst ge¬ 
schaffen hatte und sich alltäglich von neuem 
erzeugte, war zugleich der BeheiTscher des Reiches 
der Seelen, die ihr Leben in Reinheit und 
Heiligkeit verbracht hatten. Ist auch manches 
in der Lehre von den letzten Dingen in der 
egyptischen Mythologie nicht ganz klar, so ist 
doch männiglich bekannt, dass die Priester lehi*ten, 
wie eine befleckte Menschenseele nach der Tren¬ 
nung vom Leibe noch lange durch Geschöpfe 
niederer Gattung wandern müsse, ehe sie sich 
in die Gefilde des ewig Ureinen, des hellstrah¬ 
lenden Raa, begeben könne. Auch der Glaube, 
dass durch die Verwesung des Körpers die 
Existenz der Seele aufhöre, dass demnach, w'enn 
die Seele zum ewigen Heile gelangen wollte, 
auch der Leib vor dem Verwesen geschützt 
werden müsste, war in Egypten allgemein ver¬ 
breitet. Deshalb balsamierte man die Leichen 
ein, und noch heute findet man Mumien an den 
zahlreichen Begräbnisstätten des Nilthaies. Die 
Mythe von dem Vogel Phönix entstammt ja 
auch der egyptischen Götterlehre und ist eines 
der schönsten Sinnbilder der Unsterblichkeit, die 
wir haben. Gleichwie der von irgend welchem 
Gebrechen belastete Phönix sich verbrannte, um 
iieubelebt und verjüngt aus der Asche zu er¬ 
steigen, so soll auch unsere Seele nach ihrer 
Trennung vom Irdischen ihren Flug aufwärts 
nehmen zum ewigen Osten. (Schluss folgt.) 

Ansprache, 

gehalten bei der Meisterbef. am 15. Jan. 1895. 

Von Br A. Gündel. 

Sehr ehrw. Mstr v. St., ehrw. u. gel. Brr! 

Zugleich im Namen und Aufträge desjenigen 
meiner Brr, die heute mit mir auf die 3. und 


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letzte Stufe unsrer Frmrei erhoben worden sind, 
erlaube ich mir, Ihnen von ganzem Hei*zen zu 
danken für das Vertrauen, dessen Sie uns wür¬ 
digten, indem Sie uns zu Meistern unsrer königl. 
Kunst beförderten. 

Der Name und Titel Meister hat sowohl 
in diesen trauten Räumen, wie auch draussen 
im lauten Treiben der geschäftigen Welt einen 
eignen R«iz und eine grosse Bedeutung. Wohl 
alle Menschen, denen der Trieb nach Höherem 
vom Schöpfer in die Bnist gepflanzt worden ist, 
trachten nach demselben, und doch nur wenige 
erreichen ihn, und von denen, die ans Ziel 
kommen, sind es wieder nur einige, die mit dem 
äusseren Meistersein auch eine innere Meister¬ 
schaft verbinden. Demzufolge wird es wohl 
keine Meisterschaft geben, die sich nur aus 
wahren Mstrn zusammensetzte, wie auch diejenige 
Kunst als ein Weltwunder an gestaunt werden 
müsste, die nur von Künstlern, nicht aber auch 
von Dilettanten und Stümpern betrieben würde. 

Gerade unsre freimr. Kunst, die doch auf 
der einen Seite so leicht zu verstehen und zu 
erfassen ist, ist auf der andern so schwer aus¬ 
zuführen, und ihre Mstr müssen trotz der Loicht- 
fasslichkeit und Unwandelbarkeit ihrer Gesetze, 
die schon seit Jahrtausenden gelten, immerdar 
Lehrlinge bleiben. Es liegt das im Wesen der 
Frmrei, im Streben nach Wahrheit und sittlicher 
Vollendung begründet. Wir fehlen ja alle mannig¬ 
faltig, und nur einer ist gut: der alleinige Gott. 
Unser Wissen ist Stückwerk und unserem Können 
haftet die Unvollkommenheit an. Und wohl uns, 
dass dem so ist; denn „nur der Irrtum ist das 
Leben und das Wissen ist der Tod!“ Darum, 
meine 1. neuernannten Brr Mstr, lassen Sie uns 
Lehrlinge unsrer königl. Kunst bleiben, Lehr¬ 
linge im Sinne des Apostels, der seiner Gemeinde 
gegenüber freimütig bekannte: „Nicht, dass ich 
schon ergriffen hätte, oder schon vollkomnmn 
wäre, ich jage ihm aber nach, dass ichs er¬ 
greifen möchte.“ Lassen Sie uns ihm auch nach¬ 
jagen, dass wirs ergreifen möchten. Lassen Sie 
uns, fern von pharisäischer Eitelkeit, ohne Rück¬ 
sicht auf Lohn und Dank, das Gute thun um 
des Guten willen. 


Mag dann die Welt da draussen uns immer¬ 
hin missverstehen, mag sie uns belächeln und 
bemitleiden, mag sie uns hassen und verfolgen, 
mögen uns selbst Augenblicke kommen, in denen 
wir an der Durchführbarkeit eines so ideal ge- 
haltnen Bruderstaates, an der so oft und so 
schön besprochnen Bruderliebe zu zweifeln be¬ 
ginnen, mag die reifre Einsicht des erfahreneren 
Mannes und das erfolglose Ringen so mancher 
durchgrübelten Stunde uns das wahre Wort 
unsers grossen Brs Lessing immerdar zum 
Bewusstsein bringen: „Die reine Wahrheit ist 
ja doch nur für Gott allein “: Wir wollen 
der Welt gegenüber dulden und verzeihen* 
Gegenüber aber den Zweifeln im eignen Busen 
wollen wir feststehen, „Wir wollen halten an 
dem teuren Wahne“, „Wir wollen Achtung 
haben vor den Träumen unsrer Jugend und 
nicht irre werden, wenn des Staubes Weis¬ 
heit Begeistening die Himmelstochter lästert“, 
wir wollen Freiheit und Wahrheit auf unsre 
Fahne schreiben, sie nie verleugnen und ver¬ 
lassen. Da aber, wo unsre Ideale den Flug in 
die Wolken zu hoch nehmen sollten, da wollen 
wir bescheiden zu unsrer Mutter Erde zurück¬ 
kehren und das Streben nach dem Ideale zum 
Ideale selbst erheben. 

Wo aber lernen wir ein solches Streben? 
Allein in der Loge. Nicht, dass wir vor unsrer 
Aufnahme in dieselbe nichts von Wahrheit und 
Fi-eiheit gewusst hätten, nicht dass die extra 
muros sich Befindlichen nur so in der Finster¬ 
nis ihres Erdendaseins dahintappten, und wir die 
allein im Lichte der Wahrheit Wandelnden zu 
sein uns vermässen, was unsre Gegner uns nicht 
genug zum Vorwurf machen können, nichts von 
alledem! Jenseits dieses Thaies giebt es auch 
Menschen, die ihren Gott im Herzen und ihr 
Gewissen in der Brust tragen, und wir selbst 
haben, das darf ich wohl von uns allen hoffen, 
auch vor unsrer Zugehörigkeit zur Loge uns be¬ 
strebt, den Forderungen unsers Sittengesetzes 
Rechnung zu tragen. Aber, meine 1. Bit, ein 
altes psychologisches Grundgesetz lautet: Die 
Energie des Wollens ist abhängig von der Zahl 
der Erfolge, und ich bin der Ansicht, dass hier 


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in der Loge, umweht vom Hauche des Friedens 
und durch der Brr schön vereintes Streben sich 
eher ein Gebild gestalten hisst, als draussen im 
Leben, wo der einzelne doch mehr oder minder 
auf sich selbst angewiesen ist, und die Erfolge 
der bisherigen Logenarbeit geben auch uns die 
reehte SchaÖensfreudo und den rechten Schaffens¬ 
mut , uns mit an den Bau zu stellen und das 
Werk der schönen Menschlichkeit mit fördern 
zu helfen. 

Ihnen aber, sehr ehrw. Mstr v. St. und 
ehrw. Brr, Ihrem Beispiele und Ihrer Unter¬ 
weisung verdanken wir den Einblick und Anteil 
an der bisherigen Logenarbeit, an dem freudigen 
energischen Streben, das nur die Logen kennen. 
Ihnen verdanken wir auch die gegenwärtige 
Stunde, in der die letzte Scheidewand zwischen 
Ihnen und uns durch Ihre Güte fallen gelassen 
worden ist. 

Darum bitte ich Sie, meine 1. neuernannten 
Brr Mstr, mit mir auf das Wohl unsrer bis¬ 
herigen Meister zu trinken, indem wir ihnen 
danken für die Arbeit und Mühe, die sie sich 
mit uns, den unwissenden Lehrlingen und Ge¬ 
sellen gegeben haben, um uns soweit zu bringen, 
dass sie uns heute ihrem engsten Kreise, der 
Meisterkette einvorleibcn konnten; indem wir sie 
zweitens bitten, uns auch in Zukunft mit ihrem 
Kate und ihrer Unterstützung zur Seite sein zu 
wollen, unsem Fuss, wenn er ine gehen oder 
straucheln sollte, auf den rechten Weg zurück¬ 
zuführen und wiederaufzurichteu; indem wir 
Ihnen endlich und drittens an dieser Stelle noch¬ 
mals das Gelöbnis ablegen, mit allen Kräften 
daniach trachten zu wollen, jederzeit, an jedem 
Orte und bei jeder Gelegenheit als rechtschaffne 
Brr Frmr und als wahre Mstr unsrer königl. 
Kunst erfunden zu werden. 

Tranerfeier 

für Br Jobann Friedrich Fuchs. 

Von Br Nitzache, dorz. Voraitzondor des Engbundes. 

(Schluss.) 

Wie Br Fuchs den E. B. geleitet hat, 
dies zu schildern stehen mir kaum die ent¬ 
sprechenden Worte zu Gebote. Um sein Wirken 
einigermassen richtig schätzen zu können, muss 


man sich die Vergangenheit vergegenwärtigen. 
Geht man nur bis zum Jahre 1860 zurück und 
durchliest die vorliegenden Protokolle, so bieten 
uns dieselben wohl ein Bild, nach dem man 
sich ein Ui*teil über die Vergangenheit erlauben 
darf. Br Schietter, der sehr eifrig und thätig 
war, hatte von 1860—1873 den Vorsitz inne; 
doch scheint es, dass so gediegene, wohlvorbe- 
reitete Vorträge Jamals kaum gehalten wurden, 
man begnügte sich mehr mit leichten Erörte¬ 
rungen, die emstes Studium nicht erheischt batten. 
Unter Marbach und H. Goetz von 1873 bis 
1881 vegetierte der E. B. kaum. 

Da trat Fuchs am 10. November 1881 in 
den E. B. ein und übernahm an demselben Tage 
den Vorsitz, den er behalten hat, bis der höchste 
Mstr den Hammer aus seiner Hand nahm. Sein 
erster Vortrag behandelte die Anfänge der Loge 
Balduin zur Linde und sofort nach Beendigung 
desselben bat sich ihn Marbach zur Veröffent¬ 
lichung im Reissbrette aus. 

Alle die nun folgenden zahlreichen Vorträge 
bemhten auf (juellenmässigem Studium. Dabei 
sprach und schrieb er getreu der erkannten 
Wahrheit. Niemand zu Leide, aber auch nie¬ 
mand zu Liebe, als nur allein der Sache der 
reinen Job. Frmrei. Eigentümlichkeiten andi*er 
Logen und andrer Systeme behandelte er sehr 
schonend, so wie es seiner ruhigen Art entsprach, 
ohne dass er dabei der Wahrheit irgend welchen 
Zwang angethan hätte. So wurde der E. B. unter 
Fuchs das, was er nach der Idee Sebroeders 
sein sollte, eine Erkenntnisstufe für Frmr-Mstr 
der Johannislogcn, um ihnen über Entstehung, 
Verirmngen und das reine Ziel der k. K. Klar¬ 
heit zu geben. Von der Erkenntnis ausgehend, 
dass man nur bei dem Liebe zum grossen Vater¬ 
lande erwarten kann, dem zuerst die Liebe zum 
Vaterhause ins Herz gepflanzt worden ist, wid¬ 
mete er sich zunächst der Klarlegung der Ursachen 
zur Gründung des Balduin, führte dessen Geschichte 
foi-t bis zur neuen Zeit, ging dann weiter 
in seinen Forschungen und Darlegungen, bis er 
schliesslich das grosse Gebiet frmrischer Geschichte 
nahezu umfasste. 

Seine gesamten Vorträge im E. B. stellte 
er selbst in sechs Gruppen zusammen: 

I. Eigene Loge und ihre hervorragenden 
Stuhlmstr (hierher gehören Marbach und 
Goetz). 

II. Engbund. 

III. Vorgeschichte und Vorläufer der Frmrei. 

IV. Hochgrad wesen und fr mrische V erirrungen. 

V. Der Frmrei verwandte Orden. 

VI. Lebensbilder hervorragender Frmr. 


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Wamm, meine Brr, heben wir seine Ver¬ 
dienste nm den E. B. so besonders hervor? Weil 
wir die Summe von liebevoller Arbeit schätzen, 
welche hier in bescheidener Form auftrat, und 
welche gerade darum nicht genug gewürdigt 
werden kann; weil wir den Dienst ermessen, den 
der Heimgegangene der frmrischen Erkenntnis¬ 
stufe durch seine Arbeiten geleistet hat und weil 
wir uns im besondem des Verlustes bewusst 
sind, den wir erlitten haben. 

Und, meine Brr, wie hat Br Fuchs an 
uns gehangen, wie hat er für seinen E. B. ge¬ 
sorgt! Wenige Worte noch lassen Sie mich dem 
widmen. In den letzten acht Jahren seines Ruhe¬ 
standes war Fuchs eigentlich nur noch Arbeiter 
für die Frinrei; dass er sich mächtig zur Loge 
hingezogen fühlte, wie er in seinem „eignen 
Leben“ sagt, er hat es uns bis zuletzt bewiesen. 
Wo er auch weilte, er arbeitete immer für die 
Frmrei, für den E. B., und daher kam es, dass 
er nie um Material zu Vorträgen verlegen war. 

Auffallend emsig thätig war er in dem 
letzten Monat seines Erdendaseins, gleichsam als 
wolle er alles Versäumte noch nachholen, alles 
Unfertige vollenden, so studierte und schrieb 
er. Er hatte keine Zeit, müde zu sein und 
hatte doch in seinem Leben so viel gearbeitet! 

Zu den letzten Sitzungen des E. B. liess 
er sich fahren, da seine Kräfte zum Gehen nicht 
mehr reichten; hier unter uns schien er wieder 
aufzuleben, der Körper sich dem immer frischen 
Geiste wieder unterzuordnen. Doch blieb dabei 
das herannahende Ende dem schärfer blickenden 
Auge nicht verborgen. Am 14. Dezember war 
er das letzte Mal unter uns; der Sorge um das 
Wohl seiner geliebten Loge B. z. L. gab er in 
seinen letzten Worten Ausdruck und gleichsam 
als Vermächtnis legte er dieselbe seinen Brn 
ans Herz. Damit schied er auf immer von uns. 

Drei Tage vor seinem Tode schrieb er noch 
an einem Vortrage „Voss“ für den E. B., da 
ermattete sein Arm, die Feder entfiel seiner Hand 
für immer — im Dienste des E. B. zog er den 
letzten Federstrich, stand seines regen Geistes 
letzte Thätigkeit. Seine Gedanken waren bis 
wenige Stunden vor seinem Tode immer beim 
E. B. und er gab denselben auch Ausdruck. In 
scherzend freundlicher Weise gedachte er seines 
lieben, langjährigen Mitarbeiters Alfred Dörffel 
noch, und sich noch einmal kräftiger fühlend, 
— neue Lebensgeister schienen über ihn ge¬ 
kommen — äussevte er; „Nun, wenn mich die 
Brr im E. B. wieder wählen und ich erhalte 
einen jungen Stellvertreter, dann nehme ich viel¬ 
leicht den Vorsitz doch noch einmal an“. 


Meine verehrten Brr! Wie innig gefreut 
hätten wir uns, wäre der Entschlafene uns ferner 
noch Führer und Berater gewesen, der Allweise 
wollte es anders. Aber diese Treue zu unsrer 
Sache, die aushält bis an die Pforte zur Ewig¬ 
keit, die rührt uns, die geht uns zu Herzen; 
dafür rufen wir dem Entschlafenen, uns an seinem 
Beispiele aufrichtend, den Dank in die Ewigkeit 
nach. Treue um Treue, Liebe um Liebe! 

Am 15. Januar wurde die vergängliche Hülle 
des Br. Fuchs der Erde übergeben, eine grosse 
Anzahl Brr, darunter Deputationen aller hiesigen 
Schwlogen, erwiesen ihm die letzte Ehre. Seitens 
der Kirche, der unser Br so treu gedient, sprach 
Herr Archidiakonus Dr. Binkau, derselbe Pre¬ 
diger, welcher auch einst Marbach den letzten 
Segen erteilte und sich zu seiner Rede denselben 
Te.xt wieder gewählt hatte: „Ei du frommer und 
getreuer Knecht etc.“ — Ist es nicht eine eigne 
Fügung, dass diese beiden Brr, die sich im 
Leben so nahe standen, geistig so eng verwandt 
waren, für das Jenseits, für das es weder Zeit 
noch Raum giebt, dasselbe Geleit erhielten? 

Für die Loge B. z. L. sprach der 2. Auf¬ 
seher, Br Krügel, dem Heimgegangenen den 
Dank für seine Treue aus und widmete ihm den 
mr. Abschiedsginiss. Im Namen des E. B. legte 
Br Dörffel den wohlverdienten Lorbeerkranz 
am Sarge nieder und sprach: „Auf Wiedei*sehen 
nach kurzer Frist“. 

Vergegenwärtigen wir uns Fuchs’ Charak¬ 
terbild noch einmal, so haben wir einen Mann 
vor uns, dessen hervortretendsten Züge Gott¬ 
ergebenheit, Pflichttreue, Bescheidenheit und 
Menschenliebe waren. Er war eine in sich ge¬ 
festigte, stille Natur, rein und harmonisch, klar 
mit sich und seinem Gotte. In seinem Sprechen 
und Thun verbreitete er um sich eine wohlthuende 
Ruhe, welche er sich durch die Arbeit seines 
langen Lebens errungen hatte. Arbeit war die 
Zierde dieses Maurerdaseins, der Weisheit letzten 
Schluss, er hatte ihn frühe schon gezogen. 
Glaube, Liebe, Hoffnung, die er in seinen Meisier- 
arbeiten so gern mit Weisheit, Stärke, Schönheit 
verglich, in seinem Auge, das in letzter Zeit schon 
halb verklärt erschien, kamen sie zum Ausdruck. 

Alles in allem war er das Bild eines Frmr- 
Mstrs in der Vollkommenheit, die für uns hie- 
nieden erreichbar ist; aber nicht nur im Leben, 
nein, viel mehr als das, er hat sich im Tode als 
Meister gezeigt, er ist hingegangen, fertig mit 
sich und seinem Gotte, in der festen Zuversicht, 
dass uns ein ewiges Leben beschieden. 

In einer seiner letzten Mstrarbeiten: „Die 
Liehe hört nimmer auf“ sagt er: „Ja selbst das 


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32 


Orah wird zu einer Botscbat't des Heils, zu einem 
Wegweiser für die Ewigkeit. Nur muss man im 
Kampfe des Lebens sich die Glaubenszuversicbt 
bewahrt haben, dann bleibt die Furcht und der 
Schrecken ferne, wenn die ernste Stunde der 
Trennung schlägt. Die Ruhe und der Frieden 
der Seele sind der Siegespreis, den der Kämpfer 
für dieses Leben errungen, Haben wir die ir¬ 
dische Glückseligkeit durch Glaube, Liebe, Hoff¬ 
nung ermngen, dann dürfen wir getrost an die 
Pforten der Ewigkeit klopfen, es wird uns ge¬ 
öffnet werden und wir werden den verheissenen 
Lohn empfangen.“ 

In diesen Worten giebt uns Br Fuchs 
wohl in Vorahnung seiner baldigen Vollendung 
noch einmal das Resultat seines Lebens. Das 
Ziel eines Frmr-Mstrs, er hat es erreicht, davon 
zeigen seine letzten Stunden. 

Br Fuchs glaubte sein Ende noch nicht 
so nahe; er ist eingeschlafen, wohl ohne zu em¬ 
pfinden , dass er nicht mehr erwachen sollte, 
aber er war wohl vorbereitet. Klaren Geistes 
bis zuletzt äusserte er in einem Gespräch über 
den Tod: „Nun wenn er kommt, ich bin fertig“. 
— Von Todesfurcht wurde er nicht gequält, er 
begrüsste den Todesengel als den zuverlässigsten 
Freund, als den Erlöser. „Ich habe keine Angst“ 
war das weitere letzte Wort von ihm im Hin¬ 
blick auf den Tod, und damit ging er hin, um 
in ruhiger Glaubenszuversicht an die Pforten 
der Ewigkeit zu klopfen. - 

So starb Br Fuchs als Frmr-Mstr. Die 
Kunst zu sterben, die er uns so lange und so 
oft mit Worten, er hat sie uns zuletzt durch 
sein Beispiel gelehrt. 

Br Fuchs hat sein Tagewerk gethan, er. 
ist abgerufen vom Bau. 

Trauernd sind wir hier versammelt, ist uns 
doch der geliebte Führer, der Br und Freund 
für immer entrissen; aber wir lösen uns nicht 
auf in Trauer, wir jammern und klagen nicht, 
denn wir bleiben nicht einsam zurück, sein Geist 
lebt weiter unter uns. 

(Zum Bilde des Verstorbenen gewandt.) 

Allezeit getreu deinem Gotte, getreu den 
Menschen und vor allem getreu dir selbst, hast 
du auch unsrer Sache Treue erwiesen bis zum 
letzten Athemzuge. Deine Liebe für die er¬ 
habene Idee der Frmrei im allgemeinen, für die 
Loge B. z. L. im besondern war eine so grosse, 
dass hier in Worten ausgesprochener Dank wesen¬ 
los sein wüi’de. Wohl aber geloben wir, dass wir 
dein Vermächtnis treu bewahren und mit allem 
Eifer auszuführen suchen werden. 


Unsre Liebe, unser Dank gehören dir noch 
weit über die Zeitlichkeit hinaus, treu sind auch 
wir mit dir gegangen bis zu dem Scheidewege, 
an dem du uns auf Erden zurückliessest, um selbst 
der Vollendung entgegenzugehen. 

Entlassen bist du nun aus der Kette, die 
uns hier unauflöslich verband, der höchste Wel¬ 
tenmeister fand, dass es, dich daraus abzurufen, 
gerechte und vollkommene Zeit wäre. Doch, 
dass wir dereinst wieder mit dir vereint in der 
Kette verklärter Geister vor dem Antlitz des 
A. B. a. W. stehen werden, das ist unser Trost 
und das ist unsre Hoffnung. Bis dahin — auf 
Wiedersehen! 

(Die Brr bilden die Kette.) 

Wir aber, meine gel. Brr, sind jetzt enger 
in die Kette getreten um das Bild unsers i.d.e.O. 
eingegangenen Ehrenmeisters und geloben, dass 
wir treu in seinem Sinne ausbarren wollen am 
Bau, um ihn zu fördern, jeder nach seinen Kräften, 
bis auch wir dereinst abgemfen wei*den. Möchte 
dann jeder von uns sagen können: „Ich bin 
fertig!“ — „Mir ist nicht bange!“ 

Begrabe deine Toten 

Tief in dein Herz hinein. 

So werden sie dein Leben 
Lebendige Tote sein. 

So werden sie im Herzen 
Stets wieder auferstehn, 

Als gute, lichte Engel 
Mit dir durch’s Leben gehn. 

Begrab* dein eignes Leben 
In andrer Herz hinein; 

So wirst du, und bist du ein Toter, 

Ein ewig Lebender sein. 

Ein Koch 'Vl 

mit vorzüglichster Empfehlung, verheirathet, wOntoHt 
eine Logen-Oekonomie pr. Juli evtl. Oktober 
zu Ubernehmen. Gefl. Offert, unt. J. W. 2689 
an Rudolf Moste, Berlin S.W. erbeten. 

VerlaR von Bruno Zechcl In Leipzlff.^ 

Soeben erschien; 

As t r äa 

Taschenbuch für Freimanrer 

anf das Jahr 1896. 

Herausgegeben von 

Bp Robert Fischer. 

Neue Folge: 15. Band. 

Preis M. :i.—• geh. M. 8.75. 

Zu beziehen durch alle Brr Buchhändler, sowie 
auch direkt von 

Leipzigi April 1896. Bruno Zechel. 


Druck und Verl»sr von Mr Bruno Zechel in Leipzig. 


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23. Jahrgang. 

No. 5. 


Am Eeissbrette. 


Mai 1896. 


Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen 
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu 
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum 

Rautenkranz in Hildburghausen. 

Für Brr Freimaurer-Meister. 

Begründet von Br Marbach. Fortgefiihrt von Br Fuchs. 

Schriftleiter: Br Dr. A. GOndol, Leipzig-Reudnitz. _ 

Das Blatt wird vorzugsweise Beiträge bringen, die in den Logonversammlungen eines der drei Grade 
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für 
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Lo^ Balduin zur Linde stehenden 
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Einzelne Bit Meister, welche^ als 
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 8 Mark abonniren 
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf- 

f enommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebühr von 
5 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile._ 


Inhslt: Pfliohtbewasstfein. — Der UnitArbliohkeits gedsii k« in der Oesohicht« der alten Völker. — 
AstrSa. — Trinksprnoh anf die Schwestern. — Anzeige. 


Pflichtbewosstsein. 

Vortrag, gehalten im m. Grade in der Loge Wilhelm 
z. d. 8 8. in Wolfenbüttel von Br Roegglen, 
Pastor in Bornhausen. 

Eine dramatische Allegorie hat Br Schröder 
die ergreifende Handlang genannt, durch welche 
die Erhebung in den Mstrgrad erfolgt. Man 
bezeichnet sie auch als moralisches Symbol. Sie 
findet nicht bei allen Mstm die gleiche Würdi¬ 
gung, Ein bekannter Br hat die Ansicht aus¬ 
gesprochen, dass man an Stelle dieser auf der 
Hiramssage beruhenden Handlung lieber das 
Gleichnis vom barmherzigen Samariter ver¬ 
wenden solle. 

Diese Auffassung kann ich nicht teilen. 

Jenes Gleichnis würde für mich die Be¬ 
deutung des 8. Grades nicht erschöpfen. Sein 
Platz möchte vielmehr, namentlich beim Gebrauch 
des fi. St, im 2. Grade sein. 

Denn der 1. Grad stellt den Menschen dar, 
wie er aus der Hand der Natur hervorgeht, 
um zur Erkenntnis über sich selbst zu gelangen. 
Den 2. Grad erfasst den Menschen als Glied 
der Menschheit. Der Gesell muss das, was er 
als Lehrling in sich aufgenommen, zur Gestal¬ 
tung bringen. Dazu gehört die Bethätigung der 


Nächstenliebe ohne Ansehn der Person und des 
Bekenntnisses. Dem entspricht die Bedeutung 
des fl. St. z. B. im Ritual des eklekt. Bandes 
als Symbol des Makrokosmus (des körperl. Uni¬ 
versums), sowie nicht minder der Menschenliebe, 
welche den Kern des Mikrokosmus (des geist. 
Universums) bildet. 

Unser 3. Grad aber muss noch tiefer führen. 
In ihm verkörpert sich der nach Gottes Eben¬ 
bilde geschaffene Mensch, bereit zu allem sitt¬ 
lichen Guten und willig, seinen Schöpfer zu er¬ 
kennen, zu ehren und zu lieben, um dereinst 
einzugehen in die ewige Vollendung. 

Von diesen Pflichten darf den Mstr nichts 
abschrecken. Daher ist der Grundgedanke unsers 
Grades nach Schröders System: Der Mstr achtet 
selbst das Leben nicht, wenn es ohne Verletzung 
der Pflicht nicht erhalten werden kann. 

Um aber zu wissen, was Pflicht sei, be¬ 
darf es eines Vorbildes. Br Jean Paul sagt: 
„Entweder grosse Menschen oder grosse Zwecke 
muss ein Mensch vor sich haben, sonst vergehen 
seine Kräfte*; und Wilh. v. Humboldt gesteht: 
„Wenn man einem durchaus reinen und wahr¬ 
haft grossen Charakter lange zur Seite steht, 
geht’s wie ein Hauch von ihm auf uns über.* 


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So gestatten Sie mir, meine Brr, zu Ihnen 
vom Pflichtbewusstsein zu reden. Lassen 
Sie mich, zum Hinweis auf ein Vorbild der 
Pflicht, meine Ausführungen auf einer kurzen 
geschichtlichen Darlegung der Hiramssage auf¬ 
bauen. 

Bekanntlich ist Hiram eine biblische Per¬ 
sönlichkeit. Er war ein Mstr in Erz, der die 
beiden Säulen ün Vorhofe des ersten salomo¬ 
nischen Tempels und viele Tempelgeräte ge¬ 
gossen hat. Die Zunftgeschichte der Steinmetzen 
hat ihn zu einem berühmten Baumstr gemacht. 
Da von ihm Chokma, Thebuna und Daath Weiss- 
heit, künstlerisches Verständnis und Kunstfertig¬ 
keit gerühmt werden, so sind, auch nach Ander¬ 
sons Andeutung in seiner Geschichte der Frmrei, 
hierauf unsre Begriffe Weisheit, Schönheit, Stärke 
zurückzuführen. Der Name dieses Mannes wird 
etwas abweichend in den Chroniken überliefert. 
Stade macht hierfür in seiner Geschichte des 
Volkes Israel den jüdischen Chauvinismus ver¬ 
antwortlich. Hiram, bekanntlich eines Tjrers 
und einer Israelitin Sohn, habe als Vollblut¬ 
israelit aus dem Stamme Dan gelten sollen. 
Seine Mutter sei nach dem Tode ihres ersten 
Mannes in den Stamm Naphthali gezogen und 
habe den Tyrer Hiram geheiratet. Diesem zu 
Ehren habe sie ihrem Sohne erster Ehe den Bei¬ 
namen abi oder abif, d. i. .mein Vater“, ge¬ 
geben. Geschichtlich und sprachlich näher liegt 
eine Verkürzung dieses Beinamen aus abijah 
d. i. .Gott ist mein Vater“. Ihn konnte eine 
fromme Witwe im Anschluss an Davids 27. Psalm 
für ihren Sohn wohl wählen. 

Über Hirams gewaltsamen Tod sagt die 
Bibel nichts. Deshalb hat unsre Allegorie 
mancherlei Auslegungen gefunden. 

Nach den Einen führt die Sage auf Osiiis 
in den egyptischen, Attys in den phrygischen, 
Bacchus in den eleusinischen Mysterien zurück. 
Nach Andern ist unter dem erschlagenen Mstr 
eine geschichtliche Persönlichkeit zu verstehen, 
bald Karl I. von England, bald nach dem Cler- 
montschen und schwed. System der letzte Tempel- 
hermgrossmstr Jacob Molay, bald in der strikten 
Observanz Carol a Monte Carmel. Eine solche 


Übertragung von Personen der Schrift auf die 
Geschichte weist z. B. Leop. v. Sacher-Masoch 
aus der Purimsfeier der polnischen Juden nach. 
Hier sind aus Ahasver: der König Casimir, aus 
Esther: Esterka, aus Hamann: der Hetman 
Chmienizki geworden. Andere Brr mutmassen 
Persönlichkeiten im Bauhandwerke, wie den 
Schutzpatron der Steinmetzen Reinold, der mit 
einem Hammer erschlagen ward, oder jenen 
Maurermeister, welcher nach Andrö Grandidiers 
Geschichte im Jahre 1276 bei Grundsteinlegung 
zum Turm des Strassburger Münsters getötet 
ward. Manche neuere mrische Schriftsteller 
sehen in der Hiramslegende das Symbol des 
jährlichen Sonnen- und Naturlaufes. 

Doch über alle diese Auslegungen ragt die 
eine hervor, von welcher Br v. Selasinski in 
seinen Mstrinstruktionen sagt: .Es wird hier 
das Bild eines Mannes aufgestellt, der Pflicht, 
Gewissenhaftigkeit und Bekenntnis der Wahrheit 
höher achtete, als das Leben.“ 

Ob vor den Brn, die zwischen 1722—25 
den 3. Grad errichtet haben, unter diesem Manne 
Hiram oder Jesus Christus verstanden ist, müsste 
durch Nachweis der Benutzung alter rosen- 
kreuzeiischer Schriften aus dem 17. Jahrh. noch 
mehr, als bisher erhäi*tet werden. Auffallend 
ist, dass Anderson in seiner im Const. B. von 
1723 mit 1721 abschliessenden Geschichte noch 
nicht, wohl aber in dem von 1738 Hirams 
plötzlichen Tod erwähnt. Der Beweis wäre um 
so nötiger, als die in unserm System verständnis¬ 
los nach Tubalkains Stiefbrüdern Jabal und 
Jubal benannten 3 Gesellen im 61u de Perignau: 
Romvel, Gravelot und Abiram heissen. Diese 
Namen klingen wohl mehr an Korah, Dathan 
und Abiram, die Empörer wider Mose, als an 
Herodes, Caiphas und Pilatus an. Dazu kommt, 
dass nach Br Schiffmann die Erzählung von 
Hirams Ermordung aus dem Talmud ent¬ 
nommen ist, gleichwie Br Oliver unter den 
3 Gesellen die Assyrer, Chaldäer und Römer 
versteht. 

Trotzdem darf sich selbstverständlich der 
einzelne Mstr unter dem sagenhaften rituell- 
symbolischen Hiram den geschichtlichen Christus 


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als das bedeutendste Vorbild sittlicher Pflicht¬ 
erfüllung vorstellen. 

In Jesu Leben vollzieht sich der Kampf 
zwischen Licht und Finsternis grossai*tiger, als 
in der germanischen Sage die Feindschaft Lokis 
gegen Balder. Und Christus ist siegreich aus 
diesem Kampfe hervorgegangen, gehorsam bis 
zum Tode am Kreuz. Ist er unser Vorbild, 
so vermögen die drei Gesellen, die Fehler des 
Kopfes, des Herzens und die niedem sinnlichen 
Leidenschaften, uns dauernd nicht zu schaden. 

Mit Gewalt haben sie Hiram abtrotzen 
wollen, was nur durch Zeit und Fleiss erlangt 
werden kann. 

Der erste Gesell fordert von ihm das 
Mstrwort. Er hält es für den Talisman, der 
alle Geheimnisse der k. K. auf einmal erschliesst. 
Thörichter Wahnl 

Wie mancher hat schon gemeint, mühelos 
in unsere Bauhütten Aufklätung zu erhalten 
über allerlei tiefsinnige Speculationen. Neugierig 
ist er von Grad zu Grad geeilt, um beim letzten 
zu gestehen: »Aber immer blieb verborgen, was 
ich suchte, was ich will!* Warum? Weil seine 
Sinne gehalten waren, dass sie das Symbol, mit 
welchem der erste Gesell Hiram den Halsschlag 
gab, nicht erkannten. Weil er zur Wahrheit 
eingehn wollte durch Schuld. 

Der eingeteilte Massstab hätte ihn be¬ 
lehren können, dass man die rechte Erkenntnis 
der Grössen, d. i. die Wahrheit, nur durch eigne 
Untersuchung, Prüfung und Überzeugung ge¬ 
winnt. Alle irdische Erkenntnis hat freilich 
ihre Grenzen. 

»Verscherzt ist dem Menschen des Lebens Frucht, 

Solang er die Schatten zu haschen sucht.- 

So lang’ er glaubt, dass dem irdischen Verstand 
Die Wahrheit je wird erscheinen; 

Ihren Schleier hebt keine sterbliche Hand, 

Wir können nur raten und meinen.* 

Aber das sollen und müssen wir. Schreiben 
wir auch in aller Demut auf unser Reissbrett: 
»Ein Mstr ward* ich, doch ein Lehrling bleib’ 
ich*, — so dürfen wir doch sprechen mit 
unserm Br Lessing: »Wenn Gott in seiner 


Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den 
einzigen, immer regen Trieb nach Wahrheit ver¬ 
schlossen hielte und spräche zu mir: wähle! ich 
fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: 
Vater, gieb: die reine Wahrheit ist ja doch nur 
für dich allein.“ 

Darum, meine Brr, Pfiichtbewusstsein in 
den Grenzen unseres mrschen und bürgerlichen 
Berufs! Der eingeteilte Massstab weise uns 
stets auf unser Wirken hin. Auch unsre Ar¬ 
beit ist nicht vergebens, wenngleich wir nur 
Sandkorn an Sandkorn reihen. Auch unser Stand 
hat seinen Frieden, auch unser Beruf hat seinen 
Segen, sofern wirs beherzigen: 

»Sei, was du bist und werden sollt. 

In deines Lebens Schranken. 

Im Feuer läutert sich das Gold; 

Steh fest und ohne Wanken!“ 

Darum lassen Sie uns, als unsre zweite Pflicht, 
für Charakterbildung sorgen! 

Nach Mstr eh re trachtete der zweite Ge¬ 
sell, welcher mit einem Winkelmass auf Hirams 
Brust einschlug. Wiederum ein verhängnisvoller 
Irrtum! Was frommts, „gross vor der Welt, 
klein vor sich selbst zu sein?“ Wie bedrückt's. 
Andern zu predigen und sich selbst verwerflich 
zu erscheinen!“ 

Vollkommen gut werden wir freilich nie¬ 
mals durch uns. Dazu bedarf es des Beistandes 
des A. B. Aber dem Guten nahe zu kommen, 
vermögen wir. Das Winkelmass weist uns 
auf die strenge Gerechtigkeit in unserm ganzen 
Betragen hin, von der wir nicht abweichen 
können, ohne strafbar zu werden. Gerechtigkeit 
aber kann nur von Innen heraus erwachsen. 
Wie der Grundstein, so der Schlussstein: ein har¬ 
monisches Ganze. Darum ermahnt uns Br Goethe: 

»Suche nicht vergebens Heilung! 

Unsrer Krankheit schwer Geheimnis 
Schwankt zwischen Übereilung 
Und zwischen Versäumnis.“ 

Unbeugsam fest muss der Mstr in dem stehen, 
was er als gerecht, als seine Pflicht erkannt hat. 
Ihm gilt’s: 


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,Sei du im Leben, wie im Wissen 
Durchaus der reinen Fahrt beflissen. 

Wenn Sturm und Strömung stossen, zerm, 

Sie werden doch nicht deine Herrn.* 

Schon die alten Griechen hatten eine fromme 
Ehrfurcht vor dem Fatum. Ihm sich zu beugen, 
ihm ohne Murren zu folgen, galt als höchste 
Weisheit, als schönster Gottesdienst. Wir kennen 
den Willen Gottes aus der Bibel, die auf dem 
Altar liegt, aus dem Winkelmass, das wir für 
uns, dem Zirkel, den wir für die Menschheit hin¬ 
zufügen Verstehen wir, was Br Herder sagt?: 

„Suchst du den Hirten der Heerde, die droben 
sich badet im Äther, 

Suchst du das hohe Gesetz, welches die Welten 
bewegt? 

Sterblicher blick in dich selbst! Da hast du 
die höhere Regel, 

Die nicht die Welten allein, die auch sich selber 
regiert.“ 

Der Mstr, der so zu einem Charakter sich ent¬ 
faltet, begreift es: 

„Wer durch das Leben sicher sich will schlagen, 
Der lerne bald, was ihm von nöten sei; 

Ein Herz von Stahl muss er im Busen tragen. 
Von allem Roste niedrer Selbstsucht frei. 

Stark muss er sein, entschlossen, kühn im Wagen, 
Ob auch das Unglück noch so furchtbar d'rftu ; 
Und ist es da, unmännlich nicht verzagen. 

Dem bessern Wissen und der Pflicht getreu. 
Dann wird er auch das Schwerste leicht voll¬ 
bringen 

Und wie ein Gott die Hölle selbst bezwingen.“ 

Ja, meine Brr, dann wird ihm auch der Mstr¬ 
ich n nicht fehlen, den jener dritte Gesell ver¬ 
gebens begehrte, der Hiram mit einem Hammer 
den Todesschlag versetzte. 

Ein Symbol der Macht ist der Hammer. 
Thor führt in der nordischen Sage den Hammer 
Miölner. 

An Macht war jenem Gesell freilich wenig 
gelegen. Er wollte in niedriger Gesinnung haben, 
was die Macht erschliessen kEinn: den sinnlichen 
Lebensgenuss. Nicht also der Mstr. Wohl darf 


auch er die Macht nicht ausschlagen, die ihm 
angeboten wird. Aber er muss sie verwenden 
zum Besten seiner Brr, zu seiner sittlichen 
Förderung. Je mehr Macht, desto grössere 
Pflicht. „Aliis inserviendo consnmor, im Dienste 
Andrer verzehr* ich mich“, war der Wahlspruch 
des Herzog Julius, unsres kirchlichen Refor¬ 
mators, des Stifters unsrer einstigen Landesuni¬ 
versität. 

Deshalb ist der Hammer zugleich Symbol 
der unermüdlichen Arbeit an uns selbst. «Vor 
die Jugend haben die Götter den Schweiss 
gesetzt!“ 

„Alles Labsal, was uns hier beschieden. 
Fällt nur im Kampf und Streit uns zu. 

Nur in der Arbeit wohnt der Frieden, 

Und in der Mühe wohnt die Ruh,“ 

„Immota fides, unwandelbare Treue“, ist 
die Devise unsres Landesordens, „Nec aspera 
terrent. Rauhes schreckt nicht“, unsres Herzog¬ 
tums Wahlspruch. 

Wohlan denn, bleiben wir unsrer Pflichten 
uns bewusst, treu bis zum Tode! 

„Der einzige Lohn, der meine Tugend krönen 

sollte, 

Ist meiner Tugend letzter Augenblick!“ 

Alles andre stellen wir dem ewigen Mstr anheim. 

„Es rufen von drüben 
Die Stimmen der Geister, 

Die Stimmen der Meister: 

Versäumt nicht, zu üben 
Die Kräfte des Guten!“ 


Der Unsterblichkeitsgedanke in der 
Geschichte der alten Völker. 

Von Br H. Arnold, Mstr v. St. der Loge Phönix 
im Or. Leipzig. 

(Schluss.) 

Was nun die alten Griechen und Römer 
anlangt, die die am meisten durchdachte und 
klarste Götterlehre hatten, so glaubten auch sie, 
dass der Mensch ausser dem Leibe eine un¬ 
sterbliche Seele besitze, die sich beim Eintritte 
des Todes ti’ennten. Während die sterbliche 


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Hülle ins Grab gesenkt oder verbrannt wurde, 
wanderte die Seele in das Reich der Schatten, 
in den finstern Orkus hinab. Dort sass der 
unfreundliche Beherrscher der Unterwelt, Hades, 
und sorgte dafür, dass alles in Schweigen und 
freudlosem Hinbrüten verharrte. Wer heldenhaft 
gewesen, mit Ungeheuern gekämpft und Grosses 
vollbracht hatte, dessen Seele konnte auch direkt 
zu dem Olympos emporgehoben werden, um dort 
nach dem Genüsse von Nektar und Ambrosia 
selbst den unsterblichen Göttern gleich zu werden. 

Als Odysseus auf seinen Irrfahrten auch 
den Eingang zur Unterwelt fand, da kamen ihm 
die Schatten bekannter Helden entgegen; aber 
diese Begegnung war durchaus nichts Freudiges, 
sondern hatte eher etwas Düsteres an sich, so* 
dass man zu der Ansicht kommen muss, das 
Schattenreich der Griechen sei kein Ort der 
Freude und des Glückes gewesen. 


Dass die Griechen an eine unsterbliche Seele 
glaubten, lehrt am deutlichsten die Herkules¬ 
sage. In ihr tritt ja auch die Lehre deutlich 
hervor, dass der Tugendweg durchaus nicht mit 
Rosen bestreut ist, sondern dass nur der ihn 
wandeln kann, der bereit ist. Schweres zu voll¬ 
bringen und Mühe und Sorge zu ertragen. Als 
Herkules durch das vergiftete Nessushemd ganz 
unerträgliche Schmerzen zu dulden hatte, da 
entschloss er sich, das Sterbliche, das er an 
sich hatte, durch das läuternde Feuer zu ver¬ 
nichten, damit sein unsterblicl^r Geist sich zu 
Zeus emporschwingen konnte, j Schiller schildert 
dies folgen dermassen: ^ 


/ 




Bis der Gott, des Irdischen entkleidet, 
Flammend sich vom Menschen scheidet, 

Und des Äthers leichte Lüfte trinkt. 

Froh des neuen ungewohnten Schwebens 
Fliesst er aufwärts, und des Erdenlebens 
Schweres Traumbild sinkt und sinkt und sinkt. 
Des Olympos Harmonien empfangen 
Den Verklärten in Kroniens Saal, 

Und die Göttin mit den Rosenwangen 
Reicht ihm lächelnd den Pokal. 


Dass in dem Göttersaale des Olymp die 
Freuden der Erde nicht ganz unbekannt, dass 


selbst die unsterblichen Götter mit menschlichen 
Schwächen und Leidenschaften behaftet waren, 
ist eine allbekannte Tbatsacbe, und es kann 
daraus geschlossen werden, dass die Griechen 
auch im Fortleben der Seele noch ein Weiter¬ 
spinnen des Erdendaseins vermuteten, nur mit 
der Einschränkung, dass die Fahrt der Seele 
über den Lethe alles Erinnern an das irdische 
Leben weggewischt hatte. Darum eben konnte 
das neue Leben durch irgend welche trübe Er- 
fahiungen während des Erdenwallens nicht be¬ 
einträchtigt werden. 

Die Römer hatten im allgemeinen die grie¬ 
chische Götterlehre angenommen, waren also auch 
der Meinung, dass es ein Fortleben des Geistes 
nach dem Tode gäbe. 

Unsre altdeutsche Mythologie, die in vieler 
Beziehung der der alten orientalischen Völker 
gleicht, kennt gleichfalls ein Fortleben der Seele 
nach dem Hinwelken des I<eibes. Die Gedanken 
über Unsterblichkeit und Tugend, die wir dort 
finden, verdienen überhaupt unsre vollste Be¬ 
achtung. 

Die Juden, ^ie sich gerne das auserwählte 
Volk nannten, weil sie den Glauben an den 
einigen wahren Gott im Altei*tum zuerst lehrten, 
waren selbstverständlich Anhänger der Lehre, 
dass die Seele, die sich im Tode vom Leibe 
trennt, weiter lebt; sie machten auch einen 
Unterschied zwischen Guten und Bösen, ohne 
indess die Grenzlinie zwischen beiden haarscharf 
zu ziehen. Die Seelen der Sünder sollen zur 
Hölle wandern, um dort ewige Qual zu erleiden, 
während die Seelen der Frommen eingehen sollten 
in die ewige Seligkeit, die weit erhaben ist über 
alle menschlichen Vorstellungen von Glück, Heil 
und Frieden. 

Dass Jesus diese Lehre aufgriff, um auch 
seinen Anhängern die Hoffnung zu gewähren, 
einst noch ein schöneres, besseres Leben zu ge¬ 
messen, ist schon dämm sehr erklärlich, weil 
er besonders ein Sendbote Gottes für das niedrige 
Volk war, das ja, weil es auf Erden Not und 
Jammer genug zu ertragen hat, wenigstens in 
dem Hinweise auf das einstige Leben einen Trost 
haben muss. Wie Hesse sich sonst ein Glück 


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38 


auf Erden denken für den, der kaum das hat, 
was er zu des Lebens Notdurft gebraucht? Glück¬ 
lich kann sich nur der fühlen, der volle Be¬ 
friedigung über seinen Zustand empfindet. Das 
ist aber sehr schwer, wenn ein Armer sieht, wie 
sein Nächster, der mit irdischen Glücksgütern 
aller Art gesegnet ist, sich jeden Wunsch er¬ 
füllen kann, während er selbst nur dem Karren¬ 
pferde gleicht, das zur Arbeit und Plage be¬ 
stimmt zu sein scheint. Da ist es für ihn ein 
Trost, dass das Jagen nach irdischen Güteni, 
die übertriebene Sucht nach Gewinn, als etwas 
mit dem christlichen Streben nicht Vereinbares 
hingestellt und dass gelehrt wird: Es ist leichter, 
dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als 
dass ein Reicher in das Himmelreich komme. 
Der reiche Jüngling, der sich nicht entschliessen 
konnte, seine Güter zu verkaufen und den Erlös 
den Armen zu geben, wird bezeichnet als nicht 
geschickt zum Reiche Gottes. Die Verachtung 
dessen, was die Erde schön und angenehm macht, 
soll den Menschen beizeiten soweit bringen, nur 
zu trachten nach dem, das droben ist, seine 
Seele also für die reinen Freuden des Himmel¬ 
reiches vorzubereiten. 

Die biblische Schöpfungsgeschichte lehrt, 
dass der Leib des Menschen aus einem Erden- 
klosse gebildet, dass aber die Seele direkt von 
Gott in dieses Bild eingehaucht wurde. Was 
ist natürlicher, als dass nach dem Tode der 
Körper wieder zur Erde wird, davon er ge¬ 
nommen ist, der Geist aber wieder zu Gott 
geht, der ihn gegeben hat? 

So erstattet also der Tod das wieder zu¬ 
rück, was während des Menschenlebens gewis- 
sermassen nur geliehen war. 

Wem der Glaube an ein Jenseits abhanden 
gekommen ist, der ist wirklich beklagenswert. 
Er kann nach unserer Meinung weder für sich 
noch für andere einen rechten Trost haben, wenn 
ihm ein liebes Glied seiner Familie durch den 
Tod entrissen wird; ja er wird sich auch schwer 
zu Idealen irgend welcher Art begeistern können, 
muss er sich doch immer sagen, dass das, was 
er für die Ausbildung seines Geistes thut, nur 
für die kurze Lebensdauer einen Wert haben 


kann. Das Wort Glaube braucht er für seine 
Verhältnisse nicht; das ist nach seiner Meinung 
nur für die Geistigarmen nötig, die da zu nichts 
anderm bestimmt sind als zu harter Arbeit tag¬ 
aus, tagein. Glücklicherweise sind es immer 
nur einzelne, die auf einem solchen Standpunkte 
stehen; die Mehrheit der Menschen denkt anders. 
Wenn ein ganzes Volk seinen Glauben an die 
Unsterblichkeit verlöre, das wäre gerichtet; für 
dieses gäbe es keine glorreiche Zukunft. Wo 
soll bei einem solchen Begeisterung für das 
Hohe und Erhabene, für das Wahre, Gute und 
Schöne gedeihen? 

Darum ist der Unsterblichkeitsgedanke und 
der Glaube an ein besseres Jenseits für die ge¬ 
samte Menschheit ein Edelstein, den nie ein 
Spötter trüben soll. Wenn selbst alles auf Erden 
uns fehl schlägt, so hleibt uns doch die Hoff¬ 
nung auf einstige Vergeltung im höhem Lichte. 
D er -dri t t e- G r a d unsere^: k. K.^andeU ja vaoc# / 
wiegend von den. letzten Dinge^; Arbeiten 
darin sollen uns stets von neuem m dem Bewusst¬ 
sein stärken, dass wir hier keine bleibende Stätte 
haben, sondern die zukünftige suchen müssen. 
Wollen wir stets dieser erhabenen Pflicht ein¬ 
gedenk sei^w o l hin wir un s des Dichters Worte 
recht tief ins Herz schreiben, die da lauten: 

Und eins, mein Gott, das keine Zeit mir raube. 
Nicht mit Gewalt und nicht mit bösem Trug, 

Das bleibe mir: der fromme Kinderglaube, 

Der himmelan sich schwingt mit frohem Flug, 

Der hundertmal sich frisch erhebt vom Staube, 
Wenn hundertmal die Welt ihn niederschlug; 

Der Glaube an ein heilig Walten droben. 

Wie auch die Feinde spotten oder toben. 

Drauf bitt’ ich noch: lass mir mein kindlich 

Hoffen, 

Das hellen Aug^s in dunkle Zukunft schaut, 

Das über Wolken sieht den Himmel offen. 

Dem hinter Bergen noch ein Eden blaut, 

Das, wenn der Blitz sein irdisch Haus getroffen, 

Im Himmel kühn sich bess're Hütten baut. 

Und fröhlich spricht: ob ich gleich fall* und 

sterbe. 

Dort oben glänzt mein ewig Teil und Erbe. 


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39 


So bleib’ ich Kind, so sprech’ ich zu den Jahren: 
Fahrt hin, mich streift nur eurer Flügel Schwung, 
Ein Jüngling blüh’ ich noch in Silberhaaren, 
Denn Gottes Gnade macht mich täglich jung. 
Und einst mit Flügeln will ich aufwärts fahren, 
Am grossen Tage der Verwandelung, 

Da wird mein Gott mir Seel’ und Geist verjüngen, 
Ein Kind des Lichts mich himmelan zu schwingen. 

Asträa. 

Taschenbuch für Frmr. auf das Jahr 1896 
von Br R. Fischer. 

Das im Verlage von Br Bruno Zechel in 
Leipzig erscheinende Taschenbuch für Frmr ist in 
sein 15. Lebensjahr getreten. Wie in den früheren 
Ausgaben, so ist auch diesmal der als maur. 
Autor und Redakteur weitgekannte Br Fischer 
in Gera bemüht gewesen, in der „Arbeits-, Fest- 
und Trauerhalle* seiner Asträa Vorträge — 18 
an der Zahl — aus den berufensten Federn zu 
bringen. Vier davon entstammen seiner eigenen. 
Bei der gewiss grossen Auslese maur. Zeit¬ 
schriften und bei der geringen Zeit, die man 
dem Genüsse derartiger, namentlich der erbau¬ 
lichen Lektüre zu widmen geneigt oder in der 
Lage ist, sollte man meinen, müsste ein solches 
Sammelwerk überflüssig erscheinen. Wenn sich 
aber diese Meinung hier als falsch erweist, so 
macht das sowohl dem Herausgeber, wie auch 
den Bearbeitern der einzelnen Themen alle Ehre. 
Es hat sich schliesslich jeder Schriftsteller, ge¬ 
radeso wie jeder Redner seine Gemeinde ge¬ 
bildet, und wenn auch das gedruckte Wort dem 
geschriebenen meistens vorgezogeu werden wird, 
so halten wir in unsem Musestunden doch gern 
einmal bei den Verfassern Einkehr, welche durch 
die ansprechende Art ihrer Darstellung, durch 
das Charakteristische ihrer Stoffauswahl, wie durch 
deren individuelle Auffassung, oder allseitige 
Beleuchtung uns am meisten Zusagen. Und in 
der Asträa kann jedes Sehnen befriedigt und 
jeder Wunsch gestillt werden. Geschichte der 
Frmr ei, ihre sozialen und ethischen Aufgaben 
sind in gleicher Weise bedacht. 

Zu dem Namen Taschenbuch ist das Werk- 
chen wohl mehr durch seinen 4. Teil, die ,Rund¬ 


schau* gekommen, obgleich derselbe vom Heraus¬ 
geber eigentlich etwas stiefmütterlich behandelt 
worden ist. Hier werden wir nach einem all¬ 
gemeinen Überblicke in 11 besonderen Kapiteln 
bekannt gemacht mit den maur. Ereignissen 
des Vorjahres. Wir erfahren von den Beziehungen 
der Frmrei zum Throne, von der Thätigkeit des 
Grosslogenbundes, von sonstigen Versammlungen 
Jubiläen, Neugründungen, Todesfällen, littera- 
rischen Erscheinungen, Zeitschriften, von einigen 
statistischen Angaben, Wohlthätigkeitsveranstal- 
tungen und 3 besonderen, der Überschrift »All¬ 
gemeines* untergeordneten Vorgängen. Wenn 
auch einige dieser Abschnitte, z. B. der über 
die Statistik, etwas reichlicher und vollständiger 
hätten bedacht werden können, so giebt diese 
Rundschau doch klar und deutlich ein Bild 
maur. Thuns aus dem Jahre 95, das zur Orien¬ 
tierung in den Hauptgeschehnissen namentlich 
dem vortreffliche Dienste leisten wird, dem Zeit 
und Gelegenheit fehlen, sich anderweitig auf 
dem Laufenden zu erhalten. 

Indem wir daher das Werkchen mit gutem 
Gewissen empfehlen, können wir dem Heraus¬ 
geber für seine That nur dankbar sein und dem 
Buche selbst, namentlich des herrlichen Blüten- 
strausses maur. Vorträge wegen, die grösstmög- 
liche Verbreitung wünschen# Br A. O. 


Trinksprnch anf die Schwestern. 

Von Br 0. Fache in Leipzig, B. z. L. 

1. Wir haben als Mr. die Pflicht übernommen, 
in uns und an uns die Schönheit zu verwirk¬ 
lichen! Was Schönheit ist, wir wissen es. Ihr 
Abbild wandelt unter den Menschen. Schauet 
das Weib, sehet die Schwester. Die Fülle der 
herrlichsten Formen hat ihr der a. B. a. W. 
verliehen. Solange eine gottbegnadete Kunst 
das reinste und höchste Ideal der Schönheit dar¬ 
zustellen versucht, solange haben ihre begeisterten 
Jünger mit keuschem Sinne und heiligem Feuer 
des Weibes Lichtgestalt in Bild und Wort be¬ 
sungen. So isFs seit Jahrtausenden geschehen. 
Und noch weitere Jahrtausende hindurch wird 
dem Pfingstgeiste der Kunst kaum gelingen, den 


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ganzen Inbegrifif der Schönheit des Weibes zu 
erfassen. Denn nicht die Reinheit der Form, 
nicht die Hoheit der Gestalt sind es, welche 
unsere Herzen mit geheinmissvollem Zauber er¬ 
füllen. Diese sind nur Schale. Was unsere 
Seele gefangen nimmt, das ist die Anmuth, 
die in jeder Bewegung, in jedem Blicke, in jedem 
Worte bei dem Weibe zur Geltung kommt. 
Schönheit wird vom Alter besiegt; Anmut geht 
mit in das Grab. Die Schönheit bewundern 
wir; die Anmut müssen wir lieben. Anmut 
ist aber keine Eigenschaft des Weibes; sie ist 
mehr. Sie ist der naturgemässe Ausfluss der 
Güte und des Wohlwollens, welche der Schwester 
Herz regieren. Sie ist das vollgültige Zeugnis 
für die Schönheit der Seele, die ihre lieblichste 
Entwicklung findet in der Liebe, der herrlichsten 
Gabe des Himmels. Sie ist die ungezwungene 
und ungesuchte Wirkung des reinen Herzens 
und keuschen Sinnes, der unsere Schwestern hoch 
über die Gemeinheit hebt! 

2. Die Liebe regiert die Schwester. Sie giebt 
ihr die Kraft, das Notwendige des Lebens dienend 
zu erfüllen und durch die Art dieser Erfüllung 
in freiwilliger Abhängigkeit Allen das Leben zu 
verschönen und zu veredeln. Der Mann wird 
vom Gesetze angewiesen, seine Familie anständig 
zu erhalten. Für c^^e Frau giebt es kein solches 
Gesetz. Es ist auch nicht nötig; denn Glück 
um sich bereiten ist der selige Beruf des Weibes, 
und unsere Schwester ermattet nie in den 
tausenderlei kleinen und grossen Verpflichtungen, 
die ihr auferlegt sind. Wer da weiss, wie die 
gute, pünktliche und ruhige Erledigung aller 
dieser Dinge ganz wesentlich zu unserem Wohl¬ 
befinden beiträgt, der bekennt auch gern und 
freudig, dass wir unseren Schwestern in erster 
Linie den Gottesfrieden des Hauses zu danken 
haben. Es giebt ja keine grössere, keine höhere 
Glückseligkeit auf Erden, als die Segnungen der 
Familie. In der Wohnstube vereinigt sich alles 
Heilige und Hohe, die Grundlage unserer Kraft, 
das Glück unserer Tage und die Hoffnung der 
Zukunft. In ihr werden immer neue Freuden 
geboren: sie ist unerschöpflich in ihren Gaben. 


In ihr sind alle Reize der Einsamkeit, Liebe und 
Freundschaft verborgen; sie macht das Herz 
froh und glücklich — und die Schwester ist 
die Hohepriesterin dieses heiligen Tempels! 

3. Von Alters her war die Mutter die erste 
Lehrerin des Kindes, die mit heisser Liebe den 
erwachenden Geist pflegte und mit Sorgfalt seine 
Entwicklung in der ersten Jugend leitete. In 
unseren Zeiten aber ist der Kampf um das täg¬ 
liche Brot, den der Mann zu führen hat, ein 
viel härterer geworden. Hinzugekommen ist die 
Sorge um das gemeine Wohl, die Teilnahme 
am öffentlichen Leben. Da wird der Mann öfter 
über die Schwelle getrieben, sodass die Sorge 
um die Erziehung der Kinder fast allein ruht 
auf den Schultern der Schwester. Es war ja 
von jeher also, dass die Menschen auch die 
besten und grössten unter ihnen, den edelsten 
und vornehmsten Teil ihrer Bildung der Mutter 
verdankten. Zu dieser Stunde aber ist das Heil 
des kommenden Geschlechtes und das Glück der 
Zukunft fast ganz allein von der Schwester ab¬ 
hängig. Ja, an dem mütterlichen Herzen keimt 
jetzt der Geist der Völker: seine Sitten, Vor¬ 
urteile, Laster und Tugenden — sein Glück 
oder sein Unglück; mit anderen Worten: die 
Gesittung des menschlichen Geschlechts ist in 
die Hände unserer Schwestern gelegt! Darum 
segne der a. B. a. W. ihr Bemühen für und 
für! Wir aber treten in Ordnung und sagen 
dankbaren und hoffenden Herzens: 

der Schw. als der Verkörperung der Schön¬ 
heit, Anmut, Liebe und Reinheit zum 1., 

der Schw. als der Hohenpriesterin unseres 
Hauses zum 2., 

der Schw. als der Trägerin der Zukunft 
der ganzen Menschheit zum 3. 


MT Gesucht '"Vl 

werden einige gebundene Jahrgänge fpmschep 
Zeitschpiften aus den Jahren 1820—50. Gef. 
Offerten unter Preisangabe durch Bruno Zechel 
in Leipzig erbeten. 


Druck und Verlag von Br Bruno Zechel in Leipzig. 


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23 Iah^Mg.| A ly, “D^ 

1 CI CI rwT» A lluniJull 1896. 

No. 6/7. 1 A IJJ^ |V(3 



Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen 
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archiraedes zu 
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum 

Rautenkranz in Hildburghausen. 

Für Brr Freimaurer-Meister. 

Begründet von Br Marbach. Portgeführt von Br Fuchs. 

Schriftleiter: Br Dr. A. Güiidel, Leipzig-Reudnitz. 

Da 45 Blatt wird vorzugswoiKe Beiträge bringen, die in den Logenversaminlungen eines der drei Grade 
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für 
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden 
Geschäftsstelle betheiligton Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Kinzelne Brr Meister, welche als 
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheineude Blatt mit jährlich 3 Mark abonniren 
und erhalten es dann unter ilirer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf- 
genoniinen, w(‘nn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebühr von 
25 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile. 


Inhalt: Uniere Ideale. — Die Rätaelfragen der Sphinx. — Über die Zufriedenheit. — Ludwig BSrne al* 
Frmr und Sohriftstellor. — Blätter und Blüten. — LHterarisches. — Anseigen. 


Unsere Ideale. 

Vortrag zum 120. Stiftungsfeste der Loge „B. z. L.“ 
in Leipzig von Br Dr. Uarrwitz, zug. Mstr. v. St. 

E.S liegt wohl in der Natur der Sache, das.s 
am Scheidewege eines alten und neuen Logen- 
jabres unser Interesse sich vorwiegend solchen 
rnaur. Betrachtungsgegenständen zuwenden wird, 
welche eine allgemeinere Bedeutung haben. 

Denn, indem der Beginn eines neuen 
Arbeits-Abschnitts uns die Pflicht zu wieder¬ 
holter Prüfung des maur. Arbeitsgebietes und 
der zur Lösung der gestellten Aufgaben dienenden 
Kräfte und Mittel vor die Seele führt, werden 
dadurch unmittelbar Erwägungen von grösserer 
Tragweite in uns angeregt und die Betrachtung 
über das Einzelne hinaus auf das Allgemeine 
gerichtet. 

Wenn wir in Würdigung dieser Thatsachen 
schon an früheren Stiftungsfesten uns mit Gegen¬ 
ständen der bezeichneten Art beschäftigt haben, 
zu denen in den letzten Jahren insbesondere 
auch die bisherigen Erfolge der Prmrei, ihre 
Fortschritte und ihre Aussichten für die Zukunft 
gehört haben, so hatten wir, wie ja ebenfalls 
naturgemäss, auch bereits im Rahmen jener 
Erörterungen in mannigfacher Weise das innerste 


Wesen der Frmrei, die niaur. Ideale zu berühren. 
In dieses Centralgebiet der maur. Ideenwelt soll 
uns nun unsere heutige Betrachtung mitten 
hineinführen. Unsere Ideale selbst, die Leit¬ 
sterne des Mrs auf der irdischen Pilgerfahrt, 
wollen wir ins Auge fassen, um im Aufblick 
zu dem nie verbleichenden Strahlenglanze dieses 
himmlischen Sternenzeltes unsere Geisteskräfte 
zu sammeln und zu erfrischen, unser Herz zu 
erfreuen und zu erwärmen zu treuer und rüstiger 
Weiterarbeit im neuen Logenjahre und auch 
auf unserer ferneren Mrbahn. 

Wohl wissen wir, meine Bit, dass in der 
Sphäre der höheren Leben.sbeziehungen auch die 
Rätsel des Lebens verborgen sind, die uralten 
Probleme des Menschendaseins, welche nicht nur 
das Herz des Mrs, sondern die Herzen der ganzen 
Menschheit von jeher bewegtnind ergriflfen haben, 
wolil zeitweilig von der Hand gewiesen, aber 
immer mit Übermacht zurückkehrten, Tausenden 
und aber Tausenden keine Lösung bringend und 
doch gegen Alle auf Lösung dringend. 

Jede Hiroglyphen- und Runen - Schrift im 
Buche des Lebens so entziffern wollen, dass 
nichts mehr darin Geheimnis bliebe, wäre eine 
unmaur. Überhebung und zugleich ein Eingriff 


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iß die heiligen Rechte jener höhern Macht, welche 
die volle Wahrheit den Augen der Staubgebor- 
nen verhüllt hat. Auch die Frmrei unternimmt 
es nicht, den Schleier dieses Wahrheitsbildes auf¬ 
zuheben. Aber sie führt uns an den Altar der 
Wahrheit heran, vor dem wir, war nur unser 
Blick zuvor mit Ernst nach Innen, mit Liebe 
nach Aussen, mit Vertrauen nach Oben gerich¬ 
tet, ahnungs- und demutsvoll wenigstens ein¬ 
zelne Züge des verschleiert bleibenden Bildes 
schauen, zu wenig als dass wir danach von Er¬ 
kenntnis reden könnten, denn wir sind schwache 
Menschen, und doch nicht zu wenig, als dass 
nicht der Abglanz des hoheitsvollen Bildes mit 
überirdisch-idealem Lichte uns den Pfad des 
Lebens erleuchten könnte, wenn wir recht- 
schatFene Frmr. sind. 

Nur in dem Sinne eines bescheidenen Wahr- 
heitssuchens ohne Anspruch auf irrtumsfreie Be¬ 
weisgültigkeit möchte daher auch unserer Er¬ 
örterung verstanden sein, wenn sie hier und da 
eins der Probleme streift, über welche Niemand 
mit apodiktischer Gewissheit reden kann und darf. 

Der Frmr, dessen Herz die Ideale der 
k. K. erfüllen, wird gern darauf verzichten, sie 
im profanen Leben, zumal ungefragt, anzuprei¬ 
sen. Er wird ihnen treu nachstreben und sie 
zu bethätigen suchen, ohne sie dem Markte des 
Lebens aufzudrängen. Wenn er sich aber auch 
dessen bescheidet, so wird es ihm doch immer 
in tiefster Seele wehe thun, wahrnehmen zu 
müssen, wie eben diese Ideale, welche doch Ge¬ 
meingut der Menschheit sind und Allen ebenso 
heilig sein sollten, als ihm, im Weltleben oft 
missachtet und in den Staub gezogen werden. 
Und selbst da, wo das Thun und Treiben der 
Welt den Idealen nicht geradezu widerspricht, 
wird wenigstens die Notwendigkeit einer idea¬ 
len Richtung und Führung des Daseins häufig 
bezweifelt, werden die Ideale als Hirngespinste 
bezeichnet, wird auch wohl gar mit Hohn auf 
ihre Unbrauchbarkeit zur Erreichung praktischer 
Lebenszwecke hingewiesen. Von diesem Stand¬ 
punkte aus hätten freilich auch wir es nur zu 
bedaueiT), noch nicht mit solchen Phantasiege¬ 
bilden fertig zu sein, uns noch nicht in den 


Bannkreis Derer begeben zu haben, welche mit 
den sogenannten praktischen Lebenszwecken auch 
den ganzen Zweck des Lebens erreicht zu haben 
glauben und nur dem äusseren Erfolge huldigen, 
als dem nach ihrer Meinung einzig richtigen 
Kriterium dessen, was der Mensch vermag und 
gilt. Denn wer sich nur daran hält, dem wird 
es massgebend sein müssen, dass thatsächlicb 
das Leben vieler ein Bild ruhiger, sicherer und 
erfolgreicher Vorwärts-ja Aufwärtsbewegung dar¬ 
bietet, während es doch fast ohne allen idealen 
Hintergrund ist, ja dass der Idealismus mit sei¬ 
nem grösseren Ernst und seinem geringeren An¬ 
passungsvermögen zuweilen wirklich die Ent 
faltung gewisser erfolgbringender Eigenschaften 
zu hindern scheint. Wir aber werden und dür¬ 
fen uns trotz alledem nicht einen Augenblick 
in der Überzeugung irre machen lassen, dass 
der Idealismus dennoch eine tiefbegründete Not¬ 
wendigkeit sowohl für die Menschheit, wie für 
den einzelnen Menschen ist. Keine Nation kann 
wahrhaft blühen und gedeihen, wenn sie nicht 
Ideale besitzt, und der Grösse einer jeden Nation 
droht Gefahr, sobald ihre idealen Grundlagen 
erschüttert sind. Von den beiden berühmtesten 
Völkern des Altertums, denen sich doch die 
Hauptquelle unseres Idealismus noch nicht er¬ 
schlossen hatte, war den Griechen die Kunst, 
den Römern der Staats- und Rechts-Gedanke das 
Gebiet idealer Strebensziele, und unser deutsches 
Volk, das Volk der Dichter und Denker, wäre 
in seiner Eigenart und Entwickelung nicht mög¬ 
lich gewesen, ohne die Pflege und Bewahrung 
des idealen Reichtums der deutschen Volksseele, 
zu dessen grössten Schätzen deutsche Sitte und 
deutsche Treue gehören. Alle grossen Thaten 
hervorragender Menschen sind die Frucht des 
Idealismus. Herrschsucht, Ehrgeiz, Klugheit 
und selbst Eitelkeit können Gewaltiges und Blen¬ 
dendes schäften; doch der wahren Grösse Zeichen 
ist, dass sie grossen Ideen dienstbar ist. In¬ 
differentismus und Skepticismus haben einen ne¬ 
gativen Charakter; ersteier weist die grossen 
Fragen der Menschheit gleichgültig von der 
Hand; letzterer erschüttert das Vertmuen, jenes 
Heiligtum der Seele, und giebt sie dem Pessi- 


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mismus preis, der es ganz zerstört; der Realis¬ 
mus ist mit einem Zuge von Aktivität recht 
wohl vereinbar, doch der Thätigkeit des Rea¬ 
listen mit ihrer praktisch nüchternen Tendenz 
fehlt der Schwung der Seele, die ächte Begeiste¬ 
rung, welche zu Grossem befähigt und Grosses 
verrichtet. Und wenn Euch die idealfeindlicheu 
Spötter, oder die neutralen Gleichgültigen, die 
doch ihren Weg machen, glücklich scheinen, — 
wer kann denn in die Herzen schauen? Und 
andererseits, wer würde denn nicht zuweilen 
jene Symptome der Ruhelosigkeit, des ünbe- 
friedigtseins gewahr, die den scheinbar Glück¬ 
lichen doch überkomnieii, gerade aus dem Con- 
traste heraus, dass eist Entsagung und Leiden 
dem Menschenherzen die höhere Weihe geben, 
dass die Erfüllung nur irdischer Wünsche wohl 
satt macht, doch nicht zufrieden? 

Wenn aber das Ideale schon vom allgemein 
menschlichen Standpunkte als ein Notwendiges 
bezeichnet werden muss, für die Mrei ist es 
geradezu Lebenselement und Daseinsbedingung. 
Wer von uns wüsste dies nicht, und doch auch 
wieder, wer von uns hätte nicht schon erfahren, 
mit welchem Unglauben die Welt unserem idea¬ 
listischen Streben begegnet? Die Zeit ist, Gott 
sei Dank, vorüber, in der man — obgleich ver¬ 
einzelt solche Anschauungen jetzt noch Vor¬ 
kommen, von denen ich erst neulich ein ernst¬ 
haftes Beispiel erfuhr — die Frmrei für eine 
hierarchisch organisierte Gesellschaft mit ge¬ 
heimen Oberen zur Verfolgung verborgener 
Macht und Herrschaftsgelüsten ansah; aber die 
Zeit ist, leider, nicht vorüber, in welcher man 
wenigstens irgend welche materielle Vorteils¬ 
absichten als Ziele des Frmrbundes und der 
Frmrei vermutet, da doch ohne solche materielle, 
— sagen wir reale — Absichten niemand Zeit 
und Mühe an eine unfruchtbare Sache ver¬ 
schwenden würde. Diejenigen, welche so von 
uns denken, widerlegen wollen, würde vergeblich 
sein, aber es verlohnte auch nicht der Mühe, 
denn wozu nach der Billigung derer trachten, 
die in demselben Augenblick, wo wir sie viel¬ 
leicht von unserer Aufrichtigkeit überzeugt hätten, 
uns als Thoren und Schwärmer verlachen würden? 


Genug, dass wir von der reinen Idealität der 
Frmrei durchdrungen sind, dass wir es wissen 
und festhalten, wie der Prmrbund mit sich selbst 
in Widerspruch geraten würde, wollte er reale 
Tendenzen verfolgen. Dünkt uns doch dann 
schon die Grenze des maur. Ideenreiches über¬ 
schritten, wenn man einer direkten Einmischung 
dei* Mrei in Tagesfragen und Tagesstreitigkeiten 
das Wort reden wollte. Der einzelne Frmr 
muss ebenso, wie jeder andere sittlich strebende 
Mensch, auf dem Kampfplatz des Lebens die 
dasselbe bewegenden Fehden ausfechten helfen; 
doch die Tempel der Mrei sollen nur das stille 
Fricdenseiland in jenem Ozean voll Wogen und 
Brandung sein, wo die aus den Fluten geretteten 
Ideale ihre Heimstätte finden und behalten. 

Wie aber kamen die Ideale in das Mrherz? 
Oder richtiger — da doch auch die Stifter des 
Frmr-Bundes keine neuen Ideale erfinden, son¬ 
dern nur auf die allgemeinen Menschheitsideale 
hinweisen konnten — wie kamen die Ideale in 
das Menschenherz? Nicht müssig ist diese Frage, 
meine Brr, sondern von schwerwiegender Be¬ 
deutung. Sie gehört zu denen, die auf der 
Grenze zwischen zwei entgegengesetzten Welt¬ 
anschauungen stehen. 

Von dem Gesichtspunkte der einen erblickt 
man in den idealen Vorstellungen, und den ihnen 
zu Grunde liegenden Ideen ein Erkennungs¬ 
zeichen für die höhere Abkunft und Bestimmung 
des Menschengeschlechts, mithin für den Glauben 
an das Dasein eines höchsten Wesens und an 
eine göttlich-sittliche Weltregierung und Ord¬ 
nung; von dem Gesichtspunkte der anderen An¬ 
schauung dagegen wird man die Ideale teils 
nur als anerzogene Begriffe betrachten, welche 
auf einer höheren Bildungsstufe durch Ordnungs¬ 
zwecke und menschliche MoralitiltsVorschriften 
sich nötig machen, teils — soweit das Ideelle 
auch über diese Sphäre hinausgeht — nur als 
Träume und inhaltslose Schwärmereien. Stellen 
wir uns einen Augenblick auf diesen Standpunkt 

— von welchem allerdings auch die höchsten 
Ziele der Frmrei ein leerer Wahn sein würden 

— und nehmen wir an, die Ideale wären Träume, 
also in dem hier gemeinten Sinne Phantasie- 


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gebilde. Woher aber dann ihr Einklang bei so 
unendlicher Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit 
dessen, was sonst Phantasie erdenkt und aus- 
malt? Woher ihre Kraft., welche sie nicht, wie 
es sonst Traume thun, vor der Wirklichkeit 
weichen, sondern allen Stürmen des Lebens 
trotzen lässt, woher die Siegesgewalt, mit der 
sie gerade in Gefahr und Not sich noch mäch¬ 
tiger in der Seele des Menschen geltend machen, 
als in Glück und Genuss? 

Oder nehmen wir an, die Idealvorstellungen 
seien ein Erziehungsprodukt. Wie kann aber 
die Menschenseele etwas lernen oder auch nur 
erfassen, wozu nicht in ihr selbst schon Keim 
und Anlage zu finden sind? Gewiss gehört eine 
höhere Stufe der Kultur und Bildung zum Er¬ 
wachen der Ideale im Menschenherzen, aber sie 
mhen in der Seele, und keines Menschen Hand 
hat sie ihr eingepflanzt, sondern eine höhere 
Macht. Auf diese weist unwiderstehlich das 
gläubige Bewusstsein des frommen Gemütes, die 
laute Stimme des Gewissens, welche uns das 
untrügliche Sittengesetz verkündigt, und jener 
heisse Sehnsuchtsdrang der Seele nach Veredelung, 
Befreiung, Verklärung in dem Hohen und Ewigen. 
Aus dieser Erkenntnis der Ideale als Gemeingut 
der Menschheit beantwortet sich auch die weitere, 
hier nahe liegende Frage, ob die Frmrei ihre 
besonderen Ideale habe. Wenn darunter ver¬ 
standen werden sollte, dass die Frmrei ganz 
:indere und neue Ideen verfolgte, als welche den 
Nichtmaurern vorschweben, so würden wir nur 
mit Nein antworten können, denn es wäre Ver¬ 
messenheit und eine grosse Thorheit obendrein, 
wenn jemand behaupten wollte, die Frmrei lehrte 
eine neue Quelle der Erkenntnis oder eine be¬ 
sondere Moral, und statt unsere k. K. durch 
eine solche Behauptung zu erhöhen, würde er 
sie dadurch herab würdigen. Aber in dem Sinne 
fasst auch kein Frmr den Begriff der maur. 
Ideale auf; vielmehr wird maur. Anschauungs¬ 
weise nur diejenige ideale Richtung des Menschen¬ 
daseins darunter verstehen, welche gerade vor¬ 
zugsweise in der Mrei betont wird und die spezielle 
Begründung und Beziehung, welche die allge¬ 
meinen Idealvorstellungen in der Menschenseele 


durch die Mrei erhalt,en. Vergegenwärtigen wir 
uns hierzu, dass der allgemeine Sprachgebrauch, 
wohl nach dem Vorgänge jener berühmten phi¬ 
losophischen Untersuchungen Immanuel Kant*s, 
unter den Idealen, d. h. den verwirklicht ge¬ 
dachten obersten Prinzipien des Denkens, Wollens 
und Schaffens, das Wahre, Gute und Schöne 
versteht. Diese Ideale kehren auch in der 
Frmrei wieder, doch in besonderer Deutung und 
Beziehung. 

Frmrei ist Selbsterziehung zur Sittlichkeit 
und Menschenliebe auf dem Grunde der Gottes¬ 
furcht. Von der IIberzeugung ausgehend, dass 
Gottesfurcht aller Weisheit Anfang und Gott 
der Urquell aller Wahrheit ist, weist die Frmrei 
den Menschen zur freudigen Befolgung des 
Gotteswillens durch freie Annahme (d. h. Selbst¬ 
erziehung im Gegensatz zu äusserem Zwang 
ohne inneres Wollen) des Sittengesetzes und zur 
Liebe der Brüder, d. h. im weiteren Sinne aller 
Mitmenschen, als heiligste Pflichten hin. Das 
Schöne, mit dem Charakter der Frmrei als einer 
Kunst recht harmonisch übereinstimmend, wird 
hier, wenn man sich so ausdrücken darf, als 
ästhetisches Ideal mit Übertragung auf das sitt¬ 
liche Gebiet angewendet, so dass man in maur. 
Sinne darunter wohl die reinste edelste Mensch¬ 
lichkeit versteht, welche dem sittlichen Urteil 
einen ungetrübt wohlgefälligen Eindruck bietet, 
wie ihn die Vereinigung eines gläubigen Ge¬ 
mütes, einer rechtschaffenen Gesinnung und eines 
von Liebe zur Menschheit erfüllten Herzens nur 
bieten kann. Wir möchten diese hohe Vereini¬ 
gung von Tugenden, zu welcher der Frmr das 
Kunstwerk seines Lebens zu gestalten strebt, 
als Humanität, im besten Sinne des Wortes, be¬ 
zeichnen. 

Der Entschluss, den idealen Strobenszielen 
nachzugehen und die immer erneute Bethätigung 
dieses Entschlusses sind der frmr. Anschauung 
ein Freiheitsakt, gleichsam die erste Erringung 
und alsdann stete Wiedereroberung der von 
irdischen Fehlern und Schwächen, Trieben und 
Leidenschaften einer aufs neue gefährdeten Frei¬ 
heit. Daraus ergiebt sich zugleich, wie die 
Frmrei die Freiheit auffasst; es ist ja .schon 


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45 


unendlich oft hervorgehoben worden, dass dar¬ 
unter nicht schrankenlose Willkür und Zügel¬ 
losigkeit, sondern jene Kraft der Seele ver¬ 
standen wird, welche sich selbst ohne Zwang 
dem Sittengesetz unterwirft. Das Paradoxon, 
welches in der Zusammenstellung von Freiheit 
und Unterwerfung, wenn auch Selbstunterwerfung 
liegt, ist hier nur scheinbar, denn die Willkür, 
welche jedesmal das thäte, was der augenblick¬ 
liche Wille erkürt, wäre in Wahrheit die grösste 
Unfreiheit, insofern er den Menschen seinen 
jedesmaligen Neigungen, Stimmungen und Ein¬ 
drücken unterwürfe, welches um so ungleich- 
mässiger ausfallen müsste, jemehr diese unab¬ 
hängig von seinem Belieben wechseln. 

Fassen wir das Gesagte zusammen, so finden 
wir in der Frmrei die allgemein menschlichen 
Idealvorstellungen, jedoch in ihrer besonderen 
Beziehung auf das sittliche Gebiet und mit dem 
Hintergründe einer überzeugungsvollen Religiosi¬ 
tät als Wahrheitsideal, Freiheitsideal und Hu¬ 
manitätsideal wieder, womit die Idealbegriffe 
Weisheit, Stärke, Schönheit korrespondieren, 
welche unserem maur. Denken, Wollen und 
Handeln (bei letzterem wohl beherzigt, dass es 
immer mehr als Streben, wie als wirkliches 
Vollbringen in die Erscheinung tritt) vorschweben, 
und in diesem vorher erläuterten Sinne darf da¬ 
her der Frmr wohl von maur. Idealen ohne Über- 
hebung sprechen. 

Wenn wir aber, meine Brr, also nach 
einander die Fragen der Notwendigkeit idealer 
Lebensrichtung für die Menschheit, wie den ein¬ 
zelnen Menschen und den Frmr insbesondere, 
ferner den Ursprung und den Inhalt unserer 
Ideale einer Betrachtung unterzogen haben, so 
lassen Sie uns nun noch einen Blick auf ihre 
relative Erreichbarkeit werfen. 

Dass die Ideale im Leben niemals voll zu 
verwirklichen sind, folgt aus ihrem Begriffe, sie 
stammen ja aus einer höheren Sphäre, in welche 
menschliche Unvollkommenheit nicht hinaufreicht. 
Es wäre aber ein niederdrückendes und ent¬ 
mutigendes Gefühl, wenn wir damit allein uns 
bescheiden und nicht etwas mehr Hoffnung in 
jene hellstrahlenden Leitsterne unseres Lebens 


setzen dürften. Wir mögen uns aber damit 
gefrösten, dass ebensowenig wie eine Verwirk¬ 
lichung der Ideale hienieden möglich ist, doch 
andererseits auch ebensowenig von einer abso¬ 
luten Unerreichbarkeit derselben gesprochen zu 
werden braucht. Alles Leben ist Werden und 
auch unsere sittliche Vervollkommnung ist ein 
beständiger Werdeprozess, ein Streben, dem 
Ideale näher zu kommen und diesem Streben 
ist ausser derjenigen, es nicht völlig erreichen 
zu können, keine Grenze gesetzt. Überschaut 
der Frmr die Resultate seines Strebens, so wird 
er freilich in jedem Augenblicke dieser Selbst- 
Prüfung gewahr werden, wie gross noch der 
Abstand selbst des Besten, was er gewollt und 
gethan, von dem Ideale ist; aber mit dieser 
demütigen Selbstbescheidung ist die Freude, 
sich auf dem rechten Wege zu wissen und auch 
das Bewusstsein, auf diesem Wege hier und da 
einen Schritt vorwärts gethan zu haben — wenn 
dieses Bewusstsein nur vorher durch die Probe 
ernster Selbstkritik hindurchgegangen ist -- 
keineswegs unvereinbar. In diesem beständigen 
Vorwärtsstreben, mit der gleichzeitigen Über¬ 
zeugung von der Richtigkeit des eingeschlagenen 
Weges und einer von Hoffart freien Wahrnehmung 
des Fortschreilens auf diesem Wege, welche den 
Abstand vom Ziele nicht vergisst, aber dadurch 
nicht mehr abgeschreckt wird, liegt doch etwas, 
das himmelweit verschieden ist von der Resig¬ 
nation, mit welcher uns etwa die Entdeckung 
erfüllen müsste, dass unsere Ideale nur ein leerer 
Wahn, eine blosse Utopie gewesen wären. Wie 
gering auch dem prüfenden Gewissen der sitt¬ 
liche Fortschritt erscheinen mag und soll; ein 
Wertvolles ist in dem Streben selbst — wenn 
auch nichts, das wir uns zu eigenem, alleinigen, 
Verdienst anrechnen dürften — dies ist die Ge¬ 
sinnung, aus welcher dieses Streben abgeleitet 
wird und hei*vorgeht, und wohl wissend, dass 
die That „als ein kontinuirlicher Fortschritt von 
mangelhaftem Guten zum Bessern“ immer unvoll¬ 
kommen ist und unserer eigenen pflichtmässigen 
Schätzung gar nicht anders, als unvollkommen er¬ 
scheinen darf, werden wir doch mit dem grossen 
Philosophen Kant der Hoffnung leben können, dass 


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der, welcher in die Herzen sieht, in seiner reinen 
und höchsten Gesinnung, über die uns umgebenden 
Schranken aller zeitlichen Bedingungen hinaus und 
in dem nur ihm möglichen Gesamtüberblick aller, 
auch der uns Menschen verborgensten Ursachen 
und Wirkungen, unsere Gesinnung für die That 
annebmen und gelten lassen werde. Darin aber 
liegt für uns, die wir doch zuletzt alles der 
göttlichen Gnade anheimstellen müssen, aber in 
dieser auch Trost und Beruhigung in allen un¬ 
seren selbsterkannten Mängeln finden dürfen, 
sofern wir nur fest an der guten Gesinnung 
halten und dem höheren Beistand vertrauen, 
wiederum die Bedeutung einer relativen, d. h- 
hier einer auf Geltung vor Gott hoffen lassenden 
Erreichbarkeit der Ideale. 

Mit den Leitsternen am Himmel des Mrs, 
am Horizonte der Menschheit für unsere irdische 
Pilgerfahrt haben wir die Ideale verglichen — 
und sie sind es dem gläubigen Herzen, dem 
sittlich strebenden Willen, der aufwärts sieb 
sehnenden Seele — aber sie sind nicht nur Lichter 
am Himmel, welche dort oben in unnahbarer 
Pracht glänzen, sondern sie bilden eine sterneu 
besäete Brücke vom Diesseits zum Jenseits 
einen von überirdischer Hand hinaufgespannten 
Sternenbogen, auf dem wir geistig emporsteigen 
zur Welt des höheren Lichtes, dafern wir den 
Blick nicht zurückwenden nach der trüben Erde, 
welcher nur das an uns gehört, was dem Staube 
verfällt, sondern der goldenen Pforte der Wahr¬ 
heit, Stärke und Schönheit entgegenschauen, die 
uns, so hofl’eii wir, einst aufgethan werden wird, 
wenn die letzten Schleier fallen, welche uns 
hienieden das Göttliche verbergen. 

Bis dahin sei treue Arbeit unsere Losung, 
doch, der Welt zum Trotz, das Ideal unsere 
Hoffnung und sein Sieg im Reiche des ewigen 
unzerstörbaren Geistes unsere Zuversicht, und 
so auf der ganzen Strecke der uns noch zu- 
gemessenen Mrbahn. Das walte Gott am 
Schlüsse des alten und Beginn des neuen Logen¬ 
jahres: 

»Vergangenheit und Zukunft reichen schweigend 
Die Hände sich zur Gegenwart; — 


Und Wog’ an Woge auf und nieder steigend 
Zum Reigentanz sich rastlos schaart. 

Wir W'andern — aber bleiben an der Stelle, 

Die uns gebührt im Geisterreich; 

Beim Wechselspiel der bunten Welle 
Bleibt stets der Geist sich selber gleich. 

Es regt der Geist sich, weil er urlebendig. 

Und täuscht sich selbst mit Zeit und Raum, 
Doch bleibt er treu sich selber unabwendig, 

So — wacht er auf aus seinem Traum.“ 

(Marbach ) 

Die Rätselfragen der Sphinx 

Baustüok zur Meisterloge von Br. Chr. Klötzer, 
1. Aufseher der Logo „Zu den 3 »Schwertern und Asträa 
zur grünenden Raute'* in Dresden. 

Einst, da verweht der .lugend süsse Träume, 
Und der Verstand des Geistes Augen schärfte, 
Da sank des Zweifels Not ins Herze mir. 

Und alles, was einst unverrückbar fest 
ln meines Glaubens starkem Schutz gestanden, 
Begann vor einem neuen Geist zu wanken. 

Des Menschenlebens ungelöste Rätsel 
Erhoben sich, mit staiTem Antlitz lag 
Die Sphinx vor mir und forderte die Antwort 
Auf dieses Daseins dunkle Rätselfragen. 

Da suchte ich in Bücheni diese Antwort, 

Und was der Philosophen weiser Sinn 
Ersonnen und ergrübelt, las ich nach, 

Indess die Sphinx mich täglich, stündlich mahnte. 
Allein vergeblich blieb mein emsig Suchen: 
Verworrener und dunkler nur erhoben 
Die Rätsel sich des Daseins, und verborgen 
Musst* Sinn und Lösung mir wie vordem bleiben. 
Wie viele Weisheit auch die Philosophen 
In ihren Büchern sorgsam aufgespeichert, 

Wie vielen Scharfsinn sie darin entwickelt. 

Wie tief auch ihres Denkens scharfe Sonde 
Hinuntertauchte auf den Grund der Dinge: 

Die Grenze ward dem menschlichen Erkennen. 
Und ach, je grösser ihre Weisheit war. 

Nur um so offener war ihr Bekenntnis: 

»Wir wissen nichts!“ — Doch steht die Welt 
nicht still, 

Und unbekümmert um die bangen Fragen, 


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Die in der Seele auf- und niederwpgen, 
Vollzieht sich rastlos der Erscheinung Flucht, 
KommtTag undNachtund Sturm und Sonnenschein, 
Kommt jeder Tag, sein Recht von uns zu fordern 
Und zu des Daseins Kampf uns aufzuiufen. 

In diesem Kampf ums Dasein blieb auch mir 
Nicht Zeit genug, die Rätsel zu ergründen, 
Denn harte Arbeit füllte nun die Tage 
Und drängte mächtig in den Hintergrund, 

Was nicht der Tag und seine Last begehrte. 
Dann kamen Frohsinn und die Lebenslust 
Und sammelten ein Heer von heitren Stunden, 
Darinnen all die Fragen untergingen. 

Die einst des Lebens Sphinx an mich gerichtet. 
Allein die Rätsel schlummerten nur stille, 

Es lag die Sphinx nur unfern auf der Lauer, 
Und wenn sich nach des Tages Last und Mühe 
Die süsse Rast beschaulich niedersenkte. 

Und wenn der Freude leicht beschwingte Stunden 
Zu schnell entflohen auf den Strom der Zeiten, 
Dann drängten wieder sich die ewgen Rätsel 
Auf der Gedanken Bahn und heischten Lösung. 
Dann zog ich aus, die Antwort selbst zu suchen, 
Und trat heran an dieses stille Haus, 

Vor dessen Pforte, die ich oft geschaut, 

Zwei Sphinxe ruhig und geheimnisvoll 
Hin auf des Lebens cwge Unrast blicken, 
fl Vielleicht, wenn über dieses Hauses Schwelle 
Du deinen Fuss gesetzt, wird sich das Rätsel 
Des Lebens lösen,“ klangs in meiner Seele, 
fl Denn hinter dieser Pforte muss die Weisheit, 
Muss die Erkenntnis reiner Wahrheit wohnen!“ 
Dann kam der Tag, wo ich durch diese Pforte 
Den Eingang fand zu der verschwiegnen Halle, 
Die Wahrheit suchend mit geschlossnem Auge. 
Doch als die Binde mir vom Auge fiel 
Und hell das Licht der Maurerei mir strahlte. 
Sah wieder ich der Sphinx ins Angesicht, 

Die vor des Tempels Säulen sich gelagert. 

Und statt der Antwort auf die eignen Fragen, 
Die ich im Herzen antwortsuchend hegte. 

Rief mir drei Fragen selbst die Sphinx entgegen; 
Sie lauteten: Woher? Wozu? Wohin? 

Und auf des Maurers Wandrung sollte ich 
Darauf die Antwort suchen offnen Auges. — 
Ich habs gethan! In manchem Maurerjabre 


Bin ich gewandert, tleissig zu erforschen, 

Welch Antwort mich die Werksymbole lehren; 
Allein die Wahrheit rückt nur umsoferner. 

Je länger man nach der Erkenntnis strebt. 

Und doch die Sphinx kann nun die Antwort fordern 
Auf ihre Fragen, und ich muss bekennen, 

Was ich ergründet auf der langen Wandrung, 
Mag auch die ewge Wahrheit Sonnenferne 
Von der Erkenntnis liegen. Nur im Bild 
Vermag ich mich der Unergründlichen 
Zu nähern. Möge sie des Irrtums lächeln 
Und nicht von ihres Thrones Herrlichkeit 
•Mit heilgem Zorn auf den Vermessnen blicken! 

Woher, Woher? In wunderbarer Pracht 
Schau ich des Himmels ungezählte Sterne, 

Seh ich der Erde holde Frühlingsschönheit 
In Berg und Thal, in Wald und reichen Fluren. 
Woher, Woher? Der Völker reich Gewimmel 
Mahnt an die Frage mich, und ich darunter. 
Ein Erdenpilger, auf des Lebens Höhe 
Zuiücke nach dem dunklen Ausgang blickend. 
Woher, Woher? Und zum Vergleiche drängt sich 
Der Anfang auf der maurerischen Laufbahn. 
EntblÖst von allem, was die Menschen scheidet 
In Hoch und Niedrig, Vornehin und Gering, 
Ein Mensch im Menschen nur, so trat ich ein, 
Dem Führer folgend mit verbundnen Augen. 
Zum Menschentume ward ich neu geboren. 

Ein neues Leben galt es zu beginnen 
Im Lehrlingsgrad, ein Leben voller Liebe 
Zur Menschheit. Und die Frage will er deuten: 
Woher, woher? Ich legte meine Hand 
Auf unser heilges Buch, auf Gottes Bibel. 

Wohl damals schon erfasste meine Seele 
Ein heilger Schauer und in jeder Stunde, 

In der ein Suchender am Altar kniet, 

Und seine Hand zum Buch der Bücher tastet. 
Erfüllt mein Herz ein jubelndes Frohlocken, 
Denn dies Symbol, dies grosse Licht dem Maurer, 
Es hilft die eine Rätselfrage lösen: 

Woher? Es sagt dir laut: Aus Gottes Hand! 
Ja, ob die Gottesleugner uns verspotten. 

Ein Weltenmeister waltet über uns. 

Der das Gesetz der Welt zugleich verkörpert, 
Nach dem der Dinge ewger Kreislauf sich 


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Und alles Leben und Geschehen richtet, 

Das allen Himmelskörpern ihre Hahnen weist 
Und allen Wesen Sein und Leben gieht. 

Es ist der Geist, der in dem Weltall waltet, 
Der Ewige und Unvergängliche, 

Der Weisheit und der Wahrheit ewger Urquell. 
Von diesem Geiste bist auch du geboren, 

Du Menschenkind, von ihm bist du gekommen 
In diese Erdenwelt, und alles Sehnen 
Nach Wahrheit und Erkenntnis stammt von ihm! 
Und wenn wir diesen Geist auch nicht erfassen 
In seiner allumfassenden Gewalt, 

Mag doch die Sphinx uns an die Antwort mahnen, 
Der Maurerlehrling ist es, der sie fand; 
Durch seine Seele geht der Wahrheit Ahnen: 
Woher, woher? Getrost, aus Gottes Hand! 

Durch Nacht und Sturm, durch Not und Ungemach 
Hat meine Erdenwandning mich geführt. 

Ich sah die Menschen sich bekämpfen, sah 
Die Völker sich in blutgem Streit befehden, 
Und sah den Kampf ums Dasein tausendfach 
Auf ofthem Markt und im Verborgnen wüten. 
Das Leben sah ich und die Lebenslust, 
Vieltausendfältig und sich stets erneuen, 

Sah um dies Leben oft die Ärmsten ringen 
Und Glück und Freude, Unheil, Schmerz und Leid 
ln ewgem Wechsel durch die Menschheit ziehen. 
Wozu, wozu? Mit ihrer zweiten Frage 
Erhebt die Sphinx vor meinem Auge sich. 
Wozu dies Leben, eine kurze Spanne, 

Wozu der Kampf um Alles, was vergänglich, 
Dies Streben, Ringen, Kämpfen und Erliegen, 
Dies ganze ungeheure Weltgetriebe 
Im ewgen Kreislauf der Unendlichkeit? 

Was ist der Endzweck dieses Weltgetriebes, 

Das sich vollzieht nach ewigen Gesetzen? 

Da schlingt sich durch die stille Maurerballe 
Vor meinem Geiste eine Roseiikette. 
ln Eins verbunden wandern die Gesellen 
Mit offnen Augen, dass sie rings erschauen 
Die Schönheit und Gebrechen dieser Welt. 

Die frohe Wandning wird hier zum Symbol, 
Das Antwort giebt auf die bewegte Frage. 
Wozu, Wozu? Verschlungen Hand in Hand 
Zu treuer Freundschaft wandern die Gesellen, 


Zu Schutz und Schirm in treuer Bruderliebe 
Sind sie verbunden auf dem Lebenspfad. 

Sieh hier das Bild, wozu die Menschheit wandert. 
Die Sterne kreisen in dem Weltonraum: 

Die owge Liebe ist es, die sie hält. 

Des Lebens Endzweck ist nicht Kampf und Not, 
Der Friede ist es, der dem Streiter winkt. 
Wenn wandernd er der Liebe Pflicht erfüllt. 
Wozu, wozu? Wohl bleibt der letzte Zweck 
Des Weltenalls dem Menschengeist verhüllt. 
Doch der Geselle wandert froh, im Glauben 
An seines ewgen Meisters Weltenplan, 
Vertrauend, dass, wie er nach einem Ziele 
Auf seiner Erden-Wandrung sehnend strebt. 

Der grosse Weltenmeister ziellos nicht 
Die Weltgesetze gab, den Menschen nicht 
Zwecklos mit Liebe und Vernunft begabte. 

Mit ihrer Frage sei die Sphinx zur Stelle 
Nach Zweck und Ziel im lauten Weltgetriebe; 
Die Antwort fand der wandernde Geselle: 
Wozu, wozu? Zum Sieg der ewgen Liebe! 


Es neigt die Sonne sich, der Tag verrinnt 
Ini Strom der Zeit. Im Weltenraum verlischt 
Ein heller Stern, wenn seine Zeit gekommen. 
Die Völker kommen und vergehen wieder, 
Vergänglich Alles, was da lebt und wandelt 
Und rastlos nur zu einem Ziele strebt. 

Und jeder Herzschlag in der Menschenbrust 
Verkündet einen Schritt zum letzten Ziele 
Des Menschenlebens auf der Erdenbahn. 

Und mahnend wieder liegt die Sphinx vor mir, 
Des Lebens letztes Rätsel ihr zu lösen: 

Wohin, wohin? Wo ist das ferne Ziel, 

Du Menschenkind, wenn deine Bahn zu Endo, 
Wenn du gekämpft, gelitten und gestrebt; 

Wo wirst du nach des Lebens kurzer Mühe 
Die lange Rast einst finden, treuer Wandrer? 
Da steigt vor meinem Geist die dunkle Halle 
Empor, wo Meister an der Arbeit stehn. 

Mit ernstem Sinn erfassen sie das Werkzeug, 
Doch mutig blitzt ihr Auge, das dem Tode, 
Dem unvermeidlichen, ins Antlitz schaut. 

Sie schreiten furchtlos über Sarg und Grab 
Dem letzten Ziele zu: Dem Licht im Osten. 

Sie hier das Bild, das dich die Antwort lehrt. 


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49 


Wenn dir die Sphinx die dritte Rätselfragc, 

Die schwerste, aufgiebt zu der rechten Lösung: 
Wohin, wohin, Du armes Menschenkind? 

Will* nur der Tod das Ziel, dann wäre auch 
Die Meisterhalle nur ein Ort der Trauer, 
Dann wär das Leben nicht des Lebens wert. 
Umsonst dies Streben nach der Wahrheit Licht, 
Wenn in des Grabes Nacht der letzte Strahl 
Des Menscbengeistes zwecklos unterginge. 

Nein, in der Ferne glänzt ein helles Licht, 

Im Osten tagt es neu dem Menscbengeiste, 
Wenn ihm genommen wird, was irdisch ist. 

Er kehrt zurück zu ihm, von dem er ausging. 
Als Mensch der Erde Wandrung zu vollbringen. 
Zum ewgen Geiste kehrt er wieder heim. 

Und heller wird es in der Meister halle. 

Dem lichten Strahl im Osten zugewendet. 

Kann uns dieNacht des Todes nicht mehr schrecken. 
Wohl ist der Menschengeist zu schwach und klein, 
Jenseits des Lebens auf der Erde sich 
Ein Ijeben ewig dauernd auszudenken. 

Der diese Grenze des Erkennens zog, 

Der ewge Meister, hütet Riss und Plan. 

An ihn zu glauben, heisst das Rätsel lösen. 

So mag die Sphinx zur letzten Antwort mahnen, 
Den Meistermaurer sieht sie wohl bereit; 
Durch seine Seele rauscht ein freudig Ahnen: 
Wohin, wohin? Heim zur Unsterblichkeit! 


Ober die ZoMedenheit. 

Vortrag in der Trauerloge 1895 gehalten von Br 
F. Krügel, 11. Aufs. d. Loge „B. z L.*, Leipzig. 

In jedem Jahre, wenn die Weihnachts¬ 
glocken verklungen sind und wenn die Welten¬ 
uhr aushebt, um eines Jahres letzte Stunde zu 
verkünden, versammeln wir uns um den Sarko¬ 
phag der Brr, welche noch jüngst mit uns am 
Bane gestanden, die aber nunmehr Hammer und 
Kelle niedergelegt haben und heimgegangen sind 
in's ewige Vaterhaus, wo auch uns dereinst die 
Stätte bereitet sein wird. Mitten zwischen dem 
hohen Feste edelster Freude und der Mahnung 
an die flüchtig eilende Zeit, noch erfüllt von 
der Seligkeit, welche wir empfanden, als wir 
Gaben der Liebe, Zeichen der Verehrung, Werke 


der Barmherzigkeit spenden konnten, und schon 
beherrscht von den ernsten Gedanken der Sorge, 
mit der wir dem neuen Jahre entgegengehen, 
sind wir hierher gerufen zu ernster Feier, da¬ 
mit die Freude nicht überschäume und ihre 
nachhaltige Wirkung verliere, damit wir wohL 
gerüstet, tapfer, freudigen Mutes dem entgegen¬ 
gehen, was die Zukunft bringt. 

Vor unserm Geiste ist vorübergezogen, was 
das Leben, besonders ihr frmrs, unsrer teuren 
Toten gebracht hat. Manche sind uns fremder 
geblieben, andere waren uns Freunde geworden 
und einigen haben wir oftmals Aug* in Auge 
gegenüber gestanden und ihres Geistes und ihrer 
Arbeit reiche Gaben förderten unsre Loge, un- 
sern Bund. 

Weniger deutlich zu erkennen und nachzu¬ 
weisen ist die Wirkung, welche umgekehrt die 
Frmrei auf jene ausgeübt hat. Denn die Frmrei 
ändert, fördert oder bildet den Menschen nicht 
nach einer bestimmten, in ihrer Eigentümlich¬ 
keit, nach ihrer Herkunft erkennbaren Richtung, 
sondeni der gesamte Mensch — das Sittliche 
an ihm natürlich — Herz und Gemüt — ist es, 
auf den sie einwirken will und auch nachdrück- 
lichst einwirkt, am meisten natürlich bei denen, 
die für solche Eindrücke empfönglich, vorbereitet 
sind. Aber unberührt von dem Segen der k. K. 
ist keiner geblieben, der je in ihrem Banne go- ' 
standen; die ungemein schlichte Sprache, welche 
sie durch die Symbole, die Kleinodien redet, die 
sinnvolle Umdeutung, die den Gegenständen aus 
dem Alltagsleben, aus der Werkmrei gegeben 
ist, verfehlt ihre Einwirkung auf Herz und Ge¬ 
müt, auf unser Thun und Denken niemals. ^ 

Lassen Sie uns heute, an dem Tage, welcher 
der Erinnerung an die heimgegangenen Brr ge¬ 
widmet ist, desjenigen unserer Symbole gedenken, 
mit dem der Br zuerst in Berühmng gekommen, 
als er verhüllten Auges unsere geweihten Hallen 
betrat: des Zirkels. 

Der Zirkel bestimmt unser. Verhältnis gegen \ 
alle Menschen als unsere Brr, er weist uns darauf 
hin, dass ein jeder von uns dem ewigen Mstr 
eben so nahe steht, wie der andere, dass nicht 
Rang noch Stand, nicht Wissen noch Besitz, 


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50 


oder wodurch sonst die Menschen im profanen 
Leben sich zu unterscheiden suchen, vor seinem 
Angesicht einen Vorzug gewähren. Und wenn 
so der Zirkel uns unaufhörlich gemahnt, wenn 
durch diese unaufhörliche Mahnung die k. K. 
uns daran gewöhnt, in unsern Mitmenschen unsere 
Brr zu erkennen, ohne Neid, ohne Eigennutz 
ihnen gegenüber zu stehen, führt sie uns ganz 
unwillkührlich zur Zufriedenheit, zu der¬ 
jenigen Tugend, welche die Tage unsers Erden¬ 
daseins mehr verschönt, als Reichtum oder Macht, 
als irgend eine andere Tugend, sodass wir dem 
Feierabend, der auch unsere Lebensarbeit einst 
beschliessen wird, getrost und freudig entgegen¬ 
sehen können. 

Ich darf heute nicht den Versuch unter¬ 
nehmen, zu erörtern, wann und wie dem Men¬ 
schen die Gewohnheit des Zufriedenseins ver- i 
loren gegangen ist, vielleicht schon zu jener 
Zeit, als den ersten Menschen die herrlichen 
Früchte im Paradiese nicht gut genug waren, 
und sie sich von der falschen Schlange verleiten 
Hessen, von dem verbotenen Baume zu naschet!« •• 
Ich muss auch unterlassen, das Wesen der Zu¬ 
friedenheit zu erörtern, oder die Art, wie sich 
Unzufriedenheit bethätigt. Aber ich möchte ver¬ 
suchen nachzuweisen, dass dasjenige, was wir i 
für gewöhnlich Glück nennen, was aber nichts 
weiter ist, als ein mehr oder weniger hoher 
Grad von Wohlbetinden, gar nicht bestehen, 
wenigstens nicht dauern kann, wenn wir uns , 
nicht allezeit und ununterbrochen der Zufrieden¬ 
heit befleissigen. 

Wir sind glücklich, denn unsere Wünsche 
gehen nicht weiter, als die Möglichkeit ihrer 
Erfüllung reicht; die uns gestellten Aufgaben, 
auch die, welche wir uns selbst stellen, die von 
uns verlangten Leistungen sind nicht grösser, 
als das Mass unserer Kräfte; aber hüte deine 
Augen, dass sie nicht zu scharf nach deinem 
Nachbar sehen, der vielleicht ein grosses Hans 
bewohnt, der mit Glanz und Wohlleben umgeben 
ist, und lass dich nicht aus deiner Zufrieden¬ 
heit drängen, wenn auch dein Wirkungskreis 
enger gezogen bleibt, deine Einnahmen geringer 
sind! Mehr als die müden Glieder sich ausruhen 


lassen, neu kräftigen, kann niemand, lagerte er 
auch auf den weichsten Daunen, seinen Hunger 
stillen, seinem Appetit Genüge thun, kann jener 
mit kostbaren Gerichten nur ebenso, wie du mit 
deiner schlichten Mahlzeit; wohl aber kann jener 
gar leicht verleitet werden, seiner Gesundheit 
durch übermässigen Genuss zu schaden. Aber 
ist denn wirklich das Behagen an der reichen 
Tafel, in den geschmückten Räumen ein grösseres, 
als bei dir? Wird uns nicht auch das Kost¬ 
barste durch den täglichen Gebrauch gewöhnlich 
und gleichgiltig? Und muss nicht derjenige, 
den mau reich nennt, die Tugend der Zufrieden¬ 
heit ganz ebenso üben, wie du, wenn er Wohl¬ 
behagen, das Glück bei sich festhalten will? 

0 nein, er muss noch mehr als du Selbstbe¬ 
zwingung üben, er muss noch mehr als du seine 
Augen, seine Wünsche zügeln, denn der Reiche 
möchte ein Adliger sein, der Adlige ein Fürst 
und auf jeder neuen Stufe entstehen auch neue, 
höher greifende Wünsche. Wenn aber eignes 
Ungeschick oder ein Ansturm von aussen dem 
Hochstehenden Glanz und Bequemlichkeit rauben, 
dann ist sein Sturz ein viel tieferer, als von 
deinem Platze aus. Und wenn einst Freund Hein 
daher kommt, so verscheucht ihn nicht Glanz 
noch Macht; er tritt durch jede Thür und es 
bleibt Alles hier zurück, Gold und Geschmeide, 

. y 

wie der schlichte Leinwandkittel. ^ 

Wir sind glücklich, denn ein unauflösliches 
Band aufrichtiger, herzlicher Zuneigung hält 
unsere Familie umschlungen. Aber kann uns 
dieses Glück erhalten bleiben, wenn wir nicht 
fort und fort die Tugend der Zufriedenheit üben? 
Wenn dein Kind artiger und klüger ist als 
andere, dann freue dich im Stillen dieses Glückes 
und treibe nicht etwa zu grösserer Anspannung; 
wer weiss, ob nicht bald, wie ein scbliramer 
Tau, eine böse Krankheit die schön auf blühen¬ 
den Kräfte zerstört, beeinträchtigt. Müde und 
lässig sitzt der Wild fang von früher in der Ecke, 
und die andern eilen ihm voraus. Sei getrost! 
Wenn du im Glück dich nicht überhoben, wirst 
du im Leide nicht mutlos sein, sondern deine 
Aufmerksamkeit dem armen Kranken doppelt 
zuwenden; vielleicht erstarken unter solcher 


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Sorgfalt doch wieder Körper ujid Geist und an 
einem andern Platze, als du früher gehofft, 
wird dein Sohn doch noch als tüchtig und 
würdig befunden werden. — 

Beneide auch nicht den Gebietenden um 
seine Macht, den Fürsten nicht um seinen Thron; 
ein Blick aus dem Auge deines Kindes, das in 
hingebendem Vertrauen zu dir aufschaut, ist 
tausendmal mehr wert, als die Ergebenheit einer 
ganzen Schar von Dienern; der herzliche Ge- 
leitgruss deines Weibes ein zuverlässigerer Talis- 
mann, als eine glänzende Leibwache; und den 
Kreis, der in dir sein Haupt sieht, wirst du 
leichter und sicherer zum Guten führen, am 
besten behüten können, wenn das eigene Auge 
alle überwacht, wenn die eigene Hand einem 
jeden seinen Teil zumossen kann. 

Die Zufriedenheit ist aber auch von allen 
Tugenden, welche zu üben die Menschen ange¬ 
halten werden, diejenige, welche dem, der sie 
übt, am meisten nützt, welche in sich selbst den 
schönsten Lohn bringt. Wer weise ist, wird 
allerdings von seinen Mitmenschen, vielleicht 
auch von der Nachwelt geachtet, geehrt und 
ausgezeichnet sein; aber mehr als andere wird 
er erkennen, wie unendlich viele sich aus Be¬ 
schränktheit und Aberglauben nicht zu erheben 
vermögen; das wird ihn betrüben. Wer gerecht 
ist, wird wabrnehmen müssen, dass andere mit 
weniger strengem Sinne, manchen Vorteil sich 
zuwenden, ohne dass die Welt sie tadelt; das 
kann ihn verbitteni. Wer bescheiden ist, den 
wird man allerwegen gern sehen, lieb haben, 
aber oft genug werden Gierige und Dreiste ein- 
heimsen, was ihm zugeteilt war; so muss er 
entbehren. Nur der Zufriedene empfängt und 
empfindet den ganzen Segen seiner Tugend allein: 
er achtet die Würdigen, er entbehrt nichts, wenn 
er die Erbärmlichen meidet, er beneidet nie¬ 
manden und in ruhigem Gleichmut sieht er die 
Gierigen den Magen und die Taschen sich 
überfüllen. 

Und doch ist Zufriedenheit so selten anzu¬ 
treffen; doch liegt über der profanen Welt, aus 
der wir Frmr in unsere Bauhütten flüchten, 
wie ein grauer dicker Nebel, der der Sonne ihr 


Leuchten, den Sternen ihren Glanz, den Blumen 
ihre lustigen Farben und den süssen Duft, den 
Vögeln den munteren Gesang verdüstert, die 
Unzufriedenheit, die den Menschen die Seele 
immer mehr, fast ganz erfüllt und so das un¬ 
heimliche Zeichen der Jetztzeit geworden ist. 
Kein Wunder, wenn in solchen dicken Dunst 
von allen Seiten die wilden Unholde, Gewalt- 
that, Empörung, Umsturz, aus ihren Höhlen und 
Schlupfwinkeln hervor sich wagen, um zu zer¬ 
stören, was besteht. Und hinter ihnen ziehen 
die Tausende, welche in die allgemeine Klage 
einstimmen, ohne zu erwägen, ob nicht eigenes 
Ungeschick, eigene Schuld die Ursache ihres 
Unbehagens ist und ohne zu sehen, dass sie 
grösserem Elend entgegengehen, einem Abgrunde 
zu, tief und weit genug, um alles, was die 
Arbeit der Jahrtausende an Kultur und Gesit¬ 
tung hervorgebracht hat, zu verschlingen. — 
Aber nehmen wir an, es wäre möglich, 
Utopien aus Nebelheim in nüchternes, reales 
Dasein umzusetzen, es wäre möglich, alle Unter¬ 
schiede aufzuheben, den Teil von Arbeit, von 
Leistung und auch von Ertrag, von Genuss, der 
auf einen jeden als gleich verpflichtetes Mitglied 
der Gesellschaft entfällt, so genau abzuwägen 
und festzustellen, dass daran nicht gezweifelt, 
nicht gedeutelt worden könnte, auch dann würden 
alle Menschen Entsagung und Pflichttreue in so 
hohem Grade besitzen und üben müssen, dass 
keiner in keinem Augenblicke von dem Pensum, 
das ihm zugeteilt wui*de, abweiche, nicht einen 
Schlag mehr thue, nicht einen weniger, nicht 
einen Zoll tiefer grabe, nicht einen Schritt 
schneller pflüge, heute nicht einen Grad eifriger 
das Aufseheramt übe, als gestern ein anderer, 
heut nicht einen Bissen mehr esse und keinen 
Schluck mehr trinke u. s. w., sonst wird das 
Mass, welches alle in gleicher Weise entlasten 
oder bedrücken soll, welches nach so vieler 
Mühe erst gefunden wurde, gestört, und der 
Neid des Schwachen, die Missgunst des Trägen, 
der Widerspruch des Übertroffenen sind ge¬ 
weckt, der Anlass zur Unzufriedenheit ist ge¬ 
geben. Wenn also in dem neuen Eden die 
Menschen ebenfalls Gerechtigkeit, Pflichttreue, 
I 


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fS2 


Entsagung. Anpassen an die andern, Bezwingen 
zuweitgebender Wünsche, in Summa Hingabe 
des gesammten Icbs an das Ganze, ein jeder 
nach seinem Können und Vermögen, üben müssen, 
damit es besteben kann: ist es da nicht ein¬ 
facher, leichter und auch bequemer, solche Ge¬ 
rechtigkeit, Pflichttreue, Einschränkung der Be¬ 
gehrlichkeit schon jetzt zu üben, in der alten 
Weltordnung, die den Beweis ihrer Existenz¬ 
möglichkeit erbracht hat? Sie besteht alle die 
Jahrtausende her, in die unser Forschen zürück- 
dringen konnte und jede neue Erkenntnis von 
Kräften, die gewirkt hatten, ohne dass sie ge¬ 
kannt waren, ist nur ein neuer Beweis dafür, 
dass sie bestehen bleiben wird, länger als wir 
uns vorstellen können. . 

Als der ewige, allm. Baumeister den Welten¬ 
plan entwarf, setzte er den Zirkel an, zog einen 
weiten Kreis, und stellte hinein die Menschen, 
die er zu seinem Ebenbilde geschaflen hat; die 
einen im Norden, die andern im Süden, die am 
Aufgange dev Sonne, jene beim Niedergange. — 
Alle stehen sie gleich weit von ihm, dem 
Mittelpunkte, von dem alles ausstrahlt, nach 
dem alles sich zurücksehnt. In gleichem Masse 
empfangen alle den Segen seiner Hand, wenn 
auch jeder in anderer Weise: dem einen ist 
gegeben, in Sonnenglut, im Wüstenbrand zu 
schmachten und dann zu schwelgen unter dem 
giiinen Dache ragender Palmen, unter Blumen 
von bezaubernder Pracht, in der Kühle der 
Nacht, die die strahlenden Himmelslichter milde 
erhellen. Der andere verbirgt den Leib, rettet 
das Leben vor dem erstarrenden Frost unter der 
schützenden Scholle und traumhaft verinnen ihm 
Tage und Wochen im Dunkel der Polarnacht. 
Dem einen hat er die weite Steppe bereitet 
und das wilde Gebirge, dazu die Fülle ursprüng¬ 
licher, roher Kraft; dem andern teilte er zu 
milden Sonnenschein und leichten Frost, und im 
anmutigen Wechsel von Frühling und Herbst, 
im langsamen Erwachen aus des Winters Schlaf 
zum Grünen und Blühen, zum Wachsen und 
Reifen, bei der gemütlichen Arbeit vom Säen 
zum Ernten und Sammeln in die Scheuern er¬ 
hoben sich die Augen von der Scholle, die die 


Hand bebaute, flogen die Gedanken über den 
nächsten Tag und seine Notdurft hinaus, immer 
höher und höher, bis zu der Einsicht und der 
Erkenntnis, dass über allem waltet eine ewige 
Macht, ein Vater, der jedem seiner Kinder das 
zuteilt, was es nötig hat, um zu existieren, einem 
jeden auch ins Herz legt die Sehnsucht und 
auch die Fähigkeit, glücklich zu sein, nämlich 
die Zufriedenheit. 

Denn er wäre nicht der weise Schöpfer 
aller Wesen, der liebende Vater aller seiner 
Kinder, wenn er Glück gebunden hätte allein 
an Fülle und Glanz, wenn ausgeschlossen wären 
vom Wohlbehagen die, welche sich bescheiden 
und mit Wenigem genügen lassen, wenn die 
Wonne, ihn zu erkennen, zu ihm sich aufzu¬ 
schwingen nur gefunden werden könnte in den 
Geheimkammern tiefen Wissens; nein. 

Seine ewige, herrliche Schöpfermacht 

Verkündet der Morgenröte Pracht, 

Und alles Leben liegt vor ihm. 

Und alles Leben ruft zu ihm: 

Unser Vater. 

Und alles Leben kehrt auch heim zu ihm, wenn 
seine Zeit erfüllt ist, und aus dem sterblichen 
Leibe, der hemmenden Rast, die den Geist nur 
zu oft niederzog und fallen Hess in die Fesseln 
der Leidenschaft, fliegt die Seele auf in seine 
lichten Hallen, 

zum Frieden. 

Wir stehen am Sarkophag der Brr, die 
heimgegangen sind, uns voran ins Vaterhaus; 
abgeschlossen liegt ihr Tagewerk, sie sind ein¬ 
gegangen zum Schauen. 

Wer weiss, wie bald auch uns die letzte 
Stunde schlägt. 

Lassen Sie uns, teure Brr, die Tage, die 
ims noch beschieden sind, froh geniessen in 
rüstiger Arbeit, in treuer Pflichterfüllung, ohne 
Neid und Missgunst, sondern im Sonnenschein der 

Zufriedenheit! ^ 


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53 


' Aus dem Eogbund. 

Ladwig Börne als Freimanrer nnd 
Schriftsteller. 

Aus dem Nachlasse des Br F. Fuchs. 

Meine gel. Brrl Ich gedenke Ihnen heute 
in kurzen Zügen das Lebensbild eines Bruders 
vorzuführen, der unserm Bunde zur hohen Ehre 
gereichte und der als echter deutscher Mann 
ein unentwegter Streiter im Dienste freien 
Menschentums sein Leben lang wirkte für die 
Veredlung seines Volks. Sein Wort war ein 
schneidiges Schwert, mit wuchtigen Streichen 
bohrte er wie einst Ulrich von Hutten der 
Wahrheit und der Freiheit des Gedankens eine 
Gasse. Sein scharfer Witz war weithin ge¬ 
fürchtet. Er genoss viel Liebe, aber es fehlte 
ihm auch nicht an Hassern und Feinden. Dieser 
viel gefeierte und viel gehasste Mann war 
Ludwig Börne. 

Hören wir zunächst das Wichtigste von 
seinem äussern Lebensgange. Er war der Sohn 
des jüdischen Wechslers Baruch — den Namen 
Börne nahm unser Br erst später an — und 
wurde den 13. Mai 1786 zu Frankfurt a/M. 
geboren. Den ersten Unterricht erhielt er durch 
einen Hauslehrer, später in einer Erziehungsan¬ 
stalt. Er studierte dann auf den Universitäten zu 
Halle und Giessen Medizin, doch scheint ihn 
dieses Studium wenig befriedigt zu haben, denn 
er vertauschte dasselbe mit dem Studium der 
KameralWissenschaften. 1808 wurde er Dr. der 
Philosophie. Er kehrte nach seiner Vaterstadt 
zurück und fand hier Anstellung als Polizei- 
actuar. Bald lernte man seine Arbeitskraft 
kennen, und es wurden ihm meist die schwierigeren 
Arbeiten übertragen. 

Als nach Napoleons 1. Sturz die alte reichs- 
städtische Verfassung in Frankfurt wieder ins 
Leben trat, wurde Börne als Jude aus seiner 
Stellung mit einer Pension von 400 fl. entlassen, 
die man ihm als Frankfurter Staatsdiener nicht 
verweigern konnte. Diese Zurücksetzung und 
sein beleidigtes Rechtsgefübl machte ihn geneigt, 
für die Rechte seiner Glaubensgenossen in Frank¬ 
furt in die Schranken zu treten. Die dortige Juden¬ 


gemeinde hatte sich für 440 000 fl. das Bürger¬ 
recht erkauft, welches der Frankfurter Senat 
nun für null und nichtig erklärte. Börne gab 
im Aufträge der Gemeinde eine „ Aktenmässige 
Darstellung des Bürgerrechts der Israeliten in 
Frankfurt a/M.“ und später eine andere Schrift 
„Die Juden und ihre Gegner“ heraus. Merk¬ 
würdig ist, dass er während dieses heftigen 
Kampfes für sein Volk bereits zum Christentum 
übergetreten war und dabei den Namen Baruch 
mit Börne vertauscht hatte. Dieser in Rödel¬ 
heim bei Frankfurt vollzogene Übertritt zur 
lutherischen Konfession wurde lange geheim ge¬ 
halten, selbst sein Vater erfuhr nichts davon. 
Als man ihm den Beitritt zu einem Vereine als 
Juden verweigerte, hätte es nur eines Wortes 
bedurft, doch er schwieg. Erst ein verdriess- 
licher Handel mit der Polizei, der ihn auf 
mehrere Tage auf die Hauptwache brachte, be¬ 
stimmte ihn, den Schleier zu lüften. Mit der 
damals recht strengen (Zensur lebte er in stetem 
Kampfe, ja eine kleine Schrift, „die Zielschwingen“, 
wurde unterdrückt und brachte ihm eine vier- 
zehntägige Haftsträfe ein. Das verleidete ihm 
den Aufenthalt in Frankfurt, er nahm deshalb 
das Anerbieten von Cotta in Stuttgart mit 
Freuden an, nach Paris zu gehen und von dort 
aus Berichte über französische, politische und 
wissenschaftliche, Zu.stände, Sittenschilderungen 
und Genrebilder für die deutschen Zeitungen zu 
senden — es waren das die berühmt gewordenen 
„Pariser Briefe“. Aber auch in Paris konnte 
er sich nicht heimisch fühlen, er ging nach 
Deutschland zurück und zunächst nach Heidel¬ 
berg, wo eine länger andauernde Krankheit alle 
seine Subsistenzmittel aufzehrte. Eine Unter¬ 
stützung von seinem in Wien lebenden Vater 
zu erlangen, schlug fehl, da er sich nicht ent- 
schliessen konnte, in Wien seinen Aufenthalt zu 
nehmen. Er musste also aufs neue zur Feder 
greifen, um das liebe Brot zu erwerben. Durch 
den bald darauf erfolgten Tod seines Vaters 
gestalteten sich seine finanziellen Verhältnisse 
günstiger, die drückenden Nahrungssorgen waren 
gehoben. 

Die Nachricht vom Ausbruch der Pariser 


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54 


Julirevolution versetzte ihn in ungeheure Auf¬ 
regung; es trieb ihn dorthin, um im Mittelpunkt 
der Bewegung zu sein. Auch für Deutschlands 
Erhebung erhoffte er Grosses; er gab eine 
zweite Serie ,Pariser Briefe“ heraus, in denen 
er die Tborheiten und Schwächen der Deutschen 
mit schonungslosem, doch unpersönlichem Spott 
geisselte und dadurch den erwachenden Patriotis¬ 
mus mehr nieder drückte als erhob. — Der un¬ 
erwartete Umschwung der Dinge machte Börne 
unglücklich und raubte ihm die Elastizität des 
Geistes. Mit ihr brach auch die Köi*perkraft 
zusammen; er befand sich von nun an in einem 
fortwährend kränkelnden Zustande. Die damals 
in Paris herrschende Grippe bildete eine tütliche 
Brustkrankheit in ihm aus; mit der Ruhe eines 
Philosophen erwartete er den Tod. Er starb 
den 12. Februar 1837. 

Wenden wir uns nun zu Börne als Prmr! 
Er wurde als Dr. jur. Ludwig Baruch in Frank¬ 
furt a. M. am 19. Juli 1809 in die neue, ein 
Jahr vorher gegründete Loge „Zur aufgehenden 
Morgenröte* aufgenommen. Tn ihm verehrte 
die Loge über ein Vierteljahr hundert eines ihrer 
ausgezeichnetsten Mitglieder. Dass ein Mann 
wie Börne sich der frmr Idee mit ganzer 
Seele hingah, ist selbstverständlich. Er war ein 
Frmr durch und durch. Doch hören wir selbst 
sein Urteil über Frmrei. „Die Frmrei ist die 
heilige Quelle, wo die verblühte Schönheit ihre 
Huldigung, wo die getrübte Weisheit ihre Helle, 
wo die geschwächte Kraft ihre Fülle wiederfand. 
Sie ist das Asyl der geängsteten Treue, die 
Versöhnerin der beleidigten Uns(;huld, die Ver¬ 
gelterin der unbezahlten Liebe. Sie stürzt die 
Scheidewand ein, die das Vorurteil zwischen 
Menschen und Menschen aufgerichtet, sie zieht das 
goldene Kleid hinweg, das einen seelenlosen Leib 
bedeckt: sie stellt Herz gegen Herz, Geist gegen 
Geist, Kraft gegen Kraft und giebt dem Würdigsten 
den Preis. Sie lehrt den Baum nach seinen 
Früchten schätzen, nicht nach dem Boden, der 
ihn trägt, nicht nach der Hand, die ihn ge¬ 
pflanzt.“ 

Er war ein Feind der Hochgrade und der 


maur. Systeme überhaupt, tlr sagt; „Systeme 
kämpfen gegen Systeme, Logen gegen Logen, 
Brüder gegen Brüder. Ja, wunderbar ist es zu 
sehen; alle wollen die Walirheit suchen, doch 
jeder will sie allein finden. Alle wollen die ge¬ 
fundene Wahrheit mit allen teilen, doch jeder 
will allein sie suchen. Wann wird ei*scheinen 
der Tag, den alle Mr mit einem Herzen be- 
grüssen? Wann geht der Mittag auf, der uns 
zur gemeinschaftlichen Arbeit führt, und wann 
bricht die Nacht herein, wo alle Brr Arm in 
Arm entschlummern?“ 

In der Loge scheint Börne Öfter V'^orträge 
gehalten zu haben; in seinen gesammelten Schrif¬ 
ten, sowie in Kloss* Bibliographie sind deren 
mehrere angeführt. Die Loge „Zur aufgehenden 
Morgenröte“ beging am 5. Mai 1886 eine Ge¬ 
dächtnisfeier zu Ehren ihres früheren Mitgliedes. 
In seiner Vaterstadt ist ihm ein schönes Marmor¬ 
denkmal gesetzt worden. 

Nun noch einige Worte über Börne als 
Schriftsteller. Bücher für die Ewigkeit hat er 
nicht geschrieben und wollte er nicht schreiben. 
Seine Werke waren fast nur Artikel für verschie¬ 
dene Zeitungen, die bisweilen wegen ihrer scharfen, 
schneidigen Darstellung gai* nicht aufgenommen 
wurden. Er griff nur zur Feder, wenn ihn das 
augenblickliche Bedürfnis dazu drängte, aber 
jede Zeile trug den Stempel künstlerischer Form¬ 
vollendung und innerster Überzeugung. — Er 
war frei von selbstischen Zwecken, er war sich 
vielmehr bewusst, im Dienste der Wahrheit zu 
stehen und nur nach innerster Überzeugung zu 
wirken. Er hatte stets das Ziel im Auge, 
schaute nicht nach rechts und links und das 
bedingte bei ihm eine gewisse Schonungslosig¬ 
keit. Er selbst sagt: „Der Soldat im Gefecht 
darf seine Kugel nicht zurückhalten aus Be¬ 
denken, in den Reihen, auf welche er zielt, steht 
ein edler Mann, sein Freund, stehen so viele, 
die den Krieg nicht mit verschuldet. Die 
Kugeln dieser treffen auch. Das ist das trau¬ 
rige Recht und das harte Gebot des Krieges: 
nur den Besiegten darf man lieben, nur ihm 
darf man verzeihen.“ Die Hauptbedeutung 
Börnes als Schriftsteller liegt in dem Einfluss, 


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55 


den er auf die geistige Lebensentwickelung des 
deutschen Volkes ausgeübt bat. Er war poli¬ 
tischer Schriftsteller, seine Politik ging bei ihm 
hervor aus zwei Gefühlen: aus der Liebe zur 
Freiheit und aus der Liebe zum Volke und zum 
Vaterlande. Sein Streben war auch nicht be¬ 
grenzt durch die Grenzen des Staates. Sein 
Wirken galt der HumanitUt im umfassendsten 
Sinne, ja seine Liebe galt der ganzen Mensch¬ 
heit. Börne, dem streitbaren Kämpfer, war zu 
dem Kampfe, den er mit Ausdauer und Feuereifer 
führte, eine mächtige Walfe gegeben, und diese 
Waffe war der W'itz. Aber aus der Art des 
Witzes leuchtete sein innerstes Wesen hervor. 
Nach der Einwirkung des Geistes wollte er mit 
scharfem Schlage treffen, nach der des Herzens 
nicht verletzen. 

Wie ganz anders gestaltete sich der Witz 
bei seinem genialeren Genossen Heinrich Heine. 
Mit diesem stand Börne eine zeitlang in Ver¬ 
bindung, aber es kam zum Bruch; der sitten¬ 
strenge Börne und der frivole Heine passten 
nicht zusammen. „Der Witz Heines entsprang 
berechnendem Geist, der Witz Börnes ergab sich 
aus der Gemütsauffassung, die er Welt und 
Menschen entgegen brachte; für Heine war der 
Witz Selbstzweck, für Börne nur Mittel zum 
Zweck; der Witz Böimes war schlagend und 
treffend, der Heines beissend und ätzend; der 
Witz Heines wollte zerstören, der Witz Börnes 
nur niederreissen, um aufzubauen.* — 

Eben eines musste Heine entbehren, was 
Börne eigen war: der hohe sittliche Ernst, von 
dem ein jedes Wort Börnes durchdrungen war. 
Wer aber dieses sittlichen Bewusstseins entbehrt, 
wird nicht veredelnd auf sein Volk einzuwirken 
vermögen. 

Man sollte meinen, da Börnes Schriften 
meist Kinder des Augenblicks waren, sie würden, 
und mit ihnen ihr Verfasser, längst vergessen 
sein Edelmut, Sanftmut, üneigennützigkeit und 
Begeisterung für die Idee der Freiheit und Hu¬ 
manität waren die Grundzüge seines Charakters; 
allenthalben in seinen Schriften giebt sich der 
Menschenfreund kund, der die Welt auf klären 
und glücklich machen will. Seine unerbittliche, 


gegen Personen und Autoritäten keine Rück¬ 
sicht kennende Wahrheitsliebe erhebt Börne zu 
dem Range des ersten Journalisten. 

„Durch ihn erst“, sagt ein Litterarhistoriker, 
„ist der Journalismus zu einer imposanten 
Macht geworden, mit welcher die Grossen der 
Erde rechnen müssen.* 

„So lange die Stimme der Wahrheit noch 
gehört wird in deutschen Landen, so lange 
Recht und Freiheit als ideale Güter gelten, 
deren Erringung der Arbeit der Edeln wert ist, 
so lange wird der Name Ludwig Börne nicht 
vergessen werden. Er lebt und wirkt auch nach 
dem Tode fort.* 

Auf ihn kann man mit Recht das Wort 
Göthes anwenden: 

So wirkt mit Macht der edle Mann 
Jahrhunderte auf seinesgleichen, 

Denn was ein guter Mensch erreichen kann. 

Ist nicht im engen Raum des Lebens zu erreichen. 
So lebt er nun auch nach dem Tode fort, 

Und ist so wirksam als er lebte. 

Die gute That, das schöne Wort, 

Es strebt unsterblich, wie er sterblich strebte. 


Blätter und Blüten. 

Lass reden Deine Werke 
Von Weisheit, Schönheit, Stärke! 

Mit Weisheit fang Dein Schaffen an, 
Kraft führe Dich der Schönheit Bahn! 

Wenn Kraft die Schönheit will erreichen, 
Muss Weisheit ihr die Wege zeigen. 


Das ist fürwahr die rechte Kraft, 

Die nur mit Weisheit Schönes schafft. 

Als höchste Schönheit sich erweist: 
Ein reines Herz, ein edler Geist. 

Br Julius KeUtr 
in Nürnberg. 


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Langsam schleppt sich der Leib von einem Orte 
zum andern, 

Doch durch den Weltenraum streift schnell der 
Gedanke dabin. 

Ach, wer hebt mich vom Staub, dir nachzu- 
. folgen, o Sonne, 

Wie durch die lachende Flur du zum Ozeanus 
eilst. 

Über mir säh* ich den Himmel und tauchte den 
Fuss in die Fluten, 

Vor mir sUh’ ich den Tag, Hesse dahinten die 
Nacht. 

Ewig sonnt’ ich mich dann in unvergänglichem 
Lichtglanz, 

Nie dann kümmerten mich Leiden und Freuden 
der Welt. 

Doch zu des Geistes Flug entbehr ich den leib¬ 
lichen Fittig, 

Nacht nur wechselnd mit Tag ist ja dem 
Menschen vergönnt. 

Litterarisches. 

Die Vermittlungsstelle ziim Ein- uud Ver¬ 
kauf frmr Bücher von Br Heinhold in 
Brieg hat ihren 2. Katalog versendet. Das Du¬ 
bletten Verzeichnis 2 reicht bis Nr. 500, das De¬ 
sideraten-Verzeichnis B bis Nr. 159. Wir be¬ 
nützen die Gelegenheit, um die 1 Brr auf dieses 
äusserst verdienstvolle Institut hinzu weisen und 
zu dessen reger Benutzung aufzufordern. 

Quellenkritische Beiträge zur Oeschicbte 
d. g. u. V. .Tohannis-Loge „Zu den *6 Kronen“ 
i. Or, Königsberg i. Pr. v. Br Kienast. 

Eine Heissige Forscherarbeit, die mit ge¬ 
schichtlicher Objektivität die Entwickelung der 
Loge darstellt und namentlich dadurch vor ande¬ 
ren derartigen Werken etwas voraus hat, dass 
sie in einem besonderen Anhänge «lie infolge der 
politischen Bedeutung des gen. Or. reichen Be¬ 
ziehungen des Hohenzollernhauses zu dieser Bau¬ 
hütte zur Sprache bringt ln einem weiteren An¬ 
hänge schliesst sich daran eine kurzgefassto Chronik 


der Königsberger Logen überhaupt, sowie ‘eine 
Tabelle aller ihrer Stuhlmeister. Die vom Ver¬ 
fasser in letzter Stunde noch erlangte Einsicht in 
die Akten des „Delegierten Innern Orientes“ machte 
ferner einen kleinen Nachtrag wünschenswert, dem 
zuletzt ein gelungener, sehr interessanter Abdruck 
des 1. Protokolls vom 16. April 1746, sowie eine 
graphische Darstellung der numerischen Entwick¬ 
lung der Johannismrei im Or. Königsberg folgen. 

2 Arbeiten aus der Loge Minerva zu den 3 
Palmen i. Or Leipzig. Zum Besten der 
Mahlmann-Stiftung. 

Eine Trauer- und eine Festloge sind in der 
Loge Minerva im April vom 8. E. Br Linge ge¬ 
halten worden, die erstere znm Andenken an den 
im März i. d. e. 0. e. S. E. unvergesslichen Br 
Schuster, die zweite zu Ehren des ehemaligen 
Mstr. V. St. Br Mahl mann. Um die Erinnerung an 
diesen berühmten Dichter und Br für alle Zeiten 
lebendig zu erhalten, hat man eine Stiftung ge¬ 
gründet, die seinen Namen trägt. Sie bezweckt 
Versorgung verarmter Brr oder ihrer Angehörigen. 
Das Schriftchen berichtet in dankenswerter Weise 
über beide Logen und enthält sämtliche dabei 
gehaltenen Vorträge und Ansprachen. Möge es 
seinen Zweck, die Stiftung zu bereichern, recht 
reichlich erfüllen. 

s t r ä a. 

Taschenbach für Freimanrer 
ani das Jahr 1896. 

llerausgegeben 

von 

Br Robert Fischer. 

Neue Folge: 16. Band. 

1^ Preis Mit- 3--> flsb. Mk. 3.75. '‘W 

Leipiig, -Tuli 1896. 

Bruno Zeche!. 


Alle für die Schriftleitung der Zeitschiil't 
„Am Reisslirette“ bestimmten Einsendungen 
bitten wir direkt an die Adresse: 

Dr. A. Gündel, Leipzig-Reudnitz 
bewirken zu wollen. 


Den neu eingetretenen Abonnenten auf vorliegende Zeitschrift „Ah Rowsbrotto zur 
lotiz, dass bis auf weiteres und so lange der kleine Vorrat reicht, 

Band 1—18 (Jahrgang 1874—91) auf ä Mk. 1,50 
Band 19—20 (Jahrgang 1892 u. 93) auf k Mk. 2,00 
rmässigt und von Unterzeichnetem zu beziehen sind. Bruno Zeche/. 


Druck inid Verlag von Dr llnino /echol in liOipaeig. 


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Am Eeissbrette. 

Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen 
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu 
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum 

Rautenkranz in Hildburghausen. 

Für Brr Freimaurer-Meister. 

Begründet von Br Marbach. Fortgeführt von Br Fuchs. 

Schriftleiter: Br Dr. A, Güiidcl, Leipzig-Reudnitz. 

Das Blatt wird vorziip^sweiso Boitnlji^o Brinfj^on, die in den Lo^enverfraininlun^on eines der drei Grade 
gehalten worden sind, sowie geschäl’tlicbe Mittheilnngen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für 
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden 
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Kinzelne Brr Meister, welche als 
solche sieh legitiinirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 3 Mark abonniren 
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf- 
genommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebühr von 
25 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile. 


23. Jahrgang. 
No. 8/9. 


Inhalt: Der Zirkel. — Lehrlings-A.nfnalimologe. — Die Wahrlieit. — Brader and Freund. — \nsoigo. 


Der Zirkel. 

Vortrag im II. Grad d. Loge Georg z. d. 3 S. in Einbeck 
geh. von Br Roegglen in Bornhausen. 

Gern und dankbar habe ich den Vortrag zur 
heutigen Gesellenbeförderungsloge übernommen. 

Sie, ehrw. Mstr, verfechten mit Ihrer Loge, 
gleich den meisten hannoverschen Ihres Systems 
Royal-York, die Überzeugung, dass die frmr. 
Ideen in den 3 .Toh.-Graden zu erschöpfen und 
ahzuschliesscn sind. Sie halten eine Einigung 
der deutschen Joh.-Mrei durch Vertiefung dos 
geistigen Lehens und Ausgleich störender Gegen¬ 
sätze mittels kleinerer Verbände für möglich und 
nötig. Denn Sic sind gewiss, dass, wie der in 
Ihrer Landeskirche vor 50 Jahren erhobene Vor¬ 
wurf: das Vereins wesen .sei eine Wucherpflanzo, 
die das kirchliche Leben zu ersticken drohe, 
durch die heutigen Erfolge glänzend widerlegt 
ist, so auch die Befürchtungen unsrer Gross¬ 
logen wegen der „Vereine im Vereine* über kurz 
oder lang verstummen müssen. Darum verlangen 
Sie in den geordneten Grenzen frrar Tbätigkeit 
vor allem eine Mrei der That. 

Gleiches Streben, wenn schon in freierer 
Form, hat mich vor 15 Jahren durch un.sern 
verewigten Br Gramer mit Ihrem Br Secrelilr, 


dem damaligen Präsidenten des Kosmophilenklubs 
in Leipzig, zusammongeführt. Auch hier war 
Arbeit für Menschenwohl die Absicht. 

Auf das maur. Wirken für und in der 
Menschheit weist mich aber heute be.sonders die 
Beförderung eines Amisbruders hin. 

Er steht mir nah als meines Vaters jahre¬ 
langer Freund und Vorgesetzter im Stadtschul¬ 
amt, sowie als mein unmittelbarer Vorgänger 
in meinem Pfarramt. Die Kriegsdenkmünzc am 
Nichtkomhattantenbande, die schon die Brust des 
Sekundaners als Anerkennung für Pflege der Ver¬ 
wundeten in den Kriegsjahren 1870/71 geziert 
hat, . lässt einen berechtigten Schluss von den 
That eil des Jünglings auf die des Mannes zu. 

So bitte ich denn, Ihre Aufmerksamkeit 
auf das Symbol des Zirkels zu richten. Falls 
man je eins der drei grossen Lichter als Inhalts¬ 
bezeichnung je eines unsrer Job.-Grade fassen 
dfirf, erscheint er mir massgebend für den Ge- 
sollcngrad. 

Der Schrödersche Katechismus erklärt die 
Frage: Was bedeutet der Zirkel? Ei* bezeichnet 
die Grenzen der Pilicht, welche der gewi.ssen- 
hafte Frmr gegen alle Men.schen, besonders gegen 
einen Br zu beobachten hat. 


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5s 


In der Londoner Grossloge bestanden ur¬ 
sprünglich, wie bei den Steinmetzen, nur die 
beiden Grade des Lehrlings und des Gesellen. 
Als dann vom November 172r» ab der dritte 
Grad in allen Logen bearbeitet werden sollte, 
wurde das Ritual des bisherigen Gesellengrades 
teilweise für den Mstrgrad erweitert und für den 
nunmehrigen Gesellengrad ein neues verfertigt. 
Daher sah sich Anderson genötigt, im Consti¬ 
tutions-Buche von 1738 zu der Bezeichnung 
„Gesell“ in den alten, vor 1722 verfassten all¬ 
gemeinen Verordnungen den erläuteniden Zusatz 
„oder Mstr Mr“ hinzuzufügen. 

Die nachtrilgliche Einschiebung des Rituals 
unsres heutigen Gesellengrads war für seine Aus¬ 
gestaltung an sich schon beschwerlich. Jahrzehnte 
lang hat man darum, wenigstens in Deutschland, 
die beiden ersten Grade in manchen Logen un¬ 
mittelbar nach einander erteilt. 

Dazu kommt für das Schrödersehe System, 
dass Br Schröder bei der Neubearbeitung der 
Rituale der Joh.-Mrei in den Jahren 1801/2, 
gleich der grossen Anzahl vertrauter Brr, mit 
welchen er hieiüber koiTespondierte, Pnehards 
Ritualmitteilung v. J. 1730 verwarf, weil er 
„Jakin und Boas“ für das noch immer ver¬ 
misste, ursprüngliche Ritual hielt. Heute ist 
diese Annahme als irrig erwiesen. Letzteres 
Ritual ist nach Br Begemanns sichrer Forschung 
ein klägliches Mischmasch zweier Schriften aus 
dem Jahre 1760, dem masterkey to freemasonry, 
der aus französischen Quellen stammt, und den 
three distinct knocks. 

Da nun Jakin und Boas ein dem Gesellen- 
gradc eigentümliches, auf den ältesten Teppichen 
vorhandenes und bereits den Steinmetzen wich¬ 
tiges Symbol, den fl. St., nicht erwähnt, und 
dessen vielfacher Gebrauch in den wegen ihrer 
Herrschsucht und angeblichen Bewahiung ge¬ 
heimer Kenntnisse ihm verhassten Hochgraden 
dem Br Schröder anstössig war, so hat er jenes 
Symbol in seinem System fortgelassen. 

An seine Stelle setzte er den Spiegel. 
Dieser, an sich schon ein zweifelhaftes Zeichen 
der Eitelkeit und Rätselhaftigkeit, sollte den 
Gedanken des ersten Grades: „Selbsterkenntnis 


ist der Weisheit Anfang“, wieder aufnehmen 
und fortführen. 

So kam es, dass die dem zweiten Grade 
eigentümliche Idee des Verhältnisses des Prmrs 
zur Menschheit vorwiegend auf die Ausbildung 
des Gesellen zu einem abgeschlififnen Cubischen 
Stein und zur veredelten Freundschaft mit seinen 
Brn beschränkt wurde. 

Um jedoch dem Br Schröder, und für die 
Ausdeutung des zweiten Grades auch Br Fessler, 
gerecht zu werden, muss man die Zeitrichtung 
vor 100 Jahren berücksichtigen. 

Von der heutigen weltbewegenden sozialen 
Frage ahnte man damals nichts. Noch waren 
die Tage nicht vorüber, denen Gellerts „empfind¬ 
sames Herz“ und Goethes Werther ihr Gepräge 
aufgedrückt hatten. Es waren die Zeiten der 
Männerfreundschafton und der Schwärmerei. 

Man war reich an Gefühlen des Mitleids, 
aber arm im Handeln. Man wollte eine glück¬ 
selige Welt schafl^en, aber konnte den Boden für 
ihre Verwirklichung nicht finden. Herder hat 
einmal jene Zeit treffend mit einem Paradies¬ 
vogel verglichen, der ohne Füsse beständig in 
der Luft schwebt. 

Auck kam man über den Gedanken an sich 
nicht hinaus. Das Gute geschah nur, um selbst 
einen Genuss davon zu haben. Die Tugend ward 
definiert als Fertigkeit, in allen Lagen des Lebens 
seines Daseins möglichst froh zu werden. 

Diese Darlegung soll den Wert echter Mr- 
freundschaft nicht verkümmern. Hat doch Goethe 
ihr in dem Gedichte „Dem würdigen Bruder- 
feste“ ein Denkmal gesetzt. 

Gerade in unsrer hastenden Zeit mag Freund¬ 
schaft, „treu wie Gold, keck ihren Schimmer 
weisen“. Der Dichter spricht eine grosse Wahr¬ 
heit aus: 

„Wie selten finden, wohin wir gehn. 

Sich Menschen, die uns ganz verstehn. 

Wo jeder neidlos sich erfreut 

Am Guten, das der Andre beut; 

Und wo, was sich so schnell gefunden, 

Für alle Zeiten bleibt verbunden; 

Denn wo die Maske fllllt des Scheins, 

Sind immer gute Menschen eins; 


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59 


Und nur an solcher Menschen Heerd 
Ist unser Leben lebenswert. 

Uns verlangt, dass die Loge ein Heerd sei, 
auf dem das heiFge Feuer echter Freundschaft 
glüht; dass unsre schönen Worte von Freund¬ 
schaft und Brüderlichkeit nicht blosse Phrasen 
während unsrer Versammlungen bleiben. Wir 
wünschen, dass Falk in unsern Bauhütten keine 
Brr finde, die sich vom Rauch gern beissen 
lassen, wenn es nur der Rauch einer fremden, 
fetten Küche ist. Aber entsprechen wir auch 
\ unserm Ideale? 

\ Wenn wir als Lehrlinge die Arbeit am 

rauhen Stein nach bester Kraft verrichten würden, 
wenn wir durch den Blick aufs Ganze den Streit 
in unsrer Brust zu schlichten suchten, dann 
könnte wahre Freundschaft unter Mm herrschen. 
Dann würden nicht die geringfügigsten, oft rein 
profanen Veranlassungen so häufig Brr aus der 
Kette treiben und die Gesinnungen der Loge in 
den Augen der unkundigen Welt verdächtig und 
verächtlich machen. Dann brauchten wir nicht 
im Brkreise an Robert Hamerlings Wort zu 
erinnern: 

Wem nicht geweiht dein innerstes Gefühl ist. 
Dem musst du, schmerzet dich das Haupt zu Zeiten^ 
Nicht gleich vertraut die Hand zur Wange leiten, 
Zur Stirne, dass er fühle, wie sie schwül ist! 
Nie drücke Hände warm, die dir nicht teuer! 
Nie schling um den in holdem Scherz den Arm, 
Den du nicht grüssen magst: mein* Vielgetreuer! 

Was hilft alles Reden von einem gefühl¬ 
vollen Herzen, einem veredelten Sinn, einem 
foi sehenden, heitern, ruhigen Geist, wenn wir 
dem Ideal blos nachjagen wollen. 

In unsrer Bnist muss es lebendig sein. 
Rückert schildert in der Weisheit der 
Brahmanen zwei Dichter. 

Ein hohes Ideal dem einen schwebte vor . . . 
Doch nie könnt* es der Flug erreichen. — 

Vom Ideale selbst der andre flog gehoben; 

Er war stets, wo es war, nie unten er, es oben. 
Kein Ausserliches war’s, wonach er ringend strebte, 
Es war sein Innres selbst, das, was er war und lebte. 


Wahr und treu gegen den Br, wie gegen 
sich selbst, das sind die Grenzen der Bi-pflicht 
für den gewissenhaften Frmr. Damit vereinigen 
sich auch die Grenzen, welche bei der Lehrlings¬ 
aufnahme gezogen sind: Unserm Br jederzeit 
nach unsern Kräften mit Rat und That beizu¬ 
stehen, ausgenommen in Fällen, welche unsrer 
Ehre, den guten Bitten, un.srer häuslichen Ver¬ 
fassung und dem Staate zuwider sind. 

So mag uns immerdar der zweite Grad zur 
Freundschaft mit unsern Bm anleiten. 

Nur vergessen wir nicht, dass der Zirkel 
dem gewissenhaften Frmr auch die Grenzen der 
Pflicht gegen alle Menschen vorschreibt. 

Unser zur Neige gehendes Jahrhundert erst 
hat zur That erzogen. 

Mit wenigen unsrer grossen Dichter und 
Denker ragt Lessing einsam über seine ZeiL 
genossen empor. Er war ein Feind aller Uher- 
scbwänglichkeit und Empfindelei. Er hat uns im 
Nathan zuei-st gelehrt, dass ,andächtig schwärmen 
leichter, als gut handeln ist“. Durch seinen 
Einfluss haben Reimarus in Hamburg und Leise¬ 
witz in Braunschweig den Anstoss zu einer ge¬ 
ordneten Armenpflege gegeben. Selbst das welt¬ 
bekannte Rauhe Haus ist aus der Stiftung einer 
Enkelin des Verfassers der Wolfenbüttler Frag¬ 
mente hervorgegangen. 

Bevor die Toleranzidee nicht Gemeingut 
aller Stände geworden, konnte die Lösung der 
sozialen Frage nicht versucht werden. 

Auch die Frmrei hat, trotz der Pflege dieser 
Idee, sich erst allmählich von einer gewissen 
zunftförmigen Engherzigkeit losreissen müssen. 
Der Grundsatz der Alten Pflichten, dass die 
Mrei ein Mittelpunkt der Vereinigung und das 
Mittel sein solle, treue Freundschaft untor Per¬ 
sonen zu stiften, welche sonst in beständiger 
Entfeniung hätten bleiben müssen, musste sich 
langsam erweitern. 

Ohne in Krause*s schwärmerische, unaus¬ 
führbare Gedanken von einem Menschheitsbunde 
zu verfallen, muss die Ei*ziehung des Mrs zum 
Wirken für die Menschheit erfolgen. 

Denn ,nicht Geniessen und Erringen ist der 
Zweck des Lebens, sondern Nützen und Vollbringen “. 


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60 


Und: 

,Nicht zur Freude oder Sorgen wir allein ge¬ 
boren sind; 

Doch zur That, dass uns das Morgen weiter als 

das Gestern find*“. 

Hierzu soll uns der zweite Grad vor allem 
anweisen. 

Mit offnen Augen, mit Brn in eine Kette 
geschlungen und unter aufmuntenidem Gesänge 
wird der Gesell um die Loge geführt. Es gilt 
fortan nicht blos, durch Selbsterkenntnis die 
sittliche Förderung in der eignen Bauhütte zu 
suchen. Die Arbeit des Gesellen vollzieht sich 
in der grossen, allgemeinen Loge der Menschheit. 

Weil aber für sie die Krilfte des Einzelnen 
nicht nusreichen, wandert der Goscll zu gemein¬ 
samer Thiltigkeit mit Brn in eine Kette ge¬ 
schlungen. Und da es zur Erfassung und För¬ 
derung der gemeinschaftlichen Arbeit offner Augen 
bedarf, die Schädt-n und Mängel der Menschheit 
zu erkennen und durch die rechten Mittel zu 
beseitigen, so soll er schon beim Eintritt die 
Loge frei überschauen. 

Dass aber die Mittel nicht abstossen, ist 
schöne Form unerlässlich. 

Im Schein des Wesens liegt der Reiz des S(ihönen, 
Nach nackter Wahrheit strebt die Wissenschaft, 
Und ernst und hart und hässlich ist das Leben. 
Nur Dichter sollten, was es uns versagt, uns geben-* 
Begeisterung und Liebe. Lust und Kraft, 

Uns mit dem Kampf ums Dasein zu versöhnen. 

Darauf verweist den Gesell der aufmun¬ 
ternde Gesang, unter dem seine Reise geschieht. 

Doch, m. Brr, diese ganze eindrucksvolle 
rituelle Handlung würde jenem Herderschen Pa¬ 
radiesvogel gleichen, wenn nicht, wie in Ihrem 
Fesslerschen System, als unentbehrliches Symbol 
für den Gesellengrad der fl. St. hinzukommt. 

Er hat eine dreifache, in eins zusammen- 
fliessende Bedeutung als Licht Gottes, der Ver¬ 
nunft und der Wi.ssenschaft. Das G in seinem 
Mittelpunkt weist auf Gott, Gnosis und Geometrie, 
die Hauptwissenschaft des Steinmetzen, hin. 

Sollte man ihn darum ablchnen, weil er in 
den Erkenntnisstufen verwendet wird? 


Benutzen ihn doch auch der eklektische 
Bund und die Grossloge zur Sonne, und mehrere 
der unabhängigen Logen haben ihn für ihr 
Schrödersches System adoptiert. 

Nur in seinem dreifachen Lichte, d. h. in 
der vom Gottesgeist der Liebe durchdrangnen 
Vernunft und Wissenschaft, lernen wir die Mittel 
erkennen und gebrauchen, die dem gewissen¬ 
haften Frmr zur Ausübung sozialer Thätigkeit 
nötig sind. 

Wollen wir durch diese Thätigkeit das 
Wesen unsrer k. K. verändern? Sollen unsre 
Bauhütten aus friedheiligen Orten zu wilden 
Kampfesstätten werden? Wollen wir in die 
Fehler unsrer französischen, italienischen und 
südamerikanischen Brr geraten? Das sei ferne! 

Wie die soziale Thätigkeit des Geistlichen 
ihre Grenzen in dem geordneten Amte hat, wie 
seine Pflicht die Versöhnung aller Stände, den 
Ausgleich störender Gegensätze, die Vertiefung 
des geistigen Lebens in der Gemeinde um- 
.schlie.sst, so soll auch die. Loge nicht irgend 
einer Zeitrichtung dienen, oder, einer Partei zu 
Gefallen, sich in den äussern Kampf hinauswagen. 
Auch nicht durch Gründung von Anstalten soll 
sie einseitig die Lösung der sozialen Aufgabe 
versuchen. 

Aber etwas andres ists, die Brr durch die 
Arbeit der Loge so zu fördern, dass sie ihre 
maur Thätigkeit nicht auf die Pflicht gegen sich 
und ihre Brr beschränken. Die Kultursaat für 
die Menschheit muss die Loge den Brn ein¬ 
pflanzen, sie mü.ssen die Früchte reifen lassen 
im alltäglichen Leben. Das ist nach meiner 
Auffassung die Sonderarbeit des Gesellengrads, 
die der Zirkel umspannt. 

Geben der Idee des ersten Grades vorwiegend 
Herders Worte Ausdruck: „Tapfer ist der Löwen- 
sieger, tapfer ist der Weltbezwinger, tapfrer, wer 
sich selbst bezwang“; so sagen wir vom zweiten 
Gi*ade mit Worten des nämlichen Dichters: „Ein 
edler Held ist*s, der für’s Vaterland, ein edlerer, 
der für des Landes Wohl, der edelste, der für 
die Menschheit kämpft“. 


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Gl 


Lehrlings-Aufnahmeloge, 

gehalten von Br Eras, Matr v. St. der Loge 
^Herkules a. d. Elbe"* i. 0. Riesa. 

Meine Brr! Die wenigen Augenblicke, bis 
der Suchende sich melden wird, lassen Sie mich 
benutzen, Ihnen, namentlich den jüngeren Brn, 
ein kurzes Wort über den Wert und die Be¬ 
deutung der Loge zu sagen. Es ist ganz sicher, 
dass Loge und Frmrei nicht dasselbe ist, ebenso¬ 
wenig, als Kirche und Christentum. Es kann 
jemand ein echter Frmr sein, ohne zur Loge 
zu gehören, während einer ein eifriges Logen¬ 
mitglied sein kann, ohne ein rechter Frmr zu 
sein. Wie es Zeiten gegeben hat, wo in der 
Kirche so gut wie nichts vom christlichen Geiste 
zu spüren war, so auch Zeiten, wo die wahre 
Frmrei in den Logen keine Stätte mehr hatte, 
wo Betrüger als angebliche Entdecker neuer 
Geheimnisse in denselben ihr Wesen trieben, wo 
man sich mit nichts Besserem in den Logen zu 
beschäftigen wusste, als mit der Einführung 
neuer Grade, neuer Titel und Würden, wo 
Astrologie, Alchemie, besonders die Goldmacherei 
und andrer Humbug in den Logen Eingang 
fanden. Grade zu jener Zeit haben einige der 
bedeutendsten Frmr gelebt, z. B. Friedrich der 
Grosse und Lessing. Darf man sich wundern, 
wenn solche Geister wie sie, in den Logen der 
damaligen Zeit keine Befriedigung fanden, wenn 
sie den Logen mit Ekel den Rücken wandten? 
Bekannt ist der Ausspruch des Brs Friedrich des 
Grossen, die Frmrei, — aber damit ist eben 
nur das Logenwesen der damaligen Zeit ge¬ 
meint, — die Frmrei wäre un grand rien, ein 
grosses Nichts. Und von unserm Br Lessing 
wird berichtet, dass er, als man nach seiner 
Aufnahme ihn fragte, ob .er denn in der Loge 
etwas dem Staate oder der Religion feindliches 
gefunden habe, die Antwort gegeben habe: 
Wollte Gott, ich hätte etwas derartiges ent¬ 
deckt, da hätte ich doch wenigstens etwas ge¬ 
funden! Friedrich der Grosse und Lessing haben, 
ohne übrigens die Loge zu decken, ihr den 
Rücken gekehrt nicht deshalb, weil sie keine 
Frmr waren, sondern deshalb, weil sie rechte 


Frmr waren, wie Luther seiner Kirche grade 
darum den Rücken kehren musste, weil er ein 
Christ war. Aber deshalb sind beide begeistert 
geblieben für den maur Gedanken und haben 
mehr für die Frmrei gewirkt, als alle Logen 
ihrer Zeit. Was hat z. B. Lessing beigetragen 
zur Ausbreitung des frmr Gedankens durch seine 
gesamten Schriften, durch seine Gespräche zwi¬ 
schen Ernst und Falk, durch seinen Nathan den 
Weisen u. a.! 

Aber, meine Bir, damit ist keineswegs ge¬ 
sagt, dass die Loge für die Frmrei überhaupt 
entbehrlich wäre. Der frmr. Gedanke würde 
bald verschwinden und sich verflüchtigen, wenn 
er keine äussre Form, keine äussre Gestalt, ge- 
wissermassen kein Gefäss hätte in der Loge. — 
Es würden wohl zerstreut sich viele Menschen 
finden, die in ihrem Herzen Frmr wären, aber 
vereinzelt und zerstreut würden sie sich kaum 
hervorwagen, kaum etwas ausrichten können; der 
frmr Geist würde von den feindlichen Mächten 
bald unterdrückt werden, er würde keine Macht 
sein in der Welt, wie er es dank der über die 
ganze Erde verbreiteten Logen geworden ist. — 
Und, meine Brr, wäre vielleicht die Frmrei mit 
ihrem reinen Humanitätsprinzip etwas über¬ 
flüssiges geworden? Fast zu keiner Zeit haben 
ja bornierte Vorurteile, allerhand engherzige 
Sonderinteressen und Parteihass auf nationalem, 
konfessionellem und sozialem Gebiete so wüste 
Orgien gefeiert, als jetzt am Ende des vom 
Lichte der Wissenschaft wie vom elektrischen 
Lichte so hell durchstrahlten 19. Jahrhunderts. 
Wie stehts in unsern Tagen mit dem Christentum 
in der Kirche und dem konfessionellen Frieden? 
Denken Sie an die erneute Ausstellung und An¬ 
betung des h. Rocks in Trier vor wenigen Jahren, 
denken Sie an Kulturkampf und Zentrum. Ganz 
kürzlich musste in Wisch bei Molsheim in Elsass- 
Lothringen die Beerdigung eines Protestanten auf 
dem kommunalen Friedhof vom Kreisdirektor er¬ 
zwungen werden, worauf der Bischof den durch 
die protestantische Leiche geschändeten Friedhof 
mit dem Interdikt belegte. Denken Sie an die 
Salbung des kleinen Prinzen Boris, bei welcher 
das arme Kind durch seine Paten den furcht- 


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62 


baren römischen Irrtum abschwören musste, dass 
der heil. Geist vom Vater und vom Sohne aus¬ 
ginge, und sich zu dem orthodoxen Glauben be¬ 
kennen musste, dass derselbe allein vom Vater 
ausgehe. Denken Sie auf der einen Seite an 
die immer weitere Kreise erfassende Entkirch- 
lichung, auf der andern Seite an die Über- 
handuahmo schwärmerischer Sekten in unserm 
Sachsen, als Methodisten, Irvingianer, separierte 
Lutheraner etc. Denken Sie an die Kämpfe 
unsrer evangelischen Orthodoxen mit den Ver¬ 
tretern der neuern Ritschelschen Schule. Und 
auf politischem und sozialem Gebiete: Denken 
Sie an den Kampf der Parteien, denken Sie an 
den Ahlwerdt’schen Antisemitismus, denken Sie 
an die Sozialdemokratie. — Fürwahr allen diesen 
Dingen gegenüber steht die Frmrei vor einer 
wahren Herkulesarbeit, wenn sie da aufklärend, 
verhöhnend und den Geist der wahren Huma¬ 
nität verbreitend wirken will! — Die Loge, meine 
Brr, ist der Ort nicht, wo wir grosse Thaten 
thun wollen, sondern wo wir immer von neuem 
uns erfüllen lassen wollen vom maur Geist, wo 
wir uns Stärkung holen wollen in unserm maur 
Prinzip, wo wir uns befestigen wollen in der 
flohen Überzeugung, dass wir nicht allein und 
vereinsamt stehen mit unsrer Überzeugung und 
unsern Grundsätzen, sondern, dass wie hier, so 
überall auf dem Erdenrund tieue Brr uns zur 
Seite stehen, die gleiche Ziele mit uns verfolgen; 
wo wir genötigt werden, unsre eignen Vorurteile 
abzulegeii, wo wir im Verkehr mit den Bi*n ge¬ 
zwungen werden zur Arbeit an uns selbst, zur 
Arbeit am r. St., damit wir selbst immer ge¬ 
schickter werden, als schöne cubische Steine uns 
einzufügen in den Menschheitstempel! — Ja, 
meine Brr, wenn auch heute noch Loge und 
Frmrei nicht dasselbe sind, so sind doch unsre 
Logen Gott Lob heute zumeist andre als zu 
Lessings und Friedrichs des Grossen Zeiten, und 
wenn heutzutage ein Br der Loge enttäuscht 
den Rücken kehrt, so geschieht dies zumeist 
nicht deshalb, weil er ein rechter Frmr ist, 
sondern weil er kein rechter Frmr ist, und 
auch nicht die ernste Absicht hat, einer zu 
werden. Wie haben Sie es doch gut, meine Bit, 


die Sie die Loge am Orte haben und den brl. 
Verkehr in vollen Zügen geniessen können. Wie 
mancher Br draussen in der Diaspora, in der 
Zerstreuung, sehnt sich vergeblich, einmal mit 
Brn zu verkehren und freut sich, einmal nur 
einem zu begegnen. Halten Sie Ihre Loge 
hoch, meine Brr! Sie sind die Loge! Seien 
Sie selbst rechte Frmr und sorgen Sie, dass nur 
wahre Frmr Aufnahme finden, so wird auch 
unsre Loge eine Stätte der wahren Frmrei sein 
und bleiben und immer mehr werden! 

Mein Herr! Sie und Ihre ganze Familie 
sind römisch-katholisch! Das ist an und für 
sich durchaus kein Hindernis Ihrer Aufnahme, 
weder für Sie, noch für uns. Nicht für Sie, 
denn wir tasten Ihren Glauben in keiner Weise 
an; wie diejenige aller politischen, so ist auch 
die Diskussion aller konfessionellen Fragen 
in der Loge aufs strengste untersagt. Grade 
in katholischen Ländeim, wo sie nicht vom 
Staate verboten ist, hat die Frmrei ihre weiteste 
Verbreitung. Noch zu Anfang des Jahrhunderts 
gehörten in Deutschland zahlreiche katholische 
Priester der Loge an. Auch von dem vorigen 
Papste Pius IV., der den Bannfluch gegen uns 
geschleudert hat, wird, ich weiss allerdings nicht, 
mit welchem Rechte, behauptet, dass er früher 
selbst Frmr gewesen sei. Ist also Ihr Religions¬ 
bekenntnis an und für sich kein Hindernis Ihrer 
Aufnahme für Sie selbst, so noch viel weniger 
für uns! Nicht, dass wir der Religion gleich- 
giltig gogenüberständen! Nein, wir verlangen 
Religion von jedem Aufzunchmenden, wir ver¬ 
langen von ihm den Glauben an Gott und Un¬ 
sterblichkeit, den Glauben an eine göttliche, sitt¬ 
liche Weltordnung, denn sonst ist er untauglich 
zur Mitarbeit an unserm Werke, welches mit 
der Veredlung und Vervollkommnung des Indi¬ 
viduums zugleich die Veredlung und Vervoll- 
komninung der ganzen Menschheit bezweckt. 
Wir glauben auch als Frmr an eine Offenbarung, 
an Gottes lebendiges Walten in der Geschichte 
und Entwicklung der Menschheit und erkennen 
als höchste und vollkommenste Offenbarungsstufe 


•d 


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63 


das Christentum an. Aber wir unterscheiden zwi¬ 
schen dem blos zufällig und äusserlich ange¬ 
borenen, anererbten, anerzogenen und angelernten 
Glaubensbekenntnis und der persönlichen Reli¬ 
gion des Herzens. Das erstere, wo es die Reli¬ 
gion vollkommen ersetzen -will, wo es vorgiebt, 
ini alleinigen und unbedingten Besitz der Wahr¬ 
heit zu sein, wo es alles weitere Forschen nach 
der Wahrheit nicht nur für unnütz erklärt, son¬ 
dern sogar verbietet, wo es Unduldsamkeit fordert 
und Hass und Zwietracht sät, muss der wahren 
Religion sogar im höchsten Grade verderblich 
werden. Der religiöse Glaube hat für uns nur 
in soweit einen Wert, als er auf eigner Er¬ 
kenntnis der Wahrheit und somit auf eigenster, 
innerster Überzeugung beruht und zugleich die 
Erfüllung von sittlichen Forderungen in sich 
schliesst. Lessings Nathan spricht: 

„Begreifst du aber, 

Wie viel andächtig schwärmen leichter, als 
Gut handeln ist? wie gern der schlaflfete 

Mensch 

Andächtig schwärmt, um nur, — ist er zu 

Zeiten 

Sich schon der Absicht deutlich nicht bewusst, — 
Um nur gut handeln nicht zu dürfen.“ 

Ja, mein Herr, bezüglich der äusserlichen 
Religionsbekenntnisse stehen wir Frmr auf dem 
Standpunkte des Lessing'schen Nathan, welcher 
von denselben sagt: 

„Gründen alle sich nicht auf Geschichte? 
Geschrieben, oder überliefert! — Und 
Geschichte muss doch wohl auf Treu’ 

Und Glauben angenommen werden? — Nicht? — 
Nun wessen Treu’ und Glauben zieht man denn 
Am wenigsten in Zweifel? Doch den Seinen? 
Doch deren Blut wir sind? Doch deren, die 
Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe 
Gegeben? Die uns nie getäuscht, als wo 
Getäuscht zu werden uns heilsamer war? — 
Wie kann ich meinen Vätern weniger 
Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt: 
Kann ich von dir verlangen, dass du deine 
Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht 
Zu widersprechen? Oder umgekehrt.“ 


Und den Richter, vor welchem die 3 Brüder 
erscheinen, die Jeder im Besitz des echten 
Wunderringes zu sein behaupten, lässt Nathan 
sprechen: 

„Mein Rat ist aber der: ihr nehmt 
Die Sache völlig, wie sie Hegt. Hat von 
Euch Jeder seinen Ring von seinem Vater: 

So glaube Jeder sicher seinen Ring 
Den echten. — Möglich, dass der Vater nun 
Die Tyrannei des einen Rings nicht länger 
In seinem Hause dulden wollen! — Und gewiss, 
Dass er auch alle drei geliebt, und gleich 
Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen, 
Um einen zu begünstigen. — Wohlan! 

Es eifre Jeder seiner unbestochenen. 

Von Voi’urteilen freien Liebe nach! 

Es strebe von euch Jeder um die Wette, 

Die Kraft des Steins an seinem Ring an Tag 
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut, 
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohlthun, 
Mit innigster Ergebenheit in Gott 
Zu Hilf! Und wenn sich dann der Steine Kräfte 
Bei euren Kindeskindem äussem: 

So lad* ich über tausend tausend Jahre 
Sic wiederum vor diesen Stuhl. Da wird 
Ein weis'rer Mann auf diesem Stuhle sitzen, 

Als ich, und sprechen.“ 

Mein Herr! Ist also Ihre katholische Kon¬ 
fession an und tür sich weder für Sie, noch für 
uns ein Hindernis Ihrer Aufnahme, so muss ich 
Sie doch auffordern, sich zu prüfen und die 
Bedenken, die Sie sagen könnten, wohl zu er¬ 
wägen! Sie sind Katholik! Wenn wir auch, 
wie gesagt, Ihr Bekenntnis in keiner Weise 
antasten, so müssten Sie doch den Bannfluch 
mit auf sich nehmen, den der Papst über uns 
verhängt hat, den er über uns verhängt bat 
darum, weil wir seine Infallibilität und das 
Allein seligmachen Ihrer Kirche nicht ohne 
weiteres anerkennen und Duldsamkeit predigen. 
Fühlen Sie sich stark genug, fühlen Sie sich 
genug als freier Mann, diesen Fluch mit auf 
sich zu nehmen? Und Sie sind Österreicher. 
In den Ländern Österreichs, wo einst unter 
Josef II. die Mrei in hoher Blüte stand, ist 


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G4 


jetzt, mit Ausnahme Ungarns, wo die Frmrei 
sich eines mächtigen Aufschwungs erfreut, zwar 
keineswegs die Zugehörigkeit zu einer Loge, aber 
doch der Bestand von Logen und die Arbeit 
derselben gesetzlich verboten. Darum prüfen 
Sie sich nochmals, mein Herr, ob Sie bei Ihrem 
Beschlüsse beharren wollen, sich unserin Bunde 
anzuschliessen, unserm Bunde, der nationale, 
konfessionelle und Standes-Unterschiede keines¬ 
wegs auf heben und beseitigen, der aber allen 
Chauvinismus, allen konfessionellen, allen Racen- 
und Klassen-Hass beseitigen, der Lüge, Irrtum 
und Vorurteil bekämpfen und der Wahrheit nach¬ 
streben, der im Menschen nur den Menschen 
sehen und ihn blos nach seinem innern Wert 
taxieren will, der alle edlen Menschen auf neu¬ 
tralem Boden vereinigen will zum gemeinsamen 
Streben nach Wahrheit und sittlicher Vervoll¬ 
kommnung, der Menschen machen will nach dem 
Bilde Gottes und einen Menschheitsbund, der 
der rechte und wahre Gottestempel ist. 

Die Wahrheit. 

Vortrag von Br G. Schauerhammor, 
„Balduin zur Linde“ in Leipzig. 

Sie alle, meine Brr, kennen wohl die Parabel 
von Schiller: „Das verschleierte Bild zu Suis.“ 
Gestatten Sie mir, dass ich sie Ihnen als Ein¬ 
leitung zu meinem Vortrage ihrem Hauptinhalte 
nach noch einmal ins Gedächtnis zurückrufe. Ein 
Jüngling, von des Wissens heissem Durst ge¬ 
trieben, geht nach Sais in Ägypten, um die ge¬ 
heime Weisheit der Priester zu erlernen. Schon 
hat sein Geist verschiedene Stufen des Forschens 
erklommen, aber rastlos strebt er weiter, denn 
das, was er bis dahin gelernt, hat seinem forschen¬ 
den Wissensdrang noch keine Befriedigung geben 
können. Da fällt eines Tages sein Blick auf ein 
verschleiertes Bild von Riesengrösse. Sein Führer, 
den er nach der Bedeutung dieses Bildes fragt, 
giebt ihm die Antwort, die Wahrheit sei hinter 
diesem Schleier verborgen. Jedoch, sage das 
Orakel, kein Sterblicher dürfe diesen Schleier 
rücken, bis die Gottheit selbst es thue. Wer 
aber mit schuldiger Hand ihn früher hebe, der 
— nun, der sehe die Wahrheit. 


Dieser seltsame Orakelspruch lässt den Jüng¬ 
ling nicht ruhen. Das ists ja, wonach er strebt, 
die Wahrheit will er kennen lernen und die ver¬ 
hüllt man ihm mit einem Schleier, den die Hand 
doch leicht entfernen kann? Des Wissens Gier 
raubt ihm den Schlaf. Um Mitternacht springt 
er vom Lager auf und eilt zum Tempel. Dort 
steht er in einsam grauenvoller Stille vor der 
verschleierten Gestalt, die im silberblauen Scheine 
des Mondes erglänzt. Schon hebt sich die Hand, 
um den Schleier zu berühren, indem es ihm bald 
eisig kalt, bald siedend heiss durch alle Glieder 
rinnt, da stösst ein unsichtbares Etwas ihn zurück 
und die Stimme seines Gewissens mft ihm zu: 
„Kein Sterblicher rückt diesen Schleier, bis ich 
selbst ihn hebe. 

Sollte der, der es dennoch thut, nicht aber 
die Wahrheit schauen? Er spricht's und deckt 
den Schleier auf —. 

Am andern Tage finden ihn die Priester 
besinnungslos am Fussgestell der Isis ausge¬ 
streckt; was er dort gesehen, kein Mensch hat 
cs erfahren. Die Heiterkeit seines Lebens war 
dahin, ein tiefer Gram riss ihn früh zum Grabe. 

Denen aber, die ungestüm mit Fragen ihn 
bedrängten, gab er zur Antwort: 

„Weh dem, der zur Wahrheit geht durch Schuld; 
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein.“ 

Meine Brr, diese Parabel giebt in so mancher 
Beziehung die Gefühle eines Frmrs wieder, dass 
ich sie als Einleitung zu meinem heutigen Vor¬ 
trage, der von der Wahrheit handeln soll, 
gewählt habe. 

Hat nicht auch einem jeden von uns einmal 
das Herz laut gepocht, ist es ihm nicht auch 
bald eisig kalt, bald siedend heiss durch alle 
Glieder gegangen, als er drüben in jenem kleinen 
Zimmer sich befand, um sich zu sammeln und 
vorzubereiten zu einem Gange, der so tief be¬ 
deutungsvoll wird für sein ganzes zukünftiges 
Leben? Und hat er nicht, wie jener Jüngling, 
ebenso heiss gewünscht, dass ihm der Schleier 
von den Augen genommen werde, als er seine 
Wanderung im Finstern antrat? Und strebt 
nicht jeder von uns gleich jenem Jüngling nach 


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65 


Licht and Wahrheit? Was ist denn nun das 
Geheimnisvolle, das, ganz zu wissen, keinem 
Sterblichen begehieden sein soll? Wird es sieh 
uns niemals offenbaren? Soll all unser Suchen 
und Streben vorgeblich sein? Oder sollte es uns 
vielleicht auch noch gehen wie jenem wissens- 
dürstigen, aber ungestümen und von Schuld be¬ 
ladenen Jüngling? 

Diese Fragen, meine Brr, drllngten sich mir 
auf, als ich später als Mr dieses Gedicht wieder 
las, aber mit ganz anderen Gedanken und Ge¬ 
fühlen wieder las, als ich es früher als Jüngling 
gethan, wo es schon meine Phantasie auf das 
lebhafteste erregt hatte. 

Lassen Sie mich diese Fragen in drei 
zusamnienfassen: 

1. Was ist Wahrheit im allgemeinen Sinne? 

2. Welche Bedeutung hat sie für den Frmr? 

3. Wo und wie soll er sie suchen? 

Der denkende Mensch, oder das subjektive 
Ich bekommt Von allen Eindrücken, die er von 
der Aussenwelt empfängt oder von solchen, die 
aus seinem Denken und Fühlen entstanden sind, 
Vorstellungen. 

Diese Vorstellungen fangen an mit der Er¬ 
fahrung. Das Objekt oder der vorgestellte Gegen¬ 
stand ist entweder in der Aussenwelt vorhanden 
und wird durch die Sinne wahrgenommen, oder 
er ist nicht in der Aussenwelt vorhanden und 
nur durch innere Wahrnehmung, durch unser 
Denken und Fühlen entstanden, also nur ein ge¬ 
dachter Gegenstand. 

Die Vorstellungen selbst sind nun entweder 
wahre oder falsche. Entspricht eine Vorstel¬ 
lung in allen ihren Teilen oder in allen ihren 
Beifügungen dem in der Wirklichkeit vorhan¬ 
denen oder gedachten Gegenstand, so nennen wir 
sie eine wahre Vorstellung, weicht sie in einem 
oder mehreren Teilen von der Wirklichkeit ab, 
oder entspricht sie nicht mehr allen den Vor¬ 
stellungen, die andere von demselben Gegen¬ 
stände haben, so ist sie eine falsche Vorstellung. 

Je nachdem wir nun eine wahre oder eine 
falsche Vorstellung von einem Gegenstände haben, 
so wird auch unser Urteil über diesen Gegen¬ 
stand ein wahres oder ein falsches sein. So 


kommen wir auf die Definition von Wahrheit im 
allgemeinsten Sinne, nämlich: Wahrheit ist die 
Übereinstimmung unserer Vorstellungen 
und Gedanken mit den Gegenständen; 
oder Wahrheit ist die Übereinstimmung 
unserer Vorstellungen mit der Gesamt¬ 
heit der Vorstellungen, die andere von 
demselben Gegenstände haben. 

Ich will nicht unterlassen, hier zu erwähnen, 
dass in diesem Begriffe von der Wahrheit immer¬ 
hin noch viel subjektive Auffassung enthalten 
ist, denn alle Gegenstände in der Aussenwelt 
kommen doch erst durch unser subjektives Ich 
zur Anschauung, d. h. wir kennen die Gegen¬ 
stände als solche, wie wir sie mit unsern Sinnen 
wahrnehmen, wie wir sie uns vorstellen, sie sind 
für uns nur Erscheinungen. Wie die Gegen¬ 
stände an sich sind, also abgesehen von der 
Vorstellung, die wir uns von ihnen machen, das 
wissen wir nicht. Darum sagt auch der Philo¬ 
soph: Nicht ein Gebäude, das ich mir vor¬ 
stelle, ist wahr, sondern nur die Vorstellung 
von dem bewussten Gebäude kann wahr ge¬ 
nannt werden. 

Und doch ist gerade die Wahrheit, die sich 
auf die Erkenntnis der Erscheinungen in der 
Aussenwelt bezieht, und die man die phäno¬ 
menale Wahrheit nennt, nach menschlichem 
Ermessen die absolut sicherste, denn alle Dinge, 
die durch Raum und Zeit bestimmt sind, lassen 
sich mit fast absoluter Sicherheit fcststellen. 
Wenn ich behaupte: die Linde ist ein Baum, so 
wird mir das niemand bestreiten, weil die Linde 
alle für einen Baum erkennbaren Merkmale besitzt. 

Ganz anders steht es mit Begriffen und 
Urteilen, denen nichts in der Aussenwelt Vor¬ 
handenes entspricht, die also nicht durch Raum 
und Zeit begrenzt sind. Hier muss sich unser 
Urteil auf die Erfahrung verlassen oder auf die 
Vorstellungen, die entweder Autoritäten der 
Wissenschaft oder andere von uns als mass¬ 
gebend anerkannte Personen von dem Gegenstände 
haben. Hier ist es weit schwieriger absolute 
Wahrheit zu erlangen. Urteile, die von bedeu¬ 
tenden Männern aufgestellt und als wahr an¬ 
genommen worden sind, z. B. der Stillstand 


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G6 


der Erde, nach Aristoteles, sind schon oft schliess¬ 
lich aufgehoben und gerade das Gegenteil als 
wahr anerkannt worden. 

Es würde naich Jedoch zu weit führen, 
wollte ich auf diese und andere theoretische Be¬ 
griffe der Wahrheit noch genauer eingchen. An 
diesem Orte liegt cs näher, uns die 2. Frage 
zu stellen: Welche Bedeutung hat das Wort 
Wahrheit für den Frmr? 

Der Mr hat sich zu seiner Lebensaufgabe 
die Selbstvervollkommnung gemacht, eine Ver¬ 
vollkommnung seiner selbst oder de§ eignen Ichs 
bedeutet aber nicht etwa das Streben nach 
blosser Selbsterhaltung oder Selbstbeglückung. 
Denn Trieben folgen, die der Erhaltung oder 
Beglückung nur des eignen Ichs dienen, hiesse 
egoistisch, selbstsüchtig, sinnlich sein. Ein solches 
Leben wäre aber sittlich wertlos. Der Mensch 
soll sich wohl selbst erhalten und nach eigner 
Zufriedenheit streben, aber zu allgemeinen, 
nicht zu individuellen Zwecken, er soll be¬ 
glückt sein durch allgemeine, nicht blos indi¬ 
viduelle Zwecke des eignen Handelns, er soll 
seine Fähigkeiten ausbilden und vervollkommnen, 
nicht um individuellen, sondern um allgemeinen 
Zwecken zu dienen. Dies ist das Prinzip der 
sittlichen Vervollkommnung. 

Nach sittlicher Vollkommenheit zu streben, 
ist daher nicht leicht. Es erfordert Mühe, Arbeit, 
Kampf, Entbehrangen und Entsagungen. Es 
verlangt die Bekämpfung der Selbstsucht, die 
Unterdrückung der sinnlichen Triebe und Nei¬ 
gungen, die zur Selbstsucht, zum Laster, zur 
Lüge führen. Dieses Streben nach sittlicher 
Vollkommenheit soll den Menschen befreien von 
den Fesseln, die ihn mit aller Macht an sinn¬ 
lichen Schwächen und Thorheiten festhaltcn, es 
zieht ihn empor zu höheren Zielen, es bringt 
ihn mehr und mehr zum Bewusstsein, dass er 
als Gottes Ebenbild auch nach Gottähnlichkeit 
ringen soll, es führt ihn auf schmalen, wenn 
auch oft dornenvollen Pfaden zu den Pforten 
der idealen Wahrheit. Diese ist es, die ideale 
oder ethische Wahrheit, die der echte und rechte 
Mr suchen soll. Weisheit, Schönheit, Stärke sind 
ihre Attribute. Das Ideal aber ist Gott selbst, 


Gott das Urbild der Vollkommenheit. Darum 
giebt es für den Mr auch nur eine Wahrheit, 
wie cs nur einen Gott giebt. Vor ihr sagt einer 
der besten Brr, die die Loge je gehabt, der 
Bischof Dr. Di*äseke: ,Ohne die Wahrheit ist 
alles nichts, ist die Kirche nichts, ist die Loge 
nichts. Die Bibel selbst ist nur Bibel: Buch 
der Bücher durch die Wahrheit. Die Wahrheit 
aber ist in allen Kirchen und Logen, in allen 
Sekten und Klassen, in allen Theorien und Sy¬ 
stemen, in aller Kunst und Wissenschaft, in aller 
Zeit und Weltgegend, wiefern sie darin ist, die¬ 
selbe; Eine wie Ein Gott ist. Verschiedene 
Grade der Klarheit, verschiedene Formen und 
Farben kann sie haben, hat sie gehabt, hat sie 
noch. Ungleich, veränderlich, vielzüngig in sich 
selbst ist sie nicht, kann sie nicht sein. Ihr, 
der untrüglichen Einen, der Gottesstimme wollen 
wir zugohören, gehorchen, ihr nachgehen und 
nimmer sie verlassen, ihr im Leben, ihr im 
Tode dienen.“ 

Wohin, fragt sich der Mr, und ich komme 
hier zum 3. Teil meines Vortrags, wohin soll 
ich mich wenden, um diese Wahrheit, um Gott 
selbst zu erkennen? Wo finde ich die Gottes¬ 
stimme, der ich gehorchen, der ich nachgohen, 
die ich nimmer verlassen soll? Du findest sie 
leicht, wenn du nur sehen und hören willst. 
Blicke hinauf zum Sternenzelt, die Milliarden 
der strahlenden Himmelskörper, deren Lauf, in 
bestimmte Bahnen gelenkt, noch derselbe ist, der 
er vor Hunderttausenden von Jahren war, sie 
geben dir einen Begriff von Gottes ewigem 
Walten; blicke dich im Frühling um in der er¬ 
wachenden Natur, jeder Baum, jeder Strauch, 
jedes Gewächs, jedes Geschöpf giebt dir Be¬ 
weise von dem Dasein des allmächtigen Schöpfers; 
halte Einkehr in dir selbst, blicke in dein eigen 
Herz hinein und du wirst inne worden, dass 
etwas in dir ist, das dich erhebt von der 
Nichtigkeit des irdischen Daseins, das dich lehrt, 
was gut und böse ist, das dich frei macht von 
den Fesseln sinnlicher Triebe und Neigungen 
und das einst fortbestehen wird, auch wenn die 
irdische Hülle wieder zu dem wird, wovon sie 
gekommen ist. Nenne dieses Etwas, wie du 


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67 


willst, versuehe es abzuleugnen, es wird dir 
nicht gelingen. Wenn du dir auch keinen be¬ 
stimmten Begriff davon machen kannst, wenn 
du dir es sinnlich auch nicht vorstellen kannst, 
du weisst aber, es ist da, es ist immer da ge¬ 
wesen, und es wird immer da sein. Aber ein 
Schleier verbirgt es deinem irdischen Auge. 
.Kein Sterblicher,* sagt das Orakel, .rückt 
diesen Schleier, bis ich selbst es thue;“ oder mit 
andern Worten: .Kein Sterblicher wird die 
Wahrheit schauen, bis sie selbst sich ihm 
offenbart. Diesen Schleier bilden die mensch¬ 
lichen Schwächen und Fehler, sie sind die irdische 
Beigabe unseres Ichs. Wir können uns nicht 
ganz von ihnen trennen und je mehr sie an uns 
haften, desto mehr verhüllen sie unserem geistigen 
Auge den uns innewohnenden Gottesbegriff, desto 
mehr entfernen sie uns von der Wahrheit. 

Wann aber wird sie sich offenbaren? Wann 
wird sie den Schleier lüften? Werde ich wohl 
die Wahrheit jemals ganz oder nur teilweise 
schauen und erkennen? Letzteres wohl, m. 1. Br, 
nur hängt das Wann? ganz von dir selbst ab, 
wie du die Wahrheit suchen wirst. Je reifer 
dein sittliches Urteil wird, je selbstloser und 
reiner du in deinem Denken, Fühlen und Handeln 
wirst, je mehr du darnach trachtest, den guten 
Samen, der in dich gelegt ist, aufkommen zu 
lassen, je mehr du das kleine Pflänzchen hegst 
und pflegst, dass es erstarke, wachse und ge¬ 
deihe, je mehr du den harten Boden, der sich 
um dasselbe gebildet, nämlich die Selbstsucht, 
umgräbst und lockerst, je sorgsamer-und gründ¬ 
licher du das mit ihm wachsende Unkraut, die 
sinnlichen Begierden und Leidenschaften, ent¬ 
fernst, damit das Pflänzchen nicht durch das Un¬ 
kraut am Wachstum verhindert, oder gar durch 
dasselbe überwuchert werde, je mehr du dies 
thust, desto eher wirst du die Wahrheit schauen, 
desto eher wird dir offenbar werden, worin die 
wahre Glückseligkeit besteht, welches das höchste 
Glück, das höchste Ziel ist, das der Mensch auf 
Erden sich setzen kann, desto klarer wird dir 
dann auch der Gottesbegriff werden, der die 
Wahrheit selbst ist. 

Nun, meine Brr, je höher, je erhabener ein 


Ziel ist, das wir erstreben, desto schwerer ist 
dasselbe zu erringen. 

Der grösste, schwei*ste Sieg ,den ein Mensch 
gewinnen kann, das ist der Sieg über sich selbst. 
Trachten wir darnach, diesen Sieg zu erringen. 
Und der Sieg wird unser werden, wenn wir mit 
Fleiss und Emsigkeit das beste Material, das 
wir besitzen, Zusammentragen zum Bau des 
Tempels der Wahrheit. Dieser Tempel, den wir 
zur Ehre und zum Ruhm des allmächtigen Bei¬ 
meisters errichten, in dem er selbst wohnt, diese 
Behausung des Baumeisters aller Welten ist 
unser eignes Herz. 

Hier also, meine Brr, in unserem Herzen 
müssen wir den Grundstein legen zu dem er¬ 
habenen Bau, an dem der Frmr arbeitet, der 
nach Erkenntnis der Wahrheit strebt. Hier muss 
er die Steine Zusammentragen und zusammen¬ 
setzen, hier muss er das Material, das ihm zum 
Bau gegeben ist, mit Fleiss, Sorgfalt und Ge¬ 
wissenhaftigkeit verwenden. 

Was sind denn nun aber die Steine, die er 
zum Bau verwenden soll? Was versteht man 
unter dem Material, das zum Bau notwendig ist? 
Liebe die Triebfeder alles Guten und Schönen, 
strenges Pflichtgefühl, Wahrhaftigkeit und 
Aufrichtigkeit der Gesinnung, Gerechtigkeit 
und Redlichkeit in all seinem Thun und Han¬ 
deln: diese sind das Material; Mildthätigkeit 
und Opferwilligkeit sind die Bausteine. Es sind 
die Kleinodien der k. K., die du, Mr, nicht nur in 
Gedanken, sondern im Herzen mit dir herumtragen 
sollst und an die du immer wieder erinnert wirst, 
wenn du diese geweihten Räume betrittst. Schon 
um deswillen, um immer wieder an diese Klei¬ 
nodien, um immer wieder an deine Pflicht er¬ 
mahnt zu werden, solltest du hierher kommen, 
so oft dir im Berufsleben Zeit dazu gelassen ist. 
Denn, wenn du nicht nur ein Hörer, sondern auch 
ein Thäter des Wortes bist, wenn dir Zeichen, Wort 
und Griff nicht bloss äusserliche Merkmale, und 
die Symbole dir nicht sinnlose Spielereien sind, 
wie es uns von gegnerischer Seite vorgeworfen 
wird, dann wirst du immer mit einer Lehre, mit 
einem Tyoste und mit leichterem Gemüte von 
hier fortgehen, auch wenn das, was dir hier 


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gesagt worden ist, nicht immer ganz deiner Über¬ 
zeugung, nicht immer ganz deinem Erwarten 
entspräche. Denn die Träger des Wortes sind 
ja nur Menschen, die Lehre aber selbst ist gött¬ 
lichen Geistes. Es gelten eben auch hier die 
Worte Faiist’s: ,Wenn Ihr*s nicht fühlt, Ihr 
werdet’s nicht erjagen.“ 

Die Symbole derMrei, diese äusseren Merk¬ 
male mit ihrem tiefen inneren Sinn sind es ja 
aber nicht allein, meine Brr, die uns an die 
Arbeit erinnern, der A. B. hat uns auch einen 
Bauleiter gegeben, der die Säumigen zur Arbeit 
antreibt, der die Fleissigen lobt und Lust zu 
neuem Schaffen in ihnen erweckt. Dieser Bau¬ 
leiter ist unser Gewissen. Es ist die Stimme, 
die Gott in das Herz eines jeden denkenden und 
fühlenden Menschen gelegt hat. Sie ist unser 
steter Berater, sie soll unser Führer, unser Leit¬ 
stern sein. Folgen wir ihr, der göttlichen Mah¬ 
nerin in all unserem Thun und Handeln, lassen 
wir uns nicht durch selbstsüchtige Gelüste und 
Neigungen von dem Pfade abbringen, den das 
Gewissen uns vorschreibt. Der erste Abweg vom 
Pfade der Pflicht und des Rechts, den uns das 
Gewissen offenbart, fällt uns viel schwerer, als 
der zweite und die nachfolgenden und bald, oft 
nur zu bald schweigt dann die Stimme der treuen 
Mahnerin ganz. Dann, meine Brr, tappen wir 
im Finstern und suchen vergebens nach einem 
Ausweg, der uns wieder zum Lichte und zur 
Wahrheit führt, wenn nicht der Allgütige selbst 
in seiner Langmut uns noch einen solchen zeigt. 

Je gewissenhafter und freudiger wir aber 
dem Mahniaife dieses Bauleiters folgen, je em¬ 
siger, freudiger und unverdrossener wir am Baue 
des Tempels der Wahrheit uns beteiligen, desto 
mehr wird sich auch der Schleier lüften, der 
uns das Bild der Wahrheit noch verbirgt. Nach 
und nach wird der Begriff der Wahrheit eine 
festere Gestalt gewinnen. Mehr und mehr wird 
dein geistiges Auge die Umrisse der von gött¬ 
lichem Lichte erstrahlenden Gestalt der Wahrheit 
sehen und je mehr du von ihr erblickst, je 
klarer sich dir ihr Wesen offenbart, desto freu¬ 
diger wirst du bei der Arbeit ausharren, desto 
mehr wirst du fühlen, was dir zur wahren 


Glückseligkeit, was dir zum wahren Seelenfrieden 
nötig ist. 

Und wenn zuletzt der Schleier, der die 
Wahrheit verbirgt, ganz vor deinen Augen ver¬ 
schwindet, wenn dein Blick durch die Nebel des 
irdischen Daseins nicht mehr begrenzt wird, 
wenn die irdische Hülle gefallen und dein gei¬ 
stiges Ich dahin zurückgekehrt ist, woher es 
gekommen, dann wirst du die Wahrheit schauen, 
rein und ungetrübt, umstrahlt von göttlichem 
Lichte, von göttlicher Klarheit. 

Fühlen wir aber nicht einen Teil der Glück¬ 
seligkeit, die uns dort verheissen ist, schon hier 
auf Erden, wenn wir unsere Pflicht thun? Fühlen 
wir uns nicht erleichtert, froh und glücklich, 
wenn uns unsere Arbeit gelungen, wenn sie von 
Erfolg gewesen ist? Liegt nicht in der Freude 
über das Gelingen schon der Lohn für die Mühe 
und Anstrengung, die es uns gekostet? Diese 
Freude an der Arbeit, die Zufriedenheit, die der 
Erfolg unseres Schaffens in uns erweckt, dürfen 
uns ein Beweis dafür sein, dass wir auf dem 
rechten Wege zur Wahrheit sind. Freilich Ge¬ 
duld und Ausdauer müssen wir haben und nicht 
vorzeitig das Ziel unserer Wünsche erreichen 
wollen. Eins aber darf nie fehlen, ohne das*wir 
nie die wahre Zufriedenheit erlangen würden — 
ein gutes Gewissen. Bewahren wir uns dieses 
bei allem, was wir thun, damit es uns nicht 
ergehe, wie dem ungeduldigen, schuldbefleckten 
Jüngling, der an sich die unheilvollen Worte 
erfahren musste: 

„Weh dem,*der zur Wahrheit geht durch Schuld: 
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein!“ 

Du aber, grosser Meister, 

Du Schöpfer alles Seins, 

Beherrscher aller Geister, 

Der Wahrheit und des Scheins: 

Mit Weisheit uns erhelle 
Den dunklen Erdenpfad; 

Gieb Stärke unserer Seele, 

Wenn sich der Zweifel naht. 

Zur Schönheit deiner Werke 
Lenk hin des Mrs Sinn, 

Führ ihn zum reinen Lichte 
Der ewigen Wahrheit hin. 


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69 


Br oder und Freand. 

Von Br A. Gündel, ytollvertr. Redner d. Loge 
^Balduin zur Linde.“ 

Wenn ich mir jetzt erlaube, über das Ver¬ 
hältnis zwischen Freund und Bruder hier zu 
reden, so bitte ich doppelt um gütige brliche 
Nachsicht, da gerade dieses Thema mehr als 
jed^s andere dem subjektiven Empfinden wird 
überlassen bleiben müssen, ich hier aber nur 
das meinige, zum Ausdruck bringen kann, das 
ja keineswegs Anspnich auf allgemeine Giltig¬ 
keit erheben kann, noch darf, noch will. 

Eine Quelle der edelsten, reinsten Freuden, 
ein Urgrund herrlicher Thaton, wie sic schöner 
kein anderes Gefühl zu erwecken vermag, ist 
die Freundschaft. Was sie geleistet hat und 
noch leistet, tritt weniger in den Dienst prak¬ 
tischen Schaffens und Strebens, der kalt« Ver¬ 
stand wendet sich oft kopfschüttelnd von soviel 
Selbstlosigkeit und Aufopferung ab, ihre Thaten 
sprechen zum Herzen, sie erbauen die Menschen- 
seele, sie wecken den Glauben an eine höhere 
Eingebung und lassen den göttlichen Funken in 
uns, die all vermögende Liebe, aus einer Ahnung 
zur Anschauung werden. ^ 

Und doch ist die Freundschaft tief in der 
menschlichen Natur begründet. Wie die Triebe 
im allgemeinen als Zchrpfennig ans dem Mutt«r- 
leibe uns mit auf den Weg gegeben werden, so 
trügt jedes Wesen mit willkürlicher Bewegung 
den Geselligkeitstrieb, den Hang zu gemeinsamen 
Handeln in sich. Die Hühner leben in Völkern, 
die Hirsche in Rudeln zusammen, in Schwärmen 
suchen die Zugvögel die wärmeren Länder auf, 
selbst der Adler hoch oben auf felsigem Horste 
hat seine Gefährtin, und so sucht auch der 
Mensch noch einem Genos.sen in Glück und 
Unglück. 

Die Freundschaft lässt sich zurückführen 
auf die einfachen sympathetischen Gefühle der 
Mitfreude und dos Mitleides. Aber diese Mit¬ 
gefühle, die wir nach der Lehre Jesu ja auch 
dem Feinde entgegenbringen sollen, sind immer 
noch keine Freundschaft. Unter Freundschaft 
versteht die Welt erst eine graduelle Steigerung 
der SjTupathie bis dahin, wo der Freund dem 


Freunde sein Hab und Gut, ja noch mehr, sein 
Leben, ja sogar seine Überzeugung und Mannes¬ 
ehre opfern würde. Gleicher oder höherer Gaben 
wäre höchstens die Blutsverwandschaft oder die 
Ehe fähig. Ja die Freundschaft der Welt wird 
erst erkannt, wenn sie prunkende Thaten ge¬ 
zeitigt, wenn sie zu ihrer Bethätigung die Rück¬ 
sichtnahme auf andere, unter Umständen bessere 
Zwecke beiseite setzte, nur um dem Freunde 
einen Dienst zu erweisen, wenn sie in der un¬ 
billigen Rache des Achilles für den Tod des 
Patroklus ihren Ausdruck fand. Sie basiert auf 
zufälligen äusseren Verhältnissen und Erlebn is.se n, 
sie wird wohl gar geschlossen bei Begegnungen 
auf den Pfaden des Lasters, sie ent<stammt oft 
in den jüngeren Jahren einer dunklen geschlecht¬ 
lichen Regung, einer durch die schöne Poesie 
künstlich genährten, schwärmerischen Phantasie, 
sie hat der Augenblick geboren und wie sie 
heute in aufrichtigster aber unklarer Begeisterung 
zur grössten That bereit sich erklärt, so ist sie, 
einem Strohfeuer gleich, morgen in ein Nichts 
zurückgesunken. Die festen Ketten, welche z, B. 
die Räuber Karl Moors untereinander und mit 
ihrem Hauptmanno bis in den Tod zusammen¬ 
hielten, waren, in der luftdicht abgeschlossenen 
Studierstube der Karlsschule geschmiedet, ein 
moralischer und psychologischer Unsinn, wie ja 
später Schiller selbst gestand, indem er sagte: 
„Ich wollte Menschen schildern, ehe ich welche 
kannte.“ 

Die wahre Freundschaft, die zugleich die 
des Maurers sein soll, möge ihr Objekt nun 
innerhalb oder ausserhalb dieses Tempels sich 
befinden, hat mit dem eben geschilderten Seelen- 
rausche nichts gemein. Sie beruht allerdings 
auch in der innigen, nicht nur Verstandes-, son¬ 
dern vor allem gefühlsmässigcn Harmonie zweier 
Wesen inbezugauf gemeinsame Ziele des Strebens. 
Selbst bei einer materiellen Verschiedenheit stim¬ 
men diese Ziele doch hinsichtlich ihres formell 
sittlichen Wertes überein. Ebenso bleibt trotz 
der mannigfachen, dem jeweiligen Zweck dienen¬ 
den Geartung der Mittel die positiv sittliche 
Qualität derselben in allen Lebenslagen bestehen. 
Dieser Gleichlauf der Mittel und das endliche 


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70 


Zusammenfliessen in dem einen Ziele, dem ja 
unsere ganze königliche Kunst entgegensteuert» 
sie sind das unzerstörbare Fundament jener 
wahren und echten Freundschaft, welche wir 
als Ideal verehren, und die auch den Freimaurer 
mit seinem Bruder oder sonstigen Mitmenschen 
verbinden soll. 

Der Frmr findet seinen Freund nicht an der 
Oberfläche der profanen Alltagswelt, nicht unten 
in den Tiefen der menschlichen Laster und Leiden¬ 
schaften, er findet ihn auf den Höhen des gei¬ 
stigen Lebens, auf der Warte stehend gegen 
Bosheit und Tucke, und reicht ihm über alle 
Schranken des gesellschaftlichen Vorurteils, des 
Parteihaders, dogmatischer Engheraigkeit hinweg 
die Hand zum Bunde. Er findet ihn daheim, 
gleich ihm am Liebeswerke friedlich schaffend^ 
oder bei gemeinsamer Thiltigkeit die innere Ver¬ 
wandtschaft erkennend und sich einander nähernd. 
Er wirft sich nicht stürmisch an die Brust des 
neuerwovbenen Freundes, aus einer zuftllligen 
llbereinstimmung in äusseren Dingen einen Gleich¬ 
lauf der gesamten Gedankenwelt willkürlich und 
voreilig herleitend, sondern Schritt für Schritt 
nimmt er Kenntnis von den Charakterzügen des 
andern und sie gewissenhaft prüfend, wird er 
nach und nach gewahr, wie aus dem blossen 
Denken an den Nächsten und mit ihm, ein 
Fühlen mit ihm und für ihn geworden ist. 
Er überlässt sich nicht willenlos dem Wunsche 
und Wollen des Freundes, ihm die Verantwort¬ 
lichkeit für jeden Schritt, namentlich für jede 
V^erkehrtheit zuschreibend. Er wägt und unter¬ 
sucht selbst und setzt seine Ansicht der des 
Freundes entgegen, um in gewissenhafter Ab¬ 
schätzung der Gründe und Gegengiünde den 
Freund liebevoll, aber mit aller Energie für 
seine Ansicht zu gewinnen, oder sich offen und 
ehrlich zu dessen zu bekehren. Er straft und 
versagt wohl gar, in Rücksicht auf die weitere 
Zukunft des kurzsichtigen, stürmischen, unbe¬ 
dachtsamen Freundes. So wird die wahre Freund¬ 
schaft zu einer Schule des Charakters, wie Götbe 
eine solche seinem Tasso wünscht, wenn er 
spricht: ,Es will der Feind, es darf der Freund 
nicht schonen, so übt der Jüngling streitend 


seine Klüfte, fühlt, was er wird und fühlt sich 
bald ein Mann.* 

Die wahre Freundschaft ist keine berech¬ 
nende, sie sucht nicht den äussem Vorteil und 
das materielle Opfer des Freundes. Sie verlangt 
viel weniger ein Opfer, als sie sich bereit er¬ 
klärt, ein solches zu bringen. So ist auch 
Selinuntius der echte Typus des Freundes, ^er 
ohne weiteres, aller Möglichkeiten ungeachtet, 
die verhängnisvolle Bürgschaft leistet: «Für 
seinen Freund ist ihm kein Preis zu hoch.* 
Nicht als ein Opfer ei'scheint ihm die Forderung 
des Verurteilten, sondern als eine freudig be- 
giüsste Gelegenheit, diesem sich dienstbar er¬ 
zeigen zu können. Er fühlt sich geehrt durch 
den Ausdruck des Vertrauens und ist dem 
Freunde dankbar, dass er ihn in die Lage ver¬ 
setzt, seine Freundschaft beweisen zu können. 
Und doch auch steht Dämon ihm ebenbürtig zur 
Seite. In seiner Not verschmäht er es, den König 
ohne Gewähr um Aufschub zu bitten. Nur den 
Freund würdigt er, für ihn einzutreten, in der Ge¬ 
wissheit und dem festen Vertrauen, dass er bei 
diesem Verständnis und Bereitwilligkeit findet, 
weil er sich von ihm als rechtschaffener Mann» 
der sein Wort hält, gekannt weiss, weil er im 
gegebenen Falle gerade so für ihn einstehen 
würden. Die echte Freundschaft sucht nicht 
das ihre, sie bittet nur, um dem Freunde durch 
die Bezeugung des Misstrauens nicht wehe zu 
thun, wenn sie übeiv.eugt ist, dass die Leistung 
als einstweilige durch eine pünktliche Erfüllung 
der eingegangenen Verbindlichkeiten eingelöst 
werden kann. So ist die wahre Freundschaft 
eine durch sittliches Streben geläuterte, zu jedem 
Preise bereit, vertrauensvoll aber nur Billiges 
verlangende. 

Freilich, meine lieben Brr, kann sich solche 
thatbereite, selbstverleugnendc Freundschaft erst 
in den entsprechenden Lebenslagen äussem. Denn 
im Unglück erst soll man den Freund erkennen. 
Wenn nun der Volksmund weiter behauptet: 
„Freunde in der Not, gehn Dutzend auf ein 
Lot*, so hat das im allgemeinen wohl weniger 
seinen Grand darin,, dass die passende Gelegen¬ 
heit zu Freundschaftsdiensten, als vielmehr darin. 


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71 


dass die inneren Grundlagen wahrer Preund- 
schafb fehlen. Bei der Frmrei im besonderen, 
dürfte es gerade umgekehrt sein. Darum sind 
wir so leicht geneigt, einen Unterschied in den 
Logen zu konstatieren zwischen Bruder und 
Freund. Und doch besteht ein solcher Unter¬ 
schied eigentlich nicht. Die Begriffe Freund¬ 
schaft und Brüderlichkeit in unserem Sinne sind 
in ihrer idealen Ausgestaltung völlig identisch. 
Ist es nicht im Sinne jener echten, wahren 
Freundschaft, wenn wir dieses Haus zu einer 
Waffenschmiede machen, von der wir gerüstet und 
gegürtet,ob auchM itglieder verschiedener religiöser, 
politischer Bekenntnisse und Berufsstellungen, so 
doch vereint als Brüder einer Loge, als Glieder 
einer Kette ausziehen in den Kampf gegen die 
Unlauterkeit und Unsittlichkeit der Welt, wenn 
wir es zu einer Schule des Charakters stempeln, 
in der wir uns gegenseitig mit Liebe und mit 
Emst zu fördern und hinanzuziehen suchen zu 
dem Ziele, dass unsere k. K. von Anfang an 
sich und uns gesteckt hat; wenn wir es zur 
Stätte des Friedens wandeln, von der die Boten 
ausgehen in die Hütten des Jammers und Elendes, 
um den Schmerz zu lindern und der leidenden 
Menschheit den Glauben an die Liebe der Brüder 
zu erhalten. Weiss nicht so manches thränen- 
feuchte Scbwesternauge, so manches klagende 
Waisenherz zu erzählen, wie die Brr aus der 
Loge der Hinterlassenen in treuer Liebe sich 
angenommen, sie unter ihren männlichen Schutz 
gestellt haben und den Unmündigen ein zweiter 
Vater geworden sind. Ist es nicht Freundschaft, 
wenn der Bürge bei der Loge mit seiner Über¬ 
zeugung dafür eintritt, dass der Angemeldete 
ein freier Mann von gutem Rufe sei, und den 
Kampf gegen etwaige Einwendungen auszu¬ 
kämpfen sich bereit erklärt. Ist es nicht eine 
vertrauensvolle Hingabe, wie wir sie nur bei 
Freunden finden, wenn der Suchende seiner per¬ 
sönlichen Freiheit sich völlig bpgiebt, indem er 
die Binde nimmt und der Fülirung des Bürgen 
oder der treuen Freundeshand, wie der Br 
Präparateur sagt, sich willerlos überläsaL Ist 
das nicht ein Fi eundesver^rechen, wenn der 
M. V. St. dem Neuaufgencmmenen im Namen 


der Loge zuruft: »Der Druck unserer Hände 
sagt Ihnen, dass wir Sie nie verlassen werden, 
so lange Rechtschaffenheit und Wahrheit Ihre 
Begleiterinnen sein werden.“ Würde nicht so-, 
gar die Welt den Freundesdienst anerkennen, 
den der Br dem Br z. B. im Kriege auf dessen 
maur. Hilferuf hin, und wäre es mit Gefahr des 
eigenen Lebens, zu leisten verpflichtet ist. Ge¬ 
wiss, meine lieben Brr, wir alle sind, sofern wir 
es ernst nehmen mit unserer Frmrei, Freunde, 
nicht im Sinne der Welt, sondern jener echten, 
idealen, reinen Freundschaft. 

Wenn wir aber anstehen, jedem Bruder in 
der Loge gegenüber uns als dessen Freund zu 
fühlen oder diesem Freundesrechte einzuräumen, 
so fällt die Schuld dafür dem Menschlichen in 
uns zur Last. Auch wir hängen, wie Faust, an 
der Welt mit »klammernden Organen“, in mehr 
als einer Hinsicht. Erstens können wir uns 
nicht, oder nur schwer zu jener idealen Auf¬ 
fassung durchringen, welche z. B. die beiden 
Pythagoräer in Schillers Bürgschaft so herrliche 
Thaten zeitigen Hess. Derartige Erscheinungen 
dürften heutzutage, so traurig das ist, so wahr 
ist es, zu den grössten Seltenheiten gehören. 
Die irdischen Unvollkommenheiten, Kleinlichkeit, 
Kleinmut, Menschenfurcht, Neid, Missgunst, Eigen¬ 
nutz, Egoismus nehmen uns zu sehr gefangen, 
als dass jeder Br in der Loge mit der Offen¬ 
heit und Rückhaltlosigkeit eines Freundes 
uns nahen wollte. Läuft er nicht schliesslich 
doch manchmal Gefahr, ohne dass wir es wollen, 
dass sein Veriraucn gemissbraucht und in nicht 
gerade freundschaftlicher Weise ausgebeutet wird. 
Ferner: In unserer menschlichen Unvollkommen¬ 
heit sehen wir oft nur, was vor Augen ist und 
verlangen konkrete Beweise, womöglich mate¬ 
rielle Opfer für die Freundschaft, ohne zu be¬ 
denken, dass wir damit ihr eigentliches Wesen 
veiJlachen und uns einer mehr sinnlichen Auf¬ 
fassung nähern, ohne zu bedenken, da.ss nicht in 
äusserer, sondern innerer, geistig-sittlicher Förde¬ 
rung der Wert der rechten Freundschaft besteht. 
Jene äussere ist aber bei uns, Gott sei Dank, 
weniger nötig und die letztere sind wir mehr 
geneigt, der Loge als solcher, als dem in der 
Gesamtheit aufgehenden Einzelnen zuzuschreiben. 
Ferner: Menschliche Engherzigkeit ist es, die 
namentlich in grossen Bauhütten, wie der unseren, 
das Herz für zu eng hält, als dass es einer 
solchen Vielheit von Brr sich offenbaren und 
deren aller Wohl und Wehe zu dem seinigen 
machen könnte, die sich begnügt an dem blossen 


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72 


Frieden mit den Brr, sich aber ini übrigen am 
Anne eines Freundes von ihnen zurückzieht und 
das auf die Loge anwendet, was Br Göthe von 
der Welt sagt: 

„Selig, wer sich vor der Welt ohne Hass ver- 

schliesst, 

Einen Freund am Busen hält und mit dem geniesst, 
Was von Menschen nicht gewusst, oder nicht be¬ 
dacht. 

Durch das Labyrinth der Brust wandelt in der 

Nacht.“ 

Wir verkennen dabei ganz, dass dieser Tempel 
schon der Ort ist, an den wir uns von der Welt 
zurückgezogen haben, wo wir die Mensehenseele 
in ihrem Tliun und Treiben belauschen, wo wir 
ihr einen höheren Schwung geben und im An¬ 
gesichte der grossen, gewaltigen Vorbilder unserer 
k. K. uns erbauen können. Wir verkennen ganz, 
dass das Menschenherz ein Strahl aus Gott ist, 
der mit Vaterarmen und Väterliche die ganze 
Welt umfasst und versprochen hat, keinen seiner 
Freunde zu verlassen, noch zu versllumen! Sollte 
dieser göttliche Strahl in uns im Verkehr mit 
den Brr sich als unzureichend erweisen wollen? 
Ferner: Auf menschlicher Unkenntnis beruht die 
Tätfschung, der wir uns oft über einen Br hin¬ 
gehen, die dessen Wesen und Eigenschaften und 
d(‘ssen sittlichen Wert verkennt und unterschätzt, 
die uns ängstlich zögern lässt, ihn zum Ver¬ 
trauten unseres Herzens zu machen und die wohl 
gar einmal misstrauisch da eine niedrigere Ge¬ 
sinnung wittert, wo eine einfache Meinungsver¬ 
schiedenheit in Tagesfragen uns nicht Hand in 
Hand gehen lässt. Und endlich: Menschliche 
Unzulänglichkeit haftet uns allen an, wenn unsere 
eigenen Thaten, Worte und Gedanken immer noch 
Geheimnis bleiben, die Bekanntschaft des Bruders 
und das Urteil der Allgemeinheit fürchten müssen 
und wenn dadurch die rechte Vertr^uilichkeit, 
wie sie zwischen Freunden waltet, bei uns nicht 
allenthalben hochkommen will. 

Aber meine lieben Brr, wir sind nun ein¬ 
mal Menschen, trotz so vieler Versuche, uns über 
die Natur zu schwingen. Natürlich ist, dass 
Leute in gleichem Ijebensalter, in gleichen Lebens¬ 
lagen und mit gleichen Lebensgewohnheiten sich 
immer besser verstehen werden, als andere. Natür¬ 
lich ist, dass gleiche Gesinnung in politischen, 
religiösen und sozialen Dingen der Freundschalt 
direkt in die Hände arbeitet. Und von dieser 
Erkenntnis aus Hesse sich das Schliessen be¬ 
sonderer Freundschaften, das noch keineswegs zu 
einer einseitigen, sich absondernden Cliquenbildung 
zu führen braucht, wenn auch noch lange nicht 
rechtfertigen, so doch teilweise wohl enischul¬ 


digen und verstehen. Die Freundschaft ist ein 
Gefühl, und wie die Gefühle überhaupt bisher 
der dunkelste Punkt unseres Seelenlebens gegen¬ 
über dem Vorstellen und Wollen geblieben sind, 
so fühlen wir uns oft zu einer Person hinge¬ 
zogen, ohne dass wir uns über die Gründe dazu 
Rechenschaft geben könnten. Geradeso aber will 
es uns auch oft nicht gelingen eine ganz uner¬ 
klärliche, unbegründete Gleichgültigkeit, wenn 
nicht gar Antipathie gegen einen Nächsten nieder¬ 
zudrücken und dessen etwaiges Vertrauen mit 
Vertrauen zu vergelten. Da heisst es denn wieder 
einmal „prüfen und forschen, kämpfen und sich 
selbst beherrschen“. Denn als höchstes Ziel 
unseres Verkehrs untereinander bleibt immer das 
eine bestehen, in dem Br nicht nur ein zur Loge 
gehöriges Mitglied, sondern vor allem den Freund 
zu sehen. Nicht nur das äusserliche „Du“ der 
Anrede, nicht erheuchelte Inebe, nicht ehrgeiziges, 
streberhaftes Buhlen um die Gunst und das W’ohl- 
wollen der Menge, sondern eine offene Sprache, 
ein unbeschuhtes Handeln und ein warmes Herz 
allen Brr gegenüber, das sind die Pfeiler, auf 
denen wahre Freundschaft sich aufbaut, das sind 
aber auch die Glieder der Kette, die uns mit 
allen Brr hier im Tempel der Wahrheit ver¬ 
bindet. Gegenseitiges Vertrauen, Treue in allen 
Lebensfügungen, Liebe und Gegenliebe sind eben¬ 
so der Kitt der Froundschal’t, wie sie die unent¬ 
behrlichen Grund- und Ecksteine der ganzen 
Frmrei sein und bleiben werden, und all’ die 
angeführten menschlichen Schwächen sind ebenso 
unmrsch., wie sie die wahre Freundschaft zwischen 
Brr hindern. 

Je weiter wir daher zu der frmr Li(*bo uns 
durchringon, jemehr wir wachsen in der frmr 
Erkenntnis und zunehmen in der k. K., die er¬ 
kannte Tugend zu üben, desto mehr werden wir 
uns dem Br gegenüber als Freund fühlen und 
in diesem beseligenden Gefühle die Wahrheit 
des Simon Dachschen Wortes erkennen: 

Der Mensch hat nichts so eigen. 

So wohl steht ihm nichts an, 

Als dass er Treu erzeigen 
Und Freundschaft halten kann. 


Merksteine 

auf dem Wege des Lebens 

■■ ük. 1,80 geb. ■■ 

Zur Harmonie des Lebens 

- Mk. 1,50 - 

Br Pli. Ij. Joni', nnaehen YII. 


Drnck niid Verlag von lir Urnuu Zocliol in l.uii>zig. 


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23. Jahrgang. 

No. 10. 


Am Eeissbrette. 


Oktober 

1896. 


Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen 
MioerTa zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedea zu 
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum 

Rautenkranz in Hildburghausen. 


Für Brr Freimaurer-Meister. 


Begründet von Br Marbach. Fortgefuhrt von Br Fuch.s. 
Schriftleiter: Br Dr. A. Oundel, Leipzig-Reudnitz. 

Das Blatt wird vorzugsweise Beitrüge bringen, die in den Logenversaniralungen eines der drei Grade 
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für 
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden 
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Einzelne Brr Meister, welche als 
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 8 Mark abonniren 
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf- 

f enommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebühr von 
5 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile. 

Inhalt: Wer ist ein Meiiter? — Über ein System der freimanrerischen Ethik. — Trinksprnoh auf die 
Besnchenden. — Litterarfsches. — Mitteilungen von der Oeichäftsstelle für den Austansch der Logen¬ 
listen. — Anxeige. 


Wer ist eia Meister? 

Von Br. Pfeifer, Redner der Lo^e Archimedes z. 
d. 3 R. i. 0. Altenburg. 

Wer ist ein Meister, meine Brüder? Wer 
Verdient den schlichten und doch stolzen Namen? 
Der, mein ich ists, der seine Kunst versteht; 
Der, wol geübt mit seinem Handwerkszeug, 
Was wir von seiner Kunst verlangen können, 
Auch wirklich leistet; der mit sichrer Hand 
Das Werk anfasst, es fortfährt und vollendet. — 
Doch mehr, als dies, verlang ich von dem Meister. 
Auch der Geselle schon versteht es wohl. 
Geschickt und tüchtig seine Kunst zu üben; 
Und manch Gebilde, das uns wol gefällt. 
Entstammt sogar der fleiss*gen Lehrlingshand. 
Der Meister aber muss den Plan entwerfen; 
Vor seines Geistes Auge muss das Werk 
Schon stehen, eh es noch Gestalt gewinnt; 

Er muss die Mittel dann, die Wege wissen, 

Die zur Vollendung des Entwurfes führen. 
Anleiten muss er Lehrling und Gesellen, 

Er muss sie fördern, mahnen, unterweisen 
Und wird am besten dies durchs Beispiel Ihun. 
Beispiel erzieht zum Guten wie zum Schlimmen! 
So ist des Meistei*s Fleiss der beste Sporn; 
Nach seinem Vorbild bildet sich der Jünger! — 


Ein Meister wird auch nimmer stille stehn. 

Er wird das Gute, wird das Bessre suchen 
Und das Gefundne sich zu eigen machen. — 

Wer also, meine Bit, ist hiernach 

Ein Meister in der königlichen Kunst? — 

Der ist es, der die k. K. 

Versteht; der ist’s, der diese Kunst auch übt; 
Der ist es, den es unermüdlich treibt, 

In das geheimste Wesen dieser Kunst 
Tiefer und immer tiefer einzudringen. 

Und der nicht rastet, bis ihm das gelang. — 
Der ist es, der ein Beispiel andren wird 
Und durch sein edles Beispiel Jünger wirbt. 
Der ist es, der den Plan der hohen Kunst 
Erkennt, der nicht an Einzelheiten haftend, 
Verständnisarm den Stein zum Steine fügt; 
Nein, der im Einzelglied das Ganze schaut, 

Und der vom Ganzen wieder jeden Teil 
Als innre Wirkung abzuloiten weiss: 

Kurz: der mit Einsicht an dem Tempel baut, 
Den unsre k. K. errichtet; — 

Am Tempel — und zugleich am eignen Herzen, 
Denn nur im Herzen lebt die hohe Kunst. 

Ja, Meister ist nur der, der ohn^ Ermüden 
Nach eigener Vollkommenheit sich sehnt. 


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— 74 — 


Nach Ähnlichkeit mit ihm, der aller Menschen, 
Der aller Welten grosser Meister ist. — 

Der Weg nach diesem hohen Ziel ist schwer, 
Doch langsam nähert sich der Meisterschaft 
Der Bruder, der sich seihst bemeistern 
kann. 


über ein System der freimanrerischen 
Ethik. 

Von Br. Dr. Eckert, Loge Phönix, Leipzig. 

Wir sind die Erben eines uns überkomme¬ 
nen unersetzlichen Schatzes, die Erben einer 
tiefem Lebensauffassung, wie sie denkende 
und erfahrungsreiche Köpfe in das Wesen und 
in den Zweck der Frmrei hineingetragen haben. 
Wollen wir aber die echten Erben und Bewah¬ 
rer dieses Gutes sein, dann heisst es vor allem: 
Pflege- das Gut in treuer Arbeit, gieb ihm immer 
wieder neue Lebensimpulse, durchgeistige es 
mehr und mehr. Wenn es auch hie und da 
in den Geistern gärt und sich nicht grade eine 
ideale Zufriedenheit mit den gegenwärtigen Lo¬ 
genverhältnissen bemerkbar macht, so ist das 
nur ein Zeichen der Gesundung; selbst der An¬ 
griff der Aussenwelt, von der am Aber¬ 
glauben zäh hängenden Masse kann der Frmrei, 
kann dem frmr. Leben nicht so schaden wie 
die geistige Blutarmut. — Viele Frmr werden 
mir da entgegenhalten: Es ist nicht leicht, 
immer etwas Gutes, immer etwas Neues zu 
schaffen. Das ist jedoch nicht so schwer, wie 
es beim ersten Anschein aussieht. Wohl hat 
der Baumeister stets die gleichen Materialien, 
aber stets baut er ein Haus anders wie ein vor¬ 
hergehendes, stets vervollkommnet er Brauch¬ 
barkeit und Schönheit des Baues. 

Wie steht es denn nun mit der Fortbildung 
der frmr. Lebensauffassung und deren Verdich¬ 
tung zu einem ethischen Systeme? 

Gewiss ist, dass das wohlgegründete Funda¬ 
ment der Frmrei ein tief ethisches ist. Dieses 
ethische Fundament ist ein geschichtlich ge¬ 
wordenes; das Fundament hat einen Aufbau, 
dessen Endziel in dem Bereich der Unendlich¬ 


keit liegt. Forteniwickeln muss sich auch der 
ethische Bau der Frmrei, ohne Entwickeln kein 
Gedeihen; denn Stillstand ist Tod, Wachsen aber 
ist Leben! 

Wenn die frmr. Ethik schon so viel Gutes 
gegeben, wie bleibt sie dann trotzdem ewig jung, — 
und wie kann sie dann immer mehr und mehr 
wachsen? Die Antwort drängt sich hier von 
selbst entgegen; denn als „almamater* bieten 
sich ihr die Geisteswissenschafben dar. Die Ethik 
als Wissenschaft hat sich darum an die wissen¬ 
schaftliche Philosophie zu halten. Der Weg einer 
derartigen neuen Ideengewinnung für eine frmr. 
Ethik zu skizzieren will ich durch folgende 
Zeilen versuchen. 

Wir können erst zu einer tiefem Erkenntnis 
ethisch frmrsch Probleme Vordringen, wenn wir 
uns die Stellung der Ethik als Wissenschaft klar 
gelegt haben. Die Ethik ist dem wissen¬ 
schaftlichen Denken erst spät einverleibt 
worden. Dies hat seinen Grund nicht allein in 
dem Umstand, dass, wie fast alle Wissenschaften, 
so auch die Ethik einem weniger theoretischen 
als vielmehr praktischen Bedürfnis entsprangen 
ist und dieses praktische Bedürfnis bis auf den 
heutigen Tag ein vorwaltendes geblieben ist, 
sondern auch in der Schwierigkeit, das Ethische 
als etwas Seiendes zu ergreifen. Verzweifelnd 
daran, diese Schwierigkeit jemals überwinden 
zu können und doch davor zurückscheuend, die 
eigne Ohnmacht einzugestehen, wurde überhaupt 
das Sittliche als etwas wissenschaftlich nicht 
Erfassbares erklärt, und man eröffnete ihm eine 
Spezialabteilung für „normative“ Wissenschaften. 
Für diese sei eine Kausalerklärung nicht an¬ 
wendbar; und die bedeutende Frage: Was 
soll sein? sei einfach zu beantworten aus 
einer innern Anschauung oder unmittelbaren 
Erleuchtung. 

Seit Kant aber kennt die wissenschaftliche 
Philosophie keine derartigen Ausnahmegesetze 
mehr. Die Ethik muss den allgemeinen Weg 
jeder ernsthaften Sammlung und Systematisierung 
einschlagen, also die vorbereitende Sammlung und 
Systematisierung des thatsächlichen Materials, 
und die endzweckliche Kausalerklärung, d. h. 


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75 


nach Spinoza*) die Erkenntnis der Wirkung aus 
der vollkommenen Kenntnis der Ursachen, mit¬ 
hin einen Weg, der gar oft unter Überwindung 
unsäglicher Hemmnisse und Schritt für Schritt 
durch das Dickicht des Aberglaubens hindurch 
zu bahnen ist. — Das Bedürfnis, die Thatsachen 
des sittlichen Lebens zu sammeln und zu syste¬ 
matisieren, wie sie sich aus historischen Berichten, 
philosophischen Systemen, gesetzraässigen Be¬ 
stimmungen und aus volkstümlichen Gebräuchen 
ergeben, haben in neuerer Zeit auf ethischem 
Gebiete grössere systematische Darstellungen zu 
befriedigen gesucht. Meine 1. Bit, freudig und 
stolz müssen wir es anerkennen, dass es deutsche 
Denker sind, die in zwei Werken dieser Art 
mustergiltige Ijeistungen niedergelegt haben: 
Wilhelm Wundt in seiner Ethik und Rudolf 
von Ihering in seiner Sozialen Mechanik. 
Doch auch andere Philosophen haben uns ethische 
Systeme hinterlassen. Für dich Frmr drängt 
sich da die Frage heran: Welches ethische 
System kann für dich massgebend sein oder 
mit Hilfe welches Systems kannst du die frmr. 
Ethik weiterbilden? 

Nicht leicht ist die Beantwortung dieser 
Frage. Wozu überhaupt ein ethisches System 1 
Moralisieren glaubt ein jeder Mensch zu können, 
ja „gut* und »böse* überall gebraucht werden. 
Will man jedoch die BegriflFe „gut“ und „bös* 
so sicher stellen, dass kein Zweifel an ihrer 
Bedeutung mehr . vorhanden ist, so stösst man 
auf ganz erhebliche Schwierigkeiten, und ihre Be¬ 
seitigung hat eine ganze Menge ethischer Probleme 
gezeitigt. 

Für uns, meine Brr, handelt es sich vor allem 
um die materiale Ethik, d. h. um den Inhalt 
eines anzuerkennenden ethischen Systems. Da 
für uns die Bildung des Willens, des Charakters 
wichtig ist, so haben wir uns über die Frage 
zu einigen: was ist nach dieser Richtung hin als 
Inhalt der Ethik oder.Moral zu verstehen? Die 

*) Spinoza, Abhandlung über die Berechti¬ 
gung des Verstandes und über den Weg, auf dem 
er am besten zur wahren Erkenntnis der Dinge ge¬ 
leitet wird. Ausgabe Auerbach. I. Bd. 2. Aufl. 
Stuttgart, Cotta, 1871, p. 557. 


Beantwortung scheint leicht, einmal dient dazu 
das Gesetz, wie es in die fleischlichen Tafeln 
unsers Heinzens eingeschrieben ist, andermal das, 
was der Meister aller Welten, was Gott durch 
heilige Männer in heilige Schriften hat nieder¬ 
legen lassen. Betrachten wir näher die Gesetze! 
Das Gesetz in uns ist das Gewissen. Der In¬ 
halt des Gewissens ist so mannigfaltig gestaltet, 
dass nicht ohne weiteres zu sagen ist; was ist 
das Gewissen und was enthält es an sich als 
ethische Norm oder ethische Idee? Und blicken 
wir auf die Entwickelungsgeschichte der Völker, 
so sieht man, wie das, was man mit reinem 
Gewissen verantworten kann oder nicht, sich oft 
verschieden entwickelt hat, dass gar oft hierin 
die einzelnen Völker im Gegensatz stehen. Also 
lässt sich damit, dass wir uns auf das Gewissen 
berufen, kaum ein Leitmotiv für den Inhalt der 
Moral gewinnen. Weisen wir auf das andere 
Gesetz hin, wie es dargelegt ist in der von 
Juden sowohl als Christen heilig gehaltenen 
Schrift. Hier finden sich aber nur zerstreute 
Grundlagen der Ethik; kein Moralsystem im 
Neuen Testament geschweige denn im Alten. 
Nebenbei bemerkt, gehen die einzelnen mora¬ 
lischen Begriffe in beiden Testamenten sehr weit 
auseinander, ja ein ethisches Prinzip findet sich 
nur im neuen Testament, die Liebe in Christo, 
im alten Testament kein Prinzip, nur Gebote, 
die eines eigentlichen sittlichen Prinzip es ent¬ 
behren. Also hier haben wir kein System! Da 
bleibt uns nur übrig, den ethischen Systemen 
der Philosophen nachzudenken, uns dabei fragend: 
welches System genügt uns voll und ganz oder 
wenigstens zu einem gewissen Grade? 

Allgemeinhin hat man die vorhandenen 
philosophischen Moralsysteme in 2 Kategorien 
gebracht: in eudämonistische und evolutio- 
nistische. Die erstem sind die, die sich das 
Wohl - des Menschen zum Gmndsatz gemacht 
haben. Dies lässt eo ipso die Zweiteilung zu 
dass man entweder das Wohl des Einzelnen 
oder der Gesamtheit massgebend sein lässt. 
Handelns sich um das Wohl des Einzelnen, so 
kann man von einem egoistisch eudämo- 
nistischen System reden. Ich mache hier das 


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76 


vielfach verkannte ethische System des Epikur 
namhaft. Also ein derartiges System will das 
sagen: Nur das ist zu thun, wodurch das Wohl 
des Einzelnen festgestellt, erlangt und erhalten 
werden kann. Dagegen sagen die eudämonisti- 
schen Systeme, die sich auf das Wohl der All¬ 
gemeinheit beziehen: Nur das ist gut zu nennen, 
wodurch die Glückseligkeit aller Menschen her¬ 
gestellt wird. Aus diesem Gnindgedanken heraus 
haben sich wiederum eine Anzahl ethischer Sy¬ 
steme gebildet; in neuerer Zeit bat sich besonders 
das utilitaristische eudämonistische Sy¬ 
stem ausgebildet, das den Nutzen für den Ein¬ 
zelnen und für die Gesamtheit als Zweck hin¬ 
stellt; dabei wird das untersucht und geprüft, 
was die Fähigkeit besitzt, ein Allgemein-Wohl sein 
hervorzubringen und ein Wohlsein für das einzelne 
Individuum. Dergleichen Systeme, bei denen sich 
Einzelwohl und Gesamtwohl eng berühren, giebt 
cs viele; neuere sind die von Moleschott, 
Vogt, Fechner, Lotze u. a.; in gewissem 
Sinne lassen sich auch Jacobi und Schopen¬ 
hauer hierher rechnen. 

Als zweite grosse Kategorie der ethischen 
Systeme nannten wir vorhin die evolutioni- 
stischen. Sic begreifen den Inhalt: Nicht auf 
das Wohl des Einzelnen und der Gesamtheit 
kommt OS an, sondeim darauf, dass jeder Einzelne 
gemäss seiner Bestimmung ausgebildet werde. 
Ein jeglicher soll die individuelle Beschaffen¬ 
heit en-eichen, die ihm als Mensch nach seiner 
besondern Begabung und besondera Leistungs- 
Hihigkeit möglich ist. Die Kräfte soll man aber 
nicht blos für sich sondern, vor allem für die 
Allgemeinheit gebrauchen. Das einzelne Indivi¬ 
duum verpflichtet sich deswegen, sich nach allen 
möglichen Seiten auszubilden, um die grosse 
Allgemeinheit der Menschen auf diejenige Kultur¬ 
höhe zu bringen, die überhaupt erreichbar ist. 
Der Ausgangspunkt dieser Systeme ist das Vor¬ 
handensein einer allgemein menschlichen Bestim¬ 
mung, zu der die ganze Menschheit sich im Laufe 
ihrer Geschichte bewegt. Hierher gehören die 
Systeme, wie sie hervorgegangen sind aus dem 
Nachdenken eines Paulsen in Berlin, eines Wun dt 
in Leipzig und eines Ihering in Göttingen. 


Legen wir jetzt einen kritischen Massstab 
an diese Systeme! — Wenn man sagt: das Wohl 
des Einzelnen oder der Gesamtheit ist das ethische 
Ziel und was diesem Wohl dient, ist gut und 
das Gegenteil ist schlecht, so entsteht in uns 
die Reflexion über das Wesen des Wohls für 
den Einzelnen wie für das grosse Ganze. Es 
handelt sich dabei im wesentlichen um die 
Frage nach dem Glücke. Darauf giebt es 
die verschiedensten Antworten, denn darüber, 
was jemand für Glück hält, bestehen sehr aus¬ 
einandergehende Ansichten, weil das Glück und 
Wohlsein einmal beruht auf der Organisation 
eines jeden einzelnen Individuums und dann auf 
dem Geschmack desselben, der ja zum Teil mit 
in der Organisation liegt. Weil ein Mensch nie 
dem andern gleicht, so kann man dreist be¬ 
haupten: niemals giebt es 2 Menschen, die ganz 
und gar über das einig wären, was sie nach 
ihrer Ansicht „Glück“ nennen. Noch weniger 
wird es möglich sein, ein diesbezügliches System 
aufzustellen, auf das nicht jeder einen Einwand 
machen könne. Darum sind die eudämonistisoben 
Systeme nie für eine wahre freimaurerische 
Ethik verwendbar, auch sollen sie es nicht 
sein, da das sichere Ziel der Hinarbeitung 
fehlt und es nur auf ein Streben nach 
Glück ankommt. 

Anders steht es für die Freimaurerei in 
bezug auf die evolutionistischen Systeme. 
Hier kann der Frmr ansetzen, um sich ein 
dauernd festgefugtes ethisches System zu bauen, 
um sich feste ethische Normen zu eigen zu 
machen. Nach diesem Systeme soll der Mensch 
diejenige individuelle Beschaffenheit und Voll¬ 
kommenheit erreichen, zu denen er als Mensch 
von der Natur geschaffen ist. Es lässt sich nicht 
leugnen, dass sich in jedem einzelnen Menschen 
eine ewige Quelle des Lebens und der Schön¬ 
heit öffnet, ein unerschöpflicher Schatz von An¬ 
lagen und Kräften; und erscheint ein Mensch 
auch noch so gering, er ist ein Wesen von un¬ 
endlicher, unergiiindlicher Tiefe. Da muss er 
zuerst selbst das Gute in sich zu finden suchen, 
gegen das Böse gemeinhin aber ankämpfen, nicht 
blos gegen den tobenden Feind in uns, obgleich 


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der Schweiss am ,rohen Stein ^ niemandem er¬ 
lassen wird, ja unter allen Mühen dieser Kampf 
gegen sich selbst der edelste ist. 

Das alles gehört in das Bereich der indi¬ 
viduellen Norm der Ethik, die da sagt: 
Handle so, dass du niemals die Achtung 
vor dir selbst verlierst. Wie ich da han¬ 
deln soll, wird mir da unter Umständen schwer; 
denn ich kann einen ganz andern Wert von 
meiner Persönlichkeit als andere von ihr haben. 
Daraus erkennen wir, dass allein mit dieser 
Norm noch kein frmr. System zu gründen ist. 
Das will ja auch gar nicht die Frmrei, auf 
einzelne Rücksicht nehmen, sie hat nur 
das Ganze-Grosse im Auge. Sie hat als Gesell- 
scbaft die Macht, ethisch zu sein und ethisch 
zu wirken. Wenn auch ein einzelner Mann, ohne 
Fimr zu sein, dem Ideale eines vollendeten Men¬ 
schen nahe kommen kann, so hat doch das, 
was in dem Bunde freier Männer ent¬ 
steht, für die Praxis viel mehr Kraft und 
Leben als das, was eine Geburt der Ab¬ 
geschiedenheit ist In der und durch die 
Gesellschaft kann erst wahre Sittlichkeit ent¬ 
stehen. Das ist ein Ergebnis, von Hegel anti¬ 
zipiert, von Wundt*) in den Worten ausge¬ 
drückt: „Sittlich ist der Wille dem Effekt nach, 
so lange sein Handeln dem Gesamtwillen konform 
ist, der Gesinnung nach, so lange die Motive, 
die ihn bestimmen, mit den Zielen des Gesamt¬ 
willens übereinstimmen“ und das Ihering’^’^) in 
die Form kleidet: „Was ist die Quelle der sitt¬ 
lichen Normen? Die Gesellschaft. Was der Zweck 
derselben? Die Gesellschaft. Was die Erzeugerin 
des sittlichen Willens? Die Gesellschaft.“ 

Nur mittels der Gesellschaft kann man zur 
wahren Ethik Vordringen, wie dies auch Kant’*'”*'*) 


*) Wu nd t, Ethik. Eine Untersuchung der That- 
sachen und Gesetze des sittlichen Lebens. 2. Aufl. 
Stuttgart, Enke. 1892. p. 528. 

•*) V. Ihering, Der Zweck im Recht. 2. Aufl. 
Leipzig, Breitkopf & Härtel. 11. Bde. 1884. 1886. 
H. Bd. p. 120. 

***) Kant, Anthropologie in pragmatischer 
Hinsicht. Ausgabe Schubert. Leipzig, L. Voss. 1838. 
p. 246. 


schon angedeutet hat. Wie durch ein Natur¬ 
gesetz ist es bestimmt, dass der Mensch aus 
seiner Vereinzelung heraustreten soll und aus 
der Gleichgiltigkeit gegen einander. „Ein jeder 
soll sich für die andern und den Zustand des 
Ganzen verantwortlich fühlen, wir alle sollen 
solidarisch unser Geschick erfüllen und unsere 
Arbeit verrichten,“ so spricht im Hinblick auf das 
Mrwesen der von den romanischen Völkern so 
hoch geschätzte deutsche Philosoph Krause.*) 
So dient ein jeder einzelne Mensch wieder seinem 
eignen idealen Wesen, wenn er nach grössern 
Zusammenhängen strebt und sich selbst immer 
mehr und mehr in dem Grossen-Ganzen be¬ 
greifen lernt. 

Daraus erhellt, dass mit der individuellen 
ethischen Norm die soziale Hand in Hand geht, 
die am einfachsten ausgedrückt so lautet: Achte 
deinen Nächsten wie dich selbst! 

Die Vereinigung der Menschen darf auf 
keinem Zwangs Verhältnisse beruhen; denn mit 
Zwang wird selten etwas Gutes, etwas Ethisches 
ans Licht gefördert; die Vereinigung der Menschen 
muss ein Produkt des freien Willens sein, 
d. h. eine freie Gesellschaft, die als naturgemässe 
Norm des menschlichen Lebens dereinst die ge¬ 
samte Menschheit umfassen soll. Das sind 
ethische Ideen, deren Keime allerdings 
schon im Wesen der Frmrei liegen, die aber 
durch den Mrbund immer weiter entfaltet werden 
müssen. 

Um dieses Weitergedeihen zu ermöglichen, 
muss sich die Frmrei bewusst sein, dass die 
Versittlichung nui* durch eine organisierte Ge¬ 
sellschaft — wie wir ja sind — und durch eine 
bewusste, planmässige, durchgreifende und an¬ 
dauernde Thätigkeit erreicht werden kann. Diese 
Thätigkeit erstreckt ihren Wirkungskreis nach 
innen und aussen, nach innen besonders in bezug 
auf unser Logenleben. In unserm innem Logen¬ 
leben ist so vieles, was noch lange nicht einer 
echt frmrsch Ethik entspricht. Wahrlich, noch 
manches findet sich an uns, was nicht ethisch 


*) cf. hierzu: H. Boos, Geschichte der Frei¬ 
maurerei. Aarau, Sauerländer & Co. 1894 p 295 ff. 


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78 


ist. Was ist unethisch an uns? — Unethisch 
ist, wenn wir z. B. durch unser Thun mit Hint¬ 
ansetzung wahrer frmrsch Maximen den Schat¬ 
ten eines Strebers aut’ uns werfen, so z. ß. wenn 
cs gilt, irgend ein einflussreiches Amt der Brkette 
zu erringen. Dazu soll sich keiner drilngen, er 
soll gedrängt werden; denn das Gute, was an 
einem ist, erkennen hundert Augen besser als die 
zwei eignen. Frmrsch unethisch wäre, wenn wir 
uns unsrer Verdienste um die Frmrei rühmen 
wollten. Wenn es schon für jeden gewöhnlichen 
wahrheitsliebenden Menschen lächerlich ist, wenn 
er hört, wie sein Mitmensch sich seiner Vorzüge 
und der eignen grossen Gedanken rühmt, so ist 
die Loge ihrer Idee nach am allerwenig¬ 
sten der Platz, seine Verdienste selbst an 
die grosse Glocke zu hängen. Solche Naturen 
können andern Brn die Arbeit, mindestens die 
Freude an der Arbeit verleiten. Hier ira 
engsten Kreise ist vielfach noch das Arbeitsfeld 
für die soziale Norm einer frmr. Ethik. Und 
zeigen sich in einem Logenbund solche Aus¬ 
wüchse, so ist das kranke Keis noch nicht ver¬ 
loren. Die Offenheit und Wahrheit, mit der ein 
jeder Frmr dem andern begegnen soll, muss vor 
allem erst einem solchen irrenden Glied der 
Brkette entgegengebracht werden; wo der Stamm 
gesund ist, wie sollte das kranke Glied da nicht 
gesunden! 

Die ganze frmrsch Ethik, die ich Ihnen, meine 
Brr, zu zeichnen versuchte, ist sie nicht der In¬ 
halt des Lichts, das wir suchen, das wir ver¬ 
ehren, dessen Träger wir sind. Hoch und niedrig, 
jedes Auge ist empfänglich für das Licht und 
jeder Geist gebildet für die Wahrheit. Nur 
muss es ein rechtes Licht sein; es giebt auch 
leuchtende — Insekten! Morsches Holz leuchtet 
auch! Auch der Blitzstrahl erleuchtet, aber er 
— zerstört. Das Licht, das der Frmr frei 
durch die Welt tragen soll, soll nicht blos 
leuchten, sondern auch erwärmen, es zerstört 
nie, sondern dient heilsam zu und bei dem Baue 
des frmrsch Tempels, fordert die Arbeit hier in 
dem Tempel und ausserhalb des Tempels. 

Um all diesen Ideen nachzukommen, müssen 
wir arbeiten und bauen an uns, innerhalb unsres 


Bundes und ausserhalb an der ganzen Mensch¬ 
heit. So wird die Ethik durch die Frmr „die 
praktisch wertvollste, die Königin unter den 
Gesellschaftswissenschaften®. In der Thätigkeit 
nach aussen hin erreicht die Frmrei ihr letztes 
höchstes Ziel. Von ihr allein ist der Ausgang 
der letzten ethischen Norm zu erwarten, der 
humanen Norm, die alles, was im Men¬ 
schen liegt, zur Entwicklung der Mensch¬ 
heit gebrauchen will. Sie kennt kein Privile¬ 
gium, kein Ausbeutungsrecht für einzelne Klassen, 
sondern sie drängt hin zur „Verallgemeinerung 
aller geistigen, sittlichen und wirtschaftlichen 
Güter, zu Recht, Bildung und Wohlfahrt für 
alle“.*) Das gehört aber einem schönen, 
unserm zukünftigen Ziele an. Wo auch immer 
bei neuern Philosophen der Gedanke an eine 
Ethik der Zukunft auftaucht, da ist cs diese 
letzte Norm, diese humane Norm der Ethik, deren 
Bethätigung von Hart mann und Niet sehe ge¬ 
ahnt, von Ihering mit voller Gewissheit einer 
wissenschaftlichen Überzeugung behauptet und 
die ungeheuere Befruchtung, die dadurch Juris¬ 
prudenz wie Pädagogik, Nationalökonomie wie 
öÖ’entliches Leben erfahren, vorausgesagt worden. 

Hat die frmrsch Ethik neben ihrer jetzigen 
Einsicht, dass der sittliche Wille, der des Ein¬ 
zelnen, wie der des ganzen Volkes, ein ge¬ 
schichtlich-gesellschaftliches Produkt ist, voll¬ 
ständig die treibenden Kräfte, die die Einziehung 
des Willens zum Sittlichen zu stände bringen, 
den Einfluss aller jener mannigfachen Faktoren 
im Leben der Gesellschaft, die zu dem Zwecke 
mitwirken, ermittelt und dargelegt, dann braucht 
sie mit dieser der Wirklichkeit abgelauschten 
Bildungsgeschichte des sittlichen Willens sich 
nur dem Leben zuzukehren, um der Mensch¬ 
heit einen Dienst zu leisten, wie er nicht 
grösser gedacht werden kann. Mit der 
erweiterten Kenntnis der Quellen des sittlichen 
Geistes weisen wir der Praxis zugleich den Weg, 
diesen Geist selbst mehr und mehr in ihre 
Macht zu bringen. Die frmrsch Ethik kann und 

*) J. G. Findel, Die Grundsätze der Freimau¬ 
rerei im Völkerleben. 3. Aufl. Leipzig 1892. p. 179. 


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79 


soll diese Aufgabe lösen; dann ist sie aber keine 
Wissenschaft mehr, sondern wird zur Kunst, zu 
einer wahrhaft k. K., zu einer frmrsch Welt¬ 
pädagogik. — Und das ist meiner Über¬ 
zeugung nach die hohe Aufgabe der frmrsch 
Ethik der Zukunft. 


Trinkspmch anf die Besuchenden 

von Br Wedemeyer, B. z. L., Leipzig. 

Weit zieht sich um die ganze Welt 
Ein herrlich prangender Garten; 

Drin blühen Blumen wunderhold 
ln vielen schönen Arten; 

Und jede Blume, jeder Strauch 

Versendet seine Düfte 

Mit würz*gem Hauche himmelwärts, 

Erfüllend alle Lüfte. 

Und in dem Wundergai*ten steht, 

Die Zweige gen Himmel wendend. 

Manch stattlicher Baum, mit grünendem Dach 
Dem Wandrer Schatten spendend. 

Ein zauhrischer Gaiien — in sonnigem Schein 
Liegt weit er dahingebreitet; 

Es blühet im Hag, an des Weges Rain, 

Wohin uns der Fuss auch leitet; 

Und strahlende Helle ist allerwärts 
Für den Wandrer, der wonnetrunken, 
Entfliehend der Welt und ihrem Schmerz, 

Hier betend ist niedergesunken. 

Wir kennen den Garten, die Blumen darin 
Und sehen drei glänzende Stenie 
Herniederleuchten auf unseren Pfad 
Aus hoher, himmlischer Ferne. 

Uns allen sind sie so wohlbekannt, 

Die Weisheit, die Schönheit und Stärke; 
Sie machen den Garten zum Heimatland, 

Sie leuchten bei unserem Werke. 

Und was ist das Werk, das der Wanderer tbut? 
Was ist*s, das sein Streben besiegelt? 

Sich selbst erkennen, wenn am Bache er iniht, 
Darinnen sein Bild sich ihm spiegelt. 

Was ist*s, wenn der Freude lockende Frucht 
Vom Baume ihm leuchtet entgegen? 

Sich seihst beherrschen, wenn*s Herze sucht. 
Woran nur dem Thoren gelegen. 


Was ist*s, das ihn mahnt, wenn der Blüten Pracht 
Ihm weiset der Schönheit Walten? 

Sich selbst veredeln und Tag und Nacht 
Sich rein, wie die Blumen, erhalten. 

Das ist der Garten der Maurerei, 

Darinnen blühet die Liebe; 

Die Freundschaft blüht dort still und treu, 
Und mit ihr die edelsten Ttiebe. 

Drum seh*n wir hier Freunde in reicher Zahl;' 

Sie weilen im Schatten der Linde 

Und bringen zu unserem Brudermahl 

Eine Blume zum Angebinde 

Sie bringen von ihrem Blumenbeet 

Dies Blümlein, uns weisend aufs neue. 

Dass es noch grünet und nicht verweht. 

Das Blümlein der , Bruder treue“. 

Drum ruf ich die Brüder des Balduin 
I. 0.! Zum ersten: Dem Garten 
Der Maurer, darinnen den edlen Mann, 

Die reinsten Freuden erwarten! 

Zum zweiten: Der Blume „Brudertreu“! 

Wir wollen sie hüten und hegen, 

Und sie jahraus, jahrein stets neu 
In herzlicher Liebe pflegen! 

Zum dritten aber, als schönsten Schluss: 

Den besuchenden Brüdern der Runde, 

Mit Brudergruss und Bniderkuss 
1 h r, W 0 h 1 aus des Herzens Grund e! 

Litterarisches. 

Erläuterung des Lehrlings-Katechismus von 
Br R. Fischer, 25. Aufl. Leipzig, Verlag 
von Br Bruno Zechel. 

Eine Jubiläumsausgabe ist die neue Auflage 
des maur. Lehrlingskatechismus von Br R. Fischer 
geworden. Zum 25. Male hat sich der Neudruck 
dieser Schrift nötig gemaeht, ein Erfolg, der in 
der niaur. Litteratur bisher wohl einzig dastehen 
dürfte; Beweis genug für das dringende Bedürfnis, 
dom der Br Verfasser mit diesem Geistoskinde nach¬ 
gegangen ist. Wir zählen gerade die Katechismen 
zu den notwendigsten und verdienstvollsten Werken 
des gen. fieissigen und begeisterten Mstrs unsrer 
k. K. Die Zeit lässt sich mehr und mehr an, der 
Fmirei verhängnisvoll zu werden. Von aussen 
droht der Hass des katholischen Klerus mit seiner 
offenkundigen Unterstützung resp. Betreibung der 
antimasonischen Bestrebungen — der Phantasie¬ 
gebilde der berühmten Expelladistin gar nicht zu 
gedenken, deren neueste Schrift: „Le 33 : Crispi* 


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80 


sogar von der katholischen Kölner Volkszeitung 
auf Schwindel oder Geistesstörung zurückgeführt 
wird — von innen aber die Überhandnahme po¬ 
litischer, sozialer und religiöser Strömungen, die 
sich aJlerdingps vorzugpsweise bei unsem roma¬ 
nischen Bm zeigen, die aber doch teilweise jene 
Gegnerschaft auch bei uns in Deutschland wach¬ 
gerufen und zu Gunsten bestimmter Sonderinter¬ 
essen das allgemeine Ziel der Frmrei mehr oder 
weniger aus den Augen verloren haben. Da ist 
es doppelt nötig, dass jeder Br fest im Sattel 
sitze und Über Ziel und Mittel unsrer k. K. orien¬ 
tiert sei, dass jeder Br seinen Blick rückwärts in 
das Buch der Geschichte und seitwärts auf andere 
Logen, Gebräuche und Auffassungen lenke, um 
alles zu prüfen und das beste zu behalten. Kein 
Lehrling sollte die Gelegenheit, die sich ihm durch 
den Katechismus bietet, sich schnell und sicher 
in die allgemeinen Wahrheiten, Symbole und In¬ 
stitutionen der Frmrei einzuarbeiten und einzu¬ 
leben, unbenutzt vorübergehen lassen, zumal es 
an den oft recht wünschenswerten Lehrlings¬ 
instruktionen bei vielen Logen leider fehlt und 
die Erklärungen bei der Aufnahme kaum ausr 
reichend sein dürften. 

Möchte dem buchhändlerischen Erfolge, von 
dem die Jubiläumsauflage Zeugnis ablegt, immer 
ein innerer, geistiger Erfolg parallel gegangen 
sein und ein solcher auch in Zukunft der hoftent- 
lich i’echt weiten Verbreitung des Werkchens ent¬ 
sprechen. _ Br A. G. 

Mitteilungen 

▼on der 

GeseUftsstelle fOr den Aostaiisdi der LegeRlisten. 

Mitte V. M. hat die erste -diesjährige Ver¬ 
sendung stattgefunden und gelangten dabei die 
nachstehend aufgeffthrten 212 Mitglieder-Verzeich¬ 
nisse etc. zur Verteilung: 

Der Prov.-Loge von Niedersachsen zu Hamburg, 
sowie der Johannislogen in Aachen — Altenburg — 
Altona (250) — Annaberg — Arnstadt — Amswalde 

— Barmen (300) — Bautzen — Heeskow — Bem- 
burg — Bielefeld — Bochum — Bonn — Branden¬ 
burg — Braunsberg — Braunschweig — Breslau 
(Horus — Friedrich — Vereinigte) — Brieg — Brom¬ 
berg — Bunzlau — Burg (325) — Calbe — Cassel 
(Eintracht) — Celle — Charl Ottenburg (300) — Chem¬ 
nitz — Clausthal und Zellerfeld (238) — Colmar (308) 

— Cöslin — Cöthen (210) — Cottbus — Crefeld — 
Crossen — Cüstrin — Dahme — Danzig (Einigkeit 

— Eugenia — Kreuz) — Delitzsch — Dessau — 
Detmold — Dirschau (Veränderungen) — Döbeln — 
Dresden (Apfel — Säulen) — Duisburg — Düsseldorf 

— Eilenburg — Einbeck — Eisenach (800) — Elber¬ 
feld — Emden — Emmerich — Erfurt — Erlangen 

— Essen — Flensburg - Frankfurt a. O. — Frei¬ 
berg — Fürstenwalde — Fürth — Gardelegen (Verein) 

— Gladbach-Rheydt — Glatz — Glauchau — Glei- 


witz — Gr. Glogau — Gnesen — Görlitz — Goslar 

— Gotha — Göttingen — Graudenz — Greifenhagen 

— Grünberg — Guben — Halberstadt — H^le 
(Degen — Thürme) — Hamburg (Brudertreue 100) — 
Hamm — Hannover (Bär — Pferd) — Harburg — 
Havelberg — Heidelberg — Heiligenstadt — Helm¬ 
stedt — Hersfeld — Hildesheim (Pforte — Tenmel) 

— Hirschberg (815) — Hof — Inowrazlaw — Jena 
(Carl August) — Jülich — Karlsruhe — Kassel 
(Friedrich) — Koblenz — Kolberg — Köln — 
Koenigsberg i/Pr. (Imanuel — Kronen — Vereinigte) 

— Könitz (820) — Kreuzburg — Kreuznach — 
Krotoschin — Landeshut — Landsberg — Langen¬ 
salza — Lauban — Leer — Leipzig (Apollo —Minerva) 

— Lie^itz — Lissa — Lübeck (FüUhom) — Luckau 

— Lüdenscheid — Lüneburg — Magdeburg (Ferdi¬ 
nand — Harpokrates) — Marienburg — Marienwerder 

— Meissen — Merseburg — Meseritz — Metz — 
Minden (Wittekind) — Mühlhausen i/Th. — Mül¬ 
heim — München (Treue) — Münster i/W. — Nauen 

— Naumburg — Neisse (Lilien) — Neubrandenburg 

— Neustadt a/0. — Neuwied — Nienburg — Nord¬ 
hausen — Nürnberg (Joseph — Pfeile) — Oms — Ohlau 

— Oldenburg — Oppeln — Osnabrück — Osterode 
a/H. — Ostrowo — Pasewalk (325) — Perleberg — 
Plauen (885) — Posen — Potsdam (Minerva — Teu¬ 
tonia) — Prenzlau — Pyrmont — Rastenburg (345) 

— Ratibor — Reichenbach i/Schl — Rendsburg — 
Riesa — Saarbrücken — Sagan — Salzwedel — 
Sangerhausen — Schmiedeberg — Schneeberg (Nach¬ 
trag) — Schneidemühl — Schwedt — Schweidnitz 
(Eintracht — Herkules 240) — Schwelm — Siegen 

— Soldin — Solingen — Soran — Soest — Sprottau 
(250) — Pr. Stargard — Stendal — Stettin (Anker — 
Eirkel) — .Stolp i/P. — Stralsund (Sundia) — Strass¬ 
burg i/E. (Erwin — Herz) — Striegau — Tarnowitz 
(150) — Torgau (285) — Trier — (Jeckermünde — 
Uelzen — Verden — Waldenburg i/SchL — Weimar 

— Weissenfels — Wenigenjena — Wesel — Wetzlar 

— Wiesbaden (Hohenzollern) — Wittenberg — Witt¬ 
stock — Wolmirstedt — Zerbst — Zielenzig und 
Zwickau (Nachtrag). 

Wiederholt bitte ich, fernerhin 

nicht unter 360 

Mitglieder-Verzeichnisse einzusenden. Den Namen 
derjenigen Logen, die weniger als 360 zur Verfügung 
stellten, sind die Zahlen der zur Versendung gelang¬ 
ten Exemplare in () beigesetzt. 

Ihren Beitritt zur Geschäftsstelle haben neuer¬ 
dings erklärt die Logen: 

Zar treuen Wacht in ({uakenbrüok, 
JUnerTa in Potsdam und 

Treue fest^ in Mfinchen. 

GescliftftMtelle f. d. Austausch der Logenlisten 

Bruno Zechel, 

Buchdruckerei und Verlag in Leipzig. 

Merksteine 

auf dem Wege des Lebens 

. .. Mk. 1,80 geh. — 

Zur Harmonie des Lebens 

-Hk. 1,50 gab.- 

Br Fh. L. JmBir, Hfimehem TU. 


Druck und Verloff von Br Bruno Zeohel in Leipoig. 


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23. Jahrgang. A ^ 

1 1 äovombsr 

Am xi0 

ISSDlGIlO. 1—1896 


Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen 
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu 
den drei ßeissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum 

Bautenkranz in Hildburghausen. 

Für Brr Freimaurer-Meister. 

Begründet von Br Marbach. Fortgefuhrt von Br Fuchs. 

Schriftleiter: Br Dr. A. Gändel, Leipzig-Reudnitz. 

Das Blatt wird vorzugsweise Beiträge bringen, die in den Logenversammlungen eines der drei Grade 
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für 
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden 
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Einzelne Brr Meister, welche als 
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 3 Mark abonniren 
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf- 

f enommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebühr von 
5 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile. 

Inhalt: Die Meisterreise. — Das maarerieohe Urteil. — ln Ordnnngl — Anaeige. 


Die Meisterreise. 

Zeichnung, gebracht in der Loge „Joh. d. Ev. zur 
Eintracht“ z. Darmstadt von Br Dr. P. Z. 

Die Meisterreise ward mir aufgegeben 
Zu schildern hier im trauten Bruderkreis, 
Vernehmet denn, wie mein bescheidnes Streben 
Den Sinn des Ritus zu erklären weiss. 

Und welch ein Wogen wechselnder Gefühle 
Bewegt des Maurers Brust am hehren Ziele. 

♦ 

Die Stunde, die so lange er ersehnt, 

Hat dem Gesellen endlich nun geschlagen, 

Die Stunde, die so freundlich er gewähnt. 

Er sieht entgegen ihr mit innerm Zagen: 

Wie anders deucht ihm heut das hohe Haus, 
Das freundlich stets geöffnet ihm die Arme; 
Heut weht es dort wie kalter Todesgraus, 
Bedroht aus allen Ecken ihn mit Harme 
Und nur mit Mühe kämpft er nieder 
Ein Bangen, das ihm lähmt die Glieder, 

Um ihn zum Werke würdig zu bereiten. 

Heisst man ihn in die düstre Zelle schreiten. — 
„Vergänglich" ist des Menschen Erdenleben, 
„Rasch fasst der Tod den Menschen an. 


„Reisst ihn aus seiner wirkensvollen Bahn, 
„Zernichtet ihn in seinem besten Streben.“ 

So tönt es dem Gesellen noch ans Ohr, 

Da hallend sich des Redners Schritt verlor. 

Es weilt in tiefem Sinnen der Geselle 
Verlassen in der unterirdschen Zelle; 

Allein — nur eines kargen Lichtes Funkeln 
Trennt ihn von düstrer Grabesnacht, 

Auch dies erlischt. — Was regt sich dort im 
Dunkeln 

Und taucht empor gespenstisch rauschend, sacht? — 
Da ists, — in seiner Knochenhand die Hippe, 
Ein grauses, bleiches, grinsendes Gerippe; 

Es starrt aus seinen öden Augenhöhlen, 
Umspielt wie Hohn den fleischberaubten Mund, 
Als spräche es: „Du hast hier nicht zu wählen. 
Mir wirst Du gleichen über Jahr und Stund’.“ — 
Wohl fasst ein banges Grausen den Gesellen, 
Doch Mut gab ihm des Bruder Redners Wort, 
Er will mit Stärke sich dem Schicksal stellen, 
Weisst jedes Zagen mannhaft von sich fort. 

— Wer fest in sich, mit Allem rings versöhnet, 
Warm der Gesittung Macht im Herzen hegt. 
Den wird, wenn des Gerichts Trommete dröhnet, 
Ihr donnernd Schallen lassen unbewegt, 
Entgegenschreitend seinen höhren Zielen 


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82 


Geht stätig er die Bahn zur Meisterschaft, 

Sein Inneres durchdringt ein freudig Fühlen 
Und schwellt den Busen ihm mit frischer Kraft. 

Zurückgeführet an des Tages Helle, 

Betritt den Tempel würdig der Gefielle; 

Ein neuer Schauer bebt durch seine Glieder, 
Denn kaum erkennt die hehre Hall er wieder: 
Die Wände mit dem Trauerflor behängen, 
Dräut schwarz entgegen selbst ihm der Altar, 
Der Brüder Kreis im wallenden Talar 
Erfüllt von neuem ihn mit Bangen. 

Soll wirklich ihm kein heller Tag mehr scheinen, 
Ein düstres Grab ihn schliessen ein, 

Soll er nicht wiederkehren zu den Seinen, 

Ihm keine weitre Frist gegeben sein? 

Vorbei! — die Würfel sind gefallen. 

Ihn dürstet nur mehr nach der Meisterschaft, 
Und soll er auch zum grauen Orcus wallen, 

Er fühlt in sich zum Schwersten Riesenkraft. 

♦ 

Zur Meisterreise also vorbereitet. 

Den heilgen Zirkel auf das Herz gelegt. 

So schreitet er von Bruderhand geleitet. 

Dem Ziele zu, in Treuen, unentwegt. 

Nach Norden lenken sich der Brüder Schritte, 
Von neuem fasst des Todes Graus ihn an. 
Versperrt mit Drohen seines Pfades Mitte 
Und heisst ihn stillestehn auf seiner Bahn. 

Ein Trauerchor 
Tönt an sein Ohr: 

„Eh wirs denken ^nd versehen, 

„Sind wir der Lebensgrenze nah, 

„Muss unser Zeiger stille stehen, 

„Und ist die Todesstunde da.“ — 

Das Bild verglimmt und weiter geht die Reise 
Nach Osten, wo der Altar steht. 

Der Hammer klingt in trauter Weise, 

Zur Arbeit rufend, zum Gebet. 

Des Meisters Stimme schallt von dort hernieder: 
„Wohl dem, der Liebe säet auf seinem Pfad, 
„Denn neue Liebe blühet stets ihm wieder, 
„Aufkeimend ihm aus seiner ersten Saat.“ 

„Und gleich den Sonnen, ewig neu geboren, 
„Dem Phönix, der zu Asche schon verglommen. 


„Doch neuen Flug zum Äther hat genommen, 
„So bleibt sein Werk im Weltall unverloren.“ 
Gestärkt durch dieses Trosteswort, 

Lenkt der Gesell die Schritte fort 

Nach Süden, wo ein neues Bild 

Des Tods mit Schreck sein Herz erfüllt. 

Der Führer spricht mit ernstem Ton: 

„Du bist der Heimat nahe, teurer Freund, 

„Der Heimat, die den Menschensohn 
„Mit Allem, was da „war“, vereint. 

„Befreit von Deiner Sinne Banden 
„Wirst Du am Born des Lichtes landen, 

„Und, nah’ dem höchsten Weltenmeister, 

„Ein Stern dort sein im Land der Geister!“ — 
Zum Westen wiederum den Schritt gewendet. 
Heisst man den Bruder hin zur Pforte gehn; 
Die Meisterreise ist für ihn vollendet. 

Nun wird er vor dem Ziel des Wallens stehn. 
Ein Sarg! — — Die letzte Ruhestätte 
Blickt ernst auf ihn und ist bereit. 

Ihn zu empfangen aus der Bruder Kette, 

Zu bergen ihn für alle Ewigkeit! 

„Doch nur die Hülle soll der Sarg empfangen, 
„Sich ihr entringend schwebt der Falter frei, 
„Enteilt zur Morgenröte voll Verlangen, 

„Zum heilgen Tempel hin der Masonei.“ 

So sagt verheissungsvoll des Herzens Schlagen 
Und heisst verstummen jedes bange Fragen. 

♦ 

„Durch Nacht zum Licht, durch Tod zu neuem 
Leben“, 

Das ist das Bild, das Deine Reise beut. 

Ein Bild zugleich von edler Menschen Streben, 
Ein Werden und Vergehen, stets erneut. 

Du stirbst im Bild, doch wird Dich wecken 
Zur Meisterschaft der Bruderkuss, 

Entsteigend aus des Grabes Schrecken, 

Winkt Dir der himmlischste Genuss: 

„Als Meister liegt zu Deinen Füssen 
„Der Erdentraum, den Du durchlebt, 

„Du schreitest auf den Silberfliessen 
„Des Tempels, der sich stolz erhebt, 

„Der Dir als „Meister“ offen steht, 

„Des Tempels der Humanität!“ 


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83 


Das manrerische TJrteiL 

Von Br A. Gündel. 

Einer der Begriffe, deren wir uns im Leben 
oft und in verschiedene^ Anwendung und Zu¬ 
sammensetzung bedienen, ist der Begriff: Urteil. 
Der Sachverständige hat sein Urteil abzugeben, 
dem Verbrecher wird das Urteil gesprochen, da 
beurteilt mancher Dinge, die er gar nicht kennt, 
da kommt ein anderer vor lauter Vorurteilen 
zu keiner richtigen Wertschätzung der Verhält¬ 
nisse, da verurteilt ein dritter lieblos und 
kalt die Handlungsweise eines Mitmenschen, 
ohne vorher etwaige Entschuldigungsgründe 
einer wohlwollenden Erwägung unterzogen zu 
haben. 

Was ist aber das Urteil? Je^er Gegen¬ 
stand, der uns einmal unter die Augen gekom¬ 
men und von uns empfunden und wahrgenommen 
worden ist, hinterlässt in unserem Geiste ein 
Bild von sich, und dieses Bild eines abwesen¬ 
den Gegenstandes nennen wir Vorstellung. Bin 
ich mir der einzelnen Merkmale eines Gegen¬ 
standes klar bewusst, so habe ich einen Begriff 
von demselben. Wenn ich nun zwei Begriffe 
miteinander verbinde und von irgend einem 
Gegenstände eine Aussage mache, oder dem¬ 
selben eine Eigenschaft oder Thätigkeit zu- oder 
abspreche, so entsteht sprachlich ein Satz, logisch 
ein Urteil. Natürlich kann ich auch mehrere 
Begriffe zu Urteilen verbinden, wie ich auch 
aus zwei gegebenen Urteilen ein drittes neu kon¬ 
struieren und einen logischen Schluss zustande 
bringen kann. Das Urteil an sich ist etwas 
rein Seelisches. Als körperliche Substrate, 
nehmen die Physiologen für jede Vorstellung 
eine Ganglienzelle des Zentralsystems an. Aus 
der Verbindung und Korrespondenz einzelner 
Zellen durch ganz feine Nervenfäserchen ent¬ 
stehe auch eine Verknüpfung der Vorstellungen 
zu Begriffen und der Begriffe zu Urteilen. Wie 
wir uns diese Umsetzung des körperlichen Vor¬ 
gangs in das psychische Korrelat zu denken haben, 
darüber schweigen sich auch die berufensten Fach¬ 
gelehrten aus und einer von ihnen sagt es in 
seinem Werke frei und offen heraus: ,Selbst 


wenn ein Engel vom Himmel hemiederstiege, 
um uns darüber aufzuklären, unser Verstand 
wäre gar nicht fähig, es zu begreifen.* 

Als psychisches Produkt ist das Urteil 
zunächst etwas Inneres, ein Gedanke, auf den 
uns das Denken gebracht hat, denn es muss 
untersucht werden, ob ein Prädikat einem Sub¬ 
jekte zukommt oder nicht. Der Gedanke aber 
wird veräusserlicht, wenn ich ihn ausspreche, 
niederschreibe, oder durch mein Handeln der 
Aussenwelt mein Inneres preisgebe. 

Sei nun die Sprache eine stumme oder 
laute, immer wird von ihr aus der Schluss auf 
die Gedanken und Urteile, wie überhaupt auf 
das Innere eines Menschen gemacht werden 
müssen, und der Wert der Aussagen wird in 
erster Linie darnach bemessen werden, ob diese 
mit der Wahrnehmung des wirklichen Sach¬ 
verhaltes übereinstimmen oder nicht, ob also 
das Urteil wahr oder falsch ist. Im letzten 
Falle unterscheiden wir wieder zwei Möglich¬ 
keiten. Entweder ist der ausgesprochene Satz 
eine absichtliche Entstellung der Wahrheit, oder 
das falsche Urteil ist die Folge einer oberfläch¬ 
lichen, ungenügenden Kenntnis der zu verknüpfen¬ 
den Dinge und ihrer Merkmale.' Für das Urteil 
über den Nächsten, und auf dieses werde ich 
in meinen Ausführungen speziell Bezug nehmen, 
kommt noch ein dritter Punkt in Frage: 
das sympathetische Gefühl, die Anteilnahme an 
dem Schicksal des Bruders. Bei aller Wahr¬ 
haftigkeit und wahren Erfassung der Sachlage 
soll der Urteilende auch das Herz zu Rechte 
kommen und selbst bei einer Verurteilung die 
Liebe in sich wirken lassen. 

Darum haben wir, m. 1. Br, und beson¬ 
ders wir Mit, bei unseren Urteilen immer ein 
dreifaches im Auge zu behalten: 1., dass wir 
unserer Kenntnis entsprechend urteilen, 2., dass 
wir nur auf Grund genügender Einsicht ur¬ 
teilen und 8., dass wir immer urteilen mit 
Rücksicht auf die menschlichen Schwächen, 
von denen auch wir nicht frei sind; kurz, 
unser Urteil muss wahrhaftig, verständig und 
liebevoll sein. 

Die moralische Wertschätzung nach der 


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84 


Wahrhaftigkeit unseres Urteils vergleicht den 
inneren Menschen mit dem äusseren, und das 
Übel, das sie bekämpft, ist die*Lüge, die ab¬ 
sichtliche Übergehung der Wahrheit, eine sprach¬ 
liche Verknüpfung zweier Begriffe, von deren 
Nichtzusammengehörigkeit man innerlich über¬ 
zeugt ist. Aber: 

„0 weh der Lüge, sie befreiet nicht 
Wie jedes andre wahrgesprochene Wort 
Die Brust; sie macht uns nicht getrost, sie 
ängstigt 

Den, der sie heimlich schmiedet und sie kehrt. 
Ein losgedrückter Pfeil, von einem Gotte 
Gewendet und versagend sich zurück 
Und trifft den Schützen.“ 

Und doch, m. 1. Br, wie so oft entfährt 
einem wissentlich ein Wort, das sich mit dem 
wirklichen Sachverhalt nicht so recht deckt, sei 
es eine gelinde Übertreibung oder Übergehung 
in dem Berichte über eine Person oder Sache, 
um deren Vorzüge oder Mängel hervorzuheben 
oder abzuschwächen, sei es in der Form der 
bei uns Hausrecht besitzenden konventionellen 
Lüge, deren Anwendung zu der sozialen Stel¬ 
lung eines Menschen im Verhältnis zu stehen 
scheint und die leider auch in unseren stillen 
Hallen hie und da sich breit macht, sei es in 
Form der so beliebten Notlüge, mit der Ge¬ 
schäftsleute gern ihre Kunden vertrösten, Eltern 
ihren Kindern auf vorlaute Fragen aus dem 
Wege gehen, Ehegatten vor einander Über¬ 
raschungen, unliebsame Vorkommnisse etc. ver¬ 
heimlichen. 

Gewiss scheint es, als könnten wir manchmal, 
wenn wir nicht als Säulenheilige eine Welt für uns 
allein bilden, sondern als Mensch unter Menschen 
uns bewegen wollen, von der oder jener kleinen 
Divergenz zwischen Reden und Denken nicht ab- 
sehen. Wie oft z. B. helfen wir uns nicht mit einer 
leeren, vielleicht auch falschen Ausflucht über die 
Verlegenheit hinweg, in die uns müssige und un¬ 
berufene Neugierde nach unsem innersten Ge¬ 
heimnissen bringt. Wir meinen das leicht thun 
zu können, da diese Ausflucht dem Nächsten ohne 
direkten Nachteil bleibt höchstens in ihm das 
Unliistgefühl unbefriedigter Neugier erweckt. 


Aber für uns selbst birgt es doch eine grosse 
Gefahr in sich. Lüge bleibt Lüge, und das 
verlegene; ,Ich weiss nicht“, bei dem Gedanken 
an das Gegenteil, bedeutet ebenso eine Abwei¬ 
chung von der Wahrheit, wie jene dreiste Ver¬ 
stellung der Thatsachen, die nach der Schlacht 
bei Waterloo den Ruf und das Vermögen einer 
der bekanntesten Weltfirmen begründet haben 
soll. Es bedarf dann der ganzen Intelligenz 
und Energie eines sittlichen Charakters, das 
Wesentliche vom Unwesentlichen zu sondern 
und da, wo der Gegenstand über den Rahmen 
nebensächlicher Dinge hinauszugehen droht, einen 
Riegel vorzuschieben und der Lüge, sei sie noch 
so bequem oder lohnend, den Eintritt in Mund 
und Herz zu verwehren. Aus Kleinem wird 
Grosses, und die Gewöhnung ist ein mächtiger 
Erziehungsfaktor, und so mancher durch die 
Not-, Konvenienz-, Geschäfts- und andere Lüge 
an die Unwahrheit gewöhnt, der legt einmal 
auch dann seine Worte nicht auf die Gold wage, 
wenn er von Gottes- und Rechtswegen die Wahr¬ 
heit zu sagen sich hätte verpflichtet fühlen 
müssen. Das hat auch der allweise Gesetzgeber 
vorgesehen und darum einfach die Lüge in jeg¬ 
licher Gewandung verboten und die Forde- 
r'ing ganz generell formuliert: ,Du sollst nicht 
lügen “. 

Nichts aber am Menschen zieht das er¬ 
habene Ebenbild Gottes mehr in den Staub, als 
die Unwahrhaftigkeit. Ist es doch, als söhnte 
uns das offene Geständnis eines Unglücklichen, 
mag sein Verbrechen noch so verwerflich, das 
Motiv seines Handelns noch so unsittlich sein, 
auf halbem Wege mit ihm aus, und das Ver¬ 
langen nach Vergeltung und Sühne der bösen 
That macht mehr und mehr einem Gefühle des 
Mitleides und Bedauerns in unserem Herzen 
Platz. Wir suchen Milderungsgründe und freuen 
uns, wenn solche vor dem Forum des Richters 
als zu Recht bestehend anerkannt werden. 
Ebenso lassen wir das, seine Fehler reumütig 
bekennende Kind am liebsten straflos ausgehen. 
Bringt uns dahingegen schon die Widerspenstig¬ 
keit des dickköpfigen kleinen Leugners in den 
Harnisch, so widert uns geradezu der erwachsene 


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85 


Feigling an, der zur gemeinen Lüge greift, um 
seiner Beurteilung anderen Boden zu geben und 
die Verantwortlichkeit für das eigene Thun von 
sich womöglich auf andere abzuwälzen. Ebenso 
meiden wir den charakterlosen Schwächling, der 
um des äusseren Vorteils willen die Gunst der 
Mächtigeren und der Menge sucht, deren Wün¬ 
schen seine Ansicht opfert und hier den und 
dort jenen Glauben bekennt; den geriebenen 
Gauner, der aus gleichen Gründen aus einer 
Fiktion in die andere fällt, heute die und morgen 
jene Schwindelei zum besten giebt und damit 
direkt die Brücke schlägt vom Lügen zum 
Trügen; den Narren und Prahlhans, der mit 
seiner Schlauheit, Kraft, Beliebtheit und wie 
die guten Eigenschaften alle heissen mögen, die 
Welt aus den Angeln heben könnte, wenn er 
nur wollte, der seine Münchhausiaden mit Em¬ 
phase und Pathos über vier Tische hinweg er¬ 
klingen lässt und dadurch schon genügend doku¬ 
mentiert, wes Geistes Kind er ist. 

Mit Stolz und Freude dagegen erhebt es 
die Menschenbrust, wenn im Geschäfts- oder 
geselligen Verkehre ruhig und besonnen der 
einzelne nur redet, was er verantworten und 
thatsächlich begründen kann und will, wenn ein 
Odoardo, der Mörder seines Kindes, sich selbst 
den Gerichten ausliefert, um Sühne für seine 
That zu fordern, wenn im Gegensätze zu jenem 
pharisäischen Otterngezüchte der Heuchler und 
Schmeichler gewöhnliche Sterbliche, kaum vom 
Drucke der Folter frei, despotischen Macht¬ 
habern ihr donnerndes: »Und sie bewegt sich 
doch* entgegenschleudem, oder mit der ganzen 
sittlichen Kraft freigewonnener Überzeugung, 
mit dem wahren Männerstolze vor Königsthronen 
einem versammelten Reichstage von Welt- und 
Kirchenfürsten fest und bestimmt erklären: .Hier 
stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe 
mir! Amen*. 

Um aber ein falsches Urteil auszusprechen, 
bedarf es nicht immer der absichtlichen Lüge. 
Oft fehlt zu nchtiger Beurteilung die nötige 
Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse. Urteilt 
aber jemand vor der gehörigen Orientierung, 
so ist das Urteil ein Vorurteil. Ganz gleich 


ist hierbei, aus welchem Grunde die vernünftige 
Einscht fehlt. Mag es Mangel an Befähigung 
sein, wie bei Unmündigen, die einfach thun und 
sagen, was ihnen befohlen wird, mag böser 
Wille in Frage kommen, der sich etwaigen 
klärenden .Momenten grundsätzlich verschliessL 
mögen tyrannische Autoritäten verlangen, ihr 
Glaubensbekenntnis in blindem Gehorsam nach¬ 
zubeten, und jede selbständige Meinung und 
Forschung als eine Verletzung des Chorgeistes 
des Parteiprogrammes oder der Ordensregel bei 
Strafe unterdrücken, das alles kann höchstens 
einen Massstab an die Entschuldbarkeit falscher 
Urteile legen, den Wert derselben an sich be¬ 
einträchtigt es nicht. Und welcher Wert einem 
solchen Vorurteile beigemessen werden kann, 
ersehen wir aus der ganzen Art des Zustande¬ 
kommens. Infolge der sich in ihm offenbaren¬ 
den geistigen Unreife muss es mit der Wirklich¬ 
keit in Konflikt geraten, und was dann bei der 
Lüge absichtlich geschieht, erfolgt hier unab¬ 
sichtlich. Nichtsdestoweniger ist der Schaden 
für den Nächsten, über den vorgeurteilt wird, 
ebensogross, wie für den, der belogen wird, wenn 
nicht noch grösser. 

Leider aber, m. 1. Br, ist das Vorurteil 
eine Erscheinung, die wir tagtäglich und, wenn 
wir ehrlich sein wollen, auch an uns beobachten 
können. Wir werden z. B. in einer Angelegen¬ 
heit um Rat gefragt und in der ersten Auf¬ 
wallung und im Übereifer, uns dem Fragenden 
gefällig zu erweisen, üben wir Kritik an einer 
dritten Person, ohne uns durch Luthers Wort: 
„Eines Mannes Red ist keines Mannes Red, man 
muss sie hören alle beed* vorher zu einer An¬ 
hörung der gegnerischen Gründe verstanden zu 
haben. Besonders unterstützt wird dieses vor¬ 
schnelle Urteilen dann, wenn die Aussagen 
anderer Personen unsere eigene, vorgefasste Mei¬ 
nung zu bestätigen scheinen. Oft genug wird 
auch das, was man durch Hörensagen vernom¬ 
men, aber selbst nicht erlebt hat, als direkter 
Beweis mit herangezogen. Man vergisst aber 
bei dieser Art zu urteilen, dass der liebe Leu¬ 
mund oft aus der Mücke einen Elefanten macht. 
Will man sich nun bei der Deduktion auf diesen 


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86 


stützen, so sinkt er in seine eigenste Gestalt 
zurück, man kommt schliesslich selbst zu Falle 
und hat die Lacher auf seiner Seite. Wie so 
oft, m. 1. Br, hören wir im Leben läuten und 
wissen doch nicht, wo die Glocken hängen; aber 
der Vorgang an sich genügt uns, um ihn dem 
nächststehenden Turme zuzuschreiben. Wir ver¬ 
nehmen aus der Mitte von Männern heraus eine 
Äusserung und machen nun die Allgemeinheit 
für den einzelnen verantwoiilich, obwohl die¬ 
selbe sich bei der fraglichen Äusserung des 
Betreffenden ebenso in ihrem Empfinden ge¬ 
kränkt fühlt, wie wir selbst. Oder es teilt 
uns ein Br über einen bestimmten Gegenstand 
seine, von uns wohl gar provozierte Ansicht 
mit und wir folgern, ohne ihn selbst weiter zu 
hören, nach unserm eigenen Ermessen und Be¬ 
lieben: Wer hier so denkt, muss da so denken, 
weil die Möglichkeit, es zu thun, vorhanden ist. 
Auf Grund unsrer Kombinationen bilden wir uns 
nun ein Urteil über den Nächsten, das wohl 
die Wahrscheinlichkeit, aber keineswegs die Wahr¬ 
heit für sich hat Oder: Auf Grund besonderer 
Verhältnisse, die wir nachzuerleben oft gar nicht 
in der Lage sind, hat ein Br sich seine An¬ 
schauungen und Überzeugungen geschaffen. Diese 
widersprechen den unseren vielleicht direkt. Da 
brechen wir nun über den Ärmsten einfach den 
Stab und bedenken nicht, dass die Wahrheit, 
nach der auch jener mit ebensolchem Eifer, wie 
wir, strebt, als ein teilweise relativer Begriff 
dem Wandel der Zeiten ebenso unterliegt, wie 
z. B. die verschiedenen Arzneimittel, mit denen 
man heute die und morgen jene Krankheit zu 
heben versucht. 

Und hier ist der Ort, wo das blosse, auf 
oberflächlicher Kenntnis beruhende Voruiieilen 
dem kalten, lieblosen Verurteilen die Hand 
reicht. „Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende, 
was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt.* 
Wie so oft, m. 1. Br, führt uns das Leben an 
eine Wahrnehmung dieser unvergleichlichen Göthe- 
schen Weisheit. Der Andersgesinnte muss schad¬ 
los, womöglich mundtot gemacht werden, was sich 
in den Weg stellt, hat keine Existenzberechti¬ 
gung, es verdient nicht gehört, sondern nur 


verfolgt zu werden. Und doch, m. 1, Br, wer 
bürgt uns dafür, dass die heute noch von der 
Allgemeinheit und uns vertretenen Ansichten 
nicht in einigen Jahren auf die Anhängerschaft 
weniger beschränkt sind, und wir dann, wenn 
wir mittlerweile nicht anderen Sinnes wurden, 
mit ebensoviel Recht Anspruch auf Anerkennung 
unserer Ideen verlangen, wie sie jetzt die nu¬ 
merisch schwächeren Gegner von uns zu fordern 
wohl berechtigt sind. „Nicht Stimmenmehrheit 
ist des Rechtes Probe.“ Gehen wir erst, bevor 
wir urteilen und verurteilen dem Andersdenken¬ 
den in die Werkstatt seines Geistes nach, viel¬ 
leicht machen wir dann gar die Wahrnehmung, 
dass wir gegen ihn im Rückstände sind, weil 
uns der Zufall der Geburt in Verhältnisse ge¬ 
legt hat, die uns bequem dünken und uns daher 
genug erscheinen, während jener, auf dem Er¬ 
erbten fussend, vorwärts zu schreiten trachtet, 
zu seinem und der Menschheit Vorteil. Möge 
der Fortschritt sich nun auf dem Wege obrig¬ 
keitlicher Duldung vollziehen, möge er neue, 
bisher unbegangene, von uns selbst bekämpfte 
Bahnen sich suchen, wir wollen, und zumal wir 
Mr, unser Herz auch dem unsrer Ansicht nach 
Irrenden Öffnen, mit der Sache nicht die Person 
verwerfen, sondern Schonung,Duldung,Liebe üben: 
Einst wird es sich ja zeigen, wer Recht behält. 

Unduldsam und vorschnell im Verurteilen 
sind wir oft Personen gegenüber, die, durch Be¬ 
rufs- und Altersgrenzen von uns geti'ennt, sich 
ihren Verhältnissen nach um andere Dinge 
zu bekümmern haben, als dass uns ihr Rat 
oder ihre Warnung scheinbar von besonderem 
Werte sein könnten. Mit dem verächtlichen: 
„Was verstehen Sie davon,“ weist der Geschäfts¬ 
mann den Beamten, der Gelehrte den Hand¬ 
werker, der Offizier den Zivilisten zurück, ohne 
dabei zu bedenken, dass das Urteil des Unpar¬ 
teiischen viel objektiver und daher auch einmal 
weitgehender, als das des direkten Interessenden 
ausfallen kann und dass, wie Bürger in seinem 
„Kaiser und Abt“ so treffend nach weist, das 
einfältig kindliche Gemüt oft eher da des Rät¬ 
sels Lösung findet, wo der Verstand des Ver¬ 
ständigen blind geblieben ist. 


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87 


Den Greis, der wohl nicht mit Unrecht 
manchmal das Amt eines Sittenpredigers ver¬ 
sieht, hält man einfach für unfähig, die Jetzt¬ 
zeit mit ihren Aufgaben und Anforderungen zu 
verstehen, sein Wirken und Wollen hat das ge¬ 
steckte Ziel erreicht, nun hat der Mann seine 
Schuldigkeit gethan und kann gehen; den Jüng¬ 
ling, der freilich oft mit der Jugend Feuereifer den 
Himmel stürmen zu können glaubt, den schliesst 
man aus, da, wo Männer tagen; mit höhnischen Be¬ 
merkungen wird seine Meinungsäusserung, ohne 
geprüft zu sein, zurückgewiesen. Und doch hat 
vielleicht gerade dieser ebenso einen freieren 
Blick, weil seine Hoffnungen noch nicht durch 
das Sieb der Enttäuschungen gegangen sind und 
ihm nicht allerlei berechtigte und unberechtigte 
Eventualitäten die Aussicht versperren, wie jener, 
der Greis, aus dem reichen Schatze seiner Er¬ 
fahrungen zu schöpfen und die Vergangenheit 
auf die Gegenwart anzuwenden imstande ist, 
nach der oft belächelten Regel Ben Akibas: Es 
ist schon alles einmal dagewesen. 

Dem Sonderling, der durch sein Beispiel 
und seiue Lehre oft dem Spotte und Gerede 
der Ijeute Vorschub leistet, kehren wir mit mit¬ 
leidigem Achselzucken den Rücken; und doch 
hat vielleicht seine Theorie, ehe sie ihre extreme 
Spitze erreicht, so manchen Anginflfspunkt, an 
dem eingesetzt werden könnte, um Missständen 
abzuhelfen und Wandel zum Bessern zu schaffen. 

Den Br, den das Schwert der Obrigkeit 
getroffen hat, weisen wir von uns, und bei dem 
geringsten Anlasse, bei einer leichten Meinungs¬ 
verschiedenheit, bei einem eigenmächtigen Schritte, 
bei aussergewöhnlichem Erfolge ist die Gesell¬ 
schaft geneigt, auf das längst verblichene Kains¬ 
zeichen auf seiner Stirn aufmerksam zu machen 
und ihm edlere Motive für sein Thun und 
Treiben abzustreiten. Und doch, m. 1. Br, wie 
braucht gerade der Mann unsere Hilfe, wie 
nötig ist es, gerade ihn wieder an uns zu ge¬ 
wöhnen, damit er nicht sich seihst überlassen 
bleibt, sondern durch Verkehr mit andern den 
Weg der Ordnung und Sitte wiederfinden und 
gehen lernt, ganz abgesehen davon, dass die 
öffentliche Meinung und leider manchmal auch 


der Richter, ihr „Schuldig'^ an der falschen 
Stelle sprechen. 

Den Feind betrachten wir gern als die 
Quelle jedes uns zugefügten Schadens, und alles, 
was ihm seine Entstehung verdankt, wird sehr 
oft mit allen Mitteln, die blinder Hass und 
jäher Zorn nur zu reichlich zur Verfügung 
stellen, bekämpft. In jeder That wird eine 
Hinterlist und unedle Gesinnung gewittert. Der 
Sturm der Leidenschaft gestattet keine ruhige 
Überlegung; und doch wird gerade er, unser 
Feind, um Göthes Bild zu gebrauchen, oft zum 
Felsen, an dem wir uns vor dem Tode des 
Ertrinkens retten können, wenn unser Schifflein 
durch allzuheftigen Anprall mit ihm dem Unter¬ 
gänge anheimgegeben ist. 

Freilich, m. 1. Br, liefert uns das Leben 
täglich Fälle, wo nicht nur ein Urteil gesprochen^ 
sondern wo sogar eine Verurteilung erfolgen 
muss. Aber es ist nicht unsere, der Mr Sache, 
zu verurteilen. Überlassen wir das ruhig den 
vom Staate dazu bestellten Organen, vielleicht 
gar dem höchsten Richter. Die ausgleichende 
Gerechtigkeit des ewigen B. a. W, wird Wohl 
und Wehe an seinem Urheber schon zu ver¬ 
gelten wissen, wenn auch unserem kurzsichtigen 
Auge die Art und Weise dieses Ausgleiches oft 
verborgen bleibt. 

Wo wir aber urteilen müssen, z. B. in 
Dingen, bei denen es sich um Rechtsprechung 
innerhalb der vier Wände unseres. Tempels 
im speziellen und der Mrei im allgemeinen 
handelt, da geschehe es mit Bedacht, und nicht 
ohne uns vorher in die Sachlage eingelebt und 
die Gründe für und wider reiflich erwogen zu 
haben. Da geschehe es ferner in Liebe, und 
nicht ohne die nötige Rücksicht auf die Unvoll¬ 
kommenheit alles Irdischen, die auch uns das 
Wort des grossen Nazareners in das Gedächtnis 
zurückvuft: »Wer von uns ohne Fehler ist, der 
werfe den ersten Stein auf die SünderinDa 
geschehe es lediglich zu dem Zwecke, den Br 
durch unser Urteil zur Erkenntnis seines fal¬ 
schen Thun und Denkens zu bringen, und nicht 
ohne ihm den Weg zur Befolgung unserer Vor¬ 
schläge gewiesen und die Hand zu einer Um- 


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88 


kehr und Besserung gereicht zu haben. Das 
ist maur Gesinnung und That, und wer so 
handelt, der zeigt, dass er beim Beginne seiner 
Mrbahn, dort im Präparationssaale nicht nur vor 
toten Buchstaben gesessen hat, sondern dem das 
kurze Wort einer der Tafeln in Fleisch und 
Blut übergegangen und dem es Ernst und eine 
heilige Sache ist, dassselbe im Umgänge mit 
seinen Bni Wahrheit werden zu lassen, das kurze 
Wort: „Richte nicht!“ 


In Ordnung! 

Gedanken von Br J. Keller i. Nürnberg. 

Gel. Brr! 

Wenn wir uns in einer Loge versammelt 
haben, um gemeinsam zu arbeiten, da — bei 
der Eröffnung sowohl wie beim Schluss, oder 
auch in der dazwischen liegenden Arbeitszeit — 
hören wir den Ruf des Mstrs v. St.: „I. 0.!“ 

Was soll und was kann dieser Ruf be¬ 
deuten? Wohl soll derselbe zunächst eine Auf¬ 
forderung sein, unseren Körper in eine nach 
allgemeinen Begriffen achtungsvolle Stellung zu 
bringen, um die Vornahme uns allen bedeutungs¬ 
voll erscheinender Handlungen entsprechend zu 
ehren. Müssen wir aber diesen Ruf einzig und 
allein als eine solche Aufforderung betrachten? 
Können und sollen wir uns nicht noch etwas 
anderes und Tieferes dabei denken, wenn der 
Ruf „I. 0. m. Brr!“ von des S. E. Mstrs 
Lippen tönt? 

Aber welche andere und tiefere Bedeutung 
können und sollen wir diesem Rufe beilegen? 

Sie wissen ja, m. Brr, dass alle Symbole 
und ritualmässigen Handlungen der Frmrei einen 
tiefen Sinn haben. Sie wissen aber auch, dass, 
so tief der Sinn dem Blick zuerst erscheinen 
mag, er doch klar und leicht verständlich wird 
einem einfältigen und reinen Herzen. Es gilt 
also nur, um den so tief erscheinenden Sinn 
dieser frmr Symbole und der damit verbundenen 
Handlungen richtig erfassen zu können, dass 
wir unsere Herzen rein zu machen suchen; denn 
je reiner wir unsere Herzen machen, desto tiefer 
werden wir in die Geheimnisse der Frmrei ein- 
dringen — das heisst, desto klarer wird es 
uns werden, dass wir es eigentlich in der Frmrei 
mit Geheimnissen im gewöhnlichen Sinne des 
Wortes gar nicht zu thun haben, und dass das, 
was dieselbe in diesem Sinne Geheimnisvolles hat 
und immer haben wird, ja haben muss, nur zu ihrer 


vor den neugierigen Blicken der Welt schützen¬ 
den Hülle, nicht aber zu ihrem Wesen gehört. 

Wenn es nun, um das Wesen, den eigent¬ 
lichen tiefinnersten Kern der Frmrei uns in 
voller Klarheit entgegenstrahlen zu lassen, gilt, 
unsere Herzen zu reinigen, also „Ordnung“ 
in unserem Innern zu schaffen — eine Ord¬ 
nung, ohne welche wir der Frmrei gegenüber, 
selbst in ihren Hallen, verständnislos bleiben 
würden und ohne welche für uns die ganze 
k. K. überhaupt wertlos bleiben müsste — 
brauchen wir dann noch lange nach einer tieferen 
Bedeutung, welche wir dem Ruf beilegen können, 
zu suchen? 

M. Brr! Sollten wir des S. E. Mstrs Ruf 
„I. 0.!“ neben der zunächst äusserlichen Be¬ 
deutung nicht für uns auch eine ernste Mah¬ 
nung sein lassen? Sollte bei diesem Ruf uns 
nicht zugleich die Frage durchzittern: Hast 
du denn in deinem Herzen und in deiner Seele 
schon alles in Ordnung gebracht? Wacht oder 
schlummert kein unedler Gedanke mehr in dir? 
Hast du dein Inneres mit all deiner geistigen 
Kraft von allen Schlacken gereinigt, also dass 
du mit Freuden aufzuschauen vermagst? Hast 
du den Kampf, zu dem die Aussenwelt dich 
aufgefordert, in dir zu einem für dich siegreichen 
Ende geführt, zu einem Ende, auf das du mit 
ruhigem Gewissen blicken kannst? — Ach, so 
lange der Mensch lebt, hat er zu kämpfen und 
zu wachen, dass er nicht von neuem überrascht 
werde; überall lauern und drohen Anfechtungen, 
und wir können nur dankbar sein, wenn wir 
hie und da durch einen solchen Ruf daran er¬ 
innert werden, dass es gilt, die in uns wohnende 
sittliche Kraft in ununterbrochener Thätigkeit 
zu erhalten. 

Wohlan, m. Brr, lassen wir uns diesen Ruf 
neben seiner einfacheren und zunächst liegenden 
Bedeutung auch eine ernstere Mahnung sein, so 
oft wir ihn in der Loge hören, eine Mahnung, 
dafür zu soi'gen, dass es immer reiner und klarer 
in uns werde und es vollkommen Ordnung sei 
in unserem Herzen, wenn wir — früher oder 
später — von dem a. B. a. W. berufen werden, 
einzugehen in den e. 0., in seinen heiligen 
Tempel der Ewigkeit! 

Merksteine 

auf dem Wege des Lebens 

-Mk. 1,80 gab.- 

Zur Harmonie des Lebens 

- Mk. 1,50 o«b.- 

Br Ph. L. Jang, naaehea TU. 


Druck und Verlag von Br Bruno Zeohel in Lolpzig. 


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Am ßeissbrette. 

Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen 
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu 
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum 

Rautenkranz in Hildburgbausen. 

Für Brr Freimaurer-Meister. 


Dezember 

1896. 


23. Jahrgang. 
No. 12. 


Begründet von Br Marbach. Fortgeführt von Br Fuchs. 
Schriftleiter: Br Dr. A. Gttiidel, Leipzig-Reudnitz. 

Das Blatt wird vorzugsweise Beitrilgo bringen, die in den Logenversammlungen eines der drei Grade 
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für 
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden 
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Einzelne Brr Meister, welche als 
solche sich legitimirt. haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 8 Mark abonniren 
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf¬ 
genommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebühr von 
25 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile. 


Inhalt: Über die Sehnsucht nach dem Jenseits. — Johann HeinriohVoss. — Zurufe Mbc. — SinnsprUche. 

— liittorarisohes. — Mitteilungen von der Oesohftftsstelle für den Austausch der Logenlisten. 
— Anzeigen. 


Über die Sehnsucht nach dem Jenseits. 

Ansprache in der Meisterloge von Br. Kilian. 

Die k. K. will im 8. Grade ihre Jünger 
auf den Tod vorbereiten, sie ausrüsten mit Kraft 
und Mut, dem letzten Feinde sonder Furcht 
und Graun ins Auge zu sehn, ihn verschlingen 
zu helfen in den Sieg. Bestelle Dein Haus und 
lerne sterben: Das ist der Lebensweisheit letzter 
Schluss. Unser grosses Licht, die heilige Schrift, 
bezeichnet den Gedanken an den Tod als Klug¬ 
heit, und daran kann auch die Meinung der 
Weltmenschen: er sei eine Thorheit, nichts 
ändern. 

Freilich ist es Pflicht des freien Mannes, 
zu arbeiten und zu schaffen, solange es Tag ist; 
gewiss wird es ihm niemand verargen, wenn er 
auch den Becher unschuldiger Freude zur Lippe 
führt; aber sollten bei alledem nicht auch 
Stunden kommen, wo er der Nacht gedenkt, die 
einst dem Tage bestimmt folgt? 

Todesgedanken und Todesahnungen — sie 
beherrschen und verzehren leider den von Welt¬ 
schmerz und Weltverachtung ergriffenen Men¬ 
schen; Todesgedanken und Todesahnungen — sie 
sollten zuweilen auch einziehen in das Herz 


jedes gesunden Menschen; er würde dann frei 
bleiben wie von epikureischem Lebensgenuss so 
von stoischer Welt Verachtung, er würde Arbeit 
und Genuss erst recht schätzen und so das 
ganze Leben erst richtig würdigen lernen. 

Es ist ein alter Gedanke, dass das irdische 
Leben bloss eine Wanderschaft, der Mensch 
hienieden nur ein Pilgrim sei, der sein eigent¬ 
liches Ziel im Jenseits, seine wahre Heimat erst 
in der Ewigkeit habe. Und wie es den Erden¬ 
pilger, namentlich wenn er älter wird, mit All¬ 
gewalt nach seiner Heimat, nach der trauten 
Stätte zieht, wo er der Jugend selge Zeit ge¬ 
noss, so sehnt das Menschenherz sich aus dem 
öden Weltgetümmel hinüber zur Ruhe der Ewig¬ 
keit, aus den Stürmen dieses klippenreichen 
Lebens hinein in den stillen Hafen der Selig¬ 
keit. Denn, wie schon ein alter Schriftsteller 
sagt, des Menschen Herz ist ruhelos, bis dass 
ruht in Gott, eine Wahrheit, die gewiss auch 
mancher von uns in Stunden stiller Sammlung 
an sich erfahren hat. Frage den Mann der 
Arbeit, der rastlos schafft und ganz in seinem 
Berufe aufzugehen scheint; frage ferner den 
Weltmenschen, der von einer Freude zur andern 
taumelt und im Genüsse verschmachtet vor 


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Begierde; frage endlich die Faustnatur, die die 
Tiefen der Wissenschaft ergründen will und zu 
erforschen sucht, was die Welt im Innersten 
zusammenhält; ob sie nicht alle in manchen 
Augenblicken das Gefühl der Sehnsucht nach 
etwas Besserem, Beständigerem durchzieht, ob 
ihr gequältes Herz nicht ergriffen wird von 
Heimweh nach der Ewigkeit. Des Menschen 
Herz, es gleicht dem Bache, der auch zur Zeit 
des Abendfriedens noch rastlos dahinbraust, und 
dem nur ein Gott die wahre Abendruhe gehen 
kann. 

Dieses Gefühl der Sehnsucht nach dem 
Jenseits, dies Heimweh nach der Ewigkeit — 
spricht es nicht aus den gewaltigen, himmel- 
anstrehenden Säulenhallen unsrer Dome, ringt 
es sich nicht empor aus den herzergreifenden 
Chören mancher Oratorien, klingt es uns nicht 
entgegen aus tiefempfundenen Worten unserer 
Dichter? 

Kündet es uns aber nicht auch unsre grosse 
Lehrmeisterin, die Natur? Blicken wir jetzt 
hinaus auf die herbstliche Landschaft: Die letzte 
Rose im Garten, der Herbstwind, der die Bäume 
schüttelt, das welke Laub, das zu unsern Füssen 
niederrieselt — erwecken sie nicht in uns das 
Gefühl der Wehmut über die Vergänglichkeit 
alles Irdischen, erfüllen sie aber nicht zugleich 
auch unser Herz mit der festen Hoffnung auf 
das Bleibende im Jenseits und mit einem un¬ 
nennbaren Heimweh nach der Ewigkeit? Ja, keine 
Jahreszeit stimmt so sehr zu Todesbetrachtungen, 
wie der Herbst, keine eignet sich darum auch 
besser zu Meisterlogen, als sie. Der Herbst kommt 
und ein Blatt nach dem andern fällt ab. Der Herbst 
kommt auch für dich, o Mensch, und seine Stürme 
können auch dich wegfegen. Haben wir das 
nicht auch in unsrer geliebten Loge erfahren, 
die der rauhe Herbstwind schon so mancher 
Blätter beraubt hat? Wer kann wissen, welchen 
von uns der Sturm des Lebens erfasst und ob 
er dann nicht auch abfällt wie ein welkes Blatt! 
Ist doch alles Fleisch wie Gras und alle Herr¬ 
lichkeit des Menschen wie des Grases Blume! 
Wenn der Wind darüber gehet, so ist sie nimmer 
da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr. 


Eine sinnige Betrachtung der herbstlichen 
Natur mit ihrer Vergänglichkeit und ihrem 
Wechsel erweckt aber nicht nur im Beobachter 
das Gefühl der Sehnsucht nach dem Bleibenden 
und Unvergänglichen, die ganze Natur scheint 
unter dem Banne dieser Sehnsucht zu liegen 
und zu seufzen. Wie ein Schlafender , lebend 
ohne Leben, ein Toter ohne Tod zu sein scheint, 
so schläft auch die Natur, gebannt in ihren 
Kreisen; aus dem Traum in dunkeln Weisen 
redet ihre Sehnsucht nur“. Spricht doch auch 
die heilige Schrift von dem ängstlichen Harren 
der Kreatur, die sich sehnet mit uns und sich 
noch immerdar ängstigt, die aber auch einst 
frei werden wird von dem Dienste des vergäng¬ 
lichen Wesens und gelangen soll zu der herr¬ 
lichen Freiheit der Kinder Gottes. 

Freilich ist dieses Sehnen in der Natur dem 
blöden Auge des nüchternen Verstandesmenschen 
nicht ohne weiteres erkennbar und auch der 
Lupe oder dem Messer des Forschers hält es 
nicht Stand; aber der mit tiefem Gemüt be¬ 
gabte Dichter fühlt und erkennt es. Verköi*pem 
es nicht die Millionen von Keimen, die aus der 
Nacht des Erdbodens zum ewigen Lichte drängen ? 
Zwingt es nicht den Quell auch durch das 
härteste Gestein empor? Blickt dieses stumme 
Sehnen dich nicht an aus dem milden Auge der 
Blumen, von denen manche noch im besondern — 
zu verschiedener Tageszeit verschieden — ihr 
Antlitz nach der Sonne wenden? Klingt es dir 
nicht in lauer Maiennacht entgegen aus dem 
wundersamen, schmelzenden Gesang der Nach¬ 
tigall und lässt es nicht den Falter in der Puppe 
sein Gefängnis sprengen? Vernehmen wir, meine 
Brr, wie ein echter Dichter, Emanuel Geibel, der 
Natur „das Geheimnis der Sehnsucht“ abge¬ 
lauscht hat: 

Nun wandelt von den Bergen sacht 
Zum See herab die Sommernacht, 

Und träumerisch mit heissem Sinn 
Durch ihre Schatten schreit ich hin. 

Berauschend schwimmt im Strom der Luft. 
Daher der Rebenblüte Duft, 

Der Glühwurm webt die lichte Bahn 
Im Dunkel an des Turms Gemäuer, 


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Und droben glühn mit tiefem Feuer 
Die Sterne rätselhaft mich an. 

Dies ist die Stande, da das Lied 
Der Sehnsucht durch die Lüfte zieht, 

Die tief in Wald, Gestein und Flur 
Der Kern ist aller Kreatur: 

Der Sehnsucht, die durch Felsen dicht 
Den Quell emporzwingt an das Licht, 

Die nach dem Himmel aus dem Wald 
Mit tausend grünen Armen greift, 

Aus hartem Stein als Echo hallt. 

Im irren Wind die Welt uraschweift. 

Die aus der Nachtigallen Kehle 
Im Silberton hinperlend quillt. 

Und aus der Blumen Auge mild 
Dich anschaut mit der stummen Seele. 

0 Sehnsucht, die Du wie ein Kind, 

In Schlaf gelullt durch süsse Lieder, 

Doch stets aufs neu erwachst und wieder 
Zu weinen anbebst leis und lind, 

Wie nimmst du heut mir Herz und Sinn 
Mit deiner Klage ganz dahin! 

Umsonst! Kein Wort, seis noch so gross, 
Macht dich des tiefen Dranges los, 

Den heissen Durst der Seele stillt 
Kein Brunnen, der auf Erden quillt. 

Darum zur Ruh, mein wild Gemüt! 

Nicht alles wird hier Frucht, was blüht; 

Du trägst, der Erde stummer Gast, 

In dir, was nur der Himmel fasst. 

Was für und für so ruhelos 

Dich Dunkel treibt auf deinen Wegen, 

Es ist das erste Flügelregen 
Des Falters in der Puppe Schoss; 

Dir selbst bewusst kaum, ist. dein Leid 
Ein Heimweh nach der Ewigkeit. 

Also in der Natur wie beim Menschen die 
gleiche Sehnsucht, dasselbe Gefühl des Unbe¬ 
friedigtseins mit den gegebenen Zuständen, das¬ 
selbe unbestimmte Streben über sie hinaus. Ist 
dieses geheime Weh, das beide durchzieht, nicht 
auch ein Grund dafür, dass es den Menschen 
immer und immer wieder zur Natur zieht? Selbst 


der an yerfeinerten Lebensgenuss gewöhnte Gross¬ 
städter, wohin flüchtet er sich, wenn das hastige 
Treiben der Strassen seine Nerven abgespannt 
und erschlafft hat? An den Busen der Lebens¬ 
spenderin Natur, hinaus in die sonnendurch- 
glühten Auen, hinein in die Einsamkeit des 
Waldes, hinauf in die reine Luft der Berge, 
wo er Leib und Seele wieder gesund badet. 
Der Verkehr mit und in der Natur ist nicht 
bloss ein Ergebnis vernünftiger Überlegung; er 
liegt tiefer und ist recht eigentlich begründet 
in der innigen Verwandtschaft zwischen Mensch 
und Natur; denn beide haben einen Ursprung 
und beide streben einem Ziele zu. 

Sie beide sind hervorgegangen aus der 
Hand eines' und desselben Gottes, beide ent¬ 
sprungen dem Schöpfergedanken und der all¬ 
umfassenden Liebe des höchsten Wesens, das 
wir Frmr den A. B. a. W. nennen. Ob man 
sich dasselbe als einen persönlichen Gott, ob 
man es sich als der Welt innewohnend und sie 
erfüllend denkt, das ist hierbei von unterge¬ 
ordneter Bedeutung. Der Name ist hier, wie 
kaum wo anders noch, Schall und Rauch; d^nn, 
wer darf ihn nennen, den Allumfasser, Aller¬ 
halter? Gefühl ist alles. Aber er hat sich an [uns 
allen nicht unbezeugt gelassen und in ihm leben? 
weben und sind wir alle, Natur und Menschen, 
beide sind wir göttlichen Geschlechts. Daher 
also der unbestimmte, dem Heimweh vergleich¬ 
bare Zug des Menschen zur Natur. 

Natur und Mensch, sie haben beide auch 
dasselbe Ziel, sie streben beide zu ihrem Aus¬ 
gangspunkte zurück. Der Mensch, gleichviel ob 
er unter dem Drucke des Unglücks seufzt oder 
ein Schosskind des Glückes ist, für die Sehnsucht 
nach der Ewigkeithat er doch zu Zeiten Pia tz in 
seinem Herzen. Und sie wird ihm und seinem 
ganzen Geschlechts bleiben, bis sie sich erfüllt, bis 
der Glaube zum Schauen wird und das ruhelose 
Herz ruht in seinem Gott. Einst wird aber 
auch der Tag kommen, da der Herr der Welt 
die drückenden Fesseln der seufzenden Kreatur 
lösen, ihr ängstliches Stöhnen erhören wird, 
wo lebendig Leben da fliessen wird, wo bis 
jetzt nur Bild und Zeichen war. 


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92 


Dann lobpreisend im Azur 
Ziehn die Stern als Bruderwesen, 

Und es jauchzt in Gott genesen, 

Die erlöste Kreatur. Mach, 


Aus dem Engbunde. 

Johann Heinrich Voss.*) 

Von Br F. Fuchs. 

Aus dem gedrückten mecklenburgischen 
Bauer nleben erhob sich Johann Heinrich 
Voss mühsam aber fröhlich, ein herrlich be¬ 
gabter, arbeitsfroher Jüngling und Mann zu 
schöner Wirksamkeit in seiner Nation. Er war 
als Sohn eines armen Landmanns, der durch 
den Krieg sein ganzes Vermögen verloren hatte 
und sich nun von den Einkünften einer ärm¬ 
lichen Schulstelle nährte, den 20. Febr. 1751 
zu Sommersdorf bei Waren geboren. Die wenigen 
Groschen, die sich der Vater von seinem ge¬ 
ringen Einkommen abdarbte, verwendete er zur 
Bildung des Sohnes auf der Schule zu Neu¬ 
brandenburg. Hier war der letztere ungemein 
fleissig, nicht bloss in seinen Sprach- und andern 
Studien; hier keimte auch bereits sein grosses 
Dichtertalent. Verschiedene im Göttinger Musen¬ 
almanach von Boie herausgegebene Gedichte 
brachten ihn in Verbindungen, die für sein 
späteres Leben sehr förderlich waren. Vom 
Besuche der Universität musste er vorläufig 
wegen Mittellosigkeit absehen, er nahm deshalb 
eine Hauslehrerstelle bei einem Herrn v. Oertzen 
an, um mit dem hier ersparten Geld später 
seine akademischen Studien zu beginnen. Durch 
seine Göttinger Freunde, sowie durch seine 
Arbeiten im Musenalmanach, auf die ich später 
zurückkommen werde, kam er schon 1772 nach 
Göttingen, früher als er selbst gedacht hatte. 
Hier hing er die Theologie an den Nagel und 

•) Aus Pietät gegen den entschlafenen Br 
Fuchs, der zu Beginn dieses Jahres am „Reiss¬ 
brette“ noch thätig war, bringen wir in der letzten 
Nummer des Jahrganges den Aufsatz, über dessen 
Reinschrift der unermüdlich schaffende Br nach 
dem Willen des A. B. a. W. seine irdische Arbeit 
niederlegte. D. Schriftltg. 


widmete sich ausschliesslich philologischen Studien 
und verschiedenen Bestrebungen, die ihn mit 
dem Göttinger Dichterbund verbanden. Als sein 
Fi'eund Boie, mit dessen Schwester sich Voss 
verlobt hatte, in den Staatsdienst trat, übernahm 
er an dessen Stelle die Redaktion des Musen¬ 
almanachs, siedelte 1775 nach Wandsbeclc über, 
wo er mehrere Jahre mit Matthias Claudius 
und Klopstock in freundschaftlichem Verkehre 
stand. Hier führte er 1777 seine Braut heim 
und übernahm das Rektorat an der Schule zu 
Otterndorf im Lande Hadeln. Sein vierjähriges 
Rektorat war ein mhmlicher Kampf jugendlich 
dichterischer Begeisterung, der schönsten, ehr¬ 
lichen Liebe und der unverwüstlichen Laune 
gegen die Leiden des Mangels. Hier lebte er 
das, was er später dichtete: Die aus eignem 
Wert und Bewusstsein erblühende, deutsche 
Idylle inmitten einer unfreundlichen Welt. Treu¬ 
herzig halfen die Ottemdorfer dem darbenden 
Dichter, dessen finanzielle Verhältnisse 1782 
durch seine Berufung als Rektor nach Euün 
sich günstiger gestalteten. Er hatte es aber 
auch schön daheim, klar im Kopfe und heiter 
im Herzen. Fünf wackere Söhne gediehen dem 
streng sittlichen und varbeitsamen Vater auf das 
trefflichste; später nahmen dieselben an des 
Vaters Werken mit Lust und Geschick teil. 
Ein Jahrgehalt enthob ihn der drückenden Schul¬ 
arbeit; er ging nach Jena, wo sich Goethe die 
grösste Mühe gab, ihn festzuhalten — doch 
vergebens, 1805 folgte er einem Rufe als Pro¬ 
fessor nach Heidelberg, wo er in vielen littera- 
rischen Arbeiten thätig war; namentlich gab er 
hier mit seinen Söhnen Heinrich und Abraham 
eine Übersetzung des Shakespeare heraus. Er 
starb den 30. März 1826 zu Heidelberg. 

Von Br Voss freimaureriseber Laufbahn ist 
nicht viel und namentlich nicht viel Erbauliches 
zu berichten. Er wurde den 11. Mai 1774 in 
die Loge: Zu den drei Rosen nach Zinnendorf- 
schem System in Hambui'g aufgenommen und 
den 22. April 1775 in den Meistergrad * be¬ 
fördert. Es berrsebten aber auch damals im 
deutschen Logenwesen traurige Verhältnisse. 

Von Zinneadorf, Grossmeister der Gr. 


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93 


National-Mutterloge zu Berlin, hatte das von t. Hund 
ins Leben gerufene System der strikten Obser¬ 
vanz nicht bloss in der Grossloge, sondern auch 
in der Mehrheit der von ihr abhängigen Tochter- 
«logen eingeführi Mit von Hund in Misshellig¬ 
keiten geraten, suchte er sich Ritualien und 
Akten ans Schweden zu verschaffen, der gleichen 
Quelle, aus welcher auch die strikte Observanz 
geschöpft hatte. Er sendete einen ihm ganz 
vertrauten Bruder, den Theologen Banmann, auf 
Kosten Mer Loge nach Stockholm, der auch 
einige Schriften erlangte, die aber später von 
der Grossloge zum Teil als unecht und zum 
Teil als auf Unrechte Weise erworben und als 
erschwindelt bezeichnet wurden. Aus der Gr. 
Nationalmntterloge trat Zinnendorf ans, oder 
vielmehr, er wurde von derselben excludiert 
wegen vorgekommener Unregelmässigkeiten und 
ihm schuldgegebener Unterschlagungen. Sein 
Freund Schubert von Kleefeld nennt ihn einen 
Windbeutel, eine schwarze Seele, und die Gross¬ 
loge von Schweden in einem offiziellen Schreiben 
,einen ehrlosen Betrüger*. Das hinderte ihn 
aber nicht, immer neue Logen nach seinem 
System „kraft der ihm anklebenden Gewalt* zu 
gründen. Nachdem er 17 solcher Logen zu¬ 
sammengebracht, vereinigte er dieselben 1770 
zur Grossen Landesloge der Freimaurer von 
Deutschland. Doch noch fehlte der neuen Gross¬ 
loge die Anerkennung. Mit Schweden war die 
Sache missglückt, man wendete sich um ein 
Protektorat an die Grosslöge zu London. Diese 
sagte nur unter der Bedingung zu, dass nach¬ 
gewiesen würde, die Zinnendorfschen Br seien in 
gerechten und vollkommenen Logen aufgenom¬ 
mene Meister. Zinnendorf, in'der Wahl seiner 
Mittel nicht schwierig, hielt eine Arbeit in der 
Loge Royal York; einer seiner Brüder führte 
auf einem in das Protokollbuch eingelegten 
Bogen das Protokoll, das nachher von sämt¬ 
lichen anwesenden Brüdern, die die verlangte 
Eigenschaft hatten, unterzeichnet wurde. Der 
Bogen wurde heimlich mit weggenommen, nach 
London geschickt und die gewünschte Aner¬ 
kennung erlangt. Der Betrug wurde zwar später 
aufgedeckt, doch von London ignoriert; es kam 


nach mehrjährigen Verhandlungen ein Vertrag 
zustande, auch eiiangte die Gr. - Landeslogo 
1774 das Protektorat des Königs von Preussen. 

Ich komme nun wieder zurück zu unserm 
Bruder H. Voss. Dieser war damals Redakteur 
des Musenalmanachs. Er bekam den Auftrag, 
in dieser Zeitschrift 1776 die Akte, worin die 
Grossloge von London die Zinnendorfhche Gross¬ 
loge anerkannte, als öffenÜichen Beweis Zinnen¬ 
dorfscher Frmrei bekannt zu machen und die 
grossen Vorteile für das deutsche Logen wesen 
hervorzuheben. Als er aber von dem gespielten 
Betrüge Kenntnis erhielt, fand er sich völlig 
enttäuscht, zog sich ganz zurück und fällte über 
Zinnendorfs System folgendes Urteil: 

„Sie werden mit mir bemerkt haben, dass 
der Orden nicht auf Erleuchtung und Ver¬ 
edelung seiner Glieder und auf Vereinigung 
der Besten zu einem gi'ossen nmralisohen 
Zwecke, der nur dem Umweisen Geheimnis 
wäre, dem Weisen sich von selbst enthüllte, 
hinausläuft, sondern auf Sammlung eines 
giossen angesehenen Haufens, der in ver¬ 
schiedenen Graden allmählich zum blinden 
Glauben an unverschämte Behauptungen und 
dann, wenn man sich weit genug in die Un¬ 
vernunft hineingeglaubt, zu blindem Gehorsam 
für hierarchische Aussprüche unbekannter 
Oberer gewöhnt wird.* 

Voss scheint nie wieder in die Loge ge¬ 
kommen zu sein. 

Wir betrachten ihn in seiner anmutenden 
Erscheinung als Dichter. Wie schon bemerkt, 
hatte er bereits als Gymnasiast seine poetische 
Ader springen lassen; als Student in Göttingen 
Hess er sich sogleich in den von zwei älteren 
Studenten Götter und Boie gegründeten Dichter¬ 
bund — Hainbund genannt — aufiiehmen. Um 
Boie scharten sich alle Göttinger Studenten, 
die irgend Beruf zur Dichtkunst zu haben 
wähnten, und es waren unter diesen Talente, die 
dem Führer schnell über den Kopf wuchsen. 
Zu diesen gehörten unter anderen: Bürger, 
Hölty, die beiden Grafen Stollberg, Gramer und 
Voss. Zunächst hatten sich die jungen Dichter 
vorgenommen, das während des 80 jährigen Krieges 


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94 


durch Einmischung französischer und lateinischer 
Sprache und verknöcherter Formen ganz und gar 
entstellte deutsche Volkslied wieder zur früheren 
Einfachheit und Reinheit der Formen und zur 
Blüte des Stils zu bnngen. Und es ist ihnen 
dies herrlich gelungen; die bekanntesten Volks¬ 
lieder von Heinrich Voss sind: An meines 
Vaters Hügel, da steht ein schöner Baum — 
Blickt auf, wie schön das lichte Blau hoch über 
uns sich wölbt — Des Jahres letzte Stunde — 
Ihr Städter, sucht Ihr Freude, so kommt aufs 
Land heraus — Willkommen im Grünen, der 
Himmel ist blau. — Ich erinnere noch an 
Höltys: Üb’ immer Treu und Redlichkeit, an 
Millers: Was frag ich viel nach Geld und Gut, 
wenn ich zufneden bin. — 

Schon als regsamer Knabe hatte Voss gern 
den alten Liedern gelauscht, die in seiner 
Mecklenburger Heimat zur fröhlichen Erntezeit 
draussen im Felde und in den langen Winter¬ 
abenden in der Spinnstube erklangen; jetzt for¬ 
derte or, der Bedeutung dieser Lieder sich be¬ 
wusst geworden, seinen Freund Brückner auf, 
in Mecklenburg allen sogenannten Gassenhauern 
aufs sorgsamste nachzugehen und ihm dieselben 
mitzuteilen. 

Schon früher hatte sich in Voss der idyl¬ 
lische Zug seiner Natur im Frohgeftihl still 
inniger Häuslichkeit, im trauten Verkehr mit 
den ihn umgebenden, kernhaften Menschen und 
der schönen Natur immer tiefer ausgebildet. 
Wenn auch die ersten Versuche seiner Idyllen¬ 
dichtung nur unvollkommen, so waren doch der 
70. Geburtstag und die Louise so epochemachend, 
dass nur selten andere ähnliche Dichtungen an 
sie heranreichten. Schiller sagt: Mit der Louise 
habe Voss die deutsche Litteratur nicht bloss 
bereichert, sondern wahrhaft erweitert. Diese 
Idylle könne mit keinem andern Gedichte ihrer 
Art, sondern nur mit griechischen Mustern ver¬ 
glichen werden. Und Goethe hat nie ein Hehl 
daraus gemacht, dass Hermann und Dorothea 
lediglich aus seiner nacheifemden Bewundrung 
der Vossschen Luise hervorging. Das Grösste 
aber, was Voss als Dichter geleistet hat, waren 
seine Homerübertragungen in die deutsche Sprache. 


Gerade zu seiner Zeit hatte man sich auf die Über¬ 
setzungen antiker Schriftsteller geworfen. In 
allen möglichen dichterischen Formen und Vers* 
massen wurden die Werke der Alten vorgeführt; 
aber man konnte ihnen keinen rechten Geschmack . 
abgewinnen. Als aber Voss erst seine Über¬ 
setzung der Odyssee und dann die der Dias 
herausgab, da herrschte nur eine Stimme der 
Begeisterung für dieselben; sie sind weder vor¬ 
her noch nachher übertroüen worden und haben 
Voss für alle Zeiten einen Ehrenplatz' in der 
deutschen Dichtcrhalle gesicheii;. 

Znrafe Mbc. 

aus dem Nachlass d. Br. Lomer. 

Drei kurzen Schritten gleicht unser Leben, 
aber sie führen nicht in das Reich des Schattens, 
sondern in das Reich des ewigen Lichtes! 

Überwinde jede Scheu, m. Br, denn das 
Abbild des Todes ist kein Symbol des ewigen 
Lebens! 

Jeder dieser Schritte soll Dich der Wahr¬ 
heit näher führen. Schreite mutig vorwärts! 

Deine ersten Schritte waren von liebenden 
Eltern behütet — jetzt behüten sorgende Brr 
Deinen Pfad — auf Deinem letzten Wege ver¬ 
trau Dich der Führung des a. B. a. W.I 

Du wardst geboren, um zu sterben, aber 
Du wirst sterben, um zu leben ewiglich! 

Die höchste Wahrheit liegt in diesem Ge* 
brauche verborgen; suche und mache sie zu 
Deinem unverlierbaren Eigentum! — 

Sinnsprüche 

von Br W. Grallert. 

Des Wortes Milde ist gar hoch zu pfeisen, 

Verirrte auf den richtgen Weg zu weisen; 

Gilts aber, Dummheiten zu bekämpfen. 

Da wär es Sünd, den beilgen Zorn zu dämpfea. 

♦ ♦ 

♦ 

Hast du im Innern tief gefühlt 

Das Leid, das dir das Herz durchwühlt. 

So klag deswegen nicht als Thor, 

Nur reiner gingst du draus hervor. 

♦ ♦ 


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95 


Rasch und sicher sei dein Blick, 

Dann regierst du das Geschick^ 

Willst du aber Zeit verlieren, 

Wird dich das Geschick regieren. 

♦ * 

* 

Es fliessen manchem die Woi*te 
Vom Munde wie Honigseim, 

Doch wer auf Worte nur bauet. 
Der klebet gar bald am Leim. 


Litterarisches. 

Drei Eingänge. 

Wie die Gegensätze sich oft berühren und es vom 
Erhabenen zum Lächerlichen oft nur ein Schritt 
ist, so ^orgt auch das Leben dafür, dass Scherz 
und Ernst auf einer Karte stehen. Schwarze und 
weisse Felder auf einem Schachbrette und inner¬ 
halb derselben ein Spiel, ein Kampf um Sein 
und Nichtsein! 

Vor uns liegen drei Einsendungen: 

1. Nr. 37 der im 1. Jahrg. stehenden .Berliner 
Reform 

ln einem .Frmrei“ überschriebenen und in 
Briefform gehaltenen Artikel wird von einem Br 
in nicht misszuverstehender Weise unter Klar- 
legung der prinzipiellen und institutionellen Unter¬ 
schiede der einzelnen Grosslogen, wobei es natür¬ 
lich auch an subjektiven Urteilen nicht fohlt, 
Propaganda gemacht für die nur .behördlich 
und kaiserlich ‘ anerkannte humanistische Kaiser- 
Friedrich-Grossloge. 

Derartige Auseinandersetzungen in einem pro¬ 
fanen Blatte wirken betrübend. 

2. Eine Broschüre aus dem Verlage der Aktien¬ 
gesellschaft Germania, betitelt: .Der Odd-Fellow- 
Orden und das Dekret der Kongregation der 
Inquisition vom 20. August 1894 von Hildebrand 
Gerber“ zur .gütigen Besprechung übersandt“ mit 
dem Bemerken: .Für Zusendung eines Beleges 
wären wir dankbar.“ 

Eine Verurteilung der .Närrischen Käuze“ 
vulgo Odd-Feilows, deren .Ungereimtheiten“ sich 
mit den gegen die .religiös-sittliche Ordnung“ 
gerichteten Grundsätzen der Frmrei decken, einer 
frmr Redaktion zur Beurteilung übersandt! Dazu 
der Dank der Germania! 

Das wirkt heiter. 

3. Geschichte der St. Johannis-Frmr-Loge: .Zur 
deutschen Redlichkeit“ i. Or. zu Iserlohn. Zum 
100jährigen Jubiläum dieser Bauhütte auf Grund 
der Akten und Protokolle verfasst v. Br G. Kreyen- 


berg, Mstr v. St., u. Br J. Gollhof, 2. Aufs. Leipzig, 
Druck und Verlag von Br Bruno Zechel. 

.Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!“ 
Schade um dieses effektvolle Spiel des Zufalls. 
Der Charakter unsers Blattes hindert uns leider, 
dasselbe litterarisch auszuspinnen. Im Gegensätze 
zu den Bestrebungen der modernen virorum obscu- 
rorum eine Bauhütte: .Zur deutschen Redlichkeit!“ 
Eine Loge, in der mit deutscher Treue, deutschem 
Mute und Sinne gebaut worden ist, die trotzdem 
tolerant genug war, einen Liszt zu ihrem Ehren- 
mitgliede zu machen! Fast an einem Tage mit 
dem Wiederaufrichter des deutschen Vaterlandes 
geboren, hat sie wie jener die Hand des korsischen 
Unterdrückers spüren müssen, weil sie den .3 Welt¬ 
kugeln“ treu blieb und den Anschluss an den 
Pariser Gr. 0. ablehnte. In unerschütterlichem 
Vertrauen hat sie festgehalten an ihrem prinz- 
liehen Br und an der Sache, die dieser vertrat, 
zu einer Zeit, da fast der Wille des ganzen Volkes 
in direkten Widerspruch zu dessen Schritten sich 
setzte. In mehrfacher Weise ist die Loge, in 
der Br Kaiser Wilhelm von Koblenz aus einer 
Arbeit beiwohnte, zu ihrem hohen Protektor in 
Beziehung getreten. Den Tag seiner Silberhoch¬ 
zeit und damit zugleich den Tag der Aufnahme 
seines Sohnes Friedrich in den Bund hat sie durch 
Gründung einer Stiftung zur Unterstützung streb¬ 
samer Söhne von Brn auf Schulen verewigt. Eine 
weitere, neuere Stiftung .Schwestemtrost“ be¬ 
zweckt die Versorgung der Hinterbliebenen über¬ 
haupt. Dazu verpflichten sich die Brr gegenseitig. 
Jeder Br muss mindestens eine Püegerschafl 
übernehmen. 

Anerkennung der massgebenden Personen und 
Körperschaften hat nicht gefehlt, und auch jetzt 
hat Kaiser Wilhelm H. der Loge sein Bildnis mit 
eigenhändiger Unterschrift verehrt. 

Deutsche Treue und Brliebe sind die beiden 
Säulen gewesen, welche den Bau der Loge .Zur 
deutschen Redlichkeit“ 100 Jahre hindurch ge¬ 
tragen haben. 

Das wirkt erhebend. 

Möge dieser Grund nie wanken; möge deutsche 
Redlichkeit in ihrem besonderen Tempel zu Iser¬ 
lohn, wie in den Logen im allgemeinen auch 
im kommenden saeculum eine Heimstätte linden. 
Dann wird der Sturm aus Süden vergeblich an 
dem doppelten Gebäude rütteln, das unsere glor¬ 
reichen Brr Wilhelm I. und Friedrich IH. mit 
der ganzen Kraft ihres Lebens aufgeführt bez. 
gestützt haben: an des deutschen Vaterlande.s 
Einigkeit und an des Mrbundes Herrlichkeit. 

Br Ä. G, 


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96 


Mitteilüngen 

Yon dtr 

(iesehftfUstelle fBr den Anstansek der Logenlisten. 

Ende vor. M. hat die dritte diesjährige Ver¬ 
sendung stattgeftinden und gelangten dabei die 
nachstehend aufgeführten 39 Mitglieder-Verzeich¬ 
nisse etc. zur Verteilung: 

Der Gr. Frmrloge Zur Eintracht in Darmstadt 
und der Prov.-Loge von Mecklenburg in Rostock, 
sowie der St. Johannislogen in Aschersleben — 
Bremen (Friedr. Wilhelm — Oelzweig) — Bremer¬ 
haven — Culm-Schwetz — Eberswaldo — Eisleben 

— Elbing — Gr. Glogau (Wilhelm 340) — Gold¬ 
berg (300) — Gollnow (110) — Greifswald — Gü¬ 
strow — Hamburg (Bruderkette) — Hannover (Ceder) 

— Jena (Friedrich) — Ilmenau — Insterburg — Kat- 
towitz (iH6) — Königsberg i/N. — Limburg (275) — 
Löwenberg (120) — Lübben — Lübeck (Weltkugel) — 
Münchenbernsdorf (100) — Pössneck — Quedlin¬ 
burg (300) — Rostock (3 Sterne) — Rudolstadt (300) 

- Spandau — Stadthagen — Swineraünde — Wies¬ 
baden (Plato) — Wolfenbüttel — Wurzen — ZittHu 
(Liste und Bericht). 

Wiederholt wird ersucht, fernerhin 

nicht unter S60 

Mitglieder-Verzeichnisse einzusenden. Den Namen 
derjenigen Logen, die weniger als 360 zur Verfügung 
stellten, sind die Zahlen der zur Veraendung gelang¬ 
ten Exemplare in () beigesetzt. 

Ihren Beitritt zur Geschäftsstelle haben neuer¬ 
dings erklärt die Logen: 


Zu den drei Thftrmen nn der Lnlin in Limburg, 
Friedrich Leopold sur Mnrkaner Treue in Witten, 
Ueimann lor Beständigkeit in Breslau* 

Geschäftsstelle f. d.Austausch der Logenlisten 

Bruno Zechel, 

Biichdrnckerei und Verlag in Leipzig. 

Gesucht wird 

Merzdorf, Verzeichnis sänmitiicher Ordens¬ 
brüder der strikten Observanz. Hamburg1846. 

Geföllige Offerten durch Br. Bruno Zechel in 
Leipzig erbeten. 

Soeben ist erschienen und direkt von mir zu 
beziehen: 

Bwchielit* 

der St. Johannis-Freimaurer-Loge 

Zur deutschen Redlichkeit 

im Oriente zu 

ISEJRLOJEilSr. 

Zum hundertjährigen Jubiläum dieser Bauhütte auf 
Grund der Akten und Protokolle verfasst von 

Br ^tthsld Ireyenberg Br Julias Bullhsf 

Mtliter Yom Stuhl. 11. Aufaehar. 

47j Bogen 8* -- Preis M. l, —. 
lioipaig, Dezember 1896. Bruno Zeeliel. 


Der Unterzeichnete richtet an die Ehrw. Brr Schriftfdiirer der St. Johannislogen 
die liöfliche Bitte, ihm mitznteilen, ob bei ihren Bauhütten noch EngbUnde oder diesen 
ähnliche Vereine bestehen. 

Die Bitte ergeht im besondern an diejenigen Logen des Schröderschen Systems, 
welche früher solche Engbünde aufznweisen hatten, und bezweckt eine Übersicht über 
diese Institute, wie über die ihnen verwandten Bestrebungen in deutschen Logen. 

Gef. Antworten, für welche den sie erteilenden Brrn schon im voraus der auf¬ 
richtigste Dank ausgesprochen wird, wolle man senden an den 

derz. Vorsitzenden, des Wissenschaft!. Engbundes der Loge Balduin z. Linde im Or. Leipzig 

Br Nitzsche, 

unter dessen prof. Adresse: B. Nitzsche, Leipzig, Turnerstrasse 23. 


auswärtigen Brr Abonnenten, welche mit der Zahlnng von M. 3,0ü 
für den laufenden Jahrgang noch im Rückstand sind, bitte ich um gefällige Ein¬ 
sendung des Betrages — der Porto-Ersparnis wegen eveutnell in Briefmarken. 

Leipzig, ira Dezember 1896. BPIinO Zochol, 

Buchdruckerei und Verlag* 


Bruck und Yerlug tou Br Bruno Zeohel in Leipsig. 


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