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Full text of "Aniane und Gellone: Diplomatisch-kritische Untersuchungen zur Geschichte der ..."

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MIME UND GELME 

DIPLOMATISCH-KRITISCHE UNTERSUCHUNGEN 

ZUR GESCHICHTE DER 

BEFÖBMEN DES BENEDICTINER0RDEN8 

IM IX. UND X. JAHRHUNDERT 

VON 

WILHELM ptrCKERT 

WEIL. PROF. AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG 




ÜNIVERSITY 



LEIPZIG 

J. C. HINRICHS'scHE BUCHHANDLUNG 

1899 

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Beese 



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OFTHE '^ 



UNIVERSITY 

Einleitung. 



Unsere Ansicht von der ersten Reform des Benedictinertums, die 
unter Karl d. Grossen und Ludwig d. Frommen an Abt Benedict von j 

Aniane ihren Urheber und vornehmsten Leiter hatte, beruht auf einer 
Ordnung aus dem Jahre 817, dem sog. Capitulare monasticum, und auf 
Ardos Lebensgeschichte Abt Benedicts, die denn wenigstens gelegentlich 
herangezogen zu werden pflegt. Aber das sog. Capitulare monasticum 
enthält nur Vorschriften für das innere Leben in den einzelnen Klöstern, 
einem jeden für sich, so dass schon ihre Beziehungen zu einander nicht 
berührt werden: und es gehört unter die bemerkenswertesten Eigentüm- 
lichkeiten dieser Ordnung, dass sie, beraten unter den Augen des welt- 
hchen Herrschers und von ihm betrieben, das Verhältnis zur welthchen 
und auch kirchlichen Gewalt — wieviel Anlass darauf einzugehen auch 
vorhanden war — ganz übergeht, die Regelung der äusseren Verfassung 
wie geflissentlich meidet. Was aber Ardo, kärglich genug, über die Ver- 
fassung berichtet, trifft nur die Zeit bis zum Tode seines Helden: er 
gedenkt weder eines Planes, mit dem sich dieser im Bhck auf seine 
Nachfolger getragen, noch vollends einer Massregel, die er in der Absicht 
getroffen habe, die von ihm im Kreise der reformierten Klöster einge- 
nommene Höhenstellung für die Zukunft dem Inhaber des Stuhles von 
Aniane zu sichern, oder auch nur dem Verbände dieser Klöster feme- 
hin Dauer zu geben. 

Ergänzung scheinen da einige Diplome zu bringen, die teils Bene- 
dict, für sich wie für seine Nachfolger, teils diese seine Nachfolger selbst 
erhielten: ein Diplom Karls d. Gr., mehrere Diplome Ludwigs d. Fr. 
und noch Karls d. Kahlen. 

Das Diplom Karls d. Gr. gewährt den Mönchen von Aniane neben 
Lnmunität weitreichende Wahlfreiheit, indem es den Brüdern gestattet, 
ihren Abtsstuhl sowohl mit einem Mönche der eigenen Genossenschaft, 
wie durch Berufung aus einer behebigen anderen zu besetzen; zugleich 
enthebt es den Abt und die Mönche von Aniane der kirchlich geord- 
neten Gewalt des Sprengeloberen in einer der wichtigsten Beziehungen, 

Puckert, Aniane und GeUone. 1 



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2 Einleitung. 

in einer Beziehung, die — sage ich's gleich hier — im Zeitalter der 
Klosterreform durch die Cluniacenser als eine der heissest umstrittenen 
wieder begegnet. Das Diplom kann so die Vorstellung wecken, als ob 
Abt Benedict dem Verbände zwischen Aniane und den von da aus 
reformierten Klöstern wirklich Dauer zu geben beabsichtigt, ihn eben 
dadurch zu erhalten gesucht habe, dass er den Mönchen eines jeden 
unter ihnen vom Herrscher die Wählbarkeit zum Abtsstuhle des Mutter- 
klosters gewähren, die Aussicht auf seine Besteigung öfl&ien Uess — wie 
in späterem Jahrhundert der Orden von Citeaux auch auf diesem Wege 
Festigkeit und Innigkeit dem Verhältnis zwischen Mutterkloster und 
Tochterklöstem zuzuführen bedacht war. Und zugleich die andere, als 
ob von ihm seinen Nachfolgern durch die wiederum auf seinen Antrag 
in weitem Masse ihnen zugesicherte Unabhängigkeit vom Sprengelhirten 
eine — wie nur nachmals im Kreise Clunys — die Grenze des Sprengeis, 
vollends den Bing Anianes übergreifende Wirksamkeit zum Ziele gesetzt 
worden sei. Dem Kloster Aniane wäre wirklich, entsprechend der 
Stellung seines Gründers Abt Benedicts, eine räumlich umfassende und 
zeitlich unbeschränkte Thätigkeit des Erziehens und Leitens über einen 
weiten Kreis hin zugewiesen worden. Schon unter Karl d. Gr., und 
zwar nicht sowohl mit seiner Erlaubnis, sondern durch seine Verfugung, 
die, da sie zugleich der kirchUchen Ordnung auffälligen Abbruch that, 
bezeichnend wäre für den fränkischen Kirchenstaat unter Karl. „Das 
Bild einer Congregation" hätte der Gründer von Aniane, dieser „Bene- 
dictus alter" nicht, wie Mabillon meint, erst unter seinem erklärten 
Gönner Ludwig d. Fr,, bei Vereinbarung der Ordnung von 817, die 
dieser Meinung auch gar keine Stütze bietet, sondern lange vorher im 
Auge gehabt, schon an der Schwelle seiner Reform in den Landen süd- 
lich der Loire und schon unter Karl. Sie wäre nicht, wie Mabillon 
weiter urteilt, auf seine Person gestellt gewesen^), was man von der 
späteren eines Gerhard von Brogne, eines Richard von StVanne sagen 
muss, sondern auf Aniane, auf das Kloster, an dem die Vorrechte haf- 
teten, dem sie im Wechsel der Abte verbleiben sollten. 

Und dürfte man den Diplomen Ludwigs d. Fr. und Karls d. K. 
folgen, so hätte freilich weder der eine noch der andere sofort Aniane 



1) Acta SS. ordin. S. Bened. IV, 1. Praefat. § 146: Haec prima fuit species 
congregationis 8ub regula Si Benedicti; verum rudis haec fuit.. forma: nam mor- 
tuo Benedicto de successore qui totius corporis pondus humeris exciperet provisum 
non est. — Ardo lässt in seiner Lebensgeschichte Benedicts (Mon. Germ. Scr. XV) 
neben ihm, dem Abte (c. 29 Benedictus circumivit singulorum monasteria, non 
semel et bis sed et multis vicibus; vgl. c.'31 visendi gratia, c. 32 alia rursus vice 
in eodem monasterio venit), allerdings auch sein Kloster hervortreten; aber aus- 
drücklich wie von Vergangenem, von einem nicht mehr bestehenden Verhältnisse 
berichtet er c. 19 omnium monasterio rum tam in Provincia quam in Gotia seu 
Novempolitana provincia erat (Anianense monasterium) quasi nutrix fovens 
juvansque: deshalb wird auch nur von der Lebenszeit Benedicts gelten sollen, 
was er seine Leser zu beherzigen heisst c. 18 cunctorum hoc caput esse coeno- 
biorum non solum . . Gotiae in partibus . . verum etiam et illorum quae aliis in 
r^gionibus . . aedificata atque de thesauris illius ditata. 



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Einleitung. 

zum bleibenden Mittelpunkt des ganzen Reformkreises gemacht — w 
denn auch Cluny nachmals an den ihm zur Reform empfohlenen Stätte 
mit nichten schon in seinen Anfängen Rechte des Besitzes, dauernde 
Herrschaft erhielt^ — ; dafür wäre es gleich von Ludwig mit um s 
unmittelbarerer Gewalt in der Nachbarschaft ausgestattet worden. Den 
diese Urkunden überweisen ihm eins der namhaftesten Klöster, die Bene 
dicts Hand je berührt hat, Gellone, bereits in anderem Sprengel gelege; 
und bezeugtermassen reich wie irgend ein von Cluny seit seinem viertel 
Abte überkommenes, die Stiftung des hochangesehenen Grafen Wilheln 
von Toulouse, zu vollem Eigen, in der strengen Abhängigkeit einer Zelle 
So nach seinem dermaligen Wortlaute gleich das früheste der von Kaise; 
Ludwig uns erhaltenen Diplome fiir Aniane, erteilt kurz bevor von ihn 
Benedict nach Maurmünster berufen ward. Etwa eben im Hinblick au 
dessen nahes Scheiden erteilt? als ob, was und wieviel in persönlicher 
Beziehungen, wenigstens für den AugenbUck, an Einfluss des Lehren 
und Meisters auf weit über Aquitanien und die Provence hin verstreute 
Zöghnge sich mindern, was dem Kloster durch den bevorstehenden 
Abbruch an seiner hohen Spitze verloren gehen musste, durch Verbrei- 
terung des Unterbaues ausgeglichen werden sollte? 

Und Benedicts persönliche Abwendung von seiner alten Stätte 
schlösse die Vermutung einer ihr, dem Kloster und den zukünftigen 
Äbten Anianes ursprünglich zugedachten Bestimmung zu dauernder Wirk- 
samkeit nicht geradezu aus. Manches Kloster und manches Stift, das 
den Keim fruchtreicher Reform fiir weitere Kreise enthielt, das auch zum 
Stützpunkt einer fernehin verzweigten Congregation ausersehen war, ist, 
als es kaum seine erste Entwicklung hinter sich hatte, von seinem Grün- 
der, obschon er noch in ungeschwächter Kraft stand, aufgegeben, der 
Leitung einer minder erprobten Hand anheimgestellt worden. Nicht bloss 
der unstete Romuald hat sich früh von CamaldoU losgesagt. Auch 
Bruno Hess seine Cartause am Abhänge der Westalpen, lange bevor sie 
sich den Namen der Grossen erwarb, Waise werden, indem er am 
calabrischen Apennin einer anderen das Leben gab. Robert, der erste 
aller Väter von Citeaux, kehrte, ehe es eine Tochter erzeugte, nach 
Moleme, woher er gekommen, zurück. Norbert vertauschte den Abtsstuhl 
von Premontre, seiner jugendhchen Gründung, als deren „Bräuche" erst 
im Norden Frankreichs und im Westen Deutschlands Boden gefasst, mit 
dem erzbischöflichen Stuhle von Magdeburg. Auch Robert von Arbrissel, 
der Urheber von Font-Evraud, Bernhard, der von Tiron, Cono, der von 
Arroise, haben ihr Tagewerk nicht da beschlossen, wo sie es, vielleicht 

2) Zu rasch erscheint Cluny s Anwachsen bei Giesebrecht Kaisergesch. I^, 678. 
•Gleich von den sieben Klöstern, denen Abt Berno von Gigny und Cluny vorstand, 
gingen auf Odo, seinen Nachfolger in Cluny, mit Cluny nur zwei über, die nicht 
einmal behauptet wurden. Die danach reformierten pflegten, je grösser sie waren, 
um 80 eher sich dem Einflüsse Cluny s wieder zu entziehen : noch unter dem dritten 
Abte besass es an Klöstern nur wenige und unbedeutende (Regesta Pontif. Rom. 
ed. Jaffe-Loewenf. No. 3648); erst unter dem fünften, gegen Ende des 10. Jahr- 
hunderts erscheint es mit stattlichem Gefolge (Jaffe-Loewenf. No. 3896); vgl. Sackur 
Die Cluniacenser 1, 337. 2, 91. 

1* 



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4 Einleitung. 

schon ein hohes Ziel im Auge, sicherlich in sehr eigener Weise be- 
gannen *). 

Aber die Diplome ^Anianes, die jene Vermutung nahelegen, haben 
schon in der Art ihrer Überlieferung keine volle Gewähr. Sie sind nur 
abschriftlich auf uns gekommen, und unter den älteren Urkmidensamm- 
lern bezeugt keiner, dass er sie urschriftlich vor sich gehabt habe, obgleich 
diese Sammler alle zur Congregation von St. Maur gehörten, der, seit- 
dem Aniane ihr zur Reform übergeben war, doch wohl auch das Brief- 
gewölbe Anianes sich rückhaltlos öflEaete. Den Zeitpunkt des Brandes, 
der in den Unruhen von 1562 Aniane verzehrte, hat von den Originalen 
der Karoliilger vielleicht schon manches nicht erreicht, und überdauert 
bis zum Beginn der gelehrten Thätigkeit der Mam'iner höchstens ein ftir 
mich nicht in Betracht kommendes Zollprivileg Ludwigs d. Fr., das 
wenigstens ihr in septimanischen Dingen bewanderter Genosse Claude 
Estiennot noch gesehen zu haben versicherte*). Und nicht einmal ab- 
schriftlich ist zu Aniane das Uterarische Hauptwerk seines Gründers, die 
Concordia regularum, sie so wenig wie das sog. Chronicon Anianense, 
gefunden worden: jene entdeckte Hugo Menard, ein älterer Mauriner, 
weitab, nördlich von der Garonne, zu St. Benoit-sur-Loire, dieses konn- 
ten noch zwei jüngere, Martine und Durand, nur nach einem Funde im 
Catalonischen Ripoll veröffentlichen. 

3) Bei den meisten soll, wie bei Benedict von Aniane, ein höherer Wille die 
Veranlassung gewesen sein — die Ladung eines Königs, eines Papstes, eines 
Bischofs. Indes wie leicht liess sich eine solche herbeiführen? oder umgekehrt 
bei widerstrebender Neigung und Stimmung mit wie vielfachem Grunde ihr aus- 
weichen? Und wer nicht, wie gemeinhin ihre Lebensbeschreiber, nur den ein- 
zelnen für sich ins Auge fasst, sondern ihre Reihe überblickt, ahnt an der Wieder- 
kehr der gleichen Begebenheit in den Anfangen so vieler mönchischer und kleri- 
kaler Reformgenossenschaften, dass die Ursache im Wesen dieser Menschen lag. 
Sollte gerade ihnen und ihnen allen Ausdauer gefehlt haben? Wahrscheinlicher 
ist doch, dass den Sinn des Beharrens nur ihr Verlangen des Schaffens überwog. 
Der nämliche Drang, der sie von ihrer frühesten Stätte, aus überkommenem Ver- 
bände hin weggerissen und zum Versuche einer eigenen Gründung getrieben hatte, 
liess sie auch am gelungenen oder halbgelungenen nicht froh werden, führte wie- 
der zu neuem Unternehmen, bisweilen gerade in weite Ferne, zu einem Volke oder 
Stamme fremder Zunge — wie eben den Goten Benedict erst zu den Alamannen, 
dann zu den Franken. 

4) Mühlbacher Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern I No. 504 
(= Sickel L. 7) nach Bouquet 6, 455 ex autographo. Diese Versicherung ist diplo- 
matisch wichtig, da dieses Stück in ein Versprechen kaiserlicher Gnade, also in 
Briefschluss ausläuft, Briefschluss eines Zollprivilegs aber der Bürgschaft eines 
Originals bedarf (Sickels Bemerkung Urkundenlehre § 115 nt. 14, dass dies zu- 
weilen der Fall, finde ich sonst nicht bestätigt, auch nicht durch das von Ludwig 
und Lothar dem Kloster Nantua erteilte — veröffentlicht erst 1895 von Dopsch 
Mitt. d. Inst. f. österr. G. 16, 212). Freilich könnte Estiennot sich getäuscht, für 
das Original angesehen haben was Originalnachbildung war: hat doch noch in 
neuerer Zeit Sickel von Montpellier aus die Mitteilung erhalten, dass Mühlb. 
No. 691 (Sick. L. 153) Original sei, während es in Wahrheit, wie W. Arndt er- 
kannte, angebliches Original ist. Verloren sind nunmehr, so scheint es, beglau- 
bigte Abschriften für Mühlb. No. 340 (Vidimus von 1314, das aber, da allen seinen 



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Einleitung. 5 

Vereinigt finden sich die vier Diplome in einem Chartular*), das 
dem zwölften Jahrhundert angehört. Nach dieser Altersbestimmung (eine 
andere steigt nicht einmal so hoch hinauf) steht es um drei bis vier Jahr- 
hunderte von den Originalen ab. Es ist eine Abschriftensammlung, die 
zeitlich, mehr behaupte ich vorläufig nicht, berührt war von vielseitigen 
und heftigen Erschütterungen der klösterlichen und kirchlichen Institute: 
angelegt wurde sie in derjenigen Periode des Benedictinertums, die an- 
hebend schon im elften Jahrhundert die grossen Klöster im Eingen mit 
anderen, grossen und kleinen, eine machtvollere Stellung, und im Kampfe 
mit den Bischöfen ein volleres Mass von Selbständigkeit als je vorher 
erstreben hiess. Zu solchem Unterfangen, das im Verlaufe des Streites 
hie und da weder vor Auflehnung gegen eine päpstUche Entscheidung 
noch vor Erschleichung oder Verunechtung oder Fälschung päpstlicher 
Privilegien scheute, weckte wahrscheinlich an mehr denn einem Orte 
Mut und Hoffnung der glänzende Erfolg Clunys, seitdem dieses, nun 
gestützt auf weitgehende Gewalt über eine Anzahl abhängiger Priorate 
und zugleich auf die eigene Unabhängigkeit von der Gewalt des Sprengel- 
hirten, eine neue Reform fast vollendet hatte. Besonders mag bei Aniane 
und der Kritik der Anianer Diplome der Umstand in Anschlag zu 
bringen sein, dass diese Denkmäler seiner Reform, der ersten des Bene- 
dictinertums, erst von Händen aus der Zeit der Beform Clunys, von 
Augenzeugen der späteren Ordnung der Dinge ims vermittelt werden. 
Denn wie weit auch Aniane räumlich von Cluny ablag, den Mönchen 
Anianes ist, noch ehe das Chartular durch die ihm eingereihete Lebens- 
beschreibung Abt Benedicts ihnen die Erinnerung an die einstige Stel- 
lung ihres Klosters erneuerte, das Musterbild des burgundischen Klosters 
sehr nahe, wie ins Angesicht getreten — seit Mitte des 10. Jahrhun- 
derts durch Olunys Priorat St. Semin-du-Port im Sprengel Uz^s, das 
mit einem der später ihm selber zahlreich überwiesenen Häuser in den 
Sprengel Maguelonne- Montpellier, also in den eigenen Bereich Anianes 
hineingriffi und durch die seit etwa 1065 auf mehrere Menschenalter hin 

Abdrücken die Recognition fehlt, schwerlich dem Original entnommen war) wie 
für Mühlb. No. 726. 939 und Böhm. No. 1639 (»Authentiques sur papier% nach 
einem Inventaire general bei Revillout in Mem. de la soc. arch^ol. de Montpellier 
YI, 574 — ein Aufsatz, den Mühlbacher für die Anianer Diplome übersah — noch 
im Jahre 1790 vorhanden). Nach ihrem Schweigen über das Archiv scheinen 
Martene und Durand, die zweimal das Kloster besuchten, nichts Besonderes gefun- 
den zu haben (Voyage de deux relig. Benedictins I, 312. 11, 64). 

5) Zuerst angeführt und benutzt von den Maurinern Devic und Vaissete, die 
aber doch nicht, wie Sickel zu E. 115 angiebt, alle älteren Urkunden des E^losters 
herausgaben : die von den Provinzialstanden ihnen bewilligten Mittel haben sicht- 
lich auch sonst knapperen Zuschnitt gefordert. Es fehlen ihrer Histoire de Lan- 
guedoc (Bd. I 1730) die Diplome Mühlb. No. 309. 503. 560 und von den Privat- 
urkunden des 9. Jahrh. die in der Neuausgabe (par Dulaurier Toulouse 1875 ff. 
üb) als No. 25. 78. 79. 96. 143 abgedruckten. Und auffallig ist, wie wenig sie 
in andern Werken der Genossenschaft von St. Maur beachtet wurden: Martene 
(GaUia Christ. Bd. VI 1739) und Bouquet (Bd. V 1744. Bd. VI 1749) gehen über 
sie hinweg auf Mabillons Drucke und Papiere zurück. Ich halte mich fernerhin 
an die angeführte Neuausgabe (H. d. L.). 



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6 Einleitung. 

unter Cluny gestellte Abtei St. Gilles im Sprengel Nimes: unmittelbar 
besass Cluny im Sprengel Maguelonne, mindestens seit 1139, das Priorat 
St. Maurice zu Sauret®). Im Anfange des 12. Jahrhunderts sind die 
späten Erben in den Ruhm Benedicts des Goten mit dem Enkelgeschlecht 
der Zöglinge Bemos und Odos zu einer Verbrüderung zusammengetreten, 
bei deren Verkündigung von Cluny aus Abt Pontius an die Anfänge 
Anianes erinnerte, und, er der Sohn eine§ Grafen von Melgueil, also 
Spross der alten Grafen von Maguelonne, auf die von seinen Ahnen, 
lange vor Clunys Gründung, um Aniane erworbenen Verdienste hinweisen 
konnte. In den letzten Zeiten des salischen oder in den ersten des 
staufischen Königtums hat Abt Peter der Ehrwürdige die noch macht- 
vollen Fittiche Clunys über die gealterte Stiftung aus den Tagen Karls 
des Grossen gebreitet Die zweite Hälfte des zwölften Jahrhunderts 
führte einen Mönch Clunys auf den Abtsstuhl von Aniane '). 

Auf den Wegen Clunys zeigen sich denn die von Aniane schon im 
elften Jahrhundert, indem sie dem Bischof von Maguelonne mit An- 
sprüchen entgegentraten, wie nur je die von Cluny dem Bischof von 
Mäcon, indem sie daneben auch auf Beherrschung südfranzösischer Klöster 
unter der Angabe ausgingen, dass ihnen seit Alters hier zustehende 
Herrschaft durch Abfall entrissen worden sei^). Wenn das Chartular 
des zwölften Jahrhunderts nicht durchweg an Originale, sondern an schon 
damals etwa allein noch vorhanden, allein noch lesbar gewesene Ab- 
schriften *) sich schHesst, so könnte es mittelst dieser um ein paar Men- 

6) Jaffe-Loewenf. Reg. No. 3648, vgl. Bibliotheca Cluniac. S. 1730 B; Baluze 
Mise. 6,480 (= ed. sec. 3,48) und dazu Jaffe-Loewenf. No.5849. 6241. 6821. 7193j 
H. d. L. ly, 829 und Jaffe-Loewenf. No. 8022. 9628. Cap. V Anm. 95 be- 
rühre ich auch ein Zusammentreffen gegensätzlichen Anspruches der Mönche von 
Aniane und derer von Cluny (auf Casanova- Goudargues in der 2. Hälfte des 11. Jahr- 
hunderts). 

7) Mabillon Annal. V. lib. 71 § 71. Petri Venerab. Epist. 3 (Biblioth. Clu- 
niac. S. 624). Über Abt Raimund von Aniane, den sein Yater ursprünglich Cluny 
dargebracht hatte, siehe Cap. II Anm. 110. 

8) Entscheidung Urbans IL in der Kirchenversammlung von Clermont 1095 
(Cap. II Anm. 1). Dass der von Mabillon Annal. V 1. 64 § 68 bruchstückweise 
mitgeteilte Brief Abt Emenos von Aniane wirklich in dieser Fassung abgegangen 
sei, bezweifele ich (Cap. Y Anm. 81 1> u. ff.); aber er bezeichnet doch, ent- 
nommen wie er (nach Mabillons Versicherung Act. SS o. Bened. IV, 1. append. 
ad Vit. S. Bened. No. 5) dem Archive von Aniane ist, die Richtung, die das Klo- 
ster einschlug, wenn da geklagt wird, dass ausser den Mönchen vor Gellone noch 
andere das Joch Anianes abgeschüttelt hätten. Dagegen gehört nicht hierher das 
weder da noch sonst in den Urkunden Anianes auftretende Kloster St. Esteve de 
Cabardez. In Anspruch genommen ward dies unter P. Hadrian IV. nicht von 
Aniane (so Jaffe-L. No. 9958 ,monachis Anianensibus"), sondern von St. Chinian: 
in der Urkunde ,monachis S. Aniani**, die nicht Anianenses genannt werden 
durften. Der Heiligenname duldet, zumal ohne Sanct., keine adjectivische Ablei- 
tung; diese muss, wenn man Missverständnis vermeiden will, dem Ortsnamen 
vorbehalten bleiben, nach dem Ortsnamen aber sind die hier gemeinten, eben die 
von St. Chinian, als monachi Olusianenses zu bezeichnen (vgl. No. 5402). 

9) Sehr wahrscheinlich ist dies gleich bei Karls Diplom Mühlb. No. 309: die 
falsche Kanzleiunterschrift lehrt, dass der Sammler keine mehr in seiner Vorlage 



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Einleitung. 7 

schenalter zurück, zum Anfang der Irrung mit dem Bischof des Sprengels 
und mit den Klöstern der Nachbarschaft hinaufführen. Und abgesehen 
■ von dieser Mögüchkeit schlugen die Streitigkeiten, wie mehrere auf die 
Namen von Nachfolgern Papst XJrbans 11. gefälschte Privilegien lehren, 
noch in das Jahrhundert der Anlegung der Sammlung, daher sich un- 
abweisüch die Frage aufdrängt, ob nicht an den Resten einer fernen 
Vergangenheit die Zeitlage ihrer Wiederauffischung Spuren in der einen 
und andern, dem Bedürfnisse des Augenbhcks ^^) entsprungenen, Verun- 
echtung gelassen habe. 

Dieser Frage ist die Forschung in Deutschland noch gar nicht nach- 

fand; um doch eine zu geben, musste er sie aus dem Biplome eines andern Karl 
holen. (Über die Recognitionen in diesem Chartular überhaupt Sickel ürkundenl. 
§ 30 nt. 1.) — Namentlich mutmasse ich, dass Mabillon nicht (so Sickel zu K. 115) 
das Chartular, sondern Einzel abschriften vor sich gehabt. In seiner Aufzählung, 
die vollständig sein will (Vit. S. Bened. not. praev. 4. 8), weiss er nichts von 
Mühlb. No. 503. 554. 938 (noch in seinen Annal. II, 1. 31 § 83 nichts von 938), 
obgleich im Chartular nach den Angaben der H. d. L. das Diplom No. 554 dicht 
(Fol. 17) dem ihm bekannten No. 504 (Fol. 16^) nachfolgt und No. 938 unmittel- 
bar (Fol. 23^) dem ihm wiederum bekannten No. 691 (Fol. 24) voraufgeht. Umge- 
kehrt kannte er (not. praev. 8) eins von Ludwig d. Fr., Gellone betreffend, vom 
18. Sept. 837, das im Chartular fehlt und denn auch in dem Verzeichnis Sickels 
(zu K. 115) keine Stelle erhielt (vgl. Cap. IV Anm. 34. 44). In seinem Nachlass 
fand sich (nach Bouqu. VI, 456) No. 503 mit Recognition und Datumzeile, die 
Waitz und Revillout im Chartulare vermissten; dagegen giebt er No. 340 ohne 
Recognition, die im Chartular — wenngleich fraglich ob richtig — vorhanden ist. 
Vornehmlich beruft er sich nirgend auf ein Chartular: dass von Mabillon die Vita 
S. Benedicti dem Chartulare entnommen sei, behauptete freilich noch Waitz (M. 
G. Scr. XV, 199), aber die eben von Waitz ihm vorgeworfene Ungenauigkeit des 
Abdrucks deutet doch eher auf eine Verschiedenheit der Handschrift, zamal bei 
einer sachlichen Abweichung wie (c. 46) ülfarius nuUum habens consanguineum 
gegen Waitz (c. 34) Vulf. . . Wilhelmi comitis consanguineus, eine Abweichung, 
die Waitz auffälliger Weise unvermerkt Hess (vgl. Cap. V Anm. 11 und über 
Vit. c. 18 = Mühlb. No. 309 Cap. I Anm. 6). Weniger ins Gewicht fällt, dass 
Mabillon bisweilen ein anderes Datum giebt, als das Chartular; seine Zeitangaben 
schwanken in seinen eigenen Werken (vgl. obs. praev. ad Vit. S. Ben. 4 mit 
Ann. II 1. 28 § 16; appond. ad Vit. § 13 mit Ann. II 1. 31 § 83). Über das Ab- 
leitungsverhältnis der durch den Fleiss der Mauriner überhaupt zusammenge- 
brachten Abschriften für Aniane hat Delisle (Bibl. de T^c. d. chartes VI, 1, 205. 
3, 529. 536. 4, 244. 246) uns zu unterrichten wohl nicht vermocht. 

10) Eine Kleinigkeit, und eine harmlose ist's, wenn im Chartular Mühlb. No. 
691 Massacia zu Anfang als Zelle bezeichnet wird, während sie in der alten Ori- 
ginalnachbildung (oben Anm. 4) schon da, wie weiterhin auch im Chartular, ein- 
fach eine Villa ist; auf Zellenbesitz kam's eben im Zeitalter des Chartulars an. 
Ich bemerke dies nur, weil Bouquets Druck hier mit der Nachbildung überein- 
stimmt. Auch sonst weicht er von den auf dem Chartular beruhenden Ausgaben 
der Urkunde ab: es fehlt ihm im Herrschertitel ordinante und in der Pertinenz- 
formel cum vor donnibus; er hat civitatis, peccatorum, perpetim, und nahe dem 
Schluss der Disposition praedictae ecclesiae S. Martini statt civitate, peccaminum, 
perpetuo, praed. cellae S. Mart.: daher glaube ich, dass Bouquet nicht (so Mühl- 
bacher) auf das Chartular, sondern vermittelst einer Maurinerabschrift auf die 
Nachbildung zurückgehe. 



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8 Einleitung. 

gegangen , in Frankreich nur im Hinblick auf die Diplome Ludwigs d. Fr. 
und seines Sohnes. Ich prüfe zunächst das Diplom Karls d. Gr., und 
zwar erst an sich (I.), dann (ET.) in Verbindung mit einer Anzahl päpst- • 
Kcher Privilegien, die, da einige unter ihnen Aniane in hochberechtigter 
Stellung erscheinen lassen, andere aber dem Sprengelhirten seine vollen 
altkirchhch begründeten Befugnisse wahren, von dem Kampfe zwischen 
Kloster und Bischof eine Vorstellung geben und die an sich vorhandenen 
Bedenken gegen die Echtheit der Königsurkunde in wichtigen Bestand- 
teilen noch wachsen lassen. Ich erörtere darauf (III. IV.) die Gellone 
betreffenden Diplome Ludwigs d. Fr. und Karls d. K., unter Benutzung 
verwandten Quellenstoffes, den selbst die Forschung in Frankreich trotz 
anzuerkennender Gründlichkeit nicht vollständig heranzog, und in dieser 
UnVollständigkeit auch, da die Ansicht sich hier gegensätzlich schroff 
spaltete, nicht immer unbefangen würdigte. Zuletzt (V.) will ich auf 
Grund besser gesicherter Diplome und nach den Andeutungen eines 
parteilosen und doch nicht ferne stehenden Zeitgenossen, ich meine Alkuin, 
zwar kein farbenreiches Bild von der Verfassung der durch Abt Benedict 
reformierten Klöster malen (das hindert die Spärhchkeit der Quellen), 
aber in grobem ümriss zusammendrängen, was wenigstens über mancherlei 
Beziehungen dieser Klöster unter einander, über die Richtung, in der 
ihr Verband zum Ausdruck kam, über die Leitung, unter der er stand, 
jene Zeugnisse und Hinweise kund werden lassen teils durch das, was 
sie vorauszusetzen zwingen, teils durch klärUche Aussage. Die Ausführ- 
lichkeit wird Kenner nicht befremden. Man kann Untersuchungen dieser 
Art nicht anrühren, ohne gleich in weiteren Zusammenhang zu geraten, 
in dem sie aber auch allgemeineren Belang erhalten. So hoffe ich im 
ersten und zweiten Stücke einen Beitrag zu der verwickelten und in der 
Wissenschaft des kirchhchen Rechts noch heute nicht über alles Schwan- 
ken hinausgekommenen Lehre von den klösterlichen Exemtionen unter 
den früheren Karolingern und vornehmlich unter den Päpsten in der 
Höhezeit des Mittelalters zu bringen: hier fiigt es sich, dass an die 
Schilderung der klösterlichen Verfassungs Verhältnisse unter Karl d. Gr. 
Ordnungen angeschlossen werden müssen, durch die Papst Urban IL, in 
diesem Bereiche der Gesetzgebung jenen noch überragend, die Stellung 
der Klöster, zumal ihr Verhältnis zu den bischöflichen Sprengeloberen 
regelte. Das dritte samt dem vierten hat zum Mittelpunkt zwar nur 
eine Örthchkeit Septimaniens, jenes Kloster Gellone; aber sie führen mit 
den Fälschungen von Gellone in den Kreis der Sage und Dichtung über 
Guillaume d'Orange, den Gründer von Gellone, dessen Geschichte durch 
erneute Musterung septimanischer Quellenschriften und Klosterurkunden 
Berichtigung und (vomehmHch für eines der Lieder über ihn) belang- 
reiche Ergänzung erhält. Da erhebt sich zugleich, in ganz anderer Rich- 
tung, die Frage nach dem Masse des Herrscherrechts, das sich an diesem 
wie den anderen Klöstern Septimaniens^ und an Septimanien selbst Karl 
d. Gr. und Ludwig d. Fr. nach der Überweisung von Reichsteilen an 
ihre Söhne gewahrt haben. Ein in die Erörterung des Streites zwischen 
Gellone und Aniane schlagender Brief Ludwigs d. Fr. wirft auf seine 
Persönlichkeit einen Lichtstrahl, der eine unerwartete Ader freier, edler 



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Einleitung. 9 

Anschauung erkennen lässt. Und trotz der Dürftigkeit des Umrisses, 
auf den sich im fiinften Stück die Zeichnung der äusseren Verhältnisse 
dieser reformierten Klostergenossenschaft beschränken muss, werden doch 
Züge hervortreten, die durch ihre Eigenart eine Stelle in der Ejrchen- 
iind Kulturgeschichte verdienen. Über alle fünf Stücke hin werde ich 
Gelegenheit haben, bisher in der Diplomatik übersehene Seiten des Karo- 
lingischen Urkundenwesens in Betracht zu ziehen; die unabweishche 
Prüftmg des Urkundeninhalts lenkt den Blick auf Rechtsaltertümer, kirch- 
liche und weltliche, bei denen ich meine Abweichung von herrscliender 
Ansicht bekennen muss. 



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Erstes Capitel. 

Aniane nnter Karl dem Grossen. 



Das Diplom König Karls d. Gr. (Mühlb. No. 309) hat in den ver- 
schiedenen Abschriften verschiedene Fassung. 

Schon das Chartular von Aniane bietet zwei nicht völlig gleiche: e& 
bringt nämlich die Urkunde einmal (A) in der den Anfang dieser Samm- 
lung bildenden Vita Benedicti abbatis (Bl. 6 und 6^); das andere Mal 
(Aa) hinter der Vita, an der Spitze der ürkundenreihe (Bl. 15). Jene 
entspricht in zahlreichen Nachlässigkeiten der Volkssprache mehr als 
diese der Stufe der Schulbildung des Kanzlistengeschlechtes ihrer Zeit 
und steht um deswillen sichtlich der ursprünglichen Gestalt näher. Doch 
entstammt auch A schwerKch unmittelbar dem Original. Nicht gerade 
weil Korroboration und Schlussprotokoll fehlen. Man könnte ja ver- 
muten, dass der Verfasser der Vita beide in der Vorlage gehabt und 
sie, bei seiner sichtlich geringen Neigung zu Tages- und Jahresangaben 
sogar das Datum, für entbehrlich haltend mit Absicht weggelassen^). 
Aber anders steht es mit dem Eingange des Diploms: hier wird ein 



1) Die nun von jüngerer Hand nachgetragene Korroboration hat eigentüm-^ 
liehe Fassung (manupropria signaculis subscripsimus et annuli n. impressione u. 
8. f.): sie tritt zu den von Sickel Ürk.-L. S. 194 aufgezählten als fünfte hinzu. 
Denn ihre Richtigkeit verbürgt die frühkarolingische Carta Senonica 35 (Zeumer 
Formul. I, 201 1. 23), die Sickel anderwärts (Beitr. 4, 582) gut erklärt: fast gleich 
Mühlb. No. 211. 340 (manus n. signaculis et de ann. n. jussimus sigillare). und 
auch ihre Zugehörigkeit zum vorliegenden Diplom will ich nicht anfechten, ob- 
gleich durch sie die Urkunde, die eine erste Erteilung enthält, als autoritas con- 
firmationis bezeichnet wird. Denn Sickels Bemerkung über die Bedeutung des 
Wortes confirmatio (Urk.-L. S. 186 ,für Bestätigung von Urkunden aller Art") ist 
zu erweitern: Mühlb. No. 211. 262 erscheint (am Schluss der Dispositio) auctori- 
tatis atque confirmationia donum, hanc n. auctoritat. et confirmation. auch für erst- 
urkundliche Sicherung einer Gewährung (in gleicher Bedeutung das Verbum con- 
firmare namentlich in Wahlrechten : Mühlb. No. 169. 230 — electionem concessiss© 
atque . . confirmasse — vgl. No. 275. 276). 



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Aniane unter Karl d. Gr. U 

Streben nach sorgfältiger Wiedergabe der Vorlage ersichtlich, da eigens- 
für den Rubricator ein Raum ausgeworfen ward. Nun ist aber dieser 
Raum von einem Umfang, der sich nur erklärt, wenn die Vorlage statt 
des schmächtigen Chrismon, wie es unter die Merkmale der Originale 
aus dieser, der könighchen Zeit Karls gehört, die ausgeführte Verbal- 
invocation gehabt, die erst in der kaiserlichen Zeit aufkam. Und war 
diese Invocation samt dem Herrschertitel wirklich, wie Waitz (oder 
Bonnet?) zu sehen glaubte, von der ersten Hand vorgezeichnet, von dem 
Schreiber des Chartulars, so kann vollends nicht daran gedacht werden^ 
dass ihm die Urschrift vorgelegen : denn die Invocation hat einen Wort- 
laut, der auch der kaiserlichen Zeit Karls fremd ist, der, erst unter 
Karl d. K. in die Diplome eingeführt, noch dem Verfasser der Vita,, 
einem Zeitgenossen Ludwigs d. F. unbekannt sein musste; und der Titel 
weicht in der Wortstellung^ von allen Formeln der Zeit und von den 
Diplomen Karls d. G. ab. 

Aus der Urkundenreihe des Chartulars (Aa) ist das Diplom bis 
jetzt nur einmal abgedruckt worden, in der Neuausgabe der Histoire de 
Languedoc par Dulaurier. Ich zweifle an der Genauigkeit des Abdrucks ^)- 
Aber wieviel auch auf Rechnung ungenauen Druckes kommen mag, zum 
untrüglichen Kennzeichen späterer Ueberarbeitung hat es hier ausser der 
bemerkten Reinheit der Sprache und ausser der zeitwidrigen Verbal- 
invocation eine falsche Kanzlerunterschrift, die doch von derselben Hand 
wie das übrige rührt, während das Datum erst Zusatz einer Hand des 
fiinfzehnten Jahrhunderts ist*). 



2) Dei gratia statt gratia Dei: die letztere Wortstellung hat nach den voi> 
Mabillon (de re diplom. S. 76) eingesehenen Originalen noch der Titel Karls d. K.j 
aber im Jahrhundert der Anlage des Chartulars nannten sich Ludwig VII. und 
Philipp Augustus Dei gratia. Über die regelwidrige Invocation Sickel Urk.-L. § 6^ 
Anm. 6, vgl. Mühlb. Regest. I S. LXXHI. 

3) H. d. L. II 1>, 52 No. 8: in der Narratio fehlen Sp. 53 Z. 7 zwischen rebu& 
und nostris die Worte in omamentis bis manibus; von der Korroboration wird 
nichts als das Wort jussimus gegeben. Im Herrschertitel hat Aa die gleiche Wort- 
folge wie A. 

4) Die späte Eintragung des Datums, das überdies lückenhaft ist, mindert 
die Bedeutung der Frage, auf welches Jahr der 19. Annus Regni zurückzuführen 
sei. Sickel findet darin das Jahr der fränkischen Herrschaft, also 787, Böhmer,. 
Abel-v. Simson (I, 441 n. 4. 600 n. 4) und Mühlbacher das der italienischen, also- 
792. Für die letzteren spricht der von Mühlbacher hervorgehobene Umstand, 
dass, was erst nach Sickels grosser Arbeit, bei erneuerter Durchsicht des Chartu- 
lars, bekannt ward, vor der Jahreszahl das Wörtchen et stehen geblieben ist. 
Lässt dies den Ausfall des fränkischen Jahres, also der Zahl 24, voraussetzen (die- 
gleiche Voraussetzung macht Sickel selbst bei seinem Ansatz von K. 161 = Mühlb. 
No. 344), so hat die nach unserem Diplom angefertigte Fälschung für das Kloster 
Vabre (Böhmer No. 1713 vgl. unten Anm. 8. Cap. II Anm. 7), bei verschiedenem Actum 
und Tage, wirklich das Jahr 24 und den gleichen Monat wie das unsrige. Vor- 
nehmlich kann Karl zwar auch 787 in Baiern eingerückt sein (das muss man 
Sickel zugestehen, zumal es die ann. Lauresh. ausdrücklich melden und ann. Einh. 
durch ihr consedit — bei Augsburg — es ebenso wenig ausschliessen wie der 
Bericht der Lauriss. über die Belagerung von Pavia 773 den anderweit bezeugten 



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12 Erstes Capitel. 

Am frühesten hat Mabillon im 27. Kapitel seiner Ausgabe der Vita 
Benedicti abbatis das Diplom ans licht gebracht (B), nicht ^) nach dem 
Chartular, wie sehr sich diesem sein Druck sprachlich und noch sonst 
nähert, sondern nach seiner Handschrift der Vita, die von der Vita des 
Chartulars wie in andeim so in diesem auch ihr eingereiheten Diplome 
erheblich abwich *), obschon in beiden Korroboration und Schlussprotokoll 
fehlen. 

Erklären sich diese Abweichungen der Ausgabe Mabillons zum Teil 
aus der grammatischen Säuberung, die schon am Exemplar Aa hervor- 
trat, so zeigt sich diese auch und noch etwas mehr an der Gestalt, in 
welcher Bouquet das Diplom aus dem Nachlasse Mabillons brachte (C). 
Hier hest man am Ende der Immunität statt in augmentis, worin B 
mit A und Aa und auch mit im Original erhaltenen Diplomen Karls 
Mühlb. No. 167. 212. 299 übereinstimmt, in augmentum, was dann in 
der Formel Ludwigs d. F. wiederkehrt (Imper. No. 4). Der Herrscher- 
titel hat die zeitgemässe Wortfolge. Die Datumzeile und die Korrobora- 
tion erscheinen als ursprüngliche Bestandteile. Am bemerkenswertesten 
ist, dass im Texte an einer Stelle, wo alle Exemplare missstaltet sind, 
die ursprünghche Lesart deuthcher als selbst in A durchschimmert^). 

Zug gegen Verona (vgl. Urk.-L. S. 385); aber erst nach Thassilos Absetzung 788, 
erst nachdem Karl, wie Arno in seinem Indiculus sich ausdrückt, das bairische 
Land ad opus suum genommen hatte, konnte er die Pfalz zu Regensburg, wie 
hier geschieht, als die seinige bezeichnen (Raganesburg, palatio nostro publico). 
Überdies würde sich eine Reise Abt Benedicts zum König nach Regensburg am 
ehesten 792 erklären, wo eben zu Regensburg eine Synode wider die Adoptianer 
zusammentrat, an deren Bekämpfung Benedict, gleich dem gerade 792 mit Privi- 
legien bedachten Patriarchen Paulinus von Aquileja, bekann termassen lebhaften 
Anteil nahm. 

5) So Sickel zu K. 115 und Mühlbacher. Der Herrschertitel wie in A 
und Aa. 

6) Vgl. oben S. 7 Anm. 9. Das Diplom in der Vita der Ausgabe von Waitz 
hat S. 207 1. 11 loca, 1. 13 comitibus, vicecomitibup, 1. 21 talem, 1. 38 de omnia, 
1. 47 ipsis servis . . delectetur; dagegen in der Vita der Ausgabe Mabillons loci«, 
comitibus et vicecom. tale, de omnibus, ipsi servi . . delectentur, wie Aa. Auch 
in der Narratio hat B mit Aa gemein die Weihe der Kirche in honore domini 
Dei ac salvatoris nostri Jesu Christi (A in h. domini ac salv. n. J. Chr.), und das 
ist das richtige, da nach dem Diplome auch in der Ausgabe von Waitz S. 207 
1. 16 (ejusdem Dei genitricis) vor dieser Zeile das Wort Dens als Bezeichnung 
Christi gestanden haben muss. Gemein mit Aa hat B auch die formelgemässe 
Dispositio (Marculf aev. Karol. 30 Zeumer S. 1261. 22) sed quod nos propter statt 
(A) sed quod propter (Waitz S. 207 1. 39). Auch die Wortstellung im Wahlrecht 
migraverint ad Dominum (A cod. 1 dagegen gerade durch Correctur ad D. m., 
wie gewöhnlich in Wahlprivilegien Karls Mühlb. No. 262. 296. 310). Aber vor 
«ich hat Mabillon das Exemplar Aa schwerlich gehabt, da er von einer Korro- 
boration völlig schweigt, während Aa von ihr mindestens noch eine Spur bewahrte. 

7) Bouquet 5, 751. Mit Recht zwar verwarf Sickel Btr. 3, 209 in diesem 
Drucke jure proprietatis, was aus in re proprietatis rühre (ähnliche Falschlesung 
jure uno in einer andern Anianer Urkunde Mühlb. No. 503 statt Arelato wie 
richtig Mühlb. No. 726); aber C entfernt sich vom Ursprünglichen hier doch 
weniger als die übrigen Exemplare, die, eingeschlossen auch A, jure proprietario 



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Aniane unter Karl d. Gr. 15 

Endlich kommt noch als Entlehnung aus der Vita Benedicti abbatis 
in Betracht eine auf den Namen Karls „Königs der Pranken und Lan- 
gobarden und Patricius der Römer** gestellte Fälschung für das Kloster 
Vabre im Rouergue. Sie lehnt sich zwar nicht unmittelbar an die Vita 
unserer Handschrift des Chartulars, d. h. an A: denn sie giebt den 
Herrschertitel in der richtigen Folge und manche Eigenheiten der von 
A noch festgehaltenen Volksrede sind beseitigt®). Da sie indes andere 
solcher Eigenheiten doch gleichfalls bringt oder in einer Weise berichtigt^ 
dass deren fiüheres Vorhandensein noch erkennbar ist®), weist sie mehr 
auf A als auf B, mehr auf das Diplom in der Vita des Chartulars als 
auf das in der Vita der Ausgabe Mabillons. 

Wichtiger als die Verschiedenheit der Exemplare ist ihre mannig- 
fache Übereinstimmung. Sie alle, auch die Fälschung für Vabre und 
noch dazu das dürftige Bruchstück, wodurch Mabillons Vorarbeiter, Luc 
d'Achery, in frühestem Drucke Kunde wenigstens vom Dasein de& 
Diplomes gab, haben im Eingange des Wahlrechts formelwidrig venera- 
biUs Benedictus abbas statt vir venerabihs Benedictus abbas. Ich sage 
nicht, dass die Auslassung des Wortes vir das Streben verrate, die Ver- 
ehrungswürdigkeit, die nach der Formel und den Diplomen Standestitel 
eines Abtes oder eines Bischofs ist, zu einer persönUchen Eigenschaft 
Benedicts zu machen. Aber ich glaube schon in dieser Besonderheit ein 
sicheres Merkmal zu finden, dass diese Exemplare alle gleichen Stammes 
sind, entsprungen einer Abschrift, die weder sorgfältig noch nahe- 
zeitig war®^). 



haben. Anderseits beginnen in C die Abweichungen von bekannter Formel 
gleich beim ersten Worte der Arenga (Magnum statt Maximum). Mit B und Aa> 
hat C vornehmlich stilistische Verbesserungen gemein (locis, tale, omnibus, ipsi 
servi delectentur: mit Aa auch das verkehrte praemissa indulgentia Anm. 8) und 
das formelgemässe sed quod nos; mit A comitibus vicecom., domini et salvatoris^ 
ad dominum migraverint. 

8) Böhmer No. 1713 (jetzt H. d. L. IIb 326 wo wie bei Böhmer die Urkunde 
als echt gilt und nur Karl d. K. als Aussteller genommen wird: vgl. Cap. II, 
Anm. 7). Am bemerkenswertesten erscheint mir, dass diese Fälschung, wie Aa 
und C unverständig und unglücklich zugleich, im Wahlrecht am Schlüsse der 
Dispositio das dem Sinne nach richtige permissa indulgentia verdrängt durch 
praemissa indulgentia statt (von Wahlfreiheit war noch nicht die Rede) durch 
permissus indulgentia (ex permissu auch in andern Wahlrechten Karls Mühlb. No. 
148. 155. 262). Jene vulgarlateinische Weise (vgl. sub nostro regimine dominio 
Capit. ed. Bor. 1, 195 1. 4 statt regiminis dominio) ist auch Mühlb. No. 310 corri- 
giert (ex praem. i.). 

9) Mit A teilt die Fälschung loca, talem, ipsis servis (ausserdem comitibus 
vicecom., jure proprietario). Dass die Korroboration fehlt, steht im Einklang mit 
der Wahrnehmung von Waitz, dass diese in A von späterer Hand rührt. Berich- 
tigungen sind in der Narratio a fundamento (A a fundamentos corr. a fundamen- 
tis) und zu Ende der Verfügung das sinnlose hactenus (statt attentius: A acten- 
tius durch Schreibefehler, der denn die Sinnlosigkeit der Berichtigung erklärt: 
vgl. in der Arenga dieser Fälschung haec domino statt ac D.). 

9^) Im Eingang der Narratio steht richtig vir venerabilis. Auch Mühlb. No. 178 
ist der Ausfall von vir die Schuld des Abschreibers, da das Wort in der Vorlage 



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14 Erstes Gapitel. 

Und gemeinsam sind ihnen allen Spuren einer Überarbeitung, die 
in das Sachliche schlug. Zwei hob schon Sickel hervor: die Erweiterung 
4er Inscription durch Aufiiahme des Wortes vicecomites, das in den 
Diplomen Karls noch nicht ausreichend verbürgt ist, und die Erweiterung 
der Disposition durch das Wort anathematizamus, das, doch sehr ver- 
schieden von der blossen Androhung des göttüchen Zornes (wie sie sich 
in einzelnen Immunitäten Karls und in anderen — aber auf Urkunden 
GeistHcher zurückgehenden — Diplomen findet) statthaft nur im Privileg 
•eines Papstes oder Bischofs wäre^®). 

Daran reiht sich der eine und andere Zusatz, der nun schon in- 
haltlich von Belang ist. 

So bezeichne ich das Wort Castro in der Ortsbestimmung des Klosters 
{subtus Castro Montecalmense) als spätere Einschaltung, der auch die 
Absicht nicht fehlt. Ich gehe darauf naher ein: indem ich sie schärfer 
ins Auge fasse, gewinne ich zugleich einen Bück auf einen Grundzug 
Kier Klosterreform Abt Benedicts. 

SchUcht an den Bach Anianus und in die Nähe des Flusses Herault 
setzt Ardo in seiner Lebensbeschreibung Abt Benedicts das Kloster. Er 
berichtet nicht, dass der neue Bau, den nach einiger Zeit die Überftlllung 
•des alten nötig machte, es einer Burg ab- oder zugerückt habe. Seine 
Schilderung des Lebens von Abt und Mönchen kommt, wie mannigfache 
Einzelzüge sie bringt, nie auf ein Zusammentreffen mit Ejiegsleuten, 
obgleich die Burg, war sie überhaupt, wie die Urkunde will, damals 
schon vorhanden, sich in jenem noch am Ende des achten Jahrhunderts 
schwer gefährdeten, noch 793, ein Jahr nach der Erteilung des Diploms, 



No. 140 = 94 steht (wie umgekehrt der Ausfall von venerabilis No. 176 nach Bouquet, 
da es im entsprechenden No. 116 sich findet). Nicht anders in dem auch nur ab- 
schriftlich überlieferten No. 182 für Abt Iterius von Tours, der doch No. 241 ven. vir 
heisst (sogar Alkuin, der No. 345. 346 mit eigentümlich gnädiger Bezeichnung bedacht 
wird, No. 349 schlicht ven. vir), und in dem auch sonst schlechten No. 341: die 
zahlreich erhaltenen Originale für Äbte von St. Denis haben durchweg ven. vir 
oder vir ven. No. 71. 113. 106. 116. 167. 236). Und da No. 310. 311 Paulinus als 
vir ven. bezeichnet wird, rührt valde venerabili No. 198 aus Verlesung von vir 
Ten. : Willkür von Baronius wird viro valde vener. sein. — Abgedruckt hat Dachery 
das Brachstück in d. Ausg. der Werke Guiberts v. Nogent 622 f. 

10) Sickel ü. L. S. 178. 202. Vicecomites (vgl. Waitz VG.«3, 397) wird schon 
von Devic und Vaiss. (alte Ausg. I, 692 = neue II, 193) verworfen; ihre Erklärung 
durch Versehen eines Abschreibers (anstatt vicariis) ist annehmbar, da auf vice- 
-comites eben noch vicarii folgt. — Die von Sickel angeführten Beispiele einer 
Androhung geistlicher Strafe durch weltliche Fürsten fallen viel weniger auf, als 
was hier vorliegt: jene begnügen sich da mit der Erinnerung an das künftige 
Gericht, mit dem Hinweis auf den Zorn Gottes ; aber in einer andern Verunechtung 
aus dem Kloster Aniane werden wir abermals der Verhängung des Bannes an Stelle 
<ier Bannesandrohung begegnen (Cap. V Anm. 85 über die Bulle P. Nikolaus IL). — 
Geistlicher Farbe ist im Diplome Karls auch in der Arenga (benevola) devotione 
statt (b.) deliberatione, wie gemäss der Formel die meisten Diplome haben; doch 
kehrt in dieser Arenga b. devotione Mühlb. No. 352 (für Charroux) wieder, und 
^uch in der Arenga Quicquid enim ad loca ecclesiarum findet sich einmal (No. 128) 
b. devotione. 



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Aniane unter Karl d. Gr. 15 

von den Sarazenen Spaniens heimgesuchten Markenlande nicht anders 
als bewehrt und besetzt vorstellen lässt 

Und in Vermengung mit der kriegerisch oder durch Marktverkehr 
bewegten Welt sich und die Seinigen zu bringen, war nicht der Sinn 
Benedicts. Die nach ihm genannte Reform behauptet nach meiner An- 
sicht auch deshalb eine ansehnliche Stelle in der Geschichte des abend- 
ländischen Mönchtums, weil sie der coenobitischen Wesensform einen 
Zug der Anachorese zufiihrte. Als er — so schildert ihn ja Ardo 
— nach Hohem und Höherem aufklimmend noch von gährenden 
Plänen eingenommen ward, fasste er die Regel des Pachomius und des 
Basilius zugleich ins Auge; gereift beschied er sich zwar mit der^ Regel 
Benedicts von Nursia, hielt sich aber, wo er mit der Wahl der ÖrtUch- 
keit für eine Gründung auch gleich die Entscheidung über ihre Art zu 
treffen hatte, an das Vorbild jener ältesten Patriarchen des Mönchtums. 
Vordem waren nördhch von den Alpen Klöster häufig in geräuschvoller, 
zerstreuender Umgebung, innerhalb oder im nächsten Umkreise der 
Bischofestädte, oft von den Bischöfen selbst (hier nur nicht von dem ein- 
sichtigen Bonifatius) errichtet worden. Der Zustand, worin sie Benedict 
fand, kann nicht zur Nachfolge geladen haben: viele unter ihnen waren 
bereits vor seinen Augen auf der Bahn begriffen, an deren Ende sie, 
zum Teil noch ehe das Jahrhundert abhef, dem regelgerechten Mönch- 
tum auf lange, einige für immer, verloren gingen oder ohne das recht- 
zeitige Eingreifen äusserer Gewalten verloren gegangen wären, St. Hilaire 
le Grand zu Poitiers, St. Martin zu Tours unter Alkuin, den selbst keine 
Verpflichtung an die Regel band, St. Denis bereits unter Hilduins Vor- 
gängern, den Äbten Fardulf und Waldo, St. Aubin zu Angers schon in 
der frühesten Zeit Karls d. Gr., St. Cybar zu Angouleme im ersten 
Jahre des Königtums Karls oder gar schon vor seinem Anfange, St. Remy 
zu Sens unter seinem Mundherm, dem Erzbischof Aldrich, St. Evse zu 
Toul unter dem seinigen, dem Bischof Frothar^^). Die zu St. Hilaire in 
manchen wiederum oder jetzt erst erwachte Neigung zur Regel führte 
sie, da die Menge der anderen dies älteste und glänzendste Kloster von 
Poitiers zu einem Chorstifte herabsinken üess, fiinf Milliarien hinweg in 
die Zelle Noaille, während von den Genossen Alkuins zu Tours keiner, 
soweit wir sehen, nach einer solchen Arche, die auch ihnen bereitet war, 
noch Verlangen trug^^**). Die alte Verbindung der bairischen Bischofe- 



11) Selbstverständlich hat nur bei unabhängigen oder königlichen Klöstern 
der König teil an der Schuld. Zu St. Martin in Tours, wo der Verfall des regel- 
gemässen Lebens einen Wandel ohne Widerruf, für immer einleitet, lastet sie auf 
Karl d. Gr. aus einem besonderen Grunde in besonderem Masse: hier trifft schon 
ihn der Spruch des Papstes Nikolaus I. (Jaffe-Lfd. No. 2717) monachico ordini 
praeficere vel laicum vel canonicum non est servare ordinis professionem sed 
evertere, quod [sie] unusqaisque praepositus, cujus est ordinis ejus quoque est propa- 
gator. Denn Alkuin, den Karl zum Leiter von St. Martin setzte, war ebenso wie 
sein Schüler Fridugis, den er ihm auf seinen Vorschlag zum Nachfolger gab, 
Ganonicus. Siehe Excursus I gegen die Behauptung Mabillons, dass Alkuin 
Mönch gewesen. 

IIb) Mabillons geistvolle Vergleichung des Verhältnisses zwischen Noaille und 



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16 Erstes Capitel. 

sitze mit Klöstern, die anderen Ortes und in späterer Zeit, seit dem 
Aufkommen des vornehmlich auf die Predigt gewiesenen Ordens von 
Premontre, unschädlich war, hatte hier, vor der Gründung dieses Ordens, 
zur Folge, dass die mönchische Lebensführung überwuchert und verdrängt 
ward durch die bequemere Weise der Chorherren, deren Zusammentreffen 
und Vermischung mit seinen Mönchen auf Reisen, in einer Zelle zu ver- 
hüten Benedict noch im sog. Capitulare monasticum von 817 (c. 44. 59) 
Bedacht nahm. So findet sich denn unter der stattlichen Zahl von 
Klöstern und Zellen, die er gegründet oder wiederbesiedelt hat, kein 
Name, der in oder an den Bing einer Stadt wiese. Persönlich ist er 
zwar weniger als Graf Wilhelm von Toulouse, sein Bewunderer, einge- 
nommen von Leidenschaft für die Öde: er muss nach Ardos An- 
deutungen während der aquitanischen Königszeit Ludwigs nicht selten 
zu Hofe gekommen sein. Aber für seine Mönche hat er, als ihn noch 
nicht wie bei seiner Übersiedelung in den Bereich der Pfalz von Aachen 
die Gunst des Kaisers auch an dessen Wünsche band, durchweg abge- 
schiedene Stätten ausgesucht. Hinter den Vätern des Ordens von Citeaux, 
die lange danach gleich ihm auf der Grundlage der Benedictina vereinte, 
wenn ich so sagen darf cönobitische Anachorese sich zum Ziele setzten, 
blieb er nur insofern zurück, als er weniger denn sie Bedenken trug, in 
der Nähe bischöflicher Kirchen bereits ^vorhandene, ihm zur Reform an- 
getragene Klöster zu übernehmen — Öe-Barbe, das doch noch durch 
eine Strombahn der Saone von Lyon geschieden, Micy, das doch noch 
drei Milliarien von Orleans entfernt war. Aber auf seine Gründungen 
trifft die Bezeichnung Feldklöster so gut zu wie auf die Männerklöster 
in dem Kreise der Pflanzungen von Citeaux. 

Um so weniger wäre verständHch, wenn er das zu seiner eigenen 
Behausung von ihm bestimmte Aniane dem Pusse oder der Wehr- 
abdachung einer Burghöhe aufgebaut und so auch noch den Lauften 
eines Sarazenensturmes ausgesetzt hätte. Dass Wall und Graben den 
Mönchen des früheren Mittelalters zuwider gewesen, behauptet niemand: 
wo es not that, haben auch diese dem Streite der Waffen abgewendeten 
Menschen in solcher Weise sich selbst geschützt. Monte Casino erscheint 



St. Hilaire mit dem zwischen Cormery und St. Martin (Ann. 11 1. 26, § 25) trifft 
insofern nicht zu, als Cormery keineswegs für Mönche aus St. Martin wie Noaille 
für Brüder aus St. Hilaire (Mühlb. No. 500) zur Stätte der Rettung oder Wieder- 
herstellung regulären Lebens geworden ist. Das behauptete zwar Mabillon und 
er fand in beiden Siedelungen Spuren höheren Waltens, Gnadenerweise der gött- 
lichen Vorsehung an seinen Orden; aber Alkuin deutet Ep. 127 (ed. Jaffe-Dümml. 
6, 512 = Mon. G. Ep. IV No. 184 S. 309) mit keinem Worte an, dass sich Genossen 
von St. Martin nach Cormery gewendet. — Auf das Bedenkliche der Nachbarschaft 
einer Stadt weist Ludwig d. Fr. Mühlb. No. 918 (impedimenta ex propinquitate et 
assiduitate urbis). In St. Martin zu Tours hat nach der Überlieferung des Hauses 
den regelrechten Wandel der Mönche auch frequentantium inquietudo geschädigt 
(Mab. ann. II 1. 28, § 88 Schreiben an EB. Philipp von Köln aus Anlass einer 
Empfehlung Guiberts — vgl. Wattenb. DGq.® 11, 164 — ungedruckt, in Hand- 
schriften Belgiens — Mab. Anal. 482 — und zu Middlehill-Salmon in Mem. d. 1. 
soc. archeol. de Tours 4, 81 f. — ). 



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Aniane unter Karl d. Gr. 17 

einmal in einem Diplome Karls des Gr. als Kloster in Casino Castro. 
Zu einer Burg machten die Getreuen des h. Philibert, wiederholt durch 
Wikinger] andung bedroht, ihr Kloster auf der Insel Noirmontiers, dann 
in Dee^^). Auch aufgelassene, geräumte Burgen haben die Mönche be- 
zogen. Castelho, also Chätillon, der Name der Stätte an der Marsoupe- 
quelle, wo St. Mihiel seine Anfangszeit durchlief, bis es hinab nach der 
Marsoupemündung verlegt ward, deutet auf fiühere Befestigung, von der 
das nach der Gründung des Klosters von hochverräterischer Hand an- 
gelegte „Kastell" eine Erneuerung gewesen sein mag. Auch „castrum 
Saviniacum", dem Kloster St. Pierre et St. Prix nahegelegen und ihm 
gleich bei der Gründung geschenkt, wird, da die Schenkung nicht vom 
Herrscher, sondern vom Gründer, einem Abte und aus dessen Erbgute 
rührte, schon entfestigt gewesen sein: die Andeutung des fiüheren Stan- 
des verliert sich denn beim nunmehrigen Klosternamen Plavigny völHg. 
Unsicher beleuchtet sind die Anfänge von St. Benoit de Castres, das 
den Hinweis noch heute in dem Stadtnamen Castres bewahrt — eins 
jener Klöster Südfrankreichs, die nachmals (am bekanntesten imter ihnen 
Alet, Mirepoix, St. Papoul, St. Pons de Thomiöres, Montauban, Vabre) 
von P. Johann XXII. zu Bischofssitzen erhoben wurden, aber, dieweil 
nun der praktische Wert der Urkunden aus klösterhcher Zeit sank und 
die Sorge für ihre Erhaltung nachUess, sich unserer Forschung mehr 
entziehen als manches zu solcher Höhe nicht aufgestiegene. Traut man 
indes dem freilich sehr spät verfassten Chronicon abbatum Castrensium 
und seiner Erzählung, dass im siebenten Jahrhundert drei Männer edler 
Herkunft, wie Benedict von Aniane im achten und Wilhelm von Gellone 
zu Anfang des neunten, müde des Kriegshandwerkes sich dorthin zu- 
rückgezogen hätten, um den Dienst der Waffen mit dem Dienste unter 
der Hegel des h. Benedict zu vertauschen, so wird der Ort, den sie in 
dieser Absicht wählten, alles eher als eine noch in stand gehaltene Burg 
gewesen sein^^^). 

12) In Casino Castro Mühlb. No. 276. Castrum in Heri insula, castrum in 
circuitu novi monasterii Trsl. S. Philib. I c. 1 (Mab. AA. SS. IV. 1) und Mühlb. 
No. 846. 

12b) Den Namen Castellio hat das Kloster St. Mihiel lange nach seiner Ver- 
legung behalten (nicht nur bis 816 — so Sickel zu K. 13 — sondern noch 858 
Mühlb. No. 1251 vgl. 1045). Als Pippin das neue Kastell dem Kloster St. Denis 
schenkte, hatte es sein Widersacher, der es ihm für die Schonung seines Lebens 
übergeben musste, noch nicht vollendet (volebat aedificare), und bei der Schenkung 
trifft der König keine Vorkehrung gegen wiederholten Missbrauch (Mba. No. 76): 
also war es noch keine Burg. Im übrigen ist gar nicht ausgeschlossen, dass 
St. Mihiel vor Abt Smaragd von Kanonikern besiedelt war (in der Gründungsurkunde 
— Mab. Ann. II app. No. 2 — kommen nur servi Dei, in Pippins Diplom nur 
derlei vor). — Castrum flaviniac. bei Pardess. II, 399 No. 587 vgl. Zeumer I, 470 
nt. 1 (aufgehoben wie das der Bischofskirche Gerona schon von Ludwig d. Fr. 
durch Mühlb. No. 905 bestätigte Castellum fractum und das daneben nur noch 
als Anhängsel eines villare erscheinende Castellum). — Das Chronic, episc. Albig. 
et abb. Castrens. (Spicil. ed Dacher. « III, 570) giebt dem Namen Castra (später 
Castras) eine symbolische Bedeutung (sub regula S. Benedict! Deo militantes castra 
metati sunt et inde novum loco inditum Castra); nur erwartete man dann statt 
Puckert, Aniane und Gellone. 2 



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13 Erstes Gapitel. 

Wo aber ein Platz noch Wehr und Mannschaft hatte, wie es vom 
Montcalme bei der Unsicherheit Septimaniens unter Karl d. G. an- 
genommen werden müsste, eignete sich für Burg und Burghut höchstens 
ein Stift von Chorherren, da diese die Besatzung geisthch zu versehen 
eher im stände waren als Mönche, deren Tagwerk, wie es die Regel 
setzte und abzirkelte, keine Stunde freiliess, in der sie eine Unterweisung 
zu Predigt und Seelsorge hätten durchlaufen können. So begegnet auf 
dem Hochlande der Auvergne nahe der Festung Vitry das Chorherren- 
stift St. JuUen in Brionde und aus Brionde noch eine Anzahl von Chor- 
herren in Vitry selbst; im Maasslande das Stift St Marien auf Kiever- 
munt (cellula in Novo Castello); bei uns St. Kastor an der Mosel- 
Eheinspitze, also dicht beim festen Koblenz ^^®). Am wenigsten sollte 
man, wo in Missionsgebieten unter dem Schutze von Burgen monasteria 
oder cellae erwähnt werden, Klöster suchen. Für die Geschichte der 
Mission in Deutschland ist beachtenswert, dass Bonifatius in den hessisch- 
sächsischen Grenzstrichen mit seiner höchst wahrscheinlich zur Bekehrung 
der Sachsen ersehenen Gründung Fritzlar nicht ein Kloster, wie man 
sagt, sondern ein Stift dem Castrum Buriaburg (Bürberg) angelehnt hat 
Das erhellt aus der Vorstellung, die er, als mehr denn zehn Jahre da- 
nach die Gründung von Fulda in seine Pläne trat, dem Majordomus 
Karlmann machte, dass nun erst das Mönchsleben in seines Reiches Osten 
einziehen werde. Und Sturm ist in der Schule von Fritzlar zwar zum 
Priester ausgebildet worden, aber Bekanntschaft mit der Regel des h. Bene- 
dict erlangte er erst um vieles nachher durch den persönlichen Unter- 
richt seines Gönners Bonifatius in wiederholtem vertrauten Gespräche und 
auf seiner itaUenischen Reise an Orten, die wirklich Klöster waren ^^^). 
Auch die von einem späteren Glaubensboten, dem Erzbischof Ebo von 
Reims in einem anderen, dem nordalbingischen Markenlande der Kirche 
im Schutzbereiche einer Burg errichtete und in unausweichliche Berüh- 
rung mit Burgmannschaft gebrachte Celle Welnau (Münsterdorf bei Itze- 
hoe) nehmen neuere wie ältere Forscher fiir ein Kloster. Ohne Grund. 
Celle ist in der Sprache Rimberts, der allein darüber berichtet, zunächst 
die Zufluchtsstätte der hier in Glaubenspredigt und Taufe thätigeu 



des neueren Namens St. Benoit de Castres umgekehrt Castres de St. Benoit (vgl. 
Erm. Nigell. II, 532 sacra monastica castra). — Nach der Salzburger Überlieferung 
lag das Castrum superius Nonberg, als Bischof Ruprecht dorthin seine Sanctimo- 
nialen führte, wie ganz Juvavia in Trümmern, und sie fasst diese Frauen auch 
nicht als Reguläre. 

12 c) Über Brionde und Vitry zugleich Mühlb. No.773 (ausdrücklich hier cano- 
nici); über Kievermunt No. 215 (ecclesia . . servientes loci) und 1082 (stipendia 
clericorum); über St. Kastor Nithard IV c. 5 (basilica). 

12 d) Vita Sturmi c. 12 (M. G. SS. II, 370 cogito in orientali regno vestra 
monachor. vitam instituere) c. 6. 11, 13 (S. 368 f.). So wird denn Fritzlar im 
Diplome Mühlb. No. 242 als ecclesia bezeichnet und Ep. Bonif. No. 64 S. 183 ed. 
Jaife spricht (vgl. Excurs I, Anm. 9) nur von monasterialis (nicht monachicae) 
norma vita; mit Unrecht giebt JafFe im Lemma „monachis Fritesl.*, fassen 
noch Oelsner Pippin S. 37 und Hauck KG. I, 450 Fritzlar als Kloster, seine Be- 
wohner als Mönche. 



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Aniane unter Karl d. Gr. 19 

Bischöfe, eines Ebo, Ganzbert, Anskar; sodann sollte ihnen, was sie als 
Celle besassen ihre Bedürftiisse bestreiten helfen, aus der Nähe und, wie 
die Verleihung der flandrischen Celle Turhout lehrt, auch aus der Feme, 
also Nutzgut sein. Aber den Pruchtgenuss schmälerte dem Besitzer ein 
Klerikerstift weniger als ein Mönchsconvent, der zur Erhaltung regel- 
gemässen Lebens eine grössere Zahl von Mitghedem forderte ^^®); und 
zu seinen Gehilfen in der Missionsthätigkeit eigneten sich die priesterlich 
gebildeten und bei milderer Askese auch der Reisemühsal mehr ge- 
wachsenen Chorherren besser als Mönche ^^^). Die von Ebo Ludwig 
d. Fr. empfohlene Übertragung der Celle Welnau an Bischof Ganzbert, 
dem sie nun „auf immer zur Ausrichtung seiner Amtsgeschäfte" dienen 
sollte, würde, wäre sie Kloster gewesen, am wenigsten ein Ebo betrieben 
haben, der im Innern des Reiches zu St. Denis und Montierender rege 
Teilnahme an Klosterreform gezeigt (Mühlb. No. 813. 876) und sich in 
seiner Kathedralstadt die endUche Einsetzung eines eigenen Abtes in 
St. Remy auf Kosten seiner ßischofskirche, aber „zur Hegung regulären 
Lebens" abgewonnen hatte (Flodoard. Hist. Remens. 3, 15. M. G. SS. 
XIII, 503). 

Noch in einem späteren Jahrhundert, als der dichter gewordene 
Kranz von Burgen die vomehmhch den Orden der Benedictiner wie man 

12 e) Rimb. Vit. Ansk. c. 13. 14 vgl. 12 (Turhout). 22. 35 (M. G. SS. II, 698 f. 
706 1. 21. 717 1. 35). — Nicht Mönche, sondern Kleriker, Canonici begegnen denn 
zu St. Bavon und auf Blandigny (Einharti Ep. No. 54 S. 476 ed. Jaffe, Bouqu. 8, 
594; Fundat. m. Blandin. SS. XV, 624), zu S. Servatii (Form. Imper. No. 35 ed. 
Zeumer S. 313 lin. 18; Tri. S. Marcell. I, 8 SS. XV, 243) und St. Wandrille (SS. II, 
294) — so lange Einhart sie zu seinem und des Reiches Nutz besass. 

12^) In seinem Widerspruch gegen Le Cointes triftiges Urteil (Annal.II, 834), 
dass Kanoniker einem Bischof in seiner Missionswirksamkeit erspriesslichere Dienste 
leisten konnten, setzte sich Mabillon (AA. SS. II Praef. No. 28. III, 1 Praef. No. 
23 — 25) über Buchstaben und Geist der Benedictina hinweg; aber in Einklang 
mit ihr verboten ältere und neuere Concile den Mönchen Predigt und Seelsorge 
(Stellen bei Menard comment. in Regul. S. Bened. 238). Die Verdienste früh- 
mittelalterlicher Mönche um die Mission leugne ich nicht; aber mit ihrem grossen 
Genossen (noch in seinen Jahrbüchern) tibertreiben sie neuere Forscher, wenn sie 
auch in und nach der Zeit, da Benedict von Aniane Mönche und Kanoniker aus- 
einanderzuhalten sich bemtihte, von Klöstern und Klostersendlingen sprechen, 
wo Klöster und Mönche nichts weniger als sicher, ja vielmehr Stifter und Kleriker 
bezeugt sind. So bei Wildeshausen. Denn Kaiser Lothar Mühlb. No. 1106 — 1108 
und Ludwig d. D. No. 1372 schweigen von Mönchen, und Graf Waltbert (872 Wil- 
mans KU. I, 532) redet nur von Kleriker fconsur (Monasterium — so Mühlb. No. 
1372 — findet sich auch für Klerikerstift No. 131. 867 und eben deshalb für die 
Pfalzkapelle, d. h. Stift Oetting No. 1479). Auch bei Visbeck. Denn die Immu- 
nität Ludwigs d. Fr. No. 681 hat die gleiche Arenga wie die für das Stift St. Aignan 
No. 524 (Si sacerdotum ac servor. Dei vgl. Form. Imper. No. 12. 13. 25 Zeumer 
S. 295. 304) und die gleiche Zweckbestimmung des Ertrages wie die für das Stift 
St. Aubin (No. 131: dagegen für Klöster No. 552. 673 Form. Imper. 4 S. 290 ad 
stip. monachor.); als Ludwig d. D. Visbeck an Korvei übertrug (No. 1371), wahrte 
er nicht Fortsetzung des regulären Lebens, sondern nur die des Gottesdienstes — 
wie schon Ludwig d. Fr. No. 681 den Beruf des Abts von Visbeck vornehmlich 
in die Predigt setzte. 

2* 



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20 Erstes Capitel. 

weiss kennzeichnende Neigung zu stattlich abgeschiedenem Bau auf halber 
oder ganzer Bergeshöhe beengte, ist wohl der einen und anderen ihrer 
Gründungen zulieb eine Burg abgebrochen worden und dabei auch die 
Einsicht in die Unverträglichkeit von Burg und klösterUcher Ruhe zu 
urkundlichem Ausdruck gekommen ^^ß). In der Zeit der früheren Karo- 
linger finde ich, nach Zeugnissen der Nachbarschaft von Burg und Kloster 
suchend, keine Originalurkunde, die so die scheinbar harmlosen Worte 
subtus Castro Montecalmense im Diplome Karls d. Gr. gewährleistete. 
Ich kenne nur abschriftUch erhaltene, die aber noch aus anderen Grün- 
den der Verunechtung verdächtig vollends in diesem Stück, bei der Leichtig- 
keit und Häufigkeit der Umarbeitung geographischer Angaben keinen Halt 
bieten 121^). 

Schliesslich hätte, wäre die Höhe Calme schon damals, wie das 
Diplom in seiner gegenwärtigen Fassung besagt, mit einer Burg gekrönt 
gewesen, den weltmüden Benedict im Suchen nach einer Stätte für seine 
Gründung noch ein Umstand persönhclier Art bestimmen müssen, sie zu 
scheuen, sich anderswohin zu wenden. In der Hand des Herrschers (nur 
so gestattete die zu jener Zeit bestehende Wehrverfassung sie vorzu- 
stellen), versehen mit einer Besatzung des Königs würde sie ihn und seine 
von ihr überragte Niederlassung von neuem in Zwing und Bann Karls 
gebracht haben, dessen Dienste er sich entschlagen hatte, bei kaum oder 
gar vor beendetem Kriege in fremdem Lande, vielleicht in Fahnenflucht, 
die ihm damals noch nicht verziehen war. 

Wahrscheinhch ist's erst gegen Ende des neunten Jahrhunderts zu 
einer Befestigung gekommen, dort und in der Nähe anderer Klöster 
Septimaniens, die eben um diese Zeit oder noch später in früher unbe- 
kanntem Zusammenhang mit Burgen ersQheinen: St. Thibery neben dem 
Castrum S. Tiberii und unweit der fortitia Pezenas, Malaste selbst als 
castrum, Cessenon im Umkreise von St. Chinian und im Eigentum von 
St. Pons. Die Privaturkunden für Aniane lassen bis gegen Ende des 
neunten Jahrhunderts, alle mit Ausnahme einer einzigen, die Höhe unge- 

12 g) Pfalzgraf Siegfried in seiner Urkunde für Laach (Beyer Mrhein. ÜB. I, 
487) castellum ecclesiae vicinum quieti fratrum prospiciens destruxi. Freilich er- 
hielt einige Jahre nach Laach Altmünster seine Stätte unter den Mauern von 
Luxemburg; es ist aber auch nicht gediehen. 

12 h) über Ludwigs d.Fr. Urkunde für Gellone Mühlb. No. 498 (hier subtus 
castrum Virduni) siehe Cap. III, A. 54. Über die für Casanova No. 560 (juxta 
castrum Planitium, dazu monasterium Anian. non longe a Castro quod dicitur Monte- 
calm.) Cap. V, A. 91. Das Diplom für Soreze Böhm. No. 8 (juxta castrum Viridi 
minus), das jetzt (von Sickel zu L. 106 und von Mühlbacher in der Konkordanz- 
tabelle) dem aquitanischen Pippin zugewiesen wird, ist auch so höchst bedenk- 
lich. In seinem zweiten Regierungsjahre hat dieser Fürst noch nicht das Recht 
gehabt, ein Kloster zu gründen (auf „Eingebung der Mutter Gottes" !) und Immu- 
nität zu erteilen (mit „Gebet für Gemahlin und Kinder**, er der damals wenn nicht 
selber noch Kind, doch noch nicht vermählt war), er hätte auch nicht das Reg- 
num seines kaiserlichen Vaters unbeachtet gelassen. — Die Kirche auf der Heres- 
burg galt, als sie Ludwig dem Kloster Korvei schenkte (Mühlb. No. 804), nur als 
Nutzsache: keine Andeutung im Diplom, dass Mönche dahin verpflanzt werden 
sollen. 



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Aniane unter Karl d. Gr. 21 

nannt, unerwähnt, und die eine, ausgestellt kurz nach Karls Tode, bringt 
zum Jäöhennamen noch nicht den Zusatz castrum. Das Wort castrum 
tritt in nichtköniglichen Urkunden, deren eine stattliche Zahl erhalten ist, 
zum ersten Male 899 hervor. In Königsurkunden freilich begegnet es 
früh, gleich in dem ersten Diplome Ludwigs d. Fr. fiir Aniane und in der 
daran sich schhessenden Reihe. Aber das sind gerade jene Urkunden, 
die, mit der Überweisung der „cellula Gellonis" beginnend, von anderer 
Seite her dem Verdachte der Veruuechtung unterliegen. Indem sie ausser- 
dem noch nachträgUch, nämlich bestätigungsweise, anfuhren, dass das 
castrum Montecalmense durch eine Schenkung Karls d. Gr. Eigentum 
Anianes geworden sei, was, wie ich gleichfalls später hoffe erweisen zu 
können, keinen Glauben verdient, legen sie die Frage nahe, ob nicht in 
Zusammenhang mit ihnen, schon im Hinblick auf sie, eine Fälscherhand 
das vorliegende Diplom Karls durch den Zusatz castrum entstellt habe, 
ob nicht, was dort in Schenkungsbestätigungsurkunden als Gegenstand der 
Schenkung erscheint, hier, wo es sich nur um Immunität und Wahlrecht 
handelt, vorerst in seinem Dasein bezeugt werden soUte^^^). Dadurch 
erhielte, wie gesagt, der Zusatz eine Bedeutung, die über das StiUstische 
hinausgeht. 

Sachlich wichtiger ist indes die Immunität. Deren Erteilung halte 
ich für sicher: von ihr erzählt auch Ardo, und sie steht im Einklang mit 
der auch von ihm berichteten Übergabe des Klosters an den König, 
denn dem Königsgut kam an sich Immunität zu. Nur befremdet, was 
der Aufzählung der bekanntermassen in ihr enthaltenen Einzelrechte als 
Anhang folgt, das Verbot „nulli unquam homini pro quaUcunque re 
nuUum censum omnino audeant impendere". Befremdend ist sowohl die 
Fassung, als ob die Zinszahlung vermessenes Unterfangen sei wie nur 
die Zinsforderung, als auch der Inhalt, da die Immunität, soweit sie Ab- 
gaben trifft, zwar die Erhebung dem Grafen und seinen Beamten ent- 
zieht, aber die Abgaben selbst unaufgehoben lässt, deren Ertrag sie der 
Immunitätsherrschaft, dem immunen Kloster oder Stifte selbst zuweist. 
So wird denn auch in dem vorausgehenden Verbote des Eintritts in das 
immune Gebiet der Satz bedenklich „aut (ad) ullum censum inquiren- 
dum". In Ludwigs d. Fr. Bestätigung des Diploms fehlt er, und in den 
Immunitäten Karls begegnet census sonst nirgend ^^). 



12 i) Einfach Malasti Mühlb. No. 580 und noch Böhm. No. 1651 (854), dagegen 
monasterium castri Malasti seit 898 (H. d. L. V, 94. 97). Castellum de S« Tiberio 
1036 (H. d. L. V, 426) und, schon 990, heut in gleichem Canton, Pedinatis-Peze- 
nas als Festung (V, 318). Castellum de Cenceno unter dem westfränkischen 
Lothar, also vor März 986 (V, 272). Einfach Monasterium Anian. in territorio 
Magdalonensi IIb, 174. 176. 209, bisweilen mit dem Zusätze super fluv, Anian. 
(IIb, 72. 75); sub Montecalmense ohne castrum IIb, 84. Den Verdacht gegen 
Karls Schenkung des castrum (Mühlb. No. 503. 726. 939. Böhm. No. 1639) werde 
ich im IV. Cap. (bes. Anm. 13. 14) begründen. 

13) Waitz VG.^ IV, 313 redet von , einzelnen Fällen des Verbotes, Leistungen 
zu machen"; doch kenne ich keinen zweiten Fall. Das hier besprochene lässt 
Waitz an „die Angehörigen*, also die abhängigen Leute des Klosters gerichtet 
sein; aber es steht in einem Satze, der sich an Abt und Mönche richtet. — Sickel 



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22 Erstes Capitel. 

An die Immunität schliessen sich Bestimmungen über die Art und 
Weise der Besetzung des Abtsstuhles, deren Prüfiing mir nun obliegt. 
Ich widme ihnen eine ausfuhrliche Erörterung. Denn ihre Echtheit, 
wider die ein Bedenken bisher nur von einem Forscher geäussert und 
von keinem begründet worden ist, würde (wie ich schon andeutete), wäre 
sie unanfechtbar, Rechte, die unseres Wissens erst spätere Klosterreform 
erstrebte, bereits als das Ziel der Reform Abt Benedicts erkennen lassen. 
Und ihre Besprechung giebt Anlass, manche bisher unberührt gebhebene 
Seite des klösterlichen Wahlrechts unter den früheren Karolingern, sage 
ich gleich die Bedingungen und Schranken dieses Rechts, schärfer ins 
Auge zu fassen. 

Dass Karl d. Gr. den Mönchen von Aniane zusammen mit Immuni- 
tät das Recht der Erwählung des Abtes gewährt hat, bezweifle ich nicht. 
Ardo spricht zwar nur von Erteilung einer Immunität, daher es an sich 
möglich wäre, dass das Diplom, wenn überhaupt eins schon von ihm in 
die Vita Benedicti eingerückt wurde, nichts als dieses Recht enthalten 
hätte; aber Ardo konnte auch, nach dem Sprachgebrauche seiner Zeit, 
von dem sich bereits unter Karl Spuren zeigen, unter Immunität zugleich 
Wahlrecht begreifen, das mit ihr Ludwig regelmässig, Karl seit den 
achtziger Jahren nicht selten verband^*). Und dem vorliegenden fehlt 
es durchaus nicht an einem sprechenden Zuge der Echtheit, sofern es, 
was sich in Karls Wahlrechten wiederum seit den achtziger Jahren des 
öfteren zeigt, zur Voraussetzung macht, dass dabei auf einen tüchtigen 
und zugleich ihm getreuen Mann gesehen werde: „qualem meliorem et 
nobis per omnia fidelem . . voluerint eUgere, . . licentiam habeant"^*). 



sagt (zu K. 169), dass Karls Diplom Mühlb. No. 352 (= K. 169) sich von dem vor- 
liegenden nur durch das Fehlen von Privilegienbestimmungen unterscheide; er 
setzt ßtr. 3, 210 die vorliegende Immunität der für Prüm Mühlb. No. 95 und 193 
(.= P. 22 K. 52) gleich; nun wird weder Mühlb. No. 352 noch No. 95 noch No. 193 
Zinszahlung berührt. Sickel fand census nur vereinzelt in Immunitäten des Nach- 
folgers im Kaisertum, Ludwigs d. Fr., nämlich in Mühlb. No. 546. 846 (Btr. 5, 348 
nt. 1); dazu füge ich Mühlb. No. 515. 683, und alle sind eigentümlicher Art (vgl. 
Sick. zu L. 145 und Btr. 5, 325. 366. 376. No. 546 ruht auf der Weisung Karls 
No. 319, die allerdings schon Zins berührt, aber nur Besitzboatfttigung ist). 

14) So Mühlb. No. 262. 275. 276 für Klöster und No. 230 für eine Bischofs- 
kirche, und dieses letzte Diplom wird in der Korroboration einfach als Immunität 
bezeichnet. — In der den meisten Wahlrechten Ludwigs zu Grunde liegenden 
Formel (Imper. No. 4 Zeumer I, 290) geht die Bitte nur auf Schutz und Immunität, 
aber die Gewährung auf Immunität in Verbindung mit Wahlrecht: vergl. dazu 
Mühlb. No. 718 eandem licentiam quam . . nos per praecepta immunitatis visi 
sumus concedere, conservare promittimus, ut licentiam habeatis semper eligendi 
abbatem. 

15) Meliorem begegnet noch Mühlb. No. 275, der ganze Satz (mit dem Worte 
digniorem vor melior.) 262 und (ohne per omnia, aber mit dignior. nach melior.) 
276. Diese Stellen füge ich zu Mühlbachers Erörterung (Mitt. d. Inst. f. österr. 
G. I, 266 vgl. Regesten I Vorr. S. XX und No. 537) : zu seinen Anführungen aus 
früherer Zeit kommt noch No. 20; die Treue der Wähler wird von K. Pippin No. 
93 und von Karl d. Gr. No. 169 zur Bedingung gemacht. — Unter Ludwig d. Fr. 
ist nur einmal, vor der Neubearbeitung der Formeln, No. 502 (für Kloster EU- 



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Aniane unter Karl d. Gr. 23 

Aber wie die Immunität, so hat, wenn ich nicht irre, das Wahbecht 
von späterer Hand eine Erweiterung erfahren. Eben in dem Stücke, 
auf das es hier ankommt. Allen Fassungen des * Diploms ist nämlich 
gemein, dass den Brüdern zugleich das Recht erteilt wird, auch aus 
einem andern Kloster einen Mönch auf ihren Abtsstuhl zu berufen, 
schlechthin nach ihrem Beheben, ohne Beschränkung auf einen bestimmten 
Bereich der Wählbarkeit, ohne Beschränkung auf einen bestimmten Fall: 
„(de suprascripto monasterio aut) de qualicunque loco voluerint". Das 
geht über das Mass hinaus, das die ersten Karolinger, Pippin, Karlmann, 
Karl und noch Ludwig in ihren Bewilligungen an die Klöster inne- 
zuhalten pflegten. 

Allgemeine Ordnungen, die wenigen, die uns von den Herrschern 
bis auf Ludwig erhalten sind, geben keinen ganz sicheren Anhalt. Ein 
italienisches Capitular aus Karls Zeit (Mantuanum secundum generale) 
fasst allerdings auch die Erwählung eines fremden Mönches ins Auge; 
aber nur für den Fall, dass im Kloster selbst kein Tauglicher sich finde, 
und es spricht sich (wie es denn zugleich die abhängigen Klöster be- 
trifft, die nur selten Wahlrecht besassen) nicht darüber aus, ob in diesem 
Falle, ja ob überhaupt der Brüderschaft und nicht dem Herrscher oder 
dem bischöflichen Mundherm die Erwählung zustehe^®). Ein Beschluss 
der Frankfurter Synode von 794 hat, was bei der Stellung derer, die 
ihn fassten, nicht wunder nimmt, seinen Schwerpunkt in der Forderung 
der bischöflichen Zustimmung zu einer Wahl: die Berufung eines Frem- 
den berührt er nicht ^'). Auch ein Gutachten von Bischöfen aus der 

Wangen) fidei nostrae aptus bemerkbar, eine ausgesprochene Erinnerung an den 
Reichsdienst, den dann Wahlprivilegien Späterer bisweilen ins Auge fassen und 
Ludwig in demselben Diplom noch bei der dem Wahlrechte folgenden Immunität 
einschärft (partibus nostris fideliter deservire; vgl. Excurs III, A. 7). 

16) Capit. I, 195 c. 2 de ipsa congregatione , si digni inventi fuerint, abbas 
vel abbatissae eligantur, sin autem, aliunde. Dass eligere nicht nur die Handlung 
einer Körperschaft, also eine wirkliche Wahl, sondern auch (und das ist entschei- 
dend für unsere Auslegung der Berichte und Vorschriften über Ämterbesetzung) 
die Handlung des Herrschers oder seiner Beauftragten, also Erlesung, Ernennung 
bezeichne (nach dem Sprachgebrauch der Vulgata: vos elegi, pauci electi, vas 
electionis), ist, wie oft es auch (sogar von Waitz VG.^ III, 433) übersehen wird, 
unzweifelhaft: so bei Schriftstellern (Ann. Lauresh. z. J. 802 Carol. elegit A Epi- 
scopos ut justitiam facerent; Ann. Einh. 824 SS. I, 213 1. 8 comes esset electus) und 
in den Gesetzen Capit. I, 91 1. 42 Carol. elegit ex optimatibus (woraus eben Lauresh. 
z. J. 802), 94 1. 16 und 106, 1. 12 de ordinatione elegenda und electi sacerdotes, 
115 1. 22 ut missi nostri scabinos advocatos . . elegant; auch in dem Briefe Karls 
(Ep. Alkuin. ed. Jaffe-Dümmler No. 182 S. 645 -Mon. Germ. No. 247. S.400 nos . . 
rectorem idoneum vobis elegimus: so über Alkuins Ernennung zum Abt von St. 
Martin). — Da in jenem Kapitular von Mantua auch die Äbtissinnen in Rede 
stehen, so möchte ich eligantur eher im Sinne von Ernennung nehmen: denn für 
Frauenklöster haben sich bezeichnender Weise erst aus der Zeit nach Ludwig 
Wahlrechte erhalten, und dass deren ihnen früher erteilt worden, zeigt sich kaum 
in schwachen Spuren; bei Frauenklöstem meidet noch Synod, Caleil. 813 c. 52 = 
Capit. I, 313 c. 10 das Wort eligere (tales praeesse, praeferri debent feminae et 
creari abbatissae); vgl. unten Anm. 19. 

17) Capit. I, 76 c. 17. Aus Karls Duplex legationis edictum des Jahres 789 



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24 Erstes Capitel. 

ersten Zeit Ludwigs lässt sich nicht anziehen , wennschon es insofern 
einschlägt, als es nur die Erhebung eines aus der Genossenschaft des 
Klosters kennt: bei seinem Wortlaut bleibt doch von vornherein die 
Hauptsache fragUch, ob nicht auch da Ernennung, in bischöflichen 
Klöstern Ernennung durch den Bischof, in Königsklöstern Ernennung 
durch den König gemeint war, und aus einem Gutachten erhellt nicht 
gültiges Recht ^®). Recht schuf Ludwig durch die uns verlorene „Scedula", 
auf die sein Capitulare ecclesiasticum 818/819 verweist, und der Verweis 
besagt, dass sie die Wahl eines Fremden den Mönchen verschloss^®); 
indes eine Ordnung Ludwigs giebt nicht Auskunft über Verhältnisse 
unter Karl. 

Dagegen zeigt sich, wenn man die den einzelnen Klöstern er- 
teilten Wahlrechte überblickt, dass regelmässig schon unter und vor Karl 
nur die Wahl aus der Zahl der Brüder selbst gewährt wird, in fast 
durchaus, wörtüch oder doch dem Sinne nach, gleicher Weise. So be- 



hat Bich für die Besetzung des Abtsamtes nur das Stichwort erhalten (I, 63 c. 13 
De ordinando abbate). 

18) Relatio episc. c. 9 (Capit. 1,369): eligendus est inter eos vir modestus et 
prudens: durch einen Zusatz, wie ab eis u. dergl., den Mönchen auf zweifellose 
Weise Wahlfreiheit zu sichern, unterliessen die Bischöfe, wie denn (was diejenigen 
Forscher — es sind auch andere als kirchengeschichtliche — zu übersehen pflegen, 
die gerade und nur den Trägem der weltlichen Gewalt Missachtung der ,Wahl- 
freiheit* vorwerfen) von recht wenigen Klöstern in bischöflichem Eigentum Wahl- 
rechte vorhanden sind: die Bischöfe haben ihren Klöstern viel seltener als die 
Könige den ihrigen diese „Freiheit** gegönnt; wohl aber waren noch die Verfasser 
dieses Gutachtens wie die Bischöfe von 794 bedacht, durch den Zusatz cum con- 
sensu episcopi sich auch auf Klöster ausserhalb ihres Eigenturas Einfluss zu 
sichern. — Übrigens hat dies Schriftstück, obgleich nur ein Gutachten, doch mehr 
Wichtigkeit, als die Herausgeber Pertz wie Boretius ihm zumessen. Sie setzen es 
wegen c. 8 (wo quae beatae recordationis Benedicti abbatis regula . . conglobavit 
monasticae meditationis auf die unter der Leitung Benedicts von Aniane getroffene 
Vereinbarung, auf das sog. Capitulare monastic. von 817 gehen soll) nach 821, dem 
Todesjahre dieses Abts (Hauck KG. 11, 548 in das Todesjahr). Aber die Verein- 
barung von 817 kann in c. 8 nicht gemeint sein: diese hält sich, eine Sammlung 
schlichter, ohne Begründung und Empfehlung hingestellter Vorschriften, in weiter 
Ferne von jeder monastica meditatio, fliesst auch nicht über von , Zeugnissen" 
(auf die wiederum das Gutachten c. 10 verweist: affluentibus testiraoniis); dagegen 
trifft beides, das Lob eindringlicher Betrachtung und reichlicher Beigabe von Zeug- 
nissen, auf das Werk des alten Benedict von Nursia: und nur dessen, das klöster- 
liche Leben erschöpfende, Ordnung konnte als „Regel" bezeichnet werden, nicht 
die Vereinbarung, die denn auch nirgend so heisst. Das Gutachten gehört — dies 
erhöht seine Bedeutung — in die Zeit der grossen Reformanläufe Ludwigs, nach 
seiner Ordnung des Lebens der Kanoniker (Sommer 816), worauf es c. 13 verweist, 
und vor seiner Ordnung der Wahlen in den Klöstern (Weihn. 818/819: vgl. Anm. 
19), durch die ein Ratschlag wie oben c. 9 dieser Relatio überflüssig ward. 

19) Capit. eccl. 818/819 c. 5 (Capit. S. 276): quomodo ex se ipsis eligendi 
abbatas licentiam dederimus . . in alia scedula annotari fecimus (von einer Er- 
wählung der Äbtissinnen kein Wort). — Die römische Synode von 826 (Capit. 
S. 375 c. 27) redet nur von Bestallung (tales constituantur) und berührt nur innere 
Erfordernisse eines Abtes. 



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Aniane unter Karl d. Gr. 25 

gegnen in den Diplomen Pippins und Karlmanns die Worte de semet 
ipsis, de ipsa congregatiöne, de ipso monasterio ex semet ipsis ^®); in den 
älteren Karls ex ipsa congregatiöne, ex semet ipsis, wie bereits in der 
Privilegienformel fiir ein bischöfliches Kloster und in der Formel könig- 
licher Bestätigung aus Merovinger Zeit'^^). Statt de se oder e^f se efi- 
gendi findet sich in späteren Urkunden Karls und hin und wieder unter 
Ludwig inter se. Dass aber durch inter se nicht etwa fremder Einfluss 
von der Handlung der Wahl, sondern ein fremder Name von der Liste 
der Wählbaren ferngehalten werden sollte, lehrt schon die Fassung zweier 
dieser Diplome Ludwigs: quamdiu inter se tales oder talem ehgere po- 
tuerint qui . ., . . licentiam habeant eligendi^^). Und deutlich kennzeichnet 
diese Bestimmung als eine Schranke des Wahlrechts die neue Formel 
der Kanzlei Ludwigs, die mit ihrem volleren Wortlaut „quamdiu ipsi 
inter se tales invenire potuerint qui . ." zahlreichen Diplomen für Königs- 
klöster, einem Wahlrecht und regelmässig dem Wahlrecht in Verbindung 
mit Immunität zu Grunde liegt ^^). 

Unter unanfechtbaren Diplomen, für Königsklöster enthält nur das 
den Mönchen von Hersfeld bei der Übergabe ihres Klosters an König 
Karl von diesem auf Bitte des bisherigen Eigentümers, des Erzbischofs 
Lul, erteilte Privileg eine weitergehende Befugnis der Wähler. Aber 
auch da wird die Berufung eines Fremden nicht, wie hier fiir Aniane, 
schlechthin für alle Fälle freigegeben, nicht einfach in das Ermessen der 
Brüder gestellt, sondern nur unter der Voraussetzung zugelassen, dass 
sich unter ihnen selbst kein geeigneter finde-*). Dass Abt Benedict, als 
er wie Lul sein Kloster in das Eigen des Herrschers gab, die Über- 



20) Mühlb. No. 64. 93. (hier congregatio zwar ein weiterer, aber doch bestimmt 
umschriebener Verband: Anm. 29), 104. 124. 

21) Mühlb. No. 148. 169. Marculf. 1, 1. 35 (Zeumer I, 40 lin. 1 ex semet ipsis; 
66 lin. 2 ex se). 

22) Mühlb. No. 807. 813: sonst einfach inter se Mühlb. No. 183. 262. 275. 276. 
750. 806. 

23) Imperial. No. 4 Zeumer I, 291 1. 1. Sickel behauptet, dass unter Ludwig 
,die Wahlprivilegien durcbgehends nur noch als Anhang zu Urkunden anderen 
Inhalts erscheinen* (Btr. 4, 591); indessen selbständig wird Wahlrecht und nichts 
als Wahlrecht Mühlb. No. 771. 811. 967 erteilt, nichts als Wahlrecht Mühlb. No. 
914 erneuert. Aber freilich weit überwiegen die Fälle der Verbindung mit Immu- 
nität nach jener Formel, schon früh, seit April 814 (No. 505. 506. 528 u. s. f. ; auch 
No. 571 in der Bestätigung für Farva, obgleich die Ersterteilung unter Karl No. 
183 noch nicht inter se invenire, sondern inter se eligere enthielt). Es fehlt über- 
haupt diese Bedingung in Wahlrechten Ludwigs nur No. 796 (für Corbie), das aber 
doch nicht ausdrücklich die Berufung eines Fremden gestattet: und steht wirklich 
im Original, das beschädigt ist, das seltsame quamdiu regalis celsitudo viguerit? 
Die Bestätigung dieses Wahlrechts durch die Pariser Synode von 846 (Mansi XIV, 
843 f.) weist auf keine Schranke solcher Art (celsitudo culminis nostri allerdings 
auch Mühlb. No. 589 und in Diplomen Karls vgl. Sick. UL. 181 nt. 1). 

24) Mühlb. No. 172 (Berliner Abbild.) sibi abbatem instituere de ipsa congre- 
gatiöne, et, si ibid. minime repertus fuerit qui in ipso loco condignus ascendere 
non possit, tunc sibi ipsa congregatio de qualecunque casa Dei abbatem regu- 
lärem spiritaliter elegere voluerint, licentiam habeant. 



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26 Erstes Capitel. 

eignung an die gleiche Bitte wie Lul geknüpft habe, über die der König 
in seiner Gewährung noch hinausgegangen sei, wäre eine Vermutung, die 
allen Haltes entbehrt. Gedurft hätte es der Abt vielleicht wie der Bi- 
schof, gethan hat er es schwerlich. Denn verfolgt man die Reihe der 
Urkunden für die Gründung Luis und die für die Gründung Benedicts, 
so zeigt sich, dass Kaiser Ludwig bei Bestätigung des väterlichen Privi- 
legs für Hersfeld jenes Recht der Mönche, immerhin mit einer Beschrän- 
kung, die zugleich eine gewisse Rücksicht auf den Sprengelhirten andeutet, 
und unter Betonung der dem Herrscher zustehenden Prüfung des er- 
wählten, aber doch noch in eigentümhch weitem, an die ursprüngliche 
Gewährung erinnerndem Umfange erneuert hat^^), obgleich nicht unter 
dem Einfluss Luis, lange nach dessen Tode. Aber in seiner Bestätigung 
des Diploms für Aniane, die er noch bei Lebzeit Abt Benedicts und auf 
Bitte Benedicts gewälirte^*), fehlt gerade die Bestimmung „aut de quaU- 
cunque loco voluerint", um wieviel leichter der Bittsteller sie dem neuen 
Kaiser, dessen Ohr er auch fiirsprechend für andere Klöster besass, ab- 
zugewinnen vermocht, um wieviel mehr sich jetzt, 22 Jahre später, schon 
äusserlich die Möglichkeit ihrer Anwendung dargeboten hätte: sah doch 
Benedict, nunmehr auf seiner Höhe stehend, die Schar seiner Zöglinge 
um ein namhaftes gewachsen, eine stattliche Zahl von Klöstern durch 
sie bevölkert. In Karls königlicher Zeit musste Benedict im Fall, dass 
er früh starb, von einem Nachfolger aus der Fremde „de qualicunque 
loco" den Rückgang der noch in der Entwickelung begriffenen Reform 
besorgen ; nach Ludwigs Thronbesteigung, als sie an ihrer Ursprungsstätte 
erstarkt und auch anderwärts manche Pflanzung von ihrem Stamm schon 
wurzelfest geworden war, konnte die Berufung eines Mönches aus einem 
dieser Tochterklöster auf den Abtsstuhl von Aniane und die urkundlich 
gesicherte Erlaubnis der Fortsetzung solcher Berufung, wie ich schon 
andeutete, die Verbindung mit ihnen beleben und kräftigen. Wäre dieser 
erste Reformator des Mönchtums von der Idee einer Ordensbildung, yne 
Mabillon meint, je geleitet worden, so sollte das Anzeichen nicht so früh 
hervortreten, und träte es doch schon 792 hervor, vollends 814 nicht 
ausbleiben. 



25) Mühlb. No. 698 sibi abbatem eligere de ipsa congr., et, si ibi min. repe- 
rire potuerint, tunc sibi ipsa congregatio de quocunque monasterio infra ipsa par- 
rochia regulär, abbatem regulärem licentiam habeant eligendi et quando . . electus 
fuerit ad nostram perducant praesentiam, ut ibi examinetur si dignus sit tali 
ordinari beneficio u. s. f.: so nach Sickels (Beitr. I, 401) Vergleichung mildem 
Privileg Ludwigs d. D. (Mühlb. No. 1384). Die nämliche Ausweitung der Wähl- 
barkeit in dem Privilege für das Kloster S. Zeno, das indes, zu Zins an die Kirche 
Verona verpflichtet, nicht als Königskloster gelten kann (Mühlb. No. 577); eine 
ähnliche (Wahl auch aus benachbarten Orten) im Privileg für Cormery, das aber 
im Mundium von St. Martin zu Tours stand (Mühlb. No. 690): und beidemal, wie 
im Diplom für Hersfeld, die Voraussetzung, dass im Kloster selbst die geeignete 
Persönlichkeit fehle. 

26) Mühlb. No. 505, ein Diplom, das zwar in einigen Teilen, wie ich unter 
Cap. IV ausführe, verunechtet ist, aber soweit es Wahlrecht enthält, zur Genüge 
Stütze an Formula imperial. No. 4 findet. 



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Aniane unter Karl d. Gr. 27 

Nun ist es die Eigenheit unzweifelhafter Fälschungen, die Wählbar- 
keit zum Abtsstuhle über den Kreis der Genossenschaft auszudehnen, 
sei es formlich, durch einen ausdrücklichen Satz wie hier, sei es indem die 
Worte ex se, inter se in das gefälschte Wahlrecht nicht mit aufgenommen 
wurden^'). Dazu mochte Veranlassung geben, dass die in diesen Worten 
enthaltene Einschränkung, die doch eine beachtenswerte Abweichung der 
fränkischen Privilegien von den Satzungen des h. Benedict ausmacht ^^), 
zwar vielleicht ursprünglich, als die Klöster noch verschiedenen Regeln 
folgten, zur Erhaltung ihrer Art, eines jeden in der seinen, wünschenswert 
und vielleicht von ihnen selbst beantragt^®), im Verlaufe der Zeit, seit dem 



27) Mühlb. No. 98. 430. 730 (alle drei für St. Maximin). 924. 961. Lehrreich 
ist namentlich die Fälschung eines Diploms Ludwigs d. D. für Rheinau Mühlb. 
No. 1435 (si non posse contingat invicem reperiri, . . a quacunque . . congrega- 
tione sibi placeat . . sibi rectorem eligant): die zwei echten No. 1391. 1434 haben 
inter se, woran sich in der zweiten noch quamdiu ibi talem invenire potuerint 
schliesst, und beide übergehen den Fall, für den die Fälschung die Wahl frei 
giebt. König Arnulfs Bestätigung für Ellwangen (erhalten nur in deutscher Über- 
setzung: „allenthalben nach irem Willen in andern Steten wo sie wollen ander 
suchen*), die ihr Herausgeber und auch Mühlbacher No. 1847 für unverdächtig 
erklärt, kann ich schon deshalb nicht als echt ansehen, weil Otto I. (M. G. Dipl. I 
No. 233) 70 Jahre später sagt, dass das Kloster allezeit unter seinen Vorgängern 
das Recht der Wahl „ex propria congregatione** gehabt habe (wirklich unter Lud- 
wig d. Fr. No. 502 in ipsa congregatione). 

28) Das allgemeine Urteil, das Sickel (Btr. 4, 591) seiner Betrachtung der 
Wahlprivilegien Ludwigs voranschickt, dass schon auf Grund der Ordensregel den 
Klöstern Freiheit der Abtswahl zustand, ist unanfechtbar. Aber eben aus Wort- 
laut und Sinn der Regel ergab sich eine gewisse Einschränkung, über die ich gleich 
zu sprechen haben werde. Und irren würde, wer behaupten wollte, dass sie in 
dem nach der Regel ihnen zustehenden Masse auch durch die Privilegien bestätigt 
worden sei. Daher halte ich's für rätlicher, von den nach Form, imper. No. 4 ge- 
fassten Diplomen zu sagen, dass sie einfach Wahlrecht (so Sickel in den Karolinger- 
regesten durchweg mit Ausnahme von L. 9. 175. 244. 249), als (mit Mühlbacher) 
dass sie „freie Wahl* enthalten: die letztere Weise der Lihaltsangabe verwischt 
gleich den Unterschied zwischen der Fassung von Mühlb. No. 309 und der 
von No. 505, der angeblichen Bewilligung Karls und der Bestätigung Lud- 
wigs d. Fr. 

29) Deutlich erhellt der Zweck gerade in Fällen erweiterter Wählbarkeit an 
der der Erweiterung noch gesteckten Grenze. So wenn Murbach auf die Congre- 
gation Pirmins, d. h. auf die andern Klöster, die dieser gestiftet, und Amulfsau 
auf die von seinem eigenen Abte zusammengebrachte angewiesen wird (Pardess. II, 
No. 543. 596. S. 354. 410 ähnlich wohl Prüm auf die der Bischöfe Romanus und 
Wulf r am Mühlb. No. 93). So sollte man auch in Karls Diplotb für Aniane, eben 
wenn sein Abt die Bildung einer eigenen Congregation beabsichtigt hätte, eine 
ähnliche Einschränkung erwarten. — Dagegen vermute ich, dass das Diplom Chil- 
perichs II. für St. Maur-dös-Fosses (M. G. Dipl. Merov. 78 No. 88), das einzige aus 
Merovingerzeit, das die Wahl eines Fremden schlechthin gestattet (si necesaitas 
fuerit de quolibet monasterio), hierin verunechtet sei: sprachlich ist das Diplom 
unfiweifelhaft überarbeitet (über Fälschungen zu Fosses Sick. Reg. S. 409: das 
unechte Mühlb. No. 897 lässt bei der Abtsnachfolge ein Zwielicht „ille qui sub- 
stitutus fuerit", das zu Grunde liegende echte No. 597 hält sich in den Schranken 
von Form, imper. No. 4). Die Formeln aus dieser früheren Zeit (Marculf I, 1. 35) 



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28 Erstes Capitel. 

Zurückweichen der besonderen Regeln vor der Regel Benedicts entbehrlich 
geworden war, ja sogar zur Getährdung des Wahlrechts ausschlagen 
konnte. Bot sie doch Gewalten der Aussenwelt die Möglichkeit, unter 
Berufung auf eine durch die Regel des h. Benedict den Draussen- 
stehenden auferlegte Pflicht, also fast kann man sagen auf Grund der 
Regel selbst, sich die Ernennung in die Hand zu spielen. Das zu be- 
leuchten, reichen einige kurze Bemerkungen aus. 

Setzt nämlich die Benedictina an einer der wichtigsten Stellen, da, 
wo sie das Verhältnis zu den äusseren Mächten berührt, den Fall, dass 
die Brüder, insgesamt Lastern ergeben, sich einen ihnen gleichartigen 
Abt wählen, und beschwört sie für diesen Fall den Sprengelhirten, die 
Abte der Nachbarschaft und schlechthin die „benachbarten Christen"^ 
hiergegen einzuschreiten, so überwies sie doch dadurch diesen, voran dem 
Bischof, es liess und lässt sich nicht leugnen, bei klösterlichen Wahlen 
überhaupt das Recht und die Pflicht der Prüfung des Erwählten^"). 
Nicht ohne Rückhalt an ihr zu haben, beanspruchten demnach jene 
fränkischen Bischöfe von 794 die Zustimmung zur Abtswahl, wie in 
gleichem Menschenalter ihre Amtsgenossen auf den englischen Synoden 
von 787 und 816^^). Dass sie unter Ludwig den Anspruch wiederholten^ 
zeigt freihch, dass sie ihn unter Karl nicht durchgesetzt haben. Die 
Prüfung war und blieb Sache des Königs, so wenig ich behaupten will, 
dass der König sich dabei nur in Pflicht, unter dem Zwange jener den 
„benachbarten Christen" auferlegten Pflicht gefühlt habe. Noch Ludwig 
hat sie auch bei anderen Klöstern geübt, als solchen, deren Diplome sie 
ausdrückhch dem Herrscher vorbehalten, vermutUch bei allen königlichen 
und unabhängigen Klöstern •^^). Heisst nun weiter die Regel an der 



haben ex seraet ipsis, ex se; anders nur die einer Urkunde für die burgundiscbe 
Privatstiftung Flavigny abgezogene Formel (Flavin. No. 43. Zeumer I, 481 1. 5 — 7 
si de se ipsis talem non invenerint . . aliunde) und etwa noch No. 44 derselben 
Sammlung (Zeum. 482 1. 22 quemcunque ohne ex se). Dass aber auch in Burgund 
die Beschränkung seit alters Regel war, lehrt die angeführte Formula Marculfi 1,1,. 
indem sie ausdrücklich samt ihrem ex semet ipsis (wie auch Mühlb. No. 183, wo 
inter se) auf die Privilegien der burgundischen Klöster Agaunum und Luxueil 
verweist. 

30) Regula S. Bened. c. 64 Si omnis congregatio vitiis suis . . consentientem 
personam . . elegerit et vitia ipsa aliquatenus in notitia episcopi, ad cujus dio- 
cesin pertinet locus . . vel abbatibus aut christianis vicinis claruorint, prohibeant 
pravorum praevalere consensum, sed domni Dei constituant dignum dispensatorem. 

31) Syn. Francof. 794 c. 17 (Boret. S. 76) ut abba in congregatione non ele- 
gatur, ubi jussio regia fuerit, nisi per consensum episcopi loci illius ; also auch in 
Königsklöstern oder gerade da. Vgl. Relatio episcopor. oben Anm. 18. — Syn. 
Britann. 786 c. 5 Consilio episcopi, cujus in parochia . . monasterium situm 
est . . eligantur pastores . .; si autem in coenobio illo talis vir minime reperitur, 
de alio eis coenobio talis mittatur, qui eos secundum Deum gubernare queat. Syn. 
Calchut. 816, c. 4 eine Umkehrung der Stellung beider Teile: ut habeat unus- 
quisque episcoporum potestatem in sua propria diocesi abbatem et abbatissam 
eligere et hoc cum consensu et consultu familiae (Mansi XII, 941, jetzt nach 
Sdraleks Druck als Ep. Alk. 3 MG. Ep. IV, 22. XIV, 355). 

32) Pippin für Prüm und Karl für Fulda (Mühlb. No. 93. 169) : cum consensu 



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Aniane unter Karl d. Gr. 29 

nämlichen Stelle die Draussenstehenden in jenem Falle den Abtsstuhl 
durch Ernennung zu besetzen, so wahren sich wirklich die Ernennung 
namenthch die Bischöfe in den Privilegien für die Klöster ihrer Kirchen, 
vereinzelt Kaiser Ludwig in einem Diplom für das Chorherrenstift St. Martin 
zu Tours, sofern ein zum Eegiment Tauglicher unter den Brüdern nicht 
zu finden sei^^). Und man muss sagen, dass auch ohne ausgesprochenen 
Vorbehalt sich die königliche Ernennung bei solchem Anlass mit der 
dargelegten Fassung der Wahlprivilegien vertrug. Da sie das Wahlrecht 
der Brüder an die Bedingung der Wählbarkeit eines der ihrigen knüpften, 
so war, wenn keiner unter ihnen zum Regiment tauglich, Wahlrecht nicht 
vorhanden, so war die Ernennung kein Bruch bestehenden Rechts ^*). 
Die Berufung eines Fremden durch den Bischof oder König, unerlässlich 
um des Klosters willen, wenn es an allen seinen Gliedern verderbt einer 
Reform bedurfte ^^), empfahl sich schon in dem Falle, dass unter den 



noßtro et vestro (monachorum), cum nostro consensu; Ludwig für St. ChiDian 
(No. 806) : per nostrum successorumque nostror. consensum. Obachon nun Ludwig 
in seinem Diplom für Fulda (No. 593) jene Bestimmung des väterlichen nicht, mit 
aufnahm, ward ihm doch einige Zeit darauf, als ob es sich von selbst verstehe, 
Eigil zur Bestätigung seiner Wahl vorgestellt (Vit. Eigil. c. 10 SS. XV, 227); und 
obschon sein Diplom für Aniane (No. 505) gleich diesem Fulder einfach nach For- 
mul. Imper. 4 gefasst ist, so hat er doch später der Wahl Tructesinds seinen 
adsensum erteilt^(No. 718). Für Fulda erfolgte die Prüfung am Hofe selbst (ebenso 
wohl die Prüfung derjenigen Wahl, über die Bischof Bernhar von Worms Jaffe 
Bibl. 4, 441 f. berichtet), für Aniane an Ort und Stelle durch Beauftragte. 

33) Mühlb. No. 867: nachmals Karl d. K. für Notre-Dame zu Soissons (Bouqu 
VIII, 475 No. 51) und Otto I. für St. Marien zu Aachen (Stumpf No. 394. Dipl 
reg. Germ. I, 430 No. 316). — Unter den bischöflichen Privilegien besonders deut- 
lich das Hermanns von Nevers für zwei Klöster seiner Kirche (Man'si XIV, 926) 
vgl. Erzb. Aldrich von Sens für St. Remi de Vareilles (Mab. acta SS. IV, 1. append, 
3 ad Vitam S. Aldrici) und schon Chrodegang für Gorze (bischöfliche Ernennung 
im Einvernehmen mit den Brüdern (bei Erhebung eines aus der Genossenschaft 
umgekehrt Wahl der Brüder und Zustimmung des Bischofs Mansi XII, 654). Und 
Karl d. K. begründet in dem angef. Diplom den Vorbehalt in der That auf die 
Weisung der Regel des h. Benedict: sicut ipsa regula praecipit, successores nostri . . 
studio episcopali ac . . consensu sororem talem constituant, quae praeesse . . 
possit. 

34) Waitz VG.^IIl, 433 „Das Recht der freien Wahl ist häufig ausgesprochen, 
aber selten wirklich zu Ausübung gekommen.'* So gerät ohne die Nötigung aus- 
drücklichen Zeugnisses in das Bild unserer alten Verfassung ein Zug barer Ver- 
fassungslosigkeit, der dem Regimente aller Karolinger gemein wäre. Aber in den 
zwei von Waitz allein angezogenen Ordnungen fehlen zu eligantur die Worte per 
monachos: die eine besagt nur, dass der Abt oder die Äbtissin in erster Linie aus 
der Genossenschaft selbst, die andere, dass er mit Zustimmung des Bischofs erlesen 
werde (vgl. oben Anm. 16 \ Wie anders doch für die Bischofskirchen das Capit. 
eccles. c. 2 (Boret. 276): opiscopi per electionem cleri et populi . . eligantur! 

35) So hatte nach Epist. Alk. ed. Jaffe-Dümml. 182 S. 645 = Mon. Germ. 
No. 247 S. 400 1. 38 f. Karls Benifung Alkuins nach St. Martin von Tours den 
Zweck, hier wenigstens rectam vitam zur Erneuerung zu bringen. Dass selbst ein 
Benedict von Aniane aus Herrschers Hand Maurmünster annahm (Vita c. 35. 42 
Ludoycus eum in Maurum monasterium designavit; L. monasterium ei Maurum 



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30 Erstea Capitel. 

Brüdern sich kein Talent der Verwaltung zeigte, da der Bischof im 
Uherblick über seinen Sprengel und des Königs Berater, der Erzkaplan, 
mit seiner das Keich umfassenden Kenntnis der Menschen eher eine 
geeignete Persönhchkeit ausfindig machen konnte, als die, bei der da- 
maligen Vereinzelung der Klöster, über den Ring des eigenen selten mit 
Schritt oder Blick hinausgekommenen Wähler. Und leichter als der ver- 
waisten Genossenschaft musste es einem Bischof, vollends dem Herrscher 
fallen, dem zu ihrer Leitung Erlesenen die erforderliche Entlassung aus 
seinem bisherigen Verbände zu erwirken. 

Freihch war zu besorgen, dass, wenn nun nur vom König oder Bi- 
schof ein Fremder ernannt werden durfte, die Befugnis der Ernennung 
von ihnen erst durch die Behauptung der Untauglichkeit des von den 
Brüdern aus ihrer Genossenschaft erwählten geschaffen werde. Und in 
manchen Fällen mag — ein unzweideutiges Zeugnis fehlt — dies das 
Verfahren Karls d. Gr. gewesen sein^^*): selbstverständlich hatte er, da 
die Klöster sich seit langem durch Annahme grosser Schenkungen um 
das Recht gebracht hatten, niir als Freistätten regulären Lebens zu gelten, 
für ihre Leitung auf Männer zu sehen, die dem auf diesem Gute ruhenden 
Reichsdienste gewachsen waren. Kam es darüber sogar, wie man weiss, 
zur Austhuung der Klöster als Lehen, worin die Mönche die überreiche 
Ausstattung ihres Altars, seinen allzuschweren Behang mit Gütern und 
Rechten dieser Welt am empfindlichsten büssten, so durften sie biUig, in 
besserem Einklang mit der ihnen durch Christentum und Ordensregel 
gegebenen Bestimmung, zu einer Leistung jfriedhchster Art herangezogen 
werden, einer Leistung, die, da sie der Herrscher in der Übung könig- 
licher Schutzgewalt heischte, ebenfalls als Königsdienst gefasst werden 
kann — nur dass in Fällen, wo die Rücksicht auf sie den Abtsstuhl 
statt durch Wahl der Brüder durch Ernennung besetzen hiess, die Weh- * 
klage alter und neuerer Forscher über Verletzung des Wahlrechts noch 
weniger als sonst am Platze ist. Ich meine die Verpflegung der Ge- 
sandten und Pilger, die einmal der Inhalt ausdrücklichen Auftrages bei 
der Ernennung des Oberen einer solchen Stätte ist, drei andere Male 
sich mit Grund als der entscheidende Gesichtspunkt der Ernennung 
annehmen und danach denn auch sich sonst vermuten lässt. Dem 
Reiche zu Ehre und Vorteil, aber vornehmlich den FremdUngen selbst zulieb 
mochte in Klöstern und Stiftern nahe der Küste oder an der Mündung von 
Alpenpässen, wo nach den Gefahren der See oder des Hochgebirges die 
Reisemüden bisweilen in Scharen zusammentrafen und Labsal suchten, 
am ehesten einer zum Regiment erhoben werden, der ihrer Art kundig 
war — einer ihrer in den fi:änkischen Unterthanenverband getretenen 



dedit), würde durch die Vermutung, er habe dort reformieren sollen, die unserer 
Meinung von ihm noch günstigste Erklärung finden. 

35») Der Verweis, den ihm bei Berufung eines Fremden Abt Theodemir von 
Monte Casino nicht ersparte (grandis . . est in hoc monachis . . districtio, si eis 
sine sua electione externus aliquis praeponatur: Epist. Carol. No. 12 Jaffe Bibl. 
4, 364 f.) , trifft in seiner Fassung eher einen Fall gar nicht gewährter, als einen 
verworfener Wahl. 



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f- OFTHE '0^ 

,^ UNIVERSITY , 
Aniane unter Karl d. Gr. \ o « Of t^ J^ 31 

Landsleute, den doch nur selten der Convent in seiner Mitte fand, den, 
traf sich das nicht, ordnungsgemäss der Herrscher zu berufen hatte. 
Diesem Umstand verdankt wohl manch eingewanderter Mönch oder Kle- 
riker sein Vorwärtskommen unter Karl und Ludwig. Da St. Josse an 
der Canche, nicht weit von dem im Verkehr zwischen England und dem 
Festlande vielbefahrenen Quentovich zu seiner vornehmsten Aufgabe 
„die Pflege der Pilger von der See drüben" hatte ^% so zweifle ich nicht, 
dass, als es Alkuin mit dieser Bestimmung von Karl d. Gr. erhielt, er 
für den HeiTscher vomehmHch als Angelsachse in Betracht kam, der 
auch nach seiner Einbürgerung in das fränkische Reich noch durch den 
ererbten Besitz einer „Cella maritima" an der Humbermündung mit der 
Insel verbunden büeb. So hatte er und ihm Untergebene nun hüben 
wie drüben, an beiden Gestaden Wirtspflicht zu üben. Viele Pilger 
aus Mercien und Nordhumbrien, bei der weiten Spannung des Netzes 
der Wasserstrassen, die zum Humber führen, vielleicht die meisten, 
werden in der einen seiner Zellen vor der Einschiffung den Reisesegen, 
in der anderen nach der Landung den ersten Gruss und Glückwunsch 
empfangen haben. Erwägt man ferner, dass die angelsächsischen Rom- 
pilger, mochten sie sich vom Kanäle her, von St. Josse zum Genfer See 
aul* den grossen St. Bernhard oder zur Saone-Loire auf einen provenza- 
Uschen Hafen wenden, ungetrennt über Troyes, bis Langres fuhren, so 
liegt die Vermutung nahe, dass Karls d, Gr. Übertragung von St. Loup 
zu Troyes an Alkuin den nämhchen Grund hatte. Errichtete doch Alkuin 
selbst noch in seinen späteren Jahren, unterstützt durch mehrere Schen- 
kungen, darunter eine von Kaiser Karl, an diesem Wege der Inselsachsen 
eine Pilgerherberge, in dichter Nähe einer Seinefurt zwischen Troyes und 



36) Ep. Lupi ed. Desdev. No. 16 = 11 Bai.: cellam S. Jodoci quam magnus 
Kar. quondam Alcuino ad elemosinam exhibendam peregrinis (vgl. No. 46 = 71 
transmarinorum cura aliorumque pauperum) commiserat, b. m. pater vester (i. e. 
Ludovicus imperator) nobis (i. e. monasterio Ferrariensi) ea ratione concessit, 
sicut edictum illius attestatar, ut quod elemosinae superesset in nostrum usum 
cederet (auch so galt St. J. noch als optima pars von Ferrieres Ep. No. 47 = 42). 
Wer von England via rectissima nach Rom reiste, nahm die Fahrt auf Quento- 
vich (Vit. Wilfr. ep. Ebor. auct. Edd. Steph. c. 24 (Mab. AA. IV, 1) ; hier hat Erzk 
Theodorus von Tarsus sich nach England eingeschifft, hier Bonifatius von England 
her das Land betreten; hier fanden noch in Alkuins Zeit Bischöfe Englands und 
andere seiner Landsleute gastliche Aufnahme, auch Krankenpflege (Beda h. eccl. 
IV, 1 § 255. Vit. S. Bonif. auct. WiUeb. c. 5 Jaffe 3, 444. Ale. Ep. No. 173 = 232 
vgl. No. 4 = 25). Über die Lust der Angelsachsen zu Wanderung auf dem Fest- 
lande, zumal (ihre Besonderheit vor allen andern Völkern) nach Rom siehe v. Sim- 
sen Karl 2, 508, dazu Vit. Alk. c. 18 = 11, Gesta abb. Fontan. c. 14 (SS. II, 289 
1. 27 maxime familiäres sedi apost.), Ann. Bert. 864 (SS. I, 463 1. 13); vorher wie 
nachher in Scharen (mit Ceolfrid Vit. c. 34 ed. Stevens. S. 331 ziehen ihrer 80) und 
auch nach wiederholtem Schrecknis ohne Scheu vor Lebensgefahr (Flodoardi Ann. 
921. 923. 940 SS. III, 369. 373. 388). Eine Klage über schandhaftes Leben, das 
die Frauen der Insel auf dem Wege nach und von Rom trieben, wie die, womit 
Bonifatius in einem seiner Briefe den Kulturhistoriker überrascht (ed. Jaffe No. 70 
in, S. 208, ed. Dümmler No. 78 M. G. Ep. III, 354), kehrt im neunten Jahrhundert 
nicht wieder. 



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32 Erstes Capitel. 

Nogent, da, wo die alten Strassen Tours-Orleans-Eeims und Langres- 
Troyes-Beauvais sich schnitten, das hospitale S^i Martini Ad duodecim 
pontes (Pont s/Seine), wahrscheinhch eins der jüngsten, doch nicht ge- 
ringsten Verdienste, die er samt dem, der ihn hierzu ausstattete und auch 
ausersah, sich als Förderer des Verkehrs seiner Landsleute mit dem Franken- 
reiche und Italien um die Entwickeln ng der Kultur nördlich von den 
Alpen erworhen hat^®*). Dass nach Alkuin einer seiner Schüler, Sigulf, 
noch unter Karl zum Abt von Ferneres ernannt ward, erklärt sich, da 
dieser gleich seinem Lehrer nicht Mönch sondern Chorherr war, unter 
anderm oder am ersten daher, dass auch er aus England stammte und 
in der Paarung von Ferneres und S*- Josse, die durch die dauernde 
Gleichheit des Leiters zu stände gekommen oder in der Bildung begrififen 
war. St- Josse, als „der beste Teil von Ferneres*' das Schwergewicht 
hatte. Denn unverändert unter diesem Nachfolger Alkuins muss die bei 
Alkuins Ernennung zuerst hervortretende Bestimmung von St. Josse ge- 
dauert haben. Hat sie ihn doch überdauert. Wiederholt kommt auf sie 
in der Zeit, da S*^- Josse dem Kloster Ferneres selbst, nicht mehr dessen 
Abten persönhch, übertragen war, Abt Lupus in seinen Vorstellungen 
an die Herrscher und ihre Berater zu sprechen, nicht ohne ausdrücklich 
zu bezeugen, dass mit dem gastlichen Verkehre sich ein litterarischer 
verband'®**). Nur Nachahmung väterlichen Vorbildes ist's demnach ge- 

36^) Die englische Zelle hat Alkuin kaum jemals aus dem Auge gelassen, wenn 
schon keiner seiner Briefe nach Enj^Iand sie berührt. Er stand zu ihr in Pietäts- 
verhältnis. Denn in einem Grabe ihrer Marienkirche ruhte Willibrords Vater Wil- 
gils, der, da sie von ihm auf Alkuin legitima successione gefallen war, zu dessen 
Ahnen gezählt haben muss (Alk. Vita Willibr. I, 1. mehr. II, 34 ed. Jaffe-Wattenb. 
6, 40. 79. Po. aevi Kar. I, 220 v. 73). Fahrt auf dem Humber hinab zum Meere 
der Beginn der Romfahrt in Eist. abb. Gyrwens. § 31 (00. bist. Bedae ed. Stev. 
2, 330). — Rompilger über Langres Beda Eist, abbat. § 21 ed. Stevens. 2, 161 = 
S. 380 und Mir. S. Bert. I, 4 SS. XV, 511; über Troyes Alk. Ep. 160 = 215 (car- 
tula ultra Alpinos coUes per manus redeantium Saxonum usque ad Trecasinae civi- 
tatis sacellum): schenkte doch nach Jahrhunderten (1158, Camuzat Antiqu. Trecass. 
398—401: daher die Bestätigung P. Badrians Ja.-Lfd. No. 10489 bestimmt dem 
Jahre 1159 zuzuweisen) Graf Eeinrich von Troyes der Kirche S. Nicolai et S. Bem- 
hardi auf dem Mont-Joux das Eötel-Dieu (domus Dei in foro) zu Troyes, daö nun 
danach Xenodochium Beruh ardinum genannt ward, so dass die Bruderschaft des 
Eochalpenhospizes , reich ausgestattet auch am Nordgestade des Genfer Sees 
hinab und im Sprengel Besan9on, begütert zu Bar s./S., ihre Fittiche bis in das 
mittlere Seinethal streckte (vgl. Ja.-Lfd. No. 12872). St. Loup zu Troyes an 
Alkuin Vita ed. Wattenb. c. 6, ed. Arndt c. 9. Die Strassenkreuzung bei den 
Xn Pontes ergiebt sich aus den Anführungen von Boutiot et Soc. Dictionn. du 
döp. de l'Ando S. XIV— XVI. Alkuins Gründung des Eospitals S. Martin Ad XE 
P. in Bourasse Cart. de Cormery S. 10 No. 4, eine Urkunde, die, wenn auch viel- 
leicht überarbeitet (Sickel UL. 190 A. 4), doch wegen mehrmaligen Bin weises auf 
Karls kaiserliche Würde der Zeit nach 800 zuzuweisen sein wird; die verlorene 
Schenkung Karls ist, da das Eospiz nach Alkuin „sub defensione abbat. S. Mar- 
tini** stehn sollte, nicht mit Sickel Reg. S. 364 als Dep. Cormaric, sondern als 
Dep. S. Martini Turon. zu bezeichnen: erst 865 kam das Eospiz an Cormery. 

36b) Ep. Lup. No. 114 = 29. Vit. Alk. ed. Wattenb. c. 5. 6 = ed. Arndt c. 8. 
9 S. 189 1. 43. 190 1. 15. Vita Aldrici (Mabill. AA. SS. IV, 1) c. 5 (Sigulfus natione 



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Aniane unter Karl d. Gr. 33 

wesen, wenn Ludwig d. Fr. seinem gleichfalls aus England stammenden 
Kanzler Pridugis zum Chorherrenstifte St. Martin von Tours, wo er schon 
durch Karls Ernennung der Nachfolger Alkuins geworden war, noch eine 
Stätte übergab, die ftir die mannigfachen Beziehungen zwischen dem 
fränkischen Reiche und England gleich wichtig wie St. Josse und zur 
Aufiaahme von Gästen noch reicher bewidmet erscheint, Sithin, also die 
damals noch verbundenen Kirchen St. Bertin im Thale der Aa und 
St. Omer auf der Höhe^^®). Da zu Sithin wenigstens noch St. Bertin 
unter der Herrschaft der Benedictinerregel stand, Fridugis aber nicht 
Mönch war, sondern, wie sein Lehrer Alkuin und Sigulf, nur Chorherr, 
so weist diese, seine zweite, Ausstattung auf eigenartige Erwägung und 
Absicht des Herrschers: fiel sie doch in eine Zeit, da die vor drei Jahren 
begonnene Reformation der Klöster in noch nicht ermattetem Gange war 
und Benedict von Aniane, der seine Ordensgenossen auch gegen Vor- 
stände aus der Zahl der Chorherren zu bewahren Sorge trug, den Kaiser, 
so oft er in Aachen weilte, wie in seiner Umgebung, von luden her, be- 



Anglicus). — Kaiser Ludwigs d. Fr. Überweisung von St. Josse an Ferneres (Ep. 
Lup. 46 = 71) auf Bitte der Kaiserin Judith, demnach nicht vor 819, ist zu Sickels 
Acta deperd. nachzutragen (vgl. auch Ep. 30 = 88 und Anm. 36). — Weitere 
Ausdehnung bekäme die obige Beobachtung, wenn Mabillon (Anm. II 1. 27 § 29) 
einen Angelsachsen des Namens Warenbald mit Recht als Alkuins Schüler und 
als seinen unmittelbaren Nachfolger in St. Josse bezeichnete ; aber ein Warenbald 
ist unter Alkuins Schülern nicht bezeugt und unter den Äbten von St. Josse nur 
durch die gefälschte Bulle P. Leos VII. Jaffe-Lfd. No. 2541. 

36c) Als Abt zu Sithin erscheint Fridugis im Sept. 820 (Muhlb. No. 102), und 
in dies Jahr setzt Folcwin auch seine Ernennung (Gesta abb. Sith. c. 47 MG. SS. 
XIII, 614). Nicht erst in späterer Zeit, als der zu St. Bertin beigesetzte Leib des 
heiligen Bernhardus Poen. seine Wunderkraft bewährte, zeigt sich reger Verkehr, 
kirchlich und wirtschaftlich, zwischen Sithin und Britannien (Mir. St. Beruh. Poen. 
BoU. Apr. II, 675 ff., bes. § 3. 29. 36 f. 44. 49—51. 71); nach der Überlieferung 
des Klosters Wormhoudt und des eigenen hat schon der h. Bertinus das ihm über- 
tragene Wormhoudt (arrond. Dünkirchen) mit vier Briten zur Übung der Gast- 
pflicht besetzt (Vit. S. Winnoci; c. 8 BoU. Sept. II, 58S! f. Gesta abb. Sith. c. 11 
S. 610). Seit 745 besass das Kloster Sithin die Zelle Roxem nahe dem Strande 
des heutigen Ostende (Gesta c. 26 § 612), und auch im Mündungsgebiete der Canche 
breitete es seine Besitzungen aus (Gesta c. 22 vollständig Cartul. de St. Bert. ed. 
Gu6r. I, c. 29 S. 49; Gest. c. 52 S. 615 lin. 41 f. c. 117 S. 634 1. 3). Im 10. Jahrh. 
erhielt es gar durch die Schenkung (später Eintausch) von Petressa teil am heu- 
tigen Calais (Gesta c. 110 S. 632 1. 19 vjfl. Guer. S. 149 f. 175). Und es lag selber 
nicht weit von Boulogne „ex qua parte facilis ad Britanniam est transitus* (Folcw. 
Vita Episc. Folcw. c. 5 SS. XV, 427). Sitbin von angelsächsischen Romfahrern im 
9. Jahrhundert berührt Mirac. S.Bert, c.4 M.G. SS. XV, 511 1.31; die Grabstätte 
des zur See umgekommenen Königssohnes Edwin Gesta c. 107 S. 629 1. 12; all- 
bekannt als die Zuflucht des Erzbischofs Anselm von Cantorbury und noch seines 
Nachfolgers Thomas ; auch durch Einkünfte auf englischem Boden dazu ausgerüstet, 
da unter König Stephan der dahin verschlagene Wilhelm von Ypem die Kirchen 
Throwley und Chilham im Sprengel Canterbury dem Abte von St. Bertin schenkte 
(Gesta Sith., contin. Simon. I.e. 65. 665: über Weiteres unter König Heinr. 11 
Phillips in Archaeologia 25, 146 — 150). Ein auch von hier uns erhaltenes Zeugnis 
literarischen Verkehrs zwischen Festland und Insel berühre ich Exe. II, Anm. 32 c. 
Puckert, Aniane und Gellone. 3 

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34 . Erstes Gapitel. 

riet. Vermutlich wollte Ludwig neben einem anderen Grunde, der auch 
den Abt Benedict bestimmt haben mag (ich komme auf ihn im zweiten 
Excurs), die angelsächsischen Keisenden, nach dem Muster der Verfügung, 
die sein Vater über St. Josse und schon Abt Bertin über die Zelle 
Wormhoudt getroffen, hier an einer Wegstaffel landeinwärts in einem 
Landsmanne den Wirt finden lassen^®*) und zugleich auf dieser Warte 
nach den bewegten Inselreichen hinüber einen kundigen, auch dazu von 
Alkuin angeleiteten Beobachter wissen. Freilich hatten ältere und neuere 
Benedictiner kein Gefallen an dieser Ernennung, auf die sie vielmehr 
eine schwere und dauernde Schädigung des regelgerechten Lebens an 
einer so bedeutenden Stätte zurückführten. Ich wende mich gegen diese 
Ansicht an anderer Stelle (Excurs II): ich versuche dort zu erweisen, 
dass der darin enthaltene Vorwurf, der über Fridugis hinaus seinen 
Herrscher und dessen Berater, den Reformator des fränkischen BQoster- 
wesens, treffen würde, auf arger Verdunkelung geschichtlicher Erinnerung, 
auf Fälschung von Urkunden beruht; ich hoffe, die Vermutung begründen 
zu können, dass die Ordnung, die von Ludwig nach verlässigem Zeugnis 
zu Sithin (nur fraghch, ob auch in der Amtszeit des Abts Fridugis) 
getroffen worden ist, keine Einbusse bezeichnet, die das Benedictinertum 
erst jetzt erhtten hätte, dass sie eher die Entscheidung unklar gewordener 
Verhältnisse, als ein Wandel etwa von Karl her unbeeinträchtigt über- 
kommenen Standes der Dinge war. Und kein Wandel, nichts Neues war 
es, wenn Ludwig, wie ich schon andeutete, durch die Ernennung eines 
Mannes angelsächsischer Herkunft zum Abt von Sithin zu erkennen gab, 
dass Sithin für das fränkische B,eich nicht zuletzt durch seine Stellung 
zu England in Betracht kam: schon sein Vater hatte einen Vorsteher 
dieser und den einer anderen Stätte nahe dem Saume der Nordsee zu 
Gehilfen seiner angelsächsischen Politik gemacht^*®). 



36d) Die Vermutung, dass er für diese zartere Seite seines Berufs eine Empfin- 
dung gehabt, verdient Ludwig d. Fr. allerdings : in der Sorge für die Pilger kommt 
er seinem Vater (dessen Anordnungen v. Simson Karl 2, 508 f. schildert) gleich. 
Über die Alpen ist er ja als Kaiser niemals gezogen, seit seiner Schwertleite über- 
haupt nur einmal; aber den Pass, den er da auf und niederstieg, hat er auch mit 
einem Hospiz bekleidet (den Mont-Cenis Mühlb. No. 989). Und im ganzen Reiche 
machte er (Instit. canonic. I, c. 141) den Stiftern, ohne Ausnahme der minder- 
begüterten, zur Pflicht, für hospites und peregrini Herbergen zu unterhalten: 
Chrodegang hatte sie dem seinigen, das über die Notdurft begütert war, erlassen. — 
Hohe Vorstellung von der Gastfreundschaft zu Sithin dämpft freilich der ehrliche 
Simon durch das Geständnis (GestaH, 81) „Hospitalitas usque ad id tempus aegre 
impendebatur**; aber gälte dies wie für das elfte für das neunte Jahrhundert, so 
empfahl sich's um so mehr, an der Neigung des Abts zu seinen Landsleuten einen 
besonderen Trieb ihr zuzuführen. 

36 e) Der Abt Nantharius von Sithin war einst beauftragt worden, den ver- 
triebenen König Eardulf in sein Reich wieder einzusetzen; Abt Gervold von 
St. Wandrille, betraut mit der Erhebung des Zolls im Hafen von Quentowich, 
hatte oftmals auch als Gesandter nach England zu fahren (Ann. Einh. z. J. 808, 
vgl. V. Simson Karl 2, 398. Chron. Fontan. SS. H, 291). (Noch Abt Lambert von 
St. Bertin zu Sithin ist von seinem Landesherm, dem Grafen von Flandern, in 
politischen Geschäften um 1103 hinübergesendet worden (SS. XV, 951; De morib. 



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Aniane unter Karl d. Gr. 35 

Von den Äbten der Klöster in der Küstenlandschaft des mittel- 
ländischen Meeres, der septimanischen Klöster, ist zwar völlig Gleichaiüges 
oder Vergleichbares nicht bezeugt. Sie unter denen zu suchen, die 
nach dem Bericht der Anianer Handschrift des sog. Chronicon Moissiacense 
von Karl d. Gr. im Anschlüsse an seinen spanischen Feldzug von 778 
den Auftrag erhalten haben sollen, dort zu predigen und zu taufen, 
läge bei der Herkunft des Berichtes nahe, wenn nur nicht der Bericht 
selbst, wie man weiss, dreiste Fälschung wäi-e. Ausgestattet mit Gütern 
und Rechten in der spanischen Mark erscheinen diese Klöster bemerkens- 
werter Weise erst in Diplomen Karls d. K., und zwar nicht gleich in 
den fiühesten, so dass eine Wirksamkeit ihrer Abte auf spanischem Boden 
noch für die letzte Zeit Ludwigs d. Fr. zweifelhaft wird. Dennoch ergiebt 
sich aus einer lehrreichen Verweisung Karls d. K., dass picht erst Lud- 
wig d.,Fr., sondern schon Karl d. Gr. den in Septimanien sesshaft ge- 
wordenen Flüchtlingen aus Spanien einen Schutz- und Immunitätsbrief 
erteilt hat**^), durch den er, wie sehr es selbstverständhch war, dass 
L:amunität nicht der Heeresfolge, des Wachtdienstes, der Beförderung 
von Königsboten und Gesandten enthob, den Vorbehalt dieser Leistungen 
zu förmlichem Ausdruck zu bringen für nötig erachtete: daran man denn 
ermessen kann, welche Ansprüche er in dieser Beziehung nun gar an 
die Abte der Klöster dieser Grenzstriche stellen zu müssen geglaubt 
habe. Um so mehr wird ein Herrscher seiner Art sich, wo (wie für den 
Fall eines Wechsels im Klosterregiment) nicht nur diese, sondern die 
Gesamtheit der Beziehungen ins Auge zu fassen war, bedacht haben, 
durch eine sogar den Diplomen der Klöster im Innern des Reiches bis 
auf jenes Hersfelder fremde Ausdehnung des Wahlrechts von vornherein 
sich und seinen Nachfolgern die MögHchkeit eigenen Ermessens und Er- 
lesens eines geeigneten Abts zu nehmen oder zu beschränken. 

Wollte man aber an Eingriffe von bischöflicher Seite her denken, 
wider die Benedict von Aniane die Wahlfreiheit seiner Mönche zu sichern 
gesucht habe, so zeigt sich gleich, dass er einer Besorgnis nach dieser 
Richtung nicht Raum zu geben brauchte. Seine Lebensgeschichte be- 
richtet von keinem Gegensatz gegen den Bischof von Maguelonne, dem 
vielmehr die Pflanzschule von Klerikern, als welche ihr Verfasser Aniane ^ 
vorstellt, zunächst zu gute kommen musste. Dem Erzbischof Nibridius 



Lamberti abb. contin. c. 3). Wie sehr Alknins Kenntnis der Personen und Ver- 
hältnisse Englands der englischen Politik Karls d. Gr. dienstbar werden musste, 
ergiebt sich nicht nur aus dem von ihm in des Königs Namen verfassten Briefe 
Mühlb. No. 322 (vgl. Sick. UL. 104 nt. 2), sondern noch aus manchem anderen, 
z. B. MG. No. 101. 104. 

36 f) Ludwig d. Fr. übergeht allerdings in seinem Diplom Mühlb. No. 546 
den Vorgang des Vaters, daher Sickel S. 371 nur das durch L. 79 = Mühlb. No. 
588 bezeugte Deperditum Karls vermerkt und auch v. Simson Ludw. I, 48 ff. nichts 
davon berichtet, dass Karl d. Gr. Urheber der vielbesprochenen Ordnung war. 
Aber ausser Zweifel stellt dies Karl d. K. durch Böhm. No. 1562 H. d. L. IIb. 243 
(avi . . nostri . . seu genitoris nostri . . auctoritatem imitantes; weiterhin, eben 
am Schlüsse des Vorbehalts : illi quor. progenitoribus temporibus avi nostri . . 
id ipsum facere institutum fuit). 



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36 Erstes Capitel. 

von Narbonne empfahl er aus weiter Feme noch im Sterben die Seinen, 
wie er einst, auf der Höhe seines Wirkens, zusammen mit ihm, seinem 
eigenen Oberhirten, sie in einer erweiterten Herde geweidet hatte. Auch 
Bischöfe beriefen zur Gründung oder Erneuerung von Klöstern Männer 
seiner Zucht ^^. Diese erste Reform des Benedictinertums hat, das hebt 
sie ab von der späteren unter Cluny, allerwegen in Frieden mit dem Epi- 
skopate, auch mit dem Sprengeloberen des Mutterklosters ihren Verlauf 
genommen. 

Anfechtung hat allerdings schon Abt Benedict befiirchtet. Nach 
Ardo indes nur im Blick auf seine eigene FamiHe, auf seine Verwandten : 
um denen eine Benachteiligung seiner Gründung unmöglich zu machen, 
habe er das Kloster dem Könige übergeben und dabei dies Diplom er- 
wirkt^®). Dadurch erhält denn die Urkunde eine Stelle neben denjenigen, 
womit Karl und dann Ludwig eine ansehnliche Zahl von Privatstiftungen 
ausstatteten; diese aber gewähren nur Schutz, Immunität und zwar oft 
auch Wahlrecht, aber dies, mit Ausnahme jener Hersfelder, in der her- 
kömmlichen Einfachheit. Sogar das Kloster Lorsch, dessen Selbständig- 
keit schon ein Sohn des Gründers angefochten hatte, begnügte sich Karl, 
dem es eben auch übergeben worden war, in seinem Schutzbrief durch 
ein Wahlrecht zu sichern, das, obgleich er dabei zugleich einem Über- 
grifife des Sprengeloberen vorzusehen hatte, auch hier nur auf eine Wahl 
aus der Brüdermitte lautet^®). 

Erst in späterer Zeit, die in Westfrankreich den Einfluss des Königs 
auf die Abtswahlen weit zurücktreten hess, treffen wir das Kloster Aniane 
in Irrung mit einem kirchhchen Oberen, dem Sprengelhirten. Ich deutete 
die Streitigkeiten schon an und werde sie ausführlicher schildern, wenn 
ich zuvor die andere Eigentümhchkeit der Urkunde Karls dargelegt habe, 
die mit dieser Irrung noch enger zusammenhängt. 

Denn auf das Wahlrecht folgt der Satz „ubicunque voluerint ordi- 
nari aut ipsi (abbates) aut monachi ipsorum, vel a quocunque pontifice, 
ex praecepto et consensu nostro potestatem habeant". 

Dieser Satz kommt unerwartet, da das Diplom durch die Arenga 

„Maxima regni nostri in hoc augeri credimus munimentum" eingeleitet 

'wird, die in der Kanzlei Karls sonst nur für Immunität und etwa mit 



37) V. Bened. c. 20: in suo monasterio susceptos alebat clericos. Epist. 
Bened. ad Nibridium Vit. c. 44. Über das frühere Verhältnis zwischen ihnen 
unten (Cap. V) ausführlicher. Berufungen durch Leidrad von Lyon und Theodulf 
von Orleans Vit. c. 24. 

38) Vit. c. 18. Imperatori coenobium . . ne incommoda a parentibus suis 
paterentur post ejus discessum superstites . . tradidit possidendum. 

39) Mühlb. No. 148 (vgl. 141): über die Privilegienbestimmungen dieses Diploms 
Sick. Btr. 4, 584. 588 f. Andere Fälle der Übergabe an den König Btr. 3, 209 ff. 
5, 322 f. Sie lehren , dass die Königsklöster trotz der Schranken des königlichen 
Wahlrechts und trotz thatsächlich geübter Gewalt des Königs noch gesicherter 
waren, als die ausserhalb des königlichen Mund verbliebenen, namentlich auch 
als die bischöflichen (daher die Privatstiftungen ausserhalb Italiens Bischöfen 
nicht übergeben zu werden pflegten) — was die nicht bedenken, die nur den Köni- 
gen Bruch des Wahlrechts vorwerfen. 



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Aniane unter Karl d. Gr. 37 

ihr verbundenes Wahlrecht, aber nicht für weitergehendes Privileg zur 
Anwendung kam*®). In seiner stilistischen Fassung verrät der Satz 
jüngere Hand. Denn da bei Empfang des geistUchen Standes, des sacer 
ordo, der Abt vom Mönch sich nicht unterschied, die Weihe zum Kle- 
riker liturgisch und in ihren Rechtsfolgen bei beiden gleich war, so hat 
die Abhebung des Abts von den Mönchen (aut ipsi aut monachi) nur 
Sinn, wenn unter der Ordination des Abts eben nicht die Klerikerweihe, 
sondern der Empfang der zum Regimentsantritt erforderlichen Segens- 
spende verstanden ward. Aber die Einsegnung des Abts heisst zwar früh 
in den Acten der päpstlichen Kanzlei ordinatio, dagegen in Frankreich 
und auch in England damals noch benedictio*^). 

Indes nicht die Fassung, sondern der Inhalt ist's, was diese Bestimmung 
ebenso wie jene über die Wahl eingehender Erörterung wert macht. Er 
widerspricht der unbestrittenen Thatsache, dass Vorrechte, die ein Kloster 
der geordneten Gewalt des Sprengeloberen entzogen, seine ausschliessliche 
Befiignis der Weiheerteilung aufgehoben hätten, kein Karolinger König aus 
eigener Machtvollkommenheit gewährt hat. Nur Gewährungen des Bischofs 
von Rom haben Kppin, Karl und Ludwig ihre Anerkennung nachfolgen 
lassen. Im 11. und 12. Jahrhundert, wo bei zunehmender Beruiung auf 
Exemtionen der Ursprung der Exemtion zur Erörterung kam, kannte 
man nur unechte oder von geistlicher Stelle gekommene, namenthch 
päpstliche*^). Uns sind aus vorkarolingischer Zeit fast nur bischöf- 



40) Sickel UL. S. 168: nach demselben (Btr. 3, 200) begründet denn diese 
Arenga bei Diplomen anderen Inhalts Verdacht der Verunechtung, der freilich 
da von ihm gegen das vorliegende nicht ausgesprochen wird. 

41) Vit. Maximini Miciacens. prior, c. 6 § 17 (Mab. AA. 1, 567) qua bene- 
dictione patres confirmari solent monasteriorum; Beda h. abb. Bened. pp. § 11 
und 20 00. bist. ed. Stevens. 2, 151. 160 benedictio consueta, solitaj Mühlb. No. 
575. (Umgekehrt allerdings in Formeln wie Marculf ü, 1 Zeumer 72 1. 21 und 
sonst benedictio auch von Priesterweihe.) Nur im Sinne von Einsetzung, Ernen- 
nung steht ordinäre abbatem in den Anm. 33 angeführten Bischofsprivilegien, 
gleichwie ordinäre episcopum von der Handlung des weltlichen Herrschers in dem 
bekannten Edict Chlotars IL und Synod. Suess. Boret. I, 21 1. 5. 29 1. 19 f. Auch 
die Benedictina, (die die Einsegnung des Abts noch nicht kennt), kann c. 64 ed. 
Wölfl. 1. 15 unter ordinatus autem abbas nichts anderes verstehen als das, worauf 
am Anfang des Capitels abbatis ordinatio und worauf c. 65 1. 28 abbas ordinet 
sibi praepositum geht, d. h. Bestallung, dort durch Wahl, hier durch Ernennung. 

42) Richard. Cantuar. Ep. (in Petri Blesens. 00. Bibl. PP. ed. Colon. Agripp. 
XII, 2, 755 Ep. 68): monasteria . . hoc beneficium damnatissimae libertatis sive 
apostolica auctoritate sive, quod frequentius est, bullis adulterinis adepta sunt. 
Mit Übertreibung der Zahl Gregor VII. Ep. II, 69 (Jaff6 2, S. 191) sancti patres 
plerumque . . religiosa monasteria de subjectione episcoporum diviserunt und mit 
Übertreibung des Alters Petr. Vener. Ep. I, 28 (Bibl. Clun. S. 677) longe ante 
Cluniacum conditum . . antiquiores . . Rom. ecclesiae praesules. — Unecht ist 
namentlich das Privileg Leos III. für St. Riquier (Jaffe-Loewenf. No. 2504), das 
noch Waitz VG.« III, 434 und MG. Scr. XV, 175 nt. 1 benutzte, aber Mühlbacher 
No. 361 d mit Recht verwarf. Zur Verwerfung nötigt (denn noch Dümmler Poet. 
1, 355 nt. 5 und v. Simson Karl 2, 226 nt. 4 fragen nach dem Grunde) ausser man- 
cher Einzelheit (Aufhebung des bischöflichen jus synodale, Übertragung der Seel- 



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38 Erstes Gapitel. 

liehe *^) erhalten, und aus der Zeit der früheren Karolinger nur päpstUche, 
ihrer zwei: das vielumstrittene Privileg des P. Zacharias für Fulda, das denn 
die weltlichen Herrscher von Pippin bis Ludwig nie versäumten als die 
Grundlage dessen zu bezeichnen, was sie nicht sowohl selbst gewährten, 
als was sie eigentUch nur zur Verkündigung brachten, und das Privileg 
Hadrians I. für die dem Kloster St. Denis gehörigen Kirchen im Veltlin, 
die „sub nullius jure vel dioceseos" sein sollten*^). 

Die Ungewöhnlichkeit der Exemtion Anianes erhellt auch bei einem 
Blick auf die sog. Römerklöster. Deren giebt es unter den fränkischen 
Klöstern des 9. Jahrhunderts an sich sehr wenige von sicherer Kunde. 
Denn durch Trübung der ÜberUeferung hat nachmals, als niemand mehr 
wusste, dass vor P. Nikolaus I. die fränkischen Klöster nur spärUch, 
im Verhältnis zu ihrer Menge sehr spärUch Verkehr mit dem päpstUchen 
Stuhle hatten (in der Lebensgeschichte Benedicts von Aniane erinnert 
nichts, kein Wort, kein Name daran, dass es ein Papsttum gab), manches 
unter ihnen sich als Allod des h. Petnis, was es vorgeblich seit langem 



sorge in der Villa an den Abt) die Unverträglichkeit dessen, was Leo da in erster 
Linie gewährt haben soll, nämlich die Enthebung dos Klosters aas der dominatio 
regum, mit dem uns bekannten Kechtsstande des Klosters. Es gehörte nach wie 
vor Leo unter die monasteria nullius juris, die den königlichen gleich behandelt 
wurden: Angilbert bekennt (Scr. XV, 174), dass der Herrscher, K. Karl, es ihm 
,ad gubernandum commisit**, und noch Hariulf, der dies Bekenntnis in seine 
Chronik aufnahm, weiss das Verhältnis nicht anders: der König, und niemand 
sonst, hat nach ihm die Anlegung des berühmten Besitz Verzeichnisses verlangt 
(II, 4. III, 3 Dacher. Spicil. ed. n. II, 304. 310). unter Ludwig d. Fr. kam es 
„beneficio regis* an Erich (Mirac. ö. Richar. I, 1 Scr. XV, 916), nach Ludwig er- 
scheint es meist in der Hand von Verwandten des Königs (Bouqu. VIII, 468. 539. 
606. 624). 

43) Bischöflichen Ursprungs sind die Exemtionen der vornehmlich för 
Briten begründeten Klöster Rebaix, Murbach, Arnulfsau (Pardess. II, 39. 352. 408 
No. 275. 543. 596). Zweien unter diesen gingen allerdings königliche Privilegien 
voran. Der für Murbach das Theoderichs IV., wie Rettb. 2, 675 hervorhob (M. G. 
Dipl. Mer. 85 No. 95); aber dies nimmt seinerseits Bezug auf ein , proprium Privi- 
legium, quod . . ostenderunt*, und es beschränkt überdies die Freiheit der Be- 
rufung eines beliebigen Bischofs zu Weihehandlungen auf den Fall, dass der 
zuständige Entgelt fordere. Dem Privileg für Rebaix, wie Sick. Btr. 4, 569 be- 
merkt, das K. Dagoberts (Dipl. Mer. 16 No 15), aber dies rührt gar nicht an die 
kanonische Gewalt des Bischofs. Das einzige nichtbischöfliche Privileg, das frei- 
lich die gleiche Exemtion wie die für die sog. Britenklöster enthält, das für 
Flavigny (Pardess. II, 399 No. 587), ist wenigstens mit Zustimmung ,der Bischöfe 
Galliens" erteilt worden und trägt die Unterschrift des Sprengel bischofs, der also, 
wie die Aussteller jener, selbst sein Recht aufgab. — Bestätigungen der Karolinger 
Könige sind für keins dieser Privilegien auf uns gekommen: die als solche von Rettb. 
2, 89 für das Murbacher angezogenen Diplome enthalten nur Immunität (Mühlb. 
No. 94. 140. 178. 604); Rebaix hat, möglicherweise infolge des Verfalls seiner 
Ordnung, unter Ludwig d. Fr. und Flavigny unter dessen Sohne Karl die Selb- 
ständigkeit überhaupt verloren (Trsl. S. Viti in Jaffe Bibl. I, 14. Bouqu. VIII, 503. 
657. No. 86. 269). 

44) Mühlb. No. 70. 439. 973. Jaffe-Loewenf. Reg. No. 2443 (vgl. Sickel zu 
K. 39. Reg. S. 242). 



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Aniane unter Karl d. Gr. 39 

gewesen, also an der Hand des obersten Bischofs der Hand des Sprengel- 
bischofs zu entziehen gesucht. Unecht ist z. B. ein Diplom Ludwigs d. 
Kindes, wodurch dieser bezeugen soll, dass Karl d. Gr. St. Emmeram 
der römischen Kirche übergeben habe. Selbst gegen die Erzählung der 
Nonne Hrotsvit, Gandersheim sei auf Begehr seiner Stifter schon von 
P. Sergius II. (844 — 847) unter die „ditio rectoris apostolici ad defen- 
dendum pariterque regendura" genommen worden, treten Diplome König 
Ludwigs d. J., durch die dieser, etliche dreissig Jahre nachher, seinen Schutz 
verleiht*'^). In Septimanien, der Landschaft Anianes, erlangten die Mönche 
von La Grasse im 12. Jahrhundert auf Grund einer vorgewendeten „Dar- 
bringung" des Klosters, die der angebUche Stifter, Karl d. Gr., dem 
h. Petrus gemacht, eine teilweise Enthebung aus der bischöflichen Gewalt. 
Aus noch grösserer Nähe Anianes besitzen wir von St. Thibery die ge- 
fälschte Schutzeserteilung wiederum eines P. Sergius, die es sich wahr- 
scheinhch im Streit mit dem Sprengeloberen, dem Bischof v. Agde, 
zugerichtet hat**). Zweifellose Römerklöster sind im 9. Jahrhundert 
Vezelay seit Nikolaus I. und Andlau seit Johann VIII.; aber da päpst- 
hche Urkunden für Vezelay nur nach alter Weise dem Missbrauch der 
Gewalt des Sprengelhirten wehren und da sie in einer kaiserlichen für 
Andlau gar keine Einschränkung erhält, so darf man gerade von ihnen 
abnehmen, dass auch höchstgefreiete Klöster damals noch nicht die freie 
Wahl eines Bischofs zur Einsegnung des Abts besassen*'). 

45) Mühlb. No. 1959 (vgl. Sick. Btr. 5, 331 nt. 2). Hrotsv. de primord. Gan- 
dersh. (M. G. Scr. IV, 309) v. 154. 178 f. (dagegen Mühlb. No. 1508. 1509 vgl. 
Cap. II Anm. 41). Vorangegangen ist den Klöstern in diesen Fälschungen ein 
Papst, Johann VIII., der in der Synode von Troyes 878 (Hinkm. ann. z. d. J.) auf 
Grund eines Machwerkes St. Denis gleichfalls als Schenkung Karls d. Gr. an seinen 
Stuhl in Anspruch nahm. • 

46) Jaffe-Lf. Reg. No. 6663. 2595 (vgl. No. 6514). 

47) Jaff6-Lfd. No. 2831. 3189. Mühlb. No. 1635. Für .weltliches Schutzver- 
hältnis* zum Papste fand Sickel Btr. 4, 613 erst hundert Jahre nach dem angeb- 
lichen Privileg Stephans IL für Fulda (Jaffe-Lfd. No. 2319), also erst in den fünf- 
ziger Jahren des neunten Jahrhunderts ein Beispiel. Er nennt keinen Namen. 
Meinte er Montieramey, so erteilt allerdings ein Schreiben P. Leos IV. (vor Juli 
855: Jaffe-Lfd. No. 2657) zur Weihe dieses „in rebus S. Petri* erbauten Klosters 
dem Bischof von Troyes, als ob sie dem nicht von Rechtswegen zugestanden hätte, 
erst Auftrag, noch dazu mit einem Vorbehalt, der dies Verhältnis wahrt (ut semper 
sub jure et potestate Romanae eccl. consistat). Aber Bedenken gegen die Dichtheit 
des Schreibens weckt eine Urkunde Karls d. K. von 864 (Böhmer No. 1720), die 
das Kloster in völlig anderer Rechtsstellung erscheinen lässt, da sie kein päpst- 
liches, sondern nur ein bischöfliches Privileg kennt und daraus nur Wahlfreiheit 
anführt; noch mehr eine Urkunde Johanns VIII. von 878 (Jaffe-Lfd. No. 3185), die 
erst den apostolischen Schutz gewährt und dabei dem Sprengeloberen nichts als 
die Forderung von Entgelt bei Weihen untersagt. — Gar noch in den Tagen 
Karls d. Gr. soll ein Graf Bera samt Gattin für das von ihnen dem päpstlichen 
Stuhle geschenkte Kloster Alet in Septimanien den Befehl zur Weihe erst aus Rom 
erwartet haben (H. d. L. IIb 79 No. 23: te domine pontifex praecipiente). Doch 
auch gegen diese Urkunde regt sich starker Verdacht, da sie, abgesehen von dem 
zoitwidrigen Dei gratia vor comes und abgesehen von comitissa (Cap. III A. 9 u. 
22), ohne Verweis auf eine vom König erteilte Immunität Immunitätsrechte dem 



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40 Erstes Copitel. 

Nach dem Besitz dieses Rechts zu verlangen hatte weder Abt Bene- 
dict noch alsbald einer seiner Nachfolger Anlass, Denn ein Gelübde 
des Gehorsams bei Einsegnung des Abts zu fordern, das im 11. und 
12. Jahrhundert den Mönchen die Umgehung des Sprengelhirten wün- 
schenswert machte, war noch nicht Brauch der Bischöfe des 8. und 9. 
Sonst müssten die klösterHchen Privilegien und Privilegienformeln, die 
der Heischung von Entgelt und anderer Ungebühr des Bischofs mit Nach- 
druck entgegentreten, auch die MögHchkeit ins Auge fassen, dass er 
bei Auflegung eines Gelöbnisses dessen Band überspanne. Das Privileg 
des P. Nikolaus I., welches das Kloster St. Calais in seinem Streite 
'gegen die Bischofskirche Le Mans gegen Übergriffe sichern sollte, unter- 
sagt neben dem Ansinnen eines Entgelts nur die Verzögerung der 
Segenspende *^). 

Demnach geht auch diese Bestimmung des Diploms für Aniane 
über das gewöhnliche Mass .der damaligen Privilegien hinaus. Sie ist 
unzeitgemäss, mag man nun auf die Befugnisse sehen, !die ein karo- 
hngischer Herrscher sich zusprach, oder auf das Bedürihis, das ein Kloster 
im achten Jahrhundert empfand^®). 

Das Bedürfais stellte sich erst im elften ein, als Aniane, schon im 
zehnten sichtlich zurückgesetzt von den Bischöfen von Maguelonne, die 
zwar anderen Klöstern, aber nicht ihm Spenden machten oder Spenden 
Dritter durch ihre Gutheissung sicherten ^% endlich in ausgesprochenen 
Gegensatz zur Sprengelgewalt geriet, der hier auch Fälschungen päpst- 
licher Privilegien zeitigte. 

Kloster (und dem Orte) sub apostolica defensione gewahrt wissen will (bedenklich 
auch „als Bitte an die höher berechtigten Gewalten" so Waitz VG.-4, 299. Eine 
Schenkung an den päpstlichen Stuhl kennt noch Leo IX. nicht (1050 No. 4211), 
erst Calixt IL (1119 No. 6701). 

48) Jaffe-Lfd. No. 2735. Ganz der Andeutung einer Segenspende enthielten 
sich Ludwig d. Fr., als er Ste. Colombe zu Sens, und sein Sohn Karl, als er Man- 
lieu und St. Chaffre dem erschlichenen Mundium der Bischofskirche enthob (Mühlb. 
No. 930. Böhm. No. 1821. 1823). 

49) Das ist mein Gegensatz zu Sickel, der zu K. 115 sein früher gegen das 
Diplom geäussertes Bedenken fallen lässt: in seinen Auszug hat er zwei der eigen- 
artigsten Bestimmungen (do qualicunque loco vor eligendi, dann et monachorum 
ipsorum nach ordinationem) gar nicht aufgenommen. Auch Mühlbacher (No. 309) 
überging sie; auch er beschränkte die Annahme von Interpolation auf die Invo- 
cation und die Recognition. Nur Nicolai (Benedict von Aniane S. 34) behauptete 
Verunechtung, aber ohne Beweis dafür zu bringen, daher nicht nur Sickel und 
Mühlbacher, sondern auch Waitz (in der Neuausgabe der Vita Ben.) ihn unbeachtet 
lassen konnten. 

50) Durch einen Bischof von Maguelonne ist Aniane so wenig bereichert 
worden, wie Cluny durch einen Bischof von Mäcon. Dagegen beschenkte Bischof 
Petrus samt seiner Mutter nahe dem Ende des zehnten Jahrhunderts das Kloster 
Gellone: der nämliche Petrus erscheint bei der Gründung des Klosters St. Genies 
des Mourgues und der Überweisung von St. Genies an Psalmodi als erster oder 
zweiter der Zeugen (H. d. L. V, 311. 368. No. 147. 176). 



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Zweites Capitel. 

Aniane im Zeitalter des Investitarstreites. 



Der Kampf hatte mannigfachen Anlass und Gegenstand. Er betraf 
nicht nur den Besitz einzehier Leutkirchen, die der Bischof und seine 
Geistlichkeit in Anspruch nahmen, als der Domklerus sich von neuem zu 
gemeinsamem Leben vereinigte und nun zur Ausstattung dieser Körper- 
schaft hier wie anderwärts der Ertrag von Pfarreien herangezogen ward ^). 
Die Irrung griff weiter und höher. Der amtliche Bericht über eine 1095 
in der Kirchenversammlung von Olermont vor Urban 11. gepflogene 
Verhandlung lehrt, dass sich der Bischof von Maguelonne bereits unter 
P. Alexander IL, demnach zwischen 1061 und 1073 über „unerträgliche 
Anmassung und Unbotmässigkeit des Abts und der Brüder von Aniane" 
beschwert hat, da sie aus der christlichen Gemeinschaft Ausgeschlossene 
bei sich auftiähmen und ihre Weihen statt von seiner Hand anderwärts 
suchten. Er erzählt, dass sie, trotzend einem schon von Alexander erhal- 
tenen Verweise, ihre Missachtung kirchlicher Ordnung fortsetzend und 
überbietend, sich unter Vorwendung eines Privilegs das Recht zusprachen, 
Sündern Busse zu bemessen und Lösung zu gewähren oder auch den 
Bann über sie zu verhängen, auch Angehörigen fremder Pfarreien 



1) Die Übertragung klösterlicher Einrichtung auf den Kathedral-Klerus, die 
ihn dem Mönchtum annäherte, enthielt doch, da sie eine Mehrung seiner Aus- 
stattung durch die Bischöfe forderte, wozu diesen zwischen ihnen und den Klö- 
stern strittiges Gut eben recht dünkte, zugleich einen Grund der Entzweiung 
auch zwischen den Eathedralstiftern und den Klöstern. 1099 ward bekundet, dass 
schon in vergangenen Tagen (denn um die Mitte des 11. Jahrh. suchte Bischof 
Amald von Maguelonne das gemeinsame Leben wiederherzustellen) die Geistlich- 
keit des Domes und das Kloster sich gestritten hätten um die Kirche des h. Cos- 
mas (H. d. L. V, 761, wo aber, wie auch im Blattweiser, irrig Sae Cosinae: eine 
Heilige dieses Namens müsste noch gefunden werden; richtig Gariel series episc. 
Magal. I, 133). Diese Kirche erscheint denn später unter den Gütern des Dom- 
kapitels (Gariel I, 117 vgl. Gall. ehr. VI, 742 B), sie ist keine andere als die im 
Chron. Magalon. (H. d. L. V, 57) erwähnte. 



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42 Zweites Capitel. 

in ihrem IViedhofe ein Grab zu bereiten: den Schluss bildet die Ent- 
scheidung Urbans, gleichlautend der von ihm angezogenen seines Vor- 
gängers, wie diese zu Ungunsten des Klosters, da sie die Vernichtung des 
Privilegs gebietet und den Abt dem Bischof pflichtschuldigen Gehorsam in 
allen diesen Stücken vor den versammelten Vätern zu geloben heisst^). 

Der Bericht stammt aus dem Archive der Bischofskirche. Aus dem 
Archive des Klosters sind uns an Zeugnissen des Streites zwei Urkunden 
früherer Päpste gekommen, Johanns XV. von 992 und Nikolaus' II. von 
1061, die in den nämlichen Beziehungen, in denen dort der Brüderschaft 
von Aniane vermessenes Überspringen der Schranken des Rechts vor- 
geworfen wird, und noch in einigen anderen, ihr vielmehr völhg un- 
beschränkte Befugnis erteilen^). 

Der Bericht und die zwei Urkunden können nicht neben einander 
bestehen, obgleich noch die neueste Sammlung der päpstlichen Regesten 
alle drei als echt aufiiihrt. Folgen wir dem Bericht, so ist vor die Augen 
dessen, der doch der Nachfolger des späteren unter den zwei angeblichen 
Gönnern Anianes auf dem päpstlichen Stuhle war, Alexanders II. gar 
kein Privileg gekommen, und noch vor Urban II. wenigstens keins, das 
das Recht gewährt hätte, von einem fremden Bischof Weihehandlungen 
vornehmen zu lassen. Folgen wir den Urkunden, so konnte Alexander 11. 
nicht bare Eigenmacht den Mönchen vorwerfen (nuUa fulti autoritate) 
und Urban II. nicht von einem vorgewendeten Privileg reden (obtento 
privilegio). 

Nun giebt der Bericht keinen Anstoss. Weder im Inhalt: denn die 
Päpste Alexander und Urban wahren nur, wie der ältere unter ihnen 
sich ausdrückt, kirchenrechtHch überkommene Ordnung und Einrichtung 
(canonicae traditionis instituta). Noch in der Fassung: vielmehr empfiehlt 
sich gerade diese durch die Masshaltung sowohl gegenüber dem unter- 
liegenden wie dem obhegenden Teile, indem Urban dem Kloster den 
Fortbesitz aller mit dem Rechte übereinstimmenden Befugnisse sichert, 
indem Alexander dem Bischof das schlichte Zeugnis giebt, dass er von 
der römischen Kirche anerkannt werde, nichts weiter. Es ist der reine 
Atem richterlicher Entscheidung. 

Dagegen regt sich gegen die Urkunden, wenigstens in dem, was hier 
in Frage kommt, schwerster Verdacht. Die Erlaubnis, bei Weihehand- 
lungen den Sprengelhirten zu umgehen, schliessen sie unmittelbar an die 
Befugnis der Abtswahl nach der Regel des h. Benedict, und die so ver- 



2) Jaffe-Lfd. No. 5588 vgl. 4713. 

3) Ebenda No. 3844 und 4466: das letztere Stück ist, wie auch II S. 771 be- 
merkt wird, jetzt abgedruckt von v. Pflugk-Harttung (Acta III, 9 No. 15), der 

reilich Aniane mit dem (damals von Chorherren besetzten) Stifte Si Aniani ver- 
wechselt (S. 437 steht gar „Gellonensis locus et mon. St. Aignan d'Orleans**): er 
unterlässt auch die Vergleichung mit No. 3844, das zum Teil bessere Lesarten 
bietet, z. B. marinis stagnis statt m. stagneis, pertinere vel possideri st. p. v. pos- 
sidere, et sie ipse abbas si religionis st. e. ut a. religionis, cujus diocesis ipsa per- 
sona st. cujus ipsa persona. Voraus vor No. 3844 hat No. 4466 eine Verfügung 
über Gellone (die ich Cap. V Anm. 82 beurteile) und deshalb danach noch einen 
zweiten Segenswunsch. 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 4S 

einte Gunst begründen sie durch den Hinweis auf die im Lande herr- 
schende „haeresis simoniaca", die „omnino temperantiae discretionisque 
modum ignorat". Mag es noch hingehen, etwa als Unbeholfenheit des 
Schreibers, dass so ein Gradunterschied der Simonie gesetzt, die Erträg- 
lichkeit einer massigen zugestanden, die Unbezwingbarkeit der unmässigen 
beinahe eingestanden wird, wozu sich freihch Nikolaus II. in der frischen 
Zeit des Kampfes gegen die Simonie kaum herbeigelassen hat. Aber 
in der Sache läuft es wider allen Brauch, die Gewährung des Wahlrechts^ 
das in der Regel des h. Benedict ausreichende Begründung hatte, durch 
einen Umstand so besonderer Art noch zu rechtfertigen, damit es al& 
Damm wider den Einfluss von Simonisten diene. Bei BewiUigungen 
von Vorrechten, die sich auf Weihehandlungen beziehen, pflegen aller- 
dings die Päpste des 11. und 12. Jahrhunderts die Simonie zwar nicht 
mit ihrem Namen anzuführen, doch thatsächlich im Auge zu haben, indem 
sie die Benifung eines fremden Bischofs gestatten, wenn der eigene 
Entgelt fordere. Aber immer sehen sie da wie einem Ausnahmefalle 
vor: dagegen sollen hier Johann XV. und noch zwei Menschenalter 
danach Nikolaus IL, die gar nicht erst ein Ansuchen beim zuständigen 
Oberen zur Voraussetzung nehmen und die Vergeblichkeit des Gesuches 
bedingen, diese von vornherein gewärtigt haben, als ob die Simonie am 
Stuhle von Maguelonne hafte, einem Erbübel gleich den Wechsel der 
Inhaber überdauere. Solche Besorgnis würde am übelsten den einen 
dieser Päpste kleiden, Johann XV., der nach dem Zeugnisse Aimoins in 
seiner Lebensgeschichte Abt Abbos von Fleury zu allem käuflich, Simonist 
in grossem Stile war. Und Nikolaus IL konnte ihr bei aller ihn kenn- 
zeichnenden Strenge wenigstens nicht so ausschweifende Fassung geben^ 
durch die er eine grosse Zahl von Bischöfen, sie alle über das Land 
hin, jetzt waltende und abgegangene, verworfen hätte. Bis in seine Zeit 
hinein, ungefähr bis 1059 waltete zu Maguelonne Bischof Amald, der noch 
in seinen letzten Jahren auf Kirchenversammlungen der Provinz und im 
eigenen Sprengel wider die Simonie und die Priesterehe rang. Dass 
Amalds Nachfolger, Bertrand, dessen früheste Anfänge nur P. Nikolaus 
hätte trefien können, schon da die Schelte verdiente, mit der allerdings 
Spätere seinen Namen begleiten, auch die Benedictiner von St. Maur^ 
ist mir sehr zweifelhaft: denn noch lange danach, fünf und ein halb Jahr 
nach dem Datum der angeblichen Urkunde dieses Papstes, hat Bischof 
Bertrand den Streitern gegen die Simonie in dem Nachbarsprengel Nimes 
an einem namhaften Kloster Boden fassen helfen: unter seiner Teilnahme 
und Gutheissung erfolgte Dez. 1066 die Übergabe des Klosters St. Gilles 
an Abt Hugo von Cluny, und er erscheint da in einer Gesellschaft, die 
sich mit Simonisten nicht zu bemengen pflegte, neben dem Erzbischof 
Raimbald von Arles, der den Titel eines Vicars der römischen Kirche 
noch unter dem Eiferer Alexander IL führen durfte, neben .Bischof Du- 
rand von Toulouse, einem Zögling von Cluny, neben den Abten Bern- 
hard von St. Victor und Frotard von St. Pons, die bald Gregor VIL 
unter die verlässhchsten Stützen seines Kirchenbaues zählte*). 

4) H. d. L. V, 643. Durand noch als Abt und Bischof monachus Clunia- 
censis V, 471. 833. — Dass Bertrand schliesslich wegen Simonie abgesetzt worden 



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44 Zweites Capitel. 

Andere Stücke dieser Urkunden sind gleichfalls bedenklich. Ich 
gehe auf sie nicht ein. Beiläufig weise ich nur auf die Erlaubnis, in 
Zeiten des Interdicts Gottesdienst abzuhalten, die schon Johann XV. 
im Jahre 992 gewährt, in einer Fassung gewährt haben soll, welche den 
Eindruck macht, als ob das Interdict damals bereits allgemein bekannt 
und in die Ordnimg der Kirche eingebürgert gewesen sei, während es 
in Wahrheit noch 1031 so neu war, dass, als es da von einer Kirchen- 
versammlung zu Limoges angedroht ward, die Wirkungen, die es haben 
sollte, im einzelnen ausgeführt und beschrieben werden*^). 

Dass Urkunden der Päpste Johann XV. 'und Nikolaus II. nach 
Aniane gekommen sind, bestreite ich nicht: die in den schwierigsten 
Protokollteilen fast tadellose Richtigkeit der vorliegenden macht es eher 
wahrscheinlich®). Aber inhaltlich sind sie verunechtet. Die Einfügung 
der Vollmachten zu geistlicher Strafrechtspflege imd zur Bestattung im 
klösterlichen Friedhofe erfolgte erst nach der Entscheidung Alexanders 11., 
dem sie noch unbekannt waren, also nicht vor Spätjahr 1061, möghcher- 
weise nicht vor April 1073, aber noch vor der Kirchenversammlung zu 
Clermont 1095, wo sie zum Vorschein kamen. Fortsetzung erhielt die 
Fälschung nach der Verhandlung zu Clermont, wenn man den Bericht 
über sie streng wörtlich auslegen darf, durch die Mehrung um den die 
Weihehandlungen betrefienden Satz, für den in dieser Verhandlung ein 
Privileg nicht angezogen worden ist. 

Ist nun gleichzeitig mit der Einschaltung dieses Satzes, also erst 
nach dem Ende des 11. Jahrhunderts das (in Cap. I besprochene) Diplom 
Karls d. Gr. durch die nämhche Bestimmung und durch die Ausdehnung 
des Wahlrechts erweitert worden? 

Die Antwort würde sehr leicht sein, sie würde unbedenkhch ver- 
neinend ausfallen, wenn es zuträfe, was noch neuerdings behauptet wird, 
dass die oben angeführte Urkunde Karls d. K. für das Kloster Vabre, 
eine Fälschung, der erweislich Karls d. Gr. Diplom für Aniane als 
Muster diente, schon zu Anfang des 10. Jahrhunderts vorhanden gewesen '): 

sei, berichtet erst Arnald de Verdala, einer seiner Nachfolger im 14. Jahrhun- 
derfc. — Der Vorwurf der Simonie wider die Gegner ein Behelf auch in dem an- 
geblichen Brief Abt Emenos vod Aniane Cap. V A. 86. 

5) Die Urkunde Johanns XV. würde die früheste sein, welche die Einstellung 
der Öffentlichen Functionen der Kirche in einer ganzen Provinz als bestehendes 
Zuchtmittel bezeugte, immer noch vorangeheud der von Kober Arch. f. kath. KR. 
21, 42 als erste angeführten Gregors V., von der wir nur den Inhaltsbericht 
Aimoins haben (Jaffe-L. 3872: und von diesem Bestandteil der Urkunde weiss die 
Vita Gauzlini N. Arch. 3, 357 nichts). Auffällig ist hier auch, dass zum Dank für 
die Erlaubnis ein Gebet für das Heil der römischen Kirche bedungen wird, was 
an Urbans II. Urkunden für Cluny erinnert (Jaffe-L. No. 5349. 5371. 5682), der 
bekanntlich allezeit Wert auf die Fürbitte Cluny s legte. 

6) Die Verkürzung der Datumzeile No. 3844 kann auf Rechnung des Ab- 
schreibers gesetzt werden. Bedenklieh ist aber noch im Text die päpstliche An- 
rede tuae fraternitati (wie wiederum Urban II. in Briefen an seinen ehemaligen 
Oberen Hugo von Cluny i statt tuae dilectioni. 

7) Böhmer No. 1713: obgleich schon 1864 Sickel (Btr. 3, 250) die ünechtheit 
dargelegt hat, wird es H. d. L. IV (1872), 566 und, unter blossem Abzug des 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 45 

dann stiege das Anianer Urbild, in der Gestalt wie wir es haben, wohl 
gar in das 9. hinauf. Aber die Urkunde für Vabre steht mit dem aben- 
teuerlichen Bericht über die Gründung dieses Klosters, dem sie eingereiht 
ist, auch in innerem Zusammenhange, und dieser Bericht kann nicht in, 
sondern muss lange nach dem Anfange des 10. Jahrhunderts entstanden 
sein: denn das wichtigste Ereignis der Landschaft, das noch das erste 
Drittel des 10. Jahrhunderts kennzeichnet, oder vielmehr eine lange Folge 
von Ereignissen, ich meine den wiederholten Einbruch der Normannen^ 
erscheint bereits verblichen, in undeutliche Erinnerung zurückgetreten®). 
Die Urkunde selbst, fast durchaus Abklatsch des Anianer Diploms, weist 
an einer der wenigen Stellen, wo sie von diesem abweicht, auf ein Be- 
dürfnis, das sich erst im zwölften Jahrhunderte einstellte. Denn wenn 
den Immunitätsbereich des Klosters weder ein Graf oder Bischof noch 
ein Abt (nee abbas), natürlich ein fremder, betreten soll, so erklärt sich 
das nur durch die Irrungen zwischen Vabre und dem mit Aufsichtsgewalt 
betrauten Abt von St. Victor zu Marseille, die sich nicht vor 1120 
unserm Auge aufthun ®). 



Hcrrschertitels (wie Cap. I A. 8 bemerkt), 11^ (1876) 326 als echt genommen. Nach- 
gebildet ist nun die Fälschung nicht (so Sickels Annahme) «einem mit dem för 
Aniane identischen Diplome* (so dass noch andere desgleichen vorhanden gewesen 
wären), sondern geradezu dem in Aniane selbst verunechteten. Das enthebt allem 
Zweifel der Umstand, dass andere Stücke des Gründungsberichts über Vabre fast 
wörtlich der das Diplom für Aniane umschliessenden Lebensbeschreibung Abt 
Benedicts entlehnt sind. So das, was H. d. L. IIb 326 zum Diplom überleitet 
„abiit — continentem aus Vit. Bened. c. 18, dann col. 328 haec gloriosissimus — quan- 
tocius monasterium aus Vit. c. 19, dann cognoscat quisquis — narratum est aus Vit. 
c. 18, endlich sedulo considerare libet — pater est monachorum aus Vit. c. 17 
(natürlich unter Veränderung der Namen der Heiligenpatrone). In das Diplom 
hat denn def Fälscher zu Vabre auch die Worte supradictus venerabilis Adalgisus 
aus dem für Aniane (supradictus ven. Benedictus) genommen, obgleich vorher 
nicht, wie in der Narratio der Anianer Urkunde vom Abt Benedict, in der Narratio 
der seinigen von Adalgisus die Rede war. — Vabre und Aniane lagen nicht weit 
von einander, die Sprengel, zu denen sie gehörten, trennte nur der winzifj^e Sprengel 
von Lodäve. 

8) Die Neuausgabe der H. d. L. IIb col. 323 wiederholt die Ansicht der alten, 
dass der Bericht zu Anfang des 10. Jahrh. niedergeschrieben sei. Indes wenn es 
im Eingange heisst , Tempore quando . . ab aquilonis cardine diffusa gens Mar- 
chomanorum . . Galliamque introgressa, , . per omnes pene pagos juxta Gallicum 
oceanum dispersae sunt ecclesiae*, so ist die Flut längst vorüber und nicht mehr 
bekannt, dass sie sich so sehr wie über die „Gaue am Saume des gallischen 
Ozeans* auch in verschiedenen Strömen vom Meere her weit in das innere Land 
ergossen hat. Nun weiss aber selbst im fernen Reims Flodoard, dass im ersten 
Drittel des 10. Jahrh. Aquitanien, die Landschaft des Klosters, in die Auvergne 
hinein und mindestens bis Limoges überzogen wurde (Annal. 923. 930 SS. 111^ 
371. 379). 

9) Jaff6-Lfd. No. 6819. Viel früher können sie nicht ausgebrochen sein, da 
Vabre nicht vor 1061, vielleicht erst 1082 dem Kloster St. Victor übergeben ward 
(Collect, des cartul. IX, 181 vgl. 200) und die Unterordnung lange Zeit ungestört 
blieb (IX, 134 longo quondam tempore subditum et sub disciplina constitutum). 
Auffö,llig ist, dass der Gründungsbericht und die Urkunde in der Neuausgabe der 



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46 Zweites Capitel. 

Demnach könnte auch Karls d. Gr. Diplom für Aniane seine Ver- 
imechtung nach der Kirchenversammlung von Clermont, etwa im Anfange 
des zwölften Jahrhunderts erfahren haben. 

Indes viel Wahrscheinlichkeit hätte ein so später Ansatz nicht Die 
Verunechtung würde dann in eine Zeit fallen, in der, wie eben der Be- 
richt über die zu Clermont auf die Klage des Bischofs von Maguelonne 
«ingeleitete Verhandlung lehrt, die Entscheidung von Streitigkeiten zwi- 
schen den Klöstern und Bischöfen Frankreichs nicht mehr bei den 
Königen stand, sondern bei den Päpsten, diese Päpste aber, nach einem 
Orundzuge der von ihnen betriebenen Reform, nicht nur den kirchlichen 
Ordnungen der früheren Könige, sondern auch ihren Diplomen, soweit 
sie über ein kirchliches Verfassungsverhältnis Bestimmung enthielten, mit 
ausgesprochener oder vornehm schweigender Missachtung begegneten: bei 
-einem Rechtsstreite vor ihrem Stuhl eine Königsurkunde zu fälschen, 
lohnte sich nicht mehr. Man weiss, dass unter Nikolaus II. die Lateran- 
synode des Jahres 1059 die von Ludwig d. Fr. den Chorfrauen gegebene 
Regel als „das Werk eines Laien" förmhch verwarf. Die von demselben 
Kaiser für die Chorherren getroffene Ordnung wurde von Urban EL, der 
als Geistlicher westfränkischer Geburt und Bildung von dieser, der Ver- 
fassungsgrundlage vieler Domcapitel der Lande nördlich von den Alpen, 
Kenntnis haben musste, in seinen Privilegien für Chorstifter, wo er doch 
die Regeln und Einrichtungen seiner Vorgänger und, weit hinaufgehend, 
auch die der Kirchenväter Hieronymus. und Augustinus preist, nie einer 
Anführung gewürdigt ^*^). Die Diplome kamen am päpsthchen Hofe zwar 
noch fiir Verhältnisse des Eigentums und der Immunität in Betracht; 
aber das mit der Immmiität so oft von den Herrschern zugleich bewilligte 
Wahlrecht ward nicht bestätigt, sondern in der Form von Neuerteilung 
gewährt. 

Insonderheit bemerkt man kein Bedürftiis der Verunöchtung des 
Wahlrechts in der Richtung der Anianer Fälschung, durch eine Erwei- 
terung des Kreises der Wählbaren. Denn die Schranke, die von den 
fränkischen Königen her die Abtswahlen allerwärts beengte, fand an den 
Päpsten des Reformzeitalters nicht mehr strenge Hüter. Vielmehr wur- 
den ihr die älteren Klöster und Stifter nach xmd nach enthoben, für 
eben begründete ward sie kaum noch aufgerichtet, imd nur selten min- 
derte die junge Freiheit der Hinweis auf eine bestimmte, durch Zucht, 
kirchliche Richtung und sonstiges Verdienst hervorragende Genossenschaft^^), 

H. d. L. nicht aus dem Cartular von Vabre (wie die folgende Urkunde col. 329) 
gegeben werden, sondern aus der Sammlung Doat vol. 148 (vgl. Biblioth. d. Tee. 
d. chartes 32, 254), daher es sich fragt, ob sie wirklich, (wie Bouquet 8, 586 an- 
giebt), im Cartular enthalten sind, ob sie nicht erst nach der Anlegung des Car- 
tulars geschmiedet wurden : noch nach der Mitte des 12. Jahrh. bäumte sich Vabre 
gegen St. Victor (Jaffe-Lfd. No. 9886). 

10) Jaffe-Lfd. No. 5459. 5482 (= 5761). 5496: offenbar nach einer Formel, die 
noch Innocenz IL benutzte »No. 8294 vgl. Anm. 39 b). 

11) Die von Cluny, Marmontier, St. Victor zu Marseille in den Privilegien 
Victors n., Nikolaus' IL, Alexanders IL, ürbans IL (Jaffe-Lfd. No.4352. 4458. 4512: 
alle für Vendome), 5560. 



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Aniane im Zeitalter des Investituf Streites. 47 

aus der der Abt, wenn die Berufung eines fremden nötig sei, genommen 
werden sollte. So brachte die römische Kirchenreform auch der Gestal- 
tung des klösterlichen Wahlrechts eine Entscheidung, die einen Abschluss 
für Jahrhunderte ausmacht 

Das erhellt auf den ersten BUck aus einer gedrängten Vergleichung 
der Ordnungen der früheren und der späteren Päpste dieser Periode und 
auch aus der Vergleichung der Ordnungen eines und desselben dieser 
Päpste. 

Leo IX., mit dem ich beginne, wiederholte noch in seinen Privi- 
legien für Fulda, Lorsch, Corbie, S. Salvatore zu Amiata aus den karo- 
lingischen Diplomen die Bestimmung inter se, ex propria oder ipsa con- 
gregatione^^; aber er Hess sie fallen, als er den Klöstern Vezelay, Mon- 
tierender, Charroux, Parva Wahlrecht verUeh, obgleich sie es in karo- 
lingischer Zeit nur mit diesem Zusätze erhalten hatten^*). Die Klöster 
im Bereiche seiner früheren Wirksamkeit und zumal die seiner Elsässer 
Heimat Poussay, Heiligenkreuz bei Woffenheim, St. Odilien und Altdorf, 
dazu noch Heiligenkreuz bei Donauwörth, Alet und St. Sophien zu Bene- 
vent ermächtigte er ausdrücklich, bei Ermangelung einer tauglichen Per- 
sönlichkeit in der eigenen Mitte, sie anderswo zu suchen, »wo sich nur 
eine bessere finde" ^% Victor II. schloss durch eine Bulle für St. Bertin 
die Wahl eines fremden nicht aus, in Monte Casino gestattete er sie, 
ohne sich an das von Karl d. Gr. gegebene Diplom zu kehren, gleicher- 
massen wie Leo IX. in den angeführten Klöstern ^^). Für Cluny, wo 
sich der von Leo gesetzte Fall bei der Menge der eingeschworenen Brü- 
der nicht leicht ereignen konnte und sich, solange es Reform spenden, 
nicht empfangen wollte, auch nicht ereignen durfte, ist er, wenn auch 



12) No. 4170. 4189. 4212. 4232; dieselbe Beschränkuog in Fällen, wo ein 
Karolinger Diplom weniger deutlich lautet oder keins vorhanden ist, No. 4195 (vgl. 
Mühlb. No. 1635). 4262. 4298 a. 

13) No. 4218. 4222. 4223. 4264 (vgl. Böhm. No. 1746. Mühlb. No. 813. 653. 
572: ob Montierender durch Böhm. 1671 volle Wahltreiheit erhalten hat, ist 
zweifelhaft, da dieses Diplom Karls d. K. mehrfacher Verdacht trifft, so wegen der 
Aufzählung der Beamten vgl. Sick. Btr. 5, 331, wegen der schon von Waitz V6.* 
4, 471 gerügten Stelle). 

14) No. 4175. 4201. 4244 (vgl. Mühlb. No. 933). 4273; 4207. 4211. 4276: und 
unter diesen sieben Klöstern sind vier für Nonnen. 

15) No. 4367. 4368 (vgl. Mühlb. No. 276), wiederholt von Nikolaus IL No. 
4397. Ich habe hier nicht zu erörtern, was in der Urkunde für St. Bertin parva 
pars saniori consilio (oder pars sanioris consilii nach der Formel Urbans II. Anm. 
20) bedeute; aber vielleicht war es Vorkehrung gegen einen Missbrauch dieser 
Bestimmung, wenn Calixt IL 1123. 1124 in zwei Urkunden eben für St. Bertin 
(No. 7032. 7167) das Wahlrecht durch die plötzlich wieder auftauchenden Worte 
de sua congregatione beschränkt (obgleich er selbst es früher durch No. 6769 frei- 
gegeben hatte, wie Urban IL und Paschal IL No. 5628. 6323): wollte dieser Papst, 
der Bruder der Gönnerin des Klosters, der Gräfin dementia von Flandern, in der 
Zeit noch währenden Kampfes der Mönche von St. Bertin mit Cluny sie dadurch 
sichern gegen die Berufung eines Mönches aus Cluny durch eine Partei, die in 
St. Bertin für Cluny vorhanden war? Die Urkunden seiner Nachfolger nach der 
Entscheidung des Streites No. 8016. 8483. 15145 haben diese Schranke nicht mehr. 



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48 ' Zweites Capitel. 

nicht ausdrücklich, doch, so scheint es, wenigstens thatsächlich im Laufe 
der Jahre vorgesehen worden: auch hier ein Wandel, der nicht etwa bei 
einem Wechsel im Abtsstuhle erfolgte, sondern in der Zeit eines Abts. 
Denn unter Hugo I., der freilich von seinem Abtsstuhle aus nicht weniger 
denn zehn Päpste nach einander im Regimente erbUckte, hat Cluny von 
den drei ersten unter diesen das Wahlrecht in der alten Umgrenzung 
erhalten, aber an dem Wahlrecht, das drei der letzten folgen Hessen, ist 
von ihr keine Spur mehr zu finden^®). Dem Kloster Aurillac hatte 
einer der früheren Päpste die Abtswahl in der Weise der Karolinger 
eingeschränkt, aber einer der späteren gab sie vöUig frei, Gregor VII., 
der denn sicherlich Verfugungen weltHcher Herrscher noch unbedenklicher 
aufhob ^'^). Dass bei ihm diese Freiheit sich ohne Trug erreichen Hess, 
konnte die Brüderschaft von Aniane aus der Nähe und Feme erfahren: 
denn die Mönche von La Grasse, mit ihnen in der gleichen Provinz 
Narbonne, von Joncels im anstossenden Sprengel Beziers, auch von Redon 
in der Bretagne haben die Diplome Ludwigs d. Fr., Pippins von Aqui- 
tanien, Karls d. K. unverfälscht gelassen — so, wie sie den Abtsstab 
einem aus der eigenen Mitte vorbehielten — und doch ist von Gregor VIL 
in den Urkunden für alle drei Klöster der Vorbehalt zu einer blossen 
Empfehlung abgeschwächt worden ^®). Das geschah in einer Fassung, die 
(mit dem einen oder anderen Zusatz, der die Sache wenig trifft) des 
öfteren in den Wahlrechten dieses Papstes, also formelhaft, wiederkehrt^®). 



16) De 8ua oder de ipsa congregatione unter Leo IX., Victor II. und Stephan IX. 
(No. 4169. 4336. 4385), obgleich Herzog Wilhelms Stiftungsbrief (Biblioth. Clun. 
col. 3) quemcunque sui ordinis und noch P. Agapets Privileg (No. 3648) quemcunque 
voluerint hat, aber entsprechend dem Karolingerdiplom Böhm. No. 2003 (de semet 
ipsis). Dagegen P. Alexanders II. Erlaubnis (No. 4513) wie zurücklenkend zu 
Agapets Privileg ohne Beschränkung „secundum institutionem . . Benedicti pater, * 
qui . . praeesse debeat, eligatur*; und dies hat, nach einer nur stilistisch wich- 
tigen Abweichung unter Gregor VII. (No. 4974: der erste Teil seiner Formel unten 
Anm. 19), Urban II. (No. 5676j wörtlich wiederholt. Es fehlt nicht viel und man 
könnte sagen, dass Cluny nach Hugos Tod Gebrauch gemacht habe von dieser 
hier scheinbar so überflüssigen Freiheit: denn fast einen Fremdling, sicherlich 
einen Neuling haben sich Hugos ergraute Zöglinge in Abt Pontius zum Oberen 
gesetzt, der freilich Spross eines mächtigen Geschlechts war. Erst „ultimo tempore 
Hugonis** ist Pontius zu Cluny eingetreten, und es kann dieser Zeitraum nicht 
anders als ein sehr kurzer gewesen sein, da er bei seiner Erwählung zu Hugos 
Nachfolger noch in seiner ersten Jugend war (valde juvenis) und er von dieser 
überdies einen Teil im heimatlichen Kloster St. Pons verlebt hatte (Petr. Venerab. 
Miracul. II c. 12 Biblioth. Clun. col. 1310). 

17) No. 4467 (ex ipsa congregatione), dagegen No. 5018 nach der Formel 
Anm. 19. 

18) No. 5211 (vgl. Mühlb. No. 528 und Böhm. No. 2083). 5281 (vgl. Böhmer 
2080). 5280 (vgl. Böhm. 1623). 

19) Non alius ibi quacunque obreptionis astutia ordinetur, nisi quem fratres 
ejusdem congregationis cum communi consensu secundum timorem dei elegerint . . 
maxime de eadem congregatione , si idoneus inventus fuerit; quodsi talis . . inter 
eos inveniri non possit, aliunde sibi patrem et magistrum expetant: No. 4957. 
5018. 5062. 5079. 5160. Hie und da ein Zusatz, nämlich vor aliunde doch noch 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreitee. 49 

Unter Urban 11. endlich tritt eine noch weitergehende Formel hervor, die 
auch die Empfehlung fallen Hess. Den meisten seiner Privilegien zu 
Grunde gelegt und dann, gleich so manchem Rechts- und Stilgebilde 
seiner Hand, auf lange hin von den Nachfolgern im 12. und 13. Jahr- 
hundert angewendet, machte sie die Verunechtung eines KaroUnger- 
diploms in dieser Beziehung vollends nutzlos. Denn Urban bedingt 
durch seine Formel die Zugehörigkeit zum Convent so wenig wie der 
h. Benedict in seiner Regel, der die nunmehrige Fassung, nach fast sechs 
Jahrhimderten wie zum Urbilde zurückgewendet, sehr nahe tritt: und 
nach der Formel Urbans ward von Urban und dann von anderen Päpsten 
Wahlrecht auch Klöstern verheben, die, wäre es auf ihre karohngischen 
Diplome noch angekommen, sich den Vorstand nur „de ipsa congrega- 
tione", „inter se", „ex se" hätten nehmen dürfen^®). 

Ohne diese Entwickelung des Wahlrechts würde der Bericht über 
die zu Clermont angebrachte Klage wider Aniane, da er keinen Vorwurf 
eigenmächtiger Erweiterung der Bestimmung über die Abtswahl enthält^ 
die Vermutung einer erst nach 1095 erfolgten Verunechtung der Urkunde 
Karls d. Gr. wecken. Unter den bewandten Umständen ist sein Schweigen 
über das Wahlprivileg fast geeignet, dem Gedanken an frühere, in der 
Erinnerung ganz zurückgetretene Zeit vermehrte Stütze zu geben: die 
sachhch nun bedeutungslose Fälschung mochte auch dem bischöflichen 
Gegner des Klosters nicht der Erhebung wert erscheinend^). 

Aber von Bedeutung war sie bis zum Beginn der kirchlichen Reform, 
bis zu der Zeit hin, da die Päpste die Ordnung der Verhältnisse der 

die Bedingung cum consilio Romani pontificis No. 4929. 5280 vgl. 5272, oder 
mehrdeutig cum consilio religiosorum virorum No. 5069a. 5281 ; umgekehrt kürzend 
begnügte er sich auch mit dem ersten Teile der Formel (non alius bis elege- 
tint) No. 4974. 4981. 5134. 

20) NuUus ibi qualibet subreptionis astutia (vel vielen tia) praeponatur, nißi 
quem fratres communi consensu vel fratrum pars sanioris consilii (dazu bereits 
unter ürban häufig secundum Dei timorem et b. Benedicti regulam, und pars 
praestantior statt p. san. cons.) elegerint: nur die Weise der Wahl, nicht die 
Wählbarkeit erhält Mass. So oder bloss stilistisch anders auch für St. Chinian, 
Charroux, Banolas No. 5402. 5627. 5656 ohne Rücksicht auf ihre Karolingerurkunden 
Mühlb. No. 806. 553. 734, und für S. Sophien zu Benevent No. 5461 ohne Rück- 
sicht auf das von Gregor VII. in seiner Fassung erteilte Privileg No. 5272. — Die 
letztere schwindet freilich nicht ganz, da sich ürban doch bisweilen an eine Vor- 
lage hält (z. B. No. 5527 vgl. mit 5062); aber die Berufung eines Fremden noch 
ausdrücklich zu erlauben und die Erlaubnis mit seiner Formel zu verbinden, findet 
er nur selten nötig: am meisten bemerke ich's bei Chorherrenstiften (zu Pistoja 
und Beuron No. 5532. 5692 vgl. No. 5482 für St. Paul zu Narbonne). — Die Formel 
der späteren Päpste (Rodenb. praef. ad Epist. saec. XIII 1, S. 17 No. 34) hat 
astutia seu viol., fratr. pars cons. san., endlich providerint eligendum statt elege- 
rint — so sehr bleibt Urbans IL Formel die Grundlage. 

21) Die Entstehung der Fälschung in das 12. Jahrhundert herabzuziehen er- 
scheint vollends unmöglich, wenn von dem Privileg Urbans 11. für Aniane (Jaff6-W. 
No. 5786) , das freilich in vielem verunechtet ist (unten Anm. 25 ff.) , wenigstens 
das Wahlrecht, das keine Schranke mehr kennt, als echt gelten darf: und unwahr- 
scheinlich ist dies nicht, es entspricht der Formel Urbans. 

Püokert, Aniane und Gellone. 4 



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50 Zweites Gapitel. 

französischen Klöster an sich zogen und dabei auch deren Wahh^cht 
mehr und mehr ausweiteten, also etwa bis auf Gregor VII. Vomehm- 
Uch führte, so scheint es, das zweite Drittel des 11. Jahrhunderts zu 
Aniane zu einer eigentüraUchen Verflechtung der Ereignisse und viel- 
leicht auch der Absichten, die den Anlass des Truges geboten haben 
konnte. Nach einer bisher von niemand bezweifelten Überlieferung des 
Klosters ist damals in der That ein auswärtiger Mönch zum Stuhle des 
Abts berufen worden, Emeno, der Vorsteher eines Priorats von Grellone, 
der dem Eufe auch Folge leistete. Noch mehr. Emeno hat dann als 
Abt von Aniane (das ist der Inhalt zweier, wiederum durchweg aner- 
kannter Aktenstücke)*^) einen Anschlag auf Gellone gemacht, auf sein 
altes Kloster, das er in vollkommene Abhängigkeit von seinedi neuen 
zu bringen trachtete. Sollte dies der Plan der Brüder von Aniane selbst 
gewesen sein, ihr eigener, ehe er ihr Leiter war? Sollten sie ihm diese 
Bestinmiung gegeben haben schon als sie den Fremdling ins Auge fass- 
ten, der hierzu in mehr als einem Betracht von Nutzen sein konnte? 
Nicht nur, dass er ihnen Kunde von der Möghchkeit eines Angriffs auf 
Gellone zuführte, namenthch von dem Umfange des Brandes, der dort 
einen Teil der Urkunden, älteste Zeugnisse der Selbständigkeit des Klo- 
sters, verzehrt hatte: durch seine Erhebung zur obersten Stelle in ihrer 
eigenen Mitte durften sie zugleich hoffen, die Mönche von Gellone mit 
dem Lose auszusöhnen, das sie sich anschickten über sie zu werfen. 
Gerichtet auf jenes Ziel mochte man sich wohl versucht fühlen, die ent- 
gegenstehenden Schranken des karoHngischen Wahlrechts abzutragen: 
hat doch, ebenfalls im 11. Jahrhundert, der Kampf zwischen zwei einan- 
der nahen Klöstern Aquitaniens ziu- Anfertigung einer Urkunde getrieben, 
durch die bereits der Vater Karls d. Gr. nicht nur das eine, Figeac, 
indem er ihm angebhch das andere, Oonques, empfahl, vor diesem aus- 
gezeichnet und zu einer Gönnerstellung emporgehoben haben, sondern 
zugleich den Brüdern von Figeac erlaubt haben soll, den erledigten Abts- 
stuhl von aussen her, eben mit einem Mönche von Conques zu besetzen ^^). 
Wäre nun der Aufbau der verschiedenen Fälschungen von Aniane auf 
Hände zurückzuführen, die nach überlegtem Plane thätig gewesen, so 
müsste man allerdings sagen, dass die Überarbeitung der Urkunde Karls 
durch die Verunechtung des Wahlrechts vorangegangen sei der in 
Cap. in zu betrachtenden Verunechtung der Urkunden seines Sohnes 
und Enkels, sagen, dass vor Emenos Antritt zu Aniane , der durch jene 
vorbereitet ward, Anianes Genossenschaft das Verlangen nach Besitz- 
nahme von Gellone zwar gehegt, aber noch nicht durch die Fälschung 

22) Jaff^-W. No. 4597 und Mabill. Annal. V 1. 64 § 68. Weder das eine noch 
das andere Stück ist frei von schweren Bedenken; aber auch so bezeugen sie 
(siehe Cap.V Anm. 82 ff.), dass wenigstens die Überlieferung zu Aniane, sicherlich vor 
Mitte des 12. Jahrhunderts, den Streit mit Gellone an Emenos Namen knüpfte. 
£menos Wahl wird H. d. L. IV, 448 kurzweg in das Jahr 1062 gesetzt; man kann 
aber nur sagen, dass sein Name zuerst in eben dem bedenklichen Erlasse No. 4597 
(vom 7. Nov. 1066), der seines Vorgängers zuletzt in dem sicher verunechteten 
Privileg No. 4466 (vom 4. Mai 1061, oben S. 44 f.) erscheint. 

23) Mühlb. No. 78. 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 51 

der anderen, der Besitzesurkunden laut gemacht hätte: der Missklang 
zwischen der Begründung der Wahl eines Mönches von Gellone auf das 
Kecht der Benifiing eines Fremden und dem Gelüste, Gellone als eine 
abgefallene Zelle anzusprechen, als altes Bestandstück des Widums ihrer 
Kirche vorzustellen (wodurch, wer zu Gellone das Gelübde abgelegt hatte, 
auch als Mönch Anianes gelten musste), konnte der Empfindung nur 
dann einigermassen entrückt werden, wenn erst, nachdem das gefälschte 
Wahlrecht seine Dienste gethan, man daran ging, die Diplome Ludwigs 
d. Fr. imd Karls d. K. durch Einschaltung des Namens Gellone als 
einer Zelle in die Reihe der da aufgezählten Güter des Klosters zu 
fälschen. 

Ich setze die Vermutung nicht fort, ich lege auf sie kein Gewicht 
Denn gleich der Zusammenhang der Fälschung des Wahlrechts mit der 
Wahl Emenos entbehrt voller Sicherheit. Es sei, dass er wirklich, wie 
jene Überlieferung will, ursprüngüch dem Kloster Gallone angehört habe. 
Aber bei der Lückenhaftigkeit unserer Kunde von Aniane und von der 
Herkunft seiner Abte erscheint schon die Behauptung gewagt, dass er 
der einzige war, der je von aussen berufen wurde. Und wäre er es wirk- 
Uch, so bestünde noch immer die Möghchkeit, dass zu anderer, finiherer 
Zeit die Wahl eines Fremden beabsichtigt worden, aber im Versuche 
stecken gebHeben sei. Ich begnüge mich mit der WahrscheinUchkeit, dass 
die Fälschung der Zeit vor Gregor VII., wenigstens vor der Kirchen- 
versammlung von Olermont angehöre. 

Nicht ganz dieselbe Bewandtnis wie mit dem unbeschränkten Wahl- 
rechte hat es vielleicht mit dem im Diplom Karls ihm angeschlossenen 
Rechte, die Einsegnung des erwählten von einem anderen als dem eigenen 
Bischof zu erholen. Zwar könnte, wer nur auf die Sache sieht, sich ver- 
sucht fühlen, beides von dem nämlichen Bedürfiiisse abzuleiten, die zweite 
Fälschung in dieselbe fiühe Zeit wie die erste zu setzen. Die Wählbar- 
keit eines behebigen Mönches, auch eines fremden, war erst dann völlig 
gesichert, wenn dem Sprengelhirten überhaupt die Möghchkeit des Ein- 
spruchs, des Einschreitens genommen war, wenn, falls er den Segen 
versagte, sein Metropolit (wie mitunter der Erzbischof von Lyon von den 
Mönchen Climys) oder einer seiner Nachbarn darum angegangen werden 
durfte. Indes stilistisch, im Satzgefüge ist hier die Berufung eines Bischöfe 
zur Abtseinsegnung so eng der Berufung eines Bischöfe zur Weiheertei- 
lung an Mönche des Klosters angeschlossen, so in eins verschmolzen 
(ubicunque voluerint ordinari aut ipsi aut monachi ipsorum vel a quo- 
Ubet pontifice), dass mit dieser letzteren, sage ich der dritten Fälschung 
die zweite auch zeitHch eher zusammenzufallen scheint als mit der ersten, 
der des Wahlrechts. Nun lässt sich für die dritte ein später Ursprung 
eher denken als für die erste. Leicht war, wie wir sahen, seit Gregor VII. 
und Urban 11. das unbeschränkte Recht der Abtswahl erreichbar, weniger 
leicht, wie ich darlegen werde, noch unter ihnen und unter ihren Nach- 
folgern das Recht, zu den Diakonen- und Priesterweihen nach eigenem 
Ermessen den Spender zu erlesen: jenes ruhte in der alten Ordnung des 
L Benedict, die nun bloss wiederhergestellt ward; dieses, das Recht der 
Bischofswahl für die Weihen, konnte Zerrüttung in die Ordnung des 

4* 



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52 Zweites Capitel. 

Sprengeis, der Kirche bringen. Dort also war Fälschung fortan über- 
flüssig, hier dagegen mochte sie vermessener Unbotmässigkeit das Aus- 
sehen altbegründeten Rechts leihen. Zwar diufbe, dabei bleibe ich, von 
einem Königsdiplom solche Wirkung am Ende des 11., am Anfang des 
12. Jahrb. nicht erwartet werden, keine Wirkung auf Päpste, die eben 
im Kampf gegen die Königsgewalt standen. Aber das Diplom für Vabre 
(oben S. 44 f.), jene Nachbildung des unsrigen nicht nur in dem (bei die- 
sem aquitanischen Kloster durch die Abte von St. Victor bedrohten) 
Wahlrechte, sondern zugleich in dem Rechte der Wahl des Bischöfe für 
die Weihen — ich verstehe darunter nach seinem Wortlaute die Bene- 
diction des Abts und die Ordinationen — weist sichtiich auf den Wert, 
den auch in dieser Beziehung eine angebUche Zusicherung von weltlicher 
Hand noch im 12. Jahrhundert hatte, sei es dass sie gar nicht in 
einem Rechtshandel vor dem päpstlichen Stuhle dienen sollte, sei es dass 
sich für sie unter den Nachfolgern Urbans IT. und Paschais H., in einer 
Zeit abgeschwächten Eifers, bessere Aussicht öfl&iete. 

Eben imter den Nachfolgern dieser Päpste begegnet in Urkunden 
für das Hochstift Maguelonne noch immer mehrfache Spur wenn nicht 
einer wirkHchen Unbotmässigkeit, ausgesprochenen Ungehorsams, doch 
eines in Frage gestellten, nicht an sich gesicherten Gehorsams des Klo- 
sters Aniane gegen den Sprengelhirten. Die Urkunden gehören ver- 
schiedenen Menschenaltem an: es sind Bullen der Päpste Cahxt IL, 
Hadrian IV., Urban HI. zu Gunsten des Bischofsstuhls von Maguelonne, 
die ich weiter unten (vgl. Anm. 105) bespreche: sie bezeugen die That- 
sache im allgemeinen, ohne sich auf Einzelheiten einzulassen. Wie sehr 
aber im einzelnen die Mönche von Aniane noch im 12. Jahrhundert 
danach trachteten, dass ihr Kloster der ausschliessUchen Gewalt des 
Sprengelhirten zur Erteilung von Weihen enthoben werde, erhellt aus 
einer Reihe verunechteter Papstprivilegien für Aniane, in denen neben 
anderen Befreiungen diese ihre Stelle hat, aus Privilegien gleich Urbans IT. 
imd Paschais H., die in solcher Gestalt doch erst nach deren Tode zum 
Vorschein kommen durften, dann Innocenz' II., Eugens III., Anastasius' IV., 
Hadrians IV. — alles Päpste desjenigen Jahrhunderts, in welchem frühe- 
stens die Abschrift des Diploms Karls in der vorliegenden Fassung dem 
selbst nicht früher zusammengestellten Cartular von Aniane eingereiht 
worden ist. Demnach könnte auch die Einschaltung jener Worte in das 
Diplom das Werk einer jüngeren Hand sein, wenngleich es nur theore- 
tischen Wert, nur geschichtHchen Belang gehabt hätte, dass man im 
stände war, an der ältesten aller Gewährungen eines Königs, die eben 
in einem geschichtHchen Buche des Klosters, in der das Cartular be- 
ginnenden Lebensbeschreibung des Gründers nun prangte, den Vorgang 
für die neueren der Päpste aufeuweisen. 

Die Beurteilung der päpstHchen Freibriefe für Aniane, wie man diese 
Privilegien nennen könnte, liegt mir zunächst ob. Ich ergehe mich über 
sie ausführlich. Nicht sowohl um die fälschende Erweiterung der Urkimde 
Karls einem bestimmten Jahre des 12. Jahrhunderts einzuweisen — dem 
Schwanken bleibt auch hier Raum — , als hauptsächhch um darzuthim, 
dass sie noch in so später Zeit an unzweifelhaften Fälschungen Beglei- 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 53 

terinnen hat und dass dem Schrifltentume Anianes überhaupt wenig 
Glauben fiir Grundverhältnisse zukommt. Über Aniane hinaus giebt ihre 
Betrachtung Anlass zu mancher bisher, soviel ich sehe, noch nicht ge- 
machten allgemeinen Bemerkung über die wahre Rechtsstellung der 
Klöster seit dem Ende des 11. Jahrhunderts, seit dem für die Entwick- 
lung des Verhältnisses zwischen Klostertum und Bischoftum epoche- 
machenden Eingreifen Urbans 11. 

Dass sie allesamt jener Bulle Johanns XV. gleich seien (ejusdem 
stili et tenoris) behaupten die Mauriner in ihrer GalUa christiana ^*). Die 
Behauptung triflft nicht völHg zu. Wenigstens weicht das einzige, das 
bisher aus dem Nachlasse eines ihrer Genossen, Thierry Ruinart, durch 
den Druck bekannt geworden ist, das Privileg Urbans IL, in Fassung 
wie in Inhalt ab: das ebenfalls aus ihren Sammlungen mir abschriftUch 
vorhegende Paschais 11. stimmt mit dem Privileg Urbans inhaltUch durch- 
aus und auch stiHstisch fast völUg überein ^^) ; so werden auch die andern 
eher ihm nachgebildet sein als dem Privileg des um ein Jahrhundert 
abstehenden imd übel beleumdeten Vorgängers. SachUch trägt das nicht 
viel aus. Das auf Urbans II. und das auf Paschais II. Namen gestellte 
zeigen, vergüchen mit dem Johanns XV., ausreichend, dass die Mönche 
Anianes den wesenthchen Teil ihrer Ansprüche aufrecht erhielten und 
anstatt fallengelassener minder anstössige, aber für sie nicht minder 
belangreiche erhoben und auch diese auf eine ihnen, wie sie behaupteten, 
mehrfach an oberster Stelle der Kirche erteilte Gnadengewährung begrün- 
deten. Fallen Hessen sie die erfundene Volhnacht zu binden, Busse auf- 
zulegen, Lösung zu bewilhgen; dafür gaben sie nun vor, vom päpsthchen 
Stuhl Sicherung zu haben nicht nur gegen allen Einspruch bei Aufnahme 
eines Laien oder Weltgeistlichen in ihre Genossenschaft — dies erscheint 
noch zulässig — , sondern auch gegen die Gefahr einer Excommunication 
ihres Klosters durch irgend welchen Bischof. Aufrecht hielten sie die 
Behauptung, dass sie jeden, der es wünsche, in ihrem Kirchhofe beerdigen 
und von ihm Vermächtnisse in unbeschränktem Betrage annehmen, dass 
sie namenthch zur Eiosegnxmg des Abts und zu den Weihen einen 
Bischof nach ihrer Wahl rufen dürften. 

Ich rede von einem Vorgeben. Denn dass sie das alles erreicht 
haben, dass Urban IL imd Paschal 11. durch ihre Bullen, auf die ich 
mich beschränke, neben einem unanfechtbaren Wahlrechte und einer 
Besitzesbestätigung auch alle diese Rechte erteilt hätten, bestreite ich. 

24) VI, 836 C. Unter den hier in Bausch und Bogen, ohne Datum auf- 
geführten Privilegien, wider deren Echtheit sie kein Bedenken äussern, meinten 
sie andere als die von ihnen weiterhin 838 C. 839 D. 840 A. C. mit Datum ver- 
zeichneten der Päpste Paschal II. bis Adrian IV. Jaffe-L. No. 6032. 7432. 8953. 
9933. 9944, die gleichfalls noch nicht gedruckt sind: das ergiebt schon die, frei- 
lich zum Teil dürftige, Inhaltsangabe, die sie von den letzteren machen. 

25) Jaffe-W. No. 5786. 5826 (vgl. Gall. ehr. VI, 838 B.): bei Bestätigung der 
Gewährungen der Vorgänger wird dort Nikolaus IL und Alexander IL, hier Johann, 
Alexander und Urban genannt; bei Aufhebung der ausschliesslichen Ordinations- 
gewalt des Sprengelhirten wird dort die Einsegnung des Abts und die Weihe der 
Mönche geschieden, hier (mit einem Hinweis auf jene Vorgänger) vereinigt. 



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54 Zweites Capitel. 

Die Bevorrechtung des Klosters würde selbstverständlich in gleichem 
Masse Schmälerung der Rechte des Sprengelhirten gewesen sein; diese 
aber machen gerade bei Maguelonne die Zeitverhältnisse, mit denen sie 
zusammengetroffen wäre, unwahrscheinlich. Denn bereits J.088 hatte 
Urban 11. das Hochstift in den Schutz des römischen Stuhles genommen 
und den Bischof mit der Hut über die dem h. Petrus aufgetragene Graf- 
schaft Maguelonne betraut^**). Musste nun bei dem geringen Umfange 
des Sprengeis die Aussonderung des vornehmsten der darin begriffenen 
Klöster aus der Gewalt des Oberen, eine fast vollständige Enthebung, 
die Stellung des Bischofs überhaupt erschüttern, so erwartet man sie im 
Jahre der Bulle Urbans am wenigsten, da eben damals, 1099, Bischof 
Gottfried von Maguelonne im Kampfe mit Graf Raimund von Melgueil, 
einem der Mächtigen des Landes, den er wegen mehrfacher Verletzung 
jener Gerechtsame des h. Petrus an der Grafschaft Maguelonne mit dem 
Banne zu belegen genötigt war, ungeschwächten Ansehens zu Nutz und 
Ehre des römischen Stuhles selbst bedurfte, des Vollbesitzes der Gewalt, 
zu bannen und zu lösen ^'). 

Weiter hätte Urban mit solcher Gewährung an das Kloster seinen 
vor drei und einem halben Jahre zu Clermont gefällten Spruch thatsäch- 
lich vernichtet, ohne, wie er es in einem nahezeitigen Falle that, die 
Nichtigkeit durch das Eingeständnis früherer Unkenntnis zu begründen ^®), 
ohne die Nichtigkeit auch nur auszusprechen. 

Vornehmlich ist es der Rechtsinhalt, der die Bulle Urbans und 
Paschais und, unter der obigen Annahme der Übereinstimmung mit ihnen, 
die Gesamtheit jener Privilegien ihrer Nachfolger dem Verdacht der 
Verunechtung aussetzt. In wesentlichen Teilen widerspricht er den von 
Urban 11. den Klöstern gegebenen Ordnungen, über die wir weit besser 
unterrichtet sind, als über die Johanns XV. und Nikolaus' II.: da auch 
die Zeit, in der diese Ordnungen, auf der Höhe des Investiturstreites, 
getroffen wurden, und die Dauer, die sie behaupteten, ihnen grösseren 
Anspruch auf Beachtung giebt (als Stücke der kirchhchen Verfassung 
können sie gelten), will ich sie, wenigstens soweit sie sich mit jenen 
Bullen berühren, näher darlegen. 

Unter die von diesem Gesichtspunkte aus verwerfhchen Sätze der 
Bullen zähle ich, wie ich schon andeutete, nicht gerade den, der die 
Befugnis betrifft, Laien imd Weltgeistlichen trotz erhobenem Widerspruch 
eines Bischofs oder Propstes den Eintritt in das Kloster zu gewähren: 

26) Jaff6-L. No. 5375, wo der Inhalt der hier einschlagendeD Worte ^frater- 
nitati tuae tuisque succes80ribus . . comitatus curam injungimus** in den Auszug 
nicht aufgenommen worden ist; vollständig aber der Auszug aus der, erst in der 
Neuausgabe aufgeführten, Urkunde No. 5377. 

27) H. d. L. V, 760 vgl. 695. Da der Streit durch die Sühne vom 8. Sept. 
1099 beigelegt ward, der Sühne aber, die im Lande selbst stattfand, eine Ver- 
handlung des Bischofs mit dem Grafen vor dem Papste zu Rom (Urban II. f 29. Juli 
1099) und der Reise nach Rom noch die Excommunication des Schuldigen voran- 
ging, so rückt der Ausbruch der Irrung noch vor den Tag des Privilegs für Aniane 
(14. April 1099). 

28) Oben S. 42. Jaff6-Lfd. No. 5708. 5806 vgl. mit 5410 und 5479. 



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Aniane im Zeitalter des InvestitarstreiteB. 55 

laicos seu clericos saeculares ad conversionem suscipere nullius episcopi 
vel prepositi contradictio vos prohibeat. Diese Ermächtigung, die fiir das 
Klostertum in seinem Verhältnis zur Aussen weit, vornehmlich zu den 
kirchüch geordneten Kreisen der Weltgeistlichkeit, auch zu der an den 
Kathedralen und zu den Bischöfen von grosser Wichtigkeit ist, überrascht 
in ihrer vorbehaltlosen Fassung freilich bei einem Papste, der noch in 
der Kirchenversammlung ^u Nimes erklären liess, dass das Band des 
Seelsorgers mit seiner Kirche nur durch den Tod oder ein kanonisches 
Urteil gelöst werden könne ^®), der wenigstens den Bischöfen die alte 
Satzung einschärfte, Kleriker eines anderen Sprengeis nicht ohne ein 
empfehlendes Schreiben ihres bisherigen Oberen bei sich aufeunehmen, 
und dieses zu fordern, sofern der Obere nicht Schismatiker sei, auch den 
Regularstiftem gebot, der schon die Teilnahme an einem Kreuzzuge ohne 
bischöfliche Genehmigung jedem GeistUchen untersagte^®). Beschränkt 
nun Urban in Gnadenbezeigungen an einzelne Klöster die Erlaubnis auf 
die Zulassung solcher, die frei und losgesprochen seien, namentHch bei 
Laien auf ledige des Ehebandes, so liegt immerhin der Gedanke nahe, 
dass eine Fälscherhand zu Aniane eben die Worte Hberos atque abso- 
lutos getilgt habe, gleichviel ob sie schon in der von Urban erteilten 
Urkunde standen, oder in der eines seiner Nachfolger, aus der die Er- 
laubnis so verstümmelt etwa erst herübergenommen ward. Denn in der 
späteren Zeit, als die wachsende Zahl und Anziehungskraft klösterKcher 
Reformgenossenschaften mancherlei Irrung aus Anlass von Aufiiahmen 
brachte, namentlich auch zu Streitigkeiten der Klöster mit reformierten 
Verbänden regulärer Chorherren führte, erscheint die Erlaubnis wirkHch 
als Bestandteü päpsthcher Privilegien, aber, da sie eben ferneren Streit 
abschneiden sollte, in der Regel mit den einschränkenden Worten liberos 
et absolutes ^^). Trotzdem kann sie auch in der vorliegenden Gestalt 
echt sein. 



29) Conc. NemauB. 1096 c. 9 (Mansi XX, 936). Das Bedenken, das sich gegen 
eine andere Lösung des Bandes aus der Rücksicht auf die Pfarrgemeinde ergab, 
kommt schon im 9. Jahrh. zur Andeutung: quid plebes facient, quarum ab eis 
(sacerdotibus) fuerat canonice cura suscepta? (Servat. Lup. Epist. ed. Desdev. 
No. 114 = ed. Baluz. No. 29, wo es denn keineswegs befriedigende Erledigung 
findet). 

30) Conc. Benev. 1091 c. 3 (Mansi XX, 738 vgl. Leos I. Weisung Jaffö- 
Kaltenb. No. 411). — Jaffe-Lfd. No. 5660 (nur dem Sprengeloberen des aufnehmen- 
den Stifts wird da der Einspruch genommen) vgL No. 5658 ; 5768 (de catholicorum 
vero episcoporum clericis non aliud yobis concedimus aut negamus, nisi quod per 
cetera canouicorum regularium loca fieri consuevit); 5670. 

31) M. G. Epist. XIIL Saec. ed. Rodenb. I, praef. p. XVII No. 31: liceat . . 
vobis clericos vel laicos liberos et absolutes e saeculo fugientes ad conversionem 
recipere et eos absque contradictione aliqua retinere. Schon Urban in dem sonst 
weitgehenden Privileg für Aversa (Jaff6-Lfd. No. 5466) liberos et absolutos . . absque 
alicuj. contradictione recipere; für St. Gilles (No. 5577) a conjugiis liberos ad 
monachatum admitti sine episcopor. contradictione concedimus. — Ersichtlich 
mehr dem Streite als dem Frieden musste die andere Formel der Späteren (No. 32) 
dienen, die einem Kanoniker den Austritt „arctioris religionis obtentu* erlaubte 
(vgl- besonders Epist Steph. Tornac. ed. Masson No. 1 ed. Molinet No. 71 über 



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56 Zweites Capitel. 

Sie stimmt, soweit sie die Weltgeistlichen betrifft, zu einer Decre- 
tale, die einige Sammlungen kirchlichen Rechts auf den nämlichen Papst 
zurückfuhren: Urban II. habe verkündet, dass, wenn ein "Weltgeistlicher, 
unter dem Wehen des heiligen Geistes, geleitet von dem eigenen, seinem 
Herzen eingeschriebenen Gesetze (si afilante spiritu sancto . . lege privata 
dudtur) Rettung der Seele in einem Kloster oder in einem regulären 
Stifte suche, er durch das gemeine Gesetz (lege publica) nicht gehindert 
werden solle: „trotz der Einrede seines Bischofs gehe er auf unsere 
Gewähr" ^^). Neuere Forscher ziehen Urbans Urheberschaft in Zweifel*^), 
wodurch denn auch das Zugeständnis für Aniane fraghch würde. Indes 
eine jener Sammlungen ist sehr fi-üh entstanden, bei jüngeren Zeitgenossen 
noch unverblichener Erinnerung an seine Gesetzgebung^*). Und ander- 
wärts bezeugt dieser Papst wie mit eigenem Siegel, dass in Fragen des 
Seelenheils, wenn es galt, nach dem Worte seines Gesinnungsgenossen 
auf dem Abtsstuhle zu Bec, das Kostbare vom Gemeinen, die Seele von 
der Welt zu scheiden, den Zögling Clunys mönchische Anschauung über 
das äussere Gesetz, über Eheverband und Kirchenverband doch hin weg- 
trug. Denn durch eine im Original auf uns gekommene Bulle für das 
Kloster Göttweig ermächtigte er dessen Abt, die Pforte Laien und 
Weltgeisthchen, die ihren Wandel ändern wollten, offen zu halten, 
ohne zu bedingen, dass sie frei und losgesprochen seien, vielmehr 
unter ausdrücklicher Aufhebung der Einrede irgend eines Bischöfe 
oder Propstes ^^). 



P. Alexanders III. Freigebung des Austritts „ubi causa districtioris vitae ad arcti- 
orem ordinem transierinf*), während die früheren Päpste dieser Rechtfertigungs- 
weise entgegentraten: Calixt 11. (No. 6721. 6903. 6961. 7176), zumal Urban IL 
(unten Anm. 39). 

32) Duae sunt leges c. 2 C. XIX q. 2. Den Zeitpunkt der Verkündigung 
(unbestimmt noch bei Jaffe-Lfd. No. 5760) setze ich in die späteren Jahre Urbans. 
Anselm v. Canterbury kennt als Elect (demnach zwischen März und Dez. 1093) 
sie noch nicht: er beruft sich Ep. III, 12 nur auf einen Brief Gregors d. Gr. und 
auf das vierte Concil von Toledo. Wäre sie der Kirchenversammlung von Nimes 
voraufgegangen, so würde deren Beschluss anders ausgefallen sein (oben Anm. 29). 
Und ist Gratians Angabe, dass sie im Capitel von St. Ruf d'Avignon erfolgte, 
richtig (vgl. Anm. 34), so würde sie wohl in den Juli 1096 rücken, wo Urban, in 
und beiAvignon weilend, die unter den Regulärstiftern hochragende Stätte kaum 
unbesucht Hess. 

33) „Capitulum incertum et quod Urbano vix dicas congruere" A.L.Richter 
in seiner Ausgabe des C. J. C. Auch Fried berg stellt in der seinigen den Namen 
Urbans in Frage. 

34) Ich meine den Polykarpus des Cardinalpriesters Gregorius Si Chrysogoni. 
Die Kanonisten nehmen an, dass spätestens Juni 1119 diese Sammlung abge- 
schlossen worden, Gregor gestorben sei, weil da bereits ein anderer Träger dieses 
Titels auftritt. Ich rücke den Zeitpunkt noch weiter zurück: schon am 8. Juni 
1114 erscheint unter diesem Titel nicht mehr Gregor, sondern ein Theoderich (als 
Unterzeichner der Urkunde Jaffe-Lfd. No. 6391). — Freilich fehlt gerade im Texte 
des Polykarp vel in regulari canonia, also auch die Beziehung des Decretale auf 
St. Ruf; und in dem von Mansi XX, 714 benutzten Codex die Überschrift. 

35) Jaffe-Lfd. No. 5698 Laicos sive clericos saeculares ad conversionem susci- 



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Aniane im Zeitalter des Investitur streites. 57 

Noch weitergehende Privilegien Urbans, die in der nämlichen Weise 
die Aufiiahme von Klerikern ohne Unterschied, also nicht nur von Welt- 
geistlichen, sondern auch von Regulärkanonikem sichern, mache ich nicht 
geltend. Auch nicht die in zwiefacher Gestalt überlieferte für Monte 
Casino^®). Am wenigsten die vielleicht echten, aber doch ganz eigen- 
artigen für Cluny^'), das im Urkundenwesen Urbans eine Sonderstellung 
einnimmt. Sie fiigen sich, das muss man auch von den letzteren sagen, 
schlecht zu der Fürsorge, mit der dieser Papst den Bestand der regu- 
lären Stifte gegen den Abfall ihrer MitgUeder zu anderen Genossen- 
schaften zu wahren suchte — durch ein allgemeines Verbot, das die 
Einkleidung eines Begulärkanonikers in Mönchsgewand, es sei denn, dass 
er vor den Augen der Welt zu Fall gekommen, für den ganzen Bereich 
der Kirche untersagte (Mandamus et universaliter interdicimus) ^®), und 

pere nullius episcopi vel praepositi contradictio vos inhibeat. Auch Paschais Be- 
stätigung (No. 5982) ist im Original enthalten. Im Original auch für Padolirone 
die gleiche Ermächtigung CaliKts (No. 7157). Dagegen erweist das jetzt gedruckte 
Original Urbans für Schaffhausen No. 5580, dass dem Exemplar im Codex Udalrici 
Babenb. eben dieser Satz von Fälscherhand eingefügt ist. 

36) Clericos cujuscunque ordinis . . absque episcoporum contradictione sus- 
cipere Jaffe-Lfd. No. 5681: dem Abdruck in Margarinis Bullar. Casinense fehlt 
diese und eine Reihe anderer Bestimmungen, und Mabillon^ der nach der Schrift- 
probe in seiner Diplomatik das Original kannte, hält sich in seinen Annalen Y 
1. 69 § 84 gerade an Margarini, führt auch nur ihn an, so dass er diesen wohl 
in Übereinstimmung mit dem Originale wusste. — Anerkanntermassen sind Fäl- 
schungen auf Urbans Namen für M. Casino No. 5447. 5680. Ober No. 5487 siehe 
Anm. 54. — Ein Privileg Gregors VII. für St. Benigne von Dijon No. 5079, wo 
der beschränkende Zusatz saecularium zu quicunque clericorum fehlt, ist noch 
sonst verdächtig (unten Anm. 66) ; im Privileg Urbans für St. Pons No. 5400 schliesst 
sich die gleichfalls unbeschränkte Erlaubnis (tam clericalis quam laicalis ordinis) 
unmittelbar an einen nicht weniger bedenklichen Satz (unten Anm. 61). 

37) Quicunque melioris vitae appetitu vestrum voluerit advenire monasterium, 
libera . . facultas maneat . . eos suscipere Jaffe-Lfd. No. 5372; mit ausdrücklicher 
Ausdehnung auf die clericos reguläres quos canonicos vocant No. 5676. Freilich 
wirft auf dies letztere Privileg einen Schatten die schon von Delisle (Bibl. de l'ec. 
d. chartes IV, 4, 61) als Fälschung erkannte Wiederholung durch P. Alexander 111. 
No. 10614 (wo die Angabe fehlt, dass dies Stück schon gedruckt ist, nämlich 
S. 211 des Bullarium Cluniacense, das nach Löwenfelds Bemerkung zu No. 15542 
für die Neubearbeitung nicht eingesehen wurde und dessen Nachträge, unter denen 
sich die Fälschung findet, auch für No. 6046 schon Jaffe zwischen seinen Stücken 
No. 4507 und 4508 übersah: unmittelbar vor 10614 ist im Bullar. Clun. No. 6046 
gedruckt). Der Brief Abt Gottfrieds von Vendöme Bibl. Clun. 561 beweist nur, 
dass Cluny sich schon im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts rücksichtlich seiner 
Aufnahmen, auch von Mönchen anderer Klöster, auf Privilegien berief. Bei An- 
nahme einer Fälschung in dieser Beziehung müsste man freilich zugleich Ver- 
unechtungen von Privilegien Paschais n. (No. 5845 = 5849. 6164) annehmen. 

38) c. 2 C. XIX q. 3. Gratians Behauptung, dass die Satzung von Urban II. 
herrühre (wirklich konnte nur ein Papst universaliter verbieten), hat abermals 
eine gewisse Gewähr am Polykarpus. Richter und Friedberg führten in ihren Aus- 
gaben des Corp. jur. can. sie auf Bischof Anselm von Havelberg zurück; aber da 
Anselm selbst (de ordine canonicor. c. 24) Urban II. als Urheber bezeichnet, hat 



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58 Zweites Capitel. 

durch eine stattliche Zahl von Privilegien, die, den einzelnen regulären 
Stiftern gewährt, unter anderen Bestimmungen die Vorschrift enthielten, 
dass keiner der ihrigen ohne Einwilligung des Propstes und der Congre- 
gation austreten und anderwärts aufgenommen werden dürfe, vom Ende 
seines vierten Jahres an bis nahe an seinen Tod ^% Auch hier ein Vor- 
bild seiner Nachfolger, die die Freiheit des Austritts, sei es in der näm- 
lichen Fassung, sei es mit Kürzungen, wie schon er sie bisweilen vor- 
nahm, sei es, indem sie sich aus seiner Formel wenigstens einige Elemente 
aneigneten, auf lange hin durch den gleichen Vorbehalt beschränkten 
oder eigentlich aufhoben, Calixt IL, Honorius IL, Innocenz 11.*^^). Und 

Friedberg in seinem Dec.-Programm von Mai 1882 (Über seine neue Ausg. der 
quinque compil. ant.) diese Ansicht aufgegeben. Nur glaubt er noch da (S. 11)^ 
dass der Bischof, als zwischen dem Kloster Huisburg und dem regulierten Stift 
Hamersleben wegen der dem abtrünnigen Propste des Stiftes, Peter, im Kloster 
bewilligten Aufnahme Streit ausgebrochen war, bei Papst Innocenz IL Nov. 1138 
die verwandte Decretale Nulli . . canonicorum (Jaffe-L. 7913) „bewirkt habe". 
Aber dieser päpstliche Erlass ist ein Privileg für die regulierten Stifter im Sprengel 
Halberstadt überhaupt; er enthält neben der angeführten Decretale noch viele 
Sicherungen und Begnadigungen in ganz anderer Richtung, wie nur sonst die 
Privilegien für solche Stifter: eine ausgesprochene Beziehung auf den Streit fehlt 
ihm. Und gerichtet zunächst an Propst Thietmar von Hamersleben erweist er, 
dass jener Propst Peter Thietmars Nachfolger unmöglich vor Nov. oder Spätjahr 
1138 sein Amt antrat, demnach der durch seinen Abfall entfachte Streit erst nach 
der Decretale von 1138 ausgebrochen ist. Dass Anselm am päpstlichen Hofe in 
diesen Streit eingegriffen habe, auch nur anregend, bezeugt weder diese Urkunde, 
noch eine andere (vgl. Anm. 39^). 

39) Statuimus etiam ne professionis vestrae quispiam postquam Dei vice 
super Caput sibi hominem imposuerit alicujus levitatis instinctu vel districtioris 
religionis obtentu . . audeat sine praepositi totiusque congregationis permissione 
discedere; discedentem vero nullus abbatum vel episcopor. et nuUus monachor. 
sine communi literarum cautione recipiat. So in den Privilegien für das Stift 
Raitenbuch und das Domkapitel zu Maguelonne (Jaffe-L. 5459. 5550), aber nach 
Ivo und Gratian (c. 3 C. XIX q. 3) einem Erlasse Urbans IL für das Stift St. Ruf 
d'Avignom entnommen (Jaffe-L. 6763, wo „c. 2'* irreführender Druckfehler statt 
c. 3: c. 2 ist die Decretale Mandamus). Gekürzt um die Worte postquam bi» 
obtentu findet sich in den Privilegien Urbans IL das Verbot des Austritts eines 
Stiftsherm post professionem exhibitam No. 5573 und 5578, des Austritts und 
der Aufnahme No. 5567 (wo die Aufnahme durch eine Erweiterung auch einem 
Stifte untersagt wird : nullus monachor. seu canonicor.) und oft in Urbans späterer 
Zeit, wo er denn regelmässig noch zur Verhängung des Interdicts über den aus- 
getretenen ermächtigt: No. 5579 (für St. Ruf d'Avignon: eben dieser Erweiterung 
wegen möchte ich dies dem obigen No. 5763 nachstellen, das letztere demnach 
zvsrischen 1092 und Sept. 1095 ansetzen). 5629. 5632. 5660. 5692. 5805. 

39 b) Alicujus levitatis — obtentu aus TJrbans IL Formel noch in den Privi- 
legien Calixts IL No. 6721. 6903. 6961 und Innocenz IL No. 7913 (so dass er auch 
für die Fassung — libera hier zu licentia, wie bei ihm schon No. 7675 — keiner 
Anregung Anselms bedurfte: vgl. oben Anm. 38). Die vollständige Decretale 
Urbans IL Statuimus (wie oben Anm. 39 No. 5459. 5550) wiederholen Calixt H. 
No. 7025, die Cardinall egaten des P. Honorius IL (in der vorläufigen Bestätigung 
von Premontre Hugo Ann. ord. Pr. I prob. S. VIII), Innocenz IL No. 8294. Fried- 
berg (oben Anm. 38) schliesst, dass, da hier Innocenz IL Urbans I. gedenkt, auf 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 59 

von dem Abdrucke keines jener über diese Schranke hinaushebenden 
Privilegien fiir Monte Casino und Cluny wird berichtet, dass er auf dem 
Originale beruhe. Dagegen stützt das Original für Göttweig die Er- 
mächtigung, die gleichen Masses imd fast gleichen Wortlautes in den 
nur aus Abschriften uns bekannten Privilegien für St. Blasien, Conques 
und eben auch für Aniane enthalten ist**^): eingeschränkt auf die Zu- 
lassung von "Weltgeistlichen findet sie sachlich ihre mittelbare Bestätigung 
in Urbans Begünstigung und Sicherung der regulären Stiftsgeistlichkeit. 
Aber unhaltbar ist die Bestimmung, die das Kloster Aniane gegen 
die Censuren des Bischofs schützen will: nee ulli episcopo congregationem 
vestram excommunicandi licentia conceditur. Denn wenn ich auch nicht 
bestreite, vielmehr (siehe unten) für wahrscheinhch halte, dass Urban, 
gleich seinen Nachfolgern, Aniane in seinen Schutz genommen hat, so 
bestreite ich doch die neuerdings aufgestellte Ansicht*^), dass mit dem 

den der Bischof Anselm (Ep. ad Egb. a. a. 0. 100) die Decretale Mandamus zurück- 
fährt, Anselms Einfluss sichtlich sei und dass er den Papst zu einem Irrtum ver- 
leitet habe, ,,der in keiner Canonessammlung Dachwei8bar'^ Aber Anselm irrt 
nur bei der Decretale Mandamus, für die Decretale Statuimus nennt er richtig 
den zweiten Urban als Urheber, und nur die Decretale Statuimus wiederholt hier 
Innocenz. (Da der Papst die Decr. Mandamus gar nicht berührt, tritt er auch 
nicht, wie allerdings Anselm, in Widersprach mit dem Verfasser des Polykarp in 
ihrer Herleitung von Urban IL: daher fällt die Stütze für die Behauptung — 
Friedb. S. 8. 12 — , dass der Polykarpus noch 1138 wegen No. 7913 — oder etwa 
noch später wegen 8294 — in Rom nicht benutzt wurde.) Seinerseits zieht Inno- 
cenz n. den ersten Urban gar nicht als den Urheber einer Decretale an, soodern 
nur wegen einer Empfehlung des gemeinsamen Lebens (Seimus vos), wie sie sich 
wirklich in einer Sammlung — im Pseudoisidor (ed. Hinech. S. 143 f.) findet: dazu 
hat Anselm keinen Anlass in seinen Schriften gegeben, wohl aber P. Urban IL, 
der, wie es hier Innocenz thut, nicht nur an Urban L, sondern auch, fast mit den 
gleichen Worten, an Augustin und Hieronymus erinnert (No. 5482 und — wie 
Innocenz vor der Decretale Statuimus — No. 5459: oben Anm. 10). 

40) Für St. Blasien Jaffe-L. No. 5783 (Stellung der Sätze gleich No. 5698 für 
Göttweig), für Conques No. 5802 (gleich No. 5786 für Aniane): und alle vier ge- 
hören den letzten sechzehn Monaten Urbans an. 

41) Blumenstock, Der päpstliche Schutz S. 100—109. Die von ihm S. 105 ff. 
geltend gemachten Entscheidungen späterer Päpste könneu, da er selbst S. 133 ff. 
deren Unsicherheit und auch Unrichtigkeit zeigt, der Auslegung früherer Urkunden 
nicht Mass geben ; dass Innocenz lU. unter diejenigen gehört habe, die „genaueste 
Interpretation angestrebt", findet an dem Falle S. 136 keine Bestätigung. Und 
die aus früherer Zeit von ihm S. 103 f. angeführten Urkunden treffen zum Teil gar 
nicht zu. So No. 4432, wo die Strafgewalt gegen die Kanoniker dem Bischof 
gerade gesichert wird bei einem Vergehen, „unde hoc perpeti debeant"; 5264 
(für Pignerol), wo er übersieht, dass Migne den Schlusssatz, der die Strafgewalt 
berührt, aus der unechten Urkunde für Vendöme anschweisst (No. 4992, die nun 
ihrerseits den Schluss von 5264 bekommt) ; 5389 (nach Ewalds Auszug N. Arch. 5, 
363 ist hier von Strafgewalt nicht die Rede: die Urkunde für das nämliche Stift 
No. 5430 hat einen Vorbehalt zu Gunsten des Bischofs). Andere sind verdächtig: 
so No. 3800 (weil hier, schon im Jahre 979, Conversen der Mönche, und gerade 
in diesem Textesteile erwähnt werden) und No. 4065 (vgl. Anm. 45). Aber Blumen- 
stocks Verdienst ist, die neuerdings von Waitz VG. 7, 218 (trotz der Ausführungen 



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60 Zweites Capital. 

Schutze die Enthebung aus der bischöflichen Zucht und Strafgewalt in 
wesentlichem Zusammenhange gestanden, dass sie sich ohne weiteres, 
als notwendige Folge aus dem Schutze ergeben habe*^^). 

Im allgemeinen findet diese bei der ungeheuren Zahl päpstUcher 
Schutzbriefe weittragende Ansicht schon sachlich keine Rechtfertigung. 
Denn bei denjenigen Schutzverbänden, die auf der Übertragung des Be- 
sitztums eines Klosters oder Stiftes an den römischen Stuhl beruhten, 
war zur Erreichung ihres Zwecks, d. h. zur Sicherung des Besitztums 
gegen einen Angrifi", den der Bischof unter Missbrauch seiner Strafgewalt 
unternehmen würde, nicht die Aufhebung dieser Gewalt erforderlich: hier 
so wenig wie bei einer einfachen Bestätigung des Besitzes, die an sich 
ihrer entbehrt und entbehren konnte, da ohnedies die herkömmhche Com- 
minationsformel am Schlüsse des Urkundentextes jedem Zuwiderhandeln- 
den, also jedem, der an diesem Besitze sich vergreifen werde, „auch einem 
Bischof und Erzbischof", „nach dreimal vergeblicher Erinnerung" die 
päpsthche Excommunication ankündigte. Und bei der anderen Gattung 
der Schutzverbände, nämlich bei denen, die ohne Übertragung des Be- 
sitzes, des Vermögens der Anstalt zu stände kamen, würde mit dem ver- 
mögensrechthchen Grunde überhaupt ein Grund der Enthebung aus der 
Strafgewalt fehlen: hier hat die Sicherung gegen bischöfliches Interdict, 
wenn sie doch vorkommt, deuthch das Gepräge eines besonderen Privi- 
legs, dessen innerer, wesentUcher Zusammenhang mit dem Schutze denn 
auch den Schutzbriefen der ersteren Gattung abzusprechen ist. 

Und sieht man auf die einzelnen Schutzbriefe, so bilden diejenigen, 
welche entweder ausdrücklich durch den sog. bischöflichen Vorbehalt dem 
Sprengeloberen seine kanonischen Rechte überhaupt wahren, oder ihm 
wenigstens die Befugnis ordnungsgemässer Verhängung von Censur und 
Strafe stillschweigend belassen, sofern sie sich bloss gegen die ordnungs- 
widrige kehren, einen zu grossen Teil, um die Annahme zu gestatten, 
dass die Befii-eiung von der bischöflichen Strafgewalt der Ausfluss des 
päpstlichen Schutzes gewesen, dass, wo sie unausgesprochen bleibt, sie 
selbstverständHch gewesen sei. Öfters erhält die Befreiung, wenn wirk- 
Uch in Schutzbriefen erteilt, eine vom Schutze des Vermögens unabhängige 
Begründung, oder eine Zweckbestimmung eigener Art, durch die sie denn 
auch beschränkt wird. Sie tritt hie und da zu einer' in früherer Zeit 
erteilten Schutzzusage als neue Gunst hinzu. 

Ich fasse, wie denn wohl bei keinem kirchHchen Rechtsinstitut mehr 
als bei diesem, zur Vermeidung irriger Vorstellung von seiner jeweiligen 
Gestaltung, die Zeiten der verschiedenen Päpste auseinandergehalten wer- 

Thomassins) ausgesprochene Ansicht, der päpstliche Schutz habe „Freiheit von 
jeder bischöflichen Gewalt verliehen", mit vollem Erfolg widerlegt zu haben: die 
von Waitz höchst spärlich beigebrachten Schutzbriefe enthalten von solcher Frei- 
heit nichts, auch nicht der für Gandersheim (JafFe-L. 3721 = 2852; die ältere 
Urkunde No. 3642 = 2793 ist verun echte t) : wie hätte auch Gandersheim, enthoben 
der bischöflichen Gewalt, für die Bischöfe von Mainz und Bildesheim zum Streit- 
apfel werden können? 

41 1>) Eine umfassende Einwendung vom Standpunkt der Technik der Gesetz- 
gebung macht gegen Blumenstocks Ansicht Hinschius Kirchenr. 5, 332 nt. 1. 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 61 

den müssen, nur die Schutzbriefe Urbans II. ins Auge. Jener bischöf- 
liche Vorbehalt (salvo canonico jure episcopi, ecclesiae, salva episcopi 
justitia, s. episcopi canonica reverentia) findet sich gerade in seinen Privi- 
legien für Klöster und Stifte sehr häufig. Fügt er sich meist der Siche- 
rung des Vermögens an, so lehrt doch, dass der Vorbehalt nicht bloss 
Vermögensrechte des Bischöfe und der Bischofekirche wahren sollte, 
TJrban selbst, wenn er ihn nun wieder durch einen Zusatz beschränkt, 
der dem Sprengeloberen die Verhängung grundloser (temeraria) Excom- 
munication verleiden soll, also eine begründete unter dem Vorbehalte mit- 
begreift, wenn er in anderen Fällen den Vorbehalt macht, wo auch Juris- 
dictionsrechte oder die jura ordinis in Frage kommen**). Mehrfach be- 
gründet er die Befi'eiung von der bischöflichen Strafgewalt auf die von 
ihm vollzogene Weihe eines Altars der Anstalt, und einmal sucht er sicht- 
lich nach solch besonderer ßechtfertigung, da er die Enthebung des Klo- 
sters St. Gilles, das sie schon November 1091 erhalten hatte, noch Sep- 
tember 1095 in Erinnerung an seine Teilnahme an der dortigen Feier 
des Egidienfestes und Juli 1096 unter Hinweis auf seine Altarweihe ver- 
kündet: hier, wo seine segnende Hand geschwebt, sollte die strafende 
eines anderen lürder nicht lasten. Also fi'eihch ein Schutzverhältnis (wie 
Urbans Nachfolger Paschal einen durch päpstUchen Weiheact zu stände 
gekommenen Verband zwischen einem Kloster und dem päpstUchen Stuhle 
wirkhch so bezeichnet), aber doch ein eigenartiges, das denn ürban öfter 
vom gemeinen Schutze auch stilistisch abhebt*^). Es kommt auch vor, 



42) So modificiere ich die Ansicht Thaners (in seiner sehr gründlichen Ab- 
handlung SB. der k. k. Ak. d. W. phil.-h. Cl. 1872 S. 835), dass sich's beim bischöf- 
lichen Vorbehalt „wesentlich" um Einkommen, Zehent und Nutzung gehandelt 
habe. Jaffe-Lfd. No. 5567 und 5624 handelt sich's um die Einsetzung von Pfar- 
rern, besonders um deren Verantwortung für die Seelsorge vgl. Gariel ser. ep. 
Magalon. 1, 143 und unten Anm. 64; No. 5612 um die sepultura; No. 5728 (salvo . . 
jure canonico, ita tamen quod neque episcopo neque archidiacono liceat teme- 
rariae excommunicationis gravamen . . irrogare) um die Strafgewalt. Die „reve- 
rentia episcopi" betrifft No. 5588 die Weihe und andere Gewalt, No. 5396 die Teil- 
nahme an der Besetzung des Abtsstuhls. Hiernach konnte denn ein Bischof den 
Vorbehalt auf alle seine Rechte ziehen (vtrie No. 5603. 5604 auch einmal einem 
Abt, dem von Cluny, durch salva reverentia die Gesamtheit der Rechte gewahrt 
wird, die aus seinem Regimente über die membra von Cluny erüossen), auch wenn 
der Vorbehalt unmittelbar der Sicherung des Besitztums angefügt war, was aller- 
dings in Urbans Schutzbriefen am häufigsten der Fall ist: No. 5430. 5462. 5539. 
5553. 5579. 5594. 5596 (s. jure et subjectione). 5618. 5623. 5672. 5673. 5692. 5697. 
5781; und da ist nirgend von Aufhebung der Strafgewalt zur Sicherung des Be- 
sitzes die Rede. In späteren Urkunden, z. B. für St. Bertin (No. 6769. 7167 vgl. 
6373) beschränkt die reverentia episcopi die klösterlichen Freiheiten überhaupt. 

43) Über St. Gilles Jaffe-Lfd. No. 5453 (nee episcopo liceat) 5577 (nuUi Archi- 
episcopo liceat). 5659 (ne quis Archiepiscopus aut episcopus). Sonst No. 5604, 
5627. 5638. 5649. 5660 (aber nicht 5639 trotz auch da erwähnter Altarweihe vgl. 
5920). Die Enthebung wird nicht als Ausfluss aus der Schutzerteilung, sondern 
als Zuwachs zu der in dieser enthaltenen Gunst gefasst: subjungimus, adicientes 
statuimus, praeterea sancimus — stilistisch gleich der Anfügung des Rechts der 
Abtswahl — vgl. Anm. 47. (Aus dem Bereiche der sog. persönlichen Schutzbriefe 



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Q2 Zweites Gapitel. 

dass die Strafgewalt dem Ordinär nur genommen wird zur Sicherung der 
den Mönchen erteilten Befugnis, die Segensspende für ihren neugewählten 
Abt im Falle einer ungebührlichen Heischung des Sprengeloberen von 
einem anderen Bischof einzuholen, oder die Enthebung hat zur Bedingung 
die Bewahrung des kanonischen Lebens, so dass, wenn jener Fall nicht 
eintrat, wenn diese Voraussetzung sich nicht erfüllte, das bischöfliche 
Recht unvermindert bestand (No. 5554. 5558). Wie wenig es überhaupt 
durch den gemeinen Schutz Abbruch erhtt, erhellt klärlich an den im 
Verbände Clunys begriffenen Klöstern. Als „Glieder von Cluny" standen 
sie alle unter päpstHchem Schutz, aber nur einige von ihnen waren, meist 
eben weil Urban hier Weihehandlungen vollzogen hatte, der bischöflichen 
Strafgewalt enthoben. Dagegen erhielt das Priorat Sauxillanges mit der 
Freiheit von der Pflicht, ein Sprengelinterdict zu beobachten, keineswegs 
Sicherung gegen die Gefahr, selbst interdiciert zu werden. Im Schutzbriefe 
für St. Denis de Nogent-le-Rotrou und in dem für St. Martial zu Limoges 
findet sich der Vorbehalt zu Gunsten des Bischofs. Als St. Bertin, das 
schon fi'üher mit einem Schutzbrief ausgestattet war, der Leitung Clunys 
übergeben ward, ermächtigte ürban den Abt Hugo nur unter ausdrück- 
licher Wahrung der Rechte des Ordinars, den dortigen Abt bei etwaigem 
Widerstand abzusetzend^). Und dass Cluny selbst seine Freiheit nicht 
einem gewöhnhchen Schutzbriefe, sondern einem eigenen Privileg ver- 
dankte, das in besonders nachdrücklicher Weise schon P. Alexander II. 
gewährt, das danach nicht minder feierlich Gregor VII. und Urban II. 
erneuert haben, zeigt der Bericht über die Verhandlungen, zu denen die 
trotzdem vom Sprengeloberen verhängte Excommunication und Inter- 
dicierung noch unter Alexander 11. und dann unter Gregor VII. geführt 
hat: auf das Wesen eines Schutzbriefes, auf seine vermeintlich selbst- 
verständHche Tragweite ist da die Bede nicht gekommen, sondern auf 
den Wortlaut bestimmter Privilegien; und die Bischöfe von Mäcon, erst 
Drogo, dann Landricus wären nicht im stände gewesen, sich mit dem 
Vorwand der Unkenntnis der ihrer Gewalt gezogenen Grenze zu decken, 
wenn der päpstliche Schutz an sich diese Grenze gebildet, wenn er ohne 
weiteres die bischöfUche Strafgewalt aufgehoben hätte *^). Dann aber ist 



ein Beispiel der Mehrung des Schutzes durch Sicherung gegen bischöfliche Straf- 
gewalt unten Anm. 112.) Als Veranlassung des Schutzes gilt eine Altarweihe 
ürbans in der Urkunde Paschais No. 6053 (sicut per Roman, pontificem prima con- 
secrationis suscepit primordia, sie sub Roman, semper pontificis tutela subsistat) 
vgl. 5968 (juris apost. sedis in tantum quod domin. Urbanus manu propria eam 
consecravit). 

44) No. 5652 Cluniacensis coenobii membra semper sub ap. sedis tutela. 5586. 
5594. 5639. 5725 (vgl. 5628). Nicht anders hiess ürban No. 5560 die Äbte von 
St. Victor zu Marseille Ausschreitungen und Vergehen der Vorstände der zahlreich 
von der alten spanischen Mark bis zur Auvergne und der unteren Rhone ihnen 
übergebenen Klöster nur „cum parochiani episcopi consilio regulari autoritate 
corrigere". So noch später in Privilegien für Premontr^ (unten Anm. 104). 

45) Bibl. Clun. 510 cum in hac excommunicatione . . ille (episcopus) . . pri- 
vilegiorum tenorem ac seriem se legisse vel agnovisse constantissime propulsaret, 
tandem . . ad hunc finem causa perducta est, nt eps juraret . . .: „privilegior. 

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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 63 

es nicht bloss für die Geschichte des deutschen Reichs, sondern auch 
kirchengeschichtlich bemerkenswert, dass Urban in seinen Schutzbriefen 
für die deutschen Klöster und Kegularstifter, meines Wissens mit nur einer 
Ausnahme, von Bann und Interdict durchweg schweigt, dass er in seinem 
Kampfe mit dem Kaiser gerade sie, die deutschen — so viel Rücksicht 
glaubte er auf das Bischoftum Deutschlands nehmen zu müssen — wehr- 
los den Sprengeloberen überUess, nicht bloss seinen Getreuen von Con- 
stanz und von Passau, sondern auch dem Mainzer Euthard, ehe er vom 
Kaiser abfiel, und dem allezeit kaiserlichen Johann von Speier, diesem 
sogar das Kloster Hirschau*®), das sein Schutzbrief so wenig irgend einem 
Bande der Abhängigkeit vom Sprengeloberen enthob, dass er nach all 
dem Verdienst, das es sich unter Abt Wilhelm um den päpstlichen Stuhl 
erworben hatte, vielmehr wie nur das Privileg Gregors VII., die kano- 
nischen Verhältnisse ausdrücklich wahrte. Die Ausnahme ist Allerheiligen 

tenorem ac seriem tunc ad liquidum non cognovi". Aus der Zeit des Bischofs 
Landricus S. 513: ille vero cum se Privilegium minime legisse fateretur u. s. f. 
In der Aufzeichnung des bischöflichen Capitels (cartul. de St. Vinc. de Mäcon p. p. 
Ragut 307) eps . . synodali decreto pergavit se scienter Romana privilegia non 
lesisse. Die hier einschlagenden Privilegien (Ja.-L. 4065. 4513. 5551. 5676) sind 
freilich in anderen. Stücken nicht unverdächtig (zu 4065 ein Bedenken schon bei 
Jaffe, das Bresslau bei Sackur I, 191 nt. 3 nicht völlig gehoben hat: dazu giebt 
es sich bei gänzlichem Fehlen des Schlussprotokolls doch den Schein des Origi- 
nals; die Berechtigung der Aufnahme weiter ausgedehnt als in dem um 40 Jahre 
jüngeren No. 4513 — auch auf Anathematisierte, auch pro sepultura corporis; zu 
No. 5676 oben Anm. 36). Als Ausfluss des päpstlichen Schutzes gilt die Sicher- 
stellung gegen die bischöfliche Strafgevralt hier nirgend, vielmehr als eigens ge- 
währte Freiheit (Überaus libertas, libertatis potestas); zumal Gregor VII. erteilte 
sie 7. März 1080 (Bull. Clun. 21: ohne Hinvreis auf Urkunden seiner Vorgänger) 
in Anerkennung der Heiligkeit der Äbte und des Edelsinns der Mönche. Die 
Motivierung, die Blumenstock D. Zts. f. KR. III, 3, 356 an 4065 klassisch findet 
(Inhonestum) — diese fehlt gerade den übrigen, während die Arenga Cum omnium 
fidelium unter diesen noch 4513. 5676 (dazu im Spur. 10614) wiederkehrt, aber 
sonst nicht begegnet. Der von ihm aus No. 5134 betonte Gegensatz zur bischöf- 
lichen Gewalt ist nicht allein tutela Romana, sondern zugleich solius Romani 
pontificis Judicium. 

46) Neben Hirschau (No. 5543 vgl. 5279) noch Raitenbuch (5428), Reinhards- 
brunn (5462. 5508), Zwiefalten (5483), St. Georg und St. Peter im Schwarzwald 
(5542. 5545), Marbach i. Elsass (5629), Beuron (5692), Wiblingen (5697), Neresheim 
(5765), Blaubeuren (5781), St. Blasien (5783), St. Paul i. Kärnthen (5784). Darunter 
enthalten No. 5462. 5692. 5697. 5781 den bischöflichen Vorbehalt. Und es waren 
meist Neugründungen, wo die Gewährung der Freiheit wenigstens nicht als Ein- 
griff in das Herkommen sich fühlbar gemacht hätte. Man hat wohl gesagt (Blumen- 
stock S. 114), dass die Schutzklöster als „Bundesgenossen des Papstes" den Beruf 
gehabt hätten, durch „Kanzel und Beichtstuhl" auf das Volk zu wirken; indes 
for das Volk besassen die Klöster Kanzel und Beichtstuhl nur in den in ihrer 
Gewehre stehenden Pfarrkirchen, da aber waren die Geistlichen, wenngleich vom 
Kloster präsentiert, für ihre Seelsorge unter der Verantwortung vor dem Bischof, 
dem durchaus kein Privileg die Strafgewalt über V^eltgeistliche entzog, dem viel- 
mehr gerade dieser Papst sie durch seine Gesetzgebung sicherte (unten Anm. 64). — 
Eine andere Abhängigkeit, in der Urban gerade die deutschen Klöster von ihren 
Bischöfen Hess, Anm. 62. 



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54 Zweites Gapitel. 

von Schaffhausen, da er eine Excommunication und Interdicierung dieses 
Klosters zwar noch nicht in seinen ersten Schutzbriefen von 1090 und 
1092 (No. 5429. 5457), aber, ohne dass ein Wechsel im Bischofsstuhl 
von Constanz erfolgt war, im dritten 1095 von der Erlaubnis des päpst- 
lichen Stuhles abhängig machte*'). 

Bei solcher Sparsamkeit Urbans im Bewilligen dieser Freiheit ist es 
von vornherein kaum glaublich, dass sie dem Kloster Aniane zu teil 
geworden sei, dem nämUchen Kloster, dessen Abt er vor viertehalb Jahren 
in seinem Spruch von Clermont dem Bischof von Maguelonne das Ge- 
löbnis schuldigen Gehorsams auch de judidis abzulegen und totius sub- 
jectionis debitum zu leisten geheissen hatte, dessen Stätte er auf seiner 
Durchwandei-ung Südfrankreichs unseres Wissens durch keine Weihe aus- 
gezeichnet, vielmehr, wie es scheint, etwa noch unter der Missstimmung 
von jenem Handel zu Clermont, gemieden hat, wogegen er am nahen 
Bischofssitz eingekehrt, fünf Tage gebheben und hier zu einer Weihe ge- 
schritten ist (Juni 1096). Wenn ich oben immerhin für wahrscheinHch 
erklärte, dass er durch eine Urkunde das Kloster in Schutz genommen 
hat, so bhckte ich auf echte Urkunden seiner Nachfolger JEugen IIL, 
Hadrian IV., Anastas IV. für Aniane, die eine Schutzzusage enthalten ; 
aber der Schutz ist in diesen späteren Urkunden der gewöhnliche, und 
auch sie lehren, dass er in dieser Fassung die bischöfliche Jurisdiction 
nicht aufhob; sie erweisen vielmehr gerade, dass Aniane von ihr nicht 
befreit worden ist: denn nach ihrem Wortlaut war noch um die Mitte 
des 12. Jahrhunderts, so lange nach Urban II., dem Sprengeloberen bei 
vorhandenem Eechtsgrunde die Verhängung des Interdicts unbenommen*®). 

Verunechtet ist femer die Ermächtigung, gemäss letztem Willen oder 



47) No. 5580: von der Zusage des Schutzes weit abgetrennt durch Bestim- 
mungen über Klostervogtei , über Begräbnis, über Kirchenzehnt, und eingeleitet 
(vgl. Anm. 44) durch ad haec adicimus. Demnach eine besondere Bewilligung, 
wie sie Urban No. 5577 dem Kloster St. Gilles „ampliori munimime" macht (vgl. 
5649 — V. Pflugk-H. 111, 19 — ampliori veneratione nach der Altarweihe), 
eine Erweiterung des Privilegs, die nicht weniger sichtlich in späterer Zeit S. Fre- 
diano di Lucca erlangte, wenn die Strafgewalt dem Bischof durch No. 9920 — 
V. Pflugk-H. III, 155 — pro certis culpis quas fratres . . emendare contempserunt 
noch gelassen, dagegen durch 16369 bis zum Eintreffen eines speciale mandatum 
Rom. pontificis genommen ward. — Schaffhausen nach Paschal „specialis S. Petri 
et Pauli thalamus" (No. 5970). 

48) Darüber unten Anm. 103. In der vorliegenden Urkunde Urbans ist auch 
die Fassung unstatthaft: nee uUi episcopo congregationem vestram excommuni- 
candi licentia conceditur (in Paschais Bulle concedatur), als ob der Bischof die 
Jurisdiction, die nach den Canones ihm an sich gehörte, erst durch ein Zugeständnis 
von höherer Stelle erlangen könnte (Blumenstock legt a. a. 0. 104 und noch D. 
Zts. f. KR.. III, 3, 356, ohne die Entscheidung von 1095 zu beachten, diesem Aus- 
druck „ganz besondere Bedeutung' ' bei. Mit besserem Fug nahm schon Launoy 
00. ni, 1, 220 § 7 die dem allgemeinen Rechtsverhältnis ebenso zuwiderlaufende 
Fassung facultatem non damus in Paschais IL Urkunde No. 6128 als ein Merkmal 
der Unechtheit; sicherlich müsste, wäre durch den Schutzbrief wirklich das Recht 
der Gensur dem Bischof entzogen worden, redditur oder reddatur stehen): richtiger 
gewöhnlich non liceat, non facultas sit, non debeat, wodurch sie ihm entzogen 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. g5 

frommem Wunsche eines Verstorbenen ihm, wenn er nicht im Banne 
geendet habe, beim Kloster sein Grab zu bereiten und auch die Erbschaft 
seines Veiinögens in welchem Umfange immer anzutreten. Vielen Klöstern 
hat Urban die Befugnis der Au&ahme des entseelten Körpers eines 
Fremden in ihren Friedhof zugestanden, nach einer Formel, die, wie die 
des Wahlrechts in seiner Kanzlei geschaffen, während der letzten vier 
oder fünf Jahre seines Regiments oft von ihm noch zur Verwendung 
gebracht und gleich der Formel des Wahlrechts (oben S. 49) von seinen 
Nachfolgern auf Jahrhunderte beibehalten worden ist. Aber was hier 
darüber hinausgeht*®), rührt von Fälscherhand her. Gleich seine zweifel- 
los echten Privilegien, eine grosse Zahl, zeigen, dass er mit nichten ge- 
wöhnt war, der einen Befugnis die andere, die vermögensrechtHche zur 
Begleitung zu geben: und vollends imglaubhaft ist, dass er diese ohne 
Vorbehalt wie hier, ohne jegliche Kürzung zu Gunsten Dritter erteilt 
hätte, da er vielmehr (ich bleibe bei seinen Riviiegien und sehe zunächst 
von seiner Gesetzgebung ab) einigemal die der Pfarrkirche oder der 
Bischofkirche an sich zustehende Gebühr ausdrückhch wahrte '^^). Man 



oder beschränkt wird. Lässt doch hie und da noch die gewöhnliche Fassung 
Bedenken gegen die Echtheit. So bei No. 5655 und 5656 (fest gleichlautend) für 
die (nicht weit von einander entfernten) Klöster S. Marien zu RipoU und S. Stephan 
zu Banolas: nach 5134. 5560 waren beide dem Kloster St. Victor zu Marseille über- 
geben, dessen Abt die Aufgabe hatte ,,cum parochiani episcopi consilio^^ gegen 
Vergehungen einzuschreiten, während durch 5655 und 5656 sie vor der bischöf- 
lichen Excommunication und Interdicierung gesicheii) werden (durch 5655 auch 
die Capellen circa ambitum monasterii — wie nur die bei St. Victor selbst durch 
5134): No. 5655 und 5656 können neben 5560 auch deshalb nicht bestehen, weil 
jene zwei, ohne des Abts und der Genossenschaft von St. Victor zu erwähnen, den 
Mönchen die völlig freie Wahl ihrer Vorstände erteilen, wogegen nach 5560 der 
Abt von St. Victor ihre Wahl leiten und die Wahl erforderlichen Falls auf einen 
Mönch von St. Victor lenken sollte (gleich der Empfänger von No. 5655 ist nach 
Annal. S. Victor. Mon. Germ. Scr. 23, 23 aus St. Victor gekommen, Abt Bernhard). 

49) Sepulturam quoque ejusdem loci liberam esse decernimus ut eorum 
qui illic sepeliri deliberaverint (aut possessionis sive substantiae qualemcunque 
quantitatem coenobio ipsi erogando delegaverint) devotioni et extremae voluntati, 
nisi forte excommunicati sint, nullus obsistat. Das der Formel Fremde, dem 
Privileg für Aniane Eigentümliche, habe ich in Klammern geschlossen: so kommt 
ohne weiteres zur Anschauung, dass von der strafPen Hand, die die Formel ge- 
bildet hat, nicht die auflockernde Erweiterung herrühren kann, und zu Tage liegt 
der Zusammenhang mit jener verunechteten Bulle Johanns XV. (oben S. 42 f.): 
quicunque . . tumulari se in praedicto loco petierit, possessionis seu substantiae 
suae qualemcunque quantitatem jam dicto coenobio erogandam delegaverit nullo 
pacto . . prohibeatur (Gall. ehr. VI J. col. 345 E). 

50) Salvo parochianae ecclesiae debito für S. Peter zu Puteoli No. 5539 vom 
1. Febr. 1095 (eine der frühesten Verleihungen nach dieser Formel); dann No. 5635 
salva canonica Andegavensis episcopi reverentia, ein Zusatz, der auch das Privi- 
leg für TuU No. 5612 (sepulturam . . secundum antiquam et canonicam consuetu- 
dinem permanere decernimus, salva pp.) beschränkt. Unter ürbans Nachfolgern 
lautet der Vorbehalt, der nun bleibender Bestandteil der Formel (Anm. 49) ward, 
salva tarnen justitia illarum ecclesiarum, a quibus mortuorum corpora assumuntur 
(Rodenb. praef. ad Epiet. XIHmi saec. I, S. XVn No. 33). 

Püokert, Aniane und Gellone. ^ 



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^6 Zweites Capitel. 

dürfte sich schon verwundem, wenn das echte Privileg ürbans, sollte es 
noch zum Vorschein kommen, zeigte, dass, nach dem Unwillen, den über 
Aniane das Unterfangen der Mönche, Leichen „von überall her auf ihren 
Friedhof zu ziehen", in der Kirchenversammlung zu Clermont gebracht 
hatte, das Kloster jetzt dazu ermächtigt worden wäre. Nimmt man doch 
wahr, dass sogar manchem Römerkloster die einfache sepultura libera 
versagt bUeb*^^). Und versagt blieb selbst dem in dieser Beziehung be- 
vorzugten Cluny wenigstens die Befugnis, dabei Vermächtnisse in unbe- 
schränktem Umfange anzunehmend^). Aber mittelst Fälschungen haben 
das Recht auch andere Klöster zur Geltung zu bringen gesucht. So 
La Cava durch eine Urkunde ^^), deren Unechtheit an einem Einschlag 
von noch dreisterer Hand kennthch wird: ich meine das in Urbans Zeit 
noch unerhörte Ablassprivileg, wie es die Wallfahrer „nach S. Jago di 
Compostella im Kommen und Gehen verdienen", — und Banzi, das auch 
sonst in Trug und in der Sichtung des Truges mit La Cava wetteifert *^^). 



51) Z. B. fehlt sie im Privileg für Blaubeuren No. 5781 und für St. Semin 
zu Toulouse No. 5787. 

52) Das weitgeheodste unter den Privilegien Glunys (No. 5676 vgl. oben 
Anm. 45) gestattet nur, einem, der sein Grab dort suche, auch wenn er unter dem 
Banne stehe (cujuscunque obligatus anathemate), den Hafen der Rettung offenzu- 
halten. Erst im Privileg Paschais II. No. 5849, das auch der sepultura libera zu 
Cluny eine Grenze zieht (nisi qui pro certis criminibus excommunicati sint), wer- 
den dafür die defunctorum eleemosynae (aber nicht wie hier substantiae qualis- 
cunque quantitas) gesichert (und auch sie vermutlich nicht vorbehaltlos: unten 
Anm. 77). 

53) No. 5467 Nulli episcoporum licitum sit quartam vel tertiam partem . . 
exigere. Unter den echten Privilegien dieses Klosters schweigt das von Urban II. 
einige Monate nachher erteilte (5479 Or.) und noch das Paschais II. (5837 Or.) 
darüber ganz, während das um Jahre frühere No. 5410 das Drittel ausdrücklich 
dem Bischof wahrt. Vornehmlich ist der weit ausgedehnte, nach Zeiten, einzelnen 
Altären, Dauer der Wirkung mannigfach abgestufte Ablass, der hier gewährt wird, 
dem 11. Jahrhundert noch fremd: No. 5618 für den Besuch am Tage der Kirch- 
weihe nur Erlass eines Siebentels der Sündenstrafen, ebenso in dem Bericht über 
ürbans Kirchweihe zu Vendöme (Jaffe-Lfd. unter 26. Febr. 1096), sehr einfach noch 
in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts No. 10852. 11172 (auch aus An- 
lass von Kirchweihen durch den Papst). S. Jago besass Ablassprivilegien unter 
Urban IL noch nicht (No. 5601), ja noch nicht unter Paschal IL (No. 5880. 5986); 
und hätte es sie besessen — sie würden gerade damals, 1092, geruht haben, in- 
folge eines über der Kirche von Compostella lastenden Interdicts (No. 5368: nur 
die Bussen selbst, poenitentias, sollte hiernach das Interdict unberührt lassen, aber 
natürlich nicht einen Erlass der Busse), und aufgehoben wurde das Interdict wahr- 
scheinlich erst 1095 (vgl. No. 5601). Vgl. Anm. 54. 

54) No. 5487 (ut omnes . . qui in morta vel vita . . quaelibet bona . . elee- 
mosynarum largitione conferre voluerint, nullius contradictio inhibeat). Die Un- 
echtheit ist mir zweifellos, namentlich wegen der (noch dazu auf die Verwendung 
von Laien — nobilium virorum zweimal — zurückgeführte) Gewährung von kirch- 
lichen Freiheiten, die, bestehend in der Aufhebung aller bischöflichen Rechte über 
sämtliche Kirchen und Ortschaften des Klosters, also innerhalb und ausserhalb 
des Sprengeis, selbst der Abt von Cluny nicht erreichte (No. 5384. 5676), die sich 
aber ähnlich in einer Fälschung für La Cava finden (No. 5480 ut — ecclesiae 



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Aniano im Zeitalter des Investiturstreites. 67 

Diese beiden Privilegien widersprechen nicht nur dem Brauch, den Urban 
anderwärts einhält, sondern auch der Ordnung eines seiner Vorgänger, 
die im fünften und sechsten Jahre seiner Regierung, dem sie angeblich 
entstammen, wahrscheinlich noch bestand: denn Leo IX. hatte durch ein 
Schreiben an die Bischöfe Italiens verfügt, dass, wenn jemand in ein 
Kloster trete oder bei einem Kloster beerdigt werden wollte, von dem, 
was er da für sein Seelenheil auswerfe, die Hälfte seiner Pfarrkirche ver- 
bleiben solle ^^). Und unser Anianer Privileg, aus seinem zwölften Jahre, 
würde gar eine Satzung brechen, deren Urheber er selbst ist. Denn 
sehe ich auch ab von den Schlüssen des Concils zu Clermont, die in 
diesem Stücke nicht sicher 'überliefert sind (in einer Handschrift wird 
der Pfarrkirche das Viertel vorbehalten; zwei andere beschränken sich 
auf die Zusichenmg der Wahl der Grabesstätte, sie tragen aber doch auch 
nichts aus, die IVeiheit der Verfügung über den Nachlass zu begrün-^ 
den^*^**), so hat er in einer Kirchenversammlung beim Lateran, die wahr- 
scheinHch in sein zehntes Jahr fällt, durch eine „Dispensatio" den Vor- 
behalt zwar ermässigt, aber nur bis zum Drittel, und durch eine andere 
Entscheidung („Sententia") hat er daneben (für Landschaften, wo sich 
auf Grund der Verfügung Leos IX.' ein Herkommen gebildet hatte?) 
es bei der Hälfte belassen*®). 



extra . . civitatem et diocesim sitae — ab omni episcopali jtire praeter cathe- 
draticum sint immunes). Wie gleichen Schritt die Mönche von Banzi und die von 
La Cava zu halten suchten, lehrt auch No. 5488 (da unter den echten Urkunden 
aufgeführt, wie No. 5487, und noch von Giesebrecht KG.*^ 3, 457 für seinen Abriss 
der Lebensgeschichte Urbans benutzt), ein Machwerk, das mehrere Stücke der 
Anm. 53 besprochenen Fälschung für La Cava No. 5467 wiederholt, nämlich den 
Bericht über des Papstes Aufenthalt im Kloster (bis auf den Namen des Klosters 
wörtlich) und die (etwas weiter gehende) Ablassbewilligung. (Übrigens keine eigent- 
liche Urkunde, sondern im Texte nur Auszug aus der Urkunde in erzählender 
Porm.) Das echte Privileg Paschais No. 5945 hat von all dem nichts. 

55) No. 4269. Nur wird es hier zu eng gefasst: es bezog sich nicht nur auf 
<lie bei Eintritt ins Kloster, also von Lebenden beabsichtigte Verfügung, sondern 
auch auf die im Todesfalle (mehrmals sive in vita sive in morte). Die Decretalen 
"Gregors IX., denen es eingereiht worden ist, haben es gerade unter den Bestim- 
mungen de sepultura. 

55 b) Cod. Laurent, bei v. Pflugk-Harttung 2, 161 f. § 18; cod. Lamberti c. 8 
= Taruan. 12 (Mansi XX, 817 Sdralek in Knöpflers pp. kirchengeschichtl. Stud. 
I, 2, 134). 

56) Das Drittel erscheint schon 1089 in Einzelurkunden, z. B. für La Cava 
<No. 5410. 5411) vgl. No. 5403. Die Dispensatio Urbani ist so wenig wie die Sen- 
tentia Urbani uns unmittelbar überliefert, sondern nur, gleich bei Anwendung auf 
einen einzelnen Sprengel, in einem Privileg P. Calixts II. für die Kirche Mague- 
lonne No. 7093 und, nach den Correctores Romani zu c. 12 C. XIII q. 2, in einem 
sonst unbekannten Briefe Urbans II. an Bisch. Gottfried von Maguelonne No. 5775. 
(Überall ohne Verweisung auf die gleichartige Verfügung eines Vorgängers, daher 
■ei mir fraglich ist, ob die um mehr als ein Jahrhundert späteren Sammler (der 
Bog. CoUectiones und Compilationes) samt Raimund de Penafort mit Recht No. 2536 
Äuf Leo III. zurückführen). Aber wenn so wiederum nur aus dem Archiv dessen, 
der Anianes Gegner war, uns Kunde von Urbans Eingreifen kommt, so halte ich 
4Bie doch für sicher, da der Satz Leos IX., von dem Urban ausgeht, eben noch 



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6 g Zweites Gapitel. 

Wie nun diese Bestimmung sich, wenigstens in ihrem formelwidrigen 
Teile, als fälschende Einfügung verrät, so ist eine dritte, diejenige, auf 
die es hier vornehmlich ankommt, die in ihrem Inhalte mit der Ver- 
unechtung der Urkunde Karls d. Gr. zusammentriflft, durch eine weit- 
gehende Tilgung hervorgebracht, die Ermächtigung zur freien Wahl eines 
Bischofs für die Einsegnung des Abts und fiir die Klerikerweihen der 
Mönche. Denn mehrfach macht Urban, wie in diesem Anianer Schrift- 
stück, rücksichthch beider Übungen bischöflichen Amtes eine überein- 
stimmende Bewilligung, mehrfach verbindet er, wie hier, diese Be- 
wilhgungen unmittelbar mit einander, mehrfach ist das stiHstische Band 
zwischen beiden, wie hier, das Wort idena oder id ipsum, so dass eine 
Formel durchschimmert. Aber die Formel trug, unbeschadet mancher, 
vorwiegend stilistischer Abwandlung, nach Ausweis der übrigen Privilegien 
Urbans eii) völUg anderes Gepräge als hier, indem sie die Rechte des 
Sprengeloberen nicht aufhob, sondern gerade wahrte. In dem nächst- 
vorajigegangenen und, sehen wir auf die Empfänger, auch räumlich nicht 
weit abstehenden für S. Culgat heisst es im Anschluss an die Abtswahl 
„electus autem a dioece^ano episcopo consecretur, siquidem 
gratiam et communionem ap'ostolice sedis habuerit et gratis 
ac sine pravitate id exhibere voluerit; alioquin ad Komanum 
pontificem recurrat, aut ab alio quem maluerit catholico antistite 
consecretur. Idem et de ordinationibus fratrum, de chrismate, de 
altarium sive basilicarum co^^secratione statuimus*'). Zu zwei- 
feln, dass Aniane von Urban in diesem Betreff ein Privileg erhalten habe^ 
ist kein Grund vorhanden; ich zweifle aber auch nicht, dass das Privileg 
von einer späteren Hand, die die oben im Druck herausgehobenen Worte 
ausmerzte und die stilistisch nun erforderhchen Änderungen vornahm, die 
gegenwärtige Gestalt erhielt: „electus a quo maluerit episcopo benedica- 
tur; id etiam de fratrum qui ad sacros ordines promovendi sunt ordina- 
tione statuimus". Denn mit Ausnahme von Cluny und St. Victor zu 
Marseille, denen Urban allerdings die zwei Zugeständnisse, in deren 
Besitz Aniane durch ihn gelangt sein will, aber in einer vom vorhegen- 

anderweit bezeugt ist, und die Ermässigung des Satzes nicht dem Bischof, sonderD 
dem Kloster zu gute kam. Und dass das Drittel wirklich im Sprengel üblich ge- 
wesen oder später geworden ist, wird uns aus einem anderen Archive kund, durch 
den Schied zwischen Maguelonne und Cluny vom Jahre 1163 (Baluze Mise. 7, 88 
ed. nov. 2, 122; aus dem Cartular von Cluny). — Übrigens muss nach dem Wortr 
laut von 7093 die Sententia Urbani seiner Dispensatio nachgefolgt sein. 

57) Jaffe-Lfd. No. 5715. Mit geringen Abweichungen No. 5802 für Conque» 
(ohne de chrismate) ; 5429 (Orig.) für Allerheiligen zu Schaff hausen (nach pravitate 
noch omnique transactione seposita); 5435 für Marmontier (nach de chrismate 
noch de oleo sancto, nach pravitate noch omnis professionis exactione seposita); 
5555 für Pignerol (mit der Einschränkung der Wahl des Notbischofs auf die zu 
derselben Kirchenprovinz gehörigen : übrigens folgt hier auf idem etiam, wie aller- 
dings auch im Privileg für Aniane, nur de monachorum ordinationibus concedimus). 
Stärker sind die Abweichungen, doch vorwiegend stilistischer Art in No. 5402 
(nicht, wie der Herausgeber sagt, für St.Aignan — diese neuere Form des Namens 
gebührt dem Chorherrenstifte im Sprengel Orleans — sondern für St. Chinian> 
damals im Sprengel Narbonne). 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 69 

den Privileg weit verschiedenen Fassung machte oder viehnehr bestä- 
tigte ^% hat sie vereinigt kein Kloster meines Wissens unter ihm davon- 
getragen. Die eine Befiignis, so schlechthin „a quocunque catholico 
episcopo" die Segensspende zu erbitten, ist selbst unter den, in näherem 
Verhältnisse zum römischen Stuhle stehenden Klöstern keinem dritten 
neben Cluny und St. Victor zu teil geworden: von der Abtseinsegnung 
schweigt dieser Papst bisweilen gerade dann, wenn er für die Kleriker- 
und Altarweihen die freie Wahl des Spenders gewährt*^, oder er nennt 
in letzterem Falle — und das ist, immer abgesehen von Cluny und 
St. Victor, die höchste Auszeichnung — vor dem „beliebigen Bischöfe" 
den römischen Bischof, wie empfehlungsweise sie dem in erster Linie 
zudenkend®^). Umgekehrt pflegt Urban die andere Befiignis, die Wahl 
des Bischofs für die Weihen, in Fällen, wo er die Abtseinsegnung, über 
eine Empfehlung hinaus, durch formhchen Vorbehalt dem römischen 
Stuhle zuweist, ganz zu versagen, indem er die in dieser Zuweisung aller- 
dings enthaltene Gunst gegen ein Kloster meist ausgleicht durch ebenso 
förmliche Sicherung der Befiignis des Sprengeloberen zu Altar- und 
Klerikerweihen ®^). Also hier wie dort neben der Enthebung, dem Vor- 

58) No. 5676. 5392. Nur scheinbar Neuerteilungen. Denn Cluny erhielt 
diese Rechte schon von Gregor V. (No. 3896: von Sackur Cluniacenser 1, 335 nicht 
nach Gebühr gewürdigt) und St. Victor von Gregor VIl. (No. 5214). Wenn übrigens 
eben Gregor VII. einmal verkündet, dass St. Victor „wie Cluny mit dem römischen 
Stuhle vereint (unitum)* sein solle (5144), und dann beide Klöster zugleich als Vor- 
bilder der libertas Romanae ecclesiae bezeichnet (5167), so darf man doch nicht 
folgern, dass die libertas Rom. ecclesiae auch diese zwei Rechte in sich begriff: 
gerade in der Urkunde No. 5167 und dann in der No. 5457, Wo Allerheiligen zu 
Schaffhausen die Sicherheit erhält, Romanae sedis libertate „in Ruhe wie Cluny 
und St. Victor zu bleiben", setzt Gregor voraus und bedingt Urban ausdrücklich, 
dass unter dem ihnen geläufigen Vorbehalt die aus dem bischöflichen Amte 
fliessenden Handlungen vom Bischof des Sprengeis fernerhin geübt werden. Der 
Hinweis auf die zwei Musterklöster beeinträchtigte demnach dem Sprengeloberen 
die jura ordinis keineswegs. 

59) Sogar bei der Ordnung der Verfassungsverhältnisse von Vallombrosa 
No. 5433; dann 5466. 5559; auch in den von Fälscherhand, wie es scheint, nicht 
unberührt gebliebenen Urkunden 5563 (vgl. unten Anm. 94). 5655. 5656. 

60) No. 5669 electus aut a Rom. pontifice aut a quocunque maluerit catholico 
episcopo ordinetur. — In dem Privileg für das Römerkloster zu Vendöme (No. 5511) 
sichert er das Recht der Abtseinsegnung zunächst, vor dem römischen Stuhle, dem 
Sprengelhirten, obgleich es dem einer seiner Vorgänger, Alexander II. (No. 4512) 
genommen hatte. 

61) No. 5410 (für La Cava 21. Sept. 1089). 5461. 5527. 5664. Schon Gregor VIL 
in No. 5018. Natürlich ist immer die Voraussetzung die Gemeinschaft des Bischofs 
mit dem römischen Stuhle (oben S. 68), die Unentgeltlichkeit u. s. w. — Das 
Privileg für St. Pons No. 5400, das neben der Überweisung der Abtseinsegnung 
an den römischen Stuhl die Freistellung der Wahl des Bischofs für die Weihen, 
immerhin nur für die im Haupthause enthält, ist in dieser wie in anderer Be- 
ziehung verdächtig (oben Anm. 36): sechs Monate später weiss Urban, indem er 
dem Abte von St. Pons Gehorsam gegen den Sprengeloberen einschärft (No. 5419 
vgl. 5417), sich keines solchen Privilegs zu erinnern. La Cava erhielt von Urban, 
nachdem er da am 5. Sept. 1092 die Kirche geweiht hatte, zum Privileg vom 



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70 Zweites Capitel. 

recht in der einen Beziehung, Gebundenheit in der anderen, Wahrung 
des Eechts, in dessen Schranken Urban die Römerklöster und Römer- 
stifte Deutschlands sogar nach beiden Seiten hin belassen hat®^). Auch 
würde man fehlgehen, wenn man meinte, dass der Geber dieser Freiheit 
an herausfordernder Häufigkeit ihres Gebrauches Gefallen gehabt hätte. 
In einem Briefe an die Mönche von St. Gilles erlaubt er zwar die Um- 
gehung des zuständigen Bischofs bei Kirchen weihen , aber er bittet 
„inständig^*, zur Vermeidung von Ärgernis die Erlaubnis ruhen zu lassen, 
wenn dieser näher sei als ein anderer. Ausdrücklich hiess er die für 
ihre eigenen Altäre der Sprengelgewalt enthobenen Mönche von Pruttu- 
aria bei Weihen von Kirchen ihrer Zellen zunächst an den Sprengel- 
hirten sich halten. Auch seine alten Genossen von Cluny ermahnte er, 
an den ihrem Kloster gehörigen Orten die Bischöfe in ihrem überkom- 
menen Rechte nicht zu verkürzen, und eben unter Clunys Abteien sollte 
denn St. Martial nur in Zeiten erledigten Stuhles von limoges einen 
fremden Bischof berufen*^). 

Bei der Vielheit und Mannigfeltigkeit der Kräfte, der Gewalten, 
die Urban in seinem weltgeschichthchen Wirken zur Mithilfe aufbot, ftihrt 
eine irrige, einseitige Bestimmung des Verhältnisses, das er diesen, zumal 
geistUchen Gewalten anwies, zu Irrtum über seine Richtung im ganzen. 

Geirrt hat wirklich in neuester Zeit und die Stellung ürbans zum 
Klostertum überhaupt in eine ihm abträgliche Beleuchtung gebracht — 
ein Cardinal der römischen Kirche, der, obgleich seinem Herkommen 
nach selber Mönch, Benedictiner, ein Ubermass von Gunst gegen die 
Mönche an einem Gesetze tJrbans wahrzunehmen glaubte, das ihr Ver- 
hältnis zum Episcopat an den ihnen gehörigen Pfarrkirchen regeln sollte 
und fortan auch geregelt hat. Die Wahrheit ist, dass dies Gesetz, das 
durch seinen Gegenstand sich mit Urbans Ordnung des Rechts zur Er- 
teilung der geistUchen Weihen berührt, das auch in die Beurteilung der 
Echtheit noch eines anderen Anianer Diploms einschlägt, weit mehr 
als jene Ordnung beiden Teilen, den Bischöfen und den Mönchen, ihre 
Gebühr nach dem in der Sache selbst enthaltenen Masse gab. So bil- 
det es eine Epoche in der Entwicklung des geistlichen Patronats und 



Jahre 1089 noch die freie Wahl des Bischofs für die Priesterweihen (No. 5479 
14. Jan. 1093), indessen schweigt er von einer Erteilung dieser Befugnis im Mai 
1099, wo er den Erzbischof von Salerno in seine Rechte wieder einsetzt (No. 5806) : 
hier nur die Gewährung No. 5410 zurückgenommen. 

62) So ist auch hier Urbans Schonung der Bischöfe Deutschlands wahrzu- 
nehmen. Unter den Anni. 46 angeführten Privilegien findet sich keins, das dem 
Bischof sei es die Abtseinsegnung, sei es die Klerikerweihen entzöge: sie thun 
entweder dieser Handlungen keine Erwähnung^ (No. 5462 und 5508. 5542. 5545. 
5692. 5765. 5781) oder wahren sie ausdrücklich dem Sprengelhirten; das letztere 
nicht nur in der sonst so eigentümlichen Urkunde für Schaff hausen (No. 5457 oben 
Anm. 58), sondern auch in der für Hirsau (No. 5543). Wie sehr man die Ähnlich- 
keit Hirsaus mit Cluny in seiner Richtung und in seiner inneren Verfassung her- 
vorheben darf, in seiner äusseren Stellung unterschied es sich doch erheblich 
von Cluny. 

63) Jaffe-Lfd. No. 5454. 5669. 5384 (vgl. 5676). 5639. 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 71 

der Incorporation. Und es hat den Namen seines Urhebers auf lange 
hin in den Ordnungen der Nachfolger unvergessen hochgehalten. Durch 
ihre stilistische Fassung trat diese Satzung (A) gerade übergreifendem 
Anspruch der Mönche mit voller Bestimmtheit entgegen, da sie an ihrer 
Spitze ausdrücklich das Recht der Bischöfe wahren zu wollen erklärt: 
„Sane quia monachorum quidam episcopis jus suum auferre praesumunt, 
statuimus", und inhaltlich wird sie wie den Mönchen so den Bischöfen 
gerecht: „ne in parochialibus ecclesiis, quas tenent, absque consilio epi- 
scoporum presbyteros coUocent, sed episcopi parochiae curam cum abbatum 
consensu sacerdoti committant, ut hujusmodi sacerdotes de plebis quidem 
cura episcopis respondeant, abbati vero pro rebus temporalibus ad mona- 
sterium pertinentibus debitam subjectionem exhibeant": nichts zutreffender 
als ihr Schluss: „et sie sua cuique jura serventur" — den Klöstern die 
Vermögensrechte an den ihnen zu Eigentum zustehenden Pfarrkirchen, 
den Bischöfen die Einwirkung auf die geistlichen Rechte. Unter diese 
Bischoferechte zählt Urban in einer anderen, von seinen Nachfolgern 
gleichfalls auf ihn zurückgeführten Fassung (B) auch die Prüfung der 
Tauglichkeit der durch die Mönche präsentierten Kleriker: „ut vos ipsi 
presbyteros eligatis et . . episcopo praesentetis, quibus, si idonei fuerint, 
animarum curam committere debeat, ut de plebis quidem cura (und so 
fort wie oben). 

Vollständig giebt den Satz A unter Versicherung wörtlicher Wieder- 
holung Papst Eugen III. 1153, übereinstimmend mit seinem gelehrten 
Zeitgenossen Gratian, nur dass Gratian statt respondeant den bestimm- 
teren Ausdruck rationem reddant hat, was ich für das UrsprüngUche halte, 
da es sich nicht nur in unseren Acten der Kirchenversammlungen von 
Clermont und Nimes, soviel ihrer ihn überhaupt enthalten, sondern auch 
in den Privilegien nahezeitiger Päpste findet, Paschais 11., Gelasius' II., 
Calixts II. und anderwärts selbst Eugens III. Die Fassung B, deren 
sich gleichfalls unter Verweisung auf Urban II. Eugen III. bedient, ist 
(nur stihstisch wenig gewandelt) unter den späteren Päpsten zur Formel 
geworden ®*). 



64) Eugen III. No. 9720 decretum Urbani quod nimirum taie est: Fassung A; 
rationem reddant statt respondeant c. 6 C. XVI q. 2, schon bei Paschal 11. 
No. 5940 (curam pro more), dann (sententia Urbani) bei Gelasius IL No. 6656 und 
6663 (parocbiam committant), Calixt II. No. 6894 und 6964 (für die Bischofskirchen 
Modena und Lucca). Fassung B (si idonei fuerint) bei Eugen III. No. 8783 (ratio- 
nem reddant, für die Bischofskirche Reggio). 9069 (ration. redd.). 9087 und 
9472 (in beiden eligatis und respondeant: No. 9472 an die nämlichen Klöster ge- 
richtet wie No. 9720); die Formel der späteren bei Rodenberg a. a. 0. No. 30 
(respondere debeant): statt si idon. f. mitunter si canonice reprobari non 
poterunt z. B. No. 8204. 10674. — Cardinal Pitra (der ist's, der von einem 
privilege excessif sprach) griff noch sonst fehl: die befremdende Ansicht, dass diese 
„formule d'Urbain** an die Stelle der „form. Gregorienne'* getreten (analecta 
novissima I, 77), Hess er zwar später S. 149 ff. fallen (ohne sie ausdrücklich zurück- 
zunehmen), aber er brachte sie noch immer mit dieser (einer Poenalformel) in Zu- 
sammenhang, er erblickte in ihr, die nur die Pfarrkirchen der Klöster, nicht die 
Klöster selbst betrifft, die Schutzwehr, die von den Klöstern die Schmach der 
commendes abbatiales abzuwenden vermocht habe. 



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72 Zweites Gapitel. 

Eben unter den späteren Päpsten erscheint denn diese Vorschrift 
wie in Urkunden fiir Klöster so in Urkunden für Bischöfe: diente sie 
doch vorwiegend der Sicherung der bischöfUchen Rechte. Indem sie den 
Bischöfen die Einwirkung auf das geistUche Teil wahrte, beschränkte sie 
das, was nachmals Incorporation genannt ward, auf das weltUche. Sie 
wehrte der Inkorporation quoad temporalia et spirituaUa; daher, als trotz- 
dem zu einer solchen Päpste und auch Bischöfe schritten, in der zweiten 
Hälfte des 12. Jahrhunderts, ein neuer Rechtstitel erforderüch wurde, 
durch den erst der Raub am Bischoferecht, wie Urban sich hier noch 
ausdrückt, Eingang in das Recht der Kirche erhielt 

Urban ist allerdings nicht der erste, der ihn durch ein Gesetz abzu- 
wenden gesucht: schon Karl d. Gr. hatte bei Kirchen im Eigentume der 
Laien die Anstellung eines Priesters ungeprüft durch den Bischof ver- 
boten, Ludwig d. Fr. bei Kirchen überhaupt, also auch bei denen der 
Klöster die Ein- und Absetzung an die Zustimmung des Sprengeloberen 
gebunden. Urbans Gesetz ist auch nicht das früheste, das das Recht 
der Bischöfe auf das geistiiche Teil eingehender, als die Gesetze der 
karolingischen Herrscher, und doch dabei zugleich das Recht der Klöster 
auf das Vermögen wahrnahm: beides hatten vor einem halben Menschen- 
alter in ähnUcher Weise Provincialconcile in Frankreich, namenthch das 
zu Poitiers 1078, ins Auge gefasst, und lange vor Urbans Anfängen 
sicherten in Lothringen und im nördlichen Frankreich (Landschaften, die 
überhaupt fiir diese Gestaltung der Dinge mehr als bisher beachtet wer- 
den sollten) die Bischöfe bei Schenkung von Kirchen an Klöster sich 
und ihren Nachfolgern die Leihe der Seelsorge und die Befugnis, die 
GeistUchen an solchen Kirchen für die Seelsorge zur Verantwortung zu 
ziehen®^). Aber Urban, der in seiner nordfranzösischen Heimat die An- 
regung zu dieser Ordnung erhalten haben mag, hat ihr eine die ein» 
schlagenden Verhältnisse so erschöpfende, so bündige Fassung gegeben, 
dass sie in dieser Gestalt bisher unerreicht, noch den Päpsten des 

65) Nur durch sein frühestee, in seinem Bestand nicht ganz gesichertes 
Capitular forderte Karl die Zustimmung des Bischofs zur Übertragung von Kirchen 
schlechthin (Boret. I, 45 c. 9); später erscheint die Forderung beschränkt auf die 
Kirchen der Laien (S. 110 c. 12. 173 c. 2. 178 c. 2), ebenso in den Beschlüssen 
von zwei Concilien seines letzten Jahres (Arelat. c. 4. Mogunt. c. 29 Mansi XIV, 
59. 72). Nach dem Muster der zwei anderen (Turon. c. 15. Cabil. c. 42 Mansi 
S. 85. 102) dehnte sie Ludwig wieder auf alle Kirchen aus (Capit. eccl. 818 c. 9 
Boret. S. 277): dieser „mönchische" Fürst steuerte doch mönchischer Eigenmächtig- 
keit; ebenso sein Sohn Karl (LL. I, 510 c. 9). Aus dem Jahrhundert Urbans führen 
als Vorbild seiner Gesetzgebung unsere Kirchenrechtslehrer nur die Regelung an, 
die in Kirchenversammlungen des Südens und Westens getroffen ward (Poitiers 
c. 6 Lillebonne c. 15 Mansi XX, 498. 562); aber um Jahrzehnte früher machten 
sich an sie (in Urkunden für einzelne Klöster) Bischöfe des Nordens, Bruno von 
Toul, Dietrich von Verdun, Pibo von Toul, Lietbert von Cambray und Arras (Über- 
tragung der Seelsorge durch den Bischof oder Archidiakon Calmet H. de Lorr. I 
pr. c. 413. 419. 421. 473; Rechenschaft vor Bischof oder Archidiakon Duvivier 
recherch. s. 1. Hainaut anc. S. 395. 397). Das Privileg Jaff6-Lfd. No. 4173 (Pflicht 
des Besuchs der bischöflichen Synode) kann Leo IX. zwar nicht als Papst gegeben 
haben, aber doch als Bischof von Toul. Weiteres unten Anm. 91l>. 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 73 

13. Jahrhunderts unübertreflflich erschien. Und Urban ist zugleich der 
erste, der sie von oberster Stelle für den ganzen Bereich der Kirche ver- 
kündigte. 

FreiKch befremdet, dass Urban sie in dieser Vollständigkeit keinem 
seiner Privilegien eingefugt hat. Eins unter diesen streift nur die Prä- 
sentation der fiir Pfarrkirchen erlesenen Geistlichen, ein anderes, eine 
Urkunde für Cluny, mit dem eine nicht ganz verdachtlose für Aurillac 
übereinstimmt, hebt umgekehrt in übermässiger Kiirzung der Fassung B 
mehr die andere Hälfte hervor, den Vorbehalt der Übertragung der Seel- 
sorge durch den Bischof. Es überrascht auch, dass spätere Päpste neben 
Urban als Urheber noch seinen drittnächsten Nachfolger, Calixt II. nennen, 
als ob der teil daran habe. Indes lange bevor Calixts Papsttum in Sicht 
trat, fiihrte sie Paschal II. in ihrem ganzen Umfange auf Urban zurück; 
dasselbe thut zu verschiedenen Malen Calixt selbst, daher dessen Ver- 
dienst höchstens darin bestanden haben kann, dass auch er sie für die 
gesamte Kirche verkündigte, im Lateranconcil des Jahres 1123®®). 

Eben als eine Concilverkündigung Urbans II. bezeichnet sie CaUxt 11. : 
in einem Privileg fiir die Bischofskirche Lucca, das sie als synodalem 
Urbani sententiam, in einem Privileg fiir Vezelay, das sie als Urbani 
capitulum in Arvemensi concilio editum anzieht. Also zu Cler- 
mont 1095. 

Nun ist die Überlieferung der Beschlüsse von Clermont nicht so 
sicher, wie die Bearbeiter des Kirchenrechts und die Herausgeber der 
Quellen vorauszusetzen pflegen. Der vorliegende fehlt sogar in der- 
jenigen Zusammenstellung, die nach allgemeiner, wenngleich nicht völlig 
unbedenklicher Annahme von dem rechtskundigen Teilnehmer an dem 
Concil, dem Bischof Lambert von Arras herrührt; er fehlt in der vor 
kurzem durch den Abdruck einer Wolfenbüttler Handschrift bekannt 
gewordenen Sammlung aus dem Sprengel Terouanne; er fehlt bei Orde- 
ricus Vitalis, bei Wilhelm von Malmesbuiy und sonst. Auch triffi nicht 
zu, wenn man gesagt hat, dass Gratian ihn als Decret von Clermont 
bezeichne: Gratian behauptet nur, dass er von Urban herrühre. Neben 

66) Jaff6-Lfd. No. 5391. 5676 = 5563; in Urkunden Innocenz' IL und 
Alexanders III. No. 82?6. 11276 Urbani et Calixti sententia; dagegen Paschal II. 
1103 No. 5940 decretum Urbani und Calixt H. selbst No. 6718. 6894 Urbani sen- 
tentia. Nirgend eine Erwähnung Gregors VII., daher gegen dessen Urkunde 
No. 5079 für St. Benigne zu Dijon, die den unter diesem noch unerhörten Satz 
enthält, Verdacht sich regt, wie er denn in der Bestätigung, die sie nach Urban 
erhielt, No. 7169 noch immer fehlt; vgl. oben Anm. 36. — Concil. Later. 1123 c. 
18 Mansi XXI, 285 (freilich nur ein Stück der Ordnung). — Der Bedeutung Urbans 
für diese Gestaltung der Dinge wird Hinschius nicht gerecht. Was dieser Forscher 
als das „erste Eingreifen päpstlicher Gesetzgebung* (conc. Lateran. 1179) hinstellt 
(KR. U, 441), hat eben an Urbans Ordnung einen um achtzig Jahre zurück- 
liegenden Vorgang; was er namentlich an einem Privileg des P. Lucius lU. (Jaff6- 
Lfd. No. 15283) hervorhebt, die Scheidung zwischen Vermögens- und geistlichem 
Rechte (S. 439), lehnt sich nicht an die Schlüsse jener Provinzialconcile Frankreichs, 
sondern, auch stilistisch, an Urbans Vorschrift. Lange vor Lucius III. und vor 
1179 konnte Eugen III. 1148 von ihrer Verkündigung in mehreren Generalconcilien 
(in generalibus conciliis) reden No. 9240. 



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74 Zweites Capitel. 

die bekannte Handschrift des Cencius, die ihn wirkUch denen von Cler- 
mont einreiht, tritt nur eine aus Aniane (hier, wie bei Cencius rationem 
reddant, sonst die Passung A), und eine Laurentiana, die einen Teil der 
Decretale in flüchtigem Auszuge bringt. Andere Sammlungen haben sie 
unter den Acten des Concils von Nimes. Indes wie sehr noch manches 
unklar bleibt, namentlich das zeitliche Verhältnis unter den Passungen A 
und B, deren jede auf TJrban zurückgehen soll, — jenes Zeugnis Oahxts 
iür die Herkunft des Satzes in der Passung A vom Concil zu Clermont 
entscheidet Bei Calixt ist nicht Verwechslung der Beschlüsse der einen 
mit denen der anderen Versammlung zu besorgen. Calixt hatte in seiner 
Erinnerung Anhalt zur Unterscheidung, da er, damals Erzbischof von 
Vienne, an den Verhandlungen zu Nimes teilgenommen, denen zu Cler- 
mont sich aus beweglichem Grunde entzogen hat®^). 

So erhellt, dass Urban seine tiefbegründete Neigung zu den Klöstern 
doch zu zügeln wusste, noch zur Zeit des Schiedes zwischen Aniane und 
der Bischofskirche Maguelonne, dem diese Satzung, von dem nämlichen 
Sinne ausgleichender Gerechtigkeit eingegeben, eine neue Stütze zufuhrt, 
die Glaubwürdigkeit mehrt. Es erhellt, dass seine Besonnenheit die Ver- 
fassung der Kirche und die Rechte der Bischöfe, ihrer vornehmsten Organe, 
nicht angetastet hat eben damals, als er zu seiner grössten Unternehmung 
nicht nur die Zustimmung der Bischöfe Prankreichs, die allerdings schwerlich 
unterlassen haben, auf ihre Gebrechen und auf die dawider bei ihnen schon 



67) Jaffe-Lfd. No. 5591 (vgl. 5595). Mansi XXI, 232. Die Herkunft der De- 
cretale bezeugt er Jaffe-Lfd. No. 6805 vgl. 6964: hiernach kann sie, wie manch 
andere, zu Nimes (Mansi XX, 933 c. 1) höchstens von neuem verkündigt worden 
sein. — Codex Cencü bei Mansi XX, 902; der da und auch von Hefele übersehene 
cod. Anianens. bei Baluze zu Marca De Concord. VI, 3 (Bd. 2, S. 286), cod. Lau- 
rentian. bei v. Pflugk-H. 2, 162 c. 16. Gegen die Annahme, dass der sog. cod. 
Lambert! (Mansi XX, 816) wirklich von Bischof Lambert herrühre, spricht nicht nur 
der von Sdralek (kirchengeschichtl. Studien von Knöpfler u. A. I, 2, 26) hervor- 
gehobene Umstand, dass die Correctores Romani zu c. 2 D. LXXVI eine Vorschrift 
aus Lamberts Sammlung anziehen, die man dort vergebens sucht: noch wichtiger 
ist, dass wir in Mansis Druck, wie in den anderen Ausgaben der Decreta Ciarom ^ 
eine Ordnung vermissen, die Lambert selbst in seiner Urkunde bei Baluze Mise, 
ed. Lucc. II, 162b auf Clermont zurückführt. Die Auffindung und Veröffent- 
lichung des cod. Taruanens. ist Sdraleks Verdienst, aber es ist ein Irrtum, und 
ein weittragender, wenn er a. a. 0. S. VI. 26. 133 nt. 1.2. in ihm das „vollständige 
Exemplar", „die schliessliche Redaction'* der Beschlüsse findet: es fehlt hier der 
eben erörterte Beschluss, dessen vorliegende Fassung eben P. Eugen III. Jaffe-Lfd. 
9720 als die authentische bezeugt, den Calixt als wirklich erlassen (editum) bezeugt ; 
der im Codex can. 3 enthaltene betrifft nicht die Gesamtheit der Pfarrkirchen der 
Klöster, sondern nur die Klosterkirchen, an die sich weltliche Gemeinden ange- 
schlossen hatten ; auch can. 2 des Codex entpricht nicht der schliesslichen Redaction^ 
da hier die (wiederum nach dem Zeugnisse der Päpste, gleich Urbans selbst, dabei 
getroffene) Bestimmung über die Verjährung fehlt (vgl. Jaffe-Lfd. 5628. 5778. 5820. 
5855. 6744 — Bull. 1, 93 — ). — Im übrigen scheint mir, da Urban die Satzung nach 
diesem allen als allgemeine Ordnung verkündigt hat, nicht rätlich, immer wo 
spätere Päpste in einem Privileg auf die „sententia ürbani" verweisen, ohne 
weiteres eine verlorene Einzelurkunde Urbans für die nämliche Stätte anzunehmen 
(so Löwenfeld No. 5751 wegen 6894). 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 75 

in Anwendung gekommenen Mittel hinzuweisen, sondern auch auf der 
andern Seite die Hilfe der Mönche und den Eifer der Priester an den 
Leutkirchen der Klöster aufbieten musste. Dieser Papst erscheint da 
als der nämhche, der schon in seinen Anfängen, in den Kümmernissen 
der Flucht, auf der Synode zu Melfi, den Laien die Übertragung von 
Erchen und Zehnten an Klöster ohne Zustimmung des Bischofs oder 
des Papstes, den Äbten die Annahme ohne Erlaubnis des Bischofs unter- 
sagte; der dem Abt von St Pons, einem bewährten Streiter für die 
Sache weiland Gregors VII., seine Eingriffe in die Rechte des Bischöfe 
verwies; der sich bei /Wiederaufrichtung der Kirche von Arras sein erstes 
sein liess, den Abten ihres Bereichs vorbehaltlosen Gehorsam gegen den 
neuen Oberen einzuschärfen; der dem Erzbischof von Besangen bei Ver- 
leihung des PaUium auch die Klöster des Sprengeis bestätigte, nicht nur 
in der Sprengelstadt, sondern auch die draussen, und gerade diese in 
unverkürztem Masse, wie sie den Vorgängern zugestanden. In seinen 
Briefen an Bischöfe, deren beste Waffe gegen die Ansprüche der Mönche 
die Satzungen der alten Synoden waren, zumal die damals oft ange- 
zogenen Canones von Chalcedon, hat er wiederholt die Versicherung 
niedergelegt „pro personis nulUs sanctos canones volumus aut impune 
patimur conculcare" ®^), wie in grundsätzhcher Fassung seines Stand- 
punkts, womit sich die Urkunde für Aniane in ihrer dermaUgen Gestalt 
nicht verträgt ®^^). „Privileg breche Kanon" kann nicht die Meinung 
dieses Papstes gewesen sein. 

Ich halte inne, wie sehr es auch, um eine allseitige Vorstellung 
von den Bewegungen im Zeitalter des Investiturstreites zu gewinnen, 
noch nötig wäre, die Stellung zu bestinmien, die Urban während seines 
Kampfes gegen das Kaisertum zu dem im Westen allerwärts auflodernden, 
die Kirche IVankreichs, die ihm Waffen leihen sollte, lähmenden Kampfe 

68) Jaffe-Lfd. No. 5678 (1097), schon No. 5431 (1090) sanctorum canonum 
decreta ubique inviolabiliter conservari cupientes, constituimus . . ; für die Bischöfe 
und Bischofskirchen zu Arras und Besan9on No. 5514. 5569; gegen den Abt Frotard 
von St. Pons (fide et morum honestate probatum No. 5041 Jaff6 Bibl. 2, 287) 
No. 5419 vgl. 5417; Synod. Melfit. 1089 c. 5. 6 (Mansi XX, 723). 

68 1>) HinföJlig macht dieser von ürban oft verkündete und zur Geltung ge- 
brachte Grundsatz die ganz vereinzelte Anschuldigung des Fortsetzers der Gesta 
ep. Camerac. (SS. XIV, 193 v. 192), der Papst habe den auf die Canones gestützten 
Einwand wider die Lösung der Kirche Arras von Cambrai mit frevelndem Hohne 
zurückgewiesen: cessent canones quia omnes suae leges starent autorizabiles. 
Diese Rede (irrig zieht sie der Auszug SS. VIT, 503 auf den Streit zwischen Bischof 
Welcher von C. und seinem Mitbewerber Manasse) passt auch nicht auf den Fall. 
Denn wohl hat Urban (was in deutscher Kaiser- und Kirchengeschichte doch Er- 
wähnung verdiente) mit dieser Schädigung der Kirche Cambrai, die zum deutschen 
Reiche gehörte, dessen Bischof Ring und Stab vom Kaiser trug, abermals einen 
Schlag wider Deutschland geführt, aber den Canones widersprach die Verselb- 
ständigung von Arras so wenig, dass sie von Urban wie Paschal vielmehr gerade 
auf die Canones begründet werden konnte (Ja.-L. 5512. 5513. 5515. 6318 vgl. auch 
Baluz. Mise. II, 128. 130 = V, 242. 251). Der Vorwurf ist vielleicht nichts als 
gehässige Verdrehung der völlig einwandfreien Behauptung Urbans „solius apostolici 
est episcopatus conjungere et conjunctos disjungere* (Ja.-L. 5473). 



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76 Zweites Capitel. 

der Klöster und Chorherrenstifter gegen die Bischöfe einnahm, und hier 
im einzelnen darzulegen, dass er, nach seinem eigenen Ausdruck „durch 
die Gnade des h. Geistes wiedergeboren in einem Kloster", bekanntiich 
gerade in dem so oft dem Sprengeloberen aufsässigen Cluny, dennoch 
keineswegs, wie man nur auf Grund abschriftlich überlieferter Privilegien 
meint, sich den Bestrebungen der Mönche verflochten hat, weder in 
Frankreich und Burgund**®), noch in Deutschland, und am wenigsten in 
Deutschland, wo er die Ergebenheit der Mönche am meisten brauchte, 
vermutlich auch am meisten sich zu nutze machte '®), und doch (eine an- 
ziehende Seite dieser dem deutschen Namen abholden Persönlichkeit) bei 
aller Schwierigkeit seiner Lage, die ein Zugeständnis ihm hätte entlocken 
können, in der Wahrung des Rechts weitgehenden Ansprüchen widerstand. 
Hier wollte ich nur, ich wiederhole es, die Übereinstimmung bemerklich 
machen, die zwischen dem von ihm in Clermont zu Gunsten des Sprengel- 
hirten von Aniane gefällten Spruche und dien Ordnungen besteht, wo- 
durch er sonst die Beziehungen zwischen den Klöstern und den Bischöfen 
regelte, und umgekehrt die Verunechtung seiner Urkunde von 1099 in 
denjenigen Stücken erweisen, die dem Kloster Aniane die völlig freie 
Wahl des Bischofs für Segen- und Weihehandlungen, Sicherung gegen 
die Bannesgewalt des Bischofs und gegen die Wirkung eines über Pro- 
vinz oder Sprengel verhängten Interdicts, endlich die Befugnis der Auf- 



69) Wäre er auch dazu geneigt gewesen, hier hätte er die Neigung den 
Bischöfen zum Opfer bringen müssen. Giesebrechts überschwengliche Meinung 
von seinem „grossen Triumphzuge durch Burgund* fällt hin vor der Wehklage 
Bischof Hugos von Gr^noble, eines seiner Günstlinge, über die Unbotmässigkeit und 
über das Gelingen Eß. Guidos von Vienne, der Urbans Bemühung, seinen Streit 
mit jenem Bischof und mit dem Stifte Romans zu schlichten, durch Aufstellung 
von Bewaffneten vereitelte, die Verfügung über dies Schutzstift der römischen 
Kirche ihm nahm, die Person des Papstes selbst bedrohte (Mab. et Ruin. ouvr. 
postum. 3, 364). Noch nach dem Concil von Clermont durfte Bischof Isarn von 
Toulouse, hadernd mit dem Chorherrenstift St. Semin, der Absicht des dem Stifte 
gewogenen Papstes in „heftiger Erregtheit" widerstehen, und jener Guido berühmte 
sich später durch sein Eintreten für Isarn selber noch den Papst, erstaunlich nach 
all dem bei Romans zwischen ihnen Vorgefallenen, gehindert zu haben (Mansi XX, 
940). — So erscheint wohl glaubwürdig, was (zur Berichtigung mancher Vor- 
stellungen Neuerer) von den keineswegs ganz ebenen Hergängen zu Clermont eine 
Palea (c. 2 C. XVI, q. 7) als Urbans eigene Erzählung bringt: nos usi saniori 
consilio episcoporum, condescentes pro tempore providentesque ecclesiasticae paci 
vel quia aliter absque inevitabilis scandali periculo hujusmodi quaestio non poterat 
procedere, decrevimus . . (u. s. f.: nicht ganz in Einklang mit c. 4 C. I qu. 3). 
Urbans Wiedergeburt zu Cluny Jaffä-Lfd. No. 5372. 

70) Es hat dem Chorherrenstift Marbach kaum etwas gefruchtet, dass ea 
einen Parteigänger Gregors und noch Urbans, den fanatischen Manegold zum 
Oberen, zum Propst hatte: Urban II. nennt den in dem Privileg No. 5629 zwar 
seinen familiaris, gewährt aber seiner Genossenschaft wesentlich nichts mehr als 
durch No. 5579 dem gleichartigen Stifte St. Ruf : die in No. 5579 noch fehlende, 
in No. 5629 enthaltene Bestimmung über die Wahl ist die herkömmliche und die 
über die Weihen wahrt, unter dem üblichen Vorbehalt, die Rechte des Sprengel- 
hirten. 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 77 

nähme von Leichen und unbeschränkter Annahme von Vermächtnissen 
gewähren. — 

Das Urteil über das Privileg Urbans ü. trifft auch das ihm nach- 
geschriebene Paschais IL vom 9. Mai 1100. Erscheinen jene Zugeständ- 
nisse, ein jedes für sich und vollends in ihrer Vereinigung, unverträghch 
mit dem Brauche des besonnen zurückhaltenden Urban, so lassen sie sich 
auch von Paschal nicht erwarten. Denn man sieht wohl in Paschais 
Privilegien für Klöster hie und da eine Freiheit neuer Art auftauchen 
oder doch öfters zur Erwähnung kommen, z. B. rücksichtlich der Zehnten^ 
des Besuches der Diöcesansynoden ; aber bei Erteilung eines Rechtes 
gleicher Art pflegt er, wo es sich um Klöster und ihr Verhältnis zum 
Sprengeloberen hajidelt, die von seinem Vorgänger innegehaltene Grenze 
selten zu überschreiten. Durch ihn eben fanden ürbans Formeln, indem 
er sie beibehielt, sie den Wechsel im Papststuhl überdauern Hess, Ein- 
bürgerung in die päpstUche Kanzlei auf lange Zeit Daher könnte 
immerhin, sofern Urban in seinem echten Privüeg fiir Aniane über die 
Einsegnung des Abts und über die Weihen eine Bestimmung getroflfen 
hat, die fi'eihch anders lauten müsste als in dem besprochenen, Paschais 
Verweis auf sie hingehen, wiese er nur nicht zugleich auf jene anderen 
Vorgänger, Johann und Alexander. Und auch so würde es eine Ab- 
weichung von seiner Gewohnheit sein, wenn er sich dabei, wie er es hier 
gethan haben soll, mit einer umschreibenden Bezeichnung begnügt hätte '^)y 
statt rund heraus die Stelle oder die Stellen gleich zu nennen, an die 
sich um Segen und Weihe die Mönche wenden sollten oder nach ihrem 
Ermessen wenden durften. Wie wenig sich sachlich in diesem Stücke 
Paschal von Urban entfernt hat, zeigen seine im Original erhaltenen 
Privilegien fiir Römerklöster, unter denen keins von vornherein und in 
allen Fällen die freie Wahl eines Bischofs zu beiden Handlimgen zu« 
gleich gewährt '^). Einem deutschen Bischof hat er so wenig wie Urban 
das erste Recht daran gekürzt: denn selbst das von der Gräfin Mathilde 
dem päpstiichen Stuhle dargebrachte Chorherrenstift St. Peter zu Stadel- 
mont wies er zunächst an den Sprengelbischof, in Ergänzung einer Ur- 
kunde Urbans, die sich ebenso über die Weihen, aber noch nicht über 
die Segensspende ausgelassen hatte; und keineswegs lohnte er durch Meh- 



71) Jaff6-W. No. 5826 (vgl. oben Anm. 25): Electi autem benedictionem et 
clericonim promotiones secundum supradictorum privilegia patrum accipienda» 
censemus. (Ähnlich nur No. 5954 electus benedictionem et caetera more prae« 
decessorum nostrorum obtineat, und No. 6005 — verdächtig — electi consecratio^ 
sicuta predecessore ^ostro Gregorio VIT. constitutum est, peragatur.) Dagegen 
sonst, auch bei einem Hinweis auf das Herkommen, deutlich: electus a Romano 
pontifice secundum consuetudinem priorum abbatum consecretur (No. 5895 Or.). 

72) Durch No. 5837 und 5891 hat er zwar die Wahl des Spenders der Weihen 
freigegeben, aber dem römischen Stuhl die Abtseinsegnung vorbehalten; durch 
No. 5892 (an gleichem Tage mit No. 5891) die Weihen dem Sprengelhirten, die 
Abtseinsegnung dem römischen Stuhl gewahrt. Den Mönchen von St. Denis ver- 
wies Paschal die Berufung eines fremden Bischofs (und die Auflegung von Bussen) 
nicht minder nachdrücklich (No. 6063 vgl. 6616), als Urban denen von Aniane in 
jenem Spruch von Clermont (No. 5580). 



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78 Zweites Capitel. 

rung der von TJrban gewährten Freiheiten den Stiftsbrüdem von Marbach 
die inzwischen für die päpsthche Sache eriittene Kerkerpein ihres Propstes 
Manegold '*). 

Aus der Zahl der übrigen Zugeständnisse, die Paschal gemacht haben 
soll, hebe ich nur das eine hervor, das in wörthcher Übereinstimmung 
mit dem verunechteten ürbans die Annahme von Nachlässen derer, 
die zu Aniane beerdigt sein wollten, von Nachlässen in unbeschränktem 
Betrage zum Inhalt hat Hier behaupte ich Fälschung mit Zuversicht. 
Solches Eecht stünde wie unter Urban so unter Paschal ganz vereinzelt. 
Nirgend hält sich Paschal mehr in den Schranken und an den Wort- 
laut der vom Vorgänger geschaffenen Formel, als wo er sich über die 
Beerdigung ausspricht, noch in seinen späteren im Original uns erhal- 
tenen Privilegien für B<)merklöster oder Römerstifte, selbst in einem Privi- 
leg, das, den Umfang des erteilten Rechts nach dem Stande der Per- 
sonen, auf die es sich erstreckt, darlegend, auch Hochgeborne in den 
Friedhof aufeunehmen erlaubt'*). Statt einer Klosterkirche den ihr zu- 
gedachten Nachlass, wie hier, gegen jegliche Kürzung zu wahren, wahrt 
er vielmehr des öfteren der Weltkirche den ihr daran gebührenden Teil, 
in Privilegien für Klöster'^), in Privilegien für Bischofskirchen'®). Und 
da sich unter diesen auch eins für Mäcon findet, aus seinem ersten Jahre, 
80 muss man annehmen, dass er das einem Privileg für Cluny aus 
seinem zweiten Jahre eingefügte Verbot, das Kloster pro defunctorum 
eleemosynis ob salutem datis zu beunruhigen, nur unter diesem, wie all- 
gemeingültigen Vorbehalte meinte, obgleich unseres Wissens erst die im 
übrigen wörtliche Wiederholuug dieses Stückes durch P. Honorius IL 
zu eleemosynis den beschränkenden Zusatz justis bringt"). Endlich 



73) No. 5915 vgl. 5567. No. 5949 vgl. 5629. Erst nach dem Eindringen 
eines kaiserUchen Bischofs gab er die Weihen zu Stadelmont, so lange dem 
Sprengel ein „Katholischer" fehle, durch ein besonderes Schreiben frei (No. 6090). 

74) Jaffe-L. No. 6478. 6522. 6595 (dies aus Abschrift): vgl. oben Anm. 49. 

75) Dem Kloster S. Ponziano bei Lucca spricht er in No. 5977 nur sui juris 
eleemosynas zu, dem Marienkloster im Thale Josaphat sie in No. 6336 erst zu, 
nachdem die parochialis ecclesia suam partem acceperit. 

76) No. 5831 und 5832 gleichlautend für Autun und Mäcon pro redemptione 
peccatorum morientes in ecclesia in qua fidei sacramenta acceperint (perceperunt), 
eleemosynas dare secundum apostolica decreta statuimus. No. 6254 für Noyon und 
Toumay ut de his eleemosynarum partibus quae sunt a morientibus ecclesiae 
(Var. ecclesiis) relinqueridae . . tarn clericis quam monachis justa serventur. 

77) Jaffe-Lfd. No. 7193. Dagegen Paschal U. wie oben im Text No. 5845 
{auch Gall. Christ. IV. J. 285) ausgestellt am 15. Nov. 1100 und (vöUicf gleich- 
massig in diesem Stück) No. 5849 (nach Delisle in Bibl. d. l'ec. d. eh. IV, 4, 51 
Original in der Bibl. nationale zu Paris) ausgestellt am 20. Nov. 1100. Vermut- 
lich liegt in 5845 und 5849, deren Überlieferung noch sorgsamerer Erörterung 
"bedarf, nur ein einziges Privileg vor, in verschiedenen, teilweise gekürzten Ab- 
schriften oder doch bloss in mehrfacher Ausfertigung für verschiedene Klöster 
€luny8 (Nantua, aus dessen Archiv der Druck von 5845 bei Guichenon, Romain- 
tnontier, woher No. 5849 stammt, auch — vgl. Gall. christ. IV, 1183 — Moissac). 
Als eins setzte schon Jaffe unter 4376 = 5849 die Abdrücke Bibl. Clun. S. 522 
und 1826 aus Cartul. Clun. No. 61 und 32, obgleich Cartul. No. 32 weder in den 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 79 

begegnet in mehreren nichtamtlichen Sammlungen päpstlicher Decretalien 
^ine Anordnung Paschais, die freilich auf die einem Sterbenden scheinbar 
unbeschränkt zustehende Freiheit der Verfugung über sein Vermögen zu 
Gunsten irgend welcher Stätte hinweist; aber dieser Hinweis, der doch 
nur beiläufig gemacht wird, hat nach all dem Angeführten zur selbstver- 
ständhchen Voraussetzung (die dieser Papst anderswo auch ausspricht), 
dass dabei der Pfarrkirche der ihr gebührende Teil nicht entzogen werde '^). 
An ihr hat das Anianer Privileg von 1100 keine Stütze. 

Ebensowenig an einem zweiten Privileg Paschais für Aniane, einem 
gleichfalls aus Aniane selbst uns gekommenen Schriftstück'®). Dieses 
enthält neben der Bestätigung des Besitzes einiger Kirchen nichts als 
erstens die Sicherung gegen einen Versuch von Bischöfen, auf Grund 
ihnen etwa übertragener Vertretung des päpstlichen Stuhles das Kloster 
zu bedrücken, dann eine Bestimmung über die Beobachtung bischöflichen 
Interdicts, endlich das Verbot, den Abt zu Synoden zu berufen. Also 
viel weniger Zugeständnisse als das eben besprochene, kein Wort von 
Segensspende und Weihe, von Begräbnis und Nachlass. Dabei fehlt es 
doch auch hier nicht an allem Grund zu Bedenken. Am wenigsten ver- 
dächtig ist die Fürsorge fär den Fall einer Bedrückung durch Vertreter 
des päpstlichen Stuhles. Man braucht für sie nach einer Gewähr nicht 
in fiivilegien für Römerklöster zu suchen, aus deren Zahl z. B. Ven- 
döme schon durch Alexander II., dann Cluny durch Gregor VTI. und 
Urban II. Schutz auch gegen päpstliche Legaten erhielt: unter diese 
Klöster gehört Aniane nun einmal nicht. Aber sie entspricht im allge- 



Prioraten die Einsetzung von Äbten verbietet , nicht einmal die Priorate -nennt, 
noch den Besitz der Abteien bestätigt, wie denn das von ihm gleichfalls unter 
4376 aufgeführte Exemplar des Cartul. von Romainm. weder diese Bestätigung 
noch die Namen der Priorate enthält. Dagegen sind die hier und in Cartul. 
Clun. 32 fehlenden Teile in 5845 vorhanden, wörtlich wie in Cartul. Clun. 61. 
Vorhanden sind sie auch in dem von Jafie und Löwenfeld übergangenen Druck 
des Bullar. Clun. S. 32 f. No. 51 : hier der Tag wie in No. 5845, indes der Ort wie 
in No. 5849 und die Arenga Ea religionis praerogativa fast wie 5849 (Et rel. pr.), 
dann aber per Universum fere orbem wie No. 5845 (statt p. universas f. Gallias in 
No. 5849 Cartul. Clun. 32. 61 und Komani m.). Die Abweichungen springen über: 
ein Exemplar trifft sich bald mit einem anderen, bald nicht. Leider giebt Delisle 
nicht an, ob das Original zusammenfalle mit Cartul. Clun. No. 61, was ich ver- 
mute, oder mit No. 32. Eigen ist dem Exemplar im Bull. Clun. die Auslassung 
des Satzes über die Abgabenfreiheit. — Ebenso vermuten vom Privileg für Vallom- 
brosa No. 6447 v. Pflugk-Harttung und vom Privileg für Citeaux No. 15116 Loewen- 
feld Ausfertigung in verschiedenen Exemplaren. 

78) Jaffe-Lfd. No. 6611 sicut morienti concedatur Judicium rerum suar. facere 
cuicunque loco sibi placuerit, sie u. s. f. ; vgl. No. 6478 (Or.), ein Verbot, der Pfarr- 
Jdrche (von Elsa) eleemosynam surripere quae ex mortuorum judiciis paroohiali 
ecclesiae debetur. 

79) Jaffe-Lfd. No. 6032 (ungedruckt, mir abschriftlich aus der Sammlung von 
Baluze vorliegend) vom 24. April 1105, demnach fünf Jahre später als das eben 
besprochene. Thomas führt dies Privileg in seinem trefflichen Dictionnaire de 
l'Herault stets mit 1106 an; dass aber hier die Incamation nach Pisaner Rechnung 
zu nehmen sei, lehrt das Papstjahr und die Indiction. 



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gO Zweites Capitel. 

meinen dem in klösterlichen Privilegien sehr häufig gegen die Bischöfe 
gerichteten Verbot ungebührlicher Belästigung, Beschwerung: ihr eigen- 
tümlicher Anlass, der denn auch zu eigentümlicher Fassung gefuhrt hätte, 
könnte jener Auftrag sein, den der Bischof von Maguelonne zur Stell- 
vertretung des Papstes in der Wahrung der päpstlichen Rechte an der 
Grafechaft erhalten hatte; nur nimmt Wunder, dass schon da, wie weiter- 
hin immer in diesem Privileg, an eine Mehrheit von Bischöfen gedacht 
wird^^). Dass dann der Erlass der Pflicht, ein über den Sprengel vom 
Sprengeloberen verhängtes Interdict zu beobachten, sofort den Zellen des 
Klosters, ohne Erwähnung des Klosters selbst, gewährt wird®^), befi-emdet 
an sich nicht. Freilich ist dabei die Voraussetzung, dass das Haupt- 
kloster ihn schon besass; aber ich sehe auch keinen Grund zu zweifeln, 
dass ihn Aniane von Urban II. und Paschal IL durch jene sonst mehr- 
fach verunechteten Privilegien von 1099 und 1100 bekommen habe, 
immerhin unter Bedingungen, die in unserer Überlieferung dort fehlen, 
der stillen Feier des Gottesdienstes und des Thürschlusses, die eben, 
zugleich mit schärferer Fassung des Verbotes der Zulassung von Paro- 
chianen, das vorUegende, zweite Privileg Paschais enthält. Gereichen 
diese Beschränkungen ihm zur Empfehlung, so lässt sich auch nicht ver- 
kennen, dass gerade bei Zellen der Schutz gegen das Sprengelinterdict 
angebracht war. Für sie hatte er noch eine besonder« Wichtigkeit 
Denn wie selten das Hauptkloster, so häufig waren Zellen mit Pfarr- 
kirchen verbunden, in ihrem Dasein oft erst entsprungen der Schenkung von 
Pfan-kirchen, denen sie sich anschlössen: samt diesen Kirchen hätte ohne 
den Erlass zunächst sie das Interdict des Sprengeloberen betroffen, durch 
den Erlass wm'den die Mönche der Zellen, obgleich das Interdict ihnen 
die Beerdigung der Pfarreingesessenen wehrte, doch, da wenigstens der 
Hauptgottesdienst ihnen nun unbenommen war, in den Stand gesetzt, 
diejenigen, welche ihr Grab bei ihnen schon hatten, fernerhin mit täg- 
hcher Fürbitte und auch mit Jahresbegängnis zu versorgen. Dennoch 
bleibt ein Bedenken. In den zahlreichen Urkunden für fi-anzösische 
Klöster bildet die Ausstattung mit diesem Rechte damals eine grosse 
Seltenheit. Sogar den Zellen Climys hat Urban H., vielleicht weil 



80) Sancimus nemini deinceps episcoporum facultatem fore, ut coenobium 
vestrum per occasionem vicis apoBtolicae opprimat nee singulare nj ejusdem vicis 
apostolicae potestatem . . audeat exercere. Im Privileg für das h. Dreifaltigkeits- 
kloster zuVendöme (Jaffe-Lfd. No. 4512) occasione legationis quicquam molestiaej 
drall Gregor VII. für Cluny „nee etiam legatus mens buccam suam aperiat" Synod. 
Lateran. 1080 Bullar. Clun. S. 21, von Urban II. wiederholt No. 5872 (ne . . buc- 
cam . . audeat aperire). Unter Paschal IL hat neben dem Bischof von Maguelonne 
(oben Anm. 26) kein zweiter in diesen Landen Legatengewalt gehabt; der Erz- 
bischof von Narbonne erst unter Honorius 11. und von neuem unter Hadrian IV. 
(Amald Gall. ehr. VI, J. 34, dann Berengar No. 10419). 

81) Nee pro paroehiarum interdictis episeopalibus eellarum vestrar. monachi, 
nisi super episeopi vel abbatis persona causa fuerit, inhibeantur clausis januis, non 
admissis parochianis, divina silenter officia celebrare. Zu nisi — fuerit vgl. c. 4. 
Syn. Nemaus. 1096 (Mansi XX, 935), wonach die Verstrickung eines Bisehofs oder 
Abts über des Thäters Land Interdict bringen sollte; dazu No. 3991. 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. gl 

Frankreichs König noch im Banne war und, nach wiederholter Drohung 
Gregors VII., der über den Landesherm verhängte Bann das Interdict 
über das Land nach sich ziehen konnte, die Gabe sehr spät gemacht^ 
erst nach dem Concil von Nimes, als der König sich ihm wieder genähert 
hatte. Aus der Zeit Paschais 11. kenne ich sonst nur drei Klöster, die 
durch sie ausgezeichnet worden, neben Cluny Marmontier und das ita- 
lienische Padofirone. Und bei diesen rechtfertigt sie sich, besser als bei 
Aniane, aus einem mit ihrer damaligen Stiellung zusammenhängenden 
Grunde. Denn Cluny und Marmontier hatten zu Anfang der achtziger 
Jahre des 11. Jahrhunderts höheren Ortes die fast förmlich ausge- 
sprochene Bestimmung erhalten, wenn nicht durch Aufsaugung anderer 
Klöster, doch so, dass andere sich ihnen anschlössen oder untergäben,. 
Mittelpunkte umfassender Vereinigungen zu werden. Durch einen damals 
von der Synode zu Meaux unter Vorsitz des päpstUchen Legaten Hugo 
ergangenen, in unsere Synodalacten nicht aufgenommenen und trotz seiner 
Wichtigkeit für die Bildung klösterhcher Congregationen von den Neueren 
übersehenen Befehl wurden die kleinen Klöster, denen die geringe Zahl 
ihrer Mönche, zehn oder weniger, bei bewahrter Selbständigkeit regel- 
gerechtes Leben in Zurückgezogenheit von der Welt und Schweigsamkeit 
unmöglich machte, angewiesen, als Zellen unter Cluny oder Marmontier 
zu treten®^. Die Ausstattung mit dem Rechte, in Interdictszeit Gottes- 
dienst zu halten, erhöhte die Anziehungskraft der zwei Klöster. Für 
ihre Erhöhung musste auch bei Padolirone Sorge getragen werden, wenn 
dieses Kloster, das schon seit den Tagen Gregors VII. unter Clunys 
Leitung stand, der Ausbreitung der Lebensordnung Clunys auf italienischem 
Boden dienen sollte. So hat denn Paschais Bewilligung in den Urkunden 
fiir alle drei Klöster bei dem gleichen Zweck, dem sie dient, auch fast 
durchaus wörtlich gleiche Fassung, die überdies sich eng an jene Urbans 
für die Zellen Climys, als die Nachbildung einer ihr entnommenen Formel, 
anlehnt, während die für Aniane stiHstisch und auch sachlich abweicht ^^). 

82) Mabill. Ann, V app. No. 19 ut abbatiae decetn monachorum vel infra 
aut Cluniaco aut Majori monasterio subderentur (:app. No. 21 nur religiosis mona- 
chis traderentur; doch geschieht eben da eine Überweisung an Marmontier). Cluny 
mag, bei aller ihm selbst eigenen Lebenskraft, durch diese Vorschrift manch wei- 
tere Förderung erhalten haben. Unter Marmontier haben sich noch 1148 Eremiten 
gegeben (Jaffe-Lfd. No. 9243): um die Mitte des 12. Jahrh. heissen die Mönche 
von Mm. boni aedificatores et propagatores ordinis sui (Mab. ann. VI 1. 79 § 202 
vgl. § 75) : der Mauriner Mich. Germain schätzte die Zahl der Priorate dieses Klo- 
sters schliesslich auf 140 (Gall. christ. 14, 197). Nicht nur aus Cluny, sondern 
auch aus Marmontier wurden Mönche in die namhaftesten Klöster Frankreichs zu 
deren Reform berufen (Robert, de Torinneio de immutat. ordin. monast. c. 7: in 
der Zeit der Anfönge der Kartäuser und Cistercienser, also an der Wende zum 
12. Jahrhundert) und bei erledigtem Abtsstuhl von Päpsten des 11. u. 12. Jahrh. 
zur Erwählung empfohlen (Guido Burgund. bei Labbe Bibl. nov. I, 575. Jaffe-Lfd. 
No. 9990), sogar dem Kloster Vendöme (No. 4352. 4458. 4512: oben Anm. 11). 

83) ürban II. für Cluny Jaffe-Lfd. No. 5682 ne cellarum vestrar. ubilibet 
positarum fratres pro vicinar. dioecesum interdictione vel excommunicatione divinor. 
officior. suspensionem patiantur sed tam monachi ipsi quam et famuli eor., qui 
videlicet monasticae se professioni devoverunt, clausis ecclesiar. januis, non admissis 

Puckert, Aniane und Gellone. " 



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82 Zweites Capitel. 

Erklären Hesse sich die Fälschung der letzteren durch die naheliegende 
Annahme, dass sie die Zellen mit ihrem Lose versöhnen, zum Verbleiben 
in der Abhängigkeit williger machen sollte, 

Und sicherlich rührt von Fälscherhand der unmittelbar folgende 
Satz, der die bischöfliche Synode betriflFb: Ipsarum etiam parochiarum 
episcopis non permittimus ut vel tuas vel successorum tuorum personas 
synodali vocatione debeant fatigare, nisi pro charitatis gratia cum eis 
volueritis convenire. Um ihn nur verständlich zu machen, muss man ent- 
weder tuam statt tuas schreiben, oder eas nach nisi einfügen: im ersteren 
Falle ginge er die Abte des Klosters an, die Vorstände, im andern 
Untergebene des Abts, die Geistlichen, die an den dem Kloster gehörigen 
Pfarrkirchen wirkten. 

Beide Möglichkeiten habe ich ausführlich zu erörtern, zumal die 
zweite. Denn da die Sprengelsynode, wo der Bischof Recht sprach und 
seine Statuten verkündigte, das eigentliche Band bildete, das in Unter- 
würfigkeit unter ihm den Sprengel zusammenhielt, so entscheidet sich hier, 
mehr als anderwärts, die Frage, ob und in wieweit ein Kloster und die 
Geistlichen an den PfaiTkirchen eines Klosters der bischöflichen Gewalt 
unterworfen, in den Zusammenhang des Sprengeis eingegliedert waren. 

Die Entbindung des Abts von der Pflicht der Teilnahme an Sprengel- 
synoden wäre nicht ganz unerhört. Denn obgleich nach älterem, nament- 
Uch nördlich von den Alpen bestehendem Rechte der Bischof die Abte 
seines Sprengeis, wenn ausreichender Grund vorlag, jährlich zur Synode 
versammeln sollte, daher es kaum glaubUch ist, dass ein Papst, eben 
Paschal H.^, wie die Mönche von Montier-en-Der ihm zuschreiben, die 
Behauptung aufgestellt habe, durch die Canones sei dies geradezu unter- 
sagt ^*), so muss man doch nach Ausweis einiger Originale zugeben, dass 

dioecesanis divinae servitutis officia celebrent et sepuUurae debita peragant. 
Die vornehmste Abweichung der Urkunden Paschais ist, dass statt famuli eor. qui 
alle drei (No. 5845 = 5849. 5847. 6012) fam. eor. et qui haben, und sie wird ge- 
sichert durch das Autographon No. 6012 (auch Calixt für Cluny No. 6821 hat et 
qui); aber sie scheint, da et qui monasticae se professioni devoverunt nur den 
Begriff von monachi umschreiben würde, also überflüssig wäre, dagegen ein Re- 
lativsatz nach famuli gefordert wird, nur flüchtige Wiedergabe der Formel zu 
sein. Im übrigen meiden sie vicinar. dioeces.: dafür No. 5845. 5849. 5847 qualibet, 
No. 6012 parochiae. Viel zahlreicher die Urkunden Paschais, in denen die Sicherung 
gegen die Wirkungen eines Interdicts Ausdehnung über das Hauptkloster hinaus 
nicht erhält No. 5920 (für St. Martial, das doch zu Cluny gehörte). 5989. 6031. 
6201, 6268. 6476. 6501. — Kober erörtert (Arch. f. kath. KR. XXI) die Verhält- 
nisse in späterer Zeit sehr gründlich, weniger die Verschiedenartigkeit in früherer: 
der von ihm S. 43 angeführte Streit des Klosters RipoU, in dem es sich um ein 
besonderes Localinterdict handelt, betraf nicht »die* Kirchen des Klosters schlecht- 
weg, sondern (nach Jaffe-Lfd. No. 5655) nur die Klosterkirche und die Kapellen 
des Umkreises (vgl. für St. Victor No. 5392 und für Cluny No. 4974. 5551). Höchst 
befremdend Urban E. für St. Victor No. 5560 in ecclesiis interdictis vobis licentiam 
indulgemus cum ad ea loca veneritis seorsim officia celebrare (sachlich gleich für 
St. Pons No. 5400): im c. 57 des Concil. Lateran. 1215 (c. 24 X de privil. V, 33) 
ist die Voraussetzung, dass diese Erlaubnis nur für einmal im Jahre galt. 

84) No. 5827. 5828: beidemal wie beiläufig, aus. anderem Anlass, eine Auf- 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 83 

unter ihm der Erlass anhebt, an einzelnen Stellen einsetzt Aber nur 
als Auszeichnung von Klöstern, die ein näheres Verhältnis zum römischen 
Stuhle hatten ^^). Wenn sie in Urkunden anderer Klöster erscheint, so 
erheben sich gegen deren Echtheit noch sonst schwere Bedenken, z. ß. 
bei der schon im 17. Jahrhundert bestrittenen von St. Germain-des-Pres, 
die ohne Zweideutigkeit dem Bischof die Berufung der „Priester oder 
Kleriker der Kirchen" des Klosters sowie die des Abts und der Mönche 
entzieht, aber die Stelle nicht nennt, der die dem Bischof von Amts wegen 
gebührende Aufeichtsgewalt nun zuwachsen sollte ^% Dass Animne unter 
Paschal diese Freiheit nicht erhalten hat, lehrt ein mehr oder weniger 
später Vorgang. Denn bei einem Papste Honorius hat einer der Bischöfe 
von Maguelonne geklagt, dass der Abt von Aniane, obgleich seiner Juris- 
diction unterworfen, den Besuch der Sprengelsynode verweigere, und nicht 



Stellung von solcher Tragweite, und nur einmal mit einem Vorbehalt ,,cum sacrorum 
canonum scita abbates etiam ad synodum nisi ob causam fidei cogi non sinant". 
Dem Bischof von Pavia hat er No. 6013 den Besuch der Synode durch die Äbte 
ausdrücklich gesichert; und die späteren Privilegien von Montier-en-D. No. 7616. 
11159 enthalten darüber nichts, wohl aber zeigt die anerkannte Fälschung 
No. 7258 a , dass sich das Kloster von aller Jurisdiction des Bischofs frei zu machen 
suchte. Über das ältere Recht Phillipps Diöcesansynode S. 41. 147 (der S. 45 
angeführte Beschluss der Synode des h. Bonifaz — Jaffö Bibl. 3, 202 — findet 
sich auch unter denen der Synode von Clovesham Mansi XII, 403 c. 25). Vgl. 
Lupi abb. ferrar. ep. 67 (= 60 Bai.) (synodo) me abesse nequaquam nostri praelati 
patientur; der den Mönchen wohlwollende Bischof Jordan von Limoges erklärte 
doch (Hard. VI, 1, 880. Mansi XIX, 541) abbates non ideo ad synodum venire 
cogo, ut arguantur, sed ut mihi . . consultum praebeant. Verboten war den 
Bischöfen nur eine Berufung ohne Grund (c. HD. XVIII, schon in der Sammlung 
Burchards). 

85) No. 5892 für S. Pietro bei Cremona (apost. sedi jure proprio subject.), 
No. 6476 für Bourg-Dieu (so und ab ipsis fundatoribus apost. sedi oblat.): für 
Monte Casino genügt die Abschrift No. 6010; dagegen von ihm noch nicht be- 
willigt jenem Cluniacenserkloster Padolirone No. 6012, das sie erst von Calixt II. 
erhielt No. 7157. Von anderer Art ist das Verbot, einen der Brüder zur Synode 
zu rufen (z. B. No. 6563 für Cheminon, Abschr.) : da war, wie auch die Bedingung 
lehrt, an die es geknüpft wird (quamdiu . . regularis ordo perseveret), der Zweck, 
die dem Abt gebührende Zuchtgewalt zu wahren. 

86) No. 6128 bei Launoy 00. III, 1, 214 aus einer beglaubigten Abschrift, 
die eben durch ihre zahlreichen Fehler diesem Vertreter des Sprengeloberen das 
Recht gab, ein geßllschtes Original anzunehmen: die Bedeutung einiger hat er 
im Eifer des Sachwalters übertrieben, aber Laterani (auch Bouillard und 
Dubois) und übert. diac. card. ac bibl. schliessen ein Original aus. Inhaltlich 
entscheidet, dass Calixt II. in seinem Privileg No. 6947 (nach ül. Robert I, 395 
Orig.) von dieser Bewilligung, die damals noch neu gewesen wäre — sie galt dem 
Bloster noch im 17. Jh. als früheste eines Papstes — , nichts erwähnt. — Wie 
stark unter ürban II. und Paschal II. die Teilnahme der Äbte an den Sprengel- 
synoden gewesen ist, lehren die Zeugnisse unter Urkunden, die da von Bischöfen, 
wie Lambert von Arras und Gerhard IL von Cambrai ausgestellt worden sind 
(Baluze Mise. II, 158 ff. No. 2. 5. 6. Duvivier le Hainaut anc. 451. 477). — Noch 
Alexander III. beschränkte (No. 11135) seine Gunst gegen die Äbte v. S. Vaast 
auf die Erlaubnis, sich im Fall der Verhinderung vertreten zu lassen. 

6* 



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g4 Zweites Gapitel. 

Abweisung erfahren, sondern einen Brief ausgewirkt, der eigene Richter 
in der Sache bestellte. Diese Begebenheit fiele um so schwerer ins Ge- 
wicht, je näher ihre Zeit der Zeit Paschals stünde. Sie würde ent- 
scheidend sein, wenn sie sich, wie ältere und neuere Forscher behaupten, 
unter Honorius 11. abgespielt hätte: aus dem Schweigen, das die Nach- 
folger eben dieses Papstes, gleich Innocenz ü. und so fort andere in ihren 
Urkunden für Aniane über ein Privileg solcher Art beobachten, würde 
folgen, dass es entweder vor jene Richter nicht gebracht oder nicht als 
echt beftypiden worden sei. Nun meine ich zwar statt an den zweiten an 
den dritten Honorius denken zu müssen, aber auch Honorius III. konnte 
nicht, wie es hier geschieht, von "Rom aus schlechthin auf die Richtschnur 
des kanonischen Rechts die Richter verweisen, wenn sich in den Registern 
seines Archivs eine Ausnahmebewilhgung Paschals fand®'). 

Aber von vornherein ist stUistisch die Beziehung des Satzes auf die 
Abte nicht rätüch. Immerhin wäre die gespreizte Fassung tuam vel 
successorum tuorum personas für te vel successores tuos keineswegs ohne 
Gewähr ®®); auch verträgUch mit Paschals Sprachgebrauch parochiarum 
in der Bedeutung von Bischofssprengel, wie sie dann angenommen werden 
müsste^®). Aber was bedurfte es zu episcopis dann noch des Zusatzes 

87) Gariel I, 142 unter Honorius II. und I, 325 unter Honorius III., der nämliche 
Brief, beidemal Lateran. 11 K. Jun. Pontif. a. n. 5, beidemal an den Archidiakon 
und den Praecentor von Agde, beidemal ohne Personennamen, auch des Bischofs 
und des Abts. Jaffe und noch Löwenfeld bringen ihn unter Honor. IL (No. 7355) 
und Potthast lässt ihn unter Honor. III. weg; aber die Mauriner erzählen davon 
unter dem einen und unter dem andern Papste, 1129 und 1221 (Gall. ehr. VI, 
747 C. 763 C). Gegen Honor. IL entscheidet, dass zu dessen Zeit im Capitel von 
Agde die Würde eines Praecentors noch nicht bestand: als Dignitäre erscheinen 
noch 1134 und 1139 nur der Archidiakon und der Sacristan, noch 1149 nur diese 
und der Kämmerer (Gall. ehr. VI J. 319. 320. 324 No. 7. 9. 13), der Praecentor 
erst seit der Neuordnung der Körperschaft im J. 1173, von da ab aber auch regel- 
mässig (J. No. 18. 19. 20. 21. 22). — Wenn Gariel S. 142 den päpstlichen Brief 
in Zusammenhang mit einem Streite zwischen Bisch. Walter von Maguelonne und 
Abt Peter von Aniane bringt, so ist in diesem Streite (S. 143) durchaus keine 
Rede von einem Einschreiten des Papstes oder von Richtern, die der Papst bestellt 
hätte; auch handelt es sich da nicht um die Teilnahme des Abts an der Sprengel- 
synode, sondern um den Besitz von Pfarrkirchen, um den Synodenbesuch der 
Kleriker dieser Kirchen, vornehmlich um Abt Peters Verweigerung des Gehorsams- 
gelübdes, die doch in dessen Anfänge, d. h., da er schon 1120 sass, vor die Anfange 
Honors II. fallen muss. Weiteres unten Anm. 97. 106. 116. Über die Privilegien 
späterer Päpste für Aniane (No. 7432. 8953. 9933. 9444) Anm. 98—103. 

88) Fast genau entspräche in der Urkunde Bischof Lamberts von Arras für 
den Abt des h. Dreifaltigkeitsklosters von Ronen 1111 (Baluz. Mise. II, 162) quia 
personam vestram synodo nostrae adesse gravaret. Paschal IL selbst personam 
nostram praeferens, personae nostrae vicarius (No. 5835. 6525); dann Calixt H. 
personam tuam dilectionis brachiis amplectentes eam a cujusl. legati potestate 
absolvimus (No. 6799); abbatem . . consecrationem suscipere statuimus, sicut per- 
sonam tuam constat . . suscepisse (No. 7043). 

89) Vornehmlich freilich wo es sich, anders als hier, um die Grenzen, den 
Umfang, die Teile des Sprengeis handelt, parochiae fines, ambitus, partes (No. 5833. 
5841. 5873. 5907. 6329. 6363. 6371. 6559). 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 85 

parochiarum? zumal ipsarum parochiarum? Ipsarum zeigt, dass hier die 
parochiae in örtlich und auch sachHch engem Verhältnis zu den unmittel- 
bar vorher erwähnten Zellen gedacht werden, unterschieden von ihnen, 
aber verknüpft mit ihnen, also Pfarrkirchen im Besitze des Klosters sind, 
die den Kern daraus erwachsener Zellen bilden. Muss man demnach 
an solchen Pfarrkirchen die personas tuas vel successorum tuorum suchen, 
so sind unter ihnen eben wegen der Beziehung zur Sprengelsynode, deren 
Besuch ihnen angebHch erlassen wird, am ehesten diejenigen zu finden, 
denen ohne diesen Erlass der Besuch oblag, also die Pfarrer, die zwar 
dem Abte zu Treudienst verpflichtet waren und so als die „seinigen" 
bezeichnet werden konnten, die aber von ihrer Seelsorge dem Sprengel- 
oberen Rechenschaft schuldeten und diesem noch fiir anderes hafteten. 

Freilich trifflb die Ansicht neuerer Forscher®^), persona sei gleich 
parochus (wie im heutigen Englisch the parson) nicht auf alle Zeiten 
zu. Ich bestreite das namentlich für das 11. Jahrhundert, wo der Aus- 
druck meines Wissens zuerst vorkommt. Noch unter Urban ü., Pascha! II. 
und ihren Nachfolgern in längerer Reihe weist das Wort auf Beziehungen, 
die weitere waren und von anderer Art, als wie sie sich aus der Einfach- 
heit pfarramtlichen Verhältnisses ergeben, auf ein klösterHch-kirchliches 
Institut, das an sich eine eingehende Erörterung verdiente — auch in 
deutscher Kirchengeschichte, weil es über einen namhaften Teil des alten 
Reiches Ausbreitung fand — und, da es in simonistischer Ausartung 
der Aufinerksamkeit Gregors VII. nicht ganz entging, aber noch mehr 
die Sorge ürbans II. und Paschais 11. wach hielt, besondere Wichtig- 
keit für die späteren Jahre des Investiturstreites bekam, wo es auf all- 
gemeinen und Provinzialsynoden der kirchlichen Gesetzgebung neue Be- 
wegung zuführte. Personae sind da (in unverkennbarem Anklang an die 
altclassische Verwendung des Wortes für Maske, darzustellende Rolle) 
Vertreter®®^), die ein Kloster oder Stift für die ihm vom Bischof zu 

90) Richter KR.* S. 242 noch» 465 Phillipps 7, 337. Hinschius II, 292 (aber 
nicht Friedberg). Dagegen entscheidend (aus einer grossen Zahl von Einzel- 
urkunden) des Bischof Lambert von Arras Schenkung des altare von Montcels an 
das St. Petersstift zu Lille mit dem Beding, dass es durch die Vermittelung der 
persona, die es hier halten solle, dem Bischof einen Priester zur Übung der Seel- 
sorge präsentiere (1111: Baluze Misc.^ II, 162 No. 12): so fallen persona und 
presbyter begrifflich auseinander. Und im allgemeinen pflegte, wo (was seit 
Ürbans II. Eingreifen mehr und mehr Brauch wird) ein Bischof bei einer Altar- 
schenkung dem Kloster oder Stifte die Stellung einer persona erlässt, er doch die 
Präsentation eines Priesters für die Seelsorge ausdrücklich zu fordern (eine Menge 
von Fällen namentlich bei Duvivier Hainaut anc. S. 395. 397. 493. 507. 509). Vgl. 
unten Anm. 91. 

90 1>) Das Beeret von Clermont (unten Anm. 91) spricht in seiner verschie- 
denen Überlieferung bald von vicarii bald von personae, beide Worte in gleichem 
Sinne meinend. Die Fassung der Stelle dieses Decrets mortuis nimirum seu 
mutatis vicariis scheint in weiteren Kreisen Frankreichs und auch am Hofe P. 
Paschais II. als die ursprüngliche gegolten zu haben: denn dieser Papst schreibt 
einmal an französische Bischöfe (Ja.-L. No. 5820) : in Arvemensi concilio decretum 
est ut altaria quae ab annis 30 . . sub vicariorum redemptione monasteria possedisse 
noscuntur . . ipsis firma permaneant. Vos autem huic simplicitati . . duplicitates 



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86 Zweites Capitel. 

Nutzniessung und imvollkommenem Eigentum ^^®) verliehenen Kirchen zu 
stellen und zu halten hatte : nicht notwendigerweise Priester, sondern, 
wenigstens unter Urban II., Kleriker überhaupt, auch der niederen Weihen, 
die kommend und gehend dem Verleiher die Möglichkeit verschaflPten, bei 
solchem Wechsel (durch Tod oder Absetzung) die Gabe zurückzuziehen 
oder, da er an ihnen, die freilich in älterer Zeit keineswegs aus der Zahl 
der Mönche selbst genommen waren ®^*), doch als an Ernannten des 
Abts oder Propstes das Kloster oder Stift selber fasste®^®), durch wieder- 
holte Verleihung sein Obereigentum je und je sichtbar zu machen, und 
dabei denn auch eine Abgabe zu fordern — in simonistischer Weise 



innectitis et personarum redemptionem mutatiB nominib. extorquere conamini . . .; 
oportet nos hujusmodi versutiis sinceritate apostolice veritatis obiare etc. Be- 
zeichnend auch in der Urkunde B. Hugos von Soissons 1096 für St. Germain 
(Bouillard pr. p. 30) altare perpetualiter possideat libore et absque personae 
interventione. 

90 c) Die UnvoUkommenheit des Eigentums zeigt sich namentlich an der 
Widerruflichkeit seiner Verleihung: Urkunde B. Gerhards von Terouanne Cartul. 
de France III, 243 quae a jure nostro ita pendebant ut defunctis personis in 
nostram deliberationem redierint, Perard Rec. S. 185 auch bei einreissender Regel- 
widrigkeit der Lebensführung, vgl. Anm. 91. — Die Nutzniessung des öftern aus- 
drücklich als die Absicht der Verleihung eines altare ausgesprochen: ad sancti- 
monialium victum (Calmet H. d. Lorr. 1 pr. c. 420 f.J, ad opus monachor. (Gall. 
ehr. 13, 557), ad luminaiia (Marlot II, 726 No. 52). 

90 d) So Knöpfler a. a. 0. 26 („ein persönlich mit einem solchen Altar be- 
schenktes Klostermitglied') und schon Hefele Concil.-G.^ 5, 222 („eine bestimmte 
Person im Kloster"). Aber Sondergut und Sondernutzung eines Mönchs vertrug 
sich nicht mit klösterlicher Verfassung, am wenigsten mit der der lothringischen 
Klöster in den Tagen eines Abt Richard von St. Vannes, dessen Kloster selber 
altaria sub persona angenommen hat. Keine der zahlreichen Urkunden des 11. Jh. 
bezeugt die Schenkung von Altären an einzelne Mönche, umgekehrt manche ihre 
Bestimmung zu Nutz der Brüder insgemein (besonders deutlich die schon ange- 
führte Gall. ehr. XIII, J. 557 No. 8 alteri personae ad opus monachor. tradatur; 
auch Gart, de France III, 206). Und von Abt und Brüdern wird frei die persona 
gewählt (Ja.-L. No. 4288 vgl. 4190). Der Erlass der Gestellung von Personen ist 
wegen der damit verbundenen Zahlungen eine Gunst, pflegt als Gunst bewilligt 
zu werden, auch gegen die Zusage eines Jabresbegängnisses (Duvivier Hainaut 420. 
421. 458. 482). — Auf Säcularstifter trifft jene Ansicht vielfach zu (z. B. erscheint 
ein Domherr von Terouanne bei Lamb. Ardens. ed. Menigl. c. 89 als in Anglia 
multarum ecclesiarum persona et procurator, ein anderer c. 72 als persona einer 
Peterskirche und von vieren in England), aber da scheiden sich auch (nicht wie 
beim klösterlichen Besitz altaria quae liberaliter oder perpetuo und altaria quae 
sub persona ad tempus possidentur, sondern) „altaria quae in commune obtinemus 
sine personis" und „altaria quae privatim possidemus* (Varin Arch. administ. d. 1. 
V. de Reims 1/ 227). 

90 e) Dass der Gedanke einer Vertretung zu Grunde liege, sah auch Black- 
stone; aber ohne Kenntnis der Eigentümlichkeit des ursprünglichen Verhältnisses 
und befangen von der Vorstellung, unter persona sei der Pfarrer schlechthin ge- 
meint, kam er auf die unzutreffende Erklärung „he is called person, persona, 
because by his person the church, which is a invisible body, is represented 
(Comment. Book I eh. 11). 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. g7 

einen Preis, als ob dem Kloster oder Stift ein Rückkauf bewilligt werde 
(altaris redemptio, vicariomm redemptio, personalis oder personarum 
redemptio) ®^). 

Das Institut des Personats, das eben wegen dieser simonistischen 
Ausartung von Urban 11. endgültig in den zwei grossen Synoden des 
Jahres 1095 beseitigt ward®^), schlägt so zunächst nicht in die Lehre 
vom Wesen des geistlichen Amtes, sondern in die vom kirchlichen Yerr 
mögen und von der Verleihung der Pfininden: eine besondere Form der 
Pfründenverleihung hatte in ihm das vornehmste Merkmal. Die sonst 
wie immer berechtigt Unterscheidung zwischen altare, als dem Inbegriff 
der geistUchen Functionen, und ecclesia als dem Gebäude und Ver- 
mögen der Kirche sollte man wenigstens nicht auf die sub persona ver- 
liehenen Altäre anwenden ®^^). Bei dieser Art von Verleihung, die be- 

91) Nachdem bereits Gregor VII. einer in Frankreich zu berufenden Synode 
die Aufgabe gesetzt hatte, ge^en das commune malum pene totius terre, scilicet 
quod altaria venduntur mit einem Verbote einzuschreiten (Jaffe Bibl. 2, 274: fehlt 
in dem Auszuge Ja.-L. No. 5033), traf sichtlich mit mehr Erfolg Urban II. im 
Concil von Clermont (Mansi XX, 902 c. 3) = c. 4 C. I, qu. 3 die Entscheidung: 
Quia quidam simoniacae pravitatis ramus in Galliarum partibus diutius inolevit, 
ut ecclesiae vel decimae, quae vulgari vocabulo apud eos altaria nuncupantur, mo- 
nasteriis datae saepius ab episcopis . . venundentur, mortuis . . seu mutatis clericis 
quos personas vocant, . . haec ulterius fieri . . prohibemus (der Auszug in einem 
cod. Laurentian. bei v. Pfluprk-H. II, 161 c. 14 hat mortuis vicariis; von Calixt IL 
wird es No. 6744 Robert Bull, de C. I, 93 als mandatum de vicarior. seu personar. 
relevatione, von B. Ingelramn von Laon Marlot Reims II, 724 No. 24 als sententia 
de ablatione personarum, von Gottfr. v. Vendöme Epist. III, No. 12 Sirmond 125 
als decretum vicarior. angezogen: vgl. oben Anm. 90 b). Urban II. hat diese De- 
cretale, die er im Concil von Nimes 1096 wiederholte (Mansi XX, 933 c. 1) und 
u. a. seinem Privileg für St. Bertin (Ja.-L. No. 5628) einfügte, die unter Paschal IL 
eine Synode zu Poitiers 1100 in Bausch und Bogen mit den anderen von neuem 
einschärfte (Mansi XX, 1117 c. 16), kürzlichst in dem Ausdrucke zusammengefasst 
„personas removimus" (No. 5778). Das dient denn der obigen Erklärung von 
persona (Anm. 90 1>) zur Bestätigung: wie hätte er die Pfari'er beseitigen können? 
Vielmehr hat er laut Schluss der Decretale aus der Zahl dieser Kirchen den 
Klöstern die seit 30 Jahren ersessenen zu dauerndem Eigentum belassen, die 
anderen unausgesprochnermassen genommen (schärfer als die Fassung bei Mansi 
die des Cod. Laurentian. — wo statt ullo modo zu schreiben illo modo — ; unvoll- 
ständig der Cod. Taruan. — oben Anm. 67 — u. cod. Lamb. c. 7 Mansi XX, 817). 

91 b) Das thun Phillipps KR. 7, 339 („redemptio altaris die Auslösung des 
geistlichen Teils") und Hinschius (Festgab. für Heffer S. 12 ff.). Mit Hinschius 
sieht auch Friedberg KR.* 302 in der Unterscheidung zwischen ecclesia und altare 
die in Urkunden der späteren Zeit durch die Ausdrücke non pleno jure (oder 
quoad temporalia) pertinere und pleno jure (oder quoad spiritualia et temporalia) 
pertinere geschiedenen Verhältnisse, nur z. T. etwas modificiert. — Im besonderen 
meint Hinschius, dass die Klöster und Stifter durch die Rückstellung des Altars 
an den Bischof, d. h. „durch die Zulassung seiner Einwirkung auf die Anstellung 
des Geistlichen und auf die Yerwaltung des Gottesdienstes" sich im Besitz der 
Kirchen zu erhalten gesucht. Aber Rückstellung von Altären durch ein Kloster 
oder Stift an die Bischöfe wird in den Urkunden nicht verbrieft, nicht voraus- 
gesetzt. Im Gegenteil bilden die altaria (vor dem Concil von Clermont oft sub 
persona) den Gegenstand von Schenkungen, welche die Bischöfe (vgl. unten Anm. 



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gg Zweites Capitel. 

sonders im oberen und niederen Lothringen und in einem grossen Teile 
Prankreichs (vornehmlich den lörchenprovinzen Sens, Beims, Eouen) 
Eingang fand und sich, vermutlich von daher, über England verbreitete, 
handelt es sich ebenso sehr um Gut und Erträgnis, wofür das behehene 
Stift, wie um die Seelsorge, für die der Bischof oder Archidiakon Rechen- 
schaft zu fordern hat. EVeiUch kam, wie es scheint, am Ende des zehn- 
ten Jahrhunderts die Annahme eines Unterschiedes zwischen altare und 
ecclesia auf; aber gleich Abt Abbo von Fleury, der, indem er sie be- 
kämpft, sie am frühesten bezeugt, legt dar, dass nach dieser „jeder Auto- 
rität entbehrenden Meinung" unter ecclesia der Bau, unter altare gerade 
die Ausstattung und die Zehnten begriffen würden, die den in den Be- 
sitz der Kirchen gelangten Klöstern eben durch solchen Fund verloren 
gehen sollten®^®). Ich erörtere nicht, ob mit der von Abbo zurück- 
gewiesenen Sonderung die im elften Jahrhundert übliche Unterscheidung 
von altaria sub persona zusammenhänge. Immerhin erhellt aus zahl- 
reichen Urkunden und Synodalschlüssen, dass der Besitz solcher Altäre 
den lOöstem und Stiftern nicht nur eine gewisse Teilnahme an der Ein- 
wirkung auf das Geistliche gewährte (wenigstens die Präsentation von 
Priestern für die Altäre ®^^), hie und da, wenn die Fassung der Urkun- 
den nicht täuscht, sogar Eechte, wodurch in vereinzelten Fällen eine um 

92 c ) ihrerseits den Klöstern und Stiftern machen. Und mit dem Altar gaben sie 
nicht notwendigerweise auch die Einwirkung auf das Geistliche hin: schon vor 
dem Eingreifen Gregors VII. und ürbans II. findet sich gerade in Verbindung mit 
dem Verzicht auf die Gestellung einer persona der Vorbehalt, die Priester der 
Altäre für ihre Seelsorge zur Rechenschaft zu ziehen (Duviv. Hain. 395 f. 397 f.), 
und seit Gregor und Urban hatten sie ohnedies, wie die Priester anderer Kirchen, 
aus Bischofs Hand die Seelsorge zu nehmen (Anm. 91 e). 

91c) Hinschius Festg. 11 führt für seine Behauptung einen Satz aus Abbos 
Apolog. ad reg. Hug. et Rob. (Bouqu. X, 330) an, der, da er die Kirche dem 
Körper des Menschen, den Altar der Seele vergleicht, sie zu stützen scheint. 
Aber die breitere Ausführung, die Abbo anderwärts giebt, zeigt, dass er auf anderes 
zielt: Bouqu. X, 440 Dotes ecclesiarum non ecclesiis, quarum dotes sunt, derelin- 
qunt, sed suis militibus erogant, fingentes technam . . quod ipsae dotes non sint 
ecclesiar. sed potius altariura . . . Altaria laicis in possessionem dantur . . judicio 
episcopor. oblationes ecclesiae plus equis et canibus laicor. prosunt quam pere- 
grinis orphanis et viduis pp. Sua enim altaria esse astruunt quae absque uUis 
auctoribus ab ecclesia secernunt (da doch die Kirche ohne Altar nur ein Haus sei, 
wie der Körper ohne die Seele ein Leichnam). 

91 d) Ja.-L. No. 5966 P. Paschais II. Bestätigung der Schenkung, die B. Pibo 
von Toul dem Stift Chamouzey mit einem altare gemacht (quemadmodum hactenus 
presbyter qui ecclesiam habuerat de manu episcopi altare susceperat sie deinceps 
qui ecclesiam habere voluerit a manu . . abbatis altare suscipiat). Durch den 
Schied des Clbisch. Cono von Praeneste 1115 erhielt die Äbtissin eines Marien- 
klosters im Sprengel Beauvais, weil ihrem Kloster das altare einer Kirche gehöre, 
das Recht zugesprochen nach ihrer dispositio presbyterum in eandem ecclesiam 
mittendi (Migne 163, 1434). So hatte Mabillon, der von keiner Rückstellung des 
Altars an den Bischof spricht, wenigstens in einem Stücke Recht, wenn er als den 
Gegenstand der Schenkung eines altare das Recht der Praesentatio des Priesters 
bezeichnete (Ann. IV 1. 50 § 74: vgl. donum altaris, donum vicarie Perard Reo. 
S. 166, Ja.-L. No. 6730. 6756). 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 89 

vieles spätere Gestaltung des Verhältnisses, die Incorporatio plena voraus- 
genommen wird)®^®): er brachte zugleich zeitliches Gut und Erträgnis. 
Denn nach dem, auch in den Kämpfen gegen die Simonie unvergessenen, 
Ausspruch des Apostels sollten ja „die des Altars warten" „von ihrer 
Aussaat des Geistiichen eine Ernte im Leiblichen" haben ®^'), also den 
Genuss der auf den Altar gelegten Opfer, d. h. der Oblationen vielfacher 
Art, und der Zehnten, die manchen Ortes arithmetisch zerlegt, als Drittel, 
Viertel, halbe Sechstel des Altars (eine UnmögHchkeit, hätte er nur das 
Geistliche begriffen) verschiedenen Klöstern geschenkt auch verschiedene 
„Personen", zur Verwunderung Fremder, an ein und demselben Altar 
erscheinen liessen^^s). Ein Gegensatz wie zwischen geistlichem Recht und 

91 e) Bischöfe der älteren Zeit scheinen bei mancher ihrer Altarschenkungen 
sich und ihren Nachfolgern nichts übrig zu lassen als was nachmals die institutio 
autorisabilis heisst: (monachi) presbyteros . . constituant; prsbm quem ipsi elegis- 
sent constituere: in eorum arbitrio . . pendeat constitutio prsbi (Perard, Recueil 
169. 174: Anfang des 11. Jahrb.), ebenso personam quamcunque elegerint intro- 
ducendi quae . . officium parochianis . . exsolvet, et abba praebendae donum tri- 
buat (Calmet, Lorr. 1 pr. 421: 1047); sine respectu episcopi et adiac. alios (vica- 
rios) imponendi (Perard 185: unter Gregor VII.); prsbos providere et provisos ad 
decanum adducere, qui sine ulla dilatione curam committat (gleichlautend so 
B. Roh. von Langres und B. Riquin von Toul: Perard 208. 222). Doch schon hier 
einmal die Erwartung, dass die Wahl sich auf einen Tauglichen richte, was denn 
ein bischöfliches Recht der Prüfung andeutet (Calmet I pr. 419 idonei vicarii eli- 
gantur: 1049); und es traf die Pfarrkirchen unter diesen Kirchen wie alle Pfarren 
im Besitz der Mönche, wenn Urban IL in der oben S. 71 erörterten Formel 
(Fassung A) ihnen verbot, ohne den Rat des Bischofs das Priesteramt zu über- 
tragen (ne absque consilio episcopor. prsbos collocent), und (Fassung B) die Ein- 
wirkung der Mönche auf das Geistliche in die Präsentation setzte, dem Bischof 
aber die Übertragung der Seelsorge an die Tauglichen, d. h. auch die Prüfung 
der Präsentierten wahrte — in bewusster Abwägung, wie er sagt, der Rechte 
beider Teile. Denn diese Übertragung ist doch mehr als „höchstens eine Ge- 
nehmigung der Anstellung" (Hinschius Festgaben 19): schon Gregor VII. hiess 
mit ihr Obedienzleistung verbinden (Ja.-L. 6260 c. 2 vgl. Tardif No. 308), und nach 
Urbans 11. Formel machte sie sich wirksam in der dem Bischof gegenüber fortan 
den Priestern obliegenden Verantwortung (rationem reddant, respondeant: noch 
1157 — conc. Remens. c. 6 Mansi XXI, 845 — der zur Präsentation berechtigte 
Abt eingeschränkt). 

91 f ) Wie Bischof Nantarius von Nantes (Mab. Ann. IV app. No. 68) um die 
Mitte des 11. Jahrb. an eine Decretale P. Leos IX. erinnert „ut altarium decimas 
secundum apostolum in partes cedere sinerent altarium servientibus'*, so sind auch 
im Briefe Anselms von Canterbury ed. Gerberon No. 56 (nach Tritem. ann. 1, 259 
an Abt Wilh. v. Hirsau) die Priester altari servientes, de altari participantes. 
Unter den Päpsten eignete sich vornehmlich Pasch al II. Gedanken und Worte aus 
I Kor. 9, 9— 14 an (Ja.-L. 5984. 6167. 6360), aber auch noch Spätere, Alexander IIL, 
Urban IH. (Ja.-L. 13706. 15578). 

91g) Ausstattung und Zubehör von Altären sehr oft erwähnt: überaus häufig 
die Oblationen, aber auch dos (Gall. ehr. XIII, J. 564 No. 16), multa familia (Duvi- 
vier 411), atrium et terrae (Duviv. 508), terra dotis (Ja.-L. 6236), pertinentiae (bei 
vielen: Ja. -L. 7009). Fast stets der Zweck der Schenkung des Altars eine Nutzung 
(vgl. oben Anm. 90 c: dazu ad pellitias, pastum, stipendia (Duviv. 417. 420 f. 449), 
wie auch anderwärts ein Altar oder Altarteil (vgl. Ja.-L. No. 5660. 6167. 6685. 



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90 Zweitea Capitel. 

Vermögensrecht ist zwischen altare sub persona und ecclesia nicht wahr- 
zunehmen: ein und dasselbe altare sub persona wird, bisweilen in der 
nämüchen Urkunde, bald als altare bald als ecclesia bezeichnet. Es be- 
steht nur ein Unterschied wie zwischen GattungsbegriflF und ArtbegriflF*^^). 
Nach der Erklärung P. Urbans II., der von seinen Anfängen her, als 
Zögling der Kirche Eeims, sicherste Kunde hatte, der entscheidende 
Zeuge ist, war altare in dem Sinne, in dem seine Decretale von Cler- 
mont das Wort meinte, kein Ausdruck der allgemeinen Amtssprache der 
römischen Kirche, sondern ein landschafkhcher, nicht anders als das Wort 
persona. Er unterschied die Kirchen im abgeleiteten, abhängigen Besitze 
der Klöster und Stifter von denen, die ihr echtes Eigentum waren, wie 
ihnen denn von Altären, die ein Bischof sub persona geschenkt hatte, 
gemäss jener Decretale auch nach Beseitigung des Personats, sofern sie 
ihnen überhaupt verblieben, die Leistung des hergebrachten Jahreszinses 
und sonstiger Abgaben fernerhin obhegen sollte ®'^^). So begreift er be- 
sonders diejenigen Kirchen, die von den Laien, zumal seit dem Zeitalter 
des Investiturstreites, nach und nach aufgegeben und in die Hand des 
Sprengelbischofs gestellt, dann von diesem, oft vermutlich auf ihr Betreiben 
und auch nicht ohne ihren Vorteil, wenigstens geistlichen Vorteil, nun 
unter solchen Bedingungen an lOöster und Stifter übertragen wurden ^^®). 
Und überhaupt begegnet das Institut des persooatus altaris — bei seiner 
AhnUchkeit mit lehnrechtlichem Verhältnis kaum ein Zusammentreffen 
von ungefähr — vornehmlich da, wo nach den Coutumes die Klöster 
und Stifter gehalten waren, für die Güter, die sie zu Lehen trugen, als 
für Güter der toten Hand dem Lehnshemi einen Stellvertreter zu nennen, 
einen vicaire®^^), dessen Wechsel, wenn er starb, wenn er das Lehen 

6783. 7009 u. sonst) Wert vornehmlich als nutzbares Besitztum hatte (Mansi XXI, 
232 Weigerung des B. Isarn von Toulouse auf sein Viertel der Oblationen des 
Altars von St. Sernin zu verzichten „quia si id faceret non haberet unde viveret"). 
Klaffe des Clbisch. Richard von Albano über tres aut eo amplius personas an einem 
Altar Bai. Mise.« 2, 152 No. 10): Va altare cum persona Mir. 00. 1, 161. 

92) Beispiele bieten die Besitzverzeichnisse von St. Bertin: als altaria er- 
scheinen Cartul. de Fr. III, 177 Hettingeem u. andere, III, 243 Stenkerke u. a., 
III, 230 f. Sliswege u. a.: als ecclesiae dieselben Ja.-L. No. 5628. 6201. 6769. Wechsel 
in der nämlichen Urkunde Cart. d. Fr. III, 193. 229. 

92 b) Der Census im Sprengel Toul das signum memoriale subjectionis (Perard 
Rec. 169), pro solida investitura (Per. 185). Recht deutlich die Sonderung der so 
belasteten von den unbelasteten in den Privilegien für St. Bertin Ja.-L. 6201. 8016. 
8484 (unter den unbelasteten die St. Martinskirche, die nach Cart. d. Fr. III, 38 
die eigene Gründung des Klosters war, Petressa Harbela u. a., die das Kloster 
durch Tausch erworben hatte (Cart. 175). Daher der Gegensatz Ja.-L. 6093 altaria 
partim omnino libera partim obsoniis pontificalib. obnoxia (auch obsonia ein land- 
schaftlicher Name für justitiae episcopornm nach No. 5938). 

92 c) Vgl. unter anderem Tardif No. 302. Cartul. d. France I, 501. 545. 565. 
Marlot II, 716. 725. 760 (No. 39. 50. 99). Gall. ehr. XIIl, J. c. 480. 493. Duviv. 
451 f. 454 f. noch 609. Jaffe-L. No. 6599. 

92 d) Hinschius behauptet (Festgaben 15 nt. 2. 19 nt. 1. KR. 2, 441 nt. 4), 
dass bei den Kirchen der Klöster Vicare erst später vorkommen, noch nicht im 
10. u. 11. Jahrh., dass das Auftauchen des Wortes vicarius mit dem Vollzug der 



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Aniane im Zeitalter des Investituretreites. 91 

verwirkte, diesem Gelegenheit gab, seine Rechte, auch nutzbare, wie die 
Erhebung der Lehenware (relief), geltend zu machen®*). 

Aber ich räume ein, dass schon in der Zeit Urbansü. und Paschais IL 
die personae, die von Urban in seinem Beeret von Clermont wenigstens 
als Kleriker bezeichnet werden, oft zugleich die Seelsorge ausübten, dass 
also die Pfarrer es waren, die an vielen jener Kirchen zugleich die Stell- 
vertretung in dem angegebenen Sinne hatten®*^). Lides um so mehr 
wurden sie den Bischöfen verantwortUch, eben auch für das Geistliche, 
gleich den Priestern an Kirchen, die die Klöster zu vollem Eigentum 

als incorporatio plena bekannten Gestaltung zusammenhänge. Aber abgesehen 
von der oben (Anm. 90 b, 91) hervorgehobenen Überlieferung des Decretes von 
Clermont (vicarii für personae) findet man, dass bereits 992 Bischof Gerhard von 
Toul bei Schenkung eines altare an das Kloster St. Benigne zu Dijon neben jähr- 
licher Zinszahlung die Bestellung eines presbyter vicarius bedang, und Bischof 
Berthold von Toul giebt schon 1005 zu verstehen , dass die Einsetzung eines prsb. 
vicarius in Pfarrkirchen der Klöster kirchliche Sitte sei (Perard Rec. 166. 169). 
Dann sehr häufig, z. B. Calmet I, pr. 413 f. (ab antiquo tempore), 417 f. (paro- 
cliiales subditos vicario et monachis), 419 (monachi per vicarium suum) aus dem 
Jahre 1045. Miraeus 00. I, 161 (1070). Gall. ehr. XIII, Instr. c. 357. 400 (1032. 
1056). Noch im 12. Jahrh. im Sinne von persona Ja.-L. No. 6734 (ecclesia sine 
vicario perpetuo habenda — sichtlich Gegensatz zu ecclesiae sub nomine personae 
ad tempus datae Conc. Ciarom. cod. Turv. c. 2 bei Sdralek a.a.O.); aber No. 6984 
ist bei Hob. Bull, de Calixte 11 2, 60 die Interpunction zwischen presbyteros und 
vicarios zu tilgen. 

93) Z. B. Coutumes d'Orleans I § 100 Par la mort de chascun vicaire sera 
deu racbat et profit de fief (Nouv. coutumier gener. par Bourdot III, 741); Cout. 
de Lille I, 1, § 39 Homme vivant et mourant, pour le trepas duquel le . . relief 
est deu et poursuivable (II, 894); i. allgem. Lauriere glossaire du droit 6-9«., 
nouv. ed. p. Fabvre S. 289 über Homme vivant mourant et confisqtiant. Wie hier 
beim Lehen eine Verurteilung ins Auge gefasst wird (confisquant), so beim Per- 
sonat: si . . persona damnata vel defuncta fuerit (1057 Bouqu. XI, 593); si forte 
persona inobediens . . personatu privabitur (1088 Duvivier le Hain. anc. S. 449). 
Auch beim Personat muss die Zahlung für Neuerteilung (vgl. Gart, de France III, 
206 abbas personam praesentet, cui episcopus personatum commendet) als relief 
gegolten haben (consuetudinem de relevandis post decessum alicujus personae 
ecclesiis a . . p. Urbano abolitam: B. Gottfried v. Chartres bei Baluze zu Marca, 
Concordia lib. VI c. 31 ed. sec. II, 287). Natürlich war es auch hier der gebende 
Teil, der die Gestellung einer persona verlangte (Paschal II. Jaffe-Lfd. No. 5855 
ne personam ulterius requiras) : es kommt vor, dass auch beim Wechsel des geben- 
den Teils Zahlung gefordert ward (Bisch. Gerhard v. Cambrai nach 1090 über ein 
altariolum, das vom Dekan seiner Kathedrale der Dekan von St. Marien zu Tour- 
nay erhält: et sive noster sive S. Mariae decanus mutetur, nihil aliud quam 4 
denariorum respectus exigatur Duvivier S. 458 f.). 

93 fe) Aus grosser Zahl von Urkunden führe ich nur an Ja.-L. No. 4288 fra- 
tres . . personam eligent et pro curatantum animar. suscipienda episcopo conducant. 
Marlot Remens. h. II, 732 No. 62 personatum parochiamque tenebat. Calmet H. d. 
Lorraine I, pr. col. 420 f. personam . . quae debitum officium suis parochianis ex- 
solvat. Col. 447 Mönche an einer Johanniskirche presbyterum pro eis vicarium, 
personam seil, jdoneam ad parochiae regimen provideant, Presbyterum vicarium 
qui curam animarum gereret Perard Recueil S. 166. 169. 175 und andere in Anm. 
92 c vermerkte Stellen. 



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92 Zweites Capitel. 

besassen. Die Befreiung solch priesterlich geweihter und priesterlich 
thätiger personae vertrüge sich nicht mit der Ordnung, die, wie ich oben 
darlegte, von ürban getroffen, von Paschal gewahrt, für das Geisthche 
die GeistUchen an den Pfarrkirchen der Klöster dem Bischof Rechenschaft 
geben hiess. Und nichts finde ich im ÜberbHcken der klösterlichen 
Exemtionen, was wichtiger wäre, als dass eine Ausnahme von diesem 
Gesetz, das den Bereich unmittelbarsten Einflusses der Klöster auf die 
Laien trifft, jenes Gebiet, wo sie am leichtesten die Massen zu erregen 
und auf die Dauer zu leiten vermochten, unter Urban und Paschal noch 
sehr selten ist. Eine Exemtion, durch die das Wirken ihrer Priester im 
Beicht- und Predigtstuhle frei von der Aufsicht der Bischöfe geworden 
wäre, hat Paschal wie Urban nur wenigen und auch ihnen nur in engen 
Grenzen bewiUigt. In der einsetzenden Bewegung der Kreuzzüge, in der 
fortdauernden des Investiturstreites, zu deren Steigerung, in einzelnen 
Landschaften Frankreichs und zumal Deutschlands etwa widerwilUgen 
Sprengeloberen zum Trotz, die GeistUchen an den Kirchen und Kapellen 
der Klöster hätten aulgeboten werden müssen, sind doch nur Priester 
von Cluny und St. Victor zu Marseille, und diese nur im nächsten Um- 
kreis ihres Hauptklosters, wo die Annahme solcher Absicht unstatthaft 
wäre, der bischöflichen Bichtergewalt enthoben worden oder vielmehr 
damals schon seit langem enthoben gewesen. Denn bereits Gregor VII. 
hatte den Bischöfen verboten, über die Priester an drei Kapellen in der 
Nachbarschaft des einen wie des andern „zu richten": weiter ging dann 
Urban bei St Victor gar nicht, und bei Cluny bloss insofern als er 
dem Verbot Ausdehnung zu Gunsten einer vierten, von Abt Hugo im 
Burgum von Cluny erbauten gab. Da noch Calixt II. nur die Priester 
„ipsius Cluniacensis loci" samt ihren Pfarreingesessenen von der Pflicht 
löste, sich zur Synode eines anderen als des Abts oder des Papstes 
einzufinden, so ist es unmöglich, dass, zwischen ihm und Urban, Paschal 
in einer etwa verlorenen Urkunde über Urban hinausgegriffen, zumal er 
in einer erhaltenen den Bischöfen ihre Gerechtsame (justitia) über die 
Priester derjenigen Kirchen Clunys, die nicht „in abbatis potestate" seien, 
ausdrücklich für den Fall wahrte, dass sie „adversus ordinis sui digni- 
tatem offenderint" ®*). SichtUch hat die Freiheit ihren Grund in dem 

94) Gregors VII. Privilegien für Cluny und St. Victor (Jaff6-Lfd. No. 4974. 
5214) lauten, natürlich ausser den Namen der Kapellen, in diesem Stück durchaus 
gleich. Dann für Cluny Urban IL No. 5551, Paschal IL No. 5845 (= 5849), Calixt IL 
No. 6821 (hier zwei jener vier Kapellen nun ecclesiae parochiales) ; für St. Victor 
Urban IL No. 5392 (aus der Urkunde Paschais No. 6353 ist nur die Bestätigung 
der Besitzungen veröffentlicht). Vgl. oben Anm. 83. — Noch von Calixt IL wur- 
den in seinem Privileg für St. Jean d'Angely No. 7072 nur presbyter vel clerici 
habitantes in Angeliacensi burgo der Verantwortung vor dem Bischof enthoben, 
und auch sie nur, sofern sie nicht „de criminalibus fuerint impetiti". Die Echt- 
heit der entsprechenden Bestimmung in No. 6128 (vgl. oben Anm. 86) bestreitet 
aus triftigem Grunde Launoy 00. III, 1, 220: auch ist von ihr keine Rede in 
No. 6947. Die Befreiung der Pfarreingesessenen von Aurillac in ürban s Privileg 
No. 5563 macht, da sie selbst einem Kloster wie Cluny erst durch Calixt zu teil 
ward, diese auch sonst verdächtige Urkunde noch bedenklicher: sie ist nach dem 
Muster von No. 6821 verunechtet. 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 93 

Umstand, dass die Gotteshäuser, deren Priester sie betraf, nicht von 
Bischöfen geschenkte waren — die Bischöfe pflegten bei Schenkung von 
Kirchen auch zu vollkommenem Eigentum ausdrücklich dem Kloster- 
oder Stiflsvorstande oder den Kaplänen die Teilnahme an der Synode 
aufeulegen — , sondern von den Äbten selbst erbaute Kapellen, die zum 
Teil allmähUch zu Pfarrkirchen aufwuchsen. Aber auch so erscheint sie, 
ich wiederhole es, damals ganz vereinzelt. Versagt gebheben ist sie, wie 
jene anderen Privilegien, die uns oben als häufigere Ausstattung fi'anzö- 
sischer Klöster erschienen, den deutschen gerade im Investiturstreite: 
erhielt sie doch nicht einmal Hirschau für die in den Constitutionen 
seines Abts Wilhelm oft genannte Marienkapelle oder SchaflFhausen fiir 
die im Orte selbst gelegene St. Agnetenkirche, Und versagt auch allen 
übrigen Klöstern Septimaniens, so dass in diesem Landstrich Aniane sich 
ihi'er allein berühmte, wiederum ohnegleichen. 

EndUch ist die Exemtion, will und muss man sie auf die Geist- 
lichen der Pfarrkirchen beziehen, auch stilistisch verwerflich. In Septi- 
manien wurden diese damals nicht pereonae genannt. Denn die Angabe 
neuerer Lehrer des Kirchenrechts, dass „sowohl in England wie in 
Frankreich" diese Bezeichnung üblich gewesen sei, triflPt so allgemein 
gefasst nicht zu: in Frankreich beschränkt sich der Gebrauch des Wortes 
in diesem Sinne (und in dem oben hervorgehobenen der Stellvertretung) 
wenigstens zu jener Zeit auf das Gebiet nördhch der Loire und den 
Westen: da begegnet es in bischöflichen Urkunden des Artois, der Cham- 
pagne, vornehmUch Flanderns und der Nachbarschaft Flanderns, zumal 
des (damals noch zum deutschen Reiche gehörigen) Sprengeis Cambrai; 
aber den Urkunden der Provence, z. B. den fiir St Victor von Marseille, 
und den Urkunden Septimaniens ist es noch fi:emd®^). Und die Päpste 
im Zeitalter des Investiturstreites und darüber hinaus lassen, nachdem 
Urban 11. jene Abgabenforderung beim Wechsel der personae verboten 
hatte, das Wort personae in Urkunden fiir Klöster und Stifter Frank- 
reichs und Lothringens (England nimmt eine eigentümhche Stellung ein) 
aus ihrer Feder nur fliessen, um sie, wenn es nun an einzelnen Stätten 
noch not that, der Beschwerung durch solch simonistische Heischimg zu 
entheben®®). Gegen sie würde Paschal, wenn je in Septimanien das Ver- 
hältnis des Personats bestanden hätte, den Abt und die Mönche von 
Aniane gesichert haben, nicht gegen die Berufung zur bischöf heben Synode 
die Stellvertreter, die GeistUchen des Klosters. Aber in Wahrheit heissen 
die Geistiichen der Kirchen des Klosters gleich in einer Vereinbarung, 
die vermuthch bald nach Paschais Tod zwischen Bischof Walter von 



95) Dies gegen Phülipps KR. 7, 339 und Hinschius KR. 2, 110. 292 (vgl. oben 
Anm. 90). Unter den von dem letzteren und von Richter-Dove KR.^ 465 ge- 
brachten Belegen gehört einer dem Sprengel Paris, die übrigen England an, und 
alle der zweiten Hälfte des zwölften oder gar der ersten des dreizehnten Jahr- 
hunderts. 

96) Sine personal! redemptione, absque personali successione, altaria ab omni 
personatu libera Jaff6-Lfd. No. 5938. 5940. 6137. 6156 (ungedruckt, doch Auszug 
bei Ducange unter persona). Noch Eugen III. No. 9418 prava illa consuetudo sub 
nomine personatus. Unter diesen Urkunden keine für ein septimaniaches Kloster. 



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94 Zweites Capitel. 

Maguelonne und Abt Peter von Aniane zu stände kam, einfach Capel- 
lani: und da erscheint der Bischof im unbestrittenen, nur neu anerkannten 
Besitze des Rechts, diese für ihre Seelsorge zur Verantwortung zu 
ziehen *'). 

Auch durch die Nachfolger Paschais hat Aniane keine Ausnahme- 
stellung erhalten. Jene von den Maurinem angezogenen, aber nicht ver- 
öffentlichten Privilegien Innocenz' 11., Eugens III., Anastas' IV., Hadrians IV., 
die denen „Johanns XV., Urbans 11., Paschais 11. gleich" gewesen sein 
sollen, waren entweder diesen nicht gleich, oder waren unecht. Dies 
ergiebt sich aus einer anderen Reihe freiUch auch noch nicht gedruckter 
Privilegien dieser Päpste, der nämlichen vier Päpste. Durchweg im 
Rahmen des gemeinen Rechts gehalten, gerichtet nicht an den Bischof, 
sondern an die Abte von Aniane, kommen diese uns nicht weniger als 
jene aus dem Kloster selbst, sie als Zeugnisse wider das Vorgeben des 
Klosters®®). Sie haben, zumal das fiüheste unter ihnen, ihren Schwer- 
punkt in der Bestätigung des Besitztums. Das Besitztum, vornehmlich 
aus Kirchen sich zusammensetzend, ausgebreitet über die heutigen Depar- 
tements des Gard, des Herault und darüber hinaus, lässt erkennen, wie 
weit es Aniane noch nach den Karolingern gebracht, dass es wenigstens 
im Erwerben noch Portschritte gemacht und auch in der Gründung von 
Gotteshäusern nicht stillegestanden hat: z.B. tritt hier, zuerst 1146 und 
dann immerfort, an der eigenen Stätte des Klosters eine St. Johannis- 
kirche hervor. Schon deshalb hätten sie in der Neuausgabe der Histoire 
de Languedoc vollständigen Abdruck verdient: mir hegen sie abschrift- 
Uch vor, und ich werde am Schlüsse wenigstens die jüngste, die Bulle 
Hadrians IV., zur Kennzeichnung des von Aniane erreichten Höhepunktes 
veröffenthchen. Hier nur der wesentUche Inhalt: er genügt zum Erweis, 
dass die Rechtsstellung des Klosters weder früher hoch war, noch später 
erhöht worden ist. 

Alle vier Päpste erwähnen die Privilegien ihrer Vorgänger nur bei 
dem Besitztum des Klosters, das sie bestätigen: von Befugnissen, die 
Johann und andere, namentlich Urban und Paschal zum Nachteil des 
Bischofs erteilt hätten, kein Wort ®®). Der erste unter den vieren, Papst 



97) Gariel Ser. ep. Magal. I, 143 vgl. oben Anm. 87. Auch sonst vielfach 
bei Schenkung von Kirchen an Klöster oder bei Vereinbarung über deren Besitz 
als Bedingung der Besuch der Synode durch die Geistlichen, z. B. in Septimanien 
Gall. Chr. VI, Instr. c. 83 A. 189 A. 276 B. 

98) Jaff6-Lfd. No. 7432. 8953. 9933. 9943 und 9944. Dass No. 8953 und 9943 
im Cartular von Aniane standen, entnehme ich den Anführungen von Thomas in 
seinem gründlichen Diction. topogr. de l'Her. (unter Aniane und Argelliers, unter 
Carlencas-et-Levas, unter St. Marie-de Bella). Thomas kennt überall nur ein 
einziges Privileg Hadrians aus dem J. 1154, und auch ich glaube, dass 9943 und 
9944 zusammenfallen trotz verschiedener Arenga: in beiden der Inhalt völlig 
gleich, in No. 9944 nur durch den Schreiber zahlreiche Auslassungen und eine 
Umstellung der Unterschriften. Vgl. oben Anm. 77. 

99) Quaecunque praeterea . . Anianense monasterium per authentica praede- 
cessorum nostrorum . . Joannis Nicolai Alexandri Urbani Paschalis . . privilegia 
possidet aut in futurum poterit adipisci, quieta vobis et integra conserventur. So 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 95 

Innocenz II., gewährt seinerseits daneben die Sicherang der vom Bischof 
Raimund von Us^z der Zelle Goudargues übertragenen Kirchen, die, 
nachdem Goudargues nach langem Streite neuerdings dem Kloster zu- 
gesprochen war, diesem nun mittelbar gehörten, und die Erlaubnis im 
Sprengel Raimunds fernerhin mit bischöfhcher Zustimmung Kirchen aus 
Laienhand anzunehmen, aber an bemerkenswerten Rechten nichts als die 
Zehntfreiheit von aller durch eigene Arbeit und mit eigenem Aufwand 
gew^onnener Frucht, wie sie schon früher manchem Kloster bewilligt, und 
von Paschal, bei Gelegenheit einer solchen Bewilligung, den Mönchen 
überhaupt, ja auch den in Gemeinschaft lebenden Klerikern zugesprochen 
war, so dass sie seitdem als gemeines Recht gelten konnte ^*^^). 

Eugens IIL Privileg, das die dem Kloster unmittelbar gehörigen 
Kirchen und Ortschaften, von St. Johann zu Aniane ab, eine nach der 
anderen aufeählt, dafür aber die zur Zelle Goudargues gehörigen, die sie 
allerdings bestätigt, ungenannt lässt, beschränkt sich, was die weiteren 
Rechte betrifft, auf die erneute Gewährung jener Zehntfreiheit, welche 
unter ihm, einem ehemaUgen Abte der Genossenschaft von Citeaux, die 
gerade diese Gerechtsame hochschätzte, nun fast als herkömmUcher Be- 
standteil klösterlicher Privilegien, meist noch umfänghcher als hier be- 
gegnet ^^^), und auf das Verbot eigenmächtiger Veräusserung von Kloster- 
besitz durch den Abt oder einen Mönch: also auch in dieser Bulle nichts 



No. 7432. 8953. 9933. 9943 ; auf Paschalis folgt in der Urkunde No. 7432 et Calixti, 
No. 8953 Calixti et Innocentii, No. 9933 Innocentii et Eugenii, No. 9943 Innocentii 
Eugenii et Anastasii. Von dem so in den zwei letzten Bullen übergangenen Calixt 
führen die Mauriner Gall. ehr. VI, 836 D kein Privileg an, das „ejusdem stili ac 
tenoris" mit dem Johanns gewesen wäre, sie kennen 839 A von ihm nur die noch 
uns erhaltene Bestätigung des Besitzes der Zelle Goudargues (JafF6-L. 6714), mit 
der aber doch eine summarische Bestätigung des Besitztums überhaupt verbunden 
ist. — Die St. Johanniskirche , erst in No. 8953 erwähnt, aber als Mittelpunkt 
einer Parochie bezeugt schon in einer Privaturkunde von 1114 (Gall.' ehr. VI, 
838 D: Thomas S. 6 kennt sie nicht, also wohl verloren) lehrt, dass an die Ge- 
nossenschaft des weltflüchtigen Benedict sich schon im 12. Jahrh. eine weltliche 
Gemeinde angeschlossen hatte. 

100) Decimas de fructibus laborum vestror. quos propriis excolitis sumptibus 
nuUus usurpare vel exigere audeat. Für die Geschichte des Rechts und der Wirt- 
schaft ist bemerkenswert, dass Urban II. die Zehntfreiheit des öfteren nur für die 
Neubrüche erteilte, z. B. Jaffe-L. No. 5391. 5459. 5784 (Maassen führt SB. der 
k. k. Ak. 31, 469 diese Beschränkung samt der Formel sane novalium vestror. auf 
Hadrian IV. zurück, der in Wahrheit auch hier, in Sache und Fassung, nur dem 
Vorgange ürbans folgte). Dagegen ist Paschais Bewilligung, die als eine allge- 
meine von Gratian in sein Beeret aufgenommen wurde, noch weiter als die vor- 
liegende seines Nachfolgers Innocenz II. für Aniane: sie hat nicht den beschrän- 
kenden Satz quos — sumptibus und sie erklärt auch die Erhebung des Viehzehn- 
ten für unstatthaft (No. 6443: c. 47 C. XVI qu. 1). 

101) Wie schon Innocenz II. die Erhebung des Viehzehnten von den Mön- 
ehen von Citeaux verboten hatte (Jaffe-L. 7537), so fügt Eugen dies Verbot den 
meisten seiner Zehntprivilegien ein, doch fehlt es wie hier (nach der Vor Urkunde) 
^och sonst bisweilen, aufTälligerweise namentlich in Urkunden für italienische 
Klöster (No. 8778. 9282. 9292. 9309. 9488. 9493). 



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96 Zweites Capitel. 

Aussergewöhnliches. Im Gegenteil: an die Verkündigung der Unantast- 
barkeit des Klosters und Klosterbesitzes schliesst Eugen den Vorbehalt 
der dem Sprengelbischof auf Grund der Canones zustehenden Gerecht- 
same (salva . . dioecesanorum episcoporum canonica justitia): so war 
diesen noch jetzt nichts abgebrochen. 

Wie Innocenz 11. und Eugen HI. haben auch Anastasius IV. und 
Hadrian IV. Aniane nicht von der bischöflichen Gewalt befreit. Ihre 
Bullen wiederholen aus der Eugens die liste der Besitzungen, die nun 
etwas länger ausfallt, aber immer noch vornehmHch Kirchen umfasst, die 
Gewährung der Zehntfreiheit, das Verbot eigenmächtiger Veräusserung 
von Gütern: dazu wehren sie der Anlage neuer, dem Kloster nachteiliger 
Befestigungen auf dem Eigen des Klosters und binnen einer Meile in 
der Nachbarschaft. Aber indem sie mit jenen Kirchen zugleich deren 
Zehnten imd Oblationen, demnach die „Liebesgaben" nur als Gebühmisse 
der dem Kloster gehörigen Pfarrkirchen dem Kloster sichern, zeugen sie 
eben gegen das in der andern Reihe der Privilegien Anianes zum Aus- 
druck gebrachte Vorgeben, dass es von jedem, der im Friedhofe des 
Klosters beerdigt sein wollte, Vermächtnisse in beliebigem Betrage, d. h. 
ohne Rücksicht auf den seiner Pfarrkirche zustehenden Teil annehmen 
dürfe ^^^). Und wenn sie den Bischöfen alle Heischung über die Grenzen 
des kirchlichen Rechts hinaus untersagen, wenn sie sich im besonderen 
gegen eine rechtlichen Grundes entbehrende Verhängung des Interdicts 
über jene Kirchen, von der Johanniskirche zu Aniane an, kehren ^^% so 
liegt zu Tage, dass innerhalb der Grenzen des kirchhchen Rechts die Ge- 
walt des Bischofs nicht aufgehoben war, dass kein Privileg ihn hinderte, 
bei vorhandenem Grunde sie auch durch Verhängung des Interdicts zu üben. 

In allen vier Bullen findet sich die Schutzzusage, aber in allen 
vieren fehlt die Befreiung von der bischöflichen Jurisdiction^^*). Wie 

102) Cum decimis et oblationibus ad ipsas ecclesias pertinentibus. Dieser 
Zusatz findet sieb nicht in den Bullen Eugens und seines Vorgängers; dass aber 
unter Eugen das Verhältnis kein anderes war, erfahren wir hier einmal von unbe- 
teiligter Seite, aus den Sammlungen Clunys. Ein von daher veröffentlichter Brief 
des Papstes an den Erzbischof von Narbonne (Jaffe-Lfd. No. 9628) heisst diesen 
Sorge tragen, dass dem „neuen Kloster Clunys bei Montpellier" (Sauret) die 
Freiheit, Pfarreingesessene bei sich zu beerdigen und von ihnen Darbringungen 
anzunehmen, in demselben Masse verbleibe, wie sie den Klöstern Aniane und 
St. Guillem zustehe; aber die Freiheit von St. Guillem hatte nach dem Privileg 
No. 8947 zur Schranke den Vorbehalt der justitia matricis ecclesiae: und diesen 
Vorbehalt macht denn der Brief an den Erzbischof noch ausdrücklich. 

103) Sancimus etiam ut nulli episcopor. nisi quod justum et canonicum fuerit 
et quod habere soliti sunt a te vel ab ecclesiis tuis aliquid exigere vel easdem 
ecclesias praesumant sine causa canonica interdicere. 

104) Wie wenig noch in der Zeit dieser Bullen aus dem gewöhnlichen Schutz 
die Befreiung von der bischöflichen Strafgewalt floss, bezeugen an kirchengeschicht- 
lich wichtiger Stelle die Privilegien für die neuen Orden von Premontr6 und von 
Citeaux. Die Bestätigung der frühesten Satzungen von Premontre durch Papst 
Honorius IL (Jaffe-L. No. 7244) hat den bischöflichen Vorbehalt, der Schutzbrief 
Innocenz IL (No. 7465) überweist die Absetzung eines unverbesserlichen Abts dem 
Sprengeloberen, der nur der Anwesenheit des Vaterabts und zweier anderen Äbte 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 97^ 

XJrbans Spruch von Clermont den Abt von Aniane schuldigen Gehorsam 
dem Bischof von Maguelonne geloben hiess, so haben diese späteren Bullen 
die Pjflicht kanonischen Gehorsams ungemindert, unberührt gelassen. 

Gehorsam, „schuldiger Gehorsam" gegen die Bischofskirche ist dem 
Kloster Aniane von einem dieser vier späteren Päpste auch ausdrücklich, 
wenn schon nur mittelbar, auferlegt worden, von Hadrian IV. in einem 
Privileg, das er der Kirche Maguelonne, in fast völliger Übereinstimmung 
mit dem eines ihrer Vorgänger Cahxt II., erteilte, wie wiederum fast 
gleichen Lautes, einer ihrer Nachfolger, TJrban III. es erneuerte ^^% PreiUch 
sind diese Privilegien für Maguelonne, gleich der Entscheidung Urbans II., 
auf die sie sich beziehen, nur aus dem bischöflichen Archiv ans Licht 
gekommen, aber sie sind wie sie unverdächtig. So ausschweifend sich die 
angeblichen Privilegien Urbans II. und Paschais II. für Aniane zeigten, 
so sehr bleiben die Calixts IL, Hadrians IV. und Urbans HL für 
Maguelonne mit ihrem ganzen Inhalt in den Schranken des bestehenden 
Rechts: durch die Schlichtheit der Fassung empfiehlt sich, nicht weniger 
als das Endurteil Urbans zu Clermont, die ihnen eingefügte Verordnung 
„Anianense monasterium Magaloneiisi ecclesiae obedientiam debitam ex- 
hibere sancimus" — kein Wort mehr als die Sache forderte, trotz des 
Gewichts, das dem Befehle, wie seine Aufnahme in drei Urkunden lehrt, 
beigelegt ward. 



dazu bedarf (analog die des Abts von Premontre No. 7652); desselben Papstes 
Bestätigung des Ordens No. 7654 bringt zwar die Enthebung aus der bischöflichen 
Excommunicationsgewalt, begründet sie aber nicht auf den Schutz, sondern auf 
die Erwartung, dass das Generalcapitel des Ordens selbst die Zucht handhaben 
werde, und so erneuert Lucius IL durch No. 8614 die dem Sprengeloberen durch 
No. 7465 verliehene Vollmacht; Hadrian IV. verbot (No. 9972) die Interdicierung 
des Klosters Premontr6 nur wenn sie einer rationabilis causa ermangele. — Zur 
Stellung von Citeaux genügt der Verweis auf Gieseler II, 2, 311; ich füge bei, 
dass schon der früheste Schutzbrief (Paschais 11. No. 5842) den bischöflichen Vor- 
behalt hat: der Zusatz „salvo ordine meo^S durch den ein antretender Abt das 
Gelübde seines Gehorsams gegen den Bischof beschrankte, sollte, da keine Ordens- 
bestimmung die bischöfliche Jurisdiction aufhob und da c. 38 der Statutencompi- 
lation unter Abt Rainard nur den Gehorsam gegen die Generalcapitelschlüsse dem 
gegen den Bischof überordnete, einer bischöflichen Dispensation von der Strenge 
der Capitelschlüsse, einem bischöflichen Einspruch gegen ihre Verschärfung und 
gegen die eigene Übung der Ordenszucht durch Ordensäbte wehren. Bekannt ist 
der Widerwille des grössten aller Cisterzienser gegen die Gelüste nach Exemtion 
von der bischöflichen Gerichtsbarkeit (Gieseler II, 2, 307) : er berührt da in seinen 
Äusserungen nie den päpstlichen Schutz. 

105) Jaffe-L. No. 7093 (jetzt auch in Ul. Robert's Bullaire de Calixte IL 2, 
237). 10027. 15947. Auch in der dritten dieser Urkunden steht der von Loewen- 
feld nur in den Auszug aus den zwei ersten aufgenommene Satz, der Aniane betrifft. 
Der zweiten fehlt die Bestimmung der den Pfarrkirchen zustehenden pars eleemo- 
synarum, am vollständigsten findet diese sich im Privileg Calixts und gerade in 
dieser Fassung erhöht sie die Glaubwürdigkeit des Privilegs (vgl. oben Anm. 56). 
Wie hier verbietet Calixt, im Sprengel eine Kirche ohne Erlaubnis des Bischofs 
zu bauen, auch Jaffe-L. 6964 (Orig.: hier Hinweis auf den Beschluss der Synode 
von Chalcedon). 

Puckert, Aniane und Gellone. ' 



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98 Zweites Capitel. 

So vollenden diese Privilegien für Maguelonne, zumal das Hadrians IV., 
den Erweis der Verunechtung jener Privilegien, die Aniane von Päpsten 
bis auf Hadrian IV. und von Hadrian selbst erhalten haben will. Helfen 
sie aber auch die Zeit der Verunechtung bestimmen? Ich glaube 
kaum. Denn dass in ihnen nicht über die Schriften Anianes Vernichtung 
verhängt wird, dass selbst die auf den Namen Urbans II. und Paschais II. 
gestellten ganz unerwähnt bleiben, berechtigt nicht gerade zur Annahme, 
dass die Trugwerke noch nicht vorhanden waren, als Maguelonne die 
Privilegien erhielt, dass erst nach Urban III. Aniane auf Grund so zu- 
gestutzter Urkunden dem Sprengeloberen den Gehorsam versagte. Wohl 
glaubte ich oben (S. 44) behaupten zu dürfen, dass, weil Urban IL in 
seinem Spruche zu Clermont von einer schriftlichen Ermächtigung des 
Abts, Weihehandlungen durch einen fremden Bischof vornehmen zu 
lassen, ganz schweigt, im Jahre 1095 eine solche noch nicht zum Vor- 
schein gebracht worden war. Aber hier hegt die Sache etwas anders: 
von Oalixt II., Hadrian IV., Urban III. haben wir nicht Eechtssprüche, 
sondern Bullen, und nicht sowohl in Bullen als in Briefen pflegen die 
Päpste, wenn sie den schriftlichen Weg einschlagen, Entscheidung von 
Streitfällen in ausgeführter Darstellung niederzulegen. Den Bullen für 
Maguelonne, schon der frühesten von Calixt II., könnte in Briefen an 
Aniane die Abweisung jener einzelnen Ansprüche zur Seite gegangen sein. 

Eher lässt sich eine Vermutung über das Alter dieser Fälschungen 
an einen andern Umstand knüpfen. Denn auf die angeblichen Privilegien 
Urbans 11. und Paschais II. ist die Rede auch nicht bei jener Verhand- 
lung bald nach Paschal, sicher vor 1140 gekommen, bei der, hätte das 
Kloster schon damals sie vorgebracht, schwerlich von ihnen abgesehen 
worden wäre. Wir kennen von ihr nicht den Hergang im einzelnen, 
aber das Ergebnis. Das Ergebnis bestand erstens zwar in dem Gelübde 
des Gehorsams, das der Abt in ausgesuchter FeierHchkeit, vor Laiengrossen 
des Landes, vor Zeugen aus seinem Kloster und aus dem Kathedralcapitel, 
am Altare ablegte, aber nicht, wie der Spruch zu Clermont seinem Vor- 
gänger geboten hatte, in der Vernichtung von Urkunden. Und zweitens 
in dem Tausche einiger Kirchen zwischen Abt und Bischof, wobei der 
Bischof sich wohl, wie früher bemerkt, das Recht wahrte, die Kleriker, 
die ihm für die dem Abt bleibenden präsentiert würden, mit der Seel- 
sorge zu beleihen und dann auch zur Verantwortung zu ziehen, also sich 
seine Befugnisse voll vorbehielt, aber doch nicht für nötig erachtete, 
gegen die von Aniane auf dem Wege der Fälschung angestrebte Freiheit 
der Berufung eines behebigen Bischofs zu den Klerikerweihen Vorkehrung 
zu treffen, die Berufung eines solchen ausdrücklich zu verbieten ^^®). 
Demnach gab's damals, unter Abt Peter von Aniane 1120 — 1140, ver- 
mutUch in dessen Anfängen keinen Streit um die Exemtion: Ansprüche, 
wie sie die Privilegien zum Ausdruck bringen, , erhob Aniane in jener 



106) Gariel Series episcop. Magalon. I, 143: die Urkunden, die da aasgeliefert 
wurden, betrafen die Kirchen, denen sie ja folgten (chartas praedictarum eccle- 
Biarum), die Charta Paschalis pontificis insbesondere die Kirche de Veruna-Laverune. 
Oben Anm. 87 und S. 93 f. 



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Aniaoe im Zeitalter des Investiturstreites. 99 

Zeit nicht ^"'). Der Stillstand war, wie es scheint, schon vor Abt Peter, 
vielleicht unter der Wirkung, wenigstens der allmähhchen, des Schiedes 
von Clermont eingetreten; wie es scheint, hat er seine Regierungszeit 
auch überdauert. Denn bereits vor Peters Stuhlbesteigung und noch 
nach seinem Abgange ist bei Irrungen zwischen Aniane und andern 
Klöstern oder Stiften der Bischof von Maguelonne des öfteren, bald ganz 
allein, bald samt seinem Archidiakon, mit dem Schiede beauftragt, also 
doch einer Parteinehmung wider Aniane für unverdächtig angesehen 
worden, 1107 von Paschal IL, zwischen 1119 und 1121 von Calixt 11., 
noch 1155 von Hadrian IV.; einmal brachte er da die ihm durch die 
Anianer Fälschungen angebUch entzogene Gewalt, gerade dem Kloster 
zu Nutz, durch Bannung der Gegner in Übung ^^®). 

Zeugnisse solcher Unbefangenheit der Bischöfe von Maguelonne 
sind uns aus den letzten vierzig Jahren des zwölften Jahrhunderts nicht 
erhalten: innerhalb ihres Rahmens Hesse sich denn eine erneute Auf- 
lehnung des Klosters gegen den Sprengeloberen und, im Zusammenhange 
mit ihr, die Verunechtung oder Fälschung der Bullen Urbans II. und 
seiner Nachfolger denken. Die Vermutung lenken verschiedene Umstände 
namentlich auf die Zeit der Anwesenheit Papst Alexanders III. in Frank- 
reich (Frühjahr 1162 bis Herbst 1165). Damals erhob Clunys Priorat 
Sauret, nahe der Stadt MontpeUier, Ansprüche gegen Bischof und Capitel 
von Maguelonne, die vielfach mit den verwerflichen Stücken der Privilegien 
von Aniane übereinstimmen. Selbst die Abweisung, die nach längerer 
Erörtemng die ZögUnge Abt Peters des Ehrwürdigen durch das vom 
Papste geleitete Concil von Tours Juni 1163 erHtten, brauchte den Mön- 
chen von Aniane ihr Unterfangen nicht gerade zu verbieten. Sie konnten 
dies Urteil, das zwar fast durchaus der kirchhchen Rechtsordnung eni> 
sprach, aber dabei doch ein jenem Priorat früher erteiltes Privileg ganz 
überging ^^®), auf die Verbitterung zurückfiihren, der wider die dem 

107) So ist denn in dem undatierten Schreiben, wodurch sich Clunys Abt 
Peter d. Ehrwürdige (in der Zeit da Cl. Aimericus Kanzler der römischen Kirche 
war, d. h. 1123 — 1141) bei diesem für Aniane verwendete, keine Rede von Exem- 
tion, die doch gerade einem Abt von Cluny nahegelegen hätte, sondern nur von 
«iner päpstlichen Schutzzusage; es ist auch nicht gegen den Bischof von Mague- 
lonne, sondern gegen den von Beziers gerichtet (Bibl. Cluniac. S. 624). 

108) Ein Schiedsspruch von 1107 Gall. ehr. VI J. c. 297 No. 5; dann Jaffe- 
Lfd. No. 6714. 6715 f. 6908. 7291 (die Bannung), zuletzt noch 1155 No. 9987. In 
den Erlassen Eugens III. No. 8954 und 8955 (aus dem J. 1146) erscheint der 
Bischof als der angreifende Teil, und da handelt es sich nur um Besitz und nutz- 
bares Recht. Ich weise auch auf No. 9940 (aus d. J. 1154), denn der Auszug 
Löwenfelds, dem wir die Kenntnis dieses Stückes verdanken, trifft in mehrfacher 
Beziehung nicht zu: Richter ist da nicht der Erzbischof von Narbonne, sondern 
•eben der Bischof von Maguelonne (Weiteres Cap. Y Anm. 102). 

109) Baluze Mise. ed. nov. II, 122: De cetero monachi Cluniacenses excom- 
municatos Magalonensis ecclesie non recipiant nee poenitentiam dent . . , tertiam 
partem omnium, quos [sie] eis infirmus moriens contulerit canonicis Magalonen- 
sibus solvant . ., non licebit monachis . . canonicos . . absque episcopi et capituli 
licentia recipere . ., consecrationem quoque ecclesie . . atque promotiones mona- 
■chorum ad Magalonensem episcopum pertinebunt. Wird dann die Zehntpflicht 



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100 Zweites Capitel. 

römischen Stuhle ehedem sa ergebene und nun dem Schisma verfeillene 
Genossenschaft von Cluny Papst und Papsteshof Raum gab, auch noch 
als der erste Zorn sich in der Entsetzung ihres Abts gekühlt hatte. 
Abt von Aniane war damals Raimund, ein Spross des Herrengeschlechtes 
von Montpellier, dessen Vater Wilhelm VI., in mannigfachem Hader mit 
Bischof und Capitel von Maguelonne, durch die Schenkung von Sauret 
den unbotmässigen Mönchen Burgunds Eingang in den Sprengel bereitet 
und auch von seinem Geblüt ihnen eine Gabe gemacht, eben ihn, einen 
nachgeborenen Sohn, ursprünglich dem HeiUgen Clunys^, dargebracht 
hatte ^^^). Als Abt würde Raimund nur der väterhchen Überlieferimg, 
der von ihm selbst durchlaufenen Schule treu gebheben sein, er würde 
das nämhche Stieben wie später, als er nach der Inful von Lod^ve griff, 
um durch sie gleichen Standes mit seinem bisherigen Oberen und es 
an dessen Flanke zu werden, bekundet haben, wenn er bereits zu Aniane 
sich der Gewalt des Sprengelhirten zu entziehen gesucht und das seinen 
Vorgängern im elften Jahrhundert Misslungene wiederaufgenommen hätte: 
jetzt, in der Zeit abermahger Kirchenspaltung, mit besserer Anssicht, da 
seinen Bruder, das nunmehrige' Haupt des Geschlechts, der Papst des 
Kaisers schmeichelnd umwarb ^^^) und der Papst der Mehrheit der Car- 
dinäle nun sichthch bedacht war, dass er unablösbar seiner Sache erhalten 
bUeb. Zum Band ersah Alexander IH. einen Gnadenerweis von hohem 
Werte, eine Auszeichnung, die auch in Aniane Hoffiiung wecken konnte. 
Denn trugen sich damals Anianes Abt und Mönche mit dem Plane, auf 
dem Wege der Erschleichung Vorrecht zu gewinnen, von dem gegen- 
wärtigen Papste die Bestätigung angeblicher Privilegien älterer Päpste 
und durch sie vornehmlich die Enthebung aus der bischöfhchen Gerichts- 
barkeit als ihnen von früher her zustehend zu erlangen, so mochte es ja 
einen spornenden Eindruck auf sie machen, als vor ihren Augen Herr 
Wilhelm VII. von MontpeUier für seine Person und fiir zwei seiner 

von allem dermaligen und künftigen Besitztum eingeschärft, so fällt eben auf, 
dass die von Eugen IH. No. 9628 gewährte Zehntfreiheit der Erträgnisse des 
eigenen Wirtschaftsbetriebes keine Erwähnung findet. Zu vergleichen ist die 
Rechtfertigung, die P. Alexander III. No. 10720 noch nach der Excommunication 
des schismatischen Abts von Cluny (No. 10660) seiner Enthebung des Klosters 
Vezelay aus der Gewalt Clunys giebt. 

110) Dass Wilhelms Irrung mit dejn Bischof von Maguelonne ihn auch zu 
Verstössen gegen die Canones verleitete, also doch wohl zu Abbruch an bischöf- 
lichem Rechte, lehrt das amicabile pactum von 1140 (H. d. L. V, No. 545 bes. coL 
1042). Die päpstliche Genehmigung der Errichtung de» Priorats Sauret (vgl. H. 
d. L. IV, 829) erhält noch in der Neuausgabe der Regesten No. 8305 allzuweiten 
Spielraum: „28. Apr. 1138—1143"; auf spätestens 28. April 1139 weist No. 8022, 
wodurch dies Priorat bereits dem Kloster Cluny gesichert wird. Die Darbringung 
seines Sohnes bekundet der Vater in seinem Testament (Spicil. ed. Dacher. HI, 499 a: 
monachus est oblatus). Schon dieser sechste Wilhelm hat von seinem Zeitgenossen 
Innocenz 11. manche Lobes- und Dankesbezeigung geerntet: No. 7559 (wo statt 
cum palude, da die Burg Les Palus gemeint ist, cum Palude zu schreiben war). 
7564. 7850. 8154. 

111) Jaff6-Lfd. No. 14440: hier nennt Victor III. den edlen Herrn Wilhelm 
einen Freund des Kaisers. 



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Aniane im Zeitalter des Inv^stiturstreites. 101 

Kapellen wirklich von dem übereifidgen Gönner gegen des Bischöfe Bann 
und Interdict gesichert ward^^^). Dazu kam die Wahrnehmung, dass 
P. Alexander III. nach seiner Landung auf französischem Boden, anders 
als Urban II. nach der Kirchen Versammlung von Clermont, bei der 
Kathedrale Maguelonne nicht verweilte ^^®), aber die nahe Herrenburg 
Montpellier fiir drei Monate zum Aufenthalt wählte, und dass er in einem 
Streite zwischen Bischof und Dompropst dem Propst grössere Neigung 
bezeigte ^^*). Diese Gestalt des Verhältnisses, jetzt beinahe das Widerr 
spiel zu der unter Urban, hätte zu einem Versuche locken können, den von 
JJrban zu Gunsten des Bischofs gefällten Spruch rückgängig zu machen! 



112) Von P, Innocenz IL hatte der Vater als specialis b. Petri miles för 
sich und seine Besitzungen nur im allgemeinen Schutz gegen Behelligung und 
Beeinträchtigung erhalten No. 7559. Alexander III. Hess seiner Schutzzusage für 
den Sohn No. 10734 eine für dessen Leute und für die Eaufleute von Montpellier 
folgeü No. 1Ö747 (beide übersehen von Blumenstock, der a. a. 0. S. 155 keine 
von diesem Papste kennt); mit der ersteren verband er eben Sicherung gegen 
Bann und Interdict. Auch Alexanders Verordnung gegen die neuen Zölle No. 11104 
enthielt eine Begünstigung Wilhelms (nach .dessen Brief aif König Ludwig bei 
Duchesne SS. IV, 716 No. 422). Sogar in den Irrungen zvrischen der Gemeinde 
von Genua, der doch der Papst für gewährte Gastfreundschaft verpflichtet war, 
und Wilhelm hat sich Alexander wiederholt zu Gunsten des letzteren ausgelassen 
(No. 13151 f.). Gegen das alles wiegt leicht die an sich sehr glimpflich gehaltene 
Andeutung einer Säumnis Wilhelms in No. 11282. 

113) In seinem Schreiben ka König Ludwig (No. 10708) schweigt der Papst, 
des Lobes voll über weltliche Herren, befremdenderweise über einen Empfang 
de» Bischofs bei seiner Landung ganz; in den Briefen No. 10719 und 10729 nennt 
er ihn nur unter den Teilnehmern an der Synode von Montpellier. Nach No. 10749 
-war es überhaupt kein Bischof des Südens, der ihn zuerst begrüsste, sondern einer 
vom äussersten Norden Frankreichs, der von Terouanne. Die Lebensgeschichte 
des Papstes will die rasche Weiterfahrt durch die Unzulänglichkeit Maguelonne« 
für das Gefolge des Papstes erklären; aber Urban II. hat mit seiner Begleitung 
1096 hier fünf Tage verweilt und Alexander selbst mit einem Teile der seinen 
1165 beim Wiederverlassen Frankreichs noch viel länger. Und auch da befrenidet, 
dass von dem endlich Heimgekehrten (No. 11242) ein Dankschreiben für bewiesene 
Ergebenheit an Propst und Capitel gerichtet wurde ohne Erwähnung des Bischofs, 
für den auch kein besonderes sich flndet. 

114) Jaffe-Lfd. No. 10774 (vgl. 10748). 10775. 10894. Ich kehre mich dabei 
gegen die Darstellung des verehrten Beuter. . Wenn er (Alex. III. 1, 195) von 
einer Kathedrale zu Montpellier spricht, so ist das eine Voraufnahme um Jahr- 
hunderte, durch die vermutlich auch seine Ansicht von dem Verhältnis der 
Personen bestimmt ward. Denn dass damals der Bischof Alexanders „Vertrauter", 
gewesen (so 2, 188, wo nun doch der richtige Name des Bischofssitzes), ist durch 
nichts bezeugt: jene Enthebung Wilhelms von Montpellier weist eher auf das 
Gegenteil. Erst später wird auch ihm Vertrauen und Gnade bezeigt (No. 11313. 
11473. 11545), aber ohne dass darüber Propst und Capitel preisgegeben würden 
(vgl. No. 11312. 11317. 11468. 11535), und noch da musste er eine in „erregter 
Verwunderung" verhängte Rüge hinnehmen (Gall. Christ. VI, J* 360 No. 24, von 
Jaffe-Lfd. übersehen: ich stelle den, ohne Jahr tiberlieferten, Brief als No. 11536a 
hinter den, mit dem er Ausstellungsort, Monatstag und die Namen der vom Papst 
bezeichneten Richter gemein hat; mit diesem teilt er auch den Fehler XVHl KaL 
Jun. statt XVII Kai. Jun.). 



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102 Zweites Capitel. 

Indes bei alledem fehlt doch die Hauptsache, ein Zeugnis, dass Abt Bai- 
mund der Lockung nachgegeben, in einer Fälschung ihr nachgegeben habe, 
gerade er. Mannigfache Kunde besitzen wir von seiner Amtsführung zu Aniane 
und dann zu Lod^ve, die in gef ährhchen Lauften bittere Feindschaft und auch 
Gewaltthat über ihn brachten. Aber ich finde nicht, dass seine Feinde seinen 
Namen mit dem Vorwurfe des Truges belastet hätten. Und da auch keine 
Spur darauf weist, dass die vermuteten Privilegien des Klosters über die 
Schreibstube Anianes hinaus, dass sie je vor Alexanders Augen gekommen 
sind, wie das Privileg Johanns XV. zur Kenntnis Urbans, so lässt sich 
in ihnen nur die stille Vorbereitung eines Erschleichungsversuches finden. 
Erlangt hat Abt Raimund von dem Gaste seines Bruders unseres Wissens 
bloss zwei Urkunden, die, wie warme Fürsorge der Papst in der einen 
für des Klosters Gedeihen und Sicherheit äussert, doch beide von geringer 
Wichtigkeit sind und das Verhältnis zum Bischof nicht berühren ^^*). 
Dass die Stellung des Klosters unter Alexander unverändert geblieben, 
dass auch von ihm Aniane der Gewalt des Sprengeloberen nicht enthoben 
worden ist, erweist jene von mir schon berührte Klage, die der Bischof 
über die Weigerung des Abts, seine Synode zu besuchen, vor einen 
Nachfolger Alexanders im folgenden Jahrhundert, vor Papst Honorius HI. 
brachte, da sie zur Voraussetzung den normalen Stand der Dinge hat, 
indem sie von der Behauptung ausgeht, dass der Abt seiner Jurisdiction 
unterworfen sei, und die darauf ergangene Verfügung des Papstes, da 
sie die Unterordnung nicht in Zweifel zieht, die Entscheidung einfach 
nach den Satzungen der Kirche treffen heisst (id quod canonicum 
fuerit statuatis)^^®). Das Urteil der durch den Papst bestellten Eichter 



115) Jaffe-Lfd. No. 10715 (Bestätigung des monasterium LiTiniaeense samt 
Gewährung der sepultura libera bei diesem Kloster, die indes nicht über das ge- 
wöhnliche Mass hinausgeht) und No. 11228 (hier: nos . . monasterii ampliationi 
et indem nitati ferventius intendere eupientes). 

116) „Significavit nobis venerabilis frater noster*, II Kai, Junii Po. n. a. V. 
d. h. 30. Mai 1221. Denn schon oben S. 84, Anm. 87 führte ich einen Grund gegen 
die Ansetzung unter Honorius II. (Jaffe-Lfd. No. 7355) an, der denn gleich für 
Honorius III. ausschlägt. Ausserdem nimmt man nirgend wahr, dass Honorius H. 
(wie es hier geschieht „appellatione postposita*) die von ihm bestellten Richter 
von einer Berufung absehen heisst (vgl. No. 7204, 7320. 7353. 7354): das wird 
erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrh. üblich (No. 9733. 10332). Und stilistisch 
stünde ein Brief mit dem Anfang Significavit nobis unter Honorius IL ganz 
vereinzelt (er pflegt das Subject oder eine Subjectsapposition voranzustellen : filius 
noster, venerab. frater n., veniens ad nos frater n.), aber Honorius HI. beginnt 
seine Briefe sehr häufig mit diesem Yerbum, in der nämlichen und in anderer 
Form: Potthast No. 6355. 6626. 7331. 7650. 7685. 7705. 7743. 7749. 7752. 7812. 
7828. 7838; significasti, significastis, sane significastis 7012. 7020. 7079. 7482. 
Endlich sind gerade im Mai (17. und 29.) 1221 noch sonst Erlasse von Honorius HI. 
nach Maguelonne gegangen (Potth. No. 6663. 26074). Demnach füge ich den 
Brief zu dem Verzeichnis Potthasts unter No. 6671b = 26640 b, und streiche 
Jaffe-Lfd, No. 7355, wo übrigens mit unrecht behauptet wird, dass G^riel das 
Papstjahr nur vermutungsweise angenommen habe: er giebt es in seinen beiden 
Abdrücken I, 142. 325 als echten Teil des EschatokoUon. Umgekehrt beruht es 
nur auf einer Vermutung Jaffas, die nun hinfällt, wenn in seinem Auszug als 



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Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. 103 

liegt uns nicht mehr vor, und wir besitzen auch keine Nachricht darüber, 
wenigstens keine völlig sichere. Gariel, der alte Geschichtschreiber des 
Bistums Maguelonne, sagt zwar, dass sie den Abt zum Besuch der Synode 
angehalten hätten, und die Mauriner, die doch jene Privilegien des 
Klosters für echt halten, berichten in ihrer Gallia christiana das Näm- 
liche. Aber weder Gariel noch die Mauriner bringen einen Beleg: man 
darf höchstens vermuten, dass sie auf ein Anzeichen der Exemtion noch 
nach diesem Rechtsstreite nicht gestossen sind. Ich berufe mich darauf 
nicht: schon der Wortlaut jener päpstlichen Verfugung genügt, das bis 
ins dreizehnte Jahrhundert hinein thatsächüch unverrückte Rechtsverhältnis 
zu erhellen. 

Aber das Mal mannigfacher Fälschung haftet am Namen der hehren 
Gründung Benedicts des Goten. 



Bischof von Maguelonne G(alterus) erscheint: Gariel macht nicht einmal durch 
den Anfangsbuchstaben eine Andeutung? des Namens und unter Honorius III. hiess 
der Bischof Bernhard. 



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Drittes Oapitel. 

Einwirkungen des Kampfes zwischen Aniane nnd Gellone 
auf Literatur und Urkunden. 



Die Verunechtung der Privilegien jener Päpste und des Diploms 
Karls d. Gr., die, unter welchen Umständen immer unternommen, mit dem 
Streben des Klosters nach einer freieren Stellung zusammenhing, regt 
die Frage an, ob nicht Bestrebungen anderer Art, die von Abt und 
Mönchen Anianes gleichfalls vor Päpsten des 11. Jahrhunderts erhobenen 
Ansprüche auf den Besitz des Nachbarklosters Gellone als einer Zelle 
ihres eigenen das nämliche Geschick über vier Diplome Ludwigs d. 
Frommen und Karls d. Kahlen gebracht, soweit sie die Besitzungen 
Anianes auffuhren und diesen eben Gellone als eine Zelle zuzählen 
(Mühlb. No. 503. 726. 939. Böhmer No. 1639). Wirkhch hat unter 
den neueren Forschem der um die Geschichte Südfrankreichs hochver- 
diente Auguste MoUnier, ausgehend von der Erinnerung an jene Anschläge 
gegen Gellone, Verdacht wider die vier Urkunden in diesem Stücke ge- 
äussert. Freihch, wie ihm von deutscher Seite vorgehalten worden ist, 
ohne genügende Begründung^). 

Ich muss hier weiter ausholen, die ältere Literatur der zwei Klöster 
ins Auge fassen, die ganze, die aber, wie die eben besprochenen Privilegien, 
zur Erörterung klösterhcher Rechtsverhältnisse überhaupt, zu Ausblicken 
auf den weiteren Bereich der ÜberHeferung Südfrankreichs in Geschicht- 
schreibung, Sage und Dichtung führt 

Sicher ist zunächst, dass die Geschichtschreibung im Kloster Aniane 
von der Wahrheit abgewichen ist Das sog. Chronikon von Aniane geht, 
wo es seine Grundlage, das sog. Chronikon von Moissac durch Zusätze 
aus Einharts Leben Karls und aus Ardos Leben Benedicts von Aniane 
erweitert, unverkennbar, mit erstaunlicher Dreistigkeit des Umwandeins 



1) Bibl. d. l'ec. d. eh. 37, 48 = H. d. L. 2, 564 ff. 4, 538 ff. Dagegen Mühlb. 
No. 503. Vgl. unten Anm. 45. 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 105 

der zugefügten StoflFe, darauf aus, das Ansehen von Gellone herabzu- 
drücken, das von Aniane zu erhöhen. Der Stifter von Gellone, Graf 
Wilhelm, der in Wahrheit, wie ehedem von Aniane selbst aus eingeräumt 
ward, seiner Gründung viel, sehr viel von seinem Eigengute zuwandte, 
indem er sie zur Stätte seines eigenen Mönchslebens sich bereitete (Vit. 
S. Bened. Anian. c. 30), soll dem Kloster Aniane all sein Darbringen 
gemacht, auch zu Aniane sich dem „Dienste Christi auf immer hinge- 
geben" haben: ad Anianum pervenit cum omnibus muneribus, illo se 
tradidit Christo omni vitae suae tempore serviturum (Chron. Anian. zum 
J. 806). Die Mönche von Gellone hätten ja, wäre der Gründer ihres 
Hauses auch ihr Genosse gewesen, daran die geschichtliche Gewähr alter, 
ursprünglicher Unabhängigkeit gehabt. Denn wie viele aus erlauchtem 
Geschlecht im 9. Jahrhundert das Heergewette mit dem Mönchsrock 
vertauschten — in einer abhängigen Zelle, die meist nur zur Bewirt- 
schaftung abgelegener Güter oder zur Hut örtUch unverrückbarer Reliquien, 
hie und da, an vielbefahrenem Passe oder Hafen, zur Aufiiahme und 
Pflege von Reisenden bestimmt, mit zu wenig Brüdern besetzt zu sein 
pflegte, als dass sie der Regel genügen, geschweige durch Hoheit der 
Regelstrenge anziehen konnte, hat sich in den Dienst der Regel und in 
„Christi Dienst" unseres Wissens keiner gestellt. Und legte Gellone Gewicht 
auf den Besitz eines Stückes vom Kreuze des Herrn, da bereits im 
10. Jahrhundert sein Kreuzessphtter urkundlich zur Bezeichnung des 
Klosters dient ^),,^ führte den kostbaren Schatz vielleicht auch schon früh 
die mündliche Überlieferung, bei der engen Beziehung Graf Wilhelms 
iZU seinem Kriegsherrn, deren Gedächtnis die Lieder wach erhielten, auf 
eine Schenkung Karls zurück, so durfte Aniane nicht zurückbleiben. Im 
Chroniken von Aniane Hess ein Fälscher an zwei Stellen, wo Stücke aus 
Einhart sonst wörtUch wiederkehren, durch Einschaltung mehrerer Sätze 
und durch Änderung dort vorhandener, eben den König Karl dem Abt 
Benedict und dem Kloster Aniane Reste vom h. Kreuz zuftihren oder 
doch letztwillig zudenken*). Es beirrte ihn nicht, dass die Lebensgeschichte 

2) Altari S. Salvat. sancteque cruci Gall. ehr. 6, 581 c. S. Salvat. et ligno 
8. crucis fl. d. L. V, 192 : das sind — da der sog. Stiftungsbrief in seinen beiden 
Fassungen sehr verdächtig ist: unten Anm. 18 ff. — die ältest bekannten Privat- 
urkunden für Gellone. Sonst noch crux und lignum crucis H. d. L. Y, 389. 390. 
419. 431. 512 No. IH. 771 No. II. 882. Auch vexillum crucis V, 240 No. II. 639 
No. X, vgl. 391. 

3) SS. I, 309, 34 (columnas et marmora) Nemauso civitate [vgl. S. 292 1. 24] . . 
adduci praecepit et collectis thesauris suis de reguis singulis suis in Aniano mona- 
sterio adduci praecepit nee non lignis ftt dominicis [so H. d. L. IIb, S. 11 besser 
als lignis tres cruces dominicas bei Martene und Pertz] et opera multa . . in eodem 
loco composuit: das ( ) Eingeklammerte aus Einh. V. K. c. 26, wo aber von 
Aachen die Rede ist, ebenso wie schon der Anfang des Satzes 1. 31 aus Einh. c. 
17, wo es sich aber um Küstenbefestigung handelt. SS. 310, 1. 43 (ünam vero 
partem sibi reservavit) quam dedit Benedicto abbati S. Salvatoris Anianensis 
archisterii, vidolicet crucis dominicae cum gemmis, bratheas aureas . . vel 
offertaria cum patenulis et offertoriis . . Inter alia dona dedit ei capsulam 
auream, ubi pignora sunt omnium apostolorum. Inter ea dedit ei 
sceptrum regale: das Eingeklammerte aus Einh. V. K. c. 33. — Den ersteren Salz 



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106 Drittes Capitel. 

Abt Benedicts bei aller Ausführlichkeit der Schilderung des Verkehrs 
zwischen diesem und den Herrschern, Karl und zumal Ludwig, unter 
den Gaben, womit ihn der eine wie der andere geehrt, einer solchen, so wert- 
vollen nicht gedenkt Im Gegenteil fand er Stütze oder doch Haft an 
einer vielleicht schon älteren Fälschung des Chronikon, wodurch die 
Fahne (vexillum), die kurz vor der Kaiserkrönung der Patriarch von Je- 
rusalem nebst dem Schlüssel der Stadt an Karl sendete, in ein Kreuz 
oder KreuzesspUtter (vexillum crucis), also was ein Zeichen der Ergebung 
und Unterwerfung sein sollte, in einen Gegenstand religiöser Verehrung 
verwandelt, und nun, da in dem Chronikon sonst nirgend von Kreuzes- 
resten die Rede ist, die Vorstellung er^'eckt ward, dass die aus Karls 
Schreine nach Aniane gelangten eben die seien, die er von der Leidens- 
stätte selbst erhalten habe*). 



giebt die sog. Legende Karls des Gr. (hg. von Rauschen, 7. Public, der Gres. f. 
Rhein. Gesch. S. 39 1. 23) aus Einhart, obgleich sie, diese Arbeit aus Aachen oder 
Aachens Nähe — ein anziehendes Zeichen der alten, nun literarisch erneuerten 
Verbindung zwischen Aniane und Inden bei Aachen — mehrfach auf dem Chronikon 
Anianense beruht. Im zweiten Stück, das sie grösstenteils dem Chronikon ent- 
nimmt (S. 87), fehlt ihr doch alles oben durch den Druck Hervorgehobene, also 
wiederum die Überweisung der Reliquien. Man kann fragen, ob sie davon absicht- 
lich schwieg (da ihr Verfasser, ein Aachener Kleriker, den Ruhm der Aachener 
Reliquien wahrnehmen mnsste), oder ob in dem ihm vorliegenden Exemplar des 
Chron. Anianense das zweite Stück noch nicht die nunmehrige Fassung hatte und 
das erste da noch ganz fehlte (wie die tischende Übertragung der Einrichtungen 
Karls in Sachsen auf Spanien, die Nachricht von der Zuwendung eines der kunst- 
reichen Tische Karls an Aniane Chron. An. S. 296 1. 42. 310 1. 52, wo die Legende 
den echten Quellen folgt S. 37. 79. 86). Ich halte das letztere für wahrschein- 
licher, da die stilistische Verwirrung der Stücke im Chron. An. (im ersten das 
zweimalige adduci praecepit, und die Stellung nee non lignis ftt dom. hinter 
praecepit statt hinter thesauris suis, im zweiten vel offertoria und inter ea dedit) 
auf spätere Einschaltung von Randbemerkungen weist; auch konnte kaum der 
Nämliche, der S. 303 1. 5—8 und 1. 41 das Richtige gegeben hatte, aus seiner 
Feder die Entstelluug S. 309 1. 34 Aiessen lassen. Das uns vorliegende Exemplar 
des Chron. Anian. gehört freilich (SS. II, 257) dem 11. Jahrh. an, ist demnach 
älter als die Legende. 

4) SS. I, 305 1. 22 claves etiam civitatis . . cum vexillo crucis detulerunt; 
dagegen Ann. Lauriss. mj. und auch (anders v. Simson Karl 2, 233) Ann. Einhardi 
cum vexillo ohne crucis. Das einfache vex. der Jahrbücher bedeutet natürlich das 
nämliche, was unter demselben Jahre der Lauriss. mj. Romae urbis vexillis; dass 
dagegen unter vex. crucis im Chron. Anian. ein Kreuzessplitter gemeint war, 
lehren schon mehrere der Anm. 2 angeführten Stellen, namentlich H. d. L. V, 391 
festinantes sumptum secum vexillum crucis et S. Wilhelmi glebam . . cum 
crticibus, bannis u. s. f; dazu Ermold Nig. 2, 140 M. G. Poet. aev. Kar. II, 28 
von der Kirche Orleans, die auch Kreuzesreste haben wollte, quo vexilla crucis 
und wiederum von Orleans Petr. Vener. Ep. I, 11 Bibl. Cluniac. S. 632 crucis 
Christi, cujus nomine et vexillo eadem ecclesia . . gloriatur, oder von Jerusalem 
Legend. Kar. II, 9 (Rauschen S. 52) urbs que vexilla crucis retinet. Nicht anders 
crux für frustum crucis; Alkuin Epist. 11 ed. Dümml. S. 163 exspectavi . . vivi- 
ficae crucis Christi vel aliar. reliquiar. patrocinia, und lib. caerimoniar. Anian. bei 
Mab. AA. SS. IV, 1. Vit. Bened. c. 26 nt. scutella Karoli cum vera cruce, was wohl 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 107 

Vielleicht hat die Irrung des 11. Jahrhunderts ihre Spur auch einem 
viel älteren Geschichtswerke von Aniane aufgedrückt, eben der Lebens- 
beschreibung x4.bt Benedicts im Cartular von Aniane. Ich kann mich 
überhaupt nicht davon überzeugen, dass sie hier ihre ursprüngUche Fassung 
noch vöUig bewahre. Die Angabe, Benedict habe Schenkung von Gütern, 
mit denen Knechte und Mägde übertragen werden sollten, abgelehnt und 
zuvor die Freilassung der Hörigen bedungen (c. 5), rührt unmöglich vom 
ersten Verfasser her: der musste als Mönch von Aniane, als ZögHng 
Benedicts wissen, welchen Wert sein Meister auf den Besitz Unfreier 
gelegt hat, da er in Wahrheit umgekehrt zu rascher, einredeloser Wieder- 
erlangung entflohener eine eigene Weisung Kaiser Ludwigs an die Be- 
amten erwirkte^). Die Behauptung (c. 10), dass Benedict, unzugänglich 
der Liebe zum Irdischen, nie über den Verlust eines Besitztums Schmerz 
empfunden, nie ein verlorenes zurückgefordert habe, wäre im Munde Ardos 
ebenfalls wissentliche Unwahrheit: eine noch uns erhaltene Urkunde 
(Mühlb. No. 733) lehrt, dass der Abt den Herrscher um eine dem Kloster 
entzogene Villa ersucht hat 

Namenthch kommt aus dieser Lebensbeschreibung dasjenige Oapitel 
in Betracht, das zwar nicht viel über das Verhältnis zwischen Aniane 
und Gellone, aber um so mehr über das zwischen ihren Stiftern und über 
die Persönhchkeit Graf Wilhelms Auskunft giebt, das denn auch fiir die 
Erörterung der Sage und Dichtung von Guillaume d'Orange mannig- 
fachen Belang hat, wohlbekannt allen Forschem auf dem Gebiete der 
altfranzösischen Poesie, das 42. in der Ausgabe Mabillons, das 30. in 
der von Waitz. Freilich halt dieses, auch wie^ es uns üWliefert ist^ 
noch Mass im Verkleinem der Anlange von Gellone. Und sieht man 
auf die hier gegebene Schilderung Graf Wühelms, so kann kaum ein 
Zweifel aufkommen, dass dies Oapitel von dem Nämlichen herrührt wie 
die anderen, eine Gabe der kargen Muse Ardos ist, wenn schon vielleicht 
ein SpätUng®). Es erscheint auch hterargeschichtlich erwähnenswert, 

im Zusammenhange mit der Fälschung des Chronikon steht. — Eine Fälschung 
älterer Zeit vermute ich in dem Zusatz crucis, weil ihn schon das Exemplar des 
Yerfassers der Lebende Karls enthielt I, 5, wo Rauschen mit Unrecht unmittelbare 
Ableitung aus Ann. Lauriss. annimmt: diesen Jahrbüchern fehlt ausser dem Worte 
crucis noch der von der Legende im Einklang mit Chron. An. gegebene Name Sion; 
sie bringen überdies die Sendung aus Jerusalem vor der Krönung, der sie in der 
Legende wie im Chroniken nachfolgt. 

5) Mühlb. No. 704 (vgl. Karol. M. Capitul. It. 801 c. 8 Bor. S. 206). Auch 
noch einer der Nachfolger Benedicts im Abtsstuhle zu Inden unterliess nicht 
Klagen über das Entlaufen Höriger zu erheben (Kp. Froth. 12 bei Bouqu. VI, 
391). — Die Immunitäten Anianes, um deretwillen Nicolai S. 20 die obige Angabe 
(Ebert und Hauck halten sie für glaubhaft) bezweifelt, können ihr, obgleich sie 
von Hörigen in Klosterbesitz sprechen, nicht entgegengesetzt werden: sie sind 
eben nach der einmal bestehenden Formel gefasst. Aus gleichem Grunde sind be- 
langlos auch die Diplome Ludwigs d. Fr. (Mühlb. No. 560. 685. 691, alles freilich 
Schenkungen cum mancipiis). — Haben einige Privaturkunden, die allerdings 
bei Güterschenkungen Hörige nicht erwähnen (fl. d. L. IIb, 72. 75), die in ihrer 
Allgemeinheit den Sachverhalt falschende Angabe veranlasst? 

6) Die Worte Piissimus quoque Ludoycus rex, quo ab insanis magis magisque 



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208 Drittes Capitel. 

das8 das gedrängte Bild Wilhelms kaum einen Zug aufweist, der nicht 
schon vorher an verschiedenen Stellen, bisweilen breiter ausgeführt, zur 
Kennzeichnung der Art und Richtung Benedicts gedient hat. Ist Einhart 
in seinem Leben Karls durch den unverwandten Blick auf die. .Muster- 
stücke in Suetons Darstellung der römischen Imperatoren an das ÄhnUche 
seines Helden, aber noch mehr an das unähnliche erinnert worden, das 
er nun auch treulich erwähnt, so erscheint bei Ardo Wilhelm schon in 
seiner früheren Stellung in der Welt wenig von Witiza- Benedict ver- 
schieden. 

Von Krieg&thaten bei beiden kein Wort, von Kriegsdienst eher bei 
Benedict, daher niemand ahnen konnte, dass Wilhelm, unter den Grossen 
des Landes der einzige Verteidiger Gotiens beim Überzüge der Sarazenen, 
einer der vornehmsten Führer der Unternehmung gegen Barcellona, eine 
Vergangenheit von anderem Schlachtenruhme hatte als der früh kriegs- 
scheu gewordene Benedict') — , imd vollends als Mönch erneuert er eitel 



inridebatur Benedictus am Anfang des 81. Cap. denten an, dass ursprünglich un- 
mittelbarer Zusammenhang zwischen diesem und dem 29. Cap. war, dass c. 30 
samt dem letzten Satze von c. 29 (worin magnatibus venerandum ostenderunt zwar 
nunmehr zu c. 30, zur Geschichte Graf Wilhelms, eines dieser Magnaten, überleitet, 
aber nicht in Einklang steht mit jenem ab insanis . . inridebatur) nachjj^etragen 
ward. Dies zur Ausfährung des Bedenkens, das ich schon in den Ber. d. K. sächs. 
G. d. WW. phil. -bist. Cl. 1884 S. 155 hinwarf. Waitz führt es SS. XV, 574a l. 61 
an unrichtiger Stcflle an: es trifft das 42. Gap. der Mabillonschen Ausgabe, nicht 
der seinigen, die damals noch nicht vorlag. 

1) SS. XV, 201 1. 23 f.' vgl. 211 1. 38. Den Einfall der Sarazenen, die bis in die 
Vorstädte von Narbonne dringend, zugleich über das kaum zwei Tagemärsche 
entfernte Aniane Schrecken verbreiten mussten, erwähnt Aido auch nicht in den 
Geschichten von Benedict, wie sehr es ihn. hätte reizen sollen, seines Helden Hal- 
tung in solcher Lage zu schildern, wo er seine Erziehung in den Kriegen Pippins 
und Karls noch als Mönch erproben konnte. — Zum Schauplatz der septimanischen 
Thaten Graf Wilhelms machen die Neueren seit Devic und Vaissete das Ufer des 
Orbieu, ohne Bedenken, aber ohne Gewähr. Denn nur die sog. Chronik von 
Moissiac (SS. I, 300 cod. 1. 2.) und die hier auf gleicher Grundlage ruhende 
Chronik von Usez (H. d. L. IIb, 28) sprechen von einem Flusse, aber sie nennen 
ihn Olivejus, Oliverus, während der Orbieu schon damals, besonders in den Ur- 
kunden von La Grasse, Orubio heisst (auch Vit. Hludov. c. 19 in Rubine). Catel 
(m^m. s. l'h. d. Langued. 549) verlegt die Schlacht an den fleuve d'Olivier, von 
dem er S. 60 bemerkt, dass so mitunter, in „einigen Romanen', die in den etang 
appelle rOlivier [de Bages et de Sijean] mündende Berre genannt werde: dann 
wäre (01i)verus der nämliche Wasserlauf, in dessen Nähe sich vor 56 Jahren Karl 
Kartell mit den Mauren geschlagen hatte, als von seiner Seite ein Versuch auf 
Narbonne gemacht ward. Nur müssten so in Wilhelms Zeit die Mauren auf ihrem 
Zuge gegen Carcassonne etwas weit nach Süden ausgebogen sein. Und meinen 
die Worte der Chronik von Moiss. „ad Carcassonam pergere volentes obviam 
eis exiit Wilhelmus* das nämliche was die der Chronik von Uzes „Abdelmelech 
veniens Carcassonam, exiit obv. W.*, einen Angriffsversuch der Sar. auf C, dem 
Wilhelm zuvorkommen wollte, so ist am ehesten in Betracht zu ziehen der rivulus 
Oliveti in pago Carcasson. (Böhm. No. 1559 H. d. L. IIb, 234: heut der Orbiel), 
an dem das Kloster St. Est^ve de Cabardez lag, der, von den Höhen dieser Land- 
schaft abfliessend, östlich von Carcassonne in die Aude mündend, auf ihrem linken 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 109 

Tugenden und Thaten Benedicts, so dass die nämlichen Eigenheiten ab- 
sonderlicher Strenge, auch die nämlichen Umstände und Begebenheiten 
wiederkehren, vielfach mit denselben Worten, denselben Wendungen. 
Und das alles macht so wenig den Eindruck des Gesuchten und Zusammen- 
gelesenen, dass die Doppelung®) bisher noch gar nicht wahrgenommen 
ward. Es ist der Vorstellungskreis Ardos, bei seinem Mangel an Sinn 
für das Individuelle und bei, hier vielleicht mehr als sonst, dürftiger 
Kunde ein enger Kreis, indes doch der Kreis seiner eigenen Vorstellungen. 
Ein paar Einzelheiten aber geben Anstoss. Dass Graf Wilhelm bei 
seinem Eintritt in den Mönchsstand über seine Grafschaften wie über 
AUod verfügt haben soll, indem er selbst seine Söhne ihnen zu Vor- 
stehern gegeben (S. 213 1. 11), verträgt sich nicht mit der Reichsver- 
fassung, weder wie sie in der Zeit Karls d. Gr., unter dem das geschehen, 
noch wie sie unter Ludwig, unter dem das geschrieben sein soll, noch in 
Bestand war: ein solcher Vorgang, der dazu gar nicht als ein unge- 
wöhnlicher bezeichnet wird, war für den alten Ardo undenkbar ^^). 
Femer: im ganzen Werke sonst fehlt, entsprechend seiner frühen Ab- 
fassungszeit, kurz nach Benedicts Tode, jede Andeutung von der Heiligkeit 

Ufer eine Strasse von Narbonne ebenso schneidet, wie am rechten der Orbieu, 
Doch ist auch hier der Gleichlaut nicht voll, und geographische Namen, die sich 
an die Ölbaumzucht schliessen, begegnen in diesen Strichen reichlich (vgl. vallia 
Oley Gall. ehr. I, J. 39, in Olibegio Mühlb. No. 318): Cap. V, Anm. 63). 

8) Deponendo comam iuduit abitum SS. XV, 213 1. 1 = 201 1. 47; se Christo 
tradidit serviturum 213 1. 6 = 201 1. 46; nobilib. natalibus ortus nobiliorem se 
fieri studuit 213, 6 vgl. 201, 15; adjuvantib. filiis ad perfectum fabricam monasterii 
cito deduxit 213, 11 vgl. 204, 4. Jeder von beiden war pervigil in den nächtlichen 
Hören (213, 26. 202, 6) und erniedrigte sich durch Eintritt in den Küchendienst, 
durch mehr als ärmliche Kleidung (213, 28 f. und 203, 49. 202, 12). Gemein ist 
ihnen ferner die andachtsvolle compunctio samt der Leichtigkeit des Thränen- 
ergusses (213, 29 f. 202, 21 f. 219, 32), gemein das Verlangen nach hartem Nacht- 
lager und dass Milderung der Selbstpeinigung ihnen vom Oberen aufgedrungen 
werden musste (213, 31 f. 202, 4. 27); der eine wie der andere hielt glacialibus 
profusus rigoribus aus in geheimem Gebete (213, 34. 202, 6). 

8^) Dagegen war's im Zeitalter des Liedes so herkömmlich, dass im Eingänge 
der Chanson du Moniage Graf Wilhelm über seine Lehen zu Gunsten eines seiner 
Patenkinder Verfügung trifft (Jonckbloet, Guill. d'Orange traduit 366). Selbst 
die Übertragung der Grafschaften durch den Herrscher an Wilhelms Söhne gleich 
bei dessen Eintritt ins Kloster wäre sehr unwahrscheinlich. Setzt man allgemein 
(auch Waitz in seiner Ausgabe) nach Chron. Anian. und Vita S. Guil. Wilhelms 
Eintritt in das Jahr 806 und findet man (auch Waitz) die mit Grafschaften aus- 
gestatteten Söhne nach Vita S. Guil. in Bernhard und Gonzelin, in jenem den 
älteren, in diesem den jüngeren, so hatte sogar Bernhard im J. 806 noch nicht die 
Altersreife zum Grafenamt. Denn sein Taufzeuge war (Thegan c. 36) Ludwig d. Fr.^ 
der 778 geboren, 791 wehrhaft gemacht, schwerlich vor 792 Patenschaft über- 
nehmen konnte. Und wollte man, zur Annahme eines Aufschubs der Taufe grei- 
fend, Bernhards Geburt vor 792 ansetzen, so würde er mit seiner Vermählung, 
für die Dhuoda (Lib. manual. ed. Bondurand S. 52) das Jahr 824 angiebt, überlang 
gezögert haben. An Benihards unmittelbare Nachfolge in Toulouse, der wichtigsten 
unter den Grafschaften des Vaters, denkt ohnedies niemand, auch nicht Vaissete, 
der ihm, grundlos genug, eine Stelle unter den Grafen von Toulouse einräumt. 



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110 Drittes Capitel. 

Benedicts, aber in diesem Capitel begleitet dessen Namen zweimal das 
Wort beatus. Sind dies Merkmale einer Überarbeitung, die, fiel sie mit 
dem Kampfe zwischen Aniane und Gellone zusammen, doch wahrscheinlich 
nicht zuletzt die ursprüngliche Zeichnung des Verhältnisses zwischen ihnen 
verzogen, zum Nachteil von Gellone verzogen haben würde, so zeigt sich 
wirkUch Grund, in dieser Richtung hie und da eine Veränderung des 
Ausdrucks oder auch eine Tilgimg anzunehmen. ^Denn während andere 
Pflanzungen Anianes, auch abhängige Häuser me Ile-Barbe, St. Mesnun, 
Cormery, überhaupt alle sonst, die mit ihren Namen hervortreten, als 
monasteria bezeichnet werden (Cap. 24. 31. 33. 34), so heisst das nach 
Ardos eigenem Zeugnis reich auch mit „Krongut in weiter Gemarkung" 
bewidmete Gellone in diesem Capitel dreimal Cella. Sonst erzählt Ardo 
bei allen diesen Pflanzungen, auch bei der Errichtung blosser Zellen 
(Cap. 22) in fast formelhafter Eintönigkeit, dass die zur Besiedelung 
ausersehenen Mönche gleich bei ihrem Weggange vom Mutterhause einen 
Führer erhielten; aber von den nach Gellone abgegebenen erhellt aus 
seinem Bericht in der nunmehrigen Fassung nicht, dass ihnen ein eigener 
Vorstand gegönnt worden sei, auch nicht ein Oberer zweiten Ranges zur 
Stellvertretung Abt Benedicts, der seinerseits (dies bleibt nicht ungesagt) 
in Übung von Gewalt, der Obergewalt dort thätig gewesen ist. 

Auf den Weg des Trugs hat, was für die Beurteilung der Urkunden 
dieses Kreises überhaupt von Belang ist, der Gegensatz auch die schrift- 
stellerische Thätigkeit in dem andern Kloster, zu Gellone, gedrängt 
Denn die hier verfasste Lebensgeschichte des h. Wilhelm mag, anders 
als die Geschichten aus Aniane, von Einschaltungen jüngerer Hand frei 
sein, ist aber als Ganzes ein jüngeres, uni^ Jahrhunderte späteres Werk 
und vielfach wissentliche Entstellung der Überlieferung. 

Denn dass sie „nicht viel" nach dem Tode ihres Helden, also etwa 
im ersten Drittel des 9. Jahrhunderts, gleich der Lebensgeschichte Abt 
Benedicts entstanden sei^), bekundet sie durch keinen Zug; vielmehr 



9) So mit Mabillon (Observ. praev. ad Vit. S. Guil. 1) nocb 1883 Waitz VG.« 
III, 375 ^t. 1, wo er wie 382 nt. 3. 383 nt. 1 (comitissa: unter den früheren Karo- 
lingern sehr zweifelhaft: Vaissete 1, 37 = H. d. L. IIb 79 Fälschung — oben I A. 
47 — , Tardif S. 74 Ergänzunfy eines Copisien) 383 nt. 5 und 548 nt. 1 sie als Quelle 
benutzt; erst in der Ausgabe der Vit. S. Bened. Anian. (SS. XV, 211) setzt er 
ihren Ursprung ^non ante saecul. XP, unter Verweis aufRajna, der aber zu seiner 
Grundlage die Arbeit von . Revillout (Mem. d. 1. soc. archeol. d. Montpellier 6, 
505 f.) hat. Von den neueren Herausgebern der H. d. L. giebt Molinier zwar die 
Schilderung der Thaten Wilhelms in der Welt als spätere Einschaltung preis, 
hält aber fest an dem früheren Ursprung des Hauptstücks („9. Jh." I, 884) : so 
verwertet er denn dies für das Mönchsleben Wilhelms (IV, 538) wie sein Lands- 
mann Mabille schon für Wilhelms Jugendzeit (II, 272). Am bedenklichsten er- 
scheint mir, der Vita Guil. mit Waitz a. a. 0. Züge für das Bild der Reichsver- 
fassung unter Karl d. Gr. zu entnehmen. Ohne Gewähr ist namentlich der von 
Waitz S. 383 nt. 5 schon in dieser Zeit angenommene Gebrauch des Wortes consul 
für comes: die Trsl. S. Gentiani (verf. nach 890) kommt nicht in Betracht; die 
(noch von Ducange-Favre angeführte) Vit. Leodegarii c. 5 hat es nur im schlech- 
ten Druck von Duchesne, nicht bei Mabillon AA. II ; Vit. Walae II, 8 steht es für 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. U 1 

lässt sie Wilhelms Namen schon über alle Lande im Gesänge erklingen, 
wenn sich das Volk und zumal der Adel zusammenfindet, bei den Reihen- 
tänzen der Jugend und zu den Vigilien der Heihgen (Cap. 2)^^); in 
Verein mit dem seinen auch bereits den Namen Orange (Cap. 6): er ist 
schon der Held von Liedern, schon Guillaume d' Orange. Wie sie sich 
mit der Einnahme von Orange, das er den Reichsfeinden, einem Könige 
Theobald, entrissen und zu seinem eigenen Sitz gemacht haben soll, 
ein Stück der Dichtung aneignet, so verschwimmen ihr Ereignisse der 
Geschichte in trübender Feme, sogar Wilhelms Widerstand am Ohverus, 
der aus der Menge „seiner Schlachten mit den Barbaren von jenseits 
der See und den Sarazenen", seiner „Thaten harter Arbeit und wech- 
selnden Erfolges" (Cap. 6) nicht heraustritt. Auch seine Mitwirkung an 
der Einnahme von Barcellona, das letzte, was wir aus seiner kriegerischen 
Laufbahn kennen, verbirgt sich da unter der Hülle seiner Verdienste um 
„die Erweiterung des Reiches der Christen". Und ohne Andeutung bleibt 
ein Vorgang, den, da in dieser Lebensgeschichte Graf Wilhelm bei seiner 
Betrauung mit einem Amte im Süden zur Bestimmung nicht (wie die 
wirklichen Quellen besagen) die Niederwerfung der Basken erhält, sondern 
(Cap. 5) die Befii'eiung der angebhch schon damals (790) von den Sara- 
zenen „weit und breit" überschwemmten Lande „Aquitanien, Provence 
und Septimanien", der Verfasser schwerHch unerwähnt gelassen hätte, 
wenn er, wie er in Septimanien schrieb, auch in naher Zeit geschrieben 
hätte. Ich meine den Einzug Graf Wilhelms in Nimes, in die wichtigste 
Stadt an der Ostgrenze Septimaniens. 

Über diesen in den neueren Darstellungen der KaroUngischen Zeit 
ganz vergessenen Vorgang berichtet eine andere Aufeeichnung aus Sep- 
timanien, uns vermittelt durch die sog. Chronik von Uzes, zwar sehr kurz, 
aber in einer Fassung (Guillelmus comes Nemausum ingreditur in die 
ramis palmarum), die nach dem Sprachgebrauch dieser Quelle doch so 
viel erkennen lässt, dass das Ereignis nicht als ein fi-iedUches, etwa als 
Wilhelms Antritt seines Amtes vorgestellt ward, sondern als Eroberung, 
als Verdrängung feindlicher Besitzer; wonach denn die Chanson du 
charroi de Nimes, der die Literaturforscher jeden Haft in der beglaubigten 



consiliariua (nach dem Vorgange der Vulgata z. B. Job II, 14 vgl. Waitz VG.* 
ni, 531): erst gegen Ende des 9. Jh. ist jene Bedeutung sicher bezeugt, wenig- 
stens im nordwestlichen Frankreich (Abbo de hello Parisiac. urb. I, 453. 653 SS. 
n, 787 f.). 

9b) Phil. Aug. Becker, Wilhelmsage S, 40 kann in diesen Angaben ,mit 
bestem Willen nichts als Phrasen und frommen Quatsch erkennen*. Aber dass 
dieser Bericht über die Volkstümlichkeit Wilhelms auf die Zeit der Biographie 
zutrifft, lehrt schon der Umstand, dass Ordericus Vitalis, nahezeitig oder gar Zeit- 
genosse des Biographen, ihn als einen authentischen bezeichnet, nichts gegen ihn 
einwendet, ihn auszieht: aus eigener Kunde weist er auf ein Lied, das über Wil- 
helm gesungen ward, den nämlichen, wie er meint. Dass Wilhelm in Gellone 
schon im 10. Jh. als Heiliger verehrt, sein Name in der That zur Zeit des Bio- 
graphen in den Vigilien genannt ward, lehren die Urkunden, die seit 938 das 
Kloster nach dem heiligen Wilhelm benennen (H. d. L. V, 192. 240. 328. 340 
und andere: irrig Becker S. 68 „ungefähr seit 1138, der Reliquienhebung*). 



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112 Drittes Capitel. 

Geschichte WilheLns absprechen ^% ihn doch zu haben scheint, wenigstens 
in der Grundthatsache. Freilich ist in Karls zweitem und drittem Jahr- 
zehnt eine Sarazenenherrschaft über Nimes von der im liede vorgestellten 
Festigkeit, von der Dauer, die sie ehedem unter Karl Martell und Pippin 
wirkUch gehabt hatte, unglaublich. Karl d. Gr. würde in den Jahren 
778. 789 seine Streitkräfte nicht gegen die Araber in Spanien, sondern 
gegen die Araber in Septimanien gefiihrt oder ausgeschickt haben. Dem 
Bischof Theodulf kam, als er 798 bei seiner Bereisung Septimaniens 
Nimes betrat, kein Schimmer mehr der Erinnerung an überstandene 
Fremdherrschaft über Stadt oder Land, und nach rückwärts erweist eine 
Privaturkunde für das nahe Psalmodi aus Karls zwanzigstem Jahre das 
da noch ungestörte Bestehen des Klosters. Aber eine zeitweiHge Besitz- 
nahme durch die Sarazenen (mehr setzt jene Aufeeichnung nicht voraus) 
ist im Zusammenhang mit ihrem Einfalle von 793 wohl denkbar: sie 
sind, nach der Erzählung des Ermoldus Nigellus von dem Hergang der 
Gründung des Klosters Conques und von dem Geschick Dados, des 
Gründers, in Ludwigs aquitanischer Königszeit, und zwar einige Jahre 
vor dem Zuge der Franken gegen Barcellona (801), also am fligUchsten 
damals, 793, weit hinaus über die Linie Narbonne-Carcassonne, durch 
die man sonst geneigt wäre ihre Unternehmung und ihre Erfolge zu be- 
grenzen, nordwärts auch in den Rouergue gedrungen^"*). Die Chronik von 



10) Jonckbloet (Guillaume d'Orange 2, 60 f.) und Gautier (Les 6pop. fr9sea * 
4, 90. 100), unbekannt mit dem Cbron. Ucetic, meinen, dasfi sieb die Einnahme 
von Nimes, das Hauptstück dieser Cbanson, ebenso wie die Prise d'Orange an Er- 
eignisse des 10. Jahrhunderts lehne, an die durch die Sage umgebildete Vertrei- 
bung der Sarazenen aus der Provence, wo sie um 889 von neuem eingedrungen 
waren, besonders an die Eroberung von Fraxinetum, die allerdings das Werk 
eines Wilhelm ist (um 975), des Grafen von Arles, dem sie den Namen eines 
Vaters des Vaterlandes eintrug. Aber da von diesen Niederlassungen östlich der 
Rhone her die Araber sich der Erinnerung der Nordfranzosen, unter denen die 
Chansons gesungen wurden, durch nichts so tief wie durch ihre Störung der Ver- 
bindung mit Italien eingeprägt hatten, durch ihre Angriffe auf die Pilgerzüge 
über Burgund nach Rom (das bezeugt die Aufmerksamkeit Flodoards unter den 
Jahren 936. 939. 940. 951 SS. III, 383 ff.), auch auf einen Abt von Cluny, den an 
den Fürstenhöfen Nordfrankreichs wie am Kaiserhofe hochgeehrten Majolus, so würde 
die Verschiebung von Fraxinetum nach Nimes, das, westlich von der Rhone ge- 
legen, keine Bedeutung für den Alpenverkehr der Nordländer hatte (wie denn im 
Charroi den Ungläubigen zwar Greuelthaten an Kirchen und Frauen, aber nicht 
an Romfahrern vorgeworfen werden), nur möglich gewesen sein, wenn, zusammen 
mit dieser Eigentümlichkeit der Stellung der Sarazenen, ein Zug verwischt worden 
wäre, den die Sage am längsten zu bewahren pflegt. 

10a) Den Einfall der Sarazenen in den Rouergue setzt Reinaud (Invasions 25) 
um 730, Molinier (H. d. L. II, 553) um 725: da müsste Dado, nach Ermold Nigell. 
I, 233 zur Zeit des Einfalls ein Jüngling, mit der Gründung des Klosters, die 
in Ludwigs aquitanisches Königtum fiel, bei der er den herangewachsenen König 
zum Genossen hatte (Erm. I, 260 ff.), bis an sein achtzigstes Lebensjahr oder noch 
darüber hinaus gewartet haben. Schon v. Simson Karl 2, 59 empfiehlt den An- 
satz des Einfalls auf 793. Wie gefährdet der Rouergue noch unter Karl d. Gr 
war, erhellt aus einer Privaturkunde von 801 für Conques (Gart, de Conques p. p. 



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£m Wirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. Hg 

Moissac übergeht den Vorgang, aber sie übergeht, da sie den Grafen 
Wilhelm nicht zu ihrem Helden hat, von vornherein auch Wilhelms Be- 
stallung zu einer Thätigkeit im Süden. Und den sonst von ihr auf- 
genommenen Nachrichten westgotischer Feder gleicht die voriiegende in 
ihrer schlichten AltertümUchkeit so sehr, dass für sie, mittelbar oder 
unmittelbar, die nämüche Herkunft höchst wahrscheinUcli wird, d. h. die 
Herkunft aus uns verlorenen Jahrbüchern Septimaniens, aus derjenigen 
Quelle, der wir die Kunde von der früheren Besetzung der Stadt 
Nimes (725) und von der Besetzung der Stadt Arles (um 738) durch 
die Araber unbedenküch entnehmen, obgleich sie für das letztere Ereignis 
in keiner Überlieferung aus dem Bereiche nördlich der Alpen und für 
das erstere in durchaus keiner ÜberUeferung sonst Bestätigung findet. 
Die Nachricht über Graf Wilhelms Einzug in Nimes trägt eine hand- 
greifüch irrige Jahreszahl, wie die meisten der übrigen, die, gleich ihr 
einem septimanischen Jahrbuch entlehnt, mit ihr vereint den Namen 
der Chronik von Us^z führen. Es fehlt in diesem sehr spät nieder- 
geschriebenen Werke auch nicht an Lesefehlem in den Personen- 
namen, aber gerade die falsche Lesung weist auf eine. Grundlage von 
höherem Alter, auf Schwierigkeit der Entzifferung ^^^). Und von einem 
Einfluss der Chansons auf den Lihalt ist nichts zu spüren: nicht im 
ganzen, da zwar der Name Wilhelms der am häufigsten genannte ist, 
aber seine Gestalt keineswegs wie in den Liedern alle anderen überragt, — 
und nicht im einzelnen. Denn noch hat sich die Schlacht am OUverus 
nicht in die von Aliscans gewandelt; noch kommt nicht Orange, das 
doch von Uz^s wenig entfernt ist, dessen Sprengel sich gegenüber dem 
von Uzös, am andern Ufer des Stromes hinzieht, noch kommt nicht, wie 
in der Vita Wilhelmi ein moslemischer König in Orange zur Erwähnung. 
Die Einnahme von Nimes, die in der Chanson du cbarroi eine erst im 
Mai beginnende Vorhandlung fortfuhrt, läuft hier eine Woche vor Ostern 
ab. Graf Wilhelm beschhesst seine Tage nicht, wie im Moniage, als 
Einsiedler, sondern als Mönch von Gellone, in einem Kloster, dessen alter 
Name, eben Gellone, beim Eintragen in die Handschrift, die diese Nach- 
richten enthält, gewahrt ward, obgleich der Eintragende sich sichtiich 
dabei nicht zurecht fand, da er beifügte, er glaube, dass Wilhelm vordem 
(prius) Mönch im Kloster „S*^ Guillelmi de Dezertis** gewesen sei. In 
solcher Weise unberührt von Umbildungen und Fälschungen ^®®) späterer 

Desjardins S. 2): rocca Priscio — am Tarn beim heutigen Millau — , ubi nos et 
parentes nostri per gentes nefandas incastellare consuevimus. 

10^) Den neuesten Abdruck des Chronikon Uzet, giebt Mabille H. d. L. Eb, 
23—29 (vgl. jetzt Delisle in Not. et Extr. 27, 2, 200 f.). Mabille behauptet mehr- 
fach, dass darin das sog. Chron. Anian. abgeschrieben sei; ich dagegen, dass es 
ein unmittelbares Verhältnis zu dem Werke habe, das dem Chron. Anian. wie 
dem Chron. Moissiac. cod. 1 zu Grunde liegt: der Satz über Witiza und Roderich 
c. 24 fehlt dem Chron. Anian., steht aber in cod. 1, mit dem auch der Satz über 
Sema c. 25 und Ibn Mavia c. 27 übereinstimmt (vgl. M. G. SS. I, 290 nt. V. W. X. 
300 n. W.). So verhilft es zu einer bestimmteren Vorstellung vom verlorenen 
Grund werke. 

10c) Besonders bewährt sich das Chronikon insofern, als es bei regem Anteil 
an den Geschicken des Klosters Psalmodi nichts von einem über Abt Corbila 
Puckert, Aniane und Gellone. 8 

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Jl4 Drittes Capitel. 

Zeit vermehrt die Chronik von Uzös durch ihre Nachricht über die Ein- 
nahme von Nimes, die nicht aus den Liedern stammt, umgekehrt unsere 
Kunde von den Ereignissen, durch die Wilhehn erst Held der Lieder 
geworden ist. Dagegen übergeht die Lebensbeschreibung, in ihrer Ab- 
hängigkeit von Liedern (älteren als die, welche uns erhalten sind) haftend 
am grössten seiner dortigen angeblichen Erfolge, der Einnahme von 
Orange, wonach er dichterisch benamt ward, den minder glänzenden, aber, 
wie ich nun wohl sagen darf, besser beglaubigten^^), die Einnahme von 
Nimes. Sie würdigt den Schauplatz seiner wahren Thaten westlich der 
Rhone kaum der Beachtung, um desto volleren Mundes seine Kämpfe 
auf dem anderen Ufer des Stromes zu preisen, obgleich hier, in der 
Provence, die Sarazenen erst mehrere Menschenalter nach Wilhelm festen 
Fuss fassten, erst dann durch vielfache Unbill die Christen zum Kampf 
herausforderten. Schliesslich macht sie, was einem noch viel späteren 
Wilhelm, einem Zeitgenossen Ottos des Grossen beschieden war, zum 
Verdienst ihres Wilhelm, des Zeitgenossen Karls des Grossen, die gänz- 
Hche Vertreibung der Sarazenen, denen er auch Mut und Möglichkeit^ 
nach dem verlorenen Land zurückzukehren, für immer genommen habe. 
So fehlt ihr die sichere Erinnerung selbst an Ereignisse des zehnten 
Jahrhunderts, sie weiss sie von Ereignissen des achten nicht zu unter- 
scheiden. 

Von dem Leben, das nach solchen Thaten im Kriege Wilhelm noch 
im Kloster, als Mönch, geführt hat, giebt die Vita eine Schilderung, die 
der Wahrheit viel näher kommen wird, als das mit Zügen grauenvoller 
Roheit behaftete Bild in der uns erhaltenen Dichtung, im Moniage 



hinaufführenden Alter dieser Stätte, nichts von dortigem Aufenthalte eines Neffen 
Karls d. Gr. fabelt (vgl. Mühlb. No. 487). 

11) Vom Chronikon üzet. nahm, wie gesagt, weder Jonckbloet noch Gautier 
Kenntnis. Und wenn Gautier a. a. 0. 372 den „einsichtigen* Mönard belobt, weil 
er in seiner Geschichte von Nimes Wilhelms Eroberung von Nimes dem Reiche 
der Dichtung beliess, so übersieht er, dass derselbe M6nard zehn Jahre später 
(Hist. de l'ac. des Inscr. et B. L. 29, 294) sie als glaubhafte Thatsache des Jahres 
790 behauptete, geleitet vornehmlich durch das Zeugnis dieser Chronik. Denn 
sein Hinweis auf Einh. V. Kar. c. 17 besagt nichts: hier ist nur von vorüber- 
gehender Heimsuchung, und zwar nur der Küste, durch Seeräuber die Kede, wäh- 
rend die Chronik wirklichen Feindesbesitz der Stadt voraussetzt, indem sie er- 
zählt, dasa Wilhelm Nimes mit Gewalt genommen habe (dies oder gewaltsamer 
Überzug die Bedeutung von ingredi in den septimanischen Berichten vgl. Chron. 
Moiss. SS. I, 290 1. 34. 38. 296, 6; mit hoste commota, exercitu und ähnl. 291, 6. 
41. 295, 39. 296, 12. 30; bei Einnahme durch Vertrag der Zusatz pace 291, 44). 
Ich berufe mich auch nicht auf das gefälschte Diplom Mühlb. No. 487, das den 
Kaiser Karl von einer kürzlichen Zerstörung des nahen Psalmodi durch die Sara- 
zenen reden lässt, denn als ein Ereignis unter Karl d. Gr. wird die „oppressio 
paganorum** in dem Diplom Karls (Böhm. No. 1930) nicht hingestellt. Aber 
die arabische Besetzung der Stadt in dem durch die Privaturkunde von 791 (Aus- 
zug in Gall. ehr. VI, 471 D) und die Schilderung Bischof Theodulfs (798 Poet, aev, 
Karol. I, 497 v. 131) eingefassten Zeitraum scheint mir, wenngleich sie, Theodulfs 
Schweigen nach, tiefe Spur nicht zurückgelassen hat, unbestreitbar: durch eine 
Niederschrift aus der Nachbarschaft, eben aus Uzes, wird uns der Bericht vermittelt. 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone aaf Liter, a. Urkunden. 115 

Guillaume (selbst der Passung I). Aber als Quelle kann sie auch hier 
nicht gelten. Es ist nämlich schon nicht ausgeschlossen, dass sie damit 
eben das Widerspiel bieten sollte zu einem Liede, einem Vorläufer der 
uns erhaltenen Epen, und dass sie durch diese Bestimmung eine Trübung 
erlitt. Ein unscheinbarer Zug gleich zu Anfang des Abschnitts macht 
es wahrscheinhch, dass auf die Vita ein solches Lied Einfluss geübt hat. 
In der uns erhaltenen Chanson du Moniage (I) erscheint an dieser augen- 
fälligen Stelle ein Engel, der den Grafen im Auftrage Gottes^ sich zum 
Kloster wenden heisst und es ihm weist, ihn, wie er selbst später sagt, 
dahin sendet; stärker trägt die Vita auf, da sie ihn das Kloster unter 
Engels Führung erreichen lässt. Dort überrascht der Zug nicht, da 
Wilhelm zum Mönchsstande von Gott plötzUch berufen wird und dann 
das Kloster nicht kennt; in der Vita ist er unverständlich, da hier 
Wilhelm, seit langem von Mönchsgedanken erfüllt, sich keinem andern 
als dem durch ihn selbst begründeten Kloster zuwendet, auf dessen Stätte 
jer schon verweilt, den Bau und die Besiedelung selber betrieben hatte, 
wo er ein von ihm dem Altar dargebrachtes Paar seiner Schwestern 
wusste. Nur die Abhängigkeit vom Lied macht die Übereinstimmung 
begreifhch^^^). Den Bhck auf ein altes Lied verrät auch der Gegensatz 
zu unserm Lied. Ich bin zwar nicht der Meinung Gautiers, dass das 
Bild des wilden Raufbolds, den im Moniage Wilhelm seine Klosterbrüder, 
vornehmlich (weil . ^erig nach Speise und Trank auf Kosten anderer) 
den Kellner, fühlen lässt, Verhöhnung des Mönchtums sei, das in Ge- 
stalten solcher Art sich zu vergegenwärtigen, den Hörern dieser Sänge, 
den Bittem des zwölften Jahrhimderts Genuss bereitet habe. Zu einem 
Zerrbild des Mönchtums wäre schwerlich gerade die Gestalt dessen er- 
lesen worden, der daneben als Held in den Kämpfen wider die Ungläu- 
bigen gefeiert ward: denn aus der Genossenschaft, der alteingeschworenen, 
teilt keiner die Untugenden Wilhelms, des Neulings. Vielmehr folgte 
der Dichter vermutlich, allerdings nicht ohne die Ohnmacht der zagen, 
auch in Heimtücke und Listen hilflosen Kuttenträger vor der Kraft eines 
Mannes aus dem Kriegerstande zeigen zu wollen, der harmlosen Ansicht, 
dass der heissblütige Recke, der noch nach Beweisen buchstäbhchen Ge- 
horsams mitunter heftig aufwallte, aber schon da sich zur Bitte um Ver- 
gebung herbeiliess, erst im Laufe längerer Zeit den Gegensatz zwischen 
der am IQosteraltar spät gelobten Pflicht stillergebenen Wandels und 
dem gerade in ihrem Banne sich bäumenden Triebe alter langer Streit- 
lust gelöst, nur allmähUch Beruhigung habe finden können, wie er wirkUch, 
von seinem Oberen entlassen, in der leer gewordenen Hütte eines Ein- 
siedlers endUch zur Ruhe kommt, da er hier seine zahlreichen Sünden 
bereuend, nach einem Handgemenge nun mit dem Teufel, im Dienste 
Gottes als Heiliger seine Tage beschhesst Aber abträglich dem Ruf 

IIb) Moniage ed. Hofm. V. 62. 126 (ün angeles vint et dex le m'envoya). Vit. 
Si G. c. 21 ductu angelico. Für geschiciltlich sicher nimmt selbst diesen Zug 
L. Clarus (Wilh. Volk) in seinem Buche Herzog Wilhelm von Aquitanien Münster 
1865 S. 73. Das zur Charakteristik seiner Arbeit, die, von ihm nicht bloss einem 
Könige, sondern zugleich dem Altar seines Namenspaten dargebracht (S. XX), 
weniger der Wissenschaft als der Erbauung seiner Glaubensgenossen dienen sollte. 

8* 



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116 DritteB CapiteL 

des besungenen Helden war doch die noch nicht gedämpfte Genusssucht, 
die Zommütigkeit und Gewaltthat während der Übergangszeit, die vor dem 
fiiedsamen Ende in den Vordergrund treten musste. So legt denn die 
Vita, wie ich meine dem entgegentretend, wiederholten Nachdruck darauf, 
dass Wilhelm sofort nach seiner Einkleidung in die Hülle der Apostel, 
völlig gewandelt, gewandelt natürhch nach der einem Mönche geläufigen 
Formel durch „die Rechte des Höchsten" (subito immutatus, veraciter 
alteratus — mutatio dexterae excelsi c. 24. 26), den alten Adam abthat, 
seine Herrenstellung über ungezählte Knechte vertauschte mit Wilhgkeit 
zu Knechtsdienst, allem Menschenkind unterthänig, geduldig und ohne 
Murren wider Tadel, fastend dieweil er andern die Speise bereitete und 
reinen Herzens umreichte, statt den Anteil der Brüder am Weine zu 
kürzen und mit ihm die Wallung der eigenen Gier zu löschen, vielmehr 
in UebevoUer Umsicht darauf bedacht, ihn auf Flaschen gezogen selber 
ihnen in heisser Emtearbeit draussen zur Labsal zuzubringen. Das hat 
im allgemeinen viel mehr Glaubhaftigkeit als was nun das Lied berichtet. 
Ist's doch nur die Fortwirkung der Kraft und des Schwunges, womit 
Wilhelm seine Abkehr von der Welt genommen hatte, bei ihm wie bei 
Benedict von Aniane, Adalhard, Wala, Warin, die noch durch Thaten 
über die Mauern des Klosters hinaus davon Zeugnis gegeben haben. 
Aber die Vorstellung der Jäheit des Wandels fugt sich schlecht zur 
voraufgegangenen Erzählung (c. 12), dass Wilhelm • schon lange vorher, 
noch stehend in der Welt, der Welt Süssigkeit für Wermut geachtet, 
noch behaftet mit Eigengut Lossagung von Gut, Verleugnung seiner 
selbst in Sinn und Vorsatz gehegt, dass er schon damals, wie nahe 
seinem Ende (c. 31), am Seufeen seine Sättigung, am Weinen seine Weide 
gefunden habe. Und im einzelnen überschreitet das Mass der Glaub- 
würdigkeit die Vita, wenn sie, doch wohl wiederum zielend auf ein Lied 
gleichen Inhaltes wie Moniage I, wo der Graf nach seiner Aufiiahme 
unter die Brüder verkündete, jedem der ihn erzürnen werde, einen bösen 
Tag bereiten zu wollen, ihrerseits berichtet, er habe auch geschlagen oder 
beleidigt nicht Widerstand geleistet, nicht Drohungen ausgestossen — 
als ob in dem von Wilhelm gegründeten und ausgestatteten Kloster einen 
das Gelüst angewandelt, nur einer es über sich gebracht hätte, ihm mit 
That oder Wort zu nahe zu treten. Nicht verständUch ist auch die 
breit geschilderte Häufung mannigfacher Obliegenheiten und Geschäfte, 
die Wilhelm übernommen, die er gleichzeitig, als lastbares Tier aller, 
getragen haben soll, das Amt des Küchenmeisters, das Aufwarten bei 
der Tafel, das Mahlen des Getreides, das Brodbacken (c. 26 — 28). Sie 
verträgt sich nicht mit der Hegel des h. Benedict, die in der Durch- 
fiihrung des Gebotes gegenseitigen Dienstes unter den Brüdern, einer 
ihrer obersten Grundsätze, wöchentlichen Wechsel des Küchenamtes an- 
ordnet, schon das Küchenamt von dem Dienste bei der Tafel trennt, 
vollends die Verkoppelung mit dem Betrieb der Mühle und der Bäckerei 
unmöglich macht. Indem die Regel mit der ihr eigenen Weisheit die 
Forderung der Askese mässigend dem Küchenmeister und denen, die die 
Speisen den Brüdern umreichten, vorher und nachher selbst Speise zu 
sich zu nehmen befiehlt, lässt sie auch jene Behauptung, Wilhelm habe 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 117 

zur klösterlichen Essenszeit sein Fasten fortgesetzt, als leeren Wahn er- 
scheinen. Solcher Askese giebt Ardo, auf den die Lebensbeschreibung 
in ihrem Bericht über Wilhelms Mönchtum doch im ganzen zurückgeht, 
kein Zeugnis: das schHchte Lob, das ,bei ihm Wilhelm in dieser Hinsicht 
erhält (jejunii amator), schhesst die Überspannung geradezu aus, und in 
die besondere Ordnung Benedicts von Aniane fügt sie sich so wenig wie 
manch anderer Zug dieser Schilderung in den Stand der klösterhche» 
Dinge ziu* Zeit Karls d. Gr.^% „Ardo bezeugt auch nicht Wilhelms 
gleichzeitige Übung verschiedener Amter. Von dem Amte in der Ejiche, 
das er nach seinem Biographen auf die Dauer gehabt haben soll, bemerkt 
Ardo, obwohl es sich nach der Regel von selbst verstand, ausdrückUch, 
dass es ihn in der Reihenfolge (vice sua) getroffen habe. So sehr ver- 
gass der Biograph, dass unter der Einwirkung der Reform Benedicts von 
Aniane, deren vornehmstes Ziel die Erneuerung der Regelstrenge war, 
das Kloster Gellone gleich in seinen Anfängen stand. 

Oder vielmehr: so sehr wollte er es vergessen machen. Denn andere 
Abweichungen von der ihm durch Ardo gelieferten Grundlage erweisen, 
dass er sich nicht nur gegen die Zeichnung seines Helden in Liedern ^^^) 

12) Die Abhängigkeit der Vit. Wilh. von Ardo c. 30 hat Revillout a. a. O. 
S. 518 ff. dargethan. — Von ordinibua communem vitam professis Vit. Wilh. c. 7 
konnte in den Tagen Karls d. Gr. noch nicht gesprochen werden: zu einer Mehr- 
heit von Ordensgenossenschaften kam's frühestens durch LudTvigs d. Fr. Herstellung 
eines ordo canonicus. — Dass Karl d. Gr. Klöster gegründet habe (c. 7), ist auch 
erst die Meinung Späterer,, z. B. der Fälscher Mühlb. No. 479. 487. 567: macht 
doch Hugo V. Fleuiy SS. IX, 362 und danach die Legenda Karoli c. 15 ed. Rau- 
schen die aquitanischen Klöster Ludwigs des Fr. Vit. Hlud. c. 19 (SS. II, 616) zu 
Gründungen Karls d. Gr.! Mir erscheint es für Karl gerade bezeichnend, dass er 
ein Kloster weder in seinem Testamente bedacht noch auch gegründet hat (Hauck 
KG. Deutschlands 2, 520 nimmt wenigstens Neustadt im Spessart für Karl in 
Anspruch; aber, wie er selbst einräumt, ist das Diplom, auf das er da verweist 
[Mühlb. No. 573], interpoliert und die Interpolation setzt gerade mit der Erzählung 
von Karls Gründung ein). — Unvereinbar mit der Regel und ohne Ardos Gewähr 
ist auch der Bericht Vit. c. 30, Wilhelm habe schliesslich eine Zelle für sich be- 
wohnt, gesondert von den Brüdern — vielleicht ein Zugeständnis an ein Lied, da 
im Moniage (I. II) Wilhelm gar in die Öde zieht, nach Moniage I in eine ver- 
lassene Klausnerzelle. Wenigstens am Klosternamen ist der Einfluss des Liedes er- 
sichtlich: denn der Name entbehrt des Hinweises auf die Öde gerade in der 
Frühzeit des Klosters, aber der Hinweis kommt auf — als die fleissigen Mönche 
das Land über vier Jahrhunderte im Bau hatten (S. Guillielmi de Desertis zuerst 
1228 Gall. ehr. VI J. c. 285: vordem nur Gellone oder S. Crucis oder einfach 
S. Guillelmi). 

12b) Dass ich unter diesen nicht die uns erhaltenen Chansons du Moniage 
(L IL) meine, habe ich wiederholt bemerkt. Indes der Altersbestimmung der 
Chansons du M. durch Cloetta (Arch. f. d. Stud. d. n. Spr. 93, 432) nehme ich 
den Ausgangspunkt. Weil beide von St. Guillaume reden, sollen sie nicht vor 
1139 (Erhebung der Gebeine) entstanden sein. Aber schon Anm. 9^ führte ich 
Urkunden des 10. Jh. an, in denen Gellone mon. S. Guilielmi heisst, und Wilhelms 
Heiligkeit wird auch von Päpsten vor 1139 anerkannt, von Alex. IL 1066, von 
Calixt IL 1123 (Ja.-L. No. 4592. 7044 — Bull, du p. c. II, 152 — ubi corpus 
S. Guilielmi requiescit, beatus Christi confessor G., S. Guilelmi ecclesia). Beide 



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118 Drittes Capitel. 

richtete, sondern zugleich der in Ardos Bericht waltenden Vorstellung 
eines ursprüngUchen Zusammenhangs zwischen Gellone und Aniane Grund 
und Stütze zu entziehen suchte. Alles was bei Ardo auch bloss auf 
eine persönUche Verbindung Wilhelms mit Benedict von Aniane, auf ein 
vorübergehendes Verhältnis zwischen ihren Klöstern wies, liess er bei- 
seite. Der Name Aniane fehlt in dem Werk von Anfang bis zu Ende. 
Obgleich Aniane schon geraume Zeit vor Gellone bestand und nach 
Angaben neuerer Reisenden die Entfernung zwischen ihnen nur 1 V2 ^md 
die der Sprengelhauptstadt von Gellone nur 4 Lieus beträgt, soll der 
Graf, als er zur Gründung seines Klosters ausging, bei erster Besichtigung 
der Gegend weit umher nichts als Öde erbhckt und schon da nur 
unter Geleit und Wegebereitung eines Engels die geeignete Stätte ge- 
funden haben (cap. 8). Das Jahr und den Tag, an dem Wilhelm Mönch 
geworden, giebt der Biograph nach Anianer Quellen, aber Anianes Abt, 
dem Wilhelm bei Ardo sich ,^in zärtlicher Neigung" zuwendet, der Name 
des G^ten Benedict muss dem des alten Benedict, dem jedem Mönche 
des Abendlandes schlechthin bekannten, weichen: dem habe er sich zu 
eigen gemacht^*). Bei Ardo erhält Gellone seine ersten Mönche nach 
der Wahl dessen, dem Wilhelm sich anschloss, und selbstverständlich aus 
dessen Kreise: hier sucht er sie sich aus den benachbarten Klöstern zu- 
sammen und setzt ihnen denn auch den Oberen (c. 10. 21). Dort sind 
es die Brüder von Aniane, denen der Mönch Wilhelm herzureitend aus 
dem unfemen Gellone Erquickung in heisser Emtearbeit bringt; hier 
trägt er in solcher Weise für die eigene Genossenschaft, nur für diese 
Sorge (c. 26). 

Chansons kennen nur -Anianer Quellen, aus denen auch (so treffend Cloetta 421) 
der inissyerstandene Name des von Wilhelm erwählten Klosters rührt; noch keine 
weiss von der Lebensbeschreibung des h. Wilhelm, so dass ihnen auch das episch 
recht brauchbare Motiv der aus Jerusalem stammenden Kreuzessplitter, des aus 
Karls Besitz an Wilhelm gekommenen Phylakterium entgeht, während ein Ordericus 
Vitalis davon in seinem Auszug (VI, 2) zu melden nicht unterliess. — Hand* 
Schriften der Chansons (auch Moniage) fand Catel (Comtes de Toulouse S. 50) in 
Gellone; aber die uns von da erhaltenen gehören dem 13. Jh. an (Gautier Epop. 
fr.« 4, 22 nt. i. 26 nt. t; nach Cloetta S. 399 der 2. Hälfte dieses Jh.). 

13) Vit. Willelm. c. 25 filiis suis quos comitatibus praefecerat suis aus Vit. Bened. 
c. 30 S. 213 1. 11; Vit. Willelm. c. 23 Anno . . 806, imperii Karoli quinto de natali 
. . Petri et Pauli Willelmus . . aurotextis depositis vestibus (benedicitur) vermut- 
lich nicht unmittelbar aus Vit. Bened., sondern aus dem Chronik. Anian. 806 
(SS. I, 308), da in der Vit. Bened. die Jahreszahl fehlt; auch das unrichtige Kaiser- 
Jahr weist auf Benutzung des Chroniken, wo die Erzählung von der Annahme des 
Mönchsgewandes dem fünften Jahresposten nach der unter 801 gestellten Kaiser- 
krönung Karls eingereiht ist. Revillout beachtet S. 538 diese Anlehnung nicht 
und findet in der Vita Willelmi eine Überlieferung von Gellone; aber Vita Willelmi 
hat sonst keine Jahreszahl, nicht einmal bei Geburt und bei Tod des Helden. Für 
den Tag des Todes (28. Mai) ist sie selbstverständlich einer Überlieferung des 
Klosters gefolgt (vgl. Delisles Mitteilung über die Daten im Sacramentar von Gellone: 
M^m. d. l'ac. des I. et BL. 1886 Bd. 32, 302). — Am Schluss von c. 23 können die 
Worte Benedicte pater! tuus efficitur, da in dem ganzen Werke nichts von Aniane 
und seinem Abt vorkommt, nicht auf Benedict von Aniane, sondern nur auf den 
Ordensstifter bezogen werden (vgl. secundum regulam S. Benedict! c. 22). 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. X19 

Neben dem Streben, jeden Gedanken an eine Beziehung des jüngeren 
Klosters zum älteren, vollends den Schein einer Abhängigkeit ferne zu 
halten, spielt sichthch auch die Bemühung um Ruhm und religiöse 
Geltung der Kirche Gellone ein. Ich gehe darauf des näheren ein, denn 
hier erhält die Lebensgeschichte des h. Wilhelm eine den Kampf mit 
Aniane überragende Bedeutung: hier wird sie von Belang für einen der 
anziehendsten Zweige mittelalterhcher überheferung. 

Die religiöse Geltung von Gellone und auch der ihm, mindestens 
seit dem zehnten Jahrhimdert, gegebene kirchliche Name ruhte, wie ich 
schon sagte, auf dem Besitz eines Kreuzesrestes. Eben dies „der An- 
betung aller Sterblichen würdige" Heiltum, das nach der Vita freilich auch 
in vielen Wundem seine Herkunft „vom Holze unserer Erlösung*' bewährte, 
soll, so erzählt sie, um zugleich den geschichtlichen Erweis der Echtheit 
zu Hefem, unmittelbar vom Patriarchen zu Jerusalem dem Kaiser Karl 
„im ersten Jahre" seiner neuen Würde durch den Priester Zacharias 
übersendet, von Karl dem Grafen Wilhelm beim Scheiden aus dem Dienst 
zum Andenken geschenkt, endhch von Wilhelm beim Eintritt in das 
Kloster Gellone dem Altar von Gellone dargebracht worden sein 
(cap. 16. 17. 21). 

So schlägt sie in den umfassenden Kreis bewegter Sage, Dichtung 
und Fälschung,;^ die auf der Höhe des Mittelalters, weltliche und geist- 
Hche Stoffe mengend, in zahlreichen Klöstern und an manchem Bischofs- 
sitze dem Namen des grossen Karl anschössen. 

Die Behauptung der Sendung aus Jerusalem entnimmt sie der 
Chronik von Aniane: das lehrt jener Zeitansatz des Eintreffens am Hofe 
Karls, der falsch ist (,4n seinem ersten Kaiserjahre", also am oder nach 
dem 25. Dez. 800 statt 28. Dez. 800), aber auch in dieser sich findet ^ 
das lehrt zugleich der Einklang in Stilistischem (cum Romae moraretur). 
Und ohne schriftUche Nachricht aus dem eigenen Kloster, wie sie ist, 
bauscht sie die fremde noch auf: aus dem einfachen crucis vexillum, 
worauf die aus Aniane sich beschränkt, wird ein crucis phylacterium 
gemmarum splendoribus et auro purissimo peromatum, wie allerdings nach 
einer andern (ebenfalls schon gefälschten) Stella der Chronik von Aniane 
Abt Benedict von Aniane später von Karl Kreuzesreste cum gemmis er- 
halten haben soll (SS. I, 310, Un. 44). Nun ist selbst der schlichte 
Bericht von der Ankunft eines blossen Splitters vom Kreuze ohne Ge- 
währ: was nach den echten Quellen der- Patriarch damals übersandte, 
hatte nur politische Bedeutung, war, wie ich schon sagte, ein Zeichen 
seiner Ergebung, seiner Anerkennung der Oberhoheit Karls. Reliquien 
hatte er im Jahre vorher, und auch da nur B/ehquien vom Grabe Jesu 
gesendet. Damit fällt alles weitere der Erzählung in der Vita. 

An sich wäre ja die Abstammung aus Jerusalem und die Herkunft vom 
Kaiserhofe möglich. Da Angilbert nach seiner unanfechtbaren Aussage 
aus Jerusalem und Constantinopel durch Gesandte des Königs Rehquien 
erhalten hat, mannigfaltige, auch von der Leidensstätte, so ist der König 
selbst sicherHch nicht leer ausgegangen. Da Angilbert, wie er weiter 
berichtet, für sein Kloster St. Eiquier, das, vor Jahrhunderten gegründet, 
natürlich schon Reliquien, vomehmHch den verehrten Leib des Gründers. 



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120 Dritte« Capitel. 

besass, von seinem Gönner noch „an allen in der Pfak aufgehäuften" 
Heiligenpfandem beteiligt ward, so ist wohl denkbar, dass Karl daraus 
auch seinen getreuen Wilhelm für den eben erst aufgerichteten Altar 
von Gellone ausgestattet hat, wie nachmals Ludwig d. Fr. zur Gründung 
von Korvey Rehquien aus der Pfalzkapelle abgab. Aber es ist unglaub- 
lich, dass Karl sich des besten, „von ihm über alles geUebten und gehegten" 
Stückes entäussert hat: zu viel Wert legte er auf den eigenen Besitz 
dieser Dinge ^*). Indem die Vita gerade dies glauben machen will, indem 
sie, abweichend von Angilbert, auf einem bestimmten, durch ein besonderes 
Ereignis gekennzeichneten Stücke besteht, verrät sie die Absicht, gleich- 
artige Ansprüche anderer Stätten auszuschhessen. 

Nun rühmten sich nicht wenige Bischofs- und Klosterkirchen, seit- 
dem S*® Croix von Poitiers schon in der Zeit Radegundens, der reUquien- 
frohen Gründerin, vorangegangen, des Besitzes von Kreuzesresten. Ihre 
Zahl ist weit grösser als die Verzeichnisse aufweisen, denen man in 
alten und neuen Arbeiten über das Kreuz und die Kreuzeslegenden 
begegnet, Aber einige dieser Kirchen suchten ihre stolze Habe auf ganz 
anderem Wege zu beglaubigen oder enthoben sich der Mühe der Be- 
glaubigung ganz. So St. Benoit sur Loire, das seine drei Splitter zur Zeit 
Odos von Glanfeuil, im 9. Jahrhundert, auf eine Sendung Benedicts von 
Nursia an seinen Zögling Maurus zurückführte. So St. W^ndrille, das die 
seinigen keinem Menschen zu schulden glaubte, sondern der Mut des 
nahen Meeres, von der sie, gleich mit schriftUcher Bescheinigung ihrer 
Echtheit, im Verschluss einer Kapsel dem Hafenrande angespült seien. 
Moyen-Moutier wollte Teile vom Holze des heihgen Leidens bei der 
Aufiiahme des Patriarchen Fortunatus erhalten haben, was vermutlich 
auch der Grund war, weshalb man sich dort ihn als ehemaUgen Patri- 
archen von Jerusalem vorstellte. Mit Aniane und Gallone wetteiferte 
das unweit davon, im Sprengel Beziers, gelegene Kanonikerstift Cassan; 
aber Cassan behauptete die Einlage seines Altars einem Engländer zu 

14) Die ErinneruBg Karls d. E. (B&hm. No. 1809) Avus noster in palatio 
Aquensi capellam construxisse ac congerie quam plurimarum reliquiarum locum . . 
sacrasse dinoscitur hat ihre Gewähr zwar nicht an Einhart, der in seiner Beschrei- 
bung dieser Pfalzkirche ganz von solcher Ausstattung schweigt (Vit. c. 26), aber 
an Angilbert M.G. SS. XV, 175 1. 42: (reliquiae) de sacro palatio, quae . . a domino meo 
maxime sunt congregatae (et . . de omnibus partem habere meruimus : vorher und 
nachher 174, 41. 175, 39. 176, 7 über die Kreuzesreste und über die Reliquien- 
herbeiführung durch Gesandte). Über Ludwig d. Fr. Mba. No. 754. — Wie sehr 
Karl bei seinem Einschreiten gegen die Verehrung neuer und unsicherer Heiligen 
(Capitul. I, 56 c. 42. 77 c. 42) an der Verehrung der alten festhielt, nirgend 
weniger als hier von Reuters Bezichtigung der Aufklärung getroffen, bewies er 
durch seine persönliche Teilnahme an der Übertragung des hl. Nazarius bei der 
Einweihung der Kirche von Lorsch (Mb. No. 163o). Gleich häufig wie in den 
Diplomen seiner Vorgänger und seines Nachfolgers ist in den seinigen die Einflech- 
tung der Worte in qua Sanctus . . requiescit oder cujus corpus ibidem requiescit 
und er ist da oft genug unabhängig von der Vorlage, so Mb. No. 151 (ubi s. cor- 
pus Gorgonii Roma delatum condidit) und No. 167 (Original B: in quo corpus . . 
humavit) : in die Diplome für Lorsch ist sie selbstverständlich erst durch ihn her- 
eingebracht worden (Mb. No. 141. 143. 148 f. 165. 205). 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Anianeu. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 121 

verdanken, mutmasslich einem der zahlreichen Pilger dieser Nation. Noch 
eine vierte Stätte Septimaniens wäre anzuführen, Alet, die nachmalige 
Bischofskirche, die, auch in ihrer Bezeichnung an Gellone herantretend, 
sich den Namen S. Mariae et ligni S. Crucis zusprach; aber Alet machte 
zimi Greber den Papst Leo III. Wie die Bischofskirche S*® Croix zu 
Orleans, wo Ludwig d. Fr. sich bei Antritt seines Zuges gegen die 
Briten der Hilfe der Kreuzessphtter versicherte, wie St Germain- 
des-Pres, das freilich bereits in den Diplomen der früheren Karolinger 
seinen alten Namen S. Crucis nicht mehr fuhrt, aber noch unter den 
späteren seine ßettung vor den Normannen der Wunderkraft seiner 
Kreuzesreste zuschrieb, diese Kleinode erlangten, wird durch keine Schrift 
aus ihrem Kreise hervorgehoben, meines Wissens nirgend erwähnt. Bei 
mancher Kirche bleibt zweifelhaft, welchem Umstände sie den Namen 
h. Kreuzeskirche anfänghch dankte, wie sicher auch ist, dass der Name 
dann zum Erwerbe von Reliquien, die ihn rechtfertigen sollten, reizte: 
so bei Barcellona, Bordeaux, Meaux. Zweifellos gab bei La Croix St. 
Lenfroy im Sprengel Evreux den Anlass eine Kreuzesvision. Eher darf 
man von der Benennung eines einzelnen Altars, einer einzelnen Kapelle 
Äuf ursprüngHchen Besitz schhessen. So kennt man zu St. Riquier, 
Angilberts Kloster, neben einem Erlöseraltar noch einen zum h. Kreuz, 
der wirkHch mit Herrenholz ausgestattet war; doch bleibt auch dieses 
hier ausser Betracht, da Angilbert trotz seiner dankbaren Erinnerung an 
den einen oder anderen Geber imd bei aller Sorgfalt im Aufzählen seiner 
Heliquien von keiner im besonderen angiebt — so wenig legte auch sein 
Kloster darauf Gewicht — , wie und wann sie ihm zugekommen sei^**). 
Tn Hildesheim erbaute Bischof Bern ward am Ende des 10. Jahr- 
hunderts eine Kapelle, die gleichfalls von einem Kreuzesrest, gleichfalls 
-einer Gabe aus E^aisers Hand, den Namen trug; aber hier war der 
kaiserUche Geber Otto III. Dass das sog. Jerusalemer Kreuz der 
Bischofskirche dieser Stadt einstmals, von der Sendung des Patriarchen 
im Jahre 799 her, im Besitze Karls d. Gr. gewesen und von seinem 
Erben Ludwig ihr geschenkt worden sei, ist nicht einmal Sage, sondern 
Erfindung recht später Gelehrsamkeit: das Schatzverzeichnis des Domes 
vom Jahre 1438 weiss noch nichts von solcher Herkunft und die Sagen 
des Domes leiten von Ludwig d. Fr. nur Marienreliquien her^*^^). 

15) Odon. V. 8. Manri (Mabill. AA. 1) c. 20; Gesta abb. Fontan. (SS. H, 288) 
<5. 16; Chron. Median, mon. c. 3 und Richar. Gest. Senon. eccl. 11, 6 (SS. IV, 88. 
XXV, 278) vgl. V. Simson Karl 2, 233. 292. 369. H. de Langued. V, 851 No. 455; 
V, 500 n. 807 (No. 431) vgl. die Fälschung Hb 80. Über Orleans oben Anm. 4. 
Über St. Germain Abbon. de belle Paris. (SS. ü, 796) 2, 301. 308. — Die alte 
Kreuzeskirche zu Barcellona Mansi X, 481. Vit. Hludov. c. 13. Böhm. Reg. Karol. 
No. 1840; zu Bordeaux Gall. ehr. 11 J. c. 267, zu Meaux Vit. S. Faron. (Mab. AA. 11) 
c. 109 Vgl. SS. II, 298 1. 13 und Jaffe Bibl. I, 17. La Croix St. Leufroy Vit. Audoen. 
alt. c. 3 (Boll. Aug. IV, 816); St. Riquier oben Anm. 14, — Die magern Verzeich-, 
nisse Gretsers (De cruce 1. c. 79) und Bäumers (KLexic. von Welt. u. Wetz. u. d. W. 
Kreuzpartikel) zählen als Empfänger fast nur Personen auf (mit Alcuini Ep. 11 = 
28 ed. Jaffe = 28 ed. Dümml. vgl. noch Poet. aev. Karol. I, 256 v. 36). 

15b) Das sog. Jerusalemer Kreuz zählt noch Zöckler (Das Kreuz S. 212) zur 
Sendung von 799 nach der Meinung, die mit kecker Bestimmtheit Kratz (Dom zu 

/GooQle 

UNIVERSITY ^ 



122 • Drittes Capitel. 

S. Andrea am Soracte, Sarlat im Perigueux, vornehmlich St. Denis 
bei Paris kennt man als diejenigen Klöster, welche die, vielleicht unter 
den Pilgern nach dem heihgen Lande beim Anblick der Stiftungen Karls 
zu Jerusalem entstandene, Sage einer persönhchen Anwesenheit des 
Frankenkönigs an den Stätten des Leidens sich nutzbar machten und 
zur Sicherung der Echtheit ihrer Reliquien, die er für sie dort erlangt 
habe, ausgestalteten. Das sind Klöster Italiens und Westfrankreichs. 
Von ihnen heben sich, wenigstens im frühkarolingischen Zeitalter, die 
Kirchen und Klöster Deutschlands ab: Eeste vom Kreuz haben sie sei 
es nicht begehrt, sei es nicht erlangt. In ihren seit Karl d. Gr. anhebenden, 
unter Ludwig d. Fr. zunehmenden Reliquienübertragungen kommen Kreuzes- 
spütter nicht vor. Das ist schwerlich eine volkstümliche Besonderheit, 
aber Bedeutung hatte es doch. Denn die für die Literaturgeschichte Deutsch- 
lands wichtige Folge war, dass auch die Sage von Karls Fahrt nach 
dem heiligen Lande keine Wurzel in Deutschland fasste, sie so wenig 
.wie andere Karlssagen. Nur die schlechtweg so genannte Legende von 
Karl (Vita Karoli Magni aus dem 12. Jh.), verfasst aus Anlass seiner 
Heiligsprechung und zugleich zu Ehren der seinen Leib bergenden Marien- 
kirche in Aachen, enthält einen Bericht über die Fahrt, der aber ist von 
ihrem Verfasser, wie er selbst sagt, „ausgezogen aus einer Historia", in 
der wir die Arbeit eines Franzosen erkennen. Und er hat hier (anders 
als in der Legende von St. Denis, in welche er doch gleichfalls aufge- 
nommen wurde) ausgesprochenermassen nur den Zweck, den diese Legende 
im ganzen verfolgt, nämlich all das Grosse, Wunderbare, Heilige, was 
dem Helden widerfahren oder von ihm gethan worden, der Vergessenheit 
zu entreissen^®), wenn er auch thatsächlich mit seiner Aufzählung der 
Beute, die an Resten von den Leidensstätten Karl mit sich nach Aachen 
gebracht haben soll, der Beglaubigung dieses Besitzes diente, wie die 
Erfindungen der anderen der des ihrigön^®^). Dass sich diesen sagen- 

Hildesheim 2, 16) hinwarf, obgleich er selber (2, 12 nt.) vom Schatzverzeichnis 
des J. 1438 ganz andersartige Mitteilung machte. Ein Ereuzessplitter ist diesem 
Jerusalemer Kreuz nach der Inschrift bei Kratz 2, 16 erst 1618 eingefügt worden, 
über die Marienreliquien zu Hildesheim s. ürkb. v. Uildesh., hg. v. Döbner I 
No. 352. 641 vgl. v. Simson Ludw. 2, 284 f. 

16) Vgl. S. 16 De sanctitate meritorum et gloria miraculorum b. Karoli 
magni u. s. f.; S. 44 1. 31 in qua peregrinationis profectione magna et multa 
claruerunt miracula, S. 661. 31 b. Karoli virtutea et merita. — Die Ansicht, die 
bei Karls Heiligsprechung Reuter äussert (Papst Alex. HI. 2, 213 „Karl war im 
Gedächtnis der Deutschen von einer übermenschlichen Grösse längst umflossen^*)» 
ist, sucht man, wie billig, das Gedächtnis in der Sage und Dichtung, das gerade 
Gegenteil einer Grundthatjsache unserer Geschichte (Wackernagel Lit.^esch. ^ 57). 

16 to) Über die Entstehung der Sage die Vermutung von Foncemagne Hist. 
d. Tac. d. I. et BL. 21, 154, über die Absicht der Klöster bei ihrer Verbreitung 
Lebeuf ebenda S. 137 und neuerdings Rauschen 7. Public, f. Rhein. Gesch. S. 147: 
Rauschen verdanken wir auch die erste verlässliche Ausgabe der Legende von 
Aachen (De sanctitate . . beati Karoli a. a. 0. S. 17 ff.) und die allererste, freilich 
noch nicht vollständige der Legende von St. Denis (Descriptio a. a. 0. S. 103 ff.). 
Nicht erwiesen hat R., dass das erste Stück der Descriptio schon vereinigt mit 
dem zweiten dem Verfasser der Aachner Legende vorgelegen habe: dieser konnte 



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Einwirkungen d. Eampfee zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 123 

findigen Klöstern und Kirchen noch eins^ St. Sauveur von Charroux zu- 
gesellt, ist minder bekannt und doch wegen einer namhaften Abweichung 
bemerkenswert. Denn die zu Charroux niedergeschriebene Legende will, 
dass Karl nach einer ersten, früheren Darbringung eigens in der Absicht^ 
noch einen höheren Schmuck, wie ihn die Würde der Erlöseraltare 
forderte, zu erlangen, die Fahrt unternommen, im Tempel von Jerusalem 
das da bei der Beschneidung dem Leibe des Herrn abgelöste Hautstück 
bekommen und es nach seiner Rückkehr auf den Altar von Char- 
roux gelegt habe. Und mit jener ersten Darbringung Karls schlägt 
die Legende von Charroux auch in die Geschichten vom Kreuz ein. Denn 
die frühere war ein „filacterium dominice crucis particula insignitum", 
das, bisher von Karl gewöhnlich in den Krieg mitgenommen (etwa wie 
die Kappe des h. Martinus), bellator geheissen habe. Nach einer andern 
Legende des nämlichen Klosters, einer sichthch älteren, die noch nichts 
von einem Zuge nach Jemsalem weiss, erhielt Charroux gar zwölt 
Splitter durch die Vermittelung seines Gründers, des Grafen Botgar, 
den Karl damit beschenkt habe, also wie Gellone durch die Vermittelung 
seines Gründers das Phylacterium Karls bekommen haben will. 

Bei allen diesen Klöstern und Kirchen kann man nicht von einem 
Gegensatz zu Gellone reden, auch nicht bei Charroux: eher mochte 
Charroux im Blick auf das im gleichen Sprengel gelegene S*® Croix und 
auf die alte Ausstattung dieses Klosters seine Anziehungskraft steigern 
zu müssen glauben. Mit der Legende von Gellone könnte sich die von 
Charroux wohl vertragen. Denn wann und wie dem Könige sein Bellator 
zugekommen, bleibt ungesagt: hier waren der Einbildungskraft verschiedene 
Zeiten, Wege und Weisen offen; die zwölf Splitter aber, werden zur 
Sendung des Patriarchen Thomas durch den „Abt Georg vom Ölberg" und 
seinen Begleiter gerechnet, während Gellone sein Phylacterium, wie ich 
schon hervorhob, in Verbindung mit den Ehrengaben, womit der nach 
dem fi'änkischen B,eiche heimkehrende Priester Zacharias betraut war, 
also um sieben Jahre fiiiher in das Abendland gelängen lässt^'). Da- 

doch auf das erste Stück, das mit Karls d. Gr. letztem Jahre, mit seiner Bei- 
setzung in Aachen schliesst, ohne Gefahr für das Ansehen der Marienkirche nur 
verweisen (S. 66 1. 14j, wenn es noch für sich war, noch nicht begleitet vom 
zweiten, das dann weiter von Karl d. K. Überführung der geraubten Reliquien 
nach St. Denis berichtet. R. behauptet S. 98 und noch im Hist. Jb. der Görresges, 
15, 259, dass das erste Stück der Descriptio den nämlichen Verfasser wie das 
zweite habe; aber der Verfasser des zweiten ist, wie R. selbst bemerkt, Mönch 
von St. Denis (123 1. 18 vgl. 124, 22), der des ersten kennt ein eigentümliches 
Besitztum des Klosters St. Denis nur von Hörensagen (115 1. 29); der Verweis 
S. 124 1. 11 kann nachträglich gemacht worden sein. Das zweite Stück lässt durch 
Karl d. K. neben anderen Reliquien auch Kreuzesholz nach St. Denis gelangen, 
aber die Urkunde des frzsn. Königs Ludwig VI. (Tardif No. 391) vom J. 1124 und 
vornehmlich die Inschrift auf dem Sarge Karls d. K. (F^libien H. de St. Denis 
S. 5Ö4) wissen noch nur von Nagel und Dom, daher es auch jünger ist als das 
erste (um mindestens 30 Jahre, denn das erste entstand spätestens 1095). 

17) Rauschen übergeht (a. a. 0.) Charroux ganz, G. Paris (Hist. po6t. de 
Cfaarlem. 57) führt nur die Legende de s. Praeputio an, und auch sie nur . aus 
Petr. Comestor (von Guido de Bazoch. und — mit Verweis auf Comestor — von 



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124 Drittes Capitel. 

gegen hat eben Zacharias nach der Überlieferung von Aniane, wie der 
fälschende Zusatz crucis zu vexillo in der Chronik von Aniane lehrt, 
Herrenholz dem Könige überbracht, und da diese Chronik sonst keine 
Auskunft giebt, wann Karl das nach ihrem Vorgeben von ihm nicht an 
die Gründung Wilhelms, sondern an die Gründimg Benedicts, an Aniane 
überwiesene zuvor selbst erhalten habe (Geschenke des Patriarchen Thomas 
kennt sie nicht), da sie sonst nicht andeutet, wie er ein Bruchstück vom 
Kreuz jener Schüssel habe einlegen können, die samt diesem Schmucke 
dann im Reliquienverzeichnis von Aniane prangte (scutella Karoli cum 
vera cruce), so mochte oder musste man wohl in diesen Gaben die von 
Zacharias mitgebrachten finden, und es bietet sich der Frage nach dem 
Kloster, wider welches die Erzählung in der Vita Wilhelmi gerichtet sei, 
am ehesten Aniane dar: Aniane sprach sich die nämliche B,eliquie zu, 
die der Stolz von Gellone war. Und den Streit musste die Nachbar- 
schaft der beiden noch verbittern. 

Wie in der Geschichtschreibung von Aniane und Gellone bemerkt 
man den Gegensatz dieser Klöster auch in ihrer Uberheferung von Privat- 
urkunden. 

Denn dass die zwei auf uns gekommenen, für die Geschichte und 
die Verfassung des Reiches oft benutzten Exemplare des sog. Stiftungs- 
briefes für Gellone sich ausschUessen, da in dem einen, das die Mönche 
von Gellone aufwiesen (GG), Gellone völlig selbständig, in dem andern, 
das die von Aniane vorbrachten (AG), es abhängig von Aniane erschein!^ 
erkannten alle, die sie nach Mabillons vergeblichem Versuche, den Wider- 
spruch auszugleichen, eingehender behandelten. Sie bezweifelten entweder 
das eine oder das andere. Ich glaube, an beiden Entstellungen zeigen 
zu können^®). 



Alberich de Trib. Font, eingeschoben in den dürftigen Bericht der Descriptio über 
Karls Aufenthalt in Jerusalem SS. XXIII, 721); aber Petr. Com., der die Reliquie 
durch Karl d. Gr. zuvor nach Aachen und erst durch Karl d. K. nach Charroux 
gelangen lässt, verhält sich zu der aus Charroux stammenden Aufzeiclinung, nach 
der sie Karl d. Gr. gleich dem Altar von Charroux darbrachte, wie die nunmehrige 
Fassung der Descriptio (rücksichtlich anderer Reliquien) zur poetischen Yoyage 
de Cbarlemagne. Von Kreuzesresten zu Charroux giebt noch keine Kunde Theo- 
dulf Carm. L = III, 8. (Poet. aev. Karol. I, 550), auch nicht das überarbeitete 
Testament des Stifters Mabill. Ann. ü app. No. 29, erst Ademar III, 23 cod. 1 
u. 2 SS. IV, 125; aber ihre Herkunft von Karl d. Gr. erwähnt auch er noch nicht 
(irrig Mabill. Ann. II 1. 25 § 48. 1. 26 § 82): behauptet wird sie erst vom Ver- 
fasser der Mirac. S. Genulfi BoU. Jan. II, 97 und in den Legenden von Charroux, 
nämlich die der zwölf Splitter in der älteren Legende bei Besly Comtes du Poitou 
S. 151, die des Bellator in der jüngeren bei Besly S. 158. 

18) GG samt AG bei Mabill. Acta IV, 1 app. ad V. Wilh. 4. Thomassy in 
Bibl. d. Tee. d. eh. 2, 179. H. d. L. IIb, 65, am besten bei Revillout in Mem. d. 
la soc. arch. de Montpellier 6, 563 f. Von GG kennt Rev. neben einer Abschrift 
im Cartul. Gelion. ein angebliches, schon von ihm verworfenes Original (in beiden 
zu Anfang wie in AG recogitans statt recognoscens in den anderen Ausgaben). 
AG hat er allein vollständig (in Gall. ehr. VI J. c. 263 fehlt die Schreiberonter- 
schrift und die Zeugenreihe, die anderen kürzen auch im Text, besonders nach 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 125 

GG ist seinem ganzen Umfange nach Beurkundung einer Schenkung^ 
die Graf Wilhelm am 14. Dez. 804 dem schon aufgerichteten Altare von 
Gellone, dem schon von Mönchen besiedelten, von einem Abt geleiteten 
Erlöster macht. Mit Unrecht reden deutsche und französische Forscher^ 
wohl nur weil keine fiühere Urkunde fiir Gallone uns erhalten ist, von 
einem Stiftungsbriefe. Da die Stätte des Klosters, wie hier der Ausdruck 
ist, causa regis, d. h. (siehe unten) Königsboden war, so hätte der Stif- 
tungsbrief wie die Handlung der Stiftung selber zur Voraussetzung die^ 
hier nicht einmal angedeutete, Teilnahme des Herrschers oder doch die 
Erlaubnis des Gauvorstandes gehabt. Und die Urkunde bezeichnet sich 
selbst als donatio ^®). Den wesentlichen Inhalt der Schenkung anzufechten 
sehe ich keinen Grund. Aber versichert Graf Wilhelm wiederholt, dass. 
er aus seinem Eigen schenke, so befremdet, dass litenis, das an die 
Spitze gestellte Stück (heut St. Gen^s de L. samt St. Jean de Fors)^ 
fiscus heisst Es ist aus der Zeit der früheren Karolinger keine zweite 
Urkunde bekannt, in der Eigengut, worüber so frei wie hier, ohne Hinweis 
auf den Inhaber der Krone, verfugt wird, dieseBezeichnungführt-Zwarscheinen 
schon damals, wenngleich nicht in Urkunden, so doch bei Schriftstellem 
grössere Güter von Kirchen und Klöstern, besetzt mit Gotteshausleuten,. 
die den Kscalinen auf den Krongütem gleich standen, eben deshalb 
fisci genannt worden zu sein. Da aber Litenis hier erst Klostergut wird,, 
entspräche die Bezeichnung nur dem Stande späterer Zeit, aus der wir 
auch päpstliche Privilegien haben, worin ein zweites Gut von Gellone,.. 
das heutige Ceyras, das in GG noch Villa ist (Saturatis cum ecclesia 
S. Satumini), ebenfalls als fiscus erscheint (fiscus Saturatis cum ecclesia 
Satumini, später ecclesia S. Satumini cum fisco) — wie denn die Land- 
schaft von Litenis, die in ihrer Felsenenge am rechten Ufer des Herault 
noch heute das Staunen und Grauen des Reisenden weckt, wenn er ihr 
aus der blühenden Ebene von Aniane auf der Brücke des h. Wilhelm 
über dem „schwarzen Schlünde" zuschreitet, erst geraume Zeit nach 
Wilhelm, erst nach längerer Folge von Anstrengungen arbeitsamer Mönche 
das Bild bieten konnte, das die Urkunde andeutet, indem sie da auf 



dem Namen Litenis villa), er giebt es nach dem von ihm anerkannten, von mir 
bestrittenen Original; davon, dass es im Gart. Anian. Aufnahme gefunden (sa 
H. d. L. IIb 67 )j weiss er nichts, wohl aber zeigt er, dass Aniane von AG noch 
eine auf Grund von GG erweiterte Einzelabschrift des 12 Jahrh. besass, wie denn 
umgekehrt auch nach Gellone, was für die Entstehung von GG in Betracht kommt^ 
eine Abschrift von AG gelangt war: gerade ex chartophylaceo Gellonensi, ex 
tabular. Gell, veröffentlichten AG Mabillon und die Gallia christiana. 

19) Noch dem nachmaligen Bischof von Lodeve, des Sprengeis von Gellone,. 
Plantavit de la Pause war (Le Cointe 7, 13) eine „pervetusta scheda fundationis" 
von Gellone bekannt, die, da sie den Namen Nibridius enthielt, weder mit GG 
noch mit AG zusammenfiel ; aber Planta vits Urteil über Echtheit und ünechtheit? 
es wird schon Gall. ehr. VI, 526 in Zweifel gezogen. — Genehmigung oder Be« 
stätigung von Anbau aut Eronland, auf Wüstland unter Karl Mtihlb. No. 340» 
348. 456. 539. — Waitz« 4, 168 n. 3 machte den Stifter selbst zum Vorstand des 
Gaus („Urkunde eines Grafen Wilhelm": er übersah, dass diese Urkunde dieselbe 
ist, die er S. 206 n. 3 behandelt). 



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126 Drittes Capitel. 

Weingärten, Felder, Wiesen, Mühlen und sogar schon auf die zwei Kirchen 
des h. Genesius und des h. Johannes weist ^^). 

Der fiscus litenis, die Villa Saturatis, eine stattliche Zahl anderer 
Villen, überhaupt alles, womit Wilhelm das Kloster ausstattet, wird von 
ihm nahe dem Schlüsse der Urkunde als honos a me possessus zusammen- 
gefasst Aber honos bedeutet im neunten Jahrhundert nur Amt und 
Amtsgut; die Verwendung des Wortes zur Bezeichnung von Eigengut 
rückt die Urkunde oder ihre Umarbeitung auf die gleiche Stufe mit jener 
Einschaltung der Vita Benedicti und mit der Vita Wilhelmi, wonach der 
Graf über seine Grafschaften zu Gunsten seiner Söhne wie über Erbe 
verfügt haben soll: das eine wie das andere ist die Spur der nämlichen, 
lange nach Karl eingetretenen Wandlung der Bechtsauffassung^^). 

Mit der Vita Wilhelmi hat GG vornehmlich gemein, dass, hier fast 
ebenso ersichtlich wie dort, gegen die Berichte aus dem Kreise von 
Aniane eine Behauptung geworfen wird, die ihrem Grundstoffe nach 
diesen entstammt, aber nun in anderem Zusammenhange einen ganz 
anderen Sinn erhält. Lässt nämlich die Urkunde den Grafen sagen, 
dass er Abt und Mönche aus der Schule, „ex doctrina venerabiüs patris 
Benedicti" in sein Kloster gesetzt habe, so lehnen sich diese Worte un- 
verkennbar an Ausdrücke und Wendungen in der Vita Benedicti Anianensis 
und in der ihr angeschlossenen Epistola Indensium*^^^). Das ist nicht 
nur das Zeichen einer späteren Hand, da Graf Wilhelm die Abfassung 
dieser Vita nicht erlebt hat, die vielmehr ihrerseits Bericht über seinen 
Tod giebt, sondern verrät auch eine bestimmte Absicht, in der, wenn ich 
nicht irre, das Exemplar GG seine eigentliche Bedeutung hat, die Ab- 



20) Die Behauptung, dass ein auch „in private Hände** durch königliche 
Schenkung gelangtes Gut fiscus heisse, stützte Waitz* 4, 206 n. 3 für die Zeit 
Karls nur auf GG, wobei er nicht beachtete, dass im Exemplar AG Litenis blosB 
villa genannt wird. Bei Gütern der Kirchen und Klöster, die diese Bezeichnung 
haben, findet er S. 160 das Merkmal (das nach meiner Ansicht auch nicht 
zutriflFt) wenigstens in dem Erfordernis der Zustimmung des Königs zu einer 
YeränsseruDg , wovon eben keine Rede in GG ist. — Geyras als fiscus in den 
Privilegien Calixts II. Jaff^-Lfd. No. 7044 (jetzt im Bull. pp. Robert ü, 152) 
und Eugens III. No. 8947. -— Die Wildnis am Gour-noir (Gurgo nigro: Urkunde 
aus dem ersten Drittel des 11. Jahrh., das dem Verkehr zwischen dem rechten 
und linken Ufer erst eine Brücke brachte H. d. L. V, 393) schildert M. Hartmann 
Ges. WW. 3, 393 ff. und, von ihm nicht beachtet, Thomassy in Nouv. Ann. des 
Voyages 1844 I, 11 ff. 

21) Das Wort honos lässt Waitz' 4, 216 ohne Bedenken hingehen: „allge- 
mein Besitztum in Aufzeichnungen über Aniane". In Wahrheit findet es sich so 
nur in Aufzeichnungen für und aus Gellone, nämlich nur noch in dem bedenk- 
lichen Diplom Ludwigs Mühlb. No. 498 und in dem sehr verdächtigen Schenkungs- 
verzeichnisse des angeblichen Abts Juliofred (unten Anm. 45). Erst im elften 
Jahrhundert hat es in Urkunden vornehmlich Südfrankreichs diese Bedeutung, 
z. B. H. d. L. V, 392 peragrantes locum et honorem. 424 No. 208 honorem quem 
tenuerunt in villa. 431 No. 213 I. vendimus honorem. 

21h) Vit. Bened. An. c. 30 in cellam (Gellonis) venerabiüs pater Bene- 
dictus suos jam posuerat monachos; Ep. Indens. (SS. XV, 219) ex doctrina 
«ua monachos et rectores misit (auch nach Gellone). 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 127 

sieht der. Verdunkelung eines unbequemen Verhältnisses. Denn während 
in der Vita Benedicti „der verehrungswürdige Vater Benedictus" Benedict 
von Aniane ist, der auch die Zelle Gellone mit Mönchen versieht, so 
zielt Wilhelms Urkunde auf keinen geringeren als auf Benedict von 
Nursia, den allerdings auch die Lebensgeschichte des Anianer Benedict, 
aber an anderer Stelle, als den Vater aller Mönche bezeichnet. Unter 
Benedicts doctrina versteht die Epistola Indensium die einen Verband 
der Tochterklöster mit dem Mutterhause der Reform begründende Unter- 
weisung und Erziehung Benedicts von Aniane: daraus macht die Urkunde, 
wie denn freiUch auch der alte Benedict von Nursia als doctor gefeiert 
war, die weite, nur durch dessen Grundlehre, durch die B/Cgel S. Benedicts 
verbundene Genossenschaft, worin sich die einzelnen Klöster, auch die 
septimanischen nach der Auflösung ihres Zusammenhangs mit Aniane, 
völlig frei bewegten. Die Umgestaltung ist nicht ganz gelungen, die 
Beziehung auf den Anianer Abt ist noch kenntlich (denn doctrina bedeutet 
auch an einer für Mönche classischen Stelle, in der Regel S. Benedicts 
c. 2, die persönliche Einwirkung eines Abts, setzt einen lebenden voraus); 
aber sichtiich ist, dass GG den Gedanken an den engeren Kreis von 
Aniane nicht aufkommen lassen will. Da die Urkunde in dieser Fassung 
den Namen Aniane scheut (wie umgekehrt die Fassung AG ihn in 
lästiger Wiederholung aufdrängt), gleich der Lebensgeschichte Wilhelms 
ihn durchaus verhält, so kann ihr Benedict wie der Benedict in dieser 
(oben S. 118) nur der schlechthin bekannte sein, derjenige, den man 
meinte, wenn von der Regel des Vaters Benedict die Rede war ^% Der 
Verdacht, dass die ursprünghchen Beziehungen von Gallone in der Er- 
innerung verwischt, die Herkunft seines ersten Abts aus Aniane und die 
immerhin nur zeitweilige, zur Sicherung des Gedeihens der jungen Pflanzung 
zimächst erforderliche und vermutlich (wie ich später ausfiihren werde) 
auch im umfassenden Zusammenhange der septimanischen Klosterreform 
begründete Verbindung mit Abt Benedict und seinem Kloster Aniane 
völlig unsichtbar gemacht werden sollte, wächst, wenn man die Worte 
„abbatem posui" beachtet und dass ein Mann der Welt so geredet haben 
soll. Denn der Natur der Dinge (die sich noch in Zeiten späterer 

22) Benedict von Nursia der pater monachorum in Vit. Ben ed. An. c. 17, 
auch Vit. Ale. prol. SS. XV, 184 1. 36 monachor. p. eximius. Aber doctrina ist 
nicht nur in der Benedictina, sondern noch im Sprachgebrauch des achten und 
neunten Jahrhunderts die Unterweisung durch einen lebenden. So bei Alkuin 
Ep. 41 (ed. Ja. = M. G. 51) ut vos (pueri) pro (seniorum) bona doctrina proficere 
mereamini; ep. 275 (= M. G. 286) (eor. qui vos genuerunt in Christo) doctrinis in- 
haerentes vgl. ep. 34 {=■ M. G. 42) (lascivum pueritiae tempus) paternae castigationis 
disciplinis ad perfectam viri edocuistis aetatem (ed. Ja. S. 263. 846. 249 = M. G. 
95. 445. 85). Vornehmlich bei klösterlicher Reform: Gesta abb. Fontan. c. 17 
SS. II, 294. lin. 25 ex Luxovia monachos adduxit, qui legem . . monachos docerent, 
qui nonnuUa exempla doctrinae suae istic reliquerunt; vgl. Cap. V Anm. 78^ über 
doctrina in Epist Indens. SS. XV, 219 1. 10. — So glaubte wirklich noch Thomassy 
a. a. O. 183 (dagegen Revill. a. a. 0. 515), dass die Urkunde GG ebenfalls den 
Abt von Aniane meine: dagegen spricht, auch abgesehen von der gänzlichen Ver- 
Bchweigung des Namens dieses Klosters, dass der Abt nicht (wie in AG) Dominus 
abbas, sondern venerabilis pater genannt wird. 



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128 Drittes Capitel. 

Klosterreformation erwies) entspricht es vielmehr, wenn die sog. Epistola 
Indensium, immerhin ein Bericht aus Anianes Kreis, den ersten Vorstand 
von Gellone, wie die der anderen Tochterklöster Anianes, sogar Ile- Barbe 
und Micy, die doch von geistiichen Herren, von Bischöfen, mit Benedicts 
Hilfe neu eingerichtet wurden, eben durch Abt Benedict ernennen lässt^^^). 
Unter diplomatischem Gesichtspunkt mag man die zu Anfang des 
neunten Jahrhunderts noch unerhörte Erweiterung des Titels coraes durch 
gracia Dei dem Abschreiber zu gute halten, als einen Brauch seiner 
Zeit, dem er unwillkürlich nachging. Bedenklicher ist am Schlüsse des 
Textes die Einfachheit der Strafandrohung, die auf die geistliche sich 
beschränkt und auch so noch durch ihre Schlichtheit von der in anderen 
Privaturkunden dieser Zeit und Landschaft absticht ^^). Keine Nachsicht 
findet die Datumzeile. Sie lässt den 14. Dezember im vierten Kaiserjahr 
Karls (804) statt in das 37. in das 34. Königsjahr fallen. Als ob Graf 
Wilhelm, von Geburt dem septimanischen Lande fi'emd, Karls Königszeit 
erst vom Tode Karlmanns, der fireilich Septimanien besessen hatte, d. h. 
vom 4. Dez. 771 berechnet, als ob er, im Dienste Karls aufgekommen, 
nicht Karls Neigung, das Walten seines Bruders vergessen zu machen, 
gekannt hätte. Darf man auch annehmen, dass in Septimanien kurz 
nach Karlmann sein Tod eine Zeit lang noch als Epoche gegolten habe, 
so erweisen doch septimanische Privaturkunden aus Karls kaiserlicher 
Periode, dass in dessen späteren Tagen dies Ereignis auch hier nicht 
mehr beachtet ward. So ist die Jahreszahl in Wilhelms Urkunde die 
Handspur nachmahger Gelehrsamkeit. Dazu kommt, dass die Datumzeile 
dem zum Kaiser erhobenen Herrscher neben seinem neuen Titel noch 
den alten, den niederen Patriciustitel bewahrt, eine Misskenntnis des 
Wesens beider Würden, die dem Grafen Wilhelm bei seinem Verhält- 
nis zu Karl und Kai'ls Hof sicherüch noch femer lag als Männern 
ohne amthche Stellung, einem Braiding und Dadila und anderen Septi- 
maniem, die seit der Kaiserkrönung nicht mehr des im Imperium aufge- 
hobenen Patriciates gedenken^*). Sie würde sich am ehesten dadurch 

22b) Vita Bened. An. c. 42 vgl. 24. 31. 33. 34. So sagt denn auch Alkuin 
bei Schilderung seiner Einrichtungen zu Cormery keineswegs wie hier Graf Wil- 
helm abbatem posui, sondern congregationem feci (Ep. 127 ed. Ja. == MG. 184). 

23) Dei omnipotentiam exoro ut ipsa ultionem capiat, nichts weiter; da- 
gegen die Fülle in H. d. L. IIb No. 22. 78. 79 (S. 78 f. 175. 177). Die Erwei- 
terung des gräflichen Titels durch gratia oder dono Dei begegnet allerdings schon 
Marculf. aev. Karol. No. 4. 5, aber diese Formeln sind, wie schon Zeumer bemerkt, 
nicht aus Marculf genommen und finden sich nur in cod. 2: den Urkunden der 
Grafen in Septimanien und in der spanischen Mark fehlt sie noch im ersten Drittel 
des neunten Jahrhunderts; neuerdings führt sie de Lasteyrie (Bibl. de l'ec. des 
eh. 43, 67 f.) auf das Erblichwerden der Lehen zurück: so würde sie jener Er- 
zählung von Wilhelms Verfügung über seine Grafschaften zu Gunsten seiner 
Söhne entsprechen. Immerhin legt Revillout zu viel Gewicht auf dies Merkmal 
der ünechtheit: auf eine Verschuldung des Abschreibers wies schon Thomassy 
a. a. 0. 182. 

24) Facta est haec donatio XIX K. Jan. Feria I Anno XXXIIII regnante d n. 
Charolo rege Francor. et Langobardor. ac patricio Romanor. et anno quarto Christo 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gallone auf Liter, u. Urkunden. 129 

erklären, dass als Muster ein Schriftstück diente, das aus Aniane stammte, 
wo sie ein besonderer Umstand leicht begreiflich macht. Ein späterer 
Mönch von Aniane, den das Chronikon seines Klosters an die päpstHche 
Salbung Pippins und seiner Söhne und zugleich an die damit verbundene 
Salbung aller drei zu Patriciem der Römer erinnerte, konnte auch dem 
Irrtiun verfallen, dass die Patriciuswürde am Königtum Karls gehaftet 
habe und mit dem Königtum auch dem zum Kaiser gekrönten ver- 
blieben sei, zumal dies Chronikon, schweigend über die Ablegung des 
Patriciustitels bei der Kaiserkrönung, auch keine Andeutung davon gab, 
dass der Träger der alten Würde durch die neue eine Erhöhung und 
seine Beftignis ihre tiefere Begründung erhielt ^^). 

Das Muster könnte das Anianer Exemplar der Urkunde Wilhelms 
gewesen sein (AG), das in der That eiilst in die Hände der Mönche 
von Gellone geraten war^*). Es hat, wie verschieden es sonst von GG 
ist, mit diesem eben die Datumzeile (abgesehen von der Tageszahl XVIII 
statt XIX und dem in ihm nicht angezeigten Wochentage) gemein, d. h. 
auch den Fehler des Königsjahres und des Herrschertitels. Gleich dieser 
Doppelfehler zeugt mindestens wider die Originalität des Schriftstücks, 

propitio imperii ejus. Die Urkunden der Septimanier Braiding und Dadila (H. d. 
L. n\> 79. 83) haben das 45. und 46. Jahr Karls, dessen Leben sie so, nach der 
Epoche von 771, bis 816 und 817 verlängern würden; auch die Privaturkunde für 
das septimanische Arles (Docum. hist. ined. 111, 406) rechnet von 768 ab, ebenso 
das Chronikon Nemausens. (SS. lU, 219). Bezeichnenderweise lässt die Yita 
Benedicti Anian. ihren Helden, einen Septimanier, in seiner Jugendzeit nach 
Pippins Tode aus dessen Dienst gleich in den Dienst Karls treten (c. 1, ebenso 
Epist. Indensium c. 42): ein Regiment Karlmanns ist nicht mehr bekannt. Frei- 
lich nimmt auch Sickel, der die in den Diplomen Karls hervortretende Abneigung 
gegen den Namen Karlmanns zuerst erkannte, für die Privaturkunden Septimaniens 
Karlmanns Tod als Epoche an UL. 249 n. B: „am bezeichnendsten ist folgendes 
Datum einer septim. Urkunde in Mabill. Ann. 2, 370 [1. 27 § 33] Caroli regis anno 
84 a morte Carolomanni ejus fratris, imperii quarto". Aber Mabill. meint keine 
andere Urkunde als die unsrige, den Schenkungsbrief 6G: die „bezeichnenden* 
Worte a morte — fratris stehen nicht darin, sind nichts als ein Erklärungsversuch 
Mabillons, der überdies aus AG die durch feria I geforderte Zahl XVIII K. Jan. 
statt XIX herübemahm. — Waitz® III, 241 n. 2 lässt in Privaturkunden der kaiser- 
lichen Zeit „Mischung* des alten und des neuen Titels zu, unter Berufung auf 
Sickel, der aber UL. 263 von keiner Mischung spricht, auf Mabillon, der aber 
neben GG nur noch AG, und auf Heumann, der ein Diplom für Fulda anführt, 
das, wenn es echt ist, noch in Karls Königszeit ffSAlt (Mühlb. No. 438). Verschieden 
ist im Original für St. Gallen Wartm. I No. 196 patricius Rom. ohne Imperator^ 
also anstatt imperator (vgl. No. 170). 

25) SS. I, 293 1. 16. 295 1. 13 vgl. 305. So vereinigt auch die Fälschung 
Mühlb. No. 488 (für das septimanische Kloster St. Polycarpe) den Kaiser- und den 
Patriciustitel. 

26) Die Abdrücke von Mabillon und in der Gall. Christian., die AG nach 
einer Abschrift im Besitz von Gellone bringen (oben Anm. 18), stimmen unter- 
einander durchweg überein, auch in ihren Abweichungen vom vermeintlichen 
Original Revillouts. Die Abweichungen sind grammatische und stilistische Ver- 
besserungen bis auf die Kürzung firma permaneat statt f. et inviolata per- 
maneat. 

Puckert, Aniane und Gellone. 9 

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130 Drittes Capitel. 

aus dem neuerdings AG von Revillout abgedruckt worden ist*'). Ganz 
den Originalen dieser Zeit gemäss sind freilich die ausgeschriebenen 
Ziffern statt der subtractiven. Dass das Jahr des Kaisertums dem des 
Königtums nachsteht, wäre, da manche andtere Privaturkunde, darunter 
eine septimanische, die nämUche Ordnung beobachtet, unbedenklich, wenn 
nicht in der unsrigen (AG wie GG) die auch in den Diplomen gebräuch- 
lichen Worte Christo propitio vor dem Kaiserjahr die Voranstellung des 
Kaiserjahres, wie eben in den Diplomen, erwarten liessen. Der Beginn 
mit Ego, worauf die Invocation erst folgt (GG umgekehrt In nomine 
Domini Ego), giebt keinen Anstoss: eine grosse Zahl von Privaturkunden, 
zum Teil im Original erhalten, vornehmlich Deutschlands, aber auch 
Septimaniens, beginnen ebenso gleich mit Ego. Dass sich die Invocation 
nicht am Anfang, wie in den Diplomen der BLaiserzeit, mit Chrismon 
verbindet, dass nicht der Name des Ausstellers, wohl aber, im Eschato- 
kollon, der Name des Schreibers durch solche Zusammensetzung mono- 
grammatischer und verbaler Invocation ausgezeichnet wird, wüsste ich 
durch kein zweites Beispiel zu belegen ; doch mag dies an der Nachlässig- 
keit liegen, mit der die Herausgeber das Chrismon zu unterdrücken 
pflegen *®). Einen günstigen Eindruck macht die sprachhche Verwilderung 
des Textes. Hierin, bis auf manche Einzelnheit den originalen Privat- 
urkunden und den Diplomen Karls, zumal den älteren gleichartig hebt 
sich das Exemplar AG weit ab von dem durchaus gesäuberten GG. 
Die Unrichtigkeit im Gebrauch des Genus (Übergang des Femininum in 
das Masculinum: basilica, qui oder cella qui), die Häufigkeit des durch 
Wegfall des auslautenden M (dono villa, si ahquis cella separaverit u. a.) 
und auch noch durch Veränderung des ihm vorangehenden Vokals um- 
gebildeten Accusativs, die Verwendung der Präposition ad zur Aushilfe 
der Flexion (dono ad basiUcae, ad casa dono, ad monasterio), die Ver- 
drängung des Deponens durch das Activum (precamus), alles das und 

27) Im Titel des Ausstellers lässt Revillout Raum frei zwischen Yuilhelmus 
und C, als ob hier eine der unleserlichen Stellen sei, die er an diesem , Original'' 
vermerkt; sie Hesse sich nur durch gratia Dei ausfüllen, was denn ebenfalls gegen 
die Originalität zeugen würde. 

28) Die von Sickel wiederholt ausgesprochene Rüge (UL. 211 und zu Pipp. 1) 
trifft nun nicht mehr den sorgföltigsten Abdruck von Privaturkunden in Wart- 
manns ÜB. von St. Gallen, hier aber findet sich Chrismon verbunden mit verbaler 
Invocation vor der Schreiberunterschrift nicht. — Die Ziffern XXXIIII und Till 
für Regnum und Imperium wie bei Revillout schon bei Thomassy (Gall. Christ, 
hat XXXIV und IV). Das Imperium nach dem Regnum auch Doc. bist. in^d. in, 
406 (für Arles s./t.), Tradit. Wizenb. ed. Zeuss No. 238, cod. d. Fuld. ed. 
Dronke No. 223. 225, in den Originalen für St. Gallen No. 190. 194. 195. 199. 201. 
206 — freilich nie mit Xhristo propitio. Diese Worte finden sich häufig in Urkunden 
für Mondsee (dessen damaliger Besitzer EB. Hildibald als Erzkapellan ein noch 
näheres Verhältnis zum Hofe hatte als Wilhelm): ÜB. des L. ob d. Ens I No. 30. 
48. 51. 58. 86. 101. 103. 118; aber überall steht da das Imperium voran (wo es 
nachsteht, wie in No. 59, fehlt auch Chr. prop.). — Ego oder nos vor der Invocatio 
in der septimanischen Urkunde H. d. L. IIlo col. 72. 75. Trad. Wizenb. No. 2. 49, 
fär Mondsee No. 3. 5. 25. 26. 28. 29. 31. 40. 42, in den Originalen für St. Gallen 
No. 166. 168. 175. 186. 193. 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 131 

anderes weist auf eine echte Grundlage. Nur ist die Schreibung der 
einzehien Laute, bis auf eine Vertauschung des o durch u (prumpto) 
auffallend gut, namentlich zeigt sich nirgend der Zusatz des stummen 
H oder sein Wegfall im Anlaut Auch ist der Bau der Sätze, selbst 
wo mehrere in einander gefugt sind, allzusehr gelungen: er lässt nichts 
im Dunkel, am wenigsten die Abhängigkeit von Aniane*®). An der 
Flexion einiger Eigennamen, die germanischen Einfluss zu verraten 
schienen (Aldane, Abbaue, Bertane), fand Gaston Paris vorlängst ein 
Merkmal der „Authentie" des Exemplars AG, während umgekehrt 6G 
sich in den Formen Aldana, Abbana, Bertana als Trugwerk zeige. Aber 
die Flexionsformen auf- ane, die übrigens auch ein Fälscher aus echter Ur- 
kunde hätte aufgreifen können, werden in den eben jetzt lebhaft gepflogenen 
Erörterungen über den an sie sich schliessenden Accusativ des Altfiran- 
zösischen auf - ain (Audain, Bertain) von verschiedenen Seiten, nunmehr 
auch von Gaston Paris selbst aus allem Zusammenhang mit germanischer 
Flexion gebracht und sei es als Weiterbildung, sei es als Analogie 
vulgärlateinischer Formen bezeichnete^). Umgekehrt scheint die Gestalt, 
welche die Stämme zweier Eigennamen in AG wie in GG haben, auch 
die Originalität von AG auszuschliessen. Der Kenner des Deutschen 
erstaunt, hier, zu Anfang des 9. Jahrhundert, der Schreibung Bertane 
statt Berhtane oder Beralitane zu begegnen, da im Althochdeutschen 
h vor Consonanten als harte Spirans bleibt. Vermag die Diplomatik 
über diesen Anstoss noch hinwegzuhelfen, da sich zwei Originale erhalten 
haben, welche erweisen, dass die den Romanen gewohnte Missachtung der 
Aspirata sogar diesen Namen, schon im 7. und 8. Jahrhundert, ergriflfen 
hat^®^), so bleibt bedenklich die sonst in oder vor dieser Zeit nicht 
wiederkehrende Schreibung eines andern Namens, mit dem die Urkunde, 
wäre sie verlässlich, eine vornehme Stelle in der Geschichte der deutschen 

29) Die Meinung Thomassys (Bibl. d. Tee. d. eh. 2, 182. 184) und noch A. Moli- 
niers (H. d. L. lY, 538), dass auch die ,, Fehlerhaftigkeit, die Barbarei des Stils" 
wider die Echtheit des Exemplars AG zeuge, bedarf keiner Widerlegung. Aus 
den älteren Diplomen stellt schon Sickel ÜL. 141 — 149 die oben angedeuteten 
Besonderheiten des sermo plebejus zusammen : auch minuare, das er unter anderm 
durch E. 182 =: Mba. 383 belegt, findet sich in AG und zwar dreimal. 

30) Gleichzeitig (1867) mutmassten Quicherat und Sickel germanischen Ein- 
fluss; bestimmter behauptete ihn, in Weiterführung von Quicherat, aber ohne 
Sickels Bemerkungen (ürkundenl. § 52 A. 6) zu kennen, Gaston Paris (Bomania 6, 
470). Dagegen andern voran Förster Z. f. roman. Spr. 3, 567, und nun auch 
G. Paris selbst am Schlüsse des 1. Teiles seiner durch Gründlichkeit wie Un- 
befangenheit gleich hervorragenden Abhandlung in Bomania 23, 348. 

30l>) Diplom K. Theoderichs IIL von 679 M. G. Dipl. Merov. S. 45 No. 49, 
wo auch Mabillon und Tardif Bertane lasen und sich nach dem von L^tronne ge- 
gebenen Facsimile auch nicht anders lesen lässt. Urkunde der Königstochter 
Gisela von 799 bei Tardif S. 73 No. 99 (Bertradane). Nicht in Betracht kommt 
bei seiner spät abschriftlichen Überlieferung Irminos Polyptychon, aus dem Förste- 
mann Berta anführt (auch S. 61 § 9). Dagegen Berhtane bei Wartm. I, No. 188 
AUS dem J. 806 (Abschrift noch der späteren Jahre des 9. Jh.), Gapit. ed. Boret I, 
101 1. 83. 102 1. 2; Berahda im 17. Jahre Ludwigs d. Fr. in Tradit. Wizenburg. 
«d. ZeuBs No. 172. 

9* 

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132 Drittes Capitel. 

Personennamen, in der zeitlichen Folge der Zeugnisse einnehmen würde. 
Denn ist Graf Wilhelm von Toulouse der frühest bekannte Träger seines 
Namens in den Landen westlich des Rheines, auch in Südfrankreich, 
wo dieser nun erst, beleuchtet vom Glänze seines Heldentums weithin 
und auf Jahrhunderte Wurzel schlägt in den Reihen der geistlichen und 
weltlichen Grossen ^^®), so kenne ich unter den Frankenfrauen keine, die 
vor seiner von ihm hier aufgeführten und mitbedachten Gattin Kunigunde 
geheissen hätte. Aber dieser, damals so wenig bräuchliche, am frühesten 
in Schwaben auftauchende Name lautete nicht, wie ihn Graf Wilhelms 
Schreiber in AG, gleich dem Schreiber von GG gegeben haben soll, 
Cunegunde, sondern noch spät, auch in Diplomen unsers Königs Konrad L, 
des FVanken, Chuningund, Chuuigund, Chungund, mit dem aspirierten 
Anlaut des Oberdeutschen^®^). So ist an der Schreibung Cunegunde 
nichts weniger als ein Merkmal der Authentie zu finden. 

Diese Ausstellungen treffen nur die Behauptung der Originalität 
des Exemplars AG; als Abschrift könnte es noch Glauben verdien.en. 
Aber es zeigen sich auch Spuren einer Umarbeitung, die den Inhalt 
berührt hat. 

Vorlängst bemerkte Le Cointe, dass in der grossen Zahl derer, 
denen die Schenkung dermaleinst im götthchen Gerichte zur Minderung 
ihrer Sündenschuld gereichen solle, drei fehlen, gerade diejenigen, die 
allein als Kinder Wilhelms durch zuverlässige Quellenangaben gesichert 
sind, nicht bloss Gerbirg, die Tochter, und Heribert, der eine seiner Söhne, 
die auch GG übergeht, sondern auch der allerbekannteste unter ihnen, 
der wenigstens in GG genannte Markgraf Bernhard. An ihrer Statt 
überraschen — so darf man diese Bemerkung weiterfuhren — die Namen 
dreier Kinder, Witgar, Hildehelm, Helinbruch, also wieder zweier Söhne 
und einer Tochter, von deren Dasein wir sonst keine Kunde erhalten, 
auch nicht aus dem Handbuch seiner Schwiegertochter Dhuoda*®®). Das 

30o) Im Osten kommt er weit früher vor: ein Wilhelm im 1. Jahre Tassiloa 
ÜB. des Landes ob der Ens I No. 83, aus dem 22. Jahre desselben bei Meichelb. 
Hist. Frising. I, 2 S. 36 No. 20; aus dem 23. Karls d. Gr. ebenda No. 102. 

30d) Sicher bezeugt ist ja der Name der Gattin Wilhelms durch die Nieder- 
schrift ihrer Schwieger- oder Stiefschwiegertochter Dhuoda (841/843): auch so ist 
sie die zeitlich erste. Als Zeitgenossin Karls d. Gr. geht sie noch voran der gleich- 
namigen Gemahlin K. Bernhards v. Italien, des Enkels Karls (Affö Parma I, 283 
Gunicunda in zweifelhaftem Original) und samt dieser um vieles voran der Ur- 
enkelin Karls d. K., der frühesten in Förstemanns Verzeichnis (M. G. SS. 11, 314 
Cynig: cod. saec. XI). — Dhuoda schreibt (Lib. man. ed. Bondurand c. 72: Bruch- 
stück von Nimes, also aus Septimanien) noch Chungundis vgl. Wartm. I, No. 374 
(Or. von 838: Chunig.) u. H, No. 701 (Or.: Chuning.), Mühlb. No. 2034. 2036 (gute 
Abschrift : Chunig.). Da sie von Dhuoda vor Vuitburgis genannt wird (so auch GG)^ 
muss sie Wilhelms erste Gemahlin gewesen sein, während AG sie als zweite setzt. 
War sie übrigens, wie ihr Name vermuten lässt, schwäbischer Herkunft, Stammes- 
genossin der Kaiserin Judith, so j^nde deren frühe Gunst gegen ihren Sohn oder 
Stiefsohn Bernhard eine recht naheliegende, der Ehre beider unabträgliche £r> 
klärung. 

30e) Le Cointe VII, 692. — Sprachlich ausgeschlossen ist die von Mabille 
H. d. L. U, 278 und Bondurand a. a. 0. 259 angenommene Gleichheit des Namens 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 133 

Schweigen Dhuodas über die drei könnte sich daraus erklären, dass sie noch 
am Leben waren, als Dhuoda, die ausgesprochenermassen nur Verstor- 
bener gedenkt, an ihrem Buche schrieb (Nov. 841 bis Febr. 843), ob- 
gleich es befremden müsste, dass bei so langem Leben, über den Tod 
Ludwigs d. Fr. hinaus, weder Witgar noch Hildehelm in den Berichten 
von Markgraf Bernhards Steigen und Sinken je vorkommt, wie sehr die 
andern, bei unverkennbar treuem Zusammenstehen der Genossen dieses 
Geschlechts, vor aller Augen handelnd oder leidend mit ihm verflochten 
sind (830. 834). Und entscheidend wider die Glaubwürdigkeit des 
Exemplars AG ist, dass es die drei anderen auslässt, Heribert, Bernhard, 
G^rbirg. Ich fuge zu ihnen nicht noch den Grafen Gauzhelm (auch 
GauceUnus, Gaucelmus u. dgl.), der zeitweise in dem ehemaligen Bereiche 
der ruhmvollen "Wirksamkeit (jrraf Wilhelms, in Septimanien (Grafschaft 
Eine) und in der spanischen Mark thätig, von französischen und deutschen 
Forschern unter Wilhelms Söhne gezählt wird: indem sie ihn zugleich 
in jenem Gauzheln; wiederfinden, der 834 nach dem Falle der von ihm 
verteidigten Stadt Chalon a^S. zusammen mit Gerbirg von den Siegern 
vertragswidrig hingerichtet ward, verfinstern sie vollends das Bild des 
über Wilhelms Geblüt grauenvoll gekommenen Geschicks, das nun dreien 
Leibessprossen des Helden und HeiUgen der Kirche gerade die unter 
Lothar den Namen der Kirche vor sich tragende Partei bereitet hätte, 
Heribert geblendet, Gerbirg als Hexe und Giftmischerin ertränkt, Gauz- 
helm, wie nachmals Bernhard, enthauptet *^^). Lides die Abstammimg 
des septimanischen Grafen Gauzhelm von Wilhelm wird durch Dhuodas 
Niederschrift nur nahegelegt (insofern als sie dem Gebete ihres Sohnes 
Wilhelm neben anderen Verwandten seines Vaters einen Gauzhelm 
empfiehlt), doch schon sie nicht ausdrücklich bezeugt ^^s); die Abstammung 



Witcarius in AG und G6 mit Guarnarius des Lib. manual. c. 72 (Mabille: „6vi- 
demment le meme**). (Ich betone nicht, dass Witcar unter den acht, nicht sieben, 
Grafen des Briefes Mba. No. 456 fehlt, da hier auch der Name Bernhard fehlt 
und Wilhelms Söhne überhaupt auffillligerweise (doch vgl. Anm. 8b) recht spät 
nach seinem Abtreten ersichtlich werden.) Wenn ihnen Mabille (H. d. L. II, 277, 
minder bestimmt Vaissete H. d. L. II, 338 = Ed. or. I, 738) einen Grafen Bera 
einreiht, so beruht dies nur auf der gefälschten Urkunde für Alet (II>, 79), und 
Dhuoda kennt keinen Bera: noch Mabillon wusste nichts von dieser angeblichen 
Gründungsurkunde (Ann. IV 1. 53 § 14 z. J. 1008: hie primo nobis occurrit mentio 
mon. Electensis incerto autore conditi). 

30 f) Wenn Mühlbacher (Vorbemerkungen S, 41) noch andere Sippen Bernhards 
in dessen Sturz hereinzieht ,zwei seiner Brüder wurden zu Mönchen geschoren* 
(weiterhin über Heribert ,ein dritter Bruder"*), also dass in den Wirren von 830 — 834 
nicht weniger denn fünf Kinder Wilhelms zu Fall gekommen wären, so verwechselt 
er Bernhards Brüder mit Judiths Brüdern, über die er No. 845a das Richtige hat. 

30g) Behauptet wird beides von Mabille H. d. L. II, 276, Bondurand 258, 
Dümmler Ostfr. Jb.« I, 94. 98, Mühlb. No. 885. Dass der 834 hingerichtete der 
septimanische Graf gewesen, nimmt auch Sickel zu L. 230 an. Zu den Stellen 
über Gauzhelm bei v. Simson Ludw. 1, 269. 2, 107 (schon da das Bedenken, ob 
überall der nämliche gemeint sei) füge ich das Diplom Karls d. K. für St. Poly- 
carpe im Razez Bouqu. 8, 465 No. 43, die Gerichtsurkunde von 834 H. d. L. II 
186, in der ausser ihm noch vier der acht Grafen des Briefes Mühlb. No. 466 



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134 Drittes Capitel. 

des zusammen mit Gerbirg hingerichteten von gleichem Vater hat nicht 
einmal ein mittelbares Zeugnis, nur einigermassen Wahrscheinlichkeit^"^). 
Und die Auslassung jener drei genügt: schon sie ist ein unüberwindlicher 
Anstoss. 

Revillout, der die Echtheit von AG verteidigt, glaubt ihn beseitigen 
zu können. Er meint, dass Wilhelm laut der Verkündigung an der 
Spitze der Urkunde nur das Heil derjenigen seiner Verwandten, die ver- 
storben seien, im Auge habe, ausser sich keinen, der noch atme. Indes 
dieser Auffassung widerspricht die Urkunde in ihrem Verlauf und am 
Schluss, wo der Aussteller nicht als der einzig noch lebende redet, viel- 
mehr im Namen mehrerer, die gleich ihm mit ihrem Wollen und Hoffen 
an der Darbringung beteiligt sind, die sie auch zu ihrem eigenen Besten 
machen, also noch leben *^). Auch würde in diesem Falle Graf Wilhelm, 



wiederkehren, und vornehmlich die von 850 Marca M. hisp. 783: in territorio 
Gerundensi (pater suus beneficium habuit de quondam comite Gaucelmo), also in 
der spanischen Mark, wo unter Ludwig (Gest. Fontan. c. 17- SS. 11, 294 1. 48) ein 
Gauzlen custos war. — Dem Exemplar GG, wo allerdings Gaucelmus als Wilhelms 
Sohn erscheint (hiemach vermutlich, da Vit. Bened. An. c. 30 keine Namen bot, 
Vit. Guill. c. 25), schenke ich nach dem Obigen kein Vertrauen, kennt es doch 
einen NefiPen Wilhelms, der den Chansons entstammen wird, nämlich den nur in 
diesen neben Wilhelm gefeierten Bertrand. — Gothzelmus bei Dhuod. c. 72 (vgl. 
c. 61 pro parentib. patris tui: quor. nomina in fine — huj. libelli — invenies). 

SO^) Als Pertz zu Vit. Hlud. c. 51 Bouqaets Worte Bernhardi frater wieder- 
holte, beachtete er nicht die ihm doch damals schon handschriftlich zugänglichen 
Ann. imper. von Leibnitz, der I, 440 den Unterschied hervorhob, dass bei den 
Greueln von Chalon in den beiden Lebensbeschreibungen Ludwigs und in Ann. 
Bertin. zwar Gerbirg als Bernhards Schwester, als Wilhelms Tochter, aber Gauz- 
helm nicht als Bernhards Bruder bezeichnet wird. Für die gewöhnliche Ansicht 
spricht nur erstens, dass ein Gauzhelm wie nunmehr im Kampfe gegen Lothai* 
auf gleicher Seite mit Bernhard, so in friedlicher Thätigkeit neben Bernhard in 
der Nachbarschaft von Eine, im Razez auftritt (oben aus Bouqu. 8, 465 No. 43). 
Zweitens, dass nach Bernhards Flucht vom Hofe auch das Grafenamt zu Eine an- 
statt Gauzhelms der Gegner Bernhards, Berengar übt: laut Gerichtsurkunde vom 
2. Apr. 832 (H. d. L. IIb 177) oder gar vom 2. Febr. 832 (so Marca M. hisp. 769) 
hat Berengar auf schon an seinen Stuhl gebrachte Klage eine Untersuchung an- 
geordnet, die vor diesem Tage zu Ende war (daher gehört auch das Diplom 
Mühlb. No. 885, das noch Graf Gaucelinus, an den Hof gekommen, für St. Andre 
in Eine erbat, entweder, spätestens, in das erste Jahr der vierten Regierungs- 
periode Ludwigs, Ende 830 — Herbst 831, oder, nach Lage der Dinge am wahr- 
scheinlichsten, in dessen zweite Periode). Endlich, dass in Burgund, wo sich 
Gauzhelm 834, eben zu Chalon, festsetzte, Wilhelms Geschlecht Lehen besass 
(Nithard EI, 2), durch die sich auch erklärt, dass Bernhard, als er von neuem 
sein Haupt erhob, gleichfalls 834, gerade burgundische Mannschaften aufbot. 
Aber den nach Mühlb. 498 schon im oder vor dem Jahre 807 als Königsbote auf- 
getretenen Gotcelm kann ich nach S. 109 Anm. 8b für einen Sohn Wilhelms nicht 
ansehen. * 

31) Tunc res volemus esse donatas pro nos omnibus superius nominatos; nos 
per istam donationem speramus u. s. f. Also parentes qui defuncti sunt zu Anfang 
des Textes die Eltern (bedeutet es in weiterem Sinne die Verwandten, so pflegt 
es die Aufzählung nicht zu beginnen, sondern zu schliessen: ceterorumque pa- 
rentum nostror.); so vermutlich auch in der Urkunde Braidings (H. d. L. IIb 76) 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 135 

bei einer Schenkung, die mutmasslich seine letzte war, seine noch lebenden 
Kinder verabsäumend, sich ihrer geistlichen Sicherung entschlagend, weit 
von der Weise seines Königs abgewichen sein. Denn Karl d. Gr. und 
noch Ludwig d. Fr. suchen in ihren Diplomen, wo sie sich für Schenkung 
oder Wahlrecht oder Immunität Lohn am Gebete der Mönche bedingen, 
wenn sie überhaupt auf andere als sich selbst und die Gemahhn sehen, 
ihn gerade den Kindern, der Gesamtheit der Kinder zuzuwendend^): in 
den Urkunden beider Herrscher pflegen über der Nachkommenschaft die 
Vorfahren übergangen zu werden, sogar bis auf besonders begründete 
Ausnahmen die Eltern. Karl d. Gr. gedenkt nämUch seiner „parentum 
quondam" ebenso wie seines in Zerwür&is mit ihm gestorbenen Bruders 
nur bei Bestätigung von Schenkungen, die von ihnen herrührten, und 
zwar, so scheint es, nur von solchen Schenkungen, über die keine Diplome 
vorhanden waren — also vielleicht nur, weil eben noch keine Urkunde 
ihr Seelengedächtnis sicherte. Ludwig errichtete zu St. Denis ein Jahr- 
begängnis zwar für sich und seine Gemahhn, aber weder für den Vater 
noch für den dort beigesetzten Grossvater: erst in seinem allerletzten 
Diplom für Kempten, dem seine Mutter B;eUquien zugeführt hatte, 
heischte er, in eigentümhcher Erweiterung der Wahlrechtsformel, Gebete 
für sie und den Vater ^^). Und wenn die Fürsten nach Ludwig, unver- 



und sicher im Exemplar GG, das Bernhard und Gauzlen noch unterzeichnen. — 
Von vornherein wäre Revillouts Versuch (S. 515) unmöglich, wenn der in AG als 
Bruder Wilhelms aufgeführte Theoderich der nämliche wäre, der lange nach Wil- 
helms Tod dessen Enkel, den jüngeren Wilhelm, aus der Taufe hob. Das be- 
haupten Mabille H. d. L. 11 , 273 und Bondurand S. 256, und es ist wenigstens 
wahrscheinlich, weil dieser nach Dhuoda c. 62 den jüngeren Wilhelm auch zu 
seinem Erben machte. Bondurand S. 258 § 5 hält es sogar für bezeugt, da 
Theoderich von Dhuoda c. 72 (Teddericus) unter den Verwandten Bernhards er- 
wähnt werde; aber c. 72 erbalten von ihr, wie sie selbst sagt, nur diejenigen eine 
Stelle, die sie früher übergangen hatte, was eben auf jenen Paten (c. 62 dmnus 
Theodcricus) nicht zutrifft. Nach Mabille und Bondurand soll Theoderich (wegen 
der burgundischen Güter seines Erben, des jüngeren Wilhelm Nith. III, 2) auch 
der Graf Theoderich sein, den burgundische Urkunden aus dem Gau Autun gleich- 
falls noch spät, bis ins 7. Jahr Ludwigs d. Fr. bezeugen (Perard, Recueil de 
Bourgogne S. 34 ff. No. XV— XIX). Doch hatte auch Graf Eccard von Autun 
einen Bruder dieses Namens (Perard S. 22. 25 No. I. V.), so dass Theoderich von 
Autun statt Wilhelms Oheim Oheim Eckards und des Jüngern Theoderich ge- 
wesen sein könnte. 

82) Formul. Marculf. aev. Kar. 29. 30, Zeumer 126, l. 2. 23 (succedentibus 
regibus, subsequente progenie) und Karls Diplome Mba. No. 168. 169. 230. 275. 
296. 309. 310; auch die den meisten Immunitäten Ludwigs zu Grunde liegende 
Formul. imper. 4 (dazu 11. 12. 28. 29, Zeumer 291 l. 4. 295, 4. 26. 307, 8. 308, 40). 
Demgemäss unter Karl der Bericht aus Fulda (pro te et liberis tuis: Supplex li- 
bell. bei Mab. AA. IV, 1 app. ad Vit. Eigil.), unter Ludwig der aus Gorze (Zeumer 
S. 529 1. 3 pro vobis et . . regina et infantibus vestris) und der aus Le Maus 
(Gesta Aldric. c. 29 SS. XV, 321 pro imperatore, pro ejus conjuge atque pro nobi- 
lissima prole). 

33) Mb. No. 215. 334. 889 und (für Kempten) 967. So wecken im Diplom 
Ludwigs für die Kirche Reims Mb. 777 auch die sonst in seinen Diplomen uner- 



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136 Drittes Capitel. 

gleichlich häufiger als er und Karl d. Gr., die Könige der geteilten 
Reiche, unter denen der Brauch erst aufkommt, auch flu* das Seelenheil 
von Vater und von Mutter und (zuerst Ludwig d. D.) für das des Gross- 
vaters Sorge trugen, wenn, je weiter das Geschlecht in seiner Verzweigung 
auseinanderging, um so mehr die Erinnerung an die Gemeinschaft der 
Ahnen zum Bedürfiiis ward, so dass nun die Voreltern schlechthin in 
den Kreis der Bedachten eintraten, so behielten doch bei Schenkungen 
und vollends in den Immunitäten und den Wahlrechten fast iinmer die 
Kinder ihre alte Stelle, ohne Unterschied, ob sie tot oder noch am Leben 
waren ®*). 

Demnach weist das Fehlen der zu Graf Wilhelms Zeit noch lebenden 
Kinder im Exemplar AG auf eine Umarbeitung, bei der ihre Namen 
getilgt wurden und doch der Plural filias (GG"filiabus) ungeändert büeb, 
der denn, da die Sprache dieser Urkunden sonst nicht Plural und Sin- 
gular zu vertauschen pflegt, das Zeichen ist, dass neben Helinbruch min- 
destens noch eine Tochter aufgeführt war. Le Cointe meinte, dass der 
Umarbeiter sich gescheut habe, durch diese Namen die mit ihnen ver- 
knüpfte Erinnerung an die Greuel Lothars und seiner Partei wachzurufen. 
Aber das erklärt nicht die Weglassung Markgraf Bernhards, der durch 
Karl d. K. sein Ende fand. Und auch bei den andern kommt eher als 
solch zarte Besorgnis für einen dem Westfirankenreiche fremd gewordenen 
Herrscher dasjenige in Betracht, was von ihrem eigenen Verhalten erzählt 

hörten Worte pro remedio . . antecessorum nostrorum Bedenken gegen den sie 
umHchliesscnden, schon von Mühlbacher beanstandeten Satz. 

34) Sichtlich war das zu St. Arnulf von Erzbischof Drogo eingeführte Jahr- 
begängnis für Ludwig d. Fr. der Anlass der Auflegung von Gebeten, die ebenda 
für ihren Vater am frühesten Lothar (er begreiflicherweise sonst selten, aber vgl. 
noch Mb. 1067), dann Karl d. K., endlich Ludwig d. D. anordneten (Mb. 1037. 
1473. Böhm. 1536). Karl d. K., Schuldigermassen früh und spät für das Heil des 
Vaters besorgt (Böhm. 1582. 1607. 1682. 1739. 1745. 1822, dazu Bouqu. 8, 434 
No. 9. 527 No. 117), zeichnet sich ja vornehmlich durch Errichtung von Jahrfesten 
für diesen und (seit 852) für die Mutter, für sich, seine Gemahlin, seine Kinder 
und Freunde aus (vollständige Zusammenstellung Mühlbachers in SB. der k. k. Ak. 
92, 457 n. 5): dabei geht er indes ebenso wie bei Lichterstiftungen nicht bis zum 
Grossvater hinauf und Gebete für die Voreltern bedingt er meines Wissens nur 
Böhm. 1809 (Gründung der Pfalzkapelle Compiegne unter Hinblick auf die des 
Grossvaters zu Aachen). Ludwig d. D., vom Grimm noch des sterbenden Vaters 
getroffen, nimmt sich dessen sogar in den Diplomen für Korvey, dessen Pflanzung 
jener sich zum Verdienst angerechnet hatte, erst 855 eigens an (Mb. 1371), aber 
seine Besonderheit ist, ihn (schon vorher einmal und dann des öftern) zusammen 
mit dem Grossvater zu erwähnen (Mb. 1366 und 1392. 1422. 1434. 1439. 1467) oder 
der Vorfahren überhaupt zu gedenken (Mb. 1394 und 1396. 1397 — impera- 
torum — . 1409. 1424 f. 1440: hiernach im Original 1421 antecessorum vor ani- 
marum durch Schreibfehler ausgefallen wie in der Abschrift 1429: dass eine 
Schenkung pro remedio animae die Forderung von Gebeten in sich schloss, zeigt 
in No. 1473 der Verweis ut supra dictum est). In der Formula S. Gallens. No. 2 
bei Zeumer S. 396 trifft wenigstens progenitorum den Brauch Karls d. D. (vgl. 
Mb. 1596. 1601. 1671 — Wahlrecht — 1685 — auch die westfränkischen praede- 
cessores — 1702). Im Westfrankenreich vor Karl d. D. König Karlomann Böhm. 
1860 (praedecessor.) und 1867 (patr. nostror.). 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 137 

ward. Die Erinnerung an sie selbst, düster wie sie war, hätte das 
Andenken des Vaters verdunkelt Die Nachrichten von ihnen, zerstreut 
über die Schilderungen der Kämpfe im IVankenreich seit 829, braucht man 
nur zusammenzustellen, um eine Vorstellung von der Empfindung zu 
bekommen, die die Vereinigung ihrer Namen wecken musste, wenn sie 
in dieser Urkunde stehen blieben. 

Denn Heribert, auf den der Grimm der Gegner Bernhards gleich bei 
dessen Sturze niederzuckte, war, wenn nicht in Bernhards früheste Ver- 
schuldung verwickelt, doch sicherlich — das lehrt der Zeitpunkt, da ihn 
sein Geschick ereilte — in die 830 wider den Bruder üppig aufgeschossenen 
Beschuldigungen hineingezogen, in jene, die wir als die giftigsten und 
zugleich nachhaltigsten kennen. 

Dass auch Gerbirg "als Mitschuldige an den berufenen Teufels- 
künsten Bernhards galt, lässt der ihrer Hinrichtung gegebene Grund 
vermuten ^% 

Vollends hat sich Bernhard nach Ludwigs Tod, wie man weiss, durch 
Ränkespiel und Treubruch auch dem Könige Karl, der dann doch im 
Bereiche von Aniane, in Septimanien gebot, zum Abscheu gemacht und 
unter den Septimaniem selbst, von denen manche irüh zu Lothar, seinem 
ältesten "Widersacher, dem Todfeinde seines Geschlechts übergetreten waren, 
sich noch in Ludwigs letzter Zeit durch Verletzung des Eechts der Welt- 
Hchen, durch Eingriffe in das Eigentum von Geistlichkeit und Klöstern, 
„unter Missachtung götÜicher und menschhcher Satzung", von ihm wenn 
nicht begangen, doch den Seinen nachgesehen, ein bitteres Andenken 
befeitet ^^^). Ich gehe nicht weiter, ich wage nicht nach dem Vorgange 



35) So schon Dümmler Ostfr. Jb.^ I, 97 und Mühlbacher No. 900»: more male- 
ficorum bei Nith. I, 5 und tarn quam venefica V. Hlud. c. 52 (vgl. aber Grimm 
MythoL' 1021, wo die frühere Bemerkung über diese Rechtsanschauung Rechts-A. 
696 durch einen Hinweis auf die Gesetzgebung Karls Einschränkung erfährt) 
deuten wenigstens auf die Behauptungen der Gegner Bernhards (patrem elusum 
praestigiis V. Hlud. c. 44) und auf Radberts Bild von den Vorgängen am Hofe zur 
Zeit der Gewalt Bernhards (diabolicis maleficiis, praestigia sortilegorum — frzs. 
sorcier — V. Wal. II c. 9). — Freilich machen Perry H. d. Chalon 73 und Funck 
145 die Sanctimoniale Gerbirg zur Nonne (so auch v. Jasmund in der Übersetzung 
Nithards und Thegans) und, da sie in Chalon ergriffen ward, zur Nonne in Cha- 
lon; aber als sanctimonialis kann sie auch Chorfrau gewesen sein (vgl. Ludwigs 
Institutio sanctimonialium 816 c. 21. 23) und, da sich die Clausur der Kanonissen 
noch schwerer durchführen liess als die der Kanoniker, ehedem am Königshot'e 
sich im Schwärm der „sortilegi" umhergetrieben haben (wie denn ihren dauern- 
den Aufenthalt zu Chalon niemand bezeugt) — in der Umgebung Judiths sie als 
sanctimonialis noch füglicher als danach die von Lothar aufgebotenen Mönche, 
trotz ihrer Verpflichtung auf Clausur, an der Seite Ludwigs. 

35 1>) Über Lothars Anhang unter den Septimaniern, deren Häfen allerdings 
der Küste seines italischen Königreiches zugewendet waren, belehrt Mb. 1000 (für 
Wimar im Gau Eine, 18. Dez. 832, zugleich das früheste, in der bisherigen For- 
schung übersehene, Zeichen des von Lothar erneuten Anspruchs auf Gewalt im 
Norden der Alpen), femer No. 1010 (für die Bischofskirche Eine 7. April 834) und 
die trotz der Teilung von 839 nach seinem Regnum datierte Privaturkunde vom 
29. Sept. 842 (H. d. L. II b 214: HI Kai. Oct. A« HI quod abiit — statt obiit der 



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138 Drittee Capitel. 

Fauriels mit neueren Forschem zu behaupten, dass die Volkssage Süd- 
frankreichs, eine alte nach den einen, eine spätere nach den andern, ihn 
auch, Radberts Schmährede noch überbietend, als den ehebrecherischen 
Erzeuger Ksrl& d. K. gebrandmarkt habe. Davon spricht nur ein ge- 
wisser Odo Ariberti, angebUch Kaplan „des hochberiihmten palatinus 
Guerricus", den samt diesem seinem Patron noch niemand zeitlich sicher 
untergebracht hat, und ich finde es bezeichnend, dass dieser Odo seinen 
Bericht über die Tötung Bernhards durch die eigene Hand seines ver- 
meintlichen Sohnes in ein ethisches Urteil von gegensätzhchen Stand- 
punkten (rex per nimiam pietatem fit impius) auslaufen lässt und vollends 
seinen Bericht über die ihm vom Bischof zu Toulouse, dem Könige zum Trotz, 
gewährte Beerdigung mit einer Darlegung des Streites z¥rischen Kirchen- 
recht und Reichsrecht schliesst, was alles schulmässige Betrachtung eines 
Geistlichen, noch dazu eines in viel späterer Zeit, ist, so dass auch die 
sichtlich darauf zugespitzte Erzählung den Anspruch, Erzeugnis der Sage zu 
sein, verhert*^®). Und am wenigsten kann man echte Sage erkennen^ 



1. Ausg. — LudovicuB imperator, tradidit regnum — vgl. missis insigniis Eud. 
ann. Fuld. 840 — in ipsius manus filii Hluterio: in Gerichtsurkunden vom Aug. 
842 (nicht 843) fehlt der Satz tradidit bis Hlut. Marca, M. hisp. S. 780 f. No. 16, 
17; noch mehr Beachtung gebührte ihr, wäre sie Vorurkunde der H. d. L. IIb 209- 
gleichfalls aus Cartul. Anian. gedruckten, die noch in Ludwigs Lebzeit fällt: dann 
würde sie, weil abiit auf Ludwigs Abtreten, seine Waffenniederlegung gehen 
müsste, für vereinzelte Anerkennung Lothars noch im Herbste 835 zeugen; aber 
ich finde far diese Voraussetzung keinen genügenden Grund. — Ein Königsver- 
zeichnis aus Septimanien wirft für Lothar (hier gleichgültig, ob auf Kosten des 
Vaters oder des Bruders) zwei Jahre aus (H. d. L. II l>, 12). — Bernhards Ver- 
klagung durch „pene omnes Septimaniae nobiles*^ (V. Hlud. c. 59) erläutern und 
ergänzen die schon von Dümmler^ I, 233 (^ I, 245) angeführten Diplome Böhm. 
1561. 1566: freilich ist schon in der Zeit des weisen Markgrafen Berengar propter 
infestationes malevolorum hominum ein Schutzbrief erbeten worden Mb. 905. 

35 c) Zuerst abgedruckt von einem Arzt, dem nach dem Urteil Vaissetes 
nicht gerade durch Kritik hervorragenden Borel in seinen Antiquit^s de Castres 
1649, dann häufig, von Baluze (Notae ad Agob. 129), Bouquet, zuletzt H. d. L. IIb, 
240. Mabille erklärte (H. d. L. II, 225) das Stück geradezu für untergeschoben; 
mir Mit wenigstens auf, dass der bibliothekkundige Catel von ihm noch 1623 
nichts wusste (Comtes de Toulouse 61), auch Baluze hat die Handschrift selbst 
nicht zu Gesicht bekommen. Das wunderlichste der Eingang: Face cum sanguine 
eucharistico separatim per regem et comitem firmata et obsignata Bemardus . . 
venit et regem . . adoravit, wenn hier nicht sowohl Versicherung des Friedens 
durch den beiderseitigen Genuss des Abendmahles, sondern (so Mabillon De re 
dipl. 1. II c. 22 § 21) die Unterzeichnung des Friedensvertrages mit heiliger, weil 
in Abendmahls wein aufgelöster Tinte oder mit dem consecrierten Weine selbst 
gemeint wäre, wofür allerdings c. sanguine e. statt c. eucharistia spricht: auch 
würde die erstere Auffassung die gemeinsame Feier des Abendmahles fordern. 
Aber ein Brauch, an den die Sage hätte anschiessen können, war es nicht, am 
wenigsten im Abendlande. Mabillon kennt nur zwei Fälle solcher Ausstellung 
oder Unterzeichnung von Acten, und zwar nicht von Verträgen, sondern von Ver- 
dammungen, ergangen nach Ostrom oder in oströmischem Bereich selbst verhängt» 
über den Patriarchen Pyrrhus 648 und über Photius 869. In der Sache tritt dem, 
was Odo Ariberti erzählt, näher, gleichfalls aus dem Morgenlande, die armenische 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gelion e auf Liter, u. Urkunden. 139 

wenn Odo Ariberti berichtet, dass die Männer Südfrankreichs, trotz ihrer 
Überzeugung von Bernhards Schändung des kaiserUchen Ehebetts, im 
Zulauf grosser Menge die Ehren seiner Exequien erhöht hätten. Diese 
Vorstellung hess schon der Verruf nicht aufkommen, den sich der 
Lebende durch jene Gewaltthaten oder seine Hegung von Gewaltthätem 
an Kirchen- und Klostergut zugezogen hatte. 

Dem Schatten auf Bernhards Namen auch in der Zeit, als der 
Name des Vaters wachsende Verehrung gewann, Dauer zu geben und 
ihn noch über den nächsten Schuss seiner Nachkommen zu verbreiten^ 
haben die Nachkommen selbst nichts unterlassen. Sind Bernhards Ge- 
schwister, wenn sie überhaupt genannt werden, seine Begleiter auf seinem 
Wege gewesen, so haben seine Söhne, wie sie nur herangewachsen 
waren, ihn fortgesetzt. Als erster unter ihnen Wilhelm, der 844, noch 
nicht voll achtzehn Jahre alt, den aquitanischen Gegnern König Karls 
seinen Arm zu einem in weitem Kreise, auch im kaiserUchen Hause tief 
empfundenen Schlage lieh^^*), dann zwar nicht, wie neuere Forscher 



Verkündigung des gefälschten Vertrages zwischen Kaiser Constantinus, Papst Sil- 
vester und König Tiridates (Jaff^-Kbr. No. 176) mit ihrem Bericht, dass zu seiner 
Sicherung Abendmahlswein der Tinte beigemischt worden ; das aber ist eine Fäl- 
schung erst aus der Zeit der Kreuzzüge (Brosset, Rapport s. u. voyage d. 1. Georgie 
Ire livr. p. 45). Noch näher, fast das Urbild von Odos Phantasterei, die Art, 
womit der, zwar nicht wie angeblich Mgr. Bernhard, vom Herrscher selbst, aber 
doch zu dessen Seite getötete Caesar Bardas eben von seinem Kaiser durch eine 
mit ai[LOL Tou xwpioü schriftlieh erteilte Zusage in Sicherheit gewiegt worden (Symeon 
Mg. c. 40. Georg. Mon. c. 26 vgl. Hergenröther Photius I, 585). — La Faille (Ann. 
de la V. de Toulouse ü, addit. au T. I p. 8) hat vor dem Eingange die Ankün- 
digung von Chiffreschrift (cetera quae pandere periculosum est talamasiis literis 
inscribam), was denn auch für die späte Zeit des Odo Ariberti (bei La F. Aliberti) 
und für seinen Trug zeugt, indem er sich den Schein eines Zeitgenossen giebt. 

35 d) Nach Prudentius (844) im Guu Angouleme, nach der metrischen Chronik 
von Castres (Dach. Spie. VII, 335 = III, 571) an einer Furt des Agout zwischen 
den Sprengein Albi und Toulouse. Mein verehrter Kollege Woldem. Wenck (Frank. 
Reich 87) ist geneigt, sich für das Chronikon zu entscheiden, so auch Dümmler 
1,247. Meyer V. Knonau Nith. 33 und Anm. 501. v. Simson L. 2, 240. Wattenbach 
D. Gq.*^ I, 214. Dann hätte Prudentius trotz seines nahen Verhältnisses zu König 
Karl einen Irrtum begangen von gleicher Grösse, wie wenn er eine Walstatt aus 
dem Sprengel Basel in den Speiergau verlegt hätte, und das bei einer Schlacht, 
in der mehrere hochgeborene und viele hochgestellte Männer fielen, ein Oheim 
und ein Vetter seines Königs, bei einer Schlacht, die neben anderen den B. Ebroin 
V. Poitiers und den Abt Lupus v. Ferriöres in Gefangenschaft brachte, von denen 
der eine, der Bischof, spätestens seit Ende desselben Jahres als Erzkapellan sein 
Vorgesetzter, der andere aber sein Freund war (Ep. 31 = 63 Bai.): und er hat 
für die Schlacht den nämlichen Ausdruck wie Lupus, dieser sein Freund und mut- 
masslicher Berichterstatter (Ep. 33 = 91 Bai. : congressio). Dagegen ist die Chro- 
nik von Castres sichtlich sehr spät entstanden: sie übergeht das wichtigste Er- 
eignis des eigenen Klosters, die Ankunft der Gebeine des h. Vincentius, die ihm 
doch fortan den Namen gaben; sie weiss nichts mehr von der longe lateque divul- 
gata bonitas (Epist. Lup. 30 = 88 Bai.) des in der Schlacht gebliebenen Abts 
Hugo, der, nach dem bekannten Klageliede auf ihn, ein Verbrechen, einen Raub 
zu begehen nicht liber sich gebracht, nach ihr aber eben für sein Schwelgen im 



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140 Drittes Capitel. 

annehmen, die alte Feste des Abendlandes gegen die Ungläubigen, 
die Stadt Toulouse dem Könige entriss, aber das Aussenwerk auf spa- 
nischem Boden, Barcellona wegnahm, den Hüter der Mark zum Ge- 
fangenen machte und nun im Anschluss an die Sarazenen Hochverrat 
am Gemeinwesen der Christen, einen Frevel beging, den er, wie der 
Vater die Unzahl der seinigen, nur mit dem Leben sühnen konnte ^^®). 
Darauf sein Bruder Bernhard der Jüngere, der wie der Vater es zu 
Wege brachte (zwanzig Jahre nach dessen Tode, aber selbst erst im 
vierundzwanzigsten stehend), dass er meuchlerischen Versuches auf das 
Leben des Königs und zahlreicher Greuel im Ausrauben des Christen- 
volkes beziehtet ward. Der eine wie der andere, allerdings wohl schon 
zur Unterscheidung von gleichnamigen Zeitgenossen, als „Bernhards 
Sohn" bezeichnet, aber zugleich beide wahrhaft Bernhards Sprossen, ihm 
ebenbürtig oder ihn überbietend. Und wie abgewendet dem fleckenlosen 
Bilde des Grossvaters !®^^). Dem Papste Nikolaus L ist es zwar be- 



Verderben von Land und Leuten endlich hier den Lohn erhalten haben soll. Und 
wenn sie etwa auf einen Ortsnamen anspielt, wenn Odo Ariberti geradezu be- 
hauptet, dass die Furt seitdem Yadum talionis geheissen habe, so zeigt sich da 
die lautgeschichtlich unmögliche Etymologie eines mittelalterlichen Gelehrten. 
Denn die örtlichkeit am Agout heisst, wie schon Vaissete (H. d. L.* 11, 225) be- 
merkt, Guitalens, dieser Name hängt aber nicht mit vadum zusammen: vadum 
ergiebt nicht gui, sondern frzs. gue, provenzalisch, worauf es hier ankommt, gua, 
ga, ga-s: vgl. Guadus Perosus, Guadus Franciscus (H. d. L. V, 315. 840), Gaze- 
du-Vert bei Aiguemortes, Gaze-de-Lussan bei St. Gilles. — Ich finde genügenden 
Halt auch nicht in dem castellum de Mala-Morte ripa Agotis (Urk. von 951. 
H. d. L. V, 249). 

35 e) Chron. Fontanell. 849 (SS. 11, 302) capitalem sententiam subiit von 
ihm wie Prudent. unter 844 von seinem Vater. — Fauriel H. de la Gaule merid. 
4, 278 und H. Martin* II, 429 glauben gleichfalls an eine Schlacht am Agout, 
aber sie unterscheiden sie wenigstens von der im Angoumois als eine frühere ; sie 
lassen auch bei beiden den Sohn Bernhards und seine Rache für die Hinrichtung 
des Vaters aus dem Spiel, bei der einen, weil Wilhelm in der Chronik und bei 
Odo ganz ungenannt bleibt und die Niederlage der Scharen Karls nur als Sühne 
der von ihnen verübten Greuel gilt, bei der anderen, weil Wilhelms Mitwirkung 
im Angoumois nur die Annales Xantenses bezeugen, die von den französischen 
Gelehrten bisher nicht beachtet wurden. Dafür behaupten sie, wie schon längst 
Catel M^m. de l'h. du Langued. 560 vermutete (danach Le Cointe unter d. J. 844 
No. 39, auch Bouquet, den Pertz SS. I, 440 n. 77 einfach wiederholt), dass Wil- 
helm durch einen Handstreich sich der Stadt Toulouse bemächtigt und dadurch 
den König zur Belagerung von Toulouse genötigt habe. Das ist unvereinbar mit 
Ann. Xantens. 844 (SS. II, 227), nach denen sich Wilhelm noch bei Pippin H. 
befand, als dieser gegen das erst nach Karls Beginn der Belagerung von Toulouse 
— so die Folge bei Prudentius — dahin eilende Heer Abt Hugos zog und es ver- 
nichtete: mit Unrecht stellt Bouquet VII S. LVII Hugos Niederlage vor den Beginn 
der Belagerung. 

35 f) Guilhelmus fil. Bernardi Prudent. Ann. 848. 850 (SS. I, 443 f.), Chron. 
Fontan. 849 (SS. II, 302), ihn meinen auch Ann. Xantens. 844 (SS. II, 227). Ber- 
nardus, Bernardi quondam tyranni carne et moribus filius Hinkm. Ann. 864. 866. 
872 (SS. I, 466 lin. 3. 471 1.27. 494 1.32): nach Hinkmars Sprachgebrauch müsste 
man ihn ausserdem zu Ende 869 (S. 486 1. 38) finden, wie schwer es auch ist, ihn 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 141 

gegnet, dass er in einer dem jüngeren Bernhard gemachten Vorhaltung, 
wenigstens in der Aufechrift, dessen Vater einen ruhmreichen Grafen 
nannte, trotz seiner Kunde von den Menschen und Dingen nördUch der 
Alpen, die ihm doch auch über Maguelonne, dem zwischen Frankreich 
und Itahen wohl schon damals befahrenen Hafen Septimaniens zufloss; 
die Septimanier selbst und die Westfranken mussten in diesem, dem 
älteren Bernhard, vielmehr denjenigen sehen, mit dem, gerade seit seiner 
Erhebung zur höchsten Stelle im Reiche, der Niedergang des Geschlechts 
einsetzte, eine Entartung, die, gleich grauenhaft durch ihre PlötzUchkeit 
wie durch ihre Dauer, diese Sippe von Unholden "um Haft und Band 
mit dem Ahnherrn gebracht zu haben schien. Denn es tällt schon auf, 
dass die späteren Jahrbücher und Chroniken des neunten Jahrhunderts, 
auch diejenigen, die bei Bernhards des Alteren Söhnen, wiie gesagt, ihre 
Herkunft angeben, zuvor, wo sie noch nur von ihm selbst berichten, die 
seine in Dunkel lassen, so die Jahrbücher von Xanten bei der ersten 
Verklagung wegen Treubruchs, so Prudentius bei der Hinrichtung. Radbert 
deutet zwar auf die PersönUchkeit seines Vaters „nobiüssimi viri et 
magnificentissimi", indes den Namen nimmt er nicht in die Feder. Die 
Vita Hludovici imd Nithard schweigen ganz von seiner Abstammung. 
Die Kehrseite ist, dass in jenem eingeschalteten Satze der Vita Bene- 
dicti Anianensis Söhne Wilhelms zwar erwähnt, aber hier ihrerseits nicht 
genannt werden: man darf fragen, ob sie je Aufiiahme in das Totenbuch 
von Aniane gefunden haben. Die Lebensgeschichte des h. Wilhelm, wie 
wir sahen, um vieles später, in einer Zeit verfasst, als die Erinnerung 
an die Karohnge verblichen war, flihrt ja Bernhard und GauzHn an, 
aber die vor ihr vorhandene Sage weiss von ihnen nichts: in den Chansons 
de la geste de Guillaume blickt der Held auf eine Schar reisiger Neffen, 
doch auf keinen Sohn; wie ich schon in anderem Zusammenhange be- 
rührte, folgt er da, ohne Leibessprossen zurückzulassen, einem Taufkinde 
seine Lehen übergebend, dem Rufe zum Eintritt ins Kloster. Zum 
kinderlosen Mann hat ihn die Uberai'beitung der Urkunde AG nicht 
gemacht, aber sie hat das Bild des Wohlthäters von Aniane gesäubert 
oder doch säubern wollen von der Trübung, die darüber die Namen 
seiner Kinder und, durch einen seiner Söhne, auch der Gedanke an 
seine Kindeskinder brachten. Darin sehe ich den Grund dieser Verun- 
staltung, die schon von älterer Hand, vielleicht noch unter Karl d. K. 
vorgenommen ward, noch vor Ausbruch des Streites zwischen Aniane 
und Gellone. 



da wiederzuerkennen. — Filius quondam Bernardi gloriosi comitis Jaffe-Lfd. 
2799. — Hat Hinkmar bei der Zusammenstellung der beiden Bernharde als Tyrannen 
(unter 864, wo zugleich von jenem Anschlag des jüngeren auf des Königs Leben 
aus Hinterhalt in Waldesdickicht die Rede ist) Kadberts Beschuldigung des älteren 
im Auge (U, 8 Vit. Wal.: quod vellet idem tyrannus Augustum perimere clam 
quolibet pacto)? Den Vorwurf der Tyrannei (im altclassischen Sinne: Beispiele 
bei Waitz VG. HI«, 312) erhebt wie Radbert gegen den Vater (vgl. Prudent. 844 
grandia moliens summisque inhians), wie Hinkmar gegen den Vater und den einen 
seiner Söhne, so Eulogius prsb. Gordub. gegen den anderen Sohn (tyrannidem agens 
Bouqu. 7, 582). 



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142 Drittes Capitel. 

Aber die Spur des ausgebrochenen Streites zeigt sich in mehrfacher 
Verunechtung des Kernstücks von AG, der sog. Disposition. Schon 
in dem sie einleitenden Hinweis auf die Erbauung der „Cella Gellonis" 
befremdet, dass jede Andeutung des ursprünghchen Eigentumverhältnisses 
der Baustätte fehlt, ob sie, wie bei Cruas und Baöolas, ehemals Wüst- 
land und demnach Krongut, ob sie, wie bei Aniane, in dessen Diplomen 
das öfters erwähnt wird. Erbe des Gründers gewesen, ob sie, wie bei 
Donzere und St. Chinian, dem Gründer erst vom Herrscher geschenkt 
worden sei *®). Da nun nicht nur der Schenkungsbrief GG und ein aus 
Gellone zum Vorschein gebrachtes Diplom, sondern auch die noch zu 
erörternden Diplome aus dem Archiv von Aniane die Stätte als Königs- 
boden bezeichnen (causa domni et senioris mei Charoli, causa nostri 
genitoris: causa nach altem, vorkarolingischem und karoUngischem Sprach- 
gebrauche unbewegliches Eigentum®'), da auch die in der Vita Benedicti 
Anianensis enthaltene Schilderung der Stätte „ihre Abgeschiedenheit 
lässt eine Sehnsucht nach Einsamkeit nicht aufkommen" andeutet, dass 
sie zu den wüsten oder wüstgewordenen Strichen zählte, die, weil sie als 
solche dem Könige gehörten, mit könighcher Genehmigung damals be- 
sonders zahlreich in Septimanien und in der spanischen Mark zu klöster- 
hcher und auch anderer Niederlassung eingefriedigt wurden (Bifang), so ent- 
steht der Verdacht absichtiicher Auslassung, einer Tilgung, wodurch das 
Bedenken beseitigt werden sollte, wie GeUone, statt Königskloster zu bleiben, 
ohne Zuthun König Karls „Cella" von Aniane habe werden können. 
Als Abt Benedict selber auf einer Wüstung des Kronguts Juvignac 



36) Mtihlb. No. 640. 734 (desertum inveniens, locum eremum); 309. 505. 554 
(jure proprietario aedificayit, in suo proprio); 506.806 (Carolus locum concesserat, 
in proprio quod ei contulimus monasterium aedificavit). 

37) Mühlb. No. 498 (siehe unten Anm. 51 ff.); die Diplome für Aniane 
No. 503. 726. 939 (über Wilhelms Gründunj? von Gellone eben ,in causa domni 
et genitoris n. coDstruxit") führe ich nur als Zeugnisse an, die aus Aniane selbst 
wider das Anianer Exemplar des Schenkungsbriefes treten: hier liegt vielleicht 
eine Entlehnung aus GG vor. Aber GG hat an diesen Worten einen echten 
Zug, einen alten. Schon Form. Marc. 11, 2 Zeumer 74 qui de grande causa facit 
donationem (cod. A 3 und im Inhaltsverzeichnis S. 69 de magna rem) ; form. Imper. 
addit. 1 dedit ex rebus propriis causam indominicatam (Zeumer S. 328 1. 5, wo 
der Vorschlag casam grundlos ist). In den Diplomen Mühlb. No. 800 (res de 
causa episcopii superaddidit) und 1302 mansum . . quem interjacet causa ecclesie 
Frisingensis); Böhmer No. 1817 (tam de indominicatu quam de sororum et fratrumt 
causa); Mühlh. No. 1548. 1641 (causam canonicor. et adjacentia loca), 1725 (cau- 
sam quam in beneficio habuit): andere Beispiele aus den Diplomen Karls d. D. 
sammelte Mühlbacher SB. der k. k. Ak., phil.-hist. Cl. 92, 460 nt. 3. Auch in 
Gerichtsurkunden und in der Gesetzgebung: H. d. L. IIb 48 villas qui sunt de 
causa ecclesiarum; Breviar. missor. 789 c. 14 de causis censatis (wo Boret. S. 65 
grundlos casis vorschlug) ; Capitulare missor. in Theodon. villa 805 II c. 22 Boret. 
S. 125 f. de hereditate parentum vel de causa sua quaerenda (cod. 4. 10: vel de 
qua c. 8. q.: Mühlbachers Auffassung No. 406 , Vertretung der eigenen Sache* 
scheint schon wegen quaerenda nicht zuzutreffen vgl. Capit. Baiwar. c. 6 Boret. 
159 nuUus praesumat rebus alterius proprindere nisi magis suam causam quaerat 
ante judices nostros). 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 148 

Celle-Neuve erbaut hatte, holte er des Herrschers Bestätigung ihrer Zu- 
gehörigkeit zu Aniane ein (Mühlb. No. 340). 

Denn die Unterwerfung der „Cella Gellonis" unter Aniane bildet, 
wenn auch nicht ausdrücklich verkündet, doch thatsächhch den Schwer- 
punkt der Verfiigung im Exemplar AG: ihre dreimal in Bedingungs- 
sätzen vorausgesetzte Unterordnung unter Aniane (si subjecta sit, dum 
subjecta sit, dummodo subjecta sit) und das Verbot, sie jemals von Aniane 
zu trennen, das ist es, worauf hier alles ankommt, wovon namentlich der 
[Fortbestand der auch in dieser Urkunde den Heihgen der Kirche von 
Gellone gemachten Schenkungen abhängen soll. Solch gehäufter Nach- 
druck hat nicht entfernt seinesgleichen in Urkunden des karoUngischen 
Zeitalters, auch keine Erklärung an einem Ereignis des achten oder 
neunten Jahrhunderts, wo zwar manche rechtswidrige Aneignung eines 
Klosters vorkommt, namenthch durch den Sprengelhirten, der es in Ab- 
hängigkeit von seiner Kirche zu bringen sucht, aber nicht umgekehrt der 
Yersuch einer „Cella", durch Abfall aus der Abhängigkeit sich zu lösen, 
noch nicht wie im elften und zwölften Jahrhundert eine Auflehnung, die 
dem Grafen Anlass zu solcher Besorgnis gegeben hätte. Und begegnet 
Wilhelm daneben dem Unterfangen „irgend eines Menschen, aus übler 
Begierde oder Missgunst" die Zelle vom Kloster Aniane abzureissen mit 
der Drohung, dass dann alles, was er hier an Gellone schenke, an Aniane 
fallen solle, so wird anderwärts ein derartiger Anschlag zwar ins Auge 
gefasst, aber schlicht und einfach verboten^®), ohne alle Drohung: sie 
findet eine gewisse Analogie erst in späteren Zeiten, wo ein abhängiges 
Kloster Lockerung oder Lösung seines Bandes erlangt durch Hingabe 
eines seiner Besitztümer*®). 

Freilich steht mit der der „Cella Gellonis'* angesonnenen Unter- 
würfigkeit in Einklang das weiterhin an den Abt von Aniane gerichtete 
Gesuch, sie „wohlwollend, mit einem Herzen für Elende zu regieren"; 
aber dies Gesuch begegnet durch das achte und neunte Jahrhundert hin 
sonst in keiner der Urkunden, wodurch ein Abhängigkeitsverhältnis 
zvrischen Kloster und Kloster begründet oder des näheren bestimmt wird. 
Denn wenn Bischof Frotar-bei Wiedereinführung von Mönchen in das 
der Kathedrale zu Toul gehörige Kloster St. Evre seinem Nachfolger 
auf dem Bischofsstuhle Wohlwollen gegen sie ans Herz legt „si qua 
inter eos corrigenda sunt, clementer corrigere studeat", so konnte ein 



38) So Karl d. Gr., als er das Verhältnis zwischen Cormery und St. Martin 
zu Tours regelte in dem wohl echten Teil von Mühlb. No. 846: nee locum illum 
auferri volumus de potestate S^i Martini. Ebenso Ludwig d. Fr. bei Übertragung 
der Zelle Meppen an Korvey Mühlb. No. 906: et nullus fidelium nostrorum ab 
eorum dominatione et potestate eam quoquo modo auferre aut in aliam quamlibet 
partem . . transferre praesumat. 

39) So St. Gilles 1132 und St. Jean d'Ang^ly 1217 in ihrem Verhältnis zu 
Oluny (Jaffe-Lfd. No. 7550 — hier warf Jaffö und auch Loewenfeld zwei Erlasse 
zusammen: den einen der Bibl. Clun. und des Bull., gerichtet an den Abt von 
Cluny, den andern in Gall. ehr., gerichtet an den Abt von St. Gilles — Bibl. 
Oluniac. 1499). 



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144 Drittes Capitel. 

Mundherr bischöflichen Standes seine Gewalt denn doch mannigfacher 
und empfindhcher fühlen lassen, als einer, der nur Abt war. Dem 
Fälscher von AG hat sichtiich als Muster die Schenkung eines anderen 
Orts gedient, die für Aniane 1075, in der Zeit des Streites zwischen 
Aniane und Gellone ausgestellt, auch im Ausdruck zusammentriflft*^). 
Weniger seltsam berührt die zweite Bitte, dass der Abt von Aniane 
Hilfe imd Beistand der Zelle leiste*^). Denn wenngleich vor der Ent- 
stehung der Carta caritatis von Citeaux der Verband von Klöstern unter 
einander sich nicht gerade häufig in Einschärfdng oder Leistung wechsel- 
seitiger Aushilfe durch irdische Gabe bezeigt, so kommt doch im Kreise 
Benedicts von Aniane die Liebesthätigkeit in Übung ^^) — ein Zug, der 
ihn von den Führern der B;eform von Cluny wesenthch unterscheidet — 
und anderswo zu seiner Zeit, vielleicht nicht ohne seine Einwirkung 
wenigstens in Anregung*^). Nur hat bei G^Uone die Bitte keinen An- 
lass : die Begründung, die sie in der Urkunde durch zweimaKgen Hinweis 
auf die Kleinheit (parvitas), also die Ärmlichkeit der Stütung erhält, 
bringt vielmehr auch über sie den Verdacht der Fälschung, wodurch die 
der Zelle in ihren Rechtsverhältnissen aufgedrungene Abhängigkeit Stütze 
erhalten soUte an der Vorstellung wirtschaftlicher Abhängigkeit. In 
Wahrheit war Gellone, ich muss es wiederholen, nach dem Zeugnis 
Ardos, einem Zeugnis aus Aniane, nicht klein und arm, sondern von 
Anfang an reich — wie man mit Fug ei*wartet, da Graf Wilhelm auch 
seine zweite Gründung, Casa nova, obschon er sie nicht gleich Gellone 
zu seinem eigenen Sitz und zu seiner Ruhestätte wählte, „mit sehr 
vielem Gute" bewidmete. Nicht Gellone, sondern ein anderes Kloster, 
St. Thibery hat der sterbende Benedict als hilfsbedürftig seinem Nach- 

40) AG: abbas de Aniana . . cella[m] Gellonis benigne atque misericorditer 
regat: H. d. L. V, 610 No. 313 sie tradimus . . abbati . . Emenoni (ecclesiam 
S. Trinitatis) ut domnus abbas misericorditer regat hunc locum, ut sit cella mona- 
chorum Anianensium. 

41) AG: adjuvet et subveniat; voraufgeht die Behauptung, dass Gellone schon 
,,cum adjutorio" Abt Benedicts erbaut worden sei, wovon freilich Ardo in der 
Lebensgeschichte Benedicts nichts berichtet. 

42) Vit. Bened. Anian. c. 6 subsidium opemque ferens . . rerum . . et cor- 
poralium; c. 18 monasteria de thesauris illius ditata; c. 43 (ep. ad Georg, abbat. 
Anian.) abbati . . de monasterio Sti Tiberii auxilium in quibus indiguerit ferte. 
— Im Orden von Cluny finde ich die Pflicht der Unterstützung armer Häuser erst 
in den Statuten Abt Hugos V. (Bibl. Cluniac. S. 1470 B). Sogar auf den Orden 
von Citeaux fä,llt ein Schatten, wenn nach Erfahrungen, die noch in dessen erstes 
Jahrhundert zurückgehen, der Abt eines anderen Ordens, Gervasius von Premontr6 
erzählt: nee in aliquibus . . locis vidi quod patres abbates ordinis Cist. . . magnas 
fecerint expensas ut subditäs sibi filias promoverent, nisi ipsas expensas reciperent 
aliunde quam de suo (Ep. Gervas. 31: in Hugo, sacr. antiquit. monumenta I, 33). 

43) Mühlb. No. 346 (vgl. oben Anm. 38) habeant monachi (Cormaricenses) 
protection em et subsidium ab abbatis monasterii Sti Martini; No. 500 nullum 
Privilegium . . abbas (Sti Hilarii) ibi (in monasterio Nobiliacensi) habeat, nisi 
tantum benefaciendi ; No. 754 nam si . . idem locus (Corbeja nova) ex propriis . . 
nequivisset subsistere rebus, dignum erat ut de prioris monasterii (Corbejae veteris) 
rebus benignitatis seu charitatis causa . . larga manus porrigi debuisset. 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Ahiane u. öellone auf Liter, u. Urkunden. 145 

folger ans Herz legen zu müssen geglaubt **). Überweist doch eben der 
Schenkungsbrief Wilhelms an Gellone gleich drei ganze Villen und Be- 
sitzungen in vier anderen, auch in der Fassung AG, die denn, hierin 
mit der ihr entgegengesetzten übereinstimmend, selber gegen jene Bitte 
und überhaupt gegen die Stellung zeugt, die in der Bezeichnung Zelle 
zum Ausdruck gelangen soll: denn mit cella oder cellula wird an der 
Spitze der Verfügung und dann noch in sechsmal sich aufdringender 
Wiederholung, unter sichtKch geflissentlicher Meidung des Wortes mona- 
sterium, Gellone behängt. 

Noch ansehnHcher erscheint Wilhelms Ausstattung seiner Stiftung 
in einem Verzeichnis, das angeblich einer ihrer Vorstände „Juliofredus 
abba" noch bei Lebzeiten Karls d. Gr., bei dessen wiederholter Er- 
wähnung jede Andeutung seines Todes fehlt, aber als Ludwig schon den 
Kaisertitel führte, demnach, so sollte man meinen, im Jahre 813 an- 
fertigen liess*^). Schon der hier ausgebreitete Reichtum der Gaben, die 
ohne jene Bedingung der Unterwürfigkeit unter Aniane dem „Kloster" 
Gellone gemacht sein sollen, würde fiir dessen Selbständigkeit sprechen. 
Ihre Fülle geht um vieles hinaus über die im Schenkungsbrief GG und AG 
aufgezählten: denn wenn von denen in beiden Exemplaren dieses Briefes 
eine Anzahl (schon 9 Jahre nach Wilhelms Schenkung) fehlt, so bringt 
es weit überwiegenden Ersatz an Gütern, die zum Teil auch in dem 
später zu erörternden Diplom Ludwigs erscheinen, und noch an vielen 
anderen. Auch fuhrt „Abt Juliofred" «auf den Befehl eines Oberen in 
Aniane sein Verzeichnis nicht zurück: des Klosters Aniane gedenkt er 
mit keinem Worte. Aber schon Revillout rügte, dass an der Spitze 
„S. Willelmus" unerhörterweise „princeps totius GalUae finibus" 
heisse*®). Ebenda hat das Verzeichnis gemein mit dem Schenkungs- 
brief GG das Wort bonos zeitwidrig in gleichem Sinne wie das Wort alodes 

44) Vit. Bened. Anian. c. 30 und 43 (vgl. Anm. 42). Mühlb. No. 560. — 
Über die Angabe, dass Wilhelms Schenkungen an Gellone zum Teil aus seinem 
Stammesgut gerührt hätten (ex originali parte am Schlüsse von AG), siehe 
Anm. 47 1>. 

45) Abgedruckt in neuerer Zeit H. d. L. IIb, 69 (vnllkürlich mit „An 804'*) 
und Revillout a. a. 0. 570 f.: nach H. d. L. steht es im Cart. Gellon. fol. 3, nach 
Rev. fol. 2 V^. Abweichungen dieser Drucke vornehmlich in den Namen der Güter : 
bei Rev. Brunante, Lauciacho, Varaiatis, Feniles, Maderias, H. d. L. Brunaute, 
Pauchiaco, Variatis Feviles, Maderi. Überall stimmt H. d. L. mit dem älteren Ab- 
druck Mabillons (Ann. II app. No. 39): nach Thomas Diction. topogr. sind die 
richtigen Formen Brunante, Pauchiaco, Variatis, Fev., Maderi — also fast durch- 
weg die des Druckes in H. d. L. — Ohne Bedenken führt das Verzeichnis an 
Waitz VG.« IV, 206 u. 216; als Beweis der Selbständigkeit von Gellone wird es 
geltend gemacht von Molinier H. d. L. II, 565 (hier „vers Tan 806**). 

46) S. 509. Minder stichhaltig sein Einwand (S. 571), dass Erwerbungen 
späterer Zeit schon hier erscheinen. Er führt nur Bajas an; aber dieser Name 
kommt an verschiedenen Stellen Septimaniens vor, und sollte im Verzeichnis 
wirklich Bages (Gau Lod^ve) gemeint sein, so wird hier doch nur ein Stück da* 
von (drei Mausen) als Elosterbesitz angegeben, wie in der freilich um vieles spä- 
teren Urkunde H. d. L. V, 340 No. 323 auch nur ein Stück, also vielleicht ein 
anderes, an Gellone geschenkt wird. 

Puckert, Aniane und Gellone. 10 



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146 Drittes Capitel. 

am Schlüsse des Textes. Dürfte die Bezeichnung jenes von Wilhelm 
geschenkten Gutes Litenis als fiscus, da es nun Klostergut war, hingehen 
(oben S. 125), so fällt doch auf, dass nicht wie in Wilhelms Brief GG 
und AG die Kirche nur Bestandteil des Gutes ist, das Gut nur begleitet, 
sondern die Grundlage des Eigentums am Gute bildet und damit, wie 
es die spätere und heutige Weise ist, in den Vordergrund der Ortsbe- 
zeichnung sich schiebt**^. Dass die Schenkungen zum Teil von •„Kaiser" 
Ludwig herrühren sollen, finde ich, obgleich der beschenkte Graf vor 
Ludwigs Kaiserkrönung, sei es gestorben, sei es wenigstens Mönch ge- 
worden ist, minder bedenklich als B/Cvillout: in einer Zusammenstellung 
aus dem Jahre seiner Kaiserkrönung konnten vorher, während seines 
Waltens als König von Aquitanien von Ludwig dargebrachte Gaben als 
kaiserliche bezeichnet werden, wie denn auch Karl d. Gr. von seinem 
Nachfolger in den Bestätigungen von Urkunden, die er noch als König aus- 
gestellt hat, Kaiser genannt wird. Aber dass die Gesamtheit der Güter der 
Graf den zwei Kaisem verdanke, wie es an der Spitze des Verzeichnisses 
heisst, steht nicht in Einklang mit dem Schlüsse „hunc alodem acquisivit 
Willelmus et est originale ex parte et ex parte imperiale et ex parte 
dimiserunt homines . . **. Und zugleich sprachlich befremdet, dass das 
Widum auch originale ex parte gewesen sein soll, also doch wohl Erbe 
Wilhelms von seinen Eltern her, Stammgut Für Erbe begegnet in den 
Formeln des achten und neunten Jahrhunderts zwar (neben de alode 
patema oder parentum, ex proprietate oder hereditate parentum, ex pa- 
rentum successione, ex legitima et paterna hereditate) die Wendung de 
parte parentum oder eine ähnliche, aber nie originale oder, wie es am 
Schlüsse von AG lautet, de parte originale. Auch aus den Urkunden 
hat diese Worte noch niemand aufgezeigt. In Urkunden Südfi'ankreichs 
und der spanischen Mark finde ich nur ex origine parentum, per originem 
parentum, und auch da erst beim Ausgang des neunten und im zehnten 
Jahrhundert*'^). Es wäre ja von Wichtigkeit, den Grafen Wilhelm, 

47) Ecclesia S. Genesii Ledenis cum ipso fisco: vorhergeht ecclesia S. Para- 
gorii cum . . Miliac. , dagegen in Mühlb. No. 498 umgekehrt fiscus Miliac. cum 
eccl. S. Paragorii, wie GG fiscus Litenis cum eccl. . . S. Genes.: heute St. Par- 
goire und St. Genies de Litenis. 

47b) Ducange ed. Favre führt für originale nur unser Verzeichnis an; die 
Wendung ex origine parentum, per or. par. kennt er nicht. Allerdings begegnet 
sie, im Verhältnis zu der grossen Zahl uns erhaltener Schenkungsurkunden, selten; 
aber doch 888 im Sprengel Gerona (Marca M. hisp. Append. No. 48 tam ex origine 
parentum quam ex comparatione seu commutatione), 926 für Vabres im Rouergue 
(H. d. L. IIb 413 No. 207 ab origine parentum seu ex conquestu seu ex reb. pa- 
ternis), im 10. Jahrhundert in den Urkunden für Conques im Rouergue (cartul. 
ed. Desjardins No. 22. 162. 231. 251. 303. 328. 338. 422). Dabei wage ich doch 
nicht nach dem Vorgange der Historiker des deutschen Rechts, die (schon Eich- 
horn § 57) das acquisitum in Gegensatz zum Erbgut setzen, zu behaupten, dass 
das Verbum adquisivit sich nicht mit einem so wie hier bestimmten Object ver- 
trüge. Freilich wird quistum, conquisitum, adquisitum oft dem Erbe gegenüber- 
gestellt (so eben in AG tam ex originali parte quam etiam ex adquisitione , im 
Cartul. de Conqu. No. 6 per parent. et per quistum, Formul. S. Gallens. 6* Zeumer 
400 ex parent. successione vel etiam mea adquisitione), aber regelmässig bildet 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 147 

den fränkischen Mann, dessen altväterlicher Ansitz völlig unbekannt ist, 
auf dem Boden Septimaniens oder der angrenzenden Rouergue, zu der 
einige der hier verzeichneten Güter gehören, im Besitz von Erbe erweisen 
zu können, von Stammesgut, an dem seine Berufung zur Wirksamkeit 
im Süden Anhalt gehabt hätte; dazu reicht aber die Zeugniskraft weder 
des Schenkungsbriefes AG noch dieses Verzeichnisses aus: der Versuch, 
ihn in solcher Stellung erscheinen zu lassen, ihm Wurzel im Lande zu 
geben, könnte, wäre er minder beiläufig, eher wider sie einen Verdachts- 
grund bilden. 

Aber nicht beiläufig, sondern mit fast feierlichem Nachdruck kommt 
in der Unterschrift des Verzeichnisses die Herkunft oder Versippung Abt 
Juliofreds zur Hervorhebung, indem dieser sich da rühmt, Blutsfreund 
Kaiser Karls zu sein (consanguineus Karoli imperatoris). Das ist eine 
deutliche Spur fälschender Hand. Mag damals, vor der Thronbesteigung 
Ludwigs, aus dessen aquitanischer Königszeit ein mehrfach verdächtiges 
Diplom für Gellone ebenfalls einen Abt JuHofred aufführt, oder später 
der Vorstand von Gellone so geheissen haben, obgleich der Name fast 
ganz vereinzelt steht (nur im zehnten Jahrhundert bringen ihn noch ein- 
mal die Mauriner in ihrer Liste der Äbte des nämHchen Klosters unter 
Hinweis auf eine Schenkung, die, von ihnen nicht abgedruckt, sich unserer 
Prüfung entzieht): man möchte an einen Lesefehler denken, etwa statt 
Suniofred, welcher Name auch sonst durch Verlesung mannigfache Miss- 
bildung erfahren hat. Mag der Zeitgenosse Karls auch Karls Verwandter 
gewesen sein, obgleich unter den alten Geschlechtstafeln der Karolinger 
sogar diejenigen, die ihnen an septimanischen Männern Ahnen geben 
(selbst wenn sie nicht auf barer Erfindung beruhten), keinen genügenden 
Anhalt bieten würden, — sichtlich ist doch, dass die Hervorhebung dieses 
Umstands, die der Lihalt des Verzeichnisses durchaus nicht erforderlich 
machte, das Ansehen von Gellone erhöhen sollte: für einen Blutsfreund 
Karls wäre ein abhängiges Haus zu wenig gewesen. Sie ist indes schon 
stilwidrig. Denn wenngleich die Herrscher den einen und anderen Grossen, 
den seine Geburt, auch ungesetzliche, ihnen näher verband, in ihren 
Diplomen durch einen Hinweis auf dies Verhältnis auszeichnen, wenn 
sowohl Erzbischof Drogo als auch Abt Hugo von Sittin und St. Quentin 
von Ludwig d. Fr. als Bruder, wenn Drogo von Lothar und Karl d. K. 
als Oheim, wenn Abt Ludwig von St. Denis von Ludwig d. D. und 
Karl d. K. als Verwandter bezeichnet wird, so haben diese selbst in 
ihren eigenen Urkunden und in ihren Unterschriften sich nie eine Er- 
wähnung ihres Zusammenhangs mit dem kaiserlichen Geschlecht ge- 
stattet*'®). Wohl aber ist es die Neigung der Biographen im elften 

den Gegensatz des Erbes das comparatum oder attractum, während acquirere auch 
in weiterem Sinne , auch in dem von erben gebraucht wird (Formul. Saliv. Lin- 
denbr. 18 Zeumer 279 res quascunque de parte patema seu de matema adquisisse 
videor). 

47c) Über Ungesetzlichkeit der Geburt hätte sogar ein römischer Papst hin- 
weggesehen, wenn (was Le Cointe freilich bestritt) Bischof Remedius von Ronen 
einem ausserehelichen Verhältnis sein Dasein verdankte : denn der wird von 
Paul I. in Briefen an Pippin dessen germanus genannt (Cod. Carol. 19. 41 Jaff6 

10* 



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14Ö drittes Capitel. 

und zwölften Jahrhundert, im Zeitalter des Streites zwischen Aniane und 
Gellone, ihre Helden durch, vermutiich stets erdichtete, Verwandtschaft 
mit dem grossen Karl zu heben. Dessen unterfängt sich mit Erzbischof 
Ado von Vienne das Breviarium von Grenoble, mit Graf Wigbert von 
Tours die Translatio S. Genulfi, mit Bischof Siacrius von Nizza dessen 
Vita, mit Abt Warin von Korvey der Catalogus donatonim Corbejeusium. 
Und so haben auch Fälscher von Diplomen dem Stammbaum der 
Karolinge Zweige eingesetzt und ihn weithin Ranken schlagen lassen, 
nach der Champagne, nach Sachsen und an den unteren Bodensee, zum 
Fusse des Mont-Cenis, nach St. Denis und noch in ein zweites Kloster 
Septimaniens'*®). 

Ich unterlasse deshalb, diese Aufeeichnung „Abt Juliofreds" als ein 
Zeugnis der ursprünglichen Selbständigkeit des Klosters Gellone gegen 
den Schenkungsbrief AG zu stellen. Aus den dem Texte dieses Briefes 
selbst entnommenen Gründen ist er zur Bestimmung der Stellung von 
Gellone nicht geeignet. 

Fällt aber AG, so fällt allerdings auch einer der vornehmsten Ein- 
wände gegen die Kaiserdiplome Ludwigs. Denn diese Diplome haben 
wohl das gleiche Ziel wie jener Brief, jedoch den entgegengesetzten 
Ausgangspunkt. Nach AG hat noch Graf Wilhelm bei Lebzeit Karls 
sein Kloster dem andern unterworfen, so dass dem Kaiser, denke man 
nun an Karl oder an seinen Nachfolger, nichts übrig geblieben wäre, 
als, etwa im Hinblick auf das nach GG ursprüngliche Eigentum des 
Herrschers an dem Baugrunde, der Unterwerfung die Zustimmung zu 
geben, wie sie Ludwig wirklich bei anderer Gelegenheit gab, als Glanfeuil 
von dem zuvor erst durch Ludwig damit ausgestatteten Grafen Rorico 



4, 87. 139). — Die Diplome gedenken bei solcher Art der Verwandtschaft nur 
allernächster: schon bei Adalhard und Wala unterlägst Ludwig d. Fr., obgleich 
sie die leiblichen Vettern seines Vaters waren, sie zu erwähnen (Mühlb. No. 551. 
754 f. 796 f. 804. 895), und an einem Stachel, der ihm gegen sie zuröckgeblieben 
wäre, kann das nicht liegen: heisst doch Tassilo, der Vetter Karls, in einem der 
Diplome des letztern (Mühlb. 289) nach seiner Absetzung zwar malignus homo, 
aber doch auch propinquus noster. Erzbischof Drogo als frater Ludwigs im Ori- 
ginal Mühlb. No. 940, danach gesichert auch Mühlb. 921. 959, weiterhin als 
avunculus Lothars, als patruus Karls d. K. 1037 (0.) und Böhm. 1536. Abt Hugo 
Mühlb. 915. 957. 965. Abt Ludwig als propinquus, consanguineus der Söhne 
Kaiser Ludwigs l4l8 (0.). Böhm. 1603 (Tardif No. 160: 0.). 1690 (Tard. No. 177: 
0.). 1706 (Tard. 186: 0.), dazu Tard. No. 165. 181. 183. 192. — Drogo selbst 
schreibt einfach D. eps. (Mabill. Dipl. 521 = Tard. No. 123), ebenso Hugo und 
Ludwig vereint (Mabill. AA. SS. IV, 2 Privileg für St. Lomer hinter der Vit. 

5. Launomeri zu Oct. 874) und einzeln für sich (Cartul. de St. Bertin S. 87 No. 5. 
Tard. No. 163. 187). Auch Bischof Ato von Saintes, den König Ludwig Mühlb. 
No. 497 seinen Verwandten nennt, erwähnt in seiner eigenen Urkunde (Mab. 
AA. IV, 1 Trsl. S. Juniani obs. praev. 2) seine Verwandtschaft nicht. 

48) Breviar. Gratianop. Mabill. AA. SS. IV, 1 ed. Venet. S. 555 (hinter der 
Vita Bernardi Vienn.); Trsl. S. Genulfi c. 1 (ebenda IV, 2); Bolland. AA. SS. Mai 
V,255 C.2; Wilmans Kaiserurk. I, 509 (vgl. v. Sims. Ludw. 2,273); Mühlb. No. 162 
235. 465. 466. 487. 871. 952. 1065. 



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Einwirkungen d. Kampfes zwiechcn Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 149 

an Si Maur-des-Fosses über wiesen ward*®). Hinwieder nach den Kaiser- 
diplomen ist es erst Ludwig gewesen, der, als Karl bereits verstorben, 
Gellone wie ein Stück seines Eigentums (ex rebus nostris) dem Abt 
Benedict zum Geschenk machte, so dass es bis dahin entweder, wie die 
zweite Gründung Wilhelms, Casanova, durch Tradition des Grafen Königs- 
kloster gewesen sein, oder unter die unabhängigen Klöster, die die gleiche 
Behandlung mit den Königsklöstem erfuhren, gehört haben müsste***). 

Dieser Voraussetzung der Kaiserdiplome Ludwigs entspricht nun ein 
Diplom, das, von ihm schon in seiner aquitanischen Königszeit, in deren 
27. Jahre, also 807 dem Kloster erteilt, Gellone wirkhch als unabhängig 
erscheinen lässt: ich habe es schon mehrmals berührt und muss es nun als 
das letzte vor den kaiserlichen Diplomen ausfuhrUch besprechen ^^). Zwar 
enthält es nicht Lnmunität und Wahlrecht, die sonst als Zeugnisse der 
Selbständigkeit dienen, sondern neben einer Bestätigung von Gütern aus 
dem Eigen Wilhelms und anderer nur Schenkungen, wodurch Ludwig 
die Erstlingsausstattung des Stifters mehrt, aber des Königs Bestätigung 
und seine Schenkungen haben nicht, wie in AG zur Bedingung die Unter- 
würfigkeit der Mönche von Gellone unter Aniane: Aniane wird nicht 
erwähnt, Gellone nicht als Cella, sondern als monasterium bezeichnet, als 
ein Kloster, das sich auch eines eigenen Abts, in eben jenem Juliofiredus, 

49) Venerabilis comes (Rorico) locum Glannafolium assentiente Ludovico 
augusto, a quo et susceperat, monasterio Fossatensi . . possidendum mancipavit 
(Fragm. h. Fossat. M. G. SS. IX, 370 lin. 30). 

50) So leisten die Bestreiter und die Verfechter der kaiserlichen Diplome 
Ludwigs sich selbst schlechten Dienst, wenn unter jenen Molinier H. d. L. II, 565. 
II l> 67 nt. 2 G6 für echt erklärt, das, da es die Unabhängigkeit des Klosters 
Gellone bezeugen würde, den Diplomen gerade den Boden bereitet, wenn unter 
diesen Revillout für AG eintritt, das die Diplome unmöglich macht. Folgerichtig 
allein Mühlbacher, der, ein Verteidiger der Diplome (zu No. 503), sich, schweigend 
über AG, auf GG bezieht (zu No. 498: Verweis auf H. d. L. IIb 65). 

51) Mühlb. No. 498. Hier wird neben einer Abschrift auf besonderem Blatt 
(A) eine Abschrift im „Cart. Anian.*' (B), keine in dem von Gellone vermerkt. Träfe 
dies zu, so würde uns aus Aniane selbst eine Anerkenntnis der ursprünglichen 
Selbständigkeit von Gellone, ein Beweis wider die Echtheit des Schenkungsbriefes 
AG kommen. Aber ich finde keine Bestätigung dieser Angabe. Alle bisherigen 
Abdrücke des Diploms beruhen, soweit sie überhaupt auf ein Cartular zurück- 
gehen, auf dem von Gellone (nach H. d. L. fol. 91, nach Revillout S. 568 fol. 
90 V). — Waitz (Arch. f. ä. d. G. 7, 837) kennt nur eine „Abschrift auf beson- 
derem Blatt'*, also A, vermutlich die nämliche, die Revillout in seinem von 
Mühlb. übersehenen Druck (S. 569) veröffentlicht. Diese giebt sich (gleich der 
aus dem nämlichen Archiv stammenden Urkunde GG, oben Anm. 18) den Schein 
des Originals und hat die in B fehlenden Schlussformeln, aber (schon dies zeugt 
wenigstens wider die Originalität) verstellt, wozu noch Fehler in Worten kommen, 
die doch jedem Kanzlisten geläufig waren: so statt voluerit divina pietas, dispo- 
nere, futurisque (H. d. L. IIb 71 1. 39. 72 1. 4. 12) voluit, deponere, figui-isque; die 
H. d. L. col. 71 1. 27 getrennten Worte Castra,- pastura hat sie in einem Castra- 
pastura, formelgemäss giebt sie statt inconcussa (H. d. L. 72 1. 13 und Mabillon) 
ineonvulsa; den Namen des Notars liest Revillout nicht Godolelmus (so Bouquet, 
GalL ehr., H. d. L. : hiernach Sickel ÜL. S. 86 u. Mühlb. Godelelmus), sondern (wie 
schon Mabillon) Godolenus. 



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150 Drittes Capitel. 

erfreut, dessen Mönche mit diesen Gütern beliebig sollen verfahren dürfen. 
So über das Jahr des Schenkungsbriefes AG herab frei und unvergeben 
hätte Gellone nachmals durch einen neuen Act, durch ein kaiserhches 
Diplom Ludwigs wirkUch vergeben, in Abhängigkeit von Aniane hinge- 
geben werden können. 

Aber diese Königsurkunde ist aus mehrfachem Grunde verdächtig. 
Die Verstellung der Schlussformeln und der Widerspruch unter den Zeit- 
merkmalen Hessen sich mit Sickel, der beides zuerst rügte, noch auf die 
Rechnung der Abschreiber setzen. Doch zur ursprünglichen Fassung ge- 
hörig, unlösbarer Bestandteil des Textes ist die in der Kundmachung 
enthaltene Angabe des ehemahgen und des dermaligen Standes des Bitt- 
stellers Wilhelm, und diese ist sichtiich Entlehnung aus der, mindestens 
14 Jahre danach geschriebenen Lebensgeschichte Abt Benedicts von 
Aniane *^^); durch die Anlehnung an diese erklärt sich auch, dass, obgleich 
der Abtsstuhl von Gellone besetzt ist, der Abt auch genannt wird, doch 
als Bittsteller nicht der Abt, sondern eben nur der Mönch Wilhelm auf- 
tritt***). Ich betone nicht, dass Wilhelm, wie in der Vita S. Guilielmi 
aus dem Munde Karls d. Gr., so hier von der Kanzlei Ludwigs das 
Prädicat domnus erhält, das freilich die Diplome Ludwigs nach seiner 
Thronbesteigung durchaus dem Herrscher wahren, selbst den Geistlichen 
versagen, das aber doch noch in einem andern Diplom seiner Königszeit 
wenigstens einem Abt gewährt wird^^^). Auf eine spätere Zeit weist 
auch die dem Kloster Gellone gegebene Ortsbestimmung subtus castrum 
Virduni, die ihrerseits jener in der Lebensgeschichte Abt Benedicts ent- 
haltenen Beschreibung der Stätte widerspricht^*). Dass in der Verfügung 



52) Petente domno Guillelmo monacho, qui in aula genitoris nostri Karoli 
augusti comes extitit clarissimus, sed pro dei amore . . studuit esse pauper recu- 
sando sublimia: Vit. Bened. An. c. 30 Guillelmus comes . . in aula imperatoris 
pre cunctis erat clarior . . seculi dignitatibus dispectis . . pauperiem studuit . , 
summumque abjecit honorem. Das hebt schon Revillout S. 570 hervor. Wider 
den Einwand, dass umgekehrt der Lebensbeschreibung Stoff aus dem Diplom 
gekommen sein könnte, erinnere ich an Vit. c. 24, wo die an die Zeichnung der 
Stellung Wilhelms (so schon v. Simson, Ludw. I, 330) anklingenden Worte Alcuinus 
qui in aula . . imperatoris Karoli omni honore dignus habebatur doch Eigengut 
des Biographen sind: sie lagen in seiner Feder. Auch dass im Diplom kanzlei- 
widrig vor genitoris nostri die Worte domini et und vor Augusti ein ehrendes 
Prädicat wie praestantissimi oder piissimi fehlen, die selbst in den nach Karls 
Tod erteilten Diplomen nicht weggelassen werden, weist auf Abhängigkeit von 
der erzählenden Quelle. Vgl. Anm. 53. 

53) Ideo notum esse volumus . . quod petente domno Guillelmo monacho: 
auch dies vermutlich nach Vit. Bened. Anian. c. 30, wo aber über das Gesuch 
(petente siquidem eo . . rex Ludoicus) vor Wilhelms Eintritt in das Kloster be- 
richtet wird: da ist der Bittsteller noch Graf. 

53 b) Mühlb. No. 497 (Or.): auch die Unterzeichnung dieses Diploms durch 
Zeugen rechtfertigt Sickel UL. 203 durch die Jugendlichkeit des Königs. 

54) Qui locus ita secretus est, ut solitudinem non desideret abitator; . . ne- 
que cuiquam illic accessus est, nisi quem ultroneus orandi causa deduxerit animus. 
Vgl. Cap. I Anm. 12 g. Das über Gellone gelegene SchlossVerdus taucht danach 
erst im 12. Jahrhundert wieder auf, wo es erkauft, wo die Vogtei daran dem 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 151 

des Königs die die Schenkung einleitenden Worte ex rebus tradere nostris 
wenigstens nicht dem Brauch seiner kaiserlichen Urkunden gemäss sind, 
werde ich unten (Cap. IV, Anm. 27) darlegen. Seine Bestätigung der früheren 
Schenkungen ist in ihren wesentlichsten Teilen einem Immunitätsdiplora 
entlehnt: nur einem solchen entspricht es, wenn hier die Verfugung, statt 
auf den dermaligen Umfang der Schenkung eingeschränkt zu werden, 
gleich Ausdehnung auf alle zukünftigen Schenkungen, auch ungereimter- 
weise auf die zukünftigen des Herrschers selbst erhält, und wenn ihr 
statt der wiederum bei Schenkungen übKchen Zusicherung unbeschränkten 
Verfügungsrechts nur die Angabe ihrer Bestimmung (zur Mehrung des 
Unterhalts der Armen und der Mönche) beigefügt wird^*^). Zur An- 
nahme, dass hier ursprünglich mit der Schenkungsbestätigung Immunität 
verbunden gewesen und über deren Inhaltsbestimmung der Blick des 
Abschreibers hinweggeglitten sei, greift wohl niemand: zu sehr fällt die 
Immunität durch ihre Länge ins Auge, zu sehr war sie den Abschreibern 
geläufig. Vomehmhch wird zu untersuchen sein, ob Ludwig als aqui- 
tanischer König auch für Septimauien das Recht der Erteilung von Im- 
munität gehabt, wie denn schon gegenüber der dermaligen Fassung dieses 
Diploms es sich fragt, ob ihm sein Vater dort das oberherrliche Recht 
der Erteilung von Bestätigungen überlassen habe. Auf diese Frage, die 
über den Streit zwischen den beiden Klöstern hinausreicht, die die Ver- 
teilung der Hoheitsrechte im Reiche Karls d. Gr. überhaupt betrifft, 
inuss ich hier eingehen, da die deutschen und die französischen Forscher 
eben von der Gewalt, die Karl in Septimanien seinem Sohne Ludwig 
eingeräumt oder sich selber vorbehalten hat, keine genügend scharfe Vor- 
stellung geben. 

Man nimmt an, dass Ludwig 781 Septimanien samt Aquitanien 
(natürhch, bei seinem jugendhchen Alter, vorerst zu nomineller Regierung) 
überkommen habe, und bemerkt keinen Unterschied seiner Stellung dort 



Kloster zugesprochen, endlich der Besitz bestätigt wird 1124. 1158. 1162 (Gall. 
Chr. VI, 588 D. 590. C. Instr. 282 C. 

55) Die hier verbundenen Sätze in quibuacunque locis sit quaeque etiam dein- 
ceps in jure ipsius sancti loci per nos aut per alios (die Bestätigung für Noaille 
Mühlb. No. 497 sichert im voraus nur die von anderen zu erwartenden Schen- 
kungen) voluerit divina pietas augeri und totum nos pro aeterna remuneratione 
praedicto monasterio concedimus ut perpetuis temporibus in alimonia pauperum 
et stipendia monachorum . . proficiat in augmentum finden sich (wie denn der 
erstere im wesentlichen, der zweite durchaus mit der bekannten Formul. Imper. 4 
Zeumer 290 1. 20. 28 übereinstimmt) fast wörtlich in der, vielleicht als Muster 
benutzten Immunitäts-Bestätigung Ludwigs für Aniane Mühlb. No. 505, nur ge- 
trennt durch die, hier eben fehlende, Angabe des Inhalts der Immunität und ihrer 
Einzelstücke, auf deren Ertrag denn das hier überflüssige totum sich dort bezieht : 
und nur bei Immunitäten dient der Ertrag dem Unterhalt der Genossenschaft 
und der Armut zur Mehrung, bei Schenkungen bildet das geschenkte Gut den 
Grundstock des Unterhalts (z. B. Mühlb. No. 685 ad stipend. fratrum et subsidia 
pauperum, ohne in augmento) oder es bildet eine Mehrung des Klosters selbst 
(also in augmentum ohne ad stipendia fr. et subsid. pauper.: so Formul. Marculf 
I, 35 Zeumer S. 66 1. 1). 



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152 Drittes Capitel. 

von seiner Stellung hier **). Wenn ich nicht irre, ist sie doch verschieden 
gewesen, und zwar gerade in Beziehungen, auf die es bei Beurteilung 
des vorliegenden Diploms ankommt, verschieden immerhin nur nach der 
äusseren Erscheinung, die sie haben sollte und denn auch in den Urkunden 
gehabt hat. 

Ich bestreite nicht, dass sich Karl auch im eigentiichen Aquitanien, 
zwischen der oberen Loire und Garonne, die Obergewalt vorbehalten, die 
Obergewalt wirkhch geübt hat Aber war seine Ernennung Ludwigs 
zum aquitanischen König ein Zugeständnis, das er dem Selbstgefiihl der 
Bewohner machen zu müssen glaubte, so bekleidete er auch seinen Sohn 
oder dessen Vormünder hier, wenngleich nicht mit wirklich weitgehender 
Befugnis, doch mit dem Scheine grösserer Befugnis, mit höherem Ansehen. 
Wir besitzen zwar nur drei dieses Land betreffende Diplome, die auf 
König Ludwigs Namen gestellt sind, aber aus der Zahl der für Aquitanien 
in Karls d. Gr. Zeit ausgestellten sind uns überhaupt nur sehr wenige 
erhalten. Auch von Karl haben wir im ganzen nur drei, wovon zwei 
vor Ludwigs Ernennung fallen, und in diese frühere Periode könnte 
natürlich auch die eine und andere von ihm, die uns nur aus den Be- 
stätigungen seiner Nachfolger 'bekannt ist, gehören, die Immunitäten für 
die Bischofskirche Bordeaux, S*^ Croix zu Poitiers, Hermoutier, die 
Bischofskirche Limoges, SoUgnac, etwa auch die Eückgabe aquitanischer 
Güter an St Germain-des-Pres. Anderseits sind uns auch von Ludwig 
aquitanische Immunitäten verloren, fiir Manlieu, Moissac, S*® Croix zu 
Poitiers, Hermoutier, von denen wenigstens die erste die Zahl der während 
seines Königtums gegebenen mehren wird: denn Kunde erhalten wir 
von ihr durch seine kaiserliche Bestätigung, die, da er sie dem nämlichen 
Abt wie die verlorene gewährt, sich nicht durch den Wechsel im Abts- 
stuhl, sondern am ersten durch die Erhöhung seiner eigenen Stellung 
erklärt ^'^. Sicheriich stand ihm Immuuitätserteilung und Immunitäts- 

56) H. d. L. II, 269. Funck 8. Abel Karl I, 330. 360 (so auch v. Simson I, 
400 f. 439): die Quellen sprechen nur von Aquitanien, worunter sie freilich auch 
Septimanien begriffen haben könnten. 

57) König Ludwigs Diplome Muhlb. No. 497 und 500 (beide für Noaille im 
Poitou). 499 (Flusszoll Freiheit in Aquitanien). Karls Diplome No. 131. 134. 352. 
Bei Einreihung von No. 352 (Immunität für Charroux gleichfalls im Poitou) giebt 
Mühlbacher, abweichend von Sickel, mit Recht kein Gehör der Vermutung Ma- 
billons Ann. II, 1. 26 § 82, dass Karl es im J. 799, zusammen mit der Schenkung 
jener zwölf Kreuzessplitter, erteilt habe : die Splitter hat Charroux von Karl nur 
nach einer der Legenden des Klosters (Besly 149 — 154, oben S. 123) erhalten, und 
da sie, eben nach dieser, erst als Gabe des Patriarchen Thomas 807 durch den 
Abt Georg und den Mönch Felix an Karl gelangten, würde das Diplom in dies 
durch den Herrsch ertitel unmögliche Jahr oder noch darüber hinausrücken. Doch 
giebt Mühlbacher der Urkunde allzu weiten Spielraum nach oben , zwischen 774 
und 800", wo denn auch sie in die Zeit vor Ludwigs Einsetzung fallen könnte: 
Charroux ist erst 785 gegründet worden (Urkunde, freilich überarbeitet, bei Ma- 
bill. Ann. II app. No. 29), und dass nicht Ludwig, sondern Karl die Immunität 
erteilte, könnte darauf beruhen, dass der Gründer Rotger, der, wenn man ihn in 
dem (Vit. Hludov. c. 3 vgl. v. Simson Karl II, 187) 778 zu Limoges eingesetzten 
Grafen suchen dürfte, kein Aquitanier, sondern ein Franke war — wie er denn 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 153 

bestätigung in Aquitanien zu. Das lehren zwei jener von ihm uns er- 
haltenen Diplome: das eine verbindet mit diesem Vorrecht die Abtswahl, 
das andere fiigt ihm eine Bestätigung von Schenkungen an, wie denn da 
die Immunität selbst als Bestätigung der Immunitäten fiüherer Herrscher 
gefasst ist. Dass die Übung dieses oberherrhchen Eechts in Aquitanien 
den Vormündern Ludwigs zustand, bezeugt eine Urkunde, durch die in 
dessen zweitem Jahre Bischof Awamus von Cahors Schenkungen an das 
Kloster Moissac macht und zugleich verkündigt, dass er Sorge getragen 
habe, sie „auctoritate Hludovici regis" gegen Anfechtung zu sichern '^®). 
Aber der Bestätigung der Schenkungen Graf Wilhelms an Gellone 
durch Ludwig tritt aus Septimanien kein zweites Diplom seiner aqui- 
tanischen Königszeit zur Seite, auch kein Zeugnis von anderer Stelle, 
manche vielmehr entgegen. Für König Ludwigs Regierungsthätigkeit in 
Septimanien hat man bisher nur eine einzige Urkunde angezogen: gerade 
sie enthält eine Verfügung Karls März 795, durch die er einer Schenkung 
Ludwigs an den Spanier Johannes seine Genehmigung folgen lässt, und 
zu Händen Karls hat sich da der Beschenkte commendiert; zu Ludwig 
ist er erst nach dessen Besteigung des Kaiserthrons in dies Verhältnis 
getreten*®). Freilich kann man noch zwei Urkunden anfuhren, woraus 

seine Ausstattung der Gründung mit aquitanischem Gut durchweg aus Erworbenem 
und nicht aus Erbe macht — , das Kloster nicht dem aquitanischen Könige, son- 
dern an den durch Gründungsauftrag und viele Schenkungen nächstbeteiligten 
Karl übertragen wollte. — Die verlorenen Diplome Karls und Ludwigs für Aqui- 
tanien verzeichnet Sickel Reg. S. 363—365. 373. 376. 384 f. (nur ist das S. 376 
als Zeugnis benutzte Diplom des aquitanischen Pippin unsicher überliefert vgl. 
H. d. L. IIl> 248). Desjardins cartul. de Conques Introd. S. III f. schliesst aus 
Mba. No. 668 (hier statt der Worte a quo quidem tenore, die schon Sickel unver- 
ständlich fand, nach dem Cartul. S. 410 equo quidem t. zu lesen), dass König 
Ludwig auch dies Kloster vor 801 in seinen (speciellen) Schutz genommen habe; 
aber dazu ist die Fassung von Mba. No. 668 nicht deutlich genug: vollends sagt 
Ludwig nicht, dass er zum zweitenmal Schutz erteile. 

58) Mühlb. No. 497. 500. Die Urkunde Bischof Awams (Mabill. Ann. II 1. 25 
§ 39: er nennt sich da Hludovici regis evectus protectione) war schon für Sickel 
Reg. S. 376 Anlass, eine verlorene Bestätigungsurkunde König Ludwigs fär Moissac 
zu vermuten. Bei dieser Gelegenheit könnte ja Ludwig dem Kloster etwa in 
Verbindung mit eigener Schenkung, wie so häufig, Immunität erteilt haben ; doch 
giebt dazu genügenden Anhalt weder das Zeugnis Pippins in jenem unsicher über- 
lieferten Diplom Böhm. 2064 (jetzt H. d. L. IIb, 248), noch die Nachricht der 
Vit. Hludov. c. 19 über das Verdienst des Königs um die Wiederherstellung von 
Moissac. — Die Genugthuung der Aquitanier über das ihnen gemachte Zugeständ- 
nis einer eigenen Regierung und ihre Vorstellung von der dieser eingeräumten 
Befugnis kommt zum Ausdruck in einer formelhaft (Zeumer I, 173 No. 11) er- 
haltenen Bittschrift: das Bedenken v. Simsons K. I, 49 wegen der Worte Ala- 
manni aut Franci impia congressione mindert sich, wenn man sie nicht auf das 
Heer Karls, sondern auf die Getreuen Karlmanns bezieht, wie man wohl auch 
muss, da dieser und nicht Karl damals über die Alamannen ge^ot und Ann. Laur. 
min. Karlmanns Teilnahme am aquitanischen Kriege bezeugen. 

59) Mühlb. No. 319 (quod filius dederat nos concedere fecissemus: concedere = 
confirmare, siehe Cap. IV, Anm. 31) und 547. Den Hinweis auf das letztere Diplom 
vermisste v. Simson L. I, 50 f. in der Bestätigung Karls d. K. Böhm. No. 1558 



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154 Drittes Capitel. 

sich König Ludwigs Befugnis zu Schenkungen ergiebt. Aber die eine, 
eine gerichtUche, fuhrt die Schenkung auf ihn und seinen Vater zusammen 
zurück**^); die andere, von ihm selbst nach dessen Tode ausgestellt, be- 
zeugt oder spricht es vielmehr aus, dass Verleihungen, von ihm in seiner 
Königszeit gemacht, noch der Bekräftigung von höherer Stelle (potiori 
autoritate) bedurften, wie er sie da als Kaiser eben erteilt: und der 
Gegenstand der Verleihung ist eine Villa, die in dem nämlichen Gau 
Lod^ve lag, zu welchem mehrere der durch sein Diplom dem Kloster 
Gellone geschenkten oder bestätigten Güter gehörten®*). Dass im Laufe 
der Zeit, von Karls Genehmigung jener Schenkung an den Spanier 
Johannes bis zum Diplom Ludwigs für Gellone, 795 bis Dez. 807, die 
Befugnis Ludwigs in Septimanien nicht etwa gemehrt worden ist, ergiebt 
die Reichsteilung von 806, durch die sich Karl, der sie ja auch nur ftir 
den Fall seines Todes traf, die Gewalt im bisherigen Masse wahrte 
(sicut hactenus fuit). Noch 812 wurden Beschwerden über eine Anzahl 
von Grafen nicht vor Ludwig, sondern gleich vor Karl gebracht, von dem 
jener erst Auftrag zur Erledigung erhielt; und wenn Ludwig, nach einer 
Gerichtsurkunde aus dem Anfang seiner kaiserlichen Zeit, eben als 



(jotzt H. d. L. IIb 232), doch hat Karl d. K. beide Diplome im Auge, wenn er 
sagt avus noster ac genitor noster villam per eorum litteras confirmaverunt: denn 
der Brief Ludwigs an den Grafen Sturm, von dem Karl vorher spricht, war keine 
Bestätigung. — Auch in der Gerichtsurkunde H. d. Tj. IIb 185 f, die die nämliche 
Schenkung betrifl't, hat Karl d. Gr. das entscheidende Wort (per addictum im- 
peratoris : col. 186), als Ludwig noch König war. 

60) Locum quem perdonavit nobis Karolus vel Lodoicus rex: H. d. L. IIb, 64. 
Hier ist's fraglich, ob eine Bestätigung Karls oder seine unmittelbare Teilnahme 
an der Schenkung gemeint sei. Aber selbst im letztern Falle bleibt Ludwigs 
Diplom für Gellone auffällig, da er hier das Krongut im Gaue Beziers, das er 
doch auch als des Vaters Besitztum bezeichnet (a genitore nostro et a nobis pos- 
sessum), ohne dessen Erwähnung hingiebt. Dagegen durfte sich Ardo als Erzähler, 
der noch dazu nicht in Gellone selbst schrieb und in Ludwigs kaiserlicher Zeit 
schrieb, solcher Genauigkeit entschlagen (Vita Bened. Anian. c. 30 de fiscis suis 
concedens, wo aber doch auch Krongüter in der aquitanischen Nachbarschaft, im 
Rouergue gemeint sein könnten). 

61) Mtthlb. No. 938. In der spanischen Mark hat er freilich schon als König 
dem Bischof Possedonius von Urgel Wüstungen geschenkt (nach seinem kaiser- 
lichen Diplom No. 750, das den Vater nicht erwähnt), aber einen Schutzbrief er- 
teilte er dem an einer dieser Wüstungen erbauten Kloster eben durch No. 750 
erst als Kaiser. — Die Vita Hludov. c. 5 führt auch eine „allgemeine* Versamm- 
lung an, die die vormundschaftliche Regierung auf septi manischen Boden berufen 
habe, in Mors Gothorum, und dies gehört um so sicherer zu Septimanien, wenn 
man die Stätte statt mit Molinier (Bibl. d. l'ec. d. eh. 40, 579 f.) im heutigen 
Mourgoudon, commune d'Angl^s, also im Arrondissement Castres, das durch das 
Gebirge l'Espinouse von Septimanien geti'ennt zu Aquitanien gehörte (vom alten 
Septimanien hat das altaquitanische Gebiet in neuerer Zeit nur zwei, ganz andere, 
Gemeinden erhalten Thomas Dict. de l'Her. Introd. S. XII nt. 2), vielmehr in 
Mourgou (Thomas: commune de St. Pons) findet. Freilich eine Angelegenheit 
Septimaniens war nicht der Anlass ihrer Berufung, und zu einer allgemeinen 
Versammlung der Septimanier eignete sich auch das schwer zugängliche Mourgou 
seitab am gebirgigen Westsaum der Landschaft wenig. 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gollone auf Liter, u. Urkunden. 155 

Kaiser die Untersuchung von Eechtswidrigkeiten, die in der Zeit Karls 
verschiedene Beamte, auch Missi, begangen hatten, nun eigenen Send- 
boten über Burgund und Septimanien hin übertrug, so erhellt, dass er 
bis dahin in Septimanien so wenig wie in Burgund berechtigt gewesen 
ist, selbständig dagegen einzuschreiten®^). Nach wie vor 806 verfugt 
Karl unmittelbar in Septimanien, ohne einer voraufgegangenen Handlung 
Ludwigs zu gedenken, bei Genehmigung einer Privatschenkung, bei Be-^ 
stätigung von Niederlassungen auf neugerodetem Boden ®^). Das in diesem 
Reichsteile seinem Sohne zugestandene Recht war und Wieb ein anderes, 
als im Diplom Ludwigs für Gellone bei Bestätigung der Ausstattung 
dieses Klosters durch „Herrn Wilhelm und andere (betreue" die Vor- 
aussetzung ist. 

Auch das Münzwesen lehrt, dass Ludwig als König in Septimanien 
Hoheit nicht besass, aber in Aquitanien sie wenigstens dem Namen nach 
übte. Von Narbonne, der septimanischen Prägestätte, sind mit seinem 
Namen Münzen nur aus seiner kaiserHchen Zeit, mit dem Namen Karls 
dagegen Münzen noch der sog. späteren Ausprägung dieses Herrschers 
(Carlus rex Fr. und ähnlich) bekannt. Anders das Verhältnis in Aqui- 
tanien. Dies ist ja der einzige Eeichsteil, dem die Ehre widerfuhr, dass 
sein Name, der landschaftliche, auf der Rückseite der Münzen angebracht 
ward; indes kennt man solche von Karl nur aus seiner früheren Zeit, 
nicht mehr aus der späteren, wo er diesen Typus dem Sohne überliess: 
schon vor Annahme des Kaisertitels hat Ludwig Denare mit der Um- 
schrift Aquitania geprägt, geprägt hat Ludwig in seiner Königszeit auch, 
nur nach anderem Typus, in Clermont (Arvemis), woher Münzen aus 
Karls späterer Periode nicht vorkommen, und im silberreichsten Striche 
dieses Königreichs, (vermuthch aus diesem Grunde hier zugleich mit 
Karl) in Melle (MetuUum u. ä.)®*)- 



62) Mühlb. No. 456. Docum. ined. III, 413 unter dem 1. Jahre Kaiser Lud- 
wigs, das sich, wie schon v. Simson Ludw. I, 26 ein Bedenken äusserte, bei Bei- 
behaltung des Monatsnamens Febroar. nicht auf 814 beziehen lässt: auf 815 
würde das Datum die lunis, primo quodam (quidem?) menses Febr. passen (so 
jetzt auch Waitz^ 3, 478). 

63) Mühlb. No. 318 (concessimus villam sicuti Milo . . delegavit). 340. 348. 
456 (nostram vestituram, per nostram datam licentiam). Nirgend erwähnt da Karl 
auch nur eine Verwendung Ludwigs, wie bei Schenkung oder Zurückstellung von 
Gütern in Italien eine Verwendung seines Sohnes Pippin (Mühlb. No. 397. 429): 
auch im Diplom No. 319 fasst er den da angezogenen Brief Ludwigs nicht als 
Verwendung. — Dazu kommen die späteren Verweise auf Handlungen Karls in 
Septimanien: Mühlb. No. 539 und 1000 (per concessionem Karoli). 843 (Karolus 
concessum habuit), Böhmer No. 1541 (avus noster et postmodum genitor noster 
concessit atque confirmavit) und 1556 (per licentiam seu concessionem avi nostri 
Karoli ac post obitum illius genitoris nostri augusti Ludovici). 

64) Neben Melle sind in Aquitanien noch Agen und Bourges Orte späterer 
Ausprägung Karls. Die beste Übersicht der Münzstätten Karls und Ludwigs giebt 
Soetbeer in den Forschungen z. deutsch. Gesch. 4, 341 (vgl. 307 f.) und 6, 41 (vgl. 
39), dazu jetzt Robert (H. d. L. VII, 371 f.), der in seiner eingehenden Beschrei- 
bung Münzen aus Narbonne von Ludwig gleichfalls nur mit dem Kaisertitel kennt. 
Die Bedeutung der Legende Aquitania misskennt Soetbeer, wenn er diesen Namen 



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156 Drittes Oapitel. 

Dem entspricht die Anerkennung des Herrschers durch die Unter- 
thanen in der Datierung ihrer Urkunden. Die septimanischen Privat- 
urkunden berechnen die Zeit nur nach .der Regierung Karls, aber die 
aquitanischen haben entweder die Jahre Karls oder die Jahre König 
Ludwigs®*). 

Vornehmlich kommt die Stellung der beiden Herrscher zu den 
Klöstern in Betracht. Sie war, wie nach den obigen Bemerkungen zu 
erwarten ist, in Aquitanien eine andere als in Septimanien, und in Sep- 
timanien eine andere als sie in Ludwigs Diplom für Gellone erscheint. 
Im dem Lande zwischen Garonne und oberer Loire durfte König Ludwig 
sich der Wiederherstellung von Klöstern und klösterlicher Zucht unter- 
ziehen: in der Reform der Klöster hat seine aquitanische Regierung, 
wenn ich nicht irre, ihren Schwerpunkt; sie giebt dem jugendlichen Lud- 
wig unleugbar eine namhafte, auch kirchengeschichthch hohe Bedeutung. 
Und obschon diese Reform die Urkunden des Königs aus Aquitanien 
nicht gerade sehr vermehrt hat, so besitzen wir doch, wie ich oben be- 
merkte, unter ihnen nicht nur eine Immunität, sondern auch ein mit 
Immunität verbundenes Wahlrecht. Die Verleihung von Vorrechten an 
Klöster stand ihm in Aquitanien zu. Aber dass er auch an der klöster- 
lichen Reform Septimaniens sich beteiligt habe, berichtet Ardo nicht, 
Ardo, der unmittelbare Zeuge, der zugleich eher fiir als gegen Ludwig 
eingenommen ist. Bei allem den Bemühungen Ludwigs gespendeten 
Preise kennt er von ihm vor der Thronbesteigung nur Verfügungen über 
Stätten in der Auvergne, im Poitou, im Berry, oder ohne nähere Be- 
stimmung überhaupt in Aquitanien, das er doch bestimmt von Gotien 
unterscheidet ®®). Und er erhält Bestätigung an dem Umstand, dass aus 



auf die Stadt Angoul^me zurückfährt. Das ist an sich unstatthaft; auch wissen 
wir jetzt, dass Angouleme zwar unter die früheren Prägestätten Karls in Aqui- 
tanien gehörte (Mich. Cerexhe, Les raonnaies de Charlem. I, 20), aber auf den 
Münzen durch Ecolisinu bezeichnet ward, wie ähnlich anderwärts (Ann. Lauriss. 
mj., Einh. 769 Aequolesina, Egolisena): für Karl führt nur unter den Münzen der 
früheren Periode Cerexhe 1, 30 das von Soetbeer 4, 341 übergangene Clermont 
an (Rev. numism. pp. Witte et Longp. 1857 S. 442 ohne Beleg unter den späteren). 

65) H. d. L. IIb,. 75. 79. 83 No. 21 f. 24. Docum. ined. III, 405 No. 4 (Ann. 
330 r., P imp.). Gerichtsurkunden H. d. L. IIb 50 (raissi Karoli) 58 und 65 No. 6. 
10. 15. (Aber das Placitum in Carcassonne Mabill. Dipl. 505 gehört, wie dieser 
selbst später erkannte, in die Zeit Karls d. D. : H. d. L. V, 74 nt. 1). In Aqui- 
tanien Jahre Karls noch 781 und später: Mabill. Ann. II app. No. 28. 34. 37 
(überarbeitet und gekürzt), AA. SS. IV, 1 observ. praev. § 2 zur Trsl. S. Juniani, 
formula Bitur. No. 15c (Zentner I, 176) Besly comtes de Poit. 149 und (im Anhang) 
roys de Guyenne 17 (Gerichtsurkunde: hier miss. ad. Chlodovico, rege Aquitaniae 
und trotzdem 23. Karol. r.); dagegen nur die Jahre Ludwigs Mabill. Ann. II 1.25 
§ 39. App. No. 29. Docum. ined. III, 402 und 403 No. 2. 3, Cartul. de Conques 
ed. Desjard. 3 No. 1. 

66) Vit. Bened. Anian. c. 29. 31. 33. Die Reform der septimanischen Klöster 
fuhrt Ardo ausschliesslich auf Benedict zurück und er berichtet über sie, ehe er 
überhaupt auf den Namen Ludwigs kommt (c. 19). Zwar nennt der Verfasser 
der Vit. Hludov. c. 19 unter der Menge der von König Ludwig wiederhergestellten 
oder gar aufgebauten Klöster auch septimanische; aber schon Mühlbacher urteilt 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 157 

der Königszeit Ludwigs nicht von ihm, sondern nur von seinem Vater 
Mundbriefe, Immunitäten und Wahlrechte für Klöster wie für Bischofs- 
kirchen Septimaniens auf uns gekommen oder durch Bestätigungen der 
Nachfolger bekannt geworden sind: ihre Menge, ansehnhch zumal im 
Vergleich mit der dürftigen Zahl aquitanischer Diplome Karls, zeugt für 
die unmittelbare Gewalt, die er über die Klöster dieses Grenzlandes in 
den wichtigsten Beziehungen sich gewahrt, ohne Teilnahme des aquitanischen 
Königs geübt hat*'). 

Ein BUck auf die Stellung, die nachmals Ludwig d. Fr. als Kaiser 
seine Söhne neben sich und unter seiner Oberhoheit einnehmen liess, dient 
dieser Ansicht von seiner eigenen Stellung unter Karl zur Bestätigung. 
Denn zeigt sich da, dass er früh und spät, auch als der Gedanke der 
Beichseinheit aufgegeben oder weit zurückgetreten war, die Übertragung 
von Landen an sie nicht ohne manchen ihnen sicherUch fühlbaren Abzug 
und Vorbehalt zu seinem Besten gemacht hat, so hat man mehrfach be- 
gründetes B/Ccht, daraus auf das zuvor von seinem Vater gegen ihn und 
seine Brüder geübte Verfahren zu schliessen. Es würde schon befremden, 
wenn gerade Karl seinen Söhnen oder einem unter ihnen hingegeben 
hätte, was der weichere Nachfolger dann den seinen versagte, um es sich 
zu wahren. Und sichtlich ist Ludwig, wo er Verfugungen auf den Todes- 
fall traf oder schon bei Lebzeiten seine dereinstigen Erben in Reichsteile 
einwies, in manchem Stück dem Vorbild des Vaters gefolgt. Seine Ab- 
sonderung der Krongüter Ingolstadt und Lauterhofen vom Nordgau in 
der Teilungsakte von 817 wiederholt eine Anordnung Karls von 806. 
Wie er 838, so stattete Karl 790 einen seiner Söhne mit dem Herzogtum 
Maine und den unteren Seinelanden aus. Dass Lothar 834 ItaHen mit 
nicht besserem B/Cchte als einstmals sein Oheim Pippin empfangen hat, 
sagen die Beichsannalen ausdrücklich. Wörtlich wurde eine Anzahl all- 
gemeiner Grundsätze aus der Reichsordnung von 806 in die von 831 
aufgenommen ®^. 



No. 500a, dass dieso AufzeicbnuDg einschneidender Beschränkung bedürfe: er- 
scheint doch da auch Dusera (Donzere im Gau Orange, der nicht zu Ludwigs 
aquitanischem Reiche gehörte) und Aniane, das nach Vit. Bened. Anian. von 
Ludwig bei Karls Lebzeit zwar in Ansehen und Stellung (eben über Aquitanien 
hin) gefördert worden ist, aber als Kloster, für sich genommen, nicht von ihm, 
sondern von Karl Unterstützung erhielt. Die Legende von Karl d. Gr. c. 15 
(Publication. für rhein. Gskunde 7 S. 38) hat freilich statt dieser zwei sicherlich 
irrigen Klöster die Namen Dorosa und S. Aniani; aber ihre Abweichungen beab- 
sichtigen schwerlich eine Berichtigung, sondern rühren von Lesefehlern her: vgl. 
S. Maria in rulune st. in Orubione. 

67) Mühlb. No. 309 (vgl. 505). 318. 528 (vgl. 412). 530. 544. 580. Nach der 
Gerichtsurkunde H. d. L. IIb 177 hat auch Abt Castellanus, der Gründer von 
Arles-sur-Tech ein kaiserliches Diplom erhalten, worin aber Mühlbacher mit Recht 
das von Kaiser Ludwig erteilte No. 701 findet. Dagegen rührt das von Sickel 
Reg. S. 363 vermerkte für Cannes (deperd.) nicht von Karl d. Gr. , sondern von 
Karl d. K. her (Cap. V, Anm. 49 ff.). 

68) Mühlb. No. 409 c. 2 und 628 c. 2 (Capit. ed. Boret. I, 127 c. 2 und 271 
c. 2): unten Exe. IK A. 15. Mühlb. No. 294c und 951a. Prudent. z. J. 834 (sicut 



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158 • Drittes Capitel. 

Im Anhange dieses Buches werde ich, da die bisherigen Dar- 
stellungen der Regierung Ludwigs d. Fr. bei aller Gründhchkeit der Er- 
örterung des Verhältnisses zwischen ihm und seinen Söhnen, das in 
wechselvoller Wandlung den universalgeschichtlichen Schwerpunkt seiner 
späteren Zeit ausmacht, manche, nicht bloss ortsgeschichtlich wichtige, 
Einzelheit unbeachtet lassen, in breiterer Darlegung einige Klöster und 
Krongüter namhaft machen, durch deren Vorbehalt Ludwig vomehmHch 
in den östlichen Landen die Gewalt seiner dort als Unterkönige einge- 
setzten und zur Nachfolge ersehenen Söhne beschränkt hat. Hier genüge 
eine kurze Bemerkung über den Süden, namentlich über Septimanieu, 
den Bereich von Gellone und Aniane, wo neben Klöstern auch Graf- 
schaften in Betracht kommen. 

Denn wie Ludwig in seiner Jugend von Karl, so hat danach von 
ihm selbst sein Sohn Pippin Aquitanien erhalten. Aber mit nichten ist 
dazu fiir Pippin, wie man unter Karl für Ludwig es behauptet, Septi- 
manieu schlechtweg geschlagen worden, ganz Septimanien, sondern zunächst 
nur ein Bruchstück: nur die Grafschaft Carcassonne, wo denn die 
Klöster Montolieu (Malaste), La Grasse (St. Maria Orubionensis), St 
Hilaire von Pippin Diplome, seit 827 eine Schenkungsbestätigung und 
seit 828 auch Immunität samt Wahlrecht erhielten®®), wo er, der aqui- 
tanische König, auch zeitweise geweilt hat, in der Nähe von Carcassonne, 
auf einer ßurg, die einige Jahrzehnte danach als namengebender Mittel- 
punkt einer Vicarie der Grafschaft Carcassonne und als Dingstätte für 
Streitigkeiten über Güter in dieser Grafschaft erscheint ®®*). Aber noch 



tempore d. Karoli Pippinus habuerat). Mühlb. No. 853 c. 2 — 13 und 409 
c. 6—16. 20. 

69) Bemerkenswert das Zusammentreffen des Beginnes dieser septimanischen 
ürkundenreihe Pippins (Sept. 827: Böhm. No. 2069. 2071 — H. d. L. IIb 165 — . 
2076. 2083, dazu Bouqu. 6, 668 = H. d. L. IIb I67j mit Pippins Aussendung zur 
Verteidigung der septimanischen Grenzlande (Sommer 827). — Sein Diplom für 
St. Hilaire (Bouquet 6, 668) ist ohne Jahr und Tag überliefert; dennoch wird 
dadurch für ein Diplom Kjiiser Ludwigs, worin dieser seinerseits dem nämlichen 
Kloster die nämlichen Rechte (Immunität and Wahlrecht) erteilt (Mühlb. No. 544 
gleichfalls ohne Jahr und Tag), die Zeit zwischen 831 und 834 (die Sickel L. 231 
neben der zwischen 814 und 825 für zulässig erklärte), überhaupt die Zeit nach 
828 ausgeschlossen, weil ein anderes jener Diplome Pippins Böhm. No. 2071 ausser 
Zweifel setzt, dass er es war, der seit 828 in diesem Gau Immunität und Wahl- 
recht zu erteilen hatte. Immerhin bringt Mühlbacher das Diplom Ludwigs für 
St. Hilaire mit zu grosser Sicherheit unter 814 oder 815, wohl im Hinblick auf 
den noch frischen Thronwechsel; es könnte auch durch einen Wechsel im Abts- 
stuhle veranlasst sein und dieser Wechsel könnte zwischen 814 und 825 fallen, 
wobei immer noch einiger Kaum für Egido bliebe, den Pippin in seinem Diplom 
als Abt unter Ludwig bezeichnet (vgl. Gap. V Anm. 30). 

69a) Böhm. No. 2069 (jetzt H. d. L. IIb 164) in Ausonae Castro (Sept. 827). 
Wenn man mit Bouquet, v. Simson (Ludw. 1, 268 n. 2. Karl 2, 105 n. 2) und 
Mühlbacher (No. 815b) diese Burg im heutigen Vieh wiederfindet, also in dem 
nämlichen Ausona, dessen sich der abtrünnige Westgote Aizo im Jahre vorher 
durch List bemächtigt hatte, so Hesse sich aus dem Actum des Diploms auf einen 
Erfolg der fränkischen Waffen schliessen, wie v. Simson (Ludw. 1, 275) andeutet. 



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Einwirkungen d. Kampfes zwischen Aniane u. Gellone auf Liter, u. Urkunden. 159 

837 zählt in diesem Gau die Witwe des Grafen Oliba bei Erneuerung 
eines Precarievertrages mit dem Kloster La Grasse, ohne Pippin zu er- 
wähnen, nach den Jahren Ludwigs, damals nicht anders als ehedem ihr 
Gatte bei Abschluss des Vertrages zu einer Zeit, aus der wir noch 
keine Urkunde Pippins für Septimanien kennen'®). Freilich deuten 
manche Spenden auf eine im Laufe der Zeit diesem Könige von Aquitanien 
zu teil gewordne Erweiterung, nicht bloss, wie man weiss, nördhch von der 
Loire, sondern auch südlich. Im Jahre 835 durfte er dem Kloster 
Montolieu ein Gut in der Mark Toulouse bestätigen, die er allerdings 
ausser Carcassonne gemäss der Ordnung von 817 nach des Vaters Tod 
erhalten sollte, wo aber doch noch im Jahre 832 der Vater eine Schen- 
kung gemacht hat'^). Wir besitzen ferner von Pippin aus dem Jahre 

838 (Juni) ein Diplom für das Kloster Joncels im Gaue Beziers, worin 
er im Anschluss an eine Schenkung Schutzzusage und Wahlberechtigung 
gewährt'^); und dies fällt um so mehr auf, da Kaiser Ludwig inzwischen 
durch eine neue Teilung (831) seinem jüngsten Sohne Karl ganz Septi- 
manien (sogar mit Einschluss von Carcassonne) von seinem Tode ab 
zugesprochen hatte und da der Gau Beziers in anderer Hand den Zu- 
sammenhang des Nordostens und des Südwestens der Landschaft auf- 
hob. Doch könnte damals, als Karl (RT. zu Aachen Wintersanfang 837) 
mit Landen im Norden, rechts von der Seine bis zur Nordgrenze Fries- 
lands, ausgestattet wurde, die Bestimmung der südlichen Lande, wenig- 
stens Septimaniens, für ihn in den Hintergrund getreten und Pippins 
Einwilligung in die neue Ausstattung des väterHchen Lieblings, wodurch 
er sein bei der Befreiung des Kaisers erworbenes Verdienst noch mehrte, 
hierdurch vergolten worden sein. Nur verbietet sich eben deshalb in 
diesem Stück der Schluss vom Verfahren Ludwigs auf das Karls, an 
den kein Anlass herantrat, einen seiner Söhne zu belohnen oder zu be- 
schwichtigen. Und wie beschränkt auch danach noch Pippins Gewalt 
in Septimanien bHeb, zeigt sich nirgend deuthcher als in dem zeitlich 
allerletzten seiner septimanischen Diplome, in dem für La Grasse. Denn 



Indes von irgend einem Erfolge der Franken schweigen da die Quellen, auch die 
amtlichen. Und Aizos Ausona, der alte Bischofssitz der Westgoten, war nicht 
Pippins Ausona. Jenes war nicht ein castrum, sondern eine Stadt (civitas), wie 
es auch, unterschieden von blossen Castellen, Vit. Hludov. c. 8 und 40 heisst: 
nicht von Oberlistung einer Burgmannschaft, der Besatzung eines castrum durch 
Aizo, sondern von seiner Überlistung der Bevölkerung (popul.), also der Einwohner 
reden die Annales Einhardi. Ein castrum Ausonae gab's aber weit östlich von 
jener Stadt der spanischen Mark, in Pippins septimanischer Grafschaft Carcassonne: 
vgl. Mahul, Cart. de Carc. 1, 17 und (abgesehen von dem zweifelhaften Böhm. 
No. 1768 H. d. L. IIb 361) territorium Ausonense in suburbio Carcassense H. d. L. V, 
138; in vicaria Auzonensi V, 155; in mallo publice in Castro Ausona V, 137 — 
das heutige Alzonne zvdschen Carcassonne und Castelnaurdy. 

70) H. d. L. IIb 199 No. 91, vgl. 134 No. 56. 

71) Böhm. No. 2076 (H. d. L. IIb 191) vgl. Mühlb. No. 878. 

72) Böhm. No. 2080 (H. d. L. IIb 205: von E. Mabille irrig und in Wider- 
spruch mit seiner eigenen Anmerkung unter 837 gebracht): Zählung nach Ludwig 
im Gau Beziers 829 und 831 H. d. L. IIb 175. 177. 



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160 Drittes Capitel. 

nach ausfuhrlichem Hinweis auf eine Urkunde seines Vaters aus dessen 
erstem Kaiserjahre, welche Schutz und Immunität, wie er selber sagt-, 
auch für zwei Zellen des Klostera in der Landschaft Narbonnais gewährte, 
gestattet er sich seinerseits, noch September 838, die Bestätigung nur 
für Zellen in der Grafschaft Carcassonne auszusprechen '^). In den Graf- 
schaften Maguelonne und Lod^ve, zu denen Aniane und Gellone gehör- 
ten, begegnet noch in diesen letzten Zeiten Pippins keine Spur von ihm 
geübter Regierungsgewalt Bei völlig wiederhergestelltem Vernehmen mit 
ihm nennt Kaiser Ludwig Aniane „sein Kloster" monasterium nostrum 
— eine Bezeichnung, unter der die Klöster Septimaniens meines Wissens 
zwar noch nicht gleich Klöstern anderer Landschaften in einem Diplom 
Karls, aber früh in Diplomen Ludwigs begriffen werden, ohne weiteres, 
als ob sie sich auch für sie von selbst verstehe '*) , daher man die An- 
wendung der Bezeichnung auf sie wie auf Klöster anderer Landschaften 
schon in Karls Zeit, also ihre Herübernahme aus Ludwigs aquitanischer 
Periode mit einiger Zuversicht vermuten darf '^). 

So macht auch das Mass der Gewalt, worauf diese aquitanischen 
Könige in Septimanien gewiesen waren, Ludwig unter Karl, Pippin unter 
Ludwig, das Diplom Ludwigs für Gellone verdächtig, in einem Stücke 
verdächtig, das, da es die Bestätigung der Ausstattung enthält, zusammen 
mit GG, derVerurkundung der Ausstattung durch den Gründer, für die 
Mönche allerdings die grösste Wichtigkeit hatte. König Ludwig, der in 
seiner Befugnis noch beschränkte Fürst, und nicht Kaiser Karl soll sie 
erteilt, einem Kloster erteilt haben, das, wie es im Diplom heisst, noch 
dazu auf dem Grund imd Boden Kaiser Karls auferbaut war (in causa 
nostri genitoris). Schenkungen durfte König Ludwig immerhin nach 
Ardos Bericht an Gellone machen — wie sein gleichnamiger Sohn Lud- 
wig in Baieni, schon damals als sein Herrscherrecht noch nicht die Ver- 
urkundung begriff — '*); aber die Bestätigung der Schenkungen Graf 
Wilhelms und „anderer Getreuen" nehme ich als fälschende Erweiterung: 
auf eine solche führe ich zugleich das zurück, was in der überlieferten 
Form, wie oben bemerkt, an anderen Stellen des Diploms Anstoss giebt, 
namentlich auch da, wo Ludwig selbst Schenkungen macht. 

73) Böhm. No. 2083 (H. d. L. IIb 206 mit irriger Auflösung der Regierungs- 
jahre) vgl. Mtihlb. No. 528. Ausgedehnter die Bestätigung, die als Erbe von ganz 
Septimanien dann Earl d. K. gewährte (Böhm. No. 1554;. 

74) Mühlb. No. 912 (besonders in der Verfügung quia constat monasterium 
nostrum proprium esse) vgl. No. 750 (sicut cetera monasteria infra Septimaniam 
nostra esse constat) und 806. Auch ihre Vorrechte werden als bekannt voraus- 
gesetzt (vgl. Mühlb. No. 885), daher selbst ein Forscher wie Sickel Btr. 3, 262. 
5, 313 f. 371 nur wenig zu ihrer Bestimmung beizubringen vermochte. 

75) Für die ihm übertragenen Klöster Herafeld, Ansbach, Charroux braucht 
ihn Karl Mühlb. No. 246. 262 (monasterium S. Mariae ac nostrum). 352. Nach- 
mals für Zürich Ludwig d. D. No. 1366. 1392. 

76) Notitia in Anamodi üb. tradit. bei Pez Thesaur. I, 3, 205 (vgl. Mühl- 
bachers lehi reiche Auseinandersetzung No. 1301). Dass Ludwig d. Fr. in der spa- 
nischen Mark als König eine Schenkung gemacht, aber erst als Kaiser einen 
Schutzbrief .gegeben hat, bemerkte ich oben Anm. 61. 



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Viertes Capitel. 

Die drei kaiserlichen Diplome Ludwigs des Frommen samt 
ihrer Erneuerung durch Karl den Kahlen und Ludwigs Brief 

nach Aniane. 



Die Verdachtsgründe gegen Ludwigs Königsdiplom für Gellone legte 
ich des breiteren dar, weil, wäre seine Echtheit auch nur in dem seine 
eigenen Schenkungen enthaltenden Teile zweifellos, gleich von ihm aus, 
wie ich nunmehr sagen niuss, Zweifel sich erheben würden gegen die 
Echtheit seiner kaiserhchen Diplome für Aniane (Mühlb. No. 503. 726. 
939). Diese Kaiserdiplome und ihre Erneuerung durch Karl d. K. (Böhm. 
No. 1639) erörtere ich jetzt unter mehrfachem Gesichtspunkte, zunächst 
im Hinblick auf Ludwigs Königsdiplom für Gellone. 

Obgleich nämUch das Königsdiplom mit den kaiserhchen im allge- 
meinen übereinstimmt, sofern die Unabhängigkeit des Klosters Gallone, 
die die letzteren nach meiner früheren Bemerkung (S. 149 f.) als das ursprüng- 
liche Verhältnis zur Voraussetzung haben, in dem ersteren wirklich zur 
Erscheinung kommt, so schliesst doch das eine durch seinen Inhalt die 
anderen aus. Denn abgesehen davon, dass Gellone im königlichen Diplom 
monasterium, in den kaiserlichen allerwegen wie in Graf Wilhelms Urkunde 
AG cellula heisst, so macht dort Ludwig schon als König aus seinem 
und seines Vaters Besitz mehrfache Schenkung an Gütern in den Gauen 
Lod^ve und Beziers (darunter den Fiscus Miliacus), die er hier als Kaiser 
nicht etwa wie jene andere (Cap. III Anm. 61) von „höherer Stelle" aus 
bestätigt, sondern nun erst vornimmt^). Und nicht Gellone erhält sie, 

1) Auch die Schenkung von Miliacus, was noch immer „fiscus noster* ist. 
Nur geringe Abweichungen treten hervor. Die kaiserlichen Diplome (und das 
Kaxls d. E.) übergehen (vg]. unten Anm. B) Campanianum. Sie kennen (was viel- 
leicht dem wirklichen Stande der Dinge in Ludwigs Anfängen entspricht) beim 
Erongute Miliacus neben der Eirche StiParagorii noch keine Villa, bei Magaran- 
tiate (St. F^lix-de-Lodäve) noch keine Eirche; keine Eirche auch bei einem 
zweiten Orte, wo ausserdem eine weitere Besonderheit sich zeigt, die diplomatisch, 
für das Verhältnis dieser Urkunden unter einander, Belang haben könnte. Der 
Puckert, Aniane und Gellone. 11 ^^ ^ 

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162 Viertes Capitel. 

sondern Aniane; und nicht als Zubehör von Gellone erhält sie Aniane, 
sondern neben Gellone und neben dem Zubehör von Gallone, unmittel- 
bar aus des Herrschers Hand. Diese Unmittelbarkeit der Überweisung, 
die selbstverständlich bewirken musste, dass die Güter bei Aniane ver- 
blieben, auch wenn die „Cellula Gellone", mit der sie hier für sich keinen 
Zusammenhang haben, von Aniane abfiel, die also auf das nämhche 
hinauslief, was in der Urkunde AG die Mönche Anianes den Grafen 
Wilhelm über das Widum von Gellone in ausdrücklicher Verordnung 
vorsehen lassen, tritt am schärfsten hervor im dritten der kaiserlichen 
Diplome, da es den Reichtum Anianes in seiner Fülle ausbreitend jenes 
Krongut MiUacus, das die zwei früheren den übrigen durch die Königs- 
urkunde zum Widum von Gellone geschlagenen Gütern wenigstens an- 
reihen, von diesen trennt durch Einschaltung eines anderen, wenige Tage 
vorher dem Kloster Aniane bestätigten Fiscus, es auf gleiche Linie mit 
diesem rückt, dem es eben in der Anzahlung folgt, es also in gleiches 
Besitzesrecht wie ihn stellt^). 



Ort heisst in dem dritten der kaiserlichen Diplome Ludwigs wie in seinem könig- 
lichen Gastrapastura und er wird nach dem Wortlaute beider und des Diploms 
Karls d. K. (das ihn Gastra nennt) ganz und gar verschenkt: Mühlb. No. 939 pla- 
cuit nobis tradere . . locum qui dicitur Gastrapastura ad pecora eorum alenda seu 
diversis usibus cum terminis et adjacentiis suis, No. 498 pl. n. tr. . . locum q. d. 
Gastrias, vulgare autem Gastrapastura (so Mabillons Druck und auch Sickels Aus- 
zug) ad pec. eor. al. cum ecclesia Sti Martini cum term. e. a. s. cum omni inte- 
gritate ad diversos usus eorum, Böhm. No. 1639 cellam Gellonis . . cum loco . . 
qui vocatur Gastra cum term. e. a. suis. In den zwei früheren Kaiser diplomen 
wird nur das Weiderecht an ihm, der da Gastra heisst, und seiner Gemarkung 
zugestanden: Mühlb. No. 503. 726 pl. n. tr. . . in loco qui dicitur Gastra pastura 
ad pec. eor. al. cum term. e. a. suis. Höchst wahrscheinlich handelt es sich um 
den nämlichen Ort, heute St. Martin de Gastries, cant. Lod^ve (wenigstens erweist 
der Gauname Lodeve auch zu Gastra in No. 503. 726, dass es H. d. L. IIb Blattw. 
mit Unrecht in dem bekannten Marquisate Gastries, arrond. Montpellier, gesucht 
wird); doch ist die Übereinstimmung unter den drei Kaiserdiplomen nicht so gross, 
wie sie bei Sickel erscheint, wenn er auch das dritte (Mühlb. 939 = L. 355) nur 
pasturam in Gastris gewähren lässt und im Register auch L. 355 unter Gastra 
stellt: sichtlich biegt dies dritte hinüber zur Überlieferung von Gellone, die, ver- 
treten durch das Königsdiplom, wohl auch hier den Stand' späterer Zeit wieder- 
giebt, wo der ganze Ort klösterlicher Besitz geworden und nun auch der Name 
Gastrapastura (so noch Mirac. S. Guilelmi c. 7, Mab. AA. IV, 2) dem Namen Gastra 
oder Gastria (vgl. Galixt 11. Jaffe' No. 7044 fiscus de Gastrias cum eccl. Sti Mar- 
tini und das sog. Testament Juliofreds villarem . . Gastrias cum eccl. S. Martini) 
gewichen war. 

2) An die in Anm. 1 ausgezogenen Worte schliesst sich Mühlb. No. 939 der 
Satz et in eodem pago fiscum n. Gurcionate cum omnib. adjacentiis suis (vgl. 
Mühlb. No. 938), und an diesen erst in pago quoque Biterrense fiscum n. qui 
dicitur Miliacus cum eccl. StiParagorii et Militiane villa. Die Vorurkunden, aus 
deren Stoffen sich Mühlb. No. 939 zusammensetzt, zeigt Sickel zu L. 355; nur 
folgt auf den Inhalt von L. 354 (= Mühlb. No. 938) nicht, wie er sagt, gleich der 
von L. 181 (= Mühlb. No. 733), sondern, was eben bezeichnend ist, noch aus L. 8 
(= Mühlb. No. 503) die Übergabe des Fiscus Miliacus. — Es liegt übrigens auf 
der Hand, dass der Gesichtspunkt, unter dem dies dritte der kaiserlichen Diplome 



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Die drei kaiserlichen Biplome Ludwigs des Prommeü ü. s. W. 163 

Der Gegensatz liegt zu Tage: in diesem Stücke sind die kaiserlichen 
Diplome für Aniane nicht zu vereinbaren mit dem königUchen für Gellone^ 
Nun findet das königliche eine gewisse Stütze .an dem Umstand, dass 
der grösste Teil jener Güter nachmals dem Kloster Gellone bestätigt 
wird, als „durch Graf Wilhelm, den König Ludwig und andere" ihm zu 
teil geworden^); und wenn diese Bestätigung erst im 12. Jahrhundert 
auftaucht, so könnte sich das durch den Brand erklären, der im 11. Jahr- 
hundert, vor Anlegung unseres Cartulars von Gellone, einen Teil des Ar- 
chivs zerstörte*), so dass von daher überhaupt sehr wenige Acten der 
älteren Zeit auf uns gekommen sind. ■ Dagegen lassen unter den zahl- 
reich aus Aniane erhaltenen Urkunden nur eben die drei kaiserlichen 
Diplome und das Diplom Karls d. K. die Güter in der Gewehr Anianes 
erscheinen. 



die verschiedenen Schenkungen an Aniane vorführt, der Gauzusammenhang ist 
(Lodöve, Beziers, Grenzgebiet zwischen Rodez und Nimes, Maguelonne, Agde, Nar* 
bonne, Arles, üsöz) ; davon wird nur einmal abgewichen, bei der Cella St. Martin 
von Arles, die in bemerkenswertem unterschied von der Art, wie die Namen der nach 
dem königlichen Diplom dem Kloster Gellone zuteilgewordenen Güter auseinander- 
gesprengt werden, gleich mit ihrem ganzen, auch über andere Gaue (Avignon, 
Orange) verstreuten Widum ihre Stelle findet, worauf doch wiederum aus dem 
Gau Arles ein Besitztum Anianes (die Rhoneinsel vgl. Mühlb. No. 769) zur Er- 
wähnung kommt. 

3) Nicht erst durch Ludwigs VII. Diplom von 1162 (Gall. ehr. VI J. 282), wo 
Mühlb. No. 498 vielfach wörtlich wiederkehrt, sondern schon in der selbständig 
gefassten Bulle Calixts II. vom 1. April 1123 (Jaffe-Lfd. No. 7044). In dieser 
Bulle fehlt nur Campanianum: ebendies soll, gebunden an eine St. Martinskirche, 
nach der Urk. Wilhelms Vicomte v. Beziers 990 (H. d. L. V, 315) an das Kloster 
St. Thibery zurückgehen (revertatur), als ob es diesem ursprünglich oder doch vor- 
dem gehört hätte, so dass die kaiserlichen Diplome (hier auch das dritte), denen 
es gleichfalls fehlt, abermals in einer Einzelheit (vgl. Anm. 1) den früheren Stand 
der Dinge wiedergeben würden. (Bald nach Calixt bestätigte P. Eugen III. 1146 
Jaffe 8947 die Kirche des h. Genesius de Campaniano dem Kloster Gellone. Es 
ist nach Thomas dictionn. topogr. d. THerault 31 Campagnan im Canton Gignac.) 
Alles andere wird von Calixt (und dann von Eugen) aufgeführt," auch der Fiscus 
Miliacus. Für Miliacus bietet sich vielleicht noch ein älteres Zeugnis zu Gunsten 
des Klosters Gellone und des königlichen Diploms. Denn 1114 übergab Graf 
ViT'ilhelm von Montpellier trotz augenscheinlicher Neigung zu Aniane nicht an 
Aniane, sondern an Gellone alles, was er zu St. Pargoire besass (H. d. L. V, 843); 
in St. Pargoire aber finde ich mit Thomas (a. a. 0. 114. 192) den Fiscus Miliacus, 
nicht, wie Mühlbacher zu No. 498 vermutet, in Mailhac (dep. Aude, arrond. Nar- 
bonne): denn nach sämtlichen Diplomen lag Miliacus im Gau Beziers und dieser 
hat an das Arrondissement von Narbonne nichts abgegeben, wohl aber einiges 
dem alten Sprengel von Narbonne entzogen; zum Gau Beziers gehörte dagegen 
von je Gignac, in dessen Canton das heutige St. Pargoire liegt (Thomas a. a. 0, 
XII nt. 2. 19. 192), und auf die Gemeinde St. Pargoire führt der Name, den die 
Kirche von Miliacus wiederum in allen Diplomen trägt (Sti Paragorii), führt geradezu 
der Name der Mühlb. No. 498 mit Miliacus verbundenen Villa: (Miliac. cum) villa 
(et ecclesia) Sti Paragorii. 

4) Jaffe No. 4592, wo indes „monasterium flammis absumptum* Flüchtig- 
keitsfehler schon der alten Ausgabe ist: nur von Versehrung der Urkunden ist 
da die Rede, nicht von Einäscherung des Klosters. 

11* 
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164 Viertes Capitel. 

Den Streit zu entscheiden unterlasse ich. Es bedarf dessen auch 
nicht: die vier Diplome zu Gunsten Anianes wecken an sich Bedenken 
die Fülle. 

Sie enthalten die Überweisung der „Cellula Gellonis" und der an- 
geführten Güter in das Eigentum von Aniane, dazu eine namhafte Zahl 
anderer Schenkungen und auch Bestätigung von Schenkungen: daran 
reihen sie sämthch noch Verleihung der Immunität und zwei von ihnen, 
Mühlb. No. 939 und Böhmer No. 1639, Verleihung des Rechts der 
Abtswahl. 

Das Wahlrecht ist, im Unterschied von dem unter I besprochenen, 
fehlerfrei, nicht völlig indes die Fassung der Immunität. Erfährt näm- 
hch diese, wenn sie an andere Verleihungen sich schliesst, häufig eine 
Kürzung, so geht es doch über das in den Formeln und in den übrigen 
Diplomen dann übhche Mass hinaus, wenn hier die Adresse an die Be- 
amten, die judices, unterdrückt wird, wenn es hier heisst „jubemus ut 
nullus ex fidelibus sancte ecclesie et nostris . . homines ibidem comma- 
nentes distringere . . praesumat" ^). 

Die Verbindung der Überweisung der „Cellula Gellonis" mit son- 
stigen Gnadenbezeigungen will ich unter dem Gesichtspunkt der Diplo- 
matik nicht anfechten. Zwar pflegt Kaiser Ludwig, wo er eine Cella 
einem Kloster oder einer bischöflichen Kirche übergiebt, gemäss der 
Wichtigkeit der Handlung meist ein eigenes Diplom darüber ausfertigen 
zu lassen; aber es fehlt doch nicht ganz an Beispielen des andern Ver- 
fahrens^), das freilich bei einem, nach Ardo, so reich ausgestatteten 
Kloster wie Gellone ein überraschendes bleibt. 

Die übrigen Schenkungen (ich lasse nun Gellone und was damit 
zusammenhängt beiseite) sind zu namhaftem Teile, in den zwei späteren 
ganz und gar, Wiederholmig früher gemachter. Das späteste Diplom, 



5) So Mühlb. No. 503 und 726; hierin gleich auch die weitläufigeren Immuni- 
täten No. 939 und Böhm. 1639. Dagegen in Ludwigs Formeln (Imper. No. 16. 18) 
ut nullus ex fidelib. nostris aut aliquis ex judiciaria potestate (Zeum. I, 298 1. 6. 
299 L 28), und in den früheren (Marc. I No. 14d. 16. 17 = Marc. aev. Karol. No. 23. 
25 (Z. I, 52 1. 23. 53 1. 24. 54 1. 18. 123 1. 20. 124 1. 3) überall absque introitu 
judicum, was denn Zeumer in Marc. aev. Karol. No. 26 S. 124 1. 22 mit Recht 
aus dem entsprechenden Marc. I No. 17 ergänzt, und unter den Diplomen haben 
die von Sickel Btr. 5, 375 als Beispiele kurzer Fassung angeführten Immunitäten 
Pardess. No. 336. 400 (= M. G. Dipl. I No. 40. 54) und Mühlb. No. 171 alle die Adresse 
an die Beamten. — Die zwei ersten unserer Diplome wären übrigens noch den von 

. Sickel Btr. 5, 338 f. bemerkten Fällen der (seltenen) Auslassung der Worte ad 
causas audiendas et freda exig. zuzufügen. — Die Angabe Sickels UL. 120, dass 
Mühlb. No. 503 (= L. 8) der Formel Roz. 17 (= Imp. 11) entspreche, ist ein in 
diesem ziffemreichen Werke höchst seltner Schreibefehler: richtig steht Btr. 3, 
252 dafür Böhm. No. 346 = L. 178 == Mb. 728. 

6) Mühlb. No. 550 (wo aber die Überweisung „ad supplementum* der Kano- 
niker der beschenkten Kirche vermuten lässt, dass die Zellen nicht mehr Stätten 
regulären Lebens waren), etwa auch No. 509, dann unter Lothar No. 1105. Da- 
gegen No. 560. 685. 756. 822. 836. 848. 854. 906: und da wird meist gar nicht 
die Erhaltung des regulären Lebens bedungen, so dass die überwiesene Cella nur 
als nutzbringende Sache in Betracht kam. 



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Die drei kaiserlichen Diplome Ludwigs des Frommen u. s. w. 165 

das vierte, hat geradezu die Fassung einer Bestätigung, die Karl der K. 
dem letzten Ludwigs d. Fr. folgen lässt'). Ich thue dies gleich ab, so- 
weit es auffällige Besonderheiten hat. Denn indem da Karl an ver- 
schiedenen Stellen sich auch die Worte des väterlichen Diploms aneignet, 
begegnet es ihm, dass er von seinem Erzeuger das nämhche aussagt, 
was dieser von dem seinigen gesagt hatte und in Wahrheit nur dieser 
sagen konnte, begegnet es ihm weiter, dass er eine im Eigentum Lud- 
wigs gewesene Cella noch immer, obgleich sie schon von diesem hin- 
gegeben war, als sein Eigentum bezeichnet, das nun er hingiebt^). Das 
könnte noch der Unbedachtsamkeit der Kanzlei bei der Neubearbeitung 
der Vorlage zugeschrieben werden, obgleich sich sonst, an andern Stellen 
des Diploms, eine gewisse Selbständigkeit der Arbeit und auch Vorsicht 
zeigt®); aber wie konnte sie den westfränkischen König dem Kloster 
Aniane nicht nur die Cella St. Martin zu Arles samt ihrem Zubehör 
in den Gauen Arles, Avignon und Orange und die Cella Casanova im 
Gau Uzös bestätigen, sondern auch Immunität, fiir diese nicht weniger 
als für die übrigen Besitzungen, gewähren lassen, da er unseres Wissens 
Arles, Avignon und Orange niemals, niemals auch Teile davon, und den 
Gau Uzes erst 17, 18 tJahre danach erhielt? Sein Kanzler Ludwig, 
unter dessen Namen diese Urkunde ausgestellt ist, hat fiir die Zellen 
seines eigenen Klosters St Denis im ostfränkischen Reiche eben beim 
ostfränkischen Herrscher Besitzesbestätigung und Immunität eingeholt, 
und Karl seinerseits hat Immunitätserteilung fiir die im westfränkischen 
Reiche gelegenen Güter Prüms als ihm zustehendes Herrscherrecht ge- 
übt ^^). Seine Bestätigung jener provenzahschen Besitzungen Anianes 



7) Zu dem von Böhmer No. 1639 verzeiclmeten Abdruck ßouquets kommt 
jetzt H. d. L. IIb 290 No. 142 aus dem Cartul. von Aniane ( Jol. 26 V.«, nach 
Revillout am Schlüsse seiner angef. Abhandlung vielmehr fol. 20 V. und 21 R.) 
Falsch hat Bouquet cum ecclesia Sti Hilarii super prefatum fluvium cum villulis 
statt c. eccl. Sti H. et super pref. fl. Caucinum cum villulis; falsch hier auch 
H. d. L. cum eccl. Sti Hilarii loco de Palhars. Nach Revillout gab es bei der 
1790 erfolgten Inventarisierung der Archivalien von Aniane hiervon noch ein 
„Authentique sur papier* — vermutlich das in H. d. L. angeführte Vidimus von 
1314 (vgl. oben S. 5 Anm. 4). 

8) H. d. L. IIb 291 usque ad locum Cerajacum, quantumcunque . . genitor 
noster quondam ad suum habuit opus . . insuper et cellam juris nostri . . infra 
muros civitatis Arelatensis = H. d. L. c. 203, wo richtig Carajacum gedruckt ist. 

9) Selbständigkeit in der Tilgung allen ausdrücklichen Hinweises auf Karl 
d. Gr. und der in der Vorlage mehreren Gütern gegebenen Grenzbestimmung; 
Vorsicht vielleicht in der Tilgung der Bestätigung von Curcenate (vgl. untisn 
Anm. 42) und der Rhoneinsel unterhalb Arles (insula suburbana in Mba. No. 939). 

10) Mühlb. No. 1418 und Böhm. No. 1580 (Beyer Mrh. ÜB. I, 81): beide führt 
neben andern gleichartigen schon Mühlbacher unter No. 137 an (doch trifft nicht 
zu, dass Böhm. 1580 Immunität ,ohne jede specielle Bezugnahme» enthalte: sie 
beschränkt sich auf res quae in regno nostro sitae esse noscuntur). Dazu kommen 
noch fär Prüm die Diplome Pippins II. von Aquitanien (, infra terminos regni 
nostri", auch mit nachfolgender Einzelaufzählung eben der aquitanischen Güter) 
und Herzog Salomos von der Bretagne (quae in nostra potestate et regno videntur 



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166 Viertes Capitel. 

mag, etwa als Abwehr der Ansprüche Dritter aus der Zahl seiner eigenen 
Unterthanen, hingehen ^^); aber durch die Ausdehnung der Immunitäts- 
bestätigung auch auf sie hätte er, auf beiden Seiten der Ehone, auf 
ihrem östhchen nicht weniger als auf ihrem westlichen Ufer der Staats- 
gewalt Schranke ziehend, über die HeiTschaft in einem Gebiete verfügt, 
wo er sie sich anzueignen gerade damals weit entfernt war, da Karl 
sich vielmehr eben im Jahre dieser Urkunde, vor und nach ihrer Aus- 
stellung, bedroht von Ludwig d, D., unverkennbar bemühte, nicht auch 
die Freundschaft Kaiser Lothars, des Landesherrn der Provence, einzu- 
büssen. Der Blick auf die damalige Lage der Dinge, die ihres Eindrucks 
auch auf den weiteren Kreis der Umgebung König Karls nicht verfehlen 
konnte, verbietet denn hier noch mehr als anderswo die Annahme, dass 
ein Dictator der Kanzlei, das Diplom Ludwigs von 837 mechanisch nach- 
schreibend, an den seit 837 eingetretenen Wandel nicht gedacht habe. 
Das sind Bedenken, die nur dem Diplom Karls d. K. gelten; die 
Diplome Kaiser Ludwigs trifft, zum Teil gemeinsam mit ihm, eine B^ihe 
anderer Verdachtsgründe. Schon das früheste unter ihnen (Mühlb. No. 503) 
enthält, wie alle ihm nachfolgenden, eine Bestätigung, die trotz eines 
Zuges von Altertümhchkeit^^), um ihres Gegenstandes willen Zweifel 
erregt. 



esse), Beyer I, 85. 99. An Ludwig d. D. hat sich Hinkmar wiederholt wegen der 
thüringischen Güter seines Klosters St. Remy und seiner bischöflichen Kirche ge- 
wendet (Flodoard TII, 20 M. G. Scr. XIII, 311 1. 12 pro defensione et tuitione, vgl. 
1. 23. 25). Die Immunität Ludwigs des D. für die Kirche Utrecht, die nicht zu 
seinem Reiche gehörte, und die Ludwigs d. St. für Prüm (Mühlb. No. 1367 und 
Böhm. No. 1831) enthalten wenigstens keine Aufzählung fremdländischer Güter 
und könnten so mit Mühlbacher unter No. 137 auf die in den Reichen dieser 
Herrscher gelegenen bezogen und deshalb für unbedenklich angesehen werden; 
aber man muss doch im Hinblick auf Böhm. No. 1580 sagen, dass Ludwig d. St. 
an diesem Diplom seines Vaters für Prüm eine geeignetere Vorlage gehabt hätte 
als an dem seines Grossvaters (denn Böhm. No. 1831 ist nach der Versicherung 
Beyers I, 121 = Mühlb. No. 799); und das Utrechter Diplom Ludwigs d. D., das 
Sickel noch in sein Verzeichnis der Urkunden Ludwigs nicht aufnahm, sehe ich 
wenigstens nicht mit der Zuversicht Mühlbachers als über allen Zweifel erhaben 
an: der aus Formul. Imper. 11. 12. 28 für Bischofskirchen entnommene Satz et 
nostro fideliter parere imperio war in Ludwigs d. D. Diplomen für Kirchen des 
eigenen Landes am Platze (so für Sehen, Verden, Paderborn Mühlb. No. 1346. 1353. 
1398), aber nicht in einem für Utrecht. 

11) So befasst sich sein Diplom für St. Denis Tardif Nö. 196 mit den (einzeln 
aufgezählten) Zellen des Klosters in den Reichen seines Neffen und Bruders, aber 
nur um (ohne Immunität zu gewähren) den Ertrag der Zellen (oder doch der 
meisten unter ihnen) den Mönchen des Klosters „contra venturos abbates* zu 
sichern. — Nicht in Betracht kommen Pancarten, die unter ausdriicklichem Hin- 
weis auf den Verlust der von den früheren Herrschern des Gesamtreiches ge- 
gebenen Diplome der Landesherr einer Kirche oder einem Kloster auch für die 
auswärtigen Besitzungen ausstellt (so Karl d. K. Böhmer No. 1652). 

12) Excepto proprium ingenuorum hominum quod infra conjacet: trotz der 
(richtigen) Übersetzung Sickels (Btr. 5, 336 „inmitten des Klosterlandes" vgl. 
Mühlb. No. 824 salvis proprietatibus liberor. Slavor.) und trotz seiner eigenen Be- 



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Die drei kaiserlichen Diplome Ludwigs des Frommen u. s. w. 167 

Der Gegenstand ist das angeblich von Ludwigs Vorgänger Karl 
urkundlich dem Kloster Aniane geschenkte castrum Montecalmense am 
Herault, ein Naqie, der sich bis heut in einem Hügekuge (Montcamel) 
längs des Flusses erhalten hat^^). Ich vermutete schon bei Besprechung 
von Mühlb. No. 309" (S. 14 ff.), wo an den Fuss dieser Burg das Kloster 
gesetzt wird, dass, so lange Abt Benedict dort waltete, also weit über 
Karl d. Gr. hinab, in der Umgegend es noch gar keine Burg gegeben 
habe; fiir sicher nehme ich wenigstens, dass, wenn es wirklich eine gab, 
Benedict nicht, wie hier behauptet wird, in ihren Besitz gelängt ist, weder 
in Karls königücher Zeit: denn das Diplom von 799 (Mühlb. No. 340), 
das die Gesamtheit oder doch die wichtigsten der bis dahin im Gebiete 
des Herault erfolgten Schenkungen zusammenfasst, erwähnt davon nichts — 
noch in seiner kaiserlichen: denn diese hat, statt zur Entfestigung durch 
Hingabe einer Burg an ein Kloster den Herrscher geneigt zu machen, 
ihn vielmehr, angesichts der Flottenuntemehmungen der Sarazenen und 
Mauren, zu besserer Sicherung der, Inseln wie der Küstenstriche des 
mittelländischen Meeres gedrängt. Überhaupt ist's ein wesentlicher Zug 
der Wehrverfassung des fränkischen B/Ciches, dass Karl d. Gr. in seiner 
ganzen Zeit nach zuverlässiger Kunde nur eine Schenkung solcher Art 
gemacht hat, die Schenkung von Insel und Burg (castellum) Sermione 
im Gardasee an St. Martin zu Tours, die doch, bestimmt zur Beschaffung 
von Kleidern, nur finanziellen Belang hatte ^^). Hiemach wäre die Gabe 



merkung in Gott. gel. Anz. 1878 S. 558 denkt Waitz VG« IV, 321 hier an die 
^unmittelbare Nachbarschaft*; aber infra ist intra: so (um aus der Fülle von 
Beispielen nur Originale herauszugreifen) Mühlb. No. 1334 (verdruckt 1134). 1363 
(infra duo flumina, infra predicta terminia et marka). 1544 (infra . . extra). 
Übrigens ist der Satz in allen drei Diplomen entstellt: No. 503. 726 usque ad 
terminos eorum, 939 u. a. terminum rerum, vermutlich zu berichtigen nach der Privat- 
urkunde von 899 H. d. L. V, 108 (sub castro Monte-Calmensi infra) terminum de 
villa Monte- Asinario (nach Thomas 116; nicht, wie H. d. L. steht, Avinario, was 
da erst col. 2023 verbessert wird) oder kürzer terminum de Marojol (Thom. 106 ^i 
mons Asinarius in terminio de Maroj., und termin. de Marajol et de 
Aniane. 

13) Mühlbacher wirft unter No. 503 die Frage auf, ob castr. Montecalmense 
(in No. 726 ist bei ihm castr. Magdalonense nur Schreibfehler) in Montagnas, Arr. 
Beziers, zu suchen sei. Das wäre wenigstens nicht im Sinne der Schreiber aller 
drei Diplome, die das castrum dem Gau Maguelonne zuweisen, von dem nach 
Thomas S. XII an das Arrondissement Beziers nichts gekommen ist, und nicht im 
Sinne der Schreiber von Mühlb. No. 309 und. 560, die es auf die Höhe über 
Aniane oder in die Nachbarschaft von Aniane setzen; auch Mons Asinarius 
(Anm. 12), heut Marou, gehört zum Arr. Montpellier, also zum Gau Mague- 
lonne. 

14) Mühlb. No. 163. Nur zu Lehen (jure beneficiario) hat nach Böhmer 
No. 1541 H. d. L. 11^ 221 der Vater des Arrius und Ayxomus von Karl Burgen 
im Gau Agde erhalten. Seine Bestätigung der Güter des Chorherrenstifts auf 
Kievermunt (Mühlb. No. 215) lässt, mochten dort Schanzwerke damals noch vor- 
handen sein oder nicht (vgl. Cap. I, Anm. 12), ein Eigentum am Castrum uner- 
wähnt. Auch von Kaiser Ludwig hat Korvey auf der Eresburg nur die Kapelle 
erhalten (Mühlb. No. 804), und von Ludwig d. D. die Bischofskirche Regensburg 



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168 Viertes Capitel. 

von so grosser Seltenheit gewesen, dass Ardo in seiner Lebensgeschichte 
Abt Benedicts ihrer hätte Erwähnung thun müssen, aber er kennt an 
Urkunden Karls neben der unter I erörterten nur eine Überweisung von 
Land für den Wirtschaftsbetrieb und ein „praeceptum", das den Neubau 
des Klosters veranlasste^*). Und wie konnte die Burg, wenn sie zum 
Besitz des Klosters geschlagen, in seine versteinte und vermalte Grenze 
eingezogen war, von den Urkundenschreibem noch zur Bestimmung der 
Lage des Klosters genommen werden, wie es lange nach Karl, zu Ende 
des neunten Jahrhunderts geschieht? Wie konnte sie überhaupt in der 
ganzen Folge der Diplome, fast genau vierzig Jahre hindurch, ihre Eigen- 
schaft und ihre Bezeichnung behaupten, da sicheriich ftir die Zeit Abt 
Benedicts noch mehr als für die Abt Peters des Ehrwürdigen von Cluny 
eben Abt Peters Wort gilt „si castrum aüquod monachis datur, jam 
castrum esse desinit et esse Oratorium incipit" (Epist I, 28. Bibl. Clun. 
682 C.)?'^ 

Zur Burg ftigt Ludwig in allen seinen Diplomen und noch Karl d. K. 



den Ort Herilungsburg nur als ehemalige Veste (Mühlb. No. 1308). Die Formeln 
für Schenkung und Immunität aus Karls und Ludwigs Zeit bringen Schenkung 
von Burgen an Kirchen oder Klöster nicht zur Sprache, nicht zur Andeutung. 
Um 80 mehr spielt sie eine Rolle in zweifelhafter Überheferung und offenbarer 
Fälschung. So im Spur. Fig^ac. Mühlb. No. 78, in den schlechten Abschriften der 
Immunitäten für Trier und Metz Mühlb. No. 142. 174, in dem sog. Testament 
des Grafen Rotger (Mab. Ann. II append. No. 29 mehrere castra oder auch 
castella), im Spur. Ascol. Mühlb. No. 350, Sp. Arimb. No. 371, Cremonense Mühlb. 
No. 480, in dem unzuverlässigen Abriss der Bischofsgeschichte von Sisteron (Sickel 
Reg. II S. 384 vgl. Gall. ehr. I, 476 cum omni honore!). In Ludwigs d. Fr. 
Diplom für die Kirche Langres (Mühlb. No. 520) gehört, wie Sickel zu L. 19 erweist, 
die Stelle über die munitio Lingonicae civitatis, das castrum Divion ense, das 
castrum Tornotrense zur Interpolation; Fälschung ist Ludwigs Schenkung des 
castrum Sti Martialis an das Kloster St. Martial zu Limoges (Mühlb. No. 879), die 
aber schon der Bestätigung P. ürbans IL zur Grundlage diente (Jafie* No. 5639 
castellum . . sicut illud . . Ludovicus imperator tradidisse cognoscitur). — Zu den 
von V. Simson Karl 2, 207 angeführten Berichten über Saiazenenverheerung kommt 
Alkuins Andeutung ähnlicher Heimsuchung Gotiens (Ep. No. 247 ed. Jaffe S. 793 
= M. G. Ep. No. 187 : nuntio tribulationis consternatus haec . . dictari . . et si 
qualibet tribulatione cogente locum mutari necesse sit — ; gezielt wird auf eine 
tribul. corporis und gerichtet ist der Brief an die fratres in diversis Gotiae 
partibus : also Gefährdung des Daseins, die sich über die ganze Landschaft er- 
streckt). 

15) Vit. Bened. Anian. c. 17.- 18. 19. Ebenso wenig macht Andeutung burg- 
artiger Einhegung eines Klosterbesitztums Ludwig selbst vier Tage nach dem 
zweiten seiner Diplome in der da gewährten Sicherung wider den Bruch der 
Immunität Mühlb. No. 727: er redet nur von Zaun und Graben, nicht von Wall 
und Mauer. 

•16) In der schon mehrfach angezogenen Privaturkunde von 899 H. d. L. V, 
108 No. 26 qui constructus est sub Castro Monte-Calmensi. Auf die Ortsangabe 
in Ludwigs Diplom von Mai 815 (Mühlb. No. 560) monasterium . . Aniana . . 
situm . . non longe a Castro quod dicitur Mons Calmus berufe ich mich nicht, 
weil dies Diplom mir wenigstens an anderer Stelle verunechtet erscheint (Cap. V, 
Anm. 91). 



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Die drei kaiserlichen Diplome Ludwigs des Frommen u. s. w. 169 

ein Stück in dem nämlichen Gau Maguelonne: „item illos Segos (segos) 
cum piscatoria", das, wie wenig es sich toppgraphisch nachweisen lässt^'), 
kein Bedenken erregt. Bedenklich ist aber, was im ersten und zweiten 
dieser Diplome sich daranschliesst. Da wird als Zubehör der Segi unter 
anderem eine Kirche und, webigstens im zweiten Diplom nach der einen 
piscatoria noch eine Mehrheit von piscatoriae^*) aufgeführt. Da erhält 
femer das Kloster die Nutzniessimg eines Waldes, der „eidem fisco" an- 
liegt, der also — mag man diesen Fiscus auf illos Segos beziehen oder 
auf die Burg Montcalme oder auf Miliacus in pago Bederensi — das 
einzige Stück, das im Vorhergehenden fiscus heisst — , jedenfalls entweder 
im Gau Maguelonne oder im Gau Beziers hegen muss, während an 
eben diesem Walde „dem Grafen und den Bewohnern der Stadt Agde", 
also Genossen eines fi:emden Gaus gewisse Buchte, wie nur in der Zeit 
aufgelöster Gauverfassung, und doch „althergebrachte" Rechte vorbehalten 
werden ^^). Nimmt man weiter wahr, dass was hier in so befremdender 
Weise Zubehör jener Segi ist, im dritten der Diplome, sonst fast durch- 
aus wörtUch, als Zubehör eines anderen Besitzstückes erscheint, nämlich 
des Fiscus Sita, der nach den zwei ersten Diplomen wirklich im Gau 
Agde liegt, der aber in diesen beiden ohne Zubehör nachfolgt, so erhellt, 
welch arge Zerrüttung eingetreten ist: 



17) Bouquet hat in allen viter Diplomen segos, was er im Blattweiser zu 
Bd. VI und VIII appellativisch fasst (modius agri, wie schon die alte Ausgabe von 
Ducange): gleicher Ansicht ist Mühlbacher (No. 503 ,samt dem Land*) und, wie 
es scheint, Sickel. Aber in den übrigen Urkunden Anianes begegnet dies Wort 
nicht wieder, auch sonst nicht zur Bezeichnunof von Land; in der Neoausgabe von 
Ducange wird es nach Anleitung eines alten Glossars als Behälter von Sole ge- 
fasst. H. d. L. giebt Mühlb. No. 503 und Böhm. 1639 Segos, Mühlb. No. 726 und 
(wie auch Mabillon) 939 segos: im Blattweiser wird es als Ortsname verzeichnet, 
aber nicht erklärt. Sicherlich wollen die überführenden Worte item in eodem 
pago, die in allen vier Diplomen voraufgehen, bei segi auf ein neues Besitzstück 
hinweisen, das keinen Zusammenhang mit der No. 503. 726 vorher genannten Burg 
Montcalme hat, wie es denn in No. 939 weit von dieser absteht: daraus erhellt 
(ich sehe aus oben anzuführendem Grunde ganz ab von dem reichen Zubehör, das 
in den beiden ersten Diplomen folgt), dass illi Segi Ortsbezeichnung sein muss, 
die aber möglicherweise (vgl. Anm. 12 zu eorum und rerum) entstellt ist: denn 
Les Sieges (comm. Lauroux oder Rives) gehörte nicht zu Maguelonne, sondern zu 
Lodeve (Thom. 204 und 97). 

18) Fischereianlage, worauf schon das weiterfolgende de silva ad piscatorias 
reemendandas accipiant führt. Auch Mühlb. No. 727 piscatoria manu facta setzt 
eine Anlage voraus (vgl. No. 608 piscaria in der Villa Rueil = Karoli venna: 
Karolus eandem construere jussit capturam: im 13. Jh. venna = wer bei Abt 
Cesarius Beyer I, 153 nt. 8). Mehrfach begegnen piscatoriae, wo von liegendem 
Besitztum die Rede ist: H. d. L. IP> 145 molinariis salinis piscatoriis hortis; 
Mühlb. No. 806 villig insulis piscatoriis. Vgl. noch H. d. L. V, 534 No. 272, III 
nostrum äqualem quae vocatur Piscatoria. 

19) Waitz' IV, 129 geht zwar auf die Urkunde Mühlb. No. 503 ein, berührt 
aber nicht die ihr und Mühlb. No. 726 eigentümliche Seite, die Verschiedenheit 
der Gaue. 



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170 



Viertes Capitel. 



Mühlb. No. 939. 

Item in eodem pago illos Segos cum 
ipsa piscatoria (1) et plagis maris 
(2: nur hier) 



et fiscum Dostrum adhaerentem illis 
qui nuncupatur Sita (3), 
qui est inter mare et stagnum (4) 
et subjungit pago Agathensi (5) 
cum ecclesiis villaribus (6) mancipiis 
plagis maris (7: niu- hier) et pisca- 
toriis cum omnibus aspicientiis et 
adjacentiis (8) cum silvis et arbori- 
bus ; . usque ad . . Carajacum (9: 
nur hier), 



quantumcunque vel quomodocunque 
in eisdem locis ibidem [idem ?] geni- 
tor noster quondam ad suum habuit 
opus (10) 



Mühlb. No. 503. 726. 

Item in eodem pago illos Segos cum 
(ipsa: nur No. 726) piscatoria (1), 

quantumcunque in eodem loco idem 
genitor noster quondam ad suum 
habebat opus (10), 



qui est inter mare et stagnum (4), 

cum ecclesia et villaribus (6) et pisca- 
toriis (nur No. 726) et omnibus aspi- 
cientiis vel adjacentiis (8) suis 



De Silva veroque eidem fisco adjacet 
concedimus . . monachis . . ut ad 
usus . . quantumcunque necesse fue- 
rit . . accipiant . .; cetera vero . . 
et silva et pascua utantur et comes 
et habitatores civitatis Agathenses, 
sicut antiquitus usus fuit. 



In pago namque Agathensi fiscum 
nostxum, qui nuncupatur Sita (3. 5) 
Et in pago Narbonensi . . (11) 



Et in pago Narbonense . . (11) 

Die Verwirrung fällt um so mehr auf, da sie sich besonders in den 
zwei zeitlich ersten Diplomen zeigt, während das spätere, bei dessen 
Dictat gedankenloses Überlesen der Vorlage eher zu einem Versehen 
hätte führen können, sich wenigstens lesen lässt, obschon auch dieses in 
seinen topographischen Bestimmungen Anstoss giebt, sofern es das Krongut 
Sita, das, wie sich gleich zeigen wird, als schmale Landzunge vom Gau 
Agde auslaufend, mit keinem anderen als mit diesem zusammenhängt, 
den zum Gau Maguelonne gehörenden Segi räumlich anschliesst. Man 
hat Anlass zur Frage, ob bei dem Durcheinanderwerfen Absicht war, 
vornehmlich ob die Herabziehung des Satzes In pago Agathensi fiscum 
nostrum Sita weit weg von der einschränkenden Bestimmung der Worte 
quantumcunque vel quomodocunque . . genitor noster . . ad suum habuit 
opus, wodurch nun das Gut der Begrenzung seines Umfangs und die 
Berechtigung am Gut der Bestimmung ihrer Art enthoben wird, einem 
Anspruch auf das Ganze Grundlage geben sollte. Denn Sita schlechthin. 



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Die drei kaiserlichen Diplome Ludwiga des Frommen u. s. w. 171 

also das Ganze, nahm nachmals Aniane allerdings in Anspruch, und 
niedrig war das Ziel nicht, worauf es sich da richtete. Es hätte an 
Sita eine Örtlichkeit behauptet oder gewonnen, die in unserer Zeit kaum 
geringere Bedeutung hat als im frühen Mittelalter Maguelotine. Ist 
doch Sita inter mare et stagnum usque ad locum qui dicitur Carajacum 
nichts anderes als (was auch unter den Deutschen die Urkundenbearbeiter 
ihrer Beachtung wert halten sollten) Cette, auf der Nehrung zwischen 
dem Meere und dem Etang de Tau „bis zur Ferme Caraussonne^' — 
auf dem Boden eines karolingischen Krongutes auch hier heut eine 
belebte Handelsstadt, die so wenig wie Frankfurt und Zürich zu ihrem 
Aufsteigen und Erblühen noch der fördernden Anziehungskraft eines 
Bischofssitzes bedurft hat. Bei Sita konnten besonderen Wert auch 
einzeln über die Landschaft verstreute Bäume bekommen, wie sie, ab- 
weichend von den Schenkungsformeln, das dritte der kaiserlichen Diplome 
noch neben den Wäldern dem Kloster zueignet (cum silvis et arboribus 
superpositis). Denn der an einer Steineichenart im Königreich Arelat 
und auf der benachbarten Küste von Gervasius Tilberiensis gerühmte 
Botfarbenstoff begegnet auch zu Sita, wenigstens im 12. Jahrhundert, in 
der Zeit, da unser Cartular von Aniane zusammengestellt ward -**). Und 
an Streit, der zu Fälschung verleiten konnte, hat es bei Cette, lange 
bevor es Stadt wurde, nicht gefehlt. Wir erfahren von einem Schieds- 
spruch zwischen Aniane und dem Abt von St. Ruf eben über Seta, 
dem sich Abt Baimund von Aniane 1187 unterwarf '^^), und in einem 
um 14 Jahre älteren Diplom erscheint ein Teil von Cette, man sieht 
nicht seit wann, im Eigentum der Bischofskirche Agde. Aber dass es 
zu einer Fälschung wirklich gekommen sei, will ich doch nicht behaupten ^^). 

20) Gerv. Tilb. Ot. imp. 3, 55 (Leibn. I, 978) vermiculus ex arbore — in regno 
Arelatensi et confinio maritimo — ad modum ilicis . . folia haben te prodit. Man 
weiss, dass schon Karl d. Gr. seinen Villen Verwaltern Lieferung von vormiculum 
auflegte (Capijb. de vill. c. 43 S. 87). Zu Sita nach der Urkunde des Bischofs von 
Agde 1154 und der seines Nachbarn Wilhelm von Omelas (H. d. L. V 1174. 1177). 
So geht wohl auf das nämliche die anderwärts ungewöhnliche, im Languedoc aber 
auch sonst bemerkbare Zufügung von garricis (Ducange : ilices minores coccigenae) 
zu silvis (übergangen von Mühlbacher I S. XVII) in den allgemeinen Besitzesbe- 
stätigungen der zwei frühesten Kaiserdiplome für Aniane, inx. Diplom für Gellone 
Mühlb, No. 498, im Schenkungsbriefe Graf Wilhelms (AG wie GG) und in der 
Schenkung Braidings H. d. L. IIb 76. 

21) Die dürre Notiz Gall. ehr. VI, 842 erhält auch XVI, 361 keine Ergänzung. 
Nach Thomas Dict. topogr. 44 ist 1187 Seta von Aniane weg und bald danach 
an St. Ruf gekommen, doch erfährt man nicht, ob Aniane entschädigt oder sein 
Anspruch für haltlos befunden worden sei. Die Kirche von Cette mit Zubehör 
bestätigte P. Innocenz III. den Chorherren von St. Ruf 1206 (Potth. No. 2768). 

22) Soweit nämlich die Urkunden einander widersprechen, treffen sie nicht 
gerade hart aufeinander. Dem Kloster Aniane sicherten die Päpste Eugen III. 
und Hadrian IV. 1146 und 1154 ecclesiam S. Dii de Seta et locum Setae ohne Ein- 
schränkung (Jaffe-Lfd. No. 8953. 9943 bisher nur zum Teil oder gar nicht gedruckt). 
Etwa .20 Jahre nach dem Privileg Hadrians IV. erscheint im Diplom K. Ludwigs VII. 
(1173: Gall. ehr. VI J. 326) unter den Gütern der Bischofskirche Agde ein Drittel 
von Cette samt dem was zum Bischofsrecht gehört. Gehörte nun dies Drittel nicht 



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172 VierteB Capitel. 

Ich begnüge mich, die Verwirrung im Texte der zwei ersten Diplome 
aufzuzeigen: sie bekundet wenigstens einen Mangel an Sorgfalt, der sonst, 
wie man weiss, an Dictaten der Kanzlei Ludwigs nicht hervortritt. Es 
ist die Flüchtigkeit einer privaten Arbeit oder Umarbeitung, die ohne 
Kenntnis der Gauverfassung unter Ludwig unternommen ward und sich 
auch der Prüfung von Zeitgenossen Ludwigs nicht aussetzen durfte. 

Nach solcher Wahrnehmung könnte man Störung der Ordnung in den 
zwei ersten Diplomen auch am Ende der Verftigung vermuten, wo noch eine 
Anweisung auf jährUche ÖUieferung aus königlichen Villen folgt^^), nicht 
verbunden mit den übrigen Schenkungen, sondern von ihnen durch die für 
diese verliehene Immunität getrennt, obgleich bei Schenkung mit Immunität 
an die Immunität in der Regel nur noch Wahlrecht sich schhesst. Indes 
einen dringenden Grund hat die Vermutung doch nicht ^*). Inhalt- 
hch findet die Bestimmung des bei der Öllieferung je nach dem Aus- 
unter die Schenkungen, die der König da macht, sondern unter die Bestätigungen 
(laudamus), so Hesse sich vermuten, das» es etwa samt dem im nämlichen Diplom 
berührten Drittel der Herrschaft über die Stadt Agde und dem der (Cette fast 
gegenüber gelegenen) Burg M6ze als das schon 848 von Karl d. K, (Böhmer "No. 1602) 
der Bischofskirche zurückgegebene , Drittel" all dessen gemeint werde, was seine 
Vorfahren ihr entzogen gehabt. Aber diese Vermutung (aus der sich freilich 
zunächst ergeben würde, dass Cette mit nichten durch Ludwig d. Fr. an Aniane 
gekommen, sondern weit über Ludwigs Tod hinaus in Königs Hand verblieben) ent- 
behrt der Sicherheit. Karls d. K. Rückstellung des Drittels, der man eine grosse 
Wichtigkeit für die Entwickelung der Bischofskirche Agde zuschreibt (H. d. L. IV, 713 
„Ursprung der weltlichen Herrschaft der Bischöfe*), wird von Ludwig VIT. doch nur 
bei Bestätigung der bischöflichen Rechte auf das Drittel von bestimmten Gefällen, 
aber nicht ausdrücklich beim Drittel von Cette und von Meze angezogen ; und für 
den Lehenbesitz von M^ze hat Karl d. K. Laien eine Bestätigung erteilt (Böhm. 
No. 1541), die nach Thomas a. a. 0. S. 114 (freilich ohne nähere Angabe) noch 
Ludwig VII. 1170 wiederholte. Dass über das jus episcopale „de vermilii de Seta* 
Bischof Ademar von Agde schon am 15. Mai 1154 verfügte (H. d. L. V, 1174), ist 
für diese Frage belanglos. 

23) Wie es scheint aus zwei Villen in der Nähe von Arles: placuit eciam . . 
quando Dominus abundanter largiri dignatus fuerit, 10 modia de oleo dare, id est 
de Tolomena (so Mühlb. No. 726 H. d.L., tel. oder tol.No. 503 H. d. L. nach Bouquet) et 
Solaria (so H. d. L. No. 726, sol. H. d. L. No. 503 nach Bouquet), quando vero minus, 
6 modia; et jubemus procuratoribus earundem villarum ut mensuram prescriptam . . 
in Arelato (No. 726; dagegen No. 503 H. d. L. und Bouqu.) jure uno singul. annis 
dare studeant. Sickel und Mühlbacher fassen die Anweisung ganz allgemein („pro- 
curatoribus villarum* schlechthin, „den Villenverwaltern**), sie nehmen also wie 
Bouquet telom. et solar, appellativisch. Aber die appellative Bedeutung hat Ducange 
nicht erwiesen und in der von ihm angenommenen hätten telomena (= tolagium) 
und soleria (vectigal quod pro solo penditur) bei Königsvillen keinen Sinn. Er- 
wartet man bei villarum wenigstens die Angabe einer Landschaft, so fordert der 
Zusatz earundem zu villarum geradezu örtlich bestimmte Villen (Solarium, Sole- 
rium nicht selten im angrenzenden Sprengel Nimes). 

24) AufiUlligere und doch echte Nachträge (zwischen der Poen und der Cor- 
roboration oder gar nach der Corroboration) in Diplomen Karls d. Gr. und 
Karls d. D. verzeichnen Sickol UL. S. 180 und Mühlbacher SB. der Wiener Ak. 
phil.-h. Cl. 92, 399. 



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Die drei kaiserlichen Diplome Ludwigs des Frommen n. s. w. 173 

fall der Ernte zu beobachtenden Masses treffliche Stütze an Kaiser 
Ludwigs Ordnung für die Kanoniker mit ihrer gleichartig wechselnden 
Bemessung des täglich zu reichenden Weines ^^). Nur überrascht, neben 
einer seltenen Beamtenbezeichnung ^**) in diesem Stücke, der Umstand, 
dass das ganze Stück im dritten der kaiserUchen Diplome, welches 
scheinbar alle Verleihungen zusammenfassen soll, keine Stelle erhalten 
hat. Das erste und zweite sind auch hier einander näher verwandt als 
dem dritten. 

Mit dem dritten Diplom Ludwigs teilen aber die zwei ersten an 
der Spitze der Verfugung die diplomatisch befremdende Form der die Gaben 
an das Kloster zusammen ankündigenden Willenserklärung: placuit 
aliquid ex rebus tradere nostris. Wo in Ludwigs Formeln für Schen- 
kungen und in echten Schenkungsurkunden an dieser Stelle res, ex re 
oder in re, ex rebus oder de rebus überhaupt begegnet, lautet der bestim- 
mende Zusatz nicht nostras, nostra, nostris, sondern proprietatis nostrae^'). 

Die ganze, vom Kanzleibrauche unter Ludwig abweichende, Phrase 
fällt zumal an den zwei späteren Diplomen auf, da sie ihrem Inhalte 
nach nicht Traditionen, sondern Bestätigungen sind. Freilich haben sie, 
überhaupt und in den einzelnen Stücken, die Fassung einer ersten 
Schenkung, auch bezeichnet sich jede als Schenkung (per hanc nostrae 
autoritatis donationem). Aber eben dies weckt Bedenken. Durch das 
mittlere erteilt da der Kaiser zum zweitenmal Anweisimg auf jene 
Öllieferung, aber so, als ob die Anweisung die erste sei; durch das mitt- 
lere und durch das letzte beliebt es ihm, Miliac und Cette zum zweiten 
und dritten Male „ex rebus tradere nostris", indem er das eine wie das 
andere noch immer fiscum nostrum nennt und ohne dabei oder bei den 
übrigen Schenkungen einer früheren Verfugung zu gedenken^®). Ver- 
mutete man auch hier, wie bei jenen Diplomen Karls d. K., Nachlässig- 

25) I c. 122 (Mansi XIV, 232) bei ergiebigem Boden 5 Pfund, bei minder 
ergiebigem 3 Pfund: auch da demnach das Verhältnis wie hier 10:6. 

26) Procuratoribus villarum : das wäre (da in Form. Morbac. 3 Zeumer S. 330 
1. 29 es nur auf Conjectur statt des freilich unstatthaften principem beruht) das 
früheste Beispiel der Verwendung des Wortes für diese Art von Beamten, zumal 
in einem Diplom; aus späteren Formeln führt es Waitz VG^. 4, 143 nt. 3 an. 

27) Formul. Imper. 27. 40. 44 (Zeumer S. 305 1. 25 und 306 1. 2. 317 1. 36 
und 318 1. 16 [=Mühlb. No. 850.] 320 1. 22). Mühlb. No. 509. 560. 676. 847. 862. 
869. 904. 910. 932. 962. 976: wo es sich um mehrere Güter bandelt der Plural 
res, res quasdam; in den Diplomen für Aniane fällt der Singular aliquid, bei der 
grossen Menge von Gaben, doppelt auf. Das fehlerhafte de rebus nostris teilt mit 
den Anianer Diplomen nur, wie oben bemerkt (S. 151), das für Gellone Müblb. 
No. 498. und placuit nobis pro mercedis n. augmento ad mon. quod die. An. . . 
aliquid ez rebus tradere nostris begegnet auch in jener Privaturkunde für Aniane 
(H. d. L. V, 610 No. 313, an die (oben S. 144 Anm. 40) zugleich misericorditer 
regat in AG anklingt. 

28) Die Auskunft, durch die Sickel zu K. 33, einem Diplom von 774, die 
Worte sicut nunc a fisco nostro cognoscuntur possessa beim Namen einer 768 
wohl ohne Urkunde verschenkten Villa ganz einleuchtenderweise als statt- 
haft erscheinen lässt, ist natürlich auf fiscum nostrum in Mühlb. No« 939 (nach 
No. 503) nicht anwendbar. 



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174 Viertes Capitel. 

teit des Dictats, so würde es an ein Wunder grenzen, wenn in ihrer 
Begehung oder Zulassung gerade bei dem nämlichen Kloster zwei ver- 
schiedene Notare zusammengetroffen wären, ein anderer, der das mittlere, 
ein anderer, der das letzte Diplom unterzeichnete, Durandus und der 
allerdings minder gewandte, aber doch unter Ludwigs Notaren auch her- 
vorragende Hirminmaris. Die Seltsamkeit des Zufalls würde steigen, da 
auf Aniane noch eine dritte Urkunde von teilweise derselben Fehlerhaftig- 
keit der Ausarbeitung gefallen wäre, wie angedeutet eben das Diplom 
Karls d. K., wiederum aus der Feder eines andern Notars. 

Unter Ludwig d. Fr. hat sonst niemals eine Bestätigung von Schen- 
kung die Fassung erster Schenkung erhalten^®). Erst unter seinen 
Nachfolgern^^) erscheinen aus Anlass eines Herrschens^echsels erteilte 
Schenkungsbestätigungen vereinzelt in der Fassung von Neuschenkung, 
wobei aber doch, zum Glück für unsere Forschung, deren Sicherheit 
schwinden würde, wenn man allerwärts, wo Neuschenkung begegnet, 
fürchten müsste, dass nur eine verloren gegangene Schenkung bestätigt 
werde, durch die Bezeichnung der Urkunde in der Corroboration oder 
schon durch die Form der königlichen Vertügung das wirkliche Verhältnis 
zur Andeutung kommt ^'). Und ihrem Inhalte nach betreffen alle von 
Ludwig vorhandenen Schenkungsbestätigungen Schenkungen anderer, 



29) Sickel führt (ÜL. S. 163) aus Ludwigs Diplomen überhaupt nur unsere 
zwei (L. 177. 355) dafür an, dass «Urkunden anderen Urkunden genau nach- 
geschrieben wurden*. 

30) Nicht in Betracht kommt hier Lothars I. Diplom Mühlb. No. 1017 in 
Vergleich mit No. 1012: schon Puricelli hob hervor, dass No. 1012 die eij^entliche 
Schenkungsurkunde ist, während No. 1017 den Nachfolgern nur einschärft, die 
Schenkung unversehrt und nur zu Beleuchtungszwecken verwenden zu lassen. So 
kennen Thado, EB. von Mailand, in der Urkunde bei Graevius 4, 96 und Karl III. 
im Diplom Mühlb. No. 1557 über diese Sache nicht zwei, sondern nur ein Prae- 
ceptum Lotharii. 

31) Ich habe vornehmlich die Urkunden Karls d. D. (Kaiser Karls III.) im 
Auge. Dass dieser seine eigene Verfügung bestätigt habe, könnte man allerdings 
meinen, wenn der Auszug Mühlbachers unter No. 1557 (die Höfe Moliniaco und 
Gapiate vgl. No. 1560 das Gut zu Meliniaco und Gapiate) völlig zuträfe, aber schon 
Puricelli bemerkte die Verschiedenheit des Gegenstands (No. 1557 nur zwei Hof- 
stätten zu Mel. und Cap., No. 1560 die übrigen Güter, alles was in den Villen 
Mel. und Cap. noch in Königshand war). Auch bei ihm handelt's sich da um 
das Verhältnis zu den Vorgängern. Wenn er nun ein von diesen erteiltes Wald- 
nutzunga- und Flussfahrtrecht in der Form einer Nougewährung bestätigt (Mühlb. 
No. 1582 vgl. 1011. 1214), so wird diese doch, worauf schon Mühlbacher SB. der 
k. k. Ak. 85, 488 nt. 7 aufmerksam macht, von ihm selber als autoritas con- 
firmationis hingestellt. Auf die Vorgänger verweist er Mühlb. No. 1550 (insula 
Suzzara vgl. No. 1212) und 1582 (vadum insulae vgl. No. 1214) nicht unmittelbar, 
nicht unzweideutig; aber von welcher Art seine Willenserklärung sei, deutet er 
wenigstens durch donamus atque concedimus an (über die Bedeutung von con- 
cedere in seinen Diplomen Mühlb. SB. der k. k. Ak. 92, 454, wozu sich Diplome 
Karls d. Gr., Ludwigs des Fr. und anderer fügen Hessen (No. 319 quod filius 
dederat nos concedere fecissemus oben Cap. III, Anm. 59 und 63, femer Mühlb. 
No. 1214. 1486. Böhm. No. 1462). 



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Die drei kaiserlichen Diplome Ludwigs des Frommen n. s. w. 175 

seiner Gemahlin, eines Vasallen oder eines Vorgängers ^^): wie in seineni 
verlorenen Diplom fiir Charroux die mit der Schenkung der Cella 
St. Semin im Anjou verbundene Erwähnung fiüherer Schenkung von 
Villen gefasst gewesen sei, und welchen Grund die Erwähnung gehabt 
habe, lässt sich aus dem Hinweise, den sein Sohn Karl einmal darauf 
macht, nicht deutlich erkennen. Dass Ludwig in kaiserlicher Zeit seine 
Bestätigung eines von ihm vor Erlangung des Kaiserthrones ausge- 
thanen Lehen mit einer Rechtfertigung begleiten zu müssen glaubte, 
sahen wir oben^^). Zur Erklärung der vorliegenden hat man an den 
Wechsel im Abtsstuhle gedacht^*), da die eine Mühlb. No. 726 nicht 
mehr (wie No. 503) der nun verstorbene Benedict, sondern Abt Tructe-^ 
sind, und die andere No. 939 Abt Hermenald erhielt. Aber nirgend 
gewahrt man das bei solcher Gelegenheit sonst nicht einmal unter den 
zahlreichen Urkunden für Korvey bei der Abfolge von Adalhart auf 
Warin. Der Eintritt eines neuen Abts ist bei Urkunden anderer Gattung, 
bei Immunitäten, Grund oder doch Gelegenheit einer Bestätigung, und 
sie wird denn in diesem Falle, wie auch beim Wechsel der Königsherr- 
schaft bisweilen als Neuerteilung gefasst, oder es wird die Vorurkunde, 
wenn schon sie die Form der Bestätigung hatte, wörthch wiederholt**). 

32) Mühlb. No. 656; 901. 909; 526. 547. 558. 596. 661. 743. 819. 921. 

33) Bouqu. VIII, 612 No. 212 vgl. Mühlb. No. 847 (die Schenkung von 
Villen). Jene Lehenbestätigung (oben S. 154, Anm. 61) hat denn auch die Fassung 
einer Bestätigung (hrmius possidere). 

34) So, freilich nur vermutungsweise, Sickel zu L. 355. Auch diese Auskunft 
würde dem verloren gehen (wenigstens was das Wichtigste, die Erwähnung der 
,Cellula Gellonis* im Diplom vom 21. Okt. 837 für Abt Hermenald angeht, Mühlb. 
No. 939), welcher der Nachricht Mabillons vertrauen wollte, dass Ludwig schon 
im Monat vorher, am 18. Sept., durch ein eigenes Diplom eben diesem Abt die: 
Cella Gellonis bestätigt habe (Not. praev. ad Vit. S. Bened. abb. Anian. No. 8). 
Dies Septemberdiplom ist nicht zum Vorschein gekommen, unter den „schedis 
Mabillonii'^ von seinem Gongregationsgenossen Bouquet, als er sie für seine Ab- 
drücke benutzte, vermutlich nicht gefunden worden: Mabillon selbst hat es in 
seinen Annalen nicht angezogen (II lib. 31 § 83). Aber in seineni älteren Werke 
unterscheidet er es zu bestimmt vom Oktoberdiplom, als dass eine Verwechselung 
angenommen werden könnte; und er zählt dort, obgleich er nichts von Mühlb. 
No. 938 weiss, doch auch drei dem Abt Hermenald erteilte Diplome, also neben 
Mühlb. No. 912 und 939 noch sein Septemberdiplom. Für echt kann ich meiner- 
seits es trotz Mabillon nicht ansehen, aber um so mehr darf es als ein Zeugnis 
der mannigfach von Aniane gegen Gellone gemachten Anstrengungen gelten 
(a. a. 0. not. praev. 3; oben S. 7 Anm. 9). 

35) Mit dem Wechsel im Abtsstuhle hängt zusammen aus der Zeit Karls die 
Immunitätsbestätigung für St. Martin zu Tours Mühlb. No. 349 (nach der gleich- 
lautenden No. 241), aus der Zeit Ludwigs die zweite Immunität für St. Maurrd^s- 
Foss6s Mb. No. 760 (jetzt gedr. Mitth. d. I. f. österr. Gesch. 16, 210: nach No. 597) 
und die Immunitätsbestätigung für Sittim Mb. No. 915 (nach No. 844), bei Bischofs- 
kirchen die für Erzbischof Hieremias von Sens erneuerte Immunitätsbestätigung 
Mb. No. 770 (nach der von ihm für EB. Magnus ausgestellten : Sick. Deperd. Seno- 
nic. eccl. 2). Vielleicht mit der Neuordnung der klösterlichen Verfassung der 
Cella Noaille, die dieser zum zweitenmal gewährte Mühlb. No. 500 nach No. 497. 
(Denn dass schon No. 497 der Cella Noaille galt und dem Hauptkloster St. Hilaire 



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176 Viertes Capitel. 

"Wirklich wäre gegen die zwei späteren Diplome, wenn sie nur Immuni- 
tät, und diese in besserer Fassung enthielten, nichts einzuwenden: kehrt 
doch statt der in Ludwigs Schenkungen und Schenkungsbestätigungen 
vorherrschenden Arenga Si hberalitatis munimine die meist für Immunität 
verwendete Si erga loca divinis cultibus mancipata in allen drei Diplomen 
wieder. Auch würde die Einförmigkeit der Arenga^®) zwar bei der Be- 
weglichkeit der Dictatoren Ludwigs in wechselndem Gebrauche verschie- 
dener Prologe überraschen, aber noch kein Anstoss sein. 

Indes die Einförmigkeit erstreckt sich weiter. Wie nach der Arenga 
alle drei Diplome in der kaiserlichen Willensankündigung jenes kanzlei- 
widrige ex rebus tradere nostris gemein haben, so lautet der Herrscher- 
titel übereinstimmend divina ordinante Providentia Imperator augustus, 
auch im dritten von 837, wo er als Abweichung von unverbrüchlichem 
Brauche der Kanzlei in Ludwigs letzter Periode (div. repropitiante de- 
mentia) wirklich Anstoss giebt, aber im ganzen Zusammenhange der 
Verunechtung sich auch erklärt. Wie in einem Zuge ist die Hand des 
Fälschers von den zwei ersten Diplomen, auf deren Periode diese Fassung 
zutrifft, hinübergeghtten zum dritten: denn nicht erst der Schreiber, der 
das Cartular zusammenstellte, sondern der, von dem seine Vorlage rührte, 
verschuldet den Fehler^'). 

zu Poitiers nicht gelten konnte, begründet Mühlbacher ausreichend durch den 
Umstand, dass die Immunität „circa ipsa cella Dei** gewährt wird, wie in der Ur- 
kunde eben nur Noaille heisst: gegen Sickel, der Btr. 3, 211 derselben Ansicht 
war, aber später 5, 320 n. 2 diese Immunität dem Hauptkloster zusprach, weil 
sie ,pro reverentia Sti Hilarii* erteilt worden sei, bemerke ich, dass dies auch auf 
Noaille zutrifft, da Noaille, wie des öfteren eine Cella, gleichen Patron mit dem 
Hauptkloster hatte (Cap. V Anm. 10), vor Ludwig Mabill. Ann. II append. No. 28 
und nach Ludwig Bibl. d. Tee. d. eh. I, 2, 81 No. III Nobiliacum . . construct. in 
honore Sti Hilarii, vgl. auch Trsl. S. Junian. c. 2 Mabill. Act. IV, 1, wo Mabillons 
Auslegung gezwungen ist.) — Als Immunität-sbestätigungen aus Ludwigs Zeit, die 
sich durch den Wechsel der Herrschaft, freilich nur einen titulären (von Ludwig 
auf Ludwig und Lothar) erklären, verzeichnet Sickel Btr. 3, 223 die für Corbie 
Mühlb. No. 796 (wo allerdings zugleich das Mb. No. 551 noch fehlende Wahlrecht 
gewährt wird) und für Prüm (Mb. No. 799 vgl. 552). 

36) Sickel führt (UL. S. 168) gerade das letzte der Diplome für Aniane 
(L. 355 = Mühlb. 939) als Beispiel „freierer Behandlung* an, weil es zwar „nach 
L. 6 (= Mühlb. 505) geschrieben", indes mit einer andern Arenga versehen worden 
sei. Aber er selbst legt zu L. 355 des näheren dar, dass es mit L. 6 nur in der 
Immunität zusammentrifft (auch hier nicht in der Adresse an die Beamten, die 
ihm fehlt), dagegen sich sonst, soweit es überhaupt mit anderen Diplomen für 
Aniane vergleichbar ist, an L. 8 = Mühlb. 503 schliesst und mit diesem auch 
die Arenga teilt. — Die Arenga des mittleren Diploms hat im Abdruck der 
H. d. L. IVi 141 (aus „Cartulaire d'Aniane") statt propter amorem Dei ejusque 
in eisdem locis sibi famulantes, wie Bouquet nach Mabillon giebt, unverständlich 
pr. a. D. e. mercedem 1. s. f.: ist dies nicht ein Lesefehler erst der Herausgeber, 
so zeigt es wiederum, dass Mabillon nicht das Cartular benutzt hat (oben S. 7 
Anm. 9). Derselbe palaeographisch leichtbegreifliche Fehler Mühlb. No. 734 im 
Abdruck von Baluze (aber nicht in dem der Espagna sagrada). 

37) Im Cartular steht nämlich nach Revillout Mühlb. No. 939 ziemlich weit 
ab von No. 503 und 726 (diese zwei 19 R« und V«, jenes 22 und 23 R«), und die 



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Die drei kaiserlichen Diplome Ludwigs des Fromm en u. s. W. J'Jf^ 

Dies dritte Diplom treffen noch zwei ihm eigene Gründe des Ver- 
dachts. Man hat schon längst bemerkt, dass es als Bestätigung und 
Wiederholung der früheren Verleihungen alle bisherigen Schenkungen 
zusammenfasse^®): es erscheinen da die uns sonst. bekannten^®) (mit der 
oben bemerkten Ausnahme der Anweisung auf ÖUieferung) und noch 
mehrere dazu, ein jedes der verschiedenen Güter mit seinem Namen be- 
sonders aufgeführt und, ich wiederhole es, gruppiert nach den Gauen, in 
denen sie lagen. Eben in dieser Beziehung bildet es eine auffällige Er- 
scheinung unter Ludwigs Urkunden für fränkische Klöster oder Kirchen, 
deren Brivilegien sonst das Besitztum nur als Ganzes bestätigen, nicht 
indem sie die einzelnen Stücke namhaft machen*^). Unter den Einzel- 



im Cartular auf No. 939 folgenden Stücke No. 938 und 912 (23 V» und 24 V») 
haben nur den leichten Lesefehler propitiante statt repropitiante, der, wie es 
scheint, auch im Cartular von Eine für No. 925 und (nach Sickels Bemerkungen UL. 
284 n. 5 über No. 930 und 974 -^ L. 347. 383) noch in anderen Abschriften 
begegnet. 

38) Mab. Ann. II 1. 31 § 83 (Ludovicus) possessiones omnes Anianensis monar 
sterii confirmavit. 

39) Gehört unter diese der Ort Porqui^res (inter mare et stagnum locum qui 
dicitur Porcarias)? In der, dabei angezogenen, Urkunde Karls (Mühlb. No. 340) 
isfc nach dem alten und neuen Abdruck der H. d. L. Porquieres nicht selbst Gegen- 
stand der Schenkung, sondern dient nur der räumlichen Bestimmung von zwei 
dem Kloster geschenkten Mühlen (molina duo . . super fluv. Lico visi sunt con- 
struxisse inter mare et stagnum loco qui voc. Porcarias). Der Druck Mabillons 
dagegen hat mol. d. s. f. L. v. s. c. et i. m. e. s. loco Porcarias, stimmt also, da 
loco (vgl. weiterhin de loca herma, de supradicta loca und bes. Sickel UL. S. 146) 
gleich locum sein muss, mit Ludwigs Diplom, nach dessen Wortlaut der Ort Pore, 
selber von Karl geschenkt worden ist. Sickel folgt dem Abdruck Mabillons, 
während Mühlb., der unter No. 340 Pore, nicht nennt, sich an den von ihm aus- 
gezeichneten der neuen Ausgabe der H. d. L. zu halten scheint, wonach denn 
Ludwigs Diplom in diesem Stück gefälscht wäre. Nach den von Thomas a. a. 0. 
gegebenen Ortsbestimmungen entscheide ich mich wie Sickel. Die zwei Mühlen 
am Licus oder Ledus (der Lez, nicht wie Mühlbacher mit Devic meint, die Mausson, 
deren alter Name Amansio war vgl. H. d. L. V, 485. 890. 1155) können nicht in 
loco Pore, gelegen haben, da Porquieres dem Meeresdurchbruch (Grau) von Coquil- 
louse entspricht, während der Lez seine Mündung in das Meer durch den Grau 
du Lez oder de Palavaz findet (Thom. S. 149. 94); umschlossen vom Krongut 
Juviniac (infra terminum fisci Juviniaci) sind sie rechts vom Lez im Canton 3e von 
Montpellier (Thom. XVII und 125), dagegen Porcariae (Thom. 149 commune de 
Latte und Perols) auf seinem linken Ufer im Canton 2© von Montpellier zu 
suchen.. 

40) Ich meine, dass auch Sickel dieser Ansicht ist, obgleich er sie nicht aus- 
gesprochen hat. Ich meine es, indem ich zwei von ihm an verschiedenen Stellen 
verteilte Bemerkungen aneinanderrücke. Über Mühlb. No. 939 sagt er (zu L. 355), 
so bestimmt wie nur Mabillon (oben Anm. 38) , diese letzte Urkunde Ludwigs für 
Aniane fasst in der Weise der Pancarten alle früheren Verleihungen noch einmal 
zusammen*. Sofern diese früheren Verleihungen zum Gegenstand Güter, Grund- 
besitz haben, trifft sie also sein Urteil (Btr. 3, 203 nt. 1), dass ,für fränkische Kir- 
chen Gonfirmationen des Gesamtbesitzes, ohne dass die alten Besitztitel verloren 
gegangen, erst in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts vorkommen", wo 

Puckert, Aniane und Gellone. 12 



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178 Viertes Capitel. 

heiten spricht manche an. So die Schenkung der Königin Irmingard, 
der ersten GemahUn Ludwigs, die nach Ardos Zeugnis wirklich den Abt 
Benedict „mit Gaben geehrt hat". Noch bestimmteren Anhalt hat die 
Nachricht, dass in ein von Karl mittelst Urkunde dem Kloster geschenktes 
Gut die Einweisung von dessen „Missus", dem Erzbischof Leidrat vor- 
genommen worden sei: der ist in der That, um die Zeit der Urkunde 
Karls, nach Septimanien gekommen, als Missus dort in Thätigkeit ge- 
treten, mit Abt Benedict zusammengetroffen^^). Aber für unmöglich 
halte ich, dass Ludwig ein Krongut, das nämliche, das von ihm am 
19. Oct. 837 als eine Villa nur auf seine Lebenszeit und nur a^ Lehen 
dem Kloster bestätigt worden war, jetzt, am 21. Oct., ohne Andeutung 
einer — in der Spanne dieser zwei Tage — geschehenen Verwandlung 
zu Eigen, unter den Besitzungen habe genannt, die dem Kloster auf 
immer zu unbeschränkter Verfügung überlassen seien *^). 

So vereinigt vomehmhch das Schenkungsverzeichnis in den drei 
kaiserhchen Diplomen für Aniane zu viel Spuren einer oder mehrerer in 
Kanzleiarbeit ungeübter Hände und zu viel Zuthaten oder Änderungen 
zu Gunsten des Klosters, als dass die das Verzeichnis eröffiiende Über- 
weisung der „cellula Gellonis" gegen den Schein gesichert wäre, erst 
nach Ausbruch des Streites zwischen Aniane und Gellone hier eine 
Stelle gefunden zu haben: es fällt auf sie der Verdacht, dass sie zwar 
keineswegs in der nämlichen Zeit des Streites, aber in der nämlichen 
Absicht eingeschaltet ward, der das Anianer Exemplar der Schenkungs- 
urkunde Graf Wilhelms für die „cella Gellonis" sein Dasein verdankt. 
Bestätigungen der Schenkungen anderer, namentlich König Karls und der 
Königin Lmingard können zu Grunde liegen, vielleicht auch Schenkungen 
Ludwigs, den zwei späteren Diplomen auch eine Immunitätsbestätigung, 
pbschon jener durch alle drei sich ziehende Fehler der Adresse ihrer 
Einschärfung (ut nullus ex fidelibus s. Dei ecclesie ac nostris) zugleich 

sie „dann pancartae heissen" (die nachträgliche EinschräDkung Btr. 4, 584 berührt 
unser Diplom nicht). Vgl. seine Verwerfung von Mühlb. No. 325 (Reg. S. 399 
Spur. Cenom. eccl. 1). 

41) V^ita ßened. Anian. c. 31. Zu dem von Mühlb. unter No. 340 angeführten 
Briefe Alkuins No. 93 (ed. Jaffe = M. G. Ep. IV No. 93) kommen noch No. 140. 
141. 147. M. G. No. 200. 201 (S. 345 1. 9). 207 und Theodulfi carm. 28 v. 117 ff. 
(M. G. Poet. lat. aev. Carol. I, 496 ff.). 

42) Mühlb. No. 939 Haec omnia . . perpetualiter concedimus . . ita ut quic- 
quid . . de predictis rebus facere vel ordinäre voluerint . . libero in omnibus 
perfruantur arbitrio: vorhergeht unter anderem „fiscum nostrum Curcenate cum 
omnibus adjacentiis suis"*. Dagegen Mühlb. No. 938 villa Curcionatis . . diebus 
vite nostre beneficiario munere in dominatione et gubernatione Aniani monasterii . . 
persistat. Thomas a. a. 0. S. 34 und 53 nimmt an, dass fiscus Curcenate in 
No. 939 verschieden sei von Curcionatis villa in No. 938, da er jenen mit dem 
heutigen Coussenas, diese mit Carajacum, dem heutigen Caraussanne zusammen- 
fallen lässt. Aber wie hätte in Mühlb. No. 939 der nämliche Ort, der zwei Tage 
zuvor (Mühlb. No. 938) eben Curcionatis villa hiess, plötzlich Carajacum (H. d. L. 
W> 203) genannt werden können? Auch lag (nach No. 938) Curcionatis wie (nach 
No. 939) Curcenate im Gau Lodeve, wogegen Caraussanne zur heutigen Commune 
Cette gehört, also im Gau Agde zu suchen ist (vgl. oben S. 171). 



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Die drei kaiserlichen Diplome Ludwigs des P^rommen ü. s. w. l79 

in einem von ihnen das Muster der übrigen suchen heisst*^). Aber 
die Annahme eines durch Ludwig begründeten Verhältnisses der Ab- 
hängigkeit des Klosters Gellone von Aniane hat an ihnen keine Gewähr. 

Gewähr fanden ältere und neuere Forscher in einem Briefe, den 
deshalb einer der Gegner jener Annahme, A. Molinier, um seine Be- 
hauptung ursprünglicher und auch unter Kaiser Ludwig bewahrter 
Selbständigkeit des Klosters Gellone zu retten, als verunechtet erweisen 
zu müssen glaubte ebenso sehr wie die drei kaiserlichen Diplome. Ich 
meine den berühmten und besonders in diesem Zusammenhang einer 
gründlichen Betrachtung würdigen Brief Ludwigs d. Fr., durch den er 
nach dem Wortlaut der Inscriptio im Cartular von Aniane, das ihn 
uns allein erhalten hat**), den „Venerabilibus fratribus in Anianensi sive 
Gellonensi monasterio constitutis" seine Bestätigung der von ihnen vor- 
genommenen Wahl Tructesinds zum Abt verbündet und dabei ihnen 
wie ihrem Erwählten vielfache Mahnung erteilt und mannigfache Vor- 
haltung macht. 

Zunächst scheint mir zweifellos, dass, wenn die Adresse dieses Briefes, 
die die deutschen Forscher für echt hinnehmen, es wirküch ist, der Brief 
nicht für, sondern gegen die Unterwerfung von Gellone als einer „Cella" 
unter Aniane zeuge. Denn die Mönche einer Cella treten bei keiner 
uns aus dem achten oder neunten Jahrhundert bekannten Wahlhandlung 



43) Im frühesten (No. 503) hat schon die Immunität als solche etwas Auf- 
fälliges, da sie dem nämlichen Abt Benedict zu teil ward, der von Ludwig, sei 
es gar an demselben Tage (so Sickel L. 6 nach der Abschrift Mabillons), sei es 
am nächstfolgenden (so Mühlb. No. 505 nach dem Cartular), eine Immunitäts- 
bestätigung (nur unter Verweisung auf den Vorgang Karls d. Gr. No. 309) und 
Wahlrechtsbestätigung erhielt (in völlig richtiger Fassung: hier Adresse an die 
Beamten). — Aus Mühlb. No. 505 hätte, müsste man statt Verunechtung gar 
Fälschung des Ganzen annehmen, das durchaus richtige Eschatokollon für No. 503 
genommen werden können — ebenso wie aus No. 938 das gleichfalls tadellose 
für No. 939. 

44) Mühlb. No. 718; wie hier angegeben wird, hat ihn auch Mabillon, der 
aber, indem er seinen Druck auf Dachery und nicht auf das Cartular zurückfuhrt, 
wiederum zeigt, dass er dies nicht benutzte. Geschrieben ist der Brief sicherlich 
vor dem 22. März 822, an welchem Tage der Kaiser bereits auf Veranlassung Abt 
Tructesinds die rechtsgeschichtlich berühmte Kundmachung de immunitate fracta 
erlässt (Mühlb. No. 727). Aber wenn Mühlbacher ihn bestimmter als Sickel dem 
Jahre 821 zuweist, im Hinblick auf den am 11. Febr. 821 erfolgten Tod Abt 
Benedicts, als ob dies Ereignis zur Wahl Tructesinds geführt habe, so kann ich 
dieser Voraussetzung nicht beistimmen. Als Abt Benedict zu Inden starb, war 
infolge seiner Abberufung durch den Kaiser erst nach Maurmünster, dann nach 
Inden, der Stuhl zu Aniane besetzt: es hatte ihn zur Zeit seines Todes Georg, der 
nach Vita Bened. c. 43 den weggegangenen überlebte und vermutlich noch, als 
diese Lebensgeschichte geschrieben ward, sich im Amte befand, da sie jede An- 
deutung eines so rasch nach dem Hintritt des Gründers abermals dem Kloster 
widerfahrenen Verlustes unterlässt. Und zur Wahl Tructesinds kam's erst nach 
Georgs Abgang. Die im Briefe des Kaisers erwähnte Anwesenheit des Erzbischofs 
Agobard am Hofe kann ebenso gut wie in den Oct. 821 in die ersten Tage von 
März 822 und die von ihm da zur Anzeige gebrachte Wahl Tructesinds in den 
Monat Januar 822 fallen. — Moliniers Einspruch H. d. L. II, 565. 

12* 



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180 Viertes Capitel. 

und in keinem Wahlprivileg der früheren Karohnger, auch wo das Privileg 
ausdrücklich Einstimmigkeit der Wähler heischt, insonderheit, wie hier die 
Brüder von Gellone, neben denen des Mutterhauses hervor: selbstver- 
ständlicherweise hatten sie, nur örtlich geschieden, aber rechtlich unge- 
trennt vom Stammeskloster, die Teilnahme an der Wahl, als Glieder 
der ganzen, auch die Zellen umfassenden Genossenschaft, wie die Regel 
des h. Benedict sie zur Neubesetzung des Abtsstuhles beruft (omnis con- 
gregatio), und Ludwig thut in seinem Briefe keine Erwähnmig der Mönche 
zu Celleneuve und zu Saugras, zu Casanova und zu St. Martin bei 
Arles, die eben Zellen Anianes waren *^). Nach der Aufschrift wäre 
Gellone nicht als Zelle im Eigentum von Aniane gewesen, sondern im 
Verbände mit Aniane: diese zwei Klöster hätten eher, wenn ich einen 
anderweit gebrauchten Ausdruck Mabillons aufgreifen darf, zusammen 
ein Doppelkloster für Männer gebildet — gleich den nordhumbrischen 
Klöstern Wearmouth und Jarrow, den fränkischen Klöstern Stablo und 
Malmedi, deren Briefe und Diplome eben die Namen je beider tragen, 
deren Abtswahlen in Gemeinschaft, bisweilen unter Wahrung gewisser 
Formen des Zusammentretens vor sich gingen oder doch gehen sollten *®). 
So würde dieser Brief im Cartular von Aniane von einer andern Seite 
her, aber nicht weniger als ebenda Graf Wilhelms Schenkungsurkunde 
(AG), den kaiserhchen Diplomen Ludwigs, mindestens dem ersten, noch 
dem Abt Benedict erteilten, widersprechen. Nach AG konnte nicht 
Kaiser Ludwig Gellone an Aniane übergeben, da schon Graf Wilhelm 
es übergeben hatte ; nach dem Briefe Ludwigs würde Gellone nicht schon 
bei Lebzeiten Abt Benedicts eine Cella von Aniane geworden sein, da 
in der Adresse des Briefes, noch nach Benedicts Tod, die Mönche von 
Gellone neben den Mönchen von Aniane, wie als Genossen einer eigenen 
Körperschaft erscheinen*^. 

45) Mühlb. No. 104 (unanimiter). 148 (unanimiter). 183 (eis in unum consen- 
tientibus, quem unanimiter elegerint). Reg. S. Bened. c. 64. — Vgl. Mühlb. 
No. 340. 560. 685. ^ 

46) Mabill. Annal. I 1. 5 § 24. — Bedae Vener. Vit. abbatum Bened. pp. § 18 
(00. bist. ed. Stevens. 2, 158: zu den Mönchen von S. Petri treten de monasterio 
S. Pauli seniorum non pauci). — Mühlb. No. 527 abbas et omnis congregatio 
ex mon. Stabul. et Malm. (vgl. No. 526 u. 815). Dipl. Ottos I. (953?) und Ottos 11. 
980 (Stumpf KU. No. 535. 767 jetzt M. G. Dipl. I, 249 und II, 248 monachi in 
predictis coenobiis habeant abbatis electionem, ex utrisque in unum coenobiis con- 
fluentibus raonachis) vgl. Wibaldi abb. Ep. No. 314 (Jaffe Bibl. I, 443: Wibalds 
Bemängelung des Beschlusses der Mönche von Stablo, ihn auf ihrem Abtsstuhle 
zurückzuhalten, durch den Umstand, dass „nee fratres Malmundarien ses vocati*). 
Als St. Chignan noch in seinen Anfängen stand, erhielten das Wahlrecht einfach 
monachi ibi consistentes (Mühlb. No. 806); nachdem ihrem Abt daneben noch 
St. Esteve-de-Cabardez übertragen war, erhielten es monachi in prefatis monasteriis 
consistentes (Böhm. No. 1559). Auch Pfalzgraf Siegfried gebietet im 12. Jahrb., 
da er Laach den Äbten von Afflighem „perpetuo regendum* übertrug, „ut aliqui 
fratrum qui apud L. idonei erunt ad communis abbatis electionem Haffligenium 
occurrant" (Beyer Mrh. ÜB. I, 487). 

47) Vorrang und Übergewicht konnte das eine Kloster gegenüber dem andern 
haben. In einem Briefe Abt Wibalds heisst Malmedi Probstei von Stablo, was 



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Die drei kaiserlichen Diplome Ludwigs des Frommen u. s. w. 181 

Aber ich glaube von der Aufschrift des Briefes, durch die er allein 
eine ausgesprochene Beziehung auf Gellone erhält, absehen zu müssen. 
Sie ist nach meinem Dafürhalten verunechtet. 

Der Singular (in Aniano sive Gellone) monasterio vertrüge sich ja 
noch mit der Vorstellung eines Verbandes: wenn A. Molinier hieraus 
die spätere Einschaltung der Worte sive Gellone folgerte, so übersah er, 
dass auch das Doppelkloster Stablo-Malmedi oft nach dem Vorbild von 
Wearmouth-Jarrow einfach monasterium heisst*®). Aber eigenartig be- 
rührt schon das den Brüdern, worunter nur die Mönche gemeint waren 
und nicht zugleich der Abt, der eben gewählte*®), an der Spitze erteilte 
Praedicat venerabiles. Das wird in Ludwigs Diplomen und in anderen 
Briefen nur einem Bischof oder Abt gegeben, den Mönchen, wo sie 
ohne den Abt Bittsteller oder Empfänger sind, versagt; auch die älteren 
Formeln scheinen es zum Worte fratribus nur zu fugen, wenn es Abt 
und Mönche zugleich begreift^®). Der Beziehung auf Aniane und zu- 
gleich auf Gellone, wie sie der Wortlaut der Aufechrift fordert, wider- 
spricht im Texte des Briefes der Singular locus iste immerhin nicht 
in dem Masse wie Mohnier meint, der durch diese und andere Singular- 
formen im Briefe vornehmlich die Behauptung ihrer Verunechtung be- 
gründen zu können glaubt*^); konnte monasterium für ein Doppelkloster 
gebraucht werden, so wäre, da locus häufig monasterium vertritt, auch 



freilich die Hand zu Malmedi, in die unser Codex dieser Briefe geriet, zu tilgen 
sich bemühte (Kp. No. 150 Jaffe a. a. 0. S. 234 vgl. 610 nt.). St. Maur-sur-Loire, 
dessen Mönche nach dem Diplom Karls d. E. (Böhm. No. 1970 jetzt Tard. No. 230) 
an der Wahl des Abts von St. Maur-d^s-Fossös teilnehmen sollen und das er da 
gleichfalls coenobium, monasterium nennt, bezeichnet er doch als diesem unter- 
worfen (subjectum: vgl. Jaffe-Lfd. No. 5635). Aber von Zelle ist weder dort noch 
hier die Rede. 

48) In den Urkunden der Majores domus No. 1. 15 (ed. K. Pertz S. 91. 102 
monasterio Stabul. et Malmund.), in den oben Anm. 46 angeführten Diplomen 
Ludwigs d. Fr. Mühlb. No. 526 und 527 ex monasterio St. et M., No. 815 monasterii 
cujus vocabulum est St. et M., und noch das des ostfr. Königs Ludwigs d. J. Mühlb. 
No. 1516 (in umgekehrter Folge der Namen). Hujus monasterii von Wearmouth 
und Yarrow Ep. Bonif. No. 124 (Jaffö Bibl. III, 290). 

49) Vom Abt wird im ganzen Briefe nur in dritter Person geredet : abbatem 
vestrum . . ille . . ille. 

50) Mühlb. No. 500. 618. 844. 845 (überall an derselben Stelle, wo, wenn der 
Abt auftritt, venerabilis steht, einfach monachi oder fratres). Venerabiles oder 
reverendissimi fratres in den Formeln: Marc. aev. Karol. 2. Lindenbr. addit. 4. 
Morbac. 23 bei Zeum. S. 115 1. 13. 283 1. 39. 335 1. 21. Für Beda, den Mönch 
von Wearmouth, der aber doch zugleich Priester war, kam das Beiwort Venera- 
bilis als Auszeichnung nach den von Mabill. Ann. II 1. 21 § 29 angeführten Stellen 
erst in Ludwigs d. Fr. Zeit auf. Ludwigs Anrede an die Mönche von Fulda nach 
Eigils Wahl (Vita Eigil. M. G. Scr. XV, 226) lautet patres fratres et dilectissimi 
filii mei, weiterhin fratres dilectiss. oder einfach fratres, fratres mei : in der ganzen 
Hede keinmal venerabiles. 

51) H. d. L. II, 565 l'empereur emploie dans tout le cours de son epitre le 
singulier et non le pluriel: locus iste, monasterii, idem monasterium. 
L'interpolation semble ici absolument certaine. 



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182 Viertes Capitel. 

locus iste noch erträglich**). Aber gleich die nähere Bezeichnung, die 
locus iste durch den Zusatz a Benedicto patre constructus erhält, schUesst 
den Gedanken an Gellone aus, das eben auch nach den Zeugnissen aus 
dem Kreise Anianes Graf Wilhelm, nicht Abt Benedict erbaut hatte. 
Es schhesst ihn auch der Wortlaut der Wahlrechtsbestätigung aus, da 
sie auf einen Umstand begründet wird, der nur von Aniane gelten konnte, 
auf Abt Benedicts Übergabe des Klosters an König Karl, wodurch es 
dessen und nun Ludwigs „Allod" geworden sei. 

Vomehmhch besteht der Brief, wie gesagt, aus Ermahnungen, War- 
nungen, Drohungen. Ihre überlegene, zum Teil strenge Hoheit macht, 
da sie sich an eben die richten, die die Aufechrift als venerabiles be- 
zeichnet, die Aufschrift noch befremdlicher. Und sachlich treffen sie, bei 
aller ihrer Mannigfaltigkeit, weder die Eigentümlichkeiten eines Doppel- 
klosters, noch das Verhältnis zwischen Hauptkloster und Cella. Die 
Pflicht des einen Teiles, dem andern in Notzeiten beizuspringen, berührt 
der Kaiser mit keinem Worte, während, wie ich schon bemerkte, Abt 
Benedict noch vor seinem Scheiden sie seinem Nachtblger gegen das dem 
Kloster Aniane doch keineswegs verfassungsmässig in Abhängigkeit oder 
durch gemeinschaftliches Abtsregiment verbundene S. Tiberii (St. Thibery) 
eingeschärft hatte. Für den Frieden zwischen beiden Klöstern, den die 
Nachbarschaft der Güter, die vielleicht im Gemenge lagen, der Gefahr 
einer Störung aussetzte, trägt er nicht Sorge ^*). Eintracht, wie sie Alkuin 
den Mönchen von Wearmouth und Jarrow ans Herz gelegt, Brüderlichkeit, 
die der sterbende Benedict seine alten Zöglinge mit den jüngsten im 
fernen Inden zu halten beschworen hatte ^*), den bei einander „in Aniane 
sive Gellone monasterio" wohnenden zu empfehlen, unterlässt der erlauchte 
Schreiber. Er fasst nichts ins Auge, als die Beziehungen zwischen Abt 
und Mönchen und zwischen den Mönchen untereinander, Beziehungen, 
wie sie in jedem Einzelkloster wiederkehren. 

Nur an einer Stelle scheint der Brief eine Vereinigung zu doppel- 
klösterücher Genossenschaft anzudeuten, in dem Zuruf: 



52) Treffender freilich die Weise, wie Beda (Vit. Bened. pp. § 15 a. a. 0. 2, 
154) die rechtliche Einheit und die räumliche Sonder ung von Wearmouth und 
Jarrow zusammenfasst: utrumque monasterium vel, eicut rectius dicere possumus, 
in duobis locis positum unum monasterium. Aber im Wahlrechtsprivileg Chilpe- 
richs m. (M. G. Dipl. Merov. No. 97 S. 88 1. 15) heisst Stablo- Malmedi ipsa loci 
con^regatio. Den Gebrauch von locus (ohne sanctus) für monasterium, den Sickel 
zu K. 105 andeutet, hat der h. Benedict selbst eingeführt (Reg. c. 40. 48. 55. 64. 
65): so begegnet er auch in Ludwigs Ordnungen für die Chorstifte (canonicor. 
c. 122. canonissar. c. 13). 

53) Sickels Auszug (L. 175) ut pacem observent ist hier einmal nicht genau 
und verleitet zu Missverständnis: die an die jüngeren Mönche gerichtete Mahnung 
sitis . . non murmuratores meint, entsprechend der Reg. S. Ben. c. 5, nichts an- 
deres als die obedientia quae majoribus praebetur. Ähnlich Ep. Alcuin. ed. Ja. 
No. 247 S. 792 = M. G. No. 187 S. 314 1. 12 (murmurationis vitio . . nolite vos- 
met . . super rectores exaltare vestros). 

54) Ep. Alcuin. No. 27 S. 197 -- M. G. No. 19 Ep. Bened. in der Vita c. 43 
(vgl. Cap. III, Anm. 42. 43). 



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Die drei kaiserliehen Diplome Ludwigs des Frommen u. s. w. 183 

(Vos enim optime nostis . . qua diligentia ille — Benedictus abbas 
Anianens. — nitebatur; ut vos) quos divina superni pastoris 
gratia per suae devotionis instantiam inibi coadunaverat pp. 
Der Zuruf fordert zwar nicht geradezu die Worte sive Gellone in der 
Aufschrift: er Hesse sich auch von der in Aniane zusammengebrachten 
Genossenschaft verstehen ^^), aber wer jene Aufschrift vor Augen hat, 
wird sich geneigt fühlen, in ihm eine Stütze ftir sie zu finden: er scheint 
die Vorstellung gepaarter Kloster auszuführen. Indes gerade dieser Zu- 
ruf stammt nicht aus dem Munde Kaiser Ludwigs, sondern — Alkuins, 
und niedergelegt hat ihn Alkuin nicht in einem seiner Briefe an Karl, 
woher Ludwig sich ihn anzueignen leicht vermocht hätte, sondern in 
einem Briefe an Bischof Nibridius von Narbonne und an Benedict 
von Aniane: 

(animus mens in vestram conligatus est dilectionem fratribusque 
conglutinatus) quos divina superni pastoris gratia per vestrae 
devotionis instantiam coadunavit illis in partibus^^). 
Da auch in Alkuins Briefe Benedict von Aniane es ist, der (hier 
allerdings nicht allein, sondern neben Nibridius von Narbonne) mit solchem 
Preise bedacht wird, so steht bewusste Entlehnung ausser Frage. Frag- 
lich kann nur sein, ob der Kaiser selbst, ob erst ein Fälscher in Aniane 
zur Zeichnung der Wirksamkeit Abt Benedicts diesen Zug aus Alkuins 
Vorstellungskreis sich angeeignet habe. Im ersteren Falle würde für 
unsere Kunde vom Hergang bei der Ausarbeitung der kaiserlichen Briefe 
in Ludwigs Zeit immerhin mehr abfallen und was wichtiger wäre als 
ein Ausschlag im Streite zwischen Aniane und Gellone. Ich halte indes 
jenen für den weniger wahrscheinlichen. Denn wenn auch Alkuins Briefe 
früh weite Verbreitung fanden, so ist doch gerade der vorliegende in einer 
einzigen Handschrift erhalten, nur in derjenigen Sammlung, die, höchst 
wahrscheinlich veranlasst durch Adalhard von Corbie, in der Zeit seiner 
Verbannung nach dem Süden entstand^'), woher dieser Abt in den 

55) Von den ersten Besiedlern des Einzel kl osters St. Mesmin zu Mici heisst 
es Vit. Bened. An. c. 24 (S. 209 1. 50) non parvam monachor. turbam coadunarunt; 
ebenso von Lorsch Mühlb. No. 148 monachor. turmam non modicam coadunavit; 
ähnlich von Hasenried Mühlb. No. 872 religiöses vires hinc inde colligendo 
aggregaverit; von Aniane selbst Vit. Bened. An. c. 5 S. 204 1. 3 concurrentibus 
undique. 

56) Ep. Alcuin. No. 236 ed. Ja. = M. G. No. 303 S. 461 1. 13. 

57) Dies die schöne Vermutung Sickels in seinen Alkuinstudien I (SBer. der 
.kais. Ak. d. WW. ph.-h. Cl. 79, 497). Auch andere an Benedict von Aniane oder 

doch nach Septimanien gerichtete Briefe Alkuins finden sich in dieser Handschrift 
H: nämlich ausser No. 247 = 187, den auch die Hdschr. T* giebt, die nur hier 
enthaltenen No. 146. 150. 208. 270 = No. 206. 56. 57. 272; dass ihr No. 140. 141 = 
No. 200. 201 fehlen, könnte sich ebenso erklären wie nach Sickel S. 516 das 
Fehlen mehrerer an Adalhard gerichteter. Dass aber Briefe an Benedict Aufnahme 
in diese Handschrift fanden, begreift sich leicht, wenn Abt Arnulf von Hermoutier, 
der mit seinen Mönchen dem zu ihm verbannten Adalhard viel Liebe und Ver- 
ehrung bezeigte (Mühlb. No. 667. Vita Adalh. c. 41), wirklich, wie man annimmt, 
der mit Benedict von Aniane durch gemeinsame Arbeit in der Klosterreform ver- 
bundene Abt Arnulf ist (Mühlb. No. 876). 



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184 Viertes Capitel. 

Tagen, da Ludwig seinen Brief nach Aniane abgehen liess, entweder 
noch nicht an den Hof zurückgekehrt war oder eben erst zurückkehrte. 
Dass auf den kaiserUchen Brief Fridugis, der Nathanael Alkuins und 
nun Ludwigs Kanzler, Einfluss gehabt habe, ist auch nicht anzunehmen : 
in des Kanzlers Geschäfbskreis fiel nicht die Abfassung der Briefe. Wollte 
man meinen, dass der Kaiser durch einen der Empfänger selbst, den Abt 
Benedict, in den Besitz des Briefes gelangt sei, da schon in seiner aqui- 
tanischen Königszeit, also in der Zeit des Empfanges, Benedict ihm sehr 
nahe stand, so würde doppelt befi-emden, dass er jetzt, nach Benedicts 
Tode, davon im übrigen so wenig Gebrauch machte, indem er das dem 
Gründer der Einheit gespendete Lob hingebungsvollen Eifers und Nach- 
drucks herausschälte und den Kern unbeachtet Hess, nämlich die Mah- 
nungen, die Alkuin in diesem Briefe durch Benedicts Vermittelung an 
die Brüder in Gotien gerichtet, an dieselben gerichtet hatte, die Ludwig 
doch nun auch, wie er sagt, in der Neigung eines Vaters, also gleichsam 
an Stelle des geschiedenen Benedict, mit Mahnungen bedenken zu müssen 
glaubt. Sogar wo er in seiner Vorhaltung an die jüngeren Mönche sie 
warnt, dem Murren Raum zu geben, verrät er mit keinem Worte, dass 
er Alkuins Verurteilung dieses Hauptübels im klösterlichen Beisammen- 
sein und ihre schlicht zutreffende Begründung vor sich habe, er, der 
doch in seiner Jugend für sich selbst von Alkuin öfters Mahnungen er- 
beten und, wenigstens nach dessen Versicherung, auch mit viel Demut 
aufgenommen hatte ^^). Und jene in solcher Vereinzelung abgehobenen 
Worte würden überdies durch Ludwig, der zu einer Entstellung keinen 
Anlass hatte, in Wirkhchkeit eine von Alkuins Meinung abweichende 
Beziehung und Bedeutung erhalten haben. Die von Alkuin gemeinten 
Brüder fiülten, wie ich unten darlegen muss, Klöster in verschiedenen 
Strichen Gotiens: ihre Vereinigung konnte bei ihrer Zerstreutheit über 
die Breite und Länge der Kirchenprovinz Narbonne und bei 'der Zwei- 
heit der Führer, unter deren Leitung sie in seinem Briefe erscheinen, 
des Nibridius und Benedict, nur eine lockere sein^®). Hier im Briefe 



58) Ep. No. 245 S. 790 -= No. 188 S. 316 1. 2 juvenis Chlodoicua . . me roga- 
yit saepius mittere ammonitorias illi litteras . . quas etiatu cum magna humilitate 
legere solet. 

59) Alkuin meint mit seinen fratribus in illis partibus die nämlichen Mönche, 
denen er ein anderes Mal unter ihrer eigenen Adresse (fratribus , . in diversis 
Gothiae partibus) den Brief No. 247 (= M. G. No. 187) sendet: so hat er nicht wie 
Ludwigs Brief eine örtliche Vereinigung, sondern eine landschaftliche vor Augen. 
— Verschieden demnach ist das Verfahren des Kaisers bei Bestätigung der Wahl 
Eigils zum Abt von Fulda, da er in seiner Ansprache an dessen Wähler (Vit. 
Eig. c. 10) zwar gleichfalls einen Dritten, hier den Papst Gregor d. Gr. zum 
Preise der Regel des h. Benedict reden lässt, aber dessen Worte nicht, wie er 
hier gethan hätte, entstellt, sondern unverändert in Richtung und Sinn wieder- 
giebt (regulam . . cum magna discretione conscripsit . . sermone luculentam Vit. 
Eigilis c. 10 M. G. SS. XV, 227 1. 47. 228 1. 39 = Greg. M. Dial. 2, 36). Und hier 
ersparte ihm die Wörtlichkeit der Anführung die Angabe des Ursprungs. Denn 
der ist sicherlich wie den neuern Benedictinern, die (Mabillon voran; Ann. I 1. 1 
§ 2. 6 § 63 append. prim. 11, 2) viel Gewicht auf diese Schilderung ihres Grund- 
gesetzes legen, so den alten bekannt gewesen; verweist doch die Handschrift der 



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Die drei kaieerlichen Diplome Ludwigs des Frommen u. s. w. 185 

Ludwigs sollen diese Worte nach Ausweis der Adresse das Verhältnis 
zeichnen, das zwischen zwei dicht bei einander gelegenen Klöstern unter 
gemeinsamem Abt bestand, unter dem einen Benedict, dem denn die 
Herstellung der Vereinigung auch allein als Verdienst angerechnet wird. 
Ein anderes in dem nämlichen Briefe an nächster Stelle demselben 
Benedict gespendetes Lob, dem aber schon grössere EinhelHgkeit der 
Überlieferung^®^) zu wünschen wäre, wd, welcher ÜberUeferung man 
auch folgt, bei der Unverständhchkeit einzelner ohne Bedacht gewählter 
Worte und bei sichtUch verwirrter Wortfolge ebensowenig als das Dictat 
der geübten und sorgfältigen Briefsecretäre in der Umgebung des Kaisers 
gelten können ®®): in solch unfertiger Gestalt verrät auch dieser Satz den 
raschen Wurf späterer Hand. 

Wie leicht gerade Alkuins Satz auch noch lange nach Alkuin von 
einem Mönche im Kloster Aniane dem Briefe Ludwigs eingefügt werden 
konnte, zeigt ein bisher nicht beachteter, und doch literärgeschichtUch 
nicht unwichtiger Umstand. Denn was wir von keiner Stätte sonst 
wissen, erfahren wir von dieser, von Aniane, dass die dahin gelangten 
Briefe Alkuins schon früh in einem Bande vereinigt worden sind, der 



Regel aus Tegemsee (8. oder 9. Jh.) gleich im Incipit auf das Werk, worein 
Gregor das Lob niedergelegt hat (Ed. Wölfflin S. 1). Immerhin hätte Waitz för 
die nichtbenedictinischen Leser seiner Ausgabe die Entlehnung anzeigen können. 

b9^) Der früheste Abdruck (von Dachery in den Anm. zu Guiberti Noviog. 
00. 1651 S. 623: „latuit in chartophylaceo Anian.") hat Benedictus . . de sacro- 
sancto eodem examine per imperium a Deo nobis commissum longe lateque piae 
conversationis normam coadoptavit e vobis et disseminare non destitit (A). Der 
zweite von Gariel (Series episc. Magal. 1. Ausg. 1652, 2. 1665), der ihn ohne 
Kunde von A „ex chartul. Anian." lieferte, hat B . . d. s. e. ex. p. i. a. D. n. c. 
lo. la. p. c. n. coadoptavit ac vobis d. n. d. (B). Endlich der von Le Cointe (7, 
641: 1678) ohne Vermerk der Quelle B. . . d. s. e. ex. p. i. a. D. n. c. lo. la. p. 
c. n. coadunavit e vobis et d. n. d. (C). Bouquet bezeichnet C als Correctur von 
Le Cointe, der aber dies doch nicht andeutet: auch entschied sich Mabillon 
Ann. II 1. 29 § 31 für C (ohne Le Cointes zu gedenken, vielmehr „ex nostro 
Acherio"), ebenso Vaissete H. d. L. 1. Ausg. („Archives d' Aniane") und Mabille 
H. d. L. 2. Ausg. („Cartulaires de l'abbaye d'An."). B wiederholten Baluze (in 
seiner Capitulariensammlung nicht bloss in der 1. vor Le Cointe erschienenen Auf- 
lage, sondern auch in der zweiten, wo er doch neben Gariel auch Dachery nam- 
haft macht), Mansi (ausdrücklich nach Baluze) und (trotz Hinweises auf Mabillon 
— freilich auf dessen Handschrifbenvorrat — ) Bouquet. A geben nur noch die 
Mauriner Gall. ehr. VI J. 342, die aber doch Mabillons Druck als ihre Gewähr 
anfahren. 

60) Am durchsichtigsten ist noch die Lesart B, nur kann ich da dem an 
sich unerhörten Worte coadoptavit keinen Sinn abgewinnen und für eodem exa- 
mine keine zutreffende Beziehung finden. Die Lesart C liesse an einen Schreibe- 
fehler denken, normam coadunavit statt turmam coadun., wie Mühlb. No. 144 cum 
norma plurima conversari videtur zweifellos einer ist: vgl. Marculf I, 2 Zeumer 
S. 41 1. 16 ubi- abba vel turba plurima monachor. adunata esse noscuntur und 
Mühlb. No. 148 monachorum turmam non modicam coadunavit, No. 140 = 178. 
701 cum turma oder turba monachorum; doch bliebe pie conversationis turma 
eine Härte, auch wenn das jetzt den Worten e vobis nachfolgende et ihnen vor- 
gesetzt würde. 



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186 Viertes Capitel. 

denn auch den vorliegenden noch für ein späteres Geschlecht erhalten 
haben mag®^). Und der Anlass der Einfügung braucht nicht erst ge- 
sucht zu werden. Nach dem Gesagten liegt er auf der Hand. Die 
Zugehörigkeit von Gellone zu Aniane, die durch die Fälschung der Auf- 
schrift des Briefes bezeugt werden sollte, musste auch im Texte eine 
Andeutung erhalten. Dazu eignete sich eine Äusserung am meisten, die 
wirklich nach Septimanien und auch nach Aniane ein andermal, wenn- 
gleich nur in entfernt verwandtem Sinne, ergangen war. 

Weiterhin staunt man über die Art, wie der Kaiser in diesem Briefe 
an die Brüder von Aniane und Gellone seine Warnung, herrlich Be- 
gonnenes nicht bei ihren Tagen Schaden nehmen zu lassen, erläutert: 

„Tales semper esse studeatis, ut de vobis possint sicut prius 
magistri et doctores non solum regularis vitae verum omnis 
spirituahs normae et praecipui apicis adsmni". 
Das wäre die für die Geschichte des Reiches und der Kirche wichtigste 
Stelle des Briefes, die ihm einen Platz unter den lehrreichsten Acten- 
stücken aus der Zeit Ludwigs sicherte. Sie würde bezeugen, dass, wie im 
elften Jahrhundert Cluny und unser Hirsau, so im ersten Viertel des 
neunten Aniane nicht nur Mittelpunkt der Reform der Klöster, sondern 
zugleich Bildungsstätte für Bischöfe gewesen sei. Also auch für eine 
Anzahl jener Bischöfe, die in den Synoden von 829 an und dann als 
Genossen des Aufstandes von 833, eben wie die Zöghnge Hirsaus in 
den Bewegungen unter Urban II., sich als Vertreter des geistlichen 
Princips mit hochgehendem Anspruch auf Teilnahme an der Ordnung 
der Reichsverhältnisse aufwarfen, so dass die hierarchischen Regungen 
unter Ludwig, nicht anders als unter den letzten SaUem, zum Teil auf 
eine Erneuerung regulärer Strenge der Klöster zurückgingen? Und es 



61) Sickel sagt SBer. 79, 466 „es wird uns nirgends ausdrücklicli berichtet, 
dass die von Alkuin geschriebenen Briefe, sei es von ihm selbst . . sei es von 
den Empföngem . . gesammelt seien*. Aber von den Empfängern zu Aniane, dem 
Abt Benedict und seinen Mönchen, bezeugt Ardo es geradezu: Vit. Bened. c. 24 
(Scr. XV, 210) Alcuinus quoque . . inviolabili se illi caritate coniuncxit, ita ut ex 
suis epistolis ei sepe directis adgregatis in unum unus conficeretur libellus. Waitz 
zieht dies (not. 1) auf die Briefe Alkuins an Bischof Theodulf von Orleans. Aber 
der Briefwechsel zwischen Alkuin und Theodulf mochte den Anianer Mönch Ardo 
wohl gleichgültig lassen. Vor allem kommt der Name Theodulf zwar in dem 
nämlichen Capitel 24 vor, aber doch weitab, während Benedict unmittelbar vor- 
her erwähnt wird (expertam viri Dei sanctitatemj. Und muss innerhalb der Stelle 
selbst ei auf die nämliche Person gehen wie illi, so kann unter ei, dem Empfanger 
der Briefe, Theodulf nicht verstanden werden, da er unter illi unmöglich gemeint 
ist: die Liebe zwischen Theodulf und Alkuin hat bekanntermassen nicht unver- 
brüchlich gedauert (vgl. besonders Kaiser Karls Urteil Mühlb. No. 385 [jetzt M. G. 
Ep. IV, No. 247] über die Herbigkeit der Briefe des einen und noch mehr des 
anderen in ihrem Zerwürfnis, von dem bei Theodulfs und Alkuins Vertrautheit 
mit Benedict auch nach Aniane Kunde dringen musste). Auf Benedict dagegen 
bezieht sich noch im folgenden Satze illi, und über dessen inniges Verhältnis zu 
Alkuin besitzen wir auch von der anderen Seite ein Zeugnis (Vita Ale. c. 9 ed. 
Jaffe-Wattenb., c. 14 ed. Arndt Scr. XV, 192). 



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.iL. 



Die drei kaiserlichen Diplome Ludwigs des Frommen u. s. w. 187 

hätte nach diesem Briefe der Gründer Anianes den erziehenden Einfluss 
auf die Weltgeistlichkeit, auch auf die Geistlichkeit „an hervorragender 
Spitze", sich mit so viel Eifer zur Aufgabe gemacht imd mit so viel 
Erfolg geübt, dass es scheinen konnte, es sei die Fortsetzung dieser 
Richtung wie ein Vermächtnis des Berufes auf seinen Nachfolger über- 
gegangen. 

Nun meine ich allerdings, dass unter den Bischöfen Karls und Lud- 
wigs der Metropolit Septimaniens, Nibridius von Narbonne, aus einem 
Kloster, nämlich vom Abtsstuhle von La Grasse aufgestiegen sei zu seiner 
bischöflichen Würde ®*'^), wie er auch als Bischof ein Kloster in seiner 
Hand hatte und noch da sich zusammen mit Abt Benedict weitgreifender 
Fürsorge für Klöster hingab®^). Aber schwerhch ist er je Mönch zu 

62) Sickel zu K. 165 (= Mühlb. No. 348) bezweifelt die auf Grund des 
Necrol. Grassens, ruhende Ansicht, dass Erzb. Nibridius von Narbonne zusammen- 
falle mit dem Abt Nibridius von La Grasse in Mühlb. No. 348: die Ordnung der 
Namen in Alk. Ep. 176 ed. Frob. (ille — Leidradus episc. — cum abbatibus Bene- 
dicto et Nibridio missus est in illas partes occidentales) weise auf einen Nibridius, 
der wie Benedict nur die Würde eines Abts hatte, wie er denn da des Bischofs- 
titels entbehre. Aber dessen entbehrt in Alkuins Briefen an Arno auch der Name 
Erzb. Leidrads von Lyon (Ep. 133. 135 S. 523. 528 = M. G. No. 165. 194 S. 267 1. 
26. 322 1. 9), und in der Handschr. H, der einzigen die jenen Brief enthält, fehlt, 
wie ihre abermalige Vergleichung ergab, et zwischen Benedicto und Nibridio. Bei 
Jaffe Ep. No. 147 und auch M. G. No. 207 (S. 345 lin. 9) lautet denn jetzt die 
Stelle cum abbate Benedicto Nibridio missus est (= ad Nibridium). Das Recht 
zu dieser Änderung giebt Alkuin Ep. 146 = No. 206, wo dem Bischof Nibridius 
die Ankunft Benedicts angekündigt wird, und zugleich der den oder die Schreiber 
von H kennzeichnende Hang, die Declination Sendungen zu vernachlässigen, sogar 
wie hier Pluralformen statt der Singularformen zu gebrauchen: S. 151 nt. e. 195 
nt. b. 294 nt. a. 329 nt. b. 352 nt. i. 561 nt. b. 855 nt. u. = M. G. Ep. IV, No. 1 
S. 18 nt. a. No. 22 S. 59 nt. e. No. 102 S. 149 nt. c. No. 113 S. 165 nt. u. No. 123 
S. 181 nt. b. No. 207 S. 345 nt. f. No. 278 S. 434 nt. a. umgekehrt Singularformen 
statt der Pluralformen 506 nt. i. 837 nt. a. = No. 185 S. 311 nt. e. 272 S. 430 
nt. e. und in der nämlichen Hdschr. Poem. Alk. 46 v. 19 ed. Dümmler 1, 260 
pauperibus statt pauperis. So zeugt Ep. 147 = No. 207 eher dafür, dass es in 
Gotien nur einen Nibridius gab, der ohne Angabe von Würde und Sitz genannt 
werden konnte. Vgl. die folgende Anmerkung. 

63) Die von Sickel aufgefundene Formata (jetzt bei Zeumer 1, 559 f., hier 
560 1. 2: in monasterio . . ad vestrae sanctitatis curam pertinente) und Abt 
Benedicts Brief (Vit. c. 44 Scr. XV, 220 in monasterio vestro totis nisibus . . sen- 
tentiam . . Argue, obsecra, increpa . . semper . . proferte) sind ausdrücklich an 
den Erzbiachof gerichtet. Wie eng Benedict mit Bischof Nibridius „durch emsigen 
und unablässigen Eifer um reguläre Genossenschaft" verbunden war, zeigt der oben 
S. 183 angeführte Brief Alkuins No. 236 = M. G. No. 303, den sie zusammen er- 
hielten (vgl. Cap. V). Gleichermassen treffen sich die den Klöstern Aniane unter 
Abt Benedict und La Grasse unter Abt Nibridius zu teil gewordenen Diplome 
Mühlb. No. 340 und 348. Denn deren Übereinstimmung zeigt sich nicht nur in 
dem, worauf sich Sickel zu K. 165 unter Verweisung auf ÜL. S. 125 beschränkt, 
sondern bezeichnenderweise, wie er anderwärts ÜL. S. 173 hervorhebt, auch 
darin, dass sie die einzigen Diplome Karls sind, wo sich, vielleicht unter Einfluss 
Abt Benedicts, sicherlich auf Grund eigentümlicher Auffassung, die Kundmachung 
an die fideles sancte ecclesie et nostri wendet. Es würde, wären Bischof Nibridius 



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188 Viertes Capitel. 

AniaDe gewesen : das deutet dieser, sein Genosse, in dem Briefe, den er 
beim Abschied von ihm und vom Leben schrieb, mit keinem Worte an, 
eher das Gegenteil**). Und im allgemeinen berührt Benedict in den 
Mahnungen, die er ebenfalls, noch vom Sterbebett, nach Aniane richtete, 
nicht, wie hier der Kaiser kurz danach gethan haben soll, eine von ihm 
geübte, nun wie ein Erbe der Pflicht auf seinen Nachfolger übergehende 
Erziehung zu Bischöfen. Als Benedict gestorben war, rühmten die Mönche 
Indens zwar die Fürsorge, die er jeglichem Stande der Kirche gewidmet, 
aber nachdrücklicher nur das Verdienst, das er um Mönche und Chor- 
herren sich erworben habe: fast wie eine Zufälhgkeit erwähnt sein Bio- 
graph und bloss gelegenthch, dass aus dem Kreise seiner Schüler auch 
einige Bischöfe hervorgegangen seien ®^). In grösserer Zahl {wie sie doch 
Ludwig hier in seinem Rückblick voraussetzen würde) Abstämmlinge von 
Aniane, nun innerhalb der Weltgeisthchkeit eine Schule Benedicts bildend 
würden sie durch ihr Verhalten beim Aufstand der Kaisersöhne dem 
Kloster nichts weniger denn Gunst eingebracht haben, die doch der alten 
Stätte Benedicts Ludwig nach Bewältigung des Aufstands noch reich- 
Hcher bezeigt hat als vorher: was der Kaiser hier in den zwanziger 
Jahren als Ehrenzier der Stätte preist, würde sich ihm in den dreissigern 
zu einem Makel verkehrt haben. Denn bei der Empörung von 833 und 
834 hat freilich keiner der Bischöfe Septimaniens sich durch Hingabe 
an den Kaiser einen Namen gemacht, vielmehr erscheint der eine und 
andere unter ihnen, überhaupt mancher aus der hohen GeistKchkeit 
in dem weiteren Bereiche der früheren Thätigkeit Benedicts, auch in 
Aquitanien, auf der Seite Lothars. Nun ist aber von diesen Empörern 
geistlichen Standes, soweit sie Bischöfe Septimaniens waren, gleich wenfg 
wie von Nibridius bezeugt, dass sie in Aniane ihre Bildung erhalten 
haben ®^), und die Vermutung, dass andere, die ausserhalb des Klosters 

und Abt Nibridius von La Grasse verschieden gewesen, weiter ein eigner Zufall 
sein, dass Benedict zu dem einen und zu dem anderen ein so nahes Verhältnis 
gehabt. 

64) Nur in überlegener Stellung zu den Mönchen von Aniane zeichnet Bene- 
dict den Bischof in diesem Briefe (Scr. XV, 222 l. 39 sicut semper mercedem 
habuisti de fratribus . . in Aniane). 

65) Instituit cantores, docuit lectores, habuit grammaticos . . de quibus qui- 
dam etiam post fuere episcopi (Vita C. 18). 

66) Weder vom damaligen Metropoliten der Provinz, dem] Erzb. Bartholomäus, 
der auf Nibridius folgte und nach Bewältigung der Empörung zusammen mit Ebo 
von Reims abgesetzt ward, noch vom Bischof von Carcassonne, dessen Kirche eine 
Königsliste unterhielt, worin zur Bezeichnung seiner Parteiung für die Herrschaft 
Lothars zwei Jahre ausgeworfen werden (H. d. L. ni> 12), noch von Bischof 
Salomo von Eine, der noch nach Ludwigs d. Fr. Wiedererhebung von Lothar eine 
Schenkung annahm (oben S. 137, Anm. 35 1>). Die Meinung, dass ein Bischof 
Stephan von Beziers die Partei Lothars ergriffen habe (so noch H. d. L. II, 348 f.) 
stützt sich nur auf eine der vielfach entstellten Unterschriften unter dem rätsel- 
reichen Privileg des Erzb. Aldrich v. Sens für St. Remi zu Vareilles (vgl. v. Simson 
Ludw. 2, 291 f.), wo der freilich unstatthafte Name Stephanus Bituricensium eps. 
sich am leichtesten in Biterrensium eps. ändern Hesse, wenn nur sonst ein Stephan 
V. Beziers damals bezeugt wäre (in der gefälschten Notitia über die Synode von 



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Die drei kaiserliclien Biplome Ludwigs des Frommen u. s. w. 189 

unzweifelhaft oder doch wahrscheinlich in persönlichen Verkehr mit Abt 
Benedict gekommen sind®'), Anregungen von ihm bekommen, deren 
Nachwirkung sie noch zwölif Jahre nach seinem Tode in eine feindliche 
Richtung wider die letzten Pläne, die umgewandelten Ordnungen seines 
königUchen Gönners geleitet hätte, findet keinen Halt an dem, was wir 



Quierzy, deren Unterscbriften sich mehrfach mit denen des Privilegs begegnen, 
Baluz. Mise. 3, 137, fehlt zu Stephanus eps. die Angabe des Sitzes): und er hätte 
da doch auch Begleiter aus der Zahl der Getreuen Ludwigs. Das Privileg hat, 
wenn es überhaupt echt ist, wahrscheinlich später eine Erweiterung erfahren (das- 
jenige, das im Nov. 835 Ludwig Mühlb. No. 918 bestätigte, enthielt nichts von 
Reliquienüberführung und namentlich nicht die hier sehr eigentümlichen Bestim- 
mungen der Abtswahl), daher auch einzelne der Unterschriften nach 835 zugefügt 
sein könnten, so die der drei Bischöfe hinter Namen von Äbten (vgl. Sick. Btr. 4, 
577). — Auch nur Vermutung, wenn schon etwas besser begründete, ist es, wenn 
man in dem Bisch. Christian, der 835 dem Rufe Ludwigs zur Reichsversammlung 
nach Diedenhofen, freilich nach dessen erklärtem Siege, Folge leistete, einen 
Septimanier, jenen Christian von Nimes findet, der (Sickel zu L. 27) im 40. Jahre 
Karls, also freilich schon vor 27 Jahren eine Immunität erhielt. 

67) Wahrscheinlich namentlich Ebo, der spätere Erzb. von Reims, da er in 
seiner Jugend, an der Seite König Ludwigs, dem Verhältnis kaum fremd bleiben 
konnte, das dieser gerade während seines aquitanischen Aufenthaltes mit Benedict 
unterhielt, wie denn die Reform der Klöster, worin sich König Ludwig und Abt 
Benedict damals trafen, dann von dem emporgestiegenen Ebo aufgenommen und 
— was man nicht übersehen sollte — zu einem Grundzuge seines bischöflichen 
Waltens gemacht worden ist. So zeigt er sich nicht nur bei der Wandlung der 
KlQrikergenossen Schaft von Montierender zu einem Kloster und bei der endlichen 
Wiederherstellung der Zucht zu St. Denis (Mühlb. No. 813. 876), sondern auch 
indem er dem, seiner Bischofskirche gehörigen, Kloster St. Remi zur Beförderung 
des regulären Lebens einen eigenen Abt gönnte (Hincm. bei Flod. h. Rem. III, 15 
Scr. XTTI, 503 1. 39 ad regulärem ordinem tenendum), was sein herrischer Nach- 
folger, der grosse Hinkmar, sich nicht abgewann; auch St. Basle und Hautvilliers 
hatten unter Erzb. Ebo eigene Äbte (Flod. 11, 3. S. 450 1. 28. Paul. Paris in CR. 
d. Tac. d. I. et B.'L. 1878 S. 99 humilis noster abbas), aber beim Tode Hinkmars 
nicht mehr (Baluze Capitul. II, 600: St. B. nur Kanoniker, Hautv. nur einen Propst). 
In der Reihe der von Flod. veröffentlichten Briefe Hinkmars an Untergebene finden 
sich nur solche an Pröpste, nicht an einen Abt. — Bezeugt ist die enge Verbindung 
Benedicts mit Helisachar, dem Abt von St. Riquier, der gleichfalls schon in der 
aquitanischen Zeit Ludwigs dem Könige nahestehend, da schon mit der Leitung 
der Kanzlei betraut, sich dem Abt , allezeit unter allen Kanonikern als der treueste 
Freund" bezeigte und noch beim sterbenden verweilte. Dass Helisachar zu Lud- 
wigs Gegnern beim ersten Aufstande zählte, bestreitet niemand ^ wenn v. Simson 
L. 2, 235 Nithards Nachricht, dass die Genossen des zweiten sich beeilt hätten, den 
Verbannten seiner Haft zu entledigen, anzweifelt, so fällt doch ins Gewicht, dass 
Nithard über den Abt gerade des Klosters St. Riquier, das einst in der Hand 
seines Vaters gewesen war und nun dessen Grab umschloss, gut unterrichtet ge- 
wesen sein wird. Vielleicht ist Sickels (OL. 87) Äusserung über Helisachars Teil- 
nahme am zweiten Aufstand zu kräftig; da er bald danach von Ludwig wieder 
seines Vertrauens gewürdigt ward, zählte er wohl nicht zu den „Entschiedenem* 
der Partei, aber in nahem Verhältnis zu den Entschiedensten, einem Adalhard, 
Wala und Agobard erscheint er in des letzteren Schriften (de baptism. Judaic. zu 
Anfang und de dispensat. eccles. rer. c. 4). 



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190 Viertes CapiteL 

von Benedicts Persönlichkeit wissen. Denn es mag aUerdings an ihm 
der Gedanke der Eeichseinheit eher einen Träger gehabt haben als einen 
Gegner — die Verstreutheit der Güter seines alten Klosters über Ter- 
schiedene Gaue, der Abstand seines alten vom neuen, zwischen denen 
Verbindung nur so zu erhalten war, seine eigene Stelle im Kreise des 
reformierten Mönchtums weithin über das Eeich wiesen, wenn irgend 
einen, ihn auf sie; und das Gesetz, das die Unteilbarkeit sichern sollte, 
entsprang ja einer Zeit, da er im Höhepunkt seines Einflusses auf den 
Herrscher stand. Aber die Mässigung, die er in seinem eigensten Wir- 
kungskreise, als Reformator der Klöster, beobachtet hat, macht es wahr- 
scheinlich, dass, wenn er die Jahre erreicht hätte, da Ludwig durch die 
Aufgabe des Gedankens der Reichseinheit der Empönmg Genossen 
namentlich aus der Reihe der GeistUchkeit zuführte, seine Haltung kaum 
eine andere gewesen wäre als die Rabans von Fulda, der jenen Gedanken 
zwar, wie seine Teilnahme für den entsetzten Erzbischof Ebo und nach 
Ludwigs Tod seine Erklärung zu Gunsten Lothars lehrt, auch hegte, 
aber wie weit doch entfernt war, ihn dem lebenden Herrn zu Leid in 
Treubruch zur Verwirkhchung bringen zu wollen! Die nicht unterlassene 
Erwähnung Abt Benedicts in jenen Diplomen, durch die Ludwig in der 
Zeit nach dem Aufstande seine Gunst gegen Aniane ergänzte und er- 
weiterte, die Erinnerung an Benedicts Wirken, der er nach 834 sogar 
einen ehrenderen Ausdruck giebt als vorher®^), schhesst die Annahme 
aus, dass durch Zöghnge Benedicts Benedicts Name ihm in dem eben 
überstandenen Kampfe widerwäiüg geworden. 

So ist Ludwigs Äusserung über die zu Aniane wie berufsmässig 
betriebene Erziehung von Männern zu „aufragender Spitze" der Welt- 
geistlichkeit, zur Bischofswürde, ohne Beglaubigung von anderer Seite 
und führt zu einer Folgerung, die sich weder an den Personen noch an 
den Dingen bewährt. Sie unterHegt schliessHch auch in ihrer stihstischen 
Fassung einem Bedenken. Denn eben den Ausdruck praecipuus apex 
als Bezeichnung der bischöflichen Würde finde ich sonst nicht in Lud- 
wigs Acten und überhaupt nicht in den Schriften der zwanziger Jahre, 
wie nachdrucksvoll sie sich über die Hoheit bischöflicher Stellung äussern: 
in weit abweichender Bedeutung bürgert sich dies Wort, nach altem 
Brauche der päpstHchen Acten und der Privatbriefe auch nördlich der 
Alpen damals, freilich nur im Plural, in den Diplomen ein®*). 



68) Mühlb. No. 912. 938; vgl. 930 (ferventissimus) mit 876 (boni et devoti, 
sed simplicißsimi patres). Freilich ist eine Spur von Parteinahme für Lothar 
auch in das Cartular von Aniane gekommen, durch das Datum der Privaturkunde 
H. d. L. IIb 214 f. ni K. Oct. anno III quod abiit Lodov^icus imperator, tradidit 
regnum in ipsius manus filii Hluteris (oben S. 137 Anm. 35 b). Aber diese Urkunde 
betrifft Besitzungen im Gau Beziers, u. a. im Orte Frangouille: eine Beziehung 
auf Aniane erhielte sie höchstens als Vorurkunde jener anderen, auch den Ort 
Prangouille betreffenden Urkunde, aber diese ist nach Ludwig datiert (H. d. L. 
IIb 209 f.). 

69) Nämlich zur Bezeichnung der Urkunde selbst (Sickel UL. S. 185): so 
auch ausserhalb der Kanzlei von nichtköniglichen Briefen (z. B. Einh. Ep. 69 ed. 
Jaffe S. 484 und sonst z. B. Formul. Bitur. 19 Zeumer S. 179 1. 3), vereinzelt auch 



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Die drei kaiserlichen Diplome Ludwigs des Frommen u s. w. 191 

Sonst ist der Brief stilistisch '®) und sachlich unverdächtig, unver- 
dächtig auch im Schlussstück, obgleich die da enthaltene Zusage, das 
Wahlrecht auch in Zukunft den Brüdern unbeeinträchtigt zu lassen, der 
Wahlrechtsformel aus Ludwigs erster Zeit nicht völlig entspricht '^^). 
Vollends konnte auf die Mahnungen an den Abt, auf die Mahnungen 
und Warnungen an die Brüderschaft, die dem Einschiebsel vorangehen 
und noch nachfolgen, nur ein ausserhalb des Klosters Stehender kommen, 
nur der Herrscher in der überlegenen Empfindung seiner Hoheit. Sie 
tragen das Gepräge der Echtheit und verdienen, will man die Stellung 
und die Ziele Ludwigs in den ersten zwölf, dreizehn Jahren seines Kaiser- 
tums bestimmen, grössere Aufmerksamkeit, als ihnen bisher zu teil gewor- 
den ist. 

Bezeugen sie zunächst, dass Ludwig in die Bestätigung einer Abts- 
wahl ernste Erinnerung zu flechten für angemessen erachtete, so ver- 
bürgen sie gleich eine andere, Ludwigs bekannte Ansprache an die Wähler 
Eigils zu Fulda gegen vorlängst erhobene Zweifel '^), zwar nicht in allen 



im Singular (Formul. Alsat. 23 Zeumer S. 335). In den Synodalacten finde ich, 
wo an die Hoheit des Episkopats erinnert wird, nur culmen episcopale, culmen 
regiminis (Conc. Aquisg. 836 l c. 1 § 1. Paris. 829 I, 12), auch kam das alte Wort 
tbroni Dei bald abermals zur Verwendung (durch Bened. Levit. : Hinschius Praef. 
ad Pseudoisid. S. CLII). Noch vom obersten ßischofsstuhle apex selten: Pseudo- 
isid. Ep. Alex. I, 4 Relatum est ad hujus apost. sedis apicem (statt d.es häufigen 
relatum est ad hanc sedem apost.) und Exempl. Constant. Imper. 5 (Hinschius 
S. 95. 253). Nur dichterisch zur Bezeichnung nicht der Würdenstufe, sondern des 
Würdenträgers, eines Königs oder Bischofs (Alkuini Carm. 90, 19. 102, 1 ed Dümml. 
316. 329 vgl. das Lemma zu Petri et Pauli Carm. 34 Dümml. S. 68; Vit. S.Willibr. 
IL str. 4 Mon. Germ. Po. I, 210) Candidi Vit. Eigilis metr. c. 14 urbis apex und 
(nach Venantius) c. 17 pontificalis apex vom Erzbischof von Mainz: Ducange ist 
hier auch in der neuesten Ausgabe unzureichend. 

70) Das Fehlen des Eingangsgrusses, das Sickel bemerklich macht (ÜL. S.407 
n. 6), erklärt sich vielleicht daraus, dass der Brief in seinem ersten, rein geschäft- 
lichen, Teile sich den Kescripten nähert, denen er gleichfalls fehlt (Sickel UL. 
S. 396. 401). Die weiter von Sickel (ÜL. S. 401 n. 4) bemerkte Verkürzung des 
Herrschertitels ist vollends belanglos, nicht weil sie auf Rechnung des Copisten 
zu setzen wäre (so Sickel), sondern weil sie nur dem Abdruck Bouquets eigen ist, 
alle anderen haben ihn vollständig. 

71) Nach per hanc n. auctoritatem fehlt et consensum, das die seit Mühlb. 
No. 505 der Verbindung von Immunität und Wahlrecht zu Grunde liegende For- 
mul. Imper. No. 4 enthält (Zeumer S. 291 1. 3). Indes haben wir hier kein Diplom, 
sondern eben einen Brief, auch wird in dem Briefe zwar auf Immunitätsdiplome 
verwiesen, aber inhaltlich doch nur das Wahlrecht berührt, bei Wahlrechten aber 
ohne Immunität fehlt schon früh et consensum (Mühlb. No. 572): sogar in Immu- 
nitäts- und Wahlrechtsdiplomen fängt seit Sept. 820 der Wegfall von per h. n. a. 
et cons. an (Mühlb. No. 701). 

72) Vit. Eigil. auct. Candid. c. 9. 10 Script. XV, 226 f. Mabillon fand (zu 
c. 12) die Ansprache zu lang, als dass sie vom Kaiser herrühren könnte. Nun 
erweist der Brief, dass Ludwig, bei solchem Anlass, auch schriftlich, und die 
Urkunde Mühlb. No. 876, dass er, bei Ordnung innerer Angelegenheiten eines 
Klosters, auch in einem Diplom mit Worten nicht kargte. Candidus versichert 
im Gegenteil, dass der Kaiser noch mehr gesprochen habe (c. 10 et alia multa: 



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192 Vierte« Capitel. 

Einzelheiten, deren wörtliche Wiedergabe ich nicht behaupte, aber im 
Wesentlichen, in der Haltung und Bichtung. Denn beide lassen mit 
überraschender Deutlichkeit erkennen, in welchem Umfange Ludwig 
wenigstens damals, ehe er die Krone vor den Bischöfen in den Staub 
warf, die Königsrechte an die Klöster wahrgenommen hat. Die Gewalt, 
die er durch die Entsetzung Abt Ratgars von Fulda geübt hatte, nahm 
er grundsätzUch in seiner Rede an die Mönche von Fulda in Anspruch, 
indem er ihnen gegen masslose Anforderungen ihres neuen Oberen den 
Schutz eines Vaters zusagte. In dem Briefe nach Aniane erhebt sich 
der Füi*st öbgar über die Regel, da er in Widerspruch zu ihr tritt: denn, 
eingedenk vielleicht eben der Vorgänge in Fulda unter Abt Ratgar, er- 
mächtigt oder ermuntert er nun die Brüder, den Abt, wenn er mehr 
seinem Gutdünken als ihrem gemeinen Rate folge, zum Rechten zu weisen, 
während nach der Regel die Entscheidung zwar nicht ausschliessUch, 
doch vorwiegend beim Abt stand und des Abts Entscheidung endgültig 
sein sollte'^). Beide lehren, dass Ludwig mit einer Unbefangenheit, wie 
sie einem Mönch, einem der sie etwa rhetorisch hätte ausführen wollen, 
schwerhch erreichbar gewesen wäre, über die Lebensbedingungen klöster- 
licher Genossenschaft urteilte, und dass er mit verständigem Sinn, man 
darf sagen mit der Weisheit de? Seelsorgers nun der einen wie der 
anderen Gemeinde, der Fulder wie der in Aniane Ziel und Weg wies. 
Gegenseitig stützen sich so diese Auslassungen Ludwigs, die aus weit 
von einander entfernten Orten uns kommen, nicht nur durch mehrfache 
Gleichheit des Ausdrucks, sondern vornehmlich durch die Gleichheit des 
Standpunkts und die Übereinstimmung der Gedanken, die auch, weil sie 
wenig zu der herrschenden Ansicht von Ludwigs Persönlichkeit stimmen, 
des Aufhebens wert erscheinen'^). Ist man geneigt, unter die Grund - 



daher gehen seine Worte in der Vorrede S. 223 1. 4 ad integrum explanare nequivi 
auf den Umfang der Wiedergabe; Kürzung verraten denn die harten Übergänge 
S. 228 1. 8. 39. 45). Waitz (Script. XV, 222 nt. 3) stellt in Abrede, dass Ludwig 
aus der von den Mönchen Fuldas ehedem dem Kaiser Karl überreichten ßeschwerde- 
schrift und aus Kirchenvätern wie Gregor d. Gr. u. a. habe Sätze anführen können. 
Aber die Beschwerdeschrift ist doch von Karl auf seinen Nachfolger gekommen, 
und Kirchenväter führt Ludwig „geistlich erzogen" (so gerade Waitz VG.^ III 230) 
auch sonst an (Capit. eccl. 818. 819 c. 1. 28 Boret. S. 275. 279), namentlich Gre- 
gor d. Gr. Aus seinem Besitze, aus der Aachener Pfalzbibliothek hatte er dessen 
Werke samt Isidor, Hieronymus, Cassian, die er in seiner Ansprache auch nennt 
oder benutzt (S. 228 1. 31—33 ist = Isid. Regul. mon. c. 5 ed. Holst. Cod. reg. II, 
205), zur Zusammenstellung der Kanoniker- und Kanonissenregel hergegeben; Kenntnis 
der moralischen und homiletischen Arbeiten der Väter besassen sogar Ludwigs 
Schwestern (Ep. Alkuin. 137 ed. Dümml. S. 531). 

73) Regula c. 3 sie autem dent fratres concilium . . ut non praesumant pro- 
caciter defendere quod eis visum fuerit, sed magis in abbatis pendeat arbitrio, ut 
quod salubrius judicaverit esse, ei cuncti obediant. Dagegen im Briefe quodsi 
(abbas) . . magis voluerit quae agenda sunt proprio arbitrio . . quam vestro com- 
muni consilio agere, vos eum . . cum omni mansuetudine et patientia corrigite. 

74) Gleicher Ausdruck patris ac pastoris locum obtineat im Briefe col. 136, 
sit vobis pater pastor et frater in der Ansprache S. 227 1. 46; nostras aures pul- 
saverit c. 138, nostr. aures inquietabat S. 228 1. 4. Gleichheit der Mahnung zu 



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Die drei kaiserlichen Diplome Ludwigs des Frommen u. s. w. 193 

Züge seines Wesens mönchische Sinnesart zu rechnen, fand man dafiir 
bisher Gewähr in einer (jetzt freilich aufgegebenen) Lesart der Epistola 
Indensium, wonach er bei Lebzeiten den Beinamen der Mönch erhalten 
haben sollte ''^), nun so dringt Ludwig hier mit nichten auf die peinHche 
Erfüllung klösterhchen Werkdienstes, auf die Beobachtung ceremonieller 
Ordnung, wie sie mancher der 817 in der Versammlung zu Aachen von- 
den Mönchen und Äbten selber gefassten Beschlüsse einschärfte — weder 
in dem Briefe nach Aniane, obgleich Anianes alter Abt hervorragenden 
x4Lnteil an jenen Beschlüssen gehabt, noch in der Ansprache, obgleich 
sie sich an eine Genossenschaft richtet, die soeben eine Unterweisung in 
jener Reform von Aachen durchgemacht hatte. Vielmehr legt er in 
beiden den Nachdruck ganz auf die Gesinnung, auf den Geist brüder- 
licher Liebe, die im ganzen und von innen her das Verhältnis zwischen 
den Oberen und den Untergebenen sichern und festigen, wie in ihre Hut 
und Pflege nehmen müsse '^^). 

Diese tiefere und unbefangene Auffassung, die dem Briefe und der 
Ansprache gemein ist, berechtigt auch dasjenige für echt anzusehen, was 
die Ansprache (ich gestatte mir eine kurze Abschweifung) wegen der 
besonderen Verhältnisse des durch Abt Uatgars Baulust in Verwirrung 
geratenen Klosters Fulda voraus hat vor dem Briefe. Ich meine die 
geistvolle, durch Gedanken evangelischer Lauterkeit üben^aschende War- 
nung vor Überschätzung des Baues von Gotteshäusern, die zur Ver- 
säumung der Pflicht gegen die Armut, wohl auch zu himmelschreiender 



umsichtig erwägender Behandlung von Mönchen, die schwachmütig seien oder es 
werden könnten : caveat ut pusillanimes reddat . . , maxima discretione sit (abbas) 
col. 137, discretionem Sti Jacob propter pusillanimes S. 228 1. 44 (wo auf Regul. 
S. Bened. C. 64 u. Genes, c. 33, 13. 14 zu verweisen war). Die Warnung vor Über- 
hebung, sei es des Vorstands, sei es der Untergebenen (col. 136. 137. S. 227 
1. 16 — 85, wo 1. 25 timore unberichtigter Druckfehler statt tumore). Vgl. noch 
Anm. 75b. 

75) Vit. Bened. An. c. 42 giebt jetzt Waitz S. 219 1. 13 nach cod. 1 (mona- 
chiis, corr. monachius) monachius, also nicht Mönch, sondern, wie dies auch der 
Zusammenhang der Stelle fordert, zugethan den Mönchen, Gönner der Mönche. 
Die in V. Hludov. berichtete Neigung Ludwigs, selbst Mönch zu werden, kann 
nur vorübergehende Stimmung gewesen sein, namentlich nach dem Tode seiner 
ersten Gemahlin (V. Hludov. c. 32 regni relinquere gubernacula), denn zu anderer 
Zeit, in den fünf drangsalvollen Monaten von 833 auf 834 hat er den Eintritt in 
den Mönchsätand, den kein väterliches Verbot mehr wehrte, der ihm Erlösung aus 
namenloser Pein gebracht hätte, standhaft bei aller Vereinsamung, verweigert. 
Schon die Leidenschaft für das Waidwerk, der er noch in seinem letzten Jahre 
nachging, für die „ergötzliche Übung der Jagd** (Prudent. z. J. 839 SS. I, 436 lin. 8), 
musste ihm die Klosterumhegung verleiden; er mag vielmehr des öfteren in den 
Forsten des Wasgaus, im Wildpark von Aachen durch Hifthorn und Meute die 
verschleierten Jungfrauen von Rerairemont, die im Musterkloster von luden ge- ' 
scharten Mönche hinter ihrem Mauerringe aufgescheucht haben. Und seine Regula 
canonicor. bekämpft nachdrücklich die Meinung „unverständiger Menschen", dass 
nur Möncbsleben die „arcta via'* zum Himmelreich sei (I, c. 114). 

75b) S. 226 1. 26 Cura disciplinae monachorum perfecta dilectio est; col. 136 f. 
obedientia . . caritatis munimine est roboranda. 

Puckert, Aniane und Genone. 13 

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194 Viertes Capitel. 

Gewaltthat an den Armen führe. „Vis domum Dei aedificare? da fide- 
libus pauperibus unde vivant et aedificasti rationabilem domum Dei: in 
aedificiis enim homines habitant, Dens autem in hominibus sanctis""^®) 
u. a. m. Von Candidas, dem Berichterstatter, kann das nicht rühren. 
Candidus hatte dazu keinen Anlass: in dieser seiner Lebensgeschichte 
Eigils, wo er doch auf die Bewegungen vor und bei dessen Wahl zu 
reden kommt, schweigt er von jener Neigung ßatgars, durch die .die 
Wirren wenn nicht hervorgerufen doch gesteigert worden waren. Hätten 
wir nur das, was er über den Stand der Dinge in Fulda uns mitteilt, 
so würde die Rede des Kaisers hier unverständHch sein; ja Candidus 
würde, da er weiterhin die vom neuen Abt wieder aufgenommenen 
Bauten mit seinem Beifall begleitet, sich selbst zum Schaden die War- 
nung wie im voraus zu seiner Widerlegung dem Kaiser in den Mund 
gelegt haben. So ist sie ursprünglicher Bestandteil der Rede Ludwigs, 
freilich keineswegs sein Eigentum, vielmehr in ihrem ganzen Umfang 
Entlehnung — wörtliche Entlehnung aus einer mit' arianischer Ketzerei 
vielfach durchsetzten Homiliensammlung, als deren Urheber noch neueren 
Forschern wie dem Kaiser Ludwig mit Unrecht Johannes Chrysostomus 
gilt '*). Nur wird sie, durch ihren Inhalt schon bemerkenswert und den, 
der sie aufgriiF und sich aneignete, in überraschender Weise beleuchtend, 
durch solch ketzerischen Ursprung um so anziehender, und es wird die 
Annahme eigenmächtiger Einfügung des Berichterstatters noch unwahr- 
scheinlicher, da dieser ein Priester der römischen Kirche war, doch wohl 
mehr als der Kaiser der Dogmengeschichte kundig, und sein Werk auch 
einem Priester widmete. 

Das ist mciine Abweichung von der herrschenden Auffassung der 
zwei für die Beurteilung Ludwigs in seiner ersten Regierungszeit nicht 
unwichtigen Denkmale. Pflegt man der Ansprache an die Mönche zu 
Fulda die Herkunft aus dem Munde des Kaisers schlechthin abzuerkennen, 
dagegen dem Briefe an die zu Aniane die Echtheit unter den deutschen 

75 c) Trotz der Einschränkung, die ich weiterhin niit der Anzeige der Ent- 
lehnung dieses Stückes machen werde, wundere ich mich, dass unsere Centuria- 
toren die Betrachtung Ludwigs nicht unter ihren Zeugnissen der Wahrheit auf- 
führen. Vgl. Luthers andre Pred. a. Tage der Erscheinung Christi WW. Erlang. 
XV, 214, wo er Gott den Herrn sprechen lässt: „Was frage ich nach deinen Kir- 
chen und Messen: ich habe dir lebendige Tempel vorgestellet, die solltest du mir 
gebauet, ernähret und ihnen geholfen haben". 

76) Opus imperfect. Homil. 45 in Montfaucons zweiter Ausgabe der WW. des 
Chrysostom. 6; 930. Da Waitz das Citat Browers auf die echten Werke des Chry- 
sost. bezog, konnte er die Stelle freilich nicht finden; und so begegnete es ihm 
weiter, dass er die Entlehnung auf die ersten zwei Zeilen der Betrachtung be- 
schränkte, während sie sich auf fünfzehn (S. 228 1. 9—23) erstreckt, für die er 
denn auch durch den Abdruck von Montfaucon in den Stand gesetzt worden wäre, 
einen verständlicheren Text zu geben: 1. 10 ist et vor siquidem sinnlos und nach 
M. zu tilgen, 1. 15 ut statt ubi zu lesen, 1. 17 pro quibus st. in qu., virtus justi- 
tiae st. justitia, 1. 19 cum oblatam st. si obligatam, 1. 23 distirpant st. disturbant. 
Die Interpunction ist schon bei Brower besser als bei Waitz: 1. 10 Kolon statt 
des Punktes, der Satz et juste 1. 15 ist nicht Fragesatz, der eine grenzenlos 
nüchterne Plattheit wäre, sondern Ausruf bitteren Unmuts. 



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Die drei kaiserlichen Diplome Ludwigs des Frommen u. s. w. 195 

Forschem ohne jeden Abzug, unter den französischen nur mit Abzug 
der Adresse, zuzugestehen, so meine ich, dass eben schon am Briefe, wenn 
die Echtheit wenigstens in seinem Hauptstück nicht zu bestreiten ist, 
die Ansprache Gewähr findet'®^), und dass umgekehrt der Brief, bei aller 
sonstigen Unversehrtheit, im Protokoll durch die Erweiterung der Adresse 
und im Text durch die Einfügung jener drei einander benachbarten Sätze 
(Deinde . . conversaremini. Sed et . . destitit. Et cum . . voluntas fiierit) 
Verunechtung erlitten hat. 

Einer dieser Sätze verrät schon stilistisch seine um vieles spätere 
Niederschrift, da er durch ein unbedachtsam gewähltes Adverb jene Heran- 
bildung von Mönchen zu Bischöfen nicht als die Fortsetzung bisheriger, 
sondern — so sichtlich fällt der Fälscher aus seiner Rolle — als Wieder- 
aufnahme früherer, wie in der Vorzeit betriebener Thätigkeit vorstellt, 
und mit solchem Hinweise sie nun dem Convent ans Herz legt"). 
Bestimmter lässt der Inhalt des Satzes auf seinen Ursprung im 11. Jahr- 
hundert schliessen, in der Zeit der Päpste Alexander II. bis Paschal II., 
unter denen die Ausgangsstätte neuer Reform der Klöster, Cluny, ver- 
mutlich nicht ohne unter den Ruhmeserben der alten Reformgenossen- 
schaft Eifersucht zu wecken und ihr Selbstgefühl zur Trübung der Wahr- 
heit zu verleiten, das Ansehen einer Pflanzschule von Bischöfen gewonnen 
hatte, teils unmittelbar, teils durch seine Priorate oder wenigstens durch 
die von Zöglingen seines grossen Abts Hugo umgebildeten Klöster, ge- 
rade im nächsten Gesichtskreise von Aniane, in Aquitanien, Waskonien, 
Spanien'^): erhielten doch aus Abt Hugos eigenem Hause Mönche, gleich- 



76b) Manches, was sonst aus Ludwigs Feder uns erhalten ißt, stützt durch 
Übereinstimmung in Gedanke und Ausdruck die Ansprache. Wie hier giebt auch 
an der Spitze des Capit. eccl. 818. 819 ein gleichfalls entlehnter Satz dem Kirchen- 
gut eine Zweckbeziehung auf die Armen, als deren Erbgut er es geradezu be- 
zeichnet (Boret. S. 275 1. 38). (Von anderer Seite nähert sich dieser bedeutendsten 
Stelle der Ansprache Karl d. Gr. Capit. de causis 811 c. 7. 11 Boret. 163 1. 22. 
164 1. 8 f.) Den von Gott ihm geordneten Beruf, Helfer der Armut zu sein 
(S. 228 1. 6), hebt Ludwig auch Formul. Iraper. No. 14 Zeumer S. 296 1. 2 f. her- 
vor. Am Wortspiel prodesse praeesse zeigt er Gefallen auch Prooem. gener. ad 
cap. eccl. Boret. 274 1. 7: nicht gerade gegensätzlich wie in der Ansprache 
(S. 227 1. 36 non tarn prodesse quam congregationi praeesse: vgl. Regula S. Bened. 
c. 64), aber doch einander gegenüber gestellt erscheinen diese Worte Formul. 
Imper. 17 Zeumer S. 298 l. 16 Mühlb. No. 771. 806 f. 813. 867. 914. 935. Wie 
hier (S. 227 1. 47) betont Ludwig auch Mühlb. No. 876 Tardif S. 89 a, dass die 
Regel des h. Benedict auf den heiligen Geist zurückgehe. 

77) üt de vobis possint sicut prius magistri et doctores . . praecipui apicis 
adsumi. Statt prius hätte Ludwig sicherlich hactenus gesagt; lag doch höch- 
stens ein Jahr zwischen seinem Schreiben und dem Tode Abt Benedicts, von 
dem man nicht anders annehmen kann, als dass er, da sowohl sein Einfluss auf 
den Kaiser als seine Fürsorge für Aniane bis an sein Ende währte, seine alten 
Zöglinge, wäre je ihre Bestimmung neben der Leitung von Klöstern die Leitung 
von Sprengein gewesen, fort und fort, auch von Inden aus zu Bischofsstühlen 
hätte erheben helfen. 

78) Schon im ersten Viertel des elften Jahrhunderts hiess eine Ordnung 
K. Sanchos d. Gr. von Navarra den zu Pampluna wiederhergestellten Bischofsstuhl 

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196 Viertes Capitel. 

gültig ob Deutsche oder Roraanen, sogar nunmehr auch bei Besetzung 
des obersten unter den Sitzen im Cai*dinalcollegium den Vorzug, so dass 
dieser, der Bischofsstuhl von Ostia, fast dreissig Jahre lang, ohne Unter- 
brechung durch den Wechsel der Päpste, im Besitz ehemaliger Mönche 
Clunys geblieben ist'®). 

Noch weniger bin ich in Zweifel über die spätere Zeit und über 
die Absicht der Einfügung jenes aus Alkuins Briefe stammenden Satzes. 
Er weist samt der Erweiterung der Adresse von neuem auf den Kampf 
zwischen Aniane und Gellone, er bezeugt abermals das auf mannigfache 



von Irun stets mit einem Mönch des von Abt Odiloa Schüler Paternus refor- 
mierten Klosters Leyne besetzen (Mabill. Ann. lY ]. 55 § 29, andere Quellen bei 
Garns KG. Spaniens II, 2, 415): gegen die gleiche Verfügung K. Ramiros von 
Aragon über den Stuhl von Jacca (Aragon) zu Gunsten des ebenfalls in der Rich- 
tung Clunys erneuerten S. Juan de la Pena (anerkannt von Mabill. 1. 55 § 30 und 
Sackur Cluniac. II, 105) äusserten doch Garns und noch andere Verdacht (Literatur 
bei Garns S. 420). Auffällig die Zunahme des Aufsteigens dieser Mönche in der 
zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts. Da ward 1059 Durand, Abt von Moissae, 
„ein Mönch des h. Hugo", Bischof v. Toulouse (Gall. ehr. 13, 12), wie aus dem 
nämlichen Moissae gegen Ende des Jahrhunderts Girald Erzbischof von Braga in 
Portugal (Roderic. Tolet. 6, 27 vgl. Boll. Aug. I, 190 A. 191; Goderannus, Abt v. 
Maillezais, 1060 Bischof v. Saintes (Hildeb. Vit. S. Hugon. Clun. in Bibl. Clun. 433 C. 
Gall. ehr. II, 1062); der zu Cluny erzogene Abt Gregor von St. Sever spätestens 
1061 Bischof V. Lescar und danach noch von Dax (Mabill. Ann. IV 1. 60 § 59. 
Gall. ehr. I, 1287 f.); Prior Wilhelm zu St. Orient, einem Kloster, das ebenso wie 
Moissae und Maillezais zur Genossenschaft Clunys gehörte, 1068 Erzb. v. Auch 
(Gall. ehr. I, 981); Bernhard, der Nachfolger Wilhelms zu St. Orient, 1086 Erzb. 
V. Toledo (Gams lll, 1, 4. 18); auch auf den Bischofsstuhl von Compostella ist 
1094 ein Mönch Clunys, der berühmte Dalmatius berufen worden (Gams III, 1, 9); 
endlich erhielt 1097 Wilhelm, Prior von S. Martial zu Limoges, das gleichfalls 
unter den grossen Klöstern Clunys einen Namen hat, die Bischofswürde zu Limoges 
(Gall. Chr. II, 518 f.). 

79) Es sind ihrer drei: Gerald, den Gregor VII. bereits vorfand (Epist. I, 6 
ed. Jaffe S. 19) , und zwei Odonen (vgl. Baldric. Burgul. Carm. bist, in Duchesne 
SS. IV, 275 f.) : von diesen wurde der eine , den man als den nachmaligen Papst 
Urban IL kennt, noch von Gregor berufen, der andere nun von diesem Urban ernannt. 
Da der zweite Odo, der noch die Zeit Paschais IL erreichte, von Montecasinesen 
abgelöst ward, so ist es gekommen, dass das Cardinalbistum von Ostia in der Zeit 
des Investiturstreites länger von Mönchen eingenommen wurde als der Papststuhl, 
und später erscheinen Mönche aus der Genossenschaft Clunys noch mit andern 
Cardinalbistümern ausgestattet: Gilo (Aegidius) Ende 1121 — 1139 und Ymar 
1142 — 1159 mit dem Bistum von Tusculum, dazu Matthaeus, Ymars Vorgänger in 
Clunys Priorat St. Martin - des - Champs , mit dem Bistum von Albano, das ihn 
denn zum Collegen seines Ordensgenossen Gilo im Cardin alcollegium Papst Inno- 
cenz* IL machte (1130 — 1135). Schon bei jener Berufung Odos durch Gregor VII. 
heisst's von diesem Papste (Continuatio libri de restaur. S. Martin. Tomac. c. 9 und 
Hist. Tornac. IV, 1 M. G. SS. XIV, 320. 341, doch wohl aus der Encyclica Tomac), 
dass er den Abt Hugo v. Cluny ersucht habe „ut sibi aliquos de monachis suis 
transmitteret, quos competenter episcopos ordinäre posset", wobei er vermutlich zu- 
nächst an die Suffraganbischöfe der römischen Kirche dachte; eben an der Er- 
hebung Odos findet diese Nachricht, trotz der Herbigkeit mancher Äusserung 
Gregors über Abt Hugo, ihre Gewähr. 



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Die drei kaieerlicheu Diplome Ludwigs des Frommen u. s. w. 197 

Abwege geratene Streben von Nachkömmlingen in vermutlich mehr als 
einer Folge, dem Anspruch auf Gellone Grundlage und Halt an Ver- 
hältnissen und Vorgängen der karolingischen Zeit zu geben, hier an einer 
das Leben des ersten Abts überdauernden Verbindung unter gemein- 
samem Abtsregimente, anderwärts an einer Übergabe der „Cella Gellone" 
gleich durch ihren Stifter, wie im Schenkungsbriefe AG, oder durch 
Kaiser Ludwig, wie in dem von Mabillon (oben Anm. 34) angeführten 
Septemberdiplom, das verloren ist, und in den vier von ihm und seinem 
Sohne mis noch erhaltenen Diplomen. 



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Fünftes Capitel. 

Das Verhältnis der reformierten Klöster nnter einander. 



Die Verunechtung der Urkunden für Aniane, der von der anderen 
Seite die der Urkunden für Gellone begegnet, macht zusammen mit der 
Trübung der Geschichtsberichte aus beiden Klöstern eine durch Sicher- 
heit und Inhalt gleich befriedigende Vorstellung des ursprünghchen Ver- 
hältnisses unmöglich. Mit Zuversicht lässt sich nur behaupten, dass 
Gellone bei seiner Gründung mit Mönchen aus Benedicts Schule, mit 
„seinen Mönchen" besetzt worden ist, und dass es neben einem Oberen 
am Orte (rector) bis zum Tode Abt Benedicts oder wenigstens bis zu 
seinem Weggange von Aniane eben den Abt Benedict zum höchsten 
Oberen gehabt hat. Das erstere berichten ausser dem Verfasser der Vita 
Benedicti zwar nur die Verfasser der sog. Epistola Indensium, die dann 
für das andere die einzige Gewähr giebt, und dieser Brief ist bisher, wie 
die Vita Benedicti, nur aus dem Cartular von Aniane uns bekannt ge- 
worden, aber er darf, wenn Mabillons Angabe zutrifft, dass er fast wört- 
lich sich auch im Martyrologium von Gellone finde, als ein Zeugnis von 
beiden Seiten gelten^). 

Freilich entscheidet dieser Brief, da er Gellone in einer Reihe von 
zwölf Klöstern auffuhrt, die zum Teil unabhängig, zum Teil (in immer- 
hin wenig drückendem Grade) abhängig waren, nicht über Rechtsstellung 
und Besitzesverhältnis. Er lässt uns im Unklaren, ob Graf Wilhelm 
seine Gründung für ihre Anfänge irgendwie in Abhängigkeit gesetzt und 



1) Not. praev. 2 zur Vita S. Bened.: Benedictum celebrant Martyrologia 
vetera tum Anianense tum Gellonense: „3 Id. Februar, obitus b. Benedicti, qui" 
ect. iisdem fere verbis quibus usi sunt monachi Indenses in epistola ad Ardonem. 
Veröffentlicht ist dies Exemplar des Martyrol. Gellon. noch nicht: das von Dachery 
abgedruckte hat noch nichts von Abt Benedict. Da es Mabillon als vetus 
bezeichnet, scheint es verschieden zu sein von dem nach Arch. f. K. ä. d. G. 7, 
207 aus dem 14. Jh. stammenden Necrologium Gellonense im Musöe Fahre zu 
Montpellier. 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 199 

ob er ihr in diesem Falle für die Folgezeit, etwa nach Benedicts Tode, 
grössere oder volle Selbständigkeit zugedacht und auch im voraus förmlich 
gewahrt habe. Anderwärts aber ist zu V^ermutungen eher Anreiz vor- 
handen, als dass sich für sie Anhalt zeigte. 

Noch am meisten bietet Stütze ein Diplom Ludwigs d. Fr. über 
Casanova^), die zweite Gründung Graf Wilhelms. Aus ihm erhellt zunächst, 
nicht weniger als aus der Vita Benedicti, dass den Grafen, der Casanova 
nicht dem Abt Benedict, sondern dem Könige Karl übereignet hat, 
Vorliebe für Aniane nicht in dem Grade einnahm, wie das Chroniken 
Anianense glauben machen will, wenn es ihn alles was er darzubringen 
hatte, auf Anianes Altar darbringen lässt. Weiter würde es nun nicht nur 
befremden, sondern fast unbegreiflich sein, wenn er (ich habe schon in 
anderer Richtung diesen Vergleich ausgeführt) zwar Casanova zum Königs- 
kloster gemacht, aber Gellone, gerade die Stätte, wohin er sich nach- 
mals zurückzog und sich zurückzuziehen vielleicht schon damals beab- 
sichtigte, wo er dereinst ruhen wollte, in die Gebundenheit und Niedrig- 
keit einer Zelle hingegeben hätte. Hat er es aber selbst unterlassen, 
so wird es sehr fragKch, ob nach seinem Tode, im Angesicht seines 
Sohnes und Erben, des mächtigen und auch begünstigten Markgrafen 
Bernhard, Ludwig das gewagt oder sich abgewonnen habe, was seine 
kaiserlichen Diplome besagen, die Herabsetzung des Klosters zu einer 
Zelle, die doch, einmal den Äbten von Aniane mit dem Rechte, darüber 
zu schalten wie sie wollten (Mühlb. No. 726. 939), ausgeliefert, der 
gottesdienstlichen Verödung anheimfallen konnte'^), so dass auch die 
Sorge für das Seelenheil des dort Bestatteten der Gefahr des allmählichen 



2) Mühlb. No. 560, wo die Tageszahl 31 vermutlich Druckfehler ist für 21 : 
die Ausgaben haben alle XII K. Jun. (danach denn Sickel L. 55): Druckfehler in 
der Tageszahl auch Mühlb. No. 872 (11. statt 13.). Die unten Anm. 91 bemerkten 
Pnnschaltungen von fälschender Hand mindern nicht die Glaubwürdigkeit dieses 
Teils der Urkunde. Als neuere Form des Ortsnamens giebt Thomas Dict. to- 
pogr. du dep. de l'Herault 40 Cazenove in der Gemeinde Sauteyrargues , also im 
Canton Claret, Arr. Montpellier: der treffliche Forscher übersah, dass Graf Wil- 
helms Casanova laut Diplom am Cicer lag, d. h. an der heutigen Ceze, die auch nicht 
den weiteren Umkreis von Montpellier berührt, sondern den nördlichen Teil des Dep. 
Gard durchläuft. Germer-Durand Dict. topogr. du dep. du Gard 49 giebt Case- 
nove in einer Gemeinde (St. Paul-la-Coste) des Cant. und Arr. Alais; H. d. L. 4, 866 
Case neuve: so bleibe ich bei der lateinischen Form. 

3) Die Möglichkeit solch Geschickes einer Zelle ergiebt sich mit besonderer 
Deutlichkeit aus den Vorbehalten, die Karl d. Gr. machte, als er St. Die an St. Denis, 
als er Forest-Montiers an St. Riquier überwies: in jener sollen „für alle Zeiten" 
10 — 15 Brüder zu Messefeier und zu Gebet für seinen Vater unterhalten werden, 
in der Urkunde über die andere wird wenigstens bedungen, dass „laus Dei maneat 
perenniter" (Mühlb. No. 128. 328). Noch Ludwig d. D. hielt, als er Fischbeck an 
Korvei schenkte, neben dem Verbot, es je zu Lehen auszuthun, für angemessen, 
zu befehlen, dass Fürsorge getroffen werde „ut ibi in perpetuum Dei cultus per- 
severet (Mühlb. No. 1371); noch Karls d. K. Enkel Karlmann unterliess bei Über- 
gabe des Klosters St. Laurent de Cabreresse an die Kirche Narbonne (Böhm. 
No. 1853 H. d. L. V, 69) nicht, ausdrücklich zu bestimmen „ut stipendia mona- 
chorum ibidem degentium juxta vires praesulis non deficiant". 



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200 Fünftes Capitel. 

Nachlassens und Einschlafens ausgesetzt war — in den zwei ersten jener 
Diplome, die der Zeit vor Bernhards Sturze, in dem dritten, das der 
Zeit der erneuerten Gewalt Bernhards über Septimanien angehört Das 
Grab des Stifters, dessen Nachkommen nach Ausweis der Aufzeichnungen 
seiner Schwiegertochter Duodha sich der Pflege seines Andenkens keines- 
wegs entschlugen, sicherte den Mönchen von Gellone, so scheint es, die 
Selbständigkeit ihrer Stätte. Die Selbständigkeit von Casanova entbehrte 
solchen Anrechts auf Schutz, und Kaiser Ludwig hat ihr im Mai 815 
durch eben jenes Diplom ein Ende gemacht*). Aber als er es aus 
seiner Hand gab und, doch wohl in der damals ihn noch leitenden 
Absicht, den Kreis der Reformen von Aniane zu erweitem, es dessen 
Bereich einverleibte, würde, wenn wirklich Gellone in Abhängigkeit von 
Aniane gestanden hätte, wie das Diplom von April 814 (Mühlb. No. 503) 
glauben machen will, sich einer bilhgen Erwägung die Anscliliessung 
von Casanova zimächst eben an Gellone empfohlen haben, wodurch 
Wilhelms Stiftungen vereinigt und zugleich jene Absicht erreicht worden 
wäre. Indem der Kaiser Casanova unmittelbar an Aniane überwies, 
deutet er an, dass es in der Gefolgschaft von Gellone auch nicht dem 
mittelbaren Einfluss Anianes auf die Dauer würde gesichert gewesen 
sein, dass Gellone sich nicht im Eigentum von Aniane befand, dass das 
Verhältnis zu Aniane, statt unlösbar zu sein, vielmehr nach Abt Bene- 
dicts Weggang schon gelöst war, oder nach seinem Tode gelöst werden 
sollte. 

Trotzdem bezweifle ich nicht, dass Graf Wilhelm seine Gründung 
Gellone für die Zeit ihrer Anfänge der Gründung Abt Benedicts hat 
anlehnen wollen : durch die von ihm getroffiene Wahl des Ortes rückt sie 
mehr als alle übrigen der zwölf nach der Epistola Indensium mit Mönchen 
aus Benedicts Schule besetzten Klöster in die Nachbarschaft des Mutter- 
klosters. Wie im Schatten Anianes sollte Gellone aufwachsen. Indes 
möglicherweise leitete ihn dabei ein Beweggrund, der, vorwiegend per- 
sönUcher Art, über seine oder Benedicts Lebzeit nicht hinausreichte. 
Das lässt schon die Biographie Abt Benedicts vermuten, da sie die Zu- 
ziehung des Abts zur Errichtung oder Erneuerung anderer jener zwölf 
Klöster auf den Ruf von seiner und der Seinigen Heiligkeit zurückführt, aber 
bei Gellone die eigene Neigung Wilhelms zu Benedict, die Zärtlichkeit, die 
ihn mit ihm verband, in den Vordergrund stellt, zum Ausgang des 
ganzen Berichts über die Anfänge dieses Klosters macht. Wahrscheinlich 
fühlte er sich, etwa schon bei beginnendem Bau entschlossen, diese Stätte 
zu seinem Sitze zu machen (wie er denn wirklich diesen Schritt that, ehe 
der Bau seine Vollendung erreichte), besonders zu Benedict als zu einem 
Menschen hingezogen, der nicht nur alles, was der Neuling an asketischer 



4) So mehrt Mühlb. No. 560 ebenso wie, noch aus Karls Zeit, No. 191 die Zahl 
der von Sickel zu K. 105 angeführten Beispiele der Veräusserung von Klöstern 
durch den erst auf dem Wege der Tradition in ihren Besitz gekommenen Herrscher; 
trotzdem wird Sickels Voraussetzung, „dass angesehenere Stiftungen seltener solches 
Los traf'^, im ganzen gültig bleiben, und auf keine mehr Anwendung haben als 
auf Graf Wilhelms Hauptstiftung. 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 201 

lüuterung des Sinnes und Wandels vor sich hatte, sondern auch viel 
mit ihm teilte, was er hinter sich lassen, gerade nach dessen Muster 
abstreifen wollte: Glanz der Herkunft, Erziehung für die Welt, Dienst 
im Heere und am Hofe des Herrschers. So vereinigte schon in Karo- 
hnger Zeit manches Kloster in seinem Einge mit jüngeren Mönchen, die 
durch edlen Geburtsstand und wohl auch durch Blutsfreundschaft ver- 
bunden waren, eine Anzahl älterer, die, nachdem sie draussen in der 
Welt sich in der Umgebung des Königs und in seinem reisigen Lehens- 
gefolge getroffen hatten, nun nach Niederlegung des Wehrgehenkes auch 
wieder zu Chore bei einander standen, sei es, dass nach Landessitte an- 
gesehene Geschlechter einem bevorzugten Altar Söhne darzubringen 
pflegten, sei es, dass Männer in vorgerückten Jahren gleichzeitig Abkehr 
von der Welt nahmen, oder dass zu einem vorangegangenen sich im 
Laufe der Zeit frühere Waffengenossen sammelten^). 

Es wäre auch nicht unerhört, wenn die Verbindung zwischen Gellone 
und Aniane mit dem Tode Abt Benedicts hätte enden sollen und nun 
wirklich entweder da oder bei seinem, dem Grafen Wilhelm allerdings 
kaum erdenkbar gewesenen, Abgang von Aniane geendet hätte. Man 
kennt die Anfänge Cluny's : durch seinen Stiftungsbrief ist es der Leitung 
Abt Bemos von Beaume überwiesen, indes im voraus mit dem Rechte 
der Wahl eines eigenen Vorstands nach Bernos Tod ausgestattet 
worden®). Und schon in Ludwigs Zeit begegnet wenigstens an einer 

5) Dieser Punkt, an dem sich eine, freilich nur schwach umrissene Vorstellung 
von nahen und dauernden Beziehungen der weltlichen Grossen und ihrer Ge- 
schlechter zu einzelnen Klöstern in karolingischer Zeit gewinnen lässt, ist für das 
neunte Jahrhundert noch ins Auge zu fassen. Für die Bretagne hatte in dieser 
Hinsicht Redon Bedeutung. Gegründet durch Convoion, „filius nobilissimi viri", 
dem sich früh der gleichfalls ex nobilib. parentib. stammende Wincalon anschloss, 
erscheint es, seitdem der Tyrannus Ratwil einen seiner Söhne und dann ein anderer 
unter Ratwils Söhnen, Catvoret, nun von den seinen einen dargebracht hatte, als 
die Stätte, wo „multi nobiles filios suos tradiderunt (Gesta Convoion. I. c. 2. 4 
bei Mabill. A. S. IV, 2: fehlt Scr. XV, 455ff.j. Namentlich muss Les Fosses 
im Gau von Paris (nachmals St. Maur-des-F.: es führt aber sachlich irre, wenn 
man es so schon unter Ludwig nennt), obgleich es zu Anfang nur coenobiolum 
heisst, samt dem ihm zeitweise angeschlossenen Glanfeuil (St. Maur-sur-Loire) seit 
dem Eintritt von Sippen des Grafen Rorico und anderer zu Glanz gekommen sein 
(Ganzbert und Wilhelm, Gauzlin und Theodradus, Odo, Atto: Mirac. S. Mauri 
praef. und c. 3 Scr. XV, 464 1. 12f. 467 1. 28. 468 1. 20. 22. Tardif No. 128 
und 151). — In Prüm treffen wir fast gleichzeitig deii kaiserlichen Vasall Ba- 
terich und Gerung „olim palatii aedilem" (Mühlb. No. 901. Mirac. S. Goar. c. 30 
Scr. XV, 371): hat der letztere etwa dem Kaiser Lothar, dessen Berater in 
jungen Jahren er gewesen, den Weg bereitet, den dieser dann, krank zwar, aber 
nicht ohne Hoffnung auf Genesung, ebendahin nahm? Bekannt ist aus den An- 
föngen Korveis, dass dem ersten Satze seiner Mönche, noch an der frühesten 
Stätte zu Hethis, Zuwachs ,ex nobilissimo Saxonum genere" kam (wie auch der zweite 
Abt ,ex nobiliss. Francor. atq.Saxon. genere") ; nur auffällig dabei, dass diese Edlinge 
länger als sechs Jahre „opibus pauperes, in penuria* waren und dass Gaben von Sach- 
senhand erst bei der Übersiedlung nach Höxter bezeugt werden (Trsl. S. Vit. bei 
Jaffe Bibl. I, 10. 12. Mühlb. No. 754). 

6) Biblioth. Cluniac. S. 3. 



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202 Fünftes Capitel. 

Stelle^ eine gleiche Ordnung, eine gleiche Begebenheit. Im Jahre 823 
ei-teilte Ludwig den Mönchen von Korvei, als sie hier fast ein Jahr und 
zuvor, an ihrer ersten Stätte zu Hethis, über sechs Jahre beisammen 
gewesen waren, aber immer unter Abt Adalhard von Corbie, dem Abt 
desjenigen Klosters standen, von dem sie ausgegangen, das Recht, nach 
dessen Tode sich aus eigener Mitte einen Abt zu wählen®). Adalhard 



7) Ich weise nicht auf eine zweite Stelle, nicht auf Figeac im aquitanischen 
Reiche Pippins I. Es wurde freilich die Lösung dieses Klosters von Conques, wenn sie, 
wie man meint, von«- Anfang her vorbedacht gewesen wäre, der Aufhebung des 
Verhältnisses zwischen Gellone und Aniane noch mehr entsprechen: denn Figeac 
lag, fast nur durch das Thal des Lot von Conques geschieden, diesem, dem Mutter- 
kloster nur um weniges ferner als Gellone dem seinen. Figeac und Gellone würden 
sich auch darin gleichen, dass sie in einem anderen Sprengel lagen als Conques 
und Aniane, gegen deren bischöfliche Oberen sie an den ihrigen Rückhalt hatten. 
Desjardins behauptet wirklich (Bibl. d. l'ec. d. eh. 33, 258 f. und Cartul. de Conques 
S. XVI danach E. Mabille H. d. L. 4, 471), dass das am Schlüsse des Diploms 
Pippins I. vom 28. Aug. 838 enthaltene Wahlrecht (Cartul. de Conques S. 414) 
den Mönchen von Figeac erteilt worden sei, so dass diese nach dem Tode des da- 
maligen Abts von Conques und seines Nachfolgern sich, gesondert von denen zu 
Conques, einen eigenen Oberen hätten setzen dürfen, also völlig selbständig hätten 
werden sollen. Aber dies Diplom (unzutreffend heisst es bei Mühlbacher No 78, wo 
28. Aug. Druckfehler statt 23. ist, „die Stiftungsurk. für Figeac*) betrifft im 
übrigen durchweg nicht Figeac, sondern Conques, von Anfang an (praedictum 
monasterium, dann idem mon. u. s. f.): es bestätigt und erweitert die Rechte und 
Besitzungen von Conques, denen Jonaut und Figeac zugefügt werden. Da es nun 
nur von einem einzigen Abt, auch für die Zukunft, spricht (abbatis sit Provi- 
dentia) und nur ein einziges Wahlrecht enthält, so müssen die Mönche von 
Conques (die zudem sonst in Bezug auf die Abtswahl leer ausgegangen wären) 
als dessen Empfanger gedacht werden, ihre Gesamtheit, wie sie sich aus denen 
des alten Klosters und den nach Jonaut und Figeac (Nova Concha) übergesiedelten 
fortan zusammensetzte und, ohne dass eine andere als diese räumliche Sonderung 
unter ihnen hervorträte, Bestand haben sollte. So hat auch Papst Gregor VIT. 
das ursprüngliche Verhältnis gefasst, als er 1084 „gemäss der Verfügung derer, 
welche die beiden Klöster gegründet", auf Unterordnung von Figeac unter Conques 
erkannte und durch Wiederbeseitigung des in Figeac errichteten Abtsstuhles 
Einheitlichkeit der Leitung unter dem einzigen Abt von Conques herstellte 
(Jaffe-Lfd. No. 5267). 

8) Mühlb. No. 754 (wo denn die Form. Imp. No. 4 quandoquidena praedictus 
abbas vel successores ejus de hac luce migraverint demgemäss geändert ist in q. 
abba praedicti monasterii, d. h. von Corbie, d. h. 1. migraverit), gegen die Be- 
denken v. Simsons (Ludw. 2, 270) gesichert schon durch die Bestätigung Ludwigs 
d. D. Mühlb. No. 1327: man sieht nicht, wie Korveis Mönche, einmal im Besitz 
des letzteren Diploms, noch der Fälschung des ersteren bedurft, oder umgekehrt, 
wie sie durch diese nach nur 18 Jahren jenes erschleichen zu können gemeint 
hätten. Und wie Ludwig d. Fr. dem angezogenen Diplom No. 754 am gleichen 
Tage in einem anderen (No. 755) Immunität und Tauschrecht folgen Hess, so 
Ludwig d. D. seiner Bestätigung des ersteren die Bestätigung des andern (Mühlb. 
No. 1328): da No. 1327 im Original, während No. 754 nur in Abschrift, und um- 
gekehrt No. 755 im Original, während No. 1328 nur in Abschrift erhalten ist, so 
trägt je ein Diplom eines dieser Herrscher das entsprochende des anderen. Einen 
Teil der stilistischen Mängel teilt No. 754 mit dem Original No. 1327, und die 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 203 

selbst hat dies Privileg erbeten und noch bei seinen Lebzeiten, als er zu 
sterben kam, die Wahl seines Nachfolgers für Korvei betrieben. Dass sein 
Bruder Wala, schon Mitbegründer der Ansiedlung zu Hethis, sich dabei 
in hervorragender Weise beteiUgte, indem er nach dem Zeugnis der 
Translatio S. Viti die Ausfertigung der kaiserlichen Urkunde erwirkte 
und die Vorbereitung der Sonderwahl leitete, wird zwar, obgleich er der 
Schwiegersohn Graf Wilhelms gewesen, schwerlich Stütze gewähren für 
eine Mutmassung dessen, was Wilhelm bei seiner Gründung von Gellone 
vorgehabt und angeordnet habe: jenen in seinem Wesen so eigenartigen 
Menschen kann man sich kaum unter der Wirkung einer Familienüber- 
lieferung vorstellen. Aber in die Augen springt, dass Korveis Lösung 
aus dem Verbände von Corbie, wie sehr sie sich durch die grosse Ent- 
fernung beider Klöster empfahl, in einer Hinsicht bedenklicher war, als 
die Gellones von Aniane, da es, bei seiner Verlegung von Hethis hinweg, 
diejenigen Güter zu völlig freier Verfügung, auch mit dem Rechte des 
Abtausches®), erhalten hatte, die als Widum von St. Peter und St. 



übrigen, die stilistischen Eigentümlichkeiten des Wahlrechts in No. 754, verglichen 
mit No. 1327, zeugen für seine Echtheit, da sie der Formel Ludwigs Imper. No. 4 
gemäss sind. Ausführlichkeit der Erzählung, die v. Simson auffiel, bemerkt man, 
wo es sich um Besitztum handelt, auch anderwärts, z. B. Mühlb.No.464 (Orig.). In den 
Daten schwanken die Cartulare von Korvei nicht bloss hier (vgl. Wilmans 1, 42. 
85 nt, r. 211 nt.ee.). Ich meine auch, dass Jaffe und Wilmans die Worte der 
Trsl. S. Viti S. 12 talem libertatem et tuitionem mit Recht auf beide Diplome 
Ludwigs d. Fr., nicht nur auf die Immunität No. 755, sondern zugleich auf das 
No. 754 enthaltene Wahlrecht bezo^^en haben. Dass der Ausdruck immunitatis tuitio 
oder immunitas Immunität und Wahlrecht häufig zusammenfasse, legte ich oben 
(S. 22 Anm. 14) dar: ja Ludwig zieht am Schluss von Müblb. No. 718 die immu- 
nitatis praecepta nur auf Wahlrecht; auch in Karls d. K. Diplomen (Böhm. 
No. 1821. 1823) wird unter der tuitio die ausdrücklich zugleich durch Wahlrecht 
gekennzeichnete Unabhängigkeit verstanden. Weiteres Anm. 9. 

9) A. a. 0. äussert v. Simson auch darüber ein gewisses Befremden, dass der 
Kaiser in beiden Urkunden, also an einem Tage zweimal, dem Kloster in betreff 
aller Besitzungen die Erlaubnis, Tausch vertrage abzuschliessen, erteilt habe. Aber 
gerade in dem abschriftlich überlieferten Diplom No. 754 hat diese ihre sachlich 
begründete Stelle, da es in einem seiner Hauptstücke von den Besitzungen handelt, 
auf die sie Anwendung fand; die Erklärung der auch in No. 755 (Orig.) beliebten 
(also wirklich verdoppelten) Verurkundung liegt vielleicht in der grossen Seltenheit der 
Erlaubnis: sie erscheint mir, wie häufig die Genehmigung einzelner Tauschhandlungen 
Fall für Fall vorkommt, in der Fassung einer allgemeinen Befugnis als ein ganz 
ausserordentliches Vorrecht, ich finde sie nur noch in einem Diplom (Mühlb. 
No. 554 für Aniane). Es ist uns für sie aus Ludwigs Zeit auch keine Formel er- 
halten; wenn indes Sickel UL. S. 164 für unwahrscheinlich hielt, dass Mühlb. 554 
(= L. 49) überhaupt eine Formel zur Grundlage habe, so dass dabei nur Roz. 317 
= Imper. 3 einigermassen benutzt zu sein scheine, so treffen Mühlb. No. 554. 754. 
755 in ihrer Abweichung von Imper. 3 (das Futur, exact. contulerit statt contulit, 
die Pluralformen teneant, possideant, voluerint) und sonst (licentiam habeant, cum 
quibuslibet hominibus liberis) so sehr zusammen , dass doch eine Formel anzu- 
nehmen ist. — Wenn der Verfasser der Trsl. S. Vit. nichts von dieser Gewährung 
berichtet, so berichtet er auch nichts von der Oberweisung der Güter des Mutter- 
klosters, durch die sie wohl veranlasst ward. 



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204 Fünftes Ciipitel. 

Stephan zu Corbie über Sachsen verstreut waren: nach Adalhards, des 
gemeinsamen Abts, Tod war dieses abgelegene Besitztum dem Mutter- 
kloster auch rechtlich entfremdet, und da gleich in den Kämpfen der 
Jahre 830, 833, 834 der neue Abt von Korvei und der neue von Corbie 
sich auf entgegengesetzte Seiten schlugen, so konnte es nicht ausbleiben, 
dass das für Corbie verloren gegangene Widum sonderbarerweise nun 
auch derjenigen Partei zu gute kam, deren Erfolge den neuen Abt von 
Corbie, Wala, erst in Verbannung, dann zum Weichen aus dem Lande 
brachten. 

Dürfte man sich in dieser Weise die Entwicklung des Verhältnisses 
von Gellone zu Aniane denken, so würde sie allerdings mehrfach von 
der Vorstellung abweichen, die aus den Diplomen Ludwigs gezogen zu 
werden pflegt. Gellone hätte in seinen Anfängen, vor Ludwigs Thron- 
besteigung, nicht für sich gestanden, sondern, untergeben der Oberleitung 
Abt Benedicts, Verbindung mit Aniane gehabt, die wie locker^®) sie war, 
doch auch aus dem frühesten Diplom Ludwigs, dem scheinbar den Stand 
der Dinge bis auf seine Thronbesteigung kennzeichnenden Mühlb. No. 503 
nicht erhellt, und es wäre, nach Ludwigs Thronbesteigung, nicht, wie 
dieses und die anderen Diplome Mühlb. No. 726. 939 besagen, Eigentum 
von Aniaite, sondern beim Tode oder schon bei der Versetzung Abt 
Benedicts, ganz frei geworden. Ich kann diese Abfolge nicht erweisen, 
ich steile sie nur als Möglichkeit hin, die aber doch durch die an sich 
so bedenklichen Diplome nicht beeinträchtigt wird. 

Ja es lässt sich mit Wahrscheinlichkeit von derartiger Gestaltung 
und Entwickeln ng des Verhältnisses reden, wenn man einen Blick auf 
die Stellung wirft, die Abt Benedict einzuhalten sich beschied. 

Denn in seinem letzten Lebensabschnitte hat, durch ihn und dann 
von höchster Stelle auf seine Bitte, die Gründung eines Blutsfreundes des 
Grafen Wilhelm ^^), das Kloster Belle-Celle im Gau Albi, das wirklich 

10) Revillout a. a. 0. S. 523 schliesst die Abhängigkeit Gellones von Aniane 
auch aus der Gleichheit der Schutzheiligen. Ich bestreite nicht, dass schon im 
8. und 9. Jh. die letztere mehrfach eine Folge der ersteren ist (vgl. S. Dionys. 
zu Kerbrechtingen Mühlb. No. 166, Noaille oben Cap. IV, Anm. 35, besonders 
Gest. AJdric. c. 26 Scr. XV, 319 in eor. sanctorum . . honore in quibus caput 
ipsius monasterii, id est mater aecclesia civitatis sacrata erat, ut . . et membrum 
sacratum foret). Aber zur Bündigkeit des Schlusses gehörte, wenn er sie je auf 
diesem Wege erlangen könnte, völlige Gleichheit, an der es hier fehlt. Denn 
Aniane hat vor Gellone voraus die hh. Stephan, Martin und Benedict (Vit. Bened. 
An. c. 17), Gellone vor Aniane den h. Andreas (nach der Übereinstimmung von 
AG und GG: die Vit. Guil. c. 9 bringt noch den h. Johannes zu). Die Gemein- 
schaft der übrigen weist immerhin auf die ursprüngliche Verbindung, wie etwa 
bei Korvei neben dem profanen Ortsnamen auch die Weihe der Kirche zu Ehren 
des h. Stephan an das Verhältnis zu Corbie (St. Peter, St. Paul und St. Stephan) 
erinnern sollte. 

11) Vit. Bened. Anian. c. 34 Vulfarius . . quidam nomine Willelmi comitis 
consanguineus, vir inluster et nobilis . . ei (Benedicto) ad hedificandum monasterium 
locum tradidit in Albiensis confinio: im Diplom Mühlb. No. 664 Ulfarius comes. 
Und bei ihm lässt eher als bei Wala die Verwandtschaft mit Graf Wilhelm eine 
Vermutung auf dessen Anordnungen zu. — Menards Ausgabe der Vita und auch 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 205 

an Aniane übergeben war und in dessen Immunität einbegriffen sein 
sollte, ein Verhältnis zu Aniane erhalten, das der Selbständigkeit viel 
näher kam als das angebUch, nach dem Stiftungsbriefe AG und den 
Diplomen dem Kloster Gellone zu teil gewordene: denn Belle-Celle ward 
bewidmet mit dem Rechte der Wahl eines eigenen Abts, wenigstens 
sofern sich imter den Brüdern selbst ein geeigneter finde, und sicherge- 
stellt gegen allen Eingriff auch von Aniane her, so lange sie ihr Gelübde 
treu beobachten würden. Solche Freiheit gestand Benedict einer Stätte 
zu, die, da sie ihre gottesdiensthchen Geräte und Gewänder, ihren Bücher- 
schatz und „alles, dessen sie sonst bedurfte" seiner Fürsorge verdankte, 
auch sachlich von Aniane abhängig gewesen war, während die Aus- 
stattung von Gellone, glänzend namentlich durch die Fülle und Pracht 
gerade jener Dinge, ganz und gar von seinem Stifter und Könige rührt ^^). 
Nachdem er das Privileg, das in dieser Gestalt dem Kloster Dauer 
(firmitatem) gewähren sollte, unter Zustimmung Abt Georgs, seines Nach- 
folgers in Aniane, und anderer (worüber unten ein Wort) erteilt hatte, 
war er es auch, der sich — so viel Wert legte er ihm bei — noch 
beim Kaiser um die Bestätigung bemühte ^^). Nun hat Benedict das 



die Mabillons (c. 46) haben freilich Ulfarius . . q. n., nullum habens consanguineum, 
vir inl. et nob., aber diese Lesurt ist sichtlich falsch: sie würde die Voranstellung 
der Worte vir inl. et nob. vor nullum hab. consang. fordern — vielleicht wiederum 
eine der Fälschungen, zu denen der Kampf um Mein und Dein, hier gegen Bluts- 
freunde Vulfars, die Mönche von Aniane verleitete. Sie hat indes bibliographische 
Wichtigkeit, da sie beweist, dass Mabillon die Vita nicht, wie Waitz meinte, aus 
dem Cartular schöpfte (siehe oben S. 7, Anm. 9: Mab. wusste noch Ann. II 
1. 28 § 90 nichts von der Verwandtschaft), und da sie vermuten lässt, dass seine 
Hdschr. der von Menard benutzten nahe kam. 

12) Vit. Bened. An. c. 34 vgl. mit c. 30. Und wenn zu Gellone Graf Wilhelm 
auch den Bau des Klosters auf sich nahm, scheint zu Beile-Gelle Graf Vulfar es 
sogar daran haben fehlen lassen: das Diplom Mühlb. No. 664 sagt nur, dass es in 
rebus quas Vulfarius delegaverat aufgeführt, Vit. Bened. c. 34 sagt nur, dass von 
ihm die Stätte hergegeben worden sei. 

13) Das Abtsprivileg ist verloren, aber wir kennen es eben aus Ludwigs 
Bestätigung, Mühlb. No. 664, wo das Wort „verleiht (. . das von Abt Benedict . . 
verliehene Privileg)** natürlich verschrieben ist statt „bestätigt**: das Gesuch hat 
ja gelautet „ut (piivilegium) nostrae jussione manus ratum maueret **. Mabillon 
macht unter empfindlicher Verschiebung des sachlichen Verhältnisses den Abt 
Georg, den Erzbischof und die anderen zu Genossen des Gesuches neben Benedict 
(Ann. II 1. 28 § 90). Das Richtige hat Sickel L. 131. — Beschränkt war freilich 
die Selbständigkeit von Belle-Celle durch die dem Abt von Aniane vorbehaltene 
Gewalt der Aufsicht über die regelgemässe Lebensführung; eine beschränkte war 
sie auch in dem Falle, dass zur Besetzung des Abtsstuhles Berufung von aussen 
notwendig war. Schliesslich bestreite ich keineswegs Sickels Bemerkung (Beitr. 5, 
321), dass Belle-Celle eigene Immunität entbehrte; indes weil es „sub eadem 
immunitate** mit Aniane begriffen war, die Immunität von Aniane aber (Mühlb. 
No. 309) Privilegienbestimmung in sich schloss (gegen den Introitus episcoporum 
Sick. Beitr. 5, 329 nt. 1), wird Belle-Celle zu eigenem Vorteil, wie nach Alkuin. 
Ep. 226 ed. Ja. S. 733 = M.G. 298 S. 457 die Pfarrer der „in immunitate S. Martini 
(Turonensis)" umfassten Kirchen, Heischungen von Lebensmitteln und Pferdefutter 
für bischöfliche Missi haben abweisen können. 



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206 Fünftes Capitel. 

Privileg, wie die Nennung seines Nachfolgei's lehrt, gegeben, als er, schon 
abberufen von Aniane, in den Höhepunkt seines reformatorischen Wirkens 
geü'eten war: um so weniger wird er frülier, noch im Aufsteigen begriffen, 
bei Lebzeit Graf Wilhelms, in den Anfängen von Gellone, weitgehenden 
Anspruch erhoben haben. Waren doch die für Belle-Celle erlesenen 
Mönche schon bei ihrem Zuge dahin, der nach der Stelle, die er in Ardos 
Erzählung einnimmt (obgleich den Bau der Cella Ludwigs Bestätigung 
noch 819 nuperrimis temporibus zuweist), in Kaiser Karls Regierung fällt 
und den Benedict, wie die Besiedelung von Gellone, von Aniane aus 
leitete, nach Ardos Zeugnis unter einen eigenen Abt gestellt : trotz ihrer 
nicht gerade grossen Zahl („bei zwölf") hatten sie bereits da ein der 
Forderung der Regel entsprechendes Regiment. 

Diese Wahrnehmung macht man auch anderwäiis. Denn Ardos 
Schilderung des allgemeinen Verfahrens seines Helden bei Gründung und 
Erneuerung von Klöstern untei-scheidet freilich mit sichtlicher Geflissen- 
heit die Vorstände, die Benedict denjenigen Klöstern gegeben hat, wo er, 
wie zu Belle-Celle und, bei der Gunst des aquitanischen Königs, in den 
Königsklöstern südlich der Loire, freiere Hand hatte, nach ihrer Art 
und Stellung von den Vorstehern der anderen, die ihm wohl zur Besiedelung 
mit seinen ZögUngen überwiesen waren, indes im Mundium von Bischofs- 
und Stiftskirchen standen und verbheben. Die Vorsteher jener bezeichnet 
er durchweg als Abte: so den von Menat, den von St. Savin, den des 
nicht genannten Klosters im Beny (vielleicht Massay), den von Maur- 
münster. Bei den anderen, den von Bischofskirchen und Klerikerstiften 
abhängigen, die er auch wie als eine eigene Klasse zusammen behandelt, 
bei Ile-Barbe, St. Mesmin zu Micy, bei Comery, das im Mundium des 
nunmehrigen Chorherrenstifts St. Martin zu Tours stand, heisst der 
Führer, den er auch da dem ausschwärmenden Volke mitgab, einfach 
Magister oder Rector. Schwerhch ist dieser Unterschied ohne Bedeutung 
für die Anfänge. Aber wie Abt Benedict in den Reformverhandlungen 
seit 817 den Klöstern zum Schutz wider die Begehrlichkeit der Laien 
und Kleriker regelgemässes Abtsregiment zu verschaffen suchte und es 
wirklich für eine Anzahl unter ihnen durchsetzte, denen er es urkundlich 
in einem von kaiserlicher Hand versiegelten Verzeichnis ihrer Namen 
sichern Jiess, so finden wir, sei es schon vor 817, sei es nachher, doch 
selbst Ile-Barbe, Micy, Cormery ausgestattet mit dem durch Diplome be- 
stätigten Rechte der Abtswahl, wenngleich die zwei letzten beschränkt 
durch den zu Gunsten des Mundherrn gemachten Vorbehalt der Leitung 
der Wahlhandlung oder der Zustimmung zum Wahlergebnis. Und bereits 
in der aquitanischen Zeit Ludwigs haben die Mönche von Noaille vom 
Könige, vermutlich unter dem Einfluss Abt Benedicts, dessen Rate der 
König ja nach Ardo schon damals „gern folgte", trotz ihrer nicht völhg 
aufgehobenen Zugehörigkeit zum Chorherrenstift St. Hilaire in Poitiers 
das Recht der Abts wähl erhalten^*). 



14) Vit. Bened. Anian. c. 24. 29. 31. 33 (vgl. Mabill. Ann. II 1. 27 § 3). 35. ~ 
Mühlb. No. 500. 575. 690 (echter Teil vgl. Sick. zu L. 152. Btr. 4, 592). 800. So 
wird es nicht Zufall der Überlieferung sein, dass wir für Klöster dieser Art aus 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 207 

Auch die andere der obigen Vermutungen, dass Graf Wilhelm, als 
er Gallone in der Nachbarschaft Anianes sich zu seinem Kloster ersah, 
nicht allein von Verehrung des Altars zu Aniane, sondern ebenso sehr 
oder noch mehr von Neigung zu Benedict selbst geleitet worden sei, dass 
das Verhältnis zwischen Gellone und Aniane nicht nur auf der amtUchen 
Stellung Abt Benedicts, als des Vorstands von Aniane, sondern zugleich, 
vielleicht vorwiegend auf seiner Persönlichkeit beruht habe, findet Stütze 
an der Analogie jener Kaiserurkunde für Belle-Celle, die man doch 
immer als eine Stiftung aus der Blutsverwandtschaft Graf Wilhelms sich 
vergegenwärtigen muss. Denn nach dem Berichte dieses Diploms hat, 
wie bemerkt, Abt Benedict in einem Zeitpunkt das Privileg gegeben, als 
er nicht mehr den Abtsstuhl zu Aniane einnahm, dessen damaliger In- 
haber, Abt Georg, nur seine Zustimmung gewährte, und es ist auch noch 
Benedict gewesen, der, nun bereits Abt zu luden, den Kaiser um die 
Bestätigung anging, um die Bestätigung er allein, ohne Genossen. Das 
lässt im ßeformbericht Abt Benedicts noch eine Stätte erkennen, von 
der man zuversichtlich sagen kann, dass ihre Beziehung zu ihm in einem 
dem Reformator persönlich eigenen Rechte, ihm auch nach seinem Weg- 
gange von Aniane verbhebenen Rechte wurzelte. Der Unterschied wäre 
nur, dass Belle-Celle zugleich in einem Verbände mit dem alten Kloster 
Benedicts stand, der bezeugter massen Benedicts Abts waltung zu Aniane 
überdauerte, während die Verbindung Gellones mit Aniane nach seinem 
Weggange von Aniane auf Zeugnissen ruht, die einander widersprechen. 

Dass bei Belle-Celle ausser dem örthchen Verhältnis, von Kloster 
zu Kloster, auch ein persönliches in Betracht kommt und dass der Mittel- 
punkt dieses Verhältnisses nicht Abt Benedict allein, sondern neben ihm 
und mit ihm vereint ein anderer Septimanier, ein Geistlicher fem vom 
Kloster Aniane, gewesen ist, ergiebt ohne weiteres der Umstand, dass 
auch Erzbischof Nibridius von Narbonne dem Privileg für Belle-Celle 
seine Zustimmung gegeben hat^*). Statt seines Namens erwartet man 
den des Bischofs von Albi, des Sprengeloberen von Belle-Celle, den 
Namen des Erzbischofs von Bourges, des Oberhirten der Provinz. Ein 



dem Umkreis seines Wirkens fast mehr Wahlprivilegien kennen, als aus den 
übrigen Reichslanden Ludwigs zusammengenommen. Ausserhalb des Bereiches 
seines Einflusses kenne ich nur drei Wahlrechtsdiplome für Klöster bischöflicher 
Kirchen: Mühlb. No. 577 für S. Zeno zu Verona, das doch nicht rein bischöflicher, 
sondern zugleich königlicher Stiftung ist; No. 731, wo Sickel wie Mühlbacher von 
bischöflicher Bestallung des Abts reden, indem sie die Einschränkung secundum 
institution. sancte regule übersehen: das spätere Privileg des bischöflichen Mund- 
herrn für diese 3 Zellen der Kirche Sens gewährt den Mönchen das Recht des 
Vorschlags; endlich No. 935 für ein Kloster der Kirche Le Maus — una cum 
consensu episcopi). 

♦15) Cum consensu . . Nebridii reverendissimi AE. et aliorum servorum Dei. 
Unter den „Knechten Gottes'* können ebenso Kleriker von Bischofskirchen wie 
Äbte und Mönche verstanden werden. Denn wo für eine Verleihung die Erwartung 
von Gebeten der Empfänger ausgesprochen yird, finden sich diese Worte unter 
Kari d. Gr. in Diplomen für ßischofskirchen (Mühlb. No. 230. 310) wie für Klöster 
(No. 262. 296. 309); unter Ludwig im Diplom für die Kirche Worms (No. 518) und 



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208 Fünftes Oapitel. 

Zusammenhang der Kirche Narbonne mit Belle-Celle bestand nicht, 
durch eine amtliche Beziehung ihres Erzbischofs lässt sich seine Nennung 
nicht erklären. Ich vermute ihren Grund in der Wirksamkeit, die Nibri- 
dius laut des an ihn gerichteten Briefes des sterbenden Benedict ^^) auch 
nach Aufgabe seines Abtsstuhles zu La Grasse, noch über die Zeit des 
Privilegs für Belle-Celle hinaus, als Erzieher von Mönchen übte. Dass 
er aus deren Zahl einige erlesen hat, die samt Zöghngen Abt Benedicts 
den ersten Satz für Belle-Celle ausmachten, ist schon deshalb wahrschein- 
hch, weil Benedict seinerseits mit Ablegern für Neugründungen kargte ^^) 
und weil, je verlässlicher Ardos Bericht erscheint, dass die Ausstattung 
von Belle-Celle im Sachlichen ganz von Aniane herrühre, um so weniger 
fiir Nibridius anderes übrig bleibt, als ein Anteil an den Menschen, die 
dort aus Rauhem den Anbruch zu machen hatten. 

Und es ist Belle-Celle keineswegs die einzige Stätte, wo Nibridius 
und Benedict im Gründen und Ordnen eines Klosters engere Verbindung 
unter einander gehabt haben. Das Zusammenwirken des Erzbischofs und 
des Abts begreift vielmehr, wie wenig es die vorhandenen Darstellungen 
der Reichs- und der Kirchengeschichte unter Karl und Ludwig ahnen 
lassen, eine ganze Landschaft, die Heimat dieser Reform, Septimanien. 
Eben an der Spitze der septimanischen Mönche erscheinen sie vereinigt, 
der eine dem anderen gleich im Umfang und in der Vielseitigkeit des 
Wirkens. Denn wenn vom Abt Benedict die Todesanzeige aus Inden 
die Sorgfalt rühmt, mit der er sich aller Stände in der Kirche, nicht 
bloss der Mönche, sondern auch der Chorherren angenommen habe, so 
weist schon der Preis, den noch der ergraute Erzbischof aus der Feder 
Agobards, seines Lyoner Amtsgenossen, erhielt, „als eine Säule und Feste 
der Behausung Gottes in allem imd jedem Betracht werde er ange- 
sehen"^^), nicht nur auf Verdienste um die Weltgeistiichkeit, sondern 



in der Formula Imper. 4 für Klöster (Zeumer I, 291 1. 3). Und zeigt sich da in 
Diplomen Karls auch das Wort monachi (No. 151. 169), so wechselt Ludwigs 
Notar Durandus innerhalb einer Woche in Diplomen für Klöster zwischen servi 
Dei und monachi (No. 579. 580). 

16) Vit. Ben ed. Anian. c. 44. 

17) Nach Theodulfi Carm. 24 v. 10 f. hat dieser Bischof für sein Kloster 
St. Mesmin zu Micy zuerst nur zwei Mönche aus Aniane erhalten und, um ihrer mehr 
zu bekommen, eben dies Gedicht dargebracht. Es versteht sich von selbst, dass 
die zwei ersten Ankömmlinge nur durch einen Zuschuss aus anderen Klöstern in 
den Stand gesetzt worden sind, eine regelrechte Lebensführung in Micy zu be- 
ginnen, wie sie eine solche doch nach dem Zeugnis eben dieses Gedichts begründet 
und begonnen hatten, d. h. ehe das Gedicht abging, ehe die erbetene Verstärkung 
aus ihrem alten Kloster eingetroffen war. Weiteres unten Anm. 75. 

18) Agobard. De cav. convictu et soc. Jnd. Migne 104, 112: tu, pater beatis- 
sime, qui columna in omnibus et firmamentum domus Dei crederis. Noch an 
anderer Stelle ausserhalb seines Sprengeis wird eine Zustimmung des Erzbischofs 
bezeugt, zu Banolas im Gau Besalu (consentiente Nibridio, nämlich zu einer Abts- 
wahl: Sickei und Mühlbacher gehen noch weiter, da jener L. 183 constituente 
Nibridio giebt, dieser No. 734 von einer Weisung des Nibridius spricht; aber ut 
constituerat Nibridius hat nur der Abdruck des Diploms bei Baluze, dem doch 
Sickei wie Mühlb. den in der Espana sagr. vorziehen, und hier steht e^cn consen- 
tiente. 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 209 

auch um das Klosterweseo. Ardos Lebensbeschreibung Benedicts, auch 
sonst befangen^®), wird vollends durch Briefe Alkuins der Einseitigkeit 
überfuhrt, wenn sie ihren Helden allein an dem grossen Werke erscheinen 
lässt-^), ohne Gehilfen in seinen Mühen, ohne Teilhaber an den Ehren 
des Erfolges. Die Briefe, die eben Alkuin nach Gotien gerichtet hat, 
vergegenwärtigen eine weite, über die Klöster dieser Landschaft unter- 
schiedslos ausgebreitete Genossenschaft von Äbten und Mönchen, die nicht 
an einer Örtlichkeit, einer Einzelstätte ihren Mittelpunkt hat, sondern, 
wo es immer zur Nennung von Namen kommt, sich an zwei Männer 
schliesst, an den Erzbischof Nibridius und den Abt Benedict. Wie statt- 
Kch die Zahl dieser uns verbhebenen Briefe an die „Mönche Gotiens" 
ist, es findet sich keiner unter ihnen, der auf den Namen Aniane in- 
sonderheit gestellt wäre. Und doch erbhckt der Briefschreiber „die 
Brüder'^, die „Väter und Brüder Gotiens" vereinigt hinter gemeinsamer 
„Hürdenwand", gleich den Mönchen, die sich im geschlossenen Ringe 
eines Eiuzelklosters drängen; doch heisst er sie, nach einem ihm sonst 
bei einem Einzelkloster geläufigen Bilde, „zusammenstehen Hand in Hand 
in festgefügter Schlachtordnung" zur Abwehr des Feindes ^^^). Gemein- 
schaftUch richteten sie Fragen an ihn, gemeinschaftlich werden sie von 
ihm belehrt, belobt, beschenkt, ermuntert ^^). Die Grundlage ihrer Ge- 

19) Vit. Bened. c. 32 ein Beispiel angeblicher Fähigkeit Benedicts, verborgene 
Herzensregung zu erkennen; dagegen in der Zeit nach seinem Tode aus kaiser- 
lichem Munde ein Zeugnis der simplicitas, die ihn der Schlauheit abtrünniger 
Mönche preisgab, ihn zu argem Missgriff verleitete (Mühlb. No. 876, wo freilich 
die Fassung „die Mönche verschwören sich" unzutreffend ist, ein zu dunkles Bild 
giebt: nur quosdam ex fratribus trieb „der alte Feind" zu einer Verschwörung). 
Nicolais Versuch einer Rettung Benedicts (S. 199 f.) ist verunglückt: auf ähnlichem 
Wege ist ja St. Hilaire zu Poitiers dem Benedictinertum ganz verloren gegangen. 

20) Vit. Bened. c. 6. 19. 20 (S. 208 1. 10. 38). 

20b)*Ep. 247 (fratribus . . in diversis Gothiae partibus) S. 794 (= M. G. No. 
187 S. 315 1. 10): Dens vos in unius ovilis caritatem congregavit, also ganz wie 
Ep.'269 (an die Mönche zu Murbach) S. 836 (= No. 271 S. 430 1. 10) Dens vos 
in ovile sanctitatis congregavit; dagegen enthält sich der Brief an die über Irland 
zerstreuten Mönche (Ep. 217 = No. 280) solcher Andeutung. — Ep. 236 (an Nibri- 
dius und Benedict) S. 752 (= No. 303 S. 461 1. 27) steht unusquisque in acie . . 
viriliter pugnet cum conmilitonib. suis, quia multor. auxilio tutius laborem militiae 
sustinet quam si solus contra plurimos stare incipiat (so an das einzelne Kloster 
Montolieu Ep. 270 S. 837 (= No. 272 S. 430 1. 34) melius in acie cum plurimis 
pugnet miles quam . . solus); auch Ep. 247 S. 792 (= No. 187 S. 314 1. 8) com- 
munibus manibus. 

21) Ep. 93 interrogastis S. 391 (No. 137 S. 215 1. 21); Ep. 145 acceptis ora- 
tionura vestrar. muneribus S. 552 (No. 205 S. 340); Ep. 247 misi munuscula parva 
S. 793 (No. 188 S. 314 1. 29). (Der Brief No. 93 käme nicht in Betracht, wäre 
er, wie Canisius, Duchesne, Froben und Mabill. Vit. Bened. Anian. app. § 3 und 
Ann. 11 1. 26 § 71 meinen, an die Mönche zu Ile- Barbe gerichtet; aber zu Anfang 
des Briefes erscheint Erzb. Leidrad noch nicht im Besitz der Weihe, es ist also 
ile-Barbe noch nicht wiederhergestellt; mit Recht folgt Dümmler der Hdschr. K. 
[K. I.], die — Sickel Alkuinstud. S. 501 f. 506 — ■ nahe Beziehung zu Alkuins 
vertrautem Schüler Fridugis hatte. Dümmler vermutet Poet. I, 244 sogar, dass den 
Brief das Carmen Alk. 24 ad Gothor. gentem begleitet habe). 

Puckert, Aniane und Gellone. 1^ 



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210 Fünftes Capitel. 

meinschaft, die in der erneuten Beobachtung der Regel bestand, rührte 
allerdings von Benedict her: das sagt nicht nur Ardo, sondern auch 
Alkuin, und zwar in einem Briefe an einen Dritten ^% so dass dies Ver- 
dienst, das weit über Aniane hinausging, ihm insonderheit gebührt. Auch 
konnte es bei dem vielseitigen Verkehr zwischen ihm und Alkuin nicht 
ausbleiben, dass Benedict da einmal für sich allein, nur als Leiter seines 
eigenen Klosters in Betracht kam ^*). Aber wo Alkuin auf die über die 
Landschaft verbreitete „Herde", auf die Verbindung unter den „Brüdeni 
in diesen Strichen" blickt und dabei das Zustandekommen ihrer Einheit 
berührt, erscheint nicht der Abt allein, sondern neben ihm der Erzbischof 
Nibridius: beide haben das Band geknüpft, beide sollen zusammenwirkend 
in ihrem Hirtenberufe weiter walten ^^). Da Alkuin seine Kunde von 
den Vorgängen und den Verhältnissen Gotiens, er der Freund Benedicts, 
sicherUch nicht bloss der Aussage Nibrids verdankt, wie die Neueren die 
ihrige umgekehrt nur dem einseitigen Berichte Ardos, so lässt sich nicht 
annehmen, dass er in iniger Voraussetzung einer Teilnahme des Bischofs 
den Ruhm des Abts geschmälert habe. Aus seinen Worten, die er 
zudem an beide zugleich richtet, glaube ich vielmehr entnehmen zu sollen, 
dass was Ardo über die Entwicklung des Klosterwesens in Gotien unter 
der emsigen Hand Benedicts im einzelnen erzählt (Vit. c. 6. 20), mannig- 
fache Anwendung auch auf Nibridius habe. Auch dieser muss, immerhin 
erst nach dem Vorgang und Beispiel Abt Benedicts, neben seinem Kloster 
noch andere versorgt, in fleissigem Umgange die Geheimnisse der Regel 
dort enthüllt, wie im Geistlichen so im Leiblichen Spenden gemacht 
haben. War dies der Weg, auf dem die „Vereinigung zu einer Herde" 
zu stände kam, so hat ihn auch Nibridius betreten, und es ergiebt sich, 
dass die erste Reform des Benedictinertums auf dem coUegialen Zusammen- 
wirken zweier Männer ruhte, im Unterschied von der späteren Clunys, 
die in ihrem doch weit längeren Verlauf allezeit je einen Führer hatte, 
eben den Abt von Cluny. 

22) Ep. No. 127 (ad Arnonem) S. 512 {= No. 184 S. 309 1. 33) ex fratribus 
de Gothia, ubi Benedictus abba regulärem constituit vitam. 

23) Ep. No. 150 (ad Benedictum abbat.) (= No. 56 S. 100 1. 13) optans te 
in eo strenue perficere opere quod coepisti et gregem gubernare fideliter quem 
congregasti. Frobens und Jaffes Vermutung, dass gregem hier auf Aniane inson- 
derheit gehe, hat zur Stütze, dass eben von Anfängen die Rede ist: den frühesten 
Anfang machte Benedict mit der Sammlung von Mönchen zu Aniane (wo denn 
freilich das Jahr 800 und selbst 796 für den Brief Alkuins ein zu später terminus 
ante quem wäre). 

24) Auch in dieser Beziehung ist die oben S. 183 angeführte Stelle der Ep. 
236 entscheidend: S. 751 (= No. 303 S. 461 1. 13) fratribus . . quos divina superni 
pastoris gratia per vestrae (Nibridii et Benedicti) devotionis instantiam illis coa- 
dunavit in partibus. Auch für die Zukunft empfiehlt Alkuin gemeinsames Wirken, 
indem er Ep. 146 S. 556 (= No. 206 S. 342 1. 34) an den Bischof, zugleich im 
Hinblick auf Abt Benedict, den Zuruf richtet Vos ambo laborate quasi boni 
pastores in grege Christi, nicht vestrum uterque : so soll denn nicht Nibridius allein 
bei den Bischöfen, nicht Benedict allein bei den Äbten, sondern beide bei Bischöfen 
und Äbten mit der Bitte vorsprechen, des zugesagten Gebets für Alkuins Seelen- 
heil eingedenk zu bleiben. 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 211 

. Schon diese mehrköpfige Spitze konnte den Gredanken, die Goten- 
Klöster durch ein äusseres Band der Unterordnung, wodurch nachmals 
Cluny zahlreiche Priorate und auch manche Abtei in dauernder Unselb- 
stän^gkeit hielt, verfassungsmässig zu verknüpfen, kaum aufkommen 
lassen. Nun gewahrt man hier auch keine Veranstaltung solcher Art, 
sondern eher das Gegenteil. Denn wenn im Reformgebiete Clunys die 
Abhängigkeit der Klöster vornehmlich dadurch gesichert war, dass deren 
Vorstände nur durch die Ernennung oder wenigstens nicht ohne die Mit- 
wirkung des Abts von Cluny (non sine praecepto, non praeter consen- 
sum, non sine consilio) ihr Amt erlangen konnten, so überrascht in 
Gotien die grosse Zahl klösterlicher Wahlrechte. Sie hängt vermutHch 
eben mit der Erneuerung der Regel zusammen. Denn gleichermassen 
kennzeichnet diese Landschaft in der Zeit Karls d. Gr. der Trieb und 
Drang klösterlicher Reform, wie in der ersten Zeit Ludwigs d. Fr. der 
Reichtum an ersterteilten oder erneuerten Wahlrechten. Ich bemerkte be- 
reits, dass unter den trotz ihrer Zugehörigkeit zu bischöf hohen oder Stifts- 
kirchen mit Wahlrecht bewidmeten Stätten diejenigen einen namhaften 
Teil ausmachen, die in und ausserhalb Gotiens von dieser Reform be- 
rührt waren. Das nämhche zeigt sich bei einem ÜberbHck über die un- 
abhängigen Klöster. Nur flir deren acht in Francien rechts von der 
Loire, nur für acht in Deutschland sind aus Ludwigs gesamter Zeit 
Wahlrechte auf uns gekommen: für Les Fosses, Fleury, AniUe (St. Calais), 
Corbie, Marsoupe, AIontier-en-Der, St. Germain zu Auxerre, St. Sauveur- 
du-Mans ^% für Ellwangen, Lorsch, Reichenau, Fulda, Hersfeld, Korvey, 
Gregorienmünster, Kempten^®). Aus dem so viel schmäleren Striche 
Septimaniens und der spanischen Mark haben wir Wahlrecht für zehn: 
Aniane, S*® Marie am Orbieu (La Grasse), St. Hilaire de Caracassonne, 
Psalmodi, Malaste (MontoHeu), Arles-sur-Tech, Banolas, S* Grata, 
St. Chinian, St. Andre-de-Sor^de^^. Nehmen wir hierzu die Privilegien 
jener abhängigen Klöster De- Barbe, Belle -Celle, Cormery, und die der 
aquitanischen Klöster Noaille, Charroux, St. Maixent und Glonnes 
(St. Florent-le-vieil), die nach dem Bericht des sog. Astronomus in Lud- 
wigs aquitanischer Königszeit, also doch unter dem Beirat Abt Bene- 
dicts reformiert wurden, so ergiebt sich mit dem Gesamtbetrage von 17 
hier zwar nicht eine höhere, aber die gleiche Zahl wie für Franciens und 
Deutschlands Klöster zusammengenommen^^). Mag man immerhin an- 
nehmen, dass die letzteren grössere Einbussen an Urkunden solcher Art 
erhtten haben -®), so bleibt doch die stattliche Zahl von Wahlrechten für 

25) Mühlb. No. 597. 652. 771. 796. 811. 813. 914 und (unter Vorbehalt der 
Zustimmung des Bischofs) 935. 

26) Mühlb. No. 502. 556. 581. 593. 698. 754. 807. 967. 

27) Mühlb. No. 505. 528. 544. 579. 580. 701. 734. 750. 806. 885. 

28) Mühlb. No. 575. 664. 690; 500. 553. 566. 762 (ich sehe nach Cap. III 
S. 156 Anm. 66 ab von Mühlb. No. 506 für Donz^re); zu den oben aus Francien 
und Deutschland angeführten kommt Mühlb. No.731 für das abhängige St. Remi-de- 
Yareilles, so dass auch daher im ganzen 17 bekannt sind. 

29) Dass für St. Gallen und Murbach Wahlrechte Ludwigs verloren sind, folgt 
aus Mühlb. No. 1314. 1538 (so schon Sickel Reg. S. 369. 376). Verloren sind aber 

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212 Fünftes Capitel. 

die Stätten der gemeinsamen Wirksamkeit Benedicts und Nibrids eine 
beachtenswerte Erscheinung. Die den Klöstern Septimaniens und der 
spanischen Mark erteilten stammen mit Ausnahme des für St. Chinian 
sicherlich oder höchst wahrscheinUch aus der zweiten Periode Ludwigs ^% 
aus der ersten seiner kaiserhchen Regierung, als Abt Benedict oder doch 
Erzbischof Nibridius noch lebten und auch Nibridius (er als Metropoht 
wenigstens in septimanischen Dingen) von Einfluss waren. Von mehr 
als einem dieser Privilegien lässt sich vielleicht sagen, dass es als Be- 
stätigung uns verlorener Urkunde zu den Tagen Karls hinauffuhrt*^), 
in denen Nibridius und Benedict noch zusammen, nach Alkuins Wort, 
als gute Hirten diese Herde weideten, und es wird das Wahlrecht, das 
Abt Benedict, wie ich fiüher bemerkte, nachmals, bei der Ausdehnung 
seiner Reform über das ganze Reich, als die beste Sicherung gegen die 



auf der anderen Seite Vorurkunden von ihm zu den mit Immunität verbundenen 
oder reinen Wahlrechten seiner Nachfolger für Sa- Maria de Amer in der span. 
Mark, St. Genies-de-Fontaines , St. Laurent-de-Labreresse , St. Polycarpe (Sickel 
a. a. 0. S. 366. 369. 873. 378: die letzteren zwei in Nibrids Sprengel) und für die 
nach Astronomus reformierten Klöster Aquitaniens St. Chaffre (Calmiliense M.)^ 
Ste Croix, Hermontier (Sickel S. 363. 364. 865). 

30) Für Mühlb. No. 544 und 885 (ohne Schlussprotokoll) lässt Sickel (L. 230. 
231) die Wahl zwischen Ludwigs zweiter und vierter Periode (814 — 825. 831 — 834), 
ebenso Mühlbacher für No. 885. Aber No. 885, zu Gunsten des Klosters St. Andre 
im Roussillon, rührt (oben S. 184 Anm. 30 h) aus Ludwigs zweiter Periode oder 
spätestens aus Herbst 831. (Auch das verlorene Diplom für S» Maria de Amer 
[Anm. 29], das wie No. 885 Graf Gaucelin erbeten hat, muss so angesetzt werden). 
Das Diplom No. 544 weist Mühlbacher, weil es Bestätigung einer Verleihung Karls 
ist, den Anfängen der Regierung Ludwigs zu. Entscheidend ist dieser Grund 
nicht (vgl. S. 158 Anm. 69) : noch später hat Ludwig Diplome seines Vaters be- 
stätigt (No. 861. 867. 896. 933 vgl. 928. 929). Doch setze auch ich es in die Zeit 
vor 825, weil die dem Abt Monellus von St. Hilaire de Carc. hier bestätigte Ur- 
kunde Karls ein Schutzbrief für Abt Nampio ist, Monellus also diesen zum Vor- 
gänger hat, nicht den mit Deperdit. S. Hilarii Carc. 3 (Sick. S. 371) bedachten Egido; 
Egido aber (der nun Monells Nachfolger sein muss, wie er denn in No. 544 auch 
nicht erwähnt wird), war seinerseits auch schon in Ludwigs früheren Jahren Abt,, 
da er noch dem zur Zeit Pippins L (f Dez. 838) zu St. Hilaire waltenden Leonnius^ 
voraufging, in einer Zeit, als Pippin noch nicht das volle Verurkundungsrecht in 
der Grafschaft besass (Diplom bei Bouquet 6, 668, jetzt H. d. L. IIb 167). 

31) Bezeugt ist's für Sa Grata in der spanischen Mark durch Mühlb. No. 750- 
(Verweis auf die aquitanische Königszeit); zu vermuten ist's (nach Anleitung von 
No. 505, wo das Anianer Diplom Karls, obgleich es Immunität und Wahlrecht 
enthält, von seinem Nachfolger nur als Immunität bezeichnet wird) für Nibrids 
Kloster La Grasse und für die in derselben Grafschaft gelegenen St. Hilaire de 
Carcassonne und Malaste No. 528. 544. 580 (vgl. oben S. 22 Anm. 14). Dass 
Charroux im aquitanischen Reformbereich erst in Ludwigs, nicht schon in Karls 
Zeit Wahlrecht erhielt (No. 553 vgl. No. 352), hängt vermutlich mit der Besonder- 
heit der Anfänge dieses Klosters (Sickel Btr. 3, 210) zusammen. Ich glaube auch 
nicht, dass Karl je dem Kloster Arles am Tech ein Diplom solcher Art gegeben 
hat: die Behauptung des Abts Hilperich unter Karl d. K. (bei Mab. Ann. HI 
append. No. 10), aus der man es folgern könnte, ist nicht ganz verlässig, und 
Ludwig erwähnt No. 701 durchaus keine Verleihung seines Vorgängers. 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 213 

Verleihung an Weltgeistliche oder Chorherren erkannte, schon in seinen 
Anfängen den Klöstern des Ursprungslandes der Reform zu teil geworden 
sein, sei es kurz nach ihrer Gründung, so dass die Regel gleich in ur- 
sprünglicher Reinheit ihren Einzug in das neue Haus hielt, sei es bei 
Wiederherstellung der Regel als die vornehmste Gewähr ihres dauernden 
Bestandes. Aber darf man deshalb in dieser Gleichheit der Ausstattung 
ein Merkmal der regulären Genossenschaft sehen, zu der nach Alkuin 
der Erzbischof und der Abt „die Väter und Brüder in Gotien" ver- 
einigten, so benahm doch eben diese Gleichheit, ich wiederhole es, jedem 
Kloster, ragte es wie Aniane und La Grasse auch augenblicklich durch 
die Thätigkeit seines Leiters hervor, die Möglichkeit, über andere auf 
die Dauer Übergewicht zu erlangen. Verbindende Kraft lag in dem 
Wahh'echt nur insofern, als jedes einzelne, um den Besitz des Rechts auch 
bei wachsendem Reichtum, der dem Herrscher die Ernennung des Vor- 
stands oder die Verleihung wünschenswert machte, zu behaupten, Sorge 
tragen musste, dass er allen verblieb, dass an keiner Stelle ein Vorgang 
der Entziehung geschaffen werde. Unter Ludwigs Sohn und Nachfolger 
im Westreiche erscheint denn die Befugnis der Abtswahl fast als Ge- 
meingut der Klöster Septimaniens und des spanischen Grenzstriches: sie 
ward wie zur Eigentümlichkeit der Landschaft Denn an Wahlrechten 
Karls des Kahlen sind für diese nicht weniger denn 17, aber für Königs- 
klöster in Francien und Aquitanien nur etwa 12 auf uns gekommen^-). 
Vor den Wällen des belagerten Toulouse ist, als er im alten Amtsgebiet 
Markgraf Bernhards sein Königsrecht zur Anerkennung bringen wollte, 
neben einer Schar hier angesiedelter Spanier, die zusammen den Augen- 
blick nutzten, um neue Sicherung ihrer .Besitzungen und Freiheiten zu 
erlangen, auch vereint eine Anzahl von Abten vor ihm erschienen, und 
er hat gleich acht unter den siebenzehn Klöstern Wahlrecht erteilt oder 
bestätigt — zwar unseres AVissens nicht Gellone, der Stiftung Graf 
Wilhelms, dessen Sohn und Enkel ihm verhasste Widersacher geworden 



32) Unter den 17 sind 9, für die sich Wahlrechte Ludwigs erhalten haben: 
nämlich La Grasse, Arles, St. Chinian, Sa Grata, St. Andre de Sorede, Aniane, 
Malaste, St. Hilaire de Carcassonne, S. Esteban de Banolas (Bouquet VIII, Diplom. 
Karoli No. 18. 37 — vgl. 214 — . 39. 40. 102. 114. 125. 126. 197) und 3, für die 
sie verloren sind : St. Laurent de Cabreresse, St. Polycarpe und S* Maria de Amer 
(Bouquet No. 36. 43. 158: Sickel Regest. S. 373. 378. 366): also fehlt von den 13, 
die Ludwig hier privilegiert hat, nur Psalmodi. Dazu kommen erste Wahlrechte 
Karls für St. Pierre de Cubieres, S. Pedro im Gau Besalü, St. Clement im Roussillon, 
S. Juliano y S. Vicente im Gau Besalü, St. Andre d'Exala (Bouquet No. 19 — 
2. T. verunechtet — 34. 103. 198. 242). Aus der Menge der unabhängigen 
Klöster im übrigen Reiche finde ich bei Bouquet, den Tardif in dieser Beziehung 
nicht vermehrt, unter Karl d. K. mit vollem Wahlrecht bedacht nur St. Maur-des- 
Fosses, St. Lomer, Ferneres, Anille, Redon, Solignac, Montier- en-Der, St. Filibert, 
St. Chaffre, Manlieu (No. 5. 23. 26. 96. 99. 107 vgl. 193. 145 — 2. T. verunech- 
tet — . 253. 282. 283) : dazu kommt eine Andeutung von Wahlrecht in dem Diplom 
für St. Benoit s./Loire (No. 136); das Mass der den Jungfrauen zu N.-Dame de 
Soissons verliehenen Wahlfreiheit ist bei der lückenhaften Überlieferung von No. 51 
nicht zu erkennen, aber die zu Vezelay sollten wenigstens nach dem Tode ihrer 
Gründer in den Besitz des Rechtes treten (No. 207). 



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214 Fünftes CapiteL 

waren, auch, in auffälligem Unterschiede von seinem Vater, damals noch 
nicht dem wie vom gleichen Schatten berührten Aniane, das er in viel 
späterem Regierungsjahre als Kaiser Ludwig bedachte und auch dann 
nur mit einer Bestätigung, aber La Grasse, der Gründung Nibrids, 
einigen Neugründungen in der spanischen Mark und mehreren Klöstern, 
die mit La Grasse Nachbarschaft hatten ^^). 

Ihre Nachbarschaft war es auch, was diesen Klöstern, vermutlich 
noch dringhcher, empfahl, gutes Vernehmen unter einander und Brüderüch- 
keit zu pflegen. Denn sieht man auf ihre Ausbreitung im Raum, so ist 
die stellenweis grosse Dichtigkeit der Besiedelung mit Klöstern schon 
unter Karl und Ludwig für Septimanien ein bezeichnendes Merkmal, 
eben in der Zeit, da diese Landschaft zugleich für die innere Entwicke- 
lung des Benedictinertumes die wichtigste des Reiches ward. Man er- 
hält von ihrer, noch nach Ludwig in Zunahme gebliebenen, Menge eine 
Empfindung, wenn man nach Jahrhunderten sieht, wie wenig Raum doch 
der überallhin greifende Orden von Citeaux hier zum Einschieben eines 
neuen Hauses fiir Mönche seiner Sonderregel fand: die wichtigsten seiner 
Stätten in Septimanien verdankt er, abgesehen von Villelongue und 
Franquevaux, nicht Neugründungen, sondern dem Umstände, dass unter 
Einflüssen vom Lande Toulouse aus, wo er weit mehr Niederlassungen 
erlangte, wo er an Grandeselve den eigentlichen Mittelpunkt seiner Wirk- 
samkeit über Südfi-ankreich hin gewann, altbestehende Klöster der Bene- 
dictiner zu ihm übertraten. Denn manchen Strich Septimaniens hatten 
diese ganz vorweggenommen. Es teilten sich in das Flussgebiet des Tech 
unter Ludwig Arles, St. Andre de Sor^de, St. Genis des Fontaines, 
neben denen unter Karl d. K. am Tet, also in der Nähe, St. Andre 
d'Exala (später St. Michel de Cuxa) und St. Clement auftauchen — 
alle fiinf in dem nicht gerade grossen Sprengel Eine. Der noch kleinere 
von Carcassonne umschloss (abgesehen von St. Est^ve-de-Cabardez und 
St. Frichoux) La Grasse, St. Hilaire und Malaste, an seinem Grenzsaume 
erhoben sich Cannes, St. Laurent-de-Cabreresse, St. Polycarpe. Und wie 
diese Klöster, sie selber, nicht weit von einander abstanden, so erscheinen 
ihre Zellen fast vermengt, St. Laurent de Cabreresse im Gau Narbonne 
besass unter dem aquitanischen Könige Pippin L eine im Sprengel Car- 



33) Fast alle verzeichnet von Böhmer: No. 1553—1555. 1557. 1559. 1560. 
1565, dazu Bouquet No. 43. Der Erzbischof von Narbonne dagegen musste sich 
(vrie der Bischof von Gerona Böhm. No. 1561) in jener Zeit noch an Bestätigung 
des Überkommenen und an dem Geschenk einer Villa genügen lassen (Böhm. 
No. 1563 f.), wie denn eben damals Karl d. K. auch zu Gunsten der niederen 
Weltgeistlichen den Bischöfen Septimaniens entgegentrat (M. G. Leg. I, 378). 
Anders später. Die Behauptung freilich, dass Karl d. K. Psalmodi der Kirche 
Nimes geschenkt habe (Gall. ehr. VI, 431. 472), ruht nur auf dem unzureichenden 
Eintrag in ein Missale von Nimes (Catel Mera. s. l'hist. d. Langued. 979) und 
wird widerlegt durch das Diplom seines Enkels Karl III. (Böhm. No. 1930); aber 
nachdem einmal durch seinen Sohn Karlmann 881 St. Laurent de Cabreresse an die 
Kirche Narbonne übertragen worden war (Böhmer No. 1853), erging dasselbe Ge- 
schick über Cubieres und über das allerdings ehedem unter Teilnahme des Erz- 
bischofs Nibridius begründete St. Esteban de Banolas (Böhm. No. 1906;. 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 215 

cassonne (S*© Marie); umgekehrt La Grasse im Gau Carcass^s unter 
Ludwig mehrere im Spreugel von Narbonne (Cabrespine und La Palme) ^*); 
ein anderes imter jenen Klöstern im Carcass^s, St. Hilaire, erhielt unter 
Karl d. K. vom Könige die Bestätigung seines Rechts an drei Zellen 
im Sprengel Eine, darunter eine an jenem Flusse Tech, ein drittes, 
Malaste, im Jahre 862 die gerichtliche Sicherung eines nun mehr denn 
dreissigjährigen Besitzes von Gütern im Narbonnais ^^). Nur bei neid- 
losem Nachsehen, bei gegenseitigem Wohlwollen, nur wenn jene milde 
Innigkeit der Liebe, die Ardo in eigen berührender Wiederholung des 
Wortes Caritas an dem einen Abt Benedict rühmt, die Abte aller dieser 
Klöster leitete, konnte ohne unaufhörhche Reibung, ohne Zwist und 
Hader ein jedes im Bereiche des anderen sich ausbreiten. So wird es 
kein leeres Wort sein, wenn auch Alkuin ihre Vereinigung als ein ovile 
caritatis bezeichnet^®), als einen Hag jener Liebe, die nachmals die 
Cisterzienser, auch sie unter dem jugendlich frischen Antriebe neuen 
Regelgeistes, als die Seele ihres Bundes, als den Grundzug ihrer Bundes- 
urkunde (carta caritatis) angesehen wissen wollten. Das Wort bewährt 
sich teils durch die in grossem Masse geübte Wohlthätigkeit, wie sie 
— ich erwähnte es schon — Ardo an seinem Helden liihmt und wie 
sie dieser noch von seinem Todesbette aus seinem Nachfolger einschärfte 
— , teils, in anderer Richtung, durch die Thatsache, dass, trotz dem 
Durcheinander der Klöster und ihrer Besitzungen, unter den Gerichts- 
urkunden, die sich gerade aus Septimanien in ansehnhcher Zahl erhalten 
haben, ein Streitfall zwischen Kloster und Kloster, nachmals auch unter 
ihnen nicht selten, damals nicht vorkommt. Und es vermachte noch nach 
Alkuins Tode, ohne dergleichen besorgen zu müssen, der Septimanier 
Dadila Güter in der Nähe von Ciaret, im Gau Maguelonne, zu dem 
doch Aniane gehörte, dem Kloster Psalmodi im Gau Nimes, und um- 
gekehrt Güter im Gau Uz^s, der von Aniane am nächsten eben über 
Ciaret erreichbar war, dem Kloster Aniane^'). 

34) H. d. L. IIb 230. 91. La Grasse erscheint 870 auch im Besitz der Zelle 
St. Peter und Paul auf der zum Narbonnais gehörigen Insel Ste Lucie (Li ei, Litia), 
wo nicht nur nach col. 135 zugleich Caunes begütert war, sondern auch nach 
der Angabe der Mauriner Gall. ehr. VI, 138 vgl. H. d. L. IV, 686 das Kloster 
St. Martin de Cauchene lag, und im Besitz einer Zelle im Thalo Conflent, also 
wiederum an dem schon reich besetzten Flusse Tet, und gerade an einer seiner 
wichtigsten Stellen, zu Prades (IIb 360). 

35) H. d. L. IIb 265 (Nidolarias super fluvium Techus, wie bei Bouquet, und 
am Tech liegt Nidol^re: falsch Gall. ehr. VI J. 417 B Thetus) c. 331. 

36) Ep. 247 S. 794 (= 187 S. 315 1. 10) vgl. Ep. 75 S. 340 (= 117 S. 172 
1. 21 Caritas . . non sua quaerens sed quae alterius sunt, omnibus prodesse, non 
sibi placuisse quaerens). Vier Sätze hintereinander beginnt Ardo in seiner Schil- 
derung Benedicts mit dem Worte Caritas (Vita c. 20), 

37) H. d. L. IIb 81 f. Dass Dadilas Landsmann Braiding seinen Herren- 
mansus in der Stadt Nimes und Güter im Suburbium von Nimes statt dem eben 
in diesem Gau gelegenen Kloster Psalmodi (das er doch keineswegs missachtete, 
vielmehr auch bedachte) dem Kloster Aniane schenkte (H. d. L. IIb 76), will ich 
nicht betonen: seine Urkunde zeigt, dass er fast ausschliesslich der Gründung 
Abt Benedicts seine Gunst zugewendet hat. 



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216 Fünftes Capitel. 

Auf späterer Stufe klösterlicher Reform führte, als nun verschiedene 
Ordensgenossenschaften vorhanden waren, deren Wettstreit zur Erkenntnis 
der Notwendigkeit von Verträgen über die von den Mönchen der einen 
Genossenschaft bei einem Neubau innezuhaltende Entfernung von bereits 
vorhandenem Kloster der anderen. Sie sollte nach einem Übereinkommen 
der Väter von Citeaux und von Premontre (1142) bei Abteien nicht 
unter vier, bei Wirtschaftsgebäuden nicht unter einer Meile landesübhchen 
Masses betragen. Trotzdem sind zwischen ihnen Streitigkeiten ausge- 
brochen, in deren Verlaufe sogar, wie die Praemonstratenser behaupteten, 
ein von ihnen für Nonnen bestimmtes Haus, noch ehe es fertig war, durch 
Cisterzienser gewaltsamerweise niedergerissen, ein anderes niedergebrannt 
ward^^). Manches der alten Häuser Clunys umgürteten zur Zeit Abt 
Peters d. Ehrwürdigen fünf und mehr neue Niederlassungen anderer 
Orden, bis auf zwei oder eine Meile: eins der ältesten imter ihnen, Signy, 
hat sich denn in langwierigem Ringen um seine Zehntgerechtigkeit mit 
dem im gleichen Sprengel gelegenen Cisterzienserkloster Le Miroir nach 
den Worten P. Eugens HI. zu barbarischer Gewaltthat, zu Plünderung, 
Brandlegung, Totschlag hinreissen lassen^®). 

Sogar innerhalb der eigenen Genossenschaft verlangte ein Gesetz 
von Premontre bei Neugründungen „zur Wahrung des Friedens" vier 
Meilen Abstand von Abtei zu Abtei, eine Meile von Gehöf tzu Gehöft, 
eine halbe von Mühle zu Mühle. Abt Reinald von Citeaux verbot auf 
Grund eines Generalcapitelschlusses, im Umkreis unter zehn (burgundischen) 
Meilen um ein vorhandenes Kloster des Ordens eine Stätte zur Errich- 
tung eines neuen anzunehmen: auch unter den Wirtschaftsgebäuden ver- 
schiedener Abteien sei eine Entfernung von mindestens zwei Meilen 
innezuhalten *'^) ; und im 13. Jahrhimdert gab das Generalcapitel Auftrag, 
ein Kloster wegen übergrosser Nähe zu einem anderen gänzlich auf- 
zuheben^^). 

Unter den Benedictinem Septimaniens ist's unseres Wissens zu 
Ordnungen solcher Art, geschweige zu förmUcher Aufhebung eines 
Klosters nicht gekommen. Allerdings hie und da zu zeitweiliger Über- 
tragung des einen an den Abt des anderen, auch zu dauernder Vereini- 



38) Miraei chron. ordin. Praemonstr. S. 110. Bei der Erneuerung des Ver- 
trags i. J. 1153 ward eine Ausnahme an die Genehmigung der Generalcapitel 
beider Orden gebunden (Hugo Annal. ord. Praemonstr. II, probat. S. 43). — Epist. 
Bemard. Clarav. (00. ed. Mab. I) No. 253. 

39) Jaffe-Wbach No. 9563. Vgl. Epist. Bernard. Clarav. No. 283 („Abbatia 
tota destructa est"). Epist. Petr. Venerab. I No. 33 f. (Bibliotheca Cluniac. 
S. 700 f.). 

40) Distinct. ordinis Praemonstr. IV, 2 bei Le Paige Biblioth. Praemonstr. 
S. 819. CoUectio Rainardi c. 33 bei Manriq. Ann. ordin. Cist. I, 276; der Be- 
schluss des Generalcapitels von 1134 c. 6 in Martene et Dur. Thesaur. IV, 1243; 
andere von 1190 (c. 23) u. 1206 (c. 14) (ebenda S. 1268. 1304) beziehen sich auf 
Streitigkeiten innerhalb des Ordens aus Anlass zu grosser Nachbarschaft von 
Grangien; vgl. auch Statut, cap. gen. 1278 (c. 1) propter conservandam pacem 
inter religiosos et propter scandala eyitanda (S. 1460). 

41) Statut, capit. gener. 1239 c. 19 (a. a. 0. S. 1371) faciant penitus exspirare 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 217 

gung, zur Verschmelzung. Nur erlitten diese Minderung ihrer Selbständig- 
keit die mit Wahlrecht ausgestatteten Klöster erst später, einige sehr 
spät. So in der Zeit erneuten Glanzes von La Grasse, seit dem letzten 
Drittel des 11., vornehmlich im 12. Jahrhundert, wo dies Kloster, wie in 
den Tagen Karls d. Gr. seinen Gründer Nibridius, zwei seiner Abte zum 
erzbischöflichen Stuhle von Narbonne aufsteigen sah und eine Zahl frei- 
lich in ihrer Freiheit schon erschütterter Abteien von verschiedenen 
Seiten her geschenkt erhielt ^^). Auch die Vereinigung von Joncels im 
Sprengel Beziers mit Psalmodi erfolgte erst zu Anfang des 10. Jahr- 
hunderts: noch zu Ende des 9. erscheint Joncels fär sich^^). Vor der 
Mitt« des 9. begegnet nur ein Kloster, von dem aber auch kein Wahl- 
recht bekannt ist, St. Martin de Cauch^ne im Sprengel Narbonne als 
Cella eines anderen, nämlich des in demselben Sprengel gelegenen 
St. Laurent de Cabreresse (de Niesle); aber da nach einem Diplome 
Karls d. K. der 844 zu St. Laurent waltende Abt David der nämliche 
war, der unter Ludwig d. Fr. einen Rechtshandel als Abt zu St. Martin 
ausfocht, so darf man annehmen, dass er bei Besteigung des Stuhles von 
St. Laurent sein bisheriges Kloster nach sich gezogen habe, dass, wie- 
viel auch die Gleichheit der Regel und der Bräuche, wieviel die Nähe 
im Räume dazu beitrug, doch vornehmlich auf persönUchem Wege 
St. Martin in diese Verbindung mit St. Laurent gekommen ist^^). Ich 
übergehe, dass, auch schon in oder vor 844, das Kloster „S*^ Stephani 
im Gau Carcassonne am Bächlein Olivetus", von dem wir ebenso wenig 
ein Wahlrecht besitzen, dem Abt von St. Chinian übertragen (commissum) 
war: findet man mit Recht darin St Esteve de Cabardez, das wenigstens 
im Sprengel Carcassonne lag, so erscheint es später wieder als eigene 
abbatia und in der Hand des Bischofs*^). Aber auf gleichem Wege 
wie St. Martin de Cauchene an St Laurent de Cabreresse mag, freilich 
erst zu Ende des 9. Jahrhunderts, St Laurent de Vernezoubres an 
St. Chinian gelangt sein, sofern der als Teilnehmer an einem Provinzial- 
concil von März 898 bezeugte Abt Froja von St. Laurent de Verne- 



42) So St. Laurent de Cabreresse, St. Polycarpe, St. Andre de Soiede und, 
auf spanischem Markboden, S. Petro de Galligans (Concil. Narbon. ed. Bai. S. 25. 
H. d. L. V, 1035 No. IL Marca Hispan. S. 1248). 

43) Böhmer No. 1930 (jetzt H. d. L. V, 128) vgL 1886. 

44) Böhmer No. 1557 (jetzt H. d. L. IIb 229 No. 111 vgl. 194 No. 90): hier- 
nach erfolgte die Vereinigung noch unter Ludwig, von welchem Fürsten Abt 
David eine Immunität für St. Laurent und Cauchene (Canena super litus maris = 
Sti Martini Caucanensis super litore maris?) zugleich, und auch in betreff der er- 
strittenen Güter erhielt. Unlösbar verwuchsen sie nicht: Erzb. Ermengaud von 
Narbonne, an dessen Kirche St. Laurent gekommen war, schenkte 1004 (7. Jahr 
König Roberts) Caut^ne dem Kloster St. Michel de Cuxa (Marc. Hisp. S. 961 
No. 152). 

45) Böhm. No. 1559 (jetzt H. d. L. IIb 234; monasterium . . sibi commissum 
martyris Stephani . . sub rivulum Olive ti situm). Vgl. H. d. L. V, 409. 1462 
No. XXIV. Gallia ehr. VI, J.423D: die Mauriner wussten Gall. ehr. VI, 935 noch 
nichts davon, dass (so jetzt Mahul Cart. d. Carc. 3, 66 und H. d. L. IV, 759) St. 
Stephan am Olivetus gleich sei St. Esteve de Cabardez. 



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218 Fünftes Capitel. 

zoubres nicht verschieden ist von dem noch 898 bei einem Gutsverkaul 
auftretenden Abt Froja von St. Chinian, das denn sehr bald, Juni 899, 
unter dem bisher unerhörten Namen S*^ Aniani et S*^ Laurentii her- 
vortritt^®). Da auch von St. Laurent de Vemezoubres kein Wahl- 
recht bekannt ist, da zudem St. Chinian nahe, gleichfalls an dem kurzen 
Flusse Vemezoubres (Vemodoverus, Vemodubrus) lag, würde der Vorgang 
nicht geradezu befremden. Aber einigermassen würde er doch dann 
überraschen, wenn dieses St. Laurent, wie man behauptet, zusammenfiele 
mit einem Kloster, das viel älter war als St. Chinian, mit dem schon in 
Karls d. Gr. Königszeit vorhandenen S*^ Laurentü in Olibegio, das noch 
dazu sein Begründer Anianus, der Gefährte Benedicts von Aniane im 
Beginne seiner septimanischen Reform, dem Herrscher commendiert hatte. 
Indes diese Behauptung der Mauriner, die in der Histoire de Languedoc 
wiederkehrt, entbehrt — ich werde gleich ausfuhrlich darauf eingehen — 
noch immer des Beweises: man hat noch nicht dargethan, dass OUbegium 
das nämliche bezeichne wie Olutianum, wonach St. Chinian und St. Lau- 
rent de Vemezoubres landschaftlich bisweilen bestimmt werden, vollends 
nicht, dass das Kloster S*^ Laurentii in Olibegio am Pluss Veme- 
zoubres lag*'). 

Noch an einer anderen Stelle im Bereiche der septimanischen Re- 
formen, einer namhafteren, hat, so behaupten die Mauriner unter dem 
Beifall neuerer Forscher in Deutschland und Frankreich, die Nachbar- 
schaft eine Vereinigung von Klöstern und zwar auf die Dauer herbei- 
geführt, im Sprengel Narbonne am Argentdouble, wo sich eine zweite 
Gründung des Abts Anianus St. Johann in Extorio mit der Gründung 
eines anderen Mannes mit dem erst durch Schenkung an ihn gekommenen 
St. Peter-Paul Kloster an dem nämlichen Orte Cannes verschmolzen, sich 
darein wie verloren habe. Ich unterziehe diese Behauptung eingehender 
Prüfung, weil Cannes zu den wichtigsten Klöstern Septimaniens zählt — 
in früher Zeit, wo es an seinem Abt Anianus einen der Genossen 
unseres Benedict hatte, wie in späterer, wo der Name Cannes in Testa- 
menten, die die verehrtesten Stätten des Landes bedenken, selten fehlt — , 
und weil man die Vereinigung noch vor 817 setzt, in die Zeit des Lebens 
und regsten Waltens Abt Benedicts, so dass sie, wie unter seinen Augen, 



46) Concil. Narbon. ed. Baluz. S. 2 f.; der Verkauf erfolgte nach dem ür- 
kundenanszug, den auf Grund eines Cartulars von Montolieu Grall. ehr. VI, 257 c. 
giebt, am 2. März anno I regnante Carolo; darunter verstehe ich aber nicht, wie 
die Mauriner, das Jahr 893, sondern 898: Karl fand in Septimanien erst nach 
Odos Tod (Anfang Jan. 898) Anerkennung und gerade zu Montolieu galt pr noch 
Febr. 898 nicht als Könior (H. d. L. V, 94 No. 19). Die Doppelbezeichnung 
Sti Aniani et Sti Laurentii begegnet schon Böhmer No. 1907 und dann noch Jaffe- 
Lfd. No. 5402 (hier als ein einziges Kloster „monasterium Olusianum"). 

47) Gall. Chr. VI, 255 vgl. 135 CD; H. d. L. II, 328. Sickel zu K. 143 
(= Mühlb. No. 318) hält es nur für wahrscheinlich. Thomas hat in seinem Dict. 
topogr. du dep. d. l'Herault das Wort Olibegium nicht berührt und auch S. 82 
über „Holatian'* sich nicht näher ausgesprochen: zu den von ihm angezogenen 
Diplomen Mühlb. No. 806 und Böhm. No. 1559 kommt (Anm. 46) noch Jaffe-Lfd. 
No. 5402. Vgl. Anm. 63. 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 219 

mit seinem Zuthun vollzogen, etwa gar als ein Zug seiner Reform gelten 
könnte: mindestens wäre sie, wenn wirklich so und unter solchen Ver- 
hältnissen geschehen, ein entscheidender Grund wider die entgegengesetzte 
Annahme, dass er der Vereinigung von Klöstern abhold gewesen. Über- 
dies erhielte auch Karl d. Gr. daran seinen Teil, wenn die noch in 
unseren Tagen ausgesprochene Ansicht zuträfe, dass die Schenkung des 
Klosters Cannes an den Abt Anianus von ihm herrühre, der denn mit 
dieser Handlung kaum etwas anderes bezweckt hätte, als was sein könig- 
hcher Sohn Ludwig mit seiner Überweisung aquitanischer Klöster an die 
reformierende Hand Abt Benedicts von Aniane: sie würde so auf Karls 
d. Gr. Stellung zur Klosterreform ein Licht werfen, das uns Ardos Lebens- 
geschichte Benedicts versagt. 

Die urkundhche Überlieferung hat, in seltenem Grade verdunkelt^ 
alte und neuere Diplomatiker, die noch dazu MissgrifFe der Auslegung 
begingen, in Irrgang geführt. 

Am bestimmtesten hat sich zu dieser Ansicht Th. Sickel bekannt^ 
der gründlichste Kenner nicht bloss der Urkunden der früheren Karo- 
linger, sondern auch der Rechtsverhältnisse der Klöster in ihrer Zeit. 
Er sagt, „das monasterium Sti Johannis hatte Anianus am Argentdouble 
erbaut, an der Stelle, die jetzt die Stadt Cannes einnimmt; ebendaselbst 
war von einem Abt Daniel ein Kloster in honor. Sti Petri et Pauli 
gegründet, welches Karl dem Abt Anianus schenkte und mit dem in der 
Folge und wahrscheinlich schon vor 817 die eigene Stiftung des Aaianus 
verschmolz" ^^). Er verweist auf das Bruchstück eines, vornehmlich ohne 
Schlussprotokoll überlieferten, Diploms im achten Bande Bouquets, das 
ich, da es von diesem aus dem Anhange zu den Capitularien von Baluze 
entnommen worden ist, mit Bl. bezeichne. Hier erzählt ein König Karl, 
ihm sei von Abt Hilderich zu St. Peter und Paul in Cannes eine Urkunde 
des Kaisers Karl, seines Grossvaters (avi) vorgelegt worden, wodurch 
dieser das damals unter der Leitung eines nun verstorbenen (b. memorie) 
Abts Daniel stehende Kloster dem Abt Anianus geschenkt habe; er 
gedenkt auch einer von seinem Grossvater in neuer Urkunde gewährten 
Immunität und dazu einer von ihm selber bereits dem ehemaligen (Bou- 
quet: quondam, Bai. in beiden Auflagen der Capitularien: quodam) Abt 
Daniel erteilten: auf Bitte Abt Hilderichs bestätigt er all die früheren 
BewiUigungen und den Besitz des Klosters an Zellen, Salzwerken, einer 
Kirche, einer Villa. 

Li Übereinstimmung mit fast allen Diplomatikem, die diese Urkunde 
herausgegeben oder erörtert haben, mit Baluze, Mabillon, Bouquet, den 
Neubearbeitem der Histoire de Languedoc, fand Sickel den Aussteller 
des Diploms in König Karl d. Kahlen*®), daher er denn, offener und 

48) Regesten S. 274 zu K. 143 und 363 Deperd. Caunens., wo mit gleichem 
Rechte wie die Schenkung auch eine Immunität zu verzeichnen gewesen wäre. 

49) Baluze (Capitel Ic Ausg. 1677 und 2. Ausg. 1780 II, 1452) reiht das 
Bruchstück den Diplomen des Jahres 844 ein, ebenso Bouquet (VII l, 466, doch 
mit der Randbemerkung circa a. 844) und H. d. L. 11^, 258; ganz bestimmt setzt 
es Marca-Baluze (Maica hisp. — 1688 — 354) in die Zeit der Belagerung von 
Toulouse. Dagegen (ebenso willkürlich) Mabillon Ann. II 1. 33 § 67: um 848. 



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220 Fünftes Capitel. 

entschiedener als die anderen, Karl d. Grossen, eben Karls d. K. Gross- 
Yater, als den Urheber der Schenkung von Cannes hinstellte. 

Aber jener Daniel, den das Diplom, wie gesagt, als ehemaligen Abt 
bezeichnet, überlebte im Besitz seiner Würde den Kaiser und König 
Karl d. K. Abt Hilderich, der Empfänger des Diploms, erlangte die 
Würde erst nach Karls d. K. Tod. Den Titel „Divina propitiante de- 
mentia rex" hat Karl d. K. nie gefuhrt, aber sehr häufig in seinem ersten 
Jahrzehnt Karl d. Einfältige, aus dessen 22. Jahre noch eine Urkunde 
für Abt Hilderich von Cannes bekannt ist^^). Wenn man also dem 
Diplom, vornehmlich seinem erzählenden Teile vertrauen dürfte, hätte 
nicht Karl d. (Jr., sondern erst Karl d. K., eben der Grossvater Karls d. E. 
die Schenkung des Klosters Cannes gemacht. 

Nur regt sich gleich die Frage, wie dies möglich gewesen sei, da in 
sicheren Urkunden zwar unter Karl d. Gr., aber nicht mehr unter Karl d. K. 
ein Abt Anianus zu Cannes erscheint ^^). 

Französische Forscher, die über den Ursprung von Cannes gehandelt 
haben, Mabillon, die Verfasser der neueren Gallia christiana und die der 
Histoire de Languedoc in älterer und neuerer Bearbeitung sehen (ohne 
doch den Druck von Baluze zu verwerfen oder anzuzweifeln) von einer 
kaiserlichen Schenkung ganz ab; sie behaupten, dass Abt Daniel selbst 
sein Kloster dem Abt Anianus übergeben habe^^). Sie folgen einem 
von Mabillon in der ersten Auflage seines Lehrbuchs der Diplomatik 
veröffenthchten Diplom (M. I*), worin gleichfalls ein König Karl Be- 
willigungen seines Grossvaters, eines Kaisers Karl, und seine eigene dem 
Abt Hilderich von Cannes bestätigt, aber dabei erzählt, dass eine der 
Vorurkunden jenes Kaisers die Schenkung des Klosters an Abt Anianus 
als Handlung des Abts Daniel hinstelle ^•^). Und muss hier aus gleichen 
Gründen wie im Druck von Baluze unter Kaiser Kaii Karl d. K. ver- 



50) H. d. L. IIb 398 No. 199 I. II für Abt Daniel aus dem „1. Jahre Lud- 
wigs" d. Stammlers, aus dem „I. Jahre nach Karls" d. K. Tod. Gall. ehr. VI, 
158 C. D für Abt Hilderich aus dem 2. 3. 4. 7. 8. 14. 15. 17. 20. 22. Jahre 
Karls d. E. 

51) H. d. L. IIb 57 und 58 (Mühlb. No. 818j. Wenn nicht nur von Sickel, 
sondern schon H. d. L. II, 328 (Devic) das Jahr 817 als letztmöglicher Zeitpunkt 
der Verschmelzung von St. Johann in Extorio mit Cannes angekommen wird, weil 
in der sog. Notitia de servitio monasterior. 817 nur noch von Cannes, nicht mehr 
von St. Johann die Rede sei, so misst man dieser angeblichen Ordnung zu viel 
Wert bei (Berichte der k. sächs. Ges. der WW., ph.-h. Cl. 1890 S. 66). 

52) Mabill. Ann. II 1. 25 § 3 III 1. 37 § 61. Gall. ehr. VI, 154 f. H. d. L. 
II, 328. IV, 464 (ein Stück der Neubearbeitung, die doch II b 258 das Diplom nach 
Bouquet, also in der Fassung Bl. giebt). 

53) Mabill. De re diplom.i (1681) S. 545 No. 106 (,ex autographo Caunensi») 
Abbas Hildericus . . detulit nobis praeceptum avi nostri Karoli . . imperatoris, in 
quo continebatur, qualiter eundem monasterium bone memorie venerabilis abba 
Daniel Aniano abbati in sua eleemosyna concesserat (dagegen Baluze oben Anm. 51 
qualiter idem monasterium, cui b. m. ven. abb. D. praeerat, Aniano a. i. s. e. con- 
cesserat). Vergleichbar wäre der Anfang von St. Chinian, dessen Gründer, ein 
Abt Durandus, eben seiner Gründung einen andern Abt, Warinus, setzte (Mühlb. 
No. 806). 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 221 

standen werden, so hätte dieser Fürst, der nicht mehr selber den Abt 
Anianus mit einer Gabe beehren konnte, von der Gabe eines Früheren^ 
etwa des Erbauers von Cannes, an Anianus allerdings reden, aus Anlass 
neuester Ausstattung auch auf die Ursprünge des Klosters blicken können* 
Aber in der zweiten Auflage der Diplomatik (M. I^) hat diese Stelle 
eine Fassung, die sich von der bei Baluze nicht unterscheidet, und zumal 
als die später gebrachte, also doch wohl nach einer besseren Vorlage 
gegebene**) hätte sie von den Verfassern der Gallia christiana und den 
Bearbeitern der Histoire de Languedoc nicht unbeachtet gelassen werden 
sollen. Schon eine oberflächliche Vergleichung zeigt die Mangelhaftigkeit 
des früheren Druckes: sinnwidrig hat dieser nalie dem Schlüsse der 
Narratio (S. 545 F) donandum statt manendum, und es wäre nichts 
weniger als wunderbar, wenn an der hier in Rede stehenden Stelle erst 
durch Weglassung von cui vor und von praeerat nach dem Namen Daniela 
Daniel zum Subject des Hauptsatzes geworden wäre, da noch sonst Kür- 
zungen begegnen und, ohne dass sie angezeigt würden, Lücken**^). 

EndUch veröffenthchte aus Mabillons Nachlass Bouquet 1757 eine 
von ihm mit Recht König Karl dem Einfältigen zugeschriebene Urkunde 
(M. 2), die das Kloster Cannes aus der Hand des atavus, der auch hier 
der erhabene Kaiser Karl heisst, an Abt Anianus kommen lässt, aber 
die demselben Kloster durch ein späteres Diplom zu teil gewordene Immu- 
nität auf den avus zurückführt^^), also diese auf Karl d. K., jene auf 
Karl d. Gr. Da indes hier nur an der ersten Stelle der Name des 
Herrschers und seine Würde angegeben wird, beim atavus, nicht beim 
avus, so muss an beiden Stellen der nämliche Vorgänger gemeint gewesen 
sein: wo wirklich von verschiedenen die Rede ist, pflegt die Kanzlei 
Karls d. E. einen jeden durch Name und Würde zu bezeichnen '^'^. Ist 

54) Mabillon De re diplom.^ (1709, also nach seinem Tode herausgekommen) 
S. 546 No. 106 (,ex autographo Caunensi*) qualiter eundem monasterium, cui bone^ 
mem. ven. abbas Danihel praeerat, Aniano abbati in s. eleem. concesserat Hier 
weist Mabillon das Diplom wegen des Herrschertitels Karl dem Einf. zu, aber 
noch im 3. Bande seiner Annalen (1706) dachte er an Karl d. K. (1. 37 § 61); noch 
1704, im 2. B. dieses Werkes 1. 25 § 3, ja noch De re dipl.« S. 504 nt. zu No. 58 
kannte er nur die von ihm in der ersten Auflage der Diplomatik gegebene^ 
Fassung. 

55) In der Narratio fehlt nach aliud . . praeceptum . . abbati . . Dan. ausser 
anderem gleich das unentbehrliche Particip factum; statt confirmatum esse cog- 
noscant a nobis steht hier S. 545 F unverständlich confirmatum a nobis; der Name 
eines der Schenkgeber lautet Hostresus (Ib Hostragesus). 

56) IX, 503 ,ex autographo, inter schedas Mabillonii" : „praeceptum atavi 
nostri, Karoli augusti imperatoris . . et denuo avus noster per suam auctoritatem* 
(weiter unten 503 D denuo von einer zweiten Handlung desselben Herrschers). 
Wunderlich, dass Bouquet sich hier nicht des von ihm im achten Bande aus Baluze 
abgedruckten Stückes erinnerte. Noch wunderlicher, dass er (not. a) meinte^ 
Mabillon habe es bis zuletzt Karl d. K. zugeschrieben — also war auch für ihn 
die zweite Auflage der Diplomatik nicht vorhanden. 

57) Bouqu. 9, 492 D (fehlt Böhmer). Böhm. No. 1901 (Bouqu. 9, 474 E). 195^ 
(Bouqu. 535 D abavus Karolus Imper. aug., glorios, imperat. Karol. avus noster). 
1963 (Bouqu. 544 D); ebenso bei Vorfahren des Namens Ludwig Böhm. No. 1950 



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222 Fünftes Capitel. 

daher entweder statt atavus avus oder statt avus atavus zu schreiben, so 
hat, wer sich im Gegensatz zu der, wie wir sahen, aus verschiedenen 
Gründen sich empfelüenden Auslegung der Drucke Bl. M. I* M. I^ für 
atavus entscheidet, die Vorurkunde von Karl d. Gr. ausgestellt sein lässt, 
hier noch die Frage zu beantworten, wie es denn gekommen, dass schon 
in den Tagen Karls d. Einfältigen, wie in den unsrigen, für Cannes keine 
Diplome als nur von Karl d. Gr. vorhanden waren, aus einem Zeiträume 
von rund hundert Jahren keine von anderen Fürsten, auch nicht von 
Ludwig d. Fr. und Karl d. K., deren jeder die anderen Klöster Septima- 
niens reich bedachte ^'^). 

Und im ganzen leidet oder schwindet die Glaubwürdigkeit dieses 
wie der übrigen Drucke, wenn man sich überzeugt, dass, da sie sichtlich 
•eine und dieselbe Urkunde wiedergeben, ihre Abweichungen unter einander 
^ine Mehrheit von Abschriften bezeichnen, unter denen die von Mabillon 
veröffentlichten sicherlich, dieweil sie der Meister als Originale bezeichnete, 
den Eindruck von Originalen machten — ohne es zu sein, angebliche 
Originale waren, Nachbildungen, die anstatt die Gewähr der Urschrift 
^u haben, viehnehr durch diese Beschaffenheit gerade den Argwohn der 
Fälschung oder doch Verunechtung wecken. 

Sie geben eine und dieselbe Urkunde wieder. Das bedürft« keiner 
Hervorhebung, wenn nicht die genannten Forscher allerwegen ihre Ver- 
schiedenheit zur Voraussetzung genommen hätten '^^). Sieht man nämlich 
iiuf den Urkundentext, so zeigt sich die Narratio und die Dispositio, wie 
ich schon mehrmals berühren musste, im Inhalt fast durchaus gleich: auf 
Bitte des Abts Hildericus und nach den von ihm vorgelegten Urkunden 
bestätigt ein König Karl Gnadenerweise seines Vorgängers, des Kaisers 
Karl, dem einst sei es unter der Leitung sei es im Besitz Abt Daniels 
gewesenen und dann an Abt Anianus übergebenen Cannes, ferner eine von 
ihm selber bereits einem Abt Daniel erteilte Immunität, endlich das ganze 
Besitztum des Klosters. Den Anfang des Urkundentextes bildet durchweg 
die sehr seltene, wennschon unanfechtbare Verbindung der Adresse mit 
doppelter Promulgatio, die die Arenga umschliesst. Der Herrschertitel ist 
in allen der von Karl d. Einfältigen gebrauchte. Gemein haben sie auch 
Fehler stiHstischer Art, im ersten Teile der Narratio, wo von der Über- 



^Bouqu. 527 C). — Dass für Karl d. E. streng genommen Ludwig d. Fr. atavus 
(so Baluze Capit. II, 1528 No. 132), Karl d. Gr. aber abavus war (so Böhm. No. 
1956 Or.), will ich nicht betonen. Heisst doch auch in seinen Diplomen Bqu. 9, 
492 No. 26 Karl d. Gr. sein atavus und Pippin proatavus (Beyer Mittelrhein. 
Ukb. 1, 225). Auch Kaiser Kari III. (d. D.) braucht atavus in weiterem Sinne 
Mba. No. 1547. 1640 für Karl d. Gr., der No. 1573. 1583 genauer proavus ge- 
nannt wird. 

57 b) Eben von Ludwig d. Fr. und von Karl d. K. besass Cannes noch im 
ersten Viertel des zwölften Jahrhunderts scripta regalia (Bulle P. Gelasius' IL 1119 
Jaffe-Lfd. No. 6670); eine auf schriftlichem Wege geschehene Schenkung Ludwigs 
wird 826 urkundlich H. d. L. IIb 163 erwähnt. 

58) So Mabillon Ann. II 1. 25 § 3 und III 1. 37 § 61, wo er über M. la han- 
delt und Ann. II 1. 33 § 67, wo er sich auf Bl. einlässt. Gall. ehr. VI, 155 A vgl. 
mit 158 AB. über Bouquet siehe oben Anm. 56. 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 223 

gäbe des Klosters, und zumal im zweiten, wo von der Vorlegung der 
neueren Immunität die Rede ist*^®). Sie enden auch, Bruchstücke wie 
sie sind, nahe an derselben Stelle — soweit sie auf Mabillon zurückgehen, 
genau an derselben, der Druck von Baluze schon einige Zeilen früher. 
Und wenn Baluze sagt, das Weitere fehle, Mabillon dagegen (auch M. 2), 
es sei unlesbar, so zeigt sich da nur eine Mehrheit von Ableitungen in 
oder aus verschiedenen Abschriften. 

Baluze kannte bloss die Abschrift eines Jüngeren, der wegen TJn- 
lesbarkeit abgebrochen und schon den Satz, bei dem er abbrach, durch 
willkürliche Ergänzung lesbar gemacht hatte. Auch sonst mindern die 
Brauchbarkeit von BL Lesefehler und Willkürlichkeiten, namentlich in der 
Narratio. Bei ihrem Beginn uti gerade hier irreführend statt ubi, per . . 
immunitatem et tuitionem statt per . . immunitatis tuitionem, et denuo . . 
süprascriptum monasterium . . recepisset immunitatemque benigne con- 
tulisset statt et denuo . . sub sua recepisset immunitatis tuitone, aliud 
(statt obtulit etiam) nobis . . praeceptum ipsius scihcet (statt ipsius cellae) . . 
abbati factum, pro firmitatis munimine (statt studio), pro mercedis nostrae 
aeternae ac regni nostri augmento eadem concedere statt pro merc. aet. 
augmento talia concedere et confirmare vel etiam renovare, die unrichtige 
Ortsnamenform Achadalard statt Achagacan und die spätere Form Lau- 
rano statt S. Laurentio ^^). 

Durch seine schHchte Randbemerkung „ex archivo monasterii Cau- 
nensis" giebt Baluze zu erkennen, wie wenig er beanspruche, dass seine 
Ausgabe als Ableitung des Originals gelte. Diese Forderung erhebt 
Mabillon für alle seine Abschriften, obgleich auch bei ihnen die Recognition 
des Notars, woran sich die Originalität erst sicher erkennen liesse, in die 
Lücke fällt, die mit der Besitzesbestätigung einsetzt. Die oben an seinem 
frühesten Drucke (Ml*) aufgezeigten Mängel machen hier seinen An- 
spruch von vornherein hinfälUg. Von diesen frei teilt M. 1^ doch sonst 
manche Unrichtigkeit mit M. 1*. So in der Narratio die form widrige 
Fassung des Berichts über die Aufnahme des Klosters in den königlichen 
Schutz (accepisset statt recepisset oder suscepisset) und vornehmlich eine 
für das Ende des 9. Jahrhunderts auffällige Zahl von Nachlässigkeiten 
der Volkssprache: in der Arenga die ungehörige Präposition ad vor 



59) Einige Beispiele doppelter Promulgatio aus der Zeit der früheren Karo- 
linger bei Sickel UL. S. 172. Selten ist auch detulit wie hier zu Anfang der 
Narratio statt obtulit; dann fehlerhaft, weil unverständlich, viverent ohne monachi, 
vornehmlich nostrae autoritatis praeceptum . . venerabili quondam abbati Daniel 
factum qualiter statt concessum in quo continebatur (oder erat insertum) qua- 
liter. 

60) M. 1*. 2 Achagacanas, M. 1^ a Chagacanas; nur ist das Komma hinter 
juxta Narbona zu tilgen: nach König Odos Diplom von 897 (Bouqu. IX, 466 A 
salinas in civitate Narbon. in loco qui dicitur Achagakan) gehörte Ach. mit den 
Salinen, zum Stadtumkreis von Narbonne. — Ecclesia Sti Laurentii neben Sti Fruc- 
tuosi (so auch M. 1^. 1^. 2, nur ohne das Wort ecclesia, aber an der Spitze der 
Cellulae) hat auch die Bestätigung des Papstes Gelasius II. vom J. 1118 (Jaffe-Lfd. 
No. 6670); dagegen erscheint Lauranum im J. 1467 unter den Prioraten (Gall. ehr. 
VI, 179 D.) 



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224 Fünftes Capitel. 

aeternae (1* aetemam) renumerationis®^), in der Narratio per sua . . au- 
toritate, sicut in instniraentis resonant (Bl. und M. 2 resonat), preceptos 
(M. 2 praecepta) retinent. Dass Mabillon hier zum zweiten Male (bei 
der Revision seines Werkes nahe dem Ende seines arbeitsamen Lebens) 
flüchtig gelesen oder (seit 1661 gehörte Cannes zur Congregation von 
St. Maur) einem Congregationsgrossen Flüchtigkeit nachgesehen, halte ich 
für weniger wahrscheinlich, als dass er sich in der Herleitung des Ganzen 
getäuscht habe, dass das Bruchstück einer Nachbildung früherer oder 
(irrte er doch, als er M. 1* statt in den Anfang des 10. Jahrhunderts 
„ungefähr" unter 848 ansetzte, bei diesem, die Echtheit angenommen, 
um mindestens 50 Jahre) auch späterer Hand ihm wie der Rest einer 
echten Urkunde aus könighcher Kanzlei vorgekommen sei. 

Auch M. 2 erhielt mit Unrecht die Bezeichnung „ex autographo 
Cannensi". Denn zu den Fehlem, die dieser Druck, wie ich oben be- 
merkte, mit allen übrigen, auch Bl. gemein hat, kommen schwerere, die 
er insonderheit mit M. la und Ib teilt (wodurch sich denn auch die 
soeben gegen deren Originalität vorgebrachten Einwände mehren). Unter 
sie müsste man mit Mabillon und Bouquet namentlich die Phrase „quod 
in eonim potestate vel . . (Lücke) sua transegantia" rechnen, denn der 
eine wie der andere Herausgeber führt transegantia als Appellativum auf^ 
das doch weder sie noch andere sonst gefunden haben; indes ist transe-» 
gantia vielleicht nur ein falsch gelesener Eigenname®^*). AuffälHg aber 
wäre in einem Diplom Karls d. E. der zur Bestimmung der ecclesia 
Stae Mariae gebrachte Relativsatz quod vocabulum est libras (Bl. cujus 
vocabulum), auffällig ferner in einem der folgenden Sätze quod milites 
iUi oiferunt das vergriffene Tempus, und äusserst befremdhch der Barba- 
rismus quod offerti sunt. Alle drei auf Mabillon zurückgehende Drucke 
haben auch zu villa Bajano den Zusatz vel Babiano der, da nur von 
einer einzigen Villa die Rede ist, den Argwohn weckt, dass der Ausdruck 
des Zweifels eines Späteren an der Richtigkeit der Lesung oder eine 
erläuternde Bemerkung vom Rande in den Text gekommen sei®^^). Und 
eine Abweichung vom urkundhchen Sprachgebrauche hat M. 2 noch vor 
M. la Ib voraus. Wenn nämlich unter Karl d. Gr. und noch nach 
Karl d. E. zur Bestimmung der Lage des Klosters Cannes (neben dem 
andere Stätten gleichen Namens in dieser Landschaft manche vorhanden 



61) Der Schluss derArenga in futuro confidimus schliesst die sonst wohl zur 
Rechtfertigung sich darbietende Annahme aus, dass am Ende der (wenigstens in 
den Drucken 1» und 2 bemerklich gemachten) Lücke profuturum oder provenire 
(wie in Form. Imper. No. 26. 28. 29b. 36) gestanden habe. 

61a) Da ein und derselbe Personenname M. Ib Hostrageso M. 2 Hostraieso 
gelesen ward, so liesse sich statt sua transegantia (das auch Ducange - Favre als 
Appellativum fasst) villa Tranciano = Trenciano denken: hier hatte das Klostw 
Cannes schon vor Karl d. E. (H. d. L. IIb 344 No. III) und noch später (Gall. ehr. 
VI, 32 B; H. d. L. VIII, 396 und — fehlerhaft Frencianum — 947) Besitz. 

61b) Dass nicht von mehreren Villen die Rede ist, zeif^t M. 2 durch den 
Singular des Pronomens (cum finibus et terminis) illius (so auch BL; M. 1». Ib suis). 
Auch das Privileg des Papstes Gelasius II. (Jaffe-Lfd. No. 6670) hat (wie hier Bl.) 
einfach villa Bajani. 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 225 

waren) der Zusatz „super fluvio Argentoduplo (später Argentidupli) dient 
(so in einem Diplom und in einer Anzahl von Placita und Chartae 
pagenses), so heisst es in M. 2 (womit hier einmal BL übereinstimmt) 
super fluvium Argentiduplicis. Auch diese Namensform zeigt, dass die 
Vorlage von M. 2 nicht das Original war®^®). 

Und doch müsste noch aus einem besonderen Grunde, der vornehm- 
lich die Diplomatiker berührt, die unmittelbare Abstammung des Druckes 
M. 2 vom Original einer echten Urkunde bewiesen werden, wenn man 
darauf bestehen wollte, dass Karls d. E. atavus, Karl d. Gr., seine Teil- 
nahme an der septimanischen Reform durch eine so bedeutende Hand- 
lung bekundet habe, wie es die Überweisung eines fertigen, von Mönchen 
schon besetzten, unter der Leitung eines eigenen Abts schon stehenden 
Klosters an den Genossen Abt Benedicts wäre. Es ist nämUch aus 
Karls d. Gr. Königszeit, aus dem J. 794, ein Diplom auf uns gekommen, 
durch das er dem Abt Anianus, dem Vorstand der Klöster S^i Johannis 
und Sti Laurentii in locis nuncupatis Extorio et Olibegio, wirklich Cannes^ 
das schon Graf Milo jenem übertragen habe (delegaverat), nun selber 
zugesteht (concedimus), also bestätigt, aber auch da noch unter der ein- 
fachen Bezeichnung als Villa, die der Benamung nach Heiligenpatronen 
natürlich entbehrt, ohne einen an dieser Stätte mit der Leitung bereits 
betrauten Abt Daniel, ja ohne einen, wie die Mauriner wollen, auch nur 
begonnenen Klosterbau zu erwähnen ^^). Dieses Diplom halte ich, selbst 
wenn es aus einer Abschrift und nicht, wie Mabillon auch hier will, aus 
dem Original stammt, mit allen Herausgebern für unbedenkUch: bloss 

61c) Zu den im Blattweiser der H. d. L. IIb und V für die Form Argenti 
dupli oder Argenti dupri (vgl. Vemadubrus und — H. d. L. IIb 353 — Octuduprus: 
dies zu Holder 1, 1362 Dubrus = Fluss) angeführten Stellen füge ich H. d. L. IIb 
370. Gall. ehr. VI J. 7. — Dass M. Ib und M. 2 aus verschiedenen Vorlagen 
stammen, erhellt auch au den Lücken des Textes, von denen einige in M. Ib (und 
dieser Druck ruht doch auf erneuter Ansicht des vermeintlichen Autographs) an 
anderer Stelle oder als von anderem Umfange vermerkt werden, als in M. 2. So 
setzt in der Arenga eine Lücke in M. Ib erst nach in futuro confidimus, dagegen 
in M. 2 schon vor diesen Worten ein. Nach der Arenga folgt in M. Ib noch 
proinde (M. la Pro.), aber nicht in M. 2. M. 2 hat nach S. Fructuoso cum terris 
und vor villa Bajano leere Stellen, deren keine in M. Ib sichtlich wird. M. Ib be- 
zeichnet nach cartas retinent quod noch ill. und nach quod in eor. potestate . . 
vel nocto con als lesbar, während in M. 2 schon beide Worte die Lücken ver- 
schlingen, die im übrigen hier M. Ib mit M. 2 gemein hat; umgekehrt zeigt 
M. Ib nach potestate eine unleserliche Stelle an, die man in M. 2 nicht ahnt. 

62) Mühlb. No. 318. Noch in der Neuausgabe der H. d. L. IIb 58 No. 11 
giebt E. Mabille nicht den Abdruck von Mabillon, sondern, ebenso wie Devic und 
Vaissete (diese in unbegreiflicher Missachtung ihres grossen, freilich damals längst 
toten Congregationsgenossen), den von Baluze wieder, samt seinen schweren Lese- 
fehlern wie veniens una cum monachis suis Continuo Stromundo Lurio (als ob je 
eine Königsurkunde die mit ihrem Abt bei Hof erschienenen Mönche der Namen- 
nennung würdigte) statt ven. u. c. m. s. se in nostro mundeburde; am Schlüsse 
si causae . . vel (fehlt advers us) homines eor. autoltae (vielmehr ortae) fuerint^ 
quas in promptu (vielmehr in provincia); dazu kommt noch in beiden Ausgaben 
der H. d. L. die Überlesung des ganzen (bei Baluze vorhandenen) Satzes, der von 
Puckert, Aniane und Gellone. 1^ 



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226 Fünftes Capitel. 

in der, Datumzeile begegnet ein Fehler, aber den Text empfiehlt schon 
seine Übereinstimmung mit den in Karls Zeit bräuchlichen Formeln. Nur 
durch ein Originaldiplom liesse sich sein Zeugnis abweisen. Zumal da 
eine Gerichtsurkunde hinzukommt, die gleichfalls aus Karls Zeit, wie ich 
meine aus einem etwas späteren Jahre, stammt: diese redet, Zeugen- 
aussagen vor dem Vicedominus des Grafen Magnarius von Narbonne 
zusammenfassend, wiederum nur erst von Graf Milos und König Karls 
Schenkung der Villa Cannes, sie schweigt wiederum von dem „Abt 
Daniel", sie stellt vielmehr den Bau des Klosters St. Peter und Paul 
ebenso wie den Bau von Sti Johannis Exequauriensis als das Werk des 
Abts Anianus hin^^^). 

So meine ich im Widerspruch zu der herrschenden Ansicht, Karl 
habe dem Genossen der Abte Benedict und Nibridius ein Kloster über- 
wiesen, vielmehr, dass in demjenigen Stücke, worin die Urkunde Karls d. E. 
dies behauptet, sie von einer auch sonst an ihr bemerkbaren Hand ver- 
unechtet ist, dass Karl d. Gr. sich auf die Schenkung einer Villa be- 
schränkte, die freilich von grösserer Wichtigkeit ward und immer noch 
eine höhere Begünstigung der septimanischen B>eform enthält, als die von 
ihm jenen beiden Äbten noch dazu erst später (durch Mba. No. 340. 348) 
gewährte Bestätigung von Rodungen auf Krongut. Dem entsprechend 
geht anderseits das Verdienst, das sich Abt Anianus um das septima- 
nische Klosterwesen erworben hat, über seine Teilnahme an der Reform 
noch hinaus, da er ausserdem der Gründer einer Mehrheit von Klöstern 
und zugleich deren erstbekannter Leiter gewesen ist — auch der Grün- 
der und erste Abt von Cannes. 



der Commendation berichtet (nach cum omnib. reb. atque homin.) monasterii sui 
— ßub nostra tuitione eum et monachis. — Die irrige Zählung des italienischen 
Regnum auch in Mabillons Druck hebt Sickel UL. § 82 nt. 12 hervor; über mona- 
sterium suum Sickel Btr. 3, 213 nt. 3. 

62 b) Bruchstück mit Facsimile .bei Mabillon De re dipl.^ 396, mehr S. 504 nt.; 
vollständig (aus Abschrift) H. d. L. IIb, 57 No. 10 (hier Sti Joh. Exequauriensis). 
lin Diplom von 794 wird die Gerichtsverhandlung nicht erwähnt, aber umgekehrt 
in der Gerichtsurkunde die Bestätigung der überwiesenen Villa, d. h. das Diplom. 
Das Diplom weiss noch nichts von einem Kloster Sti Petri et Pauli zu Cannes, 
aber die Gerichtsurkunde kennt schon die Vollendung des Baus. Demnach stelle 
ich von den Urkunden der H. d. L. IIb die elfte vor die zehnte. Wirklich hat 
Facsimüe und Abdruck der Gerichtsur künde bei Mabillon a. a. 0. sub non. Dec. 
a^ XXXIIII regnante d. n. Karolo r. Fr. et L. seo patricio R., was immerhin (da 
von einem gräflichen Notar und in einer Gerichtsurkunde Karl schwerlich noch 
Dez. 801 den Patriciustitel erhielt) verschrieben sein mag statt XXVIIII. Die von 
E. Mabille H. d. L. a. a. 0. nach den Abschriften der Mauriner gegebene Zahl 
XXIII I ist vermutlich eine Correctur (eben im Hinblick auf den Patriciustitel, 
aber ohne Erwägung des Verhältnisses zum Diplom von 794 gemacht). Auf blosses 
Versehen führe ich zurück, dass auch die erste Bearbeitung von Mabillons Diplo- 
matik im Abdruck des Bruchstücks XXIIII bringt (worin Devic und Vaissete 
H. d. L. I pr. col. 28, unbekümmert um die zweite Auflage der Diplomatik, nach- 
folgten): schon in dieser ersten Bearbeitung hat der Stich des Facsimüe und die 
Anm. S. 504 die Ziffer XXXIIU (die freilich an letzterer Stelle gleich 792 ge- 
setzt wird). 

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^ 



Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 227 

Aber wahrscheinlich ist auch mir (älteren und neueren Forschem 
sogar, obgleich ein ausdrückliches Zeugnis fehlt, zweifellos), dass es unt^ 
Klöstern, die als gemeinsame Gründungen des Abts Anianus (über diese 
hinaus folge ich jenen Forschem nicht) schon ursprüngUch verbunden 
waren, aus Anlass eines besonderen Umstands im Laufe der Zeit zu 
Übersiedelung und Verschmelzung kam. Denn wenn von jenem in der 
Gerichtsurkunde erwähnten Kloster Sti Johannis Exequauriensis nachmals 
nichts mehr verlautet, wenn für das nach dem Diplom des Jahres 794 
von Anianus geleitete und am Besitz der Villa Cannes beteiUgte Sti Lau- 
rentii in Olibegio unter den Stätten, die in späteren Urkunden für und 
aus St. Peter und Paul zu Cannes vorkommen, sich kein selbständiges 
Kloster, wo der Name untergebracht werden könnte, sondern nur noch 
die unter den Zellen des Abts von Cannes im Sprengel Carcassonne 
aufgeführte St. Lorenzkirche (cellula, ecclesia) bietet, so erklärt sich beides 
am leichtesten durch die Annahme, dass die Gesamtheit der Mönche 
von St. Johann und ein Teil der Mönche von St. Lorenz nach St. Peter 
und Paul übergeführt, dass St. Johann geräumt, St. Lorenz nur noch als 
Andachtsstätte gehalten worden ist, die zurückgelassene Brüder zu ver- 
sehen hatten. Und zu dem einen wie zu dem anderen Schritte könnte 
auch die Nachbarschaft dieser Orte eingeladen haben. Denn die noch 
im 12. Jahrhundert als Besitztum von Cannes in einer päpstlichen Be- 
stätigung genannte St. Lorenzkirche lag zwar nicht, wie Cannes, im 
Sprengel Narbonne, aber wie gesagt im Sprengel Carcassonne, dem die 
Gemarkung von Cannes anstiess, demnach, da der Sprengel Carcassonne 
sehr klein war, sicherHch unfern von Cannes ^^). Das Kloster S^i Johannis 
Exequauriensis aber hatte zur Baustätte die nämUche Villa, zu der St. Peter 
und Paul selbst gehörte: denn der Zusatz in villa Caunensi, der in der 
Gerichtsurkunde dem Namen des letzteren folgt, muss sich auch auf das 
ihm vorangehende Johanniskloster .beziehen, das sonst der örtüchen Be- 



63) P. Gelasiusir. 1118 (Jaffe-Lfd. No. 6670): in Carcasensi villam seu eccle- 
fiiam Sti Fructuosi, ecclesiam Sti Laurentii, wodurch denn für die spätere Zeit das 
ohnedies bedenkenfreie Stück des oben besprochenen Diploms Karls d. E. M. 1» 
Ib 2 (illas cellulas quas in pago Carc. Sto Laurentio et Sto Fructuoso . . obtinent) 
eine Gewähr erhält; dass wenigstens St. Frichoux (== St. Fructuosus) im Sprengel 
Carcassonne Kloster gewesen ist, zeigt die Privaturkunde von 862 H. d. L. IIb 
289 No. 140 II. Der Umstand aber, dass noch im 12. Jahrhundert eine klöster- 
liche oder kirchliche Stätte unter dem Namen des h. Laurentius den Mönchen zu 
Cannes gehörte, beseitigt vollends den Anlass der oben Anm. 47 abgelehnten Ver- 
mutung älterer und neuerer Forscher, das von Anianus gegründete St. Laurenz- 
kloster in Olibegio sei um das Ende des 10. Jh. an St. Chinian, an die Stiftung 
Abt Durands gekommen, mit der es (als vermeintliches mon. Sti Laurentii Verno- 
dubrensis) an demselben Flusse Vernazoubre gelegen habe. Der Landschaftsname 
Olibegium, der nach obiger Gleichung nun im Sprengel Carcassonne zu suchen 
ist (H. d. L. Index — ohne Beleg — : im Gau Narbonne) tritt viel näher dem 
Namen des Flüsschens, an dem eben im Spr. Carcassonne das Kloster St. Est^ve 
de Cabardez lag, dem Olivetus (oben Anm. 45) oder jenem Olivejus, wo sich Graf 
Wilhelm dem von Narbonne nach Carcassonne ziehenden Sarazenenheere stellte 
.(oben S. 108 Anm. 7). 

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228 Fünftes Capitel. 

Stimmung entbehrte^*). Aber wichtiger als die Nachbarschaft war sicher- 
lich der Umstand, dass schon zu der Zeit, da diese Klöster noch neben 
einander genannt werden, ein Band von besonderer Festigkeit sie um- 
schlang. Sie wurden nicht nur unter der gemeinsamen Leitung des 
Abts Anianus, sondern auch durch gemeinsames Eigentum zusammen- 
gehalten. Denn eben die Villa Cannes hatte Anianus durch das Diplom 
von 794 als Abt von Sti Johannis in Extorio und S^i Laurentii in Oli- 
begio, als Vorstand beider und in solchem Masse bestätigt erhalten, wie 
sie „seinem Kloster" (ad suum monasterium), ohne Unterscheidung eines 
der beiden, durch Graf Milo überwiesen worden war. Zum Berainen 
der Flur von Cannes, die den Gegenstand der Gerichtsurkunde ausmacht, 
sind von Anianus und „seinen Mönchen", die diese Urkunde ausdrück- 
lich als die Mitbeschenkten bezeichnete^), d. h. von den Mönchen aus 
den Klöstern Sti Johannis Exequauriensis und S^i Petri et Pauli zu- 
gleich die Zeugen gestellt worden. Ja jener im Diplom gebrauchte 
Singular ad suum monasterium reizt zur Vermutung, dass die Worte 
„ex monastheria (Bai.: monasterio) Sti Joannis et Sti Laurentii quod fuit 
constructum in locis nuncupatis Extorio et OUbegio", deren Auslegung 
freiüch die Barbarismen der Sprache unsicher machen, nichts anderes 
als — ein Doppelkloster meinen, geteilt in räumUcher, eins in recht- 
licher Hinsicht, wie jenes englische Wearmouth and Yarrow (worauf ich 
schon oben kam) „in duobus locis positum unum monasterium" ^^), Und 
auch wenn diese Vermutung nicht zuträfe, so bleibt es wenigstens dabei, 
dass von den Gründungen des Abts Anianus keine an eine fremde an- 
geschlossen worden ist, weder Sti Johannis an die Gründung eines x\bts 
Daniel, noch Sti Laurentü in Olibegio an die des Abts Durand zu 
St. Chinian, dass vielmehr die Verschmelzung, wenn überhaupt, im engsten 
Kreise altverbundener Klöster stattgefunden hat®^. 



64) Mabill. Ann. 11 1. 26 § 35 vermutet sogar, dass Sti Johannis in Extorio 
von Haus aus eins gewesen mit Sti Petri et Pauli. Aber in der Gerichtsurkunde 
wird neben St. Peter und Paul noch als eigenes Kloster Sti Johannis Exequauri- 
ensis aufgeführt, mit dem nach seiner und anderer Ansicht (z. B. Sickels zu 
K. 143) eben Sti Johannis in Extorio zusammenfiel. Auch ich bin dieser Ansicht; 
denn die Mönche von Sti Joh. in Ext. haben im Diplom das nämliche Verhältnis 
zur Villa Cannes, wie in der Gerichtsurkunde die von Sti Joh. Exequ. (Anm. 65)^ 
und die Verschiedenheit der Namen Hesse sich ausgleichen (in Extorio = i. 
Aestuario; Exequauriensis = Aestuariensis). 

65) H. d. L. IIb 58 (villam Caunens.) . . quam perdonabit rex . . ad ipso 
abbate cum fratribus suis (vorher monachis Sti Joann. Exequaur. vel Sti Petri et 
Pauli). Im Diplom erwartet denn der König für seine Bestätigung Gebete von 
ipsis servis Dei , also von den zuvor darin erwähnten monachis Sti Joh. in Extor. 
et Sti Laur. in Olibegio. 

66) Vgl. Cap. IV Anm. 48 und 52. 

67) Meine Abweichung von der herrschenden Ansicht trifPt nicht nur die 
Anfänge von Cannes und das Verhältnis der Gründungen des Abts Anianus zu 
den übrigen Klöstern im Bereiche der septimanischen Reform (Mab. Ann. II 1. 25 
§ 3. H. d. L. I, 892. II, 327 f. IV, 464. Gall. ehr. VI, 154 f. Sickel z. K. 143), 
sondern noch anderes. Die mir unerlässlich scheinende Umstellung der Gerichts- 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 229 

Der weitere fCreis der um Benedict und Nibridius geschalten Abte 
und Mönche hat jene brüderliche Gesinnung, auf die schon der von ihnen 
im Durcheinander ihrer Besitzungen, im Gewirr ihrer Gerechtsame un- 
gestört bewahrte Friede schliessen liess, auch förmlich durch eine Ge- 
betsverbrüderung zum Ausdruck gebracht, fiiih, lange vor Bene- 
dicts Abberufimg nach Maurmünster. Sie muss, da umfassende Einigungen 
zu diesem Zwecke damals erst aufkamen, ebenfalls als eine eigentümliche 
Seite der septimanischen Reform angesehen werden. FreiUch fehlt die 
Urkunde, fehlt selbst eine Nachricht Ardos, aber eine Reihe von Briefen 
Alkuins an die Abte und Mönche der Klöster Septimaniens bezeugt 
ausreichend ihr Dasein. In dem sichtlich frühesten dieser Reihe richtet 
Alkuin an sie zunächst das Gesuch, „in ihren heiligen Gebeten" ihn als 
einen der Ihrigen zu halten und zu hegen, „in der Weise eines Haus- 
gehörigen" (familiariter: dies oder familiaritas bezeichnet eben die Stellung 
des Mitglieds einer solchen Genossenschaft) ®®). Dem Dank für die 
Gewährung seines Wunsches, den er „allen Äbten, Brüdern und Söhnen 
in den Gotenlanden" ausspricht, folgt von neuem ein Gesuch, sich ihres 
emsigen Gebets getrösten zu dürfen, des Gebets ihrer „Einhelligkeit 
im Geiste", unanimitatis — ein Wort, das gleichfalls, wo es sich um 
Gebetsverbrüderung handelt, bei ihm und auch anderwärts begegnet*^. 
Dieses erneuerte Gesuch ist vermuthch der Brief, den er nach seiner Mit- 
teilung an Abt Benedict von Aniane „unseren Brüdern insgemein'* ge- 
schrieben hat, wie ihn zugleich mit dem, worin er diese Mitteilung macht, 
Codex H enthält; er müsste denn in seinem „Verlangen nach den aller- 
heihgsten Gebeten unserer Brüder" noch ein Rundschreiben in Umlauf 



Urkunde (oben Anm. 62 b) greift auch in die Erörterung der Amtszeit des erst- 
bekannten Grafen zu Narbonne und seines Nachfolgers (vgl. H. d. L. II, 314). 

68) £p. 93 S. 392 (= 137 S. 215 1. 37. 216 1. li, hier zugleich Gewicht 
darauf gelegt, dass es eine grosse Zahl von Brüdern sei, um deren Gebete es sich 
handle). Familiaritas und familiariter in der gleichen Sache Ep. 270 S. 836 
(= 272 S. 430 1. 25. 28: in orationes familiariter recipere) und Formul. Augiens. 
c. 2 (Zeumer 365 1. 21); andere Stellen bei Ebner, Die klösterl. Gebetsver- 
brüderungen 4 A. 6. — Ein Gesuch um Fürbitte enthält auch der gleichfalls an 
die Väter und Brüder in Septimanien, doch in allem übrigen auf ein anderes Ziel 
gerichtete Brief Alkuins No. 277 (S. 849) = 138 S. 216 1. 21 , der (Sickel Wiener 
SB. 79, 478) eben zu No. 93 = No. 137 gehört (in cod. Y — jetzt S — folgt er 
ihm unmittelbar) und wie dieser spätestens 798 geschrieben ist. 

69) Der Dank Ep. 145 = 205 (Omnibus abbat, fratr. et filiis qui sunt Gothiae 
partib.) zu Anfang S. 552 = S. 340 acceptis orationum vestrar. munerib. und am 
Schlüsse S. 556 = S. 342 Dens . . exaudiat orationes vestras pro omnib. et pro me 
fideli vestro adjutoro. Das Gesuch Ep. 247 S. 792 f. = 187 S. 314 1. 25 deprecor 
sanctar. assiduitate oration. vestrae unanimitatis auxiliari. Zu den von Ebner 
4 A. 4. 8 A. 1 für unanimitas angeführten Stellen (bes. M. G. Confratern. S. 140 
facta est conventio et unanimitas precum . . S. Galli et Augiensis coenobii) füge ich 
Form. Marc. aev. Karol. 7 Zeum. 117 1. 24 (caritatis atq. unanimitatis jura . . erga 
nostram parvitatem vos conservare comperimus nostrisque precibus familiaritatis 
obtentu vos uniri . . desiderasse perspeximus) und aus Alkuin Ep. 88. 178. 227 

374. 630. 734 f. (= No. 31. 91. 223 S. 72 1. 23. 135 1. 18. 366 1. 19). 



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230 Fünftes Capitel. 

gesetzt haben'"). Eben auch der Ausdruck unsere Brüder ist da be- 
deutsam. Denn es wiegt zwar sonst in Alkuins Feder das Wort fratres 
nicht schwer, aber hier in der Mitteilung an Abt Benedict weist das 
Pronomen, und es weist in dem (wiederum Gebete in Erinnerung brin- 
genden) Briefe an Benedicts Genossen Nibridius die Bezeichnung der 
Klosteräbte im Amtsbereich des Erzbischofs als patres fratrum nostro- 
rum '^) sichtUch auf eine Brüderschaft im engeren Sinne des Wortes, auf 
eine ihn und den Abt und den Erzbischof und alle übrigen Mönche 
Septimaniens umfassende Vereinigung; „unsere Brüder" sind in diesem 
Zusammenhang Mönche ausserhalb der von Benedict und Nibridius ge- 
leiteten Klöster, und doch die Brüder Benedicts und Nibrids nicht weniger 
als dessen, der sie so nennt. Wie er nunmehr mit ihnen, so waren sie 
schon seither unter einander verbrüdert. Mögen in noch so grosser Zahl 
einzelne Klöster, ein jedes für sich, in verschiedenen Jahren, meist spä- 
teren, als Alkuin zu altern begann, ihn auf der Fahrt „zum Hafen der 
ewigen Ruhe" mit ihrer Fürbitte zu geleiten versprochen haben, unter 
ihnen auch septimanische'^): die Fürbitte einer Anzahl von Klöstern und 
vollends die der Klöster der Landschaft insgemein hat ihre eigene Vor- 
aussetzung. „Alle Abte und Brüder" Septimaniens, denen er in jenem 
Rundschreiben dankt, die „Brüder in den verschiedenen Strichen Gotiens", 
die er, ohne dabei eine Einzelstätte herauszuheben, zum Anhalten in dem 
ihm bewiUigten Gebet mahnt, können als eine Vereinigung, an die er 
denn jedesmal nur einen Brief richtet, ihn mit dem Bande ihrer Fürbitte 
nur umschlungen haben, wenn sie selbst schon eine auch durch wechsel- 
seitige Fürbitte zusammengehaltene Genossenschaft bildeten. Er ward 
ihr familiaris durch Aufiiahme in ihre familiaritas, wie ihm 794 die 
Synode zu Frankfurt die Gemeinschaft ihrer Gebete dadurch gewährte, 
dass sie nach der wörtlichen Fassung ihres Beschlusses ihn in eorum 
consortio aufiiahm"^). 

Die Verbrüderung unter den Synodalen von Frankfurt stellt niemand 



70) Ep. 208 S. 702 (= 57 S. 100 1. 34) Ad fratres nostros communiter scripsi 
. . ad rememorandum . . orationum pro nobis sedulitatem : also entsprechend der 
assiduitas orationum im Gesuche Ep. 247 = 187. 

71) Ep. 146 S. 556 = 206 S. 342 1. 37. 

72) Ausser Montolieu, das Ebner mit anderen Einzelklöstern anführt (S. 42 
A. 5 vgl. 63 A. 3), auch Aniane: ich beziehe den Zuruf in Ep. 150 = 56 (an 
Benedict von Aniane) tu cum fratribus tuis, sicut promisisti, orationibus adjuvare 
non cessa wegen des Singulars promisisti u. cessa auf den Abt, als die Spitze der 
Brüder des Einzel klosters. Für beide Briefe lässt sich ein Zeitpunkt vor der von 
der Gesamtheit der septimanischen Klöster erteilten Zusage vermuten, auch für 
den nach Montolieu gerichteten (Ep. 270 = 272): die hier zweimal berührte 
Kleinheit der Zahl der Mönche weist auf die Zeit des Anfangs des Klosters, dass aber 
der erst in Karls kaiserliche Periode falle, folgt (so Gall. ehr. VI, 971) mit nichten 
aus augusti in Mühlb. No. 580 (Sick. UL. 182 und Mühlb. No. 505 vgl. mit 309). 

73) Capit. ed. Boret. I, 78 c. 56: nur ihn selbst, wie auch in seinen Briefen 
an die Gotenmönche nur von ihm die Rede ist; dagegen werden bei Abschluss 
von Verbrüderungen mit einzelnen Klöstern oder Personen auch die Seinen, „die 
mit ihm sind", eingezogen (Ep. 155. 270 S. 583. 836). 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 281 

in Frage: ebenso zweifellos ist das Dasein einer Verbrüderung unter den 
septimanischen Klöstern. Gleichmässig wird von beiden nur bei Gelegen- 
heit ihrer Ausdehnung auf Alkuin uns Kunde, von jener durch ein un- 
mittelbares Zeugnis, von dieser durch eine Reihe mittelbarer. Und fuhrt 
man eine klösterliche Gebetsverbrüderung, die, Eeichenau an der Spitze, 
in Aufzeichnungen seit dem ersten Drittel des neunten Jahrhunderts 
hervortritt, mit ihrer letzten Wurzel wohl zurück auf Anregungen Pirmins, 
dessen meiste Gründungen in diesem Bunde wiederum vereinigt anzu- 
treffen sind, so lässt sich mit noch mehr Wahrscheinlichkeit die Ver- 
brüderung der septimanischen Klöster als ein.unmittelbares Ergebnis der 
pflanzenden und erneuernden Thätigkeit der Abte Benedict und Nibridius 
ansehen '*). 

Diese Verbrüderung, deren Geflecht Alkuin vermutlich auch durch 
jenen Ausdruck ovile caritatis zur Andeutung bringt, ist die einzige Ord- 
nung äusserer Art, die sich unter den Klöstern Septimaniens erkennen 
oder doch zuversichtlich annehmen lässt. Gerade hierdurch aber ward 
die Gleichheit dieser Klöster in ihrer Stellung neben einander, statt zu 
Gunsten eines einzelnen gestört zu werden, vielmehr gesichert. Das 
Übergewicht konnte nur ein persönliches sein, begründet auf das Verdienst, 
das sich Abt Benedict neben Nibridius von La Grasse und Anianus von 
Cannes, er immerhin in reicherem Masse als sie, erworben hatte, ein 
Verdienst um die innere Vereinigung der septimanischen Klöster zu „einer 
Herde" und um die Erweiterung ihres Einges über Septimanien hinaus 
durch Gründungen und durch Neueinrichtung verödeter oder der Begel 
entfremdeter Stätten. 

Auch um die Erweiterung. 

Daran lässt Ardo nicht zweifeln. Indes was über ihre Weise und 
Werkzeuge eben von Ardo und auch anderwärts berichtet oder voraus- 
gesetzt wird, begünstigt nicht die Vorstellung, dass über Abt Benedicts 
Person hinaus dem Kloster Aniane in dieser Hinsicht ein Übergewicht 
erwachsen sei. Denn meist oder vielmehr mit wenigen Ausnahmen immer 

74) Ebner streift in seinem fleissigen Buche S. 63 Anm. 3 zwar Alkuins Ver- 
brüderung mit den Gotenmönchen (aus Anlass von Ep. 247), aber unterlässt hier- 
aus eine Verbrüderung unter den Gotenmönchen selbst zu folgern. Anderswo 
findet er in dieser Richtung die Spur ihres Führers. Das Verbrüderungsbuch von 
Reichonau, „angelegt kaum ein Jahrzehnt nach der Reformation des Klosters durch 
Benedict", gebe ein „Bild von der grossartigen Entwickelung", in der sich eben 
„die reformatorische Thätigkeit Benedicts offenbarte" (S. 43). Aber an der Re- 
formation von Reichenau hat Benedict günstigsten Falles nur mittelbar teil, wenn 
das sog. Capitulare monasticum von 817, unter seiner Leitung zu stände gekommen, 
in Reichenau Eingang gefunden, und wenn die Bräuche einer (durch ihn vielleicht 
zum Musterkloster erhobenen) Stätte, die ein (wiederum nur vielleicht nach 
Reichenau geschriebener) Brief schildert, in Reichenau Nachachtung gefunden 
haben. Und von Gebetsverbrüderung enthält dieser Brief nichts, nichts auch in 
seinem echten Kerne das Capitulare monasticum (c. 50 Psalmen nur pro eleemosynariis 
et defunctis: der einzige Cod. 2 bringt in einem Nachtrag neben den Verstorbenen 
auch die Verbrüderten in Erinnerung c. 81). Im Buch der Verbrüderten Reichenaus 
hat zwar Maurmünster eine Stelle, aber weder Aniane noch luden, und auch Abt 
Benedict selber nicht. 



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232 Fünftes Capitel. 

drängt sich die Vermutung auf, einige Male macht man fast die Wahr- 
nehmung, dass an der Ausbreitung noch andere Klöster beteiUgt gewesen 
sind. Ich folgerte schon aus Kaiser Ludwigs Diplom fiir Belle -Celle, 
dass zur Besiedelung dieser Stätte nicht nur Benedict, sondern auch 
Nibridius Mönche gestellt hat. Und lässt Bischof Theodulf von Orleans 
in seinem nach Septimanien gerichteten Gedichte, das ich auch bereits 
anführte, der freilich unter allen Umständen erstaunhchen Behauptung, fast 
möchte man sagen Beschwerde, dass Benedict ihm bisher nur zwei Mönche 
gesendet habe, die Bitte um Mehrung des spärlichen Saatkorns und zu- 
gleich Grüsse an andere Abte dieser Landschaft folgen, vomehmhch, 
unter Übergehung der zahlreichen Klöster in der Breite zwischen Loire 
und Tam-Garonne, an die Abte der Grafschaften Narbonne und Car- 
cassonne, so hegt der Gedanke nahe, dass er die Zulage auch vom guten 
Willen dieser Landes- und Ordensgenossen Benedicts erwartete, eines 
Nibridius, Anianus, Nampio und anderer, die er da nennt '^). Auch 
Alkuin bezog, so drückt er sich selbst aus, er, der verehrende Freund 
Benedicts von Aniane, an „Brüdern vom Gotenlande" schlechthin den 
ersten Mönchssatz für Cormery: da er dieser örtlich bestimmungslosen 
Angabe erläuternd beifügt, dort sei von Benedict regelgemässes Leben 
begründet worden (Ep. 127), so ist vollends unmöghch, dass er aus- 
schUessUch Aniane gemeint habe, das dem Abt Benedict nicht nur die 
Regel, sondern sein Dasein verdankte. Und wendet man sich zu Bene- 
dicts eigenem Biographen, so zeigt Ardo nicht gerade viel Neigung, 
immer und immer wieder hervorzuheben, dass es Ableger von Aniane 
und nur von Aniane gewesen, die, auf andern Boden verpflanzt, dort 
Wurzel geschlagen hätten. Mit der Bestimmtheit, mit der Neuere wohl 
meinen, behauptet er es keineswegs überall. Nur auf recht wenige 
Klöster trifft diese Meinung zu, wie auf Menat, da allerdings bei dessen 
Überweisung König Ludwig der Überfülle in Aniane abhelfen wollte; 
auch in Gellone hat Benedict „seine Mönche" eingeführt, und in Maur- 
münster bereitete er, selbst dahin berufen, zugleich „Nachahmern seiner 
Lebensführmig aus Aniane" eine Stätte'*). Aber nach St. Savin im 



75) Vgl. oben Anm. 17. Zusammengehalten mit Theodulfs Gedicht erweist 
sich Ardos Erzählung c. 24 (mox adsensum praebuit et bis denos monachos prefecto 
magistro misit) wenn nicht als irrig, doch als irreführend. — Nach der Ortsüber- 
lieferung von St. Mesmin kamen die Erneuerer wirklich aus Septimanien über- 
haupt: so nicht nur die Fassung in Letalds Bericht (De Mirac, S. Maximin. III 
c. 13 Mabill. Acta I, 582 ed. Ven.: X. Jh.), sondern auch der gleichfalls spätestens 
im 10. Jh. eingetragene Zusatz zur Vita prior S. Maximin. c. 17 § 37 Mabill. 
Acta I, 572 (vgl. über ßibl. nat. Paris Ms. lat. 3851 A Havet in Bque d. Fee. d. 
eh. 46, 226 Anm. 2). — Auffällig ist, dass der grösste Kenner des Klosterwesens 
jener Zeit, Mabillon (Ann. II 1. 25 § 4) von einem Grusse Theodulfs an Nampius 
(oder Nampio), Abt von St. Hilaire, nichts wissen wollte, da er in stiller Abweichung 
von Sirmonds Druck (auf den er doch verwies) und nun auch von Dämmlers 
Ausgabe c. 30 V. 71 Nam pius adspiciat statt Nampius adsp. schrieb; ihm wider- 
spricht indes schon der vom Dichter hier sichtlich innegehaltene Parallelismus 
der Anredeglieder. 

76) Vita Bened. Anian. c. 31 S. 213 1. 45 f.; c. 30 S. 213 1. 9; c. 35 S. 215 1. 6. 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 233 

Poitou und nach einem Kloster im Berry (Massay?) sandte er, so heisst's 
ausdrücklich bei Ardo, einfach Mönche, — einfach Mönche auch, zur Be- 
stätigung der oben geäusserten Vermutung, nach Belle -Celle, und, in 
Übereinstimmung mit Alkuin, nach Cormery; nach St. Mesmin „in 
regelrechter Zucht erfahrene", nach De- Barbe (hier streift Ardo an Alkuins 
Bild der ganzen Mönchsgenossenschaft Septimaniens) eine Auslese „aus 
der Herde"''). 

Dass sie grösstenteils oder alle, in irgend welchem Grade, unter 
seiner erziehenden Einwirkung gestanden, bezweifle ich nicht. Aber 
daraus folgt nicht, dass sie samt und sonders vor dem Altar zu Aniane 
ihr Gelübde abgelegt hätten. Denn das Verfahren, das Benedict unter 
Kaiser Ludwig in luden einschlug, diente ihm bereits (mir erscheint dies 
in der Geschichte der klösterhchen Reformen vor allem bemerkenswert) 
unter Kaiser Karl in Aniane zu gleichmässiger Ausbreitung seiner 
Ordnungen. Er hat nahe dem Schlüsse seines umfassenden Wirkens zu 
Juden durch förmhche Berufung, also doch wohl auf ein Machtwort des 
Herrschers, er hat bei seinem Beginn zu Aniane in seiner „Fülle zart- 
sinniger Liebe" Mönche aus anderen Klöstern um sich gesammelt: nach- 
dem sie hier wie dort im Anblick des Musters, das zumal er selbst bot 
— denn nach Ardo gab er mehr auf Beispiel als auf Lehrsatz — , ihre 
Ausbildung in regelgerechter Lebensführung erhalten hatten'^), bot 
sich, nun auch ausserhalb Anianes, an ihnen und weiter an ihren Zög- 
Kngen eben der Stoff zu neuen Pflanzergenossenschaften, zumal da, wo 
seine Oberleitung ihm durchgreifenden Einfluss gewährte. Von den 
Mönchen und Vorstehern der zwölf Klöster, die unter dieser Oberleitung 
standen, berichtet die Epistola Indensium, nicht dass ,sie aus Aniane, 
aber dass sie aus Benedicts Schule gekommen seien, in Übereinstimmung 
mit Ardo, denn unter Schule (doctrina) kann, da der Brief nur von 
Regel und Regelgebrauch spricht, wie in Ardos Schilderung nur An- 
leitung und Erziehung gemeint sein'®^). 

77) Über die Besiedelung der zwei Klöster im Poitou und Berry Vit. Ardon. 
c. 33 S. 214 1. 36 und 1. 40; über Belle-Celle c. 34 S. 214 1. 47 (vgl. oben S. 208); 
über Cormery C..24 S. 210 1. 14; über St. Mesmin c. 24 S. 209 1. 48; über Ile- 
Barbe c. 24 S. 209 1. 43 (vgl. Alk. Ep. 146 S. 556 Nibridius und Benedict boni 
pastores in grege Christi). 

78) Vit. c. 35 über Benedicts Verfahren in der Zeit der Anfönge Indens 
(als es zugleich darauf ankam, die Zahl von 30 Brüdern zu erreichen): de notis 
monasteriis lectos jubet venire fratres quos suo instrueret exemplo essentque aliis 
documentum salutis. (Nicolai greift in der Auslegung fehl und verkennt den 
Sinn der Anordnung?, indem er S. 139 sagt „nach Indens Gründung wählte Bene- 
dict aus seinen [!] Klöstern tugendhafte Männer und beschied sie zu sich, damit 
sie den Novizen zum Vorbilde dienten" — als ob Ardo geschrieben hätte qui suo 
instruerent exemplo). Später in luden c. 36 S. 216 1. 2 suos . . ita omni inten- 
tione instruxit, ut ex diversis regionibus adventantes monachi non . . perstrepentia, 
ut imbuerentur, indigerent verba, quia in singulorum moribus, in incessu habituque 
formam disciplinamque regulärem quasi pictam cernerent. In Aniane Vit. c. 20 
S. 208 plenus nempe caritate ex diversis locis in suo coenobio susceptos alebat 
clericosac monachos, quibus magistrum praeponens sacris imbuebat sensibus. 

78 b) Belege dieser Erklärung des Wortes doctrina s. oben S. 127 Anm. 22. 



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234 Fünftes Capitel. 

Nur auf die Erziehung legt Ardo Gewicht '®), als ob er durch ihre 
Ergebnisse die Dauer der Reform zur Genüge verbürgt gesehen hätte, 
verbürgt gesehen noch nach Benedicts "Weggang und Tod, wie Bene- 
dict selbst während seines Waltens zu Aniane. Zur Sicherung der 
Reform sein Kloster in eine die übrigen überragende Stellung zu bringen, 
es (nach einem Ausdruck Polkuins von St. Bertin) zum capitaneus locus 
zu machen, hat Benedict nirgend Anstalt getroffen, nirgend auch nur 
versucht. Das ergiebt sich auf das deutlichste aus Ardos Erzählung. 
Denn ihm, Benedict persönlich und nicht Aniane, ihm und abermals ihm 
werden da die Stätten übergeben, die der Besiedelung oder Erneuerung 
harren. Auch diejenigen, wohin er doch, wie angeführt, nur noch Mönche 
von Aniane geschickt hat, Menat und Maurmünster. Denn was das 
dritte dieser Reihe, unser Gellone anlangt, so berichtet Ardo nicht ein- 
mal, dass sein Gründer es an Benedict gegeben habe®^). Dass Graf 
Wilhelm es gethan, bezweifle ich nicht: hat doch an ihm selbst, als er 
Mönch geworden war, Abt Benedict, seinem leidenschaffchchen Verlangen 
nach überspannter Askese Schranke setzend, eine Handlung des Regi- 
ments geübt, die keinen Widerspruch htt; aber ich würde, da Menat 
und Maurmünster, obgleich Pflanzungen der Mönche von Aniane und 
der Leitung Benedicts untergeben, doch nicht in dauerndem Verhältnis 
zu Aniane erscheinen, nun auch im HinbUck auf sie, von allem übrigem 
abgesehen. Bedenken tragen, aus den Anfängen von Gellone, die in 
dieser Hinsicht die gleichen sind, zu folgern, dass es über Benedict 
hinaus mit Aniane verknüpft geblieben. Die Mönche aus Aniane, die 
er in Gellone „angesetzt", waren wie die, welche er aus seiner Fülle 
nach Menat abgegeben, die er nach Maurmünster in seinem Gefolge ge- 
zogen hatte, rechtlich von Aniane geschieden. Auch auf sie trifft, was 
von Inden aus nahe seinem Tode Benedict vom Abt und den Mönchen 
seines alten Klosters zu Gunsten derer erbittet, „die er mit sich gefiihrt 
oder irgendwohin, damit sie ein Beispiel gäben, ausgesendet oder in 
einem Geschäfte verschickt habe": weit entfernt, für den Fall, dass der 
eine und andere zurückkommen wolle, ihnen den Wiedereintritt als ein 
Recht der Zugehörigkeit zu wahren, wünscht er, dass die Heimkehr aus 
brüderUcher Liebe ihnen in Ehrfurcht gegönnt werde ^^). 

Ganz anderer Ansicht von dem Verhältnis der Stiftung des h. Wil- 
helm zur Stiftung des h. Benedict war Mabillon, der noch nahe seinem 



79) Von der Wirkung des Beispiels redet Ardo nicht bloss an den Anm. 78 
verzeichneten Stellen, sondern noch sonst: c. 24 S. 209 1. 41 exempli gratia (nach 
dem Vorgang Benedicts selbst c. 43 S. 220 1. 7 und 9); c. 30 S. 213 1. 10 exemplo 
imbutus; c. 36 S. 215 1. 35 imbueret exemplo (in diesem Sinne oft imbuere c. 19. 
20 S. 208 1. 10 und 42,' c. 36 S. 215 1. 50); vgl. c. 38 S. 217 1. 22 qui non audita 
solummodo sed visa perciperent. 

80) C. 31 und 33 S. 214 1. 1. 36. 39 dedit illi, contulit ei monasterium; selbst 
bei Belle-Celle c. 34 S. 214 1. 46. Dagegen meidet Ardo diese Wendung bei den 
im Mundium von Bischofskirchen oder Stiften verbliebenen Klöstern Ile-Barbe , Micy 
und Cormery c. 24. — Capitaneus locus bei Folkuin M. G. SS. XIII, 614 1. 34. 

81) ya, Bened. An. c. 43 S* 220 1. 11 pie benigniterque velut fratres reci- 
pite, ut decet. 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 235 

Lebensende, an einer späten Stelle des letzten seiner grossen Werke be- 
hauptete, dass Gellone bis in die Zeit Abt Emenos von Aniane, also 
bis in das dritte Viertel des elften Jahrhunderts in Abhängigkeit von 
Aniane gestanden und erst da den Versuch gemacht habe, sich daraus 
zu lösen. Er stützte sich auf ein „Breve apostolicum" Alexanders 11. 
vom 7. Nov. 1066, das diesem Unterfangen Einhalt thut, und auf ein 
Schreiben Abt Emenos von Aniane, worin dieser noch deshalb gegen 
die Mönche von Gellone klagbar geworden sei — nach dem von ihm 
(ich zweifle nicht daran) eingesehenen, aber freilich uns verhaltenen 
Protokoll und EschatokoU des Schreibens im Jahre 1074, vor Alexanders 
Nachfolger Gregor VH.^^^). 

Das „Breve" Alexanders IL ist höchst wahrscheinlich nichts anderes^ 
als der ausgeschälte und in besonderer Abschrift nur so Mabillon zu- 
gekommene letzte Satz eines umfassenden Privilegs, das der Papst eben 
an dem von Mabillon für das „Breve" angeführten Tage, am 7. Nov. 
1066 erteilte, das aber in seiner ursprünglichen Gestalt den Satz, wie 
ich meine, mit nichten hatte. Denn obgleich dies Privileg bisher nur 
seinem Inhalte nach bekannt gemacht geworden ist, so ist doch — schon das 
weckt den Verdacht fälschender Einfügung — die Richtung, die es in 
diesem Satze verfolgt, die gleiche mit der des just an der nämlichen 
Stelle prangenden Satzes einer andern, in ihrem vollen Wortlaut ver- 
öffentlichten Bulle, jener in den Händeln der Abte von Aniane mit dem 
Sprengeloberen arg verunechteten des Papstes Nikolaus II., die wohl 
noch mehrfach sonst als das Urbild für das Privileg Alexanders 11. in 
seiner jetzigen Gestalt gelten darf ^^). Und diese Richtung ist unverein- 
bar mit dem acht Monate vorher von dem nämlichen Papst Alexander 
durch die Hand des nämlichen Datators dem Kloster Gellone verliehenen 
Schutzbrief, durch den diese angebliche „Cella" nicht als Anhängsel von 
Aniane, sondern selbständig, den unmittelbaren Schirm der römischen 
Kirche erhalten hatte: dieser Schutzbrief aber beachtet die Grenze der 
herkömmlichen Bewilligung an Klöster ebenso sehr, wie die Bulle 
Nikolaus' 11. mit dem Unmasse ihrer Exemtionen sie überschreitet®^). 



81b) Mabill. Ann. IV 1. 62 § 105. V 1. 64 § 68. 

82) Alexander IL bei Mabill. Ann. IV 1. 62 § 105 und nunmehr Ja. -L. No.4597. 
Am letzteren Orte auf Grund von Biblioth. nat. Paris, ms. lat. 12770 fol. 238 das bün- 
dige Regest „monasterii Anianensis possessiones et privilegia confirmat eique Gello- 
nensis cellae dispositionem asserit** an Stelle des in der ersten Ausgabe von Jaffe 
No. 3409 auf Grund der Mitteilung Mabillons gegebenen ,,monii Gellonensis totam 
ordina^tionem et disposition. abbati et congregationi Anianensi asse- 
rit*. Revillout giebt S. 511 nt. 2 den Satz aus dem vermeintlichen Original von 
No. 4597 ausführlich und zwar genau wie er im verunechteten Privileg P. Niko- 
laus' IL Ja.-L. 4466 lautet: sed omnis ordinatio et dispositio possibilitasque 
. . Gellonensis monasterii in manu consistat abbatis congregationisque Ania- 
nensis: auch die Epistola Emenonis stellt die Weisungen der Päpste Nikolaus IL 
und Alexander IL einander gleich. Im übrigen vgl. oben S. 42. 

83) Jaff6-L. No. 4592 sub tutela et defensione s. apost. sedis suscepimus. 
Und diese Urkunde (dat. p. man. Petri s. Rom. eccl. subdiac. et bibliothecarii, 
wie das verunechtete Privileg für Aniane No. 4597) ward erwirkt durch den 



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236 Fünftes Capitel. 

Weiter: der Brief Emenos, dem Mabillon volles Vertrauen schenkte, 
ist schon, soweit er ihn, auszugsweise oder wörtlich, kundgemacht hat, 
ein wunderliches Machwerk in mehrfachem Betracht. 

Emeno schreibt, dass seine Vorgänger auf dem Abtsstuhl von 
Aniane bis dahin (hactenus) Gellone innegehabt, dass erst mit dem Ob- 
siegen der Simonie die Mönche der Zelle sicli eigene Abte zu ihren 
Vorständen gemacht hätten. So berichtet denn Mabillon von einem „Ab- 
fall der Cella Gellone", der, eben in der Wahl von Äbten ohne Befragen 
von Aniane zum Ausdruck gekommen, in Emenos Zeit zu setzen sei, 
rund in die zweite Hälfte des elften Jahrhunderts. Aber die blosse Unter- 
lassung der Befragung bei den. Wahlen rügt Emeno nicht, sondern an 
und für sich die Wahl eigener Abte, und schon lange vor Emeno, schon 
seit der ersten Hälfte des. zehnten Jahrhunderts haben wir in stattlicher 
Zahl Urkunden, die auf Abte von Gellone gestellt sind und denn auch 
bei Tausch von Gut, bei Zulassung zum Mönchsgelübde, wo sonst die 
Abhängigkeit augenfäUig zu werden pflegt, keinerlei Art von Verband mit 
Aniane mehr vermerken. Der Vertrag zumal, den Abt Gaufred von 
St. Guillem 1029 mit Abt Pontius von Aniane aus Anlass eines Brücken- 
baus über den Herault als gleicher mit gleichem schloss, könnte als ein 
Zeugnis gelten, das Aniane selber aus der ersten Hälfte des 11. Jahr- 
hunderts wider das Vorgehen seines Abts in der zweiten liefert: ihn hat 
schon der Mauriner Dom Sort — in der Grundansicht sehr abweichend 
von Mabillon — als einen Beweis der ursprünglichen Unabhängigkeit 
des Klosters Gellone gefasst. Freilich stammen die meisten dieser Ur- 
kunden aus dem Cartular von Gellone selbst, aber sie erregen nirgend 
Bedenken, wie so reichlich jene Schenkungen Ludwigs d. Fr. im Cartular 
von Aniane. Nirgend hier die Spur eines von Fälscherhand erst ver- 
wischten Zuges von Abhängigkeit. Und die anderswoher abgedruckten 
geben kein von ihnen verschiedenes Bild. Das Wahldecret der ersten Äb- 
tissin von St. Genies in gleichem Sprengel mit Aniane aus neutralem 
Archiv, dem von Psalmodi veröffentlicht, nennt 1025 unter den Zeugen 
deu Abt von Gellone neben dem Abt von Aniane. In der Urkunde 
eines in Gegenwart Bischof Stephans von Beziers nahezeitig jenem Brücken- 
bau gehegten Gerichts, das über gleichmässig auf Aniane und auf Gellone 
erhobene Ansprüche entschied, wird Gellone wie Aniane als abbatia be- 
zeichnet®*). 



Sprengel oberen , während die Mönche von Aniane dem ihrigen durch No. 4466 
wesentliche Rechte entzogen wissen wollten (darnach No. 4597 etwa auch auf 
Exemtion gerichtet?). 

84) Die von den Maurinem (Gall. ehr. VI, 581 f.) ausgezogenen Privaturkunden 
für Gellone beginnen trotz der Schädigung durch den Brand schon mit 926 (da als 
erster ein Abt Juliofred, also gleichen Namens mit dem, den das unechte Besitzes- 
verzeichnis oben S. 145 zum allerersten macht), die Abdrücke der H. d. L. V, 192 
mit 938 (unvollständige Wiedergabe, kein Abtsname). Mühlbacher erwähnt zu 
No. 1293 (vgl. seine Vorrede S. XCVIII nt.) ein noch ungedrucktes Diplom im 
Cart. Gelion., das auf Bitte des Abts Arding von einem König Karl erteilt wurde: 
Invocation und ^ verderbte) Kanzlerunterschrift weisen auf K. Karl von Provence 
und auf die Zeit um 856, so dass es ein sehr willkommenes Zeugnis der Unab- 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 237 

Und wenn der Angabe Emenos über die Verhältnisse in der Zeit 
seiner Vorgänger eine stattliche Zahl vollbeglaubigter Äbte von Gellone 
entgegentritt, so trifft nicht einmal die Andeutung über seine eigene Zeit 
zu. Seitdem er den Stab zu Aniane trug, ist er Zeuge nicht, wie er 
zu verstehen giebt, einer Mehrheit von Abtswahlen im andern Kloster 
gewesen, sondern nur von einer, der Wahl Berengars, der ihn überlebte. 

Dreist behauptet er weiter, dass die Abte von Gellone und die 
Bischöfe, die sie „confirmiert" hätten, von den Päpsten Nikolaus und 
Alexander excommuniciert worden seien, während das Privileg Nikolaus' 11. 
eben in jener verunechteten Gestalt nur, wie übhch, mit Excommunication 
droht und die Drohung nicht gegen die Abte, sondern nur gegen die 
Bischöfe richtet^*). 

Knüpft der Brief den Abfall an das Obsiegen der simonistischen 
Ketzerei — in bemerkenswertem Zusammentreffen mit dem fiiiher er- 
örterten Satze, der in den verunechteten Privilegien der Päpste Johann XV* 
und Nikolaus II. die Kundmachung einleitet, durch die Aniane au& 
Anlass gleicher Versündigung seiner Bischöfe das Hecht der Wahl eines 
beliebigen anderen zu Weihehandlungen erhalten haben wollte — , so 
hatte freilich der Sprengelobere des Klosters Gellone, Bischof Rostagnus 
von Lodeve, vor einigen Jahren in einem südfranzösischen Concil den 
Vorwurf simonistischer Erlangung seines Amtes erfahren; aber, schon vor- 
her selbst in die Eeihe der Bekämpfer der Simonie getreten, war er 
sogar in Besitz der Gnade eines Alexanders 11. gekommen, bei dem er 
(worüber unten noch ein Wort) wiederholt Privilegien für Gellone er- 
wirkte. Am Kloster aber kann noch weniger gehaftet haben der Makel, 
den Emenos Brief meint rügen zu dürfen: noch 1076 weihte Gregors VIL 
hochbetrauter Legat, der im Austilgen der Simonie diesseits und jenseits 
der Pyrenäen unermüdliche Bischof Amatus von Oleron, den Hauptaltar 
zu Gellone^®). 

hängigkeit in früher Zeit wäre. Aber das Bedenken Mühlbachers aus Anlass 
des westfränkischen Ausstellungsorts und des Gegenstands (wie es scheint Güter 
in Septimanien, also im westfränkischen Reiche) verstärkt der umstand, dass aus 
den Sammlungen der Mauriner erst unter dem westfränkischen Karl (d. E.) ein Abt 
Arding von Gellone bekannt ist. — Eine Schenkung, dem Kloster Gellone ohne 
Nennung des Klosters Aniane gemacht (wogegen die Schenkung an das Kloster 
St. Polycarpe dieses deutlich als Zelle von La Grasse erkennen lassen H. d. L. V^ 
675. 712 No. 352. 375 II), hat das Zeugnis gerade des Sprengeloberen von Aniane 
(H. d. L. V, 311 No. 147). Andere Urkunden von Belang Gall. ehr. VI J. 347 No. 7. 
H. d. L. V, 388. 393. 415 No. 191. 192. 206. — Über das Urteil, das Dom Sort in 
seinen noch handschriftlichen Annales Gellonenses 1705 niederlegte, berichtet 
Revillout Mem. d. 1. soc. arch. d. Montpellier 6, 510 nt. 2. 

85) Nikolaus IL (Ja.-L. No. 4466) : obtestamur et excommunicamus ne in loco 
Gellonensi quispiam episcopus abbatem benedicere praesumat, quia ad aures 
nostrae pervenit clementiae, antiquitus collam praedictam juris fuisse Anianensis 
coenobii, sed omnis ordinatio (u. s. f.: Anm. 82). Dagegen Emeno: non solum 
abbates (seil. Gellonenses) sed et pontifices, qui eos confirmaverunt . . Nicolaus 
et Alexander sab anathematis vinculo posuerunt, quousque ordinatio . . in manu 
consistat abbatis Anianensis. Vgl. oben S. 14 Anm. 10. 

86) Nachricht des Martyrol. Gellon., abgedruckt von Mabillon Acta IV, 1,. 



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238 Fünftes Capitel. 

Und Emenos Erinnerung an die früheste, die allererste Zeit des 
Klosters Gellone? Bescheiden wir uns, nicht zu wissen, ob Graf Wil- 
helm noch die kaiserhche Regierung Ludwigs d. Fr. erreicht habe, halten 
irir es eher für unwahrscheinUch — da Ardo bei Wilhelms Tod von 
«inem regnum KaroH spricht — , so bringt der Brief die überraschende 
Kunde, dass auf Rat des Grafen Kaiser Ludwig dessen Stiftung dem 
Kloster Aniane übergeben habe, während trotz aUer Verunechtung, die 
Ludwigs Diplome im Cartular von Aniane erlitten haben, keines von 
ihnen an der Stelle, wo sie den „ehemahgen" Grafen nennen, mit einem 
Worte darauf kommt, dass er noch, auch nur als Mönch, an jener Hand- 
lung teil gehabt. Aber da er zum Heiligen der Kirche aufgestiegen 
war, sein Grab — wie die päpstUchen Privilegien ausweisen — mehr 
und mehr das Ziel der Pilger und der Darbringungen, auch vom öst- 
hchen Ufer der Rhone und vom südlichen Abhänge der Pyrenäen wurde, 
musste eine Anordnung, von der sich, wie Emeno es hier thut, behaupten 
Hess, dass sie mit von ihm oder allein von ihm getroffen sei, erhöhte 
Weihe, völlige Unantastbarkeit gewinnen. So bringt Emeno auch im 
Schlussstück des Briefes, wo er über eine andere seiner Genossenschaft 
widerfahrene Unbill, über die Wegnahme der ihr ehedem übergebenen 
Zelle Goudargues durch die Mönche von La Chaise Dieu Klage fuhrt, 
den Grafen zu weit in den Vordergrund, indem er ihn zum Geber der 
Zelle an das Kloster Aniane macht, während der Graf nach einem 
Diplom des Cartulars von Aniane (in seiner nunmehrigen Gestalt — ich 
komme darauf zurück — ) und nach einem Privileg des Papstes Paschal 11. 
nur insoweit beteiUgt erscheint, als die freihch von ihm gegründete Zelle 
durch seine Übergabe an Karl d. Gr. Königsgut geworden war, aus dem 
sie Aniane durch die Gnade Ludwigs d. Fr., erst durch den erhielt^'). 

Dass in dieser Gestalt der Brief Emenos bestimmt gewesen, einen 
Papst zur Einleitung förmUchen Rechtsverfahrens zu veranlassen, dass er 
so überhaupt abgegangen sei, kann man sich kaum vorstellen. Dass die 
Mönche von Gellone von einem wie immer gearteten Angriff Emenos auf 
«die Selbständigkeit ihrer Stätte je Kunde erhalten haben, ist auch nicht 
glaubUch, da er in ihrem Nekrolog die ihm einmal gewährte Stelle nicht 
^inbüsste^^). Aber in jedem Falle, auch wenn das Schreiben nur ein 
missratenes Übungsstück aus der Schulstube von Aniane ist, zeugt es 
doch von einem Gegensatz gegen Gellone und wegen Goudargues gegen 
La Chaise Dieu. Darin hat es seine eigentiiche Bedeutung: (he Epistola 
Emenonis ist die offenste und breiteste Darstellung der Absichten derer 
von Aniane gegen die Selbständigkeit ihres Nachbarklosters und das 



append. ad Vit. S. Wilhelmi § 2. Die Mauriner haben diese Thatsache, die mehr 
als etwas sonst gegen des angeblichen Emeno Worte praevalente simoniaca 
baeresi vgl. oben S. 43 zeugt, in ihrer Gall. ehr. Vi, 584 übergangen. 

87) Epist. Emenonis: cellam Gordanicam a praedicto comite Wilhelmo sibi 
traditam; dagegen Mühlb. No. 560 und Ja.-L. No. 6348 (sicut a Lodoico impera- 
tore . . concessum . . Anianensi coenobio per instrumenti regalis memoriam decla- 
ratur. 

88) Gall. Christ. VI, 837. 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 239 

früheste Zeichen ihres Bingens mit La Chaise Dieu, einer der Ausgangs- 
stätten neuerer Klosterreform. Denn auch zur Bestimmung der Zeit 
dieser Bewegungen giebt sie einen Anhalt. Ganz abgesehen nämUch 
von Mabillons Bemerkungen über Urheber, Adresse und Jahr des Briefes, 
verbietet der Brieftext selbst die Abfassung über den Anfang des 12. Jahr- 
hunderts herabzurücken. Im Streit über Goudargues kam es unter 
Paschal IL 1107 und im Streit wider Gellpne schon unter ürban IL, 
demnach spätestens 1099 zu einer Entscheidung, die — ich berühre sie 
noch unten — , fiele der Brief in das 12. Jahrhundert, in die Zeit wie- 
der aufgenommenen, unter neuem Papste erneuten Anschlags, nicht 
mit Schweigen, wie es hier geschieht, hätte übergangen werden kön- 
nen®®). 

Aber das Ringen, zwischen Aniane und Gellone hat die Zeit Abt 
Emenos und auch den Anfang des zwölften Jahrhunderts überdauert: 
noch um die Mitte dieses Jahrhunderts ist die Bestätigung eines von 
Urban IL zu Gunsten der Unabhängigkeit des Klosters Gellone ge- 
trofiienen Schiedes, in einer Bulle R Eugens IIL gewährt, also doch 
wohl auch von dem Abt zu Gellone als eine zur Zeit noch unentbehr- 
Uche Sicherung begehrt worden®®^). Die Ungleichartigkeit der Begrün- 
dung des Anspruchs der Anianer auf Gellone, die ich oben berührte und 
zu der nun noch die Abweichung des Briefes Emenos von den kaiser- 
hchen Diplomen Ludwigs d. Fr. kommt, führte mich schon zur Annahme 
einer Mehrheit zu verschiedener Zeit gegen die Unabhängigkeit des Nach- 
barklosters gemachter Anläufe, unter denen dann die Verunechtung der 
kaiserlichen Diplome Ludwigs dem zwölften Jahrhundert, das für Emenos 
angeblichen Brief ausgeschlossen ist, noch zugewiesen werden könnte: 
kam es doch erst im zwölften Jahrhundert zur Zusammenstellung des 
Cartulars, in dem sie stehen. Auch die gleichfalls in dies Cartular auf- 
genommenen Privilegien der Päpste Nikolaus 11. und Alexander IL für 
Aniane mögen ihre Mehrung um das von Mabillon angezogene Stück, 
also ihre nunmehrige Gestalt eher im zwölften Jahrhundert, als in dem- 
jenigen erhalten haben, in dessen zweite Hälfte ihre Regierung fällt, ob- 
schon sogar der Fälschung der Briefe noch lebender Bischöfe Aniane 



89) Auf Gefahrdung der Unabhängigkeit von Gellone schon in früher Zeit 
lässt die Weisung schliessen, in welche die im Jahre 1068 diesem Kloster von 
Alexander IL erteilte Schutzzusage ausläuft: ^nulli loco subjaceat nisi huic s. Ro. 
ecclesie" (Ja.-L. No. 4645), die sich widor die Bedrohung durch ein Kloster (über 
locus siehe oben S. 181) richten muss, da sie sich gegen den Sprengeloberen nicht 
richten kann. Denn die Meinung der Mauriner (Gall. ehr. VI, 584 C), es sei darin 
die Exemtion von der Gewalt des Bischofs enthalten, verträgt sich nicht mit dem 
eingefügten Vorbehalt der reverentia proprii episcopi, dessen Sinn klärlichst aus 
Urkunden wie Gall. ehr. VI J. c. 276 B 282 A erhellt. 

89l>) Ja.-L. No. 8947 (vgl. unten A. 103). Zur Fortsetzung des Kampfes, zu 
seiner Wiederaufnahme nach der Entscheidung P. Urbans IL hätte wiederum 
Clunys Beispiel anregen können: hat doch dessen Vorgehen gegen Sithin und 
St. Germain d'Auxerre und St. Cyprien im Anfange des 12. Jahrhunderts sogar 
der milden Feder Mabillons den Vorwurf der Herrschsucht entrungen (Ann. V 
1. 70 § 62). 



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240 Fünftes Capitel. 

einmal beschuldigt wurde ®^). Und wenn sich in dieser Zeit der Macht 
des Papsttums fälschende Hände an päpstHchen Privilegien ver- 
griffen, an Privilegien selbst neuerer Päpste, so würde es befremden, 
hätten sie Urkunden weltlicher Grosser,^ Diplome der längst abgegangenen 
Karolinge verschont, vollends solche, die wie die Diplome Ludwigs d. Fr. 
und Karls d. K. oder der Schenkungsbrief Graf Wilhelms Grundlage 
des Anspruchs, Ausgangspunkt der Forderung werden mussten und leicht 
werden konnten. Mir Hegt nach allem, was ich oben darlegte, nur noch 
ob zu erweisen, dass das nämliche Geschick, das nach zahlreichen Spuren 
sie betroffen hat, in dem durch Emenos Brief gleichermassen bezeugten 
Streite über Goudargues auch einem andern Diplom, abermals einem 
Diplom Ludwigs d. Fr., widerfuhr. 

Ich meine die Sclaenkung der Zelle Casanova, die durch wenige 
Einfügungen und leise Änderungen die Gestalt einer Schenkung von 
Goudargues zugleich erhielt und so zum Beweismittel im B;echtsstreit 
über diese Zelle zugerichtet ward. Die Verunechtung dieses Diploms ^^), 
allen Herausgebern und Bearbeitern entgangen, würde schwerlich ihrer 
einem entgangen sein, wenn sie den Blick auf den langwierigen Hader 
über das Eigentumsrecht an Goudargues geworfen, wenn sie die An- 
strengung beachtet hätten, die Aniane machen musste, um Goudargues 
den Mönchen von La Chaise Dieu und auch der erzbischöflichen Kirche 
Arles, von der diese ihr vermeintliches Recht herleiteten, zu entreissen 
und in wiederholtem Ringen sich zu sichern. Denn sichtlich ist in der 
Verfügung des Herrschers zwischen das mit längerer Beschreibung um- 
kleidete Object (eben Casanova) und das regierende Verbum ein schillern- 
des Zeugnis der Identität (ich halt^ mich an das Wort der Urkunde) 
der Zelle Casanova und der Zelle Goudargues eingeschoben, nämUch die 
Nachricht von der abermaligen Erbauung der Zelle C, nahe der Zelle G. 
und doch wie als eins mit ihr, ein Satz, der sich so leicht wieder ab- 
heben lässt, dass es scheinen könnte, als sei eine erläuternde Randbemerkung 
durch harmlosen Abschreibefehler in den Text geraten, wenn nicht am 
Schlüsse der Verfügung ein zweiter, kleinerer Zusatz, der auf den ersten 
verweist, und mehrere ihm entsprechende Wortformen die überlegte Ein- 
schaltung verrieten. In seiner echten Gestalt beschränkte sich das Diplom 
auf Casanova, das an der Spitze des Textes steht und von dem dann 
auf lange hin allein die Rede ist, während, wenn es damals bereits (wie 
der erste Zusatz in seiner seltsamen Fassung und ohne rechten Einklang 
mit dem zweiten Zusatz andeutet) verlegt gewesen wäre, so dass Goudargues 
den eigentlichen Gegenstand der Verfügung ausgemacht hätte, es nicht 

90) Ja.-L. No. 6409 : ich meine mit Unrecht, aber ich muss doch sagen, was 
man den Mönchen dieses Klosters auch jetzt noch, wie vordem am Hof ürbans IL 
zutraute. 

91) Mühlb. No. 560 Placuit nobis . . quandam cellulam ex re proprietatis 
nostre quae nuncupatur Casanova, quae sita est juxta castram Planitium (auch 
diese Abweichung von den Diplomen ein besonderer Zug der Anianer Überlieferung: 
oben S. 20 D Anm. 12 li), in pago ücetico super fluvium Cicer, quam dudum Wil- 
helmus quondam comes a fundamento in honoro S. Mariae construxerat et rebus 
quam plurimis ditaverat et . . Karolo . . augusto . . per cartulam delegavit dona- 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 241 

fehlen konnte, dass dieser Name seine Stelle vor oder doch gleich neben 
dem anderen erhielt und stärkeren Ton als dieser bekam. Das war Er- 
fordernis der Sache und des Stils, die z. B. Beachtung fand, als, nach 
Verlegung des St. Michaehsklosters von der Höhe an der Marsoupequelle, 
wo nur die Begräbniskirche und eine Anzahl Brüder zu deren Versorgung 
bheb, hinab in das nahe Maassthal, Ludwig d. Fr. nach seinen eigenen 
Worten „non solum veteri monasterio, quod dicitur CarteUio sed potius 
novo quod nostro tempore a fundamentis aedificatum est" das Recht der 
Abtswahl verlieh®^). In Wirkhchkeit war, als Ludwig dem Kloster 
Aniane Casanova schenkte, am 21. Mai 815, die Zelle noch nicht nach 
Goudargues verlegt, noch nicht eins mit einer klösterhchen Niederlassung 
zu Goudargues: denn noch das letzte Diplom, das Ludwig für Aniane 
ausstellte (21. Oct. 837) erwähnt Goudargues nicht als Besitztum Anianes^ 
sondern um die „daneben gelegene" Zelle Casanova, also nur örtUch, zu 
bestimmen, und noch das Diplom Karls d. K. von 853 nennt allein 
Casanova — wie die Epistola Indensium nur Casanova, nicht Goudargues 
unter den von Benedict geleiteten Stätten auffuhrt®^). 

Die Vermutung einer vielleicht allmähhch, schrittweise geschehenen 
Vereinigung findet Anhalt erst gegen Ende des neunten oder Anfang 
des zehnten Jahrhunderts an einem Verhältnis, das unter den usurpa- 
torischen Vorgängen der Bildung, der neuen Reiche entstand. Nach der 
Errichtung des niederburgundischen Reiches erscheint unter der Regierung 
König Ludwigs d. BUnden Erzbischof Rostagnus von Arles im Besitz 
des Klosters Goudargues, nicht als Prior, sondern als Abt. Da er und 
seine Kirche nach einem Diplom eben dieses Königs schon von dessen 
Vater, König Boso, seinem Gönner, mit der „Abtei Goudargues" auch 
die Abtei Aniane bekommen hatte, so könnte er ja, zumal von seinem 
anderen Gönner, dem Papst Johann VIII., ausgestattet mit der Ge- 
walt eines apostohschen Vicars in Gallien, als Abt von Aniane die Ver- 
legung von Casanova, der Zelle von Aniane, oder wenigstens die Ver- 
pflanzung eines Teils ihrer Mönche vorgenommen haben: bereits unter 
ihm besteht zu Goudargues eine Klosterkirche, die denn, wie unter Ludwig 
d. Fr. Casanova, die Jungfirau zur Schutzheihgen hat. Und nach ihm, 
unter König Rudolf, erhält (man wird an die Art und Weise erinnert, 
wie in dem angefiihrten Diplom Ludwigs d. Fr. St. Michael in der 



tionis, sed postea propter compendium et loci utilitatem non procul 
ab eodem loco eadem cellula constructa est quae nuncupatur Gor- 
danicus in eodem pago et super eundem fluvium, ad monasterium . . 
Aniana concedere. Die Häufung von eadem, eodem, eundem lässt empfinden, wie 
viel auf den Nachweis des Zusammenfallens von Casanova und Goudargues ankam. 
Weiterhin (zweiter Zusatz): flanc itaque cellulam, quae sicut diximus nuncu- 
patur Gordanicus et illam quae vocatur Casan. (hier noch eine Zweiheit) 
cum his quae postea praedictis locis traditum [sie] est, ut quicquid in ipsis 
locis aut de ipsis u. s. f. 

92) Mühlb. No. 811. 

93) Mühlb. No. 939 Casanova, quae sita est juxta locum qui dicitur Gorda- 
nicus super fluvium Cicer; Böhm. No. 1639 Hist. d. L. IIb, 292. Ep. Indens. SS. XIII, 
219 1. 7. Ardo schweigt von Goudargues wie von Casanova. 

Puckert, Aniane und Gellone. 16 



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242 Fünftes Capitel. 

Höhe zusammen mit St Michael im Thal zur Erwähnung kommt) die 
,;ecclesia S*»® Mariae in loco qui dicitur Casanova atque Gordanicae, et 
est ibi monasterius" eine Schenkimg — ohne dass Casanova noch in 
-Verbindung mit Aniane erschiene®*). 

Dabei bin ich weit entfernt, zu meinen, dass der Anspruch der 
späteren Mönche von Aniane auf Goudargues ganz so grundlos gewesen 
sei, wie der auf Gellone. Aus der Thatsache, dass zu der Zeit, wo am 
frühesten in Goudargues ein Kloster bezeugt wird, zur Zeit König ßosos, 
es neben und in gleicher Stellung wie xlniane den Gegenstand einer 
Schenkung des Herrschers ausmacht, den Schluss zu ziehen, dass es von 
Ursprung an nicht Eigentum von Aniane, sondern eben wie Aniane 
Königskloster oder unabhängig gewesen, wäre unsicher, selbst wenn die 
Verhältnisse zur Zeit der Schenkung normal gewesen wären, woran ja 
bei der Art der Erhebung Bosos nicht zu denken ist: die Klöster, wo- 
durch er die Beihilfe der Bischöfe nach Hinkmars Bericht gewann, wird 
er (dafür zeugt gleich Aniane, über das er Verfugung traf, obschon es 
dem westfränÖschen Kloster gehörte) aufgegriffen haben wo und in wel- 
chem Rechte, in welcher Hand er sie fand. Und zugestanden, dass 
Gt)udargues Königskloster gewesen, so war ihm doch mit und an der 
Zelle Casanova ein zweifelloses Stück von Aniane, bezeugtermassen 932, 
vor dem Ende des westfi^ldschen Königs Rudolf, angeschlossen, ihm 
gepaart; ja, da nach 932 nichts mehr von Casanova verlautet, so liesse 
sich annehmen, dass es mit Widum und Heiltum..ganz in Gt)udargues 
aufgegangen sei und als Besitztum der bisherigen Abte von Aniane ihren 
Nachfolgern ein Recht auf Goudargues begründet habe. Immerhin be- 
fremdet, dass Gourdargues, nachdem die Erzbischöfe Rostagnus und 
Manasse es mit Aniane vereint besessen hatten, unter Manasses Nachfolger, 
Erzbischof Iterius, der über Aniane nicht mehr gebot, noch eine Weile 
für sich bei der Kirche Arles bheb, wie es denn nach jenem Diplom 
Ludwigs d. Blinden wirkHch dem h. Stephan von Arles „zu Recht und 
Eigen" überwiesen worden sein soll, demgemäss denn im 12. Jahrhundert, 
in der Kirchenversammlung zu Toulouse 1119 Erzbischof Otto es als 
Zubehör seiner Kirche ansprach. Aber er ist damit nicht durchgedrungen. 
In dieser Kirchenversammlung haben drei bejahrte Mönche Anianes — 
das giebt wenigstens für die letzten zehn, zwölf Jahre des 11. Jahrhunderts 



94) H. d. L. V, 158 No. 55 IV ohno Jahr, aber wegen der übrigen Zeitbestim- 
mungen mit Recht unter 932 gebracht. Bosos Yerfügung über die in Septimanien, 
also im westfränkischen Reiche gelegenen Klöster Goudargues und Aniane (Diplom 
seines Sohnes Böhm. No. 1481, wo mit Unrecht Goudargues ungenannt bleibt) 
beweist (mehr noch als die Teilnahme des Bischofs von Uzes an seiner Erhebung), 
dass er nicht nur im Norden, die Saone hinauf, sondern auch im Süden, über die 
Rhone hinüber, Ausgriffe in das westfränkische Reich machte. Noch die Urkunde 
für Goudargues H. d. L. V, 109 No. 27 (ubi Rostagnus eps. et abb. praeesse dinoscitur) 
hat (freilich betrifft sie, soweit sie veröffentlicht ist, provenzalische Güter) das 
Regnum Ludwigs d. Blinden (ohne Grund wird sie genau dem J. 900 zugewiesen), 
während eine für Rostagnus in seiner Eigenschaft als Abt von Aniane H. d. L. V, 
108 No. 26 wieder nach dem Jahr eines westfränkischen Königs datiert ist (dem 
zweiten Karls d. E. d. h. 899). 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 243 

ein anderes Bild und macht für sie Emenos Klage gegenstandslos — 
eidlich bekräftigt, ihr Kloster sei 30 Jahre hindurch ohne rechtsbeständige 
IJnterbrechutig in Besitz von Goudargues gewesen, ehe die von La Chaise 
Dieu es von der Kirche Arles erhalten hätten ®^). Und die B;echtserkennt- 
nisse, die schon vor dieser Kirchenversammlung dem Streit über den 
Besitz ein Ende setzen sollten, lauten zu Ungunsten des Klosters La 
Chaise Dieu und der Kirche Arles, alle ohne Ausnahme, obgleich die 
hierzu niedergesetzten Ausschüsse in ihrer Zusammensetzung, bald aus 
Sprengeloberen der Nachbarschaft, bald aus landesfremden Bischöfen, 
Cardinälen und Äbten, vielfach gewechselt haben*"), und obgleich die 
zwei Päpste, unter denen es zu Rechtsverfahren kam, Paschal IL und 
Calixt IL, mit ihrer Gunst gegen La Chaise Dieu, die schon von Gre- 
gor Vn. hochgehaltene Gründung des h. Robert, sonst nicht kargten, in- 
dem beide es sogar in Oberitalien, dessen Verbindung mit dem Mutter- 
hause in der Auvergne, schon durch St. Bauziles bei Nimes angeknüpft, 
der Besitz von Goudargues verstärkt hätte, an Abteien fast so reich wie 
nördhch der Alpen ausstatteten, und Cahxt IL, in ausdrückUcher Vor- 
schrift, für Ausbreitung der Ordnungen und Bräuche Abt Roberts am 
Apennin Sorge trug®'). 

Nur folgt aus den Erkenntnissen, durch die Aniane obsiegte, nicht, 
dass Ludwigs Schenkungsdiplom in seiner überlieferten Fassung echt sei. 
Keins von ihnen beruft sich auf einen Vorgang, den das Diplom Ludwigs 
in dem von mir angefochtenen Stücke behauptet, wenn es erzählt, dass 
zur 2^11e Casanova schon in der Zeit der ersten Karolinger die Zelle 
Goudargues gekommen, dass statt einer zwei Zellen von Ludwig dem 
Kloster geschenkt worden seien. Die zwei frühesten Urteile der zur 
Entscheidung erlesenen Bischöfe verhalten völlig den Inhalt der ihnen 
vorgelegten Urkunden und nennen auch nicht die Herrscher, von denen 
sie rührten: sie begründen ihre Sprüche auf den früheren Besitz Anianes, 



95) Über Erzb. Iterius zu Gourdargues (immer noch unter einem burgundischen 
König) Gall. ehr. VI, 656. Der Bericht über die Kirchenversammlung zu Toulouse 
Ja.-L. No. 6714, wo aber bei Robert, Bull, du p. Cal. II. 1, 50 und in den Drucken 
Bouquets wie Dacherys statt per quos Arelatensis ecclesia . . intraverat zu lesen 
ist qui per Arelatensem ecclesiam . . intraverant. Deutet sine interruptione legi- 
tima auf eine Invasion, infolge deren etwa Graf Raimund Goudargues (ohne 
ersichtliche Wirkung) an Cluny zu schenken sich unterfangen konnte (H. d. L. 
V, 531)? 

96) Ja.-L. No. 6123 (hier auch Erzb. Ouido v. Vienne, also der nachmalige 
Papst Calixt H. unter den Richtern). 6166. Gall. ehr. VI J. 297 No. 5-. Ja.-L. 6348. 
6409. — Da der No. 6123 für die Gerichtssitzung zu Valence mitersehene Bisch. 
Ismio von Die in dem Bericht Über diese (Gall. ehr. a. a. 0.) fehlt, aber danach 
Ja.-L. No. 6348 und 6409 genannt wird, muss man wohl ein zweimaliges Zusammen- 
treten von Richtern in Valence annehmen. — Zuletzt der Bericht, über das Urteü 
des Ausschusses in der Kirchenversammlung zu Toulouse Ja.-L. No. 6714. 

97) Ja.-L. No. 6114. 6176. 6690. 6713 (an gleichem Tage mit der Abweisung 
des Anspruchs auf Goudargues). 6895. Dass Calixt IL schon als Erzb. v. Vienne 
dem Abt von La Chaise Dieu eine Bestimmung zur Reformierung der Klöster an 
seinem Metropolitansitze gegeben habe, sagt er selbst No. 7122. 

16* 



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244 Fünftes Capitel. 

der keine gültige Unterbrechung erfahren habe®^). Von den Päpsten 
führt Paschal IL bei Bestätigung des zweiten der bischöflichen Urteile 
ein Diplom Ludwigs d. Fr. als eine Urkunde von Belang nicht deshalb 
an, weil es Art und Hergang der Verknüpfung von Goudargues mit Aniane 
darlegte, sondern weil es über das Mass der Rechte an Goudargues Aus- 
kunft giebt®®). Unter OaUxt II, entschied 1119, als der Papst bereits den 
Mönchen von La Chaise Dieu nach Prüfung ihrer „Schriften** die von ihnen 
wider Paschais Spruch eingelegte Berufung verwiesen hatte, nun wider Erz- 
bischof Atto von Arles, der. jetzt auf den Plan trat, ein aus zahlreichen 
Oardinälen, Bischöfen und Äbten gebildetes Gericht allerdings vornehm- 
lich auf Grund eines Diploms Ludwigs d. Fr. Indes gerade diese Be- 
gründung ist geeignet, den noch beschränkten Umfang der Beweismittel 
zu beleuchten, die 1119 dem Kloster Aniane im Streit zu Gebote standen. 
Das Diplom Ludwigs stellen sie nämlich dem Diplom Karls d. K. völhg 
gleich, indem sie beide als Bestätigungen bezeichnen ^^^): sie meinen also 
nicht das Diplom von 815, die Erstschenkung von Casanova, sondern 
die Pancarta von 837, durch die jene wirklich bestätigt ward, auf die 
auch das Diplom Karls sich bezieht. So hatten sie zwei Königsurkunden 
vor sich, die beide zwar unter anderm den Besitz von Casanova betreffen, 
deren keine aber ein Kloster zu Goudargues kennt, keine eine Verlegung 
nach Goudargues: Goudargues wird ohne weiteres, vielleicht mit Hecht, 
für das alte Casanova genommen. Und da P. Calixt erst jetzt, bei Be- 
stätigung dieses Erkenntnisses, dem Erzbischof und seinen Mönchen die 
Auslieferung der einschlagenden Urkunden auflegt, da P. Honorius IL 1127 
diesen Befehl erneuert ^^^), so darf man vermuten, dass jenes Einzeldiplom 
über Casanova, Ludwigs erste Schenkung dieser Zelle, von den alten Erz- 
bischöfen Rostagnus, Manasse und Iterius auf ihren späten Nachfolger 
Atto gebracht, bei der Kirche Arles und den Mönchen von La Chaise 



98) Gall. Chr. VIJ. 297 No. 5; Ja.-L. No. 6348 (Gall. ehr. VIJ. 298 C: dass 
von den Maurinern mit Unrecht dieser Erlass Paschais als einfache Bestätigung- 
des Spruches unter No. 5 bezeichnet wird, liegt auf der Hand). 

99) Ja.-L. No. 6348 (sicut a Lodoico imp. concessum . . per instrumenti re- 
galis memoriam declaratur). Da die Mönche von La Chaise Dieu in ihrer Hart- 
näckigkeit nicht nur die Echtheit der Briefe bestritten, wodurch die Bischöfe ihr 
Urteil kundgemacht, sondern auch noch das Zeugnis anfochten, das diese darauf 
ihren Briefen ausgestellt hatten, lies Paschal H., als durch die Cardinäle „iterato 
judicio" — mehr erfahren wir nicht — der erneute Versuch abgewiesen worden 
war, eine schlichte Bestätigung folgen (Ja.-L. No. 6409). 

100) Ja.-L. No. 6714: Donationis scripta quae Arelatensis ecclesie a rege 
Lodoyco Bosonis filio post Lodoyci imperatoris, Magni Karoli filii, et filii ejus. 
Karoli confirmationes . . coUata sunt, robur nuUum obtinere : quod enim Deo semel 
oblatum fuerat ab aliis ulterius aliis non potuit erogari. 

101) Ja.-L. No. 6714: Instrumenta cartarum ab Archiepiscopo et monachis 
Casae Dei vobis — abbati et monastorio Anianensi — reddi precipimus. P. Ho- . 
norius ü. an dieselben No. 7290: Munimenta quae a monachis Casae Dei super 
ecclesia de Gordanicis habentur, vobis . . reddantur: übrigens samt No. 7291 ein 
abermaliges Zeugnis der Anerkennung, die der Anspruch Anianes bei den ver* 
schiedenen Päpsten fand. 



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Das Verhältnis der reformierten Klöster unter einander. 245 

Dieu verblieben, den Mönchen von Aniane bis dahin entzogen gewesen 
war. In diesem Falle würde das Diplom seine Erweiterung erst nach 
1119, vielleicht im sorgenden BUck auf die Möglichkeit, dass die so oft 
empfiindene Hartnäckigkeit der Gegner vor neuem Papst zu neuem 
Streit führen werde ^®^), gar erst nach 1127 erhalten haben — auch da 
noch früh genug für das Oartular, worin es so nun aufgenommen wurde. 
In keinem Falle kann man sagen, dass der Hinweis der Bischöfe auf 
die „Bestätigungen Kaiser Ludwigs und König Karls" die heutige Ge- 
stalt der Schenkungsurkunde Ludwigs verbürge. Wie sehr Aniane hier 
mit dem Gegenstand seines Anspruchs im Recht gewesen sein mag, 
wie leicht sich vorstellen lässt, dass Casanova „propter compendium et 
utilitatem loci" vor dem Ende des neunten Jahrhunderts in die Ortschaft 
Goudargues gezogen worden sei, wie nahe also die eingeschobene Erzählung 
dem wahren Hergang kommen mag, des Vorwurfs der Verunechtung 
der Urkunde wird Aniane nicht ledig. 

Mit dem andern Anspruch, dem auf Gellone, der schon der sach- 
lichen Begründung ermangelte, ist Aniane auch nicht durchgedrungen, 
bei den Päpsten seit Emenos Amtsantritt so wenig wie bei den früheren. 
Das aller Entscheidung über Goudargues vorangegangene Urteil Urbans II., 
auf dessen Bestätigung durch P. Eugen HL ich schon oben hinweisen 
musste, ist zwar dem Wortlaut nach unbekannt, aber da P. Eugen die 
Bestätigung nicht in einem Privileg für Aniane, sondern in einem für 
Gellone erteilte*^"^), so kann über seine Richtung kein Zweifel aufkommen. 
Es muss Vorgeben und Forderung der Mönche von Aniane ebenso ab- 
gewiesen haben, wie der aus Anlass ihrer Auflehnung gegen den Sprengel- 



102) Gekommen ist's freilich unseres Wissens zu einem gerichtlichen Ver- 
fahren nach 1127 nicht mehr. Denn sichtlich mit unrecht bezieht Loewenfeld 
(der durch seine firstlingsabdrücke päpstlicher Erlasse sich gerade um die Er- 
hellung dieses eigenartigen Streites verdient gemacht hat) unter Ja.-L. No. 9940 
und vor seinem Abdruck (Epist. Pontif. 119 No. 220) den Ausführungsbefehl des 
P. Anastasius IV. (1154) an den Erzbischof v. Narbonne auf einen Schied zwischen 
Goudargues und Aniane („cogat fratres Gordanicenses ut compositionem ab ipso 
inter eos et monachos Anianenses factam observent*): der Spruch war vielmehr 
ergangen zwischen Aniane und dem Chorherrenstifte Valcrose (Arrond. Uzes) und 
das Lemma muss heissen „cogat fratres Valliscrosenses ut compositionem ab epi- 
&copo Magalonensi . . inter eorum antecessorem et Anianense monasterium factam 
observent*. Die dem Kloster Aniane günstige Entscheidung des Bischofs von 
Maguelonne (Gall. ehr. VI, J. 355 No. 18: sie hebt das von Loewenfeld nt. b zu 
eorum angedeutete Bedenken — vgl. oben S. 99 Anm. 108) ist gerade durch den 
Prior von Goudargues erwirkt, entsprechend der Verbindung seines Klosters mit 
Aniane. 

103) Ja.-L. No. 8947: Sententiam vero illam, quam . . papa Urbanus inter 
vos et Anianenses monachos promulgavit et scripto suo firmavit, ratam et incon- 
vulsam manere censemus. Schon Dom Sort (1705) konnte Urbans Entscheidung 
nicht mehr finden. Warum Vinas sie der Zeit um 1092 (vgl. Revillout a. a. 0. 512), 
warum die Bollandisten sie (Mai VI, 820) dem Jahre 1090 zuwiesen, weiss ich 
nicht: am ehesten liess sich vermuten, dass Gellone sie damals erwirkt habe, als 
«ie Urban den «Mönchen von Aniane so heftig wegen ihres Verhältnisses zum 
Sprengeloberen grollen sahen, also 1095 (oben S. 41 f). 



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246 Fünftes Capitel. 

oberen unter dem nämlichen Urban ergangene Spruch, dessen Bestätigung 
sich gleichfalls nur in den Privilegien des anderen Teils findet. 

Und erhalten hat sich ein Privileg Cahxts IL aus dem Jahre 1123^ 
worin er „folgend den Spuren" einiger seinerVorgänger, darunter Alexander IT. 
und Urban II., dem Kloster Gellone seinen Schutz zusagt und auch die 
Versicherung erteilt, dass es nur dem apostolischen Stuhle unterworfen 
sein solle ^^% — also gleichartig dem zweiten Privileg Alexanders II. Nur 
dass die Gnadenbezeigung Calixts II., wie inmitten des Schiedes Urbans, 
der den laut gewordenen Anspruch Anianes bezeugt, und seiner noch 
unter Eugen III. erforderHch gewordenen Bestätigung, zuversichtlicher 
als die Alexanders 11. in Beziehung auf den Streit gesetzt werden darf: 
bei ihrer Zeitstellung kann ihr diese Beziehung nicht fehlen. Denn wenn 
schon dies Privileg den Anspruch Anianes nicht ausdrücklich zum Gegen- 
stand der Abweisung macht, wie es von Urbans Schiedsspruch voraus- 
zusetzen ist, den Namen Aniane nicht nennt, so deutet doch die Betonung 
der Ausschliesslichkeit der Unterwerfiing von Gellone unter den römischen 
Stuhl sichtlich auf eine von anderer Stelle her erhttene und noch zu be- 
sorgende Anfechtung der Selbständigkeit des Klosters, die es nun wider alle 
und jede Bedrohung sichert. Dass dies der Sinn der Untei'werfiing unter 
den römischen Stuhl allein, die Wirkung seines jeden andern aus- 
schliessenden Schutzes sei, lehrt die vorher und nachher getroffene Ent- 
scheidung mancher Irrung ähnlicher Art. Ich führe nur zwei Fälle an, 
wo es sich um Verhältnisse handelt, die zwar nicht wie das zwischen 
Aniane und Gellone eine Pflanzung, die Abgabe von Besiedlern, aber 
in analoger Weise gespendete Reform zur Grundlage haben. Unter 
P. Urban 11. genügte die Wahrnehmung, dass das Kloster Psalmodi 
laut seiner Privilegien ausschliesshch der römischen Kirche unterworfen 
sei, zur Lösung der Bande der Abhängigkeit von St. Victor zu Marseille, 
welche die reformierende Hand Abt Bernhards von St. Victor darüber 
geworfen hatte. Die gleiche Ausschhesslichkeit der Beziehung zur rö- 
mischen Kirche sollte nach der Meinung des P. Innocenz IL dem Kloster 
St. Bertin, als er es für frei von Cluny erklärte, die Freiheit für immer 
gewähren ^^'^). 



104) Ja.-L. No. 7044 (jetzt Bullaire du p. Calixte II 2, 153) in solius apo- 
stolicae sedis subjectione permaneat. — In einem kurz vorher getroffenen Rechts- 
spruch (nach den Namen der Richter zwischen 1113 und 1121), der die Unab- 
hängigkeit des Klosters Joncels von Psalmodi zur Feststellung brachte (Gall. ehr. 
VI, J. 134), heisst es von einem vorgebrachten Beweisstück des Klosters Psalmodi 
verdächtigender weise „in pape Paschalis privilegio monasterium Juncellense inter 
alias ecclesias Psalmodiensi monasterio pertinentes tantum erat annotatum": wäre 
anwendbar auf den Namen Gellone in Ludwigs d. Fr. Diplomen für Aniane. 

105) Ja.-Lfd. No. 5796 vgl. Gall. ehr. VI J. 185 E (nulli alteri ecclesie Psal- 
modium debere subjici nisi Rom. ecclesie, nemini subjici nisi dorn. pape). St. Bertin 
hatte bei seiner ersten Lösung von Cluny von Pasch al II. die einfache Zusage des 
Schutzes erhalten (Ja.-L. No. 6322 sub tutelam et protectionera sedis ap. suscipi- 
mus); bei der zweiten lautete die Verfügung Innocenz' IL (Ja.-L. No. 8016j eundem 
locum sub solius Romane ecclesie ditione atque tutela perpetuo permanere decer- 
nimus. Also ein Verhältnis wie das zwischen den zwei Privilegien- Alexanders II. 



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" OF THE ^y 

ÜNIVERSFTY 

Das Verhältnis der reformierten Klöster u^^^^^M^^^ 247 

Von diesen beiden Entscheidungen hat, wenn man die Stellung und 
Haltung derer ins Auge fasst, von denen sie ausgingen, die eine, die im 
Privileg Calixts II. enthaltene, ihren besonderen Belang, voraus vor dem 
Schiedsspruch Urbans II. Urban mag nicht fiir jedermann frei von 
dem Scheine sein, dass er bei seinem Spruch dem Groll nachgegeben 
habe, der ihn wegen der Unbotmässigkeit der Mönche von Aniane gegen 
den Sprengeloberen, wie massvoll er sich auch darüber äusserte, doch 
wohl ergriffen hatte. Anders Cahxt IL Sein sonst dem Kloster des 
h. Benedict auch gegenüber einem Erzbischof, dem von Arles, zugewandtes 
Wohlwollen, namenthch seine Überweisung der gleichfalls reich aus- 
gestatteten Zelle Goudargues^^®) hält den Verdacht fem, dass, als er 
Gellone, die andere der Gründungen Graf Wilhelms, in ihrer Selbständig- 
keit wahrte, Eingenommenheit gegen Aniane sein Urteil getrübt habe. 
Eher macht der Umstand, dass die Fortsetzung gerade von diesem P^pst 
rührt, den Ungnmd des Anspruchs von Aniane noch wahrscheinlicher. 
Unbefangener Erwägung entsprungen wird sie nur einem Verhältnis 
Ausdruck gegeben haben, wie es die Urkunden mit sich brachten, einem 
Verhältnis, das wirkhch, vermuthch seit Benedicts Weggang von Aniane, 
schon im neunten Jahrhundert bestand und im zwölften lediglich er- 
neuerter Sicherung bedurfte. 

für Gellone: im ersten der gewöhnliche Schutz, im zweiten „nuUi loco subjaceat 
nisi huic s. Rom. ecclesie" (Ja.-L. No. 4592. 4645: oben Anm. 83 u. 89). 

106) Ja.-L. No. 6714 und 6716; Besitz zahlreicher Kirchen (davon mehrere 
später als Priorate erscheinen) der Zelle Goudargues 1130 gesichert und, da er 
von dem seit 1096 bezeugten Bischof Raimund von üz^s rührte, vielleicht schon 
früher vorhanden: Ja.-L. No. 7432 ungedruckt. 



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Erster Excurs. 
(Zu S. 15 Anm. 11.) 

War Alkuin Mönch und herrsclite unter ihm zu St. Martin 
in Tours noch die Benedictinerregel? 



Mit dem Aufgebot seines reichen Wissens und seines Scharfsinns 
hat Mabillon den grossen Namen Alkuins als eines Getreuen des h. Bene- 
dict seiner Ordensgenossenschaft zu sichern gesucht^). Das überrascht 
den nicht, der den Eifer kennt, mit dem er, unzweifelhaft in gutem 
Glauben, bis zuletzt, noch in seinen Jahrbüchern des Ordens den Be- 
stand und die Ehren des Benedictinertums seine fleissige Feder wahren 
Hess. Aber den Beweis hat er nicht erbracht, die entgegenlaufenden 
Quellenberichte hat er nicht zu beseitigen vermocht. 

Ins vollste Licht tritt seine Ohnmacht, wo er sich am vornehmsten 
dieser Hindemisse abmüht, aii einem Satz, in den der Biograph 
Alkuins seine Ansicht über die ganze Lebensführung seines Helden zu- 
sammenfasst. Er stellt nahe dem Schluss seiner Vorrede unter den 
beiden im Frankenreiche hochragenden Zeitgenossen den einen, Benedict 
von Aniane, den Mönchen, ihn aber den Kanonikern als Muster auf. 
Mabillons Auskunft, dass unter den Kanonikern hier monachi laxioris 
vitae zu verstehen seien ^, zeigt nicht nur die Willkür seines Deutens, 
die noch die Raschheit übertrifft, mit der er anderwärts, wo die Quellen 

1) AA. SS. IV, 1 Elogium Alcuini § 9—24, spätere Fassung Annal. 11 1. 23 
§ 28. Hauck KG. 2, 120 nt. 2 stimmt ihm zu. Möller (Realencykl. f. prot. 
Theol.' I, 369) hatte, da er in Abrede stellte, dass A. „Mönch im eigentlichen 
Sinne gewesen*, die richtige Empfindung, der er nur nicht den genügend scharfen 
Ausdruck gab. Dümmler berührt (Allgem. Biogr. d. D. I unter Alkuin und N. 
Arch. 18) die Frage nicht. 

2) Vita ed. Wattenb. (Jaff6 Bibl. VI) S. 5 = ed. Aradt (M. G. SS. XV) 
S. 185; Mab. Elogium § 20: in der späteren Fassung Annal. II a. a. 0. die Be- 
hauptung, dass unter Kanonikern Mönchsgenossenschaften an Kathedralen verstanden 
werden könnten, was um so weniger hier zutrifft, da Alkuin seit dem Weggange 
von York mit keiner Kathedrale mehr verbunden war. 



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War Alkuin Mönch und herrschte unter ihm noch die Benedictinerregel? 249 

Kleriker vorführen, wohlgemut Mönche sieht und sehen lässt, sondern sie 
giebt auch Anstoss wegen ihres inneren Widerspruchs, der ein unerträg- 
licher ist. Neben einem Benedict, dem Vorbild wahrer Mönche, er das 
Vorbild für Mönche erschlaffter Regelstrenge, also des Masshaltens in 
der Erschlaffung. Und welch ein Gewinn dem Benedictinertum ein 
solcher Alkuin! 

Unbefangene Leser werden bei der einfachen Ansicht bleiben, dass 
Alkuin von seinem Biographen als Muster der Kanoniker angesehen 
wurde und es deshalb wurde, weil er eben selber ein rechtschaffener 
Kanoniker war. 

Dem entspricht seine Lebensweise. Nach dem Bericht des Augen- 
zeugen Sigulf bewohnte Alkuin innerhalb der Umhegung von St. Martin 
ein eigenes Haus, abgesondert von den Brüdern, was die Regel nicht 
einmal als Möghchkeit vorsieht, da sie vielmehr nur bei Uberfiillung des 
Klosters die Forderung gemeinsamen Schlafens in einem Räume nachlässt^). 
Er erhob sich zum Gottesdienst nur in Fastenzeiten bei Nacht, sonst 
erst mit Tagesanbruch. Also übt er selber eine Gewohnheit, vor deren 
Annahme er die Brüder der Kirche zu Salzburg, eben weil sie Mönche 
sind, warnt, wie sie denn später der Biograph eines ehemaUgen Chorherm 
von St. Martin zu Tours, Odos von Cluny, unter diejenigen rechnet, 
deren Eindringen die alte Benedictinergenossenschaft von St. Martin zu 
Fall gebracht habe*). 

Einen anderen Beitrag zu unserer Kunde von Alkuins Verhältnissen 
liefert ja sein Gegner, Bischof Elcpand von Toledo, der ihm bekanntUch 
den Besitz übermässigen Reichtums zum Vorwurf macht, aber nur indem 
er allgemeine Bedenken religiöser Art auf Grund biblischer Aussprüche 
verlauten lässt: dass Sondereigen an und für sich Bruch der Regel sei, 
verhält er — in seiner Erbitterung wider Alkuin sicherlich nur deshalb, 
weil ihm gegenüber diese Rüge nicht angebracht war^). 

Dass Alkuin sich selbst nie als Mönch bezeichne, liess Mabillon mit 
Recht als einen Einwand wider seine Ansicht nicht gelten: auch nicht 
Abt nenne er sich, obgleich er Abt war und auch in den Urkunden 
seines Königs den Abtsnamen führt. Aber statthaft ist der andere Ein- 
wand, dass Alkuin in seinen zahlreichen Briefen an Mönche nie kundgiebt. 



3) Vita c. 11 = M. G. c. 18 domum Albini: in besonderem Hause die Brüder 
c. 11 = c. 19. Dagegen Regul. S. Bened. c. 22 (in uno loco dormiant) c. 33 (omnia 
Omnibus sint communia) : nur wegen der Gäste (c. 56) eine coquina abbatis c. 53. 

4) Vit. c. 14 = M. G. c. 25; Epist. Alk. No. 90 = M. G. No. 168 (Fratribus 
JnvavensiB ecclesiae : diese Mönche an der Kathedrale Kanoniker zu nennen, kommt 
ihm nicht bei) S. 276 1. 28: nee quisquam se canonicis horis vel regularibus 
psalmis subtrahat, am allerwenigsten „die Väter und Hirten" (Epist. No. 27 ==^ 
19 S. 54 1. 18 omne bonitatis exemplum in vobismet ipsis ostendite). — Vit. Odon. 
Clun. abb. 1. HI (Bibl. Clun. S. 42) : . . persistente monastica congregatione apud 

ecclesiam b. Martini coeperunt modum suum consuetudinesque relinquere; 

ad laudes nocturnas ne aliquo pedem modo offen derent cum luce diei surgebant. 

5) Epist. Alk. No. 122 = M. G. 182 S. 302 1. 9—22. Vgl. Regul. S. Bened. 
c. 33 und Alkuin selbst Epist. No. 90 — 168 S. 276 1. 15 nemo aliquid suum 
esse dicebat: hoc non solum in saeculari substantia servandum arbitror u. s. f. 



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250 Erster Excurs. 

dass er, durch Gebets Verbrüderung ihnen geeint, auch in Gemeinschaft 
des Gelübdes mit ihnen stehe, dass er wie sie den Urheber der Regel, 
als seinen Vater ehre. Und ein Benedictiner hätte in Ermahnungen, die 
an unzweifelhafte Benedictiner sich richten, die besonderen Gebote der 
Regel fleissiger und eingehender zur Darlegung bringen müssen als er, 
der auch wo er die von ihr so breit behandelten Pflichten des Gehorsams, 
der Selbsterniedrigung einschärft, fast nur die heihge Schrift alten und 
neuen Testaments anzieht. Diesen Briefen Alkuins eine innige Vertraut- 
heit mit dem Grundgesetz des Ordens abzulesen, ist auch Mabillon nicht 
im stände gewesen. Und wer wie mancher neuere Forscher mit Mabillon 
meinte, dass sie seinen Eifer bezeugen, „das klösterliche Leben nach 
Kräften zu fördern", strenge Zucht nach der Regel wiederherzustellen, 
kann sich doch nicht der unerwarteten Wahrnehmung entziehen, dass, 
wenn Alkuin es auch keineswegs an Nachdruck des Hinweises auf die 
Begel und der Empfehlung regelgerechten Lebens im ganzen fehlen liess, 
doch seine Mahnungen und Warnungen im einzelnen neben Weisheits- 
sprüchen des A. T. nur die Grundgebote Christi und der Apostel zur 
Entfaltung bringen, mit denen er, wie ein Weltgeisthcher vor seiner Ge- 
meinde, auch Mönchen gegenüber auskam*). 

So wird denn der an einer vorderen Stelle der Lebensgeschichte 
begegnende Ausruf O vere monachum monachi sine voto, der eine von 
Alkuin in seiner Jugend geübte Tugend preist, sich zwar auch in seinem 
zweiten Teil, was die Gelübdelosigkeit angeht, auf Alkuins Jugendzeit 
beziehen, aber nicht, wie Mabillon will, sich auf sie beschränken '). Wäre 
dies die Meinung des Verfassers gewesen, so hätte er ein zwiefaches ver- 
gessen: hier die Ergänzung seiner Zeitbestimmung durch Worte wie tunc^ 
adhuc oder der gl., und im weiteren Verlauf seiner Geschichte die Angabe, 
dass die Freiheit der Frühzeit nachmals aufgegeben, das Mönchsgelübde 
doch noch abgelegt worden sei^). Demnach ist Alkuin von einer Ver- 
pflichtung auf die Regel fi'ei gewesen und geblieben, ist Kanoniker gewesen 
noch als er dem Ruf zum Abtsstuhl von St. Martin Folge leistete. 

Diese Erörterung berührt die Frage nach Karls d. Gr. Anteil an 
den Reformbestrebungen, die schon in seiner königlichen Zeit unter den 
Benedictinem einsetzten und so rasch rege Teilnahme fanden, dass zu 
Aniane für die auf 300 gewachsene Menge der Mönche ein erweitertes 
Kloster bereits einige Jahre vor Alkuins Ernennung zum Abt von 



6) In den Briefen der Benedictiner Paulus Diakonus und Abt Theodemar 
heisst der Urheber der Regel pater noster Benedictus, communis pater et praeceptor 
(ed. Dümmler M. G. Ep. IV, 507 1. 13. 30; 510 1. 19; 511 1. 23), abeit Alkuin spricht 
£p. 27 = M. G. 19 S. 54 1. 22 nur von regula Sti Benedicti. — Alkuins Briefe an 
Mönche No. 27. 75. 90. 93. 128. 186. 247. 249. 269. 277 = M. G. No. 19. 117. 168. 
137. 90. 250. 187. 219. 271. 138. Anders Benedict von Aniane (Vit. c. 40 Mab. 
ostendens monita regulae). . . 

7) Vit. c. 3 = c. 7 S. 187 1. 45. — Haurean schliesst hieraus gar, das« 
Alkuin Weltgeistlicher gewesen (GalJ. ehr. XVI, 154), indem er beifügt, dass er 
die Brüder zu seinem Stande herübergezogen habe. Eben damit setzt er seine 
Meinung von Alkuin auf eine Probe, die sie nicht besteht: am Ende der Regierung 
Karls war St. Martin ausgesprochenermassen Kanonikerstift (unten .Anm. 19). 



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War Alkuin Mönch und herrschte unter ihm noch die Benedictinerregel? 261 

St. Martin gebaut werden musste. Ist es denkbar, dass Karl d. Gr., als 
er statt einem Mönch oder Abt aus der Schar der Zöglinge Benedicts 
von Aniane einem Kanoniker die Leitung von St. Martin anvertraute^ 
die ernstliche Absicht hegte, diese Genossenschaft, die in ihrer Lebens- 
führung schon damals zwischen Mönchen und Chorherren schwankte^ 
wiederum der Benedictinerregel zuzuführen? 

Zu so tiefgreifendem Vorhaben hat sich Karl selbst nicht bekannt. 
In dem einzigartigen Briefe an den „Magister und die Congregation" zu 
St. Martin, der aus diesem Herrscherleben einen AugenbUck überwallen- 
den Zorns uns festhält, sagt er, da er doch die Brüder den ganzen 
Abstand zwischen ihrem damaligen und dem ihnen zugedachten Stande 
fühlen lassen will, dass sein Erwählter sie durch Wort und Wandel in 
rechter Lebensführung habe unterweisen sollen, nichts weiter*). Und 
wenn Alkuin in seiner Erwiederung auf die ihnen gemachten Vorwürfe 
sie genügend durch die Versicherung gerechtfertigt hält, dass sie ihren 
IdrchUchen Pflichten würdiglich oblägen wie niu* andere an anderen 
Orten, so eigneten kirchUche Pflichten insonderheit den Kanonikern. Be- 
teuert er aber von sich selbst, nicht säumig gewesen zu sein mit Vor- 
haltungen „de honestate vitae monasteriaJis", so überrascht die Gleich- 
artigkeit seiner Ausdrucksweise mit der Fassung, in der einst Bonifatius 
den Brüdern zu Fritzlar, also Stifbsherren und nicht Mönchen, die Mahnung 
zukommen liess, „monasterialis normam vitae" mit Eifer zu beobachten; 
mehr aber als dies von ihm zu erwarten ist demnach der Herrscher — 
denn auf diese Versicherung beschränkt sich seine Selbstverteidigung 
— nicht berechtigt gewesen. Alkuin hat denuiach von Karl nicht 
einmal, wie Abt Ansegis zu St Wandrille unter Ludwig d. Fr., die 
Bestimmung erhalten, durch Hereinziehung von Mönchen eines Muster- 
klosters zu St. Martin die Regel wiederherzustellen**). 

In der That ist denn die Erneuerung des regelgemässen Lebens, die 
später dem benachbarten Marmontier-les-Tours samt seinen Zellen weit- 

8) Mühlb. No. 385 Ep. Alk. No. 182 S. 645 = 247 S. 400 1. 38: rectorem . . vobis 
elegimus . . qui et verbis et admonitionibus . . rectam vitani instruere et quia 
religiosus erat, bonae convorsationis exeniplo potuisset informare. Nichts von Regel 
und regelgemässem Leben. Geht hier religiosus auf den Stand (im Unterschied 
von dem in der Welt stehenden Geistlichen), so begegnet religio und religiosus 
auch in den Ordnungen für Kanoniker und Kanonissen (Mansi XIV, 149 B. 267 E.). 

9) Ep. 184 S. 647 = 249 S. 402 1. 8 vgl. mit Ep. ßonif. ed. Jaffö No. 64 
(Bibl. 3, 183: oben S. 18). Ohne weiteres erschliesst die Bedeutung des Wortes 
monasterialis Flodoard, der Hinkmars Wortn von seiner Bildungszeit in monasterio . . 
sub canonico habitu educatus (00. ed. Sirm. II, 304) durch monasteriali religione 
nutritus wiedersieht (Hist. Remens. III, 2. SS. XIII, 475 1. 10). — Dass Abt Ansegis 
Kanoniker gewesen, macht der Bericht der Gesta abb. Fontan. sehr wahrschein- 
lich; da wird nicht angegeben, dass er irgendwo das Gelübde auf die Regel abge- 
legt, sondern nur (wie Alkuin nach Vit. c. 6 — 9 S. 190 1. 16) die Tonsur, also 
das Zeichen der niederen Weihen, sie noch dazu aus der Hand Abt Geroaids, eine» 
Kanonikers, erbalten habe (Gesta c. 17 SS. II, 293 1. 16 vgl. S. 294 1. 16): durch 
die von ihm in St. Wandrille erneuerte Regel ist er selbst nicht gehindert worden, 
res transitorias zu besitzen und über gazas suas zu namhaftem Teil erst letzt- 
willig zu verfügen (S. 294 1. 42; 298). 



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252 Erster Excurg. 

hin im Norden von der Loire und in England eine grosse Bedeutung 
brachte, zu St Martin unter Alkuin ausgeblieben. Kraft und Müsse 
dazu nahmen oder minderten ihm schon die mannigfachen Geschäft^e, die, 
auch im Dienst des Königs, ihn oft von Tours wegftihrten — nennt er 
«ich doch selbst einen hin und her schweifenden Hirten, der ein Fluch 
sei für Christi Schafe. Und er scheint auch nicht gerade geneigt gewesen 
zu sein, der vollen, ausschliesslichen Geltung der Regel den Preis zu 
geben. Denn den in jenem Zomesbriefe Karls über die Brüder von 
St. Martin geschleuderten Vorwurf der Zwieschlächtigkeit — „bald nanntet 
ihr euch Mönche, bald Kanoniker, bald keins von beiden" — lehnt er 
nicht ab. Sicherlich zumeist weil er es nicht konnte; aber die Rüge 
wird ihn auch, wie er in einem nahezeitigen Briefe an Erzbischof Am 
über „die Genossenschaften, die zwischen Mönchen und Kanonikern die 
Mitte halten", urteilte, nicht sonderUch geschmerzt haben : „auch sie", sagt 
er, „sind nicht zu verachten" ^^). 

So weisen denn auch die Dinge zu St. Martin unter Alkuin und 
am Ende seines AValtens gleich wenig wie die vor seiner Zeit auf volle 
Übereinstimmung mit der Regel, auf ein wenigstens durch ihre Grund- 
gebote bestimmtes, auf ihre letzten Ziele gerichtetes Leben. Ein von 
ihm wahrecheinlich vor seinem Amtsantritt an die jugendlichen Zöglinge 
von St. Martin geschriebener Brief setzt den möghchen Fall, dass sie 
Sondereigen haben und darüber fort und fort verfügen dürfen; aber die 
Regel heisst die Novizen gleich bei ihrem Eintritt sich ganz davon los- 
machen^^). Also kann er keinen darunter gewusst haben, der es auf 
Mönchsleben abgesehen hätte: er unterlässt auch jede Andeutung künf- 
tiger Bindung durch die Regel, er führt keine der Stellen an, wo sie 
seiner über dieses ganze Schreiben verbreiteten Ermahnung zu fleissiger 
Beichte entgegenkommt. Das Ziel ihrer Erziehung ist der Dienst Gottes 
schlechthin, ihre Lehrer sind nicht Mönche, soodem, wie sie in der feier- 
lichen Aufschrift heissen, ecclesiastici magistri. Ebenso aber bezeichnet 
Alkuin nachmals, schon seit langem Abt, von Ort und Stelle aus die 
Genossenschaft zu Tours als fratres in ecclesia Sti Martini Deo fideliter 
servientes und seine eigene an ihnen geübte Berufsarbeit als servitium 
Sti Martini fidei cathoUcae et ecclesiasticae sanctioni proficuum^-). Und 



10) Ep. 192 S. 674 = 258 S. 416 1. 17 mit der auffallend dürftij?en Begrön« 
düng quia tales maxime in domo Dei inveniuntur. Noch bei Lebzeiten Karls war 
€8 gerade die Synode von Tours, die (813) das Vorkommen dieser Mischgattung in 
ihrem Beieiche hervorhob, im Gegensatz zu der gleichzeitigen von Chalon s./S. 
in den altburgundischen Landen (Mansi XIU, 87 c. 2t5. 98 c. 22). Pastor erra- 
bundus Ep. 75 = 117 S. 172 1. 15. 

11) Ep. 154 = 131 (der Brief zeigt ihn noch nicht als Abt, als Oberen: den 
Lehrern, die er hier M. G. S. 194, 9 als heilige Väter bezeichnet, nicht ihm sind 
die jungen Leute anbefohlen 8. 194, 11 discipulos vestros, 198, 20. 24 filios vestros) 
S. 197 1. 10 si habes unde pauperibus porrigere possis; dagegen Reg. S. Ben. c. 58 
res si quas habet (suscipiendus) aut eroget prius pauperibus aut facta . . dona- 
tione conferat monasterio. — Auch nach Alkuins Brief 234 -- 259 S. 417 1. 18 
sind die Adressaten infantes et pueri, nicht Novizen. 

12) Wo er an wirkliche Mönche schreibt (vgl. oben Anm. 6), findet sich dort 



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War Alkuin Mönch und herrschte unter ihm noch die Benedi ctinerregel? 253 

noch zuletzt, als er nach- gethaner Arbeit ruhen wollte, konnte er aus 
der Schar seiner Zöglinge zu Nachfolgern in seinen Ämtern dem Herr- 
scher nicht Mönche in Vorschlag bringen, sondern nur Kanoniker. So 
für St. Martin den Diakonus i^idugis, über dessen Verhalten ich gleich 
hier eine Bemerkung und im zweiten Excurs noch weitere machen werde^ 
für Ferneres den Riester Sigulf, den freiUch die Hut der gottesdienst- 
Uchen Geräte, vielleicht auch der Rehquien und des Schatzes der Kirche 
von York in der Verwaltung schon geübt hatte, der aber, lange nach 
Alkuins Tod noch Kanonikus verbleibend, sich erst in hohem Alter zur 
Annahme der Regel gewinnen liess ^% In Dauer und Bestand über 
Alkuin hinaus findet man zu St. Martin auch eine Einrichtung, die er 
trotz ihrer Regelwidrigkeit, so wie sie von seinen Vorgängern auf ihn 
gekommen war, auf seinen Nachfolger hat gelangen lassen: die Güter- 
teilung zwischen dem Vorstand und den Brüdern, die zwar den Grund- 
satz omnia omnibus communia, einen der vornehmsten der Regel, aufhob,, 
aber mit Stiftsverfassung so wohl verträgUch war, dass sie sich behaup- 
tete, als St Martin längst ausgemachtes Kanonikerstift war^*). Von 
solcher Zerreissung des Widums auf die Dauer, der "Überweisung der 
gesonderten Stücke an verschiedene, zuvor meist in Gegensatz zu einan- 
der getretene Inhaber bis zur Nachsicht, die den Eingetretenen ihr Erbe,, 
auch fahrende Habe, lässt, sind nur wenige Schritte: auch sie sind unter 
Alkuin schon gethan. Eine Eeuersbrunst, die zu seiner Zeit ausgebrochcD 
die Menschen im Münster aus allen Räumhchkeiten aufscheuchte, aber 
nicht Mönche, sondern nur Kleriker zum Vorschein brachte, zeigte auch 
solche, die kostbares Eigengut zu bergen suchten^*). Unter Alkuin so 

wenigstens eine .Andeutung, dass sie es sind und dass sie nach der Regel leben 
sollen: Ep. 27. 75. 90. 93. 186. 247. 249. 269. 277 = M. G. 19. 117. 168. 137. 250. 
187. 219. 271. 138. — EmpfehJung der Beichte und der Selbstanzeige eines Ver- 
gehens in der Kegel c. 4 ed. Wölffl. lin. 31. 37. c. 7 1. 101. c. 46. — M. G. S. 194 
1. 8. 3 in Dei servitio edocti, ab ecclesiasticis magistris vgl. mit Ep. 170 = 22^ 
S. 374 1. 12 fratres in eccl. S. Mart. fideliter servientes und 1. 5 servitium pp. — 
Die zwei auf die Regel hinweisenden Formeln, die Mabillon Elog. § 14 Ann. II 
1. 20 § 47 zum Beweis der damals noch zu St. M. bestehenden Regel dem Briefe 
Alkuins an die dasige Jugend beigefügt sein lässt, finden sich nicht da, sondern 
im Liber de Psalmor. usu (00. ed. Duchesne I, 130. 167). 

13) Über Fridugis und Sigulf Vit. Alk. c. 8 = 11. Sigulfs Wendung zu 
regelgerechtem Leben in Ep. Servati Lupi No. 29 ed. Bai. = 114 ed. Desdu . . Hauck 
KG. 2, 140 A. 2 glaubt, dass die Vit. Alk. c. 5 = 8 S. 189 1. 43 ihn in den Worten 
custos Hebonicae civitatis ecclesiae als Priester der Metropolitankirche bezeichnen 
wolle. Das gäbe eine schwer begreifliche Tautologie, da unmittelbar das Wort 
presbyter vorhergeht. Er bekleidete unter den Priestern der Kathedrale dasjenige 
Amt, dessen Inhaber nachmals unter gleichem Namen eine Stelle im Domcapitel 
hatte. Hinkmar hat seine grosse Laufbahn in kirchlicher Verwaltung begonnen 
als custos sacror. pignorum ecclesieque SS. Martyrum im Kloster St. Denis (Flo- 
doard H. Rem. LEI, 1 SS. 15, 475 1. 27). So erscheint denn auch unter den Be- 
amten der Klöster in den Unterschriften ein Custos, z. B. in St. Gallen (Form. 
S. Gall. misc. 20. 21. Form. S. Gall. 7 Zeumer S. 389, 4. 21; 401, 11). Stellen aus 
Flod. sammelt Schrörs Hinkmar S. 25. Weiteres unten Exe. II, A. 14b, 140 
und 14d. 

14) Mühlb. No. 182 (unter Hitherius: Königliche Bestätigung der Ordnung 



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254 Erster Excurs. 

gut wie vor Alkuin sieht Karl d. Gr., wenn er, in einer und derselben 
Urkunde, die Brüder von St Martin bezeichnen will, dort bald Mönche, 
bald sacerdotes ^*); aber die Ladung an das Hofgericht, die der Herrscher 
wegen des Auflaufs von 801 oder 802 ergehen liess, traf aus der Menge 
der Angeschuldigten keinen, der als Mönch zu bezeichnen gewesen wäre ^% 
Von Alkuin selbst erwartet man in seinen Briefen kaum ein offenes Ein- 
geständnis der zu St. Martin eingerissenen Abweichungen von der Regel: 
legt er doch einmal dem Abt Theotgar ans Herz, bei sich zu behalten, 
was imter ihnen wider die Vorschrift laufe; aber im Kreise seiner Ver- 
trauten, deren Mitteilungen seine Lebensgeschichte wiedergiebt, wusste 
man, wie wenig er sich selbst verhehlte, dass er, um unter der Herrschaft 
der Kegel zu sterben, anderswo seinen Sitz nehmen müsse ^'). Da er 
dies Bekenntnis als Greis ablegte, also nahe dem Ende seines Wirkens, 
ist es das Urteil über Richtung und Ergebnis seines ganzen Wirkens zu 
Tours, sofern das Benedictinertum in IVage kommt. 

Nach alledem nimmt es nicht wunder, dass von diesem grössten 
aller Vorstände von St. Martin, der gerade hier sich ein unvergängliches 
Verdienst um die wissenschaftliche Ausbildung von jung und alt aus 
dem Frankenreiche und auch aus England erworben hat, in den Er- 
innerungen eines Mönches von der Strenge und dem Eifer Odos von 



Abt Autlands, seines Vorgängers). 880 (unter Fridugis, der sich, aber nicht Alkuin 
eines Abbruchs an dieser Ordnung beschuldigte). Böhmer No. 1552. Die Feuers- 
brunst Vit. c. 11 "= 19: clerici preciosum quicunque aJiquid in domo sua habebant, 
foras mittobant. 

15) Mühlb. No. 241 (unter Hitherius) und 349 (unter Alkuin): gleichlautend 
beide in der Arenga (a sacerdotibus) , in der Verfügung (stipendia monachorum), 
in der Poena (abbas vel monachi . . recipiant, ut non delectet quae . . sacerdo- 
tibus sunt indulta, lacerari): vgl. unten Anm. 20. 

16) Frst Schmitz bat (Mon. tachygr. S. 35 nt.) die Ladung, einen willkom- 
menen Zusatz zu Mühlb. 385, entdeckt und entziffert: stellen sollen sich ausser 
Dekan und Propst der Kirche zwei benannte Priester et alii fratres, dazu sechs 
matricularii. 

17) Ep. ad TheotK. abb. No. 227 = 223 S. 366 1. 35. — Mabillon (Elog. § 24) 
meinte, das in der Vita c. 8 = 11 berichtete Vorhaben, sich nach Fulda zu wen- 
den, sei unvereinbar mit Alkuins Verlangen, in St. Martin zu bleiben, wie er es 
dem Herrscher durch Ep. 170 = 229 S. 374 1. 12 kundgiebt. Aber dieser Brief 
«tammt aus dem Jahre 801; auf jenes Vorhaben kam er, als er sich in seiner 
Greisenhaftigkeit „schwächer denn sonst '^ fühlte, d. h. wohl in seinen allerletzten 
Jahren. Warum hat M. G. Ep. IV, 404 nt. 1 (zu Ep. 250) die Nachricht der Vita 
die Erläuterung „sc. a. 796 '^ erbalten? Keine bestimmte Jahresangabe hat eine 
Stütze, am wenigsten eine so frühe: im Jahre 796 war Alkuin noch so rüstig, dass 
er die Leitung von St. Martin übernahm. Warum ersah er sich, als er dieser 
müde war, zur Ruhestätte nicht Cormery im Mundium von St. Martin und in 
gleichem Sprengel mit St. Martin? Es fällt ein Schatten auf Alkuin wie auf 
seinen Freund Benedict, wenn man erfährt, dass Cormery zur Besiedlung mit 
Mönchen des septimanischen Reformbereichs von dem einen hingegeben, von dem 
anderen angenommen ward, als die aus der Vorzeit überkommenen Wohnräume 
der Regel noch nicht entsprachen, und dass der reiche Alkuin seinem Nachfolger 
auch den Neubau der Kirche übrig liess (Mühlb. No. 857 . 



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War Alkuin Mönch und herrschte unter ihm noch die Benedictinerregel? 255 

Cluny aus seiner zu St. Martin kaum hundert Jahre nach Alkuin ver- 
brachten Jugendzeit keine Spur eingreifender Thätigkeit, durch die er 
den von Odo beklagten Verlall des regelgerechten Lebens zu St. Martin 
aufgehalten hätte, keine Spur seines Daseins, seines Namens verblieben 
ist^'^). 

Die späteren Benedictiner, Mabillon voran, und mit ihnen die neueren 
Forscher machen Fridugis, den Nachfolger Alkuins, verantwortiich: er 
erst habe die Abkehr von der Regel des h. Benedict, den Übertritt der 
Brüderschaft zur Stiftsverfassung bewerkstelligt. Noch im zweiten Bande 
seiner Jahrbücher des Ordens meinte Mabillon, dass Fridugis, nachdem 
er eine Zeit lang den Schein eines Benedictinerabts gewahrt, bald nach 
dem Tode Karls, als ob er auf den gewartet, in der ersten Zeit Lud- 
wigs d. Fr. zu dieser That geschritten sei^^). 

Aber gleich der Ansatz der Begebenheit unter Ludwig d. Fr. war 
ein Fehlgriff, der mehr ins Gewicht fällt als die etwa irrige Entscheidung 
der Frage, wer unter den Äbten der Schuldige, ob Alkuin, ob Fridugis. 
Eine Schenkungsurkunde des Grafen Helingaud für St. Martin aus dem 
13. Jahre der kaiserlichen, dem 46. der königlichen Eegierung Karls, 
also aus den letzten Monaten 813, nach dem neunten Oktober dieses 
Jahres, bringt, umfangreich wie sie ist, an nicht weniger denn drei Stellen 
mit Feierlichkeit die Bezeichnung der damals bereits ausgemachten Art 
der Brüderschaft: sie heissen an allen dreien gleichlautend „clerici qui 
secundum canonicam institutionem in sacro ordine sunt constituti" ^®). 

Demnach ist's nm^ Zufall, dass unter den fränkischen Königen Lud- 
wig d. Fr. als der erste erscheint, der die Brüder zu St. Martin in kei- 
nem seiner Diplome mehr Mönche, dagegen in dem einen ausdrücklich 



17b) Wie häufig auch Odo von Cluny auf St. Martin in Tours zu reden 
kommt, Alkuins erwähnt er nicht; auch seine Biographie auct. Joanne übergeht 
ihn lib. IIT z. Anf. (Marrier Biblioth. Cluniac. 42). Nachher wird von Odilo (Vit. 
Majoli: Biblioth. Clun. 284) Alkuin zwar hoch gepriesen, sein Wissen und Wandel, 
aber auch da seine Wirksamkeit zu St. Martin mit Schweigen übergangen. 

18) Mabill. Ann. 111. 28 § 10 (statim a monte Caroli) u. § 87 (im Jahre 818: 
so noch Piper M. G. Lib. confratern. S. Gall. S. 13). Als Benedictinerabt galt 
Fridugis, sagt Mabill. a. a. 0. § 86, den Mönchen von St. Gallen noch als sie ihn 
in ihr Verbrüderungsbuch eintrugen, an der Spitze zahlreicher fratrum de Turo- 
nis, nicht, wie sonst wo in diesem Buche Chorherren gemeint seien, fratrum cano- 
nicorum. Aber die Menge der fratrum coenobii S*i Petri Sanctorumque Otmari 
atque Bertini (ebenda S. 49) begreift doch neben den Mönchen von St. Bertin die 
Chorherren von St. Omer. Und der Spitzenführer Fridugis verleugnete doch für 
seine Person durchaus nicht den Kanoniker. 

19) Der erste Druck der in mehrfacher Beziehung (auch wegen domini nostri 
Karoli Magni imperatoris bei Karls Lebzeiten) wichtigen Urkunde ward von Ma- 
billon gebracht, indes nicht im zweiten Bande der Annalen, sondern nachträglich 
im dritten (daher -er noch den neuesten Bearbeitern der Denkmäler aus der Zeit 
Karls und der Geschichte Karls entging): append. No. 9. Aber der späte Fund 
setzte ihn wenigstens in stand, seinen früheren Ansatz des Wandels durch einen 
treffenderen zu ersetzen (UI, 1. 35 § 6). Vollständig haben wir die Urkunde (Mab. 
kürzte die Namenliste der Leibeigenen) nunmehr Gall. ehr. XIV J. S. 15 No. 12. 



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256 Erster Excurs. 

Kanoniker, in den anderen Kleriker nennt ^®). Es wäre auch an sich 
unwahrscheinlich, dass gerade Ludwig, beraten von Abt Benedict von 
Aniane, die Entscheidung der Dinge in dieser Richtung eher als in der 
entgegengesetzten herbeigefiihrt oder zugelassen hätte. Mag Karl dem 
Abt Fridugis, der noch unter seinem Regiment eine längere Reihe von 
Jahren auf dem Stuhl von St. Martin verbrachte als Alkuin, Urkmiden 
wie diesem erteilt haben oder nicht; mag er — denn trotz des Nach- 
lassens der Thätigkeit der Kanzlei in der kaiserUchen Zeit ist dies doch 
zu vermuten — ihm wenigstens eine Immimitätsbestätigung gewährt und 
darin die Brüderschaft in gleichem ZwieUcht wie in den Diplomen fiir 
Hitherius und Alkuin gehalten haben: keinem Zweifel unterüegt nun, dass 
St Martin zu Tours noch vor Karls Augen als ausgesprochenes Chorherren- 
stift getreten ist. 

Und sicherlich ohne ihn zu überraschen. Denn dass nicht zuvor 
des Kaisers Genehmigung eingeholt worden sei, kann man sich kaum den- 
ken. Zu gross war die Wichtigkeit, die von je für den Reichsdienst 
St. Martin mit seiner üppigen, aus jener Besitzesfiille Alkuins abzunehmen- 
den Ausstattung und nun noch mehr wegen der von Alkuin begründeten, 
unter seinem Zögling und Nachfolger keineswegs erloschenen Wirksam- 
keit seiner Schulstube hatte. Auch war es dem Kaiser persönUch schwer- 
lich gleichgültig, wer an dieser Stätte über den ihr anvertrauten Gebeinen 
seiner Gemahhn liutgard bete. 

Und fehlt ein Zeugnis ausgesprochener Billigung des Kaisers, so 
bemerkt man doch ein Anzeichen seiner Zustimmung. Den Grafen 
Helingaud, der in jener Urkunde von 813 nur auf das eigene und das 
Heil der Elterii und Grosseltem bedacht, also kinderlos, Schenkung von 
Gütern im Gau Meaux macht, darf man wohl in dem von Bischof Theo- 
dulf in einer Grabinschrift gefeierten „Helden" Helmengaldus wiederfin- 
den, der zu „Erben seines Reichtums Kirchen gesetzt", also keine Kin- 
der hinterlassen habe und nun „unter der Hut von Mönchen", also in 
einem Kloster, „Hierusahs", vermutlich dem westfi'änkischen unter dem 
Zunamen Jerusalem bekannten Rebaix eben im Gau Meaux ruhe: dann 
aber ist, da die Inschrift den nämhchen auch als hohen Beamten des 
Hofes kennzeichnet und an ihm die Einsicht und Gesetzeskunde des 
Staatsmannes hervorhebt, was denn auf den vom Kaiser mehrmals (799. 
802. 808) mit wichtigen Sendungen betrauten (trafen dieses Namens 
weist ^®^), die Schenkung an das „Kanonikerstift" St Martin aus der 



20) Der Auszug aus dem (ungedruckten) Zollbrief Mühlb. No. 612 (Aug. 816) 
beginnt Pancarte noire de St. M. d. T. pp. Mabille mit den Worten Ut canonici 
b. Martini. Die Bestätigung der Immunität Karls (oben Anm. 15) Mühlb. No. 609 
giebt anstatt monachorum, was sich noch dort ündet, clericorum und in der Poena 
rectores monast^rii statt abbas et monachi. Auch in No. 611 abbas . . et clerici, 
abbatem . . cum clero sibi commisso. 

20b) Zusammenstellung der Nachrichten über ihn bei Dümmler M. G, PoeL 
aev. Karol. I, 532 (Abdruck der Inschrift: Carm. Theod. 40) u. v. Simson Karl 2, 
553. Die Vermutung Mabillons (Ann. II 1. 27 § 88), dass Graf Helmgald sein Grab 
in Rebaix gefunden, die Dümmler überging, eignete sich v. Simson an: die Sehen- 



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War Alkuin Mönch und herrschte unter ihm noch die Benedictinerregel ? 257 

nächsten Umgebung Karls gekommen, von einem Manne, der den Brüdern 
seine Neigung nicht hätte bezeigen dürfen, wenn der Herrscher ihnen 
wegen der getroffenen Entscheidung abgeneigt gewesen wäre. 

Ich gehe noch einen Schritt weiter in meiner Vermutung. Da Karl 
bei jenem Ausbruch seines Zornes über die Brüderschaft auch ihre 
Zwitterbildung nicht schonte, der er fast mit Hohn begegnete, da der 
König schon in seiner Admonitio generalis von 789 gegen den Misch- 
masch kanonischer und mönchischer Lebensführung Widerwillen bezeigt 
hatte, so wird, als er nicht einen Mönch, sondern abermals einen Kano- 
niker zur Leitung zu St. Martin erwählte, er selbst hier den Ausschlag 
zu Gunsten der Stiftsverfassung gewünscht haben ^^). Sogar förmliche 
Beauftragung des Erwählten wäre denkbar, da diese Wendung — was 
für ähnliche Vorgänge noch an andern Stellen und über Karl hinaus in 
Betracht kommt — dem Reiche und Beichsdienste erspriesslicher war 
als die andere '^^). 

Ist in diesem Falle der neue Abt nur dem Willen oder Wink des 
Herrschers nachgekommen, so würde wenigstens begi-eif lieh , dass Fridugisy 
dessen Namen Benedictiner im zehnten Jahrhundert verwünschten und 
Mauriner noch zu Anfang des achtzehnten nur mit Abneigung nannten, 
die Achtung der mitlebenden Mönche, selbst der strengen, nicht einge- 

kung von Gut im Gau Meaux durch die von beiden übersehene Urkunde Helm- 
galds giebt ihr, worauf Mabillon später (Ann. III 1. 35 § 6) aufmerksam machte^ 
eine neue Stütze. Dann ist es auch selbstverständlich, dass die Inschrift frühestens 
in der zweiten Octoberwoche 813 entstand, was denn den von Dümmler auf v. 8 
begründeten Ansatz („nach Karls Tod") gegen den an sich nicht recht triftigen 
Einwand v. Simsons noch mehr sichern hilft. — Ein Helmcoz, umgeben von lauter 
Vornehmen des Reiches, auch im Lib. confrat. S. Gall. S. 15 (24 1. 7). 

21) Admon. gener. 789 c. 77 Boret. S. 60 (vgl. S. 122 1.3): schon von diesem 
Erlass muss man sagen, dass Karl, indem er, bei allem. Dringen auf Entscheidung, 
die Entscheidung für die eine oder andere Form freigab, die Stiftsverfassung hat 
überhandnehmen lassen: diese gemischte Genossenschaften waren erschlaffte, die 
kaum noch zur Wiederherstellung der Regelstrenge sich aufraffen konnten. Dem 
Vorwurf der Mitschuld an der Änderung, wie ihn P. Nikolaus I. nachmals fasste 
(oben S. 15 Anm. 11), könnte sich Karl nicht entziehen. — Die Synode von Tours 
813 c. 25 Mansi XIV, 87 wünschte solche Halbklöster zur Regel zurückkehren 
zu sehen. 

22) Manifestum est, monachos copiosioribus ecclesie sumptibus quam cano- 
nicos, qui suis et ecclesie licite utuntur rebus, indigere (Instit. canonic. Aquens. 
c. 115 Mansi XIV, 229). Also konnte, wenn beim Übergang zur Stiftsverfassung 
die Stärke des Convents sich nicht veränderte, vom Erträgnis das Reich mehr in 
Anspruch nehmen als vorher. Dass aus der Eigentumslosigkeit der Mönche ein 
höheres Erfordernis für die Klöster folge, war den Menschen in jener Zeit ge- 
läufiger als uns. Nach Gesta Fontan. c. 17 M. G. Scr. II, 294 1. 18 war zu 
St. Wandrille „canonicus ordo" an die Stelle des regelrechten Lebens deshalb 
getreten, weil die Vorgänger Abt Ansegis' „ea quae regulae autoritas dare man- 
dabat impertiri distuleranf*. Nach dem bischöflichen Gutachten Boret. S. 358 
1. 29 und 33 ist neben geeigneter Belegenheit noch quantitas substantiae Bedin- 
gung der Erhaltung der Regel, überall wo die Entscheidung endgültig zu ihren 
Gunsten getroffen werden soll. 

Puckert, Aniane und Gellone. 17 



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258 Erster Excurs. 

büsst hatte, auch als er längst Abt war und die Brüderschaft von St Mar- 
tin das reine Gepräge des Chorherrenstiftes trug. In einer Zeit, da noch 
der Strengsten einer, Benedict von Aniane zu Aachen beim Kaiser aus- 
und einging, hat er von Ludwig zu seiner Bestallung an der Loire die 
Berufung nach der wichtigsten Klöster- und Stiftsstätte Flanderns, die 
Ernennung zum Abt von Sithin (St Bertin und St Omer) erhalten, wo 
er die Ordnung eines verwandten, aber noch heikleren Verhältnisses über- 
kam — freilich um gerade durch die Lösung dieser Aufgabe, in wie 
bescheidenen Grenzen er sie gehalten zu haben scheint, die Schmähung 
Späterer in trüber Flut über seinen Namen zu bringen. 



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Zweiter Excurs. 
(Zu S. 34.) 

Die Unthaten des Abts Fridugis zu Sithiii. 

(Fälschungen von St. Bertin.) 



Die Benedictiner des Mittelalters und der Neuzeit, im 10., 13. und 
noch im 18. Jh. haben den Namen des Chorherm Fridugis wegen einer 
Umwälzung, durch die er ihren Ordensgenossen an der vornehmsten Stätte 
regulärer Vereinigung im alten Flandern schmerzliche Einbusse an Besitz 
imd Rang zugefiigt, mit bitterstem Vorwurf belastet, wie einer unter 
ihnen selber sich ausdrückt, mit ihrem Fluche. Von Kaiser Ludwig d. Fr. 
820 zum Abt von St. Omer und St. Bertin in Sithin ernannt, habe er 
hier gleich bei Antritt des Regiments im unteren Kloster, zu St. Bertin, 
die Zahl der Mönche durch ihre Festsetzung auf 60 um mehr als ein 
Viertel verringert, oben in der Höhe, zu St. Omer (wie angebUch schon 
iiüher zu St. Martin von Tours, seinem älteren Sitze) die Genossenschaft 
der Mönche durch Chorherren verdrängt, eine Güterteilung unter ihnen 
Torgenommen und den Chorherren, bei denen er seinen Aufenthalt er- 
wählt, einen Anspruch auf den „Principat" über ganz Sithin zugebracht 
zur Zerstörung der Eintracht des einen Teils mit dem andern. 

Diese Ansicht kann man die jetzt vorherrschende nennen. Selbst 
dlie BoUandisten, oft mit den ßenedictinem in Streit, haben durch die 
Feder Stiltings ihre Beistimmung erklärt und auch des breiteren aus- 
geführt. Noch die Forscher der Gegenwart^) lassen sich in ihrer 



1) Sickel ÜL. S. 89 und zu L. 268; v. Simson Ludw. 2, 238^ Am weitesten, 
weiter als die Benedictiner des 10. Jh., geht Hauck KG. 2, 142, A. 8: „Fridugis 
machte beide Klöster zu Kanonikaten*'. Aber von Einführung kanonischer Lebens- 
weise zu St. Bertin ist in Quellen nichts zu finden, nichts auch in dem (als Ab- 
leitung aus Folcwin unter sie gar nicht zu rechnenden) Cap. 6 der Fortsetzung 
der Miracula Sti Bertini, das er anführt. Über die Angabe, dass Fridugis in Tours 
die Mönche durch Kanoniker verdrängt habe, siehe oben Exe. I, S. 255: die Bene- 
dictiner in Sithin wussten von ihr nichts. 

17* 



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260 Zweiter Excurs. 

Charakteristik des Abts Pridugis von ihr leiten. Und doch könnte es^ 
träfe sie zu, nicht anders sein, als dass die auch in der Gegenwart hoch- 
gehende Vorstellung von dem Eifer Ludwigs im Reformieren der Klöster 
erheblich abgeschwächt würde. Unter den Augen Abt Benedicts von- 
Aniane, des Hüters und Förderers regelgerechter Lebensweise im ganzen 
Reich, oder als diese Augen sich kaum geschlossen, wäre mit des Kaisers 
Zuthun, wenigstens seiner Nachsicht, St. Omer eben der Gefahr erlegen, 
gegen die er noch vor wenig Jahren auf Benedicts Andringen die Klöster 
insgesamt mittels einer uns nach der Weise der sog. Constitutionen leicht 
vorstellbaren Ordnung zu sichern gesucht hatte ^). Er hätte, da Pridugis 
auch sein Kanzler war, durch einen seiner höchsten, ihm nächststehenden 
Beamten mitten im Laufe der Reform der Klöster das Klostertum diesen 
Verlust erleiden lassen. 

Die Ansicht beruht auf einer Überheferung, die, soweit sie Erzählung 
ist, ausschhessUch von der einen Seite, der des Klosters kommt, aus der 
Feder Folcwins, eines Mönches von St. Bertin, der erst 120 Jahre nach 
Ludwigs d. Fr. Tode schrieb^); soweit sie aber in urkundlicher Fassung 
Gewähr sucht, nur in Abschriften sich erhalten hat, in Abschriften, die 
gleichfalls alle aus St. Bertin stammen und wenigstens nicht vor Folc- 
wins Zeit, teilweise erst nachher, zum Vorschein gebracht worden sind. 

Die Erzählung Folcwins verrät durch ihre Abweichung .von den 
ältesten, schUchten Berichten schon in der Geschichte der Abte des- 
7. Jahrhunderts, der fiühesten, ihre Zurichtung auf die Geschichte des 
Abts im neunten. Nach der Vita Sti Audomari prima und der Vita 
Sti Bertini prima war Sithin zwar nicht ursprünglich, aber seitdem regu- 
läres Leben hier begonnen hatte, im Eigentum des Bischofs. Denn der 
Bischof Audomarus von Therouanne ist es nach diesen gewesen, 
dem Adroald, ein von ihln bekehrter Mann erlauchter Herkunft, die 
Villa Sithin geschenkt, der Bischof, der den zwei dahin verschlagenen 
Mönchen Bertinus und Mummolenus die Erlaubnis zum Klosterbau er- 
teilt und erst den einen, Mummolenus, dann den andern zum Abt er- 
nannt hat. Aber nach Folcwin kam die Villa an den h. Bertinus und 
seine Gefährten von Adroald selbst (mit dem in den älteren Berichten 
weder Bertinus nach Mummolenus zusammentreffen), ohne Vermittlung 
des Bischofs, der nur mit Ermahnung auf den Geber gewirkt hat*). 



2) Vit. Bened. Anian. c. 39 (54): His monasteriis, quae sub canonicorum re- 
licta sunt potestate, constituit (imperator) segregatim unde vivere regulariter 
possent, cetera abbati concessit. Aber Fridugis soll nach den Benedictinem 
(Folcwin: siehe A. 3 und so noch Mabill. Ann. II 1. 29 § 1) das Klostergut nach 
Willkür, wie es ihm gefallen, an sich gerissen und, soweit er es verschonte, eine 
Verteilung zwischen den (60) Mönchen und seinen (30) Chorherren vorgenommen 
haben, die, da sfe ihrem Zahlenverhältnis genau entsprach, vorschriftswidrig war: 
nach der Reg. canonicor. Aquens. I, c. 115 musste (ich berührte es schon £xc. 1 
A, 22) für Mönche mehr ausgeworfen werden als für Chorherren, die eigenen Be- 
sitz behalten und weiterhin annehmen durften. 

3) Folcwini Gesta abb. Sith. c. 47 (M. G. SS. XIE, 614). 

4) Vit. Sti Audom. prima c. 2 § 12. 13. 14 u. Sti Bert. pr. c. 1 § 2. 3 (BoU. 
Sept. ni, 399. II, 587): beide aus der ersten Hälfte des neunten Jahrh. (nach: 



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Die ünthaten des Abts Fridugis zu Sithin. 261 

Indem so Sithin (ich sage nicht durch Folcwins Fälschung, da bereits 
die sog. zweite Vita Sti Bertini, aul* die er verweist, und eine auf 
Adroalds Namen gestellte Urkunde, die er mitteilt, den Verlauf der 
Gründung so darstellen) als unabhängig uns entgegentritt, wird das Ver- 
fahren des Abts Fridugis, das, wie Folcwin es schildert, nur möglich 
w^ar, wenn Sithin Unabhängigkeit besass und bis dahin behauptet hatte, 
wenigstens verfassungsrechthch einigermassen verständUch. Wenn weiter 
nach Folcwins Erzählung Bischof Audomar die von ihm in Gemeinschaft 
mit den Mönchen erbaute Marienkirche, also das nachmalige St Omer, 
dem h. Bertinus und dessen Nachfolgern in der Leitung des Klosters 
„bis ans Ende der Dinge" tu Schutz empfahl und übergab, so zeigt sich, 
da die älteren Berichte, selbst die erste Lebensbeschreibung des h. Audo- 
mar, hiervon nichts wissen, in diesem Stücke noch deutlicher die (eben- 
falls noch in einer Urkunde zum Ausdruck gebrachte) Erfindung eines 
Mönches von St. Bertin, mit deren Hilfe nun Folcwin gleich an der 
Schwelle jenem Anspruch der Chorherren von St. Omer als einem stif- 
tungswidrigen begegnen zu können glaubte*^). 

Ausdrückliche Erklärung der Nichtigkeit des Anspruches enthalten 
zwei Urkunden, die im Jahre 839, also etwas 5 Jalire nach Fridugis 
Tod, der Sprengelobere, Bischof Folcwin von Therouanne (A) am 20. Juni 
und, zehn Tage nach ihm Fridugis' Nachfolger, Abt Hugo von Sithin (B) 
ausgestellt haben sollen. Beiden wurde auch von deutschen Forschem 
noch der (jegenwart Glaube geschenkt und, zumal der bischöflichen, (Ge- 
wicht beigelegt^): auf ihnen ruht vomehmUch die herrschende Vorstellung 
von den Dingen zu Sithin unter Ludwig d. Fr. 

In der That würden sie, wären sie echt, den Bericht des Mönches 
Folcwin, eines um mehrere Menschenalter späteren Erzählers, glaubhaft 
machen, ihn in sehr wesentlichen Stücken erst durch gleichzeitiges Zeugnis 
verbürgen. Denn wissen sie auch nichts von einer Verminderung der 
Zahl der Mönche, nichts von einer Sonderung der Güter, so beschuldigen 
doch auch sie in ihrem erzählenden Teile den Abt Fridugis der Ver- 
drängung der Mönche aus St. Omer, das er in „Entsetzen erregendem" 
Bruch der Schenkung des Bischofs dem Kloster genommen und mit 
Chorherren besetzt habe. Schweigen sie von einem Aufenthalt, den 
Fridugis oben zu St. Omer genommen, wodurch er den Chorherren jenen 



Arndt im N. Arch. 5, 221 eine Hds. der Vita Sti Audom. aus dem neunten Jh. 
in St. Petersburg). Noch die in der zweiten Hälfte des 9. Jh. verfaaste Vita metr. 
Sti Bert, prima V. 114-131 (ed. Morand Mel. hist., choixde doc. U, 584) kennt 
keine unmittelbare Schenkung Adroalds an den h. Bertin: auch da macht er sie 
dem Bischof, ohne Bertin zu erwähnen. — Folcw. Gesta abb. Sith. c. 1 (SS. XIII, 
608): die Urkunde Adroalds im Cartul. de St. Bert. ed. Gu6rard S. 18. 

4b) Folcwin Gesta c. 85. 609 (Gu6r. c. 6), die Urkunde bei Guerard S. 23. 
Stiltings mühseliger Vereinbarungsversuch ist ganz misslungen. 

5) Guerard S. 85. 87. Gerade auf die bischöfliche Urkunde verweisen Sickel 
und V. Simson a. d. a. 0. ; dagegen erklärte Holder-Egger (N. Arch. 6, 421) eben 
sie wegen der fast völligen Gleichheit der Zeugen bei Verschiedenheit des Tages 
für ein Machwerk aus der Zeit nach Folcwin und auch die andere für ver- 
dächtig. 



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262 Zweiter Excurs. 

Anspruch zugeführt, so erklärt doch der Abt wie der Bischof, dass sie 
das vermessene Vorgeben „einiger", ihnen gebühre der Primat, zu nichte 
gemacht und, ein jeder für sich, sie „dieser Stätte", worunter zweifels- 
ohne auch der Bischof trotz verfehlter Fassung®) die Klosterstätte, 
St. Bertin, versteht, durch eine capitularis descriptio vor den Grossen des 
Hofes und der Landschaft unterworfen habe. Und nach der Verordnung 
beider soll die Hut der Kirche von St. Omer (ediütas seu custodia) und 
der Genuss von Erträgnissen ihres Altars den Mönchen von St. Bertin 
zustehen. 

Aber beide Urkunden sind Fälschungen. 

Man kann schon das Geschichtswerk des Mönches Folcwin trotz 
vielfacher Übereinstimmung, die er in den Dingen mit ihnen hat, gegen 
sie anziehen, wenn man nur die neuerdings bekannter gewordene 
Überlieferung seines Textes beachtet. 

Denn Cod. 1 dieser Gesta abbatum Sithiensis coenobii, eine Ab- 
schrift Dewittes, die dieser Archivar des Klosters zwar vielleicht nicht 
nach dem Autograph gemacht hat, die aber dem Autograph — wie wäre 
sonst der des Schriftwesens kundige und auch gewissenhafte Mann zu dieser 
Meinung gekommen? — dem Alter nach sehr nahe kam, hat weder 
die Urkunde des Bischofs, noch auch in der Erzählung einen Bericht 
über sie: beides findet sich erst in Cod. 2, einer Handschrift des 12. Jh., 
deren Unterschied von Cod. 1 gerade in diesen Stücken sich zeigt. Das 
Schweigen Folcwins über das Eingreifen des Bischofs (von dem die ver- 
mutUch gleichfalls von Folcwin verfasste Vita Folcwini episc. . . eben- 
sowenig eine Andeutung giebt) ist aber um so bemerkenswerter, als er 
ihn unter seine Ahnen zählt, von dem er denn auch ein Verdienst, das 
er sich nicht sowohl um St. Bertin, als um ganz Sithin erworben hat, 
hernach in seiner Fülle (denn gering genug ist die Zahl der anderen) 
ausgebreitet darlegt®^). 

Die andere Urkunde, die des Abts, steht freiUch in Cod. 1, aber 
nicht, wie in Cod. 2, an der ihr nach der Zeitfolge gebührenden Stelle, 
sondern hinter dem Schluss der ganzen Erzählung Folcwins, in einer 



6) Eos (dicentes primatum locorum ad se pertinere debere) huic loco subegi 
heisst's in der Urkunde des Bischofs wie des Abts, obgleich nur der Abt in basilica 
Sti Petri (die — vgl. Folcw. Gesta c. 58 S. 618 1. 9. Böhmer No. 1815 — den 
Mönchen gehörte), also zu St. Bertin urkundet, während das Actum des Bischofs 
— das zeigt die Leichtfertigkeit der Mache — die Marienkirche, d. h. seine 
eigene Kathedrale nennt : in ecclesia s. Mariae . . presente universali synodo 
(gleich und wohl nach der Urkunde Guer. S. 194: in e. s. Dei genitricis Marie, 
coram universali synodo); vgl. unten Anm. 9. 

6b) C. 57 S. 617 (Guer. Folc. II, 8, S. 90); seine Blutsgemeinschaft mit dem 
Bischof bezeugt Folcwin c. 104 S. 627 (Gu6r. II, 84 S. 140). — Dass dem Cod. 1 
das fehlt, was Cod. 2 über die Teilnahme des Bischofs hat (Guer. Folc. II, 3. 4 
S. 84), zeigt Holder-Egger S. 616 nt. f. getreulich an; so überrascht denn, dass 
er S. 605 1. 8 den Unterschied zwischen Cod. 1 und 2 vornehmlich in den Formen 
der Worte und Namen findet : mir scheint er vielmehr sachlich von Bedeutung, als 
das Zeichen, wie sehr die Fälschung zu St. Bertin noch im 12. Jh. fortschritt (vgl. 
unten Anm. 65). 



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Die ünthaten des Abts Fridugis zu Sithin. 263 

Sammlung von Urkunden, unter denen eine, gleich die vorderste, die 
das Königtum des Capetinger Robert kennt, und eine andere vom Jahre 
1096 vor sein Auge, durch seine Hand nicht gekommen sind*®). Zwar 
bringt auch Cod. 1, wenigstens in der Erzählung, die vom Abt Hugo 
verfugte Unterordnung der Chorherren unter die Mönche, aber der 
Wichtigkeit des Vorgangs wenig gemäss beiläufig, in einem Neben- 
satz, zur zeitlichen Bestimmung eines danach gerade von diesem Abt 
verübten Frevels an den Heiligtümern Sithins — ohne zuvor im geraden 
Laufe der Berichterstattung (wie Cod. 2 durch die Fortführung der 
bischöflichen Urkunde bei Guer. II, c. 4 z. E. und c. 5) davon Kunde 
gegeben zu haben. Und rührt unmöglich aus der nämlichen Feder die 
Andeutung einer Verfügung, die, in der ersten Hälfte des neunten Jahr- 
hunderts getroffen, die Entscheidung des Streites über den Principat 
zu Gunsten der Mönche gebracht haben soll, und die Angabe, dass von 
Fridugis her noch immer, in der zweiten Hälfte des zehnten, die Chor- 
herren ihren Anspruch airf den Principat aufrecht erhalten, so sehe ich in 
dieser Angabe, die den Mönchen abträghch ist, das gegen den Ver- 
dacht einer Einfügung von später Mönchshand besser gesicherte Stück 
dieses Werkes**). 

Aber den gewichtigsten Grund gegen die Echtheit der Urkunden 
finde ich in dem Inhalt, der so wenig wie Folcwins Erzählung mit dem 
Eechtsverhältnis vereinbar ist. Es befi'emdet schon, dass die Urkunden 
eine Spur der Verschiedenheit der Gewalt eines Bischofs und eines Abts 
nur darin zeigen, dass sich der Bischof bei seiner Handlung auf die Ein- 
gebung und die Bitte des Abts, der Abt auf den Rat des Bischöfe 
bezieht: sonst stimmen sie im veriFugenden Teile bis aufs Wort überein. 
Denn auch der Abt unterfängt sich, den Bischöfen und Archidiakonen 



6c) Über den Anhang des Cod. 1 berichtet Morand, Appendice au cartul. 
de l'abb. de St. Bertin jS. XV n. 3. Dass hier die Urkunde über Humbertuisin, 
die die Königswürde Roberts kennt, von anderer Hand zugefügt worden, sah 
schon Guerard (S. YII). Nachdem sie dieser aus Cod. 2 unvollständig abgedruckt 
hatte) giebt sie (vollständig, doch sie allein) Holder-Egger S. 634, wo auch durch 
ihre Bezeichnung als Additamentum angedeutet wird, dass Folcwin von ihr nichts 
wusste (über K. Roberts Epoche jetzt Bibl. d. Tee. d. chartes VI, 2, 486). So 
kannte denn Mabillon, der in der Vorarbeit auf seine Diplomatik, also vor 1681, 
zu Sithin das Autographon Folcwins eingesehen zu haben versichert (De re dipl. 
S. 605), noch lange nachher, noch als er an seinen Annalen schrieb (II 1. 32 § 19), 
keine Urkunde Abt Hugos, sondern nur die Urkunde des Bischofs, und diese nicht 
aus Folcwin, nicht, wie er sagt, aus der Überarbeitung Folcards, sondern (vgl. 
Holder-Egger SS. XV, 508 1. 20) aus einer Compilation der zweiten Vita Sti Ber- 
tini und der dritten (von Folcard verfassten) Vita (Mirac. I, 7 ed. Mab. AA.HI, 1: 
auch hier ist nur die bischöfliche Urkunde bekannt). 

6^) Der beiläufige Hinweis auf eine Verfügung Hugos (und zwar ohne An- 
deutung der von ihm angerufenen Mitwirkung des Bischofs) Gesta 57 (S. 617 Hugo 
postquam — : hier das Ereignis in Vollendung: juste subjugavit, wie ihn seine 
Urkunde es verkünden lässt: conatum canonicor. adnihilavi); der Bericht über 
Fridugis Gesta c. 47 S. 615 (zum Schluss: canonici ab ipso abbato eanonico fallaci 
assertione principatum ad se pertinere dicunt, also der Streit noch während). 
Vgl. unten Anm. 17 b). 



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264 Zweiter Excurs. 

der Zukunft die Erhebung eines Anspruches auf die Altarerträgnisse zu 
verbieten®®)! Vomehmhch erscheint die ganze Handlung des Bischofs 
wie die des Abts oder vielmehr der Abte, die Handlung Hugos wie 
schon vor ihr die des Abts Fridugis vöUig unstatthaft bei der Qualität 
von Sithin, das seit langem nicht mehr Bischofskloster war, vielmehr 
bereits unter den Merovingem (ol? infolge einer Tradition des bischöf- 
hchen Mundherm, wie Onolzbach und gleich durch seinen Gründer 
Hersfeld? — oder ob einfach nach ^ irgend wie erlangter Unabhängigkeit 
von ihm, wie Fulda, St. Gallen, Ile-Barbe?) als Königskloster behandelt 
wurde, das daher aus der Hand der Herrscher unmittelbar, ohne Er- 
wähnung auch nur einer Fürbitte des Bischofs, Immunität zu eigenem 
Genuss erhalten hatte (schon von zwei königlichen Zeitgenossen des 
h. Bertinus und noch von anderen Merovingem, später, nach dem Muster 
der Meiovingerdiplome, von Karl d. iGr., von Ludwig d. Fr. in Fridugis' 
wie in Hugos Zeit). Und wenn auf niemand anders als auf Ludwig der 
Mönch Folcwin (so sehr eingenommen von dem Glauben an die „Jahr- 
hunderte hindurch bewahrte" Unabhängigkeit seines Klosters, dass er 
meint, bis zum Tode des letzten Abts vor Fridugis habe bei den Mön- 
chen selbst die Ordnung ihres Gemeinwesens gestanden) die jähe Änderung 
zurücklührt, Xvodurch Sithin zu einem Gegenstande königUcher Schenkung 
geworden und dann zum ersten Male ein Fremdling, wie Fridugis in den 
Besitz gelangt sei, nun so würden, träfe dies zu, ja gerade in Ludwigs 
Zeit, nach solchem Erweise königlicher Gewalt, ohne des Königs Zuthun 
weder Fridugis noch Bischof Folcwin oder Abt Hugo ihre Ordnungen 
zu schaffen vermocht haben. Aber die zwei Urkunden kommen in dem 
EelbstherrUch gefassten Contexte mit keinem Worte auf eine BeteiUgung 
Ludwigs, und es nimmt dann wimder, im Schlussprotokoll den Bischof 
auf Zustimmung und Befehl des Kaisers, den Abt wenigstens auf dessen 
-Zustimmung verweisen zu sehen'). 

6e) Da unter echten Urkunden nur Privilegien der Bischöfe für Klöster im 
Mundium ihrer Kirchen und danach königliche Bestätigungen solcher Privilegien 
Muster dieses Verbotes enthielten (z. B. Mabill. Dipl. 525. Mühlb. No. 731. 800), 
fio vermute ich in der Urkunde A die frühere Fälschung, von der B der gedanken- 
lose Abzug ist. Es erzählt ein jeder, der Abt nicht anders als der Bischof ,coram 
primatibun palatii eos subegi**, wörtlich übereinstimmend in dieser abgeschmackten 
J^assung und ohne dass der eine von der vorausgegangenen Handlung des andern 
Erwähnung thut. Überhaupt ist abgesehen von einigen Ungleichheiten des Proto- 
kolls und des Schlussprotokolls (zu den selbstverständlichen kommt, dass B keine 
Invocation hat: eine weitere unten Anm. 7) und von der oben bemerkten in der 
Verfügung, der einzige Unterschied, dass A mit einer Comminatio, B dafür mit 
«inem (noch unten zu erwähnenden) Ausfall gegen den Stand der Kanoniker 
schliesst, und dass die Zahl der Zeugen in B etwas gemehrt ifit. 

.7) In der Unterschriftszeile des Bischofs ex consensu et praecepto imperatoris, 
in der des Abts ex consensu imperatoris. Aber zu Ordnungen ähnlicher Art, bei 
Begründung und Ausbildung des Verhältnisses von Noaille zu St, Hilaire von 
Poitiers, von Cormery zu St. Martin von Tours erbaten sich förmliche Privilegien die 
Äbte Ato, Alkuin, Fridugis und Audacher (Mühlb. No. 497. 690. 857. Böhm. No. 1731). 
Auf ein kaiserl. Edict gründet Raban (Ep. Fuld. VI ed. Dümml. Forsch. 5, 375) 
seinen Wunsch, in Nonnenklöstern Fuldas Versetzungen vorzunehmeui Über die 



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Die ünthaten des Abts Fridugis zu Sithin. 265 

Neben dem Rechtsinhalt, der die Entscheidung giebt, ist es nicht 
nötig, noch andere Gründe gegen die Echtheit der Urkunden geltend 
zu machen. Doch wirft manche Einzelheit helleres Licht auf die um 
vieles spätere Zeit, in der sie bei mannigfachem Mangel an Wissen und 
Überlegung gefälscht wurden. Seltsam ist schon die Bezeichnung der 
Stätte als coenobium Sithiense quod est constructum in insula Sithin 
statt, wie zu ihrer Zeit herkömmhch war, coen. Sithin quod est c. in 
pago Taruanense oder ähnlich. Die Andeutung einer Insel fehlt in den 
zahlreichen Diplomen fiir Sithin und in allen älteren Privaturkunden bis 
auf diese zwei und die mit ihnen zusammenhängende Schenkung des 
Bischofs Audomar. Die Schriftsteller, noch die nachzeitigen des neunten 
Jahrhunderts, wissen von solcher Lage nichts; die Erzählung von den 
mehrmaligen Unternehmungen der Normannen gegen Sithin 861. 891 
kommt weder bei ihrem Vordringen (dabei eine Reitermenge „zahllos 
wie der Sand am Meere"), noch bei ihrem Weichen auf Hindemisse zu 
sprechen, die sie an einem Inselgürtel gefunden hätten. Erst in der 
zweiten Hälfte des 11. Jh. heisst es urkundlich, dass die Kirche St. Bertin 
von der Aa rings umflossen sei — wie in diesen Urkunden des Bischofs 
und des Abts^). Indes könnte immerhin die Springflut des Dez. 838 
(war ft-eilich auf Bischof Audomars Urkunde nicht anwendbar), da sie an 
der friesischen Küste das Meer weit über das Land hineinwälzte, an der 
flandrischen die Wässer der kurzläufigen Aa gestaut und in dieser 
sumpfreichen Tiefebene einen toten Arm gefüllt oder einen neuen Arm 
gebildet haben. Aber keine Ausflucht ^ehe ich für Worte, die der 
Sprache des Rechts, des weltHchen und kfrchlichen, in der ersten Hälfte 
des neunten Jahrhunderts, zumal der urkundlichen, noch fremd sind, und 
doch hier in ein und derselben Urkunde sich zusammenfinden. So bringt 
die des Bischofs Fideles in der Promulgatio, dann sie noch einmal wie 



Immunitäten bis auf Ludwig d. Fr. unten Anm. 27, wo auch über das angebliche 
.Abtswahlrecht ein Wort. Als Königskloster wird Sithin bezeichnet von seinem Abt 
Bovo im 11. Jh. (De invent. et trsl. S. Bert. c. 6 SS. XV, 529 antiquum et regale 
tunc monasterium: ebenda im Briefe des Bischofs von Therouanne S. 530 eorum 
monasteriorum quae a regib. fundata et ditata sunt uon ultimum). Dagegen die 
sonderbare Ansicht Folcwins von einer ordinatio monasterii monachis abstracta: 
Gesta c. 47 S. 614. 

8) Urkunden Graf Balduins 1056 und Bischof Johanns 1112 bei Gu6r. S. 186. 
225. Ans der älteren Zeit tritt gegen die Angabe in der angeblichen Urkunde 
Bischof Audomars Guer. S. 23 (basilica in insula Sithin) der Bericht der V. Sti Audo- 
mari antiqua c. 2 § 13 Boll. Sept. III, 399, wo einfach super Agnionam fluvium. 
Über die Normannenzeit Mirac. S. Bert. c. 1. 7. 9 SS. XV, 512. 514, vgl. V. S. 
-Bert. alt. c. 2 § 19 Boll. Sept. II, 593 f. Noch Folcard V. S. Bert. tert. c. 1 § 16 
Sept. II, 607 spricht von einer Landzunge. Dass im Diplom Karls d. K. vom 
.25. Juli 866 (Guer. 163, fehlt Böhm.) unter der insula super Agniona etwas anderes 
als die Elosterstätte gemeint ist, folgt aus der eben dieser Insel gegebenen Be- 
stimmung juxta monasterium Sti Bertini. Bei Folcw. Gesta c. 62 SS.. XIII, 619 1. 9 
ist unter insula Sithin sichtlich («per duo fere milia*^, und noch darüber hinaus) 
die Landschaft im weiteren Sinne . zu verstehen, doch ist vielleichtr deshalb diese 
Ortsbestimmung den gemischten des Abts Hugo und des Bischofs Folcwin ein- 
gefügt worden. 



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266 Zweiter Excurs. 

die des Abts in der Narratio, hier wie dort ohne Bestimmung durch 
einen Genitiv oder durch ein Pronomen. Primates aulae, eine im Hin- 
blick auf die Verfassung des Reiches auffällige Abweichung von den 
Diplomen, würde der Abt, ein Sohn Karls d. Gr. und als „der hehren 
Pfalz Erznotar" des Kanzleibrauches kundig, noch weniger dem Dictator 
nachgesehen haben denn der Bischof, der doch auch, länger als zwei 
Jahrzehnte in Amt und Würde, kaum Neuerungen hold war: es taucht 
erst geraume Zeit nach der dem Ansehen der Grossen man weiss wie 
förderlich gewesenen Teilung des Reiches in den Urkunden auf. Vor- 
nehmhch befremdet judex forensium rerum. Unkenntnis der technischen 
Benennung der Urkundenarten verrät die Bezeichnung, die Abt wie 
Bischof dem Schriftstück geben, durch das sie vor den Grossen des Hofes 
und des Landes die Kanoniker den Mönchen untergeordnet haben wollen: 
descriptio capitularis; denn descriptio musshier, nichtssagend genug, wie 
scriptum in der verwässerten Corroboration beider Urkunden, Nieder- 
schrift überhaupt bedeuten, während der Kenner darunter ein klöster- 
Kches oder kirchliches Güterverzeichnis versteht, dergleichen Abt Hugo 
— ich komme darauf zurück — wirkUch eins zu Gunsten der Mönche 
hinterlassen hat (in unvollendetem Entwürfe, von dem dann der Fälscher 
die Benennung für jene Ordnung des Rangverhältnisses entlehnt haben 
könnte). Verbrämt schliesslich die Datumzeile der Urkunde des Bischofs 
den Hinweis auf die Synode, wo er die Übertragung der Hut der Kirche 
von St. Omer an die Mönche von St. Bertin vorgenommen haben soll, 
durch das Adjectivum universaUs, obgleich die Synode höchstens eine 
Sprengelsynode von Therouanne gewesen sein kann, so weiss man, dass 
dieser Schmuck den viel umfassenderen Synoden unter Karl und Ludwig 
versagt bHeb — noch der von Paris, die 829 die Erzbischöfe und Bischöfe 
der Provinzen Sens, Reims, Ronen und Tours vereinigte; es erhalten ihn 
erst im 10. Jahrhundert die deutsche Synode zu Erfurt, die bairische zu 
Regensburg, die aquitanische zu Poitiers, und in der zweiten Hälfte des 
11. denn auch eine, die in Wirklichkeit hier, zu St. Marien von Therou- 
anne zusammengetreten ist®). 

Am meisten missraten ist die Fälschung, wo sie sich unterfängt, den 
Bischof und den Abt sich über eigene Stellung und Stimmung äussern 
zu lassen. Denn wenn der Bischof alles, was Abt Fridugis angeordnet, 
zweimal als beweinenswerten Rechtsbruch brandmarkt (injustitia lacri- 
mabihs, lacrimosa injustitia), so zieht er auf sein eigen Haupt den Vor- 



9) Aus der Reihe der Diplome kennt Sickel UL. 173 für „Fideles allein" nur 
K. 1 = Mühlb. No. 128; aber auch da steht fidelibus nostris. Primates hat Waitz 
VG.2 4, 328 fohne Sickels Bemerkung üL. 176 Anm. 8 zu beachten) der Reichs- 
verfassung bis auf die Zeit der Teilung zugesprochen: aber ausser der vorliegenden 
Urkunde vermerkt er (das ist die zeitlich nächste) nur ein Diplom Ludwigs d. D. 
von 859 (Mühlb. No. 1397 : nicht schreibfehlerfrei). Descriptio in diplomatischem 
Sinne Mabill. De re dipl. 4 B. D (so auch conscriptio Mühlb. No. 877): describere 
bei Folcwin häufig gleich niederschreiben oder abschreiben (Gesta c. 52. 106. 117 
SS. Xm, 615 1. 30; 616 1. 10; 628 1. 10; 633 1. 42): vgl. unten Anm. 12. — Synodus 
universalis im 10. Jh.: Conc. ed. Paris. VI, 1, 573. Mansi XVIII, 363. 365. 382, 
und im 11. zu Therouanne Guer. Cartul. S. 194. 



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Die Unthaten des Abts Fridugis zu Sithin. 267 

wuif folgenschwerer Versäumnis, insofern er, der drei Jahre früher zur 
Gewalt gekommen war als Fridugis in diesem Bereiche und nunmehr 
sich im stände zeigt, einige von jenen Ordnungen rückgängig zu machen^ 
unterlassen hätte, durch ein Verbot gleich wider die früheste einzuschreiten 
und dadurch den übrigen vorzubeugen. Die Urkunde Abt Hugos aber,, 
der wie der Bischof sein Einschreiten zu Gunsten der Mönche mit der 
herahchen Teilnahme an ihrer Verunrechtung unter Hinweis auf ihre 
„unaufhöriiche" Klage begründet, fordert wenigstens die Frage heraus^ 
wai'um er zwar schon im zweiten Jahre seines Regiments eine Immunitäts- 
bestätigung für Sithin beim Kaiser erbeten, aber mit der Wiederherstellung 
der alten Orclnung bis in sein fünftes gewartet habe. In all diesem 
wörtlich gleich, überrascht das Urkundenpaar hart am Schlüsse des Con- 
textes durch eine Ungleichheit, da hier nicht der Bischof, sondern nur der 
Abt der Corroboration die Bemerkung einflicht, dass die Kanoniker den 
Hang hätten, den Mönchen allerwegen ihre Ehre zu beneiden: gerade dem 
Abt musste der Fälscher die Anklage in die Feder legen, der Blöde^ 
der nicht ahnte, dass Abt Hugo selbst Kanoniker war^^)! 

So finden denn die Urkunden Abt Hugos und des Bischofs samt 
Polcwins Erzählung auch keine Bestätigung an Verhältnissen, die zu 
Sithin in späterer, selbst nur wenig späterer Zeit bestehen oder sich eben 
bilden, an Diplomen, die, von anderer Glaubwürdigkeit als seine Urkunden^ 
bald unter, bald ohne Bezeugung überkommenen Zustands neuen 
Schäften. 

Im Gegenteil zeigt sich, dass eine der Ordnungen, zu deren Ur- 
heber Folcwin den Abt Fridugis macht, einer der Herrscher des Eeiches 
getroffen hat, wie in anderen Königsklöstem der König selbst, durch 
Bestimmung der Zahl der Mönche sei es auf 50, sei es auf 60 ^^). Der 
Herrecher ist Ludwig d. Fr., unter dem Fridugis jene Eigenmächtigkeit 
begangen haben soll; und es bezeugt's von ihm sein Sohn Karl d. K., 

10) Dass das mit Ludwigs d. Fr. Immunitätsbestätigung Mühlb. No. 915 ver- 
bundene Verbot einer Teilung der Klostergüter sich nicht auf eine von Fridugis 
vorgenommene Divisio beziehe, hoffe ich unten Anm. 26 zu erweisen. Über Abt 
Hugos Chorherrenstand siehe die Stellen bei v. Simson Ludw. I, 127 Anm. 5 und 
unten Anm. 16. Es ist mir auch nicht wahrscheinlich, dass er Ende Juni 839 in 
Sithin gewesen sei, hier am 29. geurkundet habe. Denn folgt immerhin aus 
Mühlb. No. 965 (am 7. Juli erteilt auf seine Kundmachung und Empfehlung) nicht 
sicher, dass er gerade damals, also acht Tage nachher zu Kreuznach, rund 550 km 
von Sithin, persönlich vor dem Kaiser erschienen (was denn einen Aufenthalt zu 
Sithin am 29. Juni ausschlösse), so ist doch sehr wahrscheinlich, dass er, von je 
beflissen, zwischen dem kaiserlichen Halbbruder und dessen Söhnen zu vermitteln 
(Zusammenstellung bei Sickel UL. 97. v. Simson Ludw. 2, 85. 88. 157 f.), dem Kaiser 
bei der mühevollen Auseinandersetzung mit Lothar, von dessen Ankunft bis zur 
Abreise, von Ende Mai bis Anfang Juli, unter den zu diesem Behufe berufenen 
Grossen nicht als letzter zur Seite stand, demnach an jenem Tage am Hofe, in 
Worms zu suchen war. 

11) Sickel Regest. S. 384 Deperd. Sith. 2 nach Bouquet 8, 664 (Böhm. 
No. 1815: das Actum irrig Carisiac. statt Compendii), jetzt Gart, de St. Bertin 
S. 123, wo, ohne dass Morand in seiner Appendice Berichtigung brächte, 50 ge- 
druckt ist, abweichend von Folcwins Bericht über Fridugis, der 60 hat: letztere 



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268 Zweiter Excurs. 

mehr als 80 Jahre vor Folcwin, durch ein unanfechtbares Diplom. Dies 
Diplom schildert auch eine Güterteilung zu Sithin, führt sie aber nicht 
auf Fridugis zurück, sondern, auf eine Anregung Abt Hugos ^^), just 
dessen, der sich nach der Überlieferung von St. Bertin so herb über 
Fridugis geäussert haben soll: ohne eine Verfügung von Fridugis anzu- 
deuten, ohne ihn zu nennen, nimmt Karl den Entwurf Hugos auf und 
macht ihn (mit mancher Ergänzung, aber ohne, wie in der Sammlung 
Folcwins Hugo, ein Recht der Mönche auf die Altarerträgnisse in St. Omer 
anzudeuten) zur Ordnung in Sithin. 

Ein anderes Diplom Karls d. K. kennt allerdings einen Custos 
ecclesiae zu Sithin; aber dieser Beamte schhesst, da er hier Anweisung 
«rhält, die Nutzung einer Marktgerechtigkeit, die zunächst den Kerzen- 
lichtem beider Kirchen zu gute kommen soll, einmal im Jahre zu einem 
Liebesmahl der Brüder der „heiligen Stätte*' insgemein zu verwenden ^% 
jenen Custos aus, den Abt Hugo oder Folcwin an die Kirche St Omer 
insonderheit gesetzt und zwar, um Erträgnisse von ihrem Altar den 
Mönchen von St. Bertin für sich zu wahren, gesetzt haben soll. 

Lange nach dem Tode Karls d. K., im Jahre 891, erscheint in zu- 
verlässiger Überlieferung (ich sehe zunächst von Folcwins Bericht über 
Vorgänge des Jahres 843 ab) wirkHch ein Mönch von St. Bertiu als 
aedituus der Kirche von St. Omer, und Spätere fanden darin das Zeug- 
nis, dass die Mönchsgenossenschaft infolge der Anordnungen Abt Hugos 
einen der Ihrigen als den Vorstand des Stifts zu St. Omer, als den 
Oberen der Chorherren auf der Höhe gehabt habe — als ob das näm- 
liche Wort, unter dem einst das classische Altertum auch einen Sklaven 
oder Freigelassenen verstand, dem der Dienst des SchUessers des Tempels 
oblag, nun den Gebieter der Genossenschaft von Priestern eines Gottes- 
hauses bezeichnet hätte ^^**). Aber nirgend zeigt sich deutHcher als hier, 
bis zu welcher Verkehrung die Leidenschaft des Rangstreites gefuhrt hat. 
Denn aedituus ist auch im Mittelalter und auch im Landstrich von 
St. Bertin der Hüter der Kirche, besonders der darin ausgestellten 
Eehquien und ihrer Altäre: seine ObHegenheit besteht in der Bewachung 



Zahl geben im Diplom auch Miraeus 00. ed. sec. IV, 174 und Gall. ehr. III J. 110, 
die doch beide, wie nur der Abdruck Guerards, auf das „ohartar. Sti Bertini" zu- 
rückweisen; auch Bouquet VIII, 664 hat 60. 

12) Hugonem venerabilem abbatem . . ordinationem . . competentem . . dis- 
ponere voluisse . . sed morte praeventum non perfecisse : folgt die nun vom Könige 
«ndgültig getroffene Güterzuweisung. Da der zweite Abt Hugo von Sithin, der 
Weife, dem Könige Karl im Tode nicht voraufging, sondern folgte, muss hier der 
erste, Karls Vatersbruder, gemeint sein. 

13) Cartul. de St. Bertin S. 119 f. (fehlt Bouquet und Böhmer). 

13 b) Der aedituus des Jahres 891 im Libell. mirac. S. Bert. c. 8 (SS. XV, 
513 1. 40). Darüber der freilich kirchenrechtlich gelehrte Abt Joannes Longus von 
St. Bertin (Chron. S.Bert. SS. XXV, 767): hoc officium est et dicitur praepoeitura 
Sti Audomari, quod satis intelligitur ex vi . . vocabuli: dicitur enim edituue quasi 
ediciori i. e. eminentiori loco positus et nunc nomini prepositi consonat. Unten 
Anm. 14 d. — Über den altrömischen edituus Marquard in Comm. ad hon. Momm- 
senii S. 383. 



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Die ünthaten des Abts Fridugis zu Sithin. 269 

des Heiligenschreines — daher er bei Gelegenheit von Rehquienraub oder 
Entwendung öfter erwähnt wird — , sie besteht femer in der Verwaltung 
der dem Altar gemachten Darbringungen, in der Sorge für die Sauber- 
keit der Andachtsstätte und für ihre Beleuchtung, wohl auch in der Ver- 
wahrung der Martyrologien^^). Es ist aedituus nur der bestimmtere Ausdruck 
einer der Beziehungen des Begriffs custos ecdesiae, das Wort wird hie 
und da sacrista oder custos denn auch gleichgestellt ^^*^). Freihch konnte 
von dieser Gleichung mit custos, der nicht selten, zumal bei vornehm- 
lich der Umschliessung von Reliquien dienenden Zellen oder Capellen 
die Aufsicht über die ganze Kirchenbaulichkeit, die Verwaltung de& 
Widums und die Verfügung über die Altarerträgnisse hatte ^^*^), der 
schon finih, im achten und neunten Jahrhundert, der Vorstand schlecht- 
hin eines Klosters, einer Kirche, selbst einer bischöflichen, der könig- 
lichen Capelle ist^*^), ein Eeiz kommen, in dem Rechte der Bestallung 



14) Aus dem Nachbarsprengel Amiens Hariulf Chron. Centull. (SS. XV, 69& 
1. 26) aedituus qui sanctorum corpora asservabat; zu Sithin selbst der aed. Moru& 
in der Erzählung von Hugos Raub des h. Audomar Folcw. Gesta c. 57 (vgl. unten 
Anm. 28). Die Beziehung zu den Altarerträgnissen erhellt gleich aus den ge- 
fälschten Urkunden Abt Hugos und Bischof Folcwins (Gart, de St. Bert. S. 86. 88) i 
das war demnach die Vorstellung. Sonstige Aufgaben: Einh. V. Karol. c. 26 
aedituos (also hier eine Mehrheit) commonens ne quid . . sordidum aut inferri aut 
in ea (eccl. Aquensi) remanere permittat; der aedituus für die lucerna: Sermo de 
S. Marculfo c. 2 (Mab. AA. ed. Venet. Saec. IV, 2, 525); Vit. Geraldi Bron. c. 16 
(Mab. AA. ed. Ven. Saec. V, 262) aedituum Broniensis ecclesie cum martyri» 
passione commendat adesse; im allgemeinen: ürk. des Bisch. Heribert von Therouanne 
1075 (Cart. de St. Bert. S. 196) ad edilitatem . . monasterii bonum . . in villa 
H., . . expendendum ab aedituo ad necessaria ecclesie. 

14 1>) Aus gleichem Sprengel v^ie St. Bertin Wilh. Andrens. chron. c. 3- 
(SS. XXIV, 690): (Marcianensis coenobii) edituus, quem nostro more custodem vo- 
camus, corpus gloriose Rotrudis furtim auferre disposuit. Flores tempor. Prologus 
(SS. XXIV, 230 1. 34): indignus ego sacrista vel edituus ordinis fratrum Minorum,. 
v^ie oben Exe. I Anm. 13 bemerkt. Flodoard H. Rem. III, 1 über Hinkmar (wohl 
aus dessen eigenem Bericht) custos sacror. pignorum ecclesieque SS. Martyrum 
(SS. XV, 475 1. 27). Zu St. Bertin in der ürk. Abt Adalhards (13. Jahr Karls d.E.): 
ad custodiam Sti Petri . . specialiterque ad altare (Cart. S. 94). So wird der 
aedit. Morinensis (Gesta Sith. Sim. II, 95 SS. XIII, 654) derjenige Dignitär des- 
Kathedralkapitels von Therouanne sein, der anderswo Domcustos oder Dom- 
sacrista heisst. 

14 c) Gesta Sith. Folcw. c. 66 (SS. XIII, 620 1. 36. 40) ut custos ecclesie, ad 
quem (villam Hunelam) tradidit, . . annuale exinde fratribus preparet obsequium 
(lautissima, uti custodis posse est, refectio) c. 117 (S. 634 1. 14) ut Dei hanc do- 
mum meamque eleemosynam congrua cura custodias; dazu Mühlb. No. 889 (spe- 
cialis custos religiosus et regularis) und die von Guer. abgedruckten Urkunden 
Cart. d. St. Bertih Folcw. II, 86. 89 (S. 159. 164) custodes ecclesiae, custos his 
sanctis locis. So ist vielleicht auch der Custos vorzustellen, den nach der freilich 
erst im 12. Jh. verfassten Fundatio mon. Laub, (unten Anm. 23) die, Mönche von 
Lobbes in. der von ihnen ausgestatteten und ihnen unterworfenen Begräbniskirche- 
hatten. Unter den Capitularen von Köln custodes für einzelne Capellen bei Hin- 
schius KR. 2, 104 nt, 11. 

14 d) Die Bezeichnung custos ecclesiae erhält ein Pfarrer in Formul. SaL 



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270 Zweiter Excurs. 

•des aedituus zu St. Omer das Zeichen der Hoheit über St. Omer zu 
finden. Aber dieser Versuchung hat der Fälscher (ich werfe ihm nicht 
zu viel vor) noch nicht nachgegeben, eher ihr entgegengewirkt. In beiden 
Urkunden bestimmen der Bischof wie der Abt den mit der custodia sive 
aedilitas zu betrauenden Mönch nicht zur Leitung des Convents von 
St. Omer — keine Erwähnung der Propstwürde, keine Andeutung von 
Heischung oder Leistung einer Obedienz der Kanoniker — : sie reden 
vielmehr nur von Altardienst und Altarerträgnis, das sie an vier Fest- 
tagen dem Kloster zuweisen. So hat denn noch im 14. Jahrhundert 
Abt Johannes Longus von St. Bertin, um wenigstens in der geschicht- 
lichen Erinnerung seinem Kloster die Propstwürde zu retten, zu etymo- 
logischer Kunst seine Zuflucht genommen, indem er, die Custodia ganz 
beiseite lassend, aus dem Worte aedituus die „erhabene Stelle" des 
vom Abt des Klosters in das Stift gesetzten Mönches herauslas. Erst 
im achtzehnten Jahrhundert, als der Kampf gegen das inzwischen zum 
Kathedralstift aufgestiegene St. Omer — wer zählt zum wievielten Male? 
— sich emiBuert hatte, legte man in ausführlicher Streitschrift aus Cletys 
Feeder Nachdruck auf das Wort custos, bald um zu behaupten, dass der 
Mönch von St. Bertin der Obere von St. Omer gewesen, bald wenig- 
stens zur Bezeichnung und Bemessung des hohen Ranges, den er dort 
gehabt habe. Zur Rechtfertigung jener Behauptung wies man auf die 
schon damals, auch von anderer Seite, hervorgehobene Bedeutung, die 
das Wort custos als Vorstand einer kirchlichen Stätte schlechthin ehe- 
dem hatte, auf seine Bedeutung im allgemeinen^*^). Denn. man kehrte 

Merk. cart. pag. 2 vgl. Pitto. Frgm. 108 Zeomer S. 241 1. 30. 598; auch der Gesta 
Sith. Folcw. c. 109 SS. XIII, 631 erwähnte custos ecclesiae, der die Priesterweihe 
hat, muss, da er die Öffnung seiner Kirche endgültig versagt, als Pfarrer gedacht 
werden. — In einer Formel för Bischofsernennung Suppl. Marc. 6 S. 109 1. 8 (eine 
Bestätigung der Vermutung Rettbergs KG. 2, 423, dass Willibrod in der Urkunde 
über die Peters- und Johanniskirche Rindern die Bezeichnung custos als Inhaber 
-der bischöflichen Aufsicht erhalte. Custos capellae unter Karl d. Gr. bei Waitz 
VG.« III, 517 n. 3; 518 n. 2; 520 n. 1. — Custos für Äbte und Äbtissinnen Form. 
Andeg. 46. Add. Marc. Ib S. 20 1. 28; 110 1. 13 und im Diplom Mühlb. No. 128 
{für Fulrad als Abt von St. Denis, der also, da er auch Vorstand der Capelle war, 
in zwiefacher Beziehung custos hiess); häufig in Privaturkunden für Fulda: in den 
von ,Theotricus notarius* im ersten Jahrzehnt des neunten Jahrhunderts geschrie- 
benen supradicta ecclesia vel custodes illius oder monasterii rectores v. custodes 
€od. dipl. Fuld. ed. Dronke No. 218. 222. 224 (dagegen in No. 244. 246 von dem- 
selben ecclesia vel rectores), besonders in denen Hiltipalds im letzten Jahrzehnt 
des achten monasterii rectores, abbas vel custodes No. 104. 105. 109. 114. 121. 143. 
145—147. 149. 150. 151. Daneben doch auch für einen der Mönche (Exe. I Anm. 13), 
ja custodes monasterii, custodes ecclesiar. in einer Reihe mit Köchen und Bäckern, 
demnach als niedere Dienstesbeflissene an den schon von Waitz^ 5, 194 angeführten 
Stellen Beyer Mrh. ÜB. 2, 23 und Ledeb. Arch. 8, 280 — vergleichbar den sub- 
<5U8todes der Domcapitel, worüber Hinschius KR. 2, 104 nt. 11. 

14 d) Worterklärung des Abts Longus oben A. 13 1>. Von CWty rührt die 
Dissertation bist, et crit. sur Torigine de Tabbaye de St. Bertin et sur la 
superiorite qu'elle avait autref. sur l'^gl. de St. Omer, par un Religieux de l'abb. 
de St. Bert., Par. 1737 S. 227 (le terme d' Aedituus ou de Custos . . signifie aussi, 
comme le remarque encore un auteur moderne, celui qui a la Charge d'une eglise 



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Die Unthaten des Abts Fridugis zu Sithin. 271 

sich nicht daran, dass die Urkunden des Abts und des Bischofs die 
Custodia zu St. Omer ausdrücklich in Beziehung auf Einzelverrichtungen 
setzen. Auch bUeb unbeachtet, dass nach den in frühkarohngischer Zeit 
erlassenen Statuten Abt Adalhards von Corbie im Nachbarsprengel 
Amiens, die zu Cletys Zeit seit langem, audi aus Mabillons Druck be- 
kannt waren, der Custos einer im Eigentum eines Klosters stehenden 
Kirche, dem der Abt des Klosters Kleriker untergeordnet hatte, deshalb 
doch nicht deren eigentUcher oder gar höchster Obere war^*®). Und 
indem man der andern Absicht nachging, indem man von dem Range, 
den der Mönch von St. Bertin als Inhaber einer Dignität zu St. Omer, 
der Dignität des Custos gehabt, eine hohe Vorstellung geben wollte, ver- 
säumte man doch darzulegen, wie das Kloster St Bertin mit dieser 
Würde die Leitung des Stifts übernommen habe: denn dass zwischen 
Custos und Propst ursprünglich ein Unterschied bestand (der von vorn- 
herein diese Absicht mit jener Behauptung unvereinbar macht), gab man 
zu, sprach man doch von einer späteren Umwandlung der Dignität des 
Custos in die des Propstes^*')* 

Noch lange nach Abt Hugos und Bischof Folcwins angeblichen 
Ordnungen erscheint die Genossenschaft von St. Bertin, statt durch einen 
aus ihrer Mitte zur Leitung von St. Omer abgegebenen Mönch dort zu 
herrschen, vielmehr selber gefährdet, einer Minderung in ihrem Bestand 
und Besitz ausgesetzt. Jenes Diplom Karls des Kahlen aus dem Jahre 
877, das wegen seines Rückblicks auf Hugos Entwürfe bereits in Be- 
tracht kam, bestimmt nicht die Zahl der Chorherren, sondern nur die 
der Mönche, als ob nur diese solcher Festlegung gegen eine Verringerung 
bedurft hätten. Und die Güter, die es bestätigt, der Hand ihrer Besitzer 
sichert, gehören den Brüdern „von St. Petri, wo der h. Bertinus ruhet", 
also, so scheint es, den Mönchen insonderheit, nicht den Chorherren^*). 



et en est le superieur). S. 395 (pour etre le chef des nouveaux chanoines) und 
Avant-propos a III (pour gardien ou chef des nouveaux eh.). 

14 e) Stat. Adalh. abbatis (Dach. Spie* I, 587): De clericis. Post praepositum 
et decanum ad custodem S. Joannis respiciant nee omnino sine custodia relin- 
quantur. Die Kanoniker der im Eigentum von Corbie stehenden Kirche oder 
Kirchen und ihre Ordinationen berührt auch das Privileg P. Nikolaus' I. Jaffe-Lfd. 
No. 2717. 

14^) Clety, Dissert. S. 216 ( . . la dignite du custos etait changee dans celle 
de pr6v6t). 225 (le custos dans son etablissement un officier superieur, appell6 dans 
la suite des temps pr6v6t). 395. Wäre glaubwürdig bezeugt, dass der aedituus, 
dessen Stellung allerdings in diesen Landen die unserer Küster (nur von diesen 
spricht Hinschius KR. 2, 104 A. 11) überragt (die edilitas zu Cambray ist nach 
Bischof Liemars Urkunde Miraei 00. 1, 157 ein Stiftamt, vgl. Gart, de St. Bert. 
196), hier zu St. Omer die Dignität eines Gustos gehabt, so würde gegen seinen 
hohen Rang nichts einzuwenden sein: wie in italienischen Stiftern (darüber Hin- 
schius KR. 2, 112 A. 8) war hie und da in französischen der Gustos der erste 
Dignitär (Beispiele bei Glety S. 225 f. ; auch in dem Bericht des Abts Johannes 
Longus über die Reform im Kloster St. Bertin selber — im letzten Drittel des 
13. Jh. — liest man: primum officium fuit custodis (SS. XXV, 857 1. 49 f.). 

15) Über eine abweichende Lesart dieses Diploms oben Anm. 11. Erbeten 



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272 Zweiter Excurs. 

Denn wie Abt Pridugis und, ich bemerkte es schon, Abt Hugo nicht 
Mönche, sondern Chorherren waren ^% so wurden aus diesem Stande auch 
ihre Nachfolger auf lange hin genommen, mit Ausnahme eines, der aber 
des ganzen Sprengeis bischöflicher Obere war. Ja der unmittelbare 
Nachfolger eben dessen, der den Mönchen den Vorrang wieder zugewendet 
haben soll, Abt Adalhard, erhoben noch unter den Augen Bischof Folc- 
wins, war, nachdem Vatershand ihn dem h. Benedict dargebracht hatte, 
von der Mönchsregel abgefallen und Genosse derer zu St. Omer gewor- 
den^'). Ich schUesse daraus nicht, dass im Gegensatz zum Bericht 
Folcwins die Chorherren im Besitz des Primats gewesen, dass nur die 
Zugehörigkeit zu ihnen Aussicht auf den Abtsstuhl gewährt habe. Aber 
Anlass zu Besorgnis musste es den Mönchen geben. Dass jene Sicher- 
stellung ihrer Zahl und ihres Einkommens Karl d. K. auf Bitte Abt 
Hilduins erteilte, trug diesem Kanoniker den Nachruf aus Folcwins 
Munde ein, dass unter allen aus Klerikerstande keiner ihm „in Güte 
jeglicher Art ähnUch" gewesen sei. Man legte auf diese Verwendung 
Hilduins so grossen Wert, dass, wie Folcwin seinem Bericht über Hil- 
duins Abtswaltung vorausschickt, sein Name — doch wohl nur weil man 
sie ihm dankte: es wird kein anderer Grund ersichthch — zu St. Ber- 
tin unvergessen, immerdar in Segen geblieben ist^'^). 



hat es ,Hilduinus abbas coenobii Sti Petri quod vocatur Sithin, ubi . . Audomari 
atque Bertini corpora beata quiete fruuntur'*; aber die Güter, die der König be- 
stätigt, sind im Besitze derer, welche ,in monasterio Sti Petri ubi b. Bertinus 
requiescit" Gotte dienen. Wo Folcwin von einer Darbringung zum Mönchsstande 
erzählt, nennt er nur die zwei Patrone St. Peter und St. Bertin oder den letzteren 
allein (c. 52. 58. 106. 107 S. 615 1. 33; 618 1. 19; 628 1. 19; 629 1. 37). Es ist die 
Kirche, die ehedem St. Martin hiess, nun da sie das Grab des h. Bertinus barg 
(Bovon. Invent. S. Bert. c. 3 SS. XV, 527 1. 54; 528 1. 32), nach diesem benannt 
ward (Gesta Sith. auct. Folcw. c. 16. 85 S. 611 1. 6; 622 1. 29 Vit. Folcwin. episc. 
c. 12 SS. XV, 430). So bezeichnet Folcwin, zweifellos mit besonderer Absicht, die 
Martinskirche als loci caput (Gesta c. 12 S. 610 1. 37) und c. 78 S. 621 als den 
Sitz des Abts Hilduin, von dem man, da er Chorherr war, es eben nicht er- 
wartete. 

16) Nach Planctus Hugon. abbat, str. 6 in dem neuesten Abdruck M. G. Po. 
aev. Kar. 2, 140 wäre Hugo Mönch gewesen, Mönch von Charroux: Karoff . . de 
quo sacerdos extitit ac monachus, et ubi vivens postulavit mortuum se sepeliri. 
Die (einzige) Handschrift hat ha monachus: daher es ohne Änderung nicht abgeht. 
Mit Lebeuf, Bouquet, Dumeril und Coussemaker (von denen freilich weder der erste 
noch der letzte angiebt, dass er geändert) lese ich extitit, a monachis et ubi 
v. p. m. 8. s. : diese Lesart widerspricht wenigstens nicht wie die andere den son- 
stigen Nachrichten über seinen Stand (oben Anm. 10). Die Handschrift hat auch 
Po. aev. Kar. 1, 147 str, 7, 3 u (mortus) statt i, und überhaupt Fehler in den 
Vocalen (z. B. I, 132 str. 8, 2; 435 str. 7, 2). 

17) Gesta Sith. c. 58 S. 618: über Adalhards Nachfolger c. 64. 67. 69. 88. 
17^) Folcw. Gest. c. 69. 85. An der ersteren Stelle spendet er ihm das Lob 

mit einem Blick auf seine Vorgänger, deren Thun, wenn man von Bertinus absehe, 
vor dem seinen in nichts zerflösse, und er weist auch da auf die in Hilduins Zeit 
fallenden Urkunden. So fragt man billig, ob aus der nämlichen Feder die schon 
oben (Anm. 6^) in ihrer Echtheit wie Richtigkeit bezweifelte Nachricht vom Ein- 



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Die Unthaten dea Abts Fridu^s zu Sithin. 273 

Und wie solche Wahrnehmungen aus der Zeit nach Hugo Hugos 
angebhche Ordnungen nichts weniger als bestätigen, so hat auch was 
zu ihrer Rechtfertigung Folcwin und die zwei Urkunden über den frü- 
heren Stand der Dinge erzählen, über den angebUch durch Pridugis 
geänderten, keine Gewähr. Von den Altvätem her, sagt Folcwin, sei 
den Mönchen der Anspruch auf Ehrerbietung gekommen und der Wahr- 
heit gemäss (veraciter) bestünden sie auf der Forderung, dass die Kano- 
niker ihnen unterworfen würden. Aber schon die Voraussetzung, dass 
seit alters die Gründung des h. Bertinus höheres Ansehen gehabt habe 
als die des h. Audomarus, triflft nicht zu. Wo Sithin urkundhch nach 
Audomar und Bertin benannt wird, steht regelmässig Audomar vor Ber- 
tin ^^). Die erzählenden Quellen des ersten Drittels des neunten Jahr- 
hunderts (darunter eine Aufzeichnung aus der Zeit, bevor Fridugis Abt 
zu Sithin wurde) begnügen sich gar mit dem h. Audomar: monasterium 
Sti Audomari oder Sti Othmari quod dicitur Sithin^®). Auch Folcwins 
Behauptung, dass ehedem, bis auf Fridugis und „seine fluchwürdige 
Frevelthat", die Mönche beide Häuser, St. Omer wie St. Bertin, gehabt, 
leidet Bedenken. Denn die Vita des Bischofs Folcwin, ein späteres Werk 
unseres Folcwin, lässt davon nichts ahnen: wo sie diese Stätte schildert, 
beschränkt sie sich auf die Angabe, Sithin sei ein zwiegeteiltes Coeno- 
bium, die Höhe hätten Kanoniker inne, die Niederung Mönche, als ob 
das Verhältnis von je oder wenigstens schon bei Beginn von Folcwins 
Bischofsregiment, also Jahre vor Fridugis' Antritt so gewesen ^^). 

Auch ist wenigstens ein Zweifel gestattet, ob die Mönche St. Omer 
von Anfang an ausschUesslich besessen. Der Bestimmung, die Audomar 
dieser seiner Marienkirche gegeben hatte, ajs Begräbnis ihm selbst (Vita 

greifen Hugos kommen konnte: anch die wichtigste der Urkunden aus Hilduins 
Zeit, das Diplom Karls d. K., würde zweifellos übertrofi'en von der angeblichen 
Ordnung Hugos: dem hätte die Palme gebührt. 

18) Noch das Verbrüderungsbuch von St. Gallen (aus den achtziger Jahren 
des neunten Jahrh.) hat das Rubrum ^Nomina fratrum S. Otmari et S. Bertini*. 

19) Gesta abb. Fontan. c. 14 (SS. H, 289 1. 53); Ann. Mettens. z. J. 830 Scr. 
I, 336 1. 11. In seinem Testament wirft Abt Ansegis einen Betrag einfach ,ad 
S. Audomarum** aus (SS. II, 298 1. 13); wie auch Ann. Einh. 808 I, 195 1. 35 (dies 
die früheste Aufzeichnung) bloss de S. Audomaro haben, nur dass hier die aus 
St. Bertin stammende Handschrift, die Duchesne abdruckte (Script. III, 168: weder 
von Pertz noch in der Schulausgabe vermerkt), de S. Bertino giebt — gleich be- 
zeichnend für diesen Rangstreit wie im ehedem Malmedier Codex der Briefe 
Wibalds die Tilgung des Namens Stablo (Jaffe Bibl. 1, 234 nt. b vgl. S. 610). 

20) Vit. Folcw. episc. ed. Holder-Egger c. 6 SS. XV, 428. Die Annahme 
von Pertz, dass der Biograph des Bischofs und der Verfasser der Gesta abb. Sith. 
zusammenfallen, hat Holder-Egger (N. Arch. 6, 417 ff.) zu hoher Wahrscheinlichkeit 
gebracht, doch nicht über alle Schwierigkeiten hinweggebracht. Auffilllig beson- 
ders ihre Verschiedenheit in diesem Stück: jener erkennt den Besitzstand an, kühl 
gelassen, ohne Einwendung zu Gunsten der Mönche; dieser verwünscht in ihm, 
zitternd vor Unwillen, das gewaltsame Gebilde einer Tyrannenhand. Und während 
dieser noch die Kanoniker seiner Tage bezichtigt, auf fälschende Behauptung ihre 
Ansprüche zu gründen, widmet jener sein Werk den Brüdern des ,coenobii Sithi- 
ensis*', d. h. nach S. 428 1. 34 auch den Kanonikern. 

Puckert, Anlaue und Gelloue. 18, 

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274 Zweiter Excurs. 

S*i Audomaii antiqua) und (XJberlieferung von St. Bertin) zugleich den 
Brüdern von Sithin zu dienen, konnten, so lange es im Kloster unter 
den Mönchen noch keine oder nur wenige Priester gab, priesterlich ge- 
weihte Chorherren besser entsprechen denn Mönche. Eine unbefangene, 
von keinem Streit getrübte Überheferung ist, dass Ursmar, ein Zeitgenosse 
Bertins, seinem Kloster Lobbes, das nicht sehr weit von Sithin abliegt, 
gleichfalls eine Marienkirche in der Höhe als Grabkirche für die Mönche 
angeschlossen habe, die denn der Sitz von Chorherren wurde, allerdings 
in Abhängigkeit von dem Kloster in der Niederung *^). Solche Priestern 
obhegende Geschäfte hatten auch, so vermute ich, Benedict von Aniane 
und die Genossen der Synode von 817 im Auge, als sie durch eine 
Bestimmung des sog. Capitulare monasticum den Äbten gestatteten, Zellen 
mit Chorherren zu besetzen, die im Kirchendienst Beziehung zu den 
Mönchen hatten und doch, abgesondert von diesen, an eigener Stätte 
gehalten, keinen erschlaffenden Einfluss auf sie üben konnten, — eine 
Gefahr, die ohnedies allmähhch sich verringern musste, je mehr Eingang 
in die Stifter Ludwigs d. Fr. Institutio canonicorum fand^^^), da diese 
noch mehr als Chrodegangs Regel die Verschiedenheit zwischen Mönchen 
und Chorherren aufzuheben suchte, in manchen Stücken sachUch mit der 
Benedictina übereinstimmend^^®), in noch mehreren ihr wörtlich ent- 

21) Vit. ürsm. auct. Ansone § 9 (Boll. Apr. 11, 562); Folcw. Gest. abb. Laub, 
c. 4 (SS. rV, 57); vornehmlich Fundat. m. Laub. c. 50 (SS. XIV, 545): de superiori 
ecclesia, quae cimeterium nostruin est, sciendum est quod nobis subjaceat custo- 
demqne monachum habeat, et licet sit honorata canonicis, quicquid possident 
habent ex nobis. 

21b) Dass die Institutio (Mansi XIV, 153 ff.) im Jahre 816, das sog. Capitu- 
lare monastic. (Capit. ed. Boret. I, 343 ff.) 817 zu stände kam, legt Zeumer dar 
(Gott. G. Anz. 1882 S. 1423 f.): also hatten die Äbte und Mönche, indem sie Kano- 
nikerzellen den Klöstern anzuschliessen gestatteten, bereits die Neuordnung der 
Lebensführung der Kanoniker im Auge. Hauck, der den Aufsatz Zeumers über- 
sah, glaubt an Gleichzeitigkeit der Institutio und des Capitulare denken zu müssen : 
denn nach Ann. Laur. min. (cod. Fuld.) 816 ist von der Synode dieses Jahres 
sowohl die Institutio zusammengestellt, wie eine Bestimmung über die Liturgie in 
den Klöstern getroffen worden, unter dieser einzelnen Bestimmung aber habe, so 
setzt er voraus, der Annalist „die neuen Bestimmungen für Mönche* überhaupt, 
das ganze mehr als 70 andere umfassende Capitulare verstanden. Träfe diese 
Voraussetzung zu, so würde der Bericht der Laur. min. in dem Masse ungenau 
sein (hinzukommt, dass das Capitulare mon. nicht das Werk einer eigentlichen 
Synode, sondern einer besonderen Versammlung von Äbten und Mönchen ist), dass 
er überhaupt als Quelle nicht gelten könnte. Und warum wäre es undenkbar, 
dass die liturgische Bestimmung, ehe sie in das Capitulare m. aufgenommen ward, 
als eigene Ordnung von der Synode des Jahres 816 ausgegangen? Einer höheren, 
die Äbte überragenden Autorität bedurfte sie schon als Abweichung vom bisher 
Geltenden (vgl. Admon. gener. 789 c. 80 Bor. S. 61 — von Ansegis ausdrücklich 
auf die Mönche gezogen I, c. 74 S. 404 — , Capit. miss. 805 — cod. 13 — c. 2. 
806 c. 3 S. 121. 131). 

21c) Zu der von Kettberg 2, 667 und Hauck 2, 539 vermerkten Aufhebung 
der noch von Chrodegang geduldeten Ungleichheit unter den Kanonikern (vgl. 
Instit. c. 121, dazu 124. 138) kommt manches andere. So wird nicht mehr wie 
von Chrodeg. (c. 3.4. 6. 8. 21) das Wohnen ausserhalb des Stifts gestattet (c. 117) 



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Die ünthaten des Abts Fridugis zu Sithin. 275 

lehnt *^^). Wirklich begegnen neben Lobbes genug mit Chorherrenstif- 
tern ausgestattete Klöster, um uns in so geordneter Verbindung, die bis- 
weilen Abte und Mouche sich erst durch Gründung der Stifter geschaffen 
haben, einen eigenartigen Zug der Verfassung und des kirchlichen Lebens 
reich begüterter, stark besetzter Klöster erkennen zu lassen, im West- 
reiche wie bei uns im Osten, unter Ludwig d. Fr. wie noch lange dar- 
nach, als die Mönche im eigenen Kreise die Zahl der Priester gewachsen 
sahen. So in Ludwigs d. Fr. früher Zeit St. Biquier im Sprengel Amiens 
unter Abt Helisachar mit nicht weniger denn drei Stiftern, von denen 
Forestmontier 30 Kanoniker fasste, gerade so viel wie St. Omer nach 
Folcwin unter Abt Fridugis; und Corbie in dem nämUchen Sprengel, da 
die nach Abt Adalhards Statuten bei der St. Johanniskirche unter einem 
Custos vereinten Kleriker, wie ich schon andeutete, kaum (höchstens viel- 
leicht wie der Teil vom Ganzen) verschieden sind von den Kanonikern, 
deren enges Verhältnis zum Kloster nachmals in seinem Privileg für 
Corbie P. Nikolaus I. berührte ^^. Noch um Jahrhunderte später Notre- 
Dame zu Issoudun im Sprengel Bourges, dessen Abt Girald die Stifts- 
herren der von ihm gegründeten Kirche St. Denis vomehmhch zur Teil- 
nahme an den Beerdigungen seiner Mönche verpflichtete, wie sie seit 
alters fiir jene auf der Höhe über Lobbes in Betracht kam^^^). Auch 

oder (wie von Chrodeg. c. 10) die Möglichkeit einer Reise vorausgesetzt; Ein- 
lassung von Frauen (von Chrodeg. c. 3 dem Bischof oder Adiakon anheimgestellt) 
vorbehaltlos (mit Ausnahme des Kirchenraums) untersagt (c. 144); die Bedingung 
der Wählbarkeit c. 138 (vgl. Chrodeg. c. 25) nach Bened. Reg. c. 21, besonders 
die zum Kellneramt c. 140 (vgl. Chrodeg. c. 26) nach Bened. Reg. c. 31 gefasst; 
die Vorschrift der Beleuchtung des Schlafsaales c. 136 (vgl. Chrodeg. c. 3) aus 
Bened. Reg. c. 22 aufgenommen ; das Gebet der Brüder (übergangen von Chrodeg.) 
aus Bened. Reg. c. 28 der Bussdisciplin (c. 134) eingefügt. 

21d) An bedeutender Stelle Instit. c. 132 Psallentium mens concordare debet 
cum voce, nicht in Chrodeg. c. 7, aber in Bened. Reg. c. 19 (mens nostra concordet 
voci nostrae). Und es erfordert ein geringes Mass von Vertrautheit mit der Bene- 
dictina, das freilich sogar den katholischen Kirchenhistorikem , einem Erzbischof 
Mansi, einem Bischof Hefele abging, um wahrzunehmen, dass Inst. c. 145, wo was 
die Chorherren za Schmuck und Zier ihres Wandels machen sollen, ihnen in 
mannigfaltigen Geboten und Verboten gewiesen wird, eine umfassende Darlegung 
der Grundgesetze ethischen Verhaltens der Kanoniker, grösstenteils wörtliche Über- 
tragung aus dem Grundgesetz der Mönche ist. Von den in Reg. Bened. c. 4 ver- 
einigten Vorschriften finden sich nach der Bezifferung in Märten es (darnach Mignes) 
Ausgabe hier wieder § 1—3. 64. 4—7. 9. 34. 40. 22. 54. 65. 37—39. 35 u. 36. 24. 
27. 29. 42 u. 43. 14—19. 21. 26. 44. 46. 41. 60. 69. 68. Der Anschluss ist so eng, 
dass (Mansi 244 C) nach Vorgang von Reg. 4 § 6 u. 7 der Inhalt des neunten und 
zehnten Gebots des Dekalogs (Instit.: non concupiscere rem alienam, Regula: non 
cöncupiscere) dem des achten vorangestellt wird. (Anders die Folge Instit. c. 114, 
das von der Benedictina unabhängig ist.) Noch voller und enger der Anschluss 
der Statuten des Bischofs Theodulf von Orleans für die Domherren seiner Kirche 
c. 21, wo die Quelle auch nicht genannt, nur durch quidam pater ange- 
deutet wird. 

22) Güterverzeichnis von St. Riquier in Hariulfs Chron. Centul. III, 3 (Dach. 
Spicil. ed. sec. II, 312). Über Corbie oben Anm. 14c. 

22b) AusführHche Urk. in Gall. ehr. II J. 48 No. 56. 

18* 



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276 Zweiter Excure. 

Marmontier-les-Tours, das an der vom Bischof tibergebenen Kirche zu 
Basoches im Sprengel Soissons, wo zugleich die „ecclesia canonicahs" zu 
Chatillon an der Marne Eigentum des Klosters war, den überkommenen 
Rest der Chorherren nicht aussterben liess, sondern neben einem Mönchs- 
satz auch wohl im Besitz des Chores duldete ^^°). Bei uns (ich be- 
schränke mich auf zwei der namhaftesten Benedictinerklöster) Tegemsee 
mit dem von einem seiner Abte auf Klosterboden gegründeten Stift 
St. Martin zu Dietramzell in der Ausweitung des Isarthals'^^^), und 
Prüm, wo zur Seite der altklösterUchen Erlöserkirche im Anfang des 
11. Jahrhunderts eine andere zu Ehren der Erlösermutter unter der 
eigenen Hand des Abts gleich fiir Kanoniker aufstieg, während St. Goar 
und Münstereifel, seit unvordenkhcher Zeit Besitzungen Prüms, wenn je 
in benedictinische Ordnung gefasst, später der Stiftsverfassung verfielen 
und nun wie eben die Liebfrauenlarche, nach einer der bekannten Be- 
merkungen des Abts Caesarius zum Güterverzeichnis, dem Abt und 
den Mönchen Prüms „Capläne" stellten ^^®). 

Abt Hehsachar, der, wie gesagt, zu St Riquier mit der Leitung von 
Mönchen die oberste Leitung von Chorherren verband, unterschied sich,. 
da er nicht zu d«n Mönchen, sondern zu den Chorherren zählte, in seiner 
Stellung an dieser Stätte kaum von Fridugis in der seinen zu Sithin. 
Jenen nun empfahl Benedict von Aniane, der sich der Sicherung der 
Mönche vor den Chorherren nicht wenig annahm, den Mönchen seines 
alten Klosters als „den besten ihrer Freunde unter den Chorherren über 
den Erdboden hin", und zu St. Riquier pries noch im zwölften Jahr- 
hundert eine dankbare Erinnerung, dass er den Frauen den Zutritt gänz- 
lich untersagt habe-^. Aber das Bild von Fridugis war zu St. Bertin 

22c) ürk. Mabill. Ann. VI Append. § 37. 

22d) Urkunde B. Heinrichs von Freising 1102 und (Ja.-Lfd. No. 6179) P. Pa> 
schals II. bei Meichelb. I, 1, 292. 293 (cella . . ordo secund. regul. S. Augustini . . 
conventus canonicor.). 

22e) Beyer Mrh. ÜB. 1, 189 Constat conventum Monasteriensem ab eccl. Pru- 
miensi a primis fundamentis fundatum esse . . unde ejusd. conventus clerici domina 
abbati atque ecclesie Prüm, subjecti esse debent et capellani; et non solura Mona- 
sterienses verum etiam canonici S. Goaris et Prumienses (aufgenommen in die^ 
urkundliche Erklärung Abt Jofnids von Prüm 1266 Günther, cod. d. Rheno-Mos. 
2, 353). Kaiser Heinrichs H. Bestätigung der Liebfrauenkirche als Stift in Ab- 
hängigkeit vom Kloster (wie bei Dietramzell Anm. 22d) 1016 Stumpf No. 1679. 
Das Stift Münstereifel lassen Mabill. Ann. II 1. 31 § 57 Hontheim 1, 238 und 
Eltester (im Mrh. ÜB. 2, S. CLXXXI) aus einem Kloster entstehen; die gleiche 
Ansicht hat Eltester (S. CLXXVI) von St. Goar, wo Mabill. sich von Hause aus 
Kanoniker vorstellt (Ann. II, I. 24 § 21). In Wandelberts Mirac. S. Goaris (SS. XV, 
363), also 839, ist nicht von einer Mönchsvereinigung zu St. Goar, sondern nur 
von Klerikern die Rede (c. 1 S. 363 1. 43 cl. qui divina agerent, c. 2 S. 365 1. 8); 
ebenso zu Münstereifel in der Trsl. SS. Chrysant. et Dar. (Mitte des 9. Jh.) (Mab. 
AA. IV, 1) c. 27 (dies auch SS. XV, 376) bei der Ostervesper (c. 24 heisst's von 
dem einzelnen Mönche Herirand praesens forte residebat — wie der aedituus zu 
St. Omer). und die Zulassung der Frauen zu den Altären gilt in beiden Quellen 
als selbstverständlich (Mirac. c. 10. 11. 18. 34. Trsl. c. 9—11. 15—17. 25. 26). 

23) Dass Benedict die Ernennung Helisachars zum Abt von St. Riquier er- 



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Die ünthaten des Abts Fridugis zu Sithin. 377 

schon im zehnten Jahrhundert sehr verdunkelt Die Erschlaffung der 
Zucht freiUch gab man ihm und seinem Regiment nicht schuld. Auf 
den Ausschluss der Frauen, auch der hochgeborenen und gekrönten, von 
der Kirche hat er gehalten, wie nur die alten Benedictiner, die darein 
ihren Stolz setzten: das erste Weib, das vor dem Altar des Gründers 
sich hat beugen dürfen, war die Gemahlin des Grafen Arnulf von Flandern, 
der es 938, ein volles Jahrhundert nach Fridugis gestattet ward, und 
erst beim Abtsregiment dieses Grafen spricht Folcwin vom Untergang 
der mönchischen Strenge zu St. Bertin ^^^). Indes wie wenig Fridugis 
einem Vorwurf solcher Art sich ausgesetzt hat, wie bezeichnend es fiir 
Ludwigs Erwählung gerade dieses Abts aus dem Kanonikerstande ist, dass 
aus dessen Amtszeit nicht einmal Folcwins Feder von einem Abbruch an 
strenger Lebensführung der ihm anvertrauten Mönche etwas zu berichten 
im stände war — man erklärte ihn trotzdem für „unwert sogar des 
Namens eines Abts". Verleitet durch Genusssucht, verblendet von Hab- 
sucht habe er mit den berufenen Massregeln den Mönchen das Ihre ge- 
nommen, um es seinen Lüsten dienen zu lassen, habe er den Samen der 
Zwietracht zwischen den Mönchen und Kanonikern ausgestreut. 

Vielleicht hat (wenn ich nun über Entstehung und Ausbildung der 
Fälschung eine Vermutung äussern darf) erst Zwietracht zwischen Kloster 
und Stift, Streit über Besitz und Rang, den vermutlich die 944 im Kloster 
begonnene Erneuerung der Regelstrenge wenn nicht hervorrief, doch 
steigerte, zur Erdiditung oder Verkehrung früherer und frühester Ge- 
schichten Sithins geführt. Ein Kanoniker im Abtsstuhl war nicht mehr 
hinderüch. Seit der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhimderts erfreute 
sich St. Bertin, entsprechend der Wiederherstellung der Regel, von neuem 
eines Leiters mönchischer Herkunft, der, wenn das Kloster den Principat 
über das Stift erstritt, des am meisten genoss. Von einem dieser regulären 
Abte erhielt Folcwin, des es gar nicht Hehl hat, dass Streit sei^*), die 
Anregung zu seinem Werke. Und er oder seine Gewährsmänner haben 
auch bei Vorgängen, welche die Stellung der Mönche von St. Bertin 
nicht berührten, noch bei Ereignissen des eigenen, des zehnten Jahr- 
hunderts mannigfacher üngenauigkeit sich schuldig gemacht, schwere 
Irrtümer begangen, mitunter gar gefabelt; auch in der Wiedergabe von 



lebt hat, lässt sich nicht bestimmt sagen. Seine Abtswürde zu Junieges kennt 
der etwas späte Hariulf nur von Hörensagen, und St. Aubin, wo er Jahre vor 
Benedicts Tod die Leitung hatte, kommt hier nicht in Betracht, da bis 966 
St. Aubin Stift war. Aber die Worte Benedicts an die Mönche seines alten 
Klosters „fratres ipsos (ipsius?) in meo habetote semper loco" (V. Bened. c. 43. 
SS. XV, 220 1. 21) lassen vermuten, dass er in der Nähe von Aniane ein Kloster 
hatte. 

23^) Gesta c. 107 . . abbas et comes Arnulfus dolens religion. monasticam . . 
tunc temporis abolitam. Vorher, c. 106, der Kirchenbesuch seiner Gemahlin (quod 
antea reginarum nulla concupiscere vel audebat). 

24) Wo er von der Wirkung so weit abstehender Ursache spricht, braucht 
er doch Präsensformen (G^sta c. 49): dura et monachi sibi reverentiae honorem 
vindicant canonicorumque subjectionem sibi veraciter defendunt . . et canonici . . 
principatum ad se monachorum pertinere dicunt. 



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278 Zweiter Excurg. 

Diplomen an gleichgültigen Stellen zeigt sich nicht immer eine das Ur- 
sprüngliche treu wahrende Hand**). 

War es nun auch Willkür, dass sie aus der Zahl der Abte gerade 
Fridugis herausgriffen, um in dem Rahmen seiner Tage die Gebilde ihres 
Truges unterzubringen? — den Erwählten jenes Herrschers, der dem 
Mönchtum so reiche Gunst zuwandte wie Ludwig d. Fr.? Oder ersahen 
sie sich ihn etwa, weil mehrere Diplome Ludwigs d. Fr. (darunter eins 
noch aus Fiidugis' Zeit) und seiner westfränkischen Nachfolger einer Divisio 
der Güter von Sithin mit einem nachdrückhchen Verbote entgegentreten ? 
Denn dies Verbot setzte noch in unserer Zeit Sickel, der diese Güter- 
teilung als eine Teilung zwischen Mönchen und Kanonikern „für die 
Zwecke eines Kanonikats" fasste, in unmittelbare Beziehung zu den von 
Folcwin erzählten Massregeln des Abts Fridugis, deren Wiederholung 
nun durch die Diplome untersagt worden sei. So würde das Verbot 
sogar ein Anzeichen wider Fridugis, fast einen Beweis seiner Verschuldung 
bilden, wo man denn kaum von Fälschung reden, nicht nach dem Anlass 
fragen dürfte, der einen Fälscher auf seinen Namen gebracht habe. Aber 
ich stimme dieser Auslegung nicht zu. Keins der Diplome enthält eine 
Andeutung, dass jemals über Sithin durch die Gewaltsamkeit irgend- 
welchen Abts bereits eine Teilung gekommen sei, nach der die nun 
unter des Herrschers Bann gestellte als eine doppelt schmerzUche hätte 
unterlassen werden sollen. Und in allen richtet .sich das Verbot an die 
zukünftigen Könige, nicht an die zukünftigen Abte, daher unter der 
Divisio eine Handlung des Herrschers gemeint sein muss, die Divisio im 
allbekannten Sinne altkaroUngischen Reichsrechts, die Einziehung von 
Kirchen- oder Klostergut durch den König zur Ausstattung angesehener 
Männer des Reiches, zm* Belohnung geleisteten Dienstes, als Ersatz er- 
Httenen Verlustes ^% Indes lenkte die BUcke auf Fridugis vielleicht der 



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25) Neben Urkunden führt Folcwin mündlichen Bericht ernster Männer als 
seine Gewähr an c. 111 (strenuis viris narrantibus) vgl. c. 57 S. 617 1. 7. Auf 
chronologische Ungenauigkeit machte schon Guerard an verschiedenen Stellen 
seiner Ausgabe aufmerksam; umfassend und eindringend die Rüge Holder- Eggers 
in der seinen (SS. XIII, 625 nt. 2. 4. 5. 10. S. 626 nt. 1. 9. S. 629 nt. 2; Willkür 
in Benutzung der Quelle S. 611 nt. 5). Irrige und auch willkürliche Überlieferung 
der Diplome bringt Sickel zur Anzeige: so Mühlb. No. 702 Fridugis* Titel nach 
dem seines Nachfolgers (UL. S. 98 n. 4), Mühlb. No. 804 der Zusatz palat. zu 
Niuhem (zu L. 268), Mühlb. No. 344. 702 die königliche Unterschrift ohne voraus- 
gegangene Ankündigung (UL. S. 191); No. 344 und 915 Fehler im Datum (zu 
K. 161. L. 334). 

26) Mühlb. No. 844 und No. 915 (abermals von Ludwig), dann Cartul. ed. 
Guer. S. 119. 149 (von Karl d. K. und dem westfränkischen Lothar): successores 
nostros admonemus ut nuUam divisionem faciant aut facere permittant. Gleich 
in Mühlb. No. 844, zu dessen Erläuterung Sickel jene Ansicht äussert, lautet schon 
das Gesuch der Mönche nur auf Erlass eines Verbotes „ut nullus succedentium 
nostror. dividere presumeret"; die späteren Diplome No 915 und Cartul. S. 119 
geben als den Inhalt der voraufgegangenen Vorfügung einfach die Weisung „ut 
nullus succedentium nostrorum dividere . . presumeret" (ohne facere permitteret). 
Demnach ist die von Sickel abgelehnte Ansicht Roths die richtige. Dass Mühlb. 
No. 844 nicht von Fridugis, sondern von den Mönchen erbeten wurde, deutet nicht, 



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Die ünthaten des Abts Fridugis zu Sithin. 279 

Umstand, dass er als der früheste unter denjenigen Vorstehern von Sithin 
bekannt war, die nicht aus der Mönchsgenossenschaft von St. Bertin auf- 
gestiegen sind: als erster Abt chorherrhchen Standes konnte er am ehesten 
einer Umkehrung der Verhältnisse zu Gunsten der Kanoniker beschuldigt 
werden. Galt doch seine Erhebung noch in anderer Beziehung als ver- 
hängnisvolle Epoche: die Erinnerung zu St. Bertin hing an sie zugleich 
den Verlust des Wahlrechts, wie wenig es auch wahrscheinhch ist, dass 
Sithin es schon damals besessen. Ein reines Wahlprivileg hat Folcwin 
nicht vorzubringen vermocht, und keine der von ihm mitgeteilten Immuni- 
täten läuft, wie gewöhnUch die Immunitäten der in dieser Weise bevor- 
rechtigten Klöster, in Wahlrecht aus^'^). 

Dem entspricht von der anderen Seite, dass dem Abt Hugo, den 
man sich im' zehnten Jahrhundert zu St. Bertin wohl als Mönch vor- 
stellte, wenigstens nicht mehr als Chorherrn kannte (keineswegs an ihm, 
aber ausdrückhch an seinem Vorgänger und seinen Nachfolgern vermerkt 
Folcwin den aus diesem Stand sich ergebenden Defect), das Verdienst zu- 
geeignet ward, jenen Umschwung zu Gunsten der Mönche begründet und 
selber noch eingeleitet zu haben. Dass indes Hugo den Mönchen von 
St. Bertin ein grösserer Gönner als Fridugis gewesen, würde schon ein 
Vorgang fraglich machen, den Folcwin selbst ohne einen Zweifel an seiner 
Glaubhaftigkeit erzählt, wenn es nur mit der Glaubhaftigkeit auch so 
bestellt wäre. Ich meine den bereits berührten Versuch Hugos, die Ge- 
beine des h. Audomarus von Sithin, aus dem Sprengel Therouanne hinweg 
nach seinem anderen Kloster St. Quentin im Sprengel Noyon zu entführen. 
Dieser Raub hätte, wäre er gelungen, zwar zunächst einen Altar des 
Chorherrenstifts getroffen. Da Hugo jedoch nach dem Wortlaut der 
Gesta in ihrer gegenwärtigen Gestalt auch die Mönche von St. Bertin 
an „der Hut des h. Audomarus", ja nach der ihm zugeschriebenen Ur- 
kunde an dem Erträgnis des Altars beteiUgt hatte, so liegt zu Tage, 
dass der Abt durch seinen Frevel zugleich das Kloster geschädigt, die 
eigene zu dessen Vorteil getroffene Ordnung in diesem Stück hinfällig 
gemacht hätte. Sein Einvernehmen mit dem von ihm zur Wache an 
den Heihgengebeinen gesetzten Mönche, dem auch die Heimkehr des 
wiedererlangten Schatzes unwillkommen ist, würde die Ordnung von Haus 
aus in übles Licht stellen. Aber der Bericht über den ganzen Vorgang 
ist mancher Anzweifelung ausgesetzte^): ich führe ihn nur an, weil er 



wie Sickel meint, auf einen Gegensatz zu ihm, sondern erklärt sich aus den 
Umständen zur Zeit des Gesuchs (unten Anm. 32). 

27) Mon. Germ. Diplom. Merov. S. 52. 79, dazu Mühlb. No. 133. 844. 915. 
So ist es völlig haltlos und nur für die im 10. Jahrhundert unter den Mönchen 
von St. Bertin herrschend gewordene Ansicht bezeichnend, wenn Folcwin bei der 
Erhebung des Abts Fridugis erzählt (Gesta c. 47 S. 614) „monachis ordinatione 
monasterii sui abstracta, abbatia regali beneficio in externas persouas est bene- 
ficiata". Dass nach den ältesten Quellen der Abtsstuhl von St. Bertin durch 
bischöfliche Ernennung besetzt worden ist, Folcwin aber darüber schweigt, bemerkte 
ich oben Anm. 4. 

28) Wie Folcwin Gesta c. 57 bekennt, hatte er an schriftlichen Quellen nur 
einen kurzen annalistischen Vermerk über die Translatio des Heiligen von Liegesr 



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280 Zweiter Excurs. 

zeigt, welche Widersprüche in sich die Überlieferung unter den Mönchen 
von St Bertin ertrug. Unzweifelhaft ist dagegen der Anteil, den Hugo 
an der von Folcwin beklagten, verwünschten Gestaltung der Verhältnisse 
zu Sithin gehabt Er erhellt aus jener urkundlichen Erinnerung Karls d. K. 
an die vom Abt Hugo im Entwurf hinterlassene Satzung, die eine 
Teilung der Güter und die Zuweisung eines bestimmten Teils an die 
Mönche im Kloster enthielt, also die Aufhebung der Einheit von Sithin 
im Keime. Der von Karl d. K. in demselben Diplom angezogene Er- 
lass seines Vaters, der die Zahl der Mönche auf 50 oder 60 festsetzte, 
entbehrt der chronologischen Bestimmung; aber müsste man zwischen 
Fridugis' und Hugos Zeit Entscheidung treffen, so wäre, da diese Con- 
stitution in keinem der Diplome Ludwigs für Sithin, deren wir bis August 
835 manche besitzen, angefiihrt wird, eher als an die früheren Jahre des 
Kaisers an seine letzten zu denken, aus denen keine sich erhalten haben, 
demnach eher an die Abtswaltung Hugos (834 — 843) und an eine von 
ihm ausgegangene Anregung, woran sich denn in nahem Zusammenhange 
die durch den unausgeführten Entwurf bezeugte Vorbereitung einer Güter- 
teilung angeschlossen hätte. War also überhaupt eine Klage statthaft, 
Klage gegen einen der Abte, so ist die Verblendung der Leidenschaft 
an dem schuldigen vorbeigegangen, um einen andern von gutem Namen 
noch spät in argen Verruf zu bringen^®). 

bordh „ad locum suum": sonst ruht sein, fast volle 120 Jahre nach dem Ereignis 
niedergeschriebener Bericht, der doch lebhaft ins einzelne geht, auf mündlicher 
Mitteilung älterer Leute. Die Vita Folcw. ep. c. 3 redet gar nur von vulgi rumor, 
der es feiere; und bei allem Verdienst, das sich ihr Held um die Rettung des 
Schatzes erworben haben soll, ist sie da sehr kurz. Die Inschrift auf dem Grabe, 
das er zu St. Bertin erhalten, deutet es gar nicht an (Vita Folcw. ep. c. 12). — 
Bei seiner Macht und seinem Einfluss hätte Hugo, lange des ungeteilten Reichs 
Kanzler, auf redlichem Wege den Schrein seines Kloster» St. Quentin füllen 
können, wie er wirklich so den Leib des h. Cassian erlangte (AA. SS. Aug. II, 66). 
Und als Berater seines königlichen Neffen Karl hatte er im Sommer 848, kurz 
vor dem Zusammentritt der Brüder zur Teilung des Reichs, vermutlich weder 
Müsse noch Sinn zu einem Reliquienraub. Man möchte meinen, dass das Grerücht 
als Gregenstück der Erzählung, zu St. Bertin habe Graf Arnulf von Flandern die 
von ihm geraubten Reste des h. Richarius und anderer niedergelegt (Hariulf Chron. 
Cent. III, 22. Gesta Sith. c. 108 SS. XV, 696. XIII, 630), erst im 10. Jahrh. von 
Sithin aus verbreitet wurde. Aber die Beteuerung des Planctus Hugonis, dass der 
Abt unfähig gewesen sei, einen Raub zu begehen (Poet. aev. Karol. 2, 140), 
könnte doch ein Zeichen früher Entstehung jener Nachrede sein: die Verwunderung 
meines lieben CoUegen Woldem. Wenck (Frank. Reich S. 88) über solch ein Lob 
„des Mannes der Kirche" findet einfachste Lösung, wenn man annimmt, dass nur 
eine Beschuldigung abgewehrt werden sollte. 

29) Mit gleicher Beschuldigung vergriffen sich unwissende Zeitgenossen 
Folcwins, da in einem Anbringen vor Kaiser Otto I. 973 (Stumpf No. 524, jetzt 
M. G. Dipl. r. et imp. I, 580) die Einführung von Chorherren in das Kloster 
Echtemach von der Boshaftigkeit eines „Eindringlings", eines „gewissen Karlmann" 
hergeleitet ward. Dieser Karlmann, der Sohn Karls d. K., hat sich, heimatlos 
und hilflos, von seinem Vater geblendet und vor ihm flüchtig, schwerlich dessen 
unterfangen, an einer Stätte, die ihm aus Mitleid zugewiesen worden war, zur 
Linderung seines Elends (das letztere nach Regino, einem Zeugen aus nächster 



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Die Unthaten des Abts Fridugis zu Sithin. 281 

Denn von Fridugis giebt Folcwin eine Schilderung seiner Sinnesart 
und Richtung überhaupt, die er, wie seine Urgeschichte von Sithin auf 
die gefälschten Urkunden, ganz auf die Anklagen zugerichtet hat, mit 
denen dann im Namen der Benedictiner der Chorherr überschüttet wird. 
Die Schilderung ergeht sich, als ob von dem seit mehr denn vier Menschen- 
altem Abgeschiedenen die lebendigste Kunde verblieben wäre, ungleich 
breiter als die Charakteristik irgend eines seiner Nachfolger. Diese er- 
halten ihr Urteil, wenn überhaupt eins, in einem ganz allgemeinen Lob- 
spruch: so Hugo I. und Hilduin; dass aber Fridugis „unwürdig sogar 
des Namens eines Abts" gewesen, drängt Folcwins polternde Rede uns 
mit einem Schwall von Vorwürfen förmlich auf, unermüdlich im Herzählen 
seiner mannigfachen Verkehrtheiten und Untugenden, als da sind avaritia, 
impudentia, lascivia, perversitas, temeraria presumptio, tyrannis, versutia. 

Auch in einem Verzeichnis aus St. Omer wird Fridugis von den 
übrigen Vorstehern Sithins, vor ihm und nach ihm, abgehoben. Aber 
sehr anders. In dem Katalog des Stiftsherrn Lambert hat sein Name 
den Zusatz pacificus *"). Der Katalog ist noch jünger als Folcwins Abts- 
geschichte, um mehr denn anderthalb Jahrhundert jünger, auch nicht 
frei von Irrtum. Er steht zudem nicht über dem Verdacht der Befangen- 
heit nach der entgegengesetzten Richtung, wie denn dieser Beiname, in 
dem ich nicht eine Latinisierung sehe (keinen andern Geimanennamen 
des Verzeichnisses begleitet eine Übersetzung, und diese träfe überdies 
nicht zu), vielleicht nur auf der Mönche Vorwurf gemünzt ist, Fridugis 
sei ein Zerstörer zarter Bande der Bruderliebe gewesen. Indes lässt sich 
nicht leugnen, dass Fridugis anderwärts die von Lambert ihm zugeschrie- 
bene Eigenschaft eher denn die entgegengesetzte bekundet hat, als Abt 
von Tours , wo die Ordnung des Verhältnisses der Chorherren von 
St. Martin zu den Mönchen von Cormery Aufgaben an ihn stellte, die 
denjenigen sehr ähnlich waren, die später zu Sithin an ihn herantraten. 
Dort hat er den Mönchen, den Benedictinem von Cormery, am wenig- 
sten Grund zum Vorwurf der Habsucht und Herrschgier gegeben, er, 
der von einem frühen Jahre seines Regiments zu Si Martin, von 808 
ab, bis wenige Jahre vor seinem Ende, zum Teil auf Kosten seines Stifts, 
für ihre Ausstattung mit Gut und Freiheit so sehr wie seine Vorgänger, 
für die regelgerechte Führung ihres Lebens und fiir ihr Abtswahlrecht mehr 
als einer seiner Vorgänger Sorge getragen hat. 

Zeit und aus der Nachbarschaft, z. 870). Nach Catal. abb. Eptem. I (SS. XIII, 
738), der gerade hier verlässig ist, war schon unter dem Laienabt Graf Adalhard 
die Stiftsverfassung eingeführt worden, etwa 20 Jahre ehe Karlmann antrat. Die 
Auskunft, wodurch Abt Dietrich von Echtem. (SS. XXIII, 68) zu Weilands Beifall 
mit diesem Zeugnis jenen Vorwurf gegen Karlmann zu vereinbaren suchte (Karl- 
mann habe bloss noch einen Rest der Mönche ausgetilgt), schliesst der Wortlaut 
des Vorwurfs in jenem Anbringen aus: die ganze Schuld ist hier Karlmanns. 

30) Lamberti Ser. abb. S. Bert. M. G. SS. XIII, 391 lin. 18. Einen Irrtum 
Lamberts auch in seiner berichtigten Liste rügt schon Holder -Egger (bei Propst 
Alvinus); sein Ansatz des Jahres, in dem Fridugis auch nach ihm die Scheidung 
vorgenommen haben soll, 830, ist willkürlich und irrig zugleich: er fand bei 
Folcwin die Zeitbestimmung in initio tyrannidis suae und las als Jahr seines An- 
fangs 830 (S. 390 1. 14) statt wie bei Folcwin (vgl. Mtihlb. No. 702) 820. 



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282 Zweiter Excurs. 

Das alles ergeben Urkunden für Cormery. Auch ein für Sithin selbst 
ausgestelltes Diplom entzieht einem der von St. Beiün her erhobenen 
Vonvürfe den Boden. Zu leerem Genuss und Spiel soll Fridugis die 
Befugnis der Jagd in den Waldungen Sithins vom Kaiser erbeten haben. 
Aber das Diplom Ludwigs d. Fr., das davon handelt, gewahrt weder 
dem Abt noch den Mönchen oder Kanonikern selbst, sondern nur ihren 
Leuten die Übmig der Jagd, und ausdrücklich giebt es sich als Er- 
neuerung eines schon einem der Vorgänger erteilten, was der gedanken- 
lose Folcwin auch in seine Sammlung aufgenommen hat*^). 

Zu einer günstigem Ansicht von Fridugis führen auch die Urteile 
seiner Zeitgenossen, um die sich Folcwin freilich nicht kümmerte, die 
ihm vielleicht ganz unbekannt geblieben sind: zeigt er doch keine Ahnung 
von den wichtigsten seiner Lebensverhältnisse, dass er ein Zöghng Alkuins, 
ein Testamentszeuge Karls d. Gr., der langjährige Kanzler Ludwigs d. Fr. 
gewesen ist. Wenn Alkuin ihn seinen Nathanael nannte, den Jünger, 
in dem kein Falsch, so berechtigt dies freiUch noch nicht mit Luden 
(der vielleicht nur dadurch verleitet wurde), „einen Mann von reinen 
Sitten und edlem Herzen" in ihm zu finden: denn als eine Mahnung hat 
Alkuin ihm diesen Namen gegeben. Aber er hätte sie wohl anders ge- 
fasst, wenn der Jüngling Anlage oder Hang zu der von Folcwin dem 
Manne vorgerückten Verschlagenheit gezeigt hätte; und Alkuins Gleichung 
mit dem Apostel bezieht sich noch darauf, dass, wie er sagt, auch Fri- 
dugis den Heiland erkannt habe. Der Aufenthalt am Hofe, der Verkehr 
mit der Kaiserschwester Gisla und mit der Kaisertochter Rotrud hat 
seinen Ruf, wie wenig makellos auch Rotruds Lebensführung war, nicht 
geschädigt. Die Kunde von seiner Gunst bei Karl machte sogar seinen 
Erzieher zum Bittsteller, bei ihm wie bei Candidus, führte auch ihm das 
Gesuch Alkuins zur Zeit seiner Irrung mit Bischof Theodulf um Be- 
schwichtigung des allerhöchsten Zornes zu. Unter Ludwig erscheint er, 
auch als dieser was in der väterhchen Pfalz unsauber war weggefegt 
hatte, in ungeminderten Ehren, betraut nach der bekannten Schilderung 
Ermolds mit der Leitung einer „in Glaubensreinheit wie in ihren Ge- 
wändern strahlenden Schülerschar", deren Aufzug den Glanz des Hofes 
erhöhen sollte. Legte Alkuin unter den Mahnungen, die er, im Ermun- 
tern und im Warnen unermüdlich, diesem Sohne so wenig wie andern 
ersparte, ihm einst ans Herz, sich nicht in fremde Zwistigkeiten hinein- 
ziehen zu lassen, so ist zu vermuten, dass Fridugis keinen Grund zur 
Besorgnis gab, er werde selbst Zwist anstiften. Heftigkeit im Ausfechten 
gelehrten Streites war ihm nicht fremd; sie brachte, nach der Vorhal- 
tung des freilich selber keineswegs sanftmütigen Erab. Agobard, ihn in 

31) Die blinde Gehässigkeit Folcwins in der Beurteilung des Jagdrechts 
Mühlb. No. 702 (vgl. No. 344) rügte schon v. Simson L. 2, 238 nt. 5. — Unter den 
Diplomen, die Fridugis in stattlicher Zahl für Cormery, dieser Chorherr für Regu- 
läre, erwirkte (Mühlb. No. 499 690. 857. Böhm. No. 2073), sichert das zweite den 
Wählern zu Cormery sogar die Berufung eines Abts von aussen (unter Zustimmung 
des Abts von St. Martin) und fasst zugleich eine Mehrung der Mönche über 50 
hinaus ins Auge; nach dem dritten hat erst Fridugis dort regelgerechte Wohnungen 
hergestellt. 



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Die ünthaten des Abts Fridug^s zu Sithin. 283 

Gefahr, sein Lob sanfter Bescheidenheit und Wahrhaftigkeit einzubüssen. 
Das ist ein Missklang, wie denn die Erinnerung an das Lob der Be- 
scheidenheit kaum emsthch genommen werden darf — sein Brief über 
das Nichts und die Finsternis zeugt im Eingange und noch mehr am 
Schlüsse von kräftigem Selbstbewusstsein — , der einzige Missklang in 
den Stimmen der Zeitgenossen über ihn'*^^). Denn seine in diesem 
Briefe uns recht empfindlich werdende Neigung zu Spitzfindigkeit beein- 
trächtigte nicht die Anerkennung seiner Gelehrsamkeit, seiner Weisheit: 
als das ihn zierende Besitztum rühmt diese nicht bloss Alkuin, der nach 
seinem eigenen Ausdruck in ihm sich, den geistüchen Vater fortleben zu 
sehen wünschte, sondern auch Bischof Theodulf von Orleans*^). Und 
Alkuin hat Vertrauen und zärtliche Neigung ihm bis zuletzt bewahrt. 

31b) AgobarJi über adv. objectiones Fridug. (ed. Bai. 00. I S. 165 ff. = 
Migne 104, 159) § 1 Modestiae vestrae benignitas talibus nos invectionib. perculit, 
quae lenitatis ac sinceritatis vestrae modum excedere viderentur, nisi . .; . . ino- 
destiam vestram transgredereroini . .; § 14 multas et graves calumnias . . 
nobis inflixistis. — Fredeg. (M. G. Epist. IV: ep. varior. No. 36 S. 555) Haec . . 
scribere curavi, ut . . si forte . . aliquid prolatum fuerit, ab hac nostra ratione 
dissentiens, ad hanc velut ad regulam recurrentes, ex ejus sententiis stultas 
machinationes * deicere valeatis. Der von Dümmler zuerst (ebenda No. 35 S. 552) 
herausgegebene Brief Karls d. Gr. an Dungal, der unsere Kenntnis der Richtung 
seines wissenschaftlichen Bestrebens erweitert, hat (wie schon Dümmler ver- 
mutet) vielleicht eben diesen Brief des freilich ungenannt gelassenen Fiidugis zur 
Begleitung gehabt: Karls Worte im Eingang ^sententias seu rationes quas tibi 
dirigimus" schliessen sich doch an den angeführten Briefschluss. Und so wäre 
Fridugis hier einmal bescheiden gewesen, der eine Arbeit an die Hofgesellschaft 
(in sacro palatio consistentibus) richtete, welche des Kaisers Anteil weckte. 

32) M. G. Poet. aev. Kar. I, 487 v. 175. Alk. Ep. ed. Jaffe No. 187. 206 
(S. 660. 700) = M. G. No. 251. 262 (S. 406 1. 26; 420 1. 15 sapientiao decus); 180 
(S. 632) = 245 (S. 393 1. 25 vivat pater in filiis). Mahnungen an seinen Nathanael 
Ep. 206 = 262 (S. 419 1. 28 qui agnitus est a te) und 179 = 244 (S. 392 1. 30 
nee te alienis inmisce dissensionibus). Zur Bestätigung der Anklage Folcwins 
fand Sickel (zu L. 268) ein Zeichen des von Fridugis gestörten Verhältnisses 
zwischen ihm und den Mönchen in dem Umstand, dass das Imöiunitätsdiplom 
Mühlb. No. 844 nicht ihn, sondern sie als die Bittsteller angiebt. Dann hätte, da 
das Diplom doch wohl nicht vor Ludwigs Besuch der Stätte, sondern nachher er- 
teilt ward, der Kaiser trotz des Zwistes hier Einkehr gehalten und den Zwist, der 
sie überdauert, in seiner Urkunde, fast ihn anerkennend, zum Ausdruck gebracht. 
Aber jene Angabe des Diploms kann sich auch durch Fridugis' Abwesenheit und 
seine Abwesenheit sich dadurch erklären, dass zu dem damals beabsichtigten 
Feldzuge gegen die Briten Fridugis in seinem der Britengrenze viel näheren Stift 
zu Tours Aufgebot und Rüstung zu betreiben hatte. Ganz unerhört war ein Ge- 
such von Mönchen ohne den Abt keineswegs in der Zeit Ludwigs: wir besitzen 
auch Formeln, die für Gewährung in diesem Falle abgezogen waren (Imper. No. 6. 16 
Zeumer S. 291. 297) ; der Fall wird bei der häufigen Verbindung mehrerer Klöster 
oder Stifter in einer Hand sich wiederholt haben. Dass das Diplom für St. Riquier 
(3. Apr. 830 Mühlb. No. 845) den Abt Helisachar nicht nennt, wie das No. 844 nur 
vom Gesuch der Mönche berichtet, erklärt sich eher daher, dass auch Helisachar 
vielleicht aus gleichem Grunde wie Fridugis abwesend war, beschäftigt in seinem 
andern Kloster St. Aubin zu Angers, als aus der damals kaum schon zum Kaiser 
gelangten Kunde von seiner Teilnahme an Pippins Abfall. 



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284 Zweiter Excurs. 

Das erweisen Briefe, die zu seinen spätesten gehören, Briefe auch an 
Andere, auch an Kaiser KarP^^). Dass von Karl aus der Zahl der 
Schüler Alkuins, deren doch mehrere am Hofe bekannt geworden, unter 
ihnen einer, den wie Fridugis aller Schuld an den letzten Wirren in 
Tours seine Abwesenheit enthob, gerade Fridugis für das weitaus wich- 
tigste Amt Alkuins erlesen ward, fiir St. Martin, mag nur das Zeichen 
«ines ihm besonders reichlich entgegengebrachten Vertrauens sein. Die 
auf ihn gesetzten Erwartungen können indes nicht getäuscht haben: nach- 
dem er länger als ein halbes Menschenalter sich auf dem Abtsstuhl von 
St. Martin gezeigt hatte, erst da übertrug Karls Nachfolger ihm noch 
Sithin, geraume Zeit nach Alkuins Tod, an dessen Statt den Fremdling 
im Lande schwerUch Verwandtschaft mit einem der einflussreichen Franken- 
geschlechter weitertiiig. Darauf fiihrte mich schon der erste Excurs; 
hier darf ich wohl noch, zu vollerer Darlegung der Ansicht, die seine 
Zeitgenossen von ihm gehabt, vornehmlich an Benedict von Aniane 
erinnern. Der ist sicherlich, seit Fridugis Abt von St. Martin geworden 
wai*, diesem mit aufmerksamem, vielleicht mit spähendem BUcke ohne 
Nachlass gefolgt. Denn wenn der „Vater seiner Mönche'* alle von Aniane 
ausgegangenen Pflanzungen nach der Epistola Indensium unter seiner 
Aufsicht und waltenden Hand hielt, so wird er am wenigsten Cormery, 
wo diese Zöglinge bei ihrer Abhängigkeit vom Stift St. Martin in ihrer 
Regeltreue gefährdet waren, aus dem Auge gelassen haben, nicht die 
Stätte und nicht ihren Mundherm aus dem Chorherrenstande, was dieser 
nur that oder zuliess. Nun preist zwar nicht er selbst, doch sein Bio- 
graph Cormery zu Fridugis' Zeit als blinkendes Muster mönchischer 
Ijebensfiihrung (c. 24). Es kann auch bei ihrem häufigen Zusammen- 
treffen am Hofe, wo Benedict nach Ardo seinen Klöstern Gewährung 
auf Gewährung auswirkte und Fridugis als Kanzler seit 819 deren Aus- 
fertigung in urkundlicher Form leitete, über dessen Gesinnung gegen das 
Benedictinertum gar kein Zweifel in Benedicts Seele aufgekommen sein. 
Da aber Benedict seinen Einfluss auf Ludwig d. Fr. bis an sein Ende 
behielt, wie man nach den Andeutungen seiner Lebensgeschichte an- 
nehmen darf, vornehmlich bei Ernennung von Äbten, so ist in Fridugis' 



32b) An Erzb. Arno im Jahre 802 Ep. 234 = M. G. 259 S. 417 1. 19 audias 
illum — Fredegisum filium meum — quasi me tibi loquentem in cor, vgl. 1. 24 f. 
Im Briefe an Karl d. Gr. No. 205 = 261 nennt er ihn carissimum filium nostrum 
vobisque fidelem famulum (S. 419 1. 12). Diesem Briefe giebt Dümmler, der ihn 
m JaflFes Sammlung mit Bestimmtheit auf Dez. 801 — 803 ansetzte, jetzt einen 
Spielraum zwischen 798 und 803. Ich nehme indes die frühere Begrenzung auf. 
Nicht gerade wegen S. 418 1. 35 und 419 1. 6 (imperialis potentia, imperium: über 
diese Ausdrucksweise Alkuins Waitz VG.^ 3, 188 nt. 2), auch nicht wegen der 
Erinnerung an seine senectus (in dem gleichzeitig abgegangenen Brief 206 = 262 
S. 420 1. 14), da Alkuin schon früh über Greisenhaftigkeit klagt, schon 796 (Ep. 72 
S. 336 = Ep. 114 S. 169 1. 23), sondern weil die Bücher der heiligen Schrift, die 
er jetzt emendatos übersendet, als Weihnachtsgeschenk an Karl nach Aachen 
(S. 419 1. 12), ihn noch nach Mitte April 800 beschäftigten (Ep. 136 = 195 S. 323 
1. 6) , eine Sendung aber auf Weihnacht 800 den Weg über die Alpen hätte 
nehmen müssen. 



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Die Unthaten des Abts Fridugis zu Sitbin. 285 

Berufung zum Abtsstuhl von Sithin ein Urteil über ihn enthalten, das 
eine andere Gewähr hat als die Schmährede Polcwins. 

Bei dieser Berufung muss den Kaiser und seinen Berater ein Grund 
von einigem Gewicht geleitet haben. Ohne einen solchen konnten sie,. 
da Fridugis zu seinen Obliegenheiten im Stifte zu Tours, die, wie Alkuins 
Rücktritt lehrt, eine volle Kraft forderten, bereits auch die Leitung der 
Kanzlei übernommen hatte, ihm nicht noch das B^giment eines Klosters 
überweisen, das voraussichtüch ihn mehr in Anspruch nahm als seinen 
Vorgänger das mit St. Martin verwaltete St Loup zu Troyes und 
St. Josse zusammengenommen. Fridugis' angelsächsische Herkunft kann 
trotz der Beziehungen Sithins zu England**®), auf die der Kaiser den 
Blick werfen mochte, in der Erwägung Abt Benedicts nicht den Aus- 
schlag gegeben haben. Kam noch anderes in Betracht, so fällt auf, dass 
nicht HeHsachar erlesen ward, er, der doch schon in Ludwigs aqui- 
tanischer Zeit dem Herrscher vertraut gewesen, dem Abt Benedict 
gleichfalls schon da wert und teuer geworden und es bis zu dessen letzter 
Stunde gebüeben war, wo dieser Chorherr dem Sterbenden näher trat 
als einer der Mönche aus luden oder Aniane. Seit seinem Scheiden 
von der Kanzlei frei für einen andern Wirkungskreis erhielt Helisachar 
diesen freilich auch unter Benedictinem, aber nicht als Abt zu Sithin,^ 
sondern in der Nachbarschaft, zu St. Biquier, und vielleicht erst nach 
Benedicts Tod. Demnach haben wir mehrfachen Anlass zur Frage: hatte 
der Gang der Dinge in Sithin zu einer Halbheit oder Verwirrung ge- 
fiihrt, ähnlich der, welcher Fridugis in Tours ein Ende gemacht ? Hatten 
Kleriker, an der Barche von St. Omer zum Begräbnisdienst angesetzt,, 
hier überhand genommen und die ganze Grenossenschaft auf der Höhe^ 
wenn sie überhaupt je in der Pflicht der Mönchsregel stand, zu ihrer,, 
der Stiflsverfassung, herübergezogen? War deshalb zwischen ihnen und 
den Mönchen im Thale eine Ausgleichung erforderlich, bei der von Fri- 
dugis, nachdem er in Tours die Verhältnisse zur Entscheidung und in 
Ordnung gebracht, nachdem er dem Kloster zu Cormery nicht bloss 
Schonung, sondern auch Wohlwollen bezeigt hatte, sich am ehesten ein 
massvolles Vorgehen und auch Gunst gegen die der Regel getreuen 
Brüder zu St. Bertin erwarten liess? 



32 c) Vgl. oben S. 33 Anm. 36 c. Die zu Sithin unter Ludwig d. Fr. den 
englischen Dingen zugewandte Aufmerksamkeit bekundet Cod. K^ der Briefe Alkuins. 
Geschrieben, wie Sickel aus eijier ihm vorgelegten Probe erkannte, in Ludwigs 
Zeit, hat er (so wiederum Sickels Entdeckung) zu seiner Heimat St. Omer und zu 
seiner Grundlage eine Sammlung, welche vermutlich „aus Kreisen stammt, die noch 
nach Alkuins Tod Verkehr zwischen dem Festland und England unterhielten, 
d. h. von einem Manne ausgegangen ist, der . . hüben und drüben seine Ver- 
bindungen hatte" (SB. d. kk. Ak. ph.-h. Cl. 79, 500 f. 530). Weist indes Sickel 
dabei auf Fridugis, so lässt sich Cod. K^, da hier wie in den auf der nämlichen 
Grundlage ruhenden A^ A^ K* (bei Jatfe AVG) gerade alle an Fridugis, an ihn 
allein oder mit an ihn gerichteten Briefe fehlen (No. 257. 179. 180. 187. 206. 
258 = MG. 135. 244. 245. 251. 262. 289), auf eine Anregung von dessen Seite 
nur zurückführen, wenn man annimmt, dass zu St. Omer neben K^ noch eine 
Sammlung anderer Briefe vorhanden gewesen sei, unter gleichem Gesichtspunkt 
wie die (oben S. 185 f.) zu Aniane angelegte. 



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286 Zweiter Excurs.. 

Was hat nun aber Fridugis in Sithin vorgenommen und zu stände 
gebracht? Was darf man ihm als sein eigen Werk zu Verdienst oder 
Schuld anrechnen? 

Wer über Stellung und Wirken dieser Abte karoKngischer Königs- 
klöster eine zutreffende Ansicht zu gewinnen sucht, über Fridugis in- 
sonderheit uneingenommen von Folcwins Voraussetzung, dass er zugäng- 
lich den „Suggestionen des Teufels", aber nicht getroffen, unberührt von 
einem Befehl des Königs , als „Tyrann" hätte schalten und walten können, 
wird nicht nur an die Überwachung der Abte denken, die zum Beruf 
des allezeit am Hofe weilenden Erzkaplans gehörte, sondern vomehmUch 
an die Anweisungen, die Abt Eigil von Fulda, Abt Tructesind von 
Aniane bei ihrem Amtsantritt empfingen. Die von Ludwig für Sithin 
erteilte hegt uns fi'eilich nicht vor; auch lässt kein zeitgenössischer Be- 
richt unmittelbar erkennen, welche unter den mannigfaltigen über Sithin 
gekommenen Wandlungen gerade in Fridugis' Amtszeit falle. Aber er- 
schliessen können wir aus den Urkunden das eine und andere, was da- 
mals geschehen und was nicht geschehen ist. 

Im Besitz des „Principats" hat Fridugis die Mönche zu St. Bertin 
belassen. Sie sind es und nicht die Chorherren von St. Omer, die elf 
Jahre nach seiner Stuhlbesteigung dem Kaiser mit dem Gesuch um Be- 
stätigung der alten Immunität nahen durften, denen Ludwig die wie vor 
Zeiten auf St. Bertin und St Omer lautende Urkunde, ohne Erwähnung 
der Kanoniker, gewährte. 

Gleich dieses Diplom lehrt denn auch, dass Fridugis eine völüge 
Scheidung zwischen St. Omer und St. Bertin nicht vorgenommen hat: 
die Immunität, die der Kaiser in diesem Diplom bestätigt, begreift alle 
Güter von Sithin. Wenn Lambert zu St. Omer, der Kanoniker des 
zwölften Jahrhunderts, an eine von Fridugis vorgenommene divisio eccle- 
siarum glaubte, so verleitete ihn, wie sonst, Folcwin. Denn noch in der 
letztbekannten Erneuerung, welche die Immunität durch einen Karoünger 
Westfi-anciens erhielt, wird die Gesamtheit der Güter des monasterium 
Sithin zu Ehren der Mutter Gottes und der Apostel Petrus und Paulus, 
wo die Körper der heihgen Bekenner Audomarus und Bertinus ruhen, 
bestätigt^«). 

Da, wie fiiiher bemerkt, noch Fridugis' Nachfolger Abt Hugo eine 
Güterteilung zur Sicherung der Mönche nur beabsichtigt, in unvollendetem 
Entwurf zurückgelassen hat, so kann allerdings noch weniger Fridugis 
eine endgültige Ordnung aufgerichtet haben. Nur dass schon im Blick 
auf die Statuten für die Kanoniker aus dem Jahre 816 und die Kloster- 
reform von 817, über deren Ausfuhrung Visitatoren wachten und der 
Kaiser bei persönlicher Begegnung am Hofe oder auf Reichstagen sich 

33) Mühlb. No. 844 (oben Anra. 26) und Guer. S. 149 (König Lothar 962: 
fehlt Böhmer). Die Behauptung Bethmanns (Arch. 8, 83 nt. 1) „Bis 820 wird 
St. Bertin in den Urkunden immer bezeichnet ubi requiescunt corpora Sti B. et 
Sti A., von da an aber requiescit corpus Sti B., weil nun das Capitel nicht mehr 
unter dem Abt von St. B. stand" ist (zu den Anm. 26 angefahrten Urkunden 
kommt Böhm. 1815) in ihrem ersten Teil unzutreffend, abgesehen auch von der 
unrichtigen Namenfolge der Heiligen. 



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Die ünthaten des Abts Fridugis zu Sithin. 287 

erfragte (darauf machten sich wenigstens seine Bischöfe gefasst**), Fridugis 
in den vierzehn Jahren seines Waitens vorbereitende Verfügungen fiir 
das Kloster wie für das Stift kaum unterlassen haben wird, vomehmhch 
den Unterhalt der Angehörigen des einen und des anderen sicherstellende 
Verfügungen, die sich, was wohl auch anderwärts manche auffällige Ver- 
zögerung sei es ihrer endgültigen Passung sei es der königUchen Be- 
stätigung erklärt ^*^), an der Erfahrung einer B«ihe sich im Wirtschafts- 
erträgnis ausgleichender Jahre noch zu erproben hatten^®). 

Die Behauptung Lamberts von St. Omer, Abt Fridugis habe die 
Kirche St. Omer aus der Gemeinschaft mit den Mönchen gelöst (zumal 
aus der der Güter : a consortio monachorum), findet in dieser allgemeinen 
Fassung keine Bestätigung. Sie schliesst sich vielleicht an den immerhin 
bemerkenswerten Umstand, dass in Fridugis' Amtszeit die erste Urkunde 
begegnet, wodurch dem Kloster und dem Stift gesonderte Schenkungen 
gemacht werden^'). 

Aber altes Eigentum von Sithin ist noch auf Jahrhunderte ungeteilt 
geblieben. Da haben den von den Grenzen des deutschen Reichs um- 
schlossenen Grundbesitz die deutschen Könige Heinrich 11. 1015 und 
Heinrich IV. 1056 „duobus monasteriis in loco Sithin . . constructis, 
quorum unum est canonicorum, alterum monachorum" bestätigt, beidemal 
nur unter Nennung des Abts von St. Bertin, neben dem der Propst der 



34) Dass Ludwigs Zeitgenossen ihn damals nicht, gleich seinen neueren Be- 
urteilern, für lässig hielten, wo es seine eigenen Ordnungen galt, zeigt der Brief 
Erzb. Hettis an Bischof Frothar (Bouqu. 6, 397 No. 28): in proximo est placitum, 
in quo sine dubio sciscitabitur de obtemperantia mandati sui dominus mandati 
(eben des Statuts für die Kanoniker). 

35) Die Güterteilung, die Benedict von Aniane als Visitator in dem von 
einem Kanoniker geleiteten Kloster St. Colombe zu Sens vorgenommen hatte 
(Mühlb. No. 980 quasdam villas . . segregavit, ut absque . . abbatis dono aut 
exactione usibus eorum perpetuo deservirent: entsprechend der Aachner Ordnung 
Vit. Bened. An. c. 39 S. 218 1. 2 monasteriis . . sub canonicor. potestate . . con- 
stituit segregatim unde vivere possent), erhielt des Kaisers Bestätigung erst 836, 
also frühestens 16 Jahre nachher. Die zeitlich erste unter den erhaltenen Con- 
stitutionen (für St. Amand auf Bitte des Abts und kaiserlichen Missus, also wohl 
Visitators Mühlb. No. 732) kömmt uns aus dem Jahre 822. Sogar Hilduin, Abt 
von St. Germain und von St. Denis, demnach, da er Chorherr war, in gleichem 
Verhältnis zu ihnen wie jener Abt zu St. Colombe und Fridugis zu St. Bertin, hat, 
obschon er als Erzkaplan dem Kaiser so oft sich nahen musste wie Fridugis als 
Kanzler, die Constitution für St. Germain erst 829 zur Genehmigung vorgelegt 
und die für St. Denis („una cum consilio et licentia domini mei") erst 832 ver- 
fasst (Mühlb. No. 833. Tard. S. 84). Die Constitution für St Riquier ward, wie 
lange schon Helisachar, der Gönner der Mönche, da waltete, erst 830 bestätigt 
(Mühlb. No. 845). 

36) Den Mönchen von St. Bertin hat Karl d. K. (Böhm. No. 1815) die von 
Hugo ihnen zugedachten Grundstücke zu mehren für nötig gefunden. 

37) Lambert, can. Audom. M. G. SS. XIII, 390 1. 12. — Cartul. ed. Guer. 
(Folcw. II, 85) S. 158 hereditatem . . ad St. Audomarum, . . illud in Curmontis ad 
St. Bertinum, . . in Muldehem ad St. Audomarum, . . reliqua oinnia tradantur ad 
St. Bertinum (826). 



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288 Zweiter Excurs. 

Stiftsherren (und das wiegt schwerer als die überkommene Voranstellung 
des Namens der Stiftskirche) nicht einmal wo die Narratio von der 
Stellung des Gesuchs berichtet, eine Erwähnung erhält*^). Noch im 
ersten Viertel des zwölften Jahrhunderts erscheinen Zehnten und Zölle 
in Gemeinschaft der Mönche und Kanoniker; noch im letzten Drittel des- 
selben Jahrhunderts berichtet der Fortsetzer Abt Simons, auch Mönch 
zu St. Bertin, dass sein Kloster an vielen Orten Einkünfte mit dem Stift 
gemein habe^®). 

In Lamberts Verzeichnis der Abte von St. Bertin und der Pröpste 
von St Omer, dessen spaterer Teil an den Urkunden sich bewährt^*^) 
und dessen früherer wenigstens in den Namen Vertrauen, mehr Vertrauen 
verdient als in den Jahresangaben, tritt der erste Propst noch nicht unter 
Fridugis und auch nicht gleich nach Fridugis, sondern erst nach Abt 
Hugo I. hervor, Odo, wie Lambert sagt, seit 844, als ob Hugo auf seinen 
Tod hin samt König Karl solches angeordnet hätte. Aber erst im 
zehnten Jahrhundert erscheint wieder einer, Adalhard. (angeblich 950 — 967), 
mit dem diei nun nicht wieder durch Namen von Äbten zu Sithin unter- 
brochene B«ihe der eigenen Oberen des Stifts anhebt. 

Zu einem tieferen Einschnitt zwischen Stift und Kloster kam's viel- 
leicht in der Zeit, über die Folcwin nicht mehr und sein Fortsetzer Simon 
noch nicht berichtet, in den Jahren 962 — 1021. Acten des elften Jahr- 
hunderts entschlagen sich nämlich dem Brauch, das Grab des h. Audomar 
neben dem des h. Bertin zu erwähnen: die fiirstÜQhen und auch Privat- 
Urkunden benennen seit 1026 das Kloster nur nach seinem Gründer, 
päpstUche Privilegien, wenn sie besonders feierUch sind, bezeichnen es seit 
1057 nur durch seine Apostelpatrone und als Ruhestatt des h. BertiÄ, 
des Bischofs Folcwin und Silvius*^). Anderseits heissen die Mitgüeder 
der Stiftsgenossenschaft in Briefen Gregors VH. einfach Canonici Sta© Mariae 
et S^i Audomari*^). So schwindet denn auch das Wort, das vom Ur- 
sprung her über Jahrhunderte hin der Ausdruck der örtlichen Gemein- 
schaft gewesen war, der Name Sithin, der freilich schon als der profane 
geringere Dauerhaftigkeit hatte. Lamberts Verzeichnis der Pröpste von 
St. Omer lässt ihn nach Lotmar (977—995) aus der bis dahin jedem 
beigefügten Angabe seiner Amtsdauer „Sithin ecclesie Sti Audomari prae- 



38) Stumpf No. 1658. 2559 (später von ihm abgedr. Acta Imp. S. 436 No. 308). 
Den Mönchen insonderheit überwies aus diesem Gemeinbesitz Karl d. E. 12 Mansen 
in Kassela und 10 in Vrechen, dazu die Mutterkirche in Vrechen, die dann päpst- 
liche Privilegien seit 1096 den Mönchen auch als Eigentum sichern Ja.-Lfd. 5628 
(nicht vom 23., sondern vom 24. März: Guerards XK. Apr. berichtigt Morand 
Append. S. 81). 6201. 6769. 8016. 8483 (ihre Neubestätigung durch K. Otto I. er- 
wirkten freilich die Reste des Stiftsheiligen Folcw. c. 109 S. 631). 

39) Ja.-Lfd. 7032 (vgl. Cart. ed Guer. S. 238 decimas proprias atque communes) 
Gest. Sith. Contin. II, 11 S. 668. 

40) So sein Ansatz Balduins, Arnulfs und Otgers an den Urkunden bei Guer. 
S. 194; 238 u. 242; 241. 

41) Cartul. ed. Guer. S. 175. 184. Ja.-Lfd. No. 4367 und die Anm. 38 ange- 
führten. 

42) Ja.-Lfd. No. 5088. 5089. 5157. 



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Die Unthaten des Abts Fridugis zu Sitbin. 289 

ftdt annos . ." hinweg; seit Helecinus (1002) herrscht ebenso ausnahmslos 
der Ansatz „ecclesie S^i Audomari praefuit"**). Am längsten verfolgt 
man ihn in den Urkunden für die Abte der Mönche, wo denn eben 
deren Genossenschaft^ das Kloster im Unterschiede vom Stift, darunter 
verstanden wird. In dieser eingeschränkten Bedeutung begegnet er noch 
in Paschais 11. und Calixts 11. Privilegien für Abt Lambert (1108. 1112. 
1119 u. 1123). Aber wie schon in demjenigen, das der Vorgänger 
Paschais dem nämlichen Lambert 1096 gewährt hatte, so heisst in der 
Erneuerung, die Lamberts Nachfolger von Calixt H. 1124 erhielt, ja 
schon in einer Tauschbestätigung und in mehreren Briefen Paschais das 
Kloster einfach monasterium confessoris Christi Bertini oder monasterium 
Sti Bertini : der Name Sithin erscheint nach Calixt II. in den päpstUchen 
Acten nicht mehr**). Freilich hielten ihn die Mönche, die doch der 
päpstHchen Kanzlei die Vorlagen Heferten, damals in Fällen, wo sie ihr 
Kloster meinten, noch fest; Verfasser und Fortsetzer der Gesta abbatum 
Sithiensium samt dem Verfasser der Flan^ria Generosa bis in das letzte 
Drittel des 12. Jahrhunderts**); aber die Abte ihrer Zeit begnügen sich 
in ihren Urkunden mit dem Titel, den schon ihre Vorgänger in denen 
der Päpste seit dem zweiten Viertel des zwölften Jahrhunderts fuhren: 
wo Abt Leonius (1138—1163) und Abt Simon 11. (1170—1188) in 
eigener Person reden, ja schon wenn seit 1104 Verträge Abt Lamberts 
von wem immer zur Verkündigung gebracht werden, lautet er einfistch 
abbas monasterii S^i Bertini*®). 

Fällt in die Zeit, die zum Wechsel des Namens in den Urkunden 
führte, in diese Zeit, die noch über die Anfänge von Simons Erzählung 
hinabreicht, auch ein Wandel, der die Sache, die Spitze der Dinge be- 
rührt? Denn zur Wahl Abt Lamberts (vor dem ersten April) 1095 
haben sich noch einige oder (darauf führt die Fassung des Berichts) alle 
Kanoniker von St. Omer eingeftmden, als ob Sithin noch ein Doppel- 
kloster gewesen : nicht ohne ihre Beistimmung hat Lambert das Regiment 
erhalten*'); aber bei den Wahlen seiner Nachfolger wird einer BeteiH- 



43) SS. Xin, 390 liu. 14 £P.; zwischen Lotmar und Helicin sieben Jahre 
ohne Propst. 

44) Paschal II. Ja.-Lfd. No. 6201. 6322 (Sithin); 6041. 6374. 6537 (nur St. Bertin). 
Calixt IL No. 6769 und 7032 (Sithin); dagegen an dem nämlichen Tage No. 7033 
und 7167 (nur St. Bertin). 

45) Simonis Gesta II, 6. 7. 82 (Sithiense coenobium); 84 (Sithienses). III, 15 
(Sithiensis ecclesia); Contin. Sim. I, 13 und III, 14 Sithienses (SS. XIII, 666. 673); 
Flandr. Gener. c. 2 in monasterio Sti Bertini quod vocatur Sithin (SS. IX, 318 1. 8). 

46) Urkunden der Äbte Leo (nius) und Simon IL im Gart. ed. Guer. Simon. III 
(contin.) c. 9. 26. 55 S. 329. 347. 370. Verträge Abt Lamberts (nicht in eigener 
Person kundgemacht) Cartul. Sim. II, 29. 30. 37 S. 241. 242. 248. 

47) Gest. Sith. Simon. II, 4 S. 644: Statuto die . . [omnis congregatio 
adunata] . . clerici etiam Sti Audomari cum quibusdara [etiam] nostri ordinis fratri- 
bus (Mönchen aus anderen Klöstern, etwa aus der zu St. Bertin gehörigen Zelle 
Wormhout, aus dem gleichfalls abhängigen Auchi-des-Moines: vgl. Gart. ed. Guör. 
Sim. I, 21 S. 197, Gap. IV Anm. 46) ad substituendum abbatem venientes dum in 
capitulo residerent . . . 

Puckert, Aniane und Gallone. 19 



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290 Zweiter Excurs. 

gung Ton Klerikem des Stifts nicht mehr gedacht Da nun vor oder 
bei Lamberts Wahl nichts von einer Neubefestigung des Bandes zwischen 
St Bertin und St. Omer verlautet, so könnte wer über die Zeit dieses 
Abts nicht hinaus sieht sich versucht fiihlen, das Verfahren bei dessen 
Wahl flir die einfache Fortsetzung alten Brauches zu halten, wie er be- 
standen habe, seitdem überhaupt die Besetzung des Abtsstuhls nicht mehr 
in des Königs oder Grafen Hand war, obschon aus der Zeit vor Lambert 
ein Zeugnis solcher Gemeinschaft; der Wahlhandlung fehlt Aber ander- 
seits gewahrt man in der Zeit Abt Lamberts nichts, was ein solches 
Verhältnis gestört oder aufgehoben hätte; im Gegenteil sind, sowie ruchbar 
ward, was er angezettelt hatte, um sein Kloster unter die Botmässigkeit 
Clunys zu bringen, Propst und Kanoniker zu St. Omer von der unter 
den Mönchen zu St Bertin weit überwiegenden Partei der Gegner Clunys 
vertrauensvoll um Beistand angegangen worden und ihnen wirkHch 
helfend zur Seite getreten**). Daher denn die Berichte über die Wahlen 
nach Lambert, die gleichermassen wie die über die früheren von einer 
Teilnahme der Kanoniker schweigen, in gleicher Weise auszulegen wären. 
Zum Verständnis des Vorgangs von 1095 verhilft auch nicht die 
Vergleichung der Wahlrechtsbestimmungen in den von den Päpsten vorher 
und nachher dem Kloster gewährten Privilegien. Die späteren, einsetzend 
mit einem Privileg, das noch Lambert von ürban ü. empfing, machen 
zur Bedingung gültiger "Wahl die allgemeine Übereinstimmung der Brüder, 
nach der bekannten Formel ürbans 11.*®). Aber Urbans Formel begegnet 
zwar regelmässig in den Urkunden einfacher Klöster; doch wurde sie, 
das lehrt ein ihr nachgebildetes Privileg für die Mönche von Afflighem, 
zu deren Abtswahlen nach einer Verfugung Pfalzgraf Siegfrieds „geeignete 
Brüder von Laach herzukommen" sollten, auch bei einem Verbände 
mehrerer Convente für angebracht erachtet Aus der Zeit vor Abt 
Lambert hat sich nur ein päpstliches Wahlprivileg^, für Sithin erhalten, 
von Victor II., und das heischt die allgemeine Übereinstimmung der 
„Congregation". Dieser Ausdruck begegnet ja auch in der Schilderung 
eben des Vorgangs von 1095, wenigstens wie sie Tassard in seinem 
Codex giebt. Aber man kann schon da, nach der Fassung der Stelle, 
nicht mit Zuversicht sagen, dass der Erzähler darunter die weitere, auch 
die Stiftsherren von St. Omer umfassende Wählerschaft: verstehe: dass 
das Wort congregatio auch engere Bedeutung haben, den Convent eines 
einzigen Klosters bezeichnen konnte , erweist das Privileg desselben 
Papstes für Cluny, wo es wiederkehrt, obgleich in Cluny Clunys Mönche 
allein die Wähler waren ^^). Und um wieviel schon in der Zeit, als 



48) Gesta Sith. Sim. IT, c. 64. 

49) Jaffe-Lfd. No. 5628. 6322. 6769. 7032. 7167. 8016. 8483. Über Urbans IL 
Formel Cap. II, Anm. 20. 

50) Jaffe-Lfd. No. 9220 vgL Beyer ükb. des Mrh. I, 481. 

51) Ja.-Iifd. No. 4367 vgl. 4336; wer es auffällig fände, dass die sonst übliche 
und von Urban 11. in seine Formel aufgenommene Bindung des Wahlverfahrens 
an die Weisung der Regel Benedicts in dem Privileg für St. Bertin fehlt, müsste 
sie auch in dem für Cluny vermissen. 



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Die ünthaten des Abts Fridagis zu Sithin. 291 

noch beim Herrscher die Entscheidung über den Abtsstuhl von St Bertin 
stand, mehr auf die Mönche als auf die Kanoniker ankam, zeigt eine 
Äusserung Markgraf Balduins, der trachtend nach dem Erwerb von Sithin 
offen bekannte, der Gewährung des Königs sicher zu sein, wenn /„der 
Wille der Mönche" ihm nicht entgegentrete*^). 

Es wäre auch nicht undenkbar, dass der Hergang der Wahl Lamberts 
eine Ausnahme bildete, veranlasst durch eine von Simon in seiner dürf- 
tigen Erzählung der Zeit des abgetretenen Abts nicht mitgeteilte Begeben- 
heit. Oftmals hat in klösterhcher Geschichte ein besonderer Umstand, 
der vielleicht kein zweites Mal an der nämUchen Stätte wiederkehrte, 
eine eigentümUche Lage der Zeit, in der die Besetzung des Abtsstuhls 
vorgenommen werden musste, die Art wie sie geschah, bestimmt und zu 
Abwandlungen der Vorschrift der Regel oder des Wahlprivilegs gefuhrt, 
auf die nicht gefasst ist, wer auf deren Buchstaben starr das Auge hält. 
Li Sithin z. B. beteiligte sich gleich an der Wahl Lamberts der Bischof 
von Paris, der damals gerade in diesen Strichen weilte, als ob er eine 
rechtUche Beziehung zu Sithin gehabt, etwa zu den früheren Mönchen 
von St. Bertin gezählt hätte. Als Lambert einen Nachfolger bekommen 
sollte, erschien der Bischof, von dem die Mönche vor Beginn der Hand- 
lung die Genehmigung erbaten, und auch der Graf, den sie zusammen 
mit dem Bischof herbeigerufen hatten. Im zwölften Jahrhundert ist es 
einmal, auffäUiger Weise das einzige Mal, zu einer mittelbaren Wahl im 
engeren Kreise von zwölf Wahlmännem gekommen, während im neunten 
nach Folcwins freilich kaum erschöpfendem Bericht Hunfried, da er 
schon Oberhirt des Sprengeis war, umgekehrt durch eine Abstimmung 
in erstaunlich weitem Bereise, durch die Wahl des „ganzen Klerus und 
Volkes" die Abtswürde von Sithin erlangt haben solP^). 

Aber auch als vereinzeltes Vorkommnis in der Geschichte dieser 
Genossenschaft würde der Zutritt von Kanonikern zur Wahl der Mönche 
am Schluss meiner Erörterung Erwähnung verdienen. Je weniger dies 
Zusammentreten sonst in Sithin seinesgleichen hätte, um so eher könnte 
man vermuten, dass es an anderen Stätten, wo Stift und Kloster noch 
in enger Verbindung standen oder einstmals gestanden hatten, Muster 
und Rechtfertigung fand. Und für die Kunde von den Dingen zu 
Sithin insonderheit trüge es nicht wenig aus, auch wenn nur bei Lam- 
berts Wahl, als schon lange die Lockerung der Bande zwischen Kloster 
und Stift begonnen hatte, dies Verfahren behebt worden wäre. Es würde 
dann der friedliche Zug, den an der Wende des elften zum zwölften 
Jahrhundert die Lösung des Verhältnisses genommen, darin zum Aus- 
druck kommen, noch deutUcher als in der Teilnahme des Stiftspropstes 
an der Beisetzung von Lamberts Vorgänger, so deutlich wie in der damals, 
seit dem letzten Viertel des elften und noch im ersten des zwölften Jahr- 



52) Gesta Sith. Folcw. I, 98 S. 624 1. 16. 

53) Gesta Sith. Simon. II, 4. 108. Contin. IE, 1. Folcw. I, 67 S. 644. 657. 669. 
620. Hunfrieds Erlangung des Abtsstuhls zu Sithin fällt in die Zeit, da noch der 
König die eigentliche Verfügung über ihn hatte, wie denn eben Hunfried vom 
König abgesetzt worden ist und einen vom König ernannten Nachfolger erhielt. 

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292 Zweiter fixcurs. 

hunderts unerwarteterweise hervortretenden Bereitwilligkeit der Pröpste, 
Beurkundungen für das Kloster zu bezeugen, und wie in jenem Dienst^ 
den zu Anfang des zwölften Jahrhunderts der Obere der Chorherren den 
Mönchen wider den eigenen Oberen leistete**). 

Dass alles dies, obgleich es dem Stift zu Schmuck und Ehre ge- 
reicht, sich nicht in der Niederschrift eines Stiftsherm, etwa Lamberts 
von St. Omer findet, sondern im Werke eines Mönches von St. Bertin, 
des im Kloster aufgewachsenen Simon, bezeichnet nicht nur die Haltung, 
die diesem eigen ist im Unterschiede von Folcwin, als dessen Nachahmer 
er sich in anderer Hinsicht bekennt, sie weist zugleich auf die beruhigte 
Stimmung, die damals auch in das Kloster eingezogen war: die Mönche, 
die ihn zum Abt erwählt haben, müssen sie mit ihm geteilt haben**). 

Dauer indes war dem Frieden nicht beschieden. In der zweiten 
Hälfte des zwölften Jahrhunderts erhob sich, so wird wenigstens von 
Seiten des Klosters berichtet, einer der Pröpste des Stifts, indem er zu- 
gleich den Landesherm, dessen Rat er war, wider den Abt erregte, mit 
der ausdrücklich auf Pridugis' Zeit zurückgehenden Forderung, dass das- 
gemeinsam verbliebene Gut halbiert werde. Und es Hegt auf der Hand, 
dass es auch ohnedies schwer war. Streit zu vermeiden. Streit bei der 
Sonderung des Nutzes vom ungesonderten Gute. So erklärt sich denn 
der Umstand, dass noch im 12. Jahrhundert eine der Hände, von denen 
die jetzt zu Boulogne verwahrte Abschrift dieser Gesta (cod. 2) herrührt, 
die in der Vorlage enthaltene Fälschung dessen, was unter Fridugis und 
seinem Nachfolger geschehen war, erweiterte, um sie gegen Anzweifelung 
zu sichern und den an Fridugis Namen sich knüpfenden Anspruch des 
StiftsheiTn vollends zu entkräften: dem Abschnitt, worin Folcwin über 
Abt Hugo I. handelt, schaltete sie, wie ich bereits bemerkt habe, einen 
(freihch schon durch seine Dürftigkeit die Unkenntnis des Verfassers ver- 
ratenden) Bericht über dessen Bemühung, die Anordnungen seines Vor- 
gängers rückgängig zu machen, und die gefälschten Urkunden des Abts, 
und seines Sprengeloberen ein*®). 

54) Simon. Gest. I, 39. II, 65 S. 643. 648. Die von den Pröpsten zu St. Omer 
bezeugten Urkunden in der Guerardschen Ausgabe S. 194. 239. 241. 257. 

55) Vom Frieden in Simons Tagen giebt auch der literarische Verkehr unter 
den beiden Nachbarstätten Zeugnis. Lambert von St. Omer, einer von Simons 
Zeitgenossen, sträubte sich nicht, eine in St. Bertin verfasste Genealogie zur 
Grundlage seiner Genealogia comitum Flandriae zu machen, und diese hinwieder 
nahm ein Mönch von St. Bertin zur Grundlage seiner Flandria generosa (Beth- 
mann in SS. IX, 305. 308. 313). 

56) Gesta Sith. cont. n, 11 S. 668. Von dem in der zweiten Hälfte des 
12. Jh. wieder ausgebrochenen Streit zeigt Spuren wie Codex 2 (oben Anm. 6^) 
so die im 13. Jh. den alten Mirac. Sti Bertini gegebene Fortsetzung: aus Folcwins 
Schilderung der Zeit des Abts Fridugis wiederholt sie, als ob er wiederum zu- 
treffe, wörtlich den Satz, er verschulde, dass die Kanoniker den Vorrang in An- 
spruch nehmen (Lib. I, 6 Mab. AA. ed. Venet. I, 108); in der ersten Hälfte des 
11. Jh. hat ihn Abt Bovo in seine gleichfalls aus Folcwins Bericht zusammen- 
gesetzte Klage über die Anordnungen des ihm nicht minder widerlichen Fridugis- 
nicht aufgenommen (Relat. c. 6. SS. XV, 529). 



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Dritter Excurs. 
(Zu S. 158.) 

Klöster, Chorherrenstifter und Krongnt in den Teilungen 
des fränkischen Beichs, 

vornehmlich unter Ludwig d. Fr. 



Nicht bloss Klöster Septimaniens bezeichnet Ludwig d. Fr. noch 
spät, noch in der Zeit, da er seinen Söhnen Reichsteile überlassen hatte, 
als Klöster seines Eigentums: auch manches Kloster des Ostens heisst 
da in seinen Diplomen monasterium nostrum. So Inden, Kiemsmünster, 
Kempten (Mühlbacher No. 710. 824. 854 vgl. 892). 

Von diesen kommt, wo es sich um die Verteilung der Hoheitsrechte 
zwischen ihm und seinen Söhnen handelt, nicht in Betracht Inden, das 
wie die benachbarte Pfalz Aachen unberührt bheb von den für seine 
Lebzeit getroflfenen Teilungen. Von Kremsmünster ist bei der Dürftig- 
keit der Quellen eine bestimmtere Vorstellung nicht möghch: fiir dies 
Kloster der bairischen Mark haben wir nur vom Kaiser ein Diplom, das 
angeführte No. 824, eine Schenkung, gemacht, ehe der auf Baiem ge- 
wiesene Sohn Diplome ausstellen durfte, und von diesem, König Ludwig, 
überhaupt keins, auch nicht aus späterer Zeit, dazu keine Privaturkunde, 
die in der Datumzeile oder sonst den Herrscher kundgäbe. Aber aus- 
reichend beleuchtet ist das Verhältnis Kemptens. Denn dass Kaiser Lud- 
wigs Hoheit über Kempten, wie er sie nach der, freilich nur nominellen, 
Übertragung an seinen jüngsten Sohn Karl durch die Bezeichnung mo- 
nasterium nostre proprietatis u. ä. zum Ausdruck brachte, Dauer hatte, 
auch als an Karls Statt Ludwig d. D. unter Vaters Einwilligung Schwaben 
besass (seit FrühHng oder Sommer 834), erweisen die späteren Diplome. 
Kempten erhielt nicht vom Könige, sondern vom Kaiser Juli 834 Erlass 
eines Teils der Heeresdienstpflicht imd andere Vorrechte. Noch vier 
Jahre später bedurfte es zu einem Tausch der kaiserhchen Bestätigung. 
Erst lange nach des Kaisers Tod tritt der König mit einem Wahlrecht 



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294 Dritter Excurs. 

ein, und eben dies zeigt in seiner Fassung, als Bestätigung desjenigen^ 
das vom Kaiser erteilt worden war, nachdem er den Sohn Schwabens 
wieder entsetzt hatte (Sept. 839), durch den ausdrückhchen Hinweis auf 
das kaiserüche, wie wiUig der König, unbeschadet sein wegen der Ent- 
setzung doch schwerUch aufgegebenes Recht an Schwaben, an das Land^ 
des Kaisers ehemahge Befugnis, die Einzelstätte zu privilegieren, noch 
nachträghch anerkannte: auch seine Teilnahme an den früheren Ver- 
fügungen zu Gunsten Kemptens beschränkte sich auf Fürbitte oder auf 
blossen Bericht, und es ist kein Diplom vorhanden, wodurch er bei 
Vaters Lebzeit hier Hoheit geltend gemacht hätte ^). 

Zu Kempten kommen aus den Reichsteilen, die des Sohnes Ludwig 
G-ebiet seit 834 mit väterhcher Zustimmung zum Königtum „in Ost- 
franken" erweiterten, noch Klöster, die in den Diplomen des Kaisers 
zwar nicht als monasteria nostra bezeichnet werden, aber fort und fort 
unter des Kaisers Hoheit erscheinen. Aus dem Elsass Hohenburg, von 
wo uns aus den Jahren 834 — 838 kein Diplom des jüngeren, aber eine 
Immunitätsbestätigung des älteren Ludwig erhalten ist. Aus Sachsen 
vomehmhch Corvey. Denn noch im Dezember 834 sagt der Kaiser, dass 
Abt Warin „nostra concessione" hier die Leitung habe, wie er wörtlich 
auch in einem jener Diplome fiir Kempten von dessen Abt spricht Die 
Erzählung von dem Erwerb der Rechte des h. Veit bestimmt die Zeit 
der Übertragung (März bis Juni 836) in feierhcher Wiederholung nach 
der Regienmg des Kaisers und nur nach ihr : sie kommt auch sonst nicht 
auf den König zu reden, der denn seine ersten Diplome für Corvey sechs 
Monate nach Vaters Tod ausgestellt hat^). 

Vermuthch sind da, als der Kaiser sich alles Recht wahrte und 
des Sohnes Hoheit ausschloss, persönliche Gründe mit im Spiele gewesen: 
bei Kempten das Andenken seiner schwäbischen Mutter, für dessen Pflege^ 
über den von ihr niedergelegten Reliquien, er hier einmal (nach den obigen 
Wahrnehmungen S. 135 eine seltene Ausnahme) Sorge trug; bei Hohen- 
burg die ersichthch nahe Beziehung dieses Klosters zu seiner GemahUn, 
der Kaiserin Judith, die es vielleicht gar besass und in ihrem Besitz nun 
nicht dem Übelwollen des Stiefsohnes ausgesetzt werden durfte; bei 
Corvey der eigene Anteil des Kaisers an der Gründung, der ihm schon 



1) Mühlb. No. 900 (petente et suggerente Hl.). 947 (innotuit Hl. : Mühlbachers 
Auszug „auf Bitte L.'s* trifft nicht zu und verwischt den für die Krisis des Jahres 
838 vielleicht schon bezeichnenden Unterschied der Fassung beider Diplome). 1407 
(vgl. 967). Der von Waitz (VG^ 4, 678) und Dümmler (Ostfr. Jb.« 1, 81 n. 7) als 
Bev^eis der Hoheit des Königs über Kempten angeführte Erlass der Zölle im bai- 
rischen Hall (Mühlb. No. 1325) zeugt für sie so wenig wie der Erlass Ludwigs d. Fr. 
No. 499 für dessen Hoheit über Cormeri in der Touraine in seiner vorkaiserlichen 
Zeit: der eine ist nur die Übung bairischen, der andere nur die Übung aqui- 
tanischen Königsrechts. 

2) Mühlb. No. 933; 906 (vgl. 892): hier ist auch Meppen im Munde des 
Kaisers cella juris nostri. Trsl. S. Vit. Jaffe Bibl. I, 6. 14. Mühlb. No. 1327—1330. 
Auf das Diplom des Kaisers für Herford No. 946 will ich, obgleich er da Über 
Kirchen Sachsens verfügt, kein Gewicht legen: erteilt hart vor seinem Bruch mit 
dem Sohne könnte es schon aus dem Entschluss zum Bruch geflossen sein. 



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Klöster, Chorherrenstifter u. Krongut in den Teilungen des fränk. Reichs. 295 

irüh ein wohlberechtigtes Selbstgefühl geweckt hatte *). Indes, sie waren 
doch auch, zwar nicht gerade schon damals reiche, aber aussichtsreiche 
und durch ihre räumliche Stellung wichtige Klöster. 

VomehmUch wegen der Wichtigkeit der Stätte wird er sich Fulda 
vorbehalten haben. 

Denn dass er zu Fulda noch nach der dem Sohne zugestandenen 
Gebietserweiterung Herr war und es ausschliesshch war, lässt schon der 
Umstand vermuten, dass er den Erzbischof Ebo nach dem Reichstage 
von Diedenhofen 835, von neuem, wie im Jahre vorher, dahin in Haft 
gab: er würde es schwerlich gewagt haben, wenn hier, wo Abt ßaban 
dem Gefangenen persönliche Neigung bewahrte, König Ludwig, ehedem 
Ebos Genosse im Aufinhr und noch später sein Gönner, auch nur neben 
ihm Gewalt gehabt hätte. Des Kaisers Handels- und Zollprivileg für 
Fulda vom Jahre 835 beweist freilich nichts als seinen des Zeugnisses 
nicht bedürftigen Vorbehalt der Oberhoheit über das ganze Reich, in 
dessen Umfang es gelten sollte: Kaiser Lothar hat es nachmals erneuert, 
ohne dadurch Anspruch auf Fulda zu erheben*). Aber die Privaturkunden 
des Klosters, zahlreich aus den Jahren 834 — 838 erhalten, haben von 
August 834 ab allesamt nur die Regierungsjahre des Vaters, anders als 
die von St. Gallen, unter denen gerade die fehlerfrei datierten bis in den 
November 838 hinein zumeist den Sohn, entweder allein oder doch neben 
dem Vater nennen^). Und es war Herrschaft, was in dieser Datierung 
der Fulder Urkunden von Aug. 834 bis zum Tode des Kaisers zum 
Ausdruck kommt, wirkUche Herrschaft, die er eben damals, als er dem 



3) Mühlb. No. 754 über seine Verpflanzung klösterlicher Ordnung nach 
Sachsen ,zur Mehrung und Befestigung christlichen Glaubens*. — Das Bedenken 
V. Simsons Jb. Karls 1, 451 gegen das Diplom für Kempten (Mühlb. No. 967) kann 
sich nur auf den Herrschertitel beziehen, der ein Fehler des Abschreibers ist 
(Sickel ÜL. 284 nt. 5 und, über andere Eigenmächtigkeiten desselben, Regest, zu 
L. 57). — Das Verhältnis des Nonnenklosters Hohenburg zur Kaiserin (die nach 
Gesta Aldrici c. 26 M. G. SS. XV, 319 auch über das Nonnenkloster Entrames in 
der Maine Macht hatte) erhellt schon daraus, dass sie die Schenkung Mühlb. 
No. 866 erbat, i. J. 831 (wo n|ch eine Äbtissin auftritt), und vornehmlich aus der 
von ihr befohlenen Vorlegung der zu bestätigenden Immunität No. 933 i. J. 837, 
(wo von keiner Äbtissin mehr die Rede ist) — genau so, wie sie sie für das Nonnen- 
kloster S. Salvatore, als sie es zu Lehen besass, vorgelegt hatte (Mühlb. No. 778): 
vgl. No. 1113, eins der wenigen Diplome, die Lothar L nach der Krönung seines 
Sohnes, (das einzige, das er zusammen mit ihm) für eine italienische Stätte aus- 
gestellt hat, und zwar ebenfalls für S. Salvatore, das, wie erkoren zur Ausstattung 
von Frauen des Königshauses, nun seiner Tochter Gisla gehörte. 

4) Mühlbacher findet (No. 13161)) schon im Zollbrief Kaiser Ludwigs No.923 
ein Zeugnis seiner Hoheit über Fulda; aber No. 1109 bemerkt er selbst, dass der 
da von ihm verzeichnete des Kaisers Lothar jenen zur Vorlage hat, und gerade, 
als Lothar mit dem König Ludwig, dem nunmehrigen Herrn über Fulda, in feind- 
licher Verhandlung begriffen war, gewährte er die Erneuerung: also ist in beiden 
die Hoheitsübung analog der in Anm. 1 berührten. 

5) unter den chronologisch sicheren Urkunden bei Wartmann I zählen 
No. 355. 371—373 (bis 20. Mai 838) ausschliesslich die Jahre des Königs, No. 364 f. 
375 (bis 10. Nov. 838) die des Königs neben denen des Kaisers. 



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296 Dritter Excurs. 

Sohne das ostfränkische Land überlassen hatte, noch über diese klösterliche 
Stätte sich ausschliesslich wahrte. Abweichend von Dümmler, der all- 
gemeine Zustimmung gefunden hat, erkenne ich darin nicht eine Kund- 
gebung der „Gesinnung des Klosters" gegen den alten Herrscher, die in 
Wahrheit Auflehnung gegen den neuen, Unbotmässigkeit gewesen wäre. 
Aus den fünf Monaten von der Kirchenbusse des Kaisers bis zu seiner 
Wiedereinsetzung findet sich fiir diese Datierungsweise kein Beleg: Abt 
Raban und seine Mönche haben, wie die anderen alle, sich vielmehr in 
die Entthronung des Kaisers gefugt, sich damals unter die Herrschaft 
des Sohnes gebeugt. Schon dass Raban vom König eine Schenkung aus 
ostfi'änkischem Krongut angenommen hat, die der Kaiser später, Ende 
Februar 839, begriffen in seinem letzten Waffengange gegen jenen, als 
eine unbefiigte bezeichnete, weist darauf: denn die Schenkung und ihre 
Annahme muss in die Zeit der zweiten Empörung König Ludwigs fallen, 
in die Zeit vor seiner Aussöhnung mit dem Kaiser, die ihm dessen An- 
erkennung seines ostfränkischen Besitzes brachte. Nur dann konnte 
nachträglich, eben 839, ihm das Recht des Gebens abgesprochen, ja vom 
Empfänger selbst, wie er es that, die Gabe als aus „ungebührlicher Ge- 
walt" erflossen hingestellt werden ®). Zu der verlorenen Schenkung kommt 
eine uns erhaltene Bestätigung der Immunität und des Wahlrechts, die 
in der Zeit derselben Empörung, am 5. Febr. 834, der König auf 
das Gesuch Abt Rabans gewährte, nach Brauch bei Regierungswechsel, 
als ob ein Wechsel eingetreten sei, auf Grund der Urkunde des Vor- 
gängers — nur unter Einfügung weniger Worte, die den Vorbehalt oder 
die Erwartung treuer Leistung des Gehorsams aussprechend, in diesem 
Falle fireilich vielleicht nicht bloss diplomatisch, sondern sachlich von Be- 
lang sind: denn unter den vom Vater überkommenen Immunitäts-Formeln 
haben dieses Stück nur die für Bischofskirchen und Chorherrenstifte, aber 
nicht die für Klöster, und wie demnach weitaus den meisten seiner 
Immunitätsdiplome för Klöster, so fehlt es auch dem vom Kaiser dem 
Vorvorgänger Rabans für Fulda gewährten; dagegen hat nicht anders, als 
hier König Ludwig, nachmals sein Bruder Lothar die Erinnerung an 
den Treugehorsam in seine Schenkungen an Private (Februar 842, bei 
noch währendem Bruderkrieg) aufgenommen ').' Aber mag diese Erwei- 



6) Mühlb. No. 958 (man erinnert sich an Karls d. Gr. Verhalten gegenüber 
einer gleichfalls unberechtigten Schenkung Mühlb. No. 383). Vermutlich nur 
wegen des weiten Zeitabstands dieser Urkunde von der Empörung der Söhne hat 
wie Meyer v. Kronau, Nithard S. 71, so v. Simson Ludw. 2, 178 A. 7 die Schenkung 
des Königs der späteren Zeit, der Zeit nach seiner Versöhnung mit dem Vater, 
zugewiesen, in der er doch anerkannte Herrschaft über Ostfranken hatte; aber 
gezögert hat der Kaiser mit Anordnungen aus Anlass von Vorkommnissen wäh- 
rend jener Empörung auch sonst (Mühlb. No. 914. 921. 932 a). Und hier erklärt 
den Aufschub die Bücksicht, die er lange Zeit auf den Sohn nehmen musste. 

7) Mühlb. No. 1316 (et nostro fideliter parere imperio) vgl. No. 593. Den 
urkundlichen Vorbehalt treuen Sinnes und Dienstes hat zuerst Mühlbacher ein- 
gehender Erörterung empfohlen, er schon unter Hinweis auf die Schenkungen 
Karls d. Gr. und Ludwigs d. Fr. für Ansiedler an der Grenze, auf die Schenkungen 
Lothars I. an Private überhaupt (SB. d. kk. Ak. ph.-h. Cl. 1892 S. 462 A. 6) und 



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Klöster, Chorherrenstifter u. Krongut in den Teilungen des fränk. Reichs. 297 

terung der Vorlage auf Willkür des Schreibers®) oder auf einen Befehl 
des von Verdacht eingenommenen Königs zurückzufiihren sein, abgewendet 
hat sich von ihm in der Zeit bis zur Wiederherstellung des Kaisers das 
Kloster Fulda in keiner Äusserung treuer Gesinnung gegen den ent- 
setzten Herrn, auch nicht in einer Datumzeile seiner Urkunden. Im 
Gegenteil lehrt die einzige Privaturkunde, die aus der ersten Hälfte des 
Jahres 884 uns erhalten ist, dass damals auch hier nach dem ostfrän- 
kischen Königtum des Jüngern Ludwig das Jahr bezeichnet ward. Ihr 
Inhalt ist eine Schenkung, die eine begüterte Frau, Benedicta, an ihrem 
Eigen zu Kitzingen, ausgeschlossen wenige Grundstücke, aber eingeschlossen 
achtzehn Unfreie, dem Kloster unter Vorbehalt des Niessbrauchs bis an 
ihr Ende gemacht hat „Anno primo regnante juniore Ludovico rege in 
Orientali Franda, VIII Kai. Martias", d. h. nicht voll drei Wochen nach 
jener Inamunitätsbestätigung desselben Königs, am 22. Februar 834, als 
doch die Bewegung zu Gunsten des entthronten Kaisers schon bemerk- 
bare Fortschritte gemacht hatte, acht Tage vor seiner Wiedereinsetzung. 
Denn nur bei Lebzeit seines Vaters heisst Ludwig d. D. in den Urkunden 
von Fulda, wie in denen von St. Gallen, Ludovicus junior; nach dessen 
Tode, durch den die Unterscheidung entbehrlich ward, einfach Ludovicus. 
Und Benedicta hat im Jahre 837 über die Gesamtheit der noch unter 
ihrer Verfügung stehenden Unfreien in einer Weise Bestimmung getroffen, 
die in späterer Zeit eine solche wie die über ihre Habe zu Kitzingen 



auf Wahlprivilegien Karls d. Gr. für Bischofskirchen und Klöster (Mitth. d. Inst, 
f. österr. G. 1, 266 A. 4: vgl. dazu W. Sickel in Gö. G. A. 1896 S. 295 A. 2 und 
oben S. 22 A. 15). Hinzukommen aus Ludwigs d. Fr. Zeit die Mundbriefformeln 
für Juden und Kaufleute (Imper. No. 30. 31. 37. 52 Zeumer S. 310 1. 2 u. 18; 
315 1. 11; 325 1. 17: auch ein Diplom dieser Gattung Mühlb. No. 716) und die 
obigen Immunitätsformeln für Bischofs- und Chorherrenkirchen (Imper. No. 11. 28. 29 
— diese auf Grund eines Diploms Karls d. Gr. Mühlb. No. 349, dem der Vor- 
behalt noch nicht eingefügt ist, abgezogen aus Mühlb. 609, das ihn hat — Zeumer 
S. 295 1. 1; 307 1. 8; 308 1. 40). Ausnahme ist's, wenn der Vorbehalt in Lud- 
wigs Immunitäten für Bischofskirchen fehlt (Mühlb. No. 550. 565 in Copien), Aus- 
nahme auch, nur etwas mehr verbreitete, wenn er umgekehrt sich in seinen 
Immunitäten für Klöstern findet (Mühlb. No. 512. 532. 738. 796. 799, und aus fast 
erkennbarem Anlass — Anm. 8 — 649). Weit häufiger erinnerte er da die Mönche 
an das Gebet für das Reich als an den Reichsdienst. 

8) Vom Brauch der Kanzlei Kaiser Ludwigs, an den sich sonst die des Königs 
Ludwig hält, weichen zwei von drei unter dem Kanzler Grimald von dem Notar 
Adalleod recognoscierten und (Sickel SB. d. kk. Ak. ph.-h. Cl. 36, 352 f. 39, 109 f.) 
:geschriebenen Immunitäten ab. In der für die Kirche Salzburg hat er die in der 
Vorlage (Mühlb. No. 586) enthaltene Erwartung des Treudienstes (vgl. Sick. Btr. 5, 
Ml A. 4) weggelassen (No. 1323), in die hier besprochene für Fulda hat er sie 
■erst eingefügt. Weiterhin ist zweifellos ohne sachliche Bedeutung, wenn das 
Diplom des Königs seinen ostfränkischen Nachfolgern auch in diesem Stück Muster 
w^ard (No. 1515. 1638. 1719. 1822. 2017, während Lothar I. No. 1052 sich an das 
Diplom des Kaisers hielt vgl. Sickel SB. 36. 373 u. M. G. Dipl. 1, 6). — Die 
dritte von Adalleod geschriebene Immunität, die für St. Gallen No. 1314 enthält 
■ebenfalls die Erwartung der Treue, aber hier hatte sie auch die Vorlage Kaiser 
Ludwigs No. 649 (zur Bekundung der kurz vorher erlangten Reichsunmittelbar- 
keit? im ähnlichen Fall No. 896 fehlt sie). 



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298 Dritter Excurs. 

gemachte ausschloss. Auch begegnet der Schreiber dieser Urkunde, 
Theotmar, der sehr fleissig bis 837 arbeitete, nach August 837 nicht 
mehr*). 

Dafür setzt nun gleich die fiüheste der uns aus der Zeit nach 
Ludwigs d. Fr. Wiederherstellung erhaltenen Urkunden mit der erneuten 
Zählung nach seiner Regierung ein. Und diese, ausgestellt am 30. Aug. 834, 
ist besonders bemerkenswert, weil sie zum Schreiber den Priester Rudolf 
hat, der doch in dem nach allgemeiner Annahme von ihm verfassten 
Teil der Fulder Jahrbücher gar nicht verhält, wie hingegeben er der 
Person und Sache König Ludwigs sei. Seine Missbilligung der vom 
Vater 838 beschlossenen Wiederverdrängung des Sohnes aus Ostfranken 
lehrt, wie sich die Anerkennung der königüchen Herrschaft über die Land- 
schaft vertrug mit der der kaiserlichen über das Kloster. Denn auch 
alle andern Schreiber der Urkunden Fuldas bis zum Tode Ludwigs d. Fn 
nennen ausschliesslich ihn in der Datumzeile, nicht am wenigsten jener 
Theotmar, der Schreiber der Schenkung jenes Besitztums in Kitzingen ^^). 

Die Stellung, die so der Vater in den dem Sohne bis 838 zuge- 
standenen Landen fort und fort noch einnahm, bezeichnet einer der gründ- 
lichsten Kenner der karolingischen Zeit als ein „unklares und bedenk- 

9) Verwirrung und Irrtum in die Beurteilung der Stellung des Klosters und 
der Haltung seines grossen Abts in den Bewegungen der Jahre 833 — 842 hat 
Dronke gebracht, da er die Urkunde über Kitzingen (Cod. dipl. Fuld. No. 531) dem 
Jahre 841 zuwies. Wo die übrigen seiner Sammlung das ostfränkische Königtum 
Ludwigs d. D. anziehen, haben sie nach des Vaters Tod seinen Namen ohne Bei- 
wort (No. 548 ff.: dazu Wartm. ÜB. für St. Gallen I No. 384 ff. vgl. damit die au» 
früherer Zeit No. 349. 358. 364. 867. 369. 370 Nachtrag in den Mitth. von St. Gallen 
N. F. 3, 248). Der von Mühlb. No. 1033b für 841 aus ,Annal. Hersfeldens." ge- 
brachte Ansatz „Ao Ludovici junioris secundo** gehört nicht zum ursprünglichen. 
Bestand dieser verlorenen Jahrbücher, sondern, da er, wie die andern Regierungs- 
jahre, den übrigen Ableitungen durchweg fehlt, unter die Zuthaten des Hildes- 
heimer Annalisten. So schliesst sich die Zählung in der Kitzinger Urkunde an 
die Absetzung des Kaisers: sie hat, da noch am 8. Sept. 884 nach diesem gezählt 
ward, zur Epoche vielleicht, entsprechend den Diplomen des neuen Herrschers, 
die Umsetzung der Indiction. 

10) Cod. dipl. Fuld. ed. Dronke No. 487 Hruodolfus indignus presb. jussu» 
scripsit. Dass er der Geschichtsschreiber war, ist deshalb höchst wahrscheinlich, 
weil in den Ann. necrol. Fuld., die überhaupt erst gegen Ende des Jahrhundert» 
häufiger Priester bringen, uns ein Rudolf us prsb. et mon. begegnet, der nach 
seinem Todestage eben der Verfasser der Jahrbücher ist (SS. XIH, 179 lin. 42 u. 
Ann. Fuld. 865). An dieser in Ludwigs d. Fr. letzten Jahren seinem Kloster wie- 
der beschiedenen Stellung hatte Abt Raban sicherlich mehr Gefallen als an der 
nach des Kaisers Absetzung ihm aufgezwungenen ; aber hingenommen hat er trotz 
seiner Verurteilung der Sieger im Aufruhr doch den Wechsel der Herrschaft auf 
einen der Sieger (anders, wie oben angedeutet, Dümmler P, 129 nt. 2 und nach 
ihm Meyer v. Knonau Nith. 71. v. Simson Ludw. 2, 60 nt. 4; 178 nt. 7. Hauck 
KG. 2, 573). Dagegen wird durch die Verschiebung der Kitzinger Urkunde au» 
dem Jahre 841 in das Jahr 834 sein Name frei von dem Vorwurf eines Schwan- 
kens und Wechsels im Bruderkrieg (so Dümmler I*, 144 und Meyer v. Kn. a. a. 0.) ; 
vielmehr zählen nun alle Fulder Urkunden vom Ausbruch des Kriegs bis zu 
Rabans Weggang nach Lothar. 



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Klöster, Chorherrenstifter u. Krongut in den Teilungen des fränk. Reichs. 299 

liches Verhältnis", da eine „feste Abgrenzung ihrer Gewalt nicht stattge- 
funden habe" ^ ^). Dieser Vorwurf, den man noch einen sehr massvollen 
nennen müsste, da eigentUch von barer Verfassungslosigkeit zu reden 
wäre, träfe auch den einsichtsvollen Vorgänger: hat doch Karl d. Gr.^ 
wie wir sahen (S. 152 Anm. 57), in Aquitanien noch neben seinem 
jugendlichen Sohne Immunität erteilt, hat er doch in Septimanien neben 
seiner eigenen hier ungleich mehr als in Aquitanien bezeugten Regierungs- 
thätigkeit, wenigstens nach der bisher herrschenden, freiUch erhebHch ein- 
zuschränkenden, Ansicht, schlechthin auch die Regierung des Sohnes zu- 
gelassen. Indes begründet wäre die Rüge nur, wenn man fände, dass 
Vater und Sohn sich in der Übung des nämlichen Rechts an der näm- 
lichen Stätte begegnet wären. So aber sind aus den Jahren 834—838 
für Klöster, die von dem einen Diplome erhalten haben, Diplome des 
anderen unbekannt. Es war demnach, mag auch der Kaiser seit 834 
den König nicht mehr, wie fiüher ihn und seine anderen Söhne, auf 
einzelne Regierungsrechte beschränkt haben ^^^), mag er ihnen nun alle 
zugestanden und sich mit dem Vorbehalt der Überhoheit begnügt haben, 
von der eine Äusserung Pippin wirkUch zu fühlen bekam ^^), es war doch 



11) Dümmler^ 1, 102. Nicht weniger führt v. Simsons Behauptung (Ludw. 
2, 98), dass «das Urkundungsrecht des Kaisers, abgesehen von Italien, in den 
ünterkönigreichen der Söhne fortdauerte* (die übrigens von vornherein nicht nur 
auf Italien, sondern auch auf Bai er n in diener Allgemeinheit nicht zuträfe: letzte 
Urkunde des Kaisers Mb. No. 824 vom J. 828), so schlechthin zu einer Ansicht 
wirrer, sich durchkreuzender Verhältnisse, für die ich mich ohne zwingenden Grund 
nicht entscheiden kann. 

111») Wie eingeschränkt die Berechtigung Ludwigs d. D., dessen frühest be- 
kannte Immunitätsbestätigung erst in den Herbst 833 (Mühlb. No. 1314), also in 
die Zeit der Empörung fällt, bis zum Ausbruch der Empörung gewesen, zeigt 
Sickel in den Mitt. d. vaterl. Ver. zu St. Gallen 4, 9 Anm. Hinzuzufügen ist, dass 
er auch des Münzrechts entbehrte. Denn kommt für seine bairische Königszeit 
nur Regensburg in Betracht, damals (wenigstens bis 834) einzige Prägestätte in 
Baiern und überhaupt in Deutschland rechts vom Rhein, so sind aus Regensburg 
nur Münzen auf den Namen Kaiser Ludwigs bekannt (Longperier in Rev. arch. 5, 
496. Rev. num. Beige III, 1, 44 und pl. 5 fig. 11. Soetbeer in Forsch. 6, 41. 51). 

12) Sickel Btr. 3, 239 Anm. 2 behauptet, dass Lothar in Italien vom Anbe- 
ginn seiner Regierung, also von 822 an, Jede Art von Urkunden, auch Immuni- 
täten* habe ausstellen dürfen. Aber als früheste Handlung dieser Art kenne ich 
die Immunitätsbestätigung für S. Sesto vom 12. März 830 (Mb. No. 995), 7^2 Jahre 
nach der letzten unter den datiert überlieferten Ludwigs für Italien (Mb. No. 738), 
so dass Vater und Sohn doch nicht in gleicher Regierungsgewalt zusammengetroffen 
sind, auch wenn Ludwig sich in Italien nicht gewisse Stätten — etwa S. Salvatore 
von Brescia, oben Anm. 3: eine undat. Immunität Ludwigs, spätestens Nov. 825, 
Mb. No. 778 — vorbehalten, und auch wenn Lothar schon ötwas vor 830 Immu- 
nität verliehen haben sollte. Das letztere ist allerdings wahrscheinlich, da der 
jüngere Bruder, Pippin, die Befugnis wenigstens in der septimanischen Grafschaft 
Carcassonne schon 828 hatte (oben S. 157 f.; wogegen der Kaiser für das aquita- 
nische Hermontier noch danach eine Immunität ausstellte Mb. No. 846: was 
Sickel Btr. 5, 364 an Verleihungen Ludwigs und an Diplomen Pippins anfährt 
oder andeutet, bedarf einer Sichtung). 



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300 Dritter Excurs. 

za einer räumlichen Abgrenzung der Gewalt gekommen , wenigstens zur 
Aussonderung bestimmter Stätten, die er sich als eigenen Besitz wahrte. 
Die Möglichkeit der Aussonderung von Klöstern ergab sich aus ihrer 
Immunität, wodurch sie der öffentUchen Gewalt, den Grafen, schon in 
manchen Beziehungen enthoben waren. Und die Notwendigkeit einer 
festen, Unklarheiten und unsicherer Gewaltübung vorbeugenden Abgren- 
zung, wenn auch nur durch amtUche Au&eichnung der ausgesonderten 
Klöster, lag in den anderen von der Immunität nicht berührten Be- 
ziehungen: durfte ein Zweifel bleiben, wem von den Herrschern das 
Aufgebot zum Heerdienst zustehe? wem die Teilnahme an der Besetzung 
des Abtsstuhls? wem die herkömmhchen Darbringungen der Klöster, 
jener dona annualia, deren Wichtigkeit, augenfäUig zumal nach dem auf- 
wand- und schädenreichen Kriege von 884, den Verfasser der Jahrbücher 
des Reichs vermutlich bewog, gerade unter 835. 836. 837 ihre doch her- 
kömmliche AbUeferung zu bescheinigen? 

Die gleiche Wahrnehmung macht man an einzelnen Krongütem, und 
sie erklärt sich da in gleicher Weise. Sie waren immun wie die Königs- 
klöster, sie waren noch brauchbarer als die Klöster zur Verwendung als 
Ersatz der von den Getreuen erhttenen Schäden und Verluste. So hat 
sich der Kaiser auch von ihnen einen Teil innerhalb des dem Sohne 
iiberlassenen Gebietes sichtlich vorbehalten. Denn in den Jahren 834 — 838 
verfügte er wie über Güter im Worms- und Nahegau — diese Lande 
sind, da er damals auch einen Reichstag zu Worms hielt, me mit Aus- 
nahme des Elsasser das ganze Gebiet links vom Rheine überhaupt dem 
Sohne versagt geblieben — so über Güter rechts vom Rheine, nicht nur 
in Bestätigung eines Tausches, die er als eine oberherrHche Handlung 
hier überhaupt bis zu den Grenzen Bayerns sich vorbehalten haben 
könnte, sondern auch in Schenkung von Gütern, wenigstens im Kuniges 
sunteri, während der König Ludwig im Rheingau eine Schenkung machen 
durfte^«). 

Wie sehr die Menschen seit den letzten Jahren Kaiser Ludwigs 
wenn nicht daran gewöhnt, doch darauf gefasst waren, bei einer Reichs- 
teilung und bei Einweisung in Reichsteile Krongüter und Klöster in Abzug 
gebracht zu sehen, verraten verschiedene Berichterstatter, namentiich Pru- 
dentius in seinen Jahrbüchern des Westreiches und Nithard: wo nänüich 
mit der Herrschaft über das Land der Besitz aller Krongüter und die 



13) Mühlb. No. 940. 903 (der Kaiser zu Gunsten des Grafen Adalbert, der 
gerade des Königs Todfeind war oder wurde); nicht auffällig dagegen des Kaisers 
Diplome über Güter links vom Rhein, im Nahe- und Wormsgau No. 910 u. No. 917. 
Das Diplom des Königs No 1320 (Rheingau) soll nach Waitz VG.« 4, 678 nicht bewei- 
send sein, weil es sich um , Eigengut ** des Königs handle, aber vgl. was er selber 
S. 140 f. anführt, und, wie in anderen Schenkungen, sagt L. in dieser res proprie- 
tatis nostrae donamus. — Insofern der Kaiser damals kein Land mehr östlich vom 
Rhein, dagegen mit Ausnahme des Elsass alles Land westlich besass, heisst er 
princeps Galliae — bei demselben Weissenburger Schreiber Hucbald, der ihn 
dann, nach der Entsetzung des Sohnes, einfach Kaiser nennt (Tradit. Wizenb. 
No. 166. 151). 



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Klöster, Chorherrenetifter u. Krongut in den Teilungen des fränk. Reichs. 301 

Hoheit über alle Klöster verbunden sein sollte, versäumen sie nicht, dies 
mit einem gewissen Nachdruck, hervorzuheben ^*). 

Unverbrüchhcher Brauch war solche vorbehaltlose Überlassung nicht* 
Denn schon vor Ludwig d. Fr. und unter ihm vor 384 erscheinen mehr- 
mals (ich kam aus anderm Anlass schon oben S. 157 darauf) die Königs- 
höfe Ingolstadt und Lauterhofen, räumUch keineswegs zusammenhängend 
— der eine weit westlich von der Mündung des Karlsgrabens, der andere 
östlich von seinem oberen Laufe — und doch stets zusammen, durch 
den nämlichen Vorbehalt, einem anderen Herren zugeteilt oder zu- 
gedacht als der Nordgau, worin sie lagen ^'*). Das Kloster St. Die war 
in den Anfangen Karls d. Gr. dessen Besitztum, verfugt er doch darüber 
schon bei Lebzeit seines Bruders, König Karlmänns; aber der Sprengel 
Toul, worin St. Die lag, gehörte zu Karlmanns Reich. Ist es auch 
denkbar, obschon nicht wahrscheinlich, dass Karl, wie man wohl sagt^ 
es als „Hausgut", „als besonderes Besitztum", nicht vermöge der Reichs- 
teilung seines Vaters, sondern noch vor dessen Tode durch Schenkung 
erhalten hat, so war es doch nach Pippins Tod infolge der^Reichsteilung 
umschlossen von Karlmanns Gebiet^®). In gleicher Eigenschaft könnte 
auf gleichem Wege umgekehrt in Karlmanns Gewere noch durch den 
lebenden Vater das eine und andere Kloster gekommen sein, das nun,, 
nach Vaters Tod, innerhalb des Reiches Karls lag, wodurch denn die 
auf die klösterlichen Diplome der Brüder sich gründende Vorstellung von 
der Verteilung des Reiches unter sie an Sicherheit verhert Nur mache 
ich in diesem Zusammenhange nicht geltend, dass im fernen Osten, weit- 
ab von den Grenzen, die einige neuere Forscher dem Gebiet KarlmÄnns 
ziehen, er doch noch eine Stätte regulären Lebens, ein Münster erhielt^ 
St. Saivator zu Würzburg. Das ist zwar, obgleich der Name in keiner 
Darstellung der Reichsteilung genannt wird, unzweifelhaft, aber die& 
Münster war damals noch zugleich der Bischofssitz, so dass es vermutlich 
nicht als Kloster, sondern als der kirchliche Mittelpunkt Mainfrankens, 
in Betracht kam, und vornehmlich hat man guten Grund zu sagen, dass- 
es nicht als vereinzeltes Besitzstück Karlmanns aus Karls Gebiet aus- 
gehoben ward, dass vielmehr Karlmann es war, der, entgegen der Ansicht 
jener Forscher, über die ganze mainfränkische Landschaft und noch 
darüber hinaus gebot ^'). 



14) Die Stellen bei v. Simson Ludw. 2, 97 nt. 2 und Waitz« 4, 159: so bleibt 
es nicht verschwiegen bei Pippins Ausstattung mit Anjou, aber bei der, vermut- 
lich gleichzeitigen, Gebietserweiterung Ludwigs d. D. sagt es niemand. 

15) Divisio regnor. 806 c. 2. Ordinatio imper. 817 c. 2. Boret. Capit. I,. 
127. 271. 

16) Mba. No. 128 (Karl sagt da, dass St. Die im Eigentum Pippins gewesen^ 
aber nicht, dass es von Pippin ihm geschenkt worden sei). 

17) Gegen Kröber (Bque d. l'^c. d. eh. 4, 2, 347), Sickel (ÜL. 246) und Waitz 
(VG.^ 3, 89 = ^ 3, 96) behauptete Oelsner Pipp. 525 auf Grund eines Schlusses 
aus der Divisio von 806, dass das Land zwischen Rhein und Donau an Karlmann 
gekommen sei. Für Würzburg, Mainfranken und dessen südliche Nachbarschaft 
bestätigen dies urkundliche Andeutungen des Inhalts verlorener Diplome, die zu 
den erhaltenen bisher in der Erörterung dieser Teilung noch nicht herangezogen 



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302 Dritter Excurs. 

Ebensowenig schlägt in diese Erörterung ein ein Diplom aus Ludwigs 
d. Fr. erster Zeit. Denn das allerMheste unter den wenigen, durch (£e 
•er Mundium und Immunität zugleich verliehen hat, bestimmt zwar, dass 
das in seinen und seiner Söhne „besonderen Schutz" genommene Kloster 
Conques in Aquitanien seine Sicherheit allezeit imperiali et regali defen- 
sione haben solle. Aber diese Verfügung muss, da Imperium oder 
imperialis und dergleichen in Urkunden, wo noch regnum oder regahs 
folgt, nicht Herrschaft schlechthin bezeichnen kann (wie immerhin wo 
daneben regnum, regalis fehlt), nach methodischer Auslegung auf die 
Stellung eines zum Kaiser gekrönten HeiTschers über einem Herrscher 
königücher Würde zielen, auf den Schutz, den der König des Teilreiches 
imd der oberherrliche Leiter des Gesamtreiches zu erteilen habe. Und 
•diese Auslegung steht in Übereinstimmung mit Ludwigs PoHtik in jener 
JZeit, vor Ablauf des zweiten Jahres nach der grossen ßeichsordnung 
Ton 817, als er den in dieser ausgeführten Gedanken der Reichseinheit 
noch hegte, demnach noch immer seinen ältesten Sohn nach seinem 
eigenen Tode an der Sicherung der Klöster in den Unterkönigreichen 
der jüngeren durch Übung wirksamer Aufsichtsgewalt, wie sie ein Ab- 
schnitt jener Ordnung (c. 10) festsetzte, in hervorragender Weise beteiligt 
wissen wollte. Demnach enthält die Urkunde für Conques nichts, was 
für ihre Zeit auffällig wäre. Denn weiter zu gehen und anzunehmen, 
•dass zu Conques die Verteidigung ausschliessUch dem kaiserUchen Nach- 
folger, dessen Würde der Vater, wie einmal seine eigene, allerdings als 
kaiserhche und königliche zugleich hätte bezeichnen können, zugewendet 
werden sollte, unter Übergehung Pippins, des künftigen Unterkönigs in 
Aquitanien, dazu fehlt ein zwingender Anlass^^). 

Ich wende mich noch gegen einige Annahmen ähnhcher Art, die 



worden sind. Dass wie König Pippin so sein Sohn Karlmann der Kirche Würz- 
burg eine Immunität verliehen habe, entnahm Rettberg 2, 321 nt. 2 und Bresslau 
(Forschungen 13, 89) einem Diplom Ludwigs d. Fr. Mba. No. 742: dies verweist 
auf Immunitäten königlicher Vorgänger Karls d. Gr. und kann unter der Mehr- 
heit von Königen nicht neben Pippin einen Merovinger verstanden haben, da diese 
in der Zeit seit der Gründung jener Kirche (741) höchstens noch für Klöster 
nrkundeten. Ferner hat nach Mühlb. No. 1788 nicht nur Pippin, sondern auch 
Karlmann, der da nicht vor, sondern nach Pippin genannt und unter die Vor- 
gänger königlicher Würde gezählt wird, der Kirche Wirzburg den Zehnten der 
Stuofa der Ostfranken und von angrenzenden Alamanneogauen zugesichert: auch 
Sickel II, 385 Deperd. Wirzib. eccl. No. 6 und Waitz« 2, 560 nt. (anders Rettberg 
2, 323 und Hauck 2, 4) nehmen hier den König Karlmann an. Fraglich aber ist, 
ob gleichfalls von diesem (so Sickel a. a. O. No. 1. 2) auch die Mba. No. 743. 940 
erwähnte Schenkung rührt (hier geht Karlmanns Name dem Pippins voran, und 
patruus könnte wie Mba. No. 1155 avunculus der Bruder des Grossvaters sein). 

18) Mühlb. No. 668, wo sowohl die Angabe, dass der hier verliehene Schutz 
der besondere war. Wie der Verweis auf die lehrreiche Zusammenstellung Sickels 
Btr. 3, 276 fehlt. In einem zweiten und dritten Mund- und Immunitätsbrief 
Ludwigs d. Fr. No. 806 u. 846 und in seinem einzigen reinen Mundbrief No. 716 
(schon in diesem) kommt kein Vorbehalt zu Gunsten des kaiserlichen Nachfolgers 
vor. Über Imperium und dgl. für regnum und dgl. Sickel UL. S. 183 und unten 
Anm. 41. 



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Klöster, Ghorherrenstifter u. Krongut in den Teilungen des fränk. Reichs. 303 

man wohl mit der an der eigentümlichen Stellung Kemptens, Hohenburgs, 
Corveys, Fuldas gemachten Wahrnehmung verknüpfen könnte. 

Nur an den Kaiser und den Nachfolger im Kaisertum hat man 
neuerdings, so scheint es, bei einem Diplom gedacht, wodurch Ludwig 
d. Fr. die Besetzung des Abtsstuhls im Chorherrenstifte St. Martin zu 
Tours für einen gewissen Fall „imperiah potestati" vorbehält. Aber hier 
ist die weltiiche Herrschaft überhaupt, nicht die oberherrliche des Kaisers 
insonderheit gemeint. Denn es fehlt jener Gegensatz zwischen dem 
höheren und niederen Titel und nach der Haltung des ganzen Diploms 
soll imperiali nicht den Anspruch eines ünterkönigs, sondern den An- 
spruch des Sprengelbischofs ausschhessen: zudem ward es erbeten von 
Kaiserin Judith, der Feindin des Nachfolgers im Kaisertum, und erteilt, 
als nach dem ersten Siege der Gegner der Reichseinheit der Gedanke 
kaiserUcher Oberhoheit Lothars über künftige Unterkönigreiche seiner 
Brüder aufgegeben, die Ordnimg von 817 durch eine sehr verschiedene 
verdrängt war ^®). Auch das mit der Unterschrift des nämlichen Hirmin- 
maris versehene Diplom Ludwigs fiir Herrieden, durch das er diesem 
armen Kloster alle Leistungen erlässt, ausgenommen wenn er oder sein 
Nachfolger, „qui Deo annuente imperialem locum post nos obtinuerit", 
nahebei vorüberziehe, für welchen Fall er den Reichsdienst samt der 
Lieferung von Lebensmitteln vorbehält, macht den Vorbehalt nicht zu 
Gunsten Lothars, des Nachfolgers im Kaisertum, wie sehr die Feierlich- 
keit, mit der es hier von dem Nachfolger spricht, an den salbungsvollen 
Ton erinnert, der in der Reichsordnung von 817 Lothars Nachfolge, an 
allen Stellen wo sie erwähnt wird, abhebt von der seiner Brüder. Denn 
es stammt aus der nämlichen Periode der Reichspohtik wie das Diplom 
für St. Martin zu Tours, nur aus wenig späterer Zeit, die dieser Annahme 
noch ungünstiger ist, da den jüngeren Kaiser wenn schon schwerlich 
neue Schuld, doch neuer Verdacht hochverräterischer Umtriebe belastete. 
Und soll ausgesprochenermassen die auf den Eiöstem der Nachbarschaft 
Herriedens ruhende Dienstpflicht, die sichtlich in Verfassung und Her- 
kommen begründet, keine ausserordenthche ist — sie wird nicht erst 
aufgelegt, sie besteht als servitium pubhcum — dem nämhchen Fürsten 
geleistet werden wie was an Pflicht dem Kloster Herrieden noch bleibt -"), 

19) Mühlb. No. 867: die Übersetzung , unter Vorbehalt der kaiserlichen Ent- 
scheidung" ist auch deshalb bedenklich, weil sie der Auslegung der folgenden 
Worte „qui nobis in imperio successuri sunt" die Richtung geben müsste. Der 
Gegensatz zwischen imperator und episcopus, imperialis und sacerdotalis beson- 
ders deutlich Mühlb. No. 876. 877. 918 (alle von Hirminmaris unterschrieben, das 
letzte von ihm auch geschrieben, also vermutlich von ihm auch verfasst). 

20) Mühlb. No. 872 (wo 11. Juli Druckfehler statt 13. Juli) quando contigerit 
nobis aut illi qui Deo annuente imperialem locum post nos obtinebit, per loca 
contigua transire, tunc . . secundum quod ordinatum fuerit aut singülatim aut 
cum aliis tale (publicum) servitium cum alimoniis exhibeant. — Unter dem im 
Vorhergehenden den „filiis" des Kaisers entzogenen Recht an Herrieden, das 
ihnen also anderwärts fortdauert, braucht nicht ein nach des Vaters Tode einer 
Mehrheit von Fürsten gleichzeitig zustehendes verstanden zu werden: Ludwig 
wird hier wie Mühlb. No. 817 (sub nostra filiorumque nostror.) und No. 840 die 



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304 Dritter Excurs. 

nun so kann Ludwig unter dem zur Einforderung berechtigten Nach- 
folger nur denjenigen gemeint haben, dem die Herrschaff nicht infolge 
eines Vorbehalts, einer ausserordentiichen Anordnung, sondern auf Grund 
seines Königtums, dem die Herrschaft über das ganze Land gebührte ^^). 
Nach dem einfachen Wortlaut freilich war Lothar der Anwärter 
all dessen was in den Diplomen . für St. Martin zu Tours und für Herrie- 
den vorbehalten wird, imd die Auslegung in der entgegengesetzten Kich- 
tung zwingt, ist sie, wie ich meine, unabweisbar, zur Annahme fehlerhafter 
Fassung. Fehler indes befremden am wenigsten an dem vielbeschäftigten 
Meister Hirminmaris, der die eine wie die andere Urkunde unterzeichnet 
und, bei der Gleichheit des Fehlers in beiden, beide vielleicht auch 
dictiert hat. Flüchtigkeit im Arbeiten imd Mangel an Gewandtheit verrät 
er auch anderwärts, auch Gedankenlosigkeit, wenn schon sonst nicht so 
grosse wie hier^^). Wohl trug es ja im EschatokoU und in denjenigen 
Teilen des Urkundentextes, die den Inhalt nicht berühren, zumal in der 
Arenga, immerhin auch in der Verfügung der Zollbriefe an der Stelle, 
wo der Bereich der Geltung des Privilegs umschrieben wird, wenig aus^ 
ob regalis oder imperialis oder regalis et imperialis gewählt wurde ^^), 



Abfolge der Erben, eines nach dem andern, im Auge gehabt haben (also gleich 
dem benachbarten successonim nostror.) : so unzweideutig Mühlb. No. 456 fideles . . 
filiis nostris (Brief Karls d. Gr. von Apr. 812, als von seinen Söhnen nur Ludwig 
noch lebte). 

21) Statt hier mit v. Simson Ludw. 2, 22 Anm. 3 anzunehmen, dass „an 
einen Nachfolger im Kaisertum fortwährend gedacht" werde, setze ich den Vor- 
behalt gleich dem Karls d. Gr. Mühlb. No. 310 (für Aquileja) zu Gunsten seines 
eben auf die Nachfolge im Lande, in Italien angewiesenen Sohnes Pippin. Jene 
Annahme hätte zur Voraussetzung, dass auch an die „anderen Klöster" dem Nach- 
folger im Kaisertum das gleiche Forderungsrecht zugedacht gewesen wäre. 

22) Sickel ÜL. 166 über die von ihm recognoscierten und zugleich geschrie- 
benen Diplome Mühlb. No. 893. 902 (über das letztere auch S. 164 nt. 1, wozu 
noch die von Mühlbacher aus dem Druck nach dem Original hervorgehobene 
Tageszahl kommt „undecimo quarto Kai."), femer S. 342 vgl. 127; weitere Fehler 
an dem gleichfalls von seiner Hand (Sickel ÜL. S. 96 nt. 4) herrührenden Mühlb. 
No. 898 (aufgezeigt von Wilmans I, 46 nt. b. c). 

23) Während Karl d. Gr. noch in seiner kaiserlichen Zeit (Mühlb. No. 421) 
die Gewährung der Bitte eines Geistlichen um Bestätigung der Ertauschung von 
Eigengut als Übung einer regia consuetudo bezeichnet (ebenso wo er nach dem 
Muster Marculfs I, 17 Zeumer S. 54 andere Bitten eines Geistlichen erfüllt Mühlb. 
No. 383), spricht Ludwigs d. Fr. Formel der Bestätigung solchen Tausches (Imper. 
No. 3 Zeumer S. 289) von imperialis consuetudo (wenn in Form. Patav. 5 Zeumer 
S. 459 wiederum regia c. steht, so ist auch dies ein Beweis ihrer Herkunft aus 
der Kanzlei Ludwigs d. D.). Anderseits wird gerade unter Ludwig in der 
Datierungszeile der Zusatz palatium regium zum Ortsnamen herrschend: auch die 
von Hirminmaris unterzeichneten und (Sick. UL. 96, Anm. 4) zugleich geschrie- 
benen Diplome No. 898. 900. 918. 921. 940 haben pal. regium, nicht pal. imperiale. 
In der Arenga verbindet beide Worte das von Hirminmaris unterzeichnete und 
geschriebene Inquisitionsprivileg No. 892, die von ihm unterzeichnete Bestätigung 
No. 913 und die von ihm zugleich geschriebene Constitution No. 902 (regia et 
imperialis consuetudo), auch die Rückstellung No. 941 (wo wiederum Hirminm. 



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Klöster, Chorherrenstifter u. Krongut in den Teilungen des fränk. Reichs. 305 

daher eine gewisse Regelmässigkeit sich nur insofern wahrnehmen lässt, 
als für eine bestimmte Urkundengattung herkömmlich eine Formel mit 
einer auch hierin bestimmten Arenga den Vorzug erhielt^*). Aber an 
dieser Stelle der Verfügung musste die Zweideutigkeit des Ausdrucks 
das Rechtsverhältnis strittig machen : war doch der Gedanke kaiserlicher 
OberherrUchkeit über die Königreiche der jüngeren Brüder, dem diese 
zwei Diplome scheinbar Anwendung auf einzelne Stätten geben, von 
Lothar und seiner Partei, wie die Empörung von 830 gelehrt hatte und 
sich abermals 833, 840 zeigen sollte, noch keineswegs aufgegeben. 

Im Frieden von Verdun oder in den Vereinbarungen, die nach seinem 
Abschluss getroffen wurden, erhielt Lothar wirklich mehrere Klöster in 
den Landen seiner Brüder. Jetzt freilich nicht, weil sein Anspruch auf 
OberherrUchkeit noch berücksichtigt worden wäre, weil ihm dessen Auf- 
gabe hätte gelohnt werden sollen, sondern vermuthch wegen seiner schon 
an einem fiüheren Zeitpunkt der Verhandlungen geäusserten Missstimmung 
über die Unzulänghchkeit der ihm gemachten Angebote, die eine Ent- 
schädigung seiner Getreuen für ihre Verluste im Bruderkriege ihm nicht 
gestatteten. Von der Absicht seiner Brüder, auf diesem Wege seine 
Verstimmtheit zu beseitigen und ihn mit dem Friedensvertrage völlig 
auszusöhnen, weiss wenigstens die freilich sonst ungenaue Translatio 
S. Glodesindae zu berichten, und von einem einzelnen Kloster wird es 
ausdrücklich bezeugt: die Jahrbücher des westfränkischen Reiches melden, 
dass er St. Vaast zu Arras „fratris tantum humanitate" erlangt habe. 
Wie hier an der I^ordgrenze seines Reiches dies Kloster, so trat Kari 
an der Ostgrenze ihm ein Chorherrenstift ab, St. Marcel am linken 
Ufer der Saone, über das sich da der zu Westfrankreich geschlagene 
Gau Chalon noch erstreckte: erst lange nach Lothars L Tod, aus der 
Verlassenschaft Lothars ü. ist es an ihn zurückgekommen^^). Andere 

recogn.) und die Formel für Schenkung Imper. No. 2 Zeum. S. 288 (hier reg. 
atque imp. potestas). 

24) Imperialis consuetudo in der Form. Imper. No. 3, wo wie gesagt einem 
Tausch von Eigengut die Bestätigung erteilt, dagegen Form. Imper. No. 36 regia et 
imp. consuetudo, wo von Ludwig Abtausch von Krongut vorgenommen wird — als 
ob der Ursprung des Krongutes im alten Königtum nicht unangedeutet bleiben 
sollte (vgl. regia camera Mb. 846, beneficia regalia Form. Imper. No. 29 Zeum. 
S. 308 1. 35 ; regalis atque imperialis potestas Form. Imper. No. 42 : auch hier res 
proprietatis nostrae). Wechsel beginnt bei Bestätigung eines Tausches von Lehn- 
und Amtsgut, da hier Form. Imper. No. 36 benutzt werden konnte (Nachweis 
Sickels ÜL. 169 n. 7), doch nicht musste (Mühlb. No. 744. 874. 947 nach Form. 
Imper. No. 3). 

25) Die noch von Mabillon für die Geschichte des Ordens des h. Benedict 
unbenutzt gelassene Nachricht der doch von ihm herausgegebenen (AA. IV, 1) 
Trsl. S. Glodesind. c. 28 (haec pars Franciae, quae Reno et Mosella limitatur, 
additis pro consensu et firmitate pacis quibusdam civitatibus et regalibu: abbatiis 
ultra citraque . . Lothario cessit) hat zuerst Bouquet (VII, 332 und Indox chronol. 
S. LV) unter den Quellen zur Geschichte des Friedens verzeichnet: sie ist freilich, 
heiTührend aus einer Zeit, da das Reich Lothars lange nicht mehr bestand, un- 
genau, auch wenn man den Namen Mosella als einen Überlieferungsfehler statt 
Mosa fasst, und undeutlich, da ultra citraque noch etwas andres als von dem einen 

Puckert, Aniane und GeUone. 20 

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306 Dritter Excurs. 

Bewandtnis hat es mit dem Frauenkloster Avenay im Sprengel Reims: 
dies erscheint zwar, man weiss nicht genau seit wann und wie lange, in 
der Hand Berthas, der Tochter Lothars I., die unvermählt geblieben 
gleich ihrer Schwester Gisla und ihren Basen, den Töchtern Ludwigs d. D., 
gleich diesen und schon den Töchtern Karls d. Gr. einer Versorgung 
durch klösterliche Einkünfte bedürfen mochte und sie nun seltsamer- 
weise ausserhalb des väterlichen Reiches, auf westfränkischem Boden 
fand; aber Karls Überlassung des Klosters an sie, allerdings noch bei 
Lebzeit des Kaisc^rs, enthielt nicht den Verzicht auf seine Hoheit, da 
Erzbischof Hinkmar, den sie dadurch zum Sprengeloberen bekommen 
hatte, ihr einmal androhte, Ungebührlichkeiten ihrer Leute vor den König, 
nicht vor den Kaiser zu bringen. Auch ist es so wenig den Nach- 
kommen des Kaisers geblieben, dass König Karl später, verfeindet mit 
Lothar II., es gerade dessen verstossener Gemahlin Thietberga zur 
Unterkunft geben konnte. Bei Avenay wird es sich nur um die Erträg- 
nisse gehandelt haben: Karl hat, noch oder von neuem in gutem Ver- 
nehmen mit Lothar I. stehend, diesem vermutlich nur mit den Überschüssen 
des begüterten Klosters die standesgemässe Erhaltung der Tochter aus 
eigenen Mitteln ersparen wollen ^®). Aber auch davon lässt sich abnehmen, 
vrie sehr durch die Kosten und die Schädigung des Bruderkriegs der 
Haushalt im Reiche Lothars ins Enge gezogen worden, wie viele und 
hohe Ansprüche an ihn herangetreten sein mögen, da doch zu der statt- 
lichen Zahl königlicher Klöster und Stifter, die allein das ihm nördlich 
von den Alpen überlassene Gebiet laut der aus den Teilimgshändeln 
von Meersen auf uns gekommenen Liste umschloss, auch Oeren, Remire- 
mont, St. Stephan in^ Strassburg, Hohenburg gehörten, alle vier für 
Frauen, geeignet zur Überweisung an die Kaisertochter, wenn das eigene 
Kind nicht dringenderem Verlangen von anderer Seite her hätte nach- 
stehen müssen. 

Unter diesen Umständen sucht man auch nach Klöstern und Chor- 
herrenstiften Lothars im Reiche seines anderen Bruders, Ludwigs d. D., 
mit dem er nach geschlossenem Frieden standhaftere Freundschaft pflog 
als mit Karl. 

Ein solches könnte man an Wildeshausen finden, einem Chorherren- 
stifte '^') im Lerigau, der doch, soweit unser Wissen reicht, gleich allen 



und dem andern der Brüder heissen kann. — Näheres über St. Vaast und 
St. Marcel-li-Chalon in , »Kleinere Beiträge zur Geschichte, von Dozenten der 
Leipziger Hochschule 1894" S. 104 f. (nur ist S. 104 statt Chalons s/M. zu lesen 
Chalon s/S.). 

26) Flodoard Hist. Remens. eccl. III, 27 M. G. SS. XIII, 548 1. 11 (Bertae 
abbatissae Avennac.) si . . suos corrigere parvipenderet ipse . . aures regis inde 
pulsaret vgl. S. 547 1. 24 quod apud regem . . obtinuerit ut missos suos dirigeret 
qui . . inter ecclesiae Remensis et Avennaci monasterii possessiones . . discernerent; 
S. 549 1. 10 Teutbergae abbatissae. 

27) Mabillon Annal. II, 1. 29 § 25 und Dümmler 0fr. R.^ 2, 335 bezeichnen 
es als Mönchskloster, Hauck KG. 2, 553 Anu). 3 als Kloster; aber e& war, in seinen 
Anfängen nicht anders als am Schluss seiner Tage, Klerikerstift: auch in den 
ältesten Urkunden ist von Mönchen keine Rede und nicht das Gelübde auf die 



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Klöster, Chorhenenstifter u. Krongut in den Teilungen des fränk. Reichs. 307 

anderen sächsischen Gauen dem Reichsteil Ludwigs d. D. zugewiesen 
w^ar, und im sächsischen Sprengel Osnabrück, wo wir sonst nur Klöster 
und Klosterzellen Ludwigs d. D. treffen (unter ihnen Meppen und Vis- 
beck, die, westlich oder südwesthch von Wildeshausen aufgesetzt, dies 
Stift von Lothars Reiche trennten) — wenn nur die neuerdings aufgestellte 
Ansicht zuträfe, dass Wildeshausen unter die Hoheit Lothars I. gestellt 
gewesen und erst aus dem Nachlass Lothars ü. an Ludwig d. D. ge- 
kommen sei. Aber diese Ansicht, die auch die Berichtigimg der Datum- 
zeile eines allerdings nur abschriftlich auf uns gekommenen Diploms zur 
notwendigen Folge hätte, erscheint mir nicht ausreichend begründet. ^Man 
führt dafür ein Schreiben Kaiser Lothars an, worin er durch den Über- 
bringer, einen seiner Vasallen, Namens Waltbert, den nachmahgen Grün- 
der des Stifts, vom Papst Reliquien zur Befestigung des Christentums 
in den von einer friesisch-sächsischen Mischbevölkerung bewohnten, durch 
heidnische Nachbarschaft bedrohten Strichen seines Reiches erbittet (850). 
Indes dies Schreiben besagt nicht, dass der erbetene Schatz ungeteilt ftir 
einen einzigen Ort, dass er schon damals zur Ausstattung Wildeshausens 
bestimmt gewesen: Wildeshausen wird von Lothar nicht genannt, ge- 
schweige seinem Reiche zugezählt '^% Der Bericht über die Heimführung 
dessen, was Waltbert in Rom erlangt hat (des Leichnams des h. Alex- 
ander neben Reliquien von der Gottesmutter und sehr vielen andern), 
spricht freilich schliessHch nur von Wildeshausen, aber er handelt da 
auch nur von den Resten des h. Alexander, nicht mehr von den übrigen, 
deren Niederlegung an anderen Orten offen bleibt, an Orten im Reiche 
Lothars, dessen ursprüngliche Absicht sie nach jenem Schreiben an den 
Papst wohl auch gewesen ist, dem sie neben Waltbert wie einem Mit- 
beschenkten der Papst auch anvertraut hat. Vomehmhch fehlt, da zu 



Regel, sondern die Klerikerweihe macht der Gründer denjenigen seines Geschlechts 
zur Bedingung, die etwa, einer nach dem andern, Vorsteher dieser ecclesia oder 
familia werden wollten (Wilmans Kaiserurk. I, 532 f.). Das zu bemerken ist für 
unsere Vorstellung der Heidenbekehrung auch hier nötig: die Mission, für die 
Wildeshausen bestimmt gewesen sein wird, forderte priesterliche Weihe ihrer 
Träger und Entbindung von der Pflicht der Clausur. 

28) Mühlb. No. 1108. Schon Willebrord bestimmte (Beda, H. eccl. V, 11) 
die Reliquien, die er in Rom erlangen wollte, für eine Mehrheit von Kirchen, die 
noch nicht einmal gebaut waren. Gegen Wilmans, der (Kaiserurk. 1, 179 f.) auf 
Grund jenes Schreibens eine Zerstückelung des Lerigaus durch den Vertrag von 
Verdun und die Überweisung des Stückes, worin Wildeshausen lag, als eines frie- 
sischen Landstrichs an Lothar annahm, siehe Mühlbacher unter No. 1372, wo 
freilich wider die Zugehörigkeit Wildeshausens und seiner Umgebung zu Friesland 
kein Zeugenbeweis geführt, nur die Autorität Böttgers, der auf künftige Ausfüh- 
rung verweist, und Spruner-Menkes angezogen wird. An Quellenzeugnissen fehlt 
es nicht: ein Scholion zu Adam Brem. (Gesta Hammab. eccl. pontif. I, 13 seh. 3. 
SS. VII, 289) begrenzt Friesland landeinwärts durch den Wapelingsumpf, also die 
heutige Wapel (weit nördlich von Wildeshausen), schon die Jahrbücher von Xanten . 
lassen (unter 851) nicht in Friesland, sondern in Sachsen den Leib des h. Ale- 
xander zur Ruhe kommen (M. G. SS. II, 229 1. 20) und in der Trsl. S. Alex. c. 13 
SS. II, 680 gilt eine aus Friesland gebürtige Frau in der Nachbarschaft von Wil- 
deshausen als peregrina, als exul. 

20* 



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308 Dritter Excurs. 

Wildeshausen bei der Ankunft der Alexandergebeine 851 noch nicht 
einmal der Keim eines Klerikerstifts wahrzunehmen ist, der Grund^ 
warum der Kaiser schon acht Jahi-e vorher, bei den Verhandlungen von 
Verdun, die Aussonderung der Stätte aus Ludwigs Hoheitsbereich hätte 
wünschen sollen; und es fehlt, da das Stift, wie es sich urkundhch dar- 
stellt, Privatstift, Erbe im Geschlecht des Gründers war, auch die Mög- 
Hchkeit solchen Wunsches, die rechtliche Voraussetzung der Übertragung 
des Stifts an ihn durch blosse Verabredung zwischen Fürst und Fürst ^^). 
Nur königUche oder unabhängige Klöster und Stifte kommen hier 
in Betracht Unter diesen aber hat Ludwig d. D., wie ich glaube be- 
haupten zu dürfen, wenigstens eins dem älteren Bruder, immerhin viel- 
leicht nur auf eine bestimmte Zeit überlassen, Weissenburg, das zwar in 
dem zum ostfränkischen Reiche geschlagenen Speiergau lag, aber vom 
Nordsaum des an Lothar gewiesenen Elsasses nicht so weit abstand, wie 
St Vaast von der Grenze des gleichfalls lotharisch gewordenen Sprengeis 
Cambray und kauni weiter als St. Marcel-li-Chalon von der des Sprengeis 
BesanQon, mit dessen Westsaum das zusammenhängende Gebiet des 
Kaisers begann. Des ist untrüghches Kennzeichen die Datumzeile einer 
Reihe von Privaturkunden Weissenburgs: Kaiser Lothar wird da, noch 
Jahre nach dem Vertrag von Verdun, Herr, .unser Herr genannt, imd 
alle die den Erzbischof Otgar von Mainz als Abt oder als Besitzer des 
Klosters bezeichnen, zählen, obschon Otgar in seinem Sprengel Unterthan 
Ludwigs war, nach der Regierung Lothars; nur auf den Namen Abt 
Grimalds gestellte bringen, und auch sie nicht sofort, die Zahl der Jahre 
Ludwigs d. D.^^) Dem Besitz der Hoheit an diesem Kloster mochte 
Lothar deshalb besonderen Wert beilegen, weil er erwarten musste, dass 
der hier schon in der letzten Zeit Ludwigs d. Fr. eingesetzte Erzbischof, 
den man als einen seiner treuesten Genossen in seinem Kampf gegen 



29) Trsl. S. Alex. a. a. 0. 678 lin. 19 (papa mandans regi — procurarent). 
679 f. Wilmans 1, 532. Nicht einmal durch den Namen des Stifters findet sich 
angedeutet, dass die Marienreliquien nach Wildeshausen gekommen (immer S. Ale- 
xandri, höchstens noch omniumque Sanctorum) und Trsl. S. Alex. c. 14 geschieht, 
sogar zu Marien Reinigung ein Wunder nur durch den h. Alexander. — Dümmler 
(0fr. R.2 1, 210 nt. 1 ; 2, 335 nt. 4) hält daran fest, dass W. zu Lothars Reich 
gehört habe: Lothars Worte ,in partib. regni nostri* schlössen jeden Zweifel aus,, 
da sie sich auf W. bezögen; die Notwendigkeit dieser Beziehung leugne 
ich eben. 

30) Die Reihe der Urkunden mit Lothars Regnum (Tradit. Wizenb. No. 215 
[aus dem Jahre 840] 268—271 [aus dem J. 846] und — unter Abt Grimald — 200 
[30. Jun. Ao. 8 = 847]) würde unterbrochen werden, wenn No. 273 (Luduwigo rege 
a. VI sub testimonio grimoldi abb.) wirklich, wie es scheint und auch Zeuss meinte, 
in das Jahr 846 gehörte. Aber die zwiefache Abweichung, nicht nur in dem 
Namen des Herrschers, sondern auch des Abts, lässt die Frage aufwerfen, ob 
nicht, als diese Urkunde (gerade sie von späterer Hand, einer Hand des 11. Jhh., 
in den Sammelband eingetragen ward), die Ziffer des Originals ui falsch gelesen 
wurde, ob die Urkunde nicht vielmehr in das dritte Jahr König Ludwigs, unter 
836 zu setzen sei, in die Zeit, da er mit Vaters Zustimmung Franken besass. Wie 
leicht die Buchstabengruppe in einer Handschrift des neunten Jahrhunderts sich 
verlesen Hess, erhellt auch aus Zeuss a. a. 0. S. 349 No. 195; 351 No. 225. 



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Klöster, Ohorherrenstifter u. Krongut in den Teilungen des fränk. Reichs. 309 

Ludwig d. D. keDnt, beanspruchen werde, diesem nicht ganz, nicht überall 
preisgegeben zu werden, nach dem Eeichsteilungsvertrag, der seine Kathe- 
drale dem Gegner auslieferte, wenigstens noch an einer Stelle unter der 
schirmenden Hand seines kaiserlichen Gönners zu bleiben. Wenn später, 
nach Otgars Tod (f 21. April 847) einer der Vertrautesten König Lud- 
wigs, sein ehemahger Kanzler, eben jener Grimald die zu Weissenburg 
eine Zeit lang schon vor Otgar bekleidete Abtswürde von neuem er- 
langte^'), aber anderseits noch die erste Urkunde aus seiner zweiten 
Abtszeit (vom 30. Juni 847) durch die Zählung nach Lothar die diesen 
Wechsel überdauernde Hoheit des Kaisers zum Ausdruck bringt, so ent- 
spricht dies, sofern in der Wiedereinsetzung Grimalds ein Entgegen- 
kommen Ludwigs gegen Lothar zu erblicken ist, dem Verhältnis wechsel- 
seitigen Vei-trauens, das unter ihnen, nach dem Zeugnis der ostfränkischen 
Reichsannalen, spätestens seit dem Frankentage von Meersen (Febr. 847) 
bestand. Und da die brüderliche Gesinnung noch zur Zeit des zweiten 
Tages von Meersen (Frühjahr oder Sommer 851) währte, so dürfte man 
vermuten, dass Lothar, dem damals Ludwig so manchen Dienst leistete, 
nunmehr erst das Kloster dem könighchen Landesherrn gegeben oder 
zurückgegeben hat — wie anderthalb Jahrzehnt später sein Sohn das 
Kloster St. Vaast zur Vergeltung vielleicht noch grösseren Dienstes dem 
westfränkischen Könige wieder abtrat — : seit dem 29. Sept. 851 zählen 
die Urkunden Weissenburgs nicht mehr nach Lothar, sondern ununter- 
brochen nach Ludwig. 

Von neuem aber hat, mehr als fünfundzwanzig Jahre nach dem 
Vertrag von Verdun, der Vertrag von Meersen, durch den sich die 
jüngeren Brüder Kaiser Lothars in das von dessen gleichnamigem Sohne 
hinterlassene Eeich teilten, manches Kloster und Chorherrenstift unter 
die Hoheit eines anderen Königs gebracht als die Lande, worin sie lagen: 
an Karl d. K. das St. Servatiusstift, in dem samt seinem „Districtus" 
dem ostfränkischen Eeiche zugewiesenen Maastricht, ausserdem Senones 

31) Zeuss nahm, sichtlich aus Anlasa von Traclit. No. 158 und 273 (vgl. oben 
Anm. 30) an, dass Grimald nicht nur vor und nach Otgar Abt gewesen, sondern 
auch unter Otgar Abt genannt worden sei, und zwar zu dessen Zeit als sein Stell- 
vertreter (S. XV). Die (von Dtimmler- 1, 129 bestrittene) Zulässigkeit seiner An- 
nahme würde er durch das von ihm angeführte Beispiel aus dem 8. Jahrh. er- 
wiesen haben (dazu Trad. No. 51 n. 198 Abt Ratfried unter Bischof Folcwig, der 
Procurator und [No. .172] auch Abt heisst, im 9. Jahrb., Abt Geilo .unter Erzb. 
Adalbert im 10. Jahrh. vgl. Zeuss S. XVI; in Beaulieu nach Cartul. pp. Deloche 
No. 140. 155 und Notes S. 235 Gairulf neben Rainulf; in S. Gallen, solange es 
bischöflich war, Abt Werdo Sickel in Mitt. d. v. V. v. St. Gallen 4, 5) — wenn 
nur Grimald zur Stellvertretung und zur unmittelbaren Leitung des Klosters als 
Hüter der Regel durch regelgemässe Führung seines eigenen Lebens und durch 
bleibenden Aufenthalt im Kloster in stand gesetzt gewesen wäre. So aber hatte 
er Eigentum (Mühlb. No. 1318) und war vor Otgars Ernennung durch seine Thätig- 
keit als Kanzler, nachher durch seinen Besitz des Klosters St. Gallen anderwärts 
in Anspruch genommen. Indem das Verhältnis Otgars und Grimalds zu Weissen- 
burg das gleiche ist (von beiden dominari videtur Trad. 50 No. 151. 156; gerade 
unter Grimald ein praepositus befehlend an Ort und Stelle No. 50), so schliesst 
das des einen das des andern aus. 



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310 Dritter Excurs. 

im Gau Chaumont, der gleichfalls den ostfränkischen Karolinger zu seinem 
Herrscher erhielt; umgekehrt an Ludwig d. D. Favemey, Luxeuil, Lure 
und Offonis Villare im Portois, einem Gau, der den burgundischen Besitz 
des westfränkischen erweiterte. Vielleicht führte, als die königlichen 
Brüder so mit einander feilschten, der Zug eigener Neigung, die Ver- 
ehrung eines besonderen Nothelfers den einen mehr zu dieser, den andern 
zu jener Stätte und dem Heihgenschrein ihrer Kirche; vermuthch aber 
kam unter allen Gründen ihres Wählens und Begehrens, deren es bei 
der Vielseitigkeit der Verhältnisse der Klöster und Stifter eine grosse 
Zahl geben musste, am meisten, jetzt, wie 843 für Kaiser Lothar bei 
seiner Forderung, in Betracht, dass Getreue, die jeder der Brüder während 
der voraufgegangenen Parteiung in den nun dem andern zugeteilten Lan- 
den gefunden und auch durch vorfrühe Annahme der Huldigung sich 
verbunden hatte, mit ihrem Besitz an Abteien und Propsteien, zumal 
wenn der Besitz nur auf Belehnung ruhte, gegen die Rache des bis- 
herigen Gegners gesichert werden mussten. Das zeigt sich gerade da, 
wo diese Ungelegenheit nicht zu vermeiden war. Denn Karls Kund- 
machung seines Verzichts auf Metz, die, wie es scheint wöiihch dem 
Auszug des Vertrags eingefügt ist, verhält sichtlich mit Mühe den 
Schmerz, womit er den Bischof Adventius, einen seiner getreuesten unter 
den Bischöfen Lothars, samt diesem seinem Sitz unter die Hand Lud- 
wigs d. D. geraten sah. 

Ob. der Vertrag von Meersen, der nach Ausweis des erhaltenen Aus- 
zugs ^*^) sehr eingehende Angabe über die Verteilung der Klöster und 
Stifter enthielt, auch zur Sicherung ihrer Güter, so viele davon von nun 
ab im Gebiet eines fremden Landesherm lagen, zur Verhütung von Ver- 
lusten, dergleichen die Kirche Hamburg nach der Teilung von Verdun 
an ihrem flandrischen Ausstattungsgut (Thourout) und das Kloster 
St. Denis schon während Lothars Aufstand gegen den Vater an seinem 
alten Besitz in Italien erlitten hatte, im Original eine umfassende Be- 



32) Dass nicht die flTeilungsuvkunde'* selbst, sondern nur ein Auszug auf uns 
gekommen ist, den wahrscheinlich Karl d. K. (ebenso wie nachmals einen von den 
Beschlüssen des Reichstags von Quiercy M. G. Leg. ed. Pertz I, 541 1. 22 capitula 
excerpta) anlegen und dem Verfasser der Jahrbücher seines Reiches zustellen hiess, 
ergiebt sich schon aus der Formlosigkeit des Ganzen (es fehlt, als ob es auf nichts 
als auf die Sache ankommt, Protokoll und Eschatokoll, der Name König Lothars 
wird mit nicht mehr Feierlichkeit behandelt, als der Name eines Grafen Bernhard), 
besonders aber aus dem Unterschied der Fassung des Anfangs beider Hälften des 
Vertrags, wo über die teilenden Fürsten in dritter Person berichtet wird (haec 
est divisio, quam sibi Hludovicus accepit, h. e. d. q. Karolus . . s. a.) von der 
Fassung, die innerhalb eines jeden dieser Abschnitte ein Relativsatz erhält: denn 
beim Hinweis auf die noch vorzunehmende Berainung der Grenzlinie im Ardennen- 
gau reden plötzlich beide Fürsten selbst (missi nostri), und die Erklärung seines 
Verzichts auf Metz giebt Karl d. K. in eigener Person „propter pacis et caritatis 
custodiam superaddimus* : er ist es vermutlich gewesen, der Sorge getragen hat, 
dass sie in dieser Fassung zum Beweis seiner Friedensliebe (vgl. über Lothars 
Erwerb von St. Vaast dieselben westfränkischen Reichsannalen unter 843: Karoli 
tantum humanitate) dem Auszuge eingefügt wurde. — Weiteres in den kleineren 
Beiträgen S. 96 ff. 



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Klöster, Cliorlierrenstifter u. Krongut in den Teilungen des fiänk. Reichs. 311 

Stimmung gehabt hat, entzieht sich unserer Kunde. In dieser Hinsicht 
ist im Auszug des Vertrags nur eine Einzelabrede zu finden, über ein 
einziges Kloster, Stablo, das die denkbar vollste Sicheiimg erhielt, da 
seine Villen allesamt, demnach wo sie nur lagen, unter den nämlichen 
Fürsten, Ludwig d. D., kamen wie das Kloster selbst (cum omnib. villis 
dominicat. et vasellarum). Dass indes die gleiche Annahme bei den 
übrigen Klöstern und Stiften nicht gestattet ist, ergiebt sich aus dem, 
was wir über das in dem Auszug dicht neben Stablo genannte Prüm 
aus der Zeit nach 870 erfahren. Prüm hat für seine Besitzungen im 
Westreiche von westfränkischen Karolingern Immunitätsbestätigung erbeten 
und erhalten, aber Stablo auch für seine in der Champagne, im Condroz-, 
Lomme- und Haspen gau, also gleichfalls im Westreiche gelegenen von 
ostiränkischen Herrschern '^*^). 

FreiUch führt Karl d. K. in Diplomen für Klöster und Stifter seines 
durch die Teilung von 843 erlangten, durch die von 870 erweiterten 
Gebiets manche Güter an, die sie im ostfi:'änkischen Reiche besassen. 
Aber er bekundet dadurch keineswegs, dass sich seine Hoheit auch über 
sie erstreckte. Denn nicht Schenkung oder Bestätigung von Gütern 
haben diese Diplome zu ihrem Inhalt, sondern, gefasst nach Art der 
Constitutionen wie sie sind, die Sicherung der Einkünfte von ihnen, zu 
Nutz der regulären Kloster- und Stifbsgenossen gegen den Anspruch des 
vom Könige gesetzten Vorstands. Sie betreffen recht eigentlich die Aus- 
scheidung der Erträge bestimmter Besitzungen aus dem Ertrag des 
Gesamtbesitztums, über den der Landesherr des Klosters oder Stifts, 
seitdem ihre Behandlung nach Beneficialrecht durchgedrungen war, ver- 
fügen, in dem Masse verfügen konnte, dass er nach seinem Ermessen 
einen Teil davon, woher er auch stammte, fiir die Genossenschaft abschied, 
um den Rest dem von ihm ernannten Laienabt als Einkommen von 
Lehen anzurechnen. So wahrte Karl den Mönchen von St. ßertin in 
Ausfuhrung einer Bitte des kürzlichst verstorbenen Abt Hilduins, der 
aber nicht Mönch, sondern Kanoniker gewesen war, und nicht durch 
Wahl, sondern durch des Königs Ernennung seine Würde erlangt hatte, 
für ihren Kleiderbedarf Hufen des Klosters zu Cassellum „jenseits des 
Rheins", Freken im Sprengel Köln und Deventer, allesamt in Strichen, 
die seit dem Vertrag von Meersen zum ostfränkischen Reiche gehörten ^*). 



33) Auf diesen augenfälligen Unterschied der Immunitäten für Prüm (Böhm. 
No. 1580. 1831, jetzt Beyer Mrh. ÜB. 1, 81. 121 No. 74. 116) von denen für Stablo 
(Mühlb. No. 1452. 1513) wies ich 'schon in den kleineren Beitr. S. 103 f. (S. 104 
ist Z. 2 V. 0. Ortschaft statt Ortschaften zu lesen). Von Karl d. K. erhielt einige 
Jahre vorher der Britenherzog Salomo die Grafschaft Coutances cum omnibus 
fiscis et villis regiis et abbatiis in eodem comitatu coiisistent. ac rebus ubicun- 
que ad se pertinentibus excepto episcopatu (Hincm. Ann. 867 hg. von Waitz 
S. 88). 

34) Böhmer No. 1815 (oben Exe. II Anm. 11). Dass Frequena des Diploms 
im Sprengel Köln lag, also das heutige Frechen im Kreise Köln ist, bezeugen die 
päpstlichen Privilegien Ja.-Lfd. No. 6201. 6769. 8016. Von Kasellum sagt Guerard 
a. a. 0. S. 397 ,probablement dans la Hesse electorale**, was ja sehr wichtig wäre, 
wenn es zuträfe. Aber das hessische Kassel war Königshof und ward schon 1008 



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312 Dritter Excurs. 

Um nichts anderes handelt es sich in Karls Diplom für Nivelles, da er 
aus dem Eigentum des dortigen Gfcrtraudenstifts den Chorherren und 
Chorfrauen des Stifts neben einigen Gütern in den altwestfränkischen 
Grafschaften Laon und Soissons noch die Villa Sprengungen mit Wein- 
bergen in der Grafschaft Worms und die Villa Broele zu ihrem Gebrauch 
einräumt mit der Weisung, dass fortan kein „Senior^' sie diesem Zweck 
entfremden solle. Und wie hier der westfränkische Karolinger als Lan- 
desherr von Nivelles über den Ertrag auch ostfränkischer Güter Bestim- 
mung traf, so übte, als nach seinem Tode Nivelles an die ostfränkischen 
Karolinger gekommen war, einer unter diesen, König Zwentibold, eben 
als Landesherr von Nivelles, seine Fürsorge nur in derselben Richtung, 
wenn er auch über die Verwendung der Erträge westfränkischer Güter, 
der Villa in der Grafschaft Laon und des Weingartens in der Grafschaft 
Soissons die Verfügung Karls erneuerte ^^). Völhg unstatthaft wäre der 
Gedanke an Gewaltanmassung, von der Karl d. K. in dem einen wie 
dem anderen Diplom das Vorbild gegeben hätte: die Annahme, dass er 
in ihnen von. neuem seinen Anspruch auf den ostfränkischen Anteil an 
Lothringen, ja auf das ganze Gebiet links vom Rhein zur Äusserung 
habe bringen wollen, ist ausgeschlossen. Beide fallen in eine Zeit, Hoch- 
sommer 877, da der Geschlagene von Andernach, wie das ihm von seinem: 
siegreichen Neffen schon bei Beginn des Jahres durch Zurücksendung 
der Kriegsgefangenen bezeigte Entgegenkommen und seine nunmehr auf 
ItaUen genommene Richtung erweist, die Pläne von 869 und 876 auf- 
gegeben hatte und er sich beglückwünschen mochte, dass ihm sein altes 
Reich von 843 und seine Erwerbungen von 870 unverkürzt gelassen 
wurden. 

Die Spür einer wirklichen Kürzung Karls d. K. innerhalb der Grenzen 
seines alten Reiches, einer schon fiiiheren Kürzung, glaubte Mabillon 
wahrzunehmen, als er in Adalhelms Schilderung der Wunder der h. Oppor- 

von Heinrich IL zur Ausstattung drs Klosters Kaufungen verwendet (St. No. 1496: 
Cassala), während Kasellum ultra Rhenura noch 1015 als Besitztum von Sithin 
erscheint (Exe. 11 Anm. 38): es wird das heutige Ober- oder Niederkassel am 
rechten Ufer des Rheins im Kreise Siegen sein. 

35) Böhmer No. 1817 (Karl d. K.: concedimus ad usus fratrum seu soror.) 
und 1164 (Zwentibold: in proprios usus delegavimus): an beiden Stellen redet 
Böhmer mit Unrecht von Verleihung. — Wenn Mühlbacher unter No. 1919 
(= Böhm. 1164) bemerkt, dass Zwentibold, der Lothringer Herrscher, die Erwäh- 
nung der westfränkischen Güter aus der Vorurkunde Böhm, 1817 habe und dass 
in dieser, der Urkunde des westt'ränkischen Herrschers statt des ostfränkischen 
Gaus Worms vermutlich der westfränkische Untergau Famena zu setzen sei, so 
erweist das Diplom Stumpf No. 2570, auch wenn es im Stift getischt sein sollte, 
dass den Stiftsgenossen Sprenglingen bei Bingen lag, also wirklich im Wormser 
Gau (wo auch die Kirche Chalons s./M. bis 878 ein Gut besass Mühlb. No. 1516): 
es ist also Sprenglingen im Kreis Alzey (öfter in Lorscher Urkunden: cod. Lauresh. 
II, 326 f. No. 1904—1916). Von Broele berichtet Miraeus 00. 1, 504 ^ad Rhenum 
prope Andernacum, ubi collegium Nivellense vineas hodieque possidet**, also Burg- 
brohl im Kreise Mayen, daher die Bestimmung im Diplom Karls, der eben von 
seiner Andemacher Niederlage her die Lage eigentlich hätte kennen müssen, „trans 
Rhenum* irrig ist statt „circa Rh.** (so richtig im Diplom Mühlb. No. 1919). 



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Klöster, Chorherrenstifter u. Krongut in den Teilungen des fränk. Reichs. 313 

tuna die Nachricht fand, dass den von den Normannen aufgescheuchten 
Besten dieser Heiligen ein König Ludwig zur Zufluchtsstätte das Gut 
Monciacum geschenkt habe, „inclytus rex Ludovicus, frater gloriosi et 
magni Domini Caroli, nostri imperatoris, regis Serenissimi, . . cujus vita 
semper a Deo gubernetur*. Da Mabillon mit Recht Monciacum auf das 
heutige Moussy-le-Neuf, nordöstlich von Paris zurückführte (so schon in 
seiner Ausgabe der Miracula S^e Opportunae 1672), aber zugleich meinte, 
dass Adalhelms ruhmreicher und grosser Herr Karl Kaiser Karl der 
Kahle sei, so konnte er dem Schluss nicht ausweichen, dass Ludwig 
der Deutsche, ein ostfränkischer Herrscher es gewesen, der über ein Gut 
im Sprengel von Paris die Verfiigung gehabt habe; „doch wie es an ihn 
gekommen, ersehe ich nicht", gestand er noch dreissig Jahre darnach, im 
dritten Bande seiner Annalen (1702)^^). Wenn je, müssen wir sagen, 
entweder durch den Vertrag von Verdun, oder, sofern es zu seinem Erbe 
von Lothar H. gehörte, durch den Vertrag von Meersen, daher denn, 
dieweil es an den Vater Lothars II. auch kaum anders als durch den 
Vertrag von Verdun gekommen sein könnte, unsere Ansicht von der 
Reichsteilung des Jahres 843 sich um einen Zug bereichern würde, der 
den Darstellungen auf Grund der unmittelbaren Quellenberichte abgeht, 
den sie nicht ahnen lassen. Wenige Jahre . nach Mabillons Ausgabe der 
Miracula S^ae Opportunae erschien in der Sammlung der BoUandisten die 
Ausgabe Henschens (1675), und der machte die treffende Bemerkung, 
dass, da Adalhelm bereits die könighche Würde Bosos kenne, auch Beute- 
züge der ringsum vordringenden Heeresscharen Bosos erwähne^'), sein 
Herr Karl unmöglich Karl d. K. sei, nach dessen Tode *Boso erst König 
ward, unter dessen Nachfolgern erst es zu Feindseligkeiten zwischen dem 
Emporkömmling und dem westfränkischen Reiche kam. Aber Henschen 
beharrte bei seinem kaiserHchen Träger des Namens Karl (daher er statt 
des zweiten den dritten annahm), und er blieb auch bei der Ansicht 
Mabillons, dass die Schenkung von Ludwig d. D. herrühre (daher er in 
jener Apposition frater durch pater ersetzt wissen wollte). Seinerseits 
bemühte er sich nur, diese Ansicht dadurch wahrscheinlicher zu machen, 
dass er das geschenkte Gut aus dem Gau Paris weit weg, nach Ger- 



36) Annal. ord. S. Bened. III 1. 37 § 106. Die Miracula Stae Opportunae giebt 
er Acta SS. saec. III, 2 (ed. Paris. 231 ff. Venet. 209 ff.); hier bezieht sich c. 6 
supradictum und praedictum beim Ortsnamen Monciacum auf die sachlich ent- 
scheidende Stelle prolog. § 1 ,ubi nunc sanctum corpus ejus veneratur**: das ist 
eben Moussy-Le-Neuf, Dep. Seine-et-Marne, Arr. Meaux, Cant. Danimartin. 

37) Mirac. c. 9 Ko tempore quo exercitus fortissimi regis Bosonis circum- 
quaque depraedationes faceret, contigit ut quidam miles ejus Monciacum villam 
ad depraedandum invaderet. Für die Geschichte der zweiten Hälfte des neunten 
Jahrhunderts eine der wertvollsten Nachrichten: durch sie erhält die im Diplom 
Kaiser Karls III. Mühlb. No. 1664 gemachte Andeutung von Angriffen Bosos 
(contra insidiatores et invasores regui, contra Bosonem tyrannum), die trotz aner- 
kannter Fälschung des Diploms bereits Dümmler 0fr. Jb.^ 2, 245 nt. 34 = ^ 2, 
243 nt. 1 und noch bestimmter Mühlbacher mit Recht für glaubhaft erklären, 
Stütze und auch Erweiterung. Bosos Erhebung muss ihre Schwingungen tief ins 
Innere des west fränkischen Reichs gezogen haben. 



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314 Dritter Excurs. 

manien zu verlegte, wo Ludwig d. D. ein Monciacum durch den Vertrag 
von Meersen erlangt haben sollte ^^). Diese Auskunft hat Mabillon in 
dem spätesten seiner grossen Werke mit Recht unbeachtet gelassen. Denn 
unter den Verehrungsstätten der h. Opportuna ist neben Moussy-le-Neuf 
ein zweiter Ort dieses Namens, von wo ihr Leib dorthin erst übergeführt 
worden wäre, ein Monciacum im Osten nicht bekannt: der aus dem Stift 
stammende Reliquienbericht ^®) weiss davon nichts. Und Henschens Deu- 
tung dieses einen Ortsnamens würde auch, träfe sie zu, nicht ausreichen. 
Denn nach einer späteren Stelle Adalhelms schenkte Ludovicus rex, dem 
ein ehrendes Prädicat hier fehlt und nur deshalb fehlen kann, weil er 
es schon an der früheren Stelle erhalten hat, der also, wie auch sonst 
die Fassung dieses Satzes lehrt, zusammenfällt mit dem inclytus rex Ludo- 
vicus, dem Geber von Monciacum, noch Wiesen hart am Mont-Martre 
und Feldstücke nahe dem Thor von Paris ^^). Unter den Mauern von 
Paris Güter in der Verfügung eines ostfränkischen Karolingers und vor 
ihm etwa in den Händen Lothars I. und Lothars II.? 

Aber zu dieser seltsamen Vorstellung nötigt Adalhehn nirgend, wenn 
man nur da, wo er vom Imperator spricht, sich der von Mabillon ein- 
geführten Beziehung des Wortes auf einen Kaiser entschlägt. Sie scheint 
mir, wie nahe sie liegt, wie sehr sie Mabillon und Henschen als selbst- 
verständlich annahmen, unrichtig. Der Zusatz nostri zu Caroli imperatoris 
deutet vielmehr an, dass Adalhelm denjenigen meint, der über ihn und 
die Seinen, über sein Volk die Gewalt hatte, dass er Karls landesherr- 
hche Stellung ^geben will, nicht seinen Titel und Rang. Den Rang 
bestimmt er vielmehr erst durch das begleitende regis serenissimi, ent- 
sprechend dem Brauch der Kanzlei, die in der Unterschriftszeile der 
Diplome das Adjectiv serenissimi, wenn der ausstellende Fürst die kaiser- 
liche Würde hat, dem Worte imperatoris oder augusti anschhesst, wenn 
er sie nicht hat und nur König ist, mit regis verbindet. War aber 
Adalhelms Karl nicht römischer Kaiser, auch nicht der dritte dieses 
Namens*^), so hindert nichts, ihn und seinen Bruder Ludwig da zu fin- 



38) Bolland. Apr. vol. ITI, S. 70 nt. a; 71 nt. b und ebenso app. II, 1. 

39) Bolland. a. a. 0. S. 72 append. II § 7; auch bei Mabillon (am Schluss 
der Miracula). 

40) Bolland. a. a. 0. S. 70 c. 12 Ludovicus rex cum supradictis donis prata 
juxta Montem Martynim et campellos prope portam ejusdem civitatis attribuit — 
zu Händen des nämlichen Bischofs Hilde brand wie Monciacum. Ausser Moncia- 
cum kommen im „Vorhergesagten* von einem König Ludwig „Gaben** nicht vor. 

41) Dass sich imperator (selbstverständlich ohne den Zusatz Romanorum, 
Serenissimus, augustus), imperium, imperare einfach auf Herrschergewalt beziehen 
Hess, zeigt sich, wenn es des Beweises bedürfte, an der bekannten Stelle Widu- 
kinds V. Corvei I, 1 summi imperatoris vom Weltenlenker, an der Privaturkunde 
Gall. ehr. II, J. 495 Ludovico rege imperante. Vgl. oben Anm. 18. Dass dagegen 
ein Karolinger ohne Kaiserkrone die Bezeichnung Imperator als Titel erhalten, 
Kaiser geheissen habe, finde ich nicht genügend belegt: die Formeln Collect. 
S. Gall. 1. 2 (Zeumer 395 f.), durch die sich de Roziere zu dieser Behauptung ver- 
leiten liess (I, 190. 2, 629), sind nur Stilübungen; in dem von ihm angeführten 
Briefe Papst Benedicts III. (Jaffe-Ewd. No. 2669) ist nicht von Ludwig d. D., son- 



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Klöster, Chorherrenstifter u. Krongut in den Teilungen des fränk. Reichs. 315 

den, wohin die Schenkungen des inclytus rex Ludovicus weisen, unter 
den Karolingern des Westreiches, den einen in Karl d. E., den andern 
in dem Sieger von Saucourt, dem so viel früher aufgekommenen, aber 
auch früher abgeschiedenen Ludwig III. , der jene Schenkungen im Gau 
Paris machen konnte, da er bei der Teilung des väterlichen Reiches 
Prancien und Neustrien erhalten hatte. 



dem von Kaiser Ludwig 11. die Rede. Ducange-Niort weist unter Imperator auf 
eine Privaturkunde für Beaulieu (jetzt Cartul. d. Beaul. pp. Deloche S. 132 No. 79), 
aber da ist Karl d. D., nicht Karl d. K. gemeint. Eher Hesse sich Deloche S. 260 
Karoli imperatoris A® 26 geltend machen: das muss auf Karl d. K. gehen; doch 
kann hier (wie bekanntlich oft in späteren Abschriften von Privaturkunden aus 
der königlichen Zeit Karls d. Gr.) beim Eintragen in das Cartular der Königstitel 
des Originals in den späteren geändert worden sein. 



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Inhaltsübersicht. 

Einleitung. S. 1—9 

Die verfassungsgeschichtliche Bedeutung der Diplome Karls d. Gr. und Lud- 

wigs^ d. Fr. für das Kloster Aniane in ihrer überlieferten Gestalt S. 1 — 4. — Die 

Unsicherheit der Überlieferung dieser Diplome im Cartular-von Aniane S. 4 — 7. — 

Plan der Untersuchung S. 8—9. 

Erstes Gapitel. 

Aniane unter Karl dem GroBsen, S. 10—40 

Karls d. Gr. Diplom für Aniane in seinen verschiedenen Relationen: ihre 
Abweichungen von einander S. 10 — 13, ihre Übereinstimmungen S. 13 — 14. — Die 
Einschaltung des Wortes Castro in die Ortsbestimmung des Klosters (subtus Castro 
Montecalmense) S. 14 — 16. — Verschiedenes Verhältnis der Klöster und der Stifter 
zu Burgen S. 16—21. — Das Verbot der Zinszahlung im Bereich der Immunität 
S. 21. — Das Recht der Abtswahl — allgemeine Ordnungen S. 22 — 24. — In den 
vor oder unter Karl erteilten Privilegien der einzelnen Klöster, mit Ausnahme von 
Hersfeld , die Wahl des Abts nur ex semet ipsis, de ippa congregatione gewahrt 
S. 24 — 26. — Ausdehnung der Wählbarkeit über den Kreis der Genossenschaft 
hinaus Merkmal von Fälschungen behufs Verhinderung der Ernennung eines Abts 
durch Bischof oder König S. 27 — 28. — Bestimmungen der Regel Benedicts über 
die Abts wähl und das aus ihnen für gewisse Fälle sich ergebende Recht des 
Bischofs oder Königs, den Abt zu ernennen S. 28 — 30. — Die Ernennung seitens 
des Königs oft geboten durch die Rücksicht auf die den Klöstern obliegenden 
Reichsdienste S. 30 — 35. — Der Satz „ubicunque voluerint ordinari . . . vel a quo- 
cunque pontifice . . . potestatem habeant* eine spätere Interpolation S. 36 — 40. 

ZweitesCapitel. 

Aniane im Zeitalter des Investiturstreites. S. 41—103 

Der Streit zwischen Aniane und dem Bisch<^f von Maguelonne und die Ent- 
scheidung Papst Urbans II. zu Ungunsten des Klosters S. 41—42. '^— Verunechtete 
Privilegien der Päpste Johann XV. und Nikolaus II. S. 42—44. — Das gefälschte 
Diplom Karls d. Gr. für Vabro S. 44 — 45. — Ignorierung kirchlicher und kirchen- 
rechtlicher Verfügungen von früheren Herrschern durch die Päpste S. 46 — 47. — 
Klösterliche Wahlrechtsordnungen der Päpste dieser Periode, Urbans IL Formel 
und ihre Dauer S. 47 — 49. — Mutmassliche Veranlassung und Entstehungszeit der 
Fälschungen von Karls d. Gr. Diplom für Aniane S. 49 — 51. — Neue Kämpfe 
zwischen Aniane und dem Bischof von Maguelonne S. 51 — 53. — Das verunechtete 
Privileg Urbans II. für Aniane: Erlaubnis zur Aufnahme von Laien und Welt- 
geistlichen in das Kloster S. 63—59; Sicherung des Klosters gegen die Gefahr der 
Excommunication durch irgend einen Bischof, Befreiung von der bischöflichen 
Censur- und Strafgewalt S. 59 — 64; die Befugnis, Fremde auf dem Klosterfriedhof 
zu bestatten und die Erbschaft ihres Vermögens anzutreten S. 64—67; freie Wahl 
eines Bischofs für die Einsegnung des Abts und die Klerikerweihe der Mönche 
S. 68 — 70. — Urbans IL Stellung zum Klostertum überhaupt, seine ausgleichende 
Gerechtigkeit zwischen Bischöfen und Klöstern S. 70 — 77. — Das gefiilschte erste 



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Inhaltsübersicht. 317 

Privileg Pasch als II. für Aniane S. 77 — 79. -»- Das gleichfalls gefälschte zweite 
PrivÜQg Paschais II. für Aniane: Sicherung gegen Bedrückungen durch Vertreter 
des römischen Stuhls S. 79 — 80; Erlass der Pflicht, ein vom Sprengeloberen über 
den Sprengel verhängtes Interdict zu beobachten, auch für die, oft mit Pfarrkir- 
chen verbundenen Zellen des Klosters S. 80 — 82 ; Enthebung von der Verpflichtung 
zum Besuch der Sprengelsynode (Bedeutung des Wortes pereonae) S. 82 — 94. — 
Die Privilegien der Päpste Innocenz IL, Eugen III., Anastas IV., Hadrian IV. 
S. 94 — 97. — Wiederholte Einschärfung des Gehorsams gegen den Bischof durch 
Hadrian IV. und ürban III. S. 97. — Die Zeit der Verunechtung der päpstlichen 
Privilegien S. 98—108. 

Drittes Capitel. 
Einwirkung des Kampfes zwischen Aniane und Gellone auf Literatur 

und Urkunden. S. 104—160 

Einwirkung des Kampfes auf das Chronikon Anianense S. 104 — 106, auf die 
Vita Benedict! im Cartular von Aniane S. 107 — llö, auf die Vita Sti Guillelmi, 
des Stifters von Gellone S. 110—124, auf die Überlieferung des sog. Stiftungsbriefes 
Wilhelms für Gellone S. 124—144, auf das fälschlich dem Abt Juliofredus zuge- 
schriebene Verzeichnis der Güter von Gellone S. 145 — 148. — Das Diplom Lud- 
wigs d. Fr. für Gellone aus seiner aquitanischen Königszeit S. 149 — 160. 

Viertes Capitel. 
Die drei kaiserliclien Diplome Ludwigs des Frommen samt ilirer Erneuerung 
durcli Karl den Kahlen und Ludwigs Brief nacli Aniane. S. 161—197 
Unvereinbarkeit der Kaiserdiplome Ludwigs mit seinem Königsdiplom für 
Aniane S. 161 — 164. — Bedenken gegen das die Kaiserdiplome Ludwigs erneuernde 
Diplom Karls d. K. S. 164 — 166. — Bedenken gegen Ludwigs Kaiserdiplome selbst 
S. 167—179. — Ludwigs Brief nach Aniane S. 179—197. 

Fünftes Capitel. 
Das Terliältnis der reformierten Klöster unter einander. S. 198—247 

Das Verhältnis zwischen Aniane und Gellone, Benedicts Stellung zur Frage 
der Selbständigkeit der von ihm reformierten Klöster gegenüber Aniane, erläutert 
vornehmlich an dem Privileg für Belle-Celle S. 198—208.'— Das Zusammenwirken 
Benedicts und des Erzbischofs Nibridius von Narbonne bei der Reform der septi- 
manischen Klöster, nach Alkuins Briefen S. 208—210. — Auffallend grosse Zahl 
von Wahlrechten für die Stätten der gemeinsamen Wirksamkeit Benedicts und 
Nibrids S. 211—214. — Friedfertiores und brüderliches Verhalten der septimanischen 
Klöster gegen einander S. 214—215. — Zeitweilige Übertragung des einen Klost9r8 
an den Abt des andern, auch dauernde Verschmelzung mehrerer Klöster, doch 
erst in späterer Zeit S. 216-218. — Die angebliche Verschmelzung der Klöster 
St. Johannis in Extorio und St. Peter und Paul in Cannes, schon unter der Re- 
gierung Karls d. Gr. S. 218—226. — , Beschränkung der Verschmelzung von 
mehreren Klöstern auf Gründungen des Abts Anianus S. 227—228. — Die Gebets- 
verbrüderung der Mönche im Bereich der septimanischen Reform S. 229 — 231. — 
Beteiligung auch anderer Klöster — neben Aniane — an der Ausbreitung der 
Reform über Septimanien hinaus, Anianes Übergewicht nur persönlicher Natur 
und nicht über Benedict hinaus dauernd S. 231—234. — Ein angebliches Breve 
Papst Alexanders 11. und ein auf dieses sich stützender angeblicher Brief Abt 
Emenos von Aniane als Zeugnisse für die Abhängigkeit Gellones von Aniane 
S. 234—240. — Die Verunechtung der die Zelle Casanova betreffenden Schenkungs- 



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318 Inhaltsübersicht. 

Urkunde Ludwigs d. Fr. für Aniane a. d. J. 815 durch Einschaltung eines Satzes 
über die erst später erfolgte Vereinigung von Casanova mit Goudargues S. 240—245. — 
Bestätigung des im Streit zwischen Aniane und Grellone zu Gunsten des letztem 
gefönten Schiedsspruchs P. Urbans 11. durch P. Eugen III. S. 245-246. — Das 
Privileg P. Calixts II. für Gellone S. 246—247. 

Erster Excurs. 
War Alknin Mönch und herrschte unter ihm zu St, Martin zn Tours 

noch die Benedictinerregel? S. 248—258 

Alkuin nichtMönch, sondern Kanoniker bis ans Ende seiner Tage S. 248 — 250. — 
Karls d. Gr. Absicht bei Alkuins Berufung zum Abt von St. Martin nicht die 
Wiederherstellung der Benedictinerregel S. 250 — 251. — Auch die Thätigkeit 
Alkuins selbst nicht unbedingt auf dies Ziel gerichtet, vielmehr unter ihm zahl- 
reiche Abweichungen von der Regel im Kloster gestattet S. 251 — 255. — Die ent- 
schiedene Abkehr von der Regel des h. Benedict, der Übertritt der Brüderschaft 
zur Stiftsverfassung allerdings erst unter Alkuins Nachfolger Fridugis, aber noch 
unter den Augen Karls d. Gr. und nicht ohne seine Zustimmung S. 255 — 258. 

Zweiter Excurs. 

Die Unthaten des Abts Fridugis zu Sithin. S. 259—292 

Fridugis in dem Bericht des Mönches Folcwin und in den dessen Geschichts- 
werk (Gesta abb. Sith.) eingefügten gefölschten Urkunden des Bischofs Folcwin 
von Therouanne und des Abts Hugo von Sithin S. 259—262. — Die Überlieferung 
der genannten Urkunden in den Gesta abb. Sith. S. 262 — 263. — Ihre und der 
Erzählung Folcwins Unvereinbarkeit mit den Rechtsverhältnissen von Sithin 
S. 263—264. — Anderweite Merkmale ihrer Unechtheit S. 265—267. — Ihre Un- 
vereinbarkeit mit Ordnungen und Verhältnissen späterer Zeiten S. 267 — 272. — 
Die Unrichtigkeit ihrer Schilderung der Zeiten vor Fridugis S. 273—277. — Ver- 
mutung über Entstehung und Ausbildung der Fälschung S. 277—282. — Fridugis' 
Charakter nach dem Urteil seiner Zeitgenossen S. 282 — 285. — Ludwigs d. Fr. 
und Benedicts von Aniane mutmassliche Absicht bei Fridugis' Berufung nach 
Sithin S. 285. — Fridugis' wirkliche Thaten zu Sithin und Entwicklung des Ver- 
hältnisses zwischen Mönchen und Chorherren nach seiner Zeit S. 286 — 292. 

Dritter Excurs. 
Klöster, Chorherrenstifter u« Krongnt in den Teilungen des fränk. Reichs. 

S. 293-315 
Ludwigs d. Fr. Vorbehalte einzelner Klöster in den noch bei seinen Leb- 
zeiten seinem Sohn Ludwig d. D. überwiesenen Reichsteilen unter der Bezeichnung 
,monasteria nostra": Kempten, Hohenburg, Corvey, Fulda S. 293 — 298. — Gegen 
den Vorwurf eines dadurch geschaffenen , unklaren und bedenklichen" Verhält- 
nisses S. 298—300. — Ludwigs Vorbehalte auch . einzelner Krongüter S. 300. — 
Frühere derartige Aussonderungen von Klöstern und Krongütem S. 300 — 301. — 
Ludwigs d. Fr. Diplome für Conques, St. Martin zu Toiirs und Herrieden S. 302—305. 
— Klöster und Stifter, die Kaiser Lothar in oder nach dem Vertrag von Verdun 
in den Reichen seiner Brüder erhielt S. 305—309. — Klöster und Stifter, die 
durch den Vertrag von Meersen unter die Hoheit eines andern Herrschers kamen 
als die Länder, worin sie lagen S. 309 — 312. — Gegen die Annahme, dass Moussy- 
le-Neuf im Gau von Paris in den Händen Ludwigs d. D. gewesen sei S. 312—315. 



Druc^tt^'^aöBi«lÄc& VTOf^n Leipzig. 

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