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Full text of "Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung"

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THE  J.  PAUL  GETTY  MUSEUM  LIBRARY 


ANNALEN  DES  VEREINS 


FÜIi 


NASSAUISCHE  ALTERTÜMSKUNDE 


UND 


GESCHICHTSFOESCHÜNG. 


ANNALEN  DES  VEREINS 


FÜR 


NA8SAÜISCHE  ALTERTUMSKUNDE 


UND 


GESCHICHTSFORSCHUNG. 


VIERUNDZWANZIGSTER  BAND. 
18  9  2. 


MIT  10  LITII(HiK.\l'UIERTF\  TAFELN. 


WIESBADEN. 


CONRAD   REINHARDT 

VORMALS    W.   ROTH'S    BUCH-   i    KL'NSTHAXDLUXG 

HOFLIEFERANT 

IHRER  KÖNIGL.   HOHEIT  DER  FRAU  PRINZESSIN  CHRISTIAN  ZU  SCHLESWIG  -  HOLSTEIN 

PRINZESSIN   VON  GROSSBRITANNIEN  UND  IRLAND. 

1892. 


Iht  J.   PAUL    GETTY   CfcNFfcK 


Inhalts -Verzeichnis 

des   vierundzwanzigsten    Bandes. 


Seite 

I.  Johann  Hilchen  von  Lorch.     Von  F.  Otto 1 

Anhanf?  dazu 20 

II.  Konrad  Oerlin  von  Wiesbaden.     Von  F.  Otto 23 

m.  Fürst  Karl  Wilhelm  von  Nassau -Usingen,   1775  -  1803.     Mitgeteilt  von 

F.  Otto 24 

IV.  Georg  August,  Fürst  zu  Nasaau-Idstein,  1677—1721.  Von  C.  Spielmann  25 

Anhang  dazu ^6 

V.  Mitteilungen   über   die  Lage   und  Geschichte    der    Marau  bei   Mainz. 

Von  Geh.  Baurat  Cuno    .     .          81 

VI.  Johann  Konrad   von  Seibach.     Nebst   einem    Anhang:    „Einige  unbei<annte 

Herbürner  Drucke".     Von  F.  Otto 85 

Anhang  dazu 95 

VII    Die  Schönauer  Überlieferung.     Eine   historisch-l<ritische  Untersuchung   von 

LuJw.  Conrady 101 

VIII.  Das  alte  Wiesbaden.     Mitgeteilt  von  F    Otto.     Mit  2  Abbildungen      .     .     .  102 
IX.  Geschichte  der  Steigbügel.    Von  A.  Schlieben,    Major  a.  D.    Mit  6  Tafeln 

(I  bis  VI)  mit  352  Abbildungen     .     .^.  '. 165 

X.  Zur  Topographie  des  alten  Wiesbaden.     Von  A.  v.  Cohausen   ....  232 

XI,  Burgen  in  Nassau.     Von  A.  v.  Cohausen.     Mit  4  Tafele  (VII  bis  X)    .     .  233 

1.  Neukatzenelnbogen  oder  die  Katz  bei  St.  Goarshauscn 233 

2    Sterrenberg,  Liebenstein  und  Bornhofeo 236 

XII.  Die  Frankengräber  von  Schierstein.    III.    Von  B.  Florschütz  ....  239 

XIII.  Eine  neue  Knochenhöhle  in  Steeten  a.  d.  Lahn.     Von   B.   Florschütz. 

Mit  2  Abbildungen  auf  Tafel   VIII 242 

XIV.  Der  Wilde  Pütz  bei  Steeten.     Von   A.  v.  Cohausen.     Mit   5    Abbildungen 

auf  Tafel  X 245 

XV.  Grabschrift   des  Gustav   Ernst  von   Seydlitz   zu   Nastätten.     Mitgeteilt 

von  F.  Otto 248 

XVI.  Der  römische  Grenzwall  (von  Cohausen  und  Mommsen) 254 

XVII.  Vereinsnachrichten. 

Bericht  des  Sekretärs   (vom  1.  April   1891   bis  1.  April  1892) 261 

Bericht  des  Konservators  Oberst  v.  Cohausen    über   die  Erwerbungen  für 

das  Altertums-Museura  in  Wiesbaden  während  des  Jahres  1891     .     .     •  265 

Schenkungsurkunde 268 

Nachruf  an  Anton  Weck 269 

Berichtigung  zu  pag    51  ff.  des  vorjährigen  Altertumsbandes       .     .     .  271 


SenduiKjen,  die  für  den  Verein  bestimmt  sind,  beliebe  man  an  den    Verein,  nicht  (in  ein 
einzelnes  Mitglied  des   Vorstandes  zu  adressieren. 


DRÜCK  VON  RUD.  BECHTOLD  *  COMP,  WIESBADEN 
BtcunufCKF-nEi  4  i.iTnoaR.  anstai.t. 


Johann  Hilchen  von  Loreh/'') 


Von 

F*  Otto* 


Auf  dem  Denkmal,  welches  dem  Ritter  Johann  Ililchen  von  Lorch  in  der 
Kirche  zu  Lorch  gesetzt  ist,  befindet  sich  eine  Inschrift,  nach  welcher  derselbe 
in  den  Jahren  1542,  1543  und  1544  kaiserlicher  „Oberster  Feltmarschalk" 
gewesen  sei  und  ausserdem  noch  sieben  Feldziige  „helfen  thun."  Diese  An- 
gabe war  die  Veranlassung,  dass  der  Verfasser  dieses  Aufsatzes  es  unternahm 
die  spärlichen  Notizen  über  Hilchens  Feldzüge  zusammenzusuchen  und  einige 
Nachrichten  über  sein  sonstiges  Leben  mit  denselben  zu  verbinden,  um  so  eine, 
wenn  auch  nicht  eben  eingehende  Darstellung  seines  Lebensganges  zu  gewinnen. 
Leider  boten  die  Schätze  des  hiesigen  Staatsarchives  nur  geringe  Ausbeute; 
die  meisten  Mitteilungen  über  Hilchen  entnahmen  wir  den  in  den  Anmerkungen 
angegebenen  Druckwerken.  Vielleicht  gibt  unsere  Arbeit  Anlass,  dass  etwaige 
weitere  Notizen   aus  ungedruckten  Archivalien   an   das  Licht  gezogen  werden. 

Die  Jugend  Hilchens. 

Unter  dem  zahlreichen  Lorcher  Adel  nehmen  die  Hilchen  von  Lorch  eine 
hervorragende  Stelle  ein.  Zur  Zeit  ihrer  Blüte  im  15.  und  16.  Jahrhundert 
zerfielen  sie  in  mehrere  Linien,  aus  welchen  mehrmals  Leute  hervorgingen,  die 
auf  geistlichem  oder  weltlichem  Gebiete  eine  rühmliche  Stellung  errangen.  So 
war  der  väterliche  Oheim  unseres  Ritters  Dechant  des  Stiftes  zu  Bleidenstatt, 
dessen  Schwester  Äbtissin  des  Klosters  Mariakron  bei  Oppenheim ;  viele  Hilchen 
waren  Schultheissen  zu  Lorch  oder  Amtleute  des  Kurfürsten  zu  Mainz.  ^)  Auch 
der  Vater  des  Ritters,  welcher  gleichfalls  Johann  hiess,  bekleidete  kurz  vor 
seinem  Tode  das  Amt  eines  Schultheissen  in  seiner  Heimat.  Derselbe  hatte 
im  Anfang  der  achtziger  Jahre  des  15.  Jahrhunderts  sich  mit  Elisabeth  von 
Walderdorf  vermählt.  Aus  dieser  Ehe  entsprossten  zwei  Kinder,  ein  Soliu, 
Johann  Hilchen  der  Ritter,  welcher  im  Jahre  1548  in  einem  Alter  von  64  Jahren 
starb,  also  etwa  im  Jahre  1484  geboren  war^,   und   eine  Tochter  Margarethe, 


*)  Ein  im  Altertumsverein  zu  Wiesbaden   gehaltener  Vortrag. 

')  Bodmann,  Rheingauische  Altertümer,  S.  335.  —  -)  Nicht  1488,  wie  der  Rheinische 


Antiquarius  sagt. 


welche  eiu  Jahr  vur  ihrem  Brudur  aU  Äbtissin  vou  Mariakron  und  Nachfolgerin 
ihrer  Tante  (seit  1518)  starb;  die  Eltern  starben  beide  im  Jahre  1512.^) 

•Über  die  Jugendzeit,  die  Erziehung  und  Bildung  des  jungen  Hilchen  sind 
wir  nicht  unterrichtet,  wir  dürfen  aber  getrost  annehmen,  dass  er  in  dieser 
Beziehung  nichts  vor  seinen  Standesgenossen  voraus  hatte,  insbesondere  ist  an 
eine  höhere  wissenschaftliche  Eildung  nicht  zu  denken,  seit  die  Legende  von 
der  sog.  Junkerschule  zu  Lorch,  welche  Bodmann  aufgebracht  hatte,  als  eine 
Dichtung  dieses  Geschichtsforschers,  hervorgegangen  aus  dem  missverstandenen 
Worte  Schola,  nachgewiesen  worden  ist.*)  Es  wird  Hilchen  vor  allem  zu  kör- 
perlichen Übungen  und  zur  Handhabung  der  Waffen  angehalten  worden  sein 
und  frühe  in  den  Wäldern  des  Taunus  dem  Waidwerk  obgelegen,  daneben 
auch  die  notwendigsten  Elementarkenntnisse  sich  angeeignet  haben.  Möglich 
ist,  dass  er  schon  in  früher  Jugend  den  Grund  zu  der  Freundschaft  mit  dem 
nur  wenige  Jahre  älteren  Franz  von  Sickingen  (geb.  am  1.  März  1481)  gelegt 
hat,  da  die  Besitzungen  beider  Häuser  sich  vielfach  berührten  und  zum  Teil 
von  denselben  Lehensherrn,  namentlich  den  Kurfürsten  von  der  Pfalz  und 
Mainz  herrührten.  Zudem  war  der  Vater  des  berühmten  Franz  von  Sickingen, 
Schweickard,  während  der  Jugendzeit  beider  ein  am  Mittelrhein  vielgenannter 
Ritter,  gefürchtet  und  gehasst  von  den  Städten  und  Fürsten,  gefeiert  von  seinen 
Standesgenossen,  ein  Vorbild  für  alle,  denen  ein  ritterliches  Leben  im  alten 
Sinne  als  Ideal   vorschwebte. 

Etwa  22  Jahre  alt  vermählte  sich  Johann  Hilchen  mit  der  Tochter  des 
Melchior  von  Rüdesheim  Dorothea.  Die  Heiratsabrede  fand  am  20.  Oktober 
1306  statt,  der  Heiratsvertrag  ist  am  25.  November  1507  abgeschlossen.^)  In 
demselben  verspricht  Johanns  Vater  seinem  Sohne  eine  Jahresrente  von  55  iL 
anzuweisen  und  ihm  eine  Behausung  nebst  entsprechendem  Hausrat  zu  geben, 
mit  welchem  allem  Johann  der  Jüngere  seine  Hausfrau  bewitumt;  der  Vater 
der  Braut  dagegen  verpflichtet  sich  seiner  Tochter  800  fl.  Heiratsgut  zu  geben. 
Dieser  Vertrag  wurde  jedoch  nicht  genau  ausgeführt:  Melchior  von  Rüdesheira, 
nicht  der  Vater  Hilchens,  sorgte  zunächst  für  eine  Behausung,  indem  er  den 
jungen  Eheleuten  die  Burg  Martinstein  einräumte,  zahlte  dagegen  nicht  die 
SOO  H.,  für  welche  Hilchen  im  Jahre  1541  nach  dem  Tode  Melchiors  eine  Ent- 
schädigung erhielt,  bestehend  in  einer  Jahresrente  aus  dem  Zoll  von  Ehrenfels 
im  Betrage  von  20  Goldgulden  und  einer  weiteren  Rente  von  27  fl.  20  Albus 
und  2  Pf.*) 


•)  Die  Grabstein-Inschriften  8.  b.  Roth,  Fontes  II,  S.  302.  Es  irrt  daher  Topfer  in 
dem  sogleich  genannten  Worke  II,  S.  463,  wenn  er  Dorothea  im  Jahre  1538  sterben  lässt. 
i'ber  die  Lehen  der  Hilchen  vergl.  Sauer  in  diesen  Annulon  XX,  und  Tupf  er,  ürkunden- 
l.uch  der  VGgte  von  Ilunolstein  III.  Sauer  zählt  auf:  1.  Haus  und  Hof  zu  Lorch  und  das 
Kirohheim-Bolandische  Lehen,  später  von  Nassau-i^aarbrQcken ;  2.  die  Lehon  des  Erzbischofs 
zu  Mainz;  3.  der  Dompropstei  zu  Mainz;  4.  des  Stifts  S.  Mari  ad  gradus;  5.  von  S.  Victor; 
0.  des  Erzbischofs  von  Trier;  7.  Lehen  zu  Utzenhain,  Patersberg,  S.  Goarshausen  und  Urbar; 
8.  Lelien  von  Nassau-Wiesbaden ;  9.  von  N.-Katzenelnbogen ;  10.  von  dem  Stift  S.  Lubentius 
zu  Dietkirchen;  11.  von  S.  Florin  zu  Koblenz;  12.  von  Isenburg-Grenzau;  13.  kleinere  Lehen 
von  Manderscheid-Blankenlieim  und  LGwenstein-Wertheim ;  14.  der  Fronhof  zu  Lorch.  —  ■)  Vgl. 
Sauer  in  dem  Anhang  zum  Codex  diplora.  Xassoicus.  -  ^)  Tüpfer  III,  S.  258.  —  ■*)  Tupf  er 
III,  S.  93. 


Die  Ehe  dauerte  nur  wenige  Jahre,  da  Dorothea  schon  im  Jahre  1512 
8tarb  mit  Hinterlassung  einer  Tochter  Maria,  welche  im  Jahre  1530  mit  Adam 
Vogt  von  Hunolstein  vermählt  wurde.') 

Wenden  wir  uns  nun  mehr  zu  den  Thaten  Ililchens,  so  unterscheiden 
wir  zwei  Perioden;  die  erste  begreift  die  Zeit  seiner  Fehden,  welche  er  allein 
oder  in  Verbindung  mit  Sickingen  ausfocht,  1510  bis  1523;  in  der  zweiten 
entsagt  er  diesem  altritterlichen  Leben  und  widmet  sich  dem  Dienste  des 
Kaisers  Karl  und  des  Königs  Ferdinand,  in  welchem  er  als  Heerführer  einen 
Namen  erwarb. 

L  Johann  Hilcben  Waffengenosse  Sickingens. 

Auf  dem  Reichstage  zu  Worms  im  Jahre  1495  war  zwar  ein  ewiger  und 
allgemeiner  Landfriede  verkündet  und  dessen  Beobachtung  in  den  folgenden 
Jahren  ernstlich  anbefohlen  worden.  Indessen  konnte  und  wollte  sich  die  Ritter- 
schaft der  neuen  Ordnung  der  Dinge  nicht  fügen.  Nicht  nur  dass  ihr  die  ihr 
allein  zusagende  Thcätigkeit  und  die  mit  den  wechselnden  Fehden  und  Raubzügen 
verbundene  Unterhaltung  und  Aufregung  entzogen  wurde :  sie  fühlte,  dass  es 
mit  ihrer  Stellung  vorüber  sei,  wenn  das  Gericht  entscheiden  sollte,  wo  bisher 
das  Schwert  geherrscht  hatte,  wenn  die  Fürsten  über  den  Frieden  wachten 
und  dadurch  ihre  Macht  immer  fester  begründet  wurde.  Daher  sehen  wir  noch 
immer  die  Ritter  mit  Pickelhaube  und  gespannter  Armbrust  durch  die  Felder 
eilen  oder  im  Walde  auf  der  Lauer  liegen,  um  den  Warenzug  der  Bürger  auf- 
zufangen oder  den  Gegner  niederzuwerfen;  zertreten  wurden  die  Saaten  des 
Landmanns,  die  Dörfer  gingen  in  Flammen  auf.  Manche,  wie  Franz  von 
Sickingen,  gaben  dieser  Neigung  zum  alten  Ritter-  und  Räuberleben  einen 
tieferen  Gehalt;  sie  traten  ein  für  die  verfolgte  Unschuld,  nahmen  sich  der 
Schwachen  und  Hilflosen  an  und  wagten  den  Kampf  auch  mit  Mächtigeren. 
Glückliche  Erfolge  führten  dann  immer  weiter,  und  Franz  errang  allmählich 
ein  Ansehen,  wie  es  kein  Ritter  vor  oder  nach  ihm  besessen  hat. 

Mit  Sickingen  war  Hilchen,  wie  wir  oben  gezeigt  haben,  von  Jugend  auf 
befreundet;  er  wird  vielfach  schlechtweg  als  der  Waftengenosse  und  Freund 
desselben  bezeichnet.  So  finden  wir  ihn  denn  gleich  im  Anfange  seiner  Selb- 
ständigkeit auf  derselben  Bahn. 

Die  Fehde  mit  dem  Rheingrafen  1510  fF. 
Die  erste  Fehde,  von  der  wir  wissen,  hat  Hilchen  nicht  in  Verbindung 
mit  Sickingen  geführt,  aber  doch  sicherlich  in  seinem  Sinne  und  mit  seiner 
Billiffunff.*)  Es  war  im  Jahre  1510;  er  wohnte  noch  im  Hause  Martinsteiu 
und  war  eben  (1509)  zum  Gemeiner  der  Burg  Kallenfels  aufgenommen  worden. 
Zu  Martinstein  gehörte  das  Dorf  Horbach,  welches  mit  dem  Dorfe  Simmern 
unter  Dhaun    oder   Rheingrafen- Simmern^)    in    Streitigkeiten   geriet.      Hilchen, 

')  Tüpfer  III,  S.  81.  Der  Ehevertrag  ist  am  18.  Xovember  1529  abgeschlossen,  Hilchen 
verspricht,  seiner  Tochter  1000  fl.  Heiratsgut  zu  zahlen  und  sie  ihrem  Stande  gemäss  ehelich 
und  zierlich  geschmückt  und  gekleidet  zu  übergeben.  —  ^)  Töpfer  III,  S.  259.  —  ^)  Simmern 

1* 


jung  und  feurig,  nahm  sich  sofort  seiner  Leute  an ;  aber  auch  der  junge  Rhein- 
graf^)  säumte  nicht  die  Sache  der  Seinigen  zu  verfechten;  als  die  Versuche 
den  Streit  friedlich  beizulegen  sich  in  die  Länge  zogen,  griff  der  ungeduldige 
Hilchen  zum  Schwert;  den  Sehultheiss  von  Simmern  schoss  er  in  der  Kirche 
selbst  nieder,  auf  den  Priester  drückte  er  zweimal  Pfeile  ab.  Nun  übte  der 
Rheingraf  schhrame  Vergeltung;  er  besetzte  einen  Teil  von  Horbach  und  Weiters- 
bach, worauf  Hilchen  mit  seinen  Freunden  von  Steinkalleufels  rheingräfliche 
Dörfer  niederbrannte  und  arme  Leute  tötete  oder  gefangen  wegführte,  Sep- 
tember 1511.  Dawider  erhob  der  Rheingraf  Klage  und  erwirkte  gegen  seinen 
Widersacher  die  Acht  wegen  Landfriedensbruches.  Vertrieben  aus  der  Heimat 
suchte  derselbe  nunmehr  Schutz  bei  den  Bürgern  von  Bingen,  welche,  weil 
sie  ihn  freundhch  aufnahmen,  seinem  Verfolger  aber,  dem  Amtmann  Philipp  von 
Löwenstein,  die  Thore  schlössen,  von  dem  kaiserlichen  Fiskal  zu  1000  fl.  Strafe 
verurteilt  wurden. 

Während  inzwischen  ein  neuer  kaiserlicher  Befehl  gegen  Hilchen  erging, 
bemühten  sich  die  Gemeiner  von  Kallenfels  Frieden  herbeizuführen,  was  ihnen 
auch  gelang.  Nachdem  noch  im  Jahre  1511  ein  vorläufiger  Vergleich  abge- 
schlossen worden  war,  nach  welchem  die  Fehde  ruhen,  der  Schaden  festgestellt 
und  demnächst  geordnet  werden  solle,  der  Rheingraf  aber  dahin  zu  wirken 
versprach,  dass  die  Acht  aufgehoben  werde,  zog  sich  die  endliche  Aussöhnung 
bis  in  das  Jahr  1515  hinaus.  Die  ganze  mutwillige  Fehde  hatte  den  Hilchen, 
wie  er  später  klagte,  grosse  Kosten  und  oftmals  Sorgen  und  Gefahren  ver- 
ursacht. 

Die  hessische  Fehde    1518. 

Drei  Jahre  später  beteiligte  sich  Hilchen  an  der  hessischen  Fehde 
Sickingens  gegen  den  Landgrafen  Philipp  von  Hessen,  welcher  der  gemeinsame 
Gegner  beider  war.  „Etliche  landgräfische  Angehörige",  heisst  es  in  dem  später 
abgeschlossenen  Vertrage,  „hatten  Johann  Hülchen  einen  Schultheissen  be- 
schädigt, darauf  er  nachfolgendt  Tods  abgegangen."  Worin  diese  Beschädigung 
bestand,  was  Johann  etwa  unternommen,  um  sich  zu  rächen,  ob  der  Tod  des- 
selben die  unmittelbare  Folge  der  Beschädigung  gewesen  und  er  deswegen  ver- 
hindert worden  sei  Rache  zu  nehmen,  wird  nicht  gesagt;  genug,  als  jetzt,  sechs 
Jahre  nach  diesem  Ereignis,  Franz  dem  Landgrafen  Fehde  ansagte,  wurde 
Hilchen,  der  auch  „für  sich  selbst  dessen  Feind  war",  veranlasst  sich  dem 
Feldzuge  anzuschhessen. 

Was  für  Sickingen  die  Ursache  war,  dass  er  gegen  den  Fürsten  das 
Schwert  zog,  ist  für  uns  ohne  Bedeutung ;  er  glaubte  die  Jugend  des  eben  erst 
zur  Regierung  gelangten  Landgrafen  benutzen  zu  sollen,  um  die  verletzten 
Rechte    oder   vermeintlichen    Rechte   einiger  Freunde   und    anderer,    die  seinen 

unter   Dhaun   war   der   grösste  Ort   der   rlieingrüflichen  Dörfer.     Schneider,    Geschichte   des 
Wild-  und  RlieingrüHiohon  Hauses  1854,  S.  155. 

'j  Rhein-  und  Wildgraf  war  damals  Philipp,  Sohn  des  im  Jahre  1599  verstorbenen  Rhein- 
grafen Johann  VI;  er  war  geboren  den  8,  September  1492,  also  damals  18  Jahre  alt,  und 
stand  noch  unter  der  Vormundschaft  seiner  Mutter  Jolianna,  geb.  Orütin  von  Saarwerden. 
Schneider  a.  a.  ü.  S.  153;  133. 


Schutz  anriefen,  zu  wahren.'')  Er  lag  noch  vor  Metz  „mit  zwei  tausend  Pferden 
und  etliche  viel  tausend  zu  Fuss,  überzog  die  von  Metz  gewaltiglichen,  der 
Ursach,  dass  sie  etliche  ihre  Bürger  ohne  Recht  das  Ihre  genommen",*)  als  er 
am  8.  September  1518  einen  Fehdebrief  an  den  Landgrafen  erliess^)  und  „mit 
einem  geringen  Volk  nicht  über  500  Pferde  und  8000  zu  Fuss  gleich  von 
dannen"  gegen  Darmstadt  zog.  Er  selbst  überschritt  den  Rhein  oberhalb  Mainz, 
während  vom  Taunus  her  Kaspar  von  Kronberg,  vom  Odenwald  her  Götz  von 
Berlichingen  naheten ;  alle  drei  fielen  zu  gleicher  Zeit  und  so  rasch  in  die 
hessische  Obergrafschaft  Katzenelnbogen  ein,  dass  nichts  zum  Schutze  vorbe- 
reitet, die  Burgen  nicht  hinreichend  besetzt,  für  Proviant  und  Munition  gesorgt 
werden  konnte.  Daher  hinderte  niemand  die  Verwüstung  des  Landes,  die  nun 
begann  und  namentlich  von  Hilchen  vollzogen  wurde,  während  Sickingen  die 
Hauptstadt  Darmstadt  belagerte  und  gewann.*)  Denn  nach  einer  starken  Be- 
schiessung  derselben  verstand  sich  unter  Vermittlung  von  drei  Räten  des  Mark- 
grafen die  eingeschüchterte  Besatzung  zu  einem  Vertrage,  welcher  am  23.  Sep- 
tember abgeschlossen  wurde.  In  Bezug  auf  Hilchen  heisst  es  im  zehnten  Ar- 
tikel: „Als  etliche  landgräfische  Angehörige  lohann  Hülchen  .  .  .  beschädigt  .  .  ., 
ist  abgeredt,  dass  sie  sich  mit  ihme  darumb  vertragen,  dagegen  sie  Landgraf 
Philips  unser  gnädiger  Herr  nicht  handhaben  soll;  möchte  aber  der  Vertrag 
nicht  fanden  werden,  so  soll  derselb  Artikel  auch  zu  obbemeldtem  Austrag 
stehen,  und  als  lohann  Hülchen  für  sich  selbst  Feind  worden  ist,  sich  auf 
Franciscus  Frieden  und  Unfrieden  gezogen  hat,  solche  Fehde  auch  ab  und  tot 
hingelegt  und  lohann  desshalben  aus  Sorgen  sein."*) 

Trierische  Fehde  1522  und  1523. 

Einen  schlimmeren  Ausgang  hatte  die  Fehde  mit  dem  Erzbischofe  von 
Trier,  deren  Ursprung,  soweit  sie  Hilchen  betraf,  in  das  Jahr  1516  zurück- 
reicht ;  die  eigentlichen  Gründe,  durch  welche  Sickingen  veranlasst  wurde  gegen 
einen  mächtigeren  Fürsten  des  Reichs    das  Schwert  zu  ergreifen,    lagen   tiefer. 

Die  Hoffnungen,  welche  man  auf  den  jungen  Kaiser  Karl  gesetzt  hatte, 
erfüllten  sich  bekanntlich  nicht;  den  Gebrechen  der  Nation  half  er  nicht  ab: 
weder  ordnete  er  die  weltlichen  Angelegenheiten  in  einer  den  "Wünschen  der 
Fürsten  und  den  Bedürfnissen  des  Volkes  entsprechenden  Weise,  noch  hatte 
er  irgend  ein  Verständnis  für  die  religiösen  Fragen,  um  hier  entscheidend  ein- 
zugreifen :  alles  bemass  er  nach  den  Interessen  seiner  Dynastie  und  seiner 
Stellung  als  Herr  grosser  und  weithin  zerstreuter  Länder,  Noch  einmal  lieh 
Franz  von  Sickingen  der  kaiserlichen  Sache  im  Jahre  1521  seinen  Arm,  als 
er  auf  ausdrücklichen  Befehl  des  Kaisers  mit  dem  Grafen  Heinrich  von  Nassau 
die   Kriegführung   gegen   Franz  I.  von  Frankreich    an    der   belgischen   Grenze 

^)  Vergl.  Rommel  III,  1.  S.  248;  Müncli,  Fr.  v.  Sickingen  I,  S.  90,  II,  S.  94.  Die 
Mutter  Philipps  glaubte  sich  benachteiligt  und  zurückgesetzt;  die  Herren  von  Kronberg  und 
Hatstein  hatten  Streitigkeiten  mit  Hessen,  der  Abt  von  Fulda  machte  Forderungen  an  das 
Kloster  Hersfeld,  welche  mit  Gewalt  zurückgewiesen  wurden ;  ihnen  allen  wollte  Franz  zu 
ihrem  Rechte  verhelfen.  —  '-)  Flersheimer  Chronik  bei  Münch  UI,  S.  210,  Kap,  35.  —  ^)  Ab- 
gedruckt bei  Münch  II,  S.  91    -  ••)  Münch  III  a.  a,  0.,  Kap.  37—43.  —  ')  Münch  II,  S.  97. 


6 

übernahm.  Aber  auch  hier  in  seinen  Hoffnungen  getäuscht  und  nicht  befriedigt 
schlug  er  nunmehr  seine  eignen  Wege  ein,  unbehindert  von  dem  Kaiser,  der 
fern  war,  und  von  dem  Reichsregiment,  von  dessen  vielköpfiger  Spitze  ein  Ein- 
greifen nicht  zu  befürchten,  ja  vielleicht  Nachsicht  zu  erwarten  war. 

Es  galt  zunächst  feste  Stellung  zu  nehmen  gegenüber  den  Fürsten  und 
dem  Reichsregiment,  denen  die  Ritter  Schwäche  und  Parteilichkeit  vorwarfen, 
deren  Urteilen  sie  sich  nicht  unterwerfen  wollten.  Um  sich  zu  verständigen, 
berief  Franz  eine  Versammlung  der  oberrheinischen  Ritter  auf  den  13.  August 
1522  nach  Landau,  wo  man  „ein  freundlich  Verständnis,  Gesellschaft  oder  Ver- 
einigung" auf  sechs  Jahre  aufrichtete.  Zu  den  dort  erschienenen  Rittern  ge- 
hörten auch  Johann  Hilchen^)  und  sein  Schwiegervater  Melchior  von  Rüdes- 
heim. Man  verpflichtete  sich  „zu  Aufrechthaltung  guter  Polizei  unter  einander", 
im  allgemeinen  sich  einander  treulich  zu  raten  und  zu  fördern,  wo  man  das 
mit  Ehren  thun  könne,  insbesondere  Streitigkeiten  nur  vor  unparteiischen,  mit 
rittermässigen  Leuten  besetzten  Gerichten  entscheiden  zu  lassen,  Streitigkeiten 
unter  einander  Schiedsgerichten  vorzulegen,  Lehenssachen  nur  vor  Lehensrichter 
und  Mannen  zu  bringen  u.  s.  w.  Zum  Hauptmann  erwählte  man  den  edlen 
und  ehrenfesten  Franciscus  von  Sickingen  und  bestellte  für  die  einzelnen  Gaue 
Zugeordnete,  welche  über  die  Beobachtung  der  Gesetze  wachen  sollten;  zu 
denselben  gehörte  u.  a.  Melchior  von  Rüdesheim. 

Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  Sickingen  im  Hinblick  auf  das,  was 
er  alsbald  vorhatte,  diesen  Bund  abschloss,  wenn  er  auch  zu  Landau  keine 
Mitteilung  darüber  machte.  Denn  schon  vor  Ablauf  des  Monats  begann  er 
in  Verbindung  mit  seinen  Genossen  die  Fehde  gegen  Trier,  welche  beweisen 
sollte,  was  der  Bund  vermöge.  An  derselben  war  Hilchen  in  hervorragender 
Weise  beteiligt  und  hatte  mit  Sickingen  die  Veranlassungen  zu  derselben  her- 
beigeführt. 

Kurfürst  und  Erzbiachof  Richard  von  Trier  aus  dem  rheingauischen  Ge- 
schlecht der  Greiffenklau  hatte  den  Unwillen  der  Ritter  durch  mancherlei  heraus- 
gefordert, zuletzt  durch  sein  Verhalten  bei  der  Königswahl  ini  Jahre  1519  und 
auf  dem  Reichstage  zu  Worms  1521.  Damals  hatte  er  bis  zuletzt  für  den 
französischen  König  gewirkt,  hier  mit  gleichem  Eifer  die  Sache  der  Gegner 
Luthers  vertreten^)  und  dessen  Schriften  verbrennen  lassen;  er  hatte,  wie  Franz 
ihm  vorwarf,  sich  an  Gott,  kaiserlicher  Majestät  und  dem  Reiche  vergangen. 
Daher  trugen  Sickingen  und  sein  Freund  Hilchen  kein  Bedenken  in  den,  wie 
es  ihnen  schien,  gerechtesten  Sachen,  welche  sich  ihnen  darboten,  ihm  feindlich 
entgegenzutreten. 

Der  Mainzer  Bürger  Peter  Scheffer  hatte  gewisse  Ansprüche  an  fran- 
zösische Unterthanen  erworben,  konnte  aber  weder  selbst  bei  Ludwig  XH., 
noch  seine  Erben  bei  Franz  L  Recht  finden.    Da  erliesa  auf  Ansuchen  Kaiser 


')  Ihn  nennt  Latomus  bei  Schard  II,  S.  1022.  Die  Vertragsurkunde  bei  Münch  II, 
S,  188  tf.  —  *)  Ob  Ililohen  ilim  bierin  beistimmte  oder  nicht,  mag  unentsoliieden  bleiben; 
jedenfalls  blieb  er,  wie  es  acheint,  ein  treuer  .Sohn  der  Kirclie;  Anzeichen  einer  Hinneigung 
zu  der  Reformation,  wie  Töpfer  andeutet,  sind  kaum  vorhanden;  man  müsste  denn  sein 
nahea  Verhältnis  zu  d<.'m  Grafen  Wilhelm  von  Nassau-Dillcnburg  so  deuten.     S,  u. 


Maximilian  oincn  Repressaüonbrief  (2.  Februar  1516),  in  welchem  er  allen 
Fürsten  und  Uoterthanen  bei  Strafe  von  20  Mark  befahl,  auf  Anrufen  der 
Schcfferschen  Erben  oder  Anwälte  alle  Unterthanen  des  Königs  von  Frank- 
reich nebst  ihrer  auf  Reichsboden  betroffenen  Habe  anzuhalten  und,  falls  nicht 
binnen  sechs  Wochen  ein  Abkommen  getroffen  sei,  die  Güter  den  Klägern  zu 
überantworten.  Sickingen  und  Hilchen  Hessen  sich  jene  Forderung  übertragen, 
ein  Verfahren,  welches  man  öfter  einschlug,  wenn  man  eine  rechtliche  Hand- 
habe für  den  Beginn  einer  Fehde  erhalten  wollte.  Als  nun  Kaufleute  aus  dem 
damals  unter  französischer  Herrschaft  stehenden  Mailand  durch  trierisches  Ge- 
biet kamen,  nahmen  sie  ihnen  auf  Grund  des  Repressalienbriefes  "Waren  von 
bedeutendem  Werte  ab.  Allein  der  Erzbischof  verhinderte  die  Fortschaffun"- 
derselben  und  gab  auch  der  Stadt  Trier  dahin  gehende  Weisungen.  Diese 
hatte  daher  durch  ihre  Anordnungen  alsbald  die  in  dem  kaiserlichen  Briefe  an- 
gedrohte Strafe  verwirkt,  welche  nun  die  beiden  Ritter  in  Anspruch  nahmen. 
Die  weitere  Verfolgung  dieser  Sache  überliess  Sickingen  seinem  Freunde,  wurde 
aber  seinerseits  auf  andre  Weise  in  ähnliche  Händel  verwickelt.  Als  friedliche 
Mittel  nichts  halfen,  schickte  Hilchen  am  29.  August  1522  der  Stadt  Trier 
einen  FehdebrieP)  und  verlangte  Kosten-  und  Schadenersatz  nebst  der  ver- 
wirkten Poen  von  20  Mark. 

Bereits  zwei  Tage  vorher,  am  27.  August,  hatte  Franz  von  Sickingen 
dem  Erzbischofe  von  Trier  Fehde  angekündigt  wegen  einer  Sache,  an  welcher 
Hilchen  ebenfalls  beteiligt  war.  Ein  Ritter  Gerhard  Börner  war  mit  einem 
trierischen  Amtmann  zusammengestossen  und  verband  sich  mit  Johann  Hilchen 
und  Heinrich  von  Thann,  um  sich  gegen  etwaige  Gefahren  zu  schützen.  Im 
März  1521  nahmen  sie  zwei  wohlhabende  trierische  Unterthanen  gefangen, 
führten  sie  auf  die  Burg  Thann  und  legten  sie  in  Fesseln;  als  Lösegeld  ver- 
langten sie  5000  fl.  nebst  150  fl.  für  Atzung.  In  ihrer  Not  wandten  sich  die 
Gefangeneu  endlich  an  Franz  von  Sickingen,  welcher  auch  eine  Vermittlung 
der  Sache  zusagte  (Ende  Juli),  und  erneuern  am  3.  August  ihr  Gesuch  mit 
dem  Zufügen,  wenn  Franz  sich  für  sie  verbürgen  wolle,  so  würden  sie  mit 
ihrem  ganzen  Vermögen  —  mehr  als  12,000  fl.  —  und  mit  ihrer  Person  haften 
und  für  allen  Schaden  aufkommen.  Am  8.  August  übernahm  nun  Sickingen 
als  Selbstschuldner  die  Zahlung  der  Loskaufsumme,  während  jene  sich  eidlich 
verpflichteten  binnen  Monatsfrist  diese  Summe  auf  der  Ebernburg  zu  entrichten 
oder  sich  wieder  zur  Haft  zu  stellen,  jedenfalls  auf  jede  Einrede  zu  verzichten. 
Kaum  befreit  lassen  sie  sich  von  dem  Erzbischofe  ihres  Eides  entbinden  und 
bringen  ihre  Sache  vor  das  Reichsgericht.  Es  wurde  hin  und  her  verhandelt, 
bis  schliesslich  Sickingen,  des  Treibens  müde,  am  27.  August  1522  dem  Erz- 
bischofe Richard  die  Fehde  ankündigt. 

Dies  waren  die  Veranlassungen  zu  der  bekannten  Trierer  Fehde;  wir 
wollen  das  Verfahren  der  Ritter  nicht  verteidigen,  und  namentlich  die  zweite 
Sache  erinnert  stark  an  das  räuberische  Rittertum  der  früheren  Zeit. 


')  Abgedruckt  bei  Münch  II,  S.   197. 


8 

Es  folgt  der  bekannte  Kriegszug  gegen  Trier,  die  Belagerung  der  Stadt 
vom  8.  bis  14.  September,  die  Ächtung  Sickingens,  der  Bund  der  drei  Fürsten 
gegen  ihn,  die  Eroberung  von  Kronberg  und  der  Burg  Landstuhl,  der  Tod 
Sickingens  am  7.  Mai  1523.  Das  Unternehmen  war  vollständig  gescheitert,  die 
Fürstenmacht  hatte  einen  vollständigen  Sieg  über  den  Bund  der  Ritter  davon- 
getragen. 

Noch  ehe  Sickingen  gestorben  war,  hatte  auch  unsern  Hilchen  ein  feind- 
liches Geschick  erreicht.  Nicht  genug,  dass  der  Landgraf  die  Hand  auf  seine 
Güter  gelegt  hatte;  er  selbst  geriet  in  die  Gewalt  seiner  Feinde.  Wir  lassen 
die  Erzählung  der  Flersheimer  Chronik  über  diese  Ereignisse  hier  folgen.^) 

(22)  „Baltt  darnach  kham  Herr  lohann  Hilichin,  Hanss  von  Sickingen, 
Auo-ustin  von  Braunsperg  gehn  Kallenfels,  von  dannen  sie  ein  unglückhafftige 
Stunde  uff  Landstul  zu  reitten  wollten;  das  wahr  Wilhelm  von  Habern,  so  da- 
mahls  Faut  zu  Heydelberg,  undt  volgends  der  Pfalz  Marschalck  worden,  gewahr 
zu  Lauttern,  nähme  sein  Reutter  mit  ihme,  ereiltt  die  Sickingischen  gahr  spätt, 
also  dass  sie  ungeschlagen  von  einander  nicht  khommen  möchten,  zogen  also 
zusammen.  Die  Sickingischen  wertten  sich  ritterlich,  also  das  Hanss  zum  ersten, 
sich  erstlichen  zu  Ross  undt  volgendts  zu  Fuess  also  menlichen  gwehrtt,  das  er 
ettlich  Wunden  ihm  Kopff  empfangen,  also  das  ihme  der  Schweiss  über  das 
Ano-esicht  undt  inn  die  Augen  lleif,  das  er  nitt  wohl  sehen  Kundt;  jedoch  so 
wehrt  er  die  andern  also  lang,  biss  sie  zu  letst  ubermantt  undt  sich  ergeben 
musten;  also  wahren  sie  mehrertheils  gefangen  undt  doch  vor  der  Gefengnuss 
"•etröst,  das  man  sie  nicht  änderst  dan  ritterlich  undt  wohl  haltten  und  das  sie 
auch  allein  der  Pfalz  Gefangene  sein  soltten^);  uff  solches  gelobtten  sie  dem 
Habern  undt  wahren  also  im  Yeltt  vertagt  undt  ahnheissig,  das  sie  sich  gehn 
Lauttern,  da  sie  gemeint,  stellen  woltten. 

(23)  „Ritten  also  damahls  gehn  Nanstul,  da  sie  Frantzen  von  Sickingen 
fanden,  der  schon  dess  Unglücks  zum  Theil  bericht,  undt  wiewohl  es  ihme  ein 
schwerer  Unfall,  jedoch  hieltt  er  sich  unerschrocklich  undt  gantz  tröstlich,  zeigt 
ahn,  diss  gebe  das  Feltt  also,  undt  sagt,  der  Krieg  wehre  umb  seines  Sohns 
willen  nicht  angefangen,  undt  Johann  Hilichin  versprochen,  er  must  ehe  ledig 
werden  dan  sein  Sohn,  soltten  desshalb  unerschrockhen  sein;  aber  es  wahr 
Franzen   ein  schedig  Niederlegen,   dan  nit  viel  mehr  nach  der  Niederlag  auss- 

gericht. 

(24)  „Wilhelm  von  Habern  schrieb  solches  sein  erlangten  Sieg  fürderlich 
gehn  Heydelberg  . .  .  überkham  Befeleh  die  Gefangenen  gehn  Lauttern  zu  mahnen, 
das  er  auch  thet;  als  aber  Hanss  seiner  empfangenen  Wunden  halber  sich  uff 
die  erst  Mahnung  nicht  stellen  khundt,  wardt  ihnen  ein  anderer  Tag  gesetzt, 
uff  den  sie  auch  erschienen;  als  sie  nun  gehn  Lauttern  khamen,  zeigt  ihnen 
Wilhelm  von  Habern  ahn,  wie  er  sein  siegliche  That  seinem  gnedigsten  Herrn 

1)  Münch  III,  S.  219,  Kap.  22  ff.  Dies  geschah  bald  nach  Sickingens  Abzug  von 
Trier,  noch  im  Jahre  1522.  Vergl.  Kap.  25.  —  *)  Sie  waren  offenbar  froh,  dass  sie  nicht  in 
die  (lefangenschatt  des  Landgrafen  Philipp  geraten  waren,  von  dem  sie  wegen  ihrer  Fehde 
von  1518  keine  Nachsicht  oder  milde  Behandlung  zu  erwarten  hatten.  Pfalzgraf  war  damals 
Ludwig  V.,  1508-1544, 


9 

dem  Pfalzgraffon  zugeschrieben,  auch  ihnen  bcricht,  was  er  ihnen  den  Sickingi- 
schen  im  Veltt  zugesagt  undt  versprochen,  das  sie  ein  ritterliche  (fcfengnuss 
haben  undt  auch  der  Pfalz  Gefangene  sein  soltten.  Darauff  sein  gnedigster 
Herr  ihme  geantwortt,  wass  ihnen  zugesagt,  soltt  ihnen  gehaltten  werden,  undt 
ihme  befollen,  dasselb  ihnen  wiederumb  von  neuem  zu  versprechen  .  .  .;  diss 
haben  sich  die  Gefangenen  bedanckt  und  Hanss  gesagt,  ehe  er  die  Gelübt  ge- 
than,  er  woltt  zuvor  wissen,  wess  Gefangener  er  sein  soltt,  wie  man  ihm  haltten 
woll,  undt  als  ihme  ein  ritterliche  Gefengnuss  undt  das  er  allein  dess  Pfalz- 
graffen  Gefangener  sein  soll,  zugesagt,  hab  er  erst  gelobt,  sich  auch  darauff 
gestellt,  höre  gehrn,  das  man  ihme  dass  halten  woll  .  .  .  Nach  etlichen  Tagen 
seindt  die  Gefangenen  gehn  Heydelberg  betagt,  da  sie  ettliche  Wochen  gelegen 
in  einem  Württshauss,  von  dannen  gehn  Germersheim  in  einem  Württshauss." 
In  der  Sühne,  welche  nach  Beendigung  des  Kriegs  stattftind,  wurde  in 
Betreff  der  Gefangenen  bestimmt^),  „es  soltten  auch  alle  gefangen  ausserhalb 
Hansen  undt  Hilichin,  zu  allen  Theylen  ledig  sein,  Hans  undt  Hilichin  soltten 
auch  ledig  werden,  doch  uff  ein  engere  Mass,  dieweil  Hauptleut  des  Kriegs."  Sie 
blieben  noch  einige  Zeit  in  Gewahrsam,  da  sie  nicht  sofort  im  Stande  waren 
den  Wirt  in  Germersheim  zu  befriedigen^),  bis  endlich  die  Befreiung  erfolgte. 
Während  aber  die  Erben  Sickingens  zunächst  schwer  geschädigt  wurden  durch 
den  Verlust  ihrer  Güter  und  erst  etwa  20  Jahre  später  eine  Rückgabe  erfolgte, 
rettete  Hilchen  aus  dem  Schiffbruche  wenigstens  sein  Yermögeu.  Er  hatte 
dasselbe  durch  eine  Schenkung  vor  Schultheiss  und  Gericht  zu  Lorch  und  dar- 
nach vor  der  ganzen  Landschaft  des  Rheingaus  seiner  Tochter  übergeben.  Auf 
die  Beschwerde  von  Trier,  Pfalz  und  Hessen,  es  sei  hinsichtlich  dieser  Güter 
von  dem  Kurfürsten  zu  Mainz,  in  dessen  Gebiet  sie  lagen,  nicht  genug  geschehen, 
machte  dieser  geltend,  es  gebühre  sich  nicht^dem  Töchterlein  die  Güter  zu  nehmen, 
solange  nicht  nachgewiesen  sei,  dass  die  Schenkung  uukräftig  und  dieselben 
dem  Töchterlein  nicht  zuständig  seien. ^ 


IL  Johann  Hilchen  im  Dienste  des  Kaisers  Karl  und  Königs  Ferdinand 

1527-1548. 

Der  unglückliche  Ausgang  der  letzten  Fehde,  seine  Gefangenschaft  und 
die  Gefahr  Hab  und  Gut  zu  verlieren,  wohl  auch  die  Besonnenheit  des  reiferen 
Alters  gaben  dem  Sinne  Hilchens  eine  andere  Richtung;  er  gab  das  ritterliche 
Leben  in  der  bisherigen  Weise  auf  und  widmete  von  nun  an  sein  Schwert  der 
Sache  des  Vaterlandes  im  Dienste  des  Kaisers  Karl  und  Königs  Ferdinand. 
Sein  Genosse  Hans  von  Sickingen  ging  ihm  darin  mit  seinem  Beispiele  voran. 
Als  sich  der  „bäurische  Uffruhr"  erhob,  ward  dieser  „von  ettlichen  Hauffen  der 
Bauern  aufgesucht,  das  er  ihr  Hauptman  weltt  werden;  sie  wüssten,  das  seinem 
Vatter  undt  ihme  L'^nrecht  geschehen  were,  sie  woltten  ihme  zu  allem  dem 
seinen  helffen  undt  grosser  machen,    dan   er  iho  gewesen   w^äre;    aber  Hanss 


•)  Ib.  VI,  Kap.  17,  S.  228.  —  »)  Ib.  Kap.  24.  —  ^)  Ver^'l.  die  Urkunden  bei  Müncli  II, 
S.  236,  264  ".  265, 


10 

ontschlug  sich  ihr  undt  ritt  stracks  dem  Bunde  zu,  bey  demselbigen  enthielt 
er  sich  biss  zu  Endt  dess  bäurischen  Kriegs."  *)  Ob  llilchen  sich  ebenfalls  zur 
Bekämpfung  der  Bauern  bei  dem  schwäbischen  Bunde  einfand,  ist  zweifelhaft. 
Da  der  Rheingau  selbst  heftig  von  der  Bewegung  ergriffen  w^urde,  so  ist  es 
nicht  wahrscheinlich,  dass  er  den  heimatlichen  Boden  verlassen  hat,  wenn  auch 
sein  Name  nicht  genannt  wird.^) 

Indessen  boten  die  folgenden  Jahre  hinreichende  Gelegenheit  die  Thaten- 
lust  zu  befriedigen.  Denn  gerade  um  jene  Zeit  begannen  die  fast  unaufhör- 
lichen Kriege  an  der  Ostmark  des  Reiches,  seit  es  den  Türken  gelungen  war 
sich  in  Ungarn  festzusetzen;  es  hatten  die  Kriege  mit  Frankreich  begonnen, 
welche  Ruhm  und  Ehre  sowie  reichen  Lohn  versprachen.  So  finden  wir  denn 
llilchen  wiederholt  in  diesen  und  anderen  Kriegen  und  vielfach  mit  Auszeichnung 
oder  in  hoher  Stellung  genannt. 

Der  Feldzug  gegen  Johann  Zapolya  1527. 

Am  29.  August  1526  hatte  König  Ludwig  von  Ungarn  nach  tapfrer  Gegen- 
wehr bei  dem  Schlachtfelde  von  Mohacz  im  Kampfe  mit  Soliman  Thron  und 
Leben  verloren.  In  die  allgemeine  Flucht  mit  fortgerissen  hatte  er  schon  das 
schwarze  Wasser,  das  die  Ebene  durchschneidet,  hinter  sich,  das  Pferd  war 
eben  im  Begriff  das  steile' Ufer  zu  erklimmen,  als  es  ausglitt,  zurückstürzte  und 
sich  mit  dem  Reiter  in  dem  Morast  und  dem  Wasser  begrub;  etwa  sechs  Wochen 
nachher  fand  man  seine  Leiche  an  der  Stelle. 3)  War  auch  die  Nachfolge  in 
den  Reichen  Ungarn  und  Böhmen  unzweideutig  durch  die  Verträge  bestimmt, 
so  wurde  doch  das  Recht  des  Erzherzogs  Ferdinand,  des  Gemahls  von  Ludwigs 
Schwester,  von  einer  Gegenpartei  angefochten  und  noch  in  demselben  Jahre 
am  11.  November  zu  Stuhlweissenburg  Johann  Zapolya  zum  Könige  von  Ungarn 
gekrönt.  Aber  Ferdinand  gab  seine  Ansprüche  nicht  auf.  Nachdem  er  sich 
Böhmens  versichert  hatte,  überschritt  er  am  31.  Juli  1527  die  ungarische  Grenze 
mit  einem  stattHchen  Heere  von  8000  Mann  zu  Fuss  und  3000  Mann  zu  Pferde; 
unter  diesen  befand  sich  auch  Johann  llilchen.^)  Am  20.  August  hielt  Fer- 
dinand seinen  Einzug  in  Ofen,  die  deutschen  Reiter  aber  verfolgten  Zapolya  und 
schlugen  ihn  bei  Tokay,  dann  geleiteten  sie  den  Erzherzog  nach  Stuhlweissen- 
burg, wo  dieser  am  3.  November  zum  Könige  gekrönt  wurde,  die  letzte  Krönung, 
welche  in  dieser  Stadt  vollzogen  wurde. 

Der  Einzug  in  die  Stadt  war  äusserst  glänzend;  den  Mittelpunkt  bildete 
der  Erzherzog,  welcher  die  Krone  empfangen  sollte,  er  ritt  in  einem  übersilberten 
Harnisch,  den  ein  goldener  Mantel  deckte,  unter  einem  goldenen  Baldachin, 
welchen  ungarische  Geistliche  trugen,  auf  prächtigem  Pferde,  zwischen  den 
beiden  Königinnen,  seiner  Schwester  Maria  und  Gemahlin  Anna;  zahlreiches 
Fussvolk  war  vor  den  Mauern  der  Stadt  aufgestellt,   über  dem   Panzer   aufge- 


»)  Flersheimer  Chronik  a.  a.  0.  S.  233,  Kap.  33.  —  ^  Vergl.  Pctri  im  achten  Bande 
der  Annaion,  S.  1  tf.  —  ')  Rauke,  Doutsciio  Geschichte  II,  3,  S.  332.  Buchhol tz,  Kaiser 
Ferdinand  III,  S.  159.  —  *)  Ranke  a.  a.  0.  S.  344.  Buch  hol  tz  S.  208  Hisst  Ferdinand  mit 
21000  Mann  aut'broclion. 


11 

schlitzte  saratne  oder  mit  Gold  gewirkte  Kleider,  von  den  Hüften  herab 
reichlich  gestreift.  Voran  zogen  glänzende  Reiter,  Trompeter,  liäte,  Bischöfe 
u.  a.  Grosse,  alle  in  prächtiger  Kleidung,  den  Zug  schlössen  3000  Mann  der 
ausgesuchtesten  deutschen  und  ungarischen  Reiterei,  unter  ihnen  Johannes 
Hilchen.O 

Die  Belagerung  Wiens  1529. 

Im  Jahre  1529  unternahm  bekanntlich  der  Sultan  Solinian  den  grossen 
Heereszug  gegen  "Westen,  zunächst  um  Zapolya  wieder  in  die  Herrschaft  über 
Ungarn  einzusetzen,  dann  aber  auch,  um  sich  zum  Herrn  von  Wien  zu  machen. 
Am  26.  September  begann  die  Belagerung  der  Stadt,  am  15.  Oktober  wurde 
sie  aufgehoben. 

Auf  die  Kunde  von  der  Absicht  des  Sultans  hatte  der  König  Ferdinand 
umfassende  Anstalten  in  das  Auge  gefasst,  um  den  drohenden  Angriff  abzu- 
wehren; doch  kam  zunächst  nur  eine  eben  noch  zur  Verteidigung  der  Stadt 
ausreichende  Schar  zur  rechten  Zeit  zusammen ;  die  Reichstruppen,  zu  deren 
Anführer  Pfalzgraf  Friedrich,  der  spätere  Kurfürst,  zu  Speyer  ernannt  worden 
war,  sammelten  sich  nur  langsam  und  nur  einer  Abteilung  unter  dem  Pfalz- 
grafen Philipp  gelang  es  vor  der  Einschliessuug  in  die  Stadt  zu  gelangen; 
Friedrich  musste  sich  begnügen  mit  einer  kleinen  Schar  ruhig  zuzusehen,  wie 
die  Umgegend  von  Wien  verwüstet  wurde,  ohne  etwas  Entscheidendes  zu 
unternehmen.-) 

Auch  Hilchen  hatte,  wie  Hans  von  Sickingen,  im  Frühjahre  es  über- 
nommen an  dem  Kriegszuge  sich  zu  beteiligen;  er  verpflichtete  sich  damals 
400  Pferde  zu  werben.^)  Über  seine  weiteren  Schritte  und  über  die  Aufgaben, 
welche  ihm  in  dem  Kriege  zufielen,  sind  wir  nicht  unterrichtet ;  nur  soviel  ist 
wahrscheinlich,  dass  er  unter  Pfalzgraf  Friedrich  stand  und  nicht  in  der  Stadt 
Wien  sich  befand;  in  dem  Verzeichnis  der  Anführer  und  Hauplleute,  welche 
daselbst  waren,  fehlt  sein  Xame*);  aber  auch  Spaugenberg  sagt,  er  sei 
damals  Oberster  in  dem  Türkenkriege  gewesen.^) 

Der  Türkenkrieg  von  1532. 

Hatte  Hilchen  im  Jahre  1529  auch  nicht  die  Gelegenheit  zu  tapferen  Thaten, 
30  eilte  er  doch  bei  dem  nächsten  grossen  Kriegszuge  der  Türken  im  Jahre 
1532  wieder  freudig  zu  dem  Kampfe.  Infolge  des  Nürnberger  Religionsfriedeus 
rüstete  diesmal  das  Reich  ein  so  stattliches  Heer,  wie  es  lange  nicht  gesehen 
worden  war;  wieder  war  Pfalzgraf  Friedrich  der  oberste  Befehlshaber.  Doch 
auch  diesmal  schien  die  Möglichkeit  zu  ernsteren  Kämpfen  für  diesen  zu  ent- 
schlüpfen. Während  er  angewiesen  war,  ein  Lager  bei  Wien  zu  beziehen^), 
machte  Soliman   einen  Angrilf  auf  die  Festung  Günz,   welcher  an  der  Tapfer- 


')  Buchholtz  S.  210  f.  —  ■}  Buchholtz  S.  297  teilt  einige  Briefe  Ferdinands  an 
Friedrich  mit.  —  ^)  Polit.  Korrespondenz  der  Stadt  Strassburj,  I,  S.  326:  d.d.  25.  März  1529. 
—  *)  Bei  Schard  II.  —  ''')  Adelsspiegel  II,  Fol.  253a,  freilich  mit  der  falschen  Jahreszahl 
152S  statt  1529.  —  ")  Buchholtz  a.  a.  0.  S.  105. 


12 

keit  (1er  kleinen  Schar  der  Verteidiger  und  ihres  heldenhaften  Führers  scheiterte. 
Nach  dieser  Probe  von  deutschem  Mut  und  Ausdauer  und  im  Angesicht  des 
glänzenden  Reichsheeres  wagte  es  der  Sultan  nicht  weiter  vorzugehen,  sondern 
wandte  sich  zum  Rückzuge  nach  Steiermark,  indem  er  nur  zum  Scheine,  um 
seinen  Abzug  zu  verschleiern,  eine  Anzahl  leichter  Truppen  zur  Verwüstung 
von  Ostreich  abschickte.  Mit  diesen  traf  nunmehr  der  Pfalzgraf  zusammen, 
und  auch  diese  unterlagen  der  Tapferkeit  und  Kriegskunst  der  Deutschen :  von 
einem  Haufen  derselben  dem  andern  in  die  Hände  gejagt  wurden  sie  zwischen 
beiden  zermalmt.') 

Als  die  Hilfsvülker  des  Reichs  zusammengekommen  waren,  so  erzählt  ein 
rhetorischer  Berichterstatter^),  berief  der  Pfalzgraf  seine  Hauptleute  und  An- 
führer (tribunos  et  centuriones)  und  hielt  eine  Anrede  an  sie,  in  welcher  er 
ihnen  auseinander  setzt,  wie  notwendig  es  sei  dem  drohenden  Angriff  der 
Feinde  wohlgeordnet  entgegenzugehen  und  insbesondere  die  wichtigsten  Amter 
zu  verteilen;  das  wolle  er  jetzt  thun,  aber  nicht  ohne  ihre  Zustimmung;  er 
schlage  also  vor,  dass  der  Graf  Wilhelm  von  Rennenberg,  an  Klugheit  ein 
Nestor,  an  hohem  Sinn  und  Kunst  zu  siegen  ein  Achilles  oder  Ajax,  das  Amt 
eines  Magister  equitum  (=  oberster  Lieutenant  oder  Stellvertreter  des  Ober- 
anführers) erhalte;  Dietrich  Spät,  an  Kraft  ein  wahrer  Mars  oder  Diomedes, 
solle  Marschall  werden;  Ulrich  von  Schellenberg,  an  Tapferkeit  ein  Mucius, 
an  Rechtskenntnis  ein  Scaevola,  sei  geeignet  über  die  Soldaten  zu  richten 
(Profoss);  lohannes  Hilliche,  ein  Drache  der  Hesperiden  oder  ein  hundertäugiger 
Argus  an  Wachsamkeit,  übernehme  die  Sorge  für  die  Wachen  (Oberstwacht- 
meister); Hans  von  Staden,  an  Schlauheit  und  Anstelligkeit  ein  Ulysses  aus 
Ithaka,  möge  für  die  Verpflegung  der  Soldaten  sorgen.  Die  versammelten 
Führer  billigten  die  Vorschläge,  aus  denen,  wenn  wir  die  Rhetorik  abziehen, 
für  uns  hervorgeht,  dass  Hilchen  eine  hervorragende  und  ehrenvolle  Stelle 
unter  den  Kriegern  einnahm,  eine  Sache,  die  auch  von  anderer  Seite  bestätigt 
wird;  ein  ungarischer  Geschichtschreiber  versichert,  die  Hauptleute  des  Pfalz- 
grafen seien  von  grossem  Rufe  und  Ansehen,  sowie  grosser  Übung  im  Kriegs- 
wesen gewesen.^) 

Ehren  und  Würden. 
Am  23.  September  langte  der  Kaiser  selbst  zu  Wien  an.  Nach  Be- 
endigung der  Kämpfe  entbot  er  den  Pfalzgrafen  und  seine  Befehlshaber  zu 
sich  in  die  Burg,  lobte  ihren  Eifer  und  ihre  Erfolge  und  schlug  zum  Zeichen 
seiner  Anerkennung  viele  zu  Rittern,  zuerst  die  Fürsten;  dann  berief  er  vor 
allen  Grafen  und  Herren  den  tapfren  Schärtlin  von  Burtenbach,  welcher  gleich- 
falls den  Ritterschlag  erhielt,  jetzt  zum  zweiten  Male,  von  dem  Kaiser  selbst, 
nachdem  ihm  nach  der  Schlacht  bei  Pavia  schon  einmal  diese  Ehre  zu  teil 
ireworden  war.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  auch  lohann  von  Hilchen 
zu  der  ausgewählten  Schar  gehörte,  welche  der  Kaiser  damals  so  auszeichnete; 


')  Ranke  IIT,  S.  347;  Buchholtz  IV,  S.  112f.  —  ")  Melchior  Soiterius  bei  Schardll, 
S.  1247.  —   ^)  Isthuanfi  S.  ISl. 


13 

später  lieisst  er  immer  Ritter   und   bezeichnet   sich  selbst   mit   diesem  Namen ; 
auch  Kaiserlicher  Rat  wird  er  genannt^)  und  eques  auratus.^) 

,  Im  Jahre  1533  trat  Hilchen  mit  Graf  Wilhelm  von  Nassau-Dillenburg 
in  ein  näheres  Verhältnis ;  derselbe  ernannte  ihn  am  22.  Februar  zu  seinem 
Rat  und  Hauptmann  und  versprach  ihm  fünf  reisige  Pferde,  drei  Knechte,  einen 
Knaben,  sowie  100  tl,  und  eine  Hofkleidung  für  jedes  Jahr.'')  So  sehen  wir 
ihn  denn  alsbald  bei  der  Taufe  des  am  24.  April  1533  gebornen  Sohnes  von 
Wilhelm  und  seiner  Gemahlin  Juliane  von  Stolberg,  des  später  so  berühmten 
Wilhelm  des  Schweigers,  anwesend;  diese  fand  statt  am  4.  Mai  und  wurde, 
da  das  Kind  der  erste  Mannspross  des  Hauses  war,  höchst  glänzend  gefeiert, 
Hilchen  sollte  dem  Grafen  bei  der  Anordnung  des  Festes  mit  zur  Hand  sein 
und  hielt  bei  der  h,  Handlung  das  Kind  selbst,  bis  die  Teufelaustreibung  ge- 
sprochen war,  übergab  es  dann  den  wartenden  Frauen,  um  es  nach  Beendigung 
der  Ceremonien  wieder  in  die  Hand  zu  nehmen  und  es  dann  der  Reihe  nach 
den  Gevattern  zu  reichen.  Nachdem  man  die  Taufkapelle  verlassen  hatte,  trug 
er  nunmehr  den  Neugetauften  zu  seiner  Mutter  Juliane.^)  —  Am  20.  Juli  1537 
tritt  ein  Vetter  Johanns,  Friedrieh  Hilchen  von  Lorch,  gleichfalls  in  näheres 
Verhältnis  zu  Wilhelm,  welcher  denselben  mit  einem  Lehen  bedenkt.^) 

Endlich  sei  erwähnt,  dass  der  Kurfürst  von  der  Pfalz  unsern  Hilchen 
ebenfalls  zu  seinem  Rat  ernannte. 

Der  würtembergische  Feldzug  1534. 

Minder  ruhmvoll  als  der  vorhergehende  war  der  Feldzug,  in  welchem 
Hilchen  gegen  den  Landgrafen  Philipp  stand.  Der  Herzog  Ulrich  von  Würtem- 
berg  war  wegen  seiner  Missregierung  im  Jahre  1519  durch  den  schwäbischen 
Bund  seines  Herzogtums  beraubt  und  dieses  dem  Bruder  des  Kaisers,  dem 
Erzherzoge  Ferdinand,  übertragen  worden.  Da  es  den  Anschein  gewann,  als 
ob  der  Herzog  für  immer  seines  Landes  verlustig  bleiben  sollte,  beschloss  der 
Landgraf  Philipp  gegen  einen  solchen  Gewaltakt  einzuschreiten.  An  der  Spitze 
eines  stattlichen  Heeres  von  Reisigen  und  Fussknechten  tiel  er  im  Jahre  1534 
in  Würtemberg  ein,  um  den  Herzog  wieder  einzusetzen.  Gegen  ihn  rüstet  die 
bestehende  Regierung  und  entbietet  namentlich  die  alten  Gegner  Philipps  aus 
der  sickingischen  Fehde,  Dietrich  Spät,  Johann  Hilchen  u.  a.  Ein  noch  vor- 
handenes Volkslied*")  sagt  von  diesem : 

Die  Reuter  und  der  obrist  Hauptmann'') 

Den  Herzog  wollten  sie  vertreiben. 

Kein  Hessen  im  Lande  lassen  bleiben, 

Wollten  sich  nicht  mit  ihm  vertragen. 

')  Bei  Romrael  a.  a.  O.  im  Jahre  1534,  doch  fehlt  der  Titel  auf  der  Grabschrift.  — 
2)  Volrad  von  Waldeck,  Itinerarium  S.  36,  doch  fehlt  auch  dieser  Titel  auf  der  Orabsclirift  und 
sonst  und  kann  ihm  von  Volrad  irrtümlich  beigelegt  sein.  "Wenn  Töpfer  ihn  im  Jahre  1529 
als  Ritter  bezeichnet,  so  muss  er  es  freilich  früher  geworden  sein.  —  ^)  Keller,  Geschichte 
von  Nassau,  S.  128;    Arnoldi,    Geschichte  von  Nassau-Oranien    III,  2,  S.  39;   III,  1,  S.  127. 

—  *)  Jacobs,  Juliane  von  Stolberg,  S.  84  u.  85.  —  ^)  Xotiz  im  Staatsarchiv  zu  Wiesbaden. 

—  ®)   V.  Liliencron,   Deutsche  Volkslieder  IV,   S.  70,    —    'j  Pfalzgraf  Philipp,   Hauptmann 
des  Bundes. 


14 

Gen  Illiugen  thetens  Lager  schlagen, 

Ihr  Volk  vertrostens  für  Oefert 

Auf  fünfhundert  pfalzgräHich  Pferd, 

Auch  bracht  lohann  Hilch  Pferd  so  vielen, 

Dem  Herzog  wolltens  Richter  spielen. 
Ebenso    erwähnt   Nikolaus  Asclepius  Barbatus,   Professor  der  Philosophie 
zu  Marburg,   in  seiner  Festrede   nach  beendigtem  Kriege  ausser  dem  „kleinen 
Hess"  Konrad  von  Bemmelberg  nur  des  Ritters  Hilckus  als  des  tapfersten  und 
durch  seine  Kriegsthaten  ausgezeichnetsten  Mannes.^) 

Der  Erfolg  entsprach  nicht  den  Erwartungen;  bei  Laufen  wurde  am 
12.  Mai  der  Ausgang  des  Kampfes  rasch  entschieden:  der  Landgraf  siegte  und 
setzte  Ulrich  in  die  väterliche  Herrschaft  wieder  ein.  Der  Friede  von  Kadan 
bestätigte  das  Errungene   und  söhnte  auch  Hilchen  mit  dem    Landgrafen   aus. 

Familienereignisse. 
Wenio'e  Jahre  später  trafen  den  Ritter  zwei  schwere  Verluste :  es  starben 
sein  Schwiegervater  und  Schwiegersohn ;  jener  ertrank  in  der  Nahe^)  bei  Merx- 
heim.  Infolge  seines  Absterbens  fiel  an  Hilchen  und  seine  Tochter,  die  Vögtin 
von  Hunolstein,  im  Jahre  1539  ein  Drittel  des  grossen  und  kleinen  Zehntens 
zu  "Wallertheim  als  Lehen  auf  Lebenszeit  von  dem  Lehensherrn  Johann  von 
Hohenfels,  Die  Teilung  der  übrigen  Hinterlassenschaft  des  Melchior  von  Rüdes- 
heim erfolgte  im  Jahre  1541.^)  Ferner  trat  an  Hilchen  nun  die  Pflicht  heran 
sich  seiner  Tochter  und  seiner  Enkel  anzunehmen.*)  Und  so  reichte  er  u.  a. 
am  1.  Juni  1541  eine  Beschwerde  bei  dem  Herzoge  von  Lothringen  ein  gegen 
die  Geistlichkeit  und  namentlich  den  Dechanten  von  Homburg,  weil  er  bei  der 
Beisetzung  der  Leiche  Schwierigkeiten  gemacht  hatte  und  nun  nicht  dulden 
wollte,  dass  der  Amtmann  von  Merxheim  Urban  Schlegel,  welcher,  vordem 
katholischer  Geistlicher,  ein  Weib  genommen  und  sich  der  neuen  Lehre  ange- 
schlossen hatte,  länger  im  Dienste  der  Witwe  des  Adam  von  Hunolstein  ver- 
bleibe.-^) Aus  diesem  Schritt  hat  man  geschlossen,  dass  Hilchen  der  Refor- 
mation Eingang  zu  verschaffen  gesucht  habe  —  mit  Unrecht,  wie  es  scheint; 
man  kann  höchstens  behaupten,  dass  er  in  Sachen  der  Religion  nachsichtig 
war,  namentlich  gegen  Beamte,  wenn  sie  sich  als  tüchtig  erwüesen. 

Türkenkrieg  von  1542. 
Der  Türkenkrieg  von  1542,  in  welchem  Kurfürst  Joachim  von  Branden- 
burg den  Oberbefehl  führte,  verlief  ohne  erfreuliche  Resultate.  Für  uns  ist 
wichtig,  dass  u.  a.  die  wetterauischen  Grafen,  als  sie  zu  Butzbach  über  die 
Ausführung  des  Speyerer  Reichstagsabschiedes,  soweit  er  sie  betraf,  sich  be- 
rieten, den  Beschluss  fassten  wegen  der  Anwerbung  ihres  Kontingentes  sich  an 


")  Er  sagt:  Xon  abest  lohannca  Ililckus  equea  fortisßimus  ot  vir  rebus  belli  gestia  prae- 
fitaiitiflsimuH.  Schard  II,  S.  1295;  Caesar,  Catalogus  Studios.  Marl).  I,  S.  14.  —  ')  Bod- 
mann  S.  349.  Nicht  auch  die  Oemahlin  Hilchcns.  S.  o.  S.  2,  Anra.  1.  —  '')  Tüpfer  a.  a.  O, 
S.  92  u.  07,  und  oben  S.  2.  —  *)  Derselbe  S.  98  u.  99.  —  'j  Derselbe  S.  94. 


15 

Ililcheu  zu  weuJen,  um  zu  erfahreu,  wo  eine  solche  Anzahl  von  Knechten,  als 
sie  bedurften,  zu  finden  sei.^) 

Ililclien  selbst  befand  sich  später  im  Reichsheer  als  Reichsoberster  Feld- 
niarschalF);  auch  die  Grabschrift  erwähnt  dieses  Feldzuges. 

Die  Feldzüge  gegen  Frankreich  1543   und  1544. 

Im  Jahre  1542  hatte  König  Franz  den  Krieg  gegen  den  Kaiser  wieder 
erneuert.  Das  erste  Kriegsjahr  hatte  eine  bedeutendere  Entscheidung  nicht 
gebracht;  um  s,o  mehr  sollte  das  Jahr  1543,  so  hoffte  man,  das  Vertrauen 
rechtfertigen,  welches  das  stattliche  Heer  des  Kaisers  einflösste.  Er  selbst  er- 
schien, in  der  Kraft  seiner  Jahre  stehend,  voll  Siegeshoffnung  und  Selbstge- 
fühls, am  17.  August  zu  Bonn,  wo  etwa  35000  Mann  Deutsche,  Italiener  und 
Spanier  vereinigt  waren,  und  hielt  hier  selbst  eine  Musterung  ab. 

„Wer  vor  Jahren,  sagt  ein  Augenzeuge^),  den  Kaiser  in  seiner  einfachen 
Kleidung  gesehen,  wunderte  sich  sehr  ob  des  ungewöhnlichen  Schmuckes;  denn 
man  erzählt,  als  er  sein  Ross  bestiegen,  habe  er  sich  selbst  angeschaut  und 
gelächelt.  Alles  am  Reiter  und  Ross  war  aufs  äusserste  kostbar,  und  er  nicht 
allein  erschien  in  solcher  Herrlichkeit,  ganz  in  Eisen,  Gold  und  Edelstein,  son- 
dern auch  mit  ihm  ungefähr  300  spanische  und  italienische  Heroen  in  ver- 
schwenderischer Rüstuug.  Er  besorgte  selbst  alle  und  jede  Geschäfte  eines 
Oberanführers,  er  dirigierte  die  Ordnungen  des  Fussvolkes,  wie  im  Fluge  hin 
und  her  reitend.  Dem  goldgezierten  deutschen  Ritter  Johann  Hilchen  reichte 
er  selbst  die  Rennfahne,  bald  diesen,  bald  jenen  anrufend  und  in  deutscher 
Sprache  tadelnd." 

Hier  sehen  wir  also  wieder  unsern  Ritter  in  bevorzugter  Stellung,  als 
Feldraarschall,  wie  die  Grabschrift  besagt  und  die  Chronik  von  Hatzfeld."*)  Bei 
Landrecy  und  Chateau  Cambresis  kam  es  zu  heftigen  Kämpfen,  in  denen  sich 
Hilchen  durch  Tapferkeit  und  Mut  auszeichnete^),  wenn  auch  einzelne  Thaten 
nicht  erwähnt  werden. 

Die  Huldigung  des  Erzbischofs  von  Mainz  1545. 
Im  Jahre  1545  finden  wir  Hilchen  bei  der  feierlichen  Huldigung,  welche 
das  Rheingau  am  14.  November  dem  neu  erwählten  Erzbischofe  und  Kurfürsten 
von  Mainz  Sebastian  von  Heussenstamm  leistete.*')  Nachdem  dieser,  umgeben 
von  einem  stattlichen  Gefolge  von  Domherrn  und  Rittern,  unter  welchen  Hilchen 
sich  befand,  bei  Östrich  gelandet  war,  begab  er  sich  zu  Fuss  nach  S.  Bartho- 
lomäus; hier  war  die  Landschaft  des  Rheingaus  versammelt  und  empfing  von 
dem  Erzbischofe  die  Bestätigung  ihrer  alten  Rechte  und  Freiheiten ;  dann  traten 
die  Schultheissen  und  Schöffen  aus  den  Ämtern  nach  altem  Brauch  heran  und 
schwuren  den  Eid  der  Treue  dem  Erzbischofe  und  Domkapitel.  Nach  vollendeter 
Feierlichkeit  fuhr  man  nach  Eltville    und  hielt  daselbst  eine  fröhliche  Mahlzeit. 


1)  Menzel,  Geschichte  von  Nassau  I,  S.  5S6.  —  '")  Arnoldi  III,  1,  S.  223  Anm.  — 
^)  Kasp.  Hedio;  O.  Voigt,  Briefwechsel  berühmter  Gelehrten,  S.  307;  und  ähnlich  Veit 
Dietrich,  S.  181.  —  *)  Annulen  XIX,  S.  65,  —  *)  lovius  bei  Schard  II,  S.  1553.  Spangen- 
berg a.  a.  0.  —  °)  Guden  IV,  S.  667;  Bodmann  S.  19. 


16 

Das  Hilchenhaus  zu  Lorch   1546. 

Die  Feldzüge  hatten  unserm  Ritter  nicht  bloss  Ehre  und  Stellung,  ouuuern 
auch  reiche  Geldmittel  eingetragen.  Die  Summen,  welche  Schärtlin  in  seiner 
Lebensbeschreibung  nennt,  beweisen,  dass  der  Kriegsdienst  nicht  bloss  Xamen 
und  Ruhm  verlieh,  sondern  auch  gewinnbringend  war.  Hilchen  hatte  bald 
nicht  allein  den  früher  erlittenen  Schaden  ersetzt,  sondern  konnte  z.  B.  im 
Jahre  1530  seiner  Tochter  eine  Mitgift  von  1000  fl.  aussetzen.  Im  Jahre  1546 
begann  er  den  Neubau  eines  Wohnhauses  zu  Lorch,  welches  bis  in  die  neuere 
Zeit  erhalten  ist.  Er  verwendete  vieles  Geld,  wie  er  später  Graf  AYilhelm 
schrieb,  auf  dasselbe  und  stattete  es  mit  mancherlei  Schmuck  aus.  An  dem 
Rheine  liegend  zeichnet  es  sich  vor  den  benachbarten  Gebäuden  durch  seine 
Facade  aus  und  zieht  den  Blick  der  vorbeifahrenden  Reisenden  unwillkürlich 
auf  sich.  Eine  Beschreibung  und  Abbildung  s.  bei  Lübke,  Renaissance  in 
Deutschland,  S.  428;  ferner  vergl.  Lotz,  Baudenkmäler  im  Regierungsbezirk 
Wiesbaden,  S.  307;  Rhein.  Antiqu.  X,  S.  244. 

Das  Obergeschoss  des  Hauses  ist  über  die  der  Stadt  gehörende  Strasse 
erbaut ;  darüber  beschwerte  sich  die  Gemeinde,  und  die  Tochter  Hilcheus 
musste  sich  deswegen  mit  ihr  nach  Hilchens  Tode  vertragen  und  sie  zufrieden- 
stellen.^) 

Der  schmalkaldische  Krieg  1547. 

Noch  einmal  wurde  Hilchen  zu  den  Waffen  gerufen,  diesmal  von  Graf 
Wilhelm  für  den  Kaiser.  Dieser  wollte  endlich  im  Laufe  des  Jahres  1546  den 
Entschluös  die  Protestanten  mit  Waffengewalt  zum  Gehorsam  zu  bringen  und 
zur  alten  Kirche  zurückzuführen  verwirklichen  und  begann  den  Krieg  gegen 
den  schmalkaldischen  Bund.  Die  Stellung  des  Grafen  Wilhelm  war  in  dieser 
Sache  eine  missliche.  Er  war  ein  erklärter  Anhänger  der  protestantischen 
Lehre  und  hatte  sie  in  seinen  Landen  eingeführt;  er  war  auch  Mitglied  des 
schmalkaldischen  Bundes  gewesen  und  zugleich  Lehnsmann  des  Landgrafen 
Philipp.  So  zogen  ihn  Pflicht  und  religiöse  Anschauung  auf  die  Seite  der 
Schmalkaldener.  Auf  der  anderen  Seite  hatte  er  immer  trotz  seiner  abweichen- 
den kirchlichen  Stellung  die  besondere  Gunst  des  Kaisers  genossen;  sein  Bruder 
Heinrich  war  lange  einer  der  ersten  kaiserlichen  Räte  gewesen,  dessen  Sohn 
Renatus  (f  1544)  hatte  die  Gunst  des  Kaisers  geerbt,  und  eben  wurde  Wil- 
helms gleichnamiger  Sohn,  von  dessen  Taufe  wir  oben  berichtet  haben,  am 
kaiserlichen  Hofe  erzogen,  um  demnächst  in  die  Stelle  Heinrichs  und  Renatus 
einzurücken.  Die  Pflicht  der  Dankbarkeit  zog  ihn  ebenso  wie  seine  gut  kaiser- 
liche Gesinnung  auf  die  Seite  Karls^  nicht  weniger  die  Klugheit,  da  er  im 
Falle  des  Sieges  auf  eine  günstige  Entscheidung  seines  Streites  mit  Philipp 
wegen  der  katzenelnbogischen  Erbschaft  rechnen  konnte.  Der  Verlauf  des 
Kriegs  enthob  ihn  zunächst  der  Notwendigkeit  eine  Wahl  zu  treffen;  denn  die 
Gegner  trafen  vorerst  nur  in  Oberdeutschland  zusammen,  wo  die  schmalkal- 
dischen Fürsten    und    Städte    in    ihrer  Unentschiedenheit   und  Uneinigkeit  dem 


»J  Rhein.  Anti4U.  II,   10,  S.  258. 


17 

Feinde  nicht  gewachsen  waren.  Doch  Hess  der  Kaiser  nicht  ab  ihn  zu  mahnen 
in  seinem  eignen  Interesse  seiner  Sache  sieh  anzuschliessen  und  sich  mit  Waffen- 
gewalt in  den  Besitz  der  Grafschaft  Katzeneinbogen  zu  setzen. 

Eine  persönliche  Zusammenkunft  mit  dem  kaiserlichen  Feldherrn,  dem 
Grafen  Maximilian  von  Büren,  im  Januar  1547  zu  Frankfurt  und  bald  darauf 
mit  dem  Kaiser  zu  Ulm  (Ende  Januar  bis  Ende  Februar)  Hess  ihm  endlich 
keine  Wahl  mehr ;  er  machte  sich  dem  Kaiser  gegenüber  verbindlich  600  Reiter 
mit  voller  Rüstung  demselben  zuzuführen,  oder  wie  ihm  der  Kaiser  berich- 
tigend am  5.  April  zu  Eger  schreibt,  „sie  in  Werbung  und  Rüstung  zu  halten", 
damit  er  sie  bei  seiner  Ankunft  in  Frankfurt,  sofern  er  sie  nötig  habe,  zur 
Verfügung  habe ;  ja  er  fügt  hinzu,  er  möge  der  Kosten  wegen  zur  Zeit  keine 
Musterung  oder  Bestallung  vornehmen,  sondern  sich  nur  der  Mannschaft  ver- 
sichern für  den  Fall,  dass  man  ihrer  bedürfe.  Am  15.  Mai  erliess  er  sodann 
den  Befehl  von  Wittenberg  aus,  der  Graf  solle  in  der  Wetterau  zu  ihm  stossen, 
eine  Anordnung,  welche  durch  den  Lauf  der  Ereignisse  unnötig  wurde.*) 

Alsbald  nach  seiner  Rückkehr  aus  Ulm  hatte  Wilhelm  die  Anstalten  zur 
Ausrüstung  begonnen.  Zu  ihr  wurden  zunächst  die  Lehnsleute  aufgefordert."^ 
Sodann  kam  er  mit  Asmus  von  der  Hauben-^)  gleich  im  Anfange  des  März 
überein,  dass  derselbe  300  Reiter  binnen  Monatsfrist  als  Hauptmann  und  Ritt- 
meister stellen  solle;  doch  wurde  die  Zahl  bald  nachher  auf  150  Reiter  herab- 
gesetzt und  als  Tag  der  Musterung,  welche  bei  Worms  stattfinden  solle,  der 
zweite  Mai  bestimmt.  Ferner  forderte  Wilhelm  den  Johann  Hilchen  auf  60 
Pferde  zu  werben.  Dass  dieser  wie  der  Graf  auf  der  Seite  des  Kaisers  stehen 
werde  oder  dass  man  dies  von  ihm  wenigstens  voraussetzte,  beweist  der  Auf- 
trag, welchen  er,  wie  Graf  Wilhelm  und  Hans  von  Sickingen,  am  13.  April 
1546  erhalten  hatte,  den  Adel  und  die  Ritterschaft  am  Rhein  und  auf  dem 
Westerwald  auf  den  16.  Mai  1546  nach  Mainz  zu  berufen,  damit  sie  dort  mit 
den  kaiserlichen  Kommissarien  über  ihre  Hilfeleistung  wider  die  Unbotmässigen 
berieten.^)  Am  3.  April  1547  erklärt  sich  Hilchen  bereit  und  im  stände  die 
Werbung  zu  übernehmen,  fragt  auch  an,  ob  der  Graf  ihn  selbst  im  Felde  ge- 
brauchen wolle;  für  diesen  Fall  bedürfe  er  zwei  Wagen,  um  seine  Notdurft 
nachzuführen,  da  er  selbst  wegen  der  schweren  Kosten,  die  er  bei  seinem 
Hausbau  habe,  nur  schwer  im  stände  sei  einen  Wagen  zu  stellen;  endlich 
bietet  er  dem  Grafen  40  guter  dürrer  Stangen,  die  er  zu  Lorch  habe,  an,  da 
er  gehört  habe,  derselbe  sehe  sich  nach  Spiessstangen  um. 

Schon  wenige  Tage  nachher  antwortet  der  Graf;  da  Asmus  seine  Anzahl 
Reiter  nicht  wohl  möge  zuwegen  bringen,  so  bittet  er  Hilchen,  wenn  es  ihm 
möglich  sei,  sich  um  200  Pferde^)  zu  bewerben  auf  die  Bestallung  hin,  die  er 
in  Händen  habe  (s.  u.);  seiner  hohen  Notdurft  nach  könne  er  ihn  diesmal  nicht 
verschonen  ihn  im  Felde  zu  gebrauchen;    er  möge  sich  daher  gefasst  macheu, 

')  Arnoldi  III,  1,  S.  118  ff.  und  archivalische  Urkunden,  wie  auch  für  das  Folgende.  — 
')  Arnoldi  III,  2,  8.  90.  —  ^)  Dieser  war  u.  a.  im  letzten  französischen  Kriege  kaiserlicher 
Oberst  gewesen.  —  *)  Menzel  II,  S.  268,  -  *)  Es  ist  daher  die  Angabe  Arnoldis  III,  1, 
S.  127  nicht  genau,  wenn  er  sagt,  Asmus  von  der  Hauben  und  Johann  Hilchen  hraten  je 
3(X)  Reiter  stellen  sollen. 

2 


18 

wo  es  ihm  immer  möglich  sei  seines  Leibes  Gelegenheit  wegen,  zeitig  selbst  in 
eigner  Person  zu  Feld  zu  ziehen;  die  zwei  "Wagen  werde  er  stellen,  damit  er 
seine  Fuhr  bei  dem  Bauen  behalten  möge ;  die  Spiessstangen  nimmt  er  dankend 
an  und  wird  sie  durch  seinen  Keller  zu  Nassau  holen  lassen;  endlich  wünscht 
er,  dass  Hilchen  sich  persönlich  nach  Dillenburg  verfüge  und  nicht  ausbleibe, 
damit  er  mit  ihm  sich  aller  Sachen  halber,  die  sich  nicht  wollen  schreiben 
lassen,  unterreden  und  vergleichen  könne.  Dies  Schreiben  erhielt  Hilchen  noch 
an  demselben  Tage  zu  Stromberg  und  antwortet  am  folgenden,  den  6.  April, 
er  werde  nächsten  Samstag  zu  Dillenburg  sich  einfinden.  Dieses  wie  die  an- 
deren Schreiben  unterzeichnet  er  alle  mit:  Johann  Hilchen  Ritter. 

Über  die  mündlichen  Verhandlungen  sind  wir  nicht  unterrichtet;  am 
17.  April  meldet  Hilchen,  dass  Philipp  von  Kronberg,  welcher  100  Pferde  zu- 
gesagt, jetzt  abgeschrieben  habe;  doch  wolle  er  selbst  mitziehen  und  zusehen, 
wieviel  Reiter  er  aufbringen  könne,  indessen  müsse  er  Geld  haben,  das  er  den 
Reitern  auf  die  Hand  gebe;  weil  er  selbst  (Hilchen)  aber  von  Geld  entblösst 
sei,  dünke  es  ihm  gut,  dass  der  Graf  einige  hundert  Gulden  mit  einem  reisigen 
Knecht  schicke;  doch  solle  das,  was  man  jetzt  ausgebe,  auf  der  Musterung  ab- 
gezogen werden.  Am  29.  April  zeigt  er  ferner  an,  dass  er  Montag  den  2.  Mai 
die  Reiter  bei  Worms  mustern  wolle,  und  fragt  nach  der  weiteren  Bestimmung 
derselben.  Darauf  erwidert  Wilhelm,  dass  er  zur  Zeit  noch  nicht  wisse,  wozu 
kaiserliche  Majestät  die  Reiter  gebrauchen  wolle ;  diese  sollten  sich  so  verhalten 
und  aller  Gelegenheit  und  Notdurft  nach  sich  so  gebrauchen  lassen,  wie  frommen, 
redlichen  und  ehrlichen  reisigen  Dienern  zusteht  und  gebührt;  Hilchen  solle 
diejenigen,  welche  auf  dem  Musterplatz  erscheinen  und  gerüstet  sind,  nach 
Dillenburg  bringen  und  selbst  mitkommen  und,  wenn  die  Königsteinischen 
schreiben,  seinen  Ritt  über  Königstein  nehmen. 

Die  Musterung  muss  nicht  befriedigend  ausgefallen  sein;  in  dem  Artikel- 
brief, welcher  am  2.  Brachmonat  endgültig  ausgestellt  wurde,  wird  als  Termin 
der  20.  Juni,  als  Ort  der  Musterung  Mainz  bezeichnet.  In  einem  späteren 
Berichte  klagt  Hilchen,  dass  unangenehme  Zwischenfalle  stattgefunden  hätten : 
der  Vitzthum  des  Rheingaus  verhindere  die  Werbung^),  ebenso  der  Pfalzgraf 
und  andere.  Auch  die  Wagen,  welche  der  Graf  schicken  wollte,  seien  nicht 
angekommen;  der  Schultheiss  von  Nastätten')  und  sein  Sohn  samt  etlichen 
Bauern  hätten  sie  in  einem  Grund  bei  Gronau  heimlich  weggenommen ;  er 
müsse  nunmehr  seine  Sachen  zu  Schiff  nach  Mainz  bringen  lassen  und  hoffe, 
der  Graf  werde  ihm  etwa  bei  einem  Grafen  der  Höhe  (er  dachte  sicherlich  zu- 
nächst an  die  verwandten  Königsteiner)  zu  Pferd  und  Wagen  verhelfen. 

Da  die  Bestallung  Graf  Wilhelms  vom  2.  Juni  1547  mancherlei  Interes- 
santes über  Bewaffnung  und  Rüstung,  Sold,  Disziplin  u.  s.  w.  bietet,  so  lassen 
wir  sie  vollständig  im  Anhang  folgen. 


')  Er  schreibt,  in  Rüdesheirn  und  der  Umgegend  habe  er  zehn  gute  wehrhafte  Lands- 
knechte bestellt  und  ihnen  befohlen,  bei  Nacht  hinwegzuziehen,  sie  aber  hätten  am  Tage  ab- 
ziehen wollen ;  dieses  hübe  der  Vitzthum  erfahren  und  ihnen  solches  verbieten  lassen.  — 
*)  Nastätten  geliürte  zu  der  Niedergrafschaft  Katzenelnbogen  und  war  in  hessischem  Besitz. 


19 

Nachdem  die  Musterung  erfolgt  war,  weist  Graf  Wilhelm  seine  beiden 
Obersten  Johann  Hilchen  und  Asraus  von  der  Hauben  am  24.  Juni  an  den 
Befehlen  des  Grafen  Reinhard  von  Sulms  zu  gehorchen ;  an  demselben  Tag 
bittet  der  kaiserliche  Befehlshaber,  da  hessisches  Volk  sich  in  der  Wetterau 
sammle,  so  möge  er  eilende  Hilfe  dahin  senden.  Indessen  kam  es  nicht  mehr 
zu  einem  Zusammenstoss.  Schon  am  12.  Juni  hatte  der  Kaiser  den  Grafen 
angewiesen  die  Feindseligkeiten  gegen  Hessen  einzustellen,  da  der  Landgraf  ge- 
neigt sei  sich  zu  unterwerfen.  Die  Aussöhnung  war  auch  wirklich  am  19.  Juni 
zu  Halle  anberaumt:  der  Landgraf  unterzeichnete  die  ihm  vorgelegte  Kapi- 
tulation und  that  fussfiillig  Abbitte,  aber  anstatt  die  versprochene  Aussölinung 
zu  erlangen,  wurde  er  bekanntlich  am  Abend  desselben  Tages  Gefangener  des 
Kaisers  und  blieb  es  fünf  Jahre  lang,  bis  nach  dem  Abschlüsse  des  Passauer 
Vertrages.     So  wurden  denn  die  Reiter  Kilchens  wieder  entlassen. 

Der  Reichstag  zu  Augsburg  1548. 

Es  folgte  der  glänzende  Reichstag  zu  Augsburg,  auf  welchem  der  Kaiser 
die  Früchte  seines  Sieges  einerntete,  die  Freunde  belohnte,  die  Feinde  bestrafte. 
Niemals  in  seinem  Leben  erschien  er  so  gewaltig  und  als  alleiniger  Herr  der 
Verhältnisse.  Die  meisten  Fürsten  des  Reichs  stellten  sich  wenigstens  auf  kurze 
Zeit  dort  ein  oder  schickten  Gesandte.  Am  schwersten  empfanden  die  Macht 
des  Kaisers  die  Protestanten,  welche  sich  dazu  bequemen  mussten  das  Interim 
anzunehmen  und  seine  Einführung  zu  versprechen. 

Graf  Wilhelm  erschien  mit  dem  zahlreichen  Gefolge  von  20  Pferden  und 
GO  höheren  und  niederen  Dienern.  Zu  ihnen  gehörte  auch  Johann  Hilchen, 
welcher  einige  Zeit  zu  Augsburg  verweilte  und  oft  in  der  Gesellschaft  seines 
Grafen  sich  befand.  Eine  lebendige  Schilderung  seiner  Erlebnisse  und  seines 
Verkehrs  namentlich  mit  Wilhelm  gibt  Graf  Volrad  von  Waldeck  in  seinem 
Itinerarium.  Er  selbst  war  als  Bittender  anwesend,  da  er  in  den  Reihen  der 
Feinde  gestanden  hatte,  und  in  gedrückter  Stimmung;  nachdem  er  Abbitte 
gethan  und  eine  Geldbusse  erlegt  hatte,  verliess  er  erleichtert  die  Reichsver- 
sammlung. 

Ende  1548. 

Kaum  hatte  Hilchen  im  Frühjahre  1548  Augsburg  in  Gesellschaft  von 
Wilhelms  Schwiegersohne,  dem  Grafen  von  Nuenar,  verlassen,  als  die  Kunde 
einlief,  dass  er  am  15.  April  in  der  Heimat  verstorben  sei.  Der  Graf  betrauerte 
den  Tod  des  Ritters,  den  er  so  sehr  geliebt  hatte,  aufilchcig. 

In  der  Kirche  zu  Lorch  wurde  er  beigesetzt  und  ihm  daselbst  im  Jahre 
1550  ein  Denkmal  errichtet:  ein  gepanzerter  Ritter  in  betender  Stellung,  hinter 
ihm  ein  liegender  Hund,  zu  beiden  Seiten  zehn  Wappen.  Die  Inschrift  lautet:*) 

Hie  ligt  der  Edel  und  Gestreng  her  Johann  Hilchen  von 
I.orch  Ritter,  bei  Zeiten  seines  Lebens  Römischer  Keyser. 
Majestät   und    des   heiligen   Römischen    rcichs   in    den    Zügen 


')  Xach  Zaun,  Rheingiiuisclies  Landkapitel,  S.  324. 


20 

gegen  den  erbfeindt  den  Dürcken  und  den  König  zu  Franck- 
reich  in  den  lahren  MDXXXXII.  III.  und  IUI  Oberster  felt- 
marschalck  gewesen,  sonst  noch  VII  Zug  helffen  dun,  seines 
alters  LXIV  Jahr  utf  den  XV  Aprilis  im  Jahr  MDXXXXVIII 
zu  Lorch  in  seiner  Behausung  in  Gott  christlich  verstorben, 
des  seien  Gott  genedig  und  barmhertzig  sein  wolle.     Amen. 

Hilchens  sieben  Feldzüge,  welche  hier  ausser  den  drei  der  Jahre  1542 
bis  1544  genannt  werden,  müssen  also,  wenn  uns  kein  weiterer  Feldzug  gegen 
äussere  Feinde  entgangen  ist,  auch  die  Fehden  von  den  Jahren  1518  und  1522 
sowie  den  schmalkaldischen  Krieg  umfassen.  Wir  zählen  alle  zum  Schlüsse 
der  Reihe  nach  auf:  1.  die  hessische  Fehde;  2,  die  sickingische  Fehde ;  3.  der 
ungarische  Feldzug  von  1527;  4.  die  Belagerung  Wiens  durch  die  Türken  1529; 
5.  der  Türkenkrieg  von  1532;  6.  der  würtembergische  Feldzug  1534;  7.  der 
Türkenkrieg  von  1542;  8.  u.  9.  die  französischen  Kriege  von  1543  und  1544; 
10.  der  schmalkaldische  Krieg   1547. 

Spangenberg  im  Adelspiegel  II,  Fol.  253a  hat  folgendes  über  unsern 
Ritter:  „lohann  Hillichen,  ein  Oberster  im  Türekenzuge  1528^)  und  hernach 
Vigilantia  Draco  Ilesperidum,  aut  Arge  oculato  comparandus*) :  auch  im  Wirtem- 
bergischen  Krieg  1534.  Item  Feldmarschalck  wider  Franckreich,  da  er  sonder- 
liche ehre  für  Camersin  in  einem  Scharmützel  eingelegt,  ist  sonst  auch  in  vielen 
Zügen  gewesen." 


A  n  h  a  n  ff. 


Graf  Wilhelms  Bestallung  für  Herrn  Johann  Milchen  von  Lorch  Ritter, 

1547,  2,  firachmonat. 

Wir  Wilhelm,  Grave  zu  Nassau-Katzenelenbogen,  Vianden  unnd  Dietzs.  Bekennen  hie- 
mit  unnd  in  kratft  diss  briefa.  Nachdem  unnd  als  der  Allerdurchlauchtigste,  Grossmächtigste 
unüberwindlichste  Fürst  unnd  Herr,  Herr  Karl  der  funfft  Romischer  Kaiser  unnd  unnser  Aller- 
gnedigater  Herr  unns  comittiert  unnd  bevolen  hadt  Irer  Kais.  Mät.  ein  antzall  Reuter  unnd  pferdt 
inwendig  eins  Monats  frist  von  heut  dato  antzurechen,  uffzubringen  unnd  uff  derselben  weitern 
gehciss  unnd  beveleh  irer  Mät.  zukomen  zu  lassen,  dass  wir,  als  der  schuldig  unnd  gehorsam 
demselben  ullso  underthenigst  nachzukomen  unnd  zu  geleben  mit  dem  Strengen  unnd  Emvesten 
unaerm  Kath  unnd  lieben  getreuwen  Hern  lohan  Hilchin  von  Lorch  Rittern  heut  dato  uber- 
einkomen  sein,  dass  er  uns  ein  antzall  Reutter  in  form  unnd  mass,  wie  von  punkten  zu  punkten 
hernach  volgt,  werben,  utfbringen  unnd  uf  Kais.  Mät.  ferneren  bescheit  füren  unnd  über  dic- 
aelbige  unnd  andere  unsere  bestelte  Reuter  unser  oberster  sein  solL 

Erstlich  soll  bemelter  lohan  Hilchin  unns  seine  antzall  Reutter  wohlgerust  zufuren  unnd 
sollen  under  hundert  Reutern  nit  mher  dan  zwaintzig  schützen  unnd  die  übrigen  alle  Spiesser  sein. 

Item  die  Spiesser  sollen  mit  iren  guten  Helmlin  oder  Haupthamischen,  die  gute  Visier 
haben  unnd  woll   beschlossen   sein,   mit   Stehelin  Kragen,   daran  lange  Achseln,   stehelin  arm- 


')  S.  oben  S.  11,  Anm.  5.   -  '^1  Vergl.  oben  S.  V. 


21 

tzcug,  Rucken,  Krebs,  schurtz,  Knicbucklon  oder  an  der  armtzeug  Stadt  gute  pantzcr  Ermcll 
mit  stelielin  bucklen,  langen  Hanndtschiechon,  stehlin  kragen  mit  langen  Achseln, 

Dosgleichen  sollen  die  Schützen  mit  guten  Schweinspiessen,  guten  feuerbuchssen,  die 
mit  aller  irer  notturfft  unnd  starcken  schussen  yerfasst,  auch  schurtz,  Ermel,  Kragen,  Hanndt- 
schuchen,  Rucken  unnd  Krebsen,  auch  gute  stehelin  Hauben  gerustht,  gefasst  unnd  geschickt  sein. 

Item  soll  dem  obersten  monatlich  für  jedes  pferdt,  so  er  bringen  wart,  ein  gülden  ge- 
geben werden. 

Item  dem  Haubtman  über  zweyhundert  pferdt  zwen  Trabanten  gehalten,  die  sollen 
monatlichen  jeder  mit  acht  guldin  betzallt  werden. 

Item  uff  ein  jedes  gerusts  pferdt  unnd  Reisigen,  er  sey  ein  Spiesser  oder  schütz,  die 
in  des  mosterung  gut  gemacht  werden,  wurt  man  monatlich  zwollf  guldin  betzalen. 

Item  allwegen  uff  zwolff  pfert,  so  in  der  musterung  gut  gemacht  werden,  wurt  ein  Tross 
oder  Bottenpferdt  monatlich  undorhallten  unnd  mit  sechs  guldin  bezallt  werden. 

Item  uff  zwolff  in  der  Musterung  gut  gutgemachte  Reisige  pferdt  ein  wagen,  der  mit 
vier  gueten  wagenpferden  unnd  aller  seiner  Zugehor  guth  wolgerustht,  bestellt,  versehen,  allao 
in  musterung  befunden  unnd  darauff  gutgemacht  unnd  passieret  ist,  sollen  vier  unnd  zwaintig 
guldin  monatlich  betzallt,  unnd  ob  sich  begebe,  dass  einem  oder  merlin  aus  den  vier  Wagen- 
pferden eins  oder  mher  erlege  oder  abgieng,  der  oder  dieselben  zum  furderlichstcn  nach  ann- 
dem  pferden  trachten  unnd  hierin  kein  geverde  gebraucht  oder  gesucht,  unnd  sollen  auch 
monatlich  gemustert  unnd  derselben  musterung  gemess  betzallt  werden. 

Item  ess  soll  kein  Reisigs  oder  Trosspfert,  so  durch  die  Musterung  geritten,  mit  nicht 
in  die  "Wagen  gespant  werden.  "Wo  aber  sollichs  uberfarn  unnd  ein  oder  mehr  pferdt  hierüber 
im  wagen  betretten,  soll  derselbig,  dem  sollich  pferdt  zustendig,  sein  gantze  besoUdung  dae- 
duroh  verwirkt  haben  unnd  ime  in  der  betzalung  abgetzogen  werden. 

Item  ess  soll  einem  Spiesser,  so  vier  unnd  meher  geruster  unnd  in  der  Musterung  gut 
gemachter  pferdt  haben  wurt,  ein  Bueb,  aber  einem  schützen  kein  Bueb  gehalten  werden. 

Item  ob  unnder  sollichen  Reisigen  einer  oder  meher  kranck  wurden,  so  vil  die  gerust 
unnd  ire  zuvor  gemusterte  Rüstung  unnd  guete  pferdt  wie  in  der  nechsten  vorgehenden  Mus- 
terung noch  haben,  die  sollen  monatlich  wie  die  gesunden  in  der  Musterung  passiert,  der- 
gleichen die  gefangene,  so  ferr  sie  nach  Kriegsgebrauch  in  unnserm  dienst  niedergeworffen, 
underhallten,  besoldet  unnd  betzallt  werden.  Doch  sollen  obgemelter  Kranken  ubermcssige 
pferd  unnd  Harnische  durch  die  Musterung  gefuert  unnd  kein  geferdt  gebraucht  werden. 

Item  Es  soll  auch  sollichen  Reisigen,  so  gemustert  werden,  von  iren  heusslichen  won- 
ungen  auss  bisa  zur  Musterung  uff  ein  jedes  gerusts  Reisigs,  in  der  Musterung  zugelasscns 
pferdt  tag  unnd  nacht  vier  unnd  zwaintzig  Kreutzer  gegeben  werden.  Desgleichen  uff  ein 
jeden  gcrusten  in  der  Musterung  gut  gemachte  wagen  acht  unnd  viertzig  Creutzer,  für  ir  an- 
ritth  gellt  betzallt  werden,  Unnd  soll  einem  jedem  drey  tag  zutziehen  unnd  an  den  vierten 
still  zu  liegen  erlaubt  unnd  eins  jeden  ziehenden  tags  drey  meill  zu  reiten  schuldig  sein. 

Item  ess  soll  die  besoUdung  nach  bescheener  Musterung  uff  dem  Musterplatz  angeen 
unnd  alssbaldt  uff  die  Hanndt  ein  gantzer  monat  soUdt  gegeben  unnd  darnach  allwegen  monat- 
lich einmall  betzallt  werden.  Wo  aber  dass  gellt  von  ungefhar  funff,  zehen  oder  funffzehen 
tag  verpliebe  unnd  nit  gleich  allda  were,  sollen  sie  gedult  tragen  unnd  nicht  dessweniger  alles 
das  thun,  dass  Reisigen  eherlichen  Kriegsleuten  wolansteet  unnd  als  ob  sie  das  gellt  zu  rechter 
zeit  empfangen  hetten. 

Item  sollen  auch  dreissig  tag  für  ein  monat  zu  dienen  schuldig  sein  unnd  nit  annderst 
gerechent  werden. 

Item  obgemelte  antzall  pferdt  unnd  Reisigen  sambt  irer  zugehore  sollen  uns  wider  alle 
unsere  "Vheint  niemants  ausgenommen  zu  thienen  schuldig  unnd  verpflicht  sein. 

Item  sie  sollen  auch  unns  zwen  Monat  zu  dhienen  schweren.  Doch  allso,  wan  die  zwen 
bestimmbten  Monat  aus  sein  unnd  wir  ir  lenger  unnd  mher  begern  oder  notturfftig  sein  wur- 
den, Sollen  sie  unns  umb  unqd  in  voriger  besoUdung  sich  gebrauchen  lassen  unnd  zu  thienen 
schuldig  seiq. 


22 

Item  wo  die  obgedachten  Reisigen  nach  irem  anritth  innerhalb  unnd  vor  ausgang  zwcioi- 
moniitcn  gcurlaubt  wurden,  soll  doch  nicht  destoweniger  inen  die  zwen  Monath  unnd  allso 
volle  besolldung  ausgerichfc,  vergnügt  unnd  betzallt  werden. 

Item  wan  wir  sollicher  Reisiger  nit  meher  bedurfftig,  Sonnder  erlauben  wurden,  So  soll 
ess  zu  unnserm  willen  unnd  gefallen  steen,  denselben  ein  ganntzen  Monatsoldt  oder  dass  ab- 
rithgellt  vom  platz  des  erlaubs  biss  zu  eins  jeden  orth,  alda  er  angeritten,  entrichten  unnd 
betzalen  zu  lassen  wie  den  anrith.  Doch  soll  sollicher  Reuter  oberster,  der  seinen  abrith  gellt 
nach  ferre  dess  wegs  bey  seiner  pflicht  zu  übergeben  schuldig  sein,  die  betzalung  dess  abrits 
daruflf  zu  empfahen  haben  unnd  hierin  in  allwege  kein  geverde  gebraucht  werden. 

Item  sie  sollen  im  an-  unnd  abzug  auch  sunst  in  keinerlei  wege  jemandt  beschedigcn, 
sonder  jederman  gutliehe  betzalung  thun,  biss  dass  sie  gegen  den  Vheinden  zu  velde  liegen, 
alsdan  mugen  sie  die  futherung  suchen  unnd  gebrauchen. 

Item  so  Oberste  Veldhaubtleuth  von  den  Vheinden  niderlegen  unnd  von  inen  gefangen 
unnd  erobert  wurden,  Sollen  dieselben  mit  irer  person  zu  unsern  oder  unserer  obersten  Hann- 
den  gestelt  werden,  damit,  so  unnseror  Oberster  oder  anndere  einer  oder  mher  niderliegen, 
'■•e'^eneinannder  erledigt  wurden.  "Wo  aber  ausserhalb  der  obgemelten  andere  personen  ge- 
fangen wurden,  die  mag  ein  jeder,  der  sy  niderwurfft,  schetzen  unnd  nach  seinem  gefallen 
damit  handien.  Doch  sollen  dieselben  gefangene  von  stundt  an  unns  oder  unnsern  obersten 
angetzaigt  unnd  sonnder  unnser  oder  sein  wissen  unnd  willen  nit  ledig  geben  werden. 

Item  Stet,  Schlosser,  Flecken,  Dorffer  unnd  leuth,  auch  wass  von  grossem  geschutz 
unnd  desselbigen  zugehorungen  Munition  darin  erobert  wurde,  sollen  uns  zustehen,  volgen 
unnd  pleiben.  Unnd  sollen  dieselbigen  eroberten,  gehuldigten  unnd  die  utfgenomene  Stet, 
Schlosser,  Flecken,  Dorffer  unnd  leuth.  Nachdem  sie  uffgenommen  sein,  aovil  der  erobert, 
weiter  nit  geschedigt  noch  geprandschatzt  werden.  Aber  alle  annder  gewonnene  hab,  so 
preiss  sein,  soll  inen  pleiben  unnd  keiner  den  andern  von  seiner  gewonnen  hab  verdringen. 
Item  Ein  jeder  soll  sich  nach  unnsers  obersten  oder  desselben  Bevelehhabera  gebieten 
unnd  bevelen  mit  iren  leiben,  pferden,  Wagen  unnd  in  alle  anndere  wege  gehorsamlich  halten, 
sich  willig  zu  unnd  von  den  Vheinden  in  allen  Sachen  samblich  unnd  sonnderlich  gebrauchen 
lassen  unnd  ohne  dess  obersten  oder  desselben  bevelhabers  zulassen  unnd  erlauben  mit  iren 
Fancn  nach  Rothweiss  noch  sunst  in  annder  wege  auss  der  Ordnung  unnd  dem  legger  nit 
reiten  noch  die  wagen  fharn  lassen,  sonder  ein  jeder  pleiben,  wie  er  geordent  unnd  bescheiden 
ist,  unnd  sich  in  allem  dem  wie  ehrlichen  getrcuwen  Kriegsleuteu  gegen  iren  herren  unnd 
Obersten  zusteet  unnd  geburt,  halten. 

Item  dieweil  vielleicht  allerhand  Nation  zu  Ross  unnd  Fuess  zusamen  komen  werden, 
dernhalben  umb  sovil  meher  auss  geringen  Ursachen  sich  unndwill  unnd  zweyung  zutragen 
mag,  soUichs  zu  vcrhueten,  Soll  kein  Nation  die  andere  einicherley  Sachen  halben  mit  werten 
verursachen  noch  mit  geberden  schmehen,  verkleinern  oder  schumpffiern.  Sonder  wo  einiche 
Nation  gegen  der  andern  einiche  beschwerde  hette,  soll  dasselbig  nach  Kriogsrecht  erörtert 
unnd  ausgetragen  werden. 

Ess  soll  auch  keiner  dem  anndern  sein  gefanngene  oder  gewonnen  peuth  mit  gewallt 
oder  sunst  nit  entpfremden,  Sonnder  sollen  sich  irer  Irrung  unnd  Uneinigkeit,  so  sich  dern- 
halben zutragen  mochten,  durch  unnsern  obersten  entledigen  unnd  entscheiden  lassen. 

Unnd  damit  man  der  betzalung  unnd  Muntz  halben  kein  irrung  haben  mugc,  sollen  je 
funft-tzigen  Batzen  für  ein  guldin  betzallt  unnd  ein  goltguldin  für  achtzehen  Batzen,  ein  sonnen- 
kron  für  drcy  unnd  zwaintzig  Batzen  unnd  ein  italianische  Krön  für  22 Va  batzen  in  der  be- 
tzalung angeschlagen  unnd  gerechnet  werden. 

Item  Süll  der  Musterplatz  zu  Meintz  sein  unnd  die  Musterung  auf  den  zwaintzigstcn 
tag  des  Brachmonats  gescheen  unnd  gehalten  werden. 

Unnd  80  sichs  begebe,  dass  die  Reuter  nach  dem  zwaintzigstcn  tag  des  Brachmonata 
schierstkunftig  utf  dem  Musterplatz,  ehe  sie  gemustert,  ctlich  tag  stillegen,  So  soll  inen  nichts 
destoweniger  dos  tags  wie  im  antzug  sechs  batzen  betzallt  unnd  gegeben  worden. 

Du  aber  ainer  oder  meher  sich  diesser  verordnungk  nit  halten  unnd  speter  antzukommcn 
sich  bcHcissen  wurden,  den  oder  denselbigcn  soll  man  dieselbigo  tag  zu  geben  nichts  schul- 
dig sein, 


23 

"Wurd  sich  aber  der  gemclt  Mustertag  weiter  verhindern  unnd  erstrecken,  so  sollen  die 
Reuter  nichtsdestoweniger  wie  im  anreitten  gchallten  werden. 

Item  ess  sollen  die  Reuter  sich  dieser  verordung  hallten  unnd  derselben  sonnder  cinich 
clag  nachkomen  unangesehen,  ob  schon  bey  anndern  Reutern  andere  bestallungen  furgenomen 
wurden. 

Unnd  soll  diesse  bestallung  nit  lenger  dan  zwen  monath  werben  unnd  dauren ;  da  man 
aber  der  Reuter,  wie  obsteet,  lenger  bedurflFen  wurde,  sollen  dieselben  in  jetzbestimbter  be- 
stallung ferner  zu  thienen  schuldig  sein. 

Im  fall  auch  dass  Hochstgedachte  Romische  Kay.  Mät.  obbemelte  antzall  pferdt  zu  füren 
abschreiben  wurde,  Soll  ess  mit  denselben  wie  ess  Ir  Mät.  mit  Iren  Reuttern  hallten  wurt, 
auch  gehalten  werden. 

Dess  zu  warem  urkunt  haben  wir  Wilhelm  Grave  zu  Nassau-Catzenelenbogen  diese  be- 
stallung mit  eigner  Hanndt  underschrieben  unnd  uunser  Secret  heran  thun  trucken.  Geben 
uff  den  zweiten  tag  des  Brachmonats  1547. 


Conrad  Oerlin  von  Wiesbaden. 

Vou  F.  Otto. 


Im  Jahre  1488  schenkte  Conradus  Oerlin  ex  „pratinis  termis"  dem 
Kloster  Schönau  das  Buch:  Sermones  notabiles  S.  lohannis  Chrysostomi  Arch. 
Const.  de  patientia  in  lob,  de  poenitentia  in  David  et  de  virginitate.  Er  heisst 
hier  liberalium  artium  magiater  eximiua.  Mit  den  „pratinis  termis"  ist  offen- 
bar Wiesbaden  gemeint. 

Wir  lernen  also  hier  einen  Wiesbadener  des  14.  Jahrhunderts  kennen, 
der  gelehrte  Bildung  genossen  und  sogar  die  Würde  eines  Magister  liberalium 
artium  erworben  hatte.  Da  möchte  man  nun  gern  etwas  mehr  über  den  Mann 
wissen;  aber  leider  versagen  die  Quellen:  weder  findet  sich  der  Name  Oerlin 
in  den  bis  jetzt  gedruckten  Matrikeln  der  deutschen  Universitäten  noch  unter 
denen  der  Bürger  der  Stadt.  Wir  müssen  uns  also  vor  der  Hand  begnügen 
ihn  unter  die  etwa  zehn  Wiesbadener  Studiosi  des  14.  Jahrhunderts,  die  wir 
bis  jetzt  kennen,  einzureihen. 


■7, 


Fürst  Karl  Wilhelm  von  Nassau-Usingen,  1775-1803. 

Mitgeteilt  von  F.  Otto. 


Ein  grosses  Lob  spendet  der  bekannte  Staatsmann  und  Publicist  F.  E. 
V.  Moser  in  dem  patriotischen  Archive  für  Deutschland  11,  1785,  S.  482  dem 
Fürsten  Karl  Wilhelm  von  Nassau-Usingen.  Es  heisst  dort:  „Dieses  würdigen 
Fürsten  besondere  Vorzüge  sind:  die  Unschuld  seiner  Sitten,  eine  Aufmerk- 
samkeit über  sich  selbst,  die  sich  soweit  erstreckt,  dass  ihm  kein  unnützes 
Wort  entfährt;  ein  bedächtiges  Schweigen,  das  Ehrfurcht  einflösst,  nicht  be- 
leidigt; eine  Wohlthätigkeit,  die  er  kaum  weit  genug  ausdehnen  zu  können 
glaubt;  Gleichmütigkeit  und  Massigkeit,  Nachsicht  und  Güte  gegen  Schwache, 
Fehlende  und  Böse ;  Gerechtigkeit,  die  nur  mit  Gnade  straft,  immer  die  Strenge 
des  Gesetzes  mildernd;  Weisheit  und  Christenmilde,  keine  Verleumdung  noch 
Afterrede  anzuhören ;  denn  mit  Lächeln,  aber  so  sanft,  dass  er  dem  Schuldigen 
Schamröte  erspart,  geht  er  zu  anderem  Gespräch  klug  hinüber;  endlich  herz- 
gewinnende Leutseligkeit  und  eine  Fröhhchkeit  gegen  jeden,  die  ungekünstelt 
und  treuherzig  ist,  unterwirft  ihm,  was  sich  ihm  nähert.  Es  ist  nicht  Schmei- 
chelei, sondern  Wahrheit,  die  ihn  lobt,  aber  nur  von  ihm  ist  er  misskannt.  Er 
verabscheuet  den  leeren  Hochmut  und  die  Vorurteile,  welche  die  Sterblichen 
blenden  und  verderben,  und  weiss,  dass  uns  alles  von  Gott  komme,  Weisheit, 
wie  Tugend,  wie  Glück." 

Darunter  setzte  Moser  die  Worte:  „Die  Übereinstimmung  des  Originals 
mit  dieser  Schilderung  beurkundet  und  boscheiniget  als  Augenzeuge 

P.  E.  v.  Moser." 

Eine  noch  überschwünglicherc  Lobpreisung  des  Fürsten  entwirft  Ritter 
in  den  Denkwürdigkeiten  der  Stadt  Wiesbaden  S.  39. 


Georg  August,  Fürst  zu  Nassau-Idstciiij  1677-1721. 


Von 

C.  Spiel  mann. 


Vorbemerkung.  Die  Jahre  1890  und  1891  sind  für  die  beiden  alt- 
nassauischen  Städte  Idstein  und  Wiesbaden  gewissermassen  Jubiläumsjahre 
gewesen.  Vor  zwei  Jahrhunderten,  1690  und  1691,  begann  nämlich  die  Wieder- 
erstehung jener  Städte  aus  der  Leidenszeit  des  grossen  Krieges  und  deren 
Folgen.  Besonders  rechnet  sich  von  genannten  Jahren  ab  der  allmähliche, 
nicht  mehr  gehinderte  Aufschwung  unserer  nun  weltbedeutenden  Bäderstadt. 
Der  Fürst,  unter  dessen  Regiment  jene  Erneuerung  vor  sich  ging,  Georg 
August  von  Nassau-Idstein,  als  Kolonisator  in  der  neueren  nassauischen 
Geschichte  fast  unerreicht,  hat  eine  speziell  selbständige  biographische  Behand- 
lung noch  nicht  erfahren.  Es  war  mir  daher  ein  Bedürfnis,  ihm  bei  Gelegen- 
heit besagten  Jubiläums,  dessen  Feier  zwar  nicht  öffentlich  war,  dessen  man 
überhaupt  fast  vergass,  ein  dauerndes  Gedenkblatt  in  den  Annalen  zu  widmen. 
Es  ist  geschehen  nach  den  Akten  des  hiesigen  König!.  Staatsarchivs  und  des 
Herzogl.  Nassauischen  Archivs  zu  Weilburg.  Ich  nehme  hier  Gelegenheit,  den 
Vorstehern  beider  Archive,  dem  Kgl.  Staatsarchivar  Herrn  Archivrat  Dr.  Sauer 
und  dem  Hzgl.  Hof-  und  Archivrat  Herrn  Hölzgeu,  für  ihre  bereitwillige 
Unterstützung  meinen  wärmsten  Dank  auszusprechen.  Wo  ich  bei  der  Arbeit 
gedruckte  Quellen  benützte,  ist  dies  vermerkt.  Die  zwei  Urkunden,  die  An- 
siedler-Privilegien betreffend,  habe  ich,  obwohl  sie  bei  Rizhaub  (Idsteincr 
Gymnasialprogramm  von  1787)  bereits  abgedruckt  sind,  ihrer  Wichtigkeit  halber 
auch  hier  aufnehmen  zu  müssen  geglaubt.  Der  mir  zu  Gebote  stehende  sehr 
reiche  Stoff  musste  in  der  vorliegenden  kurzgefassten  Bearbeitung  geboten 
werden,  die  aber  hoffentlich  ein  abgerundetes,  den  geehrten  Leser  erfreuendes 
Lebensbild  gewährt. 


Der  grosse  Krieg  von  1618 — 1648,  welcher  das  Bestehen  der  nassauischeu 
Herrschaften  evangelischen  Bekenntnisses  schwer  bedroht  hatte,  war  zu  Ende 
gegangen.  Die  Grafen  der  walramischcn  Linie  waren  durch  den  westfälischen 
Frieden  wieder  in  ihre  Rechte  eingesetzt  worden  und  hatten  ihre  arg  ver- 
wüsteten Länder  wieder  erhalten.     Da  aber   während   der   schweren  Zeit   der 


26 


\ 


Not  zwei  der  Brüder,  Söhne  des  Herren  des  Gesamthauses,  Ludwigs  von  Weil- 
Y  bürg,  gestorben  waren,  so  nahmen  die  überlebenden  zwei,  Johannes  zu  Idstein 

\  und  Ernst  Casimir  zu  Weilburg,  in  Gemeinschaft  mit  ihren  drei  saarbrückischen 

/  \  Neffen  eine  neue  Erbteilung  vor.  Leider  konnten  sie  auf  der  zu  Kirchheim 
anberaumten  Versammlung  nicht  übereinkommen,  namentUch  nicht  wegen  der 
Verteilung  der  Gebiete,  welche  der  Herzog  Karl  von  Lothringen  während  des 
Krieges  an  sich  gerissen  hatte  und  zumteil  noch  besetzt  hielt.  Es  musste 
also  nach  damaligem  Brauche  ein  vom  Kaiser  bestellter  Schiedsrichter  in  der 
Angelegenheit  entscheiden.  Als  solcher  wurde  Herzog  Ernst  der  Fromme  von 
Sachsen-Gotha  ernannt  und  ihm  das  Kommissarium  übertragen.  Auf  dem 
Schlosse  Friedensstein  bei  Gotha  versammelte  der  Herzog  die  Räte  der  Strei- 
tenden, und  auch  des  Grafen  von  Idstein  ältester  Sohn  Gustav  Adolf  erschien. 
Am  6./16.  März  1651  kam  der  sogenannte  „gothaische  Recess"  zustande, 
einer  jener  Teilungsverträge,  welche  für  längere  Zeit  wichtig  und  massgebend 
für  das  nassauische  Haus  blieben.  Die  drei  Hauptlinien:  Idstein,  Weilburg 
und  Saarbrücken  wurden  als  solche  bestätigt;  letztere  schied  sich  aber  wieder 
in  drei  Nebenlinien:  Saarbrücken,  Ottweiler  und  L'singen,  sodass  das  Gebiet 
des  walramischen  Astes  nunmehr  in  fünf  Teile  zersplittert  war.  Die  weiteren 
Bestimmungen  des  Recesses  folgen  hier  nur  soweit  sie  auf  Idstein  Bezug  haben. 
Demnach  sollte  diese  dem  älteren  Bruder  Johannes  zugefallene  Grafschaft  um- 
fassen: die  Herrschaften  Idstein  und  Wiesbaden  mit  der  Kellerei  Sonnenberg, 
die  Amter  Wehen  und  Burgschwalbach,  den  idsteinischen  Teil  des  gemein- 
schaftlichen Amtes  Nassau  mit  dem  Hause  Scheuern^),  dazu  die  Herrschaft 
Lahr  in  der  Ortenau  und  das  herrschaftliche  saarbrückische  Haus  in  Strass- 
burg,  genannt  „der  Seidenfaden".  Veranschlagt  war  dieser  ganze  Anteil  zu 
26 130  Gulden  4  Albus  6  Pfennigen  und  1  Heller.  Der  saarbrückische  Teil 
hatte  an  Idstein  hundert  Gulden  jährlicher  Rente  auszuzahlen,  weil  er  mehr 
als  Idstein  und  Weilburg  eintrug  (an  letzteres  kamen  zweihundert  Gulden  zur 
Vergütung).  Von  den  Ländern,  die  noch  in  fremdem  Besitze  waren,  sollte 
die  Grafschaft  Saarwerden  zur  Hälfte  an  Idstein  kommen  (zur  andern  an  Weil- 
burg). Ferner  übernahm  Idstein  ein  Drittel  der  gemeinsamen  Reichs-  und 
Kreissteuern   und  der  Unterhaltungskosten  des  Kammergerichtea.     Die  Schuld, 


r 


')  Verzeichniss  der  Hochgräfl.  Nassau-Itzstein.  Linie  Ämbter,  der  zugehörigen  Städte 
und  ürtschafften  diesseit  Rheines.  (Im  Königl.  Staatsarchiv  zu  Wiesbaden.)  Itzstein,  Wals- 
dorff,  Hefftrich,  Walrabstein,  Adolfseck,  Neuhoff,  Wörstorff,  Janghoffen  (?),  Beuerbach,  Becht- 
heimb,  Ketterschwalbach,  Ernbach,  Oberauroff,  Niederauroff,  Eschenhaan,  Oberlibbach,  Nieder- 
jibbach,  Hambach,  Breithardt,  Strintz  Margarethä,  Steckenroth,  Görschroth,  Kesselbach,  Lim- 
bach, Walbach,  Strintz  Trinitatis,  Hennethal,  Michelbach,  Eisenkoben,  Niederseelbach,  Ober- 
seelbach, Lentzhan,  Niederhaussen,  Engenhan,  Königshoff,  Dasbach,  Esch,  Bermbach,  Oberroth, 
Niederroth,  Kröfftel,  Oberembg,  Wüstenembs,  Niederembs,  Echborn,  Reichenbach,  Finsternthal 
(Sa.  Itzstein.  Ambts  —  473;  Wissbaden,  Sonnenbcrg,  Rambach,  Nauort,  Hessloch,  Auringen, 
Kloppheim,  Birrstatt,  Erbenheim,  Mossbach  vnd  Biebrich,  Schierstein,  Dotzheim  (Sa.  Ambts 
Wiesbaden  —  17);  Wehen,  Orlen,  Wingsbach,  Born,  Bloidcnstatt,  Haan,  Seitzenhaan  (Sa. 
Ambts  Wehen  —  7);  .  Burgschwalbach,  Panroth,  Dörstorff,  Berghausen,  Mudershausen  (Sa. 
Ambts  Burgschwalbach  —  5);  Mühlen,  Eisighotfen,  Buch,  Rettert,  Weltert,  Strütt,  Lipporn 
(zweihorrisch  —  7). 


27 

welche  auf  den  Ilorrscliafton  Idstein  und  Lahr  haftete,  wurde  von  allen  drei 
Häusern  gemeinsam  übernommen.  Unerledigt  blieb  die  Frage  wegen  der  Ver- 
teilung der  eingezogenen  Metzer  Lehen  und  der  Beisteuer  zu  dem  Idsteiner 
(und  Weilburger)  Schlossbau  aus  der  gemeinsamen  Kasse.  Die  Bestimmungen 
traten  sofort  in  Kraft.  Nur  konnte  der  Besitz  der  vom  Herzoge  Karl  von  Loth- 
ringen besetzten  Gebietsteile  selbst  mit  Unterstützung  des  Reiches  für  lange 
Zeit  nicht  wiedererlangt  werden.  Ausserdem  musste  die  Herrschaft  Lahr,  auf 
der  noch  aus  früheren  Zeiten  eine  Schuld  an  Geroldseck  lastete,  an  den  Erben 
des  letzteren  Hauses,  den  Markgrafen  von  Baden-Durlach,  im  Jahre  1659 
pfandweise  überlassen  werden. 

Graf  Johannes  von  Nassau-Idstein,  der  sich  mit  Eifer  der  Wiederher- 
stellung des  Landeswohlstandes  hingab,  war  zweimal  vermählt.  Seine  erste 
Gemahlin  war  Sibylle  Magdalene  von  Baden-Durlach  (geb.  1605,  verm.  1620, 
gest.  1644)}  sie  schenkte  ihm  neun  Kinder,  fünf  Söhne  und  vier  Töchter,  von 
denen  die  meisten  jung,  drei  hoffnungsvolle  Söhne  in  der  Blüte  der  Jugend 
vom  Tode  ereilt  wurden,  alle  aber  vor  dem  Vater  starben.  Zum  zweitenmale 
verehelichte  sich  Graf  Johannes  mit  Anna  von  Leiningen-Dachsburg  (geb.  1625, 
verm.  1646,  gest.  1668).  Aus  dieser  Verbindung  entsprangen  sechzehn  Kinder, 
sieben  Söhne  und  neun  Töchter.  Von  diesen  überlebten  den  Vater  zwei 
Töchter,  Johannette,  die  Gemahlin  des  Fürsten  Christian  Ludwig  von  Waldeck, 
und  Dorothea  Amalie,  die  Gemahlin  des  Grafen  Ludwig  Friedrich  zu  Wied- 
Runkel,  und  ein  Sohn.  Dieser  letztere  wurde  am  26.  Februar  1665  geboren 
•und  von  dem  damals  62jährigen  Vater  Georg  August  Samuel  genannt.  Den 
biblischen  Namen  Samuel  =  „erhört  von  Gott"  hat  der  Greis  dem  Kinde 
jedenfalls  nicht  umsonst  gegeben.  Ein  halbes  Jahr  vor  der  Geburt  des  letz- 
teren war  der  hoffnungsvolle  32jährige  Erbprinz  Gustav  Adolf,  der  gleich  seinem 
grossen  schwedischen  Namensvetter  ein  heldischer  Mann  war,  in  der  Türken- 
schlacht bei  St.  Gotthardt  an  der  Raab  gefallen,  den  Sieg  der  Christen  mit 
seinem  Leben  bezahlend.  Das  Gebet  des  tiefgebeugten  Vaters  um  Ersatz  wurde 
also  erhört  und  ihm  in  seinem  Alter  noch  ein  Sohn  geschenkt,  der  ihn  beerben 
sollte.  Georg  August  selbst  führt  den  Beinamen  Samuel  in  seinen  Briefen  und 
anderen  Schriftstücken  nicht,  weshalb  ich  auch  im  weiteren  ihn  nur  mit  jenen 
beiden  ersten  Namen  bezeichnen  werde. 

Nach  dem  Tode  seiner  zweiten  Gemahlin  Anna  (14.  24.  Dez.  1668)  machte 
am  22./III. — 1.  IV.  1669  Graf  Johannes  sein  Testament.  In  diesem  bestimmte 
er,  dass  nach  seinem  Tode  der  Graf  Friedrich  von  Weilburg,  der  ehedem  sein 
Mündel  gewesen  war,  die  Vormundschaft  über  seinen  jungen  Sohn  übernehmen 
sollte.  Stürbe  jener,  dann  sollte  für  ihn  Graf  Gustav  Adolf  von  Saarbrücken 
eintreten.  Fünf  Jahre  später  besann  sich  der  alte  Herr  eines  anderen.  Er 
scheint  den  beiden  Verwandten  nicht  mehr  recht  getraut  zu  haben,  trotzdem 
er  doch  lange  Zeit  hindurch  mit  seinem  Neffen  von  Weilburg  auf  sehr  freund- 
schaftlichem Fusse  gestanden  hatte.  Ob  er  in  der  letzten  Zeit  Beweise  davon 
erhielt,  dass  die  beiden  zur  Vormundschaft  bestimmten  Agnaten  eigensüchtig 
verfahren  würden,  ist  nicht  recht  klar.  Fest  steht,  dass  Graf  Johannes  das 
frühere  Testament  umstiess  und  in  einem  zweiten  Testamente  vom  12.  22.  Nov. 


28 

1674  zu  Frankfurt  zwei  andere  Yormüuder,  die  Grafen  Johann  Casimir  von 
Leiningenj^achsburg,  Herrn  zu  Asprcmont,  seinen  Schwager,  und  Johann 
August  von  Solms,  Herrn  zu  Minzeuberg,  Wildenfels  und  Sonnenwald  ernannte, 
denen  als  dritter,  als  tutor  honorarius,  Herzog  Friedrich  I.  von  Sachsen-Gotha, 
Sohn  Ernsts  des  Froramen,  an  die  Seite  gesetzt  wurde.  Graf  Johannes  glaubte, 
dass  diese  Männer  ihr  Amt  mit  mehr  Unparteilichkeit  verwalten  würden,  und 
er  mag  mit  der  Bestimmung  umsomehr  zufrieden  gewesen  sein,  als  er  Fried- 
rich von  Weilburg  noch  vor  sich  sterben  sah  (und  Gustav  Adolf  von  Saar- 
brücken überlebte  den  Oheim  nicht  lange).  Am  13./23.  Mai  1677  starb  Graf 
Johannes,  74  Jahre  alt,  am  Marasmus  auf  dem  Schlosse  zu  Idstein,  und  nun 
brach  ganz  wider  seine  Berechnungen  eine  trübe  Zeit  über  die  Grafschaft 
herein. 

Ein  Jahr  nach  des  Yaters  Tode  (1678)  wurde  der  nunmehr  dreizehnjährige 
Graf  Georg  August  nach   der  Sitte  damaliger  Zeit   auf  Reisen  geschickt.     Der 
Kiinzleidirektor  Graff  zu  Idstein  sorgte  dafür,  dass  ihm  die  entsprechenden  Be- 
"•leiter   beigegeben  wurden.     Als  Erzieher   walteten  sein  Sohn,  der  Licentiatus 
Graff,  der  Graf  Georg  Heinrich  von  Boyneburgk-Langsfeld  und  der  Rat  Stap- 
horst als  Hofmeister;  ausserdem  reisten  der  Kammerdiener  J.  P.  Heybach  und 
der  Page  von  Bobenhausen  mit.   Heybach  namentlich  hatte  sich  der  Gunst  des 
jungen  Grafen  besonders  zu  erfreuen  und  blieb  auch  in  der  Folgezeit  stets  um 
seine   Person.     Er    überlebte    seinen  Herrn    und   hat   nach  dessen  Tode   einen 
kurzen  „unterthänigsten  Bericht"   über  die  Reisen  desselben  abgegeben.^)    Die 
Reise  ging  zunächst  nach  Giessen  auf  die  Universität,  wo  „der  junge  Herr"  — -• 
so  lautet    vielfach  die  Bezeichnung  bei  Graff  u.  a.  —  wahrscheinlich  ein  Jahr 
sich   aufhielt.     Beim   Eintritt   ins   Kolleg  hielt  er  in  Anwesenheit  des  dortigen 
Adels,    aller  Professoren  und  Studenten    seine  lateinische  Oration   und  ist  dann 
Rcctor  Magnificentissimus  geworden.    Ein  Jahr  später  (1679)  ging  Georg  August 
nach  Strassburg.    Wie  lange  er  sich  dort  aufgehalten,  ist  Heybach  „ohnbewusst", 
indem    er    selbst,    „um   auf  eingelegte   Vocation    nach    Saarbrücken  zum   Hof- 
meister   des   damaligen  älteren  Grafen  Ludwig  Kraft  zu  gehen   und  denselben 
nach  Frankreich  zu  begleiten,  seinen  Abschied  nahm."     Er  hat  im  Jahre  1682 
Georg   August  zu   Paris   seine   Aufwartung   gemacht,    und   verweist   bezüglich 
weiteren  Berichtes   auf  den  gewesenen  (1721)  Amtmann  Graff  zu  Wiesbaden, 
den    damaligen  Licentiaten,    der   mit    auf  Strassburg  und  Paris  gereist  sei  und 
von   da   weiter    nach  Angers  und  nach  England  und  Holland.     Man  hatte  den 
Zeitpunkt  für  die  Reisen  ziemlich  gut  gewählt;  denn  gerade  damals  war  durch 
den  Nymweger  Frieden  der  zweite  Raubkrieg  beendigt  worden  und  allenthalben 
mehr  Ruhe   eingetreten.     Der  junge  Graf  wird  also  Zeit  und  Gelegenheit  ge- 
nug  gehabt  haben,   sich  Land  und  Leute  in  Frankreich,   besonders  das  Leben 
an    dem    glanzvollen   Versailler   Hofe    genauer   anzusehen.     Hier   hat    er  auch 
wahrscheinlich    die  Baulust    eingesogen,    die    er  später  in   seinen  verschiedenen 
Residenzen  bethätigtc."  Dabei  war  er  auch  Zeuge  der  Schmach,  die  dem  deutschen 
Reiche   durch    den  Raub    der  Reichsstadt  Strassburg   angcthan   wurde,    welche 

'j  Siehe  Anliang  No.  4. 


29 

damals  der  „allerchriatlichste  König"  mitten    im  Frieden  ungestraft  wegnehmen 
durfte  (IG81). 

Indessen  sollte  Georg  August,  jetzt  17  Jahre  alt,  unter  den  Feindseligkeiten, 
welche  zwischen  den  Yormündern  Walrad  von  Usingen,  der  den  verstorbenen 
flrafen  von  Solms  ersetzt  hatte  (s.  w.  u.),  und  Johann  Casimir  von  Leiningen 
herrschten,  zu  leiden  haben.  Oraf  Walrad  befand  sich  im  Jahre  1<)82  als 
niederländischer  General  zu  Bergen  op  Zoom,  von  welcher  Festung  er  Gouverneur 
war.  Im  September  dieses  Jahres  kam  Georg  August  mit  seinen  Begleitern 
von  England  herüber  nach  dem  Brabantischen,  wo  er  sich  eine  Zeitlang  auf- 
hielt; namentlich  gefiel  es  ihm  in  Antwerpen.  In  einem  Briefe  von  dort  an 
Walrad  schreibt  er  von  dem  Eindruck,  den  die  gewaltige  Handelsstadt  auf  ihn 
gemacht,  dass  er  namentlich  alle  Bauwerke  sich  angesehen  habe,  den  Hafen  und 
die  Citadelle,  und  noch  die  Jesuitenkirche  besichtigen  wolle  (26./IX.— 5./X.  1G82). 
Zugleich  spricht  er  dem  „Herrn  Vetter"  seinen  Dank  für  alle  Gutthaten  aus, 
insonderheit  für  die  Kutschen,  die  er  ihm  zur  Erleichterung  der  Reise  gesandt 
hatte.  Graf  Walrad  zeigte  sich  sehr  besorgt  um  seinen  Schützling;  er  lud  ihn 
herzlichst  ein,  ihn  im  Lager  zu  Bergen  op  Zoom  zu  besuchen,  von  wo  aus  er 
nördlich  reisen  und  Holland  sehen  könne.  Georg  August  reiste  auch  nach  Bergen 
ab;  doch  hatte  Walrad  sich  kurz  zuvor  in  Dienstangelegenheiten  nach  dem 
Haag  begeben  müssen.  So  wandte  sich  der  junge  Graf  nach  Brüssel,  von  wo 
aus  er  nach  Flandern  reisen  wollte,  um  namentlich  Gent  zu  besichtigen.  Da 
ging  aber  ihm  und  seinen  Begleitern  das  Geld  au8.  Sowohl  Georg  August 
als  sein  Gouverneur  Boyneburgk  teilten  dies  unterm  6./ 16.  November  dem  Grafen 
Walrad  mit.  Wegen  Mangels  an  Geld  und  wegen  des  schlechten  Wetters 
hätten  sie  die  flandrische  Reise  aufgegeben  und  wollten  eigentlich  dem  Grafen 
im  Haag  aufwarten;  aber  der  Herr  Graf  von  Leiningen  wünsche,  dass  mau 
auf  Löwen  und  Mastricht  reisen  solle  und  wolle  das  Geld  dazu  schicken.  Walrad, 
der  seinen  Vetter  gar  zu  gern  gesehen  und  ebenso  gern  denselben  auch  über 
das  Benehmen  Leiningens  aufgeklärt  (s.  w.  u.)  hätte,  sah  wohl  nicht  mit  I^n- 
recht  in  dem  Wunsche  des  letzteren  das  Bestreben,  den  jungen  Idsteiner  von 
ihm  fern  zu  halten. 

Am  10./20.  November  schrieb  er  daher  sowohl  an  Boyneburgk  wie  an 
Georg  August,  sie  hätten  ihm  wegen  der  Geldverlegenheiten  doch  nur  früher 
schreiben  sollen,  dann  würde  er  ihnen  sofort  die  nötige  Summe  zugestellt  haben. 
Leiningen  intriguiere  gegen  ihn.  Sie  möchten  doch  sogleich  kommen.  Er  habe 
seinen  Banquier  de  Foulion  zu  Brüssel  angewiesen,  die  nötigen  Summenaus- 
zuzahlen  —  „S3  veel  Sij  tot  de  reyse  heerwarts  sal  noodig  hebben"  heisst  es 
in  der  betreff'enden  Anweisung.  Die  Sprache  Walrads  wurde  gegen  den  Schluss 
der  Schreiben  derb,  und  er  redete  gar  von  „Ungehorsamb".  dessen  sich  sein 
Mündel  gegen  ihn  schuldig  machen  würde,  falls  er  nicht  vor  ihm  erscheine. 
Auch  an  den  Licentiaten  Graff  schrieb  Walrad;  dieser  sollte  das  Geld  bei  Foullon 
erheben.  Graff  war  in  Brüssel  zurückgeblieben,  während  Georg  August  mit 
Boyneburgk  —  Staphorst  scheint  nicht  mehr  Begleiter  gewesen  zu  sein  —  auf 
Mastricht  weitergereist  war.  Dort  erreichte  ihn  Graff  mit  Walrads  Briefen. 
Der  junge  Graf  schrieb    dem  Vetter  hierauf,   dass  er  an  einem  „dritten  Orte** 


30 

80  lange  bleiben  wolle,  bis  sich  die  Herren  Vormünder  geeinigt  hätten.  Darauf 
folgte  seitens  Walrads  ein  noch  schärferer  Befehl  nach  dem  Haag  zu  kommen. 
Freilich  musste  der  Graf  von  Usingen  bald  darauf  durch  Grafl'  von  Antwerpen 
aus  hören,  dass  sein  Schützling,  statt  wie  er  dem  Lioentiaten  versichert  hatte, 
in  einer  holländischen  Stadt  die  Entscheidung  der  beiden  Vormünder  abzuwarten, 
nach  —  Strassburg  abgereist  sei.  Unter  diesen  Umständen  hatte  GrafF  den 
Brief  an  FouUon  zurückbehalten.  Dass  Graf  Walrad  über  die  Eigenmächtigkeit 
seines  Mündels  in  Zorn  geriet,  lässt  sich  denken;  denn  der  rjunge  Herr"  hatte 
durch  seine  Abreise  nach  Strassburg,  also  in  Leiningens  Nähe,  die  Hinneigung 
zu  letzterem  deutlich  bekundet.  Der  Leininger  wusste  im  Gegensatze  zu  dem 
offenen  und  derben  Usinger  dem  Pflegebefohlenen  fein  und  freundlich  zu  reden  ; 
ausserdem  war  er  auch  sein  Onkel,  seiner  Mutter  Bruder.  Aber  mit  der  Geld- 
sendung hatte  es  seine  eigentümliche  Bewandtnis.  Unterm  11./21.  November 
schrieben  die  Räte  Graff,  Schröder  und  Schmidtborn  von  Idstein  aus  an  Walrad, 
dass  der  Graf  von  Leiningen  befohlen  habe,  Geld  für  die  weitere  Reise  ihres 
Herrn  zu  beschaffen ;  sie  fügten  aber  hinzu,  dass  die  Kammer  keins  verwilligen 
werde.  Sicher  hat  Leiningen  das  Geld  für  Georg  August  nur  vorgeschossen 
und  gedachte  sich  an  den  Idsteiner  Einkünften  dafür  schadlos  zu  halten.  Von 
Idstein  aus  ging  durch  Graff  am  selben  Tage  ein  Brief  an  den  „jungen  Herrn" 
ab,  in  welchem  demselben  über  Leiningens  Betragen  die  Augen  geöffnet  werden 
sollten.  Der  Graf  wurde  gebeten  nach  Hause  zu  kommen,  „um  des  Landes 
willen" ;  man  wollte  ihm  entgegenreisen  und  ihn  abholen.  Inzwischen  schrieben 
am  13./23.  November  sowohl  Georg  August  wie  Boyneburgk  an  Walrad  von 
Usingen,  dass  sie  in  Strassburg  angekommen  seien,  als  an  einem  dritten  neu- 
tralen Orte,  und  dass  sie  hier  das  Weitere  abwarten  wollten.  Schärfer  antwortete 
der  junge  Graf  dem  Kanzleidirektor  nach  Idstein  —  vielleicht  nach  einem  kurz 
vorhergegangenen  Zusammentreffen  mit  seinem  Oheim  —  am  17./27.  November. 
Er  habe  das  Geld  von  Leiningen  angenommen  und  sei  entschlossen  seine  Reise 
fortzusetzen.  y,Ne  croyez  pas  que  je  vienne  encore  dans  un  an  chez  vous", 
schliesst  der  französisch  geschriebene  Brief.  Da  aber  gebrauchten  die  Räte 
zu  Idstein  alle  ihnen  zu  Gebote  stehende  Energie.  Schmidtborn  schrieb  unterm 
25./XI. — 5./Xn.  an  den  Grafen  von  Usingen,  dass  es  gefahrlich  sei,  den  „jungen 
Herrn"  in  der  Nähe  Leiningens  zu  lassen,  denn  dieser  wollte  ihn  mit  einer 
Prinzessin  von  Pfalz-Birkenfeld  verheiraten.  Der  „Herr"  zeige  zwar  keine 
Neigung;  aber  Leiningen  habe  einen  grossen  Einfluss  auf  ihn.  Schliesslich 
bat  Schmidtborn  den  Grafen,  selbst  aus  dem  Haag  nach  Usingen  zu  kommen. 
Plötzlich  änderte  nun  auch  Georg  August,  unbekannt  aus  welchen  Gründen, 
seine  Ansicht  und  traf  mit  Boyneburgk  am  14./24.  Dezember  1682  in  Idstein 
ein.  Am  folgenden  Tage  entschuldigte  er  sich  gegen  Walrad,  der  unterdes 
in  Usingen  angelangt  war,  dass  er  sich  ihm  wegen  Hustens  noch  nicht  vor- 
stellen könne;  auch  Boyneburgk  suchte  sein  seitheriges  Benehmen  zu  recht- 
fertigen. Walrad  Hess,  feinfühlend,  alle  Ausreden  gelten  und  bat  seinen  Vetter, 
ihn  in  Frankfurt,  wohin  er  Geschäfte  halber  reisen  musste,  zu  treffen.  Die 
Zusammenkunft  und  Versöhnung  fand  denn  auch  statt,  Ende  1G82  oder  An- 
fangs 1083. 


31 

Ein  Glück  war  es,    dass  in  den  bewegten  Zeiten  die  eigentliche  Leitung 
der  Geschäfte  in  der  Hand  eines  tüchtigen  idsteinischen  Beamten  lag.   Es  war 
dies    der   mehrerwähnte   Johann  Georg  Graff,    der   von   Graf  Johannes    im 
Jahre  1675   zum  Kanzleidirektor  ernannt  worden  war.     Als  solcher   vereinigte 
er  in  seiner  Person  das  oberste  Justiz-  und  Verwaltungsamt.    Er  erscheint  als 
ein  energischer,    vielfach  geradezu  rücksichtsloser  Mann,    der  aber  die  idsteini- 
schen Hausinteressen  in  dem  Wirrwarr  der  damaligen  Zeit  mit  solchem  Nach- 
<lruck  verfocht,    dass  es  ihm   hauptsächlich   zu   verdanken    ist,   dass  der  junge 
Graf  ungestört  seine  Regierung  antreten   konnte.     Drei   Jahre   lang   nach   Jo- 
hannes' Tode  gingen  die  vormundschaftlichen  Angelegenheiten  ziemlich  geordnet 
weiter.     Da  starb  im  Jahre  1680  Johann  August  von  Solms,   der  zweite  Vor- 
mund,  und   der  Graf  von  Leiningen   übernahm    die    alleinige  Kuratel.     Damit 
waren    indessen   die  saarbrückischen  Agnaten    nicht   einverstanden.     Wenn   sie 
schon   wegen   ihrer   Ausschliessung   im  Testamente  von  1674   grollten,    so  be- 
standen sie  nun  umsomehr  auf  der  Forderung  Mitvormünder  zu  werden.  Johann 
Ludwig  von  Ottweiler,  der  schon  Vormund  über  den  jungen  Grafen  von  Weil- 
burg war,    erklärte   sich    damit   einverstanden,    dass   sein   Bruder  Walrad   von 
Usingen    die    Bewerbung   um   die    Mitvormundschaft    über   Georg   August   am 
Reichskammergerichte  zu  Speyer  einreichte.    Der  Graf  von  Leiningen  dagegen 
suchte  dem  zuvorzukommen,   indem  er  am    13./ 23.  Juni  1681   für  sein  Mündel 
beim  Reichshofrate  die  Erteilung  der   venia  aetatis  eventualis   beantragte.     In 
der  Zwischenzeit   scheinen    sich  Leiningens  Beamte,    welche   auf  dem  Schlosse 
zu  Idstein  nach  dem  Abgange   der   solmsischen   allein   schalteten,   grosse  Will-' 
kürlichkeiten  haben  zu  schulden  kommen  lassen.    Die  Schultheissen  der  Amter 
und  andere  Beamten,  die  sich  deshalb  bei  den  Agnaten  beschwert  hatten,  waren 
mit  hohen  Geldstrafen  zu  100,  60,  50  Thalern  belegt  worden.    Sie  scheinen  an 
den  saarbrückischen  Grafen  eine  Stütze  gefunden  zu  haben;    denn  Leiningen 
erzürnte   sich   über   die  letzteren  derart,  -dass   er    beim    Reichskammergerichte 
geradezu  den  Ausschluss  der  Agnaten  von  der  Vormundschaft  beantragte.  Das 
Gericht  aber  dachte  anders.     Nicht  weniger   als  viermal    wies    es  den   Antrag 
des  Grafen  ab  und  forderte  ihn  sogar  auf,   selbst  einen  Mitvormund    aus  den 
Agnaten   zu  ernennen.     Am   kaiserlichen   Hofe    schien    man   eine   vermittelnde 
Stellung  einzunehmen;    aber  das  Reichskammergericht  störte  sich  nicht  daran. 
Am  6./ 16.  Januar  1682  verfügte  ein  Extra- Judiciat-Dekret   die  Bestallung  des 
Grafen   Walrad   an   Stelle   des   Grafen   von    Solms   als   Mitvormund   über   den 
Grafen  von  Idstein,  allerdings  mit  dem  Vorbehalt,  „dass  er  die  Administration, 
Aufsicht   und   Verwaltung    aller   zwischen    ihm    und   dem   Minderjährigen   vor- 
schwebenden oder  inskünftig  sich  ereignende  Rechtfertigungen,  Differentien  und 
Strittigkeiten  mit  Separierung  und  Verschliessung  aller  hierzu  gehörigen  Brief- 
schaften, Dokumenten  und  Urkunden  dem  Herren  Mitvormund  allein  überlasse, 
auch   hierinnen   für  des  Herren  Pupillen  Maiorennität  und  Endigung  der  Vor- 
mundschaft zu  dessen  Nachteil  weder  durch  sich  noch  durch  andere  direkt  oder 
indirekt   nichts    vornehme."       Die    Konfirmation   dieser   Urkunde    erfolgte    am 
29./n.— lO./IIL  1682  durch  den  Kaiser.    Entkräftet  schien  der  Beschluss  durch 
den  Entacheid  des  Reichshofrates  vom  15./25.  Januar  1682,  dass  die  von  dem 


32 

Graten  von  Leiaiugea  uaeligesuchte  Erteilung  der   venia  aetatis  eventualis 
für   den    Grafen    Georg  August    verwilligt   und   dass    der    letztere   nach   dieses 
seines  Vormundes    Ableben   sofort   als   raaiorenn    anzusehen    sei.     Doch   wurde 
Herzog  Friedrich  I.  von  Gotha  als   tutor  honorarius   bestätigt.     Die  Erklärung 
der  Mitvormundschaft  Walrads  hatte  zur  Folge,  dass  auf  dem  Schlosse  zu  Id- 
stein sofort  usingische  Beamte  einzogen,    welche  am   30.  u.   31.  März  (a.  St.) 
von   dem    usingischen   Rate    Schröder    für   den   Grafen  Walrad    neu   vereidigt 
wurden.     Der   leiningische  Abgeordnete   hatte   dies   zu   hindern   versucht.     Er 
wollte  die  Unterthanen  aufwiegeln,  die  idsteinischen  Beamten  in  Arrest  halten; 
er  Hess  Plakate   an  den  Thoren  anbringen,    dass  sich  niemand  gelüsten  lassen 
sollte  „selbigen  tags  zur  Stadt  herein  zu  gehen,  sondern  sobalt  umbkehren  und 
sich  nach  Hausa   begeben."      Die   Usinger   rissen   aber   die   Plakate   herunter, 
und  nun  wurden  alle  Kanzleiräte,  Amtleute,  Landbediente,   der  Superintendent 
und    die   Geistlichen,   alle    Schultheissen,   Hof  bediente,   Förster   und   Jäger   in 
Pflicht   genommen.     Der   Direktor   Graff,   dem   die   Neuvereidigung   für   einen 
fremden  Herren  sehr  empfindlich  war,  bat  um  Erlass  des  Eides,  worauf  Schröder 
sich  mit  einem  Handgelöbnis  begnügte.     Der  leiningische  Abgeordnete   sandte 
einen  Kurier   an   seinen  Herrn   ab,   empfing   aber  den   Befehl    sich   zu   wider- 
setzen zu  spät.     Fortan  ergriff  Graff  wieder  stramm  die  Zügel  der  Regierung ; 
Schröder  als  Sekretär  blieb  seine  rechte  Hand,  und  die  beiden  anderen  Stützen 
bildeten  der  Amtmann  von  Idstein,  Plebanus,  und  der  usingische  Rat  Schmidt- 
born.    Diese  Männer   unterhielten   steten   brieflichen  Verkehr   mit  dem  Grafen 
Walrad,  der  damals,  wie  wir  wissen,  im  Haag  oder  in  Bergen  op  Zoom  weilte. 
Leiningens   Intriguen    dauerten    indessen   fort.     Walrad   erachtete   es   für 
notwendig   am   9.'19.    Juli    1682   seine   Räte   zu  ermahnen,   seine  Rechte  aufs 
strengste  zu  wahren.     Die    Zustände   müssen   nachgerade   unhaltbar  geworden 
sein,   sodass  die  Ober-  und  Landschultheissen   zu  Idstein,   Wiesbaden,  Nassau, 
Burgschwalbach   und  Wehen   an   den  Grafen  Walrad  ein  Gesuch  richteten,  er 
möge  veranlassen,   „dass  umb   Gottes  und  der  dringenden  Noth  willen  ihr  von 
Gott    bescheerter   alleiniger  Landesherr   fordersambst   ins   Land   hineingelassen 
.  undt  mithin  grösserer  Beschwernuss  abgethan  werde."    Der  Graf  von  Leiningen 
hatte   ihre  Klagen   über   die  Übergriffe   seiner  Beamten   ungnädig  abgewiesen. 
Dies  und  anderes  mögen  den  Grafen  von  Usingen  zu  der  Überzeugung  gebracht 
haben,  es  sei  besser,  um  den  jungen  Vetter  dem  Einflüsse  Leiningens  zu  ent- 
ziehen, die  Erteilung  der  unbedingten  Grossjährigkeit  für  denselben  beim  Reichs- 
hofrate zu  beantragen.  Gütliche  Auseinandersetzungen  mit  Leiningen  waren  nicht 
zu   erwarten,   das   ersieht  man  aus  einem  Briefe  Walrads  an  den  Fürsten  von 
Waldeck,    in    welchem    es   heisst,     „der    Leininger    verweigere   die    vertrauliche 
Korrespondenz,    in   Güte   sei   mit    ihm   nichts   auszurichten,   er   wolle  die  venia 
aetatis  omni  modo  verhindern,   so  möge  sich  doch  der  Fürst  beim  kaiserlichen 
Hofe  verwenden,  damit  die  venia  aetatis  pure  und  ohne  condition  erlangt  werden 
könne."     Die   gleiche  Bitte   war  an  den  Agenten  beim  Reichshofrate,  Persius, 
ergangen,  seitens  des  FürÄtöB  und  seitens  der  Regierung  von  Idstein,  von  letzterer 
am  9./ 19.  Nov.   1683.     Die   Angelegenheit    verschleppte    sich,    bis    am  3.  März 
(n.  St.)   1G84  der  junge  Graf  Georg  August  selbst  ein  Schreiben  direkt  au  den 


33 

Kaiser  richtete,  vielleicht  auf  Ermunterung  Walrads  hin.  In  demselben  heisst 
es,  dass  die  Vormundschaft  1682  strittig  gewesen,  weshalb  im  Falle  des  Todes 
des  Grafen  von  Leiningen  die  venia  aetatis  eventualis  erteilt  worden  sei.  Er, 
Georg  August,  habe  verhofft,  dass  alle  Misshelligkeiten  dadurch  aufgehoben 
seien.  Nach  seiner  Rückkehr  von  der  Reise  fände  er  nun  die  Vormundschaft 
noch  vor,  „worauss  anders  nichts  als  schädlich  confusiones  bei  deren  längeren 
continuation  abzusehen."  Deshalb  habe  er  bei  dem  kaiserlichen  Hofe  ein 
Memorial  abgegeben.  Er  glaube,  dass  er  nach  Zurücklegung  des  20.  Lebensjahres, 
obwohl  er  „ohne  Ruhm  zu  erndten,  denen  studiis  und  andteren  Standesmässigen 
Stücken  also  obgelegen,  die  Landtsregierung  mit  seiner  und  seiner  Unterthanen 
grösserem  Vortheil  und  Nutzen  durch  göttlichen  Beystand  selbsten  zu  führen  sich 
getraue."*  Seines  Hauses  Agnaten  und  Vormünder  hätten  „auch  die  Declaration 
gegeben,  dass  sie  ihn  vor  tüchtig  erachteten.''  Darum  bitte  er  um  die  venia 
aetatis,  „pure  und  absolute".  Darauf  erfolgte  das  Maiorennitätspatent,  datiert 
vom  3.  April  (n.  St.)  1684,  erlassen  durch  Kaiser  Leopold  auf  dem  Schlosse 
zu  Linz.  Der  Kaiser  Hess  dem  „Grafen  Johann  Casimir  von  Leiningen  und 
Dagsburg,  Herrn  zu  Appermont"  mitteilen,  dass,  „nachdem  auf  seinen  unter- 
thänigsten  Anruf  und  Bitte  und  fürgebrachte  erhöbliche  Motive  und  Ursachen" 
die  venia  eventualis  aetatis  am  25.  Januar  1682  angefangen,  nunmehr,  da  Vol- 
rad  (Walrad)  von  Usingen  gebeten,  die  absoluta  venia  aetatis  verliehen  sei, 
also  dass  der  Graf  zu  Idstein  „nun  wirklich  maiorennis  seyn  und  sich  aller  Frey- 
heits-,  rechts-  und  gutthats  freuen  und  gebrauchen  solle  und  möge,  die  denen 
maiorennibus  von  rechtswegen  zukommen  und  gegönnet  werden,  ohne  männig- 
lichen  Einti'ag  und  Verhindernuss."  Alle  Räte  seien  dergestalt  ihrer  vormund- 
schaftlichen Pflicht  entlassen.  Am  selben  Tage  ging  ein  Schreiben  gleichen 
Inhalts  an  Georg  August  ab.  Der  kaiserliche  Rat  Persius  beglückwünschte 
den  letzteren  am  5./ 15.  April  zu  seinem  Erfolge,  worauf  am  8./18.  ein  artiges 
Dankschreiben  des  jungen  Grafen  abging.  An  diesem  Tage  gratulierte  auch 
der  Graf  von  Leiningen  mit  sauersüsser  Miene  brieflich  seinem  „freundlich 
geliebten  Vetter"  und  ermahnte  ihn,  „dass  er  bei  seinen  Regierungshandlungen 
sich  mit  einem  dritten  unparteiischen  und  verständigen  Manne  sorgfaltig  weiter 
überlegen  möge,  weilen  Übereilung  Ew.  Liebden  nicht  geringes  desavantage 
bringen  möchte."  Er  (Leiningen)  hätte  sich  der  Erlangung  der  venia  aetatis 
nicht  widersetzt,  „wenn  es  nur  gebührend  an  ihn  vorgebracht  und  nicht  hinter 
seinem  Rücken  expracticieret  worden  wäre,  dass  man  ihn  zum  consens  gleich- 
sam forcieret  habe".  Er  habe  verhofft,  „seiner  Sorgfalt  besser  belohnet  zu  werden." 
Die  idsteinischen  und  usingischen  Räte  atmeten  auf.  Am  12./22.  Januar 
1684  hatte  Graff  noch  eine^  Schrift  an  den  Grafen  Walrad  abgehen  lassen,  in 
welcher  er  seine  Waltung  gegen  Leiningens  Anschuldigungen  verteidigte.  Am 
17./27.  Juni  1684  fand  auf  dem  Idsteiner  Schlosse  grosse  Huldigung  statt, 
über  welche  die  Räte  Schröder  und  Schmidtborn  an  ihren  Herren,  den  Grafen 
Walrad,  berichteten.  ^Achthundert  Beamte,  geisthche  und  weltliche,  aus  den 
Amtern  Idstein  und  Burgschwalbach  schwuren;  Sekretär  Joss  wurde  zum  ge- 
heimen und  Kanzleirat  ernannt.  Nach  dem  Aktus  war  gemeinsames  Festessen. 
Am   folgenden   Tage   begab  sich   der  junge  Graf  mit   allen  Anwesenden  nach 

3 


34 

Wiesbaden,  um  dort  die  Huldigung  aus  den  anderen  Landesteilen  zu  empfangen. 
Graf  "Walrad  gratulierte  am  3./ 13.  Juli  dem  Vetter  und  dem  Kanzleidirektor. 
Neunzehn  Jahrejind  vier  Monate  war  Georg  August  alt,  als  er  die  Regierung 
übernahm,  unter  Beihilfe  des  bisherigen  Leiters  der  Geschäfte,  des  Kanzlei- 
direktors Graff. 

Der  junge  Regent  zeigte  bald  Spuren  von  Thatkraft;  das  geht  aus  dem 
Erlasse  vom  21./31.  Januar  1685  über  die  Stadterweiterung  von  Idstein  hervor, 
dessen  wir  weiter  unten  ausführlicher  gedenken  werden.  Derselbe  giebt  seiner 
landesväterlichen  Fürsorge,  die  ihn  von  Anfang  an  beseelte,  das  schönste  Zeugnis. 
Auch  seine  Teilnahme  am  Türkenkriege  in  demselben  Jahre,  auf  die  wir  noch 
zurückkommen,  bezeugt  seine  Energie.  Den  äusseren  Glanz  seines  alten  Hauses 
gedachte  er  zu  erhöhen,  indem  er  bei  allen  Agnaten  die  Erneuerung  der  fürst- 
lichen Würde  des  Hauses  Nassau  durch  den  Kaiser  in  Vorschlag  brachte.  Die 
Grafen  von  Ottweiler  und  Saarbrücken  lehnten  denselben  jedoch  ab;  denn  die 
Sache  war  ihnen  zu  kostspielig.  Aus  demselben  Grunde  erklärte  Johann  Ernst 
von  Weilburg,  man  möge  ihm  drei  Jahre  Zeit  lassen,  damit  er  sich  besinnen 
könne,  ob  er  die  Fürstenwürde  annehmen  und  zu  den  gemeinschaftlichen  Kosten 
beitragen  solle  oder  nicht.  Endlich  vereinigten  sich  Idstein,  Usingen  und 
Weilburg  zu  dem  Antrage.  Sechstausend  Reichsthaler  aus  dem  Rüdesheimer 
Weinzehnten  sollten  zur  Begleichung  der  gemeinsamen  Kosten  dienen.  Wieder- 
holt wurde  das  Gesuch  am  Wiener  Hofe  vorgebracht  und  endlich  vom  Kaiser 
bewilligt.  Am  4.  August  (n.  St.)  1688  wurden  drei  Urkunden  ausgestellt,  welche 
Georg  August,  Walrad  und  Johann  Ernst  die  den  nassauischen  Grafen  von 
Kaiser  Karl  IV.  im  Jahre  1366  verliehene,  bisher  nicht  geführte  fürstliche 
Würde  erblich  bestätigten.  Eine  Klausel  bezüglich  Johann  Ernsts  besagte,  dass 
dieser,  auch  wenn  er  sich  des  Fürstentitels  nicht  bediene,  dennoch  sein  Recht 
auf  denselben  behalten  solle.  Jetzt  aber  kam  das  Unvorhergesehene.  Statt 
6000.  Thaler  kosteten  die  drei  Urkunden  noch  einmal  soviel  und  noch  mehr, 
nämlich  21465  Gulden.  Sobald  Johann  Ernst  von  Weilburg  davon  hörte,  stand 
er  sofort  ab  und  erklärte,  seinesteils  nicht  zu  den  Kosten  beitragen  zu  wollen. 
Doch  machte  er  von  seinem  Rechte  Gebrauch,  das  ihm  in  der  Klausel  zuge- 
standen war.  Georg  August  von  Idstein  und  Walrad  von  Usingen,  die  von 
nun  ab  sich  „Fürsten"  nannten,  mussten  gute  Miene  zum  bösen  Spiele  machen. 
Nicht  nur,  dass  sie  die  Kosten  allein  zu  tragen  hatten;  sie  sahen  sich  auch 
genötigt,  dem  Weilburger  den  dritten  Teil  der  6000  Thaler  herauszuzahlen. 
Dafür  aber  behielt  man  in  Usingen  die  Urkunde  für  Weilburg  zurück.  Johann 
Ernst  hat  den  Titel  „Fürst"  nie  geführt;  erst  sein  Sohn  und  Nachfolger  Karl 
August  hat  ihn  angenommen. 

In  dem  durch  schwere  Kriegsläufte  bewegten  Jahre  1688,  dessen  wir  noch 
gedenken  werden,  schritt  der  nunmehr  dreiundzwanzigjährige  Fürst  Georg 
August  zur  Ehe.  Wie  wir  wissen,  hatte  sein  Oheim,  der  Graf  von  Leiningen, 
vor,  ihn  an  eine  Prinzessin  von  Pfalz-Birkenfeld  zu  verheiraten,  wahrscheinlich 
an  eine  der  Töchter  des  Pfalzgrafen  Karl  Otto.  Der  junge  Graf  ging  nicht 
darauf  ein.  Seine  Erwählte  war  Henriette  Dorothea,  Tochter  des  Fürsten 
Albrecht   Ernst    von   Ottingen    (geb.    14.; 24.  Februar    1672).     Die  Vermählung 


35 

fand  am  12./22.  September  1688  statt;  die  Ehe  ist  bis  zum  Lebensende  des 
Fürsten  glücklich  gewesen.  Über  die  aus  ihr  entsprungenen  Nachkommen 
weiter  unten. 

Wenden  wir  uns  nun  zur  Betrachtung  der  Teilnahme  des  Grafen,  bezw. 
Fürsten  an  den  politischen  Ereignissen  seiner  Zeit. 

Um  die  Zeit,  als  der  Streit  der  beiden  Grafen  um  die  Vormundschaft 
über  den  „jungen  Herren"  von  Idstein  aufs  heftigste  entbrannt  war,  wurden 
die  Augen  der  europäischen  Christenheit  auf  eine  furchtbare  Gefahr  gelenkt, 
die  ihr  von  dem  Erbfeinde,  den  islamitischen  Osmanen,  drohte.^)  Gerade  beim 
Beginne  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  erreichte  die  Türkenmacht 
ihre  weiteste  Ausdehnung  und  ihre  Höhe  unter  der  Herrschaft  des  Padischah 
Muhamed  IV,  (1648 — 1687).  Der  Sultan  selbst  zeigte  zwar  nicht  die  min- 
deste Thatkraft  und  kam  den  kraftvollen  seiner  Vorgänger  nicht  gleich;  die 
Jagd  war  sein  ganzes  Sinnen  und  Trachten,  Desto  nachdrücklicher  vertraten 
des  Reiches  Interessen  die  Grosswesire,  namentlich  die  gewaltigen  Männer 
Muhamed  und  Achmed  Köprili.  Der  erstere,  im  Jahre  1656  zur  Reichs- 
ministerstelle berufen,  ein  7 5 jähriger  Greis,  war  es,  der  den  schon  wankenden 
Thron  des  Beherrschers  der  Gläubigen  noch  einmal  mit  kräftigen  Stützen  ver- 
sah. Die  Kabalen  des  Harem  und  der  Grosswürdenträger  verstand  er  zu 
durchkreuzen  und  die  Übermacht  der  Kriegerkaste  der  Janitscharen  zu  brechen. 
Diese  modernen  Prätorianer  schienen  während  der  Minderjährigkeit  des  Sultans 
geradezu  darauf  auszugehen,  das  Reich  in  eine  Kriegerrepublik  umzuwandeln. 
Dem  neuen  Grosswesir  gelang  die  Erneuerung  der  Autorität  der  Nachfolger 
Osmans  gründlich,  weil  er  mit  gewaltthätiger,  blutiger  Strenge  jeden  "Wider- 
stand niederzwang.  Selten  hat  es  einen  blutdürstigeren  Wüterich  gegeben  als 
den  ersten  Köprili,  der  bedachtsam,  aber  systematisch  die  Rebellenköpfe  zu 
den  Füssen  seines  Herrn  rollte.  Aber  er  machte  damit  dem  Parteigetriebe  in 
Stambul  ein  Ende  und  schuf  die  Möglichkeit,  die  Macht  des  Reiches  nach 
aussen  zu  erweitern.  Dieses  letztere  Werk  nahm  sein  ihm  ungleicher,  grös- 
serer Sohn  Achmed  in  die  Hand,  ein  aufgeklärter,  toleranter,  wissenschaftlich 
und  kriegstechnisch  gebildeter  und  verhältnismässig  humaner  Mann.  Unter  ihm 
stieg  die  osmanische  Macht  in  den  drei  Erdteilen  bis  zum  Gipfel.  Das  Ziel, 
das  sich  dieser  Köprili  gesteckt  hatte,  war  kein  geringeres  als  das,  sämtliche 
Kriege,  die  er  von  seinem  Vorfahren  überkommen  hatte,  bis  zur  Unterwerfung 
der  Gegner  zu  führen. 

So  begannen  denn  Roaaschweif  und  Koran  den  Kampf  gegen  das  Kreuz 
auf  dem  schwankenden  Gefilde  des  Griechenmeeres  gegen  die  seemächtigen 
Venezianer,  wie  in  den  weiten  sarmatischen  Steppen  des  Ostens  gegen  die 
Russen  und  Polen  und  in  den  kroatischen ,  und  steirischen  Bergländern  gegen 
(Österreich.  Romanismus,  Germanen-  und  Slawentum  waren  durch  den  Sturm 
des  IsJajäiJjedroht.  Mit  dem  Aufgebot  aller  Kräfte  widerstand  die  deutsche 
Reichswehr  dem  Anfalle  der  Moslemen  in  der  Schlacht  bei  Sankt  Gotthardt  an 


')   Das   Folgende   frei   nach   Hammer,  Zinkeisen,   Ranke   (Die   Osmanen   und   die 
spanische  Monarchie)  und  dem  Theatrura  Europaeum  X — XIII. 

3* 


36 

der  Raab  (1664).  Hier,  wo  Georg  Augusts  älterer  Bruder  fiel  (s.  o.),  errangen 
die  Christen  zum  erstenmale  einen  Sieg  im  offenen  Felde  über  die  Türken. 
Nutzen  brachte  derselbe  aber  nur  insofero,  als  der  Grosswesir  einen  zwanzig- 
jährigen Waffensrillstand  gewährte.  Achmed  blieb  im  Besitze  des  von  ihm 
Eroberten,  namentlich  der  starken  Festung  Neuhäusel,  die  er  zu  einem  noch 
bedeutenderen  Bollwerke  umschuf,  um  ein  stets  offenstehendes  Ausfallsthor 
gegen  das  römisch -deutsche  Reich  zu  haben.  Völlig  siegreich  war  Köprili 
gegen  die  Venezianer.  Als  nach  langer,  furchtbarer  Belagerung  das  helden- 
mütig verteidigte  Candia  in  seine  Hände  fiel,  da  war  der  Riegel  vor  der  Thür 
zur  Herrschaft  der  Osmanen  im  Ostbecken  des  Mittelmeeres  weggeschlagen 
(1669).  Und  auch  der  slawische  Osten  fühlte  die  Schläge  des  sieghaften  mos- 
lemischen Reichsverwesers.  Es  war  die  Tapferkeit  und  der  Mannesmut  des 
grossen  polnischen  Krongrossfeldherrn  (später  Königs)  Johann  Sobieski  nötig, 
um  es  zu  erreichen,  dass  die  Länder  an  der  Weichsel  nicht  von  den  Os- 
manen dauernd  behauptet  wurden.  Die  Tage  von  Lemberg  und  Chocim  ver- 
hinderten dies;  aber  das  wichtige  Camieniec  und  ganz  Podolien  blieb  in  der 
Gewalt  der  Türken,  ungeachtet  die  Zehntausende  der  aus  den  Gebieten  des 
Don,  Dnjepr  und  Bug  fortgeschleppten  Sklaven.  Camieniec  sollte  im  Osten 
demselben  Zwecke  dienen  wie  Neuhäusel  im  Westen.  Dort  waren  auch  die 
Russen  niedergehalten  und  die  republikanischen  Kosaken  und  der  Khan  der 
krimischen  Tataren  der  Oberhoheit  des  Grossherrn  aufs  neue  unterstellt  worden. 

Mitten  im  Siegeslaufe,  nachdem  er  noch  die  Huldigungen  von  Gesandt- 
schaften aus  aller  christlichen  Herren  Ländern,  svelche  dem  Sultan  in  Starabul 
dargebracht  wurden,  erlebt  hatte,  wurde  Achmed  Köprili  plötzlich  durch  die 
Stimme  des  Weltenschicksals  abberufen.  Der  Erbe  seiner  Stellung  und  seiner 
Pläne  ward  sein  Nachfolger,  sein  Schwager  Kara  Mustafa,  d.  h.  der  schwarze 
Mustafa.  Nach  neuen  Siegen  im  Osten  begann  dieser  den  Ansturm  auf  das 
Herz  Europas,  auf  das  deutsche  Land,  unterstützt  von  der  magyarischen  Re- 
bellion. Der  Welt  wurde  es  klar,  was  auf  dem  Spiele  stand,  als  der  Türke 
im  Frühjahre  1G83  seine  Hunderttausende  fast  ohne  Widerstand  zu  finden  zur 
Belagerung  Wiens  heranwälzte :  Christentum  und  Kultur  I  Welche  Spannung 
damals  I  Wer  wird  siegen  im  Entscheidungskampfe  ?  Die  Weltgeschichte  hat 
es  verzeichnet.  Das  tapfere  Wien,  der  Heldenmut  deutscher  Bürgerschaft  hat 
der  Unfähigkeit  des  erbfeindlichen  Feldherrn  und  der  Wut  der  Weltstürmer 
so  lange  widerstanden  bis  die  germanische  und  slawische  Kriegsmacht  geeint 
den  Eroberungsstrom  der  Osmanen  in  seinem  Bette  zurückdrängen  konnte.  Die 
Schlachten  von  Wien  und  Parkany  geboten  ihm  Halt. 

Nun  rüstete  man  sich  im  deutschen  Reiche  zum  energischen  Benützen 
der  errungenen  Siege.  Zum  erstenmale  wurde  im  Jahre  1684  der  Angriffs- 
krieg gegen  die  Türken  unternommen.  Den  Oberbefehl  über  das  kaiserliche 
und  Reichsheer  erhielt  der  Herzog  Karl  von  Lothringen;  der  bayerische, 
schwäbische  und  fränkische  Kreis,  sowie  die  Herzöge  von  Celle  und  Lüneburg 
Hessen  ihre  Kontingente  nach  Ungarn  abrücken.  Doch  kamen  die  meisten 
Hilfsvölker  erst  mit  Beginn  des  nächsten  Jahres  an.  Inzwischen  hatte  Kaiser 
Leopold  mit  den  Republiken  Polen  und  Venedig  die  sogenannte  Tripel-Allianz 


37 

wider  die  Türken  geschlossen,  und  letztere  wurden  also  von  drei  Seiten  ange- 
griffen. Die  Fortschritte  de8  Herzogs  von  Lothringen  waren  anfangs  bedeutend. 
Er  nahm  Wischegrad  ein,  siegte  glänzend  bei  Waitzen  (1.  Juli  n,  St.)  und 
eroberte  diese  Stadt  sowie  Pest  und  Verowitz,  worauf  er  die  Belagerung  von 
Ofen,  des  Hauptbollwerkes  der  Türkenmacht  in  Ungarn,  begann  (14.  Juli  n.  St.). 
Nun  aber  entfaltete  der  neue  Seraskier  (Generalissimus  der  Türken)  Ibrahim, 
Scheitan  (der  Teufel)  genannt,  der  den  wegen  seiner  Niederlagen  erdrosselten 
Kara  Mustafa  im  Felde  ersetzte,  eine  solche  Thätigkeit,  dass  nicht  nur  die 
schon  glücklich  weit  vorgeschrittene  Belagerung  Ofens  aufgehoben,  sondern 
auch  Waitzen  wieder  aufgegeben  werden  musste.  Erst  im  Frühjahre  1685, 
als  das  kaiserhche  Heer  verstärkt  worden  war  und  der  grössere  Zuzug  aus 
dem  Reich  begann,  konnte  man  wieder  an  ein  Vorgehen  denken.  Jetzt  erhielt 
der  Herzog  von  Lothringen  den  Titel  Generallieutenant.  Unter  ihm  befehligte 
der  Reichsgeneral,  Generalfeldmarschall  Fürst  Georg  Friedrich  von  Waldeck, 
mit  dem  Herzoge  von  Croy,  dem  Prinzen  von  Pfalz-Neuburg  und  den  Grafen 
de  Souches  und  Scharffenberg  die  Infanterie.  Die  Kavallerie  stand  unter  den  Be- 
fehlen des  Generalfeldmarschalls  Grafen  Caprara,  dem  der  Markgraf  von  Baden, 
die  Grafen  von  Lodron,  Taffe,  Palfy,  Dunewald,  Styrum  und  der  Baron  von 
Mercy  untergeben  waren.  Obrist  Brenner  war  der  Artillerie  vorgesetzt.  Die 
Armee  richtete  ihre  Absicht  auf  das  wichtige  Neuhäusel,  das  von  etwa  5000 
Mann  verteidigt  wurde.  Ohne  dessen  Besitz,  das  fühlte  man,  war  der  Haupt- 
stadt Ofen  nicht  ernstlich  beizukommen.  Die  Festung,  an  der  Neutra  gelegen, 
wurde  vorerst  eingeschlossen  und  ihr  die  Zufuhr  abgeschnitten.  Es  besorgte 
dies  der  kühne  Reiteroberst  Heissler,  die  „Türkengeissel"  genannt,  weil  er 
unermüdlich  in  Angriffen  und  Überfallen  war  und  den  Feinden  vielen  Schaden 
zufügte.  Alle  Ausfalle  der  Besatzung  wurden  zurückgewiesen,  die  Verprovian- 
tierungsversuche  des  Paschas  von  Ofen  vereitelt,  der  Entsatz  des  ungarischen 
Rebellenheeres  unter  dem  „Könige"  Ton  „Muhameds  Gnaden",  Emerich  Tököly, 
sowie  der  Tataren  verhindert.  So  entstand  bald  Hungersnot  in  Neuhäusel,  und 
der  Pascha  sandte  die  gefangenen  Christen  zumeist  hinaus,  um  der  Esser 
weniger  zu  haben.  Nichtsdestoweniger  wehrten  sich  die  Türken  kräftig  und 
verursachten  den  Kaiserlichen  und  Reichstruppen  mitunter  heftigen  Schaden; 
namentUch  hatten  sie  es  auf  die  hohen  Offiziere  abgesehen,  die  sich  oft  zu  sehr 
blossstellten.  So  fiel  u.  a.  der  25  jährige  mannhafte  Prinz  Ferdinand  Wilhelm 
von  Württemberg-Neustadt. 

Am  27.  Juni  (7.  Juli)  1685  rückte  der  Herzog  Karl  mit  seiner  gesamten 
Macht,  40000  Mann  kaiserlicher,  lüneburgischer,  cellischer,  bayerischer  und 
kurkölner  Truppen,  zur  Belagerung  heran,  Hess  ein  Lager  beziehen  und  das- 
selbe mit  einer  doppelten  Schanzenreihe  und  mit  Redouten  befestigen.  Nach- 
dem am  10.  die  schwäbischen  Truppen  angekommen  waren  und  man  einen 
wütenden  Ausfall  der  Türken  abgeschlagen  hatte,  wurde  nach  gehaltenem 
Kriegsrate  am  l./ll.  sofort  mit  dem  Baue  der  Approchen  begonnen,  welche 
gegen  die  hochgelegene,  befestigte,  citadellartige  Moschee  geführt  wurden.  Die 
Arbeiten  nahmen  an  den  folgenden  Tagen  unter  stetem  Feuer  der  Belagerten 
ihren  Fortgang.   Am  5.  15.  begann  die  Beschiessung,  am  10,/20.  wurde  bereits 


38 

Bresche  gelegt,   und  am   11./21.  und  12./22.   brach   in   der   bedrängten  Feste 
Feuer  aus.     Unterdessen   feierte   am   5./15.    der   Kaiser  Leopold   zu  Wien   die 
Vermählung  seiner  Tochter  Maria  Antonia   mit  dem   löwenherzigen  Kurfürsten 
Maximilian   Emanuel   von    Bayern.      An    diesem    Feste    mitten    im   Kriegslärm 
nahm  die  ganze  Menge   der  zum  Feldzuge   herzugeströmten  Reichsfürsten  teil, 
und  unter  diesen   befand    sich    auch  der    „Volontair"    Graf  Georg  August  von 
Nassau-Idstein.    Sein  Kammerdiener  J.  P.  Heybach  berichtet  in  fünf  im  Wies- 
badener Archive  vorhandenen  Briefen    an   Direktor   Graif  über  die  Ereignisse 
der  folgenden  Tage,  welche  Mitteilungen  genau  mit  den  Angaben  des  Theatrum 
Europaeum  übereinstimmen.     Im  1.  Briefe,  vom  5.  15.  Juli   (ohne  Ortsangabe) 
erzählt  er7  dass  unter  anderen  Herren  die  Grafen  von  Weilburg,  Wittgenstein 
und  Waldeck  mit  KurierschifF  die  Donau  abwärts  angekommen  seien  und  dass 
die  anderen  bald  folgen  würden.     (Die  Hochzeit  verlief  schnell,  und  der  Kur- 
fürst ging  schon  am  anderen  Morgen  zur  Armee  ab.)    An  demselben  Tage  seien 
auch   die  kurkölnischen  Söldner   eingetroffen.     Der   2.   Brief  vom   12./22.  Juli 
meldet  die  Ankunft  mit  der  Equipage  im  Lager  vor  Neuhäusel.    Der  Graf  von 
Waldeck  (den  die  fränkischen  Kreistruppen  begleiteten)   habe    sich    sofort    zur 
Armee  begeben  und  die  Approchen  besichtigt,  die  bis  an  den  Wall  vorgerückt 
waren.     Es  ging  das  Gerücht,   dass  der  Seraskier  (Ibrahim  „der  TeufeP)   mit 
60000  Mann   diesseits  Novigrad   stehe  und   dass   der  Herzog   mit   dem  Heere 
dem  Feinde  entgegengehen  solle.  (Das  war  thatsächlich  der  Fall.    Am  14./24. 
bestätigte  der  streifende  Oberst  Heissler  die  Nachricht,  meldete  auch,  dass  der 
Pascha  von  Ofen   zum   Entsatz  Neuhäusels   rüstete.     Am   selben   Tage   gegen 
Abend  fielen  die  Türken   gegen  die  schwäbischen  Truppen  aus,    überraschten 
sie  und  fügten  ihnen  vielen  Schaden  zu.)    Der  3.  Brief  vom  21./31.  Juli  meldet 
von  einem  erfolgreichen  Ausfall  der  Belagerten  am  19.  29.  (an  den  beiden  vor- 
hergehenden Tagen  waren  gleichfalls   Gefechte   vorgefallen).     Sie  steckten  mit 
Blitzpfeilen  die  Galerieen  in  Brand  und  verbrannten  die  bayerischen  Schanzen. 
Die  Belagerer  hatten  den  Festungsgraben  angestochen,   sodass  das  Wasser  an 
einer  Stelle  stromweise  abfloss;  doch  gelang  es  den  Türken  die  Stellen  wieder 
zu  verstopfen.    (Eine  Aufforderung  zur  Übergabe  beantwortete  der  Pascha  damit, 
dass  er  sagte,   die  Schlüssel  zur  Festung   seien   in    Ofen;   dort  möge  man  sie 
holen.     Am  folgenden  Tage  20. '30.  Juli   erschien  der   Seraakier  mit  gesamter 
Macht  vor  Gran    und  begann   sofort  dessen  Einachliessung.     Verteidigt   wurde 
die  Festung   durch   den   Oberstlieutenant   von    Strasser.      So   erlebte   man   die 
merkwürdige    Thatsache,   dass   zwei   grosse   feindliche   Armeen    zwei    nahe   bei 
einander  liegende  Festen  umlagerten,  weil  jede  der  letzteren  für  den  feindlichen 
Teil  von  Wichtigkeit  war.     Und  jede   ward   mit   Heldenmut   gegen    die   Über- 
macht verteidigt.)     Im  4.  Briefe  vom    25.  Juli  (4.  August)    berichtet  Heybach 
über   einen   neuen   Ausfall   der   Türken    aus    Neuhäusel.     Sie  säbelten   (am  2.) 
50  Mann   der  Arbeiter   nieder.    (Dabei   wurde   auch   der  General   de  Souches 
schwer  verwundet,    als  er  die  neu  hergestellten  bayerischen  Batterieen  besah.) 
Am  folgenden  Tage  kam  der  Oberst  Bernstoss  an,  begab  sich  mit  dem  Herzuge 
von  Neuburg  in  die  Approchen  und  wurde  sofort  erschossen.     Täglich  blieben 
viele  Soldaten.    Aber  mit  der  Beschiessung  ging  es  jetzt  nachdrücklicher  voran, 


39 

zumal  eine  Batterie  von  zwanzig  Stücken  errichtet  worden  war.  Der  5.  und 
letzte  Brief  ist  am  2,/12.  August  geschrieben  und  berichtet  von  der  Einnahme 
Wischegrads  durch  die  Türken,  31.  Juli  (10.  August).  Sie  umlagerten  diese 
Festung  mit  15000  Mann,  forderten  sie  zur  Ergebung  auf,  Hessen,  als  diese 
verweigert  ward,  eine  Mine  springen,  die  Bresche  legte.  Die  beiden  ersten 
Stürme  wurden  abgeschlagen;  beim  dritten  fiel  die  Stadt.  Der  Pascha  Hess 
die  Besatzung  frei  abziehen  und  bis  zur  Armee  bei  Gran  convoyieren. 

Das  blutige  Drama   bei  Neuhäusel  und  Gran   nahte  seinem  Ende.     Vom 
Kaiser    und  dem  Kriegsrate  erhielt  Herzog  Karl  den  Befehl,   den  Türken  ent- 
gegenzurücken.    Bei  Komorn    setzte   er  über  die  Donau,    ein  Korps  vor  Neu- 
häusel zurücklassend.    Dies  veranlasste  Ibrahim  Scheitan,  die  Belagerung  Grans, 
die  ihm  schon    3000  Janitscharen   gekostet   hatte,    aufzuheben    und    eine   feste 
SteUung  hinter  einem  grossen  Moraste   zwischen  dem  Gebirge   und  der  Donau 
einzunehmen.  Hier  war  er  unangreifbar,  das  sahen  die  ihm  in  Schlachtordnung 
gegenüber  aufmarschierten  Christen  wohl.     Man  suchte  durch  einen  verstellten 
Rückzug  den  siegesgewissen  türkischen  Feldherrn    aus  seiner  Stellung  heraus- 
zulocken,   und  er  ging  wirklich  in  die  Falle.     In   der  Nacht   vom  5.  15.   zum 
6./ 16.  August  hatte  er  die  Kühnheit,  den  weichenden  Christen,   die  er  für  nur 
20000  Mann  stark  hielt,    über   den  Morast   nachzusetzen    und  dieselben  anzu- 
greifen.    So  entspann    sich  die  Schlacht  bei  Gran,    die  um  die  Mittagszeit  des 
6./16.   mit  der  völHgen  Niederlage   und   Auflösung   der    Türken   endigte.     Der 
Seraskier  wurde    verwundet   und  verlor    5000  Mann,   während  die   siegreichen 
Christen  nur  etwa  100  Tote  zu  beklagen  hatten.    Das  besiegelte  das  Schicksal 
Neuhäusels.    Trotzdem  ihm  der  Grossherr  mit  Übersendung  der  seidenen  Schnur 
gedroht    hatte,   wenn    er   sich   nicht   hielte,    hatte  der  Pascha,    der   mit   seinen 
Leuten  schrecklich  Hunger  litt,    doch  die  Übergabe  gegen  freien  Abzug  ange- 
boten.   Das  wurde  ihm  abgeschlagen.    Am  l./U.  erneuerte  man  die  Galerieen; 
am  6./16.  rekognoscierte   ein  kühner  bayerischer  Grenadier  die  Schanzen   und 
fand  sie  schwach  besetzt,    so  dass  für  den   7./17.  der  allgemeine  Sturm  vorbe- 
reitet  wurde.     Es   trat   aber  Regenwetter    ein,   und  das    veranlasste   die   Ver- 
schiebung der  Dispositionen.    Am  8./ 18.  kam  von  Gran  ein  Schiff  mit  Türken- 
kößfen  an,    die   man    zum   Schrecken    der  Belagerten   rings   um    die  Stadt   auf 
Stangen  aufsteckte.    Dann  begann  am  9./19.  August  der  Sturm  auf  Neuhäusel 
unter   Führung   des   Generals   Grafen   Scharfenberg    (Kaiserliche,   Lüneburger, 
j    Schwaben)  und  des  Generalwachtmeisters  Rumel  (KaiserHche,  Kölner,  Bayern, 
Franken).     Der  Graben  war  mit  Faschinen  gefüllt,    und   bis  zur  Bresche  war 
ein  Damm  geführt  worden.  Die  entkräftete  Besatzung,  die  sich  kaum  zu  wehren 
vermochte,   wurde,    trotzdem   sie   die   weisse   Fahne   aufgesteckt  hatte,    nieder- 
gehauen.    Von   3000   blieben   nur    200  übrig,   meistens  türkische  Frauen   und 
Kinder,  die  an  kaiserliche  Kavaliere  verkauft  wurden.     Der  Pascha  fiel;   seine 
grosse  Fahne  (18:10  Fuss  gross),   93  Kanonen,   200  Centner  Pulver  u.  a.  m. 
wurden  erbeutet.^) 

Graf  Georg  August   nahm   an    der   Belagerung   Neuhäusels   und   an   der         / 
Schlacht    bei   Gran    thätigen    Anteil.-)     Eine    Zeitlaug    scheint    in    Idstein    ein 

')  S.  Anhang  6^^^^~^S.  Anhang  4, 


40 

falsches  Gerücht  von  seinem  Tode  verbreitet  gewesen  zu  sein,  weshalb  er  sich 
veranlasst  sah,  zwischen  dem  4.  und  5.  Schreiben  Heybachs  selbst  einen  Brief 
an  den  Kanzleidirektor  Graff  zu  richten.^) 

Inwieweit  der  Graf  noch  an  den  folgenden  Kriegsereignissen  dieses  Jahres 
beteiligt  war,  ist  aus  den  Akten  nicht  ersichtlich.  Wahrscheinlich  kehrte  er 
bald  nach  dem  Falle  von  Neuhäusel  heim.  Wir  verlassen  mit  ihm  die  magyarischen 
Ebenen,  nur  noch  bemerkend,  dass  noch  im  Jahre  1685  Essegg  erobert  wurde, 
die  Türken  Novigrad  und  Wischegrad  räumten  und  die  Unterwerfung  Ungarns 
durch  die  Einnahme  von  Eperies  und  Kaschau  ihren  Anfang  nahm.  Vollendet 
wurde  sie  nach  der  Erstürmung  von  Ofen  (1686)  durch  die  Entscheidungs- 
schlacht von  Mohacz  (2./12.  Aug.  1687),  obwohl  der  Türkenkrieg  noch  zwölf 
Jahre  währte.  Der  Bluttag  von  Eperies  lieferte  das  magyarische  Königreich 
dem  habsburgischen  Herrscher  auf  Gnade  und  Ungnade  in  die  Hände. 

Ein  Jahr  darauf  drohte  dem  Reiche  eine  andere  Gefahr  durch  die 
Eroberungssucht  des  französischen  Königs.  Bekanntlich  begann  damals  Lud- 
wig XIV.  den  dritten,  sogenannten  orleansschen  Raubkrieg  (1688 — 97).  Es  würde 
uns  zu  weit  führen,  wenn  wir  denselben  bis  ins  einzelne  verfolgen  wollten. 
Er  hat  hier  nur  insofern  für  uns  Interesse,  als  Fürst  Georg  August  an  dem- 
selben beteiligt  war.  (S.  Anhang  4.)  Er  hat  die  Feldzüge  von  lö92  und  1693 
in  Brabant  mitgemacht,  jetzt  also  27,  bezw.  28  Jahre  alt.  In  den  Nieder- 
landen standen  sich  damals  der  König  von  Frankreich  und  der  von  England, 
Wilhelm  von  Oranien,  gegenüber.')  Wilhelm  III.  war  kein  unbegabter  mili- 
tärischer Heerführer;  es  scheint  ihm  aber  das  Glück  nicht  beigestanden  zu 
haben,  und  Glück  muss  man  als  Feldherr  haben,  das  sagt  sowohl  Cäsar  wie 
auch  der  grösste  Heerführer  dieses  Jahrhunderts.  Der  König  gebot  ausser 
seinen  englischen  und  holländischen  Truppen  auch  über  die  Reichskontingente 
von  Bayern,  Sachsen,  Hessen,  Brandenburg  und  Braunschweig-Wolffenbüttel. 
Der  Reichsgeneral,  Generalfeldmarschall  Fürst  von  Waldeck,  der  1690  bei 
Fleurus  eine  schwere  Niederlage  erlitten  hatte,  spielte  in  diesen  kommenden 
Feldzügen  keine  Rolle  mehr;  er  starb  Ende  1692.  Wem  auf  alliierter  Seite 
Georg  August  zugeteilt  war,  ist  nicht  bekannt.  Der  Feldzug  von  1692  wurde 
von  König  Ludwig  durch  die  Belagerung  von  Naraur  eröffnet.  Geleitet  wurde 
dieselbe  durch  den  genialen  Vauban.  Acht  Tage  nach  Eröffnung  der  Lauf- 
gräben fiel  die  Stadt  den  Franzosen  in  die  Hände.  Die  höher  gelegene  Cita- 
delle  (Fort  William)  wurde  von  dem  tapferen  holländischen  Ingenieur  Menno 
van  Coehorn,  dem  späteren  Helden  des  spanischen  Erbfolgekrieges  tapfer  ver- 
teidigt, musste  aber  auch  am  20./30.  Juni,  fünfzehn  Tage  nach  Übergabe  der 
Stadt  kapitulieren.  Ludwig  begab  sich  darauf  triumphierend  nach  Hause. 
König  Wilhelm  aber,  der  sich  vergebens  zum  Entsätze  Namurs  genähert  hatte, 
versuchte  in  offener  Feldschlacht  die  Scharte  auszuwetzen.  Am  5.  August  über- 
fiel er  den  Marschall  de  Luxembourg  in  seinem  Lager  bei  Steenkerke.  Man 
schlug  sich  auf  beiden  Seiten  sehr  erbittert  und  verlor  gleichviel  Mannschaft, 
je   an  7000   Mann.     Im  Anfang   waren    die  Verbündeten  im  Vorteil,    sagt  das 


')  S.  Anhang  6'.  —  ')  Theatrum  Europaeum  X.IV.,  Jahre  1692-94. 


41 

Thcatrura  Europaeum,  „bis  dass  gegen  Abend  der  Marschall  Bouffiers  von 
seinem  Corpo  einige  Trouppen  und  Canonen  anbrachte;  dadurch  die  Brigade 
Fagel  unter  dem  Commando  des  Printzen  von  Nassau-Saarbrücken  viel  auss- 
stehen  musste."  Ohne  Zweifel  ist  unter  diesem  Printzen  von  Nassau-Saar- 
brücken Walrad  von  Usingen,  oder  Georg  August  gemeint,  wenn  hier  nicht 
ein  Druckfehler  für  Nassau- Weilburg  obwaltet,  dessen  Graf,  Johann  Ernst,  da- 
mals holländischer  Generalmajor  war.  Dagegen  kämpfte  der  eigentliche  Graf 
von  Nassau-Saarbrücken,  Ludwig  Kraft,  auf  französischer  Seite.  Die  Schlacht 
von  Steenkerke  blieb  unentschieden,  obwohl  sich  die  Franzosen  den  Sieg  in 
derselben  zuschrieben.  Ein  zerschmetternder  Schlag  traf  dagegen  die  letzteren 
in  diesem  Jahre  durch  die  Seeschlacht  bei  La  Hogue  (19. /29.  Mai  1692),  die 
Benjamin  West  durch  sein  Gemälde  verewigt  hat.  Hier  wurde  die  vierzig 
Segel  starke  französische  Flotte  unter  Admiral  Tourville  von  der  englisch- 
niederländischen  unter  Rüssel  und  van  Almonde  vollständig  vernichtet. 

Der  Feldzug  von  1693  fand  den  Marschall  de  Luxembourg  in  der  Offen- 
sive gegen  König  Wilhelm.  Der  französische  Oberbefehlshaber  eroberte  die 
Festung  Huy  und  griff  am  19./29.  Juli  den  Gegner  in  dessen  befestigtem  Lager 
bei  Landen  und  Neerwinden  an.  Es  begann  hier  eine  mörderische  Schlacht.  Den 
Schlüssel  zur  Stellung  der  Verbündeten  bildete  das  Dorf  Neerwinden  auf  dem 
rechten  Flügel  der  letzteren.  Zweimal  nahmen  es  die  Franzosen,  die  übrigens 
in  starker  Übermacht  sich  befanden,  zweimal  verloren  sie  es  wieder,  bis  endlich 
nachmittags  der  dritte  Sturm  gelang.  Wilhelm  verfuhr  sehr  umsichtig,  aber 
seine  Reiterei  war  schuld,  wenn  er  keine  Erfolge  errang.  Als  die  französische 
Kavallerie  aus  Neerwinden  vorbrach  und  auf  das  wankende  Fussvolk  der  Ver- 
bündeten einhieb,  Hess  der  König  die  seinige  sich  dem  Ungestüm  der  Feinde 
entgegenwerfen;  sie  wich  aber  sofort.  In  grösster  Eile  zog  darauf  Wilhelm 
sechs  Bataillone  Fussvolk  aus  den  Laudener  Schanzen  auf  dem  linken  Flügel 
herüber.  Die  dort  entstandene  Lücke  ersah  das  geübte  Auge  des  französischen 
Feldherrn;  durch  einen  gewaltigen  Sturm  Hess  er  auch  hier  die  feindliche 
Stellung  durchbrechen,  worauf  sich  das  verbündete  Heer  in  wilde  Flucht  auf- 
löste. Das  Lager  mit  75  Kanonen  und  66  Fahnen  fiel  den  Franzosen  in  die 
Hände;  die  Besiegten  verloren  12000  Mann.  In  der  Schlacht  bei  Neer- 
winden war  es  (s.  Anhang  4),  in  welcher  dem  Fürsten  Georg  August  ein 
Pferd  unter  dem  Leibe  erschossen  wurde,  worauf  er  sich  auf  dem  Pferde  des 
Sattelknechts  aus  dem  Getümmel  rettete.  Er  focht  auch  hier  mit  seinem  Vetter 
Johann  Ernst  von  Weilburg  gegen  den  anderen  Vetter  Ludwig  Kraft  von 
Saarbrücken. 

In  demselben  Jahre  errang  Ludwigs  Feldherr  Catinat  in  Italien  bei 
Marsaglia  (4./ 14.  Oktober)  einen  Sieg  und  konnte  in  Deutschland  der  kaiser- 
liche Obergeneral  Markgraf  Ludwig  von  Baden  keine  nennenswerten  Erfolge 
erzielen.  Aber  auch  die  Krafl  der  Franzosen  erschöpfte  sich.  Und  der  kriegs- 
geübte Marschall  de  Luxembourg  starb  bald  nach  seinem  letzten  Siege.  In 
den  Jahren  1694  bis  1696  wurde  der  Krieg  nur  lässig  geführt;  zu  Anfang 
1697  begann  König  Karl  von  Schweden  den  Frieden  zu  vermitteln.  Zu  Rys- 
wijk,  einem  Dorfe  in  der  Nähe  des  Haag,  fingen  im  April  letztgenannten  Jahres 


42 

die  Friedensunterhandlungen  an,  an  denen  auch  die  naasauischen  Grafen  thäfcigen 
Anteil  nahmen.^)  Namentlich  war  es  der  Generalfeldmarschall  Fürst  Walrad 
von  Usingen,  der  die  Sache  seines  Hauses  energisch  vertrat.  Im  Dezember 
1694  schon  hatten  Usingen,  Weilburg  und  Idstein  eine  Hauskonferenz  abge- 
halten und  die  Intervention  Schwedens  einzuholen  beschlossen,  damit  alle  dem 
Hause  Nassau  von  den  Franzosen  weggenommenen  Besitzungen  zurückerstattet 
würden.  Wegen  der  Grafschaft  Sponheim  glaubte  man  an  dem  Markgrafen 
Ludwig  von  Baden,  der  Mitbesitzer  derselben  war,  eine  einflussreiche  Stütze 
zu  haben;  auch  in  den  anderen  Fällen  mochte  dieser  hilfreich  sein.  Ausser- 
dem vertraute  man  dem  Kurfürsten  von  der  Pfalz,  obwohl  Fürst  Walrad  einen 
geheimen  Widerwillen  gegen  diesen  Enkel  eines  „Renegaten"  nicht  verhehlen 
konnte.  Zur  nachdrücklicheren  Wahrung  der  Hausrechte  wurde  ein  besonderer 
gemeinsamer  Vertreter,  der  Weilburger  Rat  Ludwig  Johann  von  Savigny,  nach 
Ryswijk  entsandt.  Georg  August  und  Johann  Ernst  waren  anfangs  gegen  die 
Abordnung  aus  pekuniären  Gründen.  Walrad  aber  betonte  die  Notwendigkeit 
unter  Hinweis  darauf,  dass  ehedem  zu  Münster  und  Osnabrück  drei  nassauische 
Gesandte  an  den  Verhandlungen  teilgenommen  hätten,  so  nachdrücklich,  dass 
sich  die  Vettern  fügten.  Die  Franzosen  hatten  die  Städte  und  Dürfer  Saar- 
brücken, Saarwerden,  Ottweiler,  Homburg,  Kirchheim,  Stauf  und  Herbizheim 
„reuniert"  und  katholisiert ;  Savigny  wurde  beauftragt  diese  Bestimmungen 
rückgängig  machen  zu  lassen.  Seine  Stellung  wurde  noch  einflussreicher,  als 
ihn  auch  die  Protestanten  des  Oberrheinkreises  zu  ihrem  Vertreter  wählten, 
damit  er  mit  dem  katholischen  zugleich  dahin  wirke,  dass  in  seinem  Mandat- 
gebiete die  ehemaligen  politischen  und  religiösen  Zustände  wiederhergestellt 
würden.  Trotzdem  dauerte  es  noch  bis  zum  August,  ehe  Savigny  nach 
Ryswijk  abging,  wo  unterdessen  Walrads  spezieller  Rat  Gramer  mit  seiner 
Vertretung  beauftragt  war.  In  Koblenz  hatte  der  Gesandte  eine  Unterredung 
mit  dem  Erzbischofe  von  Trier,  Johann  Hugo  von  Orsbeck,  und  anderen  Häuptern 
des  Oberrheinkreises,  die  ihm  namentlich  ans  Herz  legten,  dahin  zu  trachten, 
dass  Luxemburg  nicht  bei  Frankreich  bleibe,  sondern  an  Spanien  zurückkomme. 
In  Düsseldorf  empfing  er  Empfehlungsbriefe  des  Kurfürsten  Johann  Wilhelm 
von  der  Pfalz  an  dessen  Gesandten,  Baron  von  Wieser,  und  an  den  kaiserlichen 
Abgeordneten.  Savigny  führte  ein  ausführliches  Verzeichnis  der  zurückverlangten 
Reunionen  mit  sich.  Anfangs  September,  als  der  oberrheinisch-nassauische 
Gesandte  zu  Ryswijk  ;vnkam,  war  unter  den  alliierten  Bevollmächtigten  eine 
Spaltung  entstanden.  Holland  und  England  kam  es  hauptsächlich  darauf  an, 
dass  Wilhelm  von  Oranien  als  König  von  England  anerkannt  würde.  Sie 
unterstützten  daher  die  Forderung  der  deutschen  Reichsstände,  welche  die 
Rückgabe  aller  Reunionen  verlangten,  schwach,  als  Ludwig  sich  weigerte  den 
Elsass  mit  Strassburg  zurückzuerstatten.  Die  Deutschen  waren  darüber  ent- 
rüstet, und  Katholiken  wie  Protestanten  schienen  eine  Zeitlang  ernstlich  ent- 
schlossen den  Krieg  wieder  aufzunehmen.  Doch  wurde  man  nachgiebiger,  als 
England,    Holland    und   Spanien    wirklich   am    10.  20.   September   Frieden   mit 


'j  Vergl.  auch  Moaiel  iSchliephake),  Geschichte  von  Nassau,  VII,  S,  53  IT. 


43 

Frankreich  schlössen.  Herr  von  Savigny  aber  wurde,  als  er  an  den  Verhand- 
lungen teilnehmen  wollte,  von  den  Kurfürsten  von  Mainz,  Sachsen  und  Branden- 
burg abgewiesen,  weil  der  oberrheinische  Kreis  nicht  zum  Wiener  Bunde  von 
1689  gehöre,  weil  der  Gesandte  nicht  zur  Reichsdeputation  abgeordnet  sei, 
welche  die  Angelegenheiten  zu  führen  hatte,  und  weil  die  Evangelischen  gegen 
seine  Zulassung  protestierten.  Indes  blieb  der  also  Zurückgesetzte  im  Haag 
und  versuchte  indirekt  durch  Kurpfalz  und  andere  Mitglieder  der  Deputation, 
welche  dem  Hause  Nassau  gewogen  waren,  für  letzteres  zu  wirken.  Es  wurde 
ihm  das  um  so  leichter,  als  der  Künig  von  Frankreich  endlich  geneigt  schien, 
alle  Reunionen  ausser  dem  Elsass  und  Strassburg  herauszugeben.  Wirklich 
wurden  im  Friedenstraktat  vom  20.  '30.  Oktober  1697  unter  den  namentlich  ange- 
führten, dem  Reiche  zurückgestellten  Gebietsteilen  als  No.  6  die  entzogenen 
Länder  der  Grafen  von  Nassau  (mit  Leiningen  und  Hanau  und  den  „übrigen 
Reichsständen")  genannt.  Eine  Ausnahme  davon  machte  die  saarbrückische 
Festung  Homburg,  auf  welche  Lothringen  seit  1670  das  Pfandrecht  vom  Reiche 
wegen  von  demselben  versprochener  140000  Reichsthaler  hatte.  Im  Ryswijker 
Frieden  wurde  trotz  der  energischen  Gegenvorstellung  des  Fürsten  Walrad  von 
Nassau-Usingen  Homburg  dem  Herzoge  von  Lothringen  eigentümlich  zuge- 
sprochen, unter  der  Bedingung,  dass  die  Festungswerke  geschleift  würden.  Im 
allgemeinen  kam  also  das  Nassauer  Haus  wieder  zu  seinen  Rechten,  und  das 
war  hauptsächlich  dem  einmütigen  Zusammenwirken  der  drei  Vettern  und 
Herren  der  rechtsrheinischen  Besitzungen  zu  danken,  daneben  aber  auch  der 
Gewandtheit  und  Zähigkeit  des  Herrn  von  Savigny.  Derselbe  reiste  Anfang 
Novembers  vom  Haag  ab  und  kam  am  12./22.  in  Frankfurt  an,  wo  er  am 
l./ll.  Dezember  dem  Direktorium  des  oberrheinischen  Kreises  von  seinen  Be- 
mühungen, die  indirekt  so  vielen  Erfolg  hatten,  Mitteilung  machte.  Der  Bericht 
an  das  Kreisdirektorium  ist  von  ihm  genau  bis  ins  einzelne  ausgearbeitet  wor- 
den und  lässt  einen  Einblick  thun  in  das  ausgebildete  Diplomatenwesen  der 
damaligen  Zeit,  nicht  weniger  aber  auch  in  die  Erbärmlichkeit  der  eifersüch- 
telnden  Stände  des  „heiligen  römischen  Reiches  deutscher  Nation". 

Der  dritte  Raubkrieg  brachte  auch  unserer  engeren  Heimat,  der  Graf- 
schaft Nassau-Idstein,  mancherlei  Ungemach,  und  dies  war  wohl  mit  der  Grund, 
dass  Fürst  Georg  August  den  Krieg  anfangs  nicht  mitmachte,  sondern  inmitten 
seiner  Unterthanen  verblieb.  Die  Nähe  der  Festung  Mainz  wurde  für  die 
nassauischen  Gebiete  gefährlich.  Als  am  15.  Oktober  (n.  St.)  1688  der  Marquis 
von  Bouffiers  mit  einem  Heere  vor  die  Stadt  rückte,  kapitulierte  zwei  Tage 
darauf  der  Kurfürst-Erzbischof  Anselm  Franz  von  Ingelheim  gegen  freien  Abzug 
seiner  Truppen  und  Sicherung  seines  Eigentums  wie  des  geistUchen  überhaupt. 
Mainz  erhielt  eine  französische  Besatzung,  und  diese  begann  sofort  die  Festung 
auszubauen  und  zu  verstärken.  In  den  umliegenden  Gebieten  wurden  Fronen 
ausgeschrieben,  und  als  der  Aufforderung  nicht  sofort  Folge  geleistet  wurde, 
ergriff  man  Repressalien.  Schlimmer  als  den  Bewohnern  der  Herrschaft  Wies- 
baden, erging  es  denen  des  Rheingaues,  die  doch  mainzische  Unterthanen  waren. 
Sie  mussten  im  Schwcisse  ihres  Angesichtes  für  die  Fremdlinge  an  den  Werken 
schanzen  und  die  Pallisaden  in  den  Wäldern  selbst  fällen.     Sie    brachen  auch 


44 

in  die  der  Herrschaft  Wiesbaden  ein,  um  sich  Material  zu  holen.    Im  nächsten 
Frühjahre  rückte  das  kaiserliche  Heer  unter  Herzog  Karl  von  Lothringen  herbei 
und  bezog  im  Mai  1689"  bei  Mosbach  und  Erbeoheim  Lager. ^)    Wiesbaden  er- 
hielt  vom   Herzoge   einen    Salvaguardiabrief,    der   es    von    „aller    eigenthätigen 
Einquartierung  auch   anderen   Krigs    executionen,   sonderlich  aber  mit  brandt- 
schatzung,  raub  und  plünderungen  oder  anderen  gewaltthätigkeiten   und  straff- 
massigen  Insolentien  gäntzlich  zu  verschonen"  befahl.   Dessenungeachtet  mussten 
die  Bewohner  die  Kaiserlichen  bei  der   nun    folgenden   Belagerung   von  Mainz 
in  jeder  Weise  unterstützen.     Hunderte  von  Männern  wurden  gezwungen,  ent- 
weder als  Arbeiter  ins  Lager  zu  gehen   oder  Holz  in   den  Wäldern   zu  fällen 
und  zu  verschaffen.     Überdies  mussten  Fuhren  gestellt,  Lebensmittel,  Heu  und 
Stroh  in  Menge  geliefert  werden.     Am  9.  September  (n.  St.)  1689  wurde  Mainz 
von  den  Deutschen  durch  Überfall  erobert,  und  sofort  begann  man  die  Demo- 
lierung der  von  den  Belagerern  errichteten  Werke.     Dazu  wurden  wieder  eine 
Menge  Bauern  aus  dem   Amte   Wiesbaden   verlangt,   die  noch  dazu  ihr  Gerät 
selbst  mitbringen  mussten.     Auch  den  Unrat   in  den  Strassen   von  Mainz,    den 
die  Franzosen  zurückgelassen  hatten,  sollten  sie  fortschaffen  helfen.    Ausserdem 
wurden  sie  beim   Ausbau   der  Mainzer  Verschanzungen   mitverwandt.     In  den 
folgenden    Jahren    folgten    viele   Truppendurchmärsche    und    Einquartierungen, 
wobei  man  die  Offiziere  und  Soldaten  durch  Geschenke  auf  gutem  Fusse  halten 
musste.     Dies  dauerte  bis  1695.     Daneben  trieb   sich   allerlei  Gesindel,  Land- 
streicher, Räuber  u.  s.  w.  in  der  Grafschaft  umher.    Da  die  gräflichen  Truppen 
meist  durch  den  Krieg  in  Anspruch  genommen  wurden,  so  ordnete  Fürst  Georg 
August   schon  im   Jahre   1687  die  Bildung  von  zwei  Kompagnien  „Landaus- 
schuss"    zu  je   100   Mann   an.^     Das  Amt    Wiesbaden   stellte   dazu  80,  "Sie 
Stadt  30  über  15  Jahre  alte  ledige  Burschen.    Für  die  Unterhaltung  derselben 
hatte  das  Land  aufzukommen.     Aus  diesem  Ausschuss  bildete  sich  nachher  die 
stehende  Landmiliz  mit  sechs,  später  vier  Dienstjahren.    Sie  besorgte  die  Wachen 
und  veranstaltete  Streifzüge  gegen  die  Friedensstörer.    Zur  Beschaffung  ^^eich- 
mässiger  Hüte  und  Strümpfe  für  diese  Sicherheitswächter  waren  die  Gemeinden 
gehalten  1  Gulden  für  den  Kopf  zu  zahlen.     Im  Notfalle  wurden  zur  Abwehr 
von  Banden   sämtliche  männliche  Einwohner,   welche  Waffen  tragen   konnten, 
aufgeboten.     Im  Jahre  1718  erst,  also  dreissig  Jahre  nach  Errichtung  des  Land- 
ausschusses, bildete  sich  in  Wiesbaden  aus  den  wehrhaften  und  wachepflichtigen 
Einwohnern  eine  Bürgerkompagnie,  welche  zwei  Offiziere  hatte,   einen  Kapitän 
und  einen  Lieutenant,  dazu  einen  Fähnrich.     AlljährUch  hielt  diese  Kompagnie 
vier  (später  zwei)  Übungsfeste  ab.     Für  Streifzüge  in  die  Umgebung  wurden 
Offiziere  und  Mannschaften  besonders  bezahlt,   ebenso  für  die    Teilnahme    an 
Exekutionen.     Bei  Hinrichtungen  nahmen  die   Offiziere    und  Unteroffiziere    an 
der  "„^Blutzeche"    teil,    welche  im  herrschaftlichen   Gasthause    „Zum    Einhorn« 
stattfand.     So   primitiv   die  Einrichtung   dieser   Landmiliz   war,   so    scheint    sie 
sich  doch  gut  bewährt  zu  haben,  und  man  rauss   dem  Eifer  und  der   Einsicht 
des  jungen  Grafen  alle  Achtung  widerfahren  lassen,  dass  er  an  die  Errichtung 

')  Heunes,  Belftijeruii-  v.  Mainz  1689.  -  »)  Th.  Schüler,  ^Wiesb.  Tat^bl."  No.  35,  1883. 


45 

eines  „stehenden  Heeres"  dachte.  Ein  Glück  war  es,  dass  sich  in  den  be- 
wegten Zeiten  die  schrecklichen  Ereignisse  von  vor  fünfzig  Jahren  nicht 
wiederholten. 

Noch  während  der  Verhandlungen  zu  Ryswijk,  auf  denen  die  äusseren 
Verhältnisse  des  nassauischen  Landes  ihre  Regelung  fanden,  richtete  Fürst 
Georg  AugijLst  sein  Augenmerk  auf  die  inneren  Angelegenheiten  des  Gesamt- 
hauses.^)  Die  Bestimmungen  des  „Gothaer  Recesses"  von  1651  waren  nur 
teilweise  in  Ausfuhrung  gekommen,  und  zwar  aus  dem  Grunde,  weil  das  Reichs- 
kammergericht im  Jahre  1682  entschieden  hatte,  dass  die  Agnaten  des  nassau- 
ischen Hauses  sich  durch  Verträge  untereinander  selbst  vergleichen  sollten. 
Man  konnte  sich  nicht  einigen,  und  die  folgenden  bewegten  Zeiten  boten  keinen 
Raum  dazu.  Am  9./19.  Juni  1697  aber  liess  Georg  August  seinen  Vettern* 
eine  Denkschrift  zugehen,  in  welcher  er  die  Forderungen,  zu  denen  er  sich 
berechtigt  glaubte,  aufstellte  und  begründete.  Er  verlangte  1)  für  den  Schaden, 
der  ihm  durch  die  Verpfandung  der  Herrschaft  Lahr  (in  Baden)  an  das  be- 
nachbarte Baden-Durlach  als  Erben  der  Geroldsecker  Schuld  seit  1659  er- 
wachsen war,  300000  Gulden  als  Ersatz,  2)  eine  Entschädigung  für  die  Aus- 
lagen, welche  sein  Vater  vier  Jahrzehnte  hindurch  als  Direktor  der  gesamten 
Hausinteressen  gemacht,  zugleich  zur  Begleichung  der  im  Recess  bewilligten 
Gelder  für  den  Idateiner  Schlossbau,  3)  die  Richtigstellung  der  Rechnungen 
über  Saarwerden,  Herbizheim  und  Homburg  für  die  Jahre  1671 — 80,  4)  die 
Revision  der  Familienpakten  „mit  Rücksicht  auf  die  jetzigen  Laufte  und  Zeiten." 
Direkt  verlangte  Idstein  von  Saarbrücken  Anweisung  der  im  Recess  bestimmten 
100  Gulden  jährlicher  Renten,  die  bisher  noch  nicht  bezahlt  worden  waren, 
dann  Rechnungsablage  über  die  dem  Grafen  Wilhelm  Ludwig  seit  1629  zur 
Verwaltung  überlassenen  Gebiete  der  beiden  jüngeren  Brüder  desselben,  Ernst 
Casimir  und  Otto,  ferner  den  dritten  Teil  des  vom  Grafen  Otto  hinterlassenen 
Silbergeschirres  und  endlich  Rechnungsablage  und  Entschädigung  von  Ottweiler 
wegen  Saarwerden,  Herbizheim  und  Homburg  für  die  Jahre  1681  —  1697.  Diese 
Forderungen  enthielten  nichts  Unbilliges;  aber  keiner  der  Agnaten  wollte  auf 
Bewilligung  derselben  eingehen.  Georg  August  brachte  daher  die  Angelegenheit 
vor  den  Reichsbofrat,  in  welchem  teilweise  noch  die  Männer  sassen,  die  sich 
ihm  vor  vierzehn  Jahren  bei  Erteilung  der  venia  aetatis  so  geneigt  gezeigt 
hatten.  Wirklich  bestimmte  der  Rat  am  12./22.  August  1698,  dass  Herzog 
Friedrich  IL  von  Sachsen-Gotha  (1691—1732),  Friedrichs  L  (s.  o.)  Sohn,  die 
Sache  untersuchen  und  begleichen  sollte.  Man  hielt  sich  in  Wien  doch  nicht 
für  massgebend  genug,  selbst  in  der  wichtigen  Sache  zu  entscheiden. 

Walrad  von  Usingen  veranlasste  im  Hinblick  auf  diesen  Bescheid  eine 
Konferenz  der  sechs  übrigen  Glieder  des  Hauses  Saarbrücken  am  3.  März  1699 
zu  Usingen.  Hier  verbanden  sich  die  Grafen  zur  Aufrechthaltung  ihres  seit- 
herigen Besitzstandes  und  zum  Widerstände  gegen  Idstein.  Nun  trat  aber 
auch  Graf  Johann  Ernst  von  Weilburg  am  16.  Juni  (n.  St.)  1699  mit  einer 
Gegenschrift  hervor,  da   die  Saarbrücker  in  ihrer  schriftlich   aufgestellten   Be- 


*)  Vergl.  auch  die  übereinstimmenden  Darstellungen  Menzels,  VII,  S.  G5  ff. 


46 

schwerde  angaben,  sowohl  von  Idstein  wie  von  Weilburg  benachteiligt  zu  sein. 
Er  verlangte  1 )  die  Nichtigkeitserklärung  der  von  Idstein  einseitig  nachgesuchten 
Konfirmation  der  Fürstenwürde,  2)  die  Ablegung  der  Rechnungen  der  Yor- 
mundschaft  und  Administration  seitens  Saarbrücken,  bezw.  Idstein  für  die 
Jahre  1629 — 51,  3)  gleichmüssige  Rechnung  über  das  verkaufte  Silbergeschirr, 
über  die  gemeinschaftlichen  Gefälle  der  Grafschaft  Saarwerden  und  des  Amtes 
Homburg  und  über  die  200  Gulden  jährlicher  Rente,  die  nach  dem  Recess  auf 
Weilburg  entfallen  sollten,  4)  Ersatz  für  den  durch  die  Reunionen  der  Amter 
Kirchheim  und  Stauf  entstandenen  Schaden,  5)  gleichmässige  Verteilung  der 
gemeinschaftlichen  Schulden  und  6)  zeitgemässe  Revision  der  Familienpakten. 
Daraufhin  wollten  alle  acht  Herren  am  10./20.  Juni  zu  Frankfurt  zur  Beratung 
'zusammenkommen.  Fürst  Walrad  war  zuerst  da;  die  andern  sandten  ihre 
Räte.  Auf  die  heftigen  Vorwürfe  des  Usingers,  dass  man  mit  „Bedienten" 
verhandeln  müsse,  kamen  auch  Georg  August  von  Idstein,  Ludwig  Kraft  von 
Saarbrücken  und  Friedrich  Ludwig  von  Ottweiler  am  14./24.  an.  Johann  Ernst 
von  Weilburg  entschuldigte  sich  mit  einer  Kur,  die  er  erst  beenden  müsse, 
verlangte  auch  ausdrücklich  die  Beseitigung  des  Rangstreites  zwischen  den 
fürstlichen  und  gräflichen  Gliedern  des  Hauses.  Die  beiden  Fürsten,  Walrad 
und  Georg  August,  aber  bestanden  vor  allem  darauf  als  solche  anerkannt  zu 
werden,  und  da  die  anderen  dem  widerstrebten,  so  konnte  die  Konferenz  im 
voraus  als  vergeblich  bezeichnet  werden.  Georg  August  schlug  zuerst  einen 
Schiedsrichter  vor,  was  von  dem  Weilburger  Gesandten  als  zu  weitläufig  ver- 
worfen wurde;  dann  machte  er  den  Vorschlag,  die  Angelegenheit  ohne  Weil- 
burg zu  ordnen,  stiess  aber  hierin  auf  den  Widerstand  des  Grafen  von  Saar- 
brücken. Als  auch  andere  Vorstellungen  scheiterten,  reiste  er  am  19./29.  Juni 
ab.  Tags  darauf  kam  Johann  Ernst  von  Weilburg  an,  und  nun  nahmen  die 
noch  anwesenden  Agnaten  gemeinsam  Partei  gegen  Idstein,  noch  an  demselben 
Tage.  Sie  wollten  den  Prozess  am  Reichshofrate  und  die  gothaische  Ver- 
mittelung  hintertreiben  und  ihren  Herren  Vetter  „auf  bessere  Gedanken  bringen". 
Georg  August  dagegen  wandte  sich  sofort  nach  Wien  und  veranlasste,  dass  der 
Rcichshofratsbeschluss  ausgeführt  wurde.  Der  Herzog  Friedrich  lud  darauf  die 
Herren  für  den  L/IL  Oktober  1699  nach  Gotha.  Keiner  von  denselben  er- 
schien, und  der  Prozess  begann,  um  sich  in  die  Länge  zu  ziehen. 

Erst  nach  dem  Tode  Kaiser  Leopolds  konnte  Fürst  Georg  August  bei 
Kaiser  Joseph  auf  schärfere  Verfolgung  der  Sache  dringen.  Das  Kommissarium 
des  Herzogs  Friedrich  wurde  erneuert,  und  die  Herren  von  Saarbrücken, 
Usingen,  Ottweiler  und  Weilburg  wurden  von  demselben  abermals  für  den 
28.  März  1707  nach  Gotha  geladen.  Als  die  Beklagten  das  Kommissarium 
verwarfen  und  sich  in  Gemässheit  der  Reichskammergerichtsentscheidung  von 
1682  für  einen  Ausgleich  durch  Hausvertrag  erklärten,  ordnete  der  Herzog 
unter  Billigung  des  Reichshofrats  die  Angelegenheit  kurz  und  bündig.  Am 
14.  Juli  erklärte  er,  dass  die  Forderungen  Idsteins,  betreffend  die  Entschädigung 
wegen  Lahr,  die  Bezahlung  der  Schlossbaugelder  und  der  100  Gulden  jährlicher 
Reute,  rechtmässig  und  daher  zu  bewilligen  seien.  Sofort  erhoben  die  übrigen 
Agnaten,  besonders  Johann  Ernst,   beim  kaiserlichen  Hofe  Gegenvorstellungen; 


47 

sie  fanden  aber  kein  Gehör,  und  der  Reichahofrat  bestätigte  das  Urteil  des 
Herzoo-s  von  Gotha.  Nun  wandten  sich  die  Herren  an  die  Reichdversamralung 
zu  Regen.sburg  und  zwar  mit  mehr  Glück.  Sie  fanden  die  Unterstützung  des 
Königs  von  Preussen,  der  seinen  Gesandten  so  nachdrücklich  für  sie  sprechen 
Hess,  dass  die  Reichskollegien  zu  der  Ansicht  kamen,  die  llausverträge  und 
Reichskammergerichtsbeschlüsse  seien  durch  die  Einsetzung  des  Koramissariums 
verletzt,  und  letzteres  solle  daher  aufgehoben  werden.  Das  geschah,  und  das 
Reichshofratsurteil  wurde  dadurch  entkräftet.  Nun  ruhten  die  Streitigkeiten 
einige  Zeit.  Dann,  als  die  Verhältnisse  wieder  günstiger  für  ihn  wurden,  trat 
Georg  August  von  neuem  mit  seinen  Forderungen  hervor.  Er  verlangte  als 
Entschädigung  für  seine  langjährigen  Verluste  140000  Gulden,  die  nach  seinem 
sohnlosen  Tode  seinen  Töchtern  auszuzahlen  seien,  dann  75000  Gulden  aus 
den  gemeinschaftUchen  Gefällen  der  Klöster  und  endlich  eine  Jahresrente  von 
4803  Gulden  bis  zur  Wiedereinlösung  von  Lahr.  Die  Grafen  wollten  diese 
Summen  auf  105000,  resp.  45  000  und  3000  Gulden  erniedrigen;  aber  Georg 
August  war  damit  nicht  zufrieden,  sondern  reichte  beim  Reichshofrat  abermals 
Klage  ein.  Das  vermittelnde  Direktorium  des  Oberrheinkreises  schlug  die 
Zahlen  140000,  resp.  60000  und  3000  vor;  allein  der  Fürst  blieb,  da  er  auf 
Unterstützung  in  Wien  rechnen  konnte,  nicht  nur  auf  seiner  Forderung  bestehen, 
sondern  verlangte  statt  der  75000  Gulden  aus  den  Klostergefällen  gar  150000. 
Natürlich  gingen  die  Gegner  hierauf  erst  recht  nicht  ein,  und  der  Prozess  lief 
weiter.  Die  Prozesskommission  entschied  endlich,  dass  die  von  Idstein  ver- 
langten Gelder  zu  zahlen  seien  und  gab  Georg  August  sogar  das  Recht  der 
Besetzung  und  Nutzniessung  der  Gebiete  seiner  Widerparte,  bis  die  Summen 
beglichen  wären.  Nun  versuchten  die  Agnaten  es  mit  Gegenvorstellungen  und 
nahmen  sogar  zu  Bestechungen  einzelner  Reichshofratsmitglieder  ihre  Zuflucht. 
Es  half  nichts.  Am  14.  Juni  1714  entschied  der  Rat,  dass  die  Beklagten  an 
Idstein  2G4111  Gulden  samt  5%  Verzugszinsen  (seit  1659)  für  Lahr,  10000 
Gulden  Baugelder  samt  Zinsen  (seit  1651)  und  100  Gulden  jährlicher  Rente, 
ebenfalls  samt  Zinsen  (seit  1651),  zu  zahlen  hätten.  Ausserdem  wurde  Georg 
August  das  Okkupations-  und  Nutzniessungsrecht  bestätigt,  von  welchem  dieser 
sofort  Gebrauch  machte,  indem  er  zunächst  das  weiiburgische  Amt  Reicheisheim 
und  die  weilburgischen  Gemeinschaftsteile  von  Nassau  und  andere  im  Vierherri- 
schen wegnahm,  ohne  dass  Widerstand  entgegengesetzt  wurde.  Die  Grafen  legten 
Protest  ein,  der  aber  nur  die  Bestätigung  des  Urteils  am  29.  November  1714 
zur  Folge  hatte.  Da  versuchten  sie  den  gütlichen  Weg  durch  Vermittelung 
des  Grafen  Karl  von  Wied-Runkel  in  der  Hauskonferenz  zu  Kirchheim  am 
8.  November  1715.  Es  sollten  dem  Fürsten  Georg  August,  resp.  dessen  ver- 
heirateten Töchtern  nach  seinem  Tode  Auszahlungen  in  der  Höhe  von  im  ganzen 
120000  Gulden  gemacht  und  ihm  ausserdem  3000  Gulden  jährlicher  Rente  ge- 
geben werden,  wofür  er  die  besetzten  Gebiete  herausgeben  solle.  Durch  Be- 
stechungen jn  Wien  erreichte  man,  dass  der  Reichshofrat  schwankend  wurde 
und  infolge  dessen  Georg  August  seine  Zuversicht  etwas  verlor.  Beide  Teile 
gaben  nun  nach,  und  schliesslich  kam  man,  des  nun  fast  zwanzig  Jahre  dauernden 
Prozesses   müde,    auf  der  Gegner  Seite    dahin    überein,    dass  mau  sich  einzeln 


48 

mit  Idstein  vergleichen  wolle.  Infolgedessen  kam  zunächst  zwischen  Usingen 
und  Idstein  am  11.  März  1717  folgender  Vertrag  zustande:  Idstein  erhält  ein 
Kapital  von  20000  Gulden  zu  5%  jährlich  verzinst,  aus  den  Gefallen  des 
Klosters  Rosenthal;  dessen  Restgefalle  dienen  zur  Abtragung  des  Kapitals; 
nach  der  Auszahlung  des  letzteren  fällt  das  Kloster  an  Usingen  zurück.  Der 
sechste  Teil  der  Lahrischen  Renten,  800  Gulden,  wird  auf  das  Dorf  Steinfisch- 
bach angewiesen.  Von  den  140000  Gulden,  welche  die  Töchter  Georg  Augusts 
erhalten  sollen,  verspricht  Usingen  gleichfalls  ein  Sechstel  zu  bezahlen,  und 
zwar  sollen  die  Töchter  bis  zur  Auszahlung  der  Summe  im  Genüsse  der  Herr- 
schaft Idstein  verbleiben.  Ebenso  wurde  dem  Fürsten  von  Idstein  zugestanden, 
dass  seine  Allodialerben  den  Idsteiner  Landesteil  nicht  zu  verlassen  brauchten, 
bevor  die  übrigen  fünf  Sechstel  von  den  anderen  Agnaten  (3  von  Weilburg, 
je  1  von  Saarbrücken  und  Ottweiler)  bezahlt  seien.  Es  soll  eine  jährliche  Ab- 
rechnung dieserhalb  zur  Feststellung  der  gemachten  Abschlagszahlungen  statt- 
finden. Dagegen  soll  Idstein  die  okkupierten  usingischen  Dörfer  Rödelbach, 
Finsternthal  und  Maulof  herausgeben.  Zugleich  wurde  der  usingische  Anteil 
am  Gebiete  Idstein  im  Falle  des  Aussterbens  letzterer  Linie  festgesetzt.  Schon 
am  folgenden  Tage  verglichen  sich  auch  Saarbrücken  und  Ottweiler  mit  Idstein 
unter  verhältnismässig  ähnlichen  Bedingungen.  Der  Vertrag  wurde  am  4.  April 
von  den  beiden  Grafen  genehmigt.  Schliesslich  erklärte  sich  auch  Johann 
Ernst  von  "Weilburg  bereit  zum  Vergleiche  auf  denselben  Grundlagen,  womit 
dann  im  Laufe  des  Jahres  1717  der  Prozess  erledigt  schien.  Fürst  Georg 
August  war  darüber  hocherfreut  und  berichtete  über  den  Verlauf  der  Unter- 
handlungen noch  in  demselben  Jahre  an  den  Reichshofrat.  Hier  legte  er  zu- 
gleich Fürbitte  ein  für  den  Kanzleidirektor  von  Plönnies  und  den  Keller  Lebleu 
von  Weilburg,  welche  sich  seinerzeit  in  der  Aufwallung  des  Zornes  über  die 
Hofratsbescheide  (zugunsten  Idsteins)  zu  Schmähungen  einzelner  Räte  und 
Notare,  bezw.  zu  thätlichen  Ausschreitungen  gegen  dieselben  hatten  hinreissen 
lassen  und  gegen  die  deshalb  das  Strafverfahren  eingeleitet  war.  Die  Fürsprache 
Georg  Augusts  hat  indessen  in  dem  letzteren  keine  Änderung  hervorgerufen. 
Nachgerade  aber  brach  abermals  der  Streit  zwischen  Idstein  und  Weilburg 
aus,  und  beide  Widerparte  sind  ohne  Begleichung  desselben  gestorben. 

Dass  Fürst  Georg  August  auf  seiner  Entschädigung  also  bestand,  kann 
ihm  nicht  verübelt  werden.  Durch  die  Entziehung  der  Herrschaft  Lahr  war 
schon  sein  Vater,  Graf  Johannes,  gezwungen  worden  grosse  Summen  aufzu- 
nehmen. Der  Extrakt  der  idsteinischen  Rentkammer  „was  vor  und  nach  1702 
an  altvätterlicheu  Schulden  bezahlt  worden",  weist  10  Posten  auf:  1)  6800 
Gulden  auf  Pergamentbriefe  der  niederrheinischen  Ritterschaft,  2)  18000  Gulden 
auf  einen  Kapitalbrief  des  Herrn  Maximilian  Bauer  von  Eiseneck,  3)  u.  4) 
5000  und  7000  Gulden  auf  einen  Kapitalbrief  des  Herren  von  Dalberg,  5)  1826 
Gulden  auf  einen  Kapitalbrief  des  Grafen  Kolb  von  Wartenberg,  6) — 10)  6000, 
394,  1500,  1500,  1050  Gulden  Wilderische,  GroUische,  Kühhornische,  Kör- 
mannische und  Gülcherische  Schuld,  zusammen  49070  Gulden.  Fürst  Georg 
August  sah  sich  genötigt,  um  diese  ziemlich  alten  Schulden  abzutragen,  neue 
Aufnahmen  zu  machen,  zu  Verpfändungen  zu  schreiten ;  teilweise  hatte  er  auch 


4d 

zur  Bestreitung  mancher  Ausgaben   ganz   neue  Anleihen  zu  erheben.     Um  die 
Dalbergische   und  Kühhornische  Schuld   abzutragen,    musste   mit   Konsens    des 
Grafen  Ludwig  Kraft  von  Saarbrücken  im  Jahre  1697  die  Weingülte  zu  Rüdes- 
heim  und    Geisenheim    „veralieniert"    werden.     Desgleichen   wurden    im    Jahre 
1701  bei  dem  Ilandelsmanne  Adam  Paquay  von  Frankfurt   15000  Gulden  auf 
fünf  Jahre  gegen  Verpfändung  eines  Teiles   der  Gefälle   von  Kloppenheim  und 
Bierstadt,   unter  Konsens  von  Friedrich  Ludwig  von  Ottweiler,   entliehen.     In 
dem  folgenden  Jahre  entnahm   Georg  August    beim   Fürsten  Eugen  Alexander 
von  Thurn  und  Taxis  50000  Gulden  zur  Abtragung  alter  Schulden.    Im  Jahre 
1705  schoss  Maximihan  Bauer  von  Eiseneck  neue   10500  Gulden  zur  Tilgung 
der  Wilderischen   und  einer  wied-runkelischen   Schuld,    zu   welcher   Aufnahme 
Ludwig  Kraft   von   Saarbrücken   den  Konsens   verweigerte,    Wilhelm  Heinrich 
von  Usingen  unbedingt,  und  Friedrich  Ludwig  von  Ottweiler  insofern  zuwilligte, 
als  der  Überschuss   der  Einkünfte  der  neu   verpfändeten   Dörfer  Kloppenheim 
und  Bierstadt  zur  Abzahlung  der  Leihsumme  verwendet  wurde.    Ferner  wurden 
geliehen  von  Dr.  Winter  in  Frankfurt  4000,    von  Herrn  von  Barkhausen  da- 
selbst 15000,  vom  Universitätskanzler  Dr.  Herten  in  Giessen  15000,  von  dem 
Freiherrn  von  Hohenfeld  20000  Gulden,  letztere  Summen  gelegentlich  der  Ver- 
heiratung der  älteren  Töchter  des  Fürsten  Georg  August  mit  dem  Fürsten  von 
Ostfriesland  resp.  dem  Herzoge  von  Sachsen-Merseburg   (s.  w.  u.).     Die  Kon- 
sense der  Verwandten  erfolgten  zumteil  zögernd,  zum  Hohenfeld-Kapital  z.  B. 
erst  1724,  drei  Jahre  nach  Georg  Augusts  Tode,  der  der  Fürstin- Witwe  Char- 
lotte Amalie  von  Usingen. 

Den  schwersten  Kampf  setzte  es  um  die  Erlangung  des  Konsenses  wegen 
der    vom   Fürsten   Eugen   Alexander   von    Thurn    und   Taxis    1702   geliehenen 
50000  Gulden,    für  welche  diesem   die   Dörfer   Esch,  Walsdorf,  Walrabenstein 
und  Bermbach  im   Amte  Idstein   verpfändet  wurden.     Als  Fürst  Walrad    von 
Usingen,  der  kraftvolle  Vertreter  der  gemeinsamen  nassauischen  Ilausinteressen, 
von  dem  Vorhaben  Georg  Augusts  Kunde  erhielt,  warnte  er  ihn  (Haag,  24.  I. 
1702)  vor  der  Verpfändung  evangelischer  Dörfer  an  einen  katholischen  Reichs- 
fürsten.    Das  Kapital  von  45000  Gulden   (so   war  es  anfangs  festgesetzt)   sei 
zu   gross,    um    aus   den   Revenuen  auf  einmal   abgetragen   zu   werden.     Taxis 
fände  dann  leicht  einen  Vorwand  zur  Besitzergreifung  jener  Orte.   Graf  Johann 
Ernst  gab  am  16.  I.  seine  Zustimmung  unbedingt.   Daraufhin  stellte  am  30.  I. 
Georg  August   ohne  weiteres  dem  Fürsten  Thurn  und  Taxis  einen  Schuldbrief 
auf  50000  Gulden    lautend    aus,   weil   er  hoffte   die  Zustimmung   der  anderen 
Agnaten  doch  nachträglich  zu  erlangen.    Aber  er  täuschte  sich.    Ludwig  Kraft 
zu  Saarbrücken,   von  Walrad  beredet,    stand   in   einem  Schreiben   vom    10.  II. 
ebenfalls  an,  seine  Ein s\'illigung  zu  geben;  was  Friedrich  Ludwig  von  Ott weiler 
äusserte,  ist  nicht  bekannt.   Walrad  erbot  sich  unterm  17.  II.  selbst  mijLsßiiiem 
Gelde  eintreten  zu  wollen.     Als  er  aber  unterm   20.  IL  den  höflich  entschul- 
digenden Brief  Georg  Augusts  empfing,  in  welchem  dieser  ihm  mitteilte,    dass 
er  bereits    die   Summe  von  Taxis    entliehen   habe,   protestierte    der   alte   Fürst 
durch  zwei  Schreiben  vom  3.  VII.  1702  aufs  heftigste  und  energischste  sowohl 
bei  Georg  August  als   auch    bei  Taxis   gegen    diese  Eigenmächtigkeit.     Er   ist 

4 


50 

bald  nachher  gestorben,  und  sein  Sohn  Wilhelm  Heinrich,  über  den  Georg 
August  anfangs  die  Vormundschaft  geführt  hatte,  verweigerte  nachher  ebenso 
hartnäckig  seine  Einwilligung  wie  Walrad.  Georg  August  kam  in  Verlegenheit, 
4a  er  bloss  Weilburg,  hüchstens  noch  Ottweiler  auf  seiner  Seite  hatte,  während 
die  Stimmen  von  Saarbrücken  und  Usingen  gegen  ihn  waren.  Der  Fürst  von 
Thurn  und  Taxis,  der  das  Geld  vertrauensvoll  aus  den  Händen  gegeben  hatte, 
aber  keine  eigentliche  Sicherheit  besass,  drang  auf  Einbringung  der  Konsense. 
Infolgedessen  wandte  sich  Georg  August  nochmals  an  Usingen  und  Saarbrücken 
im  Jahre  1706,  liess  auch  seine  Gemahlin  Henriette  Dorothea  eine  Einwilligung 
unterschreiben.  Da  aber  die  beiden  anderen  Agnaten  sich  fortgesetzt  weiger- 
ten, brachte  Taxis  die  Sache  vor  den  Reichshofrat,  und  dieser  erklärte  am 
14.  November  1707,  dass  das  ganze  Verfahren  höchst  leichtfertig  und  wegen 
der  verweigerten  Konsense  ungültig  sei.  Trotzdem  nun  Wilhelm  Heinrich  von 
Usingen  am  21.  November  1707  seine  Einwilligung  nachträglich  gab,  begann 
Taxis  gegen  Idstein  einen  Prozess  beim  Reichshofrate  anzustrengen,  da  Ludwig 
Kraft  von  Saarbrücken  sich  nicht  deutlich  erklärj;  hatte.  Der  Prozess  zog  sich, 
lässig  geführt,  Jahre  lang  hin,  und  der  alte  Fürst  von  Thurn  und  Taxis  ist 
darüber  gestorben  (1714).  Sein  Sohn  und  Nachfolger,  Anselm  Franz,  hat  erst 
im  Todesjahre  Georg  Augusts  nachdrücklicher  eingegriffen.  Er  wandte  sich 
am  6.  Juni  1721  an  Karl  Ludwig  von  Saarbrücken,  Ludwig  Krafts  Bruder  und 
Nachfolger,  und  bat  um  den  Konsens,  der  seinerzeit  von  der  kaiserlichen  Kom- 
mission für  unzulänglich  erklärt  worden  sei.  Der  Graf  verlangte  unterm  25.  eine 
Kopie  der  Abkunft.  Diese  nebst  der  der  Nichtigkeitserklärung  des  Reichshof- 
rates von  1707  sandte  Taxis  am  8.  Juli.  Nun  bat  auch  Georg  August  den 
Vetter  um  die  Einwilligung,  damit  ein  fernerer  Prozess  vermieden  werde  (am 
IG.  August);  Karl  Ludwig  hatte  jedoch  den  Konsens  bereits  am  14.,  also  zwei 
Tage  vorher  erteilt.  Um  Taxis  vollständig  zufrieden  zu  stellen,  holte  der  Fürst 
von  Idstein  am  18.  August  nochmals  von  der  Witwe  Wilhelm  Heinrichs  von 
Usingen,  Charlotte  Amalie,  die  Einwilligung  ein,  die  am  23.  erfolgte.  Der  Fürst 
von  Thurn  und  Taxis  war  so  erfreut,  endlich  seine  Sicherung  zu  besitzen,  dass 
er  in  einem  äusserst  freundlichen  Schreiben  vom  2G.  August  aus  Brüssel  dem 
Grafen  Karl  Ludwig  dankte.  Zwei  Monate  darauf  weilte  Fürst  Georg  August^ 
nicht  mehr  unter  den  Lebenden.  Die  Einlösung  der  Dörfer  Esch,  Walraben- 
stein, Walsdorf  und  Bermbach  hat  allmählich  stattgefunden.  Die  Befürchtung 
Fürst  Walrads,  es  mochte  sich  ein  katholischer  Herr  im  evangelischen  Nassau 
festsetzen,  ist  also  nicht  zur  Wirklichkeit  geworden. 

Wir  kommen  zum  zweiten  Teile  unserer  Betrachtung,  zur  Fürsorge  des 
Fürsten  Georg  August  für  sein  Land. 

Schon  bald  nach  seinem  Regierungsantritte  erliess  er  am  20. /30.  Januar 
1G85  das  Privilegium  für  die  Bürger  von  Idstein  und  schenkte  denen,  die  neu 
bauen  wollten,  die  herrschaftliche  Weiherwiese. ^)  Die  Residenzstadt  schlössen 
damals  drei  Thore  ab,  das  Roderthor,  das  Oberthor  und  das  Himmelsthor.  Die 
Stadtmauer  lief  vom  Oberthor  herab,  den  Zuckerberg  durchschneidend,  zwischen 


')  S.  Anhttn?  1. 


51 

der   heutigen  Weiherwiese    und  Borngasse  her   zum  Himmelsthore  und  von  da 
bis  an  die  Schlossmauer  in  starkem  Bogen ;  auf  der  anderen  Seite  zog  sie  vom 
Oberthore  im  Winkel  nach  dem  Roderthore  und  von  da  im  Bogen  zur  Schloss- 
mauer.    Dieser   letztere  Teil   ist   heute    noch    teilweise  erkennbar.     Marktplatz, 
Kreuzgasse,  Weiherwiese,  Schäfergasse,  ein  Teil  des  Zuckerbergs  und  der  Born- 
gasse lagen  also  ausserhalb  der  Mauer ;  zudem  scheint  die  Borngasse  innerhalb 
derselben    nicht   regelrecht   bebaut   gewesen   zu  sein.     Rund  um  die  Stadt  lief 
ehedem  ein   tiefer  Graben,   der  sich  vor   dem  Himmelsthore  und  rings  um'das 
Schloss  durch  den  Zufluss  des  Wolfsbaches  fast  seeartig  erweiterte.     Die  ganze 
Breite  des  heutigen  Marktplatzes  war  mit  Wasser  angefüllt,  das  ganze  Schloss 
von    demselben    umgeben.     In   den   letzten  Jahren    der  Regierung   des   Grafen 
Johannes  jedoch  wurde  der  Weiher  völlig  ausgetrocknet,  und  der  Boden  in  Wiesen 
umgewandelt,   welche    die  Herrschaft    in  Pacht  gab.     Nur  den  Wolfsbach  Hess 
man  in  eingeschränktem  Bette    weiterfliessen.     Diese  Wiesen    verschenkte  jetzt 
Georg  August   an  Baulustige.     Im  Innern   der  Stadt  sollte  die  Borngasse  aus- 
gebaut werden.     Auch  wurden  die  niederen  Gassen,  insbesondere  die  Himmels- 
gasse, ausgefüllt," erhöht  und  mit  Abflüssen  versehen,  durch  welche  bei  Regen- 
güssen das  Wasser  besser  als  bisher  seinen  Abzug  nehmen  konnte.     Ob  schon 
Pflasterungen   damals   vorkamen,   ist   nicht   recht  ersichtlich.     Es  scheint  aber, 
dass    die    Fremden    von   dem  Privilegium    in   der   ersten  Zeit   nicht   sonderlich 
Gebrauch  gemacht  haben.     Jedenfalls  trugen  die  unruhigen  Kriegszeiten  Schuld 
daran.     Der  Fürst  sah  sich  deshalb  veranlasst,  fünf  Jahre  später  ein  erweitertes 
Privilegium  zu  erlassen  und  dasselbe  auch  auf  die  zweite  Residenz,  Wiesbaden, 
auszudehnen.^)     Im  Jahre  1690  jvar  nach  der  Eroberung  von  Mainz  durch  die 
Deutschen  die  unmittelbare  Kriegsgefahr  für  die  idsteinischen  Gebiete  beseitigt; 
man  fing  an  aufzuatmen.     Jetzt  begann  auch  in  Idstein  die  Bauthätigkeit  mehr 
und  mehr.     Der  Fürst  Hess  den  Teil  der  Stadtmauer  zwischen  dem  Ober-  und 
dem   Himmelsthore    vollständig   niederlegen,   und   nun   kamen   die   Bauten  all- 
mählich,   aber  unter  mancherlei  Beschwerden  zustande.     Man   denke  sich,  erst 
1721,    also   im    Todesjahre   des  Fürsten,   konnte    die  Borngasse    als   ausgebaut 
gelten.     Eine  „Specification  derer,  so  aus  dem  Lande  anhero  nach  Itzstein  ge- 
zogen" (vom  22.  Oktober  1716)  weist,  sage  und  schreibe,    nur  vierundzwanzig 
Namen   von   neuen  Bürgern   auf.     Im  Jahre    1684^),   also  kurz  vor  Erlass  des 
ersten  Freibriefs  zählte  Idstein  „69  Burger,  7  Beysassen,  3  Hoffleuthe,  5  Witt- 
weiber"    mit    139  Kindern    männlichen   und    119   weiblichen  Geschlechtes,   also 
zusammen  etwa  400  Einwohner  (die  Frauen  der  Bürger  müssen  noch  hinzuge- 
zählt  werden).     Im  Jahre    1703    hatte    die  Stadt  110  Wohnhäuser  und  in  der 
Yorstadt  52,  also  zusammen  162.     Die  Einwohner,  welche  Feldgüter,  grössere 
oder  kleinere  hatten,  zählten  74,  die,' welche  keine  besassen,  56;  es  waren  ihrer 
also    130   vorhanden.     Herrschaftliche   und  „freie"  Diener    gab    es  damals  30; 
also   betrug   die  Summe  der  Hausvorstände  160,    die  Einwohnerzahl  überhaupt 
ungefähr  700—800;   sie  hatte  sich  in  zwanzig  Jahren  nahezu  verdoppelt.     Die 
obengenannten  24  Bürger  stammen  alle  aus  den  umliegenden  Orten;    es  muss 


»)  S.  Anhang  2.  —  -)  Die  Zahlen  nach  Rizhaub,  Oymn.-Progr.  von  1787. 

4« 


52 

daher  eine  grosse  Anzahl  Ausländer  zugezogen  sein.  Diese  siedelten  sich 
hauptsächlich  auf  der  Weiherwiese,  zurateil  auch  vor  dem  Hiraraelsthore  und 
in  der  Obergasse  an,  während  die  Idsteiner  selbst  die  Borngasse  ausbauten. 
Die  Lüherstrasse  wurde  gleichfalls  von  Eingewanderten  besetzt.  Später  begann 
man  die  Anlage  des  Marktplatzes  und  der  Kreuzgasse.  Zur  Zeit  des  Fürsten 
Georg  August  bildeten  sich  die  Zünfte^)  aus,  zumteil  wohl  deshalb,  weil  die 
alteingesessenen  Idsteiner  fürchteten,  den  Eingewanderten  gegenüber  im  Nach- 
teil zu  sein  und  es  für  nötig  erachteten  sich  fester  zusararaenzuschliessen.  Die 
ältesten  Zünfte  sind:  1.  die  Bauzunft  (Maurer,  Zimmerer,  Leiendecker,  Stein- 
hauer und  Glaser),  2.  die  Bäcker,  3.  die  Leinweber,  4.  die  Schmiede  und  Wagner, 

5.  die    Sattler.      Deren    Privilegien    wurden    1724    erneuert.     Dann    kommen: 

6.  die  Schneider,  7.  die  Schuster  (Artikel  1717  erneuert),  8.  die  Müller,  9.  die 
Schreiner,  Schlosser,  Dreher  und  Büchsenmacher  (seit  1721),  10.  die  Metzger, 
11.  die  Küfer  und  Brauer  (schon  damals  zünftig,  aber  die  Artikel  erst  von 
1750),  12.  die  Woilweber.  Später  kamen  noch  hinzu  13.  die  Gerber  und  14. 
die  Schwarzfärber  und  Hutmacher.  Zu  diesen  Zünften  gehörten  aber  nicht 
bloss  die  in  der  Stadt  Idstein  wohnenden  Handwerker,  sondern  überhaupt  alle, 
die  in  den  Amtern  Idstein,  Wehen  und  Burgschwalbach  sesshaft  waren.  Dass  die 
Alteingesessenen  zu  Idstein  mit  Missvergoügen  auf  die  Neueingewanderten 
(„Hargeloffenen"  im  Yolksmunde)  blickten,  davon  zeugt  eine  Beschwerdeschrift 
„sämptlicher  Weyerwieser  und  Obergässer  zu  Itzsteiu"  an  den  Fürsten  aus 
dem  Jahre  1705.  Sie  beklagen  sich  in  der  Schrift  über  den  „ihnen  zuwider 
seyenden  Burgerhass."  Bei  Gelegenheit  einer  Haussuchung  wegen  Diebstahls 
seien  sie  „am  hellen  Tage  von  denen  Burgern  überfallen,  ihnen  sogar  ihre 
gedörrte  Hutzeln  und  Schnitzen  fortgenommen,  ihren  Geyssen  die  Fütterung 
vorenthalten  worden."  Auch  hätten  die  Bürger  sich,  „mit  Respekt  zu  ver- 
melden, toll  und  voll  in  ihrem  Branntwein  besoffen  und  dann  alles  Heu  aus 
den  Speichern  genommen,  als  ob  der  Landesfeind  da  seye  und  vor  die  Cavallerie 
fouragieren  wolle."  Das  Heu  hätten  sie  „fortgefahren  auf  ihren  Wagen  und 
auf  offenem  Markte  verkauft."  Was  von  Seiten  Georg  Augusts  auf  dieses  recht 
ungemütliche  Gebaren  seiner  angestammten  Landeskinder  gegen  die  neuen  „lieben 
und  getreuen  Unterthaueu"  geschah,  ist  nicht  bekannt.  Keinenfalls  w^ird  der 
gerechte  Sinn  des  Fürsten  die  Übergriffe  ungestraft  haben  hingehen  lassen, 
und  er  wird  für  die  Zukunft  ähnlichen  Tumulten  vorgebeugt  haben.  Der  Markt, 
von  dem  in  der  Beschwerdeschrift  die  Rede  ist,  ward  damals  auf  dem  alten 
Marktplatz,  vor  dem  Rathause  gehalten.  Idstein  hatte  zwei  Jahrmärkte^),  den 
einen  auf  Dionysius  (9.  Oktober)  und  den  andern  auf  Fastnacht.  Den  letzteren 
erneuerte  Fürst  Georg  August  im  Jahre  1700,  und  er  wurde  seit  dieser  Zeit 
besuchter  und  ausgedehnter  als  früher.  Der  Dionysiusmarkt  war  früher  im 
Freien,  zu  Wolfsbach  abgehalten,  aber  schon  zur  Zeit  des  Grafen  Johannes 
in  die  Stadt  verlegt  worden.  Eine  Marktordnung  wurde  1709  erlassen.  In 
demselben  Jahre  wurden  zwei  Gefängnisstuben  im  Oberthore  hergerichtet. 


')  Rizhaub  ebenda.  —  ')  Ebenda. 


53 

Das  hervorragendste  Gebäude  von  allen,  die  damals  in  Idstein  entstanden, 
welches  Fürst  Georg  August  selbst  aufführte,  ist  die  hohe  Schule,  die  nach 
seinem  Namen  „August eum"  geheissen  wurde.  Der  Bau  fällt  in  die  Jahre 
1680—91.^)  Das  Schulhaus  steht  auf  einem  Felsen,  dessen  Hervorragungen 
an  beiden  Seiten  man  weghauen  Hess,  um  dadurch  Raum  für  den  Hof,  den 
Garten,  für  Scheunen  und  Ställe  zu  erhalten.  An  der  vorderen  Seite  des  Ge- 
bäudes, nach  der  Strasse  zu,  wurde  der  Felsen  unter  dem  Bau  selbst  ausge- 
hauen und  darin  ein  Raum  für  zwei  grosse  Zimmer  gewonnen,  von  denen  das 
eine  zur  deutschen  Knabenschule,  das  andere  zu  einem  Festsaale  (Aula)  bestimmt 
wurde.  Der  letztere  ward  im  Jahre  1718  eingeweiht.  Die  hölzerne  Treppe, 
welche  anfangs  zu  dem  eigentlichen  Hause  von  aussen  hinaufführte,  wurde  nachher 
abgebrochen  und  der  Zugang  im  Hause  selbst,  zwischen  den  beiden  erwähnten 
Zimmern  angebracht.  Man  hat  sich  gewundert,  dass  Georg  August  nichts  an 
der  Kirche  seiner  Residenz  gebaut  und  verschönert  hat,  und  doch  findet  die 
Erscheinung  leicht  ihre  Erklärung.  Der  Vater  des  Fürsten,  Graf  Johann,  hatte 
derart  für  die  innere  Ausschmückung  der  Kirche  gesorgt  und  sie  so  prächtig 
überladen  lassen,  dass  für  den  Sohn  nichts  mehr  zu  thun  übrig  blieb.  Georg 
August  mag  es  auch  beklagt  haben,  dass  das  Gotteshaus  nicht  niedergelegt 
und  in  entsprechender  Yergrösserung  und  auch  äusserlich  in  schönerem  Stile 
aufgeführt  worden  war,  welchen  Mangel  ihm  jeder  Besucher  der  Idsteiner  Kirche 
nachfühlen  wird,  deren  prachtvolles  Innere  man  aus  dem  schmucklosen  Ausseren 
nicht  vermutet.  Im  Schlosse  zu  Idstein  hat  Georg  August  die  Kapelle  her- 
richten lassen  (1719),  die  beim  Neubau  (im  Jahre  1615)  vergessen  worden 
war.  Auch  hat  er  das  sogenannte  Kaiserzimmer  im  Schlosse  durch  Stuckarbeit 
verzieren  lassen.  Auf  der  anderen  Seite  des  Wolfsbaches,  an  der  Bergterrasse, 
legte  er  den  „Tiergarten"  an,  der  in  der  ersten  Zeit  wohl  umhegt  war,  nach- 
her lange  Zeit  verwildert  lag,  neuerdings  aber  durch  die  Fürsorge  des  Ver- 
schöneruugsvereins  zu  einer  beliebten  Promenadenanlage  wieder  umgeschaffen 
worden  ist.  So  mag  man  in  der  altnassauischen  Residenz  seine  Schritte  lenken 
wohin  man  will,  man  wird  allenthalben  an  den  umsichtigen  und  für  seines 
Landes  Wohl  und  Aufschwung  besorgten  Fürsten,  den  letzten  Idsteiner,  erinnert. 

Bedeutender  noch  als  für  Idstein  wurde  der  Erlass  vom  18.  Oktober  1690 
für  Wiesbaden.  Die  alte  Bäderstadt  hatte  durch  den  grossen  Krieg  schwer 
ffelitten,  und  nachher  war  oder  konnte  nicht  besonders  viel  zu  ihrer  Wieder- 
herstellung  geschehen.  Die  Weiher,  wie  die  Stadtgräben  genannt  wurden, 
waren  zumteil  versumpft,  die  Mauer  war  an  manchen  Stellen  eingestürzt;  in 
der  Stadt  selbst  lagen  viele  unbebaute  Plätze,  andere  zeigten  nur  Ruinen. 
Wir  dürfen  als  ziemlich  bestimmt  annehmen,  dass  eigentliche  Strassen  damals 
kaum  zu  erkennen  waren.  Schon  1684  hatte  Georg  August  über  die  heillose 
Verfassung  Wiesbadens  geklagt;  jetzt,  nachdem  die  Kriegsläufte  einigermassen 
überstanden  waren,  nahm  er  sofort  die  Restauration  der  Stadt  in  Angriff  durch 
den  Plan  eines  neuen  Mauerbaues.  Es  sollte  weniger  eine  Stadterweiterung 
als  vielmehr    eine  Stadterneuerung    eintreten.^)     Der  Plan  bestimmte,   dass  das 

')  Rizhaub  ebenda.  —  -)  Vergl.  auch  die  Darstellungen:  Otto,  Annalen  XV,  und 
Roth,  Geschichte  von  Wiesbaden,  dazu  Schüler,  Wiesb.  Tagbl.  1884,  Xo.  65. 


54 

stumpfe  Thor    (am  h.  Gottschalkschen  Hause  auf  dem  Michelsberge)  zu  einem 
Fahrthore    erbreitert   und   das    heidnische   (in   der   Kirchhofsgasse)    geschlossen 
werde.     Von  dem  stumpfen  bis  zum  heidnischen  Thore  sollte  die  Mauer  erhöht 
und   ausgebessert,    und    von   da   eine   neue  Mauer   innerhalb    des  Stadtgrabens 
bis   hinter   das   Hospital  aufgeführt  werden,  so  dass  am  heidnischen  Thore  ein 
Platz  gegen  den  Berg  zu  einem  neuen  Bürger-    und  um  das  Hospital  zu  einem 
neuen  Armenkirchhofe  behalten  würde.     Hinter  dem  Hospital  sollte  ein  starkes 
Rundell    erbaut    werden,    von    da  die  neue  Mauer  hinter  der  „Blume"  („Euro- 
päischer Hof)  her  bis  zum  Sonnenberger  Thore  führen,  von  da  an  der  Herren- 
mühle  vorbei,    über   den   Schlossgraben   bis   an   den  Stümperturm    (hinter    der 
Marktkirche)    und    an    die    alte  Mauer.     Diese    sollte  bis  an  das  Stadtthor  und 
das  Langelnsche  Haus  („Grüner  Wald")  repariert  werden.  Für  „rathsamb  und 
nützlich"  wurde  es  auch  befunden,  Stadt-  und  Mainzer  Thor  (ersteres  am  „Grünen 
Wald",   letzteres    in   der   Kirchgasse    am    „Nonnenhof")    abzuschaffen    und   aus 
beiden  eins  zu  machen,  dieses  unfern  der  „Katz"  (am  Accisehofe  in  der  Neu- 
gasse) dergestalt  anzulegen,  dass  es  auf  die  „neue  Gasse"  und  auf  die  „Zwerch- 
gasse"  gegen    die   Schule    dem  Kirchhof  (Schulgasse)    korrespondieren    möge." 
Bei  Absteckung   der  Mauer   habe    man    sich    eines    erfahrenen  Ingenieurs  oder 
Offiziers    zu    bedienen,  der   auch  die  Rundelle   und    Türme  also  anlegen  sollte, 
„dass  die  Defension  von  einem  Orte  zum  anderen  geschehen  möge."     Ohne  den 
stehenden    Teil    betrug    der   Umfang   der  Stadtmauer  300  Ruten  (3600  Fuss); 
jährlich  sollten  100  Ruten  zu  IV'2  Schuh  Dicke,  16  Schuh  Höhe,   16  Schuh  Länge 
aufgeführt    werden.     Da    aber   an    manchen  Orten    die  Dicke  zu  3   Schuh  ge- 
nommen werden  müsste,  so  käme  es  jährlich  nur  auf  80  Ruten  zu  den  erwähnten 
Ausdehnungen.     Das    Kalkbrennen    und    Steinebrechen    sollte    sofort  beginnen, 
und  gleich  diesen  Winter  (1690/91)  Material  zum  Bau  für  zwei  Jahre  beschafft 
werden.     Man   ging    mit   regem    Eifer   alsbald   an    die  Arbeit,   zunächst  an  die 
Trockenlegung  der  Gräben,  des  besseren  Baues  der  Mauer  wegen.    Dann  brach 
der   Werkmeister  Bager    die    Katz   (am  Accisehofe)    ab    und    legte   die   beiden 
Dammauern  nieder.     Am  24.  April  1691  kam  Fürst  Georg  August  selbst  von 
Idstein  herüber  und  legte  den  Grundstein  zum  „neuen  Thore"  (zwischen  dem 
Accisehofe  und  dem  „Rheinischen  Hof");    einige  W^ochen    später  geschah  das- 
selbe beim  Beginne  des  Mauerbaues  östlich  vom  Thore,  wobei  die  Maurer  eine 
kleine  Trinkfestlichkeit   veranstalteten.     Jetzt   schritt   die   Arbeit    rüstig   voran, 
so  dass  man  Ende  1691    zwar  nicht  die  vorgefassten  80,   aber   doch  immerhin 
57  Ruten  Mauerwerk    fertigstellte.     Im  Jahre   1692  wurde  das  Fundamentaus- 
graben und  das  Mauerniederlegen  fortgesetzt  und  das  Neuaufbauen  wieder  be- 
gonnen.    Auf  diese  Weise    verfuhr  man    stetig   in  den  folgenden  Jahren,  1693 
bis  1697,  ohne  natürlich  nur  an  die  jährlich  bestimmten  80  Ruten  anzureichen. 
Im  Jahre  169G  brach  Bager  das  alte  Mainzer  Thor  ab  und  baute  es  neu  wieder 
auf.     Wahrscheinlich    hat   es    noch    acht  Jahre   in  Benutzung  gestanden;    denn 
der  definitive  Schluss  desselben  wird  erst  1704  berichtet,  angeblich  (nach  Hell- 
mund), weil  der  Lärm  des  Fuhrwerkes  die  Andächtigen  in  der  Mauritiuskirche 
zu  sehr  gestört  habe.    Im  Jahre  1697  wurde  die  Restauration  der  alten  Mauer 
als  abgeschlossen  betrachtet.    Die  Kosten  derselben  beliefen  sich  auf  zusammen 


55 

6366  Gulden  14  Albus  und  4  Heller.     Gedeckt   wurden   sie   durch  die  Stadt- 
accise,  das  Kopfgeld  und  das  Stadtbaugeld,  welches  in  Wiesbaden,  Sounenberg, 
Dotzheim,    Schierstein,    Mosbach-Biebrich,    Erbenheim,    Bierstadt,  Kloppeuheim, 
Rambach,  Hessloch,  Auringen  und  Naurod  erhoben  wurde.     Zudem  waren  alle 
Hausbesitzer   in    der   Stadt    und   auf  dem   Lande   zu  Kornlieferungen   für    den 
Unterhalt  der  Arbeiter  verpflichtet.     Als  16!)7  die  Sonnenberger  nicht  lieferten, 
wurde  ihnen  die  Frucht  von  staatswegen    geschnitten  und  verkauft.     Die  neue 
Mauer   wurde    erst   später    zu    bauen    begonnen ;   ja   man    weiss   nicht,    ob  die 
Strecke  der  alten  Mauer  vom  (alten)  Mainzer  Thore  im  Bogen  hinter  der  heutigen 
Hochstätte  her  bis  zum  stumpfen  und  zum  heidnischen  Thore  nicht  erst  im  ersten 
Jahrzehnt    des    neuen  Jahrhunderts  vollendet  wurde.     Denn  dass  der  Bau  gar 
langsam    vorwärts   ging,    erhellt   daraus,    dass   erst   im  Jahre    1701    das   „neue 
Thor"  vollständig  fertig  wurde,  mit  Turm,  Brücke,  Gefängnisstube  und  Fahne. 
Es  war   im  Viereck  gebaut;    der   dreistöckige   Neuthorturm   hatte  30  Fuss   im 
Gevierte.     An   das  Thor   schloss   sich    ein  25  Fuss    langes  und  18  Fuss  tiefes 
Wachthaus   an,    aus    dem    man   in   den  Turm   gelangen  konnte  (auf  der  Stelle 
des  jetzigen  „Rheinischen  Hofes").    Im  Jahre  1713  wurde  das  heidnische  Thor 
für  Fuhrwerke   geschlossen.     An    der  Mauer   um    das  Sauerland,   vom  letztge- 
nannten Thore  bis  zum  Hospital  und  von  da  zum  Sonnenberger  Thore  bis  zum 
Stümpert  baute  man  noch  lange.     Im  Jahre  1720  wurde  der  äussere  Teil  des 
Sonnenberger  Thores   und  1731    der   innere   (der  Turm)   abgebrochen  und  das 
ganze  Thor  dann  weiter  hinausgerückt.     Erst  1739  wurde  das  letzte  Stück  der 
neuen  Mauer   vom  Sonnenberger  Thore   bis    zum  Stümpert   fertig   gestellt  und 
damit  das  Werk  der  Umwallung  beendet,   fünfzig  Jahre  nach  seinem  Beginne. 
Ursache  der  Verzögerung  waren  jedenfalls  die  fast  drei  Lustren  hindurch  dauernden 
Unruhen  des  spanischen  Erbfolgekrieges,   welche  viele  Durchmärsche,  Einquar- 
tierungen   u.   s.  w.    zur   Folge   hatten,    wenn   auch   gerade   keine   unmittelbare 
Kriegsgefahr   drohte.     Aber   die  Landgemeinden    litten   doch    derart,    dass   seit 
etwa  1712  von  ihnen  nichts  mehr  zum  Mauerbau  bezahlt  werden  konnte.    Auch 
sah  sich  der  Fürst  öfter  gezwungen,  der  Stadt  selbst  die  Beisteuer  zu  erlassen, 
so  1703  und  1704,  nachdem  die  Gemarkung  durch  Hagelwetter  schwer  gelitten 
hatte.    So  kamen  auch  manche  beabsichtigten  Änderungen  nicht  zur  Ausführung. 
Die  ausgetrockneten  Weiher  wurden  nicht  wieder  gefüllt,  sondern  gingen  nach 
und  nach  ein  und  wurden,   in  Acker-    oder  Gartenland   umgewandelt,    von  der 
Herrschaft    verschenkt   oder   veräussert.     Im  Jahre    1730   bestanden   nur  noch 
der    „kalte"    und   der  „warme"  Weiher   (vom  Stümpert  bis  zum  Sonnenberger 
Thore).     Das  untere  Stadtthor  (am  „Grünen  Wald")  wurde  nicht  geschlossen; 
im  Gegenteil  Hess  man  die  Allee,  welche  eigentlich  vom  neuen  Thore  aus  nach 
Mosbach  führen  sollte,  von  dem  ersteren  ausgehen.  Diese  Allee  gabelte  sich  (etwa 
in  der  heutigen  Rheinstrasse)  in  den  Weg  nach  Mosbach  und  den  nach  Mainz. 
Zwischen   dem  unteren  Stadtthore    und  dem   alten  Mainzer  Thore   hatte    Fürst 
Georg  August    im  Jahre  1688    die  Anlage   des  „Herrengarten"    begonnen,  der 
später  den  Kurgästen  zu  Promenaden  diente.     Jedenfalls   wurde   derselbe   von 
dem  vom    „neuen  Thore"    aus  nach  der  Biebrich-Mosbacher  Strasse  führenden 
Wege  durchschnitten.     Wie  weit  sich  dieser  herrschaftliche  Garten  südlich  er- 


56 

streckte,  kann  nicht  ganz  sicher  angegeben  werden,   jedenfalls  bis  ins  Terrain 
der  heutigen  Rheinstrasse. 

Im  Inneren  der  Stadt  begann  damals  der  regeh-echte   Strassenbau.     Von 
den  beiden  alten  ^Yeihern,  die  sich  vom  Uhrturme  (dem  oberen  Stadtthore  von 
ehedem)  nordöstlich  und  südöstlich  zogen,  lag  jedenfalls  der  letztere  (durch  die 
Häusergevierte  zwischen  Neugasse  und  Marktstrasse,  quer  durch  die  Ellenbogen- 
gasse bis  zum  unteren  Stadtthore  am  „Grünen  Wald*  führend)  lange  trocken. 
Der  Plan,  von  ausserhalb  des  Uhrturmes  bis  zum  „neuen   Thore"    eine    breite 
und  gerade  Strasse  zu  ziehen,  wurde  sofort  in  Angriff  genommen.     Unbekümmert 
um  Gärten,  Wiesenplätze  und  Hofraithen    begann    man    1691    die   Anlage    der 
neuen  Gasse.     Nur   schöne   und   hohe  Häuser  sollten   in    der  Fluchtlinie  ge- 
duldet werden.    Das  erste  Haus  stellte  H.  Kümmel  (Kimmel)  1694  fertig.   Auf 
dem  Terrain,  das  die  Neugasse  durchschnitt,  hatten  die  Stifte  zu  St.  Viktor  und 
St.  Peter  in  Mainz  Güter.  Ersterem  wurde  bei  der  Anlage  der  Gasse  ein  Teil 
seines  Gartens  und  Wiesenplatzes  ohne  Entschädigung  weggenommen,  was  einen 
langjährigen  Beschwerdeprozess   (1696 — 1722)  zur   Folge   hatte.     Fürst    Georg 
August  erlebte  die  Begleichung  desselben  nicht  mehr.    Eine  Vergütung  erhielt 
das  Stift  nie.     Zugleich  mit  der  Anlage  der  Neugasse  begann  die  der  Fr o sch- 
und der  Schulgasse.     Doch  erhielt  die  Froschgasse  nur  auf  der   einen  Seite 
Häuser,    da   sich   auf  der  anderen   die    Stadtmauer   erhob    (daher   der    spätere 
Namen  Mauergasse),   und   mit   dem   Ausbau   ging   es    nicht   so   schnell  weiter. 
Überhaupt  nicht.     Im  Jahre  1703  (am  16,  März)  musste  der  Fürst  eine    Ver- 
ordnung   erlassen,    dass  jeder,   der   unbebaute    Hofraitheplätze    besitze,    binnen 
acht  Tagen  erklären  solle,    ob   er   dergleichen   Plätze    bebauen,    oder   gewärtig^ 
sein  wolle,  dass  ihm  solche  genommen  und  nach  vorhergegangener  gerichtlicher 
Entscheidung  einem  andern  gegeben  werden  sollten.    Das  half  etwas ;  aber  als 
im  Jahre  1700  der  Fürst  die  noch    wüste   liegenden   Plätze    verzeichnen   Hess, 
fanden  sich  deren  in  der  Langgasse  noch  18,   die  den  Bürgern    J.    J.    Becker, 
J.  Dillmann,  H.  G.    Freiussheim,   J.    D.   Hoffmann,   P.   Knefeli,   G.    C.   Kraft, 
J.    V.   Matt,    J.    Müller,   J.   Matz,   F.   Ruhwedel,    H.    P.    Sauer,    J.    Scherer, 
Ph.  Schmidt,  L.  Schweissgut  und  J.  T.  Spielmann  gehörten.    Sonst  lagen  noch 
die    Plätze    des    S.    Burck   neben   der    „Glocke"    („Weisses    Ross")    und    des 
N.  Giessius  neben  dem  „Vogelgesang"  (h,    „Reichsapfel")    unbebaut,   dazu  die 
der    Badhäuser    „Zum    Rindsfuss"    („Englischer    Hof")    und     „Zum    Salmen" 
(zwischen  dem   „Europäischen  Hof"  und  dem  „RÖmerbad"),  welch  letzteres  ala 
baufällig  1690  abgerissen  worden  war.    In  der  Langgasse  wurde  damals  einiger- 
massen  eine  Fluchtlinie  hergestellt;  sechs   Hausbesitzer   wurden   dazu  genötigt, 
ihre  Gebäude   „in  die   Reihe  zu   rücken".      Einige  herrenlose    Plätze   zog   der 
Fürst  ein  und  verschenkte  sie  an  Baulustige.     Die  Kosten  für  die  Regulierung 
der  Langgasse  betrugen  insgesamt  491  V2  Gulden.    Die  Ellcnbogengasse  scheint 
um  dieselbe  Zeit  entstanden  oder  doch  bis  zur  Neugasse  und  Schulgasse  durch- 
geführt  worden    zu   sein.      Auch   der  Michelsberg   (damals   die   Oberthorgasse) 
empfing    damals    seine    regelmässige   Anlage.      Es    war    eine    wenig    gesuchte 
Gegend,  und  der  Platz  an  der  „Pfaffenmühle"  (Cramcrs  Mühle)  wurde  als  sehr 
abgelegen  betrachtet.     Die  dort  Bauenden  verlangten  und  erhielten  mancherlei 


57 


Yerf^ünstigungen.  Der  Säumarkt  (h.  Hochstätte)  behielt  seinen  Lauf,  welcher 
dem  der  hinter  ihm  herführenden  Stadtmauer  entsprechend,  im  Bügen  ging. 
Im  Sauerlande  entstanden  zwei  neue  gerade  Strassen,  die  Weber-  und  die 
Saalgasse.  Die  Saalgasse  führte  an  dem  alten,  nun  ausgetrockneten  heid- 
uischetr-WeTher  entlang  bis  zur  Gegend  des  Hospitals  und  des  Armenkirch- 
hofes. Als  letzte  Strasse  wurde  die  Grabenstrasse  unter  Georg  August 
angelegt  (1719)  und  zwar  nur  auf  der  Seite  der  Metzgergasse  (damals  Juden- 
gasse), zumeist  durch  Besitzer  von  Häusern  in  dieser  Gasse,  die  den  Platz  an 
dem  ausgetrockneten  Graben  für  sich  in  Anspruch  nahmen.  Von  dem  ehe- 
maligen Graben,  dessen  Verlauf  sie  folgt  (vom  Uhrturm  an  nordöstlich)  hat 
die  Strasse  ihren  Namen.  Schon  bei  Beginn  ihrer  Anlage  wird  man  sie  frei 
zur  Goldgasse  durchgeführt  haben,  der  Zugang  zur  Krämergasse  (h.  Markt- 
strasse) war  bis  in  die  jüngste  Zeit  überbaut;  es  stand  dort  bekanntlich  das 
Haus  „Zum  roten  Mann".  Alle  Strassen  waren  ungepflastert  bis  auf  die  Lang-, 
Krämer-,  Neu-  und  Webergasse.  Letztere  empfing  ihr  Pflaster  erst  im  Jahre 
1716.  Von  einzelnen  Gebäuden  ist  zu  bemerken,  dass  der  1690  abgerissene 
„Salm"  nicht  wieder  aufgebaut  wurde,  dass  aber  zwischen  1691  und  1710  der 
sehr  verfallene  „Bär"  schön  neu  erstand.  Am  31.  Dezember  1692  wurde  das 
herrschaftliche  Gast-  und  Badhaus  „Zum  Schützenhof"  an  Gg.  Egidius  Sartorius 
für  750  Gulden  jährlicher  Pacht  als  Erblehn  übergeben  und  hernach  von  diesem 
gekauft.  Im  Jahre  1716  erbaute  Joh.  Andr.  Bechthold  den  „Ritter"  am  neuen 
Sonnenberger  Thore.  Weiterhin  hätten  wir  noch  die  Verlegung  des  Bürger- 
kirchhofs vom  Mauritiusplatze  auf  den  Heidenberg  (d.  h.  alten  Kirchhof)  au 
die  neue  Stadtmauer  (1690),  und  den  Neubau  des  Hospitals  (schon  1682),  das 
aber  schlecht  im  stände  gehalten  ward,  zu  erwähnen. 

Den  Einwohnern  Wiesbadens  griff  Fürst   Georg  August   auf  jede  Weise 
hilfreich  unter  die  Arme.     Wie  er  ihnen  (s.  o.)  zeitweise   einen  Teil   der  Ab- 
gaben erlassen  hatte,  so  kam  er  endlich  auf  den  Gedanken,  sie  mehr  und  mehr 
von  den  Fronen  zu   befreien.     Am   28.  März    1714    gab    er   der   Stadt   einen 
Freiheitsbrief,  in  welchem  er  dieselbe  gegen   einmalige  Zahlung  von   1000 
Gulden  von   allen  Forst-   und  Jagdfrondiensten  freisprach.     Nur  den   Geschirr 
haltenden   Bewohnern   lag   die   Beiführ   des    „Burgholzes"  für   Herrschaft   und 
Beamte  ob,  und  zwar  kamen  auf  jeden  im  Schöppenstuhl  Sitzenden  17  Karren, 
auf  jeden    anderen    8    Karren.     Die    Wiesbadener    waren    zeitweise    mit    dem 
baulustigen  Fürsten  unzufrieden,  und  im  Jahre  1720  drückte  sogar  der  Stadt- 
vorstand seine  Missbilligung  über  manchen  Zwang,  der  geltend  gemacht  worden 
war,  in  einem  sehr  erregten  Schreiben  dem  Fürsten  gegenüber  aus.     Aber  zu 
offenem    Aufruhr,    oder    auch    nur    zur   Belästigung   und    Benachteiligung   der 
Zugezogenen  wie  in  Idstein  ist  es  nicht  gekommen.    Und  doch  sind  die  letzteren 
auf  das  Privilegium  von  1690   hin  sehr    zahlreich    in    die    Stadt   gezogen.     Im 
genannten  Jahre   zählte    Wiesbaden    137   Bürger,   36    Beisassen,    144    Frauen, 
327  Kinder,  ungefähr   600  Personen.     Im  Jahre  1699  schon  lauten  die  Zahlen 
160  Bürger,  142  Frauen,   348   Kinder,   39   Knechte  und   Gesellen,   41    Mägde, 
also  730  Personen.     Ein  Jahr  nach  dem  Tode  des  Fürsten  (1722)  zählte  man 
253  Männer,  262  Weiber,    756   Kinder,   58    Beisassen,    zusammen   etwa    1400 


58 

Einwohner.  Es  hat  sich  also  die  Zahl  der  Bewohner  Wiesbadens 
unter  Georg  Augusts  Regierung  verdoppelt.  Ein  bedeutender  Wetteifer 
im  Handwerksleben  und  Industriewesen  entspann  sich,  nachdem  auch  seit  der 
Aufhebung  des  Ediktes  von  Nantes  eine  Anzahl  gewerbfleissiger  französischer 
Refugies  in  der  Stadt  sich  niedergelassen  hatten.  In  einer  Urkunde  (Droits 
et  Privileges  aux  Franoais  refugi^s,  composant  la  colonie  etablie  a  Wiesbade) 
wird  denselben  zugestanden,  dass  sie  frei  nach  ihren  kirchlichen  und  richter- 
lichen Gebräuchen  leben,  alle  Rechte  der  'anderen  Unterthanen  geniessen,  ihren 
Schullehrer  und  Kantor  sowie  den  Geistlichen  nach  geschehener  Präsentation 
selbst  anstellen,  ihr  eigenes  Konsistorium  und  Presbyteriura  wählen,  eine  eigene 
Handelskammer  haben  sollen.  Ihr  Eigentum  darf  auf  keine  Weise  angetastet 
werden,  ihre  bewegliche  und  unbewegliche  Habe  soll  sich  vererben.  Die  Freiheit 
der  Eheschliessungen  bleibt  ihnen  gewahrt,  ebenso  der  Transport  und  die  Yer- 
äusserung  ihrer  Güter.  Die  Geistlichen  unterstehen  nicht  der  deutschen  Kirchen- 
inspektion, sondern  der  fürstlichen  Kanzlei  direkt.  Zeugen  brauchen  die 
Fremden  nur  zu  sein,  wenn  es  sich  um  Majestätsverbrechen  handelt.  Ihr 
Gericht  besteht  aus  einem  Direktor  und  drei  Schöffen  (echevins),  die  Handels- 
kammer aus  fünf  Personen  (drei  Kaufleuten,  einem  Schöffen  und  dem  Rat). 
Sie  richtet  (sur  les  fraudes  et  difficultes)  bis  zur  Summe  von  500  Gulden. 
Ein  Haus  für  den  Prediger  und  eine  Kirche  (Betsaal)  soll  ihnen  erbaut  werden; 
der  Fürst  behält  sich  die  Platzbestimmung  vor  und  verspricht  Beihilfe  beim 
Bau.  Bis  zur  Vollendung  desselben  sollen  die  religiösen  Versammlungen  in 
einem  Zimmer  abgehalten,  die  Verstorbenen  auf  dem  alten  Friedhofe  beerdigt, 
die  Kranken  im  Hospital  verpflegt  werden.  Die  Vorrechte  der  Bürger  sollen 
die  Refugi^s  wie  diese  fünfzehn  Jahre  lang  geniessen,  während  der  Zeit  von 
Einquartierung  und  allen  Diensten  frei  sein.  Ebenso  wird  ihnen  auf  gleich- 
lange Zeit  die  Freiheit  im  Handel  gestattet;  später  haben  sie  die  Accise  zu 
zahlen. 

Auch  für  das  Badwesen  der  Stadt  hat  Fürst  Geor^  August  viel  gethan. 
Am  10.  Februar  1686  befahl  er  das  gemeine  Badhaus  öfter  zu  untersuchen,  auch 
den  bisher  gemeinsamen  Badraum  durch  eine  Bretterwand  mit  Holzgitter  in 
zwei  Abteilungen  zu  scheiden,  damit  die  Geschlechter  getrennt  badeten.  Im 
Jahre  1688  legte  er  dann,  wie  erwähnt,  den  „ Herrengarten "  zum  Promenade- 
aufenthalt der  Kurgäste  an.  Auch  dass  er  für  den  Aufbau  und  Ausbau  der 
ziemlich  verwahrlosten  anderen  Badhäuser  Sorge  trug,  ist  schon  zumteil  gesagt 
worden.  Sein  Leibarzt  Melchior  verfasste  1697  seine  „Anatomia  hydrologica", 
welches  Buch  grosse  Verbreitung  fand  und  Wiesbadens  Namen  allentbalben 
bekannt  machte,  ebenso  wie  C.  von  Lohensteins  damals  vielgelesener  Roman 
„Arminius  und  Thusnelda",  eins  der  schwulstigen  Werke  der  sogenannten 
zweiten  schlesischen  Dichterschule,  dessen  Handlung  zumteil  in  Wiesbaden 
spielt.  Trotzdem  blieb  der  Besuch  unserer  Badestadt  hinter  dem  von  Schwal- 
bach und  Schlangenbad  noch  zurück;  aber  die  Fürsorge  Georg  Augusts  hat 
später  um  so  grössere  Früchte  getragen.  Ihn  muss  man  als  Begründer  der 
Kuriudustrio  auschen. 


59 

Eine  besondere  Sorgfalt  verwandte  der  Fürst  auf  die  Kirche')  und  das 
Schloss  zu  Wicabaden.  Die  alte  Mauritiuskirche  war  zwar  nach  den 
schlimmen  Lauften  des  grossen  Krieges  im  Jahre  1650  ausgebessert  worden, 
doch  war  dies  so  mangelhaft  geschehen,  dass  am  17.  August  1714  in  einem 
Berichte  an  das  fürstliche  Konsistorium  über  die  höchst  notwendige  Erneuerung 
des  Daches  und  des  Obergebälkes  sowie  über  den  Abbruch  des  Turmes  Yor- 
stellung  gemacht  wurde.  Dies  stimmte  mit  den  AYünschen  des  Fürsten  über- 
ein, der  mit  einem  teilweisen  Umbau  eine  Erweiterung  und  Verschönerung  der 
Kirche  im  Innern  wünschte.  Alles  Flicken  hatte  bisher  nichts  geholfen.  Im 
Jahre  1702  hatte  der  Hahn  auf  der  Turmspitze  eine  neue  Vergoldung  erfahren; 
das  war  alles,  was  zur  „Verschönerung"  seither  geschehen  war.  Am  5.  März 
1715  wiederholte  der  Gemeinderat  seine  Bitte  um  Reparatur  und  legte  später 
einen  Kostenüberschlag  des  Werkmeisters  Bager  vor.  Die  Regierung  verwies 
auf  Beiträge  der  Klöster,  die  in  der  Stadt  begütert  seien,  auf  die  Kollekten  im 
Lande,  auf  die  Beiträge  von  Fremden  und  auf  Erhebungen  in  der  Stadt  selbst, 
wozu  dann  auch  die  Herrschaft  ihr  Teil  beisteuern  wollte.  Man  wandte  sich 
auch  nach  Frankfurt,  wo  man  eine  Hauskollekte  bewilligt  erhielt.  So  fing  man 
im  Sommer  des  Jahres  1716  auf  Wunsch  des  Fürsten  mit  der  Niederlegung 
des  Schiffes  an,  während  der  Turm  und  der  hintere  Teil  des  Chores  stehen 
blieben.  Der  Werkmeister  Bager  reiste  hierauf  in  den  Schwarzwald,  um  das 
Tannenholz  für  den  Dachstuhl  zu  beschaffen,  dessen  Anführung  (342  Stämme 
und  4000  Borde)  1570  Gulden,  dazu  300  Gulden  Fracht  und  324  Gulden  Zoll 
(an  .sechs  Zollstätten)  von  Pforzheim  bis  Biebrich  kostete.  Es  gab  besonders 
wegen  der  hohen  Zollsätze  viel  Schreibereien  um  Nachlass  u.  *s.  w. ;  wahr- 
scheinUch  musste  schliesslich  doch  alles  bezahlt  werden.  Um  das  Geld  zum 
Baue  zusammen  zu  bringen,  wurde  auch  in  Darmstadt,  Usingen,  Saarbrücken, 
Ottweiler,  Worms,  Speier  um  Bewilligung  von  Hauskollekten  nachgesucht,  die 
auch  mit  Ausnahme  von  letzterer  Stadt  genehmigt  wurden.  Daneben  wurden 
die  Landleute  zu  Holzfuhren  angehalten,  und  in  Wiesbaden  selbst  raussten  die 
Bürger  stark  beisteuern.  Bis  zum  24.  Juli  1717  waren  laut  Rechnungsextrakts 
in  Summa  3593  Gulden  eingegangen;  dagegen  betrugen  die  Ausgaben  bereits 
3596  Gulden  7  Albus  +  1603  Gulden  =  rund  5200  Gulden.  Der  Gemeinderat 
reichte  diesen  Rechnungsüberschlag  stillschweigend  ein.  Nichtsdestoweniger 
musste  man  jetzt  mit  Bauen  fortfahren.  So  begann  denn  auch  im  Frühjahr 
1717,  nachdem  man  am  21.  Mai  einen  Vertrag  mit  dem  Zimmermann  Goslar 
wegen  des  Baues  abgeschlossen  hatte,  der  letztere  von  neuem  und  wurde  mit 
Energie  fortgesetzt,  so  dass  am  Ende  des  Jahres  der  Rohbau  fertiggestellt  war. 
Das  Schiff  wurde  erneuert  und  an  den  Turm,  der  früher  freistand,  Unks  und 
rechts  angeschlossen;  auch  das  Chor  erfuhr  eine  Veränderung.  Aber  die  Arbeit 
ging  allzurasch  von  statten,  das  Material,  das  verwendet  wurde,  war  nicht  das 
beste,  und  die  Bindemittel  waren  schlecht  bereitet.  Das  hatte  zur  Folge,  dass 
in  den  nächsten  Jahren  fortwährend  geflickt  und  gebessert  werden  musste; 
auch    machte    der    Ausbau    im    einzelnen    so    schlechte    Fortschritte,     dass    ein 


')  Nach  Rössel,  Denkmäler  I,  uml  Roth,  Gesclilchte  von  Wiesbaden. 


60 

Schluss  des  Baues  eigentlich  erst  gegen  das  Jahr  —  1771  verzeichnet  werden 
kann.  Dabei  war  der  Stil  der  Kirche  so  unschön,  dass  er  später  wiederholt 
den  Pfarrer  Hellmund  zu  recht  derben  Vergleichen  nötigte.  Die  Ausschmückung 
im  Inneren  ging  gleichfalls  langsam  voran.  Die  im  Jahre  1709  neu  angeschaffte 
Orgel  wurde  im  Chore  auf  einer  Empore  aufgestellt;  aber  erst  1721  wurden 
die  Schreinerarbeiten  an  derselben  vergeben.  1719  hatten  die  Schreinerarbeiten 
und  die  Stuckaturen  überhaupt  erst  begonnen.  Andreas  Egidius  aus  Wies- 
baden und  Michel  Rössel  lieferten  die  Holzarbeiten.  Die  Kosten  betrugen  im 
ganzen  773  Gulden  9  Albus  4  Heller.  Die  Treppe  zum  Altare  schenkte  im 
Jahre  1721  ein  Mainzer  Steinhauer.  Der  Turm  behielt  einstweilen  seine 
ursprüngliche  Gestalt;  er  besass  einen  stumpfen  Unterbau,  dessen  Dach  in  der 
Dachhöhe  des  Schiffes  begann  und,  geschweift  nach  innen,  oben  zulief.  Dort 
krönte  ihn  ein  vierseitiges  Türmchen  mit  niederer  Haube.  Der  ganze  Dach- 
stuhl war  äusserst  schwach,  so  dass  man  öfters  beim  Läuten  der  Glocken  ein 
Schwanken  des  Türmchens  bemerkt  Tiaben  wollte.  Wenn  man  bedenkt,  welche 
verhältnismiissig  hohe  Summen  der  Umbau  und  die  Ausbesserungen  erforderten, 
so  kann  man  sich  nicht  genug  wundern,  dass  man  für  das  Geld  nicht  einen 
viel  besseren  Bau  errichtete.  Sicher  war  die  Gleichgiltigkeit  und  Nachlässigkeit 
der  Bauunternehmer  und  Werkfiihrer  Schuld  daran,  dass  der  ganze  Plan  miss- 
lang; hätte  Fürst  Georg  August  länger  gelebt,  so  würde  die  Sache  vielleicht 
eine  andere  Wendung  genommen  haben.  Der  Platz  um  die  Kirche  war  1690 
durch  Durchbruch  der  Kirchhofsmauer  eröffnet  worden;  doch  wurde  die  Stelle 
später  (1740)  des  „Geschnatters  der  Gänse  wegen"  wieder  geschlossen  (bis  1809). 
Das  alta,^chloss^)  auf  dem  Markte  erfuhr  in  den  Jahren  1695/96  einen 
gründlichen  Umbau  und  teilweise  Vergrösserung.  Die  Front  war  gegen  das 
„Weisse  Lamm"  und  den  früheren  „Grünen  Baum"  gerichtet,  in  der  Verlängerung 
des  heutigen  Schlosses  und  der  Marktstrasse.  Dieser  Hauptbau  war  dreistöckig, 
52  Fuss  tief  und  hatte  im  Mittel-  und  Oberstock  je  8  Fenster.  An  der  Nord- 
westecke (nach  dem  jetzigen  Königl.  Schlosse  zu)  war  ein  Wachthäuschen  an- 
gebaut. Der  Unterstock  war  15,  der  folgende  14,  der  dritte  13  Fuss  hoch. 
Wenn  man  an  der  Fronte  des  heutigen  Rathauses  entlang  scjiritt,  traf  man  auf 
die  Einfahrt;  links  zur  Erde  fand  man  einen  Vorplatz  und  vier  Gemächer,  rechts 
die  Konditorei,  Küche,  Vorratskammer  und  das  Treppenhaus.  *  Im  Mittelstocke 
befanden  sich  der  Saal  mit  einem  Altane,  zwei  Vorplätze,  die  Schenk-  und 
Spülräume  und  vier  herrschaftliche  Zimmer.  Der  Oberstock  enthielt  sechzehn 
kleinere  Wohnräume.  Die  architektonische  Ausstattung  des  Mittelstockes,  die 
sehr  gepriesen  wird,  wurde  von  dem  Stuccator  Hieronymus  Pärna  1696  im  Stile 
Louis'  XIV.  ausgeführt;  das  Holzgetäfel  war  mit  Goldleisten  eingefasst.  Über 
den  Thüren  waren  Medaillons  angebracht.  Hinter  diesem  Hauptbaue  befand  sich 
der  Schlosshof,  der  auf  der  Hinterseite  durch  den  langen  Marstall  mit  Holz- 
fachwerk-Oberbau abgeschlossen  wurde.  Der  Marstall  zog  sich  etwa  fünfzig 
Schritte  vor  der  heutigen  Marktschule,  parallel  mit  dieser  hin,  nach  der  Seite 
der  Kirche    zu    verschoben,    so    dass    sein    rechter  Flügel   auf   dem  Platze    des 

•)  Xa(.li  TIi.  Schüler,  Wiesb.  Taijbl.,   1883,  No.  252. 


61 

(ehem.)  Lauterbachschen  Hauses  stand.     Der  hinter  dem  Stalle  herführende  alte 
Graben,    damals  trocken,   kam  später   (1725)    zum    „Mühlengarten/     Zwischen 
dem  linken  Flügel  des  Schlosses  und  dem  Marstalle  lag  ein  Gärtchen;  der  Aus- 
gang aus  dem  Hofe  befand  sich  neben  dem  Stalle  (beim  Beginne  der  heutigen 
Mühlgasse.)     Die  östliche  Seite  des  Hofes  wurde  von  einem  Kutschenschuppen 
begrenzt,  der  auf  dem    vorderen  Teile   des  Platzes   der  Marktkirche  stand;    er 
hatte   sechs   Doppelthore.      Zwischen    ihm    und   dem   Schlosse   lag    wieder   ein 
Gärtchen.     Zwischen  dem  Marstall  und  dem  Schuppen  befand  sich  der  Zugang 
zum  hinteren  Schlosshofe   durch   einen  Thorbogen.     Links    standen    die  Zehnt- 
scheuern ;  daran  reihten  sich  winklig  die  Scheune,  das  Kelterhaus,  die  Schweine- 
ställe, die  Remise,  das  Hof-  (später  Pfarr-)  haus,  daran  im  rechten  Winkel  die 
Brennerei,  andere  Stallungen,  Taglöhner-  und  Gesindewohnungen  und  der  Kuh- 
stall (an  Stelle  des  1826  erbauten,  1883  niedergerissenen  Gefängnisses).    Zwischen 
demselben  und   dem  Kutschenschuppen  trat   man  vor  das  Schloss  und  auf  den 
Markt  hinaus.    Fürst  Georg  August  hat  sich  mehrfach  im  Schlosse  za  Wiesbaden 
aufgehalten,  bevor  das  zu  Biebrich  erbaut  war.     Dann    bestimmte  er  es  seiner 
Gemahlin  zum  Witwensitze,  und  diese  ist  auch  (1728)  in  demselben  gestorben. 
Es  ist  nicht  bekannt,  welche  Gründe  den  Fürsten  Georg  August  bestimmten, 
seine  Residenz  aus  dem  altehrwürdigen  Schlosse  seiner  Väter  an  den  Rhein  zu 
verlegen.     Gewiss    waren    es   keine   politischen   und    religiösen;    wahrscheinlich 
wollte  er  sich  an  der  schönsten  Stelle  seines  Landes  ein  petite  Versailles  schaflFen. 
Graf  Johannes  hatte  ehedem  schon  am  Rheinstrome  sich  ein  Lusthaus  erbauen 
lassen;  sein  Sohn  begann  den  Schlossbau  zu  Biebrich  nach  einem  grossen 
Plane.     Das   neue  Schlosa   sollte   zwei  Stock   hoch    sein,    einen   Längsbau    mit 
einem  grossen  Rundturme    in    der  Mitte  und  zwei   grosse  Flügel  haben.     Drei 
Jahre,   von  1704—1700    wurde    an    dem  Gebäude  gearbeitet,    das   heute   noch 
durch  seine  Stattlichkeit,  namentlich  vom  Rheine  aus,  einen  reizvollen  Eindruck 
auf  den  Beschauer  macht.    Die  innere  Ausschmückung  erregte  bereits  das  Ent- 
zücken Daniel  Wilhelm  Trillers,  der  Biebrichs    und  besonders  seines  Schlosses 
Schönheiten  poetisch  verherrlichte.    Die  Gemälde,  Statuen,  Marmorverzierungen 
und  Stuckarbeiten  des  Mittelbaues    werden   besonders    rühmend    erwähnt.     Die 
Figuren  auf  der  Rotunde  sind  bekanntlich  zur  Zeit  der  Belagerung  von  Mainz 
durch  französische  Schüsse  zumteil  zertrümmert  oder  beschädigt  worden  (1793). 
Auch  die  Anlage  des  Parkes  ist    Georg  Augusts  Werk;    die   beiden  Alleeen, 
„die  von  den  Flügeln  des  Schlosses  bis  zu  dem  (abgebrochenen)  Orangenhause 
führen",  die  Laubgänge,  Taxushecken,   Beete  und  Fontainen  waren  nach  fran- 
zösischem   Geschmacke   angelegt.     Zwischen    dem    Ziergarten    und    dem   Dorfe 
^[osbacTi  Täg~au  den  Seiten  der  vom  Schlosse  führenden  Mittelallee  rechts  eine 
Reitbahn,  links  der  Obst-  und  Gemüsegarten.     Dann  folgte  eine  grosse  Wiese, 
durch  welche    der  Weg,    die  Fortsetzung  der  Mittelallee,  nach    dem  Thore  des 
Gartens  auf  der  Mosbacher  Seite  lief.  "  Jedenfalls  war  die  ganze  Anlage  für  die 
damalige  Zeit  recht  ansehnlich.    Die  Moosburg  dagegen  verdankt  ihre  Entstehung 
erst  dem  Herzoge  Friedrich  August.     Im    Jahre    1721    wurde  eine  Kapelle  im 
Schlosse  hergerichtet,  doch  blieb  der  Ausbau  im  Inneren  in  mancher  Beziehung 
unvollendet. 


62 

Die  Umgegend   der    Stadt  Wiesbaden^)   gewährte   beim  Beginne 
der  Ref'ierung  Georg  Augusts  einen  ebensowenig  erfreulichen  Anblick  wie  die 
Stadt  selbst.     Ringsherum  lagen  weite   von  der  Herrschaft  oder    der  Stadt    als 
Viehtriften  benützte  verwilderte  Ackerflächen.     Der  grosse  Krieg  hatte  sie  ver- 
wüstet, den  Menschen  entwertet;  niemand  zeigte  grosse  Lust,   sich  in  weiterer 
Entfernung  von  der  Stadt  dem  Ackerbaue  zu  widmen.     Man  musste  froh  sein, 
verschiedene  Stücke  gegen  geringes  Entgelt  für  Urbarmachung  einzelnen  Bürgern 
zu  überlassen.     So  verteilte  denn  die  Stadt   im  Jahre  1686  2IV2  Morgen  vom 
„Ankam",  den  Morgen  zu  zwei  Gulden,  im  Jahre  1687  einen  Teil  der  „Wellritz", 
den  Morgen  zu  vier  Gulden.    Auch  einen  Teil  des  dortigen  Eichenwaldes  über- 
liess  sie  in  demselben  Jahre   an  Käufer,    um  an    das  Mainzer  Domkapitel    eine 
Schuld  von  1000  Gulden  abtragen  zu  können.    Dasselbe  geschah  im  Jahre  1711, 
in  welchem  eine  Anzahl  Wiesbadener  und  Dotzheimer    abermals  einen  grossen 
Teil  des  Waldes  erstanden  und  Ackerland  aus  demselben  machten.     Das  Well- 
ritzthal scheint  damals  noch  sehr  waldig  und  sumpfig  gewesen  zu  sein.-    Viele 
Wasseräderchen   des   Druderbaches    durchzogen    es   und   vereinigten    sich    erst 
unmittelbar   vor    der  Stadt.     Auf   der    anderen  Seite    dagegen   war    der  Boden 
Heideland.     Hier   lag   zwischen    der   Bierstadter   und   Frankfurter  Strasse   der 
„kleine  Hainer",    ein    im  Jahre  1748  noch  210  Morgen  grosser,    und  dahinter 
der  „grosse  Hainer",  ein  57  Morgen,  früher  im  ganzen  ca.  600  Morgen  grosser 
Distrikt.     Er  war  wüste,  mit  wilden  Obstbäumen,  Gestrüpp  und  Gras  bewachsen 
und    diente    den   herrschaftlichen   Hofgütern    als   Weideplatz.     In   den    Jahren 
1(390—93    vergab    die   Stadt    in   ihrem  an    den    ,.,Hainer''  stossenden   Distrikte 
„Unter  dem  Hainer"   23  Morgen,  und  nun  griffen  die  Anbauer  dort  ins  Herr- 
schaftliche über  und  rodeten   im  „Hainer"  an.     Am  15.  Februar    1693   verbot 
dies    zwar  der  Fürst    auf  Klagen    seiner    Hofleute   hin;    trotzdem   machten   die 
Bürger   weitere   Strecken    urbar.     Im    Jahre    1701    fand   eine   Untersuchungs- 
kommission, dass  43  Personen  eine  Fläche  von  zusammen  80  Morgen  im  „Hainer" 
angerodet  hätten.    Georg  August  gab  das  jetzt  zu,  ja  er  verteilte  sogar  den  Rest 
des  „grossen  Hainer"    und    einen  Teil    des  „kleinen"   zu   drei    bis   vier  Gulden 
für  den  Morgen  und  gegen  Lieferung  von  zwei  Kumpf  Korn  jährlichen  Zehntens 
an  die  Rentei.     Den  Rest   des  „kleinen  Hainer"    86  Morgen    kaufte    dann    die 
Stadt  ein  Jahr   nach   des   Fürsten    Tode   (1722)   von   dessen  Nachfolger,   Graf 
Friedrich  Ludwig.     Auf  der  Nordseite  der  Stadt  erhob  sich  der  Geisberg,  eine 
wüste  Viehweide,  mit  Heidekraut  und  Wachholderbüschen  reichlich  bewachsen. 
Hier  wollte  unter  Georg  August   ein  Bürger,    Johannes  Wenninger  von  Wies- 
baden,  einen  Hof  anlegen,  wenn  ihm    150    Morgen  Ackerland  und  20  Morgen 
Wiesen   zehntfrei    und   erbeigentümlich    überwiesen    würden.      Ob    es   geschah, 
wissen  wir  nicht;  der  jetzige  Hof  wurde  bekanntlich  erst  von  dem  Regierungs- 
präsidenten   von    Kruse   (1783)    erbaut.      Früher   ging   man    an    die  Bebauung 
des    Neroberges,    damals    und    noch    lange    später    „Nersberg"    geheissen.     Die 
Südseite  desselben,  jedenfalls  mit  Wald  bestanden,  wurde  gerodet  ifnd  mit  Wein 
bepflanzt.     Das  geschah   1720  durch  den  Bürger  Eisen.    Südlich  der  Stadt  lag, 

«)  Nach  Th.  Schüler,   Wiosb.  Tagbl.,  1881,  No.  273. 


63 

wie  wir  wissen,  der  herrschaftliche  Garten  („Herrengarten").  Eine  besondere 
Sorgfalt  liess  der  Fürst  dem  Mühlen wesen  angedeiben.  Zum  Salzbache  flosa 
damals,  wie  heute  noch,  auf  der  Ostseite  der  Stadt  eine  Anzahl  Bäche  zusammen, 
von  denen  wir  annehmen  dürfen,  dass  sie  in  jeuer  Zeit,  des  allenthalben  stärkeren 
AValdwuchses  wegen,  stärker  und  reissender  waren  und  auch  ein  grösseres 
Gefiille  hatten.  Der  durch  das  Sonnenberger  Thal  fliessende  Rambach  war 
jedenfalls  die  bedeutendste  Wasserader;  in  denselben  mündete  zunächst  der 
Schwarzbach  aus  dem  Neresthale,  der  die  Abflüsse  der  warmen  Quellen  in  der 
Stadt  aufoahm,  dann  der  Dendelbach,  aus  dem  Walkmühlthale,  der  mitten  durch 
die  Stadt  floss  und  der  Druderbach  aus  dem  Wellritzthale,  der  sich  südlich  der 
Stadt  mit  dem  Rambache  vereihrgte.  Eine  Abzweigung  des  Rambaches  trieb 
die  sehr  alte  Dietenmühle,  die,  im  grossen  Kriege  verwüstet,  168G  vom  Amt- 
manne J.  W.  Graff  (des  Fürsten  ehemaligem  Reisebegleiter)  neuerbaut  wurde. 
Die  übrigen  unter  der  Regierung  des  Fürsten  Georg  August  neuerbauten, 
bezw.  erneuerten  Mühlen  sind :  die  Hammermühle  (an  Stelle  eines  alten  Eisen- 
hammers) 1690,  die  Neumühle  1696  und  die  Steinmühle  1704,  alle  am  Salz- 
bache, die  Firnselmühle  1715  am  Rambach  (hinter  dem  Pariser  Hof),  die 
Schloss-  oder  Herrnmühle  1682,  die  Kimpelmühle  1692,  die  Ölmühle  1719  und 
die  Kreckmannsmühle  1720  (beide  in  der  Emserstrasse),  alle  am  Dendelbache, 
die  Klostermühle  1700  und  die  "VVellritzmühle  1702,  beide  am  Druderbache. 
Der  Betrieb  dieser  Mühlen  war  sehr  rege  und  trug  ganz  gewiss  dazu  bei,  die 
gewerbliche  Thätigkeit  in  Wiesbaden  und  auf  dem  Lande  zu  heben. 

Dieselbe  Fürsorge,  welche  Georg  August  der  näheren  Umgebung  Wies- 
badens erwies,  dehnte  er  auf  sein  Ländchen  überhaupt  aus.  Biebrich  und 
Mosbach^),  die  beiden  Schwestergemeinden  am  Rhein,  hatten  in  Kriegszeiten, 
namentlich  während  des  dreissigjährigen,  viel  zu  leiden  gehabt  wegen  der  Nähe 
von  Mainz.  Sie  sollten  deshalb  zu  besserem  Schutze  befestigt  werden.  Im 
Jahre  1688,  als  der  dritte  Raubkrieg  begann,  wurde  ein  vierzehn  Fuss  tiefer 
Graben  um  beide  Orte  gezogen  und  ein  Damm  aufgeworfen.  So  gut  gemeint 
dies  Werk  schien,  so  nutzlos  und  hindernd  war  und  wurde  es.  Denn  einen 
Schutz  vermochte  die  Verteidigungslinie  doch  nur  dann  zu  gewähren,  wenn 
hinter  derselben  Verteidiger  standen,  und  diese  fehlten  eben.  Zudem  brachte 
der  Graben  Verkehrsstockungen  mit  sich,  da  er  nur  einen  Zugang  von  der 
Armenruhmühle  her  hatte.  Der  Wohlstand  der  Gemeinde  war  nicht  besonders ; 
hatten  die  armen  Leute  doch  im  Jahre  1648  noch  30000  Thaler  zur  Deckung 
der  durch  den  grossen  Krieg  entstandenen  Schäden  aufnehmen  müssen.  Erst 
allmählich  hob  er  sich,  und  zwar  brachte  der  Bau  des  Schlosses  manchen 
Verdienst.  Im  Jahre  1695  errichtete  Matthias  Weiss  in  Biebrich  die  erste 
Metzgerei  und  Wirtschaft  „Zum  weissen  Schwan".  Um  1700  erhielt  die  Schloss- 
strasse Pflaster,  1712  wurde  die  Kirche  erneuert  und  erweitert.  Im  Jahre 
1684  hatten  die  beiden  Orte  zusammen  443  Einwohner,  die  Zahl  stieg  bedeutend 
seit  1704.  Auch  die  Nachbargemeinde  Schierstein  erholte  sich  seit  jener  Zeit 
etwas  mehr,  und  von  den  übrigen  Ortschaften  im  Amte  Wiesbaden  kann  man 


')  Nach  Th.  Schüler,  Wiesb.  Tagbl.,  1887,  No.  102. 


64 

Ahnliches  berichten,  trotzdem  der  spanische  Erbfolgekrieg  manchmal  durch 
Truppendurchmärsche  und  Einquartierungen  sich  recht  fühlbar  machte.  Das 
Amt  Wehen^),  von  Natur  aus  nicht  recht  wohlhabend,  hatte  die  grössten  An- 
strengu'ngen'  zu  machen,  um  seine  Erwerbsquellen  erspriesslich  aufzuschliessen. 
Der  Fürst  griff  auch  hier  unterstützend  ein.  Um  1700  erstanden  vier  neue 
Mühlen  im  Wehener  Grunde;  1686  hatte  Georg  August  die  Hahner  Eisen- 
schmelze angelegt,  zwischen  1700  und  1712  erbaute  er  den  Seitzenhahner 
Hammer.  Der  Jahrmarkt  zu  Wehen  wurde  erneuert  und  erfreute  sich  eines 
so  lebhaften  Besuches,  dass  die  Stiftsherren  zu  Bleidenstadt  auf  denselben 
neidisch  wurden  und  einen  eigenen  zu  Bleidenstadt  errichteten  (1712).  Seiner- 
seits verbot  nun  der  Fürst  seinen  Unterthanen  den  Besuch  des  letzteren,  was 
zur  Folge  hattef  dass  der  Versuch  der  Herren  scheiterte.  Das  Stift  war  über- 
haupt nur  noch  ein  Schatten  seiner  früheren  Grösse  und  Wohlhabenheit.  Seit 
der  Reformation  war  es  in  zwei  Teile,  einen  katholischen  und  einen  evange- 
lischen geteilt.  Letzterer  war  nassauisch  geworden.  Demgemäss  schied  sich 
auch  der  Ort  Bleidenstadt  in  zwei  Hälften,  deren  Grenze  allerdings  anfangs 
nicht  genau  festgesetzt  war.  Im  Jahre  1705  jedoch  schlössen  Fürst  Georg 
August  und  die  Stiftsherren  einen  Vertrag,  nach  welchem  die  Selbständigkeit 
des  katholischen  Teiles  bestätigt  und  die  Grenze  genau  bestimmt  und  durch 
gesetzte  Stgjne  angedeutet  wurde.  So  erhielt  sich  der  Rest  des  Stiftes  noch 
fast  hundert  Jahre  bis  zur  grossen  Säkularisation.  Die  anderen  Ortschaften 
des  Amtes  Wehen  hoben  sich  auch  allmählich  wieder;  1707  baute  sich  Born 
eine  eigene  Kirche.  In  den  Amtern  Idstein  und  Wehen  erkauften  sich  (1684) 
die  Stadt  Idstein  und  die  Flecken  „Walstorff,  Hefftrich,  Neuhof,  Adolfseck, 
Eisenkoben  und  Walrabenstein"  Freibriefe  für  teilweise  hohe  Summen  —  Idstein 
i^ahlte  136  Gulden  1  Albus  -|-  21  Gulden  Kanzleigebühren;  aber  diese  Briefe 
wurden  die  Grundlage  zu  einem  gedeihlichen  Leben  und  Wohlstande.  Die 
Gebäude  des  (1823  abgerissenen)  Klosters  Walsdorf  wurden  in  den  Jahren 
1691 — 93  von  dem  Fürsten  verkauft,  die  Klostergüter  dagegen,  welche  die 
Walsdorfer  nicht  kaufen  wollten,  da  ihnen  die  geforderte  Summe  von  6100 
Gulden  zu  hoch  war,  erblich  verpachtet.  Der  Erbleihbrief,  welcher  der  Ge- 
meinde am  30.  Dezember  1707  darüber  ausgestellt  wurde,  kostete  100  Gulden.-) 
Das  Amt  Burgschwalbach  hatte  wohl  weniger  gelitten,  als  Idstein,  Wehen 
und  Wiesbaden,  doch  sind  auch  hier  mannigfache  Spuren  des  Waltens  Georg 
Augusts  zu  erkennen.  Zwei  vereinzelt  stehende  Anlagen  sind  die  des  Hofes 
Georgenthal  bei  Strinztrifritatis  und  die  der  „Fasanerie"  bei  Wiesbaden, 
Letztere,  1690  erbaut,  war  lediglich  ein  Jagdschlosschen  mit  daranstossendem 
Garten  für  Wild,  namentlich  Fasanen,  von  denen  das  Jägerhaus  den  Namen 
erhielt.  Die  alten  Ulmen,  welche  an  dem  Wege,  der  von  der  Lahnstrasse  zur 
Fasanerie  abzweigt,  zumteil  noch  stehen,  sind  jedenfalls  vom  Fürsten  Georg 
August  gepflanzt. 

Eine  Gründung,  obwohl  der   Ausdehnung   nach   von   untergeordneter  Be- 
deutung, lenkt  doch  unsere  Aufmerksamkeit  auf  sich  wegen  der  Schwierigkeiten, 

>)  Nach   Th.  Schüler,   Wiosb.  Tagbl.,    188G,   No.  90.    —    *)   Nach   Deissmann,   Ge- 
schichte von  WaUdorF. 


65 

mit  denen  sie  zu  kämpfen  hatte   bis  ihre  Existenz  gesichert  war,  und  weil  sie 
ein  Bild  des  Verfahrens  giebt,  daa  man  damals  bei  Neuansiedelungen  einschlug.*) 
Am  Hange  der  „Hohen  WurzeP,  der  waldig  zu   einem   Wiesenthaie   abstürzt, 
und  von  dem  man  einen  freien  Blick  ins  schöne  liheinthal   hat,    stiess   zu   des 
„heiligen  römisch-deutschen  Reiches"  spätesten  Zeiten  noch  dreier  Reichsfürsten 
Gebiet  zusammen:  von  Süden  und  Westen  her  das  mainzische,  von  Osten  das 
nassauische  und  von  Norden  her  das  katzenelnbogische  (hessen-rheinfels-roten- 
burgische).      Der   Besitzstand    war    hier    nicht    genau    abgegrenzt,    wenigstens 
scheint  das  nicht  zwischen  Nassau  und  Mainz  auf  der  Seite   nach  Frauenstein 
zu  der  Fall  gewesen  zu  sein.     Nach  dem   im  Jahre    1693   erneuerten   Einfalle 
der   Franzosen   in   die    Pfalz    kamen    eine    Anzahl  flüchtender,    (wahrscheinlich 
pfälzische)  Familien  ins  Nassauer  Land,  um  der  Privilegien,  die  der  Fürst  den 
Einwanderern  gewährte,  teilhaftig  zu   werden.     Für   zwölf  bäuerliche  Familien 
beschloss  nun  Georg  August  eine  eigene   Niederlassung  in  jener  Grenzgegend 
zu  gründen;  die  Neuangesiedelten  sollten  gewissermassen  einen  Eckpfosten  des 
Nassauischen  gegen  Mainz  und  Hessen  bilden.    Die  zwölf  Familien  fanden  sich 
bald.     Im  Frühjahre  1694  erhielten  sie   eine  Waldfläche   von  300  Morgen    am 
Hange  der  „Hohen   Wurzel"    angewiesen,  die   folgendermassen   verteilt  wurde. 
Jede  Familie  bekam  eine  Hofraithe  mit  Gärtchen   und   18  Morgen   Ackerland, 
das  sie  selbst  roden   musste;    das   Übrige   blieb  für  Gemeinbauten   aufgespart. 
Eine  entsprechende  Strecke  Weideland  und  Wiesen,  sowie  Bau-  und  Brennholz 
wurde  ausserdem  zugegeben.     Zehn   Jahre  lang  sollten  die  Leute   vollständig 
von  allen  Lasten  und  Abgaben  frei  sein  und  nur  nach  dem  zweiten  Jahre  den 
Zehnten  zahlen.    Die  Ansiedler  gingen  rüstig  ans  Werk;  es  waren  ans  Arbeiten 
gewöhnte,  unverdrossene  Menschen,  die  froh   waren,   eine  Unterkunft  gefunden 
zu  haben.    Sofort  aber  stiessen  sie  auf  den  Widerspruch  der  mainzischen  Nachbar- 
gemeinde Frauenstein.    Die  Frauensteiner  klagten,  dass  ihnen  von  den  Fremden 
öin  Teil  der  Röderwiesen,  die  sie  seit  Jahren   besessen  hätten,   und   die  ihnen 
gehörten,  weggenommen  worden  seien,  und  sie  protestierten  dagegen  bei  ihrem 
Kurfürsten.   Derselbe  scheint  indessen  vorderhand  nichts  unternommen  zu  haben; 
denn  die  neue  Gemeinde,  Georgenborn  genannt,  nach  des  Fürsten  und  Pro- 
tektors Namen,  entwickelte  sich  weiter.     Da  trieb  im  Jahre  1697  der  Fraueu- 
steiner  Hirt   sein  Vieh  auf  die  Wiesen   und  Äcker  der  neuen  Ansiedler,    und 
die  Georgenborner  sowie  die  übrigen  nassauischen  Nachbargemeinden  vergalten 
auf  Befehl    des   Fürsten    Gleiches    mit   Gleichem.     Seitdem   entspann    sich   ein 
fortwährender  Kleinkrieg.    Die  Frauensteiner  überfielen  einen  Müller,  der  unter- 
halb Georgenborn  angesiedelt  war,  schleppten  ihn  nach  ihrem  Orte  und  setzten 
ihn  im  Gemeindehause  gefangen.     Doch  gelang  es   ihm   zu  entkommen,    trotz- 
dem Sturm  geläutet  und  ihm  nachgesetzt  wurde.     Im  Jahre    1698   folgte  dann 
eine  förmliche  Verwüstungsrazzia  der  Frauensteiner  ins  Georgenborner  Gebiet, 
die  so  nachdrückliche  Spuren  hinterliess,  dass  die  Ansiedler   1000   Gulden    bei 
der  Hofkammer  zur  Deckung  der  Schäden   aufnehmen  mussten.     Zehn   Jahre 
lang   blieb   es  hierauf  ruhig;   in  der  Zeit   bestanden    am   Orte   8   Wohnhäuser 


')  Verj^l.  auch  Th.  Schüler,  Wiosb.  Tagbl.,  1884,  No.  133  u.  139. 


66 

und  2  Scheuern.     Als  man  aber  dann  ein  neues  Haus  bauen   wollte  und   das 
Rodland  neu  besamte,  das  bis  dahin  brach  gelegen  hatte,  ging  der  Streit  wieder 
an.     Am  28.   August   1708   rückten   zweihundert  Mann  kurmainzischer   Land- 
miliz unter  Anführung  des   Landschreibers  von  Eltville  ganz  unerwartet  gegen 
Georgenborn.      Mit   wahrhaft  frenetischer   Zerstörungslust    wurden    die  Garten- 
zäune abgerissen  und  verbrannt,  die  Obstbäume,  die  nun  schon  teilweise  zwölf 
Jahre  gestanden  hatten,  abgehauen,  die  Pflanzen  ausgerissen,   die  Frucht   ver- 
brannt.    Hühner  und  Gänse  raubte  man;  die  Erdfrüchte  wurden  in   dazu  mit- 
gebrachten Wagen  fortgefahren ;  das  aus  dem  Mainzischen  mitgenommene  Vieh 
Hess  man  die  Acker  zertreten.     Mit  klingendem  Spiele  zogen   die   Räuber   ab, 
gegen  deren  Überzahl   die   Georgenborner   mit   Armesmacht   nicht    aufkommen 
konnten.      Sie  beschwerten  sich  natürlich  sogleich  bei  ihrem  Landesherrn,  und 
dieser  legte  in  Mainz  "Verwahr  gegen  derartige  Gewaltthätigkeiten  ein.    Genützt 
hat  das  wenig;  auch  die  Konferenzen  zur  Ausgleichung  der  Streitigkeiten  führten 
zu   nichts.     In   den   Jahren    1713   und    1716   wiederholten  sich   die  Überfälle, 
wenn   auch   nicht   in  der   Ausdehnung    wie    1708.      Unter    diesen    Umständen 
konnte  der  Fürst  fast  nichts  Weiteres  thun,  als  die  Leute  zum  Bleiben  ermutigen 
und  durch  Schenkungen  und  Unterstützungen  nachhelfen.    Den  Mut  der  wackeren 
Ansiedler  muss   man   bewundern;    sie   hielten   aus,   denn   sie   hatten   die  neue 
Heimat  liebgewonnen.    Freilich  blieben  sie  mit  ihren  Leistungen  im  Rückstande, 
so  dass  man  1723  von  Seiten  der  Herrschaft  den  Ort,  der  nur  Kosten  verursacht 
und   an   dem   nur  sein  verstorbener  Gründer  Interesse   hatte,  eingehen  lassen 
wollte.    Indessen  verpflichteten  sich  im  Jahre  1726  die  zwölf  Bürger  zu  pünkt- 
licher Zahlung,   und  so   blieb  Georgenborn   bestehen.     Im   Jahre    1728  erliess 
die   Fürstin-Regentin   Charlotte   Amalie   den   Bewohnern   überdies   die    Schuld 
jener   1000   Gulden,   und   die   Georgenborner   hielten   sich    fortan   sogar   einen 
eigenen  Lehrer.     Heute  ist  der  Ort  ein  hübsches,  blühendes  Dörfchen. 

Wenn  wir  im  Vorhergehenden  die  kolonisatorische  Thätigkeit  Georg  Augusts 
hauptsächlich  betrachtet  und  dabei  die  industriellen  Anlagen  nur  kurz  berührt 
haben,  so  müssen  wir  nun  unsere  Aufmerksamkeit  einer  der  letzteren  zuwenden, 
die  recht  vielversprechend  war,  leider  aber  fehlschlug.^)  Ein  einträglicher  Zweig 
der  Industrie,  der  besonders  in  damaliger  Zeit  in  Frankreich  gepflegt  wurde, 
war  die  Fabrikation  geblasener  Glasspiegel  nach  der  Methode  des  Venezianers 
Gallo.  Im  Jahre  1704  kam  ein  Franzose  aus  der  Normandie,  Pierre  Bernard  de 
Ste.  Pierre  nach  dem  Idsteinischen,  gab  Georg  August  den  Plan  zu  einem  Glas- 
werke und  stellte  zugleich  ihm  die  Vorteile  desselben  vor.  Der  Fürst,  immer 
bereit  auf  Neues  und  Nutzbringendes  einzugehen,  griff  den  Plan  des  Franzosen 
auf,  zumal  in  Deutschland  damals  noch  wenige  Spiegelglasfabriken  bestanden. 
Die  Räume  des  Klosters  Clarenthal  standen  teilweise  unbenutzt  und  schienen 
sich  vortrefflich  zu  Arbeitsstuben  zu  eignen.  Ste.  Pierre  aber  besass  kein 
Kapital,  um  das  Unternehmen  beginnen  zu  können;  so  musste  sich  der  Fürst 
dazu  verstehen,  5421  Gulden  vorzuschiessen.  Der  Franzose  sollte  diese  Summe 
zu  6%  verzinsen  und  nach  Einrichtung  der  Fabrik  300  Gulden  jährlicher  Pacht 


'J  Nach  Th.  Schüler,  Wiesb.  Tagbl.,  1882,  No.  266  u.    Roth,  Gesch    von  Wiesbaden. 


67 

entrichten;  vom  Reingewinn  war  das  Kapital  allmählich  abzutragen.    Das  Brenn- 
holz  sollte   ihm   aus   den   umliegenden    Waldungen,    die   Klafter   zu   22   Albus 
4  Heller  (=  etwa  1.30  Mk.)  geliefert  werden.    Alle  Fabrik-  und  Wohngebäude 
waren  Steuer-,  der  Lebensmittel-  und  Getränkeverkauf  an  die  Arbeiter  accise- 
freL     Die   zugehenden  Rohstoffe    sowie   die   ausgeführten   Fabrikate   brauchten 
nicht  verzollt  zu  werden.    Dem  Unternehmer  und  seinen  Leuten,  die  katholisch 
waren,    wurde   der   Gottesdienst  bei  verschlossenen    Thüren   gestattet;    Taufen, 
Kopulationen   und   Begräbnisse    dagegen    nahm    der   evangelische  Pfarrer   vor. 
Nun  begann  der  Umbau  des  Klosters   im  Innern,  und   mit  dem  Versetzen  der 
Wände   und   Pfeiler,    dem   Übertünchen  und  Vermauern  verschwand    fast  jede 
Erinnerung   an  die    frühere    Zeit    und    die    ehemalige    Bestimmung    der   nun- 
mehrigen Fabrikräume.    Die  Anlage  scheint  nach  den  Beschreibungen  in  jeder 
Hinsicht  ausreichend  und  sogar  grossartig  gewesen   zu   sein.     Ihr  Betrieb   be- 
gann im  Jahre  1706,  und  der  Fürst  war  so  erfreut,  dass  er  bei  der  Eröffnung 
dem  Unternehmer  und  seinen  25  Arbeitern  ein  kleines  Fest  gab   und   sie   be- 
schenkte.    Aber   der  Absatz   der   angefertigten  Spiegel  ging   im   ersten   Jahre 
schlecht.     Ste.  Pierre  trat,  als  der  Vertrag  mit   dem  Fürsten   abgelaufen  war, 
zurück.     Ein  anderer  Franzose  (oder  Engländer)  William  Bayli  (Baillie?)  nahm 
seine   Stelle    ein,    machte    aber    Schulden    und    entfloh    schon    1707.     Hierauf 
wurden  Du  Manoir  und  Ste.  Marie,  geborene  Pariser,  Leiter  der  Fabrik.     Sie 
setzten  an  Stelle  der  Spiegelglasfabrikation  die  der  Rohrspiegelgläser   und  des 
weissen  Fensterglases.    Schon  nach  drei  Jahren  aber  wurden  die  beiden  Unter- 
nehmer uneinig.     An  Stelle   des   Ste.  Marie,   der  Ciarenthal   verliess,   trat   ein 
Deutscher   namens   Weiss,   der   zuletzt   allein   dastand,    da   auch    Du   Manoir, 
Schulden    hinterlassend,    durchging.      Nun    folgten   fast   in  jedem    Jahre   neue 
Leiter,   lauter   Deutsche,    die    aber   wahrscheinlich  nichts   von  der  Fabrikation 
verstanden.     Zum  Jammer   der  Bauern   verbrannte  man   dabei  Unmassen  von 
Holz,  so  dass  der  Wald  ringsum  stellenweise  ganz  verschwand.    So  schlug  man 
z.  ß.  in  den  Jahren  1713  und  14  an  630  Klaftern.  Im  Jahre  1720  erbot  sich 
wieder  ein  Franzose,  Joseph  Compagnon,  eine  Reform  der  Fabrik  vorzunehmen, 
so  dass  vor  allen  Dingen  weniger  Holz  verbraucht  werde  und  auch  die  Spiegel- 
glasfabrikation wiederaufgenommen  werden  könnte.    Man  hatte  seit  1716  auch 
Trinkgläser  angefertigt.    Wiederum  begann  das  Bauen;  die  alten  Öfen  mussten 
abgebrochen  und  neue  errichtet  werden.    Die  Arbeiten  schleppten  sich  hin ;  Fürst 
Georg   August   ist  darüber   gestorben.     Da  brach  im  Jahre    1723   durch   Un- 
vorsichtigkeit Feuer  aus,  und   es  brannten   der  Dachstuhl   des   „Nonnenbaues*^ 
und  mehrere  Wohnräume  ab.     Der  dadurch  angerichtete  Schaden  kam  fast  an 
600  Gulden,  die  Compagnon  aufgerechnet   wurden.     Da   dieser    sich    weigerte, 
den  Wiederaufbau  auf  seine  Kosten  zu  übernehmen,  schickte  man  ihn  im  Jahre 
1724  fort  und  wandelte  die  Glasfabrik  in  eine  Papierfabrik  um.    Die  Schicksale 
derselben  zu  verfolgen   ist  nicht  unsere   Aufgabe.     Bemerken   möchte   ich  nur 
noch,  dass  das  verunglückte  Unternehmen  zu  Clarenthal  hundert  andere  gleich- 
zeitige in  Deutschland  zur  Seite  stehen  hat.  Die  Kulturgeschichte  weist  dies  nach. 
Der  Verkehr   innerhalb   der  Grafschaft   und  nach  aussen  auf  den  Land- 
strassen und  Feldwegen  war  nach  dem  grossen  Kriege  wenig  lebhaft  gewesen, 


68 

und  die  Wege  befanden  sich  allenthalben  im  Verfalle.    Durch  eine  seiner  ersten 
Verordnungen  vom  16./26.  Februar  1685  befahl  daher  der  Fürst,  dass  die  Ge- 
meinden  die  Landstrassen   und  Wege   in  Wald  und  Flur  binnen  vier  Wochen 
zwanzig  Fuss  breit  anlegen  und  zum  besseren  Reiten  und  Fahren  ebenen  sollten ; 
im  Falle  der  2slchtbeaehtung  dieser  Vorschrift  sollten  die  Säumigen  mit  50  Gulden 
Strafe  belegt  werden.     Von  einem  regelrechten  Chausseebau  war  damals  noch 
nicht   die  Rede;    es   handelte   sich  hier  bloss  um  ein  einfaches  Erbreitern  und 
Überschütten   der  Wege   mit   Schutt   und    Sand,    ein   Ausgleichen    der   Lücher 
u.  8.  w.  Die  Anzahl  der  Strassen  durch  die  Grafschaft  war  auch  nicht  bedeutend. 
Von  Wiesbaden  aus  lief  gen  Norden  ein  Weg,  der  nach  Wehen,  Bleidenstadt 
und  Schwalbach    führte   und   sich    erst  auf  dem  Gebirge  entsprechend  gabelte. 
Ein  anderer  führte  nach  Idstein,  von  der  Sonnenberger  Strasse  abzweigend,  ein 
dritter  nach  Frankfurt  über  den  „Hainer",  von  dem  der  Bierstadter  und  Mainzer 
Pfad  sich  trennten,  und  der  vierte  war  die  Allee  vor  dem  Stadtthore,  die  sich 
in  die  Strassen  nach  Mainz,  Mosbach  und  Schierstein  verzweigte.    Eine  wirkliche 
Land-    oder  Hochstrasse  durch  nassauisches  Gebiet   war   die   alte  Köln-Frank- 
furter Strasse.     Zur  Zeit  des  Fürsten  Georg  August    wurde    auf  derselben  der 
Postverkehr  vermittelt.^)    Denselben  leitete  bekanntlich  im  „heihgen  römischen 
Reiche  deutscher  Nation"  (seit  1615)  der  Reichs-Generalpostmeister  und  spätere 
Reichsfürst  von  Thurn  und  Taxis.     Ursprünglich  war,  des  grossen  Krieges  und 
der  Heere  wegen,    welche  auf  den   grossen  Strassen  einherzogen,   die  Postlinie 
Köln-Frankfurt   eine   andere    gewesen;    die    vier   Stationen    befanden    sich    zu 
Oberroth  (a,  d.  Aldenburg),  Freiendiez,  Maxsayn  und  Birnbach.     Der  Postreiter 
ritt  jede  Woche  einmal  von  einer  Station  zur  nächsten,  gab  sein  Brieffelleisen 
ab    und  nahm  das  angekommene  mit  zurück.     Als  dann  die  Hohe  Strasse  ge- 
wählt worden  war,  wurden  etwa  seit  1704  regelmässige  Postfuhren  eingerichtet. 
Aus  den  Postreitern  wurden  Posthalter;  die  Ilauptstation  im  Idsteinischen  war 
zu  Würges   bei    Idstein.     Die'  Stadt  Wiesbaden   hatte   damals   (bis    1711)    nur 
gleichsam  eine  Nebenverbindung  mit  der  freien  Reichsstadt  Frankfurt  und  zwar 
durch   den  Rheinfelser  Boten.     Dieser   kam    zweimal  in  der  Woche  auf  seiner 
Tour  durch  Wiesbaden,  nahm  im  Wirtshause  „Zum  Rappen"  in  der  Marktstrasse 
(Seiler'sches  Haus)  die  Briefe  mit  und  gab  die  erhaltenen  ab.     Im  Jahre  1711 
schlug  nun  Fürst  Georg  August  dem  Fürsten  Thurn  und  Taxis  vor,  in  Idstein 
eine  eigene  Poststation  zu  errichten.    Die  kaiserlichen  Stationen  waren  damals; 
Frankfurt,    Königstein,    Würges,    Limburg,    Walmerod,    Freilingen,    Gieleroth, 
Weyerbusch  u.  s.  w.    Sie  waren  schon  seit  1704  vermehrt  worden.    Der  Geueral- 
postmeister   erklärte  den  Wunsch   des  Fürsten  für  unerfüllbar,    da  Idstein  eine 
geschlossene  Stadt  sei.    Verhandlungen  Georg  Augusts  mit  dem  Kurfürsten  von  ^ 
Trier,  der  mit  Nassau-Oranien  in  Würges,  der  nächsten  Station,  die  Gemeinsame    . 
hatte,    sehlugen    ebenfalls  fehl.     Da   stellte  Georg  August  einen  eigenen  Boten 
an,    der  jeden    Montag   und   Freitag   von  Idstein   über   den  „Troflipeter"   nach 
Wiesbaden  ritt.     In    der  Stadtschultheisserei  in  Idstein  wurde  er  expe<jiert,   in 
Wiesbaden  gab  er  im  Schlosse  die  Briefe  ab  und  nahm  etwa  vorhandene  mit. 


•)  Nach  Th.  Schüler,  Wiesb.  Tagbl.,  1886,  No.  50. 


69 

ritt  dann  nach  Frankfurt  weiter,  wo  ein  nassau-idsteinischer  Agent  angestellt 
war.  Am  anderen  Tage  kehrte  der  Postreiter  mit  den  eingegangenen  Sachen 
auf  demselben  Wege  nach  Idstein  zurück.  Das  geschah  seit  dem  20.  April  1711. 
Der  Fürst  liess  die  neue  Postverbindung  in  der  „Hanauischen  Zeitung''  bekannt 
machen.  Auf  diese  Nachricht  hin  legte  der  Kurfürst  von  Mainz  als  Protektor 
des  Reichspostwesens  sofort  Protest  ein.  Georg  August  aber  Hess  sich  dadurch 
nicht  einschüchtern.  Er  erklärte,  dass,  wenn  der  Fürst  von  Thurn  und  Taxis 
auf  seinen  Vorschlag  eingehen  würde,  er  von  seinem  eigenen  Postbedienten 
absehen  wolle.  Die  Station  in  Idstein  aber  war  ihm  jetzt  allein  nicht  genug; 
wie  man  sieht,  wollte  er  die  Richtung  der  Strasse  verändern  und  letztere  über 
Wiesbaden  geführt  wissen.  Zum  Zeichen,  dass  er  seine  Einrichtung  unter  allen 
Umständen  aufrecht  erhalten  wollte,  stellte  er  noch  einen  zweiten  reitenden 
Boten  an,  der  von  der  Lahn  über  Kernel  nach  Wiesbaden  und  zurück  seinen 
Weg  nahm.  Der  Rheinfelser  Bote  wurde  für  das  nassauische  Gebiet  abgeschafft. 
Id  Wiesbaden  ernannte  der  Fürst  den  Wirt  Henrici  im  „Goldenen  Löwen" 
in  der  Marktstrasse  (das  h.  Kimmel'sche  Haus)  zum  Posthalter.  Jeden  Mitt- 
woch, zur  Frankfurter  Messezeit  zweimal  in  der  Woche,  fuhr  ein  bedeckter 
Wagen  zum  unteren  Stadtthore  hinaus  von  Wiesbaden  nach  der  freien  Reichs- 
stadt. Die  gedruckte  Bekanntmachung  dieser  für  Fremde  und  Einheimische 
höchst  angenehmen  Nachricht  wurde  am  2.  Oktober  1713  zum  ersten  Male 
in  allen  Gast-  und  Badehäusern  Wiesbadens  angeschlagen.  Dem  Posthalter 
war  eine  Taxe  gesetzt,  damit  die  Fahrgäste  nicht  übervorteilt  würden.  Zwei- 
mal in  der  Woche  wurden  auch  die  Briefe  nach  Frankfurt  besorgt,  wahrschein- 
lich durch  einen  besonderen  Boten.  Dass  Mainz  darüber  noch  mehr  aufgebracht 
wurde,  lässt  sich  denken.  Zunächst  verbot  es,  den  nassau-idsteinischen  Post- 
reiter durch  sein  Gebiet  zu  lassen,  und  dann  erwirkte  es  eine  kaiserliche  Ver- 
ordnung, durch  welche  demselben  der  Einritt  in  Frankfurt  verwehrt  wurde. 
Alles  half  nichts.  Die  Boten  gingen  und  kamen  nach  wie  vor,  trotzdem  einmal 
einer  im  mainzischen  .Königstein  arretiert  wurde.  Die  Route  blieb  bestehen 
und  wurde  fleissig  benützt.  Nun  liess  sich  der  neue  Fürst  Anselm  Franz  von 
Thurn  und  Taxis  zu  Verhandlungen  herbei,  die  verhältnismässig  schnell  erledigt 
waren.  Am  17.  November  1714  wurde  die  bisherige  nassauische  Post  in  ihrer 
seitherigen  Ausdehnung  vom  Fürsten  Thurn  und  Taxis  übernommen  und  das 
kaiserliche  Postschild  am  „Goldenen  Löwen"  angeschlagen.  Die  Wiesbadener 
waren  aber  sehr  unzufrieden.  Sie  hatten  bisher  durch  Hauderen  viel  verdient 
und  wollten  sich  nicht  damit  einverstanden  erklären,  dass  die  Herrschaft  ihnen 
bezüglich  der  Personen-  und  Frachtfahrten  das  Brot  schmälere.  Der  Fürst  gab 
nach  und  gestattete  im  Jahre  1716  dem  Verwalter  nur  acht  Postpferde  zu  halten. 
Nichtsdestoweniger  klagten  die  Fuhrhalter  immerfort.  Man  warf  Henrici  vor, 
dass  er,  im  Einverständnisse  mit  Brotneidischen,  Wagen  halte,  andere  Kutscher 
in  Postlivree  stecke  und  so  dennoch  Beförderungen  über  die  Zulässigkeit  hinaus 
vornehme.  Abermals  liess  sich  Georg  August  zu  Zugeständnissen  herbei  und 
gestattete  den  Wiesbadener  Hauderern,  „all?  und  jede  Fuhren  über  4  Meilen 
Weges."  Er  erliess  auch  eine  scharfe  Instruktion  für  beide  Teile,  deren  Über- 
schreitung mit  schweren  Strafen  belegt  wurde.     Es  half  aber  nicht  viel;  denn 


70 

der  herrschaftliche  Posthalter  und  die  Fuhrleute  der  Stadt  suchten  und  fanden 
jederzeit  Mittel,  die  Vorschriften  zu  umgehen.  Dem  Verkehre  selbst  that  das 
aber  durchaus  keinen  Schaden. 

Das  Schwul-  und  Kirchenwesen^)  fand  an  dem  Fürsten  Georg  August 
einen  eifrigen  Pfleger  und  Förderer.     Die  lateinische  ^^hule  zu  Idstein  war 
im   Jahre    1569    aus    der  Stiftsschule    daselbst    entstanden.     Mit   ihr   war   eine 
Vorbereitungsschule   für   deutsche  Lehrer   verbunden.     Die  Theologen  wurden, 
bevor  sie  ihr  eigentliches   Amt   antraten,    zuerst    als  Lehrer   in    den  grösseren 
Dörfern  angestellt.     Der  Kantor,  der  Lehrer  der  untersten  Klasse,  bildete  junge 
Leute,   die    tauglich    waren,    zum   Amte   als   Lehrer   aus.     Ahnlich    mag   es  in 
Wiesbaden  geschehen  sein,  wo  ca.  1550  (oder  später)  die  erste  Schule  entstand 
(in  der  Schulgasse,  h.   „Storchnest").     Der  Leiter  jeder  Schule  war  der  Rektor. 
Rektoren    zu    Wiesbaden    waren    zu    Georg    Augusts    Zeit:    J.    W.    Willkühn 
(1670—84),  J.  R.  Schmidt  (1685—89),  J.  Ph.  Scholl  (1690-94),  J.  J.  Wagner 
(1694—1712),  Ph.  H.  Gramer  (1713-21),  in  Idstein  :  J.  H.  Gärtner  (1673-1707) 
und   J.  L.  Gramer  (1707—35),    zwei  ganz  bedeutende  Schulmänner.     In   der 
damaligen    Zeit    brachen    sich   die    Grundsätze    des   grossen    Pädagogen   Amos 
Komensky  mehr  und  mehr  Bahn,  und  sie  wurden  auf  alle  Schulen  angewendet, 
deutsche  und  lateinische,   niedere   und  höhere.     Das   war   besonders   der  Fall, 
als  August  Hermann   Francke   mit   seinen    verschiedenen   Musteranstalten   den 
Pädagogen   ein  tüchtiges  Vorbild  gab.     Nach  ihm  verfuhr  teilweise  der  Refor- 
mator  der  Idsteiuer  Schule,    der  Rektor  Gärtner,    und    er  brachte  durch  seine 
Tüchtigkeit   die   letztere    so   in  Flor,    dass  die  Zahl  der  Schüler  in  den  beiden 
oberen  Klassen,   die  anfangs  nur  sechs  oder  acht  betrug,   zeitweise  auf  achtzig 
und   hundert    stieg.     Die   ganze  Schule  gliederte  sich  nämlich  in  drei  Klassen. 
Der  Lehrer   der  untersten,    wie  oben  erwähnt,    der  Kantor  genannt,   war  recht 
ei^-entlich  Musik-  und  Deutschlehrer.     Den  Musikunterricht  erteilte  er  auch  in 
den  höheren  Klassen,  in  der  zweiten  unterrichtete  er  im  Schreiben  und  in  der 
seinigen  gab  er  zudem  Unterweisung  in  den  ersten  Grundsätzen  der  lateinischen 
Grammatik.     Der  Lehrer    der  zweiten  Klasse  war  der  Konrektor.     Die  Klasse 
teilte   sich   in    fünf  Ordnungen,   und   ihr  Unterricht   begann   jeden  Morgen  um 
6  Uhr.     Die    beiden    ersten  Stunden   war  Religionsunterricht;    dann  wurde  mit 
den  zwei  ersten  Ordnungen  Cornelius  Nepos  behandelt  und  dreimal  wöchentlich  ein 
Exercitium  über  den  durchgenommenen  Stoff  geschrieben.    In  der  letzten  Stunde 
trieben   die   drei    unteren    Ordnungen    (bis    10  Uhr)    die  Giessener   Grammatik 
und   die  Idsteinische  Syntax  (von  Gärtner),    sowie   die  Colloquia  Corderi.     Am 
Nachmittage  begann  der  Unterricht   um  12  und  endigte  um  4  Uhr.     Die  zwei 
oberen  Ordnungen  hatten  wieder  Lateinstunden  und  begannen  das  Griechische ; 
die  Regeln  der  Prosodie  und  Rhetorik  wurden  hergesagt  und  angewendet.     Die 
erste  Ordnung  fing  an.  Hebräisch  zu  lernen.    Lehrer  der  obersten  Klasse  waren 
der  Rektor  und  sein  Gehilfe,  der  Prorektor.    Diese  Klasse  enthielt  die  Exemten 
und  drei  Primanerordnungen.     Von  4—7  Uhr  morgens  wurde  den  Exemten  ein 


')  Nach  Rizhaub,  Gymn.-Progr.  v.  1797  und   Firnhuber,  Die  nassauische  Simultan- 
volksschule, I. 


71 

theologisches  Kolleg  über  „den  König"  gehalten,  nach  Musäus  und  Brochmand 
die  Thesis  weiter  bestimmt  und  festgesetzt,  die  Antithesis  erklärt,  und  wider- 
legt. Von  7 — 10  würden  die  Primaner  unterrichtet;  mit  ihnen  wurden  die 
Catechesis  Dieterici,  die  Anfangsgründe  der  Logik  und  Ethik,  die  Rhetorik, 
die  Anleitung  zur  Verfassung  der  Chrie,  die  Janua  des  Komensky,  das  griechische 
Testament,  Asops  Fabeln,  die  CoUoquia  Graeca  Posselii  und  Hesiod  behandelt. 
Verschiedene  Male  wöchentlich  wurde  ein  griechisches  und  lateinisches  Exer- 
citium  geschrieben,  wobei  die  obere  Ordnung  das  griechische  nach  lateinischem 
Diktat  gleich  niederschreiben  musste.  Von  10—11  hatten  die  Exemten  entweder 
logisches  oder  ethisches  Kolleg.  Nachmittags,  Mittwochs  und  Samstags  ausge- 
nommen, war  Schule  von  12 — 6.  Die  Exemten  hatten  von  12—1  Hebräisch, 
oder  CoUegium  Physicum,  Mittwochs  aber  Disputation  über  theologische  und 
philosophische  Fragen  im  Beisein  der  Geistlichen.  Die  Primaner  sangen  oder 
rechneten  während  dieser  Zeit  bei  dem  Kantor.  Von  1 — 4  traktierte  der  Rektor 
mit  ihnen  Curtius  undVergil;  von  4 — 6  nachmittags  hielt  er  mit  den  Exemten 
(auch  Mittwochs  und  Samstags)  viermal  metaphysisches  und  zweimal  politisches 
Kolleg.  Gärtner  bewältigte  anfangs  diese  Riesenarbeit  allein ;  daneben  predigte 
er  als  erster  Stadtpfarrer  jeden  Sonntag.  Später  bekam  er,  wie  angegeben ,^ 
einen  Gehilfen  an  dem  Prorektor,  der  ihm  die  Stunden  bei  den  Primanern 
grossenteils  abnahm.  Damals  kamen  für  die  Schüler  noch  wöchentlich  eine 
historische  und  zwei  geographische  Stunden  hinzu.  Sogar  am  Sonntage  wurde 
von  7 — 10  unterrichtet;  es  wurden  die  Epistel  des  betreffenden  Sonntags  griechisch 
erklärt  und  nach  der  Nachmittagskirche  die  griechischen  Verse  der  Schüler 
korrigiert.  Der  spätere  Rektor  Rizhaub,  der  Gärtner  sehr  lobt  und  ihm  alle 
Ehre  widerfahren  lässt,  kann  sich  aber  nicht  mit  seiner  Methode  einverstanden 
erklären.  Indessen  führt  er  als  Entschuldigung  seines  Vorgängers  an,  derselbe 
sei  ein  Kind  seiner  Zeit  gewesen.  Eine  neue  Reform  der  Idsteinischen  „Uni- 
versitas"  —  im  wahren  Sinn  des  Wortes  —  hat  eben  erst  zum  Wohle  der 
Lehrer  und  Schüler  der  erwähnte  tüchtige  Methodiker  J.  A.  Rizhaub  (1784 — 97) 
vorgenommen.  Von  Rektor  Gärtner  stammen  die  im  Jahre  1690  veröffentlichten 
„Leges  scholasticae  pro  schola  Idsteiniensi  et  Wiesbadensi"  (in  19 
Artikeln),  deren  Inhalt  kurz  der  folgende  ist.  Die  Schulen  sind  Pflanzstätten 
der  Frömmigkeit  und  der  Wissenschaften.  Jeder  Lehrer  ist  auf  sein  Amt  zu 
vereidigen  vor  dem  Konsistorium.  Durchs  ganze  Jahr  ist  am  Werktage  Schule  zu 
halten,  sechs  Stunden  am  Vor-  und  drei  am  Nachmittage ;  jede  Stunde  ist  mit  Ge- 
bet zu  beginnen  und  zu  schliessen.  Pünktlichkeit  wird  jedem  Lehrer  zur. Pflicht 
gemacht.  Ferien  sind  Mittwochs  und  Samstags  Nachmittags  und  vierzehn  Tage 
nach  jedem  Semesterexamen.  Der  Lehrplan  soll  von  Rektor  und  Schulkollegium 
alle  halbe  Jahre  vorberaten  und  genau  durchgeführt  werden.  Jeder  Lehrer 
hat  seine  bestimmte  Klasse  und  über  dieselbe  Rechenschaft  abzulegen.  Der 
Rektor  hat  die  gesamte  Schularbeit  zu  überwachen  und  je  nachdem  bei  Mängeln 
ermahnend  oder  strafend  einzuschreiten.  Die  Lehrer  sind  ihm,  um  des  Beispiels 
für  die  Jugend  willen,  Gehorsam  schuldig.  Der  Kantor  hat  den  Musikchor  zu 
leiten  und  die  gesanglichen  Festaufführungen  vorzubereiten.  Schreiben  und 
Rechnen  ist  mit  Fleiss  zu  treiben  und  bei  den  Examinas  zu  prüfen.    Die  Methode 


72 

dieser  Fächer  soll  stets  verbessert  werden.  Die  Schüler  sind  zur  Reinlichkeit 
und  zum  Anstand  anzuhalten.  Die  Disciplin  soll  nicht  locker,  aber  auch  nicht 
zu  hart  sein ;  statt  des  Stockes  soll  die  Rute  gebraucht  werden ;  nicht  unmensch- 
lich, sondern  väterlich,  soll  die  Zucht  sein.  Zur  Strafe  diene  manchmal  Aus- 
wendiglernen von  Psalmen,  Versen  und  Wörtern.  Die  Knaben  sind  mit  Fleiss 
anzuhalten,  überall  lateinisch  zu  reden,  auch  der  Wetteifer,  das  Certieren  ist 
zu  fördern.  Die  Exercitien  und  Extemporalien  sind  vom  Lehrer  zu  Hause  zu 
korrigieren  und  die  Fehler  den  Schülern  zu  erklären.  Der  Lehrer  soll  mit 
seinen  Schülern  zur  Kirche  gehen  und  sich  die  Predigt  wiederholen  lassen.  Mit 
allem  unnötigen  Auswendiglernen  sind  die  Schüler  zu  verschonen,  „das  Gedächt- 
nis soll  man  wie  einen  Schatz  dem  Blut  gleich  achten  und  nicht  eher  angreifen 
als  in  der  Not."  Kein  Lehrer  soll  nach  eigenem  Gutdünken  ein  Buch  einführen; 
sondern  es  soll  dies  erst  nach  Billigung  des  Scholarchen  geschehen,  und  zwar 
sind  für  die  Schulen  zu  Idstein  und  Wiesbaden  die  Bücher  dieselben.  Vor 
allen  Dingen  ist  den  Schülern  das  wahre  Christentum  einzupflanzen.  —  Der 
Fürst  Georg  August  zeigte  lebhaftes  Interesse  an  dem  Fortgang  der  Schule  zu 
Idstein,  die  eine  der  berühmtesten  in  Deutschland  wurde ;  er  bösuchte  mit  seiner 
Gemahlin  und  seinen  Töchtern  oft  die  öffentlichen  Examinas.  Im  Jahre  1705 
gründete  er  die  fürstliche  Hof-  und  Kanzleibuch druckerei,  die  neben  be- 
hördlichen Verordnungen  und  Bekanntmachungen  auch  Schul-  und  Kirchen- 
schriften druckte. 

Die  Synodalverordnung  von  1713  regelte  den  Volksschulunterricht.  Die 
Schulen  sollen  von  Michaelis  anfangend  das  ganze  Jahr  hindurch  gehalten 
werden ;  die  zarten  Kinder,  die  zu  keiner  Baueruarbeit  heranzuziehen  sind,  sollen 
Jahr  aus,  Jahr  ein,  die  andern  von  Michaelis  bis  Johannis  ohne  Einrede  zur 
Schule  gehen;  Widerspenstige  sollen  mit  einem  Albus  Strafe  für  jeden  Tag 
belegt  werden.  Wie  lange  jedes  Kind  zur  Schule  zu  gehen  habe,  hängt  von 
seiner  Tüchtigkeit  ab;  untüchtige  und  unw^isseude  sind  nicht  zu  kontirmieren. 
Der  Lehrer  war  zugleich  Organist  und  hatte  ebenfalls  dem  Konsistorium  sich 
schriftlich  zu  verpflichten.  Der  Unterricht  dauerte  wöchentlich  32  Stunden, 
begann  und  schloss  mit  religiösen  Übungen.  Unterrichtsfächer  waren  der  kleine 
Katechismus  Luthers  und  der  idsteinische,  dann  Lesen,  Schreiben,  Singen  und 
Rechnen.  Bessere  Schüler  konnten  nebenher  gegen  Bezahlung  Geometriestunden 
nehmen.  Die  Schulstunden  Helen  auf  morgens  von  7—10  und  nachmittags  von 
12—3,  Mittwochs  und  Samstags  von  12—1  Uhr.  Die  Besoldung  der  Lehrer 
war,  wie  es  scheint,  auskömmlich  und  verhältnismässig  besser  als  an  manchen 
Orten  zu  unserer  Zeit.  Der  Lehrer  Schrumpf  zu  Mosbach-Biebrich  empfing, 
bezw.  besasa  im  Jahre  1699:  freie  Wohnung,  6  Karren  Brennholz,  V^  Kute 
Krautgarten,  2  Morgen  11  Ruten  Ackerland,  die  er  nach  seinem  Gefallen, 
doch  auf  seine  Kosten  zu  bebauen  hatte,  ferner  80  Gulden  bares  Geld  (fünfzig 
von  der  Gemeinde  und  30  von  der  Kirche),  die  Leichen-  und  Hochtzeitsgefälle, 
dazu  die  Gebühren  für  den  Glockendienst:  eine  Ohm  Wein  und  sechs  Malter 
Korn  vom  Zehnten,  und  von  jedem  Begüterten  eine  Garbe  Korn,  von  jedem 
Ilausmannc  jährlich  auf  Ostern  und  Weihnachten  einen  Laib  Brot  und  sieben 
Gulden    Armenkinder-   und  Wiesenzins.     Die  Stelle   wurde   auf   vierteljährliche 


73 

Kündigung  besetzt.  Jedenfalls  war  aber  Biebrich-Mosbucli  eine  ausnahmsweiso 
gute  Pfründe,  weshalb  sich  auch  die  angehenden  Theologen,  die  zuerst  Lehrer 
werden  mussten,  gern  sogleich  hierhin  versetzen  licssen.  Man  verfuhr  hierbei 
nach  dem  Grundsatze  Luthers,  der  äusserte,  er  erachte  es  für  gut,  dass,  wer 
das  Dienen  der  Kirche  lernen  wolle,  erst  der  Schule  dienen  lerne.  Die  Be- 
soldung der  Lehrer  an  den  Schulen  zu  Idstein  und  Wiesbaden  geschah  aus 
dem  Präsenzfonds,  der  auch  den  Geistlichen  den  Unterhalt  lieferte.  Fürst 
Georg  August  vermehrte  denselben  dadurch,  dass  er  die  Erträge  der  verkauften 
und  verpachteten  Walsdorfer  Klostergüter  (s.  o.)  ihm  zufliessen  Hess.') 

Die  oberste  Leitung  des  Kirchenregimentes^)  und  zugleich  das  Schol- 
archat  (die  Schulinspektion)  übte  der  Superintendent  zu  Idstein  aus.  Es  folgten 
sich  unter  Georg  August:  J.  Ph.  Elbert  (oder  ElWert  1655 — 99),  J.  A.  Schmidt 
(1699—1709),  J.  D.  Herrnschmidt  (nach  einem  Interregnum,  1712—16)  und 
J.  Chr.  Lange  (1717 — 56).  Die  beiden  letzteren  hatte  dem  Fürsten  August 
Hermann  Fraucke  auf  Anfragen  empfohlen.  Franckes  Ruf  erscholl  damals  in 
alle  Lande.  Er  kam  im  Jahre  1717  auf  einer  Durehreise  nach  Wiesbaden 
und  predigte  am  17.  Trinitatissonntage  in  der  Mauritiuskirche  bei  Gelegenheit 
eines  Dankfestes  wegen  eines  Türkensieges  (Prinz  Eugens  bei  Belgrads).  Die 
Predigt  wurde  unter  dem  Titel  „Nassau-Idsteinisches  Denkmal"  gedruckt.  Durch 
Francke  scheint  Georg  August  sich  ganz  der  strengeren  Richtung  zugewendet  zu 
haben.  Am  10.  Sept.  1719  hielt  der  in  Wiesbaden  zur  Kur  weilende  strenggläubige 
Stadtpfarrer  von  Wetzlar,  Egidius  Günther  Hellraund,  in  der  Mauritius- 
kirche eine  Predigt  vor  Herrschaft  und  Gemeinde  und  besiegelte  damit  den 
Sieg  der  genannten  religiösen  Richtung  über  das  Gemütsleben  des  Fürsten. 
Eine  glänzende,  feurige  Beredsamkeit  des  Predigers  vermittelte  diesen  Sieg. 
Als  nun  im  Jahre  1721  der  Inspektor  und  Stadtpfarrer  J.  G.  Stern  starb  und 
Hellmund,  der  wegen  seiner  orthodoxen  Richtung  in  der  alten  Reichsstadt 
mancherlei  Anfeindungen  erfahren  hatte,  sich  von  dort  wegsehnte,  berief  ihn 
der  Fürst  an  Sterns  Stelle.  Mit  grosser  Bereitwilligkeit  sagte  Hellmund  zu, 
kam  nach  Wiesbaden,  hielt  am  14.  September  1721  seine  Antrittspredigt  in 
der  Stadtkirche  vor  dem  Fürsten  und  stellte  sich  am  Tage  darauf  in  Biebrich 
vor,  wo  er  sogleich  zum  zweiten  Hofprediger  ernannt  wurde.  Sofort  begann 
er  nun  seine  biblischen  Erbauungsstunden  in  Wiesbaden  und  daneben  seine 
sonstige  sehr  umfangreiche  und  segenschaffende  Thätigkeit,  die  aber,  weil  nach 
dem  Tode  Georg  Augusts  erst  recht  ins  Leben  tretend,  uns  hier  nicht  weiter 
beschäftigt.  Aber  auf  eine  Verordnung,  die  unter  Georg  August  erlassen  wurde 
und  zwar  wohl  auf  Anregung  des  Superintendenten  Lange  hin  (1.  Dez.  1718), 
muss  ich  hier  noch  hinweisen :  die  vierteljährliche  Erhebung  der  „Beckenkollekten", 
deren  Einnahmen  ans  Konsistorium  abgingen  und  zur  Unterstützung  armer  in- 
und  ausländischer  Kirchen  und  Schulen  verwendet  wurden,  auch  zur  Hilfe  für 
um  ihres  Glaubens  willen  Vertriebene,  ohne  L^nterschied  der  Konfession.  Binnen 
drei  Jahren  gingen  1270  Gulden  28  Albus  ein,  uud  es  wurden  davon  938  Gulden 
für  Unterstützungen  im  Lande  verausgabt. 


*)  Deissmann,  Geschichte  von  Waladorf.  —  -)  F im h aber,  I. 


74 

Die  ßcgioruug  des  Fürsten  Georg  August  war  also  allenthalben  eine 
segensreiche  und  ist  glücklicherweise  durch  kriegerische  Ereignisse  nicht  all- 
zusehr, manchmal  aber  durch  elementare  getrübt  worden.  Im  Jahre  1681,  am 
18./28.  Januar  ereignete  sich  ein  starkes  Erdbeben,  so  dass  die  Glocke  auf 
dem  ^yLesbadener  Uhrturme  von  selbst  zu  läuten  anfing.  In  den  Jahren  1691  und 
1692  verspürte  man  wiederum  Erdstösse,  wie  man  glaubte  im  Sauerlande  stärker 
als  in  der  Stadt.  Im  Jahre  1692  legte  ein  furchtbarer  Brand  Walsdorf  in 
Asche.*)  1702  und  1703  ereigneten  sich  in  der  Wiesbadener  Gemarkung,  wie 
schon  früher  erwähnt,  verheerende  Hagelwetter  und  Gewitter.  Am  ersten  Pfingst- 
tage  1702  fuhr  der  Blitzstrahl  in  das  Wiesbadener  Schloss,  während  die  Herr- 
schaft an  der  Tafel  sass,  und  tötete  in  der  Küche  zwei  Diener,  die  das  Essen 
auftragen  wollten,  worauf  der  Fürst  und  sämtliche  Anwesende  sofort  in  einer 
Betstunde  Gott  für  ihre  Errettung  dankten.^  In  diesem  Jahre  (?)  fiel  auch 
ein  Teil  der  Stadtmauer  am  Oberthore  zu  Idstein  (vielleicht  von  Regengüssen 
unterwaschen)  ein  und  begrub  ein  Häuschen  samt  dessen  Insassen,  die  tot  blieben.') 
Im  Winter  von  1708  auf  9  herrschte  eine  furchtbare  Kälte.  Im  Oktober  1708 
fiel  der  Schnee  so  stark,  dass  die  Bäume  im  Walde  durch  die  Last  desselben 
Aste  und  Zweige  verloren,  geknickt  und  zerrissen  wurden.  Der  Rhein  fror 
fest  zu,  so  dass  man  ihn  mit  Lastwagen  befahren  konnte ;  aus  den  Brunnen  bekam 
man  kein  Wasser,  die  Bäume  zerbarsten,  Menschen  und  Tiere  erfroren.  Vom 
12.  bis  zum  23.  Januar  1709  dauerte  diese  strenge  Kälte;  dann  gab  es  Hoch- 
wasser, das  wieder  viel  Schaden  anrichtete.^)  Brände  ereigneten  sich  ausser 
(Fem  obgenannten  ebenfalls  mehrfach.  Als  Kuriosum  verdient  angeführt  zu 
werden,  dass  das  „von  jung  und  alt  schädlich  missbrauchte  Tabakschmauchen, 
80  auch  die  Gesundheit  ruiniert  und  den  Müssiggang  erziehet",  auch  als  Brandur- 
sache angesehen  wurde.  Am  7.  April  1706  verordnete  der  Fürst,  dass  jeder 
„Tabaktrinker"  V^  Gulden  Steuer  zahlen  sollte.  Die  Schultheissen  sollten  die- 
jenigen namhaft  machen,  welchen  das  Rauchen  zu  gestatten  sei.  Der  von 
Idstein  schrieb  damals  darüber,  „was  die  Schule  anlange,  so  tränken  die  meisten 
Tobak"  und  empfahl  ausserdem  zwölf  zur  Nachsicht,  Nr.  12,  Peter  Hönell, 
deshalb,  weil  er  „lieber  die  Fraw  will  verlassen  als  dass  Tobacktrinken."  Man 
strafte  Zuwiderhandelnde  mit  10  Gulden^  doch  scheint  sich  das  Verbot  nicht 
lange  erhalten  zu  haben. 5)  • 

Fürst  Georg  August  hatte  das  sechsundfünfzigste  Lebensjahr  überschritten 
und  befand  sich  noch  in  voller  Rüstigkeit.  Er  sah  seine  landesväterlichen  Be- 
mühungen von  bestem  Erfolge  gekrönt  und  erfreute  sich  des  seiF  einigen  Jahrea 
herrschenden  Friedens.  Vor  kurzem  war  auch  der  Reichshofratsprozess  wegen 
der  Entschädigungsgelder  zumteil  und  der  mit  Thurn  und  Taxis  wegen  des  ge- 
liehenen Kapitals  (Aug.  1721)  gänzlich  beigelegt  worden.  Im  Oktober  des 
Jahres  1721  erkrankten  nun  plötzlich  die  beiden  jüngsten  Kinder  des  Fürsten^ 
die  elfjährige  Prinzessin  Luise  Charlotte  und  die  dreizehnjährige  Elisabeth 
Franziska  Marie,  im  Schlosse  zu  Biebrich  an  den  Kinderblattern.    Georg  August 


')  Deissmann,  H.  190.  —   '^)  Schenck,  S.  368.  —    ^)  Rizhaub,  S.  26.  —  *)  Roth, 
S    202.  -  '")  Schüler,  Wicsb.  Tugbl.,  1886,  No.  237. 


75 

geriet  in  grosse  Aufregung.  Als  liebevoller  Vater  weilte  er  oft  am  Kranken- 
bette seiner  Kinder;  leider  zeigte  sich  seine  Konstitution  zur  Empfänglichkeit 
der  Krankheit  disponiert.  Sie  ergriff  ihn,  und  binnen  wenigen  Tagen  schied 
der  Fürst  aus  dem  Leben,  am  25.  Oktober  1721.  Am  4.  November  folgte  ihm 
erst  die  jüngere,  dann  am  7,  die  ältere  Prinzessin  in  das  Grab  nach.  Mehrere 
Tage  blieben  die  Leichen  in  der  erst  im  Mai  des  Sterbejahres  eingeweihten 
Schlosskapelle  (s.  o.)  zur  Schau  ausgestellt,  während  Glockengeläute  täglich 
von  11  — 12  und  von  5  —  6  Uhr  den  Bewohnern  der  Grafschaft  allenthalben 
verkündigte,  dass  Idsteins  letzter  Fürst  den  Weg  alles  Fleisches  gegangen  sei. 
Damit  hatte  die  altnassauische  Residenz  den  Witwenschleier  genommen,  den 
sie  bis  heute  noch  trägt. 

Am  13,  Januar  1722,  abends  8  Uhr,  wurden  der  Fürst  und  seine  beiden 
Kinder  in  der  Kirche  zu  Idstein  beigesetzt.  Siebzig  Geistliche  und  eine  grosse 
Anzahl  Lehrer  waren  erschienen,  welch  letztere,  Fackeln  in  der  Hand,  dem 
feierlichen  Leichenkondukt  vorauf  nach  der  hellerleuchteten  Kirche  zogen.  Man 
sang  das  Lied :  „Wenn  mein  Stündlein  vorhanden  ist,  zu  fahren  meine  Strasse" 
von  Nicolaus  Hermann.  Superintendent  Lange  hielt  die  feierliche  Leichenrede, 
worauf  der  Sarg  links  vom  Altare  nach  dem  Glockenturme  zu  in  die  Gruft 
gesenkt  wurde.  Tiefer  Schmerz  mag  die  guten  Idsteiner  durchzuckt  haben; 
denn  man  begrub  hier  einen  guten  Mann,  der  ihnen  „mehr  gewesen  war." 

Zwölf  Kinder  hatte  Fürst  Georg  August  von  seiner  Gemahlin  Henriette 
Dorothea;  fünf  sind  in  zartem  Alter  vor  und  vier  bald  nach  ihm  gestorben. 
Sie  heissen:  1)  Friedrich  Ernst,  geb.  27.  YIII.  1689,  gest.  27.  IIL  1690; 
■  2)  Christiane  Luise,  geb.  31.  IIL  1691,  gest.  13.  lY.  1723,  vermählt  am 
24.  IX.  1709  mit  dem  Fürsten  Georg  Albrecht  von  Ostfriesland ;  3)  Charlotte 
Eberhardine,  geb.  17.  YII.  1692,  gest.  8.  L  1693;  4)  Henriette  Charlotte, 
geb.  9.  X.  1693,  gest.  8.  lY.  1734,  vermählt  am  4.  XL  1711  mit  Herzog  Moritz 
,  Wilhelm  von  Sachsen-Merseburg ;  5)  Eleonore  Charlotte,  geb.  28.  XL  1696, 
gest.  8.  XU.  1696;  6)  Albertine  Juliane,  geb.  29.  IIL  1698,  gest.  10.  X.  1722, 
vermählt  am  14.  IL  1713  mit  Wilhelm  Heinrich,  Erbprinz  von  Sachsen-Eisenach; 
7)  Auguste  Friederike,  geb.  17.  YIIL  1699,  gest.  8.  YL.1750,  vermählt 
am  17.  YIII.  1723  mit  Karl  August,  Fürst  von  Nassau- Weilburg;  8)  Johannette 
Wilhelmine,  geb.  14.  IL  1700,  gest.  2.  YL  1756,  vermählt  am  16.  X.  1719 
mit  Simon  Heinrich  Adolf,  Graf  zur  Lippe;  9)  Friedrich  August,  geb.  30.  lY. 
1702,  gest.  1,  IL  1703;  10)  Wilhelm  Samuel,  geb.  14.  IL  1704,  gest.  6.  Y. 
1704;  11)  Elisabeth  Franziska  Marie,  geb.  17.  IX.  1708,  gest.  7.  XL 
1721  ;  und  12)  Luise  Charlotte,  geb.  17.  III.  1710,  gest.  4.  XL  1721.  (S.  o.) 
Keins  von  all  seinen  vor  ihm  verblichenen  Kindern  that  dem  Yater  so  leid 
wie  der  früh  verstorbene  jüngste  Prinz  Wilhelm  Samuel.  Das  geht  aus  dem. 
Briefe  des  tiefbetrübten  Fürsten  an  den  Grafen  Friedrich  Ludwig  von  Ottweiler 
hervor.  Die  Fürstin  -  Witwe  Henriette  Dorothea  zog  sich  in  das  Schloss  zu 
Wiesbaden,  ihren  Witwensitz,  zurück.  Die  Widerwärtigkeiten,  mit  denen  sie 
nach  dem  Tode  ihres  Gemahles  zu  kämpfen  hatte,  liegen  ausserhalb  des  Kreises 
unserer  Betrachtungen.  Sie  starb  am  18.  Mai  1728  und  wurde  neben  ihrem 
Gatten    beigesetzt.     Ein    prächtiges,     reichverziertes  Denkmal,   mit    den    über- 


76 


lebeüsgrosseu  Figuren  der  beiden  Abgeschiedeueu  in  Marmor,  erhebt  sich  über 
der  Gruft. 

Mannigfach  sind  die  Erinnerungen  an  Georg  August.  Die  Namen  Augusteum, 
Georgenborn,  Georgenthal  weisen  direkt  auf  ihn  hin.  Das  alte  Schloas  zu  Wies- 
baden ist  längst  gefallen  und  spurlos  verschwunden,  aber  das  neue  zu  Biebrich 
ruft  uns  das  Andenken  an  den  Erbauer,  einen  der  populärsten  Fürsten  unserer 
engeren  Heimat,  den  grossen  Kolonisator  allzeit  ins  Gedächtnis  zurück. 


A  u  h  a  u  g. 


1. 

I.   Privileü:iuin  «ler  AusiiMller  zu  Idstein  (16H5). 

Wir  Georg  Aujjusf,  Graff  zu  Nassau,  Saarbrücken  und  Saarwerden,  Herr  zu  Lahr,  Wies- 
baden und  Itzstein  Füjjen  hiermit  jedermänniglich  zu  wissen.  Naohdeme  sich  durch  Göttlichen 
Seegon  unser  Land,  und  insonderheit  unsere  Residenz  Itzstein,  mit  junger  Mannschaft  auch 
anderen  Einwohnern,  Bey-  und  Untersassen  also  vermehret,  dass  denensclben  sich  häusslichon 
niederzulassen,  es  fast  an  Raum  und  Gelegenheit  ermanglen  will,  und  wir  dann  einem  jed- 
wedem zu  Beförderung  seiner  Nahrung  gerne  behülflich  sein  wollen,  auch  die  Vermehrung 
unserer  Untcrthanen  gerne  sehen  mögen,  dass  wir  demnach  zu  Bezeugung  unsers  gnädigen 
willens,  den  ahn  hiesigen  Stattmauren  unss  zugehörigen  Wiesengrundt,  die  WeyherwiesH  go- 
iiant,  darzu  angewiesscn,  und  frey  gegeben  haben  wollen,  thun  es  auch  hiermit,  und  in  Kraft 
dieses  also  und  der  Gestalt,  dass  ein  jeder  iuheimischer  und  ausländischer  so  auf  unsere  Ver- 
urduung  darauf  bauen,  sich  sobald  in  unsere  Jurisdiction  und  nach  Verflicsung  droyer  Jahren 
gegen  das  halbe  Burgergeld,  in  die  hiessige  Burgerschafft  zu  begeben  zusagen,  dass  alsdann 
derselbe  und  dessen  Erben  zchen  ganzer  Jahr  lang  a  Dato  des  Ihme  darüber  von  unserer 
Rcgierungs-Canzeley  erthciltcn  Special-Scheins  von  allen  ordinari  und  extra  ordinai'i  Beschwer- 
den, C'ontributionen,  Schazungen,  gemeinden  Beschwerden,  Jagden,  Wachten,  Brieftragen,  Ein- 
•juartierungen  wie  auch  Auflagen  wie  solche  Namen  haben  oder  aufkommen  mögten,  gänzlich 
und  allerdings  eximiret  und  befreyet  sein.  Und  pleiben  nach  Verflicsung  obiger  Zeit,  aber 
Ihrs  Beedt,  Herrnrentlicn,  Kirchengefälle,  Contribution  und  Schazung  nach  proportion  Ihrer 
Güther  bey  tragen,  und  der  übrigen  Bürgerschaft  gleich  gehalten,  auch  derer  Freyheiten,  und 
rechten  geniesen  soll  und  mag.  Sollte  aber  nach  Verflicsung  obiger  Zeit,  sich  ein  und  ander 
nach  dem  Genuss  dieser  Freyheit  hinweg  begeben  und  auser  Land  ziehen,  soll  derselbe  von 
demjenigen,  was  Er  mit  sich  hinweg  nehmen  wird,  uns  zum  Abzugsrecht  den  zehenden  Pfen- 
ning erlegen  und  abstatten.  Da  auch  ein  und  anderer  nobenss  dem  Bauwcssen  einige  Wirth- 
schaft  oder  andere  Parthierung  treiben  wolte,  derselbige  soll  einem  jedwedem  gegen  Ab- 
stattung  des  gewöhnlichen  umbgelds  ohne  ferneres  entgelt  erlaubt  und  zugelassen  seyn. 

Da  nun  ein  und  ander.  Er  seye  einheimisch  oder  ausländisch,  frey  oder  leibeigen,  dieser 
unserer  Verwilligung  sich  bedienen  wolte,  derselbe  hat  sich  bei  unserer  Regierungs-Canzeley 
deswegen  anzumelden,  und  wir  versprechen,  und  sagen  hiermit  zu,  Einen  jedwedem  bey  dieser 
unser  erteilten  Freyheit  und  Verwilligung  gegen  jedermänniglich  handzuhaben  und  zu  schüzen. 
Dessen  zu  Urkund  haben  wir  Unss  Eygenhäudig  unterschrieben,  und  Unser  Secret-Ineiegel 
dabey  trucken  lassen. 

So  geschehen.    Itzstein  den  20'«"  January  Anno  1685. 

(L.  S.)  Georg  August,  Graff  zu  Nassau-Saarbrücken. 

(KkI.  Staatsarchiv  zu  Wiesl>adeo.) 


77 

2. 
II.   PrivilPffiiim  der  Anbauer  zu  Idstein  und  Wiesbaden  (IfiOO). 

Von   Gottes    Gnaden   Wir   Georg  August,   Fürst  zu  Nassau,   («ratf  zu  Saarbrücken    und 
Saarwerden,    Herr  zu  Lahr,    Wissbaden    und    Itzstein   etc.    Fügen    hiermit   Jederniänni;,'ii(li  zu 
wissen:  Nachdeme  durch  das  verderbliche  Frantzösische  Kriegswesen  viele  Familien  von  Haus 
und  Hof  verjaget,   und   verschiedene  Plätze   eingeäschert  worden,   dass  diese  vertriebene  Per- 
sonen ihren  Schutz  und  Vnterhalt   anderwärts   suchen   müssen,    deren  sich  auch  viel  in  Vnser 
Land  begeben,    und  sich   darinn   häusslichen    niederzulassen  gomoynet  sind,   wegen   Enge    des 
Platzes  aber  nicht  allerdings  unterkommen   und   auffgenommen  werden  können,    zu  dem  Ende 
und  bei  Vermehrung  Vnserer  Bürgerschafft  zu  Itzstein  und  Wissbaden  Wir   vor   dicnsam    be- 
funden, obgeraeldte  beede  Orte  einigermassen  zu  erweitern,   und   in   solchen  Stand  zu  setzen, 
wordurch  die  Frembde  Ankommende  zu  bauen  Gelegenheit  haben,  und  aller  möglichen  Sicher- 
lieit  geniessen  mögen;   Worbei  Wir  auch  geneigt  seynd   diejenige,    so  an  beeder  Orten  einem 
von  neuem  bauen,  und  sich  allda  niederlassen  wollen,  mit  einigen  Freyheiten  uml  Exemptionen 
zu  begnadigen  und  zu  versehen.     Erklären  demnach,   ordnen    und  versprechen  hiermit  Erst- 
lich, dass  alle  diejenige,  so  an  beeder  Orten  einen  von  neuem  bauen    und  sich  allda  nieder- 
lassen wollen,   auff  fünffzehn    Jahr   lang   von   allen    Personal-^  und^leal-BeschwcrdeiL,,  welche 
Vns  und  in  die  BuVgei-schatft  Vnscre    übrige  Bürger  und  Vnterthanen   sonsten   zu  leisten   und 
zu   tragen    schuldig  seynd,    absonderlich   aber    von   Thor-  und    Nachtwachten,    gemeinen    Be- 
schwerden, Aemptern,  Frohnden,  Diensten,   Schätzung,  Einquartierung,   wie  nicht  weniger  von 
Bürger-  und  Einzugs-Geldern,  gantz,  wie  auch  von  Zunffts-Geldern,  soviel  Vns  davon  zukommt, 
befreyet_8eyn,  und  die  fünffzehen  Jahr   durch  dessen  geniessen,    nach  Verfliessung    der  fünff- 
zehen  Jahr    aber  gleich   andern  Bürgern  und  Vnterthanen   ihre  Gebühr   von   Hauss    und   Gut, 
doch  in  dem  geringsten  Anschlag  entrichten  und  abstatten,  hingegen  aber  dess  vollkommenen 
Burgerrechts    und  aller  Privilegien  und  Beneficien,    ohne   einiges  Entgelt  oder   Nachtrag   ge- 
niessen  und  fähig  seyn  sollen.     Zweytens,    Mitlerzeit  und   künfftig  hin   sollen  sie   sich  der 
gemeinen  Wayd,  Holtzes  und  Nutzens  mit  ihrem  Vieh  zu  bedienen  und  zu  gebrauchen  haben. 
D'rTFfe'ns  soll  einem  jeden,   so  bauen  will,   ein  freyer  Platz.  Kalck  und_Steine  gegeben,   und 
von  je<lem  Einwohner   dess  Orts  ihme  zum  Bauwesen   dess  Jahrs   drey  freye  Fahrden  gethan 
werden.     Vierdtens,    soll    ihme    das    nöthige   Gehöltz,    soviel    dessen    in  Waldungen    zum 
Bauen  tüchtig  ist,   frey  und   ohne   Zahlung   erlaubt   seyn.     Fünfftens,   soll  einem  jeden  ein 
freyer  Abzug,   ohne  zehenden  Pfenning  und  Nachsteuer,   und  dass   er   sein  Hauss  und  Gebäu, 
den  Kalck,   StrohTund  frey  Gehöltz   nicht   angerechnet,   hinwiederumb  verkauffen^  und  einem 
andern  überlassen  möge,   worbey    derjenige,   so  an   seine   statt   tretton   wird,   der   obgesetzten 
fünffzehnjährigen  Freyheit   sofort   geniessen   solle.     Seehstens,   diejenige,    welche  ihr  Hand- 
werck  gebrauchen  und  Häuser  bauen  wollen,   sollen  sich    zwar  den  Zunfft-Articuln    dess  Orts 
gemäss  halten,    das  Handwerck  aber  inner  solchen  Zeit  nicht  verschätzen,   weniger  der  Herr- 
schafft  von   denen  Materialien   einigen  Accis    abstatten.     Siebendens,    welche  Handthierung 
und  Gewerb  treiben,   sollen  von  Zoll  und  Aufflagen  allerdings   befreyet  bleiben   und  von  dem 
Wein-  und  Bierschanck   nur   ein    geringes  abstatten.     Achtens,   Wirthschaffts-   Back-    Brau- 
Schmidts-  und  andere  Schild-  und  Feuersgerechtigkeiten  sollen  einem  jeden  ohne  Entgelt  er- 
theilet  werden,   und   er  deren   zu   allen   Zeiten   zu   geniessen   haben.     Neundtens,   falls  ein 
oder  der  ander  Ankommender,    Aecker,  Wiesen  und  Weinberg   an   sich  bringen  wird,  soll  er 
zwar  die  darauff  hafftende  Gebühr  abstatten,   dessfalls  aber   kein  Abtrieb  zugelassen,   oder  er 
von   dem  Kauff  abgehalten   werden.      Zehendons,   was   auch    ferner   über    diese   specificirte 
Stück  denen  Frembden  und  Ankommenden  zur  Beförderung  ihres  Vorhabens,  gutes  und  bey- 
hülffliches  erwiesen  werden  kan,  dessen  sollen  sie  sich  von  Vns,  Vnseren  Beampten,  und  jedes 
Orts  Einwohnern  und  Vnderthanen  allerdings  zu  versehen    und  würcklich  zu  geniessen  haben. 
Wir  versprechen  auch  sie  hierbey  allerdings  zu  schützen,  zu  scliirmen  und  handzuhaben.   Vr- 
kundt  Vnserer   eigenhändigen  Vnterschrifft   und   beygedruckten   Insiegels.      So   geben   Itzstein 
den  18.  Octobris  Anno  1690. 

(L.  S.)  Georg  August,  Fürst  zu  Nassau. 

(Manuskript  und  mehrere  Exemplare  der  gedruckten  Urkunde  «ind 
im  K^l.  Staatsarcbiv  zu  Wieabadea  vorbanden.) 


78 

3. 

Brief  des  Prinzen  Oeor?  Aui^nst  Samnel  an  seinen  Yater, 

Oraf  Joliannes  {Hu2), 

Aller  herzliebster  Herr  Vatter! 

Des  Herrn  Vatters  gute  Gesundheit  vndt  in  Allem  guten  Wohlstandt  zu  Vernehmen 
wirdt  mir  die  grösste  Freudt  zuhören  seyn,  Ich  bin  noch  (Gott  Lob)  gesundt  ohne  dass  ich 
etlich  tag  den  Husten  gehabt,  ist  aber  meistetheils  vergangen ;  hier  ist  nichts  neues  ohne  dass 
man  sagt  die  Brück  zu  Strassburg  seye  von  den  Frantzosen  halb  abgebrandt.  Vorgestern 
ist  der  Herr  Gratf  Kirchhoff  todt  hier  durch  mit  vielen  Reuttern  vffr  Hanaw  geführet  worden ; 
was  nun  sonsten  mein  Thun  anlanget,  so  wolte  ich  lieber  zu  Idstein  als  hier  seyn  auss  ge- 
wissen Vrsachen.  Hiermit  empfehle  den  Herrn  Vattern  sampt  Allen  Gottes  Schutz  vndt  Vor- 
sorg Vndt  verbleibe  allzeit 

Des  Herrn  Vatters  gehorsambster  Sohn 

Frankfurt  den  8.  9br.  1672.  Georg  Augustus  Samuel. 

Adresse:  Dem  Hochgebornen  Graffen  vndt  Herrn,  Herrn  Johann  Graffen  zu  Nassau,  Saar- 
brücken vndt  Saarweerden  Hern  zu  Lahr  "Wissbaden  vndt  Idstein,  Meinem  Aller 
Herzliebsten  Herrn  Vattern  pp.    Idstein. 

(Herzo^l.  Nass.  Archiv    zu  Weilbur^.) 


4. 

Unterthäni^ster  Bericht  über  Ihro  Hoclifnrstliclien  Dnrchlauclit  unseres 
liüchstseel.  Lamlest'ttrsten  gethaner  Reisen  in  frembde  Länder  extraliirt 

aus  dem  Diario. 

Ao.  1678.  Seynd  Höchstseel.  Ihro  Durchl.  in  Begleitung  des  Hoffmeister  Stabhorst, 
Kammerdiener  Heybach  und  Page  von  Bobenhausen  nach  Giessen  auf  die  Universität  gereisst, 
woselbsten  diesselben  Rector  Magnificentissimus  worden  und  bey  deren  Antritt  in  Collegio  bey 
Anwessen  des  dortigen  Adels,  allen  Professoren  und  Studenten  Ihro  lateinische  Oration  gehalten. 

Ao.  1679.  Gingen  Höchstseel.  Ihro  Durchl.  auf  Strassburg  In  begleitung  Ihres  Hoff- 
meisters Stabhorst,  Cammerdiener  und  Page,  wie  lange  aber  dieselben  dageblieben,  ist  mihr 
ohnbewusst ;  Indeme  auf  eingelegte  Vocation  nach  Saarbrücken  zum  Hoffmeister  des  nunmehro 
Höchstseel.  älteren  Herrn  Grafen  Ludwig  umb  mit  Ihme  in  Franckreich  zu  gehen  meinen 
Abschied  genehmen;  Jedoch  habe  deroselben  Ao.  1682  in  Paris  unterthänig  aufgewartet;  der 
gewesene  Ambtmann  Graf  zu  Wissbaden  kann  hierüber  die  beste  Nachricht  geben,  dann  er 
mit  auf  Strassburg  und  Paris  gereisset  und  daher  auch  berichten  kann,  ob  Ihro  Durchl.  von 
dar  auf  Angers  und  weiter  über  Engelland  und  Holand  nach  Hauss  gereisst  seynd. 

Ao.  1685.  Seynd  Höchstseel.  Ihro  Durchl.  in  Ungarn  alss  volontair  unter  Ihro  Durchl. 
dem  Fürsten  von  Waldeck  gangen,  daselbsten  bey  der  Belagerung  von  Neuheusel  in  denen 
Approchen  ohnermüdet  und  an  denen  gefährlichsten  Orthen  sich  eingefunden,  auch  nachher© 
bey  dem  Entsatz  Gran  und  in  der  Bataille  gegen  die  Türeken  alss  General-Adjutant  unter 
Höchstgn.  Fürsten  von  Waldeck  Dienste  gethan.  Höchstgn.  Ihro  Durchl.  haben,  nachdeme 
Sie  schon  Vcrheurathet  gewesen,  noch  2  Campagne  in  Brabant  gethan  und  sonderlich  in  der 
fameusen  Bataille  bey  Landen  höchst  deroselben  Ein  Pferd  unterm  Leib  Tod  geschossen  wor- 
den, jedoch  sich  mit  des  Sattelknechts  Pferd  glücklich  aus  der  Feinde  Hände  Salviret. 

7.  Dezember  1721.  J.  Heybach. 

(.Kgl.  SUataorchiv  /u  Wiesbaden  [Hausarchiv,  JI  A  «]). 


79 

5. 

Die  Venia  aetatis  eventualis  für  den  Grafen  Oeori?  August  Samuel 

von  Nassau-Idstein  wird  befürwortet  (U>M). 

Mercury,  10.  Deeembris  1681. 

Nassau-Saarbrücken  Ittsteiniscber  Linie  in  po.  venia  aetatis  sive  Johann  Casimir,  Oraff 
zu  Leiningen  als  Vormund  des  Jungen  Oraffen  Von  Nassau  Saarbrücken  Ittsteiniscber  Linie, 
per  Emestum  Persium  de  Lonssdorff,  sub  psto.  23'n.  Juny  nuperi,  Bittet  aus  angefülirten  Ur- 
sachen seinen  Pupillen,  alss  welcher  bereits  das  17.  Jahr  erreichet  die  Kayl.  gnade,  und  even- 
tualiter  veniam  aetatis  dabin  gnädigst  zu  ertbeilen,  dass  derselbe  nach  seinem  Absterben  pro 
majorenn!  erkannt  und  einer  anderweitigen  Vorraundtschafft  sich  zu  Vntergeben,  nicht  ferners 
angehalten  werden  mGgte,  mit  dem  gehors.  erbieten,  dass  Er,  so  lang  Er  lebte,  biss  zu  dessen 
raajorennität,  je  dennoch  mit  der  Ihme  auffgetragenen  Vormundtschafft  und  möglichster  Vor- 
sorg gegen  Ihn  continuirn  und  dessen  nutzen  nach  äusserstem  vermögen  Befördern  wolte. 

Idem  Persius  sub  psto.  1.  7-bris  nuperi  urget  resolutionera  ex  motivig  pone  adductis. 

In  eadem  Georg  August  Samuel,  Graff  zu  Nassau  Saarbrücken  in  literis  ad  Imperatorem 
de  dato  26.  &  psto.  21.  8-bris  nuperi  exhibitis  per  dictum  Persium  bittet  allerunterthänigst 
aus  angeführten  Ursachen  nach  geschehener  Zulassung,  dass  sich  seine  Vettern  in  seiner  Vor- 
mundtschafft nit  eintringen  mögten:  sondern  Ihme  die  gesuchte  veniam  aetatis  gnädigst  zu 
ertheilen. 

Idem  Persius  sub  posto.  23.  praedicti  mensis  S-bris  denuo  instat  pro  concedenda  petita 

venia  aetatis  appon.  Lit.  A. 

Fiat  Votum  ad  Caesarem.     Frantz  Martin  Mensshengen. 

(Kgl.  StAatsarchiy  zu  Wiesb:idea  [Hausarchir,  II  A3]), 


6«. 
Brief  de.s  Fürsten  Georg  Auc^ust  an  Kanzleidirektor  Graff. 

Au  camp  devant  Neuheusel,  le  24  Juillet  1685. 

Pour  vous  montrer  Monsieur  que  je  ne  suis,  Dieu  mercy,  ny  mort  ny  malade,  je  prens 
une  fois  un  moment  de  tems  pour  vous  ecrire,  et  sachant,  que  haibach  vous  mande  toutes  les 
nouvelles,  je  ne  diray  autre  ehose  que  seulement  que  je  suis  toujours  clemenee  (sie) 

Monsieur  Votre  affectionne 

George  Auguste,  Comte  de  Nassau. 

Adresse:  Mr.  Graff,  Directeur  de  la  Chancellerie. 

{Kg\.  Staatsarc'uiv  zu  WieghaJen  [Hauaarchiv,  IIA  6]). 


6b. 

Kurtze    Relation   dessen,    so   2  Kay.   Courriers   welche  diesen  Mori?en 
allhier  angelangt^  wegen  grosser  Niederlag  der  Tiireken  und  Eroberung 

der  Festung  Neuhiiusel  mit  gebracht. 

Frankfurt,  25.  Aug.  1685. 

Nachdem  auf  neulich  gemeldte  glückliclie  Aktion  unter  Gran  bey  denen  Türoken  die 
Confusion  angefangen,  hat  man  dieselbe  mit  der  Cavallerie  recht  angegriffen  und  gezwungen, 
sich  in  der  angefangenen  Unordnung  über  Halss  und  Kopf  zu  retiriren  mit  Zurücklassung 
aller  Bagage,  Zelten,  so  meistens  alle  neu,  Munition  und  23  Stück  Geschütz,  so  alles  in  unsere 
Gewalt  kommen.  5000  Janitscharen  sein  auf  dem  Platz  geblieben  sampt  dem  meisten  Teil 
der  Cavallerie,  dem  über-Rest  ist  durch  unsere  Courassierer  etliche  Stunden  nachgesetzt  wor- 
den,   die   Ungern,    so    in  grosser   Anzahl    zur  Kayserl.   Armee    gestüssen,    wie   ingleichen    die 


80 

Kroaten  und  Dragoner  verfolgen,  die  flüchtige  Barbaren,  mit  Beyhülff  der  Herren  Generalen 
Mercy,  Styrum  und  dess  Christen  Heusslers,  und  damit  diese  Soldaten  desto  mehr  zu  demo 
Nachjagen  angefrischt  würden,  haben  Ihre  Durchl.  der  Hertzog  von  Lothringen  einem  jeden 
erlaubt  die  Beuten  zu  behalten,  welche  er  vom  Feind  machen  würde,  desswegen  wenig  Tür- 
ckische  Infanterie  sich  wird  salvieren,  weilen  sie  über  all  von  den  nacheilenden  und  halb- 
fliegenden  Reuttern  auffgcsueht  und  gar  biss  gen  Off'en  verfolgt  und  sich  allda  postiren  werden. 
Welcher  Gestalt  die  sehr  importirliche  Vestung  Neuhiiusel  von  denen  Kayserlichen  mit 
stürmender  Hand  erobert  worden,  hat  sich,  wie  der  General  von  Scharpfenberg  den  20.  da. 
nach  Wien  überbracht,  also  zugetragen,  dass  neml.  als  die  Unsrigo  dess  Tags  zuvor  umb  halb 
acht  Uhr  angefangen  zu  stürmen,  seynd  sie  umb  neun  Uhr  darauf  in  die  Stadt  kommen,  allwo 
sie  alles  niedergemacht,  ausser  den  Commendanten,  und  10.  andere,  so  man  gefangen  ge- 
nommen. 80  Stück  haben  sich  neben  noch  einer  grossen  Menge  Munition  und  anderm  darin 
befunden,  und  ist  sehr  zu  verwundern,  dass  bei  dem  Sturm  der  Unserigen  nur  27  geblieben, 
in  der  Bataille  nur  7.  Sonsten  ist  die  Guarnison  in  gedachter  Vestung  noch  würcklich  1200 
Mann  gewesen.  Fünff  Tage  zuvor  hat  das  Gewitter  in  die  Vestung  Novigrad  geschlagen,  wor- 
bei  das  meiste  Thcil  derselbigen,  sampt  dem  Zeug-  und  Munitions-Hauss  abgebrandt,  worauff 
dann  die  Türeken  selbige  auch  verlassen. 

(Oeilruckt  den  Akten  des  Köni^l.  StaatsarcliiTs  zu  Wifghaden  beilleg'eDd.) 


Mitteilungen  über  die  Lage  und  Gescliichte 
der  Marau  bei  Mainz. 


Von 

Geh.  Baurat  Cuno» 


Die  in  der  letzten  Sitzung  des  Architekten-Vereins  von  mir  zugesagten  ^fit- 
teihingen  werden  sich  im  Anschlüsse  an  die  Vorarbeiten  zum  Bau  eines  Flosshafeus 
bei  Kostheim  auf  die  Lage  und  Geschichte  der  Marau  mit  ihrem  Befestigungshaupte 
beziehen.  Der  Herr  Professor  Dr.  Grimm  hat  in  einer  Abhandlung  über  Lage  und 
Namen  einiger  Ürtlichkeiten  unserer  Gegend,  veröffentlicht  im  10.  Bande  der 
„Annalen  des  Vereins  für  Nassauische  Altertumskunde  und  Geschichtsforschung", 
den  überzeugenden  Nachweis  geführt,  dass  die  in  der  Geschichte  der  deutschen 
Kaiser  mehrfach  erwähnte  Marau  ein  flacher  Wiesenplan  zwischen  Rhein  und 
Main  gewesen  ist  und  dass  der  Name  des  Ortes  Kostheim  von  einem  in  der 
Nähe  gelegenen  Burgbau  Kopfstein  herrührt,  welcher  einst  die  Marau  beherrschte. 

Es  wird  uns  im  einzelnen  berichtet,  dass  bei  der  Wahl  Kaiser  Lothars  H. 
vor  der  Stadt  Mainz  auf  beiden  Seiten  des  Rheins  die  kriegerischen  Gefolge 
lagerten,  dass  im  offenen  Felde  das  Festmahl  stattfand,  bei  welchem  Kaiser 
Friedrich  L  die  Fürsten  und  ihr  gesamtes  Gefolge  bewirtete,  und  dass  feierliche 
öffentliche  Akte  bei  den  Wahlen  Heinrichs  H.  und  Philipps  von  Schwaben  in 
der  Nähe  von  Mainz  erfolgten.  Insbesondere  wird  der  Ort  des  feierlichen  Hof- 
lagers von  1184,  wo  der  Palast  und  die  Kapelle  des  Kaisers,  ebenso  die 
Wohnungen  der  Fürsten  und  ihres  Gefolges  errichtet  waren,  als  ein  weiter 
Wiesenplan,  eine  Insel  nahe  bei  Mainz,  auf  der  rechten  Seite  des  Rheines,  auf 
zwei  Seiten  vom  Rhein  und  Main  umschlossen  beschrieben  und  die  Marau  ge- 
nannt. An  der  Südspitze  der  Marau  wird  von  einem  Haupt,  einem  Bauwerk 
berichtet,  wo  Kaiser  Heinrich  IV.  eine  Urkunde  für  das  Kloster  Lorsch  ausstellte. 

Ferner  hören  wir,  dass  bei  Kostheim  oder  Cupstein  eine  Königspfalz  be- 
standen hat,  wo  Karl  der  Grosse  im  Jahre  790  weilte,  wo  im  Jahre  795  ein 
feierliches  Placitum  gehalten  wurde.  Die  Lage  dieser  Burg  wird  als  oberhalb 
der  Brücke  bezeichnet  und  ist  zugleich  durch  den  in  der  Nähe  belegenen  Lande- 
platz der  wichtigen  Weisenauer  Fähre  beurkundet. 

Diese  Örtlichkeiten  bilden  das  Gebiet,  in  welchem  jetzt  als  Ergänzung 
der  Main-Kanalisierungs-Anlagen  bei  Kostheim  ein  Flosshafen  gebaut  wird,  und 
es  lag  mir  deshalb  nahe,  mich  mit  der  Vorgeschichte  dieser  interessanten  Bau- 
stelle eingehender  zu  beschäftigen.  Die  Rhein-Stromstrecke  bei  Mainz  gehört 
geognostisch  zu  dem  Abschnitte  des  sogenannten  Mainzer  Beckens,  welcher  bei 
Oppenheim   beginnend   sich   bis    Biuger  Loch  erstreckt   und    von  der   tertiären 

6 


82 

Formation  beherrscht  wird.  Hydrographisch  bat  diese  Stromstrecke  einen  see- 
artigen Charakter,  welcher  in  der  mächtigen  Breite  des  Wasserspiegels  und  in 
den  vielfachen  Inselbildungen  und  Stromspaltungen  sich  ausprägt.  Hierauf 
muss  man  zunächst  sein  Augenmerk  richten,  wenn  man  die  frühere  und  jetzige 
Ausgestaltung  des  Überschwemmungs-Gebiets  zwischen  Oppenheim,  Mainz  und 
Bingen  richtig  verstehen  will.  Vor  der  Durchbrechung  des  Rheinischen  Schiefer- 
gebirges unterhalb  Bingen  lag  das  ganze  obere  Gebiet  tief  unter  dem  Spiegel 
des  antediluvianischen  Rheinsees,  welcher  bei  Basel  beginnend  sich  bis  zu  den 
Höhen  des  Niederwaldes  erstreckte.  Der  Nullpunkt  des  Rheinpegels  bei  Basel 
liegt  in  gleicher  Höhe  mit  den  Kuppen  des  Niederwaldes,  auf  denen  sich  Rhein- 
geschiebe und  Muscheln  jenes  Seegebietes  finden. 

Nach  erfolgter  Senkung  des  früher  gestauten  Wasserspiegels  bildeten  sich 
auf  dem  Seeboden  verschiedene  Rinnsale,  in  welchen  das  aus  dem  Alpengebiete 
kommende  Rheinwasser  fortgeführt  wurde,  ein  Zustand,  welcher  zwischen  Basel 
und  Strassburg  zum  teil  noch  jetzt  deutlich  zu  erkennen  ist. 

Neben  einem  Hauptstromarme  bestanden  mehrere  Seitenrinnen,  welche 
hauptsächlich  bei  den  höheren  Wasserständen  zur  Geltung  kamen,  bei  Niedrig- 
wasser aber  grösstenteils  trocken  lagen.  Für  diese  Nebenarme  hat  sich  im 
Volksmunde  der  Name  „Giessen"  erhalten.  Die  Inseln  zwischen  solchen  Giessen 
bestanden  teils  aus  tertiären  Ablagerungen,  teils  aus  diluvialen  Geschieben  mit 
kalkigem  oder  thonigem  Bindemittel,  welche  der  gewöhnlichen  Strömung  hin- 
reichend Widerstand  leisten  konnten  und  nur  etwa  bei  heftigen  Eisgängen  an- 
gegriffen oder  verändert  wurden. 

Unmittelbar  bei  Mainz  erscheint  dies  Verhältnis  noch  dadurch  besonders 
verwickelt,  weil  hier  auf  der  rechten  Rheinseite  der  Main  einmündet,  dessen 
Fluten  bei  den  erwähnten  Inselbildungen  wesentlich  mitgewirkt  haben. 

Nach  den  lichtvollen  Darlegungen  des  verstorbenen  Landesgeologen  Dr.  Koch 
mündete  der  Main  ursprünghch  keineswegs  an  der  jetzigen  Stelle  oberhalb 
Mainz  in  den  Rhein,  sondern  lief  in  längerer  Ausdehnung  neben  den  tertiären 
Rändern  des  rechtsseitigen  Geländes  iu  den  Gemarkungen  Kostheim,  Castel, 
Amöneburg,  Biebrich  und  Walluf  parallel  zu  dem  linksseitigen  Hauptstrome  des 
Rheins.  Zwischen  diesen  beiden  Strömungen  lagen  die  Inselgebiete,  deren  Reste 
in  der  Marau,  der  Petersau,  der  Ingelheimer  Aue,  der  Rettbergs-  und  Bieb- 
richer  Aue,  sowie  in  der  grossen  Alluvion  bei  Schierstein-Walluf  noch  vorhanden 
sind.  Auch  von  Walluf  abwärts  zwischen  Eltville,  Erbach,  Ilattenheim,  Östrich, 
Geisenheim  und  Rüdesheim  ist  der  oben  erwähnte  Parallelstrom  des  Mains 
besonders  in  der  kleinen  Giess,  in  den  Seitenarmen  bei  Winkel,  Geisenheim  und 
Rüdesheim  sehr  deutlich  zu  erkennen,  wie  denn  auch  die  kalkigen  und  thonigeu 
Ablagerungen  auf  den  rechtsseitigen  Thalgehängen  vorwiegend  dem  Maingebiete 
angehören,  während  sich  auf  dem  linken  Rheinufer  die  sandigen  Geschiebe  des 
oberen  Rheines  mit  der  zugehörigen  Flora  und  Fauna  zeigen. 

Im  Laufe  der  Jahrhunderte  wurde  dann  der  Main  zunächst  zwischen 
Kostheim  und  Walluf  von  dem  rechtsseitigen  Ilöhenrande  abgedrängt  und  es 
entstand  ein  regelrechteres  Mainbett  durch  die  sogen.  Maiulache,  hart  an  dem 
Casteler  Uferrande  her,  iu  dem  jetzigen  Casteler  Rheinarme  bis  unterhalb  Biebrich. 


83 

Zwischen  dera  Rhein  und  Main  lag  im  Anschlüsse  an  die  rechtsrheinische 
Niederung  vor  Gustavsburg,  Bischofsheim  und  Riisselsheim  das  ausgedehnte 
Gelände  der  Marau  und  Petersau,  ursprünglich  ein  Ganzes  bildend,  welches 
nur  zur  Zeit  der  Hochfluten  und  des  Eisganges  durch  einige  Querströmungen 
unterbrochen  war.  Die  Petersau  ist  damals  ohne  Zweifel  viel  breiter  gewesen, 
als  jetzt,  und  der  jetzige  Hauptarm  des  Rheins  oberhalb  Biebrich  war  nur  eine 
gewöhnliche  Hochwassergiess,  welche  zeitweise  mit  den  Mainfluten  vereinigt 
sich  durch  den  sogen.  Wachsbleichen-Arm  zwischen  der  Ingelheimer-  und 
Rettberga-Aue  in  den  linksseitigen  Rheinarm  ergoss. 

Es  bestand  hiernach  gegenüber  von  Mainz  auf  der  rechten  Seite  des  Rheins 
ein  grosser  Insel-Wiesenplan,  welcher  zu  festlichen  Veranstaltungen,  Volks-  und 
Reichsversammlungen  höchst  geeignet  war  und  nach  den  vorliegenden  geschicht- 
lichen Zeugnissen  in  dieser  Weise  vielfach  benutzt  wurde.  Von  Mainz  aus 
war  dies  Inselgebiet  durch  die  zuerst  in  der  römischen  Kaiserzeit  erbaute  feste 
Rheinbrücke  zwischen  Mainz  und  Castel  bequem  zugänglich.  Die  Herstellung 
einer  hölzernen  Rheinbrücke  oberhalb  der  Römerbrücke,  wahrscheinlich  zwischen 
Weisenau  und  der  Marau  zur  Zeit  Karls  des  Grossen  war  sicher  neben  den 
strategischen  Rücksichten  auch  durch  diese  Verhältnisse  mit  bedingt.  Der  alt- 
römische Brückenkopf  bei  Castel  bezeichnete  das  rechtsseitige  Mainufer  und 
die  ersten  rechtsseitigen  massiven  Öffnungen  der  Römerbrücke  führten  ohne 
Zweifel  über  den  Main  und  über  das  links  neben  demselben  belegene  Insel- 
Terrain,  welches  durch  eine  Seitenrampe  mit  der  Brückenbahn  verbunden  werden 
konnte.  Über  die  karolingische  Brücke  fehlen  nähere  Nachrichten,  doch  sprechen 
alle  massgebenden  Umstände  dafür,  dass  sie  vom  linken  Rheinufer  oberhalb 
Mainz  direkt  auf  das  Haupt  der  Marau  führte. 

Der  Wiesen-Inselplan  oberhalb  der  Römerbrücke  gewann  eine  besondere 
Bedeutung,  als  man  das  Bedürfnis  fühlte,  den  Zugang  zu  diesem  wichtigen  Ge- 
biete am  oberen  Ende  gegenüber  von  Kostheim  zu  überwachen.  Es  wurde 
hier  wahrscheinlich  schon  zur  Römerzeit  ein  Vorposten,  unter  Trajan  ein  festes 
Bauwerk,  später  unter  den  Merowingern  eine  Wasserburg,  ein  Königshof  an- 
gelegt, welchen  die  Karolinger  mit  einem  Steinturm  unter  kuppenartigem  Dach 
versahen,  wodurch  der  Name  Kupstein  (Kostheim)  enstand.  Zur  Zeit  Karls  des 
Grossen  ist  hier  nach  Grimms  Darlegung  ein  Burghaus  nachgewiesen,  in  welchem 
später  Kaiser  Heinrich  IV.  im  Jahre  1067  die  schon  oben  erwähnte  Urkunde 
ausstellte.  Im  Anschluss  an  dieses  Burghaus  wurde  sicher  auch  bei  den  hier 
gehaltenen  Reichsversammlungen  und  namentlich  im  Jahre  1184  für  das  vom 
Kaiser  Barbarossa  veranstaltete  grosse  Volksfest  das  Hauptquartier  des  Kaisers 
und  der  Reichsfiirsten  in  besonders  für  diesen  Zweck  errichteten  Holzhäusern 
aufgeschlagen.  Die  Zahl  der  bei  dieser  Gelegenheit  auf  der  Marau  zusammen- 
geströmten Ritter  und  Reisigen  wird  auf  40000  angegeben,  die  übrige  Volks- 
menge war  ungezählt.  Nach  Raum  er  s  Beschreibung  hatte  Kaiser  Friedrich 
dafür  gesorgt,  dass  den  Rhein  aufwärts  und  abwärts  Lebensmitel  in  unglaub- 
lichen Mengen  zusammengebracht  waren.  Alle  Edlen,  ja  alles  Volk  ward  auf 
Kosten  des  freigebigen  Kaisers  bewirtet  und  Könige,  Herzöge,  Markgrafen  leisteten 
ihre  Dienste  als  Truchsessen,  Kämmerer,  Marschälle  und  Mundschenken.    Fremde 

6* 


84 

aus  Slavien,  Illyrien,  Fraukreich,  England,  Italien  und  Spanien  hatten  sich  zu 
dem  Feste  eingefunden.  Die  Hoheit  des  Kaisers,  die  Herablassung  der  Kaiserin, 
die  Schönheit  der  Frauen,  die  Herrlichkeit  der  Ritter,  die  Pracht  der  Kleidungen, 
der  Schmuck  der  Pferde,  die  Mannigfaltigkeit  der  Spiele  und  Gesänge,  der 
Überfluss  an  Lebensmitteln  und  Wein,  alles  vereinte  sich,  um  Lust,  Freude 
und  Bewunderung  zu  erzeugen. 

Die  vereinigte  Marau  und  Petersau  mit  ihrem  frischen  Wiesengrunde 
und  schönen  Baumschmuck,  mit  dem  herrlichen  Ausblick  auf  das  goldene  Mainz, 
auf  die  lachende  Rheinebene  und  das  Taunusgebirge  waren  sicher  ein  einzig- 
artiger Schauplatz  für  ein  solches  welthistorisches  Fest,  dessen  dauernde  Er- 
innerung im  Volksmunde  treu  bewahrt  wurde  und  einen  festen  Anhaltspunkt 
in  jenem  Burgbau  Kupstein,  dem  Haupt  der  Marau,  behalten  hat.  Die  durch 
die  Tradition  erhaltenen  Spuren  jenes  zur  Überwachung  der  Marau  bestimmten 
Vorpostens,  des  nachmaligen  Burghauses  und  Kaiserlagers,  finden  wir  in  der 
von  Gustav  Adolf  gegründeten  Schwedenschanze  an  der  sogenannten  Mainspitze, 
der  heutigen  Gustavsburg,  welche  später  von  den  Franzosen  w^eiter  ausgebaut 
und  in  unserer  Zeit  als  Brückenkopf  verwertet  wurde. 

Dort  deutet  auch  die  Niederung  des  Gustavsburger  Hafens  mit  ihren  tiefen 
Auskalkungen  an  der  rechten  Rheinseite  auf  die  Stelle  hin,  wo  bei  den  Hoch- 
fluten der  Vorzeit  der  Main  von  Hochheim  abwärts  in  möglichst  gerader  Richtung 
eine  Gicss  gebildet  hatte,  welche  nur  durchströmt  wurde,  wenn  das  Mainbett 
bei  Castel-Biebrich  mit  Eis  versetzt  war,  wie  sich  dies  noch  im  Jahre  1880 
wiederholte,  als  die  Deiche  von  Rüsselsheim  und  Bischofsheim  von  der  hohen 
Eisflut  durchbrochen  waren. 

Die  alte  Wasserburg  lag  unterhalb  dieser  Main-Giess  und  bildete  somit 
das  befestigte  Haupt  der  Marau,  welches  früher  mit  der  Rheinbrücke  zwischen 
Mainz  und  Castel,  später  mit  der  karolingischen  Brücke  in  sicherer  Verbindung  stand. 

Zugleich  konnte  von  dieser  Burg  aus  der  Landeplatz  der  Weisenauer 
Rheinlahre  und  die  anschliessende  wichtige  Verbindungsstrasse  nach  Höchst, 
Grossgerau,  Lorsch  und  Starkenburg  überwacht  werden. 

Die  jetzig^  Mainmünduug  unterhalb  (Justavsburg,  welche  noch  während 
des  dreissigjährigen  Krieges  behufs  bequemer  Verbindung  mit  dem  altbefestigten 
Mainhaupt  der  Marau  durchdammt  war,  hat  sich  erst  später  infolge  der  fran- 
zösischen Festungsbauten  von  1080—90  ausgebildet  und  ist  nach  Versandung 
des  Mainbettes  bei  Kostheim-Castel  zur  Hauptausmündung  geworden,  wodurch 
die  jetzige  beschränkte  Gestalt  der  Marau  entstand.  Die  sodann  errichteten 
Festungswerke  von  Castel  bilden  den  Abschluss  dieser  Umgestaltung. 

Durch  den  Bau  des  Flosshafens  bei  Kostheim  werden  die  früheren  Flut- 
verhältnisse im  Überschwemmungsgebiete  des  Rheines  wieder  aufgedeckt. 

Diese  Mitteilungen  aber  dürften  den  Zweck  erreichen,  die  Richtigkeit  der 
geschichtlichen  Ermittelungen  des  Herrn  Professor  Dr.  Grimm  über  die  Marau 
und  die  Lage  der  Burg  Kupstein  (Kostheim)  auch  vom  geologischen  und  hydro- 
technischen Staudpunkte  aus  zu  bekunden. 


Johann  Konrad  von  Seibach. 

Nebst  einem  Anhang :   Einit^e  uiibekaiiiite  Herbonier  Drucke. 

Von 

F»   0  1 1 0^ 


Johann  Konrad  von  Seibach  gehört  nicht  zu  den  grossen  Kriegshelden 
seiner  Zeit;  er  hat  nicht  eine  höhere  leitende  Stellung  wie  Melander  errungen, 
er  ist  nicht  gefeiert  worden  von  den  Landsknechten  wie  Friedrich  von  Reiffenberg, 
und  starb  in  einem  Alter  von  44  Jahren  als  Oberstlieutenant  des  nassauischen 
Reiterregiments,  dessen  Oberst  Graf  Ludwig  Heinrich  von  Dillenburg  war. 
Aber  sein  Leben  ist  trotzdem  merkwürdig  und  einer  näheren  Betrachtung  wert. 
Nur  kurze  Zeit  vermochte  er  in  der  Heimat  und  in  friedlicher  Thätigkeit  zu- 
zubringen :  im  Anfang  seiner  Jugend  zog  ihn  die  Lust  am  Kriegshandwerk 
bald  hierhin,  bald  dorthin  in  fremde  Dienste,  und  in  den  letzten  Jahren  seines  Lebens 
wurde  er  als  erprobter  Krieger  abermals  zu  den  Waffen  gerufen. 

Die  folgende  Erzählung  seines  Lebenslaufes  folgt  der  kurzen  Biographie, 
welche  der  Hofprediger  Hermann  Vigelius  von  Dillenburg  am  Schlüsse  der 
Leichenrede  (gedruckt  Herborn   1636)  gegeben  hat. 

Die  Herrn  von  Seibach  haben  ihren  Namen  von  ihrem  Stammsitze  Sei- 
bach in  der  Herrschaft  Siegen,  nicht  allzuweit  von  Burbach  entfernt.  Das 
Geschlecht  zerfiel  in  viele  Zweige,  welche  sich  durch  Beinamen  unterschieden; 
Johann  Konrad  führte  den  Namen  Lange:  so  ist  er  in  der  unten  erwähnten 
Urkunde  von  1618  genannt;  die  Matrikel  von  Marburg  nennt  ihn  Lang.  Der 
Wohnsitz  und  das  Erbgut  seines  Zweiges  war  Zeppenfeld.  Dazu  erwarb  sein 
Vater  Kraft  Engelbrecht  den  Mitbesitz  des  Geispitzhcimischen  Hofes  zu  Wies- 
baden. Diesen  —  es  war  der  Hof  des  ca.  1400  ausgestorbenen  Geschlechts 
der  Herrn  von  Wiesbaden,  er  lag  gegenüber  dem  heutigen  Gasthaus  „Nonnen- 
hof" —  hatte  Joachim  von  Geispitzheim  besessen  und  bei  seinem  Tode,  um 
die  Zeit  der  Kirchweihe  von  Wiesbaden  (Sonntag  Jubilate)  im  Jahre  1557'), 
zwei  Töchtern,    Margarethe  und  Anna   Maria^),   hinterlassen.    Von  diesen    hei- 

^)  Altes  Gerichtsbuch  der  Stadt  Wiesbaden.  Der  Sonntag  Jubilate  war  im  Jahre  1557 
der  9.  Mai.  —  ^j  Anna  Maria  fehlt  bei  II  um  bracht,  ebenso  ihr  Gemahl  Reinhard  von 
Grodian;  beide  werden  1580  und  1581  als  Mitbesitzer  des  Hofes  genannt;  der  Sohn  Walthor 
verkaufte  im  Jahre  1609  seinen  Anteil. 


86 

ratete  Margarcthc  um  das  Jahr  1570')  eleu  gcuanuteu  Kraft  Eugelbrccht 
von  Seibach,  Anna  Maria  den  Junker  Reinhard  vou  Grodian.  Beide  teilten 
den  zu  Wiesbaden  ererbten  Besitz;  indessen  scheint  Seibach  die  ihm  zugefallenen 
Güter  nicht  selbst  bewirtschaftet  zu  haben,  während  sein  Schwager  zu  Wies- 
baden wohnte:  er  verpachtete  die  Wiesbadener  Güter  z.  B.  im  Jahre  1583  auf 
neun  Jahre.-)  Nach  Grodians  Tode  wurde  er  Vormund  von  dessen  hinterlassenera 
Sohne  Walther,  als  welcher  er  noch  im  Jahre  1603  vorkommt,  doch  muss  er 
um  diese  Zeit  gestorben  sein^);  die  Mutter  erlebte  noch  den  Tod  ihres  Sohnes 
(1634)  und  muss  also  ein  hohes  Alter  erreicht  haben;  war  sie  bei  ihrer  Ver- 
heiratung etwa  zwanzig  Jahre  alt,  so  zählte  sie  damals  etwa  84  Jahre. 

Auf  dem  Gute  zu  Zeppenfeld,  wo  er  auch  später  wohnte,  wenn  er  nicht 
auswärts  war,  mag  Junker  Johann  Konrad  als  das  jüngste  oder  einzige  Kind 
seiner  Eltern  am  24.  August  1580  geboren  worden  sein.  Nach  des  Vaters  Tod 
brachte  ihn  die  Mutter  auf  die  benachbarte  Landesschule  zu  Herborn,  welche 
damals  eines  besonderen  Rufes  sich  erfreute.  Im  Jahre  1605  bezog  er  die 
Universität  Marburg,  wo  er  am  30.  Mai  immatrikuliert  wurde,  später  die  im 
Jahre  1607  gestiftete  Universität  Giessen,  zu  deren  ersten  Schülern  er  also 
gehörte.*) 

1.  In  schwedischem  Dienst  1608.  Die  Studien  fesselten  ihn  nicht; 
da  er  mehr  Neigung  zum  Kriegshandwerk  hatte,  so  trat  der  neunzehnjährige 
Jüngling  in  die  Dienste  des  Königs  Karl  XI.  von  Schweden.  Diese  Wahl  mag 
bestimmt  worden  sein  durch  den  Vorgang  seines  damaligen  Landesherrn  Johann 
des  Mittleren,  eines  Sohnes  des  1606  verstorbenen  Grafen  Johann  des  Alteren, 
welchem  in  der  Erbteilung  die  Herrschaft  Siegen  zugefallen  war;  derselbe  hatte 
im  Jahr  1601  als  General  der  schwedischen  Armee  rühmlichst  in  dem  polnischen 
Kriege  gekämpft.  Ferner  stand  eben  damals  ein  Vetter  des  jungen  Seibach, 
Wilhelm  von  Seibach  von  dem  Zweige  der  Quadfassel,  ebenfalls  in  schwedischen 
Diensten  und  mochte  seinen  jüngeren  Freund  eingeladen  haben  sein  Glück  in 
dem  bevorstehenden  russischen  Kriege  zu  versuchen.  In  Russland  herrschte 
nämlich  seit  einigen  Jahren  der  Büi^erkrieg,  welchen  das  Auftreten  des  falschen 
Demetrius  hervorgerufen  hatte.  Der  neu  ernannte  Zar  Schuiski  suchte  gegen 
den  zweiten  Demetrius  und  die  mit  ihm  verbundenen  Polen  Hülfe  bei  Schweden, 
die  auch  versprochen  und  geleistet  wurde.  Nach  dem  Vertrage  vom  28.  Feb- 
ruar 1609  rückte  der  schwedische  General  Jakob  de  la  Gardie^)  in  Russland 
ein;  sein  Heer  bestand  zum  grossen  Teil  aus  Truppen,  welche  im  Westen  von 


•)  Bis  zu  dieser  Zeit  werden  mehrmals  „die  Kinder  von  Geispitzheim"  genannt,  1573 
zum  crstenmule  Seibach.  —  *)  Die  Güter  betrugen  zusammen  168  Morgen  Ackerland,  28  Mor- 
gen "Wiesen,  2  Morgen  "Weinberge,  der  Pacht  von  Seibachs  Anteil  34  Malter  Korn  und  10 
Säcke  Hafer.  Auf  dem  Hofe  lastete  die  Verpflichtung  mit  seinen  Pferden  und  Wagen  die 
Verbrecher  zur  Richtstätte  zu  fahren.  —  ^)  Herrn.  Vigelius  sagt,  Kraft  Engelbrecht  sei 
gestorben,  als  der  Sohn  12  Jahre  alt  war,  also  1601;  diese  Angabe  muss  also  auf  einem  Irr- 
tume  beruhen.  —  ')  Die  älteste  Matrikel  der  Universität  Giessen  ist  verloren,  die  Zeit  seiner 
Aufnahme  also  nicht  zu  bestimmen,  doch  muss  sie  wohl  1607  erfolgt  sein,  da  er  1608  Kriegs- 
dienste nahm.  —  *)  Sohn  des  P.  de  la  Gardic  aus  Carcassonnc,  welcher  in  schwcdisclic  Dienste 
getreten  und  zu  hohen  Ehren  gekommen  war;  der  Sohn  war  geboren  1583  und  starb  1652 
gleichfalls  in  hohen  fahren. 


87 

Europa,  in  Fraukreich,  den  Niederlanden  und  Schuttland,  geworben  waren.  Der 
Anfang  des  Feldzugs  war  glücklich:  am  12.  März  1610  zieht  de  la  Gardie 
siegreich  in  Moskau  ein ;  doch  infolge  einer  Meuterei  namentlich  der  Söldner 
sah  er  sich  alsbald  genötigt  diesen  Kriegsschauplatz  zu  verlassen  und  nach 
Nowgorod  abzuziehen,  während  die  russischen  Verhältnisse  durch  Erhebung  des 
Michael  Romanow  zum  Zaren  (1612)  einer  festeren  Gestaltung  entgegengingen. 
An  diesem  Feldzuge  also  nahm  Seibach  teil  und  erlaogte  durch  seinen  Vetter 
Wilhelm  von  Seibach  ein  Fähnlein.  Wie  lange  er  dort  verweilte,  wird  nicht 
angegeben;  vielleicht  wurde  er  von  de  la  Gardie  zu  Nowgorod  1611  oder  1612 
verabschiedet. 

Nach  seiner  Rückkehr  verweilte  er  am  Hofe  seines  Landesherrn  Johann 
von  Nassau-Siegen,  „dessen  Gnaden  ihn  allezeit  lieb  und  wert  gehalten." 

2.  Im  Dienste  der  Hansestädte  unter  Graf  Friedrich  von  Solms 
1615.  Zwischen  dem  Herzoge  von  Braunschweig  und  der  Stadt  Braunschweig 
bestanden  seit  langer  Zeit  Streitigkeiten,  da  diese  ihre  Selbständigkeit  wahren, 
der  Herzog  aber  sie  mit  Gewalt  unter  seinen  Willen  beugen  wollte.  Herzog 
Henrich  Julius  starb  im  Jahre  1613  unausgesöhnt  mit  der  Stadt;  sein  Sohn 
Friedrich  Ulrich  verlangte  alsbald  die  Huldigung,  welche  verweigert  wurde. 
Nachdem  die  Versuche  zu  friedlicher  Beilegung  des  Zwistes  gescheitert  waren, 
griff  er  im  Jahr  1615  zu  den  Waffen  und  begann  im  Sommer  des  Jahres  die 
Belagerung  der  Stadt.  Diese  fand  Hülfe  bei  ihren  Bundesgenossen,  den  Städten 
Bremen,  Lübeck,  Magdeburg  u.  a.,  und  der  Graf  Friedrich  von  Solms-Laubach, 
der  bestellte  hanseatische  General-Obrist  zu  Land  und  Wasser'),  erhielt  den 
Auftrag  ein  Heer  zu  sammeln  und  die  bedrängte  Stadt  zu  entsetzen.  Rasch 
nach  den  Begriffen  der  damaligen  Zeit  brachte  derselbe  eine  Schar  von  3000 
Mann  zu  Fuss  und  1600  Reitern  zusammen  und  rückte  am  20./10.  Oktober 
von  dem  Lager  zu  Giffhorn  gegen  die  Belagerer  vor.  Von  den  Reitern  führte 
Kurt  Heinrich  von  Uffeln^)  ein  Fähnlein,  sein  Lieutenant  war  Seibach. ^)  Am 
23.  Oktober,  als  die  Not  der  Stadt  auf  den  höchsten  Punkt  gestiegen  war, 
fand  der  Entsatz  statt;  der  Herzog  wurde  geschlagen  und  Graf  Solms  zog  als 
Sieger  in  die  Stadt  ein.  Infolge  davon  kam  es  zum  Waffenstillstand  und  am 
21./31.  Dezember  zum  Frieden  zwischen  der  Stadt  und  ihrem  Fürsten.*) 

3.  Im  Dienste  des  Königs  von  Frankreich  1616.  In  den  Unruhen, 
welche  im  Jahre  1616  —  17  die  Grossen  Frankreichs  gegen  die  Krone  anzettelten, 
erhielt  am  31.  Januar  1617  der  Marschall  Heinrich  von  Schomberg,  ein  Glied 
der  Familie,  welche  Frankreich  so  viele  tüchtige  Kriegsmänner  gab,  den  Auftrag 
4000    Landsknechte   und   400   Reiter   in   Deutschland   zu   werben.     Der   eben 


*)  Seit  dem  Jahre  1608.  Otto  Graf  zu  Solms-RödcUicim,  Graf  Friedrich  von  Solms- 
Laubach  I,  S.  161.  —  '^)  Kurt  Heinrich  von  Uffeln  war  am  13.  April  1582  geboren  und  hatte 
seit  1593  an  verschiedenen  Feldzügen  in  Ungarn,  den  Niederlanden  und  im  Eisaas  teilge- 
nommen. Leichenrede  des  Hot'predigers  Theoph.  Neubcrgcr  zu  Kassel,  gedruckt  daselbst 
1634.  Die  Einsicht  in  dieselbe  verdanke  ich  der  Freundlichkeit  des  Herrn  Majors  v.  Wangen- 
lieira  dahier.  —  ^)  Ein  Lieutenant  erhielt  50  fl.  monatlich  und  vier  Pferde.  Otto  Graf  zu 
Solms  a.  a.  0.  S.  429.  —  *)  Otto  Graf  zu  Solms  a.  a.  O.  S.  346  —  391.  Uavemann,  Ge- 
schichte von  Braunschweig-Lüneburg  II,  S.  454  tf. 


88 

genannte  Kurt  Heinrich  von  Uffeln  und  sein  Lieutenant  Seibach  funJcu  sich 
bereit  auch  hier  zusammen  Dienste  zu  nehmen,  doch  war  ihres  Bleibens  nicht 
lange.  Bald  nach  der  Ermordung  des  Marschalls  d'Ancre  (24.  April)  wurden 
sie  wieder  verabschiedet.') 

4.  Im  Dienste  der  Republik  Venedig  1617 — 1618.  Infolge  der 
Räubereien  der  Uskoken  entbrannte  im  Jahre  1615  ein  Krieg  zwischen  der 
Republik  Venedig  und  dem  Erzherzoge  Ferdinand  von  Osterreich,  welcher  zwar 
nicht  viele  grosse  ^yaffenthaten  aufzuweisen  hat,  aber  merkwürdig  ist,  weil  an 
ihm  mehrere  Männer  teilnahmen,  welche  in  demselben  entweder  ihre  Waffen- 
tüchtigkeit bewährten,  oder  später  als  Kriegshelden  berühmt  geworden  sind. 
Zu  diesen  gehört  vor  allen  AVallenstein  und  Melander;  nicht  weniger  erwähnens- 
wert ist  es  für  uns,  dass  der  Anführer  der  holländischen  Hülfstruppen  der  Sohn 
des  Grafen  Johann  des  Mittleren  von  Siegen  Johann  Ernst  war;  unter  ihm 
dienten  der  tapfere  Hans  Michael  von  Obentraut-)  und  Johann  Konrad  von 
Seibach. 

Als  die  Yenetianer  im  Frühjahre  1616  (5.-25.  März)  vergeblich  Gradisca 
belagert  hatten  und  auch  im  Sommer  der  Krieg  sich  lahm  dahin  zog,  knüpften 
sie  im  Herbste  Verhandlungen  mit  den  Generalstaaten  an,  um  von  ihnen  Hülfe 
zu  erlangen.  Diese  versprachen  zwei  Regimenter  Söldner  zu  schicken,  das 
Kommando  erhielt  Graf  Johann  Ernst,  welcher  alsbald  eine  genügende  Anzahl 
Soldaten  unter  seine  Fahnen  vereinigte ;  es  waren  ihrer  etwa  4000  Mann,  das 
Gerücht  verdoppelte  später  die  Zahl.  Die  Überfahrt  nach  Venedig  zog  sich 
lange  hin  und  erst  im  Mai  1617  langten  sie  in  Venedig  an  —  zum  Schrecken 
für  die  gutkatholischen  Bewohner  und  unter  Missbilligung  der  älteren  Senatoren, 
welche  lieber  die  Musterung  auf  dem  Markusplatze  nicht  mit  augesehen  hätten, 
da  sie  die  Befürchtung  nicht  unterdrücken  konnten,  die  Fremden  seien  stark 
genug  sich  der  Stadt  zu  bemächtigen.  Die  Ankunft  der  stattUchen  tapferen 
Männer  auf  dem  Kriegsschauplatze  schien  dem  Kampfe  eine  bessere  "Wendung 
zu  geben,  doch  wirkte  die  Uneinigkeit  des  vorsichtigen  venetianischen  Befehls- 
habers und  des  Grafen  Johann  Ernst,  welcher  eine  energischere  Kriegführung 
verlangte,  hemmend  auf  die  Unternehmungen  ein.  Xach  einer  Reihe  nutzloser 
und  von  schrecklichen  Verwüstungen  begleiteter  Kämpfe  kam  es  im  Herbste 
1617  durch  die  Vermittlung  befreundeter  Mächte  zu  einem  Friedensvorschlage, 
welchen  Erzherzog  Ferdinand  am  1.  Februar  1618  annahm.^)    Die  holländischen 


*)  In  der  Leichenrede  Uffelns  heisst  es,  dieser  sei  nach  ,,Saplioyeu"  beordert  gewesen; 
nach  Daniel,  Geschichte  von  Frankreich,  Nürnberg  1761,  XII  war  Sohomberg  im  nördlichen 
Frankreich  beschäftigt.  Über  das  Ganze  vergl.  Daniel  XII,  S.  135  fif.,  Fieffö,  Geschichte 
der  Freind-Truppen  im  Dienste  Frankreiclis,  deutsch  von  P,  Synion  de  Corneville  1860,  1, 
S.  186.  Xcubergers  und  Vigelius  Leichenreden.  —  -)  Hans  ^lichael  von  Obentraut  stammte 
aus  einer  pfälzischen  Adeisfamilie:  geboren  1J74  erscheint  er  1610  als  Rittmeister  der  Union 
an  der  Spitze  von  500  Reitern  im  elsässischen  Krieg,  als  es  sich  darum  handelte  den  Erz- 
herzog Leopold  abzuhalten,  von  dem  Oberrliein  nach  den  jülich-clevisclion  Landen  durchzu- 
brechen. Der  allgemeine  Krieg,  welcher  damals  zu  entstehen  drohte,  wurde  infolge  der  Er- 
mordung Heinrichs  IV.  noch  einmal  aliircwoudct.  v.  Stramberg  in  Ersch  und  Grubcrs  En- 
cvklopädio.  —  ^  Fr.  v.  Hurt  er,  üescliiclite  Kaiser  Ferdinand  II.,  YII,  d.  77— I'JT;  Daru, 
Histoire  de  la  rep.  Vinise,    IV,   ri.  283. 


89 

Söldner  kehlten  nunmehr  in  die  Heimat  zurück,    aber  ohne  ihren  Führer,  den 
Grafen  Johann  Ernst,  welchen  eine  Krankheit  dahingerafft  hatte. ') 

Daas  Seibach  als  Lieutenant  ObeVtrauts,  „obwohl  er  ein  mehreres  schon 
verdient",  diesen  Kriegszug  mitmachte,  sagt  die  Leichenrede  des  H.  Vigeiius 
ausdrücklich.  Wenn  aber,  wie  anderwärts  berichtet  wird,  die  holländischen 
Söldner  im  Mai  1617  zu  Venedig  eintrafen,  so  kann  Seibach  unter  diesen  nicht 
irewesen  sein,  da  erst  im  Mai  die  Schar  aus  den  französischen  Diensten  ent- 
lassen  wurde^),  welcher  er  bis  dahin  angehört  hatte.  Er  muss  also  entweder 
früher  sich  von  dieser  verabschiedet  haben  —  oder  erst  später  auf  dem  Kriegs- 
schauplatze bei  Gradisca  eingetroffen  sein.  —  Seine  Rückkunft  in  die  rheinische 
Heimat  erfolgte  erst  spät;  denn  in  der  Mitte  des  November  war  er  dort  noch 
nicht  eingetroffen,  sondern  wird  in  der  gleich  zu  erwähnenden  Urkunde  als 
abwesend  bei  den  Venetianern  bezeichnet.  Obentraut  —  und  mit  ihm  wohl 
auch  Seibach  —  war  im  Jahre  1619  wieder  in  der  Heimat  und  im  Dienste 
des  Kurfürsten  von  der  Pfalz. 

Am  Sonntage  nach  Martini  im  Jahre  1618  verkaufte  Margarethe  von 
Seibach  in  ihrem  und  ihres  Sohnes  Namen  die  Güter  zu  Wiesbaden,  welche 
ihr  wohl  zu  entlegen  waren,  an  die  Brüder  Peter  und  Johann  Meinhard  von 
Leyen  für  3300  fl.  Für  den  abwesenden  Sohn  siegelte  Georg  Heinrich  von 
Langein,  der  Sohn  des  1591  verstorbenen  Hans  Bernhard  von  Langein,  Amt- 
manns zu  Wiesbaden.  Da  die  beiden  Leyen  um  diese  Zeit  auch  die  andre 
Hälfte  der  Geispitzheimischen  Güter  erwarben,  so  vereinigten  sie  wieder  den 
ganzen  Besitz  in  ihrer  Hand. 

5.  Im  Dienste  des  Kurfürsten  Friedrich  von  derPfalz  1620 — 1622. 
Kaum  war  der  venetianische  Krieg  beendet,  so  entstanden  die  böhmischen  Un- 
ruhen, die  Vorboten  des  Krieges,  welcher  Deutschland  30  Jahre  lang  verwüsten 
sollte.  Als  der  Kurfürst  von  der  Pfalz  im  Sommer  1619  zum  Könige  von 
Böhmen  erwählt  worden  war  und  das  bedenkliche  Geschenk  angenommen  hatte, 
war  leicht  zu  ermessen,  dass  auch  seine  Erblande  von  einem  Angriffe  nicht 
verschont  bleiben  würden.  Schon  im  Herbste  1619  trat  Obeutraut  in  die  Dienste 
des  Kurfürsten  und  begleitete  ihn  auf  seinem  Wege  nach  Prag,  wo  er  am 
4.  November  der  Krönung  beiwohnte.^)  Indessen  blieb  er  nicht  in  Böhmen, 
sondern  wurde  beauftragt  als  Reiteroberst  die  Pfalz  gegen  den  spanischen 
Feldherrn  Spinola  schützen  zu  helfen;  unter  ihm  diente  Seibach  als  Anführer 
einer  Kompagnie.  In  diesen  Kämpfen  bewährten  die  beiden,  während  die 
übrigen  wenig  Ruhm  einernteten,  die  alte  Tapferkeit  und  Kühnheit.  So  über- 
fiel Obentraut  im  September  ein  Kornet  spanischer  Reiter  unter  dem  Prinzen 
Epinoy,  nahm  diesen  gefangen  und  erlegte  fünfzig."*)  Am  30.  Januar  1620 
machte  er  mit  120  Waghälsen,   wie   das  Tbeatrum  Europaeum  sagt^),    und  25 


')  Keller,  Geschichte  von  Nassau,  S.  627.  Die  Venetianer  hatten  ihn  durch  reiche 
Geschenke  geehrt.  —  ^)  Die  Leichenrede  auf  K.  H,  v.  UflFeln  nennt  den  24.  Mai  1617.  — 
•')  Höfer,  Biographie  g.'noral.  38  Sp.  388.  —  *)  Thcatr.  Europaeum  I,  S.  382.  —  ^}  Ib.  I,  S.  488. 
An  dieser  Stelle  findet  sich  zugleich   ein    Bild    des   Obersten    Obentraut   mit   der  Unterschrift: 

Hie  quis  Sit,  quaeris:  stirpe  Obentrautiaca  ortus     Est  lan-Michael  nobilitatis  bonos. 

Huius  quae  virtus,  rogitas:  est  Martis  alumnus,     Pugnans  pro  patria,  relligione,  foco. 


90 

l'ferden  dos  Lieutenants  Pfaff  einen  Anschlag  auf  Caps-Lawershoim,  wo  eine 
Kompagnie  vom  besten  und  ältesten  spanischen  Volk  lag,  überfiel  sie  vor  Tages- 
anbruch und  machte  nieder,  was  sich  zur  Wehr  setzte;  ein  Rittmeister  wurde 
im  Bett;  gefangen  genommen  und  viele  Beute  gemacht.  Am  10./20.  Mai  kam 
er  früh  morgens  vor  Herstein,  sprengte  das  Thor  mit  einer  Petarde,  nahm  den 
darin  liegenden  Spaniern  einige  dreissig  Pferde  ab  und  hätte  alle  erlegt,  wenn 
sie  sich  nicht  in  das  Schloss  geflüchtet  hätten.  Wie  sehr  aber  auch  der  ritter- 
liche Sinn  Obentrauts  gerühmt  wird'),  so  konnte  er  doch  nicht  verhüten,  dass 
nach  damaliger  Art  der  Kriegführung  auch  von  seinen  Leuten  arge  Verwüstungen 
verübt  wurden,  wenn  sie  feindliches  Gebiet  betraten.  So  wurden  im  Laufe  des 
Jahres  1621  viele  Dörfer  des  Bistums  Speyer  mit  Feuer  und  Schwert  verwüstet.^) 
Als  Mansfeld  aus  Böhmen  in  die  Rheinpfalz  gekommen  war,  schloss  er  sich 
demselben  an  und  unternahm,  während  jener  das  Elsass  heimsuchte,  einen 
Plünderungszug  nach  dem  Breisgau  mit  einer  starken  Reiterei.  Im  folgenden 
Jahre  nahm  er  an  der  Schlacht  bei  Mingolsheim  (15.  April)  teil;  seine  grösste 
That  aber  war  in  diesem  Kriege  das  Gefecht  am  ILagenauer  Forst,  wo  er  am 
-16.  Mai  1000  Reiter  des  Erzherzogs  Leopold  mit  einem  Verlust  von  500  Pferden 
in  die  Flucht  schlug  und  Furcht  und  Schrecken  im  Lager  verbreitete.^)  Doch 
schon  war  die  Sache  des  Pfalzgrafen  bekanntlich  verloren,  und  ein  weiterer 
Kampf  schien  seiner  Sache  nur  zu  schaden;  er  entliess  daher  am  12.  Juli 
seine  Truppen.*) 

Seibach  kehrte  nunmehr  in  die  Heimat  zurück  und  verlebte  die  nächsten 
Jahre  auf  seinem  Gute  zu  Zeppenfeld.  Im  Jahre  1623  heiratete  er  hier  die 
Agathe  von  Scheid  genannt  Weschpfennig. 

6.  Im  Dienste  des  Grafen  Ernst  von  Sayn.  Glücklich  in  dem  Hafen 
der  Ehe  angelangt  entsagte  Seibach  zunächst  dem  Kriegsdienst,  übernahm  aber 
später  —  ungewiss  in  welchem  Jahre  —  die  Stelle  eines  Amtmanns  in  der 
Grafschaft  Sayn,  welche  ihm  Graf  Ernst,  Sohn  des  mit  der  Erbtochter  von 
Sayn,  Anna  Elisabeth,  vermählten  Grafen  Wilhelm  von  Wittgenstein,  angeboten 
hatte.  Als  solcher  erscheint  er  in  den  Jahren  1629  und  1630  und  zwar,  wie 
es  scheint,  in  dem  Amte  Friedewald  nicht  weit  von  seinem  Wohnsitze  Zeppen- 
feld. In  den  wenigen  erhaltenen  Schriftstücken  heisst  er  Rittmeister  und 
Amtmann.*) 

7.*0bcrstlieutenant  in  des  Herzogs  Wilhelm  von  Sachsen  Leib- 
regiment  zu  Pferd  1631—1632.     Im   Jahre    1630   war   Gustav  Adolf  als 


M  In  einem  Gedicht  von  G.  C(orvinus),  dem  Professor  der  Beredsamkeit  und  Geschichte 
zu  Ilerborn,  auf  Seibach  heisst  es  von  Obentraut:  Obentraut,  dessen  Treu  das  fremde  Gold 
veracht,  Und  jederzeit  nur  hat  nach  Teutscher  Elir  getracht.  —  *)  Theatr.  Europ.  I,  S.  537, 
541  f.  —  ')  Ebenda  S.  628.  —  *)  Ebenda  S.  642.  Noch  einmal  nahm  in  der  Folge  Obentraut 
an  dem  Kriege  teil;  im  Jahre  1625  ist  er  Gcncrallieutenant  des  Herzogs  Johann  Ernst  von 
"NVcimar,  welcher  im  niedcrsächsisch-dänischen  Kriege  die  Kavallerie  des  Königs  befehligte; 
nachdem  er  am  6.  August  hier  eingetroffen  war,  wurde  er  in  dem  Gefecht  bei  Seelze  so  ver- 
wundet, <la83  er  alsbald  starb,  den  3.  Nov. / 24.  Okt.  Opel,  Der  niedersächsiseh-dänische  Krieg, 
II,  S.  354;  Ha  VC  mann  a.  a.  O.  S.  642.  —  *)  Die  Mitteilung  über  diese  seine  Amtsthätigkeit 
verdanke  ich  der  Freundlichkeit  des  Herrn  Archivrates  Dr.  Becker  zu  Coblenz.  —  Graf  Ernst 
regierte  von  1008-1632. 


91 

Schützer  der  vom  Kaiser  bedrängten  evangelischen  Fürsten  Deutschhuids  an 
der  Küste  von  Pommern  gelandet  und  hatte  im  Jahre  Hi'il  bei  Breitenfeld  den 
ersten  entscheidenden  Sieg  über  das  ligistische  Heer  erfochten.  Als  er  in  der 
Folge  sich  mit  seinem  siegreichen  Heere  dem  Rheine  näherte,  strömten  die 
kleineren  protestantischen  Fürsten  zu  ihm,  um  sich  seines  Schutzes  zu  versichern 
und  ihm  ihre  Hülfe  anzubieten ;  ihrem  Beispiele  folgten  vielfach  ihre  Lehnsleute 
und  Hintersassen.  So  hatte  sich  Graf  Ludwig  Heinrich  von  Nassau-Dillenburir 
im  November  1631  bei  dem  Könige  zu  Gernsheim  eingefunden  und  demselben 
seine  Dienste  angeboten,  war  auch  von  ihm  am  1.  Dezember  zum  Oberst  be- 
stellt worden  und  begann  alsbald  ein  Infanterie-Regiment  zu  errichten.*)  Dieser 
Vorgang  des  Grafen  mag  Seibach  veranlasst  haben  um  dieselbe  Zeit  dem  Ruf 
eines  schwedischen  Anführers  Folge  zu  leisten. 

Nachdem  Gustav  Adolf  Erfurt  am  Ende  des  September  besetzt  hatte,  und 
er  selbst  nunmehr  nach  dem  Rheine  zu  ziehen  beabsichtigte,  Hess  er  den  Herzos 
Wilhelm  von  Sachsen-Weimar  in  Thüringen  zurück  —  er  erteilte  ihm  bald  den 
Rang  eines  Generallieutenants  —  mit  dem  Auftrage  den  Besitz  des  Landes  zu 
sichern,  die  L^mgegend  zu  unterwerfen  und  zu  diesem  Zwecke  ein  Heer  von 
10000  Mann  zu   werben.^) 

„Auf  gnädiges  Begehren  des  Durchlauchtigen  und  Hochgebornen  Fürsten 
und  Herrn,  Herrn  Wilhelmen  Herzog  zu  Sachsen,  hat  sich  J.  K.  von  Seibach 
eingelassen  und  ist  über  Ihrer  fürstlichen  Gnaden  Leibregiment  Obristlieutenant 
im  Jahre  1631  geworden,  dessen  fürstl.  Gnaden  ihm  wegen  verspürter  seiner 
Qualitäten  Obristen  Stelle  gnädig  haben  geben  wollen."  Es  wird  im  Herbste 
—  November  oder  Dezember  —  gewesen  sein,  als  Seibach  hier  eintrat.  Auf 
Befehl  des  Königs  unternahm  Herzog  Wilhelm  im  Anfang  Januar  einen  Kriegs- 
zug  von  Erfurt  aus,  dessen  einzelne  Stationen  im  Theatrum  Europaeum^)  ver- 
zeichnet sind:  Aufbruch  am  10,  Januar,  zu  Sangerhausen  am  11.,  zu  Mansfeld 
am  12.,  zu  Ermsleben  am  13.,  zu  QuedUnburg  am  14.  und  15.,  zu  Wernige- 
rode am  16.,  zu  Osterwiek  am  17.,  am  18.  Verbindung  mit  Bauer.  Von  nun 
an  handeln  beide  nach  gemeinsamem  Plane:  am  23.  besetzten  sie  die  Stadt 
Goslar.  Während  sodann  Bauer  das  Hildesheimische  besetzt,  rückt  Herzog 
Wilhelm  nach  Nordheim  und  Bovenden  (31.  Jan.),  um  die  von  einer  schwachen 
ligistischen  Schar  besetzte  Stadt  Göttingen  zu  nehmen,  was  ihm  nach  zwei- 
tägigem Kampfe  am  11.  Februar  gelang.  Sodann  besetzt  er  Duderstadt  und 
einige  andere  Orte  des  Eichsfeldes   —  Mitte  Februar. 

Das  Theatrum  Europaeum  berichtet  darüber,  wie  folgt:  „üieweil  nun 
Herzog  Wilhelm  durch  eingezogene  gewisse  Kundschaft  damals  erfahren,  dass 
die  starke  wohlverwahrte  Stadt  Göttingen  (welche  den  Grafen  Tilly  soviel  Volk, 
Mut  und  Arbeit,  bis  er  sie  einbekommen,  gekostet)  unter  dem  Kommando  Hans 
Georgen  von  Carthauss  nur  mit  ungefähr  300  Mann,  darunter  etwa  50  zu  Pferd, 
gewesen,    besetzt,    auch   mit  genügsamer  Proviant  nicht  versehen  wäre,   hat  er 


')  Dillenburger  Intell.-Nachr.  1778,  Sp.  71  u,  88.  —  -)  Tlicatr.  Europ.  11,  S.  454,  und 
für  das  Folgende  S.  559  f.;  llclmricli,  Ücäcluchte  des  Groäslicrzogtums  Sachsen-Weimar, 
S.  91;  La  Roche  a.  a.  O.  S.   115,  117.  —  'j  s.  559.    La  Roche  II,  9.  207  f. 


92 

den  8.  Februar  ia  aller  Eil  seine  Truppen  zu  Ross  und  Fuss  samt  Jen  Stücken 
und  Bagage-Wagen  zusammen  führen  lassen,  sich  mit  denselbigen  nahe  vor 
üüttingen  im  Feld  präsentiref.  Worauf  zwar  die  Kaiserisch-ligistische  etliche 
Schüss  aus  der  Stadt  gethan,  aber  nachdem  der  Herzog  zum  zweitenmal  einen 
Trompeter  in  die  Stadt  um  gütliche  Ergebung  geschickt,  ist  das  Schiessen  ein- 
gestellet,  doch  die  Übergabe  rund  abgeschlagen  und  die  Antwort  vom  Komman- 
deur, dass  er  sich  wehren  wollte,  gegeben  worden.  Derowegen  der  Herzog 
die  Truppen  samt  dem  Geschütz  und  Bagage  gegen  angehender  Nacht  wieder 
in  die  Quartier  rucken  und  ihnen  sich  darinnen  bis  auf  weitere  Ordinanz  fertig 
zu  halten  andeuten  lassen.  Folgenden  9.  und  10.  ist  die  Stadt  rings  um  blockiert 
worden,  dass  niemand  weder  ein  noch  auskommen  können,  da  dann  diese  beiden 
Tag  über  die  Belagerten  aus  Stücken  und  Doppelhaken  tapfer  geschossen,  so 
aber  wenig  Schaden  gethan,  und  hat  der  Fürst  selber,  aller  Gefahr  ungescheut, 
die  Gelegenheit  der  Festung  abgesehen  und  darauf  nach  genommener  wohl- 
bedächtlichen  Resolution  und  gehaltenem  Gebet  gegen  vier  Uhr  des  Morgens 
früh  gemeldete  Stadt  Göttingen  an  acht  unterschiedlichen  Orten  mit  Sturm  an- 
gegriffen und,  weil  die  Belagerten  wegen  weniger  Anzahl  der  Besatzung  nicht 
genügsame  Gegenwehr  und  Vorsehung  thun  können,  denselben  unaufhörlich 
fortgetrieben  und  darunter  mit  Stücken  vom  Galgenberg  heftig  gespielet.  Da- 
hero  dann  erfolget,  dass  durch  solchen  gewaltigen  Angriff  er  um  6  Uhr  Morgens 
den  11.  Februar  die  Stadt  mit  geringem  Verlust  sieghaft  erobert.  Da  dann 
sein  Volk  in  der  Furie,  was  es  von  kaiserischen  Soldaten  ertappt,  alles  nieder- 
gehauen, der  Rest  . .  .  gefangen  genommen,  auch  3  Fahnen  bekommen  worden. 
Darauf  der  Herzog  den  12.  dieses,  welcher  war  der  Sonntag  Estomihi,  in  der 
Kirche  S.  Johann  durch  seinen  Hof-  und  Feldpredigern  M.  David  Lippachen 
eine  Predigt  halten  und  wegen  solchen  Victorie  das  Te  Deum  laudamus  singen, 
von  zweien  Compagnien  Musketieren  und  aus  groben  Stücken  dreimal  Salva 
schiessen  lassen.         U'i'S^ 

„Den  13.  Februar  hat  Herzog  Wilhelm  einen  Trompeter  nach  Duderstadt 
an  den  Oberamtmann  Hauptmann,  versammelte  Eichsfeldische  Stände  und  den 
Rat  daselbst  abgeordnet  und  begehret  sich  in  der  Güte  zu  accomodieren  und 
der  Kgl.  Majestät  zu  Schweden  sich  zu  submittieren :  worauf  sie,  dass  sie  parieren 
wollten,  in  Schriften  sich  erkläret.  Derhalben  der  Herzog  den  15.  den  vorge- 
dachten Trompeter  neben  dem  Obristen  Lieutenant  Georg  Friedrich  von  Branden- 
steiu  mit  ganz  billigen  Conditionen  anderweit  dahin  abgefertiget.  Worauf  die 
Stadt  sich  den  17.  zur  Übergabe  accomodieret  und,  als  Herzog  Wilhelm  Nach- 
mittags um  3  Uhr  eingezogen,  nicht  allein  demselben  ein  Fähnlein  präsentiert, 
die  darin  gelegene  geworbene  Soldaten,  in  250  stark,  sich  mehrenteils  unter- 
güstellet  und  alsbald  geschworen,  sondern  die  Bürger  haben  auch  einen  Fussfall 
•rethan  und  die  Schlüssel  überantwortet.  General  Bauer  hat  sich  indessen  auch 
unterschiedlicher  Orte  bemächtiget." 

Am  Anfang  des  Februar  hatte  General  Hörn  Bamberg  besetzt.  Der 
Bischof  von  Bamberg  veranlasste  nun  den  Kurfürsten  Max  von  Baiern,  Tilly 
den  Befehl  zu  erteilen,  dass  er  mit  seinen  Truppen  ihm  sein  Land  zurücker- 
obere.    Um  die  Streitmacht  Horns  dieser  Gefahr  gegenüber  zu  verstärken,  be- 


93 

fahl  der  König  Gustav  Adolf  dem  Herzog  Wilhelm  sich  mit  jenem  zu  vereinigen ; 
indessen  folgte  dieser  dem  Befehle  nicht,  da  er  unter  einem  schwedischen  General 
nicht  dienen  wollte^);  Hörn  selbst  schloss  sich  am  3.  März  bei  Kitzingen  an 
das  königliche  Heer  au,  zu  welchem  in  der  Folge  auch  Herzog  Wilhelm  bei 
Donauwörth  stiess.  Von  nun  an  waren  dessen  Truppen  ein  Teil  der  königliehen 
Armee  und  nahmen  u.  a.  auch  an  dem  Übergang  über  den  Lech  bei  Rain  teil ;  dem 
feierlichen  Gottesdienst,  welchen  der  König  am  14.  April  zu  Augsburg  halten 
Hess,  wohnte  auch  der  Herzog  Wilhelm  bei.*) 

Während  indessen  der  König  seinen  Siegeszug  bis  nach  Baiern  und  dessen 
Hauptstadt  fortsetzte,  „hat  sich  der  Herzog  Wilhelm  in  Ober-Schwaben  auch 
tapfer  gebraucht'),  indem  er  Ende  des  Mai  einen  Anschlag  auf  eine  Schanze 
bei  Bregenz  gemacht,  welcher  auch  glücklich  abgangen.  Dann  er  den  Grafen 
Hannibal  von  Hohenembs  mit  seinem  Regiment  von  Issny  aus  unversehns  über- 
fallen, über  500  niedergehauen  und  bei  -400  neben  dem  besagten  Grafen  ge- 
fangen. Er  hat  auch  bei  Weingarten  ein  starkes  Scharmützel  mit  etlicher 
kaiserischer  Reiterei  gehalten,   sie  geschlagen  und  5  Cornet  erobert." 

Am  Anfang  Juni  übergibt  Herzog  Wilhelm  seine  Truppen  seinem  Bruder 
Bernhard,  welcher  gleichfalls  in  Schwaben  stand,  um  die  rebellischen  Bauern 
im  Zaum  zu  halten,  während  er  selbst  in  der  Gegend  von  Magdeburg  neue  Werb- 
ungen vornimmt  und  dann  bei  dem  König  vor  Nürnberg  eintrifft. 

Seibach  hat  diese  Kämpfe  unter  Herzog  Wilhelm  mitgemacht.  Nach  des 
Vigelius  Angabe  diente  er  unter  ihm  ein  halbes  Jahr.  Es  mag  also  etwa  in 
der  Mitte  dos  Jahres  gewesen  sein,  vielleicht  als  Wilhelm  seine  Leute  verliess, 
dass  er  diese  Bestallung  aufgab.  Warum  er  es  that,  wird  nicht  angegeben. 
Möglich  ist  es,  dass  er  sich  bloss  an  Herzog  Wilhelm  verpflichtet  hatte  und 
nicht  seinen  Befehlshaber  wechseln  wollte;  wahrscheinlicher,  dass  ihn  die  An- 
erbietungen des  Grafen  Ludwig  Heinrich  von  Nassau-Dillenburg  zu  diesem 
Schritte  veranlassten. 

Dieser  hatte  sich  wie  die  meisten  Grafen  der  Wetterau  und  des  Wester- 
waldes  in  die  Dienste  des  schwedischen  Königs  begeben  und  war  am  1.  Dez. 
1631  zum  Oberst  eines  von  ihm  zu  errichtenden  Regiments  zu  Fuss  ernannt, 
welchem  im  folgenden  Jahre  ein  Regiment  zu  Pferd  folgen  sollte.'*)  Jenes  trat 
sofort  im  März  1632  in  Thätigkeit;  der  Graf  selbst  führte  es  damals  nach  Mainz, 
wo  es  dem  Befehle  des  Pfalzgrafen  Christian  von  Birkenfeld  unterstellt  und 
nach  dem  Oberrhein  abgeführt  wurde.  Hier  nahm  es  teil  an  der  Eroberung 
mehrerer  festen  Plätze,   wie  Benfeld^  Schlettstadt,  StoUhofen  u.  a. 

Da  durch  die  Abwesenheit  desselben  die  Herrschaft  Dillenburg  von  regel- 
mässigen Truppen  entblösst  und  feindlichen  Angriffen  ausgesetzt  war,  so  war 
hier  dringend  Abhilfe  geboten  und  die  Zeit  zur  Errichtung  eines  zweiten,  eben 
jenes  Reiter-Regiments  gekommen.  Im  Oktober  des  Jahres  kamen  die  Ver- 
handlungen mit  Gustav  Adolf  zum  Abschluss :  der  Graf  Ludwig  Heinrich  wurde 


^)  La  Roche  II,  S.  166.  —  -)  Theatr.  Europaeum  II,  S.  581.  —  ")  Ibidem  S.  593.  — 
*)  Keller,  Drangsale  S.  164.    Dill.  Int.-Nachr.   1778,  Sp.  71  u.  88. 


94 

zum  Obersten  desselben  ernannt*),  und  bestellte  seinerseits  den  Johann  Konrad 
von  Seibach  zum  Oberstlieutenant  und  Kommandanten  im  November  d.  J. 

8.  Johann  Konrad  von  Seibach  Oberstlieutenant  des  Dillen- 
buro-ischen  Reiterregiments.  Dieses  Regiment  wurde  also  im  November 
1G32  «beworben  und  war  bald  vollzählig.  Es  bestand  aus  sieben  Kompagnien^) ; 
Pferde  zu  beschaffen,  war  nicht  sehr  schwierig,  da  deren  Anzahl  weit  grösser 
war  als  heutzutage^) ;  vor  dem  Kriege  standen  deren  wohl  sechsmal  mehr  als  jetzt 
im  Dienste  der  Landwirtschaft;  auch  war  das  Siegener  Land,  in  welchem  die 
Werbung  vorgenommen  wurde,  noch  weniger  hart  durch  die  bisherigen  Kriegs- 
ercignisse  mitgenommen.  Die  Aufgabe  dieses  Regiments  war,  wie  seine  dem- 
nüchstife  Verwendung  bezeugt,  zunächst  die  heimatlichen  Lande  zu  schützen. 
So  kam  es  hier  nicht  zu  grossen  Kämpfen  und  Schlachten,  sondern  höchstens 
zu  kleinen  Gefechten.  Yornehmlich  war  das  Siegensche  Gebiet  durch  die 
räuberischen  Einfälle  des  Generallieutenant  Grafen  Gronsfeld  bedroht,  durch 
welche  auch  andere  auf  eigene  Faust  zu  rauben  und  zu  plündern  veranlasst 
wurden.  Gegen  diese  schickte  Graf  Ludwig  Heinrich  im  Februar  1633  den 
Oberstlieutenant  „Seibach  mit  einer  Compagnie  seines  Regiments,  um  auf  der 
Grenze  fleissige  Patrouillen  zu  machen  und  alle  Streifereien  abzuhalten."*)  Im 
März  zog  der  Graf  mit  dem  ganzen  Regiment  nach  Hachenburg,  von  wo  aus 
es  ihm  auch  gelang  dem  weiteren  Vordringen  Gronsfelds  Einhalt  zu  thun.'') 
Freilich  verübten  auch  die  nassauischen  Reiter  mancherlei  Ungehörigkeiten  trotz 
aller  Bemühungen  des  Grafen  strenge  Disciplin  zu  halten. 

Im  Juli  erschien  Generalmajor  von  Böninghausen  mit  60  Kompagnien  zu 
Pferd  und  2000  Mann  zu  Fuss  in  dem  Sauerland  und  bedrohte  von  da  aus 
das  Siegensche  Gebiet;  die  Verteidigung  der  Stadt  Siegen  war  ausser  der 
Bürgerschaft  dem  Oberstlieutenant  Seibach  überlassen,  welcher  mit  einer  Kom- 
pagnie in  derselben  lag,  bald  aber  eine  zweite  Kompagnie  zur  Verstärkung 
erhielt.  Indessen  kam  es  hier  zu  keinem  Zusammenstoss,  da  Böninghausen 
sich  bald  zurückzog. 

Zweimal  erhielt  Seibach  Gelegenheit  ausserhalb  der  Heimat  einen  Kampf 
zu  bestehen.  Über  den  ersten  sind  wir  nur  unvollkommen  unterrichtet,  der 
zweite  wurde  ihm  verhängnisvoll.  Vigelius  sagt,  er  sei  im  abgelaufenen  Herbst 
zu  des  Landgrafen  Wilhelm  Truppen,  als  diese  die  Stadt  Werle  belagerte,  be- 
ordert worden.  Nun  griff  der  Landgraf  diese  Stadt  zweimal  an,  zuerst  im 
Anfang  des  September  1633,  als  eben  General  Böninghausen  einen  Streifzug 
nach  Hessen  unternahm.  Damals  wurde  Graf  Ludwig  Heinrich  zur  Unter- 
stützung dieser  Unternehmung  herangezogen;  indessen  blieb  sie  ohne  Erfolg, 
da  Böninghausen  nach  Hessen  durchbrach  und  Amöneburg  einnahm.  Der  zweite 
Angriff  auf  Werle   erfolgte   im  Oktober   und   war   mehr   von  Glück   begleitet; 

')  Daas  Graf  Ludwig  Heinrich  Oberst  von  einem  Regiment  zu  Fuss  und  zu  Pferd  war, 
fand  der  Kanzler  Oxenstierna  später  ungehörig,  doch  bestand  der  Graf  darauf  beide  Regi- 
menter zu  behalten.  Dill.  Int.-Nachr.  1778,  Sp.  362.  —  -)  Als  später  der  Kanzler  Oxenstierna 
die  Verminderung  des  Rogiments  auf  sechs  Kompagnien  verlangte,  schlug  der  Graf  dieses  ab. 
A,  a.  ().  —  ')  Vorgl.  Ann.  XVII,  S.  39.  Ein  Pferd  kostete  im  Durchschnitt  GO  Thlr.  Dill. 
Int.-Nachr.  1778,  Sp.  360.    -  *)  Dill.  Int.-Xachr.   1778,  Sp.  327.  —  '')  Ibid.  Sp.  329. 


95 

nach  viertägiger  Belagerung  fiel  die  Stadt  (am  17.  Oktober)  uud  nach  einiger 
Zeit  das  Schloss  in  die  Hände  des  Siegers.  Da  von  einer  TeHnahme  nassau- 
iseher  Truppen  an  der  letzteren  Unternehmung  nichts  gemeldet  wird,  so  musa 
die  erstere  die  sein,  welche  Yigelius  im  Auge  hat.') 

Schlimmer  war  der  zweite  Kampf.  Für  den  Winter  war  dem  Iiegiraerit 
die  Stadt  Brilon  und  Umgegend  als  Winterquartier  angewiesen  worden,  von 
wo  aus  der  Feind  beunruhigt  und  geschädigt  werden  konnte.  Am  27.  Dezember 
1G33-)  war  eben  der  Quartiermeister  in  Brilon  angekommen,  als  ihm  die  Meldung 
gebracht  wurde,  dass  ligistische  Truppen  im  Anzüge  seien.  Es  war  dies  der 
Yortrapp  der  Böninghausenschen  Truppen,  200  Mann  stark;  derselbe  wurde 
von  den  bereits  anwesenden  Nassauern  zurückgeworfen.  Mittlerweile  wurde 
die  Zahl  der  Feinde  immer  grösser,  denn  Böninghausen  näherte  sich  mit  seiner 
gesamten  Streitmacht,  GO  Kompagnien  zu  Pferd  und  einem  Regiment  zu  Fuss; 
Seibach  aber,  die  Übermacht  des  Feindes  nicht  ahnend,  eilte  mit  seinem  ganzen 
Regiment  herbei,  um  den  anfänglichen  Erfolg  bis  zur  Vernichtung  der  Gegner 
zu  vollenden.  Als  er  endlich  den  wahren  Stand  der  Sache  einsah,  erkannte 
er  sofort,  dass  nunmehr  am  geratensten  sei  den  Kampf  abzubrechen,  zog  sich 
in  einen  nahe  gelegenen  Wald  zurück  und  hielt  hier  den  Angriffen  Böning- 
hausens  tapfer  stand.  Nach  einem  dreimaligen  vergeblichen  Vorstoss  auf  diesen 
blieb  dem  Regiment  nichts  übrig,  als  zu  weichen.  Seibach,  welcher  sich  bei 
dem  Nachtrapp  seiner  Mannschaft  aufhielt,  wurde  gleich  anfangs,  als  er  sich 
zu  weit  vorwagte,  durch  beide  Achseln  geschossen,  und  da  der  Major  im  Moraste 
stecken  blieb,  mit  diesem  nebst  einem  Kornet  und  50  Mann  gefangen  genommen, 
eine  kleine  Anzahl  getötet,  die  übrigen  retteten  sich  nach  Raden. ^)  Das  Theatrum 
Europaeum  gibt  den  ganzen  Verlust  auf  100  Mann  an  mit  dem  Zusätze:  „und 
ist  wohl  zu  verwundern,  dass  GO  gegen  G  Compaguien  (soviel  hatte  Selbaeh) 
nicht  mehr  ausgerichtet." 

Seibach  wurde  nach  Arnsberg  gebracht,  wo  er  am  2.  Januar  1G34  an 
seinen  Wunden  starb;  die  Leiche  wurde  an  den  Grafen  Ludwig  Heinrich  aus- 
geliefert und  zu  Dillenburg  bestattet.  Der  ITofprediger  Hermann  Vigelius  pries 
seine  Vorzüge  in  der  Trauer-  und  Leichpredigt,  lustus  Henricus  Ileidfeld  in 
neun  lateinischen  Distichen,  G(eorg)  C(orvinus)  in  einem  deutschen  Klag-  und 
Lobgedicht,  der  Graf  aber  erachtete  als  den  grössten  Verlust  den  Tod  des 
tapferen  Führers. 

Anhang. 


Einijge  unbekannto  Herbonier  Drucke. 

Der  kleine  Quartband,  in  welchem  die  Trauerrede  des  Hermann  Vigelius 
auf  Seibach  sich  befindet,  gehörte  zu  der  fürstlichen  Bibliothek  von  Dillenburg, 
wie  der  auf  der  Rückseite  des  Titelblattes  angeheftete  Zettel  mit  den  Worten: 


'  ')  Rommel,  Geschichte  von  Hessen,  VIII,  S.  270,  272.  —  -)  Vigelius  gibt  den  28,  Dez. 
als  Datum  an.  —  ^)  Dill.  Int.-Xachr.  1778,  Sp.  301.  Das  Theatr.  Europ.  III,  S.  448  sagt,  es 
seien  30  Mann  niedergemacht,  70  gefangen  genommen  worden. 


96 

ad  bibliothecam  principaleni  Arausio-Nassaviensem  Dillenburgicara  beweist. 
Ausser  dieser  Schrift  bietet  der  Band  noch  melirere  Drucke  aus  jener  Zeit, 
unter  ihnen  einige  Herborner,  welche  zum  teil  in  den  Nassauer  Drucken  von 
A.  V.  d.  Linde  fehlen.     Die  Titel  derselben  sind: 

1.  (No.  2.)  Freund  des  Herrn,  |  das  ist  |  kurtze  vnd  einfältige^)  Predigt, 
darin  |  nen  erkläret  wird,  welches  Gottes  \nd  1  Christi  wahre,  bestendige  vnd 
selige  I  freunde  seyen,  |  Bey  Begräbnus  der  vil  |  Ehr  vnd  tugendreichen  Frawen 
Annen  |  Christinen  Schomlerin,  des  Ehrnvesten,  wolge-  |  lehrten  vnd  wolvor- 
nehmen  Herrn  Philips  Sengeis,  Gräflichen  |  Nassawischen  Cammerschreibers  zu 
Dillenberg,  hertzgeliebten  |  haussfrawen:  welche  den  22.  tag  Junii  anno  1G36. 
umb  2.  uhrn-)  nach  mit-  |  tag,  im  22.  jähr  ihres  alters  in  Gott  selig  entschlafen, 
vnd  i  dero  leichnam  den  24.  ejusdem  zu  Dillenberg  in  die  |  Pfarrkirch  Christ- 
lich vnd  ehrlich  zur  er-  |  den  bestattet  worden,  |  Gehalten  durch  |  Sebastianum 
Wetzflariura  [  Pastoren  daselbst.  |  Gedruckt  zu  Herborn,  im  jähr  1636.  — 
36  S.  Von  S.  31  an  finden  sich  folgende  Gedichte  abgedruckt:  Threni  ami- 
corum  (deutsch),  Epitaphium  (lateinische  Distichen),  A  Monsieur  Sengel  (fran- 
zösisch) von  lustus  Henricus  Heidfeld,  ad  Dn.  Sengelium,  viduum  maestissi- 
mum  (lateinisch)  von  Georgius  Corvinus,  Ode  Bohemica  (böhmisch  und  deutsch) 
von  Bernhardus  Rosin,  deutsches  Gedicht  von  G.  R.  (Bei  A.  v.  d.  Linde, 
Nassauer  Drucke,  Herborn,  No.  1887.) 

Die  Schumi  er  stammten  von  Siegen;  ein  Hermann  Schomler,  vielleicht  der  Vater  der 
Anna  Christine,  wurde  am  3.  Mai  1601  zu  Herborn  immatrikuliert;  dabei  findet  sich  der  spatere 
Zusatz:  praetor  Sigenensis.     A.  v.  d.  Linde,  Nassauer  Drucke  S.  367. 

Philipp  Sengel  von  Dillcnburg,  zu  Herborn  immatrikuliert  1602,  wurde  Rat  und  Kammer- 
schreiber zu  Dillenburg.    v.  d.  Linde,  S,  381. 

Sebastian  Wetzflarius  stammte  von  Marienberg,  wurde  zu  Herborn  immatrikuliert  1601 
und  disputierte  unter  Piscator;  er  war  zuerst  Diakonus  zu  Herbom,  dann  Pfarrer  zu  Hachen- 
burg,  kehrte  darauf  als  solcher  nach  Dillenburg  zurück  und  starb  als  Inspektor  daselbst  1665. 
v.  d,  Linde,  S.  366.     Steubing,  Herborn  S.  186.     Vogel,  Taschenbuch  S.  157. 

Justus  Henricus  Heidfeld,  Sohn  des  Johann  Heidfeld,  des  Verfassers  der  Sphinx 
theologico-philosophica,  welcher  Professor  zu  Herborn,  dann  Pfarrer  zu  Ebersbach  war,  wurde 
hier  am  6.  Juli  1606  geboren,  und  nach  Vollendung  seiner  Studien  Lehrer  der  gräflich  Solms- 
ischen  Kinder  zu  Hungen,  1624  Hofmeister  der  Herrn  Joh.  Ludw.  von  Langenbach  und  Theo- 
dor v.  d.  Reck,  mit  welchen  er  von  1630  bis  1635  eine  Reise  durch  Frankreich  und  die  Schweiz 
machte.  Zurückgekehrt  wurde  er  dem  Erbprinzen  Georg  Ludwig  von  N.-Dillenburg  beige- 
geben und  machte  mit  diesem  eine  Reise  durch  die  Schweiz,  Oberitalien,  Frankreich,  England 
und  Hulland.  Am  1.  Januar  1637  wurde  er  zum  Kriegs-  und  Kammersekretär  zu  Dillenburg, 
1040  zum  Rat,  dann  zum  Geh. -Rat  ernannt  und  starb  den  23,  Juli  1667.    Vogel,  Archiv  S.  251. 

Georg  Corvinus,  Sohn  des  Herb.  Buchdruckers  Christoph  Corvinus  (Rabe),  studierte 
zu  Herborn  (imraatr.  1624),  wurde  Professor  der  Eloquenz  und  Geschichte  daselbst  und  starb 
am  7.  August  1645  zu  Amsterdam,  v.  d.  Linde,  S.  414,  421.  Nordhoff,  Allg.  Deutsche 
Biogr.  IV,  S.  510. 

'2,  (No.  4.)  Christliche  Traur-  vnd  Leichpredigt,  |  Bey  Begräbnus  |  Des 
weyland  Woled-  [  len.  Gestrengen  vnd  Testen  Junckern,  I  lohan- Conrad  von 
Seibach,  Christen  |  Leutenants  vber  das  hochlöbliche  Nassawi-  |  sehe  Regiment 
zu  Pferd  u.  s.  w.  [  Gehalten    in    der   Pfarrkirchen    zu    Dillen-  1  berg    in   volek- 


')  So,  uicht  einfeltige.  —  ^)  So,  nicht  uhren. 


97 

reicher  ansehnlicher  ver-  |  Sammlung  |  Von  |  Hermanuo  Vigelio,  Hofpredigern 
(laselbsten.  j  Gedruckt  zu  Herborn,  in  der  Grafschaft  |  Nassaw-Catzenelenbogen 
u.  s.  w.  1(330.  I  40  S.  Von  S.  33  bis  36  Personalia,  dann  folgen  Gedichte:  in 
obitum  genere  et  virtute  nobilissimi  viri,  lohan-Conradi  a  Seibach,  bellatoris 
magnanimi  von  lustus  Henricus  Heidfeld,  Klag-  vnd  lobgedicht  vber  den  tod 
des  Herrn  Obristen  Leutenants  von  Seibach,  von  G.  C(orvinus). 

Hormaim  Vigelius,  geboren  zu  Clevo,  studierte  zu  Hcrborn  (immatr.  1620),  wurde 
1628  Kaplan  zu  Hachenburg,  1632  Hofprodiger  zu  Dillenburg  und  begleitete  als  solcher  den 
Orafen  Ludwig  Heinrich  auf  seinen  Feldzügen;  er  starb  1653.  A.  v.  d.  Liude,  S.  406.  Dahl- 
hol'f,  Sayn-Hachenburg,  S,  297. 

3.  (No.  6.)  Encomium  sanctum  san-  |  guinis  Jesu  Christi:  |  Das  ist  | 
Heiliger  vnd  herrlicher  rühm  des  |  bluts  Jesu  Christi,  |  Geschehen  bey  der 
Be-  I  gräbuus  des  weylandt  Ehrnvesten  vnd  |  hochgelehrten  M.  lohan-Hedderich 
Spren-  !  gers,  der  Durchleuchtigen  vnd  Hochgebornen  Fürstin  vnd  |  Frawen, 
Frawen  Sophiae  Hedwigs,  Geborner  Hertzogin  zu  |  Braunschweig  vnd  Lüne- 
burg u.  s.  w.  Grävin  vnd  Frawen  zu  Nassaw  |  Catzenelnbogeu  u.  s.  w.  wittiben, 
gewesenen  trewen  Raths  vnd  Heis  [  sigen  Cantzley  Secretarii,  auch  new  ange- 
nommenen I  Amptmanns  zu  Nassaw:  [  Welcher  den  8.  Aprilis  dises  jetzo  lauf- 
fenden  1636.  |  Jahrs  selig  in  Gott  entschlaffen,  vnd  den  11.  ejusdem  |  gen 
Dietz  in  die  Pfarrkirch  ist  in  volckreicher  versam  |  hing,  zierlich  vnd  ehrlich, 
begraben  |  worden:  Von  Ehrn  Andrea  Arculario,  damaligem  Inspectorn  |  vnd 
Pastorn  daselbsten  vorgetragen  u.  s.  w.  |  Gedruckt  zu  Herborn,  in  der  Graf- 
schaft I  Nassaw  Catzenelenbogen,  u.  s.  w.  1636.  28  S.  (Bei  A.  v.  d.  Linde, 
S.  91  N.   192  nach  Nebe  angeführt.) 

M.  Johann  Hedderich  Sprenger  aus  Marburg,  studierte  zu  Herborn  (immatr,  1603  den 
4.  Mai),  wurde  Sekretär  der  Gräfin  Sophie  Hedwig,  dann  zum  Amtmann  von  Nassau  ernannt, 
starb  aber  noch  zu  Diez  den  8.  April  1636.     Steubi ng,  Diez,  S.  32. 

Sophie  Hedwig,  des  Herzogs  Julius  von  Braunschweig  Tochter,  war  Gemahlin  des 
Grafen  Ernst  Kasimir,  welchem  in  der  Bruderteilung  die  Grafschaft  Diez  und  die  Geraeinschaft 
Nassau  zugefallen  war;  er  fiel  am  25.  Mai  1632  vor  Rurraond.    Vogel,  Beschreibung,  S.  376. 

Andreas  Arcularius,  geb.  1579  zu  Dillenburg,  studierte  von  1596  an  zu  Herborn, 
1600  Schulmeister  und  Diakonus  zu  Nassau,  1628  Pfarrer  zu  Dioz,  1637  zu  Nassau;  or  starb 
1664.     Nebe,  Annal.  IX,  S.  135. 

4.  (No.  7.)  Carmen  |  ad  |  Amplissimum  virum  |  Dominum  Phi-  |  lippum- 
Henricum  |  Hoenonium  Ictum  Nobilem,  et  illustris  do-  |  mus  Nassovio-Catti- 
melibocensis  Consi-  ]  liarium  facile  principem,  |  in  nuptias  lectissimi  Neonym- 
phorum  paris,  Clarissi-  |  mi  nerape  doctissimique  viri  |  Domini  Alberti-Friderici  | 
Cnopii  Med.  Doctoris,  juvenum  sui  Or-  |  dinis  aetatisque  ocelli  [  et  [  Castissimae 
Moratissimaeque  virginis  [  Dominae  Magdalenae  Hoeno-  |  niae,  Veneris  Gratia- 
rumque  corculi.  ]  Autore  |  lohanne-Nicolao  Genselio.  1  Herbornae  Nassoviorum 
1631.  1  4  Bl. 

Philipp  Henrich  Hoen,  geb.  den  23.  Juli  1576  zu  Diez,  gest.  den  23.  April  1649  zu 
Frankfurt,  bedeutender  Jurist  und  Staatsmann  im  Dienst  der  Dillonburger  Grafen,  1629  vom 
Kaiser  geadelt.  Steubing,  Diez,  S.  26,  DiUenb.  Intell.-Nachr.  1784,  Sp.  630  (von  Burchardi), 
Arnuldi,  Gesch.  v.  Nassau-Oranieii,  IH,  S.  275  und  Allg,  Deutsche  Biogr.  —  Seine  Schriften 
siehe  bei  v.  d.  Linde. 


98 

Albert  Friedricli  Cnop,  geb.  zu  Herborn,  Dr.  und  Professor  der  Medizin  zu  Herborn, 
1632  Leibarzt  des  Grafen  Job.  Ludw.  zu  Hadamar,  gest.  1636.     Vogel,  Archiv,  S.  197  f. 

Joh.  Nicol.  Genselius  =  Job.  Ludwig  Sengelius,  wie  die  Korrektur  des  Titels  be- 
weist indem  über  den  Namen  Nicolaus  der  Name  Ludowicus  gesehrieben  ist  und  über  die  ersten 
Buchstaben    des   Namens   Genselius   Ziffern    von   der   Hand   des  Job.  Daum  jun.    gesetzt   sind, 

4L' 3  1 

welche  den  Namen  Sengelius  ergeben    (Genselius).     In  die  Matrikel   ist  er  am   28.  April  1609 
als  Dillenburgensis  eingetragen.     A.  v.  d.  Linde,  S.  385.    Vgl.  zu  N.  1. 

5.  (No.  8.)  Epithalamia  [  in  |  Nuptias  secundas,  u  secundas !  |  Amplissimi  | 
et  spectatissimi  ]  viri,  Dn.  Hermanni  Naurath,  |  Praefecti  in  Nassaw,  nobilis 
consul-  I  tissimique  viri,  Dn.  Martini  Naurath,  Prae-  j  fecti  et  Consiliarii  Nasso- 
vico-Dezeusis,  |  tilii,  Sponsi:  |  et  ]  Leetissimae  Castis-  |  simaeque  Virginis,  An- 
nae  |  Cassandrae,  Amplissimi  et  Consultissimi  viri,  |  Dn.  lohan-Ludovici  Grae- 
vii,  I  Praefecti  et  Consiliarii  Solmensis,  |  filiae,  Sponsae:  ]  Celebrandas  Deciae 
3,  Novembr.  1636.  ]  Conscripta  ab  amicis.  |  Herbornae  Nassoviorium.  |  1636. 
8  Bl.:  1.  Oda  Davidica  von  lohan  Irlen,  Theol.  Doct.  etc.;  2.  aliud  von 
Georgius  Corvinus;  3.  Gamelion  votivum  von  Nicolaus  Treviranus,  pro 
temp.  minister  verbi  divini  apud  Freyendecianos ;  4.  aliud  von  Johannes  Irlen 
Sigen.  tertiae  classis  praeceptor;  5.  aliud  von  Johannes  -  Jacobus  Christ, 
Grüninga-Wetteravus;  6.  Hirtengedicht  von  Johann  Jacob  Christ;  7.  aliud; 
8.  äXXo  von  Joh.  Jacob.  Münckerus  Phil,  et  S.  Theol.  Stud.;  9.  ad  cla- 
rissimum  Dn.  Sponsum  von  J.  J.  M.  F. 

Martin  Naurath,  geb.  1575  zu  Siegen,  studierte  zu  Herborn  1592,  wo  er  bald  Pro- 
fessor der  Philosophie,  dann  der  Rechte  wurde;  später  trat  er  in  praktische  Dienste,  wurde 
1617  Amtmann  zu  Diez,  wo  er  den  5.  September  1637  an  der  Pest  starb.  Sein  Sohn  war 
Hermann  Naurath,  geb.  den  17.  April  1601  zu  Siegen,  starb  als  Amtmann  von  Nassau 
den  20.  Juli  1669  (Steubing,  Diez,  S.  27)  und  Johann  Friedrich  Naurath,  Dillenburgischer 
Rat  und  Marschall,  1602—1678. 

Johann  Irlen  aus  Siegen,  studierte  zu  Herborn  (immatr.  den  14.  Oktober  1614),  wurde 
zu  Franocker  Dr.  theol,  1622  Professor  extraord.,  dann  ordin.  der  Theologie  zu  Herborn  und 
hielt  hier  wüiirend  der  traurigen  dreissiger  Jahre  treulich  aus.  Im  Jahre  1645  ging  er  als 
Inspektor  nach  Siegen;  er  starb  1656.     Cuno,  Siegen,  S.  160  ff. 

Nicolaus  Treviranus  .studierte  zu  Herborn  (immatr.  1621  den  20.  Mai),  war  zuerst 
Diakonus  zu  Diez,  dann  Pfarrer  zu  Nassau,  nachher  zu  Diez,  ging  1658  nach  St.  Goar.  Steubing, 
Diez,  S.  102,  106,  262. 

Johann  Irlen,  wohl  der  Bruder  des  Professors  Irlen  (gleiche  Vornamen  bei  Brüdern 
kamen  früher  bisweilen  vor),  der  ihn  im  Jahre  1632  zu  Herborn  immatrikulierte  („Frater  meus"). 
Y.  d.  Linde,  S.  420. 

Johannes  Jacobus  Münckerus,  wohl  derselbe,  welcher  im  Herbste  1632  (v.d.  Linde, 
S.  420)  als  Johannes  Münckerus  Ferndorpicnsis  hanovicus  zu  Herborn  immatrikuliert  wurde; 
sein  Vater  war  Pfarrer  in  Ferndorf  gfiwesen  (1622—1627).  Dill.  Int.-Naclir.  1786,  Sp.  225, 
241   u.  3.  w. 

6.  (No.  9.)  Christliche  Klag:  vnd  Trostpredigt  ]  Bey  begräbnus  f  Wey- 
land  des  Ehrwürd-  |  digen  vnd  Wolgelehrten,  Ehrn  lohan-  |  nis  Bernhardi 
Gotslebii  Ilerbornensis,  ge-  |  weseuen  Pastors  /u  Dilleuburg :  welcher  den  1. 
tag  I  Novembris  163.5.  durch  den  zeitlichen  tod  auss  disem  ja-  |  merthal  abge- 
fordert, vnd  folgenden  2.  tag  ejus-  |  dem  zur  erden  bestattet  worden,  |  Auss 
dem  13.  capit.  Zachariae  in  der  Pfarrkirchen  |  daselbsten  gehalten  |  Durch  j 
Conradum  Posthium  llerbornensem,    damaligen  |  dienern   am   wort  Gottea   zu 


99 

Dilleuburg,  jetzo  Pastorn  zu  Bui-bach.  |  Gedruckt  zu  Ilerborn,  im  Jahre  1636. 
40  S.  Von  S.  35  an  Gedichte:  1.  Sur  la  mort  de  feu  Monsieur  Gotslebius 
von  Justus  Henricus  Heidefeld;  2.  in  obitum  reverendi  viri,  Dn.  lohan-Bern- 
hardi  Gotslebii,  ecclesiastae  Dillenbergensis,  amici  honorandi ;  3.  s^aoTtyov  von 
Georgius  Corvinus;  4.  ahud  (lateinisch);  5.  ejusdem  (französisch)  von  Johan- 
nes Daum;  6.  Sur  le  trepas  de  feu  Monsieur  Gotslebius  von  R.  G. 

Joh.  Bernhard  Gotslebius,  geb.  zu  Herborn,  Sohn  des  Professors  und  Pfarrers  Johann 
Gotslebius,  studierte  zu  Herborn  (imniatr.  den  11,  Mai  1614),  war  sodann  Preceptor  primarius 
zu  Dillenburg,  Pfarrer  zu  Fruhnhausen,  Diakonus  und  Pfarrer  zu  Dillenburg,  wo  er  starb. 

Konrad  Posth,  geb.  den  1.  März  1613  zu  Herborn,  Sohn  des  Bürgers  Joh.  Dietrich 
Posth,  studierte  zu  Herborn  (immatr.  1629)  und  erteilte  in  den  folgenden  Jahren  zur  Aushilfe 
Unterricht  an  der  Lateinschule  daselbst;  im  Jahre  1634  wurde  er  zweiter  Pfarrer  zu  Dillen- 
burg, 1635  Pfarrer  zu  Burbacli,  1638  Archidiakonus  zu  Herborn,  dann  auch  Professor  der  he- 
bräischen Sprache  und  der  praktischen  Theologie  daselbst.  Er  starb  den  10.  November  1669. 
Steubing,  Herborn,  S.  179,  188,  271;  ders.,  hohe  Schule  zu  Herborn,  S.  222.  A.  v.  d.  Linde, 
S.  418,   und  Herborner  Drucke  N.  161,  369,  402,  1029. 

Johannes  Daum  (jun.),  Sohn  des  gräflichen  Sekretärs  und  Rates  Joh.  Daum,  immatr. 
zu  Herborn  1629,  zu  Marburg  am  12.  Juli  1632. 

7.  (No.  10.)  Carmen  exequiale  [  Ad  |  Nobilissimura  |  et  consultissimum  | 
virum,  Dn.  Philippum-Henri-  |  cum  Hoenonium,  u.  j.  D.  domusque  |  Illustris 
Nassavicae  Cattimelibocensis  |  Consiliarium,  |  Super  obitu  praematuro  |  Fortis- 
simi  juvenum  paris,  |  Erasmi  et  Philipp!  Hen-  |  rici,  ejus  filiorum,  quorum  ille, 
post  I  varios  belli  casus  animose  perlatos,  Venetorum  signa  e  Batavia  j  sequu- 
tus,  tristi  naufragio  (ut  crebra  refert  fama)  in  Oceano  Can-  |  tabrico  submersus, 
anno  1631,  periit:  hie  vero  Suecorum  arma  |  amplexus,  non  aliena  a  Marte 
fortuna,  in  oppugnati-  |  one  Ruffaci,  Alsatiorum  oppidi,  1634,  Nonis  |  Febr.  for- 
titer  occubuit:  |  Fusum  a  i  Georgio  Corvino,  Herbornensi.  |  Anno  [  1635. 
16  S.  Das  Carmen  erzählt  die  Lebensgeschichten  der  beiden  Brüder,  dann  folgt 
ein  Sonett. 

ErasmusundPhilipp  HenrichHoen  waren  Söhne  des  Rates  Phil.  Henr.  Hoen  (s.  ob.). 
Erasmus  studierte  zu  Herborn  (immatr.  1623)  die  Rechte,  that  dann  Kriegsdienste  in  dem 
niederländischen  und  dänischen  Krieg,  welche  er  1631  mit  venetianischen  vertau.schte ;  bei  der 
Überfahrt  nach  Venedig  ertrank  er  im  kantabrischen  Meere.  Vgl.  auch  A.  v.  d.  Linde,  S.  412. 
—  Phil.  Henr.  studierte  ebenfalls  zu  Herborn  (immatr.  1626)  die  Rechte,  nahm  dann  ebenfalls 
Kriegsdienste  in  Holland  und  trat  1631  in  das  von  Graf  Ludwig  Henrich  errichtete  Regiment 
zu  Fuss  als  „Signifer"  ein;  er  fiel  bei  der  Erstürmung  von  Ruffach  am  5./15.  Februar  1634. 
A.  V.  d,  Linde,  S.  416;  Keller,  Drangsale  S.  207. 

8.  (No.   13.)      Catalogus  |  Librorum   tarn  |  Latinorum  quam  |  Germanico- 
rum,  I  Christophori  Corvini,  Typogra-  |  phi  Herbornensis,  typis  editorum,  et  a-  [ 
pud  heredes  ipsius    vena  [  lium.  |  Anno   salutis   nostrae    1632.  |  4.  Bl.     Linde, 
S.  116,  N.  367. 


Ausser  diesen  Herborner  Drucken  enthält  der  Sammelband  u.  a.  noch 
folgende   drei    für  die  nassauische  Gelehrtengeschichte  wichtige  Abhandlungen: 

1.  (No.  14.)  Disputatio  iuridica  de  usucapionibus,  quam  .  .  .  praeside 
lohanue  Henrico  Daubero  Nassovio,  i.  u.  D.  ejusdemque  in  inclyta  Academia 

7* 


100 

Sedaneusi  Professore   ordiuario  et  illustrissimi  Priucipis  BuUüniensis  Consiliario 
.  .  .  proponit  lust.  Guil.  Krug  Hassus.     Sedani  1632. 

Johann  Henrich  Dauber,  geb.  den  9./19.  Dezember  1610,  Sohn  des  Prof.  Henrich 
Dauber  zu  Herborn,  war  ein  ausserordentlich  begabter  Mensch ;  er  verteidigte  schon  im  elften 
Jahre  seines  Lebens  eine  hebräische  Dissertation  und  wurde  am  1.  Mai  1622  zu  Uerborn  imma- 
trikuliert (v.  d.  Linde,  S.  409).  In  seinem  18.  Jahre  wurde  ihm  die  juristische  Professur 
ano'etragcn,  die  er  jedoch  ablehnte,  nahm  aber  1631  den  Ruf  als  Prof.  phil.  nach  Sedan  an, 
wo  er  noch  in  demselben  Jahre  Prof.  juris,  dann  Rat  des  Herzogs  von  Bouillon  wurde.  Später 
trat  er  in  den  Dienst  des  Prinzen  von  Oranien,  darauf  der  Landgrüfin  von  Hessen  Amalie 
Elisabeth  und  starb  als  Vizekanzler  der  Universität  Marburg  1672.  Der  Kaiser  Ferdinand 
adelte  ihn. 

'J.  (No.  15.)  Disputatio  medica  .  .  .  von  Philij)p  Ilermaun  S])renger, 
A.  et  ph.  Magister,  medic.  studiosus.  Wien  10.30.  7  Bl.  Er  ist  wahrschein- 
lich der  Sühn  des  obengenannten  M.  Joh.  Iledderich  Sprenger. 

3.  (No.  16.)  De  cenotaphio  deque  diversis  super  ejus  religione  Ulpiani 
et  Marciani  sententiis  diatriba  1034,  Die  Rückseite  des  Titels  enthält  eine 
Widmung  der  Abhandlung  von  Jacobus  Oothufredus  Ic.  an  lustus  Henricus 
Heidfeld,  welche  auf  enge  Bekanntschaft  beider  Gelehrten  hinweist. 


Die  Schönaiier  Überlieferung. 


Eine  historisch-kritische  Untersuchung 


von 


liudw*  Conrady* 


Dasselbe,  was  der  Verfasser  in  seiner  Abhandlung  über  das  „Landgericht 
der  vier  Herren  auf  dem  Einrieb"  zu  leisten  unternahm,  sieht  er  sich  genötigt, 
bei  der  nachfolgenden  Untersuchung,  die  angeregt  durch  diese,  ihren  Gegenstand 
auf  dem  gleichen  örtlichen  Gebiete  gewählt  hat,  fortzusetzen.  Auch  hier  hat 
er  gefunden,  dass  das  bis  dahin  Geleistete  zu  beanstanden  sei,  und  dies  sogleich 
in  der  Überschrift  zum  Ausdruck  zu  bringen  sich  gestattet.  Möge  ihm  ein 
solches  wiederholtes  Verfahren  gegenüber  der  anerkannten  nassauischen  Ge- 
schichtschreibung nicht  als  Anmassung  gedeutet  werden.  Die  Forschung  kennt 
nun  einmal  kein  anderes  Ansehen  als  das  der  Wahrheit,  und  ihre  schneidige  Waffe 
die  Kritik,  ist  nichts  Geringeres  als  sittliche  Pflicht.  Denn  auch  hier  gilt  das 
bei  einem  so  unvergleichbar  bedeutenderen  Anlasse  gesprochene  Wort  unseres 
Landsmannes  Usener:  „Wo  es  möglich  ist  zu  wissen,  da  wird  es  unsittlich, 
sich  auf  Glauben  und  Meinen  zu  beschränken."') 

Sachgemäss  wird  unsere  Untersuchung  sich  in  ihrem  ersten  Teile  mit  der 
Prüfung  der  Quellen  der  bis  dahin  unter  dem  Namen  „Schönaucr  Sage"  gegangenen 
Überlieferung  beschäftigen,  um  alsdann  in  einem  zweiten  die  zu  deren  Ent- 
stehung führenden  geschichtlichen  Verhältnisse,  wiederum  auf  Grund  der  vor- 
handenen Quellen,  darzulegen. 

Den  ersten  Teil  aber  vermögen  wir  nicht  bosser  zu  beginnen  als  mit  tiefem 
Dank^)  für  unsere  Vorgänger,  deren  Arbeit  allein  uns  in  Stand  gesetzt  hat,  die 
uusrige  zu  thun.  Namentlich  ist  es  Widmann,  dem  wir  diesen  Dank  für  seine 
vortreffliche    Abhandlung    „Zur   Schönauer   Reimsage"'*)    schulden.     Nicht   nur, 

M  Das  Weihnachtsfest.  Bonn  1889,  187.  —  ^)  Es  sei  gestattet,  bei  dieser  Gelegenheit 
auch  unseren  wärmsten  Dank  denen  auszusprechen,  die  unsere  Arbeit  so  wesentlich  durch 
eine  wahrhaft  beschämende  Zuvorkommenheit  in  der  Darleihung  litterarischer  Hilfsmittel  ge- 
fördert haben:  der  grossherzogl.  Universitätsbibliothek  in  Heidelberg,  der  Stadtbibliothek  in 
Mainz,  der  Landesbibliothek  in  Wiesbaden  und  der  Vereinsbibliothek  ebendaselbst.  Unseren 
anderen  übergütigen  Helfern  statten  wir  an  den  betreffenden  Stellen  unseren  besonderen 
Dank  ab.  —  »j  Annalen  18,  33—43. 


102 

dass  er  der  glückliche  WiedoroutJcckcr  der  seit  Yogel  verschüttet  geweseiieu 
Urquelle  dieser  sogenannten  Sage  ist,  so  hat  er  auch  zu  ihrer  Beleuchtung  eiu 
so  sorgfältig  gesichtetes  und  reichliches  Material  herbeigetragen,  dass  ihm  das 
Verdienst  bleibt,  die  Sache  mit  ebensoviel  Fleiss  als  Scharfsinn  zur  Spruchreife 
«befördert  zu  haben.  Dass  der  Spruch  nicht  in  dem  von  ihm  begünstigten  Sinne 
auszufallen  vermag,  wird  die  von  ihm  betbätigte  selbstlose  Hingabe  an  die 
wissenschaftliche  Wahrheit  nicht  uns,  seinem  dankbaren  Benutzer,  sondern  der 
Sache  selber  zur  Last  legen  müssen. 

Leider    hat   dies   schon    gleich  hier  auf  der  Schwelle  zu  geschehen.     Der 
von  ihm  gelieferte  und  mit  Übersetzung  begleitete  Text  seiner  wiederentdeckten 
Quelle    erweist   sich    nach    unserer    eignen  Einsichtnahme    in    den  Cod.  20    der 
Wiesbadener  Landesbibliothek  als  unzureichend  für  die  Zwecke  einer  eingehenden 
Untersuchung,    da  neben  anderen  kleinen  Verfehlungen  gerade  das  in  ihm  aus- 
o-elassen   ist,    was    als    das  Ausschlaggebende   für    seine   Beurteilung    erscheint, 
Widmann  aber  bei   seinen  durch  den  Glauben  an  seinen  Vorgänger  Vogel  ge- 
haltenen Augen   unwesentlich  erschien.     Nun  hat   freilich  F.  W.  E.  Roth  den 
o-anzen  Text   herausgegeben^),   ebenso,    wie    er    den  diesem  in  der  Handschrift 
vorausgehenden    der    Legende    des   hl.  Florinus  später  veröffentlichte.^)     Indes 
seine  Ausgabe    entspricht    nicht    in   allen  Stücken  den  Anforderungen,  die  man 
an  die   unbedingt  zuverlässige  Wiedergabe    einer    handschriftlichen  Vorlage  zu 
stellen  berechtigt  ist.     Wir  sehen  uns  daher  genötigt,  vor  dem  Eintritt  in  seine 
Besprechung  den  Text  selbst  zuerst  hier  vorzulegen  und  ihn  mit  den  Anmerk- 
un"-en    zu   begleiten,    die    unsere  Abweichung    von    den  Vorgängern  zur  Nach- 
prüfung des  Lesers    begründen.     Unsere  Abweichung   vou  der  Handschrift  be- 
schränkt sich  lediglich  darauf,  dass  wir  ihre  Abkürzungen  auHösen  und  in  gewohnter 
Weise  interpungieren. 

In  dem  auf  seinem  Rücken  mit :  „Scrmones  de  tempore  et  Stis  it[emqucy] 
legendae  Parspr']",  auf  dem  Vorderschnitt  mit  „S  XI. "  bezeichneten  Hand- 
schriftenband, der,  wie  bemerkt,  als  Cod.  20  der  Wiesbadener  Landesbibliothek 
gilt  und  als  solcher  von  Dr.  A.  v.  d.  Linde')  mit  ausdrücklicher  Namhaftmachung 

')  Die  Visionen  der  hl.  Elisabeth  und  die  Sciiriften   der  Abte  Ekbert  und  Emccho  von 
Öchünau.    Brunn  1884,  155  ff.  —  ^)  In  der  Zeitschrift:   Romanische  Forschungen  6,  475—481. 
—    ')    Die  Handschriften    der  Königl.  Landesbibliothek  in  Wiesbaden.     Wiesbaden.  1877,  112. 
Das  Versehen  daselbst,  dass  die  Legende  Florins  mit  ihrem  hier  oben  abzudruckenden  Zusatz 
auf  Bl.  20''— 33''  statt  Bl.   30"— 33''  stehen  soll,  ist  auch  auf  Widmann  39  übergegangen.  — 
Von  dem  Cod.  selber  dürfen  wir  zur  Vervollständigung    des    von  v.  d.  Linde  Gesagten  noch 
bemerken,  dass  er  auf  seinen  nunmehr  201   überwiegend  zweispaltig  beschriebenen  Kleinfolio- 
l)lättern   (4  fehlen,    da  der  Band  in  Lagen  von  je  6  >;  34  Bogen    angelegt   erscheint    und   die 
letzte  jetzige  Seite    mitten   im  Zusammenhange    abbricht,)    118   einzelne  in  sich  abgeschlossene 
Schriftstücke  enthält.    Dieselben  behandeln  der  Mehrzahl  nach  in  Sermonen  und  Homilien  der 
Kirchenväter  wie  in  zahlreichen  eingestreuten  Legenden   zumeist   das  Leben    der   Heiligen   in 
vier  verschiedenen  Jahrgängen  von  ungleicher  Länge  und  nicht  durchweg  genauer  Folge,  am 
wenigsten  Vollständigkeit.    Da  der  Band  mit  der  Leitio  für  Annunciatio  Mariae  d.  i.  25.  März 
beginnt,   so  ist  damit  festgestellt,   dass   das    Kloster   den   Jahresanfang   auf  diesen  Tag  setzt, 
wie  die  Erzdiöcesc  Trier   bis  ins  17.  Jahrhundert    (Grotofend,    Handbuch  der   bist.  Chrono- 
logie.   Hannover  1872,  27).     Da    aber    nun    das    von    Roth,    Die  Visionen,    1G4  tf.   mitgeteilte 
„Calendarium  dos  Klosters  Schünau  de  14G2"  mit  dem  1.  Januar  beginnt,  dürfen  wir  vielleicht 


103 

der  „legenda  de  sancto  florino  confcasore.  miracula  sei  florini  confcssoris  in 
frantia  gesta"  bcschriebeu  ist,  lesen  wir  von  Ende  des  Blattes  32''  bis  beinahe 
Ende  des  Blattes  33  *>  dicht  hinter  der  eben  genannten  Legende,  aber  nicht 
vom  Schreiber  dieser,  wenngleich  von  einer  Hand  des  15.  Jahrhunderts,  das 
Folgende  als  Abschrift,  wie  bereits  Wid mann  aus  ihren  Fehlern  richtig  geschlossen 
hat,  einer  älteren  Vorlage: 

Incipiunt  miracula  sancti  florini  confessoris  in  frantia  gesta.  [Bl.  32'' 

Cum  per  omnia  sanctissimi  confessoris  florini  meritorum  miracula  iuxta 
veritatis  debitum*)  fidem  demus  auditis,  oportet  nos  etiam  eius  glorifica  Visi- 
tationen) consolatos,  quantum  ipsius  suffragante  dementia  posse  videmur,  gratiaa 
agere  de  visis.  Non  est  enim  tanti  fulgoris  claritudo  modio  suffocante  celanda, 
sed  velud^)  posita  super  candelabrum  [Bl.  33=*  Sp.  1]  lucerna  cunctis  in  domo 
lumen  desiderantibus  propalanda.  *  Longe  videlicet  lateque  glorifici  confessoris 
virtutibus  diuulgatis  tanteque  laudis  rumore  per  orbem  euidentissime  veritatis 
indiculo  clarescente,  prouida  de  reni  francorum  salute  pietas  diuina  salubri  perhi- 
bente  fama  auribus  cuiusdam  religiosi  baronis  de  lurenburg  nomine  druthuini 
intimauit.  Ille  vero  apud  hartbertum  optime  memorie  sacerdotem,  qui  eo  tem- 
pore capellanus  heremanni  ducis  reni  alemanorum  exstiterat^),  qui^)  et  auxilio 
belli  prestito  regi  romanorum  promeruit,  depetiit  corpus  sancti  florini,  quod  et 
confluentie  medie  (!)  reni  partibus  constructo  coUegio  transtulit,  cuius  et  ispe 
thruthuinus  satelles  erat  fidissimus,  mediante  ipsorum  amicitia  partem  reliquiarum 
venerandi  confessoris  inpetrauit.^j  In  proprio  enim  predio  hartbertus  tanto 
fuerat  suffultus  patrocinio.  Ipsas  igitur  reliquias  alteri  non  audens  committere, 
quasi  seruus  domini^)  exhibendo  famulatum  usque  in  pagum  francorum^)  einrieb^) 
nuncupatum  et  ibidem  infra  capellam  in  cuiusdam  lichtburnensis^*')  [Sp.  2]  monticuli 
supercilio^^)  studiis  laboreque  prenotati  venerabilis  domini  druthuini  decenter  orna- 
tam  honore  digno  susceptas  in  vigilia  apostolorum  petri  et  pauli  collocauit.  His 
ita  videlicet  ordine  decentissimo  peractis,  qualiter  se  ciuem  ciuibus  inuxisset''-*), 
dicere  deinceps  ordiamur.  Sacro^^)  sancto  quippe  die  natalis  (!)  beatorum  aposto- 
lorum quidam  pauperculus,  quem  pene  per  totius  vite  curricula  tremor  immanis- 

annehraen,  dass  unser  Band  älter  ist.  Möglich  sogar,  dass  die  in  diesem  Kalendarium  vielfach 
vorkommende  Bezeichnung  „XII.  lect."  ein  zwölftes  Lectionarium  gegenüber  unserem  „S(anc- 
torum?)  XI."  gezeichneten  meinte. 

')  Widmann,  Ann.  18,  39  liest  irrig:  „debitum  et  fidem";  die  von  ihm  für  „et"  ver- 
sehene Kürzung  ist  ein  deutlich  durchstrichenes  v,  was  dem  Schreiber  offenbar  in  der  Absicht, 
fidem  mit  v  statt  f  beginnen  zu  wollen,  aus  der  Feder  floss,  aber  sofort  von  ihm  getilgt  wurde. 
—  -)  Statt  dieses  Wortes  hatte  der  unachtsame  Abschreiber  „consolatione"  anfänglich  ge- 
schrieben, dies  aber  dann  durch-  bezw.  unterstrichen  und  halb  ausradiert.  —  ^)  Korrigiert 
„velut",  wie  es  scheint.  -  *)  Nach  diesem  Worte  folgen  im  Text  die  durch-,  d.  h.  unter- 
strichenen Worte:  „cuius  et  ipse  druthuinus  satelles  erat  fidissimus."  —  '")  Am  Rande  ist  hin- 
zugesetzt: „scilicet  hermannus".  —  ^)  Widmann  S.  40:  „impetrauit."  —  ^)  Über  „domini" 
ist  geschrieben  von  andrer  Hand:  „dominicum";  irrig  bei  Widmann:  domini  cum.  —  *)  Im 
Texte  ursprünglich :  „franctiorum" ;  dann  wie  oben  von  derselben  Hand  korrigiert.  Roth  irrig: 
„frantiorum".  —  ^)  Von  späterer  Hand  mit  grossem  Anfangsbuchstaben.  —  '°)  Wid  mann 
irrig:  „Lichbarnensis."  —  ")  Vita  Ludovici :  „in  quodam  montis  supercilio".  Kremer,  Orig. 
2,  362.  —  '-)  Am  Rande  hinzugefügt:  „ad"  (iunxisset).  —  ^^)  Von  Widmann  ausgelassen 
bis:  „Idem  vero"  etc.  mit  der  Bemerkung:  „Dann  folgt  die  Erzählung  einiger  Wunder." 


104 

simus  artubus  ita  dissolutis  cxcussit,  ut  suo  nc(|uaqiiani  ori  propriis  iiuuiibus 
cibus  potusiie  potuisset  adhiberi.  Is  vero  tanta  fatigatus  molestia  prostrato  cor- 
pore sanctorura  inplorans  patrocinia  diuioa  meruit  sentire  subsidia.  Yespertiois 
cnim  laudibus  adimpletis  sanctorum  inprimis  apostolorum,  quorum  aderat  dies 
solemnis,  interuentu  sanctique  florini  adminiculantibus  meritis,  summi  creatoris 
medicante  potentia,  ita  integre  restitutus  est  sanitati  (I).  ut  nuUus  in  eo  pristini 
tremoris  motus  agnosci  potuisset,  sed  in  tantum^)  sibi  redditus  propriisque  usibus 
est  coaptatus,  ut  in  nullo  corporis  loco  ad  necessaria  ministranda  titubare  vide- 
retur.  Die  vero  natalis  (!)  sanctissinii  florini  confessoria,  quod  est  XV.  Kl.  decem- 
bris"),  plebs  totius  circumquaque  regionis  [Bl.  33''  Sp.  1]  tantae  salutis  aduocata 
gaudimoniis  comitatu  iocundo  studioque  saluberrimo  satagebat  interesse  solem- 
niis.  Clerici  vero  diuinis  cultibus  humiliter  instantes  missarum  officia  decenti 
honore  peregeriint.  Quibus  ordine  congruo  ^nitis  mancus  quidam,  cui  plurimi 
tcstes  astiterant  asserentes  se  raulto  iam  tempore  eins  contractam  manum  de 
collo  pendentem  vidisse,  eandem  non  minus  alteri  sanam  cunetis  cernentibus 
extendit.  Xulla  ualet  explicare  lingua,  quanta  tunc  omnibus  exorta  sit  letitia.  No- 
larum^)  consonantia  clerique  vox  ymnidica*)  et  omnis  choors^)  laica  laudis  egerunt 
gaudia.  His  itaque  reuerenti  moderamine  laudibus  expletis  tertio  nunc  aderant  due 
puelle  iuxta  feretrum  reliquiarura  spe  salutis  extente,  quarum  vna  coeui*')  languoris 
pondere  grauata  corpore  contracto  vlnis  aduecta  maternis  ibi  ponebatur,  omnibus 
adhuc  astantibus  exsurgens  insolito  gressu  per  capellam  deambulando  plantas 
exercuit.  Interea  videlicet,  cum  simili  modo  sicut  prius  diuine  gratie  laudibus 
omnes  insisterent,  altera  puella,  que  ligneis  sustentata  fulcris^),  ut  solent  debiles, 
[Sp.  2]  subtus  ascellas*^)  aptatis  aduenit,  ut  vox  psallcntium  quieuit,  coutemptis, 
quibus  antea  fulciri  consueuit,  sustentaculis,  mira  celeritate  surrexit  gressumque 
speculantibus  populis  secura  direxit.  Tertio  tuuc  laudcs  pulsabaut  sidera  grandes 
prestante'-*)  domino  nostro  iesu  christo,  qui  cum  patre  et  spiritu  sancto  viuit  et 
regnat  deus  per  intinita  secula  seculorum,  amen. 

Idera  vero  baro^'')  druthuinus  deuiciis  tempore  quodam  hostibus  suis,  captis, 
spoliatis  et  exactis  cum  inde  rediret  commilitonibus  magno  triumphi  gaudimonio, 
cum  peruenisset  ad  loca'^)  pertinentiis  (!)  ville  struode'^),  rusticulus  quidam  latens 

')  Übergeschrieben  von  später  Hand  über  ein  korrigiertes  ursprüngliches  „tantum", 
welches  Roth  irrig  „totidem"  lesen  will.  —  -)  Von  späterer  Hand  ist  darüber  geschrieben: 
„l5to  calendas  Xbris".  —  *)  Roth:  „Notarum".  —  ')  Von  späterer  Hand  mit  „Hymnidica" 
verbessert.  —  '')  =  chors  oder  =  cohors?  —  '')  Das  Wort  ist  durch  Korrektur  des  Schreibers 
undeutlich.  Am  Rande:  „coeuvi  corvi",  letzteres  Wort  von  späterer  Hand.  —  ')  Roth: 
„fultris".  —  ")  Roth:  „astellaa".  —  ^)  Die  Worte  von  „Tertio"  an  sind  mit  blasserer  Tinte 
zwischen  die  zwei  Zeilen  gefügt  und  durch  ein  deutliches  Heraufholungszeichen,  das  Wid- 
mann zu  sagen  verleitete:  „daran  schliesst  sich  in  besondere  Zeichen  eingeschlossen  die 
lateinische  Sage",  mit  den  vom  Abschreiber  an  das  Ende  des  Ganzen,  von  uns  in  die  richtige 
Stelle  hier  gesetzten  Worten  verbunden.  Damit  sich  der  Leser  nicht  irren  könne,  hatte  der 
Korrektor  „prestante"  wiederholt.  Das  abgekürzt  geschriebene  ,,pre"  des  zweiten  „prestante" 
ist  am  Rande  von  später  Hand  mit  „prae"  aufgelöst.  Roth  meinte  gar  ein  Herunterholungs- 
zeichen  zu  schon  und  begnügte  sich,  die  iiim  unverständlichen  Worte:  „Tercio  tunc  laudis  (!) 
pulsabant  sidera  grandes  prcstante"  in  die  Anmerkung  zu  setzen.  —  '")  Korrigiert  durch  über- 
geschriebenes r  aus  „bato";  also  nicht  „barro",  wie  Widmann  liest.  —  ")  Korrigiert  aus: 
„locum".  —   '-j  Widmann,  das  darüber  geschriebene  o  nicht  beachtend:   „Strude",  wie  Roth; 


105 

rubeto  arcuin  cxteudens  cfc(!)  nobilis  truthuini  baronis  victoris')  infixifc  sagittani 
pectori.  Terram^)  incidens  deuictus  occubuit.  Prius  tarnen  quam  moriebatur, 
omnia  bona  et  hostium  suorura  tributa  coUigens  eodem  loco,  quo  fixus  fuerat, 
claustrum  benedictorum^)  nomine  schönaw*)  construi  fecit.  Ad-"^)  quod  translate 
sunt  postmodum  de  lichtsbron  reliquie  santi  florini." 

Soweit  der  Text.  Da  Widmann  nur  einen  Teil  desselben  übersetzt 
hat,  das  barbarische  und  dazu  vielfach  fehlerhafte  Latein  aber  nicht  wenig  der 
Durchsichtigkeit  ermangelt,  so  halten  wir  eine  Handleitung  in  Gestalt  einer 
Inhaltsangabe  für  nicht  unerwünscht. 

Der  Verfasser  des  Schriftstückes  ist  also  der  ^leinung,  dass,  nachdem 
man  soviel  von  den  "Wundern  des  hl.  Florin  geh(3rt,  es  als  Dankespflicht  er- 
scheine, über  die  von  ihm  in  Franzien  geschauten  zu  berichten.  Zu  dem 
Zwecke  erzählt  er,  dass  die  auf  das  Wohl  der  Rheinfranken  bedachte  göttliche 
lluld  es  gefügt  habe,  dass  Trutwin"),  dem  frommen  Laurenburger  Barone,  die 
Thaten  des  Heiligen  zu  Ohren  gekommen  seien.  Befreundet  mit  Hartbert, 
dem  Kaplan  des  Rheinalemannenherzogs  Hermann,  und  selber  dessen  getreuester 
Kriegsgefährte,  erlangt  er  durch  beider  Yermittelung  ein  Stück  des  Leibes  des 
Heiligen,  den  Hermann  aus  Gunst  des  ihm  verpflichteten  römischen  Königs  dem 
Stift  in  Coblenz  geschenkt.  Hartbert  selber  vom  Heiligen  im  eigenen  Heim 
beglückt,  trägt  es  eigenhändig  in  die  von  Trutwin  dazu  gebührend  ausgezierte 
Kapelle  zu  Lipporn  in  der  Vigilie  des  Peter-  und  Paulstages.  Gleich  in  der 
Vesper  dieses  Heiligentages  wird  ein  Armer  durch  der  Apostel  und  Florins 
Fürsprache  von  dem  lebenslangen  Zittern  befreit,  das  ihn  gehindert  hatte  mit 
eignen  Händen  Speise  und  Trank  zu  sich  zu  nehmen.  Die  dadurch  zu  Lob 
und  Dank  am  Florinstage  herbeigezogene  Menge  sieht  eines  Krüppels  vom  Halse 
hangende  kontrakte  Hand  geheilt.  Unbeschreiblicher  Jubel  darob,  Glockenge- 
läute und  Dankgesänge.  Nach  deren  Ende  befinden  sich  bei  der  Lade  der  hl. 
Überbleibsel  zwei  Mädchen.  Die  Eine  mit  lebenswieriger  Schwäche  behaftet 
und  mit  kontraktem  Leibe  von  der  Mutter  dorthin  getragen,  erhebt  sich  wunder- 
bar und  wandelt  durch  die  Kapelle.  Indes  sich  neuer  Dank  dafür  erhebt,  wirft 
die  Andre  die  bis  dahin  gebrauchten  Krücken  weg  und  wandelt  ebenso  wunderbar 


zugleich  übersetzt  er  „ville"  falsch  mit  .,Hof",  während  es  Dorf  heissen  muss  gemäss  der  Er- 
klärung bei  Du  Gange -Henschel,  6,  827'':  „yillas  hodie,  non  quomodo  Latini  praedia  rus- 
tica,  sed  complurium  mansionum  vel  aedium  coUectionem  appellamus". 

')  Die  Genitive  sind  erst  hineingebessert   von  späterer  Hand    an  Stelle  der  Akkusativc. 

—  -)  Widmann  will  die  ,sehr  undeutliche  Abbreviatur'  „qui"  lesen,  wie  Roth.  Es  steht 
aber  ein  sehr  deutliches  t  mit  der  Abkürzung  für  „rum"  da,  sodass  eine  Verfehlung  des 
Schreibers  vorliegt,  die,  da  incidere  hier  nicht  intransitiv  sein  kann,  am  besten  mit  unserem 
obigen  „terram"  geheilt  ist  und  zwar  deswegen  schon,  weil  die  gereimte  Übersetzung  dieser 
Stelle:  „vflF  die  Erdt"  bietet,  was  offenbar  nicht  ala  Reim  zu  „Pferdt"  erfunden  ist,  sondern 
dessen  Erfindung  veranlasst  hat.  —  ')  Für  „benedictinorum"  mag  aus  Ordensstolz  gesetzt  sein. 

—  *)  Roth:  „Schönau".  —  '")  Widmann  irrig:  „dicitur".  —  '')  Wir  schreiben  diesen  Namen 
in  der  Folge  immer  so,  da  er  aus  ahd.  trüt  =  traut  und  wini  =  Freund  zusammengesetzt  ist, 
vcrgl.  Gratf,  Ahd.  Sprachschatz  5,  471  u.  1,  868.  Ebenso  schreiben  wir  in  der  Folge  Tuto, 
nhd.  Todt,  obschon  seine  Herkunft  nicht  klar  ist,  vergl.  Förstemann,  Altd.  Namenbuch. 
>'ordhausen  1856,  1,   338  ff. 


106 

befreit.  Zum  clrittounialo  bis  ;in  die  Sterne  schlag^cnder  Lubgesang.  Denselben 
Baron  Trutwin  aber,  auf  der  Heimkehr  vom  Sieg  über  seine  Feinde,  umgeben 
von  siegesfrohen  Genossen,  erlegt  ein  im  Gebüsch  nächst  Strüth  lauernder  Bauer 
mit  einem  Pfeilschuss,  dass  er  zu  Boden  sinkt.  Ehe  er  stirbt,  lässt  er  auf  der 
Stolle,  wo  er  zu  Tode  getroffen  worden,  von  all  seinen  Gütern  und  der  Feindes- 
beute ein  Benediktinerkloster  mit  Namen  Schünau  bauen,  in  das  späterhin  die 
Überbleibsel  des  hl.  Florin    von  Lipporn  verbracht  wurden. 

Es  redet  für  sich,  dass  die  gewissenhafte  Beleuchtung  eines  Berichtes  von 
solch  wunderbarem  Inhalt  von  da  aus  anzustellen  ist,  wo  der  Berichterstatter  selber 
zu  stehen  erklärt.  Gleichwohl  hat  man  dies  bis  dahin  seltsamer  Weise  weder 
erkannt  noch  gethan.  Erklären  wir  also  hier  zum  erstenmale,  dass  der  Verfasser 
unseres  Schriftdenkmals  als  Zeitgenosse  und  Augenzeuge  der  von  ihm  berichteten 
Geschehnisse  betrachtet  sein  will.  Denn  deutlich  sagt  er  „nos  consolatos"  zu 
Anfang  und  erklärt  es  für  seine  Pflicht,  mit  seinem  Berichte  Dank  abzustatten 
für  das  Gesehene  (de  visis)  im  Gegensatz  zu  dem  bloss  Gehörten,  dem  man 
bis  dahin  habe  Glauben  schenken  müssen. 

Nun  stimmt  es  wirklich  mit  der  Geschichte,  dass  ein  ,heremannu8  dux" 
nicht  zwar  ^reni"  aber  doch  „alemanorura"  sich  dem  „regi  romauorum"  durch 
im  Krieg  geleistete  Hilfe  verdient  gemacht  hat.  Es  ist  eben  jener  Hermann, 
der  als  Graf  des  Oberlahngaues  das  Herzogtum  Alemannien  im  Anfang  November 
des  Jahres  926  von  König  Heinrich  I.  übertragen  erhielt,  die  Witwe  seines 
Vorgängers  Burkhard's  L,  Reginlinda,  heiratete,  936  bei  der  Krönung  Otto's  I. 
als  Spender  des  Weins  war,  während  der  Frankenherzog  Eberhard  für  die 
Speisen  sorgte,  der  Baiernherzog  Arnulf  Marschalls-Dienste  that  und  der  Herzog 
von  Lothringen  Gisilbrecht  für  Anordnung  der  Feierlichkeiten  im  Grossen  be- 
sorgt war.  Als  dann  Eberhard  und  Gisilbrecht  mit  Heinrich,  dem  Bruder  Otto's, 
und  der  Hilfe  des  franz.  Königs  Ludwig  IV.,  genannt  transmarinus,  im  Jahre  939 
in  offene  Empörung  gegen  ihren  Herren  ausbrachen,  da  war  es  neben  den 
Grafen  Kurzbold  und  Udo,  dem  Bruder  Hermanns,  vorzüglich  Hermann  selber, 
der  dem  bedrängten  Könige  die  für  dessen  ganze  Zukunft  entscheidende  Hilfe 
brachte.  Ebenso  wurde  Hermann  im  Jahre  944  seinem  Könige  von  grossem 
Nutzen,  indem  er  im  Namen  desselben  die  Vasallen  des  franz.  Königs,  Ragnar 
und  Rudolf,  bekriegte  und  zum  Frieden  zwang.  Dafür  ward  ihm  dann  unter 
anderem  die  Genugthuung,  dass  Otto's  Sohn  Liutolf  sich  mit  seinem  einzigen 
Kinde,  der  Tochter  Ida,  nicht  lange  vor  seinem  am  10.  Dezember  948  im  besten 
Mannesalter  erfolgten  Tode  vermählte. 

Auch  der  zum  Erbitten  des  „corpus  sancti  Florini"  nötige  kirchliche  Sinn 
fies  Alemanncnhorzogs  ist  bezeugt  durch  die  wenigen  uns  hierüber  erhaltenen 
Königsurkunden.  Dieselben  betreff'en  sämtlich  Vorteile,  die  König  Otto  auf  An- 
trieb Hermanns  der  Reihe  nach  dem  Kloster  Kempten,  St.  Gallen,  Einsiedeln  und 
Ramis,  wie  dem  Bistum  Chur  zugewendet.^)  Von  anderwärts  her  wissen  wir, 
<las3    dem   Kloster    zu   St.    Goar   der   Hof  Schwalbach    und    einige    Weinberge 

')  Die  Qiiellcnbelege  für  alles  Vorstehende  siehe  bei  Christoph  Friodr.  Stalin,  Wir- 
tcmbergische  Geschichte,  Stuttg.  u.  Tüb.  1841,  1,  435—445,  woselbst  auch  das  Todesjahr  Her- 
manns entgegen  der  gewöhnlichen  Annahme  festgestellt  ist. 


107 

zu  Camp,  und  was  besonders  für  uns  wichtig,  „ouidam  munastcrio  Confluontic", 
dem  spätereu  Floriustift,  der  Zehnte  der  Kirche  zu  Ilumbach -Montabaur 
von  Herzog  Hermann  geschenkt  wurden,  beides  zwischen  !»32  und  048. ^j  Noch 
mehr,  selbst  seine  Verehrung  des  hl.  Florin  vermögen  wir  deutlich  nachzuweisen, 
und  zwar  durch  die  soeben  angezogene  Urkunde  für  Ramis.^  Dem  dortigen 
Floriustift  hatte  König  Otto  im  Jahre  948  aus  Verehrung  des  hl.  Florin  Güter 
zu  Nenzingen  im  Drusenthale  und  zu  Finstermünz  geschenkt  und  da  dies  aus- 
drücklich „interventu  dilecte  filie  nostre  Ite  nee  non  et  Hermanni  comitis  nostri** 
geschieht,  so  ist  doch  wohl  auch  letzterer  als  Verehrer  dieses  Heiligen  deutlich 
gekennzeichnet.  Von  hier  aus  steht  demnach  alles  günstig  für  die  Geschicht- 
lichkeit der  im  Schönauer  Bericht  behandelten  Schenkung  des  erbetenen  Leich- 
nams Florins  an  das  Marienstift^)  in  Coblenz.  Ist  doch  selbst  noch  eine  Be- 
ziehung des  Enkels  Hermanns,  des  „dominus  Otto,  Liutolfi  filius"  zu  diesem 
Stifte  durch  dessen  Zeugenschaft  bei  einem  Wachszinse  an  dasselbe  urkundlich 
erwiesen."*) 

Anders  schon  steht  es  mit  dem  „capellanus"  Hermanns,  dem  „sacerdos" 
Hartbert.  Könnte  uns  ohnedies  nur  der  reinste  Zufall  eine  Nachricht  von  dem 
Vorhandensein  seiner  an  sich  nichts  weniger  als  weltgeschichtlichen  Persönlich- 
keit aufbewahrt  haben,  so  sind  wir  in  der  Lage,  diesen  Zufall  hier  obendrein 
als  einen  bloss  möglichen  vorzuführen.  Hartbert^)  heisst  nämlich  merkwürdiger- 
weise der  Abt  des  Florinstifts  zu  Ramis,  dem  diese  obengenannte  Schenkung 
Otto's  zu  teil  ward,  und  er  ist  vermutlich  derselbe,  den  wir  vom  Jahre  952 — OHt) 
aus  sechs  Urkunden*^  als  Bischof  von  Chur  und  damit  auch  als  Gebieter  über 
die  Abtei  Ramis  kennen  lernen,  und  der  vor  976  gestorben  sein  muss,  da  wir 
aus  diesem  Jahre  ein  seinen  Nachfolger  betreffendes  kaiserliches  Diplom  besitzen.^) 


*)  Goerz,  Mittelrhein.  Regesten.  Coblenz  1876,  1,  267  u.  275,  und  "Vogel,  Archiv  der 
nass.  Kirchen-  und  Gelehrtengeschichte.  Hadamar  u.  Coblenz  1818,  1,  73  f.  —  Die  von  orsterer 
Schenkung  berichtende  Urkunde  stammt  erst  aus  dem  Jahre  1138  und  nennt  offenbar  irrig 
Hermann  „dux  Francorum",  was  Goerz  1,  527  übersehen  oder  zu  berichtigen  vergessen  hat. 

—  -j  Ramis  ist  offenbar  dasselbe  mit  Remus  am  Inn,  wohin  am  9.  Apr.  930  König  Heinrich  I. 
der  dortigen  Kirche  des  hl.  Florin  die  Kirche  zu  Sins  im  Engadin  schenkt,  nach  Zapf,  Mon. 
1,  54;  Hormeyr,  Beitr.  2,  94  bei  Böhmer,  Regesta  chronol.-diplomat.  Frankfurt  1831,  4. 
Die  Bemerkung  bei  Roth,  Die  Visionen  der  hl.  Elisabeth.  Brunn  1884,  Anm.  S.  XIX:  .,Dio 
Kirche  St.  Florins  stand  in  Ramunsch  oder  Remosch  in  Bünden  nach  einer  Urkunde  von  930 
in  Bibliotheca  Zurlauben",  betrifft  daher  den  gleichen  Ort,  wie  auch  in  H.  Öaterley,  Hist.- 
geogr.  Wörterbuch  des  Mittelalters,  Gotha  1883:  „Remues  (Graubünden  am  Inn)  Remedii  s.  XI. 
Reddit.  cccl.  Cur.  Gesch.  Forscher  4,  191"  das  Gleiche  meint.  Es  ist  danach  unverkennbar 
das  Heremuscia  der  Legende  Florins,  das  auf  diese  Weise  im  Volksmunde  umgebildet  ist. 
Roth  führt  hierbei  noch  Ildef.  v.  Arx,  Geschichte  von  St.  Gallen  1,  23  und  N.  G.  als  Aus- 
kunftsort über  den  Kultus  und  die  Reliquien  St.  Florins  in  der  Schweiz  an.  —  ^)  Die  Be- 
merkung Roths  a.  a.  O.  VII:  ,, Herzog  Hermann  (f  10.  Dez.  949)  besass  eine  besondere  Ver- 
ehrung zu  dem  hl.  Florin,  dessen  Stift  in  Coblenz  er  beschenkte,  nachdem  dasselbe  seinen 
Patron  (die  Gottesmutter)  mit  dem  hl.  Florin  vertausclit  hatte",  ist  ihrem  letzten  Teile  nach 
völlig  aus  der  Luft  gegriffen,  wie  sich  weiter  unten  zeigen  wird,  und  steht  mit  seiner  eigenen 
Angabe  S.  XIX  der  Anmerkun,:;en  im  Widerspruch.  —   ')  Goerz,  Mittelrhoin.  Reg.   1,  298  f. 

—  ')  Böhmer,  Regesta  9.  —  ^)  AVürdtwein,  Xova  subsidia  dipiomatiea.  Heidelberg  1782, 
3,  363  f,  367  f.,  372  ff.,  376  f.,  378  ff.,  397  f.    —    ')  Ebenda  3,  419  f. 


108 

Nun  aber  bekleidete  der  Alemanuenhcrzog  auch  die  Würde  eines  Gaugrafen  in 
Rhätia,  wie  aus  der  Urkunde  über  Ramis  und  einer  andern  vom  24.  Januar  1)48 
hervorgeht^),  stand  also  mit  Hartbert  in  nächster  Beziehung  und  mit  ihm  ge- 
rade dem  Gebiete  vor,  in  dem  die  Legende  vom  hl.  Florin  spielt.  Denn  in 
Rhätia  curiensis,  dem  heutigen  Kanton  Graubünden,  liegt  die  Stätte  der  "Wirk- 
samkeit Florins,  Heremuscia,  und  seiner  frühesten  Verehrung.^)  Wäre  demnach 
Abt  und  Bischof  Hartbert  wirklich  derselbe  mit  dem  der  Schönauer  Erzählung, 
so  hätten  wir  damit  eine  weitere  wichtige  Stütze  für  ihre  sonst  unbezeugten 
Thatsachen  gefunden. 

Indes  mit  dieser  Möglichkeit  sind  wir  auch  bereits  an  der  Grenze  der  geschicht- 
lichen Bezeugung  des  Berichts  angelangt.  „Druthuinus",  zunächst  die  Hauptperson 
als  „baro  de  lurenburg"  und  „satelles  tidissimus",  hat  so  wenig  geschichtlichen 
Anhalt,  dass  er  vielmehr  ein  Unding  für  die  Zeit  Hermanns  ist.  In  den  Quellen 
dieser  Zeit  erscheint  nämlich  noch  kein  baro,  sondern,  sofern  er  sich  nicht  comos 
nennt,  der  einfache  nobilis.^)  Das  Siegel  des  Herzogssohnes  Otto  trägt  lediglich 
die  Inschrift:  „Signum  domini  Ottonis  Liutolfi  filii."*)  Barones  kommen  erst 
neben  optimates  und  magnates  in  Urkunden  seit  Mitte  des  11.  Jahrhunderts  vor 
und  auch  dann  nicht  als  Titel  einzelner  Personen. •'^)  Und  wenn  auch  Trutwiu 
in  der  Schönauer  Erzählung  einmal  „venerabilis  dominus"  genannt  wird,  so  ist 
„vcnerabilis"  ein  Ehrentitel,  der  erst  im.  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  sich  zeigt.*^) 
Die  andere  Widergeschichtlichkeit  ergiebt  sich  daraus,  dass  Trutwin  „satelles" 
des  Herzogs  Hermann  gewesen  sein  soll.  Schon  Wenck  fand  diese  Bezeich- 
nung in  seinen  „Historischen  Abhandlungen"  (1778)^)  „verdächtig"  samt  ihrer 
ganzen  Umgebung  und  hält  in  seiner  „Hess.  Landesgeschichte"  (1785)'')  dafür, 
dass  die  ganze  „Titulatur  kein  Kenner  des  Altertums  für  echt  halten"  könne. ^) 
Indes,  wenn  er  auch  die  Ungeh()rigkeit  des  Ausdrucks  beanstandete,  der  kaum 
mehr  als  den  gewöhnlichen  Kriegsknecht  zulässt^*'),  so  übersah  er  die  Unmög- 
lichkeit für  einen  edlen  Franken,  im  Heerbann  des  Alemanneuherzogs  sich  be- 
finden zu  können,  statt  in  dem  des  fränkischen  Herzogs  oder  unmittelbar  dem 
des  Kaisers,  da  mit  dem  Tode  Eberhards  die  fränkische  Herzogsgewalt,  wie  in 
Sachsen,  mit  dem  Königtum  vereinigt  ward.^^)  Trutwin  selber  aber  als  Person 
hat  nirgendswo  einen    geschichtlichen  Anhalt  zu  dieser  Zeit  und  alle  Versuche 


*)  Stalin  1,  433  u.  527.  —  ")  Brower  1,  504'^:  „Hie  inclyta  viguit  S.  Florini  me- 
moria, etsi  non  parum  obscurata,  ex  quo  Curienses  Helvetiis  confoedcrati  majorum  pietatom 
iic  religionera  abjecero.  Gerte  de  S.  Othmaro,  primo  abbate  S.  Galli,  traditum  litteris  in 
Khaetia  Curiensi  ctiam  Pipini  tempore  praefuisse  ecciesiae,  cui  titulus  a  S.  Florino  confcssore. 

5.  oben  Anm.  2,  S.  107.  —  ^)  Stalin  1,  536.  —  *)  Goerz,  Mittelrhein.  Reg.  1,  299.  — 
^)  J.  Ficker,  Vom  Reichsturstenstande.  1861,  1,  36  §  16  u.  17;  134  f.  §  97.  —  ''j  Du  Cange- 
llensohel  6,  763».  —  ')  1,  52.  —  *)  1,  193  Anm.  —  '')  Der  gleichzeitige  Kremer,  Orig. 
nass.  1779,  1,  305,  Anm.  11  urteilt  noch  etwas  derber,  wenn  er  sagt:  „Wir  erwähnen  bei 
diesem  Grafen  den  von  der  ehemaligen  Barbarey  im  Kloster  Schönau  erfundenen,  dem  Drut- 
win  beygelegten  Titel  „Baro  de  Lurenburg  Hermanni  Ducis  Rheni  Alemannorum  Hdelissimus 
satelles"'  nur  darum,  um  unsere  Verwunderung  zu  äussern,  wie  es  habe  mögen  sein  können, 
(Ia83  dieses  Klostergedicht  noch  heutigestags  Verteidigung  gefunden  hat."  Widmann,  Ann. 
18,  43   hat  er  aber  so  wenig   als  Vogel    überzeugen  können.  —   '")  Du  Gange -Hensclicl, 

6,  73"=  f.  —  ")  Germania,  chronic.  13,  99  bei  Struve,  Gerraanic.  scriptorum  2,  721:  „Quae 
fuerunt  Kberardi,  titulo  juria  belli  imperator  occupat."     Vergl.  Stalin  1,  414,  446, 


109 

Wencks,  Vogels  uud  ihrer  Nachfolger,  ihn  aus  der  später  genauer  zu  unter- 
suchenden Urkunde  zwischen  1102 — 24  über  die  Gründung  der  Propstei  Lipporn 
als  solchen  aufzuweisen,  zerfallen,  wie  weiter  unten  nachgewiesen  werden  s(j11, 
ebenso  in  sich,  als  die  mit  so  vieler  Zuversicht  vorgetragene  Vermutuug  Vogels^), 
die  einen  so  überzeugten  Verteidiger  au  Schliephake'^)  gefunden  hat,  ilass  der 
Zeuge  „Drudoinus"  unter  der  vorhin^)  angeführten  Urkunde  über  den  Zehnten 
der  IIunibach-Montabaurer  Kirche  unser  Trutwin  und  gar  Vogt  der  Hunibacher 
Kirche  gewesen  sein  möge,  weil  er  an  erster  Stelle  stehe.  Denn  unter  den 
Zeugen  zumal  einer  kirchlichen  Urkunde  erscheint  an  erster  Stelle  immer  ein 
kirchlicher  Würdenträger,  hier  vermutlich  ein  trierischer  Domherr  und  dann 
der  Kirchenvogt,  der  hier  offenbar  „Hernbertus  comes  Palatinus"  ist.  Steht 
doch  ausdrücklich  auch  im  Texte  der  Urkunde:  „Cartulam  nostram  manu  |sc. 
archiepiscopi  HenriciJ  simulque  fidelium  clericorum  laicorumve  corroboratum." 

Einem  genaueren  Blicke  enthüllen  sich  aber  noch  weitere  verdächtige 
Dinge,  die  einen  zeitgenössischen  Erzähler  unmöglich  erscheinen  lassen.  So 
sind  die  vorhin  schon  gestreiften  „reni  alemani",  wenn  sie  nicht  als  Fahrlässig- 
keit des  freilich  höchst  kopflosen  Abschreibers  angesehen  werden  müssen,  der 
etwa  an  die  zuvor  geschriebenen  „reni  franci"  gedacht  haben  könnte,  eine  ge- 
schichtliche Ungeheuerlichkeit.  Denn  besass  auch  das  Herzogtum  Alemannien 
zwei  „Rhingowe",  beide  in  Rhätia  Curiensis,  den  einen  an  den  Quellen  des  Rheins, 
den  anderen,  auch  „Rheintal"  genannt,  beim  Einflüsse  des  Rheins  in  den  Boden- 
see*), und  wurde  es  gleich,  da  es  Alsatia  miteinbegriff',  fast  in  seiner  ganzen 
Länge  vom  Rheine  durchzogen,  so  fiel  es  doch  nie  einem  Schriftsteiler  ein,  am 
wenigsten  einem  des  10.  Jahrhunderts,  von  „reni  alemani"  zu  reden,  da  es 
eben  keine  zwei  oder  mehrere  Alemannien  gab.  Was  konnte  also  den  Verfasser 
unserer  Erzählung  bestimmen,  von  „reni  alemani"  zu  reden,  wenn  nicht  die 
Absicht  einen  Gegensatz  zu  den  Main-Alemannen  auszudrücken,  der  freilich 
keiner  war,  da  diese  sechshundert  Jahre  früher,  gedrängt  von  den  Burgunden, 
der  Mehrzahl  nach  ihre  Sitze  am  Mittel-  und  Untermain  verlassen  hatten  und 
nach  Süden  in  die  von  da  an  bleibend  innegehabten  oberrheinischen  Sitze  gezogen 
waren  V")  Diese  Absicht  aber  ist  geradezu  vernichtend  für  die  Geschichtlichkeit 
seines  Berichtes,  sein  eigner  sehr  unbeabsichtigter  Verräter.  Ebenso  verräterisch 
freilich  würde  es  sein,    wenn    die    Bezeichnung   „reni   alemani"  aus  der  blauen 


*)  Beseht.  283.  —  ^  1,  97.  —  ^)  S.  obea  Anm.  1,  S.  107.  —  *)  Chronicon  Gotwicense. 
Tora,  prodromus.  Tegernsee  1732,  743.  —  ^)  Da  die  Annahme,  ein  Teil  der  Alemannen  habe 
sich  nach  der  Schlacht  bei  Zülpich  (496)  in  die  Alpen  und  nach  Oberitalien  zurückgezogen, 
eine  unberechtigte,  spätere  ist,  vergl.  Stalin  1,  149,  so  braucht  sie  hier  nicht  in  Betracht  zu 
kommen  als  eine  dem  Gesichtskreis  des  Schönauers  etwa  zugänglich  gewesene.  Die  alten 
Sitze  der  Alemannen  aber  konnte  unser  Berichterstatter  sich  müglicherweise  aus  epist.  123 
des  Hieronymus  ad  Agerucliium  (opp.  od.  Vallarsii  1,  1766  col.  913  f.)  zurechtlegen  oder  er 
kannte  die  Peutinger'sche  Tafel,  die  die  Alemannen  nördlich  vom  Schwarzwald  setzt,  oder 
er  hatte,  was  nach  dem  alsbald  zu  Sagenden  am  wahrscheinlichsten  ist,  Kunde  von  der  Stelle 
des  Geogr.  Ravennas  4,  26,  wo  nach  dem  Gothen  Anarid  berichtet  wird,  dass  «lie  Alomaimen 
noch  im  ersten  Viertel  des  6.  Jahrhunderts  Aschatt'enburg  und  Wiirzburg  besessen  haben  sollen. 
Vergl.  Stalin  1,  146.  —  Zum  Überfluss  setzen  wir  liinzu,  aucli  Üsterley  kennt  in  seinem 
Wörterbuch  keine  Rhein-Alemaunen. 


110 

Luft  gegriit'on  wäre.  Denn  Ciann  läge  der  nicht  niiudcr  Iiaadgreiflicho  Versuch 
einer  ebensolchen  altertümelnden  Fälschung  vor.  Jedenfiills  ist  die  Bemühung 
Vogels^),  die  Ehre  unseres  Legendisten  retten  zu  wollen  mit  der  Behauptung: 
„Der  Ausdruck  dux  Rheni  Aleraannorum  kann  im  Munde  eines  Mönches  nicht 
auffiillen,  der  damit  Hermanns  Ansitz  im  Einrich,  Engersgau  und  Alemannien 
andeuten  wollte"  —  als  eine  verunglückte  zu  bezeichnen,  so  sehr  sich  auch 
Widmann-)  noch  auf  sie  bezieht.  Das  Mindeste,  was  man  sagen  kann,  ist 
Wencks  Wort^):  ^Der  dux  Reni-Alemanorum  bleibt  immer  eine  seltsame 
Erscheinung." 

Ein  gleiches  ist  es  mit  dem  Namen  der  „reni  francorum",  den  bisher  noch 
niemand  anstössig  fand.  Denn  was  auch  GroUius  in  seinem  umfangreichen 
„Responsum  ad  questionem :  an  et  qualis  fuerit  Franciae  ducatus,  rhenensis 
praecipue,  a  CaroUngicae  stirpis  in  Germania  regnantis  interitu  usque  ad  Suevicum 
sive  Hohenstauf.  regum  Germaniae  periodum"*)  vom  Jahre  1773  und  Chr.  Jak. 
Kremer  in  seiner  nachgelassenen  „Geschichte  des  rheinischen  Franziens  unter 
den  Meroving.  und  Karoling.  Königen  bis  in  das  Jahr  843"  fünf  Jahre  danach'') 
von  dem  Vorhandensein  einer  „Francia  rhenensis"  zu  dieser  Zeit  mit  dem  höchsten 
Aufwand  von  Gelehrsamkeit  und  Scharfsinn  zu  erweisen  versucht  haben,  ein 
solches  deutsches  Land  gab  es  niemals,  wie  das  heutige  Wissen  festgestellt 
hat.  Man  weiss  nur  von  dem  bereits  oben  genannten  ducatus  Franciae.^) 
Höchstens,  dass,  seitdem  die  Bischöfe  von  Würzburg  sich  vom  11.  Jahrhundert 
ab,  —  also  ein  Jahrhundert  später,  als  unser  Mönch  geschrieben  haben  will  — 
Herzöge  von  Franken  nannten,  der  Name  Rheinfranken  in  Aufnahme  gekommen 
sein  könnte.^)     Nur  einmal  wird  „Francia   rhinensis"  genannt,   aber  von  einem 


•)  Beschr.  283,  2.  —  -')  Annalen  18,  39,  Anm.  1.  —  ^)  Hist.  Abh.  1,  52.  —  *)  Acta 
aoadeniiae  TliPodoro-Palatinae  III,  333—480.  —  '')  Mannheim  1778.  —  "^J  Von  meinem  ver- 
ehrton Freunde,  Herrn  Prof.  Fr.  Otto,  dem  ich  bei  dieser  Gelegenheit  nicht  unterlassen  darf, 
meinen  tiefsten  Dank  auszusprechen  für  alle  seine  aufopfernden  Bemühungen  zum  Herbei- 
schaffen eines  nicht  kloinen  Teils  der  mir  nötigen  litterarischen  Hilfsmittel,  wie  nicht  minder 
zur  oiiigehonden  Beratung  hier  und  anderwärts,  hilfreicher  Winke  nicht  zu  gedenken,  werde 
ich  belehrt,  dass  Oiescbrecht,  Gesch.  der  Kaiserzeit  1860,  1,  271  f.  und  Anm.  S.  809  eine 
Vereinigung  des  Herzogtums  mit  der  Krone  annimmt;  vergl.  Küpke  in  den  Jahrb.  des  deut- 
s(!hen  Reichs  1,  2.  93  ff',  v.  Daniels,  Handbuch  der  deutsch.  Reichs-  und  Staatsrechtsgesch. 
1863,  2,  3,  373  f.  leugnet  aber  überhaupt,  dass  es  je  eigentliche  Herzüge  in  Franken  gegeben 
habe,  da  Konrad  nur  comes,  Eberhard  offiziell  comes,  nur  bei  den  Annalisten  dux  heisse, 
ebenso  Konrad  der  Rote.  —  Der  Seltsamkeit  wegen  setzen  wir  hinzu,  dass  Roth  a.  a.  O  ,  XIX 
der  Anmerkungen  den  Bericht  des  Schünauer  Mönches  stützen  zu  können  vermeint  mit  dem 
Folgenden:  „Die  Grenze  von  Francien  und  Sehwaben  wird  im  württembergischen  Urkb.  2,  87 
in  einer  Urkunde  von  1024  als  vom  süddeutschen  Mühlgau  gebildet  bezeichnet,  der  Schreiber 
der  Schönauer  Überlieferung  schrieb  demnach  ganz  im  Geiste  alter  Einteilung  nach  Volks- 
stiimmcn,  die  er  jedenfalls  einer  älteren  Aufzeichnung  über  die  Gründung  Schönaus  entnahm!" 
Nicht  nur,  dass  in  dieser  aus  Lünig,  Spicileg.  eccles.  3,  120  entnommenen,  auch  von  Stalin 
1,  319  u.  321  und  Chr.  J.  Kremer  44  angezogenen  Urkunde  auch  der  noch  südlicher  gelegene 
Kochergau  vorkommt,  so  ist  damit  aucii  nur  die  südöstliche  Grenze  gemeint.  Zwischen  Franken 
und  Alemannien  war  die  Grenze  bei  Heimsheim  (zwischen  Stuttgart  und  Pforzheim),  dann  auf 
dfr  Bergliöhe  zwisciien  dem  Murr-  und  Leintal  nach  Waitz,  Verfassungsgeschichte  .'>,  165. 
Vergl.  Stalin  1,  222,  597.  —  ')  Üsterleys  Wörterbuch  z.  B.  kennt  ihn  nicht.  Allerdings 
führt   iler   cod.    german.-monacensis    589,    fol.    15''    bei    Seh  m  eil  er- Fr  om  man  n    I,   823   wie 


in 

Schriftsteller  des  8.  oder  augehenden  0.  Jahrhunderts,  der  uuter  dem  Namen 
Geograph  von  Ravenna  bekannt  ist,  und  das  in  der  nächsten  Nähe  derselben 
Stelle,  die  wir  bereits  in  einer  Anmerkung  oben  für  die  Alemannen  am  Maine 
heranzuziehen  hatten/)  Sollte  es  da  allzu  verwegen  sein,  wenn  ein  solches 
Zusammentreffen  uns  veranlasste,  in  dem  Geographus  Ravennas  einen  der  ge- 
lehrten Nothelfer  unseres  Schönauers  bei  Herstellung  seiner  Märe  zu  erblicken? 
Weiter  muss  es  höchlich  auffallen,  dass  der  Schünauer  Mönch  allein  von 
der  Schenkung  des  „corpus  sancti  Florini"  an  das  „coUegium"  zu  Coblenz  durch 
Herzog  Hermann  weiss.  In  Coblenz  selber  weiss  niem.and  davon.  Das  Archiv 
des  ehemaligen  Kollegiatstiftes  bewahrte  noch  1818  zwei  wohlerhaltene  Orio'i- 
nalien  von  jener  oben  angeführten  Schenkung  des  Humbacher  Zehnten-)  seitens 
desselben  Herzogs,  von  der  so  viel  wichtigeren  Schenkung  des  Leibes  des  Hei- 
ligen keine  Zeile.  Man  besass  zu  Br^jwers  Zeit  (1G70)  sowohl  in  Coblenz  als 
Trier  „antiqua  membrana"  mit  den  „acta  vitae  eius''^),  aber  keines  weiss  von 
einer  „translatio*^  nach  Coblenz,  so  dass  Brower^)  in  einiger  Verlegenheit  ist, 
zu  welcher  Zeit  er  das  Aufkommen  des  Dienstes  Florins  in  Coblenz  ansetzen 
soll.  Von  einem  Vorhandensein  des  „corpus"  des  rhätischen  Heiligen  aber  gar 
hat  er  so  wenig  Kunde,  dass  er  vielmehr  berichtet,  am  8.  November  1378  habe 
ein  Mann  aus  gutem  Hause,  Wilhelm  Muysbach,  das  in  seiner  Familie  von 
langher  bewahrte  Haupt  des  Heiligen  dem  Florinstift  geschenkt.'-^)     Und  wenn 

Benecke-Müller  3,  395:  „Osterfranken,  Rinfranken"  auf,  aber  damit  sind  zum  Unterschied 
von  den  „Franei  t'eroces"  an  der  Seine  die  Deutschen  gemeint  als  die  „Franci  orientales''  am 
Rheine  und  der  Donau.  S.  Schmeller-Frommann  ebenda.  Um  alle  Gerechtigkeit  zu  er- 
füllen, setzen  wir  noch  das  uns  nachträglich  von  Herrn  Prof.  Otto  Vermittelte  aus  Waitz, 
Verfassungsgesoh.  5,  162  f.  hinzu,  woselbst  die  Meinung  ausgesprochen  wird,  dass  sich  für  das 
rheinische  Franzien  kein  unterscheidender  Xarae  Geltung  verschafft  habe.  Es  hiess  gewühnlioh 
Francia.  Rheinfranken,  wie  man  früher  einzeln  sagte,  sei  nicht  in  Gebrauch  geblieben.  Hierzu 
aber  wird  nur  der  Geogr.  von  Ravenna  angeführt  und  bemerkt,  dass  das  Carmen  de  b.  Sa.xo. 
diese  Wangiones  nenne.  Dagegen  fänden  sich  bei  Wipo:  „Franci,  qui  supra  Rhenum  habi- 
tant"  und  bei  Berthold:  „Francia  eis  Rhenum."  Es  heisse  auch  ,, Francia  antiqua"  und  ^vote- 
res  Franci",  wie  seit  1053  zuerst  „Franconia",  dessen  Xame  später  auf  die  östlichen  Striche 
sich  beschränkte.  Nehmen  wir  dies  mit  dem  von  uns  bereits  Bemerkten  zusammen,  so  finden 
wir  keine  Ursache,  unsere  Meinung  zu  ändern.  Wipo's  „Franci"  und  ßertholds  „Francia" 
sind  eben  der  Gegensatz  zu  den  Franken  an  der  Seine. 

')  4,  24:  Itcrum  ad  frontem  eiusdem  Frigonum  patriae  . .  ponitur  patria,  quae  dicitur  Fran- 
cia Rhinensis.  In  qua  patria  plurimas  fuisse  civitates  legimus : . . .  id  est  iuxta  fluuium  Rhenum 
Moguntia"  etc.  Vergl.  Act.  Pal.  3,  334.  Chr.  Jac.  Krem  er  35.  Wir  geben  diesem  angeb- 
lichen Rheinfranken  den  wirkliehen  Namen,  den  es  führte,  aus  der  Urk.  Otto's  III.  von  985, 
wo  es  heisst:  „curtem  Triburis  vocatam  in  Frantia  et  in  pago  Rinchgouue  ac  comitatu  Co- 
nonis  ducis."  Kremer,  Org.  2,  85,  indem  wir  zugleich  das  letzte  Wort  dem  von  v.  Daniels 
Behaupteten  entgegenstellen.  —  -)  Vogel,  Archiv  59.  Vergl.  Goerz,  Mittclrhein.  Reg.  275; 
nach  letzterem  sind  die  zwei  Originalausfertigungen  in  der  von  Renesse'schen  Sammlung 
gewesen  und  ein  schönes  Original  mit  Siegel  ins  Staatsarchiv  nach  Coblenz  gekommen.  — 
^)  Annales  trev.  1,  504.  —  *)  Ibid.  —  ^)  2,  248.  Das  Register  berichtet  unabhängig  vom 
Texte:  „S.  Florini  caput  Confluentiae  argento  includitur."  Der  grossen  Freundliclikeit  des 
Herrn  Archivrat  Dr.  Becker  in  Coblenz  verdanke  ich  die  Nachricht,  dass  die  im  dortigen 
Archiv  aufbewahrte,  dem  15.  Jahrhundert  entstammende  Handschrift  „Statuta  et  privilegia 
8.  Florini"  an  erster  .Stelle  das  „Caput  sancti  Florini  cum  oapite  argenteo  et  lorona  argentea" 
verzeichnet.  Damit  lat  Brower's  Registerbemerkung  bestätigt.  Leider  hatte  das  Archiv  keine 
weitere  Mitteilung  zu  bieten. 


112 

er  dann  au  der  gleichen  Stelle  erzählt,  im  Jahre  1332  habe  im  selben  Stifte 
eine  Suche  nach  den  dem  Gedächtnis  entschwundenen  hl.  Überbleibseln  statt- 
gefunden, erfährt  man  nur,  dass  neben  anderen  der  Kopf  des  hl.  Silvester,  und 
eine  „statua  Caroli  magni"  und  die  „argentea  insignia"  eines  edlen  Ritters 
Ricliard  mit  „versiculi  ad  S.  Florinum'*  entdeckt  worden  seien.  Also  keine 
Rede  von  Überbleibseln  des  Heiligen.  Und  kein  Wunder,  derselbe  Kanoniker 
von  St.  Florin  in  Coblenz,  Jakob  Tectonius,  der  Brower  die  „epitomen  actorum" 
des  Heiligen  gesandt  hatte,  die  zuletzt  von  den  Wundern  des  hl.  Leibes  be- 
richtet^), hat  nichts  zu  berichten  von  einer  Überführung  dieses  Leibes  nach  Coblenz. 
Nur  die  urkundlich  bezeugte  Thatsache  steht  fest,  dass  das  Florinstift  ehemals 
den  Namen  S.  Mariae  trug  und  in  der  letzten  Hälfte  des  10.  Jahrhunderts 
seine  spätere  Benennung  erhielt.  Die  Urkunde  über  die  Schenkung  des  Hum- 
bacher Zehnten,  sowohl  in  ihrer  ersten  Ausfertigung  zwischen  931  —  49  zu  Leb- 
zeiten des  Herzogs  Hermann,  als  in  der  späteren  vom  13.  Februar  959  lässt 
den  Zehnten  „Dei  genitricis  sub  nomine  dedicato  cuidam  monasterio  Confluentie 
sito"  zu  teil  werden,  wogegen  eine  Schenkung  Otto's  L  an  dasselbe  Stift  vom 
November  950  den  „fratribus  ecclesie  S.  Mariae  et  Florini  in  Confluentia"  gilt. 
Gleichwohl  nennt  jene  oben  vorgeführte  Urkunde,  welche  der  Enkel  Herzog 
Hermanns  und  des  Kaisers  Otto  I.  zwischen  957  und  973  unterzeichnete,  nur 
das  „Marienkloster  im  Kastell  Coblenz  an  der  Mosel". ^)  Nun  hat  ja  der  launige 
Vers  der  „Frau  Aventiure"  Scheffels  Recht:  „Von  vielem  mangelt  Schriftbericht, 
denn  viel  geschieht  nur  mündlich",  aber  was  man  in  Coblenz  vergessen,  sollte 
das  in  Schönau  so  treu  behalten  worden  sein? 

Und  dass  ferner  der  Schünauer  Berichterstatter  dem  „regi  romanorum"^) 
nicht  den  deutlichen  Namen  Otto  giebt,  dass  er  sich  jeder  Jahreszahl  bei  der 
Schenkung  sowohl  des  „corpus  St.  Florini"  nach  Coblenz  als  bei  der  Verbringung 
der  „pars"  desselben  in  die  Lipporner  Kapelle  enthält,  während  er  doch  bei 
letzterer  ganz  genau   den  Tag  weiss:    „in  vigilia  apostolorura  petri  et  pauli"^), 


')  1,  504''  f.  —  -)  Goerz,  Mittelrhein.  Reg.  1,  267,  268,  275,  298.  —  ^)  Herr  Prof. 
Otto  macht  mich  darauf  aufmerksam,  dass  schon  diese  Bezeielinung  für  einen  Menschen  dea 
10.  Jahrhunderts  gescliichtswidrig  ist,  da  Otto  I.  sich  nur  „rex"  oder  später  „imperator" 
nannte,  „rex  Romanorum"  dagegen  offiziell  erst  bei  Lothar  aufkommt  nach  v.  Daniels  a.a.O. 
263,  z.  B.  in  der  Urkunde  vom  23.  Dezember  1125:  „Lotharius  III.  Romanorum  rex",  bei 
Jaffö,  Gesch.  des  deutschen  Reichs  unter  Lothar.  1843,  41,  Anm.  62.  Im  Context  findet  sich 
u.  a.  1108:  „regnante  Heinrico  Romanorum  rege."  Wohl  aber  heisst  es  „Romanorum  Impe- 
rator", vergl.  z.  B.  die  Urkunde  Otto's  III.  von  1000  bei  Kremer,  Orig.  2,  97  u.v.a.  Vergl. 
das  Genauere  beiWaitz,  Deutsche  Verfassungsgesch.  6,  106  f.:  „Unter  den  Königen  aus  dem 
fränkischen  Stamme  ist  es  üblich  geworden,  den  König  vor  dem  Empfang  der  kaiserlichen 
Würde  als  König  der  Römer  zu  bezeichnen,  zuerst  vielleicht  von  Papst  Benedict  VIII.  (ältere 
Urkunden  falsch  oder  interpoliert),  aber  in  Beziehung  auf  den  Kaisertitel  gebraucht",  in  der 
Untersolirift  „anno  Ileinrici  invictissimi  regis  Romanorum  XIV,  imperii  IIP',  also  1016.  Von 
Heinrich  III.  wird  im  Gegensatz  zu  der  deutschen  und  burgundischen  Herrschaft  ebendort  S.  104 
Anm.  1  angeführt:  „anno  regis  Rom.  secundo,  Burgujid.  primi."  Als  Titel  erscheint  er  zuerst 
unter  Heinrich  VI.  in  Briefen,  vielleicht  einzeln  in  italienischen  Urkunden,  häufiger 
unter  Heinricli  V.,  seit  Lothar  und  Konrad  III.  regelmässig.  —  ')  Der  Florinstag  wird  übrigens 
in  Coblenz  um  18.  November  gefeiert,  während  er  liier,  in  Chur  und  sonst  auf  den  17.  ange- 
sf't/.t   i.it;   vergl.   Brower,   Aiumlen   1,  304''. 


113 

uud  (lass  er  eodlich  als  Augenzeuge  nicht  einmal  die  Namen  der  so  wunderbar 
Geheilten  sich  gemerkt  hat,  die  einen  solchen  bis  an  die  „sidera"  klingenden 
Jubel  verursacht  hatten,  —  das  alles  ist  doch  wohl  wahrheitsgetreuer,  unver- 
fänglicher Geschichtserzählung  nicht  eigen. 

Das  Gleiche  haben  wir  vom  Schlüsse  der  Erzählung  zu  behaupten.     Dort 
werden    nicht    die    so  glorreich    besiegten,  gefangenen  und  vertriebenen  Feinde 
genannt.    Kein  Name  des  meuchlerischen  Bauern,  und  was  noch  viel  beachtens- 
werter   erscheint,    keine  Angabe    des  Grundes    für  seinen  Mord !     Ist  für  diese 
Zeit  an  sich  solche  Thatsache  eine  ungeheure  zu  nennen,  dass  ein  „baro"   durch 
die  Hand  eines  Bauern  fällt,  so  befremdet    doch  noch  ungleich  mehr,   dass  der 
„religiosus    baro"    einen    solchen  Feind   gefunden  haben  soll.     Dergleichen  be- 
richtet Lambert    von  Aschaffenburg    aus   dem  Jahre  1066    doch   nur  über  den 
kirchenräuberischen    Grafen  Werner,    dass    er   bei   einem    Raube   in  Ingelheim 
im  Handgemenge    „a  (juodam    nostri   raonasterii    vilissimo  mancipio    vel,  ut  alii 
ferunt,  a  foemina    saltatrice    clave   percussus  in    capite  corruit."^)     Aber  wenn 
dieser  gepriesene  Chronist  weiter  erzählt,  dass  der  zu  Tod  getroffene  Graf  noch 
so   lange   gelebt   habe,    bis    er   von    den    anwesenden    Bischöfen    mit   der    Ver- 
weigerung   der    „Sacra   communio"  bedroht,    das  dem  Kloster  Hersfeld,   freilich 
mit  kaiserlicher  Erlaubnis  entzogene,  Dorf  Kirchberg  wieder  zurückgegeben,  so 
meint  man  das  Vorbild  für  unseren  zu  Tode  getroffenen   „baro"  zu  sehen,    der 
fromm   seine   letzten    Minuten   mit   der  Anordnung    zum    Bau^)    eines    Klosters 
verbringt. 

Doch  wozu  uns  länger  zurückhalten,  wo  dieser  Geschichtschreiber  Schön- 
au's  sich  in  der  ganzen  Blosse  und  Grösse  seiner  dummdreisten  Fälschung 
selber  entlarvt.  Das  „claustrum  benedictorum  nomine  schönaw"  von  den  Lippen 
des  sterbenden  Trutwin  sagt  alles,  sagt,  dass  wir  nach  den  durchsichtigen 
Nebeln  des  10.  Jahrhunderts  in  der  Helle  des  12.  vor  den  Pforten  des  1126 
gegründeten  Klosters  Schönau  stehen  und  dass  der  übele  Erfinder  des  ganzen 
Märleins  nichts  anderes  mit  seiner  Dichtung  vorhatte,  als  —  wir  werden  sehen, 
warum  —  die  Urgeschichte  des  Klosters  zu  verschleiern. 

Wir  haben  deshalb  auch  kaum  noch  not,  darauf  hinzuweisen,  dass  selbst 
die  Namen  „lichtburnensis"  und  „lichtsbron'''  sich  als  ]^tachwerke  wohl  gar  erst 
des  14.  Jahrhunderts  darstellen.  Denn  der  Ort  zu  dem  lichten,  d.  h.  klaren 
Brunnen^),  wie  sein  Name  offenbar  gedeutet  werden  muss,  heisst  echt  ausgehend 


')  Struve,  Rer.  Germ  scriptores  1,  336.  Kremer,  Orig.  1,  271,  278,  296  hat  sich 
die  Freiheit  genommen,  diesen  Werner  ohne  weiteres  an  die  Stelle  Trutwins  in  der  „Schünauer 
Reimsage"  zu  setzen  und  seine  Ermordung  hier  mit  etwas  anderen  Worten  in  dieser  erzählt 
zu  finden.  Wir  sind  ihm  dankbar  dafür,  wenn  auch  nicht  in  seinem  Sinne.  —  ^)  Zu  „construi 
fecit"  s.  Du  Cange-Henschel  3,  178»:  „facere  =  assignare,  statuere."  —  ^)  Als  Analoga 
mit  der  vollen  Adjektivform  bieten  sich  dar:  Lichtenborn  bei  Prüm  und  dasselbe  bei  Xortheim, 
sowie  Lichtenbrunn  bei  Lobenstein  und  dasselbe  slaw.  Bila  studne  =  lichter  Brunnen  bei  Mährisch- 
Trübau.  Sonst  sind  der  Zusammensetzungen  mit  Licht-  und  Lichten-  wohl  mehr  als  200 
bei  Rudolph,  Vollst,  geogr.-topogr.-stat.  Ortslexikon  von  Deutschland.  Leipzig  1870,  1,  2551 
bis  2557  zu  finden.  Forstemann,  Altdeutsches  Namenbuch.  Xordh.  1872,  989  —  991  kennt 
nur  Lihtowa,  vielleicht  Lichtenau,  Lichtsteiga,  Lichtensteig  bei  St  Gallen  und  Liechtonfels 
bei  Bamberg,  alle  drei  aus  dem  11.  Jahrhundert. 

8 


114 

ahd.  „Lietprunin",  „Lietprunnin",  „Lietprunen",  ^Lietprun",  wie  das  davon  gebil- 
dete latinisierte  Adj.  ^lietpruuensis",  zusammengezogen  Libbrunne^),  von  „liohti", 
„Hellte"  =  hell  und  „pruno",  ^brunno"  =  brunnen,  während  „lichtbumensis" 
rein  mhd.  ist  und  sein  zweiter  Teil  nur  aus  dem  13.  oder  14.  Jahrhundert  her- 
stammen kann,  da  sicherst  dann  die  niederdeutsche  Versetzung  des  r:  „burn'' 
statt  „brunne"  zeigt. ^)  „Lichtsbron"  ist  dazu  eine  rein  etymologische  Erfindung 
unseres  Mönches,  der  einen  Brunnen  des  Lichts  aus  dem  lichten  Brunnen  machen 
zu  müssen  meinte;  und  wegen  „bron",  das  kein  mhd.  Wörterbuch  kennt,  eine 
sehr  späte. 

Das  Kloster  hat  übrigens  später  selber  dafür  gesorgt,  dass  man  den  Wert 
der  Federleistung  seines  früheren  Mitglieds  nicht  überschätze.  Das  lehrt  zu- 
nächst schon  die  äussere  Erscheinung  der  letzteren.  Die  Dichtung  bildet,  wie 
schon  durch  Widmann  bekannt^),  den  Nachtrag  späterer  Hand  zu  der  ihr 
vorausgehenden  Legende  des  hl.  Florin.  Während  nun  diese  vor  allen  anderen 
Stücken  des  ganzen  Bandes  nicht  nur  dadurch  ausgezeichnet  ist,  dass  spätere 
lateinische  Zahlen  am  Rande  sie  in  17  sehr  ungleiche  Abschnitte  teilen,  sondern 
dass  sie  auch  an  ihren  schmutzigbraunen,  teilweise  eingerissenen  und  wieder 
geflickten  Rändern  die  Spuren  starker  Verlesenheit  zeigt,  ist  letztere  verhält- 
nismässig unberührt  und  besitzt  auf  ihrem  ganzen  Blatte  in  vier  Spalten  keine 
Einteilung  —  ein  Zeichen,  dass  man  sie  nicht  der  Ehre  öfterer  Benutzung  beim 
Vorlesen  im  Refektorium  wert  hielt.     Warum,   ist  unschwer  zu  erkennen. 

Lehrreicher  aber  bei  weitem  sind  die  drei  verschiedenen  Redaktionen, 
die  unsere  Erzählung  von  späterer  Klosterhand  erfahren  hat:  eine  gereimte 
deutsche,  von  der  weiter  unten  zu  handeln  ist  und  zwei  deutsch-prosaische. 
Von  den  letztereo  befindet  sich  eine  in  der  viel  benutzten  amtlichen  Kloster- 
schrift „Rettung  derer  Freiheiten  und  Rechte  des  Unmittelbaren  unter  Chur- 
f'ürstlich-Mayntzischer  Ober-  und  Hochfürstlich  Nassauischer  Untervogtey  bisz 
daher  gestandenen  alten  Benediktiner-Closters  Schönau  in  der  Rheinischen  Land- 
schafft  Einrieb  und  Ertzbischöflich-TrierischenDioeces.  Im  Jahre  des  Hevls  1753." 
Sie  ist  für  unsere  Zwecke  wichtig  genug,  ihr  den  folgenden  wörtlichen  Abdruck 
ihres  §  VII  auf  S.  5  zu  widmen.  „Es  ist  nämlich  zu  mercken,  dass  die  er- 
zählte, vom  Graven  Rupert  von  Laurenburg  vollbrachte,  Stifftung  des  Closters 
Schönau  nicht  gleich  die  erste  Stifftung  der  Mönchen-Versammlung  gewesen 
und  hierher  gesetzt  worden,  sondern  dass  diese  vorher  ein  Closter  zu  Lichtborn 
gehabt  und  nur  nach  Schönau  in  ein  neues  Closter  versetzt  worden  ist.  Als 
Crrav  Drutwin,  welchen  Textor  in  seiner  Nassauischen  Chronik  als  des  Graven 
Ruperts  Vaters  Bruder  anführet,  von  einem  Feldzug  auf  sein  Gut  Strüth  zurück- 
gekommen, und  auf  der  Jagd  an  eben  dem  Orte,  wo  der  hohe  Altar  der 
Schönauischen  Kirche  stehe,  von  seinem  Hofmann  nicht  erschlagen,  wie  Textor 
meldet,    sondern  mit    einem  Pfeil  geschossen  worden,    soll  derselbe  nach  denen 

')  Kremer,  Orig.  2,  151  f.  200;  Sauor,  Nas3,  UrkunJenb.  1,  151;  „Lichtbornii"  bei 
Vogel,  Beschr.  288  stammt  aus  dem  feblorhaften  Abdruck  der  „Rettung",  Beyl.  ITI,  S.  2 
und  ist  mit  Reclit  von  Kehrein,  Nass.  Namenbuch  230  l)ean3tandet  als  sprachwidrig,  vergl. 
Graff,  Alid.  Sprachschatz  2,  147  und  3,  310.  —  ^j  Ben  ecke-Müller-Zarncke,  Mhd.  Hdw. 
1,  209;  Grimm,  Deutsches  Wbch.  2,  243.  —    ^)  Annal.  18,  39. 


115 

Legendis  von  S.  Florino»)  in  denen  drey  Tagen,  die  er  noch  gelebt,  verschafft 
und  verordnet  haben,  von  der  erfochtenen  Beute  daselbst  das  Kloster  aufzu- 
bauen, worauf  dann  nicht  allein  die  Reliquien  des  hl.  Florini  aus  der  Kirche 
zu  Lichtborn,  sondern  auch  die  dasige  Congregation  mit  allen  Herrlichkeiten 
und  Gütern  nach  Schönau  transferiert  worden."  Diese  amtliche  Darstellung 
aber  findet  ihre  Ergänzung  in  der  bei  Wenck«)  aufbehaltenen  anderen  Re- 
daktion, die  so  lautet:  „Die  Mönche  zu  Schönau  tragen  sich  mit  der  Tradition, 
von  der  auch  Textor  wusste,  dass  Druthwin,  nachdem  er  von  der  Besieo-uno- 
seiner  Feinde  bei  Coblenz  auf  sein  Gut  Strüth  zurückgekommen,  auf  der  Jagd 
von  seinem  eigenen  Hofmann  ohne  Vorsatz  seie  verwundet  worden  und  zwar 
an  eben  dem  Orte,  wo  itzt  der  hohe  Altar  der  Kirche  zu  Schönau  stehe; 
Druthwein  habe  also  in  den  drei  Tagen,  die  er  noch  gelebt,  verordnet,  von 
seiner  erfochtenen  Beute  an  eben  dem  Orte  ein  Kloster  aufzubauen.  Die 
Schönauer  wollen  diese  Erzehlung  noch  mit  einer  besonderen,  der  Deduktion 
[d.  h.  „Rettung"  u.  s.  w.]  nicht  angedruckten  Urkunde. . .  bestärken." 

Wird  man  nun  auch  billiger  Weise  zugeben  dürfen,  dass  der  erste  dieser 
beiden  Berichte  möglicherweise  ein  Auszug  des  volleren  zweiten  ist,  so  geben 
beide  doch  zu  erkennen,  dass  sie  nicht  Vorgänger,  sondern  Nachfolger  des  von 
uns  bisher  behandelten  lateinischen  sind;  und  dass  sie  eine  stillschweigende, 
nicht  zu  dessen  Gunsten  lautende  Kritik  seines  Schlusses  darstellen.  Man  stiess 
sich  an  die  bereits  von  uns  oben  gekennzeichneten  Unglaublichkeiten,  verbesserte 
sie  aber  nicht  etwa  aus  der  Geschichte,  sondern  tauchte  munter  den  Pinsel 
in  denselben  Farbentopf  der  Erfindung  wie  der  Vorgänger,  nur  mit  mehr  Ge- 
schmack, besser,  mit  mehr  Berücksichtigung  der  ki-itischer  gewordenen  Zeit. 
Zwar  auch  jetzt  werden  noch  nicht  die  Feinde  Trutwin's  genannt,  aber  wenigstens 
der  Kampfplatz  bei  „Coblenz."  Der  hässliche  Meuchelmord  wird  beseitigt,  wie 
seine  Ausführung  mitten  im  Triumphgefühl  seines  Opfers,  der  unbekannte  bos- 
hafte „rusticulus"  wird  zu  dem  freilich  auch  nicht  sehr  viel  bekannteren  Strüther 
„Hofmann",  der  auf  der  Jagd  das  Unglück  hat,  seinen  Herrn  mit  einem  Pfeile 
zu  verwunden.  Der  Getroffene  hat  dann  noch  ganze  drei  Tage  Zeit,  die  Stift- 
ung des  Klosters  Schönau  vorzubereiten.  Dass  damit  keine  wirkliche  Ge- 
schichte geschaffen  sei,  hat  gleichwohl  niemand  besser  gefühlt  als  das  Kloster 
selbst,  indem  es  seinen  Rechtsanwalt  ein  bescheidenes  „soll"  in  die  Erzählung 
setzen  Hess. 

Wann  diese  Veränderung  der  ursprünglichen  „Legende",  von  der  neben- 
bei bemerkt  das  Kloster,  „nach  denen  Legendis  von  S.  Florino"  des  eigenen 
Berichts  zu  schliessen,  mehrere  Ausgaben  gehabt  haben  muss,  stattgefunden 
hat,  ist  unschwer  festzustellen.  Sprachen  wir  schon  von  der  kritischer  ge- 
wordeneu Zeit,  so  können  wir  diese  nun  mindestens  ans  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts hinausrücken,  wenn  nicht  in  'den  Anfang  des  18.  Die  alte  Legende 
hat  nämlich  genau  bis  zur  Zeit  zwischen  1613  und  1629^)  vorgehalten,  als  das 
Kloster  eine  Erneuerung  erfahren  und  damit  die  gereimte  Erzählung  „in  vestibulo 

*)  Dieselben  sind  noch  einmal  berührt  S.  401  daselbst.  —  '^)  Hist.  Abh.  1,  50,  Anm.  G. 
—  ")  Bei  Widmann,  Annal.  18,  37. 

8» 


116 

templi  üben  aa  der  Mauwern"')  verschwunden  und  „singulari  studio,"  wie  Ple- 
ban^)  behauptet,  nicht  wieder  erneuert  worden  ist.  Nun  aber  musste  man  doch 
mindestens  ein  Menschenalter  verstreichen  lassen,  bis  man  die  Veränderung 
der  alt-  und  allbekannten  Trutwin'schen  Mordgeschichte  wagen  durfte,  die  Dank 
der  deutschen  Reime  überhaupt  nicht  so  leicht  auszurotten  war.  Das  Ende 
des  17.  Jahrhunderts  wird  demnach  eine  nicht  zu  späte  Änderungszeit  genannt 
werden  dürfen. 

Diese  vielbesprochene,  gereimte  Erzählung  aber,  zu  der  wir  uns  entgegen 
der  Zeitfolge  nun  erst  wenden,  weil  sie  zu  dem  Alten  ein  völlig  Neues  fügt, 
bedarf  trotz  der  ihr  bisher  gewidmeten  Sorgfalt  eine  eingehendere  Besichtigung. 
Auch  von  ihr  müssen  wir  uns  zunächst  einen  Abdruck  erlauben,  ob  wir  deren 
gleich  vier  besitzen^),  da  wir  die  Wiederherstellung  des  ursprünglichen  Textes 
an  verschiedenen  offenbar  verderbten  Stellen  des  jetzigen  zur  Rettung  nicht 
bloss  der  reimerischen,  sondern  auch  geschichtlichen  Ehre  seines  Verfassers 
vorzuschlagen  haben.  Wir  lesen  unter  Zugrundlegung  des  sich  in  der  That 
als  älteren  ausweisenden  Widmannschen  Textes  folgendermassen : 

1.  Ich  hab  mich  des  bilUch  vermessen 

Ehr,   Lob  vnndt  Preiss  nicht   vergessen 

Von  Dreyen  adeler  wohl  erzogen 

In  einem  Nist,  ist  nicht  erlogen, 
5.  Was  Diese  Drey  brüder  han  gestifft, 

Bin  ich  erfahren  wohl  durch  ihre  schrift: 

Alpertus*),  verstehent  mich  auch  recht. 

Ein  Bischoff  zu  Meintz  vnndt  Gottes  Knecht, 

Dudo  zu  Lippurg,  eyn  seltzem  Ding, 
10.  Das  man  izundt  Nenndt  vff  dem  Rinck, 

Da  wähnten  eins  Ritter  vnndt  Knecht, 

So  izundt  Da  wohn  Azelln  vnndt  Specht, 

Truthwinus  diss  lants  recht  patron 

Von  Lurenburch  der  edel  baron, 
15.  Als  der  mitt  recht  hat  bezwungen, 

Die  feindt  alle  vberrungen^) 

Dar'')  sähe  man  nuhn  billich  vnndt  eben 

Sein  Herz  in  frewden  schweben; 

Aber  seyn  freyer  Kühner  muth, 


•)  Ebenda  36.  Hiernach  ist  die  Bemerkung  „auf  einem  Altarblatte  in  der  Kirche  zu 
Schünau  geschrieben"  bei  Roth,  Die  Visionen  der  hl.  Elisabeth,  VII,  zu  bemessen,  der  doch 
schon  Re8scres  aus  Kremer  1,  278  hätte  wissen  dürfen.  —  ^)  Ebenda  37.  —  ^)  Von  177!) 
bei  Krenier,  Orig.  2,  379  ff.,  von  1837  bei  Niklas  Vogt,  Rhein.  Geschichten  und  Sagen. 
Frankfurt  a  M.  2,  378  ff.,  von  1866  bei  Schliephake,  Gesch.  Nassaus  1,  195  f.  und  von  1884 
bei  Widmann,  Annal.  18,  34  f.  —  *)  Gewöhnliche  Lesart:  „Rupertus".  —  ^)  Gewöhnlicher 
Text:  „vberwunden";  „vbcrrungen"  aber  s.  bei  Lexer,  Mhd.  Hdwbch.  2,  1651  =  überwinden ; 
vber  ist  dabei  md.  —  '')  Kremer,  Schliephake,  Widmann:  „das";  Vogt  richtiger  „da"; 
,,dar"  für  „da"  noch  bei  Lohenstein  (f  1683)  s.  Weigand,  Deutsches  Wörterbuch.  Oiessen  1873, 
1,  301. 


117 

20.  Den  er  Drug  vnder  seinem  cissen  Hut, 

Was  in  ihm  nicht  Lenger  Dauren'), 

Das  geschähe  Durch  einen  Bawren, 

Der  macht  sich  halt  vff  die  Strassen, 

Seynen  Zorn  wolt  er  nicht  Lassen, 
25.  In  einem  Pusch  lag  er  verborgen, 

Er  wacht  den  Abent  und  morgen 

Uf  die  Zukunfft  dieses  baren'') 

Des  Dott  er  Hatt  hart  geschwaren.'') 

Da  Kham  geritten  enndtzellen^) 
30.  Truthwin  mit  seinen  gesellen 

Zu  Strudt  Hie  auf  Dieser  fardt. 

Da  derselb  bawr  auch  auf  ihn  wardt, 

Er  schoss  den  Clraffen  vff  dem  Pferdt, 

Das  er  zu  Dodt  Stürtzt  vff  die  Erdt. 
35.  Die  Stath  der  Graf  auch  mercket  eben, 

Dieweil  er  noch  hat  das  Leben; 

Er  was  dem  geistlichen  Leben  holt, 

Er  schätzt  silber,  vnndt  auch  sein  golt, 

Schonaw  ein  Kloster  vlF  der  Stadt 
40.  Stifft  er,  Da  er  durchschossen  wardt. 

Selig  was  dar  Graffe^)  Truthwin, 

Den  Heiligen  Patron  Sant  Florin 

Vber  all  sein  güth,  gült  auch  Renth 

Irbt^)  er  in  seinem  letzten  testament. 
45.  Mann  Schreib  Datum,  sag  ich  fürwar, 

Dausend  Hundert,  Zwantzig  sex  Jar, 

Zur  Verteidigung  der  von  uns  vorstehend  versuchten  Besserungen  haben 
wir  nicht  bloss  darauf  hinzuweisen,  dass  dieselben  einen  besseren  Sinn  herstellen 
und  dem  Misstand  abhelfen,  dass  vier  Verse  nicht  einmal  ordentlich  durch 
Assonanz  reimen;  wir  meinen  auch,  durch  den  Umstand  dazu  berechtigt  ge- 
wesen zu  sein,  dass  der  hergebrachte  Text  nur  auf  späten  Abschriften  einer 
Abschrift  beruht,  deren  Schreiber  sich  entweder  nicht  mehr  in  das  ältere  Dcutbch 


')  Genitiv  des  hier  zum  erotcnmal  im  älteren  Nhd.  vorkommenden  Wortes,  Vergl. 
Grimm,  Deutsches  Wbch.  2,  839 ;  Weigand  1,  309.  —  ^)  Gewöhnlicher  Text:  „Graffen";  bei 
Schmeller-Frommann,  Bayer.  Wbch.  Stuttg.  und  Tüb.  1872,  1,  253:  „Was  tat  der  hoch- 
geborn  bar,  swen  er  daz  wart  gewar."  Vergl.  Graft",  3,  153;  2,  741.  Grimm,  Rechtsalter- 
tümer 310.  Deutsches  Wbch.  1,  1139.  Lexer  1,  126.  —  ^)  Gewöhnlicher  Text:  „geschworen"; 
aber  „geschwaren"  s.  Lexer,  2,  1363.  —  *)  Wie  bei  Vogt,  und  i.st  mhd.  „enzelen"  =  einzeln; 
die  Lesart  der  Anderen  „vnndt  Zellen"  ist  einfach  Unsinn;  und  die  Annahme  Widmanns 
,, geritten  und  gezellen"  d.  h.  „den  Pass  gegangen"  ist  darum  unhaltbar,  weil  das  Part,  heissen 
müsste:  gezeltet,  wenn  überhaupt  „zellen"  für  „zelten",  ,,zclden",  „zeltenen"  vorkam  Vergl. 
Lexer  3,  1055.  —  ^)  Widmann:  „war  das  Graffen,''  was  keinen  Sinn  gibt  und  gegen  den 
übrigen  Gebrauch  unseres  Reimers  ist,  der  immer  „was''  für  „war"  sagt.  Besser  daher  Vogt: 
„was  des  Graffe."  —  '"')  Nass.  Mundart;  erben  =  zum  Erben  einsetzen,  s.  Grimm,  Deutsches 
Wbch.  3,  71S,  auch  mhd.,  s.  Lexer  1,  612. 


118 

finden  konnte  und  daher  nur  den  Sinn  wiedergab  oder  Unsinn  schrieb,  oder 
aber  die  schadhaft  gewordene  Schrift  an  der  Wand  (schadhaft  vermutlich  zu- 
meist an  den  äusseren  Rändern,  welche  die  Reime  enthielten,)  nicht  mehr  zu 
lesen  vermochte  und  sich  daher  aufs  Raten  angewiesen  sah.  Stand  doch  die 
Schrift,  als  Lösch^)  1590  sein:  „Ist  bis  uf  anno  1590  Da  Schönaw  gestifft 
worden  464  Jar"  unter  die  Abschrift  setzte,  ungefähr  80  Jahre^)  schon  an  der 
Wand,  die  wenige  Jahre  vor  1634  mit  der  Kirche  einer  Erneuerung  benötigt  war.') 
Die  Verantwortung  wegen  des  tieferen  Einschnittes  in  den  Text,  den  wir  mit 
„Alpertus"  vollziehen  mussten,  haben  wir  erst  vorzubereiten  mit  der  Beurteilung 
des  Inhaltes  der  Reime,  zunächst  mit  der  Wiederaufnahme  der  von  Widmann 
mit  so  grossem  Geschick  beinahe  zum  Abschluss  geführten  Untersuchung  über 
die  Abfassung  unserer  Knüttelverse.  Es  wird  uns  das  gleichzeitig  xA.ufschluss 
über  den  Zweck  derselben  bieten. 

In  dem  von  der  „Rettung"*)  beigebrachten  Bruchstück  aus  den  „Annalibus 
Schönaugiensibus  sub  A.  1506"  lesen  wir  von  einem  zwischen  dem  Manns- 
und Frauenkloster  über  Waldbenutzung  entstandenen  ziemlich  hitzigen  Streit, 
der  eine  „dieta  pro  huiusmodi  rixa  consopienda"  nötig  machte.  Die  Kloster- 
frauen, angeführt  von  ihrer  „Domna"  aus  gräflich  uassauischem  Blute  und  ge- 
stützt auf  die  gräflichen  „patronos  suae  usurpatae  libertatis",  brachten  bei  dieser 
Gelegenheit  vor,  dass  ihr  Kloster  vor  dem  Mannskloster  gegründet  worden  sei 
und  ihnen  deshalb  die  Vorherrschaft  gebühre.  Die  Klosterbrüder  aber  ent- 
gegneten, dass  Trutwin  auf  ihrer  Stätte  getötet  worden,  die  Versetzung  der 
Brüder  von  Lipporn  nach  dieser  hierauf  zufällig  erfolgt,  die  Stiftung  also  keine 
neue,  sie  darum  die  ersten  auf  dem  Gebiet  gewesen  seien.  Die  vorgewiesenen 
Exemplare  der  Gründungsschriftstücke  machten  nach  langem  Hin  und  Her  dem 
Streit  zu  Gunsten  der  Mönche  ein  Ende.^) 

Nehmen  wir  zu  dieser  Nachricht  die  andere  hinzu,  dass  um  dieselbe  Zeit 
die  Klosterkirche  in  Schönau  umgebaut  worden  ist  von  dem  am  14.  Dez.  1510 
verstorbenen  Abte  D.  Joannes  Schwelm"),  so  liegt  nichts  näher  als  anzunehmen, 
dass  von  demselben  Abte,  der  wohl  auch  der  Reimschmied  war,  genau  zwischen 
1506  und  1510  die  Verse  an  die  Kirchenwand  gekommen  sein  müssen  zu  einem 
beständigen  Zeugnisse  für  alle  die  Klosterkirche  Besuchenden,  dass  dem  Kloster 
die  Ehre  der  Trutwinstiftung  gebühre.  Es  mussten  eben  Verse,  und  diese 
mussten  deutsch  sein,  und  ein  entsprechendes  Gemälde  musste  zu  ihrer  augen- 
scheinlichen Erläuterung   dienen,    dass  allen  Klosterbesuchern   der  dem  Kloster 


')  Widmann  35.  —  -)  Ebenda.  —  •')  Ebenda  37.  —  ")  S.  86  f.  —  ^)  Der  Wortlaut 
i8t  dieser:  „Rursum  frivole  [moniales]  objiciunt,  forum  Monasteriura  (verius  uutem  Clausorium) 
fundatura  fuisse  ante  nostrum  Monasterium,  ideoque  ad  ipsas  praedominationem  respicere  atque 
concernere,  nee  recolentes,  quod  Druthwino  lioc  in  loco  necato  sie  translatio  fratrum  de  Lipporn 
liunc  ad  locum  ex  contingenria  facta  est,  non  autem  fundatio  nova,  ergo  eramus  prius  in  isto 
Territorio;  sicque  responsum  est.  Postremo  ubi  ne;^otium  istud  vitiosum  ab  utrisque  partibus 
aliquandiu  vcntilatura  fuerat,  tandom  productis  iectiscjue  copiis  litterarum  fundationis  in  palam 
oniiiibus  Monialium  vel  Xoiinaium  tcmcrarius  succubuit  conatus."  —  Laut  Du  Cange-Henschel 
2,  bOO*"  ist  „coi)ia"  exemplum  acripti  -p-iD-cotönoo  aivc  ori^'inalis,  was  hier  um  so  näher  liegt, 
da  die  Mönche  doch  nur  mit  Üriginalschriften  etwas  beweisen  konnten.  —  ^)  Widmann  37 
und  Hu'.olinus,  Germania  top.  cliron.  stemmatograph.  Aug.  Vind.   1662.  2,  ISO*". 


110 

so  wichtige  Thatbcstand  für  immer  eingeprägt  werde,  —  eiue  Absicht,  die  so 
gründlich,  wie  wir  oben  bereits  andeuteten,  erfüllt  worden  ist,  dass  noch  heute 
die  Kunde  davon  im  Volke  lebt  und  diese  nebenbei  bemerkt  eben  jene  sog. 
Sage  darstellt,  der  seit  Wagner  eine  solche  Wichtigkeit  beigelegt  worden  ist'), 
als  sei  sie  ein  selbständiges  Erzeugnis  geschehener  Dinge  neben  den  schrift- 
lichen Berichten  her. 

Dürfen  wir  aber  mit  Fug  das  Bild-  und  Reimwerk  an  der  Schönauer 
Kirchenwand  den  Vorgänger  der  „Rettung"  von  1753  nennen,  so  haben  wir  in 
diesem  nicht  bloss  den  Ausdruck  des  ehrlichen  Glaubens  und  Rechtsbewusstseins 
des  Klosters  im  Unterschied  von  seiner  bewussten  Zusatzdichtung  zur  Logende 
Florins  zu  erkennen,  sondern  dürfen  auch  überzeugt  sein,  in  ihm  den  Auszug 
alles  dessen  vor  uns  zu  haben,  was  das  Kloster  an  ihm  rechtskräftig  erscheinenden 
Beweisen  für  seine  Gründung  besass,  mit  anderen  Worten,  den  Auszug  aus  dem 
von  ihm  auf  der  Tagfahrt  von  1506  vorgebrachten  und  vorgelesenen  „copiis 
litterarum  fundationis",  —  ein  Beleg,  im  Vorbeigang  gesagt,  dafür,  dass  nicht 
der  bekannte  Sündenbock  in  diesen  Dingen,  der  dreissigjährige  Krieg,  das 
Klosterarchiv  seiner  wichtigsten  Urkunden  beraubt  hat-),  noch  auch  etwas  von 
ihnen  zu  Mainz  sich  finden  kann.')  Eine  absichtliche  Dichtung  des  Klosters 
hierbei  muss  schon  um  deswillen  ausgeschlossen  erachtet  werden,  dass  es  von 
allen  auf  der  Tagfahrt  anwesend  Gewesenen,  namentlich  von  den  ihm  auf  den 
Dienst  lauernden  Nonnen  im  Falle  eigener  Erfindungen  des  Betrugs  geziehen 
werden  konnte. 

Das  vom  Kloster  Vorgebrachte  scheidet  sich  nun  aber  deutlich  in  drei 
Teile.  Den  einen  mittleren  Teil  (V.  13 — 44)  erkennen  wir  sofort  als  gereimte 
Wiedergabe  hauptsächlich  des  Endes  der  „miracula  s.  Florini  in  frantia  gesta." 
Die  Zuthaten  des  Reimers  beschränken  sich  lediglich  auf  unschuldige  Aus- 
schmückungen seiner  Vorlage;  sonst  ist  er  von  so  sklavischer  Treue  gegen 
diese,  dass  er  z.  B.  selbst  das  „colligens"  derselben  mit^» schätzt"  =  sammelt*) 
wiedergiebt. 

Der  andere  oder  Schlussteil,  den  wir  hier  vorausnehmen,  weil  wir  seinen 
Inhalt  zur  Erklärung  des  folgenden  benützen  müssen,  wird  von  der  Datums- 
angabe gebildet  und  beruht  offenbar  auf  einer  im  Kloster  vorhanden  gewesenen 
älteren  Aufzeichnung,  sei  diese  auch  nur  über  der  Klosterpforte  eingemcissclt 
gedacht,  da  wir  auch  ausserhalb  desselben  auf  deren  Kenntnis  stossen.  So 
hat  der  schon  vorhin  genannte  Pfarrer  M.  Joh.  Plebauus,  der  von  1606 — 1618 
in  dem  benachbarten,  Schonau  unterstellten,  Welterod  amtierte,  nach  den  Mit- 


')  Annal.  1,  2,  197,  Vogel,  Beschr.  287,  Schliephakc  1,  100,  "Widniftnn  31;  ein 
Jahrhundert  aber  vor  ihnen  schon  Reinhard,  Jurist,  und  bist,  kleine  Ausführungen.  Giesseu 
1747,  2,  105,  wenigstens  in  Bezug  auf  die  Burg  „Lüpern".  —  Die  schweizerische  Herkunft  der 
,, Herrn  von  Lüppern"  findet  schon  bei  Schliephake  genügende  Beleuchtung.  Docli  liut  dies 
Roth  nicht  abgebalten,  dieselbe  frischweg  aufs  Neue  zu  behaupten.  Visionen  X.!  Das  Un- 
geheuerlichste in  dieser  Richtung  hat  er  indessen,  nebenbei  bemerkt,  S.  VIII  geleistet,  indem 
er  einen  .,Mann  Namens  Tu(»to"  mit  unserem  Tuto  verkoppelt  und  diesen  dann  von  1089  —  1117  eine 
so  artige  Geschichte  mit  Schaffliausen  spielen  lässt.  da.ss  man  seinen  Augen  nicht  traut.  — 
-)  „Rettung"  u.  s.  w.  325,  Widmann  42.  —  •')  „Rottung"  2,  Anm.  —   ')  Lcxcr  2,  673. 


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tcilungen  Widnianns^)  aus  zweien  seiner  Berichte  von  1613  und  1634  neben 
dem  wohl  nur  irrtümlichen  Jahre  1121  zweimal  das  Jahr  1126  als  Gründun jrs- 
zeit  Schönaus  und  wohl  auch  Todesjahr  Trutwins  bezeichnet.  Seine  Angabe 
ist  für  uns  um  so  bedeutsamer,  als  er  unter  dem  „der  evangelischen  Lehre 
zugethanenen  Abte"  Lorichius  (f  1613)  Gelegenheit  genug  gehabt  haben  wird, 
sich  genaue  Kenntnisse  aus  dem  Klosterwissen  zu  verschaffen.  Ebenso  be- 
deutsam erweist  sich  die  kurze  Nachricht  bei  dem  gleichzeitigen  Textor^): 
„Trudewin  ist  im  Jahre  1126,  da  jetzt  das  Closter  Schönaw  ligt,  erschlagen 
worden." 

Der  dritte,  in  Wahrheit  erste,  Teil  endlich  enthält,  wie  V.  6.:  „Bin  ich 
erfahren  wohl  durch  ihre  schrift"^)  klärUch  darthut, —  wir  können  diese  nüch- 
terne Wahrheit  den  Schwärmern  für  die  „Sagen  und  Lieder  der  nassauischen 
Heldenzeit"  seit  Vogt^)  nicht  ersparen  —  den  Auszug  aus  den  noch  heute 
uns  vorliegenden  Urkunden  nach  der  Deutung  des  Klosters,  und  eben  deshalb 
Wahrheit  und  Dichtung!  Diese  bereits  von  der  „Rettung"')  fehlerhaft  abge- 
druckten Urkunden  sind:  1)  die  undatierte  aus  den  Jahren  zwischen  1102  und 
1124,  laut  welcher  „Tuto  de  Lurenburg  advocatus  lietprunin  locum  ipsum 
in  comitatu  Ludu\ici  situm  cum  omnibus  bonis  ad  ecclesiam  illam  pertinentibus" 
dem  „Schafflmsensi  monasterio"  übergiebt,  und  2)  die  vor  dem  13.  September^) 
1132,  in  welcher  Adelbert,  Erzbischof  von  Mainz,  bekundet,  dass  „Ruobertus 
de  Luorenburch",  sein  „cognatus",  das  „monasterium  Sconoue  in  predio  suo 
fundatum"  dem  Erzstifte  Mainz  übergeben  habe. 

Aus  der  ersten  erwächst  uns  zunächst  „Dudo  zu  Lippurg"  (V.  9).  Aller- 
dings „eyn  seltzemDing",  nur  in  anderem  Sinne  als  dem  des  Bruders  Versmacher, 
wenn  man  erwägt,  dass  dieser  klärlich  den  geschichtlichen  „Tuto  de  Luren- 
burg" aus  einem  Yogt  der  Kirche  zu  „Lietprunin"  mit  seinen  Brüdern  zum 
Herrn  von  Lipporn  macht,  während  doch  Trutwin  nach  der  Urkunde  nur  ein 
„predium  Lietprunin"  d.  h.  eben  dort  besessen  und  der  Kirche  des  Orts  ge- 
schenkt hatte,  der  Ort  selbst  aber  so  wenig  Eigentum  der  Laurenburger  war, 
dass  er  noch  1361  als  gemeinsamer  Besitz  der  „Yierherrn"  erscheint"),  wie 
Strüth  und  Welterod,  allerdings  nur  in  dem  Sinne,  dass  die  Vierherrn  daselbst 
bloss  Gerichts-  und  Centherren  waren,  während  Schönau  das  Hubengericht  über 
sie  in  späterer  Zeit  besass.^)  Es  kommt  das  aber  offenbar  aus  demselben  Miss- 
verstand des  Wortes  „locus"  der  Urkunde  her,  den  sich  auch  die  , Rettung"^) 
liat  zu  Schulden  kommen  lassen  und  den  bereits  Kremer'°)  ausführlich  klarzu- 
stellen bemüht  war,  ohne  dass  freilich  Roth  sich  davon  abhalten  liess,  ihn  zu 
erneuern.^')    Der  gute  Bruder  verstand  unter  „locus"  den  Ort  Lipporn  selber, 

')  S.  36  f.  — -)  Naszawische  Chronick.  Herborn  1617,  56.  —  ■•)  Mit  richtigem  Gefühl 
hatte  Widmann  diesen  Vers  gesperrt  drucken  lassen,  aber  ,,ihre''  d.  i.  der  Urkundenstellcr 
,, Schrift"  mi^skennend,  S.  41  gemeint:  „Demnach  hatte  der  Sclireiber  der  deutschen  Reime 
noch  eine  andere  Vorlage  als  die  „Legende",  d.  h.  überlieferte  schriftliche  Erzählung."  — 
*)  Rhein.  Gesch.  und  Sag.  2,  373.  —  ")  Bcyl.  I.  und  III.  Kremer,  IL,  151  f.,  158  tf.  (letztere 
aus  Gudeni,  Cod.  dipl.  1,76.)  Schliephake  1,  196  f.  und  198  f.  Sauer,  Nass.  Urkb.  1,  127  f. 
—  *)  „Nach  Massgabe  des  Regierungsjahres  des  Königs,"  Sauer  a.  a.  O.  127.  —  ')  Annalen 
23,  69.  83  f.  —  ")  „Rettung'-  35  ff.  und  45.  —  ')  S.  5  f.  —  '")  Orig.  1,  305.  —  "j  Die 
Visionen  der  hl.  Elisabeth,  IX. 


121 

der  zu  seiner  Zeit  freilich  dem  Kloster  gehörte,  während  nur  die  Kirche  mit 
ihrem  Zubehör  von  Gütern  damit  gemeint  war,  wie  der  Zusammenhang  klar 
ergiebt.  Weil  nun  Tuto  das  ganze  Dorf  verschenken  konnte  nach  des  Yers- 
kiinstlers  Annahme,  war  er  ihm  auch  Herr  von  Lipporn,  und  er  ward  bestärkt 
in  diesem  Gedanken  durch  die  angebliche  frühere  Burg  daselbst,  die  nach  den 
bisher  nur  von  dem  Nichtfachmann  Wagner  untersuchten  Resten  einer  Ring- 
mauer^) aus  Bruchstein  und  Lehm,  der  berühmten  ^Burgschale"  seit  Reinhard^), 
ohne  jegliche  Innenreste  freilich  nichts  weniger  als  eine  solche,  vorsichtig  ge- 
sprochen, gewesen  zu  sein  scheint,  obgleich  sie  in  dieser  Eigenschaft  die  tapferste 
Verteidigungsmannschaft  von  1525^)  an  bis  auf  den  heutigen  Tag  an  einer 
ganzen  Reihe  Geschichtschreibern  gefunden  hat.^)  Doch  nein,  —  warum  nicht 
endlich  diese  romantische  Mannschaft  zur  Waffenstreckung  zwingen?  —  nein, 
nicht  die  angebliche  Burg  hat  den  Dichter  geschaffen,  sondern  der  Dichter 
die  schon  sprachlich  ganz  unmögliche  „Lippurg".  Was  keines  „Sängers  Fluch" 
jemals  niederzureissen  gehabt  hätte,  einzig  unseres  Sängers  kühner  Flug  baute 
das  „seltzem  Ding,  das  man  izundt  nennt  vff  dem  Rinck"  zu  einer  Burg  aus 
und  belebte  es  mit  Rittern  und  Knechten,  indes  der  nüchterne  Sinn  des  Volkes 
des  Dichters  „Azelln  und  Specht"  in  den  Trümmern  eines  soviel  richtiger  von 
ihm  bezeichneten  alten  Volksbollwerks  wohnen  liess.'')  Was  aber  nötigte  den 
Schönauer  Mönch  zu  dieser  völlig  freien  Dichtung  seiner  Phantasie?  Offenbar 
die  Absicht,  den  Rechtszusammenhang  zwischen  der  ehemaligen  Propstei  Lipporn 
und  der  Abtei  Schönau  stillschweigend  Ausdruck  zu  geben,  da  er  es  in  der 
für  die  Unterschrift  unter  einem  Gemälde  nötigen  Kürze  nicht  rund  brachte, 
der  Stiftung  von  Lipporn  selbständig  zu  gedenken.  Denn  wunderbarer  Weise 
ist  von  dem,  was  diese  „Drey  brüder  han  gestifft"  dem  Dichter  alles  ausser  der 
Stiftung  des  einen  Trutwin  in  der  Feder  stecken  geblieben,  wie  denn  der  Zu- 
sammenhang des  Ganzen  so  sehr  keiner  ist,  dass  ein  Abgrund  gähnt  zwischen 
den  zwei  ersten,  nur  als  Statisten  aufgeführten  Brüdern  und  dem  letzten,  dem 
als  eigentlichem  Stifter  der  Löwenanteil  am  ganzen  Schönauer  Epos  wird. 

Kommen  wir  nun  aber  vor  dem  zweiten  zu  diesem  letzten  Bruder,  um 
den  Zusammenhang  mit  der  Urkunde  zu  wahren,  aus  der  der  Mönch  seinen 
Tuto  nahm.  Dort  ist  freilich  von  keinem  Bruder  Trutwin  die  Rede  und  wenn 
unsere  Geschichtschreiber  recht  hätten,  so  wäre  das  auch  eine  Unmöglichkeic. 
Denn  ihnen  ist  es  ein  Trutwin  des  10.  Jahrhunderts,  Vogels  „Drutwin  L",  eben 

')  Von  der  jetzt  aber  nichts  mehr  vorhanden  ist.  Vergl.  Lotz-Schneider,  Die  Bau- 
denkmäler des  Reg.-Bez.  Wiesbaden.  Berlin  1890,  299.  —  ^)  Jur.  und  hist.  kl.  Ausf.  2,  105. 
—  •^)  S,  die  wundersamen  Dokumente  über  die  Herren  von  Löpern  etc.,  die  auch  Textor  so 
treuherzig  wiedergiebt,  bei  Orlers,  La  genealogie  des  illustres  comtes  de  Xassav.  Leyden  1615, 
fol.  8.  2  if.  —  *)  Textor  32.  Tolner,  Historia  Palatina,  Frankf.  a/M,  1700,  183.  Reinhard 
a.  a.  0.  Vogel,  Beschr.  287.  Schliephake  1,  98  tl'.  Widniann  33.  —  ')  Der  Gemarkungs- 
name „Ring"  findet  sich  nach  Kehre  in  3,  528  auch  im  Gebiete  des  benachbarten  Welterodi 
wie  in  dem  von  Blessenbach  bei  Runkel.  Xacli  Grimm,  Deutsclies  Wbch.  7,  990  wird  das 
Wort  von  Erdwällen  gebraucht,  bei  Fürs temann,  Die  deutsch.  Ortsnamen.  Nördlingen  1863, 
2,  770  kommt  es  in  der  Bedeutung  von  Befestigungswerk,  bei  Bück,  Oberdeutsches  Fhir- 
iiamenhucli,  Stuttg.  1880,  S.  219  als  runder  Hügel,  auch  Ringmauer  vor.  Letzterer  Name 
findet  sich  viellTdtig  im  Nassauischen,  vergl.  Kehre  in  a.  u.  0.  502. 


122 

der,  den  die  Schönaucr  Zugabe  zur  Florinlegcnde  zu  nennen  scheint.  Nur  hat 
sich  dann  das  Merkwürdige  zugetragen,  dass  Tuto  von  Lurenburg,  der  Mann 
des  12.  Jahrhunderts,  indem  er  die  Propstei  Lipporn  für  seine  Seele  und  die 
seiner  „parentum",  „Precipui  trutwini"  stiftet,  einem  Vorfahren  das  Denkmal 
gesetzt  haben  so'l,  welches  dieser  nach  der  Legende  200  Jahre  lang  vergeblich 
gewünscht  hatte!  Hier  aber  haben  wir  nun  eine  wirkhche  Hilfe  an  unserem 
Schönauer  Barden.  Wir  empfangen  von  ihm  nämlich  einen  dreifachen  Auf- 
schluss  über  das  uns  "Wissenswerte,  der  als  die  amtliche  Auffassung  des  Klosters 
seiner  Zeit  mit  einiger  Sicherheit  die  Überlieferung  des  Klosters  überhaupt 
darstellen  wird.  Aus  den  bereits  besprochenen  Schlussversen  des  Gedichtes 
zunächst:  „Mann  Schreib  Datum,  sag  ich  fürwar,  Dausend  Hundert,  Zwanzig 
sex  Jar",  gewinnen  wir  die  Gewissheit,  dass  das  Kloster  seine  lateinische  Grüud- 
ungslegende,  unbekümmert  um  die  groben  Zeitverstösse  ihres  Verfassers  in's 
12.  Jahrhundert  verlegt,  wie  nach  unserer  Beweisführung  oben  der  Verfasser 
schliesslich  selber;  Trutwin  also  diesem  Jahrhundert  angehört,  ja  wo  möglich 
in  dem  bezeichneten  Jahre  gefallen  sein  soll.  Sodann  wird  unter  dieser  Vor- 
aussetzung klar,  dass  das  Kloster  in  den  „parentes'^  der  Urkunde  genau  das 
sieht,  was  Du  Cange-HenscheP)  von  „parens"  als  „sanguine  proximus, 
agnatus,  cognatus"  schreibt,  die  Blutsverwandten;  mithin  der  siegesgewisse  Schluss 
Vogels^),  der  an  Schliephake^)  einen  so  warmen  Lobredner  und  an  Widmann*) 
und  Koth^)  bis  heute  so  treue  Gläubige  gefunden  hat,  der  Schluss:  „In  einer 
Urkunde,  die  zwischen  1102  und  1124  abgefasst  ist,  zählt  Dudo  IV.  von  Lauren- 
burg, Vogt  von  Lichtborn,  den  Drutwin,  der  die  Kirche  von  Lichtborn  gestiftet 
und  dieser  Stiftung  sein  praedium  daselbst  von  seinem  Patrimonialgut  zugewandt, 
ausdrücklich  unter  seine  Vorälter n,  von  welchen  er  diesen  allein  anführet 
und  für  dessen  Seelenheil  vorzugsweise  sorgt.  Dadurch  stehet  die  Sache  über 
allem  Zweifel  da!'  —  als  leere  Seifenblase  zerrinnt  und  Trutwin  als  Zeitgenosse 
Tuto's  erscheint,  der  sogar  zur  Zeit  der  Gründung  des  Klosters  Lipporn  noch 
am  Leben  war.  Denn  so  fasste  offenbar  der  Mönch  mit  seinem  Kloster  die 
Stelle  des  Tuto'schen  Stiftungsbriefes  auf,  wo  es  von  Trutwin  heisst:  „qui  de 
suo  patrimonio  istud  predium  Lietprunnin  quasi  deo  decimam  optulit  in  sacri- 
ficium",  da  in  der  oben  mitgeteilten  Stelle  aus  den  „Annalibus  Schönaugiensibus" 
ausdrücklich  gesagt  wird:  „Quod  Druthwino  hoc  in  loco  necato  sie  translatio 
fratrum  de  Lipporn  hunc  ad  locum  ex  contingentia  facta  est",  was  sich  durch- 
aus deckt  mit  dem  von  Plebanus^)  erhaltenen  Berichte:  „Sic  olim  legi  in  anti- 
quo  manuscripto^) :  monasterium  S.  Florini  in  Sconaugia  Treverensis  Dioecesis 
fundatum  est  a  Drutwino  Comite    de  Lurenburg  Ordinis  S.  Benedicti^)  in   pro- 


')  5,  94'.  —  *)  Beschr.  288.  —  ^)  1,  96.  Von  dem  Ursprünge  des  Hauses  Nassau. 
WIcsb.  1857,  54.  —  *)  Annal.  18,  33.  43.  —  ^)  Die  Visionen  VIII.  —  «)  Widmann  37.  — 
')  In  welciiem  wir  aber  nicht,  wie  Widmann,  die  die  Legende  enthaltende,  sondern  eine 
andere  Han<lschr.  mit  Aufzeiclmungcu  aus  der  Klostergoschichte  selien,  da  die  Logende  nichts 
von  dem  Hoclialtarc^  als  Bezeiclinung  dr'S  Todesortes  Trutwins  erzählt.  Allerhöchstens  dürfte 
an  eine  andere  Rezension  derselben  gedaclit  werden.  —  "J  Dass  dadurch  Trutwin  als  Bene- 
diktiner bezeichnet  sein  solle,  wie  Widmann  halbwegs  annehmen  möchte,  ist  doch  wohl  durch 
die  Bezeichnung  „comes"  ausgeschlossen.  ,, Ordinis  S.  Benedicti"  gehurt  olTenbar  zu  „mona- 
sterium.'' 


123 

priü  fiindo,  qui  vulncrahis  in  loco  ubi  sunimum  altarc  stat,  satis  dutavit  locum, 
translato  Prioratu  de  Lipporn  fecit  abbatiaml"  —  Dass  aber  Trutwin  auch  Bruder 
Tuto's  war,  das  folgt  unserem  Mönche,  wenn  er  es  nicht  aus  der  Überlieferung 
des  Klosters  hatte,  aus  der  Stelle  der  Urkunde,  wo  es  heisst:  „si  ego  [Tuto] 
vel  aliquis  de  proxima  consangwinitatis  linea  succedens  advocatus."  In  der 
nächsten  Linie^)  liegt  für  Tuto  der  Sohn  oder  Neffe,  in  der  gegenwärtigen  also 
der  Bruder. 

Nun  erst  kommen  wir  zu  dem  dritten  angeblichen  Bruder,  den  der  über- 
lieferte Text  „Rupertus"  nennt,  wir  aber  Albertus  oder  Alpertus  lesen  zu  müssen 
meinen.  Es  führt  uns  das  zu  der  oben  angezogenen  Urkunde  von  11-32,  in 
welcher  die  beiden  Namen  vorkommen:  „comes  Ruobertus  de  Luorenburch"  und 
„Adelbertus  Dei  gratia  Moguntinus  Archiepiscopus  et  Apostolice  sedis  Legatus." 
Indem  wir  aber  diese  Urkunde  allein  massgebend  sein  lassen,  brechen  wir  gleich- 
zeitig den  Stab  über  den  Versuch  Vogels  und  seiner  Nachfolger,  den  Rupertus 
des  überlieferten  Textes  als  wirklichen  Erzbischof  von  Mainz  nachweisen  zu 
wollen,  wenn  dies  überhaupt  noch  möglich  wäre,  nachdem  es  der  Text  und 
die  Geschichte  schon  längst  besorgt  haben.  Der  Text,  indem  er  mit  seinem 
ausdrücklichen  Jahre  1132  keinen  Mainzischen  Erzbischof  des  10.  Jahrhunderts 
meinen  konnte.  Die  Geschichte,  indem  sie  berichtet,  dass  jener  Erzbischof 
Ruprecht  von  Mainz  von  970 — 975  kein  Nassauer,  sondern  ein  Sachse  war.^) 
Ob  nun  aber  auch  „Rupertus  verstehent  mich  auch  recht.  Ein  Bischoff  zu 
Meintz  vundt  Gottes  Knecht"  fallen  muss  ?  Wir  geben  zu  erwägen,  dass  unsere 
Urkunde  von  1132  das  Kloster  Schönau  dem  Mainzer  Stuhl,  bezw.  dem  hl.  Martin, 
d.  h.  dem  Mainzer  Dom  übergiebt,  dass  Schönau  nach  ihr  gehalten  war,  das 
Jahrgedächtnis  der  Ordination  wie  des  Todes  der  Mainzer  Erzbischöfe  zu  feiern, 
und  alljährlich  „in  festo  beati  Martini"  ein  reines  Sakramenttuch'')  auf  den 
Altar  der  Domkirche  „in  meraoriam  et  argumentum  quod  eins  coenobium  de  patri- 


')  „Linie  (linea)  heisst  die  fortlaufende  Reihe  der  Abstammenden,"  Wetzer  und  Weite, 
Kirchenlexikon,  Freiburg  1856,  12,  1227.  —  ^)  Damit  dieser  Irrtum  ein  für  allemal  aus  der 
nass.  Geschichte  ausgerottet  werde,  bemerken  wir  hier  ausdrücklich,  dass  Vogel,  Beschr.  286, 
Anm.  2  sich  eines  schweren  Versehens  schuldig  macht,  wenn  er  als  Beleg  zu  seiner  im  Text 
angeführten  Behauptung  schreibt:  „Joannis  SS.  Rer.  Mogunt.  1,  447,  wo  aber  über  seine 
[Ruprechts]  Herkunft  nur  Mutmassungen  mitgeteilt  werden,  die  ihn  für  einen  Sachsen,  aber 
auch  für  einen  Lothringer  ausgeben."  Joannis  sagt  1,  447,  2  von  Rupertus:  „Illustri  apud 
Saxones  genere  natum  fuisse,  chronicon  tradit  magdeburgense  mscr.:  Quo  [Hattone]  post  annum 
subtracto  successit  Rotbertus,  ex  nobilissimo  Saxonum,  sicut  adhuc  perspiouum  est  in  his,  «jui 
ex  eius  genere  descendcrunt,  et  primus  inter  principes  regni".  S.  448  dagegen  widerlegt  er 
den  dritten  Irrtum  des  Compilators  des  „Mscr.  minoris"  mit  den  Worten:  „Tertiura  fuisse  Rupertum 
hunc  e  Lotharingiae  Ducibus,  cuius  multae,  inquit  idem  ms.,  in  Spanheim  hodie  monstrantur 
reliquiae.  At  permiscet  compilator  hie  S.  Rupertum,  cuius  vitam  Hb.  II  dedi,  cum  Arohiepi- 
scopo  hoc  Ruperto  nostro,  ut  ex  illa  ipsa  vita,  in  qua  etiam  anno  aetatis  suae  XX.  mortuus 
scribitur,  darum  est  et  ex  iis,  quao  de  illo  Sancto  plura  sparsit  in  Spanheimensi  cronico  Tri- 
themius"  etc.  Trotzdem  kann  noch  Schliephake  1,  98  schreiben:  „Den  Erzstuhl  zu  Mainz 
hatte  ein  Ruprecht,  über  dessen  Herkunft  man  lange  im  Unklaren  gewesen  ist,  in  den  Jahren 
von  970—975  inne"!!  —  ^)  „mundum  corporale",  „nämlich  ein  Tucli,  das  mit  Beziehung 
auf  Luc.  23,  53  von  Leinwand  ist  und  daher,  weil  der  hl.  Leib  (Corpus)  darauf  gelegt  wird, 
Corporale  heisst",  Wetzor  und  Weite  2,  880  f. 


124 

monio  sit  Beati  Martini"')  zu  liefern.  Sollte  unter  diesen  Umständen  wohl 
denkbar  sein,  dass  Schönau  die  „series  archiepiscoporum  moguntinorum"  unbe- 
kannt o-ewesen  sei?  Noch  mehr,  die  nassauischen  Klöster  hatten  doch  wohl 
alle  wegen  ihrer  örthchen  Nähe  Kunde  von  ihrer  gegenseitigen  Gründung;  und 
da  sollte  es  Schönau,  dem  Mainzischen  Kloster,  wenn  schon  im  Trierer  Sprengel, 
aus  dem  Gedächtnis  gekommen  sein,  dass  ein  Jahr  vor  seiner  Übergabe  an 
Mainz  dessen  Erzbischof  Albertus  senior  das  Kloster  Eberbach  gestiftet  hatte^); 
derselbe  Erzbischof,  unter  dem  auch  Norbert  geblüht,  der  gewissermassen  geistige 
Stifter  des  1139  gegründeten  nahen  Praemonstratenserklosters  Arnstein!^)  Aber 
abo-esehen  von  diesem  allem,  war  angesichts  der  vom  Kloster  als  Fundations- 
brief  erachteten  Urkunde  von  1132  die  Nennung  eines  Rupertus  als  Mainzischen 
Erzbischofs  in  einer  öffentlichen  und  bleibenden  Kundgabe,  wie  dem  Gedicht 
der  Kirchenwand,  rein  unmöglich,  wenn  die  Mönche  sich  nicht  —  wir  sprachen 
schon  oben  davon  —  der  Gefahr  aussetzen  wollten,  einer  offenbaren  Fälschung 
bezichtio-t  zu  werden.  Es  erscheint  demnach  als  zwingende  Notwendigkeit,  den 
überlieferten  Rupertus  des  Gedichtes  als  einen  Irrtum  des  Abschreibers  fallen 
zu  lassen.  Liegt  es  doch  gar  nicht  ferne  bei  der  Ähnlichkeit  des  jedenfalls 
nach  Gewohnheit  der  Zeit  gotisch  geschriebenen  „Ru-"  und  etwa  ^All-"  ein 
Versehen  anzunehmen,  wenn  man  nicht  will,  dass  der  Abschreiber  etwa  nur 
noch  ein  „pertus"  oder  „bertus*  als  Rest  des  Wortes  vorfand  und  nach  seinem 
Gutdünken  ergänzte. 

Müssen  wir  aber  den  des  Versfusses  wegen  zum  Albertus  gemachten 
Adelbertus'^)  der  Urkunde  an  Stelle  des  herkömmlichen  , Rupertus*  setzen,  so 
frafft  es  sich  nur,  wie  konnte  unser  Versmacher  diesen  für  einen  Bruder  Tutos 
oder  Trutwins  ansehen,  da  doch  „Adelbertus  I.  sive  Albertus  I.  aut  senior", 
wie  ihn  Joannis  aufführt'^),  ein  Graf  von  Sarbrücken  war?  Wir  meinen  ein- 
fach infolge  eines  Schlusses  aus  dem  ,cognatus  noster",  als  welchen  Erz- 
bischof Adelbert  den  Grafen  ,Ruobertus  de  Luorenburch"  in  der  Urkunde  be- 
zeichnet. Nun  ist  freilich  „cognatus"  zunächst  dem  Lateiner  nur  der  Bluts- 
verwandte im  allgemeinen,  aber  dem  Mittelalter  Übersetzung  von  ^neve",  was 
ebensogut  den  Schwester-  und  Brudersohn,  wie  selbst  den  Oheim  und  danach 
allgemein  den  Verwandten,  den  Vetter  bezeichnen  kann.'')  Bezeichnender  Weise 
steht  darum  über  einem  Briefe  des  Schönauer  Abtes  Symon,  der  in  demselben 
von  Elisabeth    als    seiner  Muhme  (matertera)  redet:    „Incipit   epistola   Symonis 


')  Diese  Bedingungen  fehlen  freilich  in  den  beglaubigten  Abschriften  der  Urk.,  welche 
Nassau  in  dorn  Streite  mit  Schünau  vorlegte,  wie  schon  Kremer  2,  161  bemerkt  und  Sauer, 
Xass.  Urkb.  1,  127  wiederholt;  aber  freilich  nicht  mit  Recht,  wie  denn  die  Behandlung  Schönaus 
seitens  Nassaus  nicht  eben  die  säuberlichste  zu  nennen  sein  wird.  —  ^)  Joannis,  Rer.  Mogunt. 
1,  .546.  Zais,  Beitrüge  zur  Geschichte  des  Erzstifts  Mainz.  Wiesbaden  1880,  6.  Widmann, 
Die  Erbacher  Chronik  des  Mainz.  Erzstiftes  in  „Neues  Archiv  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsch. 
Geschichtskunde.'*  Hannover  1888,  13,  133.  —  ^)  Vita  Ludovici  bei  Kremer  2,  367.  Joannis 
1,  .541.  —  *)  Förstcmann,  Altdeutsches  Namenbuch  1,  140  —  142  bietet  aus  der  ahd,  Zeit 
unter  anderen  folgende  Varianten  des  Namens:  Adalberecht,  Athall)raht,  Adalbert,  Adelbrecht, 
Adelport,  Alprecht,  Albert;  nhd.  Albert,  Albrecht,  Allepracht,  und  als  Vorname  Adalbert.  — 
Die  vorhin  angezogenen  Mainzer  Chroniken  nennen  unseren  Adelhertus  nur  Alliertus.  —  ■')  1,  533. 
—  "J  Lexor  2,    Dl;    luicli  ahd.   novo  ^  nepos,    subriuus,    cognatus     Gruff  2,  1052. 


i2r> 

cognati  beate  Elizabeth  de  Sconaugia  cenobio  de  ipsa  bcata  Elizabeth  I"M  Was 
hinderte  also  dou  Schüuauer  Münch,  aus  ,C()gnatu3'*  einen  wirklichen  Neffen  zu 
machen?     Lag  es  ihm  doch  nahe,  so  am  besten   die  auffällige  Übergabe  eines 
Trierischen  Klosters  in  Mainzische  Hände  zu  deuten.    Über  die  wirklichen  Ver- 
wandtschaftsverhältnisse  geben  ja    die  Erzbischofsverzeichnisse  keine  Auskunft. 
Und  es    ist    auch    bis  heute  nicht  einmal  versucht  worden,   den  Grad  der  Ver- 
wandtschaft zwischen  Erzbischof  Adelbert  und  dem  Grafen  Ruprecht  von  Lau- 
renburg festzustellen.^)     Ist  aber  Adelbert  Oheim  Ruprechts  für  den  Schönauer, 
dann  hat  er  auch  ein  Recht,  ihn  den  Bruder  Trutwins  und  Tutos  sein  zu  lassen. 
Damit  scheint  uns  der  Würdigung  der  Quellen  der  sogenannten  Schönauer 
Sage  Genüge  geschehen,    und    wir   haben    wohl    nach  allem  Vorgebrachten  die 
Erlaubnis  zu  erklären,  dass  fürder  das  Recht,  noch  von  dieser  ^Sage"  zu  reden, 
verwirkt   ist.     Was    als  Sage    seither   gefasst  werden  wollte,   hat  sich  uns  teils 
als  absichtliche  und  dazu  recht    plumpe  Dichtung,    teils   als   verkehrte  Schluss- 
folgerung aus  geschichtlichen  Thatsachen  entlarvt.    Nach  Abzug  beider  ergiebt 
sich  nur  folgender  geschichtlicher  Rest:    1.  Trutwins  gewaltsamer  Tod,  2.  sein 
Bruderverhältnis  zu  Tuto,   3.  seine  Beziehung    zur  Klostergründung.     Weiteres 
wird  sich    später  ergeben.     Und  es  ist  nun  unsere  Aufgabe,  an  der  Hand  der 
Geschichte  diesen  Rest  zu  bestätigen,  indem  wir  gleichzeitig  nachweisen,  warum 
man  zur  Dichtung  oder  deutlicher  Geschichtsfälschung  griff  und  darum  nachher 
falsche  Schlüsse  ziehen  musste. 

Damit  treten  wir  in  den  zweiten  Teil  unserer  t^ntersuchung  ein,  in  welchem 
wir  den  Ausgangspunkt  von  einer  anderen  Gründung  dieser  Zeit  nehmen  müssen, 
die  äusserhch  besehen  nichts  mit  der  von  Schönau  gemein  zu  haben  scheint, 
von  der  der  Burg  Nassau.  Die  Notwendigkeit  für  diese  scheinbare  Abirrung 
wird  sich  indes  alsbald  ergeben. 

Wir  erfahren  aus  der  Randbemerkung  auf  einer  alten  Abschrift  des 
nassauischen  Teilungsbriefes  vom  Jahre  1255,  dass  das  „Castrum  de  Nassau  er- 
bawet  an.  1101"  ist.")  Wer  die  Erbauer  gewesen,  wird  nicht  gesagt;  wir  gelangen 
gleichwohl,  mit  Hilfe  zweier  Urkunden,  zur  sicheren  Kunde  ihrer  Namen.  Die 
erste  vom  Jahre  1159'*),    die  den  Lehnsvertrag  zwischen  Erzbischof  Hillin  und 


')  S.  bei  Roth,  Die  Visionen  etc.  154.  —  ■)  Auch  Schliephake  1,  137  Anm.  und  168 
begnügt  sich  mit  der  Urkundenangabe  „Cognat"  ;  unsere  Ermittelung  s,  unten.  —  ^)  Reinhard 
a.  a.  O.  2,  151.  Schliephake  1,  161.  Diese  Angabe  beruht  freilich  auf  falscher  Lesung. 
Die  richtige  lautet  nach  des  letzteren  „Zusätzen"  1,  485:  .,Castrum  in  Nassau  erbawt  Ao.  1001.« 
Indes  diese  stellt  sich  als  offenbarer  Schreibfehler  dar,  wie  Schliephake  treffend  nachweist. 
Richtig,  wenn  freilich  wohl  nur  annähernd,  kann  einzig  1101  sein  und  der  Schreibfehler  rülirt 
vermutlich  daher,  dass  sein  Schreiber  ein  MC  vor  Augen  hatte,  das  er  in  Gedanken  zu  1001 
umsetzte,  statt  die  runde  Zahl  1100  zu  sclireiben,  die  als  die  ungefähre  die  entsprechendste 
sein  wird.  Es  ist  deshalb  vollkommen  angemessen,  dass  Schliephake  die  falsche  Lesart  als 
die  annähernd  richtige  Angabe  aufrecht  erhält,  wie  wir  hier.  Denn  für  sie  zeugen  die  Ur- 
kunden von  1159,  deren  Besprechung  1,  182  tf.  wir  nur  beizufügen  haben,  dass  die  doppelte 
Darstellung  der  Sachlage  einen  eigentümlichen  Zuwachs  erhält  durch  die  Worte  des  päpst- 
liclien  Schreibens  von  1154:  „bona  eorum  de  Castro  Xassow  et  circum  positis  locis  —  —  vio- 
lenter  detinere  prosumunt".  —  *)  Schannat,  Historia  wormat.  2,  78  tf.  Reinhard  2,  175  ff, 
v.  Hontheim,  Hiatoria  trevirensis'dipiom.  1,  585  ff   Schliephake  1,  200  tf.    S.  184  ff.    Daselbst 


120 

dem  Hause  Laurenburg  wegen  Burg  und  Hofgut  Nassau  enthält,  berichtet,  dass 
die  „predecessores  ruoberti  et  arnoldi  de  Lurenburch"  auf  dem  der  Wormser 
Domkirche  gehörigen  Gebiete  die  Burg,  aller  Einsprache  derselben  ungeachtet, 
erbaut  haben.  Die  andere,  der  Drohbrief  des  Papstes  Anastasius  vom  Jahr  1154^), 
meldet,  dass  der  Vater  der  genannten  beiden  Grafen,  einer  der  ^predecessores", 
deswegen  in  den  Bann  gethan  worden  und  darin  jählings  verstorben  sei.  Nun 
wissen  wir  aus  der  Lebensgeschichte  des  Grafen  Ludwig  von  Arnstein^),  dass 
,Rupertus  et  Arnoldus"  Söhne  des  mit  der  vierten  von  den  sieben  Arnsteiner 
gräflichen  Schwestern  vermählten  ungenannten  Nassauers  waren.  Anderseits 
hat  sich  uns  aus  dem  oben  gemeldeten  Wissen  der  Schönauer  des  angehenden 
16.  Jahrhunderts  ergeben,  dass  Graf  Ruprecht  ein  Neffe  des  Grafen  Tuto  und 
dieser  ein  Bruder  Trutwin's  war.  Trutwin  ist  also  ohne  Zweifel  Vater  Ruprechts 
und  Arnolds,  wie  ihrer  Schwester  Demudis;  ob  mit  Tuto  auch  der  „predecessor" 
beider,  werden  wir  weiter  unten  sehen.  Zu  dem  gleichen  Ergebnis  ist  nun 
zwar  auch  Vogel^)  mit  seinem  Nachfolger  Schliephake^)  auf  dem  Wege  blosser 
Vermutung  gekommen.  Nichtsdestoweniger  aber  hat  der  von  uns  soeben  er- 
.  schlossene  Trutwin  samt  seinem  Bruder  nichts  zu  schaffen  mit  Vogels  „Drut- 
win  IV."  und  „Dudo  IV.",  denn  der  von  ihm  für  beide  aufgerufene  Eintrag 
des  „Liber  Tradit.  Blidenstat."  vom  Jahr  1076^)  kann  unsere  gräflichen  Brüder 
unmöglich  meinen.  Es  ergiebt  sich  das  aus  einem  Vergleich  mit  dem  Lebens- 
alter der  uns  bekannten  Arnsteinischen  Zeitgenossen  beider. 

Da  ist  vor  allem  Trutwin's  Schwager,  Graf  Ludwig  II.  von  Arnstein.  Von 
ihm  berichtet  die  lateinische  Lebensbeschreibung  seines  Sohnes,  dass  er  bei 
dessen  Eintritt  in  die  Jünglingsjahre  gestorben  sei;  wobei  bemerkt  wird,  dass 
er  „ex  hoc  mundi  naufragio  brevis  hospes  evasit",  also  eines  frühen  Todes 
verstarb.  Die  deutsche  Übersetzung  dagegen  behauptet  in  ihrer  einzigen  be- 
deutenderen sachlichen  Abweichung  von  der  lateinischen  Vorlage,  dass  der  Sohn 
beim  Tode  des  Vaters  drei  Jahre  alt  gewesen  sei.^  Da  letztere  Nachricht 
wegen  ihrer  Bestimmtheit  auf  genauerem  Wissen  des  Übersetzers  zu  beruhen 
scheint,  und  überdies  zu  dem  frühen  Tode  Ludwigs  H.  besser  stimmt,  so  haben 
wir  Ursache  sie  gelten  zu  lassen.  Weil  nun  „nach  einer  Bemerkung  aus  dem 
Arnsteiner  Kloster  Ludwig  III.  im  Jahre  1109  geboren  sein  soll"  ^),  so  darf 
man  das  Ableben  seines  Vaters  ins  Jahr  1112  setzen.  Der  Todestag  ist  sicher 
der  28.  Mai.**)  Sein  Geburtsjahr  wird  demnach  30—40  Jahre  zuvor,  also  frühestens 
zwischen  1072  und  1082  anzusetzen  sein,  zumal  wir  seinen  Unterschriften  unter 

wird  die  Abweichung  unserer  Urkunde  von  den  gleichzeitigen  der  Wormser  Kirche  genügend 
gewürdigt,  so  dass  wir  sie  hier  ausser  Betracht  lassen  dürfen.  Für  1159  8.  Schlieph.  1,  190. 
')  Hennea,  Geschichte  der  Grafen  von  Nassau.  Köln  1843;  1,  223.  Vogel,  Beschr. 
300.  —  '^)  Widmann,  Ann.  18,  247.  Kremer  2,  363.  —  ^)  Beschr.  296.  —  ^)  1,  155—161. 
—  '•)  Beschr.  292,  Anm.  6.  Sauer  1,  55.  Schon  Schliephakel,  159  Anm.  hatte  dies  er- 
kennen können,  wenn  er  seinem  Argwohn  gegen  Vogels  Annahme  weiteren  Raum  gegeben 
hätte.  —  ")  Widmann,  Die  Lebensbeschr.  des  Grafen  Ludw.  III.  von  Arnstein.  Annal.  18, 
248  und  desselben  „Nass.  Clironisten  des  ^Mittelalters."  Wiesb.  1882,  19.  Vergl.  Schliep- 
hake  1,  158  f.  Vogel,  Beschr.  201.  —  ')  Schliephake  1,  1.59.  —  *')  Becker,  Das  Necro- 
iogium  der  vormaligen  Praemonstratenser-Abtei  Arnstein  u.  d.  Lahn.  Wiesbaden  1881.  Annal. 
17,  llß. 


127 

Urkunden  noch  zwischen  1105  und  1108  begegnen.')  Nun  wird  er  ausserdem 
im  Leben  seines  Sohnes  der  Yersorger  seiner  sieben  Schwestern  genaunt'-'j,  wird 
also  nicht  wohl  der  Jüngstgeborene  des  Hauses  gewesen  sein  und  schon  darum 
kaum  an  Jahren  verschieden  von  seinem  vierten  Schwager,  Trutwin  von  Lauren- 
burg, da  uns  dieser  nicht  als  Witwer  genannt  wird.  Wir  haben  demnach 
auch  des  ersteren  Geburt  nicht  vor  1072  anzusetzen,  und  die  des  jüngeren  Bruders 
Tuto  selbstverständlich  noch  später. 

In  annähernd  dieselbe  Zeit  ist  die  Gemahlin  Ludwigs  II.,  ITdilhildis,  zu 
rücken.  Der  Lebensbeschreiber  ihres  Sohnes  berichtet,  dass  sie  , longo  post 
conversionem  filii"^)  gestorben  sei.  Mönch  wurde  dieser  aber  1139.*)  Da  sie 
sich  auf  ihre  väterliche  Burg  Odenkirchen  an  der  Niers  im  heutigen  Kreis 
Düsseldorf  zurückgezogen  hatte,  und  in  dem  dem  jetzigen  vorangehenden  Dome 
zu  Köln  beerdigt  wurde,  so  vermutet  Fischer^)  nicht  mit  Unrecht,  dass  ihr 
Tod  erst  nach  1151  erfolgt  sein  möge,  weil  zu  dieser  Zeit  erst  Erzbischof 
Arnold  IL,  der  das  ,castellum  Odenkirchen"  für  Köln  erworben,  auf  den  Erz- 
stuhl gelangt  sei.  Wenn  Fischer  hinzusetzt:  ,Sie  muss  aber  auch  so  gar  alt 
noch  nicht  gewesen  sein,  weil  sie  über  einer  besonders  für  eine  Dame  beschwer- 
lichen Feldarbeit  und  zwar  die  sie  noch  zur  Abendzeit  verrichtet  hat,  krank 
geworden  und  daran  nachher  gestorben  ist'^),  —  so  ist  das  jedenfalls  und  erst 
recht  für  eine  mittelalterliche  Frau  zuviel  gesagt.  Ihr  Erkranken  und  Sterben 
erklärt  sich  vielmehr  soviel  besser,  wenn  wir  sie  zu  dieser  Zeit  in  der  Nähe 
ihres  siebenten  Jahrzehntes  denken.  Dies  ihr  Alter,  dürfen  wir  aber  gleich  hier 
hinzusetzen,  ist  nicht  bloss  zur  ungefähren  Bestimmung  desjenigen  Trutwins 
dienlich,  sondern  noch  vielmehr  massgebend  für  die  Lebensdauer  der  ihr  un- 
geßihr  gleichalterig  zu  setzenden  Gemahlin  desselben,  welche  als  die  Mutter 
Ruprechts  und  Arnolds  in  dem  päpstlichen  Drohbriefe  nur  mit  dem  Anfangs- 
buchstaben ^B."  bezeichnet  wird,  die  wir  aber  in  der  ebenfalls  schon  genannten 
Urkunde  1159,  wie  später  entgegen  den  Behauptungen  von  Bro wer  bis  Schliep- 
hake  erhärtet  werden  soll,  Beatrix  genannt  finden,  und  demnach  als  hohe 
Siebenzigerin  zu  dieser  Zeit  annehmen  dürfen. 

Nicht  minder  bestimmender  Art  ist  die  uns  ganz  genau  bekannte  Lebenszeit 
Ludwigs  III.  Denn  von  diesem  wissen  wir,  wie  oben  bemerkt,  dass  er  1109 
geboren  ist;  aus  seiner  Lebensbeschreibung  aber  erhellt,  dass  er  1185^),  mit- 
hin   als    76jähriger,    starb.     Wie   könnte   also   sein  Oheim  Trutwin    109  Jahre 


')  Vogel,  Beschr.  200.  —  -)  Widmann  a,  a.  0.  247.  Kremer  2,  362.  —  ')  Wid- 
mann a.  a.  0.  249.  Kremer  2,  364.  —  *)  Ebenda  254.  Krem  er  2,  369.  —  *)  Geschlochts- 
register  der  uralten  deutschen  reichsstündigen  Häuser  Isenburg,  Wied  und  Runkel.  Mannh. 
1775,  33  und  69.  Reck,  Gesch.  der  grüfl.  und  fiirstl.  Häuser  Isenburg,  Runkel,  Wied.  Weim. 
1825,  42  lüsst  Udilhild  Odenkirchen  an  das  Erzstift  vermachen.  Dazu  bietet  aber  die  auch 
von  Fischer  benutzte  Nachricht  bei  Gelenius,  De  admiranda  sacra  et  civili  magnitudine 
Coloniae,  Col.  1645,  95  keinen  Auhalt.  Dasselbe  erzählt  auch  Schliephake  1,  210  ohne 
Nennung  seiner  Quellen  Fischer  und  Reck.  —  ")  Vita  Ludovici  (Widmann  249;  Kremer 
2,  364) :  ,, Mater  vero  longo  post  conversionem  filii  tempore  vivens  cum  originariam  terra  (?) 
particulam  mundi  curvaret  ad  vesperam,  in  predio  suo,  quod  Udinkirchin  dicitur,  tertio  nonas 
Julii  diem  clausit  extremum,  et  in  ecclesia  maiori  Colonie  requiescit."  —  ')  Widmann  a.  a.  O. 
265.    Kremer  2,  378. 


128 

zuvor  Jas  Begräbuis  seines  Vaters  in  Bleidenstadt  besorgt  haben '?  Zugleich 
aber  wollen  wir  schon  hier  festhalten,  dass  Ruprecht  und  Arnold  im  ungefähren 
Alter  dieses  ihres  Geschwisterkiudsvetters  Ludwig  III.  gestanden  haben  müssen. 
Das  einzige,  was  uns  bei  diesen  Zeitansätzen  beirren  könnte,  wäre  eine 
Urkunde  von  1093,  in  welcher  der  Bruder  Trutwins,  Tuto,  als  „comes  de  Luren- 
burg"')  erscheinen  soll.  Ist  nämlich  unsere  seitherige  Rechnung  richtig,  so  könnte 
Tuto  bei  dieser  Gelegenheit  kaum  18— 20jährig  gewesen  sein.  Nun  giebt  es 
ja  freilich  noch  jüngere  Zeugen.  In  einer  Urkunde  des  Bischofs  Heinrich  von 
Lüttich  vom  Jahr  1151-)  stehen  nebeneinander:  „Henricus  et  Gerardus  et  fili- 
olus  domini  Ilenrici."  Aber  hier  handelt  es  sich  auch  um  Familiendinge  und 
die  Genannten  gelten  nicht  sowohl  als  Zeugen,  denn  als  anwesend  Bezeugte. 
Die  13  namhaft  gemachten  Zeugen  der  in  Rede  stehenden  Urkunde  von 
1093  aber  können  wir,  Tuto  allein  ausgenommen,  mit  einiger  Sicherheit  um 
eine  ganze  Generation  älter  als  diesen  vermeintlichen  Bruder  Trutwins  nach- 
weisen.^) Wie  sollte  also  ein  so  junger  Mann  in  den  Kreis  der  älteren  gekommen 
sein?  Da  liegt  es  doch  weit  näher,  an  den  Vater  der  Brüder  Trutwin  und 
Tuto  zu  denken,  den  wir  dann  an  die  Stelle  des  angeblichen,  im  Jahre  107G 
irestorbenen  Tuto  setzen  und  als  den  nachweisbar  ältesten  Ahnherrn  des 
nassauischen  Hauses  ansehen  müssen.  Mit  ihm  hätten  wir  alsdann  auch 
einen  weiteren  „predecessor"  gewonnen  und  könnten  des  Bruders  Tuto  als  eines 
solchen  entraten,  was  schon  der  mittelalterlichen  Bedeutung  dieses  Wortes  wegen 
sich  empfiehlt.*)  Es  wäre  damit  gleichfalls  der  Vater  Tuto  als  Anfänger  des 
Nassauer  Burgbaues  zu  betrachten,  aber  vor  Vollendung  desselben  gestorben, 
noch    unbehelligt   von   der   kirchlichen  Ahndung,    die  erst  Trutwin,  als  ältester 


')  V.  Hontbeim  a.  a.  0.  1,  442,  besser  Act.  Pal.  3,  121  ff.,  vergl.  Fischer,  Urkb. 
38  f.  —  '-)  Krem  er  2,  171.  —  ^)  Der  Aussteller  der  Urkunde,  Pfalzgraf  Heinrich,  1045  zu 
seiner  Würde  erhoben,  stirbt  zwei  Jahre  darnach  1093  (Tolner  275.  279);  Herzog  Heinrich 
von  Limburg  stirbt  1218  fv  Hontheim  1,  442,  Anm.  e) ;  Graf  Wilhelm  von  Lützelburg, 
cognatus  des  Pfalzgrafen,  1128  (daselbst);  die  Grafen  von  Arlo,  Walram  und  Fulko  oder  Volko 
sind  nach  der  „Domus  ardennensis  tabula  genealogica  I."  in  Joh.  Martin  Kremer,  Genealog. 
Gesch.  des  alten  ardennischen  Gesclilechts.  Frankf.  und  Leipz.  1785  um  zwei  Menschenalter 
früher  als  Trutwin  und  Tuto.  Graf  Hermann  von  Virneburg  weiss  ich  nur  von  1093  und  1102 
nachzuweisen  aus  den  beiden  Urkunden  in  den  Acta  Palat.  3,  123  und  126.  Von  den  Brüdern 
Meffried  von  Wied  und  Richwin  von  Kempenich  ist  ersterer  zwischen  1093  und  1129,  der 
letztere  zwischen  demselben  Jahre  und  1112  bezeugt,  Reck  a.  a.  O.  33  S.  und  1.  Tafel, 
Fischer  a,  a.  0.  62  f.).  Burchard  und  Heinricli  von  Ulbucke  erscheinen  ebenfalls  zwischen 
1093  und  etwa  1112  (Fischer  63  f.).  Reimbold  von  Isenburg  kommt  1073  bis  1119  in  Ur- 
kunden vor  (Fischer  tab.  II  und  S.  105  f.);  Volkhold  von  Brule  endlich  zwischen  1093  und 
1112,  zu  welcher  Zeit  schon  ein  Sohn  mit  ihm  Zeuge  ist  (Acta  Pal.  3,  123  und  126).  Auch 
(las  darf  nicht  übersehen  werden,  dass  ,,Dudo  comes  de  Lurenburg"  in  der  die  Stiftung  von 
Laacli  bestätigenden  Urkunde  von  1112  fehlt  mit  Heinricus  dux  de  Limburg,  Wilhelmus  comes 
de  Lutzellenburg,  Walramus  et  Volco  comites  de  Arlo  und  Renboldus  de  Isenbur<;h.  Auf  seinen 
Toil  /.u  der  Zeit  ohne  weiteres  zu  schliessen,  ist  allerdings  nicht  erlaubt,  da,  wie  eben  nach- 
gewiesen, von  den  soeben  Mitgenannten  mehrere  noch  am  Leben  waren.  Nur  von  dem  bei  beiden 
Urkunden  noch  thätigen  Pfalzgrafen  Sigfried  wissen  wir,  dass  er  am  9.  März  1113  seinen  in 
der  Sclilacht  bei  Warnsted  erhaltenen  Wunden  erlag,  Goerz,  >Iittelrh.  Regesten  1,  463.  — 
*)  Du  Cange-Henschel  5,  397":  „Praedecessor  familiae  dicitur  de  majuribus,  qui  praecesserunt, 
in  gestis  Tancredi  apud  Martene  tom.  3.  Anecd.  col.   111." 


129 

Sohn  auf  sich  zog  oder,  was  nach  der  päpstlichen  Bedrohung  von  dessen  beiden 
Söhnen  Ruprecht  und  Arnold  noch  glaubhafter  erscheint,  als  alleiniger  Vollender 
des  Baues.  Bruder  Tuto  hätte  dann  als  der  kirchlichere  bei  Seite  gestanden, 
wie  sein  kirchlicher  Sinn  ja  durch  die  Gründung  des  Klosters  Lipporn  genugsam 
beleuchtet  ist  und  wir  späterhin  noch  glaublicher  machen  werden. 

Das  genüge  zur  Klarstellung  der  Lebenszeit  der  uns  beschäftigenden  Er- 
bauer der  Burg  Nassau  und  ihrer  nächsten  Angehörigen,  um  nun  den  verhäng- 
nisvollen Folgen  des  Burgbaues  unsere  Betrachtung  zuzuwenden.  Auffälligerweise 
ist  das  bis  jetzt  noch  von  niemand  versucht  worden,  so  dringend  nahe  es  auch 
gelegen  hätte.  Man  glaubte  vielmehr  alles  gethan  zu  haben,  wenn  man  die 
seit  1842  durch  Auffindung  des  oben  berührten  Drohbriefes  des  Papstes  Ana- 
stasius  bekannt  gewordene  Thatsache  feststellte,  dass  Trutwin  wegen  seines 
Burgbaues  auf  dem  von  der  Worraser  Hauptkirche  als  Eigentum  beanspruchten 
Grund  und  Boden  in  den  Bann  gethan  worden  sei.  Und  doch  ist  gerade  dieser 
Bann  die  Angel,  um  die  sich  die  ganze  uns  hier  vorliegende  Geschichte  dreht. 

Erwägen  wir  also  zunächst  die  Bedeutung  eines  Bannes  im  Rahmen  mittel- 
alterlicher Weltanschauung.  Wenn  nach  dem  päpstlichen  Briefe  von  1154  der 
Vater  der  Grafen  Arnold  und  Robert,  ,uinculo  excommunicationis  astrictus" 
genannt  wird,  so  bedeutet  das,  dass  er  nicht  etwa  mit  dem  sogenannten  kleinen 
Bann,  der  „excommunicatio  minor",  belegt  worden  war,  der  nur  von  den  Sakra- 
menten und  der  Wählbarkeit  zu  einem  Kirchenamte  ausschloss^),  und  der  über- 
dies bloss  wegen  Umgangs  mit  einem  Gebannten  verhängt  wurde-),  sondern 
dass  er  im  grossen  Bann,  der  „excommunicatio  major"  des  kanonischen  Straf- 
rechts, stand.  Denn  es  heisst  in  der  Anrede  an  den  Trierer  Erzbischof  von  den 
Söhnen,  dass,  wenn  sie  innerhalb  40  Tagen  nach  der  erzbischöflichen  Ermahnung 
den  Befehl  zur  Vollziehung  der  päpstlichen  Aufforderung  verachteten^),  „eandera 
in  eos  excommunicationis,  in  terram  uero  eorum  interdicti  sententiam  proferas, 
que  in  patrem  eorum  pro  eadem  causa  fuerat  promulgata.'*)  Die  Ver- 
bindung des  Interdikts  für  das  gräfliche  Gebiet  mit  dem  persönlichen  Banne 
macht  den  letzteren  ohne  weiteres  zum  grossen.  Was  das  aber  heissen  will  zu 
damaliger  Zeit? 

War  es  doch  an  sich  schon  ein  ungeheures  Verbrechen  in  den  Augen 
nicht  bloss  des  Klerus,  sondern  ebenso  sehr  oder  noch  viel  mehr  gar  der  Laien 


')  Im  Corp.  jur.  canon. :  Gratian.  ad  cap.  24.  c.  XI.  qu.  3  c.  2.  X.  de  excepfc.  (2,  25) ; 
c.  10.  X.  de  cleric.  excom.  (5,  27);  c.  59  X.  de  sent.  excomm.  (5,  39).  Vergl.  Wetz  er  und 
Weite  1,  229  und  602.  —  '^)  Pontificale  romanum  Clementis  VIII.  ac  Urbani  VIII.  Venet. 
1729,  379.  —  ^)  „Si  uero  infra  XL  dies  po9t  commonitionem  tuam  executioni  raandare  contem- 
pserint"  [Hennes  durch  Übersehung  des  entsprechenden  Abkürzungsstriches:  contepserintl. 
Herr  Prof.  Otto  unterrichtet  mich,  dass  die  Verbindung  von  contemnere  mit  dem  Infinitiv  nach- 
klassisch, doch  schon  bei  Horaz  (ep.  1,  1,  29,  50),  Seneca  Phoen.  197  und  Apuleius  vor- 
komme, nach  Dräger,  Hist.  Syntax  der  lat.  Sprache.  1878,  2,  330.  Ebenso  nachklassisch 
ist  mandare  ohne  Objekt,  wie  auch  die  Bedeutung  von  contemnere  =  noUe,  recusare;  was  alles 
Du  Cange-Henschel  unberücksichtigt  gelassen  hat.  Man  wird  deshalb  so  übersetzen  müssen: 
„wenn  sie  innerhalb  40  Tagen  nach  deiner  Verwarnung  (sc.  die  Aufforderung)  dem  Vollzug 
zu  übergeben  verschmäht  haben  werden.**  —  *)  Schliephake  1,  187  kennt  seltsamer  Weise 
nur  den  Bann  für  Trutwin. 


130 

tlieser  Zeit,  Kirchengüter,  die  ausnahmslos  „pro  remedio  anime'  geschenkt  waren, 
an  denen  also  in  gewissem  Sinne  das  Seelenheil  der  Stifter  hing,  zu  rauben,  d.  h. 
eben  diesem  ihrem  Zwecke  für  das  Seelenheil  der  Schenker  zu  entfremden. 
Wir  entnehmen  das  unter  anderem  daraus,  dass  die  kirchlichen  Kanonen^)  der 
Zeit  noch  nicht  einmal  dies  Verbrechen  ausdrücklich  hervorheben,  sondern  es 
der  tridentinischen  Gesetzgebung  überlassen,  die  ,occupantes  bona  ecclesiarum, 
montium  pietatis  seu  alterius  loci  pii:  vel  irapedientes,  ne  ab  iis,  ad  quos  jure 
pertinent,  percipiantur"^),  besonders  namhaft  zu  machen,  weil  zu  dieser  Zeit 
bekanntlich  die  Entfremdung  der  Kirchengüter  in  grossem  Stile  begann.  Was 
AYunder,  dass  die  ,sententia  excommunicationis  majoris"  mit  doppelter  Wucht 
auf  den  Kirchenräuber  jener  Zeit  fiel. 

Die  Kirche  hat  es  verstanden,  schon  gleich  die  Verkündigung  dieser  ihrer 
furchtbarsten  Strafe,  die  gleichwohl  vom  Corpus  jur.  can.  der  ,felix  mucro 
episcopi*  genannt  wird^),  mit  allen  Schauern  ihrer  sinnbestrickenden  Macht  zu 
umgeben.  Wir  erfahren  dies  genau  aus  dem  „Libellus  de  ecclesiasticis  dis- 
ciplinis  et  religione  christiana,  collectus  ex  jussu  domini  metropolitani  Rathbodi, 
trevericae  urbis  episcopi,  a  Reginone,  quondam  abbate  prumiensis  monasterii, 
ex  diversis  sanctorum  patrum  conciliis  et  decretis  romanorum  pontificum"'') 
vom  Jahre  899,  dessen  Bestimmungen  für  diesen  Fall  sich  wortgetreu  in  dem 
„Pontificale  romanum  Clementis  VIII  ac  Urbani  VIIP^)  vom  Jahre  1596  wieder- 


*)  Im  Corp.  jur.  can,  c.  107.  c.  XI.  qu.  3  werden  zwar  „ecclesiarum  dei  violatores" 
"enannt  als  der  Exkommunikation  verfallen,  indes  inBurchardi  wormatiensis  ecclesiae  episcopi 
„Decretorum  libri  XX"  lib  II.  c.  6.  vergl.  Schannat-Hartzheim,  Concilia  Germaniae.  Colon. 
1760,  2,  576  werden  dieselben  mit:  „videlicet  raptores,  depraedatores  et  homicidae"  er- 
läutert, 30  dass  unser  Fall  kaum  gemeint  sein  kann.  —  -)  Conc.  trident.  c.  11.  sect.  22  de 
reform.;  vergl.  Vitus  Pichler,  Summa  juris  prudentiae  sacrae  universae  seu  jus  canonicum. 
Aug.  Vind.  1728,  fol.  5,  409^.  —  ^)  c.  1.  c.  XVI.  qu.  II,  wie  die  Summa  Ostiensis  an  der 
weiter  unten  anzuführenden  Stelle  mit  der  ehemaligen  Citierweise  des  Corpus  sagt:  „et  de 
lioc  anathemate  potest  intelligi,  quod  est  mucro  episcopalis  XVI.  qu.  II.  visis  [Anfangswort 
des  0.  1]  in  fine",  nur,  dass  von  ihr  das  Beiwort  „felix"  ausgelassen  wird.  —  *)  Bei  Schannat- 
Hartzheim  tom.  2,  438—582,  unser  Fall  573—76.  Wir  unterlassen  des  Raumes  wegen  hier 
lue  "Wiedergabe  des  lat.  Textes.  —  '^)  "Wir  benutzen  die  schon  vorhin  angezogene  Ausgabe: 
Venetiis  1729.  Zu  bemerken  ist  indessen,  dass  das  „Pontificale  romanum"  darin  von  Regino 
abweicht,  dass  es  gemäss  der  späteren  Zeit,  indem  es  zwischen  excommunicatio  minor,  major 
und  anathcma  unterscheidet,  die  beiden  letzteren  Bannformen  auseinanderhält,  die  ehemals 
eins  waren.  Denn  mit  Recht  sagt  Silbernagl,  Permaneders  Handb.  des  gemeingültigen  katho- 
lischen Kirchenrechts.  Landsh.  1865,  §338  S.  571:  ,Die  Bezeichnung:  excommunicatio  major 
und  minor  ist  erst  viel  späteren  Ursprungs.  'AväiKifia  (execratio)  war  nämlich  im  "Wesent- 
lichen mit  der  excommunicatio  gleichbedeutend  und  nur  durch  die  beim  anathema  gewöhnlichen 
Solennitäten  unterschieden."  "Wir  beweisen  ilas  mit  zwei  der  berühmtesten  Summen.  Zuerst 
mit  der  „Summa  Hostiensis  super  titulis  Decretalium"  in  der  unpaginierten  Grossfolioausgabe, 
Venetiis  1480  „De  sententia  cxcomm.  lib.  V."  unter  der  Überschrift  „Quot  sunt  species  excom- 
municationis." Da  heisßt  es:  „Due  sunt  species  tantum.  Una  species  excommunicationis  est, 
que  dicitur  anathema,  que  simpliciter  excludit  ab  ingressu  ecclesie  et  communione  fidelium 
et  ctiam  sacramentis,  que  et  dicitur  maior  excommunicatio  .  . .  vel  die,  quod  dicitur  maior 
excommunicatio,  quando  simpliciter  profertur  sine  solennitate,  puta,  cjuando  dicit  iudex :  ex- 
communico  talera  . . . ;  quando  vero  cum  solennitate,  tunc  dicitur  anathema  .. .  alia  vero  species 
excommunicationis  est,  que  dicitur  minor  excommunicatio  et  que  a  sacramentis  ecclesie  tantum 
separat."    Ebenso  heisst  es  in  der  „Summa  Angelioa"  vom  Minoriten  Angelus  de  Clavasio  aus 


131 

finden.     Da   sollte   der  Bischof  vor   versammelter  Gemeinde,    umgeben   von  12 
Priestern  mit  brennenden  Lampen  in  den  Händen,  zunächst  die  vorgeschriebene 
lateinische  Ansprache  halten,    in  welcher  unter  Heranziehung   biblischer  Worte 
das  Recht  der  Kirche  zur  Ausschliessung  des  Sünders,  wie  dessen  Verbrechen 
dargethan  sind.    Alsdann  erfolgte  die  Ausschliessung  mit  den  Worten:   , Daher, 
weil  er  unsre  Mahnungen  und   häufigen  Aufforderungen  verachtet  hat;    weil  er 
zum  dritten  Male  nach  des  Herrn  Gebot')  aufgerufen,  zur  Besserung  und  Busse 
zu  kommen  verschmäht  hat;    weil   er  seine  Schuld  nicht  erkannt  noch  bekannt 
hat,    noch   durch  Absendung   einer  Botschaft    an   uns,   die   wir  in  seiner  Sache 
Richter  sind,   da  er  unser  Sprengelangehöriger  (parroechianus)    ist,  Verzeihung 
gefordert   hat;    weil    er    in    der    begonnenen  Bosheit,    da  der  Teufel  sein  Herz 
verhärtet  hat,  verharrt  und  gemäss  dem,  was  der  Apostel  sagt,  nach  seiner  Ver- 
stocktheit und  seinem  unbussfertigen  Herzen  sich  den  Zorn  Gottes  auf  den  Tag 
des  Zornes  häuft^),  —  deshalb  scheiden  wir  ihn  mit  seinen  sämtlichen  Genossen 
und  Verbündeten  und  Begünstigern  durch  das  Gericht  des  allmächtigen  Gottes, 
des   Vaters,   des    Sohnes    und    des    hL  Geistes    und    des   seligen  Apostelfürsten 
Petrus  und   aller  Heiligen,    wie  nicht  weniger  unserer  Geringheit  Ansehen  und 
der  uns  von  Gott  verliehenen  Gewalt  zu  binden  und  zu  lösen  im  Himmel  und 
auf  Erden  vom  Empfang  des  kostbaren  Leibes  und  Blutes  des  Herrn  und  von 
der  Gemeinschaft  aller  Christen  und  schliessen  ihn  aus  von  den  Schwellen  der 
heiligen    Mutter  Kirche   im  Himmel   und   auf  Erden  und  beschliessen,   dass 
er  ein  Gebannter  und  Verfluchter  sei  und  verurteilen  ihn   als  Verdammten  mit 
den  Teufeln  und  seinen  Engeln  und  allen  Gottlosen  im  ewigen  Feuer,  wenn  er 
nicht  von  den  Stricken  des  Teufels  lässt  und  zur  Besserung  und  Busse  zurück- 
kehrt  und    der  Kirche  Gottes,    die   er  geschändet  hat,    Genüge  thut."     Darauf 
antworten  die  Umstehenden  dreimal:  „Amen"  oder  ,fiat,  fiat"  oder  ,anathema 
sit"    und    die   zwölf  Priester   werfen    ihre  Lampen    zur  Erde  und  zertreten   sie 
mit   den  Füssen.^)     Alsdann    hatte    der  Bischof  dem  Volke   in    seiner  Sprache 
(communibus  verbis)  den  Bann  zu  erklären,  damit  alle  erkannten,   wie  schreck- 
lich jener  verdammt  sei,  und  damit  sie  wüssten,    dass  er  von  jener  Stunde  an 
hinfort  nicht  mehr  für  einen  Christen,  sondern  für  einen  Heiden  zu  halten  sei 
und  dass  der,  welcher  mit  ihm,  wie  mit  einem  Christen  verkehre,  oder  mit  ihm 
esse  oder  trinke,  oder  ihn  küsse,  oder  mit  ihm  ein  vertrauliches  Gespräch  halte 
(es  sei  denn,   dass  er  sich  bestrebe  denselben  zur  Genugthuung  und  Busse  auf- 
zufordern),   oder    dass    er  ihn  in   seinem  Hause  empfange  oder  gleichzeitig  mit 
ihm   bete*),    zweifelsohne   gleicherweise   gebannt   sei.      Hiernach    sollen    Briefe 


dem  Jahre  1498  unter  dem  Worte  „Excommunicatio"  :  „Quotuplex  est  exeommunicatio?  Kespon- 
detur,  quod  duplex.  Una  dicitur  maior  et  hec  priuat  a  saeramentis  et  consortio  hominum  et 
ab  ingreasu  ecclesie  et  multis  aliis ...  et  hec  dicitur  anathema . . .  Alia  dicitur  minor,  hec 
separat  a  saeramentis  tantum." 

•)  Matth.  18,  15—18.  -  '^)  Rom.  2,  5.  —  ^)  Die  zwölf  Priester  mit  ihren  Lampen  und 
deren  Werfung  zur  Erde  und  Zertretung  waren  schon  eine  Bestimmung  des  Corp.  iur.  canon., 
c.  106  c.  XL  qu.  IIL  —  *}  Die  verseifrige  spätere  Zeit,  die  das  ganze  Corp.  iur.  can.  nach 
seinem  Inhalt  in  Verse  setzte,  hat  auch  den  Umfang  der  exeommunicatio  in  den  Hexameter 
gebracht:  „Os,  orare,  vale,  commuuio,  mensa  negatur."     Vergl.  Silberuagl  a.  a.  0.  572. 

9* 


132 

des  Priesters  durch  den  Sprengel  geschickt  werden,  mit  dem  Inhalt  der  Weise 
der  Banuung,  in  denen  befohlen  wird,  dass  an  deu  Sonntagen  nach  Lesung 
des  Evangeliums  dem  versammelten  Volke  die  Bannung  verkündet  werde,  damit 
nicht  jemand  aus  Unwissenheit  mit  dem  Gebannten  verkehre.  Auch  anderen 
Bischöfen  muss  die  Bannung  bekannt  gemacht  werden.^) 

Da  alles  dieses  wortgetreu  in  dem  „Libellus"  verordnet  ist,  welcher,  wie 
wir  sahen,  auf  Befehl  des  Trierischen  Erzbischofes  Ratbod  zu  stände  kam,  so  kann 
kein  Zweifel  sein,  dass  sich  in  ihm  das  Verfahren  darstellt,  dem  auch  Trutwin 
als  Angehöriger  des  Trierer  Sprengeis  unterworfen  worden  ist.  Dies  Verfahren 
war  aber  noch  dadurch  verschärft,  dass  schon  die  Androhung  des  Bannes,  wie 
dies  noch  jetzt  an  dem  erhaltenen  Drohbrief  des  Papstes  Anastasius  gegen  die 
Grafen  Arnold  und  Robert  von  Laurenburg  an  sechs  Nagellöchern  und  den  da- 
durch entstandenen  Rissen  an  jeder  Seite  des  Pergamentes  zu  erkennen  ist^), 
40  Tage  lang  an  der  Kirchenthüre,  „vermutKch  zu  Trier",  angeschlagen  war 
zu  jedermanns  Einsichtnahme. 

Und  doch  wurde  der  Schärfe  dieser  kirchhchen  Strafe  erst  der  todesge- 
fiihrliche  Schleiffaden  zugesetzt  durch  das  mit  ihr  verhängte  Interdikt,  welches 
das  grätliche  Gebiet,  Trutwins  „terra",  wie  der  päpsthche  Brief  es  nennt,  mit 
seiner  damals  unentrinnbaren  Gewalt  traf.  Man  kennt  diese  geistliche  Folter 
obersten  Grades,  die  erst  im  11.  Jahrhundert  ihre  volle  Ausbildung  erhielt^), 
genugsam  aus  der  Geschichte,  um  ihr  hier  eine  gleiche  Darstellung,  wie  der 
Exkommunikation,  widmen  zu  müssen.  Wir  dürfen  nur  auf  die  nach  kirchlichen 
Begriffen  klassische  Beschreibung  hinweisen,  die  ihr  ein  so  von  der  Grösse  der 
kirchlichen  Machtfülle  begeisterter  Schriftsteller,  wie  der  spätere  Konvertit 
Fr.  Hurter,  in  seiner  „Geschichte  Papst  lunocenz  des  Dritten"  entworfen  hat.*) 
Und  wenn  derselbe  bemerkt^),  dass  er  „zusammenstelle,  was  bei  einem  Inter- 
dikt, wenn  es  mit  voller  Strenge  vollzogen  wird,  angeordnet  war",  so  haben 
wir  hier  nur  hinzuzufügen,  dass  es  gerade  für  unseren  Fall  passt.  Denn  im  An- 
fang des  12.  Jahrhunderts,  in  dem  wir  hier  stehen,  hatte  die  Kirche  noch  nicht 


*)  Xeben  dieser  obigen  Formel  werden  S.  575  f.  noch  drei  weitere  mitgeteilt,  von  denen 
die  letzte  kürzeste  blosse  Wiedergabe  derjenigen  des  Corp.  iur.  can.  c.    107  c.  XI.  qu.  III.  ist, 
die  erste  mit  kürzeren    "Worten    das   oben    Mitgeteilte    umschreibt,    die    dritte   aber   unter    der 
C^berschrift  „Item  alia    terribilior  excomraunicatio"  bloss  die  Bannformel  enthält.    Da  Silber- 
nag 1  a.  a.  0.    schreibt:    , Nachdrücklicher   trat   die    Unterscheidung    zwischen    Bannfluch    und 
Bann  in  dem  weit   seltener   gebrauchten  Maranutha   hervor  (1.  Cor.  16,    22,    conc.  Tolet.  VI., 
c.  75,  XVI.  10.)",  so  ist  diese  dritte  Formel  offenbar  die  seltener  gebrauchte.     Denn  sie  ent- 
hält dies  grausige  apostolische  Wort  neben  den  nicht  minder  grausigen  aus  5.  Mos.  28,  16  —  18 
und  sohliesst  mit  den  Worten  über  die  Verfluchten:  „sepultura  asini  sepeliantur  [Jerem.  22,  19] 
et  in  sterquilinium  sint  super  faciem  terrae  [Jerem.  8,    2].    Et  sicut  hae  lucernae  de  manibus 
nostris   proiectae    hodie    extinguuntur,    sie    eorum    lucerna    in  eternum    extinguatur,    nisi    forte 
rf'sipufrint  et   ecclcsiae    dei,    quam    laeserunt,    per   emendationem    et   condignam    poenitentiam 
sati.sfecerint."   Keine  dieser  drei  Formeln  hat  Aufnahme  in  das  „Pontificale  romanum"  gefunden.  — 
-')  Hennes  a.  a.  O.  48,  Anm.  1.  Vogel,  Beschr.   300,  Anm.   1.  Schliephake  1,  187  Anm.  — 
^j  Silbernagl    a.    a.    0.    573.    Gieseler,   Lehrb.    der  Kirchengesch.    Bonn    1846,   2,    1,    342 
kennt  das  erste  unwidersprochene  Beispiel  eines  unwidersprochenen  Interdikts  vom  Jahre  994 
als  gesetzlich  geregelter  Strafe  aber  erst  seit  dem  conc.  Lemoviccnse  vom  Jalire  1031.  —  ■*)  Ham- 
burg 1834,  f.   1,  373-386,   im  Nachdruck:  Ehingen  183.'>,  1,  325-336.   -    ')  Ibid.  Anm.  148. 


133 

erkannt,  dass  das  Interdikt  eine  zweischneidige  Waffe  war,  die  ebenso  sehr  ihren 
Verbrecher,  wie  sie  selber  töthch  zu  verwunden  wusste.  Es  war  erst  am  Ende 
des  XIII.  Jahrhunderts,  dass  man  sich  in  der  Kirche  voll  bewusst  wurde,  wie 
durch  die  strenge  Durchführung  dieses  kirchlichen  Zuchtmittels,  welches  die 
Einstellung  des  öffentlichen  Gottesdienstes  und  aller  feierlichen  kirchlichen  He- 
thätigungen  einschloss'),  ,die  Gottlosigkeit  des  Volkes  wuchs,  Ketzereien  enipcr- 
kamen,  unermessliche  Gefahren  für  die  Seelen  sich  erhüben,  und  den  Kirchen 
ohne  ihre  Schuld  die  schuldigen  Leistungen  entzogen  wurden"^),  um  zu  bogreifen, 
dass  Milderungen  in  grösserem  Masse  Bedürfnis  für  die  Kirche  selber  seien. 
Einzelne  solcher  Milderungen  waren  ja  freilich  schon  früher  gewährt  worden, 
aber  keine  vor  dem  Jahre  1170.^) 

Wir  können  demnach  ermessen,  welche  Wirkung  das  Interdikt  auf  die 
unschuldige  Grafschaft  Trutwins  haben  musste,  und  in  welcher  Beleuchtung 
ihr  dadurch  der  Bann  ihres  Grundherrn  erschien,  der  allein  an  dem  über  sie 
verhängten  kirchlichen  Elend  schuld  war.  Sehr  klein  konnte  ja  schon  das  Gebiet 
nicht  sein,  da  sonst  der  gewünschte  Druck  für  den  Gebannten  ein  kleiner  ge- 
wesen wäre.  Zum  Hochdruck  gehörten  viele  Unzufriedene,  wie  es  zur  ebenso 
wirksamen  wie  kurzsichtigen  Übung  aller  Zeiten  der  Kirche  gehörte,  bei  günstiger 
Gelegenheit  das  Volk  gegen  seine  Gewalthaber  auszuspielen.  Nun  ist  es  ja  wahr, 
dass  wir  hier  in  den  Zeiten  Heinrich  des  IV.  und  V.  leben,  die  dem  mehrfachen 
Banne  Paschalis  II.  zu  trotzen  wagen  konnten  und  dabei  Geistliche  auf  ihrer 
Seite  hatten,  die  selbst  die  Messe  verheirateter  Priester  nicht  anstössig  fanden.'*) 
Bernoldus  schreibt  zum  Jahre  1100  in  seiner  Konstanzer  Chronik^)  sogar: 
„Schon  beginnt  fast  überall  die  Strafe  des  Bannes  an  Wirksamkeit  zu  verlieren, 
sodass  selbst  gewisse  Klosterleute,  die  bis  dahin  in  jener  Sache  vom  glühendsten 
Eifer  erfüllt  waren,  sich  von  den  Katholikern  scheiden  und  sich  nicht  scheuen 
unter  die  Gebannten  befördert  zu  werden!*     Ja  etwa  40  Jahre  später  konnte 


*)  Silbernagl  a.  a.  O.  573.  —  ^)  Sexti  c.  24.  de  sentent.  excomm.  (V.  11):  „Quia  vero 
ex  districtione  huiusmodi  statutorum  excrescit  indevorio  populi,  pullulant  haereses  et  infinita 
pericula  animarum  insur^nt  ac  ecclesiis  sine  culpa  earum  debita  obsequia  subtrahuntur"  cet. 
Wir  bemerken,  dass  der  „Liber  sextus  decretalium  d.  Bonifacii  papae  VIII."  erst  1298  zusammen- 
gestellt wurde.  —  ^)  Wie  wenigstens  Silbernagl  schliessen  lässt,  der  nach  seinen  von  uns 
nachgeschlagenen  Citaten  aus  dem  Corp.  iur.  can.  nur  die  von  1170  aufführt,  während  von  seinen 
sieben  anderen  fünf  aus  dem  Jahre  1214,  eine  aus  1216  und  eine  aus  1236  stammen.  Sie 
beziehen  sich  auf  die  Haltung  wenigstens  einer  wöchentlichen  Predigt,  auf  Kindertaufe  und 
Firmung,  Beichten  für  Kranke,  Kreuzfahrer  und  Pilger,  "Wegzehrung  für  Sterbende,  Haus- 
gottesdienst in  den  Klöstern,  wie  die  Abbetung  der  kanonischen  Tageszeiten  in  Stifts-  und 
Klosterkirchen  von  je  zwei  oder  drei  Geistlichen,  jedoch'ohne  Gesang,  die  kirchliche  Beerdigung 
von  Geistlichen,  die  das  Interdikt  gehalten,  eine  stille  wöchentliche  Messe  für  die  dem  Interdikt 
und  der  Exkommunikation  nicht  Unterworfenen  ohne  Glockengeläute  und  Gesang  bei  ver- 
schlossenen Thüren  für  die  Dauer  des  Interdikts.  Weitere  Xachlüsse  brachten  die  folgenden 
Jahrhunderte  erst.  Vergl.  Gieseler  a.  a.  O.  2,  2,  520,  Anm.  4.  —  *)  Gieseler  2,  252,  Anm.  9. 
—  ■')  Bei  Pertz,  Mon.  Germ.  VIII,  407  „Jam  multum  paene  ubique  sententia  oxcommunicationis 
coepit  tepescere,  ut  etiam  quidam  religiosi,  ({ui  usque  ad  hoc  terapus  in  illa  causa  erant  ferven- 
tissimi,  a  catholicis  discederent  et  inter  excomraunicatos  promoveri  non  timerent."  Vergl. 
Gieseler  ebenda  Anm.  10.  Die  Begründung  für  diesen  Zustand  der  Dinge  versucht  Bro wer 
2,  2  in  seiner  Weise  als  Jesuit.  Nur  verwechselt  er  Bernoldus  mit  Bertholdus,  dessen  Fort- 
setzer erstercr  ist,  wie  dieser  des  Hermannuns  contractus. 


134 

selbst  die  hl.  Hildegard,  als  ihr  Kloster  mit  dem  Interdikt  belegt  worden  war, 
weil  sie  einen  Exkommunizierten  daselbst  hatte  begraben  lassen,  an  das  Mainzer 
Domkapitel  schreiben:    ,Wer  dem  Willen  Gottes  zuwider  gehandelt,   der  muss 
von  dem  Körper  der  Kirche  getrennt  werden,  so  wie  er  sich  selbst  durch  Un- 
gehorsam von  ihr  abgewandt  hat,  bis  er  durch  Reue  gereinigt,  vom  Geistlichen 
zur  hl.  Kommunion  wieder  zugelassen  wird.     Wer  aber  sich  nicht  bewusst  ist, 
auf  solche  Weise  gebunden  zu  sein,  kann  getrost  an  den  hl.  Sakramenten  teil 
nehmen."^)     Dagegen    will    bedacht    sein,    dass    zu    allen  Zeiten  der  Fanatiker 
nicht   wenige    sind.     So    lesen    wir   auch    aus    dieser  Zeit,    was    der  Trier'sche 
Scholasticus  Guenricus  von  solchen  mit  den  Worten  berichtet:   , Einige,  in  der 
Absicht,  die  durch  den  Eingang  und  Ausgang  der  Kirchenschänder  besudelten 
hl.  Orte  zu  reinigen,  lassen  den  Wind  durch  die  Tag  und  Nacht  offenstehenden 
Kirchenthüren.     Andre  ihre  Aufmerksamkeit  auf  die,  wie  sie  versichern,  durch 
die  Berührung    der  Unheiligen   entchristlichten   Steine   und  Balken,    mit  Besen 
und  Wasser  wendend,    machen  als  abergläubische  Steintäufer,  während  sie  die 
jüdischen  Taufen  (Waschungen)    erneuern,   aus  der  Thorheit  den  Wahnwitz.  "2) 
Nicht  minder   lesen  wir,    dass  der  nachmalige  Stifter  des  Klosters  Marbach  im 
Elsass,  der  Priester  Manegold  von  Lutenbach,  sich  nicht  scheute,  zur  selben  Zeit 
in    seiner   gegen    den  den  Papst  Gregor  YII.   in   Angelegenheit  Heinrichs  IV. 
schwer  angreifenden  Brief  des  Bischofs  Theodorich  von  Verdun  verfassten  Schrift 
zu  erklären,  „dass  diejenigen,  welche  Gebannte  nicht  aus  eigener  Rache,  sondern 
zur  Verteidigung  der  Kirche  töten,  nicht  als  Mörder  Reue  haben  müssten  oder 
gestraft    werden    sollten."^)     Und    ward   auch    der  Schreiber  dieses  grässlichen 
Wortes  selbst  von  Anhängern  Gregors  verurteilt,  so  dass  man  wünschte,  seine 
Schrift  mit  ihm  begraben  zu  sehen,  so  hielten  nichtsdestoweniger  Andere  dieselbe 
gleichsam  wie  eine  Antwort  göttlicher  Eingebung."*)     Aber  damit  das  Mass  des 
Grauens    voll   werde,    so    erklärte  Urban  IL  (1088 — 1099)    selber  dem  Bischof 
Godefredus  von  Lucanien :   „Den  Tötern  der  Gebannten  lege,  wie  ihr  es  in  der 
Ordnung   der   römischen  Kirche   gelernt   habt,    gemäss    ihrer  Absicht   ein  Mass 
passender  Genugthuung    auf.    Denn    nicht   halten    wir    für   Mörder,    wel- 
chen gegen  Gebannte,  brennend  von  Eifer  für  die  katholische  Mutter, 
es  sich  gefügt  hat,  einige  derselben  tot  geschlagen  zu  haben.     Damit 
jedoch   die  Zucht   derselben  Mutter  Kirche  nicht  im  Stiche  gelassen  werde,   so 
sollst  du   ihnen    in    dem  Sinne,   den    wir   genannt  haben,    eine  passende  Busse 
ansagen,    durch    welche    sie    im   stände    sind,    die  Augen   der  göttlichen  Einfalt 
gegen  sich  geneigt  zu  machen,  wenn  sie  etwa  gemäss  der  menschlichen  Schwach- 
heit bei  demselben  Streich  in  etwas  Zweifelhaftes  geraten  sind."    Dieses  päpstliche 


')  Hennes,  Geschichte  der  Grafen  von  Nassau,  1,  47.  —  -j  Pezii  Thesaur.  anecdot.  2, 
237 :  Alii  loca  sacra  sacrilegorum  ingressu  et  egressu  contaminata  repurgaturi,  patentibus  per 
diem  et  noctera  ecclesiae  ianuis  ventus  recipiunt.  Alii  in  lapides  et  ligna  profanorum,  ut 
asserunt,  contactu  deschristianata,  scopis  animadvertentes  et  aqua  superstitiosi  lapiduui  haptistac, 
dum  iudaica  revocant  baptismata,  de  stultitia  insaniam  faciunt".  Vergl.  Giesoler  2,  2,  30, 
Anm.  35.  —  ^  BeiGieseler  2,  229,  Anm.  36:  „quod  hi,  qui  exconimunif-atos  non  pro  privata 
injuria,  scd  ccclesiam  defendcndo  interficiunt,  non  ut  homicidae  pocniteantur  vel  puniantur."  — 
')  Ebenda:   „scripta  eius  quasi  responsa  caelestis  oraculi". 


135 


Wort   aber  ist  so  wenig  jemals  widerrufen,   dass  ihm  vielmehr  schon  1151  die 
beklagenswerte  Ehre  zu  teil  wurde,  als  Kanon  in  das  von  Gratian  gesammelte 
römische  Kirchengesetzbuch  aufgenommen  zu  werden,  in  dem  es  noch  heute  steht.') 
Genug,    ziehen   wir    nun    aus  dem  Vorstehenden  Schlüsse  für  unsere  Ge- 
schichte.    Steht    es    zunächst   nach  den    im    ersten  Teile  unserer  Untersuchung 
vernommenen    Zeugen   fest,    dass  Trutwin   eines   gewaltsamen  Todes    starb,    so 
haben    wir    nach    dem   zuletzt   Vorgetragenen  nichts    Geringeres  als  das  Recht 
erworben,  diesen  Tod  der  Wirkung  der  kirchlichen  Strafvollstreckung  dringend 
verdächtig   zu   erklären.     Wir   mussten    es   oben    freilich   ungeheuerlich  finden, 
dass  ein  Edler  zu  dieser  Zeit  etwa  aus  Privatrache  durch  die  Hand  eines  Un- 
freien gefällt  worden  sein  könne.     Denn  hätten  auch  noch  so  viel  Unthaten  des 
Laurenburger  Grafen  gegen  seinen  Unterthanen  oder  den  eines  anderen  Herren 
vorgelegen,  eine  so  „grobe  bäuerische  That",    als  welche  der  Legendist  sie  mit 
seinem  „rusticulus"  anzumalen  versucht,  wie  es  scheint,  war  damals  in  deutschen 
Landen  unerhört,  ebenso  wie  das,  dass  ein  solcher  Mörder  von  einem  anderen 
feindhchen  Edeln  hätte  gedungen  werden  können.     Zieht  man  aber  in  Betracht, 
welcher  Thaten  allezeit  der  Fanatismus  zur  vermeintlichen  grösseren  Ehre  Gottes 
zu  vollbringen    im    stände   war  und  ist,   dann  liegt  nichts  näher,   als  im  Blicke 
auf  das  Bäuerlein  an  Huss'  Scheiterhaufen,  gerade  einen  Bauern  in  tollwütigem 
Glaubenswahn   die    meuchlerische   Waffe    auf  einen   Edeln   anlegen   zu    sehen, 
der    sich    nicht  bloss  erfrechte,   der  heiligen  Mutter  Kirche  zu  trotzen,   sondern 
der   auch    in    seinem  Trotze   schuld  war,    dass    so    viele  fromme  Kinder  dieser 
Mutter    ihres  Segens  beraubt   erschienen,    und  das  erst  recht,  wenn  gar  dieser 
Segen  an  der  eigenen  Person,  im  eigenen  Hause  entbehrt  wurde.     Stand  doch 
auch  der  Mann,  wie  jeder  Fanatiker,  nicht  allein,  sondern  hinter  ihm  der  ganze 
Haufe  derer,  die  mit  ihm  empört  entbehrten,  was  ihnen  Lebensbedingung  war. 
L' nd  wenn  gar  noch  fanatische  priesterliche  Rede  den  Sinn  erhitzt  hatte !  Wenn 
Worms  nicht  unthätig  gewesen  war,   die  bäuerische  Empörung  zu  schüren,   die 
sein  Vorteil   war!     Freilich    im    päpstlichen   Briefe   steht   nur:    „superueniente 
morte  in  ipsa  damnationis  sententia  satisfactione  nequaquam  exhibita  interceptus", 
d.  h.  dass   Trutwin    mitten   in  der  Strafe   der  Verdammnis    ohne  die  geringste 
Leistung    einer  Genugthuung  vom  unvermutet  hereinbrechenden  Tode  dahinge- 


')  c.  47  c.  XXIII.  qu.  VI:  „Excommunicatorum  interfectoribua  (prout  in  ordine  ecclesiae 
romanae  didicistis)  secundum  intentionem  [Ivo  et  Pannormia:  ipsorum]  modum  congruae  aatis- 
factionis  iniunge.  I^'on  enim  homicidas  arbitramur,  quos  adversus  excommunicatos  zelo  catho- 
licao  matris  ardentes,  aliquos  eorum  trucidasse  contigerit.  Ne  tarnen  eiusdem  ecclesiae  matris 
disciplina  deseratur,  eo  tenore,  quem  diximus,  poenitentiam  eis  indicito  congruentem,  qua  divinae 
simplicitatis  oculos  adveraus  se  complacare  valeant,  si  forte  quid  duplicitatis  pro  humana  fragi- 
litate  in  eodem  flagitio  incurrerinf.  Man  bemerke  die  päpstliche  Unterscheidung  von  „inter- 
fectores"  =  blossen  Tötern  und  „homicidae"  =  Mördern.  Nur  letztere  werden  mit  den  schwersten 
Kirchenstrafen  belegt.  S.  die  kanon.  Belege  bei  Silber nagl  5,  91,  der  aber,  soweit  wir  sehen, 
an  unserem  Kanon  vorübergeht!  —  „Duplicitas"  ist  hier  als  Gegensatz  von  „simplicitas"  in  dem 
nicht  klassischen  Sinne  von  „dubietas,  ambiguitas"  gebraucht,  wie  Du  Cange-Hensch  el  2, 
964"^  lehrt.  —  Das  unpassende  , didicistis"  Hess  ich  stehen,  da  es  die  von  mir  gebrauchte 
Ausgabe  des  Corp.  iur.  can.  Colon.  Munatinae  1717  hat,  vermutlich  aber  „didicisti"  zu  lesen 
sein  wird. 


136 

rafft  worden  sei.  Aber  nicht  nur,  dass  das  mindestens  40  Jahre  nach  der  That 
geschrieben  war,  so  konnte  doch  auch  Anastasius  nicht  das  Gottesgericht,  das 
ihm  im  plötzlichen  Tode  Trutwins  erschien,  abschwächen  wollen  durch  den 
Beisatz  des  Meuchelmordes,  der  jenes  hervorgerufen  und  von  dem  er  vermutlich 
nie  erfahren  hatte.  Und  dass  der  Schönauer  Berichterstatter  sich  ausschweigt 
über  die  Natur  des  Meuchelmordes,  das  ist  doch  wohl  das  beredteste  Zeugnis 
dafür,  dass  er,  der  nichts  von  Bann  und  Interdikt  reden  durfte,  erst  recht  nichts 
vom  Fanatismus  des  Meuchlers  reden  konnte.  Selbst  das  Fehlen  jeglichen 
Wortes  des  Abscheus  über  die  Blutthat  des  Bauern  ist  bezeichnend.  Der  Mönch 
kann  den  Mord  eines  Gebannten  nicht  verurteilen,  drum  hat  er  nichts,  am  wenig- 
sten ein  Wort  der  Empörung,  über  ihn  zu  sagen.  So  redet  auch  dies  Schweigen. 
Und  spricht  nicht  ebenso  für  das  Wesen  der  That  das  Verhalten  der  Hinter- 
bliebenen Trutwins?  Ein  Gottesgericht,  wie  es  der  Mörder  in  seiner  Verblendung 
doch  zu  üben  gedacht,  hätte  mittelalterliche  Menschen  sicher  vom  Verharren 
in  ihrem  Vorhaben  weggeschreckt.  Indem  aber  die  Laurenburger  trotz  des 
Todes  des  Hauptes  ihres  Hauses  unbewegt  bleiben*),  zeigen  sie,  dass  sie  in 
dem  Morde  nur  die  blutige  Folge  des  zu  Unrecht  über  ihr  Haupt  verhängten 
Bannes  und  Interdiktes  erblicken;  dass  auch  diese  blutige  Folge  sie  nicht  in 
ihrem  Rechtsbewusstsein  zu  erschüttern  vermag,  „in  eodem  Castro  se  aliquid 
proprietatis  habere**,  wie  es  die  Urkunde  von  1159^)  besagt.  Ihr  Trotz  wird  zur 
Rache  wegen  des  unschuldig  vergossenen  Blutes  und  die  GemahHn  des  Ermordeten, 
die  bis  in  ihre  greisen  Witwentage  nicht  von  ihrem  Rechte  lässt,  zu  einer 
Art  von  Krimhild.  Worms  aber,  das  wie  ein  anderer  Shylock  auf  seinem 
Scheine  besteht  und  ihn  zur  gelegenen  Zeit  erneuern  lässt,  wie  es  dieselbe 
Urkunde  in  die  Worte  fasst:  „et  illi  per  sedem  apostolicam  in  eos  ceusuram 
Gcclesiasticam  non  desisterent  exercere",  beweist,  dass  ihm  der  Mörder  ein,  wenn 
auch  vergeblicher,  göttlicher  Gerichtsbote  war.  Es  kann  das  kleine,  noch  dazu 
jenseitige  Burggebiet  aus  den  „XL  mansus**,  d.  h.,  den  mansus  zu  36  Morgen 
gerechnet^),  aus  den  1200  Morgen  eigenen  Geländes  nicht  missen,  weil  es 
das  blutige  Siegel  auf  seinem  erlangten  Schein  von  Rom  nicht  missbilligen  will. 
Ob  es  vorher,  das  bemerken  wir  nebenbei,  sein  vermeintliches  Recht  mit  Ge- 
walt zu  schützen  versucht  hat  und  daher  die  Worte  der  Wormser  Urkunde^) 
aus  ihrer  Trierer  Wiederholung^)  rühren:  „predictum  castrum  de  Nassove  ante- 
cessores  Ruoberti  et  Arnoldi  de  Lurenburg  per  violenciam  aliquando  occupave- 
rant",  steht  dahin,  wie  wir  auch  nur  angedeutet  haben  wollen,  dass  die  Ausdrücke 
der  Legende  von  den  „devictis  tempore  quodam  hostibus  suis,  captis,  spoliatis 
etexactis"  und  dem  „magno  triumphi  gaudimonio"  der  „commilitones^  Trutwins 
in  ihrer  verhüllten  Gestalt  von  jenem  Gewaltstreich  des  letzteren  gegenüber 
der  bewaffneten  Macht  des  Wormser  Domstifts  sprechen  möchten^),  dem  un- 
mittelbar der  fanatische  Mord  des  Siegers  gefolgt  ist. 

')  Graf  Wilhelm  von  Luxemburg  befreite  sich  noch  im  gleichen  Jahre  1122  von  dem 
ihm  nur  angedrohten  Banne  wegen  Kircheniäuberei  durch  demütige  Unterwerfung!  Vergl.  die 
Regesten  bei  Goerz,  1,  479.  —  -)  Sciiliephakc  1,  204.  —  '')  Vogel,  Bcschr.  145.  — 
*)  Schliophake  1,  200.  —  *)  Ebenda  202.  —  ")  Daas  die  Besiegung  der  Feinde  bei  Coblenz 
stattgefunden,    wie    die  bei  Wcnck    aufbehaltene,   oben    mitgeteilte  Erzählung    will,    erscheint 


137 

Wo  die  Mordthat  geschehen,  um  aucli  das  an  dieser  Stelle  zu  bereinigen, 
ist  mit  Sicherheit  zunächst  dahin  festzustellen:  Nicht  an  der  vom  Schönauer 
Mönch  genannten  Stelle.  Denn  wie  hätte  Tuto  diese  vom  verstorbenen  Bruder 
angeblich  bezeichnete  Stätte  bei  der  zu  dessen  Ehre  unternommenen  Gründung 
des  Klosters  Lipporn  übersehen  dürfen!  Verfuhr  doch  Tuto  gerade  mit  der 
Wahl  Lipporns  im  Sinne  des  gemordeten  Bruders,  der,  wie  wir  schon  einmal 
das  Wort  der  Urkunde  zwischen  1102  und  24  herangezogen,  hier  von  seinem 
väterlichen  Erbgute  der  Kirche  den  Zehnten  als  ein  Opfer  „quasi  deo"  darge- 
bracht hatte,  und  wir  dürfen  nun  auch  mit  einiger  Sicherheit  sagen,  wann. 
Wir  brauchen  nur  der  vom  Schönauer  so  klar  gezeichneten  Spur  nachzugehen, 
indem  wir  den  Sterbenden  ein  wirkliches  Testament  machen  lassen,  eben  jenen 
Zehnten  seines  Erbes  für  die  Lipporner  Kirche.  Handelte  doch  Trutwin  damit 
genau  so,  wie  1125  oder  26  Gumpert  von  Teilna  (Thailen,  Kreis  Merzig),  wel- 
cher von  einem  gewissen  Fridehart  mit  einer  Lanze  durchbohrt  ins  Kloster  Metlach 
gebracht,  um  dort  noch  drei  Tage  unter  grossen  Schmerzen  zu  erleben,  sein 
Allod  Teilna  diesem  Kloster  vermachte.^)  Einem  unter  dem  Kirchenbanne  sterben- 
den Manne  sieht  das  doch  erst  recht  ähnlich.  Und  denken  wir  an  das  im 
päpstlichen  Drohbriefe  gebrauchte  Wort  „satisfactione  nequaquam  exhibita'^, 
so  hat  es  eine  Beleuchtung,  die  dies  Wort  selber  erst  ins  rechte  Licht  rückt. 
Noch  dazu  wird  dadurch  voll  klar,  warum  gerade  Lipporn  mit  einem  Kloster 
ausgezeichnet  wurde.  Ob  nun  auch  Lipporn  oder  ein  Ort  in  seiner  Nähe  die 
meuchlerische  That  geschehen  sah?  Möglich  sagen  wir  vorerst.  Jedenfalls 
ward  sie  —  auch  dafür  scheint  unser  Mönch  ein  sicherer  Gewährsmann  mit 
seiner  genauen,  nur  halb  verschleierten  Angabe  der  „villa  Struode"  —  in  einem 
Waldesdickicht  oder  wohl  gar  in  einem  Sumpfe  verübt.  Denn  damals  wusste 
man  noch  ganz  genau,  dass  struot  oder  strüt  Gebüsch,  Buschwald,  Dickicht 
oder  auch  Sumpf  bedeutete-)  und  der  gleichnamige  nahe  Ort,  unser  heutiges 
Strüth,  war  wie  gemacht,  um  des  erfinderischen  Mönches  Gedanken  auf  diese 
für  Schönau  so  günstige  Yerhüllung  zu  lenken.  War  doch  damit  das,  wie  wir 
gleich  sehen  werden,  kirchlich  bedenkliche  Kloster  Lipporn  mit  Glimpf  aus  der 
Welt  gebracht  und  Schönau  als  eigentliche  Stiftung  Trutwins  ins  Licht  gestellt. 
Dass  wir  damit  auf  richtiger  Fährte  uns  befinden,  könnte  möglicherweise  sogar 
noch  die  eigene  Schönauer  Klosterüberlieferung  bezeugen,  die,  wie  wir  oben 
sahen,  Trutwin  auf  der  Jagd  angeschossen  werden  lässt.  Denn  müssen  wir 
nicht  in  diesem  ja  auch  nur  für  Schönau  arbeitenden  Berichte  den  oben  ange- 
nommenen Versuch,  eine  unbequeme  Überlieferung  zeitgemässer  zu  gestalten, 
sehen,  so  steht  nichts  entgegen,  hier  einen  Rest  ältester,  echter  Überlieferung 
anzunehmen.  Man  hatte  dabei  freilich  den  mordgierig  lauernden  „rusticulus" 
der  Legende  zum  unschuldigen  rusticus  villae,  d.  h.  „Hofmann"   des  Grafen  ge- 


völlig aus  der  Luft  gegriffen,  da  wir  nirgends  einen  Anhalt  für  sie  aus  der  gleichzeitigen  ört- 
lichen Geschichte  finden  konnten. 

')  Siehe  das  Eegest  darüber  samt  den  übrigen  Angaben  bei  Goerz,  Mittelrh.  Regcstcn 
1,  486.  —  ^)  Lexer  2,  1254  f.  Unsere  Ahnung  in  der  vorigen  Abhiuidlung,  Annalcn  23,  75 
betrog  uns  also  nur  halb,  als  wir  in  .,Strode''  den  „Pusch"  des  Reimgcdiclites  zu  erkennen 
glaubten.     Falsch  war  nur  unsere  nachgeglaubte  Aimahnie  von  der  alten  „Reimsago." 


138 

macht. ^)  Und  ein  TTofmann  auf  der  Jagd  mit  dem  Grafen,  gleich  diesem,  wie 
der  Schuss  zeigt,  jagend,  reimt  sich  wenig  zu  mittehilterlicher  Gepflogenheit. 
Ja  man  riecht  sogar  etwas  wie  Pulver  dabei.  Denn  bei  der  Armbrust,  die  nur 
70  Meter  weit  treibt,  ist  die  Möglichkeit  eines  irrenden  Auges,  es  sei  denn  bei 
starker  Dämmerung,  ausgeschlossen,  wenn  nicht  etwa  Kurzsichtigkeit  angenommen 
werden  soll  schon  für  die  damalige  Zeit.  Dies  samt  dem  offenbaren  Schlag- 
wort aus  der  Legende  vom  ,fideHssimus  satelles",  was  Wenck,  wie  oben  mit- 
geteilt, gleichzeitig  von  Schönau  berichtet  erhielt,  zwingt  uns,  mit  der  entfernten 
Möglichkeit  einer  alten  Überlieferung  uns  zu  begnügen. 

Mit  um  so  grösserer  Sicherheit  treten  wir  dafür  an  das  heran,  was  uns 
die  andere  Wirkung  des  Bannes  und  Interdiktes,  die  der  so  eben  erwogenen 
auf  dem  Fusse  folgt  und  die  wir  bereits  gestreift  haben,  zu  erwägen  giebt,  an 
die  Gründung  des  Klosters  Lipporo.  Es  ist  hart,  es  auszusprechen,  aber  die 
Wahrheit  lässt  keine  andere  Wahl:  bis  dahin  ging  man  mit  geradezu  verbundenen 
Augen  an  der  Bedeutung  derselben  vorüber.  Man  sah  nur  eine  Klostergründung 
gewöhnlicher  Art  und  erkannte  in  ihr  lediglich  „den  ehrenden  Zug,  den  das 
Zeitalter,  in  welchem  die  Laurenburger  lebten,  so  häufig  bei  den  Vornehmen, 
nicht  selten  bei  den  Geringen  gezeigt  hat."-)  Und  doch  stand  schon  immer 
die  alles  besagende  Stelle  in  der  Urkunde  Tutos :  „Ut  autem  parentum  meorum 
memoria  in  schafhusensi  monasterio  sepius  presentaretur  quasi  vivens  hostia 
Precipue  trutwini,  qui  de  suo  patrimonio  istud  predium  lietprunnin  quasi  deo 
decimam  optulit  in  sacrificium  legaliter  coustitui  ut  singulis  annis  in  anniver- 
sario  ipsius  marcka  argenti  de  isto  loco  fratribus  schaffhusensibus  solveretur  Unde 
caritative  monachis  servicium  impenderetur."  Freilich  wollen  diese  Worte  anders 
übersetzt  sein,  als  es  Schliephake^)  thut,  wenn  er  sie  also  wiedergiebt:  „Zu 
dem  Endzweck,  auf  dass  das  Andenken  meiner  Vorvordern  im  schaffhäuser 
Kloster  öfters  vergegenwärtigt  werde,  gleichsam  als  lebendiges  Sühnopfer,  vor- 
nämlich aber  das  Gedächtnis  Drutwins"  u.  s.  w.  Denn  nicht  nur,  dass  wir 
seine  „Vorvordern"  schon  oben  ablehnen  mussten,  so  hat  auch  „presentaretur" 
ein  andere  Bedeutung  und  das  , Gedächtnis  Drutwins"  ist  geradezu  wider  den 
Sinn  des  Textes.  Die  Übersetzung  muss  vielmehr  so  lauten:  , Damit  das  Ge- 
dächtnis an  meine  Blutverwandten  öfter  vollzogen  werde*),  gewissermassen  als 
lebendiges  Sühnopfer,  voruämlich  für  Trutwin,  der  von  seinem  väterlichen 
Erbe  eben  das  Landgut  Lietprunnin  gewissermassen  Gott  als  Opfer  dargebracht 
hat"  u.  s.  w.  Pliermit  ist  allerdings  zunächst  nur  eine  das  Salvatorkloster  in 
Schaffhausen  angehende  Bestimmung  getroffen.  Dort  soll  nämlich  auf  den 
Todestag^)  Trutwins  ein  Totenamt^)  für  die  von  Lipporn  fliessende  Mark  Silber 
abgehalten  werden  als  , gewissermassen  lebendiges  Sühnopfer."  Aber  die  Absicht, 
dass  damit  eine  öftere^)    (sepius)  Darbringung  geschaffen  werde,    bedingt,    dass 


')  Du  Cange-Henschel  5,  831'':  „Rusticua  villae,  idem  (jui  villicus,  major  villae".  — 
-)  Scliliepiiako  1,  177.  —  ^)  Ebenda  1,  153.  —  ')  Du  Cange-Henschel  5,  410":  Praesen- 
tarc  pro  lopraesenture".  —  '*)  Du  Gange- Hcnsohel  1,  263'':  „Anniversarium,  dies  annuus, 
quo  officium  dotunctorum  pro  ali()uo  defuncto  peragitur,  ipso  obitus  recurrente  die."  Vcrgl. 
Wetzer  und  "Weite  1,  257  und  5,  486  f.  --  ")  Ibid.  4,  353'':  „Memoriae,  execiuiae."  Über 
die  letzteren  als  eigentliches  Totenamt  s.  die  Ausführung  bei  "Wetzer  und  "Weite  3,  847  f. 
—  ')  Wctzcr    und    Weite  3,    846:    „Im    Mittelalter    wurden    die    Leichen    der    Verstorbenen 


139 

Lippurn  der  eigentliche  Ort  dieses  Totonamtes  ist.  Das  besagt  demnach  im 
Grunde  nicht  mehr  und  nicht  weniger,  als  dass  das  Kloster  zu  Lipporn 
ein  Sühnekloster  darstellt.  ,Vivens  hostia"  ist  an  sich  schon  der  liturgische 
Ausdruck  für  das  Altarsakrament');  dass  ihr  das  „quasi"  vorgesetzt  wird,  will 
aber,  weit  entfernt,  eine  müssige  Wiederholung  zu  sein,  die  Feier  des  Toten- 
amtes selber  unter  den  Gesichtspunkt  eines  lebendigen,  d.  h.  niemals  aufhörenden 
Sühnopfers  stellen,  ganz  ähnlich  wie  Graf  Gerhard  mit  der  Übergabe  seiner 
Güter  an  das  Kollegiatstift  zu  Geraünden  eine  „hostia"  darbrachte.*)  Ihrem 
Wesen  nach  bedeutet  diese  ,vivens  hostia"  überdies  dasselbe,  wie  das  ,sacrificium-, 
welches  Trutwin  gleichsam  Gott  dargebracht  hatte  in  dem  ,predium  Lietprunnin* 
als  den  Zehnten  seines  Erbes  —  eine  Art  Überleistung,  nebenbei  bemerkt, 
wenn  man  annehmen  darf,  dass  dabei  an  den  Pharisäer  des  evangelischen  Gleich- 
nisses gedacht  ist,  der  nach  der  Übersetzung  der  Vulgata  als  ein  Übermass 
seiner  Gesetzlichkeit  neben  dem  zweimaligen  Privatfasten  in  der  Woche  die 
Gabe  des  Zehnten  von  allem  seinem  Besitz  nennt.^)  Wird  doch  auch  die  Mark 
Silber  von  den  Erträgnissen  desselben  „predium*  bestritten,  d.  h.  ,de  isto  loco.* 
Wesentlich  endlich  noch  für  die  Bedeutung  eines  Sühneklosters  ist  der  bereits  an- 
gegebene Umstand,  dass  in  Schaff  hausen,  wie  also  auch  in  Lipporn,  die  Totenmesse 
auf  den  Todestag  Trutwins  gebalten  werden  soll;  Trutwin  demnach,  nicht  die 
anderen  „parentes*,  der  Mittelpunkt  der  gestifteten  , memoria"  ist.  Ja,  Trutwin 
steht  so  sehr  im  Vordergrund  der  ganzen  Stiftung,  dass  die  Worte  der  Urkunde : 
.pro  dei  honore  pro  anime  mee  et  parentum  meorum  salute^,  obwohl  sie  vor- 
anstehen, schon  um  deswillen  nicht  ins  Gewicht  fallen,  weil  Trutwins  Vermächtnis 
für  die  Lipporner  Kirche  den  Grundstock  der  ganzen  Stiftung  ausmacht,  —  ein 
Beweis  mehr  für  den  Sinn  des  Trutwin'schen  „sacrificium",  von  dem  wir  soeben 
und  vorhin  sprachen.  Das  Kloster  Lipporn  ist  mit  anderen  Worten  nur  eine 
Erweiterung  und  Vertiefung  des  von  Trutwin  gefühlten  und  bethätigten  Sühne- 
bedürfnisses, alles  Weitere  eine  ebenso  zufällige  als  herkömmliche  Zuthat  des 
frommen  Gefühls  Tutos  und  vielleicht  gar  nur  dazu  bestimmt,  den  Sühnegedanken 
nicht  allzustark  hervortreten  zu  lassen  für  amtlich  kirchliche  Augen. 

Denn  es  unterliegt  nach  allem,  was  uns  zur  Beurteilung  übrig  geblieben, 
keinem  Zweifel:  Das  Kloster  Lipporn  ist  ein  deutlich  laienhaftes  Sühnekloster; 
die  amtliche  Kirche  hat  an  ihm  keinen  Teil.     Es  entbehrt  mit  anderen  Worten 


sogar  oft  in  mehrere  Kirchen  getragen,    damit  so  das  hl.  Opfer  häufiger  für  dieselben  dar- 
gebracht werde". 

')  Ich  verdanke  diese  Auskunft  der  Güte  des  Herrn  Oberlehrer  Dr.  ■Wcdewcr.  Vermutlicli 
stammt  der  Ausdruck  aus  Rom.  12,  2.  —  -)  Kremer,  Orig.  2,  16.  „Prneterea  dum  haec  ad 
placitum  meum  ordinaveram,  quasi  semper  >-iven8  hostiam  offerendo  obtuli  eidem  ecclesiae 
quasdam  res  meae  proprietatis,  quas  hoc  nominavi  vocabulo  provende  Lehn."  Xur  dass  hier 
Gerhard  selber  als  gewissermassen  immer  Lebendiger  das  Sühnopfer  bringt  mit  der  Hingabe 
seiner  Güter  an  die  Gemündener  Kirche.  —  ^)  Luc.  18,  12:  „Jejuno  bis  in  ^abbato,  dccimas 
do  omnium,  quae  possideo".  Der  griechische  Text:  -iv-a  r,-a  ■^-i;,u,rx;  =  alles  was  ich  erwerbe, 
gewinne ;  aber  schon  die  griechischen  Kirchenväter  haben  daraus  rcivTot  -y.  •j-'Jcp/ovrä  ijlo-j  gemacht, 
vergl.  Tischendorf,  Nov.  Test,  graece.  Editio  octava  critica  major.  Li|>s.  18G9,  so  dass  die 
Vulg.  die  kirchliche  Überlieferung  darstellt.  ^  Von  hier  war  freilich  nur  ein  Schritt  zu  des 
Legendisten:  j,omnia  bona  et  hostium  suorum  tributa  colligcns." 


140 

der  regelrechten  Bestätigung  des  Erzbischofs  von  Trier.    Zwar  heisst  der  Schluss 
der  uns    überkommenen  , alten  Copie"^  der  Urkunde  Tutos :    „lluiuc  privilegii 
statuta    rü"-o    devotissime    posco    confirmari    sanctiri  auctoritate  banno  Brunonis 
treverensis  archiepiscopi  et  cuiuslibet  succesoris  sui."    Indes  auch  abgesehen  da- 
von, dass  dieser  Schluss  nicht  mit  der  herkömmlichen  Unterschrift  des  Urkunden- 
ausstellers und  der  Aufführung  der  Zeugen  versehen  ist,  also  eine  Unregelmässigkeit 
in   der   Form^)    vorliegt,    so   erweist    sich  die    ebenso  undatierte  erzbischöfliche 
Urkunde    nicht   als    eine  Antwort   auf  das  Begehren  Tutos.     Es    ist  vor  allem 
wider  die  Wahrheit,   wenn  die  Verteidigungsschrift  des  Klosters  dieselbe  über- 
schreibt: „Confirmatio  superius  petita  a  Brunone  archiepiscopo  et  traditio  decimae 
in  Meilingen*,    und  Schliephake   dies    im  Texte  seiner  Geschichte  nachahmt, 
während  er  ein  richtiges  Regest  der  Urkunde  selber  vorsetzt.^)     Der  Erzbischof 
überlässt    vielmehr    in    erster  Linie  auf  Bitten  des  Abtes  Adelbert  von  Schaif- 
hausen    und  Tutos  den  Zehnten  vom  Dorfe  ,milingen  deo  et  sancto  florino  ad 
monasterium   liebbrunnense*,    alsdann  erst  erfolgt  die  Bestätigung  des  Klosters 
selbst.     Aber  diese  bestätigt  nun  nicht  Tutos   „huius  privilegii  statuta",  sondern 
gewährt  nur,  „eidem  congregationi  tale  Privilegium  sub  banni  nostri  et  ana- 
thematis  vinculo%  dass  niemand  gewaltthätig  sich  an  deren  Eigentum  vergreife 
und  Tuto  samt  seinen  Erben  die  Rechte  der  Vogtei  gewahrt  bleiben,  wie  dass 
Abt  Adelbert  und  seine  Nachfolger  dem  Lipporner  Kloster  vorstehen  und  dem- 
selben  den  Propst  vorsetzen.     Von  Tutos  Bestimmung  über  das  Totenamt  für 
Trutwin  keine  Spur,  so  wenig  als  überhaupt,  wie  sonst  üblich,  der  Zweck  des 
Klosters  berührt  wird.     Wie  hätte  auch  der  Kirchenfürst  eine  Stiftung  auf  den 
Namen  des  im  Kirchenbann  Gestorbenen  bestätigen  können!     Der  Kirche  gilt, 
wenn  gleich  nicht  im  Sinne  des  Dichters,    dessen:    „Dein  Name  sei  vergessen, 
in  ew'ge  Nacht  getaucht."     Daher  auch  der  oft  genannte  päpstliche  Brief  nicht 
Trutwin,  sondern  nur  den  „pater"  Ruprechts  und  Arnolds  erwähnt,  und  selbst 
der  Arnsteinische  Lebensbeschreiber  Ludwigs  IIL  vermutlich  nur  darum  die  Namen 
der  Männer    der  sieben  Arnstein'schen  Töchter  nicht  genannt  hat,  weil  er  den 
Trutwins,  des  kirchlich  ewig  Verlorenen,  nicht  mitnennen  wollte ;  wie  es  denn  auch 
klar  ist,  dass  die  Urkunde  für  Schönau  sich  dieses  kirchlich  geächteten  Namens 
aus    gleichem  Grunde  enthält.     Kein  Zweifel  also,    die  Stiftung  Tutos  hat  eine 
Bestätigung  erfahren,  wie  gewisse  Ehen  nur  durch  die  sogenannte  passive  Assistenz 
des  Priesters.     Bei  Strafe    des    eigenen  Bannes    durfte  Bruno   das  fromme  Be- 
gehren Tutos  nur  beschränkt  erfüllen.     Ja,  es  darf  wohl  noch  mehr  gesagt,  es 
darf  behauptet  werden,  dass  der  Erzbischof  seine  Befugnisse  überschritten  hatte 
zu  gunsten  des  gräflichen  Bittstellers.    Es  fohlen  nämlich  der  Urkunde  jegliche 
kirchliche  Zeugen,    die    doch    bei  einer  Klostergründung  in  erster  Reihe  stehen 
müssten.     Ob  das  Trierer  Domkapitel  sich  weigerte,  Zeugen  zu  stellen  zur  Ver- 

')  Schliephake  1,  197.  —  -)  Schliephake  setzt  „etc.",  während  „Rettung",  Beyl.  III 
auch  dies  fortlässt.  An  der  Echtheit  der  Urkunde  deshalb  zu  zweifeln  ist  keine  Ursache. 
Aber  es  ist  immerhin  autfällig,  dass  der  Abschreiber,  wenn  er  noch  Weiteres  vorfand,  dies 
nicht  mit  abschrieb,  da  er  es  doch  bei  der  folgenden  Urkunde  wenigstens  nicht  ganz  unter- 
liesg.  —  «)  „Rettung",  Beyl.  IV.  Schliephake  1,  154  und  197.  Schon  Honnes  1,  4  hatte 
sich  des  glciclicn  Irrtums  schuldig  gemacht,  wie  auch  Kicmcr  2,  152. 


141 

briefung  dieser  kirchlich  anrüchigeu  Stiftung?  Ob  der  Erzbidchof  es  weislieh 
vermied,  das  Kapitel  mitthun  zu  lassen?  (ienug,  die  geistlichen  Zeugen  fehlen, 
und  die  Urkunde  erhält  dadurch  neben  der  beschränkten  Gewährung  der  Bitten 
Tutüs  ein  gewisses  halbamtliches  Aussehen. 

Und  selbst  diese  beschränkte,  gewissermassen  halbamtliche  Bestätigung 
—  das  dürfen  wir  dreist  hinzusetzen  —  war  ihrem  Hauptteil  nach  nur  durch 
den  Zwang  verwandtschaftlicher  Rücksicht  erreicht  worden.  Auch  das  ist  bis- 
her unerkannt  geblieben,  obgleich  es  deutlich  von  der  fraglichen  Urkunde  eben- 
sosehr, als  von  anderen  Seiten  bezeugt  wird.  In  der  Urkunde  nennt  der  Erzbischof 
den  Grafen  Tuto  ,amicus  noster."  Schliephake  war  sehr  im  Irrtum,  dies 
in  der  altrömischen  Bedeutung  , Freund"  zu  fassen'),  da  es  doch  die  sehr  deut- 
liche Übersetzung  des  mittelalterlichen  und  noch  heute  im  Volk  gangbaren 
Wortes  „Freund"  im  Sinne  von  Verwandter  ist. 2)  Das  wird  denn  anderwärts 
aufs  Unzweideutigste  bestätigt.  Erzbischof  Bruno  war  ein  Graf  von  Laufen.") 
Der  Arnsteinische  Lebensbeschreiber  aber  berichtet,  dass  die  fünfte  Tochter 
seines  Grafenhauses  mit  einem  Grafen  von  Laufen  vermählt  wurde.*)  Und  es 
ist  sogar  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  wir  Bruno  selber  als  Vermitteler  dieser 
Ehe  ansehen  dürfen,  da  er  zu  dieser  Zeit  nachweislich  noch  Propst  an  dem 
Floriustift  in  Coblenz  war'')  und  bei  der  Nähe  dieses  Orts  und  Laurenburgs  zu 
des  letzteren  Grafen  auch  in  wirklich  freundschaftlicher  Beziehung  gestanden 
haben  wird.  Ausserdem  sind  wir  genau  über  den  Grad  des  verwandtschaftlichen 
Verhältnisses  zwischen  beiden  Häusern  unterrichtet.  Die  von  Wenck^)  aufge- 
stellte, von  Stalin^)  gutgeheissene  Stammtafel  der  Grafen  von  Laufen  lässt 
erkennen,  dass  Bruno  Oheim  des  von  beiden  genannten  Geschichtsforschern 
richtig  erschlossenen  Grafen  Konrad  von  Laufen  w^ar,  der  sich  mit  jener  un- 
genannten fünften  Arnsteinerin  vermählt  hatte.  Diese  genealogische  Bestimmung 
ist  gleichzeitig  eine  um  so  erwünschtere  Bestätigung  der  von  uns  oben  festge- 
stellten Lebenszeiten  unserer  Laurenburg'schen  Grafen  zu  dieser  Zeit,  als  uns 
von  Bruno  berichtet  wird,  dass  er  hochbetagt  1124  starb. '^)  Für  uns  hier  aber 
ist  wichtig,  hiernach  zu  wissen,  dass  der  Erzbischof  als  angeheirateter  Verwandter 
Trutwins  und  durch  diesen  auch  Tutos  nicht  gleichgiltig  dem  an  ersterem  ver- 
übten Morde   gegenüberstehen  konnte  und  eben    darum  innerhalb  der  Grenzen 


*)  1,  154,  Anm.  —  ^)  Schon  ahd.  „friunt"  =  parens,  Graff  3,  784,  mhd.  „vriunt"  neben 
amicus  affinis,  consanguineus,  Verwandter,  Lex  er  2,  526  mit  vielen  Beispielen.  Ebenso  ist 
es  für  den  heutigen  Gebrauch  bezeugt:  in  Baiern  bei  Schmeller-Fromraann  1.  822,  in 
Kurhessen  bei  Vilmar,  Kurhess.  Idiotikon.  Marb.  1868,  110,  in  Niederdeutschland  bei  Soham- 
bach,  Wbch.  der  niederd.  Mundart.  Hannover  1S58,  281,  in  Üstfriesland  bei  Stürenberg, 
Ostfr.  Würterb.  Aurich  1857,  62,  in  Westfalen  bei  Woeste,  Wörterb.  der  westf.  Mundart. 
Leipzig  1882,  310  u.  s.  w.,  namentlich  aber  noch  in  Xassau  bei  Kehrein  2,  145,  nur  daas 
dessen  „an  vielen  Orten"  mit  „überall"  zu  ersetzen  ist.  „Freund"  hat  indessen  die  Bedeutung  „Ver- 
wandter" gewühnlich  im  Sinne  angeheirateter  oder  doch  weiterer  Verwandtschaft.  —  ')  Stalin, 
Wirtemb.  Gesch.  2  (1847)  416.  Brower  2,  2.  —  *)  Widmann,  Annal.  18,  248.  Kremer, 
Orig.  2,  363.  —  ^)  Brower  2,  2.  —  '^)  Hess.  Landesgesch.  1,  254.  Die  von  Kremer,  Orig. 
1,  332  aufgestellte  Geschlechtstafel  macht  Bruno  irriger  Weise  zum  Bruder  Kourads.  — 
")  2,  416.  —  ■*)  Brower  2,  19  zum  Jahre  1124:  „lade  gravibus  et  periculosis  morbis  ip-saque 
adpo  senecta  quassato  curpore,    septimo  Kalciid.  Muli,    hora  diei  prima,  vivendi  tinem  fecit." 


142 

seines  amtlichen  Könnens  den  Bestrebungen  des  letzteren  förderlich  sein  musste. 
Dazu  kommt,  dass  Bruno,  wie  ebenfalls  die  Urkunde  zeigt,  ohne  dass  es  bis 
jetzt  wäre  erkannt  worden,  noch  anderen  verwandtschaftlichen  Bittstellern  gegen- 
überstand als  Tuto.  Wir  finden  unter  den  Zeugen  des  letzteren  und  unmittelbar 
neben  ihm  „Reginboldus  de  romorsdorflF."  Das  ist,  da  Rommersdorf  im  Kreise 
Neuwied  eine  Isenburg'sche  Burg  war,  niemand  anders  als  der  uns  bekanntere 
Resiubold,  Reinbold  oder  Rembold  lU,,  der  mit  der  sechsten  Arnsteinerin  ver- 
mahlt  war^),  der  Sohn  jenes  Reinbold,  den  wir  in  der  oben  behandelten  Urkunde 
von  1093  als  Zeugen  kennen  lernten  neben  Tuto,  dem  Vater  Trutwins  und 
Tutos.  Der  auf  ihn  sofort  folgende  weitere  Zeuge  „Henricus  coraes  de  dyetsche" 
enthüllt  sich  uns  als  Trutwins  Mitschwieger,  da  er  der  Vater  des  Grafen  Embrico 
von  Dietz,  und  dieser  Gemahl  der  Tochter  Trutwins,  Demudis,  war.-)  Kein 
Zweifel  also,  Tuto  hatte  die  ganze  in  Betracht  kommende  Verwandtschaft  zur 
Seite  und  Bruno  um  so  weniger  Gelegenheit,  sich  auszuschliessen,  wo  alles  dazu 
angethan  war,  seine  ganze  menschliche  Neigung  zu  beschlagnahmen. 

Eine  innerliche  Geneigtheit  bei  äusserlicher  Förmlichkeit  und  Zurückhaltung 
ist  aber  noch  durch  anderes  zu  erhärten.  Bruno  hatte  selber  jahrelang  die 
kirchliche  Censur  dafür  gekostet,  dass  er  von  Heinrich  IV.  auf  den  erzbischöflichen 
Stuhl  war  erhoben  worden.  Nicht  nur,  dass  man  ihn  zur  Niederlegung  seiner 
Würde  bestimmen  wollte,  als  er  sechs  Jahre  nach  seiner  Wahl  zum  Erzbischof 
wich  in  Rom  stellte,  so  musste  er  sich  auch  drei  Jahre  lang  die  Busse  gefallen 
lassen,  die  Messe  ohne  Dalmatica  zu  lesen. ^)  Als  deutschgesinnter  Kirchenfürst 
und  Erwählter  des  mehrfach  gebannten  Kaisers  konnte  er  dazu  dem  Banne 
der  Kirche  nicht  den  römischen  Wert  beilegen.  Was  mehr  als  das  ist,  er  war 
auch  ein  aufrichtig  frommer  Mann*),  infolge  dessen  allen  schroffen  Handlungen 
abhold,  überall  zum  friedlichen  Vermittlen  bereit,  so  dass  er  bei  beiden  Parteien 
in  Achtung  stand,  zumal  er  ausserdem  ein  kluger  und  gelehrter  Mann  und  von 
nicht  geringer  Beredsamkeit  war.  Selbst  der  strenge  Jesuit  Brower  hält  ihn 
des   Lobes    wert,    wenn    er   gleich    an  ihm    tadelt,    dass  er  „schismatis  maligni 


•^  Wir  scliliessen  dies  mit  voller  Sicherheit  aus  den  von  Reck  a.  a.  0.  35  f.  und  40  bei- 
"•ebrachten  urkundlii^hcn  Belegen.  Vergl.  auch  dessen  Stammtafel  der  Isenburger.  Die  Ver- 
wandtschiifc  mit  Arnstein  s.  Kremer,  Orig.  2,  363.  Widmann,  Annal.  18,  248  und  Progr.  15. 
Fischer  kann  nur  für  die  Urkundenbelege  gebraucht  werden:  seine  eigenen  Schlüsse  be- 
dürfen sehr  der  Berichtigung.  Die  Behauptung  Günthers,  die  Wegeier,  Die  Prämonstraten- 
ser-Abtei  Rommersdorf,  Nach  einer  Handschrift  und  Urkundensammlung  des  Weihbischofs 
W.  A.  Günther  bearbeitet.  Coblenz  1882,  4  kritiklos  wiederholt,  dass  die  von  Isenburg  und  Rom- 
morsdorf zwei  verschiedene  Dynastengeschlechter  darstellen  möchten,  ist  durch  Reck  schon 
beanstandet.  —  '^)  Vergl.  Wenck,  Hess.  Landesgesch.  1,  538.  v.  Arnoldi,  Gesch  der  Oran- 
Nass  Länder  2,  55.  Vogel,  Beschr.  206.  Kremer,  Orig.  2,  363.  Widmann,  Annal.  18, 
247.  Ein  Verwandter  dieses  Grafen  scheint  auch,  aus  Wenck  1,  537  zu  schliessen,  der  un- 
mittelbar nach  ihm  folgende  „Anshelmus  de  Moloberg",  d.  h.  Molsberg  zu  sein.  Über  den- 
selben 3.  Goerz,  Nachrichten  über  die  Burg  und  die  Geschichte  der  Herrn  von  Molsberg, 
Annal.  3  341.  Vogel,  Beschr.  257.  Die  übrigen:  „Anefriet  de  tornedorff  (Dorndorf  bei 
Iladamar),  fredericus  de  brubach,  Wernherus  asinhaga"  (V)  Dietfryt  de  nestre  (Nister  bei  Marien- 
statt), „Winehart  et  Gerlach  de  railiggin"  (Meilingen),  „Ello  de  Lantroth"  (Läutert)  sind  nicht 
näher  zu  bestimmen.  —  '')  Magnura  chron.  belg.  bei  Struve,  Rerum  germ.  veteres  scriptores 
1,  152  f.  —    'j  Ebenda. 


143 

nubilo  semel  perfusus"  gewesen  sei.*)  Nehmen  wir  liinzu,  dass  er  damals  im 
höheren  Alter  stand,  alsu  um  so  milder  und  nachgiebiger  sein  musste,  so  ist 
mehr  als  gewiss,  dass  er  dem  frommen  Verlangen  Tutos  soviel  Herz  zuwandte, 
als  sich  nur  mit  der  Würde  seines  Kirclienamts  vereinigen  Hess.  Der  Verwandte, 
der  Christ,  der  Greis  verglich  sich  nachgiebig  und  klug  mit  dem  Kirchenflirsten, 
und  das  Kloster  durfte  sein. 

Es  ist  aber  noch  ein  anderes,  was  uns  die  halbwegs  hinter  dem  Rücken 
der  amtlichen  Kirche  zu  stände  gekommene  Gründung  der  Propstei  Lipporn 
anzudeuten  scheint:  die  Berufung  alemannischer  Mönche  zu  ihrer  Besiedelun«-. 
Man  hatte  ja  wohl  gesagt:  „dass  Ordensbrüder  bei  neuen  Klöstern  zu  deren 
Übernahme  und  Einrichtung  weither  gerufen  wurden,  und  als  förmliche  Kolonie 
mit  ihrem  kirchlichen  Bedarf  einzogen,  sei  nichts  Seltenes." 2)  Indes  nicht  nur, 
dass  dies  für  Nassau  hier  zum  erstenmale  geschah  und  die  von  Schliephake") 
herbeigezogenen  Klostergrüudungen  zu  Eberbach  und  Arnstein,  wie  auch  die 
zu  Rommersdorf,  erheblich  später  fallen,  ja  wie  letztere,  unser  Lipporn  offenbar 
zum  Muster  haben*),  so  liegt  auch  bei  allen  diesen  Stiftungen  kein  Stiftungs- 
grund wie  der  unserige  vor.  Auch  ist  es  nach  unserer  obigen  Darstellung  eine 
gegenstandslose  Vermutung  Schliephake's''),  wenn  er  sagt:  „Zur  Erklärung 
des  zwischen  Lipporn  und  Schaffhausen  hergestellten  Verhältnisses  mag  der 
Umstand  dienen,  dass  Erzbischof  Bruno  zu  Trier,  der  aus  dem  Hause  der  Grafen 
von  Laufen  abstammte,  für  Schaffhausen  sich  besonders  verwandte  und  seinen 
Freund,  den  Grafen  Tuto,  zu  jener  Anordnung  zu  gunsten  von  St,  Salvator 
bewog."  Denn  wie  durfte  Bruno,  wenn  auch  nur  heimlich,  befördern,  was  er 
amtlich  so  zurückhaltend  behandeln  musste;  und  dies  selbst  von  dem  Gesichts- 
punkte aus,  dass  er  der  Schaff  hauser  Abtei  noch  so  viel  näher  stand,  als  Schi  iep- 
hake  bekannt  erscheint.*')  Bruno  ist  nämlich  als  der  Blutsverwandte  von  deren 
Stifter,  dem  Grafen  Eberhard  von  Nellenburg,  dem  Seligen  bezeugt,  der  selber 
in  diese  seine  1056  gemachte  Stiftung  zwischen  1075  und  79  eintrat.^)     Ausser- 


')  1,  19,  woselbst  auch  daa  „medium  ferire  didicisset"  zu  seinem  Lobe  erwähnt  wird. 
Trudpert  Jfeugart  in  seinem  nachgelassenen,  von  Mona  herausgegebenen  zweiten  Bande 
des  ersten  Teils  seines  wichtigen  „Episcopatus  Constantiensis  sub  metropoli  moguntina  chrono- 
logice  et  diplomatiee  illustratus."  Friburgi  Brisgovie  1862,  21  bemerkt:  „Ex  episcopis  Germanlae 
Bruno  Trevirensis  pro  auctoritate  atque  juribus  imperatoris  tarn  prudenfer  atque  moderate 
propugnavit,  ut  etiam  apud  papara  gratia  valeret."  Weiteres,  was  man  über  Bruno  urkundlidi 
weiss,  ist  bei  Stalin  2,  418  gesammelt.  —  ^)  Schliephake  1,  154,  Anm.  —  *)  Ebenda.  — 
*)  Rommersdorf  wurde  gegründet  von  einem  Gerlach  aus  dem  Hause  Isenburg-Rommersdorf, 
wie  wenigstens  Reck  41  wahrscheinlich  findet.  Einen  „Reginboldus  de  romorsdorff"  aber  haben 
wir  oben  kennen  gelernt.  Das  Jahr  der  Gründung  ist  nicht  festgestellt,  aber  nach  Schliep- 
hake später  als  das  der  Gründung  Lipporns.  Vergl.  Goerz,  Mittelrh.  Regesten  1,  547.  Becker, 
Das  Necrologium  der  Abtei  Arnstein,  Annal.  16,  42.  Roth,  Die  Visionen  VIII.  Wegeier  3  f. 
wiederholt  nur  Günther  mit  seinen  irrigen  Ansätzen  und  führt  S.  5  der  ,, Annales  sacri  et 
canonici  ordinis  Praemonstratensis",  Nancy  1734  für  ein  Gründungsjahr  1125  an.  —  ^)  A.  a.  O. 
®)  Trotz  AVenck,  Hist.  Abh  1,  51!  — ^)  In  cod.  msc.  bibliothecae  Schaffhus.  S.  Joannis  vocatur 
„consanguineus  Eberhardi  conütis  qui  locum  Schaffhusanum  [i.  e.  monasterium  0.  O.  S.  S.  seu 
S.  Salvatoris]  construxerat,  vir  divinarum  ac  secularium  rerum  scientia  ad  plurimum  instructua". 
Neugart,  Episc.  Constant.  1,  2,  21.  Vergl.  Stalin  1,  553  f.  Die  nähere  verwandtschaftliche 
Beziehung  zwischen  den  Grafen  von  Nellenburg  und  Laufen  ist  aber  niclit  mehr  festzustellen. 


144 

dem  unterhielt  er  den  lebhaftesten  Verkehr  mit  den  Mönchen  des  Klosters. 
Dessen  Abt  Adelbert  erlangte  von  ihm  auf  vieles  Bitten  die  Leiber  der  hl. 
Constans  und  Alexander,  ehemaliger  Senatoren  von  Trier,  wie  den  des  hl.  Bischofs 
Leguntius.^)  Da  letzteres  bei  einem  Aufenthalte  Brunos  in  Schwaben  für  das 
Jahr  1117  bezeugt  ist,  so  meinte  1816  schon  auch  Neugart,  dass  er  den  Grafen 
Tuto  von  Laureuburg  „wahrscheinlich"  überredet  habe,  das  von  diesem  ge- 
gründete Kloster  Lichtborn  dieser  Abtei  Aller  Heiligen  zu  unterstellen.^)  Aber 
auch  seine  Annahme  ist,  abgesehen  von  dem  bereits  Gesagten,  deshalb  völlig 
grundlos,  weil  sie  nur  einen  Schluss  aus  Tutos  und  Brunos  Urkunden  darstellt.^) 
Nein,  Tuto  handelte  selbständig.  Musste  er  auch  von  den  nahen  Beziehungen 
des  Erzbischofs  zum  Schaffhauser  Kloster  wissen,  so  konnte  ihn  dies  bei  der 
Wahl  auswärtiger  Ordensbrüder  nur  insofern  leiten,  als  sich  Schaffhausen  ihm 
als  das  dem  Erzbischof  so  nahestehende  Kloster  besonders  empfehlen  mochte. 
Sein  Hauptgedanke  hatte  sich  vielmehr  darauf  zu  richten,  Mönche  für  seine 
Stiftung  zu  gewinnen,  die  seiner  Sühneabsicht  entsprachen.  Dazu  waren  solche 
von  weither  am  besten  geeignet,  weil  sie  vorurteilsfreier  dachten,  als  die  mit 
dem  Sachverhalt  genauer  bekannten  der  Nähe.  Vielleicht  auch,  dass  Tuto  in 
Erfahrung  gebracht,  dass  die  Schaffhauser  Mönche  zu  jenen  „religiosi"  gehörten, 
von  denen  wir  oben  uns  erzählen  Hessen,  dass  sie  dem  Banne  freier  gegenüber- 
standen. Ausserdem  wird  ja  freilich  auch  in  Betracht  zu  ziehen  sein,  dass  die 
Schaffhauser  Benediktiner  als  Männer  strenger  Askese  minder  anspruchsvoll 
waren  als  andere.  In  Lipporn,  das  geht  aus  der  Urkunde  Brunos  hervor,  waren 
ihnen  so  karge  Bissen  zugemessen,  dass  sie  sich  noch  den  Zehnten  in  Meilingen 
ausbitten  mussten.  Scheinen  doch  die  gleichen  Verhältnisse,  wie  in  Rommers- 
dorf,  obgewaltet  zu  haben,  von  dem  uns  erzählt  wird,  dass  die  Schaffhauser 
Mönche  daselbst  bei  einer  alten  Kapelle  unter  ihrem  Abte  Hermann  das  klöster- 
liche Leben  solange  führten,  bis  sie  wegen  zu  grosser  Dürftigkeit  des  Orts 
denselben  wieder  verlassen  mussten.^)  Auf  alle  Fälle  erhellt  aus  den  beiden 
Lipporner  l'rkunden,  dass  Tuto  seine  Absicht  erreichte.  Der  Abt  Adelbert 
übernahm  das  Totenamt  in  Schaffhausen^'  schickte  seine  Mönche  zu  gleichem 
Zwecke  nach  Lipporn  und  vereinigte  sich  mit  Tuto  zur  Bitte  um  den  Zehnten 
in  Meilingen  für  die  junge  Stiftung.  Und  diese  Verbindung  mit  Schaffhausen 
ward  offenbar  auch  dann  nicht  gelöst,  als  die  Propstei  Lipporn  nach  Schönau 
versetzt  wurde,  um  dort  zur  Abtei  zu  werden.  Denn  in  dem  Weistum  des 
letzteren    vom  Jahre  1573,    „so  sich    auf  ein  älteres  fundiret  de  anno  1407"^), 


Derselbe    2,    418.     Vergl.  auch  Brower  1,  545",  der  dabei   irrig  vom,  ,monasterio  . . .  nomine 
iluodecim  apostolorum  condito"  redet, 

')  Nach  einem  gleichzeitigen  Msc.  bei  Neugart  a.  a,  0.  —  ^)  Ebenda  22:  „et  verisi- 
niiliter  Dudoni  de  Laurenburg  persuasit,  ut  monasterium  Lichtbornense  ob  ipso  fundatum, 
abbatiae  0.  O.  S.  Ü.  subnütteret."  Roth,  Die  Visionen  VIII  scheint  auch  hiervon  zu  wissen, 
liisst  aber  dreist  „verisiniiliter"  aus  dem  Spiel,  das  übrigens  auch  Ooerz,  Mittelrh  Regesten  1,  471 
nicht  l)eachtet  hat,  und  erfindet  ebenso  dreist  alles  Weitere,  entsprechend  dem  ganzen  Romane, 
flen  er  aus  Tutos  Leben  herausgezaubert  hat.  —  ^)  Das  geht  hervor  aus  seiner  Bemerkung 
ebenda:  „Factam  traditionem  Bruno  confirmavit.  Vide  litteras  Dudonis  et  Brununis  archiep. 
notis  clironicis  careutes  in  deductione:  „Rettung"  u.  s  w.  —  *)  Goerz,  Mittelrh.  Regesten  1, 
540  f.  Wegelcr,  2.  —  ')  „Rettung"  14  und  BeyL  ,XIV  S.  10  und  12.  Dieselbe  Stelle  hat 
aclion  Wenck,  Hist.  Abli.  1,  52  und  Roth,  Die  Visionen  XI  abgedruckt. 


145 

heisst  es :  „Item  haben  die  Scheffen  geweist  ihren  Oberhoff  zu  Schaffhausen  mit 
solchem  unterscheiden,  welche  Parthey  ausheischet,  die  solte  den  Scheffen  bestellen 
einen  Karn  und  dafür  spannen  einen  Füllen,  der  neue  Ingespannt  sy  und  mit 
Hanen-Dorn  beschlagen  seye  und  sie  gesund  lieffern  gegen  Schaaffhausen,  und 
herwieder,  und  wann  dem  Füllen  ein  Eisen  abfält,  da  sollen  sie  über  Nacht') 
verbleiben,  und  da  sollen  sie  den  Scheffen  wohl  gütlich  thun."  Das  Mutter- 
kloster zu  Schaffhausen  behielt  also  trotz  der  Mündigkeit  der  Tochter  ein  altes 
Vorrecht. 

Ihre  noch  heute  sichtbare  Spur  aber,  das  darf,  da  wir  ohnedies  durch  das 
bisher  Gesagte  das  "Wie  der  Gründung  Lipporns  genugsam  beleuchtet  erachten, 
an  dieser  Stelle  einzuschalten  nicht  unterlassen  werden,  hat  diese  geistliche  Schaff- 
hauser  Kolonie  in  der  von  uns  oben  behandelten  Trutwin-Legende  hinterlassen. 
Nicht  als  ob  wir  die  biederen  Alemannen  selber  für  die  Erfinder  derselben 
erklären  wollten.  Aber  sie  haben  ohne  Zweifel  das  dazu  mitgebracht,  was  der 
Erfinder  so  unglücklich  für  seine  Erfindung  benutzt  hat:  die  Geschichte  vom 
Herzog  Hermann  und  seinem  „capellanus"  Hartbert.  Sei  es  nun,  dass  sie  den 
Stoff  dazu  unter  ihren  Bücherschätzen  in  Gestalt  einer  alemannischen  Chronik 
mit  sich  führten,  oder  sei  es,  dass  sie  ihn  an  Ort  und  Stelle  durch  Aufzeichnungen 
aus  der  Geschichte  der  Heimat  bereiteten.  Es  will  uns  deshalb  nicht  ausge- 
schlossen erscheinen,  dass  die  von  uns  oben  so  mühsam  zusammengeklaubten 
Bruchstücke  alemannischer  Geschichte  sich  irgendwo  noch  einmal  im  Zusammen- 
hange entdecken  lassen  in  einem  glücklich  wiedergefundenen  Bande  aus  der 
Lipporn-  Schönauer  Bücherei,  von  der  auch  nicht  eine  einzige  weit-  oder  kirchen- 
geschichtliche Handschrift  auf  uns  gekommen  ist,  obwohl  sie  solche  sicher  neben 
ihren  Andachts-  und  dogmatisch-scholastischen  Schriften  beherbergte,  wenn 
anders  echt  benediktinischer  Geist  im  Kloster  wohnte,  namentlich  der  geschicht- 
liche Sinn  von  Schaffhausen  mitgebracht  war,  der  andere  Klöster  des  Konstanzer 
Kirchensprengels  auszeichnete. 

Kommen  wir  nun  zum  Wann  der  Tuto'schen  Stiftung.  Schon  oben  wurde 
bemerkt,  dass  uns  durch  die  Sorglosigkeit  der  Abschreiber  oder  durch  welchen 
Zufall  sonst  das  Datum  der  Lipporner  Urkunden  vorenthalten  ist,  "Wir  sind 
deshalb  auf  die  Zeit  zwischen  1102  und  1124  gewiesen,  in  welcher  Bruno  nach 
Ausweis  sicherer  Geschichte  Erzbischof  von  Trier  war.  Innerhalb  dieser  Zeit 
, circa  an.  1114"  anzusetzen,  wie  Kremer^)  that,  ist  rein  willkürlich.  Ebenso 
hinfallig  erweist  sich  der  Ansatz  des  Coblenzer  Archivpr?  Goerz'j  auf  das 
Jahr  1117,  da  er  sich  auf  das  von  uns  oben  zurückgewiesene  „verisimiliter" 
seines  Gewährsmannos  Neugart  stützt.  Der  einzige  Anhalt,  der  sich  aus  Tutos 
Urkunde  bietet,  ist  dessen  Bemerkung:  „iam  diu  deliberavi."  Darnach  ist 
„schon  eine  geraume  Zeit**  verflossen,  seitdem  Trutwin  erschlagen  ward  und 
seine  Stiftung   für   die   Lipporner  Kirche   bestand.     Da   wir   nun    voraussetzen 


')  Im  Texte  steht  , Macht".  Roth  liest  daraus  „"Wacht"  und  setzt  in  Klammern  dauei 
„(ob  Nacht?)!"  „Rettung"  14  steht  dafür  doch  klärlich  „übernachten"  und  ihr  Verfasser  erklärt 
472 :  „Die  Fehler  in  denen  Beylagen  will  der  Verfasser  nicht  ändern,  als  welcher  den  Druck 
dererselben  gar  nicht  und  nur  den  seiner  Schrifft  von  p.  165  biss  zu  End  revidirt  hat."  — 
*)  Orig.  2,  151  f.  —  ')  Mittelrh.  Regesten  1,  471. 

10 


146 

dürfen,  dass  der  Mord  des  Bruders  nicht  gerade  in  die  ersten  Jahre  des  zwölften 
Jahrhunderts  fiel,  weil  doch  immerhin  erst  eine  langjährige  hartnäckige  Ver- 
achtung der  kirchlichen  Strafe  seitens  Trutwins  und  ein  langdauernder  Entzug 
der  gewohnten  kirchlichen  Gnadenmittel  den  Fanatismus  zur  Mordwaffe  greifen 
lassen  mochte,  so  ist  eine  Hinausrückung  in  das  zweite  Jahrzehnt  des  gedachten 
Zeitraums  für  den  endlichen  Entschluss  Tutos  um  so  mehr  geboten,  als  diesem 
die  Sühne  des  Bruders  durch  die  Schenkung  an  die  Kirche  zunächst  als  eine 
auskömmliche  erscheinen  musste.  Was  konnte  also  seinen  Gedanken  eine  andere 
Richtung  geben?  Und  was  leitete  sie  auf  eine  grössere  Busse,  als  die  mit 
der  Schenkung  an  die  Kirche  vollzogene?  Wir  gehen  schwerlich  fehl,  wenn 
wir  an  erschütternde  Zeitereignisse  denken,  die  nicht  bloss  Tuto,  sondern  auch 
andere  Zeitgenossen  auf  ernstere  kirchliche  Gedanken  brachten.  Solcher  aber 
bieten  sich  zunächst  in  dem  schrecklichen  Erdbeben  dar,  das  im  Jahre  1117 
„acht  Tage  nach  dem  Feste  Johannis  des  Evangelisten"  sich  über  den  ganzen 
Erdkreis  verbreitete  und  zweimal  zwischen  Tag  und  Nacht  die  damalige  Welt 
in  einer  Weise  entsetzte,  dass  keine  Chronik^)  vergessen  hat,  von  den  erlebten 
Häusereinstürzen  und  Menschenverlusten  zu  erzählen.  Ausserdem  liess  das 
ganze  Jahr  eine  Reihe  so  schreckhafter  anderweitiger  Naturerscheinungen  schauen, 
dass  man  den  letzten  Tag  gekomm.en  erachtete,  und,  wie  ein  Annalist  bemerkt, 
„viele  ernstlich  an  Besserung  ihres  Wandels  dachten."  Zu  dem  allem  verbreitete 
der  von  Erzbischof  Adelbert  von  Mainz  angeschürte  Krieg  seine  Schrecken.^) 
Sollte  da  die  Annahme  allzu  gewagt  erscheinen,  dass  ein  Mann  wie  Tuto,  den 
wir  durch  eine  Klostergründung  ernsteren  Gedanken  im  Sinne  seiner  Zeit  zu- 
o-änglich  sehen,  der  allgemeinen  Bussstimmung  seinen  Zoll  bezahlt  und  an  die 
Ausführung  eines  Entschlusses  gedacht  haben  werde,  den  er  schon  lange  mit 
sich  herumtrug  ?  Will  uns  doch  scheinen,  dass  gerade  der  unauslöschliche  Ein- 
druck, den  solche  ungeheure  Erlebnisse  auf  die  Seele  so  gestimmter  Menschen 
zu  machen  pflegen,  ihm  gewissermassen  die  göttliche  Erlaubnis  zu  geben  schien, 
auf  eigene  Faust  eine  Sühnung  zu  suchen,  die  ihm  die  Kirche  verwehrte,  und 
gleichzeitig  dabei  sein  eigenes  Seelenheil  mit  dem  seiner  übrigen  Sippe  zu  be- 
denken. Die  Geissler  und  so  manche  andere  ausserkirchliche  Erscheinungen 
des  Mittelalters    von    innerst   kirchlichem  Sinne   sind    uns  des   sattsam  Gewähr, 


•)  Goerz,  Mittelrh.  Regesten  1,  470  hat  ihm  ein  eigenes  Regest  gewidmet  und  eine 
Anzahl  von  chronikalen  Nachrichten  daselbst  verzeichnet,  denen  wir  noch  die  bei  Neugart, 
Episc.  const.  1,  2,  22  beifügen  und  aus  Nassau  den  Bericht  der  Eberbacher  Chroniken  bei 
Zais,  Beitrag  zur  Geschichte  des  Erzstifts  Mainz  6  und  Widmann  im  Neuen  Archiv  13,  133. 
—  *)  Annal.  Saxo.  Dodechin.  bei  Neugart  a.a.O.  Brower  2,  13  fasst  dies  alles  zusammen, 
wenn  er  schreibt:  „Porro  huius  anni  intoleranda  mala,  ac  perniciosa  Reipublicae  dissidia  con- 
citore  Adelberto  Moguntino  acerrimo,  haud  facile  sopienda,  proximo,  coelestia  prodigia  auxere, 
cum  superum  ira,  non  minore  nocendi  acerbitate,  erupit:  nam  ingens  hieme  gelida  terrae 
motus,  et  elisorum  fulrainum  ubique  jactus,  tremenda  ([uoque  tonitrua,  (juales  nemo  meminerut, 
cum  grandine  immissae  tempestates.  Coelum  deinde  visum  igni  ardere  plurimo,  tantus  denique 
terror  homines  ubique  pervasit,  ut  mente  [iropemodum  attonitis,  subiret  novissimam  adesse 
mundo  noctem.  Omniura  igitur  nationum  populis,  ad  pacem  Dei,  veniamquo  impctraiidam 
conversis,  solum  Gernianiae  regnum,  velut  amisso  jam  sensu  culamitatis,  neque  moti  ira  Numinis 
neque  tot  ultro  citroque  et  illatis  et  acceptis  oladibus  malorum  finem  invenit." 


147 

indem  sie  getrieben  vom  unermesslichen  Zeitelend  die  kirchliche  Ordnung  durch- 
brechen und  ihr  Heil  auf  eigener  Fährte  suchen,  weil  es  die  Kirche  ihnen  nicht 
bieten  zu  können  schien.  Dass  eine  nüchterne,  geschäftliche  Urkunde  davon 
nichts  zu  erzählen  weiss,  kann  nicht  wundernehmen.  Das  mittelalterliche  Ge- 
fühl hat  ohnedies  mehr  Thaten,  als  Worte.  Und  das  Kloster  Lipporn  war 
eine  solche  That.  Setzen  wir  also  immerhin,  da  die  geschriebene  Geschichte 
für  uns  schweigt,  das  Jahr  1117  als  das  mutmasslich  entsprechendste  Geburts- 
jahr des  Stiftungsgedankens  in  der  Seele  Tutos  fest.  Jedenfalls  haben  wir  dabei 
auch  das  für  uns,  dass  das  am  weitesten  hinausgerückte  Jahr  uns  mit  dem  so- 
viel älteren  auch  den  soviel  ernster  gestimmten  Stifter  zeitigt.  Jünglinge  stiften 
keine  Klöster  und  der  einer  allzustark  genossenen  Welt  satte  Graf  Ludwig  war 
doch  auch  schon  30  Jahre  alt,  als  er  Klosterstifter  und  Mönch  zugleich  ward. 
Tuto  aber  haben  wir  zu  dieser  Zeit  nach  unserer  Rechnung  als  angehenden 
Vierziger  zu  denken  und  vielleicht  gar  als  kränklichen  Mann,  da  er  bald  nach 
seiner  Stiftung  gestorben  sein  muss.  Denn  von  nun  an  hören  wir  nichts  mehr 
von  ihm.  Die  von  ihm  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  bevormundeten  Söhne 
des  Bruders,  Ruprecht  und  Arnold,  treten  vom  Jahre  1123  ab  in  Unterschriften 
als  Zeugen,  also  .als  angehende  Männer  und  mündige  Verwalter  ihrer  Graf- 
schaft, auf.^) 

Aber  nicht  bloss  dass  Tuto  zu  dieser  Zeit  aus  der  Geschichte  verschwindet, 
so  verschwindet  auch  seine  Stiftung  mit  ihm.  Bereits  1126,  wie  wir  oben  sahen, 
ist  Schönau  an  seiner  statt  erstanden.  Woher  dieser  plötzliche  Wandel,  der 
sich  für  uns  ebenso  stumm  vollzieht,  wie  im  Grunde  die  Stiftung  Lipporn? 
Auch  hier  also  hat  die  geschichtliche  Mutmassung  an  die  Stelle  der  Geschichte 
zu  treten,  und  wir  denken  derselben  diesen  ihren  Charakter,  wie  bisher,  zu 
wahren,  wenn  wir  das  Folgende  zur  Erwägung  stellen. 

Am  25.  April  1124  hatte  Bruno  seine  müden  Augen  geschlossen,  und 
wir  haben  alle  Ursache  anzunehmen,  dass  es  seinen  bis  dahin  offenen  gelungen 
war,  dem  ihm  untergebenen  Bischöfe  von  Worms  zu  bedeuten,  dass  er  mit  seinen 
Laurenburg'schen  Verwandten  den  Streit  wegen  Nassau  beruhen  Hess.  Denn 
noch  am  1.  April  1124  sehen  wir  die  beiden  Grafen  Ruprecht  und  Arnold 
friedsam  die  bereits  oben  berührte  Urkunde  zur  Bestätigung  eines  „beneficium" 
der  Pfalzgräfin  Adelheid  für  ihren  „capellanus"  Manegold  mit  dem  Bischof  Bucco 
von  Worms  in  Mainz  als  Zeugen  unterschreiben.*)  Aber  schon  „zwei  Monate 
und  acht  Tage"  darnach,  im  Anfang  des  August^),  wurdp  der  frühere  Dom- 
dekan von  Trier,  Godcfridus,  ein  Lütticher  von  edler  Geburt,  zum  Erzbischof 
daselbst  gewählt,  und  noch  im  selben  Jahre  linden  wir  den  Neuerwählten  in 
Worms,  wo  er  in  erlesener  Fürstenversammlung  gemeinsam  mit  den  Bischöfen 
von  Mainz,  Köln  und  Toul  unter  dem  Vorsitze  des  Kaisers  und  in  Gegenwart 
des   päpstlichen  Legaten,    Bischofs    von  Praeneste,   die   auf  der   Tagesordnung 


>)  Vogel,  Beschr.  298  mit  den  Belegen.  —  -)  Act.  Pal.  3,  82.  Die  Grafen  sind  dabei 
zwar  ohne  ihren  Titel  „de  Lurenburg"  aufgeführt,  aber  der  unmittelbar  nach  ihnen  verzeichnete, 
uns  von  oben  bekannte  ,,An8helmu3  de  MoUeaberg"  lässt  als  ihnen  Nahestehender  keinen  Zweifel 
an  ihrer  Selbigkeit,  die  denn  auch  bis  jetzt  noch  von  Niemanden  bestritten  ist.  —  ^)  Brower 
2,  20». 

10* 


148 

stehende  Sache  des  Bischofs  Gebhard  von  Würzburg  mitberaten  hilft.  ^)  Dass 
bei  diesem  Anlasse  Unterredungen  mit  dem  Bischof  Bucco  stattgefunden  haben 
werden,  die  sich  um  Nassau,  wie  nicht  minder  um  das  Kloster  Lipporn  drehten, 
darf  mit  Sicherheit  angenommen  werden.  Der  neue  Trierer  Kirchenfürst  hatte 
keine  Rücksicht  zu  nehmen  auf  die  verwandtschaftlichen  und  altersschwachen 
Gefühle  seines  Vorgängers,  stand  wohl  schon  gleich  als  Mitglied  des  Domkapitels, 
wie  wir  oben  andeuteten,  denselben  entgegen,  und  der  Bischof  von  "Worms 
hatte  schwerlich  mehr  als  offene  Thüren  einzustosseu,  um  seiner  Kirche  Rache 
zu  verschaffen,  wenn  er  die  verhasste  Stiftung  für  Trutwin  als  Hindernis  seiner 
Ansprüche  auf  Nassau  zunächst  zur  Ausrottung  empfahl.  Liegt  es  doch  auch 
nahe  zu  vermuten,  dass  die  dem  alten  Bruno  ganz  ungewöhnliche  Tonart  in 
Androhung  des  Bannes  gegen  den  kirchenräuberischen  Grafen  Wilhelm  von 
Luxemburg  zwei  Jahre  vor  seinem  Tode  nicht  ohne  Drängen  des  mächtigen 
Domkapitels,  mithin  auch  Godefrids,  angeschlagen  worden  ist.*)  Überdies  lesen 
wir  im  Briefe  Heinrichs  V.  an  den  neuen  Erzbischof  etwas  von  den  Anfangen 
seiner  Herstellung  eines  neuen  Zustandes  der  Dinge  im  Trierer  Erzbistum,  und 
es  wird  nur  dem  auch  schon  alten  Manne  noch  grössere  Energie  vorzugsweise 
gegen  den  wieder  rückfallig  gewordenen  Luxemburger  empfohlen,  offenbar  unter 
dem  Zuthun  des  ihm  abgünstigen  Domkapitels.^)  Genug,  Lipporn  musste  fallen, 
und  wenn  etwas,  so  ist  sein  Fall  das  erste  Siegel  auf  unsere  Erörterungen 
über  die  Natur  dieser  wohl  einzig  in  deutscher  Kirchengeschichte  dastehenden 
Gründung. 

Aber  es  sollte  nicht  ins  Freie  fallen  und  nicht  allsogleich.  Das  bezeugt 
die  Gründung  Schönaus  und  vor  allem  die  wichtige  Nachricht,  die  wir  dem 
oben  berichteten  Streite  zwischen  dem  Mönchs-  und  Nonnenkloster  dieses  Ortes 
aus  dem  Jahre  150G  verdanken,  dass  der  Nonnen  „Monasterium,  verius  autem 
Clausorium"  das  erste  auf  dem  Platze  gewesen  sei.*)  Man  gewährte  also,  wie 
daraus  ersichthch,  den  Laurenburgern  die  Gunst,  die  Verlegung  durch  eine 
scheinbar  nötig  gewordene  Erweiterung  der  alten  Anlage  vor  den  Augen  der 
Welt  zu  verdecken.  Aber  da  man  doch  nicht  die  Einkünfte  Lipporns  dran 
gab*),  sondern  nur  das  Kloster  selbst,  so  haben  wir  allen  Grund,  nunmehr  noch 
einen  Schritt  weiter  zu  gehen,  als  oben,  wo  wir  allein  die  Möglichkeit  der  Er- 
mordung Trutwins  in  Lipporn  zugaben.  Das  Sühnekloster,  das  wird  nun  klar, 
stand  auf  dem  durch  den  Tod  eines  im  Banne  Gewesenen  entheiligten  Boden, 
und  der  Schönauer  Legendist  hat  uns  auch  diese  geschichtliche  Thatsache  ge- 
rettet, indem  er  sie  für  seinen  frommen  Grafen  Trutwin  schlau  nach  Schönau 
verlegte,  wo  dieser  „in  eodem  loco,  quo  fixus  fuerat,  claustrum  benedictorum 
nomine  schönaw  construi  fecit." 


>)  Ebenda  20''.—  '^)  Goerz,  Mittelrh.  Regesten  1,  479.  —  ^)  Brower  2,  21«:  „Quarc 
iit  eam  [pacera]  tota  diooccsi  provinciaque,  uti  nuidem  coopisti,  melius  excolere  in  posterum 
(jueas,  te  graviter  otiam  et  serio  moneo  atque  adhortor."  —  *)  Hiernach  sind  alle  seitherigen 
Angaben  von  dem  späteren  Entstehen  des  Xonncnklosters  zu  berichtigen.  Schon  hiernach  ist 
die  Angabe  bei  Brower  2,  21  falcch.  —  *)  Wie  aus  dem  päpstlichen  Bestätigungsbriefe  des 
Klosters  vom  9.  März  1213  hervorgeht.  Vergl  „Rottung"  4  und  Beyl.  IL  S.  2  und  Thritemius 
Clirun.  hirsaug.    St.  Gallen  1G90,  1,  .384,  wie  Schliepliake  1,  168. 


149 

Eiue   weitere  Verdeckung   des  Laurenburg'schen  Rückzugs   war   die  Er- 
hebung  der    Propstei    Lipporn    zur   Abtei')    Schönau,    die    auch    baulich   sicher 
mehrere  Jahre  in  Anspruch  nahm.    Aber  dieser  Rückzug,  sobald  er  sich  vollendet 
zeigt  im  Bau,  kehrt  nun  —  ein  bedeutsames  Zeichen  und  ein  weiteres  Zeugnis 
für  die  Richtigkeit    unserer    bisherigen  Darstellung  —  mit    einmal  seine  Spitze 
gegen  Trier  und  wird  zum  deutlichen  Gegenzuge  gegen  es.    Denn  nun  tritt  die 
Urkunde  von  1132  in  Kraft,  die  wir  oben  vorübergehend  in  Betracht  zu  ziehen 
hatten,    und   die  es  nun  gilt,   näher  zu  besehen.     In  ihr  verkündigt  Erzbischof 
Adelbert  von  Mainz,  dass  sein  Verwandter,  Graf  „Ruobertus  de  Luorenburch", 
das  auf  seinem  Gute  in  Schönau  für  sein  und  seiner  Blutsverwandten  Seelenheil 
gegründete   und    dem    mönchischen  Leben-)    unter  dem  Abte  Hildelin  überant- 
wortete Kloster   dem  hl.  Martin   in  Mainz  mit  allem,    was  zu  ihm  gehöre,    auf 
ewig  zu  eigen  gegeben  habe.     Er  bestimmt  dabei,  dass  die  Mönche  freie  Abts- 
wahl haben,  ihr  Erwählter  aber  von  ihm  und  seinen  Nachfolgern  die  Investitur 
und   vom  Erzbischofe    in  Trier  die  Weihe  empfangen    solle.     Hierauf  folgt  die 
schon  oben  gemeldete  Auflage    betreffs  des  am  Martinstage  zu  liefernden  Cor- 
porale's  und  der  Feier  der  erzbischöflichen  Jahresgedächtnisse,  und  endlich  die 
Festsetzung,  dass  der  Graf  die  Vogtei  über  die  Abtei  aus  der  Hand  Adelberts 
empfange  und  dass  dieselbe  fortan  gebunden  sei  an  die  Besitzer  von  Meilingen, 
sowie  dass   kein  Zweiter   oder  Dritter  sie  von  den  erblichen  Laurenburg'schen 
Besitzern    erhalten    dürfe.     Dies   alles   wird   bekräftigt   mit   der  herkömmlichen 
Bannandrohung   für   die    Verletzer   der    Festsetzung   und   unter   Zufügung   der 
Zeugen.     Auff'älliger  Weise   ist   zuletzt   nur    das  Jahr  1132   in    herkömmlicher 
Art,  nicht  der  Monatstag  genannt. 

Was  geht  aus  dem  allen  hervor?  Doch  unverkennbar  das  zunächst,  dass 
die  neue  Stiftung  für  immer  der  feindseligen  Einsprache  Triers  entrückt  ist  und 
Schönau  nun  ebenso  unter  dem  Schutze  eines  Verwandten  steht,  wie  ehemals 
Lipporn.  Diese  Verwandtschaft  aber,  —  das  wollen  wir  hier  zum  erstenmale 
feststellen,  nachdem  wir  es  oben  in  der  seitherigen  Schwebe  gelassen,  —  kommt 
auf  folgende  Weise  zu  stände.  Der  von  Schliephake  zwar  genannte,  aber 
nicht  entsprechend  benutzte  Job.  Mart.  Kremer  berichtet  in  seiner  „Genea- 
logischen Geschichte  des  alten  ardennischen  Geschlechtes",  dass,  wie  Erzbischof 
Adelbert  ein  Graf  von  Sarbrücken-^),  dessen  Nichte  Agnes*)  die  Gemahlin  des 
Herzogs  Friedrichs  IL  von  Schwaben  und  dieser  ein  Blutsverwandter  Ludwigs  III. 
von  Arnstein  war.^)  Da  nun  Graf  Ruprecht  als  Sohn  Trutvvins  auch  Sohn 
einer  Arnsteinischen  Gräfin,  der  Muhme  Ludwigs  III.,  ist,  so  ist  der  Grad  der 
mit  -cognatus''  angedeuteten  Vetterschaft  bezeichnet. 


^)  Nicht  nur,  dass  sie  später  so  genannt  wird,  so  wird  bereits  in  der  als  Stiftungsbrief 
dienenden  Urkunde  von  1132  Hildelinus  „abbas"  betitelt  und  das  Kloster  „abbatia."  —  -J  „monastice 
conversationi" ;  „conversatio"  heisst  sonst  allein  schon  monachismus,  vita  monastica,  vergl. 
Du  Cange-Henschel  2,  583»  und  unten  Tritheniius.  —  ^J  S.  118  f.  —  *)  S.  136  und  tab. 
geneal.  X.  —  ^j  S.  140  und  vita  Lud.  bei  Kremer  2,  372.  Widmaun,  Annal.  18,  258. 
Beziehungen  zu  Arnstein  s.  bei  Becker,  Necrol.  Annal.  16,  130  und  mehr.  Eine  Verwandt- 
schaft zwisclien  Ruprecht  und  üdalrich  von  Idstein,  der  auch  „cognatus"  des  Erzbischofs  ge- 
nannt wird,  wie  Steiner  sie  sucht,  Annal,  3,  3,   120,  ist  hierdurch  nachgewiesen. 


150 

Aber  nicht  bloss,  dass  Schönau  durch  den  Schutz  eines  so  mächtigen 
reichsfürsthchen  Verwandten  vor  der  Ungunst  Triers  sichergestellt  war,  auch 
die  alte  Tuto'sche  Bestimmung  blieb  unter  ihm  in  Kraft.  Nicht  zwar  dem  Wort- 
laut nach.  Aber  es  war  Ruprecht  doch  gestattet  „pro  remedio  anirae  sue  et 
parentum  suorum"  das  neue  Kloster  zu  stiften,  und  wer  durfte  es  ihm  wehren, 
seinen  Täter  Trutwin  in  erster  Linie  unter  den  letzteren  zu  denken !  Der 
Kirche  war  nur  dem  Namen,  nicht  der  That  nach  eine  Genüge  gethan.  Das 
Wort  „parentum"  birgt  denselben  Laurenburg'schen  Trotz  gegenüber  der  Kirche, 
wie  die  Behauptung  der  Burg  Nassau.  Bedeutsam :  ein  winziger  „rocher  de 
broDze"  lässt  dieser  Laurenburg'sche  Laienwille  die  eherne  Macht  der  Welt- 
kirche sich  an  ihm  brechen,  und  die  ihm  helfen  müssen,  sind  zwei  Würdenträger 
derselben  Macht!     „Gutta  cavat  lapidem!" 

Doch  Lipporn,  Schönau,  Nassau  sind  Kinder  desselben  zielbewussten  Willens 
der  Laurenburger.  Wir  haben  deshalb  des  letzteren  Geschichte  nur  auszuer- 
zähien,  um  die  der  beiden  ersten,  seine  Wirkungen,  mit  dem  vollenden  zu  können, 
was  wir  als  die  letzte  Folge  dieses  Willens  für  die  Kirche  zu  bezeichnen  haben : 
wir  meinen,  mit  der  Schlussbeleuchtung  ihrer  Legende. 

Buccö,  der  streitbare  Bischof  von  Worms,  hatte  die  Bedeutung  des  Schach- 
zuges seiner  Gegner  wohl  erkannt.  Er  holte  demnach  zu  einem  neuen  Schlage 
aus,  als  der  Reichstag  drei  Jahre  später  in  den  Mauern  seiner  Bischofsstadt  tagte. 
Die  „diuturna  querela  Buggonis**,  wie  sie  die  zwei  Wormser  Urkunden  von  1159 
nennen'),  fand  endlich  Gehör  bei  Lothar.  Die  Laurenburger  wurden  verurteilt, 
das  „castrum"  Nassau  herauszugeben,  Ihr  mächtiger  Mainzer  Gönner  Hess  es 
geschehen.  Er  wusste  warum  und  seine  Günstlinge  wussten  es  mit  ihm.  Was 
vermochte  Lothar?  Sie  störten  sich  nicht  an  den  Beschluss  des  Reichstags, 
und  Bucco  starb  ohne  Sieg.  So  vergingen  noch  neun  volle  Jahre.  Da  hielten 
die  Kanoniker  der  Wormser  Domkirche  die  Zeit  für  gekommen,  abermals  ein 
fulmen  brutum  auf  die  unbeugsamen  Verächter  kirchlichen  und  kaiserlichen 
Machtgebots  niederzucken  zu  lassen.  Der  Römer  Konrad  von  Subarra,  ehemals 
Abt  von  S.  Rufin  in  der  Dioecese  Orleans,  dann  Stellvertreter  des  flüchtigen 
Innocenz  n.,  nunmehriger  Papst  Anastasius  IV.,  den  Otto  von  Freisingen  einen 
„homo  veteranus  et  in  consuetudine  Curiae  exercitatus"  nennt*),  und  von  dem 
selbst  Baronius  nicht  unterlässt  zu  bemerken,  dass  er  „nimiae  facilitatis  repre- 
hensus"  gewesen  sei^),  schien  dazu  am  geeignetsten.  Es  erschien  der  Drohbrief 
vom  5.  Mai  1154,  von  dem  oben  so  vielfach  schon  die  Rede  war.  Rache  ist 
sein  erster  Laut:  „Qui  paterne  iniquitatis  imitatores  existunt,  a  uindicta 
quoque  non  debent  existere  alieni."  Und  wie  er  sich  nicht  scheut,  die  keines 
Titels  Gewürdigten*)  mit  ihrer  greisen  Mutter  Beatrix  an  den  Pranger  zu  stellen, 
so  wird  auch  noch  der  meuchlings  gemordete  Vater  als  ewig  Verfluchter  aus 
dem  Grabe  gezerrt  und  ihnen  selbef  dessen  Loos  verkündigt,  wenn  sie  nicht 
innerhalb    40    Tagen    ihren   Raub    herausgeben.     Aber   auch    dieser    ungeheure 


')  Schliephake  1,  200.  202  vergl.  204.  —  *j  Bei  R.  P.  Natalis  Alexander,  Historia 
ccclesiast.  Lucac  1734,  7,  52.  —  ")  Vergl.  Hennes  1,  47  und  Spondani,  Annalium  Baronii 
•  pitome.  Lugd.  Bat.  1678,  2,  569.  —  *)  ...  „1""^  Ariioldus  et  Robertus  cum  B.  matre  sua 
iiiitjuitatem  patris  sui  set-tantes". 


151 

Blitz  erwies  sich  als  kalter  Sehlag.  Die  Betroffenen  bleiben  ungerührt,  und 
es  währt  noch  ganze  fünf  Jahre,  bis  Worms  sich  gar  zu  einem  Vergleiche  her- 
beilassen muss.  Den  Inhalt  desselben  erfahren  wir  aus  den  drei  weitläuftigen 
Urkunden  vom  Jahre  1159^),  deren  Auslegung  in  Bezug  auf  die  Laurenburg'schen 
Personen  bisher  so  viel  Schwierigkeit  bereitet  hat.  Wir  haben  nach  der  um- 
fassenden Darstellung  bei  Hennes^)  und  Schliephake^)  hier  nur  noch  zu  sagen, 
dass  Worms  sich  verstand,  seine  Ansprüche  auf  Nassau  an  den  Erzbischof 
Hillin  von  Trier  gegen  dessen  Gut  in  Partenheim  abzutreten,  und  dass  Lauren- 
burg gegen  eine  entsprechende  Vergütung  aus  der  Hand  des  Letzteren  Nassau 
zu  ewigem  Lehen  empfing,  unter  der  Bedingung,  dass  der  Erzbischof  sich  ein 
Haus  und  eine  Kapelle  im  Burgberinge  zum  Zeichen  seines  Besitzrechtes  erbaue. 
Von  grösserem  Belange  ist  es,  Klarheit  über  die  bereits  angedeutete  Personal- 
frage zu  schaffen.  Man  glaubte  seither  annehmen  zu  müssen,  dass  die  im 
päpstlichen  Briefe  genannten  Grafen  samt  ihrer  Mutter  vor  der  Eröffnung  der 
Vergleichsverhandlung  gestorben  gewesen  seien.  Denn  der  Lehensvertrag  zwischen 
Erzbischof  HilHn  und  dem  Hause  Laurenburg  zeige  neben  einer  „beatrix  comi- 
tissa"  nur  deren  „coheredes"  als  „filii  ruoberti  et  arnoldi  de  lurenburch",  erstere 
sei  mithin  letzterer  Mutter  bezw.  Muhme  als  Tochter  des  Herzogs  Walram  von 
Limburg  und  Gemahlin  Ruprechts,  wie  dies  Gebhardi  zuerst  festgestellt  hat.^) 
Indes  man  hat  dabei  vollständig  ausser  acht  gelassen,  dass  die  Verhandlung 
zwischen  Trier  und  Laurenburg  nur  durch  kirchlich  Unbescholtene  geführt  werden 
konnte.  Erfuhren  wir  doch  schon  oben,  dass  mit  Gebannten  zu  verkehren  bei 
Strafe  des  eigenen  Bannes  verboten  war.  Wie  hätte  also  mit  Ruprecht  und 
Arnold  verbandelt  werden  können,  mit  ihnen,  die  keine  Miene  seither  gemacht 
hatten,  sich  von  dem  Banne  durch  Herausgabe  Nassaus  zu  befreien.  Ja  nicht 
einmal  mit  Gräfin  Beatrix  und  ihren  Miterben  wurde  unmittelbar  verhandelt. 
Ihnen,  als  Angehörigen  der  Gebannten,  war  nur  gestattet,  sich  als  Bittende  an 
den  Erzbischof  zu  wenden.  Das  Geschäft  selber  war  in  den  Händen  ihrer  Ge- 
schäftsträger:  Gerlachs  von  Isenburg  und  Eberhards  -von  Burgensheim,  und 
zwischen  ihnen  und  dem  Erzbischof  stand  wieder  der  Gaugraf  des  Einrieb, 
Reinbold  von  Isenburg.  Diese  werden  selbst  als  Vermittler  des  Gesuchs  der 
Gräfin  zu  betrachten  sein,  wie  die  Urkunde  vermuten  lässt.  Was  kann  also 
hindern,  unter  „beatrix  comitissa"  dieser  amtlichen  Schrift  die  nur  mit  „B."  im 
Drohbriefe  des  Papstes  Anastasius  angedeutete  Mutter  der  Grafen  Ruprecht  und 
Arnold  zu  erkennen,  zumal  wir  ihre  Lebenszeit  für  diesen  Fall  schon  oben  ge- 
sichert haben?  Wir  sind  um  so  sicherer  in  unserem  Rechte,  als  in  unserer 
Urkunde  deutlich  zuerst  die  gebannten  „ruobertus  et  arnoldus  de  lurenburch" 
erscheinen,  dann  als  Bittende  „beatrix  comitissa  et  coheredes  eins  scilicet 
filii  ruoberti  et  arnoldi  de  lurenburch"  erwähnt  werden  und  zuletzt  der  „co- 
mitisse  uidelicet  et  coheredum  eins  Ruoberti  et  aliorum"  als  solcher  gedacht 
ist,  welche  die  entsprechende  Summe  von  150  Mark  für  den  Hof  Partenheim 
erlegt  haben.     Denn  wer  kann  der  letztgenannte  „Ruobertus"  anders  sein,  als 


^)  Schliephake  1,  200—206.  —  -)  1,   48  tf.  —  ^)  1,  190  tf.  —  *)  Vergl.  das  Nähere 
bei  Kreraer,  Orig.  1,  350  f. 


152 

Graf  Ruprecht  mit  seinem  Sohne  Walram  und  seinem  Bruder  Arnold  mit  dessen 
Sohne  Ruprecht,  dem  Streitbaren,  ganz  wie  es  der  Lebensbeschreiber  Ludwigs  III. 
sagt?  Wer  ist  also  Gräfin  Beatrix,  wenn  nicht  die  Mutter  Ruprechts?  Und 
was  kann  es  uns  anfechten,  dass  auch  die  Gemahlin  Ruprechts  Beatrix  geheissen 
nach  Ausweis  des  Arnstein'schen  Gedenkbuchs,  zumal  diese  ausser  dem  früher 
gestorbeneu  und  darum  später  nicht  mehr  genannten  Arnold  Walram  zum 
Sohne  gehabt,  wie  es  dasselbe  Gedenkbuch  einmütig  mit  dem  Arnstein'schen 
Lebensbeschreiber  bekundet?^) 

Fassen  wir  nun  aber  das  ganze  Rechtsgeschäft,  in  welchem  Laurenburg 
nach  beinahe  sechzigjährigem  Kampfe  seinen  Frieden  mit  der  Kirche  schliesst, 
in  einem  Blicke  zusammen,  so  ist  zu  sagen,  dass  sich  hier  zum  drittenmale 
wiederholt,  was  bei  der  Gründung  Lipporns  und  Schönaus  zu  Tage  getreten 
ist:  das  kleine  Grafenhaus  hat  unter  dem  Scheine  einer  Niederlage  den  Sieg 
seines  Willens   ertrotzt   und    die   Kirche    unter   dem  Scheine    eines  Sieges    die 


•)  Becker  a.  a.  0.  13.  Dieser  Eintrag  erscheint  an  sich  schon  als  Bürge  dafür,  dass 
die  hier  genannte  Beatrix  nicht  dieselbe  mit  der  in  den  Urkunden  von  1159  sein  kann.  Denn 
er  bekundet  mittelbar  die  Abwendung  von  Schönau,  das  doch  diese  erhebliche  Rolle  im  Kampfe 
mit  Worms-Trier  gespielt  hatte.  Der  Einkauf  in  das  Arnsteiner  Seelengedächtnis  kann  nämlich 
nicht  als  Vervielfältigung  eines  schon  in  Schönau  erwirkten  gefasst  werden,  da  der  dort  be- 
dachte Gemahl  Ruprecht  nicht  mitgenannt  ist,  sondern  nur  der  Sohn  Walram.  Es  wird  zwar 
im  Totenbuch  Arnsteins  unter  dem  23.  Dezember  eines  „Ruperti  comitis  de  Nassauw"  gedacht 
(Becker  a.  a.  O.  209),  aber  der  kann  nicht  Ruprecht  I.  sein,  weil  eben  sein  Name  nicht 
unter  den  Schenkern  des  Klosters  steht,  und  unter  diesen  sein  Sohn  Arnold  ebensowenig  vor- 
kommt, als  er  im  Totenbuch  erscheint.  Der  Einkauf  ist  also  oflFenbar  nach  beider  Tode  ge- 
schehen. Xun  hat  sich  allerdings  Gräfin  Beatrix  an  der  Beerdigung  der  Schönauer  Elisabeth 
1165  beteiligt  (Nebe,  Annal.  8,  231),  aber  vermutlich  nur  wegen  der  besonderen  Frömmigkeit 
dieser,  deren  Name  auch  im  Arnsteiner  Totenbuch  unter  ihrem  Todestag  am  18.  Juni  ver- 
zeichnet ist.  Sie  erscheint  dadurch  als  besonders  kirchliche  Frau ;  und  erwägen  wir,  dass 
Schönau  seit  seiner  Stiftung  durch  Ruprecht  sich  keiner  Zuwendungen  mehr  aus  dem  nassau- 
ischen bezw.  laurenburgischen  Hause  zu  erfreuen  hatte,  dass  vielmehr  nur  auf  Bitten  des  ersten 
Abtes  Hildelin  die  Kirche  zu  Lipporn  und  1211  noch  einmal  diese  und  diejenige  zu  Welterod 
wegen  allzugrossen  Bedürfnisses  vom  Trierer  Erzbischofe  mit  ihren  Einkünften  geschenkt  wurden 
(s.  die  Urkk.  ,, Rettung"  Beyl.  N.  V— VII),  so  ist  die  Annahme  wohl  gerechtfertigt,  dass  die 
kirchlicher  gerichtete  Gemahlin  Ruprechts  samt  der  ganzen  späteren  Familie  ähnlicher  Art 
sich  Schönau  entfremdet  zeigt.  Ihre  Gunst  ist  Arnstein  geworden.  Das  bezeugt  der  ganze 
die  nassauische  Familie  betreffende  Eintrag  jenes  Eingangs  dieser  Anmerkung  angeführten 
alten  Schenkregisters,  das  die  Namen  des  Neffen  Ruprechts  I.,  den  Kreuzfahrer  Ruprecht 
(t  1190  auf  dem  Kreuzzuge)  mit  seiner  Gemahlin  Elise  und  seinem  Sohne  Hermann,  wie  die- 
jenigen von  Beatrix,  ihrem  Sohne  Walram,  dessen  Gemahlin  Kunigunde,  beider  Söhne  Heinrich 
und  Ruprecht,  wie  ihrer  Tochter,  und  ebenso  der  Söhne  des  ersteren  von  diesen,  Ruprecht 
und  Heinrich  umfasst.  Und  dass  die  Geschenke  an  Arnstein  nicht  unansehnlich  waren,  be- 
leuchtet eine  Urkunde  von  1198  (Guden.  Cod.  dipl.  2,  27  ff.),  laut  welcher  die  vorgenannte 
Gräfin  Kunigunde  ,,omnem  decimarum  proventum  de  novalibus  in  Estenervorst"  diesem  Kloster 
mit  der  ihre  kirchliche  Stellung  deutlich  genug  kennzeichnenden  Bestimmung  schenkt:  „ut  si 
quo  predictus  comes  [Walramus]  adhuc  in  corpore  vivens  ex  operum  iilicitorum  comraisso 
impenitens  morte  decesserat,  eorum  precuni  aminirulo  apud  misericordiarum  Patrem  miserioor- 
(liter  cxpiaretur."  Ilir  Sohn  Ruprecht  aber  trat  nach  dem  Tode  seiner  Gemahlin  in  das  Deutsch- 
ordenshaus  in  Mainz,  nachdem  er  1222  das  Cisterzicnscrfraueiikloster  Atffiolderbach  gestiftet 
hatte  (vtTgl.  Becker  a.  a  O.  17).  Alles  doch  wohl  deutliche  Zeugnisse  für  eine  der  Stiftung 
Lipporn-Schönau  abgeneigte  Stinirauiig  in  der  späteren  Familie  der  Stifter  selber. 


153 

Niederlage  ihrer  Ansprüche  verborgen.  Bann  und  Interdikt  mussten  aufgehoben 
werden,  ohne  dass  die  Grafen  nur  darum  zu  bitten  gehabt  hätten,  und  weit 
entfernt  eine  Machteinbusse  erfahren  zu  haben,  hatten  dieselben  nun  als  Vasallen 
des  mächtigen  Trier  eine  um  so  grössere  Machtfüllc  erworben,  zumal  sie  auch 
mit  der  Burg  das  ganze  Gebiet  Nassau  für  ihre  150  Mark  erhielten.  Sie  treten 
nun  als  die  mächtigen  Grafen  von  Nassau  in  die  Geschichte  ein.  Was  Bruno 
für  Lipporn,  was  Adelbert  für  Schönau,  ist  Hillin  für  Nassau  geworden.  Des 
Vaters  Trutwin  AVille  ist  erreicht  und  des  Vaters  Ehrung  trotz  Bann  und 
Interdikt  durchgesetzt.  Nassau  ist  seinem  Geschlechte  geworden,  und  Schönau 
betet  für  seine  Seele,  wie  es  Lipporn  gethan.  Denn,  das  ist  der  Sinn  der 
Schönauer  Legende,  Schönau  erkennt  ihn  als  seinen  eigentlichen  Gründer  und 
die  im  Kalendarium  der  Abtei  auf  den  „VII.  Idusaprilis"  angesetzte  „commemoratio 
fuudatorum"  ^)  bedeutet  die  Feier  seines  Totenamtes  vor  allem,  wie  es  Tuto, 
ja  vielleicht  schon  Trutwin  selber  angeordnet  für  seinen  Todestag,  den  wir  also 
im  7.  April  ohne  weiteres  zu  sehen  haben.  Alles  dies  war  ja  freilich  unter  un- 
glaublich günstigen  Verhältnissen  für  die  Laurenburger  erreicht  worden.  Denn  zu 
der  Verwandtschaft  mit  den  Erzbischöfen  Bruno  und  Adelbert  kam  neben  der 
treuen  Vetterschaft  des  mächtigen  Gaugrafen  Reimbold  von  Isenburg  die  besondere 
Friedensliebe  Hillins.^')  Aber  es  war  erreicht  und  die  Kirche  um  eine  der  vielen 
Demütigungen  reicher,  die  ihr  Bann  und  Interdikt  schon  eingetragen. 

Und  doch  war  der  Kirche  noch  eine  ungleich  tiefere  Erniedrigung,  weil 
sittliche  Schädigung,  als  Frucht  der  drei  Siege  Laurenburgs  beschieden.  Sie 
rausste  —  und  damit  nennen  wir  das  letzte  und  eigentliche  Siegel  auf  die  Wahr- 
heit unserer  ganzen  Untersuchung  —  zur  Geschichtsfälschung  greifen  und  jene 
Legende  ersinnen,  die  wir  zum  Ausgangspunkte  unserer  Erörterung  genommen. 
Das  Haus  Laurenburg  litt  es  nicht,  dass  innerhalb  des  Bannkreises  seiner  Macht 
—  und  zu  dem  gehörte  die  Vogtei  Schönau  —  der  Name  seines  meuchlings 
gemordeten  Gliedes  fürder  als  kirchlich  entehrter  gelte.  Sie  hatten  auf  ihre 
Laienweise  für  das  Heil  der  Seele  des  Verstorbenen  durch  Gründung  von  Lipporu 
und  Schönau  gesorgt,  und  sie  hatten  dieser  Sorge  kirchliche  Geltung  verschafft 
im  Widerstreit  mit  dem  amtlichen  kirchlichen  Willen.  Was  blieb  unter  so  fester, 
keiner  Wahl  Raum  gebenden  Hand  anders  übrig,  als  das  kirchlich  entstellte 
Bild  Trutwins  in  den  Augen  der  Nachwelt  und  zur  Rechtfertigung  der  Stiftung 
und  des  alljährlichen  Totenamtes  vor  sich  selber  kirchlich  zu  ersetzen  mit  dem 
Trugbilde  eines  Trutwin,  der  statt  eines  Kirchenschänders  ein  Kirchenliebhaber, 
ein  „religiosus"  gewesen,  ein  besonderer  Verehrer  des  hl.  Florin,  und  im  Sterben 
noch    die  Kirche   bedacht   habe   mit  der  Stiftung  eines  Klosters  auf  der  Stätte 


»)  Widmann,  Annal.  18,  41.  Roth,  Die  Visionen  165.  —  '-)  Dieselbe  geht  nicht  bloss 
aus  den  Worten  der  Urkunde :  .,nos  tantam  discordiara  et  litis  materiara  de  medio  tollere 
cupientes"  etc.,  sondern  auch  aus  Browers  Bemerkung,  dass  Hillin  „praecipua  «[uaedam  animi 
moderatio"  (2,  56)  besessen,  heryor.  Im  Übrigen  ist  die  Darstellung  Browers  vom  Hergang 
der  Beilegung  des  Streites  2,  64  lediglich  Umschreibung  der  Urkunde,  und  es  darf  wohl  an- 
genommen werden,  dass  dieselbe  sämtliche  nassauisclie  Geschichtschreiber  beeinflusst  hat,  da 
sie  erzählt :  ,supplices  atfuere  parentibus  orbi  Lurenburgii,  Beatrix  ac  Rupert!  et  Arnoldi 
Comitum  liberi",  was  nach  unserer  Darlegung  doch  nur  ein  falscher  Schluss  aus  der  Urkunde  ist. 


154 

seiner  Todesursache!  Der  Rahmen  zu  einem  solchen  Bilde  fand  sich  leicht. 
Die  Florinlegende  war  vorhanden;  man  durfte  ihr  nur  einen  kleinen  fränkischen 
Anbau  geben,  und  die  Gläubigen  konnten  nicht  fehlen.  Man  weiss,  was  die 
mittlere  Zeit  auf  dem  Gebiete  der  Legendenlitteratur,  diesem  Zwitter  von  Ge- 
schichte und  Dichtung,  geleistet  und  erreicht  hat.  Man  darf  sich  also  nicht 
wundern,  dass  die  Schönauer,  als  Kenner  ihrer  Zeit,  lieber  ihre  Zuflucht  zu 
einer  Legende  als  zu  einer  chuonikalen  Aufzeichnung  nahmen. 

In  der  ersten  Zeit  war  dies  freilich  weder  möglich  noch  nötig.  Wer 
durfte  es  wagen,  der  Zeit  etwas  anderes  zu  erzählen,  als  was  sie  selber  erlebt 
hatte!  Dazu  nahmen  ja  auch  ohne  Zweifel  die  geistlichen  Insassen  Schönaus 
gar  keinen  Anstoss  an  der  Grundursache  ihres  dortigen  Seins,  wie  wir  oben 
bereits  andeuteten  und  hier  damit  bestätigen  wollen,  dass  die  Visionen  der  hl. 
Elisabeth  sich  zwar  sehr  viel  mit  der  entarteten  Kirche,  aber  niemals  mit  der 
Kirchenschändung  durch  einen  Gebannten  beschäftigen.  Die  Visionärin  war 
eben  die  nahe  Freundin  der  hl.  Hildegard,  von  deren  kirchhch  freier  Stellung 
wir  oben  Kenntnis  nahmen,  ausserdem  gut  kaiserlich  gesinnt  samt  ihrem  Bruder 
Ekbert,  der  sich  überdies  dem  Gedanken  einer  Lostrennung  der  deutschen  Kirche 
von  Rom  nicht  fremd  zeigte.^)  Und  ist  nicht  zu  allen  Zeiten  die  niedere  Geist- 
lichkeit geneigt,  den  Absichten  der  höheren  ihren  eigenen  Willen  entgegenzu- 
setzen? Nimmt  man  dazu,  dass  durch  Elisabeth  das  Kloster  zu  hohen  Ehren 
gekommen  war  in  den  Augen  der  Mitwelt,  so  begreift  man,  dass  unter  dieser 
gewissermassen  göttlichen  Bezeugung  und  Begnadung  der  Makel  des  Klosters, 
wenn  er  überhaupt  als  ein  solcher  von  den  Zeitgenossen  empfunden  wurde, 
mehr  als  getilgt  galt. 

Aber  es  kamen  andere  Zeiten,  und  in  diesen  will  uns  der  Zeitpunkt  bemerkbar 
erscheinen,  in  denen  Laurenburg-Nassau  kirchenamtsfahig  geworden  war.  Für 
einen  kirchlichen  Würdenträger  konnte  es  selbstredend  nichts  weniger  als  er- 
wünscht sein,  von  einem  im  Banne  Gestorbenen  abstammen  zu  sollen,  so  wenig 
auch  das  Kirchengesetz  diesen  Fall  vorgesehen  zu  haben  scheint  und  so  sehr 
die  sogenannte  Irregularität,  d.  h.  die  Untüchtigkeit  für  ein  Kirchenamt,  nach 
dieser  Seite  hin  sich  nur  auf  uneheliche  Geburt,  den  sogenannten  defectus  natalis, 
bezog. ^)  In  bedenklichen  Zeiten  aber  war  es  immerhin  möglich,  dass  auch  aus 
solcher  Abstammung  Kapital  geschlagen  wurde.  Man  kennt  das  ja  sattsam 
aus  der  Geschichte.  Und  so  wagen  wir  denn  unter  allem  Vorbehalt,  aber  nicht 
ohne  ernstlichen  geschichtlichen  Anhalt,  die  folgende  Mutmassung  vorzutragen, 
die,  wenn  sie  das  Richtige  treffen  sollte,  zugleich  genau  die  Zeit  angiebt,  unter 
der  unsere  Schönauer  Sage  entstanden  ist,  nachdem  wir  oben  nur  ihr  Jahr- 
hundert annähernd  genannt  hatten. 

Diether,  der  älteste  Sohn  Walrams  II.  von  Nassau,  war  nach  dem  Berichte 
seines  Zeitgenossen,  des  Minoritenbruders  Werner  von  Saulheira,  „sonder  Wissen 
der  (verwittweten)  Mutter  (Adelheid)  in  das  Predigerkloster  zu  Mainz  gegangen."^) 
Von    dort    erhob    ihn   im  Jahre  1300    über    den  Kopf  des  Domkapitels  hinweg 


')  Roth,  Die  Visionen  XCIX  f.  —  ')  Wetzer  und  Weite  5,  836.  —  '')  Schliephake 
2,  145. 


155 

Papst  Bouifatius  VIII.  auf  den  Erzstuhl  in  Trier,  auf  dem  er  sieben  Jahre  zu 
sitzen  berufen  war.  Die  eigentümliche  Art  seiner  Erwählung,  die  nur  päpstlich 
politische  Ursachen  hatte,  war  geeignet,  alle  die  mit  ihm  unzufrieden  zu  machen, 
die  nicht  bei  ihr  beteiligt  waren.  Nicht  nur,  dass  sofort  der  Kampf  mit  König 
Albrecht  den  Neuerwählten  in  Anspruch  nahm,  so  waren  auch  seine  beiden 
Residenzen  zu  Trier  und  Coblenz  seine  Feinde.  Und  fand  er  sich  gleich  mit 
der  ersteren  endlich  zurecht,  so  machte  ihm  Coblenz  doch  vier  Jahre  lang 
schwere  Mühe.  Bei  solchen  Gelegenheiten  ist  es  üblich,  dass  nicht  bloss  mit 
den  Waffen  gekämpft  wird.  Die  böse  Nachrede  und  die  schriftstellerische 
Feder  sind  oft  noch  viel  stärkere  Kampfmittel,  und  nichts  wird  geschont,  was 
wie  eine  Blosse  des  Gegners  erscheint.  Nun  darf  doch  angenommen  werden, 
dass  gerade  Coblenz,  die  nächste  Nachbarin  des  Einrieb  und  der  Heimat  des 
Erzbischofs,  trotz  einer  fast  zweihundertjährigen  Vergangenheit  sich  der  ein- 
drucksvollen Geschichte  des  im  Kirchenbanne  meuchlerisch  gemordeten  Trutwin 
dunkel  erinnern  und  diese  Erinnerung  verwerten  konnte  zu  Ungunsten  des 
verhassten,  aufgezwungenen  erzbischöflichen  Herrn.  Da  galt  es  Gegenwaffen 
schmieden.  Und  wenn  wir  nun  in  unserer  Schönauer  Legende  den  Namen 
Coblenz  ganz  unvermutet  lesen  und  an  diesen  eine  Geschichte  geknüpft  sehen, 
die  den  ehemaligen  wohlbekannten  Gönner  des  Florinstiftes,  den  Herzog  Hermann, 
zum  Schenker  des  Leibes  des  hl.  Florin  macht,  als  welchen  ihn  niemand  bis 
dahin  gekannt,  und  wenn  wir  weiter  lesen,  dass  dieses  Wohlthäters  der  Stadt 
„ipse  Truthuinus  satelles  erat  fidissimus".  ein  „religiosus  baro"  und  Liebhaber 
Florins,  gleich  jenem,  den  die  Wunder  des  Heiligen  samt  seiner  frommen  Stiftung 
so  wunderbar  verherrlicht  haben,  sollte  es  da  zu  gesucht  erscheinen,  jene  heim- 
lichen Gegenwaffen  in  solcher  Schriftleistung  zu  erblicken?  Freilich  das  Gegenteil 
von  letzterer  lag  ausser  im  dunkeln  Volksgedächtnis  im  Trierer  Archive.  Aber 
das  erstere  war  mit  alter  Schrift  zu  besiegen  und  das  letztere  in  den  Händen 
Diethers,  und  das  blossstellendste  Zeugnis,  der  Drohbrief  des  Papstes  Anastasius, 
80  wohlgeborgen,  dass  bemerkenswerter  Weise  kein  Trierischer  Geschichtschreiber 
jemals  davon  Kunde  erhielt.  Erst  das  Jahr  1842  förderte  ihn  ans  Licht.  Was 
aber  war  leichter  für  den  Erzbischof,  als  durch  seine  Verwandten,  wie  durch 
sein  eigenes  Ansehen,  die  Schönauer  Fälschung  ins  Werk  setzen  zu  lassen? 
Ob  sie  gewirkt  hat,  ist  eine  andere  Sache.  Die  im  Jahre  1307  unter  dem 
Drucke  der  ganzen  Diöcese  Trier  zu  stände  gekommene  Beschwerde  des  ge- 
samten Klerus  gegen  ihren  Erzbischof  an  den  Papst  hatte  keinen  Erfolg,  da 
Diether,  im  Begriffe  zu  seiner  Verteidigung  nach  Avignon  zu  reisen,  vom  Tode 
überrascht  wurde.  ^) 

Wie  aber  immer  sich  die  Sache  verhalten  haben  mag,  Schönau  war  zum 
Fälschen  gezwungen  worden,  und  darnach  zum  ewigen  Schweigen.  Das  erste 
beweist,  wie  dargethan,  seine  Legende,  das  letzte  die  spätere  auswärtige  Nach- 
richt über  die  Gründung  der  Abtei,  von  der  nun  noch  ein  W^ort  zu  reden  ist. 
Wir  besitzen  dieselbe,  was  auch  bis  dahin  noch  niemand  sich  die  Mühe  genommen 


')  Brower  2,  84,  woselbst  auch  alles  Übrige  aus  der  Geschichte  Diethers  zu  lesen  ist, 
was  Schliephake  zu  seiner  Darstellung  benutzt  hat,  2,  90.  143  if.    197.   3,  220.   4,  69  S. 


156 

hat  festzustellen,  in  fünf  Darstellungen.  Drei  davon  rühren  von  dem  berühmten 
Abte  Johannes  Trithemius  her,  eine  von  Gabriel  Bucelinus  und 
eine    von   Christoph    Brower.     Wir  führen  dieselben  der  Zeitfolge  nach  vor. 

Die  erste  findet  sich  in  dem  „Chronicon  spanheimense",  das  im  Jahre  1506 
von  Trithemius,  dem  Abte  des  Klosters  zu  Sponheim  bei  Kreuznach,  vollendet 
ward,  wie  die  Vorrede  besagt.^)  Dort  heisst  es  unter  dem  Jahre  1125^):  „In 
diesen  Zeiten  stiftete  auch  ein  Graf  von  Lurburg  ein  Kloster  unseres  Ordens 
im  Gebiet  des  Trierer  Sprengeis,  welches  Schönau  genannt  wird,  dem  er  als 
ersten  Abt  von  frömmstem  mönchischen  Leben  Hildelin  vorsetzte,  welchem 
nachher  Ecgebert  folgte,  der  in  göttlicher  sowohl  als  weltlicher  Schrift  Hoch- 
gelehrte, der  Bruder  der  hl.  Elisabeth,  der  Nonne  und  Meisterin  des  Schönauer 
Klosters,  welches  der  vorgenannte  Abt  Hirdelin  für  die  Jungfrauen  Christi  neben 
seinem  vorgenannten  Kloster  im  Felde  gegen  Süden  aufführte.  Die  Gründung 
dieses  Klosters  bestätigte  der  mainzer  Erzbischof  Adelbert,  der  Yetter  dieses 
Grafen,  als  eine  der  mainzer  Kirche  dargebrachte,  sowie  es  aus  der  Urkunde 
derselben  erhellt,  welche  folgenden  Wortlaut  hat:  (Hier  folgt  alsdann  wörtlich 
die  ganze  Urkunde  von  1132,  nach  ihr  heisst  es  weiter:)  Und  bemerke,  dass 
vorgenanntes  Kloster  zuvor  eine  Propstei  war,  erbaut  an  dem  Ort,  welcher 
Lipporn  genannt  wird,  wo  jetzt  eine  Pfarrkirche  mit  einem  Dörfchen  in  der 
Entfernung  einer  Meile ;  und  sie  war  dem  Kloster  und  Abt  zu  St.  Salvator  in 
Schaff  hausen  in  dem  Constanzer  Spreugel  rechtlich  unterstellt."^) 

Die  zweite  Darstellung  desselben  Verfassers  ist  in  dessen  „Chronicon 
hirsaugiense"  erster  Ausgabe,  das  1495  angefangen  und  nach  1503  vollendet 
wurde*),  enthalten  und  hat  diesen  Wortlaut:  „Im  vierten  Jahre  des  Abtes  Volmar, 
welches  das  1125ste  der  Geburt  des  Herrn,  dritter  Indiction,  war,  wird  das 
Schönauer  Kloster,  Trierer  Sprengeis,  unseres  Ordens,  ungefähr  vier  Meilen 
von  der  Stadt  Bingen,  auf  der  anderen  Seite  des  Rheins,  entfernt,  von  einem 
edeleu  und  reichen  Manne,  Namens  Hildelin  gestiftet,  welcher  nach  Vollendung 
des  Klosters  Mönch  und  erster  Abt  daselbst  geworden  ist.  Er  erbaute  auch 
in  Steinwurfsweite  ein  Kloster  für  Nonnen  unseres  Ordens,  in  welchem  für  die 
Folge  eine  hohe  Frömmigkeit  der  Jungfrauen  Christi  blühte."^) 


')  Opera  historica.  Francofurt.  1601,  2,  237.  —  -)  Nach  trierischer  Zeitrechnung,  also 
1126,  wie  auch  jene  Vergleichsurkuiiden  im  trierischen  Jahre  1158  ausgestellt  sind,  in  "Wirk- 
lichkeit aber  1159.  Vergl.  Schliephake  1,  190.  —  3)  Opera  2,  243  f.:  „His  etiam  temporibus 
comes  de  Lurburg  monasterium  nostri  ordinis  t'undauit  in  finibus  Treuerensis  dioecesis,  quod 
Sconaugia  vocatur,  cui  primum  praefecit  Hildelinura  religiosissimae  conuersationis  abbaten),  cui 
postea  successit  Ecgebertus,  in  scripturis  tarn  divinis  quam  secularibus  eruditissimus,  frater 
sanctae  Helizabeth  monialis  monasterii  Schonaugiensia  et  Magistrae,  quod  praefatus  abbas 
Hildelinus,  pro  Christi  virginibus  prope  monasterium  suum  praefatum  in  campis  versus  meridiem 
construxit.  Huius  monasterii  fundationom  Adelbertus  archiepiscopus  Moguntinus,  cognatus  ipsius 
comitis  de  Lurburg,    ecciesiae  Moguntinae  oblatam  confirmauit:    sicut  patet  ex  literis  eiusdem, 

quae  sequuntur,  et  sunt  tales. Et  nota,    quod   praefatum    monasterium    antea   fuit    prae- 

positura  conatructa  in  eo  loco,  qui  Lipron  dicitur,  vbi  nunc  parochialis  ecclesia  cum  villula  ad 
distantiam  vnius  medii  milliaris,  fuitque  monasterio  et  abbati  sancti  Saluatoris  in  Scoffhausen, 
Constantiensis  dioecesis  subiecta".  —  ')  .\nnale3  hirsaug.  St  Gall.  1600,  Vorrede.  —  ^)  Opera 
2,  119:  ..Anno  Volraari  abbatia  4.  qui  fuit  dominice  natiuitatis  1125.  iadictione  3.  monasterium 
Schonaugiense  Treuerensis  dioecesis  nostri  ordinis,  quatuor  forme  miliaribus  ab  oppido  Bingionum, 


157 

Der  dritte  Bericht  wird  von  derselben  Chronik,  nachdem  sie  von  ihrem 
Verfasser  im  Jahre  1100^)  umgearbeitet  worden  war,  in  folgenden  Worten  ab- 
gestattet: :,1125.  Im  fünften  Jahre  des  Abtes  Yolmar  erbaute  ein  gewisser 
Graf  von  Lurburg  ein  Kloster  unseres  Ordens  in  seiner  vorgenannten  Graf- 
schaft im  Sprengel  Trier,  Schönau  genannt,  was  von  Mainz  vier  und  von  der  Stadt 
Bacharach  am  Rhein  eine  Meile  entfernt  ist,  in  dem  Gau,  welcher  inmitten 
zwischen  Hessen  und  den  Rbeinlanden  Einrieb  gemeinhin  genannt  wird.  Nach- 
dem endlich  das  Kloster  vollendet  war,  legte  der  genannte  Graf,  mit  Namen 
Hildelin,  der  Stifter,  den  Gürtel  der  weltlichen  Ritterschaft  ab,  und  Mönch  ge- 
worden für  Christus  in  der  Propstei  Lieporna,  wurde  er  zum  ersten  Abte  des 
Schönauer  Klosters  verordnet,  ein  trefflicher  Mann  und  von  glühendstem  Eifer 
in  der  hl.  Religion.  Auf  Steinwurfsweite  gegen  Süden  vom  genannten  Kloster 
der  Mönche  gründete  derselbe  überaus  fromme  Graf  auch  ein  Kloster  für  Nonnen, 
in  welches  er  eine  Menge  von  in  Liebe  Christo  dienenden  Jungfrauen  versetzte ; 
und  sowohl  für  der  Mönche  als  für  der  Nonnen  gegenwärtiges  Leben  besorgte 
er  das  Notwendige,  Es  muss  aber  bemerkt  werden,  das  das  vorgenannte  Schönauer 
Mönchskloster  einst  als  eine  Propstei  unseres  Ordens  an  eben  dem  Orte,  der 
von  den  Eingebornen  jenes  Landes  heute  Lieprona  genannt  wird,  errichtet  war, 
wo  jetzt  ein  Dörfchen  mit  einer  Parochialkirche  liegt,  auf  eine  halbe  Meile 
Entfernung  von  Schönau.  Und  diese  Propstei  war  vor  Alters  den  Äbten  und 
dem  Kloster  St.  Salvator  in  Schaffhausen  mit  voller  Rechtsbefugnis  unterworfen. 
Heutzutage  ist  nicht  die  geringste  Spur  mehr  von  ihr  vorhanden."*) 

Die  vierte  Form  der  Erzählung  in  Gabriel  Bucelinus  „Germania  sacra"') 
aus  dem  Jahre  1655   ist  diese:    „Schönau   ein  berühmtes  Männerkloster  Bene- 


ab  alia  parte  Rheni  distans,  fundatur,  a  quodam  nobili  viro  et  diuite  nomine  Hildelino,  qui 
completo  coenobio  monachus  et  priraus  abbas  in  eo  factus  est.  Ad  iactum  quoque  lapidis 
ooenobium  sanctimonialium  nostri  ordinis  construxit,  in  quo  magna  deinceps  Christi  virginum 
religio  viguit." 

*)  Annales  hirsaug.  1,  Vorrede.  —  ')  Ebenda  1,  384:  MCXXV.  „Anno  Volmari  abbatia  V. 
Comes  quidam  de  Lurburg  Monasterium  nostri  Ord.  construxit  in  praefato  comitatu  suo  Lur- 
burgensi  Trevirensis  Dioecesi?  Schönaugia  dictum,  quod  a  Moguntia  quatuor,  et  ab  oppido 
Bacherach  iuxta  Rhenum  uno  distat  milliaribus,  in  pago,  qui  Hassiis  et  Rhenensibus  inter- 
medius  Einrieb  vulgariter  nuncupatur.  Consumato  Monasterio  tandem  Comes  memoratus  nomine 
Hildelinus  fundator  cingulum  saecularis  militiae  deposuit,  et  Monachus  factus  pro  Christo  in 
Praepositura  Lieporna  primua  Schönaugiensis  Coenobii  abbas  ordinatus  fuit;  vir  bonus,  et  in 
sancta  religione  ferventissimus.  Ad  iactum  quoque  lapidis  ad  Meridionalem  plagam  a  dicto 
Monasterio  Monachorum  aliud  Coenobium  Monialium  idem  Comes  religiosissimus  constituit;  in 
quo  multitudinem  Christo  in  charitate  servientium  Virginum  collocaTit;  et  tarn  Monachis,  quam 
Monialibus  vitae  praesentis  necessaria  procuravit.  Notandura  vero,  quod  Monachorum  Coenobium 
Schönaugiense  praefatum  quondara  erat  Ord.  nostri  Praepositura,  in  eo  loco,  qui  ab  incolis 
terrae  illius  hodie  Lieprona  vocatur  posita,  ubi  nunc  villula  cum  Parochiali  Ecclesia  sita  est, 
ad  unius  medii  milliaris  distantiam  a  Schönaugia.  Et  haec  Praepositura  fuit  antiquitus  Abbatibus 
et  Monasterio  S.  Salvatoris  in  Schaffhausen  pleno  jure  subjecta,  eius  hodie  nullum  omnino 
comparet  vestigium."  Vergl.  Kremer,  Orig.  1,  349.  Schliephake  1,  168,  Anm.  versteht 
den  letzten  Satz  offenbar  irrig  vom  Aufhören  der  Rechtsverbindung  mit  Schatfhausen.  —  ^)  Da 
mir  von  Bucelin  nur  der  2.  Teil  der  ,, Germania  topo-chrono-stemmatographica  sacra  et  profana.*' 
Aug.  Vind.  1672  zugänglich  ist,  so  muss  ich  mich  leider  auf  die  Treue  der  Wiedergabe  der 
„Rettung"  S.  1  f.    verlassen,    wo    aus    „Germania   sacra    P.    H.    p.    79"    dies   angeführt   wird: 


ir)8 

diktinerordcus  im  Trierer  Spreugel  ungefähr  vier  Meilen  von  der  Stadt  Bingen, 
ist  im  Jahre  Christi  1125  von  Hildelin,  einem  Edelmanne,  gegründet  worden, 
der  in  demselben  sich  der  Gottheit  weihend,  nachher  desselben  erster  Abt  war." 

Die  fünfte  Stiftungsgeschichte  endlich  in  Browers  „Annales  trevirenses"^) 
vom  Jahre  1670  lautet  so:  ,In  dieser  Zeit  (1125)  ist  der  Trierer  Sprengel 
wieder  durch  das  neue  und  sehr  berühmte  Schönauer  Kloster  bereichert  worden. 
Dies  ist  auf  einem  Landgute  der  Laurenburger  Grafen  jenseits  des  Rheins  16000 
Schritte  gegen  Bingen  im  Landstrich  Einrieb  von  Hildelin,  einem  reichen  Manne, 
angefangen,  vom  Laurenburg'schen  Grafen  Rubert  darnach  vollendet  und  dem 
seligen  Florin,  durch  dessen  hl.  Asche  es  ausgezeichnet  ist,  geweiht  worden. 
Hildelin  aber  stand  als  erster  Abt  dem  Kloster  vor,  der  auf  einen  Pfeilschuss 
ebenso  eine  andere  Wohnstätte  mit  demselben  Xamen  für  Jungfrauen  gründete, 
in  welchem  nachher  die  an  Heiligkeit  und  himmlischen  Eingebungen  fruchtbare 
und  wegen  des  Lobes  ihrer  bewundernsvverten  Frömmigkeit  besungene  Jungfrau 
Elisabeth  von  Schönau  blühte,  die  auch  Abt  Hildelin  in  ihren  Gesichten,  welche 
sie  über  die  Auffindung  der  11000  Gefährtinnen  der  Ursula  hatte,  lobte." 

Aus  der  Vergleichung  dieser  fünf  verschiedenen  Berichte  ist  vor  allem 
ersichthch,  dass  sie  alle  Trithemius  zum  geistigen  Urheber  haben.  Yon  den 
drei  ersten  muss  das  nicht  erst  begründet  werden,  von  dem  fünften  sagt  es 
Brower  ausdrücklich,  indem  er  am  Rande  vermerkt:  „Tritth.  in  chro.  Spanheim, 
»t  MS.  documenta",  bei  der  vierten  geht  es  aus  der  Ortsbestimmung  Schönaus 
und  der  Benennung  Hildelins  als  „vir  nobilis"  hervor,  welche  beide  im  zweiten 
Berichte  Trithem's  enthalten  sind.  Wir  haben  es  also  in  Wirklichkeit  nur  mit 
einem  Berichterstatter  zu  thun  und  dessen  verschiedene  Darstellungen  derselben 
Sache  zunächst  ins  Auge  zu  fassen. 

Da  ist  denn  vorab  festzustellen,  dass  der  gelehrte  Abt  als  naher  Freund*) 
der  beiden  Schönauer  Äbte  Melchior  und  Johannes  (1468 — 1510)"')  um  so  sicherer 
Schönauer  Quellen  benutzt  hat,  als  er  in  seinem  ersten  Berichte  die  sogenannte 
Stiftungsurkunde  mitteilt,  freilich  ungenau.  Denn  er  lässt  nicht  nur  den  Namen 
des  Grafen  Ruprecht  weg,  wie  im  Kontext,  so  auch  unter  den  Zeugen,  von  denen 
er  überhaupt  nur  die  zwei  ersten  nennt,  sondern  setzt  auch  an  die  Stelle  von 

„Schönaugia,  Virorum  celebre  Benedictini  Ordinis  in  Dioecesi  Trevirensi  quatuor  fere  milli- 
aribus  a  Bingiorum  oppido  Coenobium  fundatum  A.  C.  1125  ab  Hildelino  quodam  Viro  nobili, 
qui  in  eodem  Xumini  se  devovens  ejusdem  postea  primus  Abba8  extitit."  Dabei  soll  ebenda 
Hildc'linus  auch  noch  „Dynasta"  genannt  sein,  was  Roth,  indem  er  in  seinen  „Visionen"  die 
Stelle  nur  verkürzt  wiedergiebt,  auch  bemerkt.  Es  ist  nicht  ersichtlich,  ob  er  das  aus  eigener 
Anschauung  hat,  wenn  er  schon  dem  Titel  des  Buches  1655  beifügt. 

')  2,  20''  f. :  Quo  tempore,  Trevirorum  dioecesis,  novo  rursus  et  percelebri  Schonaugiensi 
raonasterio  aucta  est;  id  in  Lurenburgensium  Comitum  praedio,  trans  Rhenum,  sedeeim  contra 
Bingam  millibus  passuum,  Einrichae  tractu,  ab  Hilduwino  locuplete  viro  inchoatum,  a  Ruberto 
Lurenburgensi  Comite,  postea  perfectum,  atque  B.  Florino,  cuiua  sacris  iosignitum  cineribus, 
dicatum  est.  Hildelinus  autem  primus  Abbas  monasterio  praefuit,  qui  ad  teli  inde  jactum, 
aliud  item  Virginibus  eodem  nomine  domicilium  constituit;  in  quo  sanctimoniae  et  caelestium 
instinctuum  foecunda,  nee  non  admirandae  pietatis  laude  eantata,  virgo  Elizabeth  de  Schönaugia, 
postea  claruit:  quae  et  Hildelinum  Abbatem  in  visis  suis  quae  super  XI.  millium  Ursulae 
sodalium  inventione  habuit,  laudavit."  —  Auch  bei  Roth,  Visionen  XI.  —  -)  Nebe,  Die  hl. 
Elisabeth.  Annal.  8,  158.  —  ''jXach  Bucelinus,  Germania  topo-chrono-stemmatographica  2,  180. 


159 

1132  die  Jahreszahl  1125.  Glcichwuhl  ist  nach  Abzug  dieser  Verfehlungen 
der  erste  Bericht  vollkommen  geschichtsgetreu  bis  auf  die  Gründung  des  Nonnen- 
klosters. Da  jedoch  dessen  Stiftung  vor  dem  Mönchskloster  erst  bei  dem  ge- 
nannten Streite  im  Jahre  1507  festgestellt  scheint,  Trithemius  aber  zu  der  Zeit 
nicht  mehr  in  dem  nahen  Sponheim,  sondern  in  Würzburg  sich  befand,  so  muss 
angenommen  werden,  dass  seine  irrige  Darstellung  in  diesen  Stücken  dem  Nicht- 
wissen seiner  äbtlichen  Gewährsleute  zur  Last  fallt. 

Um  so  mehr  hat  man  zu  fragen,  wie  es  möglich  war,  die  zwei  anderen 
Berichte  zu  schreiben,  und  wer  an  ihnen  Schuld  trägt.  Gleichwohl  liegt  die 
Antwort  recht  nahe.  Trithemius  muss  seine  Erzählung  in  der  Sponheimer  Chronik 
im  Laufe  der  Jahre  vergessen  und  letztere  bei  seiner  neuen  Arbeit  nicht  zu 
Rate  gezogen  haben.  War  er  doch  auch  infolge  innerer  und  äusserer  Zwistig- 
keiten  vom  Jahre  1505  an  nicht  mehr  Abt  zu  Sponheim,  sondern  nach  7  monat- 
lichem Aufenthalt  beim  Kurfürsten  Joachim  von  Brandenburg  in  Berlin  Abt  des 
Schottenklosters  St.  Jakob  zu  Würzburg,  wo  er  1516  starb.')  Aber  der  Viel- 
schreibende und  darum  Vergessliche  muss  eine  ^Abschrift  jener  Schönauer  Urkunde 
besessen  haben,  in  welcher  der  Erzbischof  Adelbero  von  Trier  dem  Abte  Hildelin 
die  Seelsorge  und  den  Zehnten  von  Welterod  überträgt.^)  Dort  kommen  die 
Worte  vor  in  Bezug  auf  Hildelin:  „ecclesiam  Weltrod  secus  claustrum  suum 
in  fundo  ecclesiae  suae  sitam,  sui  juris  suaeque  donationis."  Aus  ihnen  floss 
durch  verkehrte  Auslegung  der  reiche  Edelmann  Hildelin,  der  Mönch  und  Abt 
wurde.  Denn  man  fasste,  w^ie  dies  auch  die  „Rettung"  gethan^),  alle  die  „suum, 
suae,  sui",  als  Hildelins  Besitz  anzeigende  Fürwörter  auf,  während  sie  ledigUch 
den  Besitz  der  Schönauer  Kirche  bezeichnen.*)  So  kam  der  zweite  Bericht 
ohne  alles  Zuthun  von  Seiten  Schönaus  zu  stände.  Der  dritte  unterscheidet 
sich  nur  dadurch  von  diesem,  dass  Hildelin  zum  Grafen  von  Lurburg  gemacht 
wird,  weil  Trithemius  doch  wohl  noch  etwas  von  der  früher  gelesenen  Urkunde 
dämmern  mochte,  in  welcher  ein  Laurenburger  Graf  —  den  Namen  hatte  er 
ja  damals  schon  ausgelassen,  konnte  ihn  also  mit  dem  Hildelins  ersetzen  —  als 
Stifter  Schönaus  genannt  war. 

Hiernach  verstehen  sich  die  Darstellungen  bei  Bucelin  und  Brower  ziem- 
lich von  selbst.  Obwohl  ersterer  die  Äbtereihe,  die  er  im  zweiten  Teile  seiner 
, Germania  topo-  chrono-  stemmatographica"  bringt,  unmittel-  oder  mittelbarer 
Weise  nur  einer  Mitteilung  aus  Schönau  verdanken  konnte,  so  hat  er  doch, 
wie  vorhin  bemerkt,  deutlich  den  zweiten  Bericht  Trithems  vor  sich  gehabt. 
Den  dritten,  obwohl  er  sich  handschriftlich  eine  Zeitlang  in  dem  Kloster  Wein- 
garten, dessen  Prior  er  war,  befand,  konnte  er  nicht  kennen,  da  dies  vor  seiner 
Zeit  lag,  die  zweite  Ausgabe  der  Hirsauer  Chronik  aber  erst  1690  im  Drucke 
erschien.  Den  ersten  hat  er  auffälliger  Weise  so  wenig  gekannt,  ob  er  gleich 
zu  seinerzeit  gedruckt  vorlag,  wie  Brower,  dem  der  dritte  ebenso  verborgen 
blieb.    Bei  diesem  aber  fällt  es.  um  so  mehr  auf,  als  er  die  Sponheimer  Chronik 


>)  Wotzer  und  Weite  11,  298.  —  ^)  „Rettung"  Beyl,  N.  IV  S.  3  f.  Kremer,  Orig, 
2,  162  f.  Die  Urkunde  ist  undatiert.  Vergl.  Schliephake  1,  174  f.  und  Brower  2,  45.— 
")  In  ihrem  Regeste  über  die  XJrk.,  das  auch  auf  Kremer  übergegangen  ist.  -  *}  Vogel. 
Beschr.  639. 


160 

ausdrücklich,  aber  irrig  als  seine  Quelle  nennt.  Aber  freilich  er  hat  noch  eine 
andere  Quelle,  die  in  der  Sponheimer  Chronik  gebraucht  ist,  das  „Ms.  documentura" 
der  Urkunde  von  1132.  Diese  verschweisst  er  nach  seiner  Auslegung  mit  dem 
zweiten  Berichte  Trithems  unter  Zuthat  von  anderweitigem,  was  er  anderer 
Lektüre  entnommen  haben  muss.  Den  „reichen  Mann"  Hildelin,  wie  die  ört- 
liche Lage  von  Schönau  und  den  Bau  des  Nonnenklosters  durch  ersteren  bezog 
er  von  Trithemius.  Den  Grafen  „Rubert"  von  Laurenburg  entnahm  er  der 
Urkunde  von  1132,  und  ein  irriger  Schluss  aus  derselben  war  es,  diesen  zum 
blossen  Vollender  des  Klosters  zu  machen.  Denn,  indem  er,  wie  Nebe  in  seiner 
nunmehr  auch  hinfällig  gewordenen  Darstellung^),  ein  „a  se  ipso"  bei  dem  „in 
proprio  predio  suo  fundatum"  vermisste,  machte  er  das  „fundatum"  zu  einem 
Werk  des  Hildelin  und  die  Übergabe  an  die  „monastica  conversatio"  zu  einem 
solchen  Ruprechts.  Ausserdem  hatte  er  die  Visionen  der  hl.  Elisabeth  gelesen. 
Aber  recht  oberflächlich.  Denn  das  ganze  Lob,  welches  dort  Hildelin  gespendet 
wird  bei  Erwähnung  der  „Sancta  Verena  virgo  et  martir",  ist  dies:  „Hec  per 
manum  venerandi  abbatis  nostri  Hildelini  inde  in  locum  nostrum  translata  est."^) 
Die  andere  Brower  eigentümliche  Nachricht,  dass  das  Schönauer  Kloster  „sacris 
insignitum  cineribus"  Florins  sei,  steht  mit  der  Schönauer  Legende,  wie  mit 
seiner  eigenen  vom  Haupte  dieses  Heiligen  in  Coblenz,  in  bedenklichstem  Wider- 
streite. Denn  Asche  reimt  sich  weder  mit  dem  „corpus"  in  Coblenz,  noch  mit 
der  „pars  reliquiarum"  in  Lipporn  nach  der  Legende,  noch  mit  dem  „caput" 
Browers.  Auch  das  ist  auffällig,  dass  er  „Hilduwinus",  „Hilduinus"  und  „Hilde- 
linus" nebeneinander  gebraucht  und  am  Rande  bemerkt:  „Hilduinus  qui  et 
Hildelinus  autor  monasterii."  Man  könnte  versucht  sein,  erstere  Namen  als 
eine  Verlesung  von  „Drutwinus"  anzusehen  und  dabei  an  das  oben  genannte 
^antiquum  manuscriptum"  Plebans  denken,  in  welchem  seltsamerweise  Trutwin 
„Ordinis  S.  Benedicti"  genannt  scheint.  Indes,  so  sehr  man  auch  die  Kenntnis 
der  gleichen  alten  Handschrift  schon  bei  Trithem  voraussetzen  möchte,  gekannt 
können  sie  beide  nicht  haben,  da  dort  vom  „vulnernatus"  Trutwin  erzählt  ist. 
Die  verschiedene  Schreibung  des  Namens  Hildelins  bei  Brower  kann  also  nur 
auf  fehlerhafter  Abschrift  der  von  ihm  benutzten  Urkunde  von  1132  beruhen. 
Ist  aber  auf  diese  Weise  der  Wert  aller  ausserschönauer  Berichte  über 
die  dortige  Klostergründung  auf  sein  wahres  Mass  zurückgeführt,  nachdem  der 
Inhalt  derselben  lange  genug  Irrlichtsdienste  verrichtet  hat,  so  bedarf  es  keines 
weiteren  Wortes,  dass  sie  alle  das  tiefe  Schweigen  Schönaus  selber  über  seine 
Urgeschichte  bedeuten.  Für  sie  hat  kein  Trutwin  gelebt,  war  keiner  gemordet, 
kein  Bann  und  Interdikt  verhängt  worden.  Um  so  mehr  ist  noch  ein  Wort  dar- 
über am  Platze,  dass  sie  miteinander  eine  thatsächliche  Beseitigung  der  Schönauer 
Legende  darstellen.  Es  kommt  nur  darauf  an,  festzustellen,  auf  wessen  Rechnung 
die  Beseitigung  zu  setzen  ist.  Wir  sahen  oben,  dass  der  eigentliche  Schöpfer 
aller  genannten  Berichte,  Trithemius,  in  unmittelbarer  Beziehung  mit  Schönau 
stand  und  zwar,  das  setzen  wir  hier  hinzu,  ungefähr  zu  derselben  Zeit,  als 
letzteres    an  seiner  neuen  Kirchenwand  die  alte  Legende  mit  neuer  Einleitung 


')  A.  a.  O.  160,  Anm.  —  -')  Roth,  Visionen  123.    Im  Register  ist  das  Vorkommen  des 
Namens  an  dieser  Stelle  vergessen. 


161 

wieder  aufleben  Hess.  Sollten  wir  ihm  die  Tücke  zutrauen  dürfen,  dass  es,  was 
es  daheim  etwa  unter  gräflich  nassau'schem  Zwange  gethan,  auswärts  leugnen 
Hess?  Nicht  doch,  das  würde  gegen  den  nur  für  seine  eigenen  Augen  bestimmten 
Bericht  über  den  Streit  mit  den  Nonnen  im  Jahre  1506  Verstössen.  Wir  können 
nur  annehmen,  dass  es  Abschrift  gab  oder  nehmen  Hess  von  feinen  alten  Schriften 
und  zwar  mit  Einschluss  der  Legende,  an  die  es  glaubte.  War  es  Trithemius 
nun,  der  letztere  verwarf  und  aus  den  ihm  gelieferten  Urkunden  allein  seine 
Erzählung  wobV  Seine  vielen  Werke  zeigen  ihn  niemals  als  scharfen  Urteiler. 
wohl  aber  oft  als  urteilslosen  Sammler.  Er  kann  also  zu  seiner  Erzählweise 
nur  dadurch  gekommen  sein,  dass  er  entweder  die  Schönauer  Abschriften  ver- 
loren hatte,  oder  sich  keinen  Rat  wusste,  wie  er  die  Legende  mit  dem  Urkundcu- 
stoffe  verknüpfen  sollte.  In  dieser  Verlegenheit  mochte  ihm  das  Geratenste 
scheinen,  nur  die  Urkunden  reden  zu  lassen  und  auch  sie  nur  in  seiner  befangenen 
Auslegung.  Seine  Berichte,  mit  Ausnahme  des  ersten,  verraten  ja  deutlich  ge- 
nug, dass  geschichtliche  Treue  nicht  seine  Stärke  war,  wenn  er  gleich  in  der 
Vorrede  zur  Sponheimer  Chronik  sagt:  „Zugleich  bitte  ich  den  Leser,  dass  er 
nicht  irgend  etwas  von  dem,  was  wir  geschrieben,  verurteile,  bevor  er  sorgfältig 
geprüft  oder  einen  offenbaren  Irrtum  gefunden  hat.  Denn  es  ist  eine  verab- 
scheuenswerte Art  der  Menschen,  Männernachtarbeiten  (virorum  lucubrationes), 
die  sie  weder  nachahmen  noch  besser  machen  können,  mit  gottlosem  Zahne  zu 
benagen,  und  was  sie  nicht  richtig  zu  unterscheiden  vermögen,  mit  anspruchs- 
voller Verwegenheit  zu  verunglimpfen."  ^)  Es  scheint  demnach,  das  ist  unser 
Schluss,  hier  das  geheimnisvolle  Walten  der  Geschichte  vorzuliegen,  dass  un- 
gesühnte  Verbrechen  an  ihrer  Wahrheit  sich  solange  in  dauerndem  Irrtum  und 
Selbstbetrug  rächen,  bis  sie  endlich  ihren  Entdecker  finden.  Zeigt  sich  doch  dasselbe 
wie  in  dem  Reiraw^erke,  so  in  dem  langen  Kampfe  des  Klosters  mit  seinem  ehe- 
maligen frommen  Stifter  Nassau,  der  in  der  oftgenannten  „Rettung"  des  ersteren 
den  letzten  schriftlichen  Niederschlag  von  Dichtung  und  Wahrheit,  von  Anwalts- 
kniff und  begründeter  Beschwerde,  von  gelehrtem  Flitter  und  prunklosem  Rechte 
gefunden  hat. 2)  ' 

Wir  sind  zu  Ende.  Ob  wir  befugt  waren,  in  dieser  einschneidenden  Art 
Gericht  zu  üben  nicht  bloss  an  Schönau,  sondern  auch  an  seinen  bisherigen 
Anwälten,  hat  der  unparteiische  Leser  zu  entscheiden,  wie  es  der  künftigen 
Geschichtschreibung  obliegen  wird,  das  Feuerbeständige  unserer  Untersuchung 
zu  verwerten. 


•)  Op.  2,  236.  —  ")  Schliephake  1,  171   f. 


11 


Das  alte  Wiesbaden. 

Mitk'etcilt  von  F.  Otto. 


1.  Das  Soinioiiborü:or  Thor  und  dor  Wioseiibninnen  im  Jalire  173S. 

Einem  Schreiben  vom  22.  Februar  17:iS  über  eine  etwaige  Erweiterung 
der  Stadt  am  Sonnenberger  Thor  liegt  die  folgende  Zeichnung  der  Örtlichkeit 
bei.  Sie  zeigt  uns  zunächst  das  genannte  Thor  neben  dem  „Ritter",  dann 
rechts  und  links  von  dem  Wege  vor  demselben  zwei  grosse  Gärten,  weiter 
den  alten  Landgraben,  dann  den  Weg,  der  von  dem  Sonnenberger  Weg  hinab 
zu  den  Wiesen  führte,  zuletzt  die  Allee,  welche  hin  zu  dem  Wiesenbrunnen 
geleitete,  und  diesen  selbst  mit  seiner  Einfassung  von  Bäumen ;  wir  haben  ihn 
zu  denken  auf  dem  Platze  vor  dem  jetzigen  Kurhause.  Zur  rechten  Hand 
finden  sich  unmittelbar  vor  dem  Thore  und  weiterhin  zwischen  Landgraben  und 
Weg  Brennöfen,  Hafner-  und  Ziegelhütten,  endlich  rechts  unten  ein  3 — 4  Schuh 
tiefer  gelegener  Garten,  wo  früher  Weiher  und  Graben  sich  befand;  an  dem- 
selben floss  der  warme  Bach  vorbei.     Vgl.  unsere  Abhandlung  Ann.  XV,  S.  83. 


"2,  Der  Mauritiiisplatz. 

In  dem  Streite  des  Inspektors  Hellmund  mit  der  Stadtgemeinde  wegen 
des  Geschnatters,  welches  die  Gänse  um  die  Mauritiuskirche  und  das  Pfarrhaus 
herum  machten,  verlangte  u.  a.  der  Inspektor,  dass  der  ganze  Raum  durch 
eine  Mauer  eingeschlossen  werde,  wie  es  wenigstens  früher  z.  B.  der  Fall  ge- 
wesen sei.  Den  Verhandlungen  liegt  der  folgende  Plan  der  Ortlichkeit  vom 
Jahre  1738  bei.  Er  zeigt  uns  im  Mittelpunkte  die  Mauritiuskirche,  um  sie 
herum  den  (alten)  Kirchhof,  der  aber  nicht  wie  jetzt  ein  Viereck  bildete;  links 
liegt  die  Wohnung  des  Inspektors,  dahinter  die  Ükonomiegebäude  und  ein 
Garten,  rechts  vorn  die  Schule,  etwas  vorspringend  in  die  Strasse  (bis  1816; 
s.  m.  Geschichte  der  Friedrichschule  S.  11,  dazu  Ann.  XIX,  S.  100  f.)  Vor 
der  Kirche  ist  die  ehemalige  Kirchhofsmauer  angedeutet,  ihr  ffegfenüber  ausser 
andern  Häusern  der  Schröder'sche  Hof  eingezeichnet. 


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1.  Das  Sonnenberger  Tlior  und  der  Wiesenbruniien  zu  Wiesbaden  im  Jahre  1738. 


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Scheuer        Garten 


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Garten 


Stadtmauer 


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Hafner- 

i_j  Hoffinanmscher 

hiitten. 


Banngarten 


Krautäcker 


J    Hirtenhaus 

Schlitt'sclier 
I  Brauhaus 


Gart 


Ist  Graben 
und   Weiher  geivesen,  jetct  Garten, 
doch  3-L  Schuh  tiefer  als 


Haus 


2.  Der  Manritiusplatz. 


'"■'^^o:^. 


Rossplatz 


Burgerhäusfr  Der  Schröder' sehe  Hof 


Bürgerhäuser 


Geschichte  der  Steigbügel. 


Von 

A4  Schlieben, 

Major  a.  P. 
Hierzu  Taf.  I  bis  VI  mit  352  Abbildungen. 


Es  ist  eine  zwar  oftmals  störende,  eigentlich  aber  sehr  natürliche  Erscheinung, 
dass  wir,  so  weit  unsere  Kenntnis  nur  aus  schriftlichen  Quellen  des  Altertums 
geschöpft  ist,  über  einfache  und  alltägliche  Dinge  bisweilen  weniger  gut  unter- 
richtet sind,  als  über  verwickelte  und  seltene  Fragen.  Es  kommt  dies  daher, 
dass  Einrichtungen  und  Gebrauchsstücke,  welche  sich  lange  Zeiträume  hindurch 
fast  gar  nicht  änderten,  vielen  Yölkern  gemeinsam  und  darum  jedermann 
geläufig  waren,  keine  Veranlassung  zu  eingehender  Beschreibung  boten,  wogegen 
solche  Dinge,  welche  andere  Völker  anders  anfertigten  oder  gebrauchten,  vor- 
zugsweise der  Erwähnung  wert  gehalten  wurden. 

So  sind  wir  mit  wenigen  Ausnahmen  nur  unvollkommen  unterrichtet  über 
die  Einzelheiten  alles  dessen,  was  sich  auf  Fahren  und  Reiten  bezieht,  über  die 
Pferderassen,  den  Gang  der  DresSur,  die  Hülfen  und  Anforderungen  der  Schul- 
reiterei, über  Anspannung,  Beschirrung  und  Zäumung,  Beschaffenheit  und 
Ausrüstung  der  Sättel,  über  Form  und  Befestigung  der  Sporen,  Hufeisen, 
Steigbügel  und  zahllose  Kleinigkeiten,  welche  den  Sportsman  interessieren,  und 
doch  wissen  wir,  dass  die  Pferdeliebhaberei  und  die  Rennwut  bis  ins  Mittel- 
alter hinein  gleich  einem  epidemischen  Wahnsinn,  wie  Procop  sagt,  das  Volk 
beherrschten,  dass  die  Sportsmen  vom  Kaiser,  durch  die  Reihen  der  Ritter, 
Senatoren  und  Bürger  hinab  bis  zum  letzten  Stallknecht  Stammbäume  und 
Leistungen  der  Pferde  auswendig  kannten,  und  dass  zur  Kaiserzeit  alle  grösseren 
Städte,  von  Jerusalem  bis  Sevilla,  von  Britannien  bis  Nordafrika,  dieselben 
Erscheinungen  wie  Rom  und  Konstantinopel  boten. 

Das  Wesentliche  bei  der  Beschirrung  und  Ausrüstung  der  Pferde,  bei 
den  Rennen  und  Reitübuugen  war  seit  den  allerältesten  Zeiten  fast  gar  nicht 
verändert  und  daher  jedermann  bekannt;  nur  gelegentlich  werden  wir  auf 
Einzelheiten  aufmerksam  gemacht.  Erst  zur  Kaiserzeit  finden  sich,  Xenophon 
ausgenommen,  Schriftsteller,  welche  durch  Scholien  oder  besondere  Onomastica 
die  verschiedenen  Gegenstände  sachlich  und  sprachlich  erklärten,   ohne  jedoch, 


166 

da  sie  sich  selbst  oft  schlecht  unterrichtet  zeigen,  unsere  Wissbegierde  in  allen 
Punkten  zu  befriedigen.  Sache  der  Altertumsforscher  ist  es  nun,  aus  den 
gelegentlichen  schriftlichen  Nachrichten  und  jenen  oft  sich  völlig  widersprechenden 
Erklärungen  das  Richtige  herauszufinden. 

Diese  Aufgabe  würde  in  vielen  Fällen  unlijslich  sein,  wenn  uns  nicht 
eine  wesentliche  Unterstützung  durch  die  Fundstücke  zu  teil  würde,  welche 
die  Gegenstände  teils  selbständig  und  greifbar  vor  Augen  führen,  teils  wenigstens 
in  Abbildungen  erkennen  lassen.  Und  dieses  Material  mehrt  sich  von  Tage  zu 
Tage;  in  der  alten  und  neuen  Welt  findet  sich  im  Schosse  der  Erde  ein  Stück 
nach  dem  andern,  welches  unsere  Kenntnis  längst  vergangener  Zeiten  mehrt 
und  uns  schliesslich  einen  Überblick  über  das  Ganze  g'ewinnen  lässt.  Auch 
die  Frage,  welche  uns  diesmal  beschäftigen  soll,  nachdem  Hufeisen  und  Sattel 
früher  schon  (Band  XX  und  XXI  der  Annalen)  behandelt  sind,  nämlich  die 
nach  dem  ersten  Vorkommen  und  der  geschichtlichen  Entwickelung  der  Steig- 
bügel, wird  gerade  durch  Betrachtung  der  Fundstücke  wesentlich  gefördert. 

Hierin  liegt  der  Grund,  weshalb  eine  Wiederaufnahme  und  Vervollständigung 
früherer  Untersuchungen  gerechtfertigt  erscheint,  denn  seit  Beckmann,  welcher 
in  seiner  Geschichte  der  Erfindungen  (IV.  Band,  S.  102)  ausführlich  darüber 
geschrieben,  Fundstücke  aber  gar  nicht  berücksichtigt  hat,  sind  nahezu  hundert 
Jahre  verflossen,  und  seitdem  so  viele  Einzelheiten  zu  Tage  gefordert,  dass 
dieselben,  unter  einen  gemeinsamen  Gesichtspunkt  gebracht,  wohl  geeignet 
scheinen,  die  Bemühungen  zur  Lösung  der  Frage  einen  bedeutenden  Schritt 
weiter  zu  bringen. 

I. 

Es  ist  längst  bekannt,  dass  die  Steigbügel  den  Alten  unbekannt  waren, 
es  muss  aber  bei  allen  Völkern  eine  Zeit  gegeben  haben,  zu  welcher  sie 
erfunden  oder  eingeführt  wurden.  Um  diese  zu  ermitteln,  wird  es  zunächst 
darauf  ankommen,  nachzuweisen,  wie  lange  man  im  Altertum  oder  im  Mittel- 
alter sich  ihrer  nicht  bediente. 

Der  Zweck  der  Bügel  ist  ein  doppelter,  nämlich  dem  Reiter  das  Auf- 
und  Absitzen  zu  erleichtern  und  seine  Füsse  während  des  Reitens  zu  unter- 
stützen, sowohl  um  der  Ermüdung  zu  begegnen,  als  um  den  Sitz  zu  festigen; 
bei  einzelnen  Völkern  dienen  sie  überdies  zugleich  zum  Antreiben  des  Pferdes 
oder  Maultieres.  Beckmann  meint,  dass  man  sich  wundern  müsse,  eine  so 
einfache  Erfindung,  wie  die  Steigbügel,  im  ganzen  Altertum  nicht  zu  finden, 
aber  er  übersieht,  dass  Bügel  ohne  einen  festen  Sattel  nicht  gut  anzubringen 
sind,  und  dass  gerade  diejenigen  Eigenschaften  des  Pferderückens,  welche  den 
Alten  beim  Reiten  auf  Decken  oder  einem  Ephippium  wünschenswert  waren, 
nämlich  ein  fleischiger,  runder  Rücken,  wie  ihn  Virgil  und  andere  ausdrücklich 
verlangten'),  der  Befestigung  eines  einzelnen  Bügels,  oder  eines  Bügelpaares  an 


')  Virg.  Ocorj,'.  III,  87:  At  (Inplex  agUur  per  htmhos  spinn:  Varro  11,  7,  5;  Columell. 
VI,  29,  2;  Goopon.  XVI,  1.  Ncmcs.  Cynug.  243;  Ovid.  Mot.  XII,  401.  C'iilpurn.  cclog.  VI,  54; 
das  Gegenteil,  eine  exstans  spina,  wird  getadelt  Grat,  cyneg.  526;  Varro  1.  e. 


167 

oder  über  den  Decken  Schwierigkeiten  bereiteten,  da  zum  Verhindern  des  Herum- 
rutschens gerade  ein  hoher  und  scharfer  Widerrist  vorteilhaft  ist.  Vor  Ein- 
führung des  Sattels  mit  festen  Bäumen  werden  wir  das  Vorkommen  von  Bügeln 
von  vornherein  nicht  erwarten  dürfen;  beide  gehören  zusammen.  Sieht  man 
den  Wert  der  Bügel  vorzugsweise  in  dem  erleichterten  Auf-  und  Absitzen, 
so  würde  ein  Paar  solcher  lose  über  die  Decke  gehängter  Bügel,  auch  wenn 
man  annehmen  wollte,  dass  der  Nebenmann  auf  der  rechten  Seite  durch  Fest- 
halten derselben  das  Herumrutschen  verhindert  hätte,  den  Soldaten  doch  niemals 
von  der  Notwendigkeit  entbunden  haben,  sich  noch  mit  einer  anderen  selbständigen 
Art  des  Aufsitzens  für  den  Fall,  dass  er  allein  wäre  und  keine  Unterstützung 
fände,  vertraut  zu  machen.  Bei  Feldherren  und  vornehmen  Personen  hätte 
immerhin  eine  Ausnahme  stattfinden  können,  und  doch  finden  wir  stets,  dass 
sie  in  anderer  Weise  aufs  Pferd  hinauf-  oder  von  demselben  herabstiegen. 
Da  wir  jedoch  auch  in  späterer  Zeit,  als  die  Bügel  längst  bekannt  waren, 
immer  noch  vom  Hinauf-  und  Herabspringen  lesen,  so  kann  dies  allein  nicht 
als  Beweis  gelten,  dass  die  Alten  die  Bügel  nicht  gekannt  hätten;  wir  haben 
andere  unzweifelhafte  Beweise  dafür^ 

Dass  die  Griechen  nichts  von  Steigbügeln  wussten,  geht  unter  anderem 
daraus  hervor,  dass  Hippocrates  von  den  Scythen  und  allen  eifrigen  Reitern 
sagt,  dass  sie  von  dem  fortwährenden  Herunterhängen  der  Schenkel  Flüsse 
(x=0[j.aTa)  bekämen.  Diese  im  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  gemachte  Bemerkung 
wird  noch  im  2.  Jahrhundert  n.  Chr.  von  Galenus  bestätigt.^)  Germanicus 
kräftigte  seine  schwachen  Schenkel  durch  Reiten,  indem  er  bei  dem  freien 
Herunterhängen  derselben  durch  die  kräftigen  Bewegungen  des  Pferdes  eine 
vermehrte  Blutcirkulation  erreichte  (Sueton,  Caligula  3). 

Von  entscheidender  Beweiskraft  ist  es,  dass  wir  ganz  genau  wissen,  wie 
die  Alten  aufs  Pferd  stiegen.  In  dem  Buche  Xenophons  von  der  Campagne- 
reiterei,  wie  wir  sagen  müssten  (Xen.  hipp.  7,  1 — 2),  wird  eine  Anleitung 
gegeben,  wie  die  Soldaten  aufs'  Pferd  springen  sollen.  Gottfried  Hermann 
(opusc.  I,  63)  hat  diese  oft  missverstandene  Stelle  vollkommen  klargelegt. 
Xenophon  sagt,  dass  man  auf  zwei  Arten  aufs  Pferd  steigen  könne,  entweder 
mit  Hülfe  der  Lanze  oder  ohne  dieselbe ;  in  beiden  Fällen  solle  man  den  Leitzügel 
(die  Alten  führten  ihre  Pferde  an  einem  besonderen  Zügel,  r/KOL-^diX^l^)  hübsch 
lang  in  die  linke,  die  eigentlichen  Zügel  in  die  rechte  Hand  nehmen.  Dann 
solle  der  Reiter  entweder  mit  der  linken  Hand  den  Spiess,  oder,  wenn  er  ohne 
diesen  aufsitzen  will,  ein  Büschel  Mähne  in  der  Nähe  der  Ohren  ergreifen,  die 
Rechte  aber  mit  den  sanft  anstehenden  Zügeln  auf  den  Widerrist  setzen  und 
gleichfalls  damit  in  die  Mähne  greifen,  sodann  den  Körper  in  die  Höhe 
schwingen,  den  rechten  Fuss,  ohne  den  Rücken  zu  berühren,  auf  die  rechte 
Seite  bringen,  sich  sanft  niederlassen  und  die  Zügel  ordnen.  Wohlweislich 
lässt  Xenophon  die  rechte  Hand   nicht  auf  den  Rücken,   sondern  am  Widerrist 


')  Hippocrates  de  aöre  acijuis  et  locis  ed.  Kühn  I,  pasf.  561;  ed.  Cliart.,  pag.  209. 
Galenus  de  parvae  pilae  exercitio  c.  5.;  de  tuenda  sanitate  II,  11.  Man  lese,  was  über  diese 
Beobachtung  Bonifac.  Rhodiginus  bist,  iudicra  VI,  5  sagt. 


168 

aufsetzen,  was  auch  ein  kitzliches  Pferd  sich  gefallen  lässt.  Ahnlich  lässt  er 
den  Reiter  von  der  rechten  Seite  aufsitzen,  er  kannte  also  sicher  die  Steigbügel  nicht. 

Die  römischen  Soldaten  übten  sich  im  Springen  an  hölzernen  Voltigier- 
böcken. Der  Kriegsschriftsteller  Vegetiiis,  welcher  Ende  des  4.  Jahrhunderts 
n.  Chr.  lebte,  schreibt  vor  (I,  18),  dass  diese  Übung  von  allen  Reitern  von 
der  rechten  und  linken  Seite,  mit  und  ohne  Rüstung  und  selbst  mit  gezücktem 
Schwerte  eifrig  betrieben  werden  soll.  Also  hatte  man  damals  noch  kein 
anderes  Mittel,  ohne  fremde  Hilfe  aufs  Pferd  zu  steigen.  Auch  andere  Schrift- 
steller aller  Zeiten  erwähnen  das  Auf-  und  Abspringen,  sodass  über  diesen 
Punkt  kein  Zweifel  besteht.^)  Mit  älteren  Reitern  machte  wenigstens  Xenophon 
eine  Ausnahme,  indem  er  ihnen  gestattete,  sich,  wie  er  sagt,  nach  Persersitte, 
durch  den  Nebenmann  unterstützen  zu  lassen  (Xen.  mag.  equ.  I,  17).  Also 
auch  in  Persien  und  im  ganzen  Orient  hatte  der  gemeine  Soldat  kein  anderes 
Mittel  aufs  Pferd  zu  steigen. 

Vornehme  und  ältere  Personen  stiegen  mit  Hilfe  eines  Dieners  auf 
[strafor^  ävaßoXso:;),  welcher  seine  Hand  als  Tritt  darbot.  Bei  Suidas  heisst 
es :  ävaßoXs'K  6  sttI  tov  -.'-rov  äva^ovA  Vom  sfrator  spricht  Aelius  Spartianus 
(Caracalla  7) :  nun  illum  in  equiwi  strator  levaret,  ebenso  Aramianus  Marcelliuus 
(imper.  Valens  et  Valent.  XXX,  21;  imp.  Julian.  XXI,  1):  lapso  milite  qui 
JuUannm  Incessurum  equo  dextra  manu  erexit.  Beide  Stellen  beziehen  sich  auf 
die  zweite  Hälfte  des  4.  Jahrhunderts  n.  Chr.  In  dieser  Weise  ist  auch  die 
Stelle  Esther  6,  8  zu  verstehen,  wo  Mardochai  auf  des  Königs  Pferd  gesetzt  wird : 
imponere  super  equ  um  sagt  die  Vulgata;  ebenso  Math.  21,  7:  erutxaö-c'sav  srdvo) 
ä'jtwv  sc.  TÄv  övcüv,  Lucas  19,  35:  sTisßtßaaav  aotov,  1  Könige  1,  38:  imponite 
Salomonem  super  mnlum  meam..  Als  Sapor,  König  von  Persien,  den  Kaiser 
Valerian  gefangen  genommen  hatte  (3.  Jahrhundert),  benutzte  er  den  Rücken 
dieses  Greises  als  Fussschemel,  so  oft  er  zu  Pferde  stieg  (Eutrop.  lib.  IX,  init.); 
Tamerlau  soll  es,  beiläufig  gesagt,  mit  Bajazet,  den  er  1402  in  der  Schlacht 
bei  Ancyra  gefangen  nahm,  ebenso  gemacht  haben,  wenn  wir  Paulus  Jovius 
(elog.  vir.  illustr.  II,  pag.  111)  glauben  wollen.  Ein  Pendant  dazu  bildeten 
die  Mädchen  aus  Cypern,  die  xXiaaxios?,  welche  der  Königin  den  Rücken  boten, 
wenn  sie  den  Wagen  besteigen  wollte  (Plut.  de  adulat.  et  amic.  3). 

Ein  anderes  Mittel,  dem  Reiter  das  Aufsitzen  zu  erleichtern,  bestand  darin, 
dass  man  die  Pferde  abrichtete,  sich  auf  die  Kniee  niederzulassen.  So  sollen 
es  der  Bucephalus  Alexanders,  das  Pferd  Traians  und  fast  allgemein  die  Pferde 
der  Iberer  gemacht  haben.  (Curt.  6,  5;  Sil.  Ital.  10,  465;  Dio  Cass.  49,  30; 
68,   18;  Strabo  3,  4  pag.   163,  C;  Plut.  praec.  polit.   13,   11.) 

Es  ist  eine  irrige  Ansicht,  dass  die  Lanzen  der  Alten  einen  Dorn  gehabt 
hätten,  dessen  man  sich  als  Tritt  beim  Aufsteigen  bediente,  obgleich  ein  solcher 
auf  einer  in  Baiae  gefundenen  Vase  und  auf  einer  Gemme  abgebildet  ist. 
Winckehnanu  irrt,  wenn  er  aus  eiuer  seltenen  Ausnahme  eine  allgemeine 
Regel    herleitet.      (Ginzrot,   Fuhrwerke  der  Römer  und  Griechen  II,    165,   Taf. 

')  Virg.  Aen.  Xlf,  287;  Ärriani  pcripl.  I'ont.  Eux.  c.  17;  Polyb.  VI,  25,  4;  XI,  21,  4; 
Plutarchi  roniug.  praeccpt.  8;  Valturius  de  re  milit.  X.  c.  3.     Plutarch.  Pompeius  41. 


IHO 

89,  14;  Winckelmanu,  Ausg.  v.  Feruow,  Dresd.  1808,  I.  S.  285;  Jacobs  zu 
Xenoph.  pag.  151.)  Noch  heute  sollen  Kosaken  und  Tataren  ohne  Benutzung 
der  Bügel  mit  Hilfe  der  Lanze  sich  aufs  Pferd  schwingen;  nur  so  ist  gegen 
die  Ansicht  von  Lipsius  (de  milit.  Rom.  pag.  140  in  Petiscus,  Lexic.  antiqu.) 
das  Absitzen  bei  Livius  4,  19  zu  verstehen:  Cornelius  Cossus  hasta  innisus 
se  in  pedes  recepit. 

Endlich  gab  es  für  das  bürgerliche  Leben,  für  bejahrte  Leute  und  un- 
geübte Reiter  an  öffentlichen  Wegen  Steine,  welche  das  Aufsitzen  erleichtern 
sollten.  C.  Gracchus  machte  sich  durch  das  Aufstellen  solcher  Trittsteinc 
(Staffelsteiue,  supiiedanea)  in  massigen  Abständen  an  öffentlichen  Strassen  beim 
römischen  Volke  sehr  beliebt.^)  Pollux  spricht  von  einem  derartigen  Aufsitzen 
(L  203),  welches  er  bei  jungen  rohen  Pferden  dem  Springen  vorzieht. 

Diese  Trittsteine  wurden  bald  allgemein  üblich  und  haben  sich  bis  iu 
unsere  Zeit  erhalten.  Wir  finden  sie  später  am  Hofe  Karls  des  Grossen  (Monach. 
St.  Gallensis  de  vita  Caroli  I,  6  bei  Pertz,  Mon.  II,  733),  wo  ein  jugendlicher 
Bischofskandidat  es  verschmäht,  mit  ihrer  Hilfe  aufs  Pferd  zu  steigen  und 
hinauf  springt.  Im  Sachsenspiegel  wird  die  Dispositionsfähigkeit  bei  vorge- 
schrittenem Alter  davon  abhängig  gemacht  „daz  her,  begurt  mit  eime  swerte 
und  mit  eime  schilde  üf  ein  ros  komen  mag  von  eime  steine  oder  stocke  einer 
dümelne  hö  (also  eine  Elle  hoch,  vom  Daumen  bis  zum  Ellenbogen  gemessen, 
höchstens  40  cm)  sunder  raannes  helfe,  deste  mau  im  das  ros  und  den  stege- 
reif halde..."  Hier  ist  natürlich  der  Steigbügel  schon  bekannt  (13.  Jahr- 
hundert) und  der  Trittstein  für  den  rechten  Fuss,  als  Vorstufe  für  den  Bügel 
bestimmt  (Sachsensp.  I,  52  und  feud.  II,  33). 

Im  Jahre  1502  wurde  ein  solcher  Stein  in  Frankfurt  a./M.  am  Römer 
aufgerichtet  (Beckmann  IV,  110).  Noch  vor  Kurzem  konnte  man  an  Markt- 
plätzen, vor  Dorfschenken  und  an  anderen  verkehrreichen  Orten  dergleichen  Steine 
sehen,  welche  sehr  nützlich  waren,  da  der  Bauer,  wenn  er  sein  Pferd  zum 
Markte  bringt,  noch  heute  auf  Decke  ohne  Bügel  reitet  und  höchstens  einen 
lose  übergelegten  Strick  mit  2  Schlaufen  zur  Stütze  der  Füsse  benutzt.  In 
England  und  Amerika  sollen  Trittsteine  noch  häufig  zu  finden  sein. 

Im  Französischen  heisst  ein  solcher  Stein  montoir  und  die  linke  Seite 
des  Pferdes  danach  cöte  du  montoir,  obgleich  zu  der  Zeit,  als  dieser  Ausdruck 
aufkam,  die  Bügel  längst  bekannt  waren.  Beringer,  Verfasser  einer  Geschichte 
des  Reitens  (Übers,  von  Heubel,  S.  83)  teilt  eine  angeblich  von  Crassus  her- 
rührende Inschrift  mit,  welche  er  seinem  Maultiere  Crassa  auf  einem  solchen 
Steine  gesetzt  hat:^) 


')  Plut.  Graccli.  7:  wc  s;y)  {jul-Mq,  -Ja-  Itz-wc  r/ooaiv  ireißcitvi-v,  ävaßo).f(u;  <^^  S;ofJLr>o'.;. 
Bei  Pet.  Vietorius,  var.  lect.  lib.  37,  c.  15  ist  die  Stelle  des  Polybius  III,  wo  er  von  Hannibal 
spricht,  ßE^YiiJ.'iTtat«'.  und  ßeßrjfisiüjTCf.  erklärt.  —  ')  Der  übliche  Anfaug  Bus  Manibus  sucrum 
wird  hier  (»arodiert.  Statt  Ciuciae  lies  Ciliciae;  in  KUnn-Asion  gab  es  vorzügliche  Maultiere. 
Vgl.  Schlieben,  Pferde  des  Altertums  72  u.  f.,  bene  fercnti  entspricht  dem  üblichen  benc 
merenti.     Die  Inschrift  wird  angezweifelt. 


170 

Diis  pedibus  saxum. 
Cinciae,  dorsiferae  et  duniferae, 
Ut  bisultnre  et  desultare  commodetur 
Pub.  Crasms  mulae  suac  Crassae  heue  ferenti 
Suppedaneum  hoc  cum  risu  posuit. 

V'ixit  annos  XL 

Wenn  Beckmann  behauptet,  dass  ein  Trittstein  im  Wappen  der  alten- 
burgischen  Familie  von  Salern  vorkomme  und  sogar  mehrere  Stufen  zeige,  so 
dürfte  dies  auf  einem  Irrtum  beruhen.  Bei  Siebmacher  (Wappenbuch,  Bd.  VI,  1, 
Abgestorbener  bayr.  Adel  S.  174,  Taf.  119)  ist  das  Wappen  abgebildet,  wird 
aber  für  einen  Stufengiebel  erklärt. 

So  viel  wir  suchen,  wir  finden  keine  Stelle,  aus  welcher  das  Vorkommen 
von  Steigbügeln  vor  dem  6.  Jahrhundert,  wie  wir  sehen  werden,  hervorginge; 
andere  behaupten,  glücklicher  gewesen  zu  sein.  Sie  übersetzen  einfach  ävaßoXsö? 
mit  Steigbügel,  und  wo  Suidas  (s.  v.  Masanasses)  sagt,  dass  Masinissa  bis 
in  sein  spätestes  Alter  ohne  Hilfe  eines  Dieners  habe  aufs  Pferd  steigen  können, 
„r;:-ov  /(of/.?  avaßoXstö^  s^jßa'.vsv"  sagen  sie  einfach  „ohne  Steigbügel."  Sie 
berufen  sich  dabei  vermutlich  auf  die  Erklärungen,  welche  die  Scholiasten  von 
diesem  Werke  geben. 

Suidas  selbst  sagt:  avaßoXso^  6  iirl  töv  i'r-ov  ävd^wv  .  .  .  avaßoXs'j?  y.al  r^ 
zapa  'P(i)[j.d'.o'.?  XsYoasvv]  oxäXa ;  unter  GxdXa  heisst  es :  oxäXa  'Pwaatotl  6  avaßoXso?. 
Ferner  sagt  Eustathius :  ävaßoXso?  oo  jjlövov  tö  oior^ptov,  (o  tooc  ~o5a?  svt'.O-svtsi; 
zcp'.zzo'.  Y'lvovTa'.  t'.ve?,  aXXd  %al  av&pojTro?,  oc,  h.c  zo'.mzo'^  sp^ov  7-a^o:rciopY£ö.  Beide 
kannten  natürlich,  da  sie  im  12.  und  14.  Jahrhundert  lebten,  die  Bügel,  aber 
wenigstens  Suidas  meinte  in  der  Stelle  über  Masinissa  sicher  nur  den  Diener, 
da  er  sein  Citat  aus  Appian  (Punic.  106)  entnommen  hat  und  zur  Zeit  der 
Punischen  Kriege  und  noch  weit  später  eine  solche  Neuerung  völlig  unbekannt 
war,  welche  einmal  erfunden,  nicht  wieder  verloren  gegangen  wäre.  An  und 
für  sich  konnte  ja,  wie  Beckmann  anführt,  das  Wort  ävaßoXso?  die  Bedeutung 
Steigbügel  ganz  nach  Analogie  des  deutschen  Wortes  Stiefelknecht  erhalten 
haben,  welches  einen  Menschen,  welcher  die  Stiefel  auszieht,  bedeuten  konnte 
und  dann  auf  das  hölzerne  Instrument,  welches  denselben  Dienst  leistet,  über- 
ging. So  konnte  auch  der  Steigbügel,  weil  er  den  Dienst  des  Reitknechtes 
leistete,  ävaßoXs'j?  heissen. 

Andere  berufen  sich  auf  eine  Stelle  bei  Pollux,  welche  in  der  Ausgabe 
von  Hemsterhuis,  Amsterdam,  1706  in  der  lateinischen  Übersetzung  wirklich 
das  Wort  stapedes,  Steigbügel,  enthält.  Diese  Übersetzung  ist  jedoch  grundfalsch. 
Der  Text  xdi  ^äp  y^  'o/'k  -Xsov  i"l  röjv  s'jTTjy.otcov,  -q  sttI  twv  y.aO-^Cojisvoiv  ist  so 
übersetzt:  stapedes  enini  inat/is  ad  standnm  quam  insidendnm  parati  sunt  und 
zeigt,  dass  der  Übersetzer  den  Sinn  gar  nicht  verstanden  hat,  denn  '.ayo?  soll  Kraft, 
Nachdruck,  aber  uicht  Steigbügel  heissen.  Pollux  I,  11,  15  sagt  ganz  richtig,  dass 
der  Heiter  mehr  Kraft  hat  und  Schwert  und  Speer  bosser  führen  kann,  wenn  er 
auf  dorn  Pferde  mehr  steht  als  sitzt.  Seine  ganze  Gelehrsamkeit  ist  ja  nur 
eine  Umschreibung   dessen,   was   Xeuophun   (Hipp.  VH,  5)   über   diesen   Punkt 


171 

sagt  imtl  ein  Missveratäiulnis  daher  gar  uiclit  möglich :  i-s-.oav  -(t  ;j.r,v  /.av>iCy,Ta'. 
ö')  TTjV  (oa"£p  27:'.  Töo  O'/fcpoo  sopav  37ra'.vo'j|XEV,  äXXä  tyjv  oj'3-Efj  öpiHc  av  o'.a,3£ßr,7.to? 
k'.T]  roiv  av.jXoiv,  denn  nur  so  könne  er  das  Pferd  beherrschen  und  seine  eigenen 
Kräfte  gebrauchen. 

Endlich  giebt  es  noch  eine  kleine  Münze,  welche  bei  Cohen  unter 
medailles  consulaires,  Blatt  VII,  bei  Eckhel  Tom.  II,  vol.  V,  S.  145,  abgebildet 
ist.  Sie  gehört  der  gens  Atia,  einer  plebejischen  Familie,  und  hat  die  Um- 
schrift A.  Labienus  Parthicus  imp.  Dieser  Labienus  ist  derselbe,  welcher 
zuerst  Unterfeldherr  Caesars  war  und  später  zu  Pompeius  überging.  Die  Münze 
zeigt  ein  Pferd,  von  dessen  weit  zurückliegendem  Sattel  etwas  wie  ein  Hosenbein 
herunterhängt.  Man  behauptet,  es  wäre  dies  wirklich  ein  solches,  welches,  der 
Länge  nach  offen,  unten  ein  festes  Brett  oder  einen  Steg  hatte,  auf  welchem 
der  Fuss  ruhen  konnte,  während  das  vielleicht  gepanzerte  Beinstück  über  den 
Schenkel  geschlagen  wurde.  Die  Idee  wäre  nicht  übel,  die  Entdeckung  steht 
aber  zu  vereinzelt  da,  um  allein  das  Vorkommen  von  Bügeln  zu  beweisen. 
Vielleicht  sehen  auch  andere  ganz  etwas  anderes  darin;  zu  diesen  gehöre  ich 
auch,  nachdem  ich  mehrere  Exemplare  der  Münze  genau  besehen  habe. 

Wenn  sich  also  in  der  klassischen  Zeit  und  den  nächsten  Jahr- 
hunderten keine  Quellen  finden,  in  welchen  Steigbügel  erwähnt  werden,  so 
müssen  wir  die  Schriftsteller  der  späteren  Zeit  ins  x\uge  fassen.  Da  ist  nun 
zunächst  der  Kaiser  Mauritius  zu  nennen,  welcher  Ende  des  G.  Jahrhunderts 
lebte  und  ein  Buch  über  die  Kriegskunst  geschrieben  hat  (Mauricii  tact.  ed. 
Schefferi,  Upsaliae  1664  II,  8  pag.  22  u.  64),  in  welchem  zum  erstenmale 
der  Steigbügel  mit  folgenden  Worten  Erwähnung  geschieht:  Xp-f]  sysiv  si-  ■:ä(; 
asXAa?  GVtaXa?  aior^pa:;  ooo  und  an  der  zweiten  Stelle:  Asi  lac  o-'jo  T/.äXa;  rwv 
Ayj-w-aTwv  xarä  toö  ap-.'jrspoo  «xspoo;  lr^^  rjcXXa?  -otsiv.  röorsof.v  tT,v  »rlav  -poc  "rfj 
xöopßx],  to?  s9-o?  iatl,  -/.ai  rr^v  aXX'/jv  Z[jb<z  t-f;  ÖTCtoö-oxöopß-^],  Iva  töjv  o'io  srl  töv  '.zzov 
ßooXoptsvwv  ävspy^aö-au  to-irsartv,  äoroö  ts  xai  töo  a^oiidycio,  ö  'xsv  oia  rf|?  TUpö?  t^ 
xoopß-^  axäXa;  ävsp-/=Ta'..  ö  ok  S-.a  ir^'z  zpo?  rfj  ÖTTia&oxoopß-Cj.  Hier  ist  also  un- 
zweifelhaft von  eiserneu  Steigbügeln  die  Rede,  aber  der  Kaiser  will,  dass  sie 
nicht  in  der  gewöhnlichen  Weise,  w;  sO'O?  soilv,  angebracht  werden,  sondern 
beide  auf  der  linken  Seite,  hinten  und  vorn,  damit  ausser  dem  eigentlichen 
Reiter  noch  ein  auf  dem  Schlachtfelde  aufgefundener  Kampfunfähiger  auf  das 
Pferd  steigen  könne,  der  dann  seinen  Sitz  auf  der  Kruppe  finden  würde.  Die 
Worte  w?  z^oz  sottv  sagen  zwar  indirekt,  aber  ganz  bestimmt,  dass  gewöhnlich 
beide  Bügel  auf  verschiedenen  Seiten  angebracht  waren  und  nur  für  die  Deputati 
—  eine  Art  Sanitäts-Korps  — ,  welche  die  Verwundeten  aufsuchten,  eine  Aus- 
nahme stattfinden  sollte. 

Im  7.  Jahrhundert  spricht  Isidorus,  Bischof  von  Sevilla,  in  seinen  Origines 
von  Bügeln:  scansiiae,  ferrum  per  quod  eqnu>(  scanditiir. 

Aus  dem  9.  Jahrhundert  haben  wir  das  Zeugnis  des  Leo  Grammaticus 
(cd.  Becker,  pag.  233),  welcher  den  Tod  des  Kaisers  Michael  erzählt: 
toö  oz  zoobc  ä')töo  [J.T,  ij)v>ä';avTo;  ir,  Yu  ^-'.ßv^va'..  äXXa  tö'i  srspoo  •/,parr,0'2VTo;  sv  z■f^ 
ov.äXa,   x}prJr^^^^l;   ö  i'-ro;  O'.saopsv   tköv.      Aus    dieser    Stelle    kann    man    zugleich 


172 

cutnehmen,  dass  die  Bügel  ziemlich  eng  gewesen  sein  müssen,  was  auch  ander- 
weitig bestätigt  wird  und  uns  später  ausführlich  beschäftigen  wird. 

Aimonius  de  mirac.  S.  Benedicti  II,  6  erwähnt  die  Steigbügel  als  scandiUa. 
Er  sagt:  a  quihtis  et  sella  ostendebatur,  quae  dilapsa  cum  equo  ßierat,  cnius 
scandiUa  quamvis  tiova  et  ayitelam  suis  mpatiens  pedihus  ipse  disrupcrat. 
Seine  "Worte  beziehen  sich  auf  ein  Ereignis  seiner  Zeit,  und  da  er  Ende  des 
9.  Jahrhunderts  lebte,  so  ist  sein  Zeugnis  sehr  wertvoll;  ob  er  aber  von  eisernen 
Bügeln  spricht,  bleibt  zweifelhaft. 

Der  nächste  Schriftsteller,  welcher  eiserne  Bügel  erwähnt,  ist  Kaiser  Leo, 
welcher  dem  Ende  des  9.  und  Anfange  des  10.  Jahrhunderts  angehört.  (Leo 
tact.  VI,  10;  ed.  Köchly  u.  Rüstow  II,  2,  pag.  318.)  Er  sagt:  si?  Ss  ta? 
cjsXXa?  o'io  o'.OYjpä?  oxdXa;.  Von  jetzt  an  ist  öfter  von  ihnen  die  Rede,  viele 
Citate  jedoch,  die  sich  wie  eine  Erbsünde  durch  alle  Schriften  über  diesen 
Gegenstand  hinziehen,  sind  falsch.  So  heisst  es  unter  anderen,  schon  der 
heilige  Hieronymus,  den  ich  auch  als  angeblichen  Gewährsmann  für  Sättel  ver- 
geblich durchsucht  habe,  sei  der  erste,  der  von  Steigbügeln  spreche,  man  führt 
sogar  seine  Worte  an :  se,  cum  quasdam  accepit  litteras,  iiimentum  conscensurum 
iam  pcdes  habuisse  in  bistapia;  bis  jetzt  hat  jedoch  noch  niemand  diese  Stelle 
in  seinem  sehr  umfangreichen  Nachlasse  auffinden  können.  Da  Hieronymus 
schon  im  Jahre  420  starb,  so  wäre  sein  Zeugnis  das  allerälteste  und  sehr 
wichtig,  aber  es  existiert  eben  nicht.  Wie  ich  sehe,  hat  schon  Du  Gange  darauf 
aufmerksam  gemacht,  dass  das  Citat  nicht  von  jenem  heiligen  Hieronymus, 
sondern  von  Hieronymus  magius  (Miscellan,  II,  14),  einem  Schriftsteller  des 
16.  Jahrhunderts  herrührt,  welcher  jene  Stelle  aus  dem  Gedächtnisse  citiert 
und  mit  einem  ni  fallor  auf  seinen  älteren  Namensvetter  verweist.  Salmasius, 
Vossius  u.  a.  haben  dann  zur  weiteren  Verbreitung  des  Irrtums  beigetragen. 
(S.  Du  Gange  unter  bistapia).  Du  Gange  führt  unter  stapia  eine  andere 
Stelle  an ,  nämlich :  Dam  virguncidae  placere  cuperem  pes  haesit  stapiae  et 
tractus  inierii.  Das  Gitat  ist  ein  Teil  eines  von  Berenger  (Gesch.  d.  Reitens, 
übers,  von  Heubel,  S.  85)  mitgeteilten  Epigramms,  welches  jedoch  von 
Montfaucon  u.  a.  für  unecht  gehalten  wird.  Beckmann  (IV,  113)  und  Du 
Gange  führen  es  auf  Franc.  Golumna  (somn.  Polyph.  I,  19)  zurück,  welcher 
im  16.  Jahrhundert  lebte,   es  ist  also  wie  das  vorige   von   sehr  spätem  Datum. 

Ein  anderes  sogenanntes  Beweisstück  aus  alter  Zeit,  eine  Silbermünze, 
auf  welcher  Kaiser  Konstantin  zu  Pferde  mit  Steigbügeln  dargestellt  ist,  ist 
gleichfalls  unecht.  Sie  ist  bei  Du  Gange  Bd.  X,  Tab.  4  abgebildet,  doch  kann 
ich  die  Stelle  nicht  auffinden,   in  welcher  sie  in  diesem  Werke  besprochen  ist. 

Auf  ein  anderes  Zeugnis  macht  Professor  Braun  im  XXXIII.  Bande  der 
Rhein.  Jahrb.,  Bonn  1863,  S.  134  aufmerksam.  Im  Ghronicon  Novaliciense 
(Novalese  am  Fusse  des  Mont  Genis)  vom  Jahre  1060,  Buch  11,  c.  10  und  11, 
wird  erzählt,  dass  Waltharius,  Sohn  des  Königs  von  Aquitanien,  einst  ein  be- 
rühmter Held,  in  Novalese  Mönch  geworden  sei  und  einen  Räuber  mit  einem 
Steigbügel  erschlagen  habe:  Cumque  coepissent  Uli  (Walthario)  vehementissime 
vim/acere,  Waltharius  dam  abstrahens  a  sella  retinaculnm.  in  quo  pes  eins  antea 
haerebat,  percussit   uni   eorum    in   capite^    qui   cadens    in   terram  velut  mortuus 


173 

fadus  est.  Hier  heisst  der  Bügel  retinaculion,  und  es  ist  darum  nur  von  einem 
die  Rede,  weil  Waltharius  nur  auf  einer  Seite  den  Bügel  lösen  konnte  und 
auch  nur  einen  gebrauchte;  ziemlich  massiv  muss  er  aber  immerhin  gewesen 
sein.  Dass  hier  retinaculum  nicht  Zügel  heissen  kann,  geht  aus  dem  Sinn  der 
Stelle  unzweifelhaft  hervor.  Wenn  auch  das  Chronicon  erst  1027  geschrieben 
ist,  so  wird  das  Faktum  doch  früher  zu  legen  sein. 

Stände  es  fest,  dass  der  Waltharius  Eckehards,  welcher  im  10.  Jahrhundert 
verfasst  und  mehrfach  überarbeitet  ist,  mit  dem  Waltharius  dieser  Chronik  ein  und 
dieselbe  Person  wäre,  so  würde  dieses  Zeugnis  von  grossem  Werte  sein,  denn 
das  Walthariuslied  erzählt  wie  das  Nibelungenlied  durch  Dichtungen  veränderte 
sagenhafte  Begebenheiten,  denen  ein  allerdings  kaum  kenntlicher  Kern  aus  dem 
5.  Jahrhundert  zu  Grunde  liegt,  und  es  würde  somit  ein  Anschluss  an  die  Nach- 
richten der  Byzantiner  des  6,  Jahrhunderts  gegeben  sein.  Diese  Identität  ist 
aber  wahrscheinlich  nicht  vorhanden.  Während  im  Eckehard'schen  Waltharius 
bestimmt  zwischen  Franken,  Burgundern  und  Aquitaniern  unterschieden  wird, 
also  eine  Zeit  gemeint  sein  muss,  in  welcher  diese  Reiche  noch  nicht  vom  Franken- 
reiche verschlungen  waren,  spielt  der  Novaleser  Waltharius  in  der  Zeit  des 
Desiderius  (im  8.  Jahrhundert),  aber  auch  er  ist  sagenhaft  und  wahrscheinlich 
eine  Lombardische  Tradition,  welche  sich  bei  anderen  Völkern  wiederfindet. 
(San.  Marte,  Walth.  pag.  48;  35;  20.,  J.  Grimm,  Lat.  Ged.  des  10.  und 
11.  Jahrh.  S.  78  u.  f) 

Man  könnte  in  dieser  Stelle  eine  Bestätigung  der  Ansicht  finden,  dass  man 
in  ältester  Zeit  nicht  eiserne  Bügel,  sondern  nur  Riemen  oder  Schlaufen  gehabt 
habe,  weil  retinaculum  sonst  nicht  für  Bügel  vorkommt.  Da  aber  Waltharius 
sein  altes  Streitross,  welches  er  dereinst  in  das  Kloster  mitgebracht  hat,  sich 
aussuchte,  so  wird  er  auch  dessen  ganze  Ausrüstung,  zu  der  auch  Steigbügel 
gehörten,  benutzt  haben.  Er  wird  den  Räuber  schwerlich  mit  dem  blossen 
Bügelriemen  erschlagen  haben. 

Fassen  wir  nun  die  Ausdrücke  ins  Auge,  welche  im  Mittelalter  für  Steig- 
bügel gebraucht  wurden  und  folgen  wir  dabei  zunächst  den  Angaben  von  Du 
Gange,  so  finden  wir  eine  reiche  Blumenlese.  Die  Citate  sind  aus  verschiedenen, 
zum  Teil  bis  ins  10.  Jahrhundert   zurückreichenden  Schriften  entnommen. 

Staffa,  stapha,  stapedium  und  stapelium  kommen  teils  in  den  leges 
Athelstani  regis  (924—940),  teils  im  13.  Jahrhundert  bei  Kaiser  Friedrich  II. 
de  arte  venandi  II,  71  pag.  152  vor:  ponat pedem  unum  in  stoffa  sellae,  accipiens 
arcum  sellae  anferioris  mann  sua  sinistra.  Ähnlich  klingend  finden  sich,  sta- 
phile,  staphilis,  staphilum  u.  a.  Ascensorium  oder  sterifium  findet  sich 
1127  :  pes  eius  sterißo  sive  ascensorio  sellae  inhaesit  ac  sie  per  deria  ac  ahrupta 
tradus  calcihns  equi  et  obiedu  arborum  miserahiliter  est  protrifus.  Stapia, 
stapeda,  stapes,  scaudile,  scansile,  scirrup,  strapas,  kommen  bei  Ael- 
fridus  im  10.  Jahrhundert  vor;  stiva  in  Chronicon  Reichenspergense  a.  1160: 
imperatore  frenum  equi  et  stivam  sellae  tcnente,  wobei  Du  Gange  strivam  lesen  will. 
Teripes  findet  sich  1141  bei  Ordericus  Vitalis:  tunc  sacerdos  sinistrum  pedem 
in  teripedem  misit  manumque  arreptis  loris  ditellae  imposuit;  sedipes  steht  Vitae 
Sanctorum  t.   VII,    maii  pag.   158;    subsellares,  stregula,    enedraculum, 


174 

streuga  1160.  strepes,  strepus  1110  und  1118,  strepa  1038,  1155,  1160  in 
Acta  Adriani  papae. 

Das  Wort  strepa  mit  seinen  Nebenformen,  von  denen  wir  vorhin  auch 
strapas  kennen  lernten,  erinnert  an  a'srpäß-^,  den  bequemen,  hauptsächlich  für 
Maultiere  bestimmten  Sattel,  über  den  ich  im  vorletzten  Jahrgange  der 
Annalen  ausführlich  gehandelt  habe;  denn  das  a  am  Anfange  ist  nur  euphonisch 
(Passow),  öcaTpaßYi^  heisst  fest,  unerschütterlich,  aarpaßy]  kann  daher  ein  Ding 
sein,  welches  fest  sitzt,  oder  auf  welchem  man  fest  sitzt,  ein  Sattel.  Daher 
sagt  Aeschylus  (suppl.  285)  a^tpaßiCooaa'.  xajr/^Xoi;  (al.  y.i^rqkoi).  Der  Stamm 
des  Wortes  ist  oToäßr],  eine  Schlinge,  von  arpi^w.  Sollte  nun  nicht  strepa  und 
besonders  die  Nebenform  strapas  denselben  Stamm  haben  und  die  strepa 
ursprünglich  zur  astraba  gehört  und  vielleicht  einen  hölzernen  Bügel  nach  Art 
der  von  den  Kosaken  und  Tartaren  zusammengedrehten  Hölzer  (Ginzrot, 
Taf.  86,  14)  oder  unserer  Fig.  224,  welche  eine  heute  noch  im  Gebrauch 
befindliche  Bügelart  zeigt,  bedeutet  haben?  Noch  vor  20  Jahren  bedienten 
sich  die  ostpreussischen  Bauern  solcher  Bügel  von  Birkenholz,  Fiy.  298,  von 
welchen  noch  die  Rede  sein  wird. 

Isidorus,  den  ich  in  dem  erwähnten  Aufsatze  schon  in  anderer  Weise  zu 
rechtfertigen  versucht  habe,  dürfte  mit  seiner  Erklärung:  astraba^  tahella  in 
qua  pedes  requiesciint  doch  insofern  recht  haben,  als  an  Stelle  der  Bügel  für 
Herren  an  der  für  Frauen  bestimmten  astraba  ein  Brett  trat,  wie  es  im  Hortus 
deliciarum  abgebildet  ist  und  uns  in  der  Normandie  unter  der  Bezeichnung 
planchette  als  heute  noch  üblich  wieder  begegnen  wird.  Wie  weit  rautatis  mutandis 
die  Erfindung  zurückreicht,  sehen  wir  an  den  assyrischen  Skulpturen  von  Koyoundjik. 
Wir  geben  in  Fig.  337  und  338  nach  Place  und  Layard  zwei  Abbildungen 
von  Bildwerken,  welche,  obgleich  teilweise  zerstört,  gerade  den  in  Rede  stehenden 
Brauch  ganz  deutlich  zeigen;  in  beiden  Fällen  sitzen  zwei  reitende  Frauen 
rittlings  auf  einem  erhabenen  Sitz  mit  bankartiger  Fussunterlage.  (Place, 
Niniveh  et  l'Assyrie  HI  pl.  50  und  Layard,  Monuments  de  Niniveh,  London, 
John  Murray  1849,  Platte  82). 

Da  der  Kaiser  Mauritius  die  Bügel  ausdrücklich  von  Eisen  verlangt,  so 
könnten  wir  vielleicht  zwischen  den  Zeilen  herauslesen,  dass  sie  anfanglich  nicht 
immer  von  Metall  gemacht  wurden  und  sich  zu  seiner  Zeit  schon  in  einem  höheren 
Stadium  der  Vollendung  befanden,  vielleicht  also  schon  längere  Zeit  in  Gebrauch 
waren  und  somit  viel  früher  erfunden  wurden.  Wir  werden  später  hierauf  zu- 
rückkommen. Das  Wort  -sTfirfü)  steht  übrigens  häufig  allgemein  für  Fahren, 
Lenken  (Hom.  II.  VHI,  168;  XVH,  699;  XX,  488;  Odyss.  XY,  205);  mit 
dieser  Wurzel  zusammengesetzte  Eigennamen  hatten,  wie  die  auf  '.TtTcog,  in  der 
Sportwelt  einen  vornehmen  Klang:  Strepsiades  heisst  bei  Aristophanes  ein 
Pferdenarr,  der  etwas  besonderes  vorstellen  soll,  Strophios  dagegen  der  rosse- 
kundige Vater  des  Pylades.  Strabe,  astrabe,  strapas  und  strepa  passen  recht 
gut  zusammen.  Lacroix  (moeurs,  usages  et  costumes  au  moyen  age,  S.  39) 
leitet  strepa  von  streben,  stützen  ab;  besser  dürfte  an  Strippe  (gedrehte  Schnur) 
zu  denken  sein,  da  es  in  vielen  in  dem  Excurs  von  Du  Gange  zu  Cinuamus 
ed.  Niebuhr  V,  pag.  366,  angeführten  Fällen  so   übersetzt  werden  kann,  wo  die 


175 

Riemen  strepae,  die  Bügel  selbst  aber  scandulae  genannt  werden.  Es  handelt 
sich  in  jener  Abhandlung  darum,  ob  der  Kaiser  verpflichtet  ist,  dem  Papst  den 
Bügel  zu  halten.  lienaldus,  Fürst  von  Antiochien  (Mitte  des  12.  Jahrhunderts), 
führt  das  Pferd  des  Erzbischofs  von  Cypern,  die  Strippe  in  der  Hand  haltend  : 
tov  sx  r^?  3'f eaTfy'.ooc  r,f>t7][j.svov  £v  -/eipl  y.aTiywv  ••j.ivia.  In  der  Coronatio  Aquisgranensis 
werden  die  1273  bei  der  Krönung  Rudolfs  von  Habsburg  beobachteten  Cere- 
monien  ganz  genau  beschrieben,  wobei  gesagt  wird,  dass  der  Kaiser  dem  Papste 
sowohl  beim  Auf-  wie  beim  Absteigen  den  Bügel  hielt  (Schultz,  Hof- Leben 
1,510);  eine  andere  Stelle  aus  dem  Sachsenspiegel  wird  noch  erwähnt  werden. 

Das  Wort  staffa  würde,  wenn  es  von  arrfco,  umkränzen,  umgeben,  abzuleiten 
wäre,  eine  ganz  ähnliche  Etymologie  haben,  wie  strepa  und  das  Holz  oder 
Metall  bezeichnen,  welches  kranzffjrmig  gebogen  den  Fuss  des  Reiters  umgiebt. 
Wenn  es  aber  mit  Stapfe  zusammenhängt,  wovon  noch  ein  Rest  in  dem  Worte 
Fussstapfe  zu  finden  ist,  so  könnte  auch  Stapfe,  die  umkränzte  Fussspur,  der 
Umriss  derselben,  von  ars'fu)  kommen.  Im  Italienischen  und  Spanischen  ist 
staffa  der  Steigbügel  und  Staffette  daher  ein  berittener  Bote.  Einige  denken 
auch  an  Stab,  Stütze.  Im  Griechischen  heissen  die  Bügel  T/.d).a'.  (so  bei 
Mauritius,  Leo,  Suidas,  Eustathius,  Codinus  de  offic,  3  und  9  u.  a.),  ebenso 
häufig  aber  7cX'{i.axs?  (bei  Pachymer.  de  Mich.  Paleolog.  V,  27,  Philes  Cantacuz. 
ed.  Wermsdorff  pag.  218  u.  a.);  seltener  und  später  ist  der  Ausdruck  awrrjpta, 
von  welchem  noch  die  Rede  sein  wird. 

Die  deutschen  Bezeichnungen  für  den  Bügel  sind  nicht  sehr  frühen  Datums. 
Yon  Parcival  heisst  es:  „ern  gerte  Stegereife  niht"  und  „er  sprang  druf  ane 
stegereif."  Im  Wolfdietrich  steht:  „Ohne  Stegreif  der  Freige  da  in  den  Sattel 
sprang."  Im  Sachsenspiegel,  der  dem  13.  Jahrhundert  angehört,  steht  I,  1,  1: 
„Dem  babste  ist  euch  gesazt  zu  riten  zu  bescheidener  zit  üf  eime  blanken 
pferde  und  der  keiser  sal  im  den  stegereif  halden  durch  daz  der  sadel  niht 
enwinde."     Ähnlich  lautet  es  I,  52,  2. 

Bekannt  ist  der  Ausdruck  „aus  dem  Stegreife  reden".  Wie  in  Griechen- 
land an  den  Bacchus-Festen  die  den  Zug  zu  Wagen  Begleitenden  in  schnell 
gemachten  Versehen  mit  dem  Publikum  ihren  Scherz  und  Spott  trieben  und 
auch  bei  den  römischen  Triumphen  allerlei  improvisierte,  oft  sehr  derbe  Scherze, 
wie  man  sagte  3^  äu.a^-/]?  oder  ex  plaustriSj  losgelassen  wurden,  so  wurden 
im  Mittelalter  augenbUcklicher  Eingabe  folgende  kürzere  oder  längere  Äusse- 
rungen als  aus  dem  Stegreife  gehalten  bezeichnet.  (Dionys.  Halic,  VII,  72.) 
Reiten  und  im  Stegreif  stehen  war  die  Beschäftigung  eines  rüstigen  Mannes, 
der  rasch  von  Entschluss,  auch  schnell  eine  Antwort  fand,  mit  der  es  dann  so 
genau  nicht  genommen  wurde.  Auch  andere  sprichwörtliche  Redensarten  knüpfen 
sich  an  den  Stegreif.  „On  Stegreif  in  den  Sattel  springen"  heisst  soviel  als 
ohne  Hilfe  anderer  etwas  ausführen.  „Sich  des  Stegreifs  ernähren"  hiess  rauben 
und  nehmen,  wo  man  etwas  bekommen  kann,  und  wurde  von  vagabondiereuden 
Edelleuten  gebraucht.  Das  Wort  Steigbügel  soll  nach  Grimm  erst  im  17.  Jahr- 
hundert aufgekommen  sein.  Ein  Steigbügeltrunk,  den  man  einnimmt,  wenn 
man  schon  auf  dem  Pferde  sitzt,  hat  seine  Erklärung  darin,  dass  der  Wirt  nach 


17() 

bezahlter  Rechnung,  wenn  der  abreisende  Gast    schon    aufgestiegen   war,    noch 
einen  Abschiedstruuk  als  letzten  unentgeldlich  vor  die  Thür  brachte. 

In  dera  Sinne  „aller  Anfang  ist  schwer"  oder,  wie  mir  wahrscheinlicher 
ist,  „ohne  Bügel  kommt  man  nicht  in  den  Sattel"  sollen  nach  Wander  (Sprich- 
würterlexikon)  gewisse  afrikanische  Negerstärame  den  Steigbügel  den  Vater  des 
Sattels  nennen.  Umgekehrt  wäre  es  wohl  ebenso  richtig.  Auch  über  die  Steigbügel- 
riemen mag  ein  Wort  gesagt  werden.  Bis  zum  Jahre  1752  wurden  sie  in 
Preussen  bei  der  Kavallerie  statt  der  Spiessruten  verwendet ;  ein  Unteroffizier 
schritt  dem  Verurteilten,  indem  er  ihm  die  Säbelspitze  vor  die  Brust  hielt, 
voran.     (Meyer,  Convers.-Lex.) 

Auffallend  ist  die  Bezeichnung  hebisen  in  Ulrich  von  Lichtensteina 
Frauendienst  (Ausg.  v.  Lachmann  S.  37).  Es  ist  vom  Jahre  1223  die  Rede. 
Ulrich  hilft  seiner  Herrin  vom  Pferd  steigen: 

V.  6 :  Die  vrowen  hiez  man  du  abheben : 
ich  bat  mir  daz  hebisen  geben: 
ich  huob  die  vrowen  alle  vil  gar. 
V.   13.:  daz  hebisen  ich  dar  truoe. 

si  sprach  ir  sit  nicht  starc  genuoc 
ir  mügt  mich  abe  geheben  niht. 
V.  18.:  dö  trats  uf  daz  hebisen  so 

do  si  her  von  dem  satel  steif 
bi  minera  här  si  mich  begreif  . .  . 
Die   gute  Frau    machte    dabei    den    artigen   Scherz,    ihrem    Ritter    eine  ganze 
Locke  auszureissen.     Wie  dieses  Hebeisen  beschaffen  war,    erfahren  wir  nicht, 
nur  dass  es   nicht    fest    mit    dem    Sattel    verbunden   war,    sondern  erst  herbei- 
gebracht wurde. 

Anderseits  wird  in  Flore  und  Blanscheflor  v.  2743  von  den  Steigbügeln 
an  dem  schönen  Zelter  gesagt,  dass  sie  fest  am  Sattel  sassen,  von  Gold  und 
nicht  von  Kupfer,  Eisen  oder  Messing  waren  und  mit  Darstellungen  von  Löwen, 
Drachen  und  anderem  Getier  verziert  waren.  Natürlich  ist  dies  alles  Dichtung. 
Siegfried  hält  Günther  Zaum  und  Stegreif.  (Viollet-le-Duc,  Dict.  rais.  du  mobilier, 
Fr.  V.  S.  415  unter  etrier  führt  andere  Beispiele  an.) 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  zur  Ritterzeit  sämtliche  Sättel  mit  Bügeln 
versehen  waren,  wenn  jedoch  in  Gedichten  schon  in  frühester  Zeit  solche 
erwähnt  werden,  wenn  die  Dichtung  Karl  den  Grossen  mit  Rittern  umgiebt  und 
die  späteren  Verhältnisse  auf  jene  Zeit  überträgt,  so  dürfen  wir  uns  dadurch 
nicht  täuschen  lassen.  Die  naiven  mittelalterlichen  Dichter  kleideten  eben  alles 
in  das  Gewand  ihrer  Zeit,  wie  Diercks  (Die  Araber  des  Mittelalters,  8.  203) 
sagt:  Christus  und  seine  Hauptleute  oder  Mannen,  nämlich  seine  Jünger, 
Alexander  der  Grosse  und  seine  Feldherrn,  Artus  und  seine  Tafelrunde,  Fürst 
Wladimir,  die  Sonne  Kiews,  mit  den  Seinigen,  Karl  und  seine  Pairs  —  sie  alle 
machte  die  Dichtung  gleich,  lieh  ihnen  dieselben  Kleider,  zeichnete  sie  mit  den- 
selben Sitten,  Hess  sie  dieselben  Thaten  vollbringen,  dieselben  Worte  sprechen, 
wie   man    sie  den   Mitgliedern    der  Ritterorden   zuschreibt.     Ahnlich    und    dies 


177 

kommt  uns  zu  statten,    malten  die  Maler  des  1(5.  Jahrhunderts    alte  Heilige  in 
den  Kostümen  und  mit  dem  Hausrat  ihrer  eignen  Zeit. 

Interessant  für  die  Geschichte  der  Steigbügel  ist  eine  Bemerkung  des 
Salernitaner  Anonymus  (bei  Du  Gange  unter  staffa).  Leider  ist  es  nicht  möglich, 
die  Schrift  selbst  aufzutreiben,  ich  kann  daher  nur  eitleren,  was  dort  zu  lesen 
ist:  sellam  super  quam  equitahat  sfaß'amque  solitam  ponehnt.  Hiernach  scheint 
es,  als  wenn  die  Bügel  nicht  fest  mit  dem  Sattel  verbunden  gewesen  wären, 
sondern  nur  zum  Aufsteigen  angehängt  und  dann  wieder  entfernt  wurden,  ähnlich 
wie  wir  es  soeben  beim  deutschen  Hebeisen  kennen  lernten.  Der  Salernitaner 
Anonymus  lebte  erst  im  16.  Jahrhundert  und  es  wird  nicht  gesagt,  auf  welche 
Zeit  sich  seine  Angabe  bezieht. 

Leo  Africanus  (ed.  Floriani,  Antw.  1557,  pag.  145),  ein  Schriftsteller  des 
16.  Jahrhunderts,  beschreibt  die  Ceremonien  am  Hofe  des  Königs  von  Fessa 
Nova  (Fez  in  Mauritanien) :  Begem  notinulli  praecedunt,  qui  diversas  hahent 
functiunes  . .  .  utrimque  stipatorcs  inccdtinf,  quorum  alius  stapedes,  alius  regis 
iacnliim,  alius  ephippii  stragulum,  alius  eqiii  fert  capistrum  . .  .  Danach  wurden 
also  die  Bügel  zum  jedesmaligen  Auf-  und  Absitzen  erst  angemacht;  aber  wie 
gesagt,  es  ist  von  Afrika  und  dem  16.  Jahrhundert  die  Rede.  Auffallend  ist, 
dass  zu  diesem  Zwecke  zwei  Bügel  (stapedes)  verwendet  werden.  Es  giebt  aber 
eine  ähnliche  Nachricht  älteren  Datums,  die  an  das  erwähnte  deutsche  Hebeisen 
erinnert.  Jahns  (Ross  und  Reiter  H,  47)  und  Löffler  (Das  Pferd  HI,  S.  172) 
führen,  jedoch  ohne  nähere  Quellenangabe,  eine  Stelle  an,  welche  sich  auf 
Wilhelm  IX  von  England,  also  auf  das  11.  Jahrhundert,  bezieht:  )wn  expectato 
ascensorio  sonipedem  insiliens.  Dass  der  Zwerg  Walberan  (Schultz,  Höfisch. 
Leben  I,  389)  sich  eine  prächtige  Leiter  machen  und  neben  dem  linken  Bügel  an  den 
Sattel  hängen  lässt,  um  daran  aufs  Pferd  zu  klettern,  ist  nur  seinem  körperlichen 
Unvermögen  zuzuschreiben,  kann  aber  nicht  zur  Verstärkung  jener  Vermutung 
herangezogen  werden,  obgleich  das  Bedürfnis,  bequem  aufs  Pferd  zu  steigen, 
hier  wie  dort  dasselbe  ist. 

Interessant,  wenn  auch  nicht  auf  Pferde,  sondern  auf  Kamele  bezüglich, 
ist  eine  Handzeichnung  im  germanischen  Museum  in  Nürnberg  (abgebildet  bei 
Stacke,  Deutsche  Gesch.  I,  716),  welche  trotz  mangelhafter  Darstellung  der 
Kamele  auf  eigener  Anschauung  des  Künstlers  beruht  und  die  älteste  vorhandene 
Abbildung  von  Türken  ist.  Sie  bezieht  sich  auf  die  Belagerung  Belgrads 
durch  Mohammed  IL  im  Jahre  1456.  Man  sieht  auf  dem  Bilde  unter  anderen 
Reitern  einen  Türken  auf  einem  Kamele,  dem  die  Ohren  gestutzt  sind,  so 
sitzen,  dass  er  den  linken  Fuss  auf  ein  breites  Band  stützt,  welches  von  der 
Halfter  ausgehend,  durch  einen  Ring  an  einer  Halskoppel  zu  einer  Art  Unilaui 
oder  Hinterzeug  geführt  ist.  Dass  der  Fuss  auf  dem  Bande  wirkUch  ruht, 
sieht  man  aus  dem  scharfen  Winkel  und  der  deutlichen  Anspannung.  Da  das 
Band  am  Kopfe  befestigt  ist,  so  wäre  es  möglich,  dass  es  als  Leitseil  diente, 
wenn  das  Tier  geführt  wurde,  oder  vielleicht  auch  als  eine  Art  Sprungzügel, 
der  mit  dem  Fusse  gehandhabt  wurde,  darüber  lässt  sich  jedoch  aus  der  Figur 
nichts  Bestimmtes  entnehmen.  Der  Strick  ist  nur  auf  der  linken  Seite  sichtbar. 
Dass  er  als  eine  Art  Steigbügel  zum  Auf-  und  Absitzen  gedient  habe,  welches 

12 


178 

beim  Kamel  ja  bedeutend  mehr  Schwierigkeiten  als  beim  Pferde  maelit,  wird  durch 
eine  Notiz  bei  Leo  Africanus  (Descriptio  Africae  I,  IG'')  wahrscheinlich,  in  welcher 
ffesafft    wird,    dass   die  Araber   der  Wüste   nur   auf  Kamelen    reiten   und   dabei 
die    Füsse  auf  den  Hals  setzen  —  was  übrigens  alle  Kamelreiter   thun  —  und 
dass   sie    keine    Steigbügel   kennen,    sich   vielmehr  statt   ihrer   nur    eines  Seiles 
bedienen.      Dass    man     sich    bei    Kamelen   in    einzelnen   Gegenden    nur    eines 
Steigbügels  zum  Hinaufklimraen  bedient,  der  bei   der  Höhe  des  Tieres  wohl  ent- 
sprechend tief  herunterhängt,  wird  durch  eine  nicht  genauer  datierte  Abbildung  bei 
Demmin  (\yaffenkunde  S.  647)  erwiesen,  welche  einen  nordafrikanischen  Kamel- 
sattel mit  geschnitzter  Vorder-  und  Hinterlehne  und  nur  einem  auf  der  linken  Seite 
herabhängenden  dreieckigen  Bügel  darstellt.    Dasselbe  geht  aus  einer  Abbildung 
von   Hans    Guldenmundt    in    den   Mitteilungen    des    Wiener   Altert. -Yer.    1875, 
Bd.    15    hervor,    welche    sich    auf  die    erste    türkische    Belagerung   Wiens    von 
1529  bezieht.     Es    ist   daher    wahrscheinUch,    dass   auch   bei  jener  Darstellung 
das  Band  der  hnken  Seite  als  eine  Art  Steigbügel,  aber  nur  zum  Aufsteigen  diente. 
Es    würde    aus   den    angeführten,    von  transportablen  Bügeln  sprechenden 
Stellen    der  Schluss    zu   ziehen    sein,   dass   man  anfänglich  mehr  Wert  auf  die 
Erleichterung  des  Aufsteigens,  als  auf  die  Unterstützung  der  Füsse  während  des 
Reitens  legte  und  dass  sie  hauptsächlich  von  solchen  Personen  gebraucht  wurden, 
welche   weniger   rüstig   zu    werden  anfingen.     Die  Gewöhnung   an   das  Reiten 
mit  Bügeln  hatte  für  denjenigen,  der  gewohnt  war,  ohne  solche  zu  reiten,  einige 
Schwierigkeit.     Der  Xaturreitar   sowohl,    welcher   sich   mit  den  Unterschenkeln 
festklemmt,   als    auch  der  Geübtere,  der  nach  Xenophons  Vorschrift  mehr  steht 
als  sitzt  (Xenoph.  hipp.  7,  5),  und  sich  gewöhnt  hat,  das  Bein  zu  strecken,  das 
Fussgelenk    aber    unbeweglich   zu   halten,    finden    beide    Schwierigkeiten  darin, 
den  Bügel   festzuhalten,    und  verfallen  sehr  leicht  darauf,  sich  steif  zu  machen 
und    in    den  Bügeln    zu    stehen,    wobei  der  feste  Sitz,   die  Einwirkung  auf  das 
Pferd  und  die  Fähigkeit  der  Waffenführung  verloren  gehen.     Es  ist  daher  schon 
aus  diesem  Grunde  nicht  zu  verwundern,  wenn  die  Bügel  nur  langsam  Eingang 
fanden    und    das  Loos   vieler   ausgezeichneter  Erfindungen   teilten.     Es  scheint 
sogar   die  Benutzung    von   Steigbügeln    längere   Zeit   ein  Vorrecht   der  Vor- 
nehmen und  Anführer  gewesen  zu  sein,  wenigstens  ganz  sicher  in  England. 
Die  Statuta   de   armis    vom  Jahre    1295    bestimmen  ausdrücklich,    dass  Schild- 
knappen genau  wie  Knechte  ausgerüstet  werden  und  keine  Steigbügel  am  Sattel 
haben   sollen  (Meyrick).    Die  Bügel  wurden  übrigens,  abgesehen  von  der  Form, 
anfänglich  sehr  lang  geschnallt,  in  England  dauerte  diese  Mode  von  Wilhelm  I. 
bis  Heinrich  VII.,  also  bis  zum  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  dabei  sind  die  Bügel 
auf  der  Tapete  von  Bayeux    teils    am  vorderen  Sattelknopf,    teils  in  der  Mitte 
des  Sattels  befestigt  (Fosbroke).     In  den  Scenes  and  Characters  of  the  Middle 
Ages  by  the  Rev.  E.  L.  Cutts  pag.  313  findet  sich  eine  Illustration  einer  Hand- 
schrift des  Prudentius,    worin  ein  Sachsenkönig    (saxon   king)    ohne   Steigbügel 
abgebildet  ist.     Die  Sachsen  regierten  bekannthch  bis  ins   11.  Jahrhundert,  wo 
ihnen    Wilhelm    der    Eroberer    folgte.       Dagegen    erwähnt    Meyrick    (Critical 
Enquiry  into  Ancient  Armour,  Platte  8),  einen  Normannenkönig  vom  Jahre  1066 
mit    platten    eisernen  Bügeln.     Alexander  I.,  König  von  Schottland,    1107,  hat 


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platte  dreieckige  Bügel,  ebenso  David,  Earl  v.  Huttington,  nachmals  König 
von  Schottland;  auf  Siegeln  haben  Richard  Fitz-Hugh,  Earl  von  Chester  und 
König  Richard  I.  dreieckige  Bügel  (Meyrick,   Platte  10,  13,  14). 

Auf  der  Tapete  von  Bayeux,  welche,  angeblich  auf  Veranlassung  der 
Königin  Mathilde,  Gemahlin  Wilhelms  I.  von  England  angefertigt,  dem  11.,  nach 
anderen  aber  dem  12.  Jahrhundert  angehört  und  in  72  Scenen  530  Figuren 
enthält,  sind  Reiter  sowohl  mit  als  ohne  Steigbügel  zu  sehen.  Ludwig  VI. 
hatte  im  Jahre  1100,  bevor  er  König  wurde,  auf  seinem  Reitersiegel  keine 
Steigbügel.  Auf  bayerischen  Münzen  kommt  ein  Reiter  mit  Bügeln,  wahrscheinlich 
Heinrich  der  Löwe,  zuerst  im  12.  Jahrhundert  vor,  daneben  finden  sich  andere  Her- 
zöge derselben  Zeit  ohne  Bügel.  (Oberraayr,  Hist.  Nachr.  von  bayr.  Münzen, 
Taf.  I,  16;  VHI,  99  —  102).  Münzen  von  Friedrich  Barbarossa  und  dem  Land- 
grafen Hermann  von  Thüringen,  beide  aus  dem  12.  Jahrhundert,  zeigen  diese 
als  Reiter  mit  Bügeln.  Ein  Reitersiegel  Gerhardi  Dapiferi  de  Alzei  a.  1228 
zeigt  diesen  mit  sehr  weit  vorgestreckten  Beinen  und  sehr  kleinen  Bügeln 
(Acta  acad.  Theod.  Pakt.  hist.  Vol.  VH,  pag.  268). 

Die  schriftlichen  Nachrichten  reichen  in  Deutschland  zwar  nicht  über  das 
10.  Jahrhundert  zurück,  es  tritt  dafür  aber  sogleich  eine  gewisse  Vertrautheit 
mit  den  Bügeln  zu  Tage.  Den  nordischen  Reitern  reichte  im  11.  Jahrhundert 
der  Schild  von  den  Augen  bis  über  die  Steigbügel,  wie  Weinhold  (Nord.  Leben 
S.  208)  anführt.  Dass  man  bei  den  Nordländern  verhältnismässig  wenig  schriftUche 
Nachrichten  findet,  hat  zum  Teil  darin  seinen  Grund,  dass  sie  in  alter  Zeit  wenig 
ritten ;  sie  waren  zu  schwer  für  ihr  wohl  nur  leichtes  Pferdematerial,  wie  aus  Olaus 
Magnus  (Hist.  de  gentibus  septentr.  Antw.  1558,  XVII,  132;  und  II,  23)  her- 
vorgeht. Es  wird  uns  erzählt,  dass  die  Gauten  die  körperliche  Fülle  so  hoch 
schätzten,  dass  sie  ihren  König  danach  koren ;  wer  einen  mächtigen  Stuhl,  ge- 
recht für  zwei,  ausfüllte,  ward  gewählt.  Als  sich  in  Gautenland  niemand  fand, 
wurde  ein  Fremder  Thoris  Hundsfuss,  Enkel  König  Rings,  gewählt  (Rolf  Kraka 
S.  c.  29;  Weinhold  S.  30).  Sörli,  Sohn  des  Upiandkönigs  Erling,  war  so  gross 
und  schwer,  dass  ihn  auch  der  stärkste  Hengst  nicht  länger  als  einen  halben 
Tag  tragen  konnte.  Den  gewaltigen  Fusskämpfer  Egge  konnte  ebenfalls  kein 
Ross  tragen,  er  ging  nur  zu  Fuss  und  erregte  dadurch  des  alten  Hildebrand 
Unzufriedenheit  (Jahns  II,  23). 

Trotzdem  spielt  schon  in  der  Heldensage  der  Steigbügel  eine  Rolle.  In 
der  Orkneyinga  Saga  bindet  Sigurd  das  Haupt  des  erschlagenen  Feindes  an 
seinen  Steigbügel  (Simrock,  Myth.  IL  Aufl.  S.  222).  Wenn  dieser  Vorgang  auch 
dem  Mythus  angehört,  so  beweist  er  doch,  dass  man  Vorbilder  kannte,  bei  welchen 
diese  Sitte  bestand.  Noch  im  11.  Jahrhundert  übten  die  Isländer  ganz  wie 
Hunnen  und  Slaven  diesen  Brauch  (Weinhold,  Nord.  Leben  S.  310).  So  lange 
man  keine  Steigbügel  hatte,  hängte  man  diese  Trophäen  den  Pferden  um  den 
Hals  oder  an  die  Zügel.  Herodot  IV,  64  erzählt  es  von  den  Scythen,  Diodor  II,  29 
und  Strabo  IV,  4,  pag.  198.  C.  von  den  Galliern;  letzterer  nennt  es  eine  Ge- 
wohnheit fast  aller  mitternächtigen  Völker.  Von  den  alten  Irländern  schreibt 
Rieh.  Stanihurstius  (bei  Du  Gange,  Lib.  I  de  rebus  hibernicis) :  Hibernos  ferreis 
scalis,  quae  u  nonmtlis  stapedes  dicuntar,  in  equos  minime  ascendere,  sed  iuhartun 

12* 


180 

stias,  fpKte  front ibiis  hnmineyit,  aut  eqnonim  anncnlas  ^hiisfra  apprehendere  afgiie 
dum  equi  ohstipis  capitihus  quieti  inclinant  (nam  ad  taJem  facUitatem,  nt  est  eoruni 
docUitas,  a  domltorihus  ßn<jinitur)  cquites  etiam  sa(/is  ant  loricis  amictos  mira 
corporis  agilitafe  se  efferre  divaricatisque  cruribus  cphippia,  clitellis  non  dis.^i- 
miles,  fitihito  occupare.     Stanihurstius  lebte  im   16.  Jahrhundert. 

Wenn  wir  noch  in  späterer  Zeit  lesen,  dass  Ritter  vom  Pferde  herab  oder 
auf  dasselbe  hinauf  springen,  so  dürfen  wir  daraus  nicht  schliessen,  dass  sie 
keine  Bügel  hatten,  ebenso  wenig  wie  man  aus  der  Statue  des  grossen  Kur- 
fürsten, welcher  bekanntlich  ebenfalls  ohne  Bügel  zu  Pferde  sitzt,  diesen  Schluss 
ziehen  kann ;  vielmehr  war  es  ein  Zeichen  von  Kraft  und  Geschicklichkeit 
ohne  Bügel  in  den  Sattel  zu  springen.  Der  sogenannte  Rittersprung,  der  Sprung 
aufs  Pferd,  musste  dem  Ritterschlage  vorher  gehen.  Im  Wolfdietrich  heisst  es : 
„Ohne  Stegreif  der  Freige  da  in  den  Sattel  sprang"  und  im  Orendel:  „Eise,  der 
kühne  Weigand,  ohne  Stegreif  in  den  Sattel  sprang."  Siegurd  springt  auf 
das  Ross  Goti  (Edda,  Simrock  304).  Auch  die  alten  Nordländer  machten  den 
Sprung  aufs  Pferd  und  das  Wechseln  derselben  im  vollen  Laufe,  besonders 
auf  glattem  Boden,  im  Winter,  zum  Gegenstand  besonderer  Übung.  (Olaus 
Magnus  ed.  Antw.  1558,  VIII,  pag.  85). 

Vielleicht  liegt  in  dem  Umstand,  dass  statt  des  früheren  insilire  und  dcsilire 
im  8.  und  9.  Jahrhundert  die  Ausdrücke  scandere  equos  und  descendere  vor- 
kommen, eine  Andeutung,  dass  man-  anfing  mittels  der  Bügel  auf  das  Pferd  zu 
steigen,  statt  hinauf  zu  springen.  So  heisst  es  bei  Ermoldus  Nigellus  II,  475 
und  III,  377; 

Donat  equos  rarios  pracstantia  coUa  fercntes 

Quorum  rix  poterant  scandere  dorsa  sui ; 
An  der  anderen  Stelle: 

Scandit  equum  i^elox,  stmmlis  praeßgit  acutis 
Frena  tenens  gyros  dat  quadrupes  oarios. 

König  Günther  steigt  zu  Pferde :  phalerati  terga  cavalli  scandit  (Waltha- 
rius  S.  1063). 

In  den  Annales  Fuldenses  (Mon.  Germ.  I,  vol.  V,  pag,  407)  heisst  es  von 
den  Franken,  welche  in  der  Schlacht  an  der  Dyle  891  vom  Pferde  steigen, 
um  zu  Fuss  zu  kämpfen,  ^^equo  descendunt^. 

Merkwürdig  ist  die  veraltete  französische  Bezeichnung  sautoirs,  von  sauter, 
für  Steigbügel,  welche  ihren  Namen,  wie  lucus  a  non  lucendo,  davon  zu  haben 
scheinen,  dass  man  bei  ihrem  Gebrauch  eben  nicht  mehr  aufs  Pferd  zu  springen 
brauchte.  Die  Erklärung  bei  Du  Gange  lautet :  sautoir,  etrier  pour  aider  ä 
sauter  a  cheral.  Aus  diesem  Worte  ist,  wie  Du  Gange  behauptet,  das  spät- 
griechische GOitTjc^a  gebildet  (bei  Suidas:  saltatorium),  welches  bei  Constantinus, 
Porph.  pag.  15  und  Leo  tact  6,  8  vorkommt  und  Sattel  bedeutet  (Stephani 
thesaur.  Gr.  unter  awT7]p{a  und  Du  Gange  unter  saltatoria  und  staffa).  Das- 
selbe Wort  findet  sich  aber  auch  im  Alteuglischeu.  Nach  Meyrick  (Critical  Enquiry 
into  Ancient  Armour  Vol.  XI,  pag.  18)  wurden  die  Steigbügel  im  14.  Jahrhundert 
30  genannt,  nämlich  sautouers,  aber  auch  schon  die  Statuta  de  armis  vom  Jahre 
1295  schreiben   vor:     „he  suhl  hace  na  sautoiire  at  Ins  sadiW^f   wie  gleichfalls 


181 

bei  Meyrick  zu  lesen  ist.  Die  sonstige  Bezeichnung  ist  stirnq)^  dessen  Ablei- 
tung von  Stegreif  oder  von  stirjh-rojte,  sowie  die  Ableitung  des  französischen 
Wortes  etrier  gleichfalls  von  dem  deutschen  Stegreif,  am  Ende  des  zweiten  Ab- 
schnittes besprochen  ist 

Haben  wir  in  den  auf  Europa  bezüglichen  Quellen  kein  älteres  schriftliches 
Zeugnis,  als  das  des  Kaisers  Mauritius  aus  dem  6.  Jahrhundert  gefunden,  so 
giebt  es  doch,  wie  Olshausen  in  den  Verhandlungen  der  Berliner  anthropolo- 
gischen Gesellschaft  vom  Jahre  1890,  S.  209,  mitteilt,  ein  solches  in  der  chine- 
sichen  Litteratur,  im  Nanshih  c.  45,  S.  11,  welches  sich  auf  das  Jahr  477 
n.  Chr.  bezieht.  Der  Verfasser  meint,  die  Steigbügel  schienen  damals  ganz  bekannt 
und  vielleicht  schon  Jahrhunderte  lang  im  Gebrauch  gewesen  zu  sein;  nach 
dieser  Zeit  sollen  sie  öfter  erwähnt  werden.  Im  7.  bis  9.  Jahrhundert  soll  das 
Volk  eiserne  Bügel,  die  Würdenträger  aber  solche  aus  T'au-Metall  gehabt  haben, 
einer  Komposition,  über  welche  einige  Mitteilungen  und  Vermutungen  beigefügt 
werden,  nach  welchen  es  äusserlich  dem  Messing  ähnlich  zu  sein  scheint. 

Die  älteste  schriftliche  Quelle  würde  also  diese  chinesische  sein,  sie  ver- 
legt den  Ursprung  der  Bügel  nach  Asien  und  ihren  Gebrauch  ins  5.  Jahrhundert, 
sodass  man  ihre  Erfindung  gewiss  noch  früher,  vielleicht  ins  4.  Jahrhundert, 
setzen  kann. 

Wir  haben  jetzt  also  eine  zusammenhängende  Reihe  schriftlicher  Nach- 
richten, welche  mit  dem  5.  Jahrhundert  beginnt,  und  wollen  nun  untersuchen, 
wie  die  Funde  damit  übereinstimmen. 


II. 

Wenn  wir  versuchen,  die  bis  jetzt  gemachten  Funde  von  Steigbügeln 
aufzuzählen  und  zu  ordnen,  um  im  Anschluss  an  die  im  vorigen  Abschnitte 
mitgeteilten  allgemeinen  Angaben  schliesslich  zu  einer  Geschichte  der  Bügel 
zu  gelangen,  so  dürfen  wir  uns  die  Schwierigkeit  dieses,  soviel  ich  weiss,  ersten 
Versuches  nicht  verhehlen.  Nicht  uur,  dass  das  Material  in  einer  Unzahl  von 
Büchern,  Annaleu,  Katalogen  und  kleinen  Schriften  zerstreut  ist,  so  geben  auch 
die  bisweilen  sehr  oberflächlichen  Mitteilungen  nur  in  seltenen  Fällen  eine  Vor- 
stellung von  Form  und  Grösse  und  noch  weniger  einen  Anhalt  für  die  Zeit, 
welcher  die  Fundstücke  angehören.  In  vielen  Sammlungen  giebt  es  fast  nur 
undatierte  Stücke  mit  unbekannten  Fundorten ;  es  geht  hier  beinahe  wie  mit 
den  Hufeisen,  von  welchen  oft  ganze  Kisten  voll  aufbewahrt  werden,  ohne  dass 
man  überhaupt  weiss,  wie  sie  in  die  Sammlung  hineingekommen  sind.  Solche 
Sachen  sind  für  unseren  Zweck  vorläufig  ganz  wertlos,  bis  man  im  stände  sein 
wird,  ohne  grosse  Irrtümer  allein  aus  der  Form  auf  die  Zeit  zu  schliessen,  und 
dies  wird  möglich  sein,  wenn  man  recht  viele  Zeichnungen  wird  vergleichen 
können. 

Die  früher  allgemein  gültige  Annahme  eines  in  verschiedenen  Perioden 
erfolgten  Zuges  der  ganzen  jetzigen  Bevölkerung  Europas  aus  Asien  nach  Westen  hat 
in  neuerer  Zeit  der  gerade  entgegengesetzten  Theorie  Platz  gemacht.  (Linden- 
schmit,    Handb.  d.  Deutsch.  Altert.-Kunde  I,   Einl.  S.  4  u.  f.     Virchow,   Verb, 


182 

d.  Berlin,  anthrop.  Ges.  1884,  S.  220.  Krause,  Tuiseo-Land,  S.  12  u.  f.) 
Nehmen  wir  aber  auch  an,  dass  in  allerältester  Zeit  ein  Zug  von  Westen  nach 
Osten  stattgefunden  hat,  so  bleibt  doch  die  Thatsache  bestehen,  dass  in  historischer 
Zeit  eine  Bewegung  in  umgekehrter  Richtung  stattfand,  dass  die  Bewohner 
Europas  vielfach  ihre  Wohnsitze  änderten,  und  dass  ein  Volk  das  andere  ver- 
drängte, um  nach  längerer  oder  kürzerer  Zeit  ebenfalls  bei  Seite  geschoben  zu 
werden.  Uns  interessieren  indessen  nur  diese  jüngeren  Yölkerzüge  nach  der 
einen  oder  anderen  Richtung  und  auch  nur  insoweit,  als  die  in  den  Gräbern 
gemachten  Funde  damit  im  Zusammenhange  stehen  und  einen  Schluss  auf  die 
Zeitfolge  gestatten.  Das  Vorkommen  von  Kurz-  und  Langschädeln,  die  Folge 
von  Finnen,  Kelten,  Germanen  im  Norden,  die  Ausbreitung  der  Wenden  in  der 
Mark,  Pommern  und  Mecklenburg  im  5.  und  6.  Jahrhundert  und  ihre  Grenze 
an  der  Elbe  und  Saale,  die  Aufeinanderfolge  der  Bojer  (Kelten),  Marcomaunen 
(Germanen)  und  Slaven  in  Böhmen,  die  Einfälle  der  Mongolen,  sowohl  ihre 
früheren  Züge  nach  dem  schwarzen  Meere  und  der  Donau,  als  ihre  ins  4.  Jahr- 
hundert fallenden  Züge  nach  Norden  und  ihr  im  13.  und  14.  Jahrhundert  er- 
folgtes Vordringen  nach  Russland,  sowie  andere  ähnliche  Vorgänge,  die  Fortschritte 
der  Kultur,  namentlich  der  in  verschiedenen  Ländern  zu  sehr  verschiedener 
Zeit  erfolgte  Übergang  zur  Eisenzeit,  die  Annahme  des  Christentums  —  dies 
alles  beachten  wir  hier  nur  soweit,  als  die  hauptsächlich  aus  der  Beschaffenheit 
der  Gräber  über  diese  Vorgänge  gewonnene  Kenntnis  der  Erklärung  und  Datierung 
derjenigen  Funde  dient,  welche  uns  über  die  Beschaffenheit  und  Verbreitung 
der  Steigbügel  Auskunft  geben. 

Ebenso  wichtig  aber  sind  für  die  Verbreitung  die  Handelsbeziehungen, 
welche  seit  den  ältesten  Zeiten  zwischen  dem  Süden  und  Norden  Europas, 
sowie  zwischen  dem  Osten  einerseits  und  dem  Westen  andererseits  nach  Mittel- 
Europa  bestanden.  Auf  ganz  bestimmten,  uns  wohl  bekannten  Strassen,  welche 
vom  mittelländischen  und  adriatischen,  aber  auch  vom  schwarzen  Meere  aus 
nach  der  Ostsee  führten,  und  in  frühester  Zeit  in  den  Händen  der  Semiten 
(Phönicier)  waren,  wurden  den  Völkern  des  Nordens  die  Erzeugnisse  des  Südens, 
hauptsächlich  die  schönen  Bronzewaren,  zugeführt,  welche  wir  in  ihrem  Besitze 
finden,  denn  weder  die  Nordländer,  noch  die  Gallier  oder  Germanen  haben  in 
frühester  Zeit  diese  Sachen  selbst  gefertigt.  Auf  denselben  Wegen,  welche  mit 
Unterbrechungen  bis  ins  Mittelalter  hinein  bestanden,  wurden  nordische  Waren, 
namentlich  Bernstein,  zurückbeffirdert,  auf  ihnen  fand  der  Austausch  von  allerlei 
Gebrauchsgegenständen,  die  Mitteilung  nützlicher  Erfindungen  und  politischer 
Ereignisse  statt.  Auch  die  Steigbügel  folgten  diesen  Strassen,  welche  sich  die 
Donau  aufwärts  durch  Ungarn,  Mähren,  Böhmen,  längs  der  Elbe,'  Oder  und 
Weichsel  nach  der  Ostsee  zogen,  doch  werden  wir  auch  auf  andere  Verbreitungs- 
wege stossen.  Alle  Funde  aber  gehören  nicht  jener  ältesten  Zeit,  sondern  erst 
dem  jüngeren  Eisenalter  an,  wie  wir  im  einzelnen  sehen  werden. 

Bei  fast  allen  europäischen  Völkern  wurden  bei  der  Bestattung  den  Kriegern 
je  nach  ihrem  Rang  Kostbarkeiten,  Waffen,  ausgerüstete  Pferde,  Wagen,  Schiffe, 
Habichte,  bei  einzelnen  auch  Frauen  und  Diener  zur  Benützung  in  jener  Welt 
mit    ins  Grab   gegeben.     Als  König   Harald    Hildetönn  in   der  Bravallaschlacht 


183 

"■efallen  war,  liess  König  Ring  von  Schweden  die  Leiche  auf  den  Wagen  legen, 
auf  dem  Harald  in  den  Kampf  gefahren  war,  einen  Hügel  aufwerfen  und  den 
Toten  hineinführen.  Das  Ross  ward  getötet,  und  König  Ring  gab  seinen 
eigenen  Sattel  her,  indem  er  dem  Toten  sagte,  er  möge  jetzt  thun,  wie  er 
wolle,  nach  Walhall  reiten  oder  fahren  (Fornaldur  Saga  I,  387;  Weinhold, 
Nord.  Leben  S.  495),  Besonders  diese  in  den  sogenannten  Skeletgräbern, 
in  welchen  die  Toten  unverbraunt  bestattet  wurden,  gefundenen  Pferdeausrüstungen 
sind  für  uns  von  grösster  Wichtigkeit,  während  bei  Brandgräbern  auch  andere  Bei- 
gaben auf  den  Gang  der  Kultur  und  die  Zeit  schliessen  lassen.  Xach  Annahme 
des  Christentums  werden  keine  Pferde  mehr  mit  den  Toten  bestattet,  es  werden 
daher  keine  Steigbügel  mehr  in  den  Gräbern  gefunden. 

Wir  beginnen  mit  der  Besprechung  der  Tschuden-Gräber.  Tschuden  war 
der  allgemeine  Name  für  alle  Finnen  und  Mongolen,  welche  nördlich  der  Scythen 
wohnten  und  vom  Altai  und  Ural  nach  dem  schwarzen  Meere  zogen.  Die  Griechen 
machten  Ix'j^?  daraus.  Die  Finnen  siid  vielleicht  die  älteste  und  stärkste 
Völkerfamilie,  welche  ursprünglich  den  grössten  Teil  von  Europa  und  Asien  im 
Besitz  hatte,  bis  die  Indoeuropäer  (Kelten,  Gallier,  Britannier,  Germanen  und 
Slaven)  kamen  und  sie  verdrängten.  Im  4.  bis  6.  Jahrhundert  finden  grosse 
Wanderungen  uralischer  Völker  und  öftere  Züge  tschudischer  Stämme,  zu  wel- 
chen auch  Hunnen,  Avaren  und  Bulgaren  gehörten  (Schaifarick,  slav.  Altert.  I, 
286  bis  319;  Klaproth,  tableaux  de  l'Asie  235  bis  254),  bis  in  die  pontischen 
Gegenden  statt. 

Diese  Tschuden  haben  nun  in  dem  ganzen  grossen  Gebiete  vom  Altai, 
Jeuisey  und  Ural,  durch  das  europ.  Russland  bis  zum  schwarzen  Meere  un- 
zählige Hügelgräber  hinterlassen.  In  den  ansehnlicheren  derselben,  welche 
majaJii  heissen,  finden  sich  oft  neben  den  Menschengerippen  Pferdeköpfe  mit 
Zaum  und  Stange,  zuweilen  auch  Steigbügel  von  Eisen  oder  mit  Silber- 
blech überzogen.  Auch  in  den  gewöhnUchen  Gräbern,  welche  sJami  heissen, 
finden  sich  viele  Steigbügel.  Eine  dritte  Art  Gräber,  die  kunjanie,  die 
grössten,  scheinen  kein  Eisen,  eine  vierte  auch  kein  Gold,  eine  fünfte  endlich 
überhaupt  nichts  Wertvolles  zu  enthalten.  (Ritter,  Erdk.,  III.  Teil,  IL  Buch 
Asien,  Bd.  2,  §  56  oder  S.  328  und  f.).  Schon  Pallas  erwähnt  die  Steig- 
bügel in  den  majaki  und  slanzi.  Siewers  1793  und  Meyer  1826  fanden  solche 
Gräber  am  Irtisch  mit  Pferdegeschirr  von  Kupfer,  dünn  übersilbert,  und  kupferne 
Steigbügel  mit  Holzresten ;  auch  Bunge  fand  Bügel  (Ritter  II,  S.  649  und  902). 
Diese  Gräber  haben  eine  ziemliche  Litteratur  hervorgerufen,  die  aber,  meistens 
in  russischer  Sprache  abgefasst,  leider  wenig  Verbreitung  gefunden  hat.  Neuere 
Untersuchungen  (Andree,  Die  Metalle  bei  den  Naturvölkern,  Leipzig  1884,  S.  125) 
bestätigen  den  Fund  von  Steigbügeln  in  den  grossen  Kurjanen,  welche  jedoch 
nicht  jenem  Urvolke,  sondern  einem  eingewanderten  Reitervolke  türkischen 
Stammes  angehören  sollen,  durch  welches  jenes  Urvolk  vertrieben  wurde.  Es 
fanden  sich  Bügel  von  Eisen  mit  Silber  und  Gold  ausgelegt  und  Spuren  von 
Sätteln  und  Sattelzubehör,  Diese  Reitervölker  kamen  von  Norden,  zwischen  Ural 
und  Altai,  nicht  von  Westen  her.  Nach  den  Ausführungen  von  Mone  (Gesch. 
d.  Heident.  I,  S.  104)    bestätigt    die  Volkssage    es   nicht,    dass  die  Ungarn  als 


184 

Stammesgenossen  der  Türken  vom  kaspischen  Meere  oder  von  Persien  her  ge- 
kommen wären,  alles  deutet  vielmehr  darauf  hin,  dass  beide  von  Norden  kamen. 
Dass  man  nicht  auf  Finnen,  sondern  auf  ein  türkisch-tatarisches  Yolk  schliesst, 
beruht  auf  anthropologischen  Gründen,  namentlich  darauf,  dass  man  nur  brachy- 
kephale  Schädel  gefunden  hat. 

Andere  Gräber,  in  denen  sich  ganze  Schach-  und  Brettspiele  von  Gold, 
Medaillen  und  Metallspiegel  finden,  weisen  durch  gleichfalls  darin  enthaltene 
Schalen  und  Münzen  mit  kufischen  Inschriften  auf  den  rauhamedanischen  Kul- 
turkreis hin  und  müssen  jünger  als  jene  sein,  da  die  arabischen  Münzen  mit 
kufischer  Schrift  erst  im  7.  Jahrhundert  aufkamen.  Da  nun  jene  anderen  Gräber 
Münzen  ohne  diese  Schrift  enthalten,  so  dürfen  sie  für  älter,  als  die  Einführung 
des  Islam  gelten. 

Aber  auch  das  erwähnte  Auftreten  des  Schachspiels  lässt  uns  einen 
Schluss  auf  das  Alter  der  Gräber  machen.  Das  Schachspiel  soll  nämlich  nach 
dem  Zeugnis  Firdusis  im  6.  Jahrhundert  nach  Persien  und  um  diese  Zeit  auch 
von  Indien  nach  China  und  an  fast  alle  orientalischen  Höfe,  auch  nach  Arabien 
gekommen  sein ;  schon  die  Gefährten  des  Propheten  sollen  Schach  gespielt  haben. 
Aus  sprachlichen  Gründen  soll  überdies  hervorgehen,  dass  das  Schachspiel  direkt 
aus  Asien  durch  tatarische  Yülker  nach  Russland  gekommen  sei  (v.  Bilguer, 
Handb.  d.  Schachsp.  S.  4  und  16).  Nach  von  Linde  gehören  aber  alle  diese 
Angaben  in  die  Schachmythologie;  nach  ihm  datiert  die  älteste  schriftliche  Nach- 
richt aus  dem  10.  Jahrhundert  und  findet  sich  bei  Masudi  (v.  Linde,  Gesch.  d. 
Litt.  d.  Schachsp.  I,  16;  I,  2;  III,  6).  Das  Spiel  verbreitete  sich  aus  Indien, 
wo  es  im  7.  Jahrhundert  zu  finden  ist,  über  Persien  nach  Arabien,  jedoch  nicht 
vor  dem  8.  Jahrhundert,  Mohammed  kannte  es  nicht ;  von  den  Arabern  wurde 
es  nach  Europa  gebracht.  Alle  anderen  Nachrichten  beruhen  auf  Yerwechse- 
lungen  mit  anderen  Brettspielen,  welche  seit  den  ältesten  Zeiten  her  bekannt 
waren.  Aber  selbst  wenn  es  sich  bei  jenen  Funden  um  das  Spiel  Mignan 
handelte,  welches  die  Mongolen  nachweislich  aus  dem  Tibetanischen  entlehnten, 
30  wäre  ein  Zusammenhang  mit  den  im  Norden  Europas  auftretenden  Spielen 
möglich.  Wir  finden  Friethjof,  ja  Odin  und  die  nordischen  Götter  beim  Brett- 
spiel, welches  in  der  Yöluspa  einfach  Schach  genannt  wird.  Die  Yorgänge  in  der 
Friethjof-Sage  spielen  sehr  früh,  und  wenn  wir  finden  sollten,  dass  aus  jener 
Zeit  Steigbügel  im  Norden  nachzuweisen  sind,  so  könnten  diese  wie  das  Brett- 
spiel, welcher  Art  es  auch  gewesen  sein  mag,  von  Nord-Osten  her  in  die  Ost- 
seeländer gekommen  sein. 

Schlözer  sieht  in  den  Tschuden  die  Bulgaren,  welche  schon  im  5.  Jahr- 
hundert an  die  Donau  kamen,  andere  erkennen  darin  Hunnen  oder  Avaren,  welche 
demselben  Stamme  angehören.  Die  von  diesen  wandernden  Reitervölkern  auf 
ihrem  langen  und  langsamen  Zuge  schon  im  asiatischen  Russland  in  ihren 
Gräbern  zurückgelassenen  Bügel  müssen  demnach  mindestens  ins  4.  oder  5. 
Jahrhundert,  wenn  nicht  noch  weiter  zurückreichen,  Aspelin  verlegt  die  Funde 
in  Scythien  sogar  ins   1.  Jahrhundert  vor  Christus, 

Neueste  Forschungen  bestätigen,  dass  die  Tschudengräber,  welche  Stein 
und  Eisen  enthalten,    zwar  sehr  alt  sind    (Erman,  Archiv  für  wiss.  Kunde  von 


185 

Russland,  Bd.  XIX,  S.  55),  daas  aber  ein  unmittelbarer  Zusammenhang  der 
Tschuden  mit  den  Scythen,  welche  uns  Herodot  schildert  (IV,  71—72;  man 
vergleiche  Herodot  I,  205;  Strabo  XI,  pag.  513),  nicht  nachweisbar  ist,  ob- 
gleich die  Beschreibung  ihrer  Begräbnisfeierlichkeiten  und  mancher  andere  Zug 
dazu  auffordern. 

In  einem  Berichte  des  Prof.  Radi  off  aus  Kasan,  enthalten  in  den  Ver- 
handlungen der  Berl.  Gesellsch.  für  Anthrop.  1882,  S.  430,  wird  bestätigt,  dass 
die  sibirischen  Gräber  der  Eisenperiode  eine  Menge  von  Pferdeknochen  zeigen, 
die  der  Bronzeperiode  dagegen  niemals,  und  dass  erstere  ausser  eisernen 
Steigbügeln  eine  Menge  anderer  zum  Gebrauch  des  Reiters  nötige  Dingo  ent- 
halten. Er  schliesst,  dass  die  Eisensachen  nicht  den  Nachkommen  der  Bevölkerung 
der  Bronzezeit  angehören,  sondern  fremden  Einwanderern,  welche  von  Süden 
her  zum  Altai  kamen,  und  dass  diese,  wie  er  durch  eine  Notiz  aus  chinesischen 
Schriften  erhärtet,  zum  türkischen  Stamme  gehörten. 

Die  bei  Aspelin  (Antiquites  du  Nord-Finno-Ougrien,  III.  Abschn.,  S.  202, 
Fig.  767)  beschriebenen  und  abgebildeten,  in  den  Gräbern  der  Meren  gefundenen 
Steigbügel  gehören  jedoch  nicht  dieser  ältesten  Zeit  an.  Sie  wurden  mit  sama- 
nidischen,  deutschen  und  angelsächsischen  Münzen  zusammen  gefunden  und 
weisen  auf  eine  Herkunft  aus  dem  10.  oder  11.  Jahrhundert  hin.  Auch  ihre 
Form  {Fig.  57),  welche  an  Ungarn  erinnert,  verweist  sie  in  diese  Zeit.  Weit 
älter  scheinen  dagegen  die  gleichfalls  bei  Aspelin  abgebildeten,  in  den  Skelet- 
gräbern  der  Mordwinen  gefundenen  Bügel  zu  sein  (Fig.  40).  Beide  finnischen 
Völker,  die  Meren  an  der  oberen  Wolga  und  unteren  Oka,  die  Mordwinen  in 
ihrer  Nähe  am  oberen  Don  wohnend,  breiteten  sich  später  bis  zur  Ostsee  und 
zum  heutigen  Polen  aus  (Müllenhof,  Deutsche  Altert.  II,  71). 

Es  scheint  demnach  unzweifelhaft,  dass  die  Steigbügel  in  den  ersten  Jahr- 
hunderten unserer  Zeitrechnung  den  Völkern,  welche  von  Nord-Asien  und  vom 
Ural  her  nach  dem  schwarzen  Meere  und  der  Donau  hindrängten,  bekannt  waren. 
Dies  scheinen  aber  nicht  dieselben  Stämme  gewesen  zu  sein,  welche  von  Central- 
Asien  aus  den  Altai  überschritten  und  die  ältesten  Gräber  zurückliessen,  sondern 
später  nachdringende  Scharen,  welche  in  weitem  Bogen  an  die  Donau  gelangten, 
während  andere  vielleicht  direkt  nach  Westen  ziehend  zu  gleicher  Zeit  das 
heutige  Ungarn  erreichten.  Alle  diese  Horden  gehörten  dem  türkisch-tatar- 
ischen Stamme  an,  sie  brachten  die  Bügel  in  die  Donauländer. 

Einen  weiteren  Aufschluss  über  die  Zeit  der  Einführung  giebt  die  von 
Hampel  (der  Goldfund  von  Nagy-Szent-Miklos  S.  86,  Fig.  46  und  47)  be- 
schriebene und  abgebildete  Sassaniden-Schüssel,  eins  der  vielen  derartigen 
Fundstücke,  welche  orientalischen  Ursprungs  sind.  Die  unsere  gehört  dem  4. 
bis  5.  Jahrhundert  n.  Chr.  an.  Sie  ist  von  Silber  und  zeigt  grosse  Jagdscenen 
in  sehr  deutlicher  Ausführung.  Auf  diesen  Darstellungen  haben  die  jagenden 
Fürsten  Steigbügel,  deren  Form  ganz  deutlich  zu  erkennen,  der  der  älteren 
ungarischen  Bügel  durchaus  ähnlich  ist;  sie  sind  fast  rund,  nur  die  Sohle  ist 
etwas  flacher,  aber  breit  {Fig.  1  u.  2).  Andere  vornehme  Personen  haben 
keine  Bügel.     Die  Trachten  erinnern  an  persische  Kostüme. 


186 

Da  über  die  Ächtheit  und  das  Alter  jener  Funde  kein  Zweifel  besteht, 
so  müssen  wir  die  Bekanntschaft  mit  den  Steigbügeln  im  Orient  ins  4.  bis  5. 
Jahrhundert  zurückverlegen,  was  nach  unseren  früheren  Betrachtungen  keinem 
Widerspruche  begegnet  und  von  den  angeführten  chinesischen  Quellen  bestätigt 
wird.  Es  unterstützt  hier  die  schriftliche  Quelle  den  Fund  und  umgekehrt  der 
Fund  die  Quelle.  Welcher  Nation  aber  die  hier  im  persischen  Kostüme  abge- 
bildeten Reiter  angehörten  und  von  wem  und  wann  diese  die  Bügel  erhalten 
haben  —  das  bleibt  vorläufig  noch  unaufgeklärt. 

Obgleich  nun  die  Steigbügel  in  chinesischen  Quellen  schon  im  5.,  in  griech- 
ischen (Kaiser  Mauritius)  wenigstens  im  6.  Jahrhundert  erwähnt  werden,  sind 
die  ersten  Funde  in  Europa  doch  etwas  jüngeren  Datums.  Sie  verteilen 
sich  auf  Ungarn,  Russland,  Preussen  und  Schleswig.  Wurden  sie  von  einem 
Reitervolke  aus  Asien  nach  dem  schwarzen  Meere  gebracht,  so  werden  einer- 
seits die  ewigen  Kriege  mit  den  Nachbarn,  anderseits  die  bestehenden  Handels- 
verbindungen für  die  weitere  Verbreitung  gesorgt  haben. 

Schon  vor  Christi  Geburt  hatten  griechische  Kaufleute  eine  Strasse  vom 
Pontus  Euxinus  nach  der  Ostsee  gefunden.  Sie  ging  den  Dniepr  und  Pripat 
entlang  und  wurde  unter  Alexander  Severus  für  zwei  Jahrhunderte  während 
der  Züge  der  Goten,  Germanen,  Hunnen  und  Slaven  verlassen,  aber  im  5. 
oder  6.  Jahrhundert  wieder  aufgenommen.  Gegen  Ende  des  7.  Jahrhunderts 
kamen  die  ersten  Münzen  mit  kufischen  Buchstaben  nach  Dänemark,  sie  wurden 
mit  römischen  vermischt  in  Menge  auf  Bornholm,  Gotland  und  anderen  Inseln 
gefunden.  Zu  derselben  Zeit  blühte  der  Handel  mit  Lievland  und  Nowgorod;  er 
dauerte,  wie  die  Münzen  nachweisen,  bis  zum  10.  Jahrhundert  (Rougemont 
S.  461  bis  463).  Da  aber  der  Handel  zwischen  dem  Ural  und  der  Ostsee  erst 
später  beginnt,  so  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  obgleich  immerhin  möglich,  dass 
die  Bügel  direkt  aus  dem  nördlichen  Russland  nach  Preussen  kamen.  Dass 
aber  auch  die  Araber  nicht  diejenigen  gewesen  sind,  welche  sie  verbreitet  haben, 
obgleich  ihre  Münzen  häufig  mit  ihnen  gefunden  werden,  dass  vielmehr  die 
Araber  erst  sehr  spät  sich  der  Bügel  bedienen  lernten,  geht  aus  einem  Bericht 
des  Arabers  Ibn  Chaucal  hervor,  welcher  hervorhebt,  dass  die  gemeinen  Araber 
des  10.  Jahrhunderts  sehr  schlecht  zu  Pferde  sassen,  weil  sie  sich  der  Bügel 
entweder  rieht  bedienen  konnten,  oder  nicht  wollten,  sondern  ihre  Beine  lose 
herunter  hängen  Hessen.  (Dozy,  Gesch.  d.  Mauren  in  Spanien,  H,  112.)  An- 
derseits sagt  eine  Notiz  über  den  Khalifen  al  Mamun  aus  dem  Anfange  des 
9.  Jahrhunderts  (Linde  a.  a.  0.  I,  20),  dass  dieser  vom  Pferde  herab,  ohne  den 
Fuss  aus  dem  Steigbügel  zu  heben,  in  Damascus  24  Millionen  Dirrheme  ver- 
teilte. Die  Bügel  waren  zu  seiner  Zeit  wohl  nur  bei  vornehmen  Arabern  im 
Gebrauch.  Es  war  hier,  wie  im  Westen;  wir  werden  sehen,  dass  Bügel  bis 
ins  12.  Jahrhundert  überall  nur  von  Vornehmen  benutzt  wurden. 

Bevor  wir  die  Funde  einzeln  anführen,  muss  noch  eine  bei  Viollet-le-Duc, 
Le  mobilier  francais  V,  S.  413,  befindliche  Angabe  besprochen  werden,  wonach 
schon  zur  römischen  Kaiserzeit  die  Steigbügel  den  Numidiern  oder  Iberern 
bekannt  gewesen  seien.  Unsere  vorhergehenden  Ausführungen  widersprechen 
seiner  beweislos  hingestellten  Behauptung  durchaus,  wenn  er  auch  anführt,  dass 


187 

zwei  derartige  Bügel,  welche  wir  nach  seiner  Zeichnung  unter  F'uj.  342  u.  343 
abgebildet  haben,  im  Xeapler  Museum  aufbewahrt  würden. 

Die  Form  der  Bügel  macht  nicht  den  Eindruck,  als  wenn  sie  jenen  Jahr- 
hunderten angehörten,  wenn  auch  der  eine  an  die  primitiven  Bügel  Fi().  273 
u.  306  erinnert.  Das  Einzige,  was  der  Verfasser  zur  Begründung  seiner  sonst 
von  niemand  geteilten  Behauptung  anführt,  ist,  dass  jene  alten  Völker  einen 
festen  Sitz  notwendig  gehabt  hätten,  weil  sie  vom  Pferde  aus  mit  dem  Bogen 
schössen  und  sicher  trafen.  Dazu  waren  aber  Bügel  nicht  nötig,  denn  niemand 
verstand  dies  besser  als  die  Parther,  und  doch  hatten  diese  bestimmt  keine 
Bügel,  wie  alle  Skulpturen  übereinstimmend  zeigen.  (Man  vergleiche  für  die 
ältere  Zeit  Livius  35,  11  und  Strabo  17,  3,  pag.  828.  C. ;  Horaz.,  Od.  2, 
13,  17;  1,  19,  10;  Virg.  Georg.  3,  31.)  Dieser  Grund  ist  also  nicht  ausreichend, 
seine  Behauptung  zu  erweisen.  Aber  auch  das  ist  falsch,  dass  derartige  Bügel 
im  Museum  zu  Neapel  aufbewahrt  würden.  Auf  eine  Anfrage  hatte  der  Direktor 
der  Musei  di  antiquitä,  Signore  Giulio  de  Petra,  die  Güte  mir  zu  antworten, 
dass  nichts  ähnliches,  was  als  Steigbügel  gelten  könnte,  dort  aufbewahrt  würde, 
dies  sei  auch  ganz  natürlich,  da  bekannt  sei,  dass  die  Alten  dergleichen  nicht 
im  Gebrauch  gehabt  hätten.  Es  ist  schade,  dass  Viollet  nicht  angegeben  hat, 
woher  er  seine  überraschende  Nachricht  genommen  hat.  Ebensowenig  ist  darauf  zu 
geben,  wenn  hier  und  da  jemand  einen  Bügelfund  bekannt  macht  und  ihn 
mindestens  für  römisch,  womöglich  aber  für  etruskisch  erklärt.  So  heisst  es  in 
einem  englischen  Berichte  (Archaeological  Assoc.  1873):  ^dies  ist  einer  der 
ersten  römischen  Steigbügel,  welche  ans  Tageslicht  gekommen  sind",  während 
das  Stück  —  ich  vermute  das  indessen  nur  —  ein  Kettenbügel  ist,  der  wahr- 
scheinlich dem  12.  Jahrhundert  angehört,  früher  kommt  die  Verwendung  der 
Ketten  dabei  nicht  vor.  Ein  anderer  schreibt  (Archaeologia  Vol.  24,  pag.  58) 
von  einem  bei  Hampdon  Shill  gefundenen  Bügel:  „er  ist  wahrscheinlich  etrus- 
kischen  Ursprungs",  aber,  nach  der  Beschreibung  zu  schliessen,  dürfte  er  dem 
16.  Jahrhundert  angehören.  Gründe  sind  überall  nicht  weiter  angegeben.  Wahr- 
scheinhch  auf  Viollets  Autorität  hin  hat  ein  neuerer  französischer  Schriftsteller 
Le  Vallet  (Le  chic  ä  cheval,  histoire  de  l'equitation,  Paris  1891,  S.  7)  dieselbe 
Behauptung  aufgestellt  und  erzählt  dann  weiter,  dass  Attilas  Horden,  Mitte  des 
5.  Jahrhunderts,  zuerst  Bügel,  aus  drei  Holzstücken  bestehend,  gehabt  hätten, 
verrät  aber  nicht,  woher  er  diese  Nachrichten  genommen  hat,  oder  ob  ihm 
vielleicht  ein  der  Vermoderung  entgangenes  Exemplar  vorgelegen  hat.  Die  Sache 
ist  ja  an  sich  nicht  unwahrscheinlich,  obgleich  diese  Völker  wohl  damals  schon 
im  Besitze  von  Metallbügelu  waren.  Dass  Holzbügel  älter  gewesen  seien,  be- 
ruht nur  auf  einem  Schluss  a  priori  oder  nach  Analogie  mit  heutigen  wilden 
Völkern. 

Wir  müssen  jetzt  der  Reihe  nach  die  in  den  einzelnen  Ländern  gemachten 
Funde  aufzählen  und  fangen  dabei  mit  Ungarn  an,  weil  dort  eine  Fülle  von 
Bügeln  gefunden  wurde,  welche,  gut  datiert,  sich  ihrer  Form  nach  systematisch 
ordnen  lassen.  Herr  Nagy  Geza,  Kustos  und  Adjunkt  am  National -Museum 
zu  Budapest,  hat  in  Archaeologiai  ertesitö,  XI,  2  von  1891,  S.  115,  seine 
Untersuchungen    veröffentlicht.     Leider  ist  es  mir  nicht   möglich   gewesen,    von 


188 

dem  Inhalte  Kenntnis  zu  nehmen,  da  ich  keinen  genügenden  Übersetzer  auf- 
treiben konnte.  Es  ist  sehr  zu  bedauern,  dass  die  vielen  in  ungarischer  Sprache 
alljährlich  gemachten  Publikationen  nicht  daneben  auch  in  einer  Weltsprache 
stattfinden,  wie  die  von  Aspelin  über  die  Finnen,  da  alle  Nicht-Ungarn  ohne  eine 
solche  Doppelzüngigkeit  von  der  Benutzung  ausgeschlossen  sind.  Ich  bemerke 
ausdrücklich,  dass  ich  die  meiner  Abhandlung  beigefügten  Figuren  zum  grössten 
Teile  an  Ort  und  Stelle  nach  den  Originalen  flüchtig  aufgezeichnet  habe,  in 
der  Regel  ohne  die  in  Glasschränken  aufgestellten  Exemplare  hinreichend  genau 
betrachten  oder  messen  zu  können,  und  dass  es  mir  nicht  um  das  Detail,  sondern 
nur  um  einen  Anhalt  für  die  Form  zu  thun  war.  In  Betreff  der  Schätze  des 
ungarischen  National -Museums  in  Budapest  bin  ich  dem  Kustos -Adjunkten 
Herrn  Dr.  Bela  v.  Posta  zu  grossem  Danke  verpflichtet,  weil  er  ausser  ver- 
schiedenen eigenen  Angaben  den  Dolmetscher  machte,  da  weder  Herr  Nagy 
Geza  der  deutschen,  noch  ich  der  ungarischen  Sprache  mächtig  war  und  wir 
in  seiner  Abwesenheit  nur  zum  Latein  unsere  Zuflucht  nehmen  konnten,  einer 
Sprache,  in  der  sich  über  Steigbügel  und  ihr  Detail  nur  mühsam  eine  völlige 
Verständigung  erreichen  lässt,  wie  der  Leser  bei  einem  Versuche  finden  dürfte. 

Das  heutige  Ungarn  wurde  der  Reihe  nach  von  Kelten,  Germanen,  Hunnen, 
Avaren  und  Magyaren  bewohnt,  Sie  hinterliessen  in  ihren  Gräbern  eine  zahllose 
Menge  von  Gebrauchs-  und  Schmuckgegenständen  für  Menschen  und  Pferde, 
welche  im  National-Museum  zu  Pest  in  grosser  Vollständigkeit  beisammen  sind 
und  durch  immer  neue  in  der  Nähe  der  grösseren  Flüsse,  namentlich  der  Donau 
und  der  Theiss,  gemachte  Funde  fortwährend  vermehrt  werden.  Die  Kelten  nahmen 
schon  im  3.  Jahrhundert  v.  Chr.  Pannonien  in  Besitz.  Ihnen  dürfen  wir  indessen 
keine  der  gefundenen  Steigbügel  zuschreiben,  da  sie  dieselben  wohl  überhaupt 
nicht  kannten.  In  Keltengräbern  sind  auch  niemals  bis  jetzt  irgendwo  Steig- 
bügel gefunden  worden. 

Nagy  Geza,  dessen  System  ich  versuchen  will  wiederzugeben,  teilt  die 
UBgarischen  Bügel  folgendermassen  ein. 

1.  Hunnisch-germanische  Bügel,  a)  Der  Fund  von  Kesthely  in  der 
Nähe  des  Plattensees.  Er  war  von  Münzen  römischer  Kaiser,  und  zwar  von 
Philippus  Arabs  (244 — 249)  und  sieben  seiner  Nachfolger  bis  Valentinian  IL 
(375 — 392),  begleitet,  kann  also  nicht  aus  einer  früheren  Zeit  als  dem  Ende 
des  4.  Jahrhunderts  herrühren,  eine  Grenze,  welche  mit  dem  Anfange  der 
Völkerwanderung  zusammenfällt.  Zu  dieser  Zeit  war  das  Land  noch  von  Germanen 
bewohnt,  welche,  von  den  Hunnen  gedrängt,  sich  über  die  Donau  zurückzogen. 
Die  älteste  hunnische  Form  ist  nicht  bekannt,  sie  fällt  vielleicht  mit  dieser 
zusammen.  Es  ist  anzunehmen,  dass  die  von  den  Hunnen  mitgebrachten  Bügel 
sich  schnell  bei  den  eingesessenen  und  benachbarten  Völkern,  Goten  und 
Gepiden,  verbreiteten  und  auch  Änderungen  in  der  Form  erlitten,  deren  eine 
uns  in  diesem  Funde  vorliegt,  welcher  Fij.  S  und  mit  etwas  anderem  Kopfe 
Fig.  4  abgebildet  ist.  (S.  Dr.  Lipp.  Vilmos:  A  Kesthely  Sirm.  S.  17,  Fig.  22). 
Charakteristisch  ist  bei  ihnen  die  Sohle,  welche  in  den  Winkeln  umgestülpt  ist, 
sodass  die  umgelegten  Enden  eine  Verlängerung  der  Seitenwände  (Schenkel) 
nach  unten  zu  bilden,     b)  Die  Bügel  von  Ordas,    älterer  Art  (wir  werden  hier, 


189 

wie  bei  anderen  Fundorten,  noch  einen  jüngeren  Typus  kennen  lernen),  wel- 
che der  ganzen  Form  nach  den  vorigen  entsprechen,  Fifj.  5.  c)  Der  Fund 
von  Püspök-Szent-Erzsebet  (St.  Elisabeth)  Fi(j.  6  und  d)  der  von  Leraes,  Fig.  7. 
Letztere  bilden  der  durch  einfaches  Zusammenbiegen  der  Eisenstange  gebildeten 
Öse  halber  den  Übergang  zur  folgenden  Art,  während  sie  der  Form  der  Sohle 
nach  zu  der  vorigen  gehören. 

2.  Avarisch-hunnische.  a)  Der  Fund  von  Szentendre  (St.  Andreas), 
erster  Typus,  Fig.  8.  Nur  die  untere  Hälfte  ist  flach,  mit  kleinem  Grat  auf 
der  Aussenseite  der  Sohle;  die  Öse  ist  durch  einfaches  Zusammenbiegen  ge- 
bildet, b)  Die  Bügel  von  Ordas,  zweiter  Typus,  Fig.  .9,  aus  mehreren  stark 
oxydierten  Bruchstücken  und  einem  ganzen  Exemplar  bestehend.  Obgleich  sie 
durch  eine  Münze  von  Philippus  Arabs  begleitet  waren,  soll  der  Fund  doch  später, 
und  zwar  ins  6.  Jahrhundert  zu  setzen  sein.  Ausserdem  gehören  hierhin:  die 
Funde  von  Szegedin,  erster  Typus,  Fig.  10,  von  Kassa  und  Bölcske.  Die 
letzteren  sind  abgebildet  und  besprochen  im  Archaeologiai  ertesitö  1891,  XII,  3, 
S.  239.  Die  Bügel  sind  kreisrund,  die  Ösen  zum  Teil  wie  unter  a,  zum  Teil 
wie  bei  den  avarischen  gebildet. 

3.  Av arische.  Sie  zeichnen  sich  durch  die  Form  der  Öse,  welche  in 
einem  mehr  oder  weniger  langen,  selbständigen  Halse  sitzt,  und  eine  flache, 
fast  die  Hälfte  der  kreisähnlichen  Rundung  einnehmende  Sohle  aus.  Es  ge- 
hören hierher  die  Bügel  a)  von  Szentendre,  zweiter  Typus,  Fig.  11.  Münzen 
von  lustinus  Thrax  (518—527)  und  Phocas  (602—610),  sowie  verschiedene 
Goldsachen  verweisen  dieselben  in  das  6.  oder  7.  Jahrhundert.  Der  Bügel  ist 
etwa  12  cm  weit  und  beinahe  kreisrund,  der  flache  Hals  4  cm  lang,  b)  Die  Bügel 
von  Nagy-Manyok,  Fig.  12,  abgebildet  und  besprochen  in  Archaeol.  ertes.  1890, 
X,  5  S.  432  und  c)  von  Bicacs,  Fig.  13,  scbliessen  sich  jenen  an.  d)  Die  Bügel 
von  Szeged,  zweiter  Fund,  Fig.  14  (s.  Archaeol.  ertes.  S.  154).  Sie  alle  stammen 
aus  dem  7.  Jahrhundert. 

4.  Ungarische,  a)  Pusta-Vereb.  Münzen  von  Karl  dem  Kahlen  (840 
bis  877)  und  Berengar  (888-924)  verweisen  die  beiden  dort  gefundenen 
Bügel,  Fig.  24,  ins  10.  Jahrhundert,  b)  Porös,  Fig.  25,  den  vorigen  ähnlich, 
10.  Jahrhundert,  c)  Pilin.  Hier  sind  mehrere  Bügel  von  ähnlicher  Form  aber 
verschiedener  Grösse,  von  einem  nur  Bruchstücke,  gefunden.  Sie  sind  datiert 
durch  eine  Münze  Ludwigs  des  Frommen  (814 — 840).  Genauere  Abbild- 
ungen befinden  sich  bei  Hampel,  Archaeolog.  ertes.  1885,  S.  322;  1887,  S.  63 
und  1889,  S.  269;  Archaeol.  kötzlem.  IX,  1,  S.  21.  Die  letztgenannte  Zeichnung 
giebt  Fig.  17,  den  allgemeinen  Typus  der  anderen  Fig.  18.  Die  Bügel  von 
Czorna  mit  Münzen  Ludwigs  des  Deutschen  (840—876)  und  Monaji  sind  hier- 
bei einbegriffen.  Bei  den  sehr  ähnlichen  Bügeln  von  Nesmely,  Fig.  19,  welche 
unten  einen  schwachen  Grat  auf  der  Sohle  zeigen,  lagen  Münzen  von  Berengar. 
Bei  Kis  Varda  wurde  mit  den  Bügeln  ein  Sporn  gefunden;  die  von  Szolyva, 
Fig.  20,  sind  sehr  gross,  14  cm  breit,  sonst  ähnlich  jenen.  Derselben  Zeit  ge- 
hören auch  die  Funde  von  Bene  Pusta  und  Nagy  Teremini  an.  Einen  zweiten 
ungarischen  Typus  zeigen  die  Funde  von  Galgocz,  Fig.  21,  und  Rakos,  Fig.  22. 


190 

Während  alle  früheren  freistehende  Ösen  hatten,  haben  diese  die  Ösen  in  der 
in  der  Schenkelebene  erbreiterten  oberen  Rundung.  In  Galgocz  wurde  eine 
Münze  des  Samaniden  Naszr  ben  Ahmed  (913 — 942)  mitgefunden. 

5.  Avarisch-ungarische.  Hierher  gehören  die  Funde  von  Szeged 
Öthalom,  Fig.  15,  Szeged  Bojarhalmi  u.  a.,  welche  Übergangsformen  zeigen, 
älter  als  die  ungarischen  und  entwickelter  als  die  avarischen  sind.  (Arch. 
ertesit.  1891,  XI,  2,  S.  104).  Eine  andere  Durchgangsform  ist  die  von  GödöUö 
mit  einer  Münze  Athelstans  (924 — 940).  Die  Bügel  von  Szentes,  Fig.  16, 
schliessen  sich  an.  Der  ganze  Typus  würde  ins  9.  bis  10.  Jahrhundert  zu 
setzen  sein,  ins  11.  dagegen  der  Fig.  26  abgebildete  ungarische  Bügel,  dessen 
Herkunft  mir  nicht  mehr  erinnerlich  ist.  Ausser  diesen  Bügeln  befinden  sich 
im  Pester  Museum  noch  eine  Anzahl  anderer,  welche  unfehlbar  magyarischen 
Ursprungs  sind,  aber  aus  unbestimmter,  späterer  Zeit  stammen ;  sie  sind  in  den 
Fig.  27—33  angedeutet. 

Die  Bügel  im  ungarischen  Nationalmuseum  bilden  also  eine  fortlaufende 
Reihe  vom  4.  oder  5,  bis  zum  11.  Jahrhundert;  es  kommt  nun  darauf  an,  die 
in  anderen  Ländern  gemachten  Funde  mit  Berücksichtigung  der  besonderen 
Umstände  und  eigenen  Datierung  hiermit  zu  vergleichen. 

Zunächst  befinden  sich  im  Wiener  naturhistorischen  Museum  (Saal  XIII, 
Schrank  58)  Bügel,  welche  zum  Teil  mit  jenen  eine  grosse  Ähnlichkeit  haben. 
Pill.  38  zeigt  ein  Paar  Bügel,  welche  der  Öse  nach  in  die  avarisch-hunnische, 
der  Sohle  nach  in  die  hunnisch-germanische  Zeit,  also  etwa  ins  6.  Jahrhundert 
gehören  können.  Der  Katalog  des  Museums  bezeichnet  sie  als  der  merowin- 
gischen  Periode  angehörig.  Sie  stammen,  wie  die  folgenden,  aus  den  Flach- 
gräbern von  St.  Veit  bei  Hietzing  in  der  Nähe  von  Wien.  Ein  anderer  Bügel, 
Fig.  36,  gleicht  genau  dem  von  St.  Andreas  in  Fig.  11.  Fig.  37  zeichnet  sich 
dadurch  aus,  dass  seine  Sohle  durch  Niete  mit  den  Schenkeln  verbunden  ist, 
\vogegen  Fig.  35  wieder  der  merowingischen  Form  ähnelt.  Alle  diese  Bügel 
dürften  dem  6.  bis  8.  Jahrhundert  angehören,  während  ein  bei  Feistritz  in  Krain 
gefundenes  Exemplar,  Fig.  39,  nach  den  flaschenförmig  verlängerten  Schenkeln 
und  der  gewölbten  Sohle  zu  urteilen,  wohl  jünger  ist. 

Wenden  wir  uns  jetzt  den  Ostseeländern  zu,  so  erscheint  ein  im  Moore 
von  Walby  in  Schweden  gemachter,  der  älteren  Eisenzeit  (vor  700)  angehörender 
Fund  dadurch  besonders  interessant,  dass  ein  bronzener  Steigbügel  mit  dem  Thors- 
zeichen, wie  es  im  XXYII.  Bd.  der  Jahrbücher  des  mecklenbg.  V.  für  Gesch. 
und  Altert.  S.  179  genannt  wird,  versehen  war.  Es  ist  dieses  Zeichen,  welches 
sonst  Hakenkreuz,  Suastica,  bei  drei  Haken  triquetrum  genannt  wird,  aber  auch 
bei  vieren  diesen  Namen  führt,  oft  gleichbedeutend  mit  den  verschiedenen  Abände- 
rungen der  Radscheibe,  welche  die  Fig.  330—334  zeigen  und  kommt  auf  einer 
grossen  Anzahl  von  Gegenständen  aller  Länder  vor.  Es  scheint,  arischen  Ursprungs, 
den  Feuerquirl  vorzustellen.  Der  ältesten  Zeit  angehörend  und  wahrscheinlich  von 
Norden  ausgehend,  hat  es  sich  über  die  ganze  alte  Welt  verbreitet  und  findet  sich  so- 
wohl im  Norden  von  Europa,  als  in  Spanien,  Sicilien,  Griechenland,  Kleinasien, 
Ägypten  und  Indien.  Schliemann  fand  es  schon  in  Ilios,  wo  es  bis  ins  2.  Jahrtausend 
v.  Chr.  hinaufreicht;  auf  lyciachen  Münzeu  des  5.  oder  G.  Jahrhunderts  kommt  es  oft 


191 

mit  Radreifen  und  bezeichnetem  Mittelpunkte  vor,  wie  es  gleich  den  alten  Ägyp- 
tern unsere  Astronomen  als  Bild  der  Sonne  gebrauchen.  Es  war  ohne  Zweifel 
ein  altes  Kultusbild  der  kreisenden  Bewegung  der  Sonne,  ihrer  Wiederkehr 
und  ihrer  Schnelligkeit,  vielleicht  in  abgeleiteter  Bedeutung  der  Unsterblichkeit. 
Dem  Bild  der  Schnelligkeit  entspricht  die  Variante,  welche  drei  oder  vier  Beine 
statt  der  Haken  zeigt  (Triskelej  und  noch  in  heutigen  Wappen  vorkommt.  Es 
sind  die  verschiedensten  Vermutungen  zur  Erklärung  dieses  Zeichens  ausge- 
sprochen worden.  Vau  hat  darin  Symbole  von  Odin.  Freyer  oder  Thor,  oder 
aller  drei  zusammen  gesehen,  die  Haken  auf  den  Blitz  bezogen,  und  sein  Vor- 
kommen auf  mecklenburgischen  Thongefässen  und  etruskischen  Urnen  als  Zeichen 
des  Glaubens  an  die  Unsterblichkeit,  der  Wiederkekr  des  Lebens,  gedeutet.') 
Es  scheint  mir  notwendig,  einem  so  allgemein  vorkommenden  und  also  auch 
wohl  allgemein  verstandenen  Symbol  eine  möglichst  einfache  Bedeutung  unter- 
zulesren,  ohne  dass  mau  bei  iedem  Gegenstande,  auf  welchem  es  sich  vorfindet, 
an  eine  Beziehung  auf  die  tiefsten  Geheimnisse  der  Religion  zu  denken  hat, 
und  dieser  Forderung  scheint  es  mir  zu  entsprechen,  wenn  man  es,  wie  bei 
Speeren,  Schwertern,  Steigbügeln  passend  ist,  in  Anlehnung  an  die  schnelle  und 
ausdauernde  Bewegung  der  Sonne,  an  ihre  belebende  wie  zerstörende  Kraft  als 
Symbol  der  Schnelligkeit  und  Kraft  erklärt.  Beider  überwiegenden  Wichtigkeit,  wel- 
che in  alter  Zeit  überall,  im  Norden  wie  in  Griechenland  und  Asien,  dem  Schnell- 
laufe vor  allen  anderen  Leibesübungen  eingeräumt  wurde,  ist  es  nicht  zu  ver- 
wundern, wenn  ein  äusseres  Zeichen  für  die  Schnelligkeit  in  verschiedenen 
Abänderungen  des  Hakenkreuzes  von  laufenden  Füssen  und  Pferdeleibern  bis  zum 
vierspeichigen  Rade  (dem  Feuerrade  am  Sonnenwendfeste)  überall  da  angebracht 
wurde,  wo  man  den  Grundgedanken  zum  Ausdruck  bringen  wollte,  mochte 
dieser  einfach  der  Wirklichkeit  entsprechen,  oder  nur  als  Wunsch  bei  dem 
Verfertiger  oder  Besitzer  des  Gegenstandes  bestehen.  Es  wird  danach  die  An- 
bringung des  Zeichens  auf  einem  Steigbügel  als  Ausdruck  des  Wunsches  grosser 
und  anhaltender  Schnelligkeit  der  Bewegung  sehr  passend  erscheinen.  Es  ist 
dabei  nicht  ausgeschlossen,  dass  man  es  in  anderen  Fällen  auch  gleichsam  als 
ein  Schutzzeichen  oder  Amulet  anbrachte,  wie  Gallier,  Sachsen,  Angelsachsen 
und  andere  Stämme  Eberbilder  trugen  und  wie  man  Kreuze  und  Kruzifixe 
ohne  jeden  Gedanken    an  ihre   religiöse  Bedeutung   anbringt.     (Schlieben,  Das 

•)  Vergl.  Mecklenburgische  Jahrb.  XXVI,  177;  IX,  393;  XIII,  383.  Movera,  Phon.  189, 
bezieht  die  Triquetra  (Eckhel  I,  184)  auf  den  numidischen  Baal-Chon  oder  den  seiner  Drei- 
teiligkeit wegen  rpiTrXa^.Oi;  genannten  chaldäisch-babylonischen  Mithra  und  erinnert  an  die 
drei  Äpfel  des  Heracles,  welche  den  drei  Jahreszeiten  entsprechen,  Joh.  Lydus  de  mensb.  IV, 
46,  pag.  81.  Ein  längerer  Aufsatz  befindet  sich  in  den  Verh.  d.  anthrop.  Ges.  zu  Berlin  17,  4, 
1886,  S.  277,  von  Olshausen.  Man  sehe  auch  Hamy,  Revue  d'ethnographie  II,  1883,  S.  412, 
über  die  eroix  gammee,  welche  als  Suastica  im  Sanskrit  vorkommt,  ferner  Henri  Gaidoz:  Le 
dieu  Oaulois  et  le  syrabolysme  de  la  roue,  Paris,  Leroux  1866  und  besonders  J.  P.  Schmitz: 
Das  Sonnenrad,  Montabaur  1888,  Sauerborn.  Die  ausführlichste  Abhandlung  findet  sich  bei 
Krause,  Tuisco-Land,  S.  343,  welcher  ich  nur  hinzufügen  möchte,  dass  das  triquetrum  auch 
auf  einem  neupunischen  Votiv-Relief  im  assyrischen  Saale  des  neuen  Museums  in  Berlin  vor- 
kommt, welches  der  Inschrift  nach  aus  dem  2.  Jahrhundert  v.  Chr.  stammen  soll.  Krause 
dürfte  durchaus  das  Richtige  getroffen  haben. 


102 

Schwein  in  der  Kulturgeschichte,  S.  16).  Ursprünglich  Symbol  des  zum  heiligen 
Werkzeuge  gewordenen  Feuerquirls  der  Arier  ist  es  allgemeines  Heilszeichen 
geworden,  es  wird  noch  heute  den  Buddhisten  als  Segenszeichen,  Suastica,  auf 
die  Stirn  gezeichnet ;  es  ist  ihnen  das,  was  dem  Ägypter  das  Henkelkreuz  und 
den  Christen  das  Kreuz  war.  Der  Übergang  des  Feuersymbols  auf  den  Sonnen- 
gott und  das  Hervortreten  der  Bedeutung  der  schnellen  Bewegung  ist  etwas  ganz 
natürhches  und  findet  Ausdruck  in  den  übhchen  Feuer-  und  Sonnenrädern. 
(Krause,   a.  a.  0.) 

Nach  dem  Leitfaden  für  nordische  Altertumskunde,  herausgegeben  vom 
Sekretariat  der  Kopenhagener  Gesellschaft,  S.  48,  werden  Steigbügel,  Sattel- 
knöpfe von  Bronze  in  Form  von  Tierköpfen,  Sporen  ohne  Räder,  mit 
einem  Stachel  endigend,  von  Bronze  und  Eisen  in  nordischen  Gräbern,  unter 
welcher  Bezeichnung  die  in  Dänemark,  Norwegen  und  Schweden  gemeint 
sind,  nicht  selten  gefunden.  Die  gleichfalls  zuweilen  gefundenen  Hufeisen  (S.  66) 
stammen  aus  der  christlichen  Zeit,  wie  ausdrücklich  angeführt  ist.  Die  Bügel, 
welche  mit  Kupfer,  Kupfer  mit  Eisen,  Bronze  und  Eisen  allein  gefunden 
wurden,  werden  wir  frühestens  ins  6.  Jahrhundert  setzen  können,  spätestens 
aber  in  die  Z^it  der  Einführung  des  Christentums,  da  später  den  Toten  keine 
Pferde  mehr  ins  Grab  mitgegeben  wurden.  Obgleich  nun  Ansgar  bereits  unter 
Ludwig  dem  Frommen  die  Bekehrung  begonnen  hat,  können  wir  den  allgemeinen 
Übergang  zum  Christentum  doch  nicht  vor  dem  Jahre  1000  annehmen. 

Die  bei  Worsaae  (nord.  oldsager  i  det  kgl.  Mus.  i  Kjöbenhaven,  S.  116) 
abgebildeten  nordischen  Bügel,  von  we]chen  Fig.  50  mit  Silber,  Fig.  49  u.  :'>1 
mit  anderem  Metall  ausgelegt  sind,  zeigen  den  Geschmack  der  zweiten  Eisenzeit 
und  dürften  ins  10.  Jahrhundert  zu  setzen  sein,  da  sie  auch  im  übrigen  in 
der  Form  dieser  Zeit  entsprechen.  Besonders  bemerkenswert  ist  der  kleine 
Ansatz  an  den  unteren  Enden  der  beiden  Schenkel.  Bei  den  zwischen  dem 
8.  und  12.  Jahrhundert  bestehenden,  durch  zahllose  Münzen  erwiesenen  lebhaften 
Handelsverkehr  zwischen  dem  Norden  und  Russland  einerseits  und  dem  Orient 
andrerseits  könnte  angenommen  werden,  dass  diese  Bügel  aus  dem  Süden  ein- 
geführt  seien,    wofür   auch  die  vorhandenen  Tauschierungen    sprechen    würden. 

Das  Charakteristische  dieser  in  den  nordischen  Ländern  an  der  Ostsee  von 
Schleswig  bis  nach  Ostpreussen  gefundenen  Bügel,  sowie  eines  aus  dem  Rhein  bei 
Mainz  gehobenen  Exemplares,  die  wir  teils  unterm  9.,  teils  unterm  10.  Jahrhundert 
aufführen,  besteht  in  der  hohen  Dreiecksform,  wodurch  sie  grosse  Ähnlichkeit 
mit  dem  erst  viel  später,  wenn  unsere  Datierung  richtig  ist,  auftretenden  gotischen 
Spitzbogen  zeigen;  ferner  in  der  erhöhten,  oft  durch  Umlegen  der  breiten 
Flächen,  wie  bei  den  alten  ungarischen  Bügeln,  gebildeten  Sohle,  der  viereckigen, 
oft  querstehenden  Öse,  dem  gedrehten  Halse  und  den  Tauschierungen,  von 
welchen  Eigenschaften  jedoch  nicht  bei  allen  Exemplaren  alle  vorhanden  sind, 
sondern  verschiedene  Kombinationen  auftreten.  Sie  gehören  alle  dem  jüngeren 
Eisenalter  an,  welches  in  Schweden  von  700,  in  Norwegen  von  800  beginnt, 
und  finden  sich  bis  zur  völligen  Christianisierung  der  Länder  im  11.  Jahrhundert. 
Der  Fig.  'tO  abgebildete  Bügel,  welcher  sich  auch  in  Mestorfs  vorgeschichtlichen 
Altertümern  und  im  Katalog  des  Kieler  Museums  1885,  S.  32,  findet,  ist  nebst 


193 

anderen  Prachtstücken  im  Mainzer  Museum  in  vortreffllicher  Nachbildung  vor- 
handen, an  welcher  man  die  schöne  Tauschierung  bewundern  kann.  Der,  wie 
die  beiden  andern  eben  erwähnten,  in  Schleswig  gefundene  Bügel  ist,  nach  einer 
älteren  von  Lindenschmit  herrührenden  Aufzeichnung  in  der  Bibliothek  des 
hiesigen  Altertumsvereins,  aus  dem  9. — 10.  Jahrhuudert,  da  er  an  fränkische 
Arbeiten  erinnert. 

Diese  Annahme  entspricht  den  von  Worsaae  seiner  zweiten  Eisenzeit 
vorangeschickten  Bemerkungen.  Dem  genannten  Werke  von  Fräulein  Mestorf 
sind  auch  F'hj.  119  u.  43  entnommen,  welche  gleichfalls  in  Schleswig  gefunden 
wurden.  Ich  halte  ersteren  für  jünger,  letzteren  für  älter.  Unter  Fiy.  41  (Mestorf 
713,  Lindenschmit,  heidnische  Vorzeit  IV,  23,  1)  ist  ein  Bügel  mit  Gold- 
tauschierung  aus  den  Skeletgräbern  von  Immenstedt  gegeben.  Er  ist  mit  einem 
zweiten  {Fi ff.  42)  ebendaselbst  gefundenen  und  einem  dritten  {Fir/.  44)  aus 
dem  Rhein  bei  Mainz  von  Lindenschmit  abgebildet,  welcher  die  beiden  ersten 
mit  Bestimmtheit  dem  9.  Jahrhundert,  also  der  karolingischen  Zeit,  zuweist. 
Zu  dem  gleichen  Schlüsse  kommt  auch  Handelmann  in  dem  sogleich  anzu- 
führenden Aufsatze.  Alle  drei  Bügel  sind  dadurch  merkwürdig,  dass  ihr  Oberteil 
gedreht  ist,  sodass  die  Ose  senkrecht  zu  der  Ebene  eines  durch  Schenkel  und 
Sohle  gelegten  Durchschnittes,  der  Bügelebene,  steht.  Dasselbe  gilt  von  einem 
bei  Melldorf  in  Holstein  gefundenen  und  anderen  aus  unseren  Abbildungen 
ersichtlichen  Exemplaren  (Fig.  45,  46,  47,  48).  Die  zunehmende  Höhe  bei 
flacherer  Sohle  halte  ich  für  ein  Zeichen  etwas  späterer  Zeit. 

Nicht  in  allen  Gräbern  werden  Ausrüstungsstücke  für  Reiter  oder  Pferde 
gefunden,  nur  die  Gräber  der  Vornehmen,  der  Anführer,  welche  ihren  zu  Fuss 
kämpfenden  Scharen  hoch  zu  Ross  voranzogen,  sind  durch  diesen  Schmuck 
ausgezeichnet.  Reitergefechte  waren  weder  bei  Deutschen  noch  bei  Nordländern 
vor  der  karolingischen  Zeit  üblich,  worauf  wir  später  noch  näher  eingehen 
werden,     (Handelmann,  Verhandlungen  d.  Anthrop.  Ges.  1883,  S.  25.) 

Aber  aus  dem  Umstände,  dass  Steigbügel  in  den  Gräbern  nicht  gefunden 
werden,  ist  noch  nicht  mit  Sicherheit  zu  schliessen,  dass  auch  keine  darin  waren; 
Metallbügel  allerdings  nicht;  diese  scheinen  lange  nur  eine  Auszeichnung  für 
Vornehme  gewesen  zu  sein,  aber  vielleicht  hölzerne,  von  denen  sich  natürlich 
keine  Spur  erhalten  hat.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  geringen  Leute, 
wenn  sie  überhaupt  mit  Bügeln  ritten,  sich  ursprünglich,  wie  noch  im  Anfange 
unseres  Jahrhunderts  die  ostpreussischen  Bauern,  hölzerner  Bügel  bedienten, 
ja  nach  einer  Anmerkung  bei  Wilde,  Catalogue  of  Antiqu.  S.  603,  sollen  eiserne 
Bügel  in  England  bis  zum  16.  Jahrhundert  unbekannt  gewesen  sein,  wobei 
Fosbrokes,  Encyclop.  of  Antiqu.,  citiert  wird.  Dieser  Schriftsteller  spricht  zwar 
nicht  von  hölzernen  Bügeln,  sondern  von  Lederrieraen,  welche  mit  einer  eisernen 
Fussplatte  versehen  waren,  ist  aber,  wie  wir  später  bei  den  Riemenbügeln 
weiter  besprechen  werden,  allerdings  der  Meinung,  dass  ganz  eiserne  Bügel  erst 
im  16.  Jahrhundert  vorkommen.  Für  England  mag  dies  vielleicht  richtig  sein, 
denn  alle  dort  vorhandenen  Bügel,  so  viel  ich  weiss,  scheinen  nicht  vor  dem 
16.  Jahrhundert  zu  datieren,  mit  Ausnahme  des  bei  uns  unter  Fig.  118  abge- 
bildeten, welchen  ich  für  viel  älter  halte.    Vom  Norden  und  Osten  Europas  gilt 

13 


194 

dies  natürlich,  wie  wir  sahen,  nicht.    Wir  werden  noch  Gelegenheit  haben,  auf 
dieses  Thema  zurückzukommen. 

Viele  Funde  von  Steigbügeln,  hauptsächlich  einzelnen,  sind  in  den  Mecklen 
burgischen  Jahrbüchern  (XXIII,  242;  II.  83,  b;  XYII,  373,  a;  VIII,  82,  b 
XXX,  3,  a;  XXXVIII,  119  u.  a.)  aufgezählt.  Die  Bügel,  zum  Teil  von  Bronze 
mit  einem  oder  zwei  Sporen  gefunden,  sind  für  unsere  Untersuchung  wertlos 
weil  sie  in  keiner  Weise  datiert,  auch  nicht  beschrieben  oder  abgebildet  sind 
Andeutungen  über  die  Form  der  mit  ihnen  gefundenen  Sporen  lassen  auf  das 
Ende  der  heidnischen  Zeit  schliessen. 

Auffallen  könnte  es,  dass  so  viele  einzelne  Bügel  gefunden  werden;  es 
wäre  ja  möglich,  dass  ebenso  wie  zu  Zeiten  —  durchaus  nicht  immer  —  nur 
ein  Sporn  getragen  wurde,  auch  nur  ein  Bügel  am  Sattel  befestigt  gewesen 
wäre,  nur  bestimmt,  das  Auf-  und  Absteigen  zu  erleichtern,  und  dass  die  Unter- 
stützung beider  Füsse  während  des  Reitens,  besonders  in  der  ersten  Zeit  der 
Einführung  der  Bügel,  nicht  üblich  gewesen  wäre.  Wir  haben  vorhin  gesehen, 
dass  die  gemeinen  Araber  noch  im  10.  Jahrhundert  auf  diese  Bequemlichkeit 
verzichteten  und  dass  ursprünglich,  im  6.  Jahrhundert,  nach  der  Angabe  des 
Kaisers  Mauritius,  beide  Bügel  auf  der  linken  Seite  des  Sattels  befestigt  sein 
sollten,  offenbar  nur  zum  Zweck  des  Aufsitzens.  Trifft  dies  zu,  so  würde  mancher 
einzelne  Bügel  einer  Zeit  zugewiesen  werden  müssen,  in  welcher  die  betreffen- 
den Völker  noch  nicht  zum  Kampf  zu  Pferde  übergegangen  waren,  also  der 
vorkaroiingischen  Zeit. 

In  Ostpreussen  finden  sich  Steigbügel  ungemein  häufig  und  bis  in  die 
Zeit  des  13.  Jahrhunderts  überwiegend  in  grossen  Pferdebegräbnisplätzen.  Erst 
im  13.  Jahrhundert  wurden  nämlich  die  Ostpreussen  Christen,  von  da  an  wurden 
ausgerüstete  Pferde  nicht  mehr  mitbegraben.  Auf  diesen  Plätzen  finden  sich 
grosse  Aschenschichten,  in  denen  Waffen,  Scherben,  Gebisse,  Schmuck,  kleine 
Bronzeschnallen  und  allerlei  andere  Sachen  unregelmässig  zerstreut  liegen.  Zum 
Pferde  gehören  zwei  Bügel,  Gebiss,  Schnallen  und  meistens  Glocken,  sowohl 
grössere  von  Eisen,  als  kleinere  von  Bronze.  Die  Sporen  liegen  nicht  immer  beim 
Pferde,  sondern  häufig  allein,  vermutlich  weil  sie  zum  Manne  und  nicht  zum 
Pferde  gehörten.  Aus  diesen  Funden  ergiebt  sich  auch,  dass  die  Behauptung, 
die  Alten  hätten  nur  einen  Sporn  getragen,  in  dieser  Allgemeinheit  nicht  richtig 
ist,  da  bis  zum  6.  Jahrhundert  sowohl  einzelne  als  zwei  zusammengehörige 
Sporen  gefunden  werden.  Die  gefundenen  Bügel  reichen  bis  in  die  Wickinger- 
Zeit  zurück;  die  in  einem  Begräbnisplatze  des  Wäldchens  Aub  zu  Wiskiauten, 
Kreis  Fischhausen,  gefundenen  gehören  dem  9.  bis  10.  Jahrhundert  an.  Dr.Tischler 
in  Königsberg,  dem  ich  diese  Angaben  verdanke,  machte  schon  im  Kataloge 
der  anthrop.  Ausstellung  zu  Berlin  1880  S.  409  darauf  aufmerksam,  dass  die 
Steigbügel  durch  asiatische  Reitervölker  nach  Europa  gebracht  wurden,  eine 
Ansicht,  die  wir  schon  besprochen  und  näher  begründet  haben.  Er  verweist 
andere  im  Katalog  angeführte  Funde  (S.  424  und  425  aus  Dolkheim,  445  aus 
Insterburg,  446  aus  Labiau  und  Fischhausen)  sehr  unbestimmt  ins  8.  bis 
14.  Jahrhundert.  In  einer  Rede  über  die  Gliederung  der  Urgeschichte  Ost- 
preussens  spricht  er  sich  dahin  aus,  dass  die  Bügel,  welche  in  Ostpreussen  ge- 


195 

funden  werden,  ungemein  formenreich  sind  und  dasa  in  der  letzten  Heidenzeit, 
also  im  13.  Jahrhundert,  versilberte  Bügel  in  prachtvoller  und  kostbarer  Aus- 
führung im  Lande  verfertigt  wurden.  Leider  sind  mir  davon  keine  Abbildungen 
bekannt  geworden,  es  dürften  in  diese  Zeit  aber  wohl  auch  die  unter  West- 
preussen  hier  aufgeführten  Nummern  71 — 7.7  zu  rechnen  sein,  welche  in  Form 
und  Ausführung  von  den  übrigen  gänzlich  abweichen.  Man  hat  die  Vorliebe 
für  schöne  Bügel  als  einen  Beweis  angesehen,  dass  damals  schon  Preussen  ein 
Hauptland  für  Pferdezucht  war.  Die  von  uns  nach  Zeichnungen  von  Olshausen 
abgebildeten  Bügel  Fig.  :')2 — 54  stammen  aus  Wiskiauten  in  Ostpreussen. 
Während  diese  durch  die  ausgebildete  viereckige  Öse  an  die  bereits  besprochenen 
Funde  aus  Schleswig  und  den  westlicheren  Gegenden  und  die  sogleich  anzu- 
führenden dreieckigen  Formen  erinnern,  zeigen  sie  im  übrigen  gleich  den  der  Blell- 
schen  Sammlung  entnommenen  Exemplaren,  Fig.  60 — 65,  ungarischen  Typus. 
Jedenfalls  gehören  alle  der  Zeit  vom  8. — 11.  Jahrhundert  an,  wir  dürfen  sie  aber 
wohl  ins  10.  Jahrhundert  setzen.  Die  im  ganzen  Norden  verbreitetste  und 
gewöhnlichste,  Jahrhunderte  andauernde  Form  ist  die  hohe,  Fig.  WS,  111  u.  a. 
Auch  sie  findet  sich  gleich  der  vorigen  im  10.  Jahrhundert,  aber  auch  vorher 
und  nachher,  von  Island  bis  nach  Deutschland  hinein,  überall  mit  besonderen 
Abänderungen,  aber  vorherrschend  viereckiger  Ose.  Man  findet  zahlreiche 
Vermischungen  ungarischer,  westpreussischer  oder  russischer  Formen,  wie  die 
Abbildungen  zeigen. 

Die  in  Ascheraden  an  der  Düna  in  Livland  gefundenen  eisernen  Bügel, 
Fig.  55  u.  56,  welche  Kruse  (Necrolivonica,  Dorpat,  1842,  Taf.  5,  Fig.  4  u.  5) 
abgebildet  hat,  gehören  wahrscheinlich  den  Waräger-Russen  und  sind  ins 
9. — 11,  Jahrhundert  zu  setzen.  Sie  schliessen  sich  in  der  runden  Form  den 
ostpreussischen  und  ungarischen  an  und  deuten  sowohl  dadurch  als  durch  die 
massenweise  in  jener  Gegend  gefundenen  orientalischen  Münzen  auf  ihre  Her- 
kunft aus  dem  Süden  auf  einer  der  erwähnten,  dem  Laufe  der  Flüsse  Dnjepr 
und  Düna  folgenden  Handelsstrassen.  Leider  giebt  die  Zeichnung  kein  Profil, 
sodass  die  Form  nicht  sicher  zu  erkennen  ist.  Dasselbe  gilt  von  den  Abbil- 
dungen, welche  Bahr  (Gräber  der  Liven,  Taf.  XVI,  6  u.  7)  giebt.  Auch  sie 
sind  in  Ascheraden  gefunden  und  zum  Teil  jenen  ganz  gleich  und  kreisrund, 
Fig.  58  u.  59;  sie  werden  von  Bahr  ins  8. — 12.  Jahrhundert  gesetzt. 

Durch  besondere  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Zschille  in  Grossenhain  bei 
Dresden,  welcher  in  ähnlicher  Art,  wie  er  es  mit  den  Sporn  bereits  gethan  hat,  Zeich- 
nungen von  Bügeln  herausgeben  wird,  bin  ich  in  der  Laere.  nach  semen  bereits 
fertigen  Tafeln  die  Fig.  67 — 75  hier  mitzuteilen.  Es  sind  alles  Bügel,  welche 
in  Westpreussen,  hauptsächlich  in  Dolkheim  gefunden  sind  und  der  Zeit  vor 
dem  13.  Jahrhundert,  also  noch  der  heidnischen  Zeit  angehören. 

Es  sind  vorzugsweise  die  Köpfe  abgebildet,  da  die  Sohle  bei  allen  ziemlich 
die  gleiche  ist.  Wenn  man  a  priori  urteilt,  sollte  man  die  Form  ohne  ()sen, 
als  die  einfachere,  für  die  älteste  halten,  denen  die  durch  einfaches  Zusammen- 
biegen der  Eisenstange  gebildete,  unten  offene  Ose  gefolgt  wäre;  dann  würde 
die  selbständige  Öse  folgen,  und  zwar  zuerst  die  auf  kurzem,  dann  die  auf 
langem  und  die  auf  abgeschnürtem  Stiele,  und  man    könnte    eine  weitere  Aus- 

13» 


196 

bildung  annehmen,  je  nachdem  die  Ose  rund  oder  eckig  ist.  Dieser  Betrachtung 
entspricht  aber  die  Wirklichkeit  keineswegs.  Nur  wenn  ein  Volk  die  ganze 
Entwickelung  selbständig  durchgemacht  hätte,  könnte  diese  Folge  vorkommen ; 
wir  finden  aber  im  Gegenteile  in  Ungarn,  wo  alle  diese  Formen  vorkommen, 
eine  ganz  andere  Folge,  soweit  wir  den  Datierungen  Glauben  schenken  dürfen. 
liier  in  Westpreussen  scheint  allerdings  die  Form  ohne  Ose  die  ältere 
zu  sein,  leider  stehen  mir  aber  gar  keine  Datierungen  zu  Gebote,  auch  habe 
ich  die  näheren  Umstände,  unter  welchen  die  Stücke  gefundea  wurden,  nicht 
erfjihren  können.  Die  Bügel  7J2-74,  welche  mit  Messing  und  Silber  tauschiert 
sind,  und  71,  welcher  deutliche  Spuren  früherer  Versilberung  zeigt,  oder  Fig.  75^ 
wird  man  wohl  nicht  für  die  ältesten  halten  wollen,  da  weder  der  Eselsrücken 
(so  heissen  die  nach  oben  geschweiften  Bogen,  Fig.  71,  93  in  der  Architektur), 
noch  die  viereckigen  Ösen  dafür  sprechen,  wenn  man  sie  nicht  der  Tauschierung 
wegen  mit  den  nordländischen  ins  9.  Jahrhundert  setzen  will;  man  wird  als 
älteste  vielmehr  die  in  Fig.  67 — ß'J  in  der  angegebenen  Reihenfolge  nehmen 
müssen.  Bei  dem  letzten  Exemplar  in  ß8  ist  sogar,  wie  der  Grundriss  erkennen 
lässt,  ein  Versuch  zur  Schrägestellung  des  Bügels  gemacht,  indem  die  Öse  in 
einem  Winkel  vor  die  Bügelebene  vorspringt.  Dieser  und  69  mögen  ins  11., 
71  und  7'j  ins  11.  oder  12.  Jahrhundert  gehören. 

Wie  sich  später  aus  den  Bemerkungen  über  die  Ausbildung  des  Reiter- 
wesens ergeben  wird,  darf  man  das  massenweise  Vorkommen  von  Bügeln  über- 
haupt nicht  zu  früh  annehmen,  da  vor  dem  10.  Jahrhundert  wohl  nur  einzelne 
Führer  und  kleinere  Trupps  beritten  waren.  Ich  möchte  daher  die  sämtlichen 
Funde  in  Ost-  und  Westpreussen,  bei  den  Waräger-Russen  und  ihren  Nachbarn 
nicht  vor  das  10.  Jahrhundert  setzen,  wohl  aber  später.  Dass  die  schön 
tauschierten  Exemplare,  deren  Nachbildungen  im  Mainzer  Museum  sich  befinden, 
ins  9.  Jahrhundert  gehören  sollen,  glaube  ich  auf  die  Autorität  von  Linden- 
schmit,  jedenfalls  gehörten  sie  nur  vornehmen  Personen  an  und  waren  damals 
eine  Seltenheit. 

Man  sieht,  dass  schon  die  älteren  Formen  lang-eiförmig  sind  und  sich  allmählich 
der  Dreiecksform  nähern,  auch  ist  auf  die  Absätze  am  unteren  Ende  der  Schenkel 
aufmerksam  zu  machen,  welche  sich  in  Skandinavien,  Preussen  und  Ungarn 
finden,  wie  die  Fig.  62,  63.  64,  69,  73,  18,  10,  11,  107,  108,  111  u.  a.  zeigen. 
Die  vorhandenen  Tauschierungen,  welche  wir  im  9.  Jahrhundert  in  Skandinavien 
fanden,  sollen  auch  hier  auf  orientalischen  Ursprung  deuten,  besonders  die 
mit  Kupfer  und  Silber  ausgeführten,  und  es  mögen  einzelne  schöne  Exemplare 
aus  dem  Süden  auf  den  vorhandenen  Handelswegen  eingeführt  sein,  es  darf 
jedoch  daraus  nicht  gefolgert  werden,  dass  die  Nordländer  die  Bügel  überhaupt 
aus  dem  Orient,  etwa  aus  dem  von  ihnen  häufig  besuchten  Konstantinopel,  erhalten 
hätten,  es  ist  ebenso  möglich,  dass  sie  direkt  aus  dem  Osten  über  das  heutige 
Russland  in  ihren  Besitz  kamen,  und  dass  diese,  von  anderen  Wanderstämmen 
herrührend,  wie  die  ungarischen,  deshalb  auch  eine  andere  Form  zeigen,  dass 
also  hier  in  Westpreussen  die  hoch-eiförmigen  die  älteren  sind  und  der  Einfluss 
ungarischer  und  ostpreussischer  Formen  erst  später  stattfand,  die  Entwickelung 
also  eine  selbständige  gewesen  ist. 


197 

In  Schlesien,  in  der  Nähe  der  Lubst,  eines  Nebenflusses  der  Neisse, 
sind  unter  anderem  in  einem  Burgwall  ein  Bügel  (ob  Steigbügel  ist  nicht  ge- 
sagt), Sporen  und  Hufeisen,  bei  Niemitsch  eine  Trense  und  ein  steigbügelartiger 
Gegenstand,  alles  aus  Eisen,  gefunden  worden.  Weitere  Angaben  fehlen,  doch 
werden  die  Sachen  in  die  wendische  oder  sogar  in  die  germanische  Zeit  ver- 
wiesen ,  würden  also  vielleicht  dem  5. — 6.  Jahrhundert  angehören  (Verh.  d. 
anthrop.  Ges.  Berlin  1882,  S.  367).  Bedeutend  jünger  scheint^ein  Fig.  66  ab- 
gebildeter Bügel  zu  sein,  welcher  in  einem  wendischen  Burgwalle  bei  Dreuse, 
Provinz  Brandenburg,  gefunden  wurde  und  im  märkischen  Provinzial-Museum 
zu  Berlin  (11,   11851)  aufbewahrt  wird. 

Fassen  wir  nun  die  Ergebnisse  unserer  Untersuchung  hier  zusammen, 
wo  wir  die  ältesten  Zeiten  der  an  historischen  Nachrichten  armen  Völker  ver- 
lassen, so  scheint  soviel  sicher,  dass  Völkerschaften,  welche  im  Besitze  von 
Steigbügeln  waren,  im  4.  oder  5.  Jahrhundert  dieselben  nach  Ungarn  und  dem 
Orient,  vielleicht  auch  nach  Westpreussen  und  den  Ländern  an  der  Ostsee 
brachten,  dass  aus  dem  6.  Jahrhundert  schriftliche  Nachrichten  von  Kaiser 
^Mauritius,  also  aus  Konstantinopel,  vorliegen  und  etwa  aus  derselben  Zeit  seit 
der  Niederlassung  der  Avaren  in  Ungarn  wirklich  gut  datierte  Fundstücke 
vorhanden  sind.  Durch  Kriege,  deren  Schauplatz  Osteuropa  Jahrhunderte  lang 
war,  und  auch  auf  friedlichem  Wege  verbreiteten  sich  die  Bügel  wahrscheinlich 
zunächst  nach  Norden.  Dänemark,  das  südliche  Schweden  und  die  ganze  Küste 
der  Ostsee  erhielten  sie  frühzeitig  durch  den  lebhaften  Handel,  welchen  sie 
sowohl  durch  das  heutige  Russland  als  auf  dem  Wege  längs  der  Elbe  und 
Oder  mit  dem  Orient  unterhielten. 

Es  empfiehlt  sich  hier,  wo  wir  die  zum  Teil  praehistorischen  Funde  ver- 
lassen, etwa  mit  dem  Jahre  1000  einen  Abschnitt  zu  machen,  und  bevor  wir 
uns  nach  dem  Westen  von  Europa  und  namentlich  nach  Deutschland  wenden, 
einiges  nachzuholen  und  einige  allgemeine  Betrachtungen  anzustellen. 

So  weit  wir  bis  jetzt  gesehen  haben,  stehen  die  aus  den  gemachten 
Funden  gezogenen  Folgerungen  mit  den  schriftlichen  Nachrichten  in  Einklang, 
es  giebt  aber  einige  Punkte,  welche  eine  vollständige  Umwälzung  hervorzubringen 
geeignet  wären,  wenn  wir  bestimmt  wüssten,  dass  wir  bei  ihrer  Beurteilung 
nicht  einem  groben  Irrtum  unterliegen. 

Herr  Dr.  Gross  hat  nämlich  (Anzeiger  f.  Schweizer  Altertumsk.,  Zürich  1879, 
S.  909,  und  Lindenschmit,  Altert,  der  heid.  Vorzeit  IV,  4,  Taf.  23)  im  Brienner 
See,  in  der  Nähe  von  La  Tene,  ein  Paar  von  ihm  als  Steigbügel  bezeichnete 
Gegenstände  von  Bronze  gefunden,  Fig.  335,  welche  jedoch  ihrer  Kleinheit 
wegen  nur  zur  Aufnahme  der  grossen  Zehe  bestimmt  gewesen  sein  können. 
Mit  der  Ose  12,5  cm  hoch,  haben  sie  einen  Durchmesser  von  8,5  cm.  Gross 
hält  sie  für  etruskisch.  Wer  diesen  Fund  für  einen  Steigbügel  erklärt,  muss 
übersehen,  dass  die  untere  Fläche  rauh  gemacht  ist  und  ziemlich  scharfe  Zähne 
hat.  Ein  Reiter,  der  nur  eine  oder  zwei  Zehen  in  den  Ring  steckt,  muss  die 
andern  fortwährend  an  den  Zähnen  scheuern  und  würde  sehr  bald  auf  den 
Luxus  eines  solchen  Bügels  verzichten,  der  ihm,  wenn  er  nicht  etwa  umwickelt 
war,  unnützer  Weise    die  Füsse  blutig  reibt.     Steigbügel,    und  gar   etruskischQ 


198 

aus  vorrömischer  Zeit,    scheinen   mir   die    Fundstücke   nicht   gewesen    zu    sein, 
wenn  ich  auch  nicht  sagen  kann,  was  sie  waren. 

Dass  ein  nur  für  die  grosse  Zehe  bestimmter  Bügel  nach  unseren  Begriffen 
unpraktisch  erscheint,  ist  unleugbar;  es  gehört  dazu  ein  ganz  unbekleideter 
Fus3.  Gross  bezieht  sich  auf  Hamv,  Documents  inedits  sur  les  Bouffoirs  du 
gouvernement  Tomsk,  Paris  1875,  worin  dieser  Gebrauch  rassischen  Horden 
vindiziert  wird.  Hamy  sagt :  „Ihre  Bügel  sind  klein  (8,5  cm),  nicht  für  den 
ganzen  Fuss  bestimmt.  Xoch  jetzt  haben  viele  Horden  dergleichen.  Die  heutigen 
Kirgisen  haben  Bügel  mit  platten  Sohlen,  während  alte  in  den  Gräbern  von 
Kains  gefundene  runde  Sohlen  haben.  Die  alten  Bügel  sind  wie  alle  Gräber- 
funde von  Tomsk  von  gegossenem  Kupfer  und  haben  mit  den  heutigen  die  vier- 
eckigen Ösen  gemein."  Ein  anderer  Vergleich  mit  ungarischen  Bügeln,  den 
Hamy  macht,  stimmt  aber  nicht.  Nun  sind  allerdings  bei  uns  viele  sehr  kleine 
Bügel  gefunden  worden,  welche  man  ihrer  Abmessungen  wegen  als  Kinderbügel 
bezeichnen  könnte.  Es  giebt  heute  noch  Völker,  welche  nur  ganz  kleine,  nur 
für  eine  Zehe  passende  Bügel  in  Gebrauch  haben.  Im  Postmuseum  zu 
Berlin  befindet  sich  als  Geschenk  von  Emil  Riebeck  ein  aus  Jeipore  in  Zentral- 
Indien  stammender  Sattel,  dessen  Steigbügel  in  einer  Schnur  bestehen,  welche 
lose  über  den  Sattel  gehängt  wird  und  an  beiden  Enden  eine  Schnalle  mit 
kurzer,  etwa  2  cm  breiter  Strippe  hat  {Fig.  311);  diese  wird  so  geschnallt, 
dass  die  grosse  Zehe  gerade  darin  Platz  findet.  Die  Somalis  benutzen,  soweit 
sie  nicht  mit  arabischen  Bügeln  ausgerüstet  sind,  gleichfalls  ein  nur  für  einige 
Zehen  bestimmtes  Eisen  {Fig.  321).  Auch  die  aus  Holz  geschnitzten  kleinen 
Bügel  von  der  Insel  Timor,  welche  im  Völkermuseum  zu  Berlin  sich  befinden, 
gehören  hierher  {Fig.  299).  Der  von  Gross  gefundene  Bügel  soll  den  in 
russischen  Hügeln  —  wohl  den  besprochenen  Tschudengräbern  —  gefundenen 
durchaus  ähnlich  sehen,  eine  Angabe,  welche  nach  dem  mir  zu  Gebote  stehenden 
Material  indessen  nicht  zutrifft. 

Der  Vollständigkeit  wegen  will  ich  noch  erwähnen,  dass  das  Museum  in 
Kiel  17  eigentümhche  Bronzeringe  besitzt,  deren  innerer  Durchmesser  5  bis 
7,5  cm,  bei  einigen  nur  3  cm  beträgt,  und  welche  man,  da  sie  eine  zum  Durch- 
ziehen eines  Riemens  geeignete  Öse  besitzen,  gleichfalls  für  Steigbügel  halten 
wollte,  obgleich  bei  dem  einen  drei  lose  daran  hängende  Ringe  dies  unwahr- 
scheinlich machen  {Fig.  339 — .341).  Alle  sind  in  Schleswig  und  Holstein 
gefunden  und  dürfen  nach  Frl.  Mestorf  mit  Bestimmtheit  dem  Anfang  der  älteren 
Eisenperiode  vorrömischer  Zeit  zugerechnet  werden;  nur  wenige  ähnlicher  Art 
befinden  sich  in  Kopenhagen,  Schwerin,  Hamburg,  Hannover  und  Halle,  im 
ganzen  26  Stück.  Dieser  Verbreitung  nach  vermutet  man,  dass  sie  alle  die 
Elbe  herunter  gekommen  sind.  Schon  diese  Angaben  sprechen  dafür,  dass  man 
es  eher  mit  Gürtelschnallen  oder  dergleichen,  als  mit  Bügeln  zu  thun  hat,  da 
die  im  Süden  wohnenden  Verfertiger,  wenn  sie  selbst  nicht  ähnliche  Bügel  be- 
nutzten, schwerlich  für  die  Bewohner  des  Nordens  eigens  solche  ihnen  bis  da- 
hin unbekannte  Stücke  erfunden  haben  werden.  Ist  es  denn  überhaupt  wahr- 
scheinlich, dass  Steigbügel  in  so  früher  Zeit   existiert  haben,  ohne  Verbreitung 


199 

zu  finden,  und  welche  nordischen  Völker  gingen  und  ritten  barfuas,  um  eine  solche 
Erfindung  machen  oder  auch  nur  benutzen  zu  können? 

Um  diesen  Fragen  näher  zu  treten,  müssen  wir  noch  auf  ein  drittes  Fund- 
stück aufmerksam  machen,  welches  bis  jetzt  unerwähnt  und  unerklärt,  den  Gebrauch 
der  Bügel  in  Europa  in  sehr  frühe  Zeit  verlegen  würde.  Herr  Emil  Naue  in 
München,  bekannt  als  Historienmaler  und  Prähistoriker,  zeigte  mir  eine  in  Lindau 
gefundene  und  in  Bregenz  aufbewahrte  kleine  Reiterfigur  von  etwa  10  cm  Höhe; 
sie  ist  aus  Bronze  und  hat  ganz  den  Hallstadter  Typus,  das  Pferd  trägt  ein 
Schellenhalsband  oder  etwas  dem  ähnliches  und  eine  Art  Sattel;  der  Reiter 
scheint  eigentümhch  gebogene,  nicht  ganz  geschlossene  Steigbügel  zu  haben. 
Besonders  deutlich  ist  dies  am  rechten  Fusse  zu  sehen,  Fig.  336.  Naue  meint 
es  sollen  wirklich  Steigbügel  sein,  und  ich  kann  nach  genauer  Besichtigung 
kaum  widersprechen.  Dass  Reiterfiguren  in  der  Hallstadter  Periode  vorkommen 
und  die  damalige  Generation  am  Reiten  Gefallen  fand,  ist  durch  viele  Funde 
nachgewiesen,  wenn  ich  auch  keine  Figur  kenne,  welche  ein  so  richtig  gearbeitetes 
Pferd  zeigte.  Der  einzige  Fehler  könnte  nur  der  sein,  dass  die  Figur  nicht  der 
Hallstadter  Periode  und  auch  nicht  den  späteren  Jahrhunderten  bis  in  die  Mitte 
des  Mittelalters  angehört.  Ich  überlasse  die  Frage  der  Entscheidung  besser 
unterrichteter  Leser  und  bitte,  die  Figur  in  Augenschein  zu  nehmen.  Verdächtig 
ist  mir  die  Haltung  des  Reiters,  welcher  einen  vollständigen  Spaltsitz  und  ganz 
zurückgenommene  Unterschenkel  zeigt,  obgleich  sich  im  Wiesbadener  Museum  kleine 
Reiterfiguren  aus  Xanten  von  ähnlicher  Haltung  befinden.  Die  grossen  Bogen, 
welche  wie  Vorder-  und  Hinterzwiesel  eines  Sattels  aussehen,  sind  auch  bedenk- 
lich, sodass  jemand,  der  an  die  Vorgeschichte  des  Stückes  nicht  glaubt,  auf  einen 
sehr  späten  Ursprung  der  Figur  raten  könnte. 

Immerhin  wäre  dieses  frühe  Vorkommen  von  Bügeln  nicht  ganz  vereinzelt, 
wenn  eine  Mitteilung  bei  Weinhold  (Altnordisches  Leben  S.  18)  ihre  Richtigkeit 
hat.  Danach  sollen  sich  schon  in  den  Keltengräbern  des  Nordens  Steigbügel 
finden.  Auch  hier  könnte  insofern  ein  Irrtum  vorliegen,  dass  man  die  Bügel 
zwar  in  Keltengräbern  gefunden  hat,  dass  diese  letzteren  aber,  ähnlich  wie  es 
mit  den  Gräbern  der  Finnen  durch  die  Kelten  nachweislich  geschehen,  ein 
zweites  Mal  von  jüngeren  Völkern  benutzt  wären.  Leider  ist  nicht  angegeben, 
wo  diese  Bügel  jetzt  zu  sehen  sind;  rühren  sie  wirklich  von  den  Kelten  her, 
80  würde  allerdings  ein  Grund  mehr  vorliegen,  das  Vorkommen  der  Bügel  in 
Europa,  und  zwar  im  Norden,  in  frühester  Zeit  anzunehmen. 

Nun  sind  zwar  niemals  in  Keltengräbern  Bügel  gefunden  worden,  aber 
die  Kelten  können  desshalb  doch  Bügel,  allerdings  keine  eisernen,  sondern  höl- 
zerne, welche  sich  nicht  erhalten  konnten,  gehabt  und  nur  einige  vornehme 
Personen  solche  von  Metall  besessen  haben.  Wahrscheinlich  ist  es  jedoch  keines- 
wegs, da  die  Erfindung  gewiss  allmählich  nach  Süden  vorgedrungen  und  auch 
den  Römern  und  anderen  bekannt  geworden  wäre,  und  dafür  spricht  nichts, 
wenn  man  nicht  auf  die  früher  widerlegte  Behauptung  von  Viollet-le-Duc  zu- 
rückkommen will.  Wir  müssen  daher  vorläufig  beim  4.  Jahrhundert  Halt 
machen. 


200 

Auch  Demmin  verlegt  das  Vorkommen  der  Bügel,  allerdings  ohne  nähere  Be- 
gründung, in  diese  Zeit.  Wenn  er  meint,  dass  man  anfanglich  nur  Riemen 
benutzt  habe,  so  kann  er  Recht  haben,  die  seiner  Watfenkunde  (Ausgabe  1891, 
S.  355)  entlehnte  Fig.  76  stellt  einen  merovingischen  Ritter  der  Kirche  St.  Julien 
in  der  Haute-Loire,  angeblich  aus  dem  8.  Jahrhundert,  dar.  Die  plumpe  Figur 
zeigt  einfache  Riemen  statt  der  Bügel. 

Sehr  alt  scheint  auch  die  S.  650  abgebildete  Elfenbeinschnitzerei  der  Dom- 
kanzel zu  Aachen  zu  sein,  doch  ist  es  bei  dieser  nicht  unmöglich,  dass  man 
entweder  eine  sehr  hohe  Riemenschlaufe  mit  einer  festen  Sohle  oder  gar  einen 
Metallbügel  vor  sich  hat,  letzterer  würde  allerdings  die  ungewöhnliche  Höhe 
von  etwa  40  cm,  nach  den  Yerhältnissen  der  Zeichnung  zu  schätzen,  gehabt 
haben.  Es  ist  eine  Jagdszene  dargestellt  und  wie  mir  scheint,  ein  Riemen- 
bügel mit  fester  Sohle  zu  erkennen.  Im  Psalterium  aureum  von  St.  Gallen,  in 
welchem  die  Figuren  die  Kostüme  der  Zeit  der  Abfassung,  des  9.  Jahrhunderts, 
tragen,  sitzen  die  berittenen  Anführer  im  Heere  Davids  auf  Sätteln  mit  Steig- 
bügeln, welche  als  einfache  Riemen  gezeichnet  sind,  lig.  77.  Allzuviel  ist  je- 
doch aus  den  cft  ziemlich  undeutlichen  kleinen  Zeichnungen  der  Miniaturen  nicht 
zu  schliessen.  Heute  noch  bestehen  in  China,  wie  ein  Sattel  im  Postmuseura 
zu  Berlin  bezeugt,  die  Bügel  in  einem  lose  über  den  Sattel  gehängten  zollbreiten 
Bande,  welches  au  jedem  Ende  eine  Schlaufe  hat,  gross  genug,  um  den  Fuss 
aufzunehmen,  Fig.  312. 

Bei  Yiollet-le-Duc  I,  56  ist  nach  einem  dem  13.  Jahrhundert  angehörenden 
Manuskript  der  Pariser  Bibliothek  ein  Wagen  gezeichnet,  dessen  Führer  auf 
einem  der  Pferde  reitet  und  zur  Unterstützung  der  Beine  Riemen  benutzt, 
welche,  vielleicht  mit  einem  Querholze  versehen,  an  dem  Brustblatte  des  Ge- 
schirres befestigt  sind.  Riemen  und  Stricke  werden  noch  heute  von  unseren 
Bauern  ähnlich  benutzt.  Die  später  besprochene  Ableitung  des  englischen 
Wortes  stirriip  von  stig-ropc,  Steigriemen,  kann  als  Beweis  gelten,  wenn  man 
sie  für  richtig  hält.  Nach  Fosbrokes  Encyclopaedia  of  Antiquities,  welche  sich 
auf  die  Nouvelle  Diplomatique  beruft,  ist  ein  deutlicher  Lederriemen  auf  einem 
gräflichen  Siegel  zu  erkennen.  Dieser  lederne  Riemen  soll  später  mit  einer 
eisernen  Fussplatte  versehen  worden  und  erst  im  16.  Jahrhundert  der  ganz  eiserne 
Bügel  aufgekommen  sein.  In  der  Darstellung  der  Zusammenkunft  von  Franz  I. 
und  Heinrich  YHI.  anfangs  des  16.  Jahrhunderts,  sollen  lederne  Bügel  in  Menge 
zu  sehen  sein.  Wenn  diese  Angaben  richtig  sind,  was  zu  bezweifeln  ist, 
obgleich  sich  auch  Wilde  (Catalogue  of  antiqu.,  S.  603)  darauf  beruft,  so  ist 
es  in  England  und  Frankreich  ganz  anders  als  im  Osten  Europas  gewesen, 
wenn  schon  auch  hier  Riemenbügel  vorkommen. 

Die  nächst  höhere  Stufe  bildete  wahrscheinlich  ein  zusammengebogenes 
Holz,  wie  es  Kosaken,  Kalmücken  und  Tataren  benutzen  und  Ginzrot  (Fuhrwerke 
der  Römer,  Tafel  86,  14)  abgebildet  hat;  ein  ähnliches  findet  sich  an  einem 
tatarischen  Sattel,  welcher  nach  Böheim  1556  erbeutet  wurde  (Fig.  224). 
Sättel  aus  Patagonien  im  Völkermuseum  zu  Berlin  zeigen  Bügel,  welche  aus 
einem  in  zwei  Lederstrippen  hängenden  Holzstücke  bestehen  und  ein  Dreieck 
bilden;    dazu  gehören  ebenso  primitive  Sporen,    nur    aus    zwei   spitzen  Hölzern 


201 

bestehend,  welche  unter  den  Fuss  gebunden  werden,  Fif/.  273  u.  328.  Noch 
vor  zwanzig  Jahren  bedienten  sich  die  ostpreussischen  Bauern  hölzerner 
Bügel,  wie  sie  Fig.  208  abgebildet  sind,  aus  vierkantigem  Birkenholz  gefertigt  und 
oben  zusammengebogen.  Von  älteren  Bügeln  dieser  Art  ist  des  vergänglichen 
Materials  wegen  keine  Spur  mehr  vorhanden,  jedoch  besitzt  Herr  Blell  in 
seiner  reichhaltigen  Sammlung  (Villa  Thüngen  in  Gross-Lichterfelde  bei  Berlin) 
ein  Paar  dergleichen  neuerer  Zeit.  Zahllos  sind  die  hölzernen  Bügel,  welche 
heute  noch  bei  verschiedenen  Völkern  im  Gebrauch  sind.  Einige  davon, 
'meistens  dem  Völkermuseum  entnommene  Exemplare,  zeigen  die  Fig.  298, 
209,  300,  301.  302,  303,  304,  305,  ,309,  310.  313.  Fig.  84"  zeigt  wahrscheinlich 
auch  einen  Holzbügel.  Sie  ist  dem  Codex  Egberti  aus  dem  Ende  des  10.  Jahr- 
hunderts entnommen  (Bonner  Jahrb.  Bd.  70,  S.  56)  und  zwar  der  Stelle,  welche 
die  Parabel  vom  Gastmahle  enthält;  auf  derselben  Tafel  befinden  sich  noch 
einige  ganz  ähnliche  Bügel. 

Die  deutschen  Ordensritter  waren  durch  ihre  Statuten  verpflichtet,  sich 
hölzerner  Bügel  zu  bedienen  und  bezogen  dieselben  aus  dem  Schnitzhause,  in 
welchem  die  Holzsachen  angefertigt  wurden.  ^) 

Auch  den  Mönchen  des  Cisterzienserordens,  der  sich  anfanglich  ebenfalls 
grosser  Einfachheit  betteissigte,  war  es  verboten,  eiserne  Bügel  an  den  Sätteln 
zu  haben  (Capitul.  gener.  Cisterc.disc.  13,  c.  11 ;  Du  Gange  unter  3tapha).Wir  wissen 
ausserdem,  dass  Mönche  hölzerne  Bügel  oder  solche  von  Bast  oder  Saite  hatten 
(Schultz,  Das  höfische  Leben,  S.  497).  Im  übriigen  gehörte  es  zu  den  schimpflichen 
Strafen  des  Mittelalters,  wenn  einem  Ritter  wegen  Ehrlosigkeit  Waffen  und 
ritterliches  Gerät  untersagt  wurden,  und  dazu  gehörte,  dass  er  Stiefel  ohne 
Sporen,  ein  Pferd  ohne  Hufeisen  und  Sattel  und  dazu  einen  bastenen  Zaum 
brauchen  musste    (Götze,  Reallexikon  d.  deutschen  Altert,  unter  Strafen,  S.  649). 

Funde  von  Steigbügeln,  auch  solchen  von  Metall,  aus  älterer  Zeit  sind 
verhältnismässig  selten.  Lindenschmit  (Handb.  I,  132)  zählt  die  Gräber  auf, 
in  welchen  Pferdeschädel  oder  ganze  Skelette  gefunden  wurden ;  die  meisten, 
nämlich  17  Stück  mit  8  Trensen,  fanden  sich  in  Beckum.  Wenn  nicht  einmal 
jedem  Pferde  ein  Zaumzeug  beigegeben  wurde,  so  sei  nicht  zu  verwundern, 
wenn  dies  mit  ganzen  Sätteln  mit  Bügeln,  welche  gewiss  sehr  selten  waren, 
erst  recht  nicht  geschah.  Auch  Hufeisen  seien  noch  in  keinem  einzigen  Grabe 
der  merovingischen  Zeit  gefunden,  solche  überhaupt  niemals  sicher  nachgewiesen.*) 

Im  Westen  von  Europa  scheinen  sich  die  Bügel  überhaupt  später  und 
langsamer,  als  im  Osten  und  Norden  verbreitet  zu  haben.  Der  Grund  davon  lag 
zum  Teil  in  der  damaligen  Beschaffenheit  der  Heere  und  dem  Pferdemangel. 
Obgleich    die    gallischen    und   germanischen  Reiter   zu  Cäsars  Zeit    in  grossem 


')  Statuten  des  deutschen  Ordens,  Ausg.  v.  Ilennig,  Königsbg.  1806,  cp.  XXVIII. 
(„Gewohnheiten"):  „Der  marschalc  mag  nemen  von  deme  snitshuse  stegre%i)'e,  armbrust  un  bogen 
den  bruderen  zu  lihene,  do  her  siht  das  is  bestatit  ist  "  Die  , Gewohnheiten"  sind  zum  grossen 
Teile  so  alt  wie  die  „Regeln",  die  letzteren  sollen  von  Hermann  von  Salza  selbst  verfasst 
sein  (13,  Jahrhundert).  —  *)  Lindenschmit,  Handbuch  I,  295;  Verh.  d.  authrop.  Ges  ,  Berlin 
1880,  S.  5.5.  Schlicben,  Die  Hufeisenfrage  in  den  Annalcn  d.  Nasa.  Altert.- Ver.,  Wiesbaden 
1888,  S.  334. 


202 

Ansehen  standen,  so  ging  doch  mit  dem  Ausgange  der  Völkerwanderung  und 
der  Niederlassung  in  festen  Wohnsitzen  das  Reiterwesen  im  ganzen  westlichen 
Europa  zurück,  während  es  im  östlichen,  namentlich  in  den  Donauländern,  in 
hoher  Blüte  stand.  Unter  den  100,000  Franken,  welche  Theodebert  im  6.  Jahr- 
hundert nach  Italien  führte,  waren  nur  wenige  im  Gefolge  des  Königs  beritten, 
und  noch  Pipin  legte  den  Sachsen  und  Thüringern  einen  jährlichen  Tribut  von 
300  Pferden  auf,  weil  die  Franken  daran  Mangel  hatten.  Erst  unter  Karl  dem 
Grossen,  welcher  die  Zucht  durch  spanische  Hengste  veredelte,  verwandelte 
sich  der  Mangel  in  Überfluss.  An  der  unteren  Donau  dagegen  gab  es  seit 
alter  Zeit  nur  Reitervölker,  die  Vandalen  wurden  sogar  nach  ihrer  Ansiedelung 
in  Pannonien,  Ende  des  5.  Jahrhunderts,  aus  Fusskämpfern  eine  ausschliesslich 
zu  Pferde  kämpfende  Nation.  Auch  Goten  und  Araber  fochten  zu  Pferde, 
während  die  Franken  noch  in  der  Schlacht  zu  Poitiers  732  absassen  und  zu 
Fuss  kämpften.  Erst  etwa  755  wurden  auch  die  Franken  ein  Reitervolk,  und 
Ende  des  9.  Jahrhunderts  war  der  Fusskampf  bei  ihnen  überhaupt  nicht  mehr 
gebräuchlich.^)  Da  sie  aber  schon  das  Christentum  angenommen  hatten,  so 
können  wir  schon  aus  diesem  Grunde  keine  Pferde  mit  ihrer  Ausrüstung  in 
ihren  Gräbern  mehr  antreffen. 

Im  Norden  und  Nordosten  von  Europa  stand  die  Sache  nicht  viel  anders. 
Es  ist  eine  falscheYorstellung,  wenn  man  nach  den  Schilderungen,  welche  Herodot 
von  den  Scythen  und  anderen  Völkern  jener  Gegend  giebt,  glauben  wollte,  dass 
alle  im  heutigen  europäischen  Russland  nördlich  des  schwarzen  Meeres  wohnenden 
Völker  in  ähnlicher  Weise  sozusagen  nur  auf  den  Pferden  gelebt  hätten. 
Im  Gegenteile  waren  auch  die  im  heutigen  Gothland,  Livland,  Kurland  an  der 
Düna,  sowie  alle  südlich  der  Ostsee  wohnenden  Völker,  selbst  die  Norweger, 
Schweden  und  Dänen  lange  Zeit  nur  Fusskämpfer.  Erst  nachdem  Rurik  mit 
den  Waräger-Russen  im  9.  Jahrhundert  über  die  Ostsee  gekommen  war  und  sich, 
von  den  Tschuden,  Slaven,  Kriwitschen,  Mordwinen  und  anderen  gerufen,  an  der 
Düna  niedergelassen  hatte,  begann  die  Zeit,  in  der  man  anfing,  zu  Pferde  zu 
kämpfen.  Leo  Diaconus  sagt  (VIII,  5;  10;  IX),  dass  die  Russen,  welche  von  ihm 
Scythen  oder  Tauroscythen  genannt  werden,  aber  nichts  mit  den  alten  Scythen 
Ilerodots  zu  thun  haben,  in  der  Schlacht  zu  Dorystolum  972  einen  Versuch 
machten,  zu  Pferde  zu  kämpfen,  während  sie  bisher  nur  zu  Fuss  fochten.  Auch 
die  Dänen  erhielten  erst  zur  Zeit  des  englischen  Königs  Ethelred  I,  im  9.  Jahr- 
hundert, in  Ostangeln  Pferde  und  drangen  damit  ins  Innere  Englands  ein. 
Ebenso  war  es  bei  den  Normanen  (Kruse,  Necrolivonica  I,  Beilage  C,  S.  17). 
Schon  unter  Swätoslaw  067  erschienen  die  Russen  zum  ersten  Male  zu  Pferde. 
Aber  diese  Reiterei  blieb  nicht  bestehen,  sie  ging  wieder  verloren;  994  schaffte 
Wladimir  abermals  eine  Reiterei  (Nestor  zum  Jahre  994  u.  995),  auch  sie  scheint 
wieder  zu  Grunde  gegangen  zu  sein,  und  erst  1067  hören  wir  von  einem  glänzen- 
den Reitergefecht,  in  dem  zugleich  die  Lanze  eine  Hauptrolle  spielte.     Allgemein 

')  Brunncr,  Der  RcitenlieiiBt  u.  die  AnRinge  Jos  Lcluiswesens,  in  der  Zeitschr.  für 
Rcchtsgeach,  VII.  Band,  1877;  Jühna  II,  37;  Öclilieben,  llitterliclie  Übungen  und  Ciri<us- 
Belustigungeii,  S.  52. 


203 

wurde  also  die  Reiterei  nicht  früher  als  im  Abendlande  eingeführt,  obgleich 
schon  Oleg  (Nestor  zum  Jahre  904)  teils  zu  Schiffe,  teils  zu  Pferde  gen  Kon- 
stantinopel zog.  Es  war  wie  im  Westen,  so  auch  im  iSorden,  der  Besitz 
von  Pferden  anfänglich  selten  und  wohl  nur  auf  die  Heerführer  und  Fürsten 
beschränkt,  wofür  die  Seltenheit  der  Funde  von  Steigbügeln  in  den  Gräbern 
spricht,  während  dereinst  bei  den  alten  Tschuden  und  bei  den  Völker- 
schaften, welche  aus  Asien  von  Norden  oder  Süden  her,  in  die  Donauländer 
einwanderten,  der  Besitz  von  Pferden,  von  Sätteln  und  Steigbügeln  viel  häutiger 
n-ewesen  zu  sein  scheint.  Die  Nordmannen  fanden  ihre  Stärke  im  schnellen 
Fussmarsch  und  im  Laufen  (Ermoldus  Nigellus  IV,  pag.  13  u.  14.),  später  liessen 
sie  sich  von  den  Sachsen  Pferde  als  Tribut  liefern  (Saxo  Grammat.  pag.  106) 
und  kauften  solche  von  den  Franken,  Böhmen  und  Ungarn.  Sie  hatten  daher 
auch  wohl  einen  grösseren  Pferdeschlag,  als  die  übrigen  Ostseeländer,  worauf 
man  aus  den  in  den  Gräbern  (Ascheraden)  gefundenen  grösseren  Gebissen  schlies- 
sen  will.  Es  kann  indessen  diese  Thatsache  nicht  als  sicherer  Beweis  genommen 
werden,  denn  fast  überall,  selbst  in  den  Ländern,  von  welchen  wir  wissen,  dass 
sie  nur  einen  kleinen  Pferdeschlag  hatten,  werden  sehr  grosse  Trensen  gefunden. 
Man  muss  daher  entweder  annehmen,  dass  überall  grosse  Pferde  wenigstens 
für  den  Kriegsgebrauch  vorhanden  waren,  oder  dass  man  die  Gebisse  stets  viel 
grösser,  als  das  Pferdemaul  erforderte,  zu  wählen  pflegte.  Sehr  human  ging 
man  schon  im  klassischen  Altertume  mit  dem  Pferdemaule  nicht  um,  wie  die 
noch  erhaltenen  Gebisse  und  die  Abbildungen  beweisen,  und  da  das  Mittelalter 
bis  in  die  neuere  Zeit  den  Pferden  wahre  Folterwerkzeuge  ins  Maul  legte  (man 
sehe  die  Reitkunst  von  Job.  Geissert  vom  Jahre  1615  u.  a.),  so  mag  man  auch 
in  unseren  Fällen  in  Anwendung  grosser  und  scharfer  Gebisse  ein  übriges 
gethan  haben. 

Da  also  im  Osten  seit  alter  Zeit  sehr  viele,  im  Westen  aber  erst  seit 
der  karolingischen  Zeit  nur  sehr  wenige  Steigbügel  gefunden  wurden,  so  muss 
man  schliessen,  dass  die  Bügel  vom  Osten  nach  dem  Westen  sich  ver- 
breiteten, und  den  Mangel  an  Funden  damit  erklären,  dass  seit  der  Zeit  ihrer 
Einführung  bei  den  Franken  keine  Tiergräber  mehr  nachweisbar  sind,  wenn 
auch  eine  Zeit  lang  noch  allerlei  Pferdezeug  einzelnen  Gräbern  beigegeben  wurde. 
Andererseits  ist  es  bei  diesem  späten  Auftreten  der  Bügel  nicht  ausgeschlossen, 
dass  sie  den  Westeuropäern  von  Norden  her  über  Dänemark  und  Norwegen 
zugeführt  wurden,  da  der  Handel  übers  Meer  und  auf  dem  Rhein  stets  sehr 
lebhaft  betrieben  wurde  und,  obgleich  im  4.  Jahrhundert  ins  Stocken  geraten, 
doch  im  6.  und  7.  wieder  aufgenommen  wurde.  Namentlich  gilt  dies  für  die 
Bewohner  von  Britannien,  welche  seit  der  Wickingerzeit  mit  dem  Norden  in 
fortwährender  Verbindung  standen.  Im  8.  Jahrhundert  beginnen  die  Normannen- 
züge nach  England,  im  9.  nach  der  friesischen  und  französischen  Küste,  vom 
10.  an  finden  wir  nordische  Krieger  als  Söldner  in  Konstantinopel,  welches 
Jahrhunderte  lang  als  Sitz  aller  Herrlichkeit  gepriesen  wurde  (Kunstenopel  in 
der  deutschen  Heldensage).  Es  bestanden  also  so  zahlreiche  Verbindungen 
nach  allen  Richtungen,  dass  die  Erfindung  ebenso  leicht  aus  dem  Orient,  wie 
aus  dem  Norden  nach  dem  Westen  Europas  gelangen  konnte. 


204 

Wir  haben  indessen  schon  bei  Besprechung  der  nordischen  Bügel  darauf 
aufmerksam  gemacht,  dass  sie  Formen  zeigen,  welche  keinen  Anhalt  in  orien- 
talischen Mustern  finden,  und  dass  andere  im  Norden  früher,  im  Süden  später 
auftreten  und  umgekehrt.  Namentlich  findet  sich  im  Norden  statt  der  kreisrunden 
die  ogivale  hohe  Wölbung,  welche  an  den  gotischen  Bogen  erinnert.  Bemerkens- 
wert ist,  dass  ein  solcher  Bügel  im  Rhein  gefunden  wurde  {Fig.  44),  und  wenn 
ähnliche  Formen  in  England  vorkommen  sollten,  so  würde  die  Wahrscheinlichkeit 
der  Verbreitung  der  Bügel  von  Norden  her  zunehmen.  Es  kommt  hinzu, 
dass  die  Bügel  des  Nordens  aus  dem  9.  Jahrhundert  übereinstimmend  mit  den  gleich- 
zeitigen fränkischen  allein  Ösen  zeigen,  welche  zur  Bügelebene  senkrecht  stehen, 
Fi(/.  70,  80,  81.  Lindenschmit  hat,  wie  wir  anführten,  in  den  nordischen  Bügeln 
einen  Anklang  an  fränkische  Formen,  Sophus  Müller  an  angelsächsische  gefunden, 
und  Rygh  (Nord.  Oldsager)  behauptet,  dass  die  Sachen  nach  irischen  Mustern, 
aber  in  Norwegen  angefertigt  wurden  und  dass  die  Form,  welche  wir  unter 
108  abgebildet  haben,  im  ganzen  Norden  nicht  nur  die  gewöhnlichste  ist,  sondern 
auch  sehr  zahlreich  auftritt.  Es  herrschte  also  in  der  Form  im  Westen  ein 
vom  Osten  unabhängiger  Geschmack,  welcher  gegen  die  Verbreitung  von  Osten 
und  für  die  von  Norden  her  spricht. 

Es  scheint,  dass  die  Franken  bis  zum  10.  Jahrhundert  die  Bügel  nicht 
allgemein  benutzten  (Jahns  II,  46)  und  dass  dies  auch  bei  ihren  Nachbarn, 
den  Aquitaniern  und  Arabern,  nicht  der  Fall  war.  Wir  haben  früher  einen 
dies  bestätigenden  Bericht  Ibn  Chaukals  aus  dem  9.  Jahrhundert  angeführt. 
Obgleich  Isidorus  von  Sevilla  (s.  vorn)  die  Bügel  schon  im  7.  Jahrhundert 
kannte,  so  haben  wir  doch  gesehen,  dass  andere  schriftliche  Nachrichten  im 
Westen  nicht  vor  dem  10.  Jahrhundert  auftreten.  Im  9,  Jahrhundert  sollen 
sie  bei  den  Angelsachsen  nachweisbar  sein  (Jahns  II,  141).  In  den  Abbildungen 
des  Psalteriura  aureum,  welches  aus  dem  9.  Jahrhundert  stammt,  haben  sie, 
wie  schon  besprochen  nur  die  Führer,  die  gewöhnlichen  Soldaten  nicht. 
Wir  haben  ausserdem  gesehen,  dass  noch  die  englischen  Statuta  de  armis 
aus  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts  ausdrücklich  vorschreiben,  dass  man 
Schildknappen,  wie  Knechte,  ohne  Bügel  am  Sattel  ausrüsten  soll,  es  folgt  also 
hieraus  und  aus  den  weiteren,  im  ersten  Teile  gemachten  Angaben,  dass  selbst 
im  13.  Jahrhundert  die  Bügel  noch  nicht  allgemein  verbreitet  und  nur  im  Besitze 
von  Vornehmen  waren.  Dass  der  Kaiser  Mauritius  seine  Reiter  beide 
Steigbügel  auf  der  linken  Seite  des  Sattels  nur  zu  dem  ausgesprochenen  Zwecke 
befestigen  Hess,  zwei  Reitern  das  Aufsteigen  zu  erleichtern,  und  die  Nachricht 
in  Ulrich  von  Lichtensteins  Frauendienst  (Ausg.  Lachmann,  S.  37,  V.  6)  aus 
dem  13.  Jahrhundert,  dass  man  Frauen  ein  tragbares  Hebeisen  zum  Absitzen 
hinhielt,  lässt  vermuten,  dass  ursprünglich  die  Bügel  überhaupt  nur  zum  Auf- 
und  Absitzen  gebraucht  wurden,  auch  wohl  nur  von  älteren  Leuten,  wie  das 
früher  angeführte  Verfahren  des  jugendlichen  Bischofs  bei  Karl  dem  Grossen 
zeigt.  Offenbar  waren  damals  Bügel  noch  eine  Seltenheit,  da  mau  erwartete, 
dass  der  Bischof  die  überall  vorhandenen  Trittsteine  benutzen  würde.  Das 
griechische,  auch  ins  Lateinische  übergegangene  Wort  axäXa,  Leiter,  für  Bügel 
und  andere  mittelalterliche  Ausdrücke,  ascensorium,  scandile,  unterstützen  diese 


205 

Vermutung.  Das  deutsche  Sfief/hdder  kann  Steigledcr  und  Steigleiter  heissen, 
das  Wort  stegiraife  bedeutet  einen  Reifen,  Ring  zum  Aufsteigen,  und  liegt 
dem  englischen  sfirrup  zu  Grunde.  Nach  dem  Gentlemans  Magazine,  Vol.  44, 
pag.  316,  bedienten  sich  die  alten  Sachsen  in  England  nur  eines  Strickes,  rope, 
zu  diesem  Zwecke  und  nannten  diesen  sfigh-rope.  Nach  Fosbroke  (Encyclop. 
of  Antiquities)  nannten  die  Angelsachsen  sie  stige-rnpa.  Das  deutsche  Wort 
Stegreif  liegt  auch  dem  französischen  Hriet\  estrier^  estrief,  (?s^rp/(nachViollet-le-Duc) 
zu  Grunde;  man  kann  daher  schliessen,  dass  eine  Übertragung  der  Sache  zugleich 
mit  dem  Namen,  und  zwar  von  Deutschland  aus,  stattgefunden  hat. 

Vom  11.  Jahrhundert  an  sind  die  Bügel  häufiger  im  Gebrauch.  Kaiser 
Friedrich  Barbarossa  hielt  1055  dem  Papst  den  Steigbügel  (Helmoldua  1,  80), 
und  es  entstand  ein  langer  Streit,  ob  der  Kaiser  dazu  verpflichtet  sei  und  ob 
er  den  rechten  oder  den  linken  Bügel  anfassen  müsse.  Der  Papst  nahm  diese 
Ehrenbez,eigung  überall  als  schuldige  Leistung  entgegen.  Heinrich  II,  von 
England,  Ende  des  12.  Jahrhunderts,  hielt  Thomas  Becket  den  Bügel,  wenn  er 
zu  Pferde  stieg.  Nach  einer  Notiz  bei  Fosbroke  waren  die  Bügel  des  Papstes 
mit  rotem  Tuch  überdeckt. 

III. 

Bei  dem  Versuche,  die  verschiedenen  Fundstücke  auf  die  einzelnen  Jahr- 
hunderte zu  verteilen,  müssen  wir  ausser  den  Waffensammlungen  auch  die 
Bilderschriften,  deren  uns  vom  9.  Jahrhundert  an  mehrere  zu  Gebote  stehen, 
durchmustern.  Es  kommt  uns  dabei  zu  statten,  dass  die  Figuren  in  der  Regel 
das  Kostüm  der  Zeit  ihrer  Entstehung  tragen,  und  oft  bis  ins  Einzelne  genau 
einen  Schluss  auf  die  zur  Zeit  übliche  Bügelform  erlauben.  Diese  ist  indessen 
sehr  schwankend,  am  gleichmässigsten  noch  im  16.  und  17.  Jahrhundert.  Aus 
dieser  Zeit  existieren  auch  eine  grosse  Zahl  sicher  datierter  Stücke  in  allen 
Sammlungen. 

Für  die  Zeit  der  Völkerwanderung  haben  wir  nur  aus  Ungarn  einiger- 
massen  sichere  Kunde,  und  es  liisst  sich  nur  sehr  allgemein  sagen,  dass  die 
kreisrunde  Form  einer  hohen  folgte,  dann  aber  lange  anhielt.  Die  Dreiecks- 
form und  die  hoch-eiförmige  finden  sich  im  Norden  vom  9.  Jahrhundert  an ; 
letztere  ist  in  Deutschland  vom  9.  bis  14.  Jahrhundert  die  herrschende,  wenn 
auch  nicht  ausschliessliche.  Erst  nach  dieser  Zeit  treten  neue  Motive  mit  der 
Entwickelung  der  Renaissance  auf. 

In  frühester  Zeit  und  namentlich  bei  den  uncivilisierten  Horden,  welche  aus 
Asien  hervorbrachen  und  uns  die  Bügel  brachten,  gab  es  wahrscheinlich  keinen 
festen  Stil,  der,  nach  einiger  Zeit  durch  einen  anderen  abgelöst,  uns  auf  das 
Alter  schliessen  liesse.  Jahrhunderte  lang  mag  die  Form  von  der  Laune  und 
Geschicklichkeit  des  Arbeiters  bedingt  worden  sein.  Daher  sind  solche  Gründe, 
welche  sich  auf  die  leichtere  Ausführbarkeit  der  Arbeit  stützen,  als  Alterszeicheu 
unsicher.  Wollte  man  a  priori  schliessen,  so  würde  man  Bügel  ohne  Ose  für 
die  ältesten  halten,  dann  die,  welche  an  Stelle  der  Öse  nur  eine  Ausbiegung 
haben  {Fhj.  8),  folgen  lassen,  diesen  dann  die  mit  kurzer,  die  mit  langgestielter, 


206 

die  mit  abgresetzter  Öse  sich  anschliessen  lassen  und  ähnlich  die  mit  nach  unten 
konvexer  Sohle  für  älter  als  die  mit  gestauchter  oder  nach  oben  gewölbter 
Sohle  halten.  Aber  gerade  den  umgekehrten  Gang  sehen  wir  bestimmt  in  Ungarn 
und  wohl  auch  in  Preussen  und  anderen  Ländern,  wo  gleich  zu  Anfang  eine 
etwas  hohe  Form  mit  aufgestülpter  Sohle  auftritt.  Vielleicht  hat  man  die  Form 
einer  Strickschlaufe  oder  eines  Riemens,  welche  die  ersten  Bügel  vertraten  und 
lang-eiförmig  herabhingen,  zum  Muster  genommen. 

Lindenschmit  behauptet  (Heid.Vorz.  S.  23),  dass  die  Bügel  in  Deutschland 
ursprünglich  rund,  dann  dreieckig  mit  rundem  und  später  mit  flachem  Boden, 
zur  Ritterzeit  fast  gleichseitig  und  noch  später  sehr  hoch  waren.  Einzelne 
Abweichungen  und  das  gleichzeitige  Vorkommen  mehrerer  Formen  sind  nicht 
ausgeschlossen.  Fundstücke,  welche  die  runde  Form  nachwiesen,  scheinen  in 
Deutschland  und  Frankreich  indessen  nicht  zu  existieren,  Zeichnungen  aus  dem 
9.  Jahrhundert  zeigen  bereits  die  Dreiecksform,  und  diese  hielt  sich  das  ganze 
Mittelalter  hindurch.  Für  Ungarn  und  den  Norden  gilt  obige  Folge,  wie  schon 
gezeigt,  auch  nicht.  Runde  Bügel  zeigt  Fig.  89,  sie  gehören  aber  erst  dem 
12.,  der  in  F'ig.  122  sogar  erst  dem  13.  Jahrhundert  an.  Einen  anderen  Bügel 
von  runder  Form  aber  mit  grader  Sohle  aus  dem  Anfange  des  13.  Jahrhunderts 
zeigt  eine  Miniatur  des  lateinischen  Psalters  in  der  Pariser  Nationalbibliothek, 
Fig.  100.  Runde  Bügel  sind,  nach  diesen  Beispielen  zu  urteilen,  in  Deutschland 
vor  den  langen  und  dreieckigen  nicht  nachweisbar,  wohl  aber  finden  sie  sich 
in  Ungarn  seit  dem  7.  Jahrhundert,  sind  dort  aber  auch  nicht  die  ältesten.  Die 
oben  erwähnten  Miniaturen  aus  dem  psalterium  aureum  von  St.  Gallen  aus  dem 
9.  Jahrhundert  (Ausgabe  von  Huber)  zeigen  die  Fig.  82  u.  83.  Andere  fränkische, 
dreieckige  Bügel  sind  nach  Viollet-le-Duc  (Mobilier  franc.  V,  pag.  68)  unter 
70,  80,  81  abgebildet.  Von  diesen  soll  der  erste  eine  genaue  Kopie  einer  Figur 
desjenigen  Schachspiels  sein,  von  welchem  man  irrtümlich  glaubt,  dass  es  schon 
Karl  der  Grosse  benutzt  habe.  Alle- drei  Bügel  sind  aber  dadurch  ganz  be- 
sonders ausgezeichnet,  dass  die  Ose  quer  zu  der  durch  Schenkel  und  Sohle 
gelegten  Ebene,  der  Bügelebene,  steht,  wie  wir  es  ähnlich  nur  bei  den  nordischen 
Bügeln  derselben  Zeit  gefunden  haben.  Dort  aber  ist  die  Ose  zugleich  gedreht 
und  der  ganze  Bügel  tauschiert ;  ersteres  ist  hier  nicht  der  Fall,  letzteres  nicht 
zu  beurteilen.  Diese  Übereinstimmung  in  einer  Erscheinung,  von  der  sich  im 
Osten  keine  Spur  findet,  ist  im  höchsten  Grade  bemerkenswert  und  als  einer 
der  Beweise  für  den  Zusammenhang  der  fränkischen  und  nordischen  Bügel, 
wie  wir  ihn  im  vorigen  Abschnitt  besprochen  haben,  aufzufassen. 

Auf  welche  Funde  sich  die  Angabe  von  Jahns  (Ross  u.  Reiter  II,  S.  46j 
bezieht,  dass  man  in  Gräbern  des  9.  Jahrhunderts  verzinnte  eiserne  Steigbügel 
gefunden  habe,  konnte  ich  nicht  ermitteln.  Seiner  Behauptung,  dass  auch  die 
Reiter  der  fränkischen  Periode  keine  Steigbügel  kannten,  widersprechen  die 
von  uns  zum  9.  Jahrhundert  beigebrachten  Zeichnungen,  wenn  auch  Leder- 
schlaufen häufiger  gewesen  sein  mögen  als  Holz-  oder  Metallbügel,  wie  früher 
am  Schlüsse  des  zweiten  Teiles  ausgeführt  wurde.  Auch  über  die  transportablen 
Bügel  ist  schon  im  ersten  Teile  gesprochen  worden. 


207 

Fiu-  (las   10.  Jahrhuudcrt  lassen  sich  dreieckige  Bügel  nur  in  wenigen 
Beispielen  auffinden.     Fig.  86  zeigt  die  Bügel  der   apokalyptischen  Reiter   aus 
einer  Handschrift  der  Bamberger  Stadtbibliothek.    Die  Trachten  der  dargestellten 
Figuren   gehören    dem    Ende    des    10.  Jahrhunderts    an   (Janitschek,    Gesch.  d, 
deutsch.    Malerei,   S.  74).     In    dem    Evangelium    von    Echternach    ist    eine    zur 
Parabel    vom    Gastmahl  gehörende   Darstellung,    Fig.    84    (Janitschek,    S.  G6). 
Das  Werk   ist  zwischen    983    und    991    entstanden.     Auf  einem   Wandgemälde 
der  Kirche  zu  Velemer  in  Ungarn,  Fig.  85.,  dem   10.  Jahrhundert   angehörend, 
sind  die  Bügel  vollständig  dreieckig  und  scharfkantig.     Sonst    finden    wir,    wie 
oben  besprochen  ist,  in  Preussen  und  Ungarn  um  diese  Zeit  vorzugsweise  runde 
Bügel.    Dagegen  zeigt  sich  bereits  im  10.  Jahrhundert,  wenn  wir  Viollet-le-Duc 
folgen  wollen  (V,  S.  413),  eine  merkwürdige  Eigentümlichkeit  der  Konstruktion, 
nämlich  die  vorgebogene  Öse.    Fig.  96  zeigt  einen  solchen  Bügel,  der,  wenn 
er  frei  im  Riemen  hängt,  sich  in  die  Richtung  der  sogenannten  Schwerlinie  stellt, 
wodurch  der  eine  Rand  der  Sohle  etwas  höher  als  der  andere  zu  stehen  kommt 
und    der  Fuss    an    der    scharfen   Kante   weniger   leicht  hin-  und  hergleitet,    als 
dies   auf  einer  glatten  Fläche  der  Fall  ist.     Diejenige   Kante    der   Sohle,    nach 
welcher  die  Öse  hin  gebogen  ist,   stellt  sich  höher  als  die  abgekehrte,  je  nach 
der  Grösse  des  Winkels  und  der  Länge   der   entstehenden    Hebelarme.    Solche 
Bügel  sind:  06,  141,  186-140,  178  u.  a.    Sie  waren  nach  Zschille  sogar  schon 
vom  9.  Jahrhundert  an  üblich  und  finden  sich  bis  zum  14.,  ja  noch  in  unserem 
Jahrhundert  zeigen  die  Bügel  an  den  Geschirren  der  amerikanischen  Artillerie 
von    1SG2,    von    welchen   eine  Sammlung   im  Erdgeschosse   des  Berliner  Zeug- 
hauses aufgehängt  ist,   dieselbe  Konstruktion,  und  zwar  ist  die  Befestigung   am 
Sattel  derart,  dass  die  Öse  nach  aussen  zeigt. 

Die  Formen  des  11. — 13.  Jahrhunderts  können  wir  zusammenfassen,  ein 
Blick  auf  die  Zeichnungen  wird  die  übereinstimmenden  und  die  abweichenden 
Merkmale  erkennen  lassen.  Mit  Ausnahme  einiger  rundlicher  Bügel,  welche 
aber  auch,  wie  die  langen,  sehr  eng  sind,  herrschten,  in  Deutschland  wenigstens, 
die  lang-eiförmigen,  die  lang-dreieckigen  und  die  gleichseitig-dreieckigen  vor. 
Nach  der  Spitze  zu  zeigt  sich  allmählich  eine  durch  einwärts  geschweifte 
Schenkel  herbeigeführte  Verengung.  Schlanke  und  zierliche  Dreiecksformen  mit 
abgerundeten  Ecken  haben  wir  schon  im  9.  Jahrhundert  kennen  gelernt. 

In  der  englischen  Archaeologia  (Vol.  I,  pag.  336)  befindet  sich  die  Ab- 
bildung eines  Siegels  des  Bischofs  Odo  von  Bayeux,  Bruders  von  Wilhelm 
dem  Eroberer,  1055—1112,  auf  welchem  er  als  Earl  von  Kent  dargestellt  ist. 
Er  hat  einen  sehr  modernen  Sitz  mit  ganz  zurückgenommenen  Schenkeln  und 
anscheinend  rundliche,  jedenfalls  sehr  enge  Bügel.  Übrigens  haben  auch  Wilhelm 
und  Toustain  auf  der  Tapete  von  Bayeux  ganz  denselben  Sitz  mit  anscheinend 
nicht  runden,  aber  sehr  langgeschnallten  Bügeln,  sodass  sie  in  denselben  zu 
stehen  scheinen.  Der  eine  Reiter  hat  die  Bügel  vorn,  der  andere  in  der  Mitte 
des  Sattels  angebracht. 

Die  Schenkel  sind  in  dieser  Zeit  nicht  selten  dreikantig,  was  wir  nur  noch 
bei  den  älteren  Bügeln  des  9.  Jahrhunderts  finden.  Bei  Demay  (Le  costume 
du  moyen  äge  d'apres  les  sceaux,  S.   171)    sind    die  Fig.  8!)   gegebenen  Bügel 


208 

ab^-ebildet,  nämlich  a)  runde  mit  Riemen  vom  Jahre  1155,  b)  solche  mit  Ketten 
von  1163,  c)  dreieckige  mit  Riemen  1170 — 1235  und  d)  mit  Ketten  1215  —  1367. 
Nach  dem  Handbuch  des  Waffenwesens  von  Wendelin  Böheim,  Kustos  der 
Waffensammlung  des  Österreichischen  Kaiserhauses  (Leipzig,  bei  Seemann, 
1890,  IV,  Lief.,  S.  193),  kommen  1163  zum  erstenmale  Bügel  in  Ketten  hängend 
vor,  sind  um  1127  die  Bügel  flaschenförmig  und  werden  sie  im  Laufe  des  13.  Jahr- 
hunderts vollkommen  dreieckig.  Fig.  Gl  giebt  den  bei  Böheim  abgebildeten 
Bijo-el;  einen  ganz  gleichen  spanischen  bildet  Demmin  ab  (S.  382),  er  setzt  ihn 
jedoch  ans  Ende  des  14.  Jahrhunderts,  während  er  in  Madrid  Jakob  dem 
Eroberer  (f  1276)  zugeschrieben  wird.  Die  Form  hielt  sich  bis  zum  14.  Jahr- 
hundert, jedoch  treten  gleichzeitig  andere  mit  gebogenen  Schenkeln,  sogar  runde 
auf.  In  der  Manesse-Liederhandschrift,  welche  etwa  1230  in  Konstanz  ent- 
standen ist,  hat  Herzog  Heinrich  dreieckige  hohe  Bügel,  dagegen  sein  Knappe 
solche  von  rundlicher  Form  {Fig.  103  u.  104). 

Auf  einer  spät-gotischen  Elfenbeinschnitzerei  nordischer  Herkunft  hat  ein 
Ritter  einen  dreieckigen  Bügel,  während  die  nach  Männerart  reitende  Dame 
einen  rundlichen  Bügel  mit  sehr  breiten  Schenkeln  benutzt,  den  man  vielleicht 
für  eine  Lederkappe  halten  muss  (Lübke,  Gesch.  d.  Plastik,  Leipzig  1863, 
pag.  140),  Fig.  106.  Auch  in  England  finden  sich  dreieckige  Bügel  zu  derselben 
Zeit.  Bei  Meyrick  (Critical  Enquiry  into  Ancient  Armour)  zeigt  Platte  10  einen 
dreieckigen  Bügel  Alexanders  I.  von  Schottland  vom  Jahre  1007  und  einen 
anderen  von  1140,  Platte  14  einen  ebensolchen  Alexanders  II.  vom  Jahre  1214. 

Fig.  88  ist  einem  Reitersiegel  des  Grafen  von  Flandern  von  1170  ent- 
nommen, welches  dem  des  Pierre  Courtenay  von  1184  durchaus  ähnlich  ist 
und  sich  bei  Demay  findet.  Die  bei  Worsaae  (No.  505)  abgebildeten  Figuren 
einer  isländischen  Kirchenthür,  welche  nach  Demmin  dem  11.— 12.  Jahrhundert 
angehören,  zeigen  ähnliche  Bügel,  welche,  dem  damaligen  Sitze  mit  vorgestreckten 
Beinen  entsprechend,  an  dem  vorderen  Sattelbogen  befestigt  sind.  Dieser  Sitz 
und  die  entsprechenden  langen  Bügel  finden  sich  noch  im  14.  Jahrhundert.  Am 
auffallendsten  ist  er  auf  einem  Aquamanile  von  Bronze,  Fig.  f>0,  bei  welchem 
die  Kanten  der  Bügel  etwas  abgerundet  erscheinen ;  die  Form  der  Sporen 
weist  auf  das  12.-13.  Jahrhundert  hin.  Der  heilige  Georg  vom  West- 
portale der  Liebfrauenkirche  in  Esslingen  (Lübke,  Gesch.  der  Plastik,  Fig.  135), 
aus  dem  15.  Jahrhundert  stammend,  aber  das  Kostüm  des  13.  zeigend,  hat 
sehr  enge,  unten  abgerundete  Bügel,  Fig.  101.  Die  Bemerkung  in  Fosbrokes 
Encyclopädie,  dass  die  Bügel  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  die  Sohle  nicht  am 
äussersten  Ende  der  Schenkel,  sondern  etwas  weiter  oben  hätten,  ist  wenigstens 
für  den  Kontinent  nicht  richtig.  Wir  haben  diese  Erscheinung  schon  bei  den 
älteren  ungarischen  und  späterhin  bei  den  nordischen  Bügeln  gefunden,  sie 
kommt  öfters,  am  häufigsten  aber  im  16.  und  17.  Jahrhundert  vor. 

Interessant  ist  in  dieser  Beziehung  ein  ostpreussischer  Bügel  der  Bleirschen 
Sammlung  (Villa  Thüngen  in  Lichterfelde  bei  Berlin),  welcher  nach  Angabe 
des  Besitzers  dem  Übergange  aus  der  heidnischen  in  die  christliche  Zeit  an- 
gehört, also  dem  Jahre  1100,  Fig.  Ol.  Er  ist  ausser  durch  seine  offene  Sohle 
durch  zwei  Ansätze  merkwürdig,  welche  sich  unter  der  Sohle  befinden  und  also 


200 

die  obeu  bcspruchcue  Ersclieiuung,  weuii  auch  iu  etwas  audercr  Form,  zeigen. 
Dieselben  Ansätze  kommen  iu  Gestalt  von  autfallenden  Spitzen  in  den  Zeich- 
nungen zum  Hortus  deliciarum  des  12.  Jahrhunderts  (Ausg.  von  Engelhard, 
Taf.  8  und  7)  vor,  während  die  Bügel  sonst  von  etwas  abgerundeter  Dreiecks- 
form sind,   Fi(i.  'J;2  u.  93. 

Auf  Seite  889  hat  Demrain  einen  französischen  berittenen  Bogner  aus 
dem  14.  Jahrhundert  abgebildet,  welcher  vollständig  gleichseitige,  dreieckige 
Bügel  hat,  welche  sehr  eng  sind.  Auf  S.  892  steht  ein  englischer  Bogenschütze 
vom  Anfange  des  15.  oder  16.  Jahrhunderts  neben  seinem  Pferde,  dessen 
Bügel  nur  wenig  höher,  aber  in  der  Spitze  etwas  abgerundet  ist.  Die  drei- 
eckigen Bügel  sind  also  das  ganze  Mittelalter  hindurch  zu  finden. 

Einen  deutschen  dreieckigen  Bügel,  dem  12.  Jahrhundert  angehörend, 
hat  Demmin  nach  den  im  Braunschweiger  Dom  ausgeführten  Wandmalereien 
und  einen  runden,  Fig.  122,  aus  dem  13.  Jahrhundert,  nach  einem  Original 
im  Museum  zu  Sigmaringen  abgebildet.  Wenn  die  Zeichnung  genau  ist,  so  ist 
die  durch  Zusammenbiegen  hergestellte  Öse  in  dieser  Zeit  bemerkenswert. 
Die  Gründe,  weshalb  dieser  Bügel  für  deutsch  gehalten  und  dem  13.  Jahrhundert 
zugeschrieben  wird,  sind  nicht  angegeben,  wer  dieselben  nicht  kennt,  könnte 
den  Bügel  für  ungarisch  oder  westpreussisch  halten. 

Seit  dem  13.  Jahrhundert  finden  sich  auch  niellierte  und  mit  Edelsteinen 
besetzte  Bügel.  Während  die  vorderen  Sattelbogen  im  13.  Jahrhundert  immer 
niedriger  werden  und  schliesslich  zu  einem  Knopf  zusammenschrumpfen,  von 
1350  au  jedoch  wieder  höher  werden,  machte  man  umgekehrt  die  Bügel  an- 
fänglich immer  höher  und  erst  später  wieder  niedriger. 

Unter  F'uj.  94  haben  wir  ein  Säulenfragment  der  Vorhalle  der  Kirche  zu 
Vezelay  (Ungarn)  mitgeteilt,  dessen  Bügel  vielleicht  nicht  von  Metall  sind,  sondern 
aus  Riemen  oder  verzierten  Bändern  bestehen,  wenn  nicht  auch  hier  die  Öse 
quer  zur  BügelHäche  steht.  Sind  es  Riemen,  so  würde  die  Figur  ein  Pendant 
zu  105,  106  u.  76  bilden. 

Wir  dürfen  also  sagen,  dass  dreieckige  Bügel  das  ganze  Mittelalter  hin- 
durch vorkommen ;  noch  im  Freydal  (Ausgabe  v.  Leitner),  welcher  die  Turniere 
Kaiser  Maximilians  I.  behandelt  und  auf  Veranlassung  des  Kaisers  selbst  in 
der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  mit  Bildern  gedruckt  wurde,  finden 
sich  sehr  häufig  die  unter  97  u.  98  mitgeteilten  Formen,  neben  andern  dem 
16.  Jahrhundert  eigentümlichen.  Die  deutschen  dreieckigen  Bügel  haben  in 
der  Regel  breite  Schenkel,  welche  erst  allmählich  schmäler  werden  und 
zugleich  nach  oben  zu  sich  der  Form  des  gotischen  Bogens  nähern,  welcher 
im  12.  und  13.  Jahrhundert  in  der  Architektur  auftritt  und  auch  auf  die 
Bügel  übertragen  wurde. 

Das  14.  Jahrhundert  bildet  einen  Übergang  zu  den  spitzbogigen  Formen 
des  15.  Die  lange  Dreiecksform  mit  den  durch  die  Schenkel -Verlängerung 
gebildeten  Ansätzen  {Fuj.  124)  geht  in  eine  Art  Fünfeck  über,  aus  welchem 
durch  weitere  Veränderung  der  Bogen  entsteht,  zugleich  werden  die  Schenkel 
breiter.  Die  Figuren  12S — 134  zeigen  den  Übergang,  obgleich  einige  aus 
frauzösischeu   Mauuakiipten   entnommene  Abbildungen    ihrer  Kleinheit   und  Un- 

U 


deutlichkeit  wegcü  nicht  sehr  sichere  Schlüsse  gestatten.  Nach  Deuimm  (Waffen- 
kunde S.  651)  kommt  die  Form  Fü/.  134  schon  im  11.  Jahrhundert  vor,  wenn 
seine  Datierung  richtig  ist. 

Im  15.  Jahrhundert  haben  wir  zwei  verschiedene  Erscheinungen,  welche 
dem  Auftreten  der  itaUenischen  Renaissance  und  der  Fortbildung  der  deutschen 
Formen  ihre  Entstehung  verdanken. 

Die  Renaissance,  welche  in  Italien  im  15.  Jahrhundert  zur  Geltung  ge- 
langte und  von  der  Baukunst  ausging,  erstreckte  sich  auch  auf  das  Kleingewerbe. 
Meistens  werden  die  Bügel  unsymmetrisch  geformt,  sodass  der  rechte  und  linke 
sich  unterscheiden.  Bei  Fig.  60,  einer  von  Verrochio  begonnenen  und  Ende 
des  15.  Jahrhunderts  von  Leopardi  vollendeten  Reiterstatue,  ist  dies  nicht  der 
Fall,  wohl  aber  bei  der  in  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  von  Donatello  ge- 
fertigten Statue,  Fig.  153,  die  wie  die  vorige  in  trefflichem  Abgüsse  im  neuen 
Museum  in  Berlin  steht. 

Ahnhch  unsymmetrisch  sind  ein  Paar  Bügel  imNational-Museum  zu  München, 
Fig.  154,  welche  in  diese  Zeit  gehören ;  ferner  der  zu  einem  Krippensattel 
gehörende  Bügel  aus  durchbrochenem  Eisen  bei  Böheim,  welchen  Fig.  152 
zeigt,  und  andre  in  der  Abbildung  wiedergegebene  Funde,  namenthch  drei 
(Fig.  156 — 158),  welche  den  Zeichnungen  von  Zschille  entnommen  sind.  Der 
zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  gehört  der  Bügel  zu  einem  Feldharnisch  an, 
welcher  bei  v.  Sacken  (Rüstungen  und  Waffen  der  Ambraser-Sammlung  in 
Originalphotographien  Bd.  II,  Taf.  14)  abgebildet  ist  und  eine  ganz  abweichende 
Form  hat. 

Die  andere  im  15.  Jahrhundert  auftretende  Hauptform  spaltet  sich  wieder 
in  zwei  Richtungen,  beide  sind  hauptsächlich  in  Deutschland  zu  Hause.  Bügel 
der  einen  Art,  Fig.  136 — 140,  finden  sich  häufig  in  der  Mark  Brandenburg 
und  scheinen  zur  Ausrüstung  des  gemeinen  Reiters  gehört  zu  haben,  die  der 
anderen  Art  haben  vielleicht  einen  ungarischen  Anstrich,  Fig.  141 — 146,  und 
kommen  ähnlich  noch  im  17.  Jahrhundert  vor.  Sie  zeigen  einen  den  Bügel- 
riemen deckenden  Vorsprung  an  der  Öse,  welcher  im  folgenden  Jahrhundert 
eine  weitere  Ausbildung  in  Form  eines  Kastens  erhält  und  sich  auch  bei  den 
Renaissance-Formen  findet.  Andere  Bügel  zeigen  noch  auffallendere  Ansätze 
vor  und  über  der  Öse  und  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  ungarischen  Formen, 
wie  sie  bis  zum  19.  Jahrhundert  nicht  nur  in  Ungarn  selbst,  sondern  auch  in 
anderen  Ländern  an  den  ungarischen  Pferdeausrüstungen,  welche  eine  Lieb- 
haberei vornehmer  Personen  bildeten,  vorkommen.  Zwei  dem  Ende  des  Jahr- 
hunderts angehörende  echt  ungarische  Bügel  Fig.  147  u.  148  können  als  Beispiele 
dienen. 

Als  besondere  Erscheinung  sind  die  als  Bügel  dienenden  Eisenschuhe 
zu  erwähnen,  welche  in  diesem  und  dem  folgenden  Jahrhundert  vorkommen  und 
hier  zusammen  besprochen  werden  sollen.  Fig.  150  ist  ein  englischer  Eisenschuh, 
ähnlich  ist  Fig.  204a.  Der  von  Demmiu  entnommene  Schuh  Fig.  149  wird  von 
einigen  als  Pantoffel-  oder  Frauenbügel,  von  andern  als  Turnierbügel  des  IG.  Jahr- 
hunderts angesehen,  zu  welcher  Klasse  der  sehr  ähnliche,  in  Fig.  204b  dargestellte 
Bügel  aus  dem  Jahre  1543  bestimmt  gehört.  Auch  Fig  205  ist  kein  Frauenbügel, 


211 

obgleich  Demmln  ihn  dafür  halten  möchte.  "Wenn  es  ein  Eisenschuh  ist,  würde 
er  für  Frauen  unzweckmüssig  sein;  er  gehört  in  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts. 
Ein  Paar  prächtiger  Eisenschuhbügel,  teilweise  vergoldet,  befinden  sich  im 
Kunstgewerbe-Museum  in  Magdeburg,  Fig.  206  \  sie  gehören  dem  15.  oder 
16.  Jahrhundert  an  und  haben  an  der  äusseren  Seite  eine  Platte  zum  Schutze 
der  Knöchel  und  der  Ferse.  Ein  ähnliches  einfacheres  Paar  aus  dem  Jahre 
1458  ist  bei  Meyrick  (Engraved  Illustrations  of  Ancient  Arms  PI.  4,  Fig.  6) 
abgebildet  und  ein  drittes  auch  bei  diesem  (Vol.  II,  pag.  70)  als  in  Warwick 
Castle  betindlich  erwähnt.  Der  Fuss  war  beim  Gebrauch  dieser  Schuhe  nicht 
mit  dem  Soleret  bekleidet. 

Da  auch  über  Damenbügel  gesprochen  werden  muss,  so  mögen  über  das 
Reiten  der  Frauen  und  die  Mittel,  ihrem  Sitz  durch  Unterstützen  der  Füsse 
einige  Sicherheit  zu  geben,  hier  einige  Bemerkungen  Platz  finden,  welche  sich 
an  das  im  ersten  Teile  bei  Besprechung  der  astraba  Gesagte  anschliessen.') 

Ohne  dieses  Thema  hier  weitläufig  abzuhandeln,    sei    nur  daran   erinnert, 
dass  im  Altertum  die  Frauen  sowohl  rittlings   als   seitwärts    sassen,    dass    aber 
die  letzte  Art  die  gewöhnliche  war,   dass  auch  das  ganze  Mittelalter  hindurch 
beide  Arten  vorkommen,   dass  aber  hier  die  Frauen,  welche  selbständig  ritten, 
wie  auf  der  Jagd,    selbst  die  vornehmsten,    nach  Männerart  zu  Pferde  sassen. 
Wir  geben  unter  Fig.  ,W8   einen  Bügel   der   rittlings    sitzenden  Herzogin   von 
Savoyen  aus  dem   16.  Jahrhundert.     Der  Quersattel   soll  nach  Jahns  (Boss  u. 
Reiter  IT,    115)   zuerst  im  12.  Jahrhundert  von  Anna,  Tochter  des  böhmischen 
Königs,  in  Gebrauch  genommen,  aber  erst  im  14.  Jahrhundert  allgemeiner  ge- 
worden sein.  Aber  es  war  auch  bis  zum  16.  Jahrhundert  üblich,  dass  Frauen  hinter 
den  Männern    auf  demselben   Pferde    sassen;    Königin  Elisabeth    von    England 
(16.  Jahrhundert)  sass  oft  hinter  ihrem  Stallmeister  Lord  Leicester.    Diejenigen, 
welche  quer  auf  dem  Pferde   oder  auf  dem  Esel  sassen   und  nicht  selbständig 
ritten,   sondern   die   Führung   einer   anderen  Person    überliessen,    hatten    keine 
Bügel,    sondern  eine  Art  Fussbank,   welche  an  den  Sattel  gebunden   oder  ge- 
schnallt wurde.    Von  den  Bildern  aus  Herrad's  von  Landsberg  Hortus  deliciarum 
(12.  Jahrhundert)  ist  schon  die  Rede  gewesen  (Ausgabe  von  Engelhard  mit  12 
Kupfertafeln).    Nach  einem  Passionale  von  Zweifalten  in  der  königl.  Bibliothek 
zu  Stuttgart   sitzt   die   heilige  Pelagia   auf  der   rechten  Seite    ihres   Esels   und 
stützt  die  Füsse  auf  eine  kleine  Bank,  welche  mit  einer  verzierten  Decke  behängt 
ist.     Im  Nationalmuseum  zu  München  ist  ein  Damensattel   aus   dem    16.  Jahr- 
hundert, welcher,  für  den  Sitz  auf  der  rechten  Seite  eingerichtet,  zwei  Schnallen 
an  der  Satteltasche  zum  Anschnallen  zweier  Bügel  oder  wahrscheinlicher  einer 
solchen  Bank  zeigt,  Fig.  327. 


*)  Über  den  Sitz  der  Frauen  im  Altertum  siehe  Schlieben,  „Die  Reit-  und  Packsättel 
der  Alten"  in  den  Annalen  des  Nass.  Altert.-Vereins,  Wiesbaden  1889,  Bd.  XXL,  S.  18.  Über 
den  Sitz  im  Mittelalter  Seherr,  Deutsche  Frauenwelt  I,  194,  und  Jahns,  Ross  und  Reiter  II,  112. 
Einige  Abbildungen  von  Damen  auf  der  Falkenjagd  vom  12.  bis  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
finden  sich  bei  Viollet-le-Duc  II,  437,  429,  443,  445,  446,  448;  III  418,  419.  Sie  zeigen  die- 
selben sowohl  rittlings  als  zur  Seite  sitzend,  und  zwar  teils  rechts,  teils  links,  beim  Sitz  nach 
Miiuucrart  oft  mit  autfalleud  kurzen  bügeln. 

U* 


212 

Brantonie  spricht  in  seinen  Memoiren  von  der  planehctte  iVov  der  Herzogin 
von  Savoyen  (Ende  des  16.  Jahrhunderts)  und  versteht  darunter  offenbar  eine 
Fussbank  für  den  Sattel,  wie  sie  heute  noch  die  Einwohnerinnen  von  Caux  in 
der  Normandie  benutzen.  Man  nennt  diesen  Sitz  ä  la  planchette  (Racinet, 
Costumes  histor.,  YI.  Band,  pl.  490)  Fif).  326.  Im  Nürnberger  Museum  ist 
ein  Damensattel  ganz  ohne  Bügel  (No.  1854).  Indessen  kam  im  16.  Jahr- 
hundert bereits  der  jetzige  Damensattel  auf,  Katharina  von  Medicis  (Anfang  des 
16.  Jahrhunderts)  soll  die  erste  gewesen  sein,  welche  den  Fuss  in  eine  Gabel 
legte,  wo  dann  nur  noch  ein  Bügel  nötig  war. 

Andererseits  finden  wir  auch  zu  dieser  Zeit  Frauen,  welche  nicht,  wie 
Ordericus  Vitalis  VIII,  17  sagt,  fcmineo  more  equitahant  et  in  muUebrihus  sellis 
scdehant,  sondern  nach  Männerart  ritten.  Racinet  bildet  die  Comtesse  St.  Balmont 
so  ab  (PI.  327,  das  Bild  bezieht  sich  auf  das  Jahr  1645),  einer  ihrer  Bügel  ist 
Fig.  208  gegeben.  Von  dem  in  Ulrich  v.  Lichtenstein  erwähnten  Hebeeisen, 
welches  den  Reiterinnen  von  einem  starken  Manne  hingehalten  wurde,  hat 
sich  keine  Spur  erhalten.  Wir  fügen  noch  einen  Damenbügel  aus  dem  17.  Jahr- 
hundert bei  (Fifj.  251),  welcher,  im  Berliner  Zeughause  befindlich,  dieselbe  Kon- 
struktion zeigt,  wie  der  noch  vor  wenigen  Jahren  übliche  PautofFelbügel,  nur 
dass  letzterer  einen  Schuh  hatte  {Fif/.  204a) -^  zu  dem  modernen  Damenbügel 
(Fig.  294  b)  gehört  ein  Polster,  welches  den  Bügel  nach  oben  zu  so  weit  schliesst, 
dass  der  Fuss  nicht  zu  weit  hinein  kann.  Fig.  200  zeigt  einen  stark  vergoldeten 
Damenbügel  ohne  Öse  aus  dem  17.  Jahrhundert,  das  Original  befindet  sich  im 
BerUner  Zeughause.  Die  allerueuste  Konstruktion  eines  Damensteigbügels  be- 
steht aus  einem  Doppelbügel  (Fig.  295  u.290)  ;  auf  dem  inneren,  nicht  mit  Polster 
versehenen,  ruht  der  Fuss,  während  der  äussere  zur  Befestigung  des  Bügelriemens 
dient.  Der  innere  dreht  sich,  wenn  die  Fussspitze  beim  Sturz  gegen  den  oberea 
Bogen  drückt,  um  ein  Scharnier  dicht  an  der  Sohle,  wodurch  letztere  ausgehakt 
wird,  umklappt  und  den  Fuss  vollständig  frei  lässt. 

Die  Bügel  des  16.  Jahrhunderts  zeigen  eine  grosse  Mannigfaltigkeit  und 
sind  in  allen  Sammlungen  am  stärksten  vertreten.  Sie  haben  im  allgemeinen 
einen  tulpenförmigen  oder  glockenförmigen  Durchschnitt,  breite  mit  drei  bis  fünf 
senkrechten  Parallelreifen  versehene  Schenkel,  welche  in  der  Regel  nach  unten 
zu  über  die  Sohle  vorstehen.  Diese  ist  durchbrochen  oder  hat  einen  vollständigen, 
durch  2  —  4  Balken  gebildeten  Rost  oder  ein  anderes  Muster.  Auch  hier  hängt 
infolge  der  Konstruktion  der  Ose  die  hintere  Bügelsohle  zuweilen  höher  als 
die  vordere  und  ist  ausserdem  noch  gezahnt.  Die  Ose  liegt  frei,  ist  aber  nicht 
drehbar;  sie  ist  durch  einen  vorgebauten  Aufsatz  verdeckt  und  dieser  dann 
meistens  mit  der  Muschel  verziert,  welche  in  diesem  und  dem  folgenden  Jahr- 
hundert die  Rolle  der  Leitmuscheln  in  der  Geologie  spielt,  Fig.  193,  171,  17h\ 
17  !f  u.  a. 

In  den  Verzierungen  und  namentlich  in  der  Form  des  Aufsatzes  zeigt 
sich  die  Einwirkung  der  Renaissance,  wie  sie  uns  bei  den  Bügeln  der  von 
Leopardi  gefertigten  Statue,  Fig.  159,  entgegentritt. 

Das  Einziehen  der  Bügelriemen  in  die  Öse  scheint  nicht  in  der  bei 
uns  üblichen  Art  geschehen  zu  sein.    Da  der  Aufsatz  offenbar  darauf  berechnet 


213 

ist,  (lass  die  Verzieniug  oder  die  Muschel,  weun  der  liügel  am  Sattel  herunter- 
hängt, nach  aussen,  und  wenn  ihn  der  Reiter  auf  dem  Fusse  hat,  nach  vorn 
zeigt,  so  nuiss  der  Reiter  damals  den  Fuss  anders  in  den  Bügel  geschoben 
haben,  wie  wir  es  jetzt  thun.  Wir  nehmen  ihn  von  aussen,  sodass  die  nach 
dem  Pferde  zu  hängende  Fläche  nach  vorn  kommt,  zu  jener  Zeit  nahm  man 
aber  den  Bügel  von  innen,  sodass  die  nach  aussen  hängende  Verzierung  nach 
vorn  gokehrt  wurde.  Es  ist  dies  ganz  deutlich  aus  den  Zeichnungen  zum  Frey- 
dal,  z.  B,  S,  21,  zu  entnehmen;  bei  Büheim  (S.  204)  scheinen  die  Verzierungen 
jedoch  auch  zuweilen  nach  innen  zu  hängen.  Den  Übergang  zu  unserer  Art, 
den  Bügel  zu  nehmen,  bildeten  die  querstehenden  und  die  drehbaren  Ösen ; 
die  letztere  kommt  vorherrschend  im  17.  Jahrhundert  vor  und  hielt  sich  bis 
zum  Anfange  des  10.  Jahrhunderts.  Die  erstere  ist  sehr  deutlich  in  den  Ab- 
bildungen zu  erkennen,  w^elche  den  Berichten  des  Wiener  Altertums-Vereins 
(Bd.  XV,  1875,  S.  07)  beigegeben  sind  und  türkische  Reiter  aus  der  ersten  Be- 
lagerung Wiens  im  Jahre  1520  darstellen,  wie  sie  der  Nürnberger  Briefmaler 
Hans  Guldenmundt,  ein  Zeitgenosse,  gezeichnet  hat.  Während  die  sonstige 
Form  dieser  Bügel  unstreitig  dem  16.  Jahrhundert  angehört  (Fig.  352).,  finden 
sich  auch  andere,  kreisrunde,  in  Ketten  hängende  Scheiben  (F'kj.  351),  welche 
sonst  nicht  vorkommen.  Ob  sie  nach  Originalen  gezeichnet  sind,  kann  zweifel- 
haft sein,  da  Guldenmundt  mehrfach  in  diesen  Bildern  seiner  Phantasie  gefolgt 
ist.  (Siehe  den  oben  erwähnten  Bericht  S.  104.)  Wir  haben  schon  im  9.  Jahr- 
hundert Bügel  mit  querstehenden  Ösen  gefunden  (79,  80,  81). 

Bei  Meyrick  (Critical  Enquiry  into  Ancient  Armour,  Vol.  I,  pag.  159) 
finde  ich  ein  lateinisches  Manuskript,  betitelt  Speculum  regale,  erwähnt,  welches 
dem  14.  Jahrhundert  zugeschrieben  wird  und  Vorschriften  enthält,  wie  man 
den  Fuss  in  den  Bügel  setzen  soll.  Vielleicht  hat  jemand  Gelegenheit,  dieses 
Manuskript  einzusehen  und  die  hier  angeregte  Frage  weiter  zu  verfolgen.  Es 
ist  nicht  unmöglich,  dass  jene  Schrift  Aufschluss  darüber  giebt,  vielleicht  sind 
sogar  noch  andere  interessante  Punkte  darin  besprochen. 

Da  das  Tragen  der  Lanzen  und  Fahnen  in  freier  Hand  auf  die  Dauer 
beschwerlich  ist,  so  kam  man  frühzeitig  auf  die  Erfindung  des  Fahnen-  oder 
Lanzenschuhes,  einer  Vorrichtung  am  rechten  Steigbügel,  um  die  Spitze  des 
Schaftes  festzuhalten.  Bei  Demmin  (Waffenk.  S.  646,  No.  18)  ist  ein  solcher 
Bügel  aus  dem  Airfange  des  16.  Jahrhunderts  abgebildet,  es  ist  jedoch  nicht 
ersichtlich,  ob  der  Schuh  mit  dem  Bügel  aus  einem  Guss  besteht  oder  ob, 
wie  bei  uns,  eine  Lederhülse  an  den  Bügel  angebunden  ist;  letzteres  ist  wahr- 
scheinlich, weil  am  linken  Bügel  an  der  entsprechenden  Stelle  vier  Löcher  zu 
sehen  sind,  welche  wohl  die  Binderiemen  aufnahmen. 

Ob  die  an  den  ungarischen  Bügeln  Fijj.  156  befindlichen  drei  Löcher 
einen  ähnlichen  Zweck  hatten  (an  einer  ungraden  Zahl  von  Löchern  ist  schlecht 
etwas  anzubinden),  kann  ich  nicht  behaupten.  Von  Bügeln,  welche  zum  Tragen 
einer  Laterne  eingerichtet  waren  und  die  Demmin  anführt  und  mit  Pyrophor 
übersetzt  —  er  hätte  ebensogut  Phosphoros  oder  Lucifer  sagen  können, 
wenn  er  nicht  angiebt,  in  welchem  griechischen  Autor  dergleichen  erwähnt 
werden,  denn  sonst  versteht  man  unter  Pyrophor  ganz  etwas  anderes  — ,  habe 


214 

ich  nichts  finden  können,  nach  seiner  Angabe  sollte  diete  Laterne  leuchten  und 
die  Füsse  wärmen. 

Obgleich  die  Bügel  in  der  Regel  hinten  tiefer  hingen  als  vorn,  so  ist 
doch  bisweilen  die  <Jse  hinter  der  Rosette  ausdrücklich  nach  vorn  gebogen  und 
dadurch  der  Bügel  gerade  gestellt,  Fhj.  177.  Ausser  den  Bügeln  mit  flachen 
Schenkeln  giebt  es  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  und  später  auch  solche,  deren 
Schenkel  aus  runden  Stangen  bestehen ;  besonders  war  dies  bei  denjenigen  der 
Fall,  welche  zu  den  Mailänder-  oder  Bärenschuhen  gehörten,  wie  sie  von  1490 
bis  1560  getragen  wurden.  Gegen  Ende  des  Jahrhunderts  werden  die  Bügel 
höher  und  haben  bereits  vereinzelt  die  dem  17.  Jahrhundert  angehörende  dreh- 
bare Ose,  welche  auch  früher  ab  und  zu  vorkam.  Sie  findet  sich  dann  auch 
an  den  Zügelringen  der  Zaumzeuge;  als  Beispiel  kann  eine  Reitstange  aus 
der  Wiener  Waffensammlung  (Saal  Karls  V.,  Xo.  38H)  angeführt  werden. 

Verschiedene  für  hohe  Herren  angefertigte  Prachtbügel,  Fig.  180  u.  a., 
zeigen  einen  besonderen  Geschmack;  sie  fielen  ganz  dem  Kunstgewerbe  anheim, 
welches  namentlich  in  durchbrochenen  Arbeiten  ganz  Ausserordentliches  leistete. 
Dasselbe  gilt  in  noch  höherem  Grade  vom  folgenden  Jahrhundert:  die  Bügel 
Wallensteins,  Fi(j.  2^5,  welche  im  Nationalmuseum  in  München  sich  befinden, 
zeigen  die  sogenannten  arcades  ä  fcnHres.  Andere  Prachtstücke,  welche  durch 
schöne  Gravierungen,  Silbertauschierungen  und  Garuieruugen  mit  Edelsteinen 
ausgezeichnet  sind,  bilden  die  Zierden  aller  WafTeusammlungen.  Einige  wenige 
davon  zeigen  die  Fig.  18,  203,  232,  312.  Einen  prachtvollen  Bronzebügel 
mit  schönen  Reliefs  bildet  Meyrick  pl.  81,  Fig.  3  ab. 

Im  17.  Jahrhundert  wird  die  Form  allmählich  etwas  verändert;  als 
charakteristisches  Zeichen  tritt  fast  überall  die  drehbare  Ose  auf,  welche  früher 
nur  vereinzelt  vorkommt.  Die  breiten  Schenkel  machen  runden  Stangen  oder  einer 
Verbindung  von  oben  runden  und  unten  flachen  Bogen  Platz,  welche,  sehr 
hoch  gezogen,  im  oberen  Teile  sich  dem  Viereck  oder  Fünfeck  nähern  und 
dem  Zeitgeschmack  entsprechende  Verzierungen  haben.  Die  schweren  und 
plumpen  sogenannten  Karabiner-Reitstiefel,  engl,  jack-hoots,  wie  sie  zur  Zeit 
des  grossen  Kurfürsten  getragen  wurden  und  für  Kuriere  und  andere  Personen 
inwendig  mit  eisernen  Reifen  und  Schienen  versehen  waren,  sodass  der  Reiter 
beim  Sturz  des  Pferdes  den  Fuss  unversehrt  hervorziehen  konnte,  erforderten 
nicht  minder  grosse,  besonders  aber  hohe  Bügel,  als  di^  Bärenfüsse  breite, 
Fig.  233.  Die  Mailänder  Schuhe,  welche  bis  20  cm  breit  waren  —  ein  Exem- 
plar im  Wiener  Rathause  ist  noch  etwas  breiter  — ,  waren  bis  über  die  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts  im  Gebrauch. 

l'nter  den  abweichenden  Bügelformen  des  IG.  und  17.  Jahrhunderts  be- 
merken wir  namentlich  auch  orientalische  und  ungarische,  wie  sie  in  den 
Fig.  217,  218,  221,  222,  223,  232,  350  wiedergegeben  sind.  Gewisse  im  öst- 
lichen Europa  ansässige  Nationen,  Tataren,  Russen,  Polen,  die  Stämme  des 
byzantinischen  Reiches,  die  Ungarn  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  selbst 
die  Böhmen,  standen  in  den  Formen  der  kriegerischen  Ausrüstung  seit  den 
ältesten  Zeiten  unter  dem  Einflüsse  des  Orients.  Böheim,  welcher  in  seinem 
llaudbuche  des  Wartenwesens  S.  20G  diese  Bemerkung   macht,  sagt,    dass  voa 


215 

Pulen  und  TTngaru  uns  die  urieiitalische  Ai'fc  der  Pfenleaiisrüstung  zuerst  in 
Deutscliland  Eingang  fand.  Tn  Osterreicii  leiten  die  ersten  Spuren  ins  14.  Jahr- 
hundert zurück;  im  16.  Jahrhundert  finden  wir  die  Zäumungen  ungarischer  Art 
in  Italien.  Die  ungarischen  Sättel  haben  eine  Art  Bock,  die  deutschen  Polster. 
Ungarische  Sättel  mit  ihrem  Zubehör  wurden  im  15.  Jahrhundert  auch  von 
deutschen  lieitern  häutig  benutzt.  Als  Beispiel  können  die  vollständig  orienta- 
lischen Bügelschuhe  (Fi<j.  2:21)  eines  Ritters  des  16.  Jahrhunderts  im  Zeughausc 
zu  Berlin  gelten. 

Das  orientalische  Reitzeug  König  Christians  von  Sachsen,  1602  in  Prag  ge- 
fertigt, war  überaus  prachtvoll,  die  Bügel,  mit  böhmischen  Granaten  besetzt,  waren 
ungarischen  Geschmacks,  Fi<j.:25!):  das  Ganze  betindet  sich  in  der  Dresdener 
Waffensammlung.  Ähnlichen  Charakter  haben  die  Bügel  eines  Sattels,  welchen 
der  Fürst  Radziwill  an  König  Georg  III.  schenkte,  und  welcher  dadurch  merk- 
würdig ist,  dass  auf  der  Sohle  ein  Dorn  hervorsteht,  um  das  Pesthalten  des 
Bügels  zu  erleichtern,  Fi(/.  2'j7  ebendaselbst.  Prinz  Georg  Lubomirski,  Ende 
des  17.  Jahrhunderts  unter  König  Kasimir  von  Polen,  ritt  ein  vollständig  arabisch 
ausgerüstetes  Pferd,  dessen  Bügel  wir,  lUj.  270,  nach  Racinet  wiedergegeben 
haben.  Wollen  wir  uns  für  dieoe  Nachahmung  orientalischen  Geschmackes 
nach  einem  Vorbilde  aus  alter  Zeit  umsehen,  so  können  wir  Alexander  den 
Grossen  anführen,  welcher  nach  Diodor  17,  77,  als  er  auf  dem  Gipfel  seiner 
Macht  stand,  seine  Pferde  mit  persischem  Geschirr  ausrüstete.  Von  diesem 
Vorgange  darf  man,  beiläufig  bemerkt,  die  Einführung  des  persischen  Sattels, 
soweit  er  damals  ausgebildet  war,  an  Stelle  des  griechischen  Ephippium  datieren. 
Näheres  findet  man  darüber  in  meinem  Aufsatze  über  die  Sättel  der  Alten  in  den 
Ann.  d.  Nass.  Altert  -Ver.  (Bd.  XXI,  1889,  S.  21).  Da  übrigens  schon  Karl  Martell 
den  Arabern  viele  Pferde  abnahm  und  Karl  der  Grosse  Zuchthengste  von  dem 
Khalifen  Harun-al-Raschid  erhielt,  so  mag  schon  damals  manches  orientalische 
Ausrüstungsstück  von  den  Franken  in  Gebrauch  genommen  sein.  Der  in  Fuj.  dö 
abgebildete,  für  seine  Zeit  ungewöhnliche  Bügel  Richards  I.  von  England  vom 
Jahre  1200  hat  auch  orientalischen  Typus  und  Ähnlichkeit  mit  Fig.  317  oder 
318-^  ob  dabei  ein  Einfiuss  der  in  den  Kreuzzügen  gemachten  Bekanntschaft 
mit  orientalischen  Ausrüstungen  zu  sehen  ist,  mag  dahin  gestellt  bleiben,  es 
wäre  dies  dann  ein  weiteres  Beispiel.  Die  Abbildungen  in  den  alten  Reitbüchera 
des  16.  u.  17.  Jahrhunderts  von  Löhneisen,  Pluvinel,  Griso  u.  a.  zeigen  eben- 
so viele  orientalische  als  andere  Bügel,  Fhj.  252. 

Der  bei  unserer  Kavallerie  bis  heute,  wenn  auch  mit  einigen  Verbesserungen, 
beibehaltene  Sattel  heisst  „der  ungarische  Bocksattel" ;  sein  Obergurt  wird  durch 
den  „ungarischen  Knoten"  zusammengehalten,  dessen  zeitraubender  Schluss 
sehr  wenig  für  unsere  Verhältnisse  passt.  Die  Form  der  ungarischen  Bügel, 
F'kj.  220,  ist  bis  in  unser  Jahrhundert  hinein  von  der  leichten  Kavallerie  und 
Artillerie  fast  aller  Staaten,  wie  die  Figuren  zum  19.  Jahrhundert  zeigen,  im 
allgemeinen  beibehalten  worden,  so  unpraktisch  sie  namentlich  für  reitende 
Artilleristen  ist,  welche  schnell  abspringen  sollen  und  dabei  in  dem  engen  Bügel 
stecken  bleiben. 


216 


Einige    Bemerkungen    über    die    iu    den    Tafeln    entluilteueu    Abbildungen 
aus  dem  16.  und  17.  Jahrhundert  dürften  hier  am  Platze  sein.    Den  Unterschied 
gegen  die  Renaissance-Formen  des  15.  Jahrhunderts   sieht  man  am  deutlichsten 
in  den  Fig.  170,  174,  180,  131,  23;^  u.  a.,  welche  überdies  darin  übereinstimmen, 
dass    sie   oben   zusammengedrückt  sind   und   sich   nach    unten   erweitern.     Der 
Bügel    Fl(j.    183   wird   von    I^e    Vallet    (Le    chic    ä    cheval,    S.    85)    dem    14. 
Jahrhundert    zugeteilt;    ich   habe   ihn   hierhin  gesetzt,    weil   ich   ihn   dort  nicht 
unterbringen  kann.     Viollets  Gründe  kenne   ich   nicht,    die  Form   aber   scheint 
ihn  hierbL  zu  verweisen.      Dass  die  Formen  1S7,  ISS,  ISO   aus    Jost  Ammans 
Wappen-    und    Turnierbuch    vom    Jahre    1589    diesem    Jahrhundert    angehören 
sollen,   scheint   mir  zweifelhaft,   ich  würde  sie  für  älter  halten.     Ebenso  würde 
ich   die  Formen  241  u.  242,   welche  Demmin   ins    17.  Jahrhundert    setzt,   etwa 
200  Jahre  zurückdatieren,    wenn  ich,   ohne   die  näheren  Umstände   zu   kennen, 
urteilen  wollte.    Den  Bügel  243,  welcher  im  Berliner  Zeughause  als  dem  Ende 
des    15.  Jahrhunderts    angehörend   aufgeführt   ist,    muss   ich   ins   17.  setzen,    da 
Form,  Drehöse  und  Verzierungen  dafür  sprechen.    Mit  F'uj.  240,  20L  262  weiss 
ich  gar  nichts  anzufangen.     Wenn  die  Vorsprünge  des  ersten  Reste  eines  ab- 
gebrochenen Usenschlusses  sind,   so  kann  er  ins  15.  Jahrhundert  gehören,  und 
vielleicht  auch  der  folgende  Bügel;    den   letzten  könnte  man   ganz  gut  ins  17. 
oder    18.    setzen.      Die   undatierten    Bügel    absonderlicher    Form    machen    das 
meiste  Kopfzerbrechen!     Wunderbar  ist  ein  im  Palaste  Montecuculi  in  Venedig 
gefundener  Bügel,  Fi;/.  2'>i,   welcher    zum  Zusammenklappen    eingerichtet    ist. 
Der  Zweck    dieser  Einrichtung    ist   nicht   begreiflich,    da    er   die  Dienste   eines 
Sturzbügels   nicht   leisten   kann.     Ein    anderes    seltenes  Stück    zeigt    Fiij.   2ö6, 
welche    den  Zeichnungen    von  R.  Zschille   in  Grossenhain    entnommen    ist   und 
ein    Pendant    zu   Fig.   2'J7,    einem  Geschenke   des  Sultans   an  König  Otto   von 
Griechenland,  bildet.     Ersterer.  dem  17.  Jahrhundert  angehörend,  würde  einen 
Vorgänger  im  15.  Jahrhundert,  Fig.  166h,  haben,  wenn  die  Angabe  bei  Demmin, 
Waffenkunde,  S.  623,   No.  25,    richtig  ist.     Ich    selbst    muss    dieses    Stück    im 
Münchener  National rauseum  übersehen  uud  nur  für  einen  Sporn  mit  auffallender 
Befestigung    gehalten    haben,    ich    gestehe,    nicht    recht   eiuzuseheu,    wie    der 
Bügelriemen   angebracht  gewesen   sein   soll,    da   eine   Befestigung   an   der   vor- 
handenen oberen  Schiene  gewiss  recht  unpraktisch  gewesen  wäre. 

Fig.  236  ist  aus  W.  R.  Wildt,  Catalogue  of  Antiqu.  No.  47,  Fig.  504  ent- 
nommen. Das  Original  befindet  sich  im  Schlosse  Skokloster  in  Schweden,  südlich 
von  Upsala,  der  Familie  Brahe  gehörend.  Der  Graf  Wrangel  hat  zahllose 
Beutestücke  aus  dem  30jährigen  Kriege  dort  zu  einem  Museum  vereinigt,  dar- 
unter auch  verschiedene  Steigbügel.  Der  unsere  ist  5  engl.  Zolle  hoch  und 
4  breit,  die  radförmige  Sohle  hat  2^/4  Zoll  im  Durchmesser.  Die  Korbbügel 
Fig.  201,  202,  203,  25.5,  treten  au  die  Stelle  der  schweren  Eisenschuhe  204, 
:jo.5,  206,  14!f,  150;  einzelne,  wie  Fig.  100,  sind  sehr  klein,  für  Knaben  bestimmt. 
Kinderbügel  finden  sich  überhaupt  in  den  Sammlungen  häufig,  Fig.  176,  258, 
329.  Es  ist  leider  nicht  möglich  gewesen,  alle  Bügel  in  demselben  Maassstabe 
zu  geben,  da  die  Umstände  in  der  Regel  eine  genaue  Zeichnung  nicht  gestatten, 
auch  die  Angaben  in  Büchern  meistens  keine  Maasse  enthalten. 


217 

Das  18.  Jahrhundert  zeigt  wieder  wesentlich  einfachere  und  nüchternere 
Formen.  Die  Schenkel  sind  schmal  —  Ziethcns  Husarenbügel  (Fi*i.  :J()H)  natür- 
lich ausgenommen,  welche  die  ungarische  Form  behalten  haben  —  die  Öse  ist 
drehbar  oder  fest  mit  dem  Bügel  verbunden,  die  meist  offene  Sohle  pflegt  mit  den 
Schenkelenden  abzuschneiden.  Stücke  aus  diesem  Jahrhundert  sind  merkwürdiger- 
weise fast  in  keiner  Sammlung  zu  finden  und  viel  seltener  als  solche  aus  dem 
16.  oder  17.  Jahrhundert.  Künstler  geraten  in  Verlegenheit,  wenn  sie  historische 
Bilder  aus  diesem  Jahrhundert  anfertigen  sollen,  und  sind  fast  allein  auf  Ab- 
bildungen beschränkt.  Bügel  Friedrichs  des  Grossen  befinden  sich  im  Hohen- 
zoUern-Museum  in  Berlin,  F'uj.  266;  sie  sind  genau  dieselben  wie  die  Kürassier- 
Bügel  seiner  Zeit.  Am  Denkmal  des  grossen  Königs  unter  den  Linden  hat 
die  Sohle  keinen  Zwischensteg.  Ganz  dieselben  Bügel  wie  266  empfiehlt  de 
la  Gueriniere  als  die  besten.  Ähnlich  waren  die  Bügel  von  Friedrichs  Generalen, 
Fiq.  262.  Die  Drehringe  an  den  Ösen  verschwinden  wieder,  letztere  stehen 
häufig  quer  zur  Bügelfiäche. 

Im  19.  Jahrhundert  herrscht  die  grösste  Verschiedenheit,  der  französische 
Geschmack  hat  dem  englischen  Platz  gemacht.  Die  Offiziere  der  preussischen 
Armee  führten  anfangs  halbmondförmige  Bügel,  Fifj.  277,  jetzt  englische  Fig.  278. 

Die  für  die  Bocksättel  in  der  Armee  eingeführten  Bügel  der  Mannschaften 
zeigt  Fi(/.  281,  im  Laufe  der  Zeit  sind  sie  etwas  erweitert  worden,  weil  die 
reitenden  Artilleristen  beim  Abspringen  häufig  darin  sitzen  blieben.  Dem 
ungarischen  Sattel  entsprechen  aber  diese  Bügel,  welche  bis  auf  den  heutigen 
Tag  die  rundliche  Form  mit  breiter  Sohle  beibehalten  haben.  Fig.  28^>  ist  ein 
französischer  Bügel  von  1870.  Fig.  288  ist  ein  russischer  Artillerie-Bügel 
mit  dreikantigem  Schenkel;  früher  hatte  die  Artillerie  dieselben  Bügel  wie  die 
preussische  beim  Material  von  1816,  mit  runden  unten  etwas  verbreiterten 
Schenkeln  und  kreisförmiger  Sohle.  Die  Bügel  der  Chevalier-Garde  von  1827 
unterscheiden  sich  nur  durch  eine  ausgezackte  kreisförmige  Sohle  (Fig.  287), 
ganz  anders  sind  die  der  Leibgarde-Ulanen  (Fig  286),  Die  Originale  befinden 
sich  sämtlich  im  Berliner  Zeughause. 

Es  seien  nur  noch  die  Fig.  27'J  abgebildeten  Sturzbügel  erwähnt,  welche, 
wenn  der  Fuss  des  Reiters  in  ihnen  hängen  bleibt  und  also  der  Druck  auf  die 
Sohle  aufliört  und  ein  Ziehen  am  auswendigen  Schenkel  eintritt  —  sie  müssen 
dem  entsprechend  eingezogen  werden  —  sich  oben  in  der  Bügclöse  öffnen  und 
so  den  Bügel  vom  Riemen  befi-eien.  Sie  funktionieren  ganz  sicher  und  verhin- 
dern das  Geschleiftwerden. 

Ein  Bügel  vom  kleinen  Araber  Napoleons  L,  Fig.  2'J3  ist  im  Dresdner 
Johanneum,  er  entspricht  genau  der  von  Le  Vallet  „etrier  a,  grille  modele  ehez 
le  roi"  genannten  Form,  Fig.  274. 

Ich  will  nicht  unterlassen,  ein  Kunstwerk  hier  zu  erwähnen,  welches  ein 
eingehendes  Studium  der  Steigbügelformen  verrät,  nämlich  das  von  W.  Walter, 
auf  dem  königlichen  Stallgebäude  in  Dresden  hergestellte  Kolossal-Gemälde, 
welches  die  ganze  Länge  der  Augusta-Strasse  einnimmt  und  die  sächsischen 
Fürsten  in  langem  Zuge  vom  12.  bis  19.  Jahrhundert  zu  Pferde  in  historisch 
genauer  Tracht  darstellt. 


218 

Was  über  die  aussereuropiiiächcQ  Hügel  zu  sagen  isf,  geht  grosscQ- 
teils  aus  der  Erklärung  der  Tafelu  hervor.  Es  wird  hier  keineswegs  Vollständigkeit 
beansprucht,  sondern  nur  gegeben,  was  sich  gelegentlich  zusammengefunden  hat. 

Wunderliche  Formen  zeigen  die  zusammengestellten  Holzbügel,  welche 
alle  unserem  Jahrhundert  augehören.  Bei  allen  ist  die  obere  Wölbung  an- 
nähernd kreisförmig  und  die  Sohle  Hach,  ausser  bei  dem  ostpreussischen, 
welcher  länglich  ist.  Die  Fhj.  314  und  315  sind  araukanischen  Ursprungs  und 
von  schwerem,  massiven  Silber  gearbeitet.  Ausser  den  abgebildeten  betiudeu 
sich  noch  mehrere  ähnliche  im  Berliner  Völker-Museum.  Die  Fifj.  211)  zeigt 
einen  bronzenen  Steigbügel  aus  Süd -Vorderindien,  welcher  mit  Rasselstifteu 
versehen  ist.  Die  Sohle,  welche  die  Form  einer  l'ferdekartätsche  zeigt,  ist  hohl 
und  statt  der  Borstenbündel  mit  bronzenen  Stiften  von  etwa  3  mm  Dicke  und 
2  cm  Länge  versehen,  welche  sich  in  Löchern  im  unteren  Boden  hin-  und  her- 
bewegen und  ein  klapperndes,  für  barbarische  Ohren  gewiss  sehr  angenehmes 
(Jeräusch  machen.  Unsere  Schellenbügel  im  Mittelalter  bilden  eine  Parallele 
dazu.  Fi(j.  320  ist  ein  Bügel  von  Buffalo-Bills  Reitern  aus  West-Amerika, 
von  Eisen,  sehr  weit  und  breit.  Der  Kern  ist,  wohl  um  den  Rost  zu  ver- 
decken, mit  Leder  überzogen  und  das  Ganze  mit  einem  grossen  Lederschurz 
überdeckt,  welcher  zur  Seite  fast  einen  halben  Meter  herunterhängt.  Er  soll 
den  Fuss  gegen  Sonne  und  Nässe  schützen  und  wohl  auch  Angriffe  vou  Fliegen 
vom  Bauche  des  Pferdes  und  dem  Fusse  des  Reiters  abhalten.  Die  japanischen 
Bündel  sind  von  schön  lackirtem  festem  Holz.  Die  Orientalen  benutzten  die 
scharfen  Spitzen  ihrer  schaufeiförmigen  Bügel  {Fuj.  319  u.  a.)  statt  des  Sporns, 
um  das  Pferd  anzutreiben.  Viele  bei  fremden  Völkern  gefundene  Bügel  sind 
nicht  national,  sondern  einfach  von  Europäern  eingeführt. 

Zum  Schlüsse  muss  ich  noch  einen  Bügel  besprechen,  der  vielfach  als 
Steigbügel  angesehen  wird,  aber  keiner  ist,  nämlich  den  in  Fuj.  344  u.  349 
abgebildeten  Armbrustbügel.  Erhat  oben  zwei  Lappen,  mit  welchen  er  auf 
der  Mitte  des  Bogeus  mittels  Riemen  festgebunden  wird.  Beim  Spannen  der 
Armbrust  trat  der  Schütze,  nachdem  er  dieselbe  gesenkt  hatte,  mit  dem  Fusse 
in  diesen  Bügel,  um  nicht  den  ganzen  Druck  mit  der  Brust  auszuhalten.  Alle 
diese  Bügel  haben  ungefähr  dieselbe  Weite  von  10  cm,  sind  dreieckig  und  auf 
der  Aussenseite  der  Sohle  mit  einem  scharfen  Grat  versehen.  Vier  solcher 
Bügel  befinden  sich  im  märkischen  Provinzial-Museum  in  Berlin,  je  einer  in 
München,  Wiesbaden,  Nürnberg,  Linz  a.  d.  Donau  und  in  anderen  Sammlungen. 
Im  Anzeiger  für  Kucde  iler  deutscheu  Vorzeit  (neue  Folge,  Nürnberg,  Mitt.  d. 
German.  Mus.  XXVIH,  1881,  S.  134)  wird  ein  solcher  als  Sattelbügel  abgebildet, 
aber  als  undatiert  und  unbekannter  Herkunft  bezeichnet;  es  ist  eben  ein  Arm- 
brustbügel, welcher  dem  13.  Jahrhundert  angehören  kann. 

Obgleich  die  Armbrust  eine  sehr  alte  Waffe  ist  und  vom  12. — 16.  Jahr- 
hundert zur  Bewaffnung  der  Heere  gehörte,  so  sind  doch,  wenigstens  in  Frankreich, 
wie  VioUet-le-Duc  augiebt,  keine  älteren  Exemplare  als  aus  dem  15.  Jahrhundert 
vorhanden.  Schöne  Exemplare  von  Armbrüsten  aller  Art  sind  im  Dresdener 
Johanneum.  Wir  geben  eine  kleine  Auswahl  solcher  Bügel  {Fiij.  34-') — 34!f) 
vom     14.— IG.     Jahrhundert.       Die    Watte   :J4ö    ist     für     den     Gebrauch     zu 


219 

Pferde  bestiinint;  wurde  sie  zu  Fuss  gebraucht,  so  trat  der  Spanner,  auch 
wenn  er  sich  des  Geisstusses  oder  einer  anderen  >raschine  bediente,  mit  dem 
Fuss  in  den  Bügel,  um  die  Aruibrusfc  festzuhalten.  Wir  sehen,  dass  wenigstens 
in  Frankreich  die  Bügel  ihre  Form  dem  Zeitgeschmack  anpassteu,  in  Deutschland 
scheint  dies  nicht  der  Fall  gewesen  zu  sein,  die  späteren  haben  nur  kleine, 
viereckige  Bügel. 

Ein  ähnlicher  Irrtum,  wie  er  in  diesem  Falle  begangen  ist,  kann  bei  den 
Bügeln  vorkommen,  welche  unsere  Schmiede  zum  Bewegen  ihrer  Blasebälge  mit 
der  Hand  erfassen;  sie  sind  Steigbügeln  oft  sehr  ähnlich  und  haben  die  ab- 
sonderlichsten Formen.  So  lange  sie  am  Blasebalg  hängen,  wird  eine  Ver- 
wechslung allerdings  nicht  eintreten,  wohl  aber,  wenn  sie  gelegentlich  gefunden 
werden. 

\h  dritter  derartiger  Bügel  ist  der  am  Trageriemen  des  einspännigen 
rheinischen  Karrenfuhrwerks  befindliche  zu  nennen,  in  welchem  die  Scherbäume 
ruhen,  dessen  oft  kolossale  Abmessungen  zu  wunderlichen  Anachronismen  Ver- 
anlassung geben  könnten. 

Endlich  sind  noch  die  schon  in  den  Keltengräbern  in  llallstadt  vorkom- 
menden, der  Römerzeit  angehörenden  Geräte  zu  erwähnen,  deren  eines  mir  in 
einer  Samndung  von  dem  Diener  gleichfalls  als  Steigbügel  bezeichnet  wurde; 
in  Wirklichkeit  sind  es  Eissporen,  Fi(/.  350.  Sie  haben  auf  der  Unterseite 
einige  Spitzen  und  wurden  vermutlich  mit  Riemen  am  Fusse  befestigt.  Die 
Sohle  ist  8 — 11  cm  weit.  Schon  v.  Sacken  bildet  ein  derartiges  aus  Hallstadt 
herrührendes  Steigeisen  ab  (Taf.  XXVI,  10).  Mit  Hilfe  einiger  Riemen  könnten 
sie  allerdings  zur  Xot  als  Steigbügel  dienen. 


Hiermit  schliesse  ich,  indem  ich  diesen  Versuch  nicht  allzustreuge  zu 
beurteilen  bitte.  Ich  habe  mich  vielfach  dem  Urteile  derjenigen  anschliessen 
müssen,  welche  die  Stücke  besprochen  haben;  ohne  Kenntnis  der  näheren  Um- 
stände ist  es  nicht  möglich,  eine  eigene  Meinung  aufzustellen.  Demjenigen, 
der  alle  Einzelheiten  kennt,  wird  es  leicht  werden,  bei  diesem  oder  jenem  Fund 
meine  Ansicht  zu  berichtigen,  mir  war  dies  bei  so  vielen  einstweilen  nicht 
möglich.  Ich  hoffe  selbst,  da  ich  weiter  sammle,  zu  besseren  und  umfassenderen 
Resultaten  zu  gelangen  und  werde  sehr  dankbar  sein,  wenn  mir  aus  dem 
Kreise  der  Leser  nutzbare  Mitteilungen  zugehen.  Besonders  augenehm  wird 
es  mir  sein,  ganz  sicher  datierte  Stücke,  auf  die  es  ja  hauptsächlich  ankommt, 
mit  den  Beweisen  ihrer  Achtheit  kennen  zu  lernen. 


220 


IV. 

Erklaniiiä;  dor  Abl»il<liinü:en,   Aiiü:ji1k'  der  (Quollen,  der  Fund-  und 
Aufl»ewaliruiiü:sorte,  der  Besitzer  u.  a. 


No. 

1  u.  2  Älteste  Darstellung  von  Steigbügeln  auf  einer  Sassa- 
niden-Silberschüssel  nach  Hampel  (Der  Goldfund 
von  Nagy-Szent-Miklos,  S,  90) 

3  u.  4  I  Fund  von  Ivesthely  in  Ungarn,  aufbewahrt  im  Un- 
ffarischen    National-Museum    in  Pest     .... 

5  Fund    von  Ordas,    Ungarn,   erster  Typus,  Pest     .     . 

6  Püspük-szent-Erzsebet  (heil.  EUsabeth),  Ungarn,  Pest 

7  Lemes,  Ungarn,  Pest 

8  Szentendre  (St.  Andreas),  erster  Typus,  ebenda     .     , 

9  Ordas,  zweiter  Typus,  ebenda 

10  Szegedin,    erster  Typus,    ebenda 

11  Szentendre,  zweiter  Typus,  ebenda     .     .     .     .     .     . 

12  Nagy-Manyok,  ebenda 

13  Bicacs,  ebenda 

14  Szegedin,  zweiter  Typus,  ebenda 

15  Szeged-Üthalom,  ebenda 

16  Szentes,  ebenda 

17  Pilin,  ebenda 

18  Allgemeiner  Typus  einer  Anzahl  Piliner  Bügel,  wel- 

che in  Archaeolog.    ertesitö    von  llampel    abge- 
bildet sind 

19  Nesmely,  Ungarn,  Pest 

20  Szolyva,    ebenda 

21  Galgocz,  ebenda 

22  Rakos,  ebenda 

23  Szeged-Bojarhalmi,  ebenda 

24  Pusta-Vereb,  ebenda 

25  Pürös,  ebenda 

20  Ungarischer  Bügel,  Fundort  unbekannt,  ebenda    .     . 

27 — 34  Acht    ungarische   Bügel   späterer  Zeit,    ohne   genaue 

Datierung,    ebenda 

35  u.  36  St.  Veit  bei  Wien,  Nat.-hist.  Museum,  Wien   .     .     . 

37  St.  Veit,  die  Sohle  ist  vernietet,  Wien,   ebenda    .     . 

38  St.  Veit,  Wien,  ebenda 

39  Feistritz  in  Krain,  Wien,  ebenda 

40  Mordwinischer  Bügel,   nach  Aspelin 

41    u.  42  Immenstedt    in    Schleswig,    Nachbildung    im  Museum 

zu    Mainz 

43            Eckornn»rde':'    aus    Mestorf  (Vorgoschichtl.  Altert,    v. 
Schleswig-Holstein),   Kiel 


Jahiliuiidort. 

IV -V 
V 


VI 


V 

VII 


IX-X 


77 

X 


XI 


VI-VIII 

VIII 

X-XI 

VIII 

IX 


221 


No. 
44 
45 

46—48 

49 
50 

51 

52-  54 

55  u.  56 

57 
58—59 

60-65 

66 

67-75 


76 

77 
78 


79 


80 

u.  81 

82 

u.  83 

84  a 

84  b 

85 

86 

87 

88 

Bei   Maiu/  im   Ulioin  get'muleii,   Miiiuz 

Holstein,  Kieler  Museum 

Xach  Rygh  (Norske  Oldsager)  in  Norwegen  gefunden, 
Christiania 

Nach  Worsaae   (Nord.  Altert.)    in  Dänemark   gef.     . 

Nach  Worsaae  und  Lindenschmit  in  Schleswig  gef., 
Kopenhagen      

Nach  Worsaae  aus  Dänemark 

Bügel  ausWiskiauten  in  Ostpreussen,  nach  Oishausen, 
Königsberg 

Ascheraden  in  Livland  in  Gräbern  der  Waräger- 
Russen,  nach  Kruse  (Necrolivonica,  Atlas  V,  5) 

Merisch-Ugrischer  Bügel,  nach  Aspelin  ..... 

Ascheraden,  Livland,  nach  Bahr  (Gräber  der  Liven, 
Taf.  16,  Fig.  6  u.  7) 

Ostpreussen,  Samland.  Aus  der  Waffensammlung  von 
Blell  in  Lichterfelde  bei  Berlin 

Aus  einem  wendischen  Burgwall.  Provinzial-Museum 
in  Berlin 

Dolkheim  in  Westpreussen.  Aus  der  Waffensammlung 
und  nach  Zeichnungen  von  R.  Zschille  in  Gros- 
senhain bei  Dresden.  72,  73  u.  74  sind  mit  Mes- 
sing und  Silber  tauschiert,   71  war  versilbert    . 

Riemenbügel,  Skulptur  an  einer  Kirche  in  St.  Julien, 
Frankreich,   nach  Demmin  (Waffenkunde)      .     . 

Riemenbügel,  nach   dem  Psalterium  aureum     ,     .     . 

Riemenbügel,  Holzschnitzwerk  an  einer  isländischen 
Kirchenthür,  einen  skandinavischen  Ritter  vor- 
stellend, Demmin,  Kopenhagen 

Angeblich  genaue  Kopie  einer  Figur  des  sogenannten 
Schachspiels  Karls  des  Grossen,  nach  VioUet-le- 
Duc  V,  69.     Die  Öse  sitzt  quer 

Nach  Viollet  V,  69  u.  71.    Öse    ([uer 

Dreieckige  Bügel  anscheinend  mit  gebogenen  Schenkeln, 
nach  dem  Psalt.  aur 

Wahrscheinlich    Holzbügel    aus    dem   Codex    Egberti 

(Bonner    Jahrbücher  Bd.  70,  S.  56)     .     .     .     . 

Nach    dem  Evangelium  von  Echternach,  nach  Janit- 

scheck     

Nach  einem  Wandgemälde  aus  der  Kirche  zu  Yelemer 
in  Ungarn,  nach  Magyar  regesceti  emlek      .     . 

Nach  einer  Bamberger  Handschrift 

Von    der  Tapete    zu  Bayeux,    nach  Viollet    Hl,  431 
Reitersiegel  des  Grafen  von  Flandern  nach  Demay  . 


Jalirhundert. 

IX 


X 


IX-XI 

VIH-XII 

VIH  -  XI 

VI-XI 


IX-XIH 

VIH 
IX 


IX-Xil 


IX 


X  E. 
X 


XI 

XII 


222 


No. 
89 


90 


91 

92 

u. 
94 
95 
9G 

93 

97 

u. 

98 

99 

100 
101 

102 

103  u.  104 

105 

106 
107a  u.  b. 

108 

109 
110 
111 
112 

113 
114 


Runder  Bügel  a)  mit  Riemen,  b)  mit  Ketten ;  drei- 
eckiger Bügel,  e)  mit  Riemen,  d)  mit  Ketten,  nach 
Demay 

Aquamanile  aus  dem  Museum  zu  Kopenhagen,  nach 
Demmin 

Ostpreussischer  Bügel,  Sammlung  Blell 

Aus  dem  Hortus  deliciarum,  Ausg.  von  Engelhard, 
Taf.  7  u.  3 

Fragment  von  einem  Kapital  der  Kirche  zu  Vezelay 
in  Ungarn,  nach  YioUet  III,  432 

Bügel  Richards  I.  von  England,  zweites  Siegel,  nach 
Meyricks  Critical  Enquiry,  Platte  13     ...     . 

Bügel  mit  vorgebogener  Ose,  nach  YioUet,  wie  sie 
vom  9.  bis  14.  Jahrhundert   üblich  waren     .     . 

Häufigste  Bügelformen  vom  10.  bis  14.  resp.  IG.  Jahr- 
hundert, nach  dem  Ereydal,  Ausg.  von  Leitner 
S.  22,  33,  34,  49,  101,   102,   105 

Bügel  an  Altarschnitzereien,  d.  heil.  Martin  betreffend. 
Mus.  des  sächs.  Altert.- Yer.  im  gr.  Garten  in 
Dresden       

Aus  einem  lateinischen  Psalter,  YioUet  III,  433  .     . 

Yom  heil.  Georg  in  der  Liebfrauenkirche  zu  Esslingen, 
nach  Lübke,  Gesch.  der  Plastik 

Aus  der  Ilistoire  de  la  vie  et  des  miracles  de 
St.  Louis,   nach  Yiollet  III,  460 

Bügel  des  Herzogs  Heinrich  resp.  seines  Knappen, 
in  der  Manesse  Liederhandschrift 

Statue  des  heil.  Stephan  im  Dom  zu  Bamberg,  nach 
Lübke,    Gesch.    der  Plastik 

Damenbügel,  nach  Lübke,    ebenda 

Nach  Rygh  (Norske  Aarsberetning  for  1882),  Nor- 
wegischer Bügel.  Die  Schenkel  sind  mit  Bronze 
beschlagen.   Christiania 

Nach  Rygh,  Norske  Oldsager,  in  Norwegen  gewöhn- 
lichste Form 

Nach   Montelius.    Schwedischer   Bügel 

Aus  der  Blell'schen  Sammlung,    Ostpreussen    .     .     . 

AViskiauten,  Ostpreussen,  nach  Olshausen.    Königsberg 

Städtisches  Museum  in  Braunschweig,  Herkunft  unbe- 
kannt        

Angeblich  Mailänder  Bügel.  Germ.  Mus.  in  Nürnberg 

Nach  Mestorf,  Yorgesch.  Altert,  von  Schleswig-Hol- 
stein.   Kiel 


Jahrhundert. 

XII— XIY 

XHI-XIY? 
1100 

XII 

1130 

XII  E. 

IX -XIY 


/  X-XIY 
\  resp.  XYI 


1 500  u.  1521 
XIII  A. 

XIII 

1300 

XIII 


XIY 


800 

—  1050 

V 

700 

-1050 

» 

X 

X? 

X? 

XIV 


223 


No. 
115 

116 
117 
118 

119 


120 


121 


122 
123  a 
123b 

124 

125 
12G 

127 


128 
129 

130 

131 
132 

133 
134 
135 

136 
137 


Eiseubügel  mit  Silbertaudchieruug  nach  Mestorf,  Ka- 
talog des  Mus.  zu  Kiel 

Aus  der  Blell'scheii  Sammlung,   Ostpreussen    .     .     . 

Aus  der  Zschille'schen  Sammlung,  Westpreussen 

Nach  Wilde,  Catalogue  of  AQti([U.  Bügel  aus  dem 
Museum  zu  Skokloster  in  Schweden     .... 

Nieder-Finow,  Prov.  Brandenburg,  angeblich  dem 
13.  bis  14.  Jahrhundert  augehörend.  Mark.  Prov.- 
Mus.  Berlin 

Flaschenfürmiger  aragonischer  Bügel,  nach  Büheim 
dem  13.,  nach  Demmin  dem  14.  Jahrhundert 
angehörend  

Nach  dem  Anzeiger  für  Kunde  d.  deutsch.  Vorz.  Neue 
Folge.  Nürnberg,  Germ.  Mus.  28.  Bd.  1881, 
S.  134,  14 

Deutscher  Eisenbügel,  nach  Demmin,  Sigmaringen   . 

Statue  des  heil.  Georg,   Prag 

Nach  einer  Miniatur  der  Weingartner  Liederhand- 
schrift   zu  Stuttgart ... 

Nach  den  Miniaturen  zu  Lancelot  du  lac,  Paris.  Nat.- 
Biblioth 

Statue  Konrads  III.,  Dom  zu  Bamberg 

Bügel  ohne  Öse,  nach  P.  Lacroix  (Moeurs,  usages  et 
costumes  du  moyen  age  II,   15) 

Miniatur  aus  der  gemalten  Handschrift  der  Jahrb.  v. 
Genua,  nach  Stacke,  D.  Gesch.  I,  400.  Der  Bügel 
scheint  an  einer  Kette  befestigt 

Vergoldeter  eis.  Bügel,  nach  Viollet,  dazu  soll  ein 
Kissen   gehört   haben 

Aus  Histoire  de  la  vie  et  des  miracles  de  St.  Louis, 
nach  Viollet  III,  460 

Fragment  eines  kupfernen  Armleuchters,  nach  Viollet 
I,  401 

Wie  129,  nach  Viollet  III,  444 

Aus  einem  Manuskript  der  Pariser  Nat.-Biblioth.,  nach 
Viollet  III,  467     , 

Wie  129,  nach  Viollet  HI,  439 

Südfranzösischer  Jagdbügel,  nach  Böheim  .... 

Linker  Bügel  für  Schnabelschuhe  (solerets  depoulaine), 
nach  Viollet,  dazu  gehörte  ein  Kissen  .... 

Jüterbock,  mit  einem  goldenen  Magdeburger  Bractea- 
ten  und  einem  Sporn  aus  dem  12.  Jahrhundert 
gefunden,  aber  wohl  später.  Berlin,  M.  Prov. -Mus. 

Sacrow-Paretz  (Potsdam)  ebenda 


Jahrhundert. 


VIII -XI 
XI— XII 


XIII-XIV 


XIII? 
XIV 


1304 

XIII 

XIV  E. 

1300 

XIV 


1480 
1390 
XIV 

XIV  E. 


XV? 


224 


Xo. 
138 

139 
140 
141 

142 
143 

144 
14.") 

140 
147 

148 
149 

150 

151 

152 

153 
154 
155 

156  u.  157 

158 

159 
KJO 

IGl— 1G3 
1G4 

105 
106  a 


166b 


(Jilüisseu,    Sclieukel    uach    hinten    zu   weiter   gestellt, 

ebenda     

Gross-Beeren,  ebenda 

Deutscher  Bügel,  ebenda,  nach  Angabe  Alfieris  älter 
Kaukasischer    Bügel,     Berlin,    Zeughaus,     angeblich 

1500  bis   1700 

Eiserner  Bügel,  ebenda 

Nach    Demmin,    zu    einem  Elfenbeinsattel    gehörend, 

Berlin 

Hohen-Lübichow,   Brandenburg,    Prov.-Mus.   Berlin  . 
Aus  einem  sächsischen  Grabe,  mit  ähnlichen  zusam- 

raen.    Mus.  des  sächs.  Altert.-Ver.,  Dresden 

Schaudau,  ebenda    

Ungarischer  Bügel    aus   der    kais.    Waffensamml.    in 

Wien,  No.   192 

Ungarischer  Bügel,  ebenda,    No.   112 

Frauen- oder  Turnierbügel?  mit  durchbrochener  Arbeit, 

nach  Demmin,    Paris,  Artill.-Mus 

Endischer  Eisenschuh,  nach  Demmin,    Schloss  AVar- 


wick 


Jahrhundert. 

XY? 


Feldharnisch-Bügel,  nach  Sacken,   Ambraser    Samm- 
lung, Wien 

Krippensattelbügel,     unsymmetrisch,    nach    Böheim, 

S.  207.    Bei  Demmin  ist  er  verkehrt  gezeichnet 
Statue  des  Erasmus  de  Narni  im  BerUcer  Mus.  .     . 

München,  Xational-Mus 

Museum  in  Linz  a.  d.  Donau 

Ungarische    Bügel    von  Eisen,    mit    Messing    belegt, 

Kais.  Waffensamml.  in  Wien,  No.  77   u.  78 
Bügel  aus  zierlich  durchbrochenem  Eisen,  Saal  Maxi- 
milians  I.,  ebenda,  Xo.  37 

Statue  des  Bart.  CoUeoni,  Berliner  neues  Mus.    .     . 
Arabischer  Bügel,  reich  mit  Silber  und  Gold  nielliert, 

nach  Demmin 

Gotische  Bügel,  nach  Zschille 

Schmiedeeis.  Bügel  zum  Schutze  des  Knöchels,  nach 

VioUet  und  Demmin 

Nach  Lacroix  lY,  119 

Bügel  eines  türkischen  Kriegers  auf  einem  Holzschnitt 

von  Hans  Guldenmuudt,  nach  Stacke,    Deutsch. 

Gesch.  H,  97 

Angeblicher  Sporensteigbügel    des  Herzogs  Christian 

You  Bayern,   München,   nach   Demmin   .      .      .     . 


9 


XV  E. 


7)    ' 

V 


um  1500 


XY 


V 

n 
n 


XY  E. 

XIY  E. 

XYA. 

XY-XVI 

XY 


XYI 
XV 


225 


Xo. 
167 

168  u.  169 
170 

171 
172 


id 


174 

175 

176 

177 

178 
179 
180 

181 

182 

183 

184—189 

190 
191 

192 
193 
194 

195 
196 
197 
198 


Bügel  des  Erzherzogs  Ferdinand,  nach  von  Sacken, 
Ambraser  Sammlung,  Wien 

Deutsche    Bügel,  München,    National-Mus 

Rheinischer  Bügel  mit  durchbrochener  Arbeit,  nach 
Racinet  II,  87 

Vergoldeter   Muschelbügel,    München,    National-Mus. 

Bügel  des  Herrn  v,  Fugger,  nach  Hiltl,  WafFensamml. 
des  Prinzen  Karl,  Berlin 

Rost  eines  Bügels,  vorn  gerade  und  scharf  gemacht, 
hinten  halbkreisförmig,  künigl.  Waffensamml.  im 
Johanneum  zu  Dresden 

Italienischer  Bügel  aus  vergoldetem  Messing  mit  Ver- 
zierungen in  italienischer  Renaissance.  Kais. 
Waffensamml.  in  Wien 

Bügel  des  Kurfürsten  Georg  von  Brandenburg,  Jo- 
hanneum in  Dresden 

Bügel  Augusts  I.  von  Sachsen.  Die  Schenkel  haben 
5  Reifen,  der  Rost  drei  Stangen,  hängt  vorn 
tiefer  als  hinten,  ebenda 

Bügel  mit  vorgebogener  Ose,  damit  er  vorn  nicht 
tiefer  hängt,  ebenda 

Bügel  mit  vorgebogener  Ose,  nach  Viollet  .... 

Muscheln  an  der  Sohle  und  der  (3se 

Kleiner  Prachtbügel  eines  Prinzen,  Dresden,  Jo- 
hanneum       

Deutscher  Bügel  aus  vergoldetem  Messing,  mit  meister- 
haften Reliefs,  kais.  Waffensamml.,  Wien,  No.  386 

Prachtbügel  mit  Edelsteinen  besetzt.  Sohle  voll, 
wahrsch.  16.  Jahrhundert,  Dresden,    Johanneum 

Bügel  mit  drehbarer  Ose  und  ovalem  Rost,  nach  Le 
Vallet,  S.  45 

Aus  Jost  Ammans  Wappen-  und  Stammbuch,  Frank- 
furt a.  M  ,  bei  Siegmund  Feyrabend,   1 589  .     . 

Bügel  zum  Scharfrennen,  Dresden,  Johanneum     .     . 

Von  einem  Stechsattel  Kaiser  Maximilians  IL,  aus 
dem  Freydal,  S.  48 

Aus  der  Blell'schen  Waffensamml . 

Bügelösen,  München,  Nat.-Mus .     . 

Sehr  grosser  Bügel  für  breite  Mailänder  Schuhe, 
München,  Nat.-Mus 

Desgl.,  ebenda 

Deutscher  Bügel,  ebenda,  wohl  17.  Jahrhundert  .     . 

Ebenda,  gehört  wohl  auch  ins   17.  Jahrhundert    .     . 

Bügel  Karls  V.,  nach  Hirth 


Jahrhundert. 

XVI 


XVI  E. 


XVI 


7)   • 
9 


E. 


1550 
XVI? 
.  E.? 


E. 


XVI? 
XVI? 
XVI 


15 


226 


No. 
199 
200 


201 
202 
203 
204  a 
204  b 

205 
206 


207 

208 

209 

210a  u.  b 

211 

212 

213 
214  u.  215 

216 

217 

218 
219 

220 
221 

222 

223 

224 


Bügel  für  Mailänder  Schuhe,  München,  Nat.-Mus.     . 

Deutscher  Bügel,  Berliner  Zeughaus,  1530  bis  1540 
datiert,  doch  vielleicht  dem  17.  Jahrhundert  an- 
gehörend       

Grosser  Korbbügel,  Berlin,  Zeughaus 

Kleiner  Korbbügel  für  ein  Kind,  ebenda     .... 

Prunkbügel  Kaiser  Maximilians  II.,    nach  ßöheim     . 

Eisenschuh,  nach  Demay 

Englischer  Turnierbügel,  nach  Meyrick:  Engraved 
Illustrations  of  Ancient  Arms    PL   VIII,    Fig.  9 

Ritterbügel,  Blell'sche  Sammlung 

Eisenschuh  mit  Seitenblechen  auf  der  äusseren  Seite, 
Mus.  für  Kunstgewerbe  in  Magdeburg.  Der 
Bügel  ist  von  vergoldetem  und  ausgelegtem  Eisen, 
undatiert 

Bügel  Friedrichs  III.,  Herzogs  von  Liegnitz  und  Berg, 
nach  V.  Sacken,  Wien,  Ambraser  Samml.     .     . 

Bügel  der  Herzogin  von  Savoyen,  nach  Racinet  . 

Bügel  Karls  V.,  nach  Racinet  IV,  260 

Bügel  für  Entenschnabelschuhe,  nach  Demmin,  Wien, 
Ambraser  Samml.,  und  Meyrick  PI.  IX,  Fig.  4  . 

Vom  Sattel  Kaiser  Maximilians  I.,  Wien,  kais.  Waf- 
fensamml.  No.  195 

Ungarischer  Bügel  vom  Reitzeuge  Erzherz.  Ferdinands 
von  Tirol,  ebenda  No.  410 

Desgl.,  ebenda  No.  477 

Eiserne,  ciselierte  Bügel,  wahrscheinlich  für  Maul- 
tiere, nach  Demmin 

Eiserner  Bügel  in  getriebener  und  durchbrochener 
Arbeit,  nach  Demmin,  London,  Tower     .     .     . 

Ungarischer  Bügel  aus  verzinntem  Eisen,  nach  Böheim 

Eisenbügel,  München,  Nat.-Mus 

Persischer  Bügel  aus  einer  Handschrift  des  16.  Jahr- 
hunderts, nach  Demmin     .     .     ...     .     .     . 

Ungarischer  Bügel,  nach  Hirth 

Bügel,  zu  einer  orientalischen  Rüstung  gehörend, 
Berlin,  Zeughaus 

Arabischer  Bügel  mit  durchbrochener  Arbeit,  nach 
Demmin,  Paris,  Artill.-Mus 

Ungarischer  Bügel  mit  Silberfiligran  und  vergoldeten 
Rosetten,  nach  v.  Sacken,  Wien,  Ambraser-S.   . 

Tatarischer  Bügel,  nach  Böheim;  ganz  ebensolche 
finden  sich  bei  Burjaeten  und  Kalmücken     .     . 


Jahrhundert. 

XVI 


Mo 
„ 

•n 

V 


1543 
XVI 


A. 


1510 

1583 
XVI  E. 

1585 

XVI 

V 
V 

n 


227 


No. 
225 

22G 

227 

228 

229 
280 
231 
232 
233 


234 
235 
236 

237 
238 

239 
240 
241 
242 


243 

244 
245a 

245  b 
246  a  u.  b 

246  c 
247 

248 


Bügel  Wallensteins,  feinste  durchbrochene  Arbeit, 
München,  Nat.-Mus 

Bronzebügel,  teilweise  rot  und  grün  bemalt,  Berlin, 
Zeughaus     

Bügel  des  Kurfürsten  Maximilian  I.  von  Bayern, 
München,  Xat.-Mus 

Messingbügel,  nach  Demmin,  für  die  englischen  Jack- 
boots bestimmt 

Bronzebügel,  Spätrenaissance,   Berlin,  M.  Prov.-Mus. 

Schwerer  Eisenbügel,  München,  Nat.-Mus. 

Bügel  von  Jean  de  Wert,  nach  Hirth 

Prachtbügel,  vergoldet,  Berlin,  Zeughaus     .... 

Sehr  grosser,  zu  den  schweren  Reiterstiefeln  passender 
Bügel  aus  der  Zeit  des  grossen  Kurfürsten, 
Blell'sche  Sammlung 

Eisenbügel,  Berlin,  Zeughaus 

Deutscher  Eisenbügel,  BerUn,  Zeughaus      .... 

Nach  Wilde,  Catalogue  of  Antiqu.,  Brahe-Museum 
zu  Skokloster  in  Schweden 

Gelenkbügel,  Blell'sche  Sammlung 

Bügel  des  Herzogs  Bernhard  von  Sachsen-Weimar, 
nach  Hirth 

Bügel  nach  Pluvinel 

Bügel  des  Grafen  Styrum,  nach  Hirth 

Deutscher  Bügel  des  Kasseler  Museums,  nach  Demmin 

Bei  Dielfort  gefunden,  Museum  in  Sigmaringen.  Die 
Datierung  dieses  und  des  vorhergehenden  Bügels 
scheint  ganz  unrichtig  zu  sein,  beide  dürften  ins 
15.  Jahrhundert  gehören 

Deutscher  Eisenbügel,  Berlin,  Zeughaus.  Der  Bügel 
ist  dort  wohl  irrtümlich  dem  15.  Jahrhundert 
zugeschrieben 

Französischer  Bügel     ...  

Aus  I.e  parfdii  ecuyer  vom  Herzog  von  New-Castle 
(I,  10,  20)  als  beste  Art  Bügel  bezeichnet   . 

Yon  einer  Gobelin-Tapete  im  Hohenzollern-Museum 
zu  Berlin 

Englischer  Bügel  des  Lieut.  Colonel  Kyrie,  von  zwei 
Seiten  gezeichnet 

Messingbügel,  Blell'sche  Sammlung 

Bügel  von  einem  türkischen  Sattel  aus  der  Zeit  der 
Belagerung  von  Wien,  Blell 

Bronzebügel,  bei  Rottenmano  in  Obersteiermark  ge- 
funden, Graz,  Museum 


Jahrhundert. 

XVII 


1680 

xvn 


V 

n 


E. 


1646 
XVII 


15^ 


228 


No. 
249 
250 
251 
252 
253 


254 

255 
256 
257 


258 

259 
260-262 

263 

264 
265 
266 


267 

268 
269 


270 
271 


272 


273 


Eiserner  Bügel,  volle  Sohle,  Blell       

Vergoldeter  Dameubügel,  Berlin,  Zeughaus      .     .     . 

Damenbügel,  ebenda 

Nach  Pluvinel 

Bügel  eines  von  Max  Emanuel  1688  bei  Belgrad 
erbeuteten  orientalischen  Sattels,  München,  Nat.- 
Museum 

Bügel  zum  Zusammenklappen,  im  Palast  Montecuculi 
zu  Venedig  gefunden,  Wien,  Arsenal   .     .     .     . 

Messing-Korbbügel,  Mus.  d.  sächs.  Altert.-V.,  Dresden 

Bügel  mit  Sporn,  nach  Zschille 

Geschenk  des  Fürsten  Radziwill  an  Georg  III.  von 
Sachsen.  Auf  der  Sohle  ein  Dorn.  Dresden, 
Johanneum 

Ungarischer  Bügel  von  einem  im  Türkenkriege  er- 
beuteten Sattel  für  kleine  Prinzen,  Sohle  voll, 
Dresden,  Johanneum 

Prachtbügel  mit  böhmischen  Granaten  besetzt,  von 
einem  Reitzeuge  Christians  II,,  ebenda     . 

Drei  eiserne  Bügel  aus  Lübtow  bei  Pyritz,  nach  dem 
Jahresbericht  der  Ges.  für  pommer'sche  Gesch. 
und  Altert.  1877 

Bügel  der  Generale  Friedrichs  des  Grossen  ausser 
Ziethen,  Berlin,  Denkmal  unter  den  Linden 

Bügel  Ziethens,  ebenda 

Tscherkessen-Bügel,  nach  Böheim,  Zarskoe-Selo  .     . 

Bügel  Friedrichs  des  Grossen,  Berlin,  Hohenzollern- 
Museum.  Dieselbe  Form  hatten  die  damaligen 
Kürassier-Bügel 

Französischer  Bügel,  Sohle  voll,  keine  Öse,  Dresden, 
Johanneum 

Aus  L'art  de  monter  a  cheval,   von  Eisenberg     .     . 

Ungarischer  Bügel,  von  einem  Reitzeuge  Kaiser 
Josephs  IL,  Wien,  kaiserliche  Waffensammlung 
No.  895        

Bügel  des  Prinzen  Georg  Ludomirski,  nach  Racinet 
VI,  455 

Türkischer  Bügel  aus  vergoldetem  Eisen,  nach  Bö- 
heim   

Türkischer  Bügel,  vorn  geschlossen,  kais.Waffensamml., 
Wien,  No.  26 

Patagonischer  Bügel,  Holz  mit  Lederriemen,  Berlin, 
Völkermuseum 


Jahrhundert, 

XVII 


n 


E. 


1683? 
XVII 


E, 


r>     n 


XVIII 


V 


j  XVII  bis 
I   XVIII 

XVIII 


229 


No. 
274—276 


277 

278 
279 
280 

281 

282 
283 

284 

285 


286 

287 

288 
289 
290 
291 

292 
293 


294 
295  u.  290 

297 


298 


299 

300 
301 


Drei  französische  Bügel,  und  zwar  Etrior  ii  grille, 
modele  chez  le  roi,  Etrier  ä  grille  ä  cucur  und 
Etrier  ii  Tauglaise,  planchette  ä  grille.  Nach  Le 
Vallet,  S.  157 

Preussischer  Offizier-Bügel,  früher 

Desgl.,  jetzt 

Sturzbügel,  geöffnet 

Bügel  der  preussischen  Feld-Artillerie  von  1816, 
Berlin,  Zeughaus 

Preussischer  Bügel  für  Bocksättel 

Bügel  der  französischen  Lanzenreiter 

Bügel  der  französischen  Ulanen'1870,  Berlin,  Zeughaus 

Bügel  der  französischen  Chevauxlegers,  nach  Le 
Vallet,  S.   181       

Messingbügel  der  amerikanischen  Artillerie  vom  Jahre 
1862.  Die  Bügel  sind  so  am  Sattel  befestigt, 
dass  die  Öse  nach  aussen  gebogen  ist  und  der 
hintere  Sohlenrand  höher  steht,  Berlin,  Zeughaus, 
im  Erdgeschoss 

Bügel  der  russischen  Leib-Garde-Ulanen  Caesare- 
witsch,  Berlin,  Zeughaus 

Bügel  der  russischen  Chevalier-Garde  1827,  Berlin, 
Zeughaus     

Bügel  der  russischen  Artillerie  1827,  ebenda  .     .     . 

Bügel  der  russischen  Feld-Artillerie  1870,  ebenda     . 

Bügel  für  Österreich.  Husaren    1824,  Wien,    Arsenal 

Bügel  für  österreichische  Kavallerie  und  Artillerie 
1854,  Wien,  Arsenal 

Bügel  der  belgischen  Artillerie,  Berlin,  Zeughaus  ,     . 

Bügel  Napoleons  L,  aus  der  Schlacht  bei  Dresden 
herstammend,  Dresden.  Johanneum,  entspricht 
der  Form  274 

Moderner  Damenbügel 

Damen-Sturzbügel,  geschlossen  und  geöffnet    . 

Bügel  mit  Sporn.  Geschenk  des  Sultans  an  König 
Otto  von  Griechenland,  München,  Nat.-Museum, 
Vgl.  256 

Bügel  von  Birkenholz,  noch  bis  Mitte  dieses  Jahr- 
hunderts in  Ostpreussen  im  Gebrauch,  Lichter- 
felde, Blell'sche  Sammlung 

Holzbügel  von  der  Insel  Timor  (Neu-Guiuea),  Berlin, 
Völkermuseum 

Holzbügel  aus  Chile,  ebenda 

Holzbügel  aus  Araukanien,  ebenda 


Jaluhundert. 


xvni 

XLX:  A. 
,  E. 


A. 


E. 


1862 

XIX  A. 

1827 
1827 
1870 
1824 

1854 
XIX 


1813 
XIX 


V 


230 


No. 

302 
303 
304 
305 

306 

307 
308 
309 


310 

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325 

326 

327 
328 
329 


Holzbügel  aus  Mexiko,  ebenda 

Holzbügel  aus  Sibirien,  ebenda 

Holzbügel,  ebenda        

Holzbügel    von    der    Insel   Luzon,    Wien,     Nat.-hist. 

Museum 

Araukanischer  Bügel    aus  Lederriemen,    sechs  über- 
einander, und  einem  eisernen  Stift  gefertigt  .     . 
Chinesischer  Bügel,  Berlin,  Völkermuseum  .... 
Chinesischer  Soldatenbügel,  nach  Racinet  H,  87   .     . 
Japanischer  Bügel  aus  schon  lackiertem  Holz,  Berlin, 
Völkermuseum ;    ein    ganz   ähnlicher    im    ethno- 
graphischen Museum  zu  München 

Japanischer   Bügel,    Eisen    mit   Messing  und  Kupfer 

verziert.    Magdeburg,  Kunst-Gewerbe-Museum    . 

Central-Indien.  Nur  für  die  grosse  Zehe.    Postmuseum 

in  Berlin 

China,  Bandschleife,  ebenda 

Holzbügel    von    einem    russischen  Jagdsattel,   bemalt. 
Wien,  kais.  Waffensamml.  No.  160       .... 
Massiv  silberner,  araukanischer  Bügel,  Berlin,  Völker- 
Museum        

Massiv    silberner,     araukanischer    Bügel,    unten    mit 
einem  glockenförmigen  Ansätze,  ebenda    .     .     . 

Silberner  araukanischer  Bügel,  ebenda 

Arabischer  Stahlbügel,  München,  ethnograph.  Museum 

Haussabügel  mit  Goldmustern,  ebenda 

Algerischer  Eisenbügel,  Wien,  Nat.-hist.  Museum 
Bügel    der  Westamerikanischen  Reiter  Buffalo-Bills; 
der    eigentliche  Bügel  ist  von  einer  Lederdecke 

verhüllt 

Somalibügel,  nur  für  eine  oder  zwei  Zehen  .     .     .     . 
Messingbügel    des    Königs    Theodor   von    Abessinien, 

Berlin,  Völkermuseum 

Schwerer    MessingbUgel    aus    Columbia.    Zwei    sehr 

ähnliche  Paare  im  Völkermuseum  zu  Berlin  .     . 

Bronzebügel  mit  Rasselstiften  aus  Vorderindien,  ebeuda 

Eisenbügel  aus  Radschputana  (Jeipore,  Vorderindien), 

ebenda    

Sattel   mit   planchette    aus    Caux   in    der  Normandie, 

nach  Racinet 

Damensattel,  München,  Nat.-Museum 

Patagonischer  Sporn,  Berlin,  Völkcrmuscum     .     .     . 

Kindcrbügel,  bei  Killstadt  im  Elsass  gefunden,  Berlin, 

Mus.  für  Volkstrachten 


Jahrhundert. 

XIX 


XVI 
XVIII 


231 


330—334 
335 
336 


337 

338 
339—341 

342  u.  343 


344 


345—348 
349 
350 

351  u.  352 


Verschiedene  Formen  des  Hakenkreuzes  und  des 
Sonnenrades, 

Im  Neueuburger  See  gefundener  angeblicher  Steig- 
bügel, nach  Lindenschmit,  heid.  Yorz.,  und  Gross. 

Bügel  an  einem  Abguas  einer  bei  Lindau  gefundenen 
Reitertigur,  angeblich  aus  der  Hallstadter  Periode, 
Besitzer  E.  Naue,  München, 

Relief  aus  Kouyoundjik,  nach  Place  (Niniveh  und 
Assyrien  III,  50). 

Desgl.,  aus  Layard  (Monuments  de  Niniveh,  82). 

Bronzeringe  aus  Dänemark  und  den  Elbläudern,  nach 
Mestorf. 

Angeblich  römische  Steigbügel  aus  dem  II.  oder 
III.  Jahrhundert.  Sie  befinden  sich  nicht  in 
Neapel,  wie  Viollet-le-Duc  und  nach  ihm  Le 
Vallet  (Le  chic  ä  cheval,  S,  57)  behaupten. 

Deutscher  Armbrustbügel,  Berlin,  Mark,  Prov.-Mus., 
ebensolche  befinden  sich  in  Nürnberg,  Wiesbaden, 
Linz  a.  d.  Donau  u,  a.  0 

Verschiedene  Armbrustbügel,    348    für  Kavalleristen 

Armbrustbügel,  Sammlung  Straberger  in  Linz  a,  D. 

Eissporn,  Verein  für  Gesch.  der  Stadt  Leipzig,  ähn- 
liche in  Hallstadt  und  Halle 

Zeichnungen  von  Hans  Guldenmundt,  das  türkische 
Heer  der  I.  Belagerung  von  Wien  betreffend.  Aus 
den  Mitteilungen  des  Wiener  Altert.- Ver.  1875, 
Bd.  15,  Taf.  II  und  III 


.lahrliundcrt. 


XV 
XV- XVI 


1529 


Zur  Topographie  des  alten  Wiesbaden. 


Von 

A»  Y*  Cohausen» 


Trotz  der  grossen  Bauthätigkeit  der  Stadt  hat  sich  doch  nur  eine  geringe 
Anzahl  von  Fundstücken  ergeben,  welche  für  die  Ürtlichkeit  bezeichnend  sind. 
Der  Quelleusinter,  über  den  wir  bereits  in  den  Annalen  XII,  317;  XXI, 
9  und  XXIII,    153   gesprochen   haben,    und    der    uns  zeigt,    wohin    die   Koch- 
brunnenquelle einst  ihren  Abfluss  genommen  hat,  wurde  gefunden : 

am  Kreuzungspunkt  der  Emser-  und  Schwalbacher-Strasse,  auf  127,08 
Amst.  Pegel,  1,76  m  unter  dem  Strassenpflaster  in  einer  Stärke  von 
1,50  ra,  darunter  folgt  ins  Unbestimmte  Lehm; 
auf  dem  Markt  am  Anfang  der  Ellenbogengasse  (114,01  Amst.  Pegel) 

lag  1,30  m  unter  dem  Pflaster  der  Sinter  1,50  m  stark; 
in   der    Delaspeestrasse  No.  7,    in    den    Fundamenten    im    ehemaligen 
Dasch'schen    Garten,    lag    der    Sinter   0,50  m    mächtig   auf   110,84 
Amst.  Pegel  in  2,60  m  Tiefe. 
Aus  der  Zeit,   von  der  wir  am  Archivgebäude   und   am  Schlachthaus   die 
Mardellen    gefunden   haben,    ist  uns  nichts  vorgekommen,    wohl    aber    aus    der 
Lat^ne-Zeit,   welche  der  römischen  Besitzergreifung  am  Rhein  vorausging,  fand 
sich  ein  rundliches,  bodenloses,  korrekt  mit  Strichen  in  Felder  eingeteiltes  und 
mit  Quadraten  verziertes  Töpfchen,  und  zwar  beim  Fundamentieren  eines  Hauses 
an  der  Ringstrasse,    südlich    der    neu    zu   erbauenden   protestantischen    Kirche. 
Ähnliches  ist  auch  früher  in   der  Xähe,    am  westlichen  Ende  der  Rheinstrasse, 
gefunden  worden. 

In  der  Delaspeestrasse  Xo.  7,  dem  ehemaligen  Dasch'schen  Garten,  fand 
sich  von  dem,  Annal.  XIV,  427  erwähnten  römischen  Friedhof  die  Fortsetzung 
an  der  vom  Stümpert  nach  der  Mainzerstrasse  führenden  Röraerstrasse.  Nur 
ein  kleiner  Teil  der  Fundstücke,  deren  grossen  Teil  unehrliche  Arbeiter  ver- 
bracht hatten,  kam  ins  Museum. 

In  den  Fundamenten  des  Karlsruher  Hofes,  in  der  Goldgasse  und  der 
Bärenstrasse,  fanden  sich  römische  Töpfereien  und  ein  Lavamühlstein,  und  in 
der  Rheinstrasse  Xo.  30  fand  sich  in  dem  bekannten  Zug  der  römischen  Wasser- 
leitung (Annal.  Y,  1877,  pag.  47)  ein  Schlaramkasten  mit  Röhren. 

In  den  Fundamenten  der  in  der  oberen  Webergasse  neu  aufgebauten 
Stadt  Frankfurt,  Xo.  37,  fand  man  einen  gereifelten,  nicht  glasierten  Steinzeug- 
Topf,  der  durch  seine  Backrisse  und  verzogene  Gestalt  zeigte,  dass  er  nie  in 
Handel  gekommen,  sondern  nicht  fern  von  seinem  Fundplatz  angefertigt 
worden  ist. 


Burgen  in  Nassau. 

Von 

A*  ¥♦  Cohausen» 

Mit  Taf,  VII— X. 


1.  Neukatzenelnbo2:eii  oder  die  Katz  bei  St.  Goarsliaiiseii 

liegt  über  dem  Städtchen  in  halber  Höhe  des  Hochrückens,  der  bei  Oberweisel 
beginnt  und  mit  seinem  westlichen  Ende  an  den  Rhein  vorstösst  (Taf.  YII,  1, 
2;  VIII,  1,  2;  IX,  1).  Überragt  vom  Gebirg,  ist  die  Burg  durch  einen  Fels- 
graben, der  mit  der  Einebenung  des  Bauplatzes  entstand,  von  jenem  getrennt. 
Seine  vielen  Felsabstürze  nach  der  Rheinseite  machen  sie  hier  und  auch  nach 
der  andern  Thalseite  ganz  oder  fast  unzugängUch.  Die  Burg  war  im  Jahre 
1393    von  dem  Grafen  Johann  III.  von  Katzenelnbogen  erbaut. 

Ihr  Mantel  bildet  ein  40  m  langes  und  30  m  breites  Siebeneck,  auf  dessen 
gegen  die  Felshöhen  gerichtete  Schmalseite  und  Ecke  ein  runder  Bergfried  a  mit 
einem  Drittel  seiner  Stcärke  vortritt,  und  den  zu  seiner  Linken  gelegenen  Ein- 
gang flankiert.  Er  hat  10,45  m  äussere  und  bei  einer  Mauerstärke  von  1,85  m 
eine  lichte  "Weite  von  6,75  m,  in  welche  sechs  Pfeiler  vortreten  und  mittels 
flachen  Kappen  ein  Klostergewölbe  tragen. 

Der  Eingang  ist  ebenerdig,  aber  nach  dem  zweiten  Stock  führt  ein  aussen 
angelehntes  Schneckentürmchen,   von    dem  Holztreppen    weiter    hinauf  geleiten. 

Seine  ganze  Mauerhöhe  beträgt  20  m ;  er  hatte  aber  über  dem  umlaufenden 
Bogenfries  noch  einen  niederen  Mauerstock,  auf  welchem  ein  schieferbekleideter 
achteckiger  Zimmerstock  mit  spitzem  Pyramidendach  für  den  Wächter  ruhte. 
Er  hatte  zu  hessischen  Zeiten  zu  Thal  fahrende  Schiffe  zu  Wahrschauen,  damit 
die    damals    noch  bestehende  fliegende  Brücke  ans  Land  zu  fahren  Zeit  hatte. 

Die  siebenseitige  Mantelmauer  der  Burg  hatte  einen  auf  Pfeilern  und 
Rundbogen  hinter  den  Zinnen  herführenden  Wehrgang,  vor  dem  die  Zinnen- 
mauer gleichfalls  auf  Friesbogen  vorgerückt  war. 

Die  Mauer  umschloss  einen  Hof,  durch  den  der  Bergfried  vom  Palas, 
dem  Wohnhaus  des  Kommandanten,  und  einem  kleinem  Thorzwinger  getrennt  war. 

Mehrfache  Zwinger,  verschiedener  Form  und  Breite,  umzogen  die  eigentliche 
Burg,  die  ihrer  auf  der  steilfelsigen  Rhein-Seite  nicht  bedurfte,  die  aber  auf 
der  anderen  Thalseite,  wie  gegen  die  Höhe  hin,  zu  ihrer  Sicherheit  bei- 
trugen, indem  vbn  dem  Städtchen  aus  ein  Pfad,  und  thalaufwärts  beginnend  ein 


234 

Fahrweg  herauf  kamen.  Die  ihnen  entlang  geführten  Zwingermauern  c  sind 
durch  in  neuerer  Zeit  angelegte  Soldatenquartiere  und  viele  Kleingewehrscharten 
verteidigt. 

Xaeh  der  für  das  Ende  des  14.  und  während  des  15.  Jahrhunderts  beliebten 
Überzahl  von  bewimpelten  Türmen  und  Türmchen  ist  auch  die  Katz  auf  allen 
Ecken  mit  sechs  solchen  versehen  (a,  h,  c,  d,  f),  die  bald  als  Schnecken,  bald 
nur  als  Erker  dienen.  Sie  sind  aussen  rund,  innen  meist  sechseckig  und  mit 
Klostergewölben  überwölbt. 

Ausser  der  obengenannten  Erbauungszeit  von  1393  ist  von  der  Bauge- 
schichte der  Burg  kaum  etwas,  und  von  ihrer  Kriegsgeschichte  kaum  mehr 
bekannt,  als  wie  sie  bei  der  Verteidigung  der  Festung  Rheinfels,  einmal  bei 
dem  Angriff  gegen  dieselbe,  mitgewirkt  hat. 

Was  im  15.  und  IG.  Jahrhundert  sich  mit  der  Burg  ereignet  hat,  ist  uns 
nicht  bekannt  geworden,  mit  dem  30  jährigen  Krieg  erst  tritt  sie  in  die  Handlung 
ein.  Bei  der  Belagerung  von-  Rheinfels  1626,  wo  St.  Goar  durch  die  Spanier 
genommen  und  geplündert  wurde,  hielt  sich  die  Festung  aber  durch  den  Oberst- 
lieutenant von  Uffeln,  und  die  Katz  unter  ihrem  Kommandanten  Hauptmann 
Dietrich  Suale  gegen  fünfmaligen  von  Yerdugo  selbst  geleiteten  Ansturm, 
obschon  sie  nur  mit  80  Mann  und  10  Geschützen  verteidigt  war.  Sie 
wurde  von  den  Angriffsbatterien  auf  dem  Wackenberg  (die  sie  demontierte)  und 
auf  dem  Patersberg  so  beschossen,  dass  sowohl  die  Kommandanten-Wohnung 
als  der  Bergfried  bis  auf  das  Mauerwerk  niederbrannten. 

Erst  am  4.  September  1626  verliessen  auf  Befehl  ihres  Herrn,  des  Land- 
grafen zu  Hessen-Kassel,  die  tapferen  Verteidiger  ihre  Vesten,  mit  allen  krie- 
gerischen Ehren:  mit  Sack  und  Pack,  mit  lautem  Trommelschlag,  fliegenden 
Fähnlein,  brennenden  Lunten,  und  die  Kugel  im  Munde.  So  kam  und  blieb 
Hessen-Darmstadt  von  1626  bis  1647  in  Besitz  von  Rheinfels  und  der  Katz. 

Um  diese  Zeit,  1647,  konnte  die  Landgräfin  von  Hessen-Kassel,  Anna 
Elisabeth,  es  nicht  länger  verschmerzen,  dass  ihrem  Haus  Rheinfels  und  die 
Grafschaft  Katzenelnbogen  entzogen  war.  Bei  dem  Versuch,  sie  wieder  zu  er- 
langen, ergab  sich  die  Katz  nach  dem  ersten  Bombardement  —  und  rausste  bei 
der  Beschiessung  von  Rheinfels  mitwirken,  da  dies  sich  unter  seinem  Komman- 
danten V.  Koppenstein  länger  wehrte  und  dieser  erst  auf  Befehl  seines  Herrn,  des 
Landgrafen  von  Hessen-Darmstadt,  am  14.  Juli  1647  Rheinfels  mit  allen  krie- 
gerischen Ehren  verliess.  Allein  schon  1648  kam  Rheinfels  mit  der  Katz  und 
der  Grafschaft  Katzenelnbogen  wieder  an  Kassel. 

Bei  der  Belagerung  von  Rheinfels,  1692,  durch  die  Franzosen,  war  das 
rechte  Rheinufer,  St.  Goarshausen,  die  Katz  und  die  Berge  von  Nochern  und 
Patersberg  in  den  Händen  der  Hessen  geblieben,  sodass  die  dortigen  Batterien 
die  französischen  bei  Werlau  und  dem  Wackenberg  zu  wiederholten  Malen  zum 
Schweigen  brachten.  Die  Franzosen  unter  dem  General  Tallard  mussten  am 
1.  Januar  1693  die  Belagerung  aufgeben  und,  verfolgt  von  einem  Teil  der 
Reichsarmee,  nach  Trarbach  Hieben,  während  der  Kommandant  der  Festung, 
General  von  Görtz,  sich  hohe  Ehren  erworben  hatte. 


235 

1698  verliess  die  Hessen -kassersche  Besatzung  Rhcinfels,  und  Hcsscn- 
Rheinfels  rückte  ein.  Denn  es  waren  drei  hessische  Stämme,  die  sich  während 
des  17.  Jahrhunderts  dort  bekämpften.  Da  aber  Hessen-Rheinfels  zu  schwach 
war,  so  wurde  es  unter  den  Kaiser  gestellt  und  bei  dringender  Fraozosengofahr 
nahm  Hessen-Kassel  1702  die  Katz  nach  wenigen  Kanonenschüssen  wieder  in 
Besitz,  bis  1718,  wo  Hessen-Rheinfels  wieder  in  Besitz  kam,  unter  fortwährenden 
Streitigkeiten  und  wiederholten  Gerichtsentscheidungen. 

Ein  versuchter  Überfall  der  Festung  durch  einen  französischen  Partei- 
gänger missglückte  1730. 

Endlich  1758  verzichtete  Hessen-Rheinfels  (Rotenburg)  nicht  nur  auf  das 
Besatzungsrecht,  sondern  auch  auf  das  Eigentum  der  Stadt  und  Festung,  sowie 
auf  die  Katz  und  die  Grafschaft  Katzenelnbogen. 

Allein  Kassel  hielt  die  Festung  so  schlecht,  dass  die  Franzosen  1758 
wieder  einen  Handstreich  auf  St.  Goar  und  Rheinfels  versuchten,  und  der 
hessen-kassersche  Kommandant  kapitulierte. 

Aber  der  der  Katz,  Kapitän  v.  Ende,  nahm  die  Kapitulation  nicht  an, 
verteidigte  seinen  Posten  noch  3  Tage,  bis  alle  Munition  verschossen  war  und 
rückte  dann  mit  40  Mann  bei  Nacht  erst  ab. 

Nun  behielten  die  Franzosen  wieder  Rheinfels  und  die  Katz  bis  zum 
Hubertusburger  Frieden  1763,  wo  sie  sie  räumen  mussten  und  Hessen-Kassel 
wieder  m  Besitz  kam  und  bis  1794  in  Besitz  blieb. 

Der  einzige  Weg  aus  dem  inneren  Deutschland  führte  über  Patersberg 
und  St.  Goarshausen  mittels  einer  fliegenden  Brücke  nach  St.  Goar  und  auf  den 
Hundsrücken,  während  nur  Pfade  längs  dem  Rheine  nach  Oberwesel  und  nach 
Hirzenach  führten. 

Kaum  besser  war  es  auf  dem  rechten  Ufer,  wo  unterhalb  ein  runder, 
oberhalb  ein  viereckiger  Turm  stand,  welche  durch  eine  gezinnte  Mauer,  auf 
welcher  einige  Häuser  aufsassen,  verbunden  waren  (Taf.  VIII,  Abbild.  2  k  u.  l). 

Als  die  RevolutioDsarmee  sich  näherte,  bestimmte  der  Kriegsrat  von 
Rheinfels  schmählicher  Weise,  sich  nach  dem  rechten  Ufer  zurückzuziehen. 
Auf  der  Katz  war  Hauptmann  v.  Ende  mit  50  Mann  Kommandant,  während 
die  Batterien  auf  dem  Patersberg  u.  s.  w.  unter  General  v.  Lempe  standen,  die 
sich  dann,  als  auch  das  rechte  Rheinufer  an  Frankreich  kommen  sollte,  eben- 
falls zurückzogen. 

1797  befahlen  die  Franzosen  die  Sprengung  von  Rheinfels  und  1812  seinen 
Verkauf  als  Staatseigentum;  im  Jahre  1843  wurde  es  vom  Prinzen  von  Preussen 
angekauft  und  verblieb  bis  heute  der  kgl.  Familie.  Die  Katz  aber  wurde,  nach- 
dem sie  nassauisch  geworden,  demontiert,  und  ihrem  Kommandanten,  Hauptmann 
v.  Trott,  1817  nebst  den  zugehörigen  Feldern  und  Gärten  auf  25  Jahre,  aber 
ohne  daran  etwas  beschädigen  zu  dürfen,  für  6  fl.  10  kr.  in  Erbpacht  gegeben. 
Unter  gleichen  Bedingungen  verkaufte  er  die  Burg  1819  an  den  Major  von 
Chmielinsky.  Von  ihm  bekam  sie  seine  Tochter,  die  Ehefrau  des  Stadtschultheissen 
Wappner  in  St.  Goarshausen,  und  da  es  zwischen  ihren  Kindern,  vier  Söhnen 
und  zwei  Töchtern,  zur.  Erbteilung  kam,  so  verkaufte  sie  die  Burg  etc.  1826 
für  25  fl.  jährlich  und  6  fl.  Mutation  an  Herrn  v.  Lützow,  der  sie  seiner  Tochter 


236 

Katharine,  Gemahlin  des  Kammerherrn  v.  Langen  zu  Nachhof  bei  "Wariu  in 
Mecklenburg  (der  1857  dazu  den  Konsens  erhielt),  überwies.  Der  Burgbesitz 
besteht  aus  125  R.  82' Weinberg.  102  R.  69'  Feld,  4,16  Wald  und  1,23  Weg. 
Die  Familie  von  Langen  ist  im  Besitze  der  Burg,  des  Geländes  und  des  vier- 
eckigen Turmes,  den  sie  auch  erhalten  muss,  Yen  der  Stadtmauer  gegen 
den  Rhein  besteht  nichts  mehr  als  dieser  und  der  runde  Turm,  den  die  Stadt- 
gemeinde erhalten  muss  (Taf.  VÜI,  Abbild.  2,  k  u.  l). 


'2.  Sterrenberi?,  Liebeiisteiii  und  Bornliofeii  (Taf.  YII,  3;  IX,  2,  3;  X,  1,  2). 

Die  beiden  Burgen  Sterrenberg  und  Liebenstein  liegen  kaum  200  Schritt 
voneinander  auf  der  Gebirgs  -  Halbinsel,  welche  durch  den  bei  Kloster  Born- 
hofen  in  den  Rhein  mündenden  Bach  gebildet  wird. 

Sterrenberg,  etwa  30  m  tiefer  als  Liebenstein  gelegen,  war  eine  alte,  an 
die  Bolanden  beliehene  Reichsburg,  während  Liebenstein  von  jenen  im  12.  Jahr- 
hundert erbaut  wurde. 

Die  Umfassung  von  Sterrenberg  bildet  ein  längliches,  von  Südost  nach 
Nordwest  gestrecktes  Viereck  von  etwa  70  Schritt  Länge  und  40  Schritt  Breite, 
vor  dessen  Westecke  Zwiugerräume  den  abstürzenden  Bergrücken  einnehmen. 
Bei  der  Ausgleichung  des  inneren  Raumes  bewahrte  man  in  dessen  Mitte 
einen  Grauwacke- Felskopf  von  etwa  10  m  Höhe  und  baute  darauf  den  Berg- 
fried a,  um  so  seine  Mauern  vor  dem  Untergraben  und  Ausbrechen  bei  etwaiger 
Belagerung  zu  schützen.  Der  Bergfried  hat  einen  quadratischen  Grundriss  von 
8,15  m  und  etwa  37  m  jetzige  Höhe.  Er  hat  in  halber  Höhe  eine  rundbogige 
Pforte  und  auf  jeder  Seite  nur  eine  kurze  Lichtspalte.  Er  war  auf  demselben 
Felskopf  mit  einem  ungleich  breiten  Zwinger  b  umgeben,  welcher  auf  der  Ost- 
ecke durch  einen  Steg  zugänglich  war;  dieser,  von  dem  Schneckentürmchen  c 
eines  viereckigen,  1^'>  m  langen  und  breiten  Wohnpalas  d  ausgehend,  ermöglichte 
die  Rettung  in  den  Bergfried.  Der  Palas  springt  nach  der  östlichen  Thalseite,  von 
wo  auch  der  Weg  heraufgeführt  ist,  vor  die  Umfassungsmauer  vor,  welcher  hier 
auch  ein  Zwinger  vorgelegt  ist.  Die  nach  der  Höhe,  welche  die  Burg  Lieben- 
stein einnimmt,  gerichtete  Angriffseite  ist  durch  eine  Mantelmauer  abgeschnitten. 
Dieselbe  hat  30  Schritt  Länge  bei  10  m  Höhe  und  1,8  m  Dicke  und  dient  von 
Innen  Wirtschaftsräumen  als  Anlehnung;  sie  hat  nahe  der  linken  Seite  ein 
Einfahrtsthor  im  Rundbogen.  Vor  der  Mantelmauer  liegt,  durch  einen  Fels- 
graben geschützt,  der  Zwinger  i  k,  neben  dem  noch  ein  besonderer  kleiner 
Thorzwinger  abgeschnitten  ist. 

Die  Zwingermauer  hat  nur  Zinnenfenster,  während  die  Mantelmauer 
zwischen  demselben,  eine  über  die  andere,  lange  Schiessscharten  hat. 

Das  Mauerwerk  besteht  überhaupt  aus  Grauwacke  mit  Kalkmörtel,  ist 
unverputzt,  aber  über  dem  Eingangsthor  ist  in  Reliefputz  eine  Fahne,  die 
ohne    Zweifel    einst    bemalt    war,    dargestellt.      Das    Mauerwerk    des    Zwingers 


um  den  Bergfried   besteht  zum  Teil  in  Fischgrätenverbaud. 


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237 

Die  Burg  Liebeiisteiii,  liühur  und  dominierend  gegen  Sterrenberg  gelegen, 
bildet  mit  ihren  mit  5  quadratischen  Türmen  a,  b,  c,  d,  e  be-setzten  Umfassungen 
etwa  ein  Rechteck  von  150  Schritt  dem  Rhein  paralleler  Länge  und  120  Schritt 
Breite,  in  dessen  Mitte  ebenfalls  ein  Felskopf  erhalten  ist,  auf  dem  sich  der 
Bergfried  a  erhebt.  Die  Angriffseite  ist  zwar  gegen  das  höher  ansteigende 
Gebirg  gewendet,  doch  aber  sind  die  dicken  Mauern  des  Bergfrieds,  ein  nord- 
westlicher, starker  Eckturni  d  mit  eingebrochenen  Geschützschartcu  und  eine 
Batterie/  von  2  Stockwerken  mit  je  3  Geschützscharten  nach  der  Burg  Sterren- 
berg gerichtet.  An  diese  Batterie  und  den  starken  Eckturm  <l  sind  neue  be- 
wohnte Wirtschaftsgebäude  angelehnt.  Links  neben  ihnen  öffnet  sich  das 
Thor  c  zum  Thal,  sowie  an  der  oberen  Abschnittsmauer  auf  der  linken  Seite 
das  Thor  (j  nach  der  Höhe.  Hier  ist  ausser  dem  tiefen  Felsgraben  kein 
Zwinger  vorhanden. 

Obschon  Bornhofeii,  in  dessen  Mittelpunkt  die  143ö  erbaute  Kirche  liegt, 
1280  zur  Stadt  werden  sollte,  so  ist  doch  von  einer  Befestigung  derselben 
und  von  einer  Verbindung  mit  Sterrenberg  und  Liebenstein  nichts  vorhanden. 
Doch  haben  wir  es  nützlich  gefunden,  die  Regesten  der  beiden  Burgen  und  des 
Klosters  zusammenzustellen. 

Sterrenberg  ist  alte  Reichsburg,  welche  im  12.  Jahrhundert  die  von  Ro- 
landen zu  Lehen  hatten,  und  etwas  später  die  höher  gelegene  Burg  Liebenstein 
erbauten. 

1110—1250]  Bornhofe n  war  schon  1140  —  1250  Burgsitz  derer  von 
Bornhofen. 

1190]  Um  1190  war  Udo  von  Wiselo  Burgmann  der  Bolanden  und  Stamm- 
vater des  Rittergeschlechts  von  Sterrenberg. 

lt>58— 12(>31  Die_Bolanden  erhoben  den  Rheinzoll,  von  dem  sie  Kloster 
Eberbach  befreiten,  was  auch  ihre  Erbesnacbfolger,  die  von  Sjjonheim,  be- 
stätigten.    Diese  besassen  nämlich  einen  Teil  von  Sterrenberg. 

1280]  Bornhofen  wird  eine  Stadt  genannt;  hatte  schon  1224  einen  Priester 
und  eine  Kapelle  mit  einem  wunderthätigen  Muttergottesbild. 

1289]  Von  der  Burg  Liebenstein  verkauften  die  Sponheim  die  Hälfte  an 
die  Schenken  von  Sterrenberg  und  die  andere  Hälfte  mit  dem  anstossenden  Wald 
1294]  Hagen,  sowie  ein  Viertel  der  Stadt  Bornhofen  an  Enolph,  Kantor  der 
1300]  Martinskirche  in  Worms  und  dessen  Bruder  Ludwig.  1300  hatte  .lud  von 
1317]  Boppard  ein  Drittel  der  Burg  Liebeneck  in  Besitz,  Trier  aber  brachte  1317 
1320)  und  1320  den  andern  Teil  von  Sterrenberg  in  seinen  Besitz. 

1340]  Die  von  Liebenstein  und  die  Schenken  von  Liebenstein  waren 
Sponheim'sche  Vasallen. 

1352]  Beyer  von  Boppard,  der  Erbburggraf  von  Sterrenberg  war,  musste 
nach  seinem  Streit  mit  Trier  darauf  verzichten,  soclass  Lamprecht  von  Schönen- 
burg trierischer  Amtmann  und  Burggraf  wurde.  Die  Beyer  von  Sterenberg 
wurden  Burgmannen  daselbst.  Von  da  an  blieb  Trier  im  Besitz,  der  dann 
auf  Nassau  und  auf  Preussen  überging  und  blieb. 


238 

14231  Da  1423  die  Schenken  von  Liebeneck  ausgestorben  waren,  so  be- 
14*27)  lehnte  Nassau-Saarbrücken  als  Nachfolger  der  Bolanden  die  von  Lieben- 
stein und  den  Johann  von  Thorne  mit  der  Burg. 

1435]  wurde  in  Bornhofen  die  jetzt  bestehende  Kirche  von  Johann 
Brömser  von  Rüdesheim  erbaut. 

1482]  Da  Engelbrecht  von  Thorn  auf  den  Besitz  von  Liebeneck  verzichtet 
1405]  hatte,  so  wurden  1495  die  von  Mudersbach  und  1523  die  von  Stein  mit 
der  Bursr  belehnt.     1637   kam   sie   durch    das  Aussterben   der   von  Liebenstein 

V       - 

an    die  Waidenburg,    genannt    Schenker,    und    nach    deren  Aussterben   an    die 
Herren  von  Preuschen,  welche  sie  nebst  2  Hofhäusern  noch   besitzen. 

Iß57]  Nach  Wellmich  und  St.  Goar  1657  übergesiedelte  Kapuziner  hoben 
die  Wallfahrt  nach  Bornhofen  sehr,  und  es  wurde  durch  die  1679  hierher  versetzten 
Franziskaner  schon  seit  1662  der  Gottesdienst  gehalten  und  die  Vorhalle  zur  Kirche 
erbaut.  1662  wurde  ihr  Kloster  erbaut  und  1666  bezogen.  1813  wurde  das 
1S13]  Kloster  aufgehoben,  für  den  Staat  verkauft  und  zum  Wirtshaus  gemacht, 
im  Jahre  1850  von  Redemptoristen  wieder  bezogen,  und  diese  durch  den  Kul- 
turkampf 1873  wieder  vertrieben;  darauf  zogen  1890  die  Franziskaner  ein. 


Die  Prankengräber  von  Schierstein. 


Von 

B*  Florschütz* 


m. 

Die  letzten  Funde  aus  dem  fränkischen  Friedhofe  von  Schierstein,  im 
Terrain  des  Herrn  Georg  daselbst,  beschränken  sich  auf  den  Inhalt  von  noch 
zwei  Gräbern,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  den  letzten  des  ursprünglich  bis 
zum  Beginn  des  Hohlweges  reichenden  Grabfeldes. 

Es  ergaben  sich  —  eine  Sonderung  der  Gegenstände  nach  dem  jeweiligen 
Grabe  war  nicht  mehr  ganz  zuverlässig  —  an  Waffen: 

Grosse  Franziska.  Länge  19  cm,  Breite  der  Schneide  10  cm,  Höhe  und 
Breite  der  Bahn  5  und  4  cm. 

Grosses  Messer,  Sax.    Länge  24  cm,  Höhe  35  mm. 

Drei  kleine  defekte  Messer,    Höhe  durchschnittlich  2  cm. 

Drei  zum  Teil  sehr  elegante,  kurze  Lanzenspitzen  von  breiter  Blattform 
mit  eingeschlitzter  Tülle.  Gesamtlänge  10  cm,  Länge  des  Blattes  6ö  mm, 
Breite  30  mm. 

An  gewöhnlichen  Gebrauchs- und  Schmuckgegenständen: 

Bronzenadel,  17  cm,  mit  aufgerolltem  oberen  Ende  als  Knopf. 

Bronzepinzette  mit  verbreiterten  Endplatten,  Länge  85  mm. 

Bronzenähnadel  mit  Ohr,  6  cm. 

Schnalle  aus  Weissmetall,  30  :  20  mm.  Sehr  breite  (17  mm)  Platte  des 
Domes. 

Zwei   kleine  Schnällchen  (Weissmetall)  mit  schmalem  Dorn,    12  :  10  mm. 

Reste  von  drei  eisernen  Schnallen,    im  allgemeinen  35  :  22  mm. 

Zwei  schwer  zu  bestimmende  schmale  Leisten  aus  Eisen  und  ein  desgl.  flacher 
Ring,  zusammengehörig  und  in  ihrer  Form  und  Lage  wahrscheinlich  als  Be- 
schlagstücke einer  Gürteltasche  anzusehen.  Länge  der  Leisten  10  und  14  cm, 
Ring  6  :  2  cm. 

Von  Töpfereien  waren  nur  zwei  Gefasse  erhalten.  Ein  gelblicher 
Topf  mit  abgedrehtem  Rande;  Höhe  13  cm,  bei  12  cm  lichter  Weite.  Leicht 
gerillt. 

Urne  von  grauer  Färbung,  Höhe  12  cm,  Durchmesser  des  scharf  abge- 
setzten Bauches  17  cm;    lichte  Weite   der  Öffnung  15  cm,    Oberteil  gerillt.  — 


240 

Endlich  wurile  das  5  'cm  lange  Bruchstück  eines  cylindrisch  abgeschliifenen 
Iläraatits,  Blutsteins,  erhoben.   — 

Inzwischen  haben  sich  weitere  archäologische  Fundstellen  bei  Schierstein 
ergeben,  und  zwar  südöstlich  von  dem  bisher  geschilderten  Frankenfriedhofe, 
in  dem  \Yinkel  zwischen  der  Chaussee  nach  Wiesbaden  und  dem  Fahrwege 
nach  Mosbach.  Es  konnten  daselbst  zunächst  am  Nordwestrand  des  Lössbruches 
des  Herrn  Dr.  Peters  in  einer  Tiefe  von  2,20  m  die  Überreste  einer,  wie  es 
scheint,  ursprünglich  sehr  grossen  Mardelle  nachgewiesen  werden.  Man  fand 
eine  in  der  Mitte  noch  annähernd  20  cm  mächtige  Kohlen-  und  Aschenschicht 
mit  geschwärzten  Gefassstücken  von  neolithischem  Typus,  aus  welchem  unter 
anderem  ein  becherförmiges  rohes,  mit  Steinchen  durchsetztes  Gefäss  von  14,5  cm 
Höhe  und  12,5  cm  lichter  Weite  rekonstruiert  werden  konnte,  wie  wir  solchen  — 
ganz  gleich  in  Form,  Material  und  Mache  —  so  häutig  in  den  neusteinzeitlichen 
Pfahlbauten  der  Ostschweiz,  speziell  des  Bodensees,  begegnen.  Daneben  fanden 
sich  einzelne,  schwer  bestimmbare  Bruchstücke  von  Tierknochen  und  ein  sehr 
mürbes  und  defektes  menschliches  Seitenwandbeiu.  Nach  Angabe  der  Arbeiter 
dürfte  der  ursprüngliche  Durchmesser  der  ganzen  Mardelle  auf  9 — 10  m  zu  be- 
rechnen sein. 

In  nächster  Nähe  hiervon,  nordwestlich  und  dicht  an  der  Wiesbadener 
Chaussee,  hatten  die  Herren  Seipel  aus  Schierstein  behufs  Fundamentierung 
eines  Hauses  den  Löss  in  Quadratform  mit  9,60  m  Seitenlänge  und  bis  zu  etwa 
1,50  m  Tiefe  ausheben  lassen.  Hierbei  waren  die  Arbeiter  seinerzeit  auf  die 
Überreste  von  vier  Skeletten  gestossen,  sämtlich  in  regelmässigen  Abständen 
je  2  und  2  von  NW,  nach  SO.  gelegen.  Und  es  ist  entschieden  auffällig, 
dass  auch  in  dem  von  Lindenschrait  beschriebenen  Gräberfeld  am  Hinkelstein 
bei  Monsheim  dieselbe  nordwest  -  südöstliche  Richtung  der  Gräber  und  ihre 
Skelettreste  beobachtet  wurden.  Zwei  Skelette  waren  einfach  in  den  Boden 
eingebettet  gewesen  (sämtUche  fanden  sich  etwa  80  cm  unter  der  gegenwärtigen 
Erdoberfläche) ;  ein  drittes,  anscheinend  einem  jungen  Individuum  angehörig, 
war  mit  einfachen  Rollsteinen  dürftig  bedeckt;  das  vierte  hatte  jedoch  eine 
Unterlage  von  Kalkplatten,  und  scheint  aus  gleichen  Platten  eine  sehr  mangel- 
hafte Grabkammer  hergestellt  gewesen  zu  sein.  An  Ort  und  Stelle  wurden  nur  bei 
Bestattung  III  noch  verschiedene,  sogenannte  Wackensteine  vorgefunden;  am 
Platze  der  Bestattung  IV  aber  fanden  sich  zerstreut  fast  sämtliche,  aus  Cerithien- 
kalk  bestehenden,  dünnen  und  unbearbeiteten  Platten,  welche  die  Grabkammer 
gebildet  hatten.  Sie  waren  von  unregelmässiger  Form  und  schwankten  zwischen 
25  :  35  und  32  :  45  cm  Breite  und  Höhe.  Zwischen  Grab  III  und  IV  war  man 
auf  verschiedene  Reste  von  Töpfereien  gestossen ;  es  gelang  nachträglich  aus 
einigen  derselben  die  Profilierung  eines  sehr  grossen  urnenffjrmigen  Gefässes 
wieder  festzusetzen  und  ist  nach  den  gewonnenen  Massen  die  Gesamthöhe 
desselben  auf  50  cm,  der  grösste  Durchmesser  des  Bauches  auf  etwa  55,  die 
lichte  Weite  auf  42  cm  anzusetzen.  Der  horizontale  Boden  zeigt  15  cm  Durch- 
messer; durchschnittliche  Dicke  der  Bauchwandung  1  cm.  Der  nach  seinem  Fuss 
hin  steil  abfallende  Topf  ist  von  graubrauner  Färbung;  sein  3  cm  hoher  Rand 
ist  scharf  ausgezogen  und  den  Hals  umgiebt  ein  2  cm  hohes,  mittels  der  Finger 


241 

erhaben  ausgearbeitetes  Sclmurornament.  Interessant  ist  an  dem  nicht  unbedeuten- 
den Rand-  und  Bauchstück  der  Mangel  eines  Henkels,  welcher  durch  zwei, 
unterhalb  des  Halsornamentes  angebrachte,  2  mm  starke,  Durchbohrungen  der 
Gefiisswand  zum  Durchziehen  einer  gedrehten  Sehne  behufs  Auftiängen  des 
Gefässes  ersetzt  ist.  Diese  Locher  befinden  sich  in  einem  Abstand  von  3  cm 
voneinander;  ihnen  würden  zwei  gegenüberliegende  entsprochen  haben.  Der 
obere  Teil  der  Urne  ist  sorgfältig  geplättet,  der  untere  dagegen  rauh  gehalten 
und  lässt  das  Gefäss  daher  auf  seine  Verwendung  zum  Kochen  schliessen. 

Von  menschlichen  Überresten  waren  nur  noch  äusserst  defekte  Schädel- 
bruchstücke vorhanden,  welche  eine  Zusammensetzung  nicht  gestatteten.  Merk- 
würdig gut  erhalten  war  dagegen  der  angeblich  zu  diesem  Schädel  gehörige 
Teil  des  Ober-  und  Unterkiefers  mit  tadellosen  Zähnen,  welche  beiderseits  in 
ganz  auffälliger  Weise  horizontal  abgeschliffen  waren  und  damit  auf  vollständigen 
Orthognatismus  hinweisen. 

Ein  abschliessendes  Urteil  ist  selbstverständlich  im  Augenblicke  über  die 
neue    interessante  Fundstelle    nicht   abzugeben.     Erst  eine    weitere    sorfffältiffe 

o  OD 

Untersuchung  wird  die  gewünschten  Aufschlüsse  über  diese,  wie  wir  wohl  trotz 
der  dürftigen  bisherigen  Erhebungen  nicht  ohne  Wahrscheinlichkeit  annehmen 
dürfen,  neolithische  Begräbnisstätte  liefern.  Von  Wichtigkeit  für  unsere  Frage  ist, 
abgesehen  von  der  in  nächster  Nähe  gelegenen  Mardelle,  noch  der  ganz  be- 
deutende Umstand,  dass  bereits  im  Jahre  1876  (Ann.  XIV,  431)  der  Konser- 
vator, Herr  Oberst  von  Cohausen,  Schierstein  als  neusteinzeitliche  Fischer- 
station feststellen  konnte,  und  zwar  auf  Grund  einer  Reihe  einschlagender 
Erhebungen  aus  der  Ziegelei  des  Herrn  Zimmermeister  Jacob  von  der  Rhein- 
gewann am  oberen  Ende  des  Schiersteiner  Hafens.  In  180  cm  Tiefe  fanden  sich 
da  im  Löss  ein  geschliffenes,  durchbohrtes  Steinbeil,  ein  Bonaparteshut  von 
Lava,  schwarze  Topfscherben,  Netzbeschwerer  und  andere  aus  Thon  gebrannte 
Gegenstände,  gebrannter  Lehmbewurf  der  Hauswand  u.  a.  — 

Schliesslich  sei  den  Herren  Dr.  Peters  und  Seipel  der  beste  Dank  für 
Überlassung  der  Fundgegenstände  ausgesprochen  mit  der  Bitte  um  weitere 
gefällige  Unterstützung. 


16 


Eine  neue  Knochenhöhle  in  Steeten  a.  d.  Lahn. 


Von 

B*  Florschütz* 

(Mit  2  Abbildungen  auf  Tafel  VIII.) 


Durch  freundliche  Mitteilung  des  Herrn  Bürgermeisters  Eschhofe n  zu 
Steeten,  kam  uns  im  Frühsommer  des  verflossenen  Jahres  die  Nachricht,  dass 
bei  den  nun  einmal  unvermeidlichen  Absprengungen  des  devonischen  Korallen- 
kalkes in  der  durch  die  Annalenberichte  (Annal.  XIII,  XV,  XYI  und  XX) 
berühmt  gewordenen  Schlucht  „in  der  Leer"  eine  neue,  wenn  auch  kleine  Höhle 
entdeckt  worden  sei. 

Die  Besichtigung  derselben  ergab  ihre  Lage  südwärts  von  dem  Wildhaus, 
in  der  gleichen  Kalkwand,  doch  um  etwa  10  m  höher  und  damit  ungefähr  20  m 
über  der  Thalsohle  und  dem  damals  durch  Gewittergüsse  angeschwollenen,  roman- 
tisch über  die  Felstrümmer  der  Leer  hinschäumenden  Wildbach.  Der  Anstieg  zur 
Höhle  war  nicht  gerade  ein  bequemer  zu  nennen;  wer  nicht  um  einen  steilen 
Felsgrat  herum  auf  schwindelndem  Pfade  sich  ihr  nähern  wollte,  war  genötigt, 
von  unten  auf  über  das  abgesprengte,  in  der  Sonnenhitze  glühende  Geröll 
des  Kalksteinbruches  sich  in  die  Höhe  zu  arbeiten,  wobei  allerdings  ein  nach 
Anordnung  des  Herrn  Oberst  von  Cohausen  um  einen  schweren  Steinblock 
auf  dem  kleinen  Plateau  vor  der  Höhle  befestigter,  kräftiger  Hanfstrick  ebenso 
auf-  wie  abwärts  eine  vorzügliche  Unterstützung  bot. 

Die  betreffende  Höhle  war  angesprengt  worden,  und  wie  sich  später  er- 
wies, an  ihrem  ursprüngUchen  Eingang,  der  durch  einen  kleinen  Schuttkegel  teilweise 
verdeckt  gewesen  war.  Das  durch  die  Sprengung  gewonnene  senkrechte  Profil 
ergab,  bei  einer  Mächtigkeit  des  roten  Höhlenlehmes  von  1,55  m,  eine  Eingangs- 
öffnung  von  0,70  m  Höhe,  welche  im  Innern  der  Höhle  bis  zu  1,70  m  anstieg. 
Im  Schuttkegel  selbst  waren  bereits  Knochenreste  von  Bos  und  Rhinozeros 
gefunden  worden. 

Nach  Ausräumung  der  Höhle,  welche  mittels  zweier  Arbeiter  schon  binnen 
zweier  Tage  vollendet  werden  konnte,  ergaben  sich  als  absolute  Masse  für  den 
Eingang  2,25  m,  für  die  so  ziemlich  in  der  Mitte  gelegene  höchste  Höhe  4  und 
für  die  Gesaratlänge  annähernd  6  m  bei  einer  grössten  Breite  von  2,50  m.  Die 
Höhle    war   keine    einfache  Spaltbildung  im  Gebirge,  wie  z.  B.  das  Wildhaus; 


243 

sie  erschien  schon  am  abgesprengten  Profil  nach  den  verschiedensten  Richtungen 
ausgewaschen  und  ausgedreht,  je  nach  den  verschiedenen  Widerständen,  welche 
die  härteren  und  weicheren  Partien  des  anscheinend  homogenen  Stringokephalen- 
Kalkes  den  einwirkenden  Kräften  entgegengesetzt  hatten.  Gerade  das  gewonnene 
senkrechte  Profil  gab  ein  typisches  Bild  für  die  eigentümlichen,  scharf  begrenzten 
schneckenhausähnlichen  Windungen,  wie  wir  dieselben  früher  am  Wildpütz, 
dort  mit  senkrechter,  hier  mit  mehr  wagrechter  Drehachse,  kennen  gelernt 
haben,  nur  dass  sie  dort  annähernd  horizontal  und  damit  parallel  vorlaufen, 
während  hier  —  und  besonders  im  Innern  der  Höhle  —  das  krause  Durch- 
einander all'  dieser  parabolischen  Ausschliffe  einen  frappierenden  Eindruck  her- 
vorruft. Zwei  enge,  röhrenförmig  ausgedrehte  Gänge  Hessen  sich  in  der  Decke 
(der  eine  am  hinteren  Ende  der  Höhle)  beobachten;  ein  dritter  verlief  in  die 
linke  Seitenwand,  doch  konnten  alle  nur  auf  kürzeste  Entfernung  verfolgt  werden. 

Der  Felsboden  war  nur  in  seiner  hinteren  Hälfte  annähernd  horizontal; 
seine  vordere  bildete  ein  bis  zu  0,50  ra  überhöhtes,  nach  hinten  sattelförmig  aus- 
geschweiftes Podium,  das  dann  mit  30  cm  steil  abfiel  und  in  der  Mitte  einen 
schmalen  Gang   von  kaum  30  cm  Breite  eben  durch  diesen  Abschluss  freiliess. 

Der  untere  Teil  der  Höhle  war  bis  zu  einer  Höhe  von  etwa  1  m  mit 
durchaus  homogenem,  fettigem,  lebhaft  rot  gefärbtem  Höhlenlehm  ausgefüllt, 
ohne  Spuren  diluvialer  Reste.  Über  diese  Grenze  hinaus  wurde  der  Lehm 
lockerer,  nahm  ein  immer  dunkleres,  aschen-  und  kohlenfarbiges  Aussehen  an, 
um  schliesslich  das  Aussehen  und  die  Beschaffenheit  eines  mit  Gesteinstrümmern 
durchsetzten  Waldhumus  zu  bieten.  Die  unteren  Lagen  dieser  zwischen  30  bis 
50  cm  mächtigen  Schicht  boten  die  Fundgegenstände  der  Diluvialzeit;  eine 
Sinterdecke  fehlte,  wie  ebenso  Stalaktiten  an  den  Wänden  der  Höhle. 

Menschliche  Artefakte  waren  nicht  nachzuweisen ;  dagegen  zwei  ausge- 
dehnte Feuerstellen.  Die  erste  befand  sich  am  Eingang  der  Höhle  und  waren 
ihre  1 — 2  cm  starken,  noch  mit  Holzkohlenresten  durchsetzten  Spuren  an  den 
Seitenwänden  sowohl  wie  auf  dem  Boden  bis  fast  zur  Mitte  der  Höhle  zu  ver- 
folgen. Eine  zweite  fand  sich  in  breiter  Ausdehnung  ini  Hintergrund  der  Höhle, 
50  cm  unter  der  augenblicklichen  Oberfläche.  Auch  siebesass  nur  eine  Mächtigkeit 
von  1 — 2  cm  und  wurde,  wie  ebenso  die  erste,  einer  genauen  chemischen  Unter- 
suchung unterworfen,  um  jeden  Irrtum  auszuschliessen. 

Über  diesen  Feuerstellen  aber  und  ihrer  nächsten  Nähe  lagen  die  Knochen- 
reste der  Mahlzeiten,  welche  die  nomadisierenden  Jägerhorden  des  Diluviums 
sich  dort  zurecht  gemacht  hatten  —  des  Pferdes,  Auerochsen  und  der  riesigen 
Dickhäuter,  die  sie  zu  erlegen  verstanden.  Freilich  nicht  mittels  tiefer  Fall- 
gruben, wie  uns  gewöhnlich  gelehrt  wird  —  denn  für  diese  fehlten  die  ersten 
Vorbedingungen :  die  geeigneten  Werkzeuge.  Wohl  aber  war  gerade  die  tiefe 
Schlucht  der  Leer  insofern  ein  ausserordentlich  günstiges  Jagdterrain,  als  sie 
selbst  eine  Art  enger  Falle  darstellte,  in  welche  man  ein  von  seiner  Herde 
durch  Geschrei  und  Feuerbrände  abgedrängtes  Tier  sehr  wohl  hineinscheuchen 
konnte,  um  es  dann  von  den  sicheren  Höhen  der  steilen  Felswände  durch  her- 
abgerollte Steine  und  Felsmassen  ungefährdet  zu  erlegen.  Was  von  dem  erlegten 
Wilde  mittels  der  primitiven  Steinwerkzeuge  abgeschnitten  werden  konnte,  wurde 

16* 


244 

dann  in  die  nächste  Höhle  getragen  und  zum  Mahle  —  noch  ohne  jede  Töpferei 
—  zugerichtet.  Dann  zog  die  kleine  Horde  der  Jäger  weiter,  um  unter  günstigen 
Verhältnissen  gelegentlich  denselben  Platz  nochmals  aufzusuchen,  vielleicht  auch 
gefolgt  von  einer  anderen  Horde,  welche  demselben  Jagdverfahren  oblag. 

In  den  Zwischenzeiten  aber  kamen  Hyänen  und  kleineres  Raubzeug,  an 
den  Abfällen  dieser  primitivsten  menschlicher  Mahlzeiten  fleissig  Nachlese  zu 
halten ;  das  bezeugen  ihre  Nagespuren  und  ihre  eigenen  Überreste,  speziell  Zähne. 

Im  allgemeinen  ist  die  diluviale  Fauna  der  kleinen  Höhle  als  eine  kleine, 
aber  trotzdem  recht  interessante  zu  bezeichnen.  Es  fanden  sich  (nach  den 
freundlichen  Bestimmungen  des  Herrn  Konservator  Römer)  die  Überreste  von 

Hyaena  spelaea,  Höhlenhyäne  (Zähne); 

Felis  catus,  Wildkatze  (rnterkieferstück) ; 

Canis  [Vulpes]  Spelaens  minor,  kleiner  Höhlenfuchs  (Eckzahn  des 
Oberkiefers) ; 

Arvicola   amphihius,  "Wasserratte  (Unterkiefer    und   Schneidezähne); 

Bhinoceros  UcJiorhinus,  Nashorn  mit  knöcherner  Scheidewand,  Be- 
gleiter des  Mammut.  (Ulna  und  Radius,  sowie  Humerus  — 
letzterer  nach  Herrn  Hofrat  Dr.  Liebe  vielleicht  dem  Rh. 
Merkii  zugehörig) ; 

Equus  cahallus,  Pferd  (Backen-  und  Schneidezähne,  Mittelfussknochen, 
Sprungbein,  Ulna,  Keilbein  und  anderes) ; 

Cervus  capreohis,  Reh  (Zehenglied); 

Cervus,  Edelhirsch  (Backenzähne,  Mittelfussknochen,  Fersenbein  u.  s.  f.); 

Bos,  Rind  —  ob  Wisent  oder  Ur?  (Ulna); 

Mustela  martes,  Marder  (Humerus). 


Der  Wilde  Pütz  bei  Steeten. 

Von 

Ä*  Y*  Cohausen* 

(Mit  5  Abbildungen  auf  Tafel   X.) 


Wir  haben  in  den  Annalen  des  Naseauischen  Geschichts-  und  Altertuma- 
Vereins,  1874,  XIII,  397;  1879,  XY,  329;  1882,  XVII,  73  u.  1888,  XX,  371 
Bericht  erstattet  über  die  Höhlen  bei  Steeten  an  der  Lahn,  und  dabei  ausser 
der  vorgeschichtlichen  Menschen-  und  Tier-Reste  insbesondere  auch  des  Wilden 
Putzes  Erwähnung  gethan. 

Es  ist  dies  eine  schachtartige,  runde  Vertiefung  von  durchschnittlich 
1,10  m  Durchmesser  mit  Ausreifelungen  der  Wände,  welche  aus  wagrechten 
Hohlkehlen  von  4  bis  10  cm  Tiefe  bestehen,  welche][sich  bald  scharfkantig 
begrenzen,  bald  zu  weiteren  Hohlkehlen  verbinden  (Abb.  2). 

Ehe  der  Wilde  Pütz  von  den  hineingeworfenen  Steinen  und  Schutt  befreit 
war,  konnte  man  wohl  denken,  einen  Gletschertopf  vor  sich  zu  haben;  allein 
diese  sind  im  Gletschergarten  zu  Luzern  immer  nicht  schacht-,  sondern 
trichterförmig  und  haben  z.  B.  bei  1,30  m  oberem  Durchmesser  eine  Tiefe 
von  3  m,  bei  2  m  Durchmesser  3,50  m  und  bei  8  m  Durchmesser  eine  Tiefe 
von  7,50  m. 

Man  nimmt  an,  dass  ein  aus  einem  Felspalt  auf  eine  Felsplatte  sich  herab- 
stürzender Wasserstrahl  Steine  mit  hinabgerissen  und  dadurch,  dass  er  diese 
auf  der  Platte  bewegte,  auch  wohl  in  drehende  Bewegung  gesetzt,  das  Gestein 
ausgebohrt  habe.  Dabei  musste  aber  nicht  nur  für  das  von  keinem  Wind 
bewegte  hinabstürzende  Wasser,  auch  für  das  ausweichende  Wasser  Raum 
erzeugt  werden,  und  daher  die  trichterförmige  Gestalt  entstehen. 

Bei  grösser  werdender  Tiefe  setzte  die  bereits  unten  befindliche  Wasser- 
masse der  herabstürzenden  einen  Widerstand  entgegen,  sodass  diese  in  der 
Tiefe  keine  Gewalt  mehr  ausüben  konnte  (Abb.  2). 

Dies  musste  auch  in  dem  (trotz  der  Auskehlungen)  cylindrisch  bis  zu 
7,30  m  Tiefe  hinabreichenden  Wilden  Pütz  eingetreten  sein  und  die  Bewegung 
der  untenliegenden  Steine  unmöglich  gemacht  haben. 

Gegen  diese  Gletschertopf-Theorie  spricht  aber,  ausser  der  cylindrischen 
Form  des  Schlotes,  auch  seine  etwas  nach  Westen  geneigte  Lage,  und  dass 
man  in  der  Felswand,  an  der  er  hinabgeht,  aufwärts  eine  Rinne  mit'halbkreig- 


246 

fürmigem  Querschnitt,  als  Fortsetzung  des  Schlotes,  noch  um  mindestens'  ebenso 
viel  nach  der  Höhe,  als  er  nach  der  Tiefe  geht,  hinaufziehen  sieht.  Es  ist  die 
Hälfte  des  Schlotes,  dessen  andere  Hälfte  abgestürzt  ist,  und  hat  auch  dieselbe 
geneigte  Lage,  sodass  der  ganze  Schlot  mindestens  15  m  Höhe  hatte.  Seine 
obere  Mündung  hört  mit  den  Felsen  auf  und  lag  vielleicht  noch  höher.  Er 
wurde  allmählich  mit  Steinen  und  Schutt  fast  angefüllt,  damit  niemand  hinab- 
stürzen möge. 

In  der  Fortsetzung  der  Felswand  über  dem  Wilden  Pütz  sieht  man  noch 
mehrere  solcher  aufsteigenden  Rinnen,  welche  wohl  ähnlichen  Schloten  an- 
gehört haben. 

Das  Thal,  die  Leer  genannt,  weil  gewöhnlich  kein  Wasser  durch  das- 
selbe fliesst,  ist  der  Durchbruch  durch  eine  dolomitische  Strinchocephalen- 
Kalkbank,  welche  mit  einer  Länge  von  etwa  250  Schritt  und  einer  Breite  von 
30  Schritt  ein  weiteres  wasserreiches  Thal  staute  und  den  Bach  nötigte,  unter- 
irdisch unter  den  zertrümmerten  Felsen  der  Leer  hin  nach  der  Lahn  zu  fliessen. 
Der  genannte  Durchbruch  hat  durch  seine  senkrecht  aufsteigenden  Felsen  und 
durch  deren  eckige  Bruchstücke,  zwischen  denen  nach  Regengüssen  die  Leer- 
bach sich  durchwindet,  ein  neues,  unfertiges  Ansehen,  das  ihm,  durchwachsen 
mit  Buchen-Bäumen  und  Hecken,  einen  hohen  Reiz  gewährt. 

Im  Sommer  1891  kamen  die  Steinbrecher,  welche  wegen  der  hydraulischen 
Eigenschaft  des  Kalkes  leider  das  schöne  und  merkwürdige  Thal  zerstören 
werden,  auch  auf  einen  auf  der  anderen,  linken  Seite  des  Thaies  schräg  auf- 
steigenden Schlot  von  beistehender  Form  (Abb.  3).  Er  war,  soweit  er  messbar  war, 
14,30  m  lang,  und  60  bis  100  cm  weit  rundlich  ausgehöhlt,  war  grösstenteils 
ganz  leer  und  enthielt  nur  etwas  roten  Thon.  Seine  Wände  zeigten  oben  einige 
grössere  Tropfsteinbildungen,  die  aber  unten  bald  aufhörten;  an  ihre  Stelle 
traten  zellenförmige  Auswaschungen,  wie  ich  solche  an  einem  Turm  von  Kalk- 
bossenquadern  auf  dem  Ehrenberg  bei  Wimpfen  gefunden  hatte. 

Die  Art,  wie  Vertiefungen  oder  Höhlen  in  einem  Felsen,  vorzugsweise 
Kaikfeisen  entstanden  sind,  kann  eine  mehrfältige  sein. 

1.  Durch  die  auswühlende  Kraft  eines  aus  der  Höhe  herabstürzenden 
Wasserstrahles  —  Strudel  oder  Gletschertöpfe  (Abb.  2). 

2.  Durch  die  weitere  Ausspülung  und  Ausreibung  einer  Felsspalte,  durch 
welche  das  Wasser  strömt  und  Bachkiesel  und  Sand  mit  sich  führt.  So  fanden 
wir  das  enge  Wildhaus  bei  Steeten  auf  dem  Grund  mit  gerollten  Steinen 
erfüllt.  Waren  auch  die  Seiten  mehr  angegriffen,  so  waren  Ströme  von  den 
Seitenwänden,  auch  wohl  von  der  Decke  herabgestürzt,  wodurch  sich  die  Höhle 
erbreitert  und  erhöht  hatte.  Sie  würde  auch  wohl  mit  Tropfstein  bekleidet 
worden  sein,  wenn  eine  mächtigere  Kalkschicht  über  ihr  gelegen,  welche  aus- 
gelaucht,  sich  dann  wieder  als  Tropfstein  niedergeschlagen  hätte. 

3.  Eine  dritte  Art  der  Höhlenbildung,  wie  sie  auch  im  Sandsteingebirg 
vorkommt,  geschieht  dadurch,  dass  sich  eine,  wenn  auch  unbedeutende  Quelle, 
durch  einen  wagerechten  oder  senkrechten  Spalt  durchdrängt  und  das  nächste 
Gestein  feucht  erhält,  wo  dann  durch  Frost  oder  Thau  immer  kleine  Körner 
abgesprengt    werden    und    die   Höhlung    vergrössern.      Dieselbe  Wirkung    kann 


24T 

auch  eintreten,  wo  ein  feuchter  Niederschlag  auf  dem  kalten  Gestein  .sich  an- 
setzt und  Frost  oder  Thau  dasselbe  Spiel  treiben.  So  mag  die  Wilde  Scheuer 
auf  dem  linken  Ufer  der  Leer,  vorn  6  m  breit  und  7  m  hoch  und  immer 
enger  werdend,  ihre  18  ra  Länge  und  ihre  Weite  erlangt  haben. 

Wir  haben  hier  dreierlei  Höhlenbildungen  in  bestehendem  hartem 
Kalkgestein  vor  uns.  Wir  fragen  nun  weiter,  was  geschieht  unter  den  nach- 
stehenden Verhältnissen  ? 

Am  Fusse  eines  Gebirges  bricht  eine  Süsswasserquelle,  deren  Sammel- 
Becken  hoch  oben  liegt,  hervor.  Sie  wird,  wenn  der  Druck  stark  ist,  sich  wie 
ein  Springbrunnen  erheben,  und,  wenn  sie  kalkige  oder  kieselige  Bestand- 
teile hat,  wie  die  Geyser  in  Neuseeland  oder  Kolorado,  ein  Becken  um 
sich  herum  niederschlagen,  ja  eine  Art  Rühre  bilden.  Ist  ihr  Wasser  rein,  so 
wird  letzteres  nicht  geschehen. 

Was  wird  aber  dann  mit  dem  stark  auftreibenden  Quellstrahl  entstehen, 
wenn  sich  das  Thal  am  Gebirgsfuss  mit  einem  Meeresarm  füllt?  (Abb.  4.)  Es  wird  je 
nach  der  Stärke  des  Druckes  die  Quelle,  wenn  nicht  als  Springbrunnen,  doch 
als  aufquellender  Wasserhügel  über  dem  Seespiegel  sich  bemerkbar  machen, 
wie  z.  B.  im  Hafen  von  La  Spezzia,  oder  auch  wohl  an  der  norwegischen 
Küste,  sodass  es  Anstrengung  kostet,  auf  den  Hügel  einen  Kahn  hinaufzutreiben. 
Das  Meer  aber  wird  seine  festen  Bestandteile,  seinen  chemisch  gelösten  (strincho- 
kephalen)  Kalk  fortfahren  niederzuschlagen,  die  Quelle  aber  wird  sich  ihre 
Mündung  und  ihre  Bahn  im  Meereswasser  etwa  so  freihalten,  wie  eine  Rauch- 
säule aus  einem  Kamine  in  die  freie  Luft  aufsteigt,  —  rund  in  ihrem 
wagerechten  Querschnitt  und  wolkig  in  ihrem  senkrechten  Aufriss,  Sie  wird 
ziemlich  senkrecht  aufsteigen,  jedoch  auch,  wenn  eine  Meeresströmung  sie 
zwingt,  mehr  oder  weniger  geneigt  ihr  folgen,  immer  eingeengt,  aber  nicht  ver- 
hindert durch  die  Jahrtausende  fort  und  fort  stattfindenden  Meeresniederschläge, 
die  sich  ruhig  aufbauen,  aber  die  Quellenströmung  freilassen.  Es  wird  in  dem 
allmählich  sich  bildenden  Gestein  eine  Röhre  entstehen,  welche  in  Quer-  und 
Längenschnitt  wie  eine  Rauchsäule  oder  auch  wie  die  Schlote  in  der  Leer 
sich  gestalten  werden  (Abb.  5). 

Die  Quelle  durchdringt  also  nicht  ein  fertiges  Gestein,  sie  spült  sich 
keinen  Weg  aus,  sondern  sie  steigt  in  dem  Seewasser  auf  und  dessen  Absatz 
respektiert  den  Weg  der  süssen  Quelle  und  setzt  nur  neben  diesem  seinen 
Niederschlag  ab. 

Ob  dies  ausreicht,  auch  die  mehr  wagerecht  liegende  wolkenähnliche 
Gestalt  der  vorstehenden  und  einiger  anderer  Höhlen  in  der  Leer  zu  erklären, 
wollen  wir  hier  nicht  durchzuführen  versuchen. 


Grabscbrift  des  Gustav  Ernst  von  Seydlitz 

zu  Nastätten. 


>Iitgeteilt    von    Fr.    Otto. 


In  der  evangelischen  Kirche  zu  Nastätten  findet  sich  nachfolgende  Inschrift 
(s.  S.  249)  auf  dem  Grabstein  des  Gustav  Ernst  von  Seydlitz ;  wir  geben  sie  hier 
mit  ihren  Sonderbarkeiten  in  der  Orthographie  (quoeris,  proefectus  und  sogar 
Spartoe;  charus  und  moestus  entspricht  der  früheren  Schreibung)  wieder  und 
fügen  einige  erläuternde  Bemerkungen  hinzu. 

Der  Grabstein,  welcher  die  genannte  Inschrift  trägt,  stand  früher  auf- 
recht in  der  evangelischen  Kirche  zu  Nastätten,  an  die  Wand  gelehnt.  Hier  schrieb 
sie  vor  längerer  Zeit  Herr  Oberst  von  Cohausen  ab.  Später  erregten  ihm 
einige  Worte  Bedenken,  doch  gelang  es  ihm  nicht  eine  Vergleichung  seines 
Textes  mit  dem  Originale  herbeizuführen,  zumal  da  der  Stein  aus  seiner  ur- 
sprünglichen Stellung  inzwischen  entfernt  worden  war.  Glücklicher  war  der 
Verfasser  dieser  Zeilen.  Auf  seine  Bitte  verglich  der  jetzige  Pfarrer  von  Nastätten, 
Herr  Klein,  in  höchst  dankenswertem  Entgegenkommen  die  Abschrift  mit  dem 
Original  und  stellte  nicht  allein  dadurch  den  Wortlaut  derselben  sicher,  sondern 
fügte  auch  noch  die  Resultate  weiterer  Nachforschungen  in  den  Archivalien 
seiner  Kirche  u.  s.  w.  hinzu,  welche  es  möglich  machten  die  folgenden  Bemerk- 
ungen zur  Erläuterung  niederzuschreiben. 

Ehe  wir  die  Grabschrift  selbst  betrachten,  schicken  wir  voraus,  dass  der 
Flecken  Nastätten  zur  Zeit  von  Seydlitz  Tod  zu  dem  hessen- kasselischen  Amte 
Reichenberg  in  der  Nieder-Grafschaft  Katzenelnbogen  gehörte^)  und  nach  dem 
Vertrage  von  1648  mit  diesem  an  die  rheinfelsische  Linie  von  Hessen  vorbe- 
haltlich der  Landeshoheit,  der  Regalien  und  der  Kriegsbesatzung  abgetreten 
worden  war^;  die  dort  stehenden  Truppen  waren  also  dem  Landgrafen  von 
Hessen-Kassel  untergeben.  Eine  Abteilung  derselben  stand  unter  einem  Oberst 
zu  Nastätten.  Der  Landgraf  Ernst  von  Hessen-Rheinfels  hielt  am  30.  März 
1649  den  Einzug  in  seine  Residenz  St.  Goar  (Rheinfels)'^);  in  der  Mitte  des 
folgenden  Jahrhunderts  fiel  das  ihm  überlassene  Gebiet  an  die  Hauptlinie  zurück. 

•)  Büschini?,    Erdbeschreibung,    1768,   VII,   S.    1093.  —  *)  Rommel,   Geschichte  von 
Hessen,  VIII,  .S.  771;  IX,  S.  'JO.  —  ')  Grebel,  Geschichto  der  Stadt  St.  Goar,  S.  130. 


249 


Quoeris  quis  fuerim 

Viator! 

fui 

GVstaVus  Ernestus  a  Seidlitz 

nobilis  Silesius 

iiatus 

die  XI.  Aug.  MDCXXCVI 

Castra  secutus 

Iiiter  Copias  Hasso-Suecicas 

Maioris  excubiarum  proefecti 

Vices  gessi 

üxorem  charissimam 

reliqui 
Viduam  moestissimam 
Annam  Elisabelham  Phillippiuam 
Natam  de  Westerfeld 
Illustrium  parentum 
P'ilius  undecimus 
sine  prole 
febri  acuta 
decessi 
die  XIJI.  Maii 
GVstaVI  ErnestI  a  SelDLItz 
VIrtVtis  honorl 
Et  Spartoe  et  generl 
Moesta  reLICta 
ponit. 


250 

Kommen  wir  jetzt  zu  dem  Inhalt  der  Grabschrift.  Sie  teilt  zunächst  mit, 
dass  der  Edle  nobilis)  Gustav  Ernst  von  Seydlitz  aus  Schlesien  am  11.  August 
1686  geboren  war  und  in  hessen-schwedischen  Diensten  die  Stelle  eines  Oberst- 
Wachtmeisters  bekleidete  (major  excubiarum  praefectus).  Hessen-schwedisch 
heissen  diese,  weil  der  Landgraf  Friedrich  von  Hessen-Kassel;  welcher  seinem 
Vater  Karl  am  13.  März  1730  in  der  Regierung  gefolgt  war,  als  Gemahl  der 
Künigiu  Ulrike  Eleonore  von  Schweden  zur  Zeit  von  Seydlitz  Tode  zugleich 
König  von  Schweden  war. 

Von  Kriegsthaten  berichtet  die  Inschrift  nichts,  obgleich  es  wahrscheinlich 
ist,  dass  Seydlitz  während  seiner  ersten  Dienstjahre  mehr  als  einen  Feldzug  im 
spanischen  Erbfolgekriege  mitgemacht  hat,  freilich  in  untergeordneter  Stellung. 
Seit  dem  Ende  dieses  Krieges  gab  es  für  die  hessischen  Truppen  keine  Ge- 
legenheit zu  Kriegsthaten,  und  Seydlitz  mag  im  Frieden  langsam  zu  höheren 
Stellungen  aufgerückt  sein. 

Sodann  erfahren  wir,  dass  er  mit  Anna  Ehsabeth  Philippine  von  Wester- 
feld  vermählt  war  und  dass  er,  selbst  der  elfte  Sohn  seiner  „erlauchten"  Eltern, 
kinderlos  starb.  Welcher  Linie  des  weitverzweigten  Geschlechtes  der  Sevdlitz  er 
angehörte,  wird  nicht  gesagt,  auch  die  Namen  der  Eltern  werden  nicht  genannt 
und  können  hier  nicht  angegeben  werden,  da  ein  erschöpfender  Stammbaum 
der  Familie  nicht  vorliegt.  Vielleicht  veranlassen  diese  Zeilen  zu  weiteren 
Nachforschungen  über  die  Vorfahren  und  Verwandten  des  berühmten  Reiter- 
generals Friedrichs  des  Grossen. 

Ferner  erzählt  der  Stein,  dass  die  betrübte  Witwe  das  Denkmal  setzen 
Hess,  und  gibt  in  einem  lateinischen  Distichon  durch  die  in  Unzialen  einge- 
meisselten  Zahlbuchstaben  das  Jahr  an,  in  welchem  am  13.  Mai  Seydlitz  aus 
dem  Leben  schied;  die  genannten  Buchstaben  ergeben  die  Zahl  1730\);  er  war 
gerade  zwei  Monate,  vom  13.  März  bis  13.  Mai  1730  hessen-schwedischer 
Oberstwachtmeister  gewesen.  Wir  setzen  die  beiden  Verse  in  lateinischer  und 
deutscher  Sprache  hier  nebeneinander : 

Gustavi  Ernesti  a  Seydlitz  virtutis  honori 
Et  Spartae  et  generi  maesta  relicta  ponit^). 

Trauernd  geweiht  von  der  Witwe  dem   trefflichen  Edlen  von  Seydlitz, 
Gustav  Ernst:  er  war  treu  im  Beruf)   und  geehrt. 


')  Die  Zahlen  sind:  MDCLLVVVVIIIIIIIIII  =  1000  +  500  +  100  -\-  [2  x  50  =J 
100  +  [4  X  5  =]  20  f  [10  X  1  =]  10  =  1730.  —  2)  !„  dem  Worte  ponit  steckt  ein 
Fehler  gegen  die  Prosodie;  der  Verfasser  der  Inschrift  bedurfte  hier  noch  eines  jambischen 
oder  pyrrhichischen  Wortes  (^_/  — .  v^  \^')  mit  dem  einen  Zalilbuchstaben  i;  um  den  letz- 
teren zu  gewinnen,  wählte  er  ohne  Bedenken  das  Präsens  von  ponere,  da  das  Perfect  drei- 
silbig ist  und  zwei  Zahlbuehstaben  (Vf)  enthält,  musste  sich  aber  dabei  die  Kürzung  des  o 
in  pOnit  erlauben.  —  ^)  Dies  (Beruf  j  bedeutet  das  Wort  Sparta  nach  dem  aus  dem  Griechischen 
(des  Euripides)  entlehnten  Sprichwort  bei  Cicero  ep.  ad.  Att.  IV,  6,  vergl.  I,  20:  Y.r.äpxa-j  s/^-xx^;, 
ta^Tav  v-oitist  =  Spartara  nactus  es, -hanc  orna,  d.  h.  dir  ist  Sparta  zugefallen,  schmücke  es 
(=  sorge  für  es).  Auf  diese  Stellen  Ciceros  hin  haben  spätere  und  namentlicli  neulatciuische 
„Eleganzen-Jägor"  das  Wort  Sparta  für  den  Begritf  Amt,  Gescliäft,  Beruf  angewendet. 


251 

Die  Aogabeu  über  das  Alter,  den  Todestag  und  die  dienstliche  Stellung 
von  Seydlitz  bestätigt  das  Kirchenbuch  der  evangelischen  Pfarrei  zu  Nastätten ; 
hier  heisst  es  in  dem  Verzeichnis  der  (Jestorbenen  des  Jahres   1730: 

„Gustav  Ernst  von  Seydlitz'),  Obristwachtmeister  unter  dem  Wilckischen 
Regiment,  gestorben  den  13.  Mai,  begraben  am  17.  Mai  zur  seiten  des  Altars 
nach  der  Sakristei  zu  noch  etwas  unter  seinem  Stuhl,  alt  43  Jahr  U  Mon.  2  Tag." 

Daraus,  dass  Seydlitz  einen  eigenen  Stuhl  in  der  Kirche  hatte,  könnte 
man  schliessen,  dass  er  ein  Mann  von  kirchlicher  Gesinnung  war,  wenn  sicher 
wäre,  dass  dieser  Stuhl  der  Familie  angehörte  und  nicht  etwa  mit  der  Stelle 
eines  Oberstwachtmeisters  verbunden  war. 

Ausser  dem  genannten  aufrecht  stehenden  Grabstein  findet  sich  aber  noch 
ein  zweiter  vor,  welcher  auf  dem  Boden  —  sicherlich  über  der  Gruft  selbst  — 
lag;  er  hat  gleichfalls  eine  Inschrift,  welche,  wie  Herr  Pfarrer  Klein  mit- 
teilt, sauberer  und  gleichmässiger  und  zwar  in  Unzialen  ausgeführt  ist;  sie  lautet: 

„Alhier  ruhet  der  hochwohlgeborene  Herr,  Herr  Gustav  Ernst  von  Seydlitz, 
seiner  königlichen  Majestät  von  Schweden  und  Landgrafen  von  Hessen  gewesener 
Obristwachtmeister.     Starb  den   13,  Mai  1730." 

Der  Name  des  Wilckischen  Regiments,  bei  welchem  nach  dem  Sterberegister 
Seydlitz  stand,  erscheint  in  dem  genannten  Kirchenbuche  zuerst  in  dem  Monat 
September  des  Jahres  1728:  doch  wird  schon  1725  Wilcke  auf  dem  Grabsteine 
seiner  Frau  (f  im  Jahre  1725)  genannt,  während  das  Regiment  hier  als  Wutge- 
nauisches  bezeichnet  wird.  Die  von  Wilcke  waren  ein  niedersächsisch-thüringisches 
Geschlecht;  ein  Volrat  von  Wilcke,  wohl  der  unsrige,  starb  im  Jahre  1744  als 
hessen-kasselischer  Oberst.^) 

Herr  Pfarrer  Klein  fand  ferner  unter  alten  Papieren  das  Konzept  eines 
Schreibens,  das  mit  dem  Tode  des  Seydlitz  in  naher  Verbindung  steht  und  das 
wir  deshalb  ebenfalls  hier  mitteilen.  Die  Witwe  errichtete  nämlich  bald  nach 
dem  Tode  ihres  Gemahls  eine  Stiftung  zum  Besten  der  Armen  von  Nastätten; 
sie  bestimmte,  dass  die  Zinsen  eines  Kapitals  von  100  Gulden  alljährlich  unter 
die  Armen  von  Nastätten  lutherischer  Konfession  verteilt  werden  sollten.  Das 
Schriftstück  lautet : 

„Wir  zu  End  unterschriebene  bezeugen  und  bekennen  hiermit  krafft  unserer 
eigenhändigen  Unterschrift,  dass  Ihro  hochwohlgebohrne  Gnaden  die  Frau  ....') 
von  Seydlitz  gebohrne  von  Westervelt  nach  todtlichem  Hintritt  Ihro  Hochfrey- 
herrlicher  Gnaden  des  weyland*)  Hochwohlgebohrnen  Freyherrn  Gustav  Ernst 
von  Seydlitz  gewesenen  Oberstwachtmeister  unter  dem  hochloblichen  Obrist 
Baron  von  Wilckischen  Regiment  in  Diensten  Ihro  Königlichen  Majestät  in 
Schweden  aus  Christlicher  liebe  und  zur  beforderung  der  Ehr  Gottes  und  Ewigen 
Christlichen  Andencken  zu  einer^)  lutherischen  Kirchen  in  Nastätt  vermacht  ein 
capital  von  hundert  Gulden,   davon  jährlich  unter  die  Armen  die  Zinsen  sollen 


')  Die  Inschrift  des  Denkmals  schreibt  Seidlitz,  die  weiter  unten  folgende  Seydlitz. 
Die  Schreibung  des  Namens  war  früher  willkürlich.  —  -)  Kneschke,  Deutsches  Adelslexikon, 
IX,  S.  571.  —  *)  Die  Vornamen  fehlen.  —  ')  Nach  dem  Worte  , weyland"  ist  übergeschrieben 
das  Wort  „manvost",  wie  es  scheint,  ebenso  nach  dem  folgenden  „Hochwohlgebohrne".  — 
*)  Übergeschrieben  „der  evangelisch'". 


252 

ausgetheilt  werden,  und  dass  nach  der  Christlichen  intention  Ihro  Hochwohl- 
gebohren  capital  .  .  .  .^)  an  gewisse  leute,  davon  die  Zinsen  zur  bestirnten  Zeit 
können  erhohen  werden,  soll  verleiht  und  die  fallende  Zinsen  zum  besten  der 
Armen  angewendet  werden." 

Die  Unterschriften  fehlen ;  das  Schreiben  scheint  gerichtet  an  das  hessische 
Konsistorium;  denn  das  besagt  eine  langatmige  Anrede,  die  jedoch  verkehrt 
auf  derselben  Seite  des  Papieres  geschrieben  ist.  Ausserdem  enthält  es  auf 
beiden  Seiten  viele  Notizen  von  Ausgaben  und  deren  Addition,  und  da  zu  einer 
die  Jahreszahl  1731  zugefügt  ist,  so  wird  das  Schreiben  alsbald  nach  dem 
Tode  von  Seydlitz  verfasst  sein.  Was  es  für  einen  Verlauf  mit  der  Stiftung 
nahm,  ist  aus  anderen  Aufzeichnungen  nicht  zu  ersehen  gewesen ;  zur  Zeit  be- 
steht eine  solche  nicht  mehr  für  sich  zu  Nastätten. 

Wir  kommen  zum  letzten  Punkte,  zu  dem  Wappen,  welches  die  Inschrift 
abschliesst.  Dasselbe  ist  das  noch  jetzt  von  der  Familie  geführte.  Wir  teilen 
es  deshalb  in  der  ursprünglichen  Form  hier  nicht  mit,  sondern  benutzen  lieber 
die  Gelegenheit,  um  ein  anderes,  aus  anderen  Gründen  interessantes,  ab- 
zudrucken-) ;  es  stimmt  mit  jenem  in  seinen  Hauptteilen  vollständig  überein, 
fügt  aber  noch  eine  lateinische  Umschrift  hinzu.  Mit  diesem  Wappen  und  der 
Umschrift  hat  es  nach  der  gef.  Mitteilung  des  Herrn  Generallieutenant 
v,  Seydlitz  Excellenz  dahier,  in  dessen  Besitz  «ein  Abdruck  des  Originals  sich 
befindet,  folgende  Bewandnis. 

Es  befindet  sich  das  Wappen  auf  dem  Bruchstücke  eines  Steinzeugkrugs, 
welcher  in  dem  nassauischen  Kannenbäckerlande  im  Jahre  1685,  wie  es  in  der 
über  dem  Wappen  zugefügten  Jahreszahl  selbst  sagt,  verfertigt  ist;  wir  haben 
an  ihm  also  eine  Probe  der  Kunstfertigkeit  in  diesem  Industriezweige,   wie  sie 
vor  zweihundert  Jahren  war.     Der   Krug   gehörte    einem    Zweige    der   Familie 
von  Seydlitz    an,    welche   den    Adel    abgelegt  und  in  der  Stadt  Köln  sich  dem 
geschäftHchen  Leben  gewidmet  hatte,  um,  wie  die  Umschrift  uns  belehrt,  durch 
eigne  Kraft  und  Thätigkeit  sich  eine  Stellung  in  der  menschlichen  Gesellschaft 
zu  erringen,  welche  anderen  —  und  ihr  selbst  —  die  Abstammung  ohne  eigne 
Mühe  darbot.    Darauf  weist  also  die  Umschrift  hin ;  sie  ist  entlehnt  den  Meta- 
morphosen des  Ovid  und  zwar  der  Rede  des  Ulysses  entnommen  (XIII,  140),  in 
welcher  dieser  seine  Ansprüche   auf  die  Waffen   des   Achilles   gegenüber    den 
leidenschaftlichen  Worten  des  Ajax,  der  sich  u.  a.  auf  seine  hohe  Abstammung  be- 
rufen hatte,  auch  damit  begründet,  dass  nicht  die  Geburt  und  die  Ahnen  oder 
das,  was  wir  nicht  selbst  uns  geschaffen  haben,  unser  wirkliches  Eigentum  sei. 
Die  Worte  lauten  bei  Ovid  im  Zusammenhang  der  Rede  also : 
Nam  genus  et  proavos  et  quae  non  fecimus  ipsi, 
Yix  ea  nostra  voco. 
Denn  das  Geschlecht  und  die  Ahnen  und  was  nicht  selbst  wir  errungen, 
Nenne  ich  kaum  noch  das  unsre. 

Damit  nun  diese  Worte  auch  ausser  dem  Zusammenhange  für  sich  stehen 
konnten,  musste  nam  (denn)  wegfallen ;  am  einfachsten  wäre  gewesen,  es  in  et. 


•)  Unleserliches  Wort.  —  -)  S.  oben  S.  249 ;  es  ist  ungutTihr  um  zwei  Drittel  verkleinert. 


253 

entsprechend  dem  folgenden  et,  umzuändern.  Es  beliebte  aber  dem  Ver- 
fasser der  Umschrift  ein  anderer  Weg,  welcher  das  ganze  Satzgefüge  zerstörte 
und  ihn  veranlasste  einen  Fehler  gegen  Prosodie  und  Metrik  zu  machen.  Er 
dichtete  (so  lautet  nun  die  Umschrift) : 

Quod  genus  et  proavus  et  que  non  fecimus  ipsi, 
Vix  ea  nostra  puta. 

"Was  das  Geschlecht  und  der  Ahn,  nicht  wir  uns  selber  errungen, 
Ist  wohl  das  unsere  kaum.  (Oder :  Kaum  ist's,  glaub'  es,  das  unsre.) 

Ein  Fehler  ist,  dass  die  letzte  Silbe  von  proavus  als  Länge  gebraucht  ist;  statt 
quod  hätte  es  wenigstens  quae,  entsprechend  dem  folgenden  quae  (vielleicht 
erst  der  Steinkrugverfertiger  machte  daraus  que),  heissen  sollen;  die  Änderung 
von  voco  in  puta  ist  annehmbar. 

Ist  auch  so  der  Vers  nicht  gelungen,    so  bleibt  er  immerhin  ein  Zeugnis 
für  den   wackeren  Sinn   des  Auftraggebers    und   arbeitsamen  Bürgers  Seydlitz. 


Der  römische  Grenz  wall. 


von  Cohaiiseii  und  Mommseu. 

Der  bekannte  Professor  Mommsen  hat  um  Weihnachten  1890  eine  Kon- 
ferenz nach  Heidelberg  berufen,  deren  meiste  Mitglieder  sich  mehr  oder  minder 
teils  theoretisch,  teils  praktisch  mit  dem  römischen  Grenzwall  beschäftigt  hatten. 

Sie  bestand  aus  neun  Männern  (die  wir,  jeden  in  seiner  Art,  hochschätzen), 
immer  aus  den  Ländern,  durch  die  der  Grenzwall  zieht,  nämlich  dem  Professor 
Dr.  V.  Brunn,  General  K.  Popp  aus  Bayern;  Prof.  Dr.  v.  Herzog  und 
Finanzrat  Dr.  Paulus  aus  Würtemberg;  Prof.  und  Oberbibliothekar  Dr.  Zangen- 
meister und  Geheimer  Hofrat  Dr.  Wagner  aus  Baden;  Fr.  Kofi  er  aus 
Hessen;  Major  von  Leszczynski  und  Prof.  Dr.  Nissen  aus  Preussen.  Zu 
ihnen  wurden  noch  als  Sachverständige  mit  beratender  Stimme  der  Kreisrichter 
Conrady  für  Bayern  und    der  Baumeister  Jacobi  für  Preussen  beigezogen. 

Es  ist  nun  Jedem,  dem  die  Litteratur  des  Grenzwalles  nur  irgend  bekannt 
ist,  aufgefallen,  dass  der  Unterzeichnete  nicht  in  die  Konferenz  gewählt  worden 
war,  —  nur  ihm  selbst  nicht. 

Nachdem  ich  im  Jahr  1884  mein  Grenz  wallwerk  (Wiesbaden  bei  Kreidel) 
herausgegeben  hatte,  hat  der  bekannte  Prof.  Mommsen  im  darauffolgenden 
Jahr  1885  den  fünften  Band  seiner  römischen  Geschichte  veröffentlicht. 

Darin  hat  er,  wo  er  vom  Grenzwall  spricht,  eine  grosse  Zahl  der  von  mir 
zum  erstenmal  dargelegten  Ergebnisse  und  Ansichten  aufgenommen. 

Das  war  recht,  und  dafür  war  mein  Buch  geschrieben ;  es  konnte  mich 
nur  erfreuen  und  mir  als  Bestätigung  dienen,  wenn  ein  so  bedeutender  Schrift- 
gelehrter es  benutzt ;  und  ich  konnte  daraus  ersehen,  wie  meine  auf  Thatsachen 
und  Entdeckungen  beruhenden  Angaben  und  Ansichten  auch  mit  den  römischen 
Schriftstellern  und  Inschriften  übereinstimmen  und  von  keinem  widersprochen 
wurden. 

Prof.  Mommsen  würde  sich  noch  dieser  Ausnutzung  an  meiner  Arbeit 
haben  erfreuen  brnnen,  wenn  er  zu  seinen  sonstigen  ausgezeichneten  Eigen- 
schaften auch  die  der  willigen  Anerkennung  und  der  Bescheidenheit  hätte. 


255 

Um  so  befremdender  war  es,  als  der  Herr  Professor  nach  aller  Verwertung 
der  praktischen  Resultate  meiner  Arbeit  es  nicht  unterlassen  konnte,  von  «einer 
Kathederhühe  herab,  und  unter  dem  unbezweifelten  Beifall  seiner  zahlreichen 
Trabanten  im  Philologenkreise,  auszusprechen,  dass  dem  Verfasser  des  Grenz- 
wallwerkes auch  die  obertiächlichste  Kenntnis  der  lateinischen  Sprache  wie  der 
römischen  Kriegsaltertümer  abgehe.  Was  ihm  so  die  Laune  vergällt  in  meinem 
Buch?  oder  dass  es  erschienen  ist?  weiss  ich  nicht. 

Jedenfalls  war  es  ein  hartes  Urteil  gegen  Einen,  der  seinen  lateinischen 
und  griechischen  Gymnasial-Kursus,  wie  er  hoffte,  nicht  vergeblich  durchgemacht 
hatte,  und  dem  die  trefflichsten  Klassiker- Ausgaben,  Kommentare,  Übersetzungen 
und  Erläuterungen  zu  Gebot  standen,  mit  denen  jene  Herrn  uns  das  Altertum 
eröffnet  zu  haben  glaubten  und  uns  oft  recht  erheitert  haben. 

Auch  über  meine  Kenntnis  des  römischen  Kriegswesens  konnte  mein  Grenz- 
wallwerk, meine  Rekognoscierungen  für  Napoleons  Leben  Cäsars,  wohl  auch 
der  Legionär,  den  ich  Seiner  Majestät  dem  hochseligen  Kaiser  Wilhelm  vor- 
führen durfte,    eine  etwas   bessere    Censur    erwarten   lassen. 

Alles  das  glaubt  der  bekannte  Prof.  Mommsen  besser  zu  wissen  und 
soweit  es  ihm  schriftlich  auf  den  Tisch  gelegt  worden  ist  —  wird  es  wohl 
auch  so  sein.    Dagegen  werde  ich  wieder  andere  Dinge  besser  verstehen  als  er. 

Wer  das  Altertum  verstehen ,  und  anderen  verständlich  machen  will, 
muss  die  Gegenwart  kennen.  Wie  aber  steht  es  mit  seinen  militärischen,  mit 
seinen  technischen  Kenntnissen  der  Neuzeit,  hat  er  ein  L^rteil  über  das  Gelände, 
das  wir  Terrainkenntnis  nennen  und  über  seine  geognostischen  Unterlagen,  weiss 
er,  was  zum  eigenen  Klarsehen  so  nötig  ist,  das,  was  er  ausdrücken  möchte, 
durch  Messung  und  Zeichnung  darzustellen?  Ich  fürchte,  er  würde  in  diesen 
Fächern  kein  besseres  Zeugnis  bekommen,  als  er  mir  ausgestellt  hat. 

Ich  berühme  mich  durchaus  nicht  hoch,  wenn  ich  sage,  dass  Prof.  Mommsen 
nicht  im  stände  ist,  das  zu  leisten,  was  ich  in  Feld  und  Wald  und  altem  Gemäuer 
geleistet  habe. 

Ich  sage  daher,  er  hat  Recht,  wegen  dem,  was  er  selbst  nicht  kann,  sich 
mit  einem  Kreis  von  Männern  zu  umgeben  und  nicht  nach  mir  zu  verlangen, 
der  ich  nicht  wohl  mit  ihm  gegangen  wäre.  Er  hatte  recht,  sich  Männer  zu 
wählen  oder  wählen  zu  lassen,  die  ihm  das,  was  in  zahlreichen  Vereinsschriften 
zerstreut  liegt,  wohlgeordnet  auf  den  Studiertisch  legen,  die  ausgehen,  um  das 
aufzusuchen,  was  noch  Thatsächliches  fehlt,  damit  er  das  daraus  zieht,  was  er 
in  Schrift  und  Inschrift  nimmer  fände. 

Ich  sehe  in  ihm  wie  in  jedem  tüchtigen  Philologen  willkommene  Gehilfen, 
die  herbeifahren,  nicht  nur  was  die  klassischen  Archäologen  bedürfen,  sondern 
auch  die  Archäologen,  welche  sich  mit  der  prähistorischen  Kultur  und  der  Ur- 
geschichte Deutschlands  beschäftigen,  um  das  Gebäude  aufzubauen,  dessen  Steine 
in  zahlreichen  Gräber-  und  Höhlenfuuden  aufbewahrt  sind. 

Mommsen  hat  versucht,  seine  Tafelrunde  mit  einer  Art  von  Instruktion 
zu  versehen. 


25ä 

Da  ich  nun  seit  langefii  mit  dem  Grenzwall  in  einem  Verhältnis  stehe, 
ich  möchte  sagen,  in  einem  erinnerungsreichen  Verhältnisse  stehe,  und  es  mir 
nicht  um  Streit,  in  dem  es  dem  Herrn  Professor  nicht  an  Trabanten  und 
Lanzen  fehlen  würde,  es  mir  auch  nicht  um  das  Rechthaben  zu  thun  ist,  so 
werde  ich  mich  über  jede  Bestätigung  meiner  Beobachtungen  und  Meinungen 
freuen,  aber  noch  mit  erhöhtem  Interesse  jede  gute  "Widerlegung  derselben  lesen. 

Wer  sich  mit  dem  Grenzwall  beschäftigt  hat,  weiss,  dass  sein  Studium  ziemlich 
hoch  hinaufreicht,  und  dass  gar  Vieles  zerstört  ist,  was  z.  B.  vor  70  Jahren  noch 
dastand;  dass  es  sich  also  um  ein  genaues  Studium  der  bezüglichen  Schriften 
handelt,  und  dass  ihren  Fingerzeigen  nachzugehen  ist. 

Der  „Verein  für  nassauische  Altertumskunde  und  Geschichtsforschung" 
wurde  1822,  eigentlich  schon  1817  und  zwar  ursprünglich  zum  Zweck  der  Er- 
forschung des  Pfahlgrabens  gegründet,  und  hat  durch  Männer  wie  Habel, 
Rössel,  Luja,  F.  W.  Schmidt,  Hanapel,  Preuschen  und  Andere  diese 
Studien  stets  fortgesetzt.  Aus  dieser  frühen  Zeit,  wo  kein  anderer  Verein  das- 
selbe Ziel  verfolgt  hat,  wurde  eine  grosse  Anzahl  von  Schriftstücken  und 
Zeichnungen  aufbewahrt,  und  zum  teil  in  den  Annalen  des  Vereins  veröffent- 
licht, welche  jetzt,  weil  die  Gegenstände  zerstört  sind,  unmöglich  zu  beschaffen 
wären. 

Als  ich  als  königlicher  Konservator  für  das  ehemalige  Herzogtum  eintrat, 
und  mir  den  Grenzwall  zur  ersten  Aufgabe  gestellt,  stand  mir  dies  Akten- 
material bleibend  offen  und  that  mir,  als  ich,  vom  Königl.  Ministerium  und 
dem  Verein  unterstützt,  zeichnend  und  messend  dem  Grenzwall  folgte,  die 
besten  Dienste. 

Es  mussten  mir  bei  diesen  Gängen  viele  praktische  Fragen  aufstossen, 
die  natürlich  dem  Herrn  Professor  wohl  kaum  in  den  Sinn  kommen  konnten; 
denn  anders  denkt  ein  an  den  Schreibtisch  Gewöhnter  —  und  mit  anderen  Ge- 
danken kommt  ein  mit  der  freien  Natur  Vertrauter  aus  Wald  und  Flur 
zurück. 

Daher  ist  die  Instruktion,  die  er  seinen  Ausgesandten  gab,  wenn  sie  nicht 
selbst  das  Beste  mitbrächten,  recht  ungenügend.  Da  ich  aber  wegen  meines 
oben  erwähnten  Verhältnisses  zum  Grenzwall,  und  weil  ich  einige  Erfahrungen 
an  ihm  gemacht,  und  dabei  doch  manche  Frage  ungelöst  lassen  musste,  für 
die  ich  mich  fort  und  fort  interessiere,  so  erlaube  ich  mir,  die  Mommsen'sche 
Instruktion  zu  ergänzen,  indem  ich  den  Kommissions-Mitgliedern  teils  Fragen, 
teils  Ansichten  vorlege,  die  bei  ihren  Arbeiten  zu  berücksichtigen   ich  sie  bitte. 


Agenda  zur  weiteren  Untersuchung  des  Grenzwalles. 

1.  Vor  allem  und  allgemein  lege  ich  der  Untersuchungskommission  ans 
Herz,  das  noch  Bestehende  auch  der  Nachwelt  zu  erhalten,  damit  die 
vom  Reich  gewährten  Mittel  nicht  einen  Vandalismus  zum  Erfolg 
haben  und  jedem   Bauer,   jedem  Wegbauer   die   Stelle    zeigen,    wo    er 


257 

Steine  für  seinen  Gebrauch  holen  kann,  sondern  dass  sie  keine  Untersuch- 
ungsstelle verlassen,  ehe  sie  gemessen,  gezeichnet  und  eingetragen  ist, 
und  wenn  sie  nicht  unter  bleibende  Aufsicht  gestellt,  und  in  bewährter 
Weise  erhalten  werden  kann,  wieder  mit  Erde  bedeckt  werde. 

2.  Ich  glaube  zuerst  dem  Grenzwall  eine  militärische  Bedeutung  ab-  und 
die  einer  Zollgrenze  zugesprochen  zu  haben,  was  auch  Prof.  Mommsen 
acceptiert  hat.     (G.  W.   348.) 

3.  Gegen  kleine  Raubzüge  war  er  gut.     (G.  W.  348.) 

4.  In  dieser  Eigenschaft  wirkte  er  zum  Schutz,  nicht  zur  Unterdrückung 
der  Landeseingeborenen.     (G.  W.  348,  349.) 

5.  Es  war  daher  billig,  dass  sie  dazu  auch  etwas  leisteten,  zu  seiner  Be- 
wachung beitrugen,  teils  in  zahlreichen  Hilfskohorten  in  den  Kastellen, 
teils  als  Wächter  auf  den  Türmen.  (G.  W.  340.)  Danach  berechnet 
sich  die  Zahl  der  Mannschaften  (nicht  der  Legionsheere)  je  nach  dem 
zeitweiligen  Kriegstheater. 

6.  Der  Lauf  des  Grenzwalles  ist  auf  lange  Strecken  auf  seine  strategisch 
guten  oder  schlechten  Eigenschaften  betreffend  seines  Yor-  und  seines 
Rückzugs-Geländes  zu  prüfen. 

7.  Auch  auf  kurze  Strecken  ist  er  in  gleicher  Weise  auf  seine  taktischen 
Mängel  oder  Vorteile  zu  prüfen. 

8.  Es  ist  nach  den  Motiven  zu  suchen,  welche  nicht  im  Gelände,  sondern 
etwa  in  Volks-,  Gau-,  Gemeinde-Rechten  —  die  zu  achten  waren  — 
wohl  auch  in  der  Fruchtbarkeit  und  Steuerfähigkeit,  in  Thermen  und 
Salzquellen  lagen. 

9.  Diese  Fragen  sind  auch  zu  stellen  über  die  Lage  der  Kastelle  und  es 
sind  die  G.  W.  335  aufgestellten  Erfordernisse  zu  prüfen,  einzelne  anzu- 
erkennen oder  zu  bestreiten. 

10.  Wenn  Prof.  Mommsen  mit  vielem  philologischen  Aufwand  den  Grenz- 
wall oder  Limes  für  einen  Querweg  oder  auch  überhaupt  für  einen 
Weg  erklärt,  so  ist  er  im  Irrtum,  selbst  wenn  man  damit  auch  nur 
einen  mit  ihm  parallelen  Weg  bezeichnen  wollte;  denn  Wege,  welche 
auf  längere  Strecken  neben  ihm  und  zumal  hinter  ihm  herlaufen,  giebt 
es  nicht.  Dass  Wildpfade  hier  und  da  hinter,  auf  oder  vor  ihm  her- 
liefen und  von  den  Zollwächtern  benutzt  wurden,  mag  niemand  bestreiten, 
aber  doch  aufs  neue  untersuchen  und  an  den  einzelnen  Stellen  aus- 
sprechen. 

11.  Der  Grenzwall  bildet  einen  sehr  brauchbaren  chronologischen  Strich  — 
wenn  man  so  sagen  darf  —  von  etwa  200  Jahren  Breite,  an  den  sich 
andere  undatierte  Anlagen  anschliessen  lassen. 

12.  Durchschneidet  der  Grenzwall  ungestört  einen  Ringwall  oder  sonstige 
Wallanlage  oder  wird  er  von  ihnen  unbeachtet  durchfahren?  (G.W.  32.) 
—  Welche  Beziehungen  sind  zwischen  diesen  Verschanzungen  und  dem 
Grenzwall  zu  entdecken? 


258 


13.  Lehnen  sich  Hügelgräber  an  den  Grenzwall  oder  sind  sie  von  ihm 
angeschnitten?    "Was  weiss  man  von  ihrem  Inhalt?    (G.  W.  60.) 

14.  Hat  der  Grenzwall  die  Richtung  auf  entfernte  hochliegende  Punkte 
genommen?    (G.  W.  74.) 

15.  Hat  der  Grenzwall  im  Mittelalter  als  Landes-  oder  Gemeindegrenze  ge- 
dient oder  dient  er  noch  als  solche?  Vielleicht  als  Grenze  zwischen 
Dialekten  und  Volkscharakteren? 

16.  Giebt  es  Verdoppelungen  des  Grenzwalles?  und  wie  sind  sie  zu  deuten? 
als  Verstärkung?  als  Korrektur?  (G.W.  141,  148.)  —  Zieht  der  Grenz- 
wall wie  ein  vereinzelter  Arm,  ohne  Anschluss  ins  Ausland?  Und  wenn 
etwas  derart  sich  zu  finden  scheint,  wie  ist  es  zu  deuten?  Ist  es  mittel- 
alterlich? Allen  Verschanzungen,  Weg-  und  Bergabschnitten  ist  der 
Sicherheit  wegen  nachzugehen,  sie  sind  zu  messen  und  zu  zeichnen. 

17.  Der  Oberstlieutenant  F.  W.  Schmid,  der  den  richtigen  Endpunkt  des 
obergermanischen  Limes  gefunden  und  veröffentlicht  (ich  übergehe  hier 
einige  geographische  Irrtümer  in  Mommsens  röm.  Geschichte)  —  der 
aber  doch  noch  weitere  Fortsetzung  des  Grenzwalls  auf  dem  Gebirge 
angenommen  hat,  welche  Lokalforscher  vervielfältigt  und  beschrieben 
haben  —  wurden  von  mir  G.  W.  252,  266,  268,  274  als  irrtümlich 
nachgewiesen,  und  empfehle  ich  diese  Methode. 

18.  Die  Frage  von  den  Pallisaden  ist  durch  Nachgrabungen  zu  untersuchen 
und  zwar  nicht  nur  am  Pfahlgraben,  sondern  auch  an  der  Teufelsmauer, 
wo  der  Namen  Pfahl  ebenso  oft  vorkommt,  und  je  nach  Befund  aus 
der  Welt  zu  schaffen,  so  wie  es  ja  auch  gelungen  ist,  die  akademischen 
Römertürme  mit  Bossenquadern  zum  Schweigen  zu  bringen  (G.  W.  323, 
23  u.  Nachtrag  1886,  137.) 

19.  Was  ist  die  Bedeutung  des  Gräbchens  vor  der  Teufelsmauer?  (G.W.  10.) 
Es  findet  sich  vor  dem  Pfahlgraben  wohl  nirgend? 

20.  Sind  die  G.  W.  335  aufgeführten  Erfordernisse  für  die  Lage  der  Kastelle 
ausreichend?  auch  im  einzelnen  geprüft?  auch  längs  der  Teufelsmauer 
zutreffend  ? 

21.  Sind  nicht  noch  mehr  kleine  Zwischenkastelle  (Manipularkastelle)  längs 
des  Pfahlgrabens  und  längs  der  Teufelsmauer  zu  finden? 

22.  Ist  ein  Unterschied  zwischen  den  Kastellen  des  Pfahlgrabens  und  der 
Teufelsmauer  je  nach  der  geognostischen  Unterlage  in  der  Werkweise 
zu  erkennen,  die  etwa  zur  Bestimmung  der  Bauzeit  oder  auch  der  Ver- 
schiedenartigkeit der  Bauleute  führen  könnte? 

23.  Fundamentieruug  mit  gestickten  Steinen?  Mauerverbände,  Handquader 
Rauhmauer,  Fischgräten. 

24.  Verputz,  scheinbare  Quadrierung,  rote  Fugen. 

25.  Der  Mörtel  schlecht  oder  gut,  woher  der  Kalk?  Der  Sand  schlecht  und 
lehmig,  ausgefroren,  ausgespült? 


259 

26.  Wo  liegen  die  Steinbrüche  der  Mauersteine?  der  Hausteine? 

27.  Was  ist  für  die  Unterkunft  der  Mannschaft,  der  Pferde  geschehen  und 
nachzuweisen  ? 

28.  Setzen  die  mit  oder  ohne  Haustein  gemauerten  Thoranlagen  etwa 
hölzerne  Thorblenden  voraus?  (G.  W.  203.) 

29.  Die  Kastellgraben  zu  untersuchen  nach  etwa  hineingestürzten  Zinnen- 
deckeln oder  andern  Steinmetzarbeiten.  Lässt  die  Aufeinanderlage  der 
Schuttschichten  auf  Holz-  und  Lehmbauten,  auf  Stroh-  oder  Schindeldächer 
schliessen  ? 

30.  Liegt,  wie  wir  das  zuerst  behauptet  haben,  vor,  hinter  oder  neben  jedem 
Kastell  eine  Villa,  Zollbeamten-  oder  Kommandanten- Wohnung,  Canabae, 
heizbare  Räume?  die  von  Bädern  wohl  zu  unterscheiden  sind? 

3L  Ausdehnung  der  bürgerlichen  Niederlassungen  rings  um  das  Kastell. 
Auch  die  Gräber  sind  aufzuführen.  Von  wo  und  wie  wurde  das 
Wasser  beschafft? 

32.  Ich  werde  wohl  zuerst  darauf  aufmerksam  gemacht  haben,  dass  die 
Pfahlgrabentürme  auch  noch  etwas  anderes  waren,  als  Signalposteu. 
Stehen  sie  auch  längs  der  Teufelsmauer  an  Nebendurchgängen  und 
durchführenden  Pfaden?  Sehen  sie  sich  untereinander?  Stehen  sie  so, 
dass  sie  ins  Ausland?  ins  Inland  sehen  können?  bezüglich  gesehen 
werden  können?  Wie  sind  Gruppen  von  2 — 3  solcher  Türme  zu  deuten? 
Kann  man  manche  Hügel  als  Unterlagen  von  hölzernen  Türmen  an- 
sehen ? 

33.  Als  Zeichen,  dass  sie  allerdings,  wenn  auch  nur  auf  kurze  Strecken,  als 
Signaltürme  dienen  sollten,  stellt  die  Trajanssäule  neben  ihnen  Holz- 
und  Strohhaufen  dar,  gibt  ihnen  für  die  Fackelsignale  ausgekragte  Um- 
gänge und  für  die  Rauchsignale  ein  Loch  in  dem  Dachfirst. 

34.  Was  geschah  nach  dem  Sturz  der  Römerherrschaft  mit  den  Kastellen 
und  Türmen?  Gaben  die  Umwohner  den  Grenzschutz  und  die  Wohnung 
nebst  dem  bearbeiteten  Ackergelände  alsbald  auf?  Lassen  sich  dafür 
oder  dagegen  Beweise  bringen? 

35.  Es  wird  nicht  möglich  sein,  die  Limes-Untersuchung  auf  einen  schmalen 
Landstreifen  zu  beschränken:  wir  wissen  dies  aus  dem  Mangel  von 
Kastellen  längs  der  Teufelsmauer,  statt  deren  wir  immer  auf  die  Kastelle 
hingewiesen  werden,  die  dahinter  liegen  sollen,  und  von  denen  nichts 
als  der  problematische  Namen  bekannt  oder  unbekannt  ist,  von  denen 
aber  kein  Mauerwerk,  kein  Stück  Kastellgrundriss  vorgelegt  werden 
kann.  Auch  hier  werden  die  Lokalforscher  wohl  das  Beste  zu  liefern 
haben. 

36.  Zu  den  Untersuchungen  sind  überall  die  Vertreter  der  zunächst  be- 
rührten Vereine  einzuladen  mit  der  Berechtigung,  Notizen  zu  machen, 
zu  zeichnen,  zu  messen  und  zu  publizieren, 

17* 


260 

Wir  schliessen  diese  Agende  mit  der  eingangs  ausgesprochenen  Bitte,  auch 
die  Erhaltung  im  Auge  zu  halten  und  durch  die  That  zu  bewirken,  sowie  mit 
dem  Antrage,  dass  ein  Gesetz  veranlasst  werden  möge,  welches  die  Forstschutz- 
beamten und  die  Feldschützen  ermächtigt  und  verpflichtet,  gegen  jeden,  der 
am  Limes  und  seinen  Bauresten  etwas  arbeitet  oder  etwas  nehmen  will,  wie  gegen 
einen  "Wald-  oder  Feldfrevler  vorzugehen. 

Nach  der  Reichstags- Verhandlung  am  16.  Jan.  1892. 

V.  Cohausen. 


Mittlerweile  ist  der  Oberst  v.  Cohausen  zu  der  am  7.  April  zusammen- 
tretenden Grenzwall-Kommission  durch  den  Kgl.  Minister  nach  Berlin  berufen 
worden. 


Vereinsnachrichten. 


Bericht  des  Sekretärs. 

(Vom  1.  April  1891  bis  1.  April  1892.) 

Unsere  jAnnalen"  sind,  wie  dies  in  der  Generalversammlung  vom 
10.  Dezember  1890  angekündigt  wurde,  im  April  vorigen  Jahres  zum  Versand 
gelangt.  Dieser  Zeitpunkt  ist  auch  diesmal  beibehalten  worden;  eine  Verzögerung 
der  Herausgabe  fand,  trotz  des  grösseren  Umfanges,  nur  um  wenige  Tage 
infolge  des  Buchdruckerstrikes  statt. 

Wie  immer  wurde  die  Bibliothek  des  Vereins  durch  Kauf,  Umtausch  und 
Geschenke  in  ihrem  Bestände  vermehrt.  Die  Benutzung  der  Bibliothek  war 
erfreulicher  Weise  eine  sehr  ausgedehnte,  sowohl  durch  Ausleihen  von  Büchern, 
als  auch  durch  Gebrauch  derselben  zum  Quellenstudium  in  unseren  Räumen. 
Auch  unsere  Handschriften  wurden  Heissig  benutzt. 

Für  Geschenke  an  Büchern  etc.  zu  Dank  verpflichtet  sind  wir  seit  der  Ver- 
öffentlichung der  Annalen  des  vorigen  Jahres  den  Herren:  Oberst  z.  D,  von 
Cohausen  (wiederholt).  Major  z.  D.  Freiherr  von  Wangenheim,  Hauch 
(Frankfurt  a.  M.),  Major  a.  D.  Kolb,  Justizrat  Dr.  Geiger,  Freiherr  A.  von 
Kruse.     Wir  danken  den  gütigen  Gebern  herzlichst! 

Die  Vorstandssitzungen  fanden  nach  Bedarf  statt,  die  öffentlichen  Sitzungen 
am  zweiten  Mittwoch  der  hierzu  ausgewählten  Monate,  im  Hotel  zum  „Grünen 
Wald«. 

Es  sprachen  seit  der  letzten  Veröffentlichung  vor  Beginn  des  neuen 
Cyklus  die  Herren: 

Direktor   Fischbach   in   öffentlichem    Vortrag   über    „die    Textilfunde 
und  die  antike  Ornamentik  in  Peru  vor  der  Inkazeit"   (im  April). 
Major  a.  D.  Schlieben   über    „die  Symbolik  des  Esels  in  der  Kultur- 
geschichte"  (im  November). 

Der  neue  Cyclus  begann  mit  dem  Bericht  des  Herrn  Oberst  z.  D.  von 
Cohausen  über  die  am  30.  August  in  Sigmaringen  abgehaltene  General- 
Versammlung  der  deutschen  Geschichts-  und  Altertums -Vereine    (im    Oktober). 


262 

Es  sprachen  ferner: 

Herr  Sanitätsrat  Dr.  Florsehütz  über  „die  Beziehungen  der  Geologie 
zur  Altertumskunde  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Yor- 
geschichte  des  Nassauer  Landes".  (In  der  Generalversammlung 
vom  9.  Dezember  v.  Js.) 

Herr  Schriftsteller  C.  Spielmann  über  „General  Marceau's  letzten  Feld- 
zug" und  die  Frage  „Marceau's  Asche"  (im  Januar  1892). 

Herr  Gymnasiallehrer  Dr.  Wedewer  über  „Geographisch-Archäologische 
Mitteilungen  in  Schweden  und  Norwegen"   (im  Februar). 

Herr  Realschuldirektor  Dr.  Kaiser  über  „Zahlzeichen  und  Zahlen- 
systeme". 

Die  im  Sommer  übliche  Pause  gab  zu  anderweitiger  Vereinsthätigkeit 
Veranlassung.  Am  30.  Mai  v.  Js.  machte  der  Verein  mit  dem  hiesigen  Archi- 
tekten- und  Ingenieur-Verein  zusammen  einen  Ausflug  mit  Damen  nach  Limburg 
an  der  Lahn  zur  Besichtigung  des  dortigen  Domes  und  der  Domschätze  unter 
zahlreicher  Beteiligung.  Der  hochwürdigste  Bischof  Herr  Dr.  Klein  hatte  in 
aufopfernder  Liebenswürdigkeit  die  sachgeraässe,  interessante  Führung  und 
Erläuterung  übernommen.  Die  „Hessische  Ludwigsbahn"  unterstützte  den 
Ausflug  durch  Überlassung  eines  Salonwagens  zu  ermässigtem  Preise  in 
dankenswerter  Weise. 

Am  17.  August  hatten  wir  die  Freude,  Damen  und  Herren  des  Frankfurter 
„Historischen  Vereins"  bei  uns  zu  sehen.  An  die  Besichtigung  des  Museums 
schloss  sich  ein  gemeinschaftliches  Abendessen.  Wir  hoffen,  dass  unser  Ver- 
kehr mit  diesem  Verein  immer  mehr  zunehmen  wird. 

Am  19.  August  fand  ein  Ausflug  mit  Damen  nach  Oppenheim  statt, 
wozu  Herr  Rheder  Faber  dem  Verein  gütigst  seinen  Privatdampfer  „Sagitta" 
zur  Verfügung  gestellt  hatte. 

Auch  für  dieses  Jahr  sind  mehrere  Ausflüge  in  Aussicht  genommen. 

In  Schriftenaustausch  trat  der  Verein  mit  nachfolgenden  Vereinen : 
Karlsruhe.     Grossh.  Badische  Altertümer-Sammlung. 
Meiningen.     Verein  für  Meiningische  Geschichte  und  Landeskunde. 
Roda  S.-A.     Der  Geschichts-  und  Altertumsforschende  Verein. 
Mölln    i.    Lauenburg.     Verein    für    die  Geschichte    des  Herzogtums 

Lauenburg. 
Neubrandenburg.     Museumsverein  zu  Neubrandenburg. 
Schw.  Hall.     Historischer  Verein  für  Württembergisch  Franken. 
Dillingen.     Historischer  Verein. 
Eichstätt.     Historischer  Verein  zu  Eichstätt. 
Torgau,     Altertumsverein  zu  Torgau. 
Prüm.     Gesellschaft  für  Altertumskunde  in  Prüm. 
Dürkheim  (Pfalz).     Altertumsverein  für  den  Kanton  Dürkheim. 
Emden.    Die    Gesellschaft   für    bildende    Kunst    und   vaterländische 

Altertümer  in  Emden. 
Heilbronn.     Historischer  Verein  zu  Heilbronn. 


263 

Reutlingen  (Württemberg).     Der  Verein  für  Kunst  und  Altertum 

in  Reutlingen. 
Berlin.     Märkisches  Provinzialmuseum. 

Klagenfurt.     Kärntnerischer  Geschichtsverein  zu  Klagenfurt. 
Salzburg.     Gesellschaft  für  Salzburger  Landeskunde. 

Mit  zahlreichen  weiteren  Vereinen  ist  Schriftenaustausch  angeknüpft. 

Seit  November  1890   traten  dem  Verein  38  Mitglieder  bei,   54  verlor  er, 
davon  leider  viele  durch  den  Tod. 

Es  traten  ein  als  ordentliche  Mitglieder: 
Herr   Niemes,  L.,  Rentner,  "W. 

y,       Becker,  L.,  Kaufmann,  W. 

„       Meyer,  R.,  Generalagent,  W. 

„       Brems,  P.,  Buchdruckereibesitzer,  W. 

„       Floeck,  F.,  Architekt,  W. 

^       Bredemann,  0.,  Dr.  phil.,  \V. 

„       Henzel,  A.,  Ingenieur,  W. 

„       Tietz,  Dr.  phil.,  W. 

„       Hesse,  A.,  Kaufmann,  W. 

„       Ott,  cand.  phil.,  W. 

„       Altenburg,  E.,  cand.  phil.,  W. 

„       Kunz,  J.,  Bildhauer,  "W. 

„       Feldner,  C,  Lehrer,  Steeten  a.  d.  Lahn. 

„       Kurz,  Dr.  H.,  Apotheker,  V^^. 
Stolley,  Hof-Dentist,  W. 

„       Lieber,  Th.,  Hofrat,  Professor,  Gera. 
Fürst  von  Waldeck  und  Pyrmont,  Durchlaucht. 

Herr   Drexel,  J.  J.,  Kaufmann,  W. 

„       Frisch,  Major  a.  D.,  W. 

„       Schenck,  Major  a.  D.,  W. 

,       Bindewald,  Kgl.  Landrat,  Weilburg. 

„       Franz,  Kgl.  Regier.-Bauführer,  W. 

„       Reinhold,  Medizinalrat,  Eisenberg,  Sachsen-Altenburg. 

„       Ebhardt,  C,  Rentner,  W. 

„       Fischer,  F.,  Rentner,  W. 

„       Stahl,  Amtsgerichtsrat,  Hachenburg. 

„       Bröcking,  W.,  Dr.  phil.,  W. 

„       Graf  Friedrich  zu  Solms-Laubach,  Erlaucht. 

Se.  Kgl.  Hoheit   Fürst   Leopold   von   HohenzoUern-Sigmaringen. 

Herr   Rupp,  F.,  Dr.  theol.,  Herborn. 
„       Eggert,   Regierungs-  und  Baurat,  W. 
,       Frank,  G.,  Dr.  med.,  W. 

„       Weitzel,  Pr.-Lieut.  i.  3.  Grossh.  hess.  Inftr.-Regt.  (Leibregiment) 
No,  117,  Mainz. 


264 


In  derselben  Zeit  traten  aus  bezw,  starben 


Herr  Hartmann,  Postsekretär,  Stettin. 

^  Michelsen,  Dr.  med.,  "W. 

„  Knowles,  Rentner,  W. 

„  Theiss,  Rentner,  "W.  f 

,  Freitag,  Rentner,  "W. 

„  Haniel,  A.,  Rentner,  W.  f 

„  von  Gerstein-Hohenstein,   Excellenz,    Generallieutenant  z.  D., 
Wiesbaden,  f 

„  Crahe,  F.,  Rentner,  \V.  f 

„  Fleischer,  Sanitätsrat,  W. 

„  von  Eck,  E.,  Nassau,  f 

„  Rabe,  Landrat,  Limburg. 

„  Stahl,  Hofgerichtsrat,  Hachenburg.  f 

„  von  Körber,  Excellenz,  W. 

„  Hartmann,  M.,  Frankfurt,  f 

„  Knopf,  Rentner,  W.  f 

„  Wächter,  Privatier,  Epernay. 

„  Schi  ekel,  Redakteur,  Oberlahnstein. 

„  Ort,  Dr.,  Frankfurt. 

„  von  Kietzeil,  Oberstlieutenant,  Diez. 

„  Frhr.  von  Malapert-Neufville,  Major  a.  D.,  W. 

„  Lauth,  Kreisbauinspektor,  Fulda. 

„  Kirchner,  Apotheker,  W. 

„  Graf  von  Roedern,  Oberstlieutenant  z.  D.,  W. 

„  Lehr,  Kaufmann,  W.  f 

„  Kolbow,  Rentner,  W. 

„  Rh  od,  Pfarrer  a.  D.,  W.  f 

„  Linde,  Lieutenant  a.  D.,  W. 

„  Rupp,  Pfarrer  a.  D.,  Langenbach.  f 

„  Vigelius,  Ministerialrat,  W,  f 

„  von  Lilien,  Lieutenant  a.  D.,  W.  f 

„  Seh  wart  z,  Generalmajor  a.  D.,  W.  f 

„  Müller,  Postmeister,  Hadamar. 

„  Strampel,  Apotheker,  W. 

„  Keier,  C,  Rentner,  W. 

Der  Verein  hat  demnach  einen  Bestand  von  397  Mitgliedern,  inkl.  Ehren- 
und  korrespondierenden  Mitgliedern. 

Der  Vorstand  setzt  sich  nach  der  Generalversammlung  vom  9.  Dezember 
1891  zusammen  wie  folgt: 

Direktor:  Herr  Sanitätsrat  Dr.  Florschütz. 
Sekretär:  Herr  Premierlieutenant  a.  D.  Hoffmanu. 
Konservator:  Herr  Oberst  z.  D.  v.  Cohausen. 


265 

Ferner  die  Herren : 

Geheimer  Baurat  Cuno. 
Geheimer  Juatizrat  von  Eck. 
Rentner  Gaab. 
Landgerichtsrat  Keutner. 
Landbau-Inapektor  Dr.  von  Ritgen. 
Major  a.  D.  Frhr.    von  Wangenheim. 
Gymnasialoberlehrer  Dr.  Wedewer. 
Direktor  Weldert. 

Ersatzmänner  die  Herren: 
Dr.  med.  Ahrens. 
Dr.  phil.  Lohr, 
Landgerichtsrat  Dussel. 

In   die   Rechnungsprüfungs-Kommission    wurden    wiedergewählt  die 

Herren : 

Geheimer  Baurat  Cuno. 

Kunstgewerbeschuldirektor  a.  D.  Fr.  Fischbach. 
Rentner  Isenbeck. 

Herr    Sanitätsrat    Dr.    Fleischer    schied    auf    seinen    Antrag    wegen 
Krankheit  aus. 

Bezüglich   der  Einsendung    von   Manuskripten   in   die  Annalen    sehe  man 
die  Bemerkung  auf  der  Rückseite. 

Wilh.  Hoffmann. 


Bericht  des  Konservators  Oberst  von  Cohauseii   über  die  Erwerbungen 
für  das  Altertunis-Museum  in  Wiesbaden  wälirend  des  Jalires  1891. 

Seit  unserer  vorigjährigen  Generalversammlung  sind,  wenn  auch  nicht 
viele,  aber  wertvolle  Gegenstände  in  den  Besitz  unseres  Museums  gekommen. 
Es  werden  Ihnen  viele  Knochen  auffallen,  welche  nicht  nur  für  uns,  durch  die 
Steetener  Höhlen,  sondern,  wie  Ihnen  dargelegt  wird,  von  grossem  allgemeinem 
wissenschaftlichen  Interesse  sind. 

Ich  danke  für  zahlreiche  Gaben  dieser  und  anderer  Art  den  gütigen  Ge- 
schenkgebern. 

Von  Herrn  Oberstudienrat  Dr.  Fr  aas  in  Stuttgart  empfingen  wir  ver- 
schiedene Knochen  und  Zähne  von  der  Hyäne,  dem  Bären,  dem  Hirsch  und 
andere,  welche  zur  Zeit  meiner  Ausgrabungen  in  den  Steetener  Höhlen  ein 
Herr  aus  Oranienstein  an  sich  und  nach  Stuttgart  verbracht  hat,  die  aber  der 
obengenannte  Natur-  und  Altertumsforscher  wieder  an  uns,  wohin  sie  gehören, 
gegeben  hat. 

Aus  einer  daselbst  neuerdings  entdeckten  Höhle  sind  noch  weitere  Skelett- 
teile direkt  in  unser  Museum  gelangt;  auch  einige  weitere  aus  den  Baufunda- 
nienten  zwischen  der  Frankfurter-  und  Langenbeckstrasse. 


266 

Von  Herrn  Dr.  Peters  erhielten  wir,  durch  Vermittelung  des  Herrn  Dr.  Flor- 
schütz, aus  des  Erstgenannten  Ziegelei  bei  Schierstein  die  Ergebnisse  aus  Mardellen 
und  Gräbern  an  Knochen  und  Töpfereien.  Es  ist  angrenzend  an  die  Stelle, 
aus  welcher  wir  von  Herrn  Jacob  1876  Gregeostände  verwandter  Art  empfangen 
hatten. 

Da  es  nicht  nur  zur  Eiszeit  von  Höhlen-,  sondern  auch  noch  später  von 
braunen  Bären  in  unserem  Lande  gewimmelt  hat  und  die  Überreste  beider 
zugleich  mit  dem  Menschen  und  dessen  Erzeugnissen  vorkommen,  so  fallen  deren 
Knochen  in  das  Studium  der  Anthropologie,  und  es  war  uns  des  Vergleiches 
wegen  sehr  willkommen,  als  uns  Herr  Becker,  Nachfolger  von  J.  M.  Roth, 
aus  seinem  Delikatessenladen  die  vollkommenen  Skelette  der  Vorder-  und 
Hinterhacksen  des  Bären  schenkte. 

Von  Herrn  Alfred  Villeroy  empfingen  wir  die  Schlacken  aus  zwei  Ab- 
schnittswälleu.  welche  den  Limberg  bei  Saarlouis  teilen.  Sie  erinnern  sich, 
dass  wir  die  Einlage  von  Hölzero  in  Steinwällen  als  Bindemittel  zuerst  auf 
dem  Altkönig  entdeckt  und  auch  weiter  die  bei  dem  Brand  der  Hölzer  ent- 
stehenden Schlacken  an  den  Volkszufluchtschanzen  nachgewiesen  haben. 

Von  Herrn  Lehrer  Feldner  in  Steeten  empfingen  wir  einige  Bronze- 
schmuckstücke aus  Gräbern  auf  der  Hochfläche  von  Dehren. 

Durch  Vermittelung  des  Herrn  Direktor  Fischbach  kam  der  interessante 
Inhalt  eines  Grabes  aus  Erbenheim  in  das  Museum,  sowie  durch  Herrn  Phil. 
Heinr.  Marx  ein  römischer  Mühlstein  aus  den  Fundamenten  des  ehemaligen 
Karlsruher  Hofes  am  Mauritiusplatz. 

Bei  der  lebhaften  Bauthätigkeit,  welche  hier  herrscht,  gelangten  durch 
die  Bereitwilligkeit  des  Herrn  Bücher  mit  den  Schädeln  die  Beigaben  römischer 
Gräber  aus  dem  ehemaligen  Dasch'schen  Garten  an  uns.  Es  lag  da  die  Fort- 
setzung des  römischen  Friedhofes,  welchen  wir  in  der  Museumsstrasse  und 
Garten  schon  als  Begleiter  der  im  Salzbachthal  weiterziehenden  Landstrasse 
kennen.  Römischen  Ursprungs  sind  auch  ein  von  Herrn  Wollweber  in  der 
neuen  Bärenstrasse  gefundenes  Krüglein  und  ein  Stück  der  römischen  Wasser- 
leitung, bestehend  aus  Röhren  und  Schlammkasten,  welche  wir,  durch  Dr.  Reuter 
beschrieben,  in  der  Rhein-  und  Luisenstrasse  kennen.  Diese  Stücke  danken 
wir  dem  Herrn  Rechtsanwalt  Kullmann. 

Von  Herrn  R.  Forrer,  von  dem  wir  ägyptische  Gewebe  und  Kataloge 
von  solchen  und  römischen  Geweben  erworben  haben,  empfingen  wir  Muster 
von  byzantinischen  Geweben  des  5. — 6.  Jahrhunderts  aus  Achim-Penopolis; 
und  für  unsere  ethnographische  Sammlung  Strick-  und  Netzgeräte  aus  Alt- 
Peru.  — 

Ferner  kamen  durch  Ankäufe  noch  an  uns  eine  schöne  römische  Bronze- 
kanne, angeblich  aus  Simmern,  eine  Bronzepfanne,  angeblich  von  Boppard,  ein 
vortrefflicher  (iagatschmuck,  sowie  fränkische  Goldringe. 

Herr  Professor  Otto  schenkte  dem  Museum  zwei  silbergoldene  und  eine 
Bronze-Regenbogen-  (gallische)  Münzen. 


267 

Aus  Merowingischer  Zeit  kamen  durch  Schenkung  des  Herrn  Lieutenant 
V.  Lilien  sehr  schöne  und  charakteristische  Schmuckstücke  aus  der  Gegend 
von  Soest  aa  uns. 

Bei  dem  jetzt  so  häufig  besprochenen  Gegensatze  der  altheimischen  Töpferei 
und  der  vom  Lausitzer  Typus  war  es  uns  von  grossem  Interesse,  einige  Muster 
des  letztgenannten  Stils  im  Museum  zu  haben,  und  kamen  wir  durch  Überein- 
kunft mit  dem  Herrn  Dr.  Voss,  Direktor  des  prähistorischen  Museums  in  Berlin, 
aus  diesem  in  Besitz  von  solchen  Töpfereien,  —  welche  durch  Herrn  Dr.  Hein- 
rich noch  durch  mehrere  schöne  Stücke  aus  Schlesien  vermehrt  wurden. 

Durch  die  Aufmerksamkeit  des  Herrn  Reg.-Baumeister  H.  Rössler  ge- 
langten aus  den  Baggerarbeiten  im  Rheine  bei  Eltville  mehrere  sehr  interessante 
Stücke  in  das  Museum;  ein  Eisenschwert  des  10.,  zwei  Degen  oder  Pallasche 
mit  Körben  des  16.  Jahrhunderts,  ein  Infanteriesäbel,  ein  gut  erhaltenes  Pilum 
oder  Ango,  eine  Anzahl  von  eisernen  und  steinernen  Geschützkugeln  und  Gra- 
naten (unter  den  steinernen  Kugeln  waren  jedoch  auch  einige  natürliche  Sep- 
tarien),  zwei  schwere  und  eine  leichte  Lanzenspitze  und  eine  gelb  glasierte 
Ofenkachel.  Eine  Thonkachel  aus  dem  18.  Jahrhundert  von  Bierstadt,  sowie 
zwei  verzierte  Gussplatten  kamen  durch  Kauf  in  das  Museum. 

Zu  nennen  sind  ferner  einige  Kupfermünzen  von  Herrn  Rud.  Hauch. 
Zwei  Petschaften  und  ein  Taschenmesser  mit  Schrift  von  Herrn  Aug.  Herber, 
dem  wir  schon  früher  schöne  Stücke  danken. 

Von  einem  Kurgaste,  dem  Herrn  Direktor  Buch  aus  Bergen  in  Norwegen, 
empfingen  wir  einen  dort  gebräuchlichen  Silberring. 

Von  Frau  Gräfin  von  der  Golz,  die  uns  schon  lange,  noch  als  Frau 
Preyer,  eine  gütige  Geberin  war,  erhielten  wir  mehrere  venetianische,  sogenannte 
gesprengte  Schlüssel, 

von  Herrn  Edmond  Elton  in  Clevedon  Court  Someret  zwei  schöne  Vasen 
mit  nach  chinesischer  Art  ablaufender  Glasur, 

von  Herrn  Alfred  Boch  in  Fremersdorf  zwei  bedruckte  Fayence- 
Teller,  die  Ende  der  dreissiger  Jahre  in  Mettlach  und  Vallerfangen  gemacht 
sind, 

von  Herrn  General  von  Bernut  eine  Vase  und  einen  Leuchter  aus  Sigel- 
erde,  schöne  moderne  ägyptische  Arbeiten, 

von  Frau  von  Cohausen  einen  Knopf  mit  feiner  moderner  Glasmosaik. 

Durch  Austausch  kamen  wir  in  Besitz  von  zwei  Mille fiori-Ge fassen, 
einer  kleinen  Vase  und  einem  Alabastron. 

Von  Herrn  Major  Schlieben  vermittelt  erhielten  wir  einen  vergoldeten 
Rockknopf  aus  der  Mosel  von  Herrn  Dr.  Maurer, 

von  Herrn  Sanitätsrat  Dr.  Florschütz  eine  aus  dem  Rheine  gebaggerte 
Bronzebarre,  die  er  dem  römisch-germanischen  3Iuseum  dankt.  —  Durch  billigen 
Ankauf  gelangten  in  die  ethnographische  Sammlung  mehrere  schöne  persische 
Altertümer;  ein  gewaltiges  Richtschwert  mit  unentzifferbarer  Inschrift,  ein 
Helm,  ein  Schild  und  eine  Handberge  mit  bemalten  Relieffiguren  und  ein  aus 
Messing  getriebenes,  reich  verziertes  Kamel. 


268 

Als  sehr  erfreuliches,  in  die  Augen  leuchtendes  Stück  hätten  wir  zuerst 
nennen  können:  ein  Relief-Mosaik-Gemälde  in  Glas  und  Rahmen.  Es 
stellt  eine  der  Pforten,  die  Klingenpforte,  im  Rheingauer  Gebück,  zwischen 
Neudorf  und  Schlangenbad,  dar  und  ist  durch  die  kunstreiche  Hand  des  ver- 
storbenen Dr.  Creves  in  Eltville  angefertigt  worden.  Ich  hatte  schon  seit  1874 
mein  Auge  darauf,  konnte  es  aber  weder  als  Schenkung,  noch  durch  Ankauf 
erwerben;  bei  ihrem  Tode  aber  gedachte  die  Tochter  des  Genannten,  Fräul. 
Frida,  des  Museums  und  Hess  es  als  teueres  Vermächtnis  durch  die  Vermit- 
telung  ihrer  Schwester,  Frau  Steuerrat  Pf  äff,  an  uns  gelangen,  wo  es  zum 
Andenken  an  die  Familie  in  Ehren  gehalten  werden  wird. 


Wir  bringen  gerne  folgende  Urkunde,  welche  im  August  vorigen  Jahres 
dem  Vorstande  zugegangen  ist,  zur  Kenntnis  der  Vereinsmitglieder. 

Schenkuiigs -Urkunde. 

Beseelt  von  warmer  Liebe  zu  dem  herzerhebenden  Gesang,  und  dadurch 
auch  zu  dem  Wiesbadener  Männergesaugverein,  dessen  aktiver  Mitglied- 
schaft er  sich  erfreut,  hat  Unterzeichneter  Wilhelm  Bruch  von  Nassau, 
zur  Feier  des  fünfzigjährigen  Stiftungsfestes  des  Vereins  im  Jahre  1891,  ein 
Geschenk  angefertigt,  das  er  durch  diese  Urkunde  dem  genannten  Verein  als 
unveräusserliches  Eigentum  verehrt.  Nicht  weniger  begeistert  für  sein  Fach 
hat  er  zu  diesem  Zweck  einen  emblematischen  Schrank,  aus  Nussbaumholz, 
in  italienischem  Renaissancestil  gearbeitet,  und  zwar  so,  wie  er  nebenstehend 
(Seite  3  dieses  Bogens)  photographisch  dargestellt  ist^). 

Sollte  aber  der  Verein  unverhofft  jemals  sich  auflösen  oder  aufgelöst 
werden,  dann  wird  der  Nassauische  Altertums-Verein  (zur  Zeit  im 
Museumsgebäude  in  der  Wilhelmstrasse  20  zu  Wiesbaden)  kraft  dieser 
Urkunde  unbestrittener  Eigentümer  des  vorbenannten  Schrankes. 

Wiesbaden,  den  31.  Juli  1891. 

(gez.)  Wilhelm  Bruch. 

Zur  Beglaubigung  der  Unterschrift:  Der  Königl.  Bibliothekar: 
(gez.)  Prof.  Dr.  von  der  Linde. 


')  Auf  dem  Bureau  des  Alterturasvereins  einzusehen. 


Nachruf  an  Anton  Weck. 


Der  langjährige  Diener  unseres  Vereins  und  Aufseher  des  Landes-Museums 
für  Altertümer  wurde  den  15.  Miirz  1813  in  Fischbach,  Amt  Künigstein  im 
Taunus,  geboren.  Er  diente  vom  15.  April  1833  bis  zum  1.  April  1839  im 
2.  Nassauischen  Infanterie-Regiment,  teils  in  Wiesbaden,  teils  in  Weilburg  und 
ging  von  demselben  nach  der  gesetzmässigen  Dienstzeit  von  6  Jahren  mit  dem 
Zeugnis  guten  Betragens  ab. 

Bei  den  durch  den  Verein  in  den  Jahren  1836,  1841  und  1858  am 
Römerkastell  auf  dem  Heidenberg,  wo  jetzt  das  städtische  Krankenhaus  steht, 
unternommenen  Ausgrabungen  zeichnete  er  sich  alsbald  durch  Anstelligkeit 
und  Verständnis  so  vorteilhaft  aus,  dass  er  zu  ähnlichen  Untersuchungen  und 
Vermessungen  stets  als  Vorarbeiter  und  als  Aufseher  verwandt  wurde. 

In  dieser  Weise  war  er  beschäftigt  unter  den  Vereinsdirektoren :  Regierungs- 
Präsident  Dr.  Möller,  Oberappellationsgerichtsrat  Strobel,  Bibliothekssekretär 
Ebenau,  Regierungsrat  Dr.  Seebode,  Bibliothekssekretär  Ebenau,  Medizinal- 
rat Dr.  Reuter,  Hofgerichtsprokurator  Dr.  Braun,  Oberschulrat  Dr.  Schwarz, 
Appellationsgerichts-Präsident  Hergenhahn,  Medizinalrat  Dr.  Reuter,  Gym- 
nasialprofessor Otto,  Gymnasialdirektor  Spiess,  Sanitätsrat  Dr.  Florschütz; 
sowie  unter  den  Museums -Konservatoren  ArchivFa^->. -Df^  Habel  mit  dem 
Architekt  Kihm,  Archivrat  Dr.  Rössel,  Bibliothekar  Dr.  Schalk,  Dr.  Kekule 
und  Oberst  vonCohausen. 

Unter  diesen  Direktoren  und  Konservatoren  betrieb  oder  leitete  Weck  die 
folgenden  Ausgrabungen : 

Am  Römerkastell  Wiesbaden  1839,  1841,  1858;  des  Kastells  bei  Hofheim 
1841,  1842,  1843;  am  Kranzplatz  1842;  bei  Heddernheim  1860,  1863;  an 
dem  sogenannten  Kastell  Rambach  1846,  1856,  1861,  1862;  am  Landgraben 
(Kurve)  und  die  Gräber  bei  der  Spelzmühle;  auf  Röder,  auf  der  Hasselt,  an 
der  Wellritzmühle;  am  Höfchen  und  in  der  Bierstadter  Flur;  am  Münzberg 
und  im  Nerothal,  alles  in  den  Jahren  1847  und  1848.  Ferner  in  Marienfels 
1849,  von  dessen  Villa  er  1849 — 1850  das  im  Museum  befindliche  Modell  ge- 
macht hat,  nachdem  er  1848  bei  dem  Bildhauer  v.  d.  Launitz  in  der  Lehre 
gewesen  war,  1849  machte  er  Gypsabgüsse  und  Papier-Abklatsche  von  den 
Kirchenstühlen  in  Kiedrich  und  1850  in  Eberbach.  Er  half  bei  der  Vermessung 
der  1852  abgebrannten  Mauritiuskirche,  1853  und  1856  machte  er  Ausgrabungen 
am  Zugmantel-Kastell.     Er  war  bei  den  Ausgrabungen  der  Frankengräber  am 


270 

Schiersteiner  Weg  1854,  1863,  1865,  1866,  1867,  1868  thätig  und  grub  1854 
an  der  römischen  Wasserleitung  im  Mühlenthal  und  an  der  Mosbacher  Eisen- 
bahn, ferner  an  den  Hügelgräbern  am  Weissen  Turm  und  bei  Auringen  1863, 
sowie  an  den  römischen  Altertümern  bei  Stierstadt  1864,  bei  Fischbach  1865 
und  verschaffte  dem  Museum  durch  seine  Aufmerksamkeit  1871  eine  grosse 
vorrömische  Urne  mit  Deckel  und  Kupfermesser;  im  Jahre  1878  beaufsichtigte 
er,  von  seinem  Sohn  Fritz  unterstützt,  thätig  die  Ausgrabung  der  reichen 
Frankengräber  bei  Erbenheim. 

Überhaupt  hatte  er  bei  der  Auffindung  und  Ausmessung  bei  den  Fun- 
damentbauten der  Stadt  den  regsten  Anteil  und  diente  dem  Museum  über  viele 
Gegenstände  und  Unternehmungen  als  zuverlässige  Chronik. 

Im  Jahre  1879  am  16.  April  hatte  er  die  Ehre,  dem  Prinzen  Wilhelm, 
unseres  jetzigen  Kaisers  Majestät,  Anleitung  im  Abklatschen  von  Steininschriften 
zu  geben.     Im  Jahre  1889  erhielt  er  das  Allgemeine  Ehrenzeichen. 

Allgemein  betrauert  starb  er  den  19.  Mai  1890. 

Er  hatte  1835  die  Katharina  Specht  geheiratet  und  zwei  Söhne,  Wilhelm 
und  Fritz,  welche  Landwirtschaft  und  Fuhrwesen,  sowie  der  jüngere  Steinmetz 
und  Spezereihandel  betreiben,  und  drei  Töchter,  Marie,  Julie  und  Johanna, 
welche  tüchtige  Handwerksmeister :  Schlosser  Hanson,  Anstreicher  Schlepper 
und  Schlosser  Freund  geheiratet  haben,  hinterlassen. 

Weck  ist  uns  ein  erfreuliches  Beispiel,  wie  ein  Mann  mit  einer  tüchtigen 
Frau,  der  mit  nichts  weiter  als  mit  35  Kreuzern  (1  Mark)  Taglohn  beginnend, 
nach  35  Jahren  mit  einem  Jahresgehalt  von  1080  Mark  schliessend,  durch 
Ordnungsliebe  und  Sparsamkeit,  durch  Ankauf  von  Ländereien  und  Häusern, 
die  früher  allerdings  nicht  den  jetzigen  Wert  hatten,  ein  Vermögen  von 
70000  Mark  hinterliess  und  —  dies  sei  hier  besonders  hervorgehoben  — , 
geschah  das  nicht  nur  ohne  jeglichen  Zwischenhandel  oder  dergleichen,  sondern 
auch  bei  untadelhafter  Rechtlichkeit  und  vollkommener  Interesselosigkeit  und 
Anstand  gegenüber  allen,  die  das  Museum  besuchten. 

Der  Altertumsverein,  sowie  der  Konservator  des  Museums  werden  ihm  ein 
ungeteilt  anerkennendes  Andenken  bewahren. 

von  Cohausen. 


271 


Berichtisjuii!?  zu  pag.  51  ff.  des  vorjährigen  Altertiimsbandes. 

Nach  einer  Mitteilung  vom  26.  November  1.  J.  hat  Herr  Archivrat 
Dr.  Sauer  in  einem  jüngst  ihm  erst  bekannt  gewordenen,  dem  Wiesbadener 
Staatsarchiv  zugehörenden  Briefwechsel  zwischen  Schliephake  und  dem  ehe- 
maligen Idsteiner  Landesarchive  betreffs  der  Ersterem  nach  Heidelberg  zuge- 
gangenen Archivalien  gefunden,  dass  das  Original  des  Weistums  vom  6.  Juli 
1361  genau  nach  der  , Geschichte  von  Nassau*  2,  65  in  der  That  im  Mai  1866 
unter  Abföllen  u.  dergl.  in  einem  Schranke  des  Idsteiner  Archivs  entdeckt  und 
von  Schliephake  bis  zum  6.  September  des  gleichen  Jahres  benutzt  worden 
ist,  nicht  ohne  Klage  über  die  schwere  Mühe  der  Entzifferung.  Ich  nehme 
deshalb  auf  ausdrücklichen  Wunsch  des  genannten  Herrn  Archivrates  und  eigner 
Ehrenpflicht  gerne  hierdurch  zurück,  was  ich  zu  Ungunsten  Schliephakes 
in  diesem  Stücke,  S.  51  f.,  meiner  Abhandlung  über  ,das  Landgericht  der  vier 
Herren  auf  dem  Einrieb''  im  vorigen  Annalenberichte  geschrieben  habe,  und 
bemerke  weiter,  dass  aus  dem  gleichen  Briefwechsel  die  Bemühung  des  ver- 
dienstvollen Forschers,  auch  über  den  , Ahorn"  des  Weistums  und  die  Mal- 
stätten des  Einrichs  Gewissheit  zu  verschaffen,  hervorgeht,  da  auf  seine  Ver- 
anlassung Anfragen  hierüber  an  verschiedene  Oberförstereien  ergingen. 

Miltenberg,  13.  Dezember  1891. 

Ludw.  Conrad y. 


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NASSAÜLSCHE  ALTERTUMSKUNDE 


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CONRAD  REINHARDT 

VORMALS  W,  ROTU'S  BUCH-  «c,   KUNSTHASDLUXG 

HOFLIEFERANT 
IHRER  KÜNIOL.  HOHEIT  DER  FRAU  PRINZESSIN  CHRISTIAN  7.V  SCHLESWIQ -HOLSTEIN 
PRINZESSIN  VON  CROSSDRITANNIEN  IXD  IRTANf».  ' 


1892. 


Preis -Verzeichnis 

der  auf 

Lager    befindlichen  Vereins-Annalen  u.  s.  w.,  Separatabdriicke 

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Vereins  für  Xassaiiisclie  Altertiimskiiinle  iin<l  Gescliiclitsforsehmiu:. 


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Die  Heiliggrab-Kapelle  zu  Weilburg  a.  d.  Lahn,  von  R.  Görz,  mit  1  Taf. 
Das  Graue  Haus  zu  Winkel  im  Kheingau,  von  R.  Görz,  mit  1  Taf. 

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Die  Abtei  Eberbach:  Das  Refectorium,  von  Dr.  K.  Rössel,  mit  7  Taf. 

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Zu   bedeutend   ermässigtem  Preise   werden  an  unsere  Mitglieder  folgende 

Publikationen  abgegeben : 

Ladenpreis.       Für  Mit?lirtler. 

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7.  Band  XI.,  Gesch.  des  nassauischen  Altertums- Vereins 

und  biographische  Mitteilungen  über  dessen  Grün- 
der und  Förderer,  von  Dr.  Schwartz     .       .       .  „     6.50     „       2. — 

8.  Dr.  Schwartz,    Lebensnachrichten   über   den  Regie- 

rungspräsidenten Karl  von  Ibell     .       .       .       .  „     2.50     „     —.50 

9.  Urkunden  von  Eberbach  I „     4.80     „       1.— 

10.  Geschichte   des  Benedictiner- Klosters   "Walsdorf,    von 

Pfarrer  A.  Deissmann „     2.G0     „     — .40 

11.  J.    G.    Lehmann,    Geschichte    und   Genealogie    der 

Dynasten  von  Westerburg „     2.70     „     — .40 

12.  Schmid,    "Wahl    des   Grafen  Adolf   von   Nassau  zum 

römischen  König  1292    ........     2. —     „     —.40 

13.  Münzsammlung  des  Vereins,  von  Dr.  Schalk      .       ,  „     2. —     „     — .30 


Bestellungen  an  den  Vereinssekretär  Prem.- Lieutenant  a.  D.  Hoff  mann  (Fiiedrichsir.  l^J. 
Zahhnujen  an  Herrn  Jiechnungsrat  Begert  (Bahnhofstr.  lö^j. 


VV ir  machen  unsere  Herren  Mitarbeiter  darauf  aufmerksam,  dass 
Beitrüge  zu  den  Annalen,  \Yelche  von  jetzt  ab  regelmässig  am 
1.  April  eines  jeden  Jahres  ersclieinen  werden,  spätestens  bis  zum 
15.  Dezember  des  vorhergehenden  Jahres  dem  Vorstand  angezeigt  sein 
müssen.  Später  eingehende  Manuskripte,  oder  solche,  welchen  noch 
Nachträge,  Karten  u.  s.  w.  folgen  sollen,  können  für  das  betreffende 
Jiilir  nicht  berücksichtigt  werden.  Zurückgewiesen  werden  Manuskripte, 
welche  schwer  leserlich  sind,  wenn  niclit  der  Verfasser  gestattet,  auf 
sein^Äostcn  eine  Abschrift  derselben  anfertigen  zu  lassen,  und  die 
Korrektur  derselben  vor  dem  Drucke  selbst  übernimmt.  Sämtliche  Manu- 
skripte dürfen  nur  auf  einer  Seite  beschrieben  werden. 

Die  Bibliothek  steht  jeden  Montag  und  Donnerstag  von  Vormittags 
10 — 12  Uhr  zur  Benützung  frei.  Einzelne  Bücher  können  täglich  (mit 
Ausnahme  Sonntags)  von  11  — 1:2  Uhr  Vormittags  verabfolgt  werden; 
doch  wird  gebeten,  dieselben  bereits  Tags  zuvor  schriftlich  zu  bestellen, 
wozu  wir  die  im  Sekretariat  erhältlichen  Bestellzettel  empfehlen. 


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NASSAÜISCHE  ALTERTUMSKUNDE 


UND 


GESCHICHTSFORSCHUNG. 


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NA88AÜI8CHE  ALTERTUMSKUNDE 


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FÜNFUNDZWANZIGSTER  BAND. 
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MIT  9  LITHOGRAPHIERTEN  TÄFELN. 


WIESBADEN. 

VERLAG  VON  RÜD.  RECHTOLD  &  COMP. 

1893. 


Zur  Beachtung, 


Das  Altertiimsfiiiiseiim  ist  vom  1.  Mal  bis  31.  Olfoher  Montag!^, 
Dienstags,  Mittwochs,  Donnerstags  und  Freitags  von  2 — 6  Uhr,  Sonntags  von 
11 — 1  Uhr  geöffnet.  —  Behufs  Besichtigung  der  Sammlungen  zu  einer  anderen 
Zeit  —  1  Mark  Eintrittsgeld  —  wende  man  sich  an  den  Museum  sauf seher 
König  (Friedrichstr.  1  oder  Friedrichstr.  9,  Hof  rechts). 


Das  Sekretariat  und  die  Bibliothek  sind  jeden  Mittwoch  und  Sams- 
tag nachmittags  von  3 — 5  Uhr  geöffnet;  an  den  ührigen  Wochentagen  iverden 
Bücher  nach  vorheriger  schriftlicher  Bestellung  verabfolgt. 


Drucksachen  nnd  Zuschriften  beliebe  man  an  das  Sekretariat 
(Friedrichstr.  1),  Geldseiulungen  an  Herrn  Fechmmgsrat  Begere  (Bahu- 
hofstr.  15)  SU  adressieren. 


Das  Preisverzeichnis  der  noch  vorhandenen  früheren  Annalenbände  nnd 
sonstigen  Veröffentlichungen  des  Vereins  befindet  sich  am  Schlüsse  des  vorliegen- 
den Jahrganges.  Bestellungen  auf  dieselben  und  auf  den  gegenwärtigen  Band 
iverden  sotvohl  vom  Sekretariat  tvie  auch  von  der  Firma  Rud.  Bechtold  &  Comp, 
in  Wiesbaden,  an  welche  seit  dem  1.  April  d.  J.  der  Verlag  der  Annalen  über- 
gegangen ist.,  entgegengenommen. 


Wir  machen  unsere  Herren  Mitarbeiter  darauf  aufmerksam,  dass  Bei- 
träge zu  den  Annalen,  ivelche  von  jetzt  ab  regelmässig  im  April  eines 
jeden  Jahres  erscheinen  werden,  bis  zum  15.  Dezember  des  vorhergehenden 
Jahres  beim  Vorstand  eingereicht  sein  müssen.  Spätere  Zusendungen  können 
für  den  betreffenden  Jahrgang  nicht  berücksichtigt  werden.  Die  Manuskripte 
müssen  leserlich  und  immer  nur  auf  einer  Seite  geschrieben  sein. 


Inhalts-Verzeichnis 

des  fünfundzwanzigsten  Bandes. 


Seite 

I.  Die  Beziehungen  der  Geologie  zur  Altertumskunde.     Von  ß.  Florschütz  1 
II.  Die  „Ewige  Lohe"  bei  Homburg  v.  d.  Höhe.     Von  H.  Jacob  i.     Mit  2  Tafeln 

(I  und  II) •     •  15 

III.  Vorrömische  Altertümer.     Von  A.  v.  Cohausen •     •     •  21 

1.  Der  Brunliildisstein  auf  dem  grossen  Feldberg.     Mit  Tafel  III       ....       21 

2.  Der  Abschnittswall  und  der  Ringwall  auf  dem  Rücken  der  Hofheimer  Kapelle. 

—  Ein  Jadeitbeil  (mit  Abbildung  auf  Taf.  III) 23 

IV.  Römische  Altertümer.     Von  A.  v.  Cohausen 25 

1.  Der  Stand  der  Limes-Forschung 25 

2.  Die  Saalburg .*     "     •       ^^ 

3.  Römischer  Schmelzschmuck  und  Goldschmiedgeräte.     Mit  Tafel  IV    .     .     .       30 

V.  Burgen  in  Nassau.     Von  A.  v.  Cohausen 37 

1.  Burg  Schwalbach.    Mit  Tafel  V ^"^ 

2.  Der  Nolling  oder  NoUicht.     Mit  Tafel  VI 41 

VI.  Nachtrag  zur  Geschichte  der  Steigbügel.     Von  A.  Schlieben,  Major  a.  D. 

Hierzu  3  Tafeln  (VII  bis  IX)  mit  155  Abbildungen 45 

VII.  Über  die  Gründung  der  Behem'schen  Druckerei  in  Mainz.    Von  Dr.  H.  Forst      53 

VIII.  Neuere  das  Vereinsgebiet  betreffende  oder  berührende  Litteratur.     Von 

F.  Otto 

IX.  Vereins-Nachrichten. 

Bericht  des  Sekretärs   Dr.   Focke   (für   das  Etatsjahr  vom  1.  April   1892  bis 

31.  März  1893) 

Bericht  des  Konservators  Oberst  von  Cohausen    über  die  Erwerbungen  für 

das  Altertums-Museum  in  Wiesbaden  während  des  Jahres  1892    ....       71 

74 
X.  Verzeichnis  der  Mitglieder 

XI.  Verzeichnis  der  Akademien,  Gesellschaften,  Institute  und  Vereine,  deren 

Druckschriften  der  Verein   in  regelmässigem  Schriftenaustausch  erhält       85 


54 


62 


Die  Beziehungen  der  Geologie  zur  Altertumskunde, 


Von 

B*  Florschütz* 


Es  ist  ein  ausgesprochener  Grundsatz,  dass  jedes  Lebewesen  unserer  Erde 
abhäogig  sei  von  dem  Boden,  von  dem  es  seine  Nahrung  zieht.  Dieser  Satz 
gilt  in  des  Wortes  eigentlichster  Bedeutuug  für  die  Pflanzenwelt  —  möge  sie 
als  bescheidene  Flechte  auf  den  Höhen  der  Gebirge  oder  auf  einem  ver- 
schlagenen erratischen  Block  ihr  scheinbar  kümmerliches  Dasein  fristen,  oder 
als  ragende  Palme  ihre  schlanken  Wedel  in  der  lauen  Luft  des  Südens  sich 
wiegen  lassen.  Jede  Art,  jedes  einzelne  Exemplar  einer  Art  von  Pflanzen  ist 
ein  an  chemische  Stoffumsätze  gebundener  Körper,  der  nur  eben  da  gedeihen 
kann,  wo  er  die  für  seinen  Organismus  notwendigen  Nährstoffe  dem  Boden  der 
Mutter  Erde  entnehmen  und  für  sich  verwenden  kann.  So  ist  denn  die  Vege- 
tation eine  andere  auf  granitischem  oder  basaltischem  Grunde,  wie  auf  den 
Terrassen  unseres  Lösses ;  und  der  Keuper  bietet  uns  andere  Blüten  und 
Früchte,  wie  das  in  seinen  Pflanzenformen  meist  so  originelle  Kalk-  oder  Jura- 
gebirge. Ein  Faktor  ist  freilich  bei  alledem  unerlässlich,  so  günstig  auch  die 
Ernährungsverhältnisse  des  Bodens  sein  mögen :  das  ist  der  unterstützende 
Einfluss  des  Klimas.  Wo  beide  Bedingungen  sich  die  Hände  reichen,  finden 
wir  überall  die  üppigste  Fülle  an  Formen  und  Arten,  welche  —  selbstverständ- 
lich fossil  —  auch  da  noch  nachzuweisen  ist,  wo  wie  in  Island  und  Grönland 
die  gegenwärtige  Erniedrigung  der  Temperatur  jede  irgend  beträchtlichere  Vege- 
tationsentwickelung unmöglich  macht.  Von  der  Pflanzenwelt  aber  war  von 
jeher  die  Existenz  der  von  ihr  lebenden  Tiere  abhängig  —  von  den  Pflanzen- 
fressern aber  die  so  mannigfach  gestaltete  Masse  der  Raubtiere,  die  zu  ihrer 
Erhaltung  auf  erstere  angewiesen  waren. 

So  sehen  wir  eine  fortlaufende  Reihe  von  Lebewesen,  von  denen  eines 
von  dem  Wohl  und  Wehe  des  anderen  abhängig  ist.  Eine  reiche  Vegetation 
ermöghcht  eine  in  körperlicher  Entwickelung  wie  in  Artenreichtum  ausgezeich- 
nete pflanzenfressende  Tierwelt,  und  diese  ist  wieder  von  einer  entsprechenden 
Formenreihe  von  Raubtieren  begleitet.  Tritt  die  Pflanzenwelt  durch  klimatische 
Störungen  zurück,  so  finden  wir  ein  Gleiches   bei  ihrer  tierischeu  Gefolgschaft. 


Die  mehrfachen  "Wanderungen  unserer  Pflanzen  von  Süden  nach  Norden  und 
umgekehrt  waren  mit  wenigen  Ausnahmen,  wie  wir  später  sehen  werden,  von 
gleichzeitiger  Verschiebung  der  Tierwelt  begleitet ;  und  die  gleiche  Erscheinung 
wird  wieder  eintreten,  sobald  äussere  Verhältnisse:  eine  neue  übermässige  Ab- 
kühlung unserer  Breiten  oder  eine  auffällige  Temperatursteigerung  derselben, 
auf  dem  gleichen  Nährboden  die  Existenzbedingungen  beider  wieder  alterieren 
werden. 

Unter  diesen  Wechselbeziehungen  ist  seinerzeit  auch  das  gefährlichste 
aller  Raubtiere,  der  Mensch,  ins  Dasein  getreten.  Ursprünglich  von  ihnen 
abhängig,  lernte  er,  dank  seiner  höheren  geistigen  Befähigung,  sich  von  ihnen 
allmählich  freizumachen,  ja  sie  selbst  zu  beherrschen. 

Wann  aber  —  und  dabei  wollen  wir  mit  den  ersten  Aufgaben  unserer 
Altertumsforschung  beginnen  —  wann  aber  war  die  Zeit,  da  der  erste  Mensch, 
nicht  mit  dem  fürchterlichen  Gebisse  des  Gorilla  und  seiner  Muskelstärke  be- 
waffnet, das  Licht  der  Sonne  zum  erstenmal  erblickte?  Mit  anderen  Worten: 
Wie  alt  ist  denn  überhaupt  das  Geschlecht  der  Menschen,  dem  wir  selbst  an- 
gehören  und  dessen  Ursprünge  wir  daher  mit  berechtigtem  Eifer  nachspüren? 

Es  ist  das  eine  alte,  viel  umstrittene  Frage,  die  heute  noch  die  Köpfe 
der  Forscher,  und  nicht  der  schlechtesten,  beschäftigt.  Liegt  doch  für  uns, 
die  wir  Geschichte  betreiben  und  jedes  grössere  Ereignis  mit  Jahreszahlen  vor 
und  nach  Christus  festzustellen  suchen,  ein  höchst  verlockender  Reiz  darin,  den 
greifbaren  Massstab  unserer  geschichtlichen  Vorgänge  auch  an  die  dunkle  Vor- 
geschichte des  Menschengeschlechtes  im  einzelnen  und  im  ganzen  anzulegen. 
Es  giebt  uns  Gewohnheitsmenschen  eine  gewisse  Beruhigung,  auch  hier  mit 
Jahreszahlen,  und  wenn  sie  nach  vielen  Tausenden  rechnen,  aufmarschieren  zu 
können,  und  mit  ihnen,  wie  wir  glauben,  den  Boden  der  Hypothese  und  der 
wissenschaftlichen  Unsicherheit  zu  verlassen.  Die  Berechnungen  der  Gelehrten 
gehen  aber  weit  auseinander.  Ein  hochberühmter  Anthropologe  der  Rheinlande 
hat  noch  vor  nicht  zu  langer  Zeit  von  10  000  Jahren  gesprochen,  welche  er 
dem  Menschen  von  seinem  ersten  Auftreten  bis  zur  Jetztzeit  zuweisen  möchte. 
Ob  er  dabei  bedacht  hat,  um  eines  zu  erwähnen,  dass  vor  schon  ca.  6000 
Jahren  das  alte  Ägypten  ein  hoch  entwickelter  Kulturstaat  gewesen  ?  Einige 
sprachen  von  200—250000  Jahren;  andere  wieder  von  Äonen,  d.  h.  für  uns 
überhaupt  unfassbaren  Zeiträumen. 

Wir  wollen  ruhig  sagen,  dass  die  ganze  Frage,  in  dieser  Form  gestellt,  nie- 
mals zur  Beantwortung  gelangen  wird.  Sie  ist  schon  an  und  für  sich  und  von  vorn- 
herein unzulässig  —  so  zu  sagen,  eine  Gleichung,  die  überhaupt  nicht  angesetzt 
werden  kann.  Wüssten  wir  nur  vor  allen  Dingen,  mit  welchen  körperlichen  Eigen- 
tümlichkeiten der  erste  Mensch  überhaupt  ausgestattet  gewesen  ist!  Könnten 
wir  wissenschaftlich  festsetzen,  wodurch  der  Beginn  seiner  Art  sich  typisch  zu 
charakterisieren  vermochte!  Wo  ist  der  Schädel,  wo  sind  die  Skeletteile  des 
ersten  Repräsentanten  des  Homo  sapiens,  der  später  die  Welt  beherrschen  sollte? 

Wir  kennen  ihn  gar  nicht  und  haben  gelernt,  uns  dieser  Kardinalfrage  gegen- 
über sehr  bescheiden  zurückzuhalten.  Es  gab  eine  Periode  —  und  sie  liegt 
nicht   80  lange  hinter   uns  — ,    da  wurde  jeder  alte  Menschenschädel    auf  seine 


Affenähulichkeit  untersucht,  uud  gleichzeitig  glaubte  man  in  dem  jVusbau  der 
lebenden  niederen  Menschenrasaen  die  Brücke  zu  finden,  welche  von  den  so- 
genannten Menschenaffen :  dem  Orang,  Chimpanse  und  Cxorilla,  zu  uns  herüber- 
führen sollte.  Es  war  eine  Zeit  grosser  allgemeiner  Aufregung  für  die  ganze 
gebildete  Welt  und  mannigfachen  Gezeters.  Wohl  forderten  diese  Untersuchungen 
manche  interessante  Züge  einer  anscheinenden  Artenverwandtschaft  zu  Tage, 
aber  eine  ausgesprochene  typische  Übergangs-  oder  Vermittelungsform  konnte 
nie  und  nirgends  festgestellt  werden.  Und  sie  wird  jetzt  nicht  mehr  gesucht, 
nachdem  man  zu  der  Überzeugung  gelangt  ist,  dass  der  Mensch  bereits  vor 
der  Entwickelung  des  anthropoiden  Affen,  und  zwar  aus  den  Lemuren  seine 
Abzweigung  genommen  hat. 

Bei  solch'  unsicheren  Prämissen  lassen  sich  keine  Berechnungen  auf 
Tausende  von  Jahren  und  Jahrtausenden  anstellen. 

Die  Frage  bekommt  ein  anderes  Gesicht,  wenn  wir  sie  nicht  mehr  deduktiv 
aufstellen,  wie  früher,  von  uns  Kulturmenschen  ableitend  und  rückwärtsschreitend 
bis  zur  unbekannten  Grösse  der  ersten  menschlichen  Erscheinung.  Sie  gelangt 
zu  ihrer  Beantwortung  —  freilich  niemals  mittels  trügerischer  Zahlen,  die  wir 
uns  bei  unseren  Studien  ein  für  allemal  abgewöhnen  müssen  —  wenn  wir  auf  dem 
Wege  der  induktiven  Forschung,  deren  konsequente  Verfolgung  wir  vor  Allen 
Virchow  verdanken,  vorwärts  gehen. 

Wir  haben  die  Frage  nach  dem  Alter  des  Menschengeschlechtes  und  da- 
mit nach  dem  Beginn  unserer  Urgeschichte  und  Altertumskunde  überhaupt  dem- 
nach in  der  Weise  zu  formulieren,  dass  wir  fragen: 

Unter  welchen  äusseren  Yerhältnissen,  ebenso  klimatischen  wie  geogra- 
phischen, kann  der  erste  Mensch  —  einerlei  ob  affenähnlich  oder  nicht  —  in's 
Dasein  getreten  sein?  Welche  Periode  in  der  Entwickelung  unserer  Erdober- 
fläche mag  ihm  die  ersten  Existenzbedingungen  geboten  haben? 

Und  hier  nun  ist  es  die  Geologie,  die  Lehre  von  der  Entwickelung  oder 
Geschichte  unseres  Erdballes,  die  wir  um  ihre  freundliche  Unterstützung  bitten 
müssen.  Sie  gewährt  uns  dieselbe  in  reichem  Masse.  Hier  kommt  nun  in  erster 
Linie  die  Frage  vom  tertiären  Menschen  —  der  in  den  letzten  Jahren  ge- 
rade so  viel  ventiherte  Streit,  ob  der  Mensch  bereits  zur  Zeit  der  sogenannten 
Tertiärbildung  unseres  Weltkörpers  vorhanden  gewesen  sei  oder  nicht. 

Wir  wissen,  dass  unsere  gute  Mutter  Erde  nicht  immer  dasselbe  Angesicht, 
nicht  immer  dieselbe  Oberfläche  mit  den  gleichen  Pflanzen  und  Tieren  aufge- 
wiesen hat,  wie  sie  uns  heute  umgeben.  Sie  hat  in  den  unberechenbaren  Zeit- 
räumen ihres  Daseins  eine  Reihe  durchgreifender  Wandelungen  erlebt,  welche 
wir  in  der  Hauptsumme  der  jeweiligen  typischen  Erscheinungen  als  Zeitalter 
zu  bezeichnen  pflegen,  deren  jedes  wieder  eine  Reihe  von  einzelnen  Perioden 
oder  Zwischenformationen  umfasst. 

So  reden  wir  von  einem  ersten  Zeitalter,  entsprechend  der  ursprünglichen 
Erstarrungskruste  der  Erde,  in  welchem  Überreste  irgendwelcher  Lebewesen 
bisher  mit  Sicherheit  nicht  nachgewiesen  werden  konnten.  An  dieses  schliesst 
sich  ein  zweites  Zeitalter  an,  ausgezeichnet  durch  das  Auftreten  der  ersten 
ausgesprochenen  tierischen  Formen.    Zunächst  sind  ausschliesslich  die  niedersten 


Meercsbcwohner  vertreten ;  später,  in  der  noch  ursprünglichen,  aber  doch  schon 
reichen  Flora  der  Kohlenformation,  erscheinen  die  ersten  Insekten,  geschwänzte 
Amphibien,  Knorpelfische  und  die  ersten  echten  Reptilien.  Letztere  erreichen 
den  Höhepunkt  ihrer  Entwickelung  durch  die  mächtigen  Saurier,  speziell  der 
Juraformation,  im  dritten  Zeitalter.  Daneben  kommen  in  letzterem  die  ersten 
Knochenfische  und  die  fliegenden  Echsen  vor,  welche  zum  ersten  Urvogel,  dem 
Ärcheopterix,  überführen.  Das  vierte  Zeitalter  entspricht  endUch  der  Bildungs- 
epoche, welche  wir  —  man  verzeihe  den  Kontrast  der  Worte  —  als  Tertiärzeit 
zu  bezeichnen  gewöhnt  sind.  Es  bildet  im  grossen  ganzen  den  Übergang  zur 
Jetztzeit  und  ist  das  eigentliche  Zeitalter  der  Säugetiere,  die  nunmehr  ihre 
vollste,  körperlich  geradezu  oft  riesenhafte  Ausbildung  erreichen.  Geographische 
und  klimatische  Verhältnisse  haben  sich  in  dieser,  jedenfalls  weit  ausgedehnten 
Zeit  vereinigt,  bei  einer  bis  zu  den  Polen  hinauf  verhältnismässig  gleichartigen 
Wärme  ihre  vollste  Schöpferkraft  zu  entfalten.  Und  so  bietet  jetzt  eine  weit 
ausgedehnte,  üppige  Vegetation  der  nunmehr  höchst  entwickelten  Tierwelt,  die 
wir  in  erster  Linie  als  kolossale  Pflanzenfresser  kennen  lernen,  ein  weites  und 
bequemes  Feld  der  Ernährung  auf  Kontinenten,  welche  in  ihren  heutigen  Haupt- 
formen schon  abgegrenzt  sind,  wenn  auch  mannigfache,  weitverzweigte  Meeres- 
arme sich  noch  in  das  Innere  des  Landes  drängen  und  damit  seine  Frucht- 
barkeit begünstigen. 

An  das  vierte  Zeitalter  aber  schloss  sich,  um  den  althergebrachten,  aber 
durchaus  ungeeigneten  Ausdruck  zu  gebrauchen,  das  Diluvium,  d.  h.  zwei  Eis- 
zeiten mit  mächtigen  Gletscherbildungen,  welche  durch  eine  jedenfalls  wieder 
sehr  lange  Zwischeneis-  oder  Interglacialzeit  getrennt  waren.  Dann  kam  die 
Neuzeit,  in  deren  neuester  Periode  wir  selbst  unseren  Kampf  ums  Dasein  führen.  — 

Doch  kehren  wir  zur  Tertiärzeit  und  dem  problematischen  Tertiärmenschen 
zurück!  A  priori  dürften,  und  darüber  sind  alle  Gelehrten  einig,  einem  Auf- 
treten des  Menschen  zur  Tertiärzeit  besondere  klimatische  und  anderweitige 
Verhinderungen  nicht  im  Wege  gestanden  haben.  Wo  die  Mehrzahl  der  grossen 
Landsäuger  sich  wohlbefand,  konnte  entschieden  auch  er  seine  Lebensbedin- 
gungen finden.  Gedieh  doch  damals  bis  79°  nördl.  Br.  hinauf  auf  dem  jetzt 
von  1  —  3000  m  starken  Gletschereis  überdeckten  Grönland  ein  so  reicher  Pflanzen- 
wuchs, dass  sich  aus  demselben  Braunkohlenflötze  bis  zu  3  m  Dicke  bilden 
konnten.  Dort  oben,  in  dem  heute  so  vergletscherten  Norden,  wuchs  der  Wall- 
nussbaum,  die  Platane,  die  mit  Recht  eine  Zierde  unserer  Wiesbadener  Alleen 
genannt  wird,  daneben  Eiche,  Pappel,  Ahorn,  Epheu  und  die  Weinrebe. 

Und  was  dem  Norden  zugut  kam,  war  nicht  zum  mindesten  in  unserer 
Breite  vollsäftig  und  vollkräftig  vertreten.  Gerade  unser  Nassauer  Land  ist 
eine  hochinteressante  Stelle  tertiärer  Formationen.  Hoch  ragte  sein  quarzitisches 
Urgebirge  mit  seinen  krystallinischen  Schiefern,  zum  Öfteren  noch  durchbrochen 
von  plutonischen  Eruptionen.  In  die  anliegenden  Tertiärschichten  aber  schoben 
sich  weitausgedehnte  Meeresbecken,  vor  allem  das  sogen.  Mainzer  Becken, 
das  südlich  vom  Taunus  beginnend  von  Bingen  und  Wiesbaden  einerseits  über 
Kreuznach  bis  zum  Pfülzer  liaardtgebirge,  anderseits  zwischen  Taunus,  Vogels- 
berg  bis  Gieasen,    den  Main    hinauf   bis  Aschaffen  bürg    und    den  Rhein    hinauf 


fast  bis  nach  Basel  sich  erstreckte.  Ursprünglich  ein  Meeresarm,  war  es  später 
ein  süsser  Binnensee,  bis  ihm  schliesslich  bei  Bingen  Durchbruch  und  Abfluss 
gelang.  Ein  kleines,  gleichartiges  Becken  war  bei  Limburg.  Die  Bodensätze 
des  Mainzer  Beckens  nun  haben  uns  gelehrt,  wie  es  damals  mit  Klima  und 
Flora,  ganz  abgesehen  im  Augenblick  von  der  Tierwelt,  bei  uns  bestellt  ge- 
wesen. Da  gediehen  zwischen  immergrünen  Eichen  der  Zimmetbaum,  Magnolien, 
Akazien,  Cypressen  und  Palmen,  und  neben  der  Traube  reifte  die  Feige.  Hätte  nicht 
damals  schon  der  Mensch  in  unseren  Gauen  ganz  behaglich  leben  können?  Gewiss! 

Aber  es  ist  der  geognostischen  Forschung  bis  jetzt  nicht  gelungen,  in  den 
Tertiärlagerungen  unserer  Breiten,  wie  ebenso  ganz  Europas  irgend  eine  zu- 
verlässige Spur  des  Menschen  oder  seiner  Thätigkeit  nachzuweisen.  Und  das- 
selbe gilt  für  die  übrigen  Weltteile,  soweit  diese  zur  Untersuchung  gelangen 
konnten,  mit  Ausnahme  vielleicht  von  Kalifornien,  wo  Marsh  und  Wymann, 
zwei  der  gediegensten  Gelehrten  Amerikas  auf  dem  Gebiet  der  Geologie  und 
Altertumskunde,  in  den  obersten  Schichten  der  Tertiärzeit  menschliche  Spuren 
wollen  gefunden  haben,  freilich  auch  nur  „mit  grosser  Wahrscheinlichkeit",  wie 
sie  selbst  sagen. 

Wir  sind  demnach  in  der  Lage  zu  sagen:  dass  der  Mensch  der  Tertiär- 
zeit, soweit  wir  bis  jetzt  eruieren  konnten,  zunächst  bei  uns  noch  nicht  existiert 
hat.  Nicht  nur  finden  wir  keine  körperlichen  Überreste  desselben,  was  bei  der 
unendlichen  Zeitdauer  auch  nur  unter  den  denkbar  günstigsten  Umständen 
möglich  wäre,  wir  haben,  mit  Ausnahme,  wie  gesagt,  vielleicht  von  Kalifornien 
und  New-Jersey,  auch  keine  Arbeitsprodukte  seiner  Hand,  z.  B.  erste  Stein- 
instrumente, welche  seine  vergänglichen  Reste  würden  überdauert  haben.  Und 
wir  wollen  bei  dieser  Gelegenheit  wohl  betonen,  dass  wir  bei  unserer  Suche 
nach  dem  Anfang  des  Menschengeschlechtes  gerade  auf  diese  seine  primitivsten 
Artefakte,  als  erste  menschliche  Bethätigungen,  ein  Hauptgewicht  zu  legen  haben. 
Der  einfach,  aber  regelrecht  zugeschlagene  Peuersteinsplitter,  wie  ebenso  später 
der  geschliffene  Keil  oder  Kelt,  sie  bilden  das  Leitfossil  für  die  ersten  Etappen 
unserer  Vorgeschichte.  Das  gleiche  aber  gilt  für  die  an  das  Tertiär  sich  an- 
schliessende erste  grosse  Eiszeit,    den  Beginn    der    sogenannten  Diluvialepochc. 

Mit  der  ersten  ebenso  wie  mit  der  ihr  später  folgenden  zweiten,  um  vieles 
weniger  ausgedehnten  Eiszeit  ist  es  nun  eine  eigentümliche  Sache,  für  die  wir 
eine  ausreichende  Erklärung,  offen  gestanden,  nicht  zu  bringen  wissen.  Wohl 
lässt  aus  den  Überresten  der  zweiten  Hälfte  der  Tertiärzeit  sich  eine  fort- 
schreitende Abkühlung  der  Temperatur  und  des  Klimas  nachweisen,  die  unge- 
heure Vereisung  jedoch,  die  verhältnismässig  unvermittelt  den  steten  bisherigen 
Entwickelungsgang  unterbricht,  passt  weder  in  den  Rahmen  der  fortschreiten- 
den Abkühlung  der  Erde,  noch  des  soviel  berufenen  platonischen  Jahres  mit 
seinen  Excentricitäten  der  Erdaxe.  Und  ebenso  ungenügend  ist  eine  Erklärung 
durch  die  Verschiebung  der  Wärmezonen  unseres  Erdballes  oder,  zunächst 
für  Europa,  das  nachgewiesene  Versinken  der  nordischen  Tiefebene  unter  das 
Meer.  Wir  haben  für  diese  so  ganz  eigenartigen  Allgemein -Erscheinungen 
jeder  Vermutung  nach  auf  ausserhalb  unseres  Erdballes  liegende  Ursachen  zu 
schliessen,  deren  Besprechung  aber  hier  zu  weit  führen  würde. 


6 

Von  den  Spitzen  der  höheren  Gebirge  begann  eine  Vergletscherung,  immer 
mächtiger  anschwellend  und  ihre  Eismassen  in  fortgesetzter  Folge  thalabwärts 
schiebend.  Die  noch  heute  vorhandenen  Gletschergebiete  nahmen  in  ihren  Aus- 
breitungen und  Ausstrahlungen  allmähUch  solche  Dimensionen  an,  dass  von  den 
skandinavischen  Alpen  aus  die  ganzen  nordischen  Meere  in  eine  Eismasse  ver- 
wandelt wurden,  deren  Rand  von  Calais  aus  durch  Frankreich  und  Belgien 
hindurch  nach  Bonn,  dann  nordöstlich  durch  Westfalen  und  das  südliche 
Hannover  bis  zum  Nordrand  des  Harzes,  südwestlich  mit  tiefem  Busen  bis  nach 
Thüringen  hinein,  quer  durch  Sachsen  und  südlich  von  Dresden  am  Riesenge- 
birge und  den  Sudeten  entlang  durch  Polen  bis  Kiew  hinzog.  So  weit  reichte 
von  Norden  her  für  Europa  die  gewaltige,  in  ihren  Verhältnissen  gar  nicht  ab- 
zuschätzende Vergletscherung.  Tiefer  noch  ging  ihre  Grenze  in  Nordamerika 
herunter,  wo  sie  bis  in  die  Breite  von  Sizilien  sich  erstreckte. 

Zur  gleichen  Zeit  schoben  sich  von  Süden  her  die  Gletschermassen  der 
Alpen  und  des  Juragebirges  in  wuchtiger  Ausdehnung  nordwärts.  Und  so  kam 
es  denn,  dass  auf  der  Höhe  der  ersten  Eiszeit  von  den  540  000  Quadratkilo- 
metern unseres  Deutschlands  nicht  weniger  als  360  000  unter  starrem  Eis  begraben 
lagen.  Um  vieles  günstiger  kam  Frankreich  fort,  denn  kaum  der  fünfzigste 
Teil  seines  Territoriums  vergletscherte.  Unser  ehrwürdiges  Taunusgebirge  ist,  so- 
weit bis  jetzt  nachgewiesen,  einer  Vergletscherung  wohl  nicht  gewürdigt  worden; 
aber  es  ist  selbstverständlich,  dass,  wie  überhaupt  auf  der  schmalen  mittel- 
deutschen Zone,  welche  zwischen  der  nördlichen  und  südlichen  Eismasse  übrig 
blieb  —  auch  bei  uns  mit  Notwendigkeit  sich  ein  rein  nordisches  KUma  ent- 
wickeln musste.  Auch  diese  Veränderungen  gingen  natürlich,  wie  dies  bei  der 
Erde,  mit  Ausnahme  vulkanischer  Störungen,  von  jeher  Gesetz  gewesen,  nur 
Schritt  für  Schritt  vor  sich.  Die  reiche  Vegetation  der  Tertiärzeit  zog  sich  nach 
dem  Süden,  ihr  folgte  die  grosse  Tierwelt,  so  weit  sie  nicht  der  Ungunst  des 
klimatischen  Wechsels  zum  Opfer  fiel.  Flora  und  Fauna  wurden  rein  nordisch, 
wie  wir  sie  heute  in  den  Tundren  am  Eismeere  finden,  aber  unser  höchstes 
Interesse  muss  dadurch  gefesselt  werden,  dass  einzelne  grosse  Dickhäuter  — 
Erbstücke  der  Tertiärzeit,  so  zu  sagen,  die  wir  nur  als  Repräsentanten  warmer 
Zonen  uns  vorstellen  können  — ,  sei  es  aus  Bequemlichkeit  oder  Gott  weiss  !  wel- 
cher Ursache,  trotz  Wind  und  Kälte  und  Schnee  und  Eis  da  verblieben,  wo 
sie  einmal  waren.  Ich  spreche  von  dem  berühmten  Mammut  und  von  dem 
Bhinoceros  tichorhiniis.  Sie  wussten  sich  durch  Beschaffung  eines  dichten 
Wollpelzes  dem  abgekühlten  Klima,  durch  Änderung  ihrer  Zahnstruktur  der 
rauhen  nordischen  Nahrung  anzupassen.  Statt  saftiger  Bananenblätter  und 
Früchte  lernten  sie,  sich  mit  trockenen  Kiefernadeln  zu  begnügen.  Sie  haben 
sich  durch  diese  körperlichen  Umänderungen  aus  dem  Tertiär  herübergerettet, 
sind  aber  von  da  an  rein  nordische  Tiere  geblieben. 

Doch  die  Zeiten  wurden  wieder  mählicli  anders  und  besser.  Die  Wärme 
stieg  von  neuem  an,  und  während  wir  auf  der  Höiie  der  Tertiärzeit  noch  ein 
Klima  besasseu,  wie  es  Nordafrika  in  guten  Jahren  aufweist,  bildete  sich  all- 
mählich eine  neue  Wärmeperiode  heraus,  welche  am  besten  mit  dem  Klima  der 
Riviera  verglichen  werden  kann. 


Die  Gletschermassen  kamen  zunächst  von  ihren  Rändern  her  in's  Sclimelzcn. 
Sie  liessen  dabei  weite  Geröllhalden  (Moränenschutt),  und  mächtige,  geschichtete 
Lössablagerungeu  zurück,  wie  sie  heute  noch  die  Vorlande  der  Alpen  und 
vorzugsweise  die  nordische  Ebene  charakterisieren,  Mammut  und  Nashorn 
aber  zogen  in  grossen  llerden  dem  weichenden  Eise  nacli  Norden  nach,  bis 
dahin,  wo  heute  noch  am  Eismeere  ihre  Überreste  in  erstaunlicher  Menge 
gefunden  und  das  , fossile  Elfenbein"  geradezu  bergmännisch  abgebaut  wird. 
Dort  ist  auch  seiner  Zeit  so  manches  von  ihnen  in  die  mit  Firnschnee  ver- 
wehten Schluchten  des  Terrains  geraten  und  rettungslos  eingefroren,  um  uns 
mit  Haut  und  Haar  erhalten  zu  bleiben.  Andere,  weniger  wanderlustig,  liessen 
bei  uns  an  Ort  und  Stelle  den  Wechsel  der  Zeiten  über  sich  ergehen,  um 
endlich  ihrem  gefährlichsten  Gegner,  dem  Menschen,  zu  unterliegen. 

Die  geradezu  unberechenbaren  Eismassen  der  ersten  Eiszeit  regen  die 
Frage  an,  woher  die  Unmenge  Wassers  gekommen,  aus  welcher  diese  sich 
aufgebaut.  Und  da  ist  es  selbstverständlich,  dass  diese  Massen  in  erster  Linie 
den  breiten  Flächen  der  Meere  entnommen  sein  müssen ;  mit  dem  Wachsen 
des  Eises  musste  naturgemäss  der  Meeresspiegel  sinken.  Genaue  Lotungen 
haben  uns  gelehrt,  dass  es  diesen  Verhältnissen  entsprechend  eine  Zeit  gab, 
in  welcher  breite  Landzungen,  aus  dem  sinkenden  Mittelmeere  auftauchend, 
unser  Europa  mit  Afrika  verbunden  haben,  .Brücken,  die  später  ebenso  all- 
mähhch  nach  der  Abschmelzung  der  Gletscher  wieder  von  den  steigenden  Fluten 
überdeckt  wurden.  Über  die  Brücken  nun,  deren  hauptsächlichste  wir  bei 
Gibraltar  und  Sizilien  zu  suchen  haben,  fand  zur  Besiedelung  des  von  seiner 
Winterstarre  sich  erholenden  Europas  eine  Einwanderung  von  Afrika  aus  statt, 
—  in  ihren  typischen  Tierformen  den  tertiären  Schöpfungen  entsprechend,  aber 
in  massiger  Entwickelung  des  Einzelindividuums  sie  überholend. 

Da  kam,  um  die  Gewaltigsten  zu  nennen,  der  Elephas  mitiquus  und  das 
Bhinoceros  MercMi,  mächtige  Flusspferde,  Bisons,  Urochsen  und  andere,  gefolgt  von 
den  kräftigsten  und  grössten  Raubtieren:  Höhlenbären,  Löwen,  Hyänen  u.  s.  w. 
Und  mitten  unter  all'  dem  bunten  Treiben  kam  auch  der  erste  Mensch  nach 
Europa  —  ein  dunkelfarbiger  Wilder,  wie  wir  nach  allem  anzunehmen  habcD, 
nur  bekannt  mit  der  Erzeugung  des  Feuers  und  der  Herstellung  des  Flintspanes, 
der  ihm  Hauptwerkzeug  und  Waffe  war.  Wir  dürfen  wohl  sagen,  dass  von 
seinen  körperlichen  Überresten  uns  mit  Ausnahme  einiger  verdächtigen  Unter- 
kiefer^) nichts  übrig  geblieben  ist.  Dafür  aber  hat  er  uns,  als  Leitfossil  für 
sein  Auftreten,  seine  höchst  einfachen,  aus  Stein  geschlagenen  resp.  abgesprengten 
Werkzeuge,  sowie  die  zerschlagenen,  oft  geschnitzten  und  selbst  künstlich  ver- 
zierten Knochen  der  von  ihm  erlegten  und  verzehrten  Tiere  hinterlassen,  und 
oft  genug  auch  die  alten  Feuerstellen,  an  denen  er  ihr  Fleisch  geröstet,  l^iese 
Überreste  werden  einmal  in  den  Schwemmgebilden  verschiedener  Flüsse  ge- 
funden, besonders  in  dem  der  Somme  in  Frankreich,  welche  mit  den  Knochen 
der   Diluvialtiere    gemischt    in   grösster   Anzahl    noch    geschlagene   Fcuerstein- 


')  Doch  vgl.  den  Bericht  von  Paul  Girod  in   „Bull,  dein  soci6te  vaudoise  des  sciencos 
naturelles",  vol.  XXVII,  No.  105.     Lausanne,  Fevr.  1892. 


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Instrumente  aufweist  (und  zu  solchen  Fundplätzen  gehören  auch  die  geradezu 
klassische  Kalktuffe  von  Taubach  bei  Weimar),  dann  aber  auch,  und  vor  allen 
Dingen,  in  den  unzähligen  Grotten  und  Höhlen,  welche  vorzugsweise  der  Kalk-, 
speziell  der  Jurakalkformation  angehören. 

Auch  in  diesen  Dingen  haben  auswärtige,  zumal  französische  und  belgische 
Forscher,  den  ersten  Markt  beherrscht  und  der  jungen  Wissenschaft  nach  ihren 
Fundplätzen  und  Erhebungen  ihre  Nomenklatur  gegeben,  unbekümmert  darum, 
dass  früher  schon  deutsche  Gelehrte  unter  den  gleichen  Verhältnissen  zu  den- 
selben Resultaten  gelangt  waren.  Uns  selbst  darf  es  eine  gewisse  Befriedigung 
gewähren,  dass  wir  im  Nassauerlande  auch  die  Spuren  derselben  ersten  Menschen 
haben,  welche  unter  berühmten  ausländischen  Namen  in  der  Weltlitteratur  der 
Urgeschichte  florieren.  Die  besonders  durch  den  königlichen  Konservator  Herrn 
Oberst  v.  Cohausen  in  den  Steetener  Höhlen^)  bei  Limburg  a.  d.  L.  erhobenen 
Funde  sind  vollständig  gleichwertig  allen  anderen  Beobachtungen.  Diese  Kalk- 
klüfte und  Strudeltöpfe  gehören  mit  zu  den  besten  Stellen  in  Europa,  welche 
uns  zuverlässige  und  unzweifelhafte  Kunde  vom  ersten  Auftreten  des  Menschen, 
vom  Diluvialmenschen,  bringen. 

Diese  ersten  Menschen  von  Steeten  können,  wie  bereits  gesagt,  aller  Vor- 
aussetzung nach  nur  Wilde  auf  tiefster  Kulturstufe  gewesen  sein,  wie  heutzutage 
die  Feuerländer  und  wohl  auch  noch  einige  Stämme  am  nördl.  Eismeere.  Keine 
Spur  von  Weberei  oder  Töpferei,  den  ersten  Beschäftigungen  der  menschlichen 
Gesellschaft,  nichts  ist  von  Ackerbau  nachweisbar.  Sie  scheinen  als  Jägervolk 
ihr  Dasein  gefristet  zu  haben,  und  mag  ihnen  die  ebenso  enge  wie  steile  Schlucht 
von  Steeten  ein  vorzügliches  Jagdterrain  gerade  für  die  Dickhäuter  gewesen 
sein.  Höhlenbewohner  können  wir  sie  nicht  nennen,  dafür  fehlen  die  Spuren 
dauernden  Aufenthaltes;  sie  kamen  gelegentlich,  der  Jagd  nachzugehen,  um  dann 
in  den  sicheren,  steilgelegenen  Felsspalten  die  abgeschnittenen  Teile  der  im 
Abgrund  zerschmetterten  Pferde,  Elefanten  und  Nashörner  sich  zu  braten. 

Und  wieder  änderte  sich  das  KUma.  Eine  zweite  Eiszeit  nahte  heran, 
in  ihren  Ursachen  uns  ebenso  unerfindlich  wie  die  erste,  wenn  sie  auch  sich 
auf  einen  um  vieles  beschränkteren  Raum  erstreckte.  Es  wurde  wieder  frostig 
und  kalt;  von  neuem  bequemte  sich  die  Vegetation,  die  so  üppig  auf  dem  Löss- 
boden  der  ersten  Gletscher  und  auf  dem  Zwischengletscherterrain  Platz  ge- 
griffen, nach  Süden  zu  flüchten,  und  ihr  folgten  die  grossen  Pflanzenfresser, 
ihnen,  wie  wir  früher  sahen,  in  notwendiger  Folge  die  Raubtiere.  Aber  sie 
konnten  nach  dem  warmen  Afrika,  von  dem  sie  einst  herübergekommen,  nicht 
mehr  zurückgelangen.  Die  damaligen  Brücken  waren  mit  dem  Abschmelzen 
der  ersten  grossen  Gletscher  unter  der  Oberfläche  der  steigenden  Meeresflut 
verschwunden,  und  sie  mussten  elend  verkümmern  und  als  rettungslos  verloren 
schliessUch  zu  Grunde  gehen. 

Der  Mensch  aber  blieb.  Wohl  erhielt  er  nicht,  wie  früher  unter 
den  gleichen  Umständen  Mammut  und  Nashorn,   ein  schützendes  Wollkleid,    er 

')  Annalen  d.  Vereins  f.  Naas.  Altertumskunde  u.  Geschiclitsforschung  ßd.  13,  S.  379; 
}3d.   15,  S.  305,   323;  ßd.   17,  II,  S.  73,  82;  Bd.  20,  S.  369,  sowie  ßd.  24,  S.  242. 


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wusstc  durch  seine  Intelligenz  den  nötigen  Schutz  sich  selbst  zu  beschaffen, 
nur  dass  er  aus  dem  früheren  Mammut-  und  Elefantenjäger  ein  Rentierjäger 
wurde.  Mehr  und  mehr  sah  er  das  früher  gewohnte  Wild  vor  seinen  Augen 
schwinden,  und  so  hielt  er  sich  an  die  der  fortschreitenden  Abkühlung  ent- 
sprechende Tierwelt,  um  schliesslich  beim  Ren,  Moschusochsen,  Schneehasen 
und  anderen,  jetzt  rein  arktischen  Tieren  anzulangen,  welche  ihm  halfen,  über 
die  Härte  der  zweiten  Eiszeit  hinwegzukommen,  und  unter  welchen  das  Ren- 
tier sein  Ein  und  Alles  wurde.  Wir  sehen  das  Gleiche  noch  heute  bei  den 
Anwohnern  des  nördlichen  Eismeeres,  die  wir,  ebenso  nach  ihren  Steinwaffen 
und  anderen  Artefakten,  wie  nach  ihrer  dunkelbraunen  Ilautfärbung  und  Pig- 
mentbildung jetzt  allgemein  als  die  Nachkommen  der  ersten  IJewohner  unserer 
Gefilde  betrachten.  Auch  in  Steeten  haben  sich  massenhaft  die  Überreste 
von  Rentiergeweiheu,  bearbeitet  und  unbearbeitet,  gefunden.  Als  typischsten 
Fundplatz  für  die  Reutiermenschen  in  Deutschland  am  Ausgang  der  zweiten 
Eiszeit  und  damit  des  Diluviums  kennen  wir  die  berühmte  Schüssen  quelle 
nördlich  des  Bodensees,  welche,  wie  ebenso  in  neuester  Zeit  die  Rentierstation 
Schweizerbild  bei  Schaffhausen,  von  grösster  Bedeutung  für  die  Kenntnis 
der  gleichzeitigen  geologischen,  sowie  kulturhistorischen  Periode  zu  werden 
verspricht. 

Die  zweite  Eiszeit  ging  allmählich  zur  Jetztzeit  über,  selbstverständlich 
wieder  unter  Entwickelung  gewaltiger  Massen  von  Schmelzwassern,  die  all- 
mählich sich  zu  unseren  noch  heute  bestehenden  Flussläufen  gestalteten,  bei 
gleichzeitiger  Ausbildung  neuer,  weiter  Lössablagerungen.  Die  Ausdehnung 
der  letzten  neueiszeitlichen  Vergletscherungen  wurde  markiert  durch  die  Moränen- 
blöcke, die,  oft  von  gewaltiger  Grösse,  an  dem  Rand  der  Eisfelder  liegen  blieben 
und  oft  genug  auch  heute  noch  die  Reste  nordischer  und  hochalpiner  Flora 
aufweisen. 

Der  Diluvialmensch  war  mit  den  arktischen  Tieren  dem  zurückweichenden 
Eise  folgend  nach  Norden  gezogen,  sein  grimmigster  Gegner,  der  Höhlenbär, 
nur  noch  in  seinen  Knochenresten  vorhanden.  Der  reichhche  Löss  aber,  mochte 
er  nun  geschichtet  auftreten  als  Niederschlag  der  Schmelzwasser  oder  wech- 
selnder Triftströmungen,  oder  mochte  er  nur  aus  angewehten  Staubmassen  sich 
zusammensetzen,  entwickelte  sich  zunächst  zu  einer  weiten  Steppenlandschaft 
mit  der  entsprechenden  Tierwelt,  um  deren  Kenntnis  Nehring  sich  die  höchsten 
Verdienste  erworben  hat.  Dann  scheint  für  Mitteleuropa  und  speziell  auch  für 
unsere  Gegend  eine  allgemeine,  dichte  Bewaldung  durch  unsere  jetzt  noch  be- 
stehenden Hölzer  eingetreten  zu  sein. 

Um  diese  Zeit  findet  eine  zweite  Besiedelung  Süd-  und  Mitteleuropas 
statt.  Von  der  früheren  Tierwelt  sind  Auerochse  und  Rentier  vereinzelt  zu- 
rückgeblieben oder  haben  sich  wieder  in  diese  Breite  gezogen.  Sie  haben  sich 
noch  lange  bis  in  unsere  historische  Zeit  herein  bei  uns  erhalten;  wurde  doch 
noch  Karl  der  Grosse  bei  einer  Jagd  im  Ingelheimer  Wald  von  einem  Auer- 
ochsen in  Leib-  und  Lebensgefahr  gebracht.  Die  zweite  Menschenbesiedelung 
aber  kam  diesmal  nicht  mehr  von  Afrika,  sie  kam  von  Osten,  und  zwar  den 
früheren    Einwohnern    gegenüber    als    eine    verhältnismässig    civilisierte  Vrdker- 


10 

welle,    die  sich  allmählich   über  Europa  hinweg   bis   zu   den    südlichen  Meeren 
und  zu  dem  atlantischen  Ocean   ausbreitete.     Sie    brachte   den   Ackerbau   mit, 
schon  in  ziemlicher  Ausbildung,  die  Weberei  und  eine  bereits  nach  Form  und 
Ornamentik  hoch  entwickelte  Tüpferei,    wenn    dieselbe   auch    noch    ohne  Dreh- 
scheibe und,    wie   oft  die  zarten  Nagelornamente  zeigen,    von  Frauen  mit  sehr 
zierlichen  Fingern  ausgeübt  wurde.     Noch   ist   der   geschlagene   Feuerstein    zu 
mancherlei  Zwecken  im  Gebrauch,  aber  zur  Leitmuschel  für  diese  neue  Etappe 
unserer   Vorgeschichte    wird    uns   das   geschliffene  Beil,    der  polierte  Steinkeil, 
der   zu  den  verschiedenartigsten  Verrichtungen    ebenso    als  Werkzeug   wie    als 
Kriegswaffe   gedient   haben   mag.     Von   der   Weberei  jener   Leutchen   ist   uns 
selbstverständlich  (mit  Ausnahme  der  Pfahlbaufunde)  nichts  erhalten;  aber  wir 
haben  ebenso  ihre  Spinnwirtel,    wie    ihre  Zettel  Strecker    aus    gebranntem  Thon 
und   mancherlei    Kuochenwerkzeug,    oft   zierlich   genug    zugeschnitten,   um   den 
Schussfaden  durch  die  Kette  zu  führen,   Ihre  Töpferei  erhebt  sich  neben  rohen, 
vielfach  mit  Steinchen    durchsetzten   gewöhnlichen  Gefässen   bis    zu    wirklichen 
Prachtexemplaren  frühester  Keramik,  deren  Strich-  und  Dreieckornamente  durch 
eingelegte  weisse  Kalkmasse  auf  dem  angeschmauchten  oder  auch  graphitierten 
Grunde  ein  heute  noch  hervorstechendes  und  gefälliges  Muster  bilden.  Dass  diese 
neuen  Einwanderer  aus  Asien  herübergekommen  sind,    dafür  spricht  nicht  nur 
die  Art  und  Weise  ihrer  Ausbreitung,  dafür  spricht  vor  allem  das  fremdartige 
Material,    das   bei    vielen    ihrer   geschliffenen   Geräte    zur  Verwendung  kommt: 
der  Nephrit,  Jadeit  und  Chloromelanith,  amphibolische  Gesteine,  die,  wie  Vir- 
chow  mit  Recht  betont,    ausnahmslos  als  Geschiebe   und    dann   wohl    aus    den 
Flüssen  des  Künlün-Gebirges   und    aus  dem  Irawaddi   aufgelesen   sein  müssen. 
Ein    ähnliches   Material    wird    heute    noch   in   Birma   bergmännisch   gewonnen, 
ebenso  ist  es  auf  Madagaskar  und  Neuguinea  zu  Hause.     Bei  uns  hat  man  es 
nur  ganz  vereinzelt    in  Schlesien   getroffen    und  im  übrigen    alle   Gebirge   und 
speziell  die  Alpen  umsonst  nach  ihm  durchsucht.^) 

Immerhin  sind  die  Hilfsmittel  dieses  neu  eingewanderten  Volkes,  das  den 
Ackerbau  betrieb  und,  wie  es  seine  Ansiedelungsreste  uns  zeigen,  schon  zu 
Gemeinwesen  sich  emporgeschwungen  hatte,  noch  beschränkt  genug,  um  es 
auf  bestimmte  geologische  Verhältnisse  zum  Zwecke  seiner,  nunmehr  an  die 
Scholle  gebundener  Siedelung  anzuweisen.  Seine  Domänen  sind  in  erster  Linie 
die  Lössterrassen,  dann  die  Höhlen.  Den  weichen  Boden  der  ersteren  brauchte 
CS,  um  mit  seinen  noch  unbehilflichen  Werkzeugen  sich  die  Trichterwohnung, 
die  Mardelle,  auszubauen.  Da  genügten  die  einfachsten  Instrumente:  der  ge- 
schliffene breite  Kelt,  als  Hacke  benutzt,  die  Augensprosse  des  Hirschgeweihes, 
die  Schaufel  des  Elches.  So  wurden  trichterförmige  Gruben  geschaffen  bis  zu 
2  m  Tiefe  und  von  verschiedenem  Durchmesser;  oft  alleinstehend,  oft  aber  auch 
in  der  Form  ganzer  Dorfschaften  zusammengestellt.  Der  Boden  wurde  hart 
zur  Tenne  geschlagen ;  ein  paar  oft  weit  hergeholte  Steine,  mit  Vorliebe  Sand- 
steine, bildeten  den  Herd,  auf  dem  Aschenroste  und  Knochen  verzehrter  Tiere 


')  Doch  vgl.  die  abweichende  Ansicht  von  Dr.  Adolf  Müller:  ^VorgeschicIiH.  Kultur- 
bilder aus  der  Höhlen-  und  älteren  Pfahlbauzeit. "     Bühl  1892.     S.  28  f. 


11 

in  den  meisten  Fällen  liegen  blieben,  über  dem  Erdboden  aber  war  ein  Dach  aus 
Stangen  zusammengestellt,  mit  ausgestochenem  Rasen  bedecict  oder  mit  Zweigen 
durchflochten  und  wenigstens  innen  dann  mit  Lehm  dicht  verstrichen.  Das 
waren  die  Wohnräume  der  Leute  der  Neusteinzeit,  der  neolithischen  Be- 
völkerung. 

Ein  aus  Steinen  zusammengetragener  Wall  mochte,  wie  auf  dem  soge- 
nannten Herrnplatz  über  den  Steetener  Ilühlen,  die  Haustiere  zusammenhalten 
und  gegen  die  jetzt  nur  noch  vorhandenen  Raubtiere :  den  brauneu  Bären, 
Luchs,  Fuchs  und  Wolf  und  kleinere,  eine  wirksame  Abwehr  bilden.  Die 
Überreste  solcher  Wohnungen  sind  gerade  bei  uns  selbst  in  Wiesbaden  sehr 
häufig.  Sie  wurden  z.  B.  beim  Bau  des  Archivs  und  des  Schlachthauses  auf- 
gedeckt, und  als  die  Herren  vom  Casino  sich  einen  Weinkeller  anlegten,  da 
fand  man  zwei  kleine  derartige  Wohnstätten  nebeneinander,  deren  längst  ver- 
schollene Bewohner  aus  sehr  gefälligen  Töpfen  sich  die  kulinarischen  Genüsse 
des  Torfschweines,  das  den  Pfahlbauten  zueignet,  hatten  zukommen  lassen.  Ln 
allgemeinen  kann  der  Satz  ausgesprochen  werden,  dass,  wo  der  Löss,  zumal 
der  ungeschichtete,  sich  ausbreitet,  wir  überall  auf  diese  ersten,  wirklichen 
Wohnreste  stossen  werden.  Kofi  er  will  bei  Grossgerau  tausende  derselben 
gefunden  haben. 

Höhlenbewohner  waren  die  neolithischen  Leute  nur  an  wenigen  Plätzen, 
ganz  besonders  in  den  Grotten  der  lieblich-romantischen  fränkischen  Schweiz, 
wo  sie,  oft  dorfähnlich  zusammenwohnend,  eine  ganz  besondere  ueusteinzeitliche 
Kultur  ins  Leben  riefen,  die  sich  vor  allem  durch  die  zahlreichen  Artefakte 
in  Knochen  und  Hirschhorn  auszeichnet;  ein  ähnliches  Verhalten  wurde  in 
jüngster  Zeit  in  der  bei  Krakau  vorhandenen  jurassischen  Formation  nach- 
gewiesen. 

Im  Gegenteile  haben  sie  mit  Vorliebe  die  Höhlen  als  Begräbnisstätte 
ihrer  Toten  benutzt,  welche  mit  grösster  Sorgfalt  möglichst  im  Hintergründe 
teils  auf,  teils  in  dem  Boden  bestattet  wurden,  unter  Beigabe  von  mancherlei 
Gebrauchsgegenständen  und  Töpfereien,  oft  auch  ohne  alles.  Häufig  sind  diese 
Totenhöhlen  durch  Steinplatten  oder  rohes  Steinwerk  nach  aussen  abgeschlossen. 
Auch  hierfür  wieder  sind  die  Höhlen  von  Steeten  massgebend  und  zeichnen 
sich  nebenbei  durch  eine  ganz  wunderbare  Erhaltung  der  Skelettreste,  besonders 
der  Schädel,  aus.  Von  vornherein  liegt  wohl  etwas  ausserordentlich  Verlockendes 
in  dem  Gedanken,  Menschenreste,  die  selbst  zwischen  den  Knochen  diluvialer 
Tiere  zur  Auffindung  gelangen,  als  Zeitgenossen  des  Mammut,  kurz  des  Dilu- 
viums  zu  begrüssen;  eine  genaue  kritische  Untersuchung  der  Lagerungsverhält- 
nisse aber  wird  bei  allen  bisher  untersuchten  Knochenhöhlen  erweisen,  dass 
die  menschlichen  Skelettreste  in  den  Höhlen,  mögen  sie  mit  (wie  in  der 
Wildscheuer  von  Steeten)  oder  ohne  Töpfereien  bestattet  sein,  mit  den  da- 
runter oder  selbst  daneben  liegenden  Überresten  grosser  Tiere,  menschlicher 
Brandplätze  und  Artefakte  aus  der  Urzeit  nichts  zu  thun  haben.  Sie  sind 
in  das  Diluviale  später  hineingetragen.  Was  wir  von  Steeten  aber  sagen, 
gilt  von  allen  Höhlenfundeu  im  übrigen  Deutschland,  in  Belgien,  Frankreich, 
Italien,  Spanien  und  Portugal  sowie  England.     Überall  finden  wir  .las  gleiche 


12 

Verhalten  und  sämtliche,  archäologisch  und  anthropologisch  zum  Teil  so  hoch 
geschätzte  Schädel,  wie  besonders  der  berühmte  Neanderthaler,  gehören  ein- 
fach der  neolithischen  Begräbniszeit  zu  und  nichts  anderem,  trotz  aller  Mühen, 
die  man  sich  um  ihn,  um  den  von  Engis,  den  Canustätter,  den  Schädel  von 
Spy  und  andere  gegeben  hat,  sie  als  die  ältesten  Urformen  hinzustellen.  Wir 
wollen  hierbei  überhaupt  einschalten,  dass  wir  in  der  Neuzeit  und  gerade  auf 
Grund  der  sorgfältigsten  Erhebungen  aus  den  Höhleu  gelernt  haben,  derartig 
alten  Schädeln  wenigstens  nach  dieser  Richtung  mit  einem  gewissen  Skepticismus 
gegenüberzutreten.  Haben  wir  doch  zu  konstatieren,  dass  wir  fast  überall  bei 
diesen  ältesten  Schädelfunden  durchaus  abweichende  Raum-  und  Bildungsver- 
hältnisse des  Hirnschädels  vorfinden. 

Wir  können  dies  interessante  Kapitel,  in  welchem  wieder  Steeten  eine 
massgebende  Stelle  einnimmt,  hier  nicht  weiter  ausführen  und  wollen  nur  be- 
tonen, dass  wir  hierbei  Thatsachen  begegnen,  welche  die  zuverlässige  Konstruktion 
eines  solchen  älteren  Rassentypus  überhaupt  unmöglich  machen.  Ist  doch  gerade 
wieder  bei  den  Schädeln  von  Steeten,  welche  einem  kleinen,  unter  denselben 
Verhältnissen  lebenden  Stamm  angehörten,  der  zur  selben  Zeit  seine  Leute 
begrub,  kein  Hirnschädel  dem  andern  gleich.  Wir  haben  mit  einem  Worte  zu 
erklären,  dass  dieselben  bei  den  Leuten  der  zweiten  Steinzeit,  deren  körper- 
liche Reste  wir  endlich  und  wirklich  zwischen  den  Fingern  halten,  schon  lange 
zu  den  verschiedensten  Formen  sich  ausgebildet  hatten,  ehe  dieses  Volk  zu 
uns  kam.  Ihr  Gesichtsschädel  aber  ist  gleichartig  und  typisch,  und  mit  seiner 
mongolisch  breiten  Ausladung  der  Jochbogen,  der  sehr  tiefen  Anlage  der  Schläfen- 
grube, mit  entsprechender  Abdachung  der  Seitenwandbeine,  mit  unangenehmen, 
niedrigbreiten  Augenhöhlen  und  Nase  bei  sehr  roh  angelegten  Kieferpartien, 
bezeichnen  wir  ihn  als  turanisch.  Die  letzten  Reste  dieses  grossen  Volksstammes 
sehen  wir  körperUch  erhalten  in  dem  eigentümlichen  Völkchen  der  Basken, 
dann  aber  noch  in  einer  ganzen  Reihe  typischer  Formen  zwischen  uns  selbst 
und,  nach  Ranke,  besonders  zahlreich  in  Bayern. 

Da  wir  von  den  Höhlen  als  neolithischen  Begräbnisplätzen  gesprochen, 
dürfen  wir  wohl  fragen,  wo  die  Bewohner  der  breiten  Lössflächen  ihre  Toten 
bestattet,  zumal  die  Höhlenbildung  doch  immer  nur  in  vereinzelten  Gebirgs- 
formationen  sich  vorfindet ;  und  da  entdecken  wir,  wenn  auch  selten,  bei  uns 
die  ausgedehnten  ältesten  Friedhöfe  unserer  Fluren;  die  Gräber,  meist  einfach 
in  den  Boden  eingeschnitten,  selten,  gleichsam  als  Nachbildung  des  Höhlen- 
grabes aus  Steinplatten  gefügt,  wie  in  primitivster  Weise  z.  B.  in  Schierstein. 
Die  Leichen  wurden,  wie  meist  in  den  Höhlen,  sitzend  beerdigt;  ein  geschhffener 
Steinkelt,  ein  Feuersteinmesser,  einige  Töpfereien  bildeten  die  meist  sehr  spär- 
liche Beigabe.  Um  vieles  interessanter  gestalten  sich  die  neolithischen  Bestat- 
tungen am  Rande  des  Bodens  der  zweiten  Eiszeit,  dort,  wo  ihre  erratischen 
Blöcke  geblieben  sind  und  nun  ein  rohes,  aber  gigantisches  Material  für  die 
Errichtung  der  Dolmen  und  grösseren  Ganggräber  boten.  Unserem  Lande  sind 
diese  interessanten  Hünengräber  versagt,  denn  bis  zu  unseren  Gauen  haben 
sich  keine  nordischen  Granite  und  Gneise  auf  der  breiten  Fläche  der  alten 
Gletscherwelt  heruntergewagt,  aber  wir  kennen  sie  wohl  alle,  aus  eigener  An- 


18 

scliaiiung  odci*  wenigstens  aus  Bildern,  diese  tiefernsten  und  dabei  so  gewaltigen 
Äusserungen  einer  Pietät  für  geliebte  Tote,  die  viele  Jahrtausende  über- 
dauert haben. 

In  dieselbe  Zeit  und  vorzugsweise  in  die  gleichen  Gegenden  fallt  die 
Errichtung  uralter  Steindenkmäler,  zu  welchen  ebenfalls  die  erratischen  Blöcke 
das  Material  geben.  Mächtige  Steinriesen  stehen  allein,  als  Menhirs,  oder  zu 
Kreisen  oder  grossen  Gruppen  geordnet,  oft  mit  Tragsteinen  überdeckt.  Ihre 
Bedeutung  scheint  meist  kultureller  Art  zu  sein.  Bei  uns  fehlen  dieselben, 
wie  die  eben  erwähnten  Dolmen.  Aber  die  Errichtung  der  Menhirs  der  neo- 
lithischen  Leute  scheint  doch  ein  allgemeinerer  Gebrauch  gewesen  zu  sein,  sodass 
sie,  wie  im  Grossherzogtum  Hessen  z.  B.  in  den  verschiedensten  Stücken,  wenn 
auch  nicht  aus  erratischen  Gesteinen  aufgerichtet,  auffällig  häufig  erscheinen 
und  unter  dem  Namen  Langenstein,  Gluckenstein,  Gickel-  und  Hünerstein  u.  s.  w. 
heute  vorzugsweise  als  alte  Grenzsteine  aufgefasst  werden.  Dass  diese  Erklärung 
freilich  nicht  immer  stimmt,  mag  aus  dem  mächtigen  Monolithen  erhellen^  der 
seinerzeit  als  Wahrzeichen  auf  dem  berühmten  neolithischen  Gräberfeld  von 
Monsheim  dem  Sturm  der  Jahrtausende  getrotzt  hatte;  einen  zweiten,  umge- 
stürzten fanden  wir  auf  dem  gleichartigen  Friedhofe  von  Nierstein.  Bei  Hom- 
burg steht  heute  noch  ein  Glocken-,  richtiger  wohl  Gluckenstein,  seit  langem 
ein  ausgesprochenes  Grenzmerkzeichen,  und  doch  scheint  sein  Name  eine  land- 
läufige Umänderung  von  Hühnerstein  zu  sein,  verdorben  aus  dem  alten  Hünen- 
stein, dessen  Begriff  und  Abstammung  verloren  gegangen  war.  Und  zur  Be- 
stätigung dessen  grüsst  dabei  von  der  Höhe  des  Taunus  herüber  der  alte 
Ringwall  der  Gickelsburg,  deren  Namen  wir  schliesslich  auch  auf  die  Vorfahren, 
die  Hünen,  zurückführen. 

Die  Leute  der  zweiten  Steinzeit  haben  aber  nicht  nur  auf  oder  in  dem 
Löss  ihre  Wohnsitze  gehabt.  Sie  haben  wahrscheinlich  schon  beim  Beginn 
ihrer  Einwanderung  zunächst  die  östlichen  Seen  und  Sümpfe  als  Pfahlbaueru 
bewohnt.  Wir  wollen  uns  hier  nicht  des  weitern  auf  die  Eigenart  der  Woh- 
nungen, der  Lebensweise  der  sogenannten  Pfahlbauern  einlassen;  dieselbe  darf 
als  bekannt  vorausgesetzt  werden.  Die  zahlreichen  und  so  mannigfachen  Über- 
reste aber,  die  wir  in  ihren  abgebrannten  Seedörfern,  in  erster  Linie  des  Boden - 
sees,  gefunden  haben  —  die  geschliffenen  Steininstrumente,  die  eigenartigen 
Töpfereien,  sowie  die  übrigen  Kunstgegenstände  —  sind  in  Form  und  Mache 
mit  den  Artefakten  unserer  neolithischen  Bewohner  fast  ausnahmslos  identisch. 

Die  Hinterlassenschaft  unserer  neusteinzeitlichen  Bevölkerung,  mögen  wir 
diese  nun  den  Höhlenbestattungen,  den  Mardellen,  den  Dolmen  u.  s.  w.  ent- 
nehmen^ giebt  uns  den  unumstösslichen  Beweis  in  die  Hand,  dass  wir  ohne 
jedes  Bedenken  die  alten  Pfahlbauern  wie  ebenso  die  ihnen  in  jeder  Richtung 
nahestehenden  Leute  der  Terramaren  jenseits  der  Alpen  demselben  grossen 
turanischen  Volksstamm  zurechnen  müssen,  den  wir  gewohnt  sind  als  die  Cro- 
Magnon-Leute  zu  bezeichnen,  der  aber  ebenso  gut  nach  unseren  Steetener 
Toten  genannt  sein  könnte. 

Wir  sehen  auf  diese  Weise    ein   grosses    einheitliches  Volk    vor   uns,    auf 
einer  gleichmässigen  Kulturstufe  stehend,  aber  noch   ohne  Kenntnis  der  Metalle. 


14 

In  erster  Linie  Ackerbau  treibend,  wurde  und  blieb  es  bei  uns  sesshaft;  ja  es 
hat  sogar,  trotz  aller  späteren  Stürme,  seine  letzten  Reste,  wenn  auch  ganz 
vereinzelt,  bis  in  unsere  Gegenwart  gerettet.  Seiner  Entfaltung  standen  keine 
neuen  klimatischen  Yeränderungen  im  Wege,  wie  die,  welche  seinen  Vorgängern 
das  Leben  erschwert  hatten;  aber  noch  waren  für  ein  gutes  Gedeihen  bei  der 
Mangelhaftigkeit  der  Ausrüstung  gewisse  günstige  geologische  Bedingungen  not- 
wendig geblieben,  ein  mühelos  zu  bewohnender  und  zu  bebauender  Boden, 
unter  Umständen  selbst  ein  Schutz  in  den  Seebecken,  welche  die  Stirnmoränen 
der  letzten  Gletscher  geschaffen.  Als  dann  neu  aus  dem  Osten  andringende 
Völker,  die  wir  als  arisch  bezeichnen,  ihnen  den  Boden  streitig  machten,  teils 
sie  vernichtend,  teils  sich  mit  ihnen  mischend,  als  verhältnismässig  bald  die 
Metalle  im  Kriegs-  wie  im  Friedenshandwerk  anfingen  die  Oberhand  zu  gewinnen, 
lernte  auch  bei  uns  der  Mensch  sich  mehr  und  mehr  von  den  geologischen 
Bedingungen  zu  lösen,  die  ihn  bisher  mit  Notwendigkeit  an  sich  gefesselt  hatten. 
Und  als  er  endlich  das  wichtigste  und  edelste  aller  Metalle,  das  Eisen,  seinem 
Willen  fügbar  gemacht  hatte,  da  war  er  zum  erstenmale  wirklich  frei  von  den 
Hemmnissen,  die  ihm  die  Natur  bis  dahin  angelegt,  und  mit  stolzer  Freude 
schritt  er  in  ein  neues  Zeitalter  seiner  eigenen  Entwickelung. 


Die  „Ewige  Lohe^^  bei  Homburg  v.  cl.  Höhe. 

eine   f'i'ühgeschichtliche  Grabstätte. 


Von 

H*  JaCObi^   Kgl.  Reg.-Baufal.ror. 

Mit  Tafel  I  und  II. 


Die  Untersuchung  von  Ortsnamen   und  Flurbezeiehnungen   bildet  ein  zu- 
verlässiges Hilfsmittel  zur  Auffindung  von  geschichtlichen  Fundstätten.  Gerade 
für  die   deutsche  Vorzeit,   zu  deren   genauer  Erkenntnis   schriftliche  Aufzeich- 
nungen fehlen,  sind  sie  von  hoher  Bedeutung,  weil  in  ihnen  oft  historische  Be- 
gebenheiten einen  Ausdruck  gefunden  und  bis  zum  heutigen  Tage  mit  wunder- 
barer Energie  erhalten  haben,  die  man  sehr  leicht  in  das  Reich  der  Sagen  zu 
weisen  geneigt  ist.    Mauern,  die  noch  in  späteren  Jahrhunderten  über  die  Erde 
hervorragten   oder    unter    derselben   dem   Ackersmann    beim   Pfiügen    viel  Be- 
schwerde  bereiteten,    Brandschutt   und   Reste   von    Gefässen   und    Waffen,   die 
dort  zu  Tage  kamen,  zeugten  von  einer  älteren  Kultur,  und  es  lag  nahe,  wenn 
man  damit  die  Überlieferung  in  Verbindung  brachte,  an  Ansiedlungen  zu  denken, 
die   durch   grosse   Kriege    von    dem  Erdboden   verschwunden   waren.      In   der 
späteren  Zeit  machte  man  den  dreissigjährigen  Krieg  dafür  verantwortlich,  der 
noch  als  das  letzte  grosse  zerstörende  Element  in  Aller  Erinnerung  lebte. 

In  der  Umgebung  von  Homburg  v.' d.  Höhe,  wo  man  den  Flur-  und 
Gemarkungsnamen  stets  einen  besonderen  Wert  beilegte,  ist  es  gelungen,  nachzu- 
weisen, dass  eine  Reihe  von  Ortschaften,  die  angeblich  durch  jenen  grossen  Krieg 
verwüstet  sein  sollen,  wahrscheinlich  nie  existierten  und  nichts  weiter  als  vor- 
römische, römische  oder  fränkische  Niederlassungen  und  Kultstätten  waren. 
In  alten  Flurnamen,  wie  „Blutige  Haide",  „Streickart"  oder  „Streickert"  = 
Streitplatz  u.  a.  m.  ist  die  Erinnerung  an  frühere  Kämpfe  erhalten  geblieben ; 
Ausgrabungen  an  Ort  und  Stelle  haben  eine  interessante  Ausbeute  an  Alter- 
tümern ergeben. 

Eine  alte  Flurbezeichnung  wie  „Ewige  Lohe"  musste  deshalb  die  vollste 
Aufmerksamkeit  erregen,  besonders,  nachdem  auch  vereinzelte  Scherben  von 
dort  abgeliefert  waren.  Man  dachte  bei  dem  Ausdrucke  „Ewige  Lohe«  an  eine 
alte  Opferstätte,  indem  man  „Lohe"  =  „wallende  Glut"  nahm.  Dem  steht  aber 
gegenüber,    dass  in   alten   Karten,    Urkunden    sowie    im  Volksmunde   die   Flur 


16 

„EppigG  Lohe"  genannt  wird.  „Eppich"  heisst  bei  den  Bauern  jener  Gegend 
=  Epheu  (Grimm:  Eppich,  Ebich  und  Ewich),  und  es  ist  wahrscheinlich,  dass 
die  Flur  in  früherer  Zeit  Wald  war,  woselbst  Epheu  in  grosser  Menge  wuchs; 
daher  die  Bezeichnung  =  „Epheuwald".  „Lohe"  bedeutet  soviel  wie 
„Wald"  (Grimm:  loh  =  Wald,  Holz,  Walddistrikt).  Prof.  Arnold  schreibt 
darüber  in  seinem  Buche:  „Ansiedelungen  und  Wanderungen  deutscher 
Stämme"  mit  Bezug  auf  Hessen:  „loh,  lat.  lucus^  in  der  ursprünglichen  Be- 
deutung jetzt  erloschen ;  wir  brauchen  jetzt  dafür  Hain  oder  Wald ;  viel  häu- 
figer ist  unser  „loh"  in  den  Feld-  und  Waldorten,  einfach  und  zusammen- 
gesetzt .  .  .  begreiflicherweise  findet  sich  das  Wort  in  den  Flurnamen  häufiger 
als  in  den  eigentlichen  Ortsnamen  ..."  —  und  an  anderer  Stelle :  „Ich  ver- 
mute, dass  das  Wort  ursprünglich  gleich  dem  lat.  lucus  die  dem  religiösen 
Kultus  geweihten  Waldorte  bezeichnet  und  erst  in  der  christlichen  Zeit 
einen  allgemeineren  Sinn  angenommen  hat.  Denn  nur  so  weiss  ich  es  zu  er- 
klären, dass  nicht  bloss  einzelne  ganz  isolierte  Waldstücke  sich  vielfach  bis 
auf  die  Gegenwart  erhalten  haben,  sondern  dass  vorzugsweise  solche  auch  den 
Namen  „loh"  führen  .  .  .  Bei  Feldorten  verrät  oft  die  Präposition  aufm,  im, 
vor  dem  Lohe  wieder  die  alte  Bedeutung  .  .  .  Von  Zusammensetzungen  führe 
ich  beispielsweise  an:  das  grosse,  kleine,  hohe,  schöne,  lange  „loh"  etc." 

Bei  Homburg  kommen  Bezeichnungen  wie  „Eichenlohe,  Lindenlohe" 
(=  Wald)  vor,  die  bei  Untersuchungen  Überreste  römischer  oder  fränkischer 
Ansiedelungen  aufwiesen.^) 

Die  „Ewige  Lohe"  bei  Homburg  liegt  dicht  hinter  den  Mineralquellen 
am  Feldwege  (alter  Römer- Weg)  nach  Gonzenheim;  sie  bildet  den  südöstlichen 
Teil  des  vor  dem  Hardtwalde  nach  dem  Quellengebiete  zu  abfallenden  Ab- 
hanges, der  jetzt  mit  Obstbäumen  bedeckt  ist,  in  alter  Zeit  aber  ohne  Zweifel 
zur  „Hardt"  gehörte.  —  In  der  dort  gelegenen  Braun'schen  Sandgrube  und 
Ziegelei  wurden  schon  früher  einzelne  vorrömische  Gefässe  gefunden,  die  aller- 
dings einen  grossen  Teil  ihres  Wertes  dadurch  eingebüsst  haben,  dass  ihr  ge- 
nauer Fundort  sowie  ihre  Zusammengehörigkeit  jetzt  nicht  mehr  nachzuweisen 
ist.  Ende  August  1891  stiessen  Arbeiter  beim  Abheben  der  oberen  Schichten 
in  der  nordwestlichen  Ecke  der  Grube  wiederum  auf  Scherben.  Da  sie  sofort 
davon  Mitteilung  machten,  und  der  Besitzer  Herr  Johann  Braun  wie  schon 
öfter  in  dankenswertester  Weise  die  Erlaubnis  zum  Nachgraben  gab,  konnte 
die  Stelle,  die  sich  als  frühgeschichtliches  Grab  erwies,  genau  untersucht  wer- 
den. Da  dieser  Fund  der  erste  frühgeschichtliche  ist,  der  sowohl  in  dieser 
interessanten  Flur,  wie  auch  überhaupt  im  Homburger  Gebiet  vollständig  er- 
hoben und  aufgenommen  werden  konnte,  so  dürfte  einer  etwas  ausführlicheren 
Beschreibung  Raum  gegeben  werden.  — 

Die  über  den  Scherben  liegende  ca.  1  m  hohe  Erdschicht  bestand  aus 
angeschwemmtem,  fest  zusammengewachsenem  Löss,  der  ab  und  zu  von  kleinen 
Eisensteinen^)  durchsetzt  war.     Nur   mühsam   gelang   es,    aus  der  harten  Erde 

*)  Prof.  Arnold  setzt  die  Entstehung  dieser  Bezeichnungen  in  seine  älteste  Periode.  — 
')  Dicht  bei  der  Fundatelle  liegt  eine  Gemarkung  «jEisenberg",  in  der  früher  Eisensteine  ge- 
sucht wurden. 


17 

mit  Hilfe  vou  Messern  die  Scherben  lierauszuschiieideu,  die  gauz  durchweiclit, 
trotz  grösster  Vorsicht,  viel  unter  den  Messern  litten  ^) ;  an  der  Luft  wurden 
sie  später  wieder  hart.  Sie  lagen  über  einen  fast  kreisförmigen  Raum  von 
ca.  1,50  m  Durchmesser  ausgebreitet;  durch  den  auf  ihnen  lastenden  Erddruck 
war  eine  Anzahl  Gefässe,  die  auf  der  alten  natürlichen  Erdoberfläche  zusam- 
menstanden, zerdrückt  und  ihre  Bruchstücke  in  einer  Höhe  von  ca.  20  cm  dicht 
aufeinandergepresst  worden.  Auf  dem  stark  eisenhaltigen  Urboden  lag  unter  den 
Scherben  ein  vollständig  verrostetes  Eisenschwert  mit  der  Spitze  fast  genau 
nach  Norden  orientiert.  Senkrecht  zu  diesem  fand  sich  ein  eisernes  Dolch- 
messer vor,  und  neben  diesem  auf  eine  Schale  aufgerostet  ein  halbringförmiges 
eisernes  Messer  (vergl.  Taf.  I,  Fig.  1  u.  2).  Eine  Steinpackung  war  nicht  vor- 
handen ;  von  Aschen-  und  Knochenresten  keine  Spur ;  dagegen  zeigten  sich 
spärliche  Überreste  von  Holzkohlen.  Es  konnte  mithin  nicht  mehr  zweifel- 
haft sein,  dass  man  ein  frühgeschichtliches  Grab  erhoben  hatte,  in  dem  ein 
reicher  Krieger  mit  seinen  Waffen  und  Hausgeräten  nach  der  Verbrennung 
beigesetzt  war. 

Was  die  einzelnen  Pundstücke  anlangt,  so  sind  die  Eisengegenstände 
die  weitaus  wichtigsten.  Das  eiserne  Schwert  ergab  nach  sachverständiger 
Ablösung  des  Rostes  in  seinem  Kerne  die  auf  Taf.  I,  Fig.  3  und  3a  abge- 
bildete Form.  Sie  ist  typisch  für  jene  noch  in  geringer  Zahl  gefundenen 
frühgeschichtlichen  langen  Eisenschwerter  der  Hallstadtzeit  und  für  die  Zeit- 
stellung und  Klassifizierung  des  Grabes  in  erster  Linie  massgebend.  Das 
Schwert  hat  jetzt  noch  die  beträchtliche  Länge  von  1,07  m  und  erreicht  somit 
diejenige  des  in  Hallstadt  ^)  gefundenen.  Die  Klinge  ist  geschweift  und  in  der 
Mitte  an  der  breitesten  Stelle  =  6  cm ;  eine  Mittelrippe  lässt  sich  bei  der 
starken  Oxydation  nicht  mehr  feststellen.  Das  Heft  ist  besonders  angesetzt 
und  war,  wie  erhaltene  Spuren  beweisen,  mit  einem  hölzernen  Griffe  versehen. 

Von  gleicher  Bedeutung  ist  das  dabei  liegende  Dolch messer  (Taf.  I, 
Fig.  4),  das  ebenfalls  für  eine  Reihe  von  Hallstadtgräbern  der  Eisenzeit  eigen- 
tümlich ist.  Es  hat  einen  geschweiften,  ziemlich  breiten  Rücken,  ist  21  cm 
lang  und  imitiert  ebenso  wie  das  Eisenschwert  die  Form  von  Bronzewaffen. 

Das  halbringförmige  Messer  ist  ebenfalls  aus  Eisen,  besser  erhalten  wie 
die  beiden  vorigen,  doch  sehr  dünn  (Taf.  I,  Fig.  5).  Bronzemesser  in  der- 
selben Form  sind  öfters  gefunden. 

Die  zu  Tage  gekommenen  Scherben  wurden  sorgfältig  zusammengelegt, 
doch  war  die  Lage  der  einzelnen  Gefässe  zu  einander  nicht  mehr  zu  er- 
kennen. Mit  grosser  Bereitwilligkeit  hat  sich  Herr  Seibel  aus  Homburg  der 
nicht  geringen  Mühe  unterzogen,  die  Gefässe  zu  kitten.  Vollständig  zusammen- 
gekommen sind  7  Stück,  von  3  weiteren  sind  Bruchstücke  vorhanden.  Im 
übrigen  ist  es  nicht  nötig,  dass  alle  Gefässe  vollständig  erhalten  sind,  da  man 
dem  Verstorbenen  wie  bei  den  Griechen  und  Römern  wohl  meistens  seine  Ge- 


')  Dies  zur  Erklärung  für  diejenigen,  welche  in  diesen  Einschnitten  etwa  beabsichtigte 
Zeichnungen  zu  sehen  glauben.  —  '-)  Vergl  den  Aufsatz  von  Lindenschmit  über  das  vor- 
geschichtliche Eisenschwert  in  dessen:  „Altertümer  unserer  heidnischen  Vorzeit,  Band  IV, 
Heft  VI." 

2 


Bezeichnung 

Oberer 
Durchmesser 

Taf.  II, 

Fig. 

1. 

38 

n 

n 

2. 

34 

fl 

» 

3. 

24 

» 

» 

4. 

24 

» 

« 

5. 

21 

» 

n 

6. 

23 

%i 

11 

8. 

6 

Grösster 
Durchmesser 

Höhe 

55 

50 

46 

44 

8 

8 

8 

— 

7 

11 

11 

18 

brauchsgefässe  mitgab,  auch  wenn  sie  zerbrochen  waren.     Taf.  II  giebt  in  ihrer 

oberen    Hälfte   die   Form    der   im   August    1891    ausgegrabenen  Gefässe;    ihre 

Masse  sind  folgende : 

Unterer 
Durchmesser 

15 

14 

6 

9 

6 

6V2 

Gefäss  Fig.  1  von  sehr  grossen  Dimensionen  läuft  nach  unten  konisch 
zu  und  ist  infolge  seines  auffallend  kleineu  Bodens  sehr  wenig  stabil;  es  war 
wahrscheinlich  beim  Gebrauche  eingegraben  oder  an  einem  Ringe  aufgehängt. 
Die  Gefässwände  sind  dick,  nach  unten  zu  stellenweise  fast  vollständig  durch- 
gebrannt. Das  Äussere  ist  künstlich  durch  Reisig  oder  grobes  Tuch  rauh  ge- 
macht, um  den  Topf  besser  handhaben  zu  können.  Gefäss  Fig.  2  ist  von  gelb- 
lich-rotem Thone,  hat  glatte  Oberfläche  und  eine  geschwungene  Form. 

Fig.  3  —  6  sind  flache  Schalen  mit  dünnen  Wänden,  aus  feinerem  Thon, 
aussen  schwarzbraun ;  ein  besonderer  Boden  ist  nicht  vorhanden,  das  sackartig 
durchhängende  Gefäss  war  durch  Aufstellen  auf  den  Boden  unten  platt  gedrückt. 

Fast  ganz  erhalten  ist  ein  kleiner  Trinkbecher  (Fig.  8),  ebenfalls  von 
feinerem  Thon;  er  läuft  nach  unten  in  eine  Spitze  aus,  mit  der  er  jedenfalls 
in  den  Erdboden  eingedrückt  war. 

Fig.  7  giebt  Bruchstücke  einer  ganz  dünnen  Schale,  deren  Form  sich 
leicht  ergänzen  lässt;  sie  hat  einen  Durchmesser  von  15  cm,  ist  rot  und  hat 
am  oberen  Rande  einen  2  cm  breiten  schwarzen  Streifen  aus  Graphit.  —  Das 
Gefäss,  dessen  Henkel  in  Fig.  9  dargestellt  ist,  lässt  sich  nicht  mehr  rekon- 
struieren. 

Die  Technik  der  Gefässe  ist  eine  sehr  ursprüngliche;  Form  und  Material 
weisen  darauf  hin,  dass  sie  an  Ort  und  Stelle  hergestellt  und  gebrannt  sind 
(die  Ziegelei  liefert  einen  Thon,  der  heute  noch  von  den  Töpfern  verwandt 
wird) ;  ein  so  umfangreiches  Gefäss  wie  Fig.  1  wird  man  auch  nicht  auf  Wan- 
derungen mitgenommen  haben.  Der  Thon  der  grösseren  Gefässe  ist  sehr  stark 
mit  Quarzsteinchen  durchsetzt,  zum  Teil  wohl  um  ein  leichteres  Brennen  zu 
erreichen.  Die  Drehscheibe  scheint  nicht  zur  Anwendung  gekommen  zu  sein, 
die  Gefässwände  sind  nicht  gleich  stark,  ihre  Oberfläche  ist  sehr  uneben  und 
ohne  jeglichen  Schmuck.  Die  Bruchstücke  Fig.  7,  8  u.  9  machen  eine  Aus- 
nahme.   Die  feinere  Technik  legt  die  Vermutung  nahe,  dass  diese  importiert  sind. 

Da  in  gegebenem  Falle  alles  Neue  und  Auffallende  erwähnt  zu  werden 
vordient,  so  sei  noch  eines  pyramidenförmigen  Quarzkrystalls  in  der  Grösse 
einer  Kinderfaust  gedacht.  Derartige  Krystalle  kommen  in  der  dortigen  Gegend 
nicht  vor,  sondern  finden  sich  nur  jenseits  des  Taunus  bei  Katzen-Eschbach, 
ein  Beweis  dafür,  dass  man  damals  eine  Verbindung  mit  jener  Gegend  kannte. 


10 

Der  Brauch,  den  Toten  besonders  gestaltete  oder  gefärbte  Steine,  sei  es  als 
Andenken  an  ihre  Ileimaf,  oder  dass  man  ihnen  eine  besondere  Bedeutung 
beimass,  mitzugeben,  findet  sich  auch  bei  anderen  Völkern  wieder.   — 

Von  den  im  Jahre  1880  in  der  „Ewigen  Lohe"  gefundenen  Gefässeu, 
welche  ebenfalls  zusammen  den  Inhalt  von  Gräbern  ausmachten,  aber  leider 
ohne  Zuziehung  von  Sachverständigen  der  Erde  entnommen  wurden,  habe  ich 
die  hauptsächlichsten  auf  Taf.  II  in  der  unteren  Hälfte  angegeben.  Ihre 
Masse  sind  folgende: 

Bezeichnung  Oberer  Unterer  Grösster 

"  Durchmesser        Durchmesser       Durchmesser  noiie 

Taf.  II,  Fig.  10.  27  8  30  23 

„  11.  29  8  _  •     12 

„          „  13.  21  6  -  8 

„  14.  17  8  20  8 

„  15.  12  3  -  5 

„  16.  13  7  —  9 

Die  Gefässe  Fig.  10  u,  14  sind  schwarz  und  sehr  hart  gebrannt.  Fig.  14 
ist  echinusförmig,  am  oberen  Rande  mit  richtigem  Gefühle  eingezogen,  um  ein 
Überfliessen  zu  verhindern.  Im  Gegensatz  dazu  hat  Fig.  13  einen  flachen, 
gerade  abgeschnittenen  Rand;  die  Schale  ist  sehr  roh  gearbeitet,  die  Wände 
sind  sehr  stark.  Von  ebenso  primitiver  Herstellungsweise  sind  Fig.  12  u.  15, 
von  denen  soviel  Bruchstücke  vorhanden  sind,  dass  ihre  Form  hergestellt  werden 
kann.  Fig.  11  u.  16  sind  beide  von  sehr  altertümlicher  Technik:  Fig.  IG  aus 
sehr  unreinem  Thon  mit  starken  Wänden  und  besonders  angesetztem  Boden- 
rand. Die  auf  seiner  Oberfläche  angebrachten  Nägeleindrücke  dienen  wohl 
nicht  als  Verzierung,  sondern  nur  zum  Rauhmachen;  sie  sind  sehr  klein  und 
lassen  auf  Anfertigung  durch  Frauenhände  schliessen,  wie  dies  auch  von  an- 
deren Völkern  bekannt  ist. 

Besonders  interessant  ist  das  Bruchstück  eines  sehr  grossen  Gefässes 
(Fig.  17),  vielleicht  von  einem  oberen  Durchmesser  von  ca.  60 — 70  cm.  Der  Thon 
ist  sehr  grobkörnig,  bei  der  grossen  Dicke  der  Gefässwände  aus  technischen 
Gründen.  Am  Halse  trägt  es  einen  Ring,  der  mit  den  Fingern  angeknetet  ist; 
die  höchsten  Punkte  desselben  bilden  eine  wellenförmige  Linie.  Er  giebt  viel- 
leicht eine  Erklärung  für  den  Transport  eines  solchen  Gerätes  und  ahmt  ent- 
weder das  gewöhnlich  um  den  Hals  gelegte  Tau  aus  Hanf  oder  Stroh  nach, 
oder  diente  dazu,  das  Hinaufrutschen  eines  Strickes  zu  verhindern.  Die  Gefässe 
Fig.  11,  13,  15,  16,  17  bilden  ihrer  unbeholfenen  Form  wegen  einen  eigen- 
artigen Kontrast  zu  den  übrigen  auf  der  „Ewigen  Lohe"  gefundenen.  Man 
braucht  deshalb  nicht  anzunehmen,  dass  sie  älter  sind  wie  die  anderen,  da 
primitive  Herstellungsweise  nicht  immer  die  ältere  ist.  Wir  dürfen  eher  in 
der  Unvollkommenheit  der  Technik  einen  Beweis  dafür  erblicken,  dass  derartige 
einfache  Gebrauchsgegenstände  im  Lande  selbst,  wie  es  eben  die  lokalen  Ver- 
hältnisse erlaubten,    in  unserem  Falle  möglicherweise  nicht  weit  vom  Fundorte 


gefertigt  sind. 


2* 


20 

Mit  diesen  Scherben  wurde  auch  das  Bruchstück  eines  eisernen  Schwert- 
griffes mit  Bronzeknöpfen  ausgegraben.  — 

Die  Fundstücke  sind  sämtlich  im  Saalburg-Museum  zu  Homburg  aufge- 
stellt und  vertreten  in  der  Homburger  Abteilung  der  Sammlung  die  älteste 
Kultur  jener  Gegend. 

Betrachtet  man  die  Gräberfunde  von  1880  und  1891  im  Zusammenhange 
mit  den  wiederholt  an  verschiedeneu  Stellen  der  „Ewigen  Lohe"  aufgefundenen 
vorrümischen  Scherben,  so  darf  man  wohl  annehmen,  dass  die  Flur,  in  alter 
Zeit  mit  Wald  bedeckt,  eine  ausgedehnte  Grabstätte  bildete,  deren  hohes  Alter 
schon  durch  die  geologische  Formation  des  Bodens  bewiesen  wird.  Dass  diese 
Gemarkung  bis  heute  den  Namen  „Ewige  Lohe"  behalten  hat,  wäre  eine  Be- 
stätigung der  von  Prof.  Arnold  gegebenen  Erklärung  für  die  mit  „loh"  zu- 
sammengesetzten Lokalnamen.  Da,  wie  oben  erwähnt,  der  Hardtwald  sich 
unfraglich  über  die  „Ewige  Lohe"  hinaus  erstreckt  hat,  und  sich  in  letzterem 
jetzt  noch  mehrere  Hügelgräber  befinden^),  ist  es  wahrscheinlich,  dass  auch 
die  Gräber  auf  der  „Ewigen  Lohe"  von  Hügeln  bedeckt  waren,  welche  bei 
der  späteren  Kultur  des  Bodens  abgetragen  wurden.  Vielleicht  hat  auch  die 
Natur  die  Einebnung  selbständig  bewirkt  und  die  Grabhügel  jener  interessanten 
Flur  verschwinden  lassen,  deren  Bedeutung  als  einer  einst  geweihten  Stätte 
heute  nur  noch  in  der  Flurbezeichnung  nachklingt. 

Eine  genaue  Zeitstellung  der  Funde  anzugeben,  ist  zum  mindesten  ver- 
früht; einen  vorläufigen  Anhalt  dazu  giebt  der  Umstand,  dass  dicht  bei,  zum 
Teil  auch  auf  der  „Ewigen  Lohe"  Reste  von  römischen  Ansiedlungen  gefunden 
worden  sind;  u.  a.  wurde  daselbst  im  Jahre  1880  eine  grosse  römische  Villa 
aufgegraben.^) 


')  Noch  nicht  untersucht,  doch  in  der  archäologischen  Karte  von  Dr.  Hammeran  an- 
gegeben. —  -)  Vergl,  darüber:  v.  Cohausen  und  Jacobi,  „Römische  Bauwerke'',  Annalen 
XVII,  pag.  123  ff. 


Vorrömische  Altertümer 

Von 

A*  Y*  Cohausen* 


1.    Der  Briiuliildissteiu  auf  dem  i^rossen  Feldberi^. 

Mit  Tafel  III. 

Auf  dem  Gipfel  des  grossen  Feldbergs  im  Taunus  ragt  ein  Felsen  auf, 
der  nach  der  Sonnenseite  einen  sanften  Abfall,  nach  Norden  aber  eine  senk- 
rechte zerklüftete  Wand  in  Gestalt  eines  Dreiecks  hat,  deren  Grundlinie  etwa 
10,  deren  Höhe  2,75  m  beträgt;  am  Fuss  derselben  hegt  zwischen  herabge- 
stürzten Blöcken  einer,  auf  dessen  ansteigender  Oberfläche  eine  schalenförmige 
Vertiefung  und  ein  breiter  Auslauf  zu  erkennen  ist. 

Der  Felsen  ist  schon  in  einer  Grenzbegehung  des  Klosters  Bleidenstadt 
von  812  der  Bruuhildenstein,  1043  das  Brunhildenbett^)  „lectulus  Brunhilde", 
eine  nahe  Quelle  Brunhildenborn,  ein  Wald  Brunforst  genannt  worden.  Der 
Name  erinnert  an  Wodans  Walküre,  auch  wohl  an  jene  gewaltige  austrasische 
Königin,  deren  schreckUche  Thaten  und  Tod  nach  200  Jahren  wohl  noch  im 
Volksbewusstsein  lebten.  Dazu  die  weit  ins  Land  hinausbhckende  Lage  auf 
der  öden  und  erhabensten  Höhe  des  Taunus  haben  den  Stein  mit  einem  uu- 
heimUchen,  sagenhaften  Schleier  umhüllt,  in  dem  sich  die  Gebilde  der  nordischen 
Götterwelt,  deren  Verehrung  durch  blutige  Opfer,  für  welche  die  Opferschale 
und  Blutrinne  noch  nachgewiesen  werden,  abheben,  und  uns  in  jene  tragisch- 
poetische Welt  hinüberzaubern. 

Wenn  wir  aber  die  Brille  klar  wischen,  so  erkennen  wir  die  vordere 
natürliche  Schichtfläche,  und  in  der  hinteren  blaugrauen  Wandfläche  der  zer- 
klüfteten Felsen  drei  weisse  Flecken  von  elhptischer  Form  (a,  &,  c).  Sie  haben  20 
bis  30  cm  Durchmesser  und  bestehen  aus  einer  anderen  helleren  Masse,  oder  einer 
Niere,  welche  allem  Anschein  nach  noch  so  scharf  umrissen  und  voll  vor  uns 
stehen,  weil  sie  gegen  Sonne  und  Regen  geschützt  nicht  ausgewittert  sind; 
wäre  das  geschehen,    so   würden   sie   eben   solche  Schalen   hinterlassen  haben, 


*)  Wir  folgen  hier  Vogels  Beschreibung  von  Nassau  und  der  landläufigen  Benennung, 
obschon  unter  dem  eigentlichen  Brunhildenstein  in  der  Grenzbegehung  von  Bleidenstadt  812 
die  Hohe  Kanzel,  6  km  nordöstlich  der  Platte,  und  in  der  Grenzbegehung  von  Schlossborn 
um  1043  der  Felsen  auf  dem  Feldberg  als  das  Brunhildenbett  geraeint  ist. 


22 

wie  die  in  dem  Block  am  Fuss  der  Felsen  jetzt  vorhandene  (d).  Man  erkennt  hier 
eine  30  cm  weite,  16  cm  tiefe  Schale  und  in  dieser  das  Gefüge  des  umschlies- 
seuden  Gesteins  in  gekrümmten  und  gezogenen  erhabenen  Reifein  und  Ver- 
tiefungen, an  denen  nie  eine  menschliche  Hand  eine  Glättung  versucht  hat; 
man  erkennt  hier  den  Abdruck  einer  ebensolchen  Niere,  wie  sie  in  der  senk- 
rechten Wand  noch  erhalten  sind.  Aber  was  sind  diese  Nieren,  und  wie  kom- 
men sie  dorthin?  Durch  diese  Frage  gelangt  die  Sache  aus  dem.  Gebiete  der 
Mythe,  wie  so  manche  andere,  in  das  der  Naturkunde.  Und  wir  gestehen, 
dass,  dies  voraussehend,  wir  den  auch  als  Geologen  weitberühmten  Professor 
Dr.  Yolger  in  Sulzbach  bei  Soden  eingeladen  hatten,  unseren  Ausflug  mit- 
zumachen. 

Mag  es  manchen  Laien,  der  die  häufigen  Metamorphosen  der  Mineralien 
im  kleinen  wie  im  grossen  nicht  kennt,  überraschen,  wenn  er  hört,  dass  das 
Quarzitgestein  des  Taunus  nicht  immer  das  war,  was  es  jetzt  ist  und  wie  wir 
es  vor  uns  sehen,  sondern  Kalk,  der  überlagert  mit  Quarzgebilden  durch  deren 
Lösung  in  Quarz  umgesetzt  worden  ist,  während  der  Kalk  ausgelaugt  und  fort- 
geführt dem  Quarz  seine  Gestalt  hinterlassen  hat.  Daher  die  wenn  auch  nicht 
allzu  häufigen  Versteinerungen  und  Abdrücke  von  Tier-  und  Pflanzenresten  im 
Quarzit  und  seinem  Nachbargestein,  und  unter  jenen  auch  die  hellen  Nieren, 
welche  uns  die  Gestalt  des  Seeschwarams  erhalten  haben  —  als  Versteinerungen 
in  der  Felswand,  als  Abdruck  in  der  Opferschale.  Mögen  die  Seeschwämme 
der  Einfilterung  des  KieselstofFes  länger  widerstanden  haben  und  dieser  dadurch 
in  Farbe  und  Material  etwas  geändert,  auch  ihre  Form  etwas  verdrückt  worden 
sein  —  immerhin  ist  ihre  Form  in  der  Schale,  ihr  Stiel  in  dem  Auslauf  uns 
aus  einer  unendlich  fernen  Zeit  und  trotz  unendlicher  Wandlungen  der  Gebirge 

erhalten. 

Aus  dieser  trockenen  unpoetischen  Betrachtung  müssen  wir  noch  einmal 
auf  den  Kultus  zurückkommen,  der  auch  ohne  Opferschale  und  Blutrinne  um 
das  Brunhildenbett  noch  gefeiert  worden  sein  mag. 

Bei  einem  anderen  Ausflug  auf  dem  Feldberg  mit  Freunden,  die  im  vor- 
hergegangenen Jahre  Algier  und  Tunis  bereist  hatten,  wurde  ihnen  einige  Kilo- 
meter von  letzter  Stadt  ein  Felsen  gezeigt,  auf  dessen  schräger  Fläche  die 
Beduinenweiber  auf  der  vorderen  oder  auf  der  Kehrseite,  je  nachdem  sie  sich 
einen  Kindersegen  vom  Himmel  erflehen  oder  davon  genug  haben,  hinab- 
rutschen. Der  Felsen,  bei  dem  ein  kleiner  Tempel  steht,  aber  kein  Bade- 
oder Waschplatz  sich  befindet,  heisst  „Sidi-Blaten". 

Von  den  frühesten  Bewohnern  unseres  Landes  kennen  wir  aus  den  Hügel- 
gräbern kaum  viel  mehr  als  ihren  Bronzeschmuck  für  den  Hals,  die  Arme  und 
Beine ;  er  ist  ganz  gleich  dem,  den  jene  Völker  in  Afrika  noch  tragen.  Sollen 
jene  auch  ähnhche  Votivgebräuche  gehabt  haben  wie  diese?  Allerdings  wider- 
strebt es  uns  zu  glauben,  dass  die  germanischen  Frauen  dasselbe  für  geziemend 
hielten,  was  sich  für  die  Beduinenweiber  noch  schickt. 

Wenn  nun  auf  dem  Feldbergfeste  die  Turner  den  Stein  werfen  und  den 
Weitsprung  üben,  so  folgen  sie  nur  dem  Vorbild  der  Brunhilde,  von  der  das 
Nibelungen-Lied  sagt: 


23 


„Brunhildens  Stärke  zeigte  sicli  niclit  klein, 
Man  trug  ilir  zu  dem  Kreise  einen  scliweren  Stein, 
Gross  und  ungeheuer,  rund  und  stark  und  breit. 
Ihn  trugen  kaum  zwölfe  dieser  Degen  kühn  im  Streit. 
Den  warf  sie  allerwegen  —  wie  sie  den  Spiess  verschossen. 
,  .  .  Da  trat  sie  hin  geschwinde,  zornig  war  ihr  Mut, 
Den  Stein  hoch  erhob  sie,  die  edle  Jungfrau  gut; 
Sie  schwang  mit  grossen  Kräften  ihn  ferner  von  der  Hand, 
Dann  sprang  sie  nach  dem  "Wurfe,  dass  laut  erklang  ihr  Gewand, 
Der  Stein  war  geflogen  zwölf  Klaftern  von  dem  Schwung, 
Die  Jungfrau,  wohlgeschaffen,  erreicht  ilin  doch  im  Sprung."     • 

Nibelungen-Lied,  übersetzt  von  Dr.  K.  Simmrock,  7.  Abenteuer. 


2.    Der  Abschiiittswall  und  der  Riiigwall  auf  dem  Rücken  der 
Hofheimer  Kapelle.  -  Ein  Jadeitbeil  (Taf.  III). 

Den  Abschnittswall,  welcher  den  Rücken,  an  dessen  südlichem  Ende  die 
Hofheimer  Kapelle  liegt,  begrenzt,  haben  wir  im  Bd.  XX,  p.  9  der  Annalen  dar- 
gestellt. Da  wo  eine  Schneise  300  Schritt  hinter  dem  Wall  dessen  Biegung 
durchschneidet,  um  zum  Lorsbacher  Thal  zu  führen,  wurden  bei  der  Anlage 
eines  Promenadeuwegs  in  dem  Gerolle  des  Walldurchschnittes  zwei  Steinbeile, 
welche  zur  Zeit  der  Wallanlage  keine  Beachtung  erweckt  hatten,  gefunden  und 
durch  Herrn  Otto  Engelhard  aus  Hofheim  dem  Altertumsmuseum  in  Wies- 
baden geschenkt.  Das  eine,  von  grünhch-grauer  Grauwacke,  ist  16  cm  lang, 
6  cm  breit  und  2,5  cm  dick,  das  andere,  bei  weitem  kostbarer,  aus  hellgrau- 
grünem Jadeit  mit  einer  in  bräunlichen  Wolken  angedeuteten  Schichtung  unter 
45°,  bildet  ein  gleichschenkliges  Dreieck  von  25  cm  Höhe  und  einer  beilförmig 
abgerundeten  Grundlinie  von  97  mm  und  ist  nirgends  dicker  als   17  mm. 

Der  genannte  Geschenkgeber  mit  dem  Herrn  Forstmeister  Kehr  ein  und 
Herrn  Fach  entdeckten  am  Südende  des  Bergrückens,  200  Schritt  südwestlich 
von  der  Kapelle,  eine  im  Sand  und  Kies  geebnete  Fläche,  deren  Rand  nach 
Norden  ansteigt,  nach  den  anderen  Seiten  aber  abfällt  und  einem  elliptischen 
Ringwall  von  äusserst  schwachen  Profilen  Raum  gewährt.  Derselbe  ist  von 
Westen  nach  Osten  innerhalb  seiner  äusseren  Grabenlinie  38  m  und  von  Norden 
nach  Süden  37  m  breit.  Die  Mitte  bildet  eine  6  ä  1 1  m  grosse  Fläche,  von 
einem  seichten  Graben  und  niederen  Wall  umgeben,  den  der  äussere  Graben 
mit  dem  oben  bemessenen  Rand  umzieht.  Kein  Graben  ist  50  cm  tiefer  und 
kein  Wall  80  cm  höher  als  diese  Mittelfläche,  die  man  sich  mit  einer  Flecht- 
wand umgeben  und  in  irgend  einer  AVeise  gedeckt  als  Wohnraum  vorstellen 
mag,  während  der  äussere  Wall,  auch  mit  Pfählen  besetzt,  die  durch  Flechtwerk 
miteinander  verbunden  sind,  das  Yieh  beherbergte.  Die  Nordseite  ist  die,  auf 
die  der  Angreifer  vom  Gebirge  her  zuerst  stösst  und  den  Ringwall  überhöht, 
während  die  anderen  abfallenden  Seiten  ihm  keinen  Vorteil  bieten. 

Auch  der  oben  erwähnte,  1800  Schritt  nordwärts  auf  dem  Gebirgsrücken 
gelegene  Abschnittswall   hat   seinen  Graben    auf  der  Nordseite,   als  derjenigen, 


24 

von  welcher  der  Angriff  erwartet  wurde.  Er  hat  ausser  diesem  Graben  vor 
sich  auch  noch  einen  hinter  sich,  zum  Zeichen  der  Eile,  weil  dadurch  etwa 
doppelt  so  viele  Arbeiter  angestellt  werden  konnten,  um  den  Wall  in  kürzerer 
Zeit  in  die  Höhe  zu  bringen. 

Auch  bei  dem  beschriebenen  Riugwall  sind  die  Graben  vor  und  hinter 
dem  Wall,  wenn  auch  nur  in  schwachen  Abmessungen,  angedeutet;  und  es 
ist  nicht  unmöglich,  dass  derselbe  mit  dem  Abschnittswall  durch  Pfahlwerk 
oder  Gebücke   längs    der  Ränder   der   beiden  Parallelthäler  in   Zusammenhang 

gebracht  ist.     - 

Wie  der  Ringwall  Schlingwald  bei  Lorsbach  (Anual.  XXI,  p.  5)  mit  starkem 
Wall  und  tiefem  Graben  den  Angriff  vom  Gebirge  her,  aus  dem  Walde  Katzen- 
lücke erwartete,  so  war  auch  der  Hofheimer  Wall  ursprünglich  gegen  das- 
selbe, gegen  einen  von  Norden  her  kommenden  Feind  angelegt;  aber  auch 
gegen  einen  vielleicht  schwächeren,  minder  ausdauernden  Feind  von  Süden  her 
konnte  er  schützen.  Herrn  Fachs  Grossmutter  erzählt,  als  die  Franzosen 
nach  der  Schlacht  bei  Leipzig  in  hungrigen  kranken  Haufen  nach  Mainz  hin 
eilten,  trieben  die  Hofheimer  ihr  Yieh  in  den  Wald,  wo  es  durch  die  Ver- 
schanzungen zusammengehalten  wurde,  um  nicht  nach  den  alten  Ställen  und 
so  in  die  Hände  der  Marodeure  zu  laafen.   — 

Über  Nephrit  und  Jadeit  ist  das  reichhaltige  Fundamentalwerk  von  Hein- 
rich Fischer,  Professor  in  Freiburg  i.  B.,  Stuttgart  1875,    noch  immer  mass- 
gebend.    Der  Genannte  hat  unser  Museum  1875  besucht  und  die  damals  vor- 
handenen Steinbeile   auf  ihre   mineralogischen  Bezeichnungen   untersucht.     Die 
interessantesten    sind   der    Nephrit,    der    Jadeit   und    der    Chloromelanit,    schon 
dadurch,  dass  sie  in  Europa  weder  in  ihrem  natürlichen  Lager,  noch  in  GeröUe 
vorkommen,    sondern  nur,    wie    es    scheint,    in   uralter    Zeit   als    Steinbeile    aus 
Asien  importiert  sind,    und  zwar  die  Nephrite   aus  Turkestan,    die   Jadeite    aus 
Tibet;    über  die  Herkunft  des  Chloromelanit    ist   man    ohne   Auskunft.     Durch 
die  zahlreichen  Funde  dieser  exotischen  Gesteine  in  den  Schweizer  Pfahlbauten 
wurde  die  Aufmerksamkeit    auf  sie  gelenkt.     Sie    sind    zumeist   in    Form    von 
grösseren  und  kleineren,   nicht  durchbohrten  Steinbeilen  bearbeitet,  welche  bei 
einer  Länge  von  z.  B.  25  cm  kaum  2  cm  Dicke  haben,  und  zeichnen  sich  durch 
eine  ungemeine  Zähigkeit,    durch  ihren  Klang  und   eine  meist  grünliche  Farbe 
aus.     Yon    allen    Mineralien    sind    es   eben    diese,    die    zu    schneidenden  Werk- 
zeugen,  ehe  man  die  Metalle  kannte,    am    geeignetsten    waren,   da   ihre    Härte 
zwischen  dem  Feldspat  und  dem  Quarz  liegt.     Aber    nicht    nur    in   den   Pfahl- 
bauten,   auch  im  trockenen  Land  zwischen  den  Alpen    und    einer   diesseits  den 
Harz    berührenden    Linie    werden    sie    nicht    allzu    selten    gefunden,    nördlicher 
nicht.      Ausser   dem    oben   bei   Hofheim   gefundenen    Jadeitbeil,    von    allen    am 
längsten,  besitzt  das  Museum  zu  Mainz  fünf,  in  der  Nähe  bei  Gonsenheim  bei- 
sammen liegende    und   das  Museum  zu  Bonn    ein   bei  dem  nahen  Wesselingcn 
gefundenes  Jadeitbeil  von  18,8  cm  Länge  und  7  cm  Breite. 


Römische  Altertümer 

Von 

A*  Y*  Cohausen* 


1.   Der  Stand  der  Limes-Forschung. 

Ankuüpfeud  an  das,  was  wir  im  XXIV.  Band  unserer  Annaleu,  pag.  25-4 
gesagt  haben,  erinnern  wir  daran,  dass  danach  das  Reichsministerium  vom 
7. — 9.  April  1892  eine  Konferenz  nach  Berlin  berufen  hat,  in  welcher  preus- 
sischerseits  die  Herren  Geh.  Oberregierungsrat  Dr.  Alt  hoff  in  Berlin,  Landes- 
direktor der  Rheinprovinz  Geh.  Oberregierungsrat  Klein  in  Düsseldorf,  Oberst 
z.  D.  und  Konservator  von  Co  hausen  in  Wiesbaden,  Oberstlieutenant  vom 
Nebenetat  des  Grossen  Generalstabes  von  Leszcynski  in  Berlin,  Geh.  Regie- 
rungsrat Professor  Nissen  in  Bonn,  Baumeister  Jacobi  in  Homburg  v.  d. 
Höhe,  sowie  als  Mitglieder  des  geschäftsführenden  Ausschusses  in  Heidelberg 
die  Herren  Generalmajor  a.  D.  Popp  von  München,  Professor  von  Herzog 
von  Tübingen  und  als  Vorsitzender  Hofrat  Professor  Zangemeister  von  Heidel- 
berg —  und  endlich  als  Dirigenten  bei  der  Reichskommission  der  General- 
lieutenant z,  D.  von  Sarwey  und  der  Professor  und  Museumsdirektor  Dr.  Hett- 
ner  in  Trier  bestimmt  wurden.  Als  Streckenkommissär  zwischen  den  grauen 
Bergen  (resp.  Lochmühle  bis  zum  Feldbergkastell)  wirkte  der  Baumeister  Jacobi; 
weiter  hat  sich  in  unserem  Gebiet  die  Untersuchung  noch  nicht  erstreckt,  aber 
vom  Königlichen  Kultusministerium  ist  als  Sammelstelle  für  alle  längs  des 
Pfahlgrabeas  in  Preussen,  also  von  der  Lochmühle  bis  Rheinbrohl,  zu  findende 
Altertümer  vorläufig  das  Königliche  Landes-Museum  in  Wiesbaden  bestimmt. 
Des  weiteren  habe  ich  dann  auch  Homburg  für  alle  Funde  aus  der  Umgegend 
der  Saalburg  von  der  Lochmühle  bis  zum  Heidenstock  in  Antrag  gebracht. 

Für  diejenigen,  welche  sicli  auch  für  die  übrigen  Strecken  von  der  Loch- 
mühle  bis  zur  Donau  interessieren,  sind  dadurch,  dass  jeder,  insonderheit  auch 
die  dem  Limes  zunächst  liegenden  Vereinsmitglieder,  sich  während  und  nach 
den  Ausgrabungen  an  Ort  und  Stelle  Notizen  macheu,  messen,  zeichnen  und 
veröffentlichen  dürfen,  sodass  also  eine  ()ffeutliche  Kontrolle  besteht,  wo  sie 
beliebt  werden  sollte,  reichlich  die  Mittel  gewährt,  diese  Interessen  ganz  zu 
verfolgen.  Von  berufener  Seite  aber  wurden  bereits  durch  den  archäolo- 
gischen Dirigenten  in   dem  „Archäologischen  Anzeiger"  pro  1892,  p.  147  u.  f.. 


26 

wie  durch  deu  Herrn  Generalmajor  a.  D.  Popp  in  der  „Müuchener  Allge- 
meinen Zeitung"  No.  7,  9  und  10  eingehende  Berichte  erstattet,  und  die  Ori- 
ginalberichte der  Streckenkommissäre,  der  Herren  Jacobi,  Kofier  und  Pro- 
fessor Wolff,  ferner  von  den  Herren  Conrady,  Schumacher,  Steimel, 
Kohl,  Eidam  und  Winkelmann,  denen  erläuternde  Bemerkungen  von  den 
Professoren  Mommsen  und  Zange  meist  er  beigefügt  sind,  in  dem  „Limes- 
Blatt"  I.  u.  n,,  einem  Beiblatt  zur  „Westdeutschen  Zeitschrift"  veröffentlicht. 
Schliesslich  soll  die  ganze  Arbeit  zusammengefasst  und  mit  den  erforderhchen 
Plänen  veröffentlicht  werden.  Uns  hat  hier  vorläufig  nur  die  Strecke  von  der 
Saalburg  bis  zum  Feldbergkastell  zu  beschäftigen. 

Die  Saalburg  selbst  hat  den  Dirigenten,  unter  Führung  des  Baumeisters 
Jacobi  und  des  Verfassers,  als  Lehrobjekt  gedient,  an  dem  weitere  Unter- 
suchungen nicht  nötig  erachtet  wurden.  Die  Arbeit  erstreckte  sich  daher  nur 
auf  das  kleine  Manipularkastell  Heidenstock  (Rom.  Grenzwall,  p.  129)  und  das 
Feldbergkastell  (Rom.  Grenzwall,  p.   137). 

Der  Heidenstock  zeigte  sich  nach  der  Abräumung  des  Steinwalles  als  ein 
in  Trockenmauer  aus  Lesesteiueu  aufgeführtes  Rechteck  von  23,40  zu  19,40  m 
Grösse,  dessen  Mauern  von  1,90,  2  bis  2,05  m  Stärke  mit  abgerundeten  Ecken 
bis  zum  Wehrgang  nicht  wohl  über  2  m  hoch  gewesen  sein  konnte.  Es  wird 
von  einer  schmalen  Berme  und  einem  seichten  Graben  umzogen  und  hat  dem 
Pfahlgraben  zugewandt  einen  3,10  m  breiten  Eingang.  Uns  scheint  es,  da  die 
Römer  überhaupt  die  schweren  Hölzer,  welche  wir  als  Palissadeu  gebrauchen, 
nicht  hatten,  sondern  sich  leichter,  etwa  4  — 6  cm  starker  Pfähle  bedienten,  dass 
die  Brustwehr  vor  dem  Wehrgang  aus  solchen  durch  Flechtwerk  zu  einem 
Ganzen  verbundenen  Pfählen  bestand,  welche  dicht  vor  der  Mauer  eingeschlagen, 
durch  Zweiganker  in  der  Mauer  gehalten,  dem  Ganzen  den  genügenden  Halt 
gaben.  Möglich,  dass  die  Pfähle  auch  schon  an  der  Berme  durch  einige  Flecht- 
zweige verbunden  waren  und  oben  verlängert  Zinnen  mit  Wintbergen  bildeten, 
das  Flechtwerk  auch  mit  Graslehm  verputzt  war,  wie  auch  dass  die  Baracke 
im  Innern  mit  ähnlicher  Wandbildung  und  mit  einem  Dach  aus  Stroh  oder  aber 
aus  Reisern  und  Rasen  gebaut  war,  da  der  Mangel  an  Dachziegeln  und  die 
Menge  gebrannten  Lehmes  mit  Kohlen  darauf  hinweisen.  Nehmen  wir  noch 
an,  dass  statt  des  hölzernen  Thores,  wofür  Schwelle  und  Anschlag  aus  Stein 
oder  Holzspuren  fehlen,  ein  astreicher  Baum  in  die  Thorlücke  geschleift  wurde, 
so  haben  wir  die  Ausrüstung,  mit  welcher  die  Greuzkosaken  und  selbst  unsere 
Grenzwächter  ihre  notdürftige  Unterkunft  wohnlich  und  sicher  macheu ;  und 
grössere  Ansprüche  werden  auch  die  römischen  Grenzwächtcr  nicht  gemacht 
haben,  denn  die  zahlreichen  in  Maassen  und  Konstruktion  so  verschiedenen 
Zwischenkastelle  deuten  auf  solche  nicht  offizielle,  sondern  freiwillige  und  not- 
gedrungene Konstruktionen  hin. 

Die  Funde  bestanden  aus  3  schönen  Gewandnadcln,  einigen  Bronzemünzen, 
Lanzen-  und  l'feilspitzen,  einem  Hammer  und  einigen  Nägeln,  Thonschcrbcn, 
kleinen  Ziegeln  und  einem  Mühlstein  von  Mendiger  Lava,  der  zeigt,  dass  die 
Wächter  auch  ihr  Mehl  sich  selbst  bereiten  mussten. 


27 

Wir  benutzen,  läugs  des  Pfalilgrabou«  weiter  gehend,  die  Gelegenheit, 
einen  im  Rom.  Grenzwall  noch  nicht  erwähnten,  1887  vom  Forstmeister  Herrn 
von  Huene  entdeckten  Turmüberrest  (No.  SV/2)  nachzutragen,  welcher  152:J 
Schritt  weiter  als  der  Stockplacken  (Rom.  Grenzwall   136)  liegt. 

Von  grossem  Interesse  sind  die  Ausgrabungen  am  Feldbergkastell;  sie 
brachten  Dinge  zu  Tage,  die  uns  bei  der  Bearbeitung  des  Rom.  Grenzwalles 
unbekannt  blieben,  da  wir  keine  Mittel  zu  Ausgrabungen  hatten,  und  uns  auf 
die  Aufnahmen  des  Oberförsters  Baum,  der  1842  im  Auftrag  des  Nassauischen 
Altertumsvereins  Messungen  und  kleine  Nachgrabungen  gemacht  hatte,  sowie 
auf  unsere  eigenen  Messungen  beschränken  mussten. 

Das  Feldbergkastell,  auf  einem  sanften  Wald-  und  Wiesenabhang  nörd- 
lich des  grossen  und  des  kleinen  Feldbergs  gelegen,  hat  in  den  Aussenkanten 
der  1,50  m  starken,  solid  mit  Mörtel  gebauten  Mauer  93,40  zu  78,50  m  Grösse, 
vier  einfache,  durch  je  zwei  Türme  verstärkte  Thore  von  3,50—3,60  m  lichter 
Weite  und  hinter  den  gerundeten  Ecken  einen  Turm  von  3,18  zu  2,90  m  Hchter 
Weite.  Um  das  Kastell  läuft  vor  der  1  m  breiten  Berme  ein  Spitzgrabeu, 
dessen  Sohle,  wo  Strömung  der  Quell wasser  der  Weil  zu  beachten  war,  mit 
gerundeter  Pflasterung  versehen  ist.  Über  den  Graben,  der  auch  vor  den 
Thoren  durchlief,  müssen  Holzbrückeu  geführt  haben.  Denn  es  sind  an  den 
Eingängen  regelrechte,  nach  aussen  abschliessende  Verbindungsmauern  herge- 
stellt, welche  als  Auflager  einer  Holzbrücke  zu  dienen  geeignet  sind.  Wir 
dürfen  uns  zu  diesem  Zwecke  nicht  etwa  eine  Zugbrücke,  sondern  eine  leicht 
zurück-  und  vorzuschiebende  Rollbrücke  vorstellen,  und  wäre  deren  Konstruktion 
mit  einem  feststehenden  gezimmerten  Gegenufer  bei  einer  Spannung  von  etwa 
5  m  leicht  zu  finden  und  durch  die  vielen  verfügbaren  Mannschaften  leicht 
und  rasch  zu  bewegen. 

Die  Mauer  ist  grossenteils  bis  zur  Wehrganghöhe  1,50  m  erhalten,  und 
mögen  die  abgestürzten  Steine  bis  zu  80 — 85  cm  Höhe  ausreichen. 

Fünfzig  Schritte  vor  dem  Kastell,  aber  noch  innerhalb  des  Pfahlgrabens 
liegt  die  kleine  Yilla  als  Schutthaufen,  die  sich  jedoch  bei  der  Nachgrabung, 
so  wie  im  Rom.  Grenzwall  dargestellt  ist,  zeigt,  nur  umgekehrt,  Nord  wurde 
Süd.  Sie  hat  auf  der  Nordwestseite,  wohl  wegen  des  dahin  abhängigen  weichen 
Geländes,  vier  Strebepfeiler  und  zwischen  diesen  das  Schürloch,  durch  welches 
die  Hypokausten  von  drei  Räumen,  der  mittlere  mit  zwei  Exedren,  geheizt 
werden  konnten;  die  vier  anderen  Räume  sind  ohne  Heizung.  Davor  ist  ein 
südwestlicher,  2  zu  2V2  m  weiter  Raum  durch  Plättung,  Cementierung  der  Wände 
und  Viertelrundstäbe  in  den  Winkeln  als  Baderaum  für  kaltes  Wasser  gekenn- 
zeichnet, zumal  aus  ihm  ein  unterirdischer  Ablauf  unter  dem  als  Küche  zu 
bezeichnenden  südöstUchen  Anbau  hindurch  ins  Freie  läuft.  Nichts  hindert  in 
der  Küche,  das  Wasser  zu  wärmen  und  in  den  Kaltbadraum  zu  tragen,  aber 
es  dürfte  nicht  ausreichen,  das  ganze  Gebäude  als  Badehaus  zu  bezeichnen, 
wie  man  an  anderen  Kastellen,  wo  eine  derartige,  auch  grosse  Villa  nie  fehlt, 
versucht  hat. 

Die  Lage  der  Villa  in  einem  weichen  Wiesengrund  hat  allem  Anschein 
nach  eine  tiefe  Fundamentierung  erfordert,  und  in  dieser  fand  sich  beim  Nach- 


28 

graben  ein  grosser  sehr  merkwürdiger  Haustein,  mit  der  Schriftfläche  nach  unten 
eingesenkt.  Derselbe  hat  ohne  Zweifel  einst  im  Kastell  selbst  bei  einem  als 
Sacellum  zu  bezeichnenden  Bauwerk  gestanden,  weil  man  hier  noch  einzelne  an 
ihn  passende  Steintrümmer  fand.  Nach  einer  Zerstörung  des  Kastells  oder  als 
Alexander  Severus  und  seine  Mutter  missliebig  geworden  waren,  wird  man 
gewünscht  haben,  den  Stein  in  die  Tiefe  verschwinden  zu  lassen  und  hat  ihn 
dadurch  gerade  zu  unserer  Freude  erhalten.  Zu  ihm  passend  wurde  auch  ein 
Gesimsstein  gefunden,  auf  dessen  rauher,  also  wohl  hochstehender  Oberfläche 
man  die  Fuss-  und  Gewandspuren  einer  Bronzefigur  erkennt. 

Die  Inschrift  lautet  nach  der  Ergänzung  von  Mommsen: 

I VLI AE  '  MAME  Juliae  Slameae 

AE-AVG'MATRI  Augustae  matri 

SEVERI-ALEXAN  Severi  Alexandri 

DRI  •  AVG  •  N  •  CAS  Augusti  nostri 

TRORVM  '  SE  castrorum  senatus 

NATVS  •  PATR I  patriae 

AE  •  QVE  *  EXPL  que  exploratio 

HALIC  •  ALEXAN  halicensis 

DRIANA  •  DEVO  Alexandriana 

A'NVMINI  devota  numinis 

El  •  IVS  eiitts 

Der  Stein  wurde  demnach  zwischen  232  und  235  der  Mutter  des  Kaisers 
Alexander  Severus  gesetzt  von  den  exploratores^  einer  Kundschaftertruppe, 
welche  ihr  Standquartier  in  einer  Halic  .  .  .?  genannten  Gegend  hatte.  —  Geht 
man  einen  Schritt  weiter  in  der  Namenserklärung,  welche  auf  Salz  hinweist, 
so  wird  damit  nicht  nur  die  nächste  Umgebung  des  Feldbergkastelles,  sondern 
die  ganze  an  Salzquellen  reiche  Gegend  der  Wetterau  und  des  Südabfalls  des 
Taunus  (selbst  bis  Kreuznach)  als  eine  Art  von  römischem  Salzkammergut 
bezeichnet. 

Die  Funde  bei  der  Villa  an  Ziegeln  mit  dem  Stempel  der  Catther?,  an 
Dachschiefern,  an  Fensterglas  weisen  auf  Luxus  hin.  Auch  unter  den  Funden 
im  Kastell  sind  manche  interessante :  Münzen,  Eisengeräte  und  Schiebeschlüssel 
und  ein  rätselhaftes,  vollständig  gut  erhaltenes  Pentagondodekaeder  von  Bronze, 
von  etwa  10  cm  Durchmesser,  hohl  mit  kreisförmigen  Löchern  auf  jeder  der 
zwölf  Seiten  zu  Tage  gekommen.  Man  scheint,  da  man  auch  einige  Wachs- 
tropfen an  ihm  fand,  auf  der  Deutung  als  Leuchter  stehen  geblieben  zu  sein 
und  die  als  Würfel  verworfen  zu  haben. 

Aber  auch  unser  längst  verstorbenes  Vereinsmitglied,  Pfarrer  Hanapcl, 
der  sich  um  die  Pfahlgraben-  und  um  die  llingwallforschung  verdient  gemacht 
hat,  hinterliess  ein  kleines  Denkmal.  Bei  der  Durchgrabung  des  Kastellwalles 
fand  man  einen  Ziegel  mit  der  Inschrift:  „1845,  Hanapel". 


29 


2.   Die  Saalburg. 


Wir  berichten  hier,  was  in  den  Jahren  1891  u.  1892  zu  ihrer  Erhaltung 
und  weiteren  Erforschung  geschehen   ist. 

Das  Innere  des  Kastells,  32340  qm,  wird  überall,  wo  nicht  Gebäude 
stehen,  bis  auf  den  natürlichen  Boden  durchgraben  und  mit  Beiassung  der 
grossen  Bäume  vom  Strauchwerk  gereinigt  zur  Auffindung  von  Altertümern 
und  Steinen,  welche  bei  der  Herstellung  von  Mauerbreschen  gebraucht  werden. 
Danach  wird  das  Ganze,  was  nahezu  dem  römischen  Boden  entspricht,  wieder 
eingeebnet. 

In  den  bürgerlichen  Anbauten  um  das  Kastell  finden  sich  zahlreiche 
(jetzt  bis  40)  Brunnen,  teils  in  Holz,  teils  in  Mauerwerk  ausgekleidet  und  7  bis 
11  m  tief,  sodass  jedes  Haus  in  seinem  Hof  einen  eigenen  Brunnen  gehabt  zu 
haben  scheint.  In  ihnen  finden  sich  oft  merkwürdige,  selbst  von  Holz,  Leder 
und  Geweben,  wohl  erhaltene  Altertümer,  als  Bronzekessel  und  andere  Gefässe, 
Werkzeuge,  Lanzen-  und  Pfeilspitzen  von  Eisen,  Gefässe  von  Thon,  Terra 
sigillata  und  Glas,  auch  Glasscheiben,  Schlüssel,  Münzen,  Bronzeschmuck, 
Fibeln  und  Ringe,  Schindeln,  Rollen,  Kämme  von  Holz,  ein  Stück  Rebenzweig, 
eine  Wallnuss  und  ein  Pfirsichkern. 

Wie  weiland  Seine  Königliche  Hoheit  der  Kronprinz  Friedrich,  die  Prinzen 
und  Prinzessinnen,  so  nahm  auch  jetzt  zu  verschiedenen  Malen  Ihre  Majestät  die 
Kaiserin  Friedrich  —  einmal  mit  Seiner  Königlichen  Hoheit  dem  Prinzen  von 
Wales  —   an  diesen  Brunnenausgrabungen  lebhaften,  ja  thätigen  Anteil. 

Die  Römerstrasse  läuft  rechts  vom  Kastell  durch  den  Pfahlgraben  nach 
dem  Ausland  (Chattenland).  An  derselben  fanden  wir  ein  grosses,  50  zu  40  m 
umfassendes  Gebäude,  was  wir  (Baumeister  Jacobi  und  der  Verfasser)  für 
ein  Kaufhaus  (etwa  auch  für  den  Salzhandel?)  zu  halten  geneigt  sind. 

Ein  Vierteil  des  Kastells  ist  mit  einem  neu  angelegten  Gebück  umzogen, 
welches,  wie  das  auch  im  Mittelalter  geschah,  durch  teilweises  Abholzen  ver- 
jüngt werden  musste.  Dabei  aber  litt  der  nicht  von  Stacheldraht  geschützte 
Teil  in  den  jungen  Trieben  sehr  durch  Wildschaden. 

Zu  allen  diesen  Arbeiten  konnten  die  für  1891  und  1892  vom  König- 
lichen Ministerium  gewährten  Mittel  (1250  M.)  nicht  ausreichen,  allein  das  un- 
eigennützige Interesse,  welches  das  Römerkastell  auch  in  vielen  Privaten  er- 
weckte, brachten  demselben  in  den  beiden  letzten  Jahren  von  Frau  Flörsheim, 
von  Frau  Michon  und  zumal  von  Herrn  Win  ans  aus  Baltimore  2092  M. 
78  Pf.  ein. 

Zahlreiche  Touristen,  Vereine,  Gymnasien  und  Schulen  haben  es  mit  Recht 
als  Lehrobjekt  angesehen  und  die  auf  Befehl  des  Königlichen  Ministeriums 
gratis  verteilten  fliegenden  Blätter  mitgenommen,  und  die  Staaten,  durch  welche 
der  Grenzwall  läuft  und  sich  die  geeigneten  Überreste  eines  Kastells  finden, 
haben,  wie  wir  hören,  die  Absicht,  ein  solches  zu  erhalten  und  gleichfalls  als 
Lehrobjekt  für  ihre  gelehrten  Schulen  auszubilden. 


30 

3.  Römischer  Schmelzschmuck  und  Ooldschmiedgeräte. 

Mit  Tafel  IV. 

Im  Oktober  1892  wurde  in  Mainz  (Gaugasse  16  Iinl<s  beim  Aufgang)  beim 
Aufraum  für  einen  Hausbau  eine  Anzahl  von  römischen  Emailarbeiten  gefunden, 
welche  mit  andern  Goldschmiedgeräten  und  Brandschutt,  auch  wenigen  Thon- 
scherben  in  einem  Mauerwinkel,  wie  in  einem  Versteck  zusammenlagen  und 
das  Gerücht  verbreiteten,  man  habe  mit  einer  Emailfabrik  zu  thun. 

Der  Finder  und  Grundbesitzer  verlangte  so  hohe  Preise,  dass  keines  der 
benachbarten  Museen  allein  die  Sachen  ankaufen  konnte,  sondern  es  einem 
Antiquitätenhändler  überliess,  dieselben  an  sich  zu  bringen  und  in  Partien  an 
das  römisch-germanische  und  an  das  Wiesbadener  Museum,  teils  anderwärts  zu 

verkaufen. 

Das  römisch-germanische  Museum  reinigte  die  Fundstücke  und  behielt  die 

Vorhand. 

Der  Fund  bestand  im  wesentlichen  aus: 

15  schmelzverzierten  Knöpfen,  aus  solchen  3   Fibeln,    5  Haften,    Zier- 
knöpfen, 4.  Kapseldeckeln  und  3  Kapseln   (Duftbüchsen), 
aus  einigen  (etwa  12)  gewöhnlichen,  unverzierten  Bronzespangen, 
aus    einer    grossen    Anzahl    (etwa    100)    von    weissen    und    schwarzen 
Kapellen, 

12  Bronze-Löffeln  mit  geknicktem  Stiel  (Fig.   11), 

13  Drahtstäbchen,  am  Ende  zum  Schüppchen  ausgeplattet  und  mit  einem 
länglichen  Öhr  versehen, 

14  Punzen,   1   Zängelchen, 

19  sehr  verrosteten  eisernen  Siegelringen  ohne  Stein  oder  Schmelz,  Nägeln, 
Schlüsseln,  eisernen  Messern  mit  und  ohne  Bronzebeschlag,  5  Latrun- 
culi,  vielen  Würfeln, 
verschiedenen  Ziegeln  mit  dem  Stempel  der  22.  Legion  und  andere,  auch 
einem  Hohlziegel  mit  diesem   Stempel  —  womit,  wie  es  scheint,  ein 
Weg  zu  der  Werkstätte  gestickt  war. 
Da   ich    nun  im  Jahre  1873    im    12.  Band  unserer   Annalen')  eine  kleine 
Abhandlung    über    römischen    Schmelzschmuck   geschrieben   und    der  Litteratur 
über  diesen  Gegenstand  gefolgt  bin,    und    obschon    ich  von  dem  dort  Gesagten 
nur  wenig  zu  ändern  und  nur  über  die  alte  Goldschmiedtechnik  einiges  beizu- 
fügen habe,  so  hielt  ich  es  doch  für  meine  Pflicht,  über  den  Fund  hier  zu  be- 
richten. 

Es  ist  mir  dabei  weniger  um  die  Kunstformen,  als  um  die  Technik  zu  thun. 

Schon  vor  den  Römern  zur  Latenezeit  vom  4.  bis  1.  Jahrhundert  v.  Chr. 
wurden  emaillierte  Schmucksachen,  Waffen  und  Sporen  in  das  nördliche  und 
östliche  Deutschland  und  GalHen  exportiert,  wohl  weil  dahin  der  Seeweg  sicherer 
sein  mochte,  als  die  durch  die  Wälder  Mitteldeutschlands  führenden. 


')  Der  Verein  besitzt  noch  eine  Anzahl  von  Sonderahdrücken   mit  zwo!  Tafeln  Farben- 
druck, die  er  verkäuflicli  zu  2  AI.  abgiebt. 


31 

Wir  kenneu  die  ludustrieprüdukte  aus  den  Werkstätten  vom  Mont  Beuvrai, 
dem  alten  Bibracte  (Antun,  Saone  et  Loire).  Dieselben  erzeugten  vorzugsweise 
einen  roten  (Blut-)Schmelz,  der  in  heissem  Zustand  in  die  Hühlungeu,  Gruben 
der  zu  verzierenden  Gegenstände  (Schwertknäufe,  Fibeln)  gegossen  und  dann 
durch  Abfeilen  des  Überflüssigen  geebnet  wurde.  Unser  Museum  besitzt  von 
dieser  Industrie  eine  eidechsenförmige  Fibel  vom  Altkünig  und  wenig  andere 
als  Beispiele.  Um  dies  Studium  hat  sich  der  leider  zu  früh  dahingeschiedene 
0.  Tischler  nicht  mit  philologischer  Akribie,  sondern  mit  den  Kenntnissen  der 
Gegenwart,  mit  chemischen  Untersuchungen,  mit  Dünnschliffen,  Mikroskop  und 
Polarisierungs-Instrumenten  verdient  gemacht. 

Zur  Zeit  der  römischen  Kaiser  im  1.  Jahrhundert  n.  Chr.  kamen  die 
römischen  Schmelzarbeiten  nach  Deutschland,  Gallien,  Britannien.  Es  war  nur 
Grubenschmelz,  die  Farben  nicht  durch  eingelötete  Stege  geschieden.  Denn 
diese  Werkweise,  der  Zellenschmelz,  kam  erst  viel  später  (um  1100)  aus  Byzanz 
nach  Deutschland. 

Der  Grubenschmelz  verschwand  mit  dem  Sturz  der  Römermacht  ums  Jahr 
400.  An  seine  Stelle  traten  die  Gold-  und  Silberschmiede-  und  Juweherarbeiten, 
die  wir  in  den  Gräbern  der  Franken  und  Alemannen  finden.  Sie  bedienten  sich 
dünner  Gold-  und  Silberplatten,  die  auf  Bronzeplatten  befestigt  waren,  und  ver- 
zierten sie  mit  Almandinen  (edlem  Granat)  und  Pyropen  (böhmischem  Granat), 
welche  ihnen,  zu  Tafelsteinen,  Dünnsteinen  geschliffen,  wohl  aus  dem  Orient 
zukamen  und  denen  sie  gewaffelte  Goldfolien  unterlegten.  Rotes  durchsichtiges 
Glas  war  im  Altertum  unbekannt  und  tritt  erst  im  Mittelalter  Ende  des  10.  Jahr- 
hunderts in  Kirchenfenstern  auf.  Die  roten  Steine  an  den  fränkischen  Schmuck- 
stücken sind,  wenn  keine  ganz  neue  Fälschung,  daher  immer  acht,  dagegen  wurden 
auch  blaue  und  grüne  Glasflüsse,  selbst  Perlmutter  und  Elfenbein  eingesetzt. 

Den  römischen  Goldschmieden  waren  zwar  Filigran-  und  Kügelchenarbeit, 
auch  das  Tauschieren  und  Niellieren  bekannt,  doch  übten  sie  die  beiden  letzteren 
Zierarten  lange  nicht  so  häufig  wie  die  Franken  und  Alemannen  und  tauschierten 
nicht  wie  diese,  in  den  reichen  und  nationalen  Mustern  in  Gold  und  gar  nicht  auf 
Eisen.  Die  fränkischen  Künstler  produzierten  zwar  auch  Filigran,  meist  aber 
zwirnten  sie  den  Draht  nicht,  sondern  gaben  ihm  nur  durch  Einhacken  den 
Anschein  des  Filigrans. 

Auffallend  ist  es,  dass  in  Rom  und  überhaupt  in  Italien  sowohl  Schmelz- 
arbeiten wie  Terra  sigillata -  Gefässe  so  selten  sind.  Lindenschmit  schreibt 
dies,  und  gewiss  mit  Recht,  dem  feineren  Geschmack,  dem  Reichtum  und  dem 
dort  herrschenden  Luxus  zu,  welcher  ächten  Goldschmuck  und  statt  der  Thon- 
gefässe  solche  von  Silber  verlangte,  die  minderwertige  Ware  den  Provinzen 
überliess,  und  für  sie  anzufertigen  und  zu  vertreiben  gutfand. 

So  verschwanden  beide  Industrien  mit  dem  Sturz  der  Römermacht.  An 
Stelle  des  Schmelzschmuckes  trat  der  mit  dünneu  Gold-  und  Silberplatten  und  mit 
fragwürdigen  Edelsteinen,  und  statt  der  reichverzierten  Terra  sigillata  kamen 
schwarze  oder  graue,  nur  mit  Eindrücken  und  Strichen  gekennzeichnete  Gebrauchs- 
töpfe auf  den  alemannisch-fränkischen  Markt.  Die  für  den  Hausgebrauch  arbeiten- 
den Töpfereien  und  Glashütten  konnten,  wenn  auch  durch  die  Unruhe  der  Völker- 


32 

Wanderung  öfters  unterbroclien,  nicht  aufgegeben  werden;  das  was  sie  bildeten, 
hatte  nichts  mehr  gemein  mit  den  Erzeugnissen  der  Römer.  Bedürfnisformen 
und  Verzierungen  waren  andere  geworden.^) 

In  dem  Fund  auf  der  Gaugasse  zu  Mainz  1892  haben  wir  es  mit  zwei 
Techniken  zu  thun,  oder  wenn  man  will,  mit  einer  Emailwerkstätte  und  einer 
Gold-  und  Silberschmiede.  Beide,  wenn  auch  unvollkommen  vertreten,  geben 
doch  Gelegenheit,  ihrer  Werkweise  nachzuspüren  und  sie  mit  denen  der  Gegen- 
wart zu  vergleichen.  Es  sind  zwei  Scharuierfibeln  mit  Schmelzplatten,  die 
eine  rautenförmig;  der  Mittelkreis,  von  einem  Bronzesteg  umschlossen,  ist  rot 
mit  schwarzen,  gelbunikreisten  Tupfen,  Darum  eine  grüne  Raute,  mit  weissen 
schwarzumkreisten  Tupfen  und  um  diese  eine  rote  Raute  ohne  Verzierung.  Man 
erkennt,  wie  die  Felder,  als  sie  noch  Schlammmassen  waren,  mit  einem  Ringlein, 
gelb  oder  schwarz  und  in  dessen  Mitte  mit  einem  gleichfalls  eingedrückten 
schwarzen  oder  weissen,  runden  Glasfadenabschnitt  verziert  worden  sind,  wie  wir 
dies  p.  20  des  citierten  Schriftchens  oder  der  Annalen  XII,  p.  228  gesehen.  Auch 
mag  mau  das  Ringlein  unmittelbar  auf  das  Glasstäbchen  wickeln  und  mit  diesem 
abzwicken. 

Bei  zwei  Heftplatten  in  Form  eines  Fisches  (Fig.  6  u.  7)  mit  zwei  Knebeln 
auf  der  Rückseite  und  einem  beweglichen  Ring  auf  der  Aussenseite,  ist  der 
eine  Körper  grün  ohne  Verzierung,  der  andere  blau  mit  fünf  roten,  weissum- 
kreisten  Tupfen  geschmückt,  welche  in  gleicher  Weise  wie  oben  entstanden 
sind.  Die  grossen  roten  Augen  der  Fische  sind  von  einem  Bronzesteg  nicht 
eben  korrekt  umschlossen,  aber  von  dem  Schmelzschlamm  vollständig  ausgefüllt 
und  durch  einen  unregelraässigen  weissen  Tupfen  vollendet. 

Es  sind  noch  vorhanden  die  Deckel  von  Duftbüchschen,  mit  Löchern  am 
Boden  und  an  den  Seiten,  welche  wohl  auch  als  Kapseln  für  Urkundensiegel 
angesehen  worden  sind.  Auch  hier  stossen  die  grünen  oder  roten  Schmelzmassen 
unmittelbar  aneinander  und  schliessen  an  die  Bronzeränder  dicht  an. 

Eine  andere  Klasse  aber  sind  die  scheibenförmigen  Zierknöpfe,  welche  au 
die  Stelle  der  Fibula  treten,  nur  dass  sie  auf  der  Rückseite  keine  Nadel  und 
Nadelscheide,  sondern  in  der  Mitte  nur  einen  Knopf  haben,  also  wie  etwa  unsere 
Manschettenknöpfe  in  ein  oder  in  zwei  Knopflöcher  hintereinander  eingeknöpft 
werden  können.  Sie  haben  die  in  Fig.  1  u.  2  in  doppelter  Grösse  dargestellte 
Form.  Sie  bestehen  aus  einem  ursprünglich  höchstens  2  mm  starken  Bronze- 
blech, welches  auf  der  Gesichtsseite  mit  Aussparung  der  Stege  bis  auf  schwach 
1  mm  Dicke  ausgedreht  ist  und  einen  kaum  1  mm  starken  schräg  abfallenden 
Rand  behalten  hat.  Die  Schmuckseite  ist  in  zwei  oder  mehrere,  durch  die 
Metallstege  oder  Grubenränder  getrennte  Zonen  geteilt  und  mit  Glasschmelz 
gleichfalls  von  kaum  1  mm  Stärke  erfüllt.  Metall  und  Schmelz  sind  dünn 
gehalten,    damit  sie  durch   ihre  Ausdehnung  und  Zusammenziehung  in  Wärme 


')  Bei  den  Gläsern  kann  man  bemerken,  wie  die  Römer  oben  weite  Trinkschalen  und 
Kannen  mit  fein  profilierten  und  angesetzten  Henkeln  hatten,  die  Franken  aber  Schalen  ohne 
Standboden,  selbst  unten  zugespitzte  Trinkgläser,  aber  keine  Gefüsse  mit  Henkeln  anfertigten. 
Man  kann  aus  letzterem  selbst  schliessen,  dass  ihre  Glashütten  keinen  Kühlofen  besasseu. 


33 

und  Kälte  nur  geringe  Kraft  aufeinander  ausüben  können  und  zum  ßeissen  oder 
Biegen  keine  Gelegenheit  geben. 

Eine  grosse  Hilfe  wurde  der  Emaillierkunst  dadurch,  dass  man  die  Kunst 
des  Millefiori,  welche  nicht  ohne  die  des  Überfangens  möglich  war,  mit  heranzog. 

Ich  glaube  am  besten  zu  thun,  nicht  die  einzelnen  Zierscheiben  (Man- 
schettenknöpfe),   sondern   das  Verfahren  bei  ihrer  Anfertigung  zu    beschreiben : 

Nachdem  das  Bronzeblechstück  etwa  durch  Prägung  seine  Hauptform,  die 
Rundung  und  den  schräg  abfallenden  Rand  erhalten  hatte,  wurde  seine  Vorderseite 
mit  Aussparung  der  Stege,  welche  die  Zonen  trennen,  etwa  1  mm  tief  abgedreht, 
sodass  nur  der  1  mm  starke  Boden  für  den  Schmelz  übrig  blieb  und  dieser 
als  Farbschlamm  von  rotem  oder  grünem  Schmelz  mit  einem  Schüppchen  (Fig.  13) 
eingefüllt  wurde.  Letzterer  war  am  flüssigsten,  kochte  leicht  auf,  diente  aber, 
indem  er  den  Boden  in  sehr  dünner  Lage  überzog,  auch  als  Klebstoff  für  die  weissen 
oder  blauen  Millefioriwürfel,  welche  auf  ihn  eingesetzt  wurden.  Ebenso  dient 
auch  der  rote  Schmelz,  welcher  zwischen  den  Millefioriwürfelu  hervorquillt,  aber 
auch  selbst  kreisförmige  Mittelfelder  und  Zonen  oder  auch  würfelförmige  Felder 
bildet,  in  welcher  Milletiori-Ornamente  eingedrückt  sind,  als  Klebstoff. 

Diese  kleinen  Ornamente  in  den  Würfeln  sind  aus  schwarzen,  weissen  und 
roten  quadratischen  Stäbchen  zusammengesetzt  und  bilden  Kreuze  oder  Dambrett- 
chen,  oder  sie  bilden  Blümchen,  bestehend  aus  einem  gelben,  rotumkreisten  Mittel- 
punkt, an  welchen  sich  acht  spitzwinklige  Dreiecke  als  Blättchen  mit  der  Spitze  an- 
heften (Fig.  3,  4,  5).  Diese  feinen,  nur  mit  der  Lupe  zu  analysierenden  Orna- 
mente wechseln  in  den  Farben,  die  Kreuze  schwarz  und  weiss,  oder  auch 
schwarz,  weiss  und  rot,  die  Blümchen,  je  nach  dem  Medium,  in  das  sie  ein- 
gesetzt sind,  mit  8  blauen  oder  weissen  Blättchen,  Diese  Ornamente  sind 
natürlich  nicht  ursprüngUch  in  dieser  Feinheit  gemacht,  sondern  in  vielleicht 
1  cm  starke  Packete  zusammengelegt ,  geglüht,  mit  der  Plattzange  zum  Quadrat 
geformt  und  dann  vor  der  Lampe  glühend  ausgezogen,  wodurch  sie  mit  Bei- 
behaltung ihrer  Form  bis  auf  jedes  Mass  verdünnt  werden  konnten.  —  Man 
erkennt  das  sowohl  an  den  Kreuzen,  wie  an  den  Blümchen,  welche  von 
sehr  verschiedener  Grösse  sind.  Die  so  entstandenen  Stäbchen  (Fig.  IG)  werden 
entweder  abgeknipst,  in  die  kalte  rote  oder  die  grüne  Schlammmasse  gesteckt, 
oder  sie  werden,  ohne  zerstückt  zu  werden,  mit  blauem  oder  weissem  Glas 
überfangen  und  mit  der  Plattzange  zu  einem  quadratrischen  Stab  von  den  un- 
gefähren Abmessungen  gepresst  und  dann  mit  dem  Meissel  zu  dünnen  ßlättchen 
abgehackt,  wir  wir  sie  in  Fig.  1  im  doppelten  Massstab  dargestellt  finden.  Wir 
sehen  hier  die  äussere  Zone  mit  rotem  Schmelz  erfüllt,  der  nicht  nur  selbst- 
ständige Felder  bildet  und  mit  je  4  Kreuzchen  verziert  ist,  sondern  auch  die 
weissen  und  die  blauen  Würfel  festhält,  verdrückt  hat  und  zwischen  ihnen  her- 
vorgequollen ist. 

Man  sieht,  die  ganze  Arbeit  ist  liederlich  und  voller  Fehler  zu  Stand  ge- 
bracht. Aber  eben  diese  Fehler  sind  es,  die  uns  das  Arbeitsverfahren  enthüllen, 
während  eine  korrekte  Arbeit  sie  verstecken  würde. 

Das  Mittelfeld  der  kleinen  Zierscheiben  ist  ganz  mit  rotem  oder  mit  grün- 
blauem Schmelz,  der  gekocht  hat,  angefüllt  und  es  sind  in  denselben  in  unge- 

s 


34 

fähren  Reihen  etwa  vierzig  Kreuze  gesteckt,  deren  Grösse  von  2  zu  3  mm 
variiert,  je  nachdem  das  Millefioripäckchen  am  oberen  und  unteren  Ende  ab- 
gekniffen und  verwandt  worden  ist.  Da  die  Schmelzflächen  und  die  Millefiori- 
Würfel  und  Stäbchen  nicht  alle  gleich  hoch  sind,  so  werden  sie  abgeschliffen, 
um  auch  die  Metallstege  wieder  blank  zu  machen,  worauf  das  Stück,  damit 
es  nicht  poliert  werden  muss,  wieder  in  den  Ofen  kommt  und  die  Oberfläche 
etwas  schmilzt  und  dadurch  glänzend  wird. 

Wir  kommen  jetzt  zu  den  Fundstücken,  die  man  einer  Gold-  oder  Silber- 
schmiede zuschreibt.  Es  sind  vor  allem  die  Kapellen  (Fig.  9  und  10  in  natür- 
licher Grösse).     Es  waren  deren  etwa  100  Stück. 

Soll  ein  Stücken  Gold  oder  Silber  probiert,  oder  von  dem  Zusatz  unedler 
Metalle  gereinigt  werden,  so  geschieht  das  durch  das  Abtreiben  auf  der  Kapelle 
(Fig.  9  u.  10),  welche  auf  einem  Blech  in  der  Muffel  (Fig.  15  o)  steht,  während 
die  Muffel  rings  von  glühenden  Kohlen  auf  ein  Paar  Eisenstäben  im  Muffelofen 
(Fig.  15  b)  steht. 

Das  Verfahren  beruht  darauf,  dass  dem  edlen  Metall  in  der  Kapelle  eine 
gewisse  Menge  Blei  beigegeben  wird,  das  sich  mit  den  edlen  und  unedlen 
Metallen  legiert,  mit  letzteren  zusammen  zu  Oxyd  verbrennt,  diese  Oxyde  (als 
Bleiglätte)  schmelzen  und  von  der  porösen  Masse  der  Kapelle  aufgesaugt  werden, 
so  dass  das  reine  Edelmetall  geschmolzen  auf  der  Kapelle  zurückbleibt.  Ohne 
in  die  Einzelheiten  des  Verfahrens  und  der  Erscheinungen  einzugehen'),  lehren 
uns  die  Kapellen,  die  in  Mainz  in  römischen  Trümmern  gefunden  worden  sind, 
dass  zur  Römerzeit,  ebenso  wie  noch  heute,  verfahren  worden  ist.  Die  Kapellen 
(Fig.  9  u.  10),  welche  vor  dem  Gebrauch  weiss  sind,  sind  gleichfalls  aus  feuchter 
Knocheuasche  mit  Holzkohlenasche  in  einem  Cylinder  mittels  eines  Formstempels 
geformt  oder  geprägt  worden,  wieder  getrocknet  und  geglüht,  und  dann  wie 
noch  heute  mit  Edelmetall  und  Blei  beschickt  in  die  Muffel  und  den  Muffelofen 
gebracht  worden.  Nach  dem  Gebrauch  erscheinen  sie,  wie  sie  in  Fig.  9  dar- 
gestellt sind,  grauschwarz  und  schwerer  als  die  weissen,  eben  durch  die  einge- 
sogenen Oxyde  und  auch  Kohle. 

In  derselben  Werkstätte  hatte  man,  wie  es  schien  aus  derselben,  oder 
ähnlichen  Masse  weisse  und  grünschwarze  Würfel  mit  ungefärbten  Augen 
sowie  einige  Latrunculi  von  Porzellan-  oder  Frittmasse  gefunden  und  war 
nun  gleich  bereit,  die  Kapellen  für  Spielmarken  oder  Damsteine  zu  er- 
klären. So  geformte  Damsteine  oder  Spielmarken  sind  aber  niemals  gefunden 
worden,  und  es  muss  wohl  bei  der  von  uns  gegebenen  Erklärung  sein  Bewenden 
haben. 

Von  sonstigem  Goldschmiedewerkzeug  fanden  sich  noch  14  eiserne  Punzen 
(Fig.  14),  die,  wie  wir  sie  auch  jetzt  noch  machen,  in  der  Mitte  dicker  sind, 
damit  sie  nicht ,  wenn  sie  gleichmässig  dünn  wären ,  in  der  Hand  bei 
jedem  Schlag  zitterten.  Sie  dienen  dazu,  runde,  drei-  und  viereckige  Ver- 
tiefungen einzuschlagen,    wie  wir  sie  z.  B.    in  gewissen  Tierfibeln  mit  Schmelz 

')  Sie  sind  in  jedem  Handbucli  der  technischen  Chemie  udcr  Gold-  und  Silberschmiede- 
kunst, z.  B.  in  E.  R.  Schuberths  Elemente  der  technischen  Chemie,  oder  in  R.  v.  Kulmors 
Handbuch  für  Gold-  und  Silborarbeiten,  Weimar  1887,  nachzulesen. 


35 

ausgefüllt  finden.  Auch  dienen  sie,  um  in  dünne  Metallplatten  auf  der  entgegen- 
gesetzten Seite  danach  gestaltete  Erhöhungen  aufzutreiben. 

Drahtstübchen,  etwa  13  (Fig.  12  u.  13),  welche  unten  etwas  angespitzt, 
oben  aber  zu  einem  Schüppchen  plattgeschlagen  sind  und  unter  demselben  ein 
längliches  Öhr  haben.  Da  bei  einigen  die  Schüppchen  etwas  aufgerollt  sind,  so 
hat  man  sie  für  Haarnadeln  gehalten  und  das  Öhr  zur  Befestigung  mittels  eines 
Fadens  am  Haar  gemutmasst.  Wohl  noch  besser  wird  das  Werkzeug  als 
Schüppchen  zum  Gleichstreichen  des  Schmelzmassenteiges  und  das  Öhr  zur 
Befestigung  eines  flachen  Borstenpinsels  zur  gleichzeitigen  Wirkung  mit  dem 
Schüppchen  zu  halten  sein. 

Es  wurden  ferner  noch  einige  weisse  und  einige  braune  Stäbchen  von 
30  mm  Länge  und  3  mm  Durchmesser  gefunden,  die  man  für  Schmelzfarbe 
hielt,  ohne  dass  ich  die  Richtigkeit  erhärten  kann. 

Allein  zur  Goldschmiede-  und  Emaillierwerkstätte  fehlen  sehr  viele  Dinge, 
wenn  gleich  man  ein  Zängelchen  und  auch  einen  Hohlziegel  der  22.  Legion 
fand,  aus  welchem  letzterem  man  wohl  eine  Muffel  konstruieren  konnte,  da  alle 
anderen  dazu  tauglichen  Thonscherben  fehlen. 

Zwischen  dem  römischen  Schmelzschmuck  und  der  enkaustischen  Malerei 
der  Alten  besteht  eine  gewisse  Ähnlichkeit,  nicht  in  den  Darstellungen,  denn 
diese  sind  beim  Schmelzschmuck  immer  klein,  ornamental  und  mosaikartig,  sondern 
in  der  Arbeit,  in  den  Werkzeugen  und  in  der  Farbenbehandlung. 

Bereits  1885  gab  Otto  Donner  von  Richter  in  den  „Praktisch-chemisch- 
technischen Mitteilungen"  eine  Abhandlung  heraus:  „Technisches  in  der  Malerei 
der  Alten,  insbesondere  in  der  Enkaustik",  in  welcher  dargelegt  ist,  wie  die 
Alten  ihre  Farben  bereiteten,  wie  sie  dieselben  aufgetragen  und  wie  sie  das 
Gemälde  geglättet  haben.  Er  geht  dabei,  indem  er  die  alten  Schriftsteller  mit 
technisch  eindringendem  BUck  liest  und  wieder  liest  und  sie  mit  praktischen 
Versuchen  auf  ihre  Genauigkeit  prüft,  in  einer  Weise  vor,  dass  jeder,  der  sich 
nicht  mit  erfahrungslosen  Übersetzungen  oder  hinschlüpfenden  Redensarten 
begnügt  und  nicht  in  einem  Autoritätsglauben  befangen  ist,  die  Richtigkeit  seiner 
Darlegung  anerkennen  muss.  In  diesem  Sinn  hat  Donner  von  Richter 
jahrelang  die  Malerei  der  Alten  in  Italien  studiert  und  seine  Skizzenblätter  mit 
Dingen  gefüllt,  welche  von  zünftigen  Archäologen  über  die  Schulter  angesehen 
werden,  für  die  Kenntnis  der  römischen  Altertumsreste  iu  Deutschland  aber 
von  grösstem  Interesse  sind. 

Was  er  über  die  Bereitung  der  Farben  sagt,  hat  auf  unser  vorliegendes 
Thema  keinen  notwendigen  Bezug.')  Die  Alten  malten,  ausser  in  Tempera  und 
Alfresco,  mit  punischem  Wachs  (cera),  mit  demselben,  mit  dem  sie  auch  die 
Schrifttäfelchen  (tahellae)^  die  sie  mit  dem  Stylus  im  Gürtel  trugen,  überzogen. 
Solche  Täfelchen  und  Styli  haben  wir  auf  der  Saalburg  gefunden  und  eine  Nach- 
ahmung solcher  in  Mainz  vorgekommener  in  unserem  Museum  aufbewahrt.  Aber 
wir  gestehen,  dass  wegen  der  Härte  und  Zähigkeit  des  Wachses  die  Versuche 


')  Es  ist  hierauf  zu    einem  anderen  Zweck,    zur  Konservierung  des  Eisens,  an  anderer 
Stelle  zurückzukommen. 

3* 


36 

damit  nicht  eben  elegant  gelingen  wollten,  wir  hatten  kein  panisches  Wachs  und 
konnten  uns  keines  von  Tunis  kommen  lassen.  Donner  von  Richter  belehrt 
uns  aber  an  der  Hand  von  Plinius,  dass  das  Wachs  erst  dadurch  die  nötige 
Geschmeidigkeit  erhält,  wenn  es,  abgesehen  von  einigen  kleinen  Nebenoperationen, 
einige  Zeit  mit  Nitrum  (d.  i.  Natron)  gekocht  und  dadurch  einer  Art  von  Ver- 
seifuDg  unterzogen  worden  ist.  Dieser  Seife  oder  Salbe  (cera)  wurden  die  Farb- 
stoffe zugesetzt,  um  die  Wachsfarben  (cerae)  zu  erhalten :  schwarz  oder  rot  für 
die  Schreibtäfelchen,  das  Purpurisium,  das  Indigoblau,  das  Weiss  von  Milos, 
das  Arsenikgelb,  das  Appianische  Grün,  das  Bleiweiss  für  die  Malerei.  Immer- 
hin aber  bleibt  das  so  Behandelte  für  den  Pinsel  zu  steif  und  zu  wenig  flüssig, 
wenn  nicht  noch  Eigelb  oder  Eiweiss  oder  Olivenöl  beigefügt  wird,  damit  die 
Haare  des  Pinsels  die  Farbe  aufsaugen  und  entlassen.  Wohl  aber  gelang  das 
Schreiben  oder  Zeichnen,  sowie  das  Glätten  und  Verstreichen  sehr  wohl  mit 
der  Spitze  des  Styles  und  mit  dem  Schüppchen  oder  der  Spatel  am  anderen  Ende. 

Betrachten  wir  nur  die  vorn  abgeplatteten  Drahtstücken,  die  wir  in  der 
Schmelz-  und  Goldschmied werkstätte  gefunden  und  Taf.  lY,  Fig.  13  abgebildet 
haben,  so  haben  wir  zwar  nicht  den  spitzen  Stylus,  wohl  aber  das  Schüppchen 
oder  das  Cestrura,  mit  dem  wir  die  schlammigen  Schmelzfarben  aufgetragen 
und  glattgestrichen  haben. 

Ebenso  wurden  auch  bei  der  Wachsmalerei  die  Farben  aufgetragen,  oder 
wenn  man  will,  aufgeschmiert. 

Das  aber  machte  die  Wachsmalerei  nicht  zur  Enkaustik.  Durch  die  salbeu- 
artige  Weichheit  des  punischen  Wachses  bedurften  wir  zum  Farbenauftrag  der 
Wärme  nicht,  der  Wärme  oder  Hitze  bedürfen  wir  aber,  wie  der  Name  er- 
heischt, doch  sehr  wohl,  indem  wir  über  das  vollendete  Gemälde,  dem  noch 
störende  Strichlagen,  unvermittelte  Übergänge  und  Rauhigkeit  anhaftet,  mit  dem 
Cauterium,  einem  mehr  oder  weniger  heissen  Eisen  hinfahren,  ohne  sie  zu  be- 
rühren, die  Farben  zum  Schmelzen,  nicht  zum  Yerfliessen  und  Tropfen,  sondern 
nur  das  zugesetztes  Olivenöl  zum  Yerdunsten  oder  zum  Yerharzen  bringen  und 
dadurch  dem  Gemälde  einen  gleichförmigen  Glanz  oder  Schimmer  geben. 

Dasselbe  geschah  aber  auch  mit  der  Schmelzmalerei;  nachdem  dieselbe 
in  der  Muffel  eingeschmolzen  und  unter  dem  Schleifstein  geebnet  worden  war, 
wurde  das  Stück  noch  einmal  in  die  Muffel  gebracht  und  erhielt  mehr  nicht 
als  eine  massige  Hitze,  welche  der  nach  dem  Schleifen  noch  rauhen  Fläche 
einen  Glanz  verlieh,  welcher  nur  durch  langes  Feinschleifen  und  Polieren  zu 
erreichen  gewesen  wäre.  — 

Yon  dem  römisch-germanischen  Museum,  dessen  Direktor  und  Gründer  wir 
gestern  in  tiefer  Trauer  zu  Grabe  getragen,  in  dessen  Sohn  wir  aber  einen 
Konservator  besitzen,  der  seine  Kenntnis,  seine  technische  und  geschäftliche  Er- 
fahrung seit  4  Jahren  bewährt  hat,  wird  beabsichtigt,  den  ganzen  Fund  zu  ver- 
öffentlichen. 


Burgen  in  Nassau. 

Von 

k*  Y»  Cohaussn. 


1.   Die  Burg  Schwalbach  (erbaut  1368—1371). 

Mit  Tafel  V. 

Unter  den  uassauischen  Burgen,  ja  vielleicht  unter  deutschen  Burgen 
überhaupt  zeichnet  sich  die  Burg  Schwalbach  durch  ihren  symmetrischen  Grund- 
riss  und  ihren  regelrechten  Aufbau  aus.  Auf  dem  rechten  Ufer  des  Palmbachs 
und  der  Aar,  welche  sich  bei  Diez  in  die  Lahn  ergiesst  und  10  km  südöstlich 
von  dieser  Stadt  nimmt  sie  das  Ende  eines  kurzen  Bergvorsprunges  ein  und  ist 
auf  drei  Seiten  durch  dessen  steile  Abhänge,  auf  der  Ostseite  aber  durch  einen 
tiefen  Felsgraben  von  der  höher  ansteigenden  Berglehne,  dem  Angriffsgelände, 
getrennt.  Ihr  äusserer  Bering,  die  hohe  und  starke  Zwingermauer,  bildet  an- 
nähernd ein  Rechteck  von  80  Schritt  Breite  und  65  Schritt  Höhe,  vor  dem 
ein  fünfter  Winkel  20  Schritt  vorspringt.  In  diesem  Fünfeck  liegt,  etwa  25, 
12  und  7  Schritt  zurücktretend,  der  ebenfalls  sehr  regelmässige  Grundriss  der 
Burg,  ein  Fünfeck,  in  dessen  Kapitalwinkel  der  runde  Bergfried  und  in  dessen 
Kehlseite  der  rechtwinklige  Rittersaalbau  angebaut  liegt. 

Um  zur  Burg  zu  gelangen,  dient  ein  steiler  Fahrweg,  welcher  vom  Flecken 
her,  die  Burg  immer  rechts  lassend,  den  Felsgraben  erreicht  und  durchfährt, 
um  in  den  unsymmetrisch  vor  der  rechten  Fünfeckseite  angebauten  Thorzwinger 
zu  gelangen.  Dessen  erstes  Thor  ist  von  einem  runden,  ausgekragten  Turm 
auf  der  Ecke  des  Hauptzwiugers  überwacht,  der  den  am  Thor  Stehenden  in 
den  Rücken  (en  revers)  fasst.  Der  Eingelassene  gelangt  dann  an  das  andere 
Ende  des  laugen  und  schmalen  Thorzwingers,  an  das  Thor  unter  dem  Porten- 
haus. Diesem  Haus  sind  noch  einige  Wirtschaftsräume  im  Zwinger  angebaut, 
während  der  entgegengesetzte  Winkel  des  Zwingers  die  Kapelle  birgt.  Zwischen 
ihr  und  dem  Palas,  dem  Rittersaal,  zieht  sich  der  Weg  zu  dem  linken  Schulter- 
punkt, und  kommt  durch  ein  schiefes,  gotisches  Thor  in  einen  Vorraum  und 
von  diesem  entweder  geradeaus  in  die  Küche  oder  rechts  in  einen  engen  Hof  (wie 
ihn  der  Gutenfels  und  viele  andere  Burgen  aufweisen),  auf  dessen  rechter  Seite, 
der  Küche  symmetrisch,  noch  zwei  Gemächer  ebener  Erde  liegen.  Eine  dritte 
Thür  führt  rückwärts  in  den  ebenerdigen  Stock  des  Rittersaales,  von  dem  eine 
Treppe  zum  Keller  führt.    Eine  Schnecke,  eine  Wendeltreppe,  führt  zum  zweiten 


38 

und  dritten  Stock  und  zum  Wehrgang.  Dieser  ist  hier  und  überall  auf  einem 
Bogenfries  vorgerückt  und  auf  den  beiden  Ecken  nach  der  Thalseite  durch  ein 
rundes  und  ein  sechseckiges  Wichthäuschen  mit  Scharten  unterbrochen.  Alle 
diese  genannten  Räume  sind  dreimal  überwölbt. 

Um  zum  Bergfried  zu  gelangen,  benutzt  mau  diese  und  den  Dachraum 
der  Seitenflügel  oder  ersteigt  von  den  Gemächern  neben  dem  Hof  auf  einer 
geraden  Treppe  in  der  Mauerstärke  den  Wehrgang.  Von  ihm  aus  wird  der 
Hof  auf  einem  abwerfbaren  Holzsteg  überschritten,  der  auf  Kragsteinen  vor  der 
50'  über  der  Hofsohle  gelegenen  Pforte  aufruht ;  derselbe  mag  aus  zwei  Hälften 
bestanden  haben,  sodass  er  von  dem  Dachraum  des  einen  oder  des  anderen  Ge- 
bäudeflügels benutzt  werden  konnte.  Durch  diese  Pforte  gelangte  man  auf  die 
erste  Überwölbung,  von  welcher  ein  Loch  in  das  Verliess  sich  öffnete.  Dieses 
Verliess  ist  jetzt  vom  Hof  aus  ebener  Erde  zugänglich,  da  man  wahrscheinlich 
schon  vor  dem  17.  Jahrhundert  hier  in  den  Turm  eine  weite  Öffnung  gebrochen  und 
so  eine  Art  von  Grotte  gebildet  hat.  Ob  in  derselben  etwa  der  Brunnen  aus- 
lief, dessen  Leitung  während  des  Bauernkrieges  abgeschnitten  wurde,  wissen 
wir  nicht  zu  sagen.  Der  Hof  war  jedenfalls  ein  gesicherter  Ort,  da  ihn  der 
Bergfried  mit  seiner  Höhe  und  mehr  als  doppelter  Breite  gegen  die  Geschosse 
von  der  Angriffsseite  schützte.  Die  Mantelmauer,  die  sich  zu  beiden  Seiten 
an  den  Bergfried  anschliesst,  hat  ihm  zunächst  eine  Dicke  von  mehr  als  5  m, 
also  eine  Breite,  die  sie,  da  sie  dachlos  war,  auf  der  einen  oder  der  anderen 
Seite  zur  Aufstellung  von  Schuss-  oder  Wurfmaschinen    sehr   geeignet  machte. 

Das  Verliess  im  Bergfried  wurde  schon  zur  Zeit  der  Hexenprozesse  nicht 
mehr  benutzt  und  an  dessen  Stelle  trat  ein  Gefängnis  in  dem  sechseckigen  Wich- 
haus auf  dem  linken  Schulterpunkt  der  Zwingermauer.  Von  dem  Gewölbe  über 
dem  Verliess  führte  eine  Wendeltreppe  an  drei  überwölbten  Stockwerken  vorüber 
auf  die  geziunte  Wehrplatte  des  Bergfrieds.  Dort  sieht  mau  in  den  Felsgrabcn 
hinab  und  auf  das  östliche  Augriffsgelände,  den  Honnigsberg  mit  dem  Hexen- 
kippel,  wo  die  Hexen  von  Burgschwalbach  verbrannt  worden  sind,  nach  den 
andern  Seiten  aber  in  das  Palmbach-  und  Aarthal,  sowie  über  dies  hinweg  auf 
den  Höhenzug  der  Fuchsenhohl  mit  der  3  km  westlich  gelegenen  Burg  Hohlen- 
fels.  Der  Bergfried  bleibt  nur  so  wenig  von  der  Ausseuseite  der  Mantelmauer 
zurück,  dass,  um  den  Wehrgang  vor  ihm  herumzuführen,  sechs  Tragsteine  ein- 
gesetzt sind,  den  Gang  zu  tragen;  ob  zwischen  den  Tragsteinen  einst  Maschi- 
kuli  angebracht  waren,  ist  trotz  ihrer  Zweckmässigkeit  an  dieser  Stelle,  weil 
Maschikuli  an  deutschen  Burgen  überhaupt  nur  sehr  selten  angewandt  worden 
sind,   unwahrscheinlich. 

Überall,  .«owohl  am  Bergfried,  als  am  Kernwerk,  wie  an  der  Zwinger- 
mauer, sind  die  Zinnen  auf  Bogenfriesen  hinausgerückt.  Der  Wehrgang  der 
HauptzwiDgermauer  ist  auf  deu  Schulterpuukten  links  durch  einen  zum  Ge- 
fängnis dienenden  7  eckigeu,  der  rechts,  der  das  erste  Thor  verteidigt,  durch 
einen  runden,  ausgekragten  Turm  oder  Wichhaus  unterbrochen.  Überhaupt  gehen 
wenige  Fenster  nach  aussen:  die  der  Wohnräume  zumeist  nach  dem  Hof;  jene, 
wie  die  am  itittcrsaal,  können  durch  Fallladen  geschlossen  werden,  weshalb 
hier  über  den  gekojtpnlton  Fenstern   eiserne  Ringe  angebracht   sind. 


39 

Das  Portenhaus  auf  der  rechten  Kehlecke  ist  unten  massiv,  oben  mit  aus- 
gekragtem Fachwerk  und  spitzem  Giebel  erbaut. 

Ihm  gegenüber  in  dem  andern  Winkel  steht  die  Kapelle  mit  Balkendecke, 
welche  einen  Fruchtboden  trug,  mit  einem  im  halben  Achteck  geschlossenen  Chor, 
in  dem  einst  ein  schöner,  geschnitzter  und  gemalter  Flügelaltar  aus  dem  16.  Jahr- 
hundert —  jetzt  als  Geschenk  des  Herrn  A.  II.  Metzler  in  Frankfurt  a.  M. 
im  Museum  zu  Wiesbaden  —  stand.  Die  Kapelle  konnte  durch  einen  Kamin, 
dessen  Schlot  im  westlichen  Giebel  ausgekragt  hinaufführt,  geheizt  werden.  Aus 
der  Kapelle  führt  ein  jetzt  verschütteter  Gang  abwärts. 

Am  Fuss  des  Burgberges  liegt  das  lang  vor  der  Burg  genannte  Dorf 
Schwalbach  mit  mehreren  Edelsitzen.  Es  kommt  unter  dem  Namen  Squalbach 
schon  790  als  eine  Schenkung  Karls  des  Grossen  an  die  Abtei  Prüm  und  831 
durch  Tausch  mit  der  Abtei  Fulda  vor.  Vögte  der  Abtei  waren  hier  die  Grafen 
von  Katzenelnbogen,  von  denen  Graf  Eberhard  1368  bis  1371  die  Burg  baute 
und  dem  von  jetzt  an  Burgschwalbach  genannten  Flecken  Stadt-  und  Befes- 
tigungsrecht verschaffte.  Die  Kapelle  im  Flecken,  in  deren  Grundmauern  noch 
der  ährenförmige  Verband  vorkommt  und  welche  noch  einige  romanische  Reste 
aufweist,  scheint  jedenfalls  schon  im  13.  oder  12,  Jahrhundert  erbaut. 

Innerhalb  der  Umschhessung  des  Fleckens  liegen  vier  adlige  Höfe :  Ober- 
hausen am  Abhang  des  Burgberges,  bewohnt  von  den  Junkern  Rode  (deren 
Stammsitz  bei  Idstein),  der  Herrschaftshof,  später  von  den  Lönern  von  Lauren- 
burg (Stammsitz  zwischen  Nassau  und  Diez  a.  d.  L.),  der  Burgsitz  am  Schloss- 
berg, bewohnt  von  Eydell  von  Waldmannshausen  (dessen  Stammsitz  7  km  nörd= 
lieh  von  Hadamar),  dann  von  Hans  Kaspar  von  Buches,  dann  von  Johann  von 
Klingelbach  (bei  Katzenelnbogen),  dann  von  Philipp  Rode;  der  Brederhof 
zwischen  dem  Herrschaftshof  und  der  Kirche  gelegen,  dem  Breder  von  Hohen- 
stein  (an  der  Aar  unfern  Bad  Schwalbach),  später  einer  Agnes  von  Bicken, 
geb.  Forstmeister  von  Gelnhausen,  dann  dem  Junker  Philipp  Rode  gehörig.  Unter 
den  Besitzern  dieser  Adelshöfe  werden  weiter  noch  genannt  die  von  Weiters, 
die  von  Hattstein  (2  km  nördlich  von  Reifenberg),  von  Bicken  (6  km  östlich 
von  Herborn),  Mosbach  von  Lindenfels  (im  Odenwald),  v.  d.  Leyen  (am  Mittel- 
rhein), von  Lindenau,  von  Garben  (in  der  Wetterau).  von  Buseck  (östlich  von 
Giessen). 

Wahrscheinlich  waren  diese  Edelsitze  schon  vor  der  Gründung  der  Burg 
vorhanden  und  bewohnt.  Als  Burgmannen  werden  genannt:  Die  von  Schön- 
born (Schönborn,  der  Stammsitz  des  in  Franken  noch  blühenden  Geschlechtes, 
bei  Katzenelnbogen),  die  Schenk  von  Schweinsberg  (östlich  von  Marburg),  von 
Rheinberg  (an  der  Wisper  die  alten  Rheingrafen),  die  Köth  von  Wanscheid 
(2,25  km  nördlich  von  Walmerode),  die  Rode  von  Burgschwalbach. 

Von  den  Grafen  von  Katzenelnbogen  kam  nacli  ihrem  Aussterben  Burg- 
schwalbach 1479  an  Hessen  und  nach  einigen  Zwischenbesitzern  und  Pfand- 
schaften 1536  an  Nassau-Weilburg.  Bei  dem  Bauernkrieg  1525  wurde  die 
Wasserleitung  der  Burg  zerstört,  aber  um  1598  wieder  hergestellt. 

Graf  Wilhelm  von  Nassau-Weilburg  lebte  hier  bis  zu  seinem  Tode  1594, 
während  seine  Witwe,  Erica  Grätin  von  Isenburg,  erst  1628  hier  starb. 


40 

Schon  um  1583  bemühte  sich  der  Graf  Albrecht  von  Nassau- Weilburg, 
den  im  Aarthal  3000  Schritt  westlich  des  Fleckens  entspringenden  Sauerbrunnen 
nutzbar  zu  machen.  Derselbe  findet  jetzt  als  Johannisbrunnen  reichlichen  Ge- 
brauch und  Versand.  Auch  wurde  der  Weinbau  um  diese  Zeit  an  den  Abhängen 
des  Eichelberges  fleissig  betrieben,  sodass  er  z.  B.  1566  über  22  Fuder  ergab. 
Um  1737  war  die  Burg  sehr  in  Verfall,  sodass  Möbel,  Thüren  und  Fenster, 
Öfen,  Dach  und  Holzwerk  versteigert  wurden.  Nur  das  Dach  der  Kapelle  Wieb, 
da  über  ihr  ein  Kornspeicher  und  in  ihr  Ställe  waren;  das  Portenhaus  mit 
Stallung  blieb  gleichfalls  bestehen. 

Das  Portenhaus  wurde  von  der  nassauischen  Regierung  1817  auf  den 
Abbruch  versteigert  und  für  100  Gulden  dem  Zimmermann  Georg  Philipp  Schnabel 
zugeschlagen,  der  die  Erlaubnis  erhielt,  es  bestehen  zu  lassen,  und  seitdem  eine 
Wirtschaft  darin  führt,  in  welcher  Touristen  und  Künstler  zeitweise  auch  wohnen ; 
sie  wird  durch  den  Sohn  Philipp  Heinrich  Schnabel  zur  Zufriedenheit  fort- 
geführt.    Für  die  Erhaltung  der  Burg  giebt  der  Staat  jährlich  60  Mk.  aus. 

Wir  haben  in  der  Burg  Schwalbach  ein  schematisches,  alles  umfassendes 
Bild  dessen,  was  man  im  14.  Jahrhundert,  zur  Zeit,  wo  so  viele  Burgen  gebaut 
wurden,  von  einer  deutschen  Burg  verlangte,  unbehindert  durch  Vorteile  oder 
Nachteile  des  Geländes,  oder  durch  Hemmnisse,  die  im  Gelüste  oder  dem  Un- 
vermögen des  Bauherrn  oder  im  Baumaterial  lagen.  Der  vom  Bergfuss  den 
Burgweg  Aufsteigende  hat  von  Anfang  an  die  Burg  immer  zu  seiner  Rechten, 
durch  kein  Schild  gedeckten  Seite;  sowohl  in  der  Kehle,  wie  auf  der  linken 
Burgseite  und  im  tiefen  Felsgraben,  und  da,  wo  er  vor  dem  ersten  Thor  des 
Thorzwingers  anhält,  ist  er  immer  übersehen  und  hier  selbst  im  Rücken  ge- 
nommen. Der  Thorzwinger  selbst  zieht  sich  von  da  lang  und  schmal  bis  zum 
Thor  unter  dem  Portenhaus.  Beide  Thore  haben  weder  einen  Vorgraben,  noch 
Fallgatter,  weil  der  Weg  zu  ihnen  so  gut  beobachtet  ist.  Auch  innerhalb  der 
Hauptzwingermauer  umkreist  der  Weg  fast  die  Hälfte  der  Burg,  die  er  immer 
rechts  lässt  und  von  den  mit  Fallladen  geschützten  Fenstern  beschossen  werden 
kann,  ehe  er  die  Pforte  an  der  linken  Burgschulter  erreicht. 

Das  Angriffsgelände  steigt  östlich  der  Burg  sanft  an  und  ist  von  der 
llöhenstrasse  aus,  welche  zwischen  Hahnstetten  und  Dauborn  das  Aar-  und 
das  Wörsbach-Thal  verbindet,  leicht  zu  befahren  und  bietet  daher  den  Schuss- 
und  Wurfmaschinen  des  12.  Jahrhunderts  eine  leichte  Anfahrt.  Aus  diesem 
Grunde  sind  auch  die  dorthin  gerichteten  Mauern  der  Burg  sehr  stark  und 
alle  Räume  zwei-  und  dreifach  überwölbt.  Der  Bergfried  ist,  weil  die  Belagerer 
sich  nach  beiden  Seiten  ausbreiten  können,  rund,  nicht  allzu  dick  und  mit 
starken  Mauern  versehen  und  doppelt  so  breit,  wie  der  Hof,  der  durch  ihn 
defiliert  wird. 

Zum  Behagen  der  Burgbewohner  liegen  die  Wohnräume  nach  der  sonnigen 
Südseite.  Die  Kapelle  ist  richtig  orientiert  und  selbst,  ein  seltener  Fall,  heiz- 
bar. Für  die  Geselligkeit  unter  den  Grafen  von  Katzcnelnbogen  und  von  Nassau- 
Weilburg  war  durch  den  zahlreichen  Adel,  der  die  Burg  umgab,  und  die  mit 
je  zwei  Kaminen  heizbaren  Festräumo,  die  Rittersäle,  von  denen  aus  die  Treppe 


41 

nach  dem  Keller  ging,    und  wohl   auch  durch    den  Landwein   des  Eichelberges 
genügend  gesorgt. 

Ausser  meinen  Aufnahmen  und  den  Gesprächen  mit  G.  P.  Schnabel  in 
Burgschwalbach  wurden  hier  die  Mitteilungen  des  Herrn  Bürgermeister  Gapp 
daselbst,  sowie  Vogels  „Nassau"  und  Lotz's  „Baudenkmäler"  und  zahlreiche 
Notizen  von  Herrn  Schüler  im  Wiesbadener  Tagblatt,  Dezember  1886,  benutzt. 


2.   Der  Nolling  oder  Nollicht. 

Mit  Tafel  VI. 

Auf  dem  steil  aufsteigenden  Bergrücken,  dem  Wachten-  oder  Burberg 
über  der  Stadt  Lorch,  der  das  Wisper-  vom  Rheinthal  scheidet,  liegt  ein  Turm, 
Nolling  oder  Nollicht  genannt,  welcher  meist  als  eine  Burgruine  bezeichnet 
wird,  obschon  er  nicht  einer  Burg,  sondern  der  Befestigung  von  Lorch  ange- 
hört. Die  Stadt  war  zwar  am  Ausfluss  der  Wisper  mit  einem  runden  Turm, 
Strunk  genannt,  längs  des  Rheins  mit  einer  Mauer  befestigt,  deren  Grund  man 
bei  Anlage  des  Leinpfads  fand  und  abbrach,  und  welche  sich  durch  das  Ober- 
dorfer Thor  an  die  längs  des  Bergabhanges  hinziehende  Mauer  mit  der  Keller- 
pforte dem  Platzer  Thor  anschloss,  und  vor  dem  Katzengraben  an  der  Wisper 
mit  dem  Burgthor  oder  der  Kuhpforte  endigte.  Auch  auf  dem  rechten  Wisper- 
ufer war  der  dortige  Stadtteil  durch  die  Steilheit  des  Wachtenberges  und  die 
Weinbergsmauern  geschützt,  welche  in  dem  Sauerthor,  dem  runden  Wolfischen, 
später  Hexenturm,  dem  Weiseler  Thor,  dem  Waldecker,  später  Breiteubacher 
Hof  und  am  Rhein  in  dem  Niederflurer  Thor  einigen  Halt  bekamen.  Die  Stadt 
hatte  aber  eben  nur  von  dieser  Seite  einen  Angriff  zu  fürchten,  weil  vor  ihr 
die  Burgen  ihrer  Feinde  Gutenfels,  Sauerburg,  Rheinberg  und  andere  lagen, 
und  fahrbare  Höhenwege  zum  Nolling  auf  dem  Wachtenberg,  der  die  Stadt 
beherrschte,  führten.  Derselbe  musste  daher,  obschon  er  400  Schritt  vor  der 
Stadtumfassung  lag,  mittels  eines  starken  Werkes  in  die  Befestigung  gezogen 
werden. 

Es  geschah  dies,  wahrscheinlich  im  14.  Jahrhundert,  durch  den  Turm 
Nolling,  von  dem  rechts  herab  ins  Wiesenthal  bis  zum  Sauerthor  eine  Mauer 
gezogen  werden  sollte,  aber  aus  Mangel  an  Geld  unterblieb  und  durch  Palis- 
saden und  dergleichen  zwischen  den  Weinbergsmauern  ersetzt  werden  musste, 
während  auf  dem  Rheinabfall  wegen  dessen  Steilheit  und  leichter  Überwachung 
eine  Mauer  nicht  nötig  befunden  wurde. 

Der  Turm  wurde  auf  einen  Absatz,  den  man  durch  einen  tiefen  Graben 
von  dem  Rücken  abschnitt,  gesetzt.  Er  erhielt  die  Gestalt,  dass  eine  Quer- 
mauer zwei  dreiviertel  Rundtürme  verband  und  hinter  ihr  ein  viereckiger  Turm 
aufgebaut  wurde. 

Alle  Mauern  waren  von  Zinnen  gekrönt,  die  des  viereckigen  Turmes 
niedriger  als  die  vordere.  Die  Kurtine  war  zwischen  den  Türmen  mit  diesen 
gleich  hoch,  4,86  m  lang,  2,20  m  dick  und  verband  sie  mit  einem  engen,  über- 


42 

wölbten  Gang.  Der  linke,  der  den  Rhein  überblickte,  würde  einen  dreiviertel 
runden  Turm  von  3,75  m  Durchmesser  und  1,90  m  lichter  Weite  bilden,  wenn 
er  nicht  einen  orillonartigen  Ausbau  hcätte,  durch  welchen  in  etwa  7  m  Höhe 
ein  Ausgang  führte,  um  längs  des  Rheinabhanges  zwischen  den  steilen  Wein- 
bergen zur  Stadt  hinab  zu  gelangen.  Der  rechte  Rundturm,  der  mit  V*  seines 
Umfanges  in  der  Kurtine  steckte,  hatte  im  übrigen  dieselben  Abmessungen; 
an  ihm  ist  die  "Verzahnung  zu  sehen,  an  welche  die  1,57  m  starke  Stadtmauer, 
die  den  Berg  hinab  an  das  Sauerthor  führen  sollte,  anzuschliessen  war. 

Das  merkwürdigste  an  der  Ruine  ist  aber  der  viereckige  Anbau,  9  m 
breit,  8  m  lang  und  etwa  7  m  hoch,  der  sich  an  die  Kurtine  anschloss  und  von 
ihr  aus  zugänglich  war.  Man  erkennt  nämlich  im  Innern  an  den  1,37  m  dicken 
Mauern  überall  die  Eindrücke  des  Holzgerüstes,  welches  entweder  ganz  oder 
nur  auf  drei  Seiten  von  Mauerwerk  umschlossen  und  auf  einer  Seite  überputzt 
war.  Man  hat  dadurch  die  ganze  Zeichnung  des  durchschnittlich  30  cm  starken 
Holzwerkes  vor  sich,  bemerkt  unten  die  zahlreichen  Ständer,  von  welchen  die 
an  den  Ecken  mehrfach  verstrebt  sind,  um  nicht  nachzugeben,  wenn  sie  unten 
angehauen  wurden,  und  erkennt  mehrere  Balkenlagen,  welche  den  Stockwerken 
nicht  entsprechen,  sondern  zur  Verstärkung  und  Verankerung  zahlreicher  sind; 
auch  mag  ein  Teil  einer  Holztreppe  noch  erkannt  werden. 

In  alter  Zeit  wurde  in  Holz  viel  mehr  gebaut,  als  heute  und  viel  mehr, 
als  jetzt  noch  sichtbar  übrig  geblieben  ist. 

Viele  Befestigungswerke,  welche  rasch  begründet,  fertig  und  verteidigungs- 
fähig sein  mussten,   konnten  nur  durch   einen  vorbereiteten  Holzbau  entstehen. 

So  geht  die  keineswegs  unwahrscheinliche  Sage  von  der  Gründung  der 
Wartburg  zwischen  1067  und  1070  durch  Ludwig  den  Springer,  der  zwei  hohe 
Bergfriede  und  ein  Wohnhaus  aus  Holz  zimmern  und  sie  auf  den  Berg,  wo 
jetzt  die  Wartburg  steht,  bringen  und  unversehens   aufschlagen  Hess. 

Nach  der  „Limburger  Chronik'-  schlugen  die  Grafen  von  Nassau  und  von 
Katzenelnbogen  eine  Burg  Greveneck  dem  festen  Haus  Elkershausen  an  der 
Lahn  gegenüber  auf  und  beherrschten  es,  sodass  es  von  Stunde  an  gebrochen 
war.  Balduin  schlug  eine  Burg  Trotz-Eltz  am  Weg  dicht  vor  dem  Thor  von 
Burg  Eltz  auf.  Das  wäre  ohne  einen  plötzlich  aufgeschlagenen,  verteidigungs- 
fähigen Turm  nicht  möglich  gewesen. 

Der  Deutschorden  besetzte  einen  Landstrich  dadurch,  dass  er  in  grösster 
Eile  eine  Holzburg  aufschlug:  so  Marienwerder  bei  Kauen  im  Mai  1384,  der 
er  14  Fuss  dicke  Mauern  gab,  sie  mit  300  Mann  besetzte  und,  obwohl  vollen- 
det, nach  kräftiger  Gegenwehr  schon  im  September  desselben  Jahres  wieder 
verlor. 

Immer  begegnen  wir  dem  Ausdruck,  dass  die  Burg  „aufgeschlagen"  wurde, 
ebenso  wie  der  Zimmermann  noch  heute  das  Zimmergerüst  eines  Hauses  auf- 
schlägt, das  der  Maurer  dann  ausmauert. 

Bei  der  vielfachen  Verwendung  der  Zimmerleute  zum  Bau  und  Auf- 
schlagen der  Belagerungstürme,  der  Schutzdächer,  der  Wurfmaschinen  wurden 
BUedenmeister  ausgebildet,  welche  auch  die  Wehrbauten  einer  bedrohten  Stadt 
vorbereiteten  und  aufschlugen. 


48 

Plötzlich  über  Nacht  wurden  die  zubereiteten  Hölzer  an  Ort  und  Stelle 
getragen  und  von  den  Zimmermeistern  geordnet  und  aufgeschlagen.  In  wenigen 
Stunden  stand  das  Gerüst  da  und  wurde  unten  mit  starken  Bohlen  bekleidet, 
sodass  es  schon  den  Bauleuten  Schutz  gewährte  und  von  den  Reisigen  ver- 
teidigt werden  konnte.  Während  die  Bekleidungsbohlen  beseitigt  und  durch 
Mauerwerk  ersetzt  wurden,  welches  das  Zimmerwerk  umkleidete,  waren  die 
Bohlen  weiter  oben  angebracht  worden  und  in  dieser  Weise  fortgefahren,  bis 
das  Mauerwerk,  wenn  auch  noch  frisch  und  nicht  abgebunden,  durch  das  Holz- 
werk verankert  und  verstrebt,  einem  Augriff  trotzen  konnte. 

Das  ist,  was  uns  das  alte  Gemäuer  erzählt  hat,  da  uns  keine  Urkunde 
von  den  Schicksalen  des  Baues  im  Lauf  der  Jahrhunderte,  von  welchen  die 
Stadt  mit  ihrem  zahlreichen  Adel  von  der  Ritterschaft  der  Umgebung  bedroht 
war,  berichtet. 

Statt  der  Geschichte  des  Kriegs  können  wir  nur  die  vom  Verfall  und  von  dem 
Besitzwechsel  erzählen,  die  wir  von  dem  Herrn  Bürgermeister  Schulte,  dem 
Herrn  H.  J.  Fendel  in  Lorch,  dem  Herrn  Amtsrichter  A.  Musset  in  Rüdes- 
heim und  von  der  jetzigen  Besitzerin  der  Burg  Nolling,  der  Frau  von  Tsche- 
bitscheff,  geborene  Fürstin  Obolenska,  freundhch  mitgeteilt  bekamen: 

Am  30.  März  1844  hat  Dr.  Rössel,  Sekretär  des  Altertumsvereins  und 
Konservator,  den  Nolling  für  85  M.  70  Pf.  (50  fl.)  von  der  Gemeinde  gekauft. 

Er  verkaufte  ihn  am  1.  Januar  1860  an  die  Eheleute  Chr.  Hofert  in 
Ems.  nachdem  er  noch  einige  Ländereien  dazu  gekauft  hatte,  für  5143  M. 
(3000  fl.). 

Von  diesen  kaufte  der  Marquis  Albizzi  (ein  Florentiner  Edelmann)  die 
Liegenschaft  für  10800  M.  (6300  fl.).  Derselbe  baute  sich  auf  derselben  ein 
Blockhaus  und  beschäftigte  sich,  wie  man  mir  1872  erzählte,  mit  Fuchsfang. 
Als  er  in  Konkurs  geriet,  nahm  ihn  der  Fürst  von  Leuchtenberg  als  Ver- 
waltuugsbeamten  auf  seine  bayrischen  Güter  nach  Stein,  wo  er  jetzt  lebt.  Er 
ist  verheiratet  mit  einer  Stieftochter  des  genannten  Fürsten  und  lebte  mit  ihr 
in  dem  Blockhaus,  bis  es  abbrannte.     Sie  ist  leidend  und  lebt  in  Madera. 

Albizzi's  Sachwalter,  Herr  Götz  in  Wiesbaden,  übernahm  den  Turm  mit 
den  angekauften  Ländereien  am  11.  Dezember  1878  für  3040  M.,  welche  Frau 
von  Albizzi,  die  an  den  Besitz  attachiert  war,  in  kleinen  Raten  an  Herrn 
Götz  abzutragen  suchte.  Da  aber  dieser  die  Sache  bald  erledigt  wünschte, 
so  trat  eine  Freundin  von  Frau  von  Albizzi,  die  Witwe  Frau  von  Tschebi- 
tscheff  für  sie  ein  und  zahlte  an  Herrn  Götz  (am  17.  Juli  1888)  3736  M. 
und  ist  somit  jetzt  Besitzerin  der  Ruine,  der  zugehörigen  Weinberge  und  des 
drischen  Landes.  Sie  hat,  wie  ich  höre,  Freude  an  dem  Besitz  und  hat  nicht 
die  Absicht,  daran  etwas  zu  restaurieren,  sondern  nur  den  Nolling  zu  erhalten. 

Sollte  wieder  ein  Besitzwechsel  eintreten,  so  kann  ich  nur  wünschen,  dass 
er  in  die  Hände  der  Stadt  käme  und  dass  diese  ihren  alten  Befestigungsturm 
wenigstens  so  pietätvoll  behandeln  möge,  wie  er  sich  nunmehr  seit  7  Jahr- 
hunderten erhalten  hat. 


44 


I  >  II  r  ^'  (;  ri  f  o  .s  t  o    Tj  a  f,'  e    d  f;  r    K  I  r,  h  t  o  r    u  n  fl    Stift:  o    an    d  o  r  L  a  h  n . 

Nicht  nur  für  J>ur^f;ri  Vicliia  man  HtoiU;  Her^o  und  Iierg/,ungen,  «ondorn 
;i\ic}\  für  Klö.stor  und  Stiftf;  \vurdf;n  h(;i  dfr  frülion  Oi'ündunf^  .solche  Lagen, 
zumal  an  der  Tjalin,  gewählt.;  es  ist,  als  oIj  die  ersten  Lehrer  und  Verbreiter 
de»  ChristentumH  al.s  Franken  vor  den  neuen  Chrinten  —  den  Chatten  jenseits 
der  Lahn  —  noch  nicht  so  sicher  gewesen  wären,  dass  sie  nicht  den  Fall  vor- 
ausgesehen hätten,  ilire  C/ründungen  auch  wolil  gegen  jene  wieder  verteidigen 
zu  müssen. 

Das  Wallburgisstift  zu  W'eilhui'g,  welches  der  Landgraf  Konrad  um 
000  wohl  auf  einer  älteren  Kultusstätte  gründete,  liegt  auf  einer  auf  '.>  steilen 
Seiten  v(jn  der  Lahn  umflossenen  Ifalbinsel,  welche  durch  eine  tiefe,  in  vor- 
geschichtlicher Zeit  von  dem  Fluss  durchströmton  Einsenkung  vom  übrigen 
Jjand  getrennt  ist. 

[Jie  hoch  von  einem  Felsen  heral»  in  der  Laliu  sich  spiegelnde  Kirche 
von  Dietkirchen  erhebt  sich  auch  gegen  die  andere  Seite,  die  sich  gegen 
Limburg  hinzieht,  steil  abfallend.  Sie  wurde  als  kleine  liolzkapelle  von  dem 
Apostel  des  Landes,  dem  heil.  Lubentius,  gebaut,  welcher  diese  Stelle  zur  Grün- 
dung wählte,  nachdem  er  den  li(;idnischen  heiligen  Jlain  Keckenforst  zerstört 
liatte  und  den  neuen  Christen   wohl   nur  wenig  getraut  haben  mag. 

iJie  I'raemonstratenser-Abtei  Arnstein  liegt  auf  einem  hohen,  nach  allen 
Seiten  steil  abfallenden,  nur  mittels  eines  schmalen  Kammes  mit  dem  höheren 
(lebirge  zusammenhängenden  Lerg,  von  dem  sie  auf  das  Lahnthal  und  die  Burg 
jjangcnau  hinabschaut.  Sie  verleugnet  nicht  ihren  Ursprung  als  Burg  der 
Crafen  von  Arnstein,  welche  diese  zum  Kloster  gestiftet  hatten. 

Die  Brunneburg,  auf  hohem  Felsen,  an  dessen  Fuss  eine  Ifeihjuellc  ent- 
springt, gelegen,  ist  auch  an  der  Landseite  von  steilen  Abhängen  umgeben,  an 
denen  man  di«;  l'mfassungen  erkennt,  die  sie  als  Burg  bedurfte.  Eine  arn- 
steinische  Tochter  (iisela  stiftete  hier  um  lOfU  — 1070  ein  adeliges  Fräulein- 
Kloster  nach  der  Regel   von   Praemonstrat. 

Der  Dom,  d.  h.  das  St.  (ieorgenstift  von  Limburg,  liegt  auf  einem 
Felsen,  der  von  zwei  Seiten  von  der  Lahn  bespült  wird,  bei  Hochwasser  aber 
konnte  man  sagen,  dass  er  einst  ringsum  wie  eine  Insel  von  Wasser  umgeben 
war.  Schon  zwischen  814  und  847  wurde  hier  eine  Kirche  des  heil.  Georg 
gegründet,  dessen  Jjindwurm  hier  wie  anderwärts  zum  Namen  des  Ortes  Ver- 
anlassung gab.     Um  010  wurde  die  Kirche  zum  Georgenstift  erweitert. 

Das  Benediktiner-Nonnenkloster  Dirstein,  jetzt  das  Kadettenhaus  Oranicn- 
stcin,  war  wahrscheinlich  eine  diezische  Stiftung.  Es  liegt  auf  einem  gegen 
die  Jiahri  vortretenden  Felsen,  welch(;r  dui'ch  ein  jetzt  ausgefülltes  'l'hal  von 
der  Hochfläche,  dem  Ilain  von  Diez,  getrennt  war. 


Nachtrag  zur  Geschichte  der  Steigbügel 

im  XXIV.   Haiulc  der  Annaleu  (1892). 


Von 

A.  Schlieben^ 

Miijur  a.   i). 

Hierzu  Tafol  VII  bis  IX  mit  155  Abbildungen. 


Die  l\it"oln  VJl  bis  IX  bieten  eine  NiicliloHO  von  ältoreii  und  neiu'reii 
Stoigbügelformen,  woIcIjo  ich  neuordiugs  in  den  Städten  an  der  Ostsee  von 
Königsberg  bis  Kiel,  in  Dänemark  und  Schweden,  an  verscliiedenen  Orten  im 
Innern  von  Dentschhind,  sowie  in  bihlHchen  Darstelhmgen  aller  Art  noch  gt;- 
fiinden  habe.  Wer  einmal  angefangen,  pHegt  auch  weiter  zu  sammeln  und  wird 
dem  üeschick  nicht  entgehen,  dass  alles,  was  er  veriUleutlicht,  kaum  gedruckt, 
schon  wieder  unvollständig  ist.  Ich  habe  nachträglich  Sammlungen  g(!funden, 
in  denen  die  Bügel  nicht  nach  Dutzenden,  sondern  nach  vielen  Hunderten  zählen, 
so  namentlich  die  der  physikalisch-ökonomischen  Gesellschaft  und  der  Prussia 
in  Königsberg,  welche  gerade  durch  das  massenweise  Wiederkehren  derselben 
Formen  einen  ganz  bestimmten  Charakter  zeigen,  wodurch  einzelne  abweicdiendo 
Stücke  um  so  mehr  hervortreten. 

Die  in  meiner  Geschichte  der  Steigbügel  vorsuchte  Charakteristik  d(M' 
Formen,  welche  in  den  einzelnen  Jahrhunderten  vorherrschen,  linde  ich  aucji 
bei  den  in  diesem  Nachtrage  aufgeführten  Exemplaren  bestätigt.  Bei  den  fast 
zahllosen  Bügeln  der  beiden  Königsberger  Museen  liegen  leider  nur  sehr  wenige 
bestimmte  Zeitangaben  vor.  Tischler  setzt,  wie  früher  angeführt  ist,  fast  alle 
Massenfunde  in  die  Zeit  bis  zum  XIII.  Jahrhundert,  d.  h.  der  letzten  Ileiden- 
zeit,  doch  umfassen  die  Funde  an  einzelnen  Orten  viele  Jahrhunderte  und  reichen 
bis  in  die  Wikinger-Zeit  zurück.  In  dem  Bericht  über  die  prähistorischen 
Arbeiten  der  pliys. -Ökonom,  Ges.  Band  XVIII,  1877  setzt  er  alle  in  die  Zeit 
um  das  Jahr  1000.  Vielleicht  geht  man  nicht  fehl,  wenn  man  in  Ermangelung 
anderer  Anhaltspunkte  die  schwereren  und  sorgfältiger  gearbeiteten  Stücke  der 
älteren,  die  einfacheren  und  zum  Teil  ganz  autlallend  leicht  gehaltenen  der 
jüngeren  Zeit  zuschreibt.  Je  allgemeiner  der  tJebrauch  der  Bügel  und  je  grösser 
der  Bedarf  wurde,  desto  weniger  Sorgfalt  konnte  auf  die  einzelnen  Exemplare 
verwendet  werden 


46 

Eine  andere  Bemerkung  drängt  sich  bei  dem  Vergleich  der  nordischen 
Formen  mit  den  mitteldeutschen  auf,  die  uns  ja  grösstenteils  nicht  in  wirklichen 
Fundstücken,  sondern  in  bildlichen  Darstellungen  vorliegen.  Die  eigentliche 
Dreiecksform  scheint  im  Norden  gar  nicht  vorzukommen,  vielmehr  zeigt  sich, 
ausser  der  vorherrschenden  hohen  und  der  ganz  runden  Form,  hauptsächlich 
die  lang  gezogene  eiförmige  in  verschiedenster  Abstufung  und  Ausführung. 

Wir  haben  schon  früher  gesehen,  dass  die  Bügel  mit  der  Zeit  überall 
länglich  werden  und  dass  nur  die  Ungarn  auch  in  neuerer  Zeit  wieder  auf  die 
runde  Form  zurückgegangen  sind. 

Die  Zeichnungen,  denen  die  deutschen  Bügel  zum  teil  entnommen  sind, 
dürften  doch  nicht  als  durchaus  massgebend  anzusehen  sein ;  abgesehen  davon, 
dass  sie  bei  Miniaturen  oft  recht  undeutlich  sind,  zeigen  sie  auch  auf  grösseren, 
sonst  recht  genauen  Zeichnungen  höchst  auffallende  Schnörkel  und  Ausführungen, 
die  man  am  liebsten  der  Phantasie  der  Künstler  zuschreiben  möchte,  so  die 
Figuren  159,  150,  147,  148,  151,  152  u.  a. 

Störend  wird  es  vielleicht  empfunden  werden,  dass  nicht  die  nordischen 
und  die  im  mittleren  Deutschland  vorkommenden  Bügel  gesondert  aufgeführt 
sind;  bei  einem  nochmaligen  Zusammenstellen  aller  früheren  und  der  jetzigen 
Formen  wäre  dies  vielleicht  durchführbar.  Wo  die  Form  ein  ununterbrochenes 
Fortschreiten  zeigt  und  sich  über  mehrere  Jahrhunderte  erstreckt,  sind  der 
Übersicht  zuliebe  frühere   und    spätere  Fundstücke   zusammengehalten    worden. 

Lässt  auch  die  Datierung,  besonders  bei  ganz  vereinzelt  vorkommenden 
Funden  ohne  sonstige  Beigaben  noch  zu  wünschen  übrig,  so  bieten  doch  die 
Zeichnungen  mit  diesem  Anhange  nun  schon  eine  solche  Fülle  sicherer  Stücke, 
dass  man  nicht  mehr,  wie  bisher,  irgend  einer  Form  völlig  ratlos  gegenüber 
stehen  wird.  Ganz  entmutigt  kann  man  aber  werden,  wenn  man  in  einzelnen 
Gegenden  Pommerns  und  Holsteins,  in  welchen  die  Knechte  mit  vier  Pferden 
fahren  und  dabei  auf  dem  Sattelpferde  reiten,  die  Bügel  betrachtet,  welche  sie 
führen.  Alle  Muster  seit  dem  XVI.  Jahrhundert  und  diese  von  einer  Weite, 
wie  sie  damals  die  Bärenfüsse  und  Mailänder  Schuhe,  später  die  schweren 
Reiterstiefel  erforderten,  sind  in  allen  Trödelläden,  oft  nicht  einmal  paarweise 
passend,  aufgekauft  und  müssen  jetzt,  an  einem  Sattelkissen,  einer  Art  von 
Ephippium,  um  es  klassisch  zu  benennen,  befestigt,  die  mit  grossen  Holzschuhen 
bekleideten  Bauernfüsse  aufnehmen.  Viele  dieser  Bügel  habe  ich  wirklich  für 
alt  gehalten,  denn  solche  Formen  findet  man  sonst  nur  bei  den  nordischen 
Bauern  des  letzten  und  vorletzten  Jahrhunderts. 

Die  den  Figuren  beigegebene  Beschreibung  enthält  zugleich  diejenigen 
Bemerkungen,  welche  eigentlich  im  Text  hätten  besprochen  werden  müssen. 

Erklärung  der  Abliildiiiigeii,  Angabe  der  (Quellen  und  IJesitzer, 

Die  römischen  Schlußs-Ziffern  bedeuten  das  Jahrhundert. 

353.  Fragmente  eines  Steigbügels  aus  dem  Kringberg  in  Holstein ,  durch 
Münzen  etc.  als  der  karolingischen  Zeit  angehörend  sicher  nachgewiesen, 
s.  Zeitschr.  für  Gesch.  v.  Schlesw.-Holst.-Lauenbg.    Kiel   188G,  Bd.  XVI, 


47 

S.  411.     Es  wird  angenommen,    dass    der  Bügel    mit   den  Pranken    nach 
dem  Norden  gekommen  ist.     IX. 

354.  Altert.-Museum  Kopenhagen,  Bronze,  Öse  abgebrochen.  X.? 

355.  Fund  im  Torfmoor,  Bronze.    Ebenda.     X. 

356.  Landfund  aus  Jütland,  der  Bügel  ist  mittels  Bronzeplatte  auf  dem  Bügel- 
riemen festgenietet,  Museum  in  Kopenhagen.  X.  Daselbst  noch  mehrere 
andere  bis  75  cm  hohe  Bügel,  zum  teil  tauschiert,  alle  zerbrochen,  aber 
mit  dreieckigen  Schenkeln,  umgebogener  Sohle  und  knopfartiger  Verstär- 
kung am  Beginn  derselben,  ähnlich  Fig.  108. 

357.  Aus  Kösnicken  in  Ostpreussen,  Sohle  3 — 4  cm  breit  und  etwas  gewölbt, 
befindet  sich  im  Museum  der  phys.-ökon.  Ges.  in  Königsberg.     X.— XIII. 

358.  Aus  Löbershof,  Kreis  Labiau,  Ostpr.  Dort  sind  fast  alle  Formen  in 
Hunderten  von  Exemplaren  vertreten,  meist  paarig,  viele  sehr  leicht,  durch 
Münzen  und  anderes  datiert,  sie  umfassen  mehrere  Jahrhunderte.  Man 
kann  5  Typen  unterscheiden:  1)  Ohne  Öse,  fast  rund.  Sohle  schmal,  Fig.  369 -, 
2)  ohne  Öse,  Schenkel  mehr  gestreckt.  Sohle  breit,  Fig.  381;  3)  rundes 
Ösenloch,  Absatz  vor  der  Sohle,  Fig.  391;  4)  Öse  viereckig,  breit.  Sohle 
zungenförmig,  kein  Absatz,  Fig.  358;  5)  hohe  Form,  wahrsch.  die  älteste, 
Fig.  401.  Ganz  dieselben  Formen  finden  sich  in  Popelken,  Kreis  "Wehlau. 
Alles  im  Prussia-Museum,  Königsberg.    XI. — XIII. 

359.  Aus  Ostpreussen,  jüngste  heidnische  Zeit,  physik.-ökon.  Gesellsch.  Königs- 
berg.    Silbertauschierung,   10  cm  Durchm.     Yor  XIII. 

360.  Eisen,  vergoldet,  Stockholm,  Nat.-Museum.     XL— XIII. 

361.  Sehr  leicht,  Kopenhagen,  Altert.-Museum.     XII. 

362.  Aus  Kirpehnen,  Ostpreussen,  Königsberg.     Prussia.     XI.— XII. 

363.  364.    Cornieten,  wie  359.     XII. 

365.  Wie  359,  aber  nicht  täuschiert. 

366.  Kirpehnen,  daneben  die  Formen  von  358.  Prussia.       XL — XIII. 

367.  Relief  auf  einer  Island.  Kirchenthür;  der  Bügel  ist  am  Sattelknopf  be- 
festigt, Kopenhagen,  Alt.-Museum,     Um  1030. 

368.  Federzeichnung  aus  einem  Pergament-Manuskript,  enthaltend  des  Pfaffen 
Konrad  Gedichte  von  Karl  d.  Gr.  d.  Bibliothek  zu  Heidelberg,  aus  Hefner- 
Alteneck  Bd.  II,  Taf.  79.     XIL 

369.  Löbershof  s.  358. 

370.  371.    Ostpreussen,  phys.-ökon.  Gesellsch.     XIII. 

372.  Kreis  Fischhausen,  nebst  vielen  anderen,  teils  runden,  teils  länglichen  Bügeln, 
Sohle  bisweilen  ganz  flach.     Prussia.     XIII. 

373.  Gallhofen,  mit  Silbertauschierung.   Königsberg,  phys.-ökon.  Gesellsch.  XIII. 

374.  Ebenda.     XIII. 

375.  Fast  kreisrund,  häufig.     Ebenda.    XIII. 

376.  377.  Ebenda.     XIIL 

378.  Kirpehnen,  Prussia.     XIIL 

379.  Phys.-ökon.  Gesellsch.  XHI. 

380.  Ilischken,  Kreis  Wehlau.     Prussia.     XIII, 

381.  Löbershof  s.  358. 


48 

382.  Ganz  leicht,  wie  Kinderbügel,  wie  379.     XIII. 

383.  Cornieten,  Ostpreussen.  Ose  gedreht,  aber  abgebrochen,  ganz  leicht, 
10  :  7  cm.     Phys.-ökon.  Gesellsch.     XIII. 

384.  Sehr  leicht.     Ebenda.     XIII. 

385.  In  Königsberg  gefunden.     Prussia.     XIII, 

386.  Wie  372. 

387.  Übereinander  geschweisste  Schenkel,  Sohle  ebenso  breit,  aber  ihre  Fläche 
senkrecht  zu  jener.  Polwitten,  Ostpr.  Auch  tauschierte  Exemplare  mit 
Goldstreifen,  ähnlich  in  Cornieten,  aber  sehr  klein.  Phys.-ökon.  Gesellsch. 
XIII. 

388.  Aus  einem  Pfahlbau  bei  Lubtow.     Stettin,  Museum.     XIII. 

389.  Der  hintere  obere  Rand  steht  etwas  höher,  als  der  vordere,  daher  schräge 
Fläche,  in  wenigen  Exemplaren  vorhanden,  phys.-ökon.  Gesellsch.     XIII. 

390  a  u.  b    Oberteile,    c   Sohle    zu    ostpreuss.    Bügeln.      Ebenda.     XIII. 

391.  Löbershof  s.  358  u.  392. 

392.  Typische  Form,  Sohle  oft  noch  runder  und  etwa  so  breit  wie  die  Schenkel, 
aber  senkrecht  zu  diesen  stehend.  Gallhofen  und  Cornieten,  Ostpr.  Phys.- 
ökon.  Gesellsch.     XIII. 

393.  Gallhofen,  Silbertausch.    12:11  cm.     Ebenda.     XIII. 

394.  Genietet  ohne  Ösenloch  13:12  cm.     Cornieten,  ebenda.     XIII. 

395.  Prachtstück;  durch  ein  Gerippe,  dessen  zugehörige  Rüstung  dasselbe  Or- 
nament hat,  als  sicher  dem  XIII.  angehörend,  nachgewiesen;  a)  Aufriss, 
b)  Seitenansicht,  oben  Lederstrippe  mit  Metallbeschlag,  c)  Sohle.  Aus 
Kunterstrauch,  Kr.  Pischhausen.     Königsberg,  Prussia. 

396.  Prachtstück.  Aus  Dolkheim,  Ostpr.  10  cm,  Silbertausch.  Phys.-ökon. 
Gesellsch.  XIH. 

397.  Ostpr.    Häufige  Form,  ebenda.     X. — XIII. 

398.  Stadt.  Museum  Danzig,   kolossaler  Bügel,  30  :  12  cm.     X.— XIII. 

399.  Gef.  bei  Radegast  bei  Dessau,    jetzt  im  Museum  zu  Kühnau  bei  Dessau. 

400.  Der  Aufsatz  ist  9  cm  breit,  der  Bügel  11  :  11 .    Phys.-ökon.  Gesellsch.    XIII. 

401.  Aus  Ilischken,  Ostpreussen,  von  einem  heidnischen  Begräbuisplatze, 
12:9  cm.     Prussia.     XIII . 

402.  Wie  400. 

403.  Aus  Gallhofen,  Ostpreussen,  8:10  cm,  wie  400.     XIII. 

404.  Aus  Kösnicken,  Silbertausch.,  14:11  cm,  wie  vorher.     XIII. 

405.  Fragment,  sehr  fein,  Stockholm,  Nat. -Museum.     XIII. 

406.  Ostpreussen,  wie  400. 

407.  Bei  Gothenburg  in  einem  Hügel  gefunden,  Stockholm,  Museum.     XIII. 

408.  Aufriss  und  Seitenansicht.     Öse  querstehend,  wie  400.     XIII. 

409.  Polwitten,  schön  tauschiert,  11  :  8  cm,  stark  zerfressen,  wie  387.     XIII. 

410.  Stockholm,  Nat.-Museum.  Andere  hohe  Bügel  mit  umgestülpter  Sohle  und 
sehr  breiten  Ösen,  oft  dreimal  so  hoch  als  breit,  alle  mit  Knöpfen  über 
der  Sohle.     Ebenda.     XIII. 

411.  Cornieten,  s.  363.     XIII. 

412.  Wie  410.     Vor  XIH. 


49 

413.  Skulptur  vom  Gross-Münster  in  Zürich,  nach  Forrer  und  Zschille  „der 
Sporn«   Taf.  IV,   11.     XI. 

414.  Aus  der  Aneide  Heinrich  v.  Veldekes,  Bibl.  Berlin,  nach  Forrer  und 
Zschille  Taf.  VII,  7.     XII. 

415.  Wandgemälde  in  der  Alhambra  nach  Wagner,  „Trachten  des  Mittelalters", 
Taf.  V,  1.     XIII. 

416.  Schloss  Ilsenburg,  Eisen,  wahrscheinlich  maurisch.     XIII. 

417.  Aus  den  Costume-Bildern  von  Pauquet  freres.     XIV. 

418.  Aus  Hefner- Alteneck,  n.  Abt.  Taf.  31.  Der  Bügel  scheint  unter  den  Sattel- 
gurt geschnallt  zu  sein.     XIV. 

419.  Darstellung  des  heil.  Georg  auf  einer  Messingschüssel.    Mus.  in  Stralsund. 

420.  Aus  einem  Manuskript  des  XV,  Jahrh.,  den  Ritter  Georg  darstellend. 
Anz.  des  germ.  Museums  zu  Nürnberg  1892,  2,  Nr.  42,     XV. 

421.  Griechisches  Gemälde  auf  Holz  aus  Hist.  de  l'art  d'apres  les  mouuments, 
Kaiser  Theodorus  (?)  vorstellend.     Tom.  V,  table  90.     XIH. 

422.  Bügel  des  Herzogs  Ludwig  von  Bayern;  Federzeichnung  aus  dem  Fechtbuche 
von  Paulus  Kai,  Hefner  IV,  267.     1479. 

423.  Aus  dem  Turnierbuche  von  Hans  Burkmaier.  Augsburg  1553.  Bügel 
Friedrichs  HI,  von  Sachsen,     Hefner,  Tafel  109.     1497. 

424.  Ebenda.     Bügel  Maximilians  I.     1497. 

425.  Aus  einem  Schachzabelbuche  der  Bibl.  zu  Stuttgart,  nach  Hefner  HI, 
328.     XV. 

426—431.  Aus  Zeichnungen,  die  Wahl  und  Krönung  Heinrichs  VH.  1307  dar- 
stellend.    Altert.-V.  Wiesbaden.     XIV. 

432.  Deckengewölbe  in  der  Alhambra  nach  Hefner  HI,  182.     XIV. 

433.  Aus  Codex  793  des  germ.  Museums,  Nürnberg,  aus  dessen  Anzeiger  1892, 
Nr.  52.     XIV-XV. 

434.  Frachtstück  mit  Silber  ausgelegt.  Original  im  geh.  Archiv  zu  Königsberg, 
stammt  aus  der  Schlacht  von  Rudau  am  17.  2.  1370  (Herzog  von  Litthauen 
gegen  d.  deutschen  Orden),  also  mit  Bezug  auf  Bd.  XXIV,  S.  201  wohl 
litthauisch.     XIV.     Die  Form  d.  Sohle  erinnert  an  No.  490,  103,  199,  230. 

435.  Museum  in  Wismar,  ebenda  ein  kleinerer  derselben  Form. 

436.  Aus  Hefner  II,  Tafel  1.  Der  Bügel  ist  von  Innen  auf  d.  Fuss' genom- 
men.    1480. 

437.  Darstellung  des  h.  Georg  im  Artushofe  zu  Danzig.     XV. 

438.  Mongolischer  Bügel,  Relief  von  einem  Helme,  wahrscheinlich  die  Schlacht 
von  Ancyra  1402  darstellend.     Besitzer  Herr  Blell  in  Lichterfelde. 

439.  Kolorierte  Federzeichnung  aus  dem  „welschen  Gast"  nach  Hefner  H, 
Taf.  107.  a)  eines  Kriegers,  b)  des  Dichters,  Riemenbügel  mit  Buckeln 
verziert.     XIH. 

440.  Von  einer  isländ.  Kirchenthür,  vielleicht  Riemenbügel,  am  Sattelknopf  be- 
festigt.    Nach  Worsaae,  nord.  Altert.  S.   127.     XII. 

441.  Hölzernes  Standbild  des  h.  Georg  mit  eisernen  Bügeln,  der  Mittelbogen 
der  Sohle  ist  ganz  nach  oben  gewölbt.  Kopenhagen,  Altert.-Museum. 
Ungefähr  XV. 


50 

442.  Maurisches  Wandgemälde  der  Alhambra  nach  Wagner,  „Trachten  des 
Mittelalters",  Taf.  lY,  1.     XIH. 

443.  Angeblicher  Wikinger-Bügel  von  Söborg  auf  Seeland.  Viele  solche  Bügel 
sind  in  Jütland  gefunden.     Kopenhagen,  Altert.-Museum. 

444.  Aus  der  Sammlung  von  Gross-Kühnau  bei  Dessau.     XY. — XYI. 

445 — 448.  Die  Bügel  wurden  in  einem  Pfahlbau  bei  Zantoch  auf  dem  linken 
Ufer  der  Warthe  gefunden,  einer  inselartigen  Erhöhung,  auf  welcher  sich 
Fundstücke  aus  allen  Jahrhunderten  bis  zum  vorigen  herab  fanden.  Lands- 
berg a.  d.  Warthe,  städtische  Sammlung.     XY.— XVI. 

449.  Museum  in  Stettin.     XYI. 

450.  Standbild  des  h.  Georg  aus  der  grossen  Kirche  in  Stockholm,  jetzt  im 
Museum;  Sohle  mit  umgebogener  Zunge,  unsymmetrisch.     XY. 

451.  Aus  dem  städtischen  Museum  im  Franziskanerkloster  in  Danzig;  dieser 
Form  liegt  das  scharfwinklige  Dreieck  zu  Grunde.     XV. 

452.  Gantschendorfer  Fund,  paarig,  Sammlung  in  Stralsund.     XV. 

453.  Polnischer  oder  ungarischer  Bügel.    Stadt.  Sammlung  in  Landsberg  a.  d.  W. 

XYI.— xvn. 

454.  455.  Aus  der  Galerie  der  Meisterwerke  altd.  Holzschnitzkunst  von  v.  Eye 
und  Falke,  germ.  Museum,  Nünberg  1858,  den  Triumphzug  Maximilians  I. 
darstellend.     XYI. 

456.  Relief  auf  Solenhofener  Stein,  nach  Hefner  VII,  479.     XVL 

457.  Aus  Henne  v.  Rhyn,  Kulturgesch.  des  deutschen  Volkes,  H,  S.  120. 
Bügel  mit  Lanzenschuh.     XYII. 

458.  Bügel  des  Herzogs  Wilhelm  IV.,  nach  Hefner  VIII,  558.     1550. 

459.  S.  454  u.  455. 

460.  Wie  456.  Bügel  Karls  V.  Hier  wie  dort  sind  die  Bügel  von  Innen 
auf  den  Fuss  genommen.     XVI. 

461.  Federzeichnung  des  germ.  Museums,  nach  Hefuer  VII,  487.     XVI. 

462.  Hist.  Museum  Dresden.     Hefner  YIII,  565.     XVI. 

463.  464,  Sammlung  in  Gross-Kühnau  bei  Dessau. 

465.  Bügel  aus  Westergothland.     Stockholm.     Vielleicht  XYI. 

466,  467,  470.  Bügel  von  schwedischen  und  norwegischen  Bauernsättelu  aus 
dem  Stockholmer  Museum.    Zeit  nicht  genau  zu  bestimmen,  vielleicht  XVII. 

468.  Städtisches  Museum  in  Danzig.     XYII. 

469.  Nach  Hefner  VHI,  558.     Mitte  XVI. 

471.  Angeblich  von  den  Hussiten  herrührend,  11  :  16  cm.  Der  Bügel  hängt 
an  einer  Kette,  deren  Haken  in  die  Öse  greift  und  durch  eine  Schraube 
geschlossen  ist.     Bernau.     XV. 

472  —  474.  Drei  Paar  ganz  auffallender  Bügel  auf  der  Feste  Coburg,  ungefähr 
25  cm  hoch  u.  15  cm  weit,  die  Schenkel  20  cm  breit,  die  Sohle  auf  Ys 
der  Höhe  von  unten  angebracht,  bei  472  durch  einen  eisernen  Bolzen 
festgehalten.  Sie  sind  von  Eisen,  mit  Zeug  gefüttert;  bei  474  ist  der 
offene  Rahmen  mit  farbigem  Tuch  bekleidet;  sie  waren  wohl  für  Festlich- 
keiten bestimmt.     XVI. — XYII. 


51 

475.  Mexikanisch-spanische  Bügel  nach  Demmin  S.  656,  welcher  sagt,  dass 
die  Spanier  derartige  sehr  schwere  Bügel  unter  Ferdinand  Cortez  in  der 
Schlacht  von  Otumba  führten.     XVI. 

476.  Aus  der  Sammlung  in  Wisby.     XYI. 

477.  Altert, -Museum  in  Kopenhagen.     XVI. 

478.  Sammlung  auf  der  Rosstrappe.  Derselbe  Bügel  ist  im  Schweriner  Museum 
als  bayrischer  Kürassierbügel   von  1866   bezeichnet,  vergl.   Fig.  434,  103. 

xyn. 

479.  480.  Im  Harz  gefunden.     Sammlung  auf  der  Rosstrappe.     XVII. 

481.  Wie  466. 

482.  Wie  476.     XVH. 

483.  Messing,  vergoldet,  Stockholm,  National-Museum,  1611  —  1654. 

484.  Stettiner  Museum.    XVII. 

485.  Ostpreussen,  Museum  der  Prussia,  mit  Silber  tauschiert.  Öse  drehbar. 
XVII. 

486.  Im  Schloss  zu  Dessau.     XVII. 

487.  Schwedischer  Bügel  zur  Zeit  Karls  XI.  u.  XII.  Bei  den  Geschirren  des 
XIX.  Jahrh.  hat  die  Sohle  noch  einen  Mittelsteg  und  ist  scharf  gemacht. 
Stockholm,  Artill.-Museum.     XVII.  resp.  XIX. 

488.  Bügel  Heinrichs  H.  nach  Wagner,  „Trachten  des  Mittelalters",  Heft  IV, 
Blatt  2,   No.  5.     Original  in  der  Sattelkammer    zu  München.     XVI   oder 

XVII. 

489.  Aus  dem  Schloss  zu  Ilsenburg,  wohl  ungarisch.  Angeblich  Damenbügel, 
Öse  nicht  drehbar.  Sohle  oval,  Höhe  mit  Öse  20  cm,  vgl.  Fig.  214.    XVII? 

490.  Paar  Messingbügel,  angeblich  von  der  Tannenberger  Schlacht  1410  her- 
rührend, in  Elbing  gekauft.    Prussia  in  Königsberg.    Wahrscheinlich  XVII. 

491.  Paar  kleiner  Bügel,  12  cm  hoch,  dem  Baron  v.  Feilitsch  auf  Stendorf  bei 
Kosen  gehörig.     XVH. 

492.  Bügel  eines  Tuarik-Fürsten  (Wüste  Sahara),  schwarz  mit  Gold.  Kopen- 
hagen, ethnograph.  Museum,  vergl.  250. 

493.  Schwedischer  Bügel  aus  dem  Museum  in  Stettin,  sehr  gross,  drei  Buckeln 
auf  jeder  Seite  der  aufsteigenden  Sohle,  deren  Ebene  auf  der  Schenkel- 
ebene senkrecht  steht.     XVHI. 

494.  Schwedischer  Bügel  für  Artill.-Offiz.,  Modell  1815,  1837  und  1846;  ganz 
ähnlich  dem  vorigen.     Artill.-Museum  Stockholm.     XIX. 

495.  Schwedischer  Bügel  für  Artillerie,  1876  und  1871.     Ebenda.     XIX. 

496.  Bügel  eines  Balifürsten  (bei  Java).  Ethnograph.  Museum  Kopenhagen.  XIX. 

497.  Aus  West-Nigritien  (Senegambien).     Ebenda.     XIX. 

498.  Sturzbügel,  Patent  Hawkins,  London.  Zwei  getrennte  Bügel,  durch  Stifte 
aufeinander  festgehalten,  fallen  auseinander,  wenn  der  innere  durch  den 
festsitzenden  Fuss  gedreht  wird.     XIX. 

499.  Mexikanischer  Steigbügel,    sehr   sauber    in  Holz  geschnitten,    Öffnung  für 

den  Fuss  13  cm  hoch,  ganze  Höhe  19,  Breite  25,  Tiefe  oben  14,    unten 

22    cm.      Im   Besitze    des   Rittergutsbesitzers    Herrn    E.    Duderstadt    auf 

Neverstaven  bei  Oldesloe. 

4« 


52 

500.  Bügel  mit  Eiseuschieneu,  unbekannter  Bestimmung,  vielleicht  Teil  einer 
Maschine  oder  zum  Schutz  gegen  den  Deichselschlag,  dann  wäre  aber  die 
obere  Platte  falsch  eingezogen;  letztere  ist  9  cm  breit,  die  senkrechte  53 
hoch,  6V2  breit,  Bügel  23  hoch.  Sohle  15  lang.     Stettin,  Museum. 

501.  Beispiel  einer  Fussbank  am  Prauensattel,  von  einem  Reliquienschrein  aus 
der  Kunstkammer  des  Fürsten  C.  A.  von  Hohenzollern,  nach  Hefner, 
7.  Lief.,  PI.  41  und  42. 

502.  Isländischer  Sattel  mit  Fussbank  nach  den  Abbildungen  aus  dem  nordischen 
Museum  in  Stockholm,  herausg.  von  Hazelius  1890,  2.  und  3.  Abt.,  PI.  17. 
Yergl.  den  Text  der  Annalen,  Band  XXIY,  S.  211. 

508.  Rechter  Bügel  der  Statue  Kaiser  Conrad  III.,  oder  nach  Anderen  Stephans, 
des  Schwagers  Heinrichs  II.  Die  Statue  befindet  sich  im  Dom  zu  Bam- 
berg; bei  der  ungünstigen  Stellung  derselben  ist  das  Detail  des  Bügels 
nur  schwer  zu  erkennen.  Er  scheint  unsymmetrisch  zu  sein.  Konrad  IH. 
lebte  im  XII.,  die  Statue  scheint  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  zu  sein. 

504.  Bügel  aus  Immenstedt  in  Schleswig,  Wiederholung  von  Fig.  42,  welche 
etwas  verzeichnet  ist. 

505,  506,  507.  Wiederholung  der  Fig.  49,  50,  51,  welche  gleichfalls  verzeich- 
net sind. 


Von  den  Seite  218  erwähnten  Armbrustbügeln,  welche  zu  Verwechse- 
lungen mit  Steigbügeln  Veranlassung  geben  können,  habe  ich  noch  Exemplare 
in  Upsala  und  Bernau  gefunden.  Bei  Worsaae  (Fig.  488)  ist  ein  nordischer 
derartiger  Bügel  abgebildet,  welcher  an  der  Sohle  dieselben  Umstülpungen,  wie 
die  hohen  Steigbügel  {Fig.  108,  109,  110,  117  u.  a.)  zeigt,  welche  im  Norden 
die  verbreitetsten  waren  und  noch  im  XIII.  Jahrh.  vorkommen.  Dieser  Arm- 
brustbügel  gehört    der  Zeit    des   nordischen  Spitzbogenstiles  (1300  —  1536)    an. 


Berichtigung:  eil. 

Fig.  4:2,  dafür  ist  zu  setzen  Fig.  504. 

Fig.  49,  50,  51,  dafür  ist  zu  setzen  Fig.  505,  506,  507. 

Fig.  90  niuss  ganz  schräge  stehen,  sodass  das  Bein  mit  der  Horizontalen  etwa  einen  Winkel 

von  30  Grad  bildet. 
Fig.  105  u.  125  sind  ganz  zu  streichen;   letztere   Zeichnung   ist   nach    Bode,  Geschichte  der 

Plastik,  Berlin  1887,  S.  66  aber  nicht  richtig,  siehe  No.  503. 


über  die  Gründung  der  Behemschen  Druckerei 

in  Mainz. 


Von   Dr.    H.   Forst. 


Eine  nicht  uninteressante  Ergänzung  zu  dem  im  Jahre  1889  an  die  Mit- 
glieder des  Vereins  verteilten  Werke  von  Dr.  S.  Widmann  über  Franz  Behem 
findet  sich  im  zweiten  Bande  der  „Geschichte  der  katholischen  Kirche  in  Irland" 
von  Dr.  A.  Bellesheim  (Mainz  1890)  S.  692.  Bellesheim  veröffentlicht  dort 
einen  lateinisch  geschriebenen  Brief  des  bekannten  katholischen  Schriftstellers 
Cochlaeus  an  den  irischen  Erzbischof  Robert  Wauchop,  datiert  Worms,  den 
20.  November  1540.  Hier  erzählt  Cochlaeus,  wie  sein  bisheriger  Drucker  in 
Leipzig,  Nicolaus  Wohlrab,  nach  dem  Regierungsantritt  des  lutherisch  gesinnten 
Herzogs  Heinrich  verhaftet  und  die  Druckerei  gesperrt  worden  sei.  Dann  fährt 
er  fort: 

„Also  wurde  ich  gezwungen,  mich  an  einen  anderen  Verwandten  zu  wenden, 
der  in  Dresden  wohnte  und  unter  Herzog  Georg  Buchbinder  und  Buchhändler 
war.  Dieser  verkaufte  und  verliess  auf  meinen  Rat  alles,  was  er  in  Dresden 
besass,  zog  mit  seiner  Frau  (die  meine  Nichte  von  meiner  Schwester  her  ist), 
und  seinen  kleinen  Kindern  nach  Mainz  und  kaufte  von  einem  anderen  zu 
Leipzig  wohnenden  Verwandten  gute  metallene  Schrift,  um  mir  und  anderen 
katholischen  Schriftstellern  zu  dienen." 

Dies  stimmt  genau  zu  den  Thatsachen,  die  Widmann  S.  2 — 4  über 
Franz  Behem  zusammengestellt  hat. 


Neuere  das  Vereinsgebiet  betreffende  oder 
berührende  Litteratur 

mit  Ausnahme  der  in  diesen  Annalen  enthaltenen  Abhandlungen  und  Mitteilungen. 

Abgeschlossen  im  Dezember  1892. 
Von 

F*   Otto* 


Adel  s.  Urkunden. 

Archive:  Die  Habeischen  Archivalien.    Archivalische  Zeitschrift,  N.  F.  I.  1890, 
S.   193  ff.  —  L.  V.  Rockinger,    Vier  Handschriften    und   ein  alter  Druck 
deutscher  Rechtsbücher  aus  der  Bodraann-Habel-Conradyschen  Sammlung. 
Ebenda  H.  1891,  S.  32  ff. 
Nik.  Bach  (von  Montabaur):  F.  Zwenger,  Hessenland,  1891,  S.  4  u.  20. 
Bibliotheken:  Th.  Gottlieb,  Über  mittelalterliche  Bibliotheken.    Leipzig  1892. 
(Kl.  Arnstein,   Kl.    Schönau,   Kl.   Marienstatt,    Graf   von    Katzenelnbogen, 
Hermann  von  Wiesbaden.) 
Biebrich-Mosbach:    Heppenheimer,   Denkschrift    über    meine   30jährige   Ge- 
meindeverwaltung von  1861 — 1891.  23  S. 
J.  Butzbach:    G.  Knod,  Zur  Kritik  des  J.  Butzbach.     Annal.  d.  bist.  Ver.  f. 
d.  Niederrhein.    Köln.    Heft  52  (1891),    S.   174—234.     (Abt  Emicho  von 
Schönau,  Job.  de  Croenbergh,  Abt  Job.  zu  Schönau,  Joh.  de  Laenstein.) 
Christentum:  F.  Otto,  Die  ältesten  Spuren  des  Christentums  in  Nassau.    Ev. 
Gemeindeblatt  1892,  No.   19  (S.  147/148)  u.  20  (S.  156/157). 

F.  X.  Kraus,    Die  christlichen  Inschriften  der  Rheinlaude:   I.  Die  alt- 
christlichen Inschriften  der  Rheinlande  von  den  Anfängen  des  Christeu- 
turas bis  zur  Mitte  des  8.  Jahrhunderts ;    H.  . . .  von  der  Mitte  des 
8.  Jahrh.  bis  zur  Mitte  des  13.  Jahrb.,  Abt.  1,  1890.  1892.  (Nassau  I. 
No.  47-58,  n.  No.  273-276.)   Vgl.  V.  Schnitze,  Geschichte  des  Unter- 
gangs   des   griechisch-römischen    Heidentums.      H.    Die    Ausgänge. 
Jena   1892. 
J.  Ph.  Cratz  zu  Scharfenstein :    Irmer,  Die  Verhandlungen  Schwedens  und 
seiner  Verbündeten  mit  Wallenstein  und  dem  Kaiser  von   1631   bis  1634, 
Bd.  U  u.  IH.    (Publikationen   aus    den  Königl.  Staatsarchiven.)     Leipzig, 
Hirzel,  1889  u.   1891   (H.  S.  275,  291,  309  u.  s.  w.) 


55 

Fulda:  Zwenger,    Die   Auflösung    des    Benediktiner-Klosters    zu   Fulda   (durch 

den  Prinzen  von  Oranien).  Hessenland,  1892  S.  273,  288. 
L.  V.  Gerlach:  Denkwürdigkeiten  aus  dem  Leben  L.  v.  Gerlachs,  General 
der  Infanterie  und  Generaladjutant  König  Friedrich  Wilhelm  IV.  Aus 
seinen  Aufzeichnungen  von  seiner  Tochter  herausgegeben.  I.  Berlin  1891. 
(S.  25  u,  54  Prinz  Wilhelm  zu  Ems,  Schwalbach,  Wiesbaden,  Biebrich 
1827  u.  1830;  S.  660  König  Friedrich  Wilhelm  zu  Biebrich  1851;  Max 
V.  Gagern  zu  Berlin  1848,  S.  187;  Präsident  v.  Wintzingeroda  in  Berlin 
1850,  S.  476;  Furcht  vor  Rheinbundgelüsten  1852,  S.  757.) 

Die  deutschen  Gesellschaften  s.  u.  Nassau. 

Gleiberg:  H.  Haupt,  Urkundliches  zur  Geschichte  Rodheims  a.  d.  Bieber  und 
der  Gleiberger  Burgkapelle.  Mitteil.  d.  Oberhessischen  Geschichtsvereins, 
N.  F.  IH.  1892,  S.  91  ff.  (Graf  Philipp  H.,  Ludwig  I.  und  Philipp  IH. 
von  N.-Weilburg,  1470,  1510,   1532.) 

Hachenburg:  Mitteilungen  aus  dem  Stadtarchiv  von  Köln,  Heft  21,  S.  80. 
1444  Verkauf  einer  Waldmühle  in  der  Altstadt;  Zylbrecht  v.  Seibach, 
Drost  zu  Hachenburg. 

Herborn :  A.  Ulrich,  Niederdeutsche  Studenten  auf  fremden  Universitäten.  Zeitschr. 
des  hist.  Ver.  f.  Medersachsen  1889,  S.    199    (zu  Herborn  1589—1623). 
Arnos  Comenius  zu  Herborn.     Rhein.  Kurier  1892,  Nr.  94. 

Höchst:  A.  v.  Drach,  Fayence-  und  Porzellan-Fabriken  in  Alt-Kassel.  Hessen- 
land, 1891,  S.   129. 

Höhenkultus:  F.  v.  Adrian,  Der  Höhenkultus  asiatischer  und  europäischer 
Völker.    Eine  ethnographische  Studie.  Wien  1891.    (Der  Altkönig,  S.  350.) 

Homburg:  L.  Jacobi,  Über  Missbräuche  bei  Hochzeiten,  Taufen  u.  s.  w.  im 
17.  u.  18.  Jahrh.     Mitteil,  des  Ver.  zu  Homburg,  IV,  S.   11  ff. 

—  — ,  Das  h.  Grab  auf  dem  reformierten  Kirchhofe  zu  Homburg. 
Ebenda  S.  21  ff. 

Hundeshagen:  J.  NoU,  H.  B.  Hundeshagen   und   seine  Stellung  zur  Romantik. 

Frankfurt  a.  M.   1891,    Programm  des  Kaiser-Friedrich-Gymn.    45  S.    4". 

(s.  auch  unten  bei  Varrentrapp). 
Isenburg:  M.  Mayer,    Geschichte   der    Mediatisierung   des   Fürstentums   Iseu- 

burg.     München   1891. 
Juden:    M.  Silberstein,  Wolf  Breidenbach   und    die  Aufhebung  des  Judenzolls 

in    Deutschland.      Mit   besonderer    Rücksicht    auf  Nassau.      Zeitschr.    für 

Gesch.  der  Juden  in  Deutschland.     Sonderabdruck   1891,  20  S. 

—  — ,  Der  Judenzoll  und  seine  Aufhebung  in  Nassau.  AUg.  Zeitschr. 
des  Judenturas,  Bd.  54,  Nr.  38,   1890. 

Brief  Breidenbachs  an  H  v.  Gagern  vom  6.  Sept.  1806.  Jüd.  Litt.- 
Bl.  1890,  Nr.  24. 

Hebräische  Berichte  über  die  Judenverfolgungen  während  der  Kreuz- 
züge. Im  Auftrage  der  hist.  Kommission  für  Geschichte  der  Juden 
in  Deutschland.  Herausgegeben  von  A.  Hessbauer  und  M.  Stern, 
deutsch  von  S.  Baer.  In  Bd.  II  der  Quellen  zur  Geschichte  der 
Juden  in  Deutschland, 


56 

Kelten:  H.  SchaafFhausen,  Die  Kelten.  Bonner  Festschrift  zum  50jährigen 
Jubiläum  des  Vereins  von  Altertumsfreunden  im  Rheinlande.  1891,  S.  62  ff. 

Klöster:  G.  Bucelin,  Übersicht  der  Mönchsabteien  des  Benediktinerordens  in 
Deutschland,  Österreich  und  der  Schweiz  bis  zum  Anfang  dieses  Jahr- 
hunderts.    Archiv.  Zeitschr.  N.  F.  11  (1891),  S.  188  ff. 

Klostersagen:  A,  Kaufmann,  Wunderbare  und  denkwürdige  Geschichten  aus 
den  Werken  des  Caesarius  von  Heisterbach,  ausgewählt,  übersetzt  und 
erläutert.    II.    Ann.  d.  histor.  Ver.  f  d.  Niederrhein,  H.  53.    Köln  1891. 

Krieg  und  Kriegswesen:  B.  Poten,  Geschichte  des  militärischen  Erziehungs- 
und Bildungswesens  in  den  Landen  deutscher  Zunge.  Berlin  1891  (U. 
S.  323 — 391  Die  nassauische  Kadettenschule).  Vgl.  Rhein.  Kurier  1891, 
No.  247. 

Isenbart,  Geschichte  des  herzogl.  nass.  2.  Regimentes,  Stamm  des  kgl. 
preuss.  2.  nass.  Infanterie-Regiments  No.  88,  von  1808  —  1866.  Mit 
17  Skizzen  und  einer  Übersichtskarte.  Berhn,  Mittler  1891.  VIII 
u.  253  S. 

V.  Memerty,  Das  Offizierkorps  des  Füsilier -Regiments  v.  Gersdorff, 
No.  80,  von  1866—91.     Berlin,  Mittler   1891. 

König  Adolf  s.  Nassau. 

Gotthold,  Die  Schweden  in  Frankfurt  a.  M.  III.  Frankfurt  1891. 
Progr.  der  Klingerschule. 

(Sauer),  Die  nass.  Kreiskompagnie  in  Mainz  1792.  Rhein.  Kurier  1892, 
No.  326,  327,  328. 

Fr.  V.  Weech,  Badische  Truppen  in  Spanien  1810 — 1813.  Badische 
Neujahrsblätter,  2.  Bl,  1892  (S.  5,  18  u.  ü.  über  nass.  Truppen  in 
Spanien). 

W.  Sauer,  Blüchers  Übergang  über  den  Rhein  bei  Caub.  Nebst  Mit- 
teilungen über  den  Aufenthalt  des  Yorkscheu  Korps  im  Herzogtum 
Nassau  von  Ende  Okt.  1813  bis  zum  Januar  1814.  Mit  dem  Fac- 
simile  eines  Briefes  Blüchers.    Wiesbaden,  Kreideis  Verlag  1892. 

J.  V,  Schmidt,  Die  vorm.  Kurhessische  Armeedivision  im  Sommer  1866. 
Auf  Grund  des  vorhandenen  aktenmässigen  Materials  sowie  der  eige- 
nen Erlebnisse.  Kassel  1892  (u.  a  über  die  „Kleine  hübsche  Ex- 
pedition" nach  Zorn,  wie  sie  General  v.  Zimiecki  nannte). 

Kreuzzüge:  R.  Röhricht,  Studien  zur  Geschichte  des  5.  Kreuzzuges.  1891. 
(Graf  Diether  von  Katzenelnbogen  und  Graf  Gebhard  von  Diez,   1219.) 

Kunst  und  Kultur:  Cuno,  Die  Kunstgeschichte  des  rechtsrheinischen  Teiles 
der  alten  Erzdiöcese  Trier  bis  zum  Ausgange  des  Mittelalters.  Wies- 
baden, Brems  (1891). 

Leiningen:  E.  Brinkmaiers  Genealogische  Geschichte  des  uradeligen,  reichs- 
gräflichen, reichsfürstlichen,  standesherrlichen  erlauchten  Hauses  Leiningen 
und  Leiningcn-Westerburg.  Nach  archivalischen,  handschriftlichen  und 
gedruckten  Quellen  umgearbeitet  und  vermehrt  von  K.  Em.  Graf  von 
Leiningen-Westerburg.     2  Bde.     Braunschweig,  Sattler   1890,  1891. 


57 

Melander:  R.  Schmidt,  Ein  Calvinist  als  Kaiserlicher  Feldmarschall  im  30- 
jährigen  Kriege.  II.  1891.     Berlin,  Gärtner. 

Montabaur:  A.  Kleinschmidt,  Aus  den  letzten  Tagen  des  Königreichs  West- 
falen. Zeitschr.  d.  Ver.  für  hess.  Geschichte,  N.  F.  XVI.  (Jeröme  auf 
der  Flucht  zu  M.) 

Museum  zu  Wiesbaden:  Museum  der  Altertümer.  Westdeutsche  Zeitschr.  1891, 
S.  393;  1892,  S.  238.  Vgl.  Jahresberichte  der  Geschichtswissenschaft 
1891,  IL  S.   148,  Anm.  4  u.  8. 

Kunstmuseum:  Th.  Frimmel,  Kleine  Galeriestudien,  I.   1891  (S.  98  bis 
114   Wiesbaden). 
Nassau:    A.    Güth ,    Landes-    und    Provinzialgeschichte,    Heft    lOB.      Nassau 
(und  Frankfurt).    Leipzig  1891    (zu  den  bei  R.  Voigtländer  erschieneneu 
geschichtlichen  Lehrbüchern  gehörend). 

H.  Susann,  König  Adolf  von  Nassau  und  Albrecht  von  Ostreich  vor 
Kenzingeu.  Zeitschr.  der  Gesellschaft  zur  Beförderung  der  Ge- 
schichte .  .  .  von  Freiburg,  dem  Breisgau  u.  s.  w.  IX.  1890,  Frei- 
burg; auch  als  Programm  der  höheren  Bürgerschule  zu  Kenzingeu 
1890  erschienen. 

Ulmann,  Kaiser  Maximilian  L  Auf  urkundlicher  Grundlage.  Bd.  2.  Stutt- 
gart 1891.    (Graf  Adolf  von  Nassau,  Graf  Engelbrecht.) 

F.  Otto,  Graf  Johann  von  Nassau,  Herr  zu  Idstein  und  Wiesbaden. 
Evang.  Gemeindeblatt  1891,  No.  30,  31,  32,  33. 

H.  Hüffer,  Die  Kabinetsregierung  in  Preussen  und  J.  W.  Lombard. 
Leipzig  1891.  (S.  526  wird  eine  Prinzessin  von  N.-Usingen  (?)  ge- 
nannt als  Küsterin  im  Stift  Herford;  geraeint  ist  wohl  Auguste 
Marie,  Tochter  des  Fürsten  Karl  von  N.- Weilburg,  welche  1802  als 
Dechantin  starb.) 

A.  Heldmann,  Zur  Geschichte  des  Gerichts  Viermünden  und  seiner 
Geschlechter.  I.  Die  Vögte  von  Keseberg.  Zeitschr.  d.  Ver.  f.  hess. 
Gesch.  N.  F.  XV,  1890.  (Urkunden  mehrerer  Grafen  von  Nassau- 
Dillenburg,  Heinrich,  Emicho,  Johann  von  1299,  1308,  1321  u.  1409.) 

Mitteilungen  aus  dem  Stadtarchiv  von  Köln,  Heft  21,  S.  80  und  81  : 
1437  Agnes  und  Eisline  von  Nassau,  Kau.  zu  S.  Ursula,  1450  Mar- 
garethe  von  Nassau,  Äbtissin  von  S.  Ursula. 

Jungfer,  Der  Prinz  von  Homburg.  Berlin  1890.  (Graf  Ludwig  Hein- 
rich von  N.-Dillenburg  bewarb  sich  1660  um  die  Hand  der  Gräfin 
Brahe;  abgewiesen  veröffentlicht  er  eine  Schmähschrift,  worauf  die 
Antwort  erfolgt:  der  beantwortete  zwar  ungenannte,  aber  überaus 
schamlose  und  unverschämte  Nassau-Dillenburger  Pasquillant.   1660.) 

W.  Sauer,  Das  Herzogtum  Nassau  in  den  Jahren  1813—1820.  Ein 
Beitrag  zur  Geschichte  der  gleichzeitigen  politischen  Bewegungen 
in  Deutschland.  Wiesbaden,  Kreideis  Verlag  1893,  VI  u.  186  S. 
Vgl.  Rhein.  Kurier  1892,  No.  269  u.  270. 

Meinecke,  Die  deutschen  Gesellschaften  und  der  Hoffmannische  Bund. 
Stuttgart  1891. 


58 

A.  Stern,   Ein  Kapitel    aus  der  Geschichte    der   deutschen   Einheitsbe- 
strebungen.    Nation  1892,  No.   15. 
Sauer,    Die  deutschen  Gesellschaften  und  Nassau    in  den  Jahren   1814 

bis  1815.     Rhein.  Kurier  1891,  No.  343,  344  u.  348. 
R.  Kolb,  Herzog  "Wilhelm  von  Nassau.     Gedenkschrift  zum  100jährigen 
Jahrestag    seiner  Geburt.     Wiesbaden  1892.     Mit   dem  Bildnis    des 
Herzogs. 
J.  A.  M.  Messinga,    Das  Haus  Nassau.     Herold  30,    S.   153  —  155.  — 

V.  Göckingk,  ebenda  S.   172. 
F.  W.  E.  Roth,  Das  Nassauer  Epitaphienbuch  des  Malers  Dorsen  von 
Altweilnau.    Yierteljahrsschr.  f.  Wappen-,  Siegel-  und  Familienkunde 
19  (1891),  S.  537—76. 
R.  Hauch,  Münzen,  Medaillen  und  Ehrenzeichen  der  Grafen  und  Fürsten 
von  N.-Weilburg-Saarbrücken   und    der  Herzöge    von  Nassau.     Ge- 
sammelt von  R.  Hauch.     Frankfurt  a.  M.  1891. 
Münzen  des  Grafen  Gerlach  von  Nassau,  Erzb.  von  Mainz  (5  Dukaten) 
und  des  Grafen  Adolf  von  Nassau,    Erzb.  von  Mainz  (10  Dukaten). 
Mitteil,  des  Yer.  f.  hess.  Gesch.  1890,  S.   133. 
(Sauer),  Die  Ordnung  der  Farben  in  der  nassauischen  Fahne.     Rhein. 
Kurier  1891,  No.  214. 
Prähistorie:  Schiersteiner  Funde.    Westdeutsche  Zeitschr.,  Korr.-Bl.  X,  Sp.  262. 
Florschütz,  Die  Urbevölkerung  Nassaus.    Separatabdruck  aus  der  Wiesb. 
Presse  1891,  No.  35. 
Recht:    H.  Waschersieben,    Deutsche  Rechtsquellen  des  Mittelalters.     Leipzig, 
Veit  u.  Co.  1892.     (Über  das  Rheingauische  Weistum  vgl.  Sauer  in  den 
Annal.  XIX,  S.  33  ff.) 
Reformationszeit:    F.  Otto,    Die  Visitationen   der    nassauischen  Kirchen    des 
Mainzer  Sprengeis  in  den  Jahren  1548 — 1550.    Evang.  Gemeindeblatt  1892, 
No.  47,  48,  49,  50. 

Lenz,    Briefwechsel  des  Landgr.  Philipp    von  Hessen   mit  Bucer.     HI. 
Leipzig    1891.      (Katzenelnbogener    Erbfolgestreit,    schmalkaldischer 
Krieg.) 
A.  Kleinschmidt,    Hermann    von   Holzhausen.     Zeitschr.    f.    Kirchenge- 
schichte XL  (1891),    S.  252  ff.    (H.'s  Mutter  [f  1498]    oft  zur  Kur 
in  Wiesbaden;  W.  Nesen  von  Nastätten  1520  ff.) 
E.  Otto,  Mitteilungen  aus  Butzbacher  Kirchenbüchern.     Quartalbl.  des 
hess.   Ver.   1892,  S.  186  (Pfarrer  Nikol.  Bleichenbach  geht  1530  von 
Sulzbach  und  Soden  nach  Butzbach,  Konr.  Stetzenbach  1540  Kugel- 
herr,   Joh.    Brendel,   Diakonus    zu    Cronberg    1550,   Zach.    Rülmann 
von  Usingen  1577  Caplan  zu  Butzbach). 
Fr.  V.  Reiffenberg:  P.  Collischon,  Frankfurt  a.  M.  im  schmalkaldischen  Kriege. 

Strassburg  1890. 
Ringwälle:  F.  Kofler,  Westdeutsche  Zeitschr.   1892,  S.  210  ff. 
Der  h.  Rock   zu  Trier:  (Sauer),    Nassauisches    zur  Geschichte  des  h.   Rockes. 
Rhein.  Kurier  1891,  No.  214. 


59 

Römerzeit:  Funde  zu  Heddernheim  (A.  Riese  und  G.  Wolff  in  der  Westd. 
Zeitschr.  Korr.-Bl.  1891,  Sp.  12  ff.),  Höchst  (G.  Wolff  ebenda  1892,  Sp.  1  ff.); 
Didaskalia  1891,  26  Nov.),  Wiesbaden  (Rhein.  Kurier  1891,  14.  und 
16.  Aug.). 

Limes,  Westd.  Zeitschr.,  Korr.-Bl.  1892,  Sp.  20. 

Limesblatt,  Mitteilungen  der  Streckenkommissare  bei  der  Reichslimes- 
kommission, herausgegeben  von  F.  Heller-Lintz.  Trier,  No.  1.  1892 
(Sp.  1  ff,  Berichte  von  L.  Jacobi  über  die  Ergebnisse  vom  Taunus; 
Sp.  5  ff.,  Mommsen  über  die  Feldberginschrift;  Sp.  12  ff.,  F.  Kofler, 
Sp.  24,  G.  Wolff  über  die  Funde  in  der  Wetterau  bis  Marköbel). 
Legionsgeschichte :  v.  Domszewski,  Zur  Geschichte  der  leg.  XIIII  gem. 
Westd.  Zeitschr.,  Korr.-Bl.  1891,  Sp.  252  f.;  Zur  Gesch.  der  Legionen 
XIII  bis  XX,  ebenda  Sp.  59. 
A.  Riese,  Das  rheinische  Germanien  in   der  alten  Litteratur.     Leipzig, 

Teubner   1892. 
V.    Löher,   Zustände    im   römisch-deutschen   Kulturlande.    Sitzungsprot. 
der  Münchener  Akad.  der  Wissensch.,    phil.-hist.  Kl.   1891,    S.  1  ff. 
Hang,   Die  Viergöttersteine.     Westd.  Zeitschr.  1891,   S.  9  ff.,    125  ff., 

295  ff. 
Hübner,  Jupitersäulen;  ebenda,  Korr.-Bl.   1891,  Sp,  254  ff. 
W.  Liebenan,  Zur  Geschichte  und  Organisation  des  römischen  Vereins- 
wesens.    Leipzig  1890. 
Vertriebene    Salzburger    in   Nassau:    F.  Otto   im   Evang.    Gemeindebl.  1891, 

No.  18,  19,  20  u.  21. 
S.  Goarshausen  und  die  Katz:  M.  v.  Ditfurth,  Hessenland,   1890,  S.  129. 
Schinderhannes:   K.  Rauchhaupt,    Aktenmässige  Geschichte   über  das  Leben 
und  Treiben  des  berüchtigten  Räuberhauptmanns  J.  Bückler  gen.  Schinder- 
hannes und  seiner  Bande.     Kreuznach  1891. 
Schule:  K.  Spielmann,  Schola  et  Methodus  Gaertneriana.     Separatabdruck  aus 
den  Mitteilungen  f.  deutsche  Erziehung  und  Schulgeschichte.    1892. 

W.  H.  Riehl,    Die  Idylle    eines   Gymnasiums  (Weilburg   1837 — 41)  in 
den  Kulturgeschichtlichen  Charakterköpfen  1891,  S.   1  —  57. 
Sprache:  F.  Kehrein,  Volkssprache  und  Wörterbuch  von  Nassau;  Volkstümliches 
aus   Nassau;    Nassauisches    Namenbuch.     Neue    (Titel)- Auflage.     Leipzig, 
Lesimple  1891. 

J.  Heinzerling,    Probe    eines    Wörterbuchs    der   Siegerländer    Mundart. 

Frogr.  des  Realprogymn.  zu  Siegen.    1891.    Buchstabe  B. 
K.  Bach,   Beiträge  zur  Deutung  der  Ortsnamen  in  der  Umgegend  von 
Homburg.    Mitteil.  d.  Ver.  f.  Geschichte  von  Homburg,  IV.  S.  1  —  10. 
K.  V.  Stamford:    Die    Heirat  Jolantas  von  Lothringen    mit  Landgraf  Wilhelm 
von  Hessen.     Zeitschr.   des  Ver.  f.  hess.  Geschichte,  N.  F.  XVI.     (Reise 
durch  Nassau,  Nass.  Fürsten  auf  der  Hochzeit  zu  Kassel.) 
Marianne  vom  Stein:  A.  Kleinschmidt,  Das  Damenstift  Wallenstein  zu  Hom- 
burg  unter  Jerome.     Zeitschr,    des   Ver.  f.  hess.  Geschichte,    N.  F.  XV., 
S.  269  ff. 


60 

Ifassauische  Studenten  zu  Köln:  H.  Keussen,  Matrikel  der  Universität  Köln 
1389—1559.  Bd.  I,  1389-1466.  Bonn  1892.  Vgl.  J.  Hansen  in  den 
Mitteil,  aus  dem  Kölner  Stadtarchiv  20. 

Zu  Giessen:  E.  Klewitz  und  K.  Ebel  (1664—1685).    Mitt.  des  oberhess. 
Geschichtsvereins,    K  F.  III.   1892. 
Sueben:  Kossina,  Westd.  Zeitschr.   1891,  S.   104;  A.   Riese,  ebenda  S.  293. 
Barthol.  Usingen,  Prof.  der  Theologie  zu  Erfurt:  G.  Oergel,  Beiträge  zur  Ge- 
schichte des  Erfurter  Humanismus.     Mitt.  des  Ver.  f.  Gesch.  von  Erfurt, 
15.  (1892),  S.  39—100. 
Urkunden,  Regesten  und  Handschriftliches: 

G.  V.  d.  Ropp,  Urkunden  zur  Reichsgeschichte  aus  einem  Falkensteiner 

Kopialbuche.    Neues  Arch.   16,  S.  624—31   (1259  —  1398). 
F.  W.  E.  Roth,  Kaiserurkundeu  und  Reichssachen;  ebenda  S.  632  (1205 
bis  1421). 

—  —  — ,  Deutsche  Kaiserurkunden ;  ebenda  S.  435 — 38(1349  —  1418). 

—  —  — ,  Urkunden  und  Auszüge  zur  Geschichte  der  Erzbischöfe  und 
Kurfürsten  von  Mainz,  Köln  und  Trier.  Korr.-Bl.  des  Gesamtver- 
eins 39,  S.   123,  139. 

E.  Friedländer,  Rheinische  Urkunden.  Ann.  des  bist.  Ver.  f.  d.  Nieder- 
rhein 50,  S.  237  ff.  (Zwei  Urk.  betreffen  Diez  und  Sayn  von  1442 
und  1458). 

F.  W.  E.  Roth,  Mitteil,  aus  Handschriften.  (Kl.  Arnstein  und  Not  Gottes.) 
Germania  36  (1891),  S.  262-67. 

F.  "VV.  E.  Roth,  Nassauer  Urkunden  (1558 — 1623  aus  dem  Rheingau). 
Korr.-Bl.  des  Gesamtver.  39,  S.  44,  71,  89,  107. 

—  —  — ,  Ungedruckte  Regesten  zur  Geschichte  edler  Familien  Hessens 
und  der  Rheinlande.  Vierteljahrsschr.  f.  Wappen-,  Siegel-  und  Fami- 
lienkunde 19  (1891),  S.  364-391. 

,  Urkundliche  Nachrichten  über  die  Edlen  von  "Waldeck  (Nassau). 

Ebenda  19  (1891),  S.  33-37. 
H.  Reimer,  Urkundenbuch  zur  Geschichte  der  Herreu  von  Hanau  und 
der   ehemaligen  Provinz    Hanau.     I.    766 — 1300.     Mit    zwei  Tafeln. 
(Publikationen  aus  Kgl.  preuss.  Staatsarch.  48.)  Leipzig  1891. 
K.  Varrentrapp,    Joh.  Schulze  und  das  höhere   preussische  Unterrichtswesen 
in  seiner  Zeit.    Leipzig   1889   (Gantesviler,  Meusebach,  Karoline  Rössler, 
Steinmetz,  Friedemann,  B.  Hundeshagen,  L.  Snell). 
Verkehr:    F.  H.  Quetsch,  Geschichte  des  Verkehrswesens  am  Mittelrhein  von 
den  ältesten  Zeiten  bis  zum  Ausgang  des  18.  Jahrh.    Mit  42  Abbildungen. 
Freiburg,    Herder    1891.     Vgl.    auch  K.  Theile,   Bilder   aus    der   Chronik 
Bacharachs  und  seiner  Thäler.     Ein  Stück  rheinischer  Orts-  und  Kirchen- 
geschichte.    Gotha,  Perthes  1891. 
Wal  deck:  s.  Urkunden. 

H.  Wachenhusen,  Aus  bewegtem  Leben.  Erinnerungen  aus  dreissig  Kriegs- 
und Friedensjahren.  2  Bde.  Strassburg  1890  (berührt  an  verschiedenen 
Orten  Nassau,  insbesondere  Wiesbaden). 


61 

Weilburg-:    Hermauu  Theucrkauf  aus  W.,  Pfarrer  in  Offenbach  1427.    Quar- 
talbl.  des  bist.  Ver.  im  Grossherz,  Hessen,  1890,  S.  74. 
Riehl,  s.  unter  Schule. 
Wiesbaden:  s.  unter  Museum. 

F.  Nippold,  Der  Jesuitenstreit  zu  Wiesbaden.    Ein  Einzelbild  im  Rahmen 

der  gegenwärtigen  Agitation  für  den  Jesuitenorden.     Halle  1891. 
F.  Otto,    Die  Reformierten  zu  W.    Evaug.  Gemeindebl.   1891,  No.   17. 
(Sauer),    Zum  75jähr.  Stiftungstage  des  Wiesbadener  Kasinos.     Rhein. 
Kurier,  No.  87. 
Zollwesen  im  Mittelalter:  K.  Hummel,  Die  Mainzölle  von  Wertheim  bis  Mainz 
bis    zum    Ausgang    des    15.    Jahrh.    mit    besondrer   Berücksichtigung    von 
Frankfurt  a.  M.     Westd.  Zeitschr.   1892,  S.   109-145. 


Jahresberichte  der  Geschichtswissenschaft,  herausgegeben  von  J.  Jastrow.  Jahr- 
gang 1889,  1890  u.  1891.  Berlin  1891  —  93.  In  Abteilung  II :  Mittelrhein 
von  F.  Otto. 


Allgemeine  Deutsche  Biographie: 

Band  XXXI. 

Th.  Schliephake  (1808-1871).    Ausfeld. 
Schinderhannes  (1783—1803).     Schüler. 

Band  XXXII. 
W.  J.  Schmitt  von  Lorch  (1760—1820).    Winckel. 
Fr.  Jac.  Schmitthenner  (1796  —  1850).    Schröder. 
K.  Schnaase  (1798—1875).    v.  Donop. 
E.  Schnepf  (1495  —  1558).    Brecher. 
B.  Scholz  (1831  —  1871).    Brummer. 
Job.  Ph.  V.  Schönborn  (1605—1673).    Bockenheimer. 
Job.  Ph.  Schramm  (1676—1753).    Cuno. 
E.  L.  Ph.  Schröder  (1764—1835).    Lier. 

Band  XXXIII. 
Schütz,  Die  Maler  Chr.  Georg  (1718—1791),  Franz  (1751—1781),  Joh.  Georg 
(1755-1813),  Heinr.  Jos.  (1760-1822),  Chr.  Georg  (1758-1823).    Stricker. 
K.  D.  V.  Schütz  zu  Holzhausen  (1825—1883).    Ratzel. 
K.  Schwartz  (1809—1885).    Otto. 
A.  V.  Schweiss  (16.  Jahrhundert).    Otto. 
J.  D.  G.  Seebode  (1792-1868).    Hoche. 
W.  H.  Snell  (1725—1793).    Cuno. 
Er.  Sarcerius  (1501  —  1559).    Holstein. 


Vereins -Nachrichten. 


Jahresbericht  des  Sekretärs. 

(Vom    1.  April   1892   bis   31.   März    1893.) 

Allgemeines.  Das  Etatsjahr  ist  für  den  Verein  in  der  üblichen  Weise 
verlaufen.  Der  Vorstand  ist  bemüht  gewesen,  durch  Vermehrung  der  Bibho- 
tliek  —  besonders  auch  im  Wege  des  Austausches  —  die  wissenschaftlichen 
Arbeiten  zu  fördern  und  durch  Veranstaltung  von  Vorträgen  das  Interesse  an 
der  Altertumskunde  und  Geschichte  zu  heben. 

Der  Vorstand  trat  viermal  zusammen,  und  zwar  am  16.  Juli,  15.  Oktober, 
5.  November  und  3.  Dezember,  —  Die  ordentUche  Generalversammlung  fand 
am  10.  Dezember  statt. 

Die  Generalversammlung  des  Gesamtvereins  der  deutschen  Geschichts- 
und Altertumsvereine,  welche  vom  4.  bis  7.  September  in  Münster  i.  W.  tagen 
sollte,  konnte  wegen  der  damals  bestehenden  Choleragefahr  nicht  stattfinden. 

Ausflüge  wurden  während  des  Sommers  nicht  unternommen. 

Es  wurden  6  Vortragssitzungen  abgehalten,  darunter  2  öffentliche  im 
Museumssaale.  Der  Bericht  über  die  Vorträge,  welche  sämtlich  gut  besucht 
waren,  folgt  unten. 

Wir  bitten  unsere  Mitglieder  und  Freunde,  auch  im  neuen  Jahre  dem 
Verein  ihr  Interesse  und  ihre  wohlwollende  Unterstützung  zuzuwenden. 

Mitglieder  und  Torstand.      Durch    den    Tod    verloren    wir    2    Ehren- 
mitglieder: die  Herren  Dr.  Schaaffhausen,  Hermann,  Professor,  Geh.  Medi- 
zinalrat in  Bonn   (t  26.  1.  93)   und   Dr.   Lindenschmit,    Ludwig,    Professor, 
Direktor  des  römisch-germanischen  Centrahnuseums  in  Mainz  (f  14.  2.  93). 
Von  den  ordentlichen  Mitgliedern  schieden  aus: 
a)  durch  den  Tod: 

Herr  Aumüller,  Benefiziat,  Östrich ; 

„     Bernhard,  Professor,  Gymnasialdirektor,  Weilburg; 

„     Geis,  Hauptlehrer,  Ems; 

„     Dr.  jur.  Stamm,  Eugen,  Justizrat,  W.  (f  28.  1.  93); 

„     Trüstedt,  Carl,  Oberstlieutenant  a.  D.,  W.  (f  26.  2.  93); 

„     Scholz,  Carl,  Justizrat,  Rechtsanwalt,  W.  (f  15.  3.  93); 

„     Fauser,  Carl,  Rentner,  W.  (f  24.  3.  93); 

„     Fischer,  G.  Friedrich  W.,  Rentner,  W.   (f  25.  3.  93). 


63 

b)  durch  Austritt: 

Herr   Altenburg,  Eduard,  cand,  phil.,  Hanau; 

„  Wöstmann,  H.,  Pfarrer,  Nieder-Lahnstein ; 

„  Thies,  Steuerrendant,  Biedenkopf; 

„  Lud  icke,  F.,  Rentner,  W. ; 

„  Bötticher,  E.,  Hauptmann  a.  D,,  München; 

„  Bonn,  Joseph,  Dekan,  Nieder-Erbach ; 

„  Bonn,  Adam,  Pfarrer,  Wellmich  a.  Eh.; 

„  Mühl,  Eegierungs-  und  Forstrat,  W.; 

„  Joseph,  Paul,  Lehrer,   Frankfurt  a,  M. ; 

„  Halbey,  Geh.  Ober-Regierungsrat,  Berlin; 

„  Brems,  Buchdruckereibesitzer,  W. ; 

„  Meckel,  J.  L,,  Rentner,  W. ; 

„  Frh.  von  Wendt,  W.; 

„  Walch,  B.,  Hochheim; 

„  Hesse,  Ad,,  Kaufmann,  W. ; 

„  Schupp,  Pfarrer,  Sonnenberg; 

,,  Dr.  von  Ritgen,  Landesbauinspektor,  Königsberg  i.  Pr. ; 

„  Dr.  Adam,  Professor,  W. ; 

„  Mackauer,  August,  Geisenheim; 

„  Wrede,  Fr.,  Rentner,  W. ; 

„  Leonhardt,  C.  L.,  Kaufmann,  W.; 

„  Yogelsberger,  Kaufmann,  Ems; 

„  Frisch,  Major  a.  D.,  W,; 

„  Schenck,  Major  a.  D.,  W, ; 

„  Cretius,  Oskar,  Lieutenant  a.  D.,  W. ; 

„  Klett,  Heinrich,  Kapitänlieutenant  a.  D.,  W. 

Diesen  34   ausgeschiedenen   ordentlichen    Mitgliedern    stehen  fol- 
gende 30  neu  aufgenommene  gegenüber: 

Herr   Thoma,  Hermann,  Hotelbesitzer,  W. ; 

„  Momberger,  Jakob  August,  "Weinhändler,  W. ; 

„  Wagner,  Carl,  W. ; 

„  Fehr,  Theodor,  Fabrikbesitzer,  W. ; 

„  Engelhard,  Otto,  Fabrikant,  Hof  heim  im  Taunus; 

„  Schierenberg,  Ernst,  Rentner,  W.; 

„  Baron  von  Bistram,  W.; 

„  Elgershausen,  Luitpold,  W. ; 

„  Osterroth,    Arthur,    Rittergutsbesitzer,    Schloss    Schönberg    bei 

Oberwesel; 

„  Dr.  phil.  Panzer,  Conrad,  Königlicher  Archivar,  W. ; 

„  Herrmann,  Johannes,  Inspektor  der  Wiesb. Kronenbrauerei,  W.; 

„  Freinsheim,  Friedrich,  Rentner,  W. ; 

„  Gornicki,  Wladislaus,  W.; 

„  Dr.  jur.  Büuinger,  Eugen,  Rechtsanwalt,  W.; 


64 

Herr  Keusch,  Heinrich,  Keferendar,  W. ; 

„  Trosiener,  F.,  Ingenieur,  W. ; 

„  Schröder,  Hugo,  Photograph,  W. ; 

„  Leisler,  Ernst,  Referendar,  W. ; 

„  Abegg,  Philipp,  W. ; 

,,  Kriege,  Ernst  Jakob,  Oberst  a.  D.,  W. ; 

„  Vietor,  Moritz,  W.; 

„  Lex,  Adolf,  Regieruugsassessor,  W. ;  * 

„  Dr.  med.  Ideler,  Carl,  Geh.  Sanitätsrat,  W. ; 

„  Aufermann,  Wilhelm,  Rentner,  W.; 

„  Dr.  phil.  Merbot,  Reinhold,  Sekretär  der  Handelskammer,  W. ; 

„  Opitz,  Hermann,  Ober-Regierungsrat  u.  Konsistorial-Präs.,  W.; 

„  von  Hirsch,  Friedrich,  Kaufmann,  W.; 

„  Schüler,  Theodor,  Archiv-Kanzlei-Sekretär,  W. ; 

„  Dr.  med.  Güntz,  Theobald,  W. ; 

;,  Leo,  Ludwig,  Privatier,  W. 

Der  Verein  zählt  also  z.  Z.  6  Ehrenmitglieder,  5  korrespondierende  und 
878  ordentliche  Mitglieder.  Dem  vorliegenden  Annalenbande  ist  ein  mit  mög- 
licher Sorgfalt  aufgestelltes  Mitgliederverzeichnis  eingefügt. 

Die  Veränderungen,  welche  sich  seit  dem  1.  April  1892  in  der  Besetzung 
des  Vorstandes  vollzogen  haben,  sind  folgende.  Es  schieden  aus  die  Herren: 
Landesbauinspektor  Dr.  von  Ritgen,  Sanitätsrat  Dr.  Fleischer  und  Major 
z.  D.  Frh.  von  Wangenheim.  Sie  wurden  ersetzt  durch  die  Herren:  Land- 
gerichtsrat Dussel,  Major  a.  D,  Schlieben  und  Oberstlieutenant  z.  D.  Sar- 
tor ins.  —  Den  Herren  Major  z.  D.  Frh.  von  Wangenheim  und  Sanitätsrat 
Dr.  Fleischer,  welche  lange  Jahre  hindurch  die  Interessen  des  Vereins  aufs 
Eifrigste  gepflegt  und  gefördert  haben,  sei  hiermit  der  wärmste  Dank  ausge- 
sprochen. —  An  Stelle  des  von  hier  verzogenen  Herrn  Premierlieutenant  a.  D. 
Hoffmann  übernahm  —  mit  Genehmigung  Sr.  Excellenz  des  Herrn  Ministers 
der  geistlichen,  Unterrichts-  und  Medizinalangelegenheiten  —  der  Unterzeichnete 
am  1.  August  die  Verwaltung  des  Sekretariats.  —  Die  derzeitige  Besetzung  des 
Vorstandes  steht  an  der  Spitze  des  Mitgliederverzeichnisses. 

Bibliothek.  Der  Zuwachs,  den  die  Bibliothek  erfahren  hat,  gründet  sich 
in  erster  Linie  auf  das  Austauschverhältnis,  in  dem  wir  mit  sehr  vielen  wissen- 
schaftlichen Instituten  und  Vereinen  stehen.  Während  des  abgelaufenen  Jahres 
sind  in  dieses  Austauschverhältnis  folgende  7  Gesellschaften  neu  einge- 
treten : 

Der  Verein  für  Geschichte  von  Annaberg  und  Umgegend    in   Annaberg; 

die  Kaiserl.  Königl.  heraldische  Gesellschaft  „Adler"  in  Wien; 

der  Verein  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  in  Breslau ; 

die  Societe  nationale  des  antiquaires  de  France  in  Paris ; 

die  Comeniusgesellschaft  in  Münster  i.  W. ; 

die  Badische  historische  Kommission  in  Karlsruhe; 

die  Abbaye  de  Maredsoua  (Belgien). 


65 

Dagegen  ist  nur  1   Gesellschaft : 

die   Kais.  Knnigl.  geographische  Gesellschaft  in  Wien 
aus  dem  Verhältnis  ausi;-eschie(len. 

Ein  Verzeichnis  aller  Vereine  und  Institute,  deren  Veröffentlichungen  wir 
durch  regelmässigen  Austausch  gegen  unsere  Annalen  erhalten,  steht  am 
Schlüsse  dieses  Bandes. 

Auch  durch  eine  Reihe  von  Geschenken,  welche  das  Wohlwollen 
mehrerer  Gönner  des  Vereins  der  Bibliothek  zuwandte,  ist  ihr  Bestand  ver- 
mehrt worden.  Wir  sprechen  dafür  den  verbindlichsten  Dank  aus:  Der  König- 
lichen Regierung  hierselbst,  der  Landes-Direktion  hierselbst,  sowie  den  Herren: 
Wirk).  Staatsrat  von  Becker,  Oberst  z.  D.  von  Cohausen,  Geh.  Baurat 
Cuno,  Sanitätsrat  Dr.  Florschütz,  Landesdirektor  Sartorius,  Amtsgerichts- 
rat Streitberg,  Dr.  Weidenbusch  —  sämtlich  iu  Wiesbaden. 

Vorträge. 

1)  Sitzung  im  „Grünen  Wald"  am  9.  November  1892. 

Der  Vereinsdirektor  Herr  Sanitätsrat  Dr.  Flor  schütz  begrüsst 
die  erschienenen  Mitglieder  und  Gäste. 

Der  Sekretär  des  Vereins  Herr  Dr.  Focke  widmet  dem  am 
13.  Oktober  1892  verstorbenen  Direktor  des  germanischen  Museums  in 
Nürnberg  Geheimrat  Dr.  August  von  Essenwein  einen  Nachruf. 

Der  Königliche  Konservator  Herr  Oberst  z.  D.  von  Cohausen 
hält  einen  Vortrag  „über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Limesforschung«. 
(Vgl.  den  vorliegenden  Band  S.  25   bis  28.) 

2)  Generalversammlung  im  Museumssaale  am   10.  Dezember  1892. 

Der  von  Herrn  Dr.  Focke  gehaltene  Vortrag  wird  unter  dem 
Titel  „Zur  Vor-  und  Frühgeschichte  der  Germanen  und  des  nordwest- 
lichen Deutschlands"  im  Laufe  dieses  Jahres  in  den  „Preussischen 
Jahrbüchern"  veröff'entlicht  werden. 

3)  Sitzung  im  „Grünen  Wald"  am  11.  Januar  1893. 

Herr  Schriftsteller  Spielmann  hält  einen  Vortrag  „über  die 
demagogische  Bewegung  in  Nassau  in  den  Jahren  1818 — 1820". 

Der  Vortrag  versetzte  die  Zuhörer  zurück  in  die  Zeit  nach  den  Befreiungskriegen, 
in  der  das  deutsche  Volk  von  den  Fürsten  Dank  für  seine  Mithilfe  bei  dem  grossen 
Werke  verlangte:  Selbstverwaltung  und  Mitregierung.  Das  Werk  der  Verfassungs- 
gesetzgebung ging  nur  langsam  vorwärts,  und  die  Verwirklichung  der  deutschen  Eiu- 
heitsbestrebungen  erfolgte  nicht.  Die  Hauptträger  des  Einheitsgedankens  waren  die 
Universitäten,  auf  denen  sich  unter  den  Mitgliedern  der  damaligen  Burschenschaften 
geheime  Verbindungen  gegen  die  sogenannten  Reaktionäre  und  Nationalfeinde  bildeten. 
Auch  im  Herzogtum  Nassau  fing  es  an  zu  gären,  weil  die  Regierung  es  unterliess, 
die  Landstände  gemäss  der  Verfassung  von  1814  einzuberufen.  Die  Zahl  der  Opponenten 
mehrte  sich  rasch,  und  zu  den  vornehmsten  gehörte  der  Freiherr  vom  Stein.  Der 
erste  Landtag,  1818,  begann  sogleich  mit  einem  Zwiste  Steins  und  der  nassauischen 
Regierung,  und  die  Folge  war  die  Ausschliessung  des  Ministers  und  dessen  grollender 
Rückzug  auf  seine  Güter.    Die  Bewegung  im  Lande,  besonders  in  den  ehemals  oranischen 

5 


66 

Gebieten,  wuchs  uuterdes  immer  mehr  und  erreichte  ihren  Ausdruck  in  der  sogenannten 
■<Dillenburger  Petition»  an  den  Landtag.  Der  Kampf  gegen  die  Regierung  begann. 
Als  die  Petition  Iveinen  Erfolg  hatte  und  ihr  Verfasser,  Kriminalrichter  W.  Snell 
zu  Dillenburg,  wegen  seines  folgenden  subordiuationswidrigen  Betragens  seines  Amtes 
entsetzt  wurde,  auch  der  Landtag  keine  befriedigenden  Resultate  ergab,  stieg  die 
Unzufriedenheit  noch  höher.  Geschürt  wurde  sie  durch  das  Erscheinen  einer  Flug- 
schrift: «Prüfende  Bemerkungen  über  Nassaus  Landstände»,  welche  bezweckte,  den 
Minister  v.  Marschall  zu  stürzen.  Der  anonyme  Verfasser  des  Pamphlets  blieb  un- 
entdeckt;  es  kann  aber  nun  als  ziemlich  erwiesen  gelten,  dass  der  Pfarrer  F.  Snell 
zu  Nauheim  (bei  Kirberg)  sie  schrieb,  Stein  sie  mit  Zusätzen  versah  und  auf  seine 
Kosten  drucken  Hess.  Die  Regierung  verteidigte  sich  nach  Kräften;  als  aber  1819 
der  Landtag  wieder  zusammentrat,  erschien  von  demselben  Anonymus  eine  zweite 
Flugschrift,  in  noch  schärferem  Tone  als  die  erste  gehalten.  Auch  auf  diesem  Landtage 
kam  es  zu  erbittertem  Kampfe  (über  einen  veränderten  Paragraphen  des  Armen- 
Edikts),  der  indes  mit  einem  Siege  der  Regierung  durch  die  Beredsamkeit  und  Logik 
des  Präsidenten  Ibell  endigte.  Dadurch  wendete  sich  der  Unwille,  ja  der  ganze  Hass 
der  Opposition  gegen  diesen  verdienten  Mann.  Die  fanatischsten  Schwärmer,  Mitglieder 
des  Bundes  der  «Giessener  Schwarzen»,  bildeten  ein  Komplot  zur  Ermordung  Ibells, 
und  die  Ausführung  des  Mordplans  übernahm  Karl  Löning  von  Idstein,  ein  durch 
politische  Schwärmerei  und  zerrüttete  häusliche  Verhältnisse  verwirrter  junger  Mann. 
Das  bekannte  Attentat  zu  Langenschwalbach  am  1.  Juli  1819  misslang  indessen,  und 
der  Verbrecher  tötete  sich  im  Gefängnisse  durch  Verschlucken  von  Glasscherben  und 
Verweigerung  der  Nahrung.  Eine  strenge  Untersuchung  der  revolutionären  Umtriebe 
begann  hierauf,  und  wie  es  in  solchen  erregten  Zeiten  oft  geschieht,  eine  Anzahl 
Unschuldiger  wurde  schwer  getroffen.  Auf  Stein  fiel  zwar  ein  starker  Verdacht,  dass 
er  an  der  Abfassung  der  Flugschriften  mitbeteiligt  sei;  Beweise  gegen  ihn  aber 
konnten  nicht  erbracht  werden.  Doch  hat  man  schon  damals  nicht  daran  gedacht, 
den  grossen  Staatsmann  der  Beziehung  zu  den  Verbrechern  und  den  Extremen  der 
Bewegung  überhaupt  zu  zeihen.  Die  Massnahmen  der  Regierung  hatten  aber  auch 
die  schlimme  Folge,  dass  der  Regierungspräsident  Ibell  zurücktrat.  Dieser  war  mit 
der  Durchführung  der  «Karlsbader  Beschlüsse»,  an  deren  Ausarbeitung  Minister  von 
Marschall  thätig  mitgewirkt  hatte,  nicht  einverstanden  und  nahm  auch  jetzt  in  der 
Domänenfrage  einen  anderen  Standpunkt  ein,  als  dieser  letztere  und  der  Landesherr. 
Seine  Vorschläge  liefen  auf  Nachgiebigkeit  der  Regierung  gegenüber  der  Volksver- 
tretung hinaus,  um  einen  Kampf  zu  verhüten,  und  auf  Vermeidung  von  Ausnahme- 
zuständen. Als  diese  Vorschläge  keinen  Anklang  fanden,  trat  Ibell  zurück.  Doch 
Hess  er  sich  auch  nicht  verleiten,  an  die  Spitze  oder  in  die  Reihen  der  Oppositions- 
partei zu  treten,  sondern  er  entsagte  der  Politik  gänzlich.  Somit  ist  Karl  Ibell  wohl 
die  reinste  und  beste  Gestalt  aus  jener  ganzen  sturmbewegten  Zeit. 

Darauf  folgt    ein   Vortrag    des   Herrn    Major   a.   D.    Schlieben 
„über  Wasseruhren,  besonders  die  des  Ktesibios". 

Die  Beschränkung  der  Verwendung  der  Sonnenuhren  auf  den  eigentlichen  Tag, 
ihre  Abhängigkeit  vom  Wetter  und  Klima,  welche  durch  die  oft  gefundene  Aufschrift 
-<horas  non  numero  nisi  serenas»  ausgedrückt  wird,  nötigten  zu  Versuchen,  in  anderer 
Weise,  unabhängig  von  der  Sonne,  die  Zeit  zu  messen.  Kleine  Trichter,  aus  welchen 
eine  hineingegossene  Wassermenge  tropfenweise  ausfloss  (Klepsydrae),  wurden  in  Attica, 
später  auch  in  Rom,  benutzt,  um  den  einzelnen  Rednern  eine  bestimmte  Zeit  zuzu- 
messen, während  welcher  sie  sprechen  durften.     Dies  waren  jedoch  noch  keine  Uhren, 


ö 


67 

da  sie  in  keiner  Beziehung  zur  Länge  des  Tages  standen  ;  wolil  aber  finden  wir  eine 
solche  im  Poliorketicon  des  Taktikers  Aeneas  beschrieben,  welche  darauf  l)eruhte, 
dass  man  eine  bestimmte  Wassermenge  in  ein  Gefäss  laufen  Hess,  welches  derartig 
geteilt  war,  dass  man  beurteilen  konnte,  der  wievielte  Teil  der  ganzen  Wassermasse 
ausgelaufen  war.  War  diese  dann  so  abgepasst,  dass  sie  die  ganze  Nacht  vorhielt, 
so  konnte  man  sehen,  der  wievielte  Teil  der  Nacht  verflossen  war.  Sie  diente  zur 
Ablösung  der  Nachtwachen  und  wurde  für  die  langen  Winternächte  durch  Vcrstoi)fen 
der  Ausflussöffnungen  mittels  Wachses  so  reguliert,  dass  das  Wasser  je  nach  der 
Länge  der  Nächte  langsamer  floss  und  die  ganze  Nacht  vorhielt ;  von  Genauigkeit 
konnte  bei  dieser  Einrichtung  keine  Rede  sein. 

Die    grösste    Schwierigkeit    machte    die  Ungleichheit    der  Stunden,    welche    den 
langen  Sommertag  wie  den  kurzen  Wintertag,  von  Aufgang  bis  Untergang  der  Sonne 
gerechnet,    immer    in   12  gleiche  Teile  zerlegen  mussten.     So    lange   man  daran  fest- 
hielt,   immer  dieselbe  Wassermenge   laufen  zu  lassen,    musste  man   auf  Mittel  sinnen, 
die  Ausfiussöftnung  stets  so  gross  zu  machen,    dass  das  Wasser  den  ganzen  Tag  über 
lief,    wobei  die  Höhe    des  Wasserspiegels    über  der  Ausflussöffnung    von  wesentlichem 
Einflüsse  ist.     Ktesibios    von  Alexandrien    (um    170  vor  Chr.)  machte  die  ersten  er- 
folgreichen Versuche    zur  Verbesserung    der  bisherigen  Uhren.     Leider  sind  die  Mit- 
teilungen Vitruvs   darüber    sehr    unklar,    offenbar    fehlte   ihm    selbst   das  Verständnis. 
Professor  Bilfinger  gebührt    das  Verdienst,    das   ganze  Kapitel    geniessbar   gemacht  zu 
haben.     Ktesibios  richtete  zunächst    den  Ausfluss    so    ein.    dass   er  mechanisch   sicher 
reguliert  werden  konnte;  er  soll  auch  den  Einfluss  des  Abstandes  des  Wasserspiegels 
von  der  Ausflussöffnung  gekannt,    ja  sogar   zuerst  darauf  aufmerksam  gemacht  haben, 
obgleich   Vitruv    darüber    schweigt.     Durch    Probieren    brachte    er  es  dahin,    dass  er 
ein  System  fand,  nach  welchem  er  die  Ausflussöffnung  höher  oder  tiefer  stellte,  indem 
er  den  Tierkreis  oder  die  Monatstage  als  Index  dazu  benutzte.     Später  ging  er  dazu 
über,  das  Ausflussgefäss  stets  ganz  gefüllt  zu  halten  und  dafür  das  Mass,  an  welchem 
das  ausgeflossene  Wasser   und  somit  die  Zeit  gemessen   wurde,    nach    der  Tageslänge 
veränderlich  zu  gestalten.     Das  Wasser  floss  in  ein  cylindrisches  Gefäss  und  hob  da- 
durch einen  Schwimmer,    wodurch  ein  Stab  oder  eine  Figur  aus  dem  Gefässe  heraus 
trat,  welche  seitwärts  an   einer  Skala  die  Höhe   des  Wasserstandes  zeigte.     Floss  im 
Winter  an  kurzen  Tagen   nur  wenig  Wasser  aus,    so  stieg  auch  der  Stab  nur  wenig 
empor,  und  die   12  Stunden  lagen  nahe  beisammen,   während  sie  im  Sommer  auf  der 
Tafel    weit  auseinander    lagen;    die  Äquinoktien    hielten  die  Mitte.     Denkt  man  sich 
die  gleichen  Stunden  auf  der  senkrechten  Tafel  durch  Striche  verbunden,  welche  vom 
Winter  zum  Sommer  hin  anstiegen,    so  konnte  ein  Lot,    auf  einer  oberen  Skala  ver- 
schiebbar, die  Stelle  anzeigen,  wo  der  Abstand  der  einzelnen  Stundeulinien  der  Tages- 
länge   entsprach.     So   weit    scheint  Ktesibios    gekommen    zu    sein.     Etwa    150  Jahre 
später    beschreibt  Galenus  eine  solche  Uhr,    welche   bedeutende  Verbesserungen  zeigt. 
Er  richtete  die  Uhr  so  ein,  dass  sie  Tag  und  Nacht  zeigte,  indem  das  Wasser  aus  einer 
festen  Öffnung   volle    24  Stunden  lief,    der  Zeiger    immer    gleich  hoch   stieg  und  die 
Tafel    Linien    für    Tag  und  Nacht    enthielt.     Li    den  Äquinoktien    wurde    der    ganze 
Raum    in    24  gleiche  Teile  geteilt,    welche  die  Mitte  der  Tafel  einnahmen,    während 
auf  der  einen  Seite   12  kurze  Nachtstunden  und    darüber  12  lange  Tagesstunden  für 
den  Sommer    angebracht    waren,    für    den  Winter    auf  der  anderen  Seite   umgekehrt, 
alles  durch  Linien  verbunden,  welche  das  oben  erwähnte  Lot  an  der  richtigen  Stelle 
schnitt.     Die  Wassermenge  der  Uhr  kontrollierte  sich  selber. 

Schliesslich  findet  sich  bei  Vitruv  noch   die  Beschreibung  einer  Aufzugsuhr.   d.  h. 
einer  Uhr,    bei    welcher    das  Wasser    nur    zum  Teil    die   treibende  Kraft,    mehr    den 

5* 


68 

Regulator  abgibt,  ein  Sandsack  eine  Welle  dreht  und  diese  einen  Knopf  (den  Stunden- 
zeiger) im  Kreise  unter  einem  feststehenden,  von  Draht  gebildeten  Stundennetz  fortgehen 
lässt.  Dieses  Stundennetz  als  ein  sogenanntes  Planisphaerium  erkannt  und  somit  die 
ganze  vage  Beschreibung  Vitruvs  überhaupt  geniessbar  gemacht  zu  haben,  ist  wieder 
das  Verdienst  Bilfingers. 

Wasseruhren  blieben  bis  ins  späte  Mittelalter,  ja  bis  ins  XVII.  Jahrhundert 
im  Hausgebrauch.  Erst  die  Einführung  des  Pendels  im  XVI.  Jahrhundert  (bei  den 
Arabern  war  es  vielleicht  schon  etwas  früher  bekannt)  brachte  die  Uhren  einen  be- 
deutenden Schritt  weiter. 

4)  Sitzung  im   „Grünen  Wald"   am  8.  Februar  1893. 

Herr  Oberst  z.  D.  von  Cohausen  widmet  dem  am  26.  Januar 
verstorbenen  Ehrenmitgliede  des  Vereins  Geh.  Medizinalrat  Professor 
Dr.  Schaaffhausen  in  Bonn  einen  Nachruf. 

Herr  Oberstlieutenant  z.  D.  Sartorius  hält  einen  durch  Zeich- 
nungen erlcäuterten  Vortrag  „über  die  römische  Legion  in  ihren  Wand- 
lungen". 

Das  römische  Heerwesen  hat  sich  von  Anbeginn  des  Römischen  Reiches  an  aus 
den  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  überlieferten,  festen  Grundlagen  umfassender  Kriegs- 
erfahrungen eines  halben  Jahrtausends  zu  wissenschaftlich  begründeter  Organisation 
herausgebildet  und  ist  in  seinem  ganzen  Stufeugange  stets  im  innigsten  Zusammen- 
hange mit  der  jeweiligen  Staatsverfassung  geblieben 

Es  treten  in  diesem  Stufengange  5  charakteristische,  voneinander  unterschiedene 
Organisationen  hervor  und  zwar: 

1.  Die  nach  Ständen  gegliederte  Legion  der  ersten  Könige,  als  deren 
Kern  die  patrizische  Reiterei  anzusehen  ist; 

2.  Die  auf  der  Grundlage  der  Vermögensklassen  des  Volks  gegliederte  und, 
behufs  wirksamer  Bekämpfung  der  nach  griechischen  Vorbildern  organisierten 
Ktruskischen  Phalangenstellungen,  s  c  h  w  e  r  g  e  r  ü s  t  e  t  e  und  e n  g  g  e  s  c h  1  o  s s  e n  e 
Phalangen-Legion  des  Servius  Tullius,  durch  welche  der  Schwerpunkt 
der  Waffenmacht  nunmehr  von  der  Reiterei  auf  das  Fussvolk  übertragen 
wurde ; 

3.  Die  nach  Dienstalter  und  Waffenfähigkeit  gegliederte,  aus  Staats- 
kosten besoldete  und  dadurch  zu  Feldzügen  von  längerer  Dauer  verwend- 
bare Manipular-Legion,  deren  erste  Bildung  der  Zeit  des  Camillus 
angehört  (die  Phalangen-Stellung  des  Servius  wiid  in  Manipel  auf  einer  Linie 
auseinandergezogen  —  1.  Manipular-Stellung)  und  die  im  Laufe  der 
Zeit  mehreren  Veränderungen  unterworfen  wurde,  deren  Kenntnis  uns  durch 
die  Schilderungen  des  Livius  und  Polybius  überkommen  ist,  nämlich  in  der 
2.  Manipular-  oder  Ouincuncial-Stellung,  in  der  verbesserten 
Quincuncial-Stellung  und  im  Übergang  von  der  Manipular-  zur 
K  0  h  0  r  t  e  n  -  S  t  e  1 1  u  n  g ; 

4.  Die,  alle  früheren  organisatorischen  Stützpunkte  der  Ileeres-Gliederung  ver- 
nichtende, einheitliche  Organisation  der  Kohorten-Legion  des  Marius, 
der  nach  der  Niederlage  der  Volkspartei,  um  die  Macht  der  nobilitas  zu 
brechen  und  um  die  durch  Kämpfe  mit  bisher  nicht  gekannten  Völkern 
notwendige  Änderung  in  der  Organisation  des  Heeres  herbeizuführen,  ein 
stehendes  Söldnerheer  mit  unbedingtem  Gehorsam   gegen  den  Feldherrn 


69 

schuf.     Die  Reichen  entziehen  sicli  dem  andauernden  Kriegsdienst,   die  capite 
censi  treten  zahlreich  in  das  Heer,  der  Krieg  wird  als  Handwerk  betrieben, 
die  soliden  bürgerlichen  und  militärischen  Tugenden  beginnen  zu  schwinden. 
Eine    weitere  Änderung    sehen    wir    in    der    Kohorten -Legion    des 
Augustus,  der,  um  die  Existenz  der  Kaiserherrschaft,  die  durch  Waffenge- 
walt gegründet  war.    auch    durch  Waffengewalt   zu  sichern,    ein  stehendes, 
bleibendes  Heer  schuf,  welches  nur  dem  Kaiser  den  Eid  leistete: 
5.  Die  Rückkehr  zu  einer  Phalangen-Legion,  die  wieder  verschiedene  Waffen 
gliederweise    enthält    (ganz    wie    unter    Servius    Tullius)    mit    vorherrschend 
defensivem  Charakter,    welche    den    Zeiten   des   Verfalles    der    Kaiser- 
herrschaft   angehört    und    die    am    besten    dargestellt    wird  in  der  Legion- 
Stellung  des  Trajan. 
Der  Verfall    der   sittlichen  Kraft    des    römischen  Heeres   nahm  stets  zu,    sodass 
sie  mit  dem  allmählichen  Verfall  des  Reiches  immer  tiefer  sank. 

Sodann  stellt  Herr  Sanitätsrat  Dr.  Flor  schütz  eine  Reihe  von 
Arbeiten  grönländischer  Eskimos  aus  der  modernen  Steinzeit  vor. 

Es  waren  teils  selir  geschickt  hergestellte  Hals-  und  Armbänder  für  die  Frauen, 
teils,  und  der  Mehrzahl  nach,  höchst  originelle  Schnitzereien  aus  Walrosszahn,  welche 
schwimmende  Seevögel,  Seehunde,  ja  selbst  einen  Moschusochsen  darstellten.  Gerade 
letztere  Arbeiten  zeugen  von  einer,  scharfen,  natürlichen  Beobachtungsgabe  und  er- 
regen hierdurch  sowie  durch  ihre  Technik  unser  archäologisches  Interesse,  da  sie 
mehr  oder  weniger  den  ältesten  Knochenschnitzereien  unserer  Höhlen funde  entsprechen. 
Ein  weiteres  Interesse  gewann  die  kleine  Ausstellung  dadurch,  dass  sie  bei  Gelegen- 
heit der  letzten  Expedition  zur  Aufsuchung  von  Sir  John  Franklin  durch  Mac  Clin- 
tock  zwischen  1857  und  1859  erworben  wurde;  als  besondere  Reliquie  dürfte  eine 
Schneebrille  betrachtet  werden,  Avelche  Mac  Clintock  bei  den  letzten  Überresten  der 
kühnen,  aber  unglücklichen  Forschungsreisenden  auf  King  William-Land  gefunden  hatte. 

5)  Sitzung  im  „Grünen  Wald"   am  8.  März  1893. 

Herr  Oberst  z.  D.  von  Cohausen  widmet  dem  am  14.  Februar 
verstorbeneu  Ehrenmitgliede  des  Vereins  Prof.  Dr.  Lind e ns  ch  mit , 
Direktor  des  römisch-germanischen  Centralmuseums  in  Mainz,  einen 
Nachruf. 

Im  Anschluss  daran  spricht  Herr  Gewerbeschuldirektor  a.  D. 
Fischbach  „über  Ludwig  Lindenschmit  als  Förderer  des  Deutschtums". 

Der  Redner,  welcher  inzwischen  seine  Ausführungen  als  Broschüre  im  Kommis- 
sionsverlage von  W.  Roths  Buchhandlung  (Conrad  Reinhardt)  in  Wiesbaden  hat  er- 
scheinen lassen,  behandelte  in  erster  Linie  die  unvergesslichen  Verdienste,  welche 
der  Nestor  der  deutschen  Altertumswissenschaft  als  unerschrockener  Vorkämpfer  gegen- 
über der  Keltomanie  seiner  Zeit  sich  erworben  hat. 

Darauf  hält    Herr   Oberst  z.  D.    von    Cohausen    einen  Vortrag 
„über  neue  Fundo  von  römischem  Schmelzschmuck  in  Mainz." 
(Vgl.  den  vorliegenden  Band  S.   .30  bis  36.) 

Zum  Schluss  bespricht  derselbe  „Theodor  Grafs  Galerie  antiker 
Porträts  aus  hellenistischer  Zeit", 


70 

Es  handelt  sich  um  eine  Reihe  von  Porträts,  die  in  der  ägyptisclien  Provinz 
Faijüm  in  der  Nähe  von  Ruhaijat  gefunden  worden  sind.  Es  sind  auf  Holz  gemalte 
Bilder,  welche  über  das  Gesicht  der  Mumie  gelegt  und  durch  die  Binden  der  Um- 
hüllung in  der  Weise  befestigt  waren,  dass  das  Porträt  sichtbar  blieb,  Sie  geben 
zum  ersten  Mal  ein  Bild  von  dem  Können  der  antiken  Porträtmalerei.  Neben  Er- 
zeugnissen roherer  Art  finden  sich  die  vollendetsten  Kunstwerke.  Als  Zeit  der  Ent- 
stehung der  Bilder  hat  man  das  1.  und  2.  Jahrhundert  n.  Chr.  bestimmen  können; 
der  Name  des  Ortes,  an  welchem  sich  die  Grabstätten  befanden,  war  Kerke.  — 
Unsere  Bibliothek  hat  die  von  dem  Besitzer  herausgegebenen  photographischen  Nach- 
bildungen nebst  Katalog  erworben. 

6)  Öffentliche  Sitzung  im  Museumssaale  am  18.  März  1893. 

Herr  Wirklicher  Staatsrat  von  Becker  hält  einen  Vortrag  „über 
die  Geschichte  der  Keltenfrage". 

Da  der  Vortrag  auch  dem  Zwecke  dienen  sollte,  das  Andenken  Ludwig  Linden- 
schmits  in  öffentlicher  Sitzung  zu  feiern,  so  verbreitete  sich  der  Redner  im  Laufe 
seiner  Ausführungen  in  eingehenderer  Weise  über  das  Verhältnis  des  Genannten  zur 
keltischen  Frage. 

Im  übrigen  sei  insbesondere  das  Folgende  hervorgehoben.  Die  Kelten  sollen 
ihren  Namen  von  dem  Kelt  oder  Streitmeissel  haben,  von  dem  viele  Tausende  in 
unseren  Museen  aufbewahrt  werden.  Redner  hat  nun  schon  im  Dezember  1876  in 
der  (Augsburger)  «Allgemeinen  Zeitung»  nachgewiesen,  dass  das  Wort  celtis  im  Alter- 
tum gar  nicht  existiert  habe  und  deshalb  einem  Volke  seinen  Namen  nicht  ge- 
geben haben  könne.  Das  Wort  celtis  (Redner  spricht,  um  nicht  mit  einem  Worte 
eine  Ausnahme  zu  machen,  nicht  Kelten,  keltisch,  sondern  Celten,  celtisch)  komme 
erst  im  15.  und  16.  Jahrhundert  vor,  und  zwar  1)  in  der  lateinischen  Bibelüber- 
setzung, der  Vulgata,  und  zwar  Hiob  19,  23,  24,  wo  statt  certe  fälschlich  celte 
geschrieben  sei,  und  2)  in  einer  dalmatinischen  Grabschrift;  diese  Inschrift  sei  aber 
modern,  wie  aus  ihrem  scurrilen  Inhalt  hervorgehe  (Gruteri  Corp.  inscr.  p.  329). 
Seit  17  Jahren  habe  nun  Niemand  das  frühere  Vorkommen  des  Wortes  Celt  oder 
Kelt  nachgewiesen,  und  man  solle  endlich  aufhören,  die  Palstäbe  und  Hohlbeile  in 
unseren  Museen  Kelte  zu  nennen. 

Dr.  Focke. 


71 


Bericht  des  Konservators  über  die  Erwerbungen  für  das  Altertums- 
IVIuseum   in  Wiesbaden  während  des  Jahres   1892. 

Ich  folge  dem  Gebrauche,  in  unseren  Hauptversammlungen  nicht  nur  die 
in  das  Museum  gekommenen  Gegenstände,  sondern  auch  die  im  Vereinsgebiet 
dahin  einschlagenden  "Vorkommnisse  zu  besprechen  und  den  Gebern,  sowie  denen, 
die  uns  auf  altertümliche  Gegenstände  aufmerksam  gemacht  haben,  bestens  zu 
danken. 

Wir  zählen  unsere  Ringwälle  zwar  zu  den  vorrömischen  Bauwerken, 
welche  aber  doch  wie  in  der  Urzeit  auch  noch  in  späterer  Zeit  als  Zufluchts- 
orte gedient  haben.  Da  man  auf  dem  Altkönig  einen  Turm  bauen  wollte, 
so  gelang  es  auch  unsererseits,  die  Ablehnung  herbeizuführen.  Ferner  gelang 
es,  die  Entnahme  von  Steinen  in  der  Nähe  des  Almerskopfes  auf  ein  dem 
dortigen  Ringwalle  unschädliches  Mass  zu  beschränken,  was  wir  der  Aufmerk- 
samkeit des  Herrn  Laudrat  Binde wald  in  Weilburg  danken.  Auch  die  Aus= 
beutung  des  durch  seine  Pohtur  merkwürdigen  grauen  Steins  über  dem  Nieder- 
hauser  Tunnel  gelang  zu  verhindern.  Auf  dem  Berg,  auf  welchem  die  Hof- 
heimer  Kapelle  liegt,  wurde  durch  die  Herreu  Forstmeister  Kehrein,  0.  Engel- 
hard und  Fach  ein  kleiner  Ringwall  entdeckt,  über  den  im  nächsten*)  Annalen- 
bande  berichtet  werden  wird ;  allem  Anscheine  nach  ein  letzter  Punkt  der 
Annal.  XX,  9  beschriebenen  Verschanzung  quer  über  dem  genannten  Berg- 
rücken. Daselbst  wird  ein  Aussichtsturm  ohne  allen  Schaden  für  die  genannten 
Verschanzungen  beabsichtigt. 

Über  das  Brunhildis-Bett  auf  dem  grossen  Feldberg,  welches  urkund- 
lich schon  sehr  frühe  genannt  wird,  ist  schon  viel  phantasiert  worden ;  man  hat 
dasselbe  mit  uraltem  Götterkultus  in  Verbindung  gebracht,  zumal  weil  man  bei 
demselben  eine  napfförmige  Aushöhlung  im  Felsen  entdeckt  und  in  ihr  eine 
Opferschale  mit  Blutrinne  gesehen  hatte.  Selbst  ziemlich  nüchterner  Natur 
besuchten  wir  mit  dem  Geognosten  Herrn  Professor  Volger  und  dem  Vereins- 
direktor die  Stelle  und  erkannten  auf  der  Nordostseite  des  Felsens  mehrere 
hellfarbige  Nieren  von  weissem,  weicherem  Gestein,  welche,  wenn  sie  wagrecht 
gelegen  hätten,  sodass  Wetter  und  Frost  auf  sie  hätten  einwirken  können,  wie 
jene  „Opferschale"  auch  schon  längst  die  Gestalt  jener  angenommen  hätten. 
Die  Erklärung  dieser  Nieren  führt  uns  auf  das  benachbarte  Gebiet  der  Geognosie, 
die  lehrt,  dass  das,  was  wir  jetzt  als  harten  Quarzit  vor  uns  sehen,  einst  Kalk- 
stein war,  mit  Einlagen  nierenförmiger  Spongiten,  welche  aber  durch  Infiltration 
und  chemische  Metamorphose  zwar  ihre  Form  ziemlich  behalten,  doch  aber 
selbst  in  Quarzit  umgewandelt  worden  seien,  aus  dem  jene  zu  Quarz  gewordene 
Spongiten  ausgespült  und  zu  Opferschaleu  und  Blutriuneu  geworden  wären. 

Durch  die  Aufmerksamkeit  des  Herrn  Bauinspektor  Seh  er  er  empfingen 
wir  einen  alten  Mal  st  ein,  von  einer  Steinart,  welche  man  gewöhnlich  als  von 
Niedermendig  herkommend  ansieht,  welche  sich  aber  doch  auch  in  dem  schlak- 
kigen  Basalt  des  Westerwaldes  findet.  —  Dem  Herrn  Otto  Engelhard  danken 

*)  jetzt  vorliegenden 


72 

wir  eiu  sehr  wertvolles  bei  Hofheim  gefundenes  Beil  von  Jadeit,  nebst  einem 
von  Grauwacke.  Neben  diesem  sihd  ausgestellt  zwei  Kelte  von  Kupfer,  der 
eine  gegenüber  der  Hammermühle  gefunden,  der  andere  aus  dem  Rhein  ge- 
baggert, —  Von  Frau  Gräfin  v.  d.  Goltz,  die  uns  schon  früher  so  schöne 
Gaben  zugewandt  hat,  erhielten  wir  zwei  griechische  Vasen,  die  eine  The- 
rakleiischen  Stiles  mit  fabelhaften  Tieren  bemalt,  die  andere  archaischen  Stiles, 
auf  rötlichem  Grunde  menschliche  Gestalten  in  Schwarz  darstellend.  Von  Frau 
V.  Cohausen  erhielt  das  Museum  eine  römische  Lampe  aus  Thou  von  Pompeji. 

Sie  wissen,  dass  nach  einer  Vorversammlung  in  Heidelberg  erst  in  Berlin 
im  Reichsministerium  und  dann  wieder  in  Heidelberg  eine  Limes-Kommission 
zusammengetreten  ist,  welche  die  Aufgabe  hat,  den  römischen  Grenzwall,  der 
zuerst  der  Gegenstand  unseres  Vereins  war  und  über  den  ich  in  dessen  Auftrag 
den  „Römischen  Grenzwall"  mit  52  Tafeln  (Wiesbaden,  bei  Kreidel  1884)  ge- 
schrieben habe,  nunmehr  durch  Ausgrabungen  auf  seiner  ganzen  Länge  von 
der  Donau  bis  zum  Niederrhein  zu  untersuchen.  Dies  soll  geschehen  durch 
zwei  Dirigenten,  Generallieutenant  von  Sarwey  und  Prof.  Hettner,  sowie  durch 
verschiedene  Streckenkommissäre,  —  von  der  Saalburg  bis  zum  Feldbergkastell 
durch  den  Baumeister  Jacobi.  —  Alle  Funde  sollen  in  dem  Lande,  wo  sie 
vorkommen,  verbleiben ;  also  (wie  ich  gebeten  habe,  mit  Ausnahme  der  Funde 
aus  der  Gegend  der  Saalburg,  vom  Köpperner  Thal  bis  zum  Heidenstock,  welche 
im  Saalburg-Museum  in  Homburg  bleiben  sollen)  sollen  auf  Befehl  des  Kultus- 
Ministeriums  alle  Funde  bis  zum  Ende  des  Pfahlgrabens  bei  Rheinbrohl  in 
unser  Museum  kommen. 

So  sind  bei  dem  Feldbergkastell  sehr  interessante  Stücke  gefunden 
worden.  In  dem  Fundamente  der  Villa  vor  dem  Kastell  fand  sich  ein  Stein 
mit  einer  Inschrift,  nach  welcher  er  der  Julia  Mamea,  der  Mutter  des  Severus 
Alexander,  von  den  Kundschaftern  Halicenses  geweiht  worden  war,  nämUch: 

I VLIAE  ■  MAME  Juliae  Mameae 

AE-AVG'MATRI  Augustae  matri 

SEVERl  •  ALEXAN  Severi  Alexandri 

DRI  •  AVG  •  N  •  CAS  Augusti  nostri 

TRORVM  ■  SE  castrorum  senatus 

NATVS  •  PATR I  patriae 

AE  '  QVE  •  EXPL  q^e  exploratio 

H ALI  C  •  ALEXAN  halicensis 

DRI  ANA  •  DEVO  Alexandriana 

A'NVMINI  devota  numinis 

El  •  IVS  eiius 

Der  Stein  ist  aber  nicht  allein  wegen  seiner  Weihung,  sondern  auch  wegen 
der  Weihenden  merkwürdig,  da  die  Inschrift  es  wahrscheinlicli  macht,  dass 
dieser  Truppenteil  aus  einem  Landstrich  stammte,  in  dem  Salz  gewonnen  wurde, 
wie  unser  Land,  das  so  reich  an  Mineralquellen  ist,  welche  alle  salzhaltig 
sind  und  wohl  alle  zur  Salzbereitung  gedient  haben,  so  Soden  am  Spessart, 
der  Schwalheimer  Sauerbrunnen,  Nauheim,  Rossdorf  in  der  Wotterau,  Selterser 
Brunnen,  Homburg,  Sulzbach,  Soden  etc.  im  Taunus,  Wiesbaden  und  wohl  noch 
andere,  welche  dies  Land  gewissermassen  zum  Salzkammergute  der  Römer  ge- 
macht haben. 


73 

Unter  verschiedenen  kleineu  Erz-  und  Eiscnteilen  fand  sich  im  Feldberg- 
kastell namentlich  ein  sehr  gut  erhaltener  Pentagondodekaeder,  von  welchem 
Zeichnungen  und  Abgüsse  vorliegen  und  dessen  Zweck  und  Gebrauch  man  zu 
erraten  sich   bemühen  möge. 

Unter  den  römischen  Gegenständen,  welche  das  Museum  erworben  hat 
—  eine  Feldflasche  aus  Thou,  ein  Erzbecher  in  Form  eines  Rehkopfes,  ein 
zierlicher  Löffel  aus  Erz,  zahlreiche  kleine  Schmuckstücke,  namentlich  zwei 
goldene  Ohrringe  mit  Delphinköpfen  —  sind  es  namentlich  die  Glasarbeiten, 
welche  unsere  Aufmerksamkeit  erregen.  Eine  kleine  Vase  mit  eingeschmolzenen, 
blauen,  gelben  und  grünen  Zickzackverzierungen  ist  wohl  ägyptischen  Ursprungs. 
Ferner  ist  zu  erwähnen  ein  Vexierbecher,  auf  dem  ein  Hirsch  liegt,  durch  dessen 
Maul  man  den  Becher  aussaugen  kann.  Der  Glaskünstler  Zitzmanu  in  der 
Kolonnade  hat  eine  Nachahmung  dieses  Bechers  gemacht  und  einen  Becher  mit 
„Häuschen  im  Keller"  dem  Museum  geschenkt. 

Es  sind  ferner  hier  ausgestellt  viele  Bruchstücke,  die  durch  ihre  Ein- 
förmigkeit und  Menge  auf  eine  römische  Glashütte  au  der  Nahe  hinweisen. 
Auch  spätere  Gläser  finden  sich  darunter  und  weisen  auf  eine  Fortdauer  dieser 
Industrie  bei  uns  hin. 

Aus  fränkischer  Zeit  haben  wir  diesmal  nur  wenig  auszustellen,  darunter 
aber  zwei  runde  Fibeln  aus  Gold  mit  Steinen  und  andere  Stücke,  darunter  eine 
kleine  Silber  münze,  welche  Herr  Isenbeck  als  eine  Matasunda,  Gemahlin 
Vitigis  (536-540),  erkannt  hat. 

Weiter  erhielt  das  Museum  : 

Von  Herrn  Gerhard  einen  sogenannten  Linkhand -Dolch,  von  Herrn 
A.  Zais  einen  Kesselhaken,  wie  sie  früher  bei  offenem  Herdfeuer  aus  dem 
Schornstein  herabhingen,  von  Herrn  Demmin  einen  kyprischen  Blumenständer 
und  andere  Gefässe  von  dort  her,  von  Baron  Wen  dt  das  gusseiserne  Modell 
einer  Kanone. 

Aus  den  Fundameuten  eines  Forsthauses  in  Battenberg  empfingen  wir 
durch  die  Aufmerksamkeit  der  Königl.  Forstbehörde  15  Silbermünzen  (Tourones). 
Für  unseren  Münztresor  erhielten  wir  von  den  Herreu  Streitberg  und  von 
Ritgen  eine  Anzahl  älterer  und  neuerer  Münzen. 

Das    Museum    war    1891    von    4926,   im  Jahre  1892    von  8867  Personen 

besucht. 

Oberst  von  C  o  h  a  u  s  e  n . 


Verzeichüis  der  Mitglieder."^') 

(Abgeschlossen  am  31.  März  1893.) 


Vorstand. 

Direktor:  Herr  Sanitätsrat  Dr.  Florscliütz. 

Sekretär:  Herr  Kustos  der  Königl.  Landesbibliothek  Dr.  Focke. 

Konservator:  Herr  Oberst  z.  D.  vou  Cohauseii. 

Ferner  die  Herreu: 

Geheimer  Justizrat  vou  Eck, 

Rentner  Gaab^ 

Landgerichtsrat  Keutner, 

Geheimer  Baurat  Cuuo, 

Oberlehrer  Dr.  Wedewer,  , 

Schuldirektor  Weldert, 

Dr.  med.  Alireiis, 

Oberlehrer  Dr.  Lolir. 
Ersatzmänner  sind  die  Herren: 

Landgerichtsrat  Dussel, 

Major  a.  D.  ScliHeben, 

Oberstlieutenant  z.  D.  Sartorius. 

Die  Kechnungsprüfungs- Kommission  wird  gebildet  durch  die  Herren: 
Geheimer  Baurat  Cuno, 
Gev/erbeschuldirektor  a.  D.  Fischbacli, 
Rentner  Iseiibeck. 

Ehrenmitglieder. 

Herr  Hodgkin,  Thomas,  Esqu.,  Falmouth. 

,  Dr.  Menzel,  Karl,  Professor,  Bonn. 

„  Dr.  Mommsen,  Theodor,  Professor,  Berlin. 

„  Scliellenherg,  Carl,  Geheimer  Regicrungsrat  a.  D.,   Wiesbaden. 

„  Schuernmns,  H.,  Premier  president  de  la  cour  d'appel,  Liege. 

„  Dr.  von  Sybel,  Heinrich,  Direkt,  d.  geh.  Staatsarchivs,  Wirkl.  Geh.  Ob.- 
Reg-Rat,  Berlin. 

*)  Unsere  p.  T.  Mitglieder  werden  dringendst  ersucht,    Veriinderiingen  der  Titulatur 
und  des  Wohnortes  sowie  etwaige  Berichtigungen  gütigst  dem  Sekretariat  mitzuteilen. 


75 

Korrespondierende  Mitg.ieder. 

Herr  Franz  Pascha,  Kairo. 

„     Dr.  Heider,  Sektionsrat  im  K.  K.  Minist,  f.  Kult.,  Wien. 

„     Michelant,  Henry,    Conservateur  du  departcment  des  manuscripts  de  la 

Bibliotheque  nationale,  Paris. 
„     Dr.  Overbeck,  Johannes,  Prof.,  Geheimer  Hofrat,  Leipzig. 
„     Baron  de  Septeiiville,  Chateau  Lignieres  (Poix). 

Ordentliche  Mitglieder. 

I.  In  Wiesbaden. 

Herr  Abegig,  Philipp. 

„  Dr.  med.  Ahrens,  Friedrieh,  Arzt. 

„  Aufermann,  Wilhelm,  Rentner. 

„  von  Aweyden,  Adolf,  Ober-Regierungsrat. 

„  Bartliug,  Eduard,  Rentner  und  Stadtrat. 

„  Beclitold,  Rudolf,  Buchdruckereibesitzer. 

„  Becker,  Ludwig,  Kaufmann. 

„  Begere,  Heinrich,  Rechnungsrat,  Rendant  des  Vereins. 

„  Bergmann,  Fritz,  Verlagsbuchhändler. 

„  Berle,  Ferdinand  B.,  Banquier. 

„  Dr.  med.  Berlein,  Martin,  Arzt. 

„  von  Bertouch,  Geh.  Regierungsrat  a.  D.  und  Kammerherr. 

„  Dr.  med.  Bertrand,  Carl,  Geh.  Sanitätsrat. 

„  Baron  von  Bistram. 

„  Dr.  jur.  Böninger,  Eugen,  Rechtsanwalt. 

„  Bornemann,  Carl,  Wirkl.  Geh.  Kriegsrat  a.  D. 

„  Dr.  phil.  Bredemann,  Carl  Otto. 

„  Dr.  phil.  Bröcking,  Wilhelm. 

„  Büdingen,  Wolfgang,  Kaufmann  und  Badhausbesitzer. 

„  Cliarlier,  Albert,  Rentner. 

„  Dr.  veter.  med.  Christmann,  Heinrich,  Tierarzt. 

„  von  Coliansen,  August,  Oberst  z.  D.,  Konservator. 

„  Dr.  med.  Conrady,  Max,  Geh.  Sanitätsrat. 

„  Conrady,  Ludwig,  Pfarrer  a.  D. 

„,  Dr.  theol.  de  la  Croix,  Otto,  Oberregierungsrat  und  Konsist.-Präsid.  a.  D. 

„  Cnno,  Eduard,  Geh.  Baurat  und  Regierungsrat. 

„  Dormaun,  Philipp,  Bauunternehmer. 

„  Drexel,  Jacob,  Kaufmann. 

„  Dussel,  Hermann,  Landgerichtsrat. 

„  Freiherr  von  Dungern,  Max,   Präs.  d.  Grossh.  Luxemb.  Finauzkammer. 

„  Freiherr  von  Eberstein,  Alfred,  Oberst  z.  D. 

„  Ebhardt,  Karl,  Privatier. 

„  von  Eck,  Victor,  Geh.  Justizrat,  Rechtsanwalt. 

„  Eckerlin,  Heinrich,  Bauunternehmer. 

„  Eggert,  Hermann,  Regierungs-  und  Baurat. 


76 

Herr  Elgershausen,  Luitpold. 

„  Dr.  theo).  Ernst,  Carl.  Generalsuperintendeut. 
Fehl*.  Theodor.  Fabrikbesitzer, 

„  Fisclibach,  Friedrich,  Gewerbeschuldirektor  a.  D. 

„  Flock,  Friedrich.   Architekt. 

„  Dr.  med.  Florschütz,  Bruuo,  Sanitätsrat. 

„  Dr.  phil,  Focke,  Rudolf,  Kustos  der  Kgl.  Laudesbibliothek. 

„  Dr.  med,  Frank,  Georg. 

„  Franz,  Wilhelm,  Regierungsbauführer. 

„  Freinslieim,  Friedrich,  Rentjier. 

„  Dr.  Fresenius,  Remigius,  Geh.  Hofrat,  Professor. 

„  Friedrich,  Lothar,  Pfarrer, 

„  Fritz,  Heinrich,  Rentner. 

,  Fritze,  August,  Professor.  Oberlehrer. 

„  Fuchs,  Wilhelm,  Landgerichtsrat  a.  D. 

„  Gaab,  Christian.  Rentner. 

„  Gecks,  Leonhard,  Buchhändler. 

„  von  Ooeckingk,  Hermann,  Kgl.  Kammerherr  und  Premierlieutenant  a.  D. 

„  Götz,  Friedrich,  Hotelbesitzer. 

Frau  Gräfin  von  der  Goltz. 

Herr  Gornicki,  Wladislaus. 

„  Gräber,  Ferdinand,  Kommerzienrat. 

„  Gräser,  Robert,  Oberst  z.  D, 

,  Dr,  jur.  Grimm,  Julius,  Professor. 

r,  Groschwitz,  Carl,  Buchbinder. 

„  Dr.  med.  Güntz,  Theobald,  Privatier, 

„  Dr.  Haii:emann,  x\rnold,  Kgl.  Archivar. 

„  Hei  big,  Hermann,  Baurat,  Kreisbauinspektor. 

„  Hensel,  Carl,  Rentner. 

,  Hensler,  Joseph,  ständischer  Ingenieur  und  Inspektor. 

„  Menzel,  Nicolaus,  Ingenieur. 

„  Herrmann,  Johannes,  Inspektor. 

„  Hess,  Johannes,  zweiter  Bürgermeister. 

„  Hess,  Simon.  Kaufmann  und  Stadtverordneter, 

,  Dr,  med,  Heubach,  Hans,  Arzt, 

„  Hey'l,  Ferdinand,  Kurdirektor,  Kais.  Ottomanischer  Vicekonsul. 

„  Dr.  phil.  Hintz,  Ernst  Jacob, 

„  von  Hirsch,  Friedrich,  Kaufmann, 

„  Höhn,  August,  Polizeirat. 

„  Hoitniann,  Otto,  Rentner. 

„  Dr,  jur.  von  Ibell,  Oberbürgermeister,  Mitghed  des  Herrenhauses, 

„  Dr.  med.  Ideler,  Carl,  Geh.  Sanitätsrat, 

„  Isenbeck,  Julius,  Rentner. 

„  Keim,  Wilhelm,  Landgerichtsrat. 

„  Dr,  theol.  Keller,  Adam,  päpstl,  Hausprälat,  Geistl.  Rat,  Dek.  u,  Stadtpfarrer. 


77 


Herr  Keutner,  Joseph,  Laudgerichtsrat. 

„  Kissliiig,  Carl,  Möbelfabrikanf. 

„  Kuauer,  Friedrich,  Rentner, 

Frau  Freifrau  von  Knoop. 

Herr  Koch,  Gottfried,  Kaufmann. 

„  Kolb,  Richard,  Major  a.  D. 

„  Kreitlel,  Carl,  Mechaniker. 

„  Kriege,  Ernst  Jacob,  Oberst  a.  D. 

„  Kuii/,  Johannes,  Bildhauer. 

„  Dr.  phil.  Kurz,  Hermann,  Apotheker. 

„  Labes,  Otto  Friedrich,  Oberst  a.  D. 

„  Dr.  phil.  Lehmann,  Julius. 

„  von  Lehmann,  Peter,  Generallieutenant  z.  D. 

„  Leisler,  Ernst,  Referendar. 

„  Leo,  Ludwig,  Rentner. 

„  Dr.  med.  Letzerich,  Ludwig,  Arzt. 

„  Lex,  Adolf,  Regierungsassessor. 

„  Limharth,  Christian,  Buchhändler. 

„  Freiherr  Low  von  Steinfurt,  Erwin,  Oberlieutenant  a.  D. 

„  Dr.  phil.  Lohr,  Friedrich,  Gymnasialoberlehrer. 

,  Mäckler,  Heinrich,  Rentner  und  Feldgerichtsschoffe. 

„  Dr.  phil.  Medicus,  Friedrich  Carl,   Professor. 

„  Meister,  Philipp,  Landgerichtsrat  a.  D. 

„  Dr.  phil.  Merbot,  Reinhold,  Sekretär  der  Handelskammer. 

„  Dr.  med.  Meurer,  Carl,  Augenarzt. 

„  Meyer,  Richard  Adolf,  Generalagent, 

„  Momberger,  Jacob  August,  Weinhändler. 

„  Moritz,  Joseph,  Buchhändler. 

„  Niemer,  Louis,  Rentner. 

„  Nörtershäuser,  Gisbert,  Buchhändler. 

,,  Nötzel,  Wilhelm,  Fabrikbesitzer. 

„  Olsson,  Hans  Hermann,  Juwelier. 

„  Opitz,  Hermann,  Oberregierungsrat  und  Konsistorialpräsideut. 

„  Otto,  Friedrich,  Professor,  Prorektor  am   Kgl.  Gymnasium. 

„  Dr.  phil.  Otto,  Heinrich,  Gymnasiallehrer. 

„  Dr.  phil.  Panzer,  Conrad,  Königlicher  Archivar. 

„  Peipers,  Hugo,  Rentner  und  Stadtverordneter. 

„  von  Pestel,  Eduard,  Oberst  a.  D. 

„  Dr.  med.  Pfeitt'er,  August,  Regierungs-  und  Medizinalrat. 

„  Dr.  med.  Pfeiffer,  Emil,  Sanitätsrat. 

„  Pohl,  Joseph,  Weinhändler. 

„  Reber,  Johannes,  Pfarrer  a.   D. 

„  Reinhardt,  Conrad,  Buchhändler. 

,  Reusch,  Heinrich,  Gerichtsreferendar. 

„  Riecks,    Wilhelm,   Wirkl.  Geii.  Kriegsrat  und   Militärinteiulant  a.   D. 


78 

Herr  Bisch,  Julius,  Geh,  Regierungs-  und  Schulrat. 

„  Bitter,  Carl,  Buchdruckereibesitzer. 

„  Dr.  jur.  Bomeiss,  Hermann,  Rechtsanwalt. 

,  Boos,  Heinrich,  Kaufmann. 

„  Bospatt,  Lambert,  Geh.  Regierungsrat. 

„  Botli,  Adolf,  Rentner. 

,  Dr.  phil.  Biippel,  Carl,  Oberlehrer. 

„  Sartorius,  Adalbert,  Oberstlieutenant  z.  D. 

,  Sartorius,  Otto,  Landesdirektor. 

,  Dr.  phil.  Sauer,  "Wilhelm,  Staatsarchivar  und  Archivrat. 

,  Dr.  jur.  Sclialk,  Heinrich,  Bibliothekar. 

,  von  Scheliha,  Dietrich,  Oberst  a.  D. 

„  Schelleiiberg,  Alfred,  Architekt. 

„  Schellenberg,  Carl,  Rentner. 

,  Sclielleiiberg,  Louis,  Buchdruckereibesitzer. 

,  von  Scheven,  Wilhelm,  Botschaftsbeamter  a.  D. 

,  Schierenberg,  Ernst,  Rentner. 

„  Sclilaadt,  Wilhelm,  Oberlehrer. 

,  Schlieben,  Adolf,  Major  a.  D. 

„  Schmitt,  Adam,  Rentner  und  Stadtverordneter. 

„  Dr.  phil. .  Schmitt,  Conrad,  Hofrat. 

„  Scliramm,  Philipp,  Rentner. 

„  Schröder,  Hugo,  Photograph. 

„  Schüler,  Theodor,  Archiv-Kauzlei-Sekretär. 

„  Schultz,  Otto,  Oberst  a.  D. 

,  von  Schweder,  Adolf,  Oberst  z.  D, 

„  Sclnveisguth,  Carl,  Rentner. 

,  von  Seydlitz,  Hermann,  Generallieutenant  z.  D. 

„  Dr.  jur.  Siebert,  Eduard,  Justizrat,  Rechtsanwalt. 

„  Spielmann,  Christian,  Schriftsteller. 

,  Spiess,  August,  Gymnasialdirektor  a.  D. 

„  Stein,  Christian,  Bauunternehmer  und  Stadtverordneter. 

,  Stolle.v,  Harald,  Hofdentist. 

„  Strasburger,  Paul,  Banquier. 

„  von  Tepper-Laski,  Victor,  Regierungspräsident. 

„  Thönges,  Hubert  Christoph,  Justizrat. 

„  Thoma,  Hermann,  Hotelbesitzer. 

„  Thurneyssen,  Alexander,  Rentner. 

„  Dr.  phil.  Tietz,  Oscar. 

,  Trosiener,  F.,  Ingenieur. 

„  Vietor,  Moritz,  Kaufmann. 

„  Vogeler,  Julius,  Rentner, 

„  Wagner,  Carl. 

„  Freiherr  von    Wangenheim,  Otto,  Major  z.  D. 

„  Dr.  theol.    Wedewer,  Hermann,  Oberlehrer. 


79 


Herr  Weldert,  Carl,  Direktor  der  höheren  Töchterschule. 

„  Wieiicke,  Rudolf,  Königlicher  Lotterie-Einnehmer. 

,  Dr.  jur.  Willielmy,  Albert. 

,  Willett,  Martin,  Architekt  und  Stadtverordneter. 

,  Winter,  Ernst,  Baurat,  Stadtbaudirektor. 

„  Wirth,  Christian,  Landesdirektor  a.   D. 

„  Wissmanii,  Eduard,  Landgerichtsrat. 

,  Worst,  Hermann,  Seminardirektor  a.  D. 

,  Zais,  Wilhelm,  Hotelbesitzer. 


II.   Ausserhalb  Wiesbadens. 

Herr  Abel,  Rechtsanwalt,  Hadamar. 

„  Dr.  von  Achenbach,  Heinrich,  Staatsminister  u.  Oberpräsident,  Potsdam. 

„  Achenbach,  A.,  Königl.  Berghauptraann,  Klausthal. 

,  Dr.  Alefeld,  Darrastadt. 

„  Alnienröder,  Pfarrer,  Ober-Biel  (Kreis  Wetzlar). 

,  Anthes,  Eugen,  Pfarrer,  Nassau. 

„  Dr.  phil.  Alisfeld,  Eduard,  Königl.  Archivar,  Koblenz. 

„  Bahr,  Joseph,  Landwirt,  Frauenstein  bei  Wiesbaden. 

,  Bahl,  Christian,  Ehren-Domherr,  Bischöfl.  Kommissarius  und  Stadtpfarrer, 
Frankfurt  a.  M. 

^  Batton,  Postmeister,  Nassau. 

„  Bauer,  Major  an  der  Schiessschule,  Jüterbogk. 

,  Baunach,  Wilhelm,  Frankfurt  a.  M. 

„  Dr.  Beck,  Ludwig,  Hüttendirektor,  Rheinhütte  bei  Biebrich. 

,  Dr.  Beckmann,  Fr.,  Landrat,  Usingen, 

„  Dr.  Berg',  Direktor  des  Knabenpensionats,  Oberlahnstein. 

„  Bimler,  Oberbergamtsraarkscheider,  Breslau. 

„  Biudewald,  Landrat,  Weilburg. 

„  Blell,  Rittergutsbesitzer,  Lichterfelde  bei  Berlin. 

„  von  Bocli,  Eugen,  Geh.  Kommerzienrat,  Mettlach, 

„  Dr.  phil.  Braun,  Anselm,  Professor,  Oberlehrer,  Hadamar. 

,  Broift,  L.  H.,  Frankfurt  a.  M. 

y,  Dr.  phil.  Büsgen,  Gymuasialdirektor,  Rinteln. 

,  Dr.  phil.  Freiherr  von  Canstein,  Ökonomierat,  Berlin. 

„  Conrady,  Wilhelm,  Kreisrichter  a.  D.,  Miltenberg  a.  M. 

„  Bahleu,  Heinrich  Wilhelm,    Generalsekretär  des  deutschen  Weinbauver- 
eins, Geisenheim. 

„  Deissmann,  Pfarrer,  Erbach  am  Rhein. 

„  Deissmann,  Dekan  a.  D.,  Pfarrer,  Cubach  (Post  Weilburg). 

,  Dr.  med.  Dettweiler,  Peter,  Geh.  Sanitätsrat,  Falkenstein  i.  T. 

„  von  Bonop,  Hugo,  Major  z.  D.  und  Oberhofmeister,  Weimar. 

„  Dr.  med.  Düttmann,  Otto,  Arzt,  Montabaur. 

Frau  Baronin  von  Dungern,  Schloss  Dehrn  bei  Limburg  a.  d.  Lahn. 


80 

Herr  Dyckerhoff,  Rudolf,  Fabrikbesitzer,  Biebrich. 

,  Ebhardt,  Landgerichtsrat  a.  D.,  Limburg  a.  d.  L. 

„  Graf  zu  Eltz,  Carl,  Eltville. 

„  Engelhard,  Otto,  Fabrikant,  Hofheim  im  Taunus. 

„  Graf  zu  Euleiiburg,  Botho,  Ministerpräsident,  Berlin. 

„  Fehlner,  Lehrer,  Steeten  bei  Runkel  a.  d.  Lahn. 

„  Dr.  phil.  Fleckeisen,  Professor,  Dresden. 

„  Fonck,  Geh.  Regieruugsrat,  Rüdesheim. 

,  Dr.  phil.  Forst,  H.,  Osnabrück. 

„  Fromme,  Landrat,  Dillenburg. 

„  (jloltz,    B.,    Major   im   Westfälischen   Infanterie  -  Regiment   No.  -57, 
Wesel. 

„  Dr.  Grandhomme,  Sanitätsrat,  Kreisphysikus,  Frankfurt  a.  M. 

„  Haas,  P.,  Rektor  des  Realgymnasiums,  Limburg  a.  d.  L. 

„  Graf  von  Hachenburg:,  Hachenburg. 

„  Dr.  phil.  Hammeran,  A.,  Frankfurt  a.  M. 

„  Manch,  Rudolf,  Frankfurt  a.  M. 

„  Hecker,  Gerichtsschreiber,  Nassau. 

„  Dr.   Heg'ert,  Archivrat,  Geh.  Staatsarchivar,  Berlin. 

„  Dr.  med.  Herxheimer,  Salomon,  Sanitätsrat,  Arzt,  Frankfurt  a.  M. 

„  Hess,  Heinrich,  Weinkommissionär,  Ostrich. 

„  Hetzel,  Professor,  Gymnasialoberlehrer,  Dillenburg. 

„  Freiherr  v.  d.  Heydt,  Landrat,  Homburg  v.  d.  H. 

„  Heyne,  M.,  Oberlehrer  am  Real-Progymnasium,  Biebrich. 

„  Hilf,  Hubert  Arnold,  Justizrat,  Rechtsanwalt,  Limburg  a.  d.  L. 

,  Hillebrand,  Professor,  Oberlehrer,  Hadamar. 

„  Hilpisch,  Johann  Georg,  Pfarrer,  Direktor  der  St.  Leonhardskirche,  Frank- 
furt a.  M. 

„  Hoifmann,  Gutsbesitzer,  Niederhöchstadt  (Post  Cronberg  i.  T.) 

„  Hottinann,  Wilhelm,  Premierlieutenant  a.  D.,  Redakteur,   Gummersbach. 
Se.  Königliche  Hoheit  Leopold  Fürst  von  Hohenzollern,  Sigmaringen. 

Herr  Hosseus,  Inspektor  der  Heilanstalt,   Falkenstein  i.  T. 

„  Hubalek,  H.,  Steeten  bei  Runkel  a.  d.  Lahn. 

„  Jacobi,  Baumeistor,  Homburg  v.  d.  H. 

„  Janotha,  Herzogl.  Schlossinspektor  a.  D.,  Weilburg. 

,  Ilj^en,  Kapitän  in  der  Kgl.  Niederländischen  Armee,  Padang,  Sumatra 

„  Graf  von  Ingelheim,  Geisenheim. 

,  Dr.  Kalle,  Kommerzienrat,  Biebrich. 

„  Dr.  phil.  Kaufmann,  A.,  Archivrat,  Wertheim  a.  M. 

„  Kaufmann,  Heinrich,  (j erberei besitzer,  Lorch. 

„  Keller,  Justizrat,  Rechtsanwalt  und  Notar,   Limburg  a.  d.  L. 

Frau  Gräfin  von  Kielmannsegge,  Nassau. 

Herr  Klein,  Hermann,  Hüttenbesitzer,  Karlshütie  (Post  Buchenau,  Kr.  Bieden- 
kopf). 

„  Dr.  theol.  Klein,  Karl,  Bischuf,  päpstl.  Hausprälat,  Limburg  a.  d.  L. 


81 

Herr  von  Knebel,  Heinrich,  Oberst  z.  D.,  Sonnenberg  bei  Wiesbaden. 

„  Dr.  med.  Kobelt,   Wilhelm,  Arzt,  Schwanheira. 

„  Königstein,  Kilian,  Pfarrer,  Bornheim  bei  Frankfurt  a.  M. 

,  Kohn-Speier,  Frankfurt  a.  M. 

„  Dr.  phil.  Kraus,  F.  X.,  Professor,  Freiburg  i.  B. 

„  Kröck,  Hauptmann  a.  D.,  Berlin. 

„  Krücke,  Wilhelm,  Pfarrer,  Limburg  a.  d.  L. 

„  von  Lade,  E.,  Geisenheim. 

„  Liebe,  Th.,  Hofrat,  Gera. 

„  Dr.  Lieber,  Reichstags-  und  Landtagsabgeordneter,  Camberg. 

„  Lützenkirchen,  Heinrich,  Buchhändler,  Bonn  a.  Rh. 

„  Magewirth,  J.,  Oberpfarrer,  Homburg  v.  d.  H. 

„  Malmros,  Amtsrichter,  Limburg  a.  d.  L. 

„  Manger,  Fr.,  Pfarrer,  Dillenburg. 

„  Freiherr  Marschall  von  Bieberstein,  Oberstlieutenant,  Koblenz. 

Frau  Gräfin  von  Matusclika,  Schloss  Vollrads  bei  Winkel  a.  Rh. 

Herr  Meckel,  J.  Fr.,  Kaufmann,  Herborn. 

„  Dr.  med.  Michel,  Theodor,  Arzt,  Niederlahnstein. 

„  Moureau,  Pfarrer,  Erbenheim  bei  Wiesbaden. 

„  Müller,  Mich.,  Pfarrer,  Seck  (Kreis  Westerburg). 

„  Müllers,  Erster  Seminarlehrer,  Montabaur. 

„  Mulot,  Heinrich,  Rentner,  Haiger. 

„  Musset,  Landgerichtsrat,  Limburg  a,  d.  L. 

„  Nick,  Pfarrer,  Salzig  bei  Boppard. 

„  Opperniann,  Ferdinand,  Bad  Soden. 

„  Osterroth,  Arthur,   Rittergutsbesitzer,    Schloss  Schönberg  bei  Oberwesel. 

„  Ott,  Joseph,  cand.  phil.,  Biebrich. 

„  Pauli,  Gutsverwalter,  Schloss  Bodenstein  bei  Regeusburg. 

„  Dr.  Peters,  C,  Schierstein. 

„  Pfarrius,  Alexander,  Pfarrer,  Dodenau  (Post  Battenberg). 

„  Pfau,  Emil,  Direktor  der  Aktienbrauerei,  Nassau. 

„  Freiherr  von  Preuschen  und  zu  Liebenstein,  Forstmeister,  Rüdesheim. 

„  Pulch,  Gerichtsschreiber,  Katzenelnbogen. 

„  Reichert,  Domänen-Rentmeister,  Weilburg. 

„  von  Reinach,  Albert,  Frankfurt  a.  M. 

,  Dr.  med.  Reinhold,  Medizinalrat,  Eisenberg  (Sachsen-Altenburg). 

„  Rausch,  C.  Ed.,  Bürgermeister,  Oberlahnstein, 

,  Reuter,  Fritz,  Weinhändler,  Rüdesheim. 

„  Riedel,  Amtsgerichtsrat,  Frankfurt  a.  M. 

„  Rücker,  F.,  Lehrer,  Rittershausen  (Post  Strassebersbach). 

„  Rupp,  Friedrich,  Reallehrer,  Herborn. 

„  Schellenberg,  Carl,  Pfarrer,  Battenberg. 

„  Schilo,  Wilhelm,  Pfarrer  und  Kreis-Schulinspektor,  Idstein. 

„  Schlitt,  J.,  Dekan,  Eltville. 

„  Schmidt,  Ferdinand,  Professor,  Gymnasialdirektor,  Dillenburg. 

6 


82 

Herr  Schmitz^  Johann  Peter,  Professor,  Oberlehrer,  Montabaur. 

„     Schmölder,  Kaufmann,  Biebrich. 

,      Dr.  Schneider,  Friedrich,  Domkapitular,  Geistl.  Rat,  Mainz. 

,     Schneider,  Robert,  Pfarrer,  Buchenau  (Kreis  Biedenkopf). 

„     Scholl,  Bernhard,  Rüdesheim. 

„     Schreiner,  Pfarrer,  Barmen. 

„     Schröder,  J.,  Fabrikant,  Oberlahustein. 

„     Schulz,  Forstmeister,  Kaub. 

„     Schuster,  Pfarrer,  Frischborn  bei  Lauterbach  (Oberhessen). 

„     Freiherr  Schwartzkoppen-Rottorf,  Weinheim  a.  d.  Bergstrasse. 

„     Seyberth,  Gri^i.  Regierungsrat,  Landrat,  Biedenkopf 

„      Siegel,  Johannes.  Pfarrer,  Weilburg. 
Se.  Erlaucht  Friedrich  Graf  zu  Solnis-Laubach,  Laubach  (Oberhessen). 
Herr  Stahl,  Amtsgerichtsrat,  Hachenburg. 

„     Steinheinier,  C.  J.  B.,  Gutsbesitzer,  Östrich. 

„     Dr.  phil.  Steubing,  Harrach'sches  Institut.  St.  Goarshausen. 

,      Stier,  Hauptmann  a.  D  ,  Fürstenwalde. 

„      Stifft,  Amtsgerichtsrat,  Höchst  a.  M. 

„     Stippler,  Bergwerksbesitzer.   Limburg  a.  d.  Lahn. 

„     Stoff,  L.,  Dechant,  Kassel. 

„     Sturm,  E.,  Weingutsbesitzer,  Rüdesheim. 

„     Trog,  C,  Lehrer,  Bosbeck  (Kreis  Essen). 

,.     von  Trott  zu  Solz,  Landrat,  Marburg  i.  H. 

,,     Dr.  phil.  Yelke,  Wilhelm,  Stadtbibliothekar,  Mainz. 

„     Vöniel,  E.,  Pfarrer,  Homburg  v.  d.  H. 

„     Vogel,  Arnold,  Pfarrer,  Kirberg. 

„     Vogel,  Hermann  Arnold,  Pfarrer,  Eppenrod  (Post  Nentershausen,   Bezirk 
Wiesbaden). 
Se.  Durchlaucht  Georg  Victor  Fürst  zu  Waldeck  und  Pyrmont,  Arolsen. 
Herr  Walter,  G.,  Rentner,  Schloss  Gutenfels   bei  Kaub. 

„      Weber,  Amtsgerichtsrat,  Wetzlar. 

„      Weitzel,  Premierlieutenant  im  Inf.-Reg.   117,  Mainz. 

„      VVehrheim,  Wilhelm,  Direktor  des  Taubstummen-Instituts,  Camberg. 

,     Widmann,  Bernhard,  Friihmesser,  Eltville. 

„     Dr.  phil.  Widmann,  Simon,    Rektor  des  Real-Progymnasiums,    Oberlahn- 
stein. 
Se.  Durchlaucht  Wilhelm  Fürst  zu  Wied,  Neuwied. 
Herr   Wilhelmi,  Georg,  Pfarrer,  Diez. 

„      Wilhelmy,  August,  Prokurator,  Hattenheim. 

„     Willi,  Domiuikus,  Abt,  Abtei  Marienstatt  (Post  Hachenburg). 

,     Winter,  Wilhelm.   Regierungspräsident  a.  D.,  Elmshausen  (Post  Buchenau, 
Kreis  Biedenkopf). 


8'6 


III.    Ordentliche  Mitglieder  sind  ferner  folgende 
Archive,  Behörden,  Bibliotheken,  Museen  und  Vereine. 

Berlin : 

Königliche  Bibliothek  (W.,  Platz  am  Opernhause). 

Königliche   geologische    Landesanstalt    und    Berg-Akademie 

(N.,  Invalidenstrasse  44), 
Königliches  K  u  n  s  t -  G  e  w  e r  b  e -  M u  s  e u m  (S  W.,  Pri uz  Albrechtstrasse). 
Biebrich-Mosbach : 

Real-Progymnasium. 

Biedenkopf: 

Kreisausschuss  des  Kreises  Biedenkopf. 
Königliches  Real-Progymnasium. 

Cassel: 

Ständische  Landesbibliothek. 

Koblenz : 

Königliches  Staatsarchiv. 

Darmstadt: 

Grossherzoglich  Hessisches  Haus-  und  Staatsarchiv, 
Diez: 

Kreisausschuss  des  Unterlahukreises. 

Real-Progymnasium. 
Dillenburg: 

Königliches  Gymnasium. 

Kreisausschuss  des  Dillkreises. 

Historischer  Verein. 

Ems: 

Real-Progymnasium. 

Erbach  im  Odenwald: 

Gräflich  von  Erbach-Erbachsches  Gesamt-Hausarchiv. 

Frankfurt  a.  M.: 

Kreisausschuss  des  Landkreises  Frankfurt  a.  M. 

Magistrat. 

Stadtbibliothek. 

St,  Goarshausen: 

Kreisausschuss  des  Kreises  St.  Goarshausen. 
Hadamar: 

Königliches  Gymnasium. 
Herborn : 

Altertumsverein. 
Höchst: 

Kreisausschuss  des  Kreises  Höchst. 

6* 


84 


Homburg  t.  d.  Höhe: 

Kreisausschuss  des  Oberfcaunuskreises. 

Langenschwalbach : 

Kreisausschuss  des  Untertaunuskreises. 

Limburg  a.  d.  Lahn: 

Kreisausschuss  des  Kreises  Limburg. 

Mainz : 

Stadtbibliothek. 

Marburg: 

Königliches  Staatsarchiv. 

Marienberg: 

Kreisausschuss  des  Oberwesterwaldkreises. 

Montabaur : 

Kreisausschuss  des  Unterwesterwaldkreises. 

Büdesheim : 

Kreisausschuss  des  Rheingaukreises. 

Schlangenbad : 

Königliche  Kurkommission. 
Schneidmnhle  (bei  Audenschmiede,  Post  Weilmünster): 
Gesellschaft  „Erholung". 

Usingen : 

Kreisausschuss  des  Kreises  Usingen, 

Weilburg : 

Kreisausschuss  des  Oberlahnkreises. 

Westerburg: 

Kreisausschuss  des  Kreises  Westerburg. 

Wetzlar : 

Königliches  Staatsarchiv. 

Wiesbaden: 

Bezirks-Verband  des  Kegierungs-Bezirks  Wiesbaden. 

Königliches  Gymnasium. 

Kreisausschuss  des  Landkreises  Wiesbaden. 

Magistrat. 

Königliches  Staatsarchiv. 


Verzeichnis 

der  Akademieen,  GesellsohafteD,  Institute  uud  Vereine,  deren  Druckschriften 
der  Verein  in  regelmässigem  Schriftenaustausch  erhält, 


Aachen,  Geschichtsverein. 

,  Verein  für  Kunde  der  Aachener  Vorzeit. 

Aar  au,  Historische  Gesellschaft  des  Kantons  Aargau. 

Abbaye  de  Maredsous  (Belgien).    [„Revue  benedictine".] 

Altenburg,    Geschichts-   u.    altertumsforschende   Gesellschaft    des  Osterlandes. 

Amiens,  Societe  des  antiquaires  de  Picardie. 

Amsterdam,  Koninklijke  Akademie  van  Wetenschappen. 

Annaberg,  Verein  für  Geschichte  von  Annaberg  und  Umgegend. 

Ansbach,  Historischer  Yerein  für  Mittelfrauken. 

Antwerpen,  Acaderaie  d'archeologie  de  Belgique. 

Ar  Olsen.  Historischer  Verein  für  die  Fürstentümer  Waldeck  und  Pyrmont. 

Augsburg,  Historischer  Verein  für  Schwaben  und  Neuburg. 

Bamberg,  Historischer  Verein  für  Oberfranken. 

Basel,  Historische  und  antiquarische  Gesellschaft. 

Bayreuth,  Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde  von  Oberfraukeu. 

Berlin,    Verein    für  Geschichte   der   Mark   Brandenburg.     [„Forschungen    zur 
Brandenburgischen  und  Preussischen  Geschichte".] 

,  Verein  für  die  Geschichte  der  Stadt  Berlin. 

,  Archäologische  Gesellschaft. 

,  Verein  „Herold". 

,  Berliner  Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte. 

,  Reichs-Postmuseum. 

,  Märkisches  Provinzial-Museum. 

Bern,  Historischer  Verein  des  Kantons  Bern. 

Bonn,  Verein  von  Altertumsfreunden  im  Rheinlande. 

Brandenburg  a.  d.  H.,  Historischer  Verein, 

Bregenz,  Museums-Verein. 

Bremen,  Künstlerverein,  Abteilung  für  Geschichte  und  Altertumskunde. 

Breslau,    Schlesische    Gesellschaft    für    vaterländische    Kultur,    philosophisch- 
historische Abteilung. 
,    Verein  für  Geschichte  und  Altertum  Schlesiens. 

^    Verein  für  das    Museum  schlesischer    Altertümer.    [„Schlesiens   Vor- 
zeit in  Bild  und  Schrift".] 


86 

Brunn,  Mährisches  Gewerbemuseum. 

,    K.  K.  mährisch-schlesische  Gesellschaft   zur  Beförderung    des   Acker- 
baues, der  Natur-  und  Landeskunde. 
Brüssel,  Societe  des  bollandistes. 
Charleroi,  Societe  pal^ontologique  et  archeologique. 
Chemnitz,  Verein  für  Chemnitzer  Geschichte. 
Chris tiania,  Kongelige  Norske  Frederiks-Universitet. 

,    Museum  nordischer  Altertümer, 

Copenhagen,  Kongelige  Nordiske  Oldskrift-Selskab. 

Cottbus,  Niederlausitzer  Gesellschaft  für  Anthropologie  und  Altertumskunde. 

Danzig,  Westpreussischer  Geschichtsverein. 

Darmstadt,  Historischer  Verein  für  das  Grossherzogtum  Hessen. 

Dessau,  Verein  für  Anhaltische  Geschichte  und  Altertumskunde. 

Dillingen,  Historischer  Verein. 

Donau eschingen,   Verein  für  Geschichte  und    Naturgeschichte  der  Baar  und 

der  angrenzenden  Länder. 
Dresden,  Königl.  sächsischer  Altertumsvereiu. 

,   Verein  für  Geschichte  Dresdens. 

Dürkheim,  Altertumsverein  für  den  Kanton  Dürkheim. 

Düsseldorf,  Düsseldorfer  Geschichts- Verein. 

Eichstätt,  Historischer  Verein. 

Eisenberg  (S. -Altenburg),  Geschichts-  und  altertumsforschender  Verein. 

Eisleben,  Verein  für  die  Geschichte  und  Altertümer  der  Grafschaft  Mansfeld. 

Elberfeld,  Bergischer  Geschichtsverein. 

Emden,  Gesellschaft  für  bildende  Kunst  und  vaterländische  Altertümer. 

Erfurt,  Königl.  Akademie  gemeinnütziger  Wissenschaften. 

,  Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde. 

Essen,   Historischer  Verein  für  Stadt  und  Stift  Essen. 
Frankfurt  a.  M.,  Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde. 

,    Taunusklub. 

Frankfurt  a.  d.  0.,  Historischer-statistischer  Verein. 

Freiberg,  Altertumsverein. 

Freiburg  i.  Br,,  Gesellschaft  für  Beförderung  der  Geschichts-,  Altertums- und 

Volkskunde  V.  Freiburg,  dem  Breisgau  u.  d.  angrenzenden  Landschaften. 
St.  Gallen,  Historischer  Verein. 
Giessen,  Oberhessischer  Verein  für  Lokalgeschichte. 
Glarus,  Historischer  Verein  des  Kantons  Glarus. 
Görlitz,  Oberlausitzische  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 
Graz,  Historischer  Verein  für  Steiermark. 
Greifswald,  Rügisch-Pommersche  Abteilung  der  Gesellschaft  für  Pommersche 

Geschichte  und  Altertumskunde  in  Stralsund  und  Greifswald. 
Guben,  s.  Cottbus. 

Schw.  Hall,  Historischer  Verein  für  Württembergisch  Franken. 
Halle  a.  S.,  Thüringisch-Sächsischer  Verein  für  Erforschung  des  vaterländischen 

Altertums  und  Erhaltung  seiner  Denkmale. 


87 

Hamburg-,  Verein  für  Hamburgische  Geschichte. 

Hanau,  Hanauer  Bezirksverein  für  Hessische  Geschichte  und  Landeskunde. 

Hannover,  Historischer  Verein  für  Niedersachsen. 

Heidelberg,  Histor.-philosophischer  Verein.  [„Neue  Heidelberger  Jahrbücher".] 

Heilbronn,  Historischer  Verein. 

Hermannstadt,  Verein  für  Siebenbürgische  Landeskunde. 

Hohenleuben.  Voigtländischer  altertumsforschender  Verein. 

Homburg  v.  d.  H.,  Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde. 

Jena,  Verein  für  Thüringische  Geschichte  und  Altertumskunde. 

Innsbruck,  Ferdiuandeum. 

Kahla,  Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde  zu  Kahla  und  Roda. 

Karlsruhe,  Grossherzogliches  Museum. 

,   Die  Badische  historische  Kommission  [„Zeitschrift  für  die  Geschichte 

des  Oberrheins".] 
Kassel,  Verein  für  Hessische  Geschichte  und  Altertumskunde. 
Kempten,  Altertums- Verein  Kempten. 
Kiel,  Gesellschaft  für  Schleswig-Holstein-Lauenburgische  Geschichte. 

,  Anthropologischer  Verein  in  Schleswig-Holstein. 

Klagenfurt,  Kärntnerischer  Geschichtsverein. 

Köln,  Historischer  Verein  f.  d.  Niederrhein,  insbesondere  f.  d.  Erzdiözese  Köln. 

,  Stadtarchiv. 

Königsberg  i.  Pr.,  Königliche  und  Universitätsbibliothek. 

,  Physikalisch-ökonomische  Gesellschaft. 

,  Altertumsgesellschaft  Prussia. 

Kornik  in  Posen,  Bibliotheka  Kornicka. 

Krakau,  Akademie  der  Wissenschaften. 

Laibach,  Historischer  Verein  für  Krain. 

Landshut,  Historischer  Verein  für  Niederbayern. 

Leiden,  Maatschappij  der  nederlandsche  Letterkunde. 

Böhmisch-Leipa,  Nordböhmischer  Exkursionsklub. 

Leipzig,  Verein  für  Geschichte  Leipzigs. 

Leisnig,  Geschichts-  und  Altertumsverein. 

Lincoln,  Nebraska  State  Historical  Society. 

Lindau  i.  B.,  Verein  für  Geschichte  des  Bodensees  und  seiner  Umgebung. 

Linz  (Österreich),  Museum  Francisco- Carolinum. 

London,  Society  of  antiquaries  of  London. 

,  South  Kensington  Museum. 

Lübeck,  Verein  für  Lübeckische  Geschichte  und  Altertumskunde. 
Lüneburg,  Museumsverein  für  das  Fürstentum  Lüneburg. 
Luxemburg,  Section  historique  de  l'institut  Royal  Grand-ducal  de  Luxembourg. 
Luzern,  Historischer  Verein  der  fünf  Orte :  Luzern,  Uri,  Schwyz,  Unterwaiden 

und  Zug. 
Magdeburg,  Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde  des  Herzogtums  und 

Erzstifts  Magdeburg. 
Mainz,  Verein  zur  Erforschung  der  rheinischen  Geschichte  und  Altertümer. 


88 

Mannheim,  Altertumsvereiu. 

Marienwerder,    Historischer  Verein  für  den  Regierungsbezirk  Marienwerder. 

Meiningen,   Hennebergischer  altertumsforschender  Verein. 

,  Verein  für  Meiningische  Geschichte  und  Landeskunde. 

Meissen,  Verein  für  Geschichte  der  Stadt  Meissen. 

Metz,  Verein  für  Erdkunde. 

Mölln  i.  L.,  Verein  für  die  Geschichte  des  Herzogtums  Lauenburg. 

München,  Königl.  bayerische  Akademie  der  Wissenschaften,  phil.-hist.  Klasse. 

,   Historischer  Verein  für  Oberbayern. 

,  Münchener  Altertums- Verein. 

Münster,  Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde  Westfalens. 

,  Comenius-Gesellschaft. 

Namur,  Societe  archeologique. 

Neubrandenburg.  Museumsverein. 

Neuburg  a.  D.,  Historischer  Verein. 

New -Castle,  Society  of  antiquaries. 

Novara,  Biblioteca  civica  di  Novara. 

Nürnberg,  Verein  für  Geschichte  der  Stadt  Nürnberg. 

— ,  Germanisches  Nationalmuseum. 

Offen b ach  a.  M.,  Verein  für  Naturkunde. 

Oldenburg,  Oldenburger  Landesverein  für  Altertumskunde. 

Osnabrück,  Verein  für  Geschichte  und  Landeskunde. 

Paris,  Societe  nationale  des  antiquaires  de  France. 

Buda-Pest,  Magyar  Tudomanyos  Academia.  (Ungarische  Akademie  der  Wissen- 
schaften.) 

St.  Petersburg,  Commission  Imperiale  archeologique  Russe. 

Plauen  i.  V.,  Altertumsverein. 

Posen,  Historische  Gesellschaft  für  die  Provinz  Posen. 

,    Posener  Gesellschaft  der  Freunde  der  Wissenschaften. 

Prag,  Verein  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen. 

,  Lesehalle  der  deutschen  Studenten  zu  Prag. 

Prüm,  Gesellschaft  für  Altertumskunde. 

Stift  Raigern  (bei  Brunn).  [„Studien  und  Mitteilungen  aus  dem  Benedictiner- 
und  dem  Cistercienserorden".] 

Regensburg,  Historischer  Verein  für  Oberpfalz  und  Regensburg. 

Reichenberg,  Nordböhmisches  Gewerbemuseum. 

Reutlingen,  Verein  für  Kunst  und  Altertum. 

Riga,  Gesellschaft  für  Geschichte  und  Altertumskunde  der  Ostseepro vinzeu 
Russlands. 

Rio  de  Janeiro,  Museu  Nacional. 

Roda  (S.  Altenburg),  Der  geschichts-  und  altertumsforschende  Verein. 

Rom,  R.  Accademia  dei  Lincei. 

Saarbrücken,  Historischer  Verein  für  die  Saargegend. 

Salzburg,  Gesellschaft  für  Salzburger  Landeskunde. 

Salzwedel,  Akmärkischer  Verein  für  vaterländische  Geschichte  und  Industrie. 


89 

Schaffhausen,  Historisch-antiquarischer  Verein  des  Kantons  Schaffhausen. 

Schmalkalden,  Verein  für  Hennebergische  Geschichte  und  Landeskunde. 

Schwerin,  Verein  für  Mecklenburgische  Geschichte  und  Altertumskunde. 

Sigmaringen,  Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde. 

Soest,  Verein  für  die  Geschichte  von  Soest  und  der  Börde. 

Speier,  Historischer  Verein  der  Pfalz. 

Stade,    Verein  für  Geschichte  und  Altertümer    der  Herzogtümer  Bremen    und 

Verden  und  des  Landes  Hadeln. 
Stettin,  Gesellschaft  für  Pommersche  Geschichte  und  Altertumskunde. 
Stockholm,  Nordiska  Museet. 

,  Kougl.  Vitterhets  Historie  och  Antiquitets  Akademien. 

Strassburg,  Societe  pour  la  conservation  des  monuments  historiques  d'Alsace. 

j  Kaiserliche  Universitäts-  und  Landesbibliothek.     [„Jahrbuch    des 

historisch-litterarischen  Zweigvereins  des  Vogesenklubs".] 
Stuttgart,  KönigHche  öffentliche  Bibliothek. 

,  Königlich  Württembergisches  Haus-  und  Staatsarchiv. 

Tokio  (Japan),   Imperial  University  of  Tokio. 

Torgau,  Altertumsverein. 

Trier,  Gesellschaft  für  nützliche  Forschungen. 

Tübingen,  Universitäts-Bibliothek. 

Ulm,  Verein  für  Kunst  und  Altertum  in  Ulm  und  Oberschwaben. 

Washington,  Smithsonian  Institution. 

Wernigerode,  Harz  verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde. 

Wien,  Kaiserliche  Akademie  der  Wissenschaften. 

,   Verein  für  Landeskunde  von  Niederösterreich. 

,    Akademischer  Leseverein  der  K.  K.  Universität. 

,    K.  K.  Centralkommission    zur    Erforschung   und    Erhaltung   der  Kunst- 

und  historischen  Denkmale. 

,    Altertumsverein. 

■ ,    Archäologisch-epigraphisches  Seminar  der  Universität  Wien. 

,   Anthropologische  Gesellschaft. 

-,   Kais.  Königl.  heraldische  Gesellschaft  „Adler". 

Wiesbaden,  Gewerbeverein. 

,  Verein  für  Naturkunde. 

,  Rheinischer  Kurier. 

,  Handelskammer. 

Worms,  Altertumsverein. 

Würzburg,  Historischer  Verein  für  Unterfranken. 

Zürich,  Antiquarische  Gesellschaft. 

,  Allgemeine  geschichtsforschende  Gesellschaft  der  Schweiz. 

Zwickau,  Altertumsverein  für  Zwickau  und  Umgegend. 


Preis  -Verzeichnis 


der 


auf  Lager   befindlichen  Vereins- Annalen,    Separatabdrücke  und 

sonstigen   Pubiii^ationen 


des 


Vereins  für  Nassauisclie  Altertumskunde  und  Geschichtsforschung. 

(Mitglieder  des  Vereins  zahlen  die  Hälfte  des  Preises.) 


Annalen,     I.  Bd.,  1.  Heft,  vergriffen. 


I. 

II. 

II. 

II. 
III. 
III. 
III. 
IV. 
IV. 
IV. 

V. 

V. 

V. 

V. 

VI. 

VI. 

VI. 

VII. 

VII. 

VIII. 


2.  u.  3.  Heft,  vergriffen. 

1.  Heft 

2. 

3.  ,.     vergriffen. 

1.       .  

2 

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1 .  „     vergriffen. 

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3. 

„     vergriffen. 


1. 
2. 
3. 
4. 
1. 
2. 
3. 
1. 
2. 


vergriffen. 


Mark  Mark 

Annalen,  IX.  Bd 5.20 

X.     „         7.20 

2.40              „          XI.     „         6.— 

3.40    ;           .          XII.      „         9.— 

,.        XIII 9.— 

2.20             „       XIV.     „    1.  Heft 2.— 

3.40              „       XIV.     „    2. 9.- 

3.40   1          „        XV 12.— 

'          ,       XVI 9.- 

„      XVII 8.— 


2.60 
3.40 


2.— 
3.— 
3.— 
3.40 
5.20 
3.40 


4.30 
9.— 


XVIII.     „  1.  Heft 3.50 

XVIII.     „  2.     ,       5.50 

XIX 6.- 

XX.     „  1.  Heft 4.— 

XX.     „  2. 6.- 

XXI.     .        6.- 

XXII 6.— 

XXIII 6.— 

XXIV 10.- 

XXV 6.— 


V.  Cohausen,  Der  römische  Grenzwall,  Lief.  1,  2,  3  fast  vergriffen.  (Doch 
können  vollständige  Exemplare  zum  Preise  von  24  Mark  von  J.  F.  Berg- 
manns Verlag  in  Wiesbaden  bezogen  werden.) 

Bär's  Geschichte  von  Eberbach  von  Dr.  Rössel,  I.  Band,  1.  Heft 


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II. 

1. 

Heft 

Mk.  2.70 

2. 

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.     „     2.- 

8. 

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4. 

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•     „     2.40 

1. 

71 

„     2.- 

2. 

7) 

.     „     2.70 

Urkunden  von  Eberbach  von  Dr.  Rössel,  I.  Band,   1.  Heft     .     .     .  Mk.    1.70 

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Denkmäler  aus  Nassau,  I.  Heft 2.40 

Die  kirchlichen  Altertümer  von  Wiesbaden,  von  Dr.  K.  Rössel    mit  4  Tafeln. 
Die  Heiliggrab-Kapelle  zu  AVeilburg  a.  d.  Lahn,  von  R.  Görz,  mit  1  Tafel. 
Das  Graue  Haus  zu  Winkel  im  Rheingau,  von  R.  Görz,  mit  1  Tafel. 

,    11.  Heft ^     2.70 

Die  Abtei  Eberbach:  Das  Retectorium,  von  Dr.  K.  Rössel     mit   7  Tafeln 
,  HI.  Heft '.....'„     2.40 

Die  Abtei  Eberbach:  Die  Kirche,  von  Dr.  K.  Rössel,  mit  6  Taf   u    11  Holzschn 
,  IV.  Heft ;         i2._ 

Die  Abteikirche  zu  Marienstatt  bei  Hachenburg,  v.  Oberbaurat  R   Görz   mit 
11   Tafeln. 

Gesch.  der  Herrschaft  Kirchheim-Bolauden  und  Stauf,  von  A.  Köllner  6.40 

Mithras,  von  N.  Müller 1  20 

Rheinübergang  Blüchers,  von  Schulinspektor  Rüder —.30 


Zu  bedeutend  ertHüssuftein  I*reise  iverden  an  unsere  Mitglieder  folgende 

Puhlil-ationen  abgegeben  : 

Laileupreis.  Für  Mitglieder. 

1.  Inscriptiones  latinae  in  terris  nassoviensibus        .     .     .  Mk.  3.40  Mk.  .50 

2.  Limburger  Chronik 3,40  50 

3.  Reuter,   Das  Römer-Kastell  bei  Wiesbaden,  mit  Plan  „     2. —  ^.50 

4.  „  Römische    Ansiedelungen   in  der  Umgebung 

von  Wiesbaden,  mit  Plan ,3, 50 

5.  „  Römische    Wasserleitungen    in   Wiesbaden, 

mit  7   Tafeln  und   1   Plan 3, _      50 

6.  V.  Cohausen,  Rom.  Schmelzschmuck,  mit  2  Tafeln  .  2.50  .50 

7.  Band  XL,  Gesch.  des  nassauischen  Altertums-Yereins 

und  biographische  Mitteilungen    über  dessen  Grün- 
der und  Förderer,  von  Dr.  Schwär tz       ....  6.50  2. 

8.  Dr.  Schwartz,    Lebensnachrichten  über    den    Regie- 

rungspräsidenten Karl  von  Ibell 2.50  .50 

9.  Urkunden  von  Eberbach  1 4,80  .        1 

10.  Geschichte    des    Benedictiner-Klosters    Walsdorf,    von 

Pfarrer  A.  Deissmann 2.60  .40 

11.  J.    G.    Lehmann,    Geschichte    und    Genealogie    der 

Dynasten  von  Westerburg „2.70  .40 

12.  Schmid,    Wahl   des  Grafen   Adolf  von    Nassau    zum 

römischen  König  1292 2. .40 

13.  Münzsammlung  des  Vereins,  von  Dr.  Schalk    .     .     .  ,     2. .30 


Im  Verlage  von  Rud.  Bechtold  &  Comp,  in  Wiesbaden,  sowie 
in  allen  Buchhandlungen  und  im  Altertums-Museum  daselbst 
sind  zu  haben : 

Antiquarisch-technischer  Führer 

durch  das 

Altertums-Museum  zu  Wiesbaden. 

Von  A.  V.  Cohauseu^ 

Ingenieur-Oberst  z.  D.  und  Konservator. 

Preis:  Mk.  1,50. 


Die  Altertümer  des  Vaterlandes. 

Ein  We£f  eiser  öiircli  öas  Alte  zim  Neuen 

für 

Geistliche,  Lehrer,  Land-  und  Forstwirte. 

Von  A.  V.  Cohauseii, 

Ingenieur-Oberst  z.  D.  und  Konservator. 

^^   Mlit    l^O    Al:>l>il<Juiig:en.    ^^ 

2.  Aufl.     Preis:  Mk.  1,50. 


Die  Giganteu-Säule  von  Schierstein. 

Von  Sanitütsrat  Dr.  B.  Florschütz. 
IMi  t    S    Ta  f*e  In. 

Preis:  50  Pfg. 


Wanderungen 


durch  (las 

Altertums-Museum  in  ^A/^iesbaden. 

Von  Wilhelm  Hoifmanii^ 

I'rcmierlieutenant  a.  D. 

Preis:  50  Pfg. 


DRÜCK  VON  RUD.  BECHTOLD  &  COMP.,  WIESBADEN. 

BUCllDRUCKEREI  &  LITHOGR.  ANSTALT. 


Annal.  d.  Vereins  f.  Nass.  Altert,  u.  Gesch.  Bd.  XXV. 


Taf.  I 


,,Ewige  Lohe"  bei  Homburg  v.d.  Höhe. 


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angefüllter  Boden. 
(mit  kleinen    Eisensteinen) 


gewachsener  Boden. 


1.    Querschniit. 


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2   Aufsicht. 


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Maassiab:  1:20   zu  Fig.  lu.2. 

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Maasstab:  1:5  zu  Fig.  3-5. 


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N.Jacobi. 


Rud.   Bechtold  k   Comp.,   M^ie.?baden. 


Annal.  d.  Vereins  f.  Nass.  AUert.  u,  Gesch  Bd.  XXV. 


Taf.n 


Ewige  Lohe"  bei  Homburg  v.d.  Höhe. 


Fund  von  1891. 


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0,20  0,25  m. 

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Maasstab  zu  1-8  u.  10-15 


Maasstab  zu    9.  u.  16,17. 


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gez.H.Jacobi. 


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Annal.  d.  Vereins  f.  Nass.  Altert,  u.  Gesch.  Bd. 


Taf.ni 


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Annal.  d.  Vereins  f.  Nass.  Altert,  u  Gesch.  Bd.  XXV. 


Taf.nr 


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Rud.    Bechtold  A-   ComD.,   Wiesbaden 


Annal.  d.  Vereins  f.  Nass.  Altert,  u.  Gesch.  Bd.  XX5Z. 


Taf.Y 


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Bupg    Schwalbach 


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Annal.  d.  Vereins  f.  Nass.  Altert,  u.  Gesch.  Bd 


Taf.gl 


Kud.  Bechtold  &   Comn..  Wiesbaden 


Annal.  d.  Vereins  f.  Nass.  Altert,  u.  Gesch  Bd.  XXV. 


Paf.  m 


Annal.  d.  Vereins  f.  Nass.  Altert,  u.  Gesch.  Bd.  XXV. 


Taf.  Vin. 


Rud     Bechtold  A    Tonip.,   A\'iesbaden 


Annal.  d   Vereins  f.  Nass.  Altert,  u  Gcsch   Bd.  XX\Z. 


Taf.  a. 


«499  b 


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