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Full text of "Anleitung zum Vortrag Beethovenscher Klavierwerke"

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Adolf  Bernhard  Marx. 


Beethovensche  Klavierwerke 


Anleitung 


zum 


Vortrag  Beethovensclier  Klavierwerke. 


Anleitung 


7Aim  Vortrag 


Beethovenscher  Klavierwerke 


Von 


Adolf  Bernhard  Marx. 


Herausgegeben 


von 


Professor  Dr.  Gustav  Behncke. 


Vierte  Auflage. 


Berlin  1912. 

Verla"'  von   Otto  Janke, 


1. " 


rfc 


Vorwort  zur  dritten  Auflage 


Dieser  neuen  Auflage  vermag  der  Herausgeber  kein  schöneres, 
kein  verlieißungsvolleres  Geleitwort  auf  den  Weg  zu  geben  als  das 
urteil,  welches  Hans  von  Bülow,  der  große  Herr  und  Meister 
des  Klaviers,  sechs  Jahre  nach  dem  Hinscheiden  des  Verfassers 
über  die  Schrift  gefällt  hat.*) 

„Der  um  die  technische  Aufklärung  über  den  Tondichter  wie  kein 
anderer  Deutscher  hochverdiente  Adolf  Bernhard  Marx  hat  in  seiner 
Arbeit  .Anleitung  zum  Vortrage  Beethovenscher  Klavieriverke',  einem  Büch- 
lein, das  in  jedes  tüchtigen  Musikers  Hand  oder  vielmehr  Kopf  sein  sollte, 
diesen  ■Punkt''  (es  handelt  sich  um  die  den  Absichten  des  Komponisten  ent- 
sprechenden Schattierungen  des  Vortrages)  „näher  erläutert,  worauf  wir 
veriveisen,  da  wir  nichts  Besseres  tun  könnten,  als  Marx  eben  abschreiben.'- 

Diese  Erklärung  des  als  Sachverständiger  wie  als  Mensch 
gleich  vollgültigen  Zeugen  und  Eideshelfers,  der  trotz  seiner  viel- 
bewegten, wandelreichen  Künstlerlaufbahn  nie  den  von  bewunderns- 
werter Selbstlosigkeit  getragenen  Zug  nach  dem  Kunstideal  ver- 
leugnet hat,  gewährt  tröstliche  Genugtuung  für  die  Versündigungen 
mancher  musikschriftstellernden  Epigonen,  die,  sei  es  aus  Unver- 
stand, sei  es  aus  ]\lißgunst,  Marx"  Ruhm  zu  schmälern  bemüht  ge- 
wesen sind.  Seinen  VcTdiensten  als  des  Biographen  großer  Ton- 
dichter suchte  und  sucht  man  Ab])ruch  zu  tun  mit  dem  Vorwurfe, 
daß  er  b<'i  der  Darstellung  ihres  äußeren  Lebenslaufes  diese  oder  jene 
Einzelheit  übergangen  habe.   .Ja  es  ist  wahr,  er  hat  unbed(iutende 


*j  Im  zweiten  Baude,  S.   17.'>,   seiner   Ausgabe  der  Klavierwerke  Beet- 
hovens.    1872,  Stuttgart  bei  Cotta.  — 


VI 

Kleinigkeiten  ihrem  Unwerte  gemäß  behandelt.  Aber  das  blöde 
Auge  der  am  xiußerlicheu  und  Unwesentlichen  haftenden  Ober- 
flächlichkeit vermag  nicht  einzusehen,  daß  der  Biograph  eines 
Künstlers  vor  allem  die  geistigen  Pfade  seines  Helden  zu  durch- 
leuchten hat,  und  um  diese  mit  klarem  Auge  zu  schauen,  den 
Blick  zuweilen  vorsätzlich  abwenden  muß  von  den  Nebendingen 
und  Zufäüigkeiten  des  Lebens,  welche  die  Persönlichkeit,  die  den 
Haui)tgegenstand  des  Biographen  bildet,  ilire  Entwickelung  und  ihr 
Schaffen  nicht  beeinflußt  haben.  Freilich  jener  Leute  "Widerspruch 
verstummt  vor  dem  Schöpfer  einer  wissenschaftlich  auferbauten 
Kompositionslehre.  Aber  auch  in  dieser  Eigenschaft  hat  Marx  das 
Schicksal,  daß  man  am  liebsten  wie  auf  Verabredung  von  ihm 
schweigt:  während  sich  doch  leicht  nachweisen  läßt,  daß  die 
Neueren  überall,  wo  sie  Begründung  und  Durchführung  der  Theorie 
anstrel)en,  wo  sie  bis  zu  dem  Kern  der  Kunstfragen  vorzudringen 
Anlauf  nehmen,  auf  Marx'  Schultern  treten,  seine  künstlerischen 
Grundsätze  und  Anschauungen  verwerten  ~  meist,  ohne  die  Quelle 
zu  verraten.  Zum  Glücke  fruchtloses  Gebaren!  Denn  auch  heute 
noch,  mehr  als  dreißig  Jahre  nach  Marx'  Tode,  behaupten  sich 
seine  Schriften  in  der  Musikliteratur  durch  ihren  eigenen  Wert  — 
eine  nicht  nur  für  den  Verewigten,  sondern  auch  für  das  Musik- 
leben der  Gegenwart  ehrenvolle  Tatsache.  Sie  beweist,  daß  die 
Teilnahme  für  geistvolles,  auf  das  innere  Wesen  gerichtetes  Er- 
fassen tonkünstlerisclier  Schöpfungen  und  der  Tonkunst  überhaupt, 
wie  es  Marx  einst  angebahnt  und  während  eines  mühevollen  Lebens 
durchgeführt  hat,  weder  bei  Fachmännern  noch  bei  Kunstfreunden 
erloschen  ist;  daß  man  auch  heute  noch,  wo  nur  immer  das  Be- 
dürfnis lebendig  ist,  einen  sicheren  Standpunkt  für  Kunstauffassung 
und  Kunstübung  zu  gewinnen ,  sich  nicht  ausschheßlich  der 
schweifenden  Phantasie  und  dem  unklaren  Gefühlszuge  überläßt, 
sondern  vorzugsweise  gern  iMarx'  führender  Hand,  des  zielbe- 
wußtesten und  tiefsinnigsten  Musikforschers  des  Jahrhunderts  sich 
anvertraut,  vor  allem,  wenn  es  gilt,  den  kunstgeschichtlichen  Beruf 
eines  Beethoven,  eines  Gluck  zu  begreifen.  Dieser  segensreichen 
Nach-  und  Fortwirkung  seiner  Lebensarbeit  hat  keine  Feindselig- 
keit oder  Gegnerschaft  Einhalt  zu  tun  vermocht. 

So  rechtfertigt  sich  denn  auch  das  Wiedererscheinen  dieser 
Vortragslehre  durch  die  Fortdauer  ihrer  inneren  Bedeutung.  Sie 
ist,  wie  auch  die  zweite  Auflage,  im  wesentlichen  unveränderter 
Neudruck  der  ersten,  wie  diese  einst  aus  der  Hand  des  Verfassers 


VII 

horvonreganfron  ist.  Der  Herausgeber  hat,  abgeselion  von  wenigen 
iinii  gt^ringlügigen,  ilurch  die  Zeitumstände  veranlaßtcn  Änderungen, 
die  er  sich  erlaubt  hat,  als  seine  einzige  Aufgabe  betrachtet,  ge- 
legentlich vom  Verfasser  selbst  eingestreute  Notizen  biographischer 
Art  mit  dem  inzwischen  angewachsenen  Material  zu  vergleichen 
und.  soweit  es  neue  und  wahre  Ergebnisse  bietet,  mit  diesen  in 
Einklang  zu  bringen,  insbesondere  mit  einschlagenden  Stellen  der 
von  ihm  besorgten  vierten  Ausgabe  der  Biographie  Beethovens 
von  A.  B.  Marx. 

So  möge  denn  diese  Schrift,  deren  Winke  und  Lehren  sich 
dem  Eeser  nirgends  aufdrängen,  sondern  wie  der  Verfasser  wieder- 
holt betont,  Selbsttätigkeit,  eigenes  Empiinden  und  Nachdenken 
wecken  und  fördern  wollen,  zum  drittenmal  hinausgehen  und  wie 
bisher  sich  allen  Jüngern  Beethovens  und  Freunden  tieferer  Er- 
kenntnis als  willkommene  Gefährtin  gesellen.  — 

Im  Oktober  1897. 


Gustav  Behncke. 


Vorwort  zur  ersten  Auflage. 


Die  erste  Ausgabe  meiner  Biographie  Beetliovens  —  „Beet- 
iiüven,  Leben  und  Scliaffen"  —  hat  ein  Anhang  begleitet:  „Einige 
Bemerkungen  über  Studium  und  Vortrag  der  Beethovenschen 
Klavierwerke".  Die  Liebe  zu  Beethoven  und  die  Überzeugung, 
daß  olme  tiefes  Verständnis  seiner  Sciiöpfungen  von  einer  Durch- 
bildung für  die  Tonlmnst  gar  nicht  die  Eede  sein  könne,  hatten 
diese  Zugabe  zur  Biographie  veranlaßt.  Aber  schon  unter  der 
Abfassung  wurde  fühlbar,  daß  in  so  beschränktem  Eaume  Be- 
friedigendes nicht  geleistet  werde  könne. 

Jetzt  erst,  neben  der  zweiten  Ausgabe  der  Biographie,  findet 
sich  Gelegenheit,  eine  befriedigendere  Lösung  der  Aufgabe  zu  ver- 
suchen. Die  Biographie,  Dank  den  unschätzbaren  Mitteilungen, 
die  mir  von  vielen  Seiten  geworden,  ist  bereichert  wiedererschienen; 
die  Anleitung  zum  Vortrag  durfte  nicht  zurückbleiben.  Aber  nun 
konnte  sie  nicht   als  bloßer  Anhang  beiläufig  abgefertigt  werden. 

Sie  tritt  als  selbständiges  Werk  auf  und  kann  auch  für  sich 
allein  nutzbar  werden.  Indes  wird  jedermann,  der  die  Über- 
zeugung hat,  daß  Kunstwerke  nur  aus  dem  Wesen  und  Leben 
ihres  Schöpfers  vollkommen  begriffen  werden  können,  den  inner- 
lichen Bezug  der  Anleitung  zur  Biographie  wohl  zu  erkennen 
wissen.  Die  Biographie  bietet  für  Verständnis  Beethovens  und 
seiner  einzelnen  Werke  die  nötige  Grundlage  und  für  die  An- 
leitung selbst  die  erforderlichen  Beweise,  soweit  diese  auf  dem 
Wesen  des  Meisters  beruhen. 

Das  Beste  freilich  kann  weder  die  Anleitung  noch  die 
Biographie  tun,  sondern  nur  die  eigne  ßeeiferung  und  Beseelung. 
Das  Wort  des  Lehrenden  gleicht  der  Stimme  des  Herolds.  Es 
vermag  zu  wecken,  zu  erregen,  zu  leiten,  nur  wenn  es  in  wache 
Ohren  und  strebsame,  lebensdürstige  Gemüter  fällt. 

Berlin,  am  18.  März  1863. 

Adolf  Bernhard  Marx. 


Einleitende  Betrachtungen 


Marx,  Anl.  z,  Vortrag  Beeth.  Kiav.- Werke 


I 


Die  Leser  des  Buchs. 


Wer  ein  Buch  schreibt,  denkt  wohl  gele;gentlich  an  die  Leser, 
die  er  ihm  wünscht. 

Ich  wünsche  mir  für  mein  Büchlein  den  Jüngling  herbei  und 
die  Jungfrau,  deren  frischempfängiiches  Herz  schon  je  einmal  ])ei 
Beethovens  Akkorden  heftiger  geschlagen,  die  aufgehorcht 
haben  bei  diesen  Klängen,  welche  so  neu  und  unerhört  —  und 
dabei  so  ursprünglich  und  unserm  Seelenleben  so  vertraut  zu  uns 
gesprochen,  wie  Stimmen  der  Verheißung  aus  den  ersten  Jugcnd- 
tagcn.  —  Ich  wünsche  mir  in  meinen  Kreis  diese  reinerhaltene 
Jugend,  der  bei  irgendeiner  von  Beethovens  Weisen  eine  Ahnung 
von  dem  Urklang,  von  den  Urmelodien  erwacht  ist,  die  der  ewig 
unversiegbare  Quell  unserer  Kunst,  die  Götterbilder  sind,  denen 
alle  Tondichter  anhangen  und  nachtrachten,  die  sie  zu  fassen 
streben,  sich  und  den  Hörern  zur  ßesehgung,  die  niemand  öfter 
und  machtvoller  erklungen  sind  als  ihm. 

Ich  wünsche  mir  die  Jugend  herbei,  die  nocli  offene  Ohren 
und  Herzen  hat  für  die  Wundermärchen  der  Dichter  in  Wort  oder 
Tönen,  die  noch  kindlich  vertrauend  und  hingebend  ist,  die  sich 
gern  täuschen  und  verlocken  läßt,  weil  sie  hinter  den  Täuschungen 
der  Dichter  ewige  Wahrheiten  ahnt,  die  mehr  wert  sind  als  kühle 
Vorsicht  und  tötende  Klügelei.  Weh  denen,  die  den  seligen  Täu- 
schungen unzugänglich  sind!  Darum  wünsch'  ich  mir  die  Jugend 
herbei,  die  den  Glauben  sich  bewahrt  hat,  daß  mitten  im  wehenden 
Staube  des  Werkeltags  und  seiner  Geschäftigkeiten  und  Dürftig- 
keiten, seiner  verständigen  und  nimmer  zufriedenstellenden  Zwecke, 
mitten  in  all  dem  so  löblichen  und  doch  so  toten  Getreibsel  ein 
ander  Leben  erblüht,  reinen  und  unverwehbaren  Duftes  voll,  das 
Leben  innigster  Gefühle,  hoher  Gedanken,  mächtiger  Taten,  mögen 
sie  sich  im  Auge  der  Liebe,  in  Ton  und  Worten  und  Bildern,  im 


zuversichts vollen  Wirken  für  Recht  und  Freiheit  und  Wohlfahrt 
der  Menschen  und  Völker  oftenbareu.  Für  das  alles  hatte  sein 
Herz  geschlagen  und  überzeugende  Weisen  gefunden.  Diese  Jugend 
ist  ihm  verbündet  und  zugeschworen,  der  selber  bis  zu  seinem 
letzten  Schmerzenslager  sich  Glauben  und  Jugend    bewahrt  hatte. 

Auch  jene  wünsch"  ich  herbei,  die  noch  nicht  ihn  erkannt, 
aber  von  dem  Wundermanne  vernommen  haben,  der  mitten  in 
überschäumender  Lebenslust  und  Freudigkeit  des  Schaffens  ge- 
schlagen worden  ist  von  einem  Schicksalsschlage,  der  jeden  andern 
in  seinem  Berufe  vernichtet  hätte.  Die  Geschichte  zeigt  ihn  er- 
schüttert, schwankend  unter  dem  betäubenden  Schlage,  verschlossen 
für  das  beglückende  Spiel  seiner  Kunst,  abgesperrt  durch  unsicht- 
Ijare  und  unzerbrechbare  Schranken  von  der  Gemeinschaft  der 
Menschen,  die  er  liebte,  deren  Bruderbund  er  ersehnte,  beladen  mit 
dem  Fluch  unverschuldeten  und  unvermeidbaren  j\lißtrauens  und 
Mißgreifens,  —  und  inmitten  alles  Elends  nimmer  ablassend  von 
der  Liebe  zu  den  Menschen,  von  dem  Bewußtsein  hohen  Berufs 
und  dem  treuesten  Wirken  dafür.  Ja,  sie  flüstert  uns  das  Geheim- 
nis zu,  daß  seine  Qualen  Quell  und  Bedingung  seiner  tiefsten 
Offenbarungen  gewesen.  Wer,  zu  wem  die  Kunde  dringt,  kann  sich 
versagen,  in  diese  Rätselwelt  hineinzusteigen? 

Und  wie  schon  vor  alters  einmal  versichert  worden,  daß  über 
einen  Verlorenen  und  Wiedergefundenen  mehr  Freude  sein  wird 
als  über  hundert,  die  nie  gefährdet  waren:  so  wünsch'  ich  auch 
jene  mir  herbei,  die  durch  eignen  Irrtum  oder  fremde  Irrleitung 
abgekommen  sind  vom  Pfade  zu  der  reinen  Kunst,  die  den  licht- 
umflossenen  Gipfel  aus  den  Augen  verloren  oder  nie  geschaut,  die 
vor  den  Mysterien  und  Rätselworten  des  Meisters  zweifelvoll,  un- 
verstehend stocken,  zurückweichen,  zuletzt  sich  am  leeren  Gespiel 
in  den  niedern  Büschen  am  Wege  wohl  sein  lassen  und  Kraft  und 
Neigung  an  Eitelkeiten  vergeuden,  von  denen  die  dem  Ewigen  und 
Wahren  zugewendete  Kunst  nichts  weiß  und  nichts  brauchen  kann. 
Noch  gehören  sie  dem  Meister  nicht  an.  Sie  mit  kräftigem  Schwung 
aus  dem  Gestrüpp  herausheben,  auf  die  rechte  Bahn  bringen  und 
mit  einem  glücklichen  Worte  dahin  weisen,  wohin  sie  von  Anbeginn 
eigentlicli  begehrt,  wo  sich  einzig  ihr  Verlangen  nach  Leben  in  der 
Kunst  erfüllen  kann  —  das  wäre  Freude!  Sie  sollen  nur  Mut 
fassen,  über  sich  selber  und  jenes  Verlangen  sich  klar  zu  werden. 
Denn  in  jedem  der  Kunst  nicht  geradezu  abgewendeten  Gemütc 
lebt  eine  Vorstellung    von  jener  Bereicherung    und  Erhöhung  des 


Daseins,  welche  einziii"  die  Kunst  gewährt;  sie  lebt,  diese  Vor- 
stellung, in  jedem  reinen,  nicht  ganz  erkalteten  GcmUto,  \\i\v'  es 
auch  nur  in  schwankenden  Umrissen  und  erbleichenden  Farben. 
AVenn  zeitweise  Vergeßlichkeit,  ErschlaÜung,  TäuschuDg  von  ihr 
abwenden,  dann  vermag  in  rechter  Stunde  das  rechte  Wort  den 
Säumigen  zu  wecken  und  den  Irrgewordenen  zu  erinnern.  Ich  hab' 
es  im  lebendigen  l'nterricht  oft  genug  erfahren  und  mit  mir  jeder 
eifrige  Lehrer.  Und  hätt'  es  noch  keiner  von  uns  erprobt,  so 
würden  doch  wir  alle  an  der  Macht  der  Wahrheit  und  des  treuen 
Wilhuis  nicht  zweifeln. 

Willkommenste  Ehrengäste  wären  mir  vollends  aus  der  Schar 
der  Lehrer  jene  Ehrenmänner,  die  noch  nicht  zu  stolz  und  zu 
steif  sind  zu  lernen  und  Rat  zu  hören,  die  von  ihrer  Kunst  einen 
genugsam  hohen  Begrift'  haben,  um  einzusehen,  daß  in  keinem 
einzelnen  die  ganze  Kunst  und  die  volle  Erkenntnis  derselben 
gleichsam  w^ie  in  einem  besondern  Heiligenschrein  verschlossen  ist, 
daß  wir  alle,  Künstler  und  Lehrer,  die  Hochgestellten  und  die  Nieder- 
verborgenen, gar  nichts  anders  sein  können  als  Mitarl)eiter  an  dem 
einen  gemeinsamen  AVerke,  daß  wir  in  ihm  verbrüdert  sind,  keiner 
des  andern  entbehren  können  und  mögen,  daß  der  höchstgestellte 
Lehrer  ewig  Schüler  bleibt  —  denn  wer  lernt  aus?  —  und  sich 
nicht  des  Lernens  weigern,  dem  Wort  des  Mitlehrenden  verschließen 
darf,  wofern  er  nicht  von  seinem  Beruf  abfallen  und  sich  selber 
zur  Armut  verurteilen  will.  Die  das  anerkennen  und  tatsächlich 
bewähren,  das  sind  die  wahren  Ehrenmänner   unter  den  Lehrern. 

Die  Einsicht  ist  leicht,  die  Verwirklichung  fällt  manchem  gar 
schwer.  Denn  wie  sind  wir  Lehrer  zusammengekommen  und  ge- 
stellt? Viele  von  den  untersten  Staffeln  der  Glücksleitei-,  an  Ent- 
behrung und  Dürftigkeit  gebunden,  davon  nicht  immer  Verdienst 
erlöset,  meist  nur  Verdienst  und  Glück  im  seltenen  Bunde.  Andre 
in  Gunst  und  eben  daher  mit  Geschäftlichkeiten  aller  Art  über- 
bürdet. Wo  soll  beiden  Zeit,  Mittel,  Sammlung  kommen  zum  Nacli- 
lernen?  es  bedarf  der  Kraft  und  Tapferkeit  dazu.  Mancher  hat  sich 
in  unsern  Kreis  gestohlen,  dem  zuvor  ein  ganz  ander  Los  gefallen 
schien:  der  Glanz  der  Virtuosenlaufbahn  durch  den  Beifallsrausch 
der  Konzerte,  bis  man  des  äußerlichen  Flitterlebens  müde  ward 
und  den  schwankenden  Erwerb  berechnen  mußte.  Mancher  auch 
schlich  herbei,  nur  widerwillig  sich  abwendend  von  der  reizendsten 
aller  Verlockungen,  vom  Triebe  zum  eignen  Schaffen,  der  Himmels- 
brot spendet,  seltner  das  täghche  Erdenbrot,  —   wie  Mozart  und 


Beethoven  erfahren  haben  und  hundert  andre.  Jener  Trieb 
hämmert  und  bohrt  im  Herzen  fort,  wenn  auch  die  jugendliche 
Hofthung  längst  getäuscht  hat.  Und  ist  denn  das  Ausbleiben  des 
Erfolgs  schon  Widerlegung?  „Einige  sind  berühmt,  andre  verdienen 
es  zu  sein,"  hat  schon  Lessing  gesagt.  Daß  ein  Komponist  nicht 
genügend  anerkannt  wird,  beweist  nicht  immer-,  daß  er  mit  der 
Kunst  im  ^Yiderspruch,  oft  nur,  daß  er  mit  der  Zeit  nicht  im 
Einklang  gewesen  und  nicht  gewillt  war,  diesen  Einklang  mit  Zu- 
o'eständnissen  zu  erkaufen.    Auch  Äschvlus,  als  die  Zeiten  schlechter 


ö 


geworden  waren ,    zerbrach  seinen  Griffel  und  verbannte  sich  aus 
dem  Yaterlande. 

In  all  den  Wirbeln  des  Lebens  noch  Mut  und  Bescheiden- 
heit und  Kraft  zum  Weiterstreben  zu  finden,  das  ist  wahrlich 
ehrenwert. 


Was  das  Buch  briuat 


Diesen  Lesern  und  ihren  Zugehörigen  bietet  sich  das  Büchlein 
als  Berater  und  Wegweiser  auf  Beethovens  Pfaden  dar.  Es 
kommt  darauf  an,  seine  Schöpfungen  in  seinem  Geist  aufzufassen 
und  in  seinem  Sinn  am  Klavier  zur  Darstellung  zu  bringen. 

Die  für  Klavierspiel  allgemein  erforderlichen  Kenntnisse 
werden,  wie  die  für  jede  Aufgabe  nötige  Fertigkeit,  vorausgesetzt. 
Nur  einzelne  Winke  können  und  m.üsscn  hier  Zulaß  finden.  Wie- 
viel von  diesen  jedem  einzelnen  notwendig  oder  zuträglich  sei, 
l'ißt  sich  nicht  voraussehen;  es  hängt  von  Maß  und  Richtung  der 
allgemeinen  Vorbildung  zum  Klavierspiel  ab. 

So  stellt  sich  als  eigentlicher  Kern  des  Buchs  eine  Vor- 
tragslehre heraus,  —  keine  allgemeine,  sondern  eine  auf  Beet- 
liovens  W^erke  gerichtete.  Wieweit  sie  mit  den  allgemeinen  Vor- 
tragsregeln übereinkommt,  wieweit  sie  über  dieselben  hinausgeht, 
bedarf  keiner  Erörterung;  jeder  Kundige  bemerkt  es  selber. 

Ebensowenig  bedarf  es  eines  Nachweises  über  die  Zuträglich- 
keit einer  Vortragslehre  überhaupt.  Niemand,  der  imr  eine  \'or- 
stellung  von  Kunst  hat,  wird  sicli  damit  begnügen,  bloß  die  Noten 


abzuspielen:  den  Sinn  des  Tonstiicks  will  er  wiedergeben,  üio 
Notenschrift  gibt,  eben  wie  der  tote  Buchstabe  der  Wortschrift, 
den  Geist  und  Willen  des  Komponisten  nur  unvollkommen  kund. 
Was  wollen  die  paar  Stärkebezeichnungen  von  pp  bis  ff  gegen  die 
ganz  unberechenbaren  Abstufungen  bedeuten,  die  nicht  nur  möglich 
sind,  sondern  in  jedem  beseelten  Vortrag  in  reicher  Zahl  wirklich 
zum  \'orschein  kommen!  Wie  unbestimmt  sind  die  wörtlichen  An- 
gaben des  Zeitmaßes,  wie  fesselnd  und  knechtend  und  für  die 
besondern  Verhältnisse  und  Stimmungen  des  Augenblicks  unzu- 
trertend  die  metronomischen  Bestimmungen!  Wie  weit  bleiben  sie 
und  die  taktischen  Einrichtungen  hinter  dem  wechselvollen  Spiel 
der  Bewegung  des  aufgeklärten  Ausführenden  zurück,  in  dem  sich 
die  freie  und  volle  Seelenbew^egung  abspiegelt!  Wie  wenig  kann 
der  Komponist,  und  wenn  er  sein  Papier  halb  schwarz  malen 
wollte,  mit  allen  möglichen  Zeichen  und  Worten  tun,  um  den 
Lebensgehalt  seines  Werkes  often  zu  legen!  Nach  allem,  was  er 
mciglicherweise  hingeschrieben,  muß  er  auf  das  ergänzende  Ein- 
verständnis des  Ausführenden  rechnen:  „Er  hat  alles  richtig  von 
den  Noten  heruntergespielt,"  muß  er  seufzen,  wo  dies  fehlt,  „aber 
er  hat  nicht  gefühlt,  nicht  verstanden,  was  ich  habe  sagen  wollen." 

Es  kommt  also  zuletzt  auf  Verständnis  des'sen  an, 
was  nicht  hat  niedergeschrieben  werden  können. 

Die  Grundlage  dazu.  Empfänglichkeit  für  künstlerische  Dar- 
stellung, muß  angeboren  und  von  Geburt  an  instinktiv  entwickelt 
sein.  Wo  das  fehlt,  kann  weder  Schrift  noch  Lehre  fruchten,  das 
Tote  lebendig  machen. 

Allein  die  bloße  Naturanlagc  genügt  ebenfalls  nicht;  sie  will 
entwickelt  und  erhöht  sein,  um  über  die  Schranken  der  Persön- 
lichkeit hinaus-  und  emporzureichen  zum  Kunstwerke,  das  gefaßt  und 
dargestellt  werden  soll.  Und  man  will  Sicherheit  haben,  daß  das 
natürliche  Gefühl  auch  an  das  rechte  Ziel  führe,  daß  nicht  die  bloß 
subjektive  und  zufällige  Empfindung  des  Darstellenden,  sondern 
der  eigentliche  Sinn  des  Kunstwerks  an  den  Tag  komme.  Die  rein 
subjektive  Auffassung  kann  nur  dann  genügen,  wenn  das  Kunst- 
werk selber  sich  im  Kreise  der  allen  gemeinsamen  Anschauungen 
und  Empfindungen  hält;  jeder  versteht  und  kann  vernehmen  lassen, 
was  in  jedem,  also  auch  in  ihm  lebt.  Sobald  aber  das  Kunstwerk 
sich  über  diese  Allgemeinheit  erhebt,  nicht  mehr  das  allen  Gemein- 
same, sondern  ein  Besonderes  ausgesprochen  haben  will,  genügt 
das  subjektive  Gefühl  nicht;    man   muß  den  besondern  Inhalt  des 


Kunstwerks  und  die  Mittel  zu  seiner  Darstellung  sicher  erkannt 
haben. 

Hiermit  ist  die  doppelte  Aufgabe  jeder  Vortragslehre  be- 
zeichnet. 

Zugleich  wird  damit  klar,  aus  welchem  Grunde  Beethovens 
Werke  vorzugsweise  einer  Anleitung  zu  ihrem  Vortrage  bedürfen. 
Sic  bedürfen  derselben,  weil  ihr  Inhalt  vorzugsweise  und  weit  mehr 
als  die  Werke  andrer  Komponisten  ein  besonderer  ist,  ein  solcher, 
an  den  das  allen  gemeinsam  eigne  subjektive  Gefühl  nicht  hinan- 
reicht, wae  es  wohl  für  die  Klavierwerke  Haydns,  Mozarts,  Dusseks, 
Hummels,  Chopins,  Mendelssohns  und  fast  aller  andern  genügt,  — 
nur  mit  Ausnahme   einiger  Werke  Seb.  Bachs. 

Die  Besonderheit  des  Beethovenschen  Inhalts  liegt  vor  allem 
darin,  daß  erst  in  seinen  Werken  die  Instrumental-,  namenthch 
die  Klaviermusik  Idealität  gewonnen,  Ausdruck  bestimmten,  und 
zwar  idealen  Inhalts  geworden  ist,  während  sie  bis  dahin  (wenige 
Ausnahmen  in  Bach  abgerechnet)  nur  reizendes  Spiel  mit  Tonfiguren 
oder  Widerhall  flüchtiger  und  unbestimmter  Stimmungen  gewesen 
war.  Wer  füi'  diese  Stimmungen  Sympathie,  für  jenes  Tonspiel 
Anregsamkeit  in  sich  trägt,  ist  auch  für  die  Werke  vorbereitet, 
die  sich  beidem  gewidmet  haben.  Tritt  aber  ein  besonderer  Inhalt 
im  Kunstwerk  auf,  so  kann  man  es  nicht  fassen  und  faßhch 
darstellen,  wenn  man  nicht  jenen  Inhalt  klar  und  sicher  erkennt.*) 

Aber  auch  solche  Beethovensche  Werke,  für  die  kein  idealer 
Inhalt  nachweisbar  ist,  unterscheiden  sich  von  der  großen  Mehrzahl 
aller  andern  (wieder  Bach  ausgenommen)  durch  den  Ernst  und  die 
Anhaltsamkeit,  mit  denen  der  Meister  sie  ausgebildet  hat.  Nehme 
man  die  Sonaten  Op.  22  Bdur  und  53  Cdur  als  Beispiel.  Hier  ist 
es  vorzugsweise  auf  Ton  spiel  abgesehen.  Aber  wie  weit  ist  es  ausge- 
breitet, wie  reich  und  sinnvoll  sind  die  verschiedenen  Sätze  ver- 
wendet, umgestaltet,  untereinander  verkettet!  Blicke  man  auf  den 
ersten  Satz  der  Ddur-Sonate  Op.  10;  wie  arbeitet  da  das  kleine 
Motiv  'd\Ti'(i  h  a   unablässig  herum,    bildet   den    ersten  Hauptsatz, 

^•)  Ich  muß,  wenn  ich  mich  nicht  endlos  wiederholen  soll,  hier  und 
bei  vielen  andern  Momenten  der  vorliegenden  Schrift  auf  meine  Biographic 
Beethovens  („Beethoven,  Leben  und  Schaffen")  Bezug  nehmen  dürfen 
(I,  275  ff,  II,  95  flp.).  Dort  war  die  Aufgabe,  den  Künstler  aus  seinen  Werken, 
und  aus  seinem  Wesen  und  Lebenslauf  die  Werke  zu  erkennen.  Hier  soll 
für  die  Praktik  der  Darstellung  am  Klavier  benutzt  und  in  das  einzelne  fort- 
geführt werden,  was  jenes  Werk  im  ganzen  und  großen  zu  begründen  unter- 
nommen hat. 


taiu'ht  iicj:ivii  den  Seiteusatz  \vicder  aiii  —  oder  vielmehr  bildet 
iluii  die  (iruiulsid)stanz,  regt  allo  Stimmen  auf,  wächst  aus  seiner 
Winzigkeit  zu  mächtigem  Eaßgang  an,  schlingt  sich  durch  den 
ganzen  reichen  Satz!  Es  möchte  sich  wohl  als  unmöglich  erweisen, 
einem  solchen  Satze  —  und  ihm  gleicht  die  Mehrzahl  —  mit  bloßem, 
sich  selbst  überlassenem  Naturell,  ohne  tüchtige  Vorbildung  und 
gründliche  Einsicht  beizukommen. 

In  dem  wesentlichen  l^nterschiede  der  Beethovenschen  Instru- 
mental- und  besonders  Klavierwerke  liegt  auch  der  Grund,  daß  die 
K(unpositionen  der  andern  Tonkünstler  jenen  nicht  in  gleichem 
Maß  als  Vorschule  dienen,  wie  sie  untereinander  tun.  Haydn,  selbst 
Klementi  können  auf  ]\Iozarts  Klaviersätze  hinführen,  wie  weit  auch 
Klementi  zurückbleibt  und  wie  handgreiflich  die  Eigentümlichkeit 
beider  deutschen  Meister  sie  voneinander  unterscheidet.  Dussek 
und  Louis  Ferdinand,  denen  A.  E.  Müller  folgt,  wie  Wölfl  und 
viele  andre  der  Mozartschen  Bahn,  Hummel,  und  weit  nach  ihm 
Chopin,  er  und  Weber  und  Moscheies  als  Vorläufer  von  Mendels- 
sohn, Liszt  und  Thalberg  —  die  Reihen  ließen  sich  weiter  ver- 
folgen — ,  sie  alle  führen,  so  gewiß  jeder  eine  mehr  oder  weniger 
hervortretende  Eigentümlichkeit  behauptet,  einer  auf  den  andern; 
wer  Dussek  versteht,  dem  wird  Louis  Ferdinand  nicht  fremd  bleiben, 
wer  Thalberg  sich  angeeignet,  hat  Henselt  schon  mitgew^onnen  und 
steht  dem  unvergleichlich  geistvollem,  sonoren  Liszt,  sowie  dem 
genialen  Eobert  Schumann  —  dem  einzigen,  der  Beethoven 
in  Ernst  und  Treuen  oft  nachgestrebt  —  schon  näher. 
Man  kann  sie  alle  kennen  und  wird  sich  doch  bei  Beethoven  in 
einer  neuen  Welt  befinden. 

Ja,  zuletzt  zeigt  sich,  daß  bei  ihm  nicht  einmal  ein  Werk 
tür  das  andre  genügend  vorbereitet.  Wer  einen  Thalberg  bewältigt, 
hat  diese  Arpeggien  aller  andern  bewältigen  gelernt;  wer  sich  in 
einige  Sonaten  Mozarts  hincingefühlt  hat,  ist  allen  übrigen  gc- 
w^achsen.  Mcht  so  bei  Beethoven.  Die  Symphonien  J,  2,  4,  8 
sichern  keineswegs  das  Verständnis  der  Symphonien  3,  5,  6,  7,  9; 
die  Quartette  Op.  59  gehen  so  weit  über  die  Op.  18  hinaus,  wie 
sie  —  ungefähr!  —  hinter  dem  Quatuor  Op.  132  zurückbleiben;  die 
Sonaten  Op.  22  Bdur,  54  Fdur,  53  ('dur  stehen  von  denen  Op.  27 
I^sdur  u.  Cismoll,  28  Ddur.  81  a  Esdur  so -weit  ab,  wie  diese  von 
Op.  106  Bdur,  90  Emoll,  101  Adur,  109  Edur,  110  Asdur,  111 
Cmoll.  Jede  dieser  nur  imvoUständig  zusammengestellten  Reihen 
macht  besondere  Ansprüche,   ja,  jedes  Werk  will  für  sich  gefaßt 


10 

sein,  ßeetlioveu  stellt  in  der  Eeilie  seiner  Werke  eine  vielfältige 
Aufgabe;  aber  der  Gewinn  ist  auch  ein  weit  höherer  und  reicherer. 
Man  Avird  in  das  Idealreich  der  Kunst  erhoben  und  gewinnt  an 
jedem  Werke,  wenige  ausgenommen,  eine  neue  und  eigentümliche 
Anschauung. 

So  vielfältig  nun  die  Aufgaben  sind,  die  Beethoven  gelöst 
hat,  so  vielfältig  stellen  sich  natürlich  auch  die,  w^elchen  die  An- 
leitung zum  Vortrag  der  Werke  sich  zu  unterziehen  hat.  Auf  den 
ersten  Hinblick  scheint  es  zwar,  daß  die  Werke  sich  nach  ihrer 
Richtung  auf  Spiel  oder  allgemeines  Gefühl  oder  bestimmtem  Inhalt 
trennen  und  die  der  ersten  beiden  Klassen  zu  leichter  Abfertigung 
zusammenfassen  ließen.  So  könnte  man  die  XXXII  Variationen  in 
Cmoll  Nr.  36,  die  Konzerte  mit  Ausnahme  des  vierten,  die  Sonaten 
Op.  54  Fdur,  22  Bdur,  53  Cdur  der  Eichtung  auf  Tonspiel,  die 
Sonaten  Fmoll  Op.  2,  Fdur  Op.  10,  Edur  Op.  14,  Fisdur  Op.  78, 
die  Fantasie  Op.  77  Gmoll  der  Eichtung  auf  unbestimmtes  Ge- 
fühl beimessen.  Allein  sobald  man  auf  diese  und  ähnliche  Werke 
ernstlicher  eingeht,  wird  man  inne,  daß  jene  oder  ähnliche  Fach- 
teilungen nicht  stichhaltig  sind.  Kaum  ein  Werk  wird  sich  streng 
in  einer  jener  Eichtungen  halten,  es  wird  Tonspiel  und  Gemüts- 
bewegung verschmelzen  oder  wechseln  lassen  und  sich  gelegentlich 
selbst  zu  bestimmterm  Inhalt  verdichten.  Daher  bleibt  nichts  übrig, 
als  sich  auf  die  einzelnen  Werke  einzulassen,  soweit  es  nötig  und 
ausführbar  ist. 

Ausgeschlossen  darf  ohne  weiteres  werden,  was  —  vom  Beet- 
hovenschen  Standpunkt  angesehen  —  von  untergeordnetem  Wert 
oder  besonderer  Anleitung  nicht  bedürftig  ist.  Es  werden  daher 
außer  Betracht  lileiben: 

1.  alle  Variationen,  mit  Ausnahme  derer  Op.  120  Cdur;  auch 
die  musterhafte  Variationen-Studie  Nr.  36  (XXXII  Var. 
Cmoll)  bedarf  keiner  Anleitung; 

2.  alle  Konzertsätzo,  Duos  und  Trios,  zu  denen  voraussetzlich 
niemand  greifen  wird,  der  sich  nicht  zu  ihnen  im  allge- 
meinen und  durch  das  Studium  der  reinen  Klaviersachen 
hingearbeitet  hat; 

3.  die  Bagatellen  und  andre  Kleinigkeiten,  die  Fantasie  Op.  77 
Gmoll,  die  Sonaten  Op.  6  Ddur,  vierhändig,  Op.  49  Gmoll 
u.  Gdur,  die  Sonatine  Op.  76  Gdur,  Arbeiten,  deren  einige 
ihres  geringen  Gehalts  wegen  kaum  als  echt  angesehen  werden 
können,  die  gewiß  aber  keiner  besondern  Anleitung  bedürfen. 


11 

Nur  a-eloü'ontlicho  lliinvei^^o  nnf  n'ir/olnos  aus  dii^som  Kreise 
worden  ihre  Stelle  finden. 

Die  Haupff^egenstände  für  dies  Bücblcin  bilden  liicrnacli  die 
Sonaten,  mit  Anssclikir)  der  obengenannten.  Allein  auch  sie 
können  nicht  vollzählig  und  nicht  Satz  lür  Satz  zur  Betrachtung 
gezogen  werden;  dies  wäre,  selbst  abgesehen  von  der  ncitigen 
Rücksicht  auf  Raumersparnis,  weder  nötig  noch  ersprießlich.  Was 
an  einem  oder  mehrern  Sätzen  gezeigt  worden,  muß  <lie  eigne 
Beurteilung  des  Nachstudierenden  auf  gleiche  und  ähnliche  Fälle 
zu  übertragen  wissen.  Das  eigne  Urteil  muß  erweckt  und  ge- 
kräftigt, nicht  durch  allwärtshin  erstreckte  Vorarbeit  zu  Tatlosig- 
heit  herabgedrückt  werden. 


Lehrwege. 


Dreierlei  Wege  bieten  sich  zur  Einweisung  in  den  Vortrag 
dar;  die  Darstellung  am  Instrumente,  ~  das  lehrende  W^ort  münd- 
lich oder  schriftlich,  —  der  förmliche  praktische  Unterricht,  der 
Lehrwort  und  Darstellung  zu  verbinden  vermag. 

Vollste  Befriedigung  und  Sicherheit  scheint  dieser  zweiseitig 
auf  Lehre  und  Beispiel  gegründete  Unterricht  zu  gewähren. 
Wenn  wir  nur  überall  und  in  genügender  Zahl  Lehrer  fänden,  die 
für  unsern  Zweck  bereitwillig  und  hinlänglich  ausgerüstet  wären! 
Das  ist  aber  nicht  der  Fall  und  kann  es  nicht  sein.  Die  Auf- 
gabe des  Klavierlehrers  für  technische  Ausbildung  der  Schüler  und 
verständnisvolles  Eingehen  auf  zahlreiche  Komponisten  ist  allzu  um- 
fassend, als  daß  von  jedem  diese  liebevolle  und  lebenslänglich  fort- 
dauernde Hingebung  an  den  einen  Beethoven  zu  fordern  wäre, 
deren  dieser  einzige,  abgesondert  stehende  bedarf,  um  ergründet 
zu  werden.  Die  Vielseitigkeit  der  Aufgabe  und  die  Last  des 
täglichen  l'nterrichtsgebens  sind  den  meisten  unüberwindliche 
Hemmung,  in  Beethovens  eigentümlichem  Gebiet,  im  Beiche  der 
Idee  heimisch  zu  werden.  Viele  sind  nicht  fähig,  andre  nicht 
willig,  ihm  dahin  zu  iV)lgen. 

Daher  hat  Beethoven,  besonders  in  der  Klavierkomposition, 
von  Anfang  an  bis  jetzt,  diejenigen  Musiker  zu  Gegnern  gehabt, 
deren  Standpunkt    außerhalb  jenes  Reiches  liegt,    die    sich    aus- 


J^ 

schlicljücli  oder  überwiegeiul  der  Technik  statt  dem  Idealen  in  der 
Kunst  ergeben  haben:  die  Virtuosen*)  und  die  „Klaviermeister", 
wie  er  selber  sie  zur  Bezeichnung  ihres  technischen  Standpunkts 
nennt.  Sie  kennzeichnen  sich  schon  durch  ihr  unbegrenztes  Fest- 
halten an  Etüden,  Konzert-  und  Salonstücken.  Eine  Zeitlang  —  lange 
genug!  —  lehnte  man  in  diesem  weiten  Kreise  Beethovens  Werke 
als  „nicht  klaviermäßig''  ab,  weil  sie  allerdings  nicht  in  den  her- 
kömmlichen Müllerkhppklapp  der  Etüden  und  sonstigen  Handwerke- 
leien passen,  und  weil  allerdings  ihr  Inhalt  öfter  über  die  hölzernen 
Tasten  hinaussteigt  in  Vorstellungen  vom  Orchester  —  und  noch 
höher.  Man  kann  in  jedem  Tonspiel  wohlgeübt  und  sattelfest  sein 
und  stößt  bei  Beethoven,  selbst  in  technisch-leicht  angelegten  Sachen 
(z.  B.  in  der  Sonate  Op.  90  Emoll),  auf  unvorhergesehene  Schwierig- 
keiten, die  nicht  einmal  „dankbar"  sind  nach  der  Eedew^eise  der  Tech- 
niker, das  heißt:  weder  auffallend  hervortreten  und  Bewunderung  ein- 
tragen noch  nach  Weise  dieses  Alltagsfutters,  das  man  Etüden  nennt, 
häufig  wiederkehren,  daß  die  Mühe  der  Übung  sich  vielfach  verwerte. 
Jetzt  helfen  dergleichen  Ausreden  nicht  mehr;  Beethovens  Geist 
ist  zu  mächtig  geworden  in  den  echten  Musikern  und  im  Volke. 
Xun  wird  also  von  den  Lehrern  jener  Klasse  das  System  des  Hin- 
haltens versucht.  Man  verspricht  Beethoven  und  sein  ernstliches 
Studium,  aber  erst  müsse  der  Schüler  für  ihn  reif  werden.  Die  Forde- 
rung ist  richtig  und  wird  w^eiterhin  zur  Erwägung  kommen.  Xur 
im  Munde  derer  kann  sie  für  nichts  als  eine  hinhaltende  Ausflucht 
gelten,  die  wieder  bestimmen,  welches  Maß  diese  Eeife  haben  muß, 
und  wie  man  sie  erlangen  könne,  noch  ernstlich  darauf  hinarbeiten, 
ihrer  teilhaftig  zu  machen.  So  viel  ist  ohne  weiteres  wohl  klar, 
daß  jene  Lehrer  nicht  hoffen  dürfen,  zur  Reife  für  Beethovens 
AVerke  hinzuführen,  die  sich,  zwischen  Haufen  von  allerlei  andern, 
fremdartigen  Sachen  gelegentlich,  gleichsam  einfallsweise,  zu  ein 
paar  willkürlich  herausgegriffenen  Werken  herbeilassen.  Da  figu- 
rieren denn  vor  allen  andern  jene  Sonaten  Op.  49  u.  79  (S.  10  Nr.  3), 
die  gar  nicht  als  echt-beethovensche  erkannt  werden  köiuicn,  auch 
dieses  und  jenes  Variationenheft,  nichts  aber  von  jenen  sogenannten 
„Bagatellen"  (Op.  33  u.  a.),  die  teilweise  so  glückliche  Proben  von 
seiner  künstlerischen  Beflissenheit  und  von  seiner  Geisteskraft 
geben.  Später  kommt  dann  die  „Sonate  pnth6ti(|ue"  an  die  Reiiic; 
wer  nichts  von  Beethoven  gespielt,  hat  wenigstens  die  „patheti(iue" 

*)....  „da  orgelt. jeder  iiui-  ab,    was    er   selbst  gemacht  luit,"    sagt 
Beethoven  von  ihnen. 


13 

«■ospielt.  Die  g"eschicktesten  Schiilor  erhalten  dann  neben  andern 
Putriden  niul  Konzertstiieken  noch  die  ( 'ismoll-  nnd  Fmoll-Sonate 
Op.  27  und  57,  nebst  der  Cdnr-Sonate  Op.  53.  Darf  man  von 
der  Auswahl  auf  die  Absicht  schließen,  so  o-elten  die  Sonaten 
als  tüchtige  ßravonr-  und  Übungsstücke.  J\Iit  den  beiden  ersten 
hat  die  Gewohnheit  begonnen,  Beethovensche  Sonaten  in  die 
Konzerte  zu  tragen. 

Gegenüber  dem  eigentlichen  Unterricht  erscheinen  die  rein- 
theoretische Anleitung  nnd  die  rein-praktische  Darstellung  am 
Instrument  in  unleugbarer  Einseitigkeit;  die  eine  bietet  Rat  und 
Lehre  ohne  deren  Gegenstand,  die  andre  das  Umgekehrte. 

Die  erregende  und  belebende  Kraft  der  Darstellung  bedarf 
keines  Nachweises:  sie  wird  dem  Jünger  zur  Wohltat  —  sobald  nur 
das  Werk  wirklich  seinem  Sinne  nach  zu  Gehör  kommt.  Allein, 
von  allen  verfehlten  Ausführungen  abgesehen,  muß  doch  erwogen 
werden,  daß  bei  jeder  Darstellung  eines  Kunstwerks  durch  einen 
andern  als  den  Schöpfer  zweierlei  zusammenwirkt:  der  Sinn,  den 
der  schattende  Künstler  in  ihm  offenbart,  und  die  Subjektivität  des 
Ausübenden,  letztere  nicht  einmal  rein,  sondern  gefärbt  durch  die 
jeweilige  Stimmung.  Stimmung  und  Subjektivität  lassen  sich  nicht 
ausschheßen,  so  gewissenhaft  man  auch  strebe,  sie  der  Idee  des 
darzustellenden  Werks  unterzuordnen.  Wenn  man  schon  hiernach 
von  der  Darstellung  niemals  ein  reines  Abbild  des  Werks  erwarten 
darf,  so  kommt  noch  die  Flüchtigkeit  jeder  Musikaufführung  dazu 
—  man  erwäge,  wieviel  Gefühle,  Gedanken  und  Gedankenbilder 
sich  in  die  wenigen  Viertelstunden  zusammendrängen,  in  denen  eine 
Sonate  Op.  101  Adur  oder  106  Bdur  vorüberfliegt  — ,  um  den 
bleibenden  Gewinn  noch  zweifelhafter  zu  machen.  Im  besten  Falle 
wird  der  aufmerksame  Hörer  auf  den  Weg  des  Darstellenden  ge- 
zogen und  eher  diesem  als  der  eignen  Fühlung  und  Erkenntnis 
folgen.  Oder  diese  werden  ihn  früher  oder  später  von  jenem  Wege  ab- 
ziehen und  auf  den  Punkt  bringen,  wohin  theoretische  Bildung  zielt. 

Die  rein-theoretische  Unterweisung  entbehrt  aller  Eeizc  und 
Vorteile  der  Darstellung.  Dafür  hat  sie  aber  vor  dieser  den  un- 
ermeßlichen \'orteil  voraus,  daß  sie  den  Geist  des  Schülers,  Ver- 
stand und  Phantasie  wachruft,  in  Mittätigkeit  setzt  und  zugleich 
erkräftigt.  Dies  aber  ist  Hauptaufgabe  und  Hauptgewinn  bei  jeder 
Unterweisung,  —  und  bleibt  selbst  für  Auffassung  und  Leistung  im 
besondern  unerläßliche  Bedingung,  welches  auch  die  Mittel  und 
Wege  des  Unterrichts  sonst  seien.    Ja,  sie  allein  hat  die  Kraft,  den 


14 

Scliüler  zur  Ergänzung  dessen  zu  fördern,  was  sie  beiseite  lassen 
muß.  Wenn  ich  die  Sonate  Op.  106  noch  so  treölich  höre  und 
mir  einpräge,  so  weiß  ich  damit  von  der  Sonate  Op.  101  noch  kein 
Wort.  W^enn  ich  aber  Verstand  und  Phantasie  an  der  einen  Sonate 
gekräftigt  habe,  so  kommt  mir  das  bei  allen  andern  zustatten. 

Endlich,  und  das  ist  in  der  Kunst  die  Hauptsache,  hat  gerade 
der  rein-theoretische  Unterricht  vor  den  andern  Unterweisungen 
das  voraus,  dem  Schüler  Freiheit  des  Geistes  und  Entschlusses  zu 
gewähren.  Er  hält  ihm  nicht  das  Werk  in  unbedingter  Auffassung 
vor,  er  drückt  nicht  auf  ihn  mit  der  Autorität  des  nebenstehenden 
Lehrers;  er  will  nicht  herrschen,  sondern  den  Schüler  zum  Selbst- 
herru  und  damit  zum  Herrscher  in  seiner  Kunstübung  machen;  das 
ratende,  weisende  Wort  soll  und  kann  nur  soweit  für  den  Leser 
gelten,  als  es  denselben  überzeugt  und  gewinnt.  Denn  in  der  Kunst 
kann  nicht  fremder  Wille,  nicht  fremdes  Empfinden,  nicht  Autorität 
gelten,  sondern  nur  Freiheit;  der  ganze  Mensch  muß  dabei  sein, 
also  der  unbeschränkte  Mensch,  wie  denn  überhaupt  Menschen- 
würde und  Völkerwürde  von  der  Bedingung  der  Freiheit  unzertrenn- 
lich sind.  Nur  in  solchem  Sinne  will  auch  dies  Büchlein  wirken. 
Es  maßt  sich  nicht  an,  Vorschriften  zu  erteilen,  es  bietet  seinen 
Inhalt  nur  als  Rat  und  Anregung  zum  eignen  Schauen  und  Nach- 
denken an.  Dadurch  will  es  zwiefache  Befreiung  bringen:  Befreiung 
von  fremdem  Gebot  und  fremder  Autorität,  und  Befreiung  aus  den 
Schranken  der  bildungslos  sich  selbst  und  ihren  Launen  und  Ein- 
fällen überlassenen  Subjektivität.  Denn  der  wahre  Begriff  der 
Freiheit  fordert,  daß  der  ganze  Mensch  frei  sei,  durch  seine  eigne 
Vernunft  auch  aus  den  Garnen  der  Uneinsichtigkeit,  der  blinden 
Triebe  und  der  Innern  Willkür  erlöst. 

Allerdings  trägt  der  rein-theoretische  Unterricht  eine  nicht  zu 
übersehende  Schranke  in  sich.  Ihre  Mitteilungen,  -wie  bedacht  und 
umfassend  sie  auch  seien,  haben  nur  ein  Mittel:  das  Wort.  Und 
das  Wort  reicht  nicht  in  den  Lebensfluß  des  Kunstwerks  hinab; 
es  erweist  sich  schlechthin  unausführbar,  das  feine  Geäder  der 
Lebensströmung,  die  sich  im  Grunde  von  Ton  zu  Ton  ändert,  das 
ewige  Wechselspiel  der  Akzente,  die  vielerlei  Färbungen  des  Vor- 
trags, kurz  das  eigentliche  Seelenleben  des  Spiels  in  Worten  fest- 
zuhalten. Allein  dies  ist  auch  gar  nicht  beabsichtigt  und  wünschens- 
wert. Das  Kunstwerk  kann  und  soll  nicht  überliefert,  sondern  von 
seinem  Innern  heraus  durchleuchtet,  es  soll  nicht  für  den  Dar- 
steller  zubereitet   und    mundgerecht  gemacht,    sondern  der  Geist 


des  Darstellers    soll   zu    ilnii    erhoben  und   Tür  dessen  Aufnahme 
gekräftigt  werden. 

Und  das  vernum"  das  Wort, 


Vorbildung. 


Daß  man  nicht  ohne  Vorbildung  zu  Beethoven  hintreten  kann, 
versteht  sich.  .Man  muß  vor  allem  Klavierspieler,  in  technischer 
Fertigkeit  und  geistiger  Entwicklung  zu  seinen  Werken  gereift  sein, 
dm  sich  auf  diese  einzulassen.  An  ihm  sich  erst  zum  Klavierspieler 
zu  bilden,  kann  niemand  einfallen;  es  wäre  nicht  bloß  Entwürdigung 
des  Meisters,  sondern  auch  unausführbar,  da  seine  Werke  durchaus 
künstlerische  Richtung  haben  und  die  regelmäßige  Entwicklung  der 
allgemeinen  Technik  an  Klementis,  Müllers,  Kramers,  Moscheies, 
Liszts  Arbeiten  (hundert  andre  nicht  zu  nennen)  genügsamen  und 
o-ecio-netern  Lehrstoff  findet.  Ebenso  wird  man  niemand  mit  musi- 
kaiisch  unentwickeltem  Geiste  zu  Beetlioven  heranführen;  ein  solcher 
könnte  nur  durch  äußern  Anlaß,  z.  B.  den  hoiien  Ruf  des  Kompo- 
nisten, zu  ihm  herangezogen  sein,  aber  nur  höchst  zweifelhaften 
Gewinn  davontragen.     Das  alles  kann  für  ausgemacht  gelten. 

Aber  welches  Maß  von  Ausbildung  ist  zu  fordern?  —  dies 
bleibt  die  wichtige  Frage.  Man  muß  bei  der  Antwort  Technik  und 
Geistesreife  auseinander  halten. 

Die  Technik. 

Welcher  Grad  technischer  Fertigkeit  für  Beethoven  ausreicht, 
ist  gar  nicht  so  leicht  festzustellen.  Während  er  in  den  frühesten 
Werken  denen  Haydns  und  ]\Iozarts  nahesteht,  überragt  er  in 
spätem  (z.  B.  der  Sonate  Bdur  Op.  lOG)  die  höchsten  Ansprüche 
der  neuesten  Klavierschule  an  die  Technik  des  Spiels  oder  steht 
ihnen  wenigstens  gleich.  Ja,  selbst  in  den  im  allgemeinen  leichter 
ausfülirbaren  Sätzen  springt  ganz  imversehens  irgendwo  eine 
Schwierigkeit  hervor,  die  weit  über  den  Standpunkt  des  Ganzen 
(immer  nur  von  der  Technik  zu  reden)  hinausgeht;  als  Beispiel 
dient  die  Adur-Sonate  Op.  2  oder  die  aus  Emoll,  Op.  90. 


16 

Was  diese  eigentümliche  Schwierigkeit  nocli  erhöht,  ist  der 
Umstand,  daß  Beethoven  gerade  die  technisch  hervortretenden 
Momente  selten  oder  niemals  in  andern  Werken  (von  den  Konzerten 
allenfalls  abgesehen)  wiederbringt,  wie  dies  fast  bei  allen  Klavier- 
komponisten der  Fall  ist.  Wer  einen  Satz  von  Thalberg,  einige 
von  Hummel  oder  Chopin  sich  angeeignet  hat,  ist  schon  so  ziemlich 
im  Besitz  aller  übrigen,  während  er  bei  Beethoven  fast  in  jedem 
neuen  Satze  auf  neue  technische  Aufgaben  gefaßt  sein  muß.  Man 
kann  sich  darüber  nicht  beschweren,  sondern  nur  freuen.  Denn  der 
Grund  dieser  Erscheinung  ist  kein  andrer  als  die  Neuheit  und 
Eigentümlichkeit  aller  dieser  Werke,  während  so  viel  andre  Kom- 
ponisten nur  das  Kaleidoskop  ihrer  Manieren  und  Spielfiguren 
schütteln,  um  einen  scheinbar  neuen  Anblick  hervorzuzaubern.  Am 
deutlichsten  ist  dieser  Manier  der  bezeichnende  Stempel  aufgedrückt 
in  jenen  Verarbeitungen  fremden  Guts,  die  unter  dem  Xamen 
„Arrangements,  Transcriptions,  Eeminiscences"  usw.  entlehnte 
Melodien  aus  Opern  und  Volksgesängen  mit  den  üblichen  Passagen 
durchflechten,  unbekümmert  um  die  innerliche  ünzusammengehörig- 
keit  der  beiden  Stoffe.  Beide  werden  willkürlich  aneinander  ge- 
bracht; natürlich  wählt  jeder  Bearbeiter  die  ihm  geläufigen  und 
beliebten  Passagen  und  ßegieitungsfiguren  und  verfällt  damit  un- 
vermerkt und  unvermeidlich  der  Manier  und  der  Wiederholung. 
Anders  bei  Beethoven.  Bei  ihm  geht  (Konzertsätze  ausgenommen) 
Begleitungsfigur  und  Gang  (Passage)  mit  innerer  Notwendigkeit 
aus  dem  Gedanken  des  Werks  hervor,  muß  also  je  nach  der  Ver- 
schiedenheit des  Gesamtinhalts  sich  verschieden  gestalten. 

Ja,  diese  stets  neu  hervortretenden  Schwierigkeiten  haben  sogar 
zu  der  Versicherung  geführt:  nur  Virtuosen  seien  fähig,  Beethovens 
Sätze  auszuführen.  Weh  ihm  und  uns,  wenn  wir  auf  die  Virtuosen 
hätten  warten  müssen!  nur  zwei  haben  sich  anhaltend  und  mit 
ernstlicher  Beflissenheit  darauf  eingelassen,  Beethoven  den  Kunst- 
freunden darzustellen.  Der  eine  war  zu  Beetliovens  Lebzeit  Gz  erny, 
der  die  Werke  unter  der  Leitung  des  Meisters  studierte  und  aus- 
führte; der  andre  ist  Hans  von  Bülow,  der  mit  Virtuosität  und 
zugleich  mit  hoher  Intelhgenz  Beethoven  zum  Mittelpunkt  seiner 
musikalischen  Darstellungen  im  vollen  Konzertsaale  gemacht  hat. 
Von  ihnen  abgesehen,  haben  sich  (wie  schon  Schindler  bemerkt) 
nur  wenige  Konzertistcn  und  Virtuosen  für  Beethoven  ver- 
ständnisvoll gezeigt;  sie  haben  auch,  schon  durch  ihren  Lebens- 
beruf darauf  hingewiesen,    durch  Technik  zu  glänzen  und    darauf 


17 

die  Kraft  dos  Tages  zu  verwenden,  weder  Zeit  noch  Sammlung 
dazu  irefunden.  Beethoven  ebenfalls,  längere  Zeit  selbst  Konzert- 
spieler, sprach  von  den  Mrtuosen  aus:  „mit  der  Geläufigkeit  der 
Finger  laufe  solchen  Herren  gewöhnlich  Verstand  und  Eniplindung 
davon".  Er  war  sogar  der  Meinung:  der  gesteigerte  Mechanismus 
im  ]Manofortesi)iel  werde  zuletzt  alle  Wahrheit  der  Empfindung 
aus  der  ^Eusik  verbannen:*)  ein  Gedanke  in  der  verhältnismäßig 
noch  unschuldvollen  Zeit  der  Eies.  Hummel,  Moscheies  aus- 
gesprochen, der  in  unsere  Zeit  mit  der  Macht  einer  Prophezeiung 
hinübertönt.  Nein!  wir  wollen  uns  nicht  auf  Virtuosen  und  Vir- 
tuosentum  verweisen  lassen.  Wie  jeder  seinen  Goethe  für  sich 
liest  und  lieben  lernt,  ohne  dabei  auf  deklamierende  Schauspieler 
und  Rhetoren  zu  warten,  so  soll  jeder,  der  es  vermag  —  und  soweit 
er  vermag,  selber  seinen  Beethoven  spielen  und  immerfort  spielen. 
Und  was  einer  vorerst  nicht  zu  spielen  vermag,  dazu  soll  er  seinen 
nächsten  geschicktem  Freund  herbeiholen  und  sich  vortragen  und 
wiederholen  lassen,  was  ihm  selber  noch  zu  schwer  dünkt.  Schließt 
sich  dann  der  wiederholten  Darstellung  trauliches  Erörtern  an,  so 
wird  Genuß  und  Förderung  nicht  ausbleiben. 

Wir  wollen  nicht  auf  Virtuosentum  warten,  sondern  so  bald 
als  möglich  zu  Beethoven  greifen.  Müssen  wir  einstweilen  auf  die 
technisch  schwierigen  Werke  verzichten,  so  wollen  wir  uns  die 
leichtern  nicht  vorenthalten  lassen.  Es  handelt  sich  dabei  gar  nicht 
um  einen  frühern  Genuß  allein,  sondern  darum,  den  rechten 
Bildungsweg  nicht  zu  verfehlen.  Ebensowohl  in  geistiger  wie  in 
technischer  Hinsicht  bieten  nämlich  Beethovens  Werke  den  Anblick 
einer  wohlabgemessenen  Stufenfolge.  Wer  die  leichtfaßHchern 
Werke,  z.  B.  Op.  22,  14,  2,  54,  53  usw.  sicher  aufzufassen  ver- 
mag, der  ist  darum  noch  nicht  für  die  tiefern  Werke,  z.  B.  Op.  7,  28, 
Cismoll  27,  D  moll  31,  90,  109  und  110  geistig  reif;  er  kann  auch 
diese  Reife  nicht  sprungweise,  sondern  nur  durch  allmähliche  Er- 
hebung an  den  geistig  zugänglichem  Werken  erlangen.  Und  diese 
Aneignung  in  der  Kunst  ist,  was  viele  vergessen,  nicht  ein  An- 
lernen, sondern  Hineinleben,  das  Hingebung,  Sichgehenlassen, 
Muße,  Liebe  fordert.  Soll  nun  ein  mehrjährig  geübter  Spieler  mit 
jenen  technisch  für  ihn  leicht  gewordenen  Werken  beginnen,  an 
denen  allein  er  sich  geistig  zu  den  höher  stehenden  erheben  könnte: 

*)  Beethovens  Brief  an  F.  Ries  vom  IG.  Juli  182B:  „Aufrichtig  zu 
sagen,  ich  bin  kein  Freund  von  dergleichen  (Allegri  di  bravura),  da  sie  den 
Mechanismus  nur  gar  zu  sehr  fördern." 

Marx,  A.nl.  z,  Vortrag  lieeth,  Klav.-Werke.  2 


18 

so  ^Yird  er  äußerlich  schnell  mit  ihnen  fertig,  sie  wecken  und 
fesseln  seinen  Spieleifer  nicht,  er  meint  sie  abfertigen  zu  können 
^vie  die  andern  Sachen,  die  bislier  ihn  beschäftigt  haben,  streift 
über  sie  hin  oder  lehnt  sie  ab  —  und  versäumt  die  Schulung 
seines  Geistes,  oder  vielmehr,  ist  dafür  verdorben. 

Es  ist  schon  oben  darauf  hingewiesen  worden,  daß  Beethovens 
Werke  auch  in  bezug  auf  die  Technik  eine  Stufenfolge  darbieten, 
die  vom  Haydn-Mozartischen  Standpunkte  bis  zu  dem  der  neuern 
Technik  reicht. 

Beginne  man  mit  den  vierhändigen  Märschen  Op.  45 
C,  Es,  Ddur,  den  7  Bagatellen  Op.  33  und  den  XXXII 
Variationen  in  Cmoll,  so  werden  sich  die  Sonaten  Op.  14E 
und  Gdur,  13  Cmoll  (pathetique),  2  Fmoll,  A  undCdur, 
10  Cmoll,  F  und  Ddur,  22  B  dur,  26  Asdur,  28  Ddur, 
7  Es  dur,  54  F  dur,  31  G  dur,  D  moU  und  Es  dur,  90  E  moll, 
27  Es  dur  Cismoll,  81  a  Es  dur  (Les  Adieux),  101  Adur, 
110  Asdur,  57  Fmoll,  109  Edur,  53  C  dur,  111  Cmoll, 
106  B  dur,  in  stufenweis  wachsender  technischer  Schwie- 
rigkeit anschließen. 

Man  übersehe  hier  nicht,  daß  diese,  wie  jede  andre  möglicher- 
weise aufzustellende  Stufenfolge  nur  ein  ganz  allgemeiner  Finger- 
zeig sein  kann,  weil  sich  bei  jedem  Spieler  Grad  und  Richtung 
der  Fertigkeit  verschieden  erweisen;  daher  sind  die  Werke  nicht 
einmal  vollständig  aufgewiesen  und  die  unter  einer  Opuszahl  (z.  B. 
Nr.  14,  2,  10,  31)  vereinigten  nicht  einmal  nach  ihrer  handgreif- 
lichen Verschiedenheit  getrennt  worden.  Die  Hauptsache  war, 
allzu  w^eit  getriebene  Forderungen  an  technische  Vorbildung  zurück- 
zuweisen und  an  deren  Stelle  den  Weg  der  Fortbildung  innerhalb 
des  Beethovenschen  Kreises  zu  bezeichnen.  Ohnehin  wird  kein 
strebsamer  Pianist  die  Handbildung  jemals  aufgeben. 

Die  geistige  Reife. 

Es  ist  schon  S.  15  zugestanden  worden,  daß  ein  gewisser 
Grad  geistiger  Keife  dazu  gehört,  sich  mit  Beethoven  erfolgreich 
zu  ])eschäftigen.  Aber  welcher  Grad?  wer  ermißt  ihn?  wer  ist 
der  Herzenskündiger  in  diesen  llegionen?  — 

Vor  dem  Lehrer  und  sonstigen  Vorgesetzten  ist,  mein'  ich,  der 
Lernende  selbst  zu  hören;  wer  begehrt,  zu  Beethoven  heranzutreten, 
dem  soll  es  niclit  verweigert  werden.    Er  kann  sich  täuschen,  s(.'in 


19 

Begehr  kann  nur  äußerliche  Beweggründe  (z.  B.  den  Glanz  des 
Beethovenschen  Namens)  haben.  Gleichviel.  Täuschung  und  Zeit- 
verlust sind  nicht  so  schadenbringend  als  dieses  entmutigende 
Zurückweisen  und  Bevormunden,  das  alles  Selbstgefühl  tötet  und 
damit  auch  Kraft  und  Zuversicht  für  künstlerisches  Gelingen. 

Aber  man  helfe  dem  Ratbedürftigen.  Und  man  kann  es, 
wenn  man  ihn  zu  den  jederzeit  seinem  Standpunkte  gemäßen 
Werken  hinweist.  Denn  auch  in  geistiger  Beziehung  läßt  sich, 
wie  schon  gesagt,  eine  Stufenfolge  der  Beethovenschen  Werke 
linden,  die  vom  Faßlichsten  aber  gar  nicht  Geringzuschätzenden 
beginnt  und  bis  zu  den  höchsten  Werken  führt. 

Nach  den  Märscheu  Op.  45,  den  Bagatellen  Op.  33  und  den 
32  Variationen  Nr.  36  ließen  sich  in  erster  Reihe  die  Sonaten 

Op.  13,  14,  2,  54,  22,   53,   78  (Fisdur) 
zusammenstellen.     Jn  zweiter  Reihe  träten  unter  Einmischung  der 
11  Bagatellen  Op.  119    und    der  sogenannten  „Derniere  pensee", 
Bdur    (abgedruckt  in  „Beethoven,  Leben  und  Schäften",    4.  Aufl. 
I,  S.  76  ff.)  die  Sonaten 

0p.  26,   10,   7,  28,  31,  27,  57 
auf,  dann  in  dritter  Reihe  die  Sonaten 

Op.  81a,  90,  106,  101,  110,  109,  111 
nebst  den  Variationen  Op.  120  Cdur  über  den  W^alzer  von  Diabelli. 
W^o  Neigung  und  Bildungstrieb  reichste  Beschäftigung  mit  Beethoven 
forderten,  wäre  der  ersten  Reihe  die  vierhändige  „Polonaise  con- 
certante"  (das  Finale  des  Tripelkonzerts  Op.  5(3),  der  zweiten  Reihe 
wären  das  Septuor,  die  erste  und  zweite  Symphonie,  der  dritten  die 
S^-mphonien  8,  5,  3,  4  in  vierhändiger  Bearbeitung,*)  die  fünfte 
für  technisch  befähigte  Spieler  in  der  musterhaften  zweihändigen 
Bearbeitung  von  Liszt  einzuschalten 

Auch  diese  Zusammenstellung  kann  gleich  der  für  die  Technik 
gegebenen  nur  als  Andeutung  gelten,  jeder  für  die  besondere  Per- 
sönlichkeit zu  treffenden  als  Grundlage,  nirgends  als  unbedingte 
Vorschrift  dienend. 

So  viel,  um  das  Buch  und  die,  für  welche  es  zunächst  ge- 
schrieben ist,  einander  gegenüberzustellen. 


*)  Nur  verirre  man  sich  nicht  zu  Hummels  und  Czemys  Bearbeitungen, 
in  denen  unter  willkürlicher  Zuziehung  der  dritten  und  vierten  Diskantoktave 
der  orchestrale  Charakter  jener  Tonwerke  ganz  im  Klaviergeklimper  unter- 
gegangen ist. 

2* 


Allgemeine  Bemerkungen. 


i 


i 


i 


Beethovens  Instrument. 


Mit  welchem  Grade  technischer  A'orbikliing  nicUi  auch  zu 
Beethoven  herantrete,  immer  wird  man  bei  ihm  auf  Momente 
stoßen,  die  noch  neuer  Übung  bedürfen.  Dies  kann  nicht  anders 
sein  und  gereicht  der  technischen  Schule  kaum  zum  Vorwurfe. 

Die  Hauptaufgabe  der  technischen  Schulung  ist:  den  Gliedern 
—  Arm,  Hand,  Fingern  —  diejenige  Haltung,  Beweglichkeit  und 
Kraft  zuzuerteilen,  deren  man  zum  Klavierspiel  überhaupt  bedarf. 
Die  dahin  zielenden  Lehren  und  Übungen  kann  man  die  elemen- 
tare Technik  nennen;  sie  ist  unerläßlich.  Nun  aber  gibt  es  noch 
eine  Reihe  von  Übungen  —  man  könnte  sie  kunstanstrebende 
nennen  — ,  deren  Zweck  ist,  die  allgemeine  Fertigkeit  auf  besondere 
Tonformen  (Begleitungsfiguren,  Passagen  usw.)  zu  richten  und  an 
ihnen  zu  bereichern.  Dieser  Teil  der  Technik  ist  so  unbegrenzt 
wie  die  musikalische  Gestaltung  selber:  das  zeigt  sich  an  den 
Tausenden  von  Etüden,  die  bereits  vorhanden  sind  und  niemals 
die  Aufgabe  erschöpfen,  weil  jeder  eigentümUche  Tonsetzer,  wie 
eben  auch  Beethoven,  voraussetzlich  neue  Tongestaltungen  herzu- 
bringt. In  Beethovens  Sonate  Op.  90  Emoll  findet  sich  beispiels- 
weise folgende  Begleitungsformol 


loco 


24 


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für  die  linke  Haud,  die  nach  der  Vorschrift  des  Satzes  „mit  Leh- 
haftigkeit''  (A^llegro  con  moto)  und  piano  ausgeführt  werden  soll, 
und  selbstverständlich  in  Gleichmäßigkeit  der  Töne.  Die  Aus- 
führung ist,  besonders  im  Verhältnis  zu  der  sonst  durchgängigen 
technischen  Leichtigkeit  des  Satzes,  nicht  ohne  Schwierigkeit. 
Dergleichen  findet  sich  vieles,  dem  durch  die  technische  Vorschule 
nicht  hinlänglich  vorgearbeitet  ist  und  das  an  Ort  und  Stehe  be- 
sonders angeeignet  werden  muß.*) 

Einige  Beethovensche  Schwierigkeiten  haben  ihren  Anlaß  in 
dem  Unterschiede  der  Instrumente,  für  die  Beethoven  geschrieben 
und  derer,  die  heute  vorzugsweise  in  Gebrauch  sind.  Unsre  bessern 
Instrumente  haben  breitere  und  tiefer  fallende  Tasten;  welche  Vor- 
teile damit  verbunden  sind,  ist  bekannt  und  hier  nicht  weiter  zu 
erörtern.  Beethoven  war  auf  die  frühern  Wiener  Flügel  an- 
gewiesen, die  leichte,  gefällige  Spiel-  und  Klangweise  hatten,  aber 
wenig  Tiefe  und  Macht.  Er  war  in  der  Folge  von  dieser  Weise 
nicht  befriedigt.  „Streicher  (erzählt  Reichardt  1809)  hat  das 
Weiche,  zu  leicht  Nachgebende  und  prallend  Rollende  der  andern 
Wiener  Instrumente  verlassen  und  auf  Beethovens  Rat  und  Begehr 
seinen  Instrumenten  mehr  Gegenhaltendes,  Plastisches  gegeben." 
Aber  auch  die  Streicherschon  Instrumente  bleiben  hinter  der 
heutigen  Mensur  und  dem  Tieffall  der  Tasten  weit  zurück. 

*)  Die  obige  Figur  ist  eine  von  denen,  die  Beethoven  von  selten  der 
„Klaviermeister"  den  Vorwurf  zugezogen  haben,  er  schreibe  nicht  klavier- 
mäßig —  er,  der  höchste  Komponist  für  das  Klavier.  Allerdings  wäre  die 
Schwierigkeit  leicht  zu  umgehen  gewesen,  Beethoven  hätte  so 


begleiten  dürfen ;  das  wäre  leicht  gewesen.  Aber  wo  wäre  die  Durchsichtig- 
keit der  Originalfigur,  wo  der  helle  Klang  und  die  Schwebung  der  Dezimen 
(//-d,  c/s-f,  diii)  geblieben?  und  die  Aufregung,  die  dem  Spieler  aus  der 
Schwierigkeit  selber  erwächst? 

Beethoven  war  nicht  der  Mann,  den  Geist,  der  ihn  lenkte,  zu  verleugnen 
um  der  Finger  willen. 


25 


So  g'owiT)  der  Vorzuji'  der  neuern  Instrumente  (mit  englischem 
Mechanisnuis)  vor  den  iiltein  Wiener  Flügeln,  auch  für  Beethoven, 
teststeht,  so  einleuchtend  ist  doch,  daß  mancherlei  Spielaufgahen 
bei  den  altern  Instrumenten  leichter  gelöst  werden  konnten.  P]in 
schlagendes  Beispiel  bietet  diese  Stelle 


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aus  dem  Finale  der  Cdur-Sonate  Op.  53.  Die  Oktavcngängo  sollen 
im  „Prestissimo"  und  pianissimo  ausgeführt  werden.  Beethoven  hat 
für  die  rechte  Hand  den  Fingersatz  \\.  .  .,im  die  linke  5  J  .  .  .  vor- 
geschrieben und  durch  Bogen  den  gebundenen  Vortrag  bestimmt. 
Dies  kann  nur  mit  gleitender,  streichender  Hand  ausgeführt  werden 
und  war  bei  den  altern  Instrumenten  nicht  allzu  schwer,  während  es 
bei  den  unsrigen  unausführbar  erscheint.  Es  dürfte,  wenn  man  die 
drei  Bedingungen:  Prestissimo,  Pianissimo  und  legato  erfüllen  will, 
kein  andrer  Weg  ofi'en  sein  als  —  Änderung;  man  müßte  so 


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spielen,  mit  Aufopferung  der  tiefern  Baßoktave. 

Wohl  erkenn'  ich  das  Bedenkliche  dieses  Vorschlags,  der  für 
bequemere  und  weniger  gewissenhafte  Naturen  leicht  das  Signal  zu 
noch  mehr  Änderungen  werden  könnte.  Allein  dies  Bedenken  darf 
doch  nicht  die  Wahrheit  zurückhalten,  daß  ohne  diese  Änderung 
der  Satz  unausführbar  bleibt,  oder  zu  falscher  Darstellung,  zum 
gestoßenen  Vortrag  („poudre")  gedrängt  wird.  Dann  steht  dem 
obigen  Urteil  Bülows  Gutachten  zur  Seite  (vgl.  Beethovens  Werke 
für  Pianoforte  Solo,  von  Op.  53  an  von  Bülow  herausgegeben 
I,  S.  36,  ersch.  Stuttgart,  Cotta),  der  als  einer  der  größten 
Spieler  in  Sachen  der  Technik  Autorität  ist.  Endlich  kann  ich 
mit  voller  Überzeugung  zusetzen,  daß  mir  wenigstens,  bei  viel- 
jähriger  Beschäftigung  mit  Beethovens  Werken,  außerdem  keine 
Stelle  aufgefallen  ist,  die  sich  .unausführbar  zeigte,  allenfalls  eine, 
mehrmals  gebrauchte  Figur  ausgenommen. 

Diese  Figur  zeigt  sich  ebenfalls  im  Finale  derselben  Sonate, 
im  ersten  Zeitmaße,  Allegretto  moderato, 


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27 

und  soll  zuerst  „pianissinuv'  dann  „tbrtissimo"  ausgeführt  werden. 
Die  Soliwierigkeit  liegt  in  der  rechten  Hand,  die  neben  dem  Triller 
zugleich  die  :\relodic  vorzutragen  hat,  und  zwar  —  wie  sich  bei  Beet- 
hoven versteht  und  hier  obenein  durch  das  Betonungszeichen  (>) 
und  die  Bindung  am  Schlüsse  angedeutet  wird  —  sinngemäß.  Hier 
dürfte  es,  besonders  für  das  Pianissimo,  ratsam  sein,  den  Triller 
für  die  ^Momente  der  ^Melodie  zu  unterbrechen  und  so 


zu  spielen,  damit  die  im  Original  mit  dem  Triller  zusammenfallenden 
Melodietöne  nicht  gespitzt  und  gebissen,  sondern  eben  und  ruhig 
hervortreten,  Ähnliches  zeigt  sich  (nur  einen  Takt  lang)  in  der 
sogenannten  Menuett  der  Ddur-Sonate  üp.  10,  und  vielleicht  auch 
noch  in  andern  Sätzen.  Auch  hierbei  muß  die  pünktliche  Aus- 
führung auf  den  Instrumenten  älterer  Bauart  leichter  gelungen 
sein;  aber  der  Ausfall  der  einzelnen  Trillertöne  kann,  besonders 
bei  rollend  schneller  Ausführung,  kaum  bemerkt  werden.  Allen 
diesen  kleinen  Schwierigkeiten  gegenüber,  die  teilweise  im  Bau 
der  neuern  Instrumente  wurzeln,  steht  übrigens  der  Vorzug  dieser 
letztern  auch  für  Beethoven  unbestritten  fest. 

Nur  einen  Mangel  zeigen  die  meisten  von  ihnen,  und  der  würde 
leicht  zu  beseitigen  sein.  Sie  haben  nämlich  nur  eine  Verschiebung, 
die  den  Hammer  von  drei  Saiten  auf  zwei  bringt,  nicht  aber  eine 
weitere  (durch  tieferes  Hina])treten  desselben  Pedals)  auf  eine  Saite. 
Diese  letztere  bringt  besonders  in  den  tiefen  Tonreihen  einen  ganz 
eigentümlichen  Klangcharaktor  zuwege  und  ist  keineswegs  bloßes 
Hilfsmittel  für  Pianissimo.  Beethoven  hat  in  verschiedenen  seiner 
tiefsten  Sätze,  z.  B.  der  Sonate  Op.  106  Bdur,  darauf  gerechnet 
und  sehr  sorgiältig  „una  corda",  „due  corde",  „tutte  corde",  vor- 
geschrieben. Diese  für  gewisse  Klangwirkungen  ganz  unersetzliche 
doppelte  Verschiebung  ist  indes  mit  der  neuern  Bauart  der  In- 
strumente gar  wohl  vereinbar  und  sogar  an  fertigen  noch  ohne 
Schwierigkeit  anzubringen.     Sie  läßt  auch  keinen  Nachteil,    etwa 


28 

für  die  Haltbarkeit,  besorgen;  ich  habe  früher  jahrelang  einen 
englischen,  für  Prinz  Louis  Ferdinand  (also  vor  1806)  gebauten 
Flügel  gespielt  und  seit  länger  als  20  Jahren  einen  trefflichen 
Breitkopf-Härtelschen  Flügel  engiischer  Bauart  im  Besitz,  beide 
mit  doppelter  Verschiebung  und  erwünschtester  Haltbarkeit.  Es 
kommt  nur  darauf  an,  den  Instrumentenbauern  gegenüber  jene  Ein- 
richtung l)eharrlicli  zu  fordern  und  —  die  allerdings  leichter  ver- 
stimmbare  Einsaitenlage  sparsam  und  schonungsvoll  zu  behandeln. 


Beethovens  Fina'ersatz. 


Die  Technik  des  Klavierspiels  hat  bis  zu  Beethoven  und  dann 
nach  seiner  Zeit  einen  hohen  Grad  der  Vervollkommnung  erreicht. 
Die  über  Beethovens  Standpunkt  hinaus  erlangten  Vorteile  der 
neuern  Technik  verschmähen,  wäre  gewiß  übelverstandne  Anhäng- 
lichkeit; nicht  seinen  äußerlichen  Mitteln,  seinen  Zwecken  müssen 
wir  nachstreben  und  dabei  die  besten  Mittel  vorziehen. 

Diese  Betrachtung  hat  ihr  erstes  Ziel  im  Fingersatze.  Es 
kann  hier  nicht  darauf  abgesehen  sein,  diesen  Gegenstand  voll- 
ständig abzuhandeln;  das  muß  bei  der  technischen  Vorbildung 
soviel  wie  nötig  dem  Studium  Beethovens  schon  vorausgegangen 
sein.  Nur  die  für  den  Vortrag  seiner  Werke  besonders  wichtigen 
Punkte  sollen  zur  Erinnerung  kommen,  und  auch  sie  nur,  soweit 
es  unerläßlich  scheint. 

Bekanntlich  gibt  es  für  den  Fingersatz  ^venig  absolute  Regeln, 
vielleicht  gar  keine,  weil  dabei  gar  mancherlei  verschiedne  Zv^^ecke 
bestimmend  sein  können.  Der  nächste  ist  Ausführbarkeit  überhaupt, 
neben  ihm  tritt  Bequemlichkeit  und  Sicherheit,  dann  Leichtigkeit 
und  Flüssigkeit  der  JMelodie,  dann  Beförderung  des  besondern  Aus- 
ilrucks  hervor;  zuletzt  fordert  sogar  der  Handbau  des  einzelnen 
Spielers  Berücksichtigung,  da  der  einen  Hand  schwer  oder  uner- 
reichbar sein  muß,  was  der  andern  Avohl  ausführbar  ist.  Es  kann 
also  für  denselben  Satz  mehr  als  eine  Fingersetzung  geben,  eohn 
daß  eine  vor  der  andern  unbedingt  den  Vorzug  hätte.    Nur  das  ist 


20 

ratsam,  da^  man  sich  für  irgendeinen  Fingersatz  fest  entscheide, 
weil  man  sonst  Zeit  nnd  Kraft  der  Obnng  zersplittert  nnd  ein 
Fingersatz  die  Sicherheit  im  andern  stört.*)  Ferner  mag  man  an- 
erkennen, daß  Einfachheit  nnd  Folgerichtigkeit  des  Fingersatzes 
die  Einübnng  erleichtern,  man  also  zu  demselben  Motiv  womöglich 
dieselbe  Folge  der  Finger  anzuwenden  habe,  —  daß  man  für  jede 
zunächst  folgende  Taste  den  für  sie  bequemsten  Finger  frei  haben 
müsse,  und  was  der  allgemeinen  Regeln  mehr  sind. 

Gelegentlich  zeigen  sich  aber  selbst  diese  Regeln  nicht  durch- 
aus zutreftend.  Selbst  neben  der  bekannten  Fingerordnung  für 
die  Dnrtonleiter  gibt  es  abweichende,  für  bcsondcrn  Vortrag 
günstigere  Fingerfolgen ,  ja,  es  kann  die  Versetzung  desselben 
Fingers  —  besonders  des  zweiten  —  von  einer  Taste  auf  die 
folgenden  ratsam  werden,  wenn  es  darauf  ankommt,  jeden  Ton 
mit  dem  sichersten  und  feinsten  Gleichmaß  oder  Nachdruck  gleich- 
sam herauszufühlen. 

Ein  für  allemal  sei  ausdrücklich  bemerkt,  daß  diese  und  ähn- 
liche Al)weichungen  nicht  statthaft  sind  für  Klavierspieler,  deren 
Einsicht  und  Geschick  im  Fingersatz  noch  nicht  fest  geworden 
sind.  Aber  die  Spieler  dieser  Klasse  sind  auch  noch  gar  nicht 
für  Beethoven  reif,  w^enigstens  nicht  für  diejenigen  Werke,  welche 
dergleichen  Abweichungen  nötig  machen. 

AVenn  solche  Abweichungen  schon  für  jede  andre  Komposition 
statthaft  werden,  wieviel  mehr  für  Beethovens  Tonwerke,  die  durch- 
aus vom  regsten  und  feinsten  Gefühl  erfüllt  und  dabei  vom  mannig- 
faltigsten Inhalte  bedingt  sind!  Hier  ist  auch  das  nächste  Mittel, 
der  Fingersatz,  für  Gelingen  und  Ausdruck  bei  jeder  neuen  Auf- 
gabe von  neuem  zu  bedenken,  —  um  so  mehr,  als  Beethoven  aller- 
dings tiefern  Trieben  gefolgt  ist,  als  der  Rücksicht  auf  die  Technik 
und  sogar,  wenn  er  nach  dem  Abschluß  der  Komposition  ihr  hin 
und  wieder  durch  Vorzeichnung  des  Fingersatzes  zu  Hilfe  kommen 
wollen,  öfter  dabei  fehlgegriffen  hat  oder  hinter  der  erhelltem  Ein- 
sicht der  Folgezeit  zurückgeblieben  ist.  In  solchen  Fällen  würde 
man  dem  eigentlichen  Zwecke  des  Meisters  zuwiderhandeln,  wollte 
man  zu  seinen  Mitteln  greifen,  statt  zu  bessern. 
Nur  wenige  Beispiele  dazu. 


*j  Die  Bemerkung  ist  nicht  unnötig.  Einer  der  vorzüglichsten  Lehrer 
und  Spieler  hat  gerade  bei  Beethoven  die  Gewohnheit,  seinen  Schülern  bis  zu 
vier  verschiedenen  Fingersetzungen    zu  geben  und  sie  durchüben  zu  lassen. 


30 


1.     Einstimmige  Figuren. 

In    der  Adur-Sonate  Op.  2  findet  sich    folgende  Figur,    ab- 
wärts bei  A  und  aufwärts  bei  B: 


15     1 


2     3     1 


2    5    2 

tf 


^-^-i^?zi==^-ibig=i=:pi^ ^_- 

— 1 iSZr^ 1 — ' — I 0-p-0— 


•  Ff4 


1     5    fl        O       5     1!        «       5    2       1        5    1 

—fi =1=1— IC 


I^B*  I  I  t  '""^3  1 I 


r— +?- 


JJ B^J 5_1 2 


52        151  251 


2    5     2 

_a 


«51 

15     1  -fi- 


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..£ I #_4~*-TF 

— 0-\ — 0 — 1 — H-- b— «-i^ -^^ 


S 1 '■ 0-i — 0 1 — < — h 


1^ i^ 


— i- 


t 


das  Zeitmaß  ist  Allegro  vivace;  ob  die  übergesetzte  Fingerordnung 
von  ßeetlioven  selbst  herrührt,  steht  nicht  fest.  Die  Ausführung 
ist  so,  wie  sie  dasteht,  sehr  schwer,  für  kleinere  Hände  kaum 
möglich.     Czern}^*)  nimmt  die  linke  Hand  zu  Hilfe  — 


P 


:$^ 


~   I      JL    I       Ji  und  aufwilrts 
lä ^ -I ^H- 

~0^^0~ 


-0 0- 


uinvurts  J_        j ^        ■ 


und  beseitigt  damit  die  Schwierigkeit  durchaus.  Beethoven  selber 
ist  diese  Spielform  bekannt  gewesen,  er  hat  z.  B.  im  ersten  Satz 
seiner  Bdur-Sonate  Op.  106  (S.  8  der  Originalausgabe  von  Artaria) 
so  wie  bei  A 


*)  Klavierschule  Teil  4. 


31 


r">-*i 


j-;g^ 


£t 


^i^g^^igsi^i 


i 


IL 


statt  wie  bei  B  gesetzt,  um  den  Satz  (Allegro  uud  pianu)  sicher 
iiiul  leicht  hervortreten  zu  lassen.  Dieselb(^  Spielweise  will  er  im 
ersten  Satze  der  Asdur-Sonate  Op.  110  (IModcrato,  Takt  12  der 
Originalausgabe  von  Schlesinger)  angewendet  wissen.  Zuerst  schreibt 
er  zwar  daselbst  für  die  rechte  Hand  so, 


-!— r i— + 


"^^ 


während  er  der  linken  Pausen  gibt;  der  Satz  ist  auch  in  dieser 
Weise  gar  wohl  ausführbar.  Ijeichter  aber  und  sinngemäßer  (es 
ist  „piano"  und  „Lcggiermente"  vorgeschrieben)  kommt  er  heraus, 
wenn  man  die  Linke  eingreifen  läßt,  wie  oben  angedeutet  ist; 
und  so  hat  Beethoven  selber  weiterhin  (S.  6)  wenigstens  einmal 
ganz  genau  hingeschrieben.  Diese  für  den  Spieler  zweckmäßigere 
Schreibweise  mag  ihm  zu  umständlich  gewesen  sein,  oder  er  hat 
nur  das  eine  Mal  an  die  Technik  gedacht.' 

Diese  Ablösung  der  Hände  scheint  auch  bei  technisch  minder 
schweren  Figuren  ratsam,  wenn  sie  der  sinngemäßen  Darstellung 
zu  Hilfe  konmit.  In  der  Dmoll-Sonate  Op.  31  beginnt  der  zweite 
Teil  des  ersten  Satzes  mit  diesen  Arpeggien, 

Largo.  ^l     !       O  CO' 


32 


I  3 


O 


-^-^^f=^: 


S    3    2    1 


die  (wie  die  Pausen  im  Baß  andeuten)  für  die  rechte  Hand  bestimmt 
scheinen  und  auch  so  den  für  diese  Sonate  gereiften  Spielern  keine 
technische  Schwierigkeiten  bieten.  Demungeachtet  würde  die  Ab- 
lösung beider  Hände,  wie  sie  oben  vorgeschrieben  ist  (die  unter- 
gesetzten Finger  gehören  der  linken,  die  übergesetzten  der  rechten 
Hand),  der  feinern  Ausführung  günstig  sein;  —  hier  scheint  sogar 
das  Fortsetzen  des  zweiten  Fingers  (S.  29)  wohl  anwendbar,  um 
die  letzten  Töne  mit  der  feinsten  Fühlung  herauszubringen. 

Auch  für  den  entgegengesetzten  Vortrag  kann  dieselbe  Spiel- 
manier nützHch  sein.  Im  ersten  Satze  der  Fmoll-Sonate  Op.  57 
bricht  Takt  14  aus  dem  bisherigen  Pianissimo  folgende  Arpeggien- 
figur  im  Forte  hervor. 


/ 


^    :t= 


P 


^S^E^SE    £E^=,^ 


:rjL-rt^--t?*z:f=--, 


%     p-I??  u.  s.  w, 


I    1 1  I  '        -^  ' 

die  dem  Sinn  und  Gange  des  Satzes  nach  sehr  stark  und  schlagend 
hervortreten  muß.  Die  Ausführung  ist,  auch  im  Zeitmaße  des 
Allegro  assai  und  Forte,  niclit  schwer.  Allein  die  erforderliche 
'  ausdauernde  Kraft  würde  durch  Verwendung  beider  Hände  (vgl. 
ßülow  a.  a.  ().  S.  55) 

RoclKo 


l   Kcclite 


Linke 


33 


.^^.^,- 


jede  mit  ilcm  dritten  Finger  schlagend  oder  mit  regelmäßigem 
Fingersatz  gewinnen.  Spieler,  denen  diese  Form  der  Darstellung 
nicht  geläufig  ist.  wei'den  in  die  einhändige  Ausführung  möglichste 
Kraft  zu  legen  suchen. 

Eine  Kleinigkeit  komme  zum  Schlüsse  dieser  zum  Teil  nicht 
ganz  hedenkenfreien  Vorschläge  noch  in  Betracht:  es  hetrifft  den 
Quartengang  der  rechten  Hand  im  Trio  der  F  moll-Sonate  Op.  2. 
Beethoven  (oder  für  ihn  ein  Unbekannter)  hat  diese  Stelle  so 

:»   4    r.  -— — - — 

AllpfirpUn       «     i     «  •'»    -»    •'»    ■»    •'■>     •'i  •'>     •'»    *    •'»    •*    •»  •*     •"» 

/iuemeiw.         ^         \    t   \   t   \    \  a   i   2   i   a   i  a    i 

_ 


j i_ 


^-^ 


y-Yj^.- 


bezitfert.     Czernv,  dem  dieser  Fingersatz  grundsatzlos  erscheinen 
mochte,  hat  dafür  folgenden 


454  545454  554543  454345  4 


121  212121  212.121  212121  2, 

Bülow    (in    mündlicher  Unterhaltung)    diesen    noch    mehr    folge- 
rechten und  vereinfachten 


454  54  5  454  54  5  454  5454  5  4  5 


12  1  2  12  12  1  2  12  12  1  2  12  12  1  2 

vorgeschlagen.     Blickt  man  auf  den  Anfang    des  Satzes,    so  wird 
man  gew^ahr,  daß  derselbe  zweistimmig,  und  zwar  in  Terzen  anhebt 


g^a^fEg^^JI^ 


und  erst  später  die  quartenbildende  Stimme  hinzukommt.    Es  würde 
der  Anlage  der  Komposition  keineswegs  widersprechen,  die  beiden 

Marx,  An],  z.  Vortrag  Beeth.  Klav.- Werke.  3 


34 


in  Terzen  gehenden  Stimmen  als  zusammengehörige  Grundlage  der 
linken  Hand  zuzuweisen,  —  vielleicht  mit  dieser  Fingersetzung 


und  die  Oberstimme  als  melodieführende  der  rechten  Hand  zu  über- 
lassen. Für  kleine  Hände  scheint  dieser  Vorschlag,  unter  den 
Quartengängen  der  Fingersatz  von  Bülow  der  annehmbarste.  Beet- 
hoven selber  hat  diesen  letztern  im  Finale  der  A  dur-Sonate  Op.  101 
(S.  16  der  Originalausgabe  von  Steiner)  drei  Takte  weit  vorgezeichnet 
und  damit  jene  Vorschrift  zu  der  Sonate  Op.  2  zurückgenommen. 


2.    Zwei  oder  mehr  Stimmen  in  einer  Hand. 

Sobald  zwei  oder  mehr  Stimmen  von  einer  Hand  ausgeführt 
werden  müssen,  wird  natürlich  Abweichung  von  den  Grundregeln 
des  Fingersatzes  noch  häufiger  geboten,  —  oder  vielmehr  bedarf 
es  neuer,  den  Aufgaben  entsprechender  Maßregeln,  die  ebenso 
wohlbegründet  sind  als  die  einfachem  für  einstimmigen  Satz  in 
einer  Hand.  Ohne  Frage  gelingt  die  Ausführung  einstimmiger 
Sätze  leichter;  wo  es  daher  möglich  ist,  muß  man  besonders  der 
die  Hauptstimme  führenden  Hand  jede  weitere  Last  ersparen.  Ein 
kleines  Beispiel  dazu  gibt  das  Adagio  der  FmoU- Sonate  Op.  2. 
Beethoven  hat  Takt  2  und  3  so  wie  bei  A  notiert. 


B 


^ 


-— -j ^  ^ y. ^~^- 


f^^i 


t-\ß^ß- 


jn  das  System  der  linken  Hand  Pausen  gesetzt,  die  Noten  Th  h  also 
der  rechten  zugewiesen.  So  gewiß  die  Ausführung  äußerst  leicht 
ist,  möchte  doch  wohl  die  Übertragung  der  drei  Noten  auf  die  linke 
Hand  (wie  bei  B)  den  Vorzug  verdienen,  weil  dadurch  di(3  rechte 
volle  Freiheit  für  das  zarteste  Hervorheben  der  Melodie  gewinnt. 


35 


Nun  einige  Bcis[)ielc  für  das  Zusanimenüxssen  zweier  oder 
mehrerer  Noten  oder  Stimmen  in  vlnvv  Hand,  nach  denen  ähnliclie 
FäUe  beurteilt  werden  kr»nnen. 

Im  ersten  Satze  der  A  dur-Sonate  Op.  2  schliel.U  der  zweite 
Teil  folgen d erm a l.')en , 


piano  und  pianissimo.  Es  scheint  nichts  angemessener,  als  die 
beiden  Tasten  zu  d  und  c  mit  dem  Daumen  der  rechten  Hand  zu 
nehmen,  weil  sonst  die  äußersten  Töne  der  Ober-  und  Unter- 
stimme ersprungen  werden  müßten  und  dadurch  Unruhe  und  Härte 
in  den  Anschlag  käme. 

Im  Finale  der  D  dur-Sonate  Op.  28  (Originalausgabe  von  Has- 
linger  S.  18)   hat  die  linke  Hand  diese  Stelle  (A) 


^   ^     4_  +:_  ^       R 


viermal,  und  zwar  fortissimo  auszuführen.  Es  ist  klar,  daß  die 
Achtel  mit  den  Fingern  4  3  2  genommen  werden  müssen,  folglich 
der  zweite  Finger  von  ä  nach  e  springen  und  zuletzt  ds  f  mit  4  2 
genommen  werden  muß.  Wollte  man  sogar  den  aushaltenden  Ton  A 
(wie  bei  B)  verkürzen—  was  otren))ar  Beethovens  Vorschrift  und 
Absicht  zuwiderliefe  — ,  so  müßte  der  kleine  Finger  von  A  nach 
11  sjiringen  und  der  unbequeme  Griff  4  2  zu  ds  f  doch  geschehen. 

Jm    Schlußsatze    i\iiv    ('  dur-Sonate    Op.  53    muß    die    linke 
Hand  so 


3* 


36 


—  yvv •  - 


-O    r— — 1 


12     1 


§?: 


i         I 

5  5 


2 

^—9 


-[—,•' 


w- 


geführt  werden;  der  kleine  Finger  wandert  über  drei  Tasten,  aiK^li 
von  der  Unter-  zur  Obertaste  (A  B),  der  Daumen  ebenfalls  über  zwei, 
und  (bei  a  Z>,  zuletzt  bei  as  h)  über  zwei,  —  Unter-  und  Obertaste. 
Im  Adagio  der  ß  dur-Sonate  Op.  22  Takt  39 


^ 


■I — I — I— I — I — — '— y-i'—ii^.! — F-i — I — I — I — *-!— #-^-1— f'-f— #— 


muß  der  kleine  Finger  die  ganze  Oberstimme  übernehmen.  Diese 
Spielart  ist  nicht  durchweg  notwendig  (man  könnte  4  4  5  4  nehmen), 
allein  sie  ist  bequemer,  als  der  anscheinend  regelmäßigere  Finger- 
wechsel,  und  geeigneter,  jedem  Ton  der  kleinen  Melodie  den  ge- 
hörigen Nachdruck  zu  geben. 

Im  ersten  Satze  der  D  dur-Sonate  Op.  28,    Takt  48,    ist  in 
diesem  Satze 


uiiLu  ^r  -'  ^ 


o- — 


— o- — j— 0-- 


f- 


r- 


der  Daumen  von  fis  auf  e  fortzubewegen,    der  fünfte  r'inger  dem 
vierten  unterzuschieben. 

Aus  dem  Finale  der  A  dur-Sonate  Op.  101  kann  eine  Stelle 
(S.  14  der  Originalausgabe  von  Steiner)  für  die  rechte] fand  nicht 


füglich  anders  als  so 


37 


.1     4, 


4 

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<? *r^ 


3 


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« 


2     1 


sa- 


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"-??5r 


i  1^       I 

2 


ileseieiclion  für  die  liukc  Hand  so 


«  « 


^ 


gefaßt  werden. 

Ähnliche  Behandking  fordert  die  rechte  Hand  in  nachfolgender 
Stelle  desselben  Satzes  (S.  13)  bei  A: 


A      \ 


3    2     1 


1     J" 


2     1 


8    1 


B 


:r^=::^zz=:z=€i=z=z=z= 


2     I     2 


2     19 


der  Triller  könnte,  wie  B  zeigt,  unterbrochen  werden. 

Der  letzte  Blick  lenkt  sich  auf  solche  Sätze,  wo  bei  der 
iJun-hführung  mehrerer  Stimmen  eine  derselben  aus  einer  Hand 
in  die  andre  übergeht,  entweder  aus  Notwendigkeit  oder  zugunsten 
sinngemäßen  Vortrags. 

Ein  solcher  Fall  zeigt  sich  im  Scherzo  der  C  dur-Sonate 
aus  Op.  2, 


38 


— ^ä*-^- 


-ß — 0- 


- — \—^~         — 

'  LlJ     I    i 

Linke 


'—T>-' 


2  2t 

1  I 


3^i 


:jfz=r--=Ji^: 


wo  die  zweite  Stimme  von  der  linken  Hand  eingeführt,  dann  aber 
von  der  rechten  übernommen  wird,  damit  jene  für  den  Einsatz 
der  dritten  Stimme  frei  werde. 

Ein  zweiter  Fall  zeigt  sich  im  Finale  der  B  dur-Sonate  Op.  106, 
S.  44  der  Originalausgabe  bei  dem  Eintritt  in  Ges  dur,  — 


-^■^'^zrzL-j. 


?-Z±^'- 


^5^ 


X 


h— ) — 1-# #  -s 5 m-ß-\ 


r^ 


VrT^'Ti;^» 


-0-     -ß- 


#:• 


^      Ü 


-• ^— H-^L 


(^^-si^sE  ^r:^£^= 


f-7F-    ^'    


L. 


ii^^-E^ 


^: 


ein  dritter  in  As  dur  ebendaselbst,  S.  46, 


L. 


:i^ 


:;=:^-_-^:S 


1.^^^ 


der  sich    sogleich  wiederholt.      Die  Notwendigkeit    leuchtet    ohne 
weiteres  ein.    Weniger  vielleicht  bei  einem  Vorschlage  zur  Hände- 


31) 


vortoiliing-  in  der  24.  \ariation  der  33  Veränderungen  Op.  120, 
In  dieser  überaus  zart  gehaltenen  Variation  sind  die  Eintritte  von 
Alt,  Diskant  und  Bai.)  (es  ist  ein  kleines  Fugato)  durchaus  deut- 
lich vernehmbar,  nicht  so  der  Eintritt  des  Tenors  inmitten  der 
andern  Stimmen 

I  und  später  . 

4 1 w 


i — I- 

-0- 
-#- 


tT' 


0-ß- 

'  I 


}     = 


^    ^    ^' 


a=g= 


± 


—         ■0- 


'JZ. 


:t 


in  dem  ersten  hier  stehenden  Takte.  Sollen  die  Oberstimmen  nicht 
verwirrt  werden  und  der  Eintritt  des  Tenors  kraftlos  erfolgen,  so 
muß  die  linke  Hand  den  Sprung  c— "  mitten  in  die  rechte  hinein- 
wagen.    Der  zweite  obiger  Takte  ist  leichter. 


Die  Spielart  für  Beethoven. 


So  unübersehbar  groß  die  Fortschritte  der  neuen  Technik  sind, 
so  hat  sie  sich  doch,  übereinstimmend  mit  der  Kichtung  der  modernen 
Komposition  —  namentlich  der  Konzert-  und  Salonkomponisten, 
oft  eine  gewisse  Einseitigkeit  zuschulden  kommen  lassen. 

Naturgemäß  ist  das  das  erste  Ziel  der  Technik:  Händen  und 
Fingern  den  möglichst  erreichbaren  Grad  von  Beweglichkeit  und 
Sicherheit,  Leichtigkeit  und  Kraft,  volle  Herrschaft  über  die  Tastatur 
zu  erteilen.  Hierauf  sind  alle  Elemcntarübungen,  hierauf  alle 
Etüden  berechnet. 

Diese  für  die  erste  Periode  des  Klavierspiels  und  für  das 
Streben  nach  Virtuosität  durchaus  berechtigte  Pachtung  hat  mit 
Notwendigkeit  dahin  geführt,  die  Hand  mit  ihren  Fingern  mehr  als 
ein  Ganzes,  als  ein  einziges  Organ  zu  behandeln;  Glanz  und  Meister- 
schaft des  Spielers  bedürfen,  um  sich  zu  zeigen,  weit  ausgedehnter 
Läufer,  Arpeggien,  die  Hand  nmß  über  mehrere  Oktaven  geführt 


40 


werden,  die  Fioger  müssen  das  Spiel  der  Figuren  in  weit  reichender 
Bahn  fortführen.  Etüden  und  Konzertstücke  sind  hierauf  berechnet, 
die  sogenannten  Salonsachen  zum  großen  Teil  ebenfalls.  Alles 
das  wirkt  ausschließlich  oder  vornehmlich  durch  Massen  von  Tönen, 
derenjede  durch  Gleichmäßigkeit  der  Ausführung  zu  einem  Ganzen 
zusammengeschmolzen  wird. 

Daß  diese  Spielart  auch  bei  Beethoven  Anwendung  findet, 
versteht  sich;  die  weiten  Gänge  im  ersten  Satze  der  B  dur-Sonate 
Op.  106,  im  Trio  der  As  dur-Sonate  Op.  110,  in  der  C  dur-Sonate 
Op.  53  und  viele  sonstige  Partien  können  als  Beispiel  dienen. 
Merkenswerter  —  weil  man  dergleichen  oft  vernachlässigt  und 
die  Aufgabe  bisweilen  schwieriger  ist,  als  sie  scheint  —  sind  ge- 
wisse Begleitungsformen. 

Das  B  dur-Trio  Op.  97  beginnt  mit  dieser  Begleitung, 


AlU'yro  ntothrato 


die  mit  vollkommener  Gleichheit  des  Anschlags  und  der  Kraft 
(od(}r,  Takt  3,  des  Anschwellens)  ausgeführt  werden  muß.  Dies 
ist  nicht  ganz  leicht,  weil  der  kleine  Finger  dem  Daumen  und 
zwei  Mittelfingern  das  Gleichgewicht  halten  soll. 

Im  Finale  der  F  moU-Sonate  Op.  2  muß  die  Triolenbegleitung 
in  der  linken  Hand  überhaupt  in  vollkommener  Gleichmäßigkeit 
ausgeführt  werden;  sie  ist  gleichsam  der  ebene  Boden,  auf  dem 
die  leidenschaftlichen  Gestaltungen  der  J\[elouic  sich  entwickeln. 
Nun  aber,  l)ei  dem  Schlußsatz  ändert  sich  das:  die  Melodie  be- 
wegt sich  zweimal  acht  Takte  weit  in  ruhiger,  großartiger  Ent- 
sagung über  der  forttönenden  Begleitung, 


41 


Pre^Us.'tinio. 


-i: 


i==i:H==H:l====?z=z=:-!zi:z=:aL-=z=-J 

.« # J~*_ 1 , : 1 1 


.??■ 


-0-  ■0-  ^,-ß-  -0- 


in  der  jener  Icidenschaftliclie  Sturm  der  tief  aufgeregten  Seele 
noch  vernehmbar  bleibt.  Diese  Begleitung  muß  in  vollkommenster 
Gleichheit  der  Bewegung  und  Betonung  (kein  Ton  hervortretend) 
ausgeführt  werden;  zugleich  muß  sie  aber  pianissimo  beginnen, 
vollkommen  gleichmäßig  bis  Takt  6  zum  fortissimo  anschwellen 
und  hier  so*) 


1^ 


-# 0 


fA 


:=]: 


Ä 


.^_^_^^ 


ZJ-JJ  j J-J-* — ^-w-' i-^-* ^-0-^—1 ^t-^S* r-^-* r-^-0 — -f-\-0- 

^ : — J- 0 0 9 0 1 — #a o 0 0 1 


ausgehen,  worauf  dieselbeBehandlung  der  acht  Takte  sich  wiederholt. 
Im  Trio  (Minore  bezeichnet)  der  Es  dur-Sonate  Op.  7  haben 
beide  Hände  folgende  Figur 

AUtfjrO. 


— ^-7 1 — + F-i-#— 


X 


H ^^ ^^ 1- ^^ 8*«^ '^^■ 


PP 


^i^iEi^i 


•f-r» — : — f-\-^ 


:j:^- 


^^^S^^^g^"" 


b- 


iiij: 


*)  Der    einfache    Strich    {—)    soll    Betonung,    zvv(m    und    drei    Striche 
(=  und  ^)  sollen  stärkere  Grade  der  Betonung  anzeigen. 


42 


^=^^ 


^ 


'zrJzizz\z^jt=zn. 


--i-*— t M-' 


-9^^—J^- 


■A-A- 


-A-A, 

^ 


auszuführen.  Dies  muß  in  vollkommener  Gleichmäßigkeit  ge- 
schehen, mit  gelindem  Anwachsen  bis  zum  ersten  Ton  des  dritten 
Takts,  dann  wieder  abnehmend  —  und  in  gleicher  Weise  nochmal, 
dann  nach  der  von  Beethoven  selbst  gegebenen  Bezeichnung.  Der 
zweite  Teil  ergibt  sich  hiernach  von  selbst;  für  den  ganzen  Satz 
könnte  des  Dichters  Wort 


Im  Windsgeräusch 
In  stiller  Nacht 

sinndeutend  sein.  Er  hat  so  wenig  eine  hervortretende  Melodie, 
als  das  Windsgeräusch  artikuliert  ist,  die  Melodie  liegt  im  Zu- 
sammenklang der  Töne  —  diese  Tonmassen 


2 


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sind  zugleich  die  vier  ersten  Harmonien  und  die  vier  ersten 
iVIomcnte  der  Melodie. 

Soviel  —  beispielsweise,  keineswegs  erschöpfend  —  vom 
gleichmäßigen  Spiel  der  Hände  und  Finger,  auf  das  die  neuere 
Technik  vorzugsweise  gerichtet  ist. 

Nun  treten  aber  bei  Beethoven  nocli  ganz  andre  Ansprüche 
hervor,  auf  deren  Befriedigung  jene  Technik  nicht  hin-,  von  der  sie 
gewissermaßen  sogar  abführt.  Bei  Beethoven  (ebenso  bei  Bach, 
häufig  bei  Mozart  und  jedem  sinnigen  und  tiefern  Komponisten) 
wird  es  allaugenblicklich  notwendig,  daß  eine  Band  von  der 
andern,  ja,  daß  in  derselben  Hand  ein  oder  ein  paar  Finger  sich 
von  den  andern  zu  besonderer  Spielart  unabhängig  machen. 

Das  erste,  die  Unabhängigkeit  einer  Hand  von  der  andern, 
ist  das  leichteste.  Die  Hervorhebung  der  Melodie  in  der  einen 
Hand  vor  der  Begleitung  in  der  andern   Avird    von   .jedem  lichrcr 


4:^ 


jiolbnlort  und  von  jccleni  Spieler  schon  ohnedem  geleistet.  Die 
Aufizabe  (Fertigkeit  jeder  Hand  tür  das  ihr  Obliegende  voraus- 
gesetzt) ist  meist  leicht,  fordert  aber  bisweilen  Feinheit  des  Ver- 
ständnisses und  der  Handhabung.  Im  ersten  Satze  der  Gdur- 
Sonate  Op.  14  z.  B.  will  die  sprechende  Melodie 


Allegro. 


crc.<c. 


cresc. 


, ,  , ,     1==;  _p:p=;    ===;  ===;  = 


ausdrucksvoll,  mit  gelinder  Steigerung  der  vier  oder  fünf  d^  mit  ab- 
schleifendem Schlußfalle  vorgetragen  sein,  die  Begleitung  dagegen 
muT)  sich  unterordnen  und  ganz  gleichmäßig  (mit  einem  kaum 
merklichen  Nachdruck  auf  das  erste  und  fünfte  Sechzelmtel)  dahin- 
fließen: die  Schwierigkeit  —  wenn  es  eine  ist  —  liegt  Takt  3  bei 
den  fünf  Sechzehnteln  J,  die  leicht  und  fein  gesteigert  werden 
müssen,  während  die  Linke  bei  gleicher  Bew^egung  nicht  steigert. 

Eigentümlicher  ist  der  Fall,  daß  es  bisweilen  sinngemäß  er- 
scheint, dieselbe  Melodie  in  der  einen  Hand  anders  zu  fassen,  als 
gleichzeitig  in  der  andern.  Ein  Beispiel  gibt  der  Anfang  der 
FmoU-Sonatc  Op.  57.  Beide  Hände  haben  bis  gcgQW  das  Ende 
des  Satzes 

Allegro  a.9.?a?. 


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diesellic  .Melodie,  die  gebunden  und  {)ianissimo  vorgetragen  Averden 
soll.  Wer  in  das  geheimnisvolle,  geisterhafte  AVesen  dieser  Dichtung 
eingedrungen  ist,  wird  einverstanden  sein  mit  dem  Vorschlage:  die 
tiefere  Stimme  noch  leiser  vorzutragen  als  die  höhere;  sie  ist 
gleichsam  der  Schatten  eines  Schattens. 


44 

Soll  nun  aber  dieselbe  Hand  verschiedenen  Vortrag- 
leisten, so  müssen  dazu  die  Finger  ganz  selbständig  ge- 
macht werden  —  nicht  bloß  in  dem  Sinne,  daß  jeder  Finger 
gleiches  leiste  wie  der  andre  (z.  B.  der  kleine  gleiche  Kraft  wie 
der  Mittelfinger),  sondern  auch  in  dem,  daß  der  eine  betone, 
während  der  andre  gleichzeitig  sich  unterordne,  daß 
in  einem  Teil  der  Hand  gebunden,  im  andern  gestoßen 
vrerde.  Dies  ist  der  von  der  neuern  Technik  vernach- 
lässigte Punkt,  und  er  tritt  in  der  Tat  erst  in  den  Vordergrund, 
wenn  eine  bestimmte  Komposition  diese  Spielweise  fordert.  Will 
man  sich  von  der  Notwendigkeit  überzeugen,  so  zerlege  man  Satze 
der  Art  in  ihre  verschiedenen  Stimmen  oder  Partien  und  mache 
sich  —  ohne  Rücksicht  auf  Spielmittel  und  Schwierigkeit  — 
deutlich,  was  der  Inhalt  eigentlich  fordert.  Ist  dies  erkannt,  so 
müssen  die  Spielmittel  genugtun. 

Diese  Spielmittel  beruhen  nun  auf  der  vollkommenen  Beherr- 
schung jedes  Fingers  und  auf  der  steten  Erwägung  und  Über- 
wachung des  Gebrauchs.  Die  Tasten  müssen  in  zarten  Stellen 
nicht  gestoßen  oder  geschlagen,  sondern  mit  Gefühl  —  mit  Zart- 
gefühl angefaßt  und  niedergedrückt  werden,  dagegen  müssen  bei 
heftigen  Stellen  die  Finger  mit  Hammerkraft  auf  die  Tasten  treften. 
Den  Fingern  muß  die  Hand  zu  Hilfe  kommen.  Wird  sie  im  Ge- 
lenk gehoben,  so  trefien  alle  Finger  in  steilerem  Niederschlag  mit 
verstärkter  Kraft;  namentlich  kommt  diese  Haltung  den  Mittel- 
fingern zu  statten.  Wird  das  Handgelenk  gesenkt,  so  fallen  die 
Finger  flacher  und  das  Handgewicht  vermindert  ihre  Kraft.  Wird 
die  Hand  etwas  nach  außen  gebeugt,  so  fällt  ihr  Gewicht  dem 
kleinen  Finger  zu  —  wenn  nach  innen,  dem  Daumen.  Selbst  eine 
leichte  Krümmung  des  kleinen  Fingers  im  oberen  Gelenke  kann 
denen,  die  dieser  Krümmung  mächtig  sind,  bei  Stellen  die  aus- 
gebreitete, also  flache  Handlage  fordern,  zur  Hervorhebung  der  Töne 
fördcrüch  sein,  die  jenem  Finger  zufallen.  Es  versteht  sich,  daß 
diese  Abweichungen  von  dem  normalen  Gleichgewicht  der  Hand  nur 
sehr  maßvoll  angewendet  werden  dürfen,  und  daß  nur  solche  Spieler 
sie  sich  gestatten  sollten,    deren  Spielart  schon  sichergestellt  ist. 

Es  wird  sogar  bisweilen  nötig,  die  hervorzuhebenden  T()ne, 
wenn  kein  andres  Mittel  genügt,  um  ein  unmerkliches  vor-  oder 
nach  zeitig  oder  auch  taktgemäß  eintreten  zu  lassen,  dann  aber 
die  andern  um  ein  merkliches  nachzuschlagen.  Doch  sollte  dies 
letzte  Mittel   mit  Gewissenhaftigkeit    nur    im  Fall  unabweislichen 


45 


Bodiirlnisses  zur  Ainvcndiiiig'  kommen:  soweit  es  fühlbar  wird, 
naiit  es  sozusaiien  an  der  festen  Gestaltung*  des  ganzen  TonkiJrpers 
und  macht  ihn  mehr  oder  weniger  hinfällig. 

Um  nun  an  sehr  einfixchcn  Beispielen  anschaulich  zu  machen, 
wo  verschiedenartiger  Anschlag  in  den  gleichzeitig  wirkenden 
Fingern  erforderlich  ist,  stehe  hier  zuerst  der  Anfang  des  Andante 
aus  der  Gdur-Sonate  Op.  14.     Bei  A 


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sind  die  einzelnen  Akkorde  durch  Pausen  und  Stakkato  voneinander 
getrennt,  bei  B  sollen  sie  gebunden  werden.  Das  Charakteristische 
ist,  daß  in  beiden  Fällen  die  Töne  der  Melodie  mit  denen  der  Be- 
gleitung Schlag  für  Schlag  zusammenfallen.  Ganz  dasselbe  zeigt 
sich  in  den  ersten  Takten  der  Gdur-Sonate  Op.  53 


Allegro  con  brio. 


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-tzzztzi — L:tiEi- 


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und  kehrt  in  diesem  Satz  und  anderwärts  wieder.  In  allen  Stellen 
dieser  Art  ist  zwar  das  genaueste  Zusammenfallen  aller  gleich- 
zeitigen Töne,  zugleich  aber  ein  gelindes  Hervorheben  der  Melodic- 
töne  zu  fordern. 

Ein  verwandter  Fall,  schon  ein  wxnig  schwieriger  auszuführen, 
tritt  in  der  Phantasie-Sonate  Esdur  Op.  27    hervor.     Auch   liier 


-r/^ '--*—•-#-#-# — 0-0-0-'l0 -^-0^-0-0 — -0-0-0-0—^-  ^  ^—s 


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1.^ ^ — . -j 


46 


liegt  außer  der  Melodie  ein  Teil  der  Begleitung  (3  und  2  Töne) 
in  der  rechten  Hand.  Alle  gleichzeitigen  Tone  müssen  genau  zu- 
sammenfallen, aber  dabei  muß  die  Melodie  über  die  begleitende 
Tonmasse  klar  und  ausdrucksvoll  hervorgehoben  werden.  Der 
Spieler  darf  sich  nicht  daran  genügen  lassen,  daß  die  längere 
Haltung  der  Melodietöne  dieselben  von  der  Begleitung  unterscheidet, 
sondern  muß  sie  auch  durch  stärkere  (natürlich  nur  mäßige)  Be- 
tonung fühlbar  machen;  in  den  Achtehi  1  3  5  und  8  des  ersten, 
12  3  4  5  und  7  des  zweiten  Taktes  z.  B.  muß  jeder  Melodieton 
vor  der  Begleitungsmasse  hervortreten. 

Gleicher  Vortrag  gebührt  der  Melodie,  wenn  sie  in  derselben 
Hand  mit  figurierter  Begleitung  zusammentrifft,  wie  in  dieser  Stelle, 

Adagio  snstenuto. 


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mit  der  in  der  Cis  moll-Sonate  Op.  27  nach  einem  Vorspiel  der 
Begk;itungsstimmen  die  Melodie  anhebt,  um  weit  hinausgeführt  zu 
werden.  Der  Ansatz  der  zusammenfallenden  Töne  muß  in  der 
rechten  Hand  vollkommen  gleichmäßig  erfolgen,  aber  nicht  so, 
da(.)  dieselben  gleiche  SchaUkraft  erhalten  (als  würden  Oktaven 
g  \  gespielt),  sondern  mit  Hervorliebung  der  Melodietöne.  Die 
Mehrzahl  der  Spieler  begnügt  sich  an  gleichmäßigem  Spiel  und 
gleichmäßiger  Stärke  für  beide  Töne;  damit  wird  al)er  die  Melodie 
hinuntergezogen  in  die  Linie  der  Begleitung. 

Aber  auch  jene  bei  modernen  Virtuosen  gangbare  Spielweisc, 
welche  die  einzelnen  Töne  der  Melodie  mit  gleichbleibendem  Nach- 
druck   hervorhebt  —  man    sollte   sagen    herausklopft  —  kann 


47 

lüohi  iicniii^oii.  .Knie  .Melodie  (mit  äiilVM'st  seltenen  Ausnahmen) 
fordert  den  Wellenschlag,  der  dem  Gefühl,  dem  Gemüt  eigen  ist, 
den  Wechsel  von  Haupt-  und  Xebcnmoment,  von  größerer  oder 
minderer  Betonung,  in  denen  sich  Teilnahme  des  Gemüts  und 
des  Verstandes  kundgibt.  Dies  muß  bei  jeder  Melodie  stattfinden, 
folglicli  auch  bei  der,  die  mit  auderm  Touspiel  in  derselben  Hand 
zusammentritft. 

Dergleichen  Stellen  finden  sich  in  der  pathetischen  Sonate 
und  sonst  häufig.  Hier  soll  nur  noch  eine,  aus  dem  zweiten  Satze 
der  Emoll-Sonate  Op.  90, 

Nicht  zu  gescliwind  und  selir  singhar, 

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angeführt  werden.  Die  Melodie  liegt  in  der  Oberstimme 
a  gis  gis  fis  USW.)  und  wird  zunächst  durch  die  gleichmäßig  mit- 
gehenden Begleitungsstimmen  unterstützt:  zwischen  den  Paaren 
der  obersten  und  untersten  Stimme  führen  zwei  Mittelstimmen  die 
Sechzehntelfigur  durch.  Diese  Figur  muß  sich  unterordnen,  sie 
muß  höchst  gleichmäßig  und  leise,  gleichsam  flüsternd  hindurch- 
gehen, während  die  Melodie  mit  den  ihr  zunächst  augehörigen 
Stimmen  voller  erklingen  und  mit  den  angemessenen  Akzenten  b(^- 
seelt  werden  muß.  Hier  noch  die  Oberstimme  über  die  nächst 
angehörigen  Stimmen  hinaus  erheben  wollen,  scheint  unausführbar 
und  würde  den  Eindruck  des  Ganzen  durch  angehäufte  Unter- 
scheidungen eher  schwächen  als  erhöhen. 

Überhaupt  darf  man  im  Abstufen    nicht    allzu    weit   gehen, 
nicht  so  weit,  daß  Fluß  und  Einheit  des  Ganzen  darunter  leiden. 


48 


Beethovens  Melodie. 


Nach  dem  Ül)erblick  über  die  Mittel  treten  wir  der  Sache 
selbst,  dem  Vortrage  Beethovenscher  Werke  näher.  Wer  könnte 
hier  besserer  Lehrer  sein,  als  Beethoven  selber?  —  Und  wenn 
wir  nicht  mehr  sein  Spiel  vernehmen  können,  so  fehlt  es  doch 
nicht    an  Ohrenzeugen,  die  über  seine  Vortragsweise  berichten. 

Zuvörderst  vernehmen  wir  den  alten  braven  K  F.Reichardt.  *) 
Er  erzählt  aus  einer  1808  von  Beethoven  gegebenen  Akademie,  in 
welcher  der  Meister  das  Gdur-Konzert  Op.  58  vortrug.  „Das 
Adagio  (berichtet  Reichardt),  ein  Meistersatz  von  schönem,  durch- 
geführtem Gesänge,  sang  er  wahrhaft  auf  seinem  Instrumente 
mit  tiefem,  melanchohschem  Gefühl,  das  auch  mich  dabei  durch- 
strömte." Das  verstand  Reichardt  vor  andern;  in  Italien,  wie  vom 
großen  Gesangmeister  Gluck  hatte  er  gelernt,  was  Singen  heißt; 
er  selbst  hatte  Gesang  an  sich  und  den  Seinen  aus  Herzenslust  ge- 
pflegt. In  Beethovens  Adagio  vernahm  er  wieder  den  Gesang,  diese 
Verschmelzung  der  Scelenbewegung  mit  dem  Wogenspiel  der  Be- 
wegung und  der  Lenksamkeit  und  Schmiegsamkeit  des  sympathi- 
schen Organs.  Niemals  erstarrt  die  Seele,  stets  waUt  sie  auf  und 
beruhigt  sich  im  Wechsel  der  Anreizungen  und  Beschwichtigungen, 
in  welchen  die  Stimmung  sich  hervorbildet  und  kundgibt. 

Ein  zweiter  Ohrenzeuge  tritt  herzu,  Reichard ts  allgemeine  An- 
deutung zu  erklären.  Schindler,  der  Schüler  und  vieljährige 
Freund  des  Meisters,  sagt  von  seinem  Spiel:  „es  war  die  deut- 
lichste, faßlichste  Deklamation,  wie  sie  in  dieser  hohen 
Potenz  vielleicht  nur  aus  seinen  Werken  heraus  zu  studieren  sein 
dürfte.  —  Was  namentlich  die  Sonate  pathetique  unter  Beethovens 
Händen  wurde,  das  mußte  man  gehört  und  wieder  gehört  haben, 
um  sich  genau  orientieren  zu  können,  daß  es  dasselbe,  schon  be- 
kannte Werk  sei."  Vergleicht  hier  Schindler  Beethovens  Vortrag 
mit  vollendeter  Deklamation,  also  mit  vollbewußter  Wortspraclie: 
so  deutet  er  an,  daß  ül)er  die  Vorstellung  unbestimmter  Sinnes- 
und Scelenbewegung  hinaus  (von  der  Reichardt  zu  sagen  gehabt) 
ein  bewußter,    seines  Inhalts  und  seiner  Aufiiabe  «anz  ofewiß  ffe- 


*)  Das  Nilhei-e  in  „Beethoven,  Leben  und  SdiaOen";  4.  Aull.  11,  S.  103  f 


49 

Nvordonor  Geist  joner  Regunii'eii  vollkommen  Herr  geworden  sei. 
Der  Sinn,  das  antgeregte,  rätselvolle  Wogen  der  Seele  waren 
Vorbedingung  nnd  Grundlage:  der  hell  erkennende,  bestimmte  und 
bestimmende  Geist  war  Vollender. 

Noch  ein  andres  Wort  Schindlers  (das  auch  ich  bereits,  un- 
abhängig von  ihm,  ausgesprochen)  sei  wohlbeherzigt.  Er  meint: 
dit^e  Beethovensche  Deklamation  sei  vielleicht  nur  aus  seinen 
Werken  zu  studieren.  Nehmen  wir  Seb.  Bach  und  Gluck  —  und 
Einzelheiten  unsrer  sonstigen  Meister  aus:  so  kann  jenes  „Vielleicht" 
in  ein  „Durchaus"  verwandelt  werden,  besonders  wenn  von  Klavier- 
musik die  Rede  ist.  Den  allermeisten  Klavierkompositionen  mangelt 
jener  Ernst  einer  festgehaltenen  Stimmung  und  vollends  jener  auf 
ein  Idealbild  gerichtete  und  da  wurzelnde  Seherblick,  jenes  Ver- 
tiefen und  rückhaltlose  Dahingegebensein  an  die  einzig  bestimmende 
Idee,  die  erst  in  Beethovens  Schöpfungen  zu  vollendetem  Dasein 
kam.  Dies  gilt  von  den  Werken  in  ihrer  Ganzheit;  es  bewährt 
sich  aber  schon  au  der  Melodie,  wenn  man  mit  diesem  Aus- 
drucke die  Stimme  ])ezcichnen  will,  die  vornehmlich  vor  den  andern 
Stimmen  den  Hauptinhalt  des  Ganzen  in  sich  trägt. 

Die  Beethovensche  Melodie  ist  eine  von  der  Mehrzahl  der 
andern  Melodien  wesentlich  verschiedene. 

Es  gibt  dafür  ein  gewisses  äußerliches  Kennzeichen,  das  man 
prüfen  kann,  bevor  man  sich  noch  in  den  Inhalt  vertieft.  Die 
Beethovenschen  Melodien  sind  nämlich  umfassender  als  im  all- 
gemeinen die  andern.  Sie  müssen  folglich  mehr  Inhalt,  mehr 
auszusagen  haben  als  die  andern.  Diese  Folgerung  würde  nur 
bestritten  werden  können,  wenn  man  den  Injialt  gewichtlos  nennen 
dürfte,  oder  in  ihm  unnötige  Wiederholungen,  Einschaltungen  usw. 
auffinden  könnte.  Dies  ist  aber  noch  niemals  geschehen,  es  kann 
auch  wiederum  das  Gegenteil  vollständig  nachgewiesen  werden. 
Die  Beethovensche  Redeweise  zeigt  sich  nämhch  durchaus  schluß- 
fest  und  zugleich,  oder  vielmehr  deshalb  vordringend.  Ein  paar 
Beispiele  werden  dies  erläutern. 

Der  Hauptsatz  des  ersten  Allegro  der  „Patli6tique" 

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hat  acht  Takte  ununterbrochen  fortschreitenden  Gesang  und  wieder- 
holt   sich    mit    einer   weiterführenden  Wendung    im    Takt    8    der 

Marx,  Anl.  z.  Vortrag  Beeth.  Klav.-Werke.  4 


50 

Wiederliolung.  Der  tonische  Gang  erhebt  sich  zwei  Oktaven  hoch 
bei  lebhaftem  Schritte,  senkt  sich  (3)  in  beruhigterem  Schritte  um 
eine  Oktave  wieder  herab.  Der  erste  Abschnitt  (1)  wird  (bei  2) 
wiederholt;  aber  es  ist  keine  leere  Wiederholung,  sondern  Fort- 
schritt in  die  höhere  Oktave,  und  der  Einsatz  wird  durch  die 
synkopische  Form  geschärft. 

Die  Emoll- Sonate  Op.  90   baut   ihren  Hauptsatz   bis    zum 
Nachsatz  auf  einen  fest  abgeschlossenen  Abschnitt, 


2. 


8. 


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cli   -   mi   -   nu   -    en  -  do 


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1 


der  sich  viermal  (1  bis  4)  wiederholt.  Der  Nachsatz  wiederholt 
ebenfalls  seinen  ersten  Abschnitt  5  bei  6  und  geht  erst  dann  in 
einem  Zuge  zum  Schluß.     So  bildet  sich  eine  Melodie  von 

2  2  2  und  2,  —  2  und  2  und  zuletzt  4,  — 
im  ganzen  von  16  Takten.  Allein  die  Melodie  ist  noch  nicht  ge- 
schlossen. Nur  uneigentlich  sind  oben  die  letzten  acht  Takte 
Nachsatz  genannt  worden,  um  den  bedeutsamen  Abschnitt  dieser 
acht  Takte  zu  bezeichnen.  Blickt  man  schärfer  hin,  so  sind  diese 
sechzehn  Takte  zusammengenommen  erst  der  Vordersatz,  der 
Nachsatz  folgt  Takt  17  und  bringt  —  anknüpfend  an  Abschnitt  1, 
al)er  weitergehend  —  einen  Satz  von  vier  Takten  und  seine  Wieder- 
holung, die  gleichfalls  nicht  unverändert  bleibt. 

Hier  stellt  uns  also  eine  einige  Melodie  von  24  Takten  gegen- 
über, deren  Kantilene  beiläufig  von  e  bis  e  reicht.  Nirgends  zeigt 
sich  die  Möglichkeit  früheren  Abschlusses,  überall  waltet  der  Drang 
fortzuschreiten.  Durchaus  zeigt  sich  festeste  Geschlossenheit  oder 
Schluf.)festigkeit:  das  erste  Motiv  kommt  viermal  oder  vielmelir 
sechsmal  —  ein  Satz  bedingt  immer   den    andern,    1    die   4    und 


51 

ilas  ^lotiv  dos  ^"ai'lisatzos.  das  Takt  17  auftritt.  Aber  nirgends 
zeiirt  sich  Iccro  AViodorliolung,  jode  AViodoi'kobr  ist  rmgestaltnng 
und  vordringomior  Einhersoliritt. 

Dieselben  Eigensobaften  der  Scbhißfestigkeit  und  des  rast- 
losen Vordringens  zeigt  das  Largo  der  Ddur-Sonatc  Op.  10,  der 
o^anze  erste  Satz  der  Dmoll-Sonate  Op.  ol.  das  Adagio  der  Bdur- 
Sonate  Op.  106,  überall,  mit  Ausnabme  weniger  kleinen  Arbeiten, 
linden  wir  diese  Eigenschaften  wieder,  die  Folge  und  Zeichen  der 
Vertiefung  sind,  aus  der  der  Meister  geschaffen.  Jede  dieser 
^lelodien  ist  ein  höchst  inhaltschwerer  Moment  aus  dem  Leben 
ihres  Schöpfers.  Es  ist  da  nicht  von  einem  oder  einigen  aneinander- 
gereihten Einfällen  oder  Anregungen  die  Rede:  die  Seele  strömt 
in  einem  ununterbrochenen  Ergüsse  (Keichardt)  ihren  Inhalt  dahin, 
der  Geist  schreitet  von  einem  Gedanken  zum  folgenden  und  zu 
den  andern  schlußfest  und  klar  ausgesprochen  (Schindler)  seinem 
Ziel  entgegen  und  erreicht  es. 

Wie  soll  sich  nun  zu  solchen  Melodien  der  Spieler  verhalten? 

Erstens  muß  er  an  der  Überzeugung  festhalten,  daß  hier 
nichts  müßig  oder  leer,  daß  jeder  Abschnitt,  jeder  Ton  hervor- 
gerufen und  erfüllt  ist  vom  Gefühl  und  festbewußten  Geiste  des 
Tondichters  —  daß  also  jeder  Ton  auch  von  dem  Spieler  durch- 
fühlt und  sinnerfüllt  wiedergegeben  werden  muß.  Wer  sich  das 
an  einem  Gegensatze  deutlich  machen  will,  der  gehe  zu  Hummels 
Adagios  und  ])otrachte  sich  diese  buntgekräuselten  Fiorituren,  die 
der  Fingerkobold  des  Virtuosen  in  diese  gesetzt  und  ehrbar  ein- 
herschreitenden  Melodien  einstreut. 

Zweitens  darf  er  sich  nicht  bei  den  einzelnen  Momenten  und 
ihrer  Erfüllung  aufhalten;  er  muß  auf  den  innern  Zusammenhang 
dringen  und  demgemäß  jedem  einzelnen  Momente  die  Bedeutsam- 
keit zumessen,  die  er  im  ganzen  und  gerade  an  dieser  Stelle  in 
sidi  bat.  Ja,  er  muß  beobachten,  wie  derselbe  Moment  bei  der 
AViederkchr  seine  Bedeutung  steigert  oder  sonst  wechselt.  Li  dem 
oben  angeführten  Satz  aus  der  EmoU-Sonate  kann  man  diese  oft 
selir  feinen  und  halbverborgcnen  Wendungen  selbst  in  Beethovens 
Abfassung  verfolgen,  wiewohl  er  nicht  immer  so  genau  bezeichnet 
liat  und  ül)erhaupt  die  Schrift  (S.  7)  die  Sache  nicht  erschöpfend 
geben  kann.  In  jener  Melodie  wechseln  im  ersten  Abschnitt  und 
seinen  Wiederholungen  (2,  3,  4)  Tonhöhe,  Tongeschleclit  und  Tonart 
unaufliörlich.  Aber  selbst  die  Gestaltung  des  Auftakts  wechselt; 
bei  1  und  3  ist  er  als  J"  %  bei  2  und  4  als    I  geschrieben.    Gerade 

4* 


52 

die  Feinheit  und  anscheinende  Geringfügigkeit  dieser  Unterscheidung 
(der  Satz  soll  „mit  Lebhaftigkeit"  ausgeführt  werden)  bezeigt  die 
Feinheit  und  scharfe  Bestimmtheit,  mit  der   der  Meister  gebildet. 

Welche  Mittel  stehen  nun  dem  Spieler  für  solche  Darstellung 
zu  Gebote? 

Wer  sich  das  beantworten  will,  der  vergegenwärtige  sich, 
was  im  aufgeregten  Seelenleben  vorgeht.  Da  ist  nirgend  Gleich- 
gültigkeit und  Kälte,  nirgend  Stehenbleiben  und  Fallenlassen; 
durchaus  waltet  Bewegung  und  Wechsel  —  Bewegung  der  aut- 
wallenden und  wieder  sich  beruhigenden  Empfindung,  durchaus 
W^echsel  des  fest])eharrenden  oder  von  seiner  Spannkraft  nach- 
lassenden, oder  in  ihr  sich  wieder  verstärkenden  WoUens. 

Diese  Zustände  spiegeln  sich  in  der  Bewegung  oder  Zeitfolge 
der  Tone  und  in  dem  AVogenspiel  der  verschiedenen  Stärkegrade, 
die  allesamt  dem  Geiste  des  Spielers  so  klar  vorliegen  müssen, 
als  die  Tasten    seinem  Auge    oder  vielmehr  seinem  Spielinstinkt. 

Von  der  Bew^egung  sei  nur  eins  angemerkt.  Sei  dieselbe 
zunächst  durch  Vorschrift  des  Zeitmaßes  und  durch  Taktgeltung 
bestimmt,  es  wird  sich  zeigen,  daß  beide  Bestimmungen  weder 
scharf  zutreffen,  noch  unverbrüchlich  gelten  dürfen  —  so  findet 
doch  der  Spieler  in  den  mannigfachen  Graden  des  gestoßenen  und 
gebundenen  Spiels  Anlaß  genug,  die  Dauer  der  einzelnen  Töne  zu 
verkürzen  oder  zu  verlängern;  das  gebundene  Spiel  hat  immer, 
wenn  man  auch  streng  im  Zeitmaß  bleibt,  den  Ausdruck  des 
Weilens,  das  gestoßene  den  des  Vordringens  an  sich.  Gewichtigere 
Betrachtungen  folgen  später. 

Die  Bestimmung  der  Stärke  richtet  sich  zu  allererst  nach 
dem  Sinn  des  Tonwerks  im  allgemeinen.  Es  leuchtet  wohl 
ohne  weiteres  ein,  daß  eine  zarte  oder  leichtgesinnte  Komposition, 
z.  B.  die  Fmoll-Sonate  Op.  2  oder  die  Gdur-Sonate  Op.  14  sich 
unmögHch  zu  Stärkegraden  erheben  kann,  die  der  Fmoll-Sonate 
Op.  57  oder  der  Bdur-Sonate  Op.  106  ganz  gemäß  sind;  selbst 
das  ausdrücklicli  vorgeschriebene  f  und  //'  hat  in  jenen  ganz  andre 
Bedeutung  als  in  diesen. 

Sodann  ist  es  vorzugsweise  die  Bemessung  der  Stärkegrade, 
die  den  rhythmischen  Akzenten  zum  Ausdruck  dient  und  damit 
den  Bau  des  ganzen  Tonwerks  erst  hörbar  gliedert  und  verständ- 
lich macht;  ohne  diese  Betonung  würde  der  Tonkörper  gleichsam 
zu  einer  unterscliied-  und  gestaltlosen  Gallert  gerinnen. 

Der  rhythmische  Gliederbau  ist  aber  k(!ineswegs  im  Takt  allein 


I 


o3 


enthalten,  so  daü  allenfiills  die  bekannten  Seliulregeln  genügten: 
jeden  ersten  Taktteil,  oder  in  zusammengesetzten  Taktartcu  (^A, 
Vs  usw.)  den  Haupt-  und  den  gewesenen  Haupttaktteil  (in  'Vs  den 
Iten  und  4ten,  in  ^'4  den  Iten  und  3ten)  zu  betonen,  und  zwar 
ersteren  nachdrücklicher  als  letzteren.  Der  einzelne  Takt  ist  nicht 
immer,  vielmeh.r  selten  ein  geschlossenes  Ganze,  sondern  es  bilden 
erst  zwei  und  mehr  Takte  ein  geschlossenes  Glied  des  Ganzen, 
einen  Abschnitt,  Vorder-  und  Nachsatz,  Haupt-  und  Seitensatz  usw. 
Diese  Glieder  sind  es,  die  über  den  Bau  der  einzelnen  Takte  hinaus 
durch  Betonung  laßbar  werden  müssen;  von  andern  Ausdrucks- 
mitteln dafür  kann  jetzt  noch  nicht  die  Rede  sein. 

Wer  Komposition  versteht,  muß  vollkommene  Einsicht  in 
diesen  Gliederbau  haben:  doch  fällt  es  auch  weniger  Unterrichteten 
nicht  schwer,  mit  Aufmerksamkeit  den  Gliederbau  zu  erkennen. 
^[an  blicke  noch  einmal  auf  das  letzte  Notenbeispiel  (aus  der  Emoli- 
Sonate)  zui'ück.  Die  vier  Abschnitte  von  je  zwei  Takten  sind 
greiflich  bestimmt  schon  durch  Pausen  geschieden.  Beethoven  hat 
sie  nicht  bloß  durch  die  Vorschrift  von  f  für  Abschnitt  1  und  3, 
von  p  für  Abschnitt  2  und  4  unterschieden,  sondern  auch  durch 
die  sorgfältig  bestimmte  Spiehveise:  der  Auftakt  für  die  Fortc- 
abschnitte  soll  gestoßen  (>«7),  also  härter,  der  für  die  Piano- 
abschnitte  soll  weilend  ('),  also  weicher  gegeben  werden,  auch 
die  Schlußtöne  sind  demgemäß  gestaltet  —  man  könnte  den 
Wechsel  der  Betonungen  und  Stärkegrade  ungefähr  so 


iWE^^^^^td^k 


bezeichnen,  nur  daß  Abschnitt  3  im  ganzen  kräftiger  hervorträte 
als  1,  Abschnitt  4  weniger  zurückträte  als  2.  Die  folgenden  Ab- 
schnitte 


54 


Süllen  piano  sein  (das  p  von  Abschnitt  4  gilt  fort)  und  sind  ge- 
bunden, also  auch  damit  dem  weichern  Spiel  zugewiesen;  sie  sind 
also  der  Vorschrift  nach  weniger  scharf  gegliedert.  Doch  wirkt 
die  Gliederung  von  je  zwei  Takten  fort  und  findet  ihren  Ausdruck 
in  der  Verkürzung  der  mit  f  bezeichneten  Töne,  die  nach  Ausweis 
der  Bindungen  ein  wenig  abgehoben  ( i*^  •?)  oder  (  i^  ^)  w^erden  sollen; 
jeder  Abschnitt  hebt  mit  zarter  Betonung  an  und  geht  diminuendo 
aus,  wie  bei  dem  letzten  sogar  vorgeschrieben  ist.  Nur  die  letzten 
drei  Töne  des  letzten  Abschnitts  dürften  betont  und  sollen  (nach 
Beethovens  Vorschrift)  zugleich  ritardiert  werden,  um  den  Schluß 
des  langen  Vordersatzes  (S.  50)  fester  zu  zeichnen  und  auf  den 
Nachsatz  hinzuweisen. 

Gelegentlich  ist  hierbei  noch  ein  besonderes  Mittel  zum  Vor- 
schein gekommen,  den  Gliederbau  zu  versinnUchen,  einen  Abschnitt 
vom  andern  deutlich  zu  lösen:  das  ist  der  Absatz  durch  Ver- 
kürzung des  Endtons.  Beethoven  hat  diese  Absätze  (Zäsuren)  in 
den  ersten  vier  Abschnitten  durch  Pausen  verwirklicht,  in  den 
folgenden  sind  sie  durch  die  Bindungen  einigermaßen  angedeutet, 
aber  auch  ohne  Andeutung  müssen  sie  statthaben.  Das  Thema  des 
ersten  Satzes  der  „  Path6tique"  muß  daher  in  seiner  ersten  Hälfte  so 


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vorgetragen  werden,  obgleich  Beethoven  —  ganz  mit  Recht,  denn 
er  durfte  und  mußte  auf  das  Verständnis  des  Spielers  rechnen  — 
den  Schlußton  des  ersten  Abschnitts  (den  ersten  des  dritten  Takts) 
als  Viertel  notiert  hat.  Bisweilen  liegt  die  Gliederung  tiefer  ver- 
borgen, z.  B.  im  Adagio  der  großen  Bdur-Sonate  Op.  106, 

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wo,  den  einleitenden  ersten  Takt  ungerechnet,  unverkennbare  Ab- 
schnitte von  4  und  4,  dann  von  2  Takten  usw.  (mit  ff  'be- 
zeichnet) hervortreten,  aber  auch  noch  kleinere  Glied(ir  (mit  f  be- 
zeichnet) durch  Absatz  oder  Nachlaß  der  Schallkraft  verdeutlicht 
werden  könnten. 


55 

Zweirrloi  Mit;. vorstand  muL)  hier  iibgcw(^lii't  werden.  Erstens 
soil  luomanil  darauf  denken,  die  umständlichen  Yortragszeichen, 
die  hier  nur  zur  Erläuterung  dienen,  in  die  Komposition  hinein- 
zutragen; sie  würden  die  Schrift  überladen  —  und  sind  immer 
noch  nicht  für  den  Vortrag  erschöpfend.  Zweitens  soll  niemand 
meinen,  daß  diese  rhythmischen  Akzente,  die  Gliederung  der 
Melodie,  das  allein  Bestimmende  für  den  Komponisten  gewesen. 
Er  hat  dem  wechselnden,  wogenden  Hang  seiner  Seele  Folge  ge- 
leistet: da  diese  eine  sinnige  war,  so  konnte  sie  der  Ordnung  nicht 
verlustig  gehen,  die  ein  Grundzug  aller  vernünftigen  Wesen  ist, 
d.  h.  in  der  Musik:  des  geordneten  Rhythmus.  P)eidc  Triebe  lebten 
und  wirkten  untreiuibar  im  Komponisten.  — 

Die  ^^tärkemal.ie  haben  sich  dem  Sinn  der  Komposition  im 
ganzen,  dem  Wechsel  der  rhythmischen  Akzente  dienstbar  er- 
wiesen; sie  sind  es  endlich  auch  jenen  Momenten  des  Gefühls,  die 
ganz  unabhängig  von  der  Rhythmik,  gleichsam  unberechenbar, 
bald  sich  hervordrängen  —  bisweilen  mit  Gewaltsamkeit,  bald 
sich  bergen  und  auslöschen,  gleichsam  angehört  vorüberschlüpfen 
möchten.  Für  diese  unmittelbar  dem  Gefühl  entsteigenden  Äuße- 
rungen, die  stets  dem  besondern  Sinn  des  Satzes  angehören,  kann 
es  kein  allgemeines  Gesetz  geben.  Nur  eine  einzige  Beobachtung 
wird  oft  zutretfen  —  oft,  nicht  immer:  in  den  meisten  Fällen  werden 
hinaufführende  Sätze  Steigerung  der  Kraft,  und  hinabführende 
Nachlaß  derselben  fordern.  Denn  Hinaufsteigen  im  Tongebiete, 
Steigerung  der  Kraft  und  der  Bewegung  sind  verwandte,  gleichsam 
synonyme  Äußerungen  gespannterer  Seelenbewegung  —  und  so 
Hinabsteigen  im  Tongebiete  Nachlaß  der  Kraft  und  Bewegung, 
xlußerungen  der  sich  beruhigenden  Seelenbewcgung. 

In  solcher  Weise  würde  z.  B.  der  erste  Satz^er  pathetischen 
Sonate  vorzutragen  sein.  Nach  dem  ersten  Tone,  f,  der  als  Haupt- 
taktteil und  nach  seinem  Längengewicht  Nachdruck  fordert,  muß 
die  Tonreihe  e  \f  y  as  h\  c  gesteigert  werden:  die  Synkope  muß 
Nachdruck  erhalten,  weil  sie  die  Wiederholung  des  ersten  c  ist, 
von  da  an  muß  wieder  gesteigert  werden  bis  zum  höchsten  c. 
Damit  übrigens  unter  der  zweimaligen  Steigerung  der  Nachdruck 
für  die  ersten  c  nicht  verloren  gehe,  muß  jede  Steigerung  mit 
einem  schwächeren  Stärkegrade  beginnen,  als  das  vorhergehende 
c  gehabt.     Man  könnte  den  Satz  so 


56 


bezeichnen;  nur  müßte  das  zweite  Glied  (von  c  an)  in  liöherm 
ytärkegrade  beginnen  nnd  zu  Ende  geben  als  das  erste,  und  aus 
jeder  gleichmäßig    sich  steigernden  Tonreihe    müssen   wieder    die 

Haupttaktteile  (7"  und  7)  durch  gelinden  Nachdruck  hervorgehoben 
werden*) 

Nach  demselben  Grundsatze  (wenn  ein  allgemeiner  Rat,  der 
hundert  Ausnahmen  zuläßt,  so  heißen  darf)  würde  der  erste  Satz 
der  kleinen  Fmoll-Sonate  (A) 


steigernd  bis  as  (mit  gelinder  i>ctonung  des  ersten  f)  und  dann 
weiter  abnehmend  —  ferner  der  k^eitcnsatz  (B)  nachlassend  mit 
Betonung  des  ersten  es  und  des  letzten  fes  vorzutragen  sein. 

Übrigens  ist  schon  bemerkt  worden,  daß  der  hier  erläuterte 
Grundsatz  keineswegs  ohne  Ausnahmen  durchzuführen  ist.  Eine 
wichtige,  ihm  oft  entgegenstehende  Rücksicht  ist  die  auf  die  ge- 
ringe Schallkraft  der  hohen  und  höchsten  Töne.  Will  man  diese 
Schallkraft  ungebührlich,  über  das  Vermögen  der  Saite  hinaus 
steigern,  so  hört  man  mehr  den  Klapp  des  Hammers  als  den 
Ton.  Es  werden  sich  aber  da,  wo  Steigerung  der  Schallkraft  un- 
tunlich ist,  Ersatzmittel  finden. 


*)  Beiläufig  zeigt  sich  hier  die  Bestätigung  des  S.  7  über  die  Un- 
zulänglichkeit der  Schrift  für  den  Vortrag  Bemerkten.  Zeichen  auf  Zeichen 
sind  oben  im  Notensätze  gehäuft  —  und  dennoch  ist  bei  weitem  nicht  alles 
genau  angegeben,  was  im  Vortrage  zu  beobachten  bleibt. 


57 


Beotboveiis  ßegleitimg*. 


Die  Trennung  von  Melodie  und  Bogleitung'  (wie  kurzwog  alles 
der  llauptstinune  Gegenüberstehende  einstweilen  genannt  werden 
soll)  ist  mit  dem  Wesen  der  Kunst  durchaus  unvereinbar.  Im 
Kunstwerk  ist  diese  sogenannte  Begleitung  ein  mit  der  sogenannten 
.Melodie  durchaus  einiges  und  untrennbares  Wesen.  Auch  im  Kom- 
ponisten geht  nicht  etwa  die  Melodie  voran  und  die  Bogleitung 
wird  hinterdrein  vorfertigt,  sondern  beides  erscheint  dem  Geiste 
des  Tonkünstlers  gleichzeitig,  und  wenn  allerdings  bisweilen  nur 
einzelne  ^Momente  des  in  der  Bildung  begritienen  Ganzen  im  Geist 
auftauchen,  so  können  sie  ebensowohl  der  Begleitung  angehören 
als  der  Hauptstimme.  Von  dem  Finale  der  Fmoll-Sonate  Op.  57 
ist    die    sturmvolle  Begleitungsligur  Beethoven   zuerst  erwachsen. 

Jene  Trennung  ist  nur  um  des  genauem  Einblicks  willen  unter- 
nommen, wie  das  Messer  des  Anatomen  die  zusammengehörigen 
Glieder  und  Teile  trennt,  um  ihre  Beschaffenheit  und  ihren  Zusammen- 
hang gründlicher  darzulegen.  Der  Begriff  des  Zusammenhangs,  des 
Ineinanderwirkens,  des  Lebens  muß  die  Untersuchung  krönen. 

Was  oben  kurzw-eg  Begleitung  genannt  worden,  schUeßt 
wenigstens  dreierlei  verschiedene  Gestaltungen  in  sich.  Erstens 
wirkliche  Begleitung,  eine  Tonmasse,  die  keinen  eigentümlich  ge- 
zeichnoten  Inhalt  hat,  sondern  handgreiflich  nur  für  den  Dienst 
der  Hauptstimme,  sie  zu  tragen  und  zu  stützen  bestimmt  ist.  In 
dem  S.  40  angeführten  Satze  aus  dem  Bdur-Trio  stehen  Melodie 
und  wirkliche  Begleitung  einander  klar  unterscheidbar  gegenüber. 
Zweitens  unterscheidet  sich  von  dieser  reinen  Begleitung  eine 
Gegenstinmie  oder  ein  Ver))and  von  mehreren  Gegenstimmen,  die 
eigentümlich  ausgeprägten  Inhalt  haben,  aber  denselben  einer  un- 
leugbar vorherrschenden  Hauptstimme  unterordnen.  So  ist  im 
Finale  der  großen  Fmoll-Sonate  der  Fall.  Drittens  endlich  tritt 
in  den  polyphonen  Sätzen,  namentlich  in  der  Fuge,  gar  keine 
Hauptstimme  gegen  Nebenstimmen  atif,  sondern  jede  Stimme  nimmt 
(Ausnahmen  beiseite  gelassen)  gleichen  Anteil  am  Ganzen. 

Daß  in  all  diesen  Fällen  jedem  Teil  des  Ganzen  gleiche  Be- 
rücksichtigung  zuteil    werden  muß  wie  der  sogenannten  Melodie 


58 


oder  Haiiptstimmc,  leuchtet  ein.  Jede  Partie  gehört  zum  Ganzen, 
in  jeder  lebt  und  webt  der  Geist  des  Tondichters.  Dies  vor  allem 
sei  hier  eingeschärft:  man  übereile  sich  nicht  bei  der  Auffassung 
und  dem  Studium,  indem  man  sich  aut  das  wirklich  oder  ver- 
meintlich Vorherrschende  allein  einläßt  und  das  vermeintlich  Un- 
bedeutende versäumt.  Bei  Beethoven  —  von  dieser  Voraussetzung 
muß  man  ausgehen  —  ist  nichts  unbedeutend.  Es  mag  eins  mehr 
Gewicht  haben  als  das  andre.  Aber  auch  das  Untergeordnete  gehört 
wesentlich  zum  Ganzen,  auch  in  ihm  hat  der  Geist  gewaltet  und 
es  zur  Mitwirkung  bestimmt.  Die  unscheinbare  Begleitung  aus  dem 
Finale  der  kleinen  Fmoll-Sonate  hat  sich  (S.  41)  sehr  bedeutsam 
erwiesen.     Die  Viertelschläge  im  Basse  der  Ddur-Sonate  Op.   28 


Allcgro. 


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sind  kein  mechanisches  Klopfen;  sie  haben  Leben  in  sich,  sie 
dringen  an  und  weichen  zurück;  auch  in  ihnen  weht  der  Geist 
des  Dichters,  und  man  hat  ihn  nicht  verstanden,  wenn  man  ihn 
nicht  auch  in  den  24  Takten  dieses  einen  Tons  erkennt  und  geltend 
macht.  Der  rechte  Beethovenspieler  legt  seine  Seele  in 
jeden  Ton;  denn  Beethoven  selber  hat  dasselbe  getan. 

Hat  man  nun  Inhalt  und  Bedeutung  jeder  Stimme  im  Gegen- 
satz zu  den  andern  erkannt,  so  müssen  alle  Spielmittel  darauf 
hingerichtet  werden,  jede  für  sich  kenntlich  zu  machen  und  ihrem 
Charakter  gemäß  durchzuführen.  Dies  darf  selbst  da  nicht  ver- 
säumt werden,  wo  die  Sonderung  scheinl)ar  ganz  inhaltlos  ist.    Oft 


50 


vcrhin..i  Hootl.ovon,  >lai:.  in  .ler  einen  Slininic  ein  Tm.  anssel.altou 
xvenlor Nväl.ren.l  doi-selbe  Ton  in  einer  andern  /nni  Anlang-  n-gend- 
oinoi-  Vism  n.lor  Melodie  dient:  so  in  diesem  Tal<to  (A) 

^        A  ^^ jarj -fea-n/ 


^g^i^f^^^ii^^^^ 


•  ^   •  '    -     rs-^  4 


der  Gdur-Sonate  Op.  31.     Die  linke  Hand  hat  drei  Stimmen   zu 
bc^or-veu      Erstens  das  große  G,  das  der  kleine  Finger  durchweg 
■^u^halteu  mul.V.  zweitens  das  kleine  g,  das  jedesmal  ein  Viertel  lang 
•lu^zuhaltcn    ist;    drittens  zwischen   beiden  auszuhaltenden  Tonen 
die  Finir   die  oben  bei  B  noch  einmal  besonders  abgedruckt  ist') 
und  dtc  vom  kleinen  <,  ausläuft.    Dem  gewöhnlichen  Klavierspieler 
<^ilt  es   nur   als    ..theoretische  Umständlichkeit"  oder  Pedanterie, 
wenn  dicscllio  Note  auf-  und  abwärts  gestrichen  wird;  der  rechte 
Musiker  sieht  darin  nicht  bloß  das  Zeichen,  daß  hier  zwei  Stimmen 
zusammcntreften,  sondern  will  auch  das  zu  Gehör  bringen.   Dieses 
kleine  g    das  Beethoven  jedesmal  so  sorgfältig  auf-  und  abwärts 
<trcicht,  muß  schärfer  (sf)  angeschlagen  und  ausgehalten  werder,, 
und  die  folgenden  Töne  der  Figur  müssen  sanft  nachfolgen.    Auch 
das  tiefe  G  muß  fest-  und,    soweit  das  Instrument  gewährt,  lort- 
klin^'cnd  erhalten  werden,    damit  es  eine  ruhige  Grundlage   bilde, 
nich^t  die  bewegliche  Figur  Unterlage  werde  und  damit  die  Paiho 
des  Schlusses  störe,  der  sich  hier  bildet. 

lüsweilen  scheint  es  sogar  ratsam,  fest  aneinander  geknuptte 
Stimmen  taktisch  um  ein  Unmerkliches  zu  trennen,  oder  eine  von 
ihnen  um  ein  Geringes  in  der  Geltung  zu  verkürzen,  damit  die 
wichtigere  Stimme  hervortrete.  Dies  könnte  wohl  in  dem  CmoU- 
Satze  desselben  Adagios  der  Fall  sein,  dessen  Melodie 

*)  Das  Festhalten  dos  Daumens  und  kleinen  Fingeis  an  g  und  G  voraus- 
gesetzt, ist  der  bei  B  gegebene  Fingersatz  unvermeidlich,  das  Abgleiten  des 
zweiten  Fingers  von  e»  auf  d  übrigens  leicht. 


60 


±Z- — — bg— g^g-# 


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"t7*" 


— b'i — , 


\ä    i>-w—äi 


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(A)  in  Oktaven  verdoppelt  wird  Die  Verdopplnng  ist  dem  großen 
f^inne  der  Melodie  gemäß,  aber  der  ganze  8atz  ist  fein  und  zart 
gehalten,  und  diese  Grundstimmung  kehrt  sich  nach  6  Takten  un- 
verkennbar wieder  hervor.  Hier  dürfte  —  was  bei  häufiger  An- 
wendung leicht  schlaff  und  hinfälUg  erscheint  —  die  bei  B  an- 
gedeutete Vortragsweise,  jedoch  nur  zw^ei  Takte  weit,  anwendbar 
sein,  welche  die  feinere  Oberstimme  hervorhebt.  Weiterhin,  bei  C, 
müssen  die  Oktaven  vor  dem  Mittelton  vorherrschen;  sie  müssen 
stärker  angeschlagen  und  der  Mittelton  mag  um  ein  kleines  (Vs 
oder  Vu;)  abgekürzt  werden. 

Wieder  an  andern  Stellen  wird  der  Gegensatz  von  gebundnem 
und  gcstoßnem  Spiel  helfen.  Wenn  man  nur  erst  den  Sinn  er- 
kannt hat,  wird  das  Mittel  sich  leicht  finden. 


Zeitmass  und  Taktmass. 


Die  bislierigen  Betrachtungen  hielten  sich  am  allgemein 
GosetzHchen  und  Vorgeschriebenen,  oder  entfernten  sich  nur  un- 
merklich von  ihm.  Allein  wo  finden  sich  im  Kreise  des  freien 
Geistes  und  ^ar  der  Wallungen  des  Gemüts  und  der   imgebundeu 


61 

schwciteiulon  Phantasie  iinverbrüchlicho  und  lest  zutretliMide  Ge- 
setze? AVer  in  diesem  Reiche  ^vandehl  und  wirken  ^vill,  mul.)  durch 
alle  Vorschriften  hindurch,  und  nötigenfalls  gegen  sie,  zu  dem  einen 
und  einzig  unverbrüchlichen  A^ernunftgesetze  vordringen:  nur  der 
Idee,  dem  Wesen  seiner  Aufgabe  Folge  zu  leisten. 

Dies  ist  jetzt  in  bezug  auf  Zeitmaß  und  Taktmaf.),  und  zwar 
zu  den   P.eethovenschen  Werken  aufzuweisen. 

1.    Zeitmaß. 

Das  Zeitmaß  (Tempo)  ist,  wie  man  w-eiß,  der  allgemeinste 
Ausdruck  der  .1  Bewegung  für  einen  Tonsatz  und  damit  der  Erregung, 
in  welcher  derselbe  hervortreten  und  wirken  soll.  Es  komnU  also 
vor  allem  darauf  an,  das  richtige  Zeitmaß  ausfindig  zu  machen 
und  dann  zu  befolgen. 

Das  letztere  zu  bewerkstelligen,  ist  Hache  der  allgemeinen 
Musikbildung.  Das  erstere  scheint  gar  leicht;  denn  die  Komponisten 
selbst,  wenigstens  die  neuern  und  unter  ihnen  Deethoven,  schreiben 
ja  das  Zeitmaß  vor. 

Wenn  die  Vorschrift  nur  deutlich  wäre  und  stets  zutreffend! 
Dies  ist  aber  keineswegs  der  Fall. 

Hinsichts  der  alten  l>ezeichnungen  —  AUegro,  Adagio  usw\ 
—  ist  das  seit  einem  halben  Jahrhundert  anerkannt  worden.  Man 
weiß  wohl,  daß  die  Allegrobewegung  schneller  sein  soll  als  die 
des  Adagio.  Aber  welches  ist  nun  das  genaue  Maß  dieser  Be- 
wegungen? und  sind  die  mit  ein  und  demselben  Tempo  bezeichneten 
Tonsätze  wirklich  alle  von  gleicher  Bewegung?  — 

Diesen  Zweifeln  hat  bekanntlich  der  Mälzelsche  Metronom*) 
abhelfen  sollen,  mittelst  dessen  genaue  Maße  der  l^ewegung  an- 
gegeben werden  können. 

Beethoven  hatte  sich  für  den  Gebrauch  des  Metronomen  er- 
klärt und  einige  Kompositionen  metronomisiert,  z.  1>.  die  Sym- 
phonien und  teilweise  die  Quartette  bis  Op.  95  einschließlich; 
unter  den  Klavierwerken  nur  die  große  Sonate  C)p.  106.**) 

*)  Ein  Pendelwerk,  das  in  einer  Minute  eine  gewisse  durch  die  Stellung 
des  Pendels  bestimmbare  Anzahl  von  Schlägen  macht.  Vgl.  Beeth  ,  L.  u.  Seh. 
4.  Aufl.,  II,  S.  25  u.  S.  220.  * 

**)  Bekanntlich  sind  die  Werke  Beethovens  von  spätem  Herausgebern 
(z.  B.  von  Czemy  und  Mosch eles)  verschiedentlich  metronomisiert  worden. 
Solche  Angaben  können  natürlich  nur  als  individuelles  Dafürhalten  der 
Herausgeber  gelten  und  dürfen  nicht  ohne  eigne  Prüfung  angenommen  werden. 


62  

Bei  der  nennten  ^ympliouie  ereignete  sich  aber,  daß  der 
Meister  bei  zwei  Anlässen  nnversehens  zwei  erheblich  abweichende 
Metronomisiernngen  erließ.  Und  zuletzt  erklärte  er:  „Gar  kein 
Metronom!  Wer  richtiges  Gefühl  hat,  braucht  ihn  nicht;  und  w^er 
CS  nicht  hat,  dem  nützt  er  doch  nichts." 

Man  sieht  daraus,  daß  Beethoven  den  Wert  des  Metronomen 
nicht  überschätzte.  Mag  das  Instrument  immerhin  dem  Kom- 
ponisten wertvoll  sein  zur  Sicherstellung  des  von  ihm  gewünschten 
Haupttempos  —  unbedingte  Bestimmung  des  Zeitmaßes  ist  dem 
Geiste  der  Kunst  gar  nicht  entsprechend.  Das  Zeitmaß  bestimmt 
sich  nicht  bloß  nach  dem  Sinn,  aus  dem  ein  Tonwerk  hervor- 
gegangen, und  nach  dem  gar  mannigfachen  Inhalte  desselben;  auch 
die  jedesmalige  Stimmung  des  Ausführenden,  die  Masse  des  Schall- 
materials (ob  ein  Orchester  reicher  oder  sparsamer  besetzt  ist), 
die  Weite  des  Eaums,  in  dem  die  Schallwellen  sich  verbreiten 
sollen,  fordern  Berücksichtigung.  Hiermit  hängt  wohl  (wenigstens 
teilweise)  zusammen,  was  Czerny,  Generalin  von  Ertmann  und 
andre  mehr,  die  mit  Beethoven  viel  verkehrt,  einstimmig  versichert 
haben:  daß  ,  Beethoven  seine  Kompositionen  beinahe  jedesmal 
anders  vorgetragen. 

]\Ian  muß  also  zu  den  alten  Bezeichnungen  zurückgreifen,  die 
wenigstens  ungefähre  Bestimmung  geben  und  dem  subjektiven  Ge- 
fühl wie  der  Forderung  des  Moments  künstlerisch  günstigen  Spiel- 
raum neben  genügendem  Anhalt  gewähren. 

Allerdings  haben  die  alten  Tempobezeichnungen  selbst  ihre 
]\raße  verändert;  man  nimmt  jetzt  das  Tempo  viel  lebhafter; 
Mozarts  Wort  über  „Verhunzung"  seiner  Kompositionen  durch 
Übertreibung  des  Tempo:  —  „Da  glauben  sie,  hierdurch  soll  es 
feurig  werden;  ja,  w^enn's  Feuer  nicht  in  der  Komposition  steckt, 
so  wird's  durchs  Abjagen  wahrlich  nicht  hineingebracht,"  —  dies 
wahre  Wort  hat  gegen  die  Hast  der  Eitelkeit  und  Innern  Leere, 
die  sich  so  leicht  fühlt,  nicht  standhalten  können.  Indes  muß  man 
auch  zugeben,  daß  der  Streit  über  das  Zeitmal.)  niemals  zu  Ende 
kommen  kann,  weil  dasselbe  zuletzt  von  Subjektivität,  augen- 
blicklicher Stimmung  usw.  (S.  7)  abhängt.  Der  durchgreifende 
Grundsatz  bleibt  wohl:  je  tiefer  und  reicher  der  Inhalt,  desto 
weniger  gestattet  er  Überhincilen.  Für  den  Vortrag  des  gewicht- 
voll auf  wichtige  Ziele  losdringenden  Jlcdners  paüt  nicht  der  Takt 
losen  Mädchengeplauders,  jedes  hat  seine  Art  und  sein  Recht. 

Anziehend    ist   es,    daß  in  Beethoven  selbst  hinsichts  dieses 


63 

Punkts  eine  Wandlung-  vorgegangen  ist.  In  seiner  Virtuosenzeit, 
als  er  seine  Konzerte  noch  selber  spielte,  liiirte  1808  Reichardt 
ihn  das  G  dur-Konzert  ötVentlich  vortragen,  ein  Konzert,  wie  er 
sagt,  „von  ungeheurer  Schwierigkeit,  welches  Beethoven  zum  Er- 
staunen hrav  in  den  allerschnellsten  Tempis  ausführte."  Dem- 
gegenüber linden  sich  in  den  Konversationsheften  aus  dem  Frühling 
1824  höchst  merkenswerte  Äußerungen  Schindlers.  Dieser  sagt 
dem  ]\Ieister  nach  der  Probe  zu  der  am  7.  Mai  1824  stattgehabten 
Akademie:  ,Jch  hätte  Sie  gestern  in  der  Probe  umarmen  mögen, 
als  Sie  uns  allen  die  Gründe  angaben,  warum  Sie  jetzt  Ihre  Werke 
anders  fühlen,  als  vor  15--20  Jahren.*) 

„Ich  gestehe  aufrichtig,  daß  ich  in  frühern  Jahren  öfters  mit 
diesem  oder  jenem  Tempo  nicht  einverstanden  war,  weil  ich  es 
anders  fühlte,  nämlich  die  Bedeutung  jener  Musik. 

..Auch  bei  den  Proben  in  der  Josephstadt  war  es  schon 
deutlich  erkennbar  und  vielen  auffallend,  daß  Sie  .die  Allegros 
alle  lan«-samer  haben  wollten  als  früher.  Ich  merkte  mir  den 
Grund  gut. 

..Ein  ungeheurer  Unterschied!  Was  tritt  so  alles  in  den  Mittel- 
stimmen heraus,    was  früher  ganz  unhörbar,   oft  verworren  war." 

Mit  diesem  Wechsel  in  der  Wahl  des  Zeitmaßes  mag  es  w^ohl 
zusammenhängen,  daß  selbst  die  von  Beethoven  angegebenen  Be- 
wegungsgrade nicht  ohne  sorgliche  Prüfung  hingenommen  werden 
dürfen;  jene  ältere  Bezeichnuugsweise  gibt  ja  ohnehin  kein  genaues 
Zeitmaß.  So  scheint  der  erste,  mit  „Allegro  assai"  bezeichnete  Satz 
der  großen  Fmoll-Sonate  wegen  seines  zwar  einfach  gestalteten, 
aber  sehr  tiefen  und  Nachdruck  fordernden  Inhalts  doch  nicht  allzu 
geschwind  angeführt  werden  zu  dürfen.  So  dürfte  bei  allzu 
schneller  Ausführung  des  mit  „Presto"  bezeichneten  Finale  dci' 
F  dur-Sonate  Op.  10  der  Humor  des  Satzes  verloren  gehen,  in 
Sachen  des  freien  Geistes  kann  eben  nicht  der  Buchstabe,  kann 
nur  der  freie  Geist  entscheiden. 

Wer  aber,  alle  übrigen  Bedingungen  vorausgesetzt,  über  das 
Zeitmaß  sicher  entscheiden  will,  der  darf  sich  ja  nicht  vor- 
schnell dem  Eindrucke  des  ersten  Satzes  überlassen;  er  muß  die 
übrigen  Sätze  zu  Kate  ziehen,  die  mit  jenem  auch  innerlich  ein 
zusammenhängendes  Ganze  bilden.  ]\lan  könnte  geradezu  sagen: 
er  muß  das  Ganze  zu  Rate  ziehen,    um  sich  über   das  Ganze  zu 


')  Zwischen  den  Absätzen  muß  man  sicli  Boothovcns  Antworten  denken. 


64 

entscheiden;  allein  es  ist  vorteilhaft,  entscheidende  Momente 
hervorzuheben. 

Nun  enthält  jeder  größere  (über  die  Liedform  hinausgehende) 
Satz  zwei  oder  mehr  Hauptmomente,  Haupt-  und  Seitensatz, 
Haupt-,  Seiten-  und  Schlußsatz  genannt;  jede  hier  genannte  Partie 
kann  auch  mehr  als  einen  Satz  in  sich  halten.  Alle  diese  Sätze 
sind  die  Hauptmomente  der  Komposition,  aber  zugleich  die  maß- 
gebenden Momente  für  die  Bestimmung  des  Tempos:  das  Tempo 
muß  allen  diesen  Momenten  gemäß  sein,  nicht  etwa  bloß  einem. 
Nur  ein  paar  Beispiele. 

Der  erste  Satz  der  D  dur-Sonate  Op.  10  ist  „Presto"  be- 
zeichnet, und  mit  Recht.  Aber  was  will  das  sagen?  über  Allegro 
hinaus  gibt  es  noch  gar  viele  Stufen  der  Bewegung.  Dem  ersten 
Satze  (Thema)  nach  zu  urteilen 


PiCSlO. 


und 


^ 


zz==:::i: 


--1- 


^  -^  -^  -^       ' 


könnte  man  die  P)ew^egung  sehr  schnell  nehmen.    Allein  bald  folgt 
ein  zweiter  Satz  der  Hauptpartie  in  H  moll. 


der  .sinniger,  weniger  ungestüm  als  der  erste  cinhertritt.  Dasselbe 
gilt  vom  Seitensatze,  von  der  Durchführung  des  ersten  Motivs 
ul  \  eis  h  a)^  von  der  majestätischen  Krönung  derselben,  vom 
zweiten  Schlußsatze  —  es  ist  ratsam,  sich  nicht  im  Tempo  zu 
übernehmen. 

Dasselbe  ließe  sich  für  den  ersten  Satz  der  E  moU-Sonate 
Op.  90  raten;  hier  mahnt  schon  die  Viel-  und  Fehigliedrigkeit 
des  rhythmischen  Baues  zur  Mäßigung. 

Sodann  betrachte  man  den  ersten  Satz  der  großen  P  moll- 
Sonate.  Die  Cbersclirift  ist,  wie  gesagt,  Allegro  assai,  und 
könnte  zur  Übertreibung  verleiten;  der  Hauptsatz  (S.  4:J)  könnte 
hastige  Naturen  zu  fli(5gendem  Spiel  verleiten,  wiewohl  schon  das 
mahnende  Des  Des  Des  \  0  warnt.  Nun  blicke  man  aber  auf  den 
Feiergesang  des  Seitensatzes! 


65 

dolce 


8vn,^ 


.»s*s^/%^  ■w.^.^s^  ^.^^  -r-r^  'f^-r~^-»^^-^^^r  .^^^^.^^^-v-v^-vv*^^^'^-*vr'*v*v* 


soll  d(^r  auch  vorüberhuschen':'  —  und  sollte  der  rebelhsch  häm- 
mernde Sechzehntelsatz  nicht  mehr  bedeuten  als  eine  ilüchtige 
Arpeggien- Etüde?  — 

Endlich  blicke  man  auf  das  Finale  der  A  dur-Sonate  Op.  101. 
lieethoven  hat  es  mit  „Allegro"  bezeichnet,  dann  aber  noch  über- 
geschrieben: ,, Geschwinde,  doch  nicht  zu  sehr  und  mit  Entschlossen- 
heit." Für  einen  tüchtigen  Spi(der  ist  es  nicht  unerreichbar,  den 
Satz  etwa  noch  einmal  so  geschwind  zu  spielen,  als  sich  gebührt. 
Aber  werden  die  Zuhörer  auch  imstande  sein,  alle  Stimmen  zu 
vernehmen  und  durchzufühlen,  die  das  polyphone  Gewebe  bilden?  — 
Es  bleibt  dabei,  der  Inhalt  des  Ganzen  muß  zu  Rate  gezogen 
werden,  wenn  man  das  Zeitmaß  richtig  treffen  will. 

Noch  eine  besondere  Hilfe  bietet  sich  denen,  die  geneigt  sind, 
aus  Ungestüm,  oder  Behagen  an  glänzender  Darstellung,  oder  auf 
x\ntrieb  des  Ehrgeizes  (um  sich  als  eminente  Spieler  zu  zeigen)  das 
liewegungsmaß  zu  übertreiben.  Vergebens  ist  oft  bei  so  gesinnten 
Spielern  die  Erinnerung  an  Inhalt  und  ('harakter  der  Komposition: 
sie  sind  gar  nicht  willens,  denselben  ihrem  persönlichen  Naturell 
zum  Opfer  zu  bringen,  sie  handeln  unbewußt. 

^lit  solchen  Spielern  muß  aus  ihrem  eignen  persönlichen  Inter- 
esse heraus  unterhandelt  werden.  .,Wenn  ihr  nun  wirklich,"  — 
muß  man  sie  fragen,  —  „diese  Finales  der  Sonaten  Op.  26,  27-, 
53,  57  noch  ein-  pder  zweimal  so  schnell  spielt,  als  sich  gehört: 
werden  diese  Sätze  dadurch  wirkhch  glänzend?  bieten  sie  wirklich 
gute  Gelegenheit,  euch  als  IJravourspieler  zu  zeigen?  —  Vergleicht 
sie  mit  Etüden  und  Konzertstücken,  die  wirkhch  auf  Glanz  und 
Hravour  angelegt  sind,  und  ihr  werdet  sogleich  den  Unterschied 
gewahr  werden,  werdet  erkennen,  daß  jene  Sätze  (und  noch  so 
viclcj  andern  Zielen  zustreben,  die  man  wohl  verkennen  und  ver- 
fehlen, nimmermehr  aber  verwandeln  kann.  Ihr  verderbt  das  Werk, 
ohne  damit  euren  Zweck  zu  erreichen." 

2.  Taktmaß. 

Das  Grundgesetz  des  Taktraaßes  ist  allbekannt:  alle  Takt- 
teile eines  Tonsatzes  haben,  solange  das  Zeitmaß  nicht  ausdrücklich 

Marx,  Anl.  z.  Vortrag  Beeth.  Klav.- Werke.  5 


66 

wechselt,  gleiche  Länge.  Dies  und  die  Anwendung  desselben 
Gesetzes  auf  die  Taktglieder  ist  Grundregel:  die  Taktfestigkeit 
bis  zu  Yollkommner  Ausübung  dem  »Schüler  anzueignen,  ist  eine 
der  ersten  Pflichten  des  Lehrers;  auf  ihr  beruht  die  Ordnung  der 
Ausführung,  ilirc  Versäumnis  droht  Zerrüttung  für  das  Spiel  und 
zuletzt  für  den  Musiksinn  des  Spielers  selbst.  Ein  taktloser 
Spieler  ist  ein  schlechter  Spieler. 

So  gewiß  das  alles  ist,  finden  doch  wie  bekannt  zahlreiche 
Abweichungen  von  dieser  grundgesetzlichen  Taktfestigkeit  statt. 
Bei  allen  Komponisten  findet  man  sie  sogar  bald  (durch  „accele- 
rando,  ritardando"  usw.)  vorgeschrieben,  bald  im  Inlialte  des 
Satzes  begründet.  i>ei  keinem  Komponisten  sind  aber  diese  Ab- 
weichungen häufiger  geboten  als  bei  Beethoven;  bei  ihm  muß  man 
neben  der  Taktfestigkeit  die  Taktfreiheit  begreifen  und  anwenden 
lernen,  wenn  man  seinem  Gedankengange  genugtun  will.  — 

Beiläufig  zeigt  sich  hier  wieder  ein  triftiger  Bestimmuugs- 
grund  für  die  Zulassung  der  Schüler  zu  Beethovenschen  Werken,  — 
wenigstens  zu  denen,  welche  Taktfreiheit  fordern.  Wer  nicht  bereits 
Taktfestigkeit  zu  vollem  Genügen  erworben,  kann  nicht  ohne  Ge- 
fährdung zur  Taktfreiheit  gelassen  werden. 

Welche  Bedeutung  haben  nun  die  beiden  Gegensätze:  Takt- 
festigkeit und  Taktfreiheit?  Dies  muß  man  erwägen,  um  beide 
nebeneinander  anzuerkennen  und  jedes  an  seinem  Orte  zur  Geltung 
zu  ])ringen. 

Taktfestigkeit,  Gleichmaß  in  der  Bewegung  mag  in  ein- 
zelnen Momenten  ;\usdruck  des  Innern  Gleichgewichts,  der  Gemüts- 
i'uhe  sein.  Allein  diese  Gleichmütigkeit  kann  in  der  musikalisch 
bewegten  und  erregten  Seele  nicht  als  normaler  Zustand  gelten, 
nicht  in  der  Mehrzahl  der  musikalischen  Momente  vorhanden  sein. 
Zu  diesen  Momenten,  in  denen  das  Gleiclimaß  nach  innerlichem 
Gesetz  waltet,  kommen  noch  andre  hinzu,  für  die  irgendein  äußer- 
liches Gesetz  Gleichmäßigkeit  der  Bewegung  bedingt.  Dies  ist  der 
Fall  bei  Märschen,  Tänzen,  bei  denen  das  Gleichmaß  der  ]\Iarsch- 
oder  Tanzbewegung  das  des  Taktes  bedingt.  Mehr  oder  weniger 
mag  es  au(^h  der  Fall  ])ei  solchen  Werken  sein,  deren  Inhalt  und 
Zweck  den  tiefern  Gemütsbewegungen  fern  bleibt;  so  i^eethovens 
Sonaten  Op.  22,  54,  53,  das  Finale  der  Sonate  Op.  2()  und  juanche 
Sätze  —  mehr  oder  weniger. 

Taktlreiheit,  nämlich  die  Kntbundenheit  vom  Gleichmaß 
der  Bewegung,    ist   Gegensatz   zur    Gleichninßwirkung    und  Aus- 


67 

ilniclv  dos  freiiiewonlenon  iiiul  zu  regorm  Ijebeii  erweckten  Ge- 
niiitv^.  Für  diese  Erregung-  kann  kein  Gleichnial.)  bestehen,  die 
liewegiing  mul.')  der  Art  und  ]\lacht  der  Antriebe  folgen;  dem  Auf- 
und  Abwogen,  dem  Vordringen  und  Zagen  des  Gemüts  nm(.)  die 
Äul.>erung  in  Ton  und  Wort  und  Gebärde  —  wenn  sie  Avalir  sein 
soll  —  entsprechen:  das  ist  das  Wesen  der  IMusik,  wie  der 
Rede,  von  Cirund  aus,  durch  und  durch.  Taktfreiheit,  so  mul.) 
man  sagen,  ist  für  die  erhöhtem  liebensmomentc  Naturwahrlieit 
und  Naturgesetz.  Sie  ist  auch  das  Ursprüngliche,  man  hat 
.jahrtausendelang  musiziiut,  ehe  das  Gebäude  des  Taktwesens  auf- 
geführt war.  Dann  folgte  erst  die  Taktfestigkeit  als  höchst-,  aber 
nicht  allberechtigte  Forderung  des  Verstandes,  um  die  für  sich 
allein  halt-  und  uferlose  Gemütsbewegung  zu  mäßigen,  der  ohne- 
hin wallenden  und  schwankenden,  innerlich  unentschiedenen  und 
unbestimmten  Tonsprache  am  Gleichmaß  der  taktischen  Momente 
sichernden  Halt  zu  verleihen. 

Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  treten  beide  Gegensätze,  Frei- 
heit und  Gesetzlichkeit,  in  ihr  gebührend  Recht.  Man  beharre  bei 
der  letztern,  weil  und  soweit  sie  Vorschrift  des  Komponisten  ist. 
Aber  man  sei  mutig  und  pflichttreu  genug,  von  ihr  zu  freiem 
^laßen  überzugehen,  wo  man  sich  überzeugt,  daß  damit  und  nicht 
anders  dem  eigentlichen  Wollen  und  den  Antrieben  des  Kom- 
ponisten genuggetan  werden  kann.  Daß  derselbe  darül)er  nicht 
allemal,  verhältnismäßig  selten  ausdrückliche  Vorschrift  erteilt  hat, 
soll  uns  nicht  hemmen;  wir  wissen,  daß  es  dem  Komponisten  un- 
nK'iglich  ist,  seine  Absichten  auch  nur  annähernd  aufzuzeichnen  — , 
und  wenn  er  (S.  7)  das  Papier  halb  schwarz  malen  wollte. 

Auch  hier  also  kommt  es  darauf  an,  die  Absicht  des  Kom- 
ponisten zu  erkennen,  durch  die  Schrift  hindurch  und  über  die 
Schrift  hinaus  in  seinen  Geist  zu  dringen. 

Wie  hat  es  nun  lieethoven  selber  mit  diesem  Gegenstande 
gehalten?  — 

Der  früheste  Zeuge  ist  Ries,  der  1801,  siebzehn  Jahre  alt, 
nach  Wien  kam  und  mehrere  Jahre  Beethovens  Klavierschüler 
war.  Kr  sagt  von  Beethoven:  „Im  allgemeinen  spielte  er  selbst 
seine  Kompositionen  sehr  launig,  blieb  jedoch  meistens  fest  im 
Takte  und  trieb  nur  zuweilen,  jedoch  selten,  das  Tempo  etwas. 
^litunter  hielt  er  in  seinem  crescendo  und  ritardando  das  Tempo 
zurück,  welches  einen  sehr  schönen  und  höchst  auffallenden  Effekt 
machte."  —  Hier  erscheint  Taktfestigkeit  als  das  Vorherrschende: 


68 

„ziiAveilen"  soll  geeilt,  „mitunter"  gezögert  worden  sein,  und  zwar 
mit  „höchst  auffallendem  Eftekt'*. 

Anders  spricht  Schindler  sich  aus:  „Was  ich,"  sagt  er, 
,,von  Beethoven  immer  vortragen  hörte,  war  mit  wenig  Ausnahmen 
stets  frei  alles  Zwanges  im  Zeitmaße,  ein  tempo  rubato*)  im 
eigentlichsten  Sinne  des  AVorts,  wie  es  Inhalt  und  Situation  be- 
dingte, ohne  aber  nur  den  leisesten  Anklang  an  eine  Karikatur 
zu  haben."  Hier  wird  Taktfreiheit  als  das  Vorwaltende  in  Beet- 
hovens Spiel  bezeichnet,  aber  der  Verdacht  von  Ü))ertreibung  oder 
Mißbrauch  (Karikatur)  abgelehnt. 

Beide  Mitteilungen  stimmen  soweit  überein,  daß  sie  beide 
die  Anwendung  von  Taktfreiheit  bezeugen;  nur  tritt  dieselbe  bei 
Eies  als  Ausnahme,  bei  Schindler  als  vorherrschende  Spielweisc 
auf.     Woher  die  Abweichung? 

Ries  hat  Beethoven  bis  1805  gehört,  als  derselbe  die  bedeutend- 
sten und  geistfreiesten  Werke  noch  nicht  geschrieben  hatte.  Damals 
war  Beethovens  Wesen  selbst  noch  nicht  zu  voller  Freiheit  ent- 
wickelt, wie  der  unausgesetzt  und  unberechenbar  steigende  Fort- 
schritt in  seinen  Werken  beweist.  Voraussetzlich  hat  auch  Beet- 
hoven bei  seinem  Vortrag,  wenigstens  in  den  Lehrstunden,  auf  den 
dermaligen  Standpunkt  seines  Schülers  Rücksicht  genommen  und 
sich  nicht  frei  gehen  lassen,  um  kein  irreleitend  Beispiel  zu  geben. 
Endlich  ist  Ries  in  sich  selber  niemals  zu  jener  hohen  künstle- 
rischen Entwicklung  gelangt,  die  der  geistigen  Bewegungsfreiheit 
bedurft  hätte  oder  ihr  zugänglich  gewesen  wäre.  Das  beweisen 
seine  sonst  schätzbaren  Werke  und  Leistungen  am  Klavier,  wie 
seine  Urteile  der  Heldensymphonie,  der  Ouvertüre  zu  den  Ruinen 
von  Athen  usw.  gegenüber.  Als  ein  ganz  andrer,  mit  überlegner 
Geistesbildung,  trat  mehrere  Jahre  später  Schindler  zu  Beethoven 
und  bheb  als  Schüler  und  Freund  bei  ihm  bis  an  das  Ende,  konnte 
daher  den  vorgeschrittenen  Meister  beobachten.  „Seine  altern 
Freunde,"   bezeugt  er,    „die  der  Entwicklang  seines  Geistes  nach 


*j  Das  ^,teinpo  rubato"  war  eine  Mode  des  aclitzehnten  Jalnlmuderts, 
aus  dessen  letzter  Hälfte  und  aus  Italien  und  J^'rankreich  von  den  Sängern 
herstammend;  es  sollte  jene;  ontlmndnere,  tiefere  l^'ühlung  ersetzen,  die  den 
Kompositionen  selber  mangelte,  war  aber  oben  deshalb  eine  ll^nwahrheit  und 
mußte  bald  der  Reaktion  des  Verstandes  weichen.  Mit  diesei-  Modemanier 
(die  unter  anderm  in  Pergoleses  Stabat  mater  zutage  trat)  hatte  Beethoven 
nichts  gemein;  er  folgte  begreif! iclierweisc;  nur  dem  innorn  Antriebe,  dem 
Gebot  der  Sache,  wenn  er  zu  freier  Bewegung  griff. 


69 

jciler  l\iolitiin«i-  hin  aulnK^rksani  gefolgt  siiul,  versicherten,  daf.)  er 
diese  Vortragsweise  erst  in  tlcm  ersten  Jahre  seiner  dritten  Lebens- 
periode {yon  181  o  ah)  angenommen  und  von  der  rrühcrn  weniger 
nuancierten  ganz  abgewichen  sei/' 

Hier  liegen  also  zwei  Zeugnisse  vor,  ein  beschränktes  und  ein 
weitreichendes,  um  uns  in  einer  Überzeugung  zu  befestigen,  die 
im  Grunde  gar  keiner  Verstärkung  bedarf,  so  siclier  wurzelt  sie  in 
der  Natur  der  Saclie/-')  Zum  Überfluß  iindet  sich  noch  eine  authen- 
tische Erklärung  von  Beetlioven  selber.  Auf  dem  Autograph  des 
Liedes  „Nord  oder  Süd*',  in  Artarias  IJesitze,  steht  von  Beethoven 
deutlich  zu  lesen:  „100  nach  Mälzel,  doch  kann  dies  nur  A^on  den 
ersten  Takten  gelten,  denn  die  Empfindung  hat  auch  ihren  Takt, 
dieses  ist  aber  doch  nicht  ganz  in  diesem  Grade  (100  nämlich) 
auszudrücken."  Daß  dem  vorgeschriebenen  Hewegungsgradc  gegen- 
über die  Empfindung  „auch  ihren  Takt"  —  ihr  besonderes  Recht 
haben  soll,  ist  nicht  wissenschaftlicli,  aber  von  selten  des  Ton- 
künstlers ganz  artig  und  deutlich  genug  ausgedrückt. 

Genug  (wo  nicht  zuviel)  über  das  Recht  zur  Taktfreiheit, 
zur  Abweichung  von  dem  Gleichmaß  der  r)cwegung,  um  der 
Empfindung  in  solchen  Momenten  Ausdruck  zu  gewähren,  wo  sie 
sell)er  aus  dem  Gleichgewicht  ihrer  Bew^egung  geraten  ist. 

Die  Taktfreiheit  oder  x4Ll)weiclmng  vom  Grundmaß  der  Be- 
wegung kann  sich  nur  in  zweierlei  Weisen  zeigen :  in  Beschleuni- 
gung und  im  Zurückhalten  der  Bewegung.  Jede  dieser  Weisen  kann 
in  größerm  oder  minderm  Grade  statthabf^n,  kann  längere  oder 
kürzere  Zeit  herrschen,  beide  können  miteiiu\nder  wechseln;  — 
das  Wesenthche  ist  in  den  beiden  Begriffen  der  Beschleunigung 
und  Verzögerung  enthalten. 

Wo  tritt  nun  Beschleunigung,  wo  Verzögerung,  wo  der 
Wechsel  zwischen  beiden  ein? 

Beschleunigung  ist  naturgemäß  also  notwendig,  wo  die 
Gemütsbewegung  das  ursprünghche  Maß  überschreitet.  Ein  solcher 
Fall  ist  wohl  im  Adagio  der  (Jis  moll-Sonate  vorhanden.  Die 
.Melodie  bewegt  sich  still  und  gehalten,  sie  beharrt  durchaus  in 
gleicher  Seelen-,  folglich  auch  in  gleicher  Taktbewegung;   es  ver- 


*)  Auch  der  Verf.  hat  lange  vor  dem  Erscheinen  des  Schindlerschen 
Werks  seine  Überzeugung  gebüdet  und  durch  Wort  und  Schrift  und  Tat 
bekundet,  hat  aber  seine  Freude  an  der  Übereinstimmung  mit  dem  ver- 
dienten Manne,  der  den  Vorzug  genossen,  Beethovens  Schüler  und  Freund 
zu  sein 


70 

steht  sich,  daß  auch  die  begleitendeD  Achteltriolen  in  vollkommen 
gleicher  Be^yeglmg•  ausgeführt  werden.  Nun  aber  schließt  die 
Melodie  Takt  28  ab.  Man  mag  ihr  die  folgenden  vier  Takte  als 
Anhang  zurechnen:  jedenfalls  ist  von  Takt  32  die  Triolen- 
bev^egung  —  und  zwar  in  erweiterter  Führung  —  alleiniger  In- 
halt; erst  Takt  37  klingt  das  melodische  Motiv  des  .Vnhangs  vor 
und  Takt  42  kehrt  die  Melodie  wieder.  Jene  Stelle  von  Takt  32 
bis  37  entbehrt  des  Anhalts  einer  bestimmten  Melodie,  sie  verlangt, 
sie  strebt  danach,  bis  sie  Takt  37  ihr  nahetritt  und  Takt  42  sie 
erfaßt.  Anhaltlosigkeit  und  Verlangen  bedingen  hier  gesteigerte 
Bewegung,  die  jedoch  fern  von  lieidenschaftlichkeit  bleibt,  nur  der 
Ausdruck  einer  bald  überwundenen  Unruhe  sein  kann,  also  nur 
w^enig  das  Grundmaß  des  Satzes  übersteigt,  kaum  merklich  ent- 
steht und  bald  in  dasselbe  zurückkehrt. 

Ähnliche  Momente  würden  sich  aus  dem  ersten  Satze  der 
D  dur-Sonate  Op.  10  oder  dem  Scherzo  (man  verzeihe  den  Form- 
nanien)  der  andern  Phantasiesonatc  nach  dem  Trio,  wo  die  Viertel 
sich  in  Achtel  auflösen,  nachweisen  lassen. 

Zögerung  tritt  zunächst  ein,  wo  die  Spannung  und  Erregung, 
die  das  Grundmal.)  der  Bewegung  in  einem  Satze  gegeben,  nach- 
läßt. Es  bedarf  dafür  keiner  weitern  Erläuterung;  ein  einziges 
Beispiel  genügt,  das  der  erste  Satz  der  Sonate  „Les  adicux" 
(Op.  81)  darbietet.  Gegen  das  Ende  des  ersten  Satzes  scheinen 
die  Rufe  der  voneinander  Scheidenden  an  dieser  Stelle 


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4^         ^  \>* 


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und  dieser  b<'i  A 


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L.^-^ 


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Eä^E^^fe^ 


zi^izi^-zikzi^ 


iiiid  vollends  bei  ihrer  Fortführung  von  B  an  (überhaui)t  von  A  au 
19  oder  21  Takte  weit)  immer  ferner  und  ferner  und  ersterbend  zu 
wechseln.  Abnahme  im  Stärkemal.)  (decrescendo)  kann  erst  von 
Takt  13  an  mit  voller  Wirkung,  bis  ziun  Verhallen,  stattiinden;  das 
entscheidendere  Vortragsmittel  ist  allmählich  verzögerte  l^ewegung. 


71 


Die  tülireude  Achtelbewogung  strebt  nach  dem  ursprüiiolidien  Zcii- 
mai:.  zurück:  aänzlicli  kann  es  niclit  wiederher-estollt  werden. 
Eilen  und  Züi^-ern  werden  auch  oft  n()tij>-,  um  vom  entgcgen- 
i^esetzten  Moment  zum  Grundmaß  zurUckzulenkcn,  damit  die  Rück- 
kehr nicht  zu  einem  jähen  Sprung-  werde.  Aus  diesem  Grunde 
scheint  es  besser,  die  oben  angeluhrie  Zögerung  schon  bei  Takt  19 
alhnählich  aufzugeben.  So  dürfte  auch  bei  dem  aus  der  (^ismoll- 
Sonate  angeführten  Satze  die  Wiederkehr  des  Anhangs  (Takt  37 
bis  42)  dazu  benutzt  werden,  aus  der  beschleunigten  P,ewegung 
zur  ursprünglichen  zurückzulenken. 

i;esonders  erwägenswert  ist  noch  die  Verwendung  des  Zögerns 
oder  Zurückhaltens  als  Ausdruck  des  Besinnens  oder  eines  Nach- 
drucks zu  dessen  VerwirkUchung  erhöhte  Schallkraft  nicht  gemäß, 
oder  für  sich  nicht  ausreichend  erscheint.  Man  kann  dies  gleich 
am  ersten  Satze  der  Ddur-Sonate  Op.  10 


Presto. 


-j— — -4-j— j gj :.gzirLr3z:'~"ii3iiii 

!      ''/    I 


■dijzij. 


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-f 


-7^ 


~^         -^       -V      -T 


l)eol.achtcn.  Er  wird  abgebrochen,  nicht  geschlossen,  ist  antangs 
mit  piano  bezeichnet  und  hat  unter  der  letzten  Note  das  Zeichen  des 
Slbrzato  Aber  diese  letzte  Note  ist  bloß  der  letzte  Punkt  des  em- 
porstrebenden Satzes:  sie  soll  nicht  hervorspringend  angeschlagen 
werden,  sondern  der  ganze  Satz  soll  sich  steigern.  Dies  mit  bloßer 
Schallvcrstärkung  erreichen  zu  wollen,  würde  zur  Roheit  des  An- 
schlags fuhren:  man  muß  die  letzten  Töne  (e /J.  </«)  allmählich  zu- 
rückhalten. Gleich  darauf  wiederholt  sich  der  Satz  und  steigt  weiter 
von  «  zu  .<«,  K  äs,  d.  e,  fis.  .Vuf  diesen  höchsten  Tönen,  deren 
je.ler  mit  ff  bezeichnet  ist,  würde  große  Kraft  gar  nicht  erreiclibar 
sein,  man  muß  sie  (das  d,  e.  ß)  bedeutend  anhalten. 

Wenn  hier  das  Zurückhalten  am  Ende  eines  Satzes  anwendbar 
schien.  80  kann  es  ebensowohl  zu  Anfang  oder  in  der  Mitte  gelten. 
Dies  läßt  sich  in  dem  S.  69  erwähnten  Trioh'ngang  aus  dem  (.is 
moll-Adagio  wahrnehmen.  Die  Bewegung  von  Takt  3  an  muß 
gesteigert  werden.     Aber   <lie  erste  Triole  Jedes  Takts  -  besser 


72 

gesagt:   der  Schritt    vom  ersten  zum  zweiten  Ton  —  und  zuletzt 
obenein  der  Gipfelpunkt  der  Triolenfigur 


(Gis-) 

würden,  ein  ^Yenig•  angehalten,  die  Figur  und  die  nachherige  Be- 
schleunigung wirkungsvoll  heben.  Die  Bezeichnung  y~\  ist  nur 
unvollkommene  Andeutung. 

In  all  diesen  und  zahlreichen  ähnlichen  Fällen  kann  man 
beobachten,  was  Seite  70  angedeutet  ist:  wie  die  Steigerung  der 
Bewegung  die  der  Schallstärke  unterstützt  oder  ersetzt,  wenn 
diese  nicht  genügt  oder  nicht  anwendbar  ist. 

Womit  wird  aber  neben  der  Taktfreiheit  das  Taktgefühl,  die 
Erinnerung  und  das  Fortwirken  des  Grund-  und  Gleichmaßes  er- 
halten und  damit  dem  l^edürfnis  des  Musikers  nach  Festigung  ent- 
sprochen? —  Denn  dieses  ist  (S.  QQ)  ein  durchaus  unabweisliches, 
so  gut  wie  dem  Gehenden  oder  Laufenden  die  Rückkehr  zum 
Gleichgewicht,  und  dem  Gemüt  die  "Rückkehr  zur  Beruhigung. 

Erstens  soll  das  Gleichmaß  niemals  ohne  triftigen  Grund 
auigegeben  und  die  Freiheit  niemals  mit  Übertriebenheit  geltend 
gemacht  werden. 

Zweitens  mag  man  sich  mit  vollem  Recht  in  gewissen 
Momenten  vom  Gleich-  oder  Grundmaß  entfernen,  aber  man  muß 
zu  diesem  Grundmaße  wieder  zurückzulenken  verstehen.  Das 
Grundmaß  sei  der  geraden  Linie  vergleichbar,  die  freie  Bewegung 
der  Wellenlinie,  die  um  jene  sich  legt,  wie  die  lebenbezeichnenden 
Schlangen  um  den  festen  Merkurstab.  Nur  sehr  ausnahmsweise 
wird  das  (irundmaß  bleibend  aufgegeben,  und  dafür  fehlt  es  in 
der  Regel  nicht  an  ausdrücklicher  Vorschrift. 

Drittens  endlich  findet  der  sinnige  Spieler  selbst  in  den 
Partien,  wo  er  sich  vom  Taktmaß  entbindet,  noch  ein  gewichtiges 
Hilfsmittel,  das  'J'aktgefühl  wach  zu  erhalten;  dies  ist  der  rhyth- 
mische Akzent.  Er  bezeichnet,  wie  schon  (S.  52)  erinnert  worden, 
nicht  bloß  den  Taktbau  durch  Hervorlieben  der  Haupttaktteile, 
sondern  auch  die  höhere  Ordnung  des  Satzes  durch  Zusammen- 
fassen und  Abrundung  der  Abschnitte,  die  sich  zu  dem  Taktl)au 
verhalten,    wie  der  Vers  im  ganzen    zu   den   einzelnen  Versi'üüen. 


73 

Ordnung  und  Faßlichkeit  beruhen  \veit  mehr  auf  dii^sen 
Akzenten,  die  den  Bau  tles  Ganzen  bezeichnen  und  sich  dabei  mit 
dem  Inhalt  selber  befassen  und  vei'schmelzen,  als  auf  dem  Festhalten 
an  dieser  ganz  äul.>erlichen  Taktmäßigkeit,  die  nur  dadurch  zu 
ordnen  ^vei^),  daß  sie  —  gleichgültig  gegen  den  Inhalt  —  gleichen 
Takteilen  gleiches  Zeitmaß  erteilt.  Daher  zeigt  sich  in  der  Be- 
tonung der  künstlerische,  im  Takthalten  der  mechanische  oder 
abstrakt-verständige  Geist.  Beethoven  neigt  so  sehr  nach  jener 
Seite  hin.  daß  er,  so  sehr  er  den  Tanz  liebte  und  aufsuchte,  doch 
nach  Kies"  Zeugnis  es  niemals  dahin  gebracht,  taktfest  zu  tanzen. 
Dagegen  berichtet  Schindler,  daß  er  vorzugsweise  den  rhyth- 
mischen Akzent  meist  kräftig  hervorgehoben,  auch  die  „Zäsur  und 
rhetorische  Tause"  oft  gebraucht  habe;  —  die  erstere  dient, 
wie  schon  (S.  54)  bemerkt  ist,  zum  Abschluß  der  Abschnitte,  die 
letztere  zum  Abschluß  größerer  Partien  oder  auch  durch  einen 
rhythmisch  ganz  unmotivierten  Abbruch,  um  auf  den  Eintritt  eines 
wichtigen  Moments  aufmerksam  zu  machen. 

Seltsamerweise  hat  sich  eine  solche  rhetorische  Pause  sogar 
schriftlich  erhalten,  und  zwar  in  der  Cmoll-Symphonie.  Der  erste 
Satz  beginnt  so,  — 


Z] T      '        j -j I 1 j 


/ 


^^iiiilllSilüätl 


•^  TT 

mit  einem  Motiv  von  zwei  Takten  g  g  ij  \  es,  dessen  letzter  Ton 
durch  einen  Halt  verlängert  ist.  Dies  Motiv  wird  mit  fff\d  wieder- 
holt. Allein  der  letzte  Ton  ist  doppelt  so  lang,  also  das  Motiv 
auf  dj'ei  Takte  ausgedehnt,  und  erst  auf  den  dritten  Takt  tritt  der 
Halt,  der  zuvor  auf  dem  zweiten  stand.  Beethoven  hat  durcli  dies 
außer  ^[aß  tretende  Weilen  eine  rhetorische  Pause  förmlich  vor- 
geschrieben. Daim  erst  begiinit  dei'  eigentliche  Allegrosatz,  während 
dem  Meister  selber  die  ersten  fünf  Takte  nur  als  Einleitung  ge- 
golten haben.  Hiermit  tritt  er  aber  urkundlich  aus  dem  Gleich- 
maß in  die  Freiheit  der  Bewegung. 


74 


Form  des  Studiums. 


Zuletzt  einiges  über  die  Art,  wie  msm  sich  am  zweckmäßigsten 
in  ein  Werk  hineinfinden  und  desselben  bemächtigen  kann.  Es 
treöen  daljei  mancherlei  Eücksichten  zusammen.  Geistiges  Ver- 
ständnis und  technische  Bewältigung,  der  objektive  Inhalt  des 
Werks  und  die  subjektive  Stimmung  und  Eiclitung  des  Aus- 
fuhrenden, jeder  dieser  Gegensätze  hat  sein  unverkennbares 
"Recht.  Es  kommt  darauf  an,  jedes  Recht  geltend  zu  machen,  ohne 
dem  andern  störend  zu  werden. 

Besonders  kommt  es  darauf  an,  das  subjektive  Gefühl,  die 
Selbstbestimmung  des  Ausübenden  nicht  zu  stören  und  zu  ver- 
letzen. Es  kann  nicht  für  sich,  sich  selbst  überlassen  walten, 
sondern  muß  sich  dem  Willen  des  Komponisten,  dem  Inhalt  des 
fremden  Werks  bequemen.  Wird  diese  Unterordnung  erzwungen, 
schiebt  wohl  gar  der  Lehrer  seine  eigne  Subjektivität  zwischen 
die  des  Schülers  und  das  Werk:  so  hat  es  ein  Ende  mit  jener 
Selbstbestimmung  und  Freiheit,  mit  jener  Naivität,  dem  eignen, 
unmittelbaren  Gefühl  von  der  Sache,  ohne  daß  die  Lehre  zur 
lebensleeren  Abrichtung  und  ein  künstlerischer  Erfolg  schlechthin 
unmöglich  wird.     Kunst  ohne  Freiheit  ist  ein  Unding. 

Wir  Lehrende  mit  Wort  und  Schrift  müssen,  wie  lioch  wir  auch 
stehen  oder  zu  stehen  vermeinen,  j(Hler  Autorität  und  Herrschaft  ab- 
sagen. Wir  müssen  das  nicht  bloß  deshalb,  weil  unter  unsern  noch 
ungeschickten  und  blöden  Zöglingen  vielleicht  ein  andrer  „Beet- 
hoven", wie  dei'  erste  unter  Pfeiffers  und  Neefes  Scholaren  versteckt 
ist  und  unser  Name  künftig  einmal,  wie  Pfeiffers  und  Neefes,  bloß 
um  seinetwillen  genannt  wird;  sondei-n  auch,  weil  selbst  dem  ge- 
ringsten Schüler  sein  Menschen-  und  Künstlorrecht  auf  Selbsturteil 
und  Selbstbestimmung  gewährt  sein  nmß,  und  weil  selbst  der  be- 
gabteste Schüler  ohne  diese  Gewähr  nicht  zum  Ziel  gelangt.  Ich, 
der  ich  ein  Menschenalter  hindurch  selu^  viel  unterrichtet,  ich  liabe 
niemals  meinen  Scliülern  Autorität  auferlegen  mögen,  sondern  sie 
vielmehr  vor  jeder  Autorität  —  zunächst  vor  der,  die  sie  mir  hätten 
beimessen  wollen  —  gewarnt  und  sie  dafür  unablässig  auf  die 
Stimme  des  eignen  Fühlens  und  Denkens  hingewiesen  und  hinge- 


75 

loitrt.  Nur  so  \venlcii  Menschen  und  Künstler,  echte,  gewonnen. 
Der  Weji*  erscheint  antan<j:s  län<;er  und  niiihseliiier,  aber  bald  zeigt 
er  sich  als  der  kiu'zt^re,  der  allein  und  fröhlich  zum  Ende  t'ühi't.  — 

Kommt  es  nun  auf  das  Studium  irgendeines  besonderen  Werks 
an,  so  sollte,  der  es  sich  aneignen  will,  dasselbe  einmal  oder  einige- 
mal durchspielen,  und  zwar  ganz  vollständig,  alle  Sätze  hinterein- 
anderweg  —  ohne  sich  durch  irgend  etwas  unterbrechen  oder 
henmien  zu  lassen,  auch  nicht  durch  das  Gewahrwerden  von  Spiel- 
tehlern  oder  Irrtümern  —  und  ohne  dabei  fremden  Rat  zu  holen 
oder  vorbereiten  und  mitwirken  zu  lassen.  Dies  erste  Durchspielen 
muß  sogleich  in  dem  Zeitmaß  (^folgen,  (his  der  Spieler  für  das  ge- 
eignete hält,  gleichviel,  ob  die  dermahge  technische  Geschicklichkeit 
den  Schwierigkeiten  des  ergriöenen  Zeitmaßes  gewachsen  ist  oder 
nicht.  Auch  zeitweiliges  Nachlassen  in  der  Bewegung,  um  jener 
Schwierigkeiten  willen,  ist  unstatthaft. 

Hiermit  ist  die  erste  Bekanntschaft  mit  dem  Werk  in  durch- 
aus naiver  Weise  störungslos  angeknüpft.  Man  hat  nun,  mehr 
oder  weniger  richtig  und  vollständig,  eine  ungefähre  Vorstellung 
von  seiner  Eiclitung  und  seinem  Inhalt. 

Diesem  ersten  (kursorischen)  Angriff  der  Sache  muß  dann  das 
eigentliche,  genauere  Studium  folgen,  das  zwei  Richtungen  hat, 
die  auf  den  Inhalt  des  Werks  und  die  auf  seine  technische  Be- 
wältigung gerichtete.  Beide  Richtungen  sollen  nebeneinander, 
—  aber  nicht  gleichzeitig  von  Moment  zu  Moment,  sondern  eine 
um  die  andere  verfolgt  werden.  Wenn  hier  im  Buche  die  tech- 
nische vorangestellt  wird,  so  geschieht  das  bloß,  weil  diese  am 
kürzesten  beraten  sein  kann. 

Bei  dem  erstmaligen  Durchspielen  oder  Durchlaufen  müssen 
dem  Spieler  diejenigen  Partien  aufgefallen  sein,  bei  den(?n  sich 
technische  Fehlgriüe,  technische  Schwierigkeiten  gezeigt  haben.  Die 
Fehlgritfe  —  wir  verstehen  darunter  Fehler,  die  bloß  aus  augen- 
blicklicher Unachtsamkeit  usw.  entstehen  —  müssen  gemerkt  und 
vermieden  werden.  Die  Fehler  und  Mangelhaftigkeiten  aus  Unzu- 
länglichkeit der  technischen  Vorbildung  müssen  genau  untersucht 
und  von  Grund  aus  gehoben  werden.  Auf  den  ersten  Hinblick 
nämlich  erscheint  oft  eine  ganze  Partie  schwierig,  während  es  sich 
bei  genauerer  l'ntersuchung  zeigt,  daß  nur  ein  Teil  derselben,  bis- 
weilen nur  ein  kleiner  Teil,  der  eigentliche  Sitz  der  Schwierigkeit 
ist.  Zu  Anfang  ferner  erscheint  eine  Partie,  ein  Gang  (l^assage) 
Schritt  für  Schritt  voller  Neuheit  und  Schwierigkeit,  während  sich 


76 

später  ein  einziges  kleines  Motiv  (oder  ein  Paar)  als  Kern  des 
Ganzen  zeigt,  mit  dessen  Aneignung  die  ganze  Passage  gewonnen 
ist.  Auch  hier  also  dient  Einsicht  in  den  Bau  des  Kunstwerks 
zur  Bemeisterung  desselben. 

Ist  eine  solche  technische  Schwierigkeit  aufgefunden,  so  muß 
nachgeforscht  werden,  ob  nicht  der  sie  bietende  Satz  oder  Gang  im 
Verlaufe  des  Tonstücks  wiederkehrt;  in  der  Eegel  kommt  jeder  Satz 
und  jeder  Gang  in  einer  Komposition  zwei-  oder  mehrmals  zur 
Anwendung  und  wird  in  gleichmäßiger  oder  ähnhcher  Weise  l)e- 
wältigt.  So  wird  jede  Stelle,  die  der  Übung  bedarf,  mit  Inbegriff 
ihrer  Wiederholungen  zum  Gegenstand  besondern  technischen 
Studiums.  Dies  ist  methodischer  und  fördernder,  als  wenn  man 
die  inhalthch  verschiedenen  Aufgaben  durcheinander  gemischt  übt, 
wobei  die  zweite  von  der  ersten,  die  dritte  von  der  zweiten  ab- 
zieht und  die  Kraft  an  vielerlei  Aufgaben  zersplittert,  statt  auf 
eine  jedesmal  einzige  hingerichtet  zu  werden. 

Neben  diesen  technischen  Übungen  geht  das  künstlerische 
Studium  des  Werks  weiter.  Schon  die  ersten  Ausführungen  müssen 
einen  wenigstens  allgemeinen  Eindruck  gemacht  und  ein  Urteil 
hervorgerufen  haben,  sei  dasselbe  anfangs  auch  noch  so  allgemein 
und  unbestimmt  gehalten.  ]\[an  suche  diesen  Eindruck  durch  ein 
charakteristisches  Wort  im  Sinne  zu  halten,  ohne  sich  anfangs 
grüblerisch  darum  zu  bemühen,  oder  sich  ihm  gefangen  zu  geben, 
als  wäre  es  unverbrüchlich  Gesetz.  Erst  allmählich  dringt  man  zur 
Wahrheit  und  ihrer  Grundhaftigkeit  durch,  mancher  schneller  als 
der  andre,  mancher  langsamer  und  vielleicht  darum  sichrer  und 
tiefer.  Mir,  dem  Schreiber  dieses,  ist  der  Inhalt  der  Sonate  Op.  109 
nach  dreißigjähriger  Bekanntschaft  erst  damals  ganz  anschaulich 
geworden,  als  ich  den  „Beethoven"  schrieb.  —  und  manches  in  den 
letzten  (Quartetten  erst  bei  der  zweiten  Ausgabe  jenes  Werks.  Ob 
andre  schneller  und  mehr  darin  gefunden,  frag"  ich  nicht.  Wie 
viele  haben  sich  denn  schon  in  den  zweiten  Teil  des  Faust,  oder 
in  die  Wahrhaftigkeit  der  matthäischen  Passion  gefunden,  die  aucli 
schon  dreißig  Jahre  bekannt  sind?  — 

Mit  dem  beginnenden  i'rteil  werden  auch  die  größern  Par- 
tien des  Werks  in  das  gehörige  Ijicht  treten,  man  wird  anfangen, 
sie  charakteristisch  zu  unterscheiden.  Seien  die  ersten  Blicke  hier 
unsicher,  sie  v/erden  bald  mehr  Licht  fassen.  —  Es  sei  die  E  moll- 
Sonate  Op.  90  mit  ihi'en  zwei  Sätzen:  Avie  steJit  der  zweite,  weich - 
zerflossene  dem  energischen  ersten  gegenüber!  sollte  sich  in  ihnen 


77 

(loiiuoch  oine  innere*  Kinhoit  linden?  —  Es  sei  die  As  dur-Sonate 
()p.  26,  die  mit  den  sinnigen  Variationen  anhebt  und  weiterhin  den 
Trauermarsch  briniit  ant  den  Tod  eines  Helden.  Beide  Sätze  mögen 
zuerst  einleuchten,  weniger  sicher  das  (sogenannte)  Scherzo  vor 
dorn  -Marsche:  und  wie  wäre  das  Finale  zu  deuten V  —  Ebenso 
wird  man  sich  in  der  ( 'is  moll-Sonate  Op.  27  im  Adagio  und  Finale 
bald  zurechtzufinden  holVen.  aber  der  .Alittelsatz,  das  Allcgretto? 
.Mancher  wackere  Spieler  hat  den  Beweis  geliefert,  daß  er  es 
nicht  verstanden:  —  einst  hatte  der  "brave  Ludwig  Berger  vorge- 
schlagen, es  lieber  wegzulassen. 

Wir  gut  oder  unzureichend  es  nun  auch  mit  diesen  ersten 
Einblicken  gelungen  sei.  man  ist  schon  damit  in  die  Tür  des  Ton- 
baus getreten,  hat  sich  im  Geiste  die  großen  Eäumlichkeiten  an- 
gesehen, in  ihren  l'nterschieden  sich  gemerkt,  ihren  Zusammen- 
hang oder  den  anscheinenden  Maugel  daran  in  Betracht  gezogen. 
Hier  schließt  nun  das  Studium  der  einzelnen*  Sätze  an. 

Auch  bei  diesen  ünden  sich  Glieder  und  Teile,  die  dem  Studium 
als  Ziel  und  Anhalt  dienen,  das  sind  die  verschiednen  Sätze  od(*r 
Themate,  deren  sich  in  jeder  größern  Komposition  zwei  oder  mehr 
finden.  Wer  Komposition  versteht  oder  sich  wenigstens  einen 
Einblick  in  die  Form  verschafft  hat,  wird  unschwer  die  größern 
Partien  des  Ganzen  —  Hauptsatz,  Seitensatz,  Schlußsatz,  ersten, 
zweiten,  dritten  Teil  —  erkennen  und  darauf  sichern  Einblick  in 
den  Inhalt  gründen  können.  Doch  dürfte  auch  ohne  diese  Vor- 
bildung ein  Durchdringen  in  diese  Gliederung  des  Tonbaus  dem 
Aufmerksamen  wohl  gelingen. 

Nehmen  wir  als  erstes  Beispiel  die  pathetische  Sonate,  den 
ersten  Satz. 

Gleich  der  erste  Blick  zeigt  als  zwei  verschiedne  Partien  die 
Einleitung,  Grave  überschrieben,  und  den  ersten  Teil  des  Allegro. 
Auf  ihn  folgt  ein  Anklang  an  die  Einleitung  und  dieser  der  zweite 
Teil  (nach  der  Ausdrucksweise  des  gewöhnlichen  Lebens,  nach 
der]  Kunstsprache  müßte  man  sagen:  der  z\veite  und  dritte -Teil) 
des  Allegro.  Da,  wo  man  den  Schluß  erwarten  sollte,  tritt  noch- 
mals ein  Anklang  an  das  Grave  ein,  und  ein  Satz  aus  dem  Allegro 
schließt.  Diese  ganze  Beobachtung  liegt  sozusagen  auf  der  flachen 
Hand,  sie  ist  durch  Schlußstriche  und  Überschriften  selbst  für 
das  ganz  unkundige  Auge  bezeichnet.  Die  Sätze  Grave  und 
Allegro  sind  nach  Zeitmaß  und  Inhalt  unterschieden,  sie  sind 
Gegensätze.     Aber    sie    bilden    ein    untrennbares   Ganzes   (keiner 


78 


schließt  für  sicli  ab),  müssen  also  innerliche  Beziehung  zueinander 
haben.  Wie  ist  der  Charakter  jeder  Partie  zu  fassen?  "Wie  wird 
ihre  Zusamraengehürigkeit  fühlbar? 

Im  Allegro  tritt  sofort  das  erste  Thema  (der  Hauptsatz)  auch 
dem  Formkundigen  vor  Augen.  Mag  ein  solcher  auch  über  den 
weitern  Inhalt,  von  Takt  16  oder  17  an,  nicht  ganz  im  klaren 
sein :  der  breite  Schluß  auf  B  und  der  Satz  in  Es  moll 


:^ 


T-Jißzdt 


?=t: 


lEEE^ 


-0-  -f^  bp.. 


-ß- 


_^__^.l2.fZ^. 


-W 1 j 1— 


wird  sich  ihm  durch  den  neuen  Inhalt,  schon  durch  die  dialogische 
Form  (Baß  und  Diskant  wechseln  in  der  Melodie)  sicher  kenntlich 
machen;  er  mag  es  dilettantisch  als  zweites  Thema  bezeichnen,  es 
ist  der  Scitensatz.  Ebenso  sicher  muß  ihm  die  folgende  Partie  in 
Es  dur  als  ein  Neues  auffallen.  Gleichviel,  ob  er  darin  einen 
Schlußsatz  findet  und  von  einem  solchen  überhaupt  weiß,  er  wird 
das  zum  Schluß  Drängende  der  Es  dur-Partie  empfinden.  Eine 
Wiederholung  des  ersten  Satzes  beschließt,  in  Es  dur  übertragen, 
den  ersten  Teil. 

Hiermit  ist  der  Inhalt  des  ganzen  Allegro  dem  Wesentlichen 
nach  vollständig  aufgewiesen.  Wer  die  drei  Partien  erkannt  hat, 
findet  im  zweiten  (und  dritten)  Teil  jene  Figur  wieder,  die  sich 
von  Takt  25  an  aus  dem  ersten  Satze  hervorgebildet  hatte.  Sie 
waltet,  bis  nach  einem  breiten  Abschlüsse  auf  G  der  Hauptsatz 
wieder  in  C  moll  auftritt,  und  damit  der  dritte  Teil  beginnt.  Der 
gesamte  Inhalt  des  ersten  Teils  kehrt  wieder,  dann  das  Grave, 
zuletzt  wieder  der  Hauptsatz  des  Allegro. 

GelegentUch  mag  man  den  Bau  des  ersten  Satzes  der  IJ  moll- 
Sonate  Op.  31  mit  dem  Obigen  vergleichen. 

Hiermit  ist  der  Inhalt  der  pathetischen  Sonate  (ihres  ersten 
Satzes)  überschaulich  gemacht.  Man  unterscheidet  drei  Partien, 
—  in  der  ersten  zwei  abweichende,  aber  doch  verwandte  Züge, 


n  11  d 


^^ 


~~^^'-'- 


-izuj^ij: 


-H ^- 


Tt^ 


--^ 


it: 


dereji  zweiter  aus  dem  ersten  licrausgebildet  ist,  —  in  der  dritten 
Partie  zwei  ganz  verschiedne  Sätze  (den  arpeggienhaften  und  den 
(hatonisclumj,  im  ganzen  also  fünf  kenntUch  und  bedeutungsvoll 
hervortretende  Sätze.   Jeder  von  ihnen  kehrt  zwei-  oder  mehrmals 


79 


wieder,  öftei'  in  amlivr  Gestellt.  Zwischen  ihnen  erscheinen  vor- 
himlende  .Mittelglieder.  Sie  sind  IxMleiitunosvoll,  aber  untergeordnet, 
weil  sie  nicht  sell)ständig,  für  sich  allein  geltend  auftreten;  so 
steht  z.  1*..  der  Hauptsatz  von  Takt  1  bis  9  fest  und  geschlossen 
in  seiner  Tonart  und  Ehythniik,  während  das  Mittelglied  Takt  17 
bis  21  es  zu  beiden  nicht  gt4)racht  hat. 

Wie  ist  d(T  erste  —  und  der  daraus  hervorgegangne  zweite 
Satz  zu  fassen?  Wie  bezeigt  sich  dieser  zw^eite  im  zweiten  Teil 
in  seinen  rmgestaltungen?  Wie  kann  der  Charakter  jedes  der 
tTmf  Sätze  gelaßt  und  mit  den  andern  in  Wechselwirkung  und 
Zusammenhang  gebracht  werden?  Und  welche  ümfarbungen  des 
Vortrags  fordert  die  Umgestaltung  der  Sätze? 

Das  zweite  Beispiel  gebe  das  erste  Allegro  der  Es  dur-Sonate 
C)p.  7,  ein  vielgliedriger,  für  den  ungeübten  Blick  bei  weitem  nicht 
so  durchschaulicher  Satz,  wie  der  vorher  betrachtete. 

Das  Allegro  setzt  ohne  Einleitung  ein.     Der  Hauptsatz 


^£^M 


li^^^^^^l^^^i^ 


stellt  sich  und  sein  Moliv  (A)  deutlich  genug  fest,  das  letztere  bleibt 
auch  in  seiner  Umgestaltung  (B)  kenntlich,  weniger  klar  mag  dem 
ungeübten  Blicke  das  Folgende  sein,  bis  sich  nach  längerem  Ver- 
weilen auf  dem  Bauten  /  ein  zweiter  Satz  (C) 


und  nach  dessen  Ausführung  ein  dritter  fO),  dann  —  im  fremden 
C  dur  —  ein  vierter  (Ej 


g^^f^^^ii^ 


80 

und  wieder  in  B  dur,  ein  fünfter  Satz  (F,  —  nur  die  Anfänge  werden 
zur  Bezeichnung  gegeben)  deutlich  herausstellt;  der  Formkundige 
würde  diese  vier  Sätze  als  Seitenpartie  bezeichnen.  Noch  zwei 
sicher  unterscheidbare  Sätze  schließen  den  ersten  Teil:  man  hätte 
sie  als  Schlußsätze  zu  bezeichnen. 

Hier  stehen  nun,  die  Mittelglieder  ungerechnet,  sieben  ver- 
schiedne  Sätze  vor  uns.  Welches  ist  der  Sinn  eines  jeden?  Wie 
unterscheiden  sie  sich?  Wie  werden  wir  sie  zu  einem  einheitvollen 
Ganzen  vereinen?  —  Und  wie  wirken  sie  weiter? 

Der  Hauptsatz  —  oder  vielmehr  nur  sein  Motiv  A  eröffnet  den 
zweiten  Teil,  weicht  bald  dem  Motiv  des  letzten  Satzes  (Schluß- 
satzes) und  kehrt  wieder,  um  sich  zu  einem  teilweise  neuen  Satze 
(das  wäre  der  achte)  auszubilden.  Dies  alles  fällt  in  fremde  Ton- 
arten; zuerst  tritt  jenes  Llotiv  des  Hauptsatzes  mit  der  weitern  Aus- 
lassung, die  sich  anhängt,  in  C  moll,  dann  das  Motiv  des  Schluß- 
satzes in  F  moll  und  G  moll  auf,  dann  jenes  erstere  wieder  in  A  moll 
und  D  moll.  In  D  moll  wird  geschlossen;  und  statt  der  breiten 
Schlußlagen,  die  sich  in  der  pathetischen  Sonate  gezeigt,  ist  hier 
der  Schluß  unfest  und  die  Wendung  in  dem  Hauptton  in  einen 
einzigen,  nicht  fest  hingestellten  und  bald  verklingenden  Akkord 
gelegt. 

Dies  ist  der  zweite  Teil,  und  nun  hebt  der  dritte  mit  dem 
Hauptsatz  in  Es  dur  an  und  bringt  die  ganze  Eeihe  der  sieben  Sätze 
des  ersten  Teils  in  ursprünglicher  Ordnung  wieder.  Aber  damit 
ist  dem  dritten  derselben  (D)  noch  nicht  genuggetan.  Dieser 
Satz,  der  überredsamste  von  allen,  tritt  da,  wo  man  hätte  den 
Schluß  erwarten  sollen,  anhangsweise  in  sinniger  Umgestaltung 
nochmals  hervor,  und  nun  erst  kehrt  der  zweite  Schlußsatz  wieder, 
um  den  letzten  Aljschluß  zu  bringen. 

Acht  Sätze  wollen  charakteristisch  gefaßt  sein;  bei  einigen 
(z.  B.  Satz  1  imd  2,  2  und  3,  4  und  5)  tritt  die  Verschiedenheit, 
])ei  andern  (z.  B.  3  und  4,  der  Fortführung  von  1,  dann  2  und  5) 
tritt  eine  gCAvisse  Verwandtschaft  hervor;  der  geschäftigste  aller 
dieser  Sätze  ist  der  erste  und  dritte. 

Soviel,  um  zu  zeigen,  wie  man  sich  Gliederung  und  Zusanmien- 
hang  der  Tonsätze  anschaulich  zu  machen  und  damit  Anhaltpunkte 
für  die  Auffassung  des  ganzen  Inhalts  zu  gewinnen  hat,  damit  nicht 
das  Gefühl  über  dem  gehaltreichen  Tonwerke,  das  in  ewig  wechseln- 
der Gestalt  vorüberwallt,  ungewiß  im  Unbestimmten  schwebe  und 
einen  Moment  über  dem  andern  dahinfallcn  lasse.  Die  Zergliederung 


81 

kann  selbst  dem  rnj^eübtcn  nacli  iiK'lii'niali.aein  Durchspielen  des 
Ganzen  nur  wenig  Minuten  kosten;  die  (harakterisiening-  soll  und 
darf  nie  grüblerisch  oder  gar  mühselig  werden,  —  ein  flüchtig  er- 
gritlenes  Wort  genügt:  vielleicht  l)ringt  der  nächste  Augenblick 
ein  glücklicheres. 

Nun  endlich  tritt  das  letzte  Studium  ein,  die  Durcharbeitung 
jedes  Satzes  bis  in  seine  Einzelheiten  und,  damit  verbunden,  die 
Verschmelzung  aller  Einzelheiten  in  einen  einzigen  (Juß.  Hiermit 
hat  der  Spieler  sich  des  Werkes  so  bemächtigt,  wie  es  seiner  sich 
selbst  übedassenen  Subjektivität  hat  gelingen  wollen.  Er  mag 
mehr  oder  weniger  fehlgegrifTen  haben.  Aber  er  hat  seine  Selb- 
ständigkeit, die  Freiheit  seines  Gefühls  und  Urteils  bewahrt,  — 
und  ohne  sie  ist  kein  Leben  in  der  Kunst  und  keine  Kunstbildung 
möglich. 

Xun  erst  ist  der  Zeitpunkt  gekommen,  sich  von  andern  — 
schriftlich  oder  mündlich  —  beraten  zu  lassen  und  an  deren  Aus- 
sprüchen die  eignen  Auffassungen  zu  prüfen.  Diese  eignen  Auf- 
fassungen sollen  wadev  gegen  das  Ansehen  des  Lehrenden  oder 
Katenden  blöde  fallen  gelassen  werden,  noch  soll  man  eigensinnig 
oder  ängstUch  an  ihnen  haften.  Nicht  was  ich  will,  nicht  was  du 
willst,  sondern  was  Beethoven  gewollt,  soll  gelten;  und  dies  mui) 
jeder  sowohl  aus  sich  selber  ursprünglich  als  mit  Hilfe  sach- 
kundiger Ratgeber  zu  finden  trachten.  Jeder  Rat  mufj  gehört 
und  ge[)rüft  werden.  So  fällt  die  Entscheidung  zuletzt  doch  wieder 
in  das  Gemüt  des  Ausübenden  zurück. 

Der  oberste  allei-  Ratgeber  bleibt  immer,  wo  es  sich  um 
Beethoven  handelt.  Beethoven  selber.    Das  versteht  sich. 

Nun  wissen  wir  aber,  daß  er  in  seinen  Werken  nicht  bloß  mit 
Tönen  sinnig  gespielt,  nicht  bloß  einem  unl)estimmten  Gefühl  sich 
hingegeben,  sondern  daß  er  oft  zusammenhängende  Seelenzustände 
auszusprechen  unternommen,  oft  von  äußern  Einflüssen  sich  hat 
bestimmen  und  stimmen  lassen,  daß  er  Leben  geschaffen,  ideal 
gebildet  hat,  er,  der  Dichter  in  Tönen,  wie  irgendein  Goethe  in 
Worten,  ein  Ralfael  in  Gestalten.  Wie  würden  wir  aber  bei  aller 
subjektiven  Erregung  uns  einbilden  können,  den  Goethe,  den 
Raffael  aufgefaßt  zu  haben,  wxnn  wir  nicht  zu  der  Idee  ihrer 
Schöpfung  durchgedrungen  wären?     Dasselbe  gilt  von  Beethoven. 

Daß  dieser  sich  Aufgaben  gesetzt,  wie  sie  oben  bezeichnet 
sind  —  nicht  immer,  aber  oft  — ,  darüber  liegen  genügsame  I be- 
weise vor. 

Marx,  Anl.  z,  Vortrag  Beeth.  Klav.- Werke,  0 


82 

Er  selber  hat  vei'schiedentlicli  den  ^i>edank]iclien  Inhalt  seiner 
Tougebilde  schriftlich  angegeben.  Der  Xame  der  HeldensA'mphonie, 
der  Pastoralsymphonie  (hier  die  Bezeichnung  der  einzelnen  Sätze 
nach  ihrem  Inhalte)  sind  allbekannt:  der  „Trauermarsch  auf  den 
Tod  eines  Helden"  in  der  As  dur-Sonate,  der  Titel  ..Les  adieux, 
l'absence,  le  retour",  der  die  drei  Sätze  der  Sonate  Op.  81  be- 
zeichnet —  und  andre  Namen  oder  Bezeichnungen  sind  ebenso- 
viel Beweise.  Als  1816  eine  Gesamtausgabe  seiner  Kompositionen 
im  Werke  war,  hatte  Beethoven  (wie  Schindler  erzählt)  die  Ab- 
sicht, bei  allen,  wo  es  noch  nicht  geschehen  war,  den  gedanklichen 
Inhalt  anzugeben.  Bei  einzelnen  Werken  (z.  B.  der  Sonate 
Op.  101)  deuten  schon  die  gehäuften  und  andringUchen  Vortrags- 
bezeichnungen darauf,  daß  er  sich  von  besondern,  bedeutsam  ein- 
greifenden Stimmungen  und  Vorstellungen  angetrieben  gefühlt. 

Neben  seine  eignen  Äußerungen  treten  die  Zeugnisse  seiner 
Scliüler  und  Freunde.  Ries  hat  den  Ursprung  des  Finale  der 
Fmoll-Sonate  gleichsam  miterlebt.  Schindler  hat  über  die 
leitenden  Vorstellungen  in  Beethovens  Kompositionen  mancherlei 
Bedenkenswürdiges  mitgeteilt.  Neben  beide  tritt  Czerny  mit 
ganz  bestimmtem  Zeugnisse,  und  gerade  er  darf  aus  doppeltem 
Grunde  glaubwürdig  erscheinen.  Einmal  nämlich  hat  er  jahrelang 
Beethovensche  Kompositionen  in  zahlreichem  Kreise  vorgetragen, 
nachdem  Beethoven  selber  sie  ihm  einstudiert,  ist  daher  Ohren- 
zeuge von  den  Mitteilungen  des  Meisters.  Dann  aber  hat  er  sich 
sein  lieben  lang  bei  der  rastlosen  und  unendlich  ergiebigen  Tätigkeit 
fiu^  Ausbildung  der  Technik  als  einen  solchen  erwiesen,  in  dem 
Phantasie,  Idealismus,  Kunstgeist  nicht  waltend  geworden,  so  daß 
er  imstande  gewesen  wäre,  eigne  Pliantasien  den  Werken  oder 
Worten  des  Meisters  unterzuschieben  —  und  wenn  (unbewußt) 
dies,  doch  nicht  »aus  sich  selber  jene  ideale  Richtung  zu  ersinnen, 
in  der  Beethoven  wandelte  und  der  er  selber  so  fern  stand. 

Czerny*)  nun  spricht  ganz  bestimmt  aus:  „Es  ist  gewiß,  daß 
Beethoven  sich  zu  vielen  seiner  schönsten  Werke  durch  ähnliche" 
(wie  die  Vorstellungen  bei  Op.  57)  „aus  der  Lektüre  oder  aus  der 
eignen  regen  Phantasie  geschöpfte  Visionen  und  Bilder  begeisterte, 
und  daß  wir  den  wahren  Schlüssel  zu  seinen  Kompositionen  und 
zu  deren  Vortrag  nur  durch  die  sichere  Kenntnis  dieser  Umstände 
erhalten  würden,  wenn  dieses  noch  überall  möglich  wäre."  —  Was 

*)  Klavierschule  Tcü  4,  Kap.  2,  S.  G2. 


83 

Czeniy  dabei  anmerkt:  „Kr  war  hierUher  nicht  gern  mitteilsam, 
aber  doch  bisweilen,  bei  vertraulicher  iiaunc'',  —  und  was  ander- 
wärts Schindler  aussagt:  Beethoven  habe  zu  weit  in  das  bestimmte 
und  Besondere  gehende  Deutungen  andrer  öfters  nicht  mit  l  behagen 
autgenommen  —  das  begreift  sich  gar  wohl.  Eine  gewisse  geistige 
Keuschheit  hält  den  Künstler  zurück,  sein  Gebilde  mit  Worten 
gleichsam  zu  zerlegen.  Und  er  vor  andern  nuil.)  fühlen,  dal.) 
keine  Rede  sein  Tonbild  vollkommen  tretfen  und  erschöpfen, 
sondern  nur  den  Inhalt  deuten  und  andeuten  kann,  so  wenig  der 
Dichter  den  Maler,  oder  der  ]\[usiker  Dichter  und  Maler  voll- 
kommen ersetzen  kann. 

Anderwärts  sagt  Czerny  vom  Adagio  der  ( '  dur-Sonate  Op.  2 : 
..Tn  diesem  Adagio  entwickelt  sich  bereits  die  dramatische  Richtung, 
durch  die  Beethoven  später  eine  Kompositionsgattung  erschuf, 
in  der  die  Instrumentalnuisik  sich  bis  zur  Malerei  und  Poesie 
steigerte.  Es  ist  nicht  mehr  bloß  der  Ausdruck  von  Gefühlen, 
was  man  hört,  man  sieht  Gemälde,  man  hört  die  Erzählung  von 
Begebenheiten." 

Soweit  hat  Czernys  Aussage  volles  Gewicht:  er  hatte  bei  Ge- 
legenheit der  Beethovenschen  Eröttbungen,  die  seinen  Vortrag  leiten 
sollten,  vernommen,  daß  der  ]\r.eister  sich  öfters  von  bestimmten 
Vorstellungen  habe  leiten  lassen.  Ob  dagegen  seine  Mitteilungen 
über  einzelne  Tonsätze  zutreffend  seien?  —  das  muß  allerdings  in 
jedem  besondern  Falle  geprüft  werden:  denn  hier  kann  Mißver- 
stand und  manches  andre  untergelaufen  sein.  Schon  in  dem  eben 
genannten  Adagio  wird  sich,  was  Czerny  davon  sagt,  schwerlich 
begründen  lassen.  Wenn  derselbe  zum  Finale  der  großen  Fmoll- 
Sonate  bemerkt:  „Mag  sich  Beethoven  (der  so  gern  Naturszenen 
schilderte)  dabei  vielleicht  das  Wogen  des  Meeres  in  stürmischer 
Nacht  gedacht  haben,  während  von  ferne  ein  Hilferuf  ertönt, 
immer  kann  ein  solches  Bild  dem  Spieler  eine  angemessene  Idee 
zum  richtigen  Vortrag  dieses  großen  Tongemäldes  geben":  so  steht 
schon  der  geschichtliche  Ursprung  des  Tonsatzes  seiner  Deutung 
auf  Meeressturm  entgegen.  Anderswo  berichtet  Czerny  vom  Pinale 
der  Dmoll-Sonate  Op.  31:  „Das  Thema  zu  diesem  Tonstücke  im- 
provisierte Beethoven,  als  er  einst  (1808)  einen  Reiter  an  seinem 
Fenster  vorbeigaloppieren  sah.  Viele  seiner  schönsten  Werke  ent- 
standen durch  ähnliche  Zufälle."  Es  würde,  abgesehen  davon,  daß 
die  Sonate  schon  1802  komponiert  ist,  gar  schwer  fallen,  aus  dem 
innerlich  bewegten,  aber  äußerlich  weiligen,  zartgebildeten  Tonsatze 


84 

den  klappernden  Dreiscblag  des  Galopps  und  das  Vorbeisausen 
des  flinken  Reiters  herauszufinden;  und  wenn!  so  würde  damit  das 
sinnige  Bild  des  Tondichters  in  das  Bettelgewand  eines  trivialen 
Vorgangs  gesteckt. 

Czerny  hat  also  als  Ohrenzeuge  bestätigt,  daß  Beethoven  in 
seinen  Kompositionen  häufig  bestimmten  Vorstellungen  gefolgt  ist. 
Ob  er  überall  die  Beethovenschen  Angaben  getreu  wiedergegeben 
oder  manche's  mißverständlich  aufgefaßt  und  überliefert  hat?  das 
muß  in  jedem  einzelnen  Falle  geprüft  werden. 

Durchaus  wahr  ist  aber  sein  Ausspruch:  daß  man  ohne  Er- 
kenntnis der  leitenden  und  bestimmenden  Vorstellungen  nicht  zum 
vollen  Verständnis  der  Komposition  gelangen  kann,  und  daß  dieses 
Verständnis  den  richtigen  Vortrag  begründen  hilft. 

Wie  das  geschieht,  —  wie  das  geistige  Verständnis,  wie  der 
ideale  Grund,  aus  dem  das  Tongewächs  emporgewachsen,  auf  den 
Vortrag,  auf  das  Spiel  der  Finger  einwirkt?  das  ist  der  uranfäng- 
liche Rätselpunkt,  wie  Gedanke  und  Wille  auf  den  vollführenden 
Körper  wirkt.  Darüber  läßt  sich  nicht  weiter  reden.  Man  erfülle 
sich  mit  der  Idee  des  Dichters,  entzünde  sein  Gemüt  an  ihr  — 
und  dann  lasse  man  es  wirken,  wie  es  kann. 

Indes  finden  sich  auch  hier  Hilfen  und  Vermittelungen,  das 
Gefühl  und  mit  demselben  die  Vorstellungskraft  den  Intentionen 
des  Tondichters  näher  zu  bringen  und  sich  die  feinsten,  dem 
lehrenden  Wort  unerreichbaren  Darstellungsmittel  anzueignen. 

Als  erstes  Mittel  gilt  die  Beobachtung  der  Spielweise  sinnig 
vortragender  Pianisten.  Dies  ist  sell)stverständlicli  \md  bedarf 
keiner  Erläuterung. 

Das  zweite  Mittel  ist  die  Beobachtung  des  Violinspiels,  wenn 
es  von  feinfühlenden  Spielern  ausgeübt  wird,  von  einem  Laub, 
Wicniawski,  Joachim.  Die  Violine  ist  iiänilich  in  der  Melodie- 
lührung  dem  Piano  weit  überlegen;  sie  vermag,  was  diesem  ver- 
sagt ist:  den  Ton  lang  auszuhalten,  zwei  und  mehr  Tone  wahr- 
haft zu  verbinden,  indem  sie  einen  in  den  andern  gleichsam 
hineingehen  läßt,  während  das  LMano  nur  bald  verhallende  Töne 
und  nur  den  Schein  einer  Tonverbindung  hat.  Es  bedarf  keines 
weitern  Vergleichens.  Man  höre  gute  Violinisten,  erfülle  sich  mit 
dem  Gefühl  und  der  lebendigen  Vorstellung  ihres  Spiels  —  und 
dann  trachte  man,  dasselbe,  soweit  es  möglich  ist,  auf  das  Klavier 
zu  übertragen. 

Das  dritte  Mittel  bietet   sich  allen   an,    die    singen    können. 


85 

Auch  tlor  Sini^stimiuc  stehen  die  Nollbefriedi^ieiulen  Mittel  zm*  seelen- 
vollen Darstellung  der  Melodie  zu  Gebote;  dazu  kommt,  daß  man 
inniger  —  gleiehsam  mit  Leib  und  Seele  —  fühlt,  was  man  singt, 
als  was  man  auf  irgendeinem  Instrumente  spielt  oder  hört.  Mau 
singe  Beethovens  ^lelodien,  und  man  wird  sie  tiefer  empfinden 
und  dann  auch  inniger  spielen.  Beethoven  hat  unter  dem  Kom- 
ponieren stets  gesungen,  die  meisten  Komponisten  wohl  ebenfalls, 
nicht  aus  äußerm  Bedürfnis,  sich  die  Töne  vorzustellen,  sondern 
aus  innerm,  unbewußtem  Triebe,  sie  tiefer  zu  empfinden. 

Ein  letztes  Mittel,  Beethoven  verständnisvoller  zu  fassen, 
bietet  sich  denen,  die  eine  Vorstellung  vom  Klang  der  Instrumente 
haben,  dar.  Unverkennbar  hat  nämlich  Beethoven,  der  so  tief  — 
schon  seit  seinem  fünfzehnten  Jahr  (1785)  —  in  der  Instrumenten- 
welt lebte,  bisweilen  orchestrale  Vorstellungen  auf  seine  Klavier- 
werke übertragen,  wahrscheinlich  unbewußt.  Wer  ihn  in  solchen 
Sätzen  errät,  dem  kann  die  Vorstellung  des  Instrumentenklangs 
zum  Fingerzeig  für  den  Vortrag  am  Klavier  werden.  Gleich  das 
erste  zu  betrachtende  Werk  wird  ein  Beispiel  hierzu  bringen. 


Einführung  in  die  einzelnen  Werke. 


I 


Die  einzelnen  Werke. 


Vorbemerkung. 

Es  ist  sclion  S.  11  aiisgesproclien  worden,  daß  iiiclit  alle 
^\'o^ko  hier  zur  ErörtcriiDg-  kommen  und  von  den  in  Betracht  zu 
ziehenden  nicht  alles.  Das  würde  unnötig  und  allzu  um  (anglich, 
es  würde  sogar  nachteilig  sein,  indem  es  der  eignen  Forschung  des 
Studierenden  ungebührlich  den  Raum  entzöge.  Der  Kunstiiinger 
und  Kunstfreund  soll  angeregt  und  angeleitet  werden  zum  eignen 
Forschen,  nimmermehr  soll  dasselbe  ihm  erspart  oder  entzogen 
sein.  Was  also  bei  den  einzelnen  Werken  gezeigt  wird,  soll  er 
prüfen  und,  wenn  er  \  on  der  Richtigkeit  überzeugt  ist,  bei  andern 
Werken  gleicher  Richtung  in  Anwendung  bringen. 

Dieser  Al)sicht  entsprechend  w^erden  die  ersten  Werke  zu 
umständlicherer  Erörterung  kommen  als  die  spätem,  l)ei  denen 
auf  dieser  Erörterung  weiter  gebaut  wird. 

P>ei  jedem  Werk  ist  auf  das  in  der  Biographie''')  darüber 
Gesagte  verwiesen,  weil  es  unangemessen  schien,  dies  hier  zu 
wiederholen.  Doch  liegt  hierin  für  den  Tjeser  kein  Zwang,  auf 
die  Biographie  zurückzugehen;  das  Nötige  wird  schon  in  dieser 
Schrift  zu  geben  versucht. 


*)  „Beethoven,  Leben  und  Schaffen",  4.  Aufl. 


90 


Fmoll- Sonate  Op.  2,  Nr.  1. 

(Biographie,  Teil  I,  S.  104.) 

Ein  zarter  und  beweglicher,  man  möchte  sagen,  weibhcher 
Sinn  waltet  in  dieser  Sonate.  Sanftmut  und  elegische  Stimmung 
ist  ihr  Grundton,  aus  dem  sie  sich  jedoch  zu  leidenschaftlicher  Er- 
regtheit erhebt.  Demgemäß  ist  auch  die  Schreibart  jeder  Massen- 
haftigkeit  fern;  sie  ist  leicht  gehalten,  meist  auf  ehie  Stimme  (mit 
einfacher  Begleitung)  oder  zwei  beschränkt,  reicheres  Stimmge- 
webe nirgends  vorhanden.  Schon  der  erste,  ganz  oberflächliche 
Überblick  lehrt  daher,  daß  von  großer  Schallkraft,  von  einem 
eigentlichen  Fortissimo  hier  gar  nicht  die  Eede  sein  kann.  Wo 
dies  im  ersten  Satze  vorgeschrieben  ist,  bedeutet  es  nur  ein  ver- 
stärktes Sforzato.  Im  Finale  deutet  es  nur  die  höchste  Kraft- 
stufe an,  die  in  dieser  Sonate  anwendbar  ist  und  vom  Fortissimo 
in  andern  Ton  werken  weit  absteht.  Dies  erhellt  schon  daraus, 
daß  der  höchste,  oder  ein  sehr  hoher  Stärkegrad  in  den  mit  ff  be- 
zeichneten Stellen,  z.  B. 


l'reslissüiw. 


f 


ft 2>- 


>' 


v^^ 


m 


gar  nicht  ausführbar  ist. 

AVas  also  nach  dieser  Seite  versagt  ist,  muß  durch  feine  Ab- 
stufung der  zulässigen  Stärkegrade,  durch  Akzentuation  und  — 
als  Ersatz  iiir  die  Schallstärke  (S.  71)  —  durch  Steigerung  und 
NachlaÜ  in  der  Bewegung  erreicht  werden.  Auch  hierin  muß, 
dem  Charakter  des  Ganzen  gemäß,  äußerst  sorgfältig  Maß  ge- 
halten werden;  der  Taktfreilieit  sind  hier  enge  Grenzen  zu  ziehen, 
die  Übergänge  zu  beschleunigter  und  ermäßigter  Bewegung  müssen 
gleichsam  nur  gefühlt,  Jiicht  bemerkt  werden. 

Der  erste  Satz  stellt  sogleich  den  Grund  Charakter  der 
ganzen  Sonate  fest;  selbst  die  leidenschaftliche  Erregung  des  Finale 
entfremdet  sich  demselben  niclit.     Dei*  Hauptsatz   liegt  wesent- 


91 


lieh  in  (lor  Moloilio  dov  Ohorstiinnio,  die  Boi^leitiing  ist  ganz  mitor- 
geordnet.  Wie  der  Aiiianii-  dieser  ]\lelodic  i^espielt  werden  nuil.),  ist 
8.  56  schon  i^ezeigt.  Die  ersten  zwei  Takte  sind  der  Kern  oder 
ihis  ^lotiv  derselben:  in  den  folgenden  zwei  Takten  wird  dasselbe 
auf  h()herer  Stufe  wiederholt,  also  gesteigert.  Hier  aber  stockt  der 
Fortschritt,  die  letzten  Noten  des  Kernsatzes  werden  tiefer,  dann 

höher  in  Erinnerung  gebracht,  endlich  wird  der  liöchste  Ton,  ~ 
mit  erhöhter  Krait  gefaßt  —  und  zögernd  (denn  es  ist  kein  be- 
friedigender Abschluß  erreicht)  geschlossen.  ]\Ian  könnte  den  Vor- 
trag des  Satzes  sinnlnldlich  so 


c   f  ns  c    f    as  s>s  f  l  g  c  e  (j    h        g  l  eis       f  l  l>  "^  0  c  l  c 

l)ezeichnen:  die  steigende  und  sinkende  Linie*)  deutet  Steigerung 
und  Nachlaß  der  Schallkraft  an,  die  Bewegung  treibt  und  mildert 
sich  in  gleicher  A\'eise,  jedoch  in  unmerklichen  Graden;  die 
Akzente  (  '  )  gelten  dorn  vorzugsweisen  Hervorheben  einzelner 
Töne;  Takt  2  as,  Takt  4  h,  Takt  5  as,  Takt  6  Z>,  Takt  7  c  werden 
ein  wenig  zurückgehalten,  am  meisten  c  und  die  folgenden  Achtel, 
die  fast  bis  zur  Andante-Bewegung  hinabsinken;  ebenso  die  beiden 
letzten  Viertel;  die  Doppelschläge  sind  zart  und  ebenfalls  zurück- 
haltend auszuführen.  Alles  das  muß  ohne  Anstoß  geschehen, 
(las  Taktgefühl  muß  durch  die  rhythmischen  Betonungen  wach 
erhalten  werden. 

Dieser  gewagte  Versuch,  eine  Melodie  nach  Stärkemaß  und 
Bewegung  gleichsam  al)zuzeichnen,  findet  nur  hier,  bei  der  ersten 
zur  Betrachtung  kommenden  Melodie,  Zugang.  Bei  allen  Melodien, 
in  denen  der  Wellenzug  der  Enipündung  zum  Ausdruck  kommt, 
wird  sich  gleicher  oder  ähnlicher  Wechsel  in  Bewegung  und  Kraft 
anwendbar  zeigen. 

Der  Satz,  anders  gewendet,  wiederholt  sich,  der  Vortrag  muß 
derselbe  sein.  Der  Schluß  fällt  auf  Takt  8  der  Wiederholung,  die 
folgendfn  Takte 


.-^i^izi^ 


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:^ 


r 


F=t^ 


jq 1 1— 1— 


*)  Es  müßte  AVellenlinie  sein. 


92 

dienen  nur  zu  seiner  Bekräftigung.  Daher  fordern  die  Töne  es  des 
c  .  .  .  sanften  Xachdnick  und  leises  Zurückhalten;  beides  zum 
zweitenmal  verstärkt.  Dergleichen  muß  „sprechend"  deutlich 
werden,  wie  ein  von  Herzen  Redender  etwa  die  Worte  „es  ist 
wahr!  es  ist  gewißlich  wahr!"  aussprechen  würde. 

Das  Tempo  stellt  sich  im  nächstfolgenden  Takte  (zu  der  Achtel- 
figur im  Baß  und  mittels  ihrer)  wieder  her.  Hier  tritt  der  Seiten- 
satz  auf,  dem  Hauptsatz  innig  verwandt,  aber  sein  Gegensatz, 
hinabstrebend,  wo  jen(^r  emporstrebte;  S.  56  ist  darüber  gesprochen. 
Die  Achtelfigur,  in  der  er  ausläuft,  treibt  nach  Kraft  und  Bewegung 
vorwärts,  zögert  bei  den  Wiederholungen  von  d  as  d  und  g  fes  g  — 
denn  der  Komponist  zaudert  ja  auch,  seinen  Gang  fortzusetzen. 
Dann  folgt  neues  Vordringen  und  cndHch  der  schwungvolle  Achtel- 
lauf in  erhöhter  Bewegung.  Bei  der  Wiederholung  würden  die 
ersten  Töne  {as  f  es  des)  durch  lindes  /zurückhalten  und  Betonen 
neuen  Nachdruck  und  dann  dei'  Gang  neue  Belebung  erhalten. 
Zurückgehalten  und  schärfer  betont  folgt  der  Schlußsatz. 

Ich  nenne  den  Achtellauf,  der  nichts  ist,  als  die  einfache 
ü'ouleiter  durch  zwei  oder  drei  Oktaven,  schwungvoll.  Und  so 
kann  er  und  muß  er  im  Zusammenhang  des  Ganzen  und  in  der 
allmählichen  Erhebung  der  Stimmung  heraustreten.  Nicht  der 
einzelne  Moment  entscheidet  über  seine  Bedeutung,  sondern  der 
sinngemäß  in  allen  Gegensätzen  hervortretende  Zusammenhang 
aller.  So  kann  der  j\Ialer  nicht  Licht  malen,  nämlich  das  Licht 
selber;  aber  er  vermag  uns  zu  blenden  durch  den  Gegensatz  des 
Lichten  zum  Dunkel  umher. 

Viel  ist  über  den  kurzen  Satz  gesagt  worden;  erschöpft  ist 
er  nicht.  In  jedem  Ton  Seele!  muß  stets  zugerufen  werden. 
Selbst  die  Begleitung  des  Hauptsatzes  fordert  Beachtung;  diese 
vier  Schläü'e 


^      l        1        I      1    I 


steigern  sich  bis  zum  letzten,  auf  dem  die  Melodie  wieder  anknüpft. 

Soviel  vom  ersten  Teil. 

Der  zweite  bringt  den  Hauptsatz,  dann  den  Seitensatz  wieder; 
Sinn  und  Vortrag  sind  natürlich  derselbe.  Der  Seitensatz  gräbt  sich 
hartnäckig  im  Baß  ein;  das  muß  besonders  durch  die  Anfangstöne 
(as  </,  yes  /,  /es  es)  hervorgehoben  werden,  denn  im  Fortschreiten 
senkt  sich  der  Satz,  bis  er  sich  in  den  Synkopen  gleichsam  vei'lieit. 


93 


Nur  (las  Finale  lorilert  noch  Bemerkung(Mi.  Es  atmet  Sturm 
(Irr  Leidenschaft,  —  aber  in  einer  zartgebildeten  Seele.  Nirgends 
zeigt  sich  blassen  kraft  oder  liöchste  Schallmacht  (S.  52)  anwend- 
bar, nur  das  Zeitmaß.  Prestissimo,  und  noch  ^veit  mehr  das  Auf- 
und  Abwogen  der  Bewegung  und  Stärke  kann  nebst  der  Betonung 
im  einzelnen  den  Satz  zu  seiner  Bedeutung  erheben. 

Das  Zeitmaß  muß  so  hoch  gegriffen  werden,  daß  die  Achtcl- 
iriulen  in  der  Begleitung,  z.  B.  zu  Anfang  und  beim  Eintritt  des 
Seitensatzes 


:3^' 


gleichsam  zu  einer  an-  oder  abschwellenden  Schallmasse  zusammcu- 
gerinnen.  Dies  gewährt  besonders  bei  dem  Schlußsatze  (S.  41) 
eine  sturmartige  Wirkung,  wenn  da  die  Begleitung  pianissimo  an- 
hebt, sechs  Takte  weit  ohne  Anstoß,  ganz  glatt  bis  zum  Fortissimo 
anschwillt  und  in  den  folgenden  zwei  Takten  sich  wieder  stillt. 
Auch  jenen  Momenten  kommt  dies  Zeitmaß  zu  statten,  wo  die 
Begleitung  (am  Schlüsse  des  ersten  und  dritten  Teils)  selbständig 
bedeutsam  wird. 

Gleichwohl  kann  das  Zeitmaß  nicht  durchaus  festgehalten 
werden.  Es  steht  fest  im  ersten  Hauptsatze,  dessen  widersetz- 
liche, zornige  Schläge  sich  im  Piano  wie  im  Forte 


*  »4 


=J-?|fzRjz:,^=:pzi:ti=ö=zi 

=zSz:|g-t:zgz:zz:[— r-Iz:i:z=z 

»     1 1 i_     f  


steigern  und  hart  abbrechen  müssen.  Es  muß  nachlassen  bei  dem 
zweiten  Hauptsatze,  dem  in  .4.9  (Takt  5)  ansetzenden,  nur  daß  der 
Schluß  stets  wieder  zur  ersten  Bewegung  zurückstrebt,  die  dann 
auch  bis  zum  Schlußsätze  herrscht. 

Nach  der  Zerrissenheit    der  Hauptpartie,    nach    dem    unge- 
stümen Wühli)n  des  Scitensatzes,  der  jedes  Glied 


94 

lieftig  eiusetzt  und  verhallen  läßt,  bedurfte  die  Seele  des  Anhalts, 
um  nicht  zu  zertlattcrn.  —  und  die  Musik  hatte  natürlich  gleiches 
Verlangen.  Dies  gewährt  der  Schlußsatz  in  seiner  gesättigten  und 
wiederholten  Melodie.  Er  spricht  an,  wie  der  erste  flüchtige  und 
fast  drohende  Gedanke  der  beängsteten  Seele  an  einen  Helfer  und 
Eächer  dort  oben.  Die  Sammlung  fehlt,  noch  fliegt  alles  im 
Sturme.  Dieser  Satz  darf  nicht  abfallen  vom  Zeitmaß.  Aber 
während  die  Begleitung  daran  festhält,  lassen  die  Viertel  der 
Melodie  sich  gleichsam  wider  Willen  —  sie  mochte  weilen  — 
nachziehen;  es  muß  sich  in  ihrem  zögernden  Nachkommen  ein 
sogenanntes  tempo  rabato  (S.  68)  verspüren  lassen. 

AVas  der  Schlußsatz  angebahnt,  kommt  im  zweiten  Seiten- 
satze (der  nach  dem  ersten  Teil  folgt)  zur  Erfüllung;  er  ist  nichts 
als  Ausdruck  reinster  Andacht,  des  Gebets,  das  schon  an  sich,  auch 
ohne  Erhöruug,  Wohltat  des  Trostes  und  innerlicher  Wiederher- 
stellung ist.  Die  Bewegung  muß  liier  —  aber  unauffähig  —  ge- 
mildert, der  Anschlag  muß  zart,  die  Melodie  in  Wellenhnien  geführt 
und  durch  seine  Betonung  zur  Sprache  erhoben  sein,  der  Spieler 
muß  das  alles  nicht  äußerlich  und  nach  Vorschrift  des  Verstandes 
ausüben,  sondern  den  Sinn  des  Satzes  in  seine  Seele  nehmen. 

In  diesem  zweiten  Seitensatze  zeigt  sich,  was  S.  85  vorbo- 
merkt  ist,  der  Einfluß  orchestraler  Vorstellungen  auf  die  Kompo- 
sition. Man  wird  keinen  Beweis  darüber  erwarten,  der  ist  nicht 
zu  geben;  ja  es  ist  kaum  glaublich,  daß  Beethoven  dergleichen  mit 
BeAvußtsein  getan.  Demungeachtet  wird  jeder  in  den  Orchester- 
instrumenten niclit  Fremde  den  Widerhall  derselben  im  Klavier- 
satze erkennen  und  diese  Erkennung  seinem  Vortrag  zum  Modell 
nehmen  können. 

Der  Satz  besteht  1 .  aus  dem  ersten  Teil  eines  Liedsatzes  von 
10  Takten,  —  2.  aus  dessen  Wiederholung  in  der  höhern  Oktave 
mit  einigen  Umschreibungen  zu  Anfang,  —  3.  aus  einem  neuen 
Satz  und  4.  dessen  wieder  umschriebener  Wiederholung  von  4  zu 
4  Takten.  Dann  folgt  5.  der  Satz  1  in  Oktaven  und  verändert, 
ferner  6.  und  7.  die  Wiederholung  von  :•]  und  4  (diese  verändert) 
und  zuletzt  8.  die  Wiederholung  von  5.  Von  hier  beginnt  der 
Übergang  zum  dritten  Teil  mit  Achteltriolen. 

Der  zweite  Seitensatz  (1  bis  8)  ist  höchst  einfach  und  durch- 
aus gefühlvoll  geschrieben.     Fast  unwiderstehlich  drängt  sich  bei  1 


95 


die  Vorstelliini:-  der  Klarinette  mit  ihrem  seelenvoll  schwellenden 
Ivlani]:(\  ])ei  2  der  Gedanke  an  die  jener  klangverwandte,  aber 
kleinere  und  kühlere  Flöte  auf.  Auch  das  Klavier  liudet  zu  2 
weniger  Klang  als  zu  1,  und  die  Umschreibung  hat  guten  Grund. 
()l)  man  bei  3  an  die  Oboe,  bei  4  an  die  verwandte,  aber  beweg- 
lichere und  bewegungsbedürftigere  Violine,  bei  5  an  Flöte  und 
Klarinette  (oder,  idealer  gefaßt,  an  Flöte  und  Fagott)  denken  will, 
bleibe  dahingestellt.  Der  Spieler  kann  und  soll  nicht  das  Körperliche 
der  Instrumente  nachäften,  sondern  ihrem  Charakter  nachstreben.  — 

Mit  Hilfe  der  wiederkehrenden  Achteltriolen  —  je  zwei 
Takte  —  wird  in  das  Zeitmaß  zurückgelenkt;  die  dazwischen- 
liegenden je  zwei  Takte  mit  Viertelbewegung  lassen  im  Zeitmaß 
immer  wieder  ein  wenig  nach,  bis  die  Triolcn  und  damit  das  erste 
Tempo  sich  behaupten. 

Schon  in  dieser  ersten  Sonate  will  also  jene  so  naturgemäße 
(S.  67)  und  vielen  so  übelberufene  Taktfreiheit  sich  geltend 
machen!  —  Es  geht  nicht  anders.  Aber  man  muß  dabei  der  Be- 
il inoungen  (S.  72)  eingedenk  bleiben,  maßvoll  zu  verfahren,  nie 
weiter  als  nötig  abzuweichen  und  das  Taktgefühl  nicht  bloß 
während  der  Abweichung  durch  rhythmische  Betonung  zu  be- 
friedigen, sondern  auch  rechtzeitig  zum  Grundn^aß  der  Bewegung 
zurückzukehren.  Ohnedem  verliert  der  \'ortrag  Haltung  und 
Energie,  und  kann  endlich  zur  Karikatur  der  Komposition  werden. 


A  dur- Sonate  Op.  2,  Nr.  2. 

(Biographie,  Teil  I,  S.  100.) 

Ein  launiges  Bild  regen,  hin  und  her  gewendeten  Lebens  ent- 
rollt diese  Sonate  vor  unsern  Augen.  Man  muß  jeden  Moment 
rasch  verstehen  unrl  keck  hinstellen,  denn  der  nächste  kann  etwas 
ganz  andres  bringen.     Und  doch,    wie   wechselnd  die  Züge  seien, 


96 


das  Ganze    wächst    in   innerlicher  Einheit  empor.     Das    muß    im 
Vortrage  zum  Gefühl  kommen. 

Leicht   und   scheu   meldet   sich  der  Hauptsatz  des  ersten 
AUeoro 


*¥ 


^fesE 


keck  und  fahrig,  um  sich  in  Vierteln  auszubreiten  und  einem  neuen 
Satze,  dreistimmig  in  fließenden  Achteln,  zu  weichen,  der  in  den 
letzten  Takten  ruhigere  Bewegung  annimmt.  Nach  dem  Schluß- 
akkorde (Takt  20)  mag  einen  Augenblick  länger  pausiert  werden. 
Die  ersten  Motive  kehren  wieder,  dann  der  Satz  in  Achtclbewegung. 
der  beiläufig  gesagt  mit  dem  Auftakt  einer  Sechzehntcltriole  einge- 
leitet wird.  Die  ersten  Motive  müssen  beiseite  bleiben,  aber  der 
Achtelsatz  kann  nach  ihnen  seine  Ruhe  nicht  behaupten;  ein  Anlauf 
in  Sechzehntel triolen  stürzt  sich  hinein,  stellt  sich  als  Gegensatz 
den  Achteln  gegenüber,  die  zuletzt  doch  vorwalten  und,  mit  Viertcl- 
bewegung  in  der  Melodie,  mit  aushaltendem  Basse  den  ruhigen 
Schluß  des  Hauptsatzes  und  ebenso  den  Übergang  zum  Seitensatze 
bilden.  Man  meint  einen  fahrigen  Jüngling  vor  sich  zu  haben,  der 
nicht  weijj,  ^\'0  hinaus  mit  der  sprudelnden  Lebensfülle. 

Wer  dies  Bild  festhält,  fmdet  die  Darstellung  von  selbst. 
Leicht  und  keck  der  Anfang,  leicht  antretend  und  dann  fliegend  in 
allen  Stimmen  der  Achtelsatz,  mit  Hervorhebung  der  Oberstimme, 
Takt  12  bis  14  des  Basses,  ungestüm  hinauffahrend  der  Sech- 
zehntellauf —  das  alles  kann  gar  nicht  anders  sein. 

Nun  tritt,  in  E  moll,  der  Seitensatz  an,  espressivo  be- 
zeichnet, klagend,  gewissermaßen  reuvoll  nach  dem  ungestümen 
und  unsteten  Hauptsatze.  Die  Melodie,  (h^eimal  vier  Takte,  — 
setzt  in  den  ersten  drei  Tönen  geschärft  ein  — ,  sinkt  .jedesmal 
gleichsam  zusammen  und  fordert  jedesmal  Nachlassen  der  Bewegung 
und  Kraft.  Aber  jene  Kollligur  des  ersten  Hauptsatzes  reißt  aus 
der  Kleinmütigkeit  empor,  eiji  neuer  Sturzgang  stellt  die  kühne 
Stimmung  her,  und  aus  dem  bekannten  Achtelsatz  entfixltet  sich, 
in  sanfte  Beruhigung  sinkend,  der  Schlußsatz. 

Dei"  zweite  Teil  beschiiitigt  sich  zuerst  mit  dem  ersten,  dann 
mit  dem  zweiten  Hauptsatze,  die  er  beide  zu  weiter,  energischer 
Ausführung  bringt.    Besonders  vom  ersten  gilt  dies,  der  jetzt  erst 


97 


ans  der  antViiiiilichcn  ZorstUokclung-  zu  li^stcm  Uanzon  zusammcu- 
selnnilzt.  Der  AiisübencU'  miiU  hierin  dem  Komponisten  Folge 
leisten  und  sein  Spiel  zu  gleicher  Enero;ie  des  Anschlags  und  der 
Betonung  erlieben,  bis  der  Satz  selbst  in  Ruhe  sinkt.  Der  Achtel- 
satz kehrt  dann  in  Meiner  schon  bekannten  AVeise  wieder,  scheint 
sich  (Takt  19  und  '20)  ebenfalls  in  Kühe  senken  zu^  wollen,  bricht 
aber  gerade  da  — 


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v-rrzzzfl^^igzr 

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mit  neuer  Energie  hervor.  Hier  treten  die  drei  Stimmen  nach- 
ahmend nacheinander  auf,  die  zweite  setzt  sich  in  den  Noten  e  f 
fort,  die  der  Ausführbarkeit  wegen  in  Gestalt  von  Vorschlägen  zur 
ersten  Stimme  geschrieben  sind.  Jede  Stimme  muß  in  gleicher 
Weise,  mit  gleicher  Energie  gespielt  werden,  in  jeder  muß  die 
Sechzehnteltriole  mit  Kraft  auf  das  nächste  Achtel  schlagen. 

Das  Weitere  bedarf  keiner  Erläuterung,  da  es  nur  Bekanntes 
enthält. 

Das  nun  folgende  Largo  ist  „appassionato"  benannt,  nicht 
um  (nach  dem  Wortsinne)  LeidenschaftUchkeit,  sondern  um  den 
tiefsinnigen  Inhalt  anzudeuten,  den  es  zu  Gehör  bringt.  Still  und 
feierlich  ist  der  Gesang,  gleich  dem  Sinnen  eines  edlen  Gemüts 
in  Einsamkeit  unter  dem  Sternenhimmel.  Wer  sich  mit  dieser 
VorsteUung  zu  erfüllen  vermag,  dem  wird  Verständnis  aller  Einzel- 
heiten und  Darstellung  wohl  gelingen. 

Der  Hauptsatz  zeigt  zwei  verschiedne,  gleichzeitig  auftretende 
Gestaltungen:  erstens  die  Melodie  der  Oberstimme,  innig  ver- 
schmolzen mit  den  zwei  Mittelstimmen,  —  und  zweitens  den  be- 
wegter einhcrschreitenden  Bau,  der  seine  Töne  ganz  kurz  angeben 
soll,  bis  er  zu  den  gebundnen  Achteln  gelangt.  Seine  Melodie  geht 
ruhig,  meistens  Schritt  für  Schritt  einlier,  die  Melodie  der  Ober- 
stimme {fis  fis  fis  I  e  fis  \  g  fis  \  e)  noch  ruhiger,  so  daß  ihr  Quarten- 
schritt (Takt  b)  schon  bedeutsam  wird.  Das  Ganze  muß  still,  aber 
keineswegs  schwach  ertönen,  die  drei  C)berstimmen  müssen  haar- 
scharf  zusammentreffen,    so  daß    die  Akkorde   zwar    sanft,    aber 

M  an,  Anl.  z.  Vortrag  Beeth.  Klav.- Werke.  7 


98 

klangvoll,  sonor  herauskommen;  dabei  muß  dennoch  die  Ober- 
stimme um  ein  fast  unmerkliches  hervortreten  und  die  Betonung 
der  wichtigern  Momente 


unbeschadet  der  Gelindigkeit  in  der  Seelen-  und  Tonbewegung  und 
der  Gleichmäßigkeit  in  den  Mittelstimmen  erfolgen;  g  im  dritten, 
und  noch  mehr  li  im  sechsten  Takte  müssen  als  Gipfelpunkte  her- 
vortreten. Der  Baß  tritt  schon  durch  seine  Bewegung  und  vollere 
Tonreihe  hervor;  im  Stlirkemaß  steht  er  den  Mittelstimmen  gleich, 
oder  darf  sie  wenigstens  nicht  auffallend  überbieten. 

In  dem  kleinen  Zwischensatze,    der   die  Stelle  eines  zweiten 

tr. 

Teils  einnimmt,  sind  die  Töne  a  gls  a  in  Ober-  und  Unterstimme 
(die  jener  nachahmt)  hervorzuheben;  sie  sind  der  Kern  des  Sätz- 
chens. Der  erste  Teil  steigert  sich  bei  seiner  Wiederkehr  (als 
dritter  oder  Schluß  des  zweiten)  bedeutend.  Beethoven  hat  den 
Gipfelpunkt  der  Erhebung  mit  ff  bezeichnet.  Die  höchste  Schall- 
kraft wird  wohl  erst  später  zur  Anwendung  kommen:  hier  mul.) 
bis  zum  Forte  vorgeschritten  und  den  beiden  letzten  Steigerungs- 
momenten, fis  und  e  in  der  Melodie,  durch  zurückgehaltene  Bewegung 
Nachdruck  gegeben  werden.  Die  höchste  Steigerung  tritt  erst  ein, 
wenn  im  Anhange  das  Thema  in  Moll,  gleich  anfangs  mit  der  Vor- 
schrift fortissimo  auftritt/'^)  Bei  dieser  Steigerung,  die  der  Baß  mit 
seinem  weit  hinaufdringenden  Achtelgange  vollführt,  muß  die  ganze 
Schallmacht  zur  Anwendung  kommen  und  durch  Zurückhalten  der 
beiden  ersten  Achtel  im  ersten  und  zweiten  Takte  des  Gangs  noch 
bedeutsamer  werden.   Es  ist  ein  Kraftmoment,  der  die  ganze  Sonate 


*j  Ist  diese  Annahme,  besonders  das  zum  ersten  //'  Bemerkte,  nicht  im 
Widerspruch  mit  Beethovens  Bezeichnung?  —  Keineswegs.  Fortissimo  be- 
deutet nicht  durchweg  „auf  das  allerstärkste",  sondern  sehr  stark,  stärker 
als  Forte,  es  schließt,  wie  jede  Stärkebezeichnung  und  wie  die  Bezeichnungen 
des  Zeitmaßes  (S.  Ol),  viele  Grade  in  sich.  Diese  müssen  nach  dem  jedes- 
maligen Sinn  erwählt  worden.  Beethoven  iiat  //'  vorgezciclmet  1.  für  den 
Abschluß  des  Hauptsatzes,  2.  für  den  Abschluß  dos  Seitensatzes  (12—10 
Takte  weiter)  und  gleich  dahinter  />,  ?).  für  den  Hauptsatz  in  Moll,  der  aber 
noch  in  sich  selber,  im  Achtolgange,  bedeutende  Steigerung  fordert.  Sind 
diese  vier  Momente  von  gleichem  Gewicht?  gewiß  nicht.  Beethoven,  oder 
vielmehr  der  Kunstsprache,  liaben  nur  hinreichende  Zei(;hen  i'ür  alle  Grade 
des  Forte  gefehlt. 


99 


^anz  eiitschioden  überragt,  aber  nach  Vorschrift  iiiul  Inhalt  außer 
allem  Zweilei  steht. 

Eine  letzte  Bemerkung-  zum  Minore   des  Sclierzo.     Im  An- 
t'anjie  des  ersten  'reiles 


ist    lue    zweite  Stimme  (e  \  c)  die  eigentlich  melodieführende,    die 

erste  mit  ihrem  f  e  d\  c  tritt  nur  nachahmend  zu.  Folglich  muß 
sie  am  Vortrag  der  ersten  nachahmend  teilnehmen.  Dies  ist  oben 
angedeutet.  Die  Anfangstöne  beider  Stimmen  fordern  wohl  einen 
leichten  Nachdruck.  Das  alles  ist  nur  durch  entsprechende  Hand- 
lage (S.  44)  zu  bew'erkstelligen.  Selbstverständlich  wird  derselbe 
Vortrag  auch  ])ei  den  Wiederholungen  angewendet. 


Es  dur- Sonate  Op.  7. 

(Biographie,  Teil  I,  S.  171.) 

Eins  der  feinsten  Tongebilde,  die  wir  überhaupt  besitzen.  Der 
erste  Satz  ein  überreicher  Kranz  mannigfaltigster  Blüten  und  dabei 
zu  vollkommnem  Zusammenwirken  geordnet,  weil  das  Ganze  selbst 
einem  einigen  Antrieb  im  Geiste  des  Tondichters  entsprungen  ist. 
Daher  genügt  es  nicht,  w^enn  der  Darstellende  joden  einzelnen 
Moment  für  sich  richtig  orfaßt;  er  muß  auch  das  Verhältnis  eines 
zum    andern    und   ihren  Zusammenhang  zur  Anschauung  bringen. 

Der  erste  Satz  der  Sonate  hat  sieben  Jfauptraomente,  die 
hier  nach  dem  Anfang  eines  .jeden  angeführt 

A  C  j^^^       t)  E 

-k-\i =r :i — TT — ^''-^-•--iVii-J-     ■ 

— y-(_iz ,_4 — _.-^____|j. — f^-^r-^ ^_4_j4.__^. 


1./ 


7* 


100 


lind  mit  Buchstaben  bezeichnet  sind.  A  ist  der  Hauptsatz,  C,  D,  E 
sind  SeitensätzG,  F,  G  und  H  sind  Schlußsätze  —  wenn  man  nicht 
E  oder  F  und  G  ebenfalls  als  Seitensätze  bezeichnen  ^^i\l  — ,  ein 
Zweifelpunkt,  der  hier  kein  Gewicht  hat.  Hiermit  ist  aber  der  Inhalt 
noch  nicht  erschöpfend  bezeichnet,  weil  mehrere  der  Sätze  wesent- 
liche Ausführungen  und  Umgestaltungen  erfahren,  die  fast  als  selb- 
ständige Gedanken  gelten  können.  Es  sollte  nur  ein  Anhalt  ge- 
l)0ten  werden,  sich  in  dieser  Fülle  von  Gestalten  zurechtzufinden. 
Der  ganze  Satz  sprüht  von  frischem,  glanzvollem  Leben,  das 
Tempo,  „Allegro  molto  con  brio",  ist  im  ganzen  das  vollkommen 
ofemäße,  wird  aber  bei  einzelnen  dieser  zahlreichen  Sätze  und  Aus- 
führungen  mancherlei  Wandel  erfahren  müssen.  Man  findet  hier 
reichlichen  Anlaß,  über  Taktfreiheit  und  Maßhalten,  besonders 
über  Verschmelzung  verschiedener  Bewegungsgrade  nachzudenken. 
Der  Hauptsatz  A  (vollständiger  unter  A  und  B  S.  79  angeführt) 
tritt  le])endig  mit  Betonung  auf  die  Haupttönc  der  Takte  1,  3,  5,  7 
und  mit  Steigerung  des  Takts  3  über  1  und  7  über  5  in  fließender 
Achtelbewegung  von  Takt  5  an  hervor.  Takt  13  scheint  sicli  ein 
neuer  Satz,  a, 


St 


.  J    Lu  ^ 


f  ^ 


b 


^  *' 


I         ^     1         I         ^     I  I  ^     I         I         f    *       .VV 


LJ-J      L-Li  ^^ 


hervorzutun,  es  ist  aber  nur  eine  neue  Wendung  des  ersten 
Motivs,  wie  sich  bei  b  und  Takt  16  zeigt.  Diese  ganze  Partie  hält 
am  Tempo  fest,  die  Achtelgänge  werden  fließend  und  glatt,  nur 
mit  Betonung  (und  ganz  leisem  Anhalt  oder  Absatz)  der  Haupttöne 
von  Takt  19  und  23  ausgeführt.  Wo  will  das  enden?  Takt  25 
tritt  schon  wieder  das  Hau])tm()tiv  auf,  aber  im  Sinn  der  Frage 
(Sekundakkord,  Austritt  aus  der  Tonart)  und  anlinltvoll,  olme 
Achtelbewegung, 


101 


\>7^' 


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uiul  mit  einem  Anliaiigo  gieiclisam  erweitert,  das  Motiv  mit  //',  der 
Aidiaug  mit  pi^  bezeichnet.  Offenbar  ist  hiermit  das  Bisheri<^e  ab- 
gebrochen, es  steht  still  anf  seinem  ]\rotive«  Hier  muß  —  der 
Inhalt  schreibt  es  förmlich  vor  —  auf  dem  ersten  Akkorde  geweilt, 
der  Anhang  mid.)  erlieblich  langsamer  gespielt,  bei  Ti  und  noch  mehr 
i)ei  ^"7  muß  pausiert  (das  erste-  und  drittemal  die  vorgeschriebene 
Pause  vergrößert)  werden.  Die  Wiederholung  dieses  Satzes  fordert 
gleichen  Vortrag,  wohl  noch  nachdrucksvollern.  Dann  hat  das 
Zögern  ein  Ende;  die  beiden  folgenden  Akkorde  greifen  mit  frischem 
Mut  und  scharf  betont  zur  ersten  Bewegung  zurück,  der  auch  der 
erste  Seitensatz  (C)  durchaus  anhängig  bleibt. 

Der  zweite  Seitensatz  (D)  schlägt  einen  neuen  Ton  an,  er 
scheint  den  Ungestüm  abbitten,  versöhnen  zu  wollen,  Glied  für 
Glied  (2  Takte,  nochmals  2,  dann  4)  liaben  denselben  Sinn,  der 
nur  sanft  gesteigert,  bei  der  Wiederholung 


^03- 


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:^i=±ir=lzz^: 


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sprechcnd  wird,  daß  man  fast  Worte  zu  vernehmen  meint.  Der 
Satz  muß  wohl  von  Anfang  an  um  ein  kaum  merkliches  langsamer 
genommen  werden,  jedenfalls  muß  die  Ausführung  in  Achteln  auf 
Jedem  ersten  .Vchtel  im  Takte  weilen  und  von  da  ab  sich  neu  be- 
leben, jedes  Glied  aber  ('i  c  />  /y),  wie  schon  die  Tonrichtung  zeigt, 
Seelen-    und    klangvoll    einsetzen   und   um   ein  weniges  abnehmen. 


Das  ül)er  die  Noten  gesetzte  Zeichen 


soll  dies  in  Eriimerung 


bringen,  rührt  aljer  nicht  von  Beethoven  her;  wer  kann  alles  be- 


102 

zeichuon?    Das  zweite  Glied  (^6'  d  c  a)  setzt  um  ein  weniges  klang- 
voller ein. 

Jene  Äclitelfolge  setzt  sich  zuletzt  weiter  fort  und  muß  sich 
nach  Bewegung  und  Schallkraft  bis  zu  dem  mit  ff  bezeichneten 
Punkte  steigern,  der  die  ursprünghche  Bewegung  wieder  erreicht. 
Der  folgende  dritte  Seitensatz  (E)  wiegt  sich  in  weicher  Ruhe 
und  milderer  Bewegung.  Die  kleine  Melodie  {c\h  f\e)  fordert 
Bindung  mit  sanftem  Nachdruck  auf  /',  auch  wenn  sie  in  die  linke 
Hand  fällt;  die  Oktavenfigur  in  der  rechten  muß  sanft  und  fließend 
und  durchaus  untergeordnet  gegen  die  Melodie  geführt  werden. 
Ihre  Weiterführung  (Takt  8  und  9  des  Satzes)  greift  zur  ersten  Be- 
wegung zurück,  in  der  auch  der  Satz  F  mit  Kraft  auftritt  und  in  der 
Wiederholung  (in  Sechzehntelfiguricrung)  seine  Kraft  noch  steigert. 
Beidemal  müssen  die  Haupttöne  jedes  Taktes  betont  werden,  der 
Schluß  aber  (Takt  7  und  8  des  Satzes)  muß  kräftig,  wenn  auch 
nicht  fortissimo  gegeben  Averden.  Auch  hier  ist  ff  nur  als  „kräftig" 
zu  verstehen,  die  äußerste  Kraft  gar  nicht  anwendbar. 

Der  erste  Schlußsatz  (G)  kann  wohl,  während  die  Baü- 
töne  scharf  angeschlagen  werden,  nur  leise,  gleichsam  schwirrend 
ertönen,  worauf  der  zweite  Schlußsatz  (H)  kräftig  mit  scharfer 

Betonung  auttritt  und  von  F  an  sich  leicht  und  feurig  hinabschwingt. 

Der  zweite  Teil  des  Allegro  bringt  den  Hauptsatz  kraft- 
voll wieder.  Die  Achtelfiguren,  die  sich  anschließen,  vertragen  gar 
wohl  eine  zunehmende  Bewegung,  die  sich  über  Takt  1  und  2,  3  und 
4,  5  und  6,  7  und  8.  ü  und  10,  11  und  12  erstreckt,  bei  jedem  Takt- 
paar aber  wieder  vom  ersten  Tempo  ausgeht.  Dieser  Wechsel  in 
der  Bewegung  ist  dem  zweitaktigen  Bau  des  Satzes  angepaßt  und 
fordert  zu  gleicher  zweit  aktiger  Steigerung  der  Kraft  auf.  Mit  kluger 
Schonung  ausgeführt,  gewinnt  der  Satz  eigentümliches  Ijeben: 
Übertreibvnig  würde  freilich  zu  Widersinn  und  Verwirrung  führen. 

Jetzt  folgt  eine  Durchführung  des  Motivs  aus  dem  letzten 
Schlußsatze.  Hierbei  treten  auf  .jedem  ersten  Ton  des  Motivs  leise 
Zögerungen  ein,  entschiedner  zuletzt,  wo  piano  und  decrescendo 
vorgeschrieben  ist.  Auch  das  Motiv  von  A,  mit  pp  bezeichnet,  tritt, 
wohl  zurückgehalten  auf  und  st(;llt  sich  erst  bei  //  im  alten  Tempo 
wieder  her.     Das  Weitere  bedarf  keiner  Erklärung. 

Auch  der  zweite  Satz  der  Sonate  fordert  mu-  zu  einer  kurzen 
Bemerkung  auf.  Nachdem  der  Hauptsatz  in  (Wlur  sehr  zart 
(,.con  gran  espressione")    vorübergegangen,    scheint  es  notwendig, 


103 

iliMi  Soitoiisatz  in  As  dui'  kräftifi-  und  vollklin<,»-cn(l  auszutuhren. 
X'oriieschricben  ist  es  nicht,  vicJmeiir  tinilet  man  unmittelbar  zuvor 

zweimal  i>i>.    und  für  den  Übergang  nach  As  — -__ . —  ,    also 

cresc.  und  zuletzt  decresc.  vorgczeiehnct.     Aber  der  Inhalt    setzt 
den  angeratenen  \'ortrag  außer  Zweifel. 

Über    das  Minore   des  Scherzo   ist  8.  41  schon  das  Nötige 
anuelülui. 


F  dur  -  Sonate  Op.  10,  Nr.  2. 

(Biographie,  Teil  I,  S.  174.) 

Nur  wenige  Bemerkungen  fordert  diese  liebliche  Sonate. 

Der  erste  Satz  gibt  gleich  nach  den  präludierenden  ersten 
Takten  im  Haupt-  und  im  ersten  Seitensatze  (C  dur)  wahre  Modelle 
Beethovenscher  Melodie.  Jede  hat  zweimal  vier  Takte,  jede  hebt 
sich  in  sanftem  Bogen,  sinkt  wieder  herab  und  verlangt  damit 
(S.  55)  sanftes  Anschwellen  und  Abnehmen:  jede  fordert  Unter- 
ordnung der  Begleitung,  sowohl  der  Sechzehntelfigur  als  der 
Viertelfolge.  Beethoven  gibt  auch  den  Vortrag  dieser  Begleitung, 
er  hat  für  die  ^Melodie  und  nochmals  für  die  Begleitung  gebundenen 
Vortrag  vorgeschrieben. 

Der  zw^eite  Satz,  Menuett  genannt,  ein  Meisterstück  in 
kleinem  Räume,  fordert  wohlabgemessenen  Vortrag. 

Dunkel  und  heinüich  (due  corde  würde  wohl  angemessen  sein) 
und  in  lebhafter  Bewegung,  nicht  im  gewöhnlichen  AUegretto- 
Zeitmaß  (das  Beethoven  angege])en  hat)  hebt  sich  die  Melodie 
empor,  beide  Stimmen  in  vollkommner  Gleichmäßigkeit.  Takt  5 
findet  sich  eine  Oberstimme  hinzu,  und  von  hier  würde  —  kaum 
stärkerer,  aber  —  hellerer  Klang  (tutte  corde)  gemäß  sein.  Der 
ganze  Satz  muß  gelinde  wachsen;  er  findet  seinen  Gipfel  Takt  6 
im  Vorschlagston  es,  auf  dem  ein  wenig  verweilt  wii'd:  von  da 
sinkt  der  Satz  wieder  in  Stille  zurück.  Die  Wiederholung  dieses 
ersten  Teils  wird  genau  ebenso  vorgetragen.  Der  zweite  Teil 
beginnt  mit  zwei  einander  nachahmenden  Stimmen,  die  wohl 
gleichmäßig  so 


104 


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vorgetragen  werden  müssen,  während  Beethovens  .y/'  sich  mehr  auf 
die  Begleitung  bezieht. 

Xun  kehrt  die  erste  Melodie  in  der  Höhe  wieder;  es  ist  für 
den  mit  dem  Instrumentale  Bekannten  kaum  möghch,  dabei  nicht 
an  die  süße  Flöte  zu  denken,  deren  Gesang  hier  hoch  in  der 
Himmelsbläue  schwebt.  Gewiß  ist  sanfter,  weicher,  akzentloser 
Vortrag  hier  der  gemäße. 

Der  Des  dur-Satz  (Trio,  nach  der  technischen  Sprache)  ist 
einer  von  denen,  die  mehr  im  Elemente  des  Klangs  und  Zusammen- 
klangs wesen,  als  in  der  Melodie,  die  sich  hier  erst  Takt  11  be- 
deutsam hervorhebt,  —  und  auch  da  ist  noch  das  Element  der 
Harmonie  gleichberechtigt,  wo  nicht  vorherrschend.  Gleicliwohl 
muß  —  bei  vollkommen  gleichem  und  leisem  Anschlag  aller  andern 
Stimmen  —  die  Melodie  (Oberstimme)  um  ein  unmerkliches  vor- 
herrschen. 

Xun  beginnt  das  Element  des  Klangs  sich  in  eigentümUcher 
Weise  zu  entfalten,  indem  es  die  verschiednen  Tonregionen  lang- 
sam und  durchaus  sinnvoll  —  wie  es  bis  dahin  kein  Komponist  für 
das  Piano  ersonnen  —  durchschwebt.  Der  Satz  hat  anfangs  tiefe 
Lage  (Des'f)  gehabt.  Das  muß  auseinandergesetzt  werden;  die 
höhern  Töne  derselben  Lage  (f  -  /)  beginnen  die  Wiederholung  des 
Satzes,  aber  die  tiefen  Töne  (Des-des)  schlagen  nach  und  stellen 
damit  die  Tiefe  greiflich  hervor;  ja  die  Tiefe  wird  gleichsam  per- 
söidich. 


'f  sf  sf 

indem  sie  Melodie  (KeckO  gewinnt.  Der  kleine  Melodiesatz  muß 
bis  (jes  wachsen,  da  unmerklich  Aveilen  und  dann  ausgeiien.  — 
Beethoven  hat  die  drei  sf  gesetzt,  und  vollkommen  richtig,  denn 
diese  drei  Töne  müssen  fühll)ar  werden.  Nur  darl'  man  diese  sf 
niclit  in  Avillkürlicher  Schärfe,  sondern  dem  Sinne  gemäß  (S.  52) 
ausführen;  nur  selir  mäßige  Kraft,  durcb  geringes  Weilen  unter- 
stützt, will  hier  ziemen. 


105 

So  luit  sich  gegen  die  llarniünicinasse  eine  Melodie  gestellt, 
und  zwar  in  der  Tiefe.  Jetzt  sclnvebt  die  Harmonie  in  der  Mittel- 
lage der  Töne  (f-ccs  und  t'-</cs),  und   die  Melodie  entgegnet  —  die 

Flöte I  —  in  der  Höhe  (/'-/),  die  Harmonie  tritt  in  die  Höhe  (/■-/), 
die  äußerste,  die  ihr  ziemt,  und  die  Melodie  tritt  in  die  höchsten 

Töne    (ges-a)    unter    der  jetzigen  Harmonielage.     Das   Violoncell 
bringt  sich  in  Erinnerung. 

Der  letzte  Satz  ist  „Presto"  überschrieben;  wohl  mag 
Beethoven  in  seiner  Virtuosenzeit  so  gespielt  haben,  —  später, 
als  er  mehr  darauf  Bedacht  nahm,  alles  zu  vollem  Verständnis 
zu  bringen,  schwerlich.  Der  Satz  ist  weder  glänzend  noch  leiden- 
schaftlich, sondern  launig.  Jenes  würde  er  auch  durch  das  schnellste 
Zeitmal.)  nicht  werden;  aber  sein  Humor  wird  verwildern,  wenn 
man  nicht  ein  weniges  vom  Presto  abläßt. 


D  dur- Sonate  Op,  10,  Nr.  3. 

(Biographie,  Teil  I,  S.  177.) 

Lebensvoll  und  geistvoll,  dem  Charakter  nach  die  erst(^  große 
Sonate  Beethovens,  obgleich  sie  nicht  so  genannt  ist. 

Das  erste  AUegro  entwickelt  seinen  Hauptsatz,  den  ersten, 

ans  einem  Motiv  von  vier  Tönen,  d  äs  h  a,  das  sich  auch  noch 
weiter  geltend  machen  wird.  Dieser  Hauptsatz,  die  ersten  vier 
Takte,  steigert  sich  im  Vordersatze  nach  Bewegung  und  Kraft 
bis  auf  die  letzten  drei  Töne,  die  zur  Steigerung  der  Kraft  (S.  71) 
zurückgehalten  werden.  Der  Nachsatz  fällt  in  das  Tempo  zurück 
und  wird  in  Achteltigurierung  wiederholt.  Er  ist  bis  zur  Schluß- 
wendung diuxhaus  vom  ersten  Motiv  gebildet.  Für  dies  Motiv 
hat  Beethoven  gleich  anfangs  einen  Wink  gegel)en; 


/^— : 


106 

denke  man  sicli  den  ersten  Ton  hervorgehoben  (das  tut  hier  die 
Oktave),  den  zweiten  Ton,  eis,  an  den  ersten  geschliffen  und  —  etwa 
wie  bei  f  —  auf  ein  Achtel  verkürzt  (das  deuten  die  Punkte  an), 
endlich  die  Tonreihe  des  Motivs  ihrer  Eichtung  gemäß  abnehmend, 
(^321^  ),  so  hat  man  die  Spielweise,  deren  das  Motiv  durchgängig, 
wo  es  auftritt,  begehrt.  Beethoven  konnte  das  unmöglich  überall 
andeuten.  Zuletzt  wiederholt  sich  der  Vordersatz  und  setzt  sich 
zwei  Takte  weiter  fort,  —  die  Steigerung  treibt  sich  von  selber 
weiter,  die  letzten  Töne  fordern  größeres  Weilen,  ohne  zu  be- 
friedigendem Schluß  zu  kommen. 

Die  Unbefriedigung  am  ersten  führt  zu  einem  zweiten 
Hauptsatz  in  H  moll,  ganz  fremd  dem  ersten,  ein  klagendes 
Tongebilde,  das  liedförmig  einen  ersten  Teil  bildet,  einen  zweiten 
Teil  ansetzt,  dann  aber  denselben  ohne  Schluß  als  Gang  zu  dem 
ersten  Seitensatz  in  A  dur  ausweitet.  Alles  das  fordert  hier 
gar  keine  Erörterung.  Ein  zweiter  Seitensatz,  zart  und  lein- 
gebildet gleich  dem  ersten,  folgt.  Unter  ihm  macht  sich  das 
Motiv  wieder  zu  tun.  Es  tritt  gleichsam  unvermerkt  in  der 
Unterstimme  heran,  dröhnt  in  der  Unterstimme  leise  fort,  arbeitet 
sich  in  wechselnden  Stimmen  (je  zwei  und  zweien)  herum  —  hier 
ist  schärfere  Betonung  des  je  ersten  Tons  vorgeschrieben  und  not- 
wendig —  und  wächst  endlich  zum  weiten  Baßgange,  zunehmend 
an  Stärke,  den  ganzen  Satz  bis  zum  Fortissimo  steigernd  und 
nachdrucksvoll  zuletzt  anhaltend.  So  schließt  der  weite,  wechsel- 
volle Tonerguß.  Zwei  Schlußsätze,  ein  bewegter  und  ein  ruhiger 
(etwas  weilend  vorzutragen),  geben  dem  Schluß  Ruhe.  Dann  führt 
—  das  Motiv  zum  Anfang  und  der  Wiederholung  des  ersten  Teils 
und  in  den  zweiten. 

Das  Largo  ist  ein  Gesang  tiefer  Melancholie.  Die  Melodie 
des  ersten  Satzes  muß  über  den  vollkommen  gleichmäßig  und 
piano,  aber  doch  klangvoll  ertönenden  Akkorden  der  Begleitung 
nicht  bloß  hervortreten,  sondern  auch  in  Jedem  Tone  den  richtigen 
Ausdruck  erhalten;  P>eethoven  hat  hierauf  so  viel  Gewicht  gelegt, 
daß  er  sie  zuletzt  (Takt  0  und  7)  mit  Oktaven  verdoppelt.  Gleiches 
Hervorheben  gebührt  auch  der  Melodie  des  zweitem  Satzes,  die 
gebunden  und  mit  feiner,  aber  fühlbarer  Betonung  vorgetragen 
sein  will,  während  tief  darunter  die  begleitende  Stinune  still  und 
unscheinbar  mit  ihrer  Sechzehntelligur  dahinschleicht. 

Zuletzt,  ini  Anhange,  tritt  die  erste  Melodie  (nur  zwei  Takte 
weit)  in  der  Tiefe  des  Basses  auf,    wiederholt  sich  da    und    führt 


107 

sich  weiter.  I3as  alh'S  lunl.»  gieichsaiii  als  dunkles  GeluMuinis 
vonil)erzieheii,  die  Hegleituiiii',  erst  Zweiiiiuldrciüigsteltriolen,  dann 
Vierundseclizigstel.  iniiß  einem  Hauche  i^lcich  beiiinncn,  sehr  all- 
mähhch  anwachsen,  zuletzt  scharf  eingreifen  und  nach  dem  vor- 
gezeichneten  Forte  sogleich  wieder  in  das  Piano  zurückfallen. 


Pathetische  Sonate  Op.  13. 

(Biognipliie,  Teil  1,  S.  185.) 

Der  erste  Satz  dieser  Sonate  ist  „Allegro  molto  e  con  brio" 
überschrieben,  doppelt  und  dreifach  schnell.  Dennoch  möge  man 
sich  vor  Übereilung  hüten.  Die  Ausführung  würde  selbst  im 
schnellsten  Tempo  nicht  gar  schwer  fallen.  Aber  nicht  alles,  was 
man  kann,  soll  und  darf  man.  Der  Inhalt  fordert  große  Lebhaftig- 
keit, und  dies,  als  das  Allgemeine,  schreibt  Beethoven  vor;  aber 
sein  „pathetischer"  Charakter  liegt  nicht  bloß  in  der  Breite  der  Ton- 
massen, sondern  auch  in  zahlreichen  Momenten,  die  Besinnen  und 
Nachdruck  fordern.  Dann  muß  man  auch  auf  das  Grave  Rücksiclit 
nehmen,  das  den  Satz  einleitet  und  zweimal  wiederkehrt.  Es  würde 
nicht  wohlgetan  sein,  das  Zeitmaß  des  Grave  und  des  Allegro 
allzu  weit  voneinander  zu  entfernen.  Wenn  mich  das  Gefühl  nicht 
täuscht  —  denn  unbedingte  Vorschrift  läßt  sich  in  solchen  Fällen 
nicht  begründen  — ,  so  dürfte  die  Bewegung  des  Allegro  kaum 
viermal  so  lebhaft  sein  wie  die  des  Grave,  vier  Allegro- Viertel 
etwas  weniger  Geltung  haben  als  ein  Grave- Viertel. 

Das  Grave  tritt  schwergemessen  auf,  neben  der  Oberstimme  tritt 
die  Baßmelodie  in  gleicher  Bedeutsamkeit  an,  nur  daß  ihr  Gewicht 
mehr  auf  die  ersteji  Takttöne,  das  der  Oberstimme  mehr  auf  die 
dritten  Viertel  fällt.  Die  erste  kadenzierende  Figur  der  Oberstimme 
sollte  schwungvoll  und  kräftig  ertönen,   die  zweite  leise  und  zart. 

Der  Hauptsatz  (S.  41»)  des  Allegro  schließt  einen  G(^.gensatz 
in  sich.  In  Vierteln  strebt  er  aufwärts  und  fordert  dazu  Steigerung 
nach  Kraft  und  Bewegung.  In  breiter  Folge  von  Hall)takttönen 
senkt  er  sich  nieder.  Hier  scheint  der  erste  Halbtaktakkord  ein 
wenig  zurückgehalten  werden  zu  müssen,  um  gleich  den  Sinn  dieses 


108 

Niedergangs  —  „die  Klaue  des  Lüwcu!"  —  fcstziistelleu.  Das 
Weitere  kehrt  zur  ersten  Bewegung  zurück.  Jn  diesem  Sinne 
scheint  das  yorgeschriebene  „cresc."  zu  verstehen.  Wollte  man  es 
wörtlich  nehmen,    so  würde  der  ganze  Vordersatz  und    dazu    der 

Gipfelpunkt  des  Satzes  (c)  piano  bleiben  und  dann  erst  —  ganz 
gegen  den  Tonsinn  beider  Satzhälften  —  das  crescendo  erfolgen; 
und  dieses  crescendo  würde  —  zum  piano  der  Wiederholung  führen. 
Beethoven  hat  richtig  gefühlt  und  jenes  Wort  nicht  etwa  falsch, 
sondern  nur  im  uneigentlichen  Sinne  gebraucht;  wo  soll  man  neben 
den  Noten  Raum  finden,  alle  Wendungen  des  Vortrags  genau  zu 
bezeichnen?  Wenigstens  scheint  der  Vortrag,  wie  er  hier  be- 
schrieben ist,  mit  Steigerung  und  Senkung  an  Schall-  und  Be- 
wegungskraft —  und  das  zweimal  —  Einfachheit  und  Großartig- 
keit zu  gewinnen,  dem  Sinn  des  Ganzen  gemäß. 

Für  das  Adagio  sei  nur  nochmals  erinnert,  daß  die  Melodie 
nicht  bloß  über  die  l)egleitenden  Sechzehntel  (später  Sechzehntcl- 
triolen)  hervorgehoben,  sondern  auch  in  sich  selber  vollkommen 
sangesmäßig  vorgetragen  werden  muß,  mit  allen  Betonungen,  Au- 
und  A])schwellungen,  die  man  ihr  geben  würde,  w^enn  man  die 
Hand  für  sie  allein  verwenden  könnte.  Selbst  ausgezeichnete 
Spieler  versäumen  das  letztere  und  begnügen  sich  (durch  die 
technischen  Schwierigkeiten  neuerer  Kompositionen  in  diese  Manier 
hincingezwungen)  am  erstem.  Aber  Beethoven  kann  nicht  so  mecha- 
nisch abgefunden  worden  wie  Thalberg  und  seine  Gesellen.  Bei 
jenem  ist  die  Schwierigkeit  nicht  so  groß;  man  muß  nur  Gefühl 
und  Hingebung  mitbringen. 


G  dur  -  Sonate  Op.  14,  Nr.  2. 

(Biographie,   Teil  I,  S.  179.) 

Nur  wenig  Bemerkungen  zu  dieser  lieblichen  Sonate;  vielleicht 
sind  auch  die  wenigen  überflüssig. 

Feinheit  und  Anmut  müssen  im  ersten  Satze  das  Spiel 
jedes  Tons  lenken,  liier  würde  die  Beobachtung  ausgebildeten 
Viohnspiels  (S.  84)  auf  das  (erwünschteste  Früchte  tragen.     Gleich 


109 

ilas  crsto  .^lotiv  von  sechs  Noten  niiil.'.  auf  das  innigste,  durcliaiis 
Jielunulen  und  sanlt  mit  zarter  Hebung*  des  zweiten  Tons  lieraus- 
konimen.  zum  drittenmal  sich  ein  wenig  steigern,  zum  viertenmal 

norh  moiir.  mit  gelinder  Seliiirt'uug  des  c  und  weilendem  Nachdruck 

aut  a.  Dazu  mul.'.  der  Bai.)  als  untergeordnete,  wenngleich  nicht 
bedeutungslose  Stimme  nur  so  hineinspielen;  er  ist  wie  zustimmende 
Gebärde  zum  beseelten  Gesaug  der  Oberstimme. 

Den  Schlul.»  der  Oberstinmie  hat  Beethoven  so,  wie  hier  bei  a 


,    a  ^  "-^^     ^''-^^         ^"^-^v         ,%^^  b  IV  und 


bezeichnet,  mit  einem  Bindezeichen  für  die  Noten  jedes  Viertels. 
Es  fragt  sich  nun,  ob  die  bei  b  getroffene  Bezeichnung  der  Figur 
nicht  noch  feinere  Gestaltung  gäbe?  Das  wäre  keineswegs  ver- 
messenes Mäkeln  an  der  Vorschrift  des  Meisters,  sondern  nur  ein 
Versuch,  seine  Vorschrift  genauer  zu  deuten;  er  selber  hat  w^ohl- 
getan,  einfach  wie  bei  a  zu  bezeichnen  und  die  letzten,  der  Schrift 
doch  unerreichbaren  Feinheiten  der  Ausführung  dem  Spieler  zu 
überlassen.  Gleich  darauf,  am  Schlüsse  des  Seitensatzes,  kehrt 
dieselbe  Bezeichnung 


zu  ähnlichen  Tongruppen,  nur  in  doppelter  Jjänge  der  Töne, 
wieder.  Hier  würde  die  Spiclweise  von  b  in  vorigem  Notensatze 
nicht  zu  billigen  sein;  denn  hier  gleitet  der  Gesang  ganz  still  und 
sanft  über  die  drei  und  zwei  Töne,  ohne  daß  der  zweite  jemals 
Nachdruck  erhielte,  wie  zuvor  dreimal. 

Die  bald  darauf  so  fein  hineinspielenden  Sechzehnteltriolen 
(zwei  und  zwei  mit  6  bezeichnetj  sollten  einen  leichten  Nachdruck 
auf  dem  vierten  Ton  erhalten. 

Die  Terzengänge  des  Seitensatzes  ])ilden  ein  I3uett,  den 
Gesang  zweier  gleicher  Stimmen.  Hier  darf  nicht,  wie  sonst 
meistens,  die  f)berstimme  geschärft  und  hervorgehoben  werden;  die 
beiden  Stimmen  zwitschern  ihre  unschuldige  Weise  gleich  sanften 
Vöglein,  und  die  Begleitung  geht  ])eiher.  Zuletzt  vertieft  sich  der 
Sinn,    und  der  Baß  bildet  in  sanfter  Würde  seine    eigene  Melodie 


110 


heraus.  Man  weiß  gar  nicht,  wie  weit  der  liarmloseste  Anfang* 
noch  vorschreiten  kann.  Doch  geschieht  das  niemals  anders  als 
in  voller  Charaktereinheit  mit  dem  Anfang.  Diese  Einsicht  muß 
auch  der  Si)ieler  gewinnen. 

Gleich  im  zweiten  Teile  kann  er  es  bewähren.  Das  zuerst  so 
heitre  Motiv  beginnt  hier  in  Moll,  getrübt,  und  gerät  bald  (Takt  7) 
in  eifervolle  Erörterung  zwischen  zwei  Stimmen,  tritt  dann  (bei  /) 
zu  weitreichender  und  schwungvoller  Auseinandersetzung  in  den 
Baß,  —  es  ist  eine  neue,  ernst  dreinredende,  ja  strenge  Persönlich- 
keit, die  das  Wort  nimmt  und  jenes  anfangs  so  harmlos  spielende 
]\Iotiv  so  weit  führt,  wohinaus  es  nie  gedacht.  Die  Nachwirkung 
zeigt  sich  am  Schlüsse  des  Satzes;  vergebens  liarrt  man  der  Rück- 
kehr der  ersten  süßen  Heiterkeit. 


As  dur- Sonate  Op.  26. 

(Biographie,  Teil  I,  S.  193 ) 


Statt  gewöhnlichem  Allegro  hat  diese  Sonate  als  ersten  Satz 
Variationen  sinnigen  Gehalts.  Vom  Thema  angefangen  durch  alle 
hindurch  will  jeder  Ton  mit  Seele  gelaßt  und  jede  Stimme  bei 
ihrem  Hervortreten  verständnisvoll  eingesetzt  und  geführt  sein. 

Die  Melodie    des    Themas    setzt   saftig    wie   frisches  Leben 

/Indante. 


*      /-v  ^^  und 


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I   I  I  I  I 
-0-0-0-0-0- 


-r 1—1 1 \-W-W-w-w-W «--* 


gleich  in  Oktaven  ein,  die  genau  zusammenfallen  müssen:  die  drei 
oder  sechs  „«s"  werden  sanft  gesteigert,  die  Akkorde  Takt  3  und  4 
vollklingend  aber  sanft  in  vollkomniner  (ileichzeitigkeit  der  Töne 
angeschlagen.  Nur  dei*  Baß,  dem  den  ganzen  Satz  durch  bedeut- 
same Melodie  zufällt,  müßte  durch  gelinde  Verstärkung  und  Stakkato 


_  111  _^ 

von  ileii  andern  Stimmen  ahiiesondert  ^\el■do^.  Weitcrliin  (Takt  ;"> 
bis  8)  wird  er  i];-el)unden  nnd  siniicnd,  mit  B(3tonnng'  des  /'  vorge- 
tragen. Sein  IJesang-  erinnert  an  die  Weise  des  \'ioloncells.  So 
alles  Weitere. 

Aueh  in  der  ersten  \'ariation    meint  man   den  Weclisel- 


g-esang  des  Moloneells  und  der  Klarinette,  weiterhin  (/  as  h  f  es) 
der  Flöte  zu  vernehmen,  das  heißt,  an  die  schmelzende  Weise  des 
ersten,  an  den  wohligen  Klang  des  zweiten,  an  die  luftige  Natur 
des  dritten  jener  Instrumente  erinnert  zu  werden.  Man  kann 
hierin  mehr  oder  weniger  weit  gehn:  jedenfalls  reizt  eine  solche 
Erinnerung  zu  ]\rannigfaltigkeit  der  Spielwcise. 

Die  zweite  Variation  legt  die  ]\[elodie  erst  in  den  Baß, 
dann  in  eine  Mittelstimme.  Das  Spiel  setzt  sanft  und  dumpf  ein, 
erhellt  und  stärkt  sich  im  Fortgange.  Die  Melodie  muß  hervor- 
treten. —  also  Takt  1  und  2  die  ganze  Hnke  Hand,  Takt  ;>  und  4 
die  Töne  as  as  h  \  c  b,  die  Zweiunddreißigstel,  dann  die  Töne  des 
des  c  \  fh  es  und  so  fort.  Alle  sonstigen  Töne  des  Basses  und  das 
ganze  Spiel  der  rechten  Hand  ordnen  sich  der  Melodie  unter,  ob- 
w^ohl  auch  sie  sich  gelegentlich  steigern  und  wieder  zurückgehn. 

Die  dritte  Variation  läßt  wohl  geringe  Steigerung  des 
Tempos  zu.  setzt  piano  an  und  geht  crescendo  bis  Takt  8,  dessen 
erste  zwei  Achtel  angehalten  und  durch  leichten  Absatz  vom  Folgen- 
den gesondert  werden.  Der  zweite  Al)schnitt  vom  Auftakt  und 
Takt  9  bis  16  beginnt  wie  der  erste,  steigert  sich  wie  dieser  in 
Bewegung  und  Kraft  und  wird  wieder  durch  leichten  Absatz  vom 
Folgenden  gesondert.  Die  nächsten  zweimal  zwei  Takte  werden  zu- 
rückgehalten und  scharf  betont,  jedes  der  beiden  Glieder  abgesetzt. 
AN'enn  schon  die  ganze  Variation  einen  dumpfen  Trauerton  anschlägt, 
so  tritt  dieser  Sinn  in  den  vier  Takten  bestimmt  zutage.  Die 
nächsten  sechs  Takte  sind  die  Folgerung  daraus  und  müssen  im 
ersten  Zeitmaß  genommen,  wo  nicht  ein  wenig  zurückgehalten 
werden.  Dann  beginnt  wieder  das  erste  Spiel  mit  fühlbarer  Zu- 
rückhaltung des  vorletzten  Takts.  * 

Bei  der  vierten  Variation  müssen  die  vorgreifenden  Töne 


ip^^^= 


es,  as,  y  USW.  hervorgehoben  werden,    aber    nur    nach  Verhältnis 
der  Stärke  des  Ganzen,  die  anfangs  auf  pp  bestimmt  ist.    Die  mit 


112 

cresc.  bezeiclmete  vStelJc  Takt  7  und  8  kann  ein  wenig  zurückge- 
halten und  mit  schwerem  Anschlag  gespielt  werden. 

Daß  der  Anhang  zur  letzten  Variation  mit  äußerster 
Sorgfalt  gespielt  werden  will,  fühlt  jeder.  Die  Melodie  muß  zart 
und  überredsam  singen,  die  Sechzehntelbegleitung  sich  still  unter- 
ordnen, der  Raß  in  den  ersten  sieben  Takten  gleich  dem  pizzicato 
des  Kontrabasses  in  dumpfen,  kurzen  Schlägen,  dann  gleich  dem 
Violoncell  im  AVechsel  mit  dem  Kontrabaß  mit  feinen  Bindungen 
in  das  Spiel  der  andern  Stimmen  hineinlangen. 

Der  dritte  Satz  der  Sonate  ist  jener  berühmte  Trauermarsch 
auf  den  Tod  eines  Helden.  Mag  jene  Sage,  daß  Paers  Trauer- 
marsch auf  den  Tod  des  Achilles  Beethoven  zu  seiner  Komposition 
veranlaßt  habe,  gegründet  sein  oder  nicht,  jedenfalls  ist  es  ein 
Held,  der  hier  bestattet  werden  soll.'')  Damit  ist  die  schleppende 
Bewegung  unvereinbar,  in  der  fast  ausnahmslos  der  Marsch  gespielt 
wird.  Es  sind  ja  nicht  alte  Weiber  oder  wackelige  Bourgeois,  die 
der  Leiche  folgen!  man  hat  sich  das  H(^er,  das  Heer  in  Waften  zu 
denken,  die  Ijenarbten  Krieger  mit  zornbleichem  Antlitz,  die  der 
Gefallene  so  oft  zum  Sieg  geführt  und  zum  Ruhme.  Hiernach  ist 
die  Bewegung  ungefähr  auf  Allegro  moderato  zu  setzen.  Und  es 
kommt  dabei  gar  iiicht  in  Betracht,  ob  dies  das  Maß  für  wirk- 
liche Soldatenmärsche  ist;  denn  nicht  ein  solcher,  sondern  ein 
idealer  Marsch  liegt  vor,  Teil  eines  freien,  an  kein  äußeres 
Gesetz  gebundenen  Kunstwerks.  Im  Trio  meint  man  das  Geroll 
der  Trauertrommeln  und  den  scharfen-  Einschjei  der  Bläser  zu 
vernehmen. 

Der  Marsch  übrigens  rückt  in  vier  Abschnitten  von  je  vier 
Takten  heran.  Man  darf  sich  vorstellen,  daß  der  Trauerzug  von 
ferne  herannaht.  Pliernach  würde  leise  begonnen  und  langsam  bis 
zum  bangen  Akkorde  Takt  2  des  vierten  Abschnitts  gesteigert 
werden;  die  ersten  zwei  Al)schnittc  können  a  dae  corde  gespielt 
werden,  bei  dem  Einsatz  des  dritten  (H  nioll)  werden  dann  tutte  corde 
genommen.  Nach  den  vier  Abschnitten  folgt  ein  neuer,  in  dem 
mehr  persönliche  Klage  vernehmbar  wird  (pianissimö,  —  das  //" 
nach  Verhältnis  des  pj)  zu  vcrstehn),  und  dann  kehrt  der  Haupt- 
gedanke wieder  mit  vollerm  Einsatz  und  nun  erst  bis  zur  Vollkraft 
(auf  dem  drittletzten  Takte)  gesteigert  und  mit  kräi'tigen  GriOon 
schließend.     Nach  dem  Trio  setzt  der  Marsch  wieder  ein,  steigert 


*)  Vgl.  Ijiogr.   I,  PJl 


113 

sich   wie  zuvor,    »lail  al>cr  nicht    im  />/;,    sondern  in  Mittolstärko 
hoginnen.     Der  Anhan«-  kehrt  in  (his  Pianissinio  zurück. 

Der  rastlos  ihihintliel.'enile  vierte  Satz  darf  ja  nicht  über- 
eilt werden,  damit  man  jede  8timmenwenthnii>'  deutlich  verncdime 
und  in  sich  aulnehme. 


Phantasie -Sonate  Op.  27,  Nr.  1.     Es  dur. 

(Biographie,  Teil  I,  Seite  149.) 

Eine  Reihe  von  Sätzen,  technisch  l)etrachtet  ohne  sonderliche 
Schwierigkeit,  die  gleichwohl  für  sinnvolle  Darstellung  ein  sorg- 
fältiges Studium  erfordern. 

Der  erste  Satz  beginnt  mit  der  Einfalt  eines  stillen  Volks- 
liedes und  hält  diesen  Charakter  durchweg  fest;  die  Melodie  mul.) 
vor  den  ]\Iittelstimmen  sanft  hervortreten,  der  Baß  spielt  sinnig, 
gleichsam  verstohlen  hinein,  bis  er  zuletzt  (Teil  2  Takt  2)  an- 
dringlicher und  von  da  ])edeutsamer  wdrd. 

Nun  hebt  ein  zweiter  Liedsatz  an,  einfältig  wie  der  erste, 
aber  bewegter  und  bewegender.  Die  Melodie  muß  nicht  bloß  her- 
vorgehoben, sondern  in  ihren  Momenten  so  sinngemäß 

ten.  teil. 


■#-#-#-r-^— 1- 1 1-  J 1- 


a- 


(scliärfster,  aber  immer  noch  gemäßigter  Nachdruck  auf  a)  geführt 
werden,  als  es  die  Hand  vermöchte,  wenn  sie  nur  die  Melodie,  nicht 
einen  Teil  der  Begleitung  dazu  auszuführen  hätte.  Diese  Forderung 
wird,  je  tiefer  man  in  l>eethovens  Werke  dringt,  zur  unerläßlichen 
Bedingung.  Die  vollstimraigen  Akkorde  der  Begleitung  müssen 
pianissimo  in  vollkommner  Gleichheit  aller  Töne  erklingen,  durch- 
aus untergeordnet  gegen  die  Melodie,  aber  mit  ihr  an-  und  ab- 
schwellend. Um  den  Klang  zu  verklären,  müssen  die  Dämpfer  ge- 
hoben werden  (Ped.),  wo  es  ohne  Verwirrung  der  Akkorde  und 
Störung  der  Melodie  (z.  B.  Takt  2)  geschehen  kann. 

Es  folgt  (gleichsam  als  Trio)  ein  mit  „AUegro"  bezeichneter 
Satz,    in   dem  freudige  Erwartung  (oder  Erinnerung?)  webt.     Die 

Marx,  AnJ.  z.  Vortrag  Beetb.  Klav.- Werke.  S 


m 

Bewegung  darf  nicht  übermäßig  schnell  sein,  damit  der  Satz  mit 
dem  vorhergehenden  und  nach  dem  8clüusse  sich  wiederholenden 
Andante  keinen  allzu  schroffen  Gegensatz  bilde. 

Erst  nachdem  das  Andante  geschlossen,  gleichsam  erloschen 
ist,  folgt  der  zweite  Satz,  „Allegro  molto  vivace"  bezeichnet. 
Er  mul.)  wenigstens  so  schnell  (wohl  noch  schneller)  genommen 
werden,  daß  seine  Viertel  den  Achteln  des  vorigen  Allegro  gleich- 
stehn.  Es  ist  ein  hastiges,  i'uheloses  Treiben  in  diesem  Satze,  voll 
Heimhchkeit  und  verhaltner,  plötzlich  hervorbrechender  Leiden- 
schaft. Die  ersten  zwei  Takte  jagen  leise,  fast  akzentlos  vorüber, 
die  folgenden  zwei  fordern  Betonung  der  ersten  Takttöne, 


'^^^^^^ 


::-:]: 


i|izt=li=:j— 1-t 


die  nächsten  zwei  Takte  bleiben  wieder  fast  akzentlos.  Ebenso 
werden  die  nächsten  vier  Takte  genommen,  bei  dem  vorgezeichneten 
Forte  werden  die  ersten  Töne  jedes  Takts  sehr  scharf  akzentuiert,  die 
folgenden  weit  weniger  stark  gespielt.  Nur  dieser  Erinnerung  be- 
darf es,  die  ihren  Grund  im  ganzen  Bau  und  Inhalt  des  Satzes  hat. 
Bei  dem  Einale  muß  wieder  vor  Übertreibung  des  Tempo 
(Allegro  vivace)  gewarnt  werden.  Der  Inhalt  darf  nicht  einen 
Augenblick  undeutlich  werden,  der  emphatischen  und  würdevollen 
Sprache  muß  durchaus  Genüge  geschehen. 


Phantasie -Sonate  Op.  27,  Nr.  2.     Cis  moll. 

(Biographie,  Teil  I,  S.  l.'Ui  a.  299.) 

Diese  Sonate  liat,  wenn  nicht  alle  dahinzielendon  übediere- 
ruiigen  täuschen,  einen  ganz  ])estimmten  Inhalt:  sie  ist  der  Wider- 
hall dessen,  was  in  Beethovens  Brust  vorgegangen  war,  als  er  ahnte 
und  schon  als  vollendet  ansah,   daß  das  Band  der  Liebe  zu  Julia 


115 

Guicciardi,  der  die  Sonate  gewidmet  ist,  sich  löse.  Will  man  aber 
auch  die  Überlicterung-  als  unsicher  ansehen,  so  ist  doch  der  Inhalt 
der  Sonate  jenem  Seelenzustande  so  ganz  entsprechend,  dal.)  er 
den  Spieler  in  der  Auffassung  Satz  für  Satz  leiten  kann.  Nament- 
lich aiht  er  Aufschlul.')  über  den  Innern  Zusammenhang  der  drei 
Sätze  der  Sonate,  au  dem  selbst  vorzügliche  Musiker  irre  ge- 
worden sind. 

Der  erste  Satz  ist  jedem,  der  zur  Musik  ein  Herz  mitbringt, 
sogleich  verständlich:  ein  Lied  der  Klage,  der  Entsagung.  Die 
Begleitung,  mit  der  Vorspiel,  Nachspiel  und  Zwischensätze  zu- 
sammengehören, bilden  harfenartige  Triolen  über  einem  in  der  Tieie 
leise  dahinschleichenden  Basse.  Diese  ganze  Partie  muß  leise, 
gleichmäßig  ausgeführt  werden  mit  kaum  fühlbarer  Betonung  der 
ersten  Triolennoten,  mit  sehr  gelindem  Ab-  und  Anschwellen  inner- 
halb der  ersten  vier  Takte,  die  das  Vorspiel  bilden.  Dann  folgt  die 
Bewegung  der  Hebungen  und  Senkungen  der  Melodie."  Der  Baß 
tritt  erst  Takt  16  bis  18,  und  bei  der  Wiederkehr  dieses  Zuges  be- 
deutsamer steigend  und  in  Stille  zurücksinkend,  hervor.  Erst  Takt 
28  bis  31  werden  die  ersten  Triolennoten  durch  eine  neue  Stimme 
(die  nicht  als  Fortsetzung  der  Hauptmelodie  geltem  kann)  verdoppelt 
und  verstärkt;  von  da  gewinnen  die  Triolen,  wie  schon  S.  71  er- 
wähnt worden,  eigne  Bedeutung  und  Gestalt,  dann  kehrt  jene  Ver- 
doppelung wieder.  Die  Verdoppelung  spricht  gleich  dem  Hinein- 
reden einer  fremden  Stimme  an;  das  zeigt  sich  entschc^idend  in  den 
letzten  zehn  Takten,  wo  das  erste  Motiv  der  Hauptmelodie  aus  der 
Tiefe  {Gis  Gis  Gis)  heraufschallt,  nur  leise  hervorgehoben,  ja  nicht 
zu  laut  oder  gar  rauh. 

]\Ichr  als  sonst  ist  es  nötig,  die  Hauptmelodie  über  die  Be- 
gleitung hervorzuheben  und  von  ihr  abzusondern.  Die  meisten, 
selbst  vorzüghche  Spieler,  (Tlauben  sich,  Melodie  und  Begleitung, 
wo  dieselben  in  Oktaven  zusammenfallen,  z.  B. 


mit  flach  auffallender  Hand  und  in  völliger  Gleichheit  der  Stärke 
zu  spielen.  Dies  raubt  der  Melodie  den  ihr  gebührenden  Vorzug 
und  lä(jt  sie  sogar  lückenhaft  erscheinen,  sobald  sie  mit  der  Be- 
gleitung zusammenfällt.     Sie  muß  durchweg  selbständig,  aber  nur 


116 

in  zarter  Weise,  hervortreten.  Vielleicht  könnte  man  an  ihrem 
Schhisse,  Takt  14  bis  11  vom  Ende,  eine  Ausnahme  machen  und 
den  erlöschenden  Gesang  mit  der  Begleitung  in  gleichem  Tonfall 
verschmelzen. 

Der  Gesang  beginnt  ganz  leise  und  nimmt  erst  bei  dem  Wieder- 
anfang in  Fis-moll  einen  helleren,  etwas  geschärften  Klang  an. 
Daß  die  Melodie  so  ausdrucksvoll  betont,  gesteigert  und  gemäßigt 
werden  muß,  als  wäre  der  Hand  nichts  neben  ihr  zugeschrieljen, 
versteht  sich. 

Auf  dieses  Klagelied  folgt  ein  zweiter  Satz,  Allegretto  über- 
schrieben, und  diesem  das  stürmisch  leidenschafthche  Finale.  Das 
letztere  wird  von  den  Spielern  mehr  oder  weniger  gut  aufgefaßt: 
man  betrachtet  es  kurzweg  als  den  Gegensatz  zum  Klagelied,  beide 
als  Ausströmungen  des  innerlichst  bewegten  Gemüts.  Nur  der 
zweite  Satz  erweckt  Zweifel  und  ward  von  den  meisten  Spielern 
mißverstanden,  folglich  sinnwidrig  vorgetragen.  Den  stärksten 
Ausdruck  haben  diese  Zweifel  in  dem  ausgezeichneten  Pianisten, 
Komponisten  und  Lehrer  Ludwig  Berger  gefunden,  der  geradezu 
aussprach:  dieser  Satz  störe  die  Einheit  der  Sonate  und  müsse 
weggelassen  werden.  Daß  dann  auf  einen  Cis  moU-Satz  ein  zweiter 
Cis  moll-Satz  folgen  würde,  wäre  noch  das  geringste  Bedenken 
dagegen. 

In  der  Tat,  wenn  man  diesen  zweiten  Satz  als  Allegretto 
nur  so  hinspielt,  immerhin  mit  den  gewöhnlichen  Wendungen  des 
Vortrags,  so  kann  man  leiclit  in  die  Weise  eines  Wiener  Walzers 
geraten  und  müßte  dann  lieber  gleich  dem  wackern  Berger  bei- 
pflichten. Aber  hier  zeigt  sich,  wie  heilsam  es  ist,  über  die  Noten 
liinaus  auf  die  Antriebe  zu  1)licken,  die  den  Komponisten  zu  jenen 
hingeführt  haben. 

Das  Klagelied  ist  ein  ganz  allgemeiner  l3^risclier  Erguß;  aber 
es  ist  ein  wirkliciier  Moment  aus  dem  Leben  einer  bestimmten 
Person  —  dieses  Beethoven,  der  da  klagt,  daß  er  von  seiner  rjie))e 
scheiden  muß.  Daß  geschieden  sein  muß,  dieser  l)estimmte  per- 
sönliche Gedanke  wird  nicht  im  Lied  ausgesprochen;  das  ist  der 
Inhalt  des  zweiten  Satzes.  Diese  Abschiedsworte:  „0  denke  mein! 
—  ich  denke  dein!  —  Lob"  wohl,  leb'  wohl  ....  auf  ewig!"  diese 
ewigen  und  immer  wiederkehrenden  Scheidewoi'te  Liebender  — 
man  meint  aus  den  Tönen  sie  zu  vernelnnen.  Und  wer  sie  nicht 
vernimmt,  der  denke  sie  sich  hinzu.  Und  wer  das  nicht  vermag, 
nun,  der  lege  die  Sonate  beiseite,   sie  ist  niclit  für  ihn  geschrieben. 


117 

Daher  ist  vor  allcMii  die  vorgezoichnctc  Bewegung-  des  Satzes 
notweiulig.  der  Scheidende  wendet  sich  ab,  nicht  ohne  innerliche 
lebhafte  Aufwallung.  Daher  ist  aber  eine  durchweg  gleichmäßige 
Bewegung  ein  l  nding:  sie  würde  Gleichmut  im  Gemüte  voraus- 
setzen, während  im  Sclieidendcn  alles  wankt.  Besonders  in  den 
ersten  AugenbUcken:  —  nur  allmählich  kann  Fassung  und  Gleich- 
gewicht gewonnen  werden.  Daher  sollte  lebhaft  angesetzt,  aber 
schon  auf  dem  dritten  und  vierten  Ton  gezögert  werden  und  noch 
mehr  bei  der  ersten  Pause.  Die  Wiederholung  des  Gedankens 
„0  denke  meini"  {gc,^  \  f  es  \  as)  mit  den  nächsten  Pausen  muß 
noch  weilender  erfolgen,  denn  das  Gefühl  ist  nun  erst  erweckt,  der 
Gedanke  nun  erst  hellbewußt.     Die  umgestaltete  Y/iederholung  des 

Satzes  (des  des  c  b  \  h  es)  gewinnt  erst  durch  den  Zusammenhang 
tließender  Rede,  nur  mit  Stockungen  nach  es  und  as,  w^o  zuvor 
iörmliche  Pausen  Kaum  fanden:  der  Schlul.)  zögert.  Der  zweite 
Teil  folgt  in  geschlossenerer  und  gleichmäßigerer  Bewegung,  in 
den  ersten  vier  Takten  üüchtiger  vorübereilend,  in  den  zwei  folgenden 

zurückhaltend,  auf  e.s  lange  verweilend,  —  man  muß  eben  dies 
Schwanken,  diese  Unstetheit  der  beängsteten  Seele  zu  verstehn 
und  aus  den  Tönen  reden  zu  lassen  wissen,  reden  mit  jener  Sprache 
innersten  Gefühls,  die  auch  ohne  Worte  von  Herz  zu  Herzen  dringt. 

Welche  Bilder  im  Trio  der  erinnerungsvollen  Seele  vorüber- 
schwinden, aus  seliger  Vergangenheit  noch  einmal  herüberwinken, 
auf  dem  Hauch  der  Klänge  tröstliche  Worte  herüberhallcn,  —  wer 
weiß  das?  Man  muß  mit  der  Seele  hören,  nicht  bloß  mit  den 
fleischhchen  Ohren.  j\lan  n:iuß  empfinden,  nicht  taktzählen,  der 
Seele  des  Dichters,  nicht  der  abstrakten  Vorschrift  des  Tempos  und 
dem  arithmetischen  Eechenexempel  gehorsam  sein. 

Nun  wird  erst  das  Pinale  begreiflich.  ^Man  geht  nicht  gleich 
unter,  noch  weniger  wird  das  ersehnte  Glück  zuteil,  auf  das  man 
gehofft,  —  und  dennoch  muß  weiter  gelebt  werden.  Weiter  muß 
man  leben  im  Sturm,  glück-  und  ruhelosen  Daseins,  die  letzte  Kraft 
austoben  im  L'ngestüm  des  Verlangens  und  mit  der  fruchtlos  in 
die  Püfte  greifenden  Klage.  Das  ist  der  Sinn  des  Finale;  schon 
cinnml.  in  der  F  moll-Sonate  Op.  2,  hat  Beethoven  keinen  andern 
Ausgang  für  innerliches  Leben  gefunden. 


118 


D  dur- Sonate  Op.  28. 

(Biographie,  Teil  I,  S.  194  u.  298.) 

„Eiu  edler  Sinn  zieht  edle  Menschen  an",  so  möchte  man 
mit  leicliter  Verwandlung  des  Dichterworts  von  dieser  Sonate  sagen. 
Ein  einfaches,  großartiges,  vielerfahrenes  mid  noch  großer  Be- 
wegungen fähiges  Gemüt  spricht  sich  hier  aus;  der  Spieler  muß 
fähig  sein,  diese  stille  Großheit  und  Tiefe  in  sich  aufzunehmen 
und  frei  gewähren  zu  lassen.  Für  Heftigkeiten  und  scharfe  Gegen- 
sätze ist  hier  kein  Raum;  alles  entwickelt  sich  stetig  und  ruhig, 
und  eben  darin  zeigt  sich  Macht  und  Großheit.  Niemals  hat  sich 
der  Aberwitz  auffallender  )3loßgestellt,  als  indem  er  (wer  weiß, 
aus  wessen  Hirn  entsprungen)  diese  Sonate  „Pastoralsonate"  be- 
nannte. Der  Spitzname  bezieht  sich  offenbar  auf  den  ersten  Satz 
des  Finale.  Ebensogut  könnte  man  Selon  oder  Piaton  einen 
Schreiber  nennen. 

Das  erste  Allegro  legt  seinen  Hauptsatz  (S.  58  ist  er 
gegeben)  in  ruhiger  Entfaltung  10  Takte  weit  aus;  die  Oberstimmen 
schreiten  still,  aber  rhythmisch  bedeutsam  (Betonung  auf  die  Haupt- 
noten Takt  5  und  6)  abwärts  und  heben  sich  wieder  ebenso  sanft; 
die  Melodie  muß  gelind  über  die  Mittelstimmen  hervorgehoben 
werden.  Daß  auch  der  viertelnde  Baß  nicht  bedeutungslos  pulsiert, 
ist  schon  S.  58  gesagt;  seine  Schläge  nehmen  aus  dem  Piano  vier 
Takte  weit  sanft  zu,  nehmen  zwei  Takte  weit  wieder  ab,  dann 
nochmals  zu.  Der  Satz  wird  wiederholt,  aber  in  feinerer  Zeichnung 
und  dringender;  die  Viertel  des  Basses  ertönen  eine  Oktave  höher 
und  dringen  darum  lebhafter  in  das  Ohr.  Die  Oberstimmen  kehren 
ebenfalls  in  höherer  Oktav  wieder  (die  Melodie  in  feinerer  Tonlage) 
und  in  weiter  Harmonie;  dadurch  löst  sich  besonders  der  Tenor 
los  und  gewinnt  eignen  Gesang,  dessen  erster  Ton  hervortretend 
sein  muß.  die  folgenden  vier  {fU  g  h  c)  aus  dem  IMano  empiindungs- 
voll  anschwellend,  die  letzten  drei  ausgehend.  Zuerst  waren  also 
]\Ielodie,  Baß  und  Mittelstimmen,  .jetzt  sind  Ober-  und  Tenor- 
Melodie,  Baß  und  Mittelstimmen,  die  sich  der  obern  anschließen, 
zu  charakterisieren. 

Diese  zweimal  zehn  Takte  sind  noch  nicht  erscliöpfend  be- 
funden; ein  zweiter  Hauptsatz  von  acht  Takten,  dem  ersten 
verwandt  und  unter  fortpulsierendem  Basse,  folgt  und  wird  eben- 


119 

falls  wiodorliolt  und  mit  vier  Takten  Anhang-  geschlossen.  Allein 
er  ist  dem  ersti^n  Satze  nur  verwandt,  nicht  gleich;  die  zwei 
Anfangstakte  dringen  lebhafter  über  das  ursprihigliche  Zeitmaf.) 
hinaus,  das  im  ersten  Satze  durchaus  festhielt;  nach  diesen  Takten 
kehrt  die  antängliche  Haltung  wieder  bis  zu  der  die  AViederholung 
einleitenden  Achteltigur,  die  sich  in  Bewegung  und  Klangfülle 
hebt.  Die  Wiederholung  fordert  natürlich  gleichen  Vortrag,  nur  mit 
lebhafterer  1  Betonung  der  jetzt  verdoppelten  Melodie.  Der  Anhang 
tührt  zur  Euhe  zurück  und  schließt.  Die  Pausen  lassen  eine 
kleine  Verlängerung  zu. 

>suu  erst  setzt  der  Seitensatz  {h  a  a  cjü  h  d)  in  vier  und 
vier  Takten  an,  ruhig  in  der  ersten  Bewegung.  Mit  Achtel- 
figurierung  wird  er  wiederholt.  Hier  fordert  der  Fortschritt  zu 
lebhaftei'n  Noten  angercgtere  Bewegung,  aber  mit  wohlerwognem 
Ixückhalt.     Es  sclieint  entsprechend,  in  diesem  Satze 


die  mit  a  bezeichneten  Notengruppen  ein  wenig  zu  treiben,  die  mit  b 
bezeichnete  ein  wenig  zurückzuhalten,  —  alles  so  mäßig,  daß  der 
Fluß  des  Ganzen  nicht  gestört  wird.  So  belebt  sich  allmählich  die 
Achtelbewegung  und  kehrt  in  den  letzten  zwei  Takten  zum  Tempo 
zurück.    Der  folgende  Satz  in  Vierteln  gehört  demselben  ganz  an. 

Wie  oben  die  Bewegung  ganz  gelinde  wuchs,  muß  in  dem  mm 
folgenden  Achtelsatzc  die  Schallkraft  14  Takte  weit  ganz  gelinde 
wachsen,  mit  den  sinkenden  Tönen  sinken  und  dann  wieder  an- 
wachsen, bis  der  ruhende  Akkord  (c-es-a-es)  in  Vollklang,  der  zw^eite 
(fis-a-dis)  noch  stärker,  ja  scharf  —  und  beide  angehalten  —  hervor- 
tritt. Von  den  'J'riolen  und  Sechzehntelfiguren  schwingen  die  ersten 
beiden  aus  scharfem  Einsätze  lebhaft  nieder,  die  dritte  hält  zurück. 
Dann  beginnt  das  crescendo  wieder,  aber  aus  schon  ei'höhtem 
Schallgrade  und  führt  auf  dem  ersten  Halbakkorde  (cis-e-a)  zu  hoher 
Schallkraft,  auf  dem  folgenden  (fis-dis-a)  zum  Fortissimo,  worauf 
wieder  zur  Mäßigung  zurückgelenkt  wird.  Der  Schlußsatz  steht 
nach  Schallmaß  und  Bewegung  dem  Hauptsatze  gleich. 

Für  den  zweiten  Teil  sei  nur  erinnert,  daß  die  häufigen 
Sforzatos   ja    nicht    übertrieben,    sondern  nach  dem  herrschenden 


120 


Schallmaß  abgewogen  werden  —  besonders  in  der  Höhe.  Die 
ganze  Entwickelung  über  dem  Baßtone  Fis,  in  der  die  Hauptmelodic 
in  der  vortiefsten  und  zuletzt  in  der  tiefsten  Stimme  liegt,  muß 
von  Anfang  bis  Ende  auf  ein  vollkommnes  Verhallen  eingerichtet 
und  zuletzt  der  reine  Akkord  fis-ais-cis  in  großartiger  Ruhe,  fort- 
gesetzt langsamer  bewegt,  gleichsam  in  den  Abgrund  des  Tonlebens 
versinken.  In  verwandtem  Sinne  muß  auch  der  Schluß  des 
Ganzen  allmählich  verhallen.  Hier  beachte  der  sinnige  Spieler  die 
mdodische  Steigerung  im  letzten  Mclodiegliede, 


:t=:-i]=i: 


-79- 


j^-0 


die  den  Auftakt  auf  a,  dann  auf  d,  auf  fis,  auf  a  hebt  und  zuletzt  — 

aber  hier  verschwindet  diese  Melodie  —  nach  d  greift.  Es  ist  eine 
Überschwenglichkeit,  die  vielleicht  nur  vom  Sänger  vollkommen 
gefaßt  wird.    Sehe  der  Klavierspieler,  was  für  ihn  zu  tun  ist. 

Es  folgt  ein  Andante,  das  den  Charakter  einer  altertümlichen 
Ballade  zu  tragen  scheint;  der  Baß  begleitet  harfenartig,  die  Ober- 
stimmen ziehen  leise  darüber  hin;  das  zweite  Viertel  Takt  1  und  5 
muß  sanft  hervorgehoben  werden.  Der  zweite  Teil  bis  zur  Wieder- 
kehr des  Hauptgedankens  fordert  schärfere  Betonungen. 

Das  Trio  (D  dur)  ist  von  Beethoven  mit  „p^'  bezeichnet.  Die 
Bezeichnung  ist  vollkommen  treöend  für  das  Ganze  des  Satzes, 
schließt  aber  selbstverständlich  Abstufung  der  einzelnen  Momente 
nicht  aus.  Eine  solche  bietet  sich  gleich  anfangs  in  dem  Gegen- 
satze der  vierstimmig  vorschlagenden  Akkorde  und  der  nach- 
folgenden Solo-Figuren;  jene  müssen  —  zwar  nicht  stark  —  aber 
mit  Vollklang,  als  wären  es  sanfte  Blasinstrumente  (Klarinetten, 
Eagotte,  Hörner),  erschallen,  die  Soli  müssen  mit  Anmut  da- 
zwischentreten. 

Die  weitern  Partien  der  Sonate  bedürfen  für  den  Vortrag 
keiner  weitern  Bemerkung. 


121 


Gdur- Sonate  Op.  31,  Nr.  1. 

(^Biographie,  Teil  I,  S.  196  u.  Teil  II,  S.  2^3.) 

Diese  Sonate,  einer  der  glücklichsten  Momente  in  Beethovens 
Laufbahn,  fordert,  ohne  daß  sich  erhebliche  Schwierigkeiten  in 
der  Technik  zeigten,  bloß  zur  sinngemäßen  Darstellung  eine  voll- 
kommen leichte,  für  alle  Feinheiten  des  Spiels  bereitete  Hand.  Es 
ist,  besonders  ül)er  den  ersten  Satz,  eine  Laune  verbreitet,  die 
sich  fast  jedem  besondern  Rate  zu  entziehen  scheint,  außer  dem, 
sie  aus  den  Noten  zu  erraten  und  in  voller  Freiheit  gewähren  zu 
lassen.  Wie  schwerfällig  hinken  schon  diese  ernsthaften  Worte 
der  Heiterkeit  des  Tongedichts  nach! 

Die  Leichtigkeit  und  glückliche  Laune  des  ersten  Satzes 
gibt  sich  schon  in  der  Kürze  der  Gliederung,  in  den  halb  neckischen, 
halb  schwärmerischen  Abbruchen  und  Anhalten  (Pausen)  kund; 
sie  seien  hier  mit  Ziffern  angedeutet.  In  1  greift  die  Oberstimme 
um  ein  Sechzehntcl  vor  und  wird  dadurch  feiner  eindringlich 
ohne  Heftigkeit  oder  geflissentliche  Bedeutsamkeit.  Beethoven 
hat  ,:(f-'  vorgeschrieben.*)  Wir  wissen  schon,  daß  damit  nicht 
höchste  Kraft,  sondern  Energie  im  Verhältnis  zum  Nebenstehenden 
gemeint  ist,  hier  darf  wenigstens  das  ff  nicht  bis  zur  Härte  des 
Anschlags  (wie  man  es  gewöhnlich  hört)  geltend  gemacht  werden. 
\'on  diesem  Ansätze  rollt  der  kleine  Lauf  der  Melodie  leicht  und 
nett  hinunter.     Für  2  und  3  hat  Beethoven  schon  selber  „y'' ,    für 

4  hat  er  ,/•'  vorgeschrieben;  im  letzteren  Gliede  können  dem  Vor- 
griffe (g-h-e-g)  der  Rechten  der  Baß  etwas  zögernd  nachkommen 
und  die  Pause  nach  4  um  weniges  verlängert  werden.  Das 
Glied  5  hat  die  erste  Bewegung;  nach  ihm  mag  eine  kleine  Ver- 
längerung der  Pause  den  Abschluß  des  Satzes  fühlbar  machen. 

Der  Satz  wiederholt  sich  in  F  dur,  das  erste  Glied  kehrt  als 
6  wieder,  7  ist,  wie  zuvor  2,  mit  „p''  bezeichnet,  8  mit  ,/",  das 
hier  wohl  nur  piü  forte  bedeuten  kann;  U  und  10  sind  wie  4  und 

5  zu  nehmen;  11  und  12  ebenso,  nur  11  etwas  schärfer;  der  weite 
Sechzehntelgang  kann  wohl  nicht  ohne  Belebung  des  Zeitmaßes 
bleiben,  besonders  in  den  letzten  fünf  Takten.  Der  Satz  wiederholt 
sich  wie  bei  1,    und    stellt   sich  wieder  im  ersten  Bewegungsmaß 


'•)  Vielleicht  soll  nur  ^/"  stehn.  wie  bei  der  Wiederkehr 


122 

auf,    seine    letzten  Glieder   vor    den  Seclizelmteln  setzen  zögernd 
an  und  verringei'n  die  Bewegung. 

Gleicher  Vortrag  gebührt  dem  Anhange.  Besonders  die  Sech- 
zehnteltriolen  (erst  Doppelschlag,  dann  Arpeggio)  müssen  vor  jeder 
Heftigkeit  und  Übereilung  bewahrt,  lieber  ein  wenig  zurückgehalten 
werden.  Es  ist  seltsam ,  aber  erklärlich,  daß  selbst  gewiegte 
Spieler  gerade  gegen  die  leichte  und  so  häutig  angewendete  Figur 
des  Doppelschlags,  dieser  anmutigen  Umkräuselung  des  Kerntons, 
oft  so  rücksichtslos  verfahren. 

Das  Adagio  graziöse,  der  zweite  Satz  der  Sonate,  ist 
geradezu  italienisch  zu  nennen,  nicht  etwa  Nachklang  Rossinischer 
oder  sonstiger  italienischer  Werke,  sondern  ideale  Darstellung 
aller  dieser  Süßigkeit  und  Hingegebenheit  und  Erregsamkeit ,  die 
man  sich  unter  Hesperiens  Himmel  vereint  denkt.  Was  später 
—  denn  die  Sonaten  Op.  31  sind  1802  bis  1803  geschrieben  — 
Rossini  zu  erreichen  getrachtet  und  in  den  glücklichsten  Momenten 
erreicht  hat,  diesen  Verein  von  Süßigkeit  und  anmutigster  Ko- 
ketterie: das  hat  Beethoven  hier  schon  glücklich  vereinigt.  Mit 
diesem  Sinne  muß  der  Spieler  sich  erfüllen;  diese  Triller  der  Ober- 
stimme müssen  in  äußerster  Schnelligkeit  ihres  Platterns,  in  äußerster 
Gleichheit  der  Bewegung  oder  Beschleunigung,  aus  dem  pianissimo 
bis  zu  durchgreifender  Schallkraft  anwachsend  und  wieder  ab- 
nehmend zur  Ausführung  kommen,*)  dieselben  Triller  müssen  in  der 
nachahmenden  linken  Hand  nur  dumpf  dahinrollen.  In  den  kleinen 
Figuren  muß  auf  das  zierlichste  bald  durch  Zögern,  bald  durch 
Eilen  in  den  einzelnen  Noten  das  eigentümliche  Spiel  gefallsamer 
und  aufreizender  Laune  geübt  werden,  wogegen  die  Quintolen  gegen 
Ende  des  Hauptsatzes  sich  in  hingebender  Gleichmäßigkeit  der 
Tonfolge  gefallen.  Das  Wort  reicht  nicht  weit  hinein  in  diese 
Spiele  süßer  Natur. 


*)  Sei  es  Gewöhnung  oder  was  sonst,  mir  gelingen  diese  TriUer  am 
besten  bei  Aufsatz  der  Finger  1  mid  4  durch  Handbewegung,  obgleich 
die  gewöhnliche  Ausführung  des  Trillers  durch  nebeneinanderliegende  i'inger 
mir  ebenfalls  zu  Gebote  steht. 


123 


D  moU-Sonate   Op.  31. 

(Biographie,  Toil'l,  S.  19G  ii.  Teil  II,  S.  23  u.  3ö.) 

Dieses  tiefsinnige  Werk  gibt  gleich  zu  Anfang  des  ersten 
Satzes  dem  Spieler  ein  Rätsel  auf,  von  dessen  richtiger  Lösung 
der  Erfolg  des  ganzen  Satzes  abhängt.  Nach  einem  Largo  von  zwei 
Takten  setzt  ein  ganz  neuer  Allegrosatz  an,  drei  Takte  lang,  im 
vierten  mit  Adagio  schließend.  Dann  wiederholt  sich  der  Tjargo- 
satz  von  zwei  Takten  —  und  nun  setzt  der  Allegrosatz  (etwas  ver- 
ändert) wieder  ein,  um  sich  bis  gegen  das  Ende  des  ersten  Teils 
lortzuf Uhren.  Mag  man  das  Largo  Einleitung  nennen:  was  bedeutet 
dieses  Allegro  von  drei  Takten,  das  in  so  engem  Raum  unmöglich 
seinen  Gedanken  entwickeln,  ihn  im  Adagio  nur  aufgeben  kann? 
Was  bedeutet  dieses  Hin  und  Her  vom  Largo  zum  Allegro,  dann 
wieder  zum  Largo  und  nochmals  zum  Allegro?  Nimmt  man  gar 
die  Allegrosätze  von  Anfang  an  ganz  gescliwind,  wie  sich  vielleicht 
s])äter  das  Zeitmaß  festsetzen  wird  —  und  so  hat  man  fast  über- 
all, besonders  in  Konzerten,  Gelegenheit,  es  zu  hören  — ,  so  weiß 
man  das  Schaukelspiel  allerdings  nicht  zu  erklären. 

Man  muß  tiefer  eindringen. 

Das  Largo  ist  Einleitung,  Sinnen,  das  noch  nicht  zum  Ge- 
danken erwachsen  ist.  Eine  zweite  Vorstellung,  das  Allegro,  regt 
sich  und  vermag  sich  ebensowenig  zu  vollenden.  Das  Ijargo  ist 
eigentlich  nur  ein  einziger  Akkord,  der  sich  langsam  darlegt,  — 
die  ersten  sechs  arpeggierten  Töne  setzen  langsam  ein  und  folgen 
in  zunehmender  Bewegung,  die  auf  dem  kleinen  a  ruht,  durch  eis 
und  e,  zögernd  nach  a  schreitet  und  da,  wie  Beethoven  vorge- 
schrieben, längere  Zeit  weilt.  Aber  das  Allegro  ist  auch  nur  An- 
satz ohne  Vollendung  und  ohne  Befriedigung.  Es  kann  unmöglich 
feste  Bewegung  haben  —  darauf  w(!ist  schon  das  „Adagio"  über 
seinem  vierten  Takte  hin  — ,  denn  es  hat  in  sich  selber  keine 
Festigkeit.     Der  Satz 


124 

muß  vor  allem  auf  ^.  ==  und  betont  werden,  unter  1  mehr 

und  mehr  zurückhalten  bis  in  das  „Adagio"  des  vierten  Takts, 
dagegen  unter  2  vordringen;  nicht  bloß  seine  ünentscliiedenheit, 
auch  die  fernere  Entwickelung  bedingt  dieses  Schwanken  der  Be- 
wegung. 

Das  Largo  kehrt  wieder,  auch  das  Allegro.  Bis  Takt  5  hat  es 
denselben  Charakter  wie  zuvor,  nur  erregter,  und  Takt  3  und  4 
mit  Betonung  und  Zurückhält  auf  den  zweiten  und  vierten  Vierteln. 
Takt  5  geht  die  Bewegung  klang-  und  sclnvungvoU  und  mit 
scharfen  Akzenten  auf  den  ersten  und  dritten  Vierteln  vorwärts, 
bis  zu  den  6/-Zeichen,  welche  Eückhalte  auf  den  vierten  Vierteln 
andeuten,  dann  von  Takt  10  wieder  scharf  vordringend  bis  an 
Takt  21  des  o'anzen  Satzes.     Die  Takte  17  und  18 


:q-!5zzq^- 


-0- 


=1=1^ 


:^^ 


-X- 
— «--- 


grollen  vor  dem  letzten  entschiednen  Aufschwung  im  halbstarken 
dumpfen  Klang  der  mitteltiefen  Tonlage  mit  Verweilen  und 
Schärfung  der  letzten  Viertel.  Man  bemerke,  daß  bis  zu  dem 
Takt  19  alle  Achtel  umständlich  zu  zweien  zusammengestrichen 
sind,  erst  Takt  19  in  gewöhnlicher  Weise  und  bequemer  zu  vieren. 
Jene  Schreibart  deutet  auf  stoßweisen  und  absetzenden  Vortrag 
der  Achtel. 

Nun  endlich  das  Resultat. 

Alles  bisher  Betrachtete  bis  an  den  Takt  21  ist  Einleitung, 
Anlauf  zu  dem  mit  Takt  21  beginnenden  Satze;  es  ist  in  sich 
unbefriedigend,  denn  es  ist  unfertig,  liegt  noch  und  bleibt  im 
Werden,  stellt  zwei  gänzlich  verschiedne  Motive  gegeneinander. 
Dieses  Ringen,  diese  IJnentschiedenheit  muß  zum  Ausdruck 
kommen,  und  daher  ist  kein  festes  Zeitmaß  möglich,  aber  auch 
kein  schroffer  Einsatz  des  Allegro.  Denn  noch  ist  nichts,  durch- 
aus nichts  bestimmt  und  entschieden,  alles  unsicher,  schwankend, 
fraglich.  Daher  aber,  im  rechten  Sinne  gefaßt,  ist  alles  anregend, 
spannend  auf  das  Kommende,  aufregend. 

Mit  Takt  21  tritt  der  Jiauptsatz  ein,  und  sogleich  in  voller 
Entschiedenheit,    also    gleich    in    festem    und    lebhaftem   Zeitmaß 


125 

iiiul  mit  voller  Kraft.     Hiormit  beginnt    also    der    erste  Satz  des 
AllegTO. 

Der  Hauptsatz  legt  sich  in  breiten  Abschnitten  von  vier  und  vier 
Takten  aus.  Sein  erstes  ]\lotiv  (zwei  Takte)  ist  —  das  des  Largo, 
nur  mit  voller  Kraft  gesetzt  und  auszuführen:  ihm  folgt  als  (Siegen- 
satz ein  zweites  in  klagender  Stimmung  (ebenfalls  zwei  Takte)  und 
ausdriu'klich  mit  ,.;r'  bezeichnet,  wie  das  erste  mit  ,.f'' .  Das  erste 
Motiv  ist  das  herrschende,  beide  müssen  ungeachtet  des  obwalten- 
den Gegensatzes  fest  verbunden  absatzlos  ausgeführt  und  so 

J_ P_^ ^ ^     _    _ 


.77 


betont  und  dann  gemäßigt  werden.  Der  Abschnitt  wiederholt  sich 
v(»n  E  aus,  dann  das  erste  Glied  (das  Largomotiv)  noch  fünfmal 
auf  F,  Gis,  A,  H,  c,  während  das  zweite  Glied  nur  durch  einen 
einzehi  nachschlagenden  Ton  sich  andeutet.  Diese  einzehien  Töne 
sind  mit  „sf'*  bezeichnet;  sie  müssen  nachdruckvoll,  aber  nicht 
bissig  (wie  die  höheren  Töne  oft  zum  Vorschein  kommen)  und 
damit  kleinsinnig  gefaßt  werden. 

Oben  ist  für  den  Hauptsatz  festes  Zeitmaß  gefordert  worden. 
Darunter  ist  nicht  Gleichbleiben  der  Bewegung,  sondern  bestimmte 
Ausprägung  des  Rhythmus  und  dadurch  faßlichste  Abrundung  der 
einzrlnen  rhythmischen  Partien  zu  verstehn.  Dies  fordert  die  Groß- 
artigkeit der  Entwickelung,  zugleich  aber  fordert  das  leidenschaft- 
liche Vordringen  des  Satzes  auch  gesteigerte  Bewegung.  Beide 
Forderungen  lassen  sich  gar  wohl  vereinen;  kräftige  Betonung  der 
rhythmischen  Glieder  ist  das  Mittel.  So  müssen  denn  die  ersten 
Abschnitte  (von  vier  und  vier  Takten)  fest  und  großsinnig  im  Tempo 
verharren,  die  folgenden  fünf  (von  je  zwei  Takten)  und  der  Anhang 
(von  zwei  Takten)  in  der  Bewegung  langsam  und  gehalten  vor- 
dringen. Das  Vordringen  des  Hauptsatzes  ist  um  so  sicherer  ge- 
boten, als  derselbe  gar  nicht  zu  wirklichem  Abschluß  kommt,  also 
in  Bewegung  bleibt. 

Jetzt  folgt  der  Seiten satz.  Und  dieser  Seitensatz  bildet 
sich  aus  dem  Allegroraotiv  der  Einleitung  heraus.  Hiermit  ist 
bewiesen,  was  über  Lmfang  und  Sinn  der  Einleitung  oben  gesagt 
worden. 


126 


Der  Seitensatz  bildet  sich  natiirlicli  im  Sinne  seines  Motivs 
aus.  Er  ist  von  Beethoven  mit  ^p"-  und  „agitato"  bezeichnet;  seine 
fast  atemlose  Unruhe  zeigt  ihn  im  entschiednen  Gegensatze  gegen 
den  Hauptsatz.  Die  Bewegung  kann  im  Seitensatzc  nur  unstet 
sein.    Auch  er  setzt  mit  zwei  Abschnitten  von  je  vier  Takten 


/Jh '-t^     \*   ^  »-•  ^      .     '  rft^-^T-^a-^-»- ^— ^-T 


:1: 


t::ki-^u^- 


an.  Aber  schon  der  erste  Takt  muß  nach  flüchtiger  Betonung  de? 
ersten  Viertels  seine  ersten  vier  Achtel  treilien,  dann  vom  dritten 
Viertel  an  zurückhalten;  so  der  zweite  Takt.  Der  dritte  treibt 
vorwärts  und  erst  der  Anfang  des  vierten  wird  wieder  weilend. 
Gleichen  Vortrag  fordert  der  zweite  Abschnitt.  Von  hier  wächst 
Unruhe  und  Bewegung;  vom  Abbruche  der  Begleitung  geht  die 
Melodie  ganz  stark,  scharf  auf  allen  ersten  Achteln,  zuletzt  vom 
zutretenden  Basse  noch  gekräftigt,  hinab. 

Die  folgenden  zwei  Akkorde  fordern  ganz  volle  Schallmacht, 
und  dazu  bedeutendes,  sehr  bedeutendes  Zurückhalten,  l)esonders 
nachdruckvolles  Weilen  auf.  dem  zweiten  Akkorde  (d-f-h),  worauf 
die  Viertel  a  gis  \  a  bedeutend  ermäßigt  und  dem  Zeitmaß  näher 
folgen. 

Diese  zwei  Akkorde  sind  die  Gipfel  der  Erhebung  und  Kraft 
im  ganzen  Werke;  sie  müss(^n  löwenmütig  gefaßt  werden  und 
ausschallen.  Dann  wiederholen  sie- mit  ihrem  Gefolge  sich  in  der 
höhern  —  und  noch  einmal  in  der  zweithöhorn  Oktave  mit  weiterer 
melodischer  Fortführung  bis  zum  Schluß  auf  A.  Jenes  Gipfehnotiv 
mildert  bei  jeder  Wiederholung  seine  Schallkraft  und  kehrt  all- 
mählich zur  ersten  Hewegung  —  oder  doch  beinahe  bis  dahin 
zurück.  Die  mit  dem  Schluß-^  beginnenden  sechs  Takte  halten 
wieder  zurück,  besonders  ])ei  jedem  Vorgreifen  des  I^asses. 

Mit  dem  Anfang  des  Achtelgangs  wächst  wieder  die  l^)ewegung 
bis  zur  vollständigen  Herstellung  des  ersten  Zeitmaßes;  der 
Schlußsatz  steht  von  Anfang  an  in  demselben  fest.  Übrigens 
beginnt  .jener  Achtelgang  loise  und  wächst  (wie  vorgeschrieben  ist) 
l)is  zur  Vollkraft  im  Schlußsatze.  Das  anfangs  \  orgeschriebene  //' 
deutet  nur  ein  starkes  Sforzato  für  den  vorgreifenden  Diskant  an. 


127 

Die  lanii'samen  Tiuie  zur  Iviickrüliriiiiii'  in  ilen  Aiifan«;'  und  Über- 
riilininü-  in  den  zweiten  Teil  hedürten  keiner  Erklärung'. 

Der  zweite  Teil  bringt  zuerst  das  Largomotiv  in  dreifaeher 
Wiederliolung  und  weiterer  Ausdehnung  zurück.  Die  kleinen  Noten 
müssen  bier  in  leichtem,  schnellem  Wurfe,  die  gTo(.)en  wie  anfangs 
zurückgehalten  gespielt  werden.  Dies  ist  also  die  zweite  Dar- 
stellung jenes  ^lotivs.  aus  dem  der  Hauptsatz  entsprungen:  hat  es 
weiter  keine  l)estimmung,  als  einzuleiten?  Bis  jetzt  nicht.  Aber 
zum  drittenmal  erscheint  es  am  Schlüsse  des  Teils;  und  hier  ent- 
faltet sich  aus  ihm  ein  ausdrucksvolles  Rezitativ:  der  Harmonie- 
klang wird  Eede. 

Schließlich  sei  noch  ausdrücklich  vor  übereiltem  Zeitmaß  des 
Finale  gewarnt.  Die  Spieler  machen  es  häufig  zu  einem  Wiener 
Walzer  oder  zu  einer  Etüde.  Es  ist  aber  nichts  dergleichen, 
sondern  ein  sehr  sinniger  Satz,  von  Verlangen  durchdui'tet,  und 
erregt  bis  zum  Aufgaren  des  (jefühls  und  der  Tonwogen,  aber 
durchaus  von  innerlicher  Bewegung,  wie  die  ganze  Sonate,  fern 
von  j'eder  äußerUchen  Überhastung. 


£s  dur  -  Sonate  Op.  31. 

(Biographie,  Teil  I,  S.  196.) 

Sinnig  und  voll  Schalkheit,  und  beides  im  steten  Wechsel, 
gleicht  dies  Tonspiel  einer  buschumkränzten  Wiese ,  über  die 
w^echselnd  die  Sonne  Lichtflecken,  vorüberziehende  Wölkchen  und 
schlankes  Gebüsch  flüchtige  Schatten  streuen.  Beides,  Lichter  und 
Schatten,  muß  der  Spieler  in  seiner  Hand  haben.  Zuletzt  trägt 
übermütige  Laune  den  Sieg  davon. 

Mit  einer  sinnigen  Frage  liebt  das  erste  Allegro  seinen 
Hauptsatz  an,  läßt  wie  im  Nachdenken  einen  Akkordsatz  folgen, 
wiederholt  ihn,  —  das  alles  noch  nicht  im  kommenden  rechten 
Zeitmaß,  weilend,  wie  von  Nachsinnen  gehemmt.  Drei  lebhaftere 
Takte,  Schluf.)  des  l>isherigen  und  Einleitung  des  Kommenden, 
folgen.  Aber  sie  führen  nur  zur  Frage  zurück,  die  sich  in  der 
höhern  und  feinern  Tonregion  stellt,  eine  Oktave  niederschwebt,  in 
eine  z\\H3ite  und  tiefere  Oktave  den  akkordischen  Nachsatz  stellt  und 


128 

dann  wieder  den  Schluß  in  der  allerersten  mittlem  Tonlage  bringt. 
Dies  wählerische  Sclnveben  durch  drei  Tonregionen  ist  charakte- 
ristisch. Beethoven  liebt  es,  gleich  der  Biene  hin  und  her  zu 
schweifen,  über  all  den  Blumen,  die  ihm  Honigstoft'  bieten,  jede 
verschiednen,  und  alle  zu  benaschen;  doch  ist  sein  bienenartig  Weben 
selten  so  emsig  zum  Vorschein  gekommen  wie  hier  in  diesem 
Satze.  Der  Spieler  muß  das  begreifen  und  jeder  Tonregion  den 
eigentünüichen  Klang  abgewinnen,  dunkeln  der  Tiefe,  hellen  und 
zarten  der  Höhe,  Sprache  der  mittleren. 

Vom  zweiten  Schluß  an  steht  das  Zeitmaß  —  einstweilen  — 
fest,  so  wie  es  sich  bei  dem  ersten  Schlüsse  festgestellt  hatte. 
Noch  schwebt  die  Frage,  jetzt  scherzend,  auf  und  nieder,  und  chi 
festerer  Satz,  vielleicht  etwas  lebhafter,  aber  gleichmäßig  in  der 
Bewegung,  führt  doch  nur  zur  Frage  wieder  zurück,  die  jetzt 
ängsthch,  fast  peinHch  ertönt.  Der  Seitensatz  mit  allem,  was 
sich  daran  hängt,  bleibt  mit  seinem  feinbelebten  Gesänge  dem 
Zeitmaße  treu,  während  der  Schlußsatz  auf  die  Frage  und  deren 
Zögern  zurückkommt. 

Der  zweite  und  dritte  Teil  führt  das  Bisherige  teils 
weiter  aus,  teils  wiederholt  er  es.  Hiermit  ist  der  Vortrag  be- 
stimmt. 

Jetzt  folgt  das  Scherzo.  Die  Oktavenstelle  Takt  9  bis  17 
ist  ein  reines  „Pariando",  wie  herausgestohlen  aus  irgendeiner 
Opera  buffa,  man  hört  die  Töne  und  glaubt  Worte  zu  vernehmen, 
—  wer  weiß,  was  sie  sagen!  ist  es  irgendein  Eossinischer  Butl'o, 
der  spricht?  ist  es  Antonio  aus  Mozarts  (Josi  fan  tutte?  Wer  — 
aber  die  sind  alle  schon  alt  —  wer  jemals  das  Vergnügen  gehabt, 
die  Sontag,  nicht  die  Frau  Gräfin  Eossi  mit  ihren  noblen  Passionen, 
sondern  Henriette  Sontag  im  „Barbier"  zu  hören,  oder  den  feinsten 
aller  P>uffbnen,  Spitzeder,  der  versteht  diesen  Beethovenschen  Vers; 
und  wer  sich  dergleichen  mit  der  unbedingten  Freiheit  der  Eede 
und  schalkischen  Feinheit  des  Humors  vorzustellen  vermag,  der 
weiß  das  Beetliovensche  Scherzo  durchzuführen.  Der  Strom  der 
Töne  rollt  weit  daliin,  —  jene  Erinnerung,  oder  was  man  Ver- 
wandtes an  ihre  Stelle  setzen  mag,  genügt  nach  allem  früher  \W- 
nierkten  für  den  ganzen  Satz. 

War  das  Scherzo  losgebunden,  so  ist  (nach  einer  ruhigen 
Menuett,  die  sich  statt  des  Adagio  findet)  das  Prcsto-Finale 
«geradezu  ausgelassen,  besonders  nach  dem  feinen,  leicht  (hihiii- 
gleitenden    ersten    Hauptsatze    in     deji    übermütig    poclienden 


129 

Akzenton  des  zweiten  und  in  der  luistii^'en  Fliiclit.  (schnelle  Be- 
wegung, glatte  Bindungen)  des  dritten,  der  wieder  geradezu  aus 
dem  Finale  irgendeiner  r>utYo-()per  davongelaufen  scheint.  Merk- 
würdig sind  allerdings  diese  Anklänge  an  Itaüen  in  einer  Zeit,  wo 
man  von  Eossini  noch  nichts  wußte,  wenigstens  Beethoven  nicht. 
Später  sollte  er  hei  den  Wienern  vom  Welschen  verdrängt  werden. 
Indes  Welscher  war  er  auch  hier,  auch  in  der  G  dur-Sonate  nie- 
mals gewesen:  neben  all  den  Scherzen  und  all  der  hesperischen 
Süßigkeit  bestand  die  deutsche  Tiefe  und  Idealität.  Wer  nicht 
beide  Seiten  schaut  und  zu  verbinden  weiß,  vermag  dei'  Sonate 
nicht  genugzutun.  Dem  flüchtigen  Scherz  muß  sich  Zartheit,  dem 
Ernst  Laune  gesellen.  Die  Darstellungsmittel  für  beides  sind 
schon  oewiesen. 


k 


C  dur  -  Sonate  Op.  53, 

(Biographie,  Teil  I,  S.  188.) 

Diese  Sonate  gehört  vorzugsweise  der  Region  des  Tonspiels  zu; 
ja,  man  könnte  versucht  sein,  sie  nach  den  Schwierigkeiten,  die  sie 
bietet,  und  nach  dem  Glanz  der  Ausführung,  den  sie  gewährt,  ein 
Bravourstück  zu  nennen,  wenn  sich  nicht  doch  über  alles  das  hinaus 
eine  Geistigkeit  erwiese,  von  der  in  der  Eegion  des  Tonsi)iels  sich 
nur  selten  etwas  verspüren  läßt.  Gleichwohl  bietet  ihr  Vortrag,  von 
der  technischen  Schwierigkeit  abgesehen,  wenig  Schwierigkeit  und 
fordert  nur  wenige  Bemerkungen:  selbst  die  technischen  Schwierig- 
keiten   sind    für    einen  gut  geschulten  Pianisten  nicht  allzu  groß. 

Die  Sonate  besteht  nur  aus  zwei  Sätzen.  Zwischen  ihnen  tritt 
ein  „Adagio  molto"  auf,  das  aber  kein  selbständiger  Satz,  sondern 
(wie  auch  die  Überschrift  sagt)    nur  Einleitung  in  das  Finale  ist. 

Der  erste  Satz,  Allegro  con  brio,  verrät  gleich  die  Ungeduld 
der  spiellustigen  Hände;  im  Pianissimo  und  in  tiefer  Tonlage  setzt 
der  Schnell  tritt  der  Achtel  an  und  steigert  sich  bis  zu  dem  ersten 
Schlag  des  dritten  Takts,  nicht  bedeutend,  aber  fühlbar,  in  voll- 
kommener Gleichheit  des  Anschlags  und  der  Bewegung,  Nachdruck 
auf  jenen  ersten  Griff  des  dritten  Takts  bringend.    Der  vierte  Takt 

Marx,  Anl.  z.  Vortrag  JJeeth.  Klav.- Werke.  9 


130 

ist  nur  verfeinerter  Xaclihall  des  dritten.  Gleichen  Vortrag  fordert 
der  zweite  Abschnitt:  er  ist  dem  ersten  nachgebildet,  nur  mit  ver- 
größertem {Schlüsse;  bei  dem  „decresc."  ziemt  sich  wohl  Zurück- 
halten der  Bewegung. 

Diese  beiden  l^artien,  die  den  Vordersatz  des  Hauptsatzes 
vorstellen,  werden,  in  fiebernde  Sechzehntel  auseinandergesetzt, 
mit  leichter  Hand  auf  die  Dominante  von  E  dur  geführt  und  da 
fest-  und  sichergestellt:  der  Übergang  zum  8eitensatz  macht  sich 
gleichsam  stutzig  fühlbar  (vier  Takte  vor  dem  Seitensatze)  und 
der  Spieler  muß  das  durch  leichtes  Zurückhalten  fühlbar  machen. 
Sanft  und  ruhig  wiegt  sich  dann  der  Seitensatz  im  Lichtglanz 
seiner  holden  Tonart;  er  soll  wohl  ein  wenig  zurückgehalten  werden, 
auch  da,  wo  die  Triolenfigur  seine  Melodie  umspielt.  Erst  der  Gang 
(vom  Yorgeschrie])encn  ,/''  an)  kehrt  zum  ursprünglichen  Zeitmaß 
zurück,  das  sich  bis  zu  der  Viertel-  und  Achtelfigur  des  Schluß- 
satzes behauptet;  hier  wird  wieder  ein  Avenig  zurückgehalten,  be- 
sonders auf  den  Viertelnoten. 

Der  Überleitungssatz  „Introduzione"  benannt,  ist  ein  nach- 
sinniges Adagio,  das  auf  das  dritte  und  sechste  Achtel  (ersteres 
ist  mit  „ten."  bezeichnet)  Nachdruck  legt  und  im  folgenden  Takte 
bei  der  Pause  und  den  folgenden  Akkordangaben  zögert.  Wenn  die 
zerstreut  auftretenden  Ansätze  Takt  9  bei  „rinforzando"  zu  einer 
festen  Melodie  zusammenschmelzen,  meint  man  einer  jener  Violon- 
cellmelodien zu  vernehmen,  die  Beethoven  nach  Inhalt  und  Klang 
so  eindringlich  zu  setzen  weiß :  Avenigstens  würde,  wenn  man  auch 
die  Erinnerung  nicht  gelten  lassen  will,  der  Vortrag  in  solcher  Weise 
sich  gestalten  müssen;  besonders  im  ersten  Takte,  auf  den  der  Ver- 
gleich Anwendung  findet,  müssen  feste  Bindung,  eindringliche  Be- 
tonung des  ersten  Achtels  und  der  beiden  andern  mit  „sf.  sf."  be- 
zeichneten in  der  Synkopenfigur  vereint  mit  \ollsaftigem  Klang 
der  Unterstimmen  den  Sinn  des  Satzes  eindringlich  machen. 

Das  Finale  mit  seinem  kindlich  spielenden  Hauptsatze 
möge  doch  ja  vor  jeder  Übertreibung  im  Zeitmaße  bewahrt  bleiben! 
Die  Überschrift  „Allegretto  moderato"  weist  auf  diese  Mäßigung 
liin,  der  liebliche  Hauptsatz  fordert  sie,  aber  auch  die  beiden 
Seitensätze,  der  erste  in  A  moll,  in  Sechzehnteltriolen  und 
der  zweite  in  (J  moll,  nötigen  dazu,  wenn  sie  charaktergemäß  auf- 
treten sollen.     Beide  treten  in  di'ei-  und  vierfachen  Oktaven 


131 


uml 


mit  ungestüm  i)Oclici)(ler  Kraft  auf  {es  ist  „/"  und  ..sempro  /'"  vor- 
gezeichnet): jeder  Schlag  auf  die  Tasten  soll  wie  Hammerschlag 
vernommen  werden  und  wirken:  die  Finger  könnten  eilen,  aber 
der  Sinn  des  Hörers  könnte  nicht  so  sicher  auffassen.  Dazu 
kommt,  daß  der  erste  Seitensatz  viermal  Steigerung  fordert, 


und  zwar  mit  Betonung  und  kurzem  Verweilen  auf  jedem  letzten 
Steigerungstone,  dann  sechs  gleichstark  pochende  Töne  und  den 
siebenten  wieder  stärker  und  etwas  angehalten.  Dazu  kommt,  daß 
der  zweite  Seitensatz  (acht  Takte)  nach  seiner  ersten  Aufstellung 
gegen  die  Hauptmelodie  einen  Gegensatz  in  Sechzehnteltriolen 
aufstellt,  der  ebenfalls  charakteristisch 


bezeichnet  sein  will,  daß  der  Anhang,  dieses  pochende  cj  g\g  g  g  g\c, 
Nachdruck  für  jeden  Schlag  fordert.  Es  bleibt  dabei:  je  bedeut- 
samer der  Inhalt,  desto  weniger  darf  darüber  hingeeilt  werden. 
Den  üngeduhhgen  kommt  dann  der  Anhang  „Prestissimo"  zu 
statten. 


9* 


132 


F  moll-Sonate  Op.  57. 

(Biographie,   Teil  II,  S.  2G-34.) 

In  eine  höhere  Eegiou,  als  die  bisher  betrachteten  Sonaten, 
führt  uns  diese  F  moll-Sonate.  Etwas  davon  ist  schon  irgendeinem 
Klavierhelden  oder  zuhorchenden  Musikhändler  durch  den  zer- 
streuteii  Kopf  gefahren,  und  flugs  hat  er  der  Sonate  den  Spitz- 
namen: „appassionata"  angehängt.  Das  hat  ungefähr  gleiches  Ge- 
wicht, als  wollte  man  einen  Hannibal  oder  Napoleon  „einen  recht 
braven  Kriegsmann"  nennen.  Leidenschaftliche  Sonaten  hat  Beet- 
hoven  gar  viele  geschrieben  und  von  verschiedenstem  Inhalt;  daher 
hat  er  niemals  eine  nach  dieser  unbestimmten  Eigenschaft  benannt. 
Lassen  wir  dergleichen  beiseite  und  gehen  zum  Werke  sell)st. 

Hier  wird  sogleich  ein  durchgehender  Charakterzug  bemerk- 
bar: das  Tonbild  ist  vom  Anfang  an  bis  zum  Ende  gleichsam  in 
Nacht  gehüllt.  Nicht  Gestalten,  bestimmt  abgeschlossen,  wandeln 
vorüber,  die  sich  in  fester  Zeichnung  zu  erkennen  geben,  gleichsam 
i>reifen  lassen.  Es  hat  alles  mehr  das  Wesen  von  Phantomen,  die 
nächtig  vorüberschwinden,  ungreifbar  wie  die  Luft,  in  die  sie  zer- 
rinnen, sobald  man  ihnen  nähertreten,  sie  festhalten  will.  Ist  das 
Ganze  ein  Traumbild  beängsteter  Nachtstunden?  Dazu  zeigt  es  zu 
sichre  Folgerichtigkeit.  Ist  es  eine  Vision,  wie  es  deren  gibt,  die 
der  Ufiterwelt  entschwebt  scheinen?  Dem  Verstände  bewiesen  kann 
dergleiclien  niclit  werden.  Aber  die  Kunst,  das  Kunstwerk  gehört 
auch  nicht  dem  Verstände,  ist  nicht  aus  ihm  gel)orcn,  sondern  ist 
ein  Kind  der  Phantasie  und  gehört  ihr  zu.  Nur  ist  es  nicht  die 
fessellos  und  ziellos  schweifende  Phantasie,  der  diese  Tondichtung 
entsprossen,  sondern  jene  J3etätigung  der  bildenden  Kraft,  der  die 
Vernunft,  die  ewige  Lenkerin,  bestimmte  und  ideale  Ziele  gesetzt 
hat.  Dergleiclien  Aufgaben  im  Gebiete  der  reinen  Musik  zu  lösen, 
war  Beethovens  eigentümlicher  Beruf. 

Wer  nun  für  dergleichen  nicht  Sinn,  nicht  Glauben  in  sich 
findet,  wie  will  der  dem  Werke  beikommen?  Ihm  ist  dann  die 
F  moll-Sonate  nichts  als  eine  Aufgabe  für  technische  Geschicklich- 
keit. Allenfalls  beschränkt  er  sich  auch  darauf,  blof.')  das  Finale  zu 
spielen,  —  wie  es  in  mehr  als  auunn  Berliner  Konzerte^  von  ver- 
schiedenen Eingebornen,    Virtuosen' und  Lehrern,    gehört    worden 


133 

i<t.  Ktwa  so.  als  wollte  man  der  Niohc  Kopl'  iiiul  Brust  absägen 
und  den  Kest  auf  das  Piedestal  l)ringen. 

Zur  Saehe. 

Gleich  das  erste  Allegro  assai,  und  in  ihm  gleich  der 
Hauptsatz,  setzt  den  CMiarakter  des  ganzen  Tougedichts  fest. 
In  hohlen  Doppeloktaven  schwcht  dieser  Satz  (ß.  43)  heran,  weit- 
schrittig,  ganz  leise,  mit  hebendem  Triller  Iragweise  schließend, 
oder  vielmehr  stockend.  Dal.)  die  weitabgclegene  Unterstimme  die 
obere  schattengleich,  noch  leiser  wh^,  sie,  begleiten  sollte,  ist  S.  43 
schon  angemerkt.  Nach  dem  Absätze  verlängerte  Pause,  dann 
Wiederholung  auf  der  höhern  Halbstufe,  beidemal  sollte  auf  dem 
Anfangston  (erst  c,  dann  Des)^  dann  auf  der  nächsten  Hauptnoto 
(erst  I\  dann  Ges)  unmerklich  gezögert,  im  zweiten  Takt  etwas 
beeilt  nach  dem  höchsten  Ziele  hingeglitten,  auf  dem  ersten  Ton 
des  dritten  Taktes  wieder  ein  wenig  geweilt  werden.  Die  Schluß- 
formel wird  wiederholt,  und  abermals  wiederholt,  —  und  dazwischen 
dröhnt  aus  der  dunkeln  Tiefe,  ganz  leise,  zögernd,  geheimnisvoll 
dieses  rätselhafte,  einsame 


L:^ 


herauf,  dreimal  wiederholt,  eine  Mahnung,  —  woher?  Die  Ober- 
stimmen haben  lang  nachgehallt,  wie  man  eine  ängstende  un- 
beantwortbare  Frage  dem  Fragenden  zurückgibt. 

Alles  schwankt  ])is  hierher  unsicher  und  unfest,  ängstigend. 
Da  reißt  sich  die  Oberstimme  heraus;  in  harter  Kraft  (S.  32), 
wie  der  Aufschrei  der  Angst  stürzt  sie  in  zackigem  Schwung  und 
))eflügelter  Eile  hinab  nach  der  Tiefe,  wieder  zurück  nach  der 
Höhe,  tritt  stampfend  auf,  sich  festzusetzen,  —  und  doch  bebt  der 
letzte  Akkord  nur  ganz  leise  nach  und  bleibt  gefesselt  stehen  bis 
zum  völligen  Aushall. 

Der  erste  Satz  kehrt  wieder,  ganz  leise,  gleich  auf  dem  dritten 
Tone  zerrissen  von  dem  jähen  und  gellenden  („//*•'  vorgeschrieben 
unmittelbar  nach  zweimaligem  „j/')  Hineinschrei  der  Harmonie,  und 
sogleich  wieder  leise  („2?"  vorgeschrieben)  weiterschn^itend.  So 
schreit,  kreischt  die  Angst  auf,  nachdem  ihr  lange  genug  der  Laut 
in  der  Brust  erstickt  war.  Oder  ist  es  (iin  unbekanntes  Fremdes, 
das  in  den  leisen  Schritt  des  Satzes  grausig  hineingreift?  —  drei- 
mal schläirt  dieser  Donnerschlag  in  den  stillen  Satz. 


134 

So  harte,  schroffe  Gegensätze  finden  sich  selten  bei  Beethoven, 
der  nicht  ^Sprünge  und  Abspringen  liebt,  sondern  ruhige  Ent- 
^Yicklung,  wie  sie  der  organischen  und  geistigen  Welt  Gesetz  ist. 
In  welche  Region  verweisen  uns  jene  schroffen  AVechsel?  —  Man 
enträtsele  das,  und  der  Darsteller  habe  Mut  und  Kraft  dazu. 

Jene  fragweise  Schlußformel,  die  gleich  anfangs,  Takt  3,  auf- 
getaucht, kehrt  auch  hier  zweimal  wieder;  von  hier  entschweben 
Avir  in  andre  Regionen,  zu  andern  Bildern,  Entschweben,  das  ist 
kein  willkürhcher  Ausdruck;  er  ist  der  einzig  gemäße  für  das 
Niedertauchen  des  Überleitungssatzes,  der  von  den  festen  Antritts- 
punkten stets  auf  die  unsichern  letzten  Achtel  hinübergleitet  und 
nur  den  stehenden  Baß  als  sichere  GrundUnie  unter  sich  hat,  und 
auch  den  nur  in  rastlos  pulsierenden  Schlägen. 

Still  rauscht  dieser  hin  und  her  wankende  Baß  in  tiefster  Lage 
fort,  und  über  ihm  ertönt  aus  der  Tiefe,  dann  gehoben  in  die  trost- 
volle Höhe  der  erste  fester  gebildete  Gesang,  ein  sanftes,  erhabnes 
Lied  der  Verheißung,  —  nein,  der  Zuversicht.  Es  hallt  über  der 
still  rauschenden  Tiefe,  wie  über  die  trostlose  Nacht  des  Tartarus, 
aus  der  wir  kommen,  ferner  Gesang  aus  Elysium.  Grausame  Nähe 
für  die  ewig  Verdammten,  diese  Nähe  der  seligen  Gefilde,  die  der 
Grieche,  kalt  wie  sein  Marmor,  einstmals  ersonnen.  Beethoven  ist 
ihm  gefolgt,  aber  nicht  allzu  weit.  Der  Darstellende  muß  für  diesen 
Gesang  seine  w^eichsten  Finger  ül)er  die  Tasten  gleiten  lassen, 
alles  „dolce",  wie  Beethoven  vorgeschrieben,  kaum  hörbare  Be- 
tonungen, nur  soviel  für  rhythmische  Deutlichkeit  unerläßlich  ist. 

Der  tiefe  Gesang  —  es  ist  der  Seitensatz  —  wiederholt  sich 
in  der  Höhe,  aber  nur  zur  Hälfte;  dann  stockt  er  schmerzlich, 
zittert  (die  Triller,  jeder  folgende  schärfer  als  der  vorige)  empor, 
stürzt  sich  in  weitem  Niederschwung  in  die  Tiefe  —  und  hier  (juält 
sich  in  hartem  Gerassel  ohnmächtiger,  gefesselter  Wut  ein  zweiter 
Seitensatz,  nach  ihm  ein  Schlußsatz,  b(ude  in  As  moll.  Wie 
liier  Wut  und  Klage,  Eessel  und  Flucht  wechseln  und  sich  mischen, 
mag  jeder  sich  selbst  auseinandersetzen.  Es  ist  nicht  fördernd 
und  ratsam,  alles  zu  sagen. 

Dies  ist  der  erste  Teil.  Wer  sich  den  Vorstellungen,  die  er 
weckt,  hingegeben,  sich  mit  ihnen  erfüllt  hat,  bedarf  keiner  weitern 
Einweisung  in  das  Spiel;  ihm  verkr)rpern  sich  diese  Vorstelhmgen 
zu  all  .jenen  Wendungen  des  Stärkemaßes,  die  man  doch  nimmer- 
mehr befriedigend  vorzeichnen  kann. 


135 

Was  der  eiste  Teil  mir  erst  hin^i;estellt  hat,  l)i'iii<;t  der  zweite 
Teil  zu  ausl"iilirlioliein  und  deutlichem  Diisi^n.  Zuerst  tritt  der 
Jlauptsatz  wieder  auf,  aher  fester,  in  einfachen,  nicht  in  Doppel- 
oktiwen:  dann  gegen  Harmonie.  Hiermit  ist  die  Gestalt,  die  zuvor 
bloß  schwebende  Melodie  war,  gleichsam  fest  geworden;  stark  er- 
hebt sie  sich  aus  dcv  Tiefe  zur  Mitte,  von  da  zur  H()he  des  Ton- 
systems. Die  begleitende  Harmonie  tritt  erst  in  Sechzehnteln 
entgegen  (viermal  6,  es  ist  ^-/s  Takt),  dann  in  Quintolen  (5  statt 
(0,  die  sich  quälerisch  hinabwinden.  Hiermit  ist  der  Vortrag  der 
]\lelodie  (stark  und  fest)  und  der  Begleitung  gegeben.  Alles  noch 
Folgende  bedarf  keiner  weitern  Aidcitung.  Die  höchste  Kraft  in 
der  mit  .,F2^"  bezeichneten  Stelle,  der  kühnste  Schwung  in  den 
ab  und  auf  schwingenden  Sextolen  vor  dem  .,Piü  Allegro",  alles 
ergibt  sich,  sobald  man  das  Vorangegangne  gefaßt  hat.  /Vber  — 
dem  „Vandalen  sind  sie  Stein". 

Der  zweite  Satz  der  Sonate  ist  ein  Andante  mit  Variationen. 
Daß  Variationen  in  den  größern  Werken  Beethovens  nicht  bloße 
Figurationcn  sind,  sondern  meist  einen  tieforn  Sinn  in  sich  tragen, 
ist  schon  bei  denen  der  As  dur-Sonate  Op.  26  zutage  gekommen; 
man  muß  also  mit  Sinn  und  Gedanken,  nicht  bloß  mit  den  Fingern 
herantreten. 

Hier  tritt  das  Thema  in  der  Tiefe  auf,  still  und  sehr  ruhig 
(„piano  e  dolce")  und  sanft,  die  Melodie  anfangs  kaum  bew^egt.  so 
daß  Takt  4  zu  5  der  Aufschritt  in  die  Quarte  schon  I Bedeutung 
hat,  als  Erhebung  sich  fühlbar  macht,  und  die  Erhebungen  im 
zweiten  Teil  (das  Thema  ist  zweiteiliger  Liedsatz)  von  as  nach 
des,  nach  /,  nach  as  schon  inbrünstige  Steigerung  sind,  gleich  einem 
Gebete,  das  aus  der  Tiefe  —  De  profundis  clamavi  ad  to  — 
mit  Inbrunst  sich  erhebt.  Dabei  geht  der  Baß  in  der  tiefsten 
Tiefe  seinen  eignen  Gang.  Er  ist  nicht  Hauptstimme,  nicht  zweite 
Hauptstimme,  kaum  selbständige  Melodie,  aber  —  wenn  man  Ober- 
und  Unterstimme  personiiizieren  will  —  würdigste  Gelcitschaft  zur 
Hauptstimme.  Der  Darsteller  muß  den  ganzen  Satz  äußerst  ruhig 
und  im  voUkommnen  Gleichschlag  aller  Stimmen  führen;  die  Ober- 
stimme bedarf  kaum  eines  Hervorhebens,  oder  doch  nur  des 
leisesten;  mehr  muß  der  Baß  hervortreten,  namentlich  Takt  3 
sein  Hinaufschrciten  zum  großen  As  und  sein  Nachspiel  Takt  4 
und  8.  Die  oben  angegebnen  Erhebungen  fordern  Verstärkung, 
die  Bewegung  muß  sich  durchaus  gleichbleiben. 


136 

Die  erste  Variation  ist  gleichsam  eine  Erläuterung  des 
Tliemas;  der  Baß  schwankt  im  ersten  Teil  dem  Chor  der  andern 
Stimmen  in  synkopischer  Form  gleichsam  nach:  erst  der  zweite 
Teil  verlangt  nach  hohem  Kegionen.  Es  ist  noch  das  Gebet  aus 
der  Tiefe,  das  De  profundis,  im  ersten  Teil  schattenhaft,  im 
zweiten  erst  sich  bang  heraufwagend.  Für  Thema  und  erste 
Variation  würde  das  „due  corde"  anwendbar  sein. 

Trostvoller  erhebt  sich  die  zweite  Variation  in  die  mittlere 
Tonregion,  wo  milder  Gesang  wohnt.  Die  Melodie  verschmilzt 
mit  den  Mittelstimmen  zu  harfenartiger,  milder  Figurierung,  der 
Baß  führt  seine  Melodie  still  und  sanft  entgegen.  Wenn  zuvor 
das  Spiel  „a  due  corde"  angewendet  war,  so  muß  hier  mit  „tutte 
corde"  hellerer  Klang  gewonnen,  aber  in  mildester  Weise, der  Satz 
durchgeführt  werden. 

Zu  Harfengelispel  führt  jetzt  die  dritte  Variation  die 
Melodie  in  zarter  Höhe  durch:  dann  legt  sich  die  harfenartige  Be- 
gleitung über  die  Melodie;  zuletzt  wendet  sich  der  Satz  in  die  ur- 
sprüngliche Tonlage  zurück,  schwebt  auf  und  ab  und  gelangt  zu 
dem  letzten  Akkorde,  der  aber  nicht  Schlußakkord  ist  —  der  Satz 
schließt  nicht  — ,  sondern  nur  Überleitung  zum  Finale.  Wer  den 
Charakter  und  Sinn  der  verschiednen  Tonregionen  gefaßt  hat, 
für  den  bedarf  es  keiner  weitern  Anleitung.  Der  Inhalt  ist  sehr 
einfach  und  faßlich,  das  Nötige  iiat  Beethoven  angedeutet.  Nur 
vergesse  man  nicht,  daß  die  vorgezeichneten  „sf  und  „/f^'  stets 
(namentlich  in  den  höchsten  Lagen)  nach  dem  Sinn(^  des  Satzes 
abgemessen  sein  wollen,  in  dem  sie  erscheinen.  Etwas  andres 
war  es  mit  den  scharfen  Gegensätzen  im  ersten  Allegro,  die  dort 
dem  Sinne  des  Ganzen  gemäß  vortraten. 

Das  Finale  rauscht  gleich  dem  Nachtsturme  daher.  Den 
Überlieferungen  zufolge  ist  es  in  einer  Sturmnacht  von  Beethoven 
empfangen  worden.  Wohl  mag  der  äußere  Sturm  dem  Tondichter 
die  letzte  Aufklärung  oder  Entschließung  gegeben  haben;  aber 
sicher  war  der  Sturm  schon  in  seiner  Brust,  bevor  man  außen  sein 
Tosen  vernahm.  Wer  jene  Gesichte  geschaut,  die  der  erste  Satz 
enthüllt  hat,  wer  in  jenem  emi)orschwebenden  und  wieder  ver- 
löschenden De  profundis  Zuflucht  gesucht,  des  Leben  ist  Sturm. 
Und  wenn  er  ein  Mann  ist,  gleich  Beethoven,  mild  und  gut  im 
Herzen,  unverzagt  und  trotzig  im  Sausen  des  drohenden  Miü- 
geschicks,  der  singt  mutig  und  laut  „dem  Schnee,  dem  Regen,  dem 
Sturm  entgegen,  inmiei'  zu,  inuner  zu,  ohne  Hast,  ohne  Ruh!" 


137 


Das  imgTt'iihr  (ilrnn  alh^s  IHI.U.  sii-h  bei  wiMloin  nicht  sagen) 
ist  der  Sinn,  den  der  Spieler  zu  verwirklichen  hat. 

Jener  Akkord,  der  den  vorigen  Satz  nicht  abgeschlossen,  aber 
geendet  hatte,  klingt  nach  längerni  Anhalt  in  scharten  Grillen  und 
lestgezeichneten  rhythmischen  Schlägen  weiter.  Und  nun,  nach 
einer  Pause  der  Erwartung,  fängt  der  Sturm  ganz  leise  in  di^r  Höhe 
an.  seine  dunkeln  Schwingen  zu  regen,  wie  jeder  ihn  wohl  schon 
in  den  höchsten  Wipfeln  des  Waldes  spielen  gehört,  ehe  er  die 
Kronen  faßt  und  die  Stämme  der  Eichen  erschüttert  Aber  es  ist 
nicht  auf  ein  Xaturbild  abgesehen,  es  ist  ein  Sturm  in  der  Seele, 
der  nur  einen  Augenblick  lang  jenem  verglichen  werden  durfte. 

Glatt  und  leise  beginnt  die  Flucht  der  Töne, 


höchst  gebunden,  akzentlos,  der  letzte  Ton  verkürzt  abgehoben; 
immer  tiefer  wühlt  sie  sich,  der  Schall  wächst,  wird  sehr  stark, 
grollt  lange  in  der  Tiefe,  wird  dumpfer  und  stiller  und  steht. 
Der  Sturmlaut  rauscht  weiter,  dies 


pp 


;fepi^ 


}^-0 1- 


ist  die  Gestalt  und  Weise  seiner  Luftwellen,  bei  denen  sich  Czerny 
(S.  83)  an  das  Gestade  des  Meeres  versetzt  glaubte.  In  das  fort- 
grollende Sausen  hinein  tönt  „W^anderers  Nachtlied",  hineinrufend, 


^  Bf  Sf 


sich  durchkämpfend  durch  den  Lultschwall,  das  letzte  Wort  von  ihm 
verschlungen,  —  kaum  dat.)  der  Baß  den  verlornen  Schluß  an- 
deutet. Fester  setzt  sich  unter  dem  Sausen  das  zweite  Lied 
durch:  der  Sturm  saust  fort  und  deckt  mit  seinem  Anhauch  und 


138 

seinen    langen    Schwingen  alles ,    läßt    auch    den    Seitensatz    mit 
seinen  klao'evollen  Akzenten 


sf  sf  sf 

nicht  aus  der  ängstlichen  Hast  frei. 

Das  alles  —  und  noch  Unaussprechliches  muß  in  der  Dar- 
stellung erkennbar  werden.  Damit  dies  —  nicht  die  technische 
Ausführung,  sondern  die  Erkennbarkeit  —  möglich  Avird,  fügt  Beet- 
hoven dem  Xamen  „Allegro"  vorsichtig  ein  „IMa  non  troppo"  zu. 
Auch  dem  ganz  fremd  und  unerwartet  uachtretenden  Presto,  das 
wie  entscldossenstes  „Vorwärts"  tönt,  möchte  ich  ein  „Ma  non 
troppo"  zufügen,  damit  jeder  Achtelschlag  hammergleich  —  wenn 
auch  nichts  weniger  als  lärmend  (es  ist  innerlicher  Entschluß, 
und  ,y  vorgeschrieben)  —  erfolge  und  als  Schlag,  nicht  als 
Beben  vernommen  werde.  Dafür  mag  die  letzte  Partie,  in  Sech- 
zehnteln, dahinsausen,  ungezügelt  gleich  dem  Sturme. 


Les  adieux,  Sonate  Op.  81a. 

(Biographie,  Teil  II,  S.  IUI.) 

Der  Inhalt  dieser  Sonate  ist  auf  dem  Titel  und  über  jedem 
ihrer  drei  Sätze  mit  den  Worten 

Les  adieux,  Fabsence,  le  retour, 
ausgesprochen,  man  mag  sie  mit 

Scheiden,  Verlassenheit,  Wiedersehn, 
üb(.'rsetzcn.  Daß  es  Momente  aus  dem  Leben  eines  liebenden  l^aars 
sind,  setzt  man  schon  voraus.*)  Aber  die  Komposition  bringt  auch 
noch  den  Beweis;  im  ersten  und  dritten  Satze  waltet  unverkennbar 
Duettform,  nämlich  das  Mit-  und  Gegeneinander  zweier  Stimmen, 
einer  tiefern  und  einer  höhern.  Daß  gelegentlich,  namentlich  zu  Ende 
des  ersten  Satzes,  die  zwei  Stimmen  Unterstützung  linden  und  zu 
zwei  Stimmpaaren  werden,  s])richt  nicht  im  mindesten  g(^.gen  diese 

*)  Auch  Hans  von  Bülow  „Beethovens  Werke  für  das  Pianoforte  solo 
von  Op.  olj  an",  Stuttgart,  Cotta.  J,  S.  152.  0.  Jahn  und  Thayer  v^ider- 
sprechen  aus  rein  äußerlichen  Gründen,  die,  wie  in  der  Biographie,  4.  Auf- 
lage, II,  S.  192  dargetaii  ist,  in  diesem  Falle  gar  nichts  beweisen,  zumal 
ihnen  andere  Äußerlichkeiten  entgegenstehen. 


139 

Auftassunü'.  Die  ^lusik  bedarf  des  Vollklan <;s.  d(^r  llaiinonii^  kann 
nur  ausnahmsweise  mit  einer  oder  zwei  vereinzelten  Stimmen  iienu<;" 
haben.  Xun  könnte  die  Harmonie  neheuhergehn;  und  das  ist  auch 
hier  oft,  stets  mit  l]edeutsamkeit,  der  Fall.  Ideal  aber  ist  es  von 
Beethoven  gedacht,  daß  sich  zuletzt  (die  S.  70  angeführte  Stelle) 
.jede  d(^r  duettierenden  Stimmen  für  sich  harmonisch  erfüllt.  Nicht 
die  äußerliche  Gestalt  eines  Duetts  sollte  nachgebildet,  sondern 
der  wesentliche  Inhalt  künstlerisch  ausgesprochen  werden. 

Diese  Yorstelhmgen  muß  man  sich  angeeignet  und  mit  dem 
Gehalt  der  drei  Ijebensmomente  sein  Herz  erfüllt  haben,  wenn 
man  das  Tongedicht,  eines  der  zartesten  und  tiefsten,  verstehn 
und  zum  Verständnis  bringen  will. 

Die  Einleitung  (Adagio)  spricht  in  den  ersten  Tönen  das 
„Ijebewohl!"  aus,  im  milden  Es  dur,  aber  gleich  auf  dem  dritten 
Schlage  durch  den  zutretenden  Baß  nach  dem  trüben,  kalten  C  moll 
hinabgezogen.  Dieser  entscheidungsschwere  Baßton  fordert  Nach- 
druck, und  da  besondere  Schallkraft  hier  nicht  anwendbar  ist,  so 
muß  auf  diesem  Punkte  geweilt  werden.  Die  Stimmung  der 
folgenden  Takte  fühlt  jeder;  man  fasse  nur  auch,  wie  die  Klage 
sich  über  das  Tongebiet  des  JMenschengesangs  emporhebt,  gleich- 
sam in  das  Reich  des  Übersinnlichen  —  um  dieser  Erhebung  durch 
feinsten  Anschlag  und  zarte  Betonung  (das  vorgeschriebene  ,,/'' 
nach  Tonlage  und  Stimmung  zu  messen)  genugzutun. 

Das  erste  „Lebewohl!*'  kehrt  wieder,  von  der  umhergrcifendcn 
Harmonie  schmerzlich  verzogen;  auch  die  Klage  kehrt  wieder.  Die 
Pausen  fordern  besinnliche  Verlängerung;  das  wird  besonders  im 
letzten  Takte  recht  anschaulich. 

Die  Einleitung  hat  in  das  Allegro  hineingedrängt.  Die 
leidenschaftHche  Sprache  dieser  Szene  wiederzugeben,  die  zwischen 
Aufwallung  und  Nachgeben  hin  und  her  greift,  dazu  bedarf  es  der 
vollen  Freiheit  und  des  feinsten  Gefühls  für  .jeden  Zug  und  die 
Verschmelzung  aller.  Der  Hauptsatz  weilt  mit  scharfer  Betonung 
auf  dem  ersten  Tone,  zieht  von  jedem  ersten  Achtel  (Takt  1  und  2) 
zum  zweiten,  hebt  das  erste  und  dritte  Viertel  fühlbar,  jedes  erste 
Achtel  zart  hervor,  weilt  mit  Nachdruck  auf  dem  ersten  Akkorde 
Takt  yy,  zögert  in  den  ersten  drei  Vierteln,  drängt  vorwärts  in 
dem  folgenden  und  im  nächsten  Takte,  dem  ersten  mit  Achtel be- 
gleitung,  zögert  auf  den  beiden  folgenden,  mit  ,..$■/•'  bezeichneten 
B-Oktaven  und  dem  folgenden  Takte,  dem  vierten  mit  Achtelbe- 
gleitung. 


140 

Genug  hierüber.  Vollständige  Vorzeichimng  der  Bewegung 
ist  unausführbar  und  würde  den  Folgsamen  fesseln,  da  doch  freier 
Seelenbewegung  gegenüber  das  Gemüt,  des  Auffassenden  frei  sein 
muß.  Es  kommt  auch  gar  nicht  so  auf  die  einzelnen  Momente  der 
Bewegung  an  —  über  die  sich  hier  und  dort  streiten  ließe  —  wie 
auf  diese  vollkommen  freie  Bewegung  selbst,  die  mit  der  Welle  des 
aufgeregten  Bluts  steigt  und  fällt  und  nirgends  die  Anmut  sittiger 
Mäßigung  vergessen  läßt.  Von  Takt  9  bis  13  der  Achtelbewegung 
läßt  sich  schon  die  duettmäßige  Anlage  (Verzeihung  dem  trivialen 
Handwerksnamen !)  spüren.  Der  Schluß  dieser  ganzen  Partie  zögert. 
Es  ist  eine  eigentümhche  Bedeutsamkeit  in  dieser  Achtelbeweguug, 
wie  die  Stimmen  auseinanderstreben  und  wieder  zusammen  und 
(Takt  12)  aneinanderhängen ,  wie  die  Liebende  am  Hals  des 
scheidenden  Liebsten  hängt  und  ihn  nicht  lassen  kann. 

Xun  der  Seitensatz,  der  die  Trennung  unvermeidlich  aus- 
spricht. Jenes  erste  „Lebewohl!"  der  Einleitung  ist  der  Kern 
des  Seitensatzes.  Von  der  weinenden  Mittelstimme  ringt  es  sich 
nach  oben  und  nach  unten;  vielleicht  errät  man  zuletzt  ein  „AVir 
selm  uns  wieder!"  Der  Schlußsatz  zeichnet  das  Paar  wieder, 
wie  es  nicht  voneinander  lassen  kann,  wie  eins  sich  an  die  Ferse 
des  andern  heftet. 

Dies  sind  die  Gedanken,  welche  den  ersten  Teil  des  Satzes 
l)ilden.  Im  zweiten  Teile  tritt  der  Hauptsatz  wieder  auf;  ihm 
mischt  sich  aber  das  „Lebewohl!"  aus  der  Einleitung  und  daran 
scliwindet  gleichsam  der  Satz  hinweg.  Nachdem  der  dritte  Teil 
den  ersten  wieder  in  Erinnerung  gebracht,  bildet  jenes  „Lebe 
wohl!  Wir  sehn  uns  wieder!",  das  sich  immer  gewisser  als  Kern 
des  Ganzen  herausstellt,  den  Anhang.  Es  tönt  oben,  es  tönt 
unten,  —  die  weibliche  wie  die  männliche  Stimme  ist  nicht  mehr 
einzelner  Melodiefaden,  sie  hat  sich  mit  Harmonie  erfüllt;  und  doch 
ist  jenes  Gegeneinandertönen  von  zweimal  zwei  Stimmen  nichts 
als  das  Abbild  der  zwei  Scheidenden,  nur  das  nmsikalisch-ideale. 
Ihnen  gegenüber,  l)ald  unter,  bald  über  ihnen,  bewegt  sich  mit  der 
Hast  des  Hinwegeilens,  aber  stets  mit  der  Anmut  gesittigter 
(.•haraktere  ein  Gegensatz  in  fließender  Achtelreihe. 

Daß  Beethoven  die  heftigen,  ja  exzentrischen  Regungen  des 
Schmerzes  zugelassen,  das  Scheiden  aber  nicht  zu  den  Zuckungen 
des  Leidens  hinaufgesteigert,  sondern  mit  der  Mäßigung  und  Anmut 
liebenswürdiger  Persönlichkeiten  umkleidet  hat,  ist  ein  beherzigens- 
w(irter   Zug   an    seinem    Künstlercharakter.    Heftige    Charaktere 


141 


^:ch^volp:on  iinorsiittlich  in  der  VoiTolgiing  des  Leids  durch  alle  seine 
\'erzernini:en:  kühlem  und  schwächern  Naturen  wird  oft  als  edle 
oder  liar  antike  Mäßigung'  zugute  gerechnet,  was  sie  aus  Schwäche 
oder  Mutlosigkeit  von  der  cdh^i  AVahrheit  zurücklassen  oder  ver- 
bergen, liier  ist  wahre  ^läBigung,  denn  zuvor  war  volle  Wahrheit 
rückhaltlos  zur  Geltung  gekommen.  Auch  hierhin  muß  der  Dar- 
stellenth^  dem  Dichter  folgen.  Der  Gedanke  des  Scheidens  (Anhang) 


muß  mild  hervortreten,  vor  allem  in  ganz  gleichmäßiger  Bewe- 
gung und  um  ein  Weniges  gemildertem  Zeitmaß;  die  Melodie 
(nämlich  beide  vereinte  Oberstimmen)  muß,  wie  die  ^3]Ilz=- -Zeichen 
andeuten  sollen,  verhallend  ausgesprochen  werden;  die  Achtel 
müssen  höchst  sanft  und  gleichmäßig  dahinfließen,  nur  mit  einem 
leisen  Nachdruck  auf  a  und  as.  Fühlt  nur  den  Inhalt!  dann  findet 
sich  ])ei  aller  Unzulänglichkeit  der  einzelnen  Andeutungen  der  rechte 
Vortrag  von  selbst. 

Jetzt  tritt  von  beiden  Seiten  das  Scheidewort  nackt  hervor. 
„Lebe  wohl!"  tönt  die  höhere  weibliche,  „Lebe  wohl!"  die  männ- 
liche Stimme,  die  man  sich  mehr  und  mehr  aus  der  Ferne  herüber- 
hallend —  also  schwächer  —  vorzustellen  hat.  Erst  tönen  die 
beiden  Stimmen  naturgemäß  einfach,  dann  ideal  in  harmonischer 
Erfülltheit;  zuletzt  wehen  sie,  ganz  naturgetreu  den  Eufen  Schei- 
dender von  nah  und  fern,    „Lebe  wohl!"   und  „T^eb'  wohl  denn!" 


4—1 — i-i-i — +-X— 


vrjL-lziitrj:. 


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TT 


ineinander.     Hier  erhebt  sich   der  dichterische  Gedanke  über  das 
Harmoniegesetz;    zwei    einander  entgegengesetzte  Harmonien,  h-f 


142 


und  eS'Cj  kÜDgeii  ineinander.  Wohl  hat  Fetis,  der  kundige  Kon- 
servatoriendirektor in  Brüssel,  recht  gesprochen:  „Wenn  man  das 
Musik  nennt,  so  ist  es  nicht  das,  was  ich  so  nenne."  Es  ist  nicht 
die  Musik  von  Fetis  und  den  Franzosen,  und  nicht  die  der  Mehr- 
zahl aller  Musiker;  es  ist  die  Poesie,  oder,  wenn  man  genauer 
reden  will,  die  Transzendenz  der  Musik,  die  natürlicherweise  stets 
nur  in  sehr  wenigen  lebt  und  nur  von  sehr  wenigen  begriften  wird. 
Wenn  der  Spieler  nur  den  Gedanken  Beethovens  gefaßt  hat, 
die  Hörer  lassen  sich  führen,  wohin  er  will.  Und  zuletzt  sprechen 
wir  mit  Goethe: 

Und  wer  mich  nicht  verstehen  kann, 
Der  lerne  besser  lesen! 

Der  zweite  Satz  ist,  wie  gesagt,  Fabsence  überschrieben. 
Die  Verlassene  fühlt  die  Öde  des  Alleinseins.  Natürhch  kann  hier 
nicht  mehr  von  Zweistimmigkeit  die  Rede  sein,  wie  im  ersten  Satze; 
nur  eine  Hauptstimme  zeigt  sich,  aber  eine  höchst  sympathische 
Begleitung.     Gleich  in  den  ersten  Takten 


^5— 


'^r-f — -F-«r 


1^ 


.«-A. 


-titz 


-0-0 


zeichnet  sich  der  ganze  Charakter  des  Satzes.  Beethoven  benennt 
ihn  „Andante  espressivo",  und  schreibt  für  den  Vortrag  „In  gehender 
Bewegung,  doch  nicht  ohne  Ausdruck"  dazu,  doch  wohl  nicht,  um 
die  allbekannten  italienischen  Worte  höchst  unnützervveise  zu 
übersetzen,  sondern  um  die  innere  Beweglichkeit  hervorzuheben. 
Diese  Beweglichkeit  wird  in  der  vortiefsten  Stimme  zunächst  ver- 
nehmlich; in  diesen  schmerzlichen  Schritten  (es-fis)^  in  diesem  sich 
hinschleppenden  Gange  verrät  sich  das  Gefühl  der  Verlassenheit 
und  ( )de  ganz  ebenso  deutlich,  wie  in  der  ansetzenden  und  gleich 
wieder  hinfälligen  Bewegung  der  Oberstimme,  die  in  der  Schluß- 
bildung der  Melodie  den  höchsten  Ausdruck  gewinnt.  Der  erste 
Akkordschlag  in  Takt  1  und  2  muß  scharf  tönen,  das  erste  und 
dritte  Achtel  Takt  'd  muß  Nachdruck  erhalten,  —  genug  oder  zu- 
viel der  einzehien  Andeutungen,  wenn  der  Sinn  des  Ganzen  so 
klar  vor  die  Seele  tritt. 


Der  dritte  Satz  der  Sonate  ist  ein  Jiibelsturm  des  Wicder- 
sehns.  wieder  als  Dialog  der  beiden  Liebenden  gestaltet.  Beet- 
lu>ven  hat  ihn  mit  „Vivacissamente,  im  lebhaften  Zeitmaße"  be- 
zeichnet. \ov  allem  ist  dies  auf  die  Einleitung  durchaus 
anzuwenden.  Dennoch  dürfte  bei  dem  eigentlichen  Hauptsatze, 
dem  in  Achteln,  mancher  feine  Anhalt  wohlangewendet  sein,  so 
auch  weiterhin  hei  dem  Seitensatz  in  Vierteln,  ferner  bei  dem  An- 
fange des  zweiten  Teils.  Für  den  Achtelsatz  (..Ich  habe  dich 
wieder")  ist  zuletzt  sogar  „i)0C0  Andante"  vorgeschrieben  und 
wird  bei  der  synkopierten  Wiederholung  noch  weiteres  Zögern  not- 
wendiii*.  Es  würe  unbegreiflich,  wenn  neben  dem  Entzücken  nicht 
auch  die  Rührung  der  r>egiückten  zur  Sprache  käme. 


E  moU  -  Sonate  Op.  90. 

(Biographie,  Teil  II,  S.  263.) 

Ein  edler  Sinn,  ein  energischer  Charakter  spricht  aus  dem 
ersten  Satze  dieser  Sonate,  —  sie  hat  nur  zwei  Sätze.  Alles, 
was  eindringliche  Beredsamkeit  hn  Kampfe  mit  schmerzlichem 
Zweifel  und  Zagen  vermag,  kommt  hier,  in  diesem  ersten  Satze, 
zutage.  Das  Gefühl  für  die  einzelnen  Momente,  vollkommenste 
Energie  für  ihren  Ausdruck,  unbedingte  Freiheit  in  der  Behand- 
lung des  einen  neben  dem  andern,  und  zu  dem  allen  ein  feiner 
Verstand,  alles  in  Einheit  und  Anmut  zu  verknüpfen  —  das  ist 
dem  Darstellenden  zu  wünschf^ii.  Nur  ein  edler  Sinn  wird  fähig 
sein,  Beethoven  hier  zu  folgen. 

Was  der  Meister  über  den  ganzen  Satz  bemerkt  hat:  „Mit 
Lebhaftigkeit  und  durchaus  mit  Empündung  und  Ausdruck",  das 
trifft  im  vollen  Maße  gleich  bei  dem  Hauptsätze  zu.  Eindring- 
lichste I>eredsamkeit  hestimmt  und  erfüllt  dem  vielgliedrigen  Satz, 
dessen  Bau  und  Ivhythmik,  wenigstens  was  den  Vordersatz  betrifft, 
S.  50  und  53  schon  betrachtet  worden  ist.  Der  Nachsatz  (in  zwei 
Abschnittenj 


144 


iCt 1 — A — \ ^ 1 1 }— I — -A 1-^— i ^ j — 1 \ 

Siii:!z:dEE=ztzliz3z:är— 2^^^ 


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knüpft  nur  mit  dem  Ehythmus  seines  ersten  Taktes  an  den  Vorder- 
satz, wendet  sich  aber  dann  in  stillem  und  großsinnigem  Verzicht, 
in  einer  Wendung,  die  fast  zwei  Oktaven  überspannt,  von  ihm  ab. 
Der  Sinn  des  .Satzes  ist  verloren,  wenn  der  Spieler  nicht  versteht, 

an  das  hohe  e  dis  e  die  tiefliegende  Fortführung  mit  fis  in  voU- 
kommner  Einheit  und  Gelassenheit  anzuknüpfen  und  dies  ßs  zwar 
ganz  gleichzeitig  mit  e  und  c  zu  nehmen,  es  aber  doch  über  die 
Beglcitungsmasse  zu  erheben.  Gerade  diese  Euhe  nach  der  ein- 
dringlichen Eede  des  Vordersatzes  ist  der  Stempel  eines  groß- 
sinnigen Charakters,  der  zu  streben  Kraft  hat,  und,  wenn  es  sein 
muß,  auch  zu  verzichten. 

Doch  nicht  gänzlich  wird  verzichtet.  Ein  zweiter  Satz  er- 
hebt sich  ganz  leise  empor  aus  der  Tiefe,  stärkt  sich  und  schlägt 
heftig,  sehr  heftig  auf  den  erreichten  Punkt.  Es  war  vergebens;  die 
Melodie  rollt  von  ihrer  Höhe  hinab  zur  Tiefe,  erlischt  da,  nachdem 
sie  voller  Kraft  ihren  Lauf  angesetzt,  und  die  beiden  Schlußakkorde 
fallen  nur  kraftlos  so  hin.  Der  Gedanke,  minder  hoch  und  minder 
stark,  wiederholt  sich,  —  wieder  tiefer  gestellt,  mit  minder  straffem 
Ehythmus  und  diesmal  ausdrücklich  mit  „p",  das  erstemal  mit  „/" 
und  „6/"  bezeichnet  —  zum  drittenmal;  diesmal  rollt  er  nicht,  er 
schleicht,  immer  mehr  zögernd,  hinab.  Dieser  Wechsel  von  Wollen 
und  Verzichten,  von  Andringen  und  Zurückweichen  ist  das  Charakte- 
ristische des  ganzen  Satzes.  Die  Abstufung  des  dreimaligen  Ganges 
zur  Tiefe  ergil)t  sich,  abgesehen  von  der  Vorschrift,  aus  der  Ton- 
lage und  der  Satzweise,  —  erst  volle  Akkorde,  dann  zwei  Töne,  erst 
freier  Gang,  dann  Gebundenheit  an  den  liegenbleibenden  Baß. 
Übrigens  scheint  die  Schreibart  des  Ganges,  —  die  beiden  ersten 
Male  Sechzchntel,  dann  eine  Sextole  und  eine  Quintole,  das  letzte- 
mal  Sechzehntel,  Achteltriolo,  Viei'tel,  —  nur  der  be(iuemcrn  Über- 
sicht wegen  gotrolten.  In  den  beiden  ersten  sollen  wohl  die  Töne 
zusammengefaßt  werden  als  ein  ganz  una])gestufter  Lauf,  der  seine 


145 

Bewegung  ganz  unterscliiedlos  beschleunigt  und  nur  die  letzten 
Töne  der  Deutlichkeit  wegen  ein  wenig  verzögert;  den  Unterschied 
von  Sechzehntel,  »Sextole  und  Quintole  fühlbar  zu  machen,  hat 
keinen  Sinn.  Ebensowenig  soll  wohl  das  drittemal  nach  den  Scch- 
zohnteln  die  Achteltriole  und  das  Viertel  nach  wirklicher  Geltung 
tühlbar  werden:  der  Lauf  wird  von  Anfang  an  in  unbestimmbarer 
xVbstut'ung-  langsamer  und  zuletzt  gelienunt. 

Aber  hier,  wieder  aus  dem  Piano  und  aus  tiefer  Tonlage,  er- 
hebt sich  jener  Gedanke  nochmals,  führt  sich  in  wachsender  Kraft 
weiter  aus,  Schritt  für  Schritt  —  jetzt  in  H  moll  —  zögernd  und 
stockend  und  doch  immer  heftiger  und  weiter  vordringend  bis  zur 
härtesten  Verbitterung  —  es  muß  vergebens  sein.  Ein  neuer  Satz 
(Seitensatz,  oder  zweiter  Seitensatz,  wenn  man  den  vorigen  als 
ersten  gelten  lassen  will)  führt  in  edler  Haltung,  aber  unwiderruflich 
zurück  in  die  Tiefe.  Der  Schlul^satz  scheint  leidvoll,  aber  würdig 
auszusprechen,  daß  das  Streben  ein  siegioses  war.  Sieglos,  aber 
nicht  vergebens.  Denn  Ringen  um  das  Edle,  das  ist  Aufgabe  und 
Inhalt  des  Lebens.  Der  Sieg,  —  schon  Kato  fand,  daß  der  von 
der  Gottheit  nicht  jederzeit  erteilt  wird,  wie  wir  Menschen  gehofft 
und  für  recht  gehalten.  Daß  der  Schlußsatz  zögernd  spricht, 
versteht  sich. 

Dieses  besinnliche  Zögern  führt  in  den  zweiten  Teil  hinein. 
Der  Hauptsatz  —  oder  doch  das  Motiv  seiner  ersten  Abschnitte  — 
richtet  sich  wieder  auf,  aber  nicht  in  seiner  ursprünglichen  Frei- 
gelassenheit, sondern  gebunden  an  fortwährende  Achtelschläge. 
Demungeachtet  kämpft  er  weit  hinaus  sich  durch  und  zu  hoher 
Energie    empor  —  und    muß  dennoch  sich  wieder  zurückwenden. 

Das  Weitere  bedarf  keiner  Erläuterung;  es  sind  dieselben  Ge- 
danken, wenngleich  in  andrer  Wendung  und  weiterer  Ausführung. 
A\'er  sie  einmal  gefaßt  hat,  kann  ihnen  mit  Sicherheit  lolgen. 

Jene  Energie,  die  den  Kern  und  wesentlichen  Inhalt  des  ersten 
Satzes  ausmacht,  ist  mit  ihm  erschöpft.  Der  zweite  Satz  der 
Sonate  hat  nichts  von  ihr,  keine  neue  Erhebung,  keine  neuen  Aus- 
sichten. Er  ist  nichts  als  Sanftmut,  weiche  Ergebenlieit,  ja  Süßig- 
keit der  Empfindung,  deren  einziger  Inhalt  Entsagen  und  Beruhen 
in  stiller,  freundlicher  Ergebung  ist.  Das  bietet  gar  oft  das  Leben, 
und  das  hat  Beethoven  hier  geschildert. 

Besondrer  Anweisung  für  Auffassung  und  Vortrag  bedarf  es 
hier  nicht. 


Marx,  Anl.  z.  Vortrair  Üeetb.  Klav.- Werke.  10 


146 
A  dur  -  Sonate   Op.  101. 

(Biograpliie,  Teil  II,  S.  2G5.) 

.  Das  innerlichste,  geheimste  Weben  einer  zarten  Seele,  der 
nur  Verlangen,  nicht  Vollbringen  gegeben  ist,  nur  Aufscliwnng 
der  Phantasie,  nicht  greifbare  Ziele,  nicht  markig  feste  Tat,  — 
wie  schwer  ist  das  zu  belauschen  und  an  das  TagesHcht  hervor- 
zuzielien,  das  ihm  nicht  zusagt! 

Gleich  der  erste  Satz,  „Allegretto  ma  non  troppo"  und  da- 
neben „etwas  lebhaft  und  mit  der  innigsten  Empfindung"  über- 
schrieben, hat  zwar  die  gewöhnliche  Form  eines  ersten  Sonaten- 
satzes, nicht  aber  dessen  Charakter,  sondern  den  des  Adagio,  des 
Insichgehens.  Es  ist  Melodie  des  Verlangens,  der  Sehnsucht  darin 
—  gleich  der  Hauptsatz  beruht  auf  dem  Dominantakkord  und 
dessen  Bedeutung  — ,  aber  es  ist  nicht  diese  Melodie  allein  in  einer 
Stimme  w^altend,  jede  der  Stimmen  stellt  ihren  bedeutsamen  und 
glcichgesinnteu  Gesang  neben  die  Hauptstimme,  durch  und  durch 
ist  dieser  Satz  voll  Seele,  voll  gleichgestimmter  Empfindung  und 
]\Ielodie.  Dabei  waltet  durchaus  nervöse  Erregtheit,  ja  Atemlosig- 
keit,  die  jeden  Schlußpunkt  überwallt,  so  oft  auch  in  diesem  ruh- 
losen Wellenzug  ein  sinniges  Weilen  (Takt  4  auf  den  letzten  drei 
Achteln,  Takt  5  besonders  auf  den  drei  letzton  Achteln,  Takt  6 
durchaus,  Takt  9  auf  dem  ersten  Tone,  Takt  12,  15  und  16  des- 
gleichen, dann  Takt  19  auf  dem  ersten,  den  Satz  schließenden 
Tone)  ziemen  mag.  Diese  Erregtheit  ist  mehr  innerliche  Weise, 
möchte  sich  eher  verbergen,  als  daß  sie  herausträte,  ein  Leben 
ohne  Zwecke  nach  außen,  in  sich  selbst  zurückgewiesen  und  ver- 
schlossen. Daher  ist  es  unerschöpflich:  jener  Schluß  (Takt  19) 
wird  zum  Trugschlüsse,  die  Melodie  der  Stimmen  fließt  weiter, 
sucht  noch  zweimal  (Takt  24  und  26)  den  Schluß  und  findet  ihn 
endlich  im  achtundzwanzigsten  Takte.  So  weiter  Kaum  für  diese 
eine,  stille,  verschwiegene  Empfindung  ohne  Wechsel,  fast  ohne 
Steigerung!  Es  ist  die  Verschlossenheit  und  Wortlosigkeit  Ottilies, 
aber  ohne  die  Stürme,  die  dies  holdeste  Geschöpf  Goethes  erfahren. 
Zur  verständnisvollen  S(^elc  nmß  man  l'einstes  A'erständnis  jedes 
Wellenzugs  und  die  fiihligsten  Finger  mitbringen. 

Der  Seitensatz,  den  Beethoven  besonders  mit  „Espressivo  e 
semplice"  bezeichnet,  erzählt  dann  weiter.  Was?  —  Nun,  dasselbe. 
Denn  in  dieser  zarten  Seele  ist  kein  besonder  Erlebnis,  sie  selbei' 


147 

ist  ihr  cinziii-or  Inhalt,  luii"  dal.)  (hc  Bowcgiiui:  iiot-h  h)iscr  si^'h  regt, 
last  —  in  den  Synkopen  —  ganz  zu  ruhen  sclieint. 

Im  zweiten  Teile  scinvebt  der  Hauptsatz  empor,  bald  hoch 
üben  über  der  leise  dröhnenden  Tiefe.  Hier  folgt  der  erste  Moment, 
>Yo  dies  verhallende  ^\'esen  sich  zu  metallner  Kraft  aufrichtet;  der 
zweite  Moment  wächst  in  den  weit  erstreckten  Synkopen  (Seite  5  der 
Originalausgabe  von  Steiner)  empor.  Alles  übrige  gehört  der  Stille 
des  Anfangs  an.  Daß  diese  Stille  sich  aus  dem  zartesten  Anklang 
zu  eindringlicher  Kraft  steigert,  ist  ein  tiefgefühlter  und  notwendiger 
Zug  im  ganzen.  Das  Wesen,  das  sich  hier  ausspricht,  sollte  zart, 
ja  nervös  hervortreten,  aber  nicht  kraftlos.  Kraftlosigkeit  kann 
Bedauern  erregen,  nicht  aber  .jene  Teilnahme,  auf  die  ein  Beet- 
hoven rechnet.  Die  Sache  des  Spielers  ist  es,  in  den  zartesten  Partien 
durch  feinbemessene,  doch  fühlbare  Betonung,  und  am  rechten  Orte 
durch  Steigerung  der  Bewegung  die  Kraft  ahnen  zu  lassen,  die  sich 
noch  bewähren  wird.  Und  ebenso  liegt  ihm  ob,  in  der  Steigerung 
zur  höchsten  Kraft  des  Urgrunds  von  Zartheit  nicht  zu  vergessen, 
aus  dem  die  Kraft  sich  erhebt.  In  keiner  der  bisherigen  Komposi- 
tionen ist  Maßhalten  und  die  zarteste  Wellenlinie  von  Erhebung 
und  Sinken  so  notwendig,  Enthaltung  von  allen  hastigen  Über- 
gängen   und  schroften  Gegensätzen  so  geboten  gewesen  wie  hier. 

Und  die  Anzeichen  innewohnender  Kraft  haben  nicht  getäuscht. 
Der  zweite  Satz,  der  gewöhnlich,  wenn  nicht  Adagio,  bei  Beet- 
hoven Scherzo  ist,  tritt  hier  als  Marsch  („Lebhaft.  Marschmäßig") 
hervor.  Aber  weich  ein  Marsch!  Da  ist  nichts  von  dem  Prunk 
oder  Trotz  und  von  der  materialen  und  Massenkraft  zu  finden,  die 
jedem  Marsche,  selbst  dem  Trauermarsch  in  der  Sonate  Op,  26 
innewohnt.  Nicht  äußerliche  Tat  wird  hier  gezeichnet,  sondern  die 
Phantasie  von  Taten,  die  geschehen  könnten,  geträumte  Helden- 
züge, aber  die  hochsiimig  und  kühn  bis  zu  den  Sternen  hinauf  langen. 

Ein  seltsam  Zwitterbild  ist  dieser  Heldenzug,  der  sich  nur  in 
der  Phantasie  begibt.  Alles  ist  kühn  an  ihm:  der  zuckende  Ein- 
satz, die  zuckende  Fortbewegung  von  einem  breit  hingelegten 
Akzent  zum  andern,  das  unauflialtsame  Empordringen  der  Melo(he, 
das  Hinauf  langen  des  Basses  durch  drei  Oktaven.  Dabei  aber  ist 
alles  mehr  geistig  als  körperUch  ausgeführt:  der  erste  Anschlag  ist 
„/■"  und  „.s/""  bezeichnet,  aber  gleich  folgt  „p";  dann  ist  „eres." 
vorgeschrieben,  aljcr  es  führt  nicht  zum  Forte,  sondern  in  eine 
Tonregion,  der  besondere  Stärke  versagt  ist:  dann  folgt  bald  nach 
dem  ersten  „eres."  ein  zweites,  dies  aber  führt  —  zu  einem  aus-   • 

10* 


148 

drücklich  vorgeschriebenen  Piano,  l^nd  das  alles  ist  nicht  bloß 
Vorschrift,  sondern  liegt  im  Inhalte  notwendig  begründet.  Es  ist, 
als  wenn  kühne  Entschlüsse,  heftige  Worte  geheimnisvoll  in  das 
(3hr  geflüstert  ^vürden.  Der  Spieler,  der  bei  dieser  Sonote  —  wie 
bei  allen  den  letzten  Beethovens  —  über  jede  Vorschule  hinaus  sein 
muß,   mag  sich  in  diese  geheime  Verlegenheit  hineinphantasieren. 

Solcher  Natur  ist  der  ganze  Marsch.  Was  den  Charakter  dieser 
Zeichnung  vollendet,  ist  das  Ineinandergreifen  von  zwei  und  drei 
selbständigen  Stimmen  an  der  Stelle  einer  Hauptstimnie,  der  man 
ungestört  folgen  könnte.  Und  wo  der  zweite  Teil  sich  endlich 
doch  zu  standbarer  Kraft  emporflügelt  und  steht  (der  fünftletzte 
Takt),  da  sinkt  nach  Tonhöhe  und  Modulation  der  kühne  Schritt 
zur  Unterdominante  zurück,  in  die  Dämmerung  des  Entsagens. 

Seltsam  fremdartig  klingt  das  Trio  an  (Verzeihung  dem  Hand- 
werksausdrucke !)  und  sucht  mit  seinen  zwei  kanonisch  langhinge- 
zogenen Stimmen  trüb  und  grüblerisch  den  Ausgang  aus  diesen 
un^'ewohnten  kühnen  Gesichten.     Dennoch  kehren  sie  wieder. 

Ist  es  Reue,  die  aus  dem  dritten  Satze  spricht?  ist  es  das 
Schmerzgefühl,  daß  die  Zeit,  die  Kraft  für  wirkliche  Taten  dahin 
ist?  —  Wer  vermißt  sich,  alle  Geheimnisse  des  Tonlebens  aufzu- 
decken? Beethoven  hat  den  Satz  „Langsam  und  sehnsuchtsvoll" 
überschrieben.  Welches  auch  die  Deutung  sei,  der  Klageton  der  Weise 
wird  von  jedem,  der  solchen  Werken  naht,  empfunden  und  verstanden. 

Es  ist  die  Rückkehr  in  sich  selbst,  die  hier  volll)racht  worden. 
Das  wird  gewiß,  wenn  nun,  zur  Einleitung  des  letzten  Satzes, 
der  erste  durch  seinen  Hauptsatz  in  Erinnerung  kommt.  Hier  er- 
gießt sich  weithin,  in  großem  Zuge,  mit  frischem  Mute,  ja  zuweilen 
von  heitern  Lichtern  überblitzt,  ein  reicher,  labungsvoller  Lebens- 
strom. Dennoch  ist  es  mehr  geistiges  Leben,  gleichsam  das  un- 
körperlich-geistige Ijeben,  das  wir  uns  bisweilen  in  der  Phantasie 
ausmalen,  als  der  Widerhall  des  wirklichen  Lebens,  das  wir  geist- 
körperlich, gleichviel  ob  freudig  oder  leidvoll,  durchkämpfen. 


Bdur- Sonate  Op.  106. 

(Biographie,  Teil  J,  0.  170;  Teil  JI,  S.  :{;}2  n.  8.  :};}7.) 

Wenn  die  vorige  Sonate  in  den  zartesten  Regionen  des  Seelen- 
lebens weilt  und  fast  in  das  Körperlose  zu  vorschweben  scheint,  so 


149 

entfaltet  die  große  ß  diir-Sonate  nach  allen  v^eiten  eine  Machtfülle, 
iieistip-  nnd  materiell,  ohnegleichen.  Man  liat  sie  die  „Riesen- 
Sonate"  genainit.  Solche  Beinamen  (wir  haben  deren  schon  vS.  118 
nnd  i:>2  kennen  gelernt)  haben  ihr  Bedenkliches.  Aber  wahr  ist: 
ein  Iviesengeist  bewegt  hier  riesige  Glieder.  Der  Spieler  mnß 
höchste  technische  Kraft  mitbringen.  Aber  er  mnß  sich  zugleich 
darauf  einrichten,  große  und  zahlreiche  Tonmassen  wohl  vonein- 
ander gesondert,  und  jede  wohl  in  sich  selber  zusammengehalten, 
und  dazu  wohl  abgewogen  eine  gegen  die  andre,  gleich  starken 
Heereshaufen,  in  die  Schlacht  zu  führen.  Alles  ist  in  dieser  Sonate 
mächtig  und  groß  angelegt,  nicht  bloß  die  Kraftsätze  von  mächtigem 
Schalle,  sondern  auch  die  zarten,  auch  das  Adagio,  das  Sehnsucht 
und  Klage  ghüchsam  unerschöpflich  aus  dem  geheimsten  Grund 
der  Seele  seufzergleich  aushaucht. 

Der  Spieler  muß  nicht  bloß  wachen  Sinn  für  jede  Einzelheit, 
sondern  auch  den  Bau  und  Zusammenhang  des  Ganzen  stets  klar 
vor  Augen  haben. 

Erster  Satz.     Allegro. 

Mit  kühnem  Aufschwung  aus  der  Tieie  und  heftigem  Schlage 
tritt  der  erste  Hauptsatz  an,  und  vollendet  sich  ganz  unerwartet 
in  weicher,  verlangenvoller  Weise.  Der  Antritt  (vier  Takte)  war 
schmetternd  kräftig,  die  Fortführung  plötzlich  leise  und  gesänftigt; 
aber  ihre  ^lelodie  dringt  fest  aufwiirts,  und  der  Baß  schreitet  in 
selbständiger  Bedeutung  und  ganz  frei  von  der  Höhe  zur  Tiefe. 
Diese  letzte  Weise  —  der  erste  Antritt  scheint  vergessen  — 
wiederholt  sich  in  höherer  Tonregion  mit  noch  erpichterm  und 
unablässigem  Verlangen  bis  zum  vollen  Abschluß  in  B  dur. 

Hier  aber  setzt  auf  dem  Schlußtone  selber  ein  zweiter 
Hauptsatz  an,  der  seinen  Kernsatz  (zwei  Takte)  viermal,  und 
jedesmal  gesteigert,  aufführt,  daim  mit  dem  letzten  Motive  sich 
hinaufar])eitet  und  in  großartiger  Weise  —  ja  nicht  eilen!  —  hinab- 
steigt und  hier  sinnend  über  Tiefe  und  Höhe  schwebt,  stillewerdend, 
zögernd,  aber  stets  großgestaltet,  zuletzt  in  Doppeloktaven  weite 
umhergreifend.  Dieser  zweite  Hauptsatz  mag  dafür  gelten,  die 
Kraft  des  ersten  Antritts  (Takt  1  bis  4  des  Allegro)  in  breiter 
Fülle  darzulegen.  Aber  der  erste  Gedanke  voll  zuckender,  dann 
marschartig  rhythmisierter  Energie  ist  er  nicht. 

Man  erwäge  hier  einmal  die  Maßverhältnisse.  Der  erste  Haupt- 
satz hat  4  Takte  (der  Antritt)  und  noch  i:>  Takte,  also  17.  Der 
zweite  Hauptsatz  bis  zu  seinem  Schlüsse  hat  18  Takte  —  und -noch  ist 


150 

die  Baiiptpartie  nicht  geschlossen.  Es  soll  hier  nicht  weitergezahlt 
Averdcn;  aber  es  ist  dem  Spieler  zuträglich,  auch  von  den  äußern 
Verhältnissen  des  Werkes  klare  Anschauung  zu  gewinnen.  Er 
braucht,  soweit  wir  bis  jetzt  gekommen,  Schlagkraft  für  die  ersten 
vier  Takte,  Führung  und  weite  Steigerung  der  Melodie  und  des 
Basses  aus  der  Stille  hervor  zur  Kraft.  Der  zweite  Hauptsatz  will 
in  jedem  der  vier  Abschnitte,  mit  denen  er  anhebt,  kraftvoll  ein- 
gesetzt werden  und  von  da  nach  breitem  Ausschall  in  das  Piano 
zurücktreten:  jeder  der  vier  Abschnitte  muß  ein  zusammengehaltnes 
Ganze  sein,  und  jeder  Eintritt  muß  nicht  bloß  in  gesteigerter  Kraft 
erfolgen,  sondern  der  ganze  Satz  muß  durch  Gleichheit  des  Vortrags 
und  Glei(üimäßigkeit  der  Steigerungen,  wie  zuletzt  durch  gleich- 
mäßiges In-Ruhe-Sinken  des  Schlusses  als  einiges  Ganzes  wirken. 

Nun  endlich  tritt  noch  der  schlagfertige  Antritt  wieder  auf,  die 
Hauptpartie  zykhsch  zusammenfassend.  Aber  nach  seinem  heftigen 
Sinne  wirft  er  mit  einem  Ruck  die  Modulation,  die  bisher  in  B  dur 
festgestanden,  nach  D  dur.  D  dur  ist  nicht  gemeint;  aus  chfis-a 
wächst  d-fis-a-c  heraus  und  setzt  uns  in  G  dur  fest.  Hierzu  ist  ein 
Gang  von  24  Takten  verwendet,  —  oder  vielmehr  sind  drei  ver- 
schiedne  Gänge  aneinandergehängt;  der  erste  hat  den  Aufschlag  des 
Basses  aus  dem  Antritt  zum  ]\lotiv;  der  zweite  ein  anapästisches 
Motiv  (j  I  I'),  das  nachher  im  Seitensatze  zur  Geltung  kommt; 
der  dritte  fließende  Achtelreihen  mit  entgegentretendem  Basse.  So 
weit  erstreckte  Überführung  zum  Seitensatz  ist  sonst  nicht  Beet- 
hovens Art;  der  Seitensatz  tritt  sonst  unvermittelt  ein,  oder  der 
Hauptsatz  fließt  ganghaft  aus  seinen  eignen  Motiven  zu  jenen  über. 
Aber  in  der  B -Sonate  sind  Mal.)  und  Art  anders  bestimmt,  alles 
geht  da  in  das  Weite,  Titanische. 

Nun  also  tritt  der  Seitens  atz  auf,  zuerst  im  Tenor  oder 
höhern  l>aß 


0-^. 


' ^ ir • ^ C^- 


ß — ^ d p — p 


antretend,  den  Schluß  unbekümmert  in  die  dreigestrichne  Oktave 
hinaufwerfend.  Dort  erfolgt  auch  die  weiterstreckte,  gangl)il(lende 
Wiederholung.  Das  strömt  von  der  Höhe  zur  Tiefe,  stockt  einen 
Augenblick  auf  C  ((J  dur),  greift  da  zum  ersten  Motiv  zurück  und 
ringt  sich  mit  wachsender  Kraft  nach  scharfen  (iriffen  zur  Höhe 
zurück.    Abermals  ist  es  Aufg;il)e  des  Spielers,  das  Vielfache,  Viel- 


151 


iiiul  Weit  beweist  0  zuilMnhoit  ziisammenzurassen.  Mancher  schwiinmt 
ül»er  den  gaukolnden  V\u\^,  der  diesen  breiten  ]\Leereswog'cn  nicht 
irewacbsen  ist. 

Ein  stiller  erster  Schlußsatz  gewährt  Ruhe  den  Sinnen 
und  Gedanken.  Aber  gleich  folgt  der  zweite  Seitensatz  pracht- 
voll in  seiutu'  Stärke  und  im  Ireudigen  Gefühl  seiner  Macht.  Er 
führt  zum  Anlang  zurück,  zur  Wiederholung  des  ersten  Teils. 
Dann  führt  er  in  den  zweiten  Teil:  beidemal  macht  sicli*das  Motiv 
des  Aufschwuno's  üeltend. 

Hier  sei  vor  allem  eine  technische  Bemerkung  verstattet. 

Beethoven  setzt  jenes  Motiv  zweimal  erst  einstimmig,  dann 
in  Zweistimmigkeit,  und  zwar  so. 


w 


sempre  Ped. 


P         ^fP 


T^^i: 


l-X 


„s_.. 


sfp 


i-:iz^^i=^. 


m 


m 


-i-: 


\^^l^m~- 


^_J. 


*•      -eh      -^ 

:p=zp=zt 


Ped. 


sempre  Ped. 


^ 


¥ 


V 


i-zz=^^i=^ 


—V— • 


-t" 


daß  zuletzt  die  höhern  Noten  {g-g)  der  linken  Hand  zufallen. 
Hieran  w^olle  man  .ja  nicht,  etwa  aus  Be(iuemlichkeit,  ändern. 
Der  Sinn  des  ]\Iotivs  fordert  einen  Schlag,  heftigen  Nachdruck  auf 
den  ersten  der  höhern  Töne,  auf  h,  dann  auf  d,  dann  auf  g.  Die 
linke  Hand  hat  für  diese  Töne  den  Daumen,  den  schlagkräftigsten 
Finger;  die  rechte  Hand  trifft  mit  dem  kleinen  Finger  dahin,  also 
mit  dem  schwächsten  Finger. 

Nach  diesen  Rufen  entfaltet  sich  wieder  eine  breite  Masse. 
Das  Motiv  (der  erste  Takt)  jenes  Antrittsatzes  tritt  diesmal  leise, 
mit  „p"  und  „sempre  j/'  bezeichnet  auf  und  wird  von  2  Stimmen  in 
der  Tiefe  kanonisch  10  Takte  weit  (den  freien  Anhang  und  Schluß 
mitgerechnet)  ausgeführt.     Der  Satz  steht  in  Es  dur  und  schließt 


152 


in  B  diir;  erst  bei  Takt  7  ist  „eres."  angemerkt.  \'om  Schlußpunkt 
in  B  aus  wiederholt  sich  der  kanonische,  frei  geführte  —  mehr 
nachahmende  Satz  in  zwei  Oberstimmen,  von  einer  freien  Stimme 
verstärkt,  hier  mit  „eres,  piü"  bezeichnet.  Endlich  wiederholt  er 
sich,  und  diesmal  ist  ,,/"  vorgozeichnet.  mit  Verdoppelung  beider 
kanonischer  Stimmen  in  weiter  Lage,  und  nochmals  in  gleicher 
AVeise  mit  enger,  also  schärfer  khngender  Verdoppelung;  die  weite 
Verdoppelung  hat  erst  die  Weite  einer  um  eine  Oktav  erweiterten 
Dezime,  dann  die  Weite  einer  Terz.  Für  die  letztere  Verdoppelung 
ist  nach  kurzem  Piano,  dem  gleich  wieder  „eres."  folgt,  von  neuem 
„f  mit  Verstärkung  (sf)  einzelner  Momente,  aber  bedeutsameres 
Forte  als  das  erste  vorgeschrieben.  Nun  erst  folgt  zu  dem  Anrufe, 
der  den  Teil  eingeleitet,  Fortissimo,  also  der  Gipfelpunkt  dieser 
ganzen,  40  Takte  weiten  Entwickelung. 

Es  ist  klar,  daß  von  selten  des  Ausführenden  die  sorgfältigste 
Abwägung  aller  Mittel  notwendig  ist,  um  so  weiten  Massen  von 
Schritt  zu  Schritt  in  ihrer  Einheit  und  ihrem  Fortschreiten  genug- 
zutun. Die  richtige  Fassung  einzelner,  ja  sogar  aller  einzelnen 
Momente  genügt  hier  durchaus  nicht.  Das  Ganze  will  in  seiner 
Einheit  und  Lebendigkeit  dargestellt  und  begreiflich  gemacht  sein. 
Zuvörderst  muß  der  kanonische  (oder  Nachahmungs-)Satz  als 
einzelne  Melodie 

b 


-^=N , 


-ß—ß 


i=t=t: 


--f=F- 


=^^i 


ß—0—0 


:J~r  -J 


piano 

bis  zu  seinem  freien  Abschlüsse  (Takt  7)  mit  den  sinngemäßen 
Betonungen  und  Bindungen  und  dem  Ablauf  jeder  Schallwelle  (a  b) 
richtig  gefaßt  werden,  und  die  nachahmende  Stimme  muß  nicht 
bloß  den  Tonscliritten,  sondern  auch  der  Vortragsweise  der  ersten 
folgen,  wonngleicli  dadurch  eine  Stimme  mit  der  andren  in  den 
einzelnen  Momenten. 


153 

z.B.  in  der  Aiistülirung  des  decres.  (i:r=^)  nicht  zusammenfällt. 
So  muß  den  ganzen  Satz  hindurch  jede  einzelne  Stimme  gefaßt 
und  gegen  die  andre  abgewogen  werden.  Sodann  müssen  die  drei 
Stufen  des  Ganzen,  der  zwei-,  drei-,  vierstimmige  Satz,  abgesehen 
von  der  Betonung  des  einzelnen,  auch  drei  steigende  Abstufungen 
des  Stärkemaßes  erhalten.  Hier  stehen  uns  nicht  bloß  Beethovens 
Vorschriften,  es  kommt  uns  auch  seine  Behandlungsweise  rat- 
gebend und  helfend  zur  Seite.  Er  stellt  —  und  nicht  bloß  in 
dieser  Sonate,  sondern  in  jedem  tiefer  angelegten  Werke  —  seinen 
Gedanken  zuerst  in  durchsichtiger  Einfachheit  auf,  dann  fügt  er 
ihm  mehr  und  mehr  zu;  und  alles  ist  gleich  faßlich,  weil  das 
Vorhergehende  schon  vorbereitet  hat. 

Reicht  die  Kraft  des  Instruments  für  so  weite  Steigerung  aus?  — 

Nein!  Also  müssen  wir  ihr  zu  Hilfe  kommen.  Es  ist  schon 
(S.  71)  ausgesprochen,  daß  Steigerung  der  Bewegung  der  Kraft- 
steigerung zu  Hilfe  kommt;  ja  vermöge  der  geistigern  Natur  wirkt 
sie  leichter  und  tiefer  als  die  Massenkraft  des  Schalls,  darf  sogar 
nicht  anders  als  rücksichtsvoll  angewendet  werden.  Ich  würde 
recht  finden,  schon  bei  den  oben  (S.  152)  angeführten  Anklängen 
des  ersten  Motivs  zurückzuhalten  und  die  Pausen,  besonders  die 
letzte,  zu  vergrößern.  Dann  würde  der  zweistimmige  Satz  etwas 
mindere  Bewegung  erhalten,  als  das  ursprüngliche  Zeitmaß  ergab. 
Von  hier  würde  die  Bewegung  um  ein  kaum  merkliches  —  und 
mit  manchem  Moment  des  Verweilens  —  dringender,  und  bei  der 
Verdoppelung  der  Stimmen  in  Terzen  feurig  werden. 

Ich  breche  hier  ab.  Wer  diese  Grundsätze  gefaßt  hat,  dem 
wird  ihre  Anwendung  auf  das  Weitere  keine  besondre  Schwierig- 
keit machen;  wer  sich  nicht  mit  ihnen  einigen  kann,  dem  würden 
noch  so  viele  Einzelbemerkungcn  doch  nicht  helfen. 

Eins  aber  sollte,  meine  ich,  an  dieser  Sonate  zu  voller  Erkennt- 
nis und  Beherzigung  kommen.  An  dieser  umfassenden  Aufgabe 
sollte  klar  werden,  daß  bloßes  Gefühl  für  die  höhern  Aufgaben 
nicht  ausreicht.  Ohne  Gefühl  im  Bunde  mit  der  gestaltenden 
Phantasie  gibt  es  keinen  Künstler  und  kein  Kunstwerk  und  keine 
wahrhafte  Darstellung.  Aber  es  muß  bei  den  höhern  und  reichern 
Aufgaben  für  den  Dichter  wie  für  den  Nachdichter  oder  Darsteller 
noch  vollständige  Einsicht  und  Erkenntnis  hinzukommen,  wenn  der 
Autbau  vernunftgemäß  vollendet  und  in  dieser  seiner  Vernunft^ 
mäßigkeit  zur  Anschauung  und  vollen  Wirkung  kommen  soll. 

10** 


154 


Sehluss. 

Nach  der  B  dur-Sonate  sind  noch  vier  der  bedeutendsten 
Klavierwerke, 

die  E  dur-Sonate  Op.  109, 
die  As  dur-Sonate   Op.  110, 
die  C  moll-Sonate  Op.  111, 

die  dreiunddreißig  Veränderungen  über  einen  Walzer 
Op.  120, 

an  das  Licht  getreten,    unschätzbare  Gaben  für  jeden   zu   ihnen 

--TS 

herangereiften  Musiker  und  Kunstfreund.  Wieviel  ließe  sich  über 
sie  sagen!  —  weit  hinaus  über  das  Wenige,  für  das  die  Biographie 
Raum  geboten!*)     Wahrlich,  die  Lust  hätte  nicht  gefehlt. 

Allein  die  Aufgabe,  die  diesem  Büchlein  gesetzt  war,  muß  mit 
der  Betrachtung  des  gewaltigsten  Werkes,  dem  das  zarteste  und 
so  manches  andre  vorangegangen,  ihr  Ziel  erreicht  haben,  soweit 
dasselbe  nach  dem  Wesen  der  Sache  und  nach  meinen  Kräften 
überhaupt  erreichbar  gewesen.  In  den  Sinn  Beethovens  und  die 
von  ihm  erschaffne  Welt  einzuführen,  das  war  die  Aufgabe.  Das 
Bewußtsein,  für  seinen  Inhalt  zu  wecken,  zum  eignen  Anschauen 
die  Augen  und  zum  Selbsterkennen  den  Geist  zu  wecken  und  ein- 
zuleiten, das  mußte  wohl  als  einziges  Mittel  erscheinen.  Nur  der 
Erkennende  weiß  selbständig  zu  fassen  und  vermag  vom  Erkannten 
zu  weitern  Aufgaben  fortzuschreiten.  Ist  dieser  Standpunkt  er- 
reicht, so  wird  alles  Weitere  zu  träge  und  unfrei  machender  Be- 
vormundung. Von  dieser  hinweg  führe  unser  aller  Weg  in  jeglicher 
Richtung  zur  Freiheit! 


*)  Teil  II,  S.  404  bis  420. 


Inhaltsanzeiffe. 


Seite 

Einleitende  Betrachtungen. 
Die  Leser  des  Buchs S 

Die  Freunde.  —  Die  Fremden.  —  Die  Lehrer. 
Was  das  Buch  bringt 6 

Voraussetzung  von  Kenntnissen  und  Fertigkeit.  —  Vortragslehre.  Ihre 
Zuträglichkeit  im  allgemeinen.  —  Bedürfnis  einer  Vortragslehre  für 
Beethoven.  —  Eigentümlicher  Gehalt  seiner  Werke.  Ihr  Allein- 
stehn.     Die  Besonderheit  derselben  untereinander. 

Lehrwege ^^ 

Unterweisung  durch  Lehre  und  Beispiel.  —  Virtuosen  und  „Klavier- 
meister". —  Wie  man  Beethoven  ablehnt,  und  wie  man  sich  mit  ihm 
abfindet.  —  Unterweisung  durch  rein  praktische  Darstellung.  —  Rein 
theoretischer  Unterricht. 

Vorbildung 1^ 

1.  Die  Technik.  —  Ob  Virtuosität  erforderlich.  Beethovens  Meinung 
vom  Virtuosentum.  —  Stufenfolge  seiner  Werke  aus  technischem 
Gesichtspunkte. 

2.  Die  geistige  Reife.  —  Wer  ist  für  Beethoven  gereift?  —  Stufen- 
folge der  Werke  nach  der  Entwickelungsstufe  geistiger  Reife. 

Allgemeine  Bemerkungen. 
Beethovens  Instrument 23 

Die  elementare  und  die  kunstanstrebende  Technik.  —  Besondere 
Schwierigkeiten  bei  Beethoven.  Die  Wiener  Instrumente  aus  Beet- 
hovens Zeit  im  Vergleich  mit  den  jetzigen.  Folgerungen  daraus.  — 
Das  una  corda. 

Beethovens  Fingersatz 28 

Fortschritte  der  Technik  seit  Beethoven.  —  Abweichungen  von  den 
allgemeinen  Regeln  des  Fingersatzes.  —  Einstimmige  Figuren,  unter 
beide  Hände  verteilt.  —  Zwei    und   mehr  Stimmen   in  einer  Hand. 

Die  Spielart  für  Beethoven 39 

ilauptricbtung  der  neuern  Technik  auf  Ausgleichung  der  Finger.  — 
Bedürfnis,  Hand  von  Hand,  Finger  von  Finger  unabhängig  zu  machen. 
—  Anschlag.  —  Handhaltungen. 

Beethovens  Melodie 4S 

Wie  Beethoven  Melodie  gespielt.  —  Unterschied  der  Beethovenschen 
Melodie  von  andern;  sie  ist  schlußfest  und  vordringend.  —  Wie  sie 
zu  fassen.     Wie  sie  darzustellen.   —  Rhythmische  Akzente. 

Beethovens  Begleitung 57 

Darunter  begriflen:  Begleitung,  die  in  sich  selber  keinen  charakteri- 
sierenden Inhalt  hat.  —  Begleitung  mit  gehaltvollen,  aber  unter- 
geordneten Stimmen.     Polyphonie. 


156 

Seite 

Zeitmass  und  Taktmass 60 

Zeitmaß.  —  Ältere  Bezeichnung  desselben.  —  Der  Metronom.  — 
Übertreibung  des  Zeitmaßes.  Mozart.  Beethoven.  —  Wie  das  richtige 
Zeitmaß  zu  finden.  Taktmaß.  —  Taktfestigkeit.  Taktfreiheit.  Sinn 
und  Recht  beider.  —  Beethovens  Vortrag  in  dieser  Hinsicht.  —  Er- 
haltung des  Taktgefühls  unter  der  Taktfreiheit  durch  Fernhalten 
von  Übertreibung  —  durch  Rückkehr  zum  Grundmaß  —  durch 
rhythmische  Betonung  und  rhetorische  Pause. 

Form  des  Studiums 74 

Selbstbestimmung,  nicht  Abrichtung.  —  Kursorisches  Durchspielen. 
Übersicht  des  Inhalts.  —  Beseitigung  technischer  Schwierigkeiten.  — 
Eindringen  vom  ersten  Anblick  des  Werkes  in  dessen  Teile,  in  deren 
Partien.  Charakterisierung  derselben.  —  Eindringen  in  die  Einzel- 
heiten. —  Beratung  mit  andern.  Vor  allen  Beachtung  Beethovenscher 
Angaben  und  seiner  Art.  —  Seine  idealen  Werke. 

Einführung  in  die  einzelnen  Werke. 

Vorbemerkung 89 

F  moll-Sonate  Op.  2,  Nr.  1      90 

A  dur-Sonate  Op.  2,  Nr.  2 95 

Esdur-Sonate  Op.  7 99 

F  dur-Sonate  Op.  10,  Nr.  2 lOB 

D  dur-Sonate  Op.  10,  Nr.  3 10^ 

Pathetische  Sonate  Op.  13       10'^ 

G  dur-Sonate  Op.  14,  Nr.  2 = 108 

As  dur-Sonate  Op.  26       .    . 110 

Phantasie-Sonate  Op.  27,  Nr.  1 HB 

Phantasie-Sonate  Op.  27,  Nr.  2 114 

D  dur-Sonate  Op.  28 118 

Gdur  Sonate  Op.  31,  Nr.  1 121 

D  moll-Sonate  Op.  31,  Nr.  2 123 

Esdur-Sonate  Op.  31,  Nr.  3 127 

C  dur-Sonate  Op.  53 > 129 

F  moll-Sonate  Op.  57 132 

Les  adieux,  Sonate  Op.  81a 138 

E  moll-Sonate  Op.  90 1^3 

A  dur-Sonate  Op.  101 1"^^^ 

B  dur-Sonate  Op.  106 1^8 

Schluss ^^4 


UerlinorBuchdruckerei-Aktion-Gcscllschaft. 


ML 

ao 

Bi;3M37 
1912 


Marx,    Adolf  Bernhard 

Anleitiing  zum  Vortrag 
Beethoven scher  Klavierwerke 


61,5056 


ML 


Mat^, Adolf  Bernhard 


410  Anleitung  zum  Vortrag 

y^;i3M?7       RppthoveP'=^f'V^p^r  Klavier- 


1912 


werke