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Full text of "Androgyne"

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AKTES SCIENTIA VERITAS 



Stanislav Przybyszewski 



Androgyne 



F. Fontane & Co. 
1906 



I 



^ Androgyne 



r 



Von demselben Autor erschien in unserem 
Verlage : 

Znr Psychologie des Individaams 

1. Chopin und Nietssobe 

2. Ola Banston 

* 

Totenmesse f 

Totentanz der Liebe 
Satans Kinder 

I 

Synagoge des Satans 

De proftindis (polnisch) 

Epipsychidion > 

TigiUen 

t 



Stanislaw Przybyszewski 



Androgyne 



Berlin 
F. Fontane & Co. 






Alle Rechte 

besonders das der Übersetnuig 

▼orbehalten 






2: 



^ 

•? 

^ 



Es war späte Nacht, als er nach Hanse kam. 

Er setzte sich an den Schreibtisch nnd sah 
gedankenlos anf einen herrlichen Blnmenstranss 
hin, der mit einem breiten roten Band nmwnnden 
war. 

Auf dem einen Ende stand in goldenen Buch- 
staben ein mystischer, weiblicher Name. 

Nichts weiter. 

Und wieder empfand er diesen langen, flieder- 
weichen Schauer, der ihn durchzuckte, als man 
ihm diesen Strauss auf die Estrade hinaufreichte. 

Man hat ihn ja mit Blumen beworfen, soviel 
Kränze regneten nieder zu seinen Flissen — aber 
dieser Strauss mit diesem roten Band und dem 
mystischen Namen — wer mag ihn wohl hinauf- 
geschickt haben? 

Er wusste es nicht. 

Als ob eine warme, kleine Hand^die seine er- 
fasst — neinl nicht erfasst, — sich wollQstig ein- 
schmeichelte, hineinküsste mit beissen Fingern ... ^, 

Priybytitwtki, Androgynt. 1 ^' 



A 



— 2 — 



^ 

^ 
1 



Und sie, deren Name ihn so verwirrte . . . 

Vielleicht hat sie die Blumen gekbsst, bevor 
man sie ihm reichte, ihr Qesicht in das weiche 
Blnmenbett eingew&hlt, bevor sie es zum Stranss 
gewunden, das reiche Armgewinde von Blumen 
an ihr Herz gedrückt und sich nackt und Inst- 1 

keuchend über das Blumenlager gewälzt . . • 

Und das Geblflte atmete noch den Duft ihres 
EOrpers, zitterte noch das kauernde, heisse Lispeln 
ihres Verlangens . . . 

Sie liebte ihn ja, sie kannte ihn schon lange, 
ganze Tage hat sie zitternd durchdacht, bevor 
sie wagte, ihm diese Blumen zu schenken ... 
Er wusste es, ganz genau wusste er es . . . 

Er wusste sicher, dass sie ihn liebte, denn 
solche Blumen schenken nur Mädchen, die lieben. 



/ 



Er schloss die Augen und horchte. 

Er sah riesige Märchenrosen, schwarze, blut- 
dürstige, weisse, auf langen Stengeln sich wie- 
gende Rosen. Sie verneigten sich, tief und tiefer, 
sie richteten sich stolz empor, sie lockten und 
lachten, trunken ihrer eigenen Pracht 

Er sah Tuberosen, weiss wie Bethlehems- 
steme, feinstrunkig mit bläulichem G^äder — er 
sah ürbäume von weissen und roten Azaleen, 
belastet und überlaclen von weichflaumiger Bldten- 
pracht und herrlich anzuschauen wie reiche Ball- 
kleider auf wundersamen Märchengestalten längst 
verstorbener adliger Frauen, er sah Orchideen 
auf heissgeöfiheten Lippen, lustheischenden, gif- 
tigen Lippen und Lilien mit weitgebreitetem 
Mutterschoss der keuschen Lüste und Narzissen 
und Bienen, Begonien und Kamelien — eine ganze 
Sintflut von berauschendem Farbengift, berücken- 
dem saugenden Duft überströmte seine Seele. 

Der weiche Maienduft des Flieders ergoss 



— 4 — 

sich in ihm mit der stillen; kindlich naiven Sere- 
nade der Hirtenflöten in heissen Frühlingsnächten 
— wie brünstige Triomphfanfare brauste das 
gelle Purpur der Bösen, mit keuschen Armen 
umfingen die Lilien sein Herz; Iflstem saugten 
an ihm mit roten Zungen die Orchideen, in weissem 
kalten Glanz tanzten um ihn die Tuberosen, wie 
aphrodisisches Gift ergoss sich in ihm der be- 
rückende Duft der Akazienblflten, geschwängert 
von dem blitzheissen Sommergewitter, und alle 
diese Düfte, kühl und weich wie reine Mädchen- 
augen, unwissend ihres Geschlechts — heiss und 
gierig wie die Arme einer rasenden Hetäre — 
giftig und schreiend wie der Blick einer getrete- 
nen Otter: dies alles ergoss sich in ihm, durch- 
tränkte, durchsättigte ihn; ^r war berauscht, 
machtlos; er fühlte, dass er kein Glied rühren 
konnte, er unterschied nicht mehr die Eindrücke 
voneinander, er sah keine Farben, fühlte den Duft 
nicht mehr, alles wurde eins. 

Aus der Tiefe blühte in ihm auf ein weites 
Brachfeld, Ode; traurig, schwer gebreitet wie das 
Stöhnen der Glocken in der Abenddämmerung 
des Gründonnerstags — weit in der Feme blaute 
ein glitzernder Streifen eines fernen Sees, still 
gebettet von der schlaf schweren Hitze. des Mittags 



— 5 — 

— nur hie und da schoss empor der schlanke 
Stengel einer Königskerze, als hätte sie die durch- 
glühte Erdscholle aufgerissen und drohte nun mit 
siegesmftchtiger Faust dem Himmel — nur hier 
und da ein paar verkflmmerte Wachholderbflsche, 
yerkrampft zu seltsamen Formen, als wftren sie 
krank an dem Gift der Leichen, die hier einstens 
die Erde gedüngt haben — nur hier und da an 
den sandigen Gräbern träumten blaue Zichorien- 
kOrbchen, sehnsüchtig auf den Sonnenuntergang 
wartend, wenn sie die Blüten zusammenschliessen 
und den Eirchhofszauber der Oden Heide schauernd 
durchkosten dürften . . . 

Dann wieder sah er Kreuzwege auf den Moor- 
triften zwischen den Sümpfen und abschüssigen 
Gräben. Die Stunde des Mitternachtsgraaens 
naht, voll von schreckender Angst und Pein. Ab 
und zu schiesst ein Irrlicht, behende wie ein G^ 
danke über die sumpfigen Wassertümpel, blitzt 
auf ein stilles, geheimes Leuchten, hin und wie- 
der bellt ein Hund auf im nahen Dorf, ein an- 
derer antwortet ihm mit langgedehntem Winseln, 
dann wieder der gelle Buf des Nachtwächter- 
homes — und wieder Stille, Stille, die sich hin- 
einschraubt, mählich und tief in die dunkelsten 
Abgründe und alles aufsaugt, mein Heute und 



— 6 — 

mein Morgen, die den Schritt und jede Begnng 
lahm legt and einen so unendlich einsam, so welt- 
fern und daseinsfremd macht. 

und in immer neuen Bildern erstand vor 
seinen Angen sein ganzes Heimatland: ein rie- 
siges Laken, zerrissen und zerfetzt in gr&ne 
Gerstenlappen, in weissanfgeblflhte Heidekrant- 
felder, goldene Boggenteppiche, blutrote Beete 
peitschenschwerer Weizenähren: die ganze Erde 
ist maitrunken, brünstig in ihrer Blfitenpracht, 
ungeheuer in ihrer schöpferischen Baserei, in der 
hochzeitlichen Majestät andächtiger Liebe — die 
ganze Erde weit hinauf bis an die Umfriedung 
der weissen Kirche auf der AnhOhe . . . 

Breite Ströme von Olockenklängen gössen 
sich in das flache Land hinab, ringsherum bran- 
dete das Oewoge eines mächtigen EUrchenliedes 
während der Prozession am Fronleichnamsfest; 
zwischen dem schwarzen Gebüsch und dem dich- 
ten Gehege schimmerten die weissen Kleider der 
Mädchen, die zu Füssen des Priesters mit dem 
Allerheiligsten Blumen streuten, es blauten die 
langen BauemrOcke, gegürtelt mit breiten roten 
Schals . . . 

Er zuckte auf. Lechzte nach mehr Sehn- 
sucht. 



— 7 — 

Unaufhörlich in wunderlichen Beigen: ein 
Hochzeitsgang an einem Julitag — das breite 
Schluchzen der Geigen, gefertigt aus der Lindea- 
rinde, das heisere Stöhnen der Bässe, die von 
dem Geld klappern, das der Bräutigam in ihr 
Inneres geworfen hat — und ein jauchzendes 
Geschrei, das in taktmässigen Abständen mit 
schrillen Strahlen in die Luft hinauf schiesst : 
Juchahei ! Dann wieder schleppt sich ein Trauer- 
geleite im Spätherbst auf der regendurchweichten 
Landstrasse. . . . Ein paar Mädchen tragen den 
weissen Sarg eines Kindes — dann wieder ein 
feierlicher Pilgerzug, der zu dem Wunderbild 
eines Heiligen wallfahrtet — dann wieder * . . oh, 
oh . . . ohne Ende, ohne Mass . . . 

Langsam dunkelte es ihm in den Augen — 
nur ein paar unklarer, abgerissener Bilder glitten 
faul und zOgemd Aber sein Gehirn — die Seele 
dämmerte, wiegte sich in weiches Träumen, erlosch, 
bis sie sich plötzlich in einem mächtigen Lied 
emporriss. 

Der heimtückische Zauber, das berauschende 
Gift der exotischen Blumen und das Paradies 
der Heimatserde, das alles liess seine Seele er- 
beben mit dem dröhnenden ehernen Schrittklang 
von Rittern, die in Erz gegossen schienen, dass 



— 8 — 

die Erde unter ihrer siegesjauohzenden Schritt- 
wacht erbebte, — dann fühlte er seine Seele auf- 
tauen in den schluchzenden Klagen der Matter, 
die ihre Erstgeburt verlor, sie ergrünte in dem 
Myrtenkranz hochzeitlicher Lieder, sie raste in 
trunkenem Tanz mit Jauchzen und Stampfen auf 
dem Boden einer überfüllten Schenke, schoss hoch 
empor mit wildem Schrei, wie die Blüte der 
Königskerze auf dem sengend heissen Brachacker 
— das ganze Lied ergoss sich in einem düsteren, 
wilden Bett, vertrocknete, schnellte rückw&rts 
zurück, um mftchtiger noch vorzustürmen und 
sich endlos über das ganze Flachland zu er- 
giessen . . . 

Eine entsetzliche Macht packte ihn in ihre 
Arme. Die Tollwut des Gewitters umkrallte ihn 
mit dem Geächze der Verdammnis, warf ihn auf 
die kochende Gischt eines abgründigen Malstroms, 
wütete in ihm, heulte, krachte, schleuderte ihn 
kreischend hin und her die steilen Felsen hinauf 
wie ein Wrack — nur in der Tiefe, ganz in 
der Tiefe des bodenlosen Trichters ein heller 
Klang, der schwand und wieder auuflechtete, 
sank unter und wieder auftauchte, wie der Wider- 
schein eines blassen Sternes in dem schäumenden 
Strudel dunkler Wogen. 



— 9 — 

Lange hat dieser belle Strahl mit der spritzen- 
den Wasserflut, mit dem Gewitter aufgewühlter 
Wogen gemngen, aber beharrlich ergoss er sich 
in lange, schmale Streifen, tanzte über den Fluten 
in zierlichen Schlangenwindungen, rollte sich zu- 
sammen, schnellte dann wie eine aufgerollte Feder 
langhin: über dem sturmgepeitschten Abgrund 
verzweifelten Achzens und Ereischens, über dem 
Strudel abgründiger Qual, dem Geheul nnd Ge- 
schrei tollgewordener Gewitterbrunst flogen stille, 
sehnsüchtige, weichgesponnene Lichtwellen; im- 
mer breitere, immer stärkere Wellen der Beruhi- 
gung und lichter Versagung, entzückter Gebete 
umflngen den Sturm und das qualschreiende Ent- 
setzen in heilige Mutterarme, pressten es an sich 
in unendlicher Liebe, wiegten es in eine überirdische 
Sehnsucht, in einen ohnmächtigen Verzückungs- 
traum • • . 

Da: 

Ein Mädchengesicht tauchte auf: ein heller, 
heiliger Klang in den schwarzen Sturmakkorden, 
der helle Widerschein eines blassen Sternes in 
dem schäumenden Gischt dunkler Wogen, — nie 
früher hatte er es gesehen, aber er kannte es, 
er kannte es gut, dies Mädchengesicht . . . 

Er wachte auf : rieb sich die Augen, ging in 



— lo- 
dern Zimmer auf und ab, aber er konnte die Vi- 
sion dieses Gesichtes nicht los werdra : halb Kind; 
halb Weib. 

Ja, ja — sie war es sicher. Sie liess ihm 
den Blnmenstranss auf die Estrade reichen. 

Er dachte nach, wober seine plötzliche G^ 
wissheit, dass sie es war. 

Jemand Fremdes hat ihm die Blumen hinauf- 
gereicht. 

Und er dachte und grübelte . . . 

Sie war also da, sie sass in der ersten Beihe 
und leuchtete das dunkle Doppelgestim ihrer 
Augen in seine Seele hinein, sie hat den Abglanz 
in ihr zurftckgelassen. Damals, als die ganze 
Welt vor meinen Augen in Nebelschwaden zer- 
rann, als alles zusammenströmte in dem Orkan 
des Gewitters, das unter meinen Fingern heulte, 
hat die Macht der Sehnsucht den Abglanz ihrer 
Augen in mir festgeklebt. ... Ich selbst habe 
zu den Augen das Gesicht geformt, denn nur 
dieses und kein anderes erglttht in dem Glanz 
solcher Augen . . . 

Und der Glanz umfing ihn von allen Seiten, 
ergoss sich in sein Blut, durchströmte seine Adern, 
ein heisser Schauer durchzuckte ihn — er zitterte 
in unbekanntem Wonneschmerz. 



— 11 — 

— Denn vor der Stande der Erlösung ge- 
schehen seltsame Zeichen und Wunder — flüsterte 
er leise in sich hinein — die ganze Muttererde 
ist in mir aufgewacht — das ganze Leben glitt 
mit Blitzesschnelle über das Himmelsgewölbe 
meiner Seele — die ganze Verzweiflungslust 
meines Lebens breitete vor meinen Augen ihre 
schweren wunden Fittige vom einem End' zum 
anderen . . . 

Blieb wieder stehen und starrte lange den 
Blumenstrauss an und das breite rote Band mit 
dem mystischen Namen . . . 

Ja — sie ist rank und biegsam wie der 
Stengel der Tuberose, und ihre Augen so rein, 
wie die weissen Bethlehemssteme , die auf ihm 
ruhten und sich träumerisch hin und her wieg- 
ten .. . 

Woher nur die Vision dieses Gesichtchens 
— halb Eind, halb Weib? 

Er dachte: 

Das ist die geheime Stunde, bevor die Sonne 
aufwacht. 

Er sah lange durch das Fenster auf die 
schneeigen Felder der Vorst&dte — in dem ers- 
ten Morgenschauer blaute der Schnee — ein 
Streifen heller Töne ergoss sich in Schlangen- 



— 12 — 

linien den Himmelsrand entlang, verschwand^ 
tauchte auf und umfing den Osten breiter und 
breiter 



Seit dieser Zeit stand unablässig vor seinen 
Angen die Vision des zarten feinen Gesichts mit 
dunklem Doppelgestim , das sein Licht in seine 
Adern hineinschien — unablässig sah er die 
schlanke Mädchengestalt, halb Weib, halb Kind, 
einer Tuberose gleich, die zwei weisse Blüten, 
zwei weisse Bethlehemsaugen auf ihrem Stengel 
wiegte. 

Ganze Stunden dachte er an sie und träum- 
te. — 

Immer und wieder tauchten vor seinen Augen 
dieselben Bilder auf: In der Tiefe seiner Seele 
verflochten sich unentwirrbar die Visionen seiner 
Muttererde mit dem geheimen Reigen von Tönen 
und Liedern, dem Duft der Blumen, dem dunklen 
Gewitter und dem Abglanz blasser Sterne indem 
Strudel wogender Meere. 

Er verstand nicht den Zusammenhang — 
gleichwohl — es kam ihm vor, dass sie seine 
Muttererde in ihrer Frflhlingsbrunst sei — die 



— 14 — 

Blumen, die sie ihm geschenkt, das Eleid, ewig 
neues und ewig dasselbe Kleid ihrer Seele, ewig- 
liche Form ihres Seins — dass die Augen — ihre 
Augen . . . 

Absichtlich zerriss er die Flut seiner Ge- 
danken, umfasste die Blumen, bewarf sich mit 
ihnen, w&hlte in ihnen mit fiebrigen Händen und 
trftumte und heischte nach ihr. 

Schon hatte er sie in seine Arme gefasst, 
warf sie auf seine Brust in kranker Lust und 
kOsste sie — küsste . . . 

Und zugleich beschloss er mit sich : er musste 
sie finden — er musste! 

Nur einen Strahl ihrer Augen erhaschen — 
nur ein Aufleuchten — ein zuckendes Aufdftm- 
mem ihrer Augen — und er wird sie erkennen 
— ganz sicher wird er sie erkennen in einem 
Sekundentausendstel des Aufblitzens ihrer Au- 
gen . . . 

Ganze Tage trieb er sich auf den Strassen 
der Stadt hemm, ganze Stunden harrte er in den 
Parkanlagen, rings um die Stadt. Tausende 
von Menschen glitten an seinen Augen vorüber, 
in jedem Mftdchengesicht glaubte er ihres zu er- 
kennen, jeder Blick schien in seinen Adern die- 
selbe Lust zu entfachen, mit der ihre Augen sein 



— 15 — 

Herz wundgebrannt hatten — aber vergebens; 
immer dieselbe Entt&nscluing : das war nicht sie! 

Und doch hOrte er manchmal in der Abend- 
dämmerung dicht hinter sich Schritte, wie das 
Schlagen unmhiger Vogelflttgiel, die bereit waren, 
sich znr Flucht zu schwingen — manchmal sah 
er ein blitzschnelles, verstohlenes Aufleuchten 
eines dunklen Augenpaars, das aus unbekannt^i 
Femen oder Nähen sich in seine Seele einsaugte 
— einmal streifte ihn der Hauch einer weichen, 
zärtlichen Hand, als er in dem Dunkel einer 
Kirche stehen blieb und das heimliche kostbare 
Gut der dämmrigen Abendgebete kostete, aber 
als er sich umdrehte, als er das Dunkel mit sei- 
nen Augen zu zeriEetzen suchte, verflog das Ge- 
weht — nur ein zittriges Aufleuchten, nur ein 
warmer Atem einer fiebernden Hand, und die 
Nerven entlang das G^fQhl einer schlanken Tube- 
rose mit zwei weissen Sternen. 

Ein EOnig war er — ja ein König und ein 
mächtiger Gebieter . . . 

die kranke, qualvolle Lust schlafloser Nächte, 
als er auf der Terrasse seines Palastes lag und 
die üppige, sternenbesäete Himmelspracht an- 
starrte! 

Bings rankten sich tropische Efeugewinde; 



— 16 — 

aas dunklem Gebüsche blähten auf goldene Blüten- 
quasten, wuchsen hoch empor Blumenkelche, die 
noch kein menschliches Auge geschaut hatte: 
Blumen mit Kelchen von der Form bronzener 
Glocken, Blumen , umgeben von Blättern, die in 
der Farbe von poliertem Gusseisen schimmerten 
oder wie gerinnendes Messing blitzten, dann wie- 
der Blumen mit fein behaartem Schoss, dem ewi- 
gen Leben aufblühender Jungfrauen, Blumen, die 
mit lebendigen, schauenden und wissenden Augen 
einer üourtisane lachten, oder suchenden, verirrten 
Augen von todesmüden Möwen und weissen Al- 
batrossen. . . . Strünke und Stengel sah er wie 
Lilien, die aus toten Herzen aufwuchsen oder 
aus Erdäpfeln, den Totenschädeln vergleichbar. 
Aus dem syphilitischen Bachen unglaublicher Or- 
chideen streckten sich Zungen empor, mit purpur- 
roten Fieberflecken besprenkelte Ungeheuer, die 
herauszukriechen und das Gift über das umgebende 
Blütenmeer zu verschleppen schienen. 

Soweit das Auge reichte ungeheure, vorsint- 
flutige, dunkle Kohlen wälder , umwunden, um- 
strickt, verknäuelt zu einer unentwirrbaren Masse 
durch Stränge und Stricke von Efeustämmen, 
Lianen, Windenkraut und Klettengeflechte — und 
all dieses Schmarotzergezücht rankte sich empor 



— 17 — 

an den verkohlten Farrenbftnmen^ den isanrischen 
Palmstanden y den Kokos- nnd Brotb&umen, ver- 
focht sie wie ein Korbgewinde , verankerte sie 
nnlOsbar miteinander nnd von der HOhe der Ter- 
rasse sah das ans wie ein nngehenerliches, ans 
dem ürmagma heranfkriechendes Ottemnest. 

Und in der stemenbrOnstigen, licbtw&tigen 
Nacht in diesem abgründigen Fieber von ver- 
krampften Formen, kranker Düfte, Farben, die 
man in den Delirien des Opiumrausches sieht, 
tr&nmte der König von ihr — ihr, der Einzigen, 
kroch auf den tiefen weichen Teppichen, krallte 
sich mit den Fingern an den Ffissen der Sessel 
fest^ sog das Gift der nngehenerlichsten Blumen 
and schrie nach ihr — . 

Vergebens ! 

Bis endlich: 

Er Hess die schönsten Jungfrauen zu sich 
in seinen Palast befehlen, stellte sie in dem end- 
losen Saal in zwei Reihen, die sich von dem 
Throne bis in die Tiefe der Palastgftrten erstreck- 
ten .. . 

und angetan mit seiner unerhörten Jkönig- 
lichen Pracht sass er lange auf seinem Thron, 
vergrub das Gesicht in beide Hände und sah die 
vor Erwartung und Hoffidung zitternden Jnng- 

Prsybyistwiki, Aadrogyat. 2 



— 18 — 

frauen , von denen jede mit nnendlichem Glück 
sich zn seiner Sklavin machen liesse. 

Er sahy sah sie an nnd dachte: 

Welche ist es? 

Wie soll er sie anfflnden in dem Gewoge 
von blonden, schwarzen, roten EOpfen? 

Ist es die, deren Angen blitzten wie die 
Beeren von Tollkrant, das an den Schnttgräben 
wächst? 

Oder die, aus deren sanften Augen ab nnd 
zn der blutdürstige Blick eines gebändigten Ja» 
guars berausschiesst ? 

Jene da vielleicht, über deren Stirn ein 
Blitz fliegt, der das Herz gebärt und sich 
über das Gesicht mit unendlichem Leid er- 
giesst ? 

Die da, deren Arme herabhängen wie welke 
Lilien oder jene, welche in den verführerischen 
Händen die lüsternen Trauben ihres Leibes hält^ 
vielleicht die dort mit der gleissenden Biegsam- 
keit einer Schlange, oder jene, die aus dem 
Schoss einer Lotosblume aufgestiegen ist — und 
jene — dort, weitab, wie aus einem Stemenkelch 
aufgeblüht, aus dem Glanz des Mondlichtes ge- 
boren? 

Tiefer noch vergrub er das Gesicht in seine 



— 19 — 

Bände, schmerzlicher noch, denn er f&hlte, dass 
e)r sie nicht finden wird — das Chaos von ver- 
schwimmenden ineinander verfliessenden For- 
men, Gesichter, Angen trübte die Seele des 
Königs. 

Er stieg die Stufen des Thrones hinunter 
und die Reihen der Jungfrauen neigten sich wie 
ein frisch aufgeblühtes, weisses Birkengehölz 
ü^enn der Windstrom es umfliesst. 

Wie köstliche Weizenähren in der sengenden 
Mittagsglut, wenn plötzlich ein heisser Lufthauch 
fiber sie fährt, neigten sich die Köpfe ; der ganze 
Saal schien zu keuchen in gespannter Erwartung 
und verhaltenem Atem der Hoffnung. 

Dreimal schritt er die Reihen der schönsten 
Jungfrauen seines Landes ab» langsam, immer 
langsamer und trauriger, setzte sich wieder auf 
seinen Thron, winkte mit der Hand — er blieb 
allein. 

Es dunkelle in dem Saal. Der König ver- 
grub sich in seine Vei^weiflung, stemmte sein 
Gesicht auf die krampfgeballten Fäuste und 
brütete vor sich hin. 

Da fühlte er plötzlich, wie sich jemand an 

den Säulen entlangstahl, die das Gewölbe des 

Saales stützen — jemand schlängelte sich durch 

2* 



— 20 — 

das dämmernde Dunkel und hinter ihm ein Schimmer 
von etwas Leuchtendem , wie das Licht eines 
nackten Körpers. 

Der König hob sein Haupt stolz empor — 
denn noch kein Sterblicher wagte ihn in seinem 
Verzweiflungsschmerz anzuschauen. 

Er klatschte in die H&nde, und aus einer 
unsichtbaren Lichtquelle ergoss sich in den Saal 
ein kaltes metallenes Leuchten — und in diesem 
Halbdunkel sah er, wie ein syrischer Sklaven- 
händler an den Thron herankroch und hinter sich 
ein nacktes Mädchen schleifte. 

Ihre Arme umwanden Spangen — goldene 
Schlangen, und mit goldenen Schlangen waren 
die Knöchel umringelty und um die Lenden ein 
goldener Gfirtel, dessen Schloss eine Lotosblume 
bildetCi besetzt von kostbaren Steinen. 

Der König sah sie erstaunt an. 

Er sah nicht ihr Gesicht, denn sie ver- 
schränkte vor ihm ihre Arme, er sah nur die 
Gestalt, sah die schlanken, biegsamen Glieder 
einer Tuberose mit zwei weissen Sternen hinter 
den Lilien ihrer Arme. 

Mit verhaltenem Atem sah der König auf 
die seltsamen Zauber und Wunder des Mädchen- 
körpers, er zitterte wie in Todesangst, dass ihm 



— 21 — 

der Traum nicht verfliegt — er sah sie, wie sie 
sich hin und hemeigte, wie sie im Feuer zu 
stehen schien aus Angst und Scham; ihre Haare 
flössen fiber die weissen Lilien ihres Körpers 
wie ein heisser Strom — und plötzlich kniete 
sie nieder und sah zu ihm auf. 

Sie, sie war es! 

Mit beiden Händen griff er um die Lehnen 
seines Thrones und zitternd flfisterte er: 

Du hast mir die Blumen geschenkt? 

Sie nickte . . . 

Mit heissem Schrei streckte er ihr seine Hände 
entgegen — alles verschwand . . . 

Er rieb sich die Stirn . . . 

Er war doch wach. 

Ja ganz sicher, aber nur, um von neuem in 
einen noch tieferen, noch wilderen Traum zu 
verfallen. 

Nun war er ein Magier, ttbergross und fiber- 
mäehtig, ein Diener seines Herrn und ein Oott 
zugleich . . . 

Ja: ipse philosophus, magus, Dens et om- 
nia . . . 

Drei Tage und drei Nächte hat er sich für 
seine Beschwörung vorbereitet. Drei Tage und 



— 22 — 

drei Nächte las er in heiligen Bfichem, entzifferte 
die geheimen Bnnen nnd erbrach die sieben Siegel 
der apokalyptisphen Weisheit. Er prägte seinem Ge- 
dächtnis die furchtbaren Beschwörungsformeln eip, 
die unbekannte Mächte ihm, seinem Machtspruch 
dienstbar machten — drei Tage und drei Nächte 
berauschte er sich an dem giftigen Dunst ge- 
brauter Pflani^en nnd Wurzeln, die in der gehei- 
men Johannisnacht blähen, bis er die Kraft in 
sich fehlte, das Wachstum der Pflanzen beschleu- 
nigen zu können, einen Strom in seinem Lauf auf- 
halten, den Mutterschoss unfruchtbar zu machen, 
ja selbst den Donner auf die Erde herabzube- 
schwören. 

Und in der Stunde des grossen Wunders 
kleidete er sich an mit den kostbaren Kleidern 
des Hochamtes, das einstens sein üryater Samyasa 
verrichtete, sein Haar umwand er mit einer sieben- 
mal geknoteten Binde, nahm das Schwert zur 
Hand, zeichnete einen Kreis, schrieb in ihn ge- 
heime Zeichen hinein, blieb in seiner Mitte stehen, 
einem grossen Spiegel gegenfiber und sprach mit 
lauter Stimme: 

Astaroth, Astaroth! 

Mutter der Liebe, die du mir das Herz mit 
dem Gift des Verlangens und der Sehnsucht zer- 



— 23 — 

frissty das Feuer irrsinniger Qual in meinen Adern 
ergossen hast — einzige Matter, die ans den 
Saiten meiner Seele schmerzliches Stöhnen ver- 
eitelter HofiEnongen und Schreie der Sehnsucht 
reissesty du furchtbare Mutter, die du mich 
auf dem hollischen Bett vergeblichen Bingens 
streckst — 

EIrbarme dich meiner 1 

Astaroth, Astarothl 

Du höllische Tochter der Lflge und des 
Scheins, die du in meinen Nächten mir vor die 
Augen die unsagbarste Lust und Verzfickung 
xauberst, die du mir das Weib, das ich suche, in 
die wilde Omarmung meiner Glieder wirfst und 
sie meinen Leib lastschreiend umflechten lassest 
— du furchtbare grausame Höllenmutter, die du 
aus meinem Blut Macht und Leben saugst, um 
mich wieder zu wecken zu neuer Qual und Ver- 
zweiflung, — 

£rbarme dich meiner I 

Astaroth, Astaroth! 

Mutter der Verkehrtheit, Beschtttzerin des 
unfruchtbaren Schosses und unfruchtbarer Lflste, 
die du mir in die Seele ein Verlangen eingeimpft 
hast, das du nicht stillst, in mein Blut Träume 
hineingeschienen, die nicht von dieser Welt sind. 



— 24 — 

mein Gehirn mit einer Brunst verkrampfst, die 
meine Angen mit Irrsinn umflort — 

ErhSre mich! 

Und in einer unmenschlichen Willensan- 
spannung bäumte sich sein Haar. Er zitterte 
und erschauerte, als ob jedes Glied f&r sich 
selbständig lebte. Es kam ihm vor, als gehe er 
aus sich selbst heraus, als verkörpere er sich von 
neuem draussen, ausserhalb seines Leibes, als 
gestalte sich etwas, das aus seiner Seele aus 
seinem mächtigsten Verlangen aus seiner qual- 
vollsten Sehnsucht herausströmte. 

Ein krachender Donner, als ob sich ein Erd- 
körper vom Himmel losgerissen hätte und in den 
Nichtsabgrund fiele — ein furchtbarer Sturm hat 
alle Fesseln gerissen — ein höllisches Lachen, 
Heulen, Kreischen wüteten in seinem Gehirn und 
in grausigem Entsetzen sieht er um den Spiegel 
herum einen Nebel kreisen und glänzen, sich for- 
men, Gestalt annehmen, sieht ihn, wie er sich 
rundet, Körper annimmt, zu atmen anfängt, blut- 
strotzend, lebendig I 

Eine Flut von Blitzen wogte schwer durch 
den Saal, ein Donner krachte in den Spiegel, ein 
Schrei und auf seinen Hals warf sich in wilder, 
zügelloser Brunst die, die er so lange gesucht, 



— 25 — 

nach der er so lange geheischt nnd am deren 
Willen er sein Heil verwirkt hat . . . 
irre Nacht ungesättigter Last! 



Er erschrak Ober diese Träume. 

Er konnte sich nicht wiedererkennen. Die 
Verkoppelnngen und Zusammenhänge in seiner 
Seele haben sich losgelöst, die Verbindungsfäden 
rissen ; nichts ging ihn jetzt mehr an, er lebte 
nur in seinen kranken Träumen, und in den 
Händen zerknitterte er das Band, mit dem der 
längst verwelkte Strauss umbunden war. 

Es schien ihm, als ob dieses Band etwas 
von ihrem Wesen eingesaugt hätte. Er f&hlte, 
dass es lebt. Wenn er es streichelte, war es, als 
glitte seine Hand ihren SammetkSrper entlang, 
küsste er es, sog er den Duft ihrer seidenen 
Haare, und wand er es sich um seine Brust, 
empfand er es, als hätten sich ihre Glieder um 
seinen Körper gewunden . . . 

Immer mächtiger schwoll in ihm die Sehn- 
sucht und der Schmerz an. Er quälte sich in 
ohnmächtigem Bingen. Die, die ihm den Strauss 



— 27 — 

geschenkt, wurde zu einem Vampir, der ihm alles 
Blut aus den Adern sog. 

und wieder irrte er auf leeren Strassen nnd 
Plätzen, und wenn die Dämmerang kam, schlich 
er sich in dnnkle Kirchen hinein, denn einmal 
kam es ihm vor, als hätte sich eine weiche, 
liebende, verlangende Hand mit sehnsüchtiger 
Inbrunst in die seine geschoben. Er irrte zwischen 
den Frtthlingsbäumen im Park, denn einmal hörte 
6r Schritte hinter sich — ihre Schritte — wie 
das Schlagen unruhiger, flugbereiter Flügel. 
Stundenlang stand er in dem Fenster und bohrte 
sich spähend in die Finsternis, denn einmal 
schien es ihm, als sähe er ein Augenpaar — 
ihre Augen — die mit heisser Sehnsucht die 
seinigen suchten. 

Bis endlich: 

Schwer sank die Dämmerung herab. Zwischen 
dem dunklen Geäst der Bäume blutete hier und 
dort das unruhige Flackern des Gaslichts der 
Laternen, auf und nieder wogte die Unruhe der 
Stadt, und ein schwüles, unendlich trauriges 
BrütM breitete sich über den finsteren Dächern 
der Bäume. 

Plötzlich erblickte er sie da, wo sich zwei 
Alleen kreuzten. 



— 28 — 

Er wnsste, dass sie es ist. 

Dieselben Augen, die sie ihm an jenem Abend 
in die Seele eingebrannt hatte, dasselbe Gesicht, 
denn nur ein solches Gesicht erstrahlt in dem 
Olanz, der um diese Augen sich goss. 

Er zuckte auf, blieb stehen und sie rührte 
sich nicht vom Platz, erschrocken und verwirrt. 

Ihre Blicke fingen sich auf und schwiegen. 

Er wollte etwas sagen, aber kein Wort 
würde er jetzt herauspressen können; er zitterte 
am ganzen Leib und sie zitterte. 

Plötzlich liess sie die Augen sinken, noch 
einen Augenblick blieb sie stehen und ging 
wankend an ihm vorüber. 

Er erwachte. 

Ging hinter ihr leise und vorsichtig. Er 
schlich die Bäume entlang, ab und zu verbarg 
er sich hinter breiten Stammen, denn er fürchtete, 
sie könnte sich furchtsam umdrehen und auf- 
horchen, ob er sie nicht verfolgt. 

Er sah, wie ihr Schatten sich bei jeder La- 
terne verlängerte dann wieder kürzer wurde und 
ganz verschwand — ach! Nur ihren Schatten 
von der Erde losreissen zu können, dachte er, 
ihren Schatten — ihren Schatten . . . 

Plötzlich richtete er sich auf mit jähem Ent- 



— 29 — 

scblnss. Sie erreichen, sie an die H&nde fassen 
— ihr in die Angen sehen — lange, dnrchdringlich 
bis tief auf den Gmnd, ihre H&nde in den seinen 
zerknittern und sie fragen, nur das Eine: Dn 
hast mir den Strauss geschenkt? 

Aber plStzlich bog sie um und verschwand, 
bevor er es vermochte, seinen Entschlnss auszn- 
filhren. 

Er starrte lange in das dunkle Haustor hin- 
ein. 

Eünen Augenblick schien es ihm, als ob sie 
in dem dunklen Flur stehen bliebe, sich an die 
Wand anlehnte, dass sie auf ihn wartet und ihn 
mit ihren Augen ruft — das Weiss ihrer Hände 
leuchtete auf, die Seide ihres Kleides rauschte, 
jkber nein — er irrte sich. 

Und er wollte todmflde nach Hause umkeh- 
ren . . . 

Eine schwere, unsagbar stille Trauer brei- 
tete sich Aber seinem Hirn, ergoss sich im Her- 
zen, sog sich ein in das feinste Oeftst seiner 
Nerven. 

Nie hat er noch diese Traurigkeit so quälend 
empfunden. 

Das Wunder war vollbracht. 

Er liebt sie. 



— 30 — 

Und erschreckt fragte er sich : Das also ist 
die Liebe? 

Er setzte sich auf eine Bank nieder und 
grübelte. 

Und jäh scboss vor den Augen seiner Seele 
ein heisser Strom von Franengestaltän, Frauen, 
die er kannte, die er an sich presste und in wil^ 
der Blutfanfare eins mit ihnen wurde . . . 

Die da, unergrandlich, geheimnisvoll mit dem 
schillernden Glanz schwerer Seide — kauernd, 

sprungbereit wie eine Pantherkatze — 

Jene mit den süssen Taubenaugen und un- 
flätigem Herzen, sanft wie eine Gazelle und gierig 
wie ein Raubtier — 

Oder jene, deren Leib so kühl war, wie der 
einer Schlange, oder die Blätter der Wasserrose — 

Die wieder schlank und herrlich, ihrer eigenen 
Pracht trunken — 

Oder jene mit den Formen eines göttlichen 
Epheben, einer biegsamen Damaszenerklinge yer» 
gleichbar . . . 

Sie alle hat er besessen, aber keine ge^ 
liebt . . . 

Er verliess sie ohne zu trauern und trauerte 
nicht, wenn er verlassen wurde, und wenn er 
seinen Lebensweg zurückblickte, sah er keina 



— 31 — 

gebrochene Blame am Band — kein gebrochener 
nnd verwelkter Ast sagt ihm : hier hat ein Stnrm 
gehaust. 

Dies also jetzt ist die Liebe, flüsterte er. 
Die Stunde des Wunders ist gekommen. 

Jäh warf er aus seinem Oehim die lüsternen 
Bilder brftustiger HiBtären und unschuldiger Täub- 
eben, gehässig sah er nach den verschwindenden 
nackten Leibern, dem Chaos lustschreiender Arme 
und Beine, den ersterbenden, zuckenden Orgien 
trunkener Sinne und mit kindlicher Andacht 
flüsterte er leise vor sich hin : 

Die Stunde des Wunders ist gekommen, die 
Stunde des Wunders . . . 

Und er grübelte — endlos . . . 

Ja, er liebte sie. 

Liebte sie, wie er einst den Lichtstrom ge- 
liebt, der sich in der Nacht Ober das Meer ergoss. 

Er sah deutlich den riesenhaften granitnen 
Leuchtturm, den er lange bewohnt hat, hoch 
oben auf der höchsten Felsspitze eines Vorge- 
birges. 

Und er entsann sich deutlich an die selt- 
samen Formen des Felsens. Als ob eine himmel- 
stürmende Woge plötzlich versteinerte in dem 
Augenblick, als ihr spritzender, schaumgepeitschr 



— 32 — 

ter Bücken bersten sollte, nm sich in ein ab- 
gründiges Wassertal zn stflrzen. 

Und auf dem zerzansten, zerrissenen Kamm 
der versteinerten HSUenhengst-Mähne scboss hocfa- 
empor der granitne Tnrm. 

Stundenlang sass er da oben an dem Herd 
des elektrischen Lichtes, sah dnrch die riesen- 
grossen Glasprismen der Laterne auf das ewig 
nene Lichtwnnder da nnten auf dem Meer. 

Er sah den Lichtstrom, wie einen Keil, der 
sich Ober die Ränder goss in der weltenverlorenen, 
stillen, dunklen Öde der Wasserflut in den Mond- 
glanznäcbten. 

Eine lichttrunkene Hand legte sich mit weichem 
Glanz auf den Scboss der Geliebten, zerfloss auf 
ihm, glitt auf und ab, wie verlangende, schwei- 
gende Lippen auf der zitternden Brust des ge- 
liebten Mftdchens irren. 

Ganze Nächte sah er dieser unendlich weichen, 
zitternden Liebkosung zu, dieses Gleiten und Lrren 
dieser licbtdurchsättigten, traumbefangenen Hand. 

Und wieder sah er, wie das Licht in die ge- 
runzelte Flut goldene Fäden einwebte. Wie weit 
das Auge reicht, nichts als das goldene Spinn- 
gewebe feinster Spitzen in unermesslichem Reich- 
tum und Pracht — das goldene Netz weitete sich 



— 33 — 

und weitete in immer grösseren Kreisen nnd im- 
mer neue und reichere Fäden verstrickten, ver- 
knftaeiten die Binge, verfädelten sie zu immer 
kunstvolleren Maseben nnd es war, als ob der 
Lenclittnrm lebendig wftrde, einer meerbeherr- 
scbenden Göttin, welche die Schleppe von gol- 
denen Spitzen ihres hochzeitlichen Brautkleides 
ttber das Meer gebreitet hätte. 

Dann sah er das Licht des Leuchtturmes, wie 
es sich in verzweifeltem Mühen in das dunkle Nebel- 
gewölk hineinfrass. Immer neue, immer schwerere 
Nebelmassen fielen auf das Meer nieder, immer dunk- 
ler fingen sich an zu verdichten, bis sie zu einer 
schwarzen , undurchdringlichen Mauer wurden. 
Diese Feste stürmte das Licht. Mit mächtigen 
Keilen warf es sich in das schwarze Mauerwerk, 
suchte es mit Biesenkrallen zu zerreissen, mit 
neuen und mächtigeren Strömen zu durchbrechen, 
vom Meeresgrund zu lösen, aber vergeblich. 

Aber am tiefsten liebte er das Licht, wenn 
es in wilden Sprüngen auf dem Meer raste und 
einen wahnsinnigen Veitstanz auf den schäumen- 
den Wellenkämmen aufführte. Wenn die Funda- 
mente des Leuchtturms krachten, als wären sie 
von einem Erdbeben erschüttert, wenn der rasende 
Orkan ungeheure Wassermassen gegen die Prismen 

PrsybyisAwiki, Androgyn«. 8 



— 34 — 

der Laterne warf — dann weinte er vor nn- 
ermesslicher Liebe ttr das Licht. 

So, ach so, war das Licht , das ihre Augen 
in seine Seele ihm hineingeschienen haben. 

Weich nnd kosend, wie die weisse, leuchtende 
Hand, die der Schoss des Meeres streichelte, ver- 
langend mit der Lnst schweigender Lippen, die 
anf der keuschen M&dchenbrust irren — zitternd 
und spielend in dem goldenen Spitzengewebe, 
dem hochzeitlichen Kleide, das sich über das 
Meer breitete, stürmisch nnd verzweifelt in dem 
ohnmächtigen Bingen mit den schwarzen Nebel- 
wolken, schmerzverkrampft in dem Kampf des 
Lichtdrachen mit dem Loki des Meeres. 

Und im selben Nu, in der Stunde des grossen 
Wunders formte sich ihm die ganze Welt um. 
Alle Formen und Gestalten kleideten sich in die 
schlanke, biegsame Linienpracht ihres Körpers, 
die ganze Sintflut von Farben, der ganze Licht- 
ozean des Alls ergoss sich in einen dunklen, 
heissen Glanz, der um ihre Augen kreiste, aus 
dem unermesslichen Chaos von Tönen, Bewe- 
gungen, Harmonien vom Flüssigen und Festen 
blühte auf ein wundersames Lied, ein Lied, das 
sie war — sie, die Einzige. 

Dazu bat ihn die Erde geboren, dazu ihre 



— 35 — 

Oestalt in seine Seele eiDgezeichnet, damit sich 
ihre eigenen Linien in der verkörpern, die er 
snchte, sich in sie ergiessen wie eine seit Ewig- 
keit vorbereitete Form? 

Dazu ergoss sich in seine Angen das Wun- 
der der Mondnächte über den Oden Brachfeldern 
nnd der Lichtschmerz über dem Meer nnd der 
jauchzende, zitternde Sonnenglanz über den mit- 
taglichen Heimatsdächem — dazn brannten sich in 
ihn hinein die Farben sonnverbrannter Steppen 
ond giftiger Snmpfblnmen, damit nnr ihr Augen- 
licht bis auf den Orund seiner Seele sich bohren 
und dort sein Innerstes nnd Heiligstes aufwecken, 
damit der Glanz ihrer Haare sich schmeichelnd 
um seine Nerven legen, und der Ton ihres Kör- 
pers ungeahnte, niegekannte Lust göttlicher Har- 
monie auf seiner Seelenharfe spielen könnte? 

und dazu ächzte und stöhnte seine Erde 
diese unsäglich traurigen Klagen, dazu dröhnten 
die Glocken bange Ahnungen, und auf dem Brach- 
acker sang der Wind weltfremde Schmerzen in 
den Takt der wogenden Weizenfelder, damit jede 
Zuckung ihres Körpers, jede feine, biegsame Be- 
wegungswelle mit der Form seiner Seele eins würde? 

Er rieb sich die Stirn und konnte es nicht 
fassen. 

8* 



— 36 — 

Dazu lebte alles um ihn herum, dazu bildete 
und erzog sich seine Seele, um die Form zu 
schaffen, welche die Unbekannte ausfUlen sollte? 

Er erhob sich und ging. 

Ein stiller Triumph ergoss sich in seiner 
Seele. 

Er ging stolz mit hochaufgerichtetem Haupt, 
ging wie ein Heerführer in dem Gefühl eines 
unendlichen Machtbewusstseins. Trug er ja doch 
eine Sonne in seiner Brust — das ganze All, die 
tiefsten und geheimsten Rätsel des Alls. 

Er ging still und gross, denn seine Seele 
hat ihm ihre dunkelste Tiefe geoffenbart, liess 
ihm die geheimsten Bunen, die in ihrer Binde 
eingegraben waren, deuten und er ging hehr mit 
dem Schatz der Sonne in seinem Inneren. 

Ging immer schneller den steilen Pfad hin- 
auf, aber er ging leicht, als w&re er durch eine 
fremde Kraft getragen, bis er endlich eine An- 
höhe erklomm. 

Er sah in die Tiefe — dort unten in dem 
Tal zu seinen Füssen — dies wogende Meer von 
Dftchem, das in einem feinen Lichtdunst gebadet 
schien — das war seine Stadt. 

Und in der Feme hinter der Stadt ein Ge- 
birgszug in gebogenen Linien, im Zickzack in 



— 37 — 

verbogenen Curven : ein wirres Mäanderschema von 
Hflgeln, die sich nahmen, Anhöhen , jäh auf- 
schreckenden Felszacken, schäumenden Wogen 
vergleichbar, die aus der Tiefe des Horizontes hoch- 
spritzten, schäumten, sich übereinander hoch- 
törmten ; und alle Anhöhen waren mit Kastanien- 
Wäldern bewachsen. Grüne Eastanienberge mit 
einer Schneedecke von weisser Blütenpracht. Hei! 
Wie flackerte das weisse Totenkerzenlicht der 
Blflten auf dem grünen Damast, der von dem Himmel 
sich bis in die Stadt hinunter zu giessen schien ! 

Und plötzlich breitete sich sein Herz in 
einem niegekannten Machtgeffthl. Er wuchs in 
den Himmel, er streckte seine Arme aus, ein 
wildes Geschrei mühte sich in ihm hoch, um dem 
Weltall die Sonne zu zeigen, die er in seinem 
Herzen trug, er fühlte, dass er Licht ausstrahlte, 
er ging wie von einer Lichtwoge umbraust> fühlte 
dass er, über das Sein erhoben, seine Himmelfahrt 
feiere. 

Und wieder fiel er zusammen. 

Sein Sinn schlug um. 

Nach Hause! 

Es wurde spät, die Laternen hat man aus- 
gelöscht, und er ging in dem dämmrigen Halb- 
dunkel der breitgeästeten Eastanienallee wie ia 



— 38 — 

einem tranmwirren Schlaf. Er ging und wosste 
kaum, dass er geht. 

Eline watende Sehnsucht zerfurchte tief seine 
Seele, es kochte und brodelte in seinem Hirn. 

Und doch trug er sie in sich, die Sonne, das 
Weltall — dies alles barg sein Herz — wonach 
sehnte er sich noch? 

Er Iftchelte still vor sich hin. 

Ihr Gesicht so seltsam hell und durchsichtig, 
ihre Augen so gross und erschrocken, ihre Ge- 
stalt so schlank und biegsam wie junges Schilf 
im Frühlingswind . . . 

Das Fieber zehrte an ihm. 

Kam nach Hause und warf sich auf das 
Sett . • • 

Die Nacht erstarrte in der Luft. Die Nacht 
versteinerte, kein Lichtstrahl könnte sich durch 
das schwere, granitne NachtgewOlbe durchstehlen, 
das mit einem massigen, schwarzen Begenbogen 
über der Erde lagerte . . . 

In der dunklen Nacht schrieen verzweiflungs- 
voU grosse Blumen nach der Sonne, verkrampften 
sich in qualvollem Leiden, richteten sich wieder 
auf, schössen jäh empor wie in den Konvulsionen 
der Starrsucht, warfen sich zur Erde in Chorea- 
krämpfen, bogen sich spiralförmig wie in den 



— 39 — 

Delirien der Besessenheit und ganze Felder 
weisser Narzissen starrten in sinnloser Verzweif- 
long mit blutigen Augen vor sich hin. 

Weisse Narzissen mit Augen , die brachen 
und mit Blut abergingen, mit Blut, das auf den 
Stengeln langsam niedertroff in grossen schweren 
Tropfen. 

Und aber dieser weissen Öde, gesprenkelt 
von den roten Flecken blutiger Tr&nen, ragten 
hoch empor zwei stolze, schlanke Stengel; zwei 
weisse Sterne tanzten in der Luft, reckten sich 
höher und höher, zerrissen mit trunkener Hoff- 
nungslust das Dickicht des Dunkels, legten die 
Köpfchen leise aneinander und ihre Augen ver- 
flochten sich in dem Schweigen heiliger Ah- 
nungen. 

Er sah lange die einsamen Blumen, Iftchelte 
leise und ging weiter. 

Er arbeitete sich mOhsam durch ein Dickicht 
von ungeheuerlichsten Blumen, die jegliches Gift, 
jegliche Fäulnis der Erde in sich aufzusaugen 
schienen. 

Er irrte zwischen nassem Sumpfgestrflpp, 
unter riesengrossen Nachtschattenbäumen, die in 
violettener Trauer prangten, ging an ungeheuren 
Tollkirschenhecken, überreich an schwerer, wie 



— 40 — 

gebeiztes Ebenholz glftnzenden Traubenlast, Bil* 
sentarautgebflscben , die mit ihren schmutzigen 
aschfarbenen Blüten mitternächtlichen Grans 
schrieen, blasser Schirlingwald vertrat ihm den 
Weg, an den Gr&ben schreckten ihn die vom 
grauen Star überzogenen Augen des Stechapfels, 
die hohen Standen des Tollkrauts schlugen ihm 
ins Gesicht, es blendete ihn der Hahnenfuss, der 
in der roten Glut des Almfeuers brannte. 

Und tiefer und tiefer arbeitete er sich hin* 
ein in dies schauerliche Giftreich, bis er plOtz* 
lieh in tiefstem Schreck stehen blieb. 

Von allen Seiten verengerte sich der Baum, 
von weiter Feme schien er heranzurasen, machte 
immer mehr den Platz um ihn enger und schmäler, 
umringte ihn mit einer Mauer und er sah sich 
plötzlich in einem geheimen Saal , von der Art 
eines Tempels von Eleusis, wo seltsame Myste- 
rien gefeiert wurden oder einem Geheimraum des 
Isisheiligtums, wo die Priesterin ihren Hymen 
dem gottgeweihten Bock, opferte, oder einer von 
der Göttin Kali bewohnten, unterirdischen Grotte, 
wo die Thuggs den Opfern von giftigen Schlangen 
das Augenlicht aussaugen lassen — vielleicht 
war er in einer verfallenen Katakombe, wo der 
Satan mit der Bifurca seines Phallus seine 6e- 



— 41 — 

liebte in unmenschliclier Brunst verbluten liess, 
oder einer Krypta einer mittelalterlichen Kapelle, 
wo gottscb&nderische Priester auf dem nackten 
Leib der Schlossherrin die schwarze Messe feier- 
ten . • . 

Erstaunt nnd schreckerf&llt sah er sich um. 

Von der Wölbung hing eine Lampe herunter, 
dichtbesetzt von Bubinen, menstruierenden Eiern 
vergleichbar, faustgrossen Diamanten von dem 
blassen Licht eines Ödems, kostbaren Steinen, 
die wie Sarkomeklumpen an der Lampe hafteten, 
Onyxe, Berylen, Chrysolithen — und durch das 
giftige Wasser des kranken Edelgesteins ergoss 
sich eine Flut von Licht verreckender Bubin- 
sonnen durchglüht von dem grDnen Irrlicht-Golf- 
strom der Smaragde. 

Und in dem grausigen Zauber des Lichtes, 
das einst vielleicht die fieberkranke Erde bei 
ihrem Werden in die sinnlose Zeugungsbrunst 
peitschte, da sie noch kochte und übersch&umte 
von Feuer und Esse, erblickte er längs um die 
Mauer ein seltsames Ornament, das das Gesims 
bildete. 

Ein und dasselbe weibliche Gesicht mit einem 
immer neuen Ausdruck, immer neuer Trauer, 
Yerzweiflung, Leidenschaft, Gier, Verlangen . . . 



— 42 — 

Das war ja ihr Glicht und das unendliche 
Lied ihrer Seele, dachte er erstaunt 

Er sah sie rein und unschuldig wie ein Kind 
mit den Augen einer weissen Tuberose — still 
wie der Abglanz blasser Sterne im dunklen Strom 
— weich wie das Echo einer. Hirtenflöte in der 
Frühlingsnacht, durchsättigt von dem berauschen- 
den Fliederduft — 

Dann wieder traurig und gramvoll, wie die 
Blate einer schwarzen Böse in der erstickenden 
Julihitze — (nur ab und zu entreisst sich aus der 
Seele ein wilder Schrei, wie der geborstene Klang 
eines Abeimächtigen Akkordes, der die sonnver- 
brannten Graswogen der Steppe durchfurcht) — 

Dann wieder j&h und verlangend, wie die 
Biate des Mohns, die in der Wollust der Hingabe 
erstirbt: als ob sich durch das iraumschwere, 
lustheisse Weh von neuem eine Schlange gieriger, 
heisser Töne, die Lustqual und Qier atmeteUi hin- 
durchschl&nge. 

Einmal sah er ihre Augen schwimmend in 
dem Nebel des Bausches, dann wieder frech und 
ausgelassen, als w&ren sie umfangen von dem 
Gift des indischen Hanfes — in einem Gesicht 
sah er ihren Mund wie die geöffnete Blüte einer 
mystischen Böse, dann wieder aufjgeqnoUen in dem 



— 43 — 

Schrei eines geOffheten Orchideenkelches — stolz 
und nDzug&nglich wie die Blttte einer Aglaophotis 
und yerächtlich wie Löwenmaul . . . 

Eüne endlose Beihe von Köpfen — eines nnd 
desselben Kopfes — in allen Ausdrücken in ewig 
neuem Wechsel nnd Yer&ndemng: eine unend- 
liche Skala von Trauer von dem ersten Erzittern 
der Sehnsucht bis hinab in den tiefen Strudel 
irrsinniger Verzweiflung — das ganze endlose 
Liebeslied von dem ersten Aufzucken des Her- 
zens , der die Adern mit Blut überströmt durch 
alle Liebesglut y durch alles unwissende, gierige 
Verlangen bis hinab in die Hölle von Brunst, 
die nie ges&ttigt, durch nichts gestillt werden 
kann — der ganze Sturm des irrsinnigen Liebes- 
erothismus von dem ersten Aufkeimen des Lust- 
gedankens, der, einer giftigen Spinne gleich, das 
Hirn umstrickt bis in jenes düstere, gellschreiende 
qual&chzende Chaos hinab, wo die Seele sich selbst 
verliert, zerbirst und in Scherben auseinander- 
springt. 

Und plötzlich: Alle diese Köpfe begannen 
sich von der Wand loszulösen und wurden leben- 
dig, sie fingen an sich zu formen und Gestalt 
annehmen — Arme, wollüstige, wollustgespannte, 
trunkene, schreiende Arme streckten sich ihm 



— 44 — 

entgegen, nackte Weibergestalten drangen aas 
den Wänden heraus, stiegen zn ihm herab, war- 
fen sich auf ihn, umwälzten ihn mit der Flut 
gierigen, abgrundstiefe Lust versprechenden Lei- 
bem — ein höllisches Lachen, Weinen, Ächzen^ 
Kreischen tobte in dem Saal, brach sich an den 
tausend Ecken und Kanten des seltsamen Saals 
— keuchende Arme schlangen sich um ihn, war- 
fen ihn auf und nieder, er erstickte in der wahn- 
sinnigen Fleischeshysterie in dem tollwütigen 
Orgiasmus einer entfesselten HöUenbrunst. Bings 
um ihn eine grausige Orgie von verflochtenen 
Gliedern, die sich voneinander nicht losreissen 
konnten in den schreienden Spasmen einer gräss- 
lichen Kopulation, die entsetzlichsten Bilder der 
widematfirlichen Unzucht rollten sich von seinen 
Augen, es raste der wahnsinnige Sabbat von Blut 
und Sperma. 

Und in einem Nu verschwand alles. 

Er sah sie aufs Kreuz gespannt in der gan- 
zen Pracht ihrer Nacktheit. Um ihre Arme wan- 
den sich goldene Schlangen, ihre Knöchel waren 
umwunden von goldenen Schlangen und um ihre 
Hüften ein breiter goldener Gürtel, den auf dem 
Nabel eine Spange schloss, eine kostbare Lotos- 
blume, funkelnd vom seltensten Edelgestein. Sie 



— 45 — 

sah ihn an mit halbgeschlossenen Angen — hin- 
ter den langen Angenwimpem krochen hervor 
l&steme Schlangen lockenden , schmeichelnden 
Flfistems — sie wiegte sich woU&stig anf dem 
Ereoz, ihr Schoss zackte, ihre Brüste streckten 
sich ihm entgegen, heiss nnd sangend klang ihre 
Stimme : 

Erinnerst da dich, wie mein Vater mich nackt, 
voll von Scham and Angst vor deinen Thron ge- 
schleppt bat? 

Denkst da noch, als dn auf dem Thron, zit- 
ternd. Instschreiend sassest nnd nach mir deine 
Arme strecktest? 

Ich war rein wie eine Lotosblume, da sie 
den Gott gebar — dn hast die heilige Lampe 
meiner Seele zerschlagen, da hast aasgegossen 
die Glnt, die in meinen Adern gefesselt war, 
meine ^'eele hast dn mit dem Oift des Verlangens 
und wilder Lnstträume zerfressen, am mich dann 
kreozigen zu lassen. 

Ihre Stimme gellte anf in kenchender Leiden- 
schaft : 

Erinnerst dn dich, als deine Eannchen gol- 
dene Nägel in die weissen Lilienblflten meiner 
Arme trieben — Blnt spritzte in heissen Strahlen 
nnd ich habe dich gehöhnt, ich spie FlQche nnd 



— 46 — 

Yerwflnschnngen in dein Gesicht, ich biss deine 
Seele mit dem Gift meiner Rache . . . 

Komm 9 komm, da armer Sklave des Blates, 
das dn in die Baserei des Irrsinns gepeitscht hast^ 
in meine ümarmnng, die dn nie gekostet hast 
— komm in die Hölle nnd die Unzucht, die dn 
in mir entfesselt hast — an hast mich gekreuzigt 
nnd wälzest dich im Staub vor mir . . . 

Kriech doch näher heran — näher noch! 
Leck doch meine Füsse, dass sie sich krampfen 
in der Fieberglnt deiner Lippen — oh — noch — 
kräftiger, inbrünstiger nochl 

Er kroch an sie heran . . . 

Und ein grässlicher Schrei: 0, Astaroth^ 
Astaroth, Mutter der Hölle und der Unzucht! 

Aber im selben Nu umgoss seine Stirn der 
Atem, ein unendlich reiner, heiliger und keuscher 
Atem von stillen Lilienhänden . . . 

Er hatte Angst seine Augen aufzumachen — 
er fürchtete, es sei wieder ein Traum — diesmal 
ein heiliger Traum des Ewigen . . . 

Spurlos verschwand der höllische Spuk und 
Graus, er fühlte wie ihre Hand über seine Stime 
strich, wie sie ab und zu mit stillen, keuschen Lippen 
ihm die Augen schloss, und die Seide ihrer Haare 
mit kosender Gnade über seine Arme sich ergoss. 



— 47 — 

Er f&hlte ihre Hand in der seinen , er sah 
zwei Sterne ihrer Angen, die niegekannte Selig- 
keit in sein Herz hineinleuchteten . . . 

Ja, das ist sie — sie — die Todesstille, die 
Eensche, die Heilige — die ist es, die ihm einst 
den Blnmenstranss geschenkt hat . . . 



Es war schon spät am Mittag, als er todmfide 
und fieberkrank von dem Bett sich m&hsam auf- 
raffte. 

Warum meidet sie mich, warum flieht sie 
vor mir! dachte er verzweifelt. 

Seine Gedanken verwirrten sich, tausend 
Pläne, tausend Beschlflsse kreuzten sich in seinem 
Hirn und tausend Blitze glitten aber seine Seele, 
bis er endlich erschöpft auf den Stuhl sank. 

Nichts konnte er verstehen. 

Er durchdachte seine ganze Qual, sein Basen 
und Irrsinn, die er durchlitten, seit sie ihm die 
Blumen geschenkt hat. 

Der Schmerz stieg in ihm hoch und ein 
wilder Hass. 

Aufs Kreuz lasse ich sie anschlagen, ans 
Kreuz! wiederholte er mit irrem Lächeln. 

Er schloss die Augen und weidete sich an 
der Todesangst seiner Sklavin: 



— 49 — 

In einem riesigen Palasthof, irgendwo in Sais 
oder Ekbathana. 

Bings standen seine Krieger in schwerer sil- 
berner BOstnng and goldenen Hehnen — die 
Schnppen ihrer Brustwehr funkelten im blenden- 
den Glanz, und ihre Augen blitzten mit der blut- 
dürstigen Gier wilder Baubtiere. 

Dreimal erschollen die Trompeten: in den 
Palasthof schleppten die Eunuchen die arme 
Sklavin. 

Sie war irre yor Todesangst, ihre Lippen 
bluteten, sie keuchte TomAber, fiel rückwärts 
hin, die schwarzen Sklaven packten sie an den 
Armen und schleiften sie über die von der Son- 
nenglut versengten Fliesen an den Fuss des Ereu- 

Z6S • • • 

Der König schloss die Augen und gab das 
Zeichen. 

Sie warfen sie hoch auf das Ebenholz des 
Kreuzes, der Henker erfasste ihre Hände, ein 
Sklave hielt sie fest um die Hüften, und man 
hörte das Klopfen des Hammers ... 

Aber im selben Augenblick brüllte der König 
auf wie ein wildes Tier in der Tollwut 

Er riss sie vom Kreuz herab, hielt sie wie 

Prsjbyfstwfkl. Andro^ym«. 4 



— 50 — 

ein Kind in seinen Armen, Aber sein Kleid rann 
das Blnt ans ihren Wunden, er kflsste die Wan- 
den und trank das Blut — die Sklaven, die sie 
anzurühren ivagten, liess er vierteilen, machte 
ans ihr eine Gottheit und liess ihr Opfer brin- 
gen . . • 

Ja, ja . . . sie war sein Gott und sie sollte 
von der ganzen Welt fussfäUig verehrt wer- 
den • • • 

Gott, wie er seine Sklavin liebte, er — 
ihr untertänigster Sklave I 

und warum sollte er sich so qu&len? 

Er beschloss jetzt plötzlich, sie aus seinem 
Herzen herauszureissen — nie mehr an sie den- 
ken — die Blumen hinauswerfen und das rote 
Band, das ihn immer so qualvoll an sie erin- 
nerte . • • 

Aber als die Dämmerung kam, lief er vor 
das Haus, in dem sie ihm gestern verschwunden 
war und wartete . . . 

Endlich erblickte er sie, wie sie aus dem 
Tor trat — sie sah rings um sich, aber ihn hat 
sie nicht gesehen. 

Er ging leise hinter ihr her. 

Um sie nur nicht zu verscheuchen, dass sie ihm 



— 51 — 

nicht plötzlich ans den Angen yerschwände! Eaum 
wagte er zu atmen. 

Sie ging schnell, als ffthlte sie, dass jemand 
hinter ihr sich leise schlich — immer schneller 
— in der dämmrigen Allee heissblflhender Aka- 
zienbänme flackerte der weisse Schein ihres Elei- 
des wie ein Irrlicht zwischen den Bohrstanden 
auf einem dunklen Sumpf. 

Jetzt war er schon ganz sicher, dass er sie 
aus seinen Augen verlieren wfirde, schnell trat er 
an sie heran, halb bewusstlos und wusste kaum, 
was er tat. 

Sie blieb im tiefsten Schreck stehen und sah 
ihn sprachlos an . . . 

— Ich hatte Angst, Sie aus den Augen zu 
yerlieren — sagte er endlich — Sie gingen so 
schnell . . . 

Er atmete schwer und schwieg. 
Sie gingen langsam nebeneinander. 
Er kam ins Gleichgewicht: 

— Ich weiss nicht, wie ich es gewagt habe, 
Sie aufzuhalten, aber in dem Augenblick, als ich 
Ihnen den Weg vertrat, wusste ich nicht, was 
mit mir geschieht . . . 

Er schwieg eine Weile, dann sprach er schnell, 

4» 



— 62 — 

kurz abgerissen, hastend nnd eindringlich , als ob 
er sich nur die schwere Last yom Herzen endlich 
abschattein wollte: 

— Sie wissen nicht, wie ich Sie gesucht 
habe. Tagelang irrte ich anf allen Strassen 
hemm, in allen Kirchen, in den Gartenanlagen 
nnd Alleen, um nur einen Blick Ton Ihnen zu er- 
haschen — einen Blick nur, nein, nur seinen 
fernsten Glanz, den geheimsten Atemzag Ton 
Ihnen. — Ich kannte Sie nicht , nie früher habe 
ich Sie gesehen, ich wnsste nur das eine, dass 
ich Sie unter Millionen Ton Frauen finden 
werde. Die, die mir den Blumenstrauss ge- 
schenkt hat, die mir ihr Augenlicht in meine 
Seele hineingektLsst hat, kann nur so aussehen 
wie Sie. 

Sie ging immer schneller und er flehte und 
flasterte heiss: 

— 0, wie ich dich liebe, du meine göttliche 
Sklavin. Meine Erde bist du und mein Lied, 
alles bist du, was in mir tief und rein ist . . . 
Ich trage dich in mir wie eine heilige Sonne 
— in dem Abgrund meiner Seele leuchtest du 
wie der Abglanz eines mächtigen Sterns in dem 
Sturm der Ozeane — deine Augen wie zwei 
Tuberosensteme, und jede Nacht schlingst du um 



— 6S — 

mich die biegsamen Weiden&ste deiner Glie- 
der .. . 

Sie blieb zitternd stehen nnd liess den Kopf 
tief sinken. 

— Wie oft hielt ich dich in meinen Armen^ 
wie oft habe ich mit unendlicher Liebe dein 
Gesicht gekost, wie oft deine Augen gekttsst, 
dich auf meine Brust hochgeworfen und aus dei- 
nen Lippen göttliche Lust gesogen! 

Er fasste sie am Arm. Sie zitterte wie ein 
Herz, das frisch aus der Brust gerissen wird. 

— Sag mir doch ein Wort, nur ein Wort. 
Ich weiss, dass du mich liebst, dass du mich 
lieben musst, denn, wer solche Blumen schenkt, 
der muss lieben. 

Du wusstest gut, dass du dich selbst mir 
schenktest, als du mir die Blumen gabst. 

Wieder schwieg er, sah sie nur an toU flehen- 
der Angst. 

Sie antwortete nicht, entzog ihm ihre Hand 
und ging still weiter. 

— Sag doch nur ein Wort, flehte er. Wenn 
du willst, werde ich nie mehr ein Wort an dich 
richten — erlaub nur, dass ich dir von ferne 
folge, dass ich ab und zu deinen Blick er- 
hasche, dass ich deine Gestalt, die Musik deiner 



— 54 — 

Schritte^ die endlose Hannonie deiner Bewegungen 
koste. 

Eklanb es mir, du weisst nicht, wie ich 
mich qa&le, was fOr wahnsinnige Träume mich 
in Irrsinn peitschen — sag nur ein Wort — 
sag wenigstens, dass ich von dir weggehen 
soll • . . 

Er Tei*wirrte sich immer mehr, stotterte, 
stockte, qu91te sich unsagbar, verwickelte sich 
und vergass, was er ihr sagen wollte. 

Tränen flössen langsam über ihr Gesicht, 
aber kein Aufzucken, keine Muskelbewegung 
yerriet, dass sie weinte. Sie weinte still das 
Blut ihres Herzens aus, sie weinte, wie eine 
MSwe weint, die den Weg verloren hat, sich 
schmerzlich zurtLcksehnt und — nicht zurftck- 
kann. 

Eine ganze Welt f&hlte er in sich krachend 
zusammenfallen. Eine wftste, hoffnungslose Trauer 
umfing sein Herz — er ging neben ihr wie in 
der Stunde des Untergangs, da die Sonne auf 
ewig verlischt, und die ewige Nacht sich aber 
der Erde schauerlich wölbt. 

Er ging, als ginge er an das Ende der 
Welt, um sich hinüberrudern zu lassen an das 
geheime Ufer schattenloser Bäume, erstorbener, 



— 56 — 

kalter Friedhofslnft, in der miböwegliche Vögel 
mit leblos ausgebreiteten Fittichen mhten. 

Etwas von ihm ergoss sich in sie hinein 
— Tielleicht empfand sie dieselbe grenzenlose 
Trauer, dasselbe Vorgefühl der ewigen Öde und 
Stille des Todes, sie erschauerte, schob ihren 
Arm unter den seinen und presste sich leise an 
ihn . . • 

— Ich habe Angst I flüsterte sie leise. 

Sie sahen sich an im tiefsten Schreck. . . . 
Der Atem stockte in ihrer Brust in der Er- 
wartung eines Etwas, das mit dem Jfingsten- 
gerichtschrecken fiber sie kommen sollte. 

Und im Nu wälzte sich über seine Seele 
mit einer grässlichen Flut yon Qualen sein 
Golgatha der letzten Tage. Ein wilder Zorn 
brandete in seinem EUm, er packte sie wütend 
an den Händen, presste sie mit eisernem Druck 
und schrie wütend : 

— Ans Kreuz lasse ich dich schlagen ! Ans 
Kreuz, ans Kreuz ! 

Sie stand einen Augenblick bebend vor Schreck, 
zitterte wie Espenlaub, dann entwand sie sich 
seiner wütenden Umarmung und lief im rasenden 
Lauf dahin. 

Er sah sie fliehen, aber die ganze Welt flng 



— 66 — 

an in seinen Angen zn kreisen, Blitze schössen 
in das Dunkel hinab, eine Sonne stOrzte krachend 
in die Tiefe . . . 

Lantlos, als hätte ihn jemand mit unsicht- 
barer Sense gestreckt, fiel er zn Boden ... 



Es vergingen viele Tage nnd N&chte. 

Er hatte sich eingeschlossen nnd liess nieman- 
den zn 'sich ein. 

Er hatte Angst anf die Strasse zn gehen, 
denn er wnsste, dass er sie tiieffen würde and 
er wnsste, dass anch sie ihn snche, dass sie 
henunirre nnd ihn snche, wie er sie gesucht 
hatte. — 

und wenn es wieder dämmerte, nnd er aus- 
gehen mnsste, dann schlich er langsam an den 
Hftnsern nnd an Alleebäumen entlang. Jedes ge- 
ringste Gtoräusch ängstigte ihn, der Widerhall 
von fernen Schritten schreckte ihn hoch, dann 
alles, was ihn umgab, eine ganze Welt von Ge- 
danken und Erinnerungen, die ganze Welt hinter 
ihm war sie. 

Er wusste nicht, weswegen er sich so äng- 
stigte. Erfühlte nur, dass, wenn er sie wieder- 
träfe, sich etwas Fürchterliches ereignen müsse. 



— 58 — 

Und nie hat er sich nach ihr so gesehnt; 
nie sich so geqo&lt. 

Wenn die Welt taub wurde in unermess- 
licher Stille , aus den Sternenkelchen die leise 
Gnade des Lichtes aufblühte und sich nledergoss, 
wenn zwischen dem Ge&st der Eastanienbäume 
die Trauer des Mondes blutete — dann ach! 
dann streckte er im verzweifelten Schrei die 
Hftnde nach ihr, seine Seele erstarb im wilden 
Krampf, und er kroch zu ihr, denn es war ihm, 
als müssten die Entfernungen welchen und sie, 
umstrOmt yon dem köstlichen Duft der herrlich- 
sten Blumen, die er in seinen Träumen erlebte, 
umkleidet yon dem überirdischen Zauber blauer 
Himmelspracht werde zu ihm niedersteigen und 
mit ihren leuchtenden Händen seine fieberkranke 
Stirn pressen, ihn an sich ziehen und streicheln 
und küssen . . . 

Oder anders: sie werde über ihn nieder- 
strömen mit der unfassbaren Onade der Stille und 
Buhe, werde sich in ihm ergiessen mit dem Ver- 
gessen und in seiner Seele das hohe Lied weisser 
Träume anstimmen. 

Anders noch: Sie wird über ihn kommen 
mit dem gedämpften Widerhall femer Glocken, 
die in seiner Seele ihm die grünen Teppiche sei- 



— B9 — 

ner Mattererde breiteten, das Herz ihm tranken 
machen an dem Olanz herrlicher Eindheitserinne- 
rnngen, als er noch aaf dem Schoss der Matter 
die Wander träamte, die in der jangfränlichen 
Brast scblommem, aaf das Lied horchte, das ihm 
der heimatliche See in der gespenstigen Mitter- 
nachtsstande sang and za den Vögeln hinaafsah, 
die über den geheimnisvollen Orftbem regangslos 
ihre schweren Flügel breiteten and in Gärten 
hernmirrte, kostbar von schwarzen B&nmen, an 
denen nngeheare Dolden von schweren goldenen 
Blüten herabhingen. 

Er sehnte sich nach ihr and er hatte sinn- 
lose Angst, sie wiederznsehen. 

Einmal glanbte er sie darch das Fenster za 
sehen. Sie presste ihr Gesicht an die Scheibe 
and sah ihn an mit Angen wie ein ersterbendes 
Doppelgestim. 

Das war ein Schmerz, der keine Kraft mehr 
hatte anfzoschreien oder za stöhnen. Nnr ein 
yeräscherter , sterbender Fenerscheit aaf dem 
Herd. Nar das letzte Aafprasseln der Toten- 
kerzen am Katafalk, von dem man bereits den 
Sarg geborgen hat. Nor das letzte Aufatmen Tom 
Wind, der aaf die Erde niederfiel and gebrochen 
dorch die herbstlichen Stoppelfelder hinkeacht 



- 60 - 

Er sah hin im tiefsten Schreck^ wich zurück 
— nur die Augen blieben schmerzlich haften an 
dem durchsichtigen Gesicht und ihrem verenden- 
den Doppelgestim. Er stützte sich zitternd an 
der Wand, wie ein Totenlaken flog etwas an sei- 
nen Augen vorüber — und alles verschwand plötz- 
lich — mit unsagbarer Angst starrte er in die 
tiefste Nacht der Vorstadt. 

So vergingen Tage und Nächte. 

Bis endlich der Schmerz brach und er die 
kranke Sehnsucht überwältigte. 

Er musste ihr nur noch etwas zum Abschied 
sagen, sein letztes Lied herausschreien. 

Als er auf die Estrade trat, sah er nieman- 
den. Er fühlte nur den heissen Atem einer tau- 
sendköpfigen Menge. In seinen Augen flimmerte 
das grüne Licht riesiger Leuchter, eine Sekunde 
lang erzitterte sein Gehirn mit dem Gedanken 
an sie — er wollte hinsehen, wo sie sass, wo 
sie sitzen musste, er fühlte ihren Blick flackernd 
auf sich irren, aber plötzlich verschwamm alles 
und eine unsagbare Buhe breitete sich in seiner 
Seele aus. 

Die Buhe und Stille vor der Schöpfung. 

unter seinen Händen strömte ein übermensch- 
licher Gtosang: 



— 61 — 

Er sass auf dem Gk)lgatha zu den Füssen 
der anfis Kreuz gespannten Menschheit Wie ein 
Orkan wftlzten sich ftber seine Seele Jahrhunderte 
Ton Qualen und grftsslicher Martyrien, eine ganze 
Ewigkeit Ton Verdammnisleiden, zuckender Schreie 
nach Erlösung; höllischer Flüche und heulender 
Krämpfe nach einer^ Sekunde von Glück. Das 
ganze Leben des Seins feierte in seiner Seele eine 
düstere Messe voll entsetzlichen Orauens — 

So sass er zu Füssen des Kreuzes und starrte 
in die finstere Nacht, über ihm die Sonne, mit 
schwarzem Flor umhängt. 

Er schlug mit rasender Faust gegen die 
Himmelspforten, fluchte dem Schicksal, dass ihn 
leben, sich in Not wälzen, sich mit Ekel und 
Abscheu bespeien und tief in der Hölle ewig- 
hungriger Dämone der Sinne yerfaulen Hess. 

Ohnmächtige Wut der Bache heulte in sei- 
nem Gehirn, ohnmächtiges Verlangen nach Ver- 
geltung kocht in seinem Blut, und aus der hei- 
seren Kehle riss sich ein grässlicher Schrei 
heraus: Wo ist das Ende, und wo der Anfang? 
Wo ist die Ursache, wo das Ziel?! 

Er ging mit dem irren Stern auf der Stirn 
und führt mit einer blutigen Fackel eine kranke, 
entsetzte, vor Furcht bebende Menge hinter sich. 



— 62 — 

Durch das Dickicht der tiefsten Nacht arbeitet 
er sich blnttLberstrOmt hindurch nnter allen ge- 
spenstischen Schrecken hinab in die unterirdi- 
schen Gänge, wo unbekannte, erträumte, dunkel 
geahnte Schätze yerborgen liegen. Er geht voran, 
stolz und unzugänglich, aber sein Herz zerwflhlt 
die Angst und Verzweiflung : werde ich sie fin- 
den können? Ich habe sie der Menge ver- 
sprochen, — wie lange werde ich noch herum- 
irren ? 

und im Nu war er das Allsein, das in 
Millionen von Sternen zerbarst, in Milliarden von 
Getiergattungen sich verkörperte und wieder zn 
einer Einheit in ihm wurde: eine Unendlichkeit 
von Gefühlen, eine Unendlichkeit von Schöpfangen 
und Erden. 

Eine ungeheure Sonne trug er in seiner Brust, 
ging, flog in die Höhe. Höher und höher, verlor 
das Bewusstsein seiner Allmacht, seines Willens 
und Seins — weisse Flügel bt'eitete er von einem 
Pol zum anderen und schwebte in schwerem 
Grübeln über der Welt. 

Es brach der Zorn und der Schmerz des 
Lebens — das Leiden erstarrte und die Sehnsucht, 
denn in der Dämmerungsstunde schlief die Erde. 

Und in der Tiefe wogen die Getreidefelder 



— 63 — 

in träumender Tmnkenkeit, und in der Tiefe 
dämmert gespenstisch das Öde Brachgefilde , und 
in der Tiefe schrecken anf dnnklen S&mpfen 
flackernde Irrlichter — ach — in der Tiefe brei- 
tet sich in dem schwarzen Abgrund des Sees der 
Himmel und ans seinem Grund blühen herauf 
blasse Sterne und weben auf der glatten Fläche 
den stillen Zauber versunkener Kirchen . . . 

Sehnsucht umfing schwer und drückend sein 
Herz. 

Und wieder schritt er dahin, er, der erdge- 
borene Sohn, ging voran mit dem heiligen Olau- 
ben, dass er die Erlösung bringt, aber mit tiefstem, 
traurigsten, weltvergessenen Schmerz wusste er, 
dass man ihn werde kreuzigen lassen . . . 

Er schleppte sich seinen Todesweg hin mit 
blutenden Füssen, blutiger Schweiss trat ihm auf 
die Stirn und in seiner Brust ein Gehenna von 
Qualen . . . 

Er fühlte, dass er etwas auf den Armen trage, 
er trug es andächtig und mit unendlicher Sorg- 
samkeit — aber er sah niemanden . . . 

Und plötzlich, etwas wie das Bauschen eines 
Kleides im Zimmer — wie das Leuchten eines 
heissen, verlangenden Augenpaars. 
Er schrak hoch. 



— 64 — 

Nein, nein — das war kein Traum. 

Kein Tranm mehr! 

Sie war es, sie, leibhaftig sie! 

Sie stand an der Wand und atmete tiel 

Sie sahen sich an, erschreckt, stumm, zitternd. 

— Ich bin zu dir gekommen, flOsterte sie — 
ich bin gekommen, die Sehnsucht und das Ver* 
langeu zerfrassen meine Seele. 

Und sie sank in seine Arme. 



Stunde gottestrunkenen Glflcks, Stande 
des Wunders, in der zwei Seelen ineinander- 
fliessen! 

— Hast da Angst vor der Sttnde ? fragte er 
sie beiss and zitternd. 

— leb liebe die Sünde, ich liebe die Hölle 
— mit dir — mit dir . . . 

Und sie warf sieb in seine Arme besinnungs- 
los — weltvergessen ... 



und er spracb zu ibr: 

— leb wusste nicbt, was Glück bedeutet, 
jetzt weiss icb es. 

Mit dir koste icb das Glück und beilige 
nnerscböpflicbe Lust. 

— Die Stunde des Wunders bat sieb erfüllt, 
lacbte sie mit leisem, irren Läcbeln. 

— Nie konnte icb ein Weib mit mir yer- 
schmelzen, flüsterte er innig — du strOmst in 

pTSj^jistwiki, Aadrofjut. 5 



— Ge- 
meinen Adern wie ein goldener Golf von Sonnen- 
stanb. 

— Die Stande des Wanders, die Stande des 
Wanderst wiederholte sie leise in bebender Yer* 
zückang. 

Stilla 

— Warnm weinst da? er erschrack. 

Sie streichelte sein Haar, sie nahm sein 
Gesicht in ihre kleinen Hände, presste sich noch 
heftiger an ihn, nmfasste seinen Hals mit den 
Armen and wieder irrten ihre weissen Finger in 
seinem Haar. 

— Waram weinst da? 

— Vor OlflckI sie schlachtzte leise. 

Und er nmflng sie mit zitternder, gottseliger 
Liebe, flfisterte ihr die heissesten Worte za, an- 
ablässig dieselben Worte in irren Sätzen, er 
wiegte sie hin and her and wiegte, wie man ein 
Eind in liebenden Armen beruhigt. 

Sie weinte nicht mehr. 

Sie pressten sich eng aneinander, wie sich 
zwei Kinder im frischen Heaschober aneinander 
schmiegen, wenn Ober ihnen ein wütendes Gewitter 
rast and der Himmel schwere Blitze Aber die 
Erde sät. 

— Ist dir gat so? 



- 67 - 

— mein Geliebter, mein Einziger — an, 
dn • . . 

— Dein, dein! wiederholte er nnanfhOrlich. 

— Jetzt bleiben wir immer zusammen? fragte 
er mit tiefeter Angst. 

Sie antwortete nicht, nur unablässig durch- 
zuckten sie heisse Schauer . . . 

— Ich werde den Kreuzweg antreten, — 
ans Ereuz lasse ich mich nageln. — In der 
Stunde des Wunders hat sich mein Leben er- 
fiUit . . . Frag nicbt, nimm mich, press mich 
noch fester in dich hinein — fester noch — 
töte mich! 

Langes, schwüles Schweigen, 
und wieder sprach er zu ihr: 

— Erinnerst du dich, wie ich dich in ftarcht- 
baren Stttrmen durch den Urwald trug? Der 
Himmel schien auf uns niederzustürzen — um 
uns tanzten grfine Reifen von Blitzen, mächtige 
Aste der Kokospalmen barsten mit dem Krachen 
und Schreck einfallender Gewölbe und yerlegten 
uns den Weg mit einer immer höher anwachsen- 
den Hauer, ab und zu zerspaltete der Blitz einen 
tausendjährigen Stamm, so dass die Scheite um 
den Wurzelboden sich rings neigten und zu Boden 

fielen wie riesige Blätter von dem Kelch einer 

5^ 



— 68 — 

welkenden Blume. Der Orkan warf uns hoch 
und wieder zu Boden, wir stolperten, fielen, 
schlugen uns wund an den Bftnmen, aber ich 
riss mich wieder auf, fiel, kroch anf den Enieen 
weiter, kletterte Aber die Haufen gebrochener 
Aste, Aber die toten Leiber der Drb&ume, aber 
ich ging, denn ich trug dich auf meinen Annen, 
und das Gewitter des Verlangens, das in mir 
tobte, war stärker als alle Gewitter, die jung- 
fräuliche Urwälder vom Boden wegfegen. 
Sie anwortete nichts. 

— und erinnerst du dich, wie ich mit dir 
floh durch den Brand lichterloh entzAndeter 
Steppen? Der Wirbelwind des Feuers raste 
hinter uns, wuchs mit grässlichen Säulen in den 
Himmel hoch, wälzte sich auf der Steppe in un- 
geheuerlichen StrOmen, und ich lief, lief in irr- 
sinnigen SprAngen eines gehetzten Baubtiers mit 
dir auf meinen Armen, ich flog Aber den yon 
Hollenfeuer versengten Boden, und ich war stär- 
ker als das Feuer, es erreichte uns nicht, denn 
ich trug dich auf meinen Armen, und ein stär- 
keres Feuer als das auf der Steppe wAtete in 
meinen Adern. 

Sie antwortete nichts. 

— Erinnerst du dich als ein wahnsinniger 



— 69 — 

Haistrom nnsern Kahn erfasst hat? In einem 
Augenblick warf er den Kahn bis auf den Grund 
des grftsslichen Schlundes, erbrach ihn wieder 
und stürzte jäh auf wie ein Holzstflck auf die 
rasenden Wogen, wieder umfasste er ihn mit 
seinem rasenden, wütenden Reifen und wieder 
fiel der Kahn mit der SchneUe eines fallenden 
Sternes in den grausigen Trichter herab und 
wieder schoss er hinauf, wie ein Lavastein, den 
ein kochender Vulkan hinausschleudert, und so 
flog ich dreimal hinunter und dreimal wurde ich 
wieder hochgeworfen auf die kochenden Strudel 
des Stromes, bis endlich unser Kahn auf ein 
stilleres Wasser fiel. Ich war stärker als der 
Malstrom, denn ich fühlte wie du meinen 
Körper umfasst hieltst, deinen Kopf fühlte ich 
auf meiner Brust, und in mir selbst raste ein 
Malstrom stärker als alle der Welt: Du — du 
in mir — meine Liebe zu dir. 

Sie antwortete nicht. 

— Siehe ! Ich bin der erdgeborene Sohn, ich 
bin der urewige Adam ; in meinem Herzen wütet 
ein Sturm stärker als jener, der die mächtigsten 
XJrbänme wie trockenes Schilf zerbricht — in 
meinen Adern rast eine Feuersbrunst mächtiger 
als jene, die die Grassteppen überströmt und ein 



— 70 — 

weit abgrOndiger Malstrom kocht in mir, als der, 
der das grOsste Schiff za nichts zerreibt und 
seinen Stanb anf dem Ornnd der Ozeane sät: 
Liebst da mich? 

— Dn bist stark, dn bist gross, da bist bber- 
m&chtig. 

— Das ist nicht das, was ich von dir hören 
mag. 

Nnn hOre: 

Ich kann mich jederzeit znm König machen, 
alle Völker zn unseren Fassen werfen, mich der 
Erde bemächtigen, fiber Millionen von Sklaven 
herrschen, ich kann dich ans Erenz nageln lassen 
und dich wieder mit meiner Allmacht ins Leben 
rufen — ich kann mich als der Sonnengott er- 
klären — in heiligen Hainen wird man mir Altäre 
bauen und Opfer bringen — ich kann vor deine 
Augen alle Wunder und Paradiese aller Zeiten 
und aller Erden zaubern — ich habe alle Schmer- 
zen, alle Qualen der Menschheit erlebt, all ihre 
Lust und Glfick, kann sie in die Hölle si&rzen 
und sie wieder erlösen: 

Liebst du mich? 

— Du bist ein Gottl 

— Es ist nicht das, was ich von dir hören 
mag. 



— 71 — 

Hör also: 

ÜDd wenn ich dich mit Instheischenden 
Annen auf meine Brnst werfe, wenn dein Haar 
sich wie eine Mähne str&nbt nnd da dich mit 
den Lippen in mein Bint einsangst, wenn ich 
dein Verlangen in einen Abgrund von Lust 
peitsche, dass dir die Welt von den Angen ver- 
schwindet, nnd die Ewigkeit in einer Sekunde 
zerschmilzt, und du ohnmächtig auf mich fährst 
wie eine yom Hagel gepeitschte Narzissenstaude — 

Liebst du mich denn? 

Sie lachte auf in seltsamer, irrer, uferloser 
Lust, umfasste seinen EOrper, rieb die Seide 
ihrer Haare an seiner Brust und sah ihm dann 
lange, lange in die Augen; ergoss sich ganz in 
seine Augen, es war ihm als ob sie sich ganz 
bis auf den Grund seiner Seele gleiten liess, sich 
heiss um sein Herz legte, sich in jede Pore ein- 
sog — er hatte sie nicht mehr bei sich, sie war 
in ihm, in seinem Blut, sie zerschmolz in ihm 
in langen ewigkeitstrunkenen Schauem: 

Ich liebe dich, ich liebe, liebe dich! 



Er f&hlte im Traum, dass sie still and leise 
ans seinen Armen glitt — dnrcb den Traum 
fühlte er, dass ihm das Blut vom Herzen floss,. 
etwas sich von seiner Seele löste — 

Aber das war im Traum . . . 

Er hOrte wie Augen in furchtbarer Qual 
schrieen, dass sie im Feuer fieberkranker Sterne 
aufzuckten, und dann plötzlich erloschen — noch 
ein weltfernes Aufleuchten und dann eine entsetz* 
liehe Stille des Dunkels — 

Aber das war im Traum . . . 

Er fühlte, als ob das unendlich feine Spinn- 
gewebe yon seidenen Haaren über sein Gesicht 
striche — hörte etwas wie ein leises Auftreten 
scheuer Schritte — 

Aber das war im Traum ... 

Und plötzlich empfand er in sich eine furcht- 
bare Nacht, eine Nacht die erstarrte, versteinerte 
in der Luft, und er wusste, dass kein Strahl 



— 73 — 

sich mehr durch das finstere Eiesengewölbe der 
Nacht durcharbeiten werde. 

Er sprang yom Bette, suchte umher in Todes- 
angst, aber sie war nicht mehr da. 

Fflr einen Augenblick war er wie gelähmt, 
ein grässlicher Schrecken schnürte ihm das Herz 
zusammen, und wieder rafEte er sich auf und 
begann sie zu suchen im wilden Entsetzen. 

Die erste Frühsonne ergoss sich mit blauen 
Lichtströmen in das Zimmer — er suchte, suchte 
— er sah sie ja doch ganz deutlich vor sich, er 
fasste sie ja schon an den Armen, er sah doch 
tief in ihre Augen fibervoll von Glück und Selig- 
keit, er kflsste ihr Haar: 

Sie war nicht dal 

Er wankte, setzte sich, stand wieder und 
taumelte in das andere Zimmer hinein. 

Auf seinem Schreibtisch ein Strauss roter 
Mohnblumen auf einem weissen Papierblatt. 

Er sah lange drauf hin — auf diesen Papier- 
streifen und den roten Strauss, tastete mit den 
Fingern, um sich zu vergewissern, ob er nicht 
träume und endlich wurde er wach. 

Er las: 

Ich gehe weit — weit weg. Ich gehe in 
das heilige Reich der Qual hinein, zu meinem 



— 74 — 

Kreuz zarack, auf das da mich genagelt hast. 
Die Stunde des Wunders ist vollbracht Such 
nicht nach mir — du wirst mich nicht finden. 
Warte nicht auf mich — denn yergebens. Ich 
gehe ohne dich^ aber ich werde nicht mehr allein 
sein. Ich bin bei dir und mit dir für alle 
Ewigkeit — und meine Seele wird traurig sein 
bis ans Ende . . . 

Er las nicht weiter. Zerknitterte das Papier, 
schob von sich weg den roten Strauss — ging 
auf und ab ohne ünterlass in dem Zimmer und 
fiel endlich erschöpft auf das Fauteuil hin. 

Über ihm das schwarze GewOlbe der Nacht 
und in seinem Herzen Graus und Schrecken der 
gespenstischen Stunden . . . 

Als er erwachte war es schon gegen Abend. 

Noch einmal las er ihren Brief durch und 
wusstet dass die Stunde des Wunders sich erfüllt 
hat und nimmer zurückkehren werde. 

Jetzt wusste er, dass er sie nicht mehr finden 
w&rde und auf sie nicht mehr zu warten brauchte. 

Alles umsonst! 

Er wusste das aUes mit einer Sicherheit, die 
sein Gehirn mit glühenden Nadeln zerstach und 
er empfand eine sinnlose Trauer und gleichzeitig 
die helle, unsagbar heilige Majest&t des Todes. 



— 75 — 

Und mit hochaufgerichtetem Hanpt ging er 
^eit hinter die Stadt — fernab. 

Er ging hinter etwas, worin man ihm die 
ganze Welt begraben hat, sein ganzes Glfick 
verborgen, seine Vergangenheit und Zukunft 
yersargt. 

Er ging hinter jemandem her, der ihn fahrte, 
ihn hinter sich schleppte und au ihm zerrte — 
er wankte, strauchelte, ab und zu fiel er zu 
Boden, aber wieder richtete er sich auf, denn 
Jemand schleifte ihn mit Gewalt — und wenn er 
fiel, wickelte sich eine grausame Hand um sein 
Haar und riss ihn hoch. 

Und dann ging er wieder in grossen, qual- 
vollen Schritten wie jemand, der vor Schmerz 
erstarrt war und grosse, steinerne Tränen in 
seinem Herzen trägt. 

Er sah nichts mehr, hörte nur das DrOhnen 
seiner schweren Schritte, als wäre er eisenbe- 
panzert, als fiele aber sein Gesicht ein schwerer 
eherner Helm. 

Er sah sich erstaunt um. 

Er war ja ein grosser FOhrer, seinen dröhnen- 
den Schritt hörte er tausendfach widerhallen, denn 
ihm folgten tausende erzbeschlagene Bitter. 

Er ging an der Spitze durch dunkle Wäl- 



— 76 — 

der und hinter ihm die Bitter mit blutroten 
Fackeln. 

Er empfand keinen Schmerz mehr, keine 
Sehnsucht tr&bte ihm seine Seele, er hörte nur 
unabl&ssig ihre Worte, die sie ihm Tages yorher 
in der Stunde des Wunders gesagt hatte, als er 
sie immer heftiger, mit immer grosserer Lust an 
sich presste: 

Heilig bist du mir, weil du mich in mir er- 
zeugt, das dunkelste und nackendste Geheimnis 
meiner Seele belauscht, alle ihre schauerlichen 
Bätsei mir gedeutet hast. Glanz, Licht und Offen- 
barung bist du mir — die Sonne, in deren Glut 
mein Herz zei*schmolz. 

Unablässig wiederholte er diese Worte. 
Diese Worte wurden ihm zu ihren kleinen weissen 
Händen, in die er sein Gesicht legte, und er 
fühlte den Abdruck der tausendfältigen Ver- 
kreuzung ihrer Handlinien auf seiner Haut. 

Ihre Worte wurden ihm zu dem seidenen 
Glanz ihres Körper — oh! mit welcher abgrttn-» 
digen Lust schien er sich hinein in seine Brust^ 
wie weiss leuchtete ihr Körper an seiner dnnklen 
Haut I 

und jedes Woi*t lebte und zitterte, er hielt 
es in seiner Hand, es schlug, es schlug . . . Er 



— 77 — 

f&hlte es in seinen Adern, wie es sich mit dem 
Blntstrom zusammen in ihm ergoss — rings nm 
sich hörte er es klopfen and sich nm ihn in 
feurigen Bingen ergiessen. 

Schwer lastete es aber seinem Herzen; ein 
tauber Schrei würgte ihn: 

Mutter der Barmherzigkeit! 

Aber es gab kein Mitleid mit ihm. 

und wieder brach der Schmerz und wieder 
hOrte er ihre Worte, die sie ihm gesagt hatte in 
der Stunde des Wunders, als ihre Augen ge- 
spenstisch aufflammten und irr über dem Spiegel 
seiner Seele flackerten: 

Ein dunkles Verhängnis brütet schwer über 
mir, und zu meinen Füssen Offiiet sich die 
Helle und das Verderben. Meine Seele ver- 
blutet an der Sehnsucht nach dem verlorenen 
Paradies. 

Er stand auf der Spitze eines himmelhoch 
ragenden Felsen. Plötzlich berührte ihn ihre 
kleine, weisse Hand, und er fiel von einer Spitze 
aof die andere, zerfleischte seinen Körper an den 
scharfen Zacken, glitt tiefer und tiefer die Gletscher 
hinab, in einer tausendstel Sekunde flog vor seinen 
Augen sein ganzes Leben vorüber — rettungslos 
wälzte er sich wie eine Lawine in dunkle Höllen- 



— 78 — 

grftnde, bis er Wollust empfand, so zu stürzen, 
sieb so an den Riffen zn zerfleischen. 

Er f&blte ibre Hacbt, ibre Qnal nnd ihr ohn- 
mächtiges Beginnen, denn eine andere, fremde 
Kraft hat ihn durch sie in den Abgrund gestossen. 

Und zum dritten Mal hörte er ihre Stimme, 
aber diesmal in seinem Herzen : ein Schrei heisser 
Finger, die in seinem Haar wühlten, flehende Um- 
armung ihrer Arme, die keuchende Verzweiflung 
ihres Körpers, der sich an dem seinen wundrieb: 

„Ich gehe, ich gebe schon, such mich nicht 
— die Stunde des Wunders ist vollbracht." 

Es wurde finster vor seinen Augen, seine Beine 
knickten ein, als wäre er von hinten in den Rficken 
mit einem Speer getroffen und im Todesschrei fiel 
er anf den Boden. 

Wachte er wieder auf? 

Ja er ritt auf einem wilden, schwarzen Hengst 
fiber sonnenyerbrannte Steppen. Bings hat die 
wütende Glut alles aufgefressen, alle Bäche nnd 
jegliches Gewässer aufgesogen, nichts vor ihm, 
nichts hinter ihm, nnr die rachsfichtige , weiss- 
glfihende Sonne und ein Himmel, der in weissem 
Brand sich verzehrte. Heisser, kochender Nebel, 
das war die Luft, die er atmete, nnd die ver- 
brannte Erde versengte seinen Hengst. Der Helm 



— 79 — 

brannte sich ihm mit feurigen Striemen in seine 
Stirn nnd seine eherne Brflnne senkte seinen Leib. 

Er ritt in ohnmächtiger Verzweiflung, denn 
in seinen Armen erstarb vor Dnrst die» der er 
sein eigenes Blnt zum Trinken geben möchte. 

Langsamer nnd schwächer schleppte sich der 
todesmflde Hengst hin, stolperte, fiel in die Knie, 
raffte sich wieder anf, sein Hals hing herab, wie 
ein angesägter Ast — jeden Augenblick, gleich, 
sogleich, beim nächsten Schritt, wfirde er tot um- 
fallen. 

Und im Nn wieherte er glAcklich anf. 

Denn plötzlich inmitten dieser Hölle, dieser 
sengenden Olnt in Brand gesteckter Nebel eine 
Wasserzisteme. 

Und schon hob er sie hoch, nm sie anf den 
Boden zu setzen, nnd ihre Stirn mit Wasser zn 
benetzen, da plötzlich, als wflchse er ans der Erde 
hoch, pflanzte sich ein schwarzer Eitter vor ihm 
anf in einer flbermächtigen, gottgleichen Majestät, 
nnd seine Stimme dröhnte wie der Enf der Jüng- 
stengerichtstrompete : 

Ich bin es, der die Grenze fflr jegliches Olttck 
nnd jegliche Lnst dieser Erde setzt — 

Ich bin es, der vor jedem Anfang war nnd jedes 
Ende fiberdanem wird: 



— 80 — 

Gotty Satan, Schicksal! 

Wieder zerrann das gespenstische Gesicht. 

Er sah in die Tiefe hinab — dort nnten zn 
seinen Füssen dies wogende Meer von Dftchem, 
das den Schein vom elektrischen nnd Gaslicht 
atmete, das war eine Stadt — ja — aber nicht 
seine — eine fremde Stadt. 

Nein! das war nicht seine Stadt! 

und plötzlich sah er sie deutlich vor seinen 
Augen, eine Stadt in seltsamen Felsen ausgehanen, 
durchzogen von einem wirren Netz von Gräben, die 
Stadt des Todes und der Öde, die einstens seine 
Vorfahren ihm dem letzten Spross gebaut hatten. 

Wieder empfand er eine grosse, heilige Sonne 
in seiner Brust. 

Dort in dieser Todesstadt wird er sie finden. 

Dort — dort! 

Sein Herz schwoll in unbekannter Macht, er 
wuchs in den Himmel hinauf, streckte seine Arme 
und sprach zu ihr: 

Ich gehe zu dir, aber wozu soll ich dich 
suchen, du durchkreist meine Adern, du bist der 
Atem meiner Seele, der Drang meines Ver- 
langens, der Zauber meiner Träume, du bist ich. 

und wieder blickte er hinab auf die Stadt^ 
die ihm nun fremd ward. 



— 81 — 

Dort hat sich die Stande des Wunders er- 
fftllt 

Aber die Stadt war ihm fremd. 

und wieder sprach er zu ihr und sich: 

Do bist eine Sonne, die sich in mir ergossen 
hat So oft ich will, wirst du vor mir stehen 
nnd mein sein. Aber nicht hier. Ein grosseres 
Wunder wird sich vollziehen dort, wo meine Stadt 
die wilden Felsen erklimmt, wo der heilige Strom 
tobt und rast in granitnen Abgründen und in unter- 
irdische Felsen Kaskaden von Stalaktyten er- 
frorenen Mondlichtes hinabwirft. 

Über seinem Haupt ergl&nzte ein grosser, 
grüner Stern, der ihn in das neue Syon führen 
sollte, in das neue Jerusch-Halaim, den urewigen 
Alkazar seiner Ahnen — dorthin, wo in dem ge- 
heimen Zauber der Todesdämmerung sich noch 
«in grosseres Wunder vollbringen sollte . . . 



Prsybyai«waki, Aadrogjn«. 



Er stand am Fenster des Alkazar und blickte 
anf die seltsame Stadt hinab, die ihm seine Vor- 
fahren vor Tausenden von Jahren erbaut hatten. 

Es war Mondnacht und in dem gespensti- 
schen Licht schreckten die Formen und Konturen 
dieser Stadt, die sich in einer seltsam gebroche- 
nen D&cherfläche zu seinen Fassen breitete. 

Als hätte die Erde gebebt, das glatte, fel- 
sige Terrain sich gebogen und gebrochen, die 
mächtigen Felsmassen sich übereinander gescho- 
ben, ineinander gekeilt, zu Pyramiden aufge- 
türmt oder sich in gezackten Wellen ins Land er- 
gossen. 

Es sah aus wie eine Hiniatur-Gebirgskette, 
die auf einem kleinen Platz zusammengedrängt 
war mit tausend Spitzen, Tälern, Riffen, Abhän- 
gen, jähen Schluchten und unerwarteten Aufrissen^ 
und hoch oben auf der äussersten Spitze breitete 
sich ein mächtiges Felsenplateau, darauf stand die 
herrliche Fürstenburg, der uralte Alkazar. 



— 83 — 

Er sah lange auf die Stadt dort unten. Er 
sah tausend scharfe, schwarze, seltsam ineinander- 
verschlungene Konturen der Strassen, die das rie- 
sige Dachterrain zu einer absonderlichen Zeich- 
nung f&gten. 

Diese ganze weisse Dftcherfläche sah aus wie 
ein heiliges, geheimes Ornament, das ein Gewirr 
von mystischen Arabesken bildete. 

Und es war, als hätte die Hand eines ge- 
waltigen Magiers in der weissen Oberfläche des 
mächtigen Felsens heilige Bunen seines tiefsten 
Wissens eingehauen. 

Von der Hohe des Alkazar sah die Stadt 
aus, als wäre sie nicht erbaut, sondern aus den 
Aushöhlungen des Felsens gebildet 

Breit lag die Stadt vor ihm, ein unermess- 
liches Eatakombengrab , überragt von dem Al- 
kazar, der stolz, ernst und streng mit schlanken 
Türmen in den Himmel aufstrebte. 

Ein Schauer überlief ihn, wenn er daran dachte, 
einst in diese Katakomben herabsteigen zu müssen. 

Er kannte alle Gässchen, alle Schlupfwinkel, 
alle Strassen, ihr wirres Durcheinander, die Stel- 
len, wo sie sich kreuzten, sich verflochten oder 
in Blindsäcke mündeten, er wusste, dass er in 
diesem Gewirr, diesem verstrickten Knäuel von 

6* 



— 84 — 

Strassen sich nicht verlieren könnte, und doch 
fühlte er einen geheimen Schreck, dass er in 
diesem Labyrinth irren nnd nie wieder ans ihm 
herauskommen konnte. 

Und es gab niemanden, der ihm den Weg 
weisen konnte, denn die Stadt war tot. 

In unsagbarer Trauer sah er die Stadt an, 
die ihm nur Schreck und Angst einjagte. 

Und doch sollte sich hier ein grosses Wunder 
vollbringen. 

Hier sollte er aus sich gestalten, was der 
Ton seines Gedankens war, die Äusserung seines 
Gefühls, die Form seines Willens. 

Hier sollte er — denn also hat ihm sein 
Herz versprochen — die verlorene Geliebte wieder- 
gewinnen — sie aus dem kostbaren Schatz seiner 
geheimsten Schönheit, seines verstecktesten Seins 
wiedergestalten. 

Aber vergebens hat er gewartet, vergebens 
seinen Willen in kranken Visionen angespannt — 
alles vergebens. 

Er vermochte nicht, sie aus sich selbst zu 
formen. 

Und wozu ihm diese herrlichen Alkazare, 
wozu diese Wunder und Zauber, diese furchtbare 
Totenstadt rings um ihn? 



— 85 — 

Jäh erfasste ihn ein entsetzliches Granen 
vor diesem nngehenerlichen Mittemachtsspnk zn 
seinen Füssen, nnd mit der ganzen Seele sehnte 
er sich nach seiner Heimat zurück — nach der 
Stadt in dem tiefen Tal, das in den Nächten das 
kostbare Licht atmete, nach den dunklen Alleen, 
auf denen er tagelang hemmirrte, als er sie suchte, 
nach den dämmrigen Kirchen und den AnhOhen, 
die sich über der Stadt in dunkelgrünen Stockwer- 
ken aufbauten, und mit ihren Eastanienwäldem 
sich in schwere Damastpracht in die Stadt ergossen. 

und in majestätischen Wogen ergoss sich 
der unsagbare Zauber dieser heiligen Erde, die 
schweren Getreidefelder, die sich traumbefangen 
hin und her wiegten, die Brachäcker, die in 
heissen Sommernächten fieberten; der geheime, ge- 
spenstische Graus der Irrlichter auf den dunklen 
Sümpfen — ach! — und dieser Himmel, der sich 
in der untiefe des Sees gebettet hat, aus dessen 
Grund der Lichtzauber blasser Sterne aufblühte 
und über dem stillen Antlitz des schlafenden 
totenstillen Wassers die düstere Erinnerung an 
versunkene Kirchen breitet 

und wieder sah er auf die tote Stadt da 
unten und auf den rasenden Strom, der die Stadt 
in der Form eines heiligen Omega umtoste. 



— 86 — 

Tief in felsigen Schlnchten stürzte er sich 
von einem Katarakte znm anderen, wälzte sich in 
Wirbeln nnd Strudeln, warf hinab in nnermessliche 
Or&nde schwere, rauchende, spritzende Wasser- 
massen, schlenderte sie hoch empor an den spitzen, 
stachelichten, felsigen Cleopatr^nadeln, die ans dem 
Bett aufragten, drängte sie in die Spalten und 
Bitzen der Biffe, die das granitne Ufergelände 
zerfetzten, er kochte, heulte, schäumte, goss sich 
mit Hollenhast in wilden Geysiren und Malstrom- 
wirbeln. 

Lange sah er hin mit einer seltsamen, leiden- 
schaftlichen Ehrfurcht auf diesen heiligen Strom, 
der eine ganze Bergkette zerrissen, ganze Stein- 
pyramiden durchschnitten, sich Gänge und Schluch- 
ten und unterirdische zahllose Korridore ausge- 
graben hat. 

In dem Mondlicht sah der Strom aus, als 
wäre er aus geschmolzenen Mondstrahlen und 
dort, wo er in unzählbaren Wasserfällen sich in 
unterirdische im Granit ausgehöhlte Kanäle hin- 
abstürzte, schien er Kaskaden gefrorener Stalak- 
titen von kaltem Mondlicht zu werfen. 

Mit kranker Lust horchte er auf das höhnische 
Geheul irrsinniger Gefälle, denn das war die Musik 
zu der Verzweiflungsmesse, die in seiner Seele 



— 87 — 

tobte — und er sah den gespenstischen, dftsteren 
Olanz der Katarakte, denn in diesem trtlben Gräber- 
licht der Verwesung und schimmligen Eupfergrflns 
flackerten seine kranken Fieberträume. 

Er hielt den Atem an, streckte sich in die 
Hohe, breitete seine Arme ans und sog gierig das 
gespenstische Wunder ein. 

Entsetzt sah er sich ringsherum. 

Es geschah etwas FOrchterliches! 

Er war allein, von der ganzen Welt losge- 
schnitten irgendwo in der Mitte eines Ozeans auf 
einer Insel, die sich hoch Aber dem Meer auf 
einem ungeheuren Basaltblock schwer nieder- 
setzte. 

Die ganze Insel war eigentlich nur ein an- 
einandergewachsener , steiler Fels von Basalt- 
säulen, ein in abertausend Ecken gebrochener 
Vieleck, dessen Seitenwände steil ins Meer flössen, 
gleich den hieratischen Falten auf den Gewän- 
dern byzantinischer Heiligen. 

Bings um die Insel sah er das Meer in der 
Flut. Die Wellenberge keuchten atemlos hoch- 
auf, warfen sich empor in wilder, zähnefletschen- 
der Kraft und gössen sich über das Plateau der 
Insel. Zwischen ihr und den felsigen Biffen, die 
die Insel umkränzten, raste das Meer, drängte 



— 88 — 

sich mit höllischer Macht hineiiii ergoss sich in 
ungeheuerlichen Ansätzen und Bncksprttngen, die 
zum weissen Schaum zerschlagenen Wassermassen 
fielen von oben herab in glitzernde Schneewol- 
ken, und wurden wieder hochgeworfen, als hätte 
sich ein unterirdischer Krater geöffnet, der dieses 
Lava herausspie, diese spritzende, tollgewordene 
Gischt. 

Und es war für ihn eine nieempfundene Lust 
diesen ungeheuerlichen Kampf der anein anderpral- 
lenden Wasserwogen anzusehen. Von beiden Seiten 
in dem Engpass zwischen der Insel und der langen 
Felsbank rings im Kranze umher stauten sich im- 
mer mächtige, in den Himmel wachsende Wasser- 
massen — sie prallten in der Mitte wfitend an- 
einander, wuchsen aneinander hoch, ohne sich zer- 
schlagen zu können, umfassten sich wie ringende 
Feuersäulen kochender Sonnen, warfen sich 
nieder, sprangen wieder jäh hoch, barsten wie Pla- 
netenringe, die sich von dem Mutterkorn los- 
reissen wollen — aber schon ergossen sich von 
der einen und der anderen Seite neue Wasser- 
orkane, die das Meer vom Grund loszureissen 
schienen. 

An dem Horizont schwoll das Meer an in 
wahnsinniger Macht, sein Schoss wölbte sich in 



— 89 — 

ongeheuerlicher Schwangerschaft in den Himmel 
höher, noch — noch, noch hoher, der ganze Ozean 
wölbte sich zn einer nnermesslichen Enppel über 
seinem eigenen Gmnd, hoch über der Insel schwebte 
das entsetzliche Wassergewölbe, aber jäh brach 
die Kraft, die den Ozean von seinem Gmnd hoch- 
hob. Die Wasserknppel barst nnd mit dem Krachen 
nnd dem Donner einstürzender Welten fielen die 
schweren Wasserwolken hinab, prallten vom 
Boden noch einmal hoch, wälzten sich mit einer 
Sintflnt über die Insel hinab — nnd es wnrde 
Bnhe. 

Aber nur anf einen Augenblick. 

Plötzlich stand das Meer in Flammen. 

Das war nicht mehr ein Meer, das waren 
Wogen von geschmolzenem Metall, der kochende 
Strudel flüssigen Gesteins. 

Als wäre die ganze Erdoberfläche wieder 
flüssig geworden, und raste in vorsintflutigen 
Stürmen, in grässlichen Konvulsionen, Zuckungen 
und Ghoreatänzen. 

In das schwarze Himmelsgewölbe hinauf 
Schossen unerhörte Fontänen von siedendem Metall, 
zu Tälern gössen sich Ströme von kochenden Erzen, 
besessene Gesteinsgolfe verkrampften sich mitein- 
ander, Wassersierren wüteten in Weltenbränden 



— 90 — 

und Feaer-Niagaren schienen sich umgewälzt zu 
haben und schreiende Orkane von Flammen in 
den Himmelsabgrund zu speien. 

Langsam erstarrte das kochende Meer. — 
Wo vor kurzem noch die Wassermassen sich in 
den Himmel türmten , sah er rings eine ver- 
löschende Gebirgskette. In einem atmosphären- 
losen Licht, das seine fressende Macht verloren 
hat, sah er Aber dem Himmel mächtige Farren- 
kräuter ihr vorsintflutliches Violett breiten, in den 
Wolken verlorene, schwarze Stämme verkohlter 
Palmen und Zypressen stanten wie ein toter 
Säulenwald, mit stiller Lust bltlhten ungeheure 
Lilienkelche auf, in das Blau der unermess- 
liehen Neunfarenblätter frassen die giftigroten 
Zungen von Orchideen und all das raste in dem 
entfesselten Farbenorkan : Das Grün, das Violett, 
Ultrapurpnr und überweisser Siedeglanz kämpften 
miteinander — durch das ächzende Geschrei des 
flüssigen Eisenrot wanden sich dunkle Fäden von 
Gebirgsbächen , wie man sie von der weitesten 
Feme sieht, auf den dunkelgrünen Teichen der 
Neunfarenblätter krochen messingfarbene Stauden 
in unglaublichen Spiralen von mytischen Schling- 
pflanzen und in das tiefe Schwarz der verkohlten 
Wälder spritzte die abgeschnellte, blitzhelle Feder 



— 91 — 

des verborgenen Giftes von Cnrarepflanzen , und 
auf dem dnnklen See des Forpors wiegten weisse 
Seerosen ihre tranmschweren H&npter. 

Er schloss die Angen, er konnte nicht dies 
rasende Tedenm des Farbenorgiasmns ertragen, 
aber der Eindruck ergoss sich ihm bis in den 
geheimen Knotenpunkt, wo sich alle Sinne dorch- 
dringen, überströmte von neuem sein Gehirn, aber 
diesmal mit einer grässlichen Symphonie von dröh- 
nenden Blasinstrumenten, schmelzender Fagotte, 
heulender Bässe, kreischender Geigen in der Ap- 
plikatur, HOmer, die wie apokalyptische Bestien 
heulten, Klarinetten, die wie Hollenhengste 
wieherten: 

Entsetzt prallte er zurttck und lief durch 
eine lange Pilasterallee bis in die äusserste Tiefe 
eines unermesslichen Saals und fiel erschöpft 
auf einen Teppich, in dem er endlos zu ver- 
«inken schien. 

ünermessliche Seligkeit umfing sein Herz. 

Mit nie gekannter Lust atmete er Buhe, Stille 
und Gottgefdhl. 

In dem weichen, d&mmrigen Halbdunkel eines 
Lichtes, das die porphymen Säulen atmeten und 
das von der dunklen Decke aus Zederbaumholz 
strömte und sich mit dem bläulichen Glanz des 



— 92 — 

basaltenen Estrichs innig ineinanderschmiegte^ 
f&hlte er plötzlich den Augenblick des heiligen 
Wunders nahen ... 



Der Abend legte sich mählich um die Welt. 
Das Bot der Porphyrsänlen ergoss sich in dem 
dunklen Glanz des Ebenholzes; die heiligen Kühe 
der Kapitale wurden zu ungestalteten Ungeheuern, 
das Licht y das sich durch den engen Spalt der 
Säulenallee hineinzwang, erblasste, wurde still, 
zitterte und flackerte wie das Licht einer ver- 
löschenden Fackel. 

Und in dieser heiligen Stunde stand er auf 
und langsam, erhobenen Hauptes, als trüge er 
die Mitra eines Welteroberers durchmass er die 
Säulenallee, blieb auf der granitnen Terrasse seines 
Alkazars stehen, seine Seele hat sich vom EOrper 
^eigelöst und breitete sich aus mit heiliger Gnade 
%ber der Stadt und dem Ozean. 

Und in der toten Stille der Eatakombenstadt 
wusste er endlich, dass er ganz allein auf der 
Welt sei, irgendwo auf einem millionen weiten, 
weit entfernten Stern: er yergass, dass es noch 
jemanden ausser ihm in dem ganzen Weltall gäbe. 



— 94 — 

Er war allein da, ganz allein! 

Es dunkelte. Die Himmelswnnder erloschen^ 
und über die Erde breitete die Nacht den dunklen^ 
schweren Trauerflor. 

Seine Seele zitterte und flatterte umher wie 
ein Vogel vor dem Gewitter in rastloser Unruhe^ 
denn sie wusste, dass die Stunde nahe ist, da 
sich die Untiefen OfFhen, da die Seele alle Ge- 
heimnisse durchdringt und in die Pracht ihrer 
eigenen Nacktheit schaut. 

Und es war als ob sich der Baum von allen 
Seiten verengte, nah und näher an ihn heran- 
rückte, als ob die Linien und Konturen sich von 
der Stadt loslösten, sich zu neuen Bildungen ent- 
formten — das Dunkel schien sich noch zu ver- 
tiefen, zu Körper und Gestalt zu werden, und 
plötzlich barsten die schweren Vorhänge der Nacht 
und es ward Licht, ein seltsames Licht : ein leuch- 
tendes Atmen duftender Sommernächte, ein kalter, 
gleichmässiger Abglanz verborgener Welten — es 
ward ein Licht, das die Beflexe metallischer Spiegel 
bilden — ein inneres Licht — das Licht der Seele 
und des Weltalls. 

Und in diesem lichtlosen Leuchten sah er, 
wie sie ihm langsam entgegenschritt: Sie — Er 
— Sie! 



— 95 — 

Sie ging zu ihm wie ein Licht, das sich in 
dnnklen Nebelmassen yerirrt — als ob sie sich 
in Mflhe und schwerem Bingen mit ihrer Licht- 
gnade durch die schweren Nebellasten durch- 
zwängte. 

Sie ging wie das StOhnen der Glocken meilen- 
weit geht über glitzernde Schneegefilde an frosti- 
gen Winterabenden, und sie ging so leise wie die 
D&mmerung, die die Gebirgskoppen Überrascht. 

In die Schluchten und zerrissenen Biffe drän- 
gen sich scharfe, lange Schattenkeile hinein, und 
schmelzen ein das lichte, sehnsflchtige Violett zu 
bleigrauem Blau — mit langen, spitzen Zungen 
beissen sie sich in das Weiss des ewigen Schnees, 
und langsam dfistem nach die kristallnen Funken, 
ins Dunkel hflllen sich die Spitzen und die Pla- 
teaus ein: still, ernst und feierlich giesst sich 
das Schattenmeer hinab. 

Und sie ging wie das weisse Leuchten der 
Silberpappeln in dem Earfreitagzauber, furchtbar 
und verzweifelt. Lrgendwo auf den schmerzer- 
starrten Feldern pflanzte sich auf das Windsegel 
und ächzt und heult und stöhnt, und zum Takt 
schlagen aneinander die metallisch glänzenden, 
weissen Blätter. 

Er wich zurück. 



— 96 — 

Und durch den Sänlenwald ging näher und 
näher an ihn heran das silberne Leuchten, der 
stille Lichtschein, der die Vorhänge der Nebel 
durchriss — eine Wellenbrandnng des Stöhnens 
schwingender Glocken, die düstere Dämmerangs- 
sehnsucht, die von den Anhöhen in das Tal strömte. 

Immer tiefer wich er in die weiten Grfinde 
seines Alkazars, fiel auf sein Gesicht und stam- 
melte: 

— Bist du endlich gekommen? Meine Seele 
blutet und ihre Flügel sind zerfetzt — über Berge 
und Meere bin ich hergekommen — mich tötet 
der gespenstische Schrecken dieser Stadt, aber 
hier harrte ich deiner, denn mein Herz sagte mir, 
hier werde ich dich finden . . . 

Totenblasse Stille rings um ihn . . . Elr 
erschrak, dass er vielleicht nicht zu ihr spräche . . • 

Er kreuzte seine Arme und flehte in inbrün- 
stigem Flüstern: 

Wer bist du? 

Und durch seine Seele ging eine Stimme wie 
das Aufleuchten eines schmerzlichen Lächelns, 
wie eine blasse Lichtwelle, wie ein verrauchen- 
der Atem eines in sich kauernden, andächtigen 
Schweigens : 

— Ich bin die geheimste Tiefe deiner Seele 



— 97 — 

— ich bin die Linie alles dessen, was du durch* 
lebt hast, bin der Ton nnd die Farbe deiner 
Trftnme nnd das Ziel deines Verlangens ; ich bin 
das Blut, das immer von nenem deine Brnnst 
sftttigt, dnrch mich nnd in mir bist du empfangen 

— durch mich und in mir wird sich dein Sein 
vollbringen . . . 

Und durch den ungeheuren Saal hallte es 
wider wie von dem Schluchzen des herbstlichen 
Begens, es gl&nzte wie eine ungeweinte Träne in 
einem schmerzverglasten Auge und um das Ge- 
wölbe strömte die tiefe Klage: 

— Denkst du noch an die Nacht, da ich 
dein Gesicht in meinen H&nden hielt, da ich dich 
mit meinen heissen Armen umfing, mein Haupt 
auf deiner Brust ruhte und meine heissen Finger 
in deinem Haar wfihlten? 

Er zuckte auf vor Schmerz. Diese Stimme, 
voll von Angst und Überirdischer Sehnsucht, voll 
von bebenden Erinnerungen wuchs ihm in seine 
Kehle hinein, staute das Blut in seinen Adern — 
er wand sich vor etwas Unsichtbarem im Staub 
nnd flehte: 

— Oh, komm — komm ! So lange hab ich 
auf dich gewartet hier in dieser gr&sslichen Kata- 
kombenstadt, denn so hat mich meine Seele be- 

Pvsjbjis«wiki, Aadrogya«. 7 



— 98 — 

tOrt, dass ich dich hier wiederfinden und dich 
haben werde, so oft ich es will. 

Wie dich fassen ? I Sieh, ich suche, ich spähe 
nach dir, ich breite meine Arme aus — oh, komm, 
oh, komm! 

Und es war, als hätte jemand seine Knie 
nmfasst, fiele ihm nm den Hals, schmiegte sich 
an seine Brust in nie enden wollender Lost und 
dem Schmerz ohnmächtiger Verzbckung. 

Lässiges Schweigen goss sich um das Zeder- 
getäfel der Decke und das gräne Syenit hinter 
den porphymen Säulen . . . 

Und er fählte, fllhlte ihre klein-kleine, weiche 
Hand, sah sie in sich, wie sie sich über ihn beugte 
und ihm zuflüsterte: 

— So lange irrte ich herum, suchte und 
wartete, ob deine Hand mich nicht aus dem 
Nichts herausreissen , mich formen, gestalten 
werde und mich zum Körper werden lasse . . • 

Hörst du mich, o du Geliebter mein, f&hlst 
du mich? 

Ich bin von dir weggegangen, denn, wenn 
du mich ansahst, in deine eigene Seele starrtest 
— denn ich bin der Körper deiner Gedanken, 
ich bin die Form und die Gestalt deiner Sehn- 
sucht, der Ausdruck deines Fühlens und die 



— 99 — 

Bewegung deines Willens ... ich ging weg von 
dlr^ denn ich war dein Verderben und dein 
Tod . . . 

Ich habe dich verlassen, aber heute flehe ich 
dich aUy bitte ich dich und schreie : streck hinein 
deine Hand in den Abgrund meines Nichts : mag 
sie die Millionen von verwehten, zerrissenen, in 
alle Winde ausgestreuten Tönen zu einem Akkord 
meines Leibes f&gen, Millionen von Farbenflecken 
zu einer Sonne giessen, die meinen Körper durch* 
wärmen wird . • • 

du mein Heiliger. Du mein Oottl So 
lange irrte ich und suchte und schrie nach dir, 
aber die Sturmorkane haben mein Flehen und 
mein Stöhnen und meine Verzweiflung verweht — 
und du hast mich nicht gehört . . . 

Jetzt zittere ich nicht mehr, dass du zu- 
grunde gehst — ich weiss, dass du, wenn du 
in mich — in deine eigene Seele — schaust, zu- 
grunde gehen mnsst, aber du willst doch nicht 
ohne mich leben — reiss mich heraus aus mei- 
nem Nichts oder komm zu mir — komm — oh ! 
komm! 

Die Sehnsucht hat meine Seele irr und trflbe 
gemacht, Schmerzensstflrme haben mein goldenes 
Haar zerrauft, oh, fass die goldenen Strähnen, 

7* 



— 100 — 

winde sie um deinen Arm, reiss mich heraus ans 
diesem Abgrund: ein Paradies ist er mit dir zn-^ 
sammen, eine Hölle ohne dich! 

Hörst dn mich ? Fohlst dn mich ? 

und ein furchtbarer unermesslicher Schmerz 
der Sehnsucht zuckte in wild^ Krampf durch 
den Saal: 

— du mein Lichtgeborener — ich habe 
dich gerufen y ich habe mich gewälzt im Schrei 
und verzweifelten Gebet nach dir, aber meine 
Stimme verhallte und brachte das Erz deines 
Herzens nicht zum Schwingen — ich umfasste 
dich in zitternden Flutwellen des Lichts, meine 
Lippen haben nach den deinen gelechzt, für dich 
öffnete sich die mystische Böse meines Leibes, 
aber dein Herz schwieg — ich kroch in deine 
Tr&ume hinein, ich badete in ihrer Glut meinen 
lustheischenden Schoss — aber, als du aufwach- 
test, war der flberirdische Zauber meiner Beize 
von dir gewichen ... 

Und immer mächtiger schwoll die Sehnsucht 
und das Verlangen ihrer Stimme an: 

— Fass mich mit deinen Händen um die 
Hflften, so, ach, so! Beiss mich an dich mit 
deinen starken Armen, wirf mich hoch auf deine 
Brust, dass sich mein Haar zur wilden Mähne 



— 101 — 

sträubt in der sengenden Glut deines Geschlechts- 
willens I 

Sieh, sieh! 

Ein banges, ein sflsses Erschauern . . . 

Ich werde Körper! 

F&hlst du das Pochen meiner Adern? Sengt 
dich die Glut meines Verlangens? 

Schrei auf, schrei himmelhoch auf, lass dei- 
nen Willen, das ganze Sein erschauem, dass ich 
werde! 

Er schnellte auf, wuchs hoch, in ihm raste 
ein Willensorkan und dreimal wiederholte^ sich 
ein furchtbarer Schrei: 

Werde! Wwde! Werde! 

Vergebens ... 

Ihre Stimme bOrte er wieder wie einen letz- 
ten, verhauchenden Ton von Engelchdren: 

— Vergebens: Komm mit mir! Diese Liebe 
ist nicht von dieser Welt — komm, folge mir 
dorthin : dort, ja dort werden wir eins sein, nicht 
hier, nidit hier ... 



Seine Seele yereinigte sich mit dem EOrper. 

Tief, ganz tief in dem dnnklen Tal erlosch 
die Stadt y die letzten Widerklänge stieben aus- 
einander, nnr die Erinnerung an die grosse, an 
die heilige Nacht breitete ihre Flügel Ober der 
Stadt. 

Er konnte nicht mehr unterscheiden, was 
Tranm, was Wirklichkeit war — "wie ein weit- 
fernes Echo, das irgendwo Aber den Erdenrand 
hinaufzukommen schien, hOrte er das Tosen der 
Wasserfälle, sah die ragenden goldenen Turm- 
spitzen der Alkazare. 

Er schloss die Augen: 

Etwas wie der leise Flflgelschlag einer 
Möwe: 

Komm! Oh, komm! 

Ein Leuchten wie von einem flflstemden^ 
tonlosen Blitz: 

Eomml Oh, komm! 



— 103 — 

Etwas umfing sein Herz mit zarten, feinen 
Händen, streichelte und küsste es: 

Komm, ohy komm! 

Ans seiner Seele riss sich ein schluchzender, 
sehnender Schrei: 

Ich gehe schon, ich gehe! 

Und dort in der Tiefe die dunklen Easta- 
nienalleen. Er glaubte zwischen den schwarzen 
Bäumen ihie lichthelle Gestalt zu sehen. 

Und dort in der Tiefe dämmrige, feuchte 
Kirchen in denen die Sarkophage von Fürsten 
und Königen brüteten. Noch fühlte er das Zittern 
ihres Herzens, ihren heissen Atem, den Pulsschlag 
ihrer Adern, der ihr Gesicht rot überströmte, 
als er sie einmal in den dunklen Kreuzgängen 
getroffen hatte. 

Ach in der Tiefe — dort in der Stadt des 
Wunders hat er sie in seineu Armen wie ein 
Kind hin und her gewiegt, sie wieder jäh auf 
seine Brust geworfen, und wieder behutsam ge- 
bettet, und rings ergoss sich die goldene Flut 
ihrer leuchtenden Haare. 

Übers Kreuz warf er sich auf den Boden und 
lag so lange, bis der Schmei'z in ihm brach, und 
in seinem Herzen es still wurde mit einer Stille, 
die vor der Schöpfung war. 



— 104 — 

Rahe, oh, Bube ! 

Die Meere waren gestorben, der Pnlsschlag 
der Erde hörte auf, in den Himmel ragten ver- 
kohlte Wipfel erstorbener Palmenbänme und mäch- 
tiger Stämme von Farren, flb^r dem unermess- 
lichen Oden Totengefllde der Eismeere lag ver- 
streut die furchtbare Saat von Knochen vorsint- 
flutiger Tiere • • • 

Stille, taube Stille ! 

Mit erloschenen Strahlen verband sich der 
Mond mit der Erde, und es gab keine Hand die 
diesen toten Saiten einen Elang entreissen könnte 
— mit breitem Schoss öffnete sich die Erde, aber 
es gab kein Licht, das sie befruchten könnte — 
in der atmospbärenlosen Unendlichkeit hängen 
reglos entsetzliche Sterne wie kalte Globen aus 
Messing, und die Sonne, kohlenschwarz, verreckt 
aufgefressen von ihrem eigenen Feuer. 

Und in dieser grässlichen Stille erhob 
sich von neuem die Sehnsucht in ihm, eine un* 
sagbare Sehnsucht nach der, die er einst be- 
sessen, wieder verloren, die er aus der Mutter- 
scholle seiner Seele wieder zum Leben aufer- 
wecken, Blut seines Herzens in sie ergiessen 
und seinen Willen ihr als Bückenmark geben 
sollte . . . 



— 105 — 

Aqs seiner eigenen Adamsrippe sollte er sie 
schaffen) aber er vermochte es nicht. 

Mit ganzer Kraft selmte er sich nach der^. 
die er hienieden nicht mehr schauen dnrfte. Die 
Nacht des Wunders^ die er mit ihr durchkostet, 
breitete sich zu einer Ewigkeit — eine Ewigkeit 
lebte er mit ihr zusammen, eine Ewigkeit unend- 
lichen Glflcks. 

Und er sprach zu ihr: 

ihr meine Augen — 

so oft ergoss sich meine Seele in eure dunk- 
len Untiefen, einem Sterne gleich, der in die 
Abgrfinde der Ozeane sich herabstürzt — 

noch einmal saugt auf meinen Gram und 
meinen Schmerz — mag er in eurem Schlund 
versinken wie ein Lichtstrom unsichtbarer Sterne 
in den raumlosen Weiten der Unendlichkeit, — 

ihr meine Augen! 

du mein kostbarer Mund, 

so oft irrte seine stumme Trauer auf mei- 
ner Brust, biss sich seine Verzweiflung in mein 
Fleisch, sein Zauber s&ttigte meine Seele mit 
dem süssen Gift unsäglichen Verlangens — so 
oft öffnete er sich zum keuchenden Liebesge- 
flflster, zu unzüchtigen Schreien, zu wilden 
Lästerungen, — 



— 106 — 

einmal noch öffne sich der wundersame Kelch, 
einmal mag er noch seinen gespenstischen Zauber 
in mich ergiessen, 

dn mein kostbarer Mund! 

dn mein geliebtes Hanpt, 

so oft hab ich dich an meinem Herzen ge- 
borgen, 80 oft sankst du an meine Schultern in 
meiner wilden Umarmung , warfst dich zurftck, 
versengt von der Glut meines Verlangens, fielst 
ohnmächtig in zuckenden Liebesschauem auf die 
Kissen — 

einmal noch verbirg dich an meinem Schoss, 
giess über mich die Sternenflut deiner Haare 

du mein geliebtes Haupt, oh du goldener 
Strom deines Reichtums! 

In dem Tal zu seinen Füssen brütete die 
schwarze Nacht — nur ein winziges licht 
flackerte wie der letzte Funken einer verlöschen- 
den Fackel. 

Er verzweifelte nicht mehr. Denn er wusste, 
dass er zu ihr gehe, mit ihr eins werde in dem 
Ewigkeitsschoss, aus dem er und sie entstanden 
sind. 

Keine Verzweiflung mehr, nur eine kranke, 
sinnlose Sehnsucht nach diesen Augen, die ihre 
Sterne in die Abgründe seiner Seele mit solcher 



— 107 — 

Liebe im Schmerz eintauchten nnd nach den 
Händen, die ihre Tansende von verhängnisvollen, 
schicksalschweren Linien in sein Gesicht graben, 
nach dem traurigen Lächeln, das mit brütender 
Schwere sich um die Lippen legte • • . 

Es geschehe! 

Er nnd sie sollten zum ürschoss zur&ck- 
kehren um zu einer heiligen Sonne zu werden. 

Eins und unteilbar sollten sie werden, 

und alle Geheimnisse nackt und gelöst mit 
ihren Augen schauen 

und in gottewiger Klarheit alle Ursachen 
und Ziele durchdringen und sie leiten 

und alle Erden und jegliches Sein beherr- 
schen 

in dem Gottgeftkhl: Er-Sie! 

Androgyne ! 

Es umfloss ihn der Glanz ihrer feinen, weissen 
Hände, ihn durchströmte der Duft ihres Körpers 
und in seiner Seele jauchzte das verlangende, 
lockende Geflüster: 

Komm Geliebter, komm! 

Und er ging mit einem gewaltigen Todes* 
trinmph in seinem Herzen, dort wo im Mondes- 
glanz der siebenarmige See schimmerte — ging