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CQotnell Unioeraitg Ctbtaty
^ftn Vork
FROM THE
BENNO LOEWY LIBRARY
COLLECTED BY
BENNO LOEWY
1894-1919
BEQUEATHED TO CORNELL UNIVER8ITY
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AM MEISSBRETTE.
HANDSCHRIFTLICHE MITTEILUNGEN
AUS DEN
UNABHÄNGIGEN LOGEN
MINERVA ZU DEN DREI PALMEN IN LEIPZIG,
BALDUIN ZUR LINDE IN LEIPZIG, ARCHIMEDES ZU DEN DREI REISSBRETERN IN ALTENBURG
ARCHIMEDES ZUM EWIGEN BUNDE IN GERA
UND KARL ZUM RAÜTENKRANZ IN HILDßURGHAUSEN
FÜR
BRR FREIMAURER-MEISTER
BEGRÜNDET VON BR MARBACH. FORTOEFÜHRT VON BR FUCHS.
SCHRIFTLEITER:
BR DR. A. GÜNDEL.
ORGAN DER GESCHÄFTSSTELLE FÜR DEN AUSTAUSCH DER LOGENLISTEN.
DREIUNDZWANZIGSTER JAHRGANG.
LEIPZIG
DRUCK UND VERLAG VON BR BRUNO ZECHEL.
1890.
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/f.
2i 7
INHALT.
Lehrlin^sloge: Lehrlings-Aufnahmeloge. — Die Wahrheit. — Bruder und Freund.
No. 8/9. — Über ein System frmrscher Ethik. No. 10. — Das maur. Urteil. — ln Ord¬
nung. No. 11.
(lesellenloge: Die Bedeutung der Bezeichnung „Gesell“. No. 3. — Der Zirkel.
No. 8/9.
Meisterloge: Zur Meisterbeförderung. No. 1. — Bedeutung und Symbol des
Meistergrades. No. 2. — Der Unsterblichkeit sgedanke in der Geschichte der alten
Völker. No. 4 u. 5. — Ansprache bei der Meisterbaförderung. No. 4. — Die Rütsel-
fragen der Sphinx. No. 6/7. — Wer ist ein Meister? No. 10. — Die Meisterreise.
No. 11. — Über die Sehnsucht nach dem Jenseits. No. 12.
Trauerloge: Über die Zufriedenheit. No. 6/7.
Stiftungsfestloge: Unsere Ideale. No. 6/7.
Enghund: Die Repräsentanten in den Logen. No. 1. — Philipp Samuel Rosa und
und das nach ihm benannte Kapitel. No. 2. — Trauerfeier für den f Vorsitzenden des
Engbundes Br. J. F. Fuchs. No. 3 u. 4. — Ludwig Börne als Freimaurer und Schrift¬
steller. No. 6/7. — Joh. H. Voss. No. 12.
Vermischtes: Zum neuen Jahr. No. 1. — Sinnsprüche. No. 1 u. 12. — Was
Vernunft und Herz uns lehren. No. 2. — Asträa — Trinkspruch auf die Schwestern.
No. 5. — Blätter und Blüten. No. 6/7. — Trinkspruch auf die Besuchenden. No. 10.
— Litterarisches. No. 6/7. 10. 12. — Zurufe Mbc. — Umfrage. No. 12.
Von der Geschäftsstelle fUr den Austausch der Logenlisten: No. 3. 10. 12.
Anzeigen: No. 2. 3. 4. 5. 6/7. 8'9. 10. 11. 12.
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Januar 1896.
23. Jahrgang.
Nr. 1.
Am Eeissbrete.
Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu
den drei Rei.'^sbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum
Rautenkranz in Hildburghausen.
Für Brr Freimaurer-Meistei’.
Begi-ündet von Br Oswald Marbach. Redigirt von Br J. F. Fuchs.
Dag Blatt wird rorzugsweiae Beitrüge bringen, die in den Logonversammlungeii eines der drei Grade gehalten worden sind,
sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten des Fr ei m a u r e ri sc h en C orr e sp o nd en z - B u re au’s. Allen an diesem
unter Leitung der Logo Balduin zur Linde gtehenden Institute betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt.
Einzelne Brr Meister, welche als solche sich legptimirt haben, kbnnon auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 3 Mark
abonniren und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur aufgenomraen,
wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgchühr Yon 25 Pfennigen für die gespaltene Potit-Zeilo.
Inhalt: Zum neuen Jahr. — ^ur Meisterbeförderung. — Die Repräsentanten ln den Logen. — Sinnsprach.
Znm neaen Jahr.
Ein Jahr entschwand, — wie eine leise Welle,
So zittern noch die letzten Klänge nach;
An eines neu erstandnen Jahres Schwelle
Stehn wir vereint am frohen Neujahrstag!
Euch Brüdern sei der erste Gruss geboten,
Den, wie gestaltet auch der Zeiten Flug,
Ob Glück ihm schien, ob heft’ge Stürme drohten«
Das treue Herz im tiefsten Innern trug:
Froh weilt das Aug* auf der geschlossnen Reihe,
Dem Bruderzirkel, der sich um uns schlingt:
0, dass er weiter blühe und gedeihe,
Und dass ihm jede edle That gelingt!
Erfüllt von hoch begeisterten Gedanken,
Trotzt er der wildbewegten Sturmesflut,
Dem Schiffe gleich, auf dessen festen Planken
Der Menschen Hoflfnung und Gedeihen ruht!
Nur eine Kette reiner Bruderliebe
Lasst Brüder uns im wahren Sinne sein,
Kein Zwist, kein trennender Gedanke trübe
Das hohe Ziel, den wir vereint uns weihn.
Für alle eine Liebe — unbekümmert,
Ob anders uueh der Bruder glaubt und denkt.
So wird der wahre Segensbau gezimmert,
Den keine Macht aus seinen Fugen lenkt.
So blühe fort vereintes Bruderstreben,
In diesem und in jedem neuen Jahr,
Des Glückes ganze Huld sei dir gegeben.
Und wahre Freude heut* und immerdar!
Br G. Meyer.
Zar MeisterbefSrderang.
Von Br F. Fuchs.
1. Ansprache. Meine lieben Brr Gesellen!
Sie sind heute erschienen, um auf die höchste
Stufe unserer k. K. befördert zu werden. Auf
eigentümliche Weise wurden Sie in den Meister¬
saal geführt, rückwärts, das Gesicht nach aussen
gewendet, traten Sie durch die Pforte ein.
Warum? Der Mensch kennt nur, was hinter
ihm liegt, die Zukunft ist seinen Augen ver¬
schlossen. Rückwärts sollen Sie schauen auf
die zurückgelegte Maurerbahn und das Gewissen
zum Richter nehmen, noch einmal sich prüfen,
ob Sie würdig gelebt und gestrebt, das zu
schauen, was Ihren Augen noch verborgen ist-
Das Zurückschauen in die Vergangenheit ist
ein Nachleben im Geiste, ein Klopfen an das
Menschenherz. Wie tönt dieses Klopfen an Ihr
Herz in dieser feierlichen Stunde, wo Sie die
Meisterstufe betreten wollen? Wir können Ihre
AnWort nicht hören, nur der A. B. d W.
hört sie. Wir können Sie nur auf Ihr Gewissen,
diesen unbestechlichen Richter verweisen, der
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das Bewusstsein der Schuld oder Unschuld prüft;
dämm wendeten wir Ihre Blicke rückwärts, um
sich noch einmal mit Ihrem Gewissen zu be¬
sprechen.
Noch eine Wanderung sollen Sie vornehmen,
die letzte, die Sie an das Ziel führt. Als
Lehrlinge wanderten Sie an der Hand treuer
Führer, Ihr Weg war unsicher, das sollte Ihnen
andeuten, dass der Weg durchs Leben mit vielen
Gefahren verbunden ist, treue Führer, die Sie
in Gott und Ihrem Gewissen finden, helfen Ihnen,
wenn Sie sich deren Führung überlassen, die¬
selben überwinden.
Als Gesellen wanderten Sie mit Freunden
eng verbunden dem Lichte im Osten zu, eine
fröhliche und heitere Wandemng; mit treuen
Freunden und Genossen ging Ihr Weg durchs
Leben. Nun noch eine Wandemng und dann
keine weiter. Finster und düster ist es um
Sie her, das Innere dieses Raumes ist Ihnen
noch verschlossen. Ihr Gesicht, nach aussen ge¬
wendet, wird auf ernste, ja für manchen schreck¬
liche Bilder gerichtet sein, Ihr Ohr wird ernste
Zurufe vernehmen. Aber schreiten Sie mit
gutem Gewissen den düstern Pfad; konnten Sie
ohne Gewissensbisse in Ihre Vergangenheit
blicken, so können Sie auch getrost diesen
letzten Gang unternehmen, dessen Ende Sie dem
Ziele alles Irdischen zuführen wird. Auf denn
zu dieser letzten Wanderung.
2. Ansprache. Sie sind am Ziele Ihrer
Wanderung. Vorbereitet waren Sie auf dieses
Ziel, die Ihnen entgegentretenden Bilder zeigten
es Ihnen; der dreifache Zuruf: „Gedenke des
Todes!“ mahnte er Sie nicht daran, dass uns
der Tod im Leben überall entgegen tritt, dass
wir uns ihm nicht entziehen können? Die
Schrecken des Todes überwinden lehrt uns die
Meistenschaft. Wenden Sie sich um, meine Brr,
und schauen Sie Ihr einstiges Loos!
Sie stehen vor einem S . . . ., dem Sinn¬
bilde des Todes und der Vernichtung. Wir
alle sind diesem Schicksale unterworfen. Unsere
ganze Erdenwallfahrt ist nur eine Wallfahrt zu
der Ruhe des Todes. Auch diese Ihre letzte
Wanderung im Maurerternpel, meine Brr, ist
nichts anderes als ein Bild des letzten Ganges
im Leben. Ernst ist der Tod, aber furchtbar
ist er nicht. Wir verfallen zwar dem dunklen
Loose des Todes, aber der Tod hält uns nicht.
Wir leben, um zu sterben, aber wir sterben, um
zu leben. Wir steigen hinab ins Grab, Staub
kehrt wieder zum Staube zurück, aber der Geist
schwingt sich empor in das Reich der Ver¬
klärung. Der Tod macht den Erden Wanderer
zu einem Bürger der freien Geisterwelt. All
unser Streben und Wandern ist eine Heimkehr
zum Vater; auch wir müssen dem grossen
Wanderzuge in die kalten Arme des Todes
folgen, aber das Geistige geht nicht unter und
die Liebe kennt keinen Tod. Der Tod nimmt
die Binde von den Augen, er führt durch Nacht
zum Licht!
Aber, meine Brr, wer ruhig in das dunkle
Grab schauen will, wer sicher schreiten will
über Sarg und Grab dem ewigen Osten zu, der
muss treu seine Pflicht als Mensch und Maurer
erfüllt haben, der muss die grosse Kunst des
Lejpens verstehen, seine Zeit weise zu benutzen
und würdig sich vorzubereiten zu der letzten
Pilgerfahrt. Das ist ein wahrhafter Meister der
Kunst des Lebens, der den Zweck des Lebens
und die treue Erfüllung seiner Pflicht stets vor
Augen hat; mit derselben Freudigkeit, mit der
er durch das Leben gewandert ist, mit derselben
Zuversicht, mit der er rückwärts geschaut hat
auf sein vergangenes Leben, wird er auch dem
letzten Ziele seines Eidenlebens entgegengehen.
Er weiss, der Führer, dessen Leitung er sich im
Leben überlassen hat, wird ihn sicher führen
auch in der schwersten Stunde, auch in der
schwersten Gefahr über Sarg und Grab in die
Wohnungen des Friedens und der Seligkeit.
Wollen Sie, meine Brr, den Weg Ihres
Lebens in treuer Erfüllung Ihrer Pflicht vollenden,
so schreiten Sie symbolisch durch die drei
Meisterschritte über Sarg und Grab dem
Osten zu.
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3
Aus dem Engbund.
Bepräsentanten in den Logen etc.
Von Br R. Nitzsche,
Mitglied der Loge Balduin zui* Linde.
Zur Wahl meines Themas ^frmrsche Re¬
präsentanten“ bin ich dadurch gekommen, dass
mich der Balduin gerade jetzt gewürdigt hat,
sein Repräsentant beim hiesigen Phönix zu sein;
wurde aus diesem Grunde mein Interesse dafür
erregt, etwas näheres über Zweck und Herkommen
der R. zu erfahren, so ist es vielleicht auch
nicht allzu gewagt, bei einem oder dem anderen
Br einige Geneigtheit zum Zuhören für meinen
Vortrag vorauszusetzen.
Schien mir die Behandlung • des Themas
anfänglich eine ungemein leichte und einfache,
so wurde ich doch alsbald belehrt, dass dies
keineswegs der Fall, ja, dass das Thema selbst
wahrscheinlich nur wenig dankbar sein würde.
Ist doch eine auch nur einigermassen eingehende
Behandlung des Themas ohne die Organisation
der Grosslogen zu berühren, gar nicht denkbar,
ja sind doch R. getrennt von den Gr.-L. eigent¬
lich gar nicht vorhanden.
Repräsentant ist der Vertreter einer Tochter-
löge bei der Gr.-L., unter der sie arbeitet; dass die
Gr.-L. aber im Wesentlichen aus der Repräsen¬
tation gebildet und zusammengesetzt werden,
werden wir später sehen.
Ich werde mich in dem ersten, die deutschen
Gr. LL. betreffenden Theile meiner Ausführungen
thunlichst beschränken, um im zweiten die
Repräsentantenverhältnisse unserer eigenen gel.
Loge, sowie des hiesigen Orients überhaupt, einer
kurzen Erörterung zu unterziehen.
Der BegriflP Repräsentant bedeutet, wie
schon bemerkt, im eigentlichen Sinne den Ver¬
treter und zwar den ,bevollmächtigten“ Vertreter
der Tochterloge bei der Gr.-L. Die älteste Gr.-L.
zu London bestand und wurde gebildet nach
ihrer ursprünglichen reinen Verfassung aus dem
Meister und den Vorstehern sämmtlicher ein-
registrirten Logen, mit dem Gr.-Mstr, dessen
Deputirten und den Gr.-Aufsehem an ihrer
Spitze.
Die Mehrheit jeder einzelnen versammelten
Loge, hiess es in den alten Verordnungen, hat
das Recht, ihrem Meister und ihren Vorstehern
Instructionen zu ertheilen, wie sie bei den
vierteljährlichen Versammlungen und der jährlichen
Gr.-L. stimmen sollen; „denn der Mstr. und die
Vorsteher sind ihre R. und haben deren An¬
sichten auszusprechen.“
Hieraus ergiebt sich zunächst, dass das,
was man heute R. nennt, nach der ältesten und
ursprünglichen Auffassung eigentlich nur die
Stellvertreter derselben sind, ferner geht aber
aus der Bestimmung klar hervor, dass die Gr.-L.
nichts anderes sein soll und auch nichts anderes
sein kann, als das Organ derGesammtheit der Logen.
Ich betone das ganz absichtlich, weil viele
Brr sich über das eigentliche Wesen einer Gr.-L.
durchaus unklare Vorstellungen machen.
Die so gegebene Verfassung für die erste
Gr.-L., welche demnach nur aus den durch ihr
Amt berufenen R. der Tochterlogen bestand,
kann man als das Ideal einer Gr.-L. betrachten.
Wieweit die älteren deutschen Gr.-LL. von
diesem Ideale abgewichen sind, und wieweit ihm
die jüngere wieder nahe zn kommen suchten,
denke ich bald zu zeigen.
Leider sollte es aber selbst der ersten Gr.-L.
nicht lange mäglich sein, diese so zweckmässige
Einrichtung voll aufrecht zu erhalten, die Gr.-L.
von London, welche ursprünglich nur aus den
Bauhütten in und um London bestand, gründete
bald Logen im ganzen Lande. Damit war es
unmöglich geworden, dass die berufenen Ver¬
treter regelmässig selbst zu den Gr.-L.-Versamm-
luugen erschienen und man gestattete deshalb
bald, „stellvertretende“ R. zu ernennen. Dass
in der Folge auch noch alle gewesenen Gross-
Beamten stimmberechtigte Mitglieder der Gr.-L.
wurden und man somit immer mehr vom ur¬
sprünglichen idealen Zustande abwich, soll nur
nebenbei erwähnt sein.
Für die heutige Betrachtung interessirt uns
ja weniger die weitere Entwicklung der Londoner
Gr.-L., als vielmehr unsere deutschen R.-Ver¬
hältnisse; dass es auch bei uns in Deutschland
ganz unvermeidbar ist, der R.-Frage näher zu
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treten, ohne die Zusammensetzung der Gr.-L.
zu erörtern, habe ich bereits oben gesagt.
Dabei ist es von vornherein auffallend,
dass, jemehr die deutschen Gr.-LL. von der
reinen altenglischen Frmrei abgekommen sind,
umsoweniger Bedeutung die R. für die Zu¬
sammensetzung und Regierung der Gr.-L. haben.
Sehen wir uns jetzt die einzelnen Gr.-LL.
etwas näher an:
Allen voran steht die Grosse National-
Mutterloge, gen. ,z. d. 3 Weltkugeln“ in Berlin,
welche a) aus der grossen Mutterl. im „engem“
Sinne und b) dem Directorium besteht. — Die
Gr. Mutterloge setzt sich zusammen aus ge¬
wählten Bm der höheren Grade der vier ver¬
einigten berliner Tochterl.; das Directorium bilden
sieben active Bn*, gleichfalls aus der Mutterl.
— Mitglieder der vereinigten berliner Tochterl.,
welche aber alle auf einer über den Mstrgrad
hinausgehenden Ordensstufe stehen müssen, sind
verbunden, bei erfolgter Wahl Repräsentaturen
der Johannislogen zu übernehmen, und haben
dann bei den Berathungen der Gr.-L (Mutterl.)
Sitz und Stimme.
Es ist also hiernach eine Vertretung der
Joh.-Logen durch R. aus eigner Mitte hier nicht
zugelassen, sondern eine solche nur möglich
durch Mitglieder höherer Grade aus der engem
Mutterl. Vermuthlich ist damit der Einfluss
der Joh.-L. und der Joh.-Frmr überhaupt auf
ein Minimum reduzirt, wenn nicht ganz aus¬
geschlossen.
Die 3 W. begründen die Bestimmung,
dass nur Brr höherer Grade zu R. ernannt
werden dürfen, damit, dass sie sagen:
„da es nötliig ist, dass ein Br, welcher
bei der Gesetzgebung eine entscheidende
Stimme haben will, in den höheren
Ordenskenntnissen nicht fremd sei.“
In den Mitgliederverzeichnissen der unter
dieser Gr.-L. arbeitenden Joh.-LL. ist der R.
allemal als erstes Ehrenmitglied aufgeführt;
es lässt sich wohl daraus schon ein Schluss
ziehen auf sein Verhältniss zu der durch ihn
vertretenen Loge,
Das Verfassungsgesetz der Gr. L-L. der
Frrar v. Deutschland besagt, dass die höchste
Ordensbehörde aus Bm der drei höchsten Grade
besteht, ohne deren Einwilligung die Gr. L-L.
nichts bestimmen kann. Die Tochterl. sind be¬
kanntlich unter besondere Provinziall. gestellt,
und letztere besitzen je einen R bei der Gr.-L.,
der zugleich die Stimmengebung für die einzelnen
LL. in seiner Hand hat, es aber soviel wie mög¬
lich vermeiden soll, für die von ihm vertretene
L. ohne die vorherige Einholung ihrer Meinung
eine Stimme abzugeben.
Die Tochterl. werden bei der hiernach un-
gemein be.schränkten R. wohl ebensowenig einen
Einfluss auf die Entschliessungen der Gr. LL.
ausüben können, wie bei den 3 W. — üebrigeiis
sind ja gerade die Verhältnisse der Gr. L-L. v.
D. dem Balduin s. Z. nahe angegangen, wie ich
später noch kurz erwähnen werde.
Das oberste „Regierungscollegium“ der
„Grossen Loge von Preussen gen. Royal Y'oi'k
zur Freundschaft* besteht aus den Gr.-Be-
amten, den R. der verbündeten Gr.-LL. und den
R. der zu ihrem Verein gehörigen Provinzial- und
unmittelbaren St. Joh -LL. und aus den Ehren¬
mitgliedern.
Die mittelbaren Joh.-LL., also solche, welche
unter einer Provinziall. stehen, haben ihre R.
nur bei letzterer und diese hat einen R. bei
der Gr.-L., welcher ähnlich wie bei der Gr. L-L.
V. D. die Stimme für jede durch ihn vertretene
Joh.-L. einzeln abgiebt, aber nur dann, wenn er
Instructionen hat.
Hier kommen also die R. wieder etwas
mehr zur Geltung.
Eine reiche Blüthenlese von R. ist es, welche
in der Grossen Loge von Hamburg Sitz und
Stimme haben.
Ausser den Gr.-Beamten wird diese Gr.-L.
gebildet:
1. aus den R. der enger verbundenen aus¬
wärtigen Gr.-LL.
2. den R. der Provinzialgrossmstr.
3. den R. der Tochterlogen.
4. den R. der Gr.-L. bei den auswärtigen
Gr.-LL.
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Ein schmerzlicher Verlust, dem wir bereits seit einiger Zeit mit Sorge
entgegensahen, hat uns betroffen.
Unser Sehr Ehrwürdiger und gel. Br.
Friedrich Fuchs,
Ehrenmeister und Archivar der Loge Balduin zur Linde
ist am 12. ds. Mts. — als der Satz der ersten, noch von ihm redigirten Nummer
der Zeitschrift „Am Reissbrete“ bereits fertig gestellt war — im fast vollendeten
fünfundsiebzigsten Lebensjahre nach längerer Kränklichkeit in den e. O. ein¬
gegangen. Der Frmrei und unserer Loge seit mehr als drei Jahrzehnten an¬
gehörend, blieb Br. Fuchs, dessen schlicht einfachem, still gefestigtem Sinn
jede Reformsucht fern lag, den hohen Zielen unseres Menschheitsbundes stets
mit grösster Treue zugethan und strebte ihnen in Loge und Leben nach; liebe¬
volles Wesen im brüderlichen Verkehr und strengste Wahrhaftigkeit der Ge¬
sinnung zierten seinen Charakter.
Als Inhaber der verschiedensten Logenämter, als langjähriger Vorsitzender
des bei der Loge bestehenden wissenschaftlichen Engbjundes, als Verfasser der
Logen-Geschichte, als Biograph Marbachs und anderer hervorragender früherer
Stuhlmeister und Logenmitglieder, als Archivar, der die wichtigen Schriftstücke
der Loge sorgfältig durchforschte und die Ergebnisse dieser Arbeiten in Folge
seiner Begabung für historische Darstellung den Brüdern in anschaulichen
Bildern aus der Vergangenheit vorfuhrte, hat er sich um unsere Loge hoch¬
verdient gemacht. Unsere Zeitschrift „Am Reissbrete“ verliert in ihm einen
langjährigen Freund und Berather, welcher ihr schon zu Lebzeiten ihres unver¬
gesslichen Begründers mit regem Interesse nahestand, nach dessen Hinscheiden ihr
Herausgeber wurde und sie seitdem ganz in Marbach'schem Geiste geleitet hat.
Trauernd mussten wir den treuen Bruder aus unserer Kette scheiden sehen,
aber unser Dankesgefiihl für sein unermüdliches maurerisches Wirken wird
nicht erlöschen und sein Andenken lebt in unserer Aller Herzen.
Leipzig, 15. Januar 1896.
Die Loge Balduin zur Linde.
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5. aus EhreDmitgliedern, zu welchen Brr
Mstr aller LL. ernannt werden können.
Abweichend von diesen älteren vier Gr. LL.
zeigen die drei jüngeren und der reorganisirte
„eklektische Bund“ eine wesentlich andere der
frühesten Einrichtung nahekomraende Zusammen¬
setzung.
Die Gr.-L. des Eklektischen Frmrbundes zu
Frankfurt a M. bildet sich aus dem von sämmt-
lichen Logen gewählten Grossmstr. und den R.
der Logen. Jede Loge wählt drei R., doch
steht es ihr frei, sich unmittelbar dui'ch den
Mstr V. St. vertreten zu lassen.
Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei
der Gr.-L. .zur Eintracht“ in Darmstadt, wo
jede Tochtevl. durch mindestens zwei R. ver¬
treten ist. Auch die Gross-Loge „zur Sonne“
in Bayreuth wird von einem Grossmstr., dessen
Deputirten und den R. der einzelnen Logen zu¬
sammengesetzt.
Eine nicht unwesentliche Abweichung von
den Bestimmungen der andern Gr. LL. besteht
darin, dass die Mitglieder der „Sonne“, also
die R., durch Instructionen angeleitet, aber
„nicht gebunden“ werden dürfen.
Bei anderen, wie Frankfurt und Sachsen,
ist dagegen extra gesagt, dass die „Vertreter“
sich genau nach den ertheilten Instructionen zu
richten haben.
Die Gr. L-L. von Sachsen besteht aus dem
Grossbeamtenrath und den Vertretern (R.) der
Bundeslogen. Dem Grossbeamtenrath liegt die
Ausführung der gefassten Beschlüsse, sowie die
Ausübung der Gerechtsame der Gr.-L. ob, wo¬
gegen die
„gesetzgebende Gewalt allein der Ge¬
samtheit der Vertreter der Bundeslogen
zusteht.“
Jede Bundesl. ernennt einen Vertreter und
einen Mitvertreter, seither R. und Co.-R. ge¬
nannt, bei der Gr. L-L.
Die Grossbeamten, Ehrenmitglieder und vor
allem auch die vier obersten Beamten der
Bundeslogen haben nur berathende Stimmen.
Es ist also eine directe Vertretung selbst durch
den Msti v. St. ausgeschlossen.
Trotzdem ist aber doch dafür gesorgt, dass
der Gesammtwille der Bundeslogen zur Geltung
kommt, dadurch, dass die R. nach den erhaltenen
Instructionen abstimmen müssen.
Somit ist unter allen Gr.-LL. bei der von
Sachsen die Bedeutung der R. am hervor-
tretendsten und damit kommt auch diese Gr.-L.
dem urspmnglichen Ideal am nächsten, aber auch
die andern drei vorhergenannteu lassen in ihrer
Zusammensetzung klar erkennen, dass sie mit
unwesentlichen Abweichungen alle den Grund¬
gedanken verfolgen, und erfüllen, dass die
Gr.-L. nichts anderes ist und sein soll, als
das „Organ der Gesammthcit der Tochter¬
logen“.
Für unsere R.-Betrachtung zerfallen die
deutschen Gr.-LL. in drei Gruppen, von denen
die vier letztgenannten die erste bilden; während
eine Mittelgruppe aus der Hamburger und
Royal-York besteht.
Einen abweichenden und ganz exceptionellen
Standpunkt nimmt die dritte Gruppe, 3 W. und
G. LL. V. D. ein, welcher durch Entstehung
und Tradition erklärlich wird. Das hier herr¬
schende Hochgradwesen dominirt, und die R.,
soweit solche überhaupt vorhanden, sind nahezu
einflusslos.
Meine verehrten Brr! Ich habe mich be¬
strebt, die R.-Verhältnisse der deutschen Gr.-LL.
kurz zu schildern, dabei aber doch wohl Ihre
Geduld schon zu lange missbraucht. Ich hoöe
jedoch, dass aus meinen Ausführungen erkennt¬
lich war, wie schwer es sein würde, eine weiter¬
gehende Einigung, als solche heute besteht, unter
den deutschen Gr.-LL. herbeizuführen. Immer¬
hin soll man aber dahingehende Hoflfnungen und
Bestrebungen nicht aufgeben; nannte doch ein
Schriftsteller, der mir übrigens eine wesentliche
Grundlage gewesen ist, im Jahre 1863 eine
Einrichtung, wie sie im jetzigen Grosslogentag
vorhanden ist, etwas, was auf das innigste zu
wünschen, aber unerreichbar sei. Nun, wir haben
jetzt diese Vereinigung der Gr.-LL., wir haben
auch den damals erstrebten Verein deutscher
Frmr, wamm sollte nicht eine fernere Zeit wieder
einmal eine günstigere Strömung bringen, welche
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auch die deutsche Frmrei zu einer national¬
einheitlicheren gestaltet.
Tn einem anderen Sinne als dem bis hier¬
her festgehaltenen spricht man von R. und Re¬
präsentation in Bezug auf das Verhältniss der
verschiedenen Gr. LL. untereinander. Es sind dies,
ähnlich den diplomatischen Gesandten, bei den
gegenseitig im R.-Verhältniss stehenden Gr.-LL.
beauftragte Mitglieder derselben, welche die
Correspondenzen und sonstigen Verkehr unter¬
einander vermitteln und Rechte wahren (Ham¬
burg) sollen. Sachsen nennt diese R. ,Gross¬
vertreter“.
Wie wir früher gesehen haben, werden zwei
Gr.-LL. und zwar die Hamburger und Royal York
sogar mit aus den R. der verbündeten Gr.-LL.
gebildet; entsprechend dem Gesetz der ersteren
„haben die R. der mit ihr enger ver¬
bundenen, auswärtigen Gr.-L. zur Beför¬
derung und Befestigung eines engeren
freundschaftlichen Verhältnisses bei allen
Verhandlungen volles Stimmrecht.“
Es wird diese Gr.-L. beim Schalfen dieser
Bestimmung bezw. Einrichtung ja sicher die
beste maur. Absicht geleitet haben, aber nichts¬
destoweniger widerspricht sie doch dem Wesen
der R.; was haben die R. der befreundeten
Gr.-L. in einer anderen Gr.-L. mit zu be-
schliessen!
Alle jüngeren und reorganisirten deutschen
Gr.-LL. sind denn auch, wie wir gesehen haben,
gänzlich davon abgekommen, den „Bericht¬
erstattern“ irgend welches Stimmrecht zuzuge¬
stehen.
R. im eigentlichen Sinne sind das also
nicht und in richtiger Erkenntniss hat unser
Balduin seine derartigen R., welche er bei den
befreundeten Gr.-LL. von Hamburg, Frankfurt,
Darmstadt und Dresden, sowie bei den uns
nahestehenden unabhängigen LL. ernennt, auch
in jüngster Zeit „Berichterstatter“ genannt.
Es soll hier eingefügt sein, dass auch die
Gr.-LL. von Frankfurt und Darmstadt die Be¬
zeichnung R. nicht mehr kennen, sondern nur
noch von „Vertretern“ und „Berichterstattern“
in ihren Gesetzbüchern sprechen, andere LL., wie
die Schwester-L. Minerva nennt letztere „Corre¬
spondenten“. Ebenso spricht auch die Gr.-L.
V. Sachsen in ihrem neuesten Grundgesetz vom
28. Nov. 1894 nur noch von „Vertretern“ resp.
„Grossvertretern*, doch hindert dies nicht daran,
dass, wie es auch bei uns Sitte ist, die alten
R. im Sprachgebrauch immer noch beibehalten
werden.
Die Gr.-L. Royal York hat auch wieder R.
bei den Provinziallogen, während die Gr.-L- zur
Sonne in Bayreuth bei jeder einzelnen Bundes¬
loge deren ernennt und ihnen den Titel „Bundes¬
repräsentanten“ beilegt. Diese Einrichtung
begegnet sehr wenig Sympathien und ist zu
Zeiten heftig angegriffen worden und wie mir
scheinen will, mit Recht. Dieser R. hat die
Aufgabe, den Beamtensilzungen der T.-L beizu¬
wohnen, über alles wichtige an die Gr.-L. Be¬
richt zu erstatten und — „Abweichungen vom
Gesetze zu melden“.
Die letztere Bestimmung war es, welche
öfters zu Missstimmungen Anlass gab. Ist man
doch soweit gegangen, diesen R. mit einem
Polizeiaufsichtsbeamten zu vergleichen.
Das bisher Gesagte genügt wohl, um über
die bei den Frmr-LL. vorhandenen R.-Verhältnisse
einen Ueberblick zu gew’ähren, den Gegenstand
erschöpfend behandeln zu wollen, lag gar nicht
in der Absicht. Es wird aber andererseits gern
zugegeben, dass hier und da ein kleiner In'thum
untergelaufen sein könnte, während sich in allem
wesentlichen die Darstellung mit den wirklichen
Verhältnissen decken wird.
Es sei nun noch gestattet, mit einigen
Sätzen die R.-Verhältnisse beim Balduin, sowie
im hiesigen Or. überhaupt zu erörtern.
Aus der vom S. E. Br Fuchs verffissten
Geschichte der L. Balduin z. L. ist leicht er¬
sichtlich und wohl auch jedem bekannt, dass
die L. in der ersten Zeit, als sie unter der
Gr. L-L. V. D. arbeitete, den Br v. Rothe in
Berlin zu ihrem R. hatte. Wir alle wissen,
dass das Verhältniss der Tochter zur Mutter
nur selten ein ungetrübtes war; der Br v. Rothe
wird deshalb wohl auch nicht viel Freude an
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7
seiner Stellung gehabt haben und dies mag der
Anlass gewesen sein, dass er dieselbe bald nieder¬
legte. Man half sich dann damit, die Unter¬
handlungen bis zum Ende direct zu führen.
Während der Zugehörigkeit des Balduin
zum sächsischen Logenbunde 1815—1824 war
Br Roch R. in Dresden. Es ist eine allseitig
bekannte Thatsache, dass auch dieses Zusammen¬
gehen nie ein recht freudiges und ungetrübtes
war. Die Verbindung trug von vornherein den
Todeskeira in sich und wurde nach oft scharfer
Auseinandersetzungen wieder gelöst.
Br Roch hat treu in seiner Stelluiig als
unser R. ausgehalten; lange hat er seine ver¬
mittelnden Dienste unserer L gewidmet, obgleich
gerade er erfahren musste, dass damals die Re-
präsentatur des Balduin mit einer Sinecure keine
Aehnlichkeit hatte. Dafür gebührt ihm noch
unser später Dank.
Heute ist die L. B. z. L. unabhängig, sie
arbeitet unter keiner Gr.-L., und deshalb kennen
wir auch R, im eigentlichen, eingangs ausge-
führtera Sinne nicht mehr. — Wie kommt es
aber dann, dass der B. doch sogenannte R. bei
der hiesigen Schw.-L. hat? Diese Frage ergiebt
sich von stdbst und drängt zur Beantwortung.
Nun, wenn es auch recht schwer sein wird,
an den heutigen, hiesigen R., oder wie wir jetzt
sagen „Vertretern“, den eigentlichen R.-Charakter
noch zu erkennen, so ändert das nichts daran,
dass der letztere ursprünglich doch vorhanden
war oder wenigstens vorhanden sein sollte. Ist
doch die Schaffung der ersten R. zwischen der
Schw.-L. Minerva z. d. ‘3 P. und B. z. L. auf
die beabsichtigte Gründung einer Gr.-L. zurück¬
zuführen.
Trn Jahre 1812 traten die damaligen drei
hiesigen LL. zu einer Besprechung und Beratung
über Gründung einer Gr.-L. im hiesigen Or. zu¬
sammen. Die Verhandlungen zogen sich jedoch
etwas in die Länge und geriethen schliesslich
ins Stocken als die Minerva als „Stamm- und
Mutterl. „den Anspruch der Suprematie über die
beiden Schw.-L. erhob. — Apollo zog sich
hierauf etwas verstimmt zurück und schloss
sich der Gr.-L. von Sachsen an; die Brr Minervas
näherten sich aber selbst bald wieder in br.
Weise und verzichteten auf jede Suprematie.
M. und B. setzten die Verhandlungen allein
fort und brachten 1820 einen Vertrag zu stände,
nach welchem beide Logen — »uni eine feste
und treue Vereinigung unter sich zu begründen“,
— einen Ausschuss unter dem Namen: „Ge-
sammtrath der vereinigten Logen Minerva z. d.
3 P. und Balduin z. Linde“ einsetzten.
In den Protokollen der Schw.-L. Minerva
ist hierüber folgendes zu finden:
„Conferenz zwischen den Deputirten der
Logen M. z. d. 3 P. und B. z. L. vom
19. Dezbr. 1819.
„Der s. ehrw. Mstr v. St. Br Mahlmann
eröffnet die Sitzung und theilt mit, dass
die L. M. z. d. 3 P. zu einem Separat¬
verein mit der L. B. z. L. geneigt und
entschlossen sei. Man zeigte sich von
beiden Seiten hierzu geneigt, und wünschte
eine noch engere Vereinigung und be¬
gründete eine Maurerbehöidc unter dem
Namen:
Gesammtrath der L. M. z. d. 3 P. und
B. z. L. in Leipzig.
Dieselbe besteht aus 18 Mitgliedern und
ernennt zu den allgemeinen Versammlungen
und Conterenzen der Logen Repräsen¬
tanten aus seiner Mitte.“
In der zweiten Sitzung am 16. Febr. 1820
wird festgesetzt, dass der R. in der L. einen
ausgezeichneten Platz, den ersten in der Reihe
rechter Hand, angewiesen erhalte, und jedesmal
auf seine Gegenwart im Protokoll hingewiesen
werde.
Der § 11 des Vertrages lautet folgender-
massen:
„üeberdies sollen seiten jeder L. Brr
Meister ernannt werden, welche ihre L.
bei den öffentlichen Arbeiten der anderen
repräsentiren. Sollten indessen auch
zu den Conferenzen R. eingeladen werden,
was lediglich von dem Gutbefinden der
Logen abhängt, so können diese nur aus
den Mitgliedern des Gesaramtrathes ent¬
nommen werden.“
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8
Die Protokolle unserer Loge hierüber lagen
mir nicht vor, doch sind dieselben hiermit
sicher übereinstimmend, wenn nicht gleichlautend,
wie aus Br. Fuchs Mittheilungen hervorgeht.
Dass dieser Br den „Gesammtrath* aus 20 Mit¬
gliedern bestehen lässt, während vorstehendes
Protokoll nur 18 Mitglieder bestimmt, schliesst
eine wesentliche Abweichung nicht in sich.
Von diesem Gesammtrathe hat man nicht
viel mehr gehört, er scheint nicht lange bestanden
zu haben; übrig geblieben sind aber von jener
„engeren Vereinigung“ die R., welche heute
noch von der Minerva beim Balduin und um¬
gekehrt w'eilen.
Die historische Grundlage für das Repräsen-
tationsverhältniss zwischen den zwei ältesten
hiesigen LL., sowie der R. im hiesigen Or. über¬
haupt, ist damit gegeben.
Mit der L. Apollo wurde auf Wunsch
dieser L. das R.-Verhältniss vor einigen Jahren,
zuerst von Minerva, dann von Balduin angebahnt,
und in jüngster Zeit sind Apollo und B. auch
mit dem jungen Phoenix durch R. in ein „engeres
freundschaftliches Verhältniss“ getreten.
Soviel über das „Herkommen“ der R. im
hiesigen Or., damit dürfte der Gegenstand auch
erschöpft und genügend klar gestellt sein.
Denklich war es nicht ganz ohne Interesse für
Sie, meine Brr.
Uebrig bleibt nun vielleicht noch die Frage
nach dem Zwecke der hiesigen R., da doch eine
Gr.-L., bei der die Interessen der T. L. wahr¬
zunehmen wären, nicht vorhanden ist, nnd auch
die Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten,
die ja alle schriftlich besoigt werden, nicht in
Betracht kommt.
Eine bestimmte Antwort auf diese Frage
ist mir nirgends zu Theil geworden, der verehrte
Br Fuchs schreibt mir darauf: „Die Thätigkeit
eines R. (hier) kennen Sie ja aus eigner Er¬
fahrung“. Ich muss dazu bemerken, dass mir
als Thätigkeit der Brr R. immer nur deren
beschauliche Tbeilnahme an den Arbeiten der
besuchten Bauhütte erschienen ist.
Unser Gesetzbuch sagt über diesen Punkt
nur: „Das Beamtencollegium ertheilt den R.
die Instruction“.
Es dürfte aber schon einige Zeit her sein,
als diese Instruction bei uns zum letzten Male
ertheilt worden ist, und soviel ich habe in Er¬
fahrung bringen können, geben auch die gel.
Schw. L. besondere Instructionen den BrrR. nicht.
Es erscheint aber auch erlässlich , dies zu
thun, ist doch der nächste Zweck der R, im
hies. Ori ein so naheliegender und selbstverständ¬
licher, dass er kaum erörtert zu werden braucht.
Er ist:
„die Aufrechterhaltung und Förderung der
br und maur. Beziehungen der LL. unter
und zu einander“.
In etwas abgeänderter Hamburger Fassung
könnte man den Zweck unserer R. auch so zum
Ausdruck bringen:
„die R. haben die Aufgabe, dazu bei¬
zutragen , ein engeres freundschaftliches
Verhältniss unter den liegen im hiesigen
Or. zu befördern und „zu befestigen“.
Ueber einen weiteren Zweck unserer R.,
der der sein könnte, einen geistig regeren Ver¬
kehr unter den LL. gegenseitig herzustellen, so
dass eine L. von den Arbeiten der anderen
directen Nutzen haben könnte, liess sich noch
so manches sagen, doch gehört dies nicht mehr
in den Rahmen meines Vortrages, den ich damit
schliesse, dass ich wünsche, die R. aller Arten
und Benennungen möchten allezeit vom Geiste
achter Brliebe ei füllt sein, damit sie, die ein
wichtiges Glied in der maur. Organisation bilden,
im Sinne der k. K., zu Nutzen und Frommen
der durch sie vertretenen Logen und zum Segen
der Frmrei überhaupt wirken.
Siiinspruch von Br W. Grallert.
Widriges giebt es gar viel auf der Welt,
Doch ist es nun einmal nicht anders bestellt.
Das Beste ist darum, sich willig drein fügen.
Denn sonst wirst du nimmer dir selber genügen.
Und immer den Kopf hübsch oben gehalten,
Da wird sich*s auch schon verträglich gestalten.
Druck «ud Verlag von Br 1'. runo Zechol in Leipzig.
Hierzu eine Beilage, das Hinscheiden des Br J. F. Fuchs betr.
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23. Jahrgang.
No. 2.
Am Eeissbrette.[E^“
Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum
Rautenkranz in Hildburghausen.
Für Brr Freimaurer-Meister.
Begründet von Br Marbach. Fortgeführt von Br Fuchs.
Schriftleiter: Br Dr. A. Gündel, Leipzig-Reudnitz.
Das Blatt wird vorzugsweise Beitrilgo bringen, die in den Logonversainnilungen eines der drei Grade
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich ziigeschickt. Einzelne Brr Meister, welche als
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 3 Mark abonniren
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf¬
genommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebiihr von
25 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile.
Inhiilt: Bedeatang und Symbol des Meiatergradet. — Philipp Samuel Rosa und das nach ihm benannte
Kapitel. — Was Vernunft und Her/, uns lehren. — Anaeige.
8bPiu. u. gel.
Noch ist die Kl^e über den Tod des unvergesslichen Br Marbach, des Begründers
dieses Blattes nicht verstummt, noch hat das Herz nicht so recht die jüngste Trauerkunde
verstehen wollen, die uns das Abscheiden des treuverdienten Br Fuchs, des zweiten
Herau.sgebers, meldete, da tritt schon an die fünf unabhängigen Logen die ernste Pflicht
heran, einen Nachfolger zu be.stimmcn, der das Werk der Vorgänger unverzüglich und
in deren Sinne und Geiste aufnehme und weiterführc.
Durch das Vertrauen der gel. Brr meiner Bauhütte „Balduin zur Linde“ und im Ein¬
verständnis mit den übrigen vier unabhängigen Logen bin ich dazu berufen worden. Aber
so sehr ich mich auf der einen Seite dadurch geehrt und der Brüderschaft zu Danke ver¬
pflichtet fühle, so sehr empfinde ich auf der andern die ganze Schwäche meines maur.
Wissens und Könnens. Nur die feste Zuversicht auf die teilweise schon zugesagte Unter¬
stützung durch ältere und erfahrnere Brr, sowie die Hoffnung auf die liebevolle Nachsicht
und Geduld der gel. Brr Leser lassen mich an die schwere Aufgabe mit Freuden gehen
und an dieser Stelle das Versprechen ablegen, nach bestem Wissen und Gewissen des mir
anvertraiiten Amtes warten zu wollen.
Nach wie vor soll das Blatt ganz spcciell der Meisterschaft unserer k. K. ge¬
widmet sein und daher namentlich Arbeiten des 2. und 3. Grades aus den gor. und vollk.
Frmrlogen bringen. Aus dem unversiegbaren Borne maur. Ethik und Geschichte schöpfend,
soll es der Erbauung und Belehrung dienen und entsprechende Vorträge, Reden und An-
.sprachen aus den einzelnen Logen, Plngbundsitzungen und dergl. einem weiteren Bruder-
kreisc zugänglich machen. Auf der Vergangenheit und Gegenwart fassend und die Zukunft
ins Auge fassend, möge es, ohne einseitig polemische Tendenzen zu verfolgen, Neues im
Lichte des Alten zu prüfen, Gutes zu erhalten und Unzulängliches zu wandeln suchen und
dadurch an seinem bescheidenen Teile zur P>kenntnis und Erfa.ssung des innersten Wesens
der Frmrei mit beitragen.
Mit brüderl. Grusse i. d. u. h. Z.
Leipzig, im P'ebruar 1896.
Br A. Gündel.
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Bedeatang nnd Symbol des Meister¬
grades.
Ansprache von Br Dr. Wittstock, Mstr v. St. der
Loge Balduin zur Linde in Leipzig.
Es ist ein bedeutsamer Schritt im Leben
des Frmrs, wenn er zum Mstr befördert wird
Fortan wird er keine Wandrung mehr vornehmen,
mit dem letzten entscheidenden Schlitte über
Sarg und Grab ist die Wandrung vollendet, das
Ziel erreicht, die letzte und höchste Stufe er¬
langt. Es giebt allerdings Logen, welche noch
höhre Grade haben, aber selbst in diesen wird
doch immer der Meistergrad für einen wichtigen
Wendepunkt, gleichsam für einen selbstverständ¬
lichen bestimmten Abschluss gehalten ; nicht
jeder Frmr tritt in die Hochgrade ein, aber der
Meistergrad ist für jeden Mr, und wie schon
im profanen Leben jeder Mensch vernünftiger
Weise in dem Fache, welches er ergriffen, nicht
ein Anfänger bleiben möchte, sondern nach
immer grösserer Vervollkommnung strebt, so
hegt auch jeder Frmr, der die Arbeit am rohen
Stein begonnen, den Wunsch, nicht auf halbem
Wege stehen zu bleiben, sondern Gesell und
Mstr zu werden. Wir sagen es uns ja so oft,
wie schwierig diese Aufgabe ist, wie wir als
Kinder der Unvollkommenheit auch als Mstr
immer noch Lehrlinge bleiben und wieviel über¬
haupt dazu gehört, wenn wir wirklich Mstr werden
wollen. Mstr werden wollen! jedes dieser drei
Wörter hat einen tiefen Gehalt. Ein Mstr ist,
wer Tüchtiges will und Treffliches schafft, wer
in dem Gebiete, welchem er sich ergeben. Vol¬
lendetes und Mustergültiges, das erreichbar
Höchste leistet, wer die Idee, welcher er dient
in ausdauernder formensichrer Arbeit zu vollen¬
deten Gebilden zu gestalten weiss. Wie der
Mstr durch die still wirkende Kraft des Vor¬
bildes die Gesellen und Lehrlinge beherrscht, so
sollen auch die Jünger der Kunst und der
Lebensweisheit im Anschauen des Meisterwerkes
sich zu gleicher That begeistert fühlen. Sind
auch alle Ziele, die der Mensch, doch eben nur
ein Sohn der Erde, sich stellt, an die Bedingungen
der Endlichkeit gewiesen, so zeigt sich doch
der Mstr gerade darin, dass er die Idee, die in
der Seele ihm leuchtet, geduldig in die realen
Verhältnisse hinarbeitet und nach den Be¬
dingungen des wirklichen Liebens formt und
bildet, dass er die Gesetze, die allgemein gütigen
wie die jedem irdischen Sein eigenthümlicben,
welche die Entwicklung auch seines Werkes
durchwalten und bestimmen, zu erkennen sucht
und in Demut und Treue beobachtet, ohne auf
die Stimme der Welt zu achten, wie lockend
sie in die Werkstatt hineinklingen möge, das
Auge nur auf das Kleinod gerichtet, um das er
wirbt. Und wenn wdr so nach der Meisterschaft
redlich ringen, so können wir auch den Idealen
der Kunst und des Lebens näher kommen und
endlich Meister werden. Dass wir werden, was
wir werden wollen, hängt von dem Gehalte
unsers Wollens ab. Wollen ist kein uniiihiges
Trachten, keine flüchtige Velleität, in plötzlicher
Lohe hervorbrechend und moigen zusammen¬
sinkend in der eignen Asche, heute begeistert
für die tiefen, deulungsvollen Lehren der königl.
Kunst und dann nachlasseiid und gleichgültig
dagegen werdend; nein, das Wollen des Mannes
ist ohne Wandel und ohne Wechsel, von der
gleichmässigen Energie des Charakters getragen,
von Hindernissen nicht gelähmt, aus der selbst¬
gewissen Persönlichkeit entspringend, stets seines
Resultates sicher. Mstr werden wollen! Ist
dieser Entschluss unsers Wollens ein fester, in
treuer Arbeit ausdauernder, so ist auch die Hoff¬
nung des Werdens eine sichere.
Die Meisterbeförderung, sagte ich eingangs,
ist ein bedeutsamer Augenblick in der Laufbahn
des Frmrs, aber sie ist auch ein ernster Augen¬
blick. Schon die äussere Ausstattung der Loge,
wie das ganze Ritual des Meistergrades ist auf
eine ernste Stimmung berechnet. Das Charakte¬
ristische hierbei ist der Gedanke des Todes.
Während wir als Lehrlinge in das Leben ge¬
leitet wurden, als Gesellen durch das Leben
wandelten, wird uns in der Meisterloge gleich¬
sam der Weg aus dem Leben gezeigt. Finster¬
niss ist um uns her, düstere Bilder umgeben
uns, wir wandeln im Thale des Todes an Ge¬
rippen vorüber, vor jedem steht ein Bild dessen,
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was er selbst weiden muss, und wenn wir uns
umwenden, sehen wir unsern eignen Sarg. Das
also wäre das Ziel der frmrischen Wanderung?
Nachdem man uns als Lehrlinge aus der dunklen
Kammer des Lebens an die Pforte geführt, wo
den Suchenden des Lichtes die Binde von den
Augen fiel, nachdem wir im Gesellengrade in
den Spiegel der Selbsterkenntnis geschaut, führt
man uns im letzten Grade wieder in eine dunkle
Kammer, in die dunkle Kammer des Grabes. So
sind wir also immer die Suchenden geblieben und
was hat der Suchende endlieh gefunden? sein
Grab. Ja, meine Bn*, das ist der Weg aller Welt.
Der Meistergrad richtet an uns das Wort: Herr,
lehre mich, dass es ein Ende mit mir haben
muss und mein Leben ein Ziel hat und ich da¬
von muss. — So lange die Erde steht und
hoffende Jünglinge und wirkende Männer und
entblätterte Greise schaut, hat keiner gelebt, der
nicht der dunklen Nacht der Verwesung ent¬
gegenschritt. Natur und Geschichte und unser
eingnes Leben predigen uns täglich und aller
Orten von der Vergänglichkeit des Irdischen.
Wie rasch eilt der kurze Frühling des Jahres
vorüber, und wenn der Sommer die Früchte ge¬
reift, der Herbst sie eingesammelt, hüllt lange
Monate das Leichentnch des Winters die Fluren
wieder ein. Und wenn wir weite Reisen machen,
tritt nicht überall der Fuss des Wandrers auf
Gräber, mahnen nicht überall Ruinen und Trümmer
an die Asche entschwundener Geschlechter und
Völker und ihre verklungene Grösse? Die Welt
ist ein weiter Gottesacker mit verwitterten
Kreuzen, zerbrochnen Monumenten und einge¬
sunkenen Gräbern. Und wir selbst, in dieses
gemeinsame Loos des irdischen verflochten, sind
wir mehr als der Schatten der Wolke, der über
die Wiese fährt, mehr als die eilende Woge,
die kaum zum Berge emporgehoben, in die Tiefe
des Meeres hinabsinkt. Wer von uns, meine
Bn*, hat nicht schon in seiner Familie an einem
Sarge gestanden, vielleicht schon in der Jugend
am Sarge des Vaters oder der Mutter, und das
verwaiste Kind der Wittwe empfand jammernd
und wehklagend die Schauer des Todes. Oder
ein andrer sah erschüttert, mit thränenfeuchtem
Auge die teure Leiche eines lieben Kindes im
blassen Schmucke des Sarges vor sich liegen
und es war ihm, als würde ein Stück seines
eignen Lebens mit in die Gruft gesenkt. Ach,
mitten ini Frühlingswehen hat die kalte Hand
des Todes die Blüte gebrochen. Und wer
birgt uns dafür, dass der Keim des Todes, der
in uns allen schlummert, nicht seine Früchte
trägt, ehe das Jahr, das kaum begonnen, zu
seinem Ende sich neigt?
Aber, meine 1. Brr, wenn die Meisterlogc
durch den Blick in das offene Grab uns vor die
Seele führt, dass wir alle mitten im Leben vom
Tod umfangen sind, so ist jedoch damit das
Symbol des Meistergrados noch nicht erschöpft.
Denn, wie der Frmr gewohnt ist, überall in
Natur und Leben die Gleichnisse göttlicher Ge¬
danken und ewiger Wahrheiten zu schauen, so
sind auch die Bilder dieses Grades nur Formen
die aus dem nächtlichen Dunkel zum Lichte sich
hervorarbeiten, mit ahnungsreicben Knospen er¬
füllt und Gelübde und zugleich Hoffnungen in
sich tragend. Sind wir nicht durch die fünf
Punkte der Meisterschaft aus dem Grabe er¬
hoben worden und also wieder auferstanden?
Hafien wir nicht sterben gelernt, um zu erwachen,
zu erwachen zu einem neuen Leben? Wir wurden
Hirams lebendiger Sohn, sein Nachfolger. Unser
Hoffnungen und unsere Aussichten deutet diese
symbolische Handlung an. Statt des Erschlagenen
wird ein Lebender aufgehoben. Es wäre ein
trübselig Ding um das Leben des Menschen auf
dieser Erde, wenn der Sarg, um den wir standen,
nichts andres zu uns gesprochen hätte, als das
schauerliche Wort von der Vernichtung alles
Lebendigen, wenn die Verwesung des Grabes
uns nicht zugleich hinwiese auf das, was un¬
vergänglich und unverweslich ist, wenn der Ge¬
danke des Todes nicht gerade durch seine düsteren
Schrecken uns mahnte, nach dem, was bleibend
und was ewig ist zu trachten. Ist es doch eine
ebenso köstliche wie trostreiche Wahrheit, dass
wir schon inmitten dieser Zeitlichkeit, schon
unter den Strahlen der irdischen Sonne das
ewige Leben ergreifen können? Denn wer in
allem, was er thut und leidet, die Gedanken
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und die Aufgaben des allmächtigen B. a. W. zu
erkennen und zu lösen trachtet, wer in seinen
Werken nicht sich und seine Ehre sucht, sondern
dass er das Reich Gottes auf Erden baue, wer
auch die irdischen Güter schuldlos und rein
geniesst, der hat schon hienieden im Glauben
das Leben begonnen, dessen er in Ewigkeit sich
freuen wird, der ist ein Kind Gottes, in ihm
lebt Gott, er lebt im Sohne, das Göttliche in
ihm ist lebendig, wenn auch das Irdische dahin
sinkt, wenn die Haut das Fleisch und das Fleisch
das Bein verlässt. Wir wissen, der Herr wird
uns aufrichten, und mit dieser Gewissheit sind
wir über alle Schrecken des Todes hinaus. Wir
haben im Meistergrade sterben gelernt. Die
Schrecken des Todes sind überwunden, wir
haben gelernt, ihm fest ins Angesicht zu
schauen und
Wer dem Tod ins Angesicht schauen kann,
Der allein ist ein freier Mann.
Das ist das Meisterstück des Lebens und
so wollen wir denn, meine 1. Brr, in der Freiheit
der Kinder Gottes getrost unsern Weg durch
das Erdenleben weitergehen und immer nach
den Meistertugenden ringen, nach Reinheit des
Herzens, Wahrheit in Worten, unermüdetem
Eifer im Streben nach Guten), Grösse der Seele,
bis der grosse Weltenmeister, der die Menschen
lasset sterben und spricht^: „ Kommt wieder
Menschenkinder“ uns den Weg in die ewigen
Hütten weist, um die höchste Meisterschaft zu
empfangen, die Weihe der ewigen Heimat, die
des Mrs sinnige Sprache den ewigen Osten nennt.
Aus dem Engbund.
Philipp Samuel Rosa und das nach
ihm benannte Kapitel.
Von Br F. Fuchs f-
Als ich, meine Brr, vor einiger Zeit über
Bahrdt und die Deutsche Union der XXII be¬
richtete, wurde der Wunsch laut, ähnliche Vor¬
träge über die Stifter und Verbreiter von maur.
Hochgradsystemen etc. zu hören; man meinte, die
Brr erhielten in dem Wirrwarr der Geschichte
des Hochgradwes^^ns im vorigen Jahrhundert am
ersten ein klares Bild, wenn dieselbe an einzelne
Persönlichkeiten geknüpft iwürde. Es wurden
u. a. Schubart von Kleefeld, Stark, Johnson,
Rosa genannt. Ich kann der angeführten An¬
sicht nur beistimmen, habe auch früher bereits
an von Hund die Geschichte der strikten Ob¬
servanz an ge knüpft.
Für meinen heutigen ^Vortrag habe ich Rosa
und das nach ihm benannte Kapitel gewählt
darum, weil derselbe seine Thätigkeit hauptsäch¬
lich in unserer Nachbarstadt Halle trieb.
Philipp Samuel Rosa stammte aus dem
früheren Fürstentum Isenburg, im heutigen Hessen
gelegen, llber sein Geburtsjahr, seine Kindheit
und Studienzeit sind keine Nachrichten vorhan¬
den. Dass er sich der Theologie gewidmet hatte,
geht daraus hervor, dass er 1737 als Konsisto-
rialrat, Superintendent und Oberpfarrer zu St. Jakob
in Köthen eingeführt wurde. Vorher scheint er
ein geistliches Amt in Wittgenstein bekleidet zu
haben, denn hier wurde sein ältester Sohn ge¬
boren, der später in Halle Medizin studierte und
sich als Arzt in Danzig niederliess.
Unser Rosa wird als liebenswürdig und
gewandt im Umgänge geschildert, er war ein
guter Gesellschafter und erwarb sich leicht die
Zuneigung seiner Umgebung. Auch fehlte es
ihm nicht an wissenschaftlicher Bildung, davon
zeugt schon, dass man ihm ein so wichtiges
geistliches Amt anvertraute. Aber nicht lange
blieb er in demselben. Wegen seines höchst
anstössigen Umgangs mit einer Witwe Hankwitz
wurde er, der selbst Frau und Kinder hatte,
schon in seinem ersten Amtsjahre in Köthen
suspendiert. Seine Familie liess er in Köthen
zurück, er selbst aber begann ein Vagabunden¬
leben, bei welchem er die Sucht seiner Zeit¬
genossen nach geheimen Wissenschaften und
Künsten schlau zu benutzen und auszubeuten
verstand. Als diis fruchtbarste Feld dafür sah
er die damalige Frmrei mit ihren vielen Ver¬
irrungen an, die er noch zu vermehren und für
seine Zwecke geschickt zu benutzen verstand.
Er liess sich in die Loge Zu dei^ drei Welt¬
kugeln in Berlin aufnehmen — wann, lässt sich
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nicht nachweisen, es scheint nach einem Briefe
von ihm 1742 gewesen zu sein. Jedenfalls
kannte man dort sein Vorleben nicht, sonst würde
man wohl difficiler bei seiner Aufnahme gewesen
sein. Er nahm seinen Aufenthalt in Halle und
erlangte hier als Mitglied der Berliner Loge in
der zu Halle 1743 errichteten Loge Zu den
drei goldenen Schlüsseln leicht Eintritt und Auf¬
nahme. — (Beiläufig bemerkt, vereinigte sich
diese Loge mit der 1765 nach dem System der
strikten Observanz konstituierten, noch jetzt be¬
stehenden Ijoge Zu den drei Degen, die darum
ihr Logenaltcr von 1743 an rechnet und so im
Jahre 1893 das 150 jährige Bestehen feiern
konnte.) —
Rosa machte sich aber hier bald sehr miss¬
liebig; seinen liederlichen Lebenswandel setzte
er fort; die gotteslästerlichen Reden des ehe¬
maligen Theolögen, die lügenhaften Ausplaude¬
reien der Logenverhandlungen, die prahlerischen
Anmassungen — er wollte eben als eine Grösse
anerkannt sein — überstiegen alle Grenzen und
die Brr wussten nicht, wie sie den schlimmen
Br abschütteln sollten. Die Loge wendete sich
nach Berlin, Bi'aunschweig und Hamburg wegen
der Exklusion eines ganz unwürdigen Brs. Ara
9. August 1745 wurde über seine Ausschliessung
abgestimmt und — wie es im Protokoll heisst
— „sein Angedenken aus unserer gerechten
Vei*8ammlung und bei allen Frmrn vertilgt“. —
Doch scheint es mit dieser „Vertilgung“ nicht
weit her gewesen zu sein, denn schon 1746
hatte er wieder Eingang in Braunschweig ge-
lünden; dort hatte er schriftlich viel Nachteiliges
über die Hallische Loge mitgeteilt — vielleicht
manches Wahre, aber noch viel mehr Unwahres
— die Hallenser fanden es nämlich für nötig,
sich ausführlich zu rechtfertigen. Auch soll
Rosa in Halle eine Winkelloge errichtet und
namentlich Studenten in derselben aufgenommen
haben. In den nächsten Jahren ist über seinen
Aufenthalt und sein Treiben wenig bekannt ge¬
worden. 1754 soll er in Potsdam gewesen sein;
hier hatte er den Geheimen Kämmerer Fredersdorf
für sein neues Verfahren, aus Samenstaub Gold
zu machen, gewonnen. Als dieser aber zu den
abenteuerlichen Versuchen kein Geld mehr her¬
geben wollte, musste Rosa Schulden halber
Potsdam verlassen. —
Da bot sich ihm eine neue ergiebige Er¬
werbsquelle in der Verbreitung der Clermont-
schen Hochgrade dar. ln einer Vorstadt von
Paris hatte der Chevalier de Bonneville den
24. November 1754 ein Kapitel von Hochgradon
gegründet. Seinen Namen hatte er von dem
College de Clermont, einem Jesuitenkloster in
Paris, von wo aus die Unternehmungen der
englischen Kronprätendenten aus dem Hause
Stuart Unterstützung gefunden hatten. In Frank¬
reich machte dieses Kapitel, welches vier Grade
über den drei Mrgraden hatte, keine grossen
Geschäfte: es wurde bald von andern, noch viel
mehr Grade zählenden Systemen — namentlich
den Rittern von Osten und Westen — verdrängt.
Durch einen französischen Kriegsgefangenen Mar¬
quis de Lernais wurde er nach Berlin gebracht.
Dort gewann er den Baron von Printzen, eine
Reihe von Jahren Grossmstr der Loge Zu den
3 Weltkugeln, für das Clermontsche System und
führte es mit dessen Hilfe in dieser Loge ein.
Printzen sah in Rosa eine geeignete Per¬
son, im Aufträge dieses Hochkapitels und der
Berliner Gr.-L. die Städte Norddeutschlands zu
bereisen, deren Logen unterwüi*fig zu machen
und neue Kapitel der Hochgrade bei ihnen zu
errichten. Rosa baute und beutete das neue
System, das man Ordo equester hierosolymitiinus,
Ritter von Jerusalem, nannte, aus, und er selber
wurde als Legat dieses Kapitels bevollmächtigt.
■Rosa teilte die Maximen und Regeln des
hohen Ordens als ein Heiligtum und streng zu
verschweigendes Geheimnis mit in einem in la¬
teinischer Sprache abgefassten Buche, das voll¬
ständige Kenntnis von allen sieben Graden gab.
Wie schon bemerkt, hatte das System, in
Deutschland Rosaisches System oder Kapitel ge¬
nannt, über den drei Johannisgraden vier Hoch¬
grade. Der erste war der sogenannte Schotten-
grad. Er gründet sich auf folgende Überliefe¬
rung: Nach dem Tode Hiram Abifs forderte
Salomo, um seinem Freunde die gebührende Ehre
zu erweisen, den Grossinspektor Adoniram auf.
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Anstalten zu seinem Begräbniss zu machen.
Dieser errichtete ein prächtiges Grab mit einem
Obelisken von weissem und schwarzem Marmor.
Der Eingang zu dem Grabe war zwischen zwei
Säulen, die einen von drei Kreisen umgebenen
viereckigen Stein mit dem Buchstaben J tmgen.
Das Herz des Geschiedenen wurde in eine goldene
Urne gelegt und auf die Spitze des Obelisken
gestellt. Drei Tage nach dem Begräbnis be¬
suchte Salomo das Grab und verrichtete daselbst
in Gegenwart der Bit ein Gebet, worauf er,
Augen und Hände zum Himmel erhoben, aus¬
rief: „Es ist vollendet!“ Die Mitglieder dieses
Grades hatten sich mit philosophischen und
chemischen Wissenschaften zu beschäftigen.
Der zweite Hochgrad dieses Systems war
der maitre 41u oder der Auserwählte. In
diesem Grade ist die Loge ein Zimmer in Salo¬
mos Palast; der Vorsitzende, magister prior ge¬
nannt, sitzt auf dem Salomonischen Thron und
hat ein Zepter in der Hand. Die Glieder dieses
Grades haben sich mit höheren himmlischen
Wissenschaften zu beschäftigen: Astronomie
Astrologie, Geometrie etc. Nach der Ordenssage
sind neun schottische Ritter unter Anführung
eines Unbekannten von Salomo ausgeschickt,
einen der Mörder Hirams, dessen Aufenthalt
jener wusste, aufzusuchen und wo möglich le¬
bendig gefangen zu nehmen. Einer der Suchen¬
den findet ihn in einer Höhle, tödtet ihn mit
dessen eigenem Dolche und bringt den Kopf
dem Könige. Ihm wird die Übereilung ver¬
ziehen. Diese Geschichte muss der Aspirant aus¬
führen, daher ist das Erkennungswort necum (?):
Rache. —r Die Mitglieder dieses Grades sollen
in den Kreuzzügen Wunder der Tapferkeit ge-
than haben, besonders in Beschützung der Pilger
und sollen dafür die Würde der Adlerritter
bekommen haben.
Im dritten Grad, dem capitulum illustre
hatte der Aspirant an einem der Mörder Hirams,
der längst tot in einem gemauerten Gefängnis
in Verwesung lag, Rache zu nehmen, ihm
den Kopf abzuschneiden und den Leib in vier
Theile zu zerlegen. Diese Ritter sollen als
Ritter des heiligen Grabes in alten Zeiten
besonders Christi Grab zu bewachen gehabt
haben.
Der vierte Grad endlich, das capitulum
sublime, nennt den Ritter den Ritter Gottes,
und er geniesst als erhabenster verklärter Meister
den Lohn für seines Lebens Ai'beit und Tugend.
Seine Beschäftigung ist die Metaphysik, ein
Zweig der Philosophie, der über das Irdische
hinausgeht.
Solche Kapitel hat nun Rosa auch in ver¬
schiedenen Orten, wie in Jena, Magdeburg, Bay¬
reuth, Braunschweig, Hamburg, Halle und auch
bei unserer Schwesterloge Minerva in Leipzig
erlichtet. Wie lange letzteres bestanden hat,
ist mir nicht bekannt — doch jedenfalls nur
kurze Zeit, da überhaupt das System Rosas sehr
bald von dem Hundschen System der strikten
Observanz verdrängt wurde.
Seine Thätigkeit führte Rosa auch nach
Halle, wo er von 1759 —1765 seinen festen
Wohnsitz genommen zu haben scheint. Hier
war 1756 wieder eine neue Loge Philadelphia
oder Zu den drei goldenen Armen entstanden,
die vorzugsweise aus jüngeren, dem Gelehrten¬
stande angehörigen Mitgliedern bestand. In dieser
Loge erscheint Rosa am 17. September 1759
als besuchender Br, bereits am 1, Oktober wurde
er als ordentliches Mitglied aufgenommen und
wusste durch sein einnehmendes Wesen die Brr
so zu gewinnen, dass er als deputierter Mstr
die Leitung der Loge in die Hand nehmen und
deren Arbeiten in seinem Hause abhalten durfte.
Ehe er 1760 noch förmlich gewählt war, ge-
rierte er sich bereits als Mstr v. St. Es ist
anzuerkennen, dass er in diesem Amte für Ord¬
nung gesorgt hat: die Versammlungen wurden
regelmässig gehalten, pünktlich begonnen und
angemessene Vorträge gehalten, so dass die
Logen immer zahlreich besucht waren. Aber
seine Stellung zu den Kapiteln der Hochgrade
brachte ihn nicht nur mit der eigenen Loge,
sondern auch in Sachen der Hochgrade selbst
in Verwirrungen und Unannehmlichkeiten.
Im Jahre 1763 trat unter vielen hohen
Titeln, wie Friedrich, Ritter vom grossen Löwen,
Grossprior des hohen Ordens der Tempelherren
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zu Jerusalem, Senior des hohen Rates etc, ein
unverschämter Betrüger auf; er führte den Na¬
men Johnson, auch I^eucht und Becker und soll
ein Jude gewesen sein. Er gab sich für einen
Abgesandten der geheimen Obern des wahren
Tempelherrenordens aus, der den Auftrag habe,
diesen Orden in Deutschland zu erneueni. Er
enichtete und erneuei*te die Hochkapitel, nahm
Novizen und Ritter auf, schrieb an alle Kapitel
und Logen von Deutschland, meldete ihnen seinen
Auftrag und forderte auf, Deputierte und hoch¬
gestellte Beamte zur Belehrung und Unterweisung
nach Jena zu schicken Dort trieb er damals
sein Wesen. Als Bedingung hatte er gestellt,
alle von andern Kapiteln, namentlich die von
Rosa ausgestellten Diplome und Papiere abzu¬
liefern, die dann vernichtet wurden. So wurde
das vom Berliner Hochkapitel gesandte Patent
unter Pauken- und Trompetenschall von den
dienenden Brn verbrannt und, weil sich das
Berliner Kapitel nicht unterwerfen wollte, wurde
es für exkludiert erklärt und den andern Ka¬
piteln in den gemeinsten Ausdrücken davon
Nachricht gegeben.
Uns ist es rein unbegreiflich, wie ein solch
fremder Mensch eine derartige Macht üben konnte,
der so vielen angesehenen Männeni das Geld
aus der Tasche gelockt hatte und der, als er
seine Mission nachweisen und seine vorgeblichen
Künste durch die That beweisen sollte, als
schändlicher Betrüger entlarvt, die Flucht er-
griflf. —
Auch Rosa wurde nach Jena gefordert, um
die Rechtmässigkeit seines, d. h. des Berliner
Hochkapitels zu beweisen. Johnson prüfte ihn
selbst und fand ihn sehr unwissend und stellte
das von ihm veiiretene Kapitel als unrecht¬
mässig dar. Rosa soll dies auch zugegeben
und zugleich versichert haben, er habe schon
längst sein Amt als legatus generalis aufgeben
wollen. In Halle stellte er dies alles, um dort
sein Ansehen zu erhalten, in Abrede und das
über seine Aussagen aufgenommene Protokoll
für falsch. Rosa hatte wohl schon längst er¬
kannt, dass das von ihm vertretene System auf
Schwindel beruhe, scheint aber dabei doch in
Johnson einen bedeutenden Mann zu finden, durch
den er zu neuem Ansehen und vor allem zu
neuen Einnahmen kommen könne. Er trat des¬
halb mit Johnson insgeheim in Verbindung und
suchte von ihm Konstitutionspatente für eine
neue Schotten- und eine neue Johannisloge in
Halle zu erlangen. Johnson schickte Abschriften
von den von Rosa erhaltenen Briefen nach Halle;
es wurden nun den so lange irre geleiteten Brn
endlich die Augen über ihres Mstrs betrügerisches
eigennütziges Treiben geöffnet. Dazu kam noch,
dass er durch seine Stellung zum Kapitel zu
vielen kostspieligen Reisen genötigt war, deren
Kosten die Logenkasse tragen musste. Die da¬
durch unter den Bm entstandene grosse Unzu¬
friedenheit brachte es 1763 dahin, dass er nicht
nur das Amt des Mstrs v. St. niederlegen musste,
sondern auch aus der Loge exkludiert wurde.
In einem von der Loge nach Berlin gerichteten
Schreiben heisst es: „Br Rosa, dessen Name
ehedem so beliebt unter den Brn gewesen, ist
jetzt ein Stein des Anstosses geworden. Sein
schändliches Leben, dessen abscheuliches Laster
selbst das Alter noch nicht stumpf gemacht hat,
seine Verwirrungen im Orden, die Unordnungen,
die er in der Kasse angerichtet, dienen sowohl
Profanen als den Brn zum Skandal. Selbst in
fremden Logen redet man von ihm als von einem
schändlichen Manne und man ist schon so weit
gegangen, uns den Zutritt zu versagen, wenn er
länger auf dem Stuhle würde geblieben sein.“
Rosa lebte noch einige Zeit in drückender
Armut in Halle, dann ist er verschollen; er soll
in Leyden in Holland gestorben sein.
Die Loge Philadelphia, an deren Spitze Rosa
gestanden und in die er sein System eingefübrt
hatte, wurde von der Berliner Gr.-L. für unecht
erklärt und verschwindet bald darauf von der
Bildfläche. Die Brr traten zum grössten Teil
in die 1765 gegründete -Loge Zu den 3 Degen
ein. Das Rosasche Kapitel war durch die John-
sonschen Wirren in seiner Nichtigkeit erkannt
oder auch nicht erkannt worden. Aber es hatte
dadurch den Todesstoss bekommen und machte
dem System der strikten Observanz Platz, zu
dessen Einführung Johnson trotz seiner Schwin-
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deleien ünd Betrügereien dem FreiheiTn von Hund
durch merkwürdige Verkettung der Umstände den
Weg gebahnt hatte.
Was Vernnnft nnd Herz uns lehren.
Von Br G. Fritzsche-Potschai)el f-
Was ist Wahrheit? — Die Pilatusfrage
Tönt auch noch herein in unsre Tage,
Denn bis heute blieb die Antwort aus.
Forschend steht die Menschheit vor dem Bilde,
Das die Gottheit weise ihr verhüllte,
Ob auch oft erfasst von Furcht und Graus. -
Wird doch, wenn die Jjeidenschaften wüten,
Tief erschüttert unsrer Seele Frieden,
Leicht das Herz erfüllt mit blindem Wahn.
Engbeschränkter Hirne Schreckgestalten,
Gleich der Schlange Ringe sich entfalten,
Fn die Glieder schlagend gift’gen Zahn.
Wehe, wer dann nicht durchs Licht von oben
Sich beruhigt fühlet und erhoben,
Mit Erfolg der Hyder sich erwehrt! —
0, so lasst uns, Brüder, darauf achten,
Und mit Fleiss jetzt einiges betrachten.
Was und wie Vernunft und Herz es lehrt! —
Rein und heilig, fremd den falschen Lüsten,
Liegt das Kind an Mutterbrüsten,
Und sein Auge lacht des Himmels Huld;
Wenn die bösen Stunden es bedrängen.
Wird der STiahl den Engelstittig sengen,
Nur der Erde Tochter ist die Schuld.
Mit der Tugend angebornem Frieden
Grüsst der Mensch, ein Halbgott, seine Welt;
Aus dem Reich der Schuld ist er geschieden,
Wenn der Erde Vorhang fällt.
Keine Schlange mit verwegenen Lehren,
Warf ein sündiges Begehren
In des Menschen unschuldsvolle Brust.
Die Bestimmung fordert die Beschwerde,
Die Versuchung ist das Los der Erde,
Und der Prüfstein ist der Reiz der Lu.st.
An der Probe soll er sich bewähren,
Durch Erkenntnis dringen an das Ziel,
Und zur Stärke soll er wiederkehren,
Wenn er durch die Schwäche fiel.
Seine Hülle schlägt mit lohen Flammen
Um Gefallene zusammen,
Einen Gott der Rache giebt es nicht.
Brennend in des eignen Busens Grunde,
Trägt der Sünder seines Frevels Wunde,
Seine Reue wird sein Weltgericht.
Wer der Tugend warnenden Genossen
Auf der Erde Stadien verschmäht.
Rückwärts steigt er auf der Menschheit Sprossen,
Und die Umkehr kommt zu spät.
W^eit voraus in seligeren Hohen
Schwebt des Bruders Flügel wehen.
Wenn er seines Wahnes Nacht durchbrach;
Unaufhaltsam, in der Himmel Wonnen,
'iVägt sein Flug von Sonne ihn zu Sonnen,
Und sein Fittig zuckt entkräftet nach;
Seine Qual ist ungestilltes Sehnen,
Des Erreichens Ziel und Ungeduld,
Und als Strafe tropft in heissen Thränen
Das Bewusstsein seiner Schuld.
Doch in diesem sehnsuchtsvollen Ringen
Trägt mit unsichtbaren Schwingen
Wachsend ihn der Gnade Himmelskraft,
Die ihn siegend durch der Trennung Weiten,
Tn das Morgenrot der Seligkeiten,
Mit der Hoffnung der Vergebung rafft;
Bis das volle Strahlenmcer ihn blendet,
Gott Er schaut in seiner Majestät,
Und der Seraph, glänzend und vollendet,
Vor dem Thron des Schr>pfers steht.
Verlag von Br Brono Zechel. Leipzig.
Agenda MB.
Ritual und Material für Bcfi»rderunga- und Unter-
richtslogen iiu Mstrgra^le von Br OswaUl Marbach.
Zweite, stark vermehrte Auflage. Manuskript nur
für Brr Frmr-Mstr.
Preis Mark 5.26, geb. Mark 6.25.
Die ehrw. u. gcl. Brr werden höfliehst
gebeten, bei Neubestellungen auf unsere Zeit¬
schrift sich nur der Adresse des
Br ZbcHbI , L e i p z i jr , Po.ststras.se i 2 ,
bedienen zu wollen.
Br A. GUndBl.
Druck nnd Verlag von Br Bruno Zechel in Leipzig.
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Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen
Minerva ju den drei Palmen in Leipzig, Balduin-zur Linde in Leipzig, Archimedes zu
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bande in Gera und Karl zum
Rautenkranz in Hildburghausen.
Für Brr Freimaurer-Meister.
Begründet von Br Marbach. Fortgefiihrt von Br Fuchs.
Schriftleiter: Br Dr. A. Gündel, Leipzig-Reudnitz.
Das Blatt wird vorzugsweise Beiträge bringen, die in den Logen Versammlungen eines der drei Grade
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Lo^ Balduin zur Linde stehenden
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Einzelne Brr Meister, welche als
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 3 Mark ahonniren
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf-
enommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgehühr von
5 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile. _
Inhalt: Die Bedeutung der Bezeichnung „Gesell“. — Trauerfeier für den f Yorsitaenden des Bngbnndes
Br Johann Friedrich Fuchs. — Mitteilungen. — Anzeige.
. Jahrgang.
No. 3.
Am ßeissbrette.
Die Bedentnng der Bezeichnnng
„Gesell“.
Von Br Robert Fischer in Gera.
Man hat nicht selten dem Gesellengrad jede
grössere Bedeutung abgesprochen, ihn nackt und
trocken und dürftig genannt. Verschiedene Be¬
arbeitungen hat er deshalb auch schon erfahren.
Am meisten liegt das wohl daran, dass zu wenig
in ihm gearbeitet wird, dass die Logen ihn mehr
oder weniger selbst vernachlässigen. Nur, was
man öfter und eindringlicher aufnimmt, gewinnt
eine tiefere Auffassung, ein besseres Verständnis.
So lange man daher nun einmal die drei Grade
besitzt und gelten lässt, müssen sie auch einen
unbestreitbaren Sinn haben. Sonst wäre es besser,
man gäbe sie ganz auf, wie das ja auch schon
verlangt worden ist.
Der Name allein schon giebt genügenden
Stoff zur Betrachtung des ganzen Grades. Bleibt
man bei der zunftmässigen Bedeutung stehen, so
sehen wir, dass der Gesell aus der Lehrlings¬
schaft herausgetreten, aber doch noch nicht in
seiner Kenntnis vollkommen ist. Er bedarf noch
einer weitern Abschleifung und Veredlung, Ver¬
zweigung und Innern Verbindung des gewonnenen
Materials, um Meister zu werden. Der Frmrgesell
ist zwar oder soll wenigstens in der Bearbeitung
seines inwendigen Menschen ei’probt worden sein,
man soll erkannt haben, dass er fleissig am Bau
gestanden und die Ecken des rohen Steines zu
entfernen versucht hat. Aber er hat noch mancher¬
lei zu lernen und darf so wenig seine Arbeit des
Lernens für abgeschlossen betrachten, als der
Handwerksgesell. Jeder hat in seinem Fach sich
weiter auszubilden und wird selbst als Meister
damit nicht fertig, da kein Handwerk still steht,
sondern durch die Verhältnisse beeinflusst vor¬
wärts schreitet So muss auch der Frmrgesell
sich überzeugt halten, dass ihm noch vieles fehlt
und die Zeit des Lernens, der Erkenntnis nie endet.
Wenn der Lehrling nur in Einer Werkstatt
gestanden hat, führt ihn die Gesellenzeit in andere
Arbeitsgebiete, um zu erproben, wie weit seine
Kenntnisse reichen und an andern Verhältnissen
diese zu erweitern, zu befestigen oder zu korri¬
gieren. So wird der Gesell auch als Frmr über
sein eignes Ich hinweg an andere gewiesen, um
sich und diese zu messen und im Verkehr mit
ihnen noch manches abzuschleifen und zu ver¬
bessern. Indem die zum Kubus geformten rohen
Steine aufeinander gestellt werden, muss sich
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zeigen, wie sie zueinander passen und ob sie die
ihnen zugewiesene Stellung richtig ausfüllen. Da
wird es gar oft noch Lücken geben; der Mörtel
der Liebe hat sie-zu beseitigen, damit harmonisch
die einzelnen Teile sich zum Ganzen gestalten.
Das führt zur Gemeinschaft, wo eines sich
zum andern gesellt. Auch das liegt in der Be¬
zeichnung. Die Wanderburschen finden sich in
der Fremde zusammen, und vereint setzen «ie
ihre Reise fort. Nur vereinte Steine geben einen
Bau; nur zusammengehörige Quader machen ein
schönes Gebäude. Deshalb findet die Gesellen¬
wanderung nur in Gemeinschaft, nie vereinzelt
statt. Es ist das der Typus des ganzen Grades.
Wenn Brr nicht miteinander in Verbindung treten,
gleichen sie den zerstreut liegenden Steinen, die
ihres Zweckes harren, nach Plan und Riss zu¬
sammengeschichtet zu werden. Ohne Gemein¬
schaftlichkeit, ohne Gesellschaftlichkeit ist auch
ein frmr Bau nicht denkbar und wertlos; ein
Konglomerat isolierter Menschen, die einander
fremd bleiben und sich nicht verstehen lernen,
infolge dessen aber auch Teile bleiben und nie zu
einem Ganzen sich gestalten.
Diese Gemeinschaft setzt schon bei den Wan¬
dergesellen, wenn auch nicht, ja am seltensten,
eine Fachgenossenschaft, wohl aber eine Strebens¬
und Gesinnungsgenossenschaft voraus; sonst wird
gar bald eine Trennung eintreten, die jeden seinen
eigenen Weg gehen lässt. Wir als Frmrgesellen
haben diese innere, geistige und seelische Ge¬
meinschaft schon von Haus aus, da wir uns als
Menschen zusammengefunden haben. Sie soll
während der Gesellenzeit befestigt und weiter
ausgebildet werden. Das bedingt einen gegen¬
seitigen Anschluss, zu dem die Loge mit ihren
Zusammenkünften die Veranlassung und Gelegen¬
heit bietet. An sie sind ganz vorzugsweise die
Brr Gesellen gewiesen. Sie zu pflegen, ist ihre
besondere Aufgabe.
Die Geselligkeit hat ihre natürlichen Freu¬
den, die schon in dem Geistes- und Herzensan¬
schluss verwandter Seelen liegen. Die rechte
Wanderschaft wird sie in jedem Fachgenossen
nähren. Sie findet im Frmrbund hervorragende
Stützpunkte, der doch nur dem Wahren, Guten
und Schönen huldigt und dem echten Idealismus
nachstrebt. Aus diesem Grunde erscheint der
heitere Charakter der Gesellenbeförderung vor¬
nehmlich geeignet, solche Anschauung zu erhöhen
und lebendig zu erhalten. Alle schönen Künste
dienen der Veredlung des Menschen und erfüllen
den nicht am Gewöhnlichen und irdisch Ver¬
gänglichen hängenden Menschea mit innerer Freude.
Sie zeigen sich uns hier in Musik und Gesang,
wie ja die Wanderburschen nicht minder ihre
fröhlichen Lieder haben.
Nur wer in sich selbst zufrieden, frisch und
fröhlich ist, wird die Lebenswege, die oft genug
über steinigen Boden gehen, leicht und sicher
und ohne Gefahr gehen. Ihn ficht nicht an,
was andere mürrisch macht; ein heiterer Sinn
ohne Leichtfertigkeit giebt Mut und Kraft zu
Überwindung von allerlei Hindernissen. Wie der
Wanderbursche so zur rechten Fachkunst sich
ausbildet, gelangt der Fi*mrgesell zur wahren
Lebenskunst und zur verständnisvollen Gemein¬
schaft mit der ihn umgebenden Menschheit.
Man meidet heutzutage in einer gewissen
Verblendung den alten und schönen Ausdruck
,Gesell“; und doch giebt es kaum einen, der
inhaltsreicher und bezeichnender wäre. Was ist
ein blosser „Gehilfe* dafür? Liegt in ihm ein
solch tiefer Sinn? Nicht mit Unrecht haben wir
in unserm Bunde den Namen beibehalten. Er
klingt so anheimelnd und erinnert an seinen alten
Glanz in bedeutungsvoller Zeit. Was ist „Ge¬
nosse“, der eigentlich doch nur mit uns ge¬
messen soll? Wahren wir die Gesellenschaft,
und möchten die neuen Brr Gesellen sich an ihr
auffrischen und um so mehr mit uns verwachsen
zu einer wahrhaft edlen Geselligkeit! —
Trauerfeier
fttr den fVorsitzenden des Engbundes
Br Johann Friedrich Fuchs.
Von
BrNitzsche, derz. Versitzender des Engbundes.
Meine verehrten Brr! Beinahe fünfzehn Jahre
lang war Br Fuchs der Leiter des Engbundes,
in 98 Sitzungen hat er selbst den Vorsitz ge-
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führt, die 100. Sitzung stand nabe bevor und
es würde ganz sicher die im engen Kreise an¬
geregte Idee, dem verehrten Br dabei eine Ehrung
zu bereiten, allseitig freudig begrüsst worden sein;
da trat der höhere Wille des a. B. a. W. da¬
zwischen. Unser Wille, unsere Hoffnungen mussten
verstummen und sich in Demut und Ergebenheit
beugen vor der unerforschliehen Weisheit des
Allgütigen.
Br Johann Friedrich Fuchs, der Ehrenmstr
der Loge Balduin zur Linde, wurde am 12. Januar
d. J. in den frühesten Morgenstunden abgerufen
zum höheren Lichte.
Ihnen allen, meine gel. Brr, wird es ein
inniges Herzensbedürfnis sein, dem geliebten Heim¬
gegangenen den heutigen Abend zu weihen, haben
wir doch alle ausnahmslos keine andern Gedanken,
als solche wehmütigen Schmerzes, inniger Trauer
um den unersetzlichen Verlust, den die Loge
B. z. L., den aber vor allem unser Engbund er¬
fahren hat, heute, wo wir zum ersten male den Stuhl
leer sehen, auf den man sich nur den Br Fuchs
denken konnte, heute, wo der E. B. verwaist
erscheint, verlassen von dem, der unzertrennlich
von ihm schien und der in seiner Person den
E. B. recht eigentlich verkörperte.
Vor wenigen Wochen noch haben wir, meine
gel. Brr, zum letztenmale die Nekrologe vernom¬
men, welche Mstr Fuchs denen weihte, die „ihre
Wanderung vollendet haben“. Heute hat er voll¬
endet, und ich will versuchen, sein reiches Lebens¬
bild, das ihn als Menschen und als Frmr zeigen
soll, an unserm geistigen Auge vorüberzuführen.
Es ist eine dankbare, ja beinahe eine be¬
neidenswerte Aufgabe, dem Br Fuchs diesen
Liebesdienst erweisen zu dürfen, ihm, der seiner¬
seits gegen 150 Nekrologe verfasst hat. Der
fleissige, nimmer rastende Br hat ganz allein da¬
mit schon eine hervorragende Arbeit geleistet,
was bespnders deutlich wird, wenn man berück-*
sichtigt, wie schwer es zuweilen gewesen sein
mag, jenen Brrn etwas liebevolles und doch ge¬
rechtes nachzurufen, die uns in der Loge leider
nur gar zu fremd geblieben waren; und mit welcher
Zartheit und Brüderlichkeit behandelte er dabei
jene bedauernswerten Brr, über welche den Richter¬
spruch dem höchsten Mstr vorweg zu nehmen,
die Menschen nur allnusehr geneigt sind.
Unser gel. Br hat es den Überlebenden leichter
gemacht, seinen Nekrolog zu verfassen, gleichsam,
als wollte er auch diese Arbeit noch selbst be¬
sorgen, hat er im voraussehenden Geiste in meh¬
reren Bändchen seine Lebensgeschichte niederge-
schriebon. War dieselbe zunächst auch nur für
seine Familie bestimmt, so ist es doch ganz
sicher in seinem Sinne, wenn daraus auch die
innigteilnehmenden Brr unserer Loge über seine
Lebensschicksale näheres erfahren.
Die jetzt folgende Darstellung seines pro¬
fanen Lebens ist diesen Aufzeichnungen, welche
mir von seiner Familie zur Verfügung gestellt
wurden, entnommen. Leider kann ich Ihnen heute
den reichen Inhalt nur in kurzen Umrissen und
nur auszugsweise geben.
Johann Friedrich Fuchs wurde am 8.Febr.
1821 zu Bergern, einem Wald- und Heidedorfe,
im Kreise Torgau, geboren. Sein Vater besass
zwar Haus und Feld, befand sich aber infolge
schwerer Unglücksfälle (Kriegsplünderung, Feuers¬
brunst u. dgl.) in dürftigen Verhältnissen; dazu
kam, dass er eine zahlreiche Familie zu ernähren
und den frühen Tod zweier Gattinnen zu beklagen
hatte. Der Knabe musste tüchtig bei den länd¬
lichen Arbeiten helfen und besonders das Vieh
hüten. Dadurch wurde der Grund zu einer tiefen
innigen Liebe zur Natur bei ihm gelegt, die ihn
bis in sein hohes Alter nicht verlassen und immer
frisch und jung erhalten hat. Sein mächtiger
Wissens- und Lesetrieb fand nur wenig Stoff,
ausser Bibel und Gesangbuch, die er fleissig las
und wodurch er eine Bibelkenntnis erhielt, die
erstaunlich war. Als besonders gütiges Geschick
pries er, dass der dortige Pfarrer Dr. Meyer ihn
unentgeltlich an einem Privatunterricht teilnehmen
Hess, der ihm eine Vorbildung gab, wie sie zur
Aufnahme in die mittleren Klassen eines Gym¬
nasiums erforderlich war. Doch bei der Mittel¬
losigkeit seines Vaters musste er von seinem
Lieblingswunsche, zu studieren, abstehen und er
entschloss sich, Lehrer zu werden.
Dürftig ausgestattet, mit einem halben Gul¬
den in der Tasche, der einzigen Mitgift aus dem
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vHterlichen Hause, kam er nach Zehren bei Meissen,
wo er in dem Hause des dortigen Kantors freund¬
liche Aufnahme fand. Obwohl ihm noch die
pädagogische Ausbildung fehlte, so musste der
16 jährige Jüngling doch bereits am 1. Okt.
1837 die Fühnang einer Klasse von 60 Schülern
übernehmen. Sein kinderfreundlicher Sinn, seine
Liebe zur erziehlichen Thätigkeit, sein ausge¬
zeichnetes Lehrtalent und namentlich seine le¬
bendige Darstellungsweise, sowie die Gabe des
guten Erzählens halfen ihm über die ersten
Schwierigkeiten hinweg und Hessen ihn bald die
Liebe seiner Schüler, wie die Achtung seines
Lehrers gewinnen. Wenn er auch von diesem
mancherlei Anregung und Anleitung empßng, so
hiess es doch für ihn: Hilf dir selbst! Durch
regen Fleiss und Ausdauer, namentlich auch in
der Musik, für die er zunächst wenig Anlage
und gar keine Vorbildung hatte, brachte er es
soweit, dass er die Lehrerprüfung in Dresden
mit Auszeichnung bestand.
Er übernahm zunächst ein Vikariat an der
Armenschule in Meissen und später in St. Afra,
wo er zum Teil mit sehr schwierigen Verhält¬
nissen zu kämpfen hatte, doch denselben voll¬
ständig gewachsen sich zeigte. Nachdem er den
Auswanderungkonsens von Preussen erhalten hatte,
übernahm er die Kirchschulstelle zu Weyda bei
Riesa, wo er aber trotz günstiger Verhältnisse
nicht lange blieb. Er siedelte 1843 nach Zöschau
bei Oschatz über, wo er sich noch in demselben
Jahre mit der ältesten Tochter des Dr. med.
Grellmann verlobte und bald darauf vermählte.
Zwar war sie an Hdischen Gütern arm, doch
wie er selbst in seinem „Leben“ sagt, reich an
Gütern des Herzens und des Geistes, und sie ist
ihm jederzeit eine liebe treue Gattin und den
Kindern eine rechte Mutter gewesen. Der glück¬
lichen Ehe entsprossen zwölf Kinder, von denen
jedoch elf, darunter mehrere hoffnungsvolle reich¬
begabte Söhne, frühzeitig starben. Diese schweren
Schicksalsschläge ertrug er mit bewunderungs¬
würdiger Fassung und Gottergebenheit; auch der
tiefste Schmerz vermochte ihn zwar zu beugen,
aber nicht zu Boden zu diücken.
Obwohl das Gehalt in Zöschau ein kärgliches
war, denn von den 200 Thalern Einkommen musste
er dem Emeritus 75 Thaler abgeben, so war doch
sein Leben hier ein ausserordentlich glückliches
und die hochgehenden sozialen und politischen
Wogen der vierziger Jahre konnten den stillen
seligen Frieden des Zöschauer Schulhauses in
keiner Weise stören. Jedoch die Sorge für seine
Familie nötigte ihn, sich eine bessere Stelle zu
suchen, die er auch 1849 in Wellerswalde bei
Oschatz fand. Mit dieser Stelle war der Genuss
eines Schullehens verbunden, das er selbst zu
bewirtschaften beschloss. Doch vernachlässigte
er dabei durchaus nicht seine amtlichen Pflichten,
ja er fand sogar noch Zeit und Kraft, junge
Leute und seine Söhne in Musik, Latein und
andern Fächern für höhere Schulen vorzubereiten.
Später wurde er durch seine Vorgesetzten ver¬
anlasst, ein Privatschullehrerseminar zu errichten,
das er länger als acht Jahre leitete und aus dem
mehr als vierzig Zögliftge hervorgegangen sind,
die sich zum Teil heute noch in geachteten Stel¬
lungen befinden. Denn sein Hauptaugenmerk war
neben der wissenschaftlichen Bildung auf Bildung
des sittlichen Charakters und auf Anregung zum
Fortstudieren gerichtet. Durch dieses Doppel¬
amt hatte er aber eine gewaltige Arbeitskraft auf
sich geladen: nicht nur, dass er sich auf die
meisten Stunden sorgfältig vorzubereiten hatte,
er musste auch täglich 10—11 Unterrichtsstunden
erteilen, ausserdem den Kirchendienst versehen
und für die Vei*pflegung der jungen Leute, die
zum grösstenteile mit in seinem Hause wohnten,
sorgen. Wahrlich, Arbeit genug! Ein Wunder,
dass die übermässigen Anstrengungen seine kräf¬
tige Gesundheit nicht zu erschüttern vermochten.
Die Befürchtung, dass dies doch geschehen
könnte, und die Rücksicht auf die Erziehung
seiner zahlreichen Familie Hessen in ihm den
Wunsch reifen, in eine grössere Stadt überzu-
. siedeln. Eine ihm angebotene Anstellung als
Oberlehrer an einem Königl. Seminar lehnte er
dankend ab und so wandte er sich nach Leipzig,
nachdem er zuvor in Chemnitz wohl begründete
Aussicht auf eine Schuldirektorstelle, aber doch
keinen Erfolg gehabt hatte. Hier erhielt er eine
ständige Lehrerstelle an der zweiten Armenschule
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und hatte auch bald Gelegenheit, in den ersten
Familien Leipzigs (Beckmann, Mayer, Herfurth,
Dürbig, Becker, Platzmann, Keil,Demiani, Plantier)
lohnenden Privatunterricht zu erteilen. Manchen
Beweis treuer Dankbarkeit hat er aus diesen
Kreisen empfangen und er genoss in denselben
ein ungewöhnliches Ansehen. Daneben erteilte
er noch abends Unterricht im Arbeiterbildungs¬
verein und Sonntags in der Schule der poly¬
technischen Gesellschaft. So hatte er auch hier
wieder ein reiches Arbeitsfeld gefunden und täg¬
lich zehn Stunden Unterricht zu erteilen; seine
Kräfte waren wiederum im höchsten Masse an¬
gespannt, sodass er das nicht auf die Dauer er¬
tragen hätte.
Da wurde ihm die Aussicht eröffnet, das
Direktoriat des Pestalozzistiftes zu übernehmen;
er lehnte es ab; dann sollte er Direktor des
Waisenhauses werden, das aber infolge des Krieges
von 1866 anders organisiert wurde und einen
Arzt als Direktor erhielt. Durch die Güte des
Bürgermeisters Dr. Stephani, der ihm jederzeit
sehr freundlich gesinnt war, erhielt er 1867 den
1. April das Amt eines Kirchenbuchführers zu
St. Nikolai. Nur schwer konnte er sich ent-
schliessen, der ihm liebgewordnen Schule, an der
er 30 Jahr mit Erfolg und Segen gewirkt hatte,
zu entsagen, und um einen Übergang zu ge¬
winnen, erteilte er noch einige Jahre Unterricht
an der städtischen Gewerbeschule. Das neue
Amt konnte seinen regen Geist zunächst nicht
voll befriedigen; doch war es so recht geeignet,
den in ihm schlummernden geschichtlichen Sinn,
der bis dahin sich nur wenig bethätigt hatte,
zu wecken und ihm reiche Nahrung zu geben.
Dazu kam, dass vor Erlass der Civilstandsord-
nung die Stellung eines Kirchenbuchführers be¬
sonders für die Eheschliessungsvorarbeiten wichtig
und verantwortungsreich war. Auch brachte ihn
die neue Stellung in regen Verkehr mit den
verschiedensten Berufskreisen und erweiterte seine
Menschenkenntnis und Lebenserfahrung ganz be¬
deutend. Übrigens wurde ihm von seiten der
Geistlichen das grösste Wohlwollen und ein un-
gemein grosses Vertrauen, namentlich von Dr. Ahl-
feld, entgegengebracht.
Neben seinem Amte fand er noch reiche
Gelegenheit thätig zu sein. Volksbildungsverein,
Jugend- und Volksbibliotheken, Verein zur An¬
erkennung langjähriger Dienstzeit etc. fanden in
ihm einen regen Förderer. Litterarisch war er
thätig an der Redaktion der Droguistenzeitung,
auf dem Gebiete der Münzkunde und der Jugend¬
spiele. In alle diese Gebiete arbeitete er sich
mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit ein. So
fand sein immer thätiger Geist Gelegenheit ge¬
nug, zu schaffen und zu wirken, und dabei
widmete er den Zeitereignissen und Zeiterschei¬
nungen eine rege Teilnahme; doch lag es seiner
friedliebenden Natur vollständig fern, am poli¬
tischen Parteileben auch nur im geringsten sich
zu beteiligen. Er stand auf einer höheren Warte,
als auf den Zinnen der Partei. Die Krone seiner
wissenschaftlichen Thätigkeit und Tüchtigkeit fand
er in den reifem Jahren in seinen maur. Arbeiten,
die ihn noch bis kurz vor seinem Tode beschäf¬
tigten. Er fühlte sich mächtig zur Loge hin¬
gezogen und urteilt darüber in seinem Leben,
er habe sich hier stets wohl und glücklich ge¬
fühlt und erkennt mit Dank an, dass er in seiner
maur. Laufbahn jederzeit die Zuneigung und das
Vertrauen der lieben Brr in hohem Grade ge¬
nossen habe.
Sein Leben war reich an Arbeit und Sorge,
reich an Schmei*z und Trauer. Den grössten
Schmerz aber brachte ihm das Jahr 1886, als
ihm in vier Monaten die treue Lebensgefährtin
im Alter von 66 Jahren, ein Sohn von 26 Jahren
und einer von 28 Jahren durch den Tod ent¬
rissen wurden. Doch er, der so viel ertragen,
ertrug auch dieses Leid, obwohl damals seine
Gesundheit doch gefährdet schien. Der harte
Schicksalsschlag und manche bittere Erfahrung
in seinem Amtsleben Hessen in ihm aber nun
den Wunsch zur Reife bringen, sein Amt nieder¬
zulegen. Er that dies am 1. Oktober 1887 bei
seinem goldenen Amtsjubiläum. 30 Jahre hat
er der Schule gedient und 20 Jahre seine Kraft
der Kirche gewidmet. Doch blieb ihm von seiten
seiner Vorgesetzten Behörde die wohlverdiente
Anerkennung versagt. Es kam aber kein Wort
der Erbitterung über die Lippen des edlen
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Mannes. Er hat nie nach Anerkennung gestrebt,
doch freute sie ihn herzlich, wenn sie ihm dar¬
gebracht wurde und er hat viel und reichen
Dank geerntet. Er hatte Liebe gesäet! Doch
höher als alle äussere Menschenanerkennung galt
ihm des Herzens Lohn in der eignen Brust.
In seiner Lebensweise war er bis in sein
Alter höchst einfach, mllssig und anspruchslos;
Regelmässigkeit ging ihm über alles und nur
bei ganz besondern Gelegenheiten wich er von
derselben, aber immer nur höchst ungern ab.
Das grösste Vergnügen war ihm von jeher ge¬
wesen, wenn die Ferien kamen, hinaus in die
Welt zu wandern und Land und Leute kennen
zu lernen. Mit besonderer Vorliebe suchte er
in den späteren Jahren die See auf und er fand
immer hier Stärkung und Kräftigung. Nach seiner
Pensionierung kaufte er sich in dem freundlich
gelegenen Dörfchen Diesbar ein eignes Garten¬
grundstück mit Weinberg; hier hat er einen
heiteren und schönen Lebensabend verlebt und
sich wahrhaft wohl gefühlt. An jedem Baum
und Strauch hatte er ein reges Interesse, legte
selbst hier und da Hand an und freute sich
kindlich, wenn alles fröhlich gedieh und wuchs.
Sieben Jahre hat er dieses Glück genossen. Im
vorigen Sommer fing er an zu kränkeln, nach¬
dem er noch kurz zuvor die Freude gehabt
hatte, seine beiden Enkelinnen aus Amerika zu
sehen und zu herzen. Es schien, als würde
seine starke Natur sich bald wieder erheben;
allein es sollte anders kommen. Seine Gestalt
verfiel allmählich, die Kräfte schwanden immer
mehr und mehr; aber noch war sein Geist le¬
bendig und frisch, und wenn er sprach und er¬
zählte, vergass man wohl, dass sein Körper schon
gebrochen war. Die Hoffnung auf Wiedergenesung
war mächtig in ihm, selbst noch als er auf dem
Sterbelager lag. Den Blick nach oben gerichtet,
den Mund wie zur Rede geöffnet, so entschlief
er am 12. Januar d. J. früh 3 Uhr.
Was vergangen, kehrt nicht wieder.
Aber ging es leuchtend nieder,
Leuchtet’s lange noch zurück.
In den Frmrbund und die Loge B. z. L.
wurde Br Fuchs am 8. Oktober 18G4 während
der Hammerführung von Heinrich Goetz aufge¬
nommen, am 30. September 1865 zum Gesellen
und am 11. Dezember 1866 zum Meister be¬
fördert.
Es sollte nicht lange währen, bis man die
besonderen Fähigkeiten des Brs erkannte und
ihn im Beamtenkollegium zur thätigen Mitarbeit
heranzog. Im Jahre 1868 wurde er zum pro¬
tokollierenden Sekretär ernannt, welche Stellung
er bis 1882 bekleidete und wobei er besonders
Gelegenheit hatte, sich in den Geist eines Marbach
hineinzuarbeiten. Oft noch äusserte unser Br,
dass es nicht leicht gewesen sei, die geistvollen
Ausführungen des grossen Meisters, der auch
recht peinlich sein konnte, in kurzer Fassung
niederzuschreiben. Nun Fuchs war dazu der
geeignete Br; seine Protokolle sind nachahmens¬
wert; er verstand es, wie nur wenige, nicht nur
das Ritualgemässe, sondern vor allem den Geist,
der in den jeweiligen Logenarbeiten herrschte,
festzuhalten und auch für Nachfolgende noch
dauernd kenntlich zu zeichnen. ünserm Br
wohnte, wie wir aus seinen eignen Aufzeichnungen
wissen, schon lange, bevor er der Loge angehörte,
echter Frmrgeist inne, dass wir aber in seinen
späteren Mstrarbeiten in so leicht erkenntlicher¬
weise Marbach sehen Geist hervortreten sehen,
ist sicher zum nicht geringen Teile darauf zu¬
rückzuführen, dass er als langjähriger Protokollant
der Reden Marbachs Gelegenheit hatte, den Geist
dieses Meisters sich zu eigen zu machen.
Das grosse Jubiläum unsrer Loge 1876
brachte unsern bescheidenen Br an die maur.
Öffentlichkeit durch die von ihm meisterhaft ver¬
fasste Geschichte der Loge B. z. L, — Meine
verehrten Brr, wir alle kennen diese Geschichte,
welche man eine musterhafte nennt. Nur wenige
alte Logen aber erfreuen sich einer gleich klaren
und gleich wahren Darstellung ihrer Vergangen¬
heit. Derjenige nur, welcher sich mit geschicht¬
lichen Forschungen je befasst, kann annähernd
ermessen, welche Unsummen von aufopfernder
Mstrarbeit allein an diesem Buche aufgewandt
sind. Hätte Br Fuchs nichts weiter gethan, als
diese Geschichte der ersten hundert Jahre des
Bundes zu schreiben, er würde doch mit Recht
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als einer derjenigen verdienten Brr gelten, von
welchen die Kette Balduins, in die bis heute
gegen 1800 Brr eingereiht wurden, nur wenige
aufzuweisen hat.
Das wichtige Amt eines Protokollanten be¬
kleidete Br Fuchs, bis Mstr Marbach infolge
eintretender Körperschwäche von der Leitung
der Loge mehr zurücktrat und Heinrich Goetz
seine Stelle einnahm. Fuchs war nun 1883
und 84 zweiter und 1885 bis 1891 erster Auf¬
seher. Beide Stellungen hat er mit der ihm
eignen Zuverlässigkeit und Pflichttreue ausge¬
füllt, nur wenn es gar nicht anders ging, war
er einmal nicht am Platze, dagegen hat er schon
als zweiter, häufiger als erster Aufseher an Stelle
des Mstrs v. St. die Logenarbeiten geleitet. Alles
was uns Br Puchs in seinen Arbeiten bot, war
durchdachte, woblvorbereitete und darum auch
wohlgelungene Mstrarbeit. Br Fuchs strebte
in allem, was er gab, nach dem höchsten Mr-
ziele der Schönheit: dankbar in Erinnerung werden
besonders seine bei festlicher Tafel gehaltenen
Trinksprüche auf die Frmrei sein; das Bedeu¬
tendere aber waren seine Arbeiten am Reiss¬
brette, durch die er in den Mstrlogen uns zur
Reife für den letzten grossen Schritt über Sarg
und Grab vorzubereiten suchte, zu dem Schritte
in das lichtvolle Jenseits, den er uns nun als
Frmrmstr vorangegangen ist.
Mit zunehmendem Alter trat Br Fuchs von
dem Amte des Aufsehers zurück und blieb nur
noch Archivar der Loge, ein Amt, welches er
auch schon seit 1884 bekleidete und welches
er in alter Treue und Liebe beibehielt, bis ihn
der a. B. a. W. von der Arbeit abberief. Dass
er freiwillig von dem Amte des Archivars zu¬
rückgetreten wäre, ist für alle, die ihn näher
kannten, eigentlich undenkbar, weil er sich hier
in seinem Lebenselemente befand. Durch seinen
profanen Beruf als Kirchenbuchführer und wohl
auch durch besondere Anlagen war er zum
Archivar vorherbestimmt. Im engen Zusammen¬
hänge damit steht die geschichtliche Forschung
und hiermit kommen wir zu dem Gebiete, auf
dem der Heimgegangene das Bedeutendste ge¬
leistet hat.
Die frmrische Wirksamkeit Fuchs* zerfällt
in drei Teile; den ersten Teil, seine Thätigkeit
in der Loge, habe ich bereits zu zeichnen ver¬
sucht, der zweite bestand in seiner Thätigkeit
im E. B. und für einen grösseren Brkreis war
er bekannt als Redakteur der Zeitschrift „Am
Reissbrette“. — Seine Thätigkeit am „Reissbrette“
schliesst eigentlich seine Arbeiten in der Loge
und im E. B. zusammen, insofern als er in
dieser Zeitschrift seine bedeutendsten Arbeiten
jeglicher Art veröffentlichte. Und doch sei es
gestattet, jetzt ihm zunächst als Freund und
Berater des „Reissbrettes“ gerecht zu werden, um
ihn zuletzt als Vorsitzenden des E. B. zu wür¬
digen, als welcher er uns hier am nächsten
stand und am teuersten war.
Herausgeber des „Reissbrettes“ wurde er,
nachdem der unvergessliche Begründer desselben
den Hammer für immer abgegeben hatte. Schon
früher hatte F. der Zeitschrift nahe gestanden;
eine glückliche Wahl berief ihn 1885 zum
fernem Leiter des Blattes, war er doch gerade
geeignet, es im Marbachschen Sinne weiter zu
leiten, weil er selbst von diesem Geiste er¬
füllt war.
Und warum hat unser Br soviel Zeit, so¬
viel Arbeit und Mühe auf die Herausgabe unsrer
Zeitschrift verwandt? War es der materielle
Gewinn, der ihm vielleicht dabei zu teil wurde?
0 nein, meine Brr, der Idealismus ernährt seine
Anhänger nur dürftig, das wissen viele geistig
hochstehenden Männer, welche heute unserm
Menschheitsbunde, der nur einer hohen Idee dient,
fern bleiben, das haben aber auch alle Heraus¬
geber und Verleger frmr. Zeitschiiften erfahren.
Der materielle Gewinn war es also nicht, welcher
ihn am Reissbrette festhielt, wohl aber war es
neben der Liebe zum Balduin seine Eigenschaft
als Frmr, welche ihn auch hier bestimmte, sich
in den Dienst des Menschheitsbundes zu stellen.
Wir wollen gern glauben, dass Br Fuchs
nie in ernster Verlegenheit um gediegenen Stoff
für das Reissbrett war, doch dass die Quellen
von aussen nicht allzu reichlich flössen -und er
zum guten Teil auf sich angewiesen war, dafür
gab er selbst das Zeugnis, indem er gelegentlich
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sagte: „Das meiste muss man selbst schreiben“
und er hat viel geschrieben. Dafür ist dem
Heimgegangenen aber auch viel Freude zu teil
geworden. Manche Anerkennung, mancher Dank
wurde ihm gezollt; besonders wohlthuend dürfte
es seinem schlichten, einfachen Sinne gewesen
sein, wenn, wie ich einst Zeuge war, ihm aus¬
wärtige Brr ihre Freude darüber aussprachen,
ihn kennen zu lernen, um ihm den Dank für
alles, was er ihnen schon geboten, persönlich
aussprechen zu dürfen. — Die reichen Schätze,
die Br F. für den E. B. ausgrub, wie auch seine
Mstrarbeiten, durch das Reissbrett wurden sie
weiteren Kreisen zu teil; dass man diese Arbeiten
wohl zu schätzen wusste, dafür ist Beweis, dass
man ihn ausserhalb unsrer Loge den „einen der
bedeutendsten Frmr Leipzigs“, den „Nachfolger
Marbachs“ nannte. Der bescheidene Sinn unsers
Brs würde diesen Ehrentitel entschieden von
sich gewiesen haben, dem Toten dürfen wir ihn
nachrufen, und uns ist es eine Freude, dass
man einen der unsern so nannte.
Durch vielfache öffentliche Anerkennungen
wurde er geehrt, die Schwingen Apollo, Minerva
z. d. 3 P. und Archimedes im Or. Altenburg er¬
nannten ihn in Hervorhebung seiner Verdienste,
im besonderen um die geschichtliche Forschung,
zu ihrem Ehrenmitgliede, seine eigne Loge er¬
teilte ihm im Jahre 1891 die höchste Würde,
welche sie zu vergeben hat, indem sie ihm in
Anerkennung seiner Dienste als „unermüdlicher
Archivar“ zum Ehrenmeister ernannte.
Meine verehrten Brr! Das Bild des ver¬
klärten Mstrs steht noch so deutlich vor unser
aller Augen und Seele, seine Thätigkeit und
Bedeutung in der Loge und für die Frmrei ist
so wohlbekannt, dass ich mir an dem Gesagten
genügen lassen darf, um nun noch zu versuchen,
ihm in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des
E. B. gerecht zu werden.
Die Geschichtsforschung und Darstellung war
dasjenige Gebiet, auf dem Br Fuchs zu Hause
war, wie selten einer. Durch seinen Beruf dazu
erzogen, durch Anlage und Geist dazu befähigt,
war er, in Liebe dafür erglühend, ein auser¬
wählter Forscher und Schriftsteller für frmrische
Geschichte.
Mit seiner schon erwähnten „Geschichte der
Loge B. z. L.“ hatte er sich als berufener Ge¬
schichtsschreiber eingeführt und es kann keines¬
wegs überraschen, dass der Blick Marbachs, den
die Sorge um den E. B. nie ganz ruhen liess,
auf unsern Br fiel. (Schluss folgt.)
Geschichte der g. u. v. Frmrloge Friedrich
zum weissen Pferd i. Or. Hannover. Zu Anlass
ihres 150jähr. Bestehens verfasst v. H. Wann er
d. Alt., zug. Mstr V. St.
Mit der klaren Darstellung der Entwicklung
dieser alten Loge giebt der Br Verfasser zugleich
einen kurz gefassten Abriss der Geschichte des
Frmrtums überhaupt. Ausserdem fesseln die treff¬
lichen Schilderungen des jeweiligen Logenlebens,
sowie die interessanten Einblicke in den Logen¬
betrieb auf den einzelnen Entwicklungsstufen. Die
beigefügten Bilder der verschiedenen Logenmstr
und Logenhäuser bilden eine die Ausstattung ver¬
vollkommnende Zugabe.
MitteUnngen
von der
(l«sehäfU8telIe für den Austausch der Logenlisten.
Mitte d. M. hat die erste diesjährige Ver¬
sendung stattgefunden und gelangten dabei die
nachstehend aufgeführten 24 Mitglieder-Verzeich¬
nisse etc zur Verteilung:
Der Johannislogen in Eckemförde — Gera
(Archimedes, Bericht — Heinrich) — Greiz (320)
— Hagen — Kassel (Freundschaft) — Kattowitz
(noch 68) — Kiel — Leipzig (Balduin — Phönix)
— Löwenberg (93) — Marienwerder — Marne —
Meiningen (340) — Minden (Aurora) — Neumün-
ster — Oldenburg (200) — Rawitsch (27S) — Ro¬
stock (3 Sterne) — Sangerhausen — Stade (340)
— Tilsit — Wismar (Vaterlandsliebe 300) und Zeitz.
Wiederholt bitte ich, fernerhin
nicht unter 360
Mitglieder-Verzeichnisse einzusenden. Den Namen
derjenigen Logen, die weniger als 360 zur Verfügung
steilten, sind die Zahlen der zur Versendung gelang¬
ten Exemplare in ( ) beigesetzt.
Geschäftsstelle f. d. Austausch der Logenlisten
Bruno Zechel,
Bachdrnckerei und Verlag in Leipzig.
Bauhütte, Jahrgang 1858—1870
in blau Pappband und gut erhalten
ist billig zu verkaufen.
Gef. Anfragen durch BrZechel in Leipzig
erbeten.
Druck und Vorlag vou Br Bruno Zeohol iu Deipsig.
Dieser Nummer liegt ein Prospekt bei von Joh. Georg Rackles in Frankfurt a. M.
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Am Eeissbrette.
Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum
Rautenkranz in Hildburghausen.
Für Brr Freimaurer-Meister.
Begründet von Br Marbach. Fortgeflihrt von Br Fuchs.
Schriftleiter: Br Dr. A. Gündel, Leipzig-Reudnitz.
Das Blatt wird vorzugsweise Beiträge bringen, die in den Logen Versammlungen eines der drei Grade
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Einzelne Brr Meister, welche als
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 8 Mark abonniren
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf¬
genommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertions^ebühr von
25 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile.
April 1896.
23. Jahrgang.
No. 4.
Inhalt; Der ünaterbliohkeitsgedan ke in der Gesohichte der alten Völker. — Ansprache bei der Meister-
befördernng. — Tranerfeier für den f Vor sit senden des EngbnndesBr Johann Friedrich Fuchs. — Ansei gen.
Der ünsterblichkeitegedanke in der
Geschichte der alten Völker.
Von Br H. Arnold, Mstr v. St. der Loge Phönix
im Or. Leipzig.
Wer jemals im Buche der Geschichte ge¬
lesen und seine Aufmerksamkeit auf die reli¬
giösen Lehren der verschiedenen Völker gerichtet
hat, der musste finden, wie alle bestrebt waren,
die Schrecknisse, die der Tod bringt, möglichst
unwirksam zu machen und die Trauer, in die
er die Hinterbliebenen eines Dabingeschiedenen
versetzte, durch möglichst grosse Hoffnungen zu
mildem.
Dass dieses Verfahren berechtigt ist, darüber
kann kein Zweifel sein, und dass es den Men¬
schen hinausbebt über Welt und Zeit, wenn er
sich nicht mit einer Pffanze vergleicht, die, so¬
bald sie verwest ist, ihren Lebenszweck erfüllt
und ihr Dasein beendet hat, ist auch kaum zu
bestreiten. Die Mittel, die zur Linderung
der Todesscb recken an ge wendet wurden, sind
nicht immer die gleichen gewesen; sie können
also auch nicht immer auf unumstösslicher Wahr¬
heit beruht haben; denn die Wahrheit kann nur
eine sein. Dennoch aber geht durch all die
religiösen Lehren über den Tod der Grundge¬
danke hindurch, dass der Mensch aus Leib und
Geist besteht, dass nur der Leib eine Beute des
Todes wird, dass aber der Geist unsterblich, un¬
vergänglich ist.
In Asien, der Wiege des Menschengeschlechts,
wohnten bereits vor vielen Jahrtausenden reli¬
giös durchgebildete Völker, die uns in mancher
Beziehung zum Muster dienen könnten. Wenn
sie auch vorwiegend eine reine Natumeligion
hatten, die sich auf baute einerseits auf die schaf¬
fenden, belebenden, erhaltenden und zerstörenden
Naturkräfte, andrerseits auf den Sternenhimmel
mit seinen Miriaden von leuchtenden Körpern,
so war diese Naturreligion doch weit entfernt,
rein materialistische Anschauungen zu verbreiten;
im Gegenteil lehrte auch sie die Menschen, den
Blick zum Himmel zu richten, zu einem a.B.a.W.
Die Form, in der dieser Gedanke zum Aus¬
druck kam, war auch wieder ganz verschieden;
aber der Endzweck, das Endziel war doch kein
anderes, als der Glaube an etwas Unsichtbares,
das all die Wesen auf Erden unmerkbar beein¬
flusst, doch so, dass diese selbst nichts dagegen
ausrichten können.
So zieht sich die Lehre vom Fortleben des
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Geistes durch viele Kulte hindurch und es ist
deshalb nicht ohne Interesse, den Unsterblich¬
keitsgedanken in der Geschichte der alten
Völker einmal weiter zu verfolgen. Die alten
Inder hatten eine so tiefe Sittenlehre, dass man
ja noch heute den Zusammenhang zwischen ihr
und der christlichen Religionslehre nachweisen
kann. Viele Bilder, die unsre christliche Welt¬
anschauung beeinflussen — ich erinnere nur an
die Offenbarung des ewigen Weltenmeisters durch
die Geburt eines Kindes — sind schon im alten
Indien bekannt gewesen.
Der Brahmaismus, die älteste Religions¬
lehre der Inder, stellte dem Menschen die Auf¬
gabe, den ewigen Brahma zu erkennen, dann
aber auch, während des Erdenlebens den Weg
einzuschlagen, der zu diesem ewigen Wesen empor
leitet. Für die vier Kasten bestanden besondere
Vorschriften, wie sie dem schönen Ziele zustreben
sollten; allein darin stimmen sie alle überein,
dass sie ihren Leib gewissermassen nur als ein
Gefäss erkennen sollten, in dem sich die un¬
sterbliche Seele auf hielt, dass sie also dieses
Gefäss rein und fleckenlos erhalten mussten, um
die Bewohnerin nicht anzustecken mit Erden¬
sünden und fleischlichen Gelüsten.
Nach der Anschauung der Brahmanen hatte
die menschliche Seele auf Erden überhaupt keine
Heimat, sondern war von einem fortwährenden
Sehnen erfüllt, die Bande zu zerreissen, die sie
an den Körper fesselten, um möglichst bald zum
himmlischen Paradiese einzugehen.
Einer Menschenseele konnte deshalb nichts
Unangenehmeres widerfahren, als wenn die ir¬
dische Pilgrimschaft oder der Läuterungsprozess
bei der Wiedergeburt im Körperlichen durch
Herabsinken auf eine tiefere Stufe verlängert
wurde. Damm bestanden die Religionspflichten
der alten Inder hauptsächlich in einer Reinigung
der Seele; denn je freier sie war von irgend¬
welchem Fehl, desto eher wurde sie von der
Wanderung von Körper zu Körper entbunden;
desto früher fand sie den Weg zu dem reinen
Lichte, in dem Brahma thronte.
Wenn jemand während seines Lebens seine
Seele nicht rein erhalten hatte, so wurde diese
nach dem Tode des Menschen verurteilt, selbst
in Tiere zu gehen, also auf eine niedrigere Stufe
herabzusteigen. Daraus erklärt sich auch die
Scheu der Inder, ein Tier zu töten. Und wenn
nun jemand die einzelnen, verwickelten Vor¬
schriften des strengen Sittengesetzes noch so
genau beobachtet hatte, so war er, und wäre
er selbst Brahmane gewesen, keineswegs sicher^
dass die Erdenwandemng seiner Seele mit seinem
Tode wirklich beendet war; denn der Eingang in
den Schoss Brahmas kann nur durch den voll¬
ständigen Sieg des Geistigen über das Körper¬
liche erworben werden. Nur demjenigen sollte
dieser Lohn winken, dessen Seele über Körper-
und Sinnenwelt vollständig Meister geworden,
dessen Busen von Trieben und Leidenschaften
nicht mehr beunruhigt, dessen geistiges Schauen
so in Brahma versenkt war, dass er die Aussen-
welt ganz übersah. Die hohem Kasten,*"nament¬
lich die der Brahmanen, hatten sich deshalb —
ähnlich, wie später die Einsiedler der christlichen
Kirche — wahrhaft asketische Gesetze zur Bän-
digung der fleischlichen Lüste auferlegt. In der
Waldeinsamkeit, in einer Höhle oder unter einem
Baum, zu leben, sich in die heilige Veda zu
vertiefen und alle Weltlust abzuschwören, galt
daher für den höchsten Ruhm. Wer es zu Wege
brachte, seine Seele ganz von dem abzulenken,
was mit der Sinnenwelt nur irgendwie im Zu¬
sammenhänge stand, der konnte den Eingang
ins ewige Jenseits erhoffen.
Allzu straff gespannt zerspringt der Bogen:
das sollten auch die Brahmanen erfahren. Ihr
Streben nach Allmacht hatte die Gemüter abge¬
schreckt und dem Zweifel, sowie der freiem
Bewegung der Gedanken Raum gewährt.
Ein Königssohn, der später den Namen
Buddha, d. h. der Erweckte oder Erleuchtete,
empfangen hat, war zuerst, nachdem er die ge¬
samte Weisheit des Brahmaismus in sich ein¬
gesogen und sechs Jahre als Einsiedler in wahrer
Askese gelebt hatte, als Widersacher gegen die
alte Lehre aufgetreten; aber auch er geht davon
aus, dass die Erde nur ein Jammerthal ist, und
dass die gesamte Menschheit, also Hohe und
Niedrige, vom Elende befreit werden müsse.
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Die Lehre des Brahma bot aber gar keinen An¬
halt dafür, dass dies überhaupt jemals möglich
wäre.
Nach Buddha gab es nun zwar auch eine
Seelen Wanderung; aber das höchste Ideal Rir
einen Menschen musste sein das Versinken
in nichts, den Eingang in die Nirvana. Auch
Buddha legte dem Körper, gegenüber der Seele,
nur einen untergeordneten Wert bei; er erkannte
aber, dass das gewöhnliche Volk nicht zu den
Kasteiungen, die sich die Priester zur Rein¬
erhaltung ihrer Seelen auferlegten, zu bringen
wäre und gab ihnen deshalb einige praktische
Lehren, die in drei Hauptpunkte zusammenzu¬
fassen sind: 1. Ein möglichst keusches Leben
und geduldiges Ertragen der Erdenübel, 2. Mit¬
leid und Barmherzigkeit gegen die Nebenmen¬
schen und 3. Offene Busse für begangenes Un¬
recht, aber keine Ruhmredigkeit wegen etwaiger
guter Thaten.
Die Thatsache, dass Buddha sein Sittenge¬
setz für alle Kasten gleichmässig gab, dass er
also die Trennung der Menschen in Kasten, die
durch die Brahmancn so begünstigte strenge
Abschliessung der einzelnen Stände von einander,
nicht anerkannte, machte seine Lehre volkstüm¬
lich. Dadurch, dass er sich des niedern Volkes
annahm und ihm einen Weg zeigte, auf dem es
sein Elend mildern, seine Seele möglichst bald
in das höchste Nichts zurückführen könnte, ström¬
ten ihm besonders die Armen zu und halfen
seine Lehre verbreiten, sodass diese dem Brah-
maismus bald überlegen war.
Wer da meint, dass der Buddhismus, trotz
der unklaren Versenkung der Seele in das Ur-
nichts, heute ein überwundener Standpunkt wäre,
der iiTt ganz gewaltig; denn die Japaner und
viele Bewohner Chinas und Indiens sind noch
heute überzeugte Anhänger jener Lehre und
wissen sie mit grossem Geschicke zu verteidigen.
Während der grossen Weltausstellung in Chicago
war u. a. auch ein Religionskongress veranstaltet
worden, an dem sich Vertreter aller einiger-
massen berühmt gewordenen Bekenntnisse beteilig¬
ten. Bei diesem Kongress haben die Buddhisten
den Sieg über alle andern Religionsgesellschaften
davon getragen. Sie verdankten dies besonders
dem Umstande, dass sie nicht allein in ihrer,
sondern auch in der Lehre ihrer Gegner genau
Bescheid wussten, sodass sie auf alle Einwände
von vornherein gefasst waren.
Übrigens giebt es auch in christlichen Län¬
dern, z. B. in Frankreich, viele Anhänger der
Lehre des Buddha, ein Zeichen dafür, dass der
Mann seinerzeit den Volksgeist schon richtig
beurteilt hat.
Die Baktrier, die einst die Hochebene von
Iran bewohnten, hatten hier von der Glut der
Sonne, den Stürmen der Wüste, von der Winter¬
kälte und den Schneewinden soviel zu leiden,
dass die Gebilde der Menschenhand oft den Zer-
stöiningen der Elemente preisgegeben waren. Bei
ihnen musste infolgedessen der Einfluss der Na¬
turmächte auf die Welt zum vollen Bewusstsein
kommen. So reifte denn bei ihnen der Glaube
an zwei mächtige, in ewigem Kampfe und Wider¬
streite liegenden Wesen, ein böses und ein gutes,
mit einem Anhänge von bösen und guten Geistern
ohne Zahl.
Zoroaster hat in seinem heiligen Buche,
der Zend-Avesta, diese Lehre in ein gewisses
System gebracht, das wir nur, soweit es den Un¬
sterblichkeitsgedanken berührt, erwähnen wollen.
Die ethischen Aufgaben, die den Gläubigen der
Zend-Avesta gestellt wurden, bestanden darin,
sich dem Lichtreiche des Ormuzd, des guten
Gottes, zuzuwenden, dem Reiche des Bösen, des
Ahriman, jedoch völlig zu entsagen. Da aber
das Reich des Lichtes auch das Reich des Reinen
ist, so ist Reinheit der Sitten der Kern und
Mittelpunkt aller Tugend. Seele und Leib sind
vor jeder Befleckung rein zu erhalten, damit
nicht Ahriman mit seinem Anhänge Gewalt da¬
rüber gewinnt. Ein arbeitsames Leben ist das
beste Mittel zur Abwehr des Unreinen. Rein
denken, rein reden und rein handeln sind Vor¬
schriften Zoroasters, die gar nicht nach Heiden¬
tum aussehen.
Wer sich dem Bösen ergab, dessen Seele
wurde nach dem Tode den Dämonen, also jenen
bösen Geistern zugesellt, die das Weltall be¬
völkerten und den Menschen allerlei Unheil zn-
Digitized by
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28
zufügen suchten. Auch gewisse schädliche Tiere,
die den Menschen bei seiner Arbeit stören oder
die Flüchte seines Fleisses vernichten konnten,
dienten solch unreinen Seelen zum Wohnsitze.
So leuchtet also durch die drei berühmten
Religionslehren des asiatischen Heidentums die
Unsterblichkeit der Seele wie ein Juwel hervor,
und die Ermahnungen, das Geistige nicht zu
veninreinigen, klingt so erhaben, so durchaus
unsern christlichen Anschauungen angepasst, dass
wir diejenigen nicht begreifen können, die immer
davon fabeln, dass die Heiden in der Finsternis
und im Schatten des Todes wandelten. Die
Sittenlehre, die sie schon besessen, ist sogar
vielfach noch Weit strenger als die christliche,
und schliesslich kommt es doch auch gar nicht
allein auf die Lehre, sondern auf deren Be¬
folgung an. Ob wir in dieser Beziehung vor
diesen alten Völkern Asiens viel voraus haben»
ist zu bezweifeln. Die Lehren Zoroasters, denen
z. B. auch die Perser ergeben waren, standen in
schroflfem Widerspruche zu denen der Phönizier
und Babylonier; denn diese zwei Völker kannten
das Gebot der Sittlichkeit, wie wir cs verstehen,
und wie es auch die Inder, Japanesen und Baktrer
auslegten, gar nicht; bei ihnen wui*de sogar die
Lust-Göttin Mylitta durch die grösste Unzucht
verehrt. Diese Leute wurden auch niemals durch
ihre Priester zu ernster Einkehr in sich selbst
veranlasst. Die Folge dieser Thatsache war der
Untergang jener einst so mächtigen Völker.
Wo der Unsterblichkeitsgedanke keinen Platz
hat, da ist auch an einen kräftigen Nachwuchs
nicht zu denken, da zerfällt alles, selbst das,
was gut ist, in Staub und Trümmer. So ist
also der Glaube an die Unsterblichkeit unsrer
Seele auch ein mächtiges Erziehungsmittel; so
ist er gewissermassen ein Ideal, das den Men¬
schen veranlasst, sich während seines Erdenlebens
so zu führen, dass er einst in jener Welt ein
schöneres Heim findet. Der Gottlose, der Un-
thaten und Verbrechen aller Art mit kaltem
Blute begeht, hat die Hoffnung auf das Jenseits
verloren; er hat also auch die Sorge für das Heil
seiner unsterblichen Seele vollständig aufgegeben.
Wir wollen unter den alten Völkern, die
den Unsterblichkeitsgodanken hochhielten, auch
noch der alten Egypter mit einigen Worten ge¬
denken. Bei ihnen brachten es die natürlichen
Verhältnisse, nämlich die Fmchtbarkeit des Nil-
thales einerseits und die glühende öde Wüste
andrerseits, mit sich, dass sich in ihrer Reli¬
gionslehre der Gegensatz zwischen Leben und
Tod in den Vordergrund drängte. Der hell¬
leuchtende Raa, der Gott der alles belebenden
und befruchtenden Sonne, der sich selbst ge¬
schaffen hatte und sich alltäglich von neuem
erzeugte, war zugleich der BeheiTscher des Reiches
der Seelen, die ihr Leben in Reinheit und
Heiligkeit verbracht hatten. Ist auch manches
in der Lehre von den letzten Dingen in der
egyptischen Mythologie nicht ganz klar, so ist
doch männiglich bekannt, dass die Priester lehi*ten,
wie eine befleckte Menschenseele nach der Tren¬
nung vom Leibe noch lange durch Geschöpfe
niederer Gattung wandern müsse, ehe sie sich
in die Gefilde des ewig Ureinen, des hellstrah¬
lenden Raa, begeben könne. Auch der Glaube,
dass durch die Verwesung des Körpers die
Existenz der Seele aufhöre, dass demnach, w'enn
die Seele zum ewigen Heile gelangen wollte,
auch der Leib vor dem Verwesen geschützt
werden müsste, war in Egypten allgemein ver¬
breitet. Deshalb balsamierte man die Leichen
ein, und noch heute findet man Mumien an den
zahlreichen Begräbnisstätten des Nilthaies. Die
Mythe von dem Vogel Phönix entstammt ja
auch der egyptischen Götterlehre und ist eines
der schönsten Sinnbilder der Unsterblichkeit, die
wir haben. Gleichwie der von irgend welchem
Gebrechen belastete Phönix sich verbrannte, um
iieubelebt und verjüngt aus der Asche zu er¬
steigen, so soll auch unsere Seele nach ihrer
Trennung vom Irdischen ihren Flug aufwärts
nehmen zum ewigen Osten. (Schluss folgt.)
Ansprache,
gehalten bei der Meisterbef. am 15. Jan. 1895.
Von Br A. Gündel.
Sehr ehrw. Mstr v. St., ehrw. u. gel. Brr!
Zugleich im Namen und Aufträge desjenigen
meiner Brr, die heute mit mir auf die 3. und
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letzte Stufe unsrer Frmrei erhoben worden sind,
erlaube ich mir, Ihnen von ganzem Hei*zen zu
danken für das Vertrauen, dessen Sie uns wür¬
digten, indem Sie uns zu Meistern unsrer königl.
Kunst beförderten.
Der Name und Titel Meister hat sowohl
in diesen trauten Räumen, wie auch draussen
im lauten Treiben der geschäftigen Welt einen
eignen R«iz und eine grosse Bedeutung. Wohl
alle Menschen, denen der Trieb nach Höherem
vom Schöpfer in die Bnist gepflanzt worden ist,
trachten nach demselben, und doch nur wenige
erreichen ihn, und von denen, die ans Ziel
kommen, sind es wieder nur einige, die mit dem
äusseren Meistersein auch eine innere Meister¬
schaft verbinden. Demzufolge wird es wohl
keine Meisterschaft geben, die sich nur aus
wahren Mstrn zusammensetzte, wie auch diejenige
Kunst als ein Weltwunder an gestaunt werden
müsste, die nur von Künstlern, nicht aber auch
von Dilettanten und Stümpern betrieben würde.
Gerade unsre freimr. Kunst, die doch auf
der einen Seite so leicht zu verstehen und zu
erfassen ist, ist auf der andern so schwer aus¬
zuführen, und ihre Mstr müssen trotz der Loicht-
fasslichkeit und Unwandelbarkeit ihrer Gesetze,
die schon seit Jahrtausenden gelten, immerdar
Lehrlinge bleiben. Es liegt das im Wesen der
Frmrei, im Streben nach Wahrheit und sittlicher
Vollendung begründet. Wir fehlen ja alle mannig¬
faltig, und nur einer ist gut: der alleinige Gott.
Unser Wissen ist Stückwerk und unserem Können
haftet die Unvollkommenheit an. Und wohl uns,
dass dem so ist; denn „nur der Irrtum ist das
Leben und das Wissen ist der Tod!“ Darum,
meine 1. neuernannten Brr Mstr, lassen Sie uns
Lehrlinge unsrer königl. Kunst bleiben, Lehr¬
linge im Sinne des Apostels, der seiner Gemeinde
gegenüber freimütig bekannte: „Nicht, dass ich
schon ergriffen hätte, oder schon vollkomnmn
wäre, ich jage ihm aber nach, dass ichs er¬
greifen möchte.“ Lassen Sie uns ihm auch nach¬
jagen, dass wirs ergreifen möchten. Lassen Sie
uns, fern von pharisäischer Eitelkeit, ohne Rück¬
sicht auf Lohn und Dank, das Gute thun um
des Guten willen.
Mag dann die Welt da draussen uns immer¬
hin missverstehen, mag sie uns belächeln und
bemitleiden, mag sie uns hassen und verfolgen,
mögen uns selbst Augenblicke kommen, in denen
wir an der Durchführbarkeit eines so ideal ge-
haltnen Bruderstaates, an der so oft und so
schön besprochnen Bruderliebe zu zweifeln be¬
ginnen, mag die reifre Einsicht des erfahreneren
Mannes und das erfolglose Ringen so mancher
durchgrübelten Stunde uns das wahre Wort
unsers grossen Brs Lessing immerdar zum
Bewusstsein bringen: „Die reine Wahrheit ist
ja doch nur für Gott allein “: Wir wollen
der Welt gegenüber dulden und verzeihen*
Gegenüber aber den Zweifeln im eignen Busen
wollen wir feststehen, „Wir wollen halten an
dem teuren Wahne“, „Wir wollen Achtung
haben vor den Träumen unsrer Jugend und
nicht irre werden, wenn des Staubes Weis¬
heit Begeistening die Himmelstochter lästert“,
wir wollen Freiheit und Wahrheit auf unsre
Fahne schreiben, sie nie verleugnen und ver¬
lassen. Da aber, wo unsre Ideale den Flug in
die Wolken zu hoch nehmen sollten, da wollen
wir bescheiden zu unsrer Mutter Erde zurück¬
kehren und das Streben nach dem Ideale zum
Ideale selbst erheben.
Wo aber lernen wir ein solches Streben?
Allein in der Loge. Nicht, dass wir vor unsrer
Aufnahme in dieselbe nichts von Wahrheit und
Fi-eiheit gewusst hätten, nicht dass die extra
muros sich Befindlichen nur so in der Finster¬
nis ihres Erdendaseins dahintappten, und wir die
allein im Lichte der Wahrheit Wandelnden zu
sein uns vermässen, was unsre Gegner uns nicht
genug zum Vorwurf machen können, nichts von
alledem! Jenseits dieses Thaies giebt es auch
Menschen, die ihren Gott im Herzen und ihr
Gewissen in der Brust tragen, und wir selbst
haben, das darf ich wohl von uns allen hoffen,
auch vor unsrer Zugehörigkeit zur Loge uns be¬
strebt, den Forderungen unsers Sittengesetzes
Rechnung zu tragen. Aber, meine 1. Bit, ein
altes psychologisches Grundgesetz lautet: Die
Energie des Wollens ist abhängig von der Zahl
der Erfolge, und ich bin der Ansicht, dass hier
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in der Loge, umweht vom Hauche des Friedens
und durch der Brr schön vereintes Streben sich
eher ein Gebild gestalten hisst, als draussen im
Leben, wo der einzelne doch mehr oder minder
auf sich selbst angewiesen ist, und die Erfolge
der bisherigen Logenarbeit geben auch uns die
reehte SchaÖensfreudo und den rechten Schaffens¬
mut , uns mit an den Bau zu stellen und das
Werk der schönen Menschlichkeit mit fördern
zu helfen.
Ihnen aber, sehr ehrw. Mstr v. St. und
ehrw. Brr, Ihrem Beispiele und Ihrer Unter¬
weisung verdanken wir den Einblick und Anteil
an der bisherigen Logenarbeit, an dem freudigen
energischen Streben, das nur die Logen kennen.
Ihnen verdanken wir auch die gegenwärtige
Stunde, in der die letzte Scheidewand zwischen
Ihnen und uns durch Ihre Güte fallen gelassen
worden ist.
Darum bitte ich Sie, meine 1. neuernannten
Brr Mstr, mit mir auf das Wohl unsrer bis¬
herigen Meister zu trinken, indem wir ihnen
danken für die Arbeit und Mühe, die sie sich
mit uns, den unwissenden Lehrlingen und Ge¬
sellen gegeben haben, um uns soweit zu bringen,
dass sie uns heute ihrem engsten Kreise, der
Meisterkette einvorleibcn konnten; indem wir sie
zweitens bitten, uns auch in Zukunft mit ihrem
Kate und ihrer Unterstützung zur Seite sein zu
wollen, unsem Fuss, wenn er ine gehen oder
straucheln sollte, auf den rechten Weg zurück¬
zuführen und wiederaufzurichteu; indem wir
Ihnen endlich und drittens an dieser Stelle noch¬
mals das Gelöbnis ablegen, mit allen Kräften
daniach trachten zu wollen, jederzeit, an jedem
Orte und bei jeder Gelegenheit als rechtschaffne
Brr Frmr und als wahre Mstr unsrer königl.
Kunst erfunden zu werden.
Tranerfeier
für Br Jobann Friedrich Fuchs.
Von Br Nitzache, dorz. Voraitzondor des Engbundes.
(Schluss.)
Wie Br Fuchs den E. B. geleitet hat,
dies zu schildern stehen mir kaum die ent¬
sprechenden Worte zu Gebote. Um sein Wirken
einigermassen richtig schätzen zu können, muss
man sich die Vergangenheit vergegenwärtigen.
Geht man nur bis zum Jahre 1860 zurück und
durchliest die vorliegenden Protokolle, so bieten
uns dieselben wohl ein Bild, nach dem man
sich ein Ui*teil über die Vergangenheit erlauben
darf. Br Schietter, der sehr eifrig und thätig
war, hatte von 1860—1873 den Vorsitz inne;
doch scheint es, dass so gediegene, wohlvorbe-
reitete Vorträge Jamals kaum gehalten wurden,
man begnügte sich mehr mit leichten Erörte¬
rungen, die emstes Studium nicht erheischt batten.
Unter Marbach und H. Goetz von 1873 bis
1881 vegetierte der E. B. kaum.
Da trat Fuchs am 10. November 1881 in
den E. B. ein und übernahm an demselben Tage
den Vorsitz, den er behalten hat, bis der höchste
Mstr den Hammer aus seiner Hand nahm. Sein
erster Vortrag behandelte die Anfänge der Loge
Balduin zur Linde und sofort nach Beendigung
desselben bat sich ihn Marbach zur Veröffent¬
lichung im Reissbrette aus.
Alle die nun folgenden zahlreichen Vorträge
bemhten auf (juellenmässigem Studium. Dabei
sprach und schrieb er getreu der erkannten
Wahrheit. Niemand zu Leide, aber auch nie¬
mand zu Liebe, als nur allein der Sache der
reinen Job. Frmrei. Eigentümlichkeiten andi*er
Logen und andrer Systeme behandelte er sehr
schonend, so wie es seiner ruhigen Art entsprach,
ohne dass er dabei der Wahrheit irgend welchen
Zwang angethan hätte. So wurde der E. B. unter
Fuchs das, was er nach der Idee Sebroeders
sein sollte, eine Erkenntnisstufe für Frmr-Mstr
der Johannislogcn, um ihnen über Entstehung,
Verirmngen und das reine Ziel der k. K. Klar¬
heit zu geben. Von der Erkenntnis ausgehend,
dass man nur bei dem Liebe zum grossen Vater¬
lande erwarten kann, dem zuerst die Liebe zum
Vaterhause ins Herz gepflanzt worden ist, wid¬
mete er sich zunächst der Klarlegung der Ursachen
zur Gründung des Balduin, führte dessen Geschichte
foi-t bis zur neuen Zeit, ging dann weiter
in seinen Forschungen und Darlegungen, bis er
schliesslich das grosse Gebiet frmrischer Geschichte
nahezu umfasste.
Seine gesamten Vorträge im E. B. stellte
er selbst in sechs Gruppen zusammen:
I. Eigene Loge und ihre hervorragenden
Stuhlmstr (hierher gehören Marbach und
Goetz).
II. Engbund.
III. Vorgeschichte und Vorläufer der Frmrei.
IV. Hochgrad wesen und fr mrische V erirrungen.
V. Der Frmrei verwandte Orden.
VI. Lebensbilder hervorragender Frmr.
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Wamm, meine Brr, heben wir seine Ver¬
dienste nm den E. B. so besonders hervor? Weil
wir die Summe von liebevoller Arbeit schätzen,
welche hier in bescheidener Form auftrat, und
welche gerade darum nicht genug gewürdigt
werden kann; weil wir den Dienst ermessen, den
der Heimgegangene der frmrischen Erkenntnis¬
stufe durch seine Arbeiten geleistet hat und weil
wir uns im besondem des Verlustes bewusst
sind, den wir erlitten haben.
Und, meine Brr, wie hat Br Fuchs an
uns gehangen, wie hat er für seinen E. B. ge¬
sorgt! Wenige Worte noch lassen Sie mich dem
widmen. In den letzten acht Jahren seines Ruhe¬
standes war Fuchs eigentlich nur noch Arbeiter
für die Frinrei; dass er sich mächtig zur Loge
hingezogen fühlte, wie er in seinem „eignen
Leben“ sagt, er hat es uns bis zuletzt bewiesen.
Wo er auch weilte, er arbeitete immer für die
Frmrei, für den E. B., und daher kam es, dass
er nie um Material zu Vorträgen verlegen war.
Auffallend emsig thätig war er in dem
letzten Monat seines Erdendaseins, gleichsam als
wolle er alles Versäumte noch nachholen, alles
Unfertige vollenden, so studierte und schrieb
er. Er hatte keine Zeit, müde zu sein und
hatte doch in seinem Leben so viel gearbeitet!
Zu den letzten Sitzungen des E. B. liess
er sich fahren, da seine Kräfte zum Gehen nicht
mehr reichten; hier unter uns schien er wieder
aufzuleben, der Körper sich dem immer frischen
Geiste wieder unterzuordnen. Doch blieb dabei
das herannahende Ende dem schärfer blickenden
Auge nicht verborgen. Am 14. Dezember war
er das letzte Mal unter uns; der Sorge um das
Wohl seiner geliebten Loge B. z. L. gab er in
seinen letzten Worten Ausdruck und gleichsam
als Vermächtnis legte er dieselbe seinen Brn
ans Herz. Damit schied er auf immer von uns.
Drei Tage vor seinem Tode schrieb er noch
an einem Vortrage „Voss“ für den E. B., da
ermattete sein Arm, die Feder entfiel seiner Hand
für immer — im Dienste des E. B. zog er den
letzten Federstrich, stand seines regen Geistes
letzte Thätigkeit. Seine Gedanken waren bis
wenige Stunden vor seinem Tode immer beim
E. B. und er gab denselben auch Ausdruck. In
scherzend freundlicher Weise gedachte er seines
lieben, langjährigen Mitarbeiters Alfred Dörffel
noch, und sich noch einmal kräftiger fühlend,
— neue Lebensgeister schienen über ihn ge¬
kommen — äussevte er; „Nun, wenn mich die
Brr im E. B. wieder wählen und ich erhalte
einen jungen Stellvertreter, dann nehme ich viel¬
leicht den Vorsitz doch noch einmal an“.
Meine verehrten Brr! Wie innig gefreut
hätten wir uns, wäre der Entschlafene uns ferner
noch Führer und Berater gewesen, der Allweise
wollte es anders. Aber diese Treue zu unsrer
Sache, die aushält bis an die Pforte zur Ewig¬
keit, die rührt uns, die geht uns zu Herzen;
dafür rufen wir dem Entschlafenen, uns an seinem
Beispiele aufrichtend, den Dank in die Ewigkeit
nach. Treue um Treue, Liebe um Liebe!
Am 15. Januar wurde die vergängliche Hülle
des Br. Fuchs der Erde übergeben, eine grosse
Anzahl Brr, darunter Deputationen aller hiesigen
Schwlogen, erwiesen ihm die letzte Ehre. Seitens
der Kirche, der unser Br so treu gedient, sprach
Herr Archidiakonus Dr. Binkau, derselbe Pre¬
diger, welcher auch einst Marbach den letzten
Segen erteilte und sich zu seiner Rede denselben
Te.xt wieder gewählt hatte: „Ei du frommer und
getreuer Knecht etc.“ — Ist es nicht eine eigne
Fügung, dass diese beiden Brr, die sich im
Leben so nahe standen, geistig so eng verwandt
waren, für das Jenseits, für das es weder Zeit
noch Raum giebt, dasselbe Geleit erhielten?
Für die Loge B. z. L. sprach der 2. Auf¬
seher, Br Krügel, dem Heimgegangenen den
Dank für seine Treue aus und widmete ihm den
mr. Abschiedsginiss. Im Namen des E. B. legte
Br Dörffel den wohlverdienten Lorbeerkranz
am Sarge nieder und sprach: „Auf Wiedei*sehen
nach kurzer Frist“.
Vergegenwärtigen wir uns Fuchs’ Charak¬
terbild noch einmal, so haben wir einen Mann
vor uns, dessen hervortretendsten Züge Gott¬
ergebenheit, Pflichttreue, Bescheidenheit und
Menschenliebe waren. Er war eine in sich ge¬
festigte, stille Natur, rein und harmonisch, klar
mit sich und seinem Gotte. In seinem Sprechen
und Thun verbreitete er um sich eine wohlthuende
Ruhe, welche er sich durch die Arbeit seines
langen Lebens errungen hatte. Arbeit war die
Zierde dieses Maurerdaseins, der Weisheit letzten
Schluss, er hatte ihn frühe schon gezogen.
Glaube, Liebe, Hoffnung, die er in seinen Meisier-
arbeiten so gern mit Weisheit, Stärke, Schönheit
verglich, in seinem Auge, das in letzter Zeit schon
halb verklärt erschien, kamen sie zum Ausdruck.
Alles in allem war er das Bild eines Frmr-
Mstrs in der Vollkommenheit, die für uns hie-
nieden erreichbar ist; aber nicht nur im Leben,
nein, viel mehr als das, er hat sich im Tode als
Meister gezeigt, er ist hingegangen, fertig mit
sich und seinem Gotte, in der festen Zuversicht,
dass uns ein ewiges Leben beschieden.
In einer seiner letzten Mstrarbeiten: „Die
Liehe hört nimmer auf“ sagt er: „Ja selbst das
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Orah wird zu einer Botscbat't des Heils, zu einem
Wegweiser für die Ewigkeit. Nur muss man im
Kampfe des Lebens sich die Glaubenszuversicbt
bewahrt haben, dann bleibt die Furcht und der
Schrecken ferne, wenn die ernste Stunde der
Trennung schlägt. Die Ruhe und der Frieden
der Seele sind der Siegespreis, den der Kämpfer
für dieses Leben errungen, Haben wir die ir¬
dische Glückseligkeit durch Glaube, Liebe, Hoff¬
nung ermngen, dann dürfen wir getrost an die
Pforten der Ewigkeit klopfen, es wird uns ge¬
öffnet werden und wir werden den verheissenen
Lohn empfangen.“
In diesen Worten giebt uns Br Fuchs
wohl in Vorahnung seiner baldigen Vollendung
noch einmal das Resultat seines Lebens. Das
Ziel eines Frmr-Mstrs, er hat es erreicht, davon
zeigen seine letzten Stunden.
Br Fuchs glaubte sein Ende noch nicht
so nahe; er ist eingeschlafen, wohl ohne zu em¬
pfinden , dass er nicht mehr erwachen sollte,
aber er war wohl vorbereitet. Klaren Geistes
bis zuletzt äusserte er in einem Gespräch über
den Tod: „Nun wenn er kommt, ich bin fertig“.
— Von Todesfurcht wurde er nicht gequält, er
begrüsste den Todesengel als den zuverlässigsten
Freund, als den Erlöser. „Ich habe keine Angst“
war das weitere letzte Wort von ihm im Hin¬
blick auf den Tod, und damit ging er hin, um
in ruhiger Glaubenszuversicht an die Pforten
der Ewigkeit zu klopfen. -
So starb Br Fuchs als Frmr-Mstr. Die
Kunst zu sterben, die er uns so lange und so
oft mit Worten, er hat sie uns zuletzt durch
sein Beispiel gelehrt.
Br Fuchs hat sein Tagewerk gethan, er.
ist abgerufen vom Bau.
Trauernd sind wir hier versammelt, ist uns
doch der geliebte Führer, der Br und Freund
für immer entrissen; aber wir lösen uns nicht
auf in Trauer, wir jammern und klagen nicht,
denn wir bleiben nicht einsam zurück, sein Geist
lebt weiter unter uns.
(Zum Bilde des Verstorbenen gewandt.)
Allezeit getreu deinem Gotte, getreu den
Menschen und vor allem getreu dir selbst, hast
du auch unsrer Sache Treue erwiesen bis zum
letzten Athemzuge. Deine Liebe für die er¬
habene Idee der Frmrei im allgemeinen, für die
Loge B. z. L. im besondern war eine so grosse,
dass hier in Worten ausgesprochener Dank wesen¬
los sein wüi’de. Wohl aber geloben wir, dass wir
dein Vermächtnis treu bewahren und mit allem
Eifer auszuführen suchen werden.
Unsre Liebe, unser Dank gehören dir noch
weit über die Zeitlichkeit hinaus, treu sind auch
wir mit dir gegangen bis zu dem Scheidewege,
an dem du uns auf Erden zurückliessest, um selbst
der Vollendung entgegenzugehen.
Entlassen bist du nun aus der Kette, die
uns hier unauflöslich verband, der höchste Wel¬
tenmeister fand, dass es, dich daraus abzurufen,
gerechte und vollkommene Zeit wäre. Doch,
dass wir dereinst wieder mit dir vereint in der
Kette verklärter Geister vor dem Antlitz des
A. B. a. W. stehen werden, das ist unser Trost
und das ist unsre Hoffnung. Bis dahin — auf
Wiedersehen!
(Die Brr bilden die Kette.)
Wir aber, meine gel. Brr, sind jetzt enger
in die Kette getreten um das Bild unsers i.d.e.O.
eingegangenen Ehrenmeisters und geloben, dass
wir treu in seinem Sinne ausbarren wollen am
Bau, um ihn zu fördern, jeder nach seinen Kräften,
bis auch wir dereinst abgemfen wei*den. Möchte
dann jeder von uns sagen können: „Ich bin
fertig!“ — „Mir ist nicht bange!“
Begrabe deine Toten
Tief in dein Herz hinein.
So werden sie dein Leben
Lebendige Tote sein.
So werden sie im Herzen
Stets wieder auferstehn,
Als gute, lichte Engel
Mit dir durch’s Leben gehn.
Begrab* dein eignes Leben
In andrer Herz hinein;
So wirst du, und bist du ein Toter,
Ein ewig Lebender sein.
Ein Koch 'Vl
mit vorzüglichster Empfehlung, verheirathet, wOntoHt
eine Logen-Oekonomie pr. Juli evtl. Oktober
zu Ubernehmen. Gefl. Offert, unt. J. W. 2689
an Rudolf Moste, Berlin S.W. erbeten.
VerlaR von Bruno Zechcl In Leipzlff.^
Soeben erschien;
As t r äa
Taschenbuch für Freimanrer
anf das Jahr 1896.
Herausgegeben von
Bp Robert Fischer.
Neue Folge: 15. Band.
Preis M. :i.—• geh. M. 8.75.
Zu beziehen durch alle Brr Buchhändler, sowie
auch direkt von
Leipzigi April 1896. Bruno Zechel.
Druck und Verl»sr von Mr Bruno Zechel in Leipzig.
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23. Jahrgang.
No. 5.
Am Eeissbrette.
Mai 1896.
Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum
Rautenkranz in Hildburghausen.
Für Brr Freimaurer-Meister.
Begründet von Br Marbach. Fortgefiihrt von Br Fuchs.
Schriftleiter: Br Dr. A. GOndol, Leipzig-Reudnitz. _
Das Blatt wird vorzugsweise Beiträge bringen, die in den Logonversammlungen eines der drei Grade
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Lo^ Balduin zur Linde stehenden
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Einzelne Bit Meister, welche^ als
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 8 Mark abonniren
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf-
f enommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebühr von
5 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile._
Inhslt: Pfliohtbewasstfein. — Der UnitArbliohkeits gedsii k« in der Oesohicht« der alten Völker. —
AstrSa. — Trinksprnoh anf die Schwestern. — Anzeige.
Pflichtbewosstsein.
Vortrag, gehalten im m. Grade in der Loge Wilhelm
z. d. 8 8. in Wolfenbüttel von Br Roegglen,
Pastor in Bornhausen.
Eine dramatische Allegorie hat Br Schröder
die ergreifende Handlang genannt, durch welche
die Erhebung in den Mstrgrad erfolgt. Man
bezeichnet sie auch als moralisches Symbol. Sie
findet nicht bei allen Mstm die gleiche Würdi¬
gung, Ein bekannter Br hat die Ansicht aus¬
gesprochen, dass man an Stelle dieser auf der
Hiramssage beruhenden Handlung lieber das
Gleichnis vom barmherzigen Samariter ver¬
wenden solle.
Diese Auffassung kann ich nicht teilen.
Jenes Gleichnis würde für mich die Be¬
deutung des 8. Grades nicht erschöpfen. Sein
Platz möchte vielmehr, namentlich beim Gebrauch
des fi. St, im 2. Grade sein.
Denn der 1. Grad stellt den Menschen dar,
wie er aus der Hand der Natur hervorgeht,
um zur Erkenntnis über sich selbst zu gelangen.
Den 2. Grad erfasst den Menschen als Glied
der Menschheit. Der Gesell muss das, was er
als Lehrling in sich aufgenommen, zur Gestal¬
tung bringen. Dazu gehört die Bethätigung der
Nächstenliebe ohne Ansehn der Person und des
Bekenntnisses. Dem entspricht die Bedeutung
des fl. St. z. B. im Ritual des eklekt. Bandes
als Symbol des Makrokosmus (des körperl. Uni¬
versums), sowie nicht minder der Menschenliebe,
welche den Kern des Mikrokosmus (des geist.
Universums) bildet.
Unser 3. Grad aber muss noch tiefer führen.
In ihm verkörpert sich der nach Gottes Eben¬
bilde geschaffene Mensch, bereit zu allem sitt¬
lichen Guten und willig, seinen Schöpfer zu er¬
kennen, zu ehren und zu lieben, um dereinst
einzugehen in die ewige Vollendung.
Von diesen Pflichten darf den Mstr nichts
abschrecken. Daher ist der Grundgedanke unsers
Grades nach Schröders System: Der Mstr achtet
selbst das Leben nicht, wenn es ohne Verletzung
der Pflicht nicht erhalten werden kann.
Um aber zu wissen, was Pflicht sei, be¬
darf es eines Vorbildes. Br Jean Paul sagt:
„Entweder grosse Menschen oder grosse Zwecke
muss ein Mensch vor sich haben, sonst vergehen
seine Kräfte*; und Wilh. v. Humboldt gesteht:
„Wenn man einem durchaus reinen und wahr¬
haft grossen Charakter lange zur Seite steht,
geht’s wie ein Hauch von ihm auf uns über.*
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34
So gestatten Sie mir, meine Brr, zu Ihnen
vom Pflichtbewusstsein zu reden. Lassen
Sie mich, zum Hinweis auf ein Vorbild der
Pflicht, meine Ausführungen auf einer kurzen
geschichtlichen Darlegung der Hiramssage auf¬
bauen.
Bekanntlich ist Hiram eine biblische Per¬
sönlichkeit. Er war ein Mstr in Erz, der die
beiden Säulen ün Vorhofe des ersten salomo¬
nischen Tempels und viele Tempelgeräte ge¬
gossen hat. Die Zunftgeschichte der Steinmetzen
hat ihn zu einem berühmten Baumstr gemacht.
Da von ihm Chokma, Thebuna und Daath Weiss-
heit, künstlerisches Verständnis und Kunstfertig¬
keit gerühmt werden, so sind, auch nach Ander¬
sons Andeutung in seiner Geschichte der Frmrei,
hierauf unsre Begriffe Weisheit, Schönheit, Stärke
zurückzuführen. Der Name dieses Mannes wird
etwas abweichend in den Chroniken überliefert.
Stade macht hierfür in seiner Geschichte des
Volkes Israel den jüdischen Chauvinismus ver¬
antwortlich. Hiram, bekanntlich eines Tjrers
und einer Israelitin Sohn, habe als Vollblut¬
israelit aus dem Stamme Dan gelten sollen.
Seine Mutter sei nach dem Tode ihres ersten
Mannes in den Stamm Naphthali gezogen und
habe den Tyrer Hiram geheiratet. Diesem zu
Ehren habe sie ihrem Sohne erster Ehe den Bei¬
namen abi oder abif, d. i. .mein Vater“, ge¬
geben. Geschichtlich und sprachlich näher liegt
eine Verkürzung dieses Beinamen aus abijah
d. i. .Gott ist mein Vater“. Ihn konnte eine
fromme Witwe im Anschluss an Davids 27. Psalm
für ihren Sohn wohl wählen.
Über Hirams gewaltsamen Tod sagt die
Bibel nichts. Deshalb hat unsre Allegorie
mancherlei Auslegungen gefunden.
Nach den Einen führt die Sage auf Osiiis
in den egyptischen, Attys in den phrygischen,
Bacchus in den eleusinischen Mysterien zurück.
Nach Andern ist unter dem erschlagenen Mstr
eine geschichtliche Persönlichkeit zu verstehen,
bald Karl I. von England, bald nach dem Cler-
montschen und schwed. System der letzte Tempel-
hermgrossmstr Jacob Molay, bald in der strikten
Observanz Carol a Monte Carmel. Eine solche
Übertragung von Personen der Schrift auf die
Geschichte weist z. B. Leop. v. Sacher-Masoch
aus der Purimsfeier der polnischen Juden nach.
Hier sind aus Ahasver: der König Casimir, aus
Esther: Esterka, aus Hamann: der Hetman
Chmienizki geworden. Andere Brr mutmassen
Persönlichkeiten im Bauhandwerke, wie den
Schutzpatron der Steinmetzen Reinold, der mit
einem Hammer erschlagen ward, oder jenen
Maurermeister, welcher nach Andrö Grandidiers
Geschichte im Jahre 1276 bei Grundsteinlegung
zum Turm des Strassburger Münsters getötet
ward. Manche neuere mrische Schriftsteller
sehen in der Hiramslegende das Symbol des
jährlichen Sonnen- und Naturlaufes.
Doch über alle diese Auslegungen ragt die
eine hervor, von welcher Br v. Selasinski in
seinen Mstrinstruktionen sagt: .Es wird hier
das Bild eines Mannes aufgestellt, der Pflicht,
Gewissenhaftigkeit und Bekenntnis der Wahrheit
höher achtete, als das Leben.“
Ob vor den Brn, die zwischen 1722—25
den 3. Grad errichtet haben, unter diesem Manne
Hiram oder Jesus Christus verstanden ist, müsste
durch Nachweis der Benutzung alter rosen-
kreuzeiischer Schriften aus dem 17. Jahrh. noch
mehr, als bisher erhäi*tet werden. Auffallend
ist, dass Anderson in seiner im Const. B. von
1723 mit 1721 abschliessenden Geschichte noch
nicht, wohl aber in dem von 1738 Hirams
plötzlichen Tod erwähnt. Der Beweis wäre um
so nötiger, als die in unserm System verständnis¬
los nach Tubalkains Stiefbrüdern Jabal und
Jubal benannten 3 Gesellen im 61u de Perignau:
Romvel, Gravelot und Abiram heissen. Diese
Namen klingen wohl mehr an Korah, Dathan
und Abiram, die Empörer wider Mose, als an
Herodes, Caiphas und Pilatus an. Dazu kommt,
dass nach Br Schiffmann die Erzählung von
Hirams Ermordung aus dem Talmud ent¬
nommen ist, gleichwie Br Oliver unter den
3 Gesellen die Assyrer, Chaldäer und Römer
versteht.
Trotzdem darf sich selbstverständlich der
einzelne Mstr unter dem sagenhaften rituell-
symbolischen Hiram den geschichtlichen Christus
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als das bedeutendste Vorbild sittlicher Pflicht¬
erfüllung vorstellen.
In Jesu Leben vollzieht sich der Kampf
zwischen Licht und Finsternis grossai*tiger, als
in der germanischen Sage die Feindschaft Lokis
gegen Balder. Und Christus ist siegreich aus
diesem Kampfe hervorgegangen, gehorsam bis
zum Tode am Kreuz. Ist er unser Vorbild,
so vermögen die drei Gesellen, die Fehler des
Kopfes, des Herzens und die niedem sinnlichen
Leidenschaften, uns dauernd nicht zu schaden.
Mit Gewalt haben sie Hiram abtrotzen
wollen, was nur durch Zeit und Fleiss erlangt
werden kann.
Der erste Gesell fordert von ihm das
Mstrwort. Er hält es für den Talisman, der
alle Geheimnisse der k. K. auf einmal erschliesst.
Thörichter Wahnl
Wie mancher hat schon gemeint, mühelos
in unsere Bauhütten Aufklätung zu erhalten
über allerlei tiefsinnige Speculationen. Neugierig
ist er von Grad zu Grad geeilt, um beim letzten
zu gestehen: »Aber immer blieb verborgen, was
ich suchte, was ich will!* Warum? Weil seine
Sinne gehalten waren, dass sie das Symbol, mit
welchem der erste Gesell Hiram den Halsschlag
gab, nicht erkannten. Weil er zur Wahrheit
eingehn wollte durch Schuld.
Der eingeteilte Massstab hätte ihn be¬
lehren können, dass man die rechte Erkenntnis
der Grössen, d. i. die Wahrheit, nur durch eigne
Untersuchung, Prüfung und Überzeugung ge¬
winnt. Alle irdische Erkenntnis hat freilich
ihre Grenzen.
»Verscherzt ist dem Menschen des Lebens Frucht,
Solang er die Schatten zu haschen sucht.-
So lang’ er glaubt, dass dem irdischen Verstand
Die Wahrheit je wird erscheinen;
Ihren Schleier hebt keine sterbliche Hand,
Wir können nur raten und meinen.*
Aber das sollen und müssen wir. Schreiben
wir auch in aller Demut auf unser Reissbrett:
»Ein Mstr ward* ich, doch ein Lehrling bleib’
ich*, — so dürfen wir doch sprechen mit
unserm Br Lessing: »Wenn Gott in seiner
Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den
einzigen, immer regen Trieb nach Wahrheit ver¬
schlossen hielte und spräche zu mir: wähle! ich
fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte:
Vater, gieb: die reine Wahrheit ist ja doch nur
für dich allein.“
Darum, meine Brr, Pfiichtbewusstsein in
den Grenzen unseres mrschen und bürgerlichen
Berufs! Der eingeteilte Massstab weise uns
stets auf unser Wirken hin. Auch unsre Ar¬
beit ist nicht vergebens, wenngleich wir nur
Sandkorn an Sandkorn reihen. Auch unser Stand
hat seinen Frieden, auch unser Beruf hat seinen
Segen, sofern wirs beherzigen:
»Sei, was du bist und werden sollt.
In deines Lebens Schranken.
Im Feuer läutert sich das Gold;
Steh fest und ohne Wanken!“
Darum lassen Sie uns, als unsre zweite Pflicht,
für Charakterbildung sorgen!
Nach Mstr eh re trachtete der zweite Ge¬
sell, welcher mit einem Winkelmass auf Hirams
Brust einschlug. Wiederum ein verhängnisvoller
Irrtum! Was frommts, „gross vor der Welt,
klein vor sich selbst zu sein?“ Wie bedrückt's.
Andern zu predigen und sich selbst verwerflich
zu erscheinen!“
Vollkommen gut werden wir freilich nie¬
mals durch uns. Dazu bedarf es des Beistandes
des A. B. Aber dem Guten nahe zu kommen,
vermögen wir. Das Winkelmass weist uns
auf die strenge Gerechtigkeit in unserm ganzen
Betragen hin, von der wir nicht abweichen
können, ohne strafbar zu werden. Gerechtigkeit
aber kann nur von Innen heraus erwachsen.
Wie der Grundstein, so der Schlussstein: ein har¬
monisches Ganze. Darum ermahnt uns Br Goethe:
»Suche nicht vergebens Heilung!
Unsrer Krankheit schwer Geheimnis
Schwankt zwischen Übereilung
Und zwischen Versäumnis.“
Unbeugsam fest muss der Mstr in dem stehen,
was er als gerecht, als seine Pflicht erkannt hat.
Ihm gilt’s:
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,Sei du im Leben, wie im Wissen
Durchaus der reinen Fahrt beflissen.
Wenn Sturm und Strömung stossen, zerm,
Sie werden doch nicht deine Herrn.*
Schon die alten Griechen hatten eine fromme
Ehrfurcht vor dem Fatum. Ihm sich zu beugen,
ihm ohne Murren zu folgen, galt als höchste
Weisheit, als schönster Gottesdienst. Wir kennen
den Willen Gottes aus der Bibel, die auf dem
Altar liegt, aus dem Winkelmass, das wir für
uns, dem Zirkel, den wir für die Menschheit hin¬
zufügen Verstehen wir, was Br Herder sagt?:
„Suchst du den Hirten der Heerde, die droben
sich badet im Äther,
Suchst du das hohe Gesetz, welches die Welten
bewegt?
Sterblicher blick in dich selbst! Da hast du
die höhere Regel,
Die nicht die Welten allein, die auch sich selber
regiert.“
Der Mstr, der so zu einem Charakter sich ent¬
faltet, begreift es:
„Wer durch das Leben sicher sich will schlagen,
Der lerne bald, was ihm von nöten sei;
Ein Herz von Stahl muss er im Busen tragen.
Von allem Roste niedrer Selbstsucht frei.
Stark muss er sein, entschlossen, kühn im Wagen,
Ob auch das Unglück noch so furchtbar d'rftu ;
Und ist es da, unmännlich nicht verzagen.
Dem bessern Wissen und der Pflicht getreu.
Dann wird er auch das Schwerste leicht voll¬
bringen
Und wie ein Gott die Hölle selbst bezwingen.“
Ja, meine Brr, dann wird ihm auch der Mstr¬
ich n nicht fehlen, den jener dritte Gesell ver¬
gebens begehrte, der Hiram mit einem Hammer
den Todesschlag versetzte.
Ein Symbol der Macht ist der Hammer.
Thor führt in der nordischen Sage den Hammer
Miölner.
An Macht war jenem Gesell freilich wenig
gelegen. Er wollte in niedriger Gesinnung haben,
was die Macht erschliessen kEinn: den sinnlichen
Lebensgenuss. Nicht also der Mstr. Wohl darf
auch er die Macht nicht ausschlagen, die ihm
angeboten wird. Aber er muss sie verwenden
zum Besten seiner Brr, zu seiner sittlichen
Förderung. Je mehr Macht, desto grössere
Pflicht. „Aliis inserviendo consnmor, im Dienste
Andrer verzehr* ich mich“, war der Wahlspruch
des Herzog Julius, unsres kirchlichen Refor¬
mators, des Stifters unsrer einstigen Landesuni¬
versität.
Deshalb ist der Hammer zugleich Symbol
der unermüdlichen Arbeit an uns selbst. «Vor
die Jugend haben die Götter den Schweiss
gesetzt!“
„Alles Labsal, was uns hier beschieden.
Fällt nur im Kampf und Streit uns zu.
Nur in der Arbeit wohnt der Frieden,
Und in der Mühe wohnt die Ruh,“
„Immota fides, unwandelbare Treue“, ist
die Devise unsres Landesordens, „Nec aspera
terrent. Rauhes schreckt nicht“, unsres Herzog¬
tums Wahlspruch.
Wohlan denn, bleiben wir unsrer Pflichten
uns bewusst, treu bis zum Tode!
„Der einzige Lohn, der meine Tugend krönen
sollte,
Ist meiner Tugend letzter Augenblick!“
Alles andre stellen wir dem ewigen Mstr anheim.
„Es rufen von drüben
Die Stimmen der Geister,
Die Stimmen der Meister:
Versäumt nicht, zu üben
Die Kräfte des Guten!“
Der Unsterblichkeitsgedanke in der
Geschichte der alten Völker.
Von Br H. Arnold, Mstr v. St. der Loge Phönix
im Or. Leipzig.
(Schluss.)
Was nun die alten Griechen und Römer
anlangt, die die am meisten durchdachte und
klarste Götterlehre hatten, so glaubten auch sie,
dass der Mensch ausser dem Leibe eine un¬
sterbliche Seele besitze, die sich beim Eintritte
des Todes ti’ennten. Während die sterbliche
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Hülle ins Grab gesenkt oder verbrannt wurde,
wanderte die Seele in das Reich der Schatten,
in den finstern Orkus hinab. Dort sass der
unfreundliche Beherrscher der Unterwelt, Hades,
und sorgte dafür, dass alles in Schweigen und
freudlosem Hinbrüten verharrte. Wer heldenhaft
gewesen, mit Ungeheuern gekämpft und Grosses
vollbracht hatte, dessen Seele konnte auch direkt
zu dem Olympos emporgehoben werden, um dort
nach dem Genüsse von Nektar und Ambrosia
selbst den unsterblichen Göttern gleich zu werden.
Als Odysseus auf seinen Irrfahrten auch
den Eingang zur Unterwelt fand, da kamen ihm
die Schatten bekannter Helden entgegen; aber
diese Begegnung war durchaus nichts Freudiges,
sondern hatte eher etwas Düsteres an sich, so*
dass man zu der Ansicht kommen muss, das
Schattenreich der Griechen sei kein Ort der
Freude und des Glückes gewesen.
Dass die Griechen an eine unsterbliche Seele
glaubten, lehrt am deutlichsten die Herkules¬
sage. In ihr tritt ja auch die Lehre deutlich
hervor, dass der Tugendweg durchaus nicht mit
Rosen bestreut ist, sondern dass nur der ihn
wandeln kann, der bereit ist. Schweres zu voll¬
bringen und Mühe und Sorge zu ertragen. Als
Herkules durch das vergiftete Nessushemd ganz
unerträgliche Schmerzen zu dulden hatte, da
entschloss er sich, das Sterbliche, das er an
sich hatte, durch das läuternde Feuer zu ver¬
nichten, damit sein unsterblicl^r Geist sich zu
Zeus emporschwingen konnte, j Schiller schildert
dies folgen dermassen: ^
/
Bis der Gott, des Irdischen entkleidet,
Flammend sich vom Menschen scheidet,
Und des Äthers leichte Lüfte trinkt.
Froh des neuen ungewohnten Schwebens
Fliesst er aufwärts, und des Erdenlebens
Schweres Traumbild sinkt und sinkt und sinkt.
Des Olympos Harmonien empfangen
Den Verklärten in Kroniens Saal,
Und die Göttin mit den Rosenwangen
Reicht ihm lächelnd den Pokal.
Dass in dem Göttersaale des Olymp die
Freuden der Erde nicht ganz unbekannt, dass
selbst die unsterblichen Götter mit menschlichen
Schwächen und Leidenschaften behaftet waren,
ist eine allbekannte Tbatsacbe, und es kann
daraus geschlossen werden, dass die Griechen
auch im Fortleben der Seele noch ein Weiter¬
spinnen des Erdendaseins vermuteten, nur mit
der Einschränkung, dass die Fahrt der Seele
über den Lethe alles Erinnern an das irdische
Leben weggewischt hatte. Darum eben konnte
das neue Leben durch irgend welche trübe Er-
fahiungen während des Erdenwallens nicht be¬
einträchtigt werden.
Die Römer hatten im allgemeinen die grie¬
chische Götterlehre angenommen, waren also auch
der Meinung, dass es ein Fortleben des Geistes
nach dem Tode gäbe.
Unsre altdeutsche Mythologie, die in vieler
Beziehung der der alten orientalischen Völker
gleicht, kennt gleichfalls ein Fortleben der Seele
nach dem Hinwelken des I<eibes. Die Gedanken
über Unsterblichkeit und Tugend, die wir dort
finden, verdienen überhaupt unsre vollste Be¬
achtung.
Die Juden, ^ie sich gerne das auserwählte
Volk nannten, weil sie den Glauben an den
einigen wahren Gott im Altei*tum zuerst lehrten,
waren selbstverständlich Anhänger der Lehre,
dass die Seele, die sich im Tode vom Leibe
trennt, weiter lebt; sie machten auch einen
Unterschied zwischen Guten und Bösen, ohne
indess die Grenzlinie zwischen beiden haarscharf
zu ziehen. Die Seelen der Sünder sollen zur
Hölle wandern, um dort ewige Qual zu erleiden,
während die Seelen der Frommen eingehen sollten
in die ewige Seligkeit, die weit erhaben ist über
alle menschlichen Vorstellungen von Glück, Heil
und Frieden.
Dass Jesus diese Lehre aufgriff, um auch
seinen Anhängern die Hoffnung zu gewähren,
einst noch ein schöneres, besseres Leben zu ge¬
messen, ist schon dämm sehr erklärlich, weil
er besonders ein Sendbote Gottes für das niedrige
Volk war, das ja, weil es auf Erden Not und
Jammer genug zu ertragen hat, wenigstens in
dem Hinweise auf das einstige Leben einen Trost
haben muss. Wie Hesse sich sonst ein Glück
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auf Erden denken für den, der kaum das hat,
was er zu des Lebens Notdurft gebraucht? Glück¬
lich kann sich nur der fühlen, der volle Be¬
friedigung über seinen Zustand empfindet. Das
ist aber sehr schwer, wenn ein Armer sieht, wie
sein Nächster, der mit irdischen Glücksgütern
aller Art gesegnet ist, sich jeden Wunsch er¬
füllen kann, während er selbst nur dem Karren¬
pferde gleicht, das zur Arbeit und Plage be¬
stimmt zu sein scheint. Da ist es für ihn ein
Trost, dass das Jagen nach irdischen Güteni,
die übertriebene Sucht nach Gewinn, als etwas
mit dem christlichen Streben nicht Vereinbares
hingestellt und dass gelehrt wird: Es ist leichter,
dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als
dass ein Reicher in das Himmelreich komme.
Der reiche Jüngling, der sich nicht entschliessen
konnte, seine Güter zu verkaufen und den Erlös
den Armen zu geben, wird bezeichnet als nicht
geschickt zum Reiche Gottes. Die Verachtung
dessen, was die Erde schön und angenehm macht,
soll den Menschen beizeiten soweit bringen, nur
zu trachten nach dem, das droben ist, seine
Seele also für die reinen Freuden des Himmel¬
reiches vorzubereiten.
Die biblische Schöpfungsgeschichte lehrt,
dass der Leib des Menschen aus einem Erden-
klosse gebildet, dass aber die Seele direkt von
Gott in dieses Bild eingehaucht wurde. Was
ist natürlicher, als dass nach dem Tode der
Körper wieder zur Erde wird, davon er ge¬
nommen ist, der Geist aber wieder zu Gott
geht, der ihn gegeben hat?
So erstattet also der Tod das wieder zu¬
rück, was während des Menschenlebens gewis-
sermassen nur geliehen war.
Wem der Glaube an ein Jenseits abhanden
gekommen ist, der ist wirklich beklagenswert.
Er kann nach unserer Meinung weder für sich
noch für andere einen rechten Trost haben, wenn
ihm ein liebes Glied seiner Familie durch den
Tod entrissen wird; ja er wird sich auch schwer
zu Idealen irgend welcher Art begeistern können,
muss er sich doch immer sagen, dass das, was
er für die Ausbildung seines Geistes thut, nur
für die kurze Lebensdauer einen Wert haben
kann. Das Wort Glaube braucht er für seine
Verhältnisse nicht; das ist nach seiner Meinung
nur für die Geistigarmen nötig, die da zu nichts
anderm bestimmt sind als zu harter Arbeit tag¬
aus, tagein. Glücklicherweise sind es immer
nur einzelne, die auf einem solchen Standpunkte
stehen; die Mehrheit der Menschen denkt anders.
Wenn ein ganzes Volk seinen Glauben an die
Unsterblichkeit verlöre, das wäre gerichtet; für
dieses gäbe es keine glorreiche Zukunft. Wo
soll bei einem solchen Begeisterung für das
Hohe und Erhabene, für das Wahre, Gute und
Schöne gedeihen?
Darum ist der Unsterblichkeitsgedanke und
der Glaube an ein besseres Jenseits für die ge¬
samte Menschheit ein Edelstein, den nie ein
Spötter trüben soll. Wenn selbst alles auf Erden
uns fehl schlägt, so hleibt uns doch die Hoff¬
nung auf einstige Vergeltung im höhem Lichte.
D er -dri t t e- G r a d unsere^: k. K.^andeU ja vaoc# /
wiegend von den. letzten Dinge^; Arbeiten
darin sollen uns stets von neuem m dem Bewusst¬
sein stärken, dass wir hier keine bleibende Stätte
haben, sondern die zukünftige suchen müssen.
Wollen wir stets dieser erhabenen Pflicht ein¬
gedenk sei^w o l hin wir un s des Dichters Worte
recht tief ins Herz schreiben, die da lauten:
Und eins, mein Gott, das keine Zeit mir raube.
Nicht mit Gewalt und nicht mit bösem Trug,
Das bleibe mir: der fromme Kinderglaube,
Der himmelan sich schwingt mit frohem Flug,
Der hundertmal sich frisch erhebt vom Staube,
Wenn hundertmal die Welt ihn niederschlug;
Der Glaube an ein heilig Walten droben.
Wie auch die Feinde spotten oder toben.
Drauf bitt’ ich noch: lass mir mein kindlich
Hoffen,
Das hellen Aug^s in dunkle Zukunft schaut,
Das über Wolken sieht den Himmel offen.
Dem hinter Bergen noch ein Eden blaut,
Das, wenn der Blitz sein irdisch Haus getroffen,
Im Himmel kühn sich bess're Hütten baut.
Und fröhlich spricht: ob ich gleich fall* und
sterbe.
Dort oben glänzt mein ewig Teil und Erbe.
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So bleib’ ich Kind, so sprech’ ich zu den Jahren:
Fahrt hin, mich streift nur eurer Flügel Schwung,
Ein Jüngling blüh’ ich noch in Silberhaaren,
Denn Gottes Gnade macht mich täglich jung.
Und einst mit Flügeln will ich aufwärts fahren,
Am grossen Tage der Verwandelung,
Da wird mein Gott mir Seel’ und Geist verjüngen,
Ein Kind des Lichts mich himmelan zu schwingen.
Asträa.
Taschenbuch für Frmr. auf das Jahr 1896
von Br R. Fischer.
Das im Verlage von Br Bruno Zechel in
Leipzig erscheinende Taschenbuch für Frmr ist in
sein 15. Lebensjahr getreten. Wie in den früheren
Ausgaben, so ist auch diesmal der als maur.
Autor und Redakteur weitgekannte Br Fischer
in Gera bemüht gewesen, in der „Arbeits-, Fest-
und Trauerhalle* seiner Asträa Vorträge — 18
an der Zahl — aus den berufensten Federn zu
bringen. Vier davon entstammen seiner eigenen.
Bei der gewiss grossen Auslese maur. Zeit¬
schriften und bei der geringen Zeit, die man
dem Genüsse derartiger, namentlich der erbau¬
lichen Lektüre zu widmen geneigt oder in der
Lage ist, sollte man meinen, müsste ein solches
Sammelwerk überflüssig erscheinen. Wenn sich
aber diese Meinung hier als falsch erweist, so
macht das sowohl dem Herausgeber, wie auch
den Bearbeitern der einzelnen Themen alle Ehre.
Es hat sich schliesslich jeder Schriftsteller, ge¬
radeso wie jeder Redner seine Gemeinde ge¬
bildet, und wenn auch das gedruckte Wort dem
geschriebenen meistens vorgezogeu werden wird,
so halten wir in unsem Musestunden doch gern
einmal bei den Verfassern Einkehr, welche durch
die ansprechende Art ihrer Darstellung, durch
das Charakteristische ihrer Stoffauswahl, wie durch
deren individuelle Auffassung, oder allseitige
Beleuchtung uns am meisten Zusagen. Und in
der Asträa kann jedes Sehnen befriedigt und
jeder Wunsch gestillt werden. Geschichte der
Frmr ei, ihre sozialen und ethischen Aufgaben
sind in gleicher Weise bedacht.
Zu dem Namen Taschenbuch ist das Werk-
chen wohl mehr durch seinen 4. Teil, die ,Rund¬
schau* gekommen, obgleich derselbe vom Heraus¬
geber eigentlich etwas stiefmütterlich behandelt
worden ist. Hier werden wir nach einem all¬
gemeinen Überblicke in 11 besonderen Kapiteln
bekannt gemacht mit den maur. Ereignissen
des Vorjahres. Wir erfahren von den Beziehungen
der Frmrei zum Throne, von der Thätigkeit des
Grosslogenbundes, von sonstigen Versammlungen
Jubiläen, Neugründungen, Todesfällen, littera-
rischen Erscheinungen, Zeitschriften, von einigen
statistischen Angaben, Wohlthätigkeitsveranstal-
tungen und 3 besonderen, der Überschrift »All¬
gemeines* untergeordneten Vorgängen. Wenn
auch einige dieser Abschnitte, z. B. der über
die Statistik, etwas reichlicher und vollständiger
hätten bedacht werden können, so giebt diese
Rundschau doch klar und deutlich ein Bild
maur. Thuns aus dem Jahre 95, das zur Orien¬
tierung in den Hauptgeschehnissen namentlich
dem vortreffliche Dienste leisten wird, dem Zeit
und Gelegenheit fehlen, sich anderweitig auf
dem Laufenden zu erhalten.
Indem wir daher das Werkchen mit gutem
Gewissen empfehlen, können wir dem Heraus¬
geber für seine That nur dankbar sein und dem
Buche selbst, namentlich des herrlichen Blüten-
strausses maur. Vorträge wegen, die grösstmög-
liche Verbreitung wünschen# Br A. O.
Trinksprnch anf die Schwestern.
Von Br 0. Fache in Leipzig, B. z. L.
1. Wir haben als Mr. die Pflicht übernommen,
in uns und an uns die Schönheit zu verwirk¬
lichen! Was Schönheit ist, wir wissen es. Ihr
Abbild wandelt unter den Menschen. Schauet
das Weib, sehet die Schwester. Die Fülle der
herrlichsten Formen hat ihr der a. B. a. W.
verliehen. Solange eine gottbegnadete Kunst
das reinste und höchste Ideal der Schönheit dar¬
zustellen versucht, solange haben ihre begeisterten
Jünger mit keuschem Sinne und heiligem Feuer
des Weibes Lichtgestalt in Bild und Wort be¬
sungen. So isFs seit Jahrtausenden geschehen.
Und noch weitere Jahrtausende hindurch wird
dem Pfingstgeiste der Kunst kaum gelingen, den
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ganzen Inbegrifif der Schönheit des Weibes zu
erfassen. Denn nicht die Reinheit der Form,
nicht die Hoheit der Gestalt sind es, welche
unsere Herzen mit geheinmissvollem Zauber er¬
füllen. Diese sind nur Schale. Was unsere
Seele gefangen nimmt, das ist die Anmuth,
die in jeder Bewegung, in jedem Blicke, in jedem
Worte bei dem Weibe zur Geltung kommt.
Schönheit wird vom Alter besiegt; Anmut geht
mit in das Grab. Die Schönheit bewundern
wir; die Anmut müssen wir lieben. Anmut
ist aber keine Eigenschaft des Weibes; sie ist
mehr. Sie ist der naturgemässe Ausfluss der
Güte und des Wohlwollens, welche der Schwester
Herz regieren. Sie ist das vollgültige Zeugnis
für die Schönheit der Seele, die ihre lieblichste
Entwicklung findet in der Liebe, der herrlichsten
Gabe des Himmels. Sie ist die ungezwungene
und ungesuchte Wirkung des reinen Herzens
und keuschen Sinnes, der unsere Schwestern hoch
über die Gemeinheit hebt!
2. Die Liebe regiert die Schwester. Sie giebt
ihr die Kraft, das Notwendige des Lebens dienend
zu erfüllen und durch die Art dieser Erfüllung
in freiwilliger Abhängigkeit Allen das Leben zu
verschönen und zu veredeln. Der Mann wird
vom Gesetze angewiesen, seine Familie anständig
zu erhalten. Für c^^e Frau giebt es kein solches
Gesetz. Es ist auch nicht nötig; denn Glück
um sich bereiten ist der selige Beruf des Weibes,
und unsere Schwester ermattet nie in den
tausenderlei kleinen und grossen Verpflichtungen,
die ihr auferlegt sind. Wer da weiss, wie die
gute, pünktliche und ruhige Erledigung aller
dieser Dinge ganz wesentlich zu unserem Wohl¬
befinden beiträgt, der bekennt auch gern und
freudig, dass wir unseren Schwestern in erster
Linie den Gottesfrieden des Hauses zu danken
haben. Es giebt ja keine grössere, keine höhere
Glückseligkeit auf Erden, als die Segnungen der
Familie. In der Wohnstube vereinigt sich alles
Heilige und Hohe, die Grundlage unserer Kraft,
das Glück unserer Tage und die Hoffnung der
Zukunft. In ihr werden immer neue Freuden
geboren: sie ist unerschöpflich in ihren Gaben.
In ihr sind alle Reize der Einsamkeit, Liebe und
Freundschaft verborgen; sie macht das Herz
froh und glücklich — und die Schwester ist
die Hohepriesterin dieses heiligen Tempels!
3. Von Alters her war die Mutter die erste
Lehrerin des Kindes, die mit heisser Liebe den
erwachenden Geist pflegte und mit Sorgfalt seine
Entwicklung in der ersten Jugend leitete. In
unseren Zeiten aber ist der Kampf um das täg¬
liche Brot, den der Mann zu führen hat, ein
viel härterer geworden. Hinzugekommen ist die
Sorge um das gemeine Wohl, die Teilnahme
am öffentlichen Leben. Da wird der Mann öfter
über die Schwelle getrieben, sodass die Sorge
um die Erziehung der Kinder fast allein ruht
auf den Schultern der Schwester. Es war ja
von jeher also, dass die Menschen auch die
besten und grössten unter ihnen, den edelsten
und vornehmsten Teil ihrer Bildung der Mutter
verdankten. Zu dieser Stunde aber ist das Heil
des kommenden Geschlechtes und das Glück der
Zukunft fast ganz allein von der Schwester ab¬
hängig. Ja, an dem mütterlichen Herzen keimt
jetzt der Geist der Völker: seine Sitten, Vor¬
urteile, Laster und Tugenden — sein Glück
oder sein Unglück; mit anderen Worten: die
Gesittung des menschlichen Geschlechts ist in
die Hände unserer Schwestern gelegt! Darum
segne der a. B. a. W. ihr Bemühen für und
für! Wir aber treten in Ordnung und sagen
dankbaren und hoffenden Herzens:
der Schw. als der Verkörperung der Schön¬
heit, Anmut, Liebe und Reinheit zum 1.,
der Schw. als der Hohenpriesterin unseres
Hauses zum 2.,
der Schw. als der Trägerin der Zukunft
der ganzen Menschheit zum 3.
MT Gesucht '"Vl
werden einige gebundene Jahrgänge fpmschep
Zeitschpiften aus den Jahren 1820—50. Gef.
Offerten unter Preisangabe durch Bruno Zechel
in Leipzig erbeten.
Druck und Verlag von Br Bruno Zechel in Leipzig.
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23 Iah^Mg.| A ly, “D^
1 CI CI rwT» A lluniJull 1896.
No. 6/7. 1 A IJJ^ |V(3
Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archiraedes zu
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum
Rautenkranz in Hildburghausen.
Für Brr Freimaurer-Meister.
Begründet von Br Marbach. Portgeführt von Br Fuchs.
Schriftleiter: Br Dr. A. Güiidel, Leipzig-Reudnitz.
Da 45 Blatt wird vorzugswoiKe Beiträge bringen, die in den Logenversaminlungen eines der drei Grade
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden
Geschäftsstelle betheiligton Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Kinzelne Brr Meister, welche als
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheineude Blatt mit jährlich 3 Mark abonniren
und erhalten es dann unter ilirer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf-
genoniinen, w(‘nn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebühr von
25 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile.
Inhalt: Uniere Ideale. — Die Rätaelfragen der Sphinx. — Über die Zufriedenheit. — Ludwig BSrne al*
Frmr und Sohriftstellor. — Blätter und Blüten. — LHterarisches. — Anseigen.
Unsere Ideale.
Vortrag zum 120. Stiftungsfeste der Loge „B. z. L.“
in Leipzig von Br Dr. Uarrwitz, zug. Mstr. v. St.
E.S liegt wohl in der Natur der Sache, das.s
am Scheidewege eines alten und neuen Logen-
jabres unser Interesse sich vorwiegend solchen
rnaur. Betrachtungsgegenständen zuwenden wird,
welche eine allgemeinere Bedeutung haben.
Denn, indem der Beginn eines neuen
Arbeits-Abschnitts uns die Pflicht zu wieder¬
holter Prüfung des maur. Arbeitsgebietes und
der zur Lösung der gestellten Aufgaben dienenden
Kräfte und Mittel vor die Seele führt, werden
dadurch unmittelbar Erwägungen von grösserer
Tragweite in uns angeregt und die Betrachtung
über das Einzelne hinaus auf das Allgemeine
gerichtet.
Wenn wir in Würdigung dieser Thatsachen
schon an früheren Stiftungsfesten uns mit Gegen¬
ständen der bezeichneten Art beschäftigt haben,
zu denen in den letzten Jahren insbesondere
auch die bisherigen Erfolge der Prmrei, ihre
Fortschritte und ihre Aussichten für die Zukunft
gehört haben, so hatten wir, wie ja ebenfalls
naturgemäss, auch bereits im Rahmen jener
Erörterungen in mannigfacher Weise das innerste
Wesen der Frmrei, die niaur. Ideale zu berühren.
In dieses Centralgebiet der maur. Ideenwelt soll
uns nun unsere heutige Betrachtung mitten
hineinführen. Unsere Ideale selbst, die Leit¬
sterne des Mrs auf der irdischen Pilgerfahrt,
wollen wir ins Auge fassen, um im Aufblick
zu dem nie verbleichenden Strahlenglanze dieses
himmlischen Sternenzeltes unsere Geisteskräfte
zu sammeln und zu erfrischen, unser Herz zu
erfreuen und zu erwärmen zu treuer und rüstiger
Weiterarbeit im neuen Logenjahre und auch
auf unserer ferneren Mrbahn.
Wohl wissen wir, meine Bit, dass in der
Sphäre der höheren Leben.sbeziehungen auch die
Rätsel des Lebens verborgen sind, die uralten
Probleme des Menschendaseins, welche nicht nur
das Herz des Mrs, sondern die Herzen der ganzen
Menschheit von jeher bewegtnind ergriflfen haben,
wolil zeitweilig von der Hand gewiesen, aber
immer mit Übermacht zurückkehrten, Tausenden
und aber Tausenden keine Lösung bringend und
doch gegen Alle auf Lösung dringend.
Jede Hiroglyphen- und Runen - Schrift im
Buche des Lebens so entziffern wollen, dass
nichts mehr darin Geheimnis bliebe, wäre eine
unmaur. Überhebung und zugleich ein Eingriff
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iß die heiligen Rechte jener höhern Macht, welche
die volle Wahrheit den Augen der Staubgebor-
nen verhüllt hat. Auch die Frmrei unternimmt
es nicht, den Schleier dieses Wahrheitsbildes auf¬
zuheben. Aber sie führt uns an den Altar der
Wahrheit heran, vor dem wir, war nur unser
Blick zuvor mit Ernst nach Innen, mit Liebe
nach Aussen, mit Vertrauen nach Oben gerich¬
tet, ahnungs- und demutsvoll wenigstens ein¬
zelne Züge des verschleiert bleibenden Bildes
schauen, zu wenig als dass wir danach von Er¬
kenntnis reden könnten, denn wir sind schwache
Menschen, und doch nicht zu wenig, als dass
nicht der Abglanz des hoheitsvollen Bildes mit
überirdisch-idealem Lichte uns den Pfad des
Lebens erleuchten könnte, wenn wir recht-
schatFene Frmr. sind.
Nur in dem Sinne eines bescheidenen Wahr-
heitssuchens ohne Anspruch auf irrtumsfreie Be¬
weisgültigkeit möchte daher auch unserer Er¬
örterung verstanden sein, wenn sie hier und da
eins der Probleme streift, über welche Niemand
mit apodiktischer Gewissheit reden kann und darf.
Der Frmr, dessen Herz die Ideale der
k. K. erfüllen, wird gern darauf verzichten, sie
im profanen Leben, zumal ungefragt, anzuprei¬
sen. Er wird ihnen treu nachstreben und sie
zu bethätigen suchen, ohne sie dem Markte des
Lebens aufzudrängen. Wenn er sich aber auch
dessen bescheidet, so wird es ihm doch immer
in tiefster Seele wehe thun, wahrnehmen zu
müssen, wie eben diese Ideale, welche doch Ge¬
meingut der Menschheit sind und Allen ebenso
heilig sein sollten, als ihm, im Weltleben oft
missachtet und in den Staub gezogen werden.
Und selbst da, wo das Thun und Treiben der
Welt den Idealen nicht geradezu widerspricht,
wird wenigstens die Notwendigkeit einer idea¬
len Richtung und Führung des Daseins häufig
bezweifelt, werden die Ideale als Hirngespinste
bezeichnet, wird auch wohl gar mit Hohn auf
ihre Unbrauchbarkeit zur Erreichung praktischer
Lebenszwecke hingewiesen. Von diesem Stand¬
punkte aus hätten freilich auch wir es nur zu
bedaueiT), noch nicht mit solchen Phantasiege¬
bilden fertig zu sein, uns noch nicht in den
Bannkreis Derer begeben zu haben, welche mit
den sogenannten praktischen Lebenszwecken auch
den ganzen Zweck des Lebens erreicht zu haben
glauben und nur dem äusseren Erfolge huldigen,
als dem nach ihrer Meinung einzig richtigen
Kriterium dessen, was der Mensch vermag und
gilt. Denn wer sich nur daran hält, dem wird
es massgebend sein müssen, dass thatsächlicb
das Leben vieler ein Bild ruhiger, sicherer und
erfolgreicher Vorwärts-ja Aufwärtsbewegung dar¬
bietet, während es doch fast ohne allen idealen
Hintergrund ist, ja dass der Idealismus mit sei¬
nem grösseren Ernst und seinem geringeren An¬
passungsvermögen zuweilen wirklich die Ent
faltung gewisser erfolgbringender Eigenschaften
zu hindern scheint. Wir aber werden und dür¬
fen uns trotz alledem nicht einen Augenblick
in der Überzeugung irre machen lassen, dass
der Idealismus dennoch eine tiefbegründete Not¬
wendigkeit sowohl für die Menschheit, wie für
den einzelnen Menschen ist. Keine Nation kann
wahrhaft blühen und gedeihen, wenn sie nicht
Ideale besitzt, und der Grösse einer jeden Nation
droht Gefahr, sobald ihre idealen Grundlagen
erschüttert sind. Von den beiden berühmtesten
Völkern des Altertums, denen sich doch die
Hauptquelle unseres Idealismus noch nicht er¬
schlossen hatte, war den Griechen die Kunst,
den Römern der Staats- und Rechts-Gedanke das
Gebiet idealer Strebensziele, und unser deutsches
Volk, das Volk der Dichter und Denker, wäre
in seiner Eigenart und Entwickelung nicht mög¬
lich gewesen, ohne die Pflege und Bewahrung
des idealen Reichtums der deutschen Volksseele,
zu dessen grössten Schätzen deutsche Sitte und
deutsche Treue gehören. Alle grossen Thaten
hervorragender Menschen sind die Frucht des
Idealismus. Herrschsucht, Ehrgeiz, Klugheit
und selbst Eitelkeit können Gewaltiges und Blen¬
dendes schäften; doch der wahren Grösse Zeichen
ist, dass sie grossen Ideen dienstbar ist. In¬
differentismus und Skepticismus haben einen ne¬
gativen Charakter; ersteier weist die grossen
Fragen der Menschheit gleichgültig von der
Hand; letzterer erschüttert das Vertmuen, jenes
Heiligtum der Seele, und giebt sie dem Pessi-
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mismus preis, der es ganz zerstört; der Realis¬
mus ist mit einem Zuge von Aktivität recht
wohl vereinbar, doch der Thätigkeit des Rea¬
listen mit ihrer praktisch nüchternen Tendenz
fehlt der Schwung der Seele, die ächte Begeiste¬
rung, welche zu Grossem befähigt und Grosses
verrichtet. Und wenn Euch die idealfeindlicheu
Spötter, oder die neutralen Gleichgültigen, die
doch ihren Weg machen, glücklich scheinen, —
wer kann denn in die Herzen schauen? Und
andererseits, wer würde denn nicht zuweilen
jene Symptome der Ruhelosigkeit, des ünbe-
friedigtseins gewahr, die den scheinbar Glück¬
lichen doch überkomnieii, gerade aus dem Con-
traste heraus, dass eist Entsagung und Leiden
dem Menschenherzen die höhere Weihe geben,
dass die Erfüllung nur irdischer Wünsche wohl
satt macht, doch nicht zufrieden?
Wenn aber das Ideale schon vom allgemein
menschlichen Standpunkte als ein Notwendiges
bezeichnet werden muss, für die Mrei ist es
geradezu Lebenselement und Daseinsbedingung.
Wer von uns wüsste dies nicht, und doch auch
wieder, wer von uns hätte nicht schon erfahren,
mit welchem Unglauben die Welt unserem idea¬
listischen Streben begegnet? Die Zeit ist, Gott
sei Dank, vorüber, in der man — obgleich ver¬
einzelt solche Anschauungen jetzt noch Vor¬
kommen, von denen ich erst neulich ein ernst¬
haftes Beispiel erfuhr — die Frmrei für eine
hierarchisch organisierte Gesellschaft mit ge¬
heimen Oberen zur Verfolgung verborgener
Macht und Herrschaftsgelüsten ansah; aber die
Zeit ist, leider, nicht vorüber, in welcher man
wenigstens irgend welche materielle Vorteils¬
absichten als Ziele des Frmrbundes und der
Frmrei vermutet, da doch ohne solche materielle,
— sagen wir reale — Absichten niemand Zeit
und Mühe an eine unfruchtbare Sache ver¬
schwenden würde. Diejenigen, welche so von
uns denken, widerlegen wollen, würde vergeblich
sein, aber es verlohnte auch nicht der Mühe,
denn wozu nach der Billigung derer trachten,
die in demselben Augenblick, wo wir sie viel¬
leicht von unserer Aufrichtigkeit überzeugt hätten,
uns als Thoren und Schwärmer verlachen würden?
Genug, dass wir von der reinen Idealität der
Frmrei durchdrungen sind, dass wir es wissen
und festhalten, wie der Prmrbund mit sich selbst
in Widerspruch geraten würde, wollte er reale
Tendenzen verfolgen. Dünkt uns doch dann
schon die Grenze des maur. Ideenreiches über¬
schritten, wenn man einer direkten Einmischung
dei* Mrei in Tagesfragen und Tagesstreitigkeiten
das Wort reden wollte. Der einzelne Frmr
muss ebenso, wie jeder andere sittlich strebende
Mensch, auf dem Kampfplatz des Lebens die
dasselbe bewegenden Fehden ausfechten helfen;
doch die Tempel der Mrei sollen nur das stille
Fricdenseiland in jenem Ozean voll Wogen und
Brandung sein, wo die aus den Fluten geretteten
Ideale ihre Heimstätte finden und behalten.
Wie aber kamen die Ideale in das Mrherz?
Oder richtiger — da doch auch die Stifter des
Frmr-Bundes keine neuen Ideale erfinden, son¬
dern nur auf die allgemeinen Menschheitsideale
hinweisen konnten — wie kamen die Ideale in
das Menschenherz? Nicht müssig ist diese Frage,
meine Brr, sondern von schwerwiegender Be¬
deutung. Sie gehört zu denen, die auf der
Grenze zwischen zwei entgegengesetzten Welt¬
anschauungen stehen.
Von dem Gesichtspunkte der einen erblickt
man in den idealen Vorstellungen, und den ihnen
zu Grunde liegenden Ideen ein Erkennungs¬
zeichen für die höhere Abkunft und Bestimmung
des Menschengeschlechts, mithin für den Glauben
an das Dasein eines höchsten Wesens und an
eine göttlich-sittliche Weltregierung und Ord¬
nung; von dem Gesichtspunkte der anderen An¬
schauung dagegen wird man die Ideale teils
nur als anerzogene Begriffe betrachten, welche
auf einer höheren Bildungsstufe durch Ordnungs¬
zwecke und menschliche MoralitiltsVorschriften
sich nötig machen, teils — soweit das Ideelle
auch über diese Sphäre hinausgeht — nur als
Träume und inhaltslose Schwärmereien. Stellen
wir uns einen Augenblick auf diesen Standpunkt
— von welchem allerdings auch die höchsten
Ziele der Frmrei ein leerer Wahn sein würden
— und nehmen wir an, die Ideale wären Träume,
also in dem hier gemeinten Sinne Phantasie-
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gebilde. Woher aber dann ihr Einklang bei so
unendlicher Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit
dessen, was sonst Phantasie erdenkt und aus-
malt? Woher ihre Kraft., welche sie nicht, wie
es sonst Traume thun, vor der Wirklichkeit
weichen, sondern allen Stürmen des Lebens
trotzen lässt, woher die Siegesgewalt, mit der
sie gerade in Gefahr und Not sich noch mäch¬
tiger in der Seele des Menschen geltend machen,
als in Glück und Genuss?
Oder nehmen wir an, die Idealvorstellungen
seien ein Erziehungsprodukt. Wie kann aber
die Menschenseele etwas lernen oder auch nur
erfassen, wozu nicht in ihr selbst schon Keim
und Anlage zu finden sind? Gewiss gehört eine
höhere Stufe der Kultur und Bildung zum Er¬
wachen der Ideale im Menschenherzen, aber sie
mhen in der Seele, und keines Menschen Hand
hat sie ihr eingepflanzt, sondern eine höhere
Macht. Auf diese weist unwiderstehlich das
gläubige Bewusstsein des frommen Gemütes, die
laute Stimme des Gewissens, welche uns das
untrügliche Sittengesetz verkündigt, und jener
heisse Sehnsuchtsdrang der Seele nach Veredelung,
Befreiung, Verklärung in dem Hohen und Ewigen.
Aus dieser Erkenntnis der Ideale als Gemeingut
der Menschheit beantwortet sich auch die weitere,
hier nahe liegende Frage, ob die Frmrei ihre
besonderen Ideale habe. Wenn darunter ver¬
standen werden sollte, dass die Frmrei ganz
:indere und neue Ideen verfolgte, als welche den
Nichtmaurern vorschweben, so würden wir nur
mit Nein antworten können, denn es wäre Ver¬
messenheit und eine grosse Thorheit obendrein,
wenn jemand behaupten wollte, die Frmrei lehrte
eine neue Quelle der Erkenntnis oder eine be¬
sondere Moral, und statt unsere k. K. durch
eine solche Behauptung zu erhöhen, würde er
sie dadurch herab würdigen. Aber in dem Sinne
fasst auch kein Frmr den Begriff der maur.
Ideale auf; vielmehr wird maur. Anschauungs¬
weise nur diejenige ideale Richtung des Menschen¬
daseins darunter verstehen, welche gerade vor¬
zugsweise in der Mrei betont wird und die spezielle
Begründung und Beziehung, welche die allge¬
meinen Idealvorstellungen in der Menschenseele
durch die Mrei erhalt,en. Vergegenwärtigen wir
uns hierzu, dass der allgemeine Sprachgebrauch,
wohl nach dem Vorgänge jener berühmten phi¬
losophischen Untersuchungen Immanuel Kant*s,
unter den Idealen, d. h. den verwirklicht ge¬
dachten obersten Prinzipien des Denkens, Wollens
und Schaffens, das Wahre, Gute und Schöne
versteht. Diese Ideale kehren auch in der
Frmrei wieder, doch in besonderer Deutung und
Beziehung.
Frmrei ist Selbsterziehung zur Sittlichkeit
und Menschenliebe auf dem Grunde der Gottes¬
furcht. Von der IIberzeugung ausgehend, dass
Gottesfurcht aller Weisheit Anfang und Gott
der Urquell aller Wahrheit ist, weist die Frmrei
den Menschen zur freudigen Befolgung des
Gotteswillens durch freie Annahme (d. h. Selbst¬
erziehung im Gegensatz zu äusserem Zwang
ohne inneres Wollen) des Sittengesetzes und zur
Liebe der Brüder, d. h. im weiteren Sinne aller
Mitmenschen, als heiligste Pflichten hin. Das
Schöne, mit dem Charakter der Frmrei als einer
Kunst recht harmonisch übereinstimmend, wird
hier, wenn man sich so ausdrücken darf, als
ästhetisches Ideal mit Übertragung auf das sitt¬
liche Gebiet angewendet, so dass man in maur.
Sinne darunter wohl die reinste edelste Mensch¬
lichkeit versteht, welche dem sittlichen Urteil
einen ungetrübt wohlgefälligen Eindruck bietet,
wie ihn die Vereinigung eines gläubigen Ge¬
mütes, einer rechtschaffenen Gesinnung und eines
von Liebe zur Menschheit erfüllten Herzens nur
bieten kann. Wir möchten diese hohe Vereini¬
gung von Tugenden, zu welcher der Frmr das
Kunstwerk seines Lebens zu gestalten strebt,
als Humanität, im besten Sinne des Wortes, be¬
zeichnen.
Der Entschluss, den idealen Strobenszielen
nachzugehen und die immer erneute Bethätigung
dieses Entschlusses sind der frmr. Anschauung
ein Freiheitsakt, gleichsam die erste Erringung
und alsdann stete Wiedereroberung der von
irdischen Fehlern und Schwächen, Trieben und
Leidenschaften einer aufs neue gefährdeten Frei¬
heit. Daraus ergiebt sich zugleich, wie die
Frmrei die Freiheit auffasst; es ist ja .schon
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unendlich oft hervorgehoben worden, dass dar¬
unter nicht schrankenlose Willkür und Zügel¬
losigkeit, sondern jene Kraft der Seele ver¬
standen wird, welche sich selbst ohne Zwang
dem Sittengesetz unterwirft. Das Paradoxon,
welches in der Zusammenstellung von Freiheit
und Unterwerfung, wenn auch Selbstunterwerfung
liegt, ist hier nur scheinbar, denn die Willkür,
welche jedesmal das thäte, was der augenblick¬
liche Wille erkürt, wäre in Wahrheit die grösste
Unfreiheit, insofern er den Menschen seinen
jedesmaligen Neigungen, Stimmungen und Ein¬
drücken unterwürfe, welches um so ungleich-
mässiger ausfallen müsste, jemehr diese unab¬
hängig von seinem Belieben wechseln.
Fassen wir das Gesagte zusammen, so finden
wir in der Frmrei die allgemein menschlichen
Idealvorstellungen, jedoch in ihrer besonderen
Beziehung auf das sittliche Gebiet und mit dem
Hintergründe einer überzeugungsvollen Religiosi¬
tät als Wahrheitsideal, Freiheitsideal und Hu¬
manitätsideal wieder, womit die Idealbegriffe
Weisheit, Stärke, Schönheit korrespondieren,
welche unserem maur. Denken, Wollen und
Handeln (bei letzterem wohl beherzigt, dass es
immer mehr als Streben, wie als wirkliches
Vollbringen in die Erscheinung tritt) vorschweben,
und in diesem vorher erläuterten Sinne darf da¬
her der Frmr wohl von maur. Idealen ohne Über-
hebung sprechen.
Wenn wir aber, meine Brr, also nach
einander die Fragen der Notwendigkeit idealer
Lebensrichtung für die Menschheit, wie den ein¬
zelnen Menschen und den Frmr insbesondere,
ferner den Ursprung und den Inhalt unserer
Ideale einer Betrachtung unterzogen haben, so
lassen Sie uns nun noch einen Blick auf ihre
relative Erreichbarkeit werfen.
Dass die Ideale im Leben niemals voll zu
verwirklichen sind, folgt aus ihrem Begriffe, sie
stammen ja aus einer höheren Sphäre, in welche
menschliche Unvollkommenheit nicht hinaufreicht.
Es wäre aber ein niederdrückendes und ent¬
mutigendes Gefühl, wenn wir damit allein uns
bescheiden und nicht etwas mehr Hoffnung in
jene hellstrahlenden Leitsterne unseres Lebens
setzen dürften. Wir mögen uns aber damit
gefrösten, dass ebensowenig wie eine Verwirk¬
lichung der Ideale hienieden möglich ist, doch
andererseits auch ebensowenig von einer abso¬
luten Unerreichbarkeit derselben gesprochen zu
werden braucht. Alles Leben ist Werden und
auch unsere sittliche Vervollkommnung ist ein
beständiger Werdeprozess, ein Streben, dem
Ideale näher zu kommen und diesem Streben
ist ausser derjenigen, es nicht völlig erreichen
zu können, keine Grenze gesetzt. Überschaut
der Frmr die Resultate seines Strebens, so wird
er freilich in jedem Augenblicke dieser Selbst-
Prüfung gewahr werden, wie gross noch der
Abstand selbst des Besten, was er gewollt und
gethan, von dem Ideale ist; aber mit dieser
demütigen Selbstbescheidung ist die Freude,
sich auf dem rechten Wege zu wissen und auch
das Bewusstsein, auf diesem Wege hier und da
einen Schritt vorwärts gethan zu haben — wenn
dieses Bewusstsein nur vorher durch die Probe
ernster Selbstkritik hindurchgegangen ist --
keineswegs unvereinbar. In diesem beständigen
Vorwärtsstreben, mit der gleichzeitigen Über¬
zeugung von der Richtigkeit des eingeschlagenen
Weges und einer von Hoffart freien Wahrnehmung
des Fortschreilens auf diesem Wege, welche den
Abstand vom Ziele nicht vergisst, aber dadurch
nicht mehr abgeschreckt wird, liegt doch etwas,
das himmelweit verschieden ist von der Resig¬
nation, mit welcher uns etwa die Entdeckung
erfüllen müsste, dass unsere Ideale nur ein leerer
Wahn, eine blosse Utopie gewesen wären. Wie
gering auch dem prüfenden Gewissen der sitt¬
liche Fortschritt erscheinen mag und soll; ein
Wertvolles ist in dem Streben selbst — wenn
auch nichts, das wir uns zu eigenem, alleinigen,
Verdienst anrechnen dürften — dies ist die Ge¬
sinnung, aus welcher dieses Streben abgeleitet
wird und hei*vorgeht, und wohl wissend, dass
die That „als ein kontinuirlicher Fortschritt von
mangelhaftem Guten zum Bessern“ immer unvoll¬
kommen ist und unserer eigenen pflichtmässigen
Schätzung gar nicht anders, als unvollkommen er¬
scheinen darf, werden wir doch mit dem grossen
Philosophen Kant der Hoffnung leben können, dass
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der, welcher in die Herzen sieht, in seiner reinen
und höchsten Gesinnung, über die uns umgebenden
Schranken aller zeitlichen Bedingungen hinaus und
in dem nur ihm möglichen Gesamtüberblick aller,
auch der uns Menschen verborgensten Ursachen
und Wirkungen, unsere Gesinnung für die That
annebmen und gelten lassen werde. Darin aber
liegt für uns, die wir doch zuletzt alles der
göttlichen Gnade anheimstellen müssen, aber in
dieser auch Trost und Beruhigung in allen un¬
seren selbsterkannten Mängeln finden dürfen,
sofern wir nur fest an der guten Gesinnung
halten und dem höheren Beistand vertrauen,
wiederum die Bedeutung einer relativen, d. h-
hier einer auf Geltung vor Gott hoffen lassenden
Erreichbarkeit der Ideale.
Mit den Leitsternen am Himmel des Mrs,
am Horizonte der Menschheit für unsere irdische
Pilgerfahrt haben wir die Ideale verglichen —
und sie sind es dem gläubigen Herzen, dem
sittlich strebenden Willen, der aufwärts sieb
sehnenden Seele — aber sie sind nicht nur Lichter
am Himmel, welche dort oben in unnahbarer
Pracht glänzen, sondern sie bilden eine sterneu
besäete Brücke vom Diesseits zum Jenseits
einen von überirdischer Hand hinaufgespannten
Sternenbogen, auf dem wir geistig emporsteigen
zur Welt des höheren Lichtes, dafern wir den
Blick nicht zurückwenden nach der trüben Erde,
welcher nur das an uns gehört, was dem Staube
verfällt, sondern der goldenen Pforte der Wahr¬
heit, Stärke und Schönheit entgegenschauen, die
uns, so hofl’eii wir, einst aufgethan werden wird,
wenn die letzten Schleier fallen, welche uns
hienieden das Göttliche verbergen.
Bis dahin sei treue Arbeit unsere Losung,
doch, der Welt zum Trotz, das Ideal unsere
Hoffnung und sein Sieg im Reiche des ewigen
unzerstörbaren Geistes unsere Zuversicht, und
so auf der ganzen Strecke der uns noch zu-
gemessenen Mrbahn. Das walte Gott am
Schlüsse des alten und Beginn des neuen Logen¬
jahres:
»Vergangenheit und Zukunft reichen schweigend
Die Hände sich zur Gegenwart; —
Und Wog’ an Woge auf und nieder steigend
Zum Reigentanz sich rastlos schaart.
Wir W'andern — aber bleiben an der Stelle,
Die uns gebührt im Geisterreich;
Beim Wechselspiel der bunten Welle
Bleibt stets der Geist sich selber gleich.
Es regt der Geist sich, weil er urlebendig.
Und täuscht sich selbst mit Zeit und Raum,
Doch bleibt er treu sich selber unabwendig,
So — wacht er auf aus seinem Traum.“
(Marbach )
Die Rätselfragen der Sphinx
Baustüok zur Meisterloge von Br. Chr. Klötzer,
1. Aufseher der Logo „Zu den 3 »Schwertern und Asträa
zur grünenden Raute'* in Dresden.
Einst, da verweht der .lugend süsse Träume,
Und der Verstand des Geistes Augen schärfte,
Da sank des Zweifels Not ins Herze mir.
Und alles, was einst unverrückbar fest
ln meines Glaubens starkem Schutz gestanden,
Begann vor einem neuen Geist zu wanken.
Des Menschenlebens ungelöste Rätsel
Erhoben sich, mit staiTem Antlitz lag
Die Sphinx vor mir und forderte die Antwort
Auf dieses Daseins dunkle Rätselfragen.
Da suchte ich in Bücheni diese Antwort,
Und was der Philosophen weiser Sinn
Ersonnen und ergrübelt, las ich nach,
Indess die Sphinx mich täglich, stündlich mahnte.
Allein vergeblich blieb mein emsig Suchen:
Verworrener und dunkler nur erhoben
Die Rätsel sich des Daseins, und verborgen
Musst* Sinn und Lösung mir wie vordem bleiben.
Wie viele Weisheit auch die Philosophen
In ihren Büchern sorgsam aufgespeichert,
Wie vielen Scharfsinn sie darin entwickelt.
Wie tief auch ihres Denkens scharfe Sonde
Hinuntertauchte auf den Grund der Dinge:
Die Grenze ward dem menschlichen Erkennen.
Und ach, je grösser ihre Weisheit war.
Nur um so offener war ihr Bekenntnis:
»Wir wissen nichts!“ — Doch steht die Welt
nicht still,
Und unbekümmert um die bangen Fragen,
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Die in der Seele auf- und niederwpgen,
Vollzieht sich rastlos der Erscheinung Flucht,
KommtTag undNachtund Sturm und Sonnenschein,
Kommt jeder Tag, sein Recht von uns zu fordern
Und zu des Daseins Kampf uns aufzuiufen.
In diesem Kampf ums Dasein blieb auch mir
Nicht Zeit genug, die Rätsel zu ergründen,
Denn harte Arbeit füllte nun die Tage
Und drängte mächtig in den Hintergrund,
Was nicht der Tag und seine Last begehrte.
Dann kamen Frohsinn und die Lebenslust
Und sammelten ein Heer von heitren Stunden,
Darinnen all die Fragen untergingen.
Die einst des Lebens Sphinx an mich gerichtet.
Allein die Rätsel schlummerten nur stille,
Es lag die Sphinx nur unfern auf der Lauer,
Und wenn sich nach des Tages Last und Mühe
Die süsse Rast beschaulich niedersenkte.
Und wenn der Freude leicht beschwingte Stunden
Zu schnell entflohen auf den Strom der Zeiten,
Dann drängten wieder sich die ewgen Rätsel
Auf der Gedanken Bahn und heischten Lösung.
Dann zog ich aus, die Antwort selbst zu suchen,
Und trat heran an dieses stille Haus,
Vor dessen Pforte, die ich oft geschaut,
Zwei Sphinxe ruhig und geheimnisvoll
Hin auf des Lebens cwge Unrast blicken,
fl Vielleicht, wenn über dieses Hauses Schwelle
Du deinen Fuss gesetzt, wird sich das Rätsel
Des Lebens lösen,“ klangs in meiner Seele,
fl Denn hinter dieser Pforte muss die Weisheit,
Muss die Erkenntnis reiner Wahrheit wohnen!“
Dann kam der Tag, wo ich durch diese Pforte
Den Eingang fand zu der verschwiegnen Halle,
Die Wahrheit suchend mit geschlossnem Auge.
Doch als die Binde mir vom Auge fiel
Und hell das Licht der Maurerei mir strahlte.
Sah wieder ich der Sphinx ins Angesicht,
Die vor des Tempels Säulen sich gelagert.
Und statt der Antwort auf die eignen Fragen,
Die ich im Herzen antwortsuchend hegte.
Rief mir drei Fragen selbst die Sphinx entgegen;
Sie lauteten: Woher? Wozu? Wohin?
Und auf des Maurers Wandrung sollte ich
Darauf die Antwort suchen offnen Auges. —
Ich habs gethan! In manchem Maurerjabre
Bin ich gewandert, tleissig zu erforschen,
Welch Antwort mich die Werksymbole lehren;
Allein die Wahrheit rückt nur umsoferner.
Je länger man nach der Erkenntnis strebt.
Und doch die Sphinx kann nun die Antwort fordern
Auf ihre Fragen, und ich muss bekennen,
Was ich ergründet auf der langen Wandrung,
Mag auch die ewge Wahrheit Sonnenferne
Von der Erkenntnis liegen. Nur im Bild
Vermag ich mich der Unergründlichen
Zu nähern. Möge sie des Irrtums lächeln
Und nicht von ihres Thrones Herrlichkeit
•Mit heilgem Zorn auf den Vermessnen blicken!
Woher, Woher? In wunderbarer Pracht
Schau ich des Himmels ungezählte Sterne,
Seh ich der Erde holde Frühlingsschönheit
In Berg und Thal, in Wald und reichen Fluren.
Woher, Woher? Der Völker reich Gewimmel
Mahnt an die Frage mich, und ich darunter.
Ein Erdenpilger, auf des Lebens Höhe
Zuiücke nach dem dunklen Ausgang blickend.
Woher, Woher? Und zum Vergleiche drängt sich
Der Anfang auf der maurerischen Laufbahn.
EntblÖst von allem, was die Menschen scheidet
In Hoch und Niedrig, Vornehin und Gering,
Ein Mensch im Menschen nur, so trat ich ein,
Dem Führer folgend mit verbundnen Augen.
Zum Menschentume ward ich neu geboren.
Ein neues Leben galt es zu beginnen
Im Lehrlingsgrad, ein Leben voller Liebe
Zur Menschheit. Und die Frage will er deuten:
Woher, woher? Ich legte meine Hand
Auf unser heilges Buch, auf Gottes Bibel.
Wohl damals schon erfasste meine Seele
Ein heilger Schauer und in jeder Stunde,
In der ein Suchender am Altar kniet,
Und seine Hand zum Buch der Bücher tastet.
Erfüllt mein Herz ein jubelndes Frohlocken,
Denn dies Symbol, dies grosse Licht dem Maurer,
Es hilft die eine Rätselfrage lösen:
Woher? Es sagt dir laut: Aus Gottes Hand!
Ja, ob die Gottesleugner uns verspotten.
Ein Weltenmeister waltet über uns.
Der das Gesetz der Welt zugleich verkörpert,
Nach dem der Dinge ewger Kreislauf sich
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Und alles Leben und Geschehen richtet,
Das allen Himmelskörpern ihre Hahnen weist
Und allen Wesen Sein und Leben gieht.
Es ist der Geist, der in dem Weltall waltet,
Der Ewige und Unvergängliche,
Der Weisheit und der Wahrheit ewger Urquell.
Von diesem Geiste bist auch du geboren,
Du Menschenkind, von ihm bist du gekommen
In diese Erdenwelt, und alles Sehnen
Nach Wahrheit und Erkenntnis stammt von ihm!
Und wenn wir diesen Geist auch nicht erfassen
In seiner allumfassenden Gewalt,
Mag doch die Sphinx uns an die Antwort mahnen,
Der Maurerlehrling ist es, der sie fand;
Durch seine Seele geht der Wahrheit Ahnen:
Woher, woher? Getrost, aus Gottes Hand!
Durch Nacht und Sturm, durch Not und Ungemach
Hat meine Erdenwandning mich geführt.
Ich sah die Menschen sich bekämpfen, sah
Die Völker sich in blutgem Streit befehden,
Und sah den Kampf ums Dasein tausendfach
Auf ofthem Markt und im Verborgnen wüten.
Das Leben sah ich und die Lebenslust,
Vieltausendfältig und sich stets erneuen,
Sah um dies Leben oft die Ärmsten ringen
Und Glück und Freude, Unheil, Schmerz und Leid
ln ewgem Wechsel durch die Menschheit ziehen.
Wozu, wozu? Mit ihrer zweiten Frage
Erhebt die Sphinx vor meinem Auge sich.
Wozu dies Leben, eine kurze Spanne,
Wozu der Kampf um Alles, was vergänglich,
Dies Streben, Ringen, Kämpfen und Erliegen,
Dies ganze ungeheure Weltgetriebe
Im ewgen Kreislauf der Unendlichkeit?
Was ist der Endzweck dieses Weltgetriebes,
Das sich vollzieht nach ewigen Gesetzen?
Da schlingt sich durch die stille Maurerballe
Vor meinem Geiste eine Roseiikette.
ln Eins verbunden wandern die Gesellen
Mit offnen Augen, dass sie rings erschauen
Die Schönheit und Gebrechen dieser Welt.
Die frohe Wandning wird hier zum Symbol,
Das Antwort giebt auf die bewegte Frage.
Wozu, Wozu? Verschlungen Hand in Hand
Zu treuer Freundschaft wandern die Gesellen,
Zu Schutz und Schirm in treuer Bruderliebe
Sind sie verbunden auf dem Lebenspfad.
Sieh hier das Bild, wozu die Menschheit wandert.
Die Sterne kreisen in dem Weltonraum:
Die owge Liebe ist es, die sie hält.
Des Lebens Endzweck ist nicht Kampf und Not,
Der Friede ist es, der dem Streiter winkt.
Wenn wandernd er der Liebe Pflicht erfüllt.
Wozu, wozu? Wohl bleibt der letzte Zweck
Des Weltenalls dem Menschengeist verhüllt.
Doch der Geselle wandert froh, im Glauben
An seines ewgen Meisters Weltenplan,
Vertrauend, dass, wie er nach einem Ziele
Auf seiner Erden-Wandrung sehnend strebt.
Der grosse Weltenmeister ziellos nicht
Die Weltgesetze gab, den Menschen nicht
Zwecklos mit Liebe und Vernunft begabte.
Mit ihrer Frage sei die Sphinx zur Stelle
Nach Zweck und Ziel im lauten Weltgetriebe;
Die Antwort fand der wandernde Geselle:
Wozu, wozu? Zum Sieg der ewgen Liebe!
Es neigt die Sonne sich, der Tag verrinnt
Ini Strom der Zeit. Im Weltenraum verlischt
Ein heller Stern, wenn seine Zeit gekommen.
Die Völker kommen und vergehen wieder,
Vergänglich Alles, was da lebt und wandelt
Und rastlos nur zu einem Ziele strebt.
Und jeder Herzschlag in der Menschenbrust
Verkündet einen Schritt zum letzten Ziele
Des Menschenlebens auf der Erdenbahn.
Und mahnend wieder liegt die Sphinx vor mir,
Des Lebens letztes Rätsel ihr zu lösen:
Wohin, wohin? Wo ist das ferne Ziel,
Du Menschenkind, wenn deine Bahn zu Endo,
Wenn du gekämpft, gelitten und gestrebt;
Wo wirst du nach des Lebens kurzer Mühe
Die lange Rast einst finden, treuer Wandrer?
Da steigt vor meinem Geist die dunkle Halle
Empor, wo Meister an der Arbeit stehn.
Mit ernstem Sinn erfassen sie das Werkzeug,
Doch mutig blitzt ihr Auge, das dem Tode,
Dem unvermeidlichen, ins Antlitz schaut.
Sie schreiten furchtlos über Sarg und Grab
Dem letzten Ziele zu: Dem Licht im Osten.
Sie hier das Bild, das dich die Antwort lehrt.
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Wenn dir die Sphinx die dritte Rätselfragc,
Die schwerste, aufgiebt zu der rechten Lösung:
Wohin, wohin, Du armes Menschenkind?
Will* nur der Tod das Ziel, dann wäre auch
Die Meisterhalle nur ein Ort der Trauer,
Dann wär das Leben nicht des Lebens wert.
Umsonst dies Streben nach der Wahrheit Licht,
Wenn in des Grabes Nacht der letzte Strahl
Des Menscbengeistes zwecklos unterginge.
Nein, in der Ferne glänzt ein helles Licht,
Im Osten tagt es neu dem Menscbengeiste,
Wenn ihm genommen wird, was irdisch ist.
Er kehrt zurück zu ihm, von dem er ausging.
Als Mensch der Erde Wandrung zu vollbringen.
Zum ewgen Geiste kehrt er wieder heim.
Und heller wird es in der Meister halle.
Dem lichten Strahl im Osten zugewendet.
Kann uns dieNacht des Todes nicht mehr schrecken.
Wohl ist der Menschengeist zu schwach und klein,
Jenseits des Lebens auf der Erde sich
Ein Ijeben ewig dauernd auszudenken.
Der diese Grenze des Erkennens zog,
Der ewge Meister, hütet Riss und Plan.
An ihn zu glauben, heisst das Rätsel lösen.
So mag die Sphinx zur letzten Antwort mahnen,
Den Meistermaurer sieht sie wohl bereit;
Durch seine Seele rauscht ein freudig Ahnen:
Wohin, wohin? Heim zur Unsterblichkeit!
Ober die ZoMedenheit.
Vortrag in der Trauerloge 1895 gehalten von Br
F. Krügel, 11. Aufs. d. Loge „B. z L.*, Leipzig.
In jedem Jahre, wenn die Weihnachts¬
glocken verklungen sind und wenn die Welten¬
uhr aushebt, um eines Jahres letzte Stunde zu
verkünden, versammeln wir uns um den Sarko¬
phag der Brr, welche noch jüngst mit uns am
Bane gestanden, die aber nunmehr Hammer und
Kelle niedergelegt haben und heimgegangen sind
in's ewige Vaterhaus, wo auch uns dereinst die
Stätte bereitet sein wird. Mitten zwischen dem
hohen Feste edelster Freude und der Mahnung
an die flüchtig eilende Zeit, noch erfüllt von
der Seligkeit, welche wir empfanden, als wir
Gaben der Liebe, Zeichen der Verehrung, Werke
der Barmherzigkeit spenden konnten, und schon
beherrscht von den ernsten Gedanken der Sorge,
mit der wir dem neuen Jahre entgegengehen,
sind wir hierher gerufen zu ernster Feier, da¬
mit die Freude nicht überschäume und ihre
nachhaltige Wirkung verliere, damit wir wohL
gerüstet, tapfer, freudigen Mutes dem entgegen¬
gehen, was die Zukunft bringt.
Vor unserm Geiste ist vorübergezogen, was
das Leben, besonders ihr frmrs, unsrer teuren
Toten gebracht hat. Manche sind uns fremder
geblieben, andere waren uns Freunde geworden
und einigen haben wir oftmals Aug* in Auge
gegenüber gestanden und ihres Geistes und ihrer
Arbeit reiche Gaben förderten unsre Loge, un-
sern Bund.
Weniger deutlich zu erkennen und nachzu¬
weisen ist die Wirkung, welche umgekehrt die
Frmrei auf jene ausgeübt hat. Denn die Frmrei
ändert, fördert oder bildet den Menschen nicht
nach einer bestimmten, in ihrer Eigentümlich¬
keit, nach ihrer Herkunft erkennbaren Richtung,
sondeni der gesamte Mensch — das Sittliche
an ihm natürlich — Herz und Gemüt — ist es,
auf den sie einwirken will und auch nachdrück-
lichst einwirkt, am meisten natürlich bei denen,
die für solche Eindrücke empfönglich, vorbereitet
sind. Aber unberührt von dem Segen der k. K.
ist keiner geblieben, der je in ihrem Banne go- '
standen; die ungemein schlichte Sprache, welche
sie durch die Symbole, die Kleinodien redet, die
sinnvolle Umdeutung, die den Gegenständen aus
dem Alltagsleben, aus der Werkmrei gegeben
ist, verfehlt ihre Einwirkung auf Herz und Ge¬
müt, auf unser Thun und Denken niemals. ^
Lassen Sie uns heute, an dem Tage, welcher
der Erinnerung an die heimgegangenen Brr ge¬
widmet ist, desjenigen unserer Symbole gedenken,
mit dem der Br zuerst in Berühmng gekommen,
als er verhüllten Auges unsere geweihten Hallen
betrat: des Zirkels.
Der Zirkel bestimmt unser. Verhältnis gegen \
alle Menschen als unsere Brr, er weist uns darauf
hin, dass ein jeder von uns dem ewigen Mstr
eben so nahe steht, wie der andere, dass nicht
Rang noch Stand, nicht Wissen noch Besitz,
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oder wodurch sonst die Menschen im profanen
Leben sich zu unterscheiden suchen, vor seinem
Angesicht einen Vorzug gewähren. Und wenn
so der Zirkel uns unaufhörlich gemahnt, wenn
durch diese unaufhörliche Mahnung die k. K.
uns daran gewöhnt, in unsern Mitmenschen unsere
Brr zu erkennen, ohne Neid, ohne Eigennutz
ihnen gegenüber zu stehen, führt sie uns ganz
unwillkührlich zur Zufriedenheit, zu der¬
jenigen Tugend, welche die Tage unsers Erden¬
daseins mehr verschönt, als Reichtum oder Macht,
als irgend eine andere Tugend, sodass wir dem
Feierabend, der auch unsere Lebensarbeit einst
beschliessen wird, getrost und freudig entgegen¬
sehen können.
Ich darf heute nicht den Versuch unter¬
nehmen, zu erörtern, wann und wie dem Men¬
schen die Gewohnheit des Zufriedenseins ver- i
loren gegangen ist, vielleicht schon zu jener
Zeit, als den ersten Menschen die herrlichen
Früchte im Paradiese nicht gut genug waren,
und sie sich von der falschen Schlange verleiten
Hessen, von dem verbotenen Baume zu naschet!« ••
Ich muss auch unterlassen, das Wesen der Zu¬
friedenheit zu erörtern, oder die Art, wie sich
Unzufriedenheit bethätigt. Aber ich möchte ver¬
suchen nachzuweisen, dass dasjenige, was wir i
für gewöhnlich Glück nennen, was aber nichts
weiter ist, als ein mehr oder weniger hoher
Grad von Wohlbetinden, gar nicht bestehen,
wenigstens nicht dauern kann, wenn wir uns ,
nicht allezeit und ununterbrochen der Zufrieden¬
heit befleissigen.
Wir sind glücklich, denn unsere Wünsche
gehen nicht weiter, als die Möglichkeit ihrer
Erfüllung reicht; die uns gestellten Aufgaben,
auch die, welche wir uns selbst stellen, die von
uns verlangten Leistungen sind nicht grösser,
als das Mass unserer Kräfte; aber hüte deine
Augen, dass sie nicht zu scharf nach deinem
Nachbar sehen, der vielleicht ein grosses Hans
bewohnt, der mit Glanz und Wohlleben umgeben
ist, und lass dich nicht aus deiner Zufrieden¬
heit drängen, wenn auch dein Wirkungskreis
enger gezogen bleibt, deine Einnahmen geringer
sind! Mehr als die müden Glieder sich ausruhen
lassen, neu kräftigen, kann niemand, lagerte er
auch auf den weichsten Daunen, seinen Hunger
stillen, seinem Appetit Genüge thun, kann jener
mit kostbaren Gerichten nur ebenso, wie du mit
deiner schlichten Mahlzeit; wohl aber kann jener
gar leicht verleitet werden, seiner Gesundheit
durch übermässigen Genuss zu schaden. Aber
ist denn wirklich das Behagen an der reichen
Tafel, in den geschmückten Räumen ein grösseres,
als bei dir? Wird uns nicht auch das Kost¬
barste durch den täglichen Gebrauch gewöhnlich
und gleichgiltig? Und muss nicht derjenige,
den mau reich nennt, die Tugend der Zufrieden¬
heit ganz ebenso üben, wie du, wenn er Wohl¬
behagen, das Glück bei sich festhalten will?
0 nein, er muss noch mehr als du Selbstbe¬
zwingung üben, er muss noch mehr als du seine
Augen, seine Wünsche zügeln, denn der Reiche
möchte ein Adliger sein, der Adlige ein Fürst
und auf jeder neuen Stufe entstehen auch neue,
höher greifende Wünsche. Wenn aber eignes
Ungeschick oder ein Ansturm von aussen dem
Hochstehenden Glanz und Bequemlichkeit rauben,
dann ist sein Sturz ein viel tieferer, als von
deinem Platze aus. Und wenn einst Freund Hein
daher kommt, so verscheucht ihn nicht Glanz
noch Macht; er tritt durch jede Thür und es
bleibt Alles hier zurück, Gold und Geschmeide,
. y
wie der schlichte Leinwandkittel. ^
Wir sind glücklich, denn ein unauflösliches
Band aufrichtiger, herzlicher Zuneigung hält
unsere Familie umschlungen. Aber kann uns
dieses Glück erhalten bleiben, wenn wir nicht
fort und fort die Tugend der Zufriedenheit üben?
Wenn dein Kind artiger und klüger ist als
andere, dann freue dich im Stillen dieses Glückes
und treibe nicht etwa zu grösserer Anspannung;
wer weiss, ob nicht bald, wie ein scbliramer
Tau, eine böse Krankheit die schön auf blühen¬
den Kräfte zerstört, beeinträchtigt. Müde und
lässig sitzt der Wild fang von früher in der Ecke,
und die andern eilen ihm voraus. Sei getrost!
Wenn du im Glück dich nicht überhoben, wirst
du im Leide nicht mutlos sein, sondern deine
Aufmerksamkeit dem armen Kranken doppelt
zuwenden; vielleicht erstarken unter solcher
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Sorgfalt doch wieder Körper ujid Geist und an
einem andern Platze, als du früher gehofft,
wird dein Sohn doch noch als tüchtig und
würdig befunden werden. —
Beneide auch nicht den Gebietenden um
seine Macht, den Fürsten nicht um seinen Thron;
ein Blick aus dem Auge deines Kindes, das in
hingebendem Vertrauen zu dir aufschaut, ist
tausendmal mehr wert, als die Ergebenheit einer
ganzen Schar von Dienern; der herzliche Ge-
leitgruss deines Weibes ein zuverlässigerer Talis-
mann, als eine glänzende Leibwache; und den
Kreis, der in dir sein Haupt sieht, wirst du
leichter und sicherer zum Guten führen, am
besten behüten können, wenn das eigene Auge
alle überwacht, wenn die eigene Hand einem
jeden seinen Teil zumossen kann.
Die Zufriedenheit ist aber auch von allen
Tugenden, welche zu üben die Menschen ange¬
halten werden, diejenige, welche dem, der sie
übt, am meisten nützt, welche in sich selbst den
schönsten Lohn bringt. Wer weise ist, wird
allerdings von seinen Mitmenschen, vielleicht
auch von der Nachwelt geachtet, geehrt und
ausgezeichnet sein; aber mehr als andere wird
er erkennen, wie unendlich viele sich aus Be¬
schränktheit und Aberglauben nicht zu erheben
vermögen; das wird ihn betrüben. Wer gerecht
ist, wird wabrnehmen müssen, dass andere mit
weniger strengem Sinne, manchen Vorteil sich
zuwenden, ohne dass die Welt sie tadelt; das
kann ihn verbitteni. Wer bescheiden ist, den
wird man allerwegen gern sehen, lieb haben,
aber oft genug werden Gierige und Dreiste ein-
heimsen, was ihm zugeteilt war; so muss er
entbehren. Nur der Zufriedene empfängt und
empfindet den ganzen Segen seiner Tugend allein:
er achtet die Würdigen, er entbehrt nichts, wenn
er die Erbärmlichen meidet, er beneidet nie¬
manden und in ruhigem Gleichmut sieht er die
Gierigen den Magen und die Taschen sich
überfüllen.
Und doch ist Zufriedenheit so selten anzu¬
treffen; doch liegt über der profanen Welt, aus
der wir Frmr in unsere Bauhütten flüchten,
wie ein grauer dicker Nebel, der der Sonne ihr
Leuchten, den Sternen ihren Glanz, den Blumen
ihre lustigen Farben und den süssen Duft, den
Vögeln den munteren Gesang verdüstert, die
Unzufriedenheit, die den Menschen die Seele
immer mehr, fast ganz erfüllt und so das un¬
heimliche Zeichen der Jetztzeit geworden ist.
Kein Wunder, wenn in solchen dicken Dunst
von allen Seiten die wilden Unholde, Gewalt-
that, Empörung, Umsturz, aus ihren Höhlen und
Schlupfwinkeln hervor sich wagen, um zu zer¬
stören, was besteht. Und hinter ihnen ziehen
die Tausende, welche in die allgemeine Klage
einstimmen, ohne zu erwägen, ob nicht eigenes
Ungeschick, eigene Schuld die Ursache ihres
Unbehagens ist und ohne zu sehen, dass sie
grösserem Elend entgegengehen, einem Abgrunde
zu, tief und weit genug, um alles, was die
Arbeit der Jahrtausende an Kultur und Gesit¬
tung hervorgebracht hat, zu verschlingen. —
Aber nehmen wir an, es wäre möglich,
Utopien aus Nebelheim in nüchternes, reales
Dasein umzusetzen, es wäre möglich, alle Unter¬
schiede aufzuheben, den Teil von Arbeit, von
Leistung und auch von Ertrag, von Genuss, der
auf einen jeden als gleich verpflichtetes Mitglied
der Gesellschaft entfällt, so genau abzuwägen
und festzustellen, dass daran nicht gezweifelt,
nicht gedeutelt worden könnte, auch dann würden
alle Menschen Entsagung und Pflichttreue in so
hohem Grade besitzen und üben müssen, dass
keiner in keinem Augenblicke von dem Pensum,
das ihm zugeteilt wui*de, abweiche, nicht einen
Schlag mehr thue, nicht einen weniger, nicht
einen Zoll tiefer grabe, nicht einen Schritt
schneller pflüge, heute nicht einen Grad eifriger
das Aufseheramt übe, als gestern ein anderer,
heut nicht einen Bissen mehr esse und keinen
Schluck mehr trinke u. s. w., sonst wird das
Mass, welches alle in gleicher Weise entlasten
oder bedrücken soll, welches nach so vieler
Mühe erst gefunden wurde, gestört, und der
Neid des Schwachen, die Missgunst des Trägen,
der Widerspruch des Übertroffenen sind ge¬
weckt, der Anlass zur Unzufriedenheit ist ge¬
geben. Wenn also in dem neuen Eden die
Menschen ebenfalls Gerechtigkeit, Pflichttreue,
I
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Entsagung. Anpassen an die andern, Bezwingen
zuweitgebender Wünsche, in Summa Hingabe
des gesammten Icbs an das Ganze, ein jeder
nach seinem Können und Vermögen, üben müssen,
damit es besteben kann: ist es da nicht ein¬
facher, leichter und auch bequemer, solche Ge¬
rechtigkeit, Pflichttreue, Einschränkung der Be¬
gehrlichkeit schon jetzt zu üben, in der alten
Weltordnung, die den Beweis ihrer Existenz¬
möglichkeit erbracht hat? Sie besteht alle die
Jahrtausende her, in die unser Forschen zürück-
dringen konnte und jede neue Erkenntnis von
Kräften, die gewirkt hatten, ohne dass sie ge¬
kannt waren, ist nur ein neuer Beweis dafür,
dass sie bestehen bleiben wird, länger als wir
uns vorstellen können. .
Als der ewige, allm. Baumeister den Welten¬
plan entwarf, setzte er den Zirkel an, zog einen
weiten Kreis, und stellte hinein die Menschen,
die er zu seinem Ebenbilde geschaflen hat; die
einen im Norden, die andern im Süden, die am
Aufgange dev Sonne, jene beim Niedergange. —
Alle stehen sie gleich weit von ihm, dem
Mittelpunkte, von dem alles ausstrahlt, nach
dem alles sich zurücksehnt. In gleichem Masse
empfangen alle den Segen seiner Hand, wenn
auch jeder in anderer Weise: dem einen ist
gegeben, in Sonnenglut, im Wüstenbrand zu
schmachten und dann zu schwelgen unter dem
giiinen Dache ragender Palmen, unter Blumen
von bezaubernder Pracht, in der Kühle der
Nacht, die die strahlenden Himmelslichter milde
erhellen. Der andere verbirgt den Leib, rettet
das Leben vor dem erstarrenden Frost unter der
schützenden Scholle und traumhaft verinnen ihm
Tage und Wochen im Dunkel der Polarnacht.
Dem einen hat er die weite Steppe bereitet
und das wilde Gebirge, dazu die Fülle ursprüng¬
licher, roher Kraft; dem andern teilte er zu
milden Sonnenschein und leichten Frost, und im
anmutigen Wechsel von Frühling und Herbst,
im langsamen Erwachen aus des Winters Schlaf
zum Grünen und Blühen, zum Wachsen und
Reifen, bei der gemütlichen Arbeit vom Säen
zum Ernten und Sammeln in die Scheuern er¬
hoben sich die Augen von der Scholle, die die
Hand bebaute, flogen die Gedanken über den
nächsten Tag und seine Notdurft hinaus, immer
höher und höher, bis zu der Einsicht und der
Erkenntnis, dass über allem waltet eine ewige
Macht, ein Vater, der jedem seiner Kinder das
zuteilt, was es nötig hat, um zu existieren, einem
jeden auch ins Herz legt die Sehnsucht und
auch die Fähigkeit, glücklich zu sein, nämlich
die Zufriedenheit.
Denn er wäre nicht der weise Schöpfer
aller Wesen, der liebende Vater aller seiner
Kinder, wenn er Glück gebunden hätte allein
an Fülle und Glanz, wenn ausgeschlossen wären
vom Wohlbehagen die, welche sich bescheiden
und mit Wenigem genügen lassen, wenn die
Wonne, ihn zu erkennen, zu ihm sich aufzu¬
schwingen nur gefunden werden könnte in den
Geheimkammern tiefen Wissens; nein.
Seine ewige, herrliche Schöpfermacht
Verkündet der Morgenröte Pracht,
Und alles Leben liegt vor ihm.
Und alles Leben ruft zu ihm:
Unser Vater.
Und alles Leben kehrt auch heim zu ihm, wenn
seine Zeit erfüllt ist, und aus dem sterblichen
Leibe, der hemmenden Rast, die den Geist nur
zu oft niederzog und fallen Hess in die Fesseln
der Leidenschaft, fliegt die Seele auf in seine
lichten Hallen,
zum Frieden.
Wir stehen am Sarkophag der Brr, die
heimgegangen sind, uns voran ins Vaterhaus;
abgeschlossen liegt ihr Tagewerk, sie sind ein¬
gegangen zum Schauen.
Wer weiss, wie bald auch uns die letzte
Stunde schlägt.
Lassen Sie uns, teure Brr, die Tage, die
ims noch beschieden sind, froh geniessen in
rüstiger Arbeit, in treuer Pflichterfüllung, ohne
Neid und Missgunst, sondern im Sonnenschein der
Zufriedenheit! ^
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' Aus dem Eogbund.
Ladwig Börne als Freimanrer nnd
Schriftsteller.
Aus dem Nachlasse des Br F. Fuchs.
Meine gel. Brrl Ich gedenke Ihnen heute
in kurzen Zügen das Lebensbild eines Bruders
vorzuführen, der unserm Bunde zur hohen Ehre
gereichte und der als echter deutscher Mann
ein unentwegter Streiter im Dienste freien
Menschentums sein Leben lang wirkte für die
Veredlung seines Volks. Sein Wort war ein
schneidiges Schwert, mit wuchtigen Streichen
bohrte er wie einst Ulrich von Hutten der
Wahrheit und der Freiheit des Gedankens eine
Gasse. Sein scharfer Witz war weithin ge¬
fürchtet. Er genoss viel Liebe, aber es fehlte
ihm auch nicht an Hassern und Feinden. Dieser
viel gefeierte und viel gehasste Mann war
Ludwig Börne.
Hören wir zunächst das Wichtigste von
seinem äussern Lebensgange. Er war der Sohn
des jüdischen Wechslers Baruch — den Namen
Börne nahm unser Br erst später an — und
wurde den 13. Mai 1786 zu Frankfurt a/M.
geboren. Den ersten Unterricht erhielt er durch
einen Hauslehrer, später in einer Erziehungsan¬
stalt. Er studierte dann auf den Universitäten zu
Halle und Giessen Medizin, doch scheint ihn
dieses Studium wenig befriedigt zu haben, denn
er vertauschte dasselbe mit dem Studium der
KameralWissenschaften. 1808 wurde er Dr. der
Philosophie. Er kehrte nach seiner Vaterstadt
zurück und fand hier Anstellung als Polizei-
actuar. Bald lernte man seine Arbeitskraft
kennen, und es wurden ihm meist die schwierigeren
Arbeiten übertragen.
Als nach Napoleons 1. Sturz die alte reichs-
städtische Verfassung in Frankfurt wieder ins
Leben trat, wurde Börne als Jude aus seiner
Stellung mit einer Pension von 400 fl. entlassen,
die man ihm als Frankfurter Staatsdiener nicht
verweigern konnte. Diese Zurücksetzung und
sein beleidigtes Rechtsgefübl machte ihn geneigt,
für die Rechte seiner Glaubensgenossen in Frank¬
furt in die Schranken zu treten. Die dortige Juden¬
gemeinde hatte sich für 440 000 fl. das Bürger¬
recht erkauft, welches der Frankfurter Senat
nun für null und nichtig erklärte. Börne gab
im Aufträge der Gemeinde eine „ Aktenmässige
Darstellung des Bürgerrechts der Israeliten in
Frankfurt a/M.“ und später eine andere Schrift
„Die Juden und ihre Gegner“ heraus. Merk¬
würdig ist, dass er während dieses heftigen
Kampfes für sein Volk bereits zum Christentum
übergetreten war und dabei den Namen Baruch
mit Börne vertauscht hatte. Dieser in Rödel¬
heim bei Frankfurt vollzogene Übertritt zur
lutherischen Konfession wurde lange geheim ge¬
halten, selbst sein Vater erfuhr nichts davon.
Als man ihm den Beitritt zu einem Vereine als
Juden verweigerte, hätte es nur eines Wortes
bedurft, doch er schwieg. Erst ein verdriess-
licher Handel mit der Polizei, der ihn auf
mehrere Tage auf die Hauptwache brachte, be¬
stimmte ihn, den Schleier zu lüften. Mit der
damals recht strengen (Zensur lebte er in stetem
Kampfe, ja eine kleine Schrift, „die Zielschwingen“,
wurde unterdrückt und brachte ihm eine vier-
zehntägige Haftsträfe ein. Das verleidete ihm
den Aufenthalt in Frankfurt, er nahm deshalb
das Anerbieten von Cotta in Stuttgart mit
Freuden an, nach Paris zu gehen und von dort
aus Berichte über französische, politische und
wissenschaftliche, Zu.stände, Sittenschilderungen
und Genrebilder für die deutschen Zeitungen zu
senden — es waren das die berühmt gewordenen
„Pariser Briefe“. Aber auch in Paris konnte
er sich nicht heimisch fühlen, er ging nach
Deutschland zurück und zunächst nach Heidel¬
berg, wo eine länger andauernde Krankheit alle
seine Subsistenzmittel aufzehrte. Eine Unter¬
stützung von seinem in Wien lebenden Vater
zu erlangen, schlug fehl, da er sich nicht ent-
schliessen konnte, in Wien seinen Aufenthalt zu
nehmen. Er musste also aufs neue zur Feder
greifen, um das liebe Brot zu erwerben. Durch
den bald darauf erfolgten Tod seines Vaters
gestalteten sich seine finanziellen Verhältnisse
günstiger, die drückenden Nahrungssorgen waren
gehoben.
Die Nachricht vom Ausbruch der Pariser
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Julirevolution versetzte ihn in ungeheure Auf¬
regung; es trieb ihn dorthin, um im Mittelpunkt
der Bewegung zu sein. Auch für Deutschlands
Erhebung erhoffte er Grosses; er gab eine
zweite Serie ,Pariser Briefe“ heraus, in denen
er die Tborheiten und Schwächen der Deutschen
mit schonungslosem, doch unpersönlichem Spott
geisselte und dadurch den erwachenden Patriotis¬
mus mehr nieder drückte als erhob. — Der un¬
erwartete Umschwung der Dinge machte Börne
unglücklich und raubte ihm die Elastizität des
Geistes. Mit ihr brach auch die Köi*perkraft
zusammen; er befand sich von nun an in einem
fortwährend kränkelnden Zustande. Die damals
in Paris herrschende Grippe bildete eine tütliche
Brustkrankheit in ihm aus; mit der Ruhe eines
Philosophen erwartete er den Tod. Er starb
den 12. Februar 1837.
Wenden wir uns nun zu Börne als Prmr!
Er wurde als Dr. jur. Ludwig Baruch in Frank¬
furt a. M. am 19. Juli 1809 in die neue, ein
Jahr vorher gegründete Loge „Zur aufgehenden
Morgenröte* aufgenommen. Tn ihm verehrte
die Loge über ein Vierteljahr hundert eines ihrer
ausgezeichnetsten Mitglieder. Dass ein Mann
wie Börne sich der frmr Idee mit ganzer
Seele hingah, ist selbstverständlich. Er war ein
Frmr durch und durch. Doch hören wir selbst
sein Urteil über Frmrei. „Die Frmrei ist die
heilige Quelle, wo die verblühte Schönheit ihre
Huldigung, wo die getrübte Weisheit ihre Helle,
wo die geschwächte Kraft ihre Fülle wiederfand.
Sie ist das Asyl der geängsteten Treue, die
Versöhnerin der beleidigten Uns(;huld, die Ver¬
gelterin der unbezahlten Liebe. Sie stürzt die
Scheidewand ein, die das Vorurteil zwischen
Menschen und Menschen aufgerichtet, sie zieht das
goldene Kleid hinweg, das einen seelenlosen Leib
bedeckt: sie stellt Herz gegen Herz, Geist gegen
Geist, Kraft gegen Kraft und giebt dem Würdigsten
den Preis. Sie lehrt den Baum nach seinen
Früchten schätzen, nicht nach dem Boden, der
ihn trägt, nicht nach der Hand, die ihn ge¬
pflanzt.“
Er war ein Feind der Hochgrade und der
maur. Systeme überhaupt, tlr sagt; „Systeme
kämpfen gegen Systeme, Logen gegen Logen,
Brüder gegen Brüder. Ja, wunderbar ist es zu
sehen; alle wollen die Walirheit suchen, doch
jeder will sie allein finden. Alle wollen die ge¬
fundene Wahrheit mit allen teilen, doch jeder
will allein sie suchen. Wann wird ei*scheinen
der Tag, den alle Mr mit einem Herzen be-
grüssen? Wann geht der Mittag auf, der uns
zur gemeinschaftlichen Arbeit führt, und wann
bricht die Nacht herein, wo alle Brr Arm in
Arm entschlummern?“
In der Loge scheint Börne Öfter V'^orträge
gehalten zu haben; in seinen gesammelten Schrif¬
ten, sowie in Kloss* Bibliographie sind deren
mehrere angeführt. Die Loge „Zur aufgehenden
Morgenröte“ beging am 5. Mai 1886 eine Ge¬
dächtnisfeier zu Ehren ihres früheren Mitgliedes.
In seiner Vaterstadt ist ihm ein schönes Marmor¬
denkmal gesetzt worden.
Nun noch einige Worte über Börne als
Schriftsteller. Bücher für die Ewigkeit hat er
nicht geschrieben und wollte er nicht schreiben.
Seine Werke waren fast nur Artikel für verschie¬
dene Zeitungen, die bisweilen wegen ihrer scharfen,
schneidigen Darstellung gai* nicht aufgenommen
wurden. Er griff nur zur Feder, wenn ihn das
augenblickliche Bedürfnis dazu drängte, aber
jede Zeile trug den Stempel künstlerischer Form¬
vollendung und innerster Überzeugung. — Er
war frei von selbstischen Zwecken, er war sich
vielmehr bewusst, im Dienste der Wahrheit zu
stehen und nur nach innerster Überzeugung zu
wirken. Er hatte stets das Ziel im Auge,
schaute nicht nach rechts und links und das
bedingte bei ihm eine gewisse Schonungslosig¬
keit. Er selbst sagt: „Der Soldat im Gefecht
darf seine Kugel nicht zurückhalten aus Be¬
denken, in den Reihen, auf welche er zielt, steht
ein edler Mann, sein Freund, stehen so viele,
die den Krieg nicht mit verschuldet. Die
Kugeln dieser treffen auch. Das ist das trau¬
rige Recht und das harte Gebot des Krieges:
nur den Besiegten darf man lieben, nur ihm
darf man verzeihen.“ Die Hauptbedeutung
Börnes als Schriftsteller liegt in dem Einfluss,
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den er auf die geistige Lebensentwickelung des
deutschen Volkes ausgeübt bat. Er war poli¬
tischer Schriftsteller, seine Politik ging bei ihm
hervor aus zwei Gefühlen: aus der Liebe zur
Freiheit und aus der Liebe zum Volke und zum
Vaterlande. Sein Streben war auch nicht be¬
grenzt durch die Grenzen des Staates. Sein
Wirken galt der HumanitUt im umfassendsten
Sinne, ja seine Liebe galt der ganzen Mensch¬
heit. Börne, dem streitbaren Kämpfer, war zu
dem Kampfe, den er mit Ausdauer und Feuereifer
führte, eine mächtige Walfe gegeben, und diese
Waffe war der W'itz. Aber aus der Art des
Witzes leuchtete sein innerstes Wesen hervor.
Nach der Einwirkung des Geistes wollte er mit
scharfem Schlage treffen, nach der des Herzens
nicht verletzen.
Wie ganz anders gestaltete sich der Witz
bei seinem genialeren Genossen Heinrich Heine.
Mit diesem stand Börne eine zeitlang in Ver¬
bindung, aber es kam zum Bruch; der sitten¬
strenge Börne und der frivole Heine passten
nicht zusammen. „Der Witz Heines entsprang
berechnendem Geist, der Witz Börnes ergab sich
aus der Gemütsauffassung, die er Welt und
Menschen entgegen brachte; für Heine war der
Witz Selbstzweck, für Börne nur Mittel zum
Zweck; der Witz Böimes war schlagend und
treffend, der Heines beissend und ätzend; der
Witz Heines wollte zerstören, der Witz Börnes
nur niederreissen, um aufzubauen.* —
Eben eines musste Heine entbehren, was
Börne eigen war: der hohe sittliche Ernst, von
dem ein jedes Wort Börnes durchdrungen war.
Wer aber dieses sittlichen Bewusstseins entbehrt,
wird nicht veredelnd auf sein Volk einzuwirken
vermögen.
Man sollte meinen, da Börnes Schriften
meist Kinder des Augenblicks waren, sie würden,
und mit ihnen ihr Verfasser, längst vergessen
sein Edelmut, Sanftmut, üneigennützigkeit und
Begeisterung für die Idee der Freiheit und Hu¬
manität waren die Grundzüge seines Charakters;
allenthalben in seinen Schriften giebt sich der
Menschenfreund kund, der die Welt auf klären
und glücklich machen will. Seine unerbittliche,
gegen Personen und Autoritäten keine Rück¬
sicht kennende Wahrheitsliebe erhebt Börne zu
dem Range des ersten Journalisten.
„Durch ihn erst“, sagt ein Litterarhistoriker,
„ist der Journalismus zu einer imposanten
Macht geworden, mit welcher die Grossen der
Erde rechnen müssen.*
„So lange die Stimme der Wahrheit noch
gehört wird in deutschen Landen, so lange
Recht und Freiheit als ideale Güter gelten,
deren Erringung der Arbeit der Edeln wert ist,
so lange wird der Name Ludwig Börne nicht
vergessen werden. Er lebt und wirkt auch nach
dem Tode fort.*
Auf ihn kann man mit Recht das Wort
Göthes anwenden:
So wirkt mit Macht der edle Mann
Jahrhunderte auf seinesgleichen,
Denn was ein guter Mensch erreichen kann.
Ist nicht im engen Raum des Lebens zu erreichen.
So lebt er nun auch nach dem Tode fort,
Und ist so wirksam als er lebte.
Die gute That, das schöne Wort,
Es strebt unsterblich, wie er sterblich strebte.
Blätter und Blüten.
Lass reden Deine Werke
Von Weisheit, Schönheit, Stärke!
Mit Weisheit fang Dein Schaffen an,
Kraft führe Dich der Schönheit Bahn!
Wenn Kraft die Schönheit will erreichen,
Muss Weisheit ihr die Wege zeigen.
Das ist fürwahr die rechte Kraft,
Die nur mit Weisheit Schönes schafft.
Als höchste Schönheit sich erweist:
Ein reines Herz, ein edler Geist.
Br Julius KeUtr
in Nürnberg.
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Langsam schleppt sich der Leib von einem Orte
zum andern,
Doch durch den Weltenraum streift schnell der
Gedanke dabin.
Ach, wer hebt mich vom Staub, dir nachzu-
. folgen, o Sonne,
Wie durch die lachende Flur du zum Ozeanus
eilst.
Über mir säh* ich den Himmel und tauchte den
Fuss in die Fluten,
Vor mir sUh’ ich den Tag, Hesse dahinten die
Nacht.
Ewig sonnt’ ich mich dann in unvergänglichem
Lichtglanz,
Nie dann kümmerten mich Leiden und Freuden
der Welt.
Doch zu des Geistes Flug entbehr ich den leib¬
lichen Fittig,
Nacht nur wechselnd mit Tag ist ja dem
Menschen vergönnt.
Litterarisches.
Die Vermittlungsstelle ziim Ein- uud Ver¬
kauf frmr Bücher von Br Heinhold in
Brieg hat ihren 2. Katalog versendet. Das Du¬
bletten Verzeichnis 2 reicht bis Nr. 500, das De¬
sideraten-Verzeichnis B bis Nr. 159. Wir be¬
nützen die Gelegenheit, um die 1 Brr auf dieses
äusserst verdienstvolle Institut hinzu weisen und
zu dessen reger Benutzung aufzufordern.
Quellenkritische Beiträge zur Oeschicbte
d. g. u. V. .Tohannis-Loge „Zu den *6 Kronen“
i. Or, Königsberg i. Pr. v. Br Kienast.
Eine Heissige Forscherarbeit, die mit ge¬
schichtlicher Objektivität die Entwickelung der
Loge darstellt und namentlich dadurch vor ande¬
ren derartigen Werken etwas voraus hat, dass
sie in einem besonderen Anhänge «lie infolge der
politischen Bedeutung des gen. Or. reichen Be¬
ziehungen des Hohenzollernhauses zu dieser Bau¬
hütte zur Sprache bringt ln einem weiteren An¬
hänge schliesst sich daran eine kurzgefassto Chronik
der Königsberger Logen überhaupt, sowie ‘eine
Tabelle aller ihrer Stuhlmeister. Die vom Ver¬
fasser in letzter Stunde noch erlangte Einsicht in
die Akten des „Delegierten Innern Orientes“ machte
ferner einen kleinen Nachtrag wünschenswert, dem
zuletzt ein gelungener, sehr interessanter Abdruck
des 1. Protokolls vom 16. April 1746, sowie eine
graphische Darstellung der numerischen Entwick¬
lung der Johannismrei im Or. Königsberg folgen.
2 Arbeiten aus der Loge Minerva zu den 3
Palmen i. Or Leipzig. Zum Besten der
Mahlmann-Stiftung.
Eine Trauer- und eine Festloge sind in der
Loge Minerva im April vom 8. E. Br Linge ge¬
halten worden, die erstere znm Andenken an den
im März i. d. e. 0. e. S. E. unvergesslichen Br
Schuster, die zweite zu Ehren des ehemaligen
Mstr. V. St. Br Mahl mann. Um die Erinnerung an
diesen berühmten Dichter und Br für alle Zeiten
lebendig zu erhalten, hat man eine Stiftung ge¬
gründet, die seinen Namen trägt. Sie bezweckt
Versorgung verarmter Brr oder ihrer Angehörigen.
Das Schriftchen berichtet in dankenswerter Weise
über beide Logen und enthält sämtliche dabei
gehaltenen Vorträge und Ansprachen. Möge es
seinen Zweck, die Stiftung zu bereichern, recht
reichlich erfüllen.
s t r ä a.
Taschenbach für Freimanrer
ani das Jahr 1896.
llerausgegeben
von
Br Robert Fischer.
Neue Folge: 16. Band.
1^ Preis Mit- 3--> flsb. Mk. 3.75. '‘W
Leipiig, -Tuli 1896.
Bruno Zeche!.
Alle für die Schriftleitung der Zeitschiil't
„Am Reisslirette“ bestimmten Einsendungen
bitten wir direkt an die Adresse:
Dr. A. Gündel, Leipzig-Reudnitz
bewirken zu wollen.
Den neu eingetretenen Abonnenten auf vorliegende Zeitschrift „Ah Rowsbrotto zur
lotiz, dass bis auf weiteres und so lange der kleine Vorrat reicht,
Band 1—18 (Jahrgang 1874—91) auf ä Mk. 1,50
Band 19—20 (Jahrgang 1892 u. 93) auf k Mk. 2,00
rmässigt und von Unterzeichnetem zu beziehen sind. Bruno Zeche/.
Druck inid Verlag von Dr llnino /echol in liOipaeig.
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Am Eeissbrette.
Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum
Rautenkranz in Hildburghausen.
Für Brr Freimaurer-Meister.
Begründet von Br Marbach. Fortgeführt von Br Fuchs.
Schriftleiter: Br Dr. A, Güiidcl, Leipzig-Reudnitz.
Das Blatt wird vorziip^sweiso Boitnlji^o Brinfj^on, die in den Lo^enverfraininlun^on eines der drei Grade
gehalten worden sind, sowie geschäl’tlicbe Mittheilnngen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Kinzelne Brr Meister, welche als
solche sieh legitiinirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 3 Mark abonniren
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf-
genommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebühr von
25 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile.
23. Jahrgang.
No. 8/9.
Inhalt: Der Zirkel. — Lehrlings-A.nfnalimologe. — Die Wahrlieit. — Brader and Freund. — \nsoigo.
Der Zirkel.
Vortrag im II. Grad d. Loge Georg z. d. 3 S. in Einbeck
geh. von Br Roegglen in Bornhausen.
Gern und dankbar habe ich den Vortrag zur
heutigen Gesellenbeförderungsloge übernommen.
Sie, ehrw. Mstr, verfechten mit Ihrer Loge,
gleich den meisten hannoverschen Ihres Systems
Royal-York, die Überzeugung, dass die frmr.
Ideen in den 3 .Toh.-Graden zu erschöpfen und
ahzuschliesscn sind. Sie halten eine Einigung
der deutschen Joh.-Mrei durch Vertiefung dos
geistigen Lehens und Ausgleich störender Gegen¬
sätze mittels kleinerer Verbände für möglich und
nötig. Denn Sic sind gewiss, dass, wie der in
Ihrer Landeskirche vor 50 Jahren erhobene Vor¬
wurf: das Vereins wesen .sei eine Wucherpflanzo,
die das kirchliche Leben zu ersticken drohe,
durch die heutigen Erfolge glänzend widerlegt
ist, so auch die Befürchtungen unsrer Gross¬
logen wegen der „Vereine im Vereine* über kurz
oder lang verstummen müssen. Darum verlangen
Sie in den geordneten Grenzen frrar Tbätigkeit
vor allem eine Mrei der That.
Gleiches Streben, wenn schon in freierer
Form, hat mich vor 15 Jahren durch un.sern
verewigten Br Gramer mit Ihrem Br Secrelilr,
dem damaligen Präsidenten des Kosmophilenklubs
in Leipzig, zusammongeführt. Auch hier war
Arbeit für Menschenwohl die Absicht.
Auf das maur. Wirken für und in der
Menschheit weist mich aber heute be.sonders die
Beförderung eines Amisbruders hin.
Er steht mir nah als meines Vaters jahre¬
langer Freund und Vorgesetzter im Stadtschul¬
amt, sowie als mein unmittelbarer Vorgänger
in meinem Pfarramt. Die Kriegsdenkmünzc am
Nichtkomhattantenbande, die schon die Brust des
Sekundaners als Anerkennung für Pflege der Ver¬
wundeten in den Kriegsjahren 1870/71 geziert
hat, . lässt einen berechtigten Schluss von den
That eil des Jünglings auf die des Mannes zu.
So bitte ich denn, Ihre Aufmerksamkeit
auf das Symbol des Zirkels zu richten. Falls
man je eins der drei grossen Lichter als Inhalts¬
bezeichnung je eines unsrer Job.-Grade fassen
dfirf, erscheint er mir massgebend für den Ge-
sollcngrad.
Der Schrödersche Katechismus erklärt die
Frage: Was bedeutet der Zirkel? Ei* bezeichnet
die Grenzen der Pilicht, welche der gewi.ssen-
hafte Frmr gegen alle Men.schen, besonders gegen
einen Br zu beobachten hat.
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5s
In der Londoner Grossloge bestanden ur¬
sprünglich, wie bei den Steinmetzen, nur die
beiden Grade des Lehrlings und des Gesellen.
Als dann vom November 172r» ab der dritte
Grad in allen Logen bearbeitet werden sollte,
wurde das Ritual des bisherigen Gesellengrades
teilweise für den Mstrgrad erweitert und für den
nunmehrigen Gesellengrad ein neues verfertigt.
Daher sah sich Anderson genötigt, im Consti¬
tutions-Buche von 1738 zu der Bezeichnung
„Gesell“ in den alten, vor 1722 verfassten all¬
gemeinen Verordnungen den erläuteniden Zusatz
„oder Mstr Mr“ hinzuzufügen.
Die nachtrilgliche Einschiebung des Rituals
unsres heutigen Gesellengrads war für seine Aus¬
gestaltung an sich schon beschwerlich. Jahrzehnte
lang hat man darum, wenigstens in Deutschland,
die beiden ersten Grade in manchen Logen un¬
mittelbar nach einander erteilt.
Dazu kommt für das Schrödersehe System,
dass Br Schröder bei der Neubearbeitung der
Rituale der Joh.-Mrei in den Jahren 1801/2,
gleich der grossen Anzahl vertrauter Brr, mit
welchen er hieiüber koiTespondierte, Pnehards
Ritualmitteilung v. J. 1730 verwarf, weil er
„Jakin und Boas“ für das noch immer ver¬
misste, ursprüngliche Ritual hielt. Heute ist
diese Annahme als irrig erwiesen. Letzteres
Ritual ist nach Br Begemanns sichrer Forschung
ein klägliches Mischmasch zweier Schriften aus
dem Jahre 1760, dem masterkey to freemasonry,
der aus französischen Quellen stammt, und den
three distinct knocks.
Da nun Jakin und Boas ein dem Gesellen-
gradc eigentümliches, auf den ältesten Teppichen
vorhandenes und bereits den Steinmetzen wich¬
tiges Symbol, den fl. St., nicht erwähnt, und
dessen vielfacher Gebrauch in den wegen ihrer
Herrschsucht und angeblichen Bewahiung ge¬
heimer Kenntnisse ihm verhassten Hochgraden
dem Br Schröder anstössig war, so hat er jenes
Symbol in seinem System fortgelassen.
An seine Stelle setzte er den Spiegel.
Dieser, an sich schon ein zweifelhaftes Zeichen
der Eitelkeit und Rätselhaftigkeit, sollte den
Gedanken des ersten Grades: „Selbsterkenntnis
ist der Weisheit Anfang“, wieder aufnehmen
und fortführen.
So kam es, dass die dem zweiten Grade
eigentümliche Idee des Verhältnisses des Prmrs
zur Menschheit vorwiegend auf die Ausbildung
des Gesellen zu einem abgeschlififnen Cubischen
Stein und zur veredelten Freundschaft mit seinen
Brn beschränkt wurde.
Um jedoch dem Br Schröder, und für die
Ausdeutung des zweiten Grades auch Br Fessler,
gerecht zu werden, muss man die Zeitrichtung
vor 100 Jahren berücksichtigen.
Von der heutigen weltbewegenden sozialen
Frage ahnte man damals nichts. Noch waren
die Tage nicht vorüber, denen Gellerts „empfind¬
sames Herz“ und Goethes Werther ihr Gepräge
aufgedrückt hatten. Es waren die Zeiten der
Männerfreundschafton und der Schwärmerei.
Man war reich an Gefühlen des Mitleids,
aber arm im Handeln. Man wollte eine glück¬
selige Welt schafl^en, aber konnte den Boden für
ihre Verwirklichung nicht finden. Herder hat
einmal jene Zeit treffend mit einem Paradies¬
vogel verglichen, der ohne Füsse beständig in
der Luft schwebt.
Auck kam man über den Gedanken an sich
nicht hinaus. Das Gute geschah nur, um selbst
einen Genuss davon zu haben. Die Tugend ward
definiert als Fertigkeit, in allen Lagen des Lebens
seines Daseins möglichst froh zu werden.
Diese Darlegung soll den Wert echter Mr-
freundschaft nicht verkümmern. Hat doch Goethe
ihr in dem Gedichte „Dem würdigen Bruder-
feste“ ein Denkmal gesetzt.
Gerade in unsrer hastenden Zeit mag Freund¬
schaft, „treu wie Gold, keck ihren Schimmer
weisen“. Der Dichter spricht eine grosse Wahr¬
heit aus:
„Wie selten finden, wohin wir gehn.
Sich Menschen, die uns ganz verstehn.
Wo jeder neidlos sich erfreut
Am Guten, das der Andre beut;
Und wo, was sich so schnell gefunden,
Für alle Zeiten bleibt verbunden;
Denn wo die Maske fllllt des Scheins,
Sind immer gute Menschen eins;
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59
Und nur an solcher Menschen Heerd
Ist unser Leben lebenswert.
Uns verlangt, dass die Loge ein Heerd sei,
auf dem das heiFge Feuer echter Freundschaft
glüht; dass unsre schönen Worte von Freund¬
schaft und Brüderlichkeit nicht blosse Phrasen
während unsrer Versammlungen bleiben. Wir
wünschen, dass Falk in unsern Bauhütten keine
Brr finde, die sich vom Rauch gern beissen
lassen, wenn es nur der Rauch einer fremden,
fetten Küche ist. Aber entsprechen wir auch
\ unserm Ideale?
\ Wenn wir als Lehrlinge die Arbeit am
rauhen Stein nach bester Kraft verrichten würden,
wenn wir durch den Blick aufs Ganze den Streit
in unsrer Brust zu schlichten suchten, dann
könnte wahre Freundschaft unter Mm herrschen.
Dann würden nicht die geringfügigsten, oft rein
profanen Veranlassungen so häufig Brr aus der
Kette treiben und die Gesinnungen der Loge in
den Augen der unkundigen Welt verdächtig und
verächtlich machen. Dann brauchten wir nicht
im Brkreise an Robert Hamerlings Wort zu
erinnern:
Wem nicht geweiht dein innerstes Gefühl ist.
Dem musst du, schmerzet dich das Haupt zu Zeiten^
Nicht gleich vertraut die Hand zur Wange leiten,
Zur Stirne, dass er fühle, wie sie schwül ist!
Nie drücke Hände warm, die dir nicht teuer!
Nie schling um den in holdem Scherz den Arm,
Den du nicht grüssen magst: mein* Vielgetreuer!
Was hilft alles Reden von einem gefühl¬
vollen Herzen, einem veredelten Sinn, einem
foi sehenden, heitern, ruhigen Geist, wenn wir
dem Ideal blos nachjagen wollen.
In unsrer Bnist muss es lebendig sein.
Rückert schildert in der Weisheit der
Brahmanen zwei Dichter.
Ein hohes Ideal dem einen schwebte vor . . .
Doch nie könnt* es der Flug erreichen. —
Vom Ideale selbst der andre flog gehoben;
Er war stets, wo es war, nie unten er, es oben.
Kein Ausserliches war’s, wonach er ringend strebte,
Es war sein Innres selbst, das, was er war und lebte.
Wahr und treu gegen den Br, wie gegen
sich selbst, das sind die Grenzen der Bi-pflicht
für den gewissenhaften Frmr. Damit vereinigen
sich auch die Grenzen, welche bei der Lehrlings¬
aufnahme gezogen sind: Unserm Br jederzeit
nach unsern Kräften mit Rat und That beizu¬
stehen, ausgenommen in Fällen, welche unsrer
Ehre, den guten Bitten, un.srer häuslichen Ver¬
fassung und dem Staate zuwider sind.
So mag uns immerdar der zweite Grad zur
Freundschaft mit unsern Bm anleiten.
Nur vergessen wir nicht, dass der Zirkel
dem gewissenhaften Frmr auch die Grenzen der
Pflicht gegen alle Menschen vorschreibt.
Unser zur Neige gehendes Jahrhundert erst
hat zur That erzogen.
Mit wenigen unsrer grossen Dichter und
Denker ragt Lessing einsam über seine ZeiL
genossen empor. Er war ein Feind aller Uher-
scbwänglichkeit und Empfindelei. Er hat uns im
Nathan zuei-st gelehrt, dass ,andächtig schwärmen
leichter, als gut handeln ist“. Durch seinen
Einfluss haben Reimarus in Hamburg und Leise¬
witz in Braunschweig den Anstoss zu einer ge¬
ordneten Armenpflege gegeben. Selbst das welt¬
bekannte Rauhe Haus ist aus der Stiftung einer
Enkelin des Verfassers der Wolfenbüttler Frag¬
mente hervorgegangen.
Bevor die Toleranzidee nicht Gemeingut
aller Stände geworden, konnte die Lösung der
sozialen Frage nicht versucht werden.
Auch die Frmrei hat, trotz der Pflege dieser
Idee, sich erst allmählich von einer gewissen
zunftförmigen Engherzigkeit losreissen müssen.
Der Grundsatz der Alten Pflichten, dass die
Mrei ein Mittelpunkt der Vereinigung und das
Mittel sein solle, treue Freundschaft untor Per¬
sonen zu stiften, welche sonst in beständiger
Entfeniung hätten bleiben müssen, musste sich
langsam erweitern.
Ohne in Krause*s schwärmerische, unaus¬
führbare Gedanken von einem Menschheitsbunde
zu verfallen, muss die Ei*ziehung des Mrs zum
Wirken für die Menschheit erfolgen.
Denn ,nicht Geniessen und Erringen ist der
Zweck des Lebens, sondern Nützen und Vollbringen “.
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60
Und:
,Nicht zur Freude oder Sorgen wir allein ge¬
boren sind;
Doch zur That, dass uns das Morgen weiter als
das Gestern find*“.
Hierzu soll uns der zweite Grad vor allem
anweisen.
Mit offnen Augen, mit Brn in eine Kette
geschlungen und unter aufmuntenidem Gesänge
wird der Gesell um die Loge geführt. Es gilt
fortan nicht blos, durch Selbsterkenntnis die
sittliche Förderung in der eignen Bauhütte zu
suchen. Die Arbeit des Gesellen vollzieht sich
in der grossen, allgemeinen Loge der Menschheit.
Weil aber für sie die Krilfte des Einzelnen
nicht nusreichen, wandert der Goscll zu gemein¬
samer Thiltigkeit mit Brn in eine Kette ge¬
schlungen. Und da es zur Erfassung und För¬
derung der gemeinschaftlichen Arbeit offner Augen
bedarf, die Schädt-n und Mängel der Menschheit
zu erkennen und durch die rechten Mittel zu
beseitigen, so soll er schon beim Eintritt die
Loge frei überschauen.
Dass aber die Mittel nicht abstossen, ist
schöne Form unerlässlich.
Im Schein des Wesens liegt der Reiz des S(ihönen,
Nach nackter Wahrheit strebt die Wissenschaft,
Und ernst und hart und hässlich ist das Leben.
Nur Dichter sollten, was es uns versagt, uns geben-*
Begeisterung und Liebe. Lust und Kraft,
Uns mit dem Kampf ums Dasein zu versöhnen.
Darauf verweist den Gesell der aufmun¬
ternde Gesang, unter dem seine Reise geschieht.
Doch, m. Brr, diese ganze eindrucksvolle
rituelle Handlung würde jenem Herderschen Pa¬
radiesvogel gleichen, wenn nicht, wie in Ihrem
Fesslerschen System, als unentbehrliches Symbol
für den Gesellengrad der fl. St. hinzukommt.
Er hat eine dreifache, in eins zusammen-
fliessende Bedeutung als Licht Gottes, der Ver¬
nunft und der Wi.ssenschaft. Das G in seinem
Mittelpunkt weist auf Gott, Gnosis und Geometrie,
die Hauptwissenschaft des Steinmetzen, hin.
Sollte man ihn darum ablchnen, weil er in
den Erkenntnisstufen verwendet wird?
Benutzen ihn doch auch der eklektische
Bund und die Grossloge zur Sonne, und mehrere
der unabhängigen Logen haben ihn für ihr
Schrödersches System adoptiert.
Nur in seinem dreifachen Lichte, d. h. in
der vom Gottesgeist der Liebe durchdrangnen
Vernunft und Wissenschaft, lernen wir die Mittel
erkennen und gebrauchen, die dem gewissen¬
haften Frmr zur Ausübung sozialer Thätigkeit
nötig sind.
Wollen wir durch diese Thätigkeit das
Wesen unsrer k. K. verändern? Sollen unsre
Bauhütten aus friedheiligen Orten zu wilden
Kampfesstätten werden? Wollen wir in die
Fehler unsrer französischen, italienischen und
südamerikanischen Brr geraten? Das sei ferne!
Wie die soziale Thätigkeit des Geistlichen
ihre Grenzen in dem geordneten Amte hat, wie
seine Pflicht die Versöhnung aller Stände, den
Ausgleich störender Gegensätze, die Vertiefung
des geistigen Lebens in der Gemeinde um-
.schlie.sst, so soll auch die. Loge nicht irgend
einer Zeitrichtung dienen, oder, einer Partei zu
Gefallen, sich in den äussern Kampf hinauswagen.
Auch nicht durch Gründung von Anstalten soll
sie einseitig die Lösung der sozialen Aufgabe
versuchen.
Aber etwas andres ists, die Brr durch die
Arbeit der Loge so zu fördern, dass sie ihre
maur Thätigkeit nicht auf die Pflicht gegen sich
und ihre Brr beschränken. Die Kultursaat für
die Menschheit muss die Loge den Brn ein¬
pflanzen, sie mü.ssen die Früchte reifen lassen
im alltäglichen Leben. Das ist nach meiner
Auffassung die Sonderarbeit des Gesellengrads,
die der Zirkel umspannt.
Geben der Idee des ersten Grades vorwiegend
Herders Worte Ausdruck: „Tapfer ist der Löwen-
sieger, tapfer ist der Weltbezwinger, tapfrer, wer
sich selbst bezwang“; so sagen wir vom zweiten
Gi*ade mit Worten des nämlichen Dichters: „Ein
edler Held ist*s, der für’s Vaterland, ein edlerer,
der für des Landes Wohl, der edelste, der für
die Menschheit kämpft“.
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Gl
Lehrlings-Aufnahmeloge,
gehalten von Br Eras, Matr v. St. der Loge
^Herkules a. d. Elbe"* i. 0. Riesa.
Meine Brr! Die wenigen Augenblicke, bis
der Suchende sich melden wird, lassen Sie mich
benutzen, Ihnen, namentlich den jüngeren Brn,
ein kurzes Wort über den Wert und die Be¬
deutung der Loge zu sagen. Es ist ganz sicher,
dass Loge und Frmrei nicht dasselbe ist, ebenso¬
wenig, als Kirche und Christentum. Es kann
jemand ein echter Frmr sein, ohne zur Loge
zu gehören, während einer ein eifriges Logen¬
mitglied sein kann, ohne ein rechter Frmr zu
sein. Wie es Zeiten gegeben hat, wo in der
Kirche so gut wie nichts vom christlichen Geiste
zu spüren war, so auch Zeiten, wo die wahre
Frmrei in den Logen keine Stätte mehr hatte,
wo Betrüger als angebliche Entdecker neuer
Geheimnisse in denselben ihr Wesen trieben, wo
man sich mit nichts Besserem in den Logen zu
beschäftigen wusste, als mit der Einführung
neuer Grade, neuer Titel und Würden, wo
Astrologie, Alchemie, besonders die Goldmacherei
und andrer Humbug in den Logen Eingang
fanden. Grade zu jener Zeit haben einige der
bedeutendsten Frmr gelebt, z. B. Friedrich der
Grosse und Lessing. Darf man sich wundern,
wenn solche Geister wie sie, in den Logen der
damaligen Zeit keine Befriedigung fanden, wenn
sie den Logen mit Ekel den Rücken wandten?
Bekannt ist der Ausspruch des Brs Friedrich des
Grossen, die Frmrei, — aber damit ist eben
nur das Logenwesen der damaligen Zeit ge¬
meint, — die Frmrei wäre un grand rien, ein
grosses Nichts. Und von unserm Br Lessing
wird berichtet, dass er, als man nach seiner
Aufnahme ihn fragte, ob .er denn in der Loge
etwas dem Staate oder der Religion feindliches
gefunden habe, die Antwort gegeben habe:
Wollte Gott, ich hätte etwas derartiges ent¬
deckt, da hätte ich doch wenigstens etwas ge¬
funden! Friedrich der Grosse und Lessing haben,
ohne übrigens die Loge zu decken, ihr den
Rücken gekehrt nicht deshalb, weil sie keine
Frmr waren, sondern deshalb, weil sie rechte
Frmr waren, wie Luther seiner Kirche grade
darum den Rücken kehren musste, weil er ein
Christ war. Aber deshalb sind beide begeistert
geblieben für den maur Gedanken und haben
mehr für die Frmrei gewirkt, als alle Logen
ihrer Zeit. Was hat z. B. Lessing beigetragen
zur Ausbreitung des frmr Gedankens durch seine
gesamten Schriften, durch seine Gespräche zwi¬
schen Ernst und Falk, durch seinen Nathan den
Weisen u. a.!
Aber, meine Bir, damit ist keineswegs ge¬
sagt, dass die Loge für die Frmrei überhaupt
entbehrlich wäre. Der frmr. Gedanke würde
bald verschwinden und sich verflüchtigen, wenn
er keine äussre Form, keine äussre Gestalt, ge-
wissermassen kein Gefäss hätte in der Loge. —
Es würden wohl zerstreut sich viele Menschen
finden, die in ihrem Herzen Frmr wären, aber
vereinzelt und zerstreut würden sie sich kaum
hervorwagen, kaum etwas ausrichten können; der
frmr Geist würde von den feindlichen Mächten
bald unterdrückt werden, er würde keine Macht
sein in der Welt, wie er es dank der über die
ganze Erde verbreiteten Logen geworden ist. —
Und, meine Brr, wäre vielleicht die Frmrei mit
ihrem reinen Humanitätsprinzip etwas über¬
flüssiges geworden? Fast zu keiner Zeit haben
ja bornierte Vorurteile, allerhand engherzige
Sonderinteressen und Parteihass auf nationalem,
konfessionellem und sozialem Gebiete so wüste
Orgien gefeiert, als jetzt am Ende des vom
Lichte der Wissenschaft wie vom elektrischen
Lichte so hell durchstrahlten 19. Jahrhunderts.
Wie stehts in unsern Tagen mit dem Christentum
in der Kirche und dem konfessionellen Frieden?
Denken Sie an die erneute Ausstellung und An¬
betung des h. Rocks in Trier vor wenigen Jahren,
denken Sie an Kulturkampf und Zentrum. Ganz
kürzlich musste in Wisch bei Molsheim in Elsass-
Lothringen die Beerdigung eines Protestanten auf
dem kommunalen Friedhof vom Kreisdirektor er¬
zwungen werden, worauf der Bischof den durch
die protestantische Leiche geschändeten Friedhof
mit dem Interdikt belegte. Denken Sie an die
Salbung des kleinen Prinzen Boris, bei welcher
das arme Kind durch seine Paten den furcht-
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baren römischen Irrtum abschwören musste, dass
der heil. Geist vom Vater und vom Sohne aus¬
ginge, und sich zu dem orthodoxen Glauben be¬
kennen musste, dass derselbe allein vom Vater
ausgehe. Denken Sie auf der einen Seite an
die immer weitere Kreise erfassende Entkirch-
lichung, auf der andern Seite an die Über-
handuahmo schwärmerischer Sekten in unserm
Sachsen, als Methodisten, Irvingianer, separierte
Lutheraner etc. Denken Sie an die Kämpfe
unsrer evangelischen Orthodoxen mit den Ver¬
tretern der neuern Ritschelschen Schule. Und
auf politischem und sozialem Gebiete: Denken
Sie an den Kampf der Parteien, denken Sie an
den Ahlwerdt’schen Antisemitismus, denken Sie
an die Sozialdemokratie. — Fürwahr allen diesen
Dingen gegenüber steht die Frmrei vor einer
wahren Herkulesarbeit, wenn sie da aufklärend,
verhöhnend und den Geist der wahren Huma¬
nität verbreitend wirken will! — Die Loge, meine
Brr, ist der Ort nicht, wo wir grosse Thaten
thun wollen, sondern wo wir immer von neuem
uns erfüllen lassen wollen vom maur Geist, wo
wir uns Stärkung holen wollen in unserm maur
Prinzip, wo wir uns befestigen wollen in der
flohen Überzeugung, dass wir nicht allein und
vereinsamt stehen mit unsrer Überzeugung und
unsern Grundsätzen, sondern, dass wie hier, so
überall auf dem Erdenrund tieue Brr uns zur
Seite stehen, die gleiche Ziele mit uns verfolgen;
wo wir genötigt werden, unsre eignen Vorurteile
abzulegeii, wo wir im Verkehr mit den Bi*n ge¬
zwungen werden zur Arbeit an uns selbst, zur
Arbeit am r. St., damit wir selbst immer ge¬
schickter werden, als schöne cubische Steine uns
einzufügen in den Menschheitstempel! — Ja,
meine Brr, wenn auch heute noch Loge und
Frmrei nicht dasselbe sind, so sind doch unsre
Logen Gott Lob heute zumeist andre als zu
Lessings und Friedrichs des Grossen Zeiten, und
wenn heutzutage ein Br der Loge enttäuscht
den Rücken kehrt, so geschieht dies zumeist
nicht deshalb, weil er ein rechter Frmr ist,
sondern weil er kein rechter Frmr ist, und
auch nicht die ernste Absicht hat, einer zu
werden. Wie haben Sie es doch gut, meine Bit,
die Sie die Loge am Orte haben und den brl.
Verkehr in vollen Zügen geniessen können. Wie
mancher Br draussen in der Diaspora, in der
Zerstreuung, sehnt sich vergeblich, einmal mit
Brn zu verkehren und freut sich, einmal nur
einem zu begegnen. Halten Sie Ihre Loge
hoch, meine Brr! Sie sind die Loge! Seien
Sie selbst rechte Frmr und sorgen Sie, dass nur
wahre Frmr Aufnahme finden, so wird auch
unsre Loge eine Stätte der wahren Frmrei sein
und bleiben und immer mehr werden!
Mein Herr! Sie und Ihre ganze Familie
sind römisch-katholisch! Das ist an und für
sich durchaus kein Hindernis Ihrer Aufnahme,
weder für Sie, noch für uns. Nicht für Sie,
denn wir tasten Ihren Glauben in keiner Weise
an; wie diejenige aller politischen, so ist auch
die Diskussion aller konfessionellen Fragen
in der Loge aufs strengste untersagt. Grade
in katholischen Ländeim, wo sie nicht vom
Staate verboten ist, hat die Frmrei ihre weiteste
Verbreitung. Noch zu Anfang des Jahrhunderts
gehörten in Deutschland zahlreiche katholische
Priester der Loge an. Auch von dem vorigen
Papste Pius IV., der den Bannfluch gegen uns
geschleudert hat, wird, ich weiss allerdings nicht,
mit welchem Rechte, behauptet, dass er früher
selbst Frmr gewesen sei. Ist also Ihr Religions¬
bekenntnis an und für sich kein Hindernis Ihrer
Aufnahme für Sie selbst, so noch viel weniger
für uns! Nicht, dass wir der Religion gleich-
giltig gogenüberständen! Nein, wir verlangen
Religion von jedem Aufzunchmenden, wir ver¬
langen von ihm den Glauben an Gott und Un¬
sterblichkeit, den Glauben an eine göttliche, sitt¬
liche Weltordnung, denn sonst ist er untauglich
zur Mitarbeit an unserm Werke, welches mit
der Veredlung und Vervollkommnung des Indi¬
viduums zugleich die Veredlung und Vervoll-
komninung der ganzen Menschheit bezweckt.
Wir glauben auch als Frmr an eine Offenbarung,
an Gottes lebendiges Walten in der Geschichte
und Entwicklung der Menschheit und erkennen
als höchste und vollkommenste Offenbarungsstufe
•d
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das Christentum an. Aber wir unterscheiden zwi¬
schen dem blos zufällig und äusserlich ange¬
borenen, anererbten, anerzogenen und angelernten
Glaubensbekenntnis und der persönlichen Reli¬
gion des Herzens. Das erstere, wo es die Reli¬
gion vollkommen ersetzen -will, wo es vorgiebt,
ini alleinigen und unbedingten Besitz der Wahr¬
heit zu sein, wo es alles weitere Forschen nach
der Wahrheit nicht nur für unnütz erklärt, son¬
dern sogar verbietet, wo es Unduldsamkeit fordert
und Hass und Zwietracht sät, muss der wahren
Religion sogar im höchsten Grade verderblich
werden. Der religiöse Glaube hat für uns nur
in soweit einen Wert, als er auf eigner Er¬
kenntnis der Wahrheit und somit auf eigenster,
innerster Überzeugung beruht und zugleich die
Erfüllung von sittlichen Forderungen in sich
schliesst. Lessings Nathan spricht:
„Begreifst du aber,
Wie viel andächtig schwärmen leichter, als
Gut handeln ist? wie gern der schlaflfete
Mensch
Andächtig schwärmt, um nur, — ist er zu
Zeiten
Sich schon der Absicht deutlich nicht bewusst, —
Um nur gut handeln nicht zu dürfen.“
Ja, mein Herr, bezüglich der äusserlichen
Religionsbekenntnisse stehen wir Frmr auf dem
Standpunkte des Lessing'schen Nathan, welcher
von denselben sagt:
„Gründen alle sich nicht auf Geschichte?
Geschrieben, oder überliefert! — Und
Geschichte muss doch wohl auf Treu’
Und Glauben angenommen werden? — Nicht? —
Nun wessen Treu’ und Glauben zieht man denn
Am wenigsten in Zweifel? Doch den Seinen?
Doch deren Blut wir sind? Doch deren, die
Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe
Gegeben? Die uns nie getäuscht, als wo
Getäuscht zu werden uns heilsamer war? —
Wie kann ich meinen Vätern weniger
Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt:
Kann ich von dir verlangen, dass du deine
Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht
Zu widersprechen? Oder umgekehrt.“
Und den Richter, vor welchem die 3 Brüder
erscheinen, die Jeder im Besitz des echten
Wunderringes zu sein behaupten, lässt Nathan
sprechen:
„Mein Rat ist aber der: ihr nehmt
Die Sache völlig, wie sie Hegt. Hat von
Euch Jeder seinen Ring von seinem Vater:
So glaube Jeder sicher seinen Ring
Den echten. — Möglich, dass der Vater nun
Die Tyrannei des einen Rings nicht länger
In seinem Hause dulden wollen! — Und gewiss,
Dass er auch alle drei geliebt, und gleich
Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen,
Um einen zu begünstigen. — Wohlan!
Es eifre Jeder seiner unbestochenen.
Von Voi’urteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch Jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins an seinem Ring an Tag
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohlthun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott
Zu Hilf! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei euren Kindeskindem äussem:
So lad* ich über tausend tausend Jahre
Sic wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weis'rer Mann auf diesem Stuhle sitzen,
Als ich, und sprechen.“
Mein Herr! Ist also Ihre katholische Kon¬
fession an und tür sich weder für Sie, noch für
uns ein Hindernis Ihrer Aufnahme, so muss ich
Sie doch auffordern, sich zu prüfen und die
Bedenken, die Sie sagen könnten, wohl zu er¬
wägen! Sie sind Katholik! Wenn wir auch,
wie gesagt, Ihr Bekenntnis in keiner Weise
antasten, so müssten Sie doch den Bannfluch
mit auf sich nehmen, den der Papst über uns
verhängt hat, den er über uns verhängt bat
darum, weil wir seine Infallibilität und das
Allein seligmachen Ihrer Kirche nicht ohne
weiteres anerkennen und Duldsamkeit predigen.
Fühlen Sie sich stark genug, fühlen Sie sich
genug als freier Mann, diesen Fluch mit auf
sich zu nehmen? Und Sie sind Österreicher.
In den Ländern Österreichs, wo einst unter
Josef II. die Mrei in hoher Blüte stand, ist
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jetzt, mit Ausnahme Ungarns, wo die Frmrei
sich eines mächtigen Aufschwungs erfreut, zwar
keineswegs die Zugehörigkeit zu einer Loge, aber
doch der Bestand von Logen und die Arbeit
derselben gesetzlich verboten. Darum prüfen
Sie sich nochmals, mein Herr, ob Sie bei Ihrem
Beschlüsse beharren wollen, sich unserin Bunde
anzuschliessen, unserm Bunde, der nationale,
konfessionelle und Standes-Unterschiede keines¬
wegs auf heben und beseitigen, der aber allen
Chauvinismus, allen konfessionellen, allen Racen-
und Klassen-Hass beseitigen, der Lüge, Irrtum
und Vorurteil bekämpfen und der Wahrheit nach¬
streben, der im Menschen nur den Menschen
sehen und ihn blos nach seinem innern Wert
taxieren will, der alle edlen Menschen auf neu¬
tralem Boden vereinigen will zum gemeinsamen
Streben nach Wahrheit und sittlicher Vervoll¬
kommnung, der Menschen machen will nach dem
Bilde Gottes und einen Menschheitsbund, der
der rechte und wahre Gottestempel ist.
Die Wahrheit.
Vortrag von Br G. Schauerhammor,
„Balduin zur Linde“ in Leipzig.
Sie alle, meine Brr, kennen wohl die Parabel
von Schiller: „Das verschleierte Bild zu Suis.“
Gestatten Sie mir, dass ich sie Ihnen als Ein¬
leitung zu meinem Vortrage ihrem Hauptinhalte
nach noch einmal ins Gedächtnis zurückrufe. Ein
Jüngling, von des Wissens heissem Durst ge¬
trieben, geht nach Sais in Ägypten, um die ge¬
heime Weisheit der Priester zu erlernen. Schon
hat sein Geist verschiedene Stufen des Forschens
erklommen, aber rastlos strebt er weiter, denn
das, was er bis dahin gelernt, hat seinem forschen¬
den Wissensdrang noch keine Befriedigung geben
können. Da fällt eines Tages sein Blick auf ein
verschleiertes Bild von Riesengrösse. Sein Führer,
den er nach der Bedeutung dieses Bildes fragt,
giebt ihm die Antwort, die Wahrheit sei hinter
diesem Schleier verborgen. Jedoch, sage das
Orakel, kein Sterblicher dürfe diesen Schleier
rücken, bis die Gottheit selbst es thue. Wer
aber mit schuldiger Hand ihn früher hebe, der
— nun, der sehe die Wahrheit.
Dieser seltsame Orakelspruch lässt den Jüng¬
ling nicht ruhen. Das ists ja, wonach er strebt,
die Wahrheit will er kennen lernen und die ver¬
hüllt man ihm mit einem Schleier, den die Hand
doch leicht entfernen kann? Des Wissens Gier
raubt ihm den Schlaf. Um Mitternacht springt
er vom Lager auf und eilt zum Tempel. Dort
steht er in einsam grauenvoller Stille vor der
verschleierten Gestalt, die im silberblauen Scheine
des Mondes erglänzt. Schon hebt sich die Hand,
um den Schleier zu berühren, indem es ihm bald
eisig kalt, bald siedend heiss durch alle Glieder
rinnt, da stösst ein unsichtbares Etwas ihn zurück
und die Stimme seines Gewissens mft ihm zu:
„Kein Sterblicher rückt diesen Schleier, bis ich
selbst ihn hebe.
Sollte der, der es dennoch thut, nicht aber
die Wahrheit schauen? Er spricht's und deckt
den Schleier auf —.
Am andern Tage finden ihn die Priester
besinnungslos am Fussgestell der Isis ausge¬
streckt; was er dort gesehen, kein Mensch hat
cs erfahren. Die Heiterkeit seines Lebens war
dahin, ein tiefer Gram riss ihn früh zum Grabe.
Denen aber, die ungestüm mit Fragen ihn
bedrängten, gab er zur Antwort:
„Weh dem, der zur Wahrheit geht durch Schuld;
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein.“
Meine Brr, diese Parabel giebt in so mancher
Beziehung die Gefühle eines Frmrs wieder, dass
ich sie als Einleitung zu meinem heutigen Vor¬
trage, der von der Wahrheit handeln soll,
gewählt habe.
Hat nicht auch einem jeden von uns einmal
das Herz laut gepocht, ist es ihm nicht auch
bald eisig kalt, bald siedend heiss durch alle
Glieder gegangen, als er drüben in jenem kleinen
Zimmer sich befand, um sich zu sammeln und
vorzubereiten zu einem Gange, der so tief be¬
deutungsvoll wird für sein ganzes zukünftiges
Leben? Und hat er nicht, wie jener Jüngling,
ebenso heiss gewünscht, dass ihm der Schleier
von den Augen genommen werde, als er seine
Wanderung im Finstern antrat? Und strebt
nicht jeder von uns gleich jenem Jüngling nach
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Licht and Wahrheit? Was ist denn nun das
Geheimnisvolle, das, ganz zu wissen, keinem
Sterblichen begehieden sein soll? Wird es sieh
uns niemals offenbaren? Soll all unser Suchen
und Streben vorgeblich sein? Oder sollte es uns
vielleicht auch noch gehen wie jenem wissens-
dürstigen, aber ungestümen und von Schuld be¬
ladenen Jüngling?
Diese Fragen, meine Brr, drllngten sich mir
auf, als ich später als Mr dieses Gedicht wieder
las, aber mit ganz anderen Gedanken und Ge¬
fühlen wieder las, als ich es früher als Jüngling
gethan, wo es schon meine Phantasie auf das
lebhafteste erregt hatte.
Lassen Sie mich diese Fragen in drei
zusamnienfassen:
1. Was ist Wahrheit im allgemeinen Sinne?
2. Welche Bedeutung hat sie für den Frmr?
3. Wo und wie soll er sie suchen?
Der denkende Mensch, oder das subjektive
Ich bekommt Von allen Eindrücken, die er von
der Aussenwelt empfängt oder von solchen, die
aus seinem Denken und Fühlen entstanden sind,
Vorstellungen.
Diese Vorstellungen fangen an mit der Er¬
fahrung. Das Objekt oder der vorgestellte Gegen¬
stand ist entweder in der Aussenwelt vorhanden
und wird durch die Sinne wahrgenommen, oder
er ist nicht in der Aussenwelt vorhanden und
nur durch innere Wahrnehmung, durch unser
Denken und Fühlen entstanden, also nur ein ge¬
dachter Gegenstand.
Die Vorstellungen selbst sind nun entweder
wahre oder falsche. Entspricht eine Vorstel¬
lung in allen ihren Teilen oder in allen ihren
Beifügungen dem in der Wirklichkeit vorhan¬
denen oder gedachten Gegenstand, so nennen wir
sie eine wahre Vorstellung, weicht sie in einem
oder mehreren Teilen von der Wirklichkeit ab,
oder entspricht sie nicht mehr allen den Vor¬
stellungen, die andere von demselben Gegen¬
stände haben, so ist sie eine falsche Vorstellung.
Je nachdem wir nun eine wahre oder eine
falsche Vorstellung von einem Gegenstände haben,
so wird auch unser Urteil über diesen Gegen¬
stand ein wahres oder ein falsches sein. So
kommen wir auf die Definition von Wahrheit im
allgemeinsten Sinne, nämlich: Wahrheit ist die
Übereinstimmung unserer Vorstellungen
und Gedanken mit den Gegenständen;
oder Wahrheit ist die Übereinstimmung
unserer Vorstellungen mit der Gesamt¬
heit der Vorstellungen, die andere von
demselben Gegenstände haben.
Ich will nicht unterlassen, hier zu erwähnen,
dass in diesem Begriffe von der Wahrheit immer¬
hin noch viel subjektive Auffassung enthalten
ist, denn alle Gegenstände in der Aussenwelt
kommen doch erst durch unser subjektives Ich
zur Anschauung, d. h. wir kennen die Gegen¬
stände als solche, wie wir sie mit unsern Sinnen
wahrnehmen, wie wir sie uns vorstellen, sie sind
für uns nur Erscheinungen. Wie die Gegen¬
stände an sich sind, also abgesehen von der
Vorstellung, die wir uns von ihnen machen, das
wissen wir nicht. Darum sagt auch der Philo¬
soph: Nicht ein Gebäude, das ich mir vor¬
stelle, ist wahr, sondern nur die Vorstellung
von dem bewussten Gebäude kann wahr ge¬
nannt werden.
Und doch ist gerade die Wahrheit, die sich
auf die Erkenntnis der Erscheinungen in der
Aussenwelt bezieht, und die man die phäno¬
menale Wahrheit nennt, nach menschlichem
Ermessen die absolut sicherste, denn alle Dinge,
die durch Raum und Zeit bestimmt sind, lassen
sich mit fast absoluter Sicherheit fcststellen.
Wenn ich behaupte: die Linde ist ein Baum, so
wird mir das niemand bestreiten, weil die Linde
alle für einen Baum erkennbaren Merkmale besitzt.
Ganz anders steht es mit Begriffen und
Urteilen, denen nichts in der Aussenwelt Vor¬
handenes entspricht, die also nicht durch Raum
und Zeit begrenzt sind. Hier muss sich unser
Urteil auf die Erfahrung verlassen oder auf die
Vorstellungen, die entweder Autoritäten der
Wissenschaft oder andere von uns als mass¬
gebend anerkannte Personen von dem Gegenstände
haben. Hier ist es weit schwieriger absolute
Wahrheit zu erlangen. Urteile, die von bedeu¬
tenden Männern aufgestellt und als wahr an¬
genommen worden sind, z. B. der Stillstand
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der Erde, nach Aristoteles, sind schon oft schliess¬
lich aufgehoben und gerade das Gegenteil als
wahr anerkannt worden.
Es würde naich Jedoch zu weit führen,
wollte ich auf diese und andere theoretische Be¬
griffe der Wahrheit noch genauer eingchen. An
diesem Orte liegt cs näher, uns die 2. Frage
zu stellen: Welche Bedeutung hat das Wort
Wahrheit für den Frmr?
Der Mr hat sich zu seiner Lebensaufgabe
die Selbstvervollkommnung gemacht, eine Ver¬
vollkommnung seiner selbst oder de§ eignen Ichs
bedeutet aber nicht etwa das Streben nach
blosser Selbsterhaltung oder Selbstbeglückung.
Denn Trieben folgen, die der Erhaltung oder
Beglückung nur des eignen Ichs dienen, hiesse
egoistisch, selbstsüchtig, sinnlich sein. Ein solches
Leben wäre aber sittlich wertlos. Der Mensch
soll sich wohl selbst erhalten und nach eigner
Zufriedenheit streben, aber zu allgemeinen,
nicht zu individuellen Zwecken, er soll be¬
glückt sein durch allgemeine, nicht blos indi¬
viduelle Zwecke des eignen Handelns, er soll
seine Fähigkeiten ausbilden und vervollkommnen,
nicht um individuellen, sondern um allgemeinen
Zwecken zu dienen. Dies ist das Prinzip der
sittlichen Vervollkommnung.
Nach sittlicher Vollkommenheit zu streben,
ist daher nicht leicht. Es erfordert Mühe, Arbeit,
Kampf, Entbehrangen und Entsagungen. Es
verlangt die Bekämpfung der Selbstsucht, die
Unterdrückung der sinnlichen Triebe und Nei¬
gungen, die zur Selbstsucht, zum Laster, zur
Lüge führen. Dieses Streben nach sittlicher
Vollkommenheit soll den Menschen befreien von
den Fesseln, die ihn mit aller Macht an sinn¬
lichen Schwächen und Thorheiten festhaltcn, es
zieht ihn empor zu höheren Zielen, es bringt
ihn mehr und mehr zum Bewusstsein, dass er
als Gottes Ebenbild auch nach Gottähnlichkeit
ringen soll, es führt ihn auf schmalen, wenn
auch oft dornenvollen Pfaden zu den Pforten
der idealen Wahrheit. Diese ist es, die ideale
oder ethische Wahrheit, die der echte und rechte
Mr suchen soll. Weisheit, Schönheit, Stärke sind
ihre Attribute. Das Ideal aber ist Gott selbst,
Gott das Urbild der Vollkommenheit. Darum
giebt es für den Mr auch nur eine Wahrheit,
wie cs nur einen Gott giebt. Vor ihr sagt einer
der besten Brr, die die Loge je gehabt, der
Bischof Dr. Di*äseke: ,Ohne die Wahrheit ist
alles nichts, ist die Kirche nichts, ist die Loge
nichts. Die Bibel selbst ist nur Bibel: Buch
der Bücher durch die Wahrheit. Die Wahrheit
aber ist in allen Kirchen und Logen, in allen
Sekten und Klassen, in allen Theorien und Sy¬
stemen, in aller Kunst und Wissenschaft, in aller
Zeit und Weltgegend, wiefern sie darin ist, die¬
selbe; Eine wie Ein Gott ist. Verschiedene
Grade der Klarheit, verschiedene Formen und
Farben kann sie haben, hat sie gehabt, hat sie
noch. Ungleich, veränderlich, vielzüngig in sich
selbst ist sie nicht, kann sie nicht sein. Ihr,
der untrüglichen Einen, der Gottesstimme wollen
wir zugohören, gehorchen, ihr nachgehen und
nimmer sie verlassen, ihr im Leben, ihr im
Tode dienen.“
Wohin, fragt sich der Mr, und ich komme
hier zum 3. Teil meines Vortrags, wohin soll
ich mich wenden, um diese Wahrheit, um Gott
selbst zu erkennen? Wo finde ich die Gottes¬
stimme, der ich gehorchen, der ich nachgohen,
die ich nimmer verlassen soll? Du findest sie
leicht, wenn du nur sehen und hören willst.
Blicke hinauf zum Sternenzelt, die Milliarden
der strahlenden Himmelskörper, deren Lauf, in
bestimmte Bahnen gelenkt, noch derselbe ist, der
er vor Hunderttausenden von Jahren war, sie
geben dir einen Begriff von Gottes ewigem
Walten; blicke dich im Frühling um in der er¬
wachenden Natur, jeder Baum, jeder Strauch,
jedes Gewächs, jedes Geschöpf giebt dir Be¬
weise von dem Dasein des allmächtigen Schöpfers;
halte Einkehr in dir selbst, blicke in dein eigen
Herz hinein und du wirst inne worden, dass
etwas in dir ist, das dich erhebt von der
Nichtigkeit des irdischen Daseins, das dich lehrt,
was gut und böse ist, das dich frei macht von
den Fesseln sinnlicher Triebe und Neigungen
und das einst fortbestehen wird, auch wenn die
irdische Hülle wieder zu dem wird, wovon sie
gekommen ist. Nenne dieses Etwas, wie du
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willst, versuehe es abzuleugnen, es wird dir
nicht gelingen. Wenn du dir auch keinen be¬
stimmten Begriff davon machen kannst, wenn
du dir es sinnlich auch nicht vorstellen kannst,
du weisst aber, es ist da, es ist immer da ge¬
wesen, und es wird immer da sein. Aber ein
Schleier verbirgt es deinem irdischen Auge.
.Kein Sterblicher,* sagt das Orakel, .rückt
diesen Schleier, bis ich selbst es thue;“ oder mit
andern Worten: .Kein Sterblicher wird die
Wahrheit schauen, bis sie selbst sich ihm
offenbart. Diesen Schleier bilden die mensch¬
lichen Schwächen und Fehler, sie sind die irdische
Beigabe unseres Ichs. Wir können uns nicht
ganz von ihnen trennen und je mehr sie an uns
haften, desto mehr verhüllen sie unserem geistigen
Auge den uns innewohnenden Gottesbegriff, desto
mehr entfernen sie uns von der Wahrheit.
Wann aber wird sie sich offenbaren? Wann
wird sie den Schleier lüften? Werde ich wohl
die Wahrheit jemals ganz oder nur teilweise
schauen und erkennen? Letzteres wohl, m. 1. Br,
nur hängt das Wann? ganz von dir selbst ab,
wie du die Wahrheit suchen wirst. Je reifer
dein sittliches Urteil wird, je selbstloser und
reiner du in deinem Denken, Fühlen und Handeln
wirst, je mehr du darnach trachtest, den guten
Samen, der in dich gelegt ist, aufkommen zu
lassen, je mehr du das kleine Pflänzchen hegst
und pflegst, dass es erstarke, wachse und ge¬
deihe, je mehr du den harten Boden, der sich
um dasselbe gebildet, nämlich die Selbstsucht,
umgräbst und lockerst, je sorgsamer-und gründ¬
licher du das mit ihm wachsende Unkraut, die
sinnlichen Begierden und Leidenschaften, ent¬
fernst, damit das Pflänzchen nicht durch das Un¬
kraut am Wachstum verhindert, oder gar durch
dasselbe überwuchert werde, je mehr du dies
thust, desto eher wirst du die Wahrheit schauen,
desto eher wird dir offenbar werden, worin die
wahre Glückseligkeit besteht, welches das höchste
Glück, das höchste Ziel ist, das der Mensch auf
Erden sich setzen kann, desto klarer wird dir
dann auch der Gottesbegriff werden, der die
Wahrheit selbst ist.
Nun, meine Brr, je höher, je erhabener ein
Ziel ist, das wir erstreben, desto schwerer ist
dasselbe zu erringen.
Der grösste, schwei*ste Sieg ,den ein Mensch
gewinnen kann, das ist der Sieg über sich selbst.
Trachten wir darnach, diesen Sieg zu erringen.
Und der Sieg wird unser werden, wenn wir mit
Fleiss und Emsigkeit das beste Material, das
wir besitzen, Zusammentragen zum Bau des
Tempels der Wahrheit. Dieser Tempel, den wir
zur Ehre und zum Ruhm des allmächtigen Bei¬
meisters errichten, in dem er selbst wohnt, diese
Behausung des Baumeisters aller Welten ist
unser eignes Herz.
Hier also, meine Brr, in unserem Herzen
müssen wir den Grundstein legen zu dem er¬
habenen Bau, an dem der Frmr arbeitet, der
nach Erkenntnis der Wahrheit strebt. Hier muss
er die Steine Zusammentragen und zusammen¬
setzen, hier muss er das Material, das ihm zum
Bau gegeben ist, mit Fleiss, Sorgfalt und Ge¬
wissenhaftigkeit verwenden.
Was sind denn nun aber die Steine, die er
zum Bau verwenden soll? Was versteht man
unter dem Material, das zum Bau notwendig ist?
Liebe die Triebfeder alles Guten und Schönen,
strenges Pflichtgefühl, Wahrhaftigkeit und
Aufrichtigkeit der Gesinnung, Gerechtigkeit
und Redlichkeit in all seinem Thun und Han¬
deln: diese sind das Material; Mildthätigkeit
und Opferwilligkeit sind die Bausteine. Es sind
die Kleinodien der k. K., die du, Mr, nicht nur in
Gedanken, sondern im Herzen mit dir herumtragen
sollst und an die du immer wieder erinnert wirst,
wenn du diese geweihten Räume betrittst. Schon
um deswillen, um immer wieder an diese Klei¬
nodien, um immer wieder an deine Pflicht er¬
mahnt zu werden, solltest du hierher kommen,
so oft dir im Berufsleben Zeit dazu gelassen ist.
Denn, wenn du nicht nur ein Hörer, sondern auch
ein Thäter des Wortes bist, wenn dir Zeichen, Wort
und Griff nicht bloss äusserliche Merkmale, und
die Symbole dir nicht sinnlose Spielereien sind,
wie es uns von gegnerischer Seite vorgeworfen
wird, dann wirst du immer mit einer Lehre, mit
einem Tyoste und mit leichterem Gemüte von
hier fortgehen, auch wenn das, was dir hier
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gesagt worden ist, nicht immer ganz deiner Über¬
zeugung, nicht immer ganz deinem Erwarten
entspräche. Denn die Träger des Wortes sind
ja nur Menschen, die Lehre aber selbst ist gött¬
lichen Geistes. Es gelten eben auch hier die
Worte Faiist’s: ,Wenn Ihr*s nicht fühlt, Ihr
werdet’s nicht erjagen.“
Die Symbole derMrei, diese äusseren Merk¬
male mit ihrem tiefen inneren Sinn sind es ja
aber nicht allein, meine Brr, die uns an die
Arbeit erinnern, der A. B. hat uns auch einen
Bauleiter gegeben, der die Säumigen zur Arbeit
antreibt, der die Fleissigen lobt und Lust zu
neuem Schaffen in ihnen erweckt. Dieser Bau¬
leiter ist unser Gewissen. Es ist die Stimme,
die Gott in das Herz eines jeden denkenden und
fühlenden Menschen gelegt hat. Sie ist unser
steter Berater, sie soll unser Führer, unser Leit¬
stern sein. Folgen wir ihr, der göttlichen Mah¬
nerin in all unserem Thun und Handeln, lassen
wir uns nicht durch selbstsüchtige Gelüste und
Neigungen von dem Pfade abbringen, den das
Gewissen uns vorschreibt. Der erste Abweg vom
Pfade der Pflicht und des Rechts, den uns das
Gewissen offenbart, fällt uns viel schwerer, als
der zweite und die nachfolgenden und bald, oft
nur zu bald schweigt dann die Stimme der treuen
Mahnerin ganz. Dann, meine Brr, tappen wir
im Finstern und suchen vergebens nach einem
Ausweg, der uns wieder zum Lichte und zur
Wahrheit führt, wenn nicht der Allgütige selbst
in seiner Langmut uns noch einen solchen zeigt.
Je gewissenhafter und freudiger wir aber
dem Mahniaife dieses Bauleiters folgen, je em¬
siger, freudiger und unverdrossener wir am Baue
des Tempels der Wahrheit uns beteiligen, desto
mehr wird sich auch der Schleier lüften, der
uns das Bild der Wahrheit noch verbirgt. Nach
und nach wird der Begriff der Wahrheit eine
festere Gestalt gewinnen. Mehr und mehr wird
dein geistiges Auge die Umrisse der von gött¬
lichem Lichte erstrahlenden Gestalt der Wahrheit
sehen und je mehr du von ihr erblickst, je
klarer sich dir ihr Wesen offenbart, desto freu¬
diger wirst du bei der Arbeit ausharren, desto
mehr wirst du fühlen, was dir zur wahren
Glückseligkeit, was dir zum wahren Seelenfrieden
nötig ist.
Und wenn zuletzt der Schleier, der die
Wahrheit verbirgt, ganz vor deinen Augen ver¬
schwindet, wenn dein Blick durch die Nebel des
irdischen Daseins nicht mehr begrenzt wird,
wenn die irdische Hülle gefallen und dein gei¬
stiges Ich dahin zurückgekehrt ist, woher es
gekommen, dann wirst du die Wahrheit schauen,
rein und ungetrübt, umstrahlt von göttlichem
Lichte, von göttlicher Klarheit.
Fühlen wir aber nicht einen Teil der Glück¬
seligkeit, die uns dort verheissen ist, schon hier
auf Erden, wenn wir unsere Pflicht thun? Fühlen
wir uns nicht erleichtert, froh und glücklich,
wenn uns unsere Arbeit gelungen, wenn sie von
Erfolg gewesen ist? Liegt nicht in der Freude
über das Gelingen schon der Lohn für die Mühe
und Anstrengung, die es uns gekostet? Diese
Freude an der Arbeit, die Zufriedenheit, die der
Erfolg unseres Schaffens in uns erweckt, dürfen
uns ein Beweis dafür sein, dass wir auf dem
rechten Wege zur Wahrheit sind. Freilich Ge¬
duld und Ausdauer müssen wir haben und nicht
vorzeitig das Ziel unserer Wünsche erreichen
wollen. Eins aber darf nie fehlen, ohne das*wir
nie die wahre Zufriedenheit erlangen würden —
ein gutes Gewissen. Bewahren wir uns dieses
bei allem, was wir thun, damit es uns nicht
ergehe, wie dem ungeduldigen, schuldbefleckten
Jüngling, der an sich die unheilvollen Worte
erfahren musste:
„Weh dem,*der zur Wahrheit geht durch Schuld:
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein!“
Du aber, grosser Meister,
Du Schöpfer alles Seins,
Beherrscher aller Geister,
Der Wahrheit und des Scheins:
Mit Weisheit uns erhelle
Den dunklen Erdenpfad;
Gieb Stärke unserer Seele,
Wenn sich der Zweifel naht.
Zur Schönheit deiner Werke
Lenk hin des Mrs Sinn,
Führ ihn zum reinen Lichte
Der ewigen Wahrheit hin.
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Br oder und Freand.
Von Br A. Gündel, ytollvertr. Redner d. Loge
^Balduin zur Linde.“
Wenn ich mir jetzt erlaube, über das Ver¬
hältnis zwischen Freund und Bruder hier zu
reden, so bitte ich doppelt um gütige brliche
Nachsicht, da gerade dieses Thema mehr als
jed^s andere dem subjektiven Empfinden wird
überlassen bleiben müssen, ich hier aber nur
das meinige, zum Ausdruck bringen kann, das
ja keineswegs Anspnich auf allgemeine Giltig¬
keit erheben kann, noch darf, noch will.
Eine Quelle der edelsten, reinsten Freuden,
ein Urgrund herrlicher Thaton, wie sic schöner
kein anderes Gefühl zu erwecken vermag, ist
die Freundschaft. Was sie geleistet hat und
noch leistet, tritt weniger in den Dienst prak¬
tischen Schaffens und Strebens, der kalt« Ver¬
stand wendet sich oft kopfschüttelnd von soviel
Selbstlosigkeit und Aufopferung ab, ihre Thaten
sprechen zum Herzen, sie erbauen die Menschen-
seele, sie wecken den Glauben an eine höhere
Eingebung und lassen den göttlichen Funken in
uns, die all vermögende Liebe, aus einer Ahnung
zur Anschauung werden. ^
Und doch ist die Freundschaft tief in der
menschlichen Natur begründet. Wie die Triebe
im allgemeinen als Zchrpfennig ans dem Mutt«r-
leibe uns mit auf den Weg gegeben werden, so
trügt jedes Wesen mit willkürlicher Bewegung
den Geselligkeitstrieb, den Hang zu gemeinsamen
Handeln in sich. Die Hühner leben in Völkern,
die Hirsche in Rudeln zusammen, in Schwärmen
suchen die Zugvögel die wärmeren Länder auf,
selbst der Adler hoch oben auf felsigem Horste
hat seine Gefährtin, und so sucht auch der
Mensch noch einem Genos.sen in Glück und
Unglück.
Die Freundschaft lässt sich zurückführen
auf die einfachen sympathetischen Gefühle der
Mitfreude und dos Mitleides. Aber diese Mit¬
gefühle, die wir nach der Lehre Jesu ja auch
dem Feinde entgegenbringen sollen, sind immer
noch keine Freundschaft. Unter Freundschaft
versteht die Welt erst eine graduelle Steigerung
der SjTupathie bis dahin, wo der Freund dem
Freunde sein Hab und Gut, ja noch mehr, sein
Leben, ja sogar seine Überzeugung und Mannes¬
ehre opfern würde. Gleicher oder höherer Gaben
wäre höchstens die Blutsverwandschaft oder die
Ehe fähig. Ja die Freundschaft der Welt wird
erst erkannt, wenn sie prunkende Thaten ge¬
zeitigt, wenn sie zu ihrer Bethätigung die Rück¬
sichtnahme auf andere, unter Umständen bessere
Zwecke beiseite setzte, nur um dem Freunde
einen Dienst zu erweisen, wenn sie in der un¬
billigen Rache des Achilles für den Tod des
Patroklus ihren Ausdruck fand. Sie basiert auf
zufälligen äusseren Verhältnissen und Erlebn is.se n,
sie wird wohl gar geschlossen bei Begegnungen
auf den Pfaden des Lasters, sie ent<stammt oft
in den jüngeren Jahren einer dunklen geschlecht¬
lichen Regung, einer durch die schöne Poesie
künstlich genährten, schwärmerischen Phantasie,
sie hat der Augenblick geboren und wie sie
heute in aufrichtigster aber unklarer Begeisterung
zur grössten That bereit sich erklärt, so ist sie,
einem Strohfeuer gleich, morgen in ein Nichts
zurückgesunken. Die festen Ketten, welche z, B.
die Räuber Karl Moors untereinander und mit
ihrem Hauptmanno bis in den Tod zusammen¬
hielten, waren, in der luftdicht abgeschlossenen
Studierstube der Karlsschule geschmiedet, ein
moralischer und psychologischer Unsinn, wie ja
später Schiller selbst gestand, indem er sagte:
„Ich wollte Menschen schildern, ehe ich welche
kannte.“
Die wahre Freundschaft, die zugleich die
des Maurers sein soll, möge ihr Objekt nun
innerhalb oder ausserhalb dieses Tempels sich
befinden, hat mit dem eben geschilderten Seelen-
rausche nichts gemein. Sie beruht allerdings
auch in der innigen, nicht nur Verstandes-, son¬
dern vor allem gefühlsmässigcn Harmonie zweier
Wesen inbezugauf gemeinsame Ziele des Strebens.
Selbst bei einer materiellen Verschiedenheit stim¬
men diese Ziele doch hinsichtlich ihres formell
sittlichen Wertes überein. Ebenso bleibt trotz
der mannigfachen, dem jeweiligen Zweck dienen¬
den Geartung der Mittel die positiv sittliche
Qualität derselben in allen Lebenslagen bestehen.
Dieser Gleichlauf der Mittel und das endliche
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Zusammenfliessen in dem einen Ziele, dem ja
unsere ganze königliche Kunst entgegensteuert»
sie sind das unzerstörbare Fundament jener
wahren und echten Freundschaft, welche wir
als Ideal verehren, und die auch den Freimaurer
mit seinem Bruder oder sonstigen Mitmenschen
verbinden soll.
Der Frmr findet seinen Freund nicht an der
Oberfläche der profanen Alltagswelt, nicht unten
in den Tiefen der menschlichen Laster und Leiden¬
schaften, er findet ihn auf den Höhen des gei¬
stigen Lebens, auf der Warte stehend gegen
Bosheit und Tucke, und reicht ihm über alle
Schranken des gesellschaftlichen Vorurteils, des
Parteihaders, dogmatischer Engheraigkeit hinweg
die Hand zum Bunde. Er findet ihn daheim,
gleich ihm am Liebeswerke friedlich schaffend^
oder bei gemeinsamer Thiltigkeit die innere Ver¬
wandtschaft erkennend und sich einander nähernd.
Er wirft sich nicht stürmisch an die Brust des
neuerwovbenen Freundes, aus einer zuftllligen
llbereinstimmung in äusseren Dingen einen Gleich¬
lauf der gesamten Gedankenwelt willkürlich und
voreilig herleitend, sondern Schritt für Schritt
nimmt er Kenntnis von den Charakterzügen des
andern und sie gewissenhaft prüfend, wird er
nach und nach gewahr, wie aus dem blossen
Denken an den Nächsten und mit ihm, ein
Fühlen mit ihm und für ihn geworden ist.
Er überlässt sich nicht willenlos dem Wunsche
und Wollen des Freundes, ihm die Verantwort¬
lichkeit für jeden Schritt, namentlich für jede
V^erkehrtheit zuschreibend. Er wägt und unter¬
sucht selbst und setzt seine Ansicht der des
Freundes entgegen, um in gewissenhafter Ab¬
schätzung der Gründe und Gegengiünde den
Freund liebevoll, aber mit aller Energie für
seine Ansicht zu gewinnen, oder sich offen und
ehrlich zu dessen zu bekehren. Er straft und
versagt wohl gar, in Rücksicht auf die weitere
Zukunft des kurzsichtigen, stürmischen, unbe¬
dachtsamen Freundes. So wird die wahre Freund¬
schaft zu einer Schule des Charakters, wie Götbe
eine solche seinem Tasso wünscht, wenn er
spricht: ,Es will der Feind, es darf der Freund
nicht schonen, so übt der Jüngling streitend
seine Klüfte, fühlt, was er wird und fühlt sich
bald ein Mann.*
Die wahre Freundschaft ist keine berech¬
nende, sie sucht nicht den äussem Vorteil und
das materielle Opfer des Freundes. Sie verlangt
viel weniger ein Opfer, als sie sich bereit er¬
klärt, ein solches zu bringen. So ist auch
Selinuntius der echte Typus des Freundes, ^er
ohne weiteres, aller Möglichkeiten ungeachtet,
die verhängnisvolle Bürgschaft leistet: «Für
seinen Freund ist ihm kein Preis zu hoch.*
Nicht als ein Opfer ei'scheint ihm die Forderung
des Verurteilten, sondern als eine freudig be-
giüsste Gelegenheit, diesem sich dienstbar er¬
zeigen zu können. Er fühlt sich geehrt durch
den Ausdruck des Vertrauens und ist dem
Freunde dankbar, dass er ihn in die Lage ver¬
setzt, seine Freundschaft beweisen zu können.
Und doch auch steht Dämon ihm ebenbürtig zur
Seite. In seiner Not verschmäht er es, den König
ohne Gewähr um Aufschub zu bitten. Nur den
Freund würdigt er, für ihn einzutreten, in der Ge¬
wissheit und dem festen Vertrauen, dass er bei
diesem Verständnis und Bereitwilligkeit findet,
weil er sich von ihm als rechtschaffener Mann»
der sein Wort hält, gekannt weiss, weil er im
gegebenen Falle gerade so für ihn einstehen
würden. Die echte Freundschaft sucht nicht
das ihre, sie bittet nur, um dem Freunde durch
die Bezeugung des Misstrauens nicht wehe zu
thun, wenn sie übeiv.eugt ist, dass die Leistung
als einstweilige durch eine pünktliche Erfüllung
der eingegangenen Verbindlichkeiten eingelöst
werden kann. So ist die wahre Freundschaft
eine durch sittliches Streben geläuterte, zu jedem
Preise bereit, vertrauensvoll aber nur Billiges
verlangende.
Freilich, meine lieben Brr, kann sich solche
thatbereite, selbstverleugnendc Freundschaft erst
in den entsprechenden Lebenslagen äussem. Denn
im Unglück erst soll man den Freund erkennen.
Wenn nun der Volksmund weiter behauptet:
„Freunde in der Not, gehn Dutzend auf ein
Lot*, so hat das im allgemeinen wohl weniger
seinen Grand darin,, dass die passende Gelegen¬
heit zu Freundschaftsdiensten, als vielmehr darin.
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dass die inneren Grundlagen wahrer Preund-
schafb fehlen. Bei der Frmrei im besonderen,
dürfte es gerade umgekehrt sein. Darum sind
wir so leicht geneigt, einen Unterschied in den
Logen zu konstatieren zwischen Bruder und
Freund. Und doch besteht ein solcher Unter¬
schied eigentlich nicht. Die Begriffe Freund¬
schaft und Brüderlichkeit in unserem Sinne sind
in ihrer idealen Ausgestaltung völlig identisch.
Ist es nicht im Sinne jener echten, wahren
Freundschaft, wenn wir dieses Haus zu einer
Waffenschmiede machen, von der wir gerüstet und
gegürtet,ob auchM itglieder verschiedener religiöser,
politischer Bekenntnisse und Berufsstellungen, so
doch vereint als Brüder einer Loge, als Glieder
einer Kette ausziehen in den Kampf gegen die
Unlauterkeit und Unsittlichkeit der Welt, wenn
wir es zu einer Schule des Charakters stempeln,
in der wir uns gegenseitig mit Liebe und mit
Emst zu fördern und hinanzuziehen suchen zu
dem Ziele, dass unsere k. K. von Anfang an
sich und uns gesteckt hat; wenn wir es zur
Stätte des Friedens wandeln, von der die Boten
ausgehen in die Hütten des Jammers und Elendes,
um den Schmerz zu lindern und der leidenden
Menschheit den Glauben an die Liebe der Brüder
zu erhalten. Weiss nicht so manches thränen-
feuchte Scbwesternauge, so manches klagende
Waisenherz zu erzählen, wie die Brr aus der
Loge der Hinterlassenen in treuer Liebe sich
angenommen, sie unter ihren männlichen Schutz
gestellt haben und den Unmündigen ein zweiter
Vater geworden sind. Ist es nicht Freundschaft,
wenn der Bürge bei der Loge mit seiner Über¬
zeugung dafür eintritt, dass der Angemeldete
ein freier Mann von gutem Rufe sei, und den
Kampf gegen etwaige Einwendungen auszu¬
kämpfen sich bereit erklärt. Ist es nicht eine
vertrauensvolle Hingabe, wie wir sie nur bei
Freunden finden, wenn der Suchende seiner per¬
sönlichen Freiheit sich völlig bpgiebt, indem er
die Binde nimmt und der Fülirung des Bürgen
oder der treuen Freundeshand, wie der Br
Präparateur sagt, sich willerlos überläsaL Ist
das nicht ein Fi eundesver^rechen, wenn der
M. V. St. dem Neuaufgencmmenen im Namen
der Loge zuruft: »Der Druck unserer Hände
sagt Ihnen, dass wir Sie nie verlassen werden,
so lange Rechtschaffenheit und Wahrheit Ihre
Begleiterinnen sein werden.“ Würde nicht so-,
gar die Welt den Freundesdienst anerkennen,
den der Br dem Br z. B. im Kriege auf dessen
maur. Hilferuf hin, und wäre es mit Gefahr des
eigenen Lebens, zu leisten verpflichtet ist. Ge¬
wiss, meine lieben Brr, wir alle sind, sofern wir
es ernst nehmen mit unserer Frmrei, Freunde,
nicht im Sinne der Welt, sondern jener echten,
idealen, reinen Freundschaft.
Wenn wir aber anstehen, jedem Bruder in
der Loge gegenüber uns als dessen Freund zu
fühlen oder diesem Freundesrechte einzuräumen,
so fällt die Schuld dafür dem Menschlichen in
uns zur Last. Auch wir hängen, wie Faust, an
der Welt mit »klammernden Organen“, in mehr
als einer Hinsicht. Erstens können wir uns
nicht, oder nur schwer zu jener idealen Auf¬
fassung durchringen, welche z. B. die beiden
Pythagoräer in Schillers Bürgschaft so herrliche
Thaten zeitigen Hess. Derartige Erscheinungen
dürften heutzutage, so traurig das ist, so wahr
ist es, zu den grössten Seltenheiten gehören.
Die irdischen Unvollkommenheiten, Kleinlichkeit,
Kleinmut, Menschenfurcht, Neid, Missgunst, Eigen¬
nutz, Egoismus nehmen uns zu sehr gefangen,
als dass jeder Br in der Loge mit der Offen¬
heit und Rückhaltlosigkeit eines Freundes
uns nahen wollte. Läuft er nicht schliesslich
doch manchmal Gefahr, ohne dass wir es wollen,
dass sein Veriraucn gemissbraucht und in nicht
gerade freundschaftlicher Weise ausgebeutet wird.
Ferner: In unserer menschlichen Unvollkommen¬
heit sehen wir oft nur, was vor Augen ist und
verlangen konkrete Beweise, womöglich mate¬
rielle Opfer für die Freundschaft, ohne zu be¬
denken, dass wir damit ihr eigentliches Wesen
veiJlachen und uns einer mehr sinnlichen Auf¬
fassung nähern, ohne zu bedenken, da.ss nicht in
äusserer, sondern innerer, geistig-sittlicher Förde¬
rung der Wert der rechten Freundschaft besteht.
Jene äussere ist aber bei uns, Gott sei Dank,
weniger nötig und die letztere sind wir mehr
geneigt, der Loge als solcher, als dem in der
Gesamtheit aufgehenden Einzelnen zuzuschreiben.
Ferner: Menschliche Engherzigkeit ist es, die
namentlich in grossen Bauhütten, wie der unseren,
das Herz für zu eng hält, als dass es einer
solchen Vielheit von Brr sich offenbaren und
deren aller Wohl und Wehe zu dem seinigen
machen könnte, die sich begnügt an dem blossen
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72
Frieden mit den Brr, sich aber ini übrigen am
Anne eines Freundes von ihnen zurückzieht und
das auf die Loge anwendet, was Br Göthe von
der Welt sagt:
„Selig, wer sich vor der Welt ohne Hass ver-
schliesst,
Einen Freund am Busen hält und mit dem geniesst,
Was von Menschen nicht gewusst, oder nicht be¬
dacht.
Durch das Labyrinth der Brust wandelt in der
Nacht.“
Wir verkennen dabei ganz, dass dieser Tempel
schon der Ort ist, an den wir uns von der Welt
zurückgezogen haben, wo wir die Mensehenseele
in ihrem Tliun und Treiben belauschen, wo wir
ihr einen höheren Schwung geben und im An¬
gesichte der grossen, gewaltigen Vorbilder unserer
k. K. uns erbauen können. Wir verkennen ganz,
dass das Menschenherz ein Strahl aus Gott ist,
der mit Vaterarmen und Väterliche die ganze
Welt umfasst und versprochen hat, keinen seiner
Freunde zu verlassen, noch zu versllumen! Sollte
dieser göttliche Strahl in uns im Verkehr mit
den Brr sich als unzureichend erweisen wollen?
Ferner: Auf menschlicher Unkenntnis beruht die
Tätfschung, der wir uns oft über einen Br hin¬
gehen, die dessen Wesen und Eigenschaften und
d(‘ssen sittlichen Wert verkennt und unterschätzt,
die uns ängstlich zögern lässt, ihn zum Ver¬
trauten unseres Herzens zu machen und die wohl
gar einmal misstrauisch da eine niedrigere Ge¬
sinnung wittert, wo eine einfache Meinungsver¬
schiedenheit in Tagesfragen uns nicht Hand in
Hand gehen lässt. Und endlich: Menschliche
Unzulänglichkeit haftet uns allen an, wenn unsere
eigenen Thaten, Worte und Gedanken immer noch
Geheimnis bleiben, die Bekanntschaft des Bruders
und das Urteil der Allgemeinheit fürchten müssen
und wenn dadurch die rechte Vertr^uilichkeit,
wie sie zwischen Freunden waltet, bei uns nicht
allenthalben hochkommen will.
Aber meine lieben Brr, wir sind nun ein¬
mal Menschen, trotz so vieler Versuche, uns über
die Natur zu schwingen. Natürlich ist, dass
Leute in gleichem Ijebensalter, in gleichen Lebens¬
lagen und mit gleichen Lebensgewohnheiten sich
immer besser verstehen werden, als andere. Natür¬
lich ist, dass gleiche Gesinnung in politischen,
religiösen und sozialen Dingen der Freundschalt
direkt in die Hände arbeitet. Und von dieser
Erkenntnis aus Hesse sich das Schliessen be¬
sonderer Freundschaften, das noch keineswegs zu
einer einseitigen, sich absondernden Cliquenbildung
zu führen braucht, wenn auch noch lange nicht
rechtfertigen, so doch teilweise wohl enischul¬
digen und verstehen. Die Freundschaft ist ein
Gefühl, und wie die Gefühle überhaupt bisher
der dunkelste Punkt unseres Seelenlebens gegen¬
über dem Vorstellen und Wollen geblieben sind,
so fühlen wir uns oft zu einer Person hinge¬
zogen, ohne dass wir uns über die Gründe dazu
Rechenschaft geben könnten. Geradeso aber will
es uns auch oft nicht gelingen eine ganz uner¬
klärliche, unbegründete Gleichgültigkeit, wenn
nicht gar Antipathie gegen einen Nächsten nieder¬
zudrücken und dessen etwaiges Vertrauen mit
Vertrauen zu vergelten. Da heisst es denn wieder
einmal „prüfen und forschen, kämpfen und sich
selbst beherrschen“. Denn als höchstes Ziel
unseres Verkehrs untereinander bleibt immer das
eine bestehen, in dem Br nicht nur ein zur Loge
gehöriges Mitglied, sondern vor allem den Freund
zu sehen. Nicht nur das äusserliche „Du“ der
Anrede, nicht erheuchelte Inebe, nicht ehrgeiziges,
streberhaftes Buhlen um die Gunst und das W’ohl-
wollen der Menge, sondern eine offene Sprache,
ein unbeschuhtes Handeln und ein warmes Herz
allen Brr gegenüber, das sind die Pfeiler, auf
denen wahre Freundschaft sich aufbaut, das sind
aber auch die Glieder der Kette, die uns mit
allen Brr hier im Tempel der Wahrheit ver¬
bindet. Gegenseitiges Vertrauen, Treue in allen
Lebensfügungen, Liebe und Gegenliebe sind eben¬
so der Kitt der Froundschal’t, wie sie die unent¬
behrlichen Grund- und Ecksteine der ganzen
Frmrei sein und bleiben werden, und all’ die
angeführten menschlichen Schwächen sind ebenso
unmrsch., wie sie die wahre Freundschaft zwischen
Brr hindern.
Je weiter wir daher zu der frmr Li(*bo uns
durchringon, jemehr wir wachsen in der frmr
Erkenntnis und zunehmen in der k. K., die er¬
kannte Tugend zu üben, desto mehr werden wir
uns dem Br gegenüber als Freund fühlen und
in diesem beseligenden Gefühle die Wahrheit
des Simon Dachschen Wortes erkennen:
Der Mensch hat nichts so eigen.
So wohl steht ihm nichts an,
Als dass er Treu erzeigen
Und Freundschaft halten kann.
Merksteine
auf dem Wege des Lebens
■■ ük. 1,80 geb. ■■
Zur Harmonie des Lebens
- Mk. 1,50 -
Br Pli. Ij. Joni', nnaehen YII.
Drnck niid Verlag von lir Urnuu Zocliol in l.uii>zig.
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23. Jahrgang.
No. 10.
Am Eeissbrette.
Oktober
1896.
Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen
MioerTa zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedea zu
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum
Rautenkranz in Hildburghausen.
Für Brr Freimaurer-Meister.
Begründet von Br Marbach. Fortgefuhrt von Br Fuch.s.
Schriftleiter: Br Dr. A. Oundel, Leipzig-Reudnitz.
Das Blatt wird vorzugsweise Beitrüge bringen, die in den Logenversaniralungen eines der drei Grade
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Einzelne Brr Meister, welche als
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 8 Mark abonniren
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf-
f enommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebühr von
5 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile.
Inhalt: Wer ist ein Meiiter? — Über ein System der freimanrerischen Ethik. — Trinksprnoh auf die
Besnchenden. — Litterarfsches. — Mitteilungen von der Oeichäftsstelle für den Austansch der Logen¬
listen. — Anxeige.
Wer ist eia Meister?
Von Br. Pfeifer, Redner der Lo^e Archimedes z.
d. 3 R. i. 0. Altenburg.
Wer ist ein Meister, meine Brüder? Wer
Verdient den schlichten und doch stolzen Namen?
Der, mein ich ists, der seine Kunst versteht;
Der, wol geübt mit seinem Handwerkszeug,
Was wir von seiner Kunst verlangen können,
Auch wirklich leistet; der mit sichrer Hand
Das Werk anfasst, es fortfährt und vollendet. —
Doch mehr, als dies, verlang ich von dem Meister.
Auch der Geselle schon versteht es wohl.
Geschickt und tüchtig seine Kunst zu üben;
Und manch Gebilde, das uns wol gefällt.
Entstammt sogar der fleiss*gen Lehrlingshand.
Der Meister aber muss den Plan entwerfen;
Vor seines Geistes Auge muss das Werk
Schon stehen, eh es noch Gestalt gewinnt;
Er muss die Mittel dann, die Wege wissen,
Die zur Vollendung des Entwurfes führen.
Anleiten muss er Lehrling und Gesellen,
Er muss sie fördern, mahnen, unterweisen
Und wird am besten dies durchs Beispiel Ihun.
Beispiel erzieht zum Guten wie zum Schlimmen!
So ist des Meistei*s Fleiss der beste Sporn;
Nach seinem Vorbild bildet sich der Jünger! —
Ein Meister wird auch nimmer stille stehn.
Er wird das Gute, wird das Bessre suchen
Und das Gefundne sich zu eigen machen. —
Wer also, meine Bit, ist hiernach
Ein Meister in der königlichen Kunst? —
Der ist es, der die k. K.
Versteht; der ist’s, der diese Kunst auch übt;
Der ist es, den es unermüdlich treibt,
In das geheimste Wesen dieser Kunst
Tiefer und immer tiefer einzudringen.
Und der nicht rastet, bis ihm das gelang. —
Der ist es, der ein Beispiel andren wird
Und durch sein edles Beispiel Jünger wirbt.
Der ist es, der den Plan der hohen Kunst
Erkennt, der nicht an Einzelheiten haftend,
Verständnisarm den Stein zum Steine fügt;
Nein, der im Einzelglied das Ganze schaut,
Und der vom Ganzen wieder jeden Teil
Als innre Wirkung abzuloiten weiss:
Kurz: der mit Einsicht an dem Tempel baut,
Den unsre k. K. errichtet; —
Am Tempel — und zugleich am eignen Herzen,
Denn nur im Herzen lebt die hohe Kunst.
Ja, Meister ist nur der, der ohn^ Ermüden
Nach eigener Vollkommenheit sich sehnt.
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— 74 —
Nach Ähnlichkeit mit ihm, der aller Menschen,
Der aller Welten grosser Meister ist. —
Der Weg nach diesem hohen Ziel ist schwer,
Doch langsam nähert sich der Meisterschaft
Der Bruder, der sich seihst bemeistern
kann.
über ein System der freimanrerischen
Ethik.
Von Br. Dr. Eckert, Loge Phönix, Leipzig.
Wir sind die Erben eines uns überkomme¬
nen unersetzlichen Schatzes, die Erben einer
tiefem Lebensauffassung, wie sie denkende
und erfahrungsreiche Köpfe in das Wesen und
in den Zweck der Frmrei hineingetragen haben.
Wollen wir aber die echten Erben und Bewah¬
rer dieses Gutes sein, dann heisst es vor allem:
Pflege- das Gut in treuer Arbeit, gieb ihm immer
wieder neue Lebensimpulse, durchgeistige es
mehr und mehr. Wenn es auch hie und da
in den Geistern gärt und sich nicht grade eine
ideale Zufriedenheit mit den gegenwärtigen Lo¬
genverhältnissen bemerkbar macht, so ist das
nur ein Zeichen der Gesundung; selbst der An¬
griff der Aussenwelt, von der am Aber¬
glauben zäh hängenden Masse kann der Frmrei,
kann dem frmr. Leben nicht so schaden wie
die geistige Blutarmut. — Viele Frmr werden
mir da entgegenhalten: Es ist nicht leicht,
immer etwas Gutes, immer etwas Neues zu
schaffen. Das ist jedoch nicht so schwer, wie
es beim ersten Anschein aussieht. Wohl hat
der Baumeister stets die gleichen Materialien,
aber stets baut er ein Haus anders wie ein vor¬
hergehendes, stets vervollkommnet er Brauch¬
barkeit und Schönheit des Baues.
Wie steht es denn nun mit der Fortbildung
der frmr. Lebensauffassung und deren Verdich¬
tung zu einem ethischen Systeme?
Gewiss ist, dass das wohlgegründete Funda¬
ment der Frmrei ein tief ethisches ist. Dieses
ethische Fundament ist ein geschichtlich ge¬
wordenes; das Fundament hat einen Aufbau,
dessen Endziel in dem Bereich der Unendlich¬
keit liegt. Forteniwickeln muss sich auch der
ethische Bau der Frmrei, ohne Entwickeln kein
Gedeihen; denn Stillstand ist Tod, Wachsen aber
ist Leben!
Wenn die frmr. Ethik schon so viel Gutes
gegeben, wie bleibt sie dann trotzdem ewig jung, —
und wie kann sie dann immer mehr und mehr
wachsen? Die Antwort drängt sich hier von
selbst entgegen; denn als „almamater* bieten
sich ihr die Geisteswissenschafben dar. Die Ethik
als Wissenschaft hat sich darum an die wissen¬
schaftliche Philosophie zu halten. Der Weg einer
derartigen neuen Ideengewinnung für eine frmr.
Ethik zu skizzieren will ich durch folgende
Zeilen versuchen.
Wir können erst zu einer tiefem Erkenntnis
ethisch frmrsch Probleme Vordringen, wenn wir
uns die Stellung der Ethik als Wissenschaft klar
gelegt haben. Die Ethik ist dem wissen¬
schaftlichen Denken erst spät einverleibt
worden. Dies hat seinen Grund nicht allein in
dem Umstand, dass, wie fast alle Wissenschaften,
so auch die Ethik einem weniger theoretischen
als vielmehr praktischen Bedürfnis entsprangen
ist und dieses praktische Bedürfnis bis auf den
heutigen Tag ein vorwaltendes geblieben ist,
sondern auch in der Schwierigkeit, das Ethische
als etwas Seiendes zu ergreifen. Verzweifelnd
daran, diese Schwierigkeit jemals überwinden
zu können und doch davor zurückscheuend, die
eigne Ohnmacht einzugestehen, wurde überhaupt
das Sittliche als etwas wissenschaftlich nicht
Erfassbares erklärt, und man eröffnete ihm eine
Spezialabteilung für „normative“ Wissenschaften.
Für diese sei eine Kausalerklärung nicht an¬
wendbar; und die bedeutende Frage: Was
soll sein? sei einfach zu beantworten aus
einer innern Anschauung oder unmittelbaren
Erleuchtung.
Seit Kant aber kennt die wissenschaftliche
Philosophie keine derartigen Ausnahmegesetze
mehr. Die Ethik muss den allgemeinen Weg
jeder ernsthaften Sammlung und Systematisierung
einschlagen, also die vorbereitende Sammlung und
Systematisierung des thatsächlichen Materials,
und die endzweckliche Kausalerklärung, d. h.
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75
nach Spinoza*) die Erkenntnis der Wirkung aus
der vollkommenen Kenntnis der Ursachen, mit¬
hin einen Weg, der gar oft unter Überwindung
unsäglicher Hemmnisse und Schritt für Schritt
durch das Dickicht des Aberglaubens hindurch
zu bahnen ist. — Das Bedürfnis, die Thatsachen
des sittlichen Lebens zu sammeln und zu syste¬
matisieren, wie sie sich aus historischen Berichten,
philosophischen Systemen, gesetzraässigen Be¬
stimmungen und aus volkstümlichen Gebräuchen
ergeben, haben in neuerer Zeit auf ethischem
Gebiete grössere systematische Darstellungen zu
befriedigen gesucht. Meine 1. Bit, freudig und
stolz müssen wir es anerkennen, dass es deutsche
Denker sind, die in zwei Werken dieser Art
mustergiltige Ijeistungen niedergelegt haben:
Wilhelm Wundt in seiner Ethik und Rudolf
von Ihering in seiner Sozialen Mechanik.
Doch auch andere Philosophen haben uns ethische
Systeme hinterlassen. Für dich Frmr drängt
sich da die Frage heran: Welches ethische
System kann für dich massgebend sein oder
mit Hilfe welches Systems kannst du die frmr.
Ethik weiterbilden?
Nicht leicht ist die Beantwortung dieser
Frage. Wozu überhaupt ein ethisches System 1
Moralisieren glaubt ein jeder Mensch zu können,
ja „gut* und »böse* überall gebraucht werden.
Will man jedoch die BegriflFe „gut“ und „bös*
so sicher stellen, dass kein Zweifel an ihrer
Bedeutung mehr . vorhanden ist, so stösst man
auf ganz erhebliche Schwierigkeiten, und ihre Be¬
seitigung hat eine ganze Menge ethischer Probleme
gezeitigt.
Für uns, meine Brr, handelt es sich vor allem
um die materiale Ethik, d. h. um den Inhalt
eines anzuerkennenden ethischen Systems. Da
für uns die Bildung des Willens, des Charakters
wichtig ist, so haben wir uns über die Frage
zu einigen: was ist nach dieser Richtung hin als
Inhalt der Ethik oder.Moral zu verstehen? Die
*) Spinoza, Abhandlung über die Berechti¬
gung des Verstandes und über den Weg, auf dem
er am besten zur wahren Erkenntnis der Dinge ge¬
leitet wird. Ausgabe Auerbach. I. Bd. 2. Aufl.
Stuttgart, Cotta, 1871, p. 557.
Beantwortung scheint leicht, einmal dient dazu
das Gesetz, wie es in die fleischlichen Tafeln
unsers Heinzens eingeschrieben ist, andermal das,
was der Meister aller Welten, was Gott durch
heilige Männer in heilige Schriften hat nieder¬
legen lassen. Betrachten wir näher die Gesetze!
Das Gesetz in uns ist das Gewissen. Der In¬
halt des Gewissens ist so mannigfaltig gestaltet,
dass nicht ohne weiteres zu sagen ist; was ist
das Gewissen und was enthält es an sich als
ethische Norm oder ethische Idee? Und blicken
wir auf die Entwickelungsgeschichte der Völker,
so sieht man, wie das, was man mit reinem
Gewissen verantworten kann oder nicht, sich oft
verschieden entwickelt hat, dass gar oft hierin
die einzelnen Völker im Gegensatz stehen. Also
lässt sich damit, dass wir uns auf das Gewissen
berufen, kaum ein Leitmotiv für den Inhalt der
Moral gewinnen. Weisen wir auf das andere
Gesetz hin, wie es dargelegt ist in der von
Juden sowohl als Christen heilig gehaltenen
Schrift. Hier finden sich aber nur zerstreute
Grundlagen der Ethik; kein Moralsystem im
Neuen Testament geschweige denn im Alten.
Nebenbei bemerkt, gehen die einzelnen mora¬
lischen Begriffe in beiden Testamenten sehr weit
auseinander, ja ein ethisches Prinzip findet sich
nur im neuen Testament, die Liebe in Christo,
im alten Testament kein Prinzip, nur Gebote,
die eines eigentlichen sittlichen Prinzip es ent¬
behren. Also hier haben wir kein System! Da
bleibt uns nur übrig, den ethischen Systemen
der Philosophen nachzudenken, uns dabei fragend:
welches System genügt uns voll und ganz oder
wenigstens zu einem gewissen Grade?
Allgemeinhin hat man die vorhandenen
philosophischen Moralsysteme in 2 Kategorien
gebracht: in eudämonistische und evolutio-
nistische. Die erstem sind die, die sich das
Wohl - des Menschen zum Gmndsatz gemacht
haben. Dies lässt eo ipso die Zweiteilung zu
dass man entweder das Wohl des Einzelnen
oder der Gesamtheit massgebend sein lässt.
Handelns sich um das Wohl des Einzelnen, so
kann man von einem egoistisch eudämo-
nistischen System reden. Ich mache hier das
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76
vielfach verkannte ethische System des Epikur
namhaft. Also ein derartiges System will das
sagen: Nur das ist zu thun, wodurch das Wohl
des Einzelnen festgestellt, erlangt und erhalten
werden kann. Dagegen sagen die eudämonisti-
schen Systeme, die sich auf das Wohl der All¬
gemeinheit beziehen: Nur das ist gut zu nennen,
wodurch die Glückseligkeit aller Menschen her¬
gestellt wird. Aus diesem Gnindgedanken heraus
haben sich wiederum eine Anzahl ethischer Sy¬
steme gebildet; in neuerer Zeit bat sich besonders
das utilitaristische eudämonistische Sy¬
stem ausgebildet, das den Nutzen für den Ein¬
zelnen und für die Gesamtheit als Zweck hin¬
stellt; dabei wird das untersucht und geprüft,
was die Fähigkeit besitzt, ein Allgemein-Wohl sein
hervorzubringen und ein Wohlsein für das einzelne
Individuum. Dergleichen Systeme, bei denen sich
Einzelwohl und Gesamtwohl eng berühren, giebt
cs viele; neuere sind die von Moleschott,
Vogt, Fechner, Lotze u. a.; in gewissem
Sinne lassen sich auch Jacobi und Schopen¬
hauer hierher rechnen.
Als zweite grosse Kategorie der ethischen
Systeme nannten wir vorhin die evolutioni-
stischen. Sic begreifen den Inhalt: Nicht auf
das Wohl des Einzelnen und der Gesamtheit
kommt OS an, sondeim darauf, dass jeder Einzelne
gemäss seiner Bestimmung ausgebildet werde.
Ein jeglicher soll die individuelle Beschaffen¬
heit en-eichen, die ihm als Mensch nach seiner
besondern Begabung und besondera Leistungs-
Hihigkeit möglich ist. Die Kräfte soll man aber
nicht blos für sich sondern, vor allem für die
Allgemeinheit gebrauchen. Das einzelne Indivi¬
duum verpflichtet sich deswegen, sich nach allen
möglichen Seiten auszubilden, um die grosse
Allgemeinheit der Menschen auf diejenige Kultur¬
höhe zu bringen, die überhaupt erreichbar ist.
Der Ausgangspunkt dieser Systeme ist das Vor¬
handensein einer allgemein menschlichen Bestim¬
mung, zu der die ganze Menschheit sich im Laufe
ihrer Geschichte bewegt. Hierher gehören die
Systeme, wie sie hervorgegangen sind aus dem
Nachdenken eines Paulsen in Berlin, eines Wun dt
in Leipzig und eines Ihering in Göttingen.
Legen wir jetzt einen kritischen Massstab
an diese Systeme! — Wenn man sagt: das Wohl
des Einzelnen oder der Gesamtheit ist das ethische
Ziel und was diesem Wohl dient, ist gut und
das Gegenteil ist schlecht, so entsteht in uns
die Reflexion über das Wesen des Wohls für
den Einzelnen wie für das grosse Ganze. Es
handelt sich dabei im wesentlichen um die
Frage nach dem Glücke. Darauf giebt es
die verschiedensten Antworten, denn darüber,
was jemand für Glück hält, bestehen sehr aus¬
einandergehende Ansichten, weil das Glück und
Wohlsein einmal beruht auf der Organisation
eines jeden einzelnen Individuums und dann auf
dem Geschmack desselben, der ja zum Teil mit
in der Organisation liegt. Weil ein Mensch nie
dem andern gleicht, so kann man dreist be¬
haupten: niemals giebt es 2 Menschen, die ganz
und gar über das einig wären, was sie nach
ihrer Ansicht „Glück“ nennen. Noch weniger
wird es möglich sein, ein diesbezügliches System
aufzustellen, auf das nicht jeder einen Einwand
machen könne. Darum sind die eudämonistisoben
Systeme nie für eine wahre freimaurerische
Ethik verwendbar, auch sollen sie es nicht
sein, da das sichere Ziel der Hinarbeitung
fehlt und es nur auf ein Streben nach
Glück ankommt.
Anders steht es für die Freimaurerei in
bezug auf die evolutionistischen Systeme.
Hier kann der Frmr ansetzen, um sich ein
dauernd festgefugtes ethisches System zu bauen,
um sich feste ethische Normen zu eigen zu
machen. Nach diesem Systeme soll der Mensch
diejenige individuelle Beschaffenheit und Voll¬
kommenheit erreichen, zu denen er als Mensch
von der Natur geschaffen ist. Es lässt sich nicht
leugnen, dass sich in jedem einzelnen Menschen
eine ewige Quelle des Lebens und der Schön¬
heit öffnet, ein unerschöpflicher Schatz von An¬
lagen und Kräften; und erscheint ein Mensch
auch noch so gering, er ist ein Wesen von un¬
endlicher, unergiiindlicher Tiefe. Da muss er
zuerst selbst das Gute in sich zu finden suchen,
gegen das Böse gemeinhin aber ankämpfen, nicht
blos gegen den tobenden Feind in uns, obgleich
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der Schweiss am ,rohen Stein ^ niemandem er¬
lassen wird, ja unter allen Mühen dieser Kampf
gegen sich selbst der edelste ist.
Das alles gehört in das Bereich der indi¬
viduellen Norm der Ethik, die da sagt:
Handle so, dass du niemals die Achtung
vor dir selbst verlierst. Wie ich da han¬
deln soll, wird mir da unter Umständen schwer;
denn ich kann einen ganz andern Wert von
meiner Persönlichkeit als andere von ihr haben.
Daraus erkennen wir, dass allein mit dieser
Norm noch kein frmr. System zu gründen ist.
Das will ja auch gar nicht die Frmrei, auf
einzelne Rücksicht nehmen, sie hat nur
das Ganze-Grosse im Auge. Sie hat als Gesell-
scbaft die Macht, ethisch zu sein und ethisch
zu wirken. Wenn auch ein einzelner Mann, ohne
Fimr zu sein, dem Ideale eines vollendeten Men¬
schen nahe kommen kann, so hat doch das,
was in dem Bunde freier Männer ent¬
steht, für die Praxis viel mehr Kraft und
Leben als das, was eine Geburt der Ab¬
geschiedenheit ist In der und durch die
Gesellschaft kann erst wahre Sittlichkeit ent¬
stehen. Das ist ein Ergebnis, von Hegel anti¬
zipiert, von Wundt*) in den Worten ausge¬
drückt: „Sittlich ist der Wille dem Effekt nach,
so lange sein Handeln dem Gesamtwillen konform
ist, der Gesinnung nach, so lange die Motive,
die ihn bestimmen, mit den Zielen des Gesamt¬
willens übereinstimmen“ und das Ihering’^’^) in
die Form kleidet: „Was ist die Quelle der sitt¬
lichen Normen? Die Gesellschaft. Was der Zweck
derselben? Die Gesellschaft. Was die Erzeugerin
des sittlichen Willens? Die Gesellschaft.“
Nur mittels der Gesellschaft kann man zur
wahren Ethik Vordringen, wie dies auch Kant’*'”*'*)
*) Wu nd t, Ethik. Eine Untersuchung der That-
sachen und Gesetze des sittlichen Lebens. 2. Aufl.
Stuttgart, Enke. 1892. p. 528.
•*) V. Ihering, Der Zweck im Recht. 2. Aufl.
Leipzig, Breitkopf & Härtel. 11. Bde. 1884. 1886.
H. Bd. p. 120.
***) Kant, Anthropologie in pragmatischer
Hinsicht. Ausgabe Schubert. Leipzig, L. Voss. 1838.
p. 246.
schon angedeutet hat. Wie durch ein Natur¬
gesetz ist es bestimmt, dass der Mensch aus
seiner Vereinzelung heraustreten soll und aus
der Gleichgiltigkeit gegen einander. „Ein jeder
soll sich für die andern und den Zustand des
Ganzen verantwortlich fühlen, wir alle sollen
solidarisch unser Geschick erfüllen und unsere
Arbeit verrichten,“ so spricht im Hinblick auf das
Mrwesen der von den romanischen Völkern so
hoch geschätzte deutsche Philosoph Krause.*)
So dient ein jeder einzelne Mensch wieder seinem
eignen idealen Wesen, wenn er nach grössern
Zusammenhängen strebt und sich selbst immer
mehr und mehr in dem Grossen-Ganzen be¬
greifen lernt.
Daraus erhellt, dass mit der individuellen
ethischen Norm die soziale Hand in Hand geht,
die am einfachsten ausgedrückt so lautet: Achte
deinen Nächsten wie dich selbst!
Die Vereinigung der Menschen darf auf
keinem Zwangs Verhältnisse beruhen; denn mit
Zwang wird selten etwas Gutes, etwas Ethisches
ans Licht gefördert; die Vereinigung der Menschen
muss ein Produkt des freien Willens sein,
d. h. eine freie Gesellschaft, die als naturgemässe
Norm des menschlichen Lebens dereinst die ge¬
samte Menschheit umfassen soll. Das sind
ethische Ideen, deren Keime allerdings
schon im Wesen der Frmrei liegen, die aber
durch den Mrbund immer weiter entfaltet werden
müssen.
Um dieses Weitergedeihen zu ermöglichen,
muss sich die Frmrei bewusst sein, dass die
Versittlichung nui* durch eine organisierte Ge¬
sellschaft — wie wir ja sind — und durch eine
bewusste, planmässige, durchgreifende und an¬
dauernde Thätigkeit erreicht werden kann. Diese
Thätigkeit erstreckt ihren Wirkungskreis nach
innen und aussen, nach innen besonders in bezug
auf unser Logenleben. In unserm innem Logen¬
leben ist so vieles, was noch lange nicht einer
echt frmrsch Ethik entspricht. Wahrlich, noch
manches findet sich an uns, was nicht ethisch
*) cf. hierzu: H. Boos, Geschichte der Frei¬
maurerei. Aarau, Sauerländer & Co. 1894 p 295 ff.
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ist. Was ist unethisch an uns? — Unethisch
ist, wenn wir z. B. durch unser Thun mit Hint¬
ansetzung wahrer frmrsch Maximen den Schat¬
ten eines Strebers aut’ uns werfen, so z. ß. wenn
cs gilt, irgend ein einflussreiches Amt der Brkette
zu erringen. Dazu soll sich keiner drilngen, er
soll gedrängt werden; denn das Gute, was an
einem ist, erkennen hundert Augen besser als die
zwei eignen. Frmrsch unethisch wäre, wenn wir
uns unsrer Verdienste um die Frmrei rühmen
wollten. Wenn es schon für jeden gewöhnlichen
wahrheitsliebenden Menschen lächerlich ist, wenn
er hört, wie sein Mitmensch sich seiner Vorzüge
und der eignen grossen Gedanken rühmt, so ist
die Loge ihrer Idee nach am allerwenig¬
sten der Platz, seine Verdienste selbst an
die grosse Glocke zu hängen. Solche Naturen
können andern Brn die Arbeit, mindestens die
Freude an der Arbeit verleiten. Hier ira
engsten Kreise ist vielfach noch das Arbeitsfeld
für die soziale Norm einer frmr. Ethik. Und
zeigen sich in einem Logenbund solche Aus¬
wüchse, so ist das kranke Keis noch nicht ver¬
loren. Die Offenheit und Wahrheit, mit der ein
jeder Frmr dem andern begegnen soll, muss vor
allem erst einem solchen irrenden Glied der
Brkette entgegengebracht werden; wo der Stamm
gesund ist, wie sollte das kranke Glied da nicht
gesunden!
Die ganze frmrsch Ethik, die ich Ihnen, meine
Brr, zu zeichnen versuchte, ist sie nicht der In¬
halt des Lichts, das wir suchen, das wir ver¬
ehren, dessen Träger wir sind. Hoch und niedrig,
jedes Auge ist empfänglich für das Licht und
jeder Geist gebildet für die Wahrheit. Nur
muss es ein rechtes Licht sein; es giebt auch
leuchtende — Insekten! Morsches Holz leuchtet
auch! Auch der Blitzstrahl erleuchtet, aber er
— zerstört. Das Licht, das der Frmr frei
durch die Welt tragen soll, soll nicht blos
leuchten, sondern auch erwärmen, es zerstört
nie, sondern dient heilsam zu und bei dem Baue
des frmrsch Tempels, fordert die Arbeit hier in
dem Tempel und ausserhalb des Tempels.
Um all diesen Ideen nachzukommen, müssen
wir arbeiten und bauen an uns, innerhalb unsres
Bundes und ausserhalb an der ganzen Mensch¬
heit. So wird die Ethik durch die Frmr „die
praktisch wertvollste, die Königin unter den
Gesellschaftswissenschaften®. In der Thätigkeit
nach aussen hin erreicht die Frmrei ihr letztes
höchstes Ziel. Von ihr allein ist der Ausgang
der letzten ethischen Norm zu erwarten, der
humanen Norm, die alles, was im Men¬
schen liegt, zur Entwicklung der Mensch¬
heit gebrauchen will. Sie kennt kein Privile¬
gium, kein Ausbeutungsrecht für einzelne Klassen,
sondern sie drängt hin zur „Verallgemeinerung
aller geistigen, sittlichen und wirtschaftlichen
Güter, zu Recht, Bildung und Wohlfahrt für
alle“.*) Das gehört aber einem schönen,
unserm zukünftigen Ziele an. Wo auch immer
bei neuern Philosophen der Gedanke an eine
Ethik der Zukunft auftaucht, da ist cs diese
letzte Norm, diese humane Norm der Ethik, deren
Bethätigung von Hart mann und Niet sehe ge¬
ahnt, von Ihering mit voller Gewissheit einer
wissenschaftlichen Überzeugung behauptet und
die ungeheuere Befruchtung, die dadurch Juris¬
prudenz wie Pädagogik, Nationalökonomie wie
öÖ’entliches Leben erfahren, vorausgesagt worden.
Hat die frmrsch Ethik neben ihrer jetzigen
Einsicht, dass der sittliche Wille, der des Ein¬
zelnen, wie der des ganzen Volkes, ein ge¬
schichtlich-gesellschaftliches Produkt ist, voll¬
ständig die treibenden Kräfte, die die Einziehung
des Willens zum Sittlichen zu stände bringen,
den Einfluss aller jener mannigfachen Faktoren
im Leben der Gesellschaft, die zu dem Zwecke
mitwirken, ermittelt und dargelegt, dann braucht
sie mit dieser der Wirklichkeit abgelauschten
Bildungsgeschichte des sittlichen Willens sich
nur dem Leben zuzukehren, um der Mensch¬
heit einen Dienst zu leisten, wie er nicht
grösser gedacht werden kann. Mit der
erweiterten Kenntnis der Quellen des sittlichen
Geistes weisen wir der Praxis zugleich den Weg,
diesen Geist selbst mehr und mehr in ihre
Macht zu bringen. Die frmrsch Ethik kann und
*) J. G. Findel, Die Grundsätze der Freimau¬
rerei im Völkerleben. 3. Aufl. Leipzig 1892. p. 179.
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soll diese Aufgabe lösen; dann ist sie aber keine
Wissenschaft mehr, sondern wird zur Kunst, zu
einer wahrhaft k. K., zu einer frmrsch Welt¬
pädagogik. — Und das ist meiner Über¬
zeugung nach die hohe Aufgabe der frmrsch
Ethik der Zukunft.
Trinkspmch anf die Besuchenden
von Br Wedemeyer, B. z. L., Leipzig.
Weit zieht sich um die ganze Welt
Ein herrlich prangender Garten;
Drin blühen Blumen wunderhold
ln vielen schönen Arten;
Und jede Blume, jeder Strauch
Versendet seine Düfte
Mit würz*gem Hauche himmelwärts,
Erfüllend alle Lüfte.
Und in dem Wundergai*ten steht,
Die Zweige gen Himmel wendend.
Manch stattlicher Baum, mit grünendem Dach
Dem Wandrer Schatten spendend.
Ein zauhrischer Gaiien — in sonnigem Schein
Liegt weit er dahingebreitet;
Es blühet im Hag, an des Weges Rain,
Wohin uns der Fuss auch leitet;
Und strahlende Helle ist allerwärts
Für den Wandrer, der wonnetrunken,
Entfliehend der Welt und ihrem Schmerz,
Hier betend ist niedergesunken.
Wir kennen den Garten, die Blumen darin
Und sehen drei glänzende Stenie
Herniederleuchten auf unseren Pfad
Aus hoher, himmlischer Ferne.
Uns allen sind sie so wohlbekannt,
Die Weisheit, die Schönheit und Stärke;
Sie machen den Garten zum Heimatland,
Sie leuchten bei unserem Werke.
Und was ist das Werk, das der Wanderer tbut?
Was ist*s, das sein Streben besiegelt?
Sich selbst erkennen, wenn am Bache er iniht,
Darinnen sein Bild sich ihm spiegelt.
Was ist*s, wenn der Freude lockende Frucht
Vom Baume ihm leuchtet entgegen?
Sich seihst beherrschen, wenn*s Herze sucht.
Woran nur dem Thoren gelegen.
Was ist*s, das ihn mahnt, wenn der Blüten Pracht
Ihm weiset der Schönheit Walten?
Sich selbst veredeln und Tag und Nacht
Sich rein, wie die Blumen, erhalten.
Das ist der Garten der Maurerei,
Darinnen blühet die Liebe;
Die Freundschaft blüht dort still und treu,
Und mit ihr die edelsten Ttiebe.
Drum seh*n wir hier Freunde in reicher Zahl;'
Sie weilen im Schatten der Linde
Und bringen zu unserem Brudermahl
Eine Blume zum Angebinde
Sie bringen von ihrem Blumenbeet
Dies Blümlein, uns weisend aufs neue.
Dass es noch grünet und nicht verweht.
Das Blümlein der , Bruder treue“.
Drum ruf ich die Brüder des Balduin
I. 0.! Zum ersten: Dem Garten
Der Maurer, darinnen den edlen Mann,
Die reinsten Freuden erwarten!
Zum zweiten: Der Blume „Brudertreu“!
Wir wollen sie hüten und hegen,
Und sie jahraus, jahrein stets neu
In herzlicher Liebe pflegen!
Zum dritten aber, als schönsten Schluss:
Den besuchenden Brüdern der Runde,
Mit Brudergruss und Bniderkuss
1 h r, W 0 h 1 aus des Herzens Grund e!
Litterarisches.
Erläuterung des Lehrlings-Katechismus von
Br R. Fischer, 25. Aufl. Leipzig, Verlag
von Br Bruno Zechel.
Eine Jubiläumsausgabe ist die neue Auflage
des maur. Lehrlingskatechismus von Br R. Fischer
geworden. Zum 25. Male hat sich der Neudruck
dieser Schrift nötig gemaeht, ein Erfolg, der in
der niaur. Litteratur bisher wohl einzig dastehen
dürfte; Beweis genug für das dringende Bedürfnis,
dom der Br Verfasser mit diesem Geistoskinde nach¬
gegangen ist. Wir zählen gerade die Katechismen
zu den notwendigsten und verdienstvollsten Werken
des gen. fieissigen und begeisterten Mstrs unsrer
k. K. Die Zeit lässt sich mehr und mehr an, der
Fmirei verhängnisvoll zu werden. Von aussen
droht der Hass des katholischen Klerus mit seiner
offenkundigen Unterstützung resp. Betreibung der
antimasonischen Bestrebungen — der Phantasie¬
gebilde der berühmten Expelladistin gar nicht zu
gedenken, deren neueste Schrift: „Le 33 : Crispi*
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80
sogar von der katholischen Kölner Volkszeitung
auf Schwindel oder Geistesstörung zurückgeführt
wird — von innen aber die Überhandnahme po¬
litischer, sozialer und religiöser Strömungen, die
sich aJlerdingps vorzugpsweise bei unsem roma¬
nischen Bm zeigen, die aber doch teilweise jene
Gegnerschaft auch bei uns in Deutschland wach¬
gerufen und zu Gunsten bestimmter Sonderinter¬
essen das allgemeine Ziel der Frmrei mehr oder
weniger aus den Augen verloren haben. Da ist
es doppelt nötig, dass jeder Br fest im Sattel
sitze und Über Ziel und Mittel unsrer k. K. orien¬
tiert sei, dass jeder Br seinen Blick rückwärts in
das Buch der Geschichte und seitwärts auf andere
Logen, Gebräuche und Auffassungen lenke, um
alles zu prüfen und das beste zu behalten. Kein
Lehrling sollte die Gelegenheit, die sich ihm durch
den Katechismus bietet, sich schnell und sicher
in die allgemeinen Wahrheiten, Symbole und In¬
stitutionen der Frmrei einzuarbeiten und einzu¬
leben, unbenutzt vorübergehen lassen, zumal es
an den oft recht wünschenswerten Lehrlings¬
instruktionen bei vielen Logen leider fehlt und
die Erklärungen bei der Aufnahme kaum ausr
reichend sein dürften.
Möchte dem buchhändlerischen Erfolge, von
dem die Jubiläumsauflage Zeugnis ablegt, immer
ein innerer, geistiger Erfolg parallel gegangen
sein und ein solcher auch in Zukunft der hoftent-
lich i’echt weiten Verbreitung des Werkchens ent¬
sprechen. _ Br A. G.
Mitteilungen
▼on der
GeseUftsstelle fOr den Aostaiisdi der LegeRlisten.
Mitte V. M. hat die erste -diesjährige Ver¬
sendung stattgefunden und gelangten dabei die
nachstehend aufgeffthrten 212 Mitglieder-Verzeich¬
nisse etc. zur Verteilung:
Der Prov.-Loge von Niedersachsen zu Hamburg,
sowie der Johannislogen in Aachen — Altenburg —
Altona (250) — Annaberg — Arnstadt — Amswalde
— Barmen (300) — Bautzen — Heeskow — Bem-
burg — Bielefeld — Bochum — Bonn — Branden¬
burg — Braunsberg — Braunschweig — Breslau
(Horus — Friedrich — Vereinigte) — Brieg — Brom¬
berg — Bunzlau — Burg (325) — Calbe — Cassel
(Eintracht) — Celle — Charl Ottenburg (300) — Chem¬
nitz — Clausthal und Zellerfeld (238) — Colmar (308)
— Cöslin — Cöthen (210) — Cottbus — Crefeld —
Crossen — Cüstrin — Dahme — Danzig (Einigkeit
— Eugenia — Kreuz) — Delitzsch — Dessau —
Detmold — Dirschau (Veränderungen) — Döbeln —
Dresden (Apfel — Säulen) — Duisburg — Düsseldorf
— Eilenburg — Einbeck — Eisenach (800) — Elber¬
feld — Emden — Emmerich — Erfurt — Erlangen
— Essen — Flensburg - Frankfurt a. O. — Frei¬
berg — Fürstenwalde — Fürth — Gardelegen (Verein)
— Gladbach-Rheydt — Glatz — Glauchau — Glei-
witz — Gr. Glogau — Gnesen — Görlitz — Goslar
— Gotha — Göttingen — Graudenz — Greifenhagen
— Grünberg — Guben — Halberstadt — H^le
(Degen — Thürme) — Hamburg (Brudertreue 100) —
Hamm — Hannover (Bär — Pferd) — Harburg —
Havelberg — Heidelberg — Heiligenstadt — Helm¬
stedt — Hersfeld — Hildesheim (Pforte — Tenmel)
— Hirschberg (815) — Hof — Inowrazlaw — Jena
(Carl August) — Jülich — Karlsruhe — Kassel
(Friedrich) — Koblenz — Kolberg — Köln —
Koenigsberg i/Pr. (Imanuel — Kronen — Vereinigte)
— Könitz (820) — Kreuzburg — Kreuznach —
Krotoschin — Landeshut — Landsberg — Langen¬
salza — Lauban — Leer — Leipzig (Apollo —Minerva)
— Lie^itz — Lissa — Lübeck (FüUhom) — Luckau
— Lüdenscheid — Lüneburg — Magdeburg (Ferdi¬
nand — Harpokrates) — Marienburg — Marienwerder
— Meissen — Merseburg — Meseritz — Metz —
Minden (Wittekind) — Mühlhausen i/Th. — Mül¬
heim — München (Treue) — Münster i/W. — Nauen
— Naumburg — Neisse (Lilien) — Neubrandenburg
— Neustadt a/0. — Neuwied — Nienburg — Nord¬
hausen — Nürnberg (Joseph — Pfeile) — Oms — Ohlau
— Oldenburg — Oppeln — Osnabrück — Osterode
a/H. — Ostrowo — Pasewalk (325) — Perleberg —
Plauen (885) — Posen — Potsdam (Minerva — Teu¬
tonia) — Prenzlau — Pyrmont — Rastenburg (345)
— Ratibor — Reichenbach i/Schl — Rendsburg —
Riesa — Saarbrücken — Sagan — Salzwedel —
Sangerhausen — Schmiedeberg — Schneeberg (Nach¬
trag) — Schneidemühl — Schwedt — Schweidnitz
(Eintracht — Herkules 240) — Schwelm — Siegen
— Soldin — Solingen — Soran — Soest — Sprottau
(250) — Pr. Stargard — Stendal — Stettin (Anker —
Eirkel) — .Stolp i/P. — Stralsund (Sundia) — Strass¬
burg i/E. (Erwin — Herz) — Striegau — Tarnowitz
(150) — Torgau (285) — Trier — (Jeckermünde —
Uelzen — Verden — Waldenburg i/SchL — Weimar
— Weissenfels — Wenigenjena — Wesel — Wetzlar
— Wiesbaden (Hohenzollern) — Wittenberg — Witt¬
stock — Wolmirstedt — Zerbst — Zielenzig und
Zwickau (Nachtrag).
Wiederholt bitte ich, fernerhin
nicht unter 360
Mitglieder-Verzeichnisse einzusenden. Den Namen
derjenigen Logen, die weniger als 360 zur Verfügung
stellten, sind die Zahlen der zur Versendung gelang¬
ten Exemplare in () beigesetzt.
Ihren Beitritt zur Geschäftsstelle haben neuer¬
dings erklärt die Logen:
Zar treuen Wacht in ({uakenbrüok,
JUnerTa in Potsdam und
Treue fest^ in Mfinchen.
GescliftftMtelle f. d. Austausch der Logenlisten
Bruno Zechel,
Buchdruckerei und Verlag in Leipzig.
Merksteine
auf dem Wege des Lebens
. .. Mk. 1,80 geh. —
Zur Harmonie des Lebens
-Hk. 1,50 gab.-
Br Fh. L. JmBir, Hfimehem TU.
Druck und Verloff von Br Bruno Zeohel in Leipoig.
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23. Jahrgang. A ^
1 1 äovombsr
Am xi0
ISSDlGIlO. 1—1896
Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu
den drei ßeissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum
Bautenkranz in Hildburghausen.
Für Brr Freimaurer-Meister.
Begründet von Br Marbach. Fortgefuhrt von Br Fuchs.
Schriftleiter: Br Dr. A. Gändel, Leipzig-Reudnitz.
Das Blatt wird vorzugsweise Beiträge bringen, die in den Logenversammlungen eines der drei Grade
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Einzelne Brr Meister, welche als
solche sich legitimirt haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 3 Mark abonniren
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf-
f enommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebühr von
5 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile.
Inhalt: Die Meisterreise. — Das maarerieohe Urteil. — ln Ordnnngl — Anaeige.
Die Meisterreise.
Zeichnung, gebracht in der Loge „Joh. d. Ev. zur
Eintracht“ z. Darmstadt von Br Dr. P. Z.
Die Meisterreise ward mir aufgegeben
Zu schildern hier im trauten Bruderkreis,
Vernehmet denn, wie mein bescheidnes Streben
Den Sinn des Ritus zu erklären weiss.
Und welch ein Wogen wechselnder Gefühle
Bewegt des Maurers Brust am hehren Ziele.
♦
Die Stunde, die so lange er ersehnt,
Hat dem Gesellen endlich nun geschlagen,
Die Stunde, die so freundlich er gewähnt.
Er sieht entgegen ihr mit innerm Zagen:
Wie anders deucht ihm heut das hohe Haus,
Das freundlich stets geöffnet ihm die Arme;
Heut weht es dort wie kalter Todesgraus,
Bedroht aus allen Ecken ihn mit Harme
Und nur mit Mühe kämpft er nieder
Ein Bangen, das ihm lähmt die Glieder,
Um ihn zum Werke würdig zu bereiten.
Heisst man ihn in die düstre Zelle schreiten. —
„Vergänglich" ist des Menschen Erdenleben,
„Rasch fasst der Tod den Menschen an.
„Reisst ihn aus seiner wirkensvollen Bahn,
„Zernichtet ihn in seinem besten Streben.“
So tönt es dem Gesellen noch ans Ohr,
Da hallend sich des Redners Schritt verlor.
Es weilt in tiefem Sinnen der Geselle
Verlassen in der unterirdschen Zelle;
Allein — nur eines kargen Lichtes Funkeln
Trennt ihn von düstrer Grabesnacht,
Auch dies erlischt. — Was regt sich dort im
Dunkeln
Und taucht empor gespenstisch rauschend, sacht? —
Da ists, — in seiner Knochenhand die Hippe,
Ein grauses, bleiches, grinsendes Gerippe;
Es starrt aus seinen öden Augenhöhlen,
Umspielt wie Hohn den fleischberaubten Mund,
Als spräche es: „Du hast hier nicht zu wählen.
Mir wirst Du gleichen über Jahr und Stund’.“ —
Wohl fasst ein banges Grausen den Gesellen,
Doch Mut gab ihm des Bruder Redners Wort,
Er will mit Stärke sich dem Schicksal stellen,
Weisst jedes Zagen mannhaft von sich fort.
— Wer fest in sich, mit Allem rings versöhnet,
Warm der Gesittung Macht im Herzen hegt.
Den wird, wenn des Gerichts Trommete dröhnet,
Ihr donnernd Schallen lassen unbewegt,
Entgegenschreitend seinen höhren Zielen
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Geht stätig er die Bahn zur Meisterschaft,
Sein Inneres durchdringt ein freudig Fühlen
Und schwellt den Busen ihm mit frischer Kraft.
Zurückgeführet an des Tages Helle,
Betritt den Tempel würdig der Gefielle;
Ein neuer Schauer bebt durch seine Glieder,
Denn kaum erkennt die hehre Hall er wieder:
Die Wände mit dem Trauerflor behängen,
Dräut schwarz entgegen selbst ihm der Altar,
Der Brüder Kreis im wallenden Talar
Erfüllt von neuem ihn mit Bangen.
Soll wirklich ihm kein heller Tag mehr scheinen,
Ein düstres Grab ihn schliessen ein,
Soll er nicht wiederkehren zu den Seinen,
Ihm keine weitre Frist gegeben sein?
Vorbei! — die Würfel sind gefallen.
Ihn dürstet nur mehr nach der Meisterschaft,
Und soll er auch zum grauen Orcus wallen,
Er fühlt in sich zum Schwersten Riesenkraft.
♦
Zur Meisterreise also vorbereitet.
Den heilgen Zirkel auf das Herz gelegt.
So schreitet er von Bruderhand geleitet.
Dem Ziele zu, in Treuen, unentwegt.
Nach Norden lenken sich der Brüder Schritte,
Von neuem fasst des Todes Graus ihn an.
Versperrt mit Drohen seines Pfades Mitte
Und heisst ihn stillestehn auf seiner Bahn.
Ein Trauerchor
Tönt an sein Ohr:
„Eh wirs denken ^nd versehen,
„Sind wir der Lebensgrenze nah,
„Muss unser Zeiger stille stehen,
„Und ist die Todesstunde da.“ —
Das Bild verglimmt und weiter geht die Reise
Nach Osten, wo der Altar steht.
Der Hammer klingt in trauter Weise,
Zur Arbeit rufend, zum Gebet.
Des Meisters Stimme schallt von dort hernieder:
„Wohl dem, der Liebe säet auf seinem Pfad,
„Denn neue Liebe blühet stets ihm wieder,
„Aufkeimend ihm aus seiner ersten Saat.“
„Und gleich den Sonnen, ewig neu geboren,
„Dem Phönix, der zu Asche schon verglommen.
„Doch neuen Flug zum Äther hat genommen,
„So bleibt sein Werk im Weltall unverloren.“
Gestärkt durch dieses Trosteswort,
Lenkt der Gesell die Schritte fort
Nach Süden, wo ein neues Bild
Des Tods mit Schreck sein Herz erfüllt.
Der Führer spricht mit ernstem Ton:
„Du bist der Heimat nahe, teurer Freund,
„Der Heimat, die den Menschensohn
„Mit Allem, was da „war“, vereint.
„Befreit von Deiner Sinne Banden
„Wirst Du am Born des Lichtes landen,
„Und, nah’ dem höchsten Weltenmeister,
„Ein Stern dort sein im Land der Geister!“ —
Zum Westen wiederum den Schritt gewendet.
Heisst man den Bruder hin zur Pforte gehn;
Die Meisterreise ist für ihn vollendet.
Nun wird er vor dem Ziel des Wallens stehn.
Ein Sarg! — — Die letzte Ruhestätte
Blickt ernst auf ihn und ist bereit.
Ihn zu empfangen aus der Bruder Kette,
Zu bergen ihn für alle Ewigkeit!
„Doch nur die Hülle soll der Sarg empfangen,
„Sich ihr entringend schwebt der Falter frei,
„Enteilt zur Morgenröte voll Verlangen,
„Zum heilgen Tempel hin der Masonei.“
So sagt verheissungsvoll des Herzens Schlagen
Und heisst verstummen jedes bange Fragen.
♦
„Durch Nacht zum Licht, durch Tod zu neuem
Leben“,
Das ist das Bild, das Deine Reise beut.
Ein Bild zugleich von edler Menschen Streben,
Ein Werden und Vergehen, stets erneut.
Du stirbst im Bild, doch wird Dich wecken
Zur Meisterschaft der Bruderkuss,
Entsteigend aus des Grabes Schrecken,
Winkt Dir der himmlischste Genuss:
„Als Meister liegt zu Deinen Füssen
„Der Erdentraum, den Du durchlebt,
„Du schreitest auf den Silberfliessen
„Des Tempels, der sich stolz erhebt,
„Der Dir als „Meister“ offen steht,
„Des Tempels der Humanität!“
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83
Das manrerische TJrteiL
Von Br A. Gündel.
Einer der Begriffe, deren wir uns im Leben
oft und in verschiedene^ Anwendung und Zu¬
sammensetzung bedienen, ist der Begriff: Urteil.
Der Sachverständige hat sein Urteil abzugeben,
dem Verbrecher wird das Urteil gesprochen, da
beurteilt mancher Dinge, die er gar nicht kennt,
da kommt ein anderer vor lauter Vorurteilen
zu keiner richtigen Wertschätzung der Verhält¬
nisse, da verurteilt ein dritter lieblos und
kalt die Handlungsweise eines Mitmenschen,
ohne vorher etwaige Entschuldigungsgründe
einer wohlwollenden Erwägung unterzogen zu
haben.
Was ist aber das Urteil? Je^er Gegen¬
stand, der uns einmal unter die Augen gekom¬
men und von uns empfunden und wahrgenommen
worden ist, hinterlässt in unserem Geiste ein
Bild von sich, und dieses Bild eines abwesen¬
den Gegenstandes nennen wir Vorstellung. Bin
ich mir der einzelnen Merkmale eines Gegen¬
standes klar bewusst, so habe ich einen Begriff
von demselben. Wenn ich nun zwei Begriffe
miteinander verbinde und von irgend einem
Gegenstände eine Aussage mache, oder dem¬
selben eine Eigenschaft oder Thätigkeit zu- oder
abspreche, so entsteht sprachlich ein Satz, logisch
ein Urteil. Natürlich kann ich auch mehrere
Begriffe zu Urteilen verbinden, wie ich auch
aus zwei gegebenen Urteilen ein drittes neu kon¬
struieren und einen logischen Schluss zustande
bringen kann. Das Urteil an sich ist etwas
rein Seelisches. Als körperliche Substrate,
nehmen die Physiologen für jede Vorstellung
eine Ganglienzelle des Zentralsystems an. Aus
der Verbindung und Korrespondenz einzelner
Zellen durch ganz feine Nervenfäserchen ent¬
stehe auch eine Verknüpfung der Vorstellungen
zu Begriffen und der Begriffe zu Urteilen. Wie
wir uns diese Umsetzung des körperlichen Vor¬
gangs in das psychische Korrelat zu denken haben,
darüber schweigen sich auch die berufensten Fach¬
gelehrten aus und einer von ihnen sagt es in
seinem Werke frei und offen heraus: ,Selbst
wenn ein Engel vom Himmel hemiederstiege,
um uns darüber aufzuklären, unser Verstand
wäre gar nicht fähig, es zu begreifen.*
Als psychisches Produkt ist das Urteil
zunächst etwas Inneres, ein Gedanke, auf den
uns das Denken gebracht hat, denn es muss
untersucht werden, ob ein Prädikat einem Sub¬
jekte zukommt oder nicht. Der Gedanke aber
wird veräusserlicht, wenn ich ihn ausspreche,
niederschreibe, oder durch mein Handeln der
Aussenwelt mein Inneres preisgebe.
Sei nun die Sprache eine stumme oder
laute, immer wird von ihr aus der Schluss auf
die Gedanken und Urteile, wie überhaupt auf
das Innere eines Menschen gemacht werden
müssen, und der Wert der Aussagen wird in
erster Linie darnach bemessen werden, ob diese
mit der Wahrnehmung des wirklichen Sach¬
verhaltes übereinstimmen oder nicht, ob also
das Urteil wahr oder falsch ist. Im letzten
Falle unterscheiden wir wieder zwei Möglich¬
keiten. Entweder ist der ausgesprochene Satz
eine absichtliche Entstellung der Wahrheit, oder
das falsche Urteil ist die Folge einer oberfläch¬
lichen, ungenügenden Kenntnis der zu verknüpfen¬
den Dinge und ihrer Merkmale.' Für das Urteil
über den Nächsten, und auf dieses werde ich
in meinen Ausführungen speziell Bezug nehmen,
kommt noch ein dritter Punkt in Frage:
das sympathetische Gefühl, die Anteilnahme an
dem Schicksal des Bruders. Bei aller Wahr¬
haftigkeit und wahren Erfassung der Sachlage
soll der Urteilende auch das Herz zu Rechte
kommen und selbst bei einer Verurteilung die
Liebe in sich wirken lassen.
Darum haben wir, m. 1. Br, und beson¬
ders wir Mit, bei unseren Urteilen immer ein
dreifaches im Auge zu behalten: 1., dass wir
unserer Kenntnis entsprechend urteilen, 2., dass
wir nur auf Grund genügender Einsicht ur¬
teilen und 8., dass wir immer urteilen mit
Rücksicht auf die menschlichen Schwächen,
von denen auch wir nicht frei sind; kurz,
unser Urteil muss wahrhaftig, verständig und
liebevoll sein.
Die moralische Wertschätzung nach der
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84
Wahrhaftigkeit unseres Urteils vergleicht den
inneren Menschen mit dem äusseren, und das
Übel, das sie bekämpft, ist die*Lüge, die ab¬
sichtliche Übergehung der Wahrheit, eine sprach¬
liche Verknüpfung zweier Begriffe, von deren
Nichtzusammengehörigkeit man innerlich über¬
zeugt ist. Aber:
„0 weh der Lüge, sie befreiet nicht
Wie jedes andre wahrgesprochene Wort
Die Brust; sie macht uns nicht getrost, sie
ängstigt
Den, der sie heimlich schmiedet und sie kehrt.
Ein losgedrückter Pfeil, von einem Gotte
Gewendet und versagend sich zurück
Und trifft den Schützen.“
Und doch, m. 1. Br, wie so oft entfährt
einem wissentlich ein Wort, das sich mit dem
wirklichen Sachverhalt nicht so recht deckt, sei
es eine gelinde Übertreibung oder Übergehung
in dem Berichte über eine Person oder Sache,
um deren Vorzüge oder Mängel hervorzuheben
oder abzuschwächen, sei es in der Form der
bei uns Hausrecht besitzenden konventionellen
Lüge, deren Anwendung zu der sozialen Stel¬
lung eines Menschen im Verhältnis zu stehen
scheint und die leider auch in unseren stillen
Hallen hie und da sich breit macht, sei es in
Form der so beliebten Notlüge, mit der Ge¬
schäftsleute gern ihre Kunden vertrösten, Eltern
ihren Kindern auf vorlaute Fragen aus dem
Wege gehen, Ehegatten vor einander Über¬
raschungen, unliebsame Vorkommnisse etc. ver¬
heimlichen.
Gewiss scheint es, als könnten wir manchmal,
wenn wir nicht als Säulenheilige eine Welt für uns
allein bilden, sondern als Mensch unter Menschen
uns bewegen wollen, von der oder jener kleinen
Divergenz zwischen Reden und Denken nicht ab-
sehen. Wie oft z. B. helfen wir uns nicht mit einer
leeren, vielleicht auch falschen Ausflucht über die
Verlegenheit hinweg, in die uns müssige und un¬
berufene Neugierde nach unsem innersten Ge¬
heimnissen bringt. Wir meinen das leicht thun
zu können, da diese Ausflucht dem Nächsten ohne
direkten Nachteil bleibt höchstens in ihm das
Unliistgefühl unbefriedigter Neugier erweckt.
Aber für uns selbst birgt es doch eine grosse
Gefahr in sich. Lüge bleibt Lüge, und das
verlegene; ,Ich weiss nicht“, bei dem Gedanken
an das Gegenteil, bedeutet ebenso eine Abwei¬
chung von der Wahrheit, wie jene dreiste Ver¬
stellung der Thatsachen, die nach der Schlacht
bei Waterloo den Ruf und das Vermögen einer
der bekanntesten Weltfirmen begründet haben
soll. Es bedarf dann der ganzen Intelligenz
und Energie eines sittlichen Charakters, das
Wesentliche vom Unwesentlichen zu sondern
und da, wo der Gegenstand über den Rahmen
nebensächlicher Dinge hinauszugehen droht, einen
Riegel vorzuschieben und der Lüge, sei sie noch
so bequem oder lohnend, den Eintritt in Mund
und Herz zu verwehren. Aus Kleinem wird
Grosses, und die Gewöhnung ist ein mächtiger
Erziehungsfaktor, und so mancher durch die
Not-, Konvenienz-, Geschäfts- und andere Lüge
an die Unwahrheit gewöhnt, der legt einmal
auch dann seine Worte nicht auf die Gold wage,
wenn er von Gottes- und Rechtswegen die Wahr¬
heit zu sagen sich hätte verpflichtet fühlen
müssen. Das hat auch der allweise Gesetzgeber
vorgesehen und darum einfach die Lüge in jeg¬
licher Gewandung verboten und die Forde-
r'ing ganz generell formuliert: ,Du sollst nicht
lügen “.
Nichts aber am Menschen zieht das er¬
habene Ebenbild Gottes mehr in den Staub, als
die Unwahrhaftigkeit. Ist es doch, als söhnte
uns das offene Geständnis eines Unglücklichen,
mag sein Verbrechen noch so verwerflich, das
Motiv seines Handelns noch so unsittlich sein,
auf halbem Wege mit ihm aus, und das Ver¬
langen nach Vergeltung und Sühne der bösen
That macht mehr und mehr einem Gefühle des
Mitleides und Bedauerns in unserem Herzen
Platz. Wir suchen Milderungsgründe und freuen
uns, wenn solche vor dem Forum des Richters
als zu Recht bestehend anerkannt werden.
Ebenso lassen wir das, seine Fehler reumütig
bekennende Kind am liebsten straflos ausgehen.
Bringt uns dahingegen schon die Widerspenstig¬
keit des dickköpfigen kleinen Leugners in den
Harnisch, so widert uns geradezu der erwachsene
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Feigling an, der zur gemeinen Lüge greift, um
seiner Beurteilung anderen Boden zu geben und
die Verantwortlichkeit für das eigene Thun von
sich womöglich auf andere abzuwälzen. Ebenso
meiden wir den charakterlosen Schwächling, der
um des äusseren Vorteils willen die Gunst der
Mächtigeren und der Menge sucht, deren Wün¬
schen seine Ansicht opfert und hier den und
dort jenen Glauben bekennt; den geriebenen
Gauner, der aus gleichen Gründen aus einer
Fiktion in die andere fällt, heute die und morgen
jene Schwindelei zum besten giebt und damit
direkt die Brücke schlägt vom Lügen zum
Trügen; den Narren und Prahlhans, der mit
seiner Schlauheit, Kraft, Beliebtheit und wie
die guten Eigenschaften alle heissen mögen, die
Welt aus den Angeln heben könnte, wenn er
nur wollte, der seine Münchhausiaden mit Em¬
phase und Pathos über vier Tische hinweg er¬
klingen lässt und dadurch schon genügend doku¬
mentiert, wes Geistes Kind er ist.
Mit Stolz und Freude dagegen erhebt es
die Menschenbrust, wenn im Geschäfts- oder
geselligen Verkehre ruhig und besonnen der
einzelne nur redet, was er verantworten und
thatsächlich begründen kann und will, wenn ein
Odoardo, der Mörder seines Kindes, sich selbst
den Gerichten ausliefert, um Sühne für seine
That zu fordern, wenn im Gegensätze zu jenem
pharisäischen Otterngezüchte der Heuchler und
Schmeichler gewöhnliche Sterbliche, kaum vom
Drucke der Folter frei, despotischen Macht¬
habern ihr donnerndes: »Und sie bewegt sich
doch* entgegenschleudem, oder mit der ganzen
sittlichen Kraft freigewonnener Überzeugung,
mit dem wahren Männerstolze vor Königsthronen
einem versammelten Reichstage von Welt- und
Kirchenfürsten fest und bestimmt erklären: .Hier
stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe
mir! Amen*.
Um aber ein falsches Urteil auszusprechen,
bedarf es nicht immer der absichtlichen Lüge.
Oft fehlt zu nchtiger Beurteilung die nötige
Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse. Urteilt
aber jemand vor der gehörigen Orientierung,
so ist das Urteil ein Vorurteil. Ganz gleich
ist hierbei, aus welchem Grunde die vernünftige
Einscht fehlt. Mag es Mangel an Befähigung
sein, wie bei Unmündigen, die einfach thun und
sagen, was ihnen befohlen wird, mag böser
Wille in Frage kommen, der sich etwaigen
klärenden .Momenten grundsätzlich verschliessL
mögen tyrannische Autoritäten verlangen, ihr
Glaubensbekenntnis in blindem Gehorsam nach¬
zubeten, und jede selbständige Meinung und
Forschung als eine Verletzung des Chorgeistes
des Parteiprogrammes oder der Ordensregel bei
Strafe unterdrücken, das alles kann höchstens
einen Massstab an die Entschuldbarkeit falscher
Urteile legen, den Wert derselben an sich be¬
einträchtigt es nicht. Und welcher Wert einem
solchen Vorurteile beigemessen werden kann,
ersehen wir aus der ganzen Art des Zustande¬
kommens. Infolge der sich in ihm offenbaren¬
den geistigen Unreife muss es mit der Wirklich¬
keit in Konflikt geraten, und was dann bei der
Lüge absichtlich geschieht, erfolgt hier unab¬
sichtlich. Nichtsdestoweniger ist der Schaden
für den Nächsten, über den vorgeurteilt wird,
ebensogross, wie für den, der belogen wird, wenn
nicht noch grösser.
Leider aber, m. 1. Br, ist das Vorurteil
eine Erscheinung, die wir tagtäglich und, wenn
wir ehrlich sein wollen, auch an uns beobachten
können. Wir werden z. B. in einer Angelegen¬
heit um Rat gefragt und in der ersten Auf¬
wallung und im Übereifer, uns dem Fragenden
gefällig zu erweisen, üben wir Kritik an einer
dritten Person, ohne uns durch Luthers Wort:
„Eines Mannes Red ist keines Mannes Red, man
muss sie hören alle beed* vorher zu einer An¬
hörung der gegnerischen Gründe verstanden zu
haben. Besonders unterstützt wird dieses vor¬
schnelle Urteilen dann, wenn die Aussagen
anderer Personen unsere eigene, vorgefasste Mei¬
nung zu bestätigen scheinen. Oft genug wird
auch das, was man durch Hörensagen vernom¬
men, aber selbst nicht erlebt hat, als direkter
Beweis mit herangezogen. Man vergisst aber
bei dieser Art zu urteilen, dass der liebe Leu¬
mund oft aus der Mücke einen Elefanten macht.
Will man sich nun bei der Deduktion auf diesen
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86
stützen, so sinkt er in seine eigenste Gestalt
zurück, man kommt schliesslich selbst zu Falle
und hat die Lacher auf seiner Seite. Wie so
oft, m. 1. Br, hören wir im Leben läuten und
wissen doch nicht, wo die Glocken hängen; aber
der Vorgang an sich genügt uns, um ihn dem
nächststehenden Turme zuzuschreiben. Wir ver¬
nehmen aus der Mitte von Männern heraus eine
Äusserung und machen nun die Allgemeinheit
für den einzelnen verantwoiilich, obwohl die¬
selbe sich bei der fraglichen Äusserung des
Betreffenden ebenso in ihrem Empfinden ge¬
kränkt fühlt, wie wir selbst. Oder es teilt
uns ein Br über einen bestimmten Gegenstand
seine, von uns wohl gar provozierte Ansicht
mit und wir folgern, ohne ihn selbst weiter zu
hören, nach unserm eigenen Ermessen und Be¬
lieben: Wer hier so denkt, muss da so denken,
weil die Möglichkeit, es zu thun, vorhanden ist.
Auf Grund unsrer Kombinationen bilden wir uns
nun ein Urteil über den Nächsten, das wohl
die Wahrscheinlichkeit, aber keineswegs die Wahr¬
heit für sich hat Oder: Auf Grund besonderer
Verhältnisse, die wir nachzuerleben oft gar nicht
in der Lage sind, hat ein Br sich seine An¬
schauungen und Überzeugungen geschaffen. Diese
widersprechen den unseren vielleicht direkt. Da
brechen wir nun über den Ärmsten einfach den
Stab und bedenken nicht, dass die Wahrheit,
nach der auch jener mit ebensolchem Eifer, wie
wir, strebt, als ein teilweise relativer Begriff
dem Wandel der Zeiten ebenso unterliegt, wie
z. B. die verschiedenen Arzneimittel, mit denen
man heute die und morgen jene Krankheit zu
heben versucht.
Und hier ist der Ort, wo das blosse, auf
oberflächlicher Kenntnis beruhende Voruiieilen
dem kalten, lieblosen Verurteilen die Hand
reicht. „Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende,
was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt.*
Wie so oft, m. 1. Br, führt uns das Leben an
eine Wahrnehmung dieser unvergleichlichen Göthe-
schen Weisheit. Der Andersgesinnte muss schad¬
los, womöglich mundtot gemacht werden, was sich
in den Weg stellt, hat keine Existenzberechti¬
gung, es verdient nicht gehört, sondern nur
verfolgt zu werden. Und doch, m. 1, Br, wer
bürgt uns dafür, dass die heute noch von der
Allgemeinheit und uns vertretenen Ansichten
nicht in einigen Jahren auf die Anhängerschaft
weniger beschränkt sind, und wir dann, wenn
wir mittlerweile nicht anderen Sinnes wurden,
mit ebensoviel Recht Anspruch auf Anerkennung
unserer Ideen verlangen, wie sie jetzt die nu¬
merisch schwächeren Gegner von uns zu fordern
wohl berechtigt sind. „Nicht Stimmenmehrheit
ist des Rechtes Probe.“ Gehen wir erst, bevor
wir urteilen und verurteilen dem Andersdenken¬
den in die Werkstatt seines Geistes nach, viel¬
leicht machen wir dann gar die Wahrnehmung,
dass wir gegen ihn im Rückstände sind, weil
uns der Zufall der Geburt in Verhältnisse ge¬
legt hat, die uns bequem dünken und uns daher
genug erscheinen, während jener, auf dem Er¬
erbten fussend, vorwärts zu schreiten trachtet,
zu seinem und der Menschheit Vorteil. Möge
der Fortschritt sich nun auf dem Wege obrig¬
keitlicher Duldung vollziehen, möge er neue,
bisher unbegangene, von uns selbst bekämpfte
Bahnen sich suchen, wir wollen, und zumal wir
Mr, unser Herz auch dem unsrer Ansicht nach
Irrenden Öffnen, mit der Sache nicht die Person
verwerfen, sondern Schonung,Duldung,Liebe üben:
Einst wird es sich ja zeigen, wer Recht behält.
Unduldsam und vorschnell im Verurteilen
sind wir oft Personen gegenüber, die, durch Be¬
rufs- und Altersgrenzen von uns geti'ennt, sich
ihren Verhältnissen nach um andere Dinge
zu bekümmern haben, als dass uns ihr Rat
oder ihre Warnung scheinbar von besonderem
Werte sein könnten. Mit dem verächtlichen:
„Was verstehen Sie davon,“ weist der Geschäfts¬
mann den Beamten, der Gelehrte den Hand¬
werker, der Offizier den Zivilisten zurück, ohne
dabei zu bedenken, dass das Urteil des Unpar¬
teiischen viel objektiver und daher auch einmal
weitgehender, als das des direkten Interessenden
ausfallen kann und dass, wie Bürger in seinem
„Kaiser und Abt“ so treffend nach weist, das
einfältig kindliche Gemüt oft eher da des Rät¬
sels Lösung findet, wo der Verstand des Ver¬
ständigen blind geblieben ist.
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87
Den Greis, der wohl nicht mit Unrecht
manchmal das Amt eines Sittenpredigers ver¬
sieht, hält man einfach für unfähig, die Jetzt¬
zeit mit ihren Aufgaben und Anforderungen zu
verstehen, sein Wirken und Wollen hat das ge¬
steckte Ziel erreicht, nun hat der Mann seine
Schuldigkeit gethan und kann gehen; den Jüng¬
ling, der freilich oft mit der Jugend Feuereifer den
Himmel stürmen zu können glaubt, den schliesst
man aus, da, wo Männer tagen; mit höhnischen Be¬
merkungen wird seine Meinungsäusserung, ohne
geprüft zu sein, zurückgewiesen. Und doch hat
vielleicht gerade dieser ebenso einen freieren
Blick, weil seine Hoffnungen noch nicht durch
das Sieb der Enttäuschungen gegangen sind und
ihm nicht allerlei berechtigte und unberechtigte
Eventualitäten die Aussicht versperren, wie jener,
der Greis, aus dem reichen Schatze seiner Er¬
fahrungen zu schöpfen und die Vergangenheit
auf die Gegenwart anzuwenden imstande ist,
nach der oft belächelten Regel Ben Akibas: Es
ist schon alles einmal dagewesen.
Dem Sonderling, der durch sein Beispiel
und seiue Lehre oft dem Spotte und Gerede
der Ijeute Vorschub leistet, kehren wir mit mit¬
leidigem Achselzucken den Rücken; und doch
hat vielleicht seine Theorie, ehe sie ihre extreme
Spitze erreicht, so manchen Anginflfspunkt, an
dem eingesetzt werden könnte, um Missständen
abzuhelfen und Wandel zum Bessern zu schaffen.
Den Br, den das Schwert der Obrigkeit
getroffen hat, weisen wir von uns, und bei dem
geringsten Anlasse, bei einer leichten Meinungs¬
verschiedenheit, bei einem eigenmächtigen Schritte,
bei aussergewöhnlichem Erfolge ist die Gesell¬
schaft geneigt, auf das längst verblichene Kains¬
zeichen auf seiner Stirn aufmerksam zu machen
und ihm edlere Motive für sein Thun und
Treiben abzustreiten. Und doch, m. 1. Br, wie
braucht gerade der Mann unsere Hilfe, wie
nötig ist es, gerade ihn wieder an uns zu ge¬
wöhnen, damit er nicht sich seihst überlassen
bleibt, sondern durch Verkehr mit andern den
Weg der Ordnung und Sitte wiederfinden und
gehen lernt, ganz abgesehen davon, dass die
öffentliche Meinung und leider manchmal auch
der Richter, ihr „Schuldig'^ an der falschen
Stelle sprechen.
Den Feind betrachten wir gern als die
Quelle jedes uns zugefügten Schadens, und alles,
was ihm seine Entstehung verdankt, wird sehr
oft mit allen Mitteln, die blinder Hass und
jäher Zorn nur zu reichlich zur Verfügung
stellen, bekämpft. In jeder That wird eine
Hinterlist und unedle Gesinnung gewittert. Der
Sturm der Leidenschaft gestattet keine ruhige
Überlegung; und doch wird gerade er, unser
Feind, um Göthes Bild zu gebrauchen, oft zum
Felsen, an dem wir uns vor dem Tode des
Ertrinkens retten können, wenn unser Schifflein
durch allzuheftigen Anprall mit ihm dem Unter¬
gänge anheimgegeben ist.
Freilich, m. 1. Br, liefert uns das Leben
täglich Fälle, wo nicht nur ein Urteil gesprochen^
sondern wo sogar eine Verurteilung erfolgen
muss. Aber es ist nicht unsere, der Mr Sache,
zu verurteilen. Überlassen wir das ruhig den
vom Staate dazu bestellten Organen, vielleicht
gar dem höchsten Richter. Die ausgleichende
Gerechtigkeit des ewigen B. a. W, wird Wohl
und Wehe an seinem Urheber schon zu ver¬
gelten wissen, wenn auch unserem kurzsichtigen
Auge die Art und Weise dieses Ausgleiches oft
verborgen bleibt.
Wo wir aber urteilen müssen, z. B. in
Dingen, bei denen es sich um Rechtsprechung
innerhalb der vier Wände unseres. Tempels
im speziellen und der Mrei im allgemeinen
handelt, da geschehe es mit Bedacht, und nicht
ohne uns vorher in die Sachlage eingelebt und
die Gründe für und wider reiflich erwogen zu
haben. Da geschehe es ferner in Liebe, und
nicht ohne die nötige Rücksicht auf die Unvoll¬
kommenheit alles Irdischen, die auch uns das
Wort des grossen Nazareners in das Gedächtnis
zurückvuft: »Wer von uns ohne Fehler ist, der
werfe den ersten Stein auf die SünderinDa
geschehe es lediglich zu dem Zwecke, den Br
durch unser Urteil zur Erkenntnis seines fal¬
schen Thun und Denkens zu bringen, und nicht
ohne ihm den Weg zur Befolgung unserer Vor¬
schläge gewiesen und die Hand zu einer Um-
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88
kehr und Besserung gereicht zu haben. Das
ist maur Gesinnung und That, und wer so
handelt, der zeigt, dass er beim Beginne seiner
Mrbahn, dort im Präparationssaale nicht nur vor
toten Buchstaben gesessen hat, sondern dem das
kurze Wort einer der Tafeln in Fleisch und
Blut übergegangen und dem es Ernst und eine
heilige Sache ist, dassselbe im Umgänge mit
seinen Bni Wahrheit werden zu lassen, das kurze
Wort: „Richte nicht!“
In Ordnung!
Gedanken von Br J. Keller i. Nürnberg.
Gel. Brr!
Wenn wir uns in einer Loge versammelt
haben, um gemeinsam zu arbeiten, da — bei
der Eröffnung sowohl wie beim Schluss, oder
auch in der dazwischen liegenden Arbeitszeit —
hören wir den Ruf des Mstrs v. St.: „I. 0.!“
Was soll und was kann dieser Ruf be¬
deuten? Wohl soll derselbe zunächst eine Auf¬
forderung sein, unseren Körper in eine nach
allgemeinen Begriffen achtungsvolle Stellung zu
bringen, um die Vornahme uns allen bedeutungs¬
voll erscheinender Handlungen entsprechend zu
ehren. Müssen wir aber diesen Ruf einzig und
allein als eine solche Aufforderung betrachten?
Können und sollen wir uns nicht noch etwas
anderes und Tieferes dabei denken, wenn der
Ruf „I. 0. m. Brr!“ von des S. E. Mstrs
Lippen tönt?
Aber welche andere und tiefere Bedeutung
können und sollen wir diesem Rufe beilegen?
Sie wissen ja, m. Brr, dass alle Symbole
und ritualmässigen Handlungen der Frmrei einen
tiefen Sinn haben. Sie wissen aber auch, dass,
so tief der Sinn dem Blick zuerst erscheinen
mag, er doch klar und leicht verständlich wird
einem einfältigen und reinen Herzen. Es gilt
also nur, um den so tief erscheinenden Sinn
dieser frmr Symbole und der damit verbundenen
Handlungen richtig erfassen zu können, dass
wir unsere Herzen rein zu machen suchen; denn
je reiner wir unsere Herzen machen, desto tiefer
werden wir in die Geheimnisse der Frmrei ein-
dringen — das heisst, desto klarer wird es
uns werden, dass wir es eigentlich in der Frmrei
mit Geheimnissen im gewöhnlichen Sinne des
Wortes gar nicht zu thun haben, und dass das,
was dieselbe in diesem Sinne Geheimnisvolles hat
und immer haben wird, ja haben muss, nur zu ihrer
vor den neugierigen Blicken der Welt schützen¬
den Hülle, nicht aber zu ihrem Wesen gehört.
Wenn es nun, um das Wesen, den eigent¬
lichen tiefinnersten Kern der Frmrei uns in
voller Klarheit entgegenstrahlen zu lassen, gilt,
unsere Herzen zu reinigen, also „Ordnung“
in unserem Innern zu schaffen — eine Ord¬
nung, ohne welche wir der Frmrei gegenüber,
selbst in ihren Hallen, verständnislos bleiben
würden und ohne welche für uns die ganze
k. K. überhaupt wertlos bleiben müsste —
brauchen wir dann noch lange nach einer tieferen
Bedeutung, welche wir dem Ruf beilegen können,
zu suchen?
M. Brr! Sollten wir des S. E. Mstrs Ruf
„I. 0.!“ neben der zunächst äusserlichen Be¬
deutung nicht für uns auch eine ernste Mah¬
nung sein lassen? Sollte bei diesem Ruf uns
nicht zugleich die Frage durchzittern: Hast
du denn in deinem Herzen und in deiner Seele
schon alles in Ordnung gebracht? Wacht oder
schlummert kein unedler Gedanke mehr in dir?
Hast du dein Inneres mit all deiner geistigen
Kraft von allen Schlacken gereinigt, also dass
du mit Freuden aufzuschauen vermagst? Hast
du den Kampf, zu dem die Aussenwelt dich
aufgefordert, in dir zu einem für dich siegreichen
Ende geführt, zu einem Ende, auf das du mit
ruhigem Gewissen blicken kannst? — Ach, so
lange der Mensch lebt, hat er zu kämpfen und
zu wachen, dass er nicht von neuem überrascht
werde; überall lauern und drohen Anfechtungen,
und wir können nur dankbar sein, wenn wir
hie und da durch einen solchen Ruf daran er¬
innert werden, dass es gilt, die in uns wohnende
sittliche Kraft in ununterbrochener Thätigkeit
zu erhalten.
Wohlan, m. Brr, lassen wir uns diesen Ruf
neben seiner einfacheren und zunächst liegenden
Bedeutung auch eine ernstere Mahnung sein, so
oft wir ihn in der Loge hören, eine Mahnung,
dafür zu soi'gen, dass es immer reiner und klarer
in uns werde und es vollkommen Ordnung sei
in unserem Herzen, wenn wir — früher oder
später — von dem a. B. a. W. berufen werden,
einzugehen in den e. 0., in seinen heiligen
Tempel der Ewigkeit!
Merksteine
auf dem Wege des Lebens
-Mk. 1,80 gab.-
Zur Harmonie des Lebens
- Mk. 1,50 o«b.-
Br Ph. L. Jang, naaehea TU.
Druck und Verlag von Br Bruno Zeohel in Lolpzig.
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Am ßeissbrette.
Handschriftliche Mittheilungen aus den unabhängigen Logen
Minerva zu den drei Palmen in Leipzig, Balduin zur Linde in Leipzig, Archimedes zu
den drei Reissbretern in Altenburg, Archimedes zum ewigen Bunde in Gera und Karl zum
Rautenkranz in Hildburgbausen.
Für Brr Freimaurer-Meister.
Dezember
1896.
23. Jahrgang.
No. 12.
Begründet von Br Marbach. Fortgeführt von Br Fuchs.
Schriftleiter: Br Dr. A. Gttiidel, Leipzig-Reudnitz.
Das Blatt wird vorzugsweise Beitrilgo bringen, die in den Logenversammlungen eines der drei Grade
gehalten worden sind, sowie geschäftliche Mittheilungen in Angelegenheiten der Geschäftsstelle für
den Austausch der Logenlisten. Allen an dieser unter Leitung der Loge Balduin zur Linde stehenden
Geschäftsstelle betheiligten Logen wird das Blatt unentgeltlich zugeschickt. Einzelne Brr Meister, welche als
solche sich legitimirt. haben, können auf das allmonatlich erscheinende Blatt mit jährlich 8 Mark abonniren
und erhalten es dann unter ihrer Adresse frei durch die Post zugeschickt. — Inserate werden nur auf¬
genommen, wenn sie in directer Beziehung zur Frmrei stehen, und gegen eine Insertionsgebühr von
25 Pfennigen für die gespaltene Petit-Zeile.
Inhalt: Über die Sehnsucht nach dem Jenseits. — Johann HeinriohVoss. — Zurufe Mbc. — SinnsprUche.
— liittorarisohes. — Mitteilungen von der Oesohftftsstelle für den Austausch der Logenlisten.
— Anzeigen.
Über die Sehnsucht nach dem Jenseits.
Ansprache in der Meisterloge von Br. Kilian.
Die k. K. will im 8. Grade ihre Jünger
auf den Tod vorbereiten, sie ausrüsten mit Kraft
und Mut, dem letzten Feinde sonder Furcht
und Graun ins Auge zu sehn, ihn verschlingen
zu helfen in den Sieg. Bestelle Dein Haus und
lerne sterben: Das ist der Lebensweisheit letzter
Schluss. Unser grosses Licht, die heilige Schrift,
bezeichnet den Gedanken an den Tod als Klug¬
heit, und daran kann auch die Meinung der
Weltmenschen: er sei eine Thorheit, nichts
ändern.
Freilich ist es Pflicht des freien Mannes,
zu arbeiten und zu schaffen, solange es Tag ist;
gewiss wird es ihm niemand verargen, wenn er
auch den Becher unschuldiger Freude zur Lippe
führt; aber sollten bei alledem nicht auch
Stunden kommen, wo er der Nacht gedenkt, die
einst dem Tage bestimmt folgt?
Todesgedanken und Todesahnungen — sie
beherrschen und verzehren leider den von Welt¬
schmerz und Weltverachtung ergriffenen Men¬
schen; Todesgedanken und Todesahnungen — sie
sollten zuweilen auch einziehen in das Herz
jedes gesunden Menschen; er würde dann frei
bleiben wie von epikureischem Lebensgenuss so
von stoischer Welt Verachtung, er würde Arbeit
und Genuss erst recht schätzen und so das
ganze Leben erst richtig würdigen lernen.
Es ist ein alter Gedanke, dass das irdische
Leben bloss eine Wanderschaft, der Mensch
hienieden nur ein Pilgrim sei, der sein eigent¬
liches Ziel im Jenseits, seine wahre Heimat erst
in der Ewigkeit habe. Und wie es den Erden¬
pilger, namentlich wenn er älter wird, mit All¬
gewalt nach seiner Heimat, nach der trauten
Stätte zieht, wo er der Jugend selge Zeit ge¬
noss, so sehnt das Menschenherz sich aus dem
öden Weltgetümmel hinüber zur Ruhe der Ewig¬
keit, aus den Stürmen dieses klippenreichen
Lebens hinein in den stillen Hafen der Selig¬
keit. Denn, wie schon ein alter Schriftsteller
sagt, des Menschen Herz ist ruhelos, bis dass
ruht in Gott, eine Wahrheit, die gewiss auch
mancher von uns in Stunden stiller Sammlung
an sich erfahren hat. Frage den Mann der
Arbeit, der rastlos schafft und ganz in seinem
Berufe aufzugehen scheint; frage ferner den
Weltmenschen, der von einer Freude zur andern
taumelt und im Genüsse verschmachtet vor
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Begierde; frage endlich die Faustnatur, die die
Tiefen der Wissenschaft ergründen will und zu
erforschen sucht, was die Welt im Innersten
zusammenhält; ob sie nicht alle in manchen
Augenblicken das Gefühl der Sehnsucht nach
etwas Besserem, Beständigerem durchzieht, ob
ihr gequältes Herz nicht ergriffen wird von
Heimweh nach der Ewigkeit. Des Menschen
Herz, es gleicht dem Bache, der auch zur Zeit
des Abendfriedens noch rastlos dahinbraust, und
dem nur ein Gott die wahre Abendruhe gehen
kann.
Dieses Gefühl der Sehnsucht nach dem
Jenseits, dies Heimweh nach der Ewigkeit —
spricht es nicht aus den gewaltigen, himmel-
anstrehenden Säulenhallen unsrer Dome, ringt
es sich nicht empor aus den herzergreifenden
Chören mancher Oratorien, klingt es uns nicht
entgegen aus tiefempfundenen Worten unserer
Dichter?
Kündet es uns aber nicht auch unsre grosse
Lehrmeisterin, die Natur? Blicken wir jetzt
hinaus auf die herbstliche Landschaft: Die letzte
Rose im Garten, der Herbstwind, der die Bäume
schüttelt, das welke Laub, das zu unsern Füssen
niederrieselt — erwecken sie nicht in uns das
Gefühl der Wehmut über die Vergänglichkeit
alles Irdischen, erfüllen sie aber nicht zugleich
auch unser Herz mit der festen Hoffnung auf
das Bleibende im Jenseits und mit einem un¬
nennbaren Heimweh nach der Ewigkeit? Ja, keine
Jahreszeit stimmt so sehr zu Todesbetrachtungen,
wie der Herbst, keine eignet sich darum auch
besser zu Meisterlogen, als sie. Der Herbst kommt
und ein Blatt nach dem andern fällt ab. Der Herbst
kommt auch für dich, o Mensch, und seine Stürme
können auch dich wegfegen. Haben wir das
nicht auch in unsrer geliebten Loge erfahren,
die der rauhe Herbstwind schon so mancher
Blätter beraubt hat? Wer kann wissen, welchen
von uns der Sturm des Lebens erfasst und ob
er dann nicht auch abfällt wie ein welkes Blatt!
Ist doch alles Fleisch wie Gras und alle Herr¬
lichkeit des Menschen wie des Grases Blume!
Wenn der Wind darüber gehet, so ist sie nimmer
da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.
Eine sinnige Betrachtung der herbstlichen
Natur mit ihrer Vergänglichkeit und ihrem
Wechsel erweckt aber nicht nur im Beobachter
das Gefühl der Sehnsucht nach dem Bleibenden
und Unvergänglichen, die ganze Natur scheint
unter dem Banne dieser Sehnsucht zu liegen
und zu seufzen. Wie ein Schlafender , lebend
ohne Leben, ein Toter ohne Tod zu sein scheint,
so schläft auch die Natur, gebannt in ihren
Kreisen; aus dem Traum in dunkeln Weisen
redet ihre Sehnsucht nur“. Spricht doch auch
die heilige Schrift von dem ängstlichen Harren
der Kreatur, die sich sehnet mit uns und sich
noch immerdar ängstigt, die aber auch einst
frei werden wird von dem Dienste des vergäng¬
lichen Wesens und gelangen soll zu der herr¬
lichen Freiheit der Kinder Gottes.
Freilich ist dieses Sehnen in der Natur dem
blöden Auge des nüchternen Verstandesmenschen
nicht ohne weiteres erkennbar und auch der
Lupe oder dem Messer des Forschers hält es
nicht Stand; aber der mit tiefem Gemüt be¬
gabte Dichter fühlt und erkennt es. Verköi*pem
es nicht die Millionen von Keimen, die aus der
Nacht des Erdbodens zum ewigen Lichte drängen ?
Zwingt es nicht den Quell auch durch das
härteste Gestein empor? Blickt dieses stumme
Sehnen dich nicht an aus dem milden Auge der
Blumen, von denen manche noch im besondern —
zu verschiedener Tageszeit verschieden — ihr
Antlitz nach der Sonne wenden? Klingt es dir
nicht in lauer Maiennacht entgegen aus dem
wundersamen, schmelzenden Gesang der Nach¬
tigall und lässt es nicht den Falter in der Puppe
sein Gefängnis sprengen? Vernehmen wir, meine
Brr, wie ein echter Dichter, Emanuel Geibel, der
Natur „das Geheimnis der Sehnsucht“ abge¬
lauscht hat:
Nun wandelt von den Bergen sacht
Zum See herab die Sommernacht,
Und träumerisch mit heissem Sinn
Durch ihre Schatten schreit ich hin.
Berauschend schwimmt im Strom der Luft.
Daher der Rebenblüte Duft,
Der Glühwurm webt die lichte Bahn
Im Dunkel an des Turms Gemäuer,
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Und droben glühn mit tiefem Feuer
Die Sterne rätselhaft mich an.
Dies ist die Stande, da das Lied
Der Sehnsucht durch die Lüfte zieht,
Die tief in Wald, Gestein und Flur
Der Kern ist aller Kreatur:
Der Sehnsucht, die durch Felsen dicht
Den Quell emporzwingt an das Licht,
Die nach dem Himmel aus dem Wald
Mit tausend grünen Armen greift,
Aus hartem Stein als Echo hallt.
Im irren Wind die Welt uraschweift.
Die aus der Nachtigallen Kehle
Im Silberton hinperlend quillt.
Und aus der Blumen Auge mild
Dich anschaut mit der stummen Seele.
0 Sehnsucht, die Du wie ein Kind,
In Schlaf gelullt durch süsse Lieder,
Doch stets aufs neu erwachst und wieder
Zu weinen anbebst leis und lind,
Wie nimmst du heut mir Herz und Sinn
Mit deiner Klage ganz dahin!
Umsonst! Kein Wort, seis noch so gross,
Macht dich des tiefen Dranges los,
Den heissen Durst der Seele stillt
Kein Brunnen, der auf Erden quillt.
Darum zur Ruh, mein wild Gemüt!
Nicht alles wird hier Frucht, was blüht;
Du trägst, der Erde stummer Gast,
In dir, was nur der Himmel fasst.
Was für und für so ruhelos
Dich Dunkel treibt auf deinen Wegen,
Es ist das erste Flügelregen
Des Falters in der Puppe Schoss;
Dir selbst bewusst kaum, ist. dein Leid
Ein Heimweh nach der Ewigkeit.
Also in der Natur wie beim Menschen die
gleiche Sehnsucht, dasselbe Gefühl des Unbe¬
friedigtseins mit den gegebenen Zuständen, das¬
selbe unbestimmte Streben über sie hinaus. Ist
dieses geheime Weh, das beide durchzieht, nicht
auch ein Grund dafür, dass es den Menschen
immer und immer wieder zur Natur zieht? Selbst
der an yerfeinerten Lebensgenuss gewöhnte Gross¬
städter, wohin flüchtet er sich, wenn das hastige
Treiben der Strassen seine Nerven abgespannt
und erschlafft hat? An den Busen der Lebens¬
spenderin Natur, hinaus in die sonnendurch-
glühten Auen, hinein in die Einsamkeit des
Waldes, hinauf in die reine Luft der Berge,
wo er Leib und Seele wieder gesund badet.
Der Verkehr mit und in der Natur ist nicht
bloss ein Ergebnis vernünftiger Überlegung; er
liegt tiefer und ist recht eigentlich begründet
in der innigen Verwandtschaft zwischen Mensch
und Natur; denn beide haben einen Ursprung
und beide streben einem Ziele zu.
Sie beide sind hervorgegangen aus der
Hand eines' und desselben Gottes, beide ent¬
sprungen dem Schöpfergedanken und der all¬
umfassenden Liebe des höchsten Wesens, das
wir Frmr den A. B. a. W. nennen. Ob man
sich dasselbe als einen persönlichen Gott, ob
man es sich als der Welt innewohnend und sie
erfüllend denkt, das ist hierbei von unterge¬
ordneter Bedeutung. Der Name ist hier, wie
kaum wo anders noch, Schall und Rauch; d^nn,
wer darf ihn nennen, den Allumfasser, Aller¬
halter? Gefühl ist alles. Aber er hat sich an [uns
allen nicht unbezeugt gelassen und in ihm leben?
weben und sind wir alle, Natur und Menschen,
beide sind wir göttlichen Geschlechts. Daher
also der unbestimmte, dem Heimweh vergleich¬
bare Zug des Menschen zur Natur.
Natur und Mensch, sie haben beide auch
dasselbe Ziel, sie streben beide zu ihrem Aus¬
gangspunkte zurück. Der Mensch, gleichviel ob
er unter dem Drucke des Unglücks seufzt oder
ein Schosskind des Glückes ist, für die Sehnsucht
nach der Ewigkeithat er doch zu Zeiten Pia tz in
seinem Herzen. Und sie wird ihm und seinem
ganzen Geschlechts bleiben, bis sie sich erfüllt, bis
der Glaube zum Schauen wird und das ruhelose
Herz ruht in seinem Gott. Einst wird aber
auch der Tag kommen, da der Herr der Welt
die drückenden Fesseln der seufzenden Kreatur
lösen, ihr ängstliches Stöhnen erhören wird,
wo lebendig Leben da fliessen wird, wo bis
jetzt nur Bild und Zeichen war.
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Dann lobpreisend im Azur
Ziehn die Stern als Bruderwesen,
Und es jauchzt in Gott genesen,
Die erlöste Kreatur. Mach,
Aus dem Engbunde.
Johann Heinrich Voss.*)
Von Br F. Fuchs.
Aus dem gedrückten mecklenburgischen
Bauer nleben erhob sich Johann Heinrich
Voss mühsam aber fröhlich, ein herrlich be¬
gabter, arbeitsfroher Jüngling und Mann zu
schöner Wirksamkeit in seiner Nation. Er war
als Sohn eines armen Landmanns, der durch
den Krieg sein ganzes Vermögen verloren hatte
und sich nun von den Einkünften einer ärm¬
lichen Schulstelle nährte, den 20. Febr. 1751
zu Sommersdorf bei Waren geboren. Die wenigen
Groschen, die sich der Vater von seinem ge¬
ringen Einkommen abdarbte, verwendete er zur
Bildung des Sohnes auf der Schule zu Neu¬
brandenburg. Hier war der letztere ungemein
fleissig, nicht bloss in seinen Sprach- und andern
Studien; hier keimte auch bereits sein grosses
Dichtertalent. Verschiedene im Göttinger Musen¬
almanach von Boie herausgegebene Gedichte
brachten ihn in Verbindungen, die für sein
späteres Leben sehr förderlich waren. Vom
Besuche der Universität musste er vorläufig
wegen Mittellosigkeit absehen, er nahm deshalb
eine Hauslehrerstelle bei einem Herrn v. Oertzen
an, um mit dem hier ersparten Geld später
seine akademischen Studien zu beginnen. Durch
seine Göttinger Freunde, sowie durch seine
Arbeiten im Musenalmanach, auf die ich später
zurückkommen werde, kam er schon 1772 nach
Göttingen, früher als er selbst gedacht hatte.
Hier hing er die Theologie an den Nagel und
•) Aus Pietät gegen den entschlafenen Br
Fuchs, der zu Beginn dieses Jahres am „Reiss¬
brette“ noch thätig war, bringen wir in der letzten
Nummer des Jahrganges den Aufsatz, über dessen
Reinschrift der unermüdlich schaffende Br nach
dem Willen des A. B. a. W. seine irdische Arbeit
niederlegte. D. Schriftltg.
widmete sich ausschliesslich philologischen Studien
und verschiedenen Bestrebungen, die ihn mit
dem Göttinger Dichterbund verbanden. Als sein
Fi'eund Boie, mit dessen Schwester sich Voss
verlobt hatte, in den Staatsdienst trat, übernahm
er an dessen Stelle die Redaktion des Musen¬
almanachs, siedelte 1775 nach Wandsbeclc über,
wo er mehrere Jahre mit Matthias Claudius
und Klopstock in freundschaftlichem Verkehre
stand. Hier führte er 1777 seine Braut heim
und übernahm das Rektorat an der Schule zu
Otterndorf im Lande Hadeln. Sein vierjähriges
Rektorat war ein mhmlicher Kampf jugendlich
dichterischer Begeisterung, der schönsten, ehr¬
lichen Liebe und der unverwüstlichen Laune
gegen die Leiden des Mangels. Hier lebte er
das, was er später dichtete: Die aus eignem
Wert und Bewusstsein erblühende, deutsche
Idylle inmitten einer unfreundlichen Welt. Treu¬
herzig halfen die Ottemdorfer dem darbenden
Dichter, dessen finanzielle Verhältnisse 1782
durch seine Berufung als Rektor nach Euün
sich günstiger gestalteten. Er hatte es aber
auch schön daheim, klar im Kopfe und heiter
im Herzen. Fünf wackere Söhne gediehen dem
streng sittlichen und varbeitsamen Vater auf das
trefflichste; später nahmen dieselben an des
Vaters Werken mit Lust und Geschick teil.
Ein Jahrgehalt enthob ihn der drückenden Schul¬
arbeit; er ging nach Jena, wo sich Goethe die
grösste Mühe gab, ihn festzuhalten — doch
vergebens, 1805 folgte er einem Rufe als Pro¬
fessor nach Heidelberg, wo er in vielen littera-
rischen Arbeiten thätig war; namentlich gab er
hier mit seinen Söhnen Heinrich und Abraham
eine Übersetzung des Shakespeare heraus. Er
starb den 30. März 1826 zu Heidelberg.
Von Br Voss freimaureriseber Laufbahn ist
nicht viel und namentlich nicht viel Erbauliches
zu berichten. Er wurde den 11. Mai 1774 in
die Loge: Zu den drei Rosen nach Zinnendorf-
schem System in Hambui'g aufgenommen und
den 22. April 1775 in den Meistergrad * be¬
fördert. Es berrsebten aber auch damals im
deutschen Logenwesen traurige Verhältnisse.
Von Zinneadorf, Grossmeister der Gr.
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National-Mutterloge zu Berlin, hatte das von t. Hund
ins Leben gerufene System der strikten Obser¬
vanz nicht bloss in der Grossloge, sondern auch
in der Mehrheit der von ihr abhängigen Tochter-
«logen eingeführi Mit von Hund in Misshellig¬
keiten geraten, suchte er sich Ritualien und
Akten ans Schweden zu verschaffen, der gleichen
Quelle, aus welcher auch die strikte Observanz
geschöpft hatte. Er sendete einen ihm ganz
vertrauten Bruder, den Theologen Banmann, auf
Kosten Mer Loge nach Stockholm, der auch
einige Schriften erlangte, die aber später von
der Grossloge zum Teil als unecht und zum
Teil als auf Unrechte Weise erworben und als
erschwindelt bezeichnet wurden. Aus der Gr.
Nationalmntterloge trat Zinnendorf ans, oder
vielmehr, er wurde von derselben excludiert
wegen vorgekommener Unregelmässigkeiten und
ihm schuldgegebener Unterschlagungen. Sein
Freund Schubert von Kleefeld nennt ihn einen
Windbeutel, eine schwarze Seele, und die Gross¬
loge von Schweden in einem offiziellen Schreiben
,einen ehrlosen Betrüger*. Das hinderte ihn
aber nicht, immer neue Logen nach seinem
System „kraft der ihm anklebenden Gewalt* zu
gründen. Nachdem er 17 solcher Logen zu¬
sammengebracht, vereinigte er dieselben 1770
zur Grossen Landesloge der Freimaurer von
Deutschland. Doch noch fehlte der neuen Gross¬
loge die Anerkennung. Mit Schweden war die
Sache missglückt, man wendete sich um ein
Protektorat an die Grosslöge zu London. Diese
sagte nur unter der Bedingung zu, dass nach¬
gewiesen würde, die Zinnendorfschen Br seien in
gerechten und vollkommenen Logen aufgenom¬
mene Meister. Zinnendorf, in'der Wahl seiner
Mittel nicht schwierig, hielt eine Arbeit in der
Loge Royal York; einer seiner Brüder führte
auf einem in das Protokollbuch eingelegten
Bogen das Protokoll, das nachher von sämt¬
lichen anwesenden Brüdern, die die verlangte
Eigenschaft hatten, unterzeichnet wurde. Der
Bogen wurde heimlich mit weggenommen, nach
London geschickt und die gewünschte Aner¬
kennung erlangt. Der Betrug wurde zwar später
aufgedeckt, doch von London ignoriert; es kam
nach mehrjährigen Verhandlungen ein Vertrag
zustande, auch eiiangte die Gr. - Landeslogo
1774 das Protektorat des Königs von Preussen.
Ich komme nun wieder zurück zu unserm
Bruder H. Voss. Dieser war damals Redakteur
des Musenalmanachs. Er bekam den Auftrag,
in dieser Zeitschrift 1776 die Akte, worin die
Grossloge von London die Zinnendorfhche Gross¬
loge anerkannte, als öffenÜichen Beweis Zinnen¬
dorfscher Frmrei bekannt zu machen und die
grossen Vorteile für das deutsche Logen wesen
hervorzuheben. Als er aber von dem gespielten
Betrüge Kenntnis erhielt, fand er sich völlig
enttäuscht, zog sich ganz zurück und fällte über
Zinnendorfs System folgendes Urteil:
„Sie werden mit mir bemerkt haben, dass
der Orden nicht auf Erleuchtung und Ver¬
edelung seiner Glieder und auf Vereinigung
der Besten zu einem gi'ossen nmralisohen
Zwecke, der nur dem Umweisen Geheimnis
wäre, dem Weisen sich von selbst enthüllte,
hinausläuft, sondern auf Sammlung eines
giossen angesehenen Haufens, der in ver¬
schiedenen Graden allmählich zum blinden
Glauben an unverschämte Behauptungen und
dann, wenn man sich weit genug in die Un¬
vernunft hineingeglaubt, zu blindem Gehorsam
für hierarchische Aussprüche unbekannter
Oberer gewöhnt wird.*
Voss scheint nie wieder in die Loge ge¬
kommen zu sein.
Wir betrachten ihn in seiner anmutenden
Erscheinung als Dichter. Wie schon bemerkt,
hatte er bereits als Gymnasiast seine poetische
Ader springen lassen; als Student in Göttingen
Hess er sich sogleich in den von zwei älteren
Studenten Götter und Boie gegründeten Dichter¬
bund — Hainbund genannt — aufiiehmen. Um
Boie scharten sich alle Göttinger Studenten,
die irgend Beruf zur Dichtkunst zu haben
wähnten, und es waren unter diesen Talente, die
dem Führer schnell über den Kopf wuchsen.
Zu diesen gehörten unter anderen: Bürger,
Hölty, die beiden Grafen Stollberg, Gramer und
Voss. Zunächst hatten sich die jungen Dichter
vorgenommen, das während des 80 jährigen Krieges
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durch Einmischung französischer und lateinischer
Sprache und verknöcherter Formen ganz und gar
entstellte deutsche Volkslied wieder zur früheren
Einfachheit und Reinheit der Formen und zur
Blüte des Stils zu bnngen. Und es ist ihnen
dies herrlich gelungen; die bekanntesten Volks¬
lieder von Heinrich Voss sind: An meines
Vaters Hügel, da steht ein schöner Baum —
Blickt auf, wie schön das lichte Blau hoch über
uns sich wölbt — Des Jahres letzte Stunde —
Ihr Städter, sucht Ihr Freude, so kommt aufs
Land heraus — Willkommen im Grünen, der
Himmel ist blau. — Ich erinnere noch an
Höltys: Üb’ immer Treu und Redlichkeit, an
Millers: Was frag ich viel nach Geld und Gut,
wenn ich zufneden bin. —
Schon als regsamer Knabe hatte Voss gern
den alten Liedern gelauscht, die in seiner
Mecklenburger Heimat zur fröhlichen Erntezeit
draussen im Felde und in den langen Winter¬
abenden in der Spinnstube erklangen; jetzt for¬
derte or, der Bedeutung dieser Lieder sich be¬
wusst geworden, seinen Freund Brückner auf,
in Mecklenburg allen sogenannten Gassenhauern
aufs sorgsamste nachzugehen und ihm dieselben
mitzuteilen.
Schon früher hatte sich in Voss der idyl¬
lische Zug seiner Natur im Frohgeftihl still
inniger Häuslichkeit, im trauten Verkehr mit
den ihn umgebenden, kernhaften Menschen und
der schönen Natur immer tiefer ausgebildet.
Wenn auch die ersten Versuche seiner Idyllen¬
dichtung nur unvollkommen, so waren doch der
70. Geburtstag und die Louise so epochemachend,
dass nur selten andere ähnliche Dichtungen an
sie heranreichten. Schiller sagt: Mit der Louise
habe Voss die deutsche Litteratur nicht bloss
bereichert, sondern wahrhaft erweitert. Diese
Idylle könne mit keinem andern Gedichte ihrer
Art, sondern nur mit griechischen Mustern ver¬
glichen werden. Und Goethe hat nie ein Hehl
daraus gemacht, dass Hermann und Dorothea
lediglich aus seiner nacheifemden Bewundrung
der Vossschen Luise hervorging. Das Grösste
aber, was Voss als Dichter geleistet hat, waren
seine Homerübertragungen in die deutsche Sprache.
Gerade zu seiner Zeit hatte man sich auf die Über¬
setzungen antiker Schriftsteller geworfen. In
allen möglichen dichterischen Formen und Vers*
massen wurden die Werke der Alten vorgeführt;
aber man konnte ihnen keinen rechten Geschmack .
abgewinnen. Als aber Voss erst seine Über¬
setzung der Odyssee und dann die der Dias
herausgab, da herrschte nur eine Stimme der
Begeisterung für dieselben; sie sind weder vor¬
her noch nachher übertroüen worden und haben
Voss für alle Zeiten einen Ehrenplatz' in der
deutschen Dichtcrhalle gesicheii;.
Znrafe Mbc.
aus dem Nachlass d. Br. Lomer.
Drei kurzen Schritten gleicht unser Leben,
aber sie führen nicht in das Reich des Schattens,
sondern in das Reich des ewigen Lichtes!
Überwinde jede Scheu, m. Br, denn das
Abbild des Todes ist kein Symbol des ewigen
Lebens!
Jeder dieser Schritte soll Dich der Wahr¬
heit näher führen. Schreite mutig vorwärts!
Deine ersten Schritte waren von liebenden
Eltern behütet — jetzt behüten sorgende Brr
Deinen Pfad — auf Deinem letzten Wege ver¬
trau Dich der Führung des a. B. a. W.I
Du wardst geboren, um zu sterben, aber
Du wirst sterben, um zu leben ewiglich!
Die höchste Wahrheit liegt in diesem Ge*
brauche verborgen; suche und mache sie zu
Deinem unverlierbaren Eigentum! —
Sinnsprüche
von Br W. Grallert.
Des Wortes Milde ist gar hoch zu pfeisen,
Verirrte auf den richtgen Weg zu weisen;
Gilts aber, Dummheiten zu bekämpfen.
Da wär es Sünd, den beilgen Zorn zu dämpfea.
♦ ♦
♦
Hast du im Innern tief gefühlt
Das Leid, das dir das Herz durchwühlt.
So klag deswegen nicht als Thor,
Nur reiner gingst du draus hervor.
♦ ♦
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Rasch und sicher sei dein Blick,
Dann regierst du das Geschick^
Willst du aber Zeit verlieren,
Wird dich das Geschick regieren.
♦ *
*
Es fliessen manchem die Woi*te
Vom Munde wie Honigseim,
Doch wer auf Worte nur bauet.
Der klebet gar bald am Leim.
Litterarisches.
Drei Eingänge.
Wie die Gegensätze sich oft berühren und es vom
Erhabenen zum Lächerlichen oft nur ein Schritt
ist, so ^orgt auch das Leben dafür, dass Scherz
und Ernst auf einer Karte stehen. Schwarze und
weisse Felder auf einem Schachbrette und inner¬
halb derselben ein Spiel, ein Kampf um Sein
und Nichtsein!
Vor uns liegen drei Einsendungen:
1. Nr. 37 der im 1. Jahrg. stehenden .Berliner
Reform
ln einem .Frmrei“ überschriebenen und in
Briefform gehaltenen Artikel wird von einem Br
in nicht misszuverstehender Weise unter Klar-
legung der prinzipiellen und institutionellen Unter¬
schiede der einzelnen Grosslogen, wobei es natür¬
lich auch an subjektiven Urteilen nicht fohlt,
Propaganda gemacht für die nur .behördlich
und kaiserlich ‘ anerkannte humanistische Kaiser-
Friedrich-Grossloge.
Derartige Auseinandersetzungen in einem pro¬
fanen Blatte wirken betrübend.
2. Eine Broschüre aus dem Verlage der Aktien¬
gesellschaft Germania, betitelt: .Der Odd-Fellow-
Orden und das Dekret der Kongregation der
Inquisition vom 20. August 1894 von Hildebrand
Gerber“ zur .gütigen Besprechung übersandt“ mit
dem Bemerken: .Für Zusendung eines Beleges
wären wir dankbar.“
Eine Verurteilung der .Närrischen Käuze“
vulgo Odd-Feilows, deren .Ungereimtheiten“ sich
mit den gegen die .religiös-sittliche Ordnung“
gerichteten Grundsätzen der Frmrei decken, einer
frmr Redaktion zur Beurteilung übersandt! Dazu
der Dank der Germania!
Das wirkt heiter.
3. Geschichte der St. Johannis-Frmr-Loge: .Zur
deutschen Redlichkeit“ i. Or. zu Iserlohn. Zum
100jährigen Jubiläum dieser Bauhütte auf Grund
der Akten und Protokolle verfasst v. Br G. Kreyen-
berg, Mstr v. St., u. Br J. Gollhof, 2. Aufs. Leipzig,
Druck und Verlag von Br Bruno Zechel.
.Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!“
Schade um dieses effektvolle Spiel des Zufalls.
Der Charakter unsers Blattes hindert uns leider,
dasselbe litterarisch auszuspinnen. Im Gegensätze
zu den Bestrebungen der modernen virorum obscu-
rorum eine Bauhütte: .Zur deutschen Redlichkeit!“
Eine Loge, in der mit deutscher Treue, deutschem
Mute und Sinne gebaut worden ist, die trotzdem
tolerant genug war, einen Liszt zu ihrem Ehren-
mitgliede zu machen! Fast an einem Tage mit
dem Wiederaufrichter des deutschen Vaterlandes
geboren, hat sie wie jener die Hand des korsischen
Unterdrückers spüren müssen, weil sie den .3 Welt¬
kugeln“ treu blieb und den Anschluss an den
Pariser Gr. 0. ablehnte. In unerschütterlichem
Vertrauen hat sie festgehalten an ihrem prinz-
liehen Br und an der Sache, die dieser vertrat,
zu einer Zeit, da fast der Wille des ganzen Volkes
in direkten Widerspruch zu dessen Schritten sich
setzte. In mehrfacher Weise ist die Loge, in
der Br Kaiser Wilhelm von Koblenz aus einer
Arbeit beiwohnte, zu ihrem hohen Protektor in
Beziehung getreten. Den Tag seiner Silberhoch¬
zeit und damit zugleich den Tag der Aufnahme
seines Sohnes Friedrich in den Bund hat sie durch
Gründung einer Stiftung zur Unterstützung streb¬
samer Söhne von Brn auf Schulen verewigt. Eine
weitere, neuere Stiftung .Schwestemtrost“ be¬
zweckt die Versorgung der Hinterbliebenen über¬
haupt. Dazu verpflichten sich die Brr gegenseitig.
Jeder Br muss mindestens eine Püegerschafl
übernehmen.
Anerkennung der massgebenden Personen und
Körperschaften hat nicht gefehlt, und auch jetzt
hat Kaiser Wilhelm H. der Loge sein Bildnis mit
eigenhändiger Unterschrift verehrt.
Deutsche Treue und Brliebe sind die beiden
Säulen gewesen, welche den Bau der Loge .Zur
deutschen Redlichkeit“ 100 Jahre hindurch ge¬
tragen haben.
Das wirkt erhebend.
Möge dieser Grund nie wanken; möge deutsche
Redlichkeit in ihrem besonderen Tempel zu Iser¬
lohn, wie in den Logen im allgemeinen auch
im kommenden saeculum eine Heimstätte linden.
Dann wird der Sturm aus Süden vergeblich an
dem doppelten Gebäude rütteln, das unsere glor¬
reichen Brr Wilhelm I. und Friedrich IH. mit
der ganzen Kraft ihres Lebens aufgeführt bez.
gestützt haben: an des deutschen Vaterlande.s
Einigkeit und an des Mrbundes Herrlichkeit.
Br Ä. G,
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96
Mitteilüngen
Yon dtr
(iesehftfUstelle fBr den Anstansek der Logenlisten.
Ende vor. M. hat die dritte diesjährige Ver¬
sendung stattgeftinden und gelangten dabei die
nachstehend aufgeführten 39 Mitglieder-Verzeich¬
nisse etc. zur Verteilung:
Der Gr. Frmrloge Zur Eintracht in Darmstadt
und der Prov.-Loge von Mecklenburg in Rostock,
sowie der St. Johannislogen in Aschersleben —
Bremen (Friedr. Wilhelm — Oelzweig) — Bremer¬
haven — Culm-Schwetz — Eberswaldo — Eisleben
— Elbing — Gr. Glogau (Wilhelm 340) — Gold¬
berg (300) — Gollnow (110) — Greifswald — Gü¬
strow — Hamburg (Bruderkette) — Hannover (Ceder)
— Jena (Friedrich) — Ilmenau — Insterburg — Kat-
towitz (iH6) — Königsberg i/N. — Limburg (275) —
Löwenberg (120) — Lübben — Lübeck (Weltkugel) —
Münchenbernsdorf (100) — Pössneck — Quedlin¬
burg (300) — Rostock (3 Sterne) — Rudolstadt (300)
- Spandau — Stadthagen — Swineraünde — Wies¬
baden (Plato) — Wolfenbüttel — Wurzen — ZittHu
(Liste und Bericht).
Wiederholt wird ersucht, fernerhin
nicht unter S60
Mitglieder-Verzeichnisse einzusenden. Den Namen
derjenigen Logen, die weniger als 360 zur Verfügung
stellten, sind die Zahlen der zur Veraendung gelang¬
ten Exemplare in () beigesetzt.
Ihren Beitritt zur Geschäftsstelle haben neuer¬
dings erklärt die Logen:
Zu den drei Thftrmen nn der Lnlin in Limburg,
Friedrich Leopold sur Mnrkaner Treue in Witten,
Ueimann lor Beständigkeit in Breslau*
Geschäftsstelle f. d.Austausch der Logenlisten
Bruno Zechel,
Biichdrnckerei und Verlag in Leipzig.
Gesucht wird
Merzdorf, Verzeichnis sänmitiicher Ordens¬
brüder der strikten Observanz. Hamburg1846.
Geföllige Offerten durch Br. Bruno Zechel in
Leipzig erbeten.
Soeben ist erschienen und direkt von mir zu
beziehen:
Bwchielit*
der St. Johannis-Freimaurer-Loge
Zur deutschen Redlichkeit
im Oriente zu
ISEJRLOJEilSr.
Zum hundertjährigen Jubiläum dieser Bauhütte auf
Grund der Akten und Protokolle verfasst von
Br ^tthsld Ireyenberg Br Julias Bullhsf
Mtliter Yom Stuhl. 11. Aufaehar.
47j Bogen 8* -- Preis M. l, —.
lioipaig, Dezember 1896. Bruno Zeeliel.
Der Unterzeichnete richtet an die Ehrw. Brr Schriftfdiirer der St. Johannislogen
die liöfliche Bitte, ihm mitznteilen, ob bei ihren Bauhütten noch EngbUnde oder diesen
ähnliche Vereine bestehen.
Die Bitte ergeht im besondern an diejenigen Logen des Schröderschen Systems,
welche früher solche Engbünde aufznweisen hatten, und bezweckt eine Übersicht über
diese Institute, wie über die ihnen verwandten Bestrebungen in deutschen Logen.
Gef. Antworten, für welche den sie erteilenden Brrn schon im voraus der auf¬
richtigste Dank ausgesprochen wird, wolle man senden an den
derz. Vorsitzenden, des Wissenschaft!. Engbundes der Loge Balduin z. Linde im Or. Leipzig
Br Nitzsche,
unter dessen prof. Adresse: B. Nitzsche, Leipzig, Turnerstrasse 23.
auswärtigen Brr Abonnenten, welche mit der Zahlnng von M. 3,0ü
für den laufenden Jahrgang noch im Rückstand sind, bitte ich um gefällige Ein¬
sendung des Betrages — der Porto-Ersparnis wegen eveutnell in Briefmarken.
Leipzig, ira Dezember 1896. BPIinO Zochol,
Buchdruckerei und Verlag*
Bruck und Yerlug tou Br Bruno Zeohel in Leipsig.
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