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THE J. PAUL GETTY MUSEUM LIBRARY
ANNALEN DES VEREINS
FÜIi
NASSAUISCHE ALTERTÜMSKUNDE
UND
GESCHICHTSFOESCHÜNG.
ANNALEN DES VEREINS
FÜR
NA8SAÜISCHE ALTERTUMSKUNDE
UND
GESCHICHTSFORSCHUNG.
VIERUNDZWANZIGSTER BAND.
18 9 2.
MIT 10 LITII(HiK.\l'UIERTF\ TAFELN.
WIESBADEN.
CONRAD REINHARDT
VORMALS W. ROTH'S BUCH- i KL'NSTHAXDLUXG
HOFLIEFERANT
IHRER KÖNIGL. HOHEIT DER FRAU PRINZESSIN CHRISTIAN ZU SCHLESWIG - HOLSTEIN
PRINZESSIN VON GROSSBRITANNIEN UND IRLAND.
1892.
Iht J. PAUL GETTY CfcNFfcK
Inhalts -Verzeichnis
des vierundzwanzigsten Bandes.
Seite
I. Johann Hilchen von Lorch. Von F. Otto 1
Anhanf? dazu 20
II. Konrad Oerlin von Wiesbaden. Von F. Otto 23
m. Fürst Karl Wilhelm von Nassau -Usingen, 1775 - 1803. Mitgeteilt von
F. Otto 24
IV. Georg August, Fürst zu Nasaau-Idstein, 1677—1721. Von C. Spielmann 25
Anhang dazu ^6
V. Mitteilungen über die Lage und Geschichte der Marau bei Mainz.
Von Geh. Baurat Cuno . . 81
VI. Johann Konrad von Seibach. Nebst einem Anhang: „Einige unbei<annte
Herbürner Drucke". Von F. Otto 85
Anhang dazu 95
VII Die Schönauer Überlieferung. Eine historisch-l<ritische Untersuchung von
LuJw. Conrady 101
VIII. Das alte Wiesbaden. Mitgeteilt von F Otto. Mit 2 Abbildungen . . . 102
IX. Geschichte der Steigbügel. Von A. Schlieben, Major a. D. Mit 6 Tafeln
(I bis VI) mit 352 Abbildungen . .^. '. 165
X. Zur Topographie des alten Wiesbaden. Von A. v. Cohausen .... 232
XI, Burgen in Nassau. Von A. v. Cohausen. Mit 4 Tafele (VII bis X) . . 233
1. Neukatzenelnbogen oder die Katz bei St. Goarshauscn 233
2 Sterrenberg, Liebenstein und Bornhofeo 236
XII. Die Frankengräber von Schierstein. III. Von B. Florschütz .... 239
XIII. Eine neue Knochenhöhle in Steeten a. d. Lahn. Von B. Florschütz.
Mit 2 Abbildungen auf Tafel VIII 242
XIV. Der Wilde Pütz bei Steeten. Von A. v. Cohausen. Mit 5 Abbildungen
auf Tafel X 245
XV. Grabschrift des Gustav Ernst von Seydlitz zu Nastätten. Mitgeteilt
von F. Otto 248
XVI. Der römische Grenzwall (von Cohausen und Mommsen) 254
XVII. Vereinsnachrichten.
Bericht des Sekretärs (vom 1. April 1891 bis 1. April 1892) 261
Bericht des Konservators Oberst v. Cohausen über die Erwerbungen für
das Altertums-Museura in Wiesbaden während des Jahres 1891 . . • 265
Schenkungsurkunde 268
Nachruf an Anton Weck 269
Berichtigung zu pag 51 ff. des vorjährigen Altertumsbandes . . . 271
SenduiKjen, die für den Verein bestimmt sind, beliebe man an den Verein, nicht (in ein
einzelnes Mitglied des Vorstandes zu adressieren.
DRÜCK VON RUD. BECHTOLD * COMP, WIESBADEN
BtcunufCKF-nEi 4 i.iTnoaR. anstai.t.
Johann Hilchen von Loreh/'')
Von
F* Otto*
Auf dem Denkmal, welches dem Ritter Johann Ililchen von Lorch in der
Kirche zu Lorch gesetzt ist, befindet sich eine Inschrift, nach welcher derselbe
in den Jahren 1542, 1543 und 1544 kaiserlicher „Oberster Feltmarschalk"
gewesen sei und ausserdem noch sieben Feldziige „helfen thun." Diese An-
gabe war die Veranlassung, dass der Verfasser dieses Aufsatzes es unternahm
die spärlichen Notizen über Hilchens Feldzüge zusammenzusuchen und einige
Nachrichten über sein sonstiges Leben mit denselben zu verbinden, um so eine,
wenn auch nicht eben eingehende Darstellung seines Lebensganges zu gewinnen.
Leider boten die Schätze des hiesigen Staatsarchives nur geringe Ausbeute;
die meisten Mitteilungen über Hilchen entnahmen wir den in den Anmerkungen
angegebenen Druckwerken. Vielleicht gibt unsere Arbeit Anlass, dass etwaige
weitere Notizen aus ungedruckten Archivalien an das Licht gezogen werden.
Die Jugend Hilchens.
Unter dem zahlreichen Lorcher Adel nehmen die Hilchen von Lorch eine
hervorragende Stelle ein. Zur Zeit ihrer Blüte im 15. und 16. Jahrhundert
zerfielen sie in mehrere Linien, aus welchen mehrmals Leute hervorgingen, die
auf geistlichem oder weltlichem Gebiete eine rühmliche Stellung errangen. So
war der väterliche Oheim unseres Ritters Dechant des Stiftes zu Bleidenstatt,
dessen Schwester Äbtissin des Klosters Mariakron bei Oppenheim ; viele Hilchen
waren Schultheissen zu Lorch oder Amtleute des Kurfürsten zu Mainz. ^) Auch
der Vater des Ritters, welcher gleichfalls Johann hiess, bekleidete kurz vor
seinem Tode das Amt eines Schultheissen in seiner Heimat. Derselbe hatte
im Anfang der achtziger Jahre des 15. Jahrhunderts sich mit Elisabeth von
Walderdorf vermählt. Aus dieser Ehe entsprossten zwei Kinder, ein Soliu,
Johann Hilchen der Ritter, welcher im Jahre 1548 in einem Alter von 64 Jahren
starb, also etwa im Jahre 1484 geboren war^, und eine Tochter Margarethe,
*) Ein im Altertumsverein zu Wiesbaden gehaltener Vortrag.
') Bodmann, Rheingauische Altertümer, S. 335. — -) Nicht 1488, wie der Rheinische
Antiquarius sagt.
welche eiu Jahr vur ihrem Brudur aU Äbtissin vou Mariakron und Nachfolgerin
ihrer Tante (seit 1518) starb; die Eltern starben beide im Jahre 1512.^)
•Über die Jugendzeit, die Erziehung und Bildung des jungen Hilchen sind
wir nicht unterrichtet, wir dürfen aber getrost annehmen, dass er in dieser
Beziehung nichts vor seinen Standesgenossen voraus hatte, insbesondere ist an
eine höhere wissenschaftliche Eildung nicht zu denken, seit die Legende von
der sog. Junkerschule zu Lorch, welche Bodmann aufgebracht hatte, als eine
Dichtung dieses Geschichtsforschers, hervorgegangen aus dem missverstandenen
Worte Schola, nachgewiesen worden ist.*) Es wird Hilchen vor allem zu kör-
perlichen Übungen und zur Handhabung der Waffen angehalten worden sein
und frühe in den Wäldern des Taunus dem Waidwerk obgelegen, daneben
auch die notwendigsten Elementarkenntnisse sich angeeignet haben. Möglich
ist, dass er schon in früher Jugend den Grund zu der Freundschaft mit dem
nur wenige Jahre älteren Franz von Sickingen (geb. am 1. März 1481) gelegt
hat, da die Besitzungen beider Häuser sich vielfach berührten und zum Teil
von denselben Lehensherrn, namentlich den Kurfürsten von der Pfalz und
Mainz herrührten. Zudem war der Vater des berühmten Franz von Sickingen,
Schweickard, während der Jugendzeit beider ein am Mittelrhein vielgenannter
Ritter, gefürchtet und gehasst von den Städten und Fürsten, gefeiert von seinen
Standesgenossen, ein Vorbild für alle, denen ein ritterliches Leben im alten
Sinne als Ideal vorschwebte.
Etwa 22 Jahre alt vermählte sich Johann Hilchen mit der Tochter des
Melchior von Rüdesheim Dorothea. Die Heiratsabrede fand am 20. Oktober
1306 statt, der Heiratsvertrag ist am 25. November 1507 abgeschlossen.^) In
demselben verspricht Johanns Vater seinem Sohne eine Jahresrente von 55 iL
anzuweisen und ihm eine Behausung nebst entsprechendem Hausrat zu geben,
mit welchem allem Johann der Jüngere seine Hausfrau bewitumt; der Vater
der Braut dagegen verpflichtet sich seiner Tochter 800 fl. Heiratsgut zu geben.
Dieser Vertrag wurde jedoch nicht genau ausgeführt: Melchior von Rüdesheira,
nicht der Vater Hilchens, sorgte zunächst für eine Behausung, indem er den
jungen Eheleuten die Burg Martinstein einräumte, zahlte dagegen nicht die
SOO H., für welche Hilchen im Jahre 1541 nach dem Tode Melchiors eine Ent-
schädigung erhielt, bestehend in einer Jahresrente aus dem Zoll von Ehrenfels
im Betrage von 20 Goldgulden und einer weiteren Rente von 27 fl. 20 Albus
und 2 Pf.*)
•) Die Grabstein-Inschriften 8. b. Roth, Fontes II, S. 302. Es irrt daher Topfer in
dem sogleich genannten Worke II, S. 463, wenn er Dorothea im Jahre 1538 sterben lässt.
i'ber die Lehen der Hilchen vergl. Sauer in diesen Annulon XX, und Tupf er, ürkunden-
l.uch der VGgte von Ilunolstein III. Sauer zählt auf: 1. Haus und Hof zu Lorch und das
Kirohheim-Bolandische Lehen, später von Nassau-i^aarbrQcken ; 2. die Lehon des Erzbischofs
zu Mainz; 3. der Dompropstei zu Mainz; 4. des Stifts S. Mari ad gradus; 5. von S. Victor;
0. des Erzbischofs von Trier; 7. Lehen zu Utzenhain, Patersberg, S. Goarshausen und Urbar;
8. Lelien von Nassau-Wiesbaden ; 9. von N.-Katzenelnbogen ; 10. von dem Stift S. Lubentius
zu Dietkirchen; 11. von S. Florin zu Koblenz; 12. von Isenburg-Grenzau; 13. kleinere Lehen
von Manderscheid-Blankenlieim und LGwenstein-Wertheim ; 14. der Fronhof zu Lorch. — ■) Vgl.
Sauer in dem Anhang zum Codex diplora. Xassoicus. - ^) Tüpfer III, S. 258. — ■*) Tupf er
III, S. 93.
Die Ehe dauerte nur wenige Jahre, da Dorothea schon im Jahre 1512
8tarb mit Hinterlassung einer Tochter Maria, welche im Jahre 1530 mit Adam
Vogt von Hunolstein vermählt wurde.')
Wenden wir uns nun mehr zu den Thaten Ililchens, so unterscheiden
wir zwei Perioden; die erste begreift die Zeit seiner Fehden, welche er allein
oder in Verbindung mit Sickingen ausfocht, 1510 bis 1523; in der zweiten
entsagt er diesem altritterlichen Leben und widmet sich dem Dienste des
Kaisers Karl und des Königs Ferdinand, in welchem er als Heerführer einen
Namen erwarb.
L Johann Hilcben Waffengenosse Sickingens.
Auf dem Reichstage zu Worms im Jahre 1495 war zwar ein ewiger und
allgemeiner Landfriede verkündet und dessen Beobachtung in den folgenden
Jahren ernstlich anbefohlen worden. Indessen konnte und wollte sich die Ritter-
schaft der neuen Ordnung der Dinge nicht fügen. Nicht nur dass ihr die ihr
allein zusagende Thcätigkeit und die mit den wechselnden Fehden und Raubzügen
verbundene Unterhaltung und Aufregung entzogen wurde : sie fühlte, dass es
mit ihrer Stellung vorüber sei, wenn das Gericht entscheiden sollte, wo bisher
das Schwert geherrscht hatte, wenn die Fürsten über den Frieden wachten
und dadurch ihre Macht immer fester begründet wurde. Daher sehen wir noch
immer die Ritter mit Pickelhaube und gespannter Armbrust durch die Felder
eilen oder im Walde auf der Lauer liegen, um den Warenzug der Bürger auf-
zufangen oder den Gegner niederzuwerfen; zertreten wurden die Saaten des
Landmanns, die Dörfer gingen in Flammen auf. Manche, wie Franz von
Sickingen, gaben dieser Neigung zum alten Ritter- und Räuberleben einen
tieferen Gehalt; sie traten ein für die verfolgte Unschuld, nahmen sich der
Schwachen und Hilflosen an und wagten den Kampf auch mit Mächtigeren.
Glückliche Erfolge führten dann immer weiter, und Franz errang allmählich
ein Ansehen, wie es kein Ritter vor oder nach ihm besessen hat.
Mit Sickingen war Hilchen, wie wir oben gezeigt haben, von Jugend auf
befreundet; er wird vielfach schlechtweg als der Waftengenosse und Freund
desselben bezeichnet. So finden wir ihn denn gleich im Anfange seiner Selb-
ständigkeit auf derselben Bahn.
Die Fehde mit dem Rheingrafen 1510 fF.
Die erste Fehde, von der wir wissen, hat Hilchen nicht in Verbindung
mit Sickingen geführt, aber doch sicherlich in seinem Sinne und mit seiner
Billiffunff.*) Es war im Jahre 1510; er wohnte noch im Hause Martinsteiu
und war eben (1509) zum Gemeiner der Burg Kallenfels aufgenommen worden.
Zu Martinstein gehörte das Dorf Horbach, welches mit dem Dorfe Simmern
unter Dhaun oder Rheingrafen- Simmern^) in Streitigkeiten geriet. Hilchen,
') Tüpfer III, S. 81. Der Ehevertrag ist am 18. Xovember 1529 abgeschlossen, Hilchen
verspricht, seiner Tochter 1000 fl. Heiratsgut zu zahlen und sie ihrem Stande gemäss ehelich
und zierlich geschmückt und gekleidet zu übergeben. — ^) Töpfer III, S. 259. — ^) Simmern
1*
jung und feurig, nahm sich sofort seiner Leute an ; aber auch der junge Rhein-
graf^) säumte nicht die Sache der Seinigen zu verfechten; als die Versuche
den Streit friedlich beizulegen sich in die Länge zogen, griff der ungeduldige
Hilchen zum Schwert; den Sehultheiss von Simmern schoss er in der Kirche
selbst nieder, auf den Priester drückte er zweimal Pfeile ab. Nun übte der
Rheingraf schhrame Vergeltung; er besetzte einen Teil von Horbach und Weiters-
bach, worauf Hilchen mit seinen Freunden von Steinkalleufels rheingräfliche
Dörfer niederbrannte und arme Leute tötete oder gefangen wegführte, Sep-
tember 1511. Dawider erhob der Rheingraf Klage und erwirkte gegen seinen
Widersacher die Acht wegen Landfriedensbruches. Vertrieben aus der Heimat
suchte derselbe nunmehr Schutz bei den Bürgern von Bingen, welche, weil
sie ihn freundhch aufnahmen, seinem Verfolger aber, dem Amtmann Philipp von
Löwenstein, die Thore schlössen, von dem kaiserlichen Fiskal zu 1000 fl. Strafe
verurteilt wurden.
Während inzwischen ein neuer kaiserlicher Befehl gegen Hilchen erging,
bemühten sich die Gemeiner von Kallenfels Frieden herbeizuführen, was ihnen
auch gelang. Nachdem noch im Jahre 1511 ein vorläufiger Vergleich abge-
schlossen worden war, nach welchem die Fehde ruhen, der Schaden festgestellt
und demnächst geordnet werden solle, der Rheingraf aber dahin zu wirken
versprach, dass die Acht aufgehoben werde, zog sich die endliche Aussöhnung
bis in das Jahr 1515 hinaus. Die ganze mutwillige Fehde hatte den Hilchen,
wie er später klagte, grosse Kosten und oftmals Sorgen und Gefahren ver-
ursacht.
Die hessische Fehde 1518.
Drei Jahre später beteiligte sich Hilchen an der hessischen Fehde
Sickingens gegen den Landgrafen Philipp von Hessen, welcher der gemeinsame
Gegner beider war. „Etliche landgräfische Angehörige", heisst es in dem später
abgeschlossenen Vertrage, „hatten Johann Hülchen einen Schultheissen be-
schädigt, darauf er nachfolgendt Tods abgegangen." Worin diese Beschädigung
bestand, was Johann etwa unternommen, um sich zu rächen, ob der Tod des-
selben die unmittelbare Folge der Beschädigung gewesen und er deswegen ver-
hindert worden sei Rache zu nehmen, wird nicht gesagt; genug, als jetzt, sechs
Jahre nach diesem Ereignis, Franz dem Landgrafen Fehde ansagte, wurde
Hilchen, der auch „für sich selbst dessen Feind war", veranlasst sich dem
Feldzuge anzuschhessen.
Was für Sickingen die Ursache war, dass er gegen den Fürsten das
Schwert zog, ist für uns ohne Bedeutung ; er glaubte die Jugend des eben erst
zur Regierung gelangten Landgrafen benutzen zu sollen, um die verletzten
Rechte oder vermeintlichen Rechte einiger Freunde und anderer, die seinen
unter Dhaun war der grösste Ort der rlieingrüflichen Dörfer. Schneider, Geschichte des
Wild- und RlieingrüHiohon Hauses 1854, S. 155.
'j Rhein- und Wildgraf war damals Philipp, Sohn des im Jahre 1599 verstorbenen Rhein-
grafen Johann VI; er war geboren den 8, September 1492, also damals 18 Jahre alt, und
stand noch unter der Vormundschaft seiner Mutter Jolianna, geb. Orütin von Saarwerden.
Schneider a. a. ü. S. 153; 133.
Schutz anriefen, zu wahren.'') Er lag noch vor Metz „mit zwei tausend Pferden
und etliche viel tausend zu Fuss, überzog die von Metz gewaltiglichen, der
Ursach, dass sie etliche ihre Bürger ohne Recht das Ihre genommen",*) als er
am 8. September 1518 einen Fehdebrief an den Landgrafen erliess^) und „mit
einem geringen Volk nicht über 500 Pferde und 8000 zu Fuss gleich von
dannen" gegen Darmstadt zog. Er selbst überschritt den Rhein oberhalb Mainz,
während vom Taunus her Kaspar von Kronberg, vom Odenwald her Götz von
Berlichingen naheten ; alle drei fielen zu gleicher Zeit und so rasch in die
hessische Obergrafschaft Katzenelnbogen ein, dass nichts zum Schutze vorbe-
reitet, die Burgen nicht hinreichend besetzt, für Proviant und Munition gesorgt
werden konnte. Daher hinderte niemand die Verwüstung des Landes, die nun
begann und namentlich von Hilchen vollzogen wurde, während Sickingen die
Hauptstadt Darmstadt belagerte und gewann.*) Denn nach einer starken Be-
schiessung derselben verstand sich unter Vermittlung von drei Räten des Mark-
grafen die eingeschüchterte Besatzung zu einem Vertrage, welcher am 23. Sep-
tember abgeschlossen wurde. In Bezug auf Hilchen heisst es im zehnten Ar-
tikel: „Als etliche landgräfische Angehörige lohann Hülchen . . . beschädigt . . .,
ist abgeredt, dass sie sich mit ihme darumb vertragen, dagegen sie Landgraf
Philips unser gnädiger Herr nicht handhaben soll; möchte aber der Vertrag
nicht fanden werden, so soll derselb Artikel auch zu obbemeldtem Austrag
stehen, und als lohann Hülchen für sich selbst Feind worden ist, sich auf
Franciscus Frieden und Unfrieden gezogen hat, solche Fehde auch ab und tot
hingelegt und lohann desshalben aus Sorgen sein."*)
Trierische Fehde 1522 und 1523.
Einen schlimmeren Ausgang hatte die Fehde mit dem Erzbischofe von
Trier, deren Ursprung, soweit sie Hilchen betraf, in das Jahr 1516 zurück-
reicht ; die eigentlichen Gründe, durch welche Sickingen veranlasst wurde gegen
einen mächtigeren Fürsten des Reichs das Schwert zu ergreifen, lagen tiefer.
Die Hoffnungen, welche man auf den jungen Kaiser Karl gesetzt hatte,
erfüllten sich bekanntlich nicht; den Gebrechen der Nation half er nicht ab:
weder ordnete er die weltlichen Angelegenheiten in einer den "Wünschen der
Fürsten und den Bedürfnissen des Volkes entsprechenden Weise, noch hatte
er irgend ein Verständnis für die religiösen Fragen, um hier entscheidend ein-
zugreifen : alles bemass er nach den Interessen seiner Dynastie und seiner
Stellung als Herr grosser und weithin zerstreuter Länder, Noch einmal lieh
Franz von Sickingen der kaiserlichen Sache im Jahre 1521 seinen Arm, als
er auf ausdrücklichen Befehl des Kaisers mit dem Grafen Heinrich von Nassau
die Kriegführung gegen Franz I. von Frankreich an der belgischen Grenze
^) Vergl. Rommel III, 1. S. 248; Müncli, Fr. v. Sickingen I, S. 90, II, S. 94. Die
Mutter Philipps glaubte sich benachteiligt und zurückgesetzt; die Herren von Kronberg und
Hatstein hatten Streitigkeiten mit Hessen, der Abt von Fulda machte Forderungen an das
Kloster Hersfeld, welche mit Gewalt zurückgewiesen wurden ; ihnen allen wollte Franz zu
ihrem Rechte verhelfen. — '-) Flersheimer Chronik bei Münch UI, S. 210, Kap, 35. — ^) Ab-
gedruckt bei Münch II, S. 91 - ••) Münch III a. a, 0., Kap. 37—43. — ') Münch II, S. 97.
6
übernahm. Aber auch hier in seinen Hoffnungen getäuscht und nicht befriedigt
schlug er nunmehr seine eignen Wege ein, unbehindert von dem Kaiser, der
fern war, und von dem Reichsregiment, von dessen vielköpfiger Spitze ein Ein-
greifen nicht zu befürchten, ja vielleicht Nachsicht zu erwarten war.
Es galt zunächst feste Stellung zu nehmen gegenüber den Fürsten und
dem Reichsregiment, denen die Ritter Schwäche und Parteilichkeit vorwarfen,
deren Urteilen sie sich nicht unterwerfen wollten. Um sich zu verständigen,
berief Franz eine Versammlung der oberrheinischen Ritter auf den 13. August
1522 nach Landau, wo man „ein freundlich Verständnis, Gesellschaft oder Ver-
einigung" auf sechs Jahre aufrichtete. Zu den dort erschienenen Rittern ge-
hörten auch Johann Hilchen^) und sein Schwiegervater Melchior von Rüdes-
heim. Man verpflichtete sich „zu Aufrechthaltung guter Polizei unter einander",
im allgemeinen sich einander treulich zu raten und zu fördern, wo man das
mit Ehren thun könne, insbesondere Streitigkeiten nur vor unparteiischen, mit
rittermässigen Leuten besetzten Gerichten entscheiden zu lassen, Streitigkeiten
unter einander Schiedsgerichten vorzulegen, Lehenssachen nur vor Lehensrichter
und Mannen zu bringen u. s. w. Zum Hauptmann erwählte man den edlen
und ehrenfesten Franciscus von Sickingen und bestellte für die einzelnen Gaue
Zugeordnete, welche über die Beobachtung der Gesetze wachen sollten; zu
denselben gehörte u. a. Melchior von Rüdesheim.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Sickingen im Hinblick auf das, was
er alsbald vorhatte, diesen Bund abschloss, wenn er auch zu Landau keine
Mitteilung darüber machte. Denn schon vor Ablauf des Monats begann er
in Verbindung mit seinen Genossen die Fehde gegen Trier, welche beweisen
sollte, was der Bund vermöge. An derselben war Hilchen in hervorragender
Weise beteiligt und hatte mit Sickingen die Veranlassungen zu derselben her-
beigeführt.
Kurfürst und Erzbiachof Richard von Trier aus dem rheingauischen Ge-
schlecht der Greiffenklau hatte den Unwillen der Ritter durch mancherlei heraus-
gefordert, zuletzt durch sein Verhalten bei der Königswahl ini Jahre 1519 und
auf dem Reichstage zu Worms 1521. Damals hatte er bis zuletzt für den
französischen König gewirkt, hier mit gleichem Eifer die Sache der Gegner
Luthers vertreten^) und dessen Schriften verbrennen lassen; er hatte, wie Franz
ihm vorwarf, sich an Gott, kaiserlicher Majestät und dem Reiche vergangen.
Daher trugen Sickingen und sein Freund Hilchen kein Bedenken in den, wie
es ihnen schien, gerechtesten Sachen, welche sich ihnen darboten, ihm feindlich
entgegenzutreten.
Der Mainzer Bürger Peter Scheffer hatte gewisse Ansprüche an fran-
zösische Unterthanen erworben, konnte aber weder selbst bei Ludwig XH.,
noch seine Erben bei Franz L Recht finden. Da erliesa auf Ansuchen Kaiser
') Ihn nennt Latomus bei Schard II, S. 1022. Die Vertragsurkunde bei Münch II,
S, 188 tf. — *) Ob Ililohen ilim bierin beistimmte oder nicht, mag unentsoliieden bleiben;
jedenfalls blieb er, wie es acheint, ein treuer .Sohn der Kirclie; Anzeichen einer Hinneigung
zu der Reformation, wie Töpfer andeutet, sind kaum vorhanden; man müsste denn sein
nahea Verhältnis zu d<.'m Grafen Wilhelm von Nassau-Dillcnburg so deuten. S, u.
Maximilian oincn Repressaüonbrief (2. Februar 1516), in welchem er allen
Fürsten und Uoterthanen bei Strafe von 20 Mark befahl, auf Anrufen der
Schcfferschen Erben oder Anwälte alle Unterthanen des Königs von Frank-
reich nebst ihrer auf Reichsboden betroffenen Habe anzuhalten und, falls nicht
binnen sechs Wochen ein Abkommen getroffen sei, die Güter den Klägern zu
überantworten. Sickingen und Hilchen Hessen sich jene Forderung übertragen,
ein Verfahren, welches man öfter einschlug, wenn man eine rechtliche Hand-
habe für den Beginn einer Fehde erhalten wollte. Als nun Kaufleute aus dem
damals unter französischer Herrschaft stehenden Mailand durch trierisches Ge-
biet kamen, nahmen sie ihnen auf Grund des Repressalienbriefes "Waren von
bedeutendem Werte ab. Allein der Erzbischof verhinderte die Fortschaffun"-
derselben und gab auch der Stadt Trier dahin gehende Weisungen. Diese
hatte daher durch ihre Anordnungen alsbald die in dem kaiserlichen Briefe an-
gedrohte Strafe verwirkt, welche nun die beiden Ritter in Anspruch nahmen.
Die weitere Verfolgung dieser Sache überliess Sickingen seinem Freunde, wurde
aber seinerseits auf andre Weise in ähnliche Händel verwickelt. Als friedliche
Mittel nichts halfen, schickte Hilchen am 29. August 1522 der Stadt Trier
einen FehdebrieP) und verlangte Kosten- und Schadenersatz nebst der ver-
wirkten Poen von 20 Mark.
Bereits zwei Tage vorher, am 27. August, hatte Franz von Sickingen
dem Erzbischofe von Trier Fehde angekündigt wegen einer Sache, an welcher
Hilchen ebenfalls beteiligt war. Ein Ritter Gerhard Börner war mit einem
trierischen Amtmann zusammengestossen und verband sich mit Johann Hilchen
und Heinrich von Thann, um sich gegen etwaige Gefahren zu schützen. Im
März 1521 nahmen sie zwei wohlhabende trierische Unterthanen gefangen,
führten sie auf die Burg Thann und legten sie in Fesseln; als Lösegeld ver-
langten sie 5000 fl. nebst 150 fl. für Atzung. In ihrer Not wandten sich die
Gefangeneu endlich an Franz von Sickingen, welcher auch eine Vermittlung
der Sache zusagte (Ende Juli), und erneuern am 3. August ihr Gesuch mit
dem Zufügen, wenn Franz sich für sie verbürgen wolle, so würden sie mit
ihrem ganzen Vermögen — mehr als 12,000 fl. — und mit ihrer Person haften
und für allen Schaden aufkommen. Am 8. August übernahm nun Sickingen
als Selbstschuldner die Zahlung der Loskaufsumme, während jene sich eidlich
verpflichteten binnen Monatsfrist diese Summe auf der Ebernburg zu entrichten
oder sich wieder zur Haft zu stellen, jedenfalls auf jede Einrede zu verzichten.
Kaum befreit lassen sie sich von dem Erzbischofe ihres Eides entbinden und
bringen ihre Sache vor das Reichsgericht. Es wurde hin und her verhandelt,
bis schliesslich Sickingen, des Treibens müde, am 27. August 1522 dem Erz-
bischofe Richard die Fehde ankündigt.
Dies waren die Veranlassungen zu der bekannten Trierer Fehde; wir
wollen das Verfahren der Ritter nicht verteidigen, und namentlich die zweite
Sache erinnert stark an das räuberische Rittertum der früheren Zeit.
') Abgedruckt bei Münch II, S. 197.
8
Es folgt der bekannte Kriegszug gegen Trier, die Belagerung der Stadt
vom 8. bis 14. September, die Ächtung Sickingens, der Bund der drei Fürsten
gegen ihn, die Eroberung von Kronberg und der Burg Landstuhl, der Tod
Sickingens am 7. Mai 1523. Das Unternehmen war vollständig gescheitert, die
Fürstenmacht hatte einen vollständigen Sieg über den Bund der Ritter davon-
getragen.
Noch ehe Sickingen gestorben war, hatte auch unsern Hilchen ein feind-
liches Geschick erreicht. Nicht genug, dass der Landgraf die Hand auf seine
Güter gelegt hatte; er selbst geriet in die Gewalt seiner Feinde. Wir lassen
die Erzählung der Flersheimer Chronik über diese Ereignisse hier folgen.^)
(22) „Baltt darnach kham Herr lohann Hilichin, Hanss von Sickingen,
Auo-ustin von Braunsperg gehn Kallenfels, von dannen sie ein unglückhafftige
Stunde uff Landstul zu reitten wollten; das wahr Wilhelm von Habern, so da-
mahls Faut zu Heydelberg, undt volgends der Pfalz Marschalck worden, gewahr
zu Lauttern, nähme sein Reutter mit ihme, ereiltt die Sickingischen gahr spätt,
also dass sie ungeschlagen von einander nicht khommen möchten, zogen also
zusammen. Die Sickingischen wertten sich ritterlich, also das Hanss zum ersten,
sich erstlichen zu Ross undt volgendts zu Fuess also menlichen gwehrtt, das er
ettlich Wunden ihm Kopff empfangen, also das ihme der Schweiss über das
Ano-esicht undt inn die Augen lleif, das er nitt wohl sehen Kundt; jedoch so
wehrt er die andern also lang, biss sie zu letst ubermantt undt sich ergeben
musten; also wahren sie mehrertheils gefangen undt doch vor der Gefengnuss
"•etröst, das man sie nicht änderst dan ritterlich undt wohl haltten und das sie
auch allein der Pfalz Gefangene sein soltten^); uff solches gelobtten sie dem
Habern undt wahren also im Yeltt vertagt undt ahnheissig, das sie sich gehn
Lauttern, da sie gemeint, stellen woltten.
(23) „Ritten also damahls gehn Nanstul, da sie Frantzen von Sickingen
fanden, der schon dess Unglücks zum Theil bericht, undt wiewohl es ihme ein
schwerer Unfall, jedoch hieltt er sich unerschrocklich undt gantz tröstlich, zeigt
ahn, diss gebe das Feltt also, undt sagt, der Krieg wehre umb seines Sohns
willen nicht angefangen, undt Johann Hilichin versprochen, er must ehe ledig
werden dan sein Sohn, soltten desshalb unerschrockhen sein; aber es wahr
Franzen ein schedig Niederlegen, dan nit viel mehr nach der Niederlag auss-
gericht.
(24) „Wilhelm von Habern schrieb solches sein erlangten Sieg fürderlich
gehn Heydelberg . . . überkham Befeleh die Gefangenen gehn Lauttern zu mahnen,
das er auch thet; als aber Hanss seiner empfangenen Wunden halber sich uff
die erst Mahnung nicht stellen khundt, wardt ihnen ein anderer Tag gesetzt,
uff den sie auch erschienen; als sie nun gehn Lauttern khamen, zeigt ihnen
Wilhelm von Habern ahn, wie er sein siegliche That seinem gnedigsten Herrn
1) Münch III, S. 219, Kap. 22 ff. Dies geschah bald nach Sickingens Abzug von
Trier, noch im Jahre 1522. Vergl. Kap. 25. — *) Sie waren offenbar froh, dass sie nicht in
die (lefangenschatt des Landgrafen Philipp geraten waren, von dem sie wegen ihrer Fehde
von 1518 keine Nachsicht oder milde Behandlung zu erwarten hatten. Pfalzgraf war damals
Ludwig V., 1508-1544,
9
dem Pfalzgraffon zugeschrieben, auch ihnen bcricht, was er ihnen den Sickingi-
schen im Veltt zugesagt undt versprochen, das sie ein ritterliche (fcfengnuss
haben undt auch der Pfalz Gefangene sein soltten. Darauff sein gnedigster
Herr ihme geantwortt, wass ihnen zugesagt, soltt ihnen gehaltten werden, undt
ihme befollen, dasselb ihnen wiederumb von neuem zu versprechen . . .; diss
haben sich die Gefangenen bedanckt und Hanss gesagt, ehe er die Gelübt ge-
than, er woltt zuvor wissen, wess Gefangener er sein soltt, wie man ihm haltten
woll, undt als ihme ein ritterliche Gefengnuss undt das er allein dess Pfalz-
graffen Gefangener sein soll, zugesagt, hab er erst gelobt, sich auch darauff
gestellt, höre gehrn, das man ihme dass halten woll . . . Nach etlichen Tagen
seindt die Gefangenen gehn Heydelberg betagt, da sie ettliche Wochen gelegen
in einem Württshauss, von dannen gehn Germersheim in einem Württshauss."
In der Sühne, welche nach Beendigung des Kriegs stattftind, wurde in
Betreff der Gefangenen bestimmt^), „es soltten auch alle gefangen ausserhalb
Hansen undt Hilichin, zu allen Theylen ledig sein, Hans undt Hilichin soltten
auch ledig werden, doch uff ein engere Mass, dieweil Hauptleut des Kriegs." Sie
blieben noch einige Zeit in Gewahrsam, da sie nicht sofort im Stande waren
den Wirt in Germersheim zu befriedigen^), bis endlich die Befreiung erfolgte.
Während aber die Erben Sickingens zunächst schwer geschädigt wurden durch
den Verlust ihrer Güter und erst etwa 20 Jahre später eine Rückgabe erfolgte,
rettete Hilchen aus dem Schiffbruche wenigstens sein Yermögeu. Er hatte
dasselbe durch eine Schenkung vor Schultheiss und Gericht zu Lorch und dar-
nach vor der ganzen Landschaft des Rheingaus seiner Tochter übergeben. Auf
die Beschwerde von Trier, Pfalz und Hessen, es sei hinsichtlich dieser Güter
von dem Kurfürsten zu Mainz, in dessen Gebiet sie lagen, nicht genug geschehen,
machte dieser geltend, es gebühre sich nicht^dem Töchterlein die Güter zu nehmen,
solange nicht nachgewiesen sei, dass die Schenkung uukräftig und dieselben
dem Töchterlein nicht zuständig seien. ^
IL Johann Hilchen im Dienste des Kaisers Karl und Königs Ferdinand
1527-1548.
Der unglückliche Ausgang der letzten Fehde, seine Gefangenschaft und
die Gefahr Hab und Gut zu verlieren, wohl auch die Besonnenheit des reiferen
Alters gaben dem Sinne Hilchens eine andere Richtung; er gab das ritterliche
Leben in der bisherigen Weise auf und widmete von nun an sein Schwert der
Sache des Vaterlandes im Dienste des Kaisers Karl und Königs Ferdinand.
Sein Genosse Hans von Sickingen ging ihm darin mit seinem Beispiele voran.
Als sich der „bäurische Uffruhr" erhob, ward dieser „von ettlichen Hauffen der
Bauern aufgesucht, das er ihr Hauptman weltt werden; sie wüssten, das seinem
Vatter undt ihme L'^nrecht geschehen were, sie woltten ihme zu allem dem
seinen helffen undt grosser machen, dan er iho gewesen w^äre; aber Hanss
•) Ib. VI, Kap. 17, S. 228. — ») Ib. Kap. 24. — ^) Ver^'l. die Urkunden bei Müncli II,
S. 236, 264 ". 265,
10
ontschlug sich ihr undt ritt stracks dem Bunde zu, bey demselbigen enthielt
er sich biss zu Endt dess bäurischen Kriegs." *) Ob llilchen sich ebenfalls zur
Bekämpfung der Bauern bei dem schwäbischen Bunde einfand, ist zweifelhaft.
Da der Rheingau selbst heftig von der Bewegung ergriffen w^urde, so ist es
nicht wahrscheinlich, dass er den heimatlichen Boden verlassen hat, wenn auch
sein Name nicht genannt wird.^)
Indessen boten die folgenden Jahre hinreichende Gelegenheit die Thaten-
lust zu befriedigen. Denn gerade um jene Zeit begannen die fast unaufhör-
lichen Kriege an der Ostmark des Reiches, seit es den Türken gelungen war
sich in Ungarn festzusetzen; es hatten die Kriege mit Frankreich begonnen,
welche Ruhm und Ehre sowie reichen Lohn versprachen. So finden wir denn
llilchen wiederholt in diesen und anderen Kriegen und vielfach mit Auszeichnung
oder in hoher Stellung genannt.
Der Feldzug gegen Johann Zapolya 1527.
Am 29. August 1526 hatte König Ludwig von Ungarn nach tapfrer Gegen-
wehr bei dem Schlachtfelde von Mohacz im Kampfe mit Soliman Thron und
Leben verloren. In die allgemeine Flucht mit fortgerissen hatte er schon das
schwarze Wasser, das die Ebene durchschneidet, hinter sich, das Pferd war
eben im Begriff das steile' Ufer zu erklimmen, als es ausglitt, zurückstürzte und
sich mit dem Reiter in dem Morast und dem Wasser begrub; etwa sechs Wochen
nachher fand man seine Leiche an der Stelle. 3) War auch die Nachfolge in
den Reichen Ungarn und Böhmen unzweideutig durch die Verträge bestimmt,
so wurde doch das Recht des Erzherzogs Ferdinand, des Gemahls von Ludwigs
Schwester, von einer Gegenpartei angefochten und noch in demselben Jahre
am 11. November zu Stuhlweissenburg Johann Zapolya zum Könige von Ungarn
gekrönt. Aber Ferdinand gab seine Ansprüche nicht auf. Nachdem er sich
Böhmens versichert hatte, überschritt er am 31. Juli 1527 die ungarische Grenze
mit einem stattHchen Heere von 8000 Mann zu Fuss und 3000 Mann zu Pferde;
unter diesen befand sich auch Johann llilchen.^) Am 20. August hielt Fer-
dinand seinen Einzug in Ofen, die deutschen Reiter aber verfolgten Zapolya und
schlugen ihn bei Tokay, dann geleiteten sie den Erzherzog nach Stuhlweissen-
burg, wo dieser am 3. November zum Könige gekrönt wurde, die letzte Krönung,
welche in dieser Stadt vollzogen wurde.
Der Einzug in die Stadt war äusserst glänzend; den Mittelpunkt bildete
der Erzherzog, welcher die Krone empfangen sollte, er ritt in einem übersilberten
Harnisch, den ein goldener Mantel deckte, unter einem goldenen Baldachin,
welchen ungarische Geistliche trugen, auf prächtigem Pferde, zwischen den
beiden Königinnen, seiner Schwester Maria und Gemahlin Anna; zahlreiches
Fussvolk war vor den Mauern der Stadt aufgestellt, über dem Panzer aufge-
») Flersheimer Chronik a. a. 0. S. 233, Kap. 33. — ^ Vergl. Pctri im achten Bande
der Annaion, S. 1 tf. — ') Rauke, Doutsciio Geschichte II, 3, S. 332. Buchhol tz, Kaiser
Ferdinand III, S. 159. — *) Ranke a. a. 0. S. 344. Buch hol tz S. 208 Hisst Ferdinand mit
21000 Mann aut'broclion.
11
schlitzte saratne oder mit Gold gewirkte Kleider, von den Hüften herab
reichlich gestreift. Voran zogen glänzende Reiter, Trompeter, liäte, Bischöfe
u. a. Grosse, alle in prächtiger Kleidung, den Zug schlössen 3000 Mann der
ausgesuchtesten deutschen und ungarischen Reiterei, unter ihnen Johannes
Hilchen.O
Die Belagerung Wiens 1529.
Im Jahre 1529 unternahm bekanntlich der Sultan Solinian den grossen
Heereszug gegen "Westen, zunächst um Zapolya wieder in die Herrschaft über
Ungarn einzusetzen, dann aber auch, um sich zum Herrn von Wien zu machen.
Am 26. September begann die Belagerung der Stadt, am 15. Oktober wurde
sie aufgehoben.
Auf die Kunde von der Absicht des Sultans hatte der König Ferdinand
umfassende Anstalten in das Auge gefasst, um den drohenden Angriff abzu-
wehren; doch kam zunächst nur eine eben noch zur Verteidigung der Stadt
ausreichende Schar zur rechten Zeit zusammen ; die Reichstruppen, zu deren
Anführer Pfalzgraf Friedrich, der spätere Kurfürst, zu Speyer ernannt worden
war, sammelten sich nur langsam und nur einer Abteilung unter dem Pfalz-
grafen Philipp gelang es vor der Einschliessuug in die Stadt zu gelangen;
Friedrich musste sich begnügen mit einer kleinen Schar ruhig zuzusehen, wie
die Umgegend von Wien verwüstet wurde, ohne etwas Entscheidendes zu
unternehmen.-)
Auch Hilchen hatte, wie Hans von Sickingen, im Frühjahre es über-
nommen an dem Kriegszuge sich zu beteiligen; er verpflichtete sich damals
400 Pferde zu werben.^) Über seine weiteren Schritte und über die Aufgaben,
welche ihm in dem Kriege zufielen, sind wir nicht unterrichtet ; nur soviel ist
wahrscheinlich, dass er unter Pfalzgraf Friedrich stand und nicht in der Stadt
Wien sich befand; in dem Verzeichnis der Anführer und Hauplleute, welche
daselbst waren, fehlt sein Xame*); aber auch Spaugenberg sagt, er sei
damals Oberster in dem Türkenkriege gewesen.^)
Der Türkenkrieg von 1532.
Hatte Hilchen im Jahre 1529 auch nicht die Gelegenheit zu tapferen Thaten,
30 eilte er doch bei dem nächsten grossen Kriegszuge der Türken im Jahre
1532 wieder freudig zu dem Kampfe. Infolge des Nürnberger Religionsfriedeus
rüstete diesmal das Reich ein so stattliches Heer, wie es lange nicht gesehen
worden war; wieder war Pfalzgraf Friedrich der oberste Befehlshaber. Doch
auch diesmal schien die Möglichkeit zu ernsteren Kämpfen für diesen zu ent-
schlüpfen. Während er angewiesen war, ein Lager bei Wien zu beziehen^),
machte Soliman einen Angrilf auf die Festung Günz, welcher an der Tapfer-
') Buchholtz S. 210 f. — ■} Buchholtz S. 297 teilt einige Briefe Ferdinands an
Friedrich mit. — ^) Polit. Korrespondenz der Stadt Strassburj, I, S. 326: d.d. 25. März 1529.
— *) Bei Schard II. — ''') Adelsspiegel II, Fol. 253a, freilich mit der falschen Jahreszahl
152S statt 1529. — ") Buchholtz a. a. 0. S. 105.
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keit (1er kleinen Schar der Verteidiger und ihres heldenhaften Führers scheiterte.
Nach dieser Probe von deutschem Mut und Ausdauer und im Angesicht des
glänzenden Reichsheeres wagte es der Sultan nicht weiter vorzugehen, sondern
wandte sich zum Rückzuge nach Steiermark, indem er nur zum Scheine, um
seinen Abzug zu verschleiern, eine Anzahl leichter Truppen zur Verwüstung
von Ostreich abschickte. Mit diesen traf nunmehr der Pfalzgraf zusammen,
und auch diese unterlagen der Tapferkeit und Kriegskunst der Deutschen : von
einem Haufen derselben dem andern in die Hände gejagt wurden sie zwischen
beiden zermalmt.')
Als die Hilfsvülker des Reichs zusammengekommen waren, so erzählt ein
rhetorischer Berichterstatter^), berief der Pfalzgraf seine Hauptleute und An-
führer (tribunos et centuriones) und hielt eine Anrede an sie, in welcher er
ihnen auseinander setzt, wie notwendig es sei dem drohenden Angriff der
Feinde wohlgeordnet entgegenzugehen und insbesondere die wichtigsten Amter
zu verteilen; das wolle er jetzt thun, aber nicht ohne ihre Zustimmung; er
schlage also vor, dass der Graf Wilhelm von Rennenberg, an Klugheit ein
Nestor, an hohem Sinn und Kunst zu siegen ein Achilles oder Ajax, das Amt
eines Magister equitum (= oberster Lieutenant oder Stellvertreter des Ober-
anführers) erhalte; Dietrich Spät, an Kraft ein wahrer Mars oder Diomedes,
solle Marschall werden; Ulrich von Schellenberg, an Tapferkeit ein Mucius,
an Rechtskenntnis ein Scaevola, sei geeignet über die Soldaten zu richten
(Profoss); lohannes Hilliche, ein Drache der Hesperiden oder ein hundertäugiger
Argus an Wachsamkeit, übernehme die Sorge für die Wachen (Oberstwacht-
meister); Hans von Staden, an Schlauheit und Anstelligkeit ein Ulysses aus
Ithaka, möge für die Verpflegung der Soldaten sorgen. Die versammelten
Führer billigten die Vorschläge, aus denen, wenn wir die Rhetorik abziehen,
für uns hervorgeht, dass Hilchen eine hervorragende und ehrenvolle Stelle
unter den Kriegern einnahm, eine Sache, die auch von anderer Seite bestätigt
wird; ein ungarischer Geschichtschreiber versichert, die Hauptleute des Pfalz-
grafen seien von grossem Rufe und Ansehen, sowie grosser Übung im Kriegs-
wesen gewesen.^)
Ehren und Würden.
Am 23. September langte der Kaiser selbst zu Wien an. Nach Be-
endigung der Kämpfe entbot er den Pfalzgrafen und seine Befehlshaber zu
sich in die Burg, lobte ihren Eifer und ihre Erfolge und schlug zum Zeichen
seiner Anerkennung viele zu Rittern, zuerst die Fürsten; dann berief er vor
allen Grafen und Herren den tapfren Schärtlin von Burtenbach, welcher gleich-
falls den Ritterschlag erhielt, jetzt zum zweiten Male, von dem Kaiser selbst,
nachdem ihm nach der Schlacht bei Pavia schon einmal diese Ehre zu teil
ireworden war. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch lohann von Hilchen
zu der ausgewählten Schar gehörte, welche der Kaiser damals so auszeichnete;
') Ranke IIT, S. 347; Buchholtz IV, S. 112f. — ") Melchior Soiterius bei Schardll,
S. 1247. — ^) Isthuanfi S. ISl.
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später lieisst er immer Ritter und bezeichnet sich selbst mit diesem Namen ;
auch Kaiserlicher Rat wird er genannt^) und eques auratus.^)
, Im Jahre 1533 trat Hilchen mit Graf Wilhelm von Nassau-Dillenburg
in ein näheres Verhältnis ; derselbe ernannte ihn am 22. Februar zu seinem
Rat und Hauptmann und versprach ihm fünf reisige Pferde, drei Knechte, einen
Knaben, sowie 100 tl, und eine Hofkleidung für jedes Jahr.'') So sehen wir
ihn denn alsbald bei der Taufe des am 24. April 1533 gebornen Sohnes von
Wilhelm und seiner Gemahlin Juliane von Stolberg, des später so berühmten
Wilhelm des Schweigers, anwesend; diese fand statt am 4. Mai und wurde,
da das Kind der erste Mannspross des Hauses war, höchst glänzend gefeiert,
Hilchen sollte dem Grafen bei der Anordnung des Festes mit zur Hand sein
und hielt bei der h, Handlung das Kind selbst, bis die Teufelaustreibung ge-
sprochen war, übergab es dann den wartenden Frauen, um es nach Beendigung
der Ceremonien wieder in die Hand zu nehmen und es dann der Reihe nach
den Gevattern zu reichen. Nachdem man die Taufkapelle verlassen hatte, trug
er nunmehr den Neugetauften zu seiner Mutter Juliane.^) — Am 20. Juli 1537
tritt ein Vetter Johanns, Friedrieh Hilchen von Lorch, gleichfalls in näheres
Verhältnis zu Wilhelm, welcher denselben mit einem Lehen bedenkt.^)
Endlich sei erwähnt, dass der Kurfürst von der Pfalz unsern Hilchen
ebenfalls zu seinem Rat ernannte.
Der würtembergische Feldzug 1534.
Minder ruhmvoll als der vorhergehende war der Feldzug, in welchem
Hilchen gegen den Landgrafen Philipp stand. Der Herzog Ulrich von Würtem-
berg war wegen seiner Missregierung im Jahre 1519 durch den schwäbischen
Bund seines Herzogtums beraubt und dieses dem Bruder des Kaisers, dem
Erzherzoge Ferdinand, übertragen worden. Da es den Anschein gewann, als
ob der Herzog für immer seines Landes verlustig bleiben sollte, beschloss der
Landgraf Philipp gegen einen solchen Gewaltakt einzuschreiten. An der Spitze
eines stattlichen Heeres von Reisigen und Fussknechten tiel er im Jahre 1534
in Würtemberg ein, um den Herzog wieder einzusetzen. Gegen ihn rüstet die
bestehende Regierung und entbietet namentlich die alten Gegner Philipps aus
der sickingischen Fehde, Dietrich Spät, Johann Hilchen u. a. Ein noch vor-
handenes Volkslied*") sagt von diesem :
Die Reuter und der obrist Hauptmann'')
Den Herzog wollten sie vertreiben.
Kein Hessen im Lande lassen bleiben,
Wollten sich nicht mit ihm vertragen.
') Bei Romrael a. a. O. im Jahre 1534, doch fehlt der Titel auf der Grabschrift. —
2) Volrad von Waldeck, Itinerarium S. 36, doch fehlt auch dieser Titel auf der Orabsclirift und
sonst und kann ihm von Volrad irrtümlich beigelegt sein. "Wenn Töpfer ihn im Jahre 1529
als Ritter bezeichnet, so muss er es freilich früher geworden sein. — ^) Keller, Geschichte
von Nassau, S. 128; Arnoldi, Geschichte von Nassau-Oranien III, 2, S. 39; III, 1, S. 127.
— *) Jacobs, Juliane von Stolberg, S. 84 u. 85. — ^) Xotiz im Staatsarchiv zu Wiesbaden.
— ®) V. Liliencron, Deutsche Volkslieder IV, S. 70, — 'j Pfalzgraf Philipp, Hauptmann
des Bundes.
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Gen Illiugen thetens Lager schlagen,
Ihr Volk vertrostens für Oefert
Auf fünfhundert pfalzgräHich Pferd,
Auch bracht lohann Hilch Pferd so vielen,
Dem Herzog wolltens Richter spielen.
Ebenso erwähnt Nikolaus Asclepius Barbatus, Professor der Philosophie
zu Marburg, in seiner Festrede nach beendigtem Kriege ausser dem „kleinen
Hess" Konrad von Bemmelberg nur des Ritters Hilckus als des tapfersten und
durch seine Kriegsthaten ausgezeichnetsten Mannes.^)
Der Erfolg entsprach nicht den Erwartungen; bei Laufen wurde am
12. Mai der Ausgang des Kampfes rasch entschieden: der Landgraf siegte und
setzte Ulrich in die väterliche Herrschaft wieder ein. Der Friede von Kadan
bestätigte das Errungene und söhnte auch Hilchen mit dem Landgrafen aus.
Familienereignisse.
Wenio'e Jahre später trafen den Ritter zwei schwere Verluste : es starben
sein Schwiegervater und Schwiegersohn ; jener ertrank in der Nahe^) bei Merx-
heim. Infolge seines Absterbens fiel an Hilchen und seine Tochter, die Vögtin
von Hunolstein, im Jahre 1539 ein Drittel des grossen und kleinen Zehntens
zu "Wallertheim als Lehen auf Lebenszeit von dem Lehensherrn Johann von
Hohenfels, Die Teilung der übrigen Hinterlassenschaft des Melchior von Rüdes-
heim erfolgte im Jahre 1541.^) Ferner trat an Hilchen nun die Pflicht heran
sich seiner Tochter und seiner Enkel anzunehmen.*) Und so reichte er u. a.
am 1. Juni 1541 eine Beschwerde bei dem Herzoge von Lothringen ein gegen
die Geistlichkeit und namentlich den Dechanten von Homburg, weil er bei der
Beisetzung der Leiche Schwierigkeiten gemacht hatte und nun nicht dulden
wollte, dass der Amtmann von Merxheim Urban Schlegel, welcher, vordem
katholischer Geistlicher, ein Weib genommen und sich der neuen Lehre ange-
schlossen hatte, länger im Dienste der Witwe des Adam von Hunolstein ver-
bleibe.-^) Aus diesem Schritt hat man geschlossen, dass Hilchen der Refor-
mation Eingang zu verschaffen gesucht habe — mit Unrecht, wie es scheint;
man kann höchstens behaupten, dass er in Sachen der Religion nachsichtig
war, namentlich gegen Beamte, wenn sie sich als tüchtig erwüesen.
Türkenkrieg von 1542.
Der Türkenkrieg von 1542, in welchem Kurfürst Joachim von Branden-
burg den Oberbefehl führte, verlief ohne erfreuliche Resultate. Für uns ist
wichtig, dass u. a. die wetterauischen Grafen, als sie zu Butzbach über die
Ausführung des Speyerer Reichstagsabschiedes, soweit er sie betraf, sich be-
rieten, den Beschluss fassten wegen der Anwerbung ihres Kontingentes sich an
") Er sagt: Xon abest lohannca Ililckus equea fortisßimus ot vir rebus belli gestia prae-
fitaiitiflsimuH. Schard II, S. 1295; Caesar, Catalogus Studios. Marl). I, S. 14. — ') Bod-
mann S. 349. Nicht auch die Oemahlin Hilchcns. S. o. S. 2, Anra. 1. — '') Tüpfer a. a. O,
S. 92 u. 07, und oben S. 2. — *) Derselbe S. 98 u. 99. — 'j Derselbe S. 94.
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Ililcheu zu weuJen, um zu erfahreu, wo eine solche Anzahl von Knechten, als
sie bedurften, zu finden sei.^)
Ililclien selbst befand sich später im Reichsheer als Reichsoberster Feld-
niarschalF); auch die Grabschrift erwähnt dieses Feldzuges.
Die Feldzüge gegen Frankreich 1543 und 1544.
Im Jahre 1542 hatte König Franz den Krieg gegen den Kaiser wieder
erneuert. Das erste Kriegsjahr hatte eine bedeutendere Entscheidung nicht
gebracht; um s,o mehr sollte das Jahr 1543, so hoffte man, das Vertrauen
rechtfertigen, welches das stattliche Heer des Kaisers einflösste. Er selbst er-
schien, in der Kraft seiner Jahre stehend, voll Siegeshoffnung und Selbstge-
fühls, am 17. August zu Bonn, wo etwa 35000 Mann Deutsche, Italiener und
Spanier vereinigt waren, und hielt hier selbst eine Musterung ab.
„Wer vor Jahren, sagt ein Augenzeuge^), den Kaiser in seiner einfachen
Kleidung gesehen, wunderte sich sehr ob des ungewöhnlichen Schmuckes; denn
man erzählt, als er sein Ross bestiegen, habe er sich selbst angeschaut und
gelächelt. Alles am Reiter und Ross war aufs äusserste kostbar, und er nicht
allein erschien in solcher Herrlichkeit, ganz in Eisen, Gold und Edelstein, son-
dern auch mit ihm ungefähr 300 spanische und italienische Heroen in ver-
schwenderischer Rüstuug. Er besorgte selbst alle und jede Geschäfte eines
Oberanführers, er dirigierte die Ordnungen des Fussvolkes, wie im Fluge hin
und her reitend. Dem goldgezierten deutschen Ritter Johann Hilchen reichte
er selbst die Rennfahne, bald diesen, bald jenen anrufend und in deutscher
Sprache tadelnd."
Hier sehen wir also wieder unsern Ritter in bevorzugter Stellung, als
Feldraarschall, wie die Grabschrift besagt und die Chronik von Hatzfeld."*) Bei
Landrecy und Chateau Cambresis kam es zu heftigen Kämpfen, in denen sich
Hilchen durch Tapferkeit und Mut auszeichnete^), wenn auch einzelne Thaten
nicht erwähnt werden.
Die Huldigung des Erzbischofs von Mainz 1545.
Im Jahre 1545 finden wir Hilchen bei der feierlichen Huldigung, welche
das Rheingau am 14. November dem neu erwählten Erzbischofe und Kurfürsten
von Mainz Sebastian von Heussenstamm leistete.*') Nachdem dieser, umgeben
von einem stattlichen Gefolge von Domherrn und Rittern, unter welchen Hilchen
sich befand, bei Östrich gelandet war, begab er sich zu Fuss nach S. Bartho-
lomäus; hier war die Landschaft des Rheingaus versammelt und empfing von
dem Erzbischofe die Bestätigung ihrer alten Rechte und Freiheiten ; dann traten
die Schultheissen und Schöffen aus den Ämtern nach altem Brauch heran und
schwuren den Eid der Treue dem Erzbischofe und Domkapitel. Nach vollendeter
Feierlichkeit fuhr man nach Eltville und hielt daselbst eine fröhliche Mahlzeit.
1) Menzel, Geschichte von Nassau I, S. 5S6. — '") Arnoldi III, 1, S. 223 Anm. —
^) Kasp. Hedio; O. Voigt, Briefwechsel berühmter Gelehrten, S. 307; und ähnlich Veit
Dietrich, S. 181. — *) Annulen XIX, S. 65, — *) lovius bei Schard II, S. 1553. Spangen-
berg a. a. 0. — °) Guden IV, S. 667; Bodmann S. 19.
16
Das Hilchenhaus zu Lorch 1546.
Die Feldzüge hatten unserm Ritter nicht bloss Ehre und Stellung, ouuuern
auch reiche Geldmittel eingetragen. Die Summen, welche Schärtlin in seiner
Lebensbeschreibung nennt, beweisen, dass der Kriegsdienst nicht bloss Xamen
und Ruhm verlieh, sondern auch gewinnbringend war. Hilchen hatte bald
nicht allein den früher erlittenen Schaden ersetzt, sondern konnte z. B. im
Jahre 1530 seiner Tochter eine Mitgift von 1000 fl. aussetzen. Im Jahre 1546
begann er den Neubau eines Wohnhauses zu Lorch, welches bis in die neuere
Zeit erhalten ist. Er verwendete vieles Geld, wie er später Graf AYilhelm
schrieb, auf dasselbe und stattete es mit mancherlei Schmuck aus. An dem
Rheine liegend zeichnet es sich vor den benachbarten Gebäuden durch seine
Facade aus und zieht den Blick der vorbeifahrenden Reisenden unwillkürlich
auf sich. Eine Beschreibung und Abbildung s. bei Lübke, Renaissance in
Deutschland, S. 428; ferner vergl. Lotz, Baudenkmäler im Regierungsbezirk
Wiesbaden, S. 307; Rhein. Antiqu. X, S. 244.
Das Obergeschoss des Hauses ist über die der Stadt gehörende Strasse
erbaut ; darüber beschwerte sich die Gemeinde, und die Tochter Hilcheus
musste sich deswegen mit ihr nach Hilchens Tode vertragen und sie zufrieden-
stellen.^)
Der schmalkaldische Krieg 1547.
Noch einmal wurde Hilchen zu den Waffen gerufen, diesmal von Graf
Wilhelm für den Kaiser. Dieser wollte endlich im Laufe des Jahres 1546 den
Entschluös die Protestanten mit Waffengewalt zum Gehorsam zu bringen und
zur alten Kirche zurückzuführen verwirklichen und begann den Krieg gegen
den schmalkaldischen Bund. Die Stellung des Grafen Wilhelm war in dieser
Sache eine missliche. Er war ein erklärter Anhänger der protestantischen
Lehre und hatte sie in seinen Landen eingeführt; er war auch Mitglied des
schmalkaldischen Bundes gewesen und zugleich Lehnsmann des Landgrafen
Philipp. So zogen ihn Pflicht und religiöse Anschauung auf die Seite der
Schmalkaldener. Auf der anderen Seite hatte er immer trotz seiner abweichen-
den kirchlichen Stellung die besondere Gunst des Kaisers genossen; sein Bruder
Heinrich war lange einer der ersten kaiserlichen Räte gewesen, dessen Sohn
Renatus (f 1544) hatte die Gunst des Kaisers geerbt, und eben wurde Wil-
helms gleichnamiger Sohn, von dessen Taufe wir oben berichtet haben, am
kaiserlichen Hofe erzogen, um demnächst in die Stelle Heinrichs und Renatus
einzurücken. Die Pflicht der Dankbarkeit zog ihn ebenso wie seine gut kaiser-
liche Gesinnung auf die Seite Karls^ nicht weniger die Klugheit, da er im
Falle des Sieges auf eine günstige Entscheidung seines Streites mit Philipp
wegen der katzenelnbogischen Erbschaft rechnen konnte. Der Verlauf des
Kriegs enthob ihn zunächst der Notwendigkeit eine Wahl zu treffen; denn die
Gegner trafen vorerst nur in Oberdeutschland zusammen, wo die schmalkal-
dischen Fürsten und Städte in ihrer Unentschiedenheit und Uneinigkeit dem
»J Rhein. Anti4U. II, 10, S. 258.
17
Feinde nicht gewachsen waren. Doch Hess der Kaiser nicht ab ihn zu mahnen
in seinem eignen Interesse seiner Sache sieh anzuschliessen und sich mit Waffen-
gewalt in den Besitz der Grafschaft Katzeneinbogen zu setzen.
Eine persönliche Zusammenkunft mit dem kaiserlichen Feldherrn, dem
Grafen Maximilian von Büren, im Januar 1547 zu Frankfurt und bald darauf
mit dem Kaiser zu Ulm (Ende Januar bis Ende Februar) Hess ihm endlich
keine Wahl mehr ; er machte sich dem Kaiser gegenüber verbindlich 600 Reiter
mit voller Rüstung demselben zuzuführen, oder wie ihm der Kaiser berich-
tigend am 5. April zu Eger schreibt, „sie in Werbung und Rüstung zu halten",
damit er sie bei seiner Ankunft in Frankfurt, sofern er sie nötig habe, zur
Verfügung habe ; ja er fügt hinzu, er möge der Kosten wegen zur Zeit keine
Musterung oder Bestallung vornehmen, sondern sich nur der Mannschaft ver-
sichern für den Fall, dass man ihrer bedürfe. Am 15. Mai erliess er sodann
den Befehl von Wittenberg aus, der Graf solle in der Wetterau zu ihm stossen,
eine Anordnung, welche durch den Lauf der Ereignisse unnötig wurde.*)
Alsbald nach seiner Rückkehr aus Ulm hatte Wilhelm die Anstalten zur
Ausrüstung begonnen. Zu ihr wurden zunächst die Lehnsleute aufgefordert."^
Sodann kam er mit Asmus von der Hauben-^) gleich im Anfange des März
überein, dass derselbe 300 Reiter binnen Monatsfrist als Hauptmann und Ritt-
meister stellen solle; doch wurde die Zahl bald nachher auf 150 Reiter herab-
gesetzt und als Tag der Musterung, welche bei Worms stattfinden solle, der
zweite Mai bestimmt. Ferner forderte Wilhelm den Johann Hilchen auf 60
Pferde zu werben. Dass dieser wie der Graf auf der Seite des Kaisers stehen
werde oder dass man dies von ihm wenigstens voraussetzte, beweist der Auf-
trag, welchen er, wie Graf Wilhelm und Hans von Sickingen, am 13. April
1546 erhalten hatte, den Adel und die Ritterschaft am Rhein und auf dem
Westerwald auf den 16. Mai 1546 nach Mainz zu berufen, damit sie dort mit
den kaiserlichen Kommissarien über ihre Hilfeleistung wider die Unbotmässigen
berieten.^) Am 3. April 1547 erklärt sich Hilchen bereit und im stände die
Werbung zu übernehmen, fragt auch an, ob der Graf ihn selbst im Felde ge-
brauchen wolle; für diesen Fall bedürfe er zwei Wagen, um seine Notdurft
nachzuführen, da er selbst wegen der schweren Kosten, die er bei seinem
Hausbau habe, nur schwer im stände sei einen Wagen zu stellen; endlich
bietet er dem Grafen 40 guter dürrer Stangen, die er zu Lorch habe, an, da
er gehört habe, derselbe sehe sich nach Spiessstangen um.
Schon wenige Tage nachher antwortet der Graf; da Asmus seine Anzahl
Reiter nicht wohl möge zuwegen bringen, so bittet er Hilchen, wenn es ihm
möglich sei, sich um 200 Pferde^) zu bewerben auf die Bestallung hin, die er
in Händen habe (s. u.); seiner hohen Notdurft nach könne er ihn diesmal nicht
verschonen ihn im Felde zu gebrauchen; er möge sich daher gefasst macheu,
') Arnoldi III, 1, S. 118 ff. und archivalische Urkunden, wie auch für das Folgende. —
') Arnoldi III, 2, 8. 90. — ^) Dieser war u. a. im letzten französischen Kriege kaiserlicher
Oberst gewesen. — *) Menzel II, S. 268, - *) Es ist daher die Angabe Arnoldis III, 1,
S. 127 nicht genau, wenn er sagt, Asmus von der Hauben und Johann Hilchen hraten je
3(X) Reiter stellen sollen.
2
18
wo es ihm immer möglich sei seines Leibes Gelegenheit wegen, zeitig selbst in
eigner Person zu Feld zu ziehen; die zwei "Wagen werde er stellen, damit er
seine Fuhr bei dem Bauen behalten möge ; die Spiessstangen nimmt er dankend
an und wird sie durch seinen Keller zu Nassau holen lassen; endlich wünscht
er, dass Hilchen sich persönlich nach Dillenburg verfüge und nicht ausbleibe,
damit er mit ihm sich aller Sachen halber, die sich nicht wollen schreiben
lassen, unterreden und vergleichen könne. Dies Schreiben erhielt Hilchen noch
an demselben Tage zu Stromberg und antwortet am folgenden, den 6. April,
er werde nächsten Samstag zu Dillenburg sich einfinden. Dieses wie die an-
deren Schreiben unterzeichnet er alle mit: Johann Hilchen Ritter.
Über die mündlichen Verhandlungen sind wir nicht unterrichtet; am
17. April meldet Hilchen, dass Philipp von Kronberg, welcher 100 Pferde zu-
gesagt, jetzt abgeschrieben habe; doch wolle er selbst mitziehen und zusehen,
wieviel Reiter er aufbringen könne, indessen müsse er Geld haben, das er den
Reitern auf die Hand gebe; weil er selbst (Hilchen) aber von Geld entblösst
sei, dünke es ihm gut, dass der Graf einige hundert Gulden mit einem reisigen
Knecht schicke; doch solle das, was man jetzt ausgebe, auf der Musterung ab-
gezogen werden. Am 29. April zeigt er ferner an, dass er Montag den 2. Mai
die Reiter bei Worms mustern wolle, und fragt nach der weiteren Bestimmung
derselben. Darauf erwidert Wilhelm, dass er zur Zeit noch nicht wisse, wozu
kaiserliche Majestät die Reiter gebrauchen wolle ; diese sollten sich so verhalten
und aller Gelegenheit und Notdurft nach sich so gebrauchen lassen, wie frommen,
redlichen und ehrlichen reisigen Dienern zusteht und gebührt; Hilchen solle
diejenigen, welche auf dem Musterplatz erscheinen und gerüstet sind, nach
Dillenburg bringen und selbst mitkommen und, wenn die Königsteinischen
schreiben, seinen Ritt über Königstein nehmen.
Die Musterung muss nicht befriedigend ausgefallen sein; in dem Artikel-
brief, welcher am 2. Brachmonat endgültig ausgestellt wurde, wird als Termin
der 20. Juni, als Ort der Musterung Mainz bezeichnet. In einem späteren
Berichte klagt Hilchen, dass unangenehme Zwischenfalle stattgefunden hätten :
der Vitzthum des Rheingaus verhindere die Werbung^), ebenso der Pfalzgraf
und andere. Auch die Wagen, welche der Graf schicken wollte, seien nicht
angekommen; der Schultheiss von Nastätten') und sein Sohn samt etlichen
Bauern hätten sie in einem Grund bei Gronau heimlich weggenommen ; er
müsse nunmehr seine Sachen zu Schiff nach Mainz bringen lassen und hoffe,
der Graf werde ihm etwa bei einem Grafen der Höhe (er dachte sicherlich zu-
nächst an die verwandten Königsteiner) zu Pferd und Wagen verhelfen.
Da die Bestallung Graf Wilhelms vom 2. Juni 1547 mancherlei Interes-
santes über Bewaffnung und Rüstung, Sold, Disziplin u. s. w. bietet, so lassen
wir sie vollständig im Anhang folgen.
') Er schreibt, in Rüdesheirn und der Umgegend habe er zehn gute wehrhafte Lands-
knechte bestellt und ihnen befohlen, bei Nacht hinwegzuziehen, sie aber hätten am Tage ab-
ziehen wollen ; dieses hübe der Vitzthum erfahren und ihnen solches verbieten lassen. —
*) Nastätten geliürte zu der Niedergrafschaft Katzenelnbogen und war in hessischem Besitz.
19
Nachdem die Musterung erfolgt war, weist Graf Wilhelm seine beiden
Obersten Johann Hilchen und Asraus von der Hauben am 24. Juni an den
Befehlen des Grafen Reinhard von Sulms zu gehorchen ; an demselben Tag
bittet der kaiserliche Befehlshaber, da hessisches Volk sich in der Wetterau
sammle, so möge er eilende Hilfe dahin senden. Indessen kam es nicht mehr
zu einem Zusammenstoss. Schon am 12. Juni hatte der Kaiser den Grafen
angewiesen die Feindseligkeiten gegen Hessen einzustellen, da der Landgraf ge-
neigt sei sich zu unterwerfen. Die Aussöhnung war auch wirklich am 19. Juni
zu Halle anberaumt: der Landgraf unterzeichnete die ihm vorgelegte Kapi-
tulation und that fussfiillig Abbitte, aber anstatt die versprochene Aussölinung
zu erlangen, wurde er bekanntlich am Abend desselben Tages Gefangener des
Kaisers und blieb es fünf Jahre lang, bis nach dem Abschlüsse des Passauer
Vertrages. So wurden denn die Reiter Kilchens wieder entlassen.
Der Reichstag zu Augsburg 1548.
Es folgte der glänzende Reichstag zu Augsburg, auf welchem der Kaiser
die Früchte seines Sieges einerntete, die Freunde belohnte, die Feinde bestrafte.
Niemals in seinem Leben erschien er so gewaltig und als alleiniger Herr der
Verhältnisse. Die meisten Fürsten des Reichs stellten sich wenigstens auf kurze
Zeit dort ein oder schickten Gesandte. Am schwersten empfanden die Macht
des Kaisers die Protestanten, welche sich dazu bequemen mussten das Interim
anzunehmen und seine Einführung zu versprechen.
Graf Wilhelm erschien mit dem zahlreichen Gefolge von 20 Pferden und
GO höheren und niederen Dienern. Zu ihnen gehörte auch Johann Hilchen,
welcher einige Zeit zu Augsburg verweilte und oft in der Gesellschaft seines
Grafen sich befand. Eine lebendige Schilderung seiner Erlebnisse und seines
Verkehrs namentlich mit Wilhelm gibt Graf Volrad von Waldeck in seinem
Itinerarium. Er selbst war als Bittender anwesend, da er in den Reihen der
Feinde gestanden hatte, und in gedrückter Stimmung; nachdem er Abbitte
gethan und eine Geldbusse erlegt hatte, verliess er erleichtert die Reichsver-
sammlung.
Ende 1548.
Kaum hatte Hilchen im Frühjahre 1548 Augsburg in Gesellschaft von
Wilhelms Schwiegersohne, dem Grafen von Nuenar, verlassen, als die Kunde
einlief, dass er am 15. April in der Heimat verstorben sei. Der Graf betrauerte
den Tod des Ritters, den er so sehr geliebt hatte, aufilchcig.
In der Kirche zu Lorch wurde er beigesetzt und ihm daselbst im Jahre
1550 ein Denkmal errichtet: ein gepanzerter Ritter in betender Stellung, hinter
ihm ein liegender Hund, zu beiden Seiten zehn Wappen. Die Inschrift lautet:*)
Hie ligt der Edel und Gestreng her Johann Hilchen von
I.orch Ritter, bei Zeiten seines Lebens Römischer Keyser.
Majestät und des heiligen Römischen rcichs in den Zügen
') Xach Zaun, Rheingiiuisclies Landkapitel, S. 324.
20
gegen den erbfeindt den Dürcken und den König zu Franck-
reich in den lahren MDXXXXII. III. und IUI Oberster felt-
marschalck gewesen, sonst noch VII Zug helffen dun, seines
alters LXIV Jahr utf den XV Aprilis im Jahr MDXXXXVIII
zu Lorch in seiner Behausung in Gott christlich verstorben,
des seien Gott genedig und barmhertzig sein wolle. Amen.
Hilchens sieben Feldzüge, welche hier ausser den drei der Jahre 1542
bis 1544 genannt werden, müssen also, wenn uns kein weiterer Feldzug gegen
äussere Feinde entgangen ist, auch die Fehden von den Jahren 1518 und 1522
sowie den schmalkaldischen Krieg umfassen. Wir zählen alle zum Schlüsse
der Reihe nach auf: 1. die hessische Fehde; 2, die sickingische Fehde ; 3. der
ungarische Feldzug von 1527; 4. die Belagerung Wiens durch die Türken 1529;
5. der Türkenkrieg von 1532; 6. der würtembergische Feldzug 1534; 7. der
Türkenkrieg von 1542; 8. u. 9. die französischen Kriege von 1543 und 1544;
10. der schmalkaldische Krieg 1547.
Spangenberg im Adelspiegel II, Fol. 253a hat folgendes über unsern
Ritter: „lohann Hillichen, ein Oberster im Türekenzuge 1528^) und hernach
Vigilantia Draco Ilesperidum, aut Arge oculato comparandus*) : auch im Wirtem-
bergischen Krieg 1534. Item Feldmarschalck wider Franckreich, da er sonder-
liche ehre für Camersin in einem Scharmützel eingelegt, ist sonst auch in vielen
Zügen gewesen."
A n h a n ff.
Graf Wilhelms Bestallung für Herrn Johann Milchen von Lorch Ritter,
1547, 2, firachmonat.
Wir Wilhelm, Grave zu Nassau-Katzenelenbogen, Vianden unnd Dietzs. Bekennen hie-
mit unnd in kratft diss briefa. Nachdem unnd als der Allerdurchlauchtigste, Grossmächtigste
unüberwindlichste Fürst unnd Herr, Herr Karl der funfft Romischer Kaiser unnd unnser Aller-
gnedigater Herr unns comittiert unnd bevolen hadt Irer Kais. Mät. ein antzall Reuter unnd pferdt
inwendig eins Monats frist von heut dato antzurechen, uffzubringen unnd uff derselben weitern
gehciss unnd beveleh irer Mät. zukomen zu lassen, dass wir, als der schuldig unnd gehorsam
demselben ullso underthenigst nachzukomen unnd zu geleben mit dem Strengen unnd Emvesten
unaerm Kath unnd lieben getreuwen Hern lohan Hilchin von Lorch Rittern heut dato uber-
einkomen sein, dass er uns ein antzall Reutter in form unnd mass, wie von punkten zu punkten
hernach volgt, werben, utfbringen unnd uf Kais. Mät. ferneren bescheit füren unnd über dic-
aelbige unnd andere unsere bestelte Reuter unser oberster sein solL
Erstlich soll bemelter lohan Hilchin unns seine antzall Reutter wohlgerust zufuren unnd
sollen under hundert Reutern nit mher dan zwaintzig schützen unnd die übrigen alle Spiesser sein.
Item die Spiesser sollen mit iren guten Helmlin oder Haupthamischen, die gute Visier
haben unnd woll beschlossen sein, mit Stehelin Kragen, daran lange Achseln, stehelin arm-
') S. oben S. 11, Anm. 5. - '^1 Vergl. oben S. V.
21
tzcug, Rucken, Krebs, schurtz, Knicbucklon oder an der armtzeug Stadt gute pantzcr Ermcll
mit stelielin bucklen, langen Hanndtschiechon, stehlin kragen mit langen Achseln,
Dosgleichen sollen die Schützen mit guten Schweinspiessen, guten feuerbuchssen, die
mit aller irer notturfft unnd starcken schussen yerfasst, auch schurtz, Ermel, Kragen, Hanndt-
schuchen, Rucken unnd Krebsen, auch gute stehelin Hauben gerustht, gefasst unnd geschickt sein.
Item soll dem obersten monatlich für jedes pferdt, so er bringen wart, ein gülden ge-
geben werden.
Item dem Haubtman über zweyhundert pferdt zwen Trabanten gehalten, die sollen
monatlichen jeder mit acht guldin betzallt werden.
Item uff ein jedes gerusts pferdt unnd Reisigen, er sey ein Spiesser oder schütz, die
in des mosterung gut gemacht werden, wurt man monatlich zwollf guldin betzalen.
Item allwegen uff zwolff pfert, so in der musterung gut gemacht werden, wurt ein Tross
oder Bottenpferdt monatlich undorhallten unnd mit sechs guldin bezallt werden.
Item uff zwolff in der Musterung gut gutgemachte Reisige pferdt ein wagen, der mit
vier gueten wagenpferden unnd aller seiner Zugehor guth wolgerustht, bestellt, versehen, allao
in musterung befunden unnd darauff gutgemacht unnd passieret ist, sollen vier unnd zwaintig
guldin monatlich betzallt, unnd ob sich begebe, dass einem oder merlin aus den vier Wagen-
pferden eins oder mher erlege oder abgieng, der oder dieselben zum furderlichstcn nach ann-
dem pferden trachten unnd hierin kein geverde gebraucht oder gesucht, unnd sollen auch
monatlich gemustert unnd derselben musterung gemess betzallt werden.
Item ess soll kein Reisigs oder Trosspfert, so durch die Musterung geritten, mit nicht
in die "Wagen gespant werden. "Wo aber sollichs uberfarn unnd ein oder mehr pferdt hierüber
im wagen betretten, soll derselbig, dem sollich pferdt zustendig, sein gantze besoUdung dae-
duroh verwirkt haben unnd ime in der betzalung abgetzogen werden.
Item ess soll einem Spiesser, so vier unnd meher geruster unnd in der Musterung gut
gemachter pferdt haben wurt, ein Bueb, aber einem schützen kein Bueb gehalten werden.
Item ob unnder sollichen Reisigen einer oder meher kranck wurden, so vil die gerust
unnd ire zuvor gemusterte Rüstung unnd guete pferdt wie in der nechsten vorgehenden Mus-
terung noch haben, die sollen monatlich wie die gesunden in der Musterung passiert, der-
gleichen die gefangene, so ferr sie nach Kriegsgebrauch in unnserm dienst niedergeworffen,
underhallten, besoldet unnd betzallt werden. Doch sollen obgemelter Kranken ubermcssige
pferd unnd Harnische durch die Musterung gefuert unnd kein geferdt gebraucht werden.
Item Es soll auch sollichen Reisigen, so gemustert werden, von iren heusslichen won-
ungen auss bisa zur Musterung uff ein jedes gerusts Reisigs, in der Musterung zugelasscns
pferdt tag unnd nacht vier unnd zwaintzig Kreutzer gegeben werden. Desgleichen uff ein
jeden gcrusten in der Musterung gut gemachte wagen acht unnd viertzig Creutzer, für ir an-
ritth gellt betzallt werden, Unnd soll einem jedem drey tag zutziehen unnd an den vierten
still zu liegen erlaubt unnd eins jeden ziehenden tags drey meill zu reiten schuldig sein.
Item ess soll die besoUdung nach bescheener Musterung uff dem Musterplatz angeen
unnd alssbaldt uff die Hanndt ein gantzer monat soUdt gegeben unnd darnach allwegen monat-
lich einmall betzallt werden. Wo aber dass gellt von ungefhar funff, zehen oder funffzehen
tag verpliebe unnd nit gleich allda were, sollen sie gedult tragen unnd nicht dessweniger alles
das thun, dass Reisigen eherlichen Kriegsleuten wolansteet unnd als ob sie das gellt zu rechter
zeit empfangen hetten.
Item sollen auch dreissig tag für ein monat zu dienen schuldig sein unnd nit annderst
gerechent werden.
Item obgemelte antzall pferdt unnd Reisigen sambt irer zugehore sollen uns wider alle
unsere "Vheint niemants ausgenommen zu thienen schuldig unnd verpflicht sein.
Item sie sollen auch unns zwen Monat zu dhienen schweren. Doch allso, wan die zwen
bestimmbten Monat aus sein unnd wir ir lenger unnd mher begern oder notturfftig sein wur-
den, Sollen sie unns umb unqd in voriger besoUdung sich gebrauchen lassen unnd zu thienen
schuldig seiq.
22
Item wo die obgedachten Reisigen nach irem anritth innerhalb unnd vor ausgang zwcioi-
moniitcn gcurlaubt wurden, soll doch nicht destoweniger inen die zwen Monath unnd allso
volle besolldung ausgerichfc, vergnügt unnd betzallt werden.
Item wan wir sollicher Reisiger nit meher bedurfftig, Sonnder erlauben wurden, So soll
ess zu unnserm willen unnd gefallen steen, denselben ein ganntzen Monatsoldt oder dass ab-
rithgellt vom platz des erlaubs biss zu eins jeden orth, alda er angeritten, entrichten unnd
betzalen zu lassen wie den anrith. Doch soll sollicher Reuter oberster, der seinen abrith gellt
nach ferre dess wegs bey seiner pflicht zu übergeben schuldig sein, die betzalung dess abrits
daruflf zu empfahen haben unnd hierin in allwege kein geverde gebraucht werden.
Item sie sollen im an- unnd abzug auch sunst in keinerlei wege jemandt beschedigcn,
sonder jederman gutliehe betzalung thun, biss dass sie gegen den Vheinden zu velde liegen,
alsdan mugen sie die futherung suchen unnd gebrauchen.
Item so Oberste Veldhaubtleuth von den Vheinden niderlegen unnd von inen gefangen
unnd erobert wurden, Sollen dieselben mit irer person zu unsern oder unserer obersten Hann-
den gestelt werden, damit, so unnseror Oberster oder anndere einer oder mher niderliegen,
'■•e'^eneinannder erledigt wurden. "Wo aber ausserhalb der obgemelten andere personen ge-
fangen wurden, die mag ein jeder, der sy niderwurfft, schetzen unnd nach seinem gefallen
damit handien. Doch sollen dieselben gefangene von stundt an unns oder unnsern obersten
angetzaigt unnd sonnder unnser oder sein wissen unnd willen nit ledig geben werden.
Item Stet, Schlosser, Flecken, Dorffer unnd leuth, auch wass von grossem geschutz
unnd desselbigen zugehorungen Munition darin erobert wurde, sollen uns zustehen, volgen
unnd pleiben. Unnd sollen dieselbigen eroberten, gehuldigten unnd die utfgenomene Stet,
Schlosser, Flecken, Dorffer unnd leuth. Nachdem sie uffgenommen sein, aovil der erobert,
weiter nit geschedigt noch geprandschatzt werden. Aber alle annder gewonnene hab, so
preiss sein, soll inen pleiben unnd keiner den andern von seiner gewonnen hab verdringen.
Item Ein jeder soll sich nach unnsers obersten oder desselben Bevelehhabera gebieten
unnd bevelen mit iren leiben, pferden, Wagen unnd in alle anndere wege gehorsamlich halten,
sich willig zu unnd von den Vheinden in allen Sachen samblich unnd sonnderlich gebrauchen
lassen unnd ohne dess obersten oder desselben bevelhabers zulassen unnd erlauben mit iren
Fancn nach Rothweiss noch sunst in annder wege auss der Ordnung unnd dem legger nit
reiten noch die wagen fharn lassen, sonder ein jeder pleiben, wie er geordent unnd bescheiden
ist, unnd sich in allem dem wie ehrlichen getrcuwen Kriegsleuteu gegen iren herren unnd
Obersten zusteet unnd geburt, halten.
Item dieweil vielleicht allerhand Nation zu Ross unnd Fuess zusamen komen werden,
dernhalben umb sovil meher auss geringen Ursachen sich unndwill unnd zweyung zutragen
mag, soUichs zu vcrhueten, Soll kein Nation die andere einicherley Sachen halben mit werten
verursachen noch mit geberden schmehen, verkleinern oder schumpffiern. Sonder wo einiche
Nation gegen der andern einiche beschwerde hette, soll dasselbig nach Kriogsrecht erörtert
unnd ausgetragen werden.
Ess soll auch keiner dem anndern sein gefanngene oder gewonnen peuth mit gewallt
oder sunst nit entpfremden, Sonnder sollen sich irer Irrung unnd Uneinigkeit, so sich dern-
halben zutragen mochten, durch unnsern obersten entledigen unnd entscheiden lassen.
Unnd damit man der betzalung unnd Muntz halben kein irrung haben mugc, sollen je
funft-tzigen Batzen für ein guldin betzallt unnd ein goltguldin für achtzehen Batzen, ein sonnen-
kron für drcy unnd zwaintzig Batzen unnd ein italianische Krön für 22 Va batzen in der be-
tzalung angeschlagen unnd gerechnet werden.
Item Süll der Musterplatz zu Meintz sein unnd die Musterung auf den zwaintzigstcn
tag des Brachmonats gescheen unnd gehalten werden.
Unnd 80 sichs begebe, dass die Reuter nach dem zwaintzigstcn tag des Brachmonata
schierstkunftig utf dem Musterplatz, ehe sie gemustert, ctlich tag stillegen, So soll inen nichts
destoweniger dos tags wie im antzug sechs batzen betzallt unnd gegeben worden.
Du aber ainer oder meher sich diesser verordnungk nit halten unnd speter antzukommcn
sich bcHcissen wurden, den oder denselbigcn soll man dieselbigo tag zu geben nichts schul-
dig sein,
23
"Wurd sich aber der gemclt Mustertag weiter verhindern unnd erstrecken, so sollen die
Reuter nichtsdestoweniger wie im anreitten gchallten werden.
Item ess sollen die Reuter sich dieser verordung hallten unnd derselben sonnder cinich
clag nachkomen unangesehen, ob schon bey anndern Reutern andere bestallungen furgenomen
wurden.
Unnd soll diesse bestallung nit lenger dan zwen monath werben unnd dauren ; da man
aber der Reuter, wie obsteet, lenger bedurflFen wurde, sollen dieselben in jetzbestimbter be-
stallung ferner zu thienen schuldig sein.
Im fall auch dass Hochstgedachte Romische Kay. Mät. obbemelte antzall pferdt zu füren
abschreiben wurde, Soll ess mit denselben wie ess Ir Mät. mit Iren Reuttern hallten wurt,
auch gehalten werden.
Dess zu warem urkunt haben wir Wilhelm Grave zu Nassau-Catzenelenbogen diese be-
stallung mit eigner Hanndt underschrieben unnd uunser Secret heran thun trucken. Geben
uff den zweiten tag des Brachmonats 1547.
Conrad Oerlin von Wiesbaden.
Vou F. Otto.
Im Jahre 1488 schenkte Conradus Oerlin ex „pratinis termis" dem
Kloster Schönau das Buch: Sermones notabiles S. lohannis Chrysostomi Arch.
Const. de patientia in lob, de poenitentia in David et de virginitate. Er heisst
hier liberalium artium magiater eximiua. Mit den „pratinis termis" ist offen-
bar Wiesbaden gemeint.
Wir lernen also hier einen Wiesbadener des 14. Jahrhunderts kennen,
der gelehrte Bildung genossen und sogar die Würde eines Magister liberalium
artium erworben hatte. Da möchte man nun gern etwas mehr über den Mann
wissen; aber leider versagen die Quellen: weder findet sich der Name Oerlin
in den bis jetzt gedruckten Matrikeln der deutschen Universitäten noch unter
denen der Bürger der Stadt. Wir müssen uns also vor der Hand begnügen
ihn unter die etwa zehn Wiesbadener Studiosi des 14. Jahrhunderts, die wir
bis jetzt kennen, einzureihen.
■7,
Fürst Karl Wilhelm von Nassau-Usingen, 1775-1803.
Mitgeteilt von F. Otto.
Ein grosses Lob spendet der bekannte Staatsmann und Publicist F. E.
V. Moser in dem patriotischen Archive für Deutschland 11, 1785, S. 482 dem
Fürsten Karl Wilhelm von Nassau-Usingen. Es heisst dort: „Dieses würdigen
Fürsten besondere Vorzüge sind: die Unschuld seiner Sitten, eine Aufmerk-
samkeit über sich selbst, die sich soweit erstreckt, dass ihm kein unnützes
Wort entfährt; ein bedächtiges Schweigen, das Ehrfurcht einflösst, nicht be-
leidigt; eine Wohlthätigkeit, die er kaum weit genug ausdehnen zu können
glaubt; Gleichmütigkeit und Massigkeit, Nachsicht und Güte gegen Schwache,
Fehlende und Böse ; Gerechtigkeit, die nur mit Gnade straft, immer die Strenge
des Gesetzes mildernd; Weisheit und Christenmilde, keine Verleumdung noch
Afterrede anzuhören ; denn mit Lächeln, aber so sanft, dass er dem Schuldigen
Schamröte erspart, geht er zu anderem Gespräch klug hinüber; endlich herz-
gewinnende Leutseligkeit und eine Fröhhchkeit gegen jeden, die ungekünstelt
und treuherzig ist, unterwirft ihm, was sich ihm nähert. Es ist nicht Schmei-
chelei, sondern Wahrheit, die ihn lobt, aber nur von ihm ist er misskannt. Er
verabscheuet den leeren Hochmut und die Vorurteile, welche die Sterblichen
blenden und verderben, und weiss, dass uns alles von Gott komme, Weisheit,
wie Tugend, wie Glück."
Darunter setzte Moser die Worte: „Die Übereinstimmung des Originals
mit dieser Schilderung beurkundet und boscheiniget als Augenzeuge
P. E. v. Moser."
Eine noch überschwünglicherc Lobpreisung des Fürsten entwirft Ritter
in den Denkwürdigkeiten der Stadt Wiesbaden S. 39.
Georg August, Fürst zu Nassau-Idstciiij 1677-1721.
Von
C. Spiel mann.
Vorbemerkung. Die Jahre 1890 und 1891 sind für die beiden alt-
nassauischen Städte Idstein und Wiesbaden gewissermassen Jubiläumsjahre
gewesen. Vor zwei Jahrhunderten, 1690 und 1691, begann nämlich die Wieder-
erstehung jener Städte aus der Leidenszeit des grossen Krieges und deren
Folgen. Besonders rechnet sich von genannten Jahren ab der allmähliche,
nicht mehr gehinderte Aufschwung unserer nun weltbedeutenden Bäderstadt.
Der Fürst, unter dessen Regiment jene Erneuerung vor sich ging, Georg
August von Nassau-Idstein, als Kolonisator in der neueren nassauischen
Geschichte fast unerreicht, hat eine speziell selbständige biographische Behand-
lung noch nicht erfahren. Es war mir daher ein Bedürfnis, ihm bei Gelegen-
heit besagten Jubiläums, dessen Feier zwar nicht öffentlich war, dessen man
überhaupt fast vergass, ein dauerndes Gedenkblatt in den Annalen zu widmen.
Es ist geschehen nach den Akten des hiesigen König!. Staatsarchivs und des
Herzogl. Nassauischen Archivs zu Weilburg. Ich nehme hier Gelegenheit, den
Vorstehern beider Archive, dem Kgl. Staatsarchivar Herrn Archivrat Dr. Sauer
und dem Hzgl. Hof- und Archivrat Herrn Hölzgeu, für ihre bereitwillige
Unterstützung meinen wärmsten Dank auszusprechen. Wo ich bei der Arbeit
gedruckte Quellen benützte, ist dies vermerkt. Die zwei Urkunden, die An-
siedler-Privilegien betreffend, habe ich, obwohl sie bei Rizhaub (Idsteincr
Gymnasialprogramm von 1787) bereits abgedruckt sind, ihrer Wichtigkeit halber
auch hier aufnehmen zu müssen geglaubt. Der mir zu Gebote stehende sehr
reiche Stoff musste in der vorliegenden kurzgefassten Bearbeitung geboten
werden, die aber hoffentlich ein abgerundetes, den geehrten Leser erfreuendes
Lebensbild gewährt.
Der grosse Krieg von 1618 — 1648, welcher das Bestehen der nassauischeu
Herrschaften evangelischen Bekenntnisses schwer bedroht hatte, war zu Ende
gegangen. Die Grafen der walramischcn Linie waren durch den westfälischen
Frieden wieder in ihre Rechte eingesetzt worden und hatten ihre arg ver-
wüsteten Länder wieder erhalten. Da aber während der schweren Zeit der
26
\
Not zwei der Brüder, Söhne des Herren des Gesamthauses, Ludwigs von Weil-
Y bürg, gestorben waren, so nahmen die überlebenden zwei, Johannes zu Idstein
\ und Ernst Casimir zu Weilburg, in Gemeinschaft mit ihren drei saarbrückischen
/ \ Neffen eine neue Erbteilung vor. Leider konnten sie auf der zu Kirchheim
anberaumten Versammlung nicht übereinkommen, namentUch nicht wegen der
Verteilung der Gebiete, welche der Herzog Karl von Lothringen während des
Krieges an sich gerissen hatte und zumteil noch besetzt hielt. Es musste
also nach damaligem Brauche ein vom Kaiser bestellter Schiedsrichter in der
Angelegenheit entscheiden. Als solcher wurde Herzog Ernst der Fromme von
Sachsen-Gotha ernannt und ihm das Kommissarium übertragen. Auf dem
Schlosse Friedensstein bei Gotha versammelte der Herzog die Räte der Strei-
tenden, und auch des Grafen von Idstein ältester Sohn Gustav Adolf erschien.
Am 6./16. März 1651 kam der sogenannte „gothaische Recess" zustande,
einer jener Teilungsverträge, welche für längere Zeit wichtig und massgebend
für das nassauische Haus blieben. Die drei Hauptlinien: Idstein, Weilburg
und Saarbrücken wurden als solche bestätigt; letztere schied sich aber wieder
in drei Nebenlinien: Saarbrücken, Ottweiler und L'singen, sodass das Gebiet
des walramischen Astes nunmehr in fünf Teile zersplittert war. Die weiteren
Bestimmungen des Recesses folgen hier nur soweit sie auf Idstein Bezug haben.
Demnach sollte diese dem älteren Bruder Johannes zugefallene Grafschaft um-
fassen: die Herrschaften Idstein und Wiesbaden mit der Kellerei Sonnenberg,
die Amter Wehen und Burgschwalbach, den idsteinischen Teil des gemein-
schaftlichen Amtes Nassau mit dem Hause Scheuern^), dazu die Herrschaft
Lahr in der Ortenau und das herrschaftliche saarbrückische Haus in Strass-
burg, genannt „der Seidenfaden". Veranschlagt war dieser ganze Anteil zu
26 130 Gulden 4 Albus 6 Pfennigen und 1 Heller. Der saarbrückische Teil
hatte an Idstein hundert Gulden jährlicher Rente auszuzahlen, weil er mehr
als Idstein und Weilburg eintrug (an letzteres kamen zweihundert Gulden zur
Vergütung). Von den Ländern, die noch in fremdem Besitze waren, sollte
die Grafschaft Saarwerden zur Hälfte an Idstein kommen (zur andern an Weil-
burg). Ferner übernahm Idstein ein Drittel der gemeinsamen Reichs- und
Kreissteuern und der Unterhaltungskosten des Kammergerichtea. Die Schuld,
r
') Verzeichniss der Hochgräfl. Nassau-Itzstein. Linie Ämbter, der zugehörigen Städte
und ürtschafften diesseit Rheines. (Im Königl. Staatsarchiv zu Wiesbaden.) Itzstein, Wals-
dorff, Hefftrich, Walrabstein, Adolfseck, Neuhoff, Wörstorff, Janghoffen (?), Beuerbach, Becht-
heimb, Ketterschwalbach, Ernbach, Oberauroff, Niederauroff, Eschenhaan, Oberlibbach, Nieder-
jibbach, Hambach, Breithardt, Strintz Margarethä, Steckenroth, Görschroth, Kesselbach, Lim-
bach, Walbach, Strintz Trinitatis, Hennethal, Michelbach, Eisenkoben, Niederseelbach, Ober-
seelbach, Lentzhan, Niederhaussen, Engenhan, Königshoff, Dasbach, Esch, Bermbach, Oberroth,
Niederroth, Kröfftel, Oberembg, Wüstenembs, Niederembs, Echborn, Reichenbach, Finsternthal
(Sa. Itzstein. Ambts — 473; Wissbaden, Sonnenbcrg, Rambach, Nauort, Hessloch, Auringen,
Kloppheim, Birrstatt, Erbenheim, Mossbach vnd Biebrich, Schierstein, Dotzheim (Sa. Ambts
Wiesbaden — 17); Wehen, Orlen, Wingsbach, Born, Bloidcnstatt, Haan, Seitzenhaan (Sa.
Ambts Wehen — 7); . Burgschwalbach, Panroth, Dörstorff, Berghausen, Mudershausen (Sa.
Ambts Burgschwalbach — 5); Mühlen, Eisighotfen, Buch, Rettert, Weltert, Strütt, Lipporn
(zweihorrisch — 7).
27
welche auf den Ilorrscliafton Idstein und Lahr haftete, wurde von allen drei
Häusern gemeinsam übernommen. Unerledigt blieb die Frage wegen der Ver-
teilung der eingezogenen Metzer Lehen und der Beisteuer zu dem Idsteiner
(und Weilburger) Schlossbau aus der gemeinsamen Kasse. Die Bestimmungen
traten sofort in Kraft. Nur konnte der Besitz der vom Herzoge Karl von Loth-
ringen besetzten Gebietsteile selbst mit Unterstützung des Reiches für lange
Zeit nicht wiedererlangt werden. Ausserdem musste die Herrschaft Lahr, auf
der noch aus früheren Zeiten eine Schuld an Geroldseck lastete, an den Erben
des letzteren Hauses, den Markgrafen von Baden-Durlach, im Jahre 1659
pfandweise überlassen werden.
Graf Johannes von Nassau-Idstein, der sich mit Eifer der Wiederher-
stellung des Landeswohlstandes hingab, war zweimal vermählt. Seine erste
Gemahlin war Sibylle Magdalene von Baden-Durlach (geb. 1605, verm. 1620,
gest. 1644)} sie schenkte ihm neun Kinder, fünf Söhne und vier Töchter, von
denen die meisten jung, drei hoffnungsvolle Söhne in der Blüte der Jugend
vom Tode ereilt wurden, alle aber vor dem Vater starben. Zum zweitenmale
verehelichte sich Graf Johannes mit Anna von Leiningen-Dachsburg (geb. 1625,
verm. 1646, gest. 1668). Aus dieser Verbindung entsprangen sechzehn Kinder,
sieben Söhne und neun Töchter. Von diesen überlebten den Vater zwei
Töchter, Johannette, die Gemahlin des Fürsten Christian Ludwig von Waldeck,
und Dorothea Amalie, die Gemahlin des Grafen Ludwig Friedrich zu Wied-
Runkel, und ein Sohn. Dieser letztere wurde am 26. Februar 1665 geboren
•und von dem damals 62jährigen Vater Georg August Samuel genannt. Den
biblischen Namen Samuel = „erhört von Gott" hat der Greis dem Kinde
jedenfalls nicht umsonst gegeben. Ein halbes Jahr vor der Geburt des letz-
teren war der hoffnungsvolle 32jährige Erbprinz Gustav Adolf, der gleich seinem
grossen schwedischen Namensvetter ein heldischer Mann war, in der Türken-
schlacht bei St. Gotthardt an der Raab gefallen, den Sieg der Christen mit
seinem Leben bezahlend. Das Gebet des tiefgebeugten Vaters um Ersatz wurde
also erhört und ihm in seinem Alter noch ein Sohn geschenkt, der ihn beerben
sollte. Georg August selbst führt den Beinamen Samuel in seinen Briefen und
anderen Schriftstücken nicht, weshalb ich auch im weiteren ihn nur mit jenen
beiden ersten Namen bezeichnen werde.
Nach dem Tode seiner zweiten Gemahlin Anna (14. 24. Dez. 1668) machte
am 22./III. — 1. IV. 1669 Graf Johannes sein Testament. In diesem bestimmte
er, dass nach seinem Tode der Graf Friedrich von Weilburg, der ehedem sein
Mündel gewesen war, die Vormundschaft über seinen jungen Sohn übernehmen
sollte. Stürbe jener, dann sollte für ihn Graf Gustav Adolf von Saarbrücken
eintreten. Fünf Jahre später besann sich der alte Herr eines anderen. Er
scheint den beiden Verwandten nicht mehr recht getraut zu haben, trotzdem
er doch lange Zeit hindurch mit seinem Neffen von Weilburg auf sehr freund-
schaftlichem Fusse gestanden hatte. Ob er in der letzten Zeit Beweise davon
erhielt, dass die beiden zur Vormundschaft bestimmten Agnaten eigensüchtig
verfahren würden, ist nicht recht klar. Fest steht, dass Graf Johannes das
frühere Testament umstiess und in einem zweiten Testamente vom 12. 22. Nov.
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1674 zu Frankfurt zwei andere Yormüuder, die Grafen Johann Casimir von
Leiningenj^achsburg, Herrn zu Asprcmont, seinen Schwager, und Johann
August von Solms, Herrn zu Minzeuberg, Wildenfels und Sonnenwald ernannte,
denen als dritter, als tutor honorarius, Herzog Friedrich I. von Sachsen-Gotha,
Sohn Ernsts des Froramen, an die Seite gesetzt wurde. Graf Johannes glaubte,
dass diese Männer ihr Amt mit mehr Unparteilichkeit verwalten würden, und
er mag mit der Bestimmung umsomehr zufrieden gewesen sein, als er Fried-
rich von Weilburg noch vor sich sterben sah (und Gustav Adolf von Saar-
brücken überlebte den Oheim nicht lange). Am 13./23. Mai 1677 starb Graf
Johannes, 74 Jahre alt, am Marasmus auf dem Schlosse zu Idstein, und nun
brach ganz wider seine Berechnungen eine trübe Zeit über die Grafschaft
herein.
Ein Jahr nach des Yaters Tode (1678) wurde der nunmehr dreizehnjährige
Graf Georg August nach der Sitte damaliger Zeit auf Reisen geschickt. Der
Kiinzleidirektor Graff zu Idstein sorgte dafür, dass ihm die entsprechenden Be-
"•leiter beigegeben wurden. Als Erzieher walteten sein Sohn, der Licentiatus
Graff, der Graf Georg Heinrich von Boyneburgk-Langsfeld und der Rat Stap-
horst als Hofmeister; ausserdem reisten der Kammerdiener J. P. Heybach und
der Page von Bobenhausen mit. Heybach namentlich hatte sich der Gunst des
jungen Grafen besonders zu erfreuen und blieb auch in der Folgezeit stets um
seine Person. Er überlebte seinen Herrn und hat nach dessen Tode einen
kurzen „unterthänigsten Bericht" über die Reisen desselben abgegeben.^) Die
Reise ging zunächst nach Giessen auf die Universität, wo „der junge Herr" — -•
so lautet vielfach die Bezeichnung bei Graff u. a. — wahrscheinlich ein Jahr
sich aufhielt. Beim Eintritt ins Kolleg hielt er in Anwesenheit des dortigen
Adels, aller Professoren und Studenten seine lateinische Oration und ist dann
Rcctor Magnificentissimus geworden. Ein Jahr später (1679) ging Georg August
nach Strassburg. Wie lange er sich dort aufgehalten, ist Heybach „ohnbewusst",
indem er selbst, „um auf eingelegte Vocation nach Saarbrücken zum Hof-
meister des damaligen älteren Grafen Ludwig Kraft zu gehen und denselben
nach Frankreich zu begleiten, seinen Abschied nahm." Er hat im Jahre 1682
Georg August zu Paris seine Aufwartung gemacht, und verweist bezüglich
weiteren Berichtes auf den gewesenen (1721) Amtmann Graff zu Wiesbaden,
den damaligen Licentiaten, der mit auf Strassburg und Paris gereist sei und
von da weiter nach Angers und nach England und Holland. Man hatte den
Zeitpunkt für die Reisen ziemlich gut gewählt; denn gerade damals war durch
den Nymweger Frieden der zweite Raubkrieg beendigt worden und allenthalben
mehr Ruhe eingetreten. Der junge Graf wird also Zeit und Gelegenheit ge-
nug gehabt haben, sich Land und Leute in Frankreich, besonders das Leben
an dem glanzvollen Versailler Hofe genauer anzusehen. Hier hat er auch
wahrscheinlich die Baulust eingesogen, die er später in seinen verschiedenen
Residenzen bethätigtc." Dabei war er auch Zeuge der Schmach, die dem deutschen
Reiche durch den Raub der Reichsstadt Strassburg angcthan wurde, welche
'j Siehe Anliang No. 4.
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damals der „allerchriatlichste König" mitten im Frieden ungestraft wegnehmen
durfte (IG81).
Indessen sollte Georg August, jetzt 17 Jahre alt, unter den Feindseligkeiten,
welche zwischen den Yormündern Walrad von Usingen, der den verstorbenen
flrafen von Solms ersetzt hatte (s. w. u.), und Johann Casimir von Leiningen
herrschten, zu leiden haben. Oraf Walrad befand sich im Jahre 1<)82 als
niederländischer General zu Bergen op Zoom, von welcher Festung er Gouverneur
war. Im September dieses Jahres kam Georg August mit seinen Begleitern
von England herüber nach dem Brabantischen, wo er sich eine Zeitlang auf-
hielt; namentlich gefiel es ihm in Antwerpen. In einem Briefe von dort an
Walrad schreibt er von dem Eindruck, den die gewaltige Handelsstadt auf ihn
gemacht, dass er namentlich alle Bauwerke sich angesehen habe, den Hafen und
die Citadelle, und noch die Jesuitenkirche besichtigen wolle (26./IX.— 5./X. 1G82).
Zugleich spricht er dem „Herrn Vetter" seinen Dank für alle Gutthaten aus,
insonderheit für die Kutschen, die er ihm zur Erleichterung der Reise gesandt
hatte. Graf Walrad zeigte sich sehr besorgt um seinen Schützling; er lud ihn
herzlichst ein, ihn im Lager zu Bergen op Zoom zu besuchen, von wo aus er
nördlich reisen und Holland sehen könne. Georg August reiste auch nach Bergen
ab; doch hatte Walrad sich kurz zuvor in Dienstangelegenheiten nach dem
Haag begeben müssen. So wandte sich der junge Graf nach Brüssel, von wo
aus er nach Flandern reisen wollte, um namentlich Gent zu besichtigen. Da
ging aber ihm und seinen Begleitern das Geld au8. Sowohl Georg August
als sein Gouverneur Boyneburgk teilten dies unterm 6./ 16. November dem Grafen
Walrad mit. Wegen Mangels an Geld und wegen des schlechten Wetters
hätten sie die flandrische Reise aufgegeben und wollten eigentlich dem Grafen
im Haag aufwarten; aber der Herr Graf von Leiningen wünsche, dass mau
auf Löwen und Mastricht reisen solle und wolle das Geld dazu schicken. Walrad,
der seinen Vetter gar zu gern gesehen und ebenso gern denselben auch über
das Benehmen Leiningens aufgeklärt (s. w. u.) hätte, sah wohl nicht mit I^n-
recht in dem Wunsche des letzteren das Bestreben, den jungen Idsteiner von
ihm fern zu halten.
Am 10./20. November schrieb er daher sowohl an Boyneburgk wie an
Georg August, sie hätten ihm wegen der Geldverlegenheiten doch nur früher
schreiben sollen, dann würde er ihnen sofort die nötige Summe zugestellt haben.
Leiningen intriguiere gegen ihn. Sie möchten doch sogleich kommen. Er habe
seinen Banquier de Foulion zu Brüssel angewiesen, die nötigen Summenaus-
zuzahlen — „S3 veel Sij tot de reyse heerwarts sal noodig hebben" heisst es
in der betreff'enden Anweisung. Die Sprache Walrads wurde gegen den Schluss
der Schreiben derb, und er redete gar von „Ungehorsamb". dessen sich sein
Mündel gegen ihn schuldig machen würde, falls er nicht vor ihm erscheine.
Auch an den Licentiaten Graff schrieb Walrad; dieser sollte das Geld bei Foullon
erheben. Graff war in Brüssel zurückgeblieben, während Georg August mit
Boyneburgk — Staphorst scheint nicht mehr Begleiter gewesen zu sein — auf
Mastricht weitergereist war. Dort erreichte ihn Graff mit Walrads Briefen.
Der junge Graf schrieb dem Vetter hierauf, dass er an einem „dritten Orte**
30
80 lange bleiben wolle, bis sich die Herren Vormünder geeinigt hätten. Darauf
folgte seitens Walrads ein noch schärferer Befehl nach dem Haag zu kommen.
Freilich musste der Graf von Usingen bald darauf durch Grafl' von Antwerpen
aus hören, dass sein Schützling, statt wie er dem Lioentiaten versichert hatte,
in einer holländischen Stadt die Entscheidung der beiden Vormünder abzuwarten,
nach — Strassburg abgereist sei. Unter diesen Umständen hatte GrafF den
Brief an FouUon zurückbehalten. Dass Graf Walrad über die Eigenmächtigkeit
seines Mündels in Zorn geriet, lässt sich denken; denn der rjunge Herr" hatte
durch seine Abreise nach Strassburg, also in Leiningens Nähe, die Hinneigung
zu letzterem deutlich bekundet. Der Leininger wusste im Gegensatze zu dem
offenen und derben Usinger dem Pflegebefohlenen fein und freundlich zu reden ;
ausserdem war er auch sein Onkel, seiner Mutter Bruder. Aber mit der Geld-
sendung hatte es seine eigentümliche Bewandtnis. Unterm 11./21. November
schrieben die Räte Graff, Schröder und Schmidtborn von Idstein aus an Walrad,
dass der Graf von Leiningen befohlen habe, Geld für die weitere Reise ihres
Herrn zu beschaffen ; sie fügten aber hinzu, dass die Kammer keins verwilligen
werde. Sicher hat Leiningen das Geld für Georg August nur vorgeschossen
und gedachte sich an den Idsteiner Einkünften dafür schadlos zu halten. Von
Idstein aus ging durch Graff am selben Tage ein Brief an den „jungen Herrn"
ab, in welchem demselben über Leiningens Betragen die Augen geöffnet werden
sollten. Der Graf wurde gebeten nach Hause zu kommen, „um des Landes
willen" ; man wollte ihm entgegenreisen und ihn abholen. Inzwischen schrieben
am 13./23. November sowohl Georg August wie Boyneburgk an Walrad von
Usingen, dass sie in Strassburg angekommen seien, als an einem dritten neu-
tralen Orte, und dass sie hier das Weitere abwarten wollten. Schärfer antwortete
der junge Graf dem Kanzleidirektor nach Idstein — vielleicht nach einem kurz
vorhergegangenen Zusammentreffen mit seinem Oheim — am 17./27. November.
Er habe das Geld von Leiningen angenommen und sei entschlossen seine Reise
fortzusetzen. y,Ne croyez pas que je vienne encore dans un an chez vous",
schliesst der französisch geschriebene Brief. Da aber gebrauchten die Räte
zu Idstein alle ihnen zu Gebote stehende Energie. Schmidtborn schrieb unterm
25./XI. — 5./Xn. an den Grafen von Usingen, dass es gefahrlich sei, den „jungen
Herrn" in der Nähe Leiningens zu lassen, denn dieser wollte ihn mit einer
Prinzessin von Pfalz-Birkenfeld verheiraten. Der „Herr" zeige zwar keine
Neigung; aber Leiningen habe einen grossen Einfluss auf ihn. Schliesslich
bat Schmidtborn den Grafen, selbst aus dem Haag nach Usingen zu kommen.
Plötzlich änderte nun auch Georg August, unbekannt aus welchen Gründen,
seine Ansicht und traf mit Boyneburgk am 14./24. Dezember 1682 in Idstein
ein. Am folgenden Tage entschuldigte er sich gegen Walrad, der unterdes
in Usingen angelangt war, dass er sich ihm wegen Hustens noch nicht vor-
stellen könne; auch Boyneburgk suchte sein seitheriges Benehmen zu recht-
fertigen. Walrad Hess, feinfühlend, alle Ausreden gelten und bat seinen Vetter,
ihn in Frankfurt, wohin er Geschäfte halber reisen musste, zu treffen. Die
Zusammenkunft und Versöhnung fand denn auch statt, Ende 1G82 oder An-
fangs 1083.
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Ein Glück war es, dass in den bewegten Zeiten die eigentliche Leitung
der Geschäfte in der Hand eines tüchtigen idsteinischen Beamten lag. Es war
dies der mehrerwähnte Johann Georg Graff, der von Graf Johannes im
Jahre 1675 zum Kanzleidirektor ernannt worden war. Als solcher vereinigte
er in seiner Person das oberste Justiz- und Verwaltungsamt. Er erscheint als
ein energischer, vielfach geradezu rücksichtsloser Mann, der aber die idsteini-
schen Hausinteressen in dem Wirrwarr der damaligen Zeit mit solchem Nach-
<lruck verfocht, dass es ihm hauptsächlich zu verdanken ist, dass der junge
Graf ungestört seine Regierung antreten konnte. Drei Jahre lang nach Jo-
hannes' Tode gingen die vormundschaftlichen Angelegenheiten ziemlich geordnet
weiter. Da starb im Jahre 1680 Johann August von Solms, der zweite Vor-
mund, und der Graf von Leiningen übernahm die alleinige Kuratel. Damit
waren indessen die saarbrückischen Agnaten nicht einverstanden. Wenn sie
schon wegen ihrer Ausschliessung im Testamente von 1674 grollten, so be-
standen sie nun umsomehr auf der Forderung Mitvormünder zu werden. Johann
Ludwig von Ottweiler, der schon Vormund über den jungen Grafen von Weil-
burg war, erklärte sich damit einverstanden, dass sein Bruder Walrad von
Usingen die Bewerbung um die Mitvormundschaft über Georg August am
Reichskammergerichte zu Speyer einreichte. Der Graf von Leiningen dagegen
suchte dem zuvorzukommen, indem er am 13./ 23. Juni 1681 für sein Mündel
beim Reichshofrate die Erteilung der venia aetatis eventualis beantragte. In
der Zwischenzeit scheinen sich Leiningens Beamte, welche auf dem Schlosse
zu Idstein nach dem Abgange der solmsischen allein schalteten, grosse Will-'
kürlichkeiten haben zu schulden kommen lassen. Die Schultheissen der Amter
und andere Beamten, die sich deshalb bei den Agnaten beschwert hatten, waren
mit hohen Geldstrafen zu 100, 60, 50 Thalern belegt worden. Sie scheinen an
den saarbrückischen Grafen eine Stütze gefunden zu haben; denn Leiningen
erzürnte sich über die letzteren derart, -dass er beim Reichskammergerichte
geradezu den Ausschluss der Agnaten von der Vormundschaft beantragte. Das
Gericht aber dachte anders. Nicht weniger als viermal wies es den Antrag
des Grafen ab und forderte ihn sogar auf, selbst einen Mitvormund aus den
Agnaten zu ernennen. Am kaiserlichen Hofe schien man eine vermittelnde
Stellung einzunehmen; aber das Reichskammergericht störte sich nicht daran.
Am 6./ 16. Januar 1682 verfügte ein Extra- Judiciat-Dekret die Bestallung des
Grafen Walrad an Stelle des Grafen von Solms als Mitvormund über den
Grafen von Idstein, allerdings mit dem Vorbehalt, „dass er die Administration,
Aufsicht und Verwaltung aller zwischen ihm und dem Minderjährigen vor-
schwebenden oder inskünftig sich ereignende Rechtfertigungen, Differentien und
Strittigkeiten mit Separierung und Verschliessung aller hierzu gehörigen Brief-
schaften, Dokumenten und Urkunden dem Herren Mitvormund allein überlasse,
auch hierinnen für des Herren Pupillen Maiorennität und Endigung der Vor-
mundschaft zu dessen Nachteil weder durch sich noch durch andere direkt oder
indirekt nichts vornehme." Die Konfirmation dieser Urkunde erfolgte am
29./n.— lO./IIL 1682 durch den Kaiser. Entkräftet schien der Beschluss durch
den Entacheid des Reichshofrates vom 15./25. Januar 1682, dass die von dem
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Graten von Leiaiugea uaeligesuchte Erteilung der venia aetatis eventualis
für den Grafen Georg August verwilligt und dass der letztere nach dieses
seines Vormundes Ableben sofort als raaiorenn anzusehen sei. Doch wurde
Herzog Friedrich I. von Gotha als tutor honorarius bestätigt. Die Erklärung
der Mitvormundschaft Walrads hatte zur Folge, dass auf dem Schlosse zu Id-
stein sofort usingische Beamte einzogen, welche am 30. u. 31. März (a. St.)
von dem usingischen Rate Schröder für den Grafen Walrad neu vereidigt
wurden. Der leiningische Abgeordnete hatte dies zu hindern versucht. Er
wollte die Unterthanen aufwiegeln, die idsteinischen Beamten in Arrest halten;
er Hess Plakate an den Thoren anbringen, dass sich niemand gelüsten lassen
sollte „selbigen tags zur Stadt herein zu gehen, sondern sobalt umbkehren und
sich nach Hausa begeben." Die Usinger rissen aber die Plakate herunter,
und nun wurden alle Kanzleiräte, Amtleute, Landbediente, der Superintendent
und die Geistlichen, alle Schultheissen, Hof bediente, Förster und Jäger in
Pflicht genommen. Der Direktor Graff, dem die Neuvereidigung für einen
fremden Herren sehr empfindlich war, bat um Erlass des Eides, worauf Schröder
sich mit einem Handgelöbnis begnügte. Der leiningische Abgeordnete sandte
einen Kurier an seinen Herrn ab, empfing aber den Befehl sich zu wider-
setzen zu spät. Fortan ergriff Graff wieder stramm die Zügel der Regierung ;
Schröder als Sekretär blieb seine rechte Hand, und die beiden anderen Stützen
bildeten der Amtmann von Idstein, Plebanus, und der usingische Rat Schmidt-
born. Diese Männer unterhielten steten brieflichen Verkehr mit dem Grafen
Walrad, der damals, wie wir wissen, im Haag oder in Bergen op Zoom weilte.
Leiningens Intriguen dauerten indessen fort. Walrad erachtete es für
notwendig am 9.'19. Juli 1682 seine Räte zu ermahnen, seine Rechte aufs
strengste zu wahren. Die Zustände müssen nachgerade unhaltbar geworden
sein, sodass die Ober- und Landschultheissen zu Idstein, Wiesbaden, Nassau,
Burgschwalbach und Wehen an den Grafen Walrad ein Gesuch richteten, er
möge veranlassen, „dass umb Gottes und der dringenden Noth willen ihr von
Gott bescheerter alleiniger Landesherr fordersambst ins Land hineingelassen
. undt mithin grösserer Beschwernuss abgethan werde." Der Graf von Leiningen
hatte ihre Klagen über die Übergriffe seiner Beamten ungnädig abgewiesen.
Dies und anderes mögen den Grafen von Usingen zu der Überzeugung gebracht
haben, es sei besser, um den jungen Vetter dem Einflüsse Leiningens zu ent-
ziehen, die Erteilung der unbedingten Grossjährigkeit für denselben beim Reichs-
hofrate zu beantragen. Gütliche Auseinandersetzungen mit Leiningen waren nicht
zu erwarten, das ersieht man aus einem Briefe Walrads an den Fürsten von
Waldeck, in welchem es heisst, „der Leininger verweigere die vertrauliche
Korrespondenz, in Güte sei mit ihm nichts auszurichten, er wolle die venia
aetatis omni modo verhindern, so möge sich doch der Fürst beim kaiserlichen
Hofe verwenden, damit die venia aetatis pure und ohne condition erlangt werden
könne." Die gleiche Bitte war an den Agenten beim Reichshofrate, Persius,
ergangen, seitens des FürÄtöB und seitens der Regierung von Idstein, von letzterer
am 9./ 19. Nov. 1683. Die Angelegenheit verschleppte sich, bis am 3. März
(n. St.) 1G84 der junge Graf Georg August selbst ein Schreiben direkt au den
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Kaiser richtete, vielleicht auf Ermunterung Walrads hin. In demselben heisst
es, dass die Vormundschaft 1682 strittig gewesen, weshalb im Falle des Todes
des Grafen von Leiningen die venia aetatis eventualis erteilt worden sei. Er,
Georg August, habe verhofft, dass alle Misshelligkeiten dadurch aufgehoben
seien. Nach seiner Rückkehr von der Reise fände er nun die Vormundschaft
noch vor, „worauss anders nichts als schädlich confusiones bei deren längeren
continuation abzusehen." Deshalb habe er bei dem kaiserlichen Hofe ein
Memorial abgegeben. Er glaube, dass er nach Zurücklegung des 20. Lebensjahres,
obwohl er „ohne Ruhm zu erndten, denen studiis und andteren Standesmässigen
Stücken also obgelegen, die Landtsregierung mit seiner und seiner Unterthanen
grösserem Vortheil und Nutzen durch göttlichen Beystand selbsten zu führen sich
getraue."* Seines Hauses Agnaten und Vormünder hätten „auch die Declaration
gegeben, dass sie ihn vor tüchtig erachteten.'' Darum bitte er um die venia
aetatis, „pure und absolute". Darauf erfolgte das Maiorennitätspatent, datiert
vom 3. April (n. St.) 1684, erlassen durch Kaiser Leopold auf dem Schlosse
zu Linz. Der Kaiser Hess dem „Grafen Johann Casimir von Leiningen und
Dagsburg, Herrn zu Appermont" mitteilen, dass, „nachdem auf seinen unter-
thänigsten Anruf und Bitte und fürgebrachte erhöbliche Motive und Ursachen"
die venia eventualis aetatis am 25. Januar 1682 angefangen, nunmehr, da Vol-
rad (Walrad) von Usingen gebeten, die absoluta venia aetatis verliehen sei,
also dass der Graf zu Idstein „nun wirklich maiorennis seyn und sich aller Frey-
heits-, rechts- und gutthats freuen und gebrauchen solle und möge, die denen
maiorennibus von rechtswegen zukommen und gegönnet werden, ohne männig-
lichen Einti'ag und Verhindernuss." Alle Räte seien dergestalt ihrer vormund-
schaftlichen Pflicht entlassen. Am selben Tage ging ein Schreiben gleichen
Inhalts an Georg August ab. Der kaiserliche Rat Persius beglückwünschte
den letzteren am 5./ 15. April zu seinem Erfolge, worauf am 8./18. ein artiges
Dankschreiben des jungen Grafen abging. An diesem Tage gratulierte auch
der Graf von Leiningen mit sauersüsser Miene brieflich seinem „freundlich
geliebten Vetter" und ermahnte ihn, „dass er bei seinen Regierungshandlungen
sich mit einem dritten unparteiischen und verständigen Manne sorgfaltig weiter
überlegen möge, weilen Übereilung Ew. Liebden nicht geringes desavantage
bringen möchte." Er (Leiningen) hätte sich der Erlangung der venia aetatis
nicht widersetzt, „wenn es nur gebührend an ihn vorgebracht und nicht hinter
seinem Rücken expracticieret worden wäre, dass man ihn zum consens gleich-
sam forcieret habe". Er habe verhofft, „seiner Sorgfalt besser belohnet zu werden."
Die idsteinischen und usingischen Räte atmeten auf. Am 12./22. Januar
1684 hatte Graff noch eine^ Schrift an den Grafen Walrad abgehen lassen, in
welcher er seine Waltung gegen Leiningens Anschuldigungen verteidigte. Am
17./27. Juni 1684 fand auf dem Idsteiner Schlosse grosse Huldigung statt,
über welche die Räte Schröder und Schmidtborn an ihren Herren, den Grafen
Walrad, berichteten. ^Achthundert Beamte, geisthche und weltliche, aus den
Amtern Idstein und Burgschwalbach schwuren; Sekretär Joss wurde zum ge-
heimen und Kanzleirat ernannt. Nach dem Aktus war gemeinsames Festessen.
Am folgenden Tage begab sich der junge Graf mit allen Anwesenden nach
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Wiesbaden, um dort die Huldigung aus den anderen Landesteilen zu empfangen.
Graf "Walrad gratulierte am 3./ 13. Juli dem Vetter und dem Kanzleidirektor.
Neunzehn Jahrejind vier Monate war Georg August alt, als er die Regierung
übernahm, unter Beihilfe des bisherigen Leiters der Geschäfte, des Kanzlei-
direktors Graff.
Der junge Regent zeigte bald Spuren von Thatkraft; das geht aus dem
Erlasse vom 21./31. Januar 1685 über die Stadterweiterung von Idstein hervor,
dessen wir weiter unten ausführlicher gedenken werden. Derselbe giebt seiner
landesväterlichen Fürsorge, die ihn von Anfang an beseelte, das schönste Zeugnis.
Auch seine Teilnahme am Türkenkriege in demselben Jahre, auf die wir noch
zurückkommen, bezeugt seine Energie. Den äusseren Glanz seines alten Hauses
gedachte er zu erhöhen, indem er bei allen Agnaten die Erneuerung der fürst-
lichen Würde des Hauses Nassau durch den Kaiser in Vorschlag brachte. Die
Grafen von Ottweiler und Saarbrücken lehnten denselben jedoch ab; denn die
Sache war ihnen zu kostspielig. Aus demselben Grunde erklärte Johann Ernst
von Weilburg, man möge ihm drei Jahre Zeit lassen, damit er sich besinnen
könne, ob er die Fürstenwürde annehmen und zu den gemeinschaftlichen Kosten
beitragen solle oder nicht. Endlich vereinigten sich Idstein, Usingen und
Weilburg zu dem Antrage. Sechstausend Reichsthaler aus dem Rüdesheimer
Weinzehnten sollten zur Begleichung der gemeinsamen Kosten dienen. Wieder-
holt wurde das Gesuch am Wiener Hofe vorgebracht und endlich vom Kaiser
bewilligt. Am 4. August (n. St.) 1688 wurden drei Urkunden ausgestellt, welche
Georg August, Walrad und Johann Ernst die den nassauischen Grafen von
Kaiser Karl IV. im Jahre 1366 verliehene, bisher nicht geführte fürstliche
Würde erblich bestätigten. Eine Klausel bezüglich Johann Ernsts besagte, dass
dieser, auch wenn er sich des Fürstentitels nicht bediene, dennoch sein Recht
auf denselben behalten solle. Jetzt aber kam das Unvorhergesehene. Statt
6000. Thaler kosteten die drei Urkunden noch einmal soviel und noch mehr,
nämlich 21465 Gulden. Sobald Johann Ernst von Weilburg davon hörte, stand
er sofort ab und erklärte, seinesteils nicht zu den Kosten beitragen zu wollen.
Doch machte er von seinem Rechte Gebrauch, das ihm in der Klausel zuge-
standen war. Georg August von Idstein und Walrad von Usingen, die von
nun ab sich „Fürsten" nannten, mussten gute Miene zum bösen Spiele machen.
Nicht nur, dass sie die Kosten allein zu tragen hatten; sie sahen sich auch
genötigt, dem Weilburger den dritten Teil der 6000 Thaler herauszuzahlen.
Dafür aber behielt man in Usingen die Urkunde für Weilburg zurück. Johann
Ernst hat den Titel „Fürst" nie geführt; erst sein Sohn und Nachfolger Karl
August hat ihn angenommen.
In dem durch schwere Kriegsläufte bewegten Jahre 1688, dessen wir noch
gedenken werden, schritt der nunmehr dreiundzwanzigjährige Fürst Georg
August zur Ehe. Wie wir wissen, hatte sein Oheim, der Graf von Leiningen,
vor, ihn an eine Prinzessin von Pfalz-Birkenfeld zu verheiraten, wahrscheinlich
an eine der Töchter des Pfalzgrafen Karl Otto. Der junge Graf ging nicht
darauf ein. Seine Erwählte war Henriette Dorothea, Tochter des Fürsten
Albrecht Ernst von Ottingen (geb. 14.; 24. Februar 1672). Die Vermählung
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fand am 12./22. September 1688 statt; die Ehe ist bis zum Lebensende des
Fürsten glücklich gewesen. Über die aus ihr entsprungenen Nachkommen
weiter unten.
Wenden wir uns nun zur Betrachtung der Teilnahme des Grafen, bezw.
Fürsten an den politischen Ereignissen seiner Zeit.
Um die Zeit, als der Streit der beiden Grafen um die Vormundschaft
über den „jungen Herren" von Idstein aufs heftigste entbrannt war, wurden
die Augen der europäischen Christenheit auf eine furchtbare Gefahr gelenkt,
die ihr von dem Erbfeinde, den islamitischen Osmanen, drohte.^) Gerade beim
Beginne der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erreichte die Türkenmacht
ihre weiteste Ausdehnung und ihre Höhe unter der Herrschaft des Padischah
Muhamed IV, (1648 — 1687). Der Sultan selbst zeigte zwar nicht die min-
deste Thatkraft und kam den kraftvollen seiner Vorgänger nicht gleich; die
Jagd war sein ganzes Sinnen und Trachten, Desto nachdrücklicher vertraten
des Reiches Interessen die Grosswesire, namentlich die gewaltigen Männer
Muhamed und Achmed Köprili. Der erstere, im Jahre 1656 zur Reichs-
ministerstelle berufen, ein 7 5 jähriger Greis, war es, der den schon wankenden
Thron des Beherrschers der Gläubigen noch einmal mit kräftigen Stützen ver-
sah. Die Kabalen des Harem und der Grosswürdenträger verstand er zu
durchkreuzen und die Übermacht der Kriegerkaste der Janitscharen zu brechen.
Diese modernen Prätorianer schienen während der Minderjährigkeit des Sultans
geradezu darauf auszugehen, das Reich in eine Kriegerrepublik umzuwandeln.
Dem neuen Grosswesir gelang die Erneuerung der Autorität der Nachfolger
Osmans gründlich, weil er mit gewaltthätiger, blutiger Strenge jeden "Wider-
stand niederzwang. Selten hat es einen blutdürstigeren Wüterich gegeben als
den ersten Köprili, der bedachtsam, aber systematisch die Rebellenköpfe zu
den Füssen seines Herrn rollte. Aber er machte damit dem Parteigetriebe in
Stambul ein Ende und schuf die Möglichkeit, die Macht des Reiches nach
aussen zu erweitern. Dieses letztere Werk nahm sein ihm ungleicher, grös-
serer Sohn Achmed in die Hand, ein aufgeklärter, toleranter, wissenschaftlich
und kriegstechnisch gebildeter und verhältnismässig humaner Mann. Unter ihm
stieg die osmanische Macht in den drei Erdteilen bis zum Gipfel. Das Ziel,
das sich dieser Köprili gesteckt hatte, war kein geringeres als das, sämtliche
Kriege, die er von seinem Vorfahren überkommen hatte, bis zur Unterwerfung
der Gegner zu führen.
So begannen denn Roaaschweif und Koran den Kampf gegen das Kreuz
auf dem schwankenden Gefilde des Griechenmeeres gegen die seemächtigen
Venezianer, wie in den weiten sarmatischen Steppen des Ostens gegen die
Russen und Polen und in den kroatischen , und steirischen Bergländern gegen
(Österreich. Romanismus, Germanen- und Slawentum waren durch den Sturm
des IsJajäiJjedroht. Mit dem Aufgebot aller Kräfte widerstand die deutsche
Reichswehr dem Anfalle der Moslemen in der Schlacht bei Sankt Gotthardt an
') Das Folgende frei nach Hammer, Zinkeisen, Ranke (Die Osmanen und die
spanische Monarchie) und dem Theatrura Europaeum X — XIII.
3*
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der Raab (1664). Hier, wo Georg Augusts älterer Bruder fiel (s. o.), errangen
die Christen zum erstenmale einen Sieg im offenen Felde über die Türken.
Nutzen brachte derselbe aber nur insofero, als der Grosswesir einen zwanzig-
jährigen Waffensrillstand gewährte. Achmed blieb im Besitze des von ihm
Eroberten, namentlich der starken Festung Neuhäusel, die er zu einem noch
bedeutenderen Bollwerke umschuf, um ein stets offenstehendes Ausfallsthor
gegen das römisch -deutsche Reich zu haben. Völlig siegreich war Köprili
gegen die Venezianer. Als nach langer, furchtbarer Belagerung das helden-
mütig verteidigte Candia in seine Hände fiel, da war der Riegel vor der Thür
zur Herrschaft der Osmanen im Ostbecken des Mittelmeeres weggeschlagen
(1669). Und auch der slawische Osten fühlte die Schläge des sieghaften mos-
lemischen Reichsverwesers. Es war die Tapferkeit und der Mannesmut des
grossen polnischen Krongrossfeldherrn (später Königs) Johann Sobieski nötig,
um es zu erreichen, dass die Länder an der Weichsel nicht von den Os-
manen dauernd behauptet wurden. Die Tage von Lemberg und Chocim ver-
hinderten dies; aber das wichtige Camieniec und ganz Podolien blieb in der
Gewalt der Türken, ungeachtet die Zehntausende der aus den Gebieten des
Don, Dnjepr und Bug fortgeschleppten Sklaven. Camieniec sollte im Osten
demselben Zwecke dienen wie Neuhäusel im Westen. Dort waren auch die
Russen niedergehalten und die republikanischen Kosaken und der Khan der
krimischen Tataren der Oberhoheit des Grossherrn aufs neue unterstellt worden.
Mitten im Siegeslaufe, nachdem er noch die Huldigungen von Gesandt-
schaften aus aller christlichen Herren Ländern, svelche dem Sultan in Starabul
dargebracht wurden, erlebt hatte, wurde Achmed Köprili plötzlich durch die
Stimme des Weltenschicksals abberufen. Der Erbe seiner Stellung und seiner
Pläne ward sein Nachfolger, sein Schwager Kara Mustafa, d. h. der schwarze
Mustafa. Nach neuen Siegen im Osten begann dieser den Ansturm auf das
Herz Europas, auf das deutsche Land, unterstützt von der magyarischen Re-
bellion. Der Welt wurde es klar, was auf dem Spiele stand, als der Türke
im Frühjahre 1G83 seine Hunderttausende fast ohne Widerstand zu finden zur
Belagerung Wiens heranwälzte : Christentum und Kultur I Welche Spannung
damals I Wer wird siegen im Entscheidungskampfe ? Die Weltgeschichte hat
es verzeichnet. Das tapfere Wien, der Heldenmut deutscher Bürgerschaft hat
der Unfähigkeit des erbfeindlichen Feldherrn und der Wut der Weltstürmer
so lange widerstanden bis die germanische und slawische Kriegsmacht geeint
den Eroberungsstrom der Osmanen in seinem Bette zurückdrängen konnte. Die
Schlachten von Wien und Parkany geboten ihm Halt.
Nun rüstete man sich im deutschen Reiche zum energischen Benützen
der errungenen Siege. Zum erstenmale wurde im Jahre 1684 der Angriffs-
krieg gegen die Türken unternommen. Den Oberbefehl über das kaiserliche
und Reichsheer erhielt der Herzog Karl von Lothringen; der bayerische,
schwäbische und fränkische Kreis, sowie die Herzöge von Celle und Lüneburg
Hessen ihre Kontingente nach Ungarn abrücken. Doch kamen die meisten
Hilfsvölker erst mit Beginn des nächsten Jahres an. Inzwischen hatte Kaiser
Leopold mit den Republiken Polen und Venedig die sogenannte Tripel-Allianz
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wider die Türken geschlossen, und letztere wurden also von drei Seiten ange-
griffen. Die Fortschritte de8 Herzogs von Lothringen waren anfangs bedeutend.
Er nahm Wischegrad ein, siegte glänzend bei Waitzen (1. Juli n, St.) und
eroberte diese Stadt sowie Pest und Verowitz, worauf er die Belagerung von
Ofen, des Hauptbollwerkes der Türkenmacht in Ungarn, begann (14. Juli n. St.).
Nun aber entfaltete der neue Seraskier (Generalissimus der Türken) Ibrahim,
Scheitan (der Teufel) genannt, der den wegen seiner Niederlagen erdrosselten
Kara Mustafa im Felde ersetzte, eine solche Thätigkeit, dass nicht nur die
schon glücklich weit vorgeschrittene Belagerung Ofens aufgehoben, sondern
auch Waitzen wieder aufgegeben werden musste. Erst im Frühjahre 1685,
als das kaiserhche Heer verstärkt worden war und der grössere Zuzug aus
dem Reich begann, konnte man wieder an ein Vorgehen denken. Jetzt erhielt
der Herzog von Lothringen den Titel Generallieutenant. Unter ihm befehligte
der Reichsgeneral, Generalfeldmarschall Fürst Georg Friedrich von Waldeck,
mit dem Herzoge von Croy, dem Prinzen von Pfalz-Neuburg und den Grafen
de Souches und Scharffenberg die Infanterie. Die Kavallerie stand unter den Be-
fehlen des Generalfeldmarschalls Grafen Caprara, dem der Markgraf von Baden,
die Grafen von Lodron, Taffe, Palfy, Dunewald, Styrum und der Baron von
Mercy untergeben waren. Obrist Brenner war der Artillerie vorgesetzt. Die
Armee richtete ihre Absicht auf das wichtige Neuhäusel, das von etwa 5000
Mann verteidigt wurde. Ohne dessen Besitz, das fühlte man, war der Haupt-
stadt Ofen nicht ernstlich beizukommen. Die Festung, an der Neutra gelegen,
wurde vorerst eingeschlossen und ihr die Zufuhr abgeschnitten. Es besorgte
dies der kühne Reiteroberst Heissler, die „Türkengeissel" genannt, weil er
unermüdlich in Angriffen und Überfallen war und den Feinden vielen Schaden
zufügte. Alle Ausfalle der Besatzung wurden zurückgewiesen, die Verprovian-
tierungsversuche des Paschas von Ofen vereitelt, der Entsatz des ungarischen
Rebellenheeres unter dem „Könige" Ton „Muhameds Gnaden", Emerich Tököly,
sowie der Tataren verhindert. So entstand bald Hungersnot in Neuhäusel, und
der Pascha sandte die gefangenen Christen zumeist hinaus, um der Esser
weniger zu haben. Nichtsdestoweniger wehrten sich die Türken kräftig und
verursachten den Kaiserlichen und Reichstruppen mitunter heftigen Schaden;
namentUch hatten sie es auf die hohen Offiziere abgesehen, die sich oft zu sehr
blossstellten. So fiel u. a. der 25 jährige mannhafte Prinz Ferdinand Wilhelm
von Württemberg-Neustadt.
Am 27. Juni (7. Juli) 1685 rückte der Herzog Karl mit seiner gesamten
Macht, 40000 Mann kaiserlicher, lüneburgischer, cellischer, bayerischer und
kurkölner Truppen, zur Belagerung heran, Hess ein Lager beziehen und das-
selbe mit einer doppelten Schanzenreihe und mit Redouten befestigen. Nach-
dem am 10. die schwäbischen Truppen angekommen waren und man einen
wütenden Ausfall der Türken abgeschlagen hatte, wurde nach gehaltenem
Kriegsrate am l./ll. sofort mit dem Baue der Approchen begonnen, welche
gegen die hochgelegene, befestigte, citadellartige Moschee geführt wurden. Die
Arbeiten nahmen an den folgenden Tagen unter stetem Feuer der Belagerten
ihren Fortgang. Am 5. 15. begann die Beschiessung, am 10,/20. wurde bereits
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Bresche gelegt, und am 11./21. und 12./22. brach in der bedrängten Feste
Feuer aus. Unterdessen feierte am 5./15. der Kaiser Leopold zu Wien die
Vermählung seiner Tochter Maria Antonia mit dem löwenherzigen Kurfürsten
Maximilian Emanuel von Bayern. An diesem Feste mitten im Kriegslärm
nahm die ganze Menge der zum Feldzuge herzugeströmten Reichsfürsten teil,
und unter diesen befand sich auch der „Volontair" Graf Georg August von
Nassau-Idstein. Sein Kammerdiener J. P. Heybach berichtet in fünf im Wies-
badener Archive vorhandenen Briefen an Direktor Graif über die Ereignisse
der folgenden Tage, welche Mitteilungen genau mit den Angaben des Theatrum
Europaeum übereinstimmen. Im 1. Briefe, vom 5. 15. Juli (ohne Ortsangabe)
erzählt er7 dass unter anderen Herren die Grafen von Weilburg, Wittgenstein
und Waldeck mit KurierschifF die Donau abwärts angekommen seien und dass
die anderen bald folgen würden. (Die Hochzeit verlief schnell, und der Kur-
fürst ging schon am anderen Morgen zur Armee ab.) An demselben Tage seien
auch die kurkölnischen Söldner eingetroffen. Der 2. Brief vom 12./22. Juli
meldet die Ankunft mit der Equipage im Lager vor Neuhäusel. Der Graf von
Waldeck (den die fränkischen Kreistruppen begleiteten) habe sich sofort zur
Armee begeben und die Approchen besichtigt, die bis an den Wall vorgerückt
waren. Es ging das Gerücht, dass der Seraskier (Ibrahim „der TeufeP) mit
60000 Mann diesseits Novigrad stehe und dass der Herzog mit dem Heere
dem Feinde entgegengehen solle. (Das war thatsächlich der Fall. Am 14./24.
bestätigte der streifende Oberst Heissler die Nachricht, meldete auch, dass der
Pascha von Ofen zum Entsatz Neuhäusels rüstete. Am selben Tage gegen
Abend fielen die Türken gegen die schwäbischen Truppen aus, überraschten
sie und fügten ihnen vielen Schaden zu.) Der 3. Brief vom 21./31. Juli meldet
von einem erfolgreichen Ausfall der Belagerten am 19. 29. (an den beiden vor-
hergehenden Tagen waren gleichfalls Gefechte vorgefallen). Sie steckten mit
Blitzpfeilen die Galerieen in Brand und verbrannten die bayerischen Schanzen.
Die Belagerer hatten den Festungsgraben angestochen, sodass das Wasser an
einer Stelle stromweise abfloss; doch gelang es den Türken die Stellen wieder
zu verstopfen. (Eine Aufforderung zur Übergabe beantwortete der Pascha damit,
dass er sagte, die Schlüssel zur Festung seien in Ofen; dort möge man sie
holen. Am folgenden Tage 20. '30. Juli erschien der Seraakier mit gesamter
Macht vor Gran und begann sofort dessen Einachliessung. Verteidigt wurde
die Festung durch den Oberstlieutenant von Strasser. So erlebte man die
merkwürdige Thatsache, dass zwei grosse feindliche Armeen zwei nahe bei
einander liegende Festen umlagerten, weil jede der letzteren für den feindlichen
Teil von Wichtigkeit war. Und jede ward mit Heldenmut gegen die Über-
macht verteidigt.) Im 4. Briefe vom 25. Juli (4. August) berichtet Heybach
über einen neuen Ausfall der Türken aus Neuhäusel. Sie säbelten (am 2.)
50 Mann der Arbeiter nieder. (Dabei wurde auch der General de Souches
schwer verwundet, als er die neu hergestellten bayerischen Batterieen besah.)
Am folgenden Tage kam der Oberst Bernstoss an, begab sich mit dem Herzuge
von Neuburg in die Approchen und wurde sofort erschossen. Täglich blieben
viele Soldaten. Aber mit der Beschiessung ging es jetzt nachdrücklicher voran,
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zumal eine Batterie von zwanzig Stücken errichtet worden war. Der 5. und
letzte Brief ist am 2,/12. August geschrieben und berichtet von der Einnahme
Wischegrads durch die Türken, 31. Juli (10. August). Sie umlagerten diese
Festung mit 15000 Mann, forderten sie zur Ergebung auf, Hessen, als diese
verweigert ward, eine Mine springen, die Bresche legte. Die beiden ersten
Stürme wurden abgeschlagen; beim dritten fiel die Stadt. Der Pascha Hess
die Besatzung frei abziehen und bis zur Armee bei Gran convoyieren.
Das blutige Drama bei Neuhäusel und Gran nahte seinem Ende. Vom
Kaiser und dem Kriegsrate erhielt Herzog Karl den Befehl, den Türken ent-
gegenzurücken. Bei Komorn setzte er über die Donau, ein Korps vor Neu-
häusel zurücklassend. Dies veranlasste Ibrahim Scheitan, die Belagerung Grans,
die ihm schon 3000 Janitscharen gekostet hatte, aufzuheben und eine feste
SteUung hinter einem grossen Moraste zwischen dem Gebirge und der Donau
einzunehmen. Hier war er unangreifbar, das sahen die ihm in Schlachtordnung
gegenüber aufmarschierten Christen wohl. Man suchte durch einen verstellten
Rückzug den siegesgewissen türkischen Feldherrn aus seiner Stellung heraus-
zulocken, und er ging wirklich in die Falle. In der Nacht vom 5. 15. zum
6./ 16. August hatte er die Kühnheit, den weichenden Christen, die er für nur
20000 Mann stark hielt, über den Morast nachzusetzen und dieselben anzu-
greifen. So entspann sich die Schlacht bei Gran, die um die Mittagszeit des
6./16. mit der völHgen Niederlage und Auflösung der Türken endigte. Der
Seraskier wurde verwundet und verlor 5000 Mann, während die siegreichen
Christen nur etwa 100 Tote zu beklagen hatten. Das besiegelte das Schicksal
Neuhäusels. Trotzdem ihm der Grossherr mit Übersendung der seidenen Schnur
gedroht hatte, wenn er sich nicht hielte, hatte der Pascha, der mit seinen
Leuten schrecklich Hunger litt, doch die Übergabe gegen freien Abzug ange-
boten. Das wurde ihm abgeschlagen. Am l./U. erneuerte man die Galerieen;
am 6./16. rekognoscierte ein kühner bayerischer Grenadier die Schanzen und
fand sie schwach besetzt, so dass für den 7./17. der allgemeine Sturm vorbe-
reitet wurde. Es trat aber Regenwetter ein, und das veranlasste die Ver-
schiebung der Dispositionen. Am 8./ 18. kam von Gran ein Schiff mit Türken-
kößfen an, die man zum Schrecken der Belagerten rings um die Stadt auf
Stangen aufsteckte. Dann begann am 9./19. August der Sturm auf Neuhäusel
unter Führung des Generals Grafen Scharfenberg (Kaiserliche, Lüneburger,
j Schwaben) und des Generalwachtmeisters Rumel (KaiserHche, Kölner, Bayern,
Franken). Der Graben war mit Faschinen gefüllt, und bis zur Bresche war
ein Damm geführt worden. Die entkräftete Besatzung, die sich kaum zu wehren
vermochte, wurde, trotzdem sie die weisse Fahne aufgesteckt hatte, nieder-
gehauen. Von 3000 blieben nur 200 übrig, meistens türkische Frauen und
Kinder, die an kaiserliche Kavaliere verkauft wurden. Der Pascha fiel; seine
grosse Fahne (18:10 Fuss gross), 93 Kanonen, 200 Centner Pulver u. a. m.
wurden erbeutet.^)
Graf Georg August nahm an der Belagerung Neuhäusels und an der /
Schlacht bei Gran thätigen Anteil.-) Eine Zeitlaug scheint in Idstein ein
') S. Anhang 6^^^^~^S. Anhang 4,
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falsches Gerücht von seinem Tode verbreitet gewesen zu sein, weshalb er sich
veranlasst sah, zwischen dem 4. und 5. Schreiben Heybachs selbst einen Brief
an den Kanzleidirektor Graff zu richten.^)
Inwieweit der Graf noch an den folgenden Kriegsereignissen dieses Jahres
beteiligt war, ist aus den Akten nicht ersichtlich. Wahrscheinlich kehrte er
bald nach dem Falle von Neuhäusel heim. Wir verlassen mit ihm die magyarischen
Ebenen, nur noch bemerkend, dass noch im Jahre 1685 Essegg erobert wurde,
die Türken Novigrad und Wischegrad räumten und die Unterwerfung Ungarns
durch die Einnahme von Eperies und Kaschau ihren Anfang nahm. Vollendet
wurde sie nach der Erstürmung von Ofen (1686) durch die Entscheidungs-
schlacht von Mohacz (2./12. Aug. 1687), obwohl der Türkenkrieg noch zwölf
Jahre währte. Der Bluttag von Eperies lieferte das magyarische Königreich
dem habsburgischen Herrscher auf Gnade und Ungnade in die Hände.
Ein Jahr darauf drohte dem Reiche eine andere Gefahr durch die
Eroberungssucht des französischen Königs. Bekanntlich begann damals Lud-
wig XIV. den dritten, sogenannten orleansschen Raubkrieg (1688 — 97). Es würde
uns zu weit führen, wenn wir denselben bis ins einzelne verfolgen wollten.
Er hat hier nur insofern für uns Interesse, als Fürst Georg August an dem-
selben beteiligt war. (S. Anhang 4.) Er hat die Feldzüge von lö92 und 1693
in Brabant mitgemacht, jetzt also 27, bezw. 28 Jahre alt. In den Nieder-
landen standen sich damals der König von Frankreich und der von England,
Wilhelm von Oranien, gegenüber.') Wilhelm III. war kein unbegabter mili-
tärischer Heerführer; es scheint ihm aber das Glück nicht beigestanden zu
haben, und Glück muss man als Feldherr haben, das sagt sowohl Cäsar wie
auch der grösste Heerführer dieses Jahrhunderts. Der König gebot ausser
seinen englischen und holländischen Truppen auch über die Reichskontingente
von Bayern, Sachsen, Hessen, Brandenburg und Braunschweig-Wolffenbüttel.
Der Reichsgeneral, Generalfeldmarschall Fürst von Waldeck, der 1690 bei
Fleurus eine schwere Niederlage erlitten hatte, spielte in diesen kommenden
Feldzügen keine Rolle mehr; er starb Ende 1692. Wem auf alliierter Seite
Georg August zugeteilt war, ist nicht bekannt. Der Feldzug von 1692 wurde
von König Ludwig durch die Belagerung von Naraur eröffnet. Geleitet wurde
dieselbe durch den genialen Vauban. Acht Tage nach Eröffnung der Lauf-
gräben fiel die Stadt den Franzosen in die Hände. Die höher gelegene Cita-
delle (Fort William) wurde von dem tapferen holländischen Ingenieur Menno
van Coehorn, dem späteren Helden des spanischen Erbfolgekrieges tapfer ver-
teidigt, musste aber auch am 20./30. Juni, fünfzehn Tage nach Übergabe der
Stadt kapitulieren. Ludwig begab sich darauf triumphierend nach Hause.
König Wilhelm aber, der sich vergebens zum Entsätze Namurs genähert hatte,
versuchte in offener Feldschlacht die Scharte auszuwetzen. Am 5. August über-
fiel er den Marschall de Luxembourg in seinem Lager bei Steenkerke. Man
schlug sich auf beiden Seiten sehr erbittert und verlor gleichviel Mannschaft,
je an 7000 Mann. Im Anfang waren die Verbündeten im Vorteil, sagt das
') S. Anhang 6'. — ') Theatrum Europaeum X.IV., Jahre 1692-94.
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Thcatrura Europaeum, „bis dass gegen Abend der Marschall Bouffiers von
seinem Corpo einige Trouppen und Canonen anbrachte; dadurch die Brigade
Fagel unter dem Commando des Printzen von Nassau-Saarbrücken viel auss-
stehen musste." Ohne Zweifel ist unter diesem Printzen von Nassau-Saar-
brücken Walrad von Usingen, oder Georg August gemeint, wenn hier nicht
ein Druckfehler für Nassau- Weilburg obwaltet, dessen Graf, Johann Ernst, da-
mals holländischer Generalmajor war. Dagegen kämpfte der eigentliche Graf
von Nassau-Saarbrücken, Ludwig Kraft, auf französischer Seite. Die Schlacht
von Steenkerke blieb unentschieden, obwohl sich die Franzosen den Sieg in
derselben zuschrieben. Ein zerschmetternder Schlag traf dagegen die letzteren
in diesem Jahre durch die Seeschlacht bei La Hogue (19. /29. Mai 1692), die
Benjamin West durch sein Gemälde verewigt hat. Hier wurde die vierzig
Segel starke französische Flotte unter Admiral Tourville von der englisch-
niederländischen unter Rüssel und van Almonde vollständig vernichtet.
Der Feldzug von 1693 fand den Marschall de Luxembourg in der Offen-
sive gegen König Wilhelm. Der französische Oberbefehlshaber eroberte die
Festung Huy und griff am 19./29. Juli den Gegner in dessen befestigtem Lager
bei Landen und Neerwinden an. Es begann hier eine mörderische Schlacht. Den
Schlüssel zur Stellung der Verbündeten bildete das Dorf Neerwinden auf dem
rechten Flügel der letzteren. Zweimal nahmen es die Franzosen, die übrigens
in starker Übermacht sich befanden, zweimal verloren sie es wieder, bis endlich
nachmittags der dritte Sturm gelang. Wilhelm verfuhr sehr umsichtig, aber
seine Reiterei war schuld, wenn er keine Erfolge errang. Als die französische
Kavallerie aus Neerwinden vorbrach und auf das wankende Fussvolk der Ver-
bündeten einhieb, Hess der König die seinige sich dem Ungestüm der Feinde
entgegenwerfen; sie wich aber sofort. In grösster Eile zog darauf Wilhelm
sechs Bataillone Fussvolk aus den Laudener Schanzen auf dem linken Flügel
herüber. Die dort entstandene Lücke ersah das geübte Auge des französischen
Feldherrn; durch einen gewaltigen Sturm Hess er auch hier die feindliche
Stellung durchbrechen, worauf sich das verbündete Heer in wilde Flucht auf-
löste. Das Lager mit 75 Kanonen und 66 Fahnen fiel den Franzosen in die
Hände; die Besiegten verloren 12000 Mann. In der Schlacht bei Neer-
winden war es (s. Anhang 4), in welcher dem Fürsten Georg August ein
Pferd unter dem Leibe erschossen wurde, worauf er sich auf dem Pferde des
Sattelknechts aus dem Getümmel rettete. Er focht auch hier mit seinem Vetter
Johann Ernst von Weilburg gegen den anderen Vetter Ludwig Kraft von
Saarbrücken.
In demselben Jahre errang Ludwigs Feldherr Catinat in Italien bei
Marsaglia (4./ 14. Oktober) einen Sieg und konnte in Deutschland der kaiser-
liche Obergeneral Markgraf Ludwig von Baden keine nennenswerten Erfolge
erzielen. Aber auch die Krafl der Franzosen erschöpfte sich. Und der kriegs-
geübte Marschall de Luxembourg starb bald nach seinem letzten Siege. In
den Jahren 1694 bis 1696 wurde der Krieg nur lässig geführt; zu Anfang
1697 begann König Karl von Schweden den Frieden zu vermitteln. Zu Rys-
wijk, einem Dorfe in der Nähe des Haag, fingen im April letztgenannten Jahres
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die Friedensunterhandlungen an, an denen auch die naasauischen Grafen thäfcigen
Anteil nahmen.^) Namentlich war es der Generalfeldmarschall Fürst Walrad
von Usingen, der die Sache seines Hauses energisch vertrat. Im Dezember
1694 schon hatten Usingen, Weilburg und Idstein eine Hauskonferenz abge-
halten und die Intervention Schwedens einzuholen beschlossen, damit alle dem
Hause Nassau von den Franzosen weggenommenen Besitzungen zurückerstattet
würden. Wegen der Grafschaft Sponheim glaubte man an dem Markgrafen
Ludwig von Baden, der Mitbesitzer derselben war, eine einflussreiche Stütze
zu haben; auch in den anderen Fällen mochte dieser hilfreich sein. Ausser-
dem vertraute man dem Kurfürsten von der Pfalz, obwohl Fürst Walrad einen
geheimen Widerwillen gegen diesen Enkel eines „Renegaten" nicht verhehlen
konnte. Zur nachdrücklicheren Wahrung der Hausrechte wurde ein besonderer
gemeinsamer Vertreter, der Weilburger Rat Ludwig Johann von Savigny, nach
Ryswijk entsandt. Georg August und Johann Ernst waren anfangs gegen die
Abordnung aus pekuniären Gründen. Walrad aber betonte die Notwendigkeit
unter Hinweis darauf, dass ehedem zu Münster und Osnabrück drei nassauische
Gesandte an den Verhandlungen teilgenommen hätten, so nachdrücklich, dass
sich die Vettern fügten. Die Franzosen hatten die Städte und Dürfer Saar-
brücken, Saarwerden, Ottweiler, Homburg, Kirchheim, Stauf und Herbizheim
„reuniert" und katholisiert ; Savigny wurde beauftragt diese Bestimmungen
rückgängig machen zu lassen. Seine Stellung wurde noch einflussreicher, als
ihn auch die Protestanten des Oberrheinkreises zu ihrem Vertreter wählten,
damit er mit dem katholischen zugleich dahin wirke, dass in seinem Mandat-
gebiete die ehemaligen politischen und religiösen Zustände wiederhergestellt
würden. Trotzdem dauerte es noch bis zum August, ehe Savigny nach
Ryswijk abging, wo unterdessen Walrads spezieller Rat Gramer mit seiner
Vertretung beauftragt war. In Koblenz hatte der Gesandte eine Unterredung
mit dem Erzbischofe von Trier, Johann Hugo von Orsbeck, und anderen Häuptern
des Oberrheinkreises, die ihm namentlich ans Herz legten, dahin zu trachten,
dass Luxemburg nicht bei Frankreich bleibe, sondern an Spanien zurückkomme.
In Düsseldorf empfing er Empfehlungsbriefe des Kurfürsten Johann Wilhelm
von der Pfalz an dessen Gesandten, Baron von Wieser, und an den kaiserlichen
Abgeordneten. Savigny führte ein ausführliches Verzeichnis der zurückverlangten
Reunionen mit sich. Anfangs September, als der oberrheinisch-nassauische
Gesandte zu Ryswijk ;vnkam, war unter den alliierten Bevollmächtigten eine
Spaltung entstanden. Holland und England kam es hauptsächlich darauf an,
dass Wilhelm von Oranien als König von England anerkannt würde. Sie
unterstützten daher die Forderung der deutschen Reichsstände, welche die
Rückgabe aller Reunionen verlangten, schwach, als Ludwig sich weigerte den
Elsass mit Strassburg zurückzuerstatten. Die Deutschen waren darüber ent-
rüstet, und Katholiken wie Protestanten schienen eine Zeitlang ernstlich ent-
schlossen den Krieg wieder aufzunehmen. Doch wurde man nachgiebiger, als
England, Holland und Spanien wirklich am 10. 20. September Frieden mit
'j Vergl. auch Moaiel iSchliephake), Geschichte von Nassau, VII, S, 53 IT.
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Frankreich schlössen. Herr von Savigny aber wurde, als er an den Verhand-
lungen teilnehmen wollte, von den Kurfürsten von Mainz, Sachsen und Branden-
burg abgewiesen, weil der oberrheinische Kreis nicht zum Wiener Bunde von
1689 gehöre, weil der Gesandte nicht zur Reichsdeputation abgeordnet sei,
welche die Angelegenheiten zu führen hatte, und weil die Evangelischen gegen
seine Zulassung protestierten. Indes blieb der also Zurückgesetzte im Haag
und versuchte indirekt durch Kurpfalz und andere Mitglieder der Deputation,
welche dem Hause Nassau gewogen waren, für letzteres zu wirken. Es wurde
ihm das um so leichter, als der Künig von Frankreich endlich geneigt schien,
alle Reunionen ausser dem Elsass und Strassburg herauszugeben. Wirklich
wurden im Friedenstraktat vom 20. '30. Oktober 1697 unter den namentlich ange-
führten, dem Reiche zurückgestellten Gebietsteilen als No. 6 die entzogenen
Länder der Grafen von Nassau (mit Leiningen und Hanau und den „übrigen
Reichsständen") genannt. Eine Ausnahme davon machte die saarbrückische
Festung Homburg, auf welche Lothringen seit 1670 das Pfandrecht vom Reiche
wegen von demselben versprochener 140000 Reichsthaler hatte. Im Ryswijker
Frieden wurde trotz der energischen Gegenvorstellung des Fürsten Walrad von
Nassau-Usingen Homburg dem Herzoge von Lothringen eigentümlich zuge-
sprochen, unter der Bedingung, dass die Festungswerke geschleift würden. Im
allgemeinen kam also das Nassauer Haus wieder zu seinen Rechten, und das
war hauptsächlich dem einmütigen Zusammenwirken der drei Vettern und
Herren der rechtsrheinischen Besitzungen zu danken, daneben aber auch der
Gewandtheit und Zähigkeit des Herrn von Savigny. Derselbe reiste Anfang
Novembers vom Haag ab und kam am 12./22. in Frankfurt an, wo er am
l./ll. Dezember dem Direktorium des oberrheinischen Kreises von seinen Be-
mühungen, die indirekt so vielen Erfolg hatten, Mitteilung machte. Der Bericht
an das Kreisdirektorium ist von ihm genau bis ins einzelne ausgearbeitet wor-
den und lässt einen Einblick thun in das ausgebildete Diplomatenwesen der
damaligen Zeit, nicht weniger aber auch in die Erbärmlichkeit der eifersüch-
telnden Stände des „heiligen römischen Reiches deutscher Nation".
Der dritte Raubkrieg brachte auch unserer engeren Heimat, der Graf-
schaft Nassau-Idstein, mancherlei Ungemach, und dies war wohl mit der Grund,
dass Fürst Georg August den Krieg anfangs nicht mitmachte, sondern inmitten
seiner Unterthanen verblieb. Die Nähe der Festung Mainz wurde für die
nassauischen Gebiete gefährlich. Als am 15. Oktober (n. St.) 1688 der Marquis
von Bouffiers mit einem Heere vor die Stadt rückte, kapitulierte zwei Tage
darauf der Kurfürst-Erzbischof Anselm Franz von Ingelheim gegen freien Abzug
seiner Truppen und Sicherung seines Eigentums wie des geistUchen überhaupt.
Mainz erhielt eine französische Besatzung, und diese begann sofort die Festung
auszubauen und zu verstärken. In den umliegenden Gebieten wurden Fronen
ausgeschrieben, und als der Aufforderung nicht sofort Folge geleistet wurde,
ergriff man Repressalien. Schlimmer als den Bewohnern der Herrschaft Wies-
baden, erging es denen des Rheingaues, die doch mainzische Unterthanen waren.
Sie mussten im Schwcisse ihres Angesichtes für die Fremdlinge an den Werken
schanzen und die Pallisaden in den Wäldern selbst fällen. Sie brachen auch
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in die der Herrschaft Wiesbaden ein, um sich Material zu holen. Im nächsten
Frühjahre rückte das kaiserliche Heer unter Herzog Karl von Lothringen herbei
und bezog im Mai 1689" bei Mosbach und Erbeoheim Lager. ^) Wiesbaden er-
hielt vom Herzoge einen Salvaguardiabrief, der es von „aller eigenthätigen
Einquartierung auch anderen Krigs executionen, sonderlich aber mit brandt-
schatzung, raub und plünderungen oder anderen gewaltthätigkeiten und straff-
massigen Insolentien gäntzlich zu verschonen" befahl. Dessenungeachtet mussten
die Bewohner die Kaiserlichen bei der nun folgenden Belagerung von Mainz
in jeder Weise unterstützen. Hunderte von Männern wurden gezwungen, ent-
weder als Arbeiter ins Lager zu gehen oder Holz in den Wäldern zu fällen
und zu verschaffen. Überdies mussten Fuhren gestellt, Lebensmittel, Heu und
Stroh in Menge geliefert werden. Am 9. September (n. St.) 1689 wurde Mainz
von den Deutschen durch Überfall erobert, und sofort begann man die Demo-
lierung der von den Belagerern errichteten Werke. Dazu wurden wieder eine
Menge Bauern aus dem Amte Wiesbaden verlangt, die noch dazu ihr Gerät
selbst mitbringen mussten. Auch den Unrat in den Strassen von Mainz, den
die Franzosen zurückgelassen hatten, sollten sie fortschaffen helfen. Ausserdem
wurden sie beim Ausbau der Mainzer Verschanzungen mitverwandt. In den
folgenden Jahren folgten viele Truppendurchmärsche und Einquartierungen,
wobei man die Offiziere und Soldaten durch Geschenke auf gutem Fusse halten
musste. Dies dauerte bis 1695. Daneben trieb sich allerlei Gesindel, Land-
streicher, Räuber u. s. w. in der Grafschaft umher. Da die gräflichen Truppen
meist durch den Krieg in Anspruch genommen wurden, so ordnete Fürst Georg
August schon im Jahre 1687 die Bildung von zwei Kompagnien „Landaus-
schuss" zu je 100 Mann an.^ Das Amt Wiesbaden stellte dazu 80, "Sie
Stadt 30 über 15 Jahre alte ledige Burschen. Für die Unterhaltung derselben
hatte das Land aufzukommen. Aus diesem Ausschuss bildete sich nachher die
stehende Landmiliz mit sechs, später vier Dienstjahren. Sie besorgte die Wachen
und veranstaltete Streifzüge gegen die Friedensstörer. Zur Beschaffung ^^eich-
mässiger Hüte und Strümpfe für diese Sicherheitswächter waren die Gemeinden
gehalten 1 Gulden für den Kopf zu zahlen. Im Notfalle wurden zur Abwehr
von Banden sämtliche männliche Einwohner, welche Waffen tragen konnten,
aufgeboten. Im Jahre 1718 erst, also dreissig Jahre nach Errichtung des Land-
ausschusses, bildete sich in Wiesbaden aus den wehrhaften und wachepflichtigen
Einwohnern eine Bürgerkompagnie, welche zwei Offiziere hatte, einen Kapitän
und einen Lieutenant, dazu einen Fähnrich. AlljährUch hielt diese Kompagnie
vier (später zwei) Übungsfeste ab. Für Streifzüge in die Umgebung wurden
Offiziere und Mannschaften besonders bezahlt, ebenso für die Teilnahme an
Exekutionen. Bei Hinrichtungen nahmen die Offiziere und Unteroffiziere an
der "„^Blutzeche" teil, welche im herrschaftlichen Gasthause „Zum Einhorn«
stattfand. So primitiv die Einrichtung dieser Landmiliz war, so scheint sie
sich doch gut bewährt zu haben, und man rauss dem Eifer und der Einsicht
des jungen Grafen alle Achtung widerfahren lassen, dass er an die Errichtung
') Heunes, Belftijeruii- v. Mainz 1689. - ») Th. Schüler, ^Wiesb. Tat^bl." No. 35, 1883.
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eines „stehenden Heeres" dachte. Ein Glück war es, dass sich in den be-
wegten Zeiten die schrecklichen Ereignisse von vor fünfzig Jahren nicht
wiederholten.
Noch während der Verhandlungen zu Ryswijk, auf denen die äusseren
Verhältnisse des nassauischen Landes ihre Regelung fanden, richtete Fürst
Georg AugijLst sein Augenmerk auf die inneren Angelegenheiten des Gesamt-
hauses.^) Die Bestimmungen des „Gothaer Recesses" von 1651 waren nur
teilweise in Ausfuhrung gekommen, und zwar aus dem Grunde, weil das Reichs-
kammergericht im Jahre 1682 entschieden hatte, dass die Agnaten des nassau-
ischen Hauses sich durch Verträge untereinander selbst vergleichen sollten.
Man konnte sich nicht einigen, und die folgenden bewegten Zeiten boten keinen
Raum dazu. Am 9./19. Juni 1697 aber liess Georg August seinen Vettern*
eine Denkschrift zugehen, in welcher er die Forderungen, zu denen er sich
berechtigt glaubte, aufstellte und begründete. Er verlangte 1) für den Schaden,
der ihm durch die Verpfandung der Herrschaft Lahr (in Baden) an das be-
nachbarte Baden-Durlach als Erben der Geroldsecker Schuld seit 1659 er-
wachsen war, 300000 Gulden als Ersatz, 2) eine Entschädigung für die Aus-
lagen, welche sein Vater vier Jahrzehnte hindurch als Direktor der gesamten
Hausinteressen gemacht, zugleich zur Begleichung der im Recess bewilligten
Gelder für den Idateiner Schlossbau, 3) die Richtigstellung der Rechnungen
über Saarwerden, Herbizheim und Homburg für die Jahre 1671 — 80, 4) die
Revision der Familienpakten „mit Rücksicht auf die jetzigen Laufte und Zeiten."
Direkt verlangte Idstein von Saarbrücken Anweisung der im Recess bestimmten
100 Gulden jährlicher Renten, die bisher noch nicht bezahlt worden waren,
dann Rechnungsablage über die dem Grafen Wilhelm Ludwig seit 1629 zur
Verwaltung überlassenen Gebiete der beiden jüngeren Brüder desselben, Ernst
Casimir und Otto, ferner den dritten Teil des vom Grafen Otto hinterlassenen
Silbergeschirres und endlich Rechnungsablage und Entschädigung von Ottweiler
wegen Saarwerden, Herbizheim und Homburg für die Jahre 1681 — 1697. Diese
Forderungen enthielten nichts Unbilliges; aber keiner der Agnaten wollte auf
Bewilligung derselben eingehen. Georg August brachte daher die Angelegenheit
vor den Reichsbofrat, in welchem teilweise noch die Männer sassen, die sich
ihm vor vierzehn Jahren bei Erteilung der venia aetatis so geneigt gezeigt
hatten. Wirklich bestimmte der Rat am 12./22. August 1698, dass Herzog
Friedrich IL von Sachsen-Gotha (1691—1732), Friedrichs L (s. o.) Sohn, die
Sache untersuchen und begleichen sollte. Man hielt sich in Wien doch nicht
für massgebend genug, selbst in der wichtigen Sache zu entscheiden.
Walrad von Usingen veranlasste im Hinblick auf diesen Bescheid eine
Konferenz der sechs übrigen Glieder des Hauses Saarbrücken am 3. März 1699
zu Usingen. Hier verbanden sich die Grafen zur Aufrechthaltung ihres seit-
herigen Besitzstandes und zum Widerstände gegen Idstein. Nun trat aber
auch Graf Johann Ernst von Weilburg am 16. Juni (n. St.) 1699 mit einer
Gegenschrift hervor, da die Saarbrücker in ihrer schriftlich aufgestellten Be-
*) Vergl. auch die übereinstimmenden Darstellungen Menzels, VII, S. G5 ff.
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schwerde angaben, sowohl von Idstein wie von Weilburg benachteiligt zu sein.
Er verlangte 1 ) die Nichtigkeitserklärung der von Idstein einseitig nachgesuchten
Konfirmation der Fürstenwürde, 2) die Ablegung der Rechnungen der Yor-
mundschaft und Administration seitens Saarbrücken, bezw. Idstein für die
Jahre 1629 — 51, 3) gleichmüssige Rechnung über das verkaufte Silbergeschirr,
über die gemeinschaftlichen Gefälle der Grafschaft Saarwerden und des Amtes
Homburg und über die 200 Gulden jährlicher Rente, die nach dem Recess auf
Weilburg entfallen sollten, 4) Ersatz für den durch die Reunionen der Amter
Kirchheim und Stauf entstandenen Schaden, 5) gleichmässige Verteilung der
gemeinschaftlichen Schulden und 6) zeitgemässe Revision der Familienpakten.
Daraufhin wollten alle acht Herren am 10./20. Juni zu Frankfurt zur Beratung
'zusammenkommen. Fürst Walrad war zuerst da; die andern sandten ihre
Räte. Auf die heftigen Vorwürfe des Usingers, dass man mit „Bedienten"
verhandeln müsse, kamen auch Georg August von Idstein, Ludwig Kraft von
Saarbrücken und Friedrich Ludwig von Ottweiler am 14./24. an. Johann Ernst
von Weilburg entschuldigte sich mit einer Kur, die er erst beenden müsse,
verlangte auch ausdrücklich die Beseitigung des Rangstreites zwischen den
fürstlichen und gräflichen Gliedern des Hauses. Die beiden Fürsten, Walrad
und Georg August, aber bestanden vor allem darauf als solche anerkannt zu
werden, und da die anderen dem widerstrebten, so konnte die Konferenz im
voraus als vergeblich bezeichnet werden. Georg August schlug zuerst einen
Schiedsrichter vor, was von dem Weilburger Gesandten als zu weitläufig ver-
worfen wurde; dann machte er den Vorschlag, die Angelegenheit ohne Weil-
burg zu ordnen, stiess aber hierin auf den Widerstand des Grafen von Saar-
brücken. Als auch andere Vorstellungen scheiterten, reiste er am 19./29. Juni
ab. Tags darauf kam Johann Ernst von Weilburg an, und nun nahmen die
noch anwesenden Agnaten gemeinsam Partei gegen Idstein, noch an demselben
Tage. Sie wollten den Prozess am Reichshofrate und die gothaische Ver-
mittelung hintertreiben und ihren Herren Vetter „auf bessere Gedanken bringen".
Georg August dagegen wandte sich sofort nach Wien und veranlasste, dass der
Rcichshofratsbeschluss ausgeführt wurde. Der Herzog Friedrich lud darauf die
Herren für den L/IL Oktober 1699 nach Gotha. Keiner von denselben er-
schien, und der Prozess begann, um sich in die Länge zu ziehen.
Erst nach dem Tode Kaiser Leopolds konnte Fürst Georg August bei
Kaiser Joseph auf schärfere Verfolgung der Sache dringen. Das Kommissarium
des Herzogs Friedrich wurde erneuert, und die Herren von Saarbrücken,
Usingen, Ottweiler und Weilburg wurden von demselben abermals für den
28. März 1707 nach Gotha geladen. Als die Beklagten das Kommissarium
verwarfen und sich in Gemässheit der Reichskammergerichtsentscheidung von
1682 für einen Ausgleich durch Hausvertrag erklärten, ordnete der Herzog
unter Billigung des Reichshofrats die Angelegenheit kurz und bündig. Am
14. Juli erklärte er, dass die Forderungen Idsteins, betreffend die Entschädigung
wegen Lahr, die Bezahlung der Schlossbaugelder und der 100 Gulden jährlicher
Reute, rechtmässig und daher zu bewilligen seien. Sofort erhoben die übrigen
Agnaten, besonders Johann Ernst, beim kaiserlichen Hofe Gegenvorstellungen;
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sie fanden aber kein Gehör, und der Reichahofrat bestätigte das Urteil des
Herzoo-s von Gotha. Nun wandten sich die Herren an die Reichdversamralung
zu Regen.sburg und zwar mit mehr Glück. Sie fanden die Unterstützung des
Königs von Preussen, der seinen Gesandten so nachdrücklich für sie sprechen
Hess, dass die Reichskollegien zu der Ansicht kamen, die llausverträge und
Reichskammergerichtsbeschlüsse seien durch die Einsetzung des Koramissariums
verletzt, und letzteres solle daher aufgehoben werden. Das geschah, und das
Reichshofratsurteil wurde dadurch entkräftet. Nun ruhten die Streitigkeiten
einige Zeit. Dann, als die Verhältnisse wieder günstiger für ihn wurden, trat
Georg August von neuem mit seinen Forderungen hervor. Er verlangte als
Entschädigung für seine langjährigen Verluste 140000 Gulden, die nach seinem
sohnlosen Tode seinen Töchtern auszuzahlen seien, dann 75000 Gulden aus
den gemeinschaftUchen Gefällen der Klöster und endlich eine Jahresrente von
4803 Gulden bis zur Wiedereinlösung von Lahr. Die Grafen wollten diese
Summen auf 105000, resp. 45 000 und 3000 Gulden erniedrigen; aber Georg
August war damit nicht zufrieden, sondern reichte beim Reichshofrat abermals
Klage ein. Das vermittelnde Direktorium des Oberrheinkreises schlug die
Zahlen 140000, resp. 60000 und 3000 vor; allein der Fürst blieb, da er auf
Unterstützung in Wien rechnen konnte, nicht nur auf seiner Forderung bestehen,
sondern verlangte statt der 75000 Gulden aus den Klostergefällen gar 150000.
Natürlich gingen die Gegner hierauf erst recht nicht ein, und der Prozess lief
weiter. Die Prozesskommission entschied endlich, dass die von Idstein ver-
langten Gelder zu zahlen seien und gab Georg August sogar das Recht der
Besetzung und Nutzniessung der Gebiete seiner Widerparte, bis die Summen
beglichen wären. Nun versuchten die Agnaten es mit Gegenvorstellungen und
nahmen sogar zu Bestechungen einzelner Reichshofratsmitglieder ihre Zuflucht.
Es half nichts. Am 14. Juni 1714 entschied der Rat, dass die Beklagten an
Idstein 2G4111 Gulden samt 5% Verzugszinsen (seit 1659) für Lahr, 10000
Gulden Baugelder samt Zinsen (seit 1651) und 100 Gulden jährlicher Rente,
ebenfalls samt Zinsen (seit 1651), zu zahlen hätten. Ausserdem wurde Georg
August das Okkupations- und Nutzniessungsrecht bestätigt, von welchem dieser
sofort Gebrauch machte, indem er zunächst das weiiburgische Amt Reicheisheim
und die weilburgischen Gemeinschaftsteile von Nassau und andere im Vierherri-
schen wegnahm, ohne dass Widerstand entgegengesetzt wurde. Die Grafen legten
Protest ein, der aber nur die Bestätigung des Urteils am 29. November 1714
zur Folge hatte. Da versuchten sie den gütlichen Weg durch Vermittelung
des Grafen Karl von Wied-Runkel in der Hauskonferenz zu Kirchheim am
8. November 1715. Es sollten dem Fürsten Georg August, resp. dessen ver-
heirateten Töchtern nach seinem Tode Auszahlungen in der Höhe von im ganzen
120000 Gulden gemacht und ihm ausserdem 3000 Gulden jährlicher Rente ge-
geben werden, wofür er die besetzten Gebiete herausgeben solle. Durch Be-
stechungen jn Wien erreichte man, dass der Reichshofrat schwankend wurde
und infolge dessen Georg August seine Zuversicht etwas verlor. Beide Teile
gaben nun nach, und schliesslich kam man, des nun fast zwanzig Jahre dauernden
Prozesses müde, auf der Gegner Seite dahin überein, dass mau sich einzeln
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mit Idstein vergleichen wolle. Infolgedessen kam zunächst zwischen Usingen
und Idstein am 11. März 1717 folgender Vertrag zustande: Idstein erhält ein
Kapital von 20000 Gulden zu 5% jährlich verzinst, aus den Gefallen des
Klosters Rosenthal; dessen Restgefalle dienen zur Abtragung des Kapitals;
nach der Auszahlung des letzteren fällt das Kloster an Usingen zurück. Der
sechste Teil der Lahrischen Renten, 800 Gulden, wird auf das Dorf Steinfisch-
bach angewiesen. Von den 140000 Gulden, welche die Töchter Georg Augusts
erhalten sollen, verspricht Usingen gleichfalls ein Sechstel zu bezahlen, und
zwar sollen die Töchter bis zur Auszahlung der Summe im Genüsse der Herr-
schaft Idstein verbleiben. Ebenso wurde dem Fürsten von Idstein zugestanden,
dass seine Allodialerben den Idsteiner Landesteil nicht zu verlassen brauchten,
bevor die übrigen fünf Sechstel von den anderen Agnaten (3 von Weilburg,
je 1 von Saarbrücken und Ottweiler) bezahlt seien. Es soll eine jährliche Ab-
rechnung dieserhalb zur Feststellung der gemachten Abschlagszahlungen statt-
finden. Dagegen soll Idstein die okkupierten usingischen Dörfer Rödelbach,
Finsternthal und Maulof herausgeben. Zugleich wurde der usingische Anteil
am Gebiete Idstein im Falle des Aussterbens letzterer Linie festgesetzt. Schon
am folgenden Tage verglichen sich auch Saarbrücken und Ottweiler mit Idstein
unter verhältnismässig ähnlichen Bedingungen. Der Vertrag wurde am 4. April
von den beiden Grafen genehmigt. Schliesslich erklärte sich auch Johann
Ernst von "Weilburg bereit zum Vergleiche auf denselben Grundlagen, womit
dann im Laufe des Jahres 1717 der Prozess erledigt schien. Fürst Georg
August war darüber hocherfreut und berichtete über den Verlauf der Unter-
handlungen noch in demselben Jahre an den Reichshofrat. Hier legte er zu-
gleich Fürbitte ein für den Kanzleidirektor von Plönnies und den Keller Lebleu
von Weilburg, welche sich seinerzeit in der Aufwallung des Zornes über die
Hofratsbescheide (zugunsten Idsteins) zu Schmähungen einzelner Räte und
Notare, bezw. zu thätlichen Ausschreitungen gegen dieselben hatten hinreissen
lassen und gegen die deshalb das Strafverfahren eingeleitet war. Die Fürsprache
Georg Augusts hat indessen in dem letzteren keine Änderung hervorgerufen.
Nachgerade aber brach abermals der Streit zwischen Idstein und Weilburg
aus, und beide Widerparte sind ohne Begleichung desselben gestorben.
Dass Fürst Georg August auf seiner Entschädigung also bestand, kann
ihm nicht verübelt werden. Durch die Entziehung der Herrschaft Lahr war
schon sein Vater, Graf Johannes, gezwungen worden grosse Summen aufzu-
nehmen. Der Extrakt der idsteinischen Rentkammer „was vor und nach 1702
an altvätterlicheu Schulden bezahlt worden", weist 10 Posten auf: 1) 6800
Gulden auf Pergamentbriefe der niederrheinischen Ritterschaft, 2) 18000 Gulden
auf einen Kapitalbrief des Herrn Maximilian Bauer von Eiseneck, 3) u. 4)
5000 und 7000 Gulden auf einen Kapitalbrief des Herren von Dalberg, 5) 1826
Gulden auf einen Kapitalbrief des Grafen Kolb von Wartenberg, 6) — 10) 6000,
394, 1500, 1500, 1050 Gulden Wilderische, GroUische, Kühhornische, Kör-
mannische und Gülcherische Schuld, zusammen 49070 Gulden. Fürst Georg
August sah sich genötigt, um diese ziemlich alten Schulden abzutragen, neue
Aufnahmen zu machen, zu Verpfändungen zu schreiten ; teilweise hatte er auch
4d
zur Bestreitung mancher Ausgaben ganz neue Anleihen zu erheben. Um die
Dalbergische und Kühhornische Schuld abzutragen, musste mit Konsens des
Grafen Ludwig Kraft von Saarbrücken im Jahre 1697 die Weingülte zu Rüdes-
heim und Geisenheim „veralieniert" werden. Desgleichen wurden im Jahre
1701 bei dem Ilandelsmanne Adam Paquay von Frankfurt 15000 Gulden auf
fünf Jahre gegen Verpfändung eines Teiles der Gefälle von Kloppenheim und
Bierstadt, unter Konsens von Friedrich Ludwig von Ottweiler, entliehen. In
dem folgenden Jahre entnahm Georg August beim Fürsten Eugen Alexander
von Thurn und Taxis 50000 Gulden zur Abtragung alter Schulden. Im Jahre
1705 schoss Maximihan Bauer von Eiseneck neue 10500 Gulden zur Tilgung
der Wilderischen und einer wied-runkelischen Schuld, zu welcher Aufnahme
Ludwig Kraft von Saarbrücken den Konsens verweigerte, Wilhelm Heinrich
von Usingen unbedingt, und Friedrich Ludwig von Ottweiler insofern zuwilligte,
als der Überschuss der Einkünfte der neu verpfändeten Dörfer Kloppenheim
und Bierstadt zur Abzahlung der Leihsumme verwendet wurde. Ferner wurden
geliehen von Dr. Winter in Frankfurt 4000, von Herrn von Barkhausen da-
selbst 15000, vom Universitätskanzler Dr. Herten in Giessen 15000, von dem
Freiherrn von Hohenfeld 20000 Gulden, letztere Summen gelegentlich der Ver-
heiratung der älteren Töchter des Fürsten Georg August mit dem Fürsten von
Ostfriesland resp. dem Herzoge von Sachsen-Merseburg (s. w. u.). Die Kon-
sense der Verwandten erfolgten zumteil zögernd, zum Hohenfeld-Kapital z. B.
erst 1724, drei Jahre nach Georg Augusts Tode, der der Fürstin- Witwe Char-
lotte Amalie von Usingen.
Den schwersten Kampf setzte es um die Erlangung des Konsenses wegen
der vom Fürsten Eugen Alexander von Thurn und Taxis 1702 geliehenen
50000 Gulden, für welche diesem die Dörfer Esch, Walsdorf, Walrabenstein
und Bermbach im Amte Idstein verpfändet wurden. Als Fürst Walrad von
Usingen, der kraftvolle Vertreter der gemeinsamen nassauischen Ilausinteressen,
von dem Vorhaben Georg Augusts Kunde erhielt, warnte er ihn (Haag, 24. I.
1702) vor der Verpfändung evangelischer Dörfer an einen katholischen Reichs-
fürsten. Das Kapital von 45000 Gulden (so war es anfangs festgesetzt) sei
zu gross, um aus den Revenuen auf einmal abgetragen zu werden. Taxis
fände dann leicht einen Vorwand zur Besitzergreifung jener Orte. Graf Johann
Ernst gab am 16. I. seine Zustimmung unbedingt. Daraufhin stellte am 30. I.
Georg August ohne weiteres dem Fürsten Thurn und Taxis einen Schuldbrief
auf 50000 Gulden lautend aus, weil er hoffte die Zustimmung der anderen
Agnaten doch nachträglich zu erlangen. Aber er täuschte sich. Ludwig Kraft
zu Saarbrücken, von Walrad beredet, stand in einem Schreiben vom 10. II.
ebenfalls an, seine Ein s\'illigung zu geben; was Friedrich Ludwig von Ott weiler
äusserte, ist nicht bekannt. Walrad erbot sich unterm 17. II. selbst mijLsßiiiem
Gelde eintreten zu wollen. Als er aber unterm 20. IL den höflich entschul-
digenden Brief Georg Augusts empfing, in welchem dieser ihm mitteilte, dass
er bereits die Summe von Taxis entliehen habe, protestierte der alte Fürst
durch zwei Schreiben vom 3. VII. 1702 aufs heftigste und energischste sowohl
bei Georg August als auch bei Taxis gegen diese Eigenmächtigkeit. Er ist
4
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bald nachher gestorben, und sein Sohn Wilhelm Heinrich, über den Georg
August anfangs die Vormundschaft geführt hatte, verweigerte nachher ebenso
hartnäckig seine Einwilligung wie Walrad. Georg August kam in Verlegenheit,
4a er bloss Weilburg, hüchstens noch Ottweiler auf seiner Seite hatte, während
die Stimmen von Saarbrücken und Usingen gegen ihn waren. Der Fürst von
Thurn und Taxis, der das Geld vertrauensvoll aus den Händen gegeben hatte,
aber keine eigentliche Sicherheit besass, drang auf Einbringung der Konsense.
Infolgedessen wandte sich Georg August nochmals an Usingen und Saarbrücken
im Jahre 1706, liess auch seine Gemahlin Henriette Dorothea eine Einwilligung
unterschreiben. Da aber die beiden anderen Agnaten sich fortgesetzt weiger-
ten, brachte Taxis die Sache vor den Reichshofrat, und dieser erklärte am
14. November 1707, dass das ganze Verfahren höchst leichtfertig und wegen
der verweigerten Konsense ungültig sei. Trotzdem nun Wilhelm Heinrich von
Usingen am 21. November 1707 seine Einwilligung nachträglich gab, begann
Taxis gegen Idstein einen Prozess beim Reichshofrate anzustrengen, da Ludwig
Kraft von Saarbrücken sich nicht deutlich erklärj; hatte. Der Prozess zog sich,
lässig geführt, Jahre lang hin, und der alte Fürst von Thurn und Taxis ist
darüber gestorben (1714). Sein Sohn und Nachfolger, Anselm Franz, hat erst
im Todesjahre Georg Augusts nachdrücklicher eingegriffen. Er wandte sich
am 6. Juni 1721 an Karl Ludwig von Saarbrücken, Ludwig Krafts Bruder und
Nachfolger, und bat um den Konsens, der seinerzeit von der kaiserlichen Kom-
mission für unzulänglich erklärt worden sei. Der Graf verlangte unterm 25. eine
Kopie der Abkunft. Diese nebst der der Nichtigkeitserklärung des Reichshof-
rates von 1707 sandte Taxis am 8. Juli. Nun bat auch Georg August den
Vetter um die Einwilligung, damit ein fernerer Prozess vermieden werde (am
IG. August); Karl Ludwig hatte jedoch den Konsens bereits am 14., also zwei
Tage vorher erteilt. Um Taxis vollständig zufrieden zu stellen, holte der Fürst
von Idstein am 18. August nochmals von der Witwe Wilhelm Heinrichs von
Usingen, Charlotte Amalie, die Einwilligung ein, die am 23. erfolgte. Der Fürst
von Thurn und Taxis war so erfreut, endlich seine Sicherung zu besitzen, dass
er in einem äusserst freundlichen Schreiben vom 2G. August aus Brüssel dem
Grafen Karl Ludwig dankte. Zwei Monate darauf weilte Fürst Georg August^
nicht mehr unter den Lebenden. Die Einlösung der Dörfer Esch, Walraben-
stein, Walsdorf und Bermbach hat allmählich stattgefunden. Die Befürchtung
Fürst Walrads, es mochte sich ein katholischer Herr im evangelischen Nassau
festsetzen, ist also nicht zur Wirklichkeit geworden.
Wir kommen zum zweiten Teile unserer Betrachtung, zur Fürsorge des
Fürsten Georg August für sein Land.
Schon bald nach seinem Regierungsantritte erliess er am 20. /30. Januar
1G85 das Privilegium für die Bürger von Idstein und schenkte denen, die neu
bauen wollten, die herrschaftliche Weiherwiese. ^) Die Residenzstadt schlössen
damals drei Thore ab, das Roderthor, das Oberthor und das Himmelsthor. Die
Stadtmauer lief vom Oberthor herab, den Zuckerberg durchschneidend, zwischen
') S. Anhttn? 1.
51
der heutigen Weiherwiese und Borngasse her zum Himmelsthore und von da
bis an die Schlossmauer in starkem Bogen ; auf der anderen Seite zog sie vom
Oberthore im Winkel nach dem Roderthore und von da im Bogen zur Schloss-
mauer. Dieser letztere Teil ist heute noch teilweise erkennbar. Marktplatz,
Kreuzgasse, Weiherwiese, Schäfergasse, ein Teil des Zuckerbergs und der Born-
gasse lagen also ausserhalb der Mauer ; zudem scheint die Borngasse innerhalb
derselben nicht regelrecht bebaut gewesen zu sein. Rund um die Stadt lief
ehedem ein tiefer Graben, der sich vor dem Himmelsthore und rings um'das
Schloss durch den Zufluss des Wolfsbaches fast seeartig erweiterte. Die ganze
Breite des heutigen Marktplatzes war mit Wasser angefüllt, das ganze Schloss
von demselben umgeben. In den letzten Jahren der Regierung des Grafen
Johannes jedoch wurde der Weiher völlig ausgetrocknet, und der Boden in Wiesen
umgewandelt, welche die Herrschaft in Pacht gab. Nur den Wolfsbach Hess
man in eingeschränktem Bette weiterfliessen. Diese Wiesen verschenkte jetzt
Georg August an Baulustige. Im Innern der Stadt sollte die Borngasse aus-
gebaut werden. Auch wurden die niederen Gassen, insbesondere die Himmels-
gasse, ausgefüllt," erhöht und mit Abflüssen versehen, durch welche bei Regen-
güssen das Wasser besser als bisher seinen Abzug nehmen konnte. Ob schon
Pflasterungen damals vorkamen, ist nicht recht ersichtlich. Es scheint aber,
dass die Fremden von dem Privilegium in der ersten Zeit nicht sonderlich
Gebrauch gemacht haben. Jedenfalls trugen die unruhigen Kriegszeiten Schuld
daran. Der Fürst sah sich deshalb veranlasst, fünf Jahre später ein erweitertes
Privilegium zu erlassen und dasselbe auch auf die zweite Residenz, Wiesbaden,
auszudehnen.^) Im Jahre 1690 jvar nach der Eroberung von Mainz durch die
Deutschen die unmittelbare Kriegsgefahr für die idsteinischen Gebiete beseitigt;
man fing an aufzuatmen. Jetzt begann auch in Idstein die Bauthätigkeit mehr
und mehr. Der Fürst Hess den Teil der Stadtmauer zwischen dem Ober- und
dem Himmelsthore vollständig niederlegen, und nun kamen die Bauten all-
mählich, aber unter mancherlei Beschwerden zustande. Man denke sich, erst
1721, also im Todesjahre des Fürsten, konnte die Borngasse als ausgebaut
gelten. Eine „Specification derer, so aus dem Lande anhero nach Itzstein ge-
zogen" (vom 22. Oktober 1716) weist, sage und schreibe, nur vierundzwanzig
Namen von neuen Bürgern auf. Im Jahre 1684^), also kurz vor Erlass des
ersten Freibriefs zählte Idstein „69 Burger, 7 Beysassen, 3 Hoffleuthe, 5 Witt-
weiber" mit 139 Kindern männlichen und 119 weiblichen Geschlechtes, also
zusammen etwa 400 Einwohner (die Frauen der Bürger müssen noch hinzuge-
zählt werden). Im Jahre 1703 hatte die Stadt 110 Wohnhäuser und in der
Yorstadt 52, also zusammen 162. Die Einwohner, welche Feldgüter, grössere
oder kleinere hatten, zählten 74, die,' welche keine besassen, 56; es waren ihrer
also 130 vorhanden. Herrschaftliche und „freie" Diener gab es damals 30;
also betrug die Summe der Hausvorstände 160, die Einwohnerzahl überhaupt
ungefähr 700—800; sie hatte sich in zwanzig Jahren nahezu verdoppelt. Die
obengenannten 24 Bürger stammen alle aus den umliegenden Orten; es muss
») S. Anhang 2. — -) Die Zahlen nach Rizhaub, Oymn.-Progr. von 1787.
4«
52
daher eine grosse Anzahl Ausländer zugezogen sein. Diese siedelten sich
hauptsächlich auf der Weiherwiese, zurateil auch vor dem Hiraraelsthore und
in der Obergasse an, während die Idsteiner selbst die Borngasse ausbauten.
Die Lüherstrasse wurde gleichfalls von Eingewanderten besetzt. Später begann
man die Anlage des Marktplatzes und der Kreuzgasse. Zur Zeit des Fürsten
Georg August bildeten sich die Zünfte^) aus, zumteil wohl deshalb, weil die
alteingesessenen Idsteiner fürchteten, den Eingewanderten gegenüber im Nach-
teil zu sein und es für nötig erachteten sich fester zusararaenzuschliessen. Die
ältesten Zünfte sind: 1. die Bauzunft (Maurer, Zimmerer, Leiendecker, Stein-
hauer und Glaser), 2. die Bäcker, 3. die Leinweber, 4. die Schmiede und Wagner,
5. die Sattler. Deren Privilegien wurden 1724 erneuert. Dann kommen:
6. die Schneider, 7. die Schuster (Artikel 1717 erneuert), 8. die Müller, 9. die
Schreiner, Schlosser, Dreher und Büchsenmacher (seit 1721), 10. die Metzger,
11. die Küfer und Brauer (schon damals zünftig, aber die Artikel erst von
1750), 12. die Woilweber. Später kamen noch hinzu 13. die Gerber und 14.
die Schwarzfärber und Hutmacher. Zu diesen Zünften gehörten aber nicht
bloss die in der Stadt Idstein wohnenden Handwerker, sondern überhaupt alle,
die in den Amtern Idstein, Wehen und Burgschwalbach sesshaft waren. Dass die
Alteingesessenen zu Idstein mit Missvergoügen auf die Neueingewanderten
(„Hargeloffenen" im Yolksmunde) blickten, davon zeugt eine Beschwerdeschrift
„sämptlicher Weyerwieser und Obergässer zu Itzsteiu" an den Fürsten aus
dem Jahre 1705. Sie beklagen sich in der Schrift über den „ihnen zuwider
seyenden Burgerhass." Bei Gelegenheit einer Haussuchung wegen Diebstahls
seien sie „am hellen Tage von denen Burgern überfallen, ihnen sogar ihre
gedörrte Hutzeln und Schnitzen fortgenommen, ihren Geyssen die Fütterung
vorenthalten worden." Auch hätten die Bürger sich, „mit Respekt zu ver-
melden, toll und voll in ihrem Branntwein besoffen und dann alles Heu aus
den Speichern genommen, als ob der Landesfeind da seye und vor die Cavallerie
fouragieren wolle." Das Heu hätten sie „fortgefahren auf ihren Wagen und
auf offenem Markte verkauft." Was von Seiten Georg Augusts auf dieses recht
ungemütliche Gebaren seiner angestammten Landeskinder gegen die neuen „lieben
und getreuen Unterthaueu" geschah, ist nicht bekannt. Keinenfalls w^ird der
gerechte Sinn des Fürsten die Übergriffe ungestraft haben hingehen lassen,
und er wird für die Zukunft ähnlichen Tumulten vorgebeugt haben. Der Markt,
von dem in der Beschwerdeschrift die Rede ist, ward damals auf dem alten
Marktplatz, vor dem Rathause gehalten. Idstein hatte zwei Jahrmärkte^), den
einen auf Dionysius (9. Oktober) und den andern auf Fastnacht. Den letzteren
erneuerte Fürst Georg August im Jahre 1700, und er wurde seit dieser Zeit
besuchter und ausgedehnter als früher. Der Dionysiusmarkt war früher im
Freien, zu Wolfsbach abgehalten, aber schon zur Zeit des Grafen Johannes
in die Stadt verlegt worden. Eine Marktordnung wurde 1709 erlassen. In
demselben Jahre wurden zwei Gefängnisstuben im Oberthore hergerichtet.
') Rizhaub ebenda. — ') Ebenda.
53
Das hervorragendste Gebäude von allen, die damals in Idstein entstanden,
welches Fürst Georg August selbst aufführte, ist die hohe Schule, die nach
seinem Namen „August eum" geheissen wurde. Der Bau fällt in die Jahre
1680—91.^) Das Schulhaus steht auf einem Felsen, dessen Hervorragungen
an beiden Seiten man weghauen Hess, um dadurch Raum für den Hof, den
Garten, für Scheunen und Ställe zu erhalten. An der vorderen Seite des Ge-
bäudes, nach der Strasse zu, wurde der Felsen unter dem Bau selbst ausge-
hauen und darin ein Raum für zwei grosse Zimmer gewonnen, von denen das
eine zur deutschen Knabenschule, das andere zu einem Festsaale (Aula) bestimmt
wurde. Der letztere ward im Jahre 1718 eingeweiht. Die hölzerne Treppe,
welche anfangs zu dem eigentlichen Hause von aussen hinaufführte, wurde nachher
abgebrochen und der Zugang im Hause selbst, zwischen den beiden erwähnten
Zimmern angebracht. Man hat sich gewundert, dass Georg August nichts an
der Kirche seiner Residenz gebaut und verschönert hat, und doch findet die
Erscheinung leicht ihre Erklärung. Der Vater des Fürsten, Graf Johann, hatte
derart für die innere Ausschmückung der Kirche gesorgt und sie so prächtig
überladen lassen, dass für den Sohn nichts mehr zu thun übrig blieb. Georg
August mag es auch beklagt haben, dass das Gotteshaus nicht niedergelegt
und in entsprechender Yergrösserung und auch äusserlich in schönerem Stile
aufgeführt worden war, welchen Mangel ihm jeder Besucher der Idsteiner Kirche
nachfühlen wird, deren prachtvolles Innere man aus dem schmucklosen Ausseren
nicht vermutet. Im Schlosse zu Idstein hat Georg August die Kapelle her-
richten lassen (1719), die beim Neubau (im Jahre 1615) vergessen worden
war. Auch hat er das sogenannte Kaiserzimmer im Schlosse durch Stuckarbeit
verzieren lassen. Auf der anderen Seite des Wolfsbaches, an der Bergterrasse,
legte er den „Tiergarten" an, der in der ersten Zeit wohl umhegt war, nach-
her lange Zeit verwildert lag, neuerdings aber durch die Fürsorge des Ver-
schöneruugsvereins zu einer beliebten Promenadenanlage wieder umgeschaffen
worden ist. So mag man in der altnassauischen Residenz seine Schritte lenken
wohin man will, man wird allenthalben an den umsichtigen und für seines
Landes Wohl und Aufschwung besorgten Fürsten, den letzten Idsteiner, erinnert.
Bedeutender noch als für Idstein wurde der Erlass vom 18. Oktober 1690
für Wiesbaden. Die alte Bäderstadt hatte durch den grossen Krieg schwer
ffelitten, und nachher war oder konnte nicht besonders viel zu ihrer Wieder-
herstellung geschehen. Die Weiher, wie die Stadtgräben genannt wurden,
waren zumteil versumpft, die Mauer war an manchen Stellen eingestürzt; in
der Stadt selbst lagen viele unbebaute Plätze, andere zeigten nur Ruinen.
Wir dürfen als ziemlich bestimmt annehmen, dass eigentliche Strassen damals
kaum zu erkennen waren. Schon 1684 hatte Georg August über die heillose
Verfassung Wiesbadens geklagt; jetzt, nachdem die Kriegsläufte einigermassen
überstanden waren, nahm er sofort die Restauration der Stadt in Angriff durch
den Plan eines neuen Mauerbaues. Es sollte weniger eine Stadterweiterung
als vielmehr eine Stadterneuerung eintreten.^) Der Plan bestimmte, dass das
') Rizhaub ebenda. — -) Vergl. auch die Darstellungen: Otto, Annalen XV, und
Roth, Geschichte von Wiesbaden, dazu Schüler, Wiesb. Tagbl. 1884, Xo. 65.
54
stumpfe Thor (am h. Gottschalkschen Hause auf dem Michelsberge) zu einem
Fahrthore erbreitert und das heidnische (in der Kirchhofsgasse) geschlossen
werde. Von dem stumpfen bis zum heidnischen Thore sollte die Mauer erhöht
und ausgebessert, und von da eine neue Mauer innerhalb des Stadtgrabens
bis hinter das Hospital aufgeführt werden, so dass am heidnischen Thore ein
Platz gegen den Berg zu einem neuen Bürger- und um das Hospital zu einem
neuen Armenkirchhofe behalten würde. Hinter dem Hospital sollte ein starkes
Rundell erbaut werden, von da die neue Mauer hinter der „Blume" („Euro-
päischer Hof) her bis zum Sonnenberger Thore führen, von da an der Herren-
mühle vorbei, über den Schlossgraben bis an den Stümperturm (hinter der
Marktkirche) und an die alte Mauer. Diese sollte bis an das Stadtthor und
das Langelnsche Haus („Grüner Wald") repariert werden. Für „rathsamb und
nützlich" wurde es auch befunden, Stadt- und Mainzer Thor (ersteres am „Grünen
Wald", letzteres in der Kirchgasse am „Nonnenhof") abzuschaffen und aus
beiden eins zu machen, dieses unfern der „Katz" (am Accisehofe in der Neu-
gasse) dergestalt anzulegen, dass es auf die „neue Gasse" und auf die „Zwerch-
gasse" gegen die Schule dem Kirchhof (Schulgasse) korrespondieren möge."
Bei Absteckung der Mauer habe man sich eines erfahrenen Ingenieurs oder
Offiziers zu bedienen, der auch die Rundelle und Türme also anlegen sollte,
„dass die Defension von einem Orte zum anderen geschehen möge." Ohne den
stehenden Teil betrug der Umfang der Stadtmauer 300 Ruten (3600 Fuss);
jährlich sollten 100 Ruten zu IV'2 Schuh Dicke, 16 Schuh Höhe, 16 Schuh Länge
aufgeführt werden. Da aber an manchen Orten die Dicke zu 3 Schuh ge-
nommen werden müsste, so käme es jährlich nur auf 80 Ruten zu den erwähnten
Ausdehnungen. Das Kalkbrennen und Steinebrechen sollte sofort beginnen,
und gleich diesen Winter (1690/91) Material zum Bau für zwei Jahre beschafft
werden. Man ging mit regem Eifer alsbald an die Arbeit, zunächst an die
Trockenlegung der Gräben, des besseren Baues der Mauer wegen. Dann brach
der Werkmeister Bager die Katz (am Accisehofe) ab und legte die beiden
Dammauern nieder. Am 24. April 1691 kam Fürst Georg August selbst von
Idstein herüber und legte den Grundstein zum „neuen Thore" (zwischen dem
Accisehofe und dem „Rheinischen Hof"); einige W^ochen später geschah das-
selbe beim Beginne des Mauerbaues östlich vom Thore, wobei die Maurer eine
kleine Trinkfestlichkeit veranstalteten. Jetzt schritt die Arbeit rüstig voran,
so dass man Ende 1691 zwar nicht die vorgefassten 80, aber doch immerhin
57 Ruten Mauerwerk fertigstellte. Im Jahre 1692 wurde das Fundamentaus-
graben und das Mauerniederlegen fortgesetzt und das Neuaufbauen wieder be-
gonnen. Auf diese Weise verfuhr man stetig in den folgenden Jahren, 1693
bis 1697, ohne natürlich nur an die jährlich bestimmten 80 Ruten anzureichen.
Im Jahre 169G brach Bager das alte Mainzer Thor ab und baute es neu wieder
auf. Wahrscheinlich hat es noch acht Jahre in Benutzung gestanden; denn
der definitive Schluss desselben wird erst 1704 berichtet, angeblich (nach Hell-
mund), weil der Lärm des Fuhrwerkes die Andächtigen in der Mauritiuskirche
zu sehr gestört habe. Im Jahre 1697 wurde die Restauration der alten Mauer
als abgeschlossen betrachtet. Die Kosten derselben beliefen sich auf zusammen
55
6366 Gulden 14 Albus und 4 Heller. Gedeckt wurden sie durch die Stadt-
accise, das Kopfgeld und das Stadtbaugeld, welches in Wiesbaden, Sounenberg,
Dotzheim, Schierstein, Mosbach-Biebrich, Erbenheim, Bierstadt, Kloppeuheim,
Rambach, Hessloch, Auringen und Naurod erhoben wurde. Zudem waren alle
Hausbesitzer in der Stadt und auf dem Lande zu Kornlieferungen für den
Unterhalt der Arbeiter verpflichtet. Als 16!)7 die Sonnenberger nicht lieferten,
wurde ihnen die Frucht von staatswegen geschnitten und verkauft. Die neue
Mauer wurde erst später zu bauen begonnen ; ja man weiss nicht, ob die
Strecke der alten Mauer vom (alten) Mainzer Thore im Bogen hinter der heutigen
Hochstätte her bis zum stumpfen und zum heidnischen Thore nicht erst im ersten
Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts vollendet wurde. Denn dass der Bau gar
langsam vorwärts ging, erhellt daraus, dass erst im Jahre 1701 das „neue
Thor" vollständig fertig wurde, mit Turm, Brücke, Gefängnisstube und Fahne.
Es war im Viereck gebaut; der dreistöckige Neuthorturm hatte 30 Fuss im
Gevierte. An das Thor schloss sich ein 25 Fuss langes und 18 Fuss tiefes
Wachthaus an, aus dem man in den Turm gelangen konnte (auf der Stelle
des jetzigen „Rheinischen Hofes"). Im Jahre 1713 wurde das heidnische Thor
für Fuhrwerke geschlossen. An der Mauer um das Sauerland, vom letztge-
nannten Thore bis zum Hospital und von da zum Sonnenberger Thore bis zum
Stümpert baute man noch lange. Im Jahre 1720 wurde der äussere Teil des
Sonnenberger Thores und 1731 der innere (der Turm) abgebrochen und das
ganze Thor dann weiter hinausgerückt. Erst 1739 wurde das letzte Stück der
neuen Mauer vom Sonnenberger Thore bis zum Stümpert fertig gestellt und
damit das Werk der Umwallung beendet, fünfzig Jahre nach seinem Beginne.
Ursache der Verzögerung waren jedenfalls die fast drei Lustren hindurch dauernden
Unruhen des spanischen Erbfolgekrieges, welche viele Durchmärsche, Einquar-
tierungen u. s. w. zur Folge hatten, wenn auch gerade keine unmittelbare
Kriegsgefahr drohte. Aber die Landgemeinden litten doch derart, dass seit
etwa 1712 von ihnen nichts mehr zum Mauerbau bezahlt werden konnte. Auch
sah sich der Fürst öfter gezwungen, der Stadt selbst die Beisteuer zu erlassen,
so 1703 und 1704, nachdem die Gemarkung durch Hagelwetter schwer gelitten
hatte. So kamen auch manche beabsichtigten Änderungen nicht zur Ausführung.
Die ausgetrockneten Weiher wurden nicht wieder gefüllt, sondern gingen nach
und nach ein und wurden, in Acker- oder Gartenland umgewandelt, von der
Herrschaft verschenkt oder veräussert. Im Jahre 1730 bestanden nur noch
der „kalte" und der „warme" Weiher (vom Stümpert bis zum Sonnenberger
Thore). Das untere Stadtthor (am „Grünen Wald") wurde nicht geschlossen;
im Gegenteil Hess man die Allee, welche eigentlich vom neuen Thore aus nach
Mosbach führen sollte, von dem ersteren ausgehen. Diese Allee gabelte sich (etwa
in der heutigen Rheinstrasse) in den Weg nach Mosbach und den nach Mainz.
Zwischen dem unteren Stadtthore und dem alten Mainzer Thore hatte Fürst
Georg August im Jahre 1688 die Anlage des „Herrengarten" begonnen, der
später den Kurgästen zu Promenaden diente. Jedenfalls wurde derselbe von
dem vom „neuen Thore" aus nach der Biebrich-Mosbacher Strasse führenden
Wege durchschnitten. Wie weit sich dieser herrschaftliche Garten südlich er-
56
streckte, kann nicht ganz sicher angegeben werden, jedenfalls bis ins Terrain
der heutigen Rheinstrasse.
Im Inneren der Stadt begann damals der regeh-echte Strassenbau. Von
den beiden alten ^Yeihern, die sich vom Uhrturme (dem oberen Stadtthore von
ehedem) nordöstlich und südöstlich zogen, lag jedenfalls der letztere (durch die
Häusergevierte zwischen Neugasse und Marktstrasse, quer durch die Ellenbogen-
gasse bis zum unteren Stadtthore am „Grünen Wald* führend) lange trocken.
Der Plan, von ausserhalb des Uhrturmes bis zum „neuen Thore" eine breite
und gerade Strasse zu ziehen, wurde sofort in Angriff genommen. Unbekümmert
um Gärten, Wiesenplätze und Hofraithen begann man 1691 die Anlage der
neuen Gasse. Nur schöne und hohe Häuser sollten in der Fluchtlinie ge-
duldet werden. Das erste Haus stellte H. Kümmel (Kimmel) 1694 fertig. Auf
dem Terrain, das die Neugasse durchschnitt, hatten die Stifte zu St. Viktor und
St. Peter in Mainz Güter. Ersterem wurde bei der Anlage der Gasse ein Teil
seines Gartens und Wiesenplatzes ohne Entschädigung weggenommen, was einen
langjährigen Beschwerdeprozess (1696 — 1722) zur Folge hatte. Fürst Georg
August erlebte die Begleichung desselben nicht mehr. Eine Vergütung erhielt
das Stift nie. Zugleich mit der Anlage der Neugasse begann die der Fr o sch-
und der Schulgasse. Doch erhielt die Froschgasse nur auf der einen Seite
Häuser, da sich auf der anderen die Stadtmauer erhob (daher der spätere
Namen Mauergasse), und mit dem Ausbau ging es nicht so schnell weiter.
Überhaupt nicht. Im Jahre 1703 (am 16, März) musste der Fürst eine Ver-
ordnung erlassen, dass jeder, der unbebaute Hofraitheplätze besitze, binnen
acht Tagen erklären solle, ob er dergleichen Plätze bebauen, oder gewärtig^
sein wolle, dass ihm solche genommen und nach vorhergegangener gerichtlicher
Entscheidung einem andern gegeben werden sollten. Das half etwas ; aber als
im Jahre 1700 der Fürst die noch wüste liegenden Plätze verzeichnen Hess,
fanden sich deren in der Langgasse noch 18, die den Bürgern J. J. Becker,
J. Dillmann, H. G. Freiussheim, J. D. Hoffmann, P. Knefeli, G. C. Kraft,
J. V. Matt, J. Müller, J. Matz, F. Ruhwedel, H. P. Sauer, J. Scherer,
Ph. Schmidt, L. Schweissgut und J. T. Spielmann gehörten. Sonst lagen noch
die Plätze des S. Burck neben der „Glocke" („Weisses Ross") und des
N. Giessius neben dem „Vogelgesang" (h, „Reichsapfel") unbebaut, dazu die
der Badhäuser „Zum Rindsfuss" („Englischer Hof") und „Zum Salmen"
(zwischen dem „Europäischen Hof" und dem „RÖmerbad"), welch letzteres ala
baufällig 1690 abgerissen worden war. In der Langgasse wurde damals einiger-
massen eine Fluchtlinie hergestellt; sechs Hausbesitzer wurden dazu genötigt,
ihre Gebäude „in die Reihe zu rücken". Einige herrenlose Plätze zog der
Fürst ein und verschenkte sie an Baulustige. Die Kosten für die Regulierung
der Langgasse betrugen insgesamt 491 V2 Gulden. Die Ellcnbogengasse scheint
um dieselbe Zeit entstanden oder doch bis zur Neugasse und Schulgasse durch-
geführt worden zu sein. Auch der Michelsberg (damals die Oberthorgasse)
empfing damals seine regelmässige Anlage. Es war eine wenig gesuchte
Gegend, und der Platz an der „Pfaffenmühle" (Cramcrs Mühle) wurde als sehr
abgelegen betrachtet. Die dort Bauenden verlangten und erhielten mancherlei
57
Yerf^ünstigungen. Der Säumarkt (h. Hochstätte) behielt seinen Lauf, welcher
dem der hinter ihm herführenden Stadtmauer entsprechend, im Bügen ging.
Im Sauerlande entstanden zwei neue gerade Strassen, die Weber- und die
Saalgasse. Die Saalgasse führte an dem alten, nun ausgetrockneten heid-
uischetr-WeTher entlang bis zur Gegend des Hospitals und des Armenkirch-
hofes. Als letzte Strasse wurde die Grabenstrasse unter Georg August
angelegt (1719) und zwar nur auf der Seite der Metzgergasse (damals Juden-
gasse), zumeist durch Besitzer von Häusern in dieser Gasse, die den Platz an
dem ausgetrockneten Graben für sich in Anspruch nahmen. Von dem ehe-
maligen Graben, dessen Verlauf sie folgt (vom Uhrturm an nordöstlich) hat
die Strasse ihren Namen. Schon bei Beginn ihrer Anlage wird man sie frei
zur Goldgasse durchgeführt haben, der Zugang zur Krämergasse (h. Markt-
strasse) war bis in die jüngste Zeit überbaut; es stand dort bekanntlich das
Haus „Zum roten Mann". Alle Strassen waren ungepflastert bis auf die Lang-,
Krämer-, Neu- und Webergasse. Letztere empfing ihr Pflaster erst im Jahre
1716. Von einzelnen Gebäuden ist zu bemerken, dass der 1690 abgerissene
„Salm" nicht wieder aufgebaut wurde, dass aber zwischen 1691 und 1710 der
sehr verfallene „Bär" schön neu erstand. Am 31. Dezember 1692 wurde das
herrschaftliche Gast- und Badhaus „Zum Schützenhof" an Gg. Egidius Sartorius
für 750 Gulden jährlicher Pacht als Erblehn übergeben und hernach von diesem
gekauft. Im Jahre 1716 erbaute Joh. Andr. Bechthold den „Ritter" am neuen
Sonnenberger Thore. Weiterhin hätten wir noch die Verlegung des Bürger-
kirchhofs vom Mauritiusplatze auf den Heidenberg (d. h. alten Kirchhof) au
die neue Stadtmauer (1690), und den Neubau des Hospitals (schon 1682), das
aber schlecht im stände gehalten ward, zu erwähnen.
Den Einwohnern Wiesbadens griff Fürst Georg August auf jede Weise
hilfreich unter die Arme. Wie er ihnen (s. o.) zeitweise einen Teil der Ab-
gaben erlassen hatte, so kam er endlich auf den Gedanken, sie mehr und mehr
von den Fronen zu befreien. Am 28. März 1714 gab er der Stadt einen
Freiheitsbrief, in welchem er dieselbe gegen einmalige Zahlung von 1000
Gulden von allen Forst- und Jagdfrondiensten freisprach. Nur den Geschirr
haltenden Bewohnern lag die Beiführ des „Burgholzes" für Herrschaft und
Beamte ob, und zwar kamen auf jeden im Schöppenstuhl Sitzenden 17 Karren,
auf jeden anderen 8 Karren. Die Wiesbadener waren zeitweise mit dem
baulustigen Fürsten unzufrieden, und im Jahre 1720 drückte sogar der Stadt-
vorstand seine Missbilligung über manchen Zwang, der geltend gemacht worden
war, in einem sehr erregten Schreiben dem Fürsten gegenüber aus. Aber zu
offenem Aufruhr, oder auch nur zur Belästigung und Benachteiligung der
Zugezogenen wie in Idstein ist es nicht gekommen. Und doch sind die letzteren
auf das Privilegium von 1690 hin sehr zahlreich in die Stadt gezogen. Im
genannten Jahre zählte Wiesbaden 137 Bürger, 36 Beisassen, 144 Frauen,
327 Kinder, ungefähr 600 Personen. Im Jahre 1699 schon lauten die Zahlen
160 Bürger, 142 Frauen, 348 Kinder, 39 Knechte und Gesellen, 41 Mägde,
also 730 Personen. Ein Jahr nach dem Tode des Fürsten (1722) zählte man
253 Männer, 262 Weiber, 756 Kinder, 58 Beisassen, zusammen etwa 1400
58
Einwohner. Es hat sich also die Zahl der Bewohner Wiesbadens
unter Georg Augusts Regierung verdoppelt. Ein bedeutender Wetteifer
im Handwerksleben und Industriewesen entspann sich, nachdem auch seit der
Aufhebung des Ediktes von Nantes eine Anzahl gewerbfleissiger französischer
Refugies in der Stadt sich niedergelassen hatten. In einer Urkunde (Droits
et Privileges aux Franoais refugi^s, composant la colonie etablie a Wiesbade)
wird denselben zugestanden, dass sie frei nach ihren kirchlichen und richter-
lichen Gebräuchen leben, alle Rechte der 'anderen Unterthanen geniessen, ihren
Schullehrer und Kantor sowie den Geistlichen nach geschehener Präsentation
selbst anstellen, ihr eigenes Konsistorium und Presbyteriura wählen, eine eigene
Handelskammer haben sollen. Ihr Eigentum darf auf keine Weise angetastet
werden, ihre bewegliche und unbewegliche Habe soll sich vererben. Die Freiheit
der Eheschliessungen bleibt ihnen gewahrt, ebenso der Transport und die Yer-
äusserung ihrer Güter. Die Geistlichen unterstehen nicht der deutschen Kirchen-
inspektion, sondern der fürstlichen Kanzlei direkt. Zeugen brauchen die
Fremden nur zu sein, wenn es sich um Majestätsverbrechen handelt. Ihr
Gericht besteht aus einem Direktor und drei Schöffen (echevins), die Handels-
kammer aus fünf Personen (drei Kaufleuten, einem Schöffen und dem Rat).
Sie richtet (sur les fraudes et difficultes) bis zur Summe von 500 Gulden.
Ein Haus für den Prediger und eine Kirche (Betsaal) soll ihnen erbaut werden;
der Fürst behält sich die Platzbestimmung vor und verspricht Beihilfe beim
Bau. Bis zur Vollendung desselben sollen die religiösen Versammlungen in
einem Zimmer abgehalten, die Verstorbenen auf dem alten Friedhofe beerdigt,
die Kranken im Hospital verpflegt werden. Die Vorrechte der Bürger sollen
die Refugi^s wie diese fünfzehn Jahre lang geniessen, während der Zeit von
Einquartierung und allen Diensten frei sein. Ebenso wird ihnen auf gleich-
lange Zeit die Freiheit im Handel gestattet; später haben sie die Accise zu
zahlen.
Auch für das Badwesen der Stadt hat Fürst Geor^ August viel gethan.
Am 10. Februar 1686 befahl er das gemeine Badhaus öfter zu untersuchen, auch
den bisher gemeinsamen Badraum durch eine Bretterwand mit Holzgitter in
zwei Abteilungen zu scheiden, damit die Geschlechter getrennt badeten. Im
Jahre 1688 legte er dann, wie erwähnt, den „ Herrengarten " zum Promenade-
aufenthalt der Kurgäste an. Auch dass er für den Aufbau und Ausbau der
ziemlich verwahrlosten anderen Badhäuser Sorge trug, ist schon zumteil gesagt
worden. Sein Leibarzt Melchior verfasste 1697 seine „Anatomia hydrologica",
welches Buch grosse Verbreitung fand und Wiesbadens Namen allentbalben
bekannt machte, ebenso wie C. von Lohensteins damals vielgelesener Roman
„Arminius und Thusnelda", eins der schwulstigen Werke der sogenannten
zweiten schlesischen Dichterschule, dessen Handlung zumteil in Wiesbaden
spielt. Trotzdem blieb der Besuch unserer Badestadt hinter dem von Schwal-
bach und Schlangenbad noch zurück; aber die Fürsorge Georg Augusts hat
später um so grössere Früchte getragen. Ihn muss man als Begründer der
Kuriudustrio auschen.
59
Eine besondere Sorgfalt verwandte der Fürst auf die Kirche') und das
Schloss zu Wicabaden. Die alte Mauritiuskirche war zwar nach den
schlimmen Lauften des grossen Krieges im Jahre 1650 ausgebessert worden,
doch war dies so mangelhaft geschehen, dass am 17. August 1714 in einem
Berichte an das fürstliche Konsistorium über die höchst notwendige Erneuerung
des Daches und des Obergebälkes sowie über den Abbruch des Turmes Yor-
stellung gemacht wurde. Dies stimmte mit den AYünschen des Fürsten über-
ein, der mit einem teilweisen Umbau eine Erweiterung und Verschönerung der
Kirche im Innern wünschte. Alles Flicken hatte bisher nichts geholfen. Im
Jahre 1702 hatte der Hahn auf der Turmspitze eine neue Vergoldung erfahren;
das war alles, was zur „Verschönerung" seither geschehen war. Am 5. März
1715 wiederholte der Gemeinderat seine Bitte um Reparatur und legte später
einen Kostenüberschlag des Werkmeisters Bager vor. Die Regierung verwies
auf Beiträge der Klöster, die in der Stadt begütert seien, auf die Kollekten im
Lande, auf die Beiträge von Fremden und auf Erhebungen in der Stadt selbst,
wozu dann auch die Herrschaft ihr Teil beisteuern wollte. Man wandte sich
auch nach Frankfurt, wo man eine Hauskollekte bewilligt erhielt. So fing man
im Sommer des Jahres 1716 auf Wunsch des Fürsten mit der Niederlegung
des Schiffes an, während der Turm und der hintere Teil des Chores stehen
blieben. Der Werkmeister Bager reiste hierauf in den Schwarzwald, um das
Tannenholz für den Dachstuhl zu beschaffen, dessen Anführung (342 Stämme
und 4000 Borde) 1570 Gulden, dazu 300 Gulden Fracht und 324 Gulden Zoll
(an .sechs Zollstätten) von Pforzheim bis Biebrich kostete. Es gab besonders
wegen der hohen Zollsätze viel Schreibereien um Nachlass u. *s. w. ; wahr-
scheinUch musste schliesslich doch alles bezahlt werden. Um das Geld zum
Baue zusammen zu bringen, wurde auch in Darmstadt, Usingen, Saarbrücken,
Ottweiler, Worms, Speier um Bewilligung von Hauskollekten nachgesucht, die
auch mit Ausnahme von letzterer Stadt genehmigt wurden. Daneben wurden
die Landleute zu Holzfuhren angehalten, und in Wiesbaden selbst raussten die
Bürger stark beisteuern. Bis zum 24. Juli 1717 waren laut Rechnungsextrakts
in Summa 3593 Gulden eingegangen; dagegen betrugen die Ausgaben bereits
3596 Gulden 7 Albus + 1603 Gulden = rund 5200 Gulden. Der Gemeinderat
reichte diesen Rechnungsüberschlag stillschweigend ein. Nichtsdestoweniger
musste man jetzt mit Bauen fortfahren. So begann denn auch im Frühjahr
1717, nachdem man am 21. Mai einen Vertrag mit dem Zimmermann Goslar
wegen des Baues abgeschlossen hatte, der letztere von neuem und wurde mit
Energie fortgesetzt, so dass am Ende des Jahres der Rohbau fertiggestellt war.
Das Schiff wurde erneuert und an den Turm, der früher freistand, Unks und
rechts angeschlossen; auch das Chor erfuhr eine Veränderung. Aber die Arbeit
ging allzurasch von statten, das Material, das verwendet wurde, war nicht das
beste, und die Bindemittel waren schlecht bereitet. Das hatte zur Folge, dass
in den nächsten Jahren fortwährend geflickt und gebessert werden musste;
auch machte der Ausbau im einzelnen so schlechte Fortschritte, dass ein
') Nach Rössel, Denkmäler I, uml Roth, Gesclilchte von Wiesbaden.
60
Schluss des Baues eigentlich erst gegen das Jahr — 1771 verzeichnet werden
kann. Dabei war der Stil der Kirche so unschön, dass er später wiederholt
den Pfarrer Hellmund zu recht derben Vergleichen nötigte. Die Ausschmückung
im Inneren ging gleichfalls langsam voran. Die im Jahre 1709 neu angeschaffte
Orgel wurde im Chore auf einer Empore aufgestellt; aber erst 1721 wurden
die Schreinerarbeiten an derselben vergeben. 1719 hatten die Schreinerarbeiten
und die Stuckaturen überhaupt erst begonnen. Andreas Egidius aus Wies-
baden und Michel Rössel lieferten die Holzarbeiten. Die Kosten betrugen im
ganzen 773 Gulden 9 Albus 4 Heller. Die Treppe zum Altare schenkte im
Jahre 1721 ein Mainzer Steinhauer. Der Turm behielt einstweilen seine
ursprüngliche Gestalt; er besass einen stumpfen Unterbau, dessen Dach in der
Dachhöhe des Schiffes begann und, geschweift nach innen, oben zulief. Dort
krönte ihn ein vierseitiges Türmchen mit niederer Haube. Der ganze Dach-
stuhl war äusserst schwach, so dass man öfters beim Läuten der Glocken ein
Schwanken des Türmchens bemerkt Tiaben wollte. Wenn man bedenkt, welche
verhältnismiissig hohe Summen der Umbau und die Ausbesserungen erforderten,
so kann man sich nicht genug wundern, dass man für das Geld nicht einen
viel besseren Bau errichtete. Sicher war die Gleichgiltigkeit und Nachlässigkeit
der Bauunternehmer und Werkfiihrer Schuld daran, dass der ganze Plan miss-
lang; hätte Fürst Georg August länger gelebt, so würde die Sache vielleicht
eine andere Wendung genommen haben. Der Platz um die Kirche war 1690
durch Durchbruch der Kirchhofsmauer eröffnet worden; doch wurde die Stelle
später (1740) des „Geschnatters der Gänse wegen" wieder geschlossen (bis 1809).
Das alta,^chloss^) auf dem Markte erfuhr in den Jahren 1695/96 einen
gründlichen Umbau und teilweise Vergrösserung. Die Front war gegen das
„Weisse Lamm" und den früheren „Grünen Baum" gerichtet, in der Verlängerung
des heutigen Schlosses und der Marktstrasse. Dieser Hauptbau war dreistöckig,
52 Fuss tief und hatte im Mittel- und Oberstock je 8 Fenster. An der Nord-
westecke (nach dem jetzigen Königl. Schlosse zu) war ein Wachthäuschen an-
gebaut. Der Unterstock war 15, der folgende 14, der dritte 13 Fuss hoch.
Wenn man an der Fronte des heutigen Rathauses entlang scjiritt, traf man auf
die Einfahrt; links zur Erde fand man einen Vorplatz und vier Gemächer, rechts
die Konditorei, Küche, Vorratskammer und das Treppenhaus. * Im Mittelstocke
befanden sich der Saal mit einem Altane, zwei Vorplätze, die Schenk- und
Spülräume und vier herrschaftliche Zimmer. Der Oberstock enthielt sechzehn
kleinere Wohnräume. Die architektonische Ausstattung des Mittelstockes, die
sehr gepriesen wird, wurde von dem Stuccator Hieronymus Pärna 1696 im Stile
Louis' XIV. ausgeführt; das Holzgetäfel war mit Goldleisten eingefasst. Über
den Thüren waren Medaillons angebracht. Hinter diesem Hauptbaue befand sich
der Schlosshof, der auf der Hinterseite durch den langen Marstall mit Holz-
fachwerk-Oberbau abgeschlossen wurde. Der Marstall zog sich etwa fünfzig
Schritte vor der heutigen Marktschule, parallel mit dieser hin, nach der Seite
der Kirche zu verschoben, so dass sein rechter Flügel auf dem Platze des
•) Xa(.li TIi. Schüler, Wiesb. Taijbl., 1883, No. 252.
61
(ehem.) Lauterbachschen Hauses stand. Der hinter dem Stalle herführende alte
Graben, damals trocken, kam später (1725) zum „Mühlengarten/ Zwischen
dem linken Flügel des Schlosses und dem Marstalle lag ein Gärtchen; der Aus-
gang aus dem Hofe befand sich neben dem Stalle (beim Beginne der heutigen
Mühlgasse.) Die östliche Seite des Hofes wurde von einem Kutschenschuppen
begrenzt, der auf dem vorderen Teile des Platzes der Marktkirche stand; er
hatte sechs Doppelthore. Zwischen ihm und dem Schlosse lag wieder ein
Gärtchen. Zwischen dem Marstall und dem Schuppen befand sich der Zugang
zum hinteren Schlosshofe durch einen Thorbogen. Links standen die Zehnt-
scheuern ; daran reihten sich winklig die Scheune, das Kelterhaus, die Schweine-
ställe, die Remise, das Hof- (später Pfarr-) haus, daran im rechten Winkel die
Brennerei, andere Stallungen, Taglöhner- und Gesindewohnungen und der Kuh-
stall (an Stelle des 1826 erbauten, 1883 niedergerissenen Gefängnisses). Zwischen
demselben und dem Kutschenschuppen trat man vor das Schloss und auf den
Markt hinaus. Fürst Georg August hat sich mehrfach im Schlosse za Wiesbaden
aufgehalten, bevor das zu Biebrich erbaut war. Dann bestimmte er es seiner
Gemahlin zum Witwensitze, und diese ist auch (1728) in demselben gestorben.
Es ist nicht bekannt, welche Gründe den Fürsten Georg August bestimmten,
seine Residenz aus dem altehrwürdigen Schlosse seiner Väter an den Rhein zu
verlegen. Gewiss waren es keine politischen und religiösen; wahrscheinlich
wollte er sich an der schönsten Stelle seines Landes ein petite Versailles schaflFen.
Graf Johannes hatte ehedem schon am Rheinstrome sich ein Lusthaus erbauen
lassen; sein Sohn begann den Schlossbau zu Biebrich nach einem grossen
Plane. Das neue Schlosa sollte zwei Stock hoch sein, einen Längsbau mit
einem grossen Rundturme in der Mitte und zwei grosse Flügel haben. Drei
Jahre, von 1704—1700 wurde an dem Gebäude gearbeitet, das heute noch
durch seine Stattlichkeit, namentlich vom Rheine aus, einen reizvollen Eindruck
auf den Beschauer macht. Die innere Ausschmückung erregte bereits das Ent-
zücken Daniel Wilhelm Trillers, der Biebrichs und besonders seines Schlosses
Schönheiten poetisch verherrlichte. Die Gemälde, Statuen, Marmorverzierungen
und Stuckarbeiten des Mittelbaues werden besonders rühmend erwähnt. Die
Figuren auf der Rotunde sind bekanntlich zur Zeit der Belagerung von Mainz
durch französische Schüsse zumteil zertrümmert oder beschädigt worden (1793).
Auch die Anlage des Parkes ist Georg Augusts Werk; die beiden Alleeen,
„die von den Flügeln des Schlosses bis zu dem (abgebrochenen) Orangenhause
führen", die Laubgänge, Taxushecken, Beete und Fontainen waren nach fran-
zösischem Geschmacke angelegt. Zwischen dem Ziergarten und dem Dorfe
^[osbacTi Täg~au den Seiten der vom Schlosse führenden Mittelallee rechts eine
Reitbahn, links der Obst- und Gemüsegarten. Dann folgte eine grosse Wiese,
durch welche der Weg, die Fortsetzung der Mittelallee, nach dem Thore des
Gartens auf der Mosbacher Seite lief. " Jedenfalls war die ganze Anlage für die
damalige Zeit recht ansehnlich. Die Moosburg dagegen verdankt ihre Entstehung
erst dem Herzoge Friedrich August. Im Jahre 1721 wurde eine Kapelle im
Schlosse hergerichtet, doch blieb der Ausbau im Inneren in mancher Beziehung
unvollendet.
62
Die Umgegend der Stadt Wiesbaden^) gewährte beim Beginne
der Ref'ierung Georg Augusts einen ebensowenig erfreulichen Anblick wie die
Stadt selbst. Ringsherum lagen weite von der Herrschaft oder der Stadt als
Viehtriften benützte verwilderte Ackerflächen. Der grosse Krieg hatte sie ver-
wüstet, den Menschen entwertet; niemand zeigte grosse Lust, sich in weiterer
Entfernung von der Stadt dem Ackerbaue zu widmen. Man musste froh sein,
verschiedene Stücke gegen geringes Entgelt für Urbarmachung einzelnen Bürgern
zu überlassen. So verteilte denn die Stadt im Jahre 1686 2IV2 Morgen vom
„Ankam", den Morgen zu zwei Gulden, im Jahre 1687 einen Teil der „Wellritz",
den Morgen zu vier Gulden. Auch einen Teil des dortigen Eichenwaldes über-
liess sie in demselben Jahre an Käufer, um an das Mainzer Domkapitel eine
Schuld von 1000 Gulden abtragen zu können. Dasselbe geschah im Jahre 1711,
in welchem eine Anzahl Wiesbadener und Dotzheimer abermals einen grossen
Teil des Waldes erstanden und Ackerland aus demselben machten. Das Well-
ritzthal scheint damals noch sehr waldig und sumpfig gewesen zu sein.- Viele
Wasseräderchen des Druderbaches durchzogen es und vereinigten sich erst
unmittelbar vor der Stadt. Auf der anderen Seite dagegen war der Boden
Heideland. Hier lag zwischen der Bierstadter und Frankfurter Strasse der
„kleine Hainer", ein im Jahre 1748 noch 210 Morgen grosser, und dahinter
der „grosse Hainer", ein 57 Morgen, früher im ganzen ca. 600 Morgen grosser
Distrikt. Er war wüste, mit wilden Obstbäumen, Gestrüpp und Gras bewachsen
und diente den herrschaftlichen Hofgütern als Weideplatz. In den Jahren
1(390—93 vergab die Stadt in ihrem an den ,.,Hainer'' stossenden Distrikte
„Unter dem Hainer" 23 Morgen, und nun griffen die Anbauer dort ins Herr-
schaftliche über und rodeten im „Hainer" an. Am 15. Februar 1693 verbot
dies zwar der Fürst auf Klagen seiner Hofleute hin; trotzdem machten die
Bürger weitere Strecken urbar. Im Jahre 1701 fand eine Untersuchungs-
kommission, dass 43 Personen eine Fläche von zusammen 80 Morgen im „Hainer"
angerodet hätten. Georg August gab das jetzt zu, ja er verteilte sogar den Rest
des „grossen Hainer" und einen Teil des „kleinen" zu drei bis vier Gulden
für den Morgen und gegen Lieferung von zwei Kumpf Korn jährlichen Zehntens
an die Rentei. Den Rest des „kleinen Hainer" 86 Morgen kaufte dann die
Stadt ein Jahr nach des Fürsten Tode (1722) von dessen Nachfolger, Graf
Friedrich Ludwig. Auf der Nordseite der Stadt erhob sich der Geisberg, eine
wüste Viehweide, mit Heidekraut und Wachholderbüschen reichlich bewachsen.
Hier wollte unter Georg August ein Bürger, Johannes Wenninger von Wies-
baden, einen Hof anlegen, wenn ihm 150 Morgen Ackerland und 20 Morgen
Wiesen zehntfrei und erbeigentümlich überwiesen würden. Ob es geschah,
wissen wir nicht; der jetzige Hof wurde bekanntlich erst von dem Regierungs-
präsidenten von Kruse (1783) erbaut. Früher ging man an die Bebauung
des Neroberges, damals und noch lange später „Nersberg" geheissen. Die
Südseite desselben, jedenfalls mit Wald bestanden, wurde gerodet ifnd mit Wein
bepflanzt. Das geschah 1720 durch den Bürger Eisen. Südlich der Stadt lag,
«) Nach Th. Schüler, Wiosb. Tagbl., 1881, No. 273.
63
wie wir wissen, der herrschaftliche Garten („Herrengarten"). Eine besondere
Sorgfalt liess der Fürst dem Mühlen wesen angedeiben. Zum Salzbache flosa
damals, wie heute noch, auf der Ostseite der Stadt eine Anzahl Bäche zusammen,
von denen wir annehmen dürfen, dass sie in jeuer Zeit, des allenthalben stärkeren
AValdwuchses wegen, stärker und reissender waren und auch ein grösseres
Gefiille hatten. Der durch das Sonnenberger Thal fliessende Rambach war
jedenfalls die bedeutendste Wasserader; in denselben mündete zunächst der
Schwarzbach aus dem Neresthale, der die Abflüsse der warmen Quellen in der
Stadt aufoahm, dann der Dendelbach, aus dem Walkmühlthale, der mitten durch
die Stadt floss und der Druderbach aus dem Wellritzthale, der sich südlich der
Stadt mit dem Rambache vereihrgte. Eine Abzweigung des Rambaches trieb
die sehr alte Dietenmühle, die, im grossen Kriege verwüstet, 168G vom Amt-
manne J. W. Graff (des Fürsten ehemaligem Reisebegleiter) neuerbaut wurde.
Die übrigen unter der Regierung des Fürsten Georg August neuerbauten,
bezw. erneuerten Mühlen sind : die Hammermühle (an Stelle eines alten Eisen-
hammers) 1690, die Neumühle 1696 und die Steinmühle 1704, alle am Salz-
bache, die Firnselmühle 1715 am Rambach (hinter dem Pariser Hof), die
Schloss- oder Herrnmühle 1682, die Kimpelmühle 1692, die Ölmühle 1719 und
die Kreckmannsmühle 1720 (beide in der Emserstrasse), alle am Dendelbache,
die Klostermühle 1700 und die "VVellritzmühle 1702, beide am Druderbache.
Der Betrieb dieser Mühlen war sehr rege und trug ganz gewiss dazu bei, die
gewerbliche Thätigkeit in Wiesbaden und auf dem Lande zu heben.
Dieselbe Fürsorge, welche Georg August der näheren Umgebung Wies-
badens erwies, dehnte er auf sein Ländchen überhaupt aus. Biebrich und
Mosbach^), die beiden Schwestergemeinden am Rhein, hatten in Kriegszeiten,
namentlich während des dreissigjährigen, viel zu leiden gehabt wegen der Nähe
von Mainz. Sie sollten deshalb zu besserem Schutze befestigt werden. Im
Jahre 1688, als der dritte Raubkrieg begann, wurde ein vierzehn Fuss tiefer
Graben um beide Orte gezogen und ein Damm aufgeworfen. So gut gemeint
dies Werk schien, so nutzlos und hindernd war und wurde es. Denn einen
Schutz vermochte die Verteidigungslinie doch nur dann zu gewähren, wenn
hinter derselben Verteidiger standen, und diese fehlten eben. Zudem brachte
der Graben Verkehrsstockungen mit sich, da er nur einen Zugang von der
Armenruhmühle her hatte. Der Wohlstand der Gemeinde war nicht besonders ;
hatten die armen Leute doch im Jahre 1648 noch 30000 Thaler zur Deckung
der durch den grossen Krieg entstandenen Schäden aufnehmen müssen. Erst
allmählich hob er sich, und zwar brachte der Bau des Schlosses manchen
Verdienst. Im Jahre 1695 errichtete Matthias Weiss in Biebrich die erste
Metzgerei und Wirtschaft „Zum weissen Schwan". Um 1700 erhielt die Schloss-
strasse Pflaster, 1712 wurde die Kirche erneuert und erweitert. Im Jahre
1684 hatten die beiden Orte zusammen 443 Einwohner, die Zahl stieg bedeutend
seit 1704. Auch die Nachbargemeinde Schierstein erholte sich seit jener Zeit
etwas mehr, und von den übrigen Ortschaften im Amte Wiesbaden kann man
') Nach Th. Schüler, Wiesb. Tagbl., 1887, No. 102.
64
Ahnliches berichten, trotzdem der spanische Erbfolgekrieg manchmal durch
Truppendurchmärsche und Einquartierungen sich recht fühlbar machte. Das
Amt Wehen^), von Natur aus nicht recht wohlhabend, hatte die grössten An-
strengu'ngen' zu machen, um seine Erwerbsquellen erspriesslich aufzuschliessen.
Der Fürst griff auch hier unterstützend ein. Um 1700 erstanden vier neue
Mühlen im Wehener Grunde; 1686 hatte Georg August die Hahner Eisen-
schmelze angelegt, zwischen 1700 und 1712 erbaute er den Seitzenhahner
Hammer. Der Jahrmarkt zu Wehen wurde erneuert und erfreute sich eines
so lebhaften Besuches, dass die Stiftsherren zu Bleidenstadt auf denselben
neidisch wurden und einen eigenen zu Bleidenstadt errichteten (1712). Seiner-
seits verbot nun der Fürst seinen Unterthanen den Besuch des letzteren, was
zur Folge hattef dass der Versuch der Herren scheiterte. Das Stift war über-
haupt nur noch ein Schatten seiner früheren Grösse und Wohlhabenheit. Seit
der Reformation war es in zwei Teile, einen katholischen und einen evange-
lischen geteilt. Letzterer war nassauisch geworden. Demgemäss schied sich
auch der Ort Bleidenstadt in zwei Hälften, deren Grenze allerdings anfangs
nicht genau festgesetzt war. Im Jahre 1705 jedoch schlössen Fürst Georg
August und die Stiftsherren einen Vertrag, nach welchem die Selbständigkeit
des katholischen Teiles bestätigt und die Grenze genau bestimmt und durch
gesetzte Stgjne angedeutet wurde. So erhielt sich der Rest des Stiftes noch
fast hundert Jahre bis zur grossen Säkularisation. Die anderen Ortschaften
des Amtes Wehen hoben sich auch allmählich wieder; 1707 baute sich Born
eine eigene Kirche. In den Amtern Idstein und Wehen erkauften sich (1684)
die Stadt Idstein und die Flecken „Walstorff, Hefftrich, Neuhof, Adolfseck,
Eisenkoben und Walrabenstein" Freibriefe für teilweise hohe Summen — Idstein
i^ahlte 136 Gulden 1 Albus -|- 21 Gulden Kanzleigebühren; aber diese Briefe
wurden die Grundlage zu einem gedeihlichen Leben und Wohlstande. Die
Gebäude des (1823 abgerissenen) Klosters Walsdorf wurden in den Jahren
1691 — 93 von dem Fürsten verkauft, die Klostergüter dagegen, welche die
Walsdorfer nicht kaufen wollten, da ihnen die geforderte Summe von 6100
Gulden zu hoch war, erblich verpachtet. Der Erbleihbrief, welcher der Ge-
meinde am 30. Dezember 1707 darüber ausgestellt wurde, kostete 100 Gulden.-)
Das Amt Burgschwalbach hatte wohl weniger gelitten, als Idstein, Wehen
und Wiesbaden, doch sind auch hier mannigfache Spuren des Waltens Georg
Augusts zu erkennen. Zwei vereinzelt stehende Anlagen sind die des Hofes
Georgenthal bei Strinztrifritatis und die der „Fasanerie" bei Wiesbaden,
Letztere, 1690 erbaut, war lediglich ein Jagdschlosschen mit daranstossendem
Garten für Wild, namentlich Fasanen, von denen das Jägerhaus den Namen
erhielt. Die alten Ulmen, welche an dem Wege, der von der Lahnstrasse zur
Fasanerie abzweigt, zumteil noch stehen, sind jedenfalls vom Fürsten Georg
August gepflanzt.
Eine Gründung, obwohl der Ausdehnung nach von untergeordneter Be-
deutung, lenkt doch unsere Aufmerksamkeit auf sich wegen der Schwierigkeiten,
>) Nach Th. Schüler, Wiosb. Tagbl., 188G, No. 90. — *) Nach Deissmann, Ge-
schichte von WaUdorF.
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mit denen sie zu kämpfen hatte bis ihre Existenz gesichert war, und weil sie
ein Bild des Verfahrens giebt, daa man damals bei Neuansiedelungen einschlug.*)
Am Hange der „Hohen WurzeP, der waldig zu einem Wiesenthaie abstürzt,
und von dem man einen freien Blick ins schöne liheinthal hat, stiess zu des
„heiligen römisch-deutschen Reiches" spätesten Zeiten noch dreier Reichsfürsten
Gebiet zusammen: von Süden und Westen her das mainzische, von Osten das
nassauische und von Norden her das katzenelnbogische (hessen-rheinfels-roten-
burgische). Der Besitzstand war hier nicht genau abgegrenzt, wenigstens
scheint das nicht zwischen Nassau und Mainz auf der Seite nach Frauenstein
zu der Fall gewesen zu sein. Nach dem im Jahre 1693 erneuerten Einfalle
der Franzosen in die Pfalz kamen eine Anzahl flüchtender, (wahrscheinlich
pfälzische) Familien ins Nassauer Land, um der Privilegien, die der Fürst den
Einwanderern gewährte, teilhaftig zu werden. Für zwölf bäuerliche Familien
beschloss nun Georg August eine eigene Niederlassung in jener Grenzgegend
zu gründen; die Neuangesiedelten sollten gewissermassen einen Eckpfosten des
Nassauischen gegen Mainz und Hessen bilden. Die zwölf Familien fanden sich
bald. Im Frühjahre 1694 erhielten sie eine Waldfläche von 300 Morgen am
Hange der „Hohen Wurzel" angewiesen, die folgendermassen verteilt wurde.
Jede Familie bekam eine Hofraithe mit Gärtchen und 18 Morgen Ackerland,
das sie selbst roden musste; das Übrige blieb für Gemeinbauten aufgespart.
Eine entsprechende Strecke Weideland und Wiesen, sowie Bau- und Brennholz
wurde ausserdem zugegeben. Zehn Jahre lang sollten die Leute vollständig
von allen Lasten und Abgaben frei sein und nur nach dem zweiten Jahre den
Zehnten zahlen. Die Ansiedler gingen rüstig ans Werk; es waren ans Arbeiten
gewöhnte, unverdrossene Menschen, die froh waren, eine Unterkunft gefunden
zu haben. Sofort aber stiessen sie auf den Widerspruch der mainzischen Nachbar-
gemeinde Frauenstein. Die Frauensteiner klagten, dass ihnen von den Fremden
öin Teil der Röderwiesen, die sie seit Jahren besessen hätten, und die ihnen
gehörten, weggenommen worden seien, und sie protestierten dagegen bei ihrem
Kurfürsten. Derselbe scheint indessen vorderhand nichts unternommen zu haben;
denn die neue Gemeinde, Georgenborn genannt, nach des Fürsten und Pro-
tektors Namen, entwickelte sich weiter. Da trieb im Jahre 1697 der Fraueu-
steiner Hirt sein Vieh auf die Wiesen und Äcker der neuen Ansiedler, und
die Georgenborner sowie die übrigen nassauischen Nachbargemeinden vergalten
auf Befehl des Fürsten Gleiches mit Gleichem. Seitdem entspann sich ein
fortwährender Kleinkrieg. Die Frauensteiner überfielen einen Müller, der unter-
halb Georgenborn angesiedelt war, schleppten ihn nach ihrem Orte und setzten
ihn im Gemeindehause gefangen. Doch gelang es ihm zu entkommen, trotz-
dem Sturm geläutet und ihm nachgesetzt wurde. Im Jahre 1698 folgte dann
eine förmliche Verwüstungsrazzia der Frauensteiner ins Georgenborner Gebiet,
die so nachdrückliche Spuren hinterliess, dass die Ansiedler 1000 Gulden bei
der Hofkammer zur Deckung der Schäden aufnehmen mussten. Zehn Jahre
lang blieb es hierauf ruhig; in der Zeit bestanden am Orte 8 Wohnhäuser
') Verj^l. auch Th. Schüler, Wiosb. Tagbl., 1884, No. 133 u. 139.
66
und 2 Scheuern. Als man aber dann ein neues Haus bauen wollte und das
Rodland neu besamte, das bis dahin brach gelegen hatte, ging der Streit wieder
an. Am 28. August 1708 rückten zweihundert Mann kurmainzischer Land-
miliz unter Anführung des Landschreibers von Eltville ganz unerwartet gegen
Georgenborn. Mit wahrhaft frenetischer Zerstörungslust wurden die Garten-
zäune abgerissen und verbrannt, die Obstbäume, die nun schon teilweise zwölf
Jahre gestanden hatten, abgehauen, die Pflanzen ausgerissen, die Frucht ver-
brannt. Hühner und Gänse raubte man; die Erdfrüchte wurden in dazu mit-
gebrachten Wagen fortgefahren ; das aus dem Mainzischen mitgenommene Vieh
Hess man die Acker zertreten. Mit klingendem Spiele zogen die Räuber ab,
gegen deren Überzahl die Georgenborner mit Armesmacht nicht aufkommen
konnten. Sie beschwerten sich natürlich sogleich bei ihrem Landesherrn, und
dieser legte in Mainz "Verwahr gegen derartige Gewaltthätigkeiten ein. Genützt
hat das wenig; auch die Konferenzen zur Ausgleichung der Streitigkeiten führten
zu nichts. In den Jahren 1713 und 1716 wiederholten sich die Überfälle,
wenn auch nicht in der Ausdehnung wie 1708. Unter diesen Umständen
konnte der Fürst fast nichts Weiteres thun, als die Leute zum Bleiben ermutigen
und durch Schenkungen und Unterstützungen nachhelfen. Den Mut der wackeren
Ansiedler muss man bewundern; sie hielten aus, denn sie hatten die neue
Heimat liebgewonnen. Freilich blieben sie mit ihren Leistungen im Rückstande,
so dass man 1723 von Seiten der Herrschaft den Ort, der nur Kosten verursacht
und an dem nur sein verstorbener Gründer Interesse hatte, eingehen lassen
wollte. Indessen verpflichteten sich im Jahre 1726 die zwölf Bürger zu pünkt-
licher Zahlung, und so blieb Georgenborn bestehen. Im Jahre 1728 erliess
die Fürstin-Regentin Charlotte Amalie den Bewohnern überdies die Schuld
jener 1000 Gulden, und die Georgenborner hielten sich fortan sogar einen
eigenen Lehrer. Heute ist der Ort ein hübsches, blühendes Dörfchen.
Wenn wir im Vorhergehenden die kolonisatorische Thätigkeit Georg Augusts
hauptsächlich betrachtet und dabei die industriellen Anlagen nur kurz berührt
haben, so müssen wir nun unsere Aufmerksamkeit einer der letzteren zuwenden,
die recht vielversprechend war, leider aber fehlschlug.^) Ein einträglicher Zweig
der Industrie, der besonders in damaliger Zeit in Frankreich gepflegt wurde,
war die Fabrikation geblasener Glasspiegel nach der Methode des Venezianers
Gallo. Im Jahre 1704 kam ein Franzose aus der Normandie, Pierre Bernard de
Ste. Pierre nach dem Idsteinischen, gab Georg August den Plan zu einem Glas-
werke und stellte zugleich ihm die Vorteile desselben vor. Der Fürst, immer
bereit auf Neues und Nutzbringendes einzugehen, griff den Plan des Franzosen
auf, zumal in Deutschland damals noch wenige Spiegelglasfabriken bestanden.
Die Räume des Klosters Clarenthal standen teilweise unbenutzt und schienen
sich vortrefflich zu Arbeitsstuben zu eignen. Ste. Pierre aber besass kein
Kapital, um das Unternehmen beginnen zu können; so musste sich der Fürst
dazu verstehen, 5421 Gulden vorzuschiessen. Der Franzose sollte diese Summe
zu 6% verzinsen und nach Einrichtung der Fabrik 300 Gulden jährlicher Pacht
'J Nach Th. Schüler, Wiesb. Tagbl., 1882, No. 266 u. Roth, Gesch von Wiesbaden.
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entrichten; vom Reingewinn war das Kapital allmählich abzutragen. Das Brenn-
holz sollte ihm aus den umliegenden Waldungen, die Klafter zu 22 Albus
4 Heller (= etwa 1.30 Mk.) geliefert werden. Alle Fabrik- und Wohngebäude
waren Steuer-, der Lebensmittel- und Getränkeverkauf an die Arbeiter accise-
freL Die zugehenden Rohstoffe sowie die ausgeführten Fabrikate brauchten
nicht verzollt zu werden. Dem Unternehmer und seinen Leuten, die katholisch
waren, wurde der Gottesdienst bei verschlossenen Thüren gestattet; Taufen,
Kopulationen und Begräbnisse dagegen nahm der evangelische Pfarrer vor.
Nun begann der Umbau des Klosters im Innern, und mit dem Versetzen der
Wände und Pfeiler, dem Übertünchen und Vermauern verschwand fast jede
Erinnerung an die frühere Zeit und die ehemalige Bestimmung der nun-
mehrigen Fabrikräume. Die Anlage scheint nach den Beschreibungen in jeder
Hinsicht ausreichend und sogar grossartig gewesen zu sein. Ihr Betrieb be-
gann im Jahre 1706, und der Fürst war so erfreut, dass er bei der Eröffnung
dem Unternehmer und seinen 25 Arbeitern ein kleines Fest gab und sie be-
schenkte. Aber der Absatz der angefertigten Spiegel ging im ersten Jahre
schlecht. Ste. Pierre trat, als der Vertrag mit dem Fürsten abgelaufen war,
zurück. Ein anderer Franzose (oder Engländer) William Bayli (Baillie?) nahm
seine Stelle ein, machte aber Schulden und entfloh schon 1707. Hierauf
wurden Du Manoir und Ste. Marie, geborene Pariser, Leiter der Fabrik. Sie
setzten an Stelle der Spiegelglasfabrikation die der Rohrspiegelgläser und des
weissen Fensterglases. Schon nach drei Jahren aber wurden die beiden Unter-
nehmer uneinig. An Stelle des Ste. Marie, der Ciarenthal verliess, trat ein
Deutscher namens Weiss, der zuletzt allein dastand, da auch Du Manoir,
Schulden hinterlassend, durchging. Nun folgten fast in jedem Jahre neue
Leiter, lauter Deutsche, die aber wahrscheinlich nichts von der Fabrikation
verstanden. Zum Jammer der Bauern verbrannte man dabei Unmassen von
Holz, so dass der Wald ringsum stellenweise ganz verschwand. So schlug man
z. ß. in den Jahren 1713 und 14 an 630 Klaftern. Im Jahre 1720 erbot sich
wieder ein Franzose, Joseph Compagnon, eine Reform der Fabrik vorzunehmen,
so dass vor allen Dingen weniger Holz verbraucht werde und auch die Spiegel-
glasfabrikation wiederaufgenommen werden könnte. Man hatte seit 1716 auch
Trinkgläser angefertigt. Wiederum begann das Bauen; die alten Öfen mussten
abgebrochen und neue errichtet werden. Die Arbeiten schleppten sich hin ; Fürst
Georg August ist darüber gestorben. Da brach im Jahre 1723 durch Un-
vorsichtigkeit Feuer aus, und es brannten der Dachstuhl des „Nonnenbaues*^
und mehrere Wohnräume ab. Der dadurch angerichtete Schaden kam fast an
600 Gulden, die Compagnon aufgerechnet wurden. Da dieser sich weigerte,
den Wiederaufbau auf seine Kosten zu übernehmen, schickte man ihn im Jahre
1724 fort und wandelte die Glasfabrik in eine Papierfabrik um. Die Schicksale
derselben zu verfolgen ist nicht unsere Aufgabe. Bemerken möchte ich nur
noch, dass das verunglückte Unternehmen zu Clarenthal hundert andere gleich-
zeitige in Deutschland zur Seite stehen hat. Die Kulturgeschichte weist dies nach.
Der Verkehr innerhalb der Grafschaft und nach aussen auf den Land-
strassen und Feldwegen war nach dem grossen Kriege wenig lebhaft gewesen,
68
und die Wege befanden sich allenthalben im Verfalle. Durch eine seiner ersten
Verordnungen vom 16./26. Februar 1685 befahl daher der Fürst, dass die Ge-
meinden die Landstrassen und Wege in Wald und Flur binnen vier Wochen
zwanzig Fuss breit anlegen und zum besseren Reiten und Fahren ebenen sollten ;
im Falle der 2slchtbeaehtung dieser Vorschrift sollten die Säumigen mit 50 Gulden
Strafe belegt werden. Von einem regelrechten Chausseebau war damals noch
nicht die Rede; es handelte sich hier bloss um ein einfaches Erbreitern und
Überschütten der Wege mit Schutt und Sand, ein Ausgleichen der Lücher
u. 8. w. Die Anzahl der Strassen durch die Grafschaft war auch nicht bedeutend.
Von Wiesbaden aus lief gen Norden ein Weg, der nach Wehen, Bleidenstadt
und Schwalbach führte und sich erst auf dem Gebirge entsprechend gabelte.
Ein anderer führte nach Idstein, von der Sonnenberger Strasse abzweigend, ein
dritter nach Frankfurt über den „Hainer", von dem der Bierstadter und Mainzer
Pfad sich trennten, und der vierte war die Allee vor dem Stadtthore, die sich
in die Strassen nach Mainz, Mosbach und Schierstein verzweigte. Eine wirkliche
Land- oder Hochstrasse durch nassauisches Gebiet war die alte Köln-Frank-
furter Strasse. Zur Zeit des Fürsten Georg August wurde auf derselben der
Postverkehr vermittelt.^) Denselben leitete bekanntlich im „heihgen römischen
Reiche deutscher Nation" (seit 1615) der Reichs-Generalpostmeister und spätere
Reichsfürst von Thurn und Taxis. Ursprünglich war, des grossen Krieges und
der Heere wegen, welche auf den grossen Strassen einherzogen, die Postlinie
Köln-Frankfurt eine andere gewesen; die vier Stationen befanden sich zu
Oberroth (a, d. Aldenburg), Freiendiez, Maxsayn und Birnbach. Der Postreiter
ritt jede Woche einmal von einer Station zur nächsten, gab sein Brieffelleisen
ab und nahm das angekommene mit zurück. Als dann die Hohe Strasse ge-
wählt worden war, wurden etwa seit 1704 regelmässige Postfuhren eingerichtet.
Aus den Postreitern wurden Posthalter; die Ilauptstation im Idsteinischen war
zu Würges bei Idstein. Die' Stadt Wiesbaden hatte damals (bis 1711) nur
gleichsam eine Nebenverbindung mit der freien Reichsstadt Frankfurt und zwar
durch den Rheinfelser Boten. Dieser kam zweimal in der Woche auf seiner
Tour durch Wiesbaden, nahm im Wirtshause „Zum Rappen" in der Marktstrasse
(Seiler'sches Haus) die Briefe mit und gab die erhaltenen ab. Im Jahre 1711
schlug nun Fürst Georg August dem Fürsten Thurn und Taxis vor, in Idstein
eine eigene Poststation zu errichten. Die kaiserlichen Stationen waren damals;
Frankfurt, Königstein, Würges, Limburg, Walmerod, Freilingen, Gieleroth,
Weyerbusch u. s. w. Sie waren schon seit 1704 vermehrt worden. Der Geueral-
postmeister erklärte den Wunsch des Fürsten für unerfüllbar, da Idstein eine
geschlossene Stadt sei. Verhandlungen Georg Augusts mit dem Kurfürsten von ^
Trier, der mit Nassau-Oranien in Würges, der nächsten Station, die Gemeinsame .
hatte, sehlugen ebenfalls fehl. Da stellte Georg August einen eigenen Boten
an, der jeden Montag und Freitag von Idstein über den „Troflipeter" nach
Wiesbaden ritt. In der Stadtschultheisserei in Idstein wurde er expe<jiert, in
Wiesbaden gab er im Schlosse die Briefe ab und nahm etwa vorhandene mit.
•) Nach Th. Schüler, Wiesb. Tagbl., 1886, No. 50.
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ritt dann nach Frankfurt weiter, wo ein nassau-idsteinischer Agent angestellt
war. Am anderen Tage kehrte der Postreiter mit den eingegangenen Sachen
auf demselben Wege nach Idstein zurück. Das geschah seit dem 20. April 1711.
Der Fürst liess die neue Postverbindung in der „Hanauischen Zeitung'' bekannt
machen. Auf diese Nachricht hin legte der Kurfürst von Mainz als Protektor
des Reichspostwesens sofort Protest ein. Georg August aber Hess sich dadurch
nicht einschüchtern. Er erklärte, dass, wenn der Fürst von Thurn und Taxis
auf seinen Vorschlag eingehen würde, er von seinem eigenen Postbedienten
absehen wolle. Die Station in Idstein aber war ihm jetzt allein nicht genug;
wie man sieht, wollte er die Richtung der Strasse verändern und letztere über
Wiesbaden geführt wissen. Zum Zeichen, dass er seine Einrichtung unter allen
Umständen aufrecht erhalten wollte, stellte er noch einen zweiten reitenden
Boten an, der von der Lahn über Kernel nach Wiesbaden und zurück seinen
Weg nahm. Der Rheinfelser Bote wurde für das nassauische Gebiet abgeschafft.
Id Wiesbaden ernannte der Fürst den Wirt Henrici im „Goldenen Löwen"
in der Marktstrasse (das h. Kimmel'sche Haus) zum Posthalter. Jeden Mitt-
woch, zur Frankfurter Messezeit zweimal in der Woche, fuhr ein bedeckter
Wagen zum unteren Stadtthore hinaus von Wiesbaden nach der freien Reichs-
stadt. Die gedruckte Bekanntmachung dieser für Fremde und Einheimische
höchst angenehmen Nachricht wurde am 2. Oktober 1713 zum ersten Male
in allen Gast- und Badehäusern Wiesbadens angeschlagen. Dem Posthalter
war eine Taxe gesetzt, damit die Fahrgäste nicht übervorteilt würden. Zwei-
mal in der Woche wurden auch die Briefe nach Frankfurt besorgt, wahrschein-
lich durch einen besonderen Boten. Dass Mainz darüber noch mehr aufgebracht
wurde, lässt sich denken. Zunächst verbot es, den nassau-idsteinischen Post-
reiter durch sein Gebiet zu lassen, und dann erwirkte es eine kaiserliche Ver-
ordnung, durch welche demselben der Einritt in Frankfurt verwehrt wurde.
Alles half nichts. Die Boten gingen und kamen nach wie vor, trotzdem einmal
einer im mainzischen .Königstein arretiert wurde. Die Route blieb bestehen
und wurde fleissig benützt. Nun liess sich der neue Fürst Anselm Franz von
Thurn und Taxis zu Verhandlungen herbei, die verhältnismässig schnell erledigt
waren. Am 17. November 1714 wurde die bisherige nassauische Post in ihrer
seitherigen Ausdehnung vom Fürsten Thurn und Taxis übernommen und das
kaiserliche Postschild am „Goldenen Löwen" angeschlagen. Die Wiesbadener
waren aber sehr unzufrieden. Sie hatten bisher durch Hauderen viel verdient
und wollten sich nicht damit einverstanden erklären, dass die Herrschaft ihnen
bezüglich der Personen- und Frachtfahrten das Brot schmälere. Der Fürst gab
nach und gestattete im Jahre 1716 dem Verwalter nur acht Postpferde zu halten.
Nichtsdestoweniger klagten die Fuhrhalter immerfort. Man warf Henrici vor,
dass er, im Einverständnisse mit Brotneidischen, Wagen halte, andere Kutscher
in Postlivree stecke und so dennoch Beförderungen über die Zulässigkeit hinaus
vornehme. Abermals liess sich Georg August zu Zugeständnissen herbei und
gestattete den Wiesbadener Hauderern, „all? und jede Fuhren über 4 Meilen
Weges." Er erliess auch eine scharfe Instruktion für beide Teile, deren Über-
schreitung mit schweren Strafen belegt wurde. Es half aber nicht viel; denn
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der herrschaftliche Posthalter und die Fuhrleute der Stadt suchten und fanden
jederzeit Mittel, die Vorschriften zu umgehen. Dem Verkehre selbst that das
aber durchaus keinen Schaden.
Das Schwul- und Kirchenwesen^) fand an dem Fürsten Georg August
einen eifrigen Pfleger und Förderer. Die lateinische ^^hule zu Idstein war
im Jahre 1569 aus der Stiftsschule daselbst entstanden. Mit ihr war eine
Vorbereitungsschule für deutsche Lehrer verbunden. Die Theologen wurden,
bevor sie ihr eigentliches Amt antraten, zuerst als Lehrer in den grösseren
Dörfern angestellt. Der Kantor, der Lehrer der untersten Klasse, bildete junge
Leute, die tauglich waren, zum Amte als Lehrer aus. Ahnlich mag es in
Wiesbaden geschehen sein, wo ca. 1550 (oder später) die erste Schule entstand
(in der Schulgasse, h. „Storchnest"). Der Leiter jeder Schule war der Rektor.
Rektoren zu Wiesbaden waren zu Georg Augusts Zeit: J. W. Willkühn
(1670—84), J. R. Schmidt (1685—89), J. Ph. Scholl (1690-94), J. J. Wagner
(1694—1712), Ph. H. Gramer (1713-21), in Idstein : J. H. Gärtner (1673-1707)
und J. L. Gramer (1707—35), zwei ganz bedeutende Schulmänner. In der
damaligen Zeit brachen sich die Grundsätze des grossen Pädagogen Amos
Komensky mehr und mehr Bahn, und sie wurden auf alle Schulen angewendet,
deutsche und lateinische, niedere und höhere. Das war besonders der Fall,
als August Hermann Francke mit seinen verschiedenen Musteranstalten den
Pädagogen ein tüchtiges Vorbild gab. Nach ihm verfuhr teilweise der Refor-
mator der Idsteiuer Schule, der Rektor Gärtner, und er brachte durch seine
Tüchtigkeit die letztere so in Flor, dass die Zahl der Schüler in den beiden
oberen Klassen, die anfangs nur sechs oder acht betrug, zeitweise auf achtzig
und hundert stieg. Die ganze Schule gliederte sich nämlich in drei Klassen.
Der Lehrer der untersten, wie oben erwähnt, der Kantor genannt, war recht
ei^-entlich Musik- und Deutschlehrer. Den Musikunterricht erteilte er auch in
den höheren Klassen, in der zweiten unterrichtete er im Schreiben und in der
seinigen gab er zudem Unterweisung in den ersten Grundsätzen der lateinischen
Grammatik. Der Lehrer der zweiten Klasse war der Konrektor. Die Klasse
teilte sich in fünf Ordnungen, und ihr Unterricht begann jeden Morgen um
6 Uhr. Die beiden ersten Stunden war Religionsunterricht; dann wurde mit
den zwei ersten Ordnungen Cornelius Nepos behandelt und dreimal wöchentlich ein
Exercitium über den durchgenommenen Stoff geschrieben. In der letzten Stunde
trieben die drei unteren Ordnungen (bis 10 Uhr) die Giessener Grammatik
und die Idsteinische Syntax (von Gärtner), sowie die Colloquia Corderi. Am
Nachmittage begann der Unterricht um 12 und endigte um 4 Uhr. Die zwei
oberen Ordnungen hatten wieder Lateinstunden und begannen das Griechische ;
die Regeln der Prosodie und Rhetorik wurden hergesagt und angewendet. Die
erste Ordnung fing an. Hebräisch zu lernen. Lehrer der obersten Klasse waren
der Rektor und sein Gehilfe, der Prorektor. Diese Klasse enthielt die Exemten
und drei Primanerordnungen. Von 4—7 Uhr morgens wurde den Exemten ein
') Nach Rizhaub, Gymn.-Progr. v. 1797 und Firnhuber, Die nassauische Simultan-
volksschule, I.
71
theologisches Kolleg über „den König" gehalten, nach Musäus und Brochmand
die Thesis weiter bestimmt und festgesetzt, die Antithesis erklärt, und wider-
legt. Von 7 — 10 würden die Primaner unterrichtet; mit ihnen wurden die
Catechesis Dieterici, die Anfangsgründe der Logik und Ethik, die Rhetorik,
die Anleitung zur Verfassung der Chrie, die Janua des Komensky, das griechische
Testament, Asops Fabeln, die CoUoquia Graeca Posselii und Hesiod behandelt.
Verschiedene Male wöchentlich wurde ein griechisches und lateinisches Exer-
citium geschrieben, wobei die obere Ordnung das griechische nach lateinischem
Diktat gleich niederschreiben musste. Von 10—11 hatten die Exemten entweder
logisches oder ethisches Kolleg. Nachmittags, Mittwochs und Samstags ausge-
nommen, war Schule von 12 — 6. Die Exemten hatten von 12—1 Hebräisch,
oder CoUegium Physicum, Mittwochs aber Disputation über theologische und
philosophische Fragen im Beisein der Geistlichen. Die Primaner sangen oder
rechneten während dieser Zeit bei dem Kantor. Von 1 — 4 traktierte der Rektor
mit ihnen Curtius undVergil; von 4 — 6 nachmittags hielt er mit den Exemten
(auch Mittwochs und Samstags) viermal metaphysisches und zweimal politisches
Kolleg. Gärtner bewältigte anfangs diese Riesenarbeit allein ; daneben predigte
er als erster Stadtpfarrer jeden Sonntag. Später bekam er, wie angegeben ,^
einen Gehilfen an dem Prorektor, der ihm die Stunden bei den Primanern
grossenteils abnahm. Damals kamen für die Schüler noch wöchentlich eine
historische und zwei geographische Stunden hinzu. Sogar am Sonntage wurde
von 7 — 10 unterrichtet; es wurden die Epistel des betreffenden Sonntags griechisch
erklärt und nach der Nachmittagskirche die griechischen Verse der Schüler
korrigiert. Der spätere Rektor Rizhaub, der Gärtner sehr lobt und ihm alle
Ehre widerfahren lässt, kann sich aber nicht mit seiner Methode einverstanden
erklären. Indessen führt er als Entschuldigung seines Vorgängers an, derselbe
sei ein Kind seiner Zeit gewesen. Eine neue Reform der Idsteinischen „Uni-
versitas" — im wahren Sinn des Wortes — hat eben erst zum Wohle der
Lehrer und Schüler der erwähnte tüchtige Methodiker J. A. Rizhaub (1784 — 97)
vorgenommen. Von Rektor Gärtner stammen die im Jahre 1690 veröffentlichten
„Leges scholasticae pro schola Idsteiniensi et Wiesbadensi" (in 19
Artikeln), deren Inhalt kurz der folgende ist. Die Schulen sind Pflanzstätten
der Frömmigkeit und der Wissenschaften. Jeder Lehrer ist auf sein Amt zu
vereidigen vor dem Konsistorium. Durchs ganze Jahr ist am Werktage Schule zu
halten, sechs Stunden am Vor- und drei am Nachmittage ; jede Stunde ist mit Ge-
bet zu beginnen und zu schliessen. Pünktlichkeit wird jedem Lehrer zur. Pflicht
gemacht. Ferien sind Mittwochs und Samstags Nachmittags und vierzehn Tage
nach jedem Semesterexamen. Der Lehrplan soll von Rektor und Schulkollegium
alle halbe Jahre vorberaten und genau durchgeführt werden. Jeder Lehrer
hat seine bestimmte Klasse und über dieselbe Rechenschaft abzulegen. Der
Rektor hat die gesamte Schularbeit zu überwachen und je nachdem bei Mängeln
ermahnend oder strafend einzuschreiten. Die Lehrer sind ihm, um des Beispiels
für die Jugend willen, Gehorsam schuldig. Der Kantor hat den Musikchor zu
leiten und die gesanglichen Festaufführungen vorzubereiten. Schreiben und
Rechnen ist mit Fleiss zu treiben und bei den Examinas zu prüfen. Die Methode
72
dieser Fächer soll stets verbessert werden. Die Schüler sind zur Reinlichkeit
und zum Anstand anzuhalten. Die Disciplin soll nicht locker, aber auch nicht
zu hart sein ; statt des Stockes soll die Rute gebraucht werden ; nicht unmensch-
lich, sondern väterlich, soll die Zucht sein. Zur Strafe diene manchmal Aus-
wendiglernen von Psalmen, Versen und Wörtern. Die Knaben sind mit Fleiss
anzuhalten, überall lateinisch zu reden, auch der Wetteifer, das Certieren ist
zu fördern. Die Exercitien und Extemporalien sind vom Lehrer zu Hause zu
korrigieren und die Fehler den Schülern zu erklären. Der Lehrer soll mit
seinen Schülern zur Kirche gehen und sich die Predigt wiederholen lassen. Mit
allem unnötigen Auswendiglernen sind die Schüler zu verschonen, „das Gedächt-
nis soll man wie einen Schatz dem Blut gleich achten und nicht eher angreifen
als in der Not." Kein Lehrer soll nach eigenem Gutdünken ein Buch einführen;
sondern es soll dies erst nach Billigung des Scholarchen geschehen, und zwar
sind für die Schulen zu Idstein und Wiesbaden die Bücher dieselben. Vor
allen Dingen ist den Schülern das wahre Christentum einzupflanzen. — Der
Fürst Georg August zeigte lebhaftes Interesse an dem Fortgang der Schule zu
Idstein, die eine der berühmtesten in Deutschland wurde ; er bösuchte mit seiner
Gemahlin und seinen Töchtern oft die öffentlichen Examinas. Im Jahre 1705
gründete er die fürstliche Hof- und Kanzleibuch druckerei, die neben be-
hördlichen Verordnungen und Bekanntmachungen auch Schul- und Kirchen-
schriften druckte.
Die Synodalverordnung von 1713 regelte den Volksschulunterricht. Die
Schulen sollen von Michaelis anfangend das ganze Jahr hindurch gehalten
werden ; die zarten Kinder, die zu keiner Baueruarbeit heranzuziehen sind, sollen
Jahr aus, Jahr ein, die andern von Michaelis bis Johannis ohne Einrede zur
Schule gehen; Widerspenstige sollen mit einem Albus Strafe für jeden Tag
belegt werden. Wie lange jedes Kind zur Schule zu gehen habe, hängt von
seiner Tüchtigkeit ab; untüchtige und unw^isseude sind nicht zu kontirmieren.
Der Lehrer war zugleich Organist und hatte ebenfalls dem Konsistorium sich
schriftlich zu verpflichten. Der Unterricht dauerte wöchentlich 32 Stunden,
begann und schloss mit religiösen Übungen. Unterrichtsfächer waren der kleine
Katechismus Luthers und der idsteinische, dann Lesen, Schreiben, Singen und
Rechnen. Bessere Schüler konnten nebenher gegen Bezahlung Geometriestunden
nehmen. Die Schulstunden Helen auf morgens von 7—10 und nachmittags von
12—3, Mittwochs und Samstags von 12—1 Uhr. Die Besoldung der Lehrer
war, wie es scheint, auskömmlich und verhältnismässig besser als an manchen
Orten zu unserer Zeit. Der Lehrer Schrumpf zu Mosbach-Biebrich empfing,
bezw. besasa im Jahre 1699: freie Wohnung, 6 Karren Brennholz, V^ Kute
Krautgarten, 2 Morgen 11 Ruten Ackerland, die er nach seinem Gefallen,
doch auf seine Kosten zu bebauen hatte, ferner 80 Gulden bares Geld (fünfzig
von der Gemeinde und 30 von der Kirche), die Leichen- und Hochtzeitsgefälle,
dazu die Gebühren für den Glockendienst: eine Ohm Wein und sechs Malter
Korn vom Zehnten, und von jedem Begüterten eine Garbe Korn, von jedem
Ilausmannc jährlich auf Ostern und Weihnachten einen Laib Brot und sieben
Gulden Armenkinder- und Wiesenzins. Die Stelle wurde auf vierteljährliche
73
Kündigung besetzt. Jedenfalls war aber Biebrich-Mosbucli eine ausnahmsweiso
gute Pfründe, weshalb sich auch die angehenden Theologen, die zuerst Lehrer
werden mussten, gern sogleich hierhin versetzen licssen. Man verfuhr hierbei
nach dem Grundsatze Luthers, der äusserte, er erachte es für gut, dass, wer
das Dienen der Kirche lernen wolle, erst der Schule dienen lerne. Die Be-
soldung der Lehrer an den Schulen zu Idstein und Wiesbaden geschah aus
dem Präsenzfonds, der auch den Geistlichen den Unterhalt lieferte. Fürst
Georg August vermehrte denselben dadurch, dass er die Erträge der verkauften
und verpachteten Walsdorfer Klostergüter (s. o.) ihm zufliessen Hess.')
Die oberste Leitung des Kirchenregimentes^) und zugleich das Schol-
archat (die Schulinspektion) übte der Superintendent zu Idstein aus. Es folgten
sich unter Georg August: J. Ph. Elbert (oder ElWert 1655 — 99), J. A. Schmidt
(1699—1709), J. D. Herrnschmidt (nach einem Interregnum, 1712—16) und
J. Chr. Lange (1717 — 56). Die beiden letzteren hatte dem Fürsten August
Hermann Fraucke auf Anfragen empfohlen. Franckes Ruf erscholl damals in
alle Lande. Er kam im Jahre 1717 auf einer Durehreise nach Wiesbaden
und predigte am 17. Trinitatissonntage in der Mauritiuskirche bei Gelegenheit
eines Dankfestes wegen eines Türkensieges (Prinz Eugens bei Belgrads). Die
Predigt wurde unter dem Titel „Nassau-Idsteinisches Denkmal" gedruckt. Durch
Francke scheint Georg August sich ganz der strengeren Richtung zugewendet zu
haben. Am 10. Sept. 1719 hielt der in Wiesbaden zur Kur weilende strenggläubige
Stadtpfarrer von Wetzlar, Egidius Günther Hellraund, in der Mauritius-
kirche eine Predigt vor Herrschaft und Gemeinde und besiegelte damit den
Sieg der genannten religiösen Richtung über das Gemütsleben des Fürsten.
Eine glänzende, feurige Beredsamkeit des Predigers vermittelte diesen Sieg.
Als nun im Jahre 1721 der Inspektor und Stadtpfarrer J. G. Stern starb und
Hellmund, der wegen seiner orthodoxen Richtung in der alten Reichsstadt
mancherlei Anfeindungen erfahren hatte, sich von dort wegsehnte, berief ihn
der Fürst an Sterns Stelle. Mit grosser Bereitwilligkeit sagte Hellmund zu,
kam nach Wiesbaden, hielt am 14. September 1721 seine Antrittspredigt in
der Stadtkirche vor dem Fürsten und stellte sich am Tage darauf in Biebrich
vor, wo er sogleich zum zweiten Hofprediger ernannt wurde. Sofort begann
er nun seine biblischen Erbauungsstunden in Wiesbaden und daneben seine
sonstige sehr umfangreiche und segenschaffende Thätigkeit, die aber, weil nach
dem Tode Georg Augusts erst recht ins Leben tretend, uns hier nicht weiter
beschäftigt. Aber auf eine Verordnung, die unter Georg August erlassen wurde
und zwar wohl auf Anregung des Superintendenten Lange hin (1. Dez. 1718),
muss ich hier noch hinweisen : die vierteljährliche Erhebung der „Beckenkollekten",
deren Einnahmen ans Konsistorium abgingen und zur Unterstützung armer in-
und ausländischer Kirchen und Schulen verwendet wurden, auch zur Hilfe für
um ihres Glaubens willen Vertriebene, ohne L^nterschied der Konfession. Binnen
drei Jahren gingen 1270 Gulden 28 Albus ein, uud es wurden davon 938 Gulden
für Unterstützungen im Lande verausgabt.
*) Deissmann, Geschichte von Waladorf. — -) F im h aber, I.
74
Die ßcgioruug des Fürsten Georg August war also allenthalben eine
segensreiche und ist glücklicherweise durch kriegerische Ereignisse nicht all-
zusehr, manchmal aber durch elementare getrübt worden. Im Jahre 1681, am
18./28. Januar ereignete sich ein starkes Erdbeben, so dass die Glocke auf
dem ^yLesbadener Uhrturme von selbst zu läuten anfing. In den Jahren 1691 und
1692 verspürte man wiederum Erdstösse, wie man glaubte im Sauerlande stärker
als in der Stadt. Im Jahre 1692 legte ein furchtbarer Brand Walsdorf in
Asche.*) 1702 und 1703 ereigneten sich in der Wiesbadener Gemarkung, wie
schon früher erwähnt, verheerende Hagelwetter und Gewitter. Am ersten Pfingst-
tage 1702 fuhr der Blitzstrahl in das Wiesbadener Schloss, während die Herr-
schaft an der Tafel sass, und tötete in der Küche zwei Diener, die das Essen
auftragen wollten, worauf der Fürst und sämtliche Anwesende sofort in einer
Betstunde Gott für ihre Errettung dankten.^ In diesem Jahre (?) fiel auch
ein Teil der Stadtmauer am Oberthore zu Idstein (vielleicht von Regengüssen
unterwaschen) ein und begrub ein Häuschen samt dessen Insassen, die tot blieben.')
Im Winter von 1708 auf 9 herrschte eine furchtbare Kälte. Im Oktober 1708
fiel der Schnee so stark, dass die Bäume im Walde durch die Last desselben
Aste und Zweige verloren, geknickt und zerrissen wurden. Der Rhein fror
fest zu, so dass man ihn mit Lastwagen befahren konnte ; aus den Brunnen bekam
man kein Wasser, die Bäume zerbarsten, Menschen und Tiere erfroren. Vom
12. bis zum 23. Januar 1709 dauerte diese strenge Kälte; dann gab es Hoch-
wasser, das wieder viel Schaden anrichtete.^) Brände ereigneten sich ausser
(Fem obgenannten ebenfalls mehrfach. Als Kuriosum verdient angeführt zu
werden, dass das „von jung und alt schädlich missbrauchte Tabakschmauchen,
80 auch die Gesundheit ruiniert und den Müssiggang erziehet", auch als Brandur-
sache angesehen wurde. Am 7. April 1706 verordnete der Fürst, dass jeder
„Tabaktrinker" V^ Gulden Steuer zahlen sollte. Die Schultheissen sollten die-
jenigen namhaft machen, welchen das Rauchen zu gestatten sei. Der von
Idstein schrieb damals darüber, „was die Schule anlange, so tränken die meisten
Tobak" und empfahl ausserdem zwölf zur Nachsicht, Nr. 12, Peter Hönell,
deshalb, weil er „lieber die Fraw will verlassen als dass Tobacktrinken." Man
strafte Zuwiderhandelnde mit 10 Gulden^ doch scheint sich das Verbot nicht
lange erhalten zu haben. 5) •
Fürst Georg August hatte das sechsundfünfzigste Lebensjahr überschritten
und befand sich noch in voller Rüstigkeit. Er sah seine landesväterlichen Be-
mühungen von bestem Erfolge gekrönt und erfreute sich des seiF einigen Jahrea
herrschenden Friedens. Vor kurzem war auch der Reichshofratsprozess wegen
der Entschädigungsgelder zumteil und der mit Thurn und Taxis wegen des ge-
liehenen Kapitals (Aug. 1721) gänzlich beigelegt worden. Im Oktober des
Jahres 1721 erkrankten nun plötzlich die beiden jüngsten Kinder des Fürsten^
die elfjährige Prinzessin Luise Charlotte und die dreizehnjährige Elisabeth
Franziska Marie, im Schlosse zu Biebrich an den Kinderblattern. Georg August
') Deissmann, H. 190. — '^) Schenck, S. 368. — ^) Rizhaub, S. 26. — *) Roth,
S 202. - '") Schüler, Wicsb. Tugbl., 1886, No. 237.
75
geriet in grosse Aufregung. Als liebevoller Vater weilte er oft am Kranken-
bette seiner Kinder; leider zeigte sich seine Konstitution zur Empfänglichkeit
der Krankheit disponiert. Sie ergriff ihn, und binnen wenigen Tagen schied
der Fürst aus dem Leben, am 25. Oktober 1721. Am 4. November folgte ihm
erst die jüngere, dann am 7, die ältere Prinzessin in das Grab nach. Mehrere
Tage blieben die Leichen in der erst im Mai des Sterbejahres eingeweihten
Schlosskapelle (s. o.) zur Schau ausgestellt, während Glockengeläute täglich
von 11 — 12 und von 5 — 6 Uhr den Bewohnern der Grafschaft allenthalben
verkündigte, dass Idsteins letzter Fürst den Weg alles Fleisches gegangen sei.
Damit hatte die altnassauische Residenz den Witwenschleier genommen, den
sie bis heute noch trägt.
Am 13, Januar 1722, abends 8 Uhr, wurden der Fürst und seine beiden
Kinder in der Kirche zu Idstein beigesetzt. Siebzig Geistliche und eine grosse
Anzahl Lehrer waren erschienen, welch letztere, Fackeln in der Hand, dem
feierlichen Leichenkondukt vorauf nach der hellerleuchteten Kirche zogen. Man
sang das Lied : „Wenn mein Stündlein vorhanden ist, zu fahren meine Strasse"
von Nicolaus Hermann. Superintendent Lange hielt die feierliche Leichenrede,
worauf der Sarg links vom Altare nach dem Glockenturme zu in die Gruft
gesenkt wurde. Tiefer Schmerz mag die guten Idsteiner durchzuckt haben;
denn man begrub hier einen guten Mann, der ihnen „mehr gewesen war."
Zwölf Kinder hatte Fürst Georg August von seiner Gemahlin Henriette
Dorothea; fünf sind in zartem Alter vor und vier bald nach ihm gestorben.
Sie heissen: 1) Friedrich Ernst, geb. 27. YIII. 1689, gest. 27. IIL 1690;
■ 2) Christiane Luise, geb. 31. IIL 1691, gest. 13. lY. 1723, vermählt am
24. IX. 1709 mit dem Fürsten Georg Albrecht von Ostfriesland ; 3) Charlotte
Eberhardine, geb. 17. YII. 1692, gest. 8. L 1693; 4) Henriette Charlotte,
geb. 9. X. 1693, gest. 8. lY. 1734, vermählt am 4. XL 1711 mit Herzog Moritz
, Wilhelm von Sachsen-Merseburg ; 5) Eleonore Charlotte, geb. 28. XL 1696,
gest. 8. XU. 1696; 6) Albertine Juliane, geb. 29. IIL 1698, gest. 10. X. 1722,
vermählt am 14. IL 1713 mit Wilhelm Heinrich, Erbprinz von Sachsen-Eisenach;
7) Auguste Friederike, geb. 17. YIIL 1699, gest. 8. YL.1750, vermählt
am 17. YIII. 1723 mit Karl August, Fürst von Nassau- Weilburg; 8) Johannette
Wilhelmine, geb. 14. IL 1700, gest. 2. YL 1756, vermählt am 16. X. 1719
mit Simon Heinrich Adolf, Graf zur Lippe; 9) Friedrich August, geb. 30. lY.
1702, gest. 1, IL 1703; 10) Wilhelm Samuel, geb. 14. IL 1704, gest. 6. Y.
1704; 11) Elisabeth Franziska Marie, geb. 17. IX. 1708, gest. 7. XL
1721 ; und 12) Luise Charlotte, geb. 17. III. 1710, gest. 4. XL 1721. (S. o.)
Keins von all seinen vor ihm verblichenen Kindern that dem Yater so leid
wie der früh verstorbene jüngste Prinz Wilhelm Samuel. Das geht aus dem.
Briefe des tiefbetrübten Fürsten an den Grafen Friedrich Ludwig von Ottweiler
hervor. Die Fürstin - Witwe Henriette Dorothea zog sich in das Schloss zu
Wiesbaden, ihren Witwensitz, zurück. Die Widerwärtigkeiten, mit denen sie
nach dem Tode ihres Gemahles zu kämpfen hatte, liegen ausserhalb des Kreises
unserer Betrachtungen. Sie starb am 18. Mai 1728 und wurde neben ihrem
Gatten beigesetzt. Ein prächtiges, reichverziertes Denkmal, mit den über-
76
lebeüsgrosseu Figuren der beiden Abgeschiedeueu in Marmor, erhebt sich über
der Gruft.
Mannigfach sind die Erinnerungen an Georg August. Die Namen Augusteum,
Georgenborn, Georgenthal weisen direkt auf ihn hin. Das alte Schloas zu Wies-
baden ist längst gefallen und spurlos verschwunden, aber das neue zu Biebrich
ruft uns das Andenken an den Erbauer, einen der populärsten Fürsten unserer
engeren Heimat, den grossen Kolonisator allzeit ins Gedächtnis zurück.
A u h a u g.
1.
I. Privileü:iuin «ler AusiiMller zu Idstein (16H5).
Wir Georg Aujjusf, Graff zu Nassau, Saarbrücken und Saarwerden, Herr zu Lahr, Wies-
baden und Itzstein Füjjen hiermit jedermänniglich zu wissen. Naohdeme sich durch Göttlichen
Seegon unser Land, und insonderheit unsere Residenz Itzstein, mit junger Mannschaft auch
anderen Einwohnern, Bey- und Untersassen also vermehret, dass denensclben sich häusslichon
niederzulassen, es fast an Raum und Gelegenheit ermanglen will, und wir dann einem jed-
wedem zu Beförderung seiner Nahrung gerne behülflich sein wollen, auch die Vermehrung
unserer Untcrthanen gerne sehen mögen, dass wir demnach zu Bezeugung unsers gnädigen
willens, den ahn hiesigen Stattmauren unss zugehörigen Wiesengrundt, die WeyherwiesH go-
iiant, darzu angewiesscn, und frey gegeben haben wollen, thun es auch hiermit, und in Kraft
dieses also und der Gestalt, dass ein jeder iuheimischer und ausländischer so auf unsere Ver-
urduung darauf bauen, sich sobald in unsere Jurisdiction und nach Verflicsung droyer Jahren
gegen das halbe Burgergeld, in die hiessige Burgerschafft zu begeben zusagen, dass alsdann
derselbe und dessen Erben zchen ganzer Jahr lang a Dato des Ihme darüber von unserer
Rcgierungs-Canzeley erthciltcn Special-Scheins von allen ordinari und extra ordinai'i Beschwer-
den, C'ontributionen, Schazungen, gemeinden Beschwerden, Jagden, Wachten, Brieftragen, Ein-
•juartierungen wie auch Auflagen wie solche Namen haben oder aufkommen mögten, gänzlich
und allerdings eximiret und befreyet sein. Und pleiben nach Verflicsung obiger Zeit, aber
Ihrs Beedt, Herrnrentlicn, Kirchengefälle, Contribution und Schazung nach proportion Ihrer
Güther bey tragen, und der übrigen Bürgerschaft gleich gehalten, auch derer Freyheiten, und
rechten geniesen soll und mag. Sollte aber nach Verflicsung obiger Zeit, sich ein und ander
nach dem Genuss dieser Freyheit hinweg begeben und auser Land ziehen, soll derselbe von
demjenigen, was Er mit sich hinweg nehmen wird, uns zum Abzugsrecht den zehenden Pfen-
ning erlegen und abstatten. Da auch ein und anderer nobenss dem Bauwcssen einige Wirth-
schaft oder andere Parthierung treiben wolte, derselbige soll einem jedwedem gegen Ab-
stattung des gewöhnlichen umbgelds ohne ferneres entgelt erlaubt und zugelassen seyn.
Da nun ein und ander. Er seye einheimisch oder ausländisch, frey oder leibeigen, dieser
unserer Verwilligung sich bedienen wolte, derselbe hat sich bei unserer Regierungs-Canzeley
deswegen anzumelden, und wir versprechen, und sagen hiermit zu, Einen jedwedem bey dieser
unser erteilten Freyheit und Verwilligung gegen jedermänniglich handzuhaben und zu schüzen.
Dessen zu Urkund haben wir Unss Eygenhäudig unterschrieben, und Unser Secret-Ineiegel
dabey trucken lassen.
So geschehen. Itzstein den 20'«" January Anno 1685.
(L. S.) Georg August, Graff zu Nassau-Saarbrücken.
(KkI. Staatsarchiv zu Wiesl>adeo.)
77
2.
II. PrivilPffiiim der Anbauer zu Idstein und Wiesbaden (IfiOO).
Von Gottes Gnaden Wir Georg August, Fürst zu Nassau, («ratf zu Saarbrücken und
Saarwerden, Herr zu Lahr, Wissbaden und Itzstein etc. Fügen hiermit Jederniänni;,'ii(li zu
wissen: Nachdeme durch das verderbliche Frantzösische Kriegswesen viele Familien von Haus
und Hof verjaget, und verschiedene Plätze eingeäschert worden, dass diese vertriebene Per-
sonen ihren Schutz und Vnterhalt anderwärts suchen müssen, deren sich auch viel in Vnser
Land begeben, und sich darinn häusslichen niederzulassen gomoynet sind, wegen Enge des
Platzes aber nicht allerdings unterkommen und auffgenommen werden können, zu dem Ende
und bei Vermehrung Vnserer Bürgerschafft zu Itzstein und Wissbaden Wir vor dicnsam be-
funden, obgeraeldte beede Orte einigermassen zu erweitern, und in solchen Stand zu setzen,
wordurch die Frembde Ankommende zu bauen Gelegenheit haben, und aller möglichen Sicher-
lieit geniessen mögen; Worbei Wir auch geneigt seynd diejenige, so an beeder Orten einem
von neuem bauen, und sich allda niederlassen wollen, mit einigen Freyheiten uml Exemptionen
zu begnadigen und zu versehen. Erklären demnach, ordnen und versprechen hiermit Erst-
lich, dass alle diejenige, so an beeder Orten einen von neuem bauen und sich allda nieder-
lassen wollen, auff fünffzehn Jahr lang von allen Personal-^ und^leal-BeschwcrdeiL,, welche
Vns und in die BuVgei-schatft Vnscre übrige Bürger und Vnterthanen sonsten zu leisten und
zu tragen schuldig seynd, absonderlich aber von Thor- und Nachtwachten, gemeinen Be-
schwerden, Aemptern, Frohnden, Diensten, Schätzung, Einquartierung, wie nicht weniger von
Bürger- und Einzugs-Geldern, gantz, wie auch von Zunffts-Geldern, soviel Vns davon zukommt,
befreyet_8eyn, und die fünffzehen Jahr durch dessen geniessen, nach Verfliessung der fünff-
zehen Jahr aber gleich andern Bürgern und Vnterthanen ihre Gebühr von Hauss und Gut,
doch in dem geringsten Anschlag entrichten und abstatten, hingegen aber dess vollkommenen
Burgerrechts und aller Privilegien und Beneficien, ohne einiges Entgelt oder Nachtrag ge-
niessen und fähig seyn sollen. Zweytens, Mitlerzeit und künfftig hin sollen sie sich der
gemeinen Wayd, Holtzes und Nutzens mit ihrem Vieh zu bedienen und zu gebrauchen haben.
D'rTFfe'ns soll einem jeden, so bauen will, ein freyer Platz. Kalck und_Steine gegeben, und
von je<lem Einwohner dess Orts ihme zum Bauwesen dess Jahrs drey freye Fahrden gethan
werden. Vierdtens, soll ihme das nöthige Gehöltz, soviel dessen in Waldungen zum
Bauen tüchtig ist, frey und ohne Zahlung erlaubt seyn. Fünfftens, soll einem jeden ein
freyer Abzug, ohne zehenden Pfenning und Nachsteuer, und dass er sein Hauss und Gebäu,
den Kalck, StrohTund frey Gehöltz nicht angerechnet, hinwiederumb verkauffen^ und einem
andern überlassen möge, worbey derjenige, so an seine statt tretton wird, der obgesetzten
fünffzehnjährigen Freyheit sofort geniessen solle. Seehstens, diejenige, welche ihr Hand-
werck gebrauchen und Häuser bauen wollen, sollen sich zwar den Zunfft-Articuln dess Orts
gemäss halten, das Handwerck aber inner solchen Zeit nicht verschätzen, weniger der Herr-
schafft von denen Materialien einigen Accis abstatten. Siebendens, welche Handthierung
und Gewerb treiben, sollen von Zoll und Aufflagen allerdings befreyet bleiben und von dem
Wein- und Bierschanck nur ein geringes abstatten. Achtens, Wirthschaffts- Back- Brau-
Schmidts- und andere Schild- und Feuersgerechtigkeiten sollen einem jeden ohne Entgelt er-
theilet werden, und er deren zu allen Zeiten zu geniessen haben. Neundtens, falls ein
oder der ander Ankommender, Aecker, Wiesen und Weinberg an sich bringen wird, soll er
zwar die darauff hafftende Gebühr abstatten, dessfalls aber kein Abtrieb zugelassen, oder er
von dem Kauff abgehalten werden. Zehendons, was auch ferner über diese specificirte
Stück denen Frembden und Ankommenden zur Beförderung ihres Vorhabens, gutes und bey-
hülffliches erwiesen werden kan, dessen sollen sie sich von Vns, Vnseren Beampten, und jedes
Orts Einwohnern und Vnderthanen allerdings zu versehen und würcklich zu geniessen haben.
Wir versprechen auch sie hierbey allerdings zu schützen, zu scliirmen und handzuhaben. Vr-
kundt Vnserer eigenhändigen Vnterschrifft und beygedruckten Insiegels. So geben Itzstein
den 18. Octobris Anno 1690.
(L. S.) Georg August, Fürst zu Nassau.
(Manuskript und mehrere Exemplare der gedruckten Urkunde «ind
im K^l. Staatsarcbiv zu Wieabadea vorbanden.)
78
3.
Brief des Prinzen Oeor? Aui^nst Samnel an seinen Yater,
Oraf Joliannes {Hu2),
Aller herzliebster Herr Vatter!
Des Herrn Vatters gute Gesundheit vndt in Allem guten Wohlstandt zu Vernehmen
wirdt mir die grösste Freudt zuhören seyn, Ich bin noch (Gott Lob) gesundt ohne dass ich
etlich tag den Husten gehabt, ist aber meistetheils vergangen ; hier ist nichts neues ohne dass
man sagt die Brück zu Strassburg seye von den Frantzosen halb abgebrandt. Vorgestern
ist der Herr Gratf Kirchhoff todt hier durch mit vielen Reuttern vffr Hanaw geführet worden ;
was nun sonsten mein Thun anlanget, so wolte ich lieber zu Idstein als hier seyn auss ge-
wissen Vrsachen. Hiermit empfehle den Herrn Vattern sampt Allen Gottes Schutz vndt Vor-
sorg Vndt verbleibe allzeit
Des Herrn Vatters gehorsambster Sohn
Frankfurt den 8. 9br. 1672. Georg Augustus Samuel.
Adresse: Dem Hochgebornen Graffen vndt Herrn, Herrn Johann Graffen zu Nassau, Saar-
brücken vndt Saarweerden Hern zu Lahr "Wissbaden vndt Idstein, Meinem Aller
Herzliebsten Herrn Vattern pp. Idstein.
(Herzo^l. Nass. Archiv zu Weilbur^.)
4.
Unterthäni^ster Bericht über Ihro Hoclifnrstliclien Dnrchlauclit unseres
liüchstseel. Lamlest'ttrsten gethaner Reisen in frembde Länder extraliirt
aus dem Diario.
Ao. 1678. Seynd Höchstseel. Ihro Durchl. in Begleitung des Hoffmeister Stabhorst,
Kammerdiener Heybach und Page von Bobenhausen nach Giessen auf die Universität gereisst,
woselbsten diesselben Rector Magnificentissimus worden und bey deren Antritt in Collegio bey
Anwessen des dortigen Adels, allen Professoren und Studenten Ihro lateinische Oration gehalten.
Ao. 1679. Gingen Höchstseel. Ihro Durchl. auf Strassburg In begleitung Ihres Hoff-
meisters Stabhorst, Cammerdiener und Page, wie lange aber dieselben dageblieben, ist mihr
ohnbewusst ; Indeme auf eingelegte Vocation nach Saarbrücken zum Hoffmeister des nunmehro
Höchstseel. älteren Herrn Grafen Ludwig umb mit Ihme in Franckreich zu gehen meinen
Abschied genehmen; Jedoch habe deroselben Ao. 1682 in Paris unterthänig aufgewartet; der
gewesene Ambtmann Graf zu Wissbaden kann hierüber die beste Nachricht geben, dann er
mit auf Strassburg und Paris gereisset und daher auch berichten kann, ob Ihro Durchl. von
dar auf Angers und weiter über Engelland und Holand nach Hauss gereisst seynd.
Ao. 1685. Seynd Höchstseel. Ihro Durchl. in Ungarn alss volontair unter Ihro Durchl.
dem Fürsten von Waldeck gangen, daselbsten bey der Belagerung von Neuheusel in denen
Approchen ohnermüdet und an denen gefährlichsten Orthen sich eingefunden, auch nachher©
bey dem Entsatz Gran und in der Bataille gegen die Türeken alss General-Adjutant unter
Höchstgn. Fürsten von Waldeck Dienste gethan. Höchstgn. Ihro Durchl. haben, nachdeme
Sie schon Vcrheurathet gewesen, noch 2 Campagne in Brabant gethan und sonderlich in der
fameusen Bataille bey Landen höchst deroselben Ein Pferd unterm Leib Tod geschossen wor-
den, jedoch sich mit des Sattelknechts Pferd glücklich aus der Feinde Hände Salviret.
7. Dezember 1721. J. Heybach.
(.Kgl. SUataorchiv /u Wiesbaden [Hausarchiv, JI A «]).
79
5.
Die Venia aetatis eventualis für den Grafen Oeori? August Samuel
von Nassau-Idstein wird befürwortet (U>M).
Mercury, 10. Deeembris 1681.
Nassau-Saarbrücken Ittsteiniscber Linie in po. venia aetatis sive Johann Casimir, Oraff
zu Leiningen als Vormund des Jungen Oraffen Von Nassau Saarbrücken Ittsteiniscber Linie,
per Emestum Persium de Lonssdorff, sub psto. 23'n. Juny nuperi, Bittet aus angefülirten Ur-
sachen seinen Pupillen, alss welcher bereits das 17. Jahr erreichet die Kayl. gnade, und even-
tualiter veniam aetatis dabin gnädigst zu ertbeilen, dass derselbe nach seinem Absterben pro
majorenn! erkannt und einer anderweitigen Vorraundtschafft sich zu Vntergeben, nicht ferners
angehalten werden mGgte, mit dem gehors. erbieten, dass Er, so lang Er lebte, biss zu dessen
raajorennität, je dennoch mit der Ihme auffgetragenen Vormundtschafft und möglichster Vor-
sorg gegen Ihn continuirn und dessen nutzen nach äusserstem vermögen Befördern wolte.
Idem Persius sub psto. 1. 7-bris nuperi urget resolutionera ex motivig pone adductis.
In eadem Georg August Samuel, Graff zu Nassau Saarbrücken in literis ad Imperatorem
de dato 26. & psto. 21. 8-bris nuperi exhibitis per dictum Persium bittet allerunterthänigst
aus angeführten Ursachen nach geschehener Zulassung, dass sich seine Vettern in seiner Vor-
mundtschafft nit eintringen mögten: sondern Ihme die gesuchte veniam aetatis gnädigst zu
ertheilen.
Idem Persius sub posto. 23. praedicti mensis S-bris denuo instat pro concedenda petita
venia aetatis appon. Lit. A.
Fiat Votum ad Caesarem. Frantz Martin Mensshengen.
(Kgl. StAatsarchiy zu Wiesb:idea [Hausarchir, II A3]),
6«.
Brief de.s Fürsten Georg Auc^ust an Kanzleidirektor Graff.
Au camp devant Neuheusel, le 24 Juillet 1685.
Pour vous montrer Monsieur que je ne suis, Dieu mercy, ny mort ny malade, je prens
une fois un moment de tems pour vous ecrire, et sachant, que haibach vous mande toutes les
nouvelles, je ne diray autre ehose que seulement que je suis toujours clemenee (sie)
Monsieur Votre affectionne
George Auguste, Comte de Nassau.
Adresse: Mr. Graff, Directeur de la Chancellerie.
{Kg\. Staatsarc'uiv zu WieghaJen [Hauaarchiv, IIA 6]).
6b.
Kurtze Relation dessen, so 2 Kay. Courriers welche diesen Mori?en
allhier angelangt^ wegen grosser Niederlag der Tiireken und Eroberung
der Festung Neuhiiusel mit gebracht.
Frankfurt, 25. Aug. 1685.
Nachdem auf neulich gemeldte glückliclie Aktion unter Gran bey denen Türoken die
Confusion angefangen, hat man dieselbe mit der Cavallerie recht angegriffen und gezwungen,
sich in der angefangenen Unordnung über Halss und Kopf zu retiriren mit Zurücklassung
aller Bagage, Zelten, so meistens alle neu, Munition und 23 Stück Geschütz, so alles in unsere
Gewalt kommen. 5000 Janitscharen sein auf dem Platz geblieben sampt dem meisten Teil
der Cavallerie, dem über-Rest ist durch unsere Courassierer etliche Stunden nachgesetzt wor-
den, die Ungern, so in grosser Anzahl zur Kayserl. Armee gestüssen, wie ingleichen die
80
Kroaten und Dragoner verfolgen, die flüchtige Barbaren, mit Beyhülff der Herren Generalen
Mercy, Styrum und dess Christen Heusslers, und damit diese Soldaten desto mehr zu demo
Nachjagen angefrischt würden, haben Ihre Durchl. der Hertzog von Lothringen einem jeden
erlaubt die Beuten zu behalten, welche er vom Feind machen würde, desswegen wenig Tür-
ckische Infanterie sich wird salvieren, weilen sie über all von den nacheilenden und halb-
fliegenden Reuttern auffgcsueht und gar biss gen Off'en verfolgt und sich allda postiren werden.
Welcher Gestalt die sehr importirliche Vestung Neuhiiusel von denen Kayserlichen mit
stürmender Hand erobert worden, hat sich, wie der General von Scharpfenberg den 20. da.
nach Wien überbracht, also zugetragen, dass neml. als die Unsrigo dess Tags zuvor umb halb
acht Uhr angefangen zu stürmen, seynd sie umb neun Uhr darauf in die Stadt kommen, allwo
sie alles niedergemacht, ausser den Commendanten, und 10. andere, so man gefangen ge-
nommen. 80 Stück haben sich neben noch einer grossen Menge Munition und anderm darin
befunden, und ist sehr zu verwundern, dass bei dem Sturm der Unserigen nur 27 geblieben,
in der Bataille nur 7. Sonsten ist die Guarnison in gedachter Vestung noch würcklich 1200
Mann gewesen. Fünff Tage zuvor hat das Gewitter in die Vestung Novigrad geschlagen, wor-
bei das meiste Thcil derselbigen, sampt dem Zeug- und Munitions-Hauss abgebrandt, worauff
dann die Türeken selbige auch verlassen.
(Oeilruckt den Akten des Köni^l. StaatsarcliiTs zu Wifghaden beilleg'eDd.)
Mitteilungen über die Lage und Gescliichte
der Marau bei Mainz.
Von
Geh. Baurat Cuno»
Die in der letzten Sitzung des Architekten-Vereins von mir zugesagten ^fit-
teihingen werden sich im Anschlüsse an die Vorarbeiten zum Bau eines Flosshafeus
bei Kostheim auf die Lage und Geschichte der Marau mit ihrem Befestigungshaupte
beziehen. Der Herr Professor Dr. Grimm hat in einer Abhandlung über Lage und
Namen einiger Ürtlichkeiten unserer Gegend, veröffentlicht im 10. Bande der
„Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung",
den überzeugenden Nachweis geführt, dass die in der Geschichte der deutschen
Kaiser mehrfach erwähnte Marau ein flacher Wiesenplan zwischen Rhein und
Main gewesen ist und dass der Name des Ortes Kostheim von einem in der
Nähe gelegenen Burgbau Kopfstein herrührt, welcher einst die Marau beherrschte.
Es wird uns im einzelnen berichtet, dass bei der Wahl Kaiser Lothars H.
vor der Stadt Mainz auf beiden Seiten des Rheins die kriegerischen Gefolge
lagerten, dass im offenen Felde das Festmahl stattfand, bei welchem Kaiser
Friedrich L die Fürsten und ihr gesamtes Gefolge bewirtete, und dass feierliche
öffentliche Akte bei den Wahlen Heinrichs H. und Philipps von Schwaben in
der Nähe von Mainz erfolgten. Insbesondere wird der Ort des feierlichen Hof-
lagers von 1184, wo der Palast und die Kapelle des Kaisers, ebenso die
Wohnungen der Fürsten und ihres Gefolges errichtet waren, als ein weiter
Wiesenplan, eine Insel nahe bei Mainz, auf der rechten Seite des Rheines, auf
zwei Seiten vom Rhein und Main umschlossen beschrieben und die Marau ge-
nannt. An der Südspitze der Marau wird von einem Haupt, einem Bauwerk
berichtet, wo Kaiser Heinrich IV. eine Urkunde für das Kloster Lorsch ausstellte.
Ferner hören wir, dass bei Kostheim oder Cupstein eine Königspfalz be-
standen hat, wo Karl der Grosse im Jahre 790 weilte, wo im Jahre 795 ein
feierliches Placitum gehalten wurde. Die Lage dieser Burg wird als oberhalb
der Brücke bezeichnet und ist zugleich durch den in der Nähe belegenen Lande-
platz der wichtigen Weisenauer Fähre beurkundet.
Diese Örtlichkeiten bilden das Gebiet, in welchem jetzt als Ergänzung
der Main-Kanalisierungs-Anlagen bei Kostheim ein Flosshafen gebaut wird, und
es lag mir deshalb nahe, mich mit der Vorgeschichte dieser interessanten Bau-
stelle eingehender zu beschäftigen. Die Rhein-Stromstrecke bei Mainz gehört
geognostisch zu dem Abschnitte des sogenannten Mainzer Beckens, welcher bei
Oppenheim beginnend sich bis Biuger Loch erstreckt und von der tertiären
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Formation beherrscht wird. Hydrographisch bat diese Stromstrecke einen see-
artigen Charakter, welcher in der mächtigen Breite des Wasserspiegels und in
den vielfachen Inselbildungen und Stromspaltungen sich ausprägt. Hierauf
muss man zunächst sein Augenmerk richten, wenn man die frühere und jetzige
Ausgestaltung des Überschwemmungs-Gebiets zwischen Oppenheim, Mainz und
Bingen richtig verstehen will. Vor der Durchbrechung des Rheinischen Schiefer-
gebirges unterhalb Bingen lag das ganze obere Gebiet tief unter dem Spiegel
des antediluvianischen Rheinsees, welcher bei Basel beginnend sich bis zu den
Höhen des Niederwaldes erstreckte. Der Nullpunkt des Rheinpegels bei Basel
liegt in gleicher Höhe mit den Kuppen des Niederwaldes, auf denen sich Rhein-
geschiebe und Muscheln jenes Seegebietes finden.
Nach erfolgter Senkung des früher gestauten Wasserspiegels bildeten sich
auf dem Seeboden verschiedene Rinnsale, in welchen das aus dem Alpengebiete
kommende Rheinwasser fortgeführt wurde, ein Zustand, welcher zwischen Basel
und Strassburg zum teil noch jetzt deutlich zu erkennen ist.
Neben einem Hauptstromarme bestanden mehrere Seitenrinnen, welche
hauptsächlich bei den höheren Wasserständen zur Geltung kamen, bei Niedrig-
wasser aber grösstenteils trocken lagen. Für diese Nebenarme hat sich im
Volksmunde der Name „Giessen" erhalten. Die Inseln zwischen solchen Giessen
bestanden teils aus tertiären Ablagerungen, teils aus diluvialen Geschieben mit
kalkigem oder thonigem Bindemittel, welche der gewöhnlichen Strömung hin-
reichend Widerstand leisten konnten und nur etwa bei heftigen Eisgängen an-
gegriffen oder verändert wurden.
Unmittelbar bei Mainz erscheint dies Verhältnis noch dadurch besonders
verwickelt, weil hier auf der rechten Rheinseite der Main einmündet, dessen
Fluten bei den erwähnten Inselbildungen wesentlich mitgewirkt haben.
Nach den lichtvollen Darlegungen des verstorbenen Landesgeologen Dr. Koch
mündete der Main ursprünghch keineswegs an der jetzigen Stelle oberhalb
Mainz in den Rhein, sondern lief in längerer Ausdehnung neben den tertiären
Rändern des rechtsseitigen Geländes iu den Gemarkungen Kostheim, Castel,
Amöneburg, Biebrich und Walluf parallel zu dem linksseitigen Hauptstrome des
Rheins. Zwischen diesen beiden Strömungen lagen die Inselgebiete, deren Reste
in der Marau, der Petersau, der Ingelheimer Aue, der Rettbergs- und Bieb-
richer Aue, sowie in der grossen Alluvion bei Schierstein-Walluf noch vorhanden
sind. Auch von Walluf abwärts zwischen Eltville, Erbach, Ilattenheim, Östrich,
Geisenheim und Rüdesheim ist der oben erwähnte Parallelstrom des Mains
besonders in der kleinen Giess, in den Seitenarmen bei Winkel, Geisenheim und
Rüdesheim sehr deutlich zu erkennen, wie denn auch die kalkigen und thonigeu
Ablagerungen auf den rechtsseitigen Thalgehängen vorwiegend dem Maingebiete
angehören, während sich auf dem linken Rheinufer die sandigen Geschiebe des
oberen Rheines mit der zugehörigen Flora und Fauna zeigen.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde dann der Main zunächst zwischen
Kostheim und Walluf von dem rechtsseitigen Ilöhenrande abgedrängt und es
entstand ein regelrechteres Mainbett durch die sogen. Maiulache, hart an dem
Casteler Uferrande her, iu dem jetzigen Casteler Rheinarme bis unterhalb Biebrich.
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Zwischen dera Rhein und Main lag im Anschlüsse an die rechtsrheinische
Niederung vor Gustavsburg, Bischofsheim und Riisselsheim das ausgedehnte
Gelände der Marau und Petersau, ursprünglich ein Ganzes bildend, welches
nur zur Zeit der Hochfluten und des Eisganges durch einige Querströmungen
unterbrochen war. Die Petersau ist damals ohne Zweifel viel breiter gewesen,
als jetzt, und der jetzige Hauptarm des Rheins oberhalb Biebrich war nur eine
gewöhnliche Hochwassergiess, welche zeitweise mit den Mainfluten vereinigt
sich durch den sogen. Wachsbleichen-Arm zwischen der Ingelheimer- und
Rettberga-Aue in den linksseitigen Rheinarm ergoss.
Es bestand hiernach gegenüber von Mainz auf der rechten Seite des Rheins
ein grosser Insel-Wiesenplan, welcher zu festlichen Veranstaltungen, Volks- und
Reichsversammlungen höchst geeignet war und nach den vorliegenden geschicht-
lichen Zeugnissen in dieser Weise vielfach benutzt wurde. Von Mainz aus
war dies Inselgebiet durch die zuerst in der römischen Kaiserzeit erbaute feste
Rheinbrücke zwischen Mainz und Castel bequem zugänglich. Die Herstellung
einer hölzernen Rheinbrücke oberhalb der Römerbrücke, wahrscheinlich zwischen
Weisenau und der Marau zur Zeit Karls des Grossen war sicher neben den
strategischen Rücksichten auch durch diese Verhältnisse mit bedingt. Der alt-
römische Brückenkopf bei Castel bezeichnete das rechtsseitige Mainufer und
die ersten rechtsseitigen massiven Öffnungen der Römerbrücke führten ohne
Zweifel über den Main und über das links neben demselben belegene Insel-
Terrain, welches durch eine Seitenrampe mit der Brückenbahn verbunden werden
konnte. Über die karolingische Brücke fehlen nähere Nachrichten, doch sprechen
alle massgebenden Umstände dafür, dass sie vom linken Rheinufer oberhalb
Mainz direkt auf das Haupt der Marau führte.
Der Wiesen-Inselplan oberhalb der Römerbrücke gewann eine besondere
Bedeutung, als man das Bedürfnis fühlte, den Zugang zu diesem wichtigen Ge-
biete am oberen Ende gegenüber von Kostheim zu überwachen. Es wurde
hier wahrscheinlich schon zur Römerzeit ein Vorposten, unter Trajan ein festes
Bauwerk, später unter den Merowingern eine Wasserburg, ein Königshof an-
gelegt, welchen die Karolinger mit einem Steinturm unter kuppenartigem Dach
versahen, wodurch der Name Kupstein (Kostheim) enstand. Zur Zeit Karls des
Grossen ist hier nach Grimms Darlegung ein Burghaus nachgewiesen, in welchem
später Kaiser Heinrich IV. im Jahre 1067 die schon oben erwähnte Urkunde
ausstellte. Im Anschluss an dieses Burghaus wurde sicher auch bei den hier
gehaltenen Reichsversammlungen und namentlich im Jahre 1184 für das vom
Kaiser Barbarossa veranstaltete grosse Volksfest das Hauptquartier des Kaisers
und der Reichsfiirsten in besonders für diesen Zweck errichteten Holzhäusern
aufgeschlagen. Die Zahl der bei dieser Gelegenheit auf der Marau zusammen-
geströmten Ritter und Reisigen wird auf 40000 angegeben, die übrige Volks-
menge war ungezählt. Nach Raum er s Beschreibung hatte Kaiser Friedrich
dafür gesorgt, dass den Rhein aufwärts und abwärts Lebensmitel in unglaub-
lichen Mengen zusammengebracht waren. Alle Edlen, ja alles Volk ward auf
Kosten des freigebigen Kaisers bewirtet und Könige, Herzöge, Markgrafen leisteten
ihre Dienste als Truchsessen, Kämmerer, Marschälle und Mundschenken. Fremde
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aus Slavien, Illyrien, Fraukreich, England, Italien und Spanien hatten sich zu
dem Feste eingefunden. Die Hoheit des Kaisers, die Herablassung der Kaiserin,
die Schönheit der Frauen, die Herrlichkeit der Ritter, die Pracht der Kleidungen,
der Schmuck der Pferde, die Mannigfaltigkeit der Spiele und Gesänge, der
Überfluss an Lebensmitteln und Wein, alles vereinte sich, um Lust, Freude
und Bewunderung zu erzeugen.
Die vereinigte Marau und Petersau mit ihrem frischen Wiesengrunde
und schönen Baumschmuck, mit dem herrlichen Ausblick auf das goldene Mainz,
auf die lachende Rheinebene und das Taunusgebirge waren sicher ein einzig-
artiger Schauplatz für ein solches welthistorisches Fest, dessen dauernde Er-
innerung im Volksmunde treu bewahrt wurde und einen festen Anhaltspunkt
in jenem Burgbau Kupstein, dem Haupt der Marau, behalten hat. Die durch
die Tradition erhaltenen Spuren jenes zur Überwachung der Marau bestimmten
Vorpostens, des nachmaligen Burghauses und Kaiserlagers, finden wir in der
von Gustav Adolf gegründeten Schwedenschanze an der sogenannten Mainspitze,
der heutigen Gustavsburg, welche später von den Franzosen w^eiter ausgebaut
und in unserer Zeit als Brückenkopf verwertet wurde.
Dort deutet auch die Niederung des Gustavsburger Hafens mit ihren tiefen
Auskalkungen an der rechten Rheinseite auf die Stelle hin, wo bei den Hoch-
fluten der Vorzeit der Main von Hochheim abwärts in möglichst gerader Richtung
eine Gicss gebildet hatte, welche nur durchströmt wurde, wenn das Mainbett
bei Castel-Biebrich mit Eis versetzt war, wie sich dies noch im Jahre 1880
wiederholte, als die Deiche von Rüsselsheim und Bischofsheim von der hohen
Eisflut durchbrochen waren.
Die alte Wasserburg lag unterhalb dieser Main-Giess und bildete somit
das befestigte Haupt der Marau, welches früher mit der Rheinbrücke zwischen
Mainz und Castel, später mit der karolingischen Brücke in sicherer Verbindung stand.
Zugleich konnte von dieser Burg aus der Landeplatz der Weisenauer
Rheinlahre und die anschliessende wichtige Verbindungsstrasse nach Höchst,
Grossgerau, Lorsch und Starkenburg überwacht werden.
Die jetzig^ Mainmünduug unterhalb (Justavsburg, welche noch während
des dreissigjährigen Krieges behufs bequemer Verbindung mit dem altbefestigten
Mainhaupt der Marau durchdammt war, hat sich erst später infolge der fran-
zösischen Festungsbauten von 1080—90 ausgebildet und ist nach Versandung
des Mainbettes bei Kostheim-Castel zur Hauptausmündung geworden, wodurch
die jetzige beschränkte Gestalt der Marau entstand. Die sodann errichteten
Festungswerke von Castel bilden den Abschluss dieser Umgestaltung.
Durch den Bau des Flosshafens bei Kostheim werden die früheren Flut-
verhältnisse im Überschwemmungsgebiete des Rheines wieder aufgedeckt.
Diese Mitteilungen aber dürften den Zweck erreichen, die Richtigkeit der
geschichtlichen Ermittelungen des Herrn Professor Dr. Grimm über die Marau
und die Lage der Burg Kupstein (Kostheim) auch vom geologischen und hydro-
technischen Staudpunkte aus zu bekunden.
Johann Konrad von Seibach.
Nebst einem Anhang : Einit^e uiibekaiiiite Herbonier Drucke.
Von
F» 0 1 1 0^
Johann Konrad von Seibach gehört nicht zu den grossen Kriegshelden
seiner Zeit; er hat nicht eine höhere leitende Stellung wie Melander errungen,
er ist nicht gefeiert worden von den Landsknechten wie Friedrich von Reiffenberg,
und starb in einem Alter von 44 Jahren als Oberstlieutenant des nassauischen
Reiterregiments, dessen Oberst Graf Ludwig Heinrich von Dillenburg war.
Aber sein Leben ist trotzdem merkwürdig und einer näheren Betrachtung wert.
Nur kurze Zeit vermochte er in der Heimat und in friedlicher Thätigkeit zu-
zubringen : im Anfang seiner Jugend zog ihn die Lust am Kriegshandwerk
bald hierhin, bald dorthin in fremde Dienste, und in den letzten Jahren seines Lebens
wurde er als erprobter Krieger abermals zu den Waffen gerufen.
Die folgende Erzählung seines Lebenslaufes folgt der kurzen Biographie,
welche der Hofprediger Hermann Vigelius von Dillenburg am Schlüsse der
Leichenrede (gedruckt Herborn 1636) gegeben hat.
Die Herrn von Seibach haben ihren Namen von ihrem Stammsitze Sei-
bach in der Herrschaft Siegen, nicht allzuweit von Burbach entfernt. Das
Geschlecht zerfiel in viele Zweige, welche sich durch Beinamen unterschieden;
Johann Konrad führte den Namen Lange: so ist er in der unten erwähnten
Urkunde von 1618 genannt; die Matrikel von Marburg nennt ihn Lang. Der
Wohnsitz und das Erbgut seines Zweiges war Zeppenfeld. Dazu erwarb sein
Vater Kraft Engelbrecht den Mitbesitz des Geispitzhcimischen Hofes zu Wies-
baden. Diesen — es war der Hof des ca. 1400 ausgestorbenen Geschlechts
der Herrn von Wiesbaden, er lag gegenüber dem heutigen Gasthaus „Nonnen-
hof" — hatte Joachim von Geispitzheim besessen und bei seinem Tode, um
die Zeit der Kirchweihe von Wiesbaden (Sonntag Jubilate) im Jahre 1557'),
zwei Töchtern, Margarethe und Anna Maria^), hinterlassen. Von diesen hei-
^) Altes Gerichtsbuch der Stadt Wiesbaden. Der Sonntag Jubilate war im Jahre 1557
der 9. Mai. — ^j Anna Maria fehlt bei II um bracht, ebenso ihr Gemahl Reinhard von
Grodian; beide werden 1580 und 1581 als Mitbesitzer des Hofes genannt; der Sohn Walthor
verkaufte im Jahre 1609 seinen Anteil.
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ratete Margarcthc um das Jahr 1570') eleu gcuanuteu Kraft Eugelbrccht
von Seibach, Anna Maria den Junker Reinhard vou Grodian. Beide teilten
den zu Wiesbaden ererbten Besitz; indessen scheint Seibach die ihm zugefallenen
Güter nicht selbst bewirtschaftet zu haben, während sein Schwager zu Wies-
baden wohnte: er verpachtete die Wiesbadener Güter z. B. im Jahre 1583 auf
neun Jahre.-) Nach Grodians Tode wurde er Vormund von dessen hinterlassenera
Sohne Walther, als welcher er noch im Jahre 1603 vorkommt, doch muss er
um diese Zeit gestorben sein^); die Mutter erlebte noch den Tod ihres Sohnes
(1634) und muss also ein hohes Alter erreicht haben; war sie bei ihrer Ver-
heiratung etwa zwanzig Jahre alt, so zählte sie damals etwa 84 Jahre.
Auf dem Gute zu Zeppenfeld, wo er auch später wohnte, wenn er nicht
auswärts war, mag Junker Johann Konrad als das jüngste oder einzige Kind
seiner Eltern am 24. August 1580 geboren worden sein. Nach des Vaters Tod
brachte ihn die Mutter auf die benachbarte Landesschule zu Herborn, welche
damals eines besonderen Rufes sich erfreute. Im Jahre 1605 bezog er die
Universität Marburg, wo er am 30. Mai immatrikuliert wurde, später die im
Jahre 1607 gestiftete Universität Giessen, zu deren ersten Schülern er also
gehörte.*)
1. In schwedischem Dienst 1608. Die Studien fesselten ihn nicht;
da er mehr Neigung zum Kriegshandwerk hatte, so trat der neunzehnjährige
Jüngling in die Dienste des Königs Karl XI. von Schweden. Diese Wahl mag
bestimmt worden sein durch den Vorgang seines damaligen Landesherrn Johann
des Mittleren, eines Sohnes des 1606 verstorbenen Grafen Johann des Alteren,
welchem in der Erbteilung die Herrschaft Siegen zugefallen war; derselbe hatte
im Jahr 1601 als General der schwedischen Armee rühmlichst in dem polnischen
Kriege gekämpft. Ferner stand eben damals ein Vetter des jungen Seibach,
Wilhelm von Seibach von dem Zweige der Quadfassel, ebenfalls in schwedischen
Diensten und mochte seinen jüngeren Freund eingeladen haben sein Glück in
dem bevorstehenden russischen Kriege zu versuchen. In Russland herrschte
nämlich seit einigen Jahren der Büi^erkrieg, welchen das Auftreten des falschen
Demetrius hervorgerufen hatte. Der neu ernannte Zar Schuiski suchte gegen
den zweiten Demetrius und die mit ihm verbundenen Polen Hülfe bei Schweden,
die auch versprochen und geleistet wurde. Nach dem Vertrage vom 28. Feb-
ruar 1609 rückte der schwedische General Jakob de la Gardie^) in Russland
ein; sein Heer bestand zum grossen Teil aus Truppen, welche im Westen von
•) Bis zu dieser Zeit werden mehrmals „die Kinder von Geispitzheim" genannt, 1573
zum crstenmule Seibach. — *) Die Güter betrugen zusammen 168 Morgen Ackerland, 28 Mor-
gen "Wiesen, 2 Morgen "Weinberge, der Pacht von Seibachs Anteil 34 Malter Korn und 10
Säcke Hafer. Auf dem Hofe lastete die Verpflichtung mit seinen Pferden und Wagen die
Verbrecher zur Richtstätte zu fahren. — ^) Herrn. Vigelius sagt, Kraft Engelbrecht sei
gestorben, als der Sohn 12 Jahre alt war, also 1601; diese Angabe muss also auf einem Irr-
tume beruhen. — ') Die älteste Matrikel der Universität Giessen ist verloren, die Zeit seiner
Aufnahme also nicht zu bestimmen, doch muss sie wohl 1607 erfolgt sein, da er 1608 Kriegs-
dienste nahm. — *) Sohn des P. de la Gardic aus Carcassonnc, welcher in schwcdisclic Dienste
getreten und zu hohen Ehren gekommen war; der Sohn war geboren 1583 und starb 1652
gleichfalls in hohen fahren.
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Europa, in Fraukreich, den Niederlanden und Schuttland, geworben waren. Der
Anfang des Feldzugs war glücklich: am 12. März 1610 zieht de la Gardie
siegreich in Moskau ein ; doch infolge einer Meuterei namentlich der Söldner
sah er sich alsbald genötigt diesen Kriegsschauplatz zu verlassen und nach
Nowgorod abzuziehen, während die russischen Verhältnisse durch Erhebung des
Michael Romanow zum Zaren (1612) einer festeren Gestaltung entgegengingen.
An diesem Feldzuge also nahm Seibach teil und erlaogte durch seinen Vetter
Wilhelm von Seibach ein Fähnlein. Wie lange er dort verweilte, wird nicht
angegeben; vielleicht wurde er von de la Gardie zu Nowgorod 1611 oder 1612
verabschiedet.
Nach seiner Rückkehr verweilte er am Hofe seines Landesherrn Johann
von Nassau-Siegen, „dessen Gnaden ihn allezeit lieb und wert gehalten."
2. Im Dienste der Hansestädte unter Graf Friedrich von Solms
1615. Zwischen dem Herzoge von Braunschweig und der Stadt Braunschweig
bestanden seit langer Zeit Streitigkeiten, da diese ihre Selbständigkeit wahren,
der Herzog aber sie mit Gewalt unter seinen Willen beugen wollte. Herzog
Henrich Julius starb im Jahre 1613 unausgesöhnt mit der Stadt; sein Sohn
Friedrich Ulrich verlangte alsbald die Huldigung, welche verweigert wurde.
Nachdem die Versuche zu friedlicher Beilegung des Zwistes gescheitert waren,
griff er im Jahr 1615 zu den Waffen und begann im Sommer des Jahres die
Belagerung der Stadt. Diese fand Hülfe bei ihren Bundesgenossen, den Städten
Bremen, Lübeck, Magdeburg u. a., und der Graf Friedrich von Solms-Laubach,
der bestellte hanseatische General-Obrist zu Land und Wasser'), erhielt den
Auftrag ein Heer zu sammeln und die bedrängte Stadt zu entsetzen. Rasch
nach den Begriffen der damaligen Zeit brachte derselbe eine Schar von 3000
Mann zu Fuss und 1600 Reitern zusammen und rückte am 20./10. Oktober
von dem Lager zu Giffhorn gegen die Belagerer vor. Von den Reitern führte
Kurt Heinrich von Uffeln^) ein Fähnlein, sein Lieutenant war Seibach. ^) Am
23. Oktober, als die Not der Stadt auf den höchsten Punkt gestiegen war,
fand der Entsatz statt; der Herzog wurde geschlagen und Graf Solms zog als
Sieger in die Stadt ein. Infolge davon kam es zum Waffenstillstand und am
21./31. Dezember zum Frieden zwischen der Stadt und ihrem Fürsten.*)
3. Im Dienste des Königs von Frankreich 1616. In den Unruhen,
welche im Jahre 1616 — 17 die Grossen Frankreichs gegen die Krone anzettelten,
erhielt am 31. Januar 1617 der Marschall Heinrich von Schomberg, ein Glied
der Familie, welche Frankreich so viele tüchtige Kriegsmänner gab, den Auftrag
4000 Landsknechte und 400 Reiter in Deutschland zu werben. Der eben
*) Seit dem Jahre 1608. Otto Graf zu Solms-RödcUicim, Graf Friedrich von Solms-
Laubach I, S. 161. — '^) Kurt Heinrich von Uffeln war am 13. April 1582 geboren und hatte
seit 1593 an verschiedenen Feldzügen in Ungarn, den Niederlanden und im Eisaas teilge-
nommen. Leichenrede des Hot'predigers Theoph. Neubcrgcr zu Kassel, gedruckt daselbst
1634. Die Einsicht in dieselbe verdanke ich der Freundlichkeit des Herrn Majors v. Wangen-
lieira dahier. — ^) Ein Lieutenant erhielt 50 fl. monatlich und vier Pferde. Otto Graf zu
Solms a. a. 0. S. 429. — *) Otto Graf zu Solms a. a. O. S. 346 — 391. Uavemann, Ge-
schichte von Braunschweig-Lüneburg II, S. 454 tf.
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genannte Kurt Heinrich von Uffeln und sein Lieutenant Seibach funJcu sich
bereit auch hier zusammen Dienste zu nehmen, doch war ihres Bleibens nicht
lange. Bald nach der Ermordung des Marschalls d'Ancre (24. April) wurden
sie wieder verabschiedet.')
4. Im Dienste der Republik Venedig 1617 — 1618. Infolge der
Räubereien der Uskoken entbrannte im Jahre 1615 ein Krieg zwischen der
Republik Venedig und dem Erzherzoge Ferdinand von Osterreich, welcher zwar
nicht viele grosse ^yaffenthaten aufzuweisen hat, aber merkwürdig ist, weil an
ihm mehrere Männer teilnahmen, welche in demselben entweder ihre Waffen-
tüchtigkeit bewährten, oder später als Kriegshelden berühmt geworden sind.
Zu diesen gehört vor allen AVallenstein und Melander; nicht weniger erwähnens-
wert ist es für uns, dass der Anführer der holländischen Hülfstruppen der Sohn
des Grafen Johann des Mittleren von Siegen Johann Ernst war; unter ihm
dienten der tapfere Hans Michael von Obentraut-) und Johann Konrad von
Seibach.
Als die Yenetianer im Frühjahre 1616 (5.-25. März) vergeblich Gradisca
belagert hatten und auch im Sommer der Krieg sich lahm dahin zog, knüpften
sie im Herbste Verhandlungen mit den Generalstaaten an, um von ihnen Hülfe
zu erlangen. Diese versprachen zwei Regimenter Söldner zu schicken, das
Kommando erhielt Graf Johann Ernst, welcher alsbald eine genügende Anzahl
Soldaten unter seine Fahnen vereinigte ; es waren ihrer etwa 4000 Mann, das
Gerücht verdoppelte später die Zahl. Die Überfahrt nach Venedig zog sich
lange hin und erst im Mai 1617 langten sie in Venedig an — zum Schrecken
für die gutkatholischen Bewohner und unter Missbilligung der älteren Senatoren,
welche lieber die Musterung auf dem Markusplatze nicht mit augesehen hätten,
da sie die Befürchtung nicht unterdrücken konnten, die Fremden seien stark
genug sich der Stadt zu bemächtigen. Die Ankunft der stattUchen tapferen
Männer auf dem Kriegsschauplatze schien dem Kampfe eine bessere "Wendung
zu geben, doch wirkte die Uneinigkeit des vorsichtigen venetianischen Befehls-
habers und des Grafen Johann Ernst, welcher eine energischere Kriegführung
verlangte, hemmend auf die Unternehmungen ein. Xach einer Reihe nutzloser
und von schrecklichen Verwüstungen begleiteter Kämpfe kam es im Herbste
1617 durch die Vermittlung befreundeter Mächte zu einem Friedensvorschlage,
welchen Erzherzog Ferdinand am 1. Februar 1618 annahm.^) Die holländischen
*) In der Leichenrede Uffelns heisst es, dieser sei nach ,,Saplioyeu" beordert gewesen;
nach Daniel, Geschichte von Frankreich, Nürnberg 1761, XII war Sohomberg im nördlichen
Frankreich beschäftigt. Über das Ganze vergl. Daniel XII, S. 135 fif., Fieffö, Geschichte
der Freind-Truppen im Dienste Frankreiclis, deutsch von P, Synion de Corneville 1860, 1,
S. 186. Xcubergers und Vigelius Leichenreden. — -) Hans ^lichael von Obentraut stammte
aus einer pfälzischen Adeisfamilie: geboren 1J74 erscheint er 1610 als Rittmeister der Union
an der Spitze von 500 Reitern im elsässischen Krieg, als es sich darum handelte den Erz-
herzog Leopold abzuhalten, von dem Oberrliein nach den jülich-clevisclion Landen durchzu-
brechen. Der allgemeine Krieg, welcher damals zu entstehen drohte, wurde infolge der Er-
mordung Heinrichs IV. noch einmal aliircwoudct. v. Stramberg in Ersch und Grubcrs En-
cvklopädio. — ^ Fr. v. Hurt er, üescliiclite Kaiser Ferdinand II., YII, d. 77— I'JT; Daru,
Histoire de la rep. Vinise, IV, ri. 283.
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Söldner kehlten nunmehr in die Heimat zurück, aber ohne ihren Führer, den
Grafen Johann Ernst, welchen eine Krankheit dahingerafft hatte. ')
Daas Seibach als Lieutenant ObeVtrauts, „obwohl er ein mehreres schon
verdient", diesen Kriegszug mitmachte, sagt die Leichenrede des H. Vigeiius
ausdrücklich. Wenn aber, wie anderwärts berichtet wird, die holländischen
Söldner im Mai 1617 zu Venedig eintrafen, so kann Seibach unter diesen nicht
irewesen sein, da erst im Mai die Schar aus den französischen Diensten ent-
lassen wurde^), welcher er bis dahin angehört hatte. Er muss also entweder
früher sich von dieser verabschiedet haben — oder erst später auf dem Kriegs-
schauplatze bei Gradisca eingetroffen sein. — Seine Rückkunft in die rheinische
Heimat erfolgte erst spät; denn in der Mitte des November war er dort noch
nicht eingetroffen, sondern wird in der gleich zu erwähnenden Urkunde als
abwesend bei den Venetianern bezeichnet. Obentraut — und mit ihm wohl
auch Seibach — war im Jahre 1619 wieder in der Heimat und im Dienste
des Kurfürsten von der Pfalz.
Am Sonntage nach Martini im Jahre 1618 verkaufte Margarethe von
Seibach in ihrem und ihres Sohnes Namen die Güter zu Wiesbaden, welche
ihr wohl zu entlegen waren, an die Brüder Peter und Johann Meinhard von
Leyen für 3300 fl. Für den abwesenden Sohn siegelte Georg Heinrich von
Langein, der Sohn des 1591 verstorbenen Hans Bernhard von Langein, Amt-
manns zu Wiesbaden. Da die beiden Leyen um diese Zeit auch die andre
Hälfte der Geispitzheimischen Güter erwarben, so vereinigten sie wieder den
ganzen Besitz in ihrer Hand.
5. Im Dienste des Kurfürsten Friedrich von derPfalz 1620 — 1622.
Kaum war der venetianische Krieg beendet, so entstanden die böhmischen Un-
ruhen, die Vorboten des Krieges, welcher Deutschland 30 Jahre lang verwüsten
sollte. Als der Kurfürst von der Pfalz im Sommer 1619 zum Könige von
Böhmen erwählt worden war und das bedenkliche Geschenk angenommen hatte,
war leicht zu ermessen, dass auch seine Erblande von einem Angriffe nicht
verschont bleiben würden. Schon im Herbste 1619 trat Obeutraut in die Dienste
des Kurfürsten und begleitete ihn auf seinem Wege nach Prag, wo er am
4. November der Krönung beiwohnte.^) Indessen blieb er nicht in Böhmen,
sondern wurde beauftragt als Reiteroberst die Pfalz gegen den spanischen
Feldherrn Spinola schützen zu helfen; unter ihm diente Seibach als Anführer
einer Kompagnie. In diesen Kämpfen bewährten die beiden, während die
übrigen wenig Ruhm einernteten, die alte Tapferkeit und Kühnheit. So über-
fiel Obentraut im September ein Kornet spanischer Reiter unter dem Prinzen
Epinoy, nahm diesen gefangen und erlegte fünfzig."*) Am 30. Januar 1620
machte er mit 120 Waghälsen, wie das Tbeatrum Europaeum sagt^), und 25
') Keller, Geschichte von Nassau, S. 627. Die Venetianer hatten ihn durch reiche
Geschenke geehrt. — ^) Die Leichenrede auf K. H, v. UflFeln nennt den 24. Mai 1617. —
•') Höfer, Biographie g.'noral. 38 Sp. 388. — *) Thcatr. Europaeum I, S. 382. — ^} Ib. I, S. 488.
An dieser Stelle findet sich zugleich ein Bild des Obersten Obentraut mit der Unterschrift:
Hie quis Sit, quaeris: stirpe Obentrautiaca ortus Est lan-Michael nobilitatis bonos.
Huius quae virtus, rogitas: est Martis alumnus, Pugnans pro patria, relligione, foco.
90
l'ferden dos Lieutenants Pfaff einen Anschlag auf Caps-Lawershoim, wo eine
Kompagnie vom besten und ältesten spanischen Volk lag, überfiel sie vor Tages-
anbruch und machte nieder, was sich zur Wehr setzte; ein Rittmeister wurde
im Bett; gefangen genommen und viele Beute gemacht. Am 10./20. Mai kam
er früh morgens vor Herstein, sprengte das Thor mit einer Petarde, nahm den
darin liegenden Spaniern einige dreissig Pferde ab und hätte alle erlegt, wenn
sie sich nicht in das Schloss geflüchtet hätten. Wie sehr aber auch der ritter-
liche Sinn Obentrauts gerühmt wird'), so konnte er doch nicht verhüten, dass
nach damaliger Art der Kriegführung auch von seinen Leuten arge Verwüstungen
verübt wurden, wenn sie feindliches Gebiet betraten. So wurden im Laufe des
Jahres 1621 viele Dörfer des Bistums Speyer mit Feuer und Schwert verwüstet.^)
Als Mansfeld aus Böhmen in die Rheinpfalz gekommen war, schloss er sich
demselben an und unternahm, während jener das Elsass heimsuchte, einen
Plünderungszug nach dem Breisgau mit einer starken Reiterei. Im folgenden
Jahre nahm er an der Schlacht bei Mingolsheim (15. April) teil; seine grösste
That aber war in diesem Kriege das Gefecht am ILagenauer Forst, wo er am
-16. Mai 1000 Reiter des Erzherzogs Leopold mit einem Verlust von 500 Pferden
in die Flucht schlug und Furcht und Schrecken im Lager verbreitete.^) Doch
schon war die Sache des Pfalzgrafen bekanntlich verloren, und ein weiterer
Kampf schien seiner Sache nur zu schaden; er entliess daher am 12. Juli
seine Truppen.*)
Seibach kehrte nunmehr in die Heimat zurück und verlebte die nächsten
Jahre auf seinem Gute zu Zeppenfeld. Im Jahre 1623 heiratete er hier die
Agathe von Scheid genannt Weschpfennig.
6. Im Dienste des Grafen Ernst von Sayn. Glücklich in dem Hafen
der Ehe angelangt entsagte Seibach zunächst dem Kriegsdienst, übernahm aber
später — ungewiss in welchem Jahre — die Stelle eines Amtmanns in der
Grafschaft Sayn, welche ihm Graf Ernst, Sohn des mit der Erbtochter von
Sayn, Anna Elisabeth, vermählten Grafen Wilhelm von Wittgenstein, angeboten
hatte. Als solcher erscheint er in den Jahren 1629 und 1630 und zwar, wie
es scheint, in dem Amte Friedewald nicht weit von seinem Wohnsitze Zeppen-
feld. In den wenigen erhaltenen Schriftstücken heisst er Rittmeister und
Amtmann.*)
7.*0bcrstlieutenant in des Herzogs Wilhelm von Sachsen Leib-
regiment zu Pferd 1631—1632. Im Jahre 1630 war Gustav Adolf als
M In einem Gedicht von G. C(orvinus), dem Professor der Beredsamkeit und Geschichte
zu Ilerborn, auf Seibach heisst es von Obentraut: Obentraut, dessen Treu das fremde Gold
veracht, Und jederzeit nur hat nach Teutscher Elir getracht. — *) Theatr. Europ. I, S. 537,
541 f. — ') Ebenda S. 628. — *) Ebenda S. 642. Noch einmal nahm in der Folge Obentraut
an dem Kriege teil; im Jahre 1625 ist er Gcncrallieutenant des Herzogs Johann Ernst von
"NVcimar, welcher im niedcrsächsisch-dänischen Kriege die Kavallerie des Königs befehligte;
nachdem er am 6. August hier eingetroffen war, wurde er in dem Gefecht bei Seelze so ver-
wundet, <la83 er alsbald starb, den 3. Nov. / 24. Okt. Opel, Der niedersächsiseh-dänische Krieg,
II, S. 354; Ha VC mann a. a. O. S. 642. — *) Die Mitteilung über diese seine Amtsthätigkeit
verdanke ich der Freundlichkeit des Herrn Archivrates Dr. Becker zu Coblenz. — Graf Ernst
regierte von 1008-1632.
91
Schützer der vom Kaiser bedrängten evangelischen Fürsten Deutschhuids an
der Küste von Pommern gelandet und hatte im Jahre Hi'il bei Breitenfeld den
ersten entscheidenden Sieg über das ligistische Heer erfochten. Als er in der
Folge sich mit seinem siegreichen Heere dem Rheine näherte, strömten die
kleineren protestantischen Fürsten zu ihm, um sich seines Schutzes zu versichern
und ihm ihre Hülfe anzubieten ; ihrem Beispiele folgten vielfach ihre Lehnsleute
und Hintersassen. So hatte sich Graf Ludwig Heinrich von Nassau-Dillenburir
im November 1631 bei dem Könige zu Gernsheim eingefunden und demselben
seine Dienste angeboten, war auch von ihm am 1. Dezember zum Oberst be-
stellt worden und begann alsbald ein Infanterie-Regiment zu errichten.*) Dieser
Vorgang des Grafen mag Seibach veranlasst haben um dieselbe Zeit dem Ruf
eines schwedischen Anführers Folge zu leisten.
Nachdem Gustav Adolf Erfurt am Ende des September besetzt hatte, und
er selbst nunmehr nach dem Rheine zu ziehen beabsichtigte, Hess er den Herzos
Wilhelm von Sachsen-Weimar in Thüringen zurück — er erteilte ihm bald den
Rang eines Generallieutenants — mit dem Auftrage den Besitz des Landes zu
sichern, die L^mgegend zu unterwerfen und zu diesem Zwecke ein Heer von
10000 Mann zu werben.^)
„Auf gnädiges Begehren des Durchlauchtigen und Hochgebornen Fürsten
und Herrn, Herrn Wilhelmen Herzog zu Sachsen, hat sich J. K. von Seibach
eingelassen und ist über Ihrer fürstlichen Gnaden Leibregiment Obristlieutenant
im Jahre 1631 geworden, dessen fürstl. Gnaden ihm wegen verspürter seiner
Qualitäten Obristen Stelle gnädig haben geben wollen." Es wird im Herbste
— November oder Dezember — gewesen sein, als Seibach hier eintrat. Auf
Befehl des Königs unternahm Herzog Wilhelm im Anfang Januar einen Kriegs-
zug von Erfurt aus, dessen einzelne Stationen im Theatrum Europaeum^) ver-
zeichnet sind: Aufbruch am 10, Januar, zu Sangerhausen am 11., zu Mansfeld
am 12., zu Ermsleben am 13., zu QuedUnburg am 14. und 15., zu Wernige-
rode am 16., zu Osterwiek am 17., am 18. Verbindung mit Bauer. Von nun
an handeln beide nach gemeinsamem Plane: am 23. besetzten sie die Stadt
Goslar. Während sodann Bauer das Hildesheimische besetzt, rückt Herzog
Wilhelm nach Nordheim und Bovenden (31. Jan.), um die von einer schwachen
ligistischen Schar besetzte Stadt Göttingen zu nehmen, was ihm nach zwei-
tägigem Kampfe am 11. Februar gelang. Sodann besetzt er Duderstadt und
einige andere Orte des Eichsfeldes — Mitte Februar.
Das Theatrum Europaeum berichtet darüber, wie folgt: „üieweil nun
Herzog Wilhelm durch eingezogene gewisse Kundschaft damals erfahren, dass
die starke wohlverwahrte Stadt Göttingen (welche den Grafen Tilly soviel Volk,
Mut und Arbeit, bis er sie einbekommen, gekostet) unter dem Kommando Hans
Georgen von Carthauss nur mit ungefähr 300 Mann, darunter etwa 50 zu Pferd,
gewesen, besetzt, auch mit genügsamer Proviant nicht versehen wäre, hat er
') Dillenburger Intell.-Nachr. 1778, Sp. 71 u, 88. — -) Tlicatr. Europ. 11, S. 454, und
für das Folgende S. 559 f.; llclmricli, Ücäcluchte des Groäslicrzogtums Sachsen-Weimar,
S. 91; La Roche a. a. O. S. 115, 117. — 'j s. 559. La Roche II, 9. 207 f.
92
den 8. Februar ia aller Eil seine Truppen zu Ross und Fuss samt Jen Stücken
und Bagage-Wagen zusammen führen lassen, sich mit denselbigen nahe vor
üüttingen im Feld präsentiref. Worauf zwar die Kaiserisch-ligistische etliche
Schüss aus der Stadt gethan, aber nachdem der Herzog zum zweitenmal einen
Trompeter in die Stadt um gütliche Ergebung geschickt, ist das Schiessen ein-
gestellet, doch die Übergabe rund abgeschlagen und die Antwort vom Komman-
deur, dass er sich wehren wollte, gegeben worden. Derowegen der Herzog
die Truppen samt dem Geschütz und Bagage gegen angehender Nacht wieder
in die Quartier rucken und ihnen sich darinnen bis auf weitere Ordinanz fertig
zu halten andeuten lassen. Folgenden 9. und 10. ist die Stadt rings um blockiert
worden, dass niemand weder ein noch auskommen können, da dann diese beiden
Tag über die Belagerten aus Stücken und Doppelhaken tapfer geschossen, so
aber wenig Schaden gethan, und hat der Fürst selber, aller Gefahr ungescheut,
die Gelegenheit der Festung abgesehen und darauf nach genommener wohl-
bedächtlichen Resolution und gehaltenem Gebet gegen vier Uhr des Morgens
früh gemeldete Stadt Göttingen an acht unterschiedlichen Orten mit Sturm an-
gegriffen und, weil die Belagerten wegen weniger Anzahl der Besatzung nicht
genügsame Gegenwehr und Vorsehung thun können, denselben unaufhörlich
fortgetrieben und darunter mit Stücken vom Galgenberg heftig gespielet. Da-
hero dann erfolget, dass durch solchen gewaltigen Angriff er um 6 Uhr Morgens
den 11. Februar die Stadt mit geringem Verlust sieghaft erobert. Da dann
sein Volk in der Furie, was es von kaiserischen Soldaten ertappt, alles nieder-
gehauen, der Rest . . . gefangen genommen, auch 3 Fahnen bekommen worden.
Darauf der Herzog den 12. dieses, welcher war der Sonntag Estomihi, in der
Kirche S. Johann durch seinen Hof- und Feldpredigern M. David Lippachen
eine Predigt halten und wegen solchen Victorie das Te Deum laudamus singen,
von zweien Compagnien Musketieren und aus groben Stücken dreimal Salva
schiessen lassen. U'i'S^
„Den 13. Februar hat Herzog Wilhelm einen Trompeter nach Duderstadt
an den Oberamtmann Hauptmann, versammelte Eichsfeldische Stände und den
Rat daselbst abgeordnet und begehret sich in der Güte zu accomodieren und
der Kgl. Majestät zu Schweden sich zu submittieren : worauf sie, dass sie parieren
wollten, in Schriften sich erkläret. Derhalben der Herzog den 15. den vorge-
dachten Trompeter neben dem Obristen Lieutenant Georg Friedrich von Branden-
steiu mit ganz billigen Conditionen anderweit dahin abgefertiget. Worauf die
Stadt sich den 17. zur Übergabe accomodieret und, als Herzog Wilhelm Nach-
mittags um 3 Uhr eingezogen, nicht allein demselben ein Fähnlein präsentiert,
die darin gelegene geworbene Soldaten, in 250 stark, sich mehrenteils unter-
güstellet und alsbald geschworen, sondern die Bürger haben auch einen Fussfall
•rethan und die Schlüssel überantwortet. General Bauer hat sich indessen auch
unterschiedlicher Orte bemächtiget."
Am Anfang des Februar hatte General Hörn Bamberg besetzt. Der
Bischof von Bamberg veranlasste nun den Kurfürsten Max von Baiern, Tilly
den Befehl zu erteilen, dass er mit seinen Truppen ihm sein Land zurücker-
obere. Um die Streitmacht Horns dieser Gefahr gegenüber zu verstärken, be-
93
fahl der König Gustav Adolf dem Herzog Wilhelm sich mit jenem zu vereinigen ;
indessen folgte dieser dem Befehle nicht, da er unter einem schwedischen General
nicht dienen wollte^); Hörn selbst schloss sich am 3. März bei Kitzingen an
das königliche Heer au, zu welchem in der Folge auch Herzog Wilhelm bei
Donauwörth stiess. Von nun an waren dessen Truppen ein Teil der königliehen
Armee und nahmen u. a. auch an dem Übergang über den Lech bei Rain teil ; dem
feierlichen Gottesdienst, welchen der König am 14. April zu Augsburg halten
Hess, wohnte auch der Herzog Wilhelm bei.*)
Während indessen der König seinen Siegeszug bis nach Baiern und dessen
Hauptstadt fortsetzte, „hat sich der Herzog Wilhelm in Ober-Schwaben auch
tapfer gebraucht'), indem er Ende des Mai einen Anschlag auf eine Schanze
bei Bregenz gemacht, welcher auch glücklich abgangen. Dann er den Grafen
Hannibal von Hohenembs mit seinem Regiment von Issny aus unversehns über-
fallen, über 500 niedergehauen und bei -400 neben dem besagten Grafen ge-
fangen. Er hat auch bei Weingarten ein starkes Scharmützel mit etlicher
kaiserischer Reiterei gehalten, sie geschlagen und 5 Cornet erobert."
Am Anfang Juni übergibt Herzog Wilhelm seine Truppen seinem Bruder
Bernhard, welcher gleichfalls in Schwaben stand, um die rebellischen Bauern
im Zaum zu halten, während er selbst in der Gegend von Magdeburg neue Werb-
ungen vornimmt und dann bei dem König vor Nürnberg eintrifft.
Seibach hat diese Kämpfe unter Herzog Wilhelm mitgemacht. Nach des
Vigelius Angabe diente er unter ihm ein halbes Jahr. Es mag also etwa in
der Mitte dos Jahres gewesen sein, vielleicht als Wilhelm seine Leute verliess,
dass er diese Bestallung aufgab. Warum er es that, wird nicht angegeben.
Möglich ist es, dass er sich bloss an Herzog Wilhelm verpflichtet hatte und
nicht seinen Befehlshaber wechseln wollte; wahrscheinlicher, dass ihn die An-
erbietungen des Grafen Ludwig Heinrich von Nassau-Dillenburg zu diesem
Schritte veranlassten.
Dieser hatte sich wie die meisten Grafen der Wetterau und des Wester-
waldes in die Dienste des schwedischen Königs begeben und war am 1. Dez.
1631 zum Oberst eines von ihm zu errichtenden Regiments zu Fuss ernannt,
welchem im folgenden Jahre ein Regiment zu Pferd folgen sollte.'*) Jenes trat
sofort im März 1632 in Thätigkeit; der Graf selbst führte es damals nach Mainz,
wo es dem Befehle des Pfalzgrafen Christian von Birkenfeld unterstellt und
nach dem Oberrhein abgeführt wurde. Hier nahm es teil an der Eroberung
mehrerer festen Plätze, wie Benfeld^ Schlettstadt, StoUhofen u. a.
Da durch die Abwesenheit desselben die Herrschaft Dillenburg von regel-
mässigen Truppen entblösst und feindlichen Angriffen ausgesetzt war, so war
hier dringend Abhilfe geboten und die Zeit zur Errichtung eines zweiten, eben
jenes Reiter-Regiments gekommen. Im Oktober des Jahres kamen die Ver-
handlungen mit Gustav Adolf zum Abschluss : der Graf Ludwig Heinrich wurde
^) La Roche II, S. 166. — -) Theatr. Europaeum II, S. 581. — ") Ibidem S. 593. —
*) Keller, Drangsale S. 164. Dill. Int.-Nachr. 1778, Sp. 71 u. 88.
94
zum Obersten desselben ernannt*), und bestellte seinerseits den Johann Konrad
von Seibach zum Oberstlieutenant und Kommandanten im November d. J.
8. Johann Konrad von Seibach Oberstlieutenant des Dillen-
buro-ischen Reiterregiments. Dieses Regiment wurde also im November
1G32 «beworben und war bald vollzählig. Es bestand aus sieben Kompagnien^) ;
Pferde zu beschaffen, war nicht sehr schwierig, da deren Anzahl weit grösser
war als heutzutage^) ; vor dem Kriege standen deren wohl sechsmal mehr als jetzt
im Dienste der Landwirtschaft; auch war das Siegener Land, in welchem die
Werbung vorgenommen wurde, noch weniger hart durch die bisherigen Kriegs-
ercignisse mitgenommen. Die Aufgabe dieses Regiments war, wie seine dem-
nüchstife Verwendung bezeugt, zunächst die heimatlichen Lande zu schützen.
So kam es hier nicht zu grossen Kämpfen und Schlachten, sondern höchstens
zu kleinen Gefechten. Yornehmlich war das Siegensche Gebiet durch die
räuberischen Einfälle des Generallieutenant Grafen Gronsfeld bedroht, durch
welche auch andere auf eigene Faust zu rauben und zu plündern veranlasst
wurden. Gegen diese schickte Graf Ludwig Heinrich im Februar 1633 den
Oberstlieutenant „Seibach mit einer Compagnie seines Regiments, um auf der
Grenze fleissige Patrouillen zu machen und alle Streifereien abzuhalten."*) Im
März zog der Graf mit dem ganzen Regiment nach Hachenburg, von wo aus
es ihm auch gelang dem weiteren Vordringen Gronsfelds Einhalt zu thun.'')
Freilich verübten auch die nassauischen Reiter mancherlei Ungehörigkeiten trotz
aller Bemühungen des Grafen strenge Disciplin zu halten.
Im Juli erschien Generalmajor von Böninghausen mit 60 Kompagnien zu
Pferd und 2000 Mann zu Fuss in dem Sauerland und bedrohte von da aus
das Siegensche Gebiet; die Verteidigung der Stadt Siegen war ausser der
Bürgerschaft dem Oberstlieutenant Seibach überlassen, welcher mit einer Kom-
pagnie in derselben lag, bald aber eine zweite Kompagnie zur Verstärkung
erhielt. Indessen kam es hier zu keinem Zusammenstoss, da Böninghausen
sich bald zurückzog.
Zweimal erhielt Seibach Gelegenheit ausserhalb der Heimat einen Kampf
zu bestehen. Über den ersten sind wir nur unvollkommen unterrichtet, der
zweite wurde ihm verhängnisvoll. Vigelius sagt, er sei im abgelaufenen Herbst
zu des Landgrafen Wilhelm Truppen, als diese die Stadt Werle belagerte, be-
ordert worden. Nun griff der Landgraf diese Stadt zweimal an, zuerst im
Anfang des September 1633, als eben General Böninghausen einen Streifzug
nach Hessen unternahm. Damals wurde Graf Ludwig Heinrich zur Unter-
stützung dieser Unternehmung herangezogen; indessen blieb sie ohne Erfolg,
da Böninghausen nach Hessen durchbrach und Amöneburg einnahm. Der zweite
Angriff auf Werle erfolgte im Oktober und war mehr von Glück begleitet;
') Daas Graf Ludwig Heinrich Oberst von einem Regiment zu Fuss und zu Pferd war,
fand der Kanzler Oxenstierna später ungehörig, doch bestand der Graf darauf beide Regi-
menter zu behalten. Dill. Int.-Nachr. 1778, Sp. 362. — -) Als später der Kanzler Oxenstierna
die Verminderung des Rogiments auf sechs Kompagnien verlangte, schlug der Graf dieses ab.
A, a. (). — ') Vorgl. Ann. XVII, S. 39. Ein Pferd kostete im Durchschnitt GO Thlr. Dill.
Int.-Nachr. 1778, Sp. 360. - *) Dill. Int.-Xachr. 1778, Sp. 327. — '') Ibid. Sp. 329.
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nach viertägiger Belagerung fiel die Stadt (am 17. Oktober) uud nach einiger
Zeit das Schloss in die Hände des Siegers. Da von einer TeHnahme nassau-
iseher Truppen an der letzteren Unternehmung nichts gemeldet wird, so musa
die erstere die sein, welche Yigelius im Auge hat.')
Schlimmer war der zweite Kampf. Für den Winter war dem Iiegiraerit
die Stadt Brilon und Umgegend als Winterquartier angewiesen worden, von
wo aus der Feind beunruhigt und geschädigt werden konnte. Am 27. Dezember
1G33-) war eben der Quartiermeister in Brilon angekommen, als ihm die Meldung
gebracht wurde, dass ligistische Truppen im Anzüge seien. Es war dies der
Yortrapp der Böninghausenschen Truppen, 200 Mann stark; derselbe wurde
von den bereits anwesenden Nassauern zurückgeworfen. Mittlerweile wurde
die Zahl der Feinde immer grösser, denn Böninghausen näherte sich mit seiner
gesamten Streitmacht, GO Kompagnien zu Pferd und einem Regiment zu Fuss;
Seibach aber, die Übermacht des Feindes nicht ahnend, eilte mit seinem ganzen
Regiment herbei, um den anfänglichen Erfolg bis zur Vernichtung der Gegner
zu vollenden. Als er endlich den wahren Stand der Sache einsah, erkannte
er sofort, dass nunmehr am geratensten sei den Kampf abzubrechen, zog sich
in einen nahe gelegenen Wald zurück und hielt hier den Angriffen Böning-
hausens tapfer stand. Nach einem dreimaligen vergeblichen Vorstoss auf diesen
blieb dem Regiment nichts übrig, als zu weichen. Seibach, welcher sich bei
dem Nachtrapp seiner Mannschaft aufhielt, wurde gleich anfangs, als er sich
zu weit vorwagte, durch beide Achseln geschossen, und da der Major im Moraste
stecken blieb, mit diesem nebst einem Kornet und 50 Mann gefangen genommen,
eine kleine Anzahl getötet, die übrigen retteten sich nach Raden. ^) Das Theatrum
Europaeum gibt den ganzen Verlust auf 100 Mann an mit dem Zusätze: „und
ist wohl zu verwundern, dass GO gegen G Compaguien (soviel hatte Selbaeh)
nicht mehr ausgerichtet."
Seibach wurde nach Arnsberg gebracht, wo er am 2. Januar 1G34 an
seinen Wunden starb; die Leiche wurde an den Grafen Ludwig Heinrich aus-
geliefert und zu Dillenburg bestattet. Der ITofprediger Hermann Vigelius pries
seine Vorzüge in der Trauer- und Leichpredigt, lustus Henricus Ileidfeld in
neun lateinischen Distichen, G(eorg) C(orvinus) in einem deutschen Klag- und
Lobgedicht, der Graf aber erachtete als den grössten Verlust den Tod des
tapferen Führers.
Anhang.
Einijge unbekannto Herbonier Drucke.
Der kleine Quartband, in welchem die Trauerrede des Hermann Vigelius
auf Seibach sich befindet, gehörte zu der fürstlichen Bibliothek von Dillenburg,
wie der auf der Rückseite des Titelblattes angeheftete Zettel mit den Worten:
' ') Rommel, Geschichte von Hessen, VIII, S. 270, 272. — -) Vigelius gibt den 28, Dez.
als Datum an. — ^) Dill. Int.-Xachr. 1778, Sp. 301. Das Theatr. Europ. III, S. 448 sagt, es
seien 30 Mann niedergemacht, 70 gefangen genommen worden.
96
ad bibliothecam principaleni Arausio-Nassaviensem Dillenburgicara beweist.
Ausser dieser Schrift bietet der Band noch melirere Drucke aus jener Zeit,
unter ihnen einige Herborner, welche zum teil in den Nassauer Drucken von
A. V. d. Linde fehlen. Die Titel derselben sind:
1. (No. 2.) Freund des Herrn, | das ist | kurtze vnd einfältige^) Predigt,
darin | nen erkläret wird, welches Gottes \nd 1 Christi wahre, bestendige vnd
selige I freunde seyen, | Bey Begräbnus der vil | Ehr vnd tugendreichen Frawen
Annen | Christinen Schomlerin, des Ehrnvesten, wolge- | lehrten vnd wolvor-
nehmen Herrn Philips Sengeis, Gräflichen | Nassawischen Cammerschreibers zu
Dillenberg, hertzgeliebten | haussfrawen: welche den 22. tag Junii anno 1G36.
umb 2. uhrn-) nach mit- | tag, im 22. jähr ihres alters in Gott selig entschlafen,
vnd i dero leichnam den 24. ejusdem zu Dillenberg in die | Pfarrkirch Christ-
lich vnd ehrlich zur er- | den bestattet worden, | Gehalten durch | Sebastianum
Wetzflariura [ Pastoren daselbst. | Gedruckt zu Herborn, im jähr 1636. —
36 S. Von S. 31 an finden sich folgende Gedichte abgedruckt: Threni ami-
corum (deutsch), Epitaphium (lateinische Distichen), A Monsieur Sengel (fran-
zösisch) von lustus Henricus Heidfeld, ad Dn. Sengelium, viduum maestissi-
mum (lateinisch) von Georgius Corvinus, Ode Bohemica (böhmisch und deutsch)
von Bernhardus Rosin, deutsches Gedicht von G. R. (Bei A. v. d. Linde,
Nassauer Drucke, Herborn, No. 1887.)
Die Schumi er stammten von Siegen; ein Hermann Schomler, vielleicht der Vater der
Anna Christine, wurde am 3. Mai 1601 zu Herborn immatrikuliert; dabei findet sich der spatere
Zusatz: praetor Sigenensis. A. v. d. Linde, Nassauer Drucke S. 367.
Philipp Sengel von Dillcnburg, zu Herborn immatrikuliert 1602, wurde Rat und Kammer-
schreiber zu Dillenburg. v. d. Linde, S, 381.
Sebastian Wetzflarius stammte von Marienberg, wurde zu Herborn immatrikuliert 1601
und disputierte unter Piscator; er war zuerst Diakonus zu Herbom, dann Pfarrer zu Hachen-
burg, kehrte darauf als solcher nach Dillenburg zurück und starb als Inspektor daselbst 1665.
v. d, Linde, S. 366. Steubing, Herborn S. 186. Vogel, Taschenbuch S. 157.
Justus Henricus Heidfeld, Sohn des Johann Heidfeld, des Verfassers der Sphinx
theologico-philosophica, welcher Professor zu Herborn, dann Pfarrer zu Ebersbach war, wurde
hier am 6. Juli 1606 geboren, und nach Vollendung seiner Studien Lehrer der gräflich Solms-
ischen Kinder zu Hungen, 1624 Hofmeister der Herrn Joh. Ludw. von Langenbach und Theo-
dor v. d. Reck, mit welchen er von 1630 bis 1635 eine Reise durch Frankreich und die Schweiz
machte. Zurückgekehrt wurde er dem Erbprinzen Georg Ludwig von N.-Dillenburg beige-
geben und machte mit diesem eine Reise durch die Schweiz, Oberitalien, Frankreich, England
und Hulland. Am 1. Januar 1637 wurde er zum Kriegs- und Kammersekretär zu Dillenburg,
1040 zum Rat, dann zum Geh. -Rat ernannt und starb den 23, Juli 1667. Vogel, Archiv S. 251.
Georg Corvinus, Sohn des Herb. Buchdruckers Christoph Corvinus (Rabe), studierte
zu Herborn (imraatr. 1624), wurde Professor der Eloquenz und Geschichte daselbst und starb
am 7. August 1645 zu Amsterdam, v. d. Linde, S. 414, 421. Nordhoff, Allg. Deutsche
Biogr. IV, S. 510.
'2, (No. 4.) Christliche Traur- vnd Leichpredigt, | Bey Begräbnus | Des
weyland Woled- [ len. Gestrengen vnd Testen Junckern, I lohan- Conrad von
Seibach, Christen | Leutenants vber das hochlöbliche Nassawi- | sehe Regiment
zu Pferd u. s. w. [ Gehalten in der Pfarrkirchen zu Dillen- 1 berg in volek-
') So, uicht einfeltige. — ^) So, nicht uhren.
97
reicher ansehnlicher ver- | Sammlung | Von | Hermanuo Vigelio, Hofpredigern
(laselbsten. j Gedruckt zu Herborn, in der Grafschaft | Nassaw-Catzenelenbogen
u. s. w. 1(330. I 40 S. Von S. 33 bis 36 Personalia, dann folgen Gedichte: in
obitum genere et virtute nobilissimi viri, lohan-Conradi a Seibach, bellatoris
magnanimi von lustus Henricus Heidfeld, Klag- vnd lobgedicht vber den tod
des Herrn Obristen Leutenants von Seibach, von G. C(orvinus).
Hormaim Vigelius, geboren zu Clevo, studierte zu Hcrborn (immatr. 1620), wurde
1628 Kaplan zu Hachenburg, 1632 Hofprodiger zu Dillenburg und begleitete als solcher den
Orafen Ludwig Heinrich auf seinen Feldzügen; er starb 1653. A. v. d. Liude, S. 406. Dahl-
hol'f, Sayn-Hachenburg, S, 297.
3. (No. 6.) Encomium sanctum san- | guinis Jesu Christi: | Das ist |
Heiliger vnd herrlicher rühm des | bluts Jesu Christi, | Geschehen bey der
Be- I gräbuus des weylandt Ehrnvesten vnd | hochgelehrten M. lohan-Hedderich
Spren- ! gers, der Durchleuchtigen vnd Hochgebornen Fürstin vnd | Frawen,
Frawen Sophiae Hedwigs, Geborner Hertzogin zu | Braunschweig vnd Lüne-
burg u. s. w. Grävin vnd Frawen zu Nassaw | Catzenelnbogeu u. s. w. wittiben,
gewesenen trewen Raths vnd Heis [ sigen Cantzley Secretarii, auch new ange-
nommenen I Amptmanns zu Nassaw: [ Welcher den 8. Aprilis dises jetzo lauf-
fenden 1636. | Jahrs selig in Gott entschlaffen, vnd den 11. ejusdem | gen
Dietz in die Pfarrkirch ist in volckreicher versam | hing, zierlich vnd ehrlich,
begraben | worden: Von Ehrn Andrea Arculario, damaligem Inspectorn | vnd
Pastorn daselbsten vorgetragen u. s. w. | Gedruckt zu Herborn, in der Graf-
schaft I Nassaw Catzenelenbogen, u. s. w. 1636. 28 S. (Bei A. v. d. Linde,
S. 91 N. 192 nach Nebe angeführt.)
M. Johann Hedderich Sprenger aus Marburg, studierte zu Herborn (immatr, 1603 den
4. Mai), wurde Sekretär der Gräfin Sophie Hedwig, dann zum Amtmann von Nassau ernannt,
starb aber noch zu Diez den 8. April 1636. Steubi ng, Diez, S. 32.
Sophie Hedwig, des Herzogs Julius von Braunschweig Tochter, war Gemahlin des
Grafen Ernst Kasimir, welchem in der Bruderteilung die Grafschaft Diez und die Geraeinschaft
Nassau zugefallen war; er fiel am 25. Mai 1632 vor Rurraond. Vogel, Beschreibung, S. 376.
Andreas Arcularius, geb. 1579 zu Dillenburg, studierte von 1596 an zu Herborn,
1600 Schulmeister und Diakonus zu Nassau, 1628 Pfarrer zu Dioz, 1637 zu Nassau; or starb
1664. Nebe, Annal. IX, S. 135.
4. (No. 7.) Carmen | ad | Amplissimum virum | Dominum Phi- | lippum-
Henricum | Hoenonium Ictum Nobilem, et illustris do- | mus Nassovio-Catti-
melibocensis Consi- ] liarium facile principem, | in nuptias lectissimi Neonym-
phorum paris, Clarissi- | mi nerape doctissimique viri | Domini Alberti-Friderici |
Cnopii Med. Doctoris, juvenum sui Or- | dinis aetatisque ocelli [ et [ Castissimae
Moratissimaeque virginis [ Dominae Magdalenae Hoeno- | niae, Veneris Gratia-
rumque corculi. ] Autore | lohanne-Nicolao Genselio. 1 Herbornae Nassoviorum
1631. 1 4 Bl.
Philipp Henrich Hoen, geb. den 23. Juli 1576 zu Diez, gest. den 23. April 1649 zu
Frankfurt, bedeutender Jurist und Staatsmann im Dienst der Dillonburger Grafen, 1629 vom
Kaiser geadelt. Steubing, Diez, S. 26, DiUenb. Intell.-Nachr. 1784, Sp. 630 (von Burchardi),
Arnuldi, Gesch. v. Nassau-Oranieii, IH, S. 275 und Allg, Deutsche Biogr. — Seine Schriften
siehe bei v. d. Linde.
98
Albert Friedricli Cnop, geb. zu Herborn, Dr. und Professor der Medizin zu Herborn,
1632 Leibarzt des Grafen Job. Ludw. zu Hadamar, gest. 1636. Vogel, Archiv, S. 197 f.
Joh. Nicol. Genselius = Job. Ludwig Sengelius, wie die Korrektur des Titels be-
weist indem über den Namen Nicolaus der Name Ludowicus gesehrieben ist und über die ersten
Buchstaben des Namens Genselius Ziffern von der Hand des Job. Daum jun. gesetzt sind,
4L' 3 1
welche den Namen Sengelius ergeben (Genselius). In die Matrikel ist er am 28. April 1609
als Dillenburgensis eingetragen. A. v. d. Linde, S. 385. Vgl. zu N. 1.
5. (No. 8.) Epithalamia [ in | Nuptias secundas, u secundas ! | Amplissimi |
et spectatissimi ] viri, Dn. Hermanni Naurath, | Praefecti in Nassaw, nobilis
consul- I tissimique viri, Dn. Martini Naurath, Prae- j fecti et Consiliarii Nasso-
vico-Dezeusis, | tilii, Sponsi: | et ] Leetissimae Castis- | simaeque Virginis, An-
nae | Cassandrae, Amplissimi et Consultissimi viri, | Dn. lohan-Ludovici Grae-
vii, I Praefecti et Consiliarii Solmensis, | filiae, Sponsae: ] Celebrandas Deciae
3, Novembr. 1636. ] Conscripta ab amicis. | Herbornae Nassoviorium. | 1636.
8 Bl.: 1. Oda Davidica von lohan Irlen, Theol. Doct. etc.; 2. aliud von
Georgius Corvinus; 3. Gamelion votivum von Nicolaus Treviranus, pro
temp. minister verbi divini apud Freyendecianos ; 4. aliud von Johannes Irlen
Sigen. tertiae classis praeceptor; 5. aliud von Johannes - Jacobus Christ,
Grüninga-Wetteravus; 6. Hirtengedicht von Johann Jacob Christ; 7. aliud;
8. äXXo von Joh. Jacob. Münckerus Phil, et S. Theol. Stud.; 9. ad cla-
rissimum Dn. Sponsum von J. J. M. F.
Martin Naurath, geb. 1575 zu Siegen, studierte zu Herborn 1592, wo er bald Pro-
fessor der Philosophie, dann der Rechte wurde; später trat er in praktische Dienste, wurde
1617 Amtmann zu Diez, wo er den 5. September 1637 an der Pest starb. Sein Sohn war
Hermann Naurath, geb. den 17. April 1601 zu Siegen, starb als Amtmann von Nassau
den 20. Juli 1669 (Steubing, Diez, S. 27) und Johann Friedrich Naurath, Dillenburgischer
Rat und Marschall, 1602—1678.
Johann Irlen aus Siegen, studierte zu Herborn (immatr. den 14. Oktober 1614), wurde
zu Franocker Dr. theol, 1622 Professor extraord., dann ordin. der Theologie zu Herborn und
hielt hier wüiirend der traurigen dreissiger Jahre treulich aus. Im Jahre 1645 ging er als
Inspektor nach Siegen; er starb 1656. Cuno, Siegen, S. 160 ff.
Nicolaus Treviranus .studierte zu Herborn (immatr. 1621 den 20. Mai), war zuerst
Diakonus zu Diez, dann Pfarrer zu Nassau, nachher zu Diez, ging 1658 nach St. Goar. Steubing,
Diez, S. 102, 106, 262.
Johann Irlen, wohl der Bruder des Professors Irlen (gleiche Vornamen bei Brüdern
kamen früher bisweilen vor), der ihn im Jahre 1632 zu Herborn immatrikulierte („Frater meus").
Y. d. Linde, S. 420.
Johannes Jacobus Münckerus, wohl derselbe, welcher im Herbste 1632 (v.d. Linde,
S. 420) als Johannes Münckerus Ferndorpicnsis hanovicus zu Herborn immatrikuliert wurde;
sein Vater war Pfarrer in Ferndorf gfiwesen (1622—1627). Dill. Int.-Naclir. 1786, Sp. 225,
241 u. 3. w.
6. (No. 9.) Christliche Klag: vnd Trostpredigt ] Bey begräbnus f Wey-
land des Ehrwürd- | digen vnd Wolgelehrten, Ehrn lohan- | nis Bernhardi
Gotslebii Ilerbornensis, ge- | weseuen Pastors /u Dilleuburg : welcher den 1.
tag I Novembris 163.5. durch den zeitlichen tod auss disem ja- | merthal abge-
fordert, vnd folgenden 2. tag ejus- | dem zur erden bestattet worden, | Auss
dem 13. capit. Zachariae in der Pfarrkirchen | daselbsten gehalten | Durch j
Conradum Posthium llerbornensem, damaligen | dienern am wort Gottea zu
99
Dilleuburg, jetzo Pastorn zu Bui-bach. | Gedruckt zu Ilerborn, im Jahre 1636.
40 S. Von S. 35 an Gedichte: 1. Sur la mort de feu Monsieur Gotslebius
von Justus Henricus Heidefeld; 2. in obitum reverendi viri, Dn. lohan-Bern-
hardi Gotslebii, ecclesiastae Dillenbergensis, amici honorandi ; 3. s^aoTtyov von
Georgius Corvinus; 4. ahud (lateinisch); 5. ejusdem (französisch) von Johan-
nes Daum; 6. Sur le trepas de feu Monsieur Gotslebius von R. G.
Joh. Bernhard Gotslebius, geb. zu Herborn, Sohn des Professors und Pfarrers Johann
Gotslebius, studierte zu Herborn (imniatr. den 11, Mai 1614), war sodann Preceptor primarius
zu Dillenburg, Pfarrer zu Fruhnhausen, Diakonus und Pfarrer zu Dillenburg, wo er starb.
Konrad Posth, geb. den 1. März 1613 zu Herborn, Sohn des Bürgers Joh. Dietrich
Posth, studierte zu Herborn (immatr. 1629) und erteilte in den folgenden Jahren zur Aushilfe
Unterricht an der Lateinschule daselbst; im Jahre 1634 wurde er zweiter Pfarrer zu Dillen-
burg, 1635 Pfarrer zu Burbacli, 1638 Archidiakonus zu Herborn, dann auch Professor der he-
bräischen Sprache und der praktischen Theologie daselbst. Er starb den 10. November 1669.
Steubing, Herborn, S. 179, 188, 271; ders., hohe Schule zu Herborn, S. 222. A. v. d. Linde,
S. 418, und Herborner Drucke N. 161, 369, 402, 1029.
Johannes Daum (jun.), Sohn des gräflichen Sekretärs und Rates Joh. Daum, immatr.
zu Herborn 1629, zu Marburg am 12. Juli 1632.
7. (No. 10.) Carmen exequiale [ Ad | Nobilissimura | et consultissimum |
virum, Dn. Philippum-Henri- | cum Hoenonium, u. j. D. domusque | Illustris
Nassavicae Cattimelibocensis | Consiliarium, | Super obitu praematuro | Fortis-
simi juvenum paris, | Erasmi et Philipp! Hen- | rici, ejus filiorum, quorum ille,
post I varios belli casus animose perlatos, Venetorum signa e Batavia j sequu-
tus, tristi naufragio (ut crebra refert fama) in Oceano Can- | tabrico submersus,
anno 1631, periit: hie vero Suecorum arma | amplexus, non aliena a Marte
fortuna, in oppugnati- | one Ruffaci, Alsatiorum oppidi, 1634, Nonis | Febr. for-
titer occubuit: | Fusum a i Georgio Corvino, Herbornensi. | Anno [ 1635.
16 S. Das Carmen erzählt die Lebensgeschichten der beiden Brüder, dann folgt
ein Sonett.
ErasmusundPhilipp HenrichHoen waren Söhne des Rates Phil. Henr. Hoen (s. ob.).
Erasmus studierte zu Herborn (immatr. 1623) die Rechte, that dann Kriegsdienste in dem
niederländischen und dänischen Krieg, welche er 1631 mit venetianischen vertau.schte ; bei der
Überfahrt nach Venedig ertrank er im kantabrischen Meere. Vgl. auch A. v. d. Linde, S. 412.
— Phil. Henr. studierte ebenfalls zu Herborn (immatr. 1626) die Rechte, nahm dann ebenfalls
Kriegsdienste in Holland und trat 1631 in das von Graf Ludwig Henrich errichtete Regiment
zu Fuss als „Signifer" ein; er fiel bei der Erstürmung von Ruffach am 5./15. Februar 1634.
A. V. d, Linde, S. 416; Keller, Drangsale S. 207.
8. (No. 13.) Catalogus | Librorum tarn | Latinorum quam | Germanico-
rum, I Christophori Corvini, Typogra- | phi Herbornensis, typis editorum, et a- [
pud heredes ipsius vena [ lium. | Anno salutis nostrae 1632. | 4. Bl. Linde,
S. 116, N. 367.
Ausser diesen Herborner Drucken enthält der Sammelband u. a. noch
folgende drei für die nassauische Gelehrtengeschichte wichtige Abhandlungen:
1. (No. 14.) Disputatio iuridica de usucapionibus, quam . . . praeside
lohanue Henrico Daubero Nassovio, i. u. D. ejusdemque in inclyta Academia
7*
100
Sedaneusi Professore ordiuario et illustrissimi Priucipis BuUüniensis Consiliario
. . . proponit lust. Guil. Krug Hassus. Sedani 1632.
Johann Henrich Dauber, geb. den 9./19. Dezember 1610, Sohn des Prof. Henrich
Dauber zu Herborn, war ein ausserordentlich begabter Mensch ; er verteidigte schon im elften
Jahre seines Lebens eine hebräische Dissertation und wurde am 1. Mai 1622 zu Uerborn imma-
trikuliert (v. d. Linde, S. 409). In seinem 18. Jahre wurde ihm die juristische Professur
ano'etragcn, die er jedoch ablehnte, nahm aber 1631 den Ruf als Prof. phil. nach Sedan an,
wo er noch in demselben Jahre Prof. juris, dann Rat des Herzogs von Bouillon wurde. Später
trat er in den Dienst des Prinzen von Oranien, darauf der Landgrüfin von Hessen Amalie
Elisabeth und starb als Vizekanzler der Universität Marburg 1672. Der Kaiser Ferdinand
adelte ihn.
'J. (No. 15.) Disputatio medica . . . von Philij)p Ilermaun S])renger,
A. et ph. Magister, medic. studiosus. Wien 10.30. 7 Bl. Er ist wahrschein-
lich der Sühn des obengenannten M. Joh. Iledderich Sprenger.
3. (No. 16.) De cenotaphio deque diversis super ejus religione Ulpiani
et Marciani sententiis diatriba 1034, Die Rückseite des Titels enthält eine
Widmung der Abhandlung von Jacobus Oothufredus Ic. an lustus Henricus
Heidfeld, welche auf enge Bekanntschaft beider Gelehrten hinweist.
Die Schönaiier Überlieferung.
Eine historisch-kritische Untersuchung
von
liudw* Conrady*
Dasselbe, was der Verfasser in seiner Abhandlung über das „Landgericht
der vier Herren auf dem Einrieb" zu leisten unternahm, sieht er sich genötigt,
bei der nachfolgenden Untersuchung, die angeregt durch diese, ihren Gegenstand
auf dem gleichen örtlichen Gebiete gewählt hat, fortzusetzen. Auch hier hat
er gefunden, dass das bis dahin Geleistete zu beanstanden sei, und dies sogleich
in der Überschrift zum Ausdruck zu bringen sich gestattet. Möge ihm ein
solches wiederholtes Verfahren gegenüber der anerkannten nassauischen Ge-
schichtschreibung nicht als Anmassung gedeutet werden. Die Forschung kennt
nun einmal kein anderes Ansehen als das der Wahrheit, und ihre schneidige Waffe
die Kritik, ist nichts Geringeres als sittliche Pflicht. Denn auch hier gilt das
bei einem so unvergleichbar bedeutenderen Anlasse gesprochene Wort unseres
Landsmannes Usener: „Wo es möglich ist zu wissen, da wird es unsittlich,
sich auf Glauben und Meinen zu beschränken."')
Sachgemäss wird unsere Untersuchung sich in ihrem ersten Teile mit der
Prüfung der Quellen der bis dahin unter dem Namen „Schönaucr Sage" gegangenen
Überlieferung beschäftigen, um alsdann in einem zweiten die zu deren Ent-
stehung führenden geschichtlichen Verhältnisse, wiederum auf Grund der vor-
handenen Quellen, darzulegen.
Den ersten Teil aber vermögen wir nicht bosser zu beginnen als mit tiefem
Dank^) für unsere Vorgänger, deren Arbeit allein uns in Stand gesetzt hat, die
uusrige zu thun. Namentlich ist es Widmann, dem wir diesen Dank für seine
vortreffliche Abhandlung „Zur Schönauer Reimsage"'*) schulden. Nicht nur,
M Das Weihnachtsfest. Bonn 1889, 187. — ^) Es sei gestattet, bei dieser Gelegenheit
auch unseren wärmsten Dank denen auszusprechen, die unsere Arbeit so wesentlich durch
eine wahrhaft beschämende Zuvorkommenheit in der Darleihung litterarischer Hilfsmittel ge-
fördert haben: der grossherzogl. Universitätsbibliothek in Heidelberg, der Stadtbibliothek in
Mainz, der Landesbibliothek in Wiesbaden und der Vereinsbibliothek ebendaselbst. Unseren
anderen übergütigen Helfern statten wir an den betreffenden Stellen unseren besonderen
Dank ab. — »j Annalen 18, 33—43.
102
dass er der glückliche WiedoroutJcckcr der seit Yogel verschüttet geweseiieu
Urquelle dieser sogenannten Sage ist, so hat er auch zu ihrer Beleuchtung eiu
so sorgfältig gesichtetes und reichliches Material herbeigetragen, dass ihm das
Verdienst bleibt, die Sache mit ebensoviel Fleiss als Scharfsinn zur Spruchreife
«befördert zu haben. Dass der Spruch nicht in dem von ihm begünstigten Sinne
auszufallen vermag, wird die von ihm betbätigte selbstlose Hingabe an die
wissenschaftliche Wahrheit nicht uns, seinem dankbaren Benutzer, sondern der
Sache selber zur Last legen müssen.
Leider hat dies schon gleich hier auf der Schwelle zu geschehen. Der
von ihm gelieferte und mit Übersetzung begleitete Text seiner wiederentdeckten
Quelle erweist sich nach unserer eignen Einsichtnahme in den Cod. 20 der
Wiesbadener Landesbibliothek als unzureichend für die Zwecke einer eingehenden
Untersuchung, da neben anderen kleinen Verfehlungen gerade das in ihm aus-
o-elassen ist, was als das Ausschlaggebende für seine Beurteilung erscheint,
Widmann aber bei seinen durch den Glauben an seinen Vorgänger Vogel ge-
haltenen Augen unwesentlich erschien. Nun hat freilich F. W. E. Roth den
o-anzen Text herausgegeben^), ebenso, wie er den diesem in der Handschrift
vorausgehenden der Legende des hl. Florinus später veröffentlichte.^) Indes
seine Ausgabe entspricht nicht in allen Stücken den Anforderungen, die man
an die unbedingt zuverlässige Wiedergabe einer handschriftlichen Vorlage zu
stellen berechtigt ist. Wir sehen uns daher genötigt, vor dem Eintritt in seine
Besprechung den Text selbst zuerst hier vorzulegen und ihn mit den Anmerk-
un"-en zu begleiten, die unsere Abweichung von den Vorgängern zur Nach-
prüfung des Lesers begründen. Unsere Abweichung vou der Handschrift be-
schränkt sich lediglich darauf, dass wir ihre Abkürzungen auHösen und in gewohnter
Weise interpungieren.
In dem auf seinem Rücken mit : „Scrmones de tempore et Stis it[emqucy]
legendae Parspr']", auf dem Vorderschnitt mit „S XI. " bezeichneten Hand-
schriftenband, der, wie bemerkt, als Cod. 20 der Wiesbadener Landesbibliothek
gilt und als solcher von Dr. A. v. d. Linde') mit ausdrücklicher Namhaftmachung
') Die Visionen der hl. Elisabeth und die Sciiriften der Abte Ekbert und Emccho von
Öchünau. Brunn 1884, 155 ff. — ^) In der Zeitschrift: Romanische Forschungen 6, 475—481.
— ') Die Handschriften der Königl. Landesbibliothek in Wiesbaden. Wiesbaden. 1877, 112.
Das Versehen daselbst, dass die Legende Florins mit ihrem hier oben abzudruckenden Zusatz
auf Bl. 20''— 33'' statt Bl. 30"— 33'' stehen soll, ist auch auf Widmann 39 übergegangen. —
Von dem Cod. selber dürfen wir zur Vervollständigung des von v. d. Linde Gesagten noch
bemerken, dass er auf seinen nunmehr 201 überwiegend zweispaltig beschriebenen Kleinfolio-
l)lättern (4 fehlen, da der Band in Lagen von je 6 >; 34 Bogen angelegt erscheint und die
letzte jetzige Seite mitten im Zusammenhange abbricht,) 118 einzelne in sich abgeschlossene
Schriftstücke enthält. Dieselben behandeln der Mehrzahl nach in Sermonen und Homilien der
Kirchenväter wie in zahlreichen eingestreuten Legenden zumeist das Leben der Heiligen in
vier verschiedenen Jahrgängen von ungleicher Länge und nicht durchweg genauer Folge, am
wenigsten Vollständigkeit. Da der Band mit der Leitio für Annunciatio Mariae d. i. 25. März
beginnt, so ist damit festgestellt, dass das Kloster den Jahresanfang auf diesen Tag setzt,
wie die Erzdiöcesc Trier bis ins 17. Jahrhundert (Grotofend, Handbuch der bist. Chrono-
logie. Hannover 1872, 27). Da aber nun das von Roth, Die Visionen, 1G4 tf. mitgeteilte
„Calendarium dos Klosters Schünau de 14G2" mit dem 1. Januar beginnt, dürfen wir vielleicht
103
der „legenda de sancto florino confcasore. miracula sei florini confcssoris in
frantia gesta" bcschriebeu ist, lesen wir von Ende des Blattes 32'' bis beinahe
Ende des Blattes 33 *> dicht hinter der eben genannten Legende, aber nicht
vom Schreiber dieser, wenngleich von einer Hand des 15. Jahrhunderts, das
Folgende als Abschrift, wie bereits Wid mann aus ihren Fehlern richtig geschlossen
hat, einer älteren Vorlage:
Incipiunt miracula sancti florini confessoris in frantia gesta. [Bl. 32''
Cum per omnia sanctissimi confessoris florini meritorum miracula iuxta
veritatis debitum*) fidem demus auditis, oportet nos etiam eius glorifica Visi-
tationen) consolatos, quantum ipsius suffragante dementia posse videmur, gratiaa
agere de visis. Non est enim tanti fulgoris claritudo modio suffocante celanda,
sed velud^) posita super candelabrum [Bl. 33=* Sp. 1] lucerna cunctis in domo
lumen desiderantibus propalanda. * Longe videlicet lateque glorifici confessoris
virtutibus diuulgatis tanteque laudis rumore per orbem euidentissime veritatis
indiculo clarescente, prouida de reni francorum salute pietas diuina salubri perhi-
bente fama auribus cuiusdam religiosi baronis de lurenburg nomine druthuini
intimauit. Ille vero apud hartbertum optime memorie sacerdotem, qui eo tem-
pore capellanus heremanni ducis reni alemanorum exstiterat^), qui^) et auxilio
belli prestito regi romanorum promeruit, depetiit corpus sancti florini, quod et
confluentie medie (!) reni partibus constructo coUegio transtulit, cuius et ispe
thruthuinus satelles erat fidissimus, mediante ipsorum amicitia partem reliquiarum
venerandi confessoris inpetrauit.^j In proprio enim predio hartbertus tanto
fuerat suffultus patrocinio. Ipsas igitur reliquias alteri non audens committere,
quasi seruus domini^) exhibendo famulatum usque in pagum francorum^) einrieb^)
nuncupatum et ibidem infra capellam in cuiusdam lichtburnensis^*') [Sp. 2] monticuli
supercilio^^) studiis laboreque prenotati venerabilis domini druthuini decenter orna-
tam honore digno susceptas in vigilia apostolorum petri et pauli collocauit. His
ita videlicet ordine decentissimo peractis, qualiter se ciuem ciuibus inuxisset''-*),
dicere deinceps ordiamur. Sacro^^) sancto quippe die natalis (!) beatorum aposto-
lorum quidam pauperculus, quem pene per totius vite curricula tremor immanis-
annehraen, dass unser Band älter ist. Möglich sogar, dass die in diesem Kalendarium vielfach
vorkommende Bezeichnung „XII. lect." ein zwölftes Lectionarium gegenüber unserem „S(anc-
torum?) XI." gezeichneten meinte.
') Widmann, Ann. 18, 39 liest irrig: „debitum et fidem"; die von ihm für „et" ver-
sehene Kürzung ist ein deutlich durchstrichenes v, was dem Schreiber offenbar in der Absicht,
fidem mit v statt f beginnen zu wollen, aus der Feder floss, aber sofort von ihm getilgt wurde.
— -) Statt dieses Wortes hatte der unachtsame Abschreiber „consolatione" anfänglich ge-
schrieben, dies aber dann durch- bezw. unterstrichen und halb ausradiert. — ^) Korrigiert
„velut", wie es scheint. - *) Nach diesem Worte folgen im Text die durch-, d. h. unter-
strichenen Worte: „cuius et ipse druthuinus satelles erat fidissimus." — '") Am Rande ist hin-
zugesetzt: „scilicet hermannus". — ^) Widmann S. 40: „impetrauit." — ^) Über „domini"
ist geschrieben von andrer Hand: „dominicum"; irrig bei Widmann: domini cum. — *) Im
Texte ursprünglich : „franctiorum" ; dann wie oben von derselben Hand korrigiert. Roth irrig:
„frantiorum". — ^) Von späterer Hand mit grossem Anfangsbuchstaben. — '°) Wid mann
irrig: „Lichbarnensis." — ") Vita Ludovici : „in quodam montis supercilio". Kremer, Orig.
2, 362. — '-) Am Rande hinzugefügt: „ad" (iunxisset). — ^^) Von Widmann ausgelassen
bis: „Idem vero" etc. mit der Bemerkung: „Dann folgt die Erzählung einiger Wunder."
104
simus artubus ita dissolutis cxcussit, ut suo nc(|uaqiiani ori propriis iiuuiibus
cibus potusiie potuisset adhiberi. Is vero tanta fatigatus molestia prostrato cor-
pore sanctorura inplorans patrocinia diuioa meruit sentire subsidia. Yespertiois
cnim laudibus adimpletis sanctorum inprimis apostolorum, quorum aderat dies
solemnis, interuentu sanctique florini adminiculantibus meritis, summi creatoris
medicante potentia, ita integre restitutus est sanitati (I). ut nuUus in eo pristini
tremoris motus agnosci potuisset, sed in tantum^) sibi redditus propriisque usibus
est coaptatus, ut in nullo corporis loco ad necessaria ministranda titubare vide-
retur. Die vero natalis (!) sanctissinii florini confessoria, quod est XV. Kl. decem-
bris"), plebs totius circumquaque regionis [Bl. 33'' Sp. 1] tantae salutis aduocata
gaudimoniis comitatu iocundo studioque saluberrimo satagebat interesse solem-
niis. Clerici vero diuinis cultibus humiliter instantes missarum officia decenti
honore peregeriint. Quibus ordine congruo ^nitis mancus quidam, cui plurimi
tcstes astiterant asserentes se raulto iam tempore eins contractam manum de
collo pendentem vidisse, eandem non minus alteri sanam cunetis cernentibus
extendit. Xulla ualet explicare lingua, quanta tunc omnibus exorta sit letitia. No-
larum^) consonantia clerique vox ymnidica*) et omnis choors^) laica laudis egerunt
gaudia. His itaque reuerenti moderamine laudibus expletis tertio nunc aderant due
puelle iuxta feretrum reliquiarura spe salutis extente, quarum vna coeui*') languoris
pondere grauata corpore contracto vlnis aduecta maternis ibi ponebatur, omnibus
adhuc astantibus exsurgens insolito gressu per capellam deambulando plantas
exercuit. Interea videlicet, cum simili modo sicut prius diuine gratie laudibus
omnes insisterent, altera puella, que ligneis sustentata fulcris^), ut solent debiles,
[Sp. 2] subtus ascellas*^) aptatis aduenit, ut vox psallcntium quieuit, coutemptis,
quibus antea fulciri consueuit, sustentaculis, mira celeritate surrexit gressumque
speculantibus populis secura direxit. Tertio tuuc laudcs pulsabaut sidera grandes
prestante'-*) domino nostro iesu christo, qui cum patre et spiritu sancto viuit et
regnat deus per intinita secula seculorum, amen.
Idera vero baro^'') druthuinus deuiciis tempore quodam hostibus suis, captis,
spoliatis et exactis cum inde rediret commilitonibus magno triumphi gaudimonio,
cum peruenisset ad loca'^) pertinentiis (!) ville struode'^), rusticulus quidam latens
') Übergeschrieben von später Hand über ein korrigiertes ursprüngliches „tantum",
welches Roth irrig „totidem" lesen will. — -) Von späterer Hand ist darüber geschrieben:
„l5to calendas Xbris". — *) Roth: „Notarum". — ') Von späterer Hand mit „Hymnidica"
verbessert. — '') = chors oder = cohors? — '') Das Wort ist durch Korrektur des Schreibers
undeutlich. Am Rande: „coeuvi corvi", letzteres Wort von späterer Hand. — ') Roth:
„fultris". — ") Roth: „astellaa". — ^) Die Worte von „Tertio" an sind mit blasserer Tinte
zwischen die zwei Zeilen gefügt und durch ein deutliches Heraufholungszeichen, das Wid-
mann zu sagen verleitete: „daran schliesst sich in besondere Zeichen eingeschlossen die
lateinische Sage", mit den vom Abschreiber an das Ende des Ganzen, von uns in die richtige
Stelle hier gesetzten Worten verbunden. Damit sich der Leser nicht irren könne, hatte der
Korrektor „prestante" wiederholt. Das abgekürzt geschriebene ,,pre" des zweiten „prestante"
ist am Rande von später Hand mit „prae" aufgelöst. Roth meinte gar ein Herunterholungs-
zeichen zu schon und begnügte sich, die iiim unverständlichen Worte: „Tercio tunc laudis (!)
pulsabant sidera grandes prcstante" in die Anmerkung zu setzen. — '") Korrigiert durch über-
geschriebenes r aus „bato"; also nicht „barro", wie Widmann liest. — ") Korrigiert aus:
„locum". — '-j Widmann, das darüber geschriebene o nicht beachtend: „Strude", wie Roth;
105
rubeto arcuin cxteudens cfc(!) nobilis truthuini baronis victoris') infixifc sagittani
pectori. Terram^) incidens deuictus occubuit. Prius tarnen quam moriebatur,
omnia bona et hostium suorura tributa coUigens eodem loco, quo fixus fuerat,
claustrum benedictorum^) nomine schönaw*) construi fecit. Ad-"^) quod translate
sunt postmodum de lichtsbron reliquie santi florini."
Soweit der Text. Da Widmann nur einen Teil desselben übersetzt
hat, das barbarische und dazu vielfach fehlerhafte Latein aber nicht wenig der
Durchsichtigkeit ermangelt, so halten wir eine Handleitung in Gestalt einer
Inhaltsangabe für nicht unerwünscht.
Der Verfasser des Schriftstückes ist also der ^leinung, dass, nachdem
man soviel von den "Wundern des hl. Florin geh(3rt, es als Dankespflicht er-
scheine, über die von ihm in Franzien geschauten zu berichten. Zu dem
Zwecke erzählt er, dass die auf das Wohl der Rheinfranken bedachte göttliche
lluld es gefügt habe, dass Trutwin"), dem frommen Laurenburger Barone, die
Thaten des Heiligen zu Ohren gekommen seien. Befreundet mit Hartbert,
dem Kaplan des Rheinalemannenherzogs Hermann, und selber dessen getreuester
Kriegsgefährte, erlangt er durch beider Yermittelung ein Stück des Leibes des
Heiligen, den Hermann aus Gunst des ihm verpflichteten römischen Königs dem
Stift in Coblenz geschenkt. Hartbert selber vom Heiligen im eigenen Heim
beglückt, trägt es eigenhändig in die von Trutwin dazu gebührend ausgezierte
Kapelle zu Lipporn in der Vigilie des Peter- und Paulstages. Gleich in der
Vesper dieses Heiligentages wird ein Armer durch der Apostel und Florins
Fürsprache von dem lebenslangen Zittern befreit, das ihn gehindert hatte mit
eignen Händen Speise und Trank zu sich zu nehmen. Die dadurch zu Lob
und Dank am Florinstage herbeigezogene Menge sieht eines Krüppels vom Halse
hangende kontrakte Hand geheilt. Unbeschreiblicher Jubel darob, Glockenge-
läute und Dankgesänge. Nach deren Ende befinden sich bei der Lade der hl.
Überbleibsel zwei Mädchen. Die Eine mit lebenswieriger Schwäche behaftet
und mit kontraktem Leibe von der Mutter dorthin getragen, erhebt sich wunder-
bar und wandelt durch die Kapelle. Indes sich neuer Dank dafür erhebt, wirft
die Andre die bis dahin gebrauchten Krücken weg und wandelt ebenso wunderbar
zugleich übersetzt er „ville" falsch mit .,Hof", während es Dorf heissen muss gemäss der Er-
klärung bei Du Gange -Henschel, 6, 827'': „yillas hodie, non quomodo Latini praedia rus-
tica, sed complurium mansionum vel aedium coUectionem appellamus".
') Die Genitive sind erst hineingebessert von späterer Hand an Stelle der Akkusativc.
— -) Widmann will die ,sehr undeutliche Abbreviatur' „qui" lesen, wie Roth. Es steht
aber ein sehr deutliches t mit der Abkürzung für „rum" da, sodass eine Verfehlung des
Schreibers vorliegt, die, da incidere hier nicht intransitiv sein kann, am besten mit unserem
obigen „terram" geheilt ist und zwar deswegen schon, weil die gereimte Übersetzung dieser
Stelle: „vflF die Erdt" bietet, was offenbar nicht ala Reim zu „Pferdt" erfunden ist, sondern
dessen Erfindung veranlasst hat. — ') Für „benedictinorum" mag aus Ordensstolz gesetzt sein.
— *) Roth: „Schönau". — '") Widmann irrig: „dicitur". — '') Wir schreiben diesen Namen
in der Folge immer so, da er aus ahd. trüt = traut und wini = Freund zusammengesetzt ist,
vcrgl. Gratf, Ahd. Sprachschatz 5, 471 u. 1, 868. Ebenso schreiben wir in der Folge Tuto,
nhd. Todt, obschon seine Herkunft nicht klar ist, vergl. Förstemann, Altd. Namenbuch.
>'ordhausen 1856, 1, 338 ff.
106
befreit. Zum clrittounialo bis ;in die Sterne schlag^cnder Lubgesang. Denselben
Baron Trutwin aber, auf der Heimkehr vom Sieg über seine Feinde, umgeben
von siegesfrohen Genossen, erlegt ein im Gebüsch nächst Strüth lauernder Bauer
mit einem Pfeilschuss, dass er zu Boden sinkt. Ehe er stirbt, lässt er auf der
Stolle, wo er zu Tode getroffen worden, von all seinen Gütern und der Feindes-
beute ein Benediktinerkloster mit Namen Schünau bauen, in das späterhin die
Überbleibsel des hl. Florin von Lipporn verbracht wurden.
Es redet für sich, dass die gewissenhafte Beleuchtung eines Berichtes von
solch wunderbarem Inhalt von da aus anzustellen ist, wo der Berichterstatter selber
zu stehen erklärt. Gleichwohl hat man dies bis dahin seltsamer Weise weder
erkannt noch gethan. Erklären wir also hier zum erstenmale, dass der Verfasser
unseres Schriftdenkmals als Zeitgenosse und Augenzeuge der von ihm berichteten
Geschehnisse betrachtet sein will. Denn deutlich sagt er „nos consolatos" zu
Anfang und erklärt es für seine Pflicht, mit seinem Berichte Dank abzustatten
für das Gesehene (de visis) im Gegensatz zu dem bloss Gehörten, dem man
bis dahin habe Glauben schenken müssen.
Nun stimmt es wirklich mit der Geschichte, dass ein ,heremannu8 dux"
nicht zwar ^reni" aber doch „alemanorura" sich dem „regi romauorum" durch
im Krieg geleistete Hilfe verdient gemacht hat. Es ist eben jener Hermann,
der als Graf des Oberlahngaues das Herzogtum Alemannien im Anfang November
des Jahres 926 von König Heinrich I. übertragen erhielt, die Witwe seines
Vorgängers Burkhard's L, Reginlinda, heiratete, 936 bei der Krönung Otto's I.
als Spender des Weins war, während der Frankenherzog Eberhard für die
Speisen sorgte, der Baiernherzog Arnulf Marschalls-Dienste that und der Herzog
von Lothringen Gisilbrecht für Anordnung der Feierlichkeiten im Grossen be-
sorgt war. Als dann Eberhard und Gisilbrecht mit Heinrich, dem Bruder Otto's,
und der Hilfe des franz. Königs Ludwig IV., genannt transmarinus, im Jahre 939
in offene Empörung gegen ihren Herren ausbrachen, da war es neben den
Grafen Kurzbold und Udo, dem Bruder Hermanns, vorzüglich Hermann selber,
der dem bedrängten Könige die für dessen ganze Zukunft entscheidende Hilfe
brachte. Ebenso wurde Hermann im Jahre 944 seinem Könige von grossem
Nutzen, indem er im Namen desselben die Vasallen des franz. Königs, Ragnar
und Rudolf, bekriegte und zum Frieden zwang. Dafür ward ihm dann unter
anderem die Genugthuung, dass Otto's Sohn Liutolf sich mit seinem einzigen
Kinde, der Tochter Ida, nicht lange vor seinem am 10. Dezember 948 im besten
Mannesalter erfolgten Tode vermählte.
Auch der zum Erbitten des „corpus sancti Florini" nötige kirchliche Sinn
fies Alemanncnhorzogs ist bezeugt durch die wenigen uns hierüber erhaltenen
Königsurkunden. Dieselben betreff'en sämtlich Vorteile, die König Otto auf An-
trieb Hermanns der Reihe nach dem Kloster Kempten, St. Gallen, Einsiedeln und
Ramis, wie dem Bistum Chur zugewendet.^) Von anderwärts her wissen wir,
<las3 dem Kloster zu St. Goar der Hof Schwalbach und einige Weinberge
') Die Qiiellcnbelege für alles Vorstehende siehe bei Christoph Friodr. Stalin, Wir-
tcmbergische Geschichte, Stuttg. u. Tüb. 1841, 1, 435—445, woselbst auch das Todesjahr Her-
manns entgegen der gewöhnlichen Annahme festgestellt ist.
107
zu Camp, und was besonders für uns wichtig, „ouidam munastcrio Confluontic",
dem spätereu Floriustift, der Zehnte der Kirche zu Ilumbach -Montabaur
von Herzog Hermann geschenkt wurden, beides zwischen !»32 und 048. ^j Noch
mehr, selbst seine Verehrung des hl. Florin vermögen wir deutlich nachzuweisen,
und zwar durch die soeben angezogene Urkunde für Ramis.^ Dem dortigen
Floriustift hatte König Otto im Jahre 948 aus Verehrung des hl. Florin Güter
zu Nenzingen im Drusenthale und zu Finstermünz geschenkt und da dies aus-
drücklich „interventu dilecte filie nostre Ite nee non et Hermanni comitis nostri**
geschieht, so ist doch wohl auch letzterer als Verehrer dieses Heiligen deutlich
gekennzeichnet. Von hier aus steht demnach alles günstig für die Geschicht-
lichkeit der im Schönauer Bericht behandelten Schenkung des erbetenen Leich-
nams Florins an das Marienstift^) in Coblenz. Ist doch selbst noch eine Be-
ziehung des Enkels Hermanns, des „dominus Otto, Liutolfi filius" zu diesem
Stifte durch dessen Zeugenschaft bei einem Wachszinse an dasselbe urkundlich
erwiesen."*)
Anders schon steht es mit dem „capellanus" Hermanns, dem „sacerdos"
Hartbert. Könnte uns ohnedies nur der reinste Zufall eine Nachricht von dem
Vorhandensein seiner an sich nichts weniger als weltgeschichtlichen Persönlich-
keit aufbewahrt haben, so sind wir in der Lage, diesen Zufall hier obendrein
als einen bloss möglichen vorzuführen. Hartbert^) heisst nämlich merkwürdiger-
weise der Abt des Florinstifts zu Ramis, dem diese obengenannte Schenkung
Otto's zu teil ward, und er ist vermutlich derselbe, den wir vom Jahre 952 — OHt)
aus sechs Urkunden*^ als Bischof von Chur und damit auch als Gebieter über
die Abtei Ramis kennen lernen, und der vor 976 gestorben sein muss, da wir
aus diesem Jahre ein seinen Nachfolger betreffendes kaiserliches Diplom besitzen.^)
*) Goerz, Mittelrhein. Regesten. Coblenz 1876, 1, 267 u. 275, und "Vogel, Archiv der
nass. Kirchen- und Gelehrtengeschichte. Hadamar u. Coblenz 1818, 1, 73 f. — Die von orsterer
Schenkung berichtende Urkunde stammt erst aus dem Jahre 1138 und nennt offenbar irrig
Hermann „dux Francorum", was Goerz 1, 527 übersehen oder zu berichtigen vergessen hat.
— -j Ramis ist offenbar dasselbe mit Remus am Inn, wohin am 9. Apr. 930 König Heinrich I.
der dortigen Kirche des hl. Florin die Kirche zu Sins im Engadin schenkt, nach Zapf, Mon.
1, 54; Hormeyr, Beitr. 2, 94 bei Böhmer, Regesta chronol.-diplomat. Frankfurt 1831, 4.
Die Bemerkung bei Roth, Die Visionen der hl. Elisabeth. Brunn 1884, Anm. S. XIX: .,Dio
Kirche St. Florins stand in Ramunsch oder Remosch in Bünden nach einer Urkunde von 930
in Bibliotheca Zurlauben", betrifft daher den gleichen Ort, wie auch in H. Öaterley, Hist.-
geogr. Wörterbuch des Mittelalters, Gotha 1883: „Remues (Graubünden am Inn) Remedii s. XI.
Reddit. cccl. Cur. Gesch. Forscher 4, 191" das Gleiche meint. Es ist danach unverkennbar
das Heremuscia der Legende Florins, das auf diese Weise im Volksmunde umgebildet ist.
Roth führt hierbei noch Ildef. v. Arx, Geschichte von St. Gallen 1, 23 und N. G. als Aus-
kunftsort über den Kultus und die Reliquien St. Florins in der Schweiz an. — ^) Die Be-
merkung Roths a. a. O. VII: ,, Herzog Hermann (f 10. Dez. 949) besass eine besondere Ver-
ehrung zu dem hl. Florin, dessen Stift in Coblenz er beschenkte, nachdem dasselbe seinen
Patron (die Gottesmutter) mit dem hl. Florin vertausclit hatte", ist ihrem letzten Teile nach
völlig aus der Luft gegriffen, wie sich weiter unten zeigen wird, und steht mit seiner eigenen
Angabe S. XIX der Anmerkun,:;en im Widerspruch. — ') Goerz, Mittelrhoin. Reg. 1, 298 f.
— ') Böhmer, Regesta 9. — ^) AVürdtwein, Xova subsidia dipiomatiea. Heidelberg 1782,
3, 363 f, 367 f., 372 ff., 376 f., 378 ff., 397 f. — ') Ebenda 3, 419 f.
108
Nun aber bekleidete der Alemanuenhcrzog auch die Würde eines Gaugrafen in
Rhätia, wie aus der Urkunde über Ramis und einer andern vom 24. Januar 1)48
hervorgeht^), stand also mit Hartbert in nächster Beziehung und mit ihm ge-
rade dem Gebiete vor, in dem die Legende vom hl. Florin spielt. Denn in
Rhätia curiensis, dem heutigen Kanton Graubünden, liegt die Stätte der "Wirk-
samkeit Florins, Heremuscia, und seiner frühesten Verehrung.^) Wäre demnach
Abt und Bischof Hartbert wirklich derselbe mit dem der Schönauer Erzählung,
so hätten wir damit eine weitere wichtige Stütze für ihre sonst unbezeugten
Thatsachen gefunden.
Indes mit dieser Möglichkeit sind wir auch bereits an der Grenze der geschicht-
lichen Bezeugung des Berichts angelangt. „Druthuinus", zunächst die Hauptperson
als „baro de lurenburg" und „satelles tidissimus", hat so wenig geschichtlichen
Anhalt, dass er vielmehr ein Unding für die Zeit Hermanns ist. In den Quellen
dieser Zeit erscheint nämlich noch kein baro, sondern, sofern er sich nicht comos
nennt, der einfache nobilis.^) Das Siegel des Herzogssohnes Otto trägt lediglich
die Inschrift: „Signum domini Ottonis Liutolfi filii."*) Barones kommen erst
neben optimates und magnates in Urkunden seit Mitte des 11. Jahrhunderts vor
und auch dann nicht als Titel einzelner Personen. •'^) Und wenn auch Trutwiu
in der Schönauer Erzählung einmal „venerabilis dominus" genannt wird, so ist
„vcnerabilis" ein Ehrentitel, der erst im. Anfang des 13. Jahrhunderts sich zeigt.*^)
Die andere Widergeschichtlichkeit ergiebt sich daraus, dass Trutwin „satelles"
des Herzogs Hermann gewesen sein soll. Schon Wenck fand diese Bezeich-
nung in seinen „Historischen Abhandlungen" (1778)^) „verdächtig" samt ihrer
ganzen Umgebung und hält in seiner „Hess. Landesgeschichte" (1785)'') dafür,
dass die ganze „Titulatur kein Kenner des Altertums für echt halten" könne. ^)
Indes, wenn er auch die Ungeh()rigkeit des Ausdrucks beanstandete, der kaum
mehr als den gewöhnlichen Kriegsknecht zulässt^*'), so übersah er die Unmög-
lichkeit für einen edlen Franken, im Heerbann des Alemanneuherzogs sich be-
finden zu können, statt in dem des fränkischen Herzogs oder unmittelbar dem
des Kaisers, da mit dem Tode Eberhards die fränkische Herzogsgewalt, wie in
Sachsen, mit dem Königtum vereinigt ward.^^) Trutwin selber aber als Person
hat nirgendswo einen geschichtlichen Anhalt zu dieser Zeit und alle Versuche
*) Stalin 1, 433 u. 527. — ") Brower 1, 504'^: „Hie inclyta viguit S. Florini me-
moria, etsi non parum obscurata, ex quo Curienses Helvetiis confoedcrati majorum pietatom
iic religionera abjecero. Gerte de S. Othmaro, primo abbate S. Galli, traditum litteris in
Khaetia Curiensi ctiam Pipini tempore praefuisse ecciesiae, cui titulus a S. Florino confcssore.
5. oben Anm. 2, S. 107. — ^) Stalin 1, 536. — *) Goerz, Mittelrhein. Reg. 1, 299. —
^) J. Ficker, Vom Reichsturstenstande. 1861, 1, 36 § 16 u. 17; 134 f. § 97. — ''j Du Cange-
llensohel 6, 763». — ') 1, 52. — *) 1, 193 Anm. — '') Der gleichzeitige Kremer, Orig.
nass. 1779, 1, 305, Anm. 11 urteilt noch etwas derber, wenn er sagt: „Wir erwähnen bei
diesem Grafen den von der ehemaligen Barbarey im Kloster Schönau erfundenen, dem Drut-
win beygelegten Titel „Baro de Lurenburg Hermanni Ducis Rheni Alemannorum Hdelissimus
satelles"' nur darum, um unsere Verwunderung zu äussern, wie es habe mögen sein können,
(Ia83 dieses Klostergedicht noch heutigestags Verteidigung gefunden hat." Widmann, Ann.
18, 43 hat er aber so wenig als Vogel überzeugen können. — '") Du Gange -Hensclicl,
6, 73"= f. — ") Germania, chronic. 13, 99 bei Struve, Gerraanic. scriptorum 2, 721: „Quae
fuerunt Kberardi, titulo juria belli imperator occupat." Vergl. Stalin 1, 414, 446,
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Wencks, Vogels uud ihrer Nachfolger, ihn aus der später genauer zu unter-
suchenden Urkunde zwischen 1102 — 24 über die Gründung der Propstei Lipporn
als solchen aufzuweisen, zerfallen, wie weiter unten nachgewiesen werden s(j11,
ebenso in sich, als die mit so vieler Zuversicht vorgetragene Vermutuug Vogels^),
die einen so überzeugten Verteidiger au Schliephake'^) gefunden hat, ilass der
Zeuge „Drudoinus" unter der vorhin^) angeführten Urkunde über den Zehnten
der IIunibach-Montabaurer Kirche unser Trutwin und gar Vogt der Hunibacher
Kirche gewesen sein möge, weil er an erster Stelle stehe. Denn unter den
Zeugen zumal einer kirchlichen Urkunde erscheint an erster Stelle immer ein
kirchlicher Würdenträger, hier vermutlich ein trierischer Domherr und dann
der Kirchenvogt, der hier offenbar „Hernbertus comes Palatinus" ist. Steht
doch ausdrücklich auch im Texte der Urkunde: „Cartulam nostram manu |sc.
archiepiscopi HenriciJ simulque fidelium clericorum laicorumve corroboratum."
Einem genaueren Blicke enthüllen sich aber noch weitere verdächtige
Dinge, die einen zeitgenössischen Erzähler unmöglich erscheinen lassen. So
sind die vorhin schon gestreiften „reni alemani", wenn sie nicht als Fahrlässig-
keit des freilich höchst kopflosen Abschreibers angesehen werden müssen, der
etwa an die zuvor geschriebenen „reni franci" gedacht haben könnte, eine ge-
schichtliche Ungeheuerlichkeit. Denn besass auch das Herzogtum Alemannien
zwei „Rhingowe", beide in Rhätia Curiensis, den einen an den Quellen des Rheins,
den anderen, auch „Rheintal" genannt, beim Einflüsse des Rheins in den Boden-
see*), und wurde es gleich, da es Alsatia miteinbegriff', fast in seiner ganzen
Länge vom Rheine durchzogen, so fiel es doch nie einem Schriftsteiler ein, am
wenigsten einem des 10. Jahrhunderts, von „reni alemani" zu reden, da es
eben keine zwei oder mehrere Alemannien gab. Was konnte also den Verfasser
unserer Erzählung bestimmen, von „reni alemani" zu reden, wenn nicht die
Absicht einen Gegensatz zu den Main-Alemannen auszudrücken, der freilich
keiner war, da diese sechshundert Jahre früher, gedrängt von den Burgunden,
der Mehrzahl nach ihre Sitze am Mittel- und Untermain verlassen hatten und
nach Süden in die von da an bleibend innegehabten oberrheinischen Sitze gezogen
waren V") Diese Absicht aber ist geradezu vernichtend für die Geschichtlichkeit
seines Berichtes, sein eigner sehr unbeabsichtigter Verräter. Ebenso verräterisch
freilich würde es sein, wenn die Bezeichnung „reni alemani" aus der blauen
*) Beseht. 283. — ^ 1, 97. — ^) S. obea Anm. 1, S. 107. — *) Chronicon Gotwicense.
Tora, prodromus. Tegernsee 1732, 743. — ^) Da die Annahme, ein Teil der Alemannen habe
sich nach der Schlacht bei Zülpich (496) in die Alpen und nach Oberitalien zurückgezogen,
eine unberechtigte, spätere ist, vergl. Stalin 1, 149, so braucht sie hier nicht in Betracht zu
kommen als eine dem Gesichtskreis des Schönauers etwa zugänglich gewesene. Die alten
Sitze der Alemannen aber konnte unser Berichterstatter sich müglicherweise aus epist. 123
des Hieronymus ad Agerucliium (opp. od. Vallarsii 1, 1766 col. 913 f.) zurechtlegen oder er
kannte die Peutinger'sche Tafel, die die Alemannen nördlich vom Schwarzwald setzt, oder
er hatte, was nach dem alsbald zu Sagenden am wahrscheinlichsten ist, Kunde von der Stelle
des Geogr. Ravennas 4, 26, wo nach dem Gothen Anarid berichtet wird, dass «lie Alomaimen
noch im ersten Viertel des 6. Jahrhunderts Aschatt'enburg und Wiirzburg besessen haben sollen.
Vergl. Stalin 1, 146. — Zum Überfluss setzen wir liinzu, aucli Üsterley kennt in seinem
Wörterbuch keine Rhein-Alemaunen.
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Luft gegriit'on wäre. Denn Ciann läge der nicht niiudcr Iiaadgreiflicho Versuch
einer ebensolchen altertümelnden Fälschung vor. Jedenfiills ist die Bemühung
Vogels^), die Ehre unseres Legendisten retten zu wollen mit der Behauptung:
„Der Ausdruck dux Rheni Aleraannorum kann im Munde eines Mönches nicht
auffiillen, der damit Hermanns Ansitz im Einrich, Engersgau und Alemannien
andeuten wollte" — als eine verunglückte zu bezeichnen, so sehr sich auch
Widmann-) noch auf sie bezieht. Das Mindeste, was man sagen kann, ist
Wencks Wort^): ^Der dux Reni-Alemanorum bleibt immer eine seltsame
Erscheinung."
Ein gleiches ist es mit dem Namen der „reni francorum", den bisher noch
niemand anstössig fand. Denn was auch GroUius in seinem umfangreichen
„Responsum ad questionem : an et qualis fuerit Franciae ducatus, rhenensis
praecipue, a CaroUngicae stirpis in Germania regnantis interitu usque ad Suevicum
sive Hohenstauf. regum Germaniae periodum"*) vom Jahre 1773 und Chr. Jak.
Kremer in seiner nachgelassenen „Geschichte des rheinischen Franziens unter
den Meroving. und Karoling. Königen bis in das Jahr 843" fünf Jahre danach'')
von dem Vorhandensein einer „Francia rhenensis" zu dieser Zeit mit dem höchsten
Aufwand von Gelehrsamkeit und Scharfsinn zu erweisen versucht haben, ein
solches deutsches Land gab es niemals, wie das heutige Wissen festgestellt
hat. Man weiss nur von dem bereits oben genannten ducatus Franciae.^)
Höchstens, dass, seitdem die Bischöfe von Würzburg sich vom 11. Jahrhundert
ab, — also ein Jahrhundert später, als unser Mönch geschrieben haben will —
Herzöge von Franken nannten, der Name Rheinfranken in Aufnahme gekommen
sein könnte.^) Nur einmal wird „Francia rhinensis" genannt, aber von einem
•) Beschr. 283, 2. — -') Annalen 18, 39, Anm. 1. — ^) Hist. Abh. 1, 52. — *) Acta
aoadeniiae TliPodoro-Palatinae III, 333—480. — '') Mannheim 1778. — "^J Von meinem ver-
ehrton Freunde, Herrn Prof. Fr. Otto, dem ich bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen darf,
meinen tiefsten Dank auszusprechen für alle seine aufopfernden Bemühungen zum Herbei-
schaffen eines nicht kloinen Teils der mir nötigen litterarischen Hilfsmittel, wie nicht minder
zur oiiigehonden Beratung hier und anderwärts, hilfreicher Winke nicht zu gedenken, werde
ich belehrt, dass Oiescbrecht, Gesch. der Kaiserzeit 1860, 1, 271 f. und Anm. S. 809 eine
Vereinigung des Herzogtums mit der Krone annimmt; vergl. Küpke in den Jahrb. des deut-
s(!hen Reichs 1, 2. 93 ff', v. Daniels, Handbuch der deutsch. Reichs- und Staatsrechtsgesch.
1863, 2, 3, 373 f. leugnet aber überhaupt, dass es je eigentliche Herzüge in Franken gegeben
habe, da Konrad nur comes, Eberhard offiziell comes, nur bei den Annalisten dux heisse,
ebenso Konrad der Rote. — Der Seltsamkeit wegen setzen wir hinzu, dass Roth a. a. O , XIX
der Anmerkungen den Bericht des Schünauer Mönches stützen zu können vermeint mit dem
Folgenden: „Die Grenze von Francien und Sehwaben wird im württembergischen Urkb. 2, 87
in einer Urkunde von 1024 als vom süddeutschen Mühlgau gebildet bezeichnet, der Schreiber
der Schönauer Überlieferung schrieb demnach ganz im Geiste alter Einteilung nach Volks-
stiimmcn, die er jedenfalls einer älteren Aufzeichnung über die Gründung Schönaus entnahm!"
Nicht nur, dass in dieser aus Lünig, Spicileg. eccles. 3, 120 entnommenen, auch von Stalin
1, 319 u. 321 und Chr. J. Kremer 44 angezogenen Urkunde auch der noch südlicher gelegene
Kochergau vorkommt, so ist damit aucii nur die südöstliche Grenze gemeint. Zwischen Franken
und Alemannien war die Grenze bei Heimsheim (zwischen Stuttgart und Pforzheim), dann auf
dfr Bergliöhe zwisciien dem Murr- und Leintal nach Waitz, Verfassungsgeschichte .'>, 165.
Vergl. Stalin 1, 222, 597. — ') Üsterleys Wörterbuch z. B. kennt ihn nicht. Allerdings
führt iler cod. german.-monacensis 589, fol. 15'' bei Seh m eil er- Fr om man n I, 823 wie
in
Schriftsteller des 8. oder augehenden 0. Jahrhunderts, der uuter dem Namen
Geograph von Ravenna bekannt ist, und das in der nächsten Nähe derselben
Stelle, die wir bereits in einer Anmerkung oben für die Alemannen am Maine
heranzuziehen hatten/) Sollte es da allzu verwegen sein, wenn ein solches
Zusammentreffen uns veranlasste, in dem Geographus Ravennas einen der ge-
lehrten Nothelfer unseres Schönauers bei Herstellung seiner Märe zu erblicken?
Weiter muss es höchlich auffallen, dass der Schünauer Mönch allein von
der Schenkung des „corpus sancti Florini" an das „coUegium" zu Coblenz durch
Herzog Hermann weiss. In Coblenz selber weiss niem.and davon. Das Archiv
des ehemaligen Kollegiatstiftes bewahrte noch 1818 zwei wohlerhaltene Orio'i-
nalien von jener oben angeführten Schenkung des Humbacher Zehnten-) seitens
desselben Herzogs, von der so viel wichtigeren Schenkung des Leibes des Hei-
ligen keine Zeile. Man besass zu Br^jwers Zeit (1G70) sowohl in Coblenz als
Trier „antiqua membrana" mit den „acta vitae eius''^), aber keines weiss von
einer „translatio*^ nach Coblenz, so dass Brower^) in einiger Verlegenheit ist,
zu welcher Zeit er das Aufkommen des Dienstes Florins in Coblenz ansetzen
soll. Von einem Vorhandensein des „corpus" des rhätischen Heiligen aber gar
hat er so wenig Kunde, dass er vielmehr berichtet, am 8. November 1378 habe
ein Mann aus gutem Hause, Wilhelm Muysbach, das in seiner Familie von
langher bewahrte Haupt des Heiligen dem Florinstift geschenkt.'-^) Und wenn
Benecke-Müller 3, 395: „Osterfranken, Rinfranken" auf, aber damit sind zum Unterschied
von den „Franei t'eroces" an der Seine die Deutschen gemeint als die „Franci orientales'' am
Rheine und der Donau. S. Schmeller-Frommann ebenda. Um alle Gerechtigkeit zu er-
füllen, setzen wir noch das uns nachträglich von Herrn Prof. Otto Vermittelte aus Waitz,
Verfassungsgesoh. 5, 162 f. hinzu, woselbst die Meinung ausgesprochen wird, dass sich für das
rheinische Franzien kein unterscheidender Xarae Geltung verschafft habe. Es hiess gewühnlioh
Francia. Rheinfranken, wie man früher einzeln sagte, sei nicht in Gebrauch geblieben. Hierzu
aber wird nur der Geogr. von Ravenna angeführt und bemerkt, dass das Carmen de b. Sa.xo.
diese Wangiones nenne. Dagegen fänden sich bei Wipo: „Franci, qui supra Rhenum habi-
tant" und bei Berthold: „Francia eis Rhenum." Es heisse auch ,, Francia antiqua" und ^vote-
res Franci", wie seit 1053 zuerst „Franconia", dessen Xame später auf die östlichen Striche
sich beschränkte. Nehmen wir dies mit dem von uns bereits Bemerkten zusammen, so finden
wir keine Ursache, unsere Meinung zu ändern. Wipo's „Franci" und ßertholds „Francia"
sind eben der Gegensatz zu den Franken an der Seine.
') 4, 24: Itcrum ad frontem eiusdem Frigonum patriae . . ponitur patria, quae dicitur Fran-
cia Rhinensis. In qua patria plurimas fuisse civitates legimus : . . . id est iuxta fluuium Rhenum
Moguntia" etc. Vergl. Act. Pal. 3, 334. Chr. Jac. Krem er 35. Wir geben diesem angeb-
lichen Rheinfranken den wirkliehen Namen, den es führte, aus der Urk. Otto's III. von 985,
wo es heisst: „curtem Triburis vocatam in Frantia et in pago Rinchgouue ac comitatu Co-
nonis ducis." Kremer, Org. 2, 85, indem wir zugleich das letzte Wort dem von v. Daniels
Behaupteten entgegenstellen. — -) Vogel, Archiv 59. Vergl. Goerz, Mittclrhein. Reg. 275;
nach letzterem sind die zwei Originalausfertigungen in der von Renesse'schen Sammlung
gewesen und ein schönes Original mit Siegel ins Staatsarchiv nach Coblenz gekommen. —
^) Annales trev. 1, 504. — *) Ibid. — ^) 2, 248. Das Register berichtet unabhängig vom
Texte: „S. Florini caput Confluentiae argento includitur." Der grossen Freundliclikeit des
Herrn Archivrat Dr. Becker in Coblenz verdanke ich die Nachricht, dass die im dortigen
Archiv aufbewahrte, dem 15. Jahrhundert entstammende Handschrift „Statuta et privilegia
8. Florini" an erster .Stelle das „Caput sancti Florini cum oapite argenteo et lorona argentea"
verzeichnet. Damit lat Brower's Registerbemerkung bestätigt. Leider hatte das Archiv keine
weitere Mitteilung zu bieten.
112
er dann au der gleichen Stelle erzählt, im Jahre 1332 habe im selben Stifte
eine Suche nach den dem Gedächtnis entschwundenen hl. Überbleibseln statt-
gefunden, erfährt man nur, dass neben anderen der Kopf des hl. Silvester, und
eine „statua Caroli magni" und die „argentea insignia" eines edlen Ritters
Ricliard mit „versiculi ad S. Florinum'* entdeckt worden seien. Also keine
Rede von Überbleibseln des Heiligen. Und kein Wunder, derselbe Kanoniker
von St. Florin in Coblenz, Jakob Tectonius, der Brower die „epitomen actorum"
des Heiligen gesandt hatte, die zuletzt von den Wundern des hl. Leibes be-
richtet^), hat nichts zu berichten von einer Überführung dieses Leibes nach Coblenz.
Nur die urkundlich bezeugte Thatsache steht fest, dass das Florinstift ehemals
den Namen S. Mariae trug und in der letzten Hälfte des 10. Jahrhunderts
seine spätere Benennung erhielt. Die Urkunde über die Schenkung des Hum-
bacher Zehnten, sowohl in ihrer ersten Ausfertigung zwischen 931 — 49 zu Leb-
zeiten des Herzogs Hermann, als in der späteren vom 13. Februar 959 lässt
den Zehnten „Dei genitricis sub nomine dedicato cuidam monasterio Confluentie
sito" zu teil werden, wogegen eine Schenkung Otto's L an dasselbe Stift vom
November 950 den „fratribus ecclesie S. Mariae et Florini in Confluentia" gilt.
Gleichwohl nennt jene oben vorgeführte Urkunde, welche der Enkel Herzog
Hermanns und des Kaisers Otto I. zwischen 957 und 973 unterzeichnete, nur
das „Marienkloster im Kastell Coblenz an der Mosel". ^) Nun hat ja der launige
Vers der „Frau Aventiure" Scheffels Recht: „Von vielem mangelt Schriftbericht,
denn viel geschieht nur mündlich", aber was man in Coblenz vergessen, sollte
das in Schönau so treu behalten worden sein?
Und dass ferner der Schünauer Berichterstatter dem „regi romanorum"^)
nicht den deutlichen Namen Otto giebt, dass er sich jeder Jahreszahl bei der
Schenkung sowohl des „corpus St. Florini" nach Coblenz als bei der Verbringung
der „pars" desselben in die Lipporner Kapelle enthält, während er doch bei
letzterer ganz genau den Tag weiss: „in vigilia apostolorura petri et pauli"^),
') 1, 504'' f. — -) Goerz, Mittelrhein. Reg. 1, 267, 268, 275, 298. — ^) Herr Prof.
Otto macht mich darauf aufmerksam, dass schon diese Bezeielinung für einen Menschen dea
10. Jahrhunderts gescliichtswidrig ist, da Otto I. sich nur „rex" oder später „imperator"
nannte, „rex Romanorum" dagegen offiziell erst bei Lothar aufkommt nach v. Daniels a.a.O.
263, z. B. in der Urkunde vom 23. Dezember 1125: „Lotharius III. Romanorum rex", bei
Jaffö, Gesch. des deutschen Reichs unter Lothar. 1843, 41, Anm. 62. Im Context findet sich
u. a. 1108: „regnante Heinrico Romanorum rege." Wohl aber heisst es „Romanorum Impe-
rator", vergl. z. B. die Urkunde Otto's III. von 1000 bei Kremer, Orig. 2, 97 u.v.a. Vergl.
das Genauere beiWaitz, Deutsche Verfassungsgesch. 6, 106 f.: „Unter den Königen aus dem
fränkischen Stamme ist es üblich geworden, den König vor dem Empfang der kaiserlichen
Würde als König der Römer zu bezeichnen, zuerst vielleicht von Papst Benedict VIII. (ältere
Urkunden falsch oder interpoliert), aber in Beziehung auf den Kaisertitel gebraucht", in der
Untersolirift „anno Ileinrici invictissimi regis Romanorum XIV, imperii IIP', also 1016. Von
Heinrich III. wird im Gegensatz zu der deutschen und burgundischen Herrschaft ebendort S. 104
Anm. 1 angeführt: „anno regis Rom. secundo, Burgujid. primi." Als Titel erscheint er zuerst
unter Heinrich VI. in Briefen, vielleicht einzeln in italienischen Urkunden, häufiger
unter Heinricli V., seit Lothar und Konrad III. regelmässig. — ') Der Florinstag wird übrigens
in Coblenz um 18. November gefeiert, während er liier, in Chur und sonst auf den 17. ange-
sf't/.t i.it; vergl. Brower, Aiumlen 1, 304''.
113
uud (lass er eodlich als Augenzeuge nicht einmal die Namen der so wunderbar
Geheilten sich gemerkt hat, die einen solchen bis an die „sidera" klingenden
Jubel verursacht hatten, — das alles ist doch wohl wahrheitsgetreuer, unver-
fänglicher Geschichtserzählung nicht eigen.
Das Gleiche haben wir vom Schlüsse der Erzählung zu behaupten. Dort
werden nicht die so glorreich besiegten, gefangenen und vertriebenen Feinde
genannt. Kein Name des meuchlerischen Bauern, und was noch viel beachtens-
werter erscheint, keine Angabe des Grundes für seinen Mord ! Ist für diese
Zeit an sich solche Thatsache eine ungeheure zu nennen, dass ein „baro" durch
die Hand eines Bauern fällt, so befremdet doch noch ungleich mehr, dass der
„religiosus baro" einen solchen Feind gefunden haben soll. Dergleichen be-
richtet Lambert von Aschaffenburg aus dem Jahre 1066 doch nur über den
kirchenräuberischen Grafen Werner, dass er bei einem Raube in Ingelheim
im Handgemenge „a (juodam nostri raonasterii vilissimo mancipio vel, ut alii
ferunt, a foemina saltatrice clave percussus in capite corruit."^) Aber wenn
dieser gepriesene Chronist weiter erzählt, dass der zu Tod getroffene Graf noch
so lange gelebt habe, bis er von den anwesenden Bischöfen mit der Ver-
weigerung der „Sacra communio" bedroht, das dem Kloster Hersfeld, freilich
mit kaiserlicher Erlaubnis entzogene, Dorf Kirchberg wieder zurückgegeben, so
meint man das Vorbild für unseren zu Tode getroffenen „baro" zu sehen, der
fromm seine letzten Minuten mit der Anordnung zum Bau^) eines Klosters
verbringt.
Doch wozu uns länger zurückhalten, wo dieser Geschichtschreiber Schön-
au's sich in der ganzen Blosse und Grösse seiner dummdreisten Fälschung
selber entlarvt. Das „claustrum benedictorum nomine schönaw" von den Lippen
des sterbenden Trutwin sagt alles, sagt, dass wir nach den durchsichtigen
Nebeln des 10. Jahrhunderts in der Helle des 12. vor den Pforten des 1126
gegründeten Klosters Schönau stehen und dass der übele Erfinder des ganzen
Märleins nichts anderes mit seiner Dichtung vorhatte, als — wir werden sehen,
warum — die Urgeschichte des Klosters zu verschleiern.
Wir haben deshalb auch kaum noch not, darauf hinzuweisen, dass selbst
die Namen „lichtburnensis" und „lichtsbron''' sich als ]^tachwerke wohl gar erst
des 14. Jahrhunderts darstellen. Denn der Ort zu dem lichten, d. h. klaren
Brunnen^), wie sein Name offenbar gedeutet werden muss, heisst echt ausgehend
') Struve, Rer. Germ scriptores 1, 336. Kremer, Orig. 1, 271, 278, 296 hat sich
die Freiheit genommen, diesen Werner ohne weiteres an die Stelle Trutwins in der „Schünauer
Reimsage" zu setzen und seine Ermordung hier mit etwas anderen Worten in dieser erzählt
zu finden. Wir sind ihm dankbar dafür, wenn auch nicht in seinem Sinne. — ^) Zu „construi
fecit" s. Du Cange-Henschel 3, 178»: „facere = assignare, statuere." — ^) Als Analoga
mit der vollen Adjektivform bieten sich dar: Lichtenborn bei Prüm und dasselbe bei Xortheim,
sowie Lichtenbrunn bei Lobenstein und dasselbe slaw. Bila studne = lichter Brunnen bei Mährisch-
Trübau. Sonst sind der Zusammensetzungen mit Licht- und Lichten- wohl mehr als 200
bei Rudolph, Vollst, geogr.-topogr.-stat. Ortslexikon von Deutschland. Leipzig 1870, 1, 2551
bis 2557 zu finden. Forstemann, Altdeutsches Namenbuch. Xordh. 1872, 989 — 991 kennt
nur Lihtowa, vielleicht Lichtenau, Lichtsteiga, Lichtensteig bei St Gallen und Liechtonfels
bei Bamberg, alle drei aus dem 11. Jahrhundert.
8
114
ahd. „Lietprunin", „Lietprunnin", „Lietprunen", ^Lietprun", wie das davon gebil-
dete latinisierte Adj. ^lietpruuensis", zusammengezogen Libbrunne^), von „liohti",
„Hellte" = hell und „pruno", ^brunno" = brunnen, während „lichtbumensis"
rein mhd. ist und sein zweiter Teil nur aus dem 13. oder 14. Jahrhundert her-
stammen kann, da sicherst dann die niederdeutsche Versetzung des r: „burn''
statt „brunne" zeigt. ^) „Lichtsbron" ist dazu eine rein etymologische Erfindung
unseres Mönches, der einen Brunnen des Lichts aus dem lichten Brunnen machen
zu müssen meinte; und wegen „bron", das kein mhd. Wörterbuch kennt, eine
sehr späte.
Das Kloster hat übrigens später selber dafür gesorgt, dass man den Wert
der Federleistung seines früheren Mitglieds nicht überschätze. Das lehrt zu-
nächst schon die äussere Erscheinung der letzteren. Die Dichtung bildet, wie
schon durch Widmann bekannt^), den Nachtrag späterer Hand zu der ihr
vorausgehenden Legende des hl. Florin. Während nun diese vor allen anderen
Stücken des ganzen Bandes nicht nur dadurch ausgezeichnet ist, dass spätere
lateinische Zahlen am Rande sie in 17 sehr ungleiche Abschnitte teilen, sondern
dass sie auch an ihren schmutzigbraunen, teilweise eingerissenen und wieder
geflickten Rändern die Spuren starker Verlesenheit zeigt, ist letztere verhält-
nismässig unberührt und besitzt auf ihrem ganzen Blatte in vier Spalten keine
Einteilung — ein Zeichen, dass man sie nicht der Ehre öfterer Benutzung beim
Vorlesen im Refektorium wert hielt. Warum, ist unschwer zu erkennen.
Lehrreicher aber bei weitem sind die drei verschiedenen Redaktionen,
die unsere Erzählung von späterer Klosterhand erfahren hat: eine gereimte
deutsche, von der weiter unten zu handeln ist und zwei deutsch-prosaische.
Von den letztereo befindet sich eine in der viel benutzten amtlichen Kloster-
schrift „Rettung derer Freiheiten und Rechte des Unmittelbaren unter Chur-
f'ürstlich-Mayntzischer Ober- und Hochfürstlich Nassauischer Untervogtey bisz
daher gestandenen alten Benediktiner-Closters Schönau in der Rheinischen Land-
schafft Einrieb und Ertzbischöflich-TrierischenDioeces. Im Jahre des Hevls 1753."
Sie ist für unsere Zwecke wichtig genug, ihr den folgenden wörtlichen Abdruck
ihres § VII auf S. 5 zu widmen. „Es ist nämlich zu mercken, dass die er-
zählte, vom Graven Rupert von Laurenburg vollbrachte, Stifftung des Closters
Schönau nicht gleich die erste Stifftung der Mönchen-Versammlung gewesen
und hierher gesetzt worden, sondern dass diese vorher ein Closter zu Lichtborn
gehabt und nur nach Schönau in ein neues Closter versetzt worden ist. Als
Crrav Drutwin, welchen Textor in seiner Nassauischen Chronik als des Graven
Ruperts Vaters Bruder anführet, von einem Feldzug auf sein Gut Strüth zurück-
gekommen, und auf der Jagd an eben dem Orte, wo der hohe Altar der
Schönauischen Kirche stehe, von seinem Hofmann nicht erschlagen, wie Textor
meldet, sondern mit einem Pfeil geschossen worden, soll derselbe nach denen
') Kremer, Orig. 2, 151 f. 200; Sauor, Nas3, UrkunJenb. 1, 151; „Lichtbornii" bei
Vogel, Beschr. 288 stammt aus dem feblorhaften Abdruck der „Rettung", Beyl. ITI, S. 2
und ist mit Reclit von Kehrein, Nass. Namenbuch 230 l)ean3tandet als sprachwidrig, vergl.
Graff, Alid. Sprachschatz 2, 147 und 3, 310. — ^j Ben ecke-Müller-Zarncke, Mhd. Hdw.
1, 209; Grimm, Deutsches Wbch. 2, 243. — ^) Annal. 18, 39.
115
Legendis von S. Florino») in denen drey Tagen, die er noch gelebt, verschafft
und verordnet haben, von der erfochtenen Beute daselbst das Kloster aufzu-
bauen, worauf dann nicht allein die Reliquien des hl. Florini aus der Kirche
zu Lichtborn, sondern auch die dasige Congregation mit allen Herrlichkeiten
und Gütern nach Schönau transferiert worden." Diese amtliche Darstellung
aber findet ihre Ergänzung in der bei Wenck«) aufbehaltenen anderen Re-
daktion, die so lautet: „Die Mönche zu Schönau tragen sich mit der Tradition,
von der auch Textor wusste, dass Druthwin, nachdem er von der Besieo-uno-
seiner Feinde bei Coblenz auf sein Gut Strüth zurückgekommen, auf der Jagd
von seinem eigenen Hofmann ohne Vorsatz seie verwundet worden und zwar
an eben dem Orte, wo itzt der hohe Altar der Kirche zu Schönau stehe;
Druthwein habe also in den drei Tagen, die er noch gelebt, verordnet, von
seiner erfochtenen Beute an eben dem Orte ein Kloster aufzubauen. Die
Schönauer wollen diese Erzehlung noch mit einer besonderen, der Deduktion
[d. h. „Rettung" u. s. w.] nicht angedruckten Urkunde. . . bestärken."
Wird man nun auch billiger Weise zugeben dürfen, dass der erste dieser
beiden Berichte möglicherweise ein Auszug des volleren zweiten ist, so geben
beide doch zu erkennen, dass sie nicht Vorgänger, sondern Nachfolger des von
uns bisher behandelten lateinischen sind; und dass sie eine stillschweigende,
nicht zu dessen Gunsten lautende Kritik seines Schlusses darstellen. Man stiess
sich an die bereits von uns oben gekennzeichneten Unglaublichkeiten, verbesserte
sie aber nicht etwa aus der Geschichte, sondern tauchte munter den Pinsel
in denselben Farbentopf der Erfindung wie der Vorgänger, nur mit mehr Ge-
schmack, besser, mit mehr Berücksichtigung der ki-itischer gewordenen Zeit.
Zwar auch jetzt werden noch nicht die Feinde Trutwin's genannt, aber wenigstens
der Kampfplatz bei „Coblenz." Der hässliche Meuchelmord wird beseitigt, wie
seine Ausführung mitten im Triumphgefühl seines Opfers, der unbekannte bos-
hafte „rusticulus" wird zu dem freilich auch nicht sehr viel bekannteren Strüther
„Hofmann", der auf der Jagd das Unglück hat, seinen Herrn mit einem Pfeile
zu verwunden. Der Getroffene hat dann noch ganze drei Tage Zeit, die Stift-
ung des Klosters Schönau vorzubereiten. Dass damit keine wirkliche Ge-
schichte geschaffen sei, hat gleichwohl niemand besser gefühlt als das Kloster
selbst, indem es seinen Rechtsanwalt ein bescheidenes „soll" in die Erzählung
setzen Hess.
Wann diese Veränderung der ursprünglichen „Legende", von der neben-
bei bemerkt das Kloster, „nach denen Legendis von S. Florino" des eigenen
Berichts zu schliessen, mehrere Ausgaben gehabt haben muss, stattgefunden
hat, ist unschwer festzustellen. Sprachen wir schon von der kritischer ge-
wordeneu Zeit, so können wir diese nun mindestens ans Ende des 17. Jahr-
hunderts hinausrücken, wenn nicht in 'den Anfang des 18. Die alte Legende
hat nämlich genau bis zur Zeit zwischen 1613 und 1629^) vorgehalten, als das
Kloster eine Erneuerung erfahren und damit die gereimte Erzählung „in vestibulo
*) Dieselben sind noch einmal berührt S. 401 daselbst. — '^) Hist. Abh. 1, 50, Anm. G.
— ") Bei Widmann, Annal. 18, 37.
8»
116
templi üben aa der Mauwern"') verschwunden und „singulari studio," wie Ple-
ban^) behauptet, nicht wieder erneuert worden ist. Nun aber musste man doch
mindestens ein Menschenalter verstreichen lassen, bis man die Veränderung
der alt- und allbekannten Trutwin'schen Mordgeschichte wagen durfte, die Dank
der deutschen Reime überhaupt nicht so leicht auszurotten war. Das Ende
des 17. Jahrhunderts wird demnach eine nicht zu späte Änderungszeit genannt
werden dürfen.
Diese vielbesprochene, gereimte Erzählung aber, zu der wir uns entgegen
der Zeitfolge nun erst wenden, weil sie zu dem Alten ein völlig Neues fügt,
bedarf trotz der ihr bisher gewidmeten Sorgfalt eine eingehendere Besichtigung.
Auch von ihr müssen wir uns zunächst einen Abdruck erlauben, ob wir deren
gleich vier besitzen^), da wir die Wiederherstellung des ursprünglichen Textes
an verschiedenen offenbar verderbten Stellen des jetzigen zur Rettung nicht
bloss der reimerischen, sondern auch geschichtlichen Ehre seines Verfassers
vorzuschlagen haben. Wir lesen unter Zugrundlegung des sich in der That
als älteren ausweisenden Widmannschen Textes folgendermassen :
1. Ich hab mich des bilUch vermessen
Ehr, Lob vnndt Preiss nicht vergessen
Von Dreyen adeler wohl erzogen
In einem Nist, ist nicht erlogen,
5. Was Diese Drey brüder han gestifft,
Bin ich erfahren wohl durch ihre schrift:
Alpertus*), verstehent mich auch recht.
Ein Bischoff zu Meintz vnndt Gottes Knecht,
Dudo zu Lippurg, eyn seltzem Ding,
10. Das man izundt Nenndt vff dem Rinck,
Da wähnten eins Ritter vnndt Knecht,
So izundt Da wohn Azelln vnndt Specht,
Truthwinus diss lants recht patron
Von Lurenburch der edel baron,
15. Als der mitt recht hat bezwungen,
Die feindt alle vberrungen^)
Dar'') sähe man nuhn billich vnndt eben
Sein Herz in frewden schweben;
Aber seyn freyer Kühner muth,
•) Ebenda 36. Hiernach ist die Bemerkung „auf einem Altarblatte in der Kirche zu
Schünau geschrieben" bei Roth, Die Visionen der hl. Elisabeth, VII, zu bemessen, der doch
schon Re8scres aus Kremer 1, 278 hätte wissen dürfen. — ^) Ebenda 37. — ^) Von 177!)
bei Krenier, Orig. 2, 379 ff., von 1837 bei Niklas Vogt, Rhein. Geschichten und Sagen.
Frankfurt a M. 2, 378 ff., von 1866 bei Schliephake, Gesch. Nassaus 1, 195 f. und von 1884
bei Widmann, Annal. 18, 34 f. — *) Gewöhnliche Lesart: „Rupertus". — ^) Gewöhnlicher
Text: „vberwunden"; „vbcrrungen" aber s. bei Lexer, Mhd. Hdwbch. 2, 1651 = überwinden ;
vber ist dabei md. — '') Kremer, Schliephake, Widmann: „das"; Vogt richtiger „da";
,,dar" für „da" noch bei Lohenstein (f 1683) s. Weigand, Deutsches Wörterbuch. Oiessen 1873,
1, 301.
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20. Den er Drug vnder seinem cissen Hut,
Was in ihm nicht Lenger Dauren'),
Das geschähe Durch einen Bawren,
Der macht sich halt vff die Strassen,
Seynen Zorn wolt er nicht Lassen,
25. In einem Pusch lag er verborgen,
Er wacht den Abent und morgen
Uf die Zukunfft dieses baren'')
Des Dott er Hatt hart geschwaren.'')
Da Kham geritten enndtzellen^)
30. Truthwin mit seinen gesellen
Zu Strudt Hie auf Dieser fardt.
Da derselb bawr auch auf ihn wardt,
Er schoss den Clraffen vff dem Pferdt,
Das er zu Dodt Stürtzt vff die Erdt.
35. Die Stath der Graf auch mercket eben,
Dieweil er noch hat das Leben;
Er was dem geistlichen Leben holt,
Er schätzt silber, vnndt auch sein golt,
Schonaw ein Kloster vlF der Stadt
40. Stifft er, Da er durchschossen wardt.
Selig was dar Graffe^) Truthwin,
Den Heiligen Patron Sant Florin
Vber all sein güth, gült auch Renth
Irbt^) er in seinem letzten testament.
45. Mann Schreib Datum, sag ich fürwar,
Dausend Hundert, Zwantzig sex Jar,
Zur Verteidigung der von uns vorstehend versuchten Besserungen haben
wir nicht bloss darauf hinzuweisen, dass dieselben einen besseren Sinn herstellen
und dem Misstand abhelfen, dass vier Verse nicht einmal ordentlich durch
Assonanz reimen; wir meinen auch, durch den Umstand dazu berechtigt ge-
wesen zu sein, dass der hergebrachte Text nur auf späten Abschriften einer
Abschrift beruht, deren Schreiber sich entweder nicht mehr in das ältere Dcutbch
') Genitiv des hier zum erotcnmal im älteren Nhd. vorkommenden Wortes, Vergl.
Grimm, Deutsches Wbch. 2, 839 ; Weigand 1, 309. — ^) Gewöhnlicher Text: „Graffen"; bei
Schmeller-Frommann, Bayer. Wbch. Stuttg. und Tüb. 1872, 1, 253: „Was tat der hoch-
geborn bar, swen er daz wart gewar." Vergl. Graft", 3, 153; 2, 741. Grimm, Rechtsalter-
tümer 310. Deutsches Wbch. 1, 1139. Lexer 1, 126. — ^) Gewöhnlicher Text: „geschworen";
aber „geschwaren" s. Lexer, 2, 1363. — *) Wie bei Vogt, und i.st mhd. „enzelen" = einzeln;
die Lesart der Anderen „vnndt Zellen" ist einfach Unsinn; und die Annahme Widmanns
,, geritten und gezellen" d. h. „den Pass gegangen" ist darum unhaltbar, weil das Part, heissen
müsste: gezeltet, wenn überhaupt „zellen" für „zelten", ,,zclden", „zeltenen" vorkam Vergl.
Lexer 3, 1055. — ^) Widmann: „war das Graffen,'' was keinen Sinn gibt und gegen den
übrigen Gebrauch unseres Reimers ist, der immer „was'' für „war" sagt. Besser daher Vogt:
„was des Graffe." — '"') Nass. Mundart; erben = zum Erben einsetzen, s. Grimm, Deutsches
Wbch. 3, 71S, auch mhd., s. Lexer 1, 612.
118
finden konnte und daher nur den Sinn wiedergab oder Unsinn schrieb, oder
aber die schadhaft gewordene Schrift an der Wand (schadhaft vermutlich zu-
meist an den äusseren Rändern, welche die Reime enthielten,) nicht mehr zu
lesen vermochte und sich daher aufs Raten angewiesen sah. Stand doch die
Schrift, als Lösch^) 1590 sein: „Ist bis uf anno 1590 Da Schönaw gestifft
worden 464 Jar" unter die Abschrift setzte, ungefähr 80 Jahre^) schon an der
Wand, die wenige Jahre vor 1634 mit der Kirche einer Erneuerung benötigt war.')
Die Verantwortung wegen des tieferen Einschnittes in den Text, den wir mit
„Alpertus" vollziehen mussten, haben wir erst vorzubereiten mit der Beurteilung
des Inhaltes der Reime, zunächst mit der Wiederaufnahme der von Widmann
mit so grossem Geschick beinahe zum Abschluss geführten Untersuchung über
die Abfassung unserer Knüttelverse. Es wird uns das gleichzeitig xA.ufschluss
über den Zweck derselben bieten.
In dem von der „Rettung"*) beigebrachten Bruchstück aus den „Annalibus
Schönaugiensibus sub A. 1506" lesen wir von einem zwischen dem Manns-
und Frauenkloster über Waldbenutzung entstandenen ziemlich hitzigen Streit,
der eine „dieta pro huiusmodi rixa consopienda" nötig machte. Die Kloster-
frauen, angeführt von ihrer „Domna" aus gräflich uassauischem Blute und ge-
stützt auf die gräflichen „patronos suae usurpatae libertatis", brachten bei dieser
Gelegenheit vor, dass ihr Kloster vor dem Mannskloster gegründet worden sei
und ihnen deshalb die Vorherrschaft gebühre. Die Klosterbrüder aber ent-
gegneten, dass Trutwin auf ihrer Stätte getötet worden, die Versetzung der
Brüder von Lipporn nach dieser hierauf zufällig erfolgt, die Stiftung also keine
neue, sie darum die ersten auf dem Gebiet gewesen seien. Die vorgewiesenen
Exemplare der Gründungsschriftstücke machten nach langem Hin und Her dem
Streit zu Gunsten der Mönche ein Ende.^)
Nehmen wir zu dieser Nachricht die andere hinzu, dass um dieselbe Zeit
die Klosterkirche in Schönau umgebaut worden ist von dem am 14. Dez. 1510
verstorbenen Abte D. Joannes Schwelm"), so liegt nichts näher als anzunehmen,
dass von demselben Abte, der wohl auch der Reimschmied war, genau zwischen
1506 und 1510 die Verse an die Kirchenwand gekommen sein müssen zu einem
beständigen Zeugnisse für alle die Klosterkirche Besuchenden, dass dem Kloster
die Ehre der Trutwinstiftung gebühre. Es mussten eben Verse, und diese
mussten deutsch sein, und ein entsprechendes Gemälde musste zu ihrer augen-
scheinlichen Erläuterung dienen, dass allen Klosterbesuchern der dem Kloster
') Widmann 35. — -) Ebenda. — •') Ebenda 37. — ") S. 86 f. — ^) Der Wortlaut
i8t dieser: „Rursum frivole [moniales] objiciunt, forum Monasteriura (verius uutem Clausorium)
fundatura fuisse ante nostrum Monasterium, ideoque ad ipsas praedominationem respicere atque
concernere, nee recolentes, quod Druthwino lioc in loco necato sie translatio fratrum de Lipporn
liunc ad locum ex contingenria facta est, non autem fundatio nova, ergo eramus prius in isto
Territorio; sicque responsum est. Postremo ubi ne;^otium istud vitiosum ab utrisque partibus
aliquandiu vcntilatura fuerat, tandom productis iectiscjue copiis litterarum fundationis in palam
oniiiibus Monialium vel Xoiinaium tcmcrarius succubuit conatus." — Laut Du Cange-Henschel
2, bOO*" ist „coi)ia" exemplum acripti -p-iD-cotönoo aivc ori^'inalis, was hier um so näher liegt,
da die Mönche doch nur mit Üriginalschriften etwas beweisen konnten. — ^) Widmann 37
und Hu'.olinus, Germania top. cliron. stemmatograph. Aug. Vind. 1662. 2, ISO*".
110
so wichtige Thatbcstand für immer eingeprägt werde, — eiue Absicht, die so
gründlich, wie wir oben bereits andeuteten, erfüllt worden ist, dass noch heute
die Kunde davon im Volke lebt und diese nebenbei bemerkt eben jene sog.
Sage darstellt, der seit Wagner eine solche Wichtigkeit beigelegt worden ist'),
als sei sie ein selbständiges Erzeugnis geschehener Dinge neben den schrift-
lichen Berichten her.
Dürfen wir aber mit Fug das Bild- und Reimwerk an der Schönauer
Kirchenwand den Vorgänger der „Rettung" von 1753 nennen, so haben wir in
diesem nicht bloss den Ausdruck des ehrlichen Glaubens und Rechtsbewusstseins
des Klosters im Unterschied von seiner bewussten Zusatzdichtung zur Logende
Florins zu erkennen, sondern dürfen auch überzeugt sein, in ihm den Auszug
alles dessen vor uns zu haben, was das Kloster an ihm rechtskräftig erscheinenden
Beweisen für seine Gründung besass, mit anderen Worten, den Auszug aus dem
von ihm auf der Tagfahrt von 1506 vorgebrachten und vorgelesenen „copiis
litterarum fundationis", — ein Beleg, im Vorbeigang gesagt, dafür, dass nicht
der bekannte Sündenbock in diesen Dingen, der dreissigjährige Krieg, das
Klosterarchiv seiner wichtigsten Urkunden beraubt hat-), noch auch etwas von
ihnen zu Mainz sich finden kann.') Eine absichtliche Dichtung des Klosters
hierbei muss schon um deswillen ausgeschlossen erachtet werden, dass es von
allen auf der Tagfahrt anwesend Gewesenen, namentlich von den ihm auf den
Dienst lauernden Nonnen im Falle eigener Erfindungen des Betrugs geziehen
werden konnte.
Das vom Kloster Vorgebrachte scheidet sich nun aber deutlich in drei
Teile. Den einen mittleren Teil (V. 13 — 44) erkennen wir sofort als gereimte
Wiedergabe hauptsächlich des Endes der „miracula s. Florini in frantia gesta."
Die Zuthaten des Reimers beschränken sich lediglich auf unschuldige Aus-
schmückungen seiner Vorlage; sonst ist er von so sklavischer Treue gegen
diese, dass er z. B. selbst das „colligens" derselben mit^» schätzt" = sammelt*)
wiedergiebt.
Der andere oder Schlussteil, den wir hier vorausnehmen, weil wir seinen
Inhalt zur Erklärung des folgenden benützen müssen, wird von der Datums-
angabe gebildet und beruht offenbar auf einer im Kloster vorhanden gewesenen
älteren Aufzeichnung, sei diese auch nur über der Klosterpforte eingemcissclt
gedacht, da wir auch ausserhalb desselben auf deren Kenntnis stossen. So
hat der schon vorhin genannte Pfarrer M. Joh. Plebauus, der von 1606 — 1618
in dem benachbarten, Schonau unterstellten, Welterod amtierte, nach den Mit-
') Annal. 1, 2, 197, Vogel, Beschr. 287, Schliephakc 1, 100, "Widniftnn 31; ein
Jahrhundert aber vor ihnen schon Reinhard, Jurist, und bist, kleine Ausführungen. Giesseu
1747, 2, 105, wenigstens in Bezug auf die Burg „Lüpern". — Die schweizerische Herkunft der
,, Herrn von Lüppern" findet schon bei Schliephake genügende Beleuchtung. Docli liut dies
Roth nicht abgebalten, dieselbe frischweg aufs Neue zu behaupten. Visionen X.! Das Un-
geheuerlichste in dieser Richtung hat er indessen, nebenbei bemerkt, S. VIII geleistet, indem
er einen .,Mann Namens Tu(»to" mit unserem Tuto verkoppelt und diesen dann von 1089 — 1117 eine
so artige Geschichte mit Schaffliausen spielen lässt. da.ss man seinen Augen nicht traut. —
-) „Rettung" u. s. w. 325, Widmann 42. — •') „Rottung" 2, Anm. — ') Lcxcr 2, 673.
120
tcilungen Widnianns^) aus zweien seiner Berichte von 1613 und 1634 neben
dem wohl nur irrtümlichen Jahre 1121 zweimal das Jahr 1126 als Gründun jrs-
zeit Schönaus und wohl auch Todesjahr Trutwins bezeichnet. Seine Angabe
ist für uns um so bedeutsamer, als er unter dem „der evangelischen Lehre
zugethanenen Abte" Lorichius (f 1613) Gelegenheit genug gehabt haben wird,
sich genaue Kenntnisse aus dem Klosterwissen zu verschaffen. Ebenso be-
deutsam erweist sich die kurze Nachricht bei dem gleichzeitigen Textor^):
„Trudewin ist im Jahre 1126, da jetzt das Closter Schönaw ligt, erschlagen
worden."
Der dritte, in Wahrheit erste, Teil endlich enthält, wie V. 6.: „Bin ich
erfahren wohl durch ihre schrift"^) klärUch darthut, — wir können diese nüch-
terne Wahrheit den Schwärmern für die „Sagen und Lieder der nassauischen
Heldenzeit" seit Vogt^) nicht ersparen — den Auszug aus den noch heute
uns vorliegenden Urkunden nach der Deutung des Klosters, und eben deshalb
Wahrheit und Dichtung! Diese bereits von der „Rettung"') fehlerhaft abge-
druckten Urkunden sind: 1) die undatierte aus den Jahren zwischen 1102 und
1124, laut welcher „Tuto de Lurenburg advocatus lietprunin locum ipsum
in comitatu Ludu\ici situm cum omnibus bonis ad ecclesiam illam pertinentibus"
dem „Schafflmsensi monasterio" übergiebt, und 2) die vor dem 13. September^)
1132, in welcher Adelbert, Erzbischof von Mainz, bekundet, dass „Ruobertus
de Luorenburch", sein „cognatus", das „monasterium Sconoue in predio suo
fundatum" dem Erzstifte Mainz übergeben habe.
Aus der ersten erwächst uns zunächst „Dudo zu Lippurg" (V. 9). Aller-
dings „eyn seltzemDing", nur in anderem Sinne als dem des Bruders Versmacher,
wenn man erwägt, dass dieser klärlich den geschichtlichen „Tuto de Luren-
burg" aus einem Yogt der Kirche zu „Lietprunin" mit seinen Brüdern zum
Herrn von Lipporn macht, während doch Trutwin nach der Urkunde nur ein
„predium Lietprunin" d. h. eben dort besessen und der Kirche des Orts ge-
schenkt hatte, der Ort selbst aber so wenig Eigentum der Laurenburger war,
dass er noch 1361 als gemeinsamer Besitz der „Yierherrn" erscheint"), wie
Strüth und Welterod, allerdings nur in dem Sinne, dass die Vierherrn daselbst
bloss Gerichts- und Centherren waren, während Schönau das Hubengericht über
sie in späterer Zeit besass.^) Es kommt das aber offenbar aus demselben Miss-
verstand des Wortes „locus" der Urkunde her, den sich auch die , Rettung"^)
liat zu Schulden kommen lassen und den bereits Kremer'°) ausführlich klarzu-
stellen bemüht war, ohne dass freilich Roth sich davon abhalten liess, ihn zu
erneuern.^') Der gute Bruder verstand unter „locus" den Ort Lipporn selber,
') S. 36 f. — -) Naszawische Chronick. Herborn 1617, 56. — ■•) Mit richtigem Gefühl
hatte Widmann diesen Vers gesperrt drucken lassen, aber ,,ihre'' d. i. der Urkundenstellcr
,, Schrift" mi^skennend, S. 41 gemeint: „Demnach hatte der Sclireiber der deutschen Reime
noch eine andere Vorlage als die „Legende", d. h. überlieferte schriftliche Erzählung." —
*) Rhein. Gesch. und Sag. 2, 373. — ") Bcyl. I. und III. Kremer, IL, 151 f., 158 tf. (letztere
aus Gudeni, Cod. dipl. 1,76.) Schliephake 1, 196 f. und 198 f. Sauer, Nass. Urkb. 1, 127 f.
— *) „Nach Massgabe des Regierungsjahres des Königs," Sauer a. a. O. 127. — ') Annalen
23, 69. 83 f. — ") „Rettung'- 35 ff. und 45. — ') S. 5 f. — '") Orig. 1, 305. — "j Die
Visionen der hl. Elisabeth, IX.
121
der zu seiner Zeit freilich dem Kloster gehörte, während nur die Kirche mit
ihrem Zubehör von Gütern damit gemeint war, wie der Zusammenhang klar
ergiebt. Weil nun Tuto das ganze Dorf verschenken konnte nach des Yers-
kiinstlers Annahme, war er ihm auch Herr von Lipporn, und er ward bestärkt
in diesem Gedanken durch die angebliche frühere Burg daselbst, die nach den
bisher nur von dem Nichtfachmann Wagner untersuchten Resten einer Ring-
mauer^) aus Bruchstein und Lehm, der berühmten ^Burgschale" seit Reinhard^),
ohne jegliche Innenreste freilich nichts weniger als eine solche, vorsichtig ge-
sprochen, gewesen zu sein scheint, obgleich sie in dieser Eigenschaft die tapferste
Verteidigungsmannschaft von 1525^) an bis auf den heutigen Tag an einer
ganzen Reihe Geschichtschreibern gefunden hat.^) Doch nein, — warum nicht
endlich diese romantische Mannschaft zur Waffenstreckung zwingen? — nein,
nicht die angebliche Burg hat den Dichter geschaffen, sondern der Dichter
die schon sprachlich ganz unmögliche „Lippurg". Was keines „Sängers Fluch"
jemals niederzureissen gehabt hätte, einzig unseres Sängers kühner Flug baute
das „seltzem Ding, das man izundt nennt vff dem Rinck" zu einer Burg aus
und belebte es mit Rittern und Knechten, indes der nüchterne Sinn des Volkes
des Dichters „Azelln und Specht" in den Trümmern eines soviel richtiger von
ihm bezeichneten alten Volksbollwerks wohnen liess.'') Was aber nötigte den
Schönauer Mönch zu dieser völlig freien Dichtung seiner Phantasie? Offenbar
die Absicht, den Rechtszusammenhang zwischen der ehemaligen Propstei Lipporn
und der Abtei Schönau stillschweigend Ausdruck zu geben, da er es in der
für die Unterschrift unter einem Gemälde nötigen Kürze nicht rund brachte,
der Stiftung von Lipporn selbständig zu gedenken. Denn wunderbarer Weise
ist von dem, was diese „Drey brüder han gestifft" dem Dichter alles ausser der
Stiftung des einen Trutwin in der Feder stecken geblieben, wie denn der Zu-
sammenhang des Ganzen so sehr keiner ist, dass ein Abgrund gähnt zwischen
den zwei ersten, nur als Statisten aufgeführten Brüdern und dem letzten, dem
als eigentlichem Stifter der Löwenanteil am ganzen Schönauer Epos wird.
Kommen wir nun aber vor dem zweiten zu diesem letzten Bruder, um
den Zusammenhang mit der Urkunde zu wahren, aus der der Mönch seinen
Tuto nahm. Dort ist freilich von keinem Bruder Trutwin die Rede und wenn
unsere Geschichtschreiber recht hätten, so wäre das auch eine Unmöglichkeic.
Denn ihnen ist es ein Trutwin des 10. Jahrhunderts, Vogels „Drutwin L", eben
') Von der jetzt aber nichts mehr vorhanden ist. Vergl. Lotz-Schneider, Die Bau-
denkmäler des Reg.-Bez. Wiesbaden. Berlin 1890, 299. — ^) Jur. und hist. kl. Ausf. 2, 105.
— •^) S, die wundersamen Dokumente über die Herren von Löpern etc., die auch Textor so
treuherzig wiedergiebt, bei Orlers, La genealogie des illustres comtes de Xassav. Leyden 1615,
fol. 8. 2 if. — *) Textor 32. Tolner, Historia Palatina, Frankf. a/M, 1700, 183. Reinhard
a. a. 0. Vogel, Beschr. 287. Schliephake 1, 98 tl'. Widniann 33. — ') Der Gemarkungs-
name „Ring" findet sich nach Kehre in 3, 528 auch im Gebiete des benachbarten Welterodi
wie in dem von Blessenbach bei Runkel. Xacli Grimm, Deutsclies Wbch. 7, 990 wird das
Wort von Erdwällen gebraucht, bei Fürs temann, Die deutsch. Ortsnamen. Nördlingen 1863,
2, 770 kommt es in der Bedeutung von Befestigungswerk, bei Bück, Oberdeutsches Fhir-
iiamenhucli, Stuttg. 1880, S. 219 als runder Hügel, auch Ringmauer vor. Letzterer Name
findet sich viellTdtig im Nassauischen, vergl. Kehre in a. u. 0. 502.
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der, den die Schönaucr Zugabe zur Florinlegcnde zu nennen scheint. Nur hat
sich dann das Merkwürdige zugetragen, dass Tuto von Lurenburg, der Mann
des 12. Jahrhunderts, indem er die Propstei Lipporn für seine Seele und die
seiner „parentum", „Precipui trutwini" stiftet, einem Vorfahren das Denkmal
gesetzt haben so'l, welches dieser nach der Legende 200 Jahre lang vergeblich
gewünscht hatte! Hier aber haben wir nun eine wirkhche Hilfe an unserem
Schönauer Barden. Wir empfangen von ihm nämlich einen dreifachen Auf-
schluss über das uns "Wissenswerte, der als die amtliche Auffassung des Klosters
seiner Zeit mit einiger Sicherheit die Überlieferung des Klosters überhaupt
darstellen wird. Aus den bereits besprochenen Schlussversen des Gedichtes
zunächst: „Mann Schreib Datum, sag ich fürwar, Dausend Hundert, Zwanzig
sex Jar", gewinnen wir die Gewissheit, dass das Kloster seine lateinische Grüud-
ungslegende, unbekümmert um die groben Zeitverstösse ihres Verfassers in's
12. Jahrhundert verlegt, wie nach unserer Beweisführung oben der Verfasser
schliesslich selber; Trutwin also diesem Jahrhundert angehört, ja wo möglich
in dem bezeichneten Jahre gefallen sein soll. Sodann wird unter dieser Vor-
aussetzung klar, dass das Kloster in den „parentes'^ der Urkunde genau das
sieht, was Du Cange-HenscheP) von „parens" als „sanguine proximus,
agnatus, cognatus" schreibt, die Blutsverwandten; mithin der siegesgewisse Schluss
Vogels^), der an Schliephake^) einen so warmen Lobredner und an Widmann*)
und Koth^) bis heute so treue Gläubige gefunden hat, der Schluss: „In einer
Urkunde, die zwischen 1102 und 1124 abgefasst ist, zählt Dudo IV. von Lauren-
burg, Vogt von Lichtborn, den Drutwin, der die Kirche von Lichtborn gestiftet
und dieser Stiftung sein praedium daselbst von seinem Patrimonialgut zugewandt,
ausdrücklich unter seine Vorälter n, von welchen er diesen allein anführet
und für dessen Seelenheil vorzugsweise sorgt. Dadurch stehet die Sache über
allem Zweifel da!' — als leere Seifenblase zerrinnt und Trutwin als Zeitgenosse
Tuto's erscheint, der sogar zur Zeit der Gründung des Klosters Lipporn noch
am Leben war. Denn so fasste offenbar der Mönch mit seinem Kloster die
Stelle des Tuto'schen Stiftungsbriefes auf, wo es von Trutwin heisst: „qui de
suo patrimonio istud predium Lietprunnin quasi deo decimam optulit in sacri-
ficium", da in der oben mitgeteilten Stelle aus den „Annalibus Schönaugiensibus"
ausdrücklich gesagt wird: „Quod Druthwino hoc in loco necato sie translatio
fratrum de Lipporn hunc ad locum ex contingentia facta est", was sich durch-
aus deckt mit dem von Plebanus^) erhaltenen Berichte: „Sic olim legi in anti-
quo manuscripto^) : monasterium S. Florini in Sconaugia Treverensis Dioecesis
fundatum est a Drutwino Comite de Lurenburg Ordinis S. Benedicti^) in pro-
') 5, 94'. — *) Beschr. 288. — ^) 1, 96. Von dem Ursprünge des Hauses Nassau.
WIcsb. 1857, 54. — *) Annal. 18, 33. 43. — ^) Die Visionen VIII. — «) Widmann 37. —
') In welciiem wir aber nicht, wie Widmann, die die Legende enthaltende, sondern eine
andere Han<lschr. mit Aufzeiclmungcu aus der Klostergoschichte selien, da die Logende nichts
von dem Hoclialtarc^ als Bezeiclinung dr'S Todesortes Trutwins erzählt. Allerhöchstens dürfte
an eine andere Rezension derselben gedaclit werden. — "J Dass dadurch Trutwin als Bene-
diktiner bezeichnet sein solle, wie Widmann halbwegs annehmen möchte, ist doch wohl durch
die Bezeichnung „comes" ausgeschlossen. ,, Ordinis S. Benedicti" gehurt olTenbar zu „mona-
sterium.''
123
priü fiindo, qui vulncrahis in loco ubi sunimum altarc stat, satis dutavit locum,
translato Prioratu de Lipporn fecit abbatiaml" — Dass aber Trutwin auch Bruder
Tuto's war, das folgt unserem Mönche, wenn er es nicht aus der Überlieferung
des Klosters hatte, aus der Stelle der Urkunde, wo es heisst: „si ego [Tuto]
vel aliquis de proxima consangwinitatis linea succedens advocatus." In der
nächsten Linie^) liegt für Tuto der Sohn oder Neffe, in der gegenwärtigen also
der Bruder.
Nun erst kommen wir zu dem dritten angeblichen Bruder, den der über-
lieferte Text „Rupertus" nennt, wir aber Albertus oder Alpertus lesen zu müssen
meinen. Es führt uns das zu der oben angezogenen Urkunde von 11-32, in
welcher die beiden Namen vorkommen: „comes Ruobertus de Luorenburch" und
„Adelbertus Dei gratia Moguntinus Archiepiscopus et Apostolice sedis Legatus."
Indem wir aber diese Urkunde allein massgebend sein lassen, brechen wir gleich-
zeitig den Stab über den Versuch Vogels und seiner Nachfolger, den Rupertus
des überlieferten Textes als wirklichen Erzbischof von Mainz nachweisen zu
wollen, wenn dies überhaupt noch möglich wäre, nachdem es der Text und
die Geschichte schon längst besorgt haben. Der Text, indem er mit seinem
ausdrücklichen Jahre 1132 keinen Mainzischen Erzbischof des 10. Jahrhunderts
meinen konnte. Die Geschichte, indem sie berichtet, dass jener Erzbischof
Ruprecht von Mainz von 970 — 975 kein Nassauer, sondern ein Sachse war.^)
Ob nun aber auch „Rupertus verstehent mich auch recht. Ein Bischoff zu
Meintz vundt Gottes Knecht" fallen muss ? Wir geben zu erwägen, dass unsere
Urkunde von 1132 das Kloster Schönau dem Mainzer Stuhl, bezw. dem hl. Martin,
d. h. dem Mainzer Dom übergiebt, dass Schönau nach ihr gehalten war, das
Jahrgedächtnis der Ordination wie des Todes der Mainzer Erzbischöfe zu feiern,
und alljährlich „in festo beati Martini" ein reines Sakramenttuch'') auf den
Altar der Domkirche „in meraoriam et argumentum quod eins coenobium de patri-
') „Linie (linea) heisst die fortlaufende Reihe der Abstammenden," Wetzer und Weite,
Kirchenlexikon, Freiburg 1856, 12, 1227. — ^) Damit dieser Irrtum ein für allemal aus der
nass. Geschichte ausgerottet werde, bemerken wir hier ausdrücklich, dass Vogel, Beschr. 286,
Anm. 2 sich eines schweren Versehens schuldig macht, wenn er als Beleg zu seiner im Text
angeführten Behauptung schreibt: „Joannis SS. Rer. Mogunt. 1, 447, wo aber über seine
[Ruprechts] Herkunft nur Mutmassungen mitgeteilt werden, die ihn für einen Sachsen, aber
auch für einen Lothringer ausgeben." Joannis sagt 1, 447, 2 von Rupertus: „Illustri apud
Saxones genere natum fuisse, chronicon tradit magdeburgense mscr.: Quo [Hattone] post annum
subtracto successit Rotbertus, ex nobilissimo Saxonum, sicut adhuc perspiouum est in his, «jui
ex eius genere descendcrunt, et primus inter principes regni". S. 448 dagegen widerlegt er
den dritten Irrtum des Compilators des „Mscr. minoris" mit den Worten: „Tertiura fuisse Rupertum
hunc e Lotharingiae Ducibus, cuius multae, inquit idem ms., in Spanheim hodie monstrantur
reliquiae. At permiscet compilator hie S. Rupertum, cuius vitam Hb. II dedi, cum Arohiepi-
scopo hoc Ruperto nostro, ut ex illa ipsa vita, in qua etiam anno aetatis suae XX. mortuus
scribitur, darum est et ex iis, quao de illo Sancto plura sparsit in Spanheimensi cronico Tri-
themius" etc. Trotzdem kann noch Schliephake 1, 98 schreiben: „Den Erzstuhl zu Mainz
hatte ein Ruprecht, über dessen Herkunft man lange im Unklaren gewesen ist, in den Jahren
von 970—975 inne"!! — ^) „mundum corporale", „nämlich ein Tucli, das mit Beziehung
auf Luc. 23, 53 von Leinwand ist und daher, weil der hl. Leib (Corpus) darauf gelegt wird,
Corporale heisst", Wetzor und Weite 2, 880 f.
124
monio sit Beati Martini"') zu liefern. Sollte unter diesen Umständen wohl
denkbar sein, dass Schönau die „series archiepiscoporum moguntinorum" unbe-
kannt o-ewesen sei? Noch mehr, die nassauischen Klöster hatten doch wohl
alle wegen ihrer örthchen Nähe Kunde von ihrer gegenseitigen Gründung; und
da sollte es Schönau, dem Mainzischen Kloster, wenn schon im Trierer Sprengel,
aus dem Gedächtnis gekommen sein, dass ein Jahr vor seiner Übergabe an
Mainz dessen Erzbischof Albertus senior das Kloster Eberbach gestiftet hatte^);
derselbe Erzbischof, unter dem auch Norbert geblüht, der gewissermassen geistige
Stifter des 1139 gegründeten nahen Praemonstratenserklosters Arnstein!^) Aber
abo-esehen von diesem allem, war angesichts der vom Kloster als Fundations-
brief erachteten Urkunde von 1132 die Nennung eines Rupertus als Mainzischen
Erzbischofs in einer öffentlichen und bleibenden Kundgabe, wie dem Gedicht
der Kirchenwand, rein unmöglich, wenn die Mönche sich nicht — wir sprachen
schon oben davon — der Gefahr aussetzen wollten, einer offenbaren Fälschung
bezichtio-t zu werden. Es erscheint demnach als zwingende Notwendigkeit, den
überlieferten Rupertus des Gedichtes als einen Irrtum des Abschreibers fallen
zu lassen. Liegt es doch gar nicht ferne bei der Ähnlichkeit des jedenfalls
nach Gewohnheit der Zeit gotisch geschriebenen „Ru-" und etwa ^All-" ein
Versehen anzunehmen, wenn man nicht will, dass der Abschreiber etwa nur
noch ein „pertus" oder „bertus* als Rest des Wortes vorfand und nach seinem
Gutdünken ergänzte.
Müssen wir aber den des Versfusses wegen zum Albertus gemachten
Adelbertus'^) der Urkunde an Stelle des herkömmlichen , Rupertus* setzen, so
frafft es sich nur, wie konnte unser Versmacher diesen für einen Bruder Tutos
oder Trutwins ansehen, da doch „Adelbertus I. sive Albertus I. aut senior",
wie ihn Joannis aufführt'^), ein Graf von Sarbrücken war? Wir meinen ein-
fach infolge eines Schlusses aus dem ,cognatus noster", als welchen Erz-
bischof Adelbert den Grafen ,Ruobertus de Luorenburch" in der Urkunde be-
zeichnet. Nun ist freilich „cognatus" zunächst dem Lateiner nur der Bluts-
verwandte im allgemeinen, aber dem Mittelalter Übersetzung von ^neve", was
ebensogut den Schwester- und Brudersohn, wie selbst den Oheim und danach
allgemein den Verwandten, den Vetter bezeichnen kann.'') Bezeichnender Weise
steht darum über einem Briefe des Schönauer Abtes Symon, der in demselben
von Elisabeth als seiner Muhme (matertera) redet: „Incipit epistola Symonis
') Diese Bedingungen fehlen freilich in den beglaubigten Abschriften der Urk., welche
Nassau in dorn Streite mit Schünau vorlegte, wie schon Kremer 2, 161 bemerkt und Sauer,
Xass. Urkb. 1, 127 wiederholt; aber freilich nicht mit Recht, wie denn die Behandlung Schönaus
seitens Nassaus nicht eben die säuberlichste zu nennen sein wird. — ^) Joannis, Rer. Mogunt.
1, .546. Zais, Beitrüge zur Geschichte des Erzstifts Mainz. Wiesbaden 1880, 6. Widmann,
Die Erbacher Chronik des Mainz. Erzstiftes in „Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsch.
Geschichtskunde.'* Hannover 1888, 13, 133. — ^) Vita Ludovici bei Kremer 2, 367. Joannis
1, .541. — *) Förstcmann, Altdeutsches Namenbuch 1, 140 — 142 bietet aus der ahd, Zeit
unter anderen folgende Varianten des Namens: Adalberecht, Athall)raht, Adalbert, Adelbrecht,
Adelport, Alprecht, Albert; nhd. Albert, Albrecht, Allepracht, und als Vorname Adalbert. —
Die vorhin angezogenen Mainzer Chroniken nennen unseren Adelhertus nur Alliertus. — ■') 1, 533.
— "J Lexor 2, Dl; luicli ahd. novo ^ nepos, subriuus, cognatus Gruff 2, 1052.
i2r>
cognati beate Elizabeth de Sconaugia cenobio de ipsa bcata Elizabeth I"M Was
hinderte also dou Schüuauer Münch, aus ,C()gnatu3'* einen wirklichen Neffen zu
machen? Lag es ihm doch nahe, so am besten die auffällige Übergabe eines
Trierischen Klosters in Mainzische Hände zu deuten. Über die wirklichen Ver-
wandtschaftsverhältnisse geben ja die Erzbischofsverzeichnisse keine Auskunft.
Und es ist auch bis heute nicht einmal versucht worden, den Grad der Ver-
wandtschaft zwischen Erzbischof Adelbert und dem Grafen Ruprecht von Lau-
renburg festzustellen.^) Ist aber Adelbert Oheim Ruprechts für den Schönauer,
dann hat er auch ein Recht, ihn den Bruder Trutwins und Tutos sein zu lassen.
Damit scheint uns der Würdigung der Quellen der sogenannten Schönauer
Sage Genüge geschehen, und wir haben wohl nach allem Vorgebrachten die
Erlaubnis zu erklären, dass fürder das Recht, noch von dieser ^Sage" zu reden,
verwirkt ist. Was als Sage seither gefasst werden wollte, hat sich uns teils
als absichtliche und dazu recht plumpe Dichtung, teils als verkehrte Schluss-
folgerung aus geschichtlichen Thatsachen entlarvt. Nach Abzug beider ergiebt
sich nur folgender geschichtlicher Rest: 1. Trutwins gewaltsamer Tod, 2. sein
Bruderverhältnis zu Tuto, 3. seine Beziehung zur Klostergründung. Weiteres
wird sich später ergeben. Und es ist nun unsere Aufgabe, an der Hand der
Geschichte diesen Rest zu bestätigen, indem wir gleichzeitig nachweisen, warum
man zur Dichtung oder deutlicher Geschichtsfälschung griff und darum nachher
falsche Schlüsse ziehen musste.
Damit treten wir in den zweiten Teil unserer t^ntersuchung ein, in welchem
wir den Ausgangspunkt von einer anderen Gründung dieser Zeit nehmen müssen,
die äusserhch besehen nichts mit der von Schönau gemein zu haben scheint,
von der der Burg Nassau. Die Notwendigkeit für diese scheinbare Abirrung
wird sich indes alsbald ergeben.
Wir erfahren aus der Randbemerkung auf einer alten Abschrift des
nassauischen Teilungsbriefes vom Jahre 1255, dass das „Castrum de Nassau er-
bawet an. 1101" ist.") Wer die Erbauer gewesen, wird nicht gesagt; wir gelangen
gleichwohl, mit Hilfe zweier Urkunden, zur sicheren Kunde ihrer Namen. Die
erste vom Jahre 1159'*), die den Lehnsvertrag zwischen Erzbischof Hillin und
') S. bei Roth, Die Visionen etc. 154. — ■) Auch Schliephake 1, 137 Anm. und 168
begnügt sich mit der Urkundenangabe „Cognat" ; unsere Ermittelung s, unten. — ^) Reinhard
a. a. O. 2, 151. Schliephake 1, 161. Diese Angabe beruht freilich auf falscher Lesung.
Die richtige lautet nach des letzteren „Zusätzen" 1, 485: .,Castrum in Nassau erbawt Ao. 1001.«
Indes diese stellt sich als offenbarer Schreibfehler dar, wie Schliephake treffend nachweist.
Richtig, wenn freilich wohl nur annähernd, kann einzig 1101 sein und der Schreibfehler rülirt
vermutlich daher, dass sein Schreiber ein MC vor Augen hatte, das er in Gedanken zu 1001
umsetzte, statt die runde Zahl 1100 zu sclireiben, die als die ungefähre die entsprechendste
sein wird. Es ist deshalb vollkommen angemessen, dass Schliephake die falsche Lesart als
die annähernd richtige Angabe aufrecht erhält, wie wir hier. Denn für sie zeugen die Ur-
kunden von 1159, deren Besprechung 1, 182 tf. wir nur beizufügen haben, dass die doppelte
Darstellung der Sachlage einen eigentümlichen Zuwachs erhält durch die Worte des päpst-
liclien Schreibens von 1154: „bona eorum de Castro Xassow et circum positis locis — — vio-
lenter detinere prosumunt". — *) Schannat, Historia wormat. 2, 78 tf. Reinhard 2, 175 ff,
v. Hontheim, Hiatoria trevirensis'dipiom. 1, 585 ff Schliephake 1, 200 tf. S. 184 ff. Daselbst
120
dem Hause Laurenburg wegen Burg und Hofgut Nassau enthält, berichtet, dass
die „predecessores ruoberti et arnoldi de Lurenburch" auf dem der Wormser
Domkirche gehörigen Gebiete die Burg, aller Einsprache derselben ungeachtet,
erbaut haben. Die andere, der Drohbrief des Papstes Anastasius vom Jahr 1154^),
meldet, dass der Vater der genannten beiden Grafen, einer der ^predecessores",
deswegen in den Bann gethan worden und darin jählings verstorben sei. Nun
wissen wir aus der Lebensgeschichte des Grafen Ludwig von Arnstein^), dass
,Rupertus et Arnoldus" Söhne des mit der vierten von den sieben Arnsteiner
gräflichen Schwestern vermählten ungenannten Nassauers waren. Anderseits
hat sich uns aus dem oben gemeldeten Wissen der Schönauer des angehenden
16. Jahrhunderts ergeben, dass Graf Ruprecht ein Neffe des Grafen Tuto und
dieser ein Bruder Trutwin's war. Trutwin ist also ohne Zweifel Vater Ruprechts
und Arnolds, wie ihrer Schwester Demudis; ob mit Tuto auch der „predecessor"
beider, werden wir weiter unten sehen. Zu dem gleichen Ergebnis ist nun
zwar auch Vogel^) mit seinem Nachfolger Schliephake^) auf dem Wege blosser
Vermutung gekommen. Nichtsdestoweniger aber hat der von uns soeben er-
. schlossene Trutwin samt seinem Bruder nichts zu schaffen mit Vogels „Drut-
win IV." und „Dudo IV.", denn der von ihm für beide aufgerufene Eintrag
des „Liber Tradit. Blidenstat." vom Jahr 1076^) kann unsere gräflichen Brüder
unmöglich meinen. Es ergiebt sich das aus einem Vergleich mit dem Lebens-
alter der uns bekannten Arnsteinischen Zeitgenossen beider.
Da ist vor allem Trutwin's Schwager, Graf Ludwig II. von Arnstein. Von
ihm berichtet die lateinische Lebensbeschreibung seines Sohnes, dass er bei
dessen Eintritt in die Jünglingsjahre gestorben sei; wobei bemerkt wird, dass
er „ex hoc mundi naufragio brevis hospes evasit", also eines frühen Todes
verstarb. Die deutsche Übersetzung dagegen behauptet in ihrer einzigen be-
deutenderen sachlichen Abweichung von der lateinischen Vorlage, dass der Sohn
beim Tode des Vaters drei Jahre alt gewesen sei.^ Da letztere Nachricht
wegen ihrer Bestimmtheit auf genauerem Wissen des Übersetzers zu beruhen
scheint, und überdies zu dem frühen Tode Ludwigs H. besser stimmt, so haben
wir Ursache sie gelten zu lassen. Weil nun „nach einer Bemerkung aus dem
Arnsteiner Kloster Ludwig III. im Jahre 1109 geboren sein soll" ^), so darf
man das Ableben seines Vaters ins Jahr 1112 setzen. Der Todestag ist sicher
der 28. Mai.**) Sein Geburtsjahr wird demnach 30—40 Jahre zuvor, also frühestens
zwischen 1072 und 1082 anzusetzen sein, zumal wir seinen Unterschriften unter
wird die Abweichung unserer Urkunde von den gleichzeitigen der Wormser Kirche genügend
gewürdigt, so dass wir sie hier ausser Betracht lassen dürfen. Für 1159 8. Schlieph. 1, 190.
') Hennea, Geschichte der Grafen von Nassau. Köln 1843; 1, 223. Vogel, Beschr.
300. — '^) Widmann, Ann. 18, 247. Kremer 2, 363. — ^) Beschr. 296. — ^) 1, 155—161.
— '•) Beschr. 292, Anm. 6. Sauer 1, 55. Schon Schliephakel, 159 Anm. hatte dies er-
kennen können, wenn er seinem Argwohn gegen Vogels Annahme weiteren Raum gegeben
hätte. — ") Widmann, Die Lebensbeschr. des Grafen Ludw. III. von Arnstein. Annal. 18,
248 und desselben „Nass. Clironisten des ^Mittelalters." Wiesb. 1882, 19. Vergl. Schliep-
hake 1, 158 f. Vogel, Beschr. 201. — ') Schliephake 1, 1.59. — *') Becker, Das Necro-
iogium der vormaligen Praemonstratenser-Abtei Arnstein u. d. Lahn. Wiesbaden 1881. Annal.
17, llß.
127
Urkunden noch zwischen 1105 und 1108 begegnen.') Nun wird er ausserdem
im Leben seines Sohnes der Yersorger seiner sieben Schwestern genaunt'-'j, wird
also nicht wohl der Jüngstgeborene des Hauses gewesen sein und schon darum
kaum an Jahren verschieden von seinem vierten Schwager, Trutwin von Lauren-
burg, da uns dieser nicht als Witwer genannt wird. Wir haben demnach
auch des ersteren Geburt nicht vor 1072 anzusetzen, und die des jüngeren Bruders
Tuto selbstverständlich noch später.
In annähernd dieselbe Zeit ist die Gemahlin Ludwigs II., ITdilhildis, zu
rücken. Der Lebensbeschreiber ihres Sohnes berichtet, dass sie , longo post
conversionem filii"^) gestorben sei. Mönch wurde dieser aber 1139.*) Da sie
sich auf ihre väterliche Burg Odenkirchen an der Niers im heutigen Kreis
Düsseldorf zurückgezogen hatte, und in dem dem jetzigen vorangehenden Dome
zu Köln beerdigt wurde, so vermutet Fischer^) nicht mit Unrecht, dass ihr
Tod erst nach 1151 erfolgt sein möge, weil zu dieser Zeit erst Erzbischof
Arnold IL, der das ,castellum Odenkirchen" für Köln erworben, auf den Erz-
stuhl gelangt sei. Wenn Fischer hinzusetzt: ,Sie muss aber auch so gar alt
noch nicht gewesen sein, weil sie über einer besonders für eine Dame beschwer-
lichen Feldarbeit und zwar die sie noch zur Abendzeit verrichtet hat, krank
geworden und daran nachher gestorben ist'^), — so ist das jedenfalls und erst
recht für eine mittelalterliche Frau zuviel gesagt. Ihr Erkranken und Sterben
erklärt sich vielmehr soviel besser, wenn wir sie zu dieser Zeit in der Nähe
ihres siebenten Jahrzehntes denken. Dies ihr Alter, dürfen wir aber gleich hier
hinzusetzen, ist nicht bloss zur ungefähren Bestimmung desjenigen Trutwins
dienlich, sondern noch vielmehr massgebend für die Lebensdauer der ihr un-
geßihr gleichalterig zu setzenden Gemahlin desselben, welche als die Mutter
Ruprechts und Arnolds in dem päpstlichen Drohbriefe nur mit dem Anfangs-
buchstaben ^B." bezeichnet wird, die wir aber in der ebenfalls schon genannten
Urkunde 1159, wie später entgegen den Behauptungen von Bro wer bis Schliep-
hake erhärtet werden soll, Beatrix genannt finden, und demnach als hohe
Siebenzigerin zu dieser Zeit annehmen dürfen.
Nicht minder bestimmender Art ist die uns ganz genau bekannte Lebenszeit
Ludwigs III. Denn von diesem wissen wir, wie oben bemerkt, dass er 1109
geboren ist; aus seiner Lebensbeschreibung aber erhellt, dass er 1185^), mit-
hin als 76jähriger, starb. Wie könnte also sein Oheim Trutwin 109 Jahre
') Vogel, Beschr. 200. — -) Widmann a, a. 0. 247. Kremer 2, 362. — ') Wid-
mann a. a. 0. 249. Kremer 2, 364. — *) Ebenda 254. Krem er 2, 369. — *) Geschlochts-
register der uralten deutschen reichsstündigen Häuser Isenburg, Wied und Runkel. Mannh.
1775, 33 und 69. Reck, Gesch. der grüfl. und fiirstl. Häuser Isenburg, Runkel, Wied. Weim.
1825, 42 lüsst Udilhild Odenkirchen an das Erzstift vermachen. Dazu bietet aber die auch
von Fischer benutzte Nachricht bei Gelenius, De admiranda sacra et civili magnitudine
Coloniae, Col. 1645, 95 keinen Auhalt. Dasselbe erzählt auch Schliephake 1, 210 ohne
Nennung seiner Quellen Fischer und Reck. — ") Vita Ludovici (Widmann 249; Kremer
2, 364) : ,, Mater vero longo post conversionem filii tempore vivens cum originariam terra (?)
particulam mundi curvaret ad vesperam, in predio suo, quod Udinkirchin dicitur, tertio nonas
Julii diem clausit extremum, et in ecclesia maiori Colonie requiescit." — ') Widmann a. a. O.
265. Kremer 2, 378.
128
zuvor Jas Begräbuis seines Vaters in Bleidenstadt besorgt haben '? Zugleich
aber wollen wir schon hier festhalten, dass Ruprecht und Arnold im ungefähren
Alter dieses ihres Geschwisterkiudsvetters Ludwig III. gestanden haben müssen.
Das einzige, was uns bei diesen Zeitansätzen beirren könnte, wäre eine
Urkunde von 1093, in welcher der Bruder Trutwins, Tuto, als „comes de Luren-
burg"') erscheinen soll. Ist nämlich unsere seitherige Rechnung richtig, so könnte
Tuto bei dieser Gelegenheit kaum 18— 20jährig gewesen sein. Nun giebt es
ja freilich noch jüngere Zeugen. In einer Urkunde des Bischofs Heinrich von
Lüttich vom Jahr 1151-) stehen nebeneinander: „Henricus et Gerardus et fili-
olus domini Ilenrici." Aber hier handelt es sich auch um Familiendinge und
die Genannten gelten nicht sowohl als Zeugen, denn als anwesend Bezeugte.
Die 13 namhaft gemachten Zeugen der in Rede stehenden Urkunde von
1093 aber können wir, Tuto allein ausgenommen, mit einiger Sicherheit um
eine ganze Generation älter als diesen vermeintlichen Bruder Trutwins nach-
weisen.^) Wie sollte also ein so junger Mann in den Kreis der älteren gekommen
sein? Da liegt es doch weit näher, an den Vater der Brüder Trutwin und
Tuto zu denken, den wir dann an die Stelle des angeblichen, im Jahre 107G
irestorbenen Tuto setzen und als den nachweisbar ältesten Ahnherrn des
nassauischen Hauses ansehen müssen. Mit ihm hätten wir alsdann auch
einen weiteren „predecessor" gewonnen und könnten des Bruders Tuto als eines
solchen entraten, was schon der mittelalterlichen Bedeutung dieses Wortes wegen
sich empfiehlt.*) Es wäre damit gleichfalls der Vater Tuto als Anfänger des
Nassauer Burgbaues zu betrachten, aber vor Vollendung desselben gestorben,
noch unbehelligt von der kirchlichen Ahndung, die erst Trutwin, als ältester
') V. Hontbeim a. a. 0. 1, 442, besser Act. Pal. 3, 121 ff., vergl. Fischer, Urkb.
38 f. — '-) Krem er 2, 171. — ^) Der Aussteller der Urkunde, Pfalzgraf Heinrich, 1045 zu
seiner Würde erhoben, stirbt zwei Jahre darnach 1093 (Tolner 275. 279); Herzog Heinrich
von Limburg stirbt 1218 fv Hontheim 1, 442, Anm. e) ; Graf Wilhelm von Lützelburg,
cognatus des Pfalzgrafen, 1128 (daselbst); die Grafen von Arlo, Walram und Fulko oder Volko
sind nach der „Domus ardennensis tabula genealogica I." in Joh. Martin Kremer, Genealog.
Gesch. des alten ardennischen Gesclilechts. Frankf. und Leipz. 1785 um zwei Menschenalter
früher als Trutwin und Tuto. Graf Hermann von Virneburg weiss ich nur von 1093 und 1102
nachzuweisen aus den beiden Urkunden in den Acta Palat. 3, 123 und 126. Von den Brüdern
Meffried von Wied und Richwin von Kempenich ist ersterer zwischen 1093 und 1129, der
letztere zwischen demselben Jahre und 1112 bezeugt, Reck a. a. O. 33 S. und 1. Tafel,
Fischer a, a. 0. 62 f.). Burchard und Heinricli von Ulbucke erscheinen ebenfalls zwischen
1093 und etwa 1112 (Fischer 63 f.). Reimbold von Isenburg kommt 1073 bis 1119 in Ur-
kunden vor (Fischer tab. II und S. 105 f.); Volkhold von Brule endlich zwischen 1093 und
1112, zu welcher Zeit schon ein Sohn mit ihm Zeuge ist (Acta Pal. 3, 123 und 126). Auch
(las darf nicht übersehen werden, dass ,,Dudo comes de Lurenburg" in der die Stiftung von
Laacli bestätigenden Urkunde von 1112 fehlt mit Heinricus dux de Limburg, Wilhelmus comes
de Lutzellenburg, Walramus et Volco comites de Arlo und Renboldus de Isenbur<;h. Auf seinen
Toil /.u der Zeit ohne weiteres zu schliessen, ist allerdings nicht erlaubt, da, wie eben nach-
gewiesen, von den soeben Mitgenannten mehrere noch am Leben waren. Nur von dem bei beiden
Urkunden noch thätigen Pfalzgrafen Sigfried wissen wir, dass er am 9. März 1113 seinen in
der Sclilacht bei Warnsted erhaltenen Wunden erlag, Goerz, >Iittelrh. Regesten 1, 463. —
*) Du Cange-Henschel 5, 397": „Praedecessor familiae dicitur de majuribus, qui praecesserunt,
in gestis Tancredi apud Martene tom. 3. Anecd. col. 111."
129
Sohn auf sich zog oder, was nach der päpstlichen Bedrohung von dessen beiden
Söhnen Ruprecht und Arnold noch glaubhafter erscheint, als alleiniger Vollender
des Baues. Bruder Tuto hätte dann als der kirchlichere bei Seite gestanden,
wie sein kirchlicher Sinn ja durch die Gründung des Klosters Lipporn genugsam
beleuchtet ist und wir späterhin noch glaublicher machen werden.
Das genüge zur Klarstellung der Lebenszeit der uns beschäftigenden Er-
bauer der Burg Nassau und ihrer nächsten Angehörigen, um nun den verhäng-
nisvollen Folgen des Burgbaues unsere Betrachtung zuzuwenden. Auffälligerweise
ist das bis jetzt noch von niemand versucht worden, so dringend nahe es auch
gelegen hätte. Man glaubte vielmehr alles gethan zu haben, wenn man die
seit 1842 durch Auffindung des oben berührten Drohbriefes des Papstes Ana-
stasius bekannt gewordene Thatsache feststellte, dass Trutwin wegen seines
Burgbaues auf dem von der Worraser Hauptkirche als Eigentum beanspruchten
Grund und Boden in den Bann gethan worden sei. Und doch ist gerade dieser
Bann die Angel, um die sich die ganze uns hier vorliegende Geschichte dreht.
Erwägen wir also zunächst die Bedeutung eines Bannes im Rahmen mittel-
alterlicher Weltanschauung. Wenn nach dem päpstlichen Briefe von 1154 der
Vater der Grafen Arnold und Robert, ,uinculo excommunicationis astrictus"
genannt wird, so bedeutet das, dass er nicht etwa mit dem sogenannten kleinen
Bann, der „excommunicatio minor", belegt worden war, der nur von den Sakra-
menten und der Wählbarkeit zu einem Kirchenamte ausschloss^), und der über-
dies bloss wegen Umgangs mit einem Gebannten verhängt wurde-), sondern
dass er im grossen Bann, der „excommunicatio major" des kanonischen Straf-
rechts, stand. Denn es heisst in der Anrede an den Trierer Erzbischof von den
Söhnen, dass, wenn sie innerhalb 40 Tagen nach der erzbischöflichen Ermahnung
den Befehl zur Vollziehung der päpstlichen Aufforderung verachteten^), „eandera
in eos excommunicationis, in terram uero eorum interdicti sententiam proferas,
que in patrem eorum pro eadem causa fuerat promulgata.'*) Die Ver-
bindung des Interdikts für das gräfliche Gebiet mit dem persönlichen Banne
macht den letzteren ohne weiteres zum grossen. Was das aber heissen will zu
damaliger Zeit?
War es doch an sich schon ein ungeheures Verbrechen in den Augen
nicht bloss des Klerus, sondern ebenso sehr oder noch viel mehr gar der Laien
') Im Corp. jur. canon. : Gratian. ad cap. 24. c. XI. qu. 3 c. 2. X. de excepfc. (2, 25) ;
c. 10. X. de cleric. excom. (5, 27); c. 59 X. de sent. excomm. (5, 39). Vergl. Wetz er und
Weite 1, 229 und 602. — '^) Pontificale romanum Clementis VIII. ac Urbani VIII. Venet.
1729, 379. — ^) „Si uero infra XL dies po9t commonitionem tuam executioni raandare contem-
pserint" [Hennes durch Übersehung des entsprechenden Abkürzungsstriches: contepserintl.
Herr Prof. Otto unterrichtet mich, dass die Verbindung von contemnere mit dem Infinitiv nach-
klassisch, doch schon bei Horaz (ep. 1, 1, 29, 50), Seneca Phoen. 197 und Apuleius vor-
komme, nach Dräger, Hist. Syntax der lat. Sprache. 1878, 2, 330. Ebenso nachklassisch
ist mandare ohne Objekt, wie auch die Bedeutung von contemnere = noUe, recusare; was alles
Du Cange-Henschel unberücksichtigt gelassen hat. Man wird deshalb so übersetzen müssen:
„wenn sie innerhalb 40 Tagen nach deiner Verwarnung (sc. die Aufforderung) dem Vollzug
zu übergeben verschmäht haben werden.** — *) Schliephake 1, 187 kennt seltsamer Weise
nur den Bann für Trutwin.
130
tlieser Zeit, Kirchengüter, die ausnahmslos „pro remedio anime' geschenkt waren,
an denen also in gewissem Sinne das Seelenheil der Stifter hing, zu rauben, d. h.
eben diesem ihrem Zwecke für das Seelenheil der Schenker zu entfremden.
Wir entnehmen das unter anderem daraus, dass die kirchlichen Kanonen^) der
Zeit noch nicht einmal dies Verbrechen ausdrücklich hervorheben, sondern es
der tridentinischen Gesetzgebung überlassen, die ,occupantes bona ecclesiarum,
montium pietatis seu alterius loci pii: vel irapedientes, ne ab iis, ad quos jure
pertinent, percipiantur"^), besonders namhaft zu machen, weil zu dieser Zeit
bekanntlich die Entfremdung der Kirchengüter in grossem Stile begann. Was
AYunder, dass die ,sententia excommunicationis majoris" mit doppelter Wucht
auf den Kirchenräuber jener Zeit fiel.
Die Kirche hat es verstanden, schon gleich die Verkündigung dieser ihrer
furchtbarsten Strafe, die gleichwohl vom Corpus jur. can. der ,felix mucro
episcopi* genannt wird^), mit allen Schauern ihrer sinnbestrickenden Macht zu
umgeben. Wir erfahren dies genau aus dem „Libellus de ecclesiasticis dis-
ciplinis et religione christiana, collectus ex jussu domini metropolitani Rathbodi,
trevericae urbis episcopi, a Reginone, quondam abbate prumiensis monasterii,
ex diversis sanctorum patrum conciliis et decretis romanorum pontificum"'')
vom Jahre 899, dessen Bestimmungen für diesen Fall sich wortgetreu in dem
„Pontificale romanum Clementis VIII ac Urbani VIIP^) vom Jahre 1596 wieder-
*) Im Corp. jur. can, c. 107. c. XI. qu. 3 werden zwar „ecclesiarum dei violatores"
"enannt als der Exkommunikation verfallen, indes inBurchardi wormatiensis ecclesiae episcopi
„Decretorum libri XX" lib II. c. 6. vergl. Schannat-Hartzheim, Concilia Germaniae. Colon.
1760, 2, 576 werden dieselben mit: „videlicet raptores, depraedatores et homicidae" er-
läutert, 30 dass unser Fall kaum gemeint sein kann. — -) Conc. trident. c. 11. sect. 22 de
reform.; vergl. Vitus Pichler, Summa juris prudentiae sacrae universae seu jus canonicum.
Aug. Vind. 1728, fol. 5, 409^. — ^) c. 1. c. XVI. qu. II, wie die Summa Ostiensis an der
weiter unten anzuführenden Stelle mit der ehemaligen Citierweise des Corpus sagt: „et de
lioc anathemate potest intelligi, quod est mucro episcopalis XVI. qu. II. visis [Anfangswort
des 0. 1] in fine", nur, dass von ihr das Beiwort „felix" ausgelassen wird. — *) Bei Schannat-
Hartzheim tom. 2, 438—582, unser Fall 573—76. Wir unterlassen des Raumes wegen hier
lue "Wiedergabe des lat. Textes. — '^) "Wir benutzen die schon vorhin angezogene Ausgabe:
Venetiis 1729. Zu bemerken ist indessen, dass das „Pontificale romanum" darin von Regino
abweicht, dass es gemäss der späteren Zeit, indem es zwischen excommunicatio minor, major
und anathcma unterscheidet, die beiden letzteren Bannformen auseinanderhält, die ehemals
eins waren. Denn mit Recht sagt Silbernagl, Permaneders Handb. des gemeingültigen katho-
lischen Kirchenrechts. Landsh. 1865, §338 S. 571: ,Die Bezeichnung: excommunicatio major
und minor ist erst viel späteren Ursprungs. 'AväiKifia (execratio) war nämlich im "Wesent-
lichen mit der excommunicatio gleichbedeutend und nur durch die beim anathema gewöhnlichen
Solennitäten unterschieden." "Wir beweisen ilas mit zwei der berühmtesten Summen. Zuerst
mit der „Summa Hostiensis super titulis Decretalium" in der unpaginierten Grossfolioausgabe,
Venetiis 1480 „De sententia cxcomm. lib. V." unter der Überschrift „Quot sunt species excom-
municationis." Da heisßt es: „Due sunt species tantum. Una species excommunicationis est,
que dicitur anathema, que simpliciter excludit ab ingressu ecclesie et communione fidelium
et ctiam sacramentis, que et dicitur maior excommunicatio . . . vel die, quod dicitur maior
excommunicatio, quando simpliciter profertur sine solennitate, puta, cjuando dicit iudex : ex-
communico talera . . . ; quando vero cum solennitate, tunc dicitur anathema .. . alia vero species
excommunicationis est, que dicitur minor excommunicatio et que a sacramentis ecclesie tantum
separat." Ebenso heisst es in der „Summa Angelioa" vom Minoriten Angelus de Clavasio aus
131
finden. Da sollte der Bischof vor versammelter Gemeinde, umgeben von 12
Priestern mit brennenden Lampen in den Händen, zunächst die vorgeschriebene
lateinische Ansprache halten, in welcher unter Heranziehung biblischer Worte
das Recht der Kirche zur Ausschliessung des Sünders, wie dessen Verbrechen
dargethan sind. Alsdann erfolgte die Ausschliessung mit den Worten: , Daher,
weil er unsre Mahnungen und häufigen Aufforderungen verachtet hat; weil er
zum dritten Male nach des Herrn Gebot') aufgerufen, zur Besserung und Busse
zu kommen verschmäht hat; weil er seine Schuld nicht erkannt noch bekannt
hat, noch durch Absendung einer Botschaft an uns, die wir in seiner Sache
Richter sind, da er unser Sprengelangehöriger (parroechianus) ist, Verzeihung
gefordert hat; weil er in der begonnenen Bosheit, da der Teufel sein Herz
verhärtet hat, verharrt und gemäss dem, was der Apostel sagt, nach seiner Ver-
stocktheit und seinem unbussfertigen Herzen sich den Zorn Gottes auf den Tag
des Zornes häuft^), — deshalb scheiden wir ihn mit seinen sämtlichen Genossen
und Verbündeten und Begünstigern durch das Gericht des allmächtigen Gottes,
des Vaters, des Sohnes und des hL Geistes und des seligen Apostelfürsten
Petrus und aller Heiligen, wie nicht weniger unserer Geringheit Ansehen und
der uns von Gott verliehenen Gewalt zu binden und zu lösen im Himmel und
auf Erden vom Empfang des kostbaren Leibes und Blutes des Herrn und von
der Gemeinschaft aller Christen und schliessen ihn aus von den Schwellen der
heiligen Mutter Kirche im Himmel und auf Erden und beschliessen, dass
er ein Gebannter und Verfluchter sei und verurteilen ihn als Verdammten mit
den Teufeln und seinen Engeln und allen Gottlosen im ewigen Feuer, wenn er
nicht von den Stricken des Teufels lässt und zur Besserung und Busse zurück-
kehrt und der Kirche Gottes, die er geschändet hat, Genüge thut." Darauf
antworten die Umstehenden dreimal: „Amen" oder ,fiat, fiat" oder ,anathema
sit" und die zwölf Priester werfen ihre Lampen zur Erde und zertreten sie
mit den Füssen.^) Alsdann hatte der Bischof dem Volke in seiner Sprache
(communibus verbis) den Bann zu erklären, damit alle erkannten, wie schreck-
lich jener verdammt sei, und damit sie wüssten, dass er von jener Stunde an
hinfort nicht mehr für einen Christen, sondern für einen Heiden zu halten sei
und dass der, welcher mit ihm, wie mit einem Christen verkehre, oder mit ihm
esse oder trinke, oder ihn küsse, oder mit ihm ein vertrauliches Gespräch halte
(es sei denn, dass er sich bestrebe denselben zur Genugthuung und Busse auf-
zufordern), oder dass er ihn in seinem Hause empfange oder gleichzeitig mit
ihm bete*), zweifelsohne gleicherweise gebannt sei. Hiernach sollen Briefe
dem Jahre 1498 unter dem Worte „Excommunicatio" : „Quotuplex est exeommunicatio? Kespon-
detur, quod duplex. Una dicitur maior et hec priuat a saeramentis et consortio hominum et
ab ingreasu ecclesie et multis aliis ... et hec dicitur anathema . . . Alia dicitur minor, hec
separat a saeramentis tantum."
•) Matth. 18, 15—18. - '^) Rom. 2, 5. — ^) Die zwölf Priester mit ihren Lampen und
deren Werfung zur Erde und Zertretung waren schon eine Bestimmung des Corp. iur. canon.,
c. 106 c. XL qu. IIL — *} Die verseifrige spätere Zeit, die das ganze Corp. iur. can. nach
seinem Inhalt in Verse setzte, hat auch den Umfang der exeommunicatio in den Hexameter
gebracht: „Os, orare, vale, commuuio, mensa negatur." Vergl. Silberuagl a. a. 0. 572.
9*
132
des Priesters durch den Sprengel geschickt werden, mit dem Inhalt der Weise
der Banuung, in denen befohlen wird, dass an deu Sonntagen nach Lesung
des Evangeliums dem versammelten Volke die Bannung verkündet werde, damit
nicht jemand aus Unwissenheit mit dem Gebannten verkehre. Auch anderen
Bischöfen muss die Bannung bekannt gemacht werden.^)
Da alles dieses wortgetreu in dem „Libellus" verordnet ist, welcher, wie
wir sahen, auf Befehl des Trierischen Erzbischofes Ratbod zu stände kam, so kann
kein Zweifel sein, dass sich in ihm das Verfahren darstellt, dem auch Trutwin
als Angehöriger des Trierer Sprengeis unterworfen worden ist. Dies Verfahren
war aber noch dadurch verschärft, dass schon die Androhung des Bannes, wie
dies noch jetzt an dem erhaltenen Drohbrief des Papstes Anastasius gegen die
Grafen Arnold und Robert von Laurenburg an sechs Nagellöchern und den da-
durch entstandenen Rissen an jeder Seite des Pergamentes zu erkennen ist^),
40 Tage lang an der Kirchenthüre, „vermutKch zu Trier", angeschlagen war
zu jedermanns Einsichtnahme.
Und doch wurde der Schärfe dieser kirchhchen Strafe erst der todesge-
fiihrliche Schleiffaden zugesetzt durch das mit ihr verhängte Interdikt, welches
das grätliche Gebiet, Trutwins „terra", wie der päpsthche Brief es nennt, mit
seiner damals unentrinnbaren Gewalt traf. Man kennt diese geistliche Folter
obersten Grades, die erst im 11. Jahrhundert ihre volle Ausbildung erhielt^),
genugsam aus der Geschichte, um ihr hier eine gleiche Darstellung, wie der
Exkommunikation, widmen zu müssen. Wir dürfen nur auf die nach kirchlichen
Begriffen klassische Beschreibung hinweisen, die ihr ein so von der Grösse der
kirchlichen Machtfülle begeisterter Schriftsteller, wie der spätere Konvertit
Fr. Hurter, in seiner „Geschichte Papst lunocenz des Dritten" entworfen hat.*)
Und wenn derselbe bemerkt^), dass er „zusammenstelle, was bei einem Inter-
dikt, wenn es mit voller Strenge vollzogen wird, angeordnet war", so haben
wir hier nur hinzuzufügen, dass es gerade für unseren Fall passt. Denn im An-
fang des 12. Jahrhunderts, in dem wir hier stehen, hatte die Kirche noch nicht
*) Xeben dieser obigen Formel werden S. 575 f. noch drei weitere mitgeteilt, von denen
die letzte kürzeste blosse Wiedergabe derjenigen des Corp. iur. can. c. 107 c. XI. qu. III. ist,
die erste mit kürzeren "Worten das oben Mitgeteilte umschreibt, die dritte aber unter der
C^berschrift „Item alia terribilior excomraunicatio" bloss die Bannformel enthält. Da Silber-
nag 1 a. a. 0. schreibt: , Nachdrücklicher trat die Unterscheidung zwischen Bannfluch und
Bann in dem weit seltener gebrauchten Maranutha hervor (1. Cor. 16, 22, conc. Tolet. VI.,
c. 75, XVI. 10.)", so ist diese dritte Formel offenbar die seltener gebrauchte. Denn sie ent-
hält dies grausige apostolische Wort neben den nicht minder grausigen aus 5. Mos. 28, 16 — 18
und sohliesst mit den Worten über die Verfluchten: „sepultura asini sepeliantur [Jerem. 22, 19]
et in sterquilinium sint super faciem terrae [Jerem. 8, 2]. Et sicut hae lucernae de manibus
nostris proiectae hodie extinguuntur, sie eorum lucerna in eternum extinguatur, nisi forte
rf'sipufrint et ecclcsiae dei, quam laeserunt, per emendationem et condignam poenitentiam
sati.sfecerint." Keine dieser drei Formeln hat Aufnahme in das „Pontificale romanum" gefunden. —
-') Hennes a. a. O. 48, Anm. 1. Vogel, Beschr. 300, Anm. 1. Schliephake 1, 187 Anm. —
^j Silbernagl a. a. 0. 573. Gieseler, Lehrb. der Kirchengesch. Bonn 1846, 2, 1, 342
kennt das erste unwidersprochene Beispiel eines unwidersprochenen Interdikts vom Jahre 994
als gesetzlich geregelter Strafe aber erst seit dem conc. Lemoviccnse vom Jalire 1031. — ■*) Ham-
burg 1834, f. 1, 373-386, im Nachdruck: Ehingen 183.'>, 1, 325-336. - ') Ibid. Anm. 148.
133
erkannt, dass das Interdikt eine zweischneidige Waffe war, die ebenso sehr ihren
Verbrecher, wie sie selber töthch zu verwunden wusste. Es war erst am Ende
des XIII. Jahrhunderts, dass man sich in der Kirche voll bewusst wurde, wie
durch die strenge Durchführung dieses kirchlichen Zuchtmittels, welches die
Einstellung des öffentlichen Gottesdienstes und aller feierlichen kirchlichen He-
thätigungen einschloss'), ,die Gottlosigkeit des Volkes wuchs, Ketzereien enipcr-
kamen, unermessliche Gefahren für die Seelen sich erhüben, und den Kirchen
ohne ihre Schuld die schuldigen Leistungen entzogen wurden"^), um zu bogreifen,
dass Milderungen in grösserem Masse Bedürfnis für die Kirche selber seien.
Einzelne solcher Milderungen waren ja freilich schon früher gewährt worden,
aber keine vor dem Jahre 1170.^)
Wir können demnach ermessen, welche Wirkung das Interdikt auf die
unschuldige Grafschaft Trutwins haben musste, und in welcher Beleuchtung
ihr dadurch der Bann ihres Grundherrn erschien, der allein an dem über sie
verhängten kirchlichen Elend schuld war. Sehr klein konnte ja schon das Gebiet
nicht sein, da sonst der gewünschte Druck für den Gebannten ein kleiner ge-
wesen wäre. Zum Hochdruck gehörten viele Unzufriedene, wie es zur ebenso
wirksamen wie kurzsichtigen Übung aller Zeiten der Kirche gehörte, bei günstiger
Gelegenheit das Volk gegen seine Gewalthaber auszuspielen. Nun ist es ja wahr,
dass wir hier in den Zeiten Heinrich des IV. und V. leben, die dem mehrfachen
Banne Paschalis II. zu trotzen wagen konnten und dabei Geistliche auf ihrer
Seite hatten, die selbst die Messe verheirateter Priester nicht anstössig fanden.'*)
Bernoldus schreibt zum Jahre 1100 in seiner Konstanzer Chronik^) sogar:
„Schon beginnt fast überall die Strafe des Bannes an Wirksamkeit zu verlieren,
sodass selbst gewisse Klosterleute, die bis dahin in jener Sache vom glühendsten
Eifer erfüllt waren, sich von den Katholikern scheiden und sich nicht scheuen
unter die Gebannten befördert zu werden!* Ja etwa 40 Jahre später konnte
*) Silbernagl a. a. O. 573. — ^) Sexti c. 24. de sentent. excomm. (V. 11): „Quia vero
ex districtione huiusmodi statutorum excrescit indevorio populi, pullulant haereses et infinita
pericula animarum insur^nt ac ecclesiis sine culpa earum debita obsequia subtrahuntur" cet.
Wir bemerken, dass der „Liber sextus decretalium d. Bonifacii papae VIII." erst 1298 zusammen-
gestellt wurde. — ^) Wie wenigstens Silbernagl schliessen lässt, der nach seinen von uns
nachgeschlagenen Citaten aus dem Corp. iur. can. nur die von 1170 aufführt, während von seinen
sieben anderen fünf aus dem Jahre 1214, eine aus 1216 und eine aus 1236 stammen. Sie
beziehen sich auf die Haltung wenigstens einer wöchentlichen Predigt, auf Kindertaufe und
Firmung, Beichten für Kranke, Kreuzfahrer und Pilger, "Wegzehrung für Sterbende, Haus-
gottesdienst in den Klöstern, wie die Abbetung der kanonischen Tageszeiten in Stifts- und
Klosterkirchen von je zwei oder drei Geistlichen, jedoch'ohne Gesang, die kirchliche Beerdigung
von Geistlichen, die das Interdikt gehalten, eine stille wöchentliche Messe für die dem Interdikt
und der Exkommunikation nicht Unterworfenen ohne Glockengeläute und Gesang bei ver-
schlossenen Thüren für die Dauer des Interdikts. Weitere Xachlüsse brachten die folgenden
Jahrhunderte erst. Vergl. Gieseler a. a. O. 2, 2, 520, Anm. 4. — *) Gieseler 2, 252, Anm. 9.
— ■') Bei Pertz, Mon. Germ. VIII, 407 „Jam multum paene ubique sententia oxcommunicationis
coepit tepescere, ut etiam quidam religiosi, ({ui usque ad hoc terapus in illa causa erant ferven-
tissimi, a catholicis discederent et inter excomraunicatos promoveri non timerent." Vergl.
Gieseler ebenda Anm. 10. Die Begründung für diesen Zustand der Dinge versucht Bro wer
2, 2 in seiner Weise als Jesuit. Nur verwechselt er Bernoldus mit Bertholdus, dessen Fort-
setzer erstercr ist, wie dieser des Hermannuns contractus.
134
selbst die hl. Hildegard, als ihr Kloster mit dem Interdikt belegt worden war,
weil sie einen Exkommunizierten daselbst hatte begraben lassen, an das Mainzer
Domkapitel schreiben: ,Wer dem Willen Gottes zuwider gehandelt, der muss
von dem Körper der Kirche getrennt werden, so wie er sich selbst durch Un-
gehorsam von ihr abgewandt hat, bis er durch Reue gereinigt, vom Geistlichen
zur hl. Kommunion wieder zugelassen wird. Wer aber sich nicht bewusst ist,
auf solche Weise gebunden zu sein, kann getrost an den hl. Sakramenten teil
nehmen."^) Dagegen will bedacht sein, dass zu allen Zeiten der Fanatiker
nicht wenige sind. So lesen wir auch aus dieser Zeit, was der Trier'sche
Scholasticus Guenricus von solchen mit den Worten berichtet: , Einige, in der
Absicht, die durch den Eingang und Ausgang der Kirchenschänder besudelten
hl. Orte zu reinigen, lassen den Wind durch die Tag und Nacht offenstehenden
Kirchenthüren. Andre ihre Aufmerksamkeit auf die, wie sie versichern, durch
die Berührung der Unheiligen entchristlichten Steine und Balken, mit Besen
und Wasser wendend, machen als abergläubische Steintäufer, während sie die
jüdischen Taufen (Waschungen) erneuern, aus der Thorheit den Wahnwitz. "2)
Nicht minder lesen wir, dass der nachmalige Stifter des Klosters Marbach im
Elsass, der Priester Manegold von Lutenbach, sich nicht scheute, zur selben Zeit
in seiner gegen den den Papst Gregor YII. in Angelegenheit Heinrichs IV.
schwer angreifenden Brief des Bischofs Theodorich von Verdun verfassten Schrift
zu erklären, „dass diejenigen, welche Gebannte nicht aus eigener Rache, sondern
zur Verteidigung der Kirche töten, nicht als Mörder Reue haben müssten oder
gestraft werden sollten."^) Und ward auch der Schreiber dieses grässlichen
Wortes selbst von Anhängern Gregors verurteilt, so dass man wünschte, seine
Schrift mit ihm begraben zu sehen, so hielten nichtsdestoweniger Andere dieselbe
gleichsam wie eine Antwort göttlicher Eingebung."*) Aber damit das Mass des
Grauens voll werde, so erklärte Urban IL (1088 — 1099) selber dem Bischof
Godefredus von Lucanien : „Den Tötern der Gebannten lege, wie ihr es in der
Ordnung der römischen Kirche gelernt habt, gemäss ihrer Absicht ein Mass
passender Genugthuung auf. Denn nicht halten wir für Mörder, wel-
chen gegen Gebannte, brennend von Eifer für die katholische Mutter,
es sich gefügt hat, einige derselben tot geschlagen zu haben. Damit
jedoch die Zucht derselben Mutter Kirche nicht im Stiche gelassen werde, so
sollst du ihnen in dem Sinne, den wir genannt haben, eine passende Busse
ansagen, durch welche sie im stände sind, die Augen der göttlichen Einfalt
gegen sich geneigt zu machen, wenn sie etwa gemäss der menschlichen Schwach-
heit bei demselben Streich in etwas Zweifelhaftes geraten sind." Dieses päpstliche
') Hennes, Geschichte der Grafen von Nassau, 1, 47. — -j Pezii Thesaur. anecdot. 2,
237 : Alii loca sacra sacrilegorum ingressu et egressu contaminata repurgaturi, patentibus per
diem et noctera ecclesiae ianuis ventus recipiunt. Alii in lapides et ligna profanorum, ut
asserunt, contactu deschristianata, scopis animadvertentes et aqua superstitiosi lapiduui haptistac,
dum iudaica revocant baptismata, de stultitia insaniam faciunt". Vergl. Giesoler 2, 2, 30,
Anm. 35. — ^ BeiGieseler 2, 229, Anm. 36: „quod hi, qui exconimunif-atos non pro privata
injuria, scd ccclesiam defendcndo interficiunt, non ut homicidae pocniteantur vel puniantur." —
') Ebenda: „scripta eius quasi responsa caelestis oraculi".
135
Wort aber ist so wenig jemals widerrufen, dass ihm vielmehr schon 1151 die
beklagenswerte Ehre zu teil wurde, als Kanon in das von Gratian gesammelte
römische Kirchengesetzbuch aufgenommen zu werden, in dem es noch heute steht.')
Genug, ziehen wir nun aus dem Vorstehenden Schlüsse für unsere Ge-
schichte. Steht es zunächst nach den im ersten Teile unserer Untersuchung
vernommenen Zeugen fest, dass Trutwin eines gewaltsamen Todes starb, so
haben wir nach dem zuletzt Vorgetragenen nichts Geringeres als das Recht
erworben, diesen Tod der Wirkung der kirchlichen Strafvollstreckung dringend
verdächtig zu erklären. Wir mussten es oben freilich ungeheuerlich finden,
dass ein Edler zu dieser Zeit etwa aus Privatrache durch die Hand eines Un-
freien gefällt worden sein könne. Denn hätten auch noch so viel Unthaten des
Laurenburger Grafen gegen seinen Unterthanen oder den eines anderen Herren
vorgelegen, eine so „grobe bäuerische That", als welche der Legendist sie mit
seinem „rusticulus" anzumalen versucht, wie es scheint, war damals in deutschen
Landen unerhört, ebenso wie das, dass ein solcher Mörder von einem anderen
feindhchen Edeln hätte gedungen werden können. Zieht man aber in Betracht,
welcher Thaten allezeit der Fanatismus zur vermeintlichen grösseren Ehre Gottes
zu vollbringen im stände war und ist, dann liegt nichts näher, als im Blicke
auf das Bäuerlein an Huss' Scheiterhaufen, gerade einen Bauern in tollwütigem
Glaubenswahn die meuchlerische Waffe auf einen Edeln anlegen zu sehen,
der sich nicht bloss erfrechte, der heiligen Mutter Kirche zu trotzen, sondern
der auch in seinem Trotze schuld war, dass so viele fromme Kinder dieser
Mutter ihres Segens beraubt erschienen, und das erst recht, wenn gar dieser
Segen an der eigenen Person, im eigenen Hause entbehrt wurde. Stand doch
auch der Mann, wie jeder Fanatiker, nicht allein, sondern hinter ihm der ganze
Haufe derer, die mit ihm empört entbehrten, was ihnen Lebensbedingung war.
L' nd wenn gar noch fanatische priesterliche Rede den Sinn erhitzt hatte ! Wenn
Worms nicht unthätig gewesen war, die bäuerische Empörung zu schüren, die
sein Vorteil war! Freilich im päpstlichen Briefe steht nur: „superueniente
morte in ipsa damnationis sententia satisfactione nequaquam exhibita interceptus",
d. h. dass Trutwin mitten in der Strafe der Verdammnis ohne die geringste
Leistung einer Genugthuung vom unvermutet hereinbrechenden Tode dahinge-
') c. 47 c. XXIII. qu. VI: „Excommunicatorum interfectoribua (prout in ordine ecclesiae
romanae didicistis) secundum intentionem [Ivo et Pannormia: ipsorum] modum congruae aatis-
factionis iniunge. I^'on enim homicidas arbitramur, quos adversus excommunicatos zelo catho-
licao matris ardentes, aliquos eorum trucidasse contigerit. Ne tarnen eiusdem ecclesiae matris
disciplina deseratur, eo tenore, quem diximus, poenitentiam eis indicito congruentem, qua divinae
simplicitatis oculos adveraus se complacare valeant, si forte quid duplicitatis pro humana fragi-
litate in eodem flagitio incurrerinf. Man bemerke die päpstliche Unterscheidung von „inter-
fectores" = blossen Tötern und „homicidae" = Mördern. Nur letztere werden mit den schwersten
Kirchenstrafen belegt. S. die kanon. Belege bei Silber nagl 5, 91, der aber, soweit wir sehen,
an unserem Kanon vorübergeht! — „Duplicitas" ist hier als Gegensatz von „simplicitas" in dem
nicht klassischen Sinne von „dubietas, ambiguitas" gebraucht, wie Du Cange-Hensch el 2,
964"^ lehrt. — Das unpassende , didicistis" Hess ich stehen, da es die von mir gebrauchte
Ausgabe des Corp. iur. can. Colon. Munatinae 1717 hat, vermutlich aber „didicisti" zu lesen
sein wird.
136
rafft worden sei. Aber nicht nur, dass das mindestens 40 Jahre nach der That
geschrieben war, so konnte doch auch Anastasius nicht das Gottesgericht, das
ihm im plötzlichen Tode Trutwins erschien, abschwächen wollen durch den
Beisatz des Meuchelmordes, der jenes hervorgerufen und von dem er vermutlich
nie erfahren hatte. Und dass der Schönauer Berichterstatter sich ausschweigt
über die Natur des Meuchelmordes, das ist doch wohl das beredteste Zeugnis
dafür, dass er, der nichts von Bann und Interdikt reden durfte, erst recht nichts
vom Fanatismus des Meuchlers reden konnte. Selbst das Fehlen jeglichen
Wortes des Abscheus über die Blutthat des Bauern ist bezeichnend. Der Mönch
kann den Mord eines Gebannten nicht verurteilen, drum hat er nichts, am wenig-
sten ein Wort der Empörung, über ihn zu sagen. So redet auch dies Schweigen.
Und spricht nicht ebenso für das Wesen der That das Verhalten der Hinter-
bliebenen Trutwins? Ein Gottesgericht, wie es der Mörder in seiner Verblendung
doch zu üben gedacht, hätte mittelalterliche Menschen sicher vom Verharren
in ihrem Vorhaben weggeschreckt. Indem aber die Laurenburger trotz des
Todes des Hauptes ihres Hauses unbewegt bleiben*), zeigen sie, dass sie in
dem Morde nur die blutige Folge des zu Unrecht über ihr Haupt verhängten
Bannes und Interdiktes erblicken; dass auch diese blutige Folge sie nicht in
ihrem Rechtsbewusstsein zu erschüttern vermag, „in eodem Castro se aliquid
proprietatis habere**, wie es die Urkunde von 1159^) besagt. Ihr Trotz wird zur
Rache wegen des unschuldig vergossenen Blutes und die GemahHn des Ermordeten,
die bis in ihre greisen Witwentage nicht von ihrem Rechte lässt, zu einer
Art von Krimhild. Worms aber, das wie ein anderer Shylock auf seinem
Scheine besteht und ihn zur gelegenen Zeit erneuern lässt, wie es dieselbe
Urkunde in die Worte fasst: „et illi per sedem apostolicam in eos ceusuram
Gcclesiasticam non desisterent exercere", beweist, dass ihm der Mörder ein, wenn
auch vergeblicher, göttlicher Gerichtsbote war. Es kann das kleine, noch dazu
jenseitige Burggebiet aus den „XL mansus**, d. h., den mansus zu 36 Morgen
gerechnet^), aus den 1200 Morgen eigenen Geländes nicht missen, weil es
das blutige Siegel auf seinem erlangten Schein von Rom nicht missbilligen will.
Ob es vorher, das bemerken wir nebenbei, sein vermeintliches Recht mit Ge-
walt zu schützen versucht hat und daher die Worte der Wormser Urkunde^)
aus ihrer Trierer Wiederholung^) rühren: „predictum castrum de Nassove ante-
cessores Ruoberti et Arnoldi de Lurenburg per violenciam aliquando occupave-
rant", steht dahin, wie wir auch nur angedeutet haben wollen, dass die Ausdrücke
der Legende von den „devictis tempore quodam hostibus suis, captis, spoliatis
etexactis" und dem „magno triumphi gaudimonio" der „commilitones^ Trutwins
in ihrer verhüllten Gestalt von jenem Gewaltstreich des letzteren gegenüber
der bewaffneten Macht des Wormser Domstifts sprechen möchten^), dem un-
mittelbar der fanatische Mord des Siegers gefolgt ist.
') Graf Wilhelm von Luxemburg befreite sich noch im gleichen Jahre 1122 von dem
ihm nur angedrohten Banne wegen Kircheniäuberei durch demütige Unterwerfung! Vergl. die
Regesten bei Goerz, 1, 479. — -) Sciiliephakc 1, 204. — '') Vogel, Bcschr. 145. —
*) Schliophake 1, 200. — *) Ebenda 202. — ") Daas die Besiegung der Feinde bei Coblenz
stattgefunden, wie die bei Wcnck aufbehaltene, oben mitgeteilte Erzählung will, erscheint
137
Wo die Mordthat geschehen, um aucli das an dieser Stelle zu bereinigen,
ist mit Sicherheit zunächst dahin festzustellen: Nicht an der vom Schönauer
Mönch genannten Stelle. Denn wie hätte Tuto diese vom verstorbenen Bruder
angeblich bezeichnete Stätte bei der zu dessen Ehre unternommenen Gründung
des Klosters Lipporn übersehen dürfen! Verfuhr doch Tuto gerade mit der
Wahl Lipporns im Sinne des gemordeten Bruders, der, wie wir schon einmal
das Wort der Urkunde zwischen 1102 und 24 herangezogen, hier von seinem
väterlichen Erbgute der Kirche den Zehnten als ein Opfer „quasi deo" darge-
bracht hatte, und wir dürfen nun auch mit einiger Sicherheit sagen, wann.
Wir brauchen nur der vom Schönauer so klar gezeichneten Spur nachzugehen,
indem wir den Sterbenden ein wirkliches Testament machen lassen, eben jenen
Zehnten seines Erbes für die Lipporner Kirche. Handelte doch Trutwin damit
genau so, wie 1125 oder 26 Gumpert von Teilna (Thailen, Kreis Merzig), wel-
cher von einem gewissen Fridehart mit einer Lanze durchbohrt ins Kloster Metlach
gebracht, um dort noch drei Tage unter grossen Schmerzen zu erleben, sein
Allod Teilna diesem Kloster vermachte.^) Einem unter dem Kirchenbanne sterben-
den Manne sieht das doch erst recht ähnlich. Und denken wir an das im
päpstlichen Drohbriefe gebrauchte Wort „satisfactione nequaquam exhibita'^,
so hat es eine Beleuchtung, die dies Wort selber erst ins rechte Licht rückt.
Noch dazu wird dadurch voll klar, warum gerade Lipporn mit einem Kloster
ausgezeichnet wurde. Ob nun auch Lipporn oder ein Ort in seiner Nähe die
meuchlerische That geschehen sah? Möglich sagen wir vorerst. Jedenfalls
ward sie — auch dafür scheint unser Mönch ein sicherer Gewährsmann mit
seiner genauen, nur halb verschleierten Angabe der „villa Struode" — in einem
Waldesdickicht oder wohl gar in einem Sumpfe verübt. Denn damals wusste
man noch ganz genau, dass struot oder strüt Gebüsch, Buschwald, Dickicht
oder auch Sumpf bedeutete-) und der gleichnamige nahe Ort, unser heutiges
Strüth, war wie gemacht, um des erfinderischen Mönches Gedanken auf diese
für Schönau so günstige Yerhüllung zu lenken. War doch damit das, wie wir
gleich sehen werden, kirchlich bedenkliche Kloster Lipporn mit Glimpf aus der
Welt gebracht und Schönau als eigentliche Stiftung Trutwins ins Licht gestellt.
Dass wir damit auf richtiger Fährte uns befinden, könnte möglicherweise sogar
noch die eigene Schönauer Klosterüberlieferung bezeugen, die, wie wir oben
sahen, Trutwin auf der Jagd angeschossen werden lässt. Denn müssen wir
nicht in diesem ja auch nur für Schönau arbeitenden Berichte den oben ange-
nommenen Versuch, eine unbequeme Überlieferung zeitgemässer zu gestalten,
sehen, so steht nichts entgegen, hier einen Rest ältester, echter Überlieferung
anzunehmen. Man hatte dabei freilich den mordgierig lauernden „rusticulus"
der Legende zum unschuldigen rusticus villae, d. h. „Hofmann" des Grafen ge-
völlig aus der Luft gegriffen, da wir nirgends einen Anhalt für sie aus der gleichzeitigen ört-
lichen Geschichte finden konnten.
') Siehe das Eegest darüber samt den übrigen Angaben bei Goerz, Mittelrh. Regcstcn
1, 486. — ^) Lexer 2, 1254 f. Unsere Ahnung in der vorigen Abhiuidlung, Annalcn 23, 75
betrog uns also nur halb, als wir in .,Strode'' den „Pusch" des Reimgcdiclites zu erkennen
glaubten. Falsch war nur unsere nachgeglaubte Aimahnie von der alten „Reimsago."
138
macht. ^) Und ein TTofmann auf der Jagd mit dem Grafen, gleich diesem, wie
der Schuss zeigt, jagend, reimt sich wenig zu mittehilterlicher Gepflogenheit.
Ja man riecht sogar etwas wie Pulver dabei. Denn bei der Armbrust, die nur
70 Meter weit treibt, ist die Möglichkeit eines irrenden Auges, es sei denn bei
starker Dämmerung, ausgeschlossen, wenn nicht etwa Kurzsichtigkeit angenommen
werden soll schon für die damalige Zeit. Dies samt dem offenbaren Schlag-
wort aus der Legende vom ,fideHssimus satelles", was Wenck, wie oben mit-
geteilt, gleichzeitig von Schönau berichtet erhielt, zwingt uns, mit der entfernten
Möglichkeit einer alten Überlieferung uns zu begnügen.
Mit um so grösserer Sicherheit treten wir dafür an das heran, was uns
die andere Wirkung des Bannes und Interdiktes, die der so eben erwogenen
auf dem Fusse folgt und die wir bereits gestreift haben, zu erwägen giebt, an
die Gründung des Klosters Lipporo. Es ist hart, es auszusprechen, aber die
Wahrheit lässt keine andere Wahl: bis dahin ging man mit geradezu verbundenen
Augen an der Bedeutung derselben vorüber. Man sah nur eine Klostergründung
gewöhnlicher Art und erkannte in ihr lediglich „den ehrenden Zug, den das
Zeitalter, in welchem die Laurenburger lebten, so häufig bei den Vornehmen,
nicht selten bei den Geringen gezeigt hat."-) Und doch stand schon immer
die alles besagende Stelle in der Urkunde Tutos : „Ut autem parentum meorum
memoria in schafhusensi monasterio sepius presentaretur quasi vivens hostia
Precipue trutwini, qui de suo patrimonio istud predium lietprunnin quasi deo
decimam optulit in sacrificium legaliter coustitui ut singulis annis in anniver-
sario ipsius marcka argenti de isto loco fratribus schaffhusensibus solveretur Unde
caritative monachis servicium impenderetur." Freilich wollen diese Worte anders
übersetzt sein, als es Schliephake^) thut, wenn er sie also wiedergiebt: „Zu
dem Endzweck, auf dass das Andenken meiner Vorvordern im schaffhäuser
Kloster öfters vergegenwärtigt werde, gleichsam als lebendiges Sühnopfer, vor-
nämlich aber das Gedächtnis Drutwins" u. s. w. Denn nicht nur, dass wir
seine „Vorvordern" schon oben ablehnen mussten, so hat auch „presentaretur"
ein andere Bedeutung und das , Gedächtnis Drutwins" ist geradezu wider den
Sinn des Textes. Die Übersetzung muss vielmehr so lauten: , Damit das Ge-
dächtnis an meine Blutverwandten öfter vollzogen werde*), gewissermassen als
lebendiges Sühnopfer, voruämlich für Trutwin, der von seinem väterlichen
Erbe eben das Landgut Lietprunnin gewissermassen Gott als Opfer dargebracht
hat" u. s. w. Pliermit ist allerdings zunächst nur eine das Salvatorkloster in
Schaffhausen angehende Bestimmung getroffen. Dort soll nämlich auf den
Todestag^) Trutwins ein Totenamt^) für die von Lipporn fliessende Mark Silber
abgehalten werden als , gewissermassen lebendiges Sühnopfer." Aber die Absicht,
dass damit eine öftere^) (sepius) Darbringung geschaffen werde, bedingt, dass
') Du Cange-Henschel 5, 831'': „Rusticua villae, idem (jui villicus, major villae". —
-) Scliliepiiako 1, 177. — ^) Ebenda 1, 153. — ') Du Cange-Henschel 5, 410": Praesen-
tarc pro lopraesenture". — '*) Du Gange- Hcnsohel 1, 263'': „Anniversarium, dies annuus,
quo officium dotunctorum pro ali()uo defuncto peragitur, ipso obitus recurrente die." Vcrgl.
Wetzer und "Weite 1, 257 und 5, 486 f. -- ") Ibid. 4, 353'': „Memoriae, execiuiae." Über
die letzteren als eigentliches Totenamt s. die Ausführung bei "Wetzer und "Weite 3, 847 f.
— ') Wctzcr und Weite 3, 846: „Im Mittelalter wurden die Leichen der Verstorbenen
139
Lippurn der eigentliche Ort dieses Totonamtes ist. Das besagt demnach im
Grunde nicht mehr und nicht weniger, als dass das Kloster zu Lipporn
ein Sühnekloster darstellt. ,Vivens hostia" ist an sich schon der liturgische
Ausdruck für das Altarsakrament'); dass ihr das „quasi" vorgesetzt wird, will
aber, weit entfernt, eine müssige Wiederholung zu sein, die Feier des Toten-
amtes selber unter den Gesichtspunkt eines lebendigen, d. h. niemals aufhörenden
Sühnopfers stellen, ganz ähnlich wie Graf Gerhard mit der Übergabe seiner
Güter an das Kollegiatstift zu Geraünden eine „hostia" darbrachte.*) Ihrem
Wesen nach bedeutet diese ,vivens hostia" überdies dasselbe, wie das ,sacrificium-,
welches Trutwin gleichsam Gott dargebracht hatte in dem ,predium Lietprunnin*
als den Zehnten seines Erbes — eine Art Überleistung, nebenbei bemerkt,
wenn man annehmen darf, dass dabei an den Pharisäer des evangelischen Gleich-
nisses gedacht ist, der nach der Übersetzung der Vulgata als ein Übermass
seiner Gesetzlichkeit neben dem zweimaligen Privatfasten in der Woche die
Gabe des Zehnten von allem seinem Besitz nennt.^) Wird doch auch die Mark
Silber von den Erträgnissen desselben „predium* bestritten, d. h. ,de isto loco.*
Wesentlich endlich noch für die Bedeutung eines Sühneklosters ist der bereits an-
gegebene Umstand, dass in Schaff hausen, wie also auch in Lipporn, die Totenmesse
auf den Todestag Trutwins gebalten werden soll; Trutwin demnach, nicht die
anderen „parentes*, der Mittelpunkt der gestifteten , memoria" ist. Ja, Trutwin
steht so sehr im Vordergrund der ganzen Stiftung, dass die Worte der Urkunde :
.pro dei honore pro anime mee et parentum meorum salute^, obwohl sie vor-
anstehen, schon um deswillen nicht ins Gewicht fallen, weil Trutwins Vermächtnis
für die Lipporner Kirche den Grundstock der ganzen Stiftung ausmacht, — ein
Beweis mehr für den Sinn des Trutwin'schen „sacrificium", von dem wir soeben
und vorhin sprachen. Das Kloster Lipporn ist mit anderen Worten nur eine
Erweiterung und Vertiefung des von Trutwin gefühlten und bethätigten Sühne-
bedürfnisses, alles Weitere eine ebenso zufällige als herkömmliche Zuthat des
frommen Gefühls Tutos und vielleicht gar nur dazu bestimmt, den Sühnegedanken
nicht allzustark hervortreten zu lassen für amtlich kirchliche Augen.
Denn es unterliegt nach allem, was uns zur Beurteilung übrig geblieben,
keinem Zweifel: Das Kloster Lipporn ist ein deutlich laienhaftes Sühnekloster;
die amtliche Kirche hat an ihm keinen Teil. Es entbehrt mit anderen Worten
sogar oft in mehrere Kirchen getragen, damit so das hl. Opfer häufiger für dieselben dar-
gebracht werde".
') Ich verdanke diese Auskunft der Güte des Herrn Oberlehrer Dr. ■Wcdewcr. Vermutlicli
stammt der Ausdruck aus Rom. 12, 2. — -) Kremer, Orig. 2, 16. „Prneterea dum haec ad
placitum meum ordinaveram, quasi semper >-iven8 hostiam offerendo obtuli eidem ecclesiae
quasdam res meae proprietatis, quas hoc nominavi vocabulo provende Lehn." Xur dass hier
Gerhard selber als gewissermassen immer Lebendiger das Sühnopfer bringt mit der Hingabe
seiner Güter an die Gemündener Kirche. — ^) Luc. 18, 12: „Jejuno bis in ^abbato, dccimas
do omnium, quae possideo". Der griechische Text: -iv-a r,-a ■^-i;,u,rx; = alles was ich erwerbe,
gewinne ; aber schon die griechischen Kirchenväter haben daraus rcivTot -y. •j-'Jcp/ovrä ijlo-j gemacht,
vergl. Tischendorf, Nov. Test, graece. Editio octava critica major. Li|>s. 18G9, so dass die
Vulg. die kirchliche Überlieferung darstellt. ^ Von hier war freilich nur ein Schritt zu des
Legendisten: j,omnia bona et hostium suorum tributa colligcns."
140
der regelrechten Bestätigung des Erzbischofs von Trier. Zwar heisst der Schluss
der uns überkommenen , alten Copie"^ der Urkunde Tutos : „lluiuc privilegii
statuta rü"-o devotissime posco confirmari sanctiri auctoritate banno Brunonis
treverensis archiepiscopi et cuiuslibet succesoris sui." Indes auch abgesehen da-
von, dass dieser Schluss nicht mit der herkömmlichen Unterschrift des Urkunden-
ausstellers und der Aufführung der Zeugen versehen ist, also eine Unregelmässigkeit
in der Form^) vorliegt, so erweist sich die ebenso undatierte erzbischöfliche
Urkunde nicht als eine Antwort auf das Begehren Tutos. Es ist vor allem
wider die Wahrheit, wenn die Verteidigungsschrift des Klosters dieselbe über-
schreibt: „Confirmatio superius petita a Brunone archiepiscopo et traditio decimae
in Meilingen*, und Schliephake dies im Texte seiner Geschichte nachahmt,
während er ein richtiges Regest der Urkunde selber vorsetzt.^) Der Erzbischof
überlässt vielmehr in erster Linie auf Bitten des Abtes Adelbert von Schaif-
hausen und Tutos den Zehnten vom Dorfe ,milingen deo et sancto florino ad
monasterium liebbrunnense*, alsdann erst erfolgt die Bestätigung des Klosters
selbst. Aber diese bestätigt nun nicht Tutos „huius privilegii statuta", sondern
gewährt nur, „eidem congregationi tale Privilegium sub banni nostri et ana-
thematis vinculo% dass niemand gewaltthätig sich an deren Eigentum vergreife
und Tuto samt seinen Erben die Rechte der Vogtei gewahrt bleiben, wie dass
Abt Adelbert und seine Nachfolger dem Lipporner Kloster vorstehen und dem-
selben den Propst vorsetzen. Von Tutos Bestimmung über das Totenamt für
Trutwin keine Spur, so wenig als überhaupt, wie sonst üblich, der Zweck des
Klosters berührt wird. Wie hätte auch der Kirchenfürst eine Stiftung auf den
Namen des im Kirchenbann Gestorbenen bestätigen können! Der Kirche gilt,
wenn gleich nicht im Sinne des Dichters, dessen: „Dein Name sei vergessen,
in ew'ge Nacht getaucht." Daher auch der oft genannte päpstliche Brief nicht
Trutwin, sondern nur den „pater" Ruprechts und Arnolds erwähnt, und selbst
der Arnsteinische Lebensbeschreiber Ludwigs IIL vermutlich nur darum die Namen
der Männer der sieben Arnstein'schen Töchter nicht genannt hat, weil er den
Trutwins, des kirchlich ewig Verlorenen, nicht mitnennen wollte ; wie es denn auch
klar ist, dass die Urkunde für Schönau sich dieses kirchlich geächteten Namens
aus gleichem Grunde enthält. Kein Zweifel also, die Stiftung Tutos hat eine
Bestätigung erfahren, wie gewisse Ehen nur durch die sogenannte passive Assistenz
des Priesters. Bei Strafe des eigenen Bannes durfte Bruno das fromme Be-
gehren Tutos nur beschränkt erfüllen. Ja, es darf wohl noch mehr gesagt, es
darf behauptet werden, dass der Erzbischof seine Befugnisse überschritten hatte
zu gunsten des gräflichen Bittstellers. Es fohlen nämlich der Urkunde jegliche
kirchliche Zeugen, die doch bei einer Klostergründung in erster Reihe stehen
müssten. Ob das Trierer Domkapitel sich weigerte, Zeugen zu stellen zur Ver-
') Schliephake 1, 197. — -) Schliephake setzt „etc.", während „Rettung", Beyl. III
auch dies fortlässt. An der Echtheit der Urkunde deshalb zu zweifeln ist keine Ursache.
Aber es ist immerhin autfällig, dass der Abschreiber, wenn er noch Weiteres vorfand, dies
nicht mit abschrieb, da er es doch bei der folgenden Urkunde wenigstens nicht ganz unter-
liesg. — «) „Rettung", Beyl. IV. Schliephake 1, 154 und 197. Schon Honnes 1, 4 hatte
sich des glciclicn Irrtums schuldig gemacht, wie auch Kicmcr 2, 152.
141
briefung dieser kirchlich anrüchigeu Stiftung? Ob der Erzbidchof es weislieh
vermied, das Kapitel mitthun zu lassen? (ienug, die geistlichen Zeugen fehlen,
und die Urkunde erhält dadurch neben der beschränkten Gewährung der Bitten
Tutüs ein gewisses halbamtliches Aussehen.
Und selbst diese beschränkte, gewissermassen halbamtliche Bestätigung
— das dürfen wir dreist hinzusetzen — war ihrem Hauptteil nach nur durch
den Zwang verwandtschaftlicher Rücksicht erreicht worden. Auch das ist bis-
her unerkannt geblieben, obgleich es deutlich von der fraglichen Urkunde eben-
sosehr, als von anderen Seiten bezeugt wird. In der Urkunde nennt der Erzbischof
den Grafen Tuto ,amicus noster." Schliephake war sehr im Irrtum, dies
in der altrömischen Bedeutung , Freund" zu fassen'), da es doch die sehr deut-
liche Übersetzung des mittelalterlichen und noch heute im Volk gangbaren
Wortes „Freund" im Sinne von Verwandter ist. 2) Das wird denn anderwärts
aufs Unzweideutigste bestätigt. Erzbischof Bruno war ein Graf von Laufen.")
Der Arnsteinische Lebensbeschreiber aber berichtet, dass die fünfte Tochter
seines Grafenhauses mit einem Grafen von Laufen vermählt wurde.*) Und es
ist sogar mehr als wahrscheinlich, dass wir Bruno selber als Vermitteler dieser
Ehe ansehen dürfen, da er zu dieser Zeit nachweislich noch Propst an dem
Floriustift in Coblenz war'') und bei der Nähe dieses Orts und Laurenburgs zu
des letzteren Grafen auch in wirklich freundschaftlicher Beziehung gestanden
haben wird. Ausserdem sind wir genau über den Grad des verwandtschaftlichen
Verhältnisses zwischen beiden Häusern unterrichtet. Die von Wenck^) aufge-
stellte, von Stalin^) gutgeheissene Stammtafel der Grafen von Laufen lässt
erkennen, dass Bruno Oheim des von beiden genannten Geschichtsforschern
richtig erschlossenen Grafen Konrad von Laufen w^ar, der sich mit jener un-
genannten fünften Arnsteinerin vermählt hatte. Diese genealogische Bestimmung
ist gleichzeitig eine um so erwünschtere Bestätigung der von uns oben festge-
stellten Lebenszeiten unserer Laurenburg'schen Grafen zu dieser Zeit, als uns
von Bruno berichtet wird, dass er hochbetagt 1124 starb. '^) Für uns hier aber
ist wichtig, hiernach zu wissen, dass der Erzbischof als angeheirateter Verwandter
Trutwins und durch diesen auch Tutos nicht gleichgiltig dem an ersterem ver-
übten Morde gegenüberstehen konnte und eben darum innerhalb der Grenzen
*) 1, 154, Anm. — ^) Schon ahd. „friunt" = parens, Graff 3, 784, mhd. „vriunt" neben
amicus affinis, consanguineus, Verwandter, Lex er 2, 526 mit vielen Beispielen. Ebenso ist
es für den heutigen Gebrauch bezeugt: in Baiern bei Schmeller-Fromraann 1. 822, in
Kurhessen bei Vilmar, Kurhess. Idiotikon. Marb. 1868, 110, in Niederdeutschland bei Soham-
bach, Wbch. der niederd. Mundart. Hannover 1S58, 281, in Üstfriesland bei Stürenberg,
Ostfr. Würterb. Aurich 1857, 62, in Westfalen bei Woeste, Wörterb. der westf. Mundart.
Leipzig 1882, 310 u. s. w., namentlich aber noch in Xassau bei Kehrein 2, 145, nur daas
dessen „an vielen Orten" mit „überall" zu ersetzen ist. „Freund" hat indessen die Bedeutung „Ver-
wandter" gewühnlich im Sinne angeheirateter oder doch weiterer Verwandtschaft. — ') Stalin,
Wirtemb. Gesch. 2 (1847) 416. Brower 2, 2. — *) Widmann, Annal. 18, 248. Kremer,
Orig. 2, 363. — ^) Brower 2, 2. — '^) Hess. Landesgesch. 1, 254. Die von Kremer, Orig.
1, 332 aufgestellte Geschlechtstafel macht Bruno irriger Weise zum Bruder Kourads. —
") 2, 416. — ■*) Brower 2, 19 zum Jahre 1124: „lade gravibus et periculosis morbis ip-saque
adpo senecta quassato curpore, septimo Kalciid. Muli, hora diei prima, vivendi tinem fecit."
142
seines amtlichen Könnens den Bestrebungen des letzteren förderlich sein musste.
Dazu kommt, dass Bruno, wie ebenfalls die Urkunde zeigt, ohne dass es bis
jetzt wäre erkannt worden, noch anderen verwandtschaftlichen Bittstellern gegen-
überstand als Tuto. Wir finden unter den Zeugen des letzteren und unmittelbar
neben ihm „Reginboldus de romorsdorflF." Das ist, da Rommersdorf im Kreise
Neuwied eine Isenburg'sche Burg war, niemand anders als der uns bekanntere
Resiubold, Reinbold oder Rembold lU,, der mit der sechsten Arnsteinerin ver-
mahlt war^), der Sohn jenes Reinbold, den wir in der oben behandelten Urkunde
von 1093 als Zeugen kennen lernten neben Tuto, dem Vater Trutwins und
Tutos. Der auf ihn sofort folgende weitere Zeuge „Henricus coraes de dyetsche"
enthüllt sich uns als Trutwins Mitschwieger, da er der Vater des Grafen Embrico
von Dietz, und dieser Gemahl der Tochter Trutwins, Demudis, war.-) Kein
Zweifel also, Tuto hatte die ganze in Betracht kommende Verwandtschaft zur
Seite und Bruno um so weniger Gelegenheit, sich auszuschliessen, wo alles dazu
angethan war, seine ganze menschliche Neigung zu beschlagnahmen.
Eine innerliche Geneigtheit bei äusserlicher Förmlichkeit und Zurückhaltung
ist aber noch durch anderes zu erhärten. Bruno hatte selber jahrelang die
kirchliche Censur dafür gekostet, dass er von Heinrich IV. auf den erzbischöflichen
Stuhl war erhoben worden. Nicht nur, dass man ihn zur Niederlegung seiner
Würde bestimmen wollte, als er sechs Jahre nach seiner Wahl zum Erzbischof
wich in Rom stellte, so musste er sich auch drei Jahre lang die Busse gefallen
lassen, die Messe ohne Dalmatica zu lesen. ^) Als deutschgesinnter Kirchenfürst
und Erwählter des mehrfach gebannten Kaisers konnte er dazu dem Banne
der Kirche nicht den römischen Wert beilegen. Was mehr als das ist, er war
auch ein aufrichtig frommer Mann*), infolge dessen allen schroffen Handlungen
abhold, überall zum friedlichen Vermittlen bereit, so dass er bei beiden Parteien
in Achtung stand, zumal er ausserdem ein kluger und gelehrter Mann und von
nicht geringer Beredsamkeit war. Selbst der strenge Jesuit Brower hält ihn
des Lobes wert, wenn er gleich an ihm tadelt, dass er „schismatis maligni
•^ Wir scliliessen dies mit voller Sicherheit aus den von Reck a. a. 0. 35 f. und 40 bei-
"•ebrachten urkundlii^hcn Belegen. Vergl. auch dessen Stammtafel der Isenburger. Die Ver-
wandtschiifc mit Arnstein s. Kremer, Orig. 2, 363. Widmann, Annal. 18, 248 und Progr. 15.
Fischer kann nur für die Urkundenbelege gebraucht werden: seine eigenen Schlüsse be-
dürfen sehr der Berichtigung. Die Behauptung Günthers, die Wegeier, Die Prämonstraten-
ser-Abtei Rommersdorf, Nach einer Handschrift und Urkundensammlung des Weihbischofs
W. A. Günther bearbeitet. Coblenz 1882, 4 kritiklos wiederholt, dass die von Isenburg und Rom-
morsdorf zwei verschiedene Dynastengeschlechter darstellen möchten, ist durch Reck schon
beanstandet. — '^) Vergl. Wenck, Hess. Landesgesch. 1, 538. v. Arnoldi, Gesch der Oran-
Nass Länder 2, 55. Vogel, Beschr. 206. Kremer, Orig. 2, 363. Widmann, Annal. 18,
247. Ein Verwandter dieses Grafen scheint auch, aus Wenck 1, 537 zu schliessen, der un-
mittelbar nach ihm folgende „Anshelmus de Moloberg", d. h. Molsberg zu sein. Über den-
selben 3. Goerz, Nachrichten über die Burg und die Geschichte der Herrn von Molsberg,
Annal. 3 341. Vogel, Beschr. 257. Die übrigen: „Anefriet de tornedorff (Dorndorf bei
Iladamar), fredericus de brubach, Wernherus asinhaga" (V) Dietfryt de nestre (Nister bei Marien-
statt), „Winehart et Gerlach de railiggin" (Meilingen), „Ello de Lantroth" (Läutert) sind nicht
näher zu bestimmen. — '') Magnura chron. belg. bei Struve, Rerum germ. veteres scriptores
1, 152 f. — 'j Ebenda.
143
nubilo semel perfusus" gewesen sei.*) Nehmen wir liinzu, dass er damals im
höheren Alter stand, alsu um so milder und nachgiebiger sein musste, so ist
mehr als gewiss, dass er dem frommen Verlangen Tutos soviel Herz zuwandte,
als sich nur mit der Würde seines Kirclienamts vereinigen Hess. Der Verwandte,
der Christ, der Greis verglich sich nachgiebig und klug mit dem Kirchenflirsten,
und das Kloster durfte sein.
Es ist aber noch ein anderes, was uns die halbwegs hinter dem Rücken
der amtlichen Kirche zu stände gekommene Gründung der Propstei Lipporn
anzudeuten scheint: die Berufung alemannischer Mönche zu ihrer Besiedelun«-.
Man hatte ja wohl gesagt: „dass Ordensbrüder bei neuen Klöstern zu deren
Übernahme und Einrichtung weither gerufen wurden, und als förmliche Kolonie
mit ihrem kirchlichen Bedarf einzogen, sei nichts Seltenes." 2) Indes nicht nur,
dass dies für Nassau hier zum erstenmale geschah und die von Schliephake")
herbeigezogenen Klostergrüudungen zu Eberbach und Arnstein, wie auch die
zu Rommersdorf, erheblich später fallen, ja wie letztere, unser Lipporn offenbar
zum Muster haben*), so liegt auch bei allen diesen Stiftungen kein Stiftungs-
grund wie der unserige vor. Auch ist es nach unserer obigen Darstellung eine
gegenstandslose Vermutung Schliephake's''), wenn er sagt: „Zur Erklärung
des zwischen Lipporn und Schaffhausen hergestellten Verhältnisses mag der
Umstand dienen, dass Erzbischof Bruno zu Trier, der aus dem Hause der Grafen
von Laufen abstammte, für Schaffhausen sich besonders verwandte und seinen
Freund, den Grafen Tuto, zu jener Anordnung zu gunsten von St, Salvator
bewog." Denn wie durfte Bruno, wenn auch nur heimlich, befördern, was er
amtlich so zurückhaltend behandeln musste; und dies selbst von dem Gesichts-
punkte aus, dass er der Schaff hauser Abtei noch so viel näher stand, als Schi iep-
hake bekannt erscheint.*') Bruno ist nämlich als der Blutsverwandte von deren
Stifter, dem Grafen Eberhard von Nellenburg, dem Seligen bezeugt, der selber
in diese seine 1056 gemachte Stiftung zwischen 1075 und 79 eintrat.^) Ausser-
') 1, 19, woselbst auch daa „medium ferire didicisset" zu seinem Lobe erwähnt wird.
Trudpert Jfeugart in seinem nachgelassenen, von Mona herausgegebenen zweiten Bande
des ersten Teils seines wichtigen „Episcopatus Constantiensis sub metropoli moguntina chrono-
logice et diplomatiee illustratus." Friburgi Brisgovie 1862, 21 bemerkt: „Ex episcopis Germanlae
Bruno Trevirensis pro auctoritate atque juribus imperatoris tarn prudenfer atque moderate
propugnavit, ut etiam apud papara gratia valeret." Weiteres, was man über Bruno urkundlidi
weiss, ist bei Stalin 2, 418 gesammelt. — ^) Schliephake 1, 154, Anm. — *) Ebenda. —
*) Rommersdorf wurde gegründet von einem Gerlach aus dem Hause Isenburg-Rommersdorf,
wie wenigstens Reck 41 wahrscheinlich findet. Einen „Reginboldus de romorsdorff" aber haben
wir oben kennen gelernt. Das Jahr der Gründung ist nicht festgestellt, aber nach Schliep-
hake später als das der Gründung Lipporns. Vergl. Goerz, Mittelrh. Regesten 1, 547. Becker,
Das Necrologium der Abtei Arnstein, Annal. 16, 42. Roth, Die Visionen VIII. Wegeier 3 f.
wiederholt nur Günther mit seinen irrigen Ansätzen und führt S. 5 der ,, Annales sacri et
canonici ordinis Praemonstratensis", Nancy 1734 für ein Gründungsjahr 1125 an. — ^) A. a. O.
®) Trotz AVenck, Hist. Abh 1, 51! — ^) In cod. msc. bibliothecae Schaffhus. S. Joannis vocatur
„consanguineus Eberhardi conütis qui locum Schaffhusanum [i. e. monasterium 0. O. S. S. seu
S. Salvatoris] construxerat, vir divinarum ac secularium rerum scientia ad plurimum instructua".
Neugart, Episc. Constant. 1, 2, 21. Vergl. Stalin 1, 553 f. Die nähere verwandtschaftliche
Beziehung zwischen den Grafen von Nellenburg und Laufen ist aber niclit mehr festzustellen.
144
dem unterhielt er den lebhaftesten Verkehr mit den Mönchen des Klosters.
Dessen Abt Adelbert erlangte von ihm auf vieles Bitten die Leiber der hl.
Constans und Alexander, ehemaliger Senatoren von Trier, wie den des hl. Bischofs
Leguntius.^) Da letzteres bei einem Aufenthalte Brunos in Schwaben für das
Jahr 1117 bezeugt ist, so meinte 1816 schon auch Neugart, dass er den Grafen
Tuto von Laureuburg „wahrscheinlich" überredet habe, das von diesem ge-
gründete Kloster Lichtborn dieser Abtei Aller Heiligen zu unterstellen.^) Aber
auch seine Annahme ist, abgesehen von dem bereits Gesagten, deshalb völlig
grundlos, weil sie nur einen Schluss aus Tutos und Brunos Urkunden darstellt.^)
Nein, Tuto handelte selbständig. Musste er auch von den nahen Beziehungen
des Erzbischofs zum Schaffhauser Kloster wissen, so konnte ihn dies bei der
Wahl auswärtiger Ordensbrüder nur insofern leiten, als sich Schaffhausen ihm
als das dem Erzbischof so nahestehende Kloster besonders empfehlen mochte.
Sein Hauptgedanke hatte sich vielmehr darauf zu richten, Mönche für seine
Stiftung zu gewinnen, die seiner Sühneabsicht entsprachen. Dazu waren solche
von weither am besten geeignet, weil sie vorurteilsfreier dachten, als die mit
dem Sachverhalt genauer bekannten der Nähe. Vielleicht auch, dass Tuto in
Erfahrung gebracht, dass die Schaffhauser Mönche zu jenen „religiosi" gehörten,
von denen wir oben uns erzählen Hessen, dass sie dem Banne freier gegenüber-
standen. Ausserdem wird ja freilich auch in Betracht zu ziehen sein, dass die
Schaffhauser Benediktiner als Männer strenger Askese minder anspruchsvoll
waren als andere. In Lipporn, das geht aus der Urkunde Brunos hervor, waren
ihnen so karge Bissen zugemessen, dass sie sich noch den Zehnten in Meilingen
ausbitten mussten. Scheinen doch die gleichen Verhältnisse, wie in Rommers-
dorf, obgewaltet zu haben, von dem uns erzählt wird, dass die Schaffhauser
Mönche daselbst bei einer alten Kapelle unter ihrem Abte Hermann das klöster-
liche Leben solange führten, bis sie wegen zu grosser Dürftigkeit des Orts
denselben wieder verlassen mussten.^) Auf alle Fälle erhellt aus den beiden
Lipporner l'rkunden, dass Tuto seine Absicht erreichte. Der Abt Adelbert
übernahm das Totenamt in Schaffhausen^' schickte seine Mönche zu gleichem
Zwecke nach Lipporn und vereinigte sich mit Tuto zur Bitte um den Zehnten
in Meilingen für die junge Stiftung. Und diese Verbindung mit Schaffhausen
ward offenbar auch dann nicht gelöst, als die Propstei Lipporn nach Schönau
versetzt wurde, um dort zur Abtei zu werden. Denn in dem Weistum des
letzteren vom Jahre 1573, „so sich auf ein älteres fundiret de anno 1407"^),
Derselbe 2, 418. Vergl. auch Brower 1, 545", der dabei irrig vom, ,monasterio . . . nomine
iluodecim apostolorum condito" redet,
') Nach einem gleichzeitigen Msc. bei Neugart a. a, 0. — ^) Ebenda 22: „et verisi-
niiliter Dudoni de Laurenburg persuasit, ut monasterium Lichtbornense ob ipso fundatum,
abbatiae 0. O. S. Ü. subnütteret." Roth, Die Visionen VIII scheint auch hiervon zu wissen,
liisst aber dreist „verisiniiliter" aus dem Spiel, das übrigens auch Ooerz, Mittelrh Regesten 1, 471
nicht l)eachtet hat, und erfindet ebenso dreist alles Weitere, entsprechend dem ganzen Romane,
flen er aus Tutos Leben herausgezaubert hat. — ^) Das geht hervor aus seiner Bemerkung
ebenda: „Factam traditionem Bruno confirmavit. Vide litteras Dudonis et Brununis archiep.
notis clironicis careutes in deductione: „Rettung" u. s w. — *) Goerz, Mittelrh. Regesten 1,
540 f. Wegelcr, 2. — ') „Rettung" 14 und BeyL ,XIV S. 10 und 12. Dieselbe Stelle hat
aclion Wenck, Hist. Abli. 1, 52 und Roth, Die Visionen XI abgedruckt.
145
heisst es : „Item haben die Scheffen geweist ihren Oberhoff zu Schaffhausen mit
solchem unterscheiden, welche Parthey ausheischet, die solte den Scheffen bestellen
einen Karn und dafür spannen einen Füllen, der neue Ingespannt sy und mit
Hanen-Dorn beschlagen seye und sie gesund lieffern gegen Schaaffhausen, und
herwieder, und wann dem Füllen ein Eisen abfält, da sollen sie über Nacht')
verbleiben, und da sollen sie den Scheffen wohl gütlich thun." Das Mutter-
kloster zu Schaffhausen behielt also trotz der Mündigkeit der Tochter ein altes
Vorrecht.
Ihre noch heute sichtbare Spur aber, das darf, da wir ohnedies durch das
bisher Gesagte das "Wie der Gründung Lipporns genugsam beleuchtet erachten,
an dieser Stelle einzuschalten nicht unterlassen werden, hat diese geistliche Schaff-
hauser Kolonie in der von uns oben behandelten Trutwin-Legende hinterlassen.
Nicht als ob wir die biederen Alemannen selber für die Erfinder derselben
erklären wollten. Aber sie haben ohne Zweifel das dazu mitgebracht, was der
Erfinder so unglücklich für seine Erfindung benutzt hat: die Geschichte vom
Herzog Hermann und seinem „capellanus" Hartbert. Sei es nun, dass sie den
Stoff dazu unter ihren Bücherschätzen in Gestalt einer alemannischen Chronik
mit sich führten, oder sei es, dass sie ihn an Ort und Stelle durch Aufzeichnungen
aus der Geschichte der Heimat bereiteten. Es will uns deshalb nicht ausge-
schlossen erscheinen, dass die von uns oben so mühsam zusammengeklaubten
Bruchstücke alemannischer Geschichte sich irgendwo noch einmal im Zusammen-
hange entdecken lassen in einem glücklich wiedergefundenen Bande aus der
Lipporn- Schönauer Bücherei, von der auch nicht eine einzige weit- oder kirchen-
geschichtliche Handschrift auf uns gekommen ist, obwohl sie solche sicher neben
ihren Andachts- und dogmatisch-scholastischen Schriften beherbergte, wenn
anders echt benediktinischer Geist im Kloster wohnte, namentlich der geschicht-
liche Sinn von Schaffhausen mitgebracht war, der andere Klöster des Konstanzer
Kirchensprengels auszeichnete.
Kommen wir nun zum Wann der Tuto'schen Stiftung. Schon oben wurde
bemerkt, dass uns durch die Sorglosigkeit der Abschreiber oder durch welchen
Zufall sonst das Datum der Lipporner Urkunden vorenthalten ist, "Wir sind
deshalb auf die Zeit zwischen 1102 und 1124 gewiesen, in welcher Bruno nach
Ausweis sicherer Geschichte Erzbischof von Trier war. Innerhalb dieser Zeit
, circa an. 1114" anzusetzen, wie Kremer^) that, ist rein willkürlich. Ebenso
hinfallig erweist sich der Ansatz des Coblenzer Archivpr? Goerz'j auf das
Jahr 1117, da er sich auf das von uns oben zurückgewiesene „verisimiliter"
seines Gewährsmannos Neugart stützt. Der einzige Anhalt, der sich aus Tutos
Urkunde bietet, ist dessen Bemerkung: „iam diu deliberavi." Darnach ist
„schon eine geraume Zeit** verflossen, seitdem Trutwin erschlagen ward und
seine Stiftung für die Lipporner Kirche bestand. Da wir nun voraussetzen
') Im Texte steht , Macht". Roth liest daraus „"Wacht" und setzt in Klammern dauei
„(ob Nacht?)!" „Rettung" 14 steht dafür doch klärlich „übernachten" und ihr Verfasser erklärt
472 : „Die Fehler in denen Beylagen will der Verfasser nicht ändern, als welcher den Druck
dererselben gar nicht und nur den seiner Schrifft von p. 165 biss zu End revidirt hat." —
*) Orig. 2, 151 f. — ') Mittelrh. Regesten 1, 471.
10
146
dürfen, dass der Mord des Bruders nicht gerade in die ersten Jahre des zwölften
Jahrhunderts fiel, weil doch immerhin erst eine langjährige hartnäckige Ver-
achtung der kirchlichen Strafe seitens Trutwins und ein langdauernder Entzug
der gewohnten kirchlichen Gnadenmittel den Fanatismus zur Mordwaffe greifen
lassen mochte, so ist eine Hinausrückung in das zweite Jahrzehnt des gedachten
Zeitraums für den endlichen Entschluss Tutos um so mehr geboten, als diesem
die Sühne des Bruders durch die Schenkung an die Kirche zunächst als eine
auskömmliche erscheinen musste. Was konnte also seinen Gedanken eine andere
Richtung geben? Und was leitete sie auf eine grössere Busse, als die mit
der Schenkung an die Kirche vollzogene? Wir gehen schwerlich fehl, wenn
wir an erschütternde Zeitereignisse denken, die nicht bloss Tuto, sondern auch
andere Zeitgenossen auf ernstere kirchliche Gedanken brachten. Solcher aber
bieten sich zunächst in dem schrecklichen Erdbeben dar, das im Jahre 1117
„acht Tage nach dem Feste Johannis des Evangelisten" sich über den ganzen
Erdkreis verbreitete und zweimal zwischen Tag und Nacht die damalige Welt
in einer Weise entsetzte, dass keine Chronik^) vergessen hat, von den erlebten
Häusereinstürzen und Menschenverlusten zu erzählen. Ausserdem liess das
ganze Jahr eine Reihe so schreckhafter anderweitiger Naturerscheinungen schauen,
dass man den letzten Tag gekomm.en erachtete, und, wie ein Annalist bemerkt,
„viele ernstlich an Besserung ihres Wandels dachten." Zu dem allem verbreitete
der von Erzbischof Adelbert von Mainz angeschürte Krieg seine Schrecken.^)
Sollte da die Annahme allzu gewagt erscheinen, dass ein Mann wie Tuto, den
wir durch eine Klostergründung ernsteren Gedanken im Sinne seiner Zeit zu-
o-änglich sehen, der allgemeinen Bussstimmung seinen Zoll bezahlt und an die
Ausführung eines Entschlusses gedacht haben werde, den er schon lange mit
sich herumtrug ? Will uns doch scheinen, dass gerade der unauslöschliche Ein-
druck, den solche ungeheure Erlebnisse auf die Seele so gestimmter Menschen
zu machen pflegen, ihm gewissermassen die göttliche Erlaubnis zu geben schien,
auf eigene Faust eine Sühnung zu suchen, die ihm die Kirche verwehrte, und
gleichzeitig dabei sein eigenes Seelenheil mit dem seiner übrigen Sippe zu be-
denken. Die Geissler und so manche andere ausserkirchliche Erscheinungen
des Mittelalters von innerst kirchlichem Sinne sind uns des sattsam Gewähr,
•) Goerz, Mittelrh. Regesten 1, 470 hat ihm ein eigenes Regest gewidmet und eine
Anzahl von chronikalen Nachrichten daselbst verzeichnet, denen wir noch die bei Neugart,
Episc. const. 1, 2, 22 beifügen und aus Nassau den Bericht der Eberbacher Chroniken bei
Zais, Beitrag zur Geschichte des Erzstifts Mainz 6 und Widmann im Neuen Archiv 13, 133.
— *) Annal. Saxo. Dodechin. bei Neugart a.a.O. Brower 2, 13 fasst dies alles zusammen,
wenn er schreibt: „Porro huius anni intoleranda mala, ac perniciosa Reipublicae dissidia con-
citore Adelberto Moguntino acerrimo, haud facile sopienda, proximo, coelestia prodigia auxere,
cum superum ira, non minore nocendi acerbitate, erupit: nam ingens hieme gelida terrae
motus, et elisorum fulrainum ubique jactus, tremenda ([uoque tonitrua, (juales nemo meminerut,
cum grandine immissae tempestates. Coelum deinde visum igni ardere plurimo, tantus denique
terror homines ubique pervasit, ut mente [iropemodum attonitis, subiret novissimam adesse
mundo noctem. Omniura igitur nationum populis, ad pacem Dei, veniamquo impctraiidam
conversis, solum Gernianiae regnum, velut amisso jam sensu culamitatis, neque moti ira Numinis
neque tot ultro citroque et illatis et acceptis oladibus malorum finem invenit."
147
indem sie getrieben vom unermesslichen Zeitelend die kirchliche Ordnung durch-
brechen und ihr Heil auf eigener Fährte suchen, weil es die Kirche ihnen nicht
bieten zu können schien. Dass eine nüchterne, geschäftliche Urkunde davon
nichts zu erzählen weiss, kann nicht wundernehmen. Das mittelalterliche Ge-
fühl hat ohnedies mehr Thaten, als Worte. Und das Kloster Lipporn war
eine solche That. Setzen wir also immerhin, da die geschriebene Geschichte
für uns schweigt, das Jahr 1117 als das mutmasslich entsprechendste Geburts-
jahr des Stiftungsgedankens in der Seele Tutos fest. Jedenfalls haben wir dabei
auch das für uns, dass das am weitesten hinausgerückte Jahr uns mit dem so-
viel älteren auch den soviel ernster gestimmten Stifter zeitigt. Jünglinge stiften
keine Klöster und der einer allzustark genossenen Welt satte Graf Ludwig war
doch auch schon 30 Jahre alt, als er Klosterstifter und Mönch zugleich ward.
Tuto aber haben wir zu dieser Zeit nach unserer Rechnung als angehenden
Vierziger zu denken und vielleicht gar als kränklichen Mann, da er bald nach
seiner Stiftung gestorben sein muss. Denn von nun an hören wir nichts mehr
von ihm. Die von ihm aller Wahrscheinlichkeit nach bevormundeten Söhne
des Bruders, Ruprecht und Arnold, treten vom Jahre 1123 ab in Unterschriften
als Zeugen, also .als angehende Männer und mündige Verwalter ihrer Graf-
schaft, auf.^)
Aber nicht bloss dass Tuto zu dieser Zeit aus der Geschichte verschwindet,
so verschwindet auch seine Stiftung mit ihm. Bereits 1126, wie wir oben sahen,
ist Schönau an seiner statt erstanden. Woher dieser plötzliche Wandel, der
sich für uns ebenso stumm vollzieht, wie im Grunde die Stiftung Lipporn?
Auch hier also hat die geschichtliche Mutmassung an die Stelle der Geschichte
zu treten, und wir denken derselben diesen ihren Charakter, wie bisher, zu
wahren, wenn wir das Folgende zur Erwägung stellen.
Am 25. April 1124 hatte Bruno seine müden Augen geschlossen, und
wir haben alle Ursache anzunehmen, dass es seinen bis dahin offenen gelungen
war, dem ihm untergebenen Bischöfe von Worms zu bedeuten, dass er mit seinen
Laurenburg'schen Verwandten den Streit wegen Nassau beruhen Hess. Denn
noch am 1. April 1124 sehen wir die beiden Grafen Ruprecht und Arnold
friedsam die bereits oben berührte Urkunde zur Bestätigung eines „beneficium"
der Pfalzgräfin Adelheid für ihren „capellanus" Manegold mit dem Bischof Bucco
von Worms in Mainz als Zeugen unterschreiben.*) Aber schon „zwei Monate
und acht Tage" darnach, im Anfang des August^), wurdp der frühere Dom-
dekan von Trier, Godcfridus, ein Lütticher von edler Geburt, zum Erzbischof
daselbst gewählt, und noch im selben Jahre linden wir den Neuerwählten in
Worms, wo er in erlesener Fürstenversammlung gemeinsam mit den Bischöfen
von Mainz, Köln und Toul unter dem Vorsitze des Kaisers und in Gegenwart
des päpstlichen Legaten, Bischofs von Praeneste, die auf der Tagesordnung
>) Vogel, Beschr. 298 mit den Belegen. — -) Act. Pal. 3, 82. Die Grafen sind dabei
zwar ohne ihren Titel „de Lurenburg" aufgeführt, aber der unmittelbar nach ihnen verzeichnete,
uns von oben bekannte ,,An8helmu3 de MoUeaberg" lässt als ihnen Nahestehender keinen Zweifel
an ihrer Selbigkeit, die denn auch bis jetzt noch von Niemanden bestritten ist. — ^) Brower
2, 20».
10*
148
stehende Sache des Bischofs Gebhard von Würzburg mitberaten hilft. ^) Dass
bei diesem Anlasse Unterredungen mit dem Bischof Bucco stattgefunden haben
werden, die sich um Nassau, wie nicht minder um das Kloster Lipporn drehten,
darf mit Sicherheit angenommen werden. Der neue Trierer Kirchenfürst hatte
keine Rücksicht zu nehmen auf die verwandtschaftlichen und altersschwachen
Gefühle seines Vorgängers, stand wohl schon gleich als Mitglied des Domkapitels,
wie wir oben andeuteten, denselben entgegen, und der Bischof von "Worms
hatte schwerlich mehr als offene Thüren einzustosseu, um seiner Kirche Rache
zu verschaffen, wenn er die verhasste Stiftung für Trutwin als Hindernis seiner
Ansprüche auf Nassau zunächst zur Ausrottung empfahl. Liegt es doch auch
nahe zu vermuten, dass die dem alten Bruno ganz ungewöhnliche Tonart in
Androhung des Bannes gegen den kirchenräuberischen Grafen Wilhelm von
Luxemburg zwei Jahre vor seinem Tode nicht ohne Drängen des mächtigen
Domkapitels, mithin auch Godefrids, angeschlagen worden ist.*) Überdies lesen
wir im Briefe Heinrichs V. an den neuen Erzbischof etwas von den Anfangen
seiner Herstellung eines neuen Zustandes der Dinge im Trierer Erzbistum, und
es wird nur dem auch schon alten Manne noch grössere Energie vorzugsweise
gegen den wieder rückfallig gewordenen Luxemburger empfohlen, offenbar unter
dem Zuthun des ihm abgünstigen Domkapitels.^) Genug, Lipporn musste fallen,
und wenn etwas, so ist sein Fall das erste Siegel auf unsere Erörterungen
über die Natur dieser wohl einzig in deutscher Kirchengeschichte dastehenden
Gründung.
Aber es sollte nicht ins Freie fallen und nicht allsogleich. Das bezeugt
die Gründung Schönaus und vor allem die wichtige Nachricht, die wir dem
oben berichteten Streite zwischen dem Mönchs- und Nonnenkloster dieses Ortes
aus dem Jahre 150G verdanken, dass der Nonnen „Monasterium, verius autem
Clausorium" das erste auf dem Platze gewesen sei.*) Man gewährte also, wie
daraus ersichthch, den Laurenburgern die Gunst, die Verlegung durch eine
scheinbar nötig gewordene Erweiterung der alten Anlage vor den Augen der
Welt zu verdecken. Aber da man doch nicht die Einkünfte Lipporns dran
gab*), sondern nur das Kloster selbst, so haben wir allen Grund, nunmehr noch
einen Schritt weiter zu gehen, als oben, wo wir allein die Möglichkeit der Er-
mordung Trutwins in Lipporn zugaben. Das Sühnekloster, das wird nun klar,
stand auf dem durch den Tod eines im Banne Gewesenen entheiligten Boden,
und der Schönauer Legendist hat uns auch diese geschichtliche Thatsache ge-
rettet, indem er sie für seinen frommen Grafen Trutwin schlau nach Schönau
verlegte, wo dieser „in eodem loco, quo fixus fuerat, claustrum benedictorum
nomine schönaw construi fecit."
>) Ebenda 20''.— '^) Goerz, Mittelrh. Regesten 1, 479. — ^) Brower 2, 21«: „Quarc
iit eam [pacera] tota diooccsi provinciaque, uti nuidem coopisti, melius excolere in posterum
(jueas, te graviter otiam et serio moneo atque adhortor." — *) Hiernach sind alle seitherigen
Angaben von dem späteren Entstehen des Xonncnklosters zu berichtigen. Schon hiernach ist
die Angabe bei Brower 2, 21 falcch. — *) Wie aus dem päpstlichen Bestätigungsbriefe des
Klosters vom 9. März 1213 hervorgeht. Vergl „Rottung" 4 und Beyl. IL S. 2 und Thritemius
Clirun. hirsaug. St. Gallen 1G90, 1, .384, wie Schliepliake 1, 168.
149
Eiue weitere Verdeckung des Laurenburg'schen Rückzugs war die Er-
hebung der Propstei Lipporn zur Abtei') Schönau, die auch baulich sicher
mehrere Jahre in Anspruch nahm. Aber dieser Rückzug, sobald er sich vollendet
zeigt im Bau, kehrt nun — ein bedeutsames Zeichen und ein weiteres Zeugnis
für die Richtigkeit unserer bisherigen Darstellung — mit einmal seine Spitze
gegen Trier und wird zum deutlichen Gegenzuge gegen es. Denn nun tritt die
Urkunde von 1132 in Kraft, die wir oben vorübergehend in Betracht zu ziehen
hatten, und die es nun gilt, näher zu besehen. In ihr verkündigt Erzbischof
Adelbert von Mainz, dass sein Verwandter, Graf „Ruobertus de Luorenburch",
das auf seinem Gute in Schönau für sein und seiner Blutsverwandten Seelenheil
gegründete und dem mönchischen Leben-) unter dem Abte Hildelin überant-
wortete Kloster dem hl. Martin in Mainz mit allem, was zu ihm gehöre, auf
ewig zu eigen gegeben habe. Er bestimmt dabei, dass die Mönche freie Abts-
wahl haben, ihr Erwählter aber von ihm und seinen Nachfolgern die Investitur
und vom Erzbischofe in Trier die Weihe empfangen solle. Hierauf folgt die
schon oben gemeldete Auflage betreffs des am Martinstage zu liefernden Cor-
porale's und der Feier der erzbischöflichen Jahresgedächtnisse, und endlich die
Festsetzung, dass der Graf die Vogtei über die Abtei aus der Hand Adelberts
empfange und dass dieselbe fortan gebunden sei an die Besitzer von Meilingen,
sowie dass kein Zweiter oder Dritter sie von den erblichen Laurenburg'schen
Besitzern erhalten dürfe. Dies alles wird bekräftigt mit der herkömmlichen
Bannandrohung für die Verletzer der Festsetzung und unter Zufügung der
Zeugen. Auff'älliger Weise ist zuletzt nur das Jahr 1132 in herkömmlicher
Art, nicht der Monatstag genannt.
Was geht aus dem allen hervor? Doch unverkennbar das zunächst, dass
die neue Stiftung für immer der feindseligen Einsprache Triers entrückt ist und
Schönau nun ebenso unter dem Schutze eines Verwandten steht, wie ehemals
Lipporn. Diese Verwandtschaft aber, — das wollen wir hier zum erstenmale
feststellen, nachdem wir es oben in der seitherigen Schwebe gelassen, — kommt
auf folgende Weise zu stände. Der von Schliephake zwar genannte, aber
nicht entsprechend benutzte Job. Mart. Kremer berichtet in seiner „Genea-
logischen Geschichte des alten ardennischen Geschlechtes", dass, wie Erzbischof
Adelbert ein Graf von Sarbrücken-^), dessen Nichte Agnes*) die Gemahlin des
Herzogs Friedrichs IL von Schwaben und dieser ein Blutsverwandter Ludwigs III.
von Arnstein war.^) Da nun Graf Ruprecht als Sohn Trutvvins auch Sohn
einer Arnsteinischen Gräfin, der Muhme Ludwigs III., ist, so ist der Grad der
mit -cognatus'' angedeuteten Vetterschaft bezeichnet.
^) Nicht nur, dass sie später so genannt wird, so wird bereits in der als Stiftungsbrief
dienenden Urkunde von 1132 Hildelinus „abbas" betitelt und das Kloster „abbatia." — -J „monastice
conversationi" ; „conversatio" heisst sonst allein schon monachismus, vita monastica, vergl.
Du Cange-Henschel 2, 583» und unten Tritheniius. — ^J S. 118 f. — *) S. 136 und tab.
geneal. X. — ^j S. 140 und vita Lud. bei Kremer 2, 372. Widmaun, Annal. 18, 258.
Beziehungen zu Arnstein s. bei Becker, Necrol. Annal. 16, 130 und mehr. Eine Verwandt-
schaft zwisclien Ruprecht und üdalrich von Idstein, der auch „cognatus" des Erzbischofs ge-
nannt wird, wie Steiner sie sucht, Annal, 3, 3, 120, ist hierdurch nachgewiesen.
150
Aber nicht bloss, dass Schönau durch den Schutz eines so mächtigen
reichsfürsthchen Verwandten vor der Ungunst Triers sichergestellt war, auch
die alte Tuto'sche Bestimmung blieb unter ihm in Kraft. Nicht zwar dem Wort-
laut nach. Aber es war Ruprecht doch gestattet „pro remedio anirae sue et
parentum suorum" das neue Kloster zu stiften, und wer durfte es ihm wehren,
seinen Täter Trutwin in erster Linie unter den letzteren zu denken ! Der
Kirche war nur dem Namen, nicht der That nach eine Genüge gethan. Das
Wort „parentum" birgt denselben Laurenburg'schen Trotz gegenüber der Kirche,
wie die Behauptung der Burg Nassau. Bedeutsam : ein winziger „rocher de
broDze" lässt dieser Laurenburg'sche Laienwille die eherne Macht der Welt-
kirche sich an ihm brechen, und die ihm helfen müssen, sind zwei Würdenträger
derselben Macht! „Gutta cavat lapidem!"
Doch Lipporn, Schönau, Nassau sind Kinder desselben zielbewussten Willens
der Laurenburger. Wir haben deshalb des letzteren Geschichte nur auszuer-
zähien, um die der beiden ersten, seine Wirkungen, mit dem vollenden zu können,
was wir als die letzte Folge dieses Willens für die Kirche zu bezeichnen haben :
wir meinen, mit der Schlussbeleuchtung ihrer Legende.
Buccö, der streitbare Bischof von Worms, hatte die Bedeutung des Schach-
zuges seiner Gegner wohl erkannt. Er holte demnach zu einem neuen Schlage
aus, als der Reichstag drei Jahre später in den Mauern seiner Bischofsstadt tagte.
Die „diuturna querela Buggonis**, wie sie die zwei Wormser Urkunden von 1159
nennen'), fand endlich Gehör bei Lothar. Die Laurenburger wurden verurteilt,
das „castrum" Nassau herauszugeben, Ihr mächtiger Mainzer Gönner Hess es
geschehen. Er wusste warum und seine Günstlinge wussten es mit ihm. Was
vermochte Lothar? Sie störten sich nicht an den Beschluss des Reichstags,
und Bucco starb ohne Sieg. So vergingen noch neun volle Jahre. Da hielten
die Kanoniker der Wormser Domkirche die Zeit für gekommen, abermals ein
fulmen brutum auf die unbeugsamen Verächter kirchlichen und kaiserlichen
Machtgebots niederzucken zu lassen. Der Römer Konrad von Subarra, ehemals
Abt von S. Rufin in der Dioecese Orleans, dann Stellvertreter des flüchtigen
Innocenz n., nunmehriger Papst Anastasius IV., den Otto von Freisingen einen
„homo veteranus et in consuetudine Curiae exercitatus" nennt*), und von dem
selbst Baronius nicht unterlässt zu bemerken, dass er „nimiae facilitatis repre-
hensus" gewesen sei^), schien dazu am geeignetsten. Es erschien der Drohbrief
vom 5. Mai 1154, von dem oben so vielfach schon die Rede war. Rache ist
sein erster Laut: „Qui paterne iniquitatis imitatores existunt, a uindicta
quoque non debent existere alieni." Und wie er sich nicht scheut, die keines
Titels Gewürdigten*) mit ihrer greisen Mutter Beatrix an den Pranger zu stellen,
so wird auch noch der meuchlings gemordete Vater als ewig Verfluchter aus
dem Grabe gezerrt und ihnen selbef dessen Loos verkündigt, wenn sie nicht
innerhalb 40 Tagen ihren Raub herausgeben. Aber auch dieser ungeheure
') Schliephake 1, 200. 202 vergl. 204. — *j Bei R. P. Natalis Alexander, Historia
ccclesiast. Lucac 1734, 7, 52. — ") Vergl. Hennes 1, 47 und Spondani, Annalium Baronii
• pitome. Lugd. Bat. 1678, 2, 569. — *) ... „1""^ Ariioldus et Robertus cum B. matre sua
iiiitjuitatem patris sui set-tantes".
151
Blitz erwies sich als kalter Sehlag. Die Betroffenen bleiben ungerührt, und
es währt noch ganze fünf Jahre, bis Worms sich gar zu einem Vergleiche her-
beilassen muss. Den Inhalt desselben erfahren wir aus den drei weitläuftigen
Urkunden vom Jahre 1159^), deren Auslegung in Bezug auf die Laurenburg'schen
Personen bisher so viel Schwierigkeit bereitet hat. Wir haben nach der um-
fassenden Darstellung bei Hennes^) und Schliephake^) hier nur noch zu sagen,
dass Worms sich verstand, seine Ansprüche auf Nassau an den Erzbischof
Hillin von Trier gegen dessen Gut in Partenheim abzutreten, und dass Lauren-
burg gegen eine entsprechende Vergütung aus der Hand des Letzteren Nassau
zu ewigem Lehen empfing, unter der Bedingung, dass der Erzbischof sich ein
Haus und eine Kapelle im Burgberinge zum Zeichen seines Besitzrechtes erbaue.
Von grösserem Belange ist es, Klarheit über die bereits angedeutete Personal-
frage zu schaffen. Man glaubte seither annehmen zu müssen, dass die im
päpstlichen Briefe genannten Grafen samt ihrer Mutter vor der Eröffnung der
Vergleichsverhandlung gestorben gewesen seien. Denn der Lehensvertrag zwischen
Erzbischof HilHn und dem Hause Laurenburg zeige neben einer „beatrix comi-
tissa" nur deren „coheredes" als „filii ruoberti et arnoldi de lurenburch", erstere
sei mithin letzterer Mutter bezw. Muhme als Tochter des Herzogs Walram von
Limburg und Gemahlin Ruprechts, wie dies Gebhardi zuerst festgestellt hat.^)
Indes man hat dabei vollständig ausser acht gelassen, dass die Verhandlung
zwischen Trier und Laurenburg nur durch kirchlich Unbescholtene geführt werden
konnte. Erfuhren wir doch schon oben, dass mit Gebannten zu verkehren bei
Strafe des eigenen Bannes verboten war. Wie hätte also mit Ruprecht und
Arnold verbandelt werden können, mit ihnen, die keine Miene seither gemacht
hatten, sich von dem Banne durch Herausgabe Nassaus zu befreien. Ja nicht
einmal mit Gräfin Beatrix und ihren Miterben wurde unmittelbar verhandelt.
Ihnen, als Angehörigen der Gebannten, war nur gestattet, sich als Bittende an
den Erzbischof zu wenden. Das Geschäft selber war in den Händen ihrer Ge-
schäftsträger: Gerlachs von Isenburg und Eberhards -von Burgensheim, und
zwischen ihnen und dem Erzbischof stand wieder der Gaugraf des Einrieb,
Reinbold von Isenburg. Diese werden selbst als Vermittler des Gesuchs der
Gräfin zu betrachten sein, wie die Urkunde vermuten lässt. Was kann also
hindern, unter „beatrix comitissa" dieser amtlichen Schrift die nur mit „B." im
Drohbriefe des Papstes Anastasius angedeutete Mutter der Grafen Ruprecht und
Arnold zu erkennen, zumal wir ihre Lebenszeit für diesen Fall schon oben ge-
sichert haben? Wir sind um so sicherer in unserem Rechte, als in unserer
Urkunde deutlich zuerst die gebannten „ruobertus et arnoldus de lurenburch"
erscheinen, dann als Bittende „beatrix comitissa et coheredes eins scilicet
filii ruoberti et arnoldi de lurenburch" erwähnt werden und zuletzt der „co-
mitisse uidelicet et coheredum eins Ruoberti et aliorum" als solcher gedacht
ist, welche die entsprechende Summe von 150 Mark für den Hof Partenheim
erlegt haben. Denn wer kann der letztgenannte „Ruobertus" anders sein, als
^) Schliephake 1, 200—206. — -) 1, 48 tf. — ^) 1, 190 tf. — *) Vergl. das Nähere
bei Kreraer, Orig. 1, 350 f.
152
Graf Ruprecht mit seinem Sohne Walram und seinem Bruder Arnold mit dessen
Sohne Ruprecht, dem Streitbaren, ganz wie es der Lebensbeschreiber Ludwigs III.
sagt? Wer ist also Gräfin Beatrix, wenn nicht die Mutter Ruprechts? Und
was kann es uns anfechten, dass auch die Gemahlin Ruprechts Beatrix geheissen
nach Ausweis des Arnstein'schen Gedenkbuchs, zumal diese ausser dem früher
gestorbeneu und darum später nicht mehr genannten Arnold Walram zum
Sohne gehabt, wie es dasselbe Gedenkbuch einmütig mit dem Arnstein'schen
Lebensbeschreiber bekundet?^)
Fassen wir nun aber das ganze Rechtsgeschäft, in welchem Laurenburg
nach beinahe sechzigjährigem Kampfe seinen Frieden mit der Kirche schliesst,
in einem Blicke zusammen, so ist zu sagen, dass sich hier zum drittenmale
wiederholt, was bei der Gründung Lipporns und Schönaus zu Tage getreten
ist: das kleine Grafenhaus hat unter dem Scheine einer Niederlage den Sieg
seines Willens ertrotzt und die Kirche unter dem Scheine eines Sieges die
•) Becker a. a. 0. 13. Dieser Eintrag erscheint an sich schon als Bürge dafür, dass
die hier genannte Beatrix nicht dieselbe mit der in den Urkunden von 1159 sein kann. Denn
er bekundet mittelbar die Abwendung von Schönau, das doch diese erhebliche Rolle im Kampfe
mit Worms-Trier gespielt hatte. Der Einkauf in das Arnsteiner Seelengedächtnis kann nämlich
nicht als Vervielfältigung eines schon in Schönau erwirkten gefasst werden, da der dort be-
dachte Gemahl Ruprecht nicht mitgenannt ist, sondern nur der Sohn Walram. Es wird zwar
im Totenbuch Arnsteins unter dem 23. Dezember eines „Ruperti comitis de Nassauw" gedacht
(Becker a. a. O. 209), aber der kann nicht Ruprecht I. sein, weil eben sein Name nicht
unter den Schenkern des Klosters steht, und unter diesen sein Sohn Arnold ebensowenig vor-
kommt, als er im Totenbuch erscheint. Der Einkauf ist also oflFenbar nach beider Tode ge-
schehen. Xun hat sich allerdings Gräfin Beatrix an der Beerdigung der Schönauer Elisabeth
1165 beteiligt (Nebe, Annal. 8, 231), aber vermutlich nur wegen der besonderen Frömmigkeit
dieser, deren Name auch im Arnsteiner Totenbuch unter ihrem Todestag am 18. Juni ver-
zeichnet ist. Sie erscheint dadurch als besonders kirchliche Frau ; und erwägen wir, dass
Schönau seit seiner Stiftung durch Ruprecht sich keiner Zuwendungen mehr aus dem nassau-
ischen bezw. laurenburgischen Hause zu erfreuen hatte, dass vielmehr nur auf Bitten des ersten
Abtes Hildelin die Kirche zu Lipporn und 1211 noch einmal diese und diejenige zu Welterod
wegen allzugrossen Bedürfnisses vom Trierer Erzbischofe mit ihren Einkünften geschenkt wurden
(s. die Urkk. ,, Rettung" Beyl. N. V— VII), so ist die Annahme wohl gerechtfertigt, dass die
kirchlicher gerichtete Gemahlin Ruprechts samt der ganzen späteren Familie ähnlicher Art
sich Schönau entfremdet zeigt. Ihre Gunst ist Arnstein geworden. Das bezeugt der ganze
die nassauische Familie betreffende Eintrag jenes Eingangs dieser Anmerkung angeführten
alten Schenkregisters, das die Namen des Neffen Ruprechts I., den Kreuzfahrer Ruprecht
(t 1190 auf dem Kreuzzuge) mit seiner Gemahlin Elise und seinem Sohne Hermann, wie die-
jenigen von Beatrix, ihrem Sohne Walram, dessen Gemahlin Kunigunde, beider Söhne Heinrich
und Ruprecht, wie ihrer Tochter, und ebenso der Söhne des ersteren von diesen, Ruprecht
und Heinrich umfasst. Und dass die Geschenke an Arnstein nicht unansehnlich waren, be-
leuchtet eine Urkunde von 1198 (Guden. Cod. dipl. 2, 27 ff.), laut welcher die vorgenannte
Gräfin Kunigunde ,,omnem decimarum proventum de novalibus in Estenervorst" diesem Kloster
mit der ihre kirchliche Stellung deutlich genug kennzeichnenden Bestimmung schenkt: „ut si
quo predictus comes [Walramus] adhuc in corpore vivens ex operum iilicitorum comraisso
impenitens morte decesserat, eorum precuni aminirulo apud misericordiarum Patrem miserioor-
(liter cxpiaretur." Ilir Sohn Ruprecht aber trat nach dem Tode seiner Gemahlin in das Deutsch-
ordenshaus in Mainz, nachdem er 1222 das Cisterzicnscrfraueiikloster Atffiolderbach gestiftet
hatte (vtTgl. Becker a. a O. 17). Alles doch wohl deutliche Zeugnisse für eine der Stiftung
Lipporn-Schönau abgeneigte Stinirauiig in der späteren Familie der Stifter selber.
153
Niederlage ihrer Ansprüche verborgen. Bann und Interdikt mussten aufgehoben
werden, ohne dass die Grafen nur darum zu bitten gehabt hätten, und weit
entfernt eine Machteinbusse erfahren zu haben, hatten dieselben nun als Vasallen
des mächtigen Trier eine um so grössere Machtfüllc erworben, zumal sie auch
mit der Burg das ganze Gebiet Nassau für ihre 150 Mark erhielten. Sie treten
nun als die mächtigen Grafen von Nassau in die Geschichte ein. Was Bruno
für Lipporn, was Adelbert für Schönau, ist Hillin für Nassau geworden. Des
Vaters Trutwin AVille ist erreicht und des Vaters Ehrung trotz Bann und
Interdikt durchgesetzt. Nassau ist seinem Geschlechte geworden, und Schönau
betet für seine Seele, wie es Lipporn gethan. Denn, das ist der Sinn der
Schönauer Legende, Schönau erkennt ihn als seinen eigentlichen Gründer und
die im Kalendarium der Abtei auf den „VII. Idusaprilis" angesetzte „commemoratio
fuudatorum" ^) bedeutet die Feier seines Totenamtes vor allem, wie es Tuto,
ja vielleicht schon Trutwin selber angeordnet für seinen Todestag, den wir also
im 7. April ohne weiteres zu sehen haben. Alles dies war ja freilich unter un-
glaublich günstigen Verhältnissen für die Laurenburger erreicht worden. Denn zu
der Verwandtschaft mit den Erzbischöfen Bruno und Adelbert kam neben der
treuen Vetterschaft des mächtigen Gaugrafen Reimbold von Isenburg die besondere
Friedensliebe Hillins.^') Aber es war erreicht und die Kirche um eine der vielen
Demütigungen reicher, die ihr Bann und Interdikt schon eingetragen.
Und doch war der Kirche noch eine ungleich tiefere Erniedrigung, weil
sittliche Schädigung, als Frucht der drei Siege Laurenburgs beschieden. Sie
rausste — und damit nennen wir das letzte und eigentliche Siegel auf die Wahr-
heit unserer ganzen Untersuchung — zur Geschichtsfälschung greifen und jene
Legende ersinnen, die wir zum Ausgangspunkte unserer Erörterung genommen.
Das Haus Laurenburg litt es nicht, dass innerhalb des Bannkreises seiner Macht
— und zu dem gehörte die Vogtei Schönau — der Name seines meuchlings
gemordeten Gliedes fürder als kirchlich entehrter gelte. Sie hatten auf ihre
Laienweise für das Heil der Seele des Verstorbenen durch Gründung von Lipporu
und Schönau gesorgt, und sie hatten dieser Sorge kirchliche Geltung verschafft
im Widerstreit mit dem amtlichen kirchlichen Willen. Was blieb unter so fester,
keiner Wahl Raum gebenden Hand anders übrig, als das kirchlich entstellte
Bild Trutwins in den Augen der Nachwelt und zur Rechtfertigung der Stiftung
und des alljährlichen Totenamtes vor sich selber kirchlich zu ersetzen mit dem
Trugbilde eines Trutwin, der statt eines Kirchenschänders ein Kirchenliebhaber,
ein „religiosus" gewesen, ein besonderer Verehrer des hl. Florin, und im Sterben
noch die Kirche bedacht habe mit der Stiftung eines Klosters auf der Stätte
») Widmann, Annal. 18, 41. Roth, Die Visionen 165. — '-) Dieselbe geht nicht bloss
aus den Worten der Urkunde : .,nos tantam discordiara et litis materiara de medio tollere
cupientes" etc., sondern auch aus Browers Bemerkung, dass Hillin „praecipua «[uaedam animi
moderatio" (2, 56) besessen, heryor. Im Übrigen ist die Darstellung Browers vom Hergang
der Beilegung des Streites 2, 64 lediglich Umschreibung der Urkunde, und es darf wohl an-
genommen werden, dass dieselbe sämtliche nassauisclie Geschichtschreiber beeinflusst hat, da
sie erzählt : ,supplices atfuere parentibus orbi Lurenburgii, Beatrix ac Rupert! et Arnoldi
Comitum liberi", was nach unserer Darlegung doch nur ein falscher Schluss aus der Urkunde ist.
154
seiner Todesursache! Der Rahmen zu einem solchen Bilde fand sich leicht.
Die Florinlegende war vorhanden; man durfte ihr nur einen kleinen fränkischen
Anbau geben, und die Gläubigen konnten nicht fehlen. Man weiss, was die
mittlere Zeit auf dem Gebiete der Legendenlitteratur, diesem Zwitter von Ge-
schichte und Dichtung, geleistet und erreicht hat. Man darf sich also nicht
wundern, dass die Schönauer, als Kenner ihrer Zeit, lieber ihre Zuflucht zu
einer Legende als zu einer chuonikalen Aufzeichnung nahmen.
In der ersten Zeit war dies freilich weder möglich noch nötig. Wer
durfte es wagen, der Zeit etwas anderes zu erzählen, als was sie selber erlebt
hatte! Dazu nahmen ja auch ohne Zweifel die geistlichen Insassen Schönaus
gar keinen Anstoss an der Grundursache ihres dortigen Seins, wie wir oben
bereits andeuteten und hier damit bestätigen wollen, dass die Visionen der hl.
Elisabeth sich zwar sehr viel mit der entarteten Kirche, aber niemals mit der
Kirchenschändung durch einen Gebannten beschäftigen. Die Visionärin war
eben die nahe Freundin der hl. Hildegard, von deren kirchhch freier Stellung
wir oben Kenntnis nahmen, ausserdem gut kaiserlich gesinnt samt ihrem Bruder
Ekbert, der sich überdies dem Gedanken einer Lostrennung der deutschen Kirche
von Rom nicht fremd zeigte.^) Und ist nicht zu allen Zeiten die niedere Geist-
lichkeit geneigt, den Absichten der höheren ihren eigenen Willen entgegenzu-
setzen? Nimmt man dazu, dass durch Elisabeth das Kloster zu hohen Ehren
gekommen war in den Augen der Mitwelt, so begreift man, dass unter dieser
gewissermassen göttlichen Bezeugung und Begnadung der Makel des Klosters,
wenn er überhaupt als ein solcher von den Zeitgenossen empfunden wurde,
mehr als getilgt galt.
Aber es kamen andere Zeiten, und in diesen will uns der Zeitpunkt bemerkbar
erscheinen, in denen Laurenburg-Nassau kirchenamtsfahig geworden war. Für
einen kirchlichen Würdenträger konnte es selbstredend nichts weniger als er-
wünscht sein, von einem im Banne Gestorbenen abstammen zu sollen, so wenig
auch das Kirchengesetz diesen Fall vorgesehen zu haben scheint und so sehr
die sogenannte Irregularität, d. h. die Untüchtigkeit für ein Kirchenamt, nach
dieser Seite hin sich nur auf uneheliche Geburt, den sogenannten defectus natalis,
bezog. ^) In bedenklichen Zeiten aber war es immerhin möglich, dass auch aus
solcher Abstammung Kapital geschlagen wurde. Man kennt das ja sattsam
aus der Geschichte. Und so wagen wir denn unter allem Vorbehalt, aber nicht
ohne ernstlichen geschichtlichen Anhalt, die folgende Mutmassung vorzutragen,
die, wenn sie das Richtige treffen sollte, zugleich genau die Zeit angiebt, unter
der unsere Schönauer Sage entstanden ist, nachdem wir oben nur ihr Jahr-
hundert annähernd genannt hatten.
Diether, der älteste Sohn Walrams II. von Nassau, war nach dem Berichte
seines Zeitgenossen, des Minoritenbruders Werner von Saulheira, „sonder Wissen
der (verwittweten) Mutter (Adelheid) in das Predigerkloster zu Mainz gegangen."^)
Von dort erhob ihn im Jahre 1300 über den Kopf des Domkapitels hinweg
') Roth, Die Visionen XCIX f. — ') Wetzer und Weite 5, 836. — '') Schliephake
2, 145.
155
Papst Bouifatius VIII. auf den Erzstuhl in Trier, auf dem er sieben Jahre zu
sitzen berufen war. Die eigentümliche Art seiner Erwählung, die nur päpstlich
politische Ursachen hatte, war geeignet, alle die mit ihm unzufrieden zu machen,
die nicht bei ihr beteiligt waren. Nicht nur, dass sofort der Kampf mit König
Albrecht den Neuerwählten in Anspruch nahm, so waren auch seine beiden
Residenzen zu Trier und Coblenz seine Feinde. Und fand er sich gleich mit
der ersteren endlich zurecht, so machte ihm Coblenz doch vier Jahre lang
schwere Mühe. Bei solchen Gelegenheiten ist es üblich, dass nicht bloss mit
den Waffen gekämpft wird. Die böse Nachrede und die schriftstellerische
Feder sind oft noch viel stärkere Kampfmittel, und nichts wird geschont, was
wie eine Blosse des Gegners erscheint. Nun darf doch angenommen werden,
dass gerade Coblenz, die nächste Nachbarin des Einrieb und der Heimat des
Erzbischofs, trotz einer fast zweihundertjährigen Vergangenheit sich der ein-
drucksvollen Geschichte des im Kirchenbanne meuchlerisch gemordeten Trutwin
dunkel erinnern und diese Erinnerung verwerten konnte zu Ungunsten des
verhassten, aufgezwungenen erzbischöflichen Herrn. Da galt es Gegenwaffen
schmieden. Und wenn wir nun in unserer Schönauer Legende den Namen
Coblenz ganz unvermutet lesen und an diesen eine Geschichte geknüpft sehen,
die den ehemaligen wohlbekannten Gönner des Florinstiftes, den Herzog Hermann,
zum Schenker des Leibes des hl. Florin macht, als welchen ihn niemand bis
dahin gekannt, und wenn wir weiter lesen, dass dieses Wohlthäters der Stadt
„ipse Truthuinus satelles erat fidissimus". ein „religiosus baro" und Liebhaber
Florins, gleich jenem, den die Wunder des Heiligen samt seiner frommen Stiftung
so wunderbar verherrlicht haben, sollte es da zu gesucht erscheinen, jene heim-
lichen Gegenwaffen in solcher Schriftleistung zu erblicken? Freilich das Gegenteil
von letzterer lag ausser im dunkeln Volksgedächtnis im Trierer Archive. Aber
das erstere war mit alter Schrift zu besiegen und das letztere in den Händen
Diethers, und das blossstellendste Zeugnis, der Drohbrief des Papstes Anastasius,
80 wohlgeborgen, dass bemerkenswerter Weise kein Trierischer Geschichtschreiber
jemals davon Kunde erhielt. Erst das Jahr 1842 förderte ihn ans Licht. Was
aber war leichter für den Erzbischof, als durch seine Verwandten, wie durch
sein eigenes Ansehen, die Schönauer Fälschung ins Werk setzen zu lassen?
Ob sie gewirkt hat, ist eine andere Sache. Die im Jahre 1307 unter dem
Drucke der ganzen Diöcese Trier zu stände gekommene Beschwerde des ge-
samten Klerus gegen ihren Erzbischof an den Papst hatte keinen Erfolg, da
Diether, im Begriffe zu seiner Verteidigung nach Avignon zu reisen, vom Tode
überrascht wurde. ^)
Wie aber immer sich die Sache verhalten haben mag, Schönau war zum
Fälschen gezwungen worden, und darnach zum ewigen Schweigen. Das erste
beweist, wie dargethan, seine Legende, das letzte die spätere auswärtige Nach-
richt über die Gründung der Abtei, von der nun noch ein W^ort zu reden ist.
Wir besitzen dieselbe, was auch bis dahin noch niemand sich die Mühe genommen
') Brower 2, 84, woselbst auch alles Übrige aus der Geschichte Diethers zu lesen ist,
was Schliephake zu seiner Darstellung benutzt hat, 2, 90. 143 if. 197. 3, 220. 4, 69 S.
156
hat festzustellen, in fünf Darstellungen. Drei davon rühren von dem berühmten
Abte Johannes Trithemius her, eine von Gabriel Bucelinus und
eine von Christoph Brower. Wir führen dieselben der Zeitfolge nach vor.
Die erste findet sich in dem „Chronicon spanheimense", das im Jahre 1506
von Trithemius, dem Abte des Klosters zu Sponheim bei Kreuznach, vollendet
ward, wie die Vorrede besagt.^) Dort heisst es unter dem Jahre 1125^): „In
diesen Zeiten stiftete auch ein Graf von Lurburg ein Kloster unseres Ordens
im Gebiet des Trierer Sprengeis, welches Schönau genannt wird, dem er als
ersten Abt von frömmstem mönchischen Leben Hildelin vorsetzte, welchem
nachher Ecgebert folgte, der in göttlicher sowohl als weltlicher Schrift Hoch-
gelehrte, der Bruder der hl. Elisabeth, der Nonne und Meisterin des Schönauer
Klosters, welches der vorgenannte Abt Hirdelin für die Jungfrauen Christi neben
seinem vorgenannten Kloster im Felde gegen Süden aufführte. Die Gründung
dieses Klosters bestätigte der mainzer Erzbischof Adelbert, der Yetter dieses
Grafen, als eine der mainzer Kirche dargebrachte, sowie es aus der Urkunde
derselben erhellt, welche folgenden Wortlaut hat: (Hier folgt alsdann wörtlich
die ganze Urkunde von 1132, nach ihr heisst es weiter:) Und bemerke, dass
vorgenanntes Kloster zuvor eine Propstei war, erbaut an dem Ort, welcher
Lipporn genannt wird, wo jetzt eine Pfarrkirche mit einem Dörfchen in der
Entfernung einer Meile ; und sie war dem Kloster und Abt zu St. Salvator in
Schaff hausen in dem Constanzer Spreugel rechtlich unterstellt."^)
Die zweite Darstellung desselben Verfassers ist in dessen „Chronicon
hirsaugiense" erster Ausgabe, das 1495 angefangen und nach 1503 vollendet
wurde*), enthalten und hat diesen Wortlaut: „Im vierten Jahre des Abtes Volmar,
welches das 1125ste der Geburt des Herrn, dritter Indiction, war, wird das
Schönauer Kloster, Trierer Sprengeis, unseres Ordens, ungefähr vier Meilen
von der Stadt Bingen, auf der anderen Seite des Rheins, entfernt, von einem
edeleu und reichen Manne, Namens Hildelin gestiftet, welcher nach Vollendung
des Klosters Mönch und erster Abt daselbst geworden ist. Er erbaute auch
in Steinwurfsweite ein Kloster für Nonnen unseres Ordens, in welchem für die
Folge eine hohe Frömmigkeit der Jungfrauen Christi blühte."^)
') Opera historica. Francofurt. 1601, 2, 237. — -) Nach trierischer Zeitrechnung, also
1126, wie auch jene Vergleichsurkuiiden im trierischen Jahre 1158 ausgestellt sind, in "Wirk-
lichkeit aber 1159. Vergl. Schliephake 1, 190. — 3) Opera 2, 243 f.: „His etiam temporibus
comes de Lurburg monasterium nostri ordinis t'undauit in finibus Treuerensis dioecesis, quod
Sconaugia vocatur, cui primum praefecit Hildelinura religiosissimae conuersationis abbaten), cui
postea successit Ecgebertus, in scripturis tarn divinis quam secularibus eruditissimus, frater
sanctae Helizabeth monialis monasterii Schonaugiensia et Magistrae, quod praefatus abbas
Hildelinus, pro Christi virginibus prope monasterium suum praefatum in campis versus meridiem
construxit. Huius monasterii fundationom Adelbertus archiepiscopus Moguntinus, cognatus ipsius
comitis de Lurburg, ecciesiae Moguntinae oblatam confirmauit: sicut patet ex literis eiusdem,
quae sequuntur, et sunt tales. Et nota, quod praefatum monasterium antea fuit prae-
positura conatructa in eo loco, qui Lipron dicitur, vbi nunc parochialis ecclesia cum villula ad
distantiam vnius medii milliaris, fuitque monasterio et abbati sancti Saluatoris in Scoffhausen,
Constantiensis dioecesis subiecta". — ') .\nnale3 hirsaug. St Gall. 1600, Vorrede. — ^) Opera
2, 119: ..Anno Volraari abbatia 4. qui fuit dominice natiuitatis 1125. iadictione 3. monasterium
Schonaugiense Treuerensis dioecesis nostri ordinis, quatuor forme miliaribus ab oppido Bingionum,
157
Der dritte Bericht wird von derselben Chronik, nachdem sie von ihrem
Verfasser im Jahre 1100^) umgearbeitet worden war, in folgenden Worten ab-
gestattet: :,1125. Im fünften Jahre des Abtes Yolmar erbaute ein gewisser
Graf von Lurburg ein Kloster unseres Ordens in seiner vorgenannten Graf-
schaft im Sprengel Trier, Schönau genannt, was von Mainz vier und von der Stadt
Bacharach am Rhein eine Meile entfernt ist, in dem Gau, welcher inmitten
zwischen Hessen und den Rbeinlanden Einrieb gemeinhin genannt wird. Nach-
dem endlich das Kloster vollendet war, legte der genannte Graf, mit Namen
Hildelin, der Stifter, den Gürtel der weltlichen Ritterschaft ab, und Mönch ge-
worden für Christus in der Propstei Lieporna, wurde er zum ersten Abte des
Schönauer Klosters verordnet, ein trefflicher Mann und von glühendstem Eifer
in der hl. Religion. Auf Steinwurfsweite gegen Süden vom genannten Kloster
der Mönche gründete derselbe überaus fromme Graf auch ein Kloster für Nonnen,
in welches er eine Menge von in Liebe Christo dienenden Jungfrauen versetzte ;
und sowohl für der Mönche als für der Nonnen gegenwärtiges Leben besorgte
er das Notwendige, Es muss aber bemerkt werden, das das vorgenannte Schönauer
Mönchskloster einst als eine Propstei unseres Ordens an eben dem Orte, der
von den Eingebornen jenes Landes heute Lieprona genannt wird, errichtet war,
wo jetzt ein Dörfchen mit einer Parochialkirche liegt, auf eine halbe Meile
Entfernung von Schönau. Und diese Propstei war vor Alters den Äbten und
dem Kloster St. Salvator in Schaffhausen mit voller Rechtsbefugnis unterworfen.
Heutzutage ist nicht die geringste Spur mehr von ihr vorhanden."*)
Die vierte Form der Erzählung in Gabriel Bucelinus „Germania sacra"')
aus dem Jahre 1655 ist diese: „Schönau ein berühmtes Männerkloster Bene-
ab alia parte Rheni distans, fundatur, a quodam nobili viro et diuite nomine Hildelino, qui
completo coenobio monachus et priraus abbas in eo factus est. Ad iactum quoque lapidis
ooenobium sanctimonialium nostri ordinis construxit, in quo magna deinceps Christi virginum
religio viguit."
*) Annales hirsaug. 1, Vorrede. — ') Ebenda 1, 384: MCXXV. „Anno Volmari abbatia V.
Comes quidam de Lurburg Monasterium nostri Ord. construxit in praefato comitatu suo Lur-
burgensi Trevirensis Dioecesi? Schönaugia dictum, quod a Moguntia quatuor, et ab oppido
Bacherach iuxta Rhenum uno distat milliaribus, in pago, qui Hassiis et Rhenensibus inter-
medius Einrieb vulgariter nuncupatur. Consumato Monasterio tandem Comes memoratus nomine
Hildelinus fundator cingulum saecularis militiae deposuit, et Monachus factus pro Christo in
Praepositura Lieporna primua Schönaugiensis Coenobii abbas ordinatus fuit; vir bonus, et in
sancta religione ferventissimus. Ad iactum quoque lapidis ad Meridionalem plagam a dicto
Monasterio Monachorum aliud Coenobium Monialium idem Comes religiosissimus constituit; in
quo multitudinem Christo in charitate servientium Virginum collocaTit; et tarn Monachis, quam
Monialibus vitae praesentis necessaria procuravit. Notandura vero, quod Monachorum Coenobium
Schönaugiense praefatum quondara erat Ord. nostri Praepositura, in eo loco, qui ab incolis
terrae illius hodie Lieprona vocatur posita, ubi nunc villula cum Parochiali Ecclesia sita est,
ad unius medii milliaris distantiam a Schönaugia. Et haec Praepositura fuit antiquitus Abbatibus
et Monasterio S. Salvatoris in Schaffhausen pleno jure subjecta, eius hodie nullum omnino
comparet vestigium." Vergl. Kremer, Orig. 1, 349. Schliephake 1, 168, Anm. versteht
den letzten Satz offenbar irrig vom Aufhören der Rechtsverbindung mit Schatfhausen. — ^) Da
mir von Bucelin nur der 2. Teil der ,, Germania topo-chrono-stemmatographica sacra et profana.*'
Aug. Vind. 1672 zugänglich ist, so muss ich mich leider auf die Treue der Wiedergabe der
„Rettung" S. 1 f. verlassen, wo aus „Germania sacra P. H. p. 79" dies angeführt wird:
ir)8
diktinerordcus im Trierer Spreugel ungefähr vier Meilen von der Stadt Bingen,
ist im Jahre Christi 1125 von Hildelin, einem Edelmanne, gegründet worden,
der in demselben sich der Gottheit weihend, nachher desselben erster Abt war."
Die fünfte Stiftungsgeschichte endlich in Browers „Annales trevirenses"^)
vom Jahre 1670 lautet so: ,In dieser Zeit (1125) ist der Trierer Sprengel
wieder durch das neue und sehr berühmte Schönauer Kloster bereichert worden.
Dies ist auf einem Landgute der Laurenburger Grafen jenseits des Rheins 16000
Schritte gegen Bingen im Landstrich Einrieb von Hildelin, einem reichen Manne,
angefangen, vom Laurenburg'schen Grafen Rubert darnach vollendet und dem
seligen Florin, durch dessen hl. Asche es ausgezeichnet ist, geweiht worden.
Hildelin aber stand als erster Abt dem Kloster vor, der auf einen Pfeilschuss
ebenso eine andere Wohnstätte mit demselben Xamen für Jungfrauen gründete,
in welchem nachher die an Heiligkeit und himmlischen Eingebungen fruchtbare
und wegen des Lobes ihrer bewundernsvverten Frömmigkeit besungene Jungfrau
Elisabeth von Schönau blühte, die auch Abt Hildelin in ihren Gesichten, welche
sie über die Auffindung der 11000 Gefährtinnen der Ursula hatte, lobte."
Aus der Vergleichung dieser fünf verschiedenen Berichte ist vor allem
ersichthch, dass sie alle Trithemius zum geistigen Urheber haben. Yon den
drei ersten muss das nicht erst begründet werden, von dem fünften sagt es
Brower ausdrücklich, indem er am Rande vermerkt: „Tritth. in chro. Spanheim,
»t MS. documenta", bei der vierten geht es aus der Ortsbestimmung Schönaus
und der Benennung Hildelins als „vir nobilis" hervor, welche beide im zweiten
Berichte Trithem's enthalten sind. Wir haben es also in Wirklichkeit nur mit
einem Berichterstatter zu thun und dessen verschiedene Darstellungen derselben
Sache zunächst ins Auge zu fassen.
Da ist denn vorab festzustellen, dass der gelehrte Abt als naher Freund*)
der beiden Schönauer Äbte Melchior und Johannes (1468 — 1510)"') um so sicherer
Schönauer Quellen benutzt hat, als er in seinem ersten Berichte die sogenannte
Stiftungsurkunde mitteilt, freilich ungenau. Denn er lässt nicht nur den Namen
des Grafen Ruprecht weg, wie im Kontext, so auch unter den Zeugen, von denen
er überhaupt nur die zwei ersten nennt, sondern setzt auch an die Stelle von
„Schönaugia, Virorum celebre Benedictini Ordinis in Dioecesi Trevirensi quatuor fere milli-
aribus a Bingiorum oppido Coenobium fundatum A. C. 1125 ab Hildelino quodam Viro nobili,
qui in eodem Xumini se devovens ejusdem postea primus Abba8 extitit." Dabei soll ebenda
Hildc'linus auch noch „Dynasta" genannt sein, was Roth, indem er in seinen „Visionen" die
Stelle nur verkürzt wiedergiebt, auch bemerkt. Es ist nicht ersichtlich, ob er das aus eigener
Anschauung hat, wenn er schon dem Titel des Buches 1655 beifügt.
') 2, 20'' f. : Quo tempore, Trevirorum dioecesis, novo rursus et percelebri Schonaugiensi
raonasterio aucta est; id in Lurenburgensium Comitum praedio, trans Rhenum, sedeeim contra
Bingam millibus passuum, Einrichae tractu, ab Hilduwino locuplete viro inchoatum, a Ruberto
Lurenburgensi Comite, postea perfectum, atque B. Florino, cuiua sacris iosignitum cineribus,
dicatum est. Hildelinus autem primus Abbas monasterio praefuit, qui ad teli inde jactum,
aliud item Virginibus eodem nomine domicilium constituit; in quo sanctimoniae et caelestium
instinctuum foecunda, nee non admirandae pietatis laude eantata, virgo Elizabeth de Schönaugia,
postea claruit: quae et Hildelinum Abbatem in visis suis quae super XI. millium Ursulae
sodalium inventione habuit, laudavit." — Auch bei Roth, Visionen XI. — -) Nebe, Die hl.
Elisabeth. Annal. 8, 158. — ''jXach Bucelinus, Germania topo-chrono-stemmatographica 2, 180.
159
1132 die Jahreszahl 1125. Glcichwuhl ist nach Abzug dieser Verfehlungen
der erste Bericht vollkommen geschichtsgetreu bis auf die Gründung des Nonnen-
klosters. Da jedoch dessen Stiftung vor dem Mönchskloster erst bei dem ge-
nannten Streite im Jahre 1507 festgestellt scheint, Trithemius aber zu der Zeit
nicht mehr in dem nahen Sponheim, sondern in Würzburg sich befand, so muss
angenommen werden, dass seine irrige Darstellung in diesen Stücken dem Nicht-
wissen seiner äbtlichen Gewährsleute zur Last fallt.
Um so mehr hat man zu fragen, wie es möglich war, die zwei anderen
Berichte zu schreiben, und wer an ihnen Schuld trägt. Gleichwohl liegt die
Antwort recht nahe. Trithemius muss seine Erzählung in der Sponheimer Chronik
im Laufe der Jahre vergessen und letztere bei seiner neuen Arbeit nicht zu
Rate gezogen haben. War er doch auch infolge innerer und äusserer Zwistig-
keiten vom Jahre 1505 an nicht mehr Abt zu Sponheim, sondern nach 7 monat-
lichem Aufenthalt beim Kurfürsten Joachim von Brandenburg in Berlin Abt des
Schottenklosters St. Jakob zu Würzburg, wo er 1516 starb.') Aber der Viel-
schreibende und darum Vergessliche muss eine ^Abschrift jener Schönauer Urkunde
besessen haben, in welcher der Erzbischof Adelbero von Trier dem Abte Hildelin
die Seelsorge und den Zehnten von Welterod überträgt.^) Dort kommen die
Worte vor in Bezug auf Hildelin: „ecclesiam Weltrod secus claustrum suum
in fundo ecclesiae suae sitam, sui juris suaeque donationis." Aus ihnen floss
durch verkehrte Auslegung der reiche Edelmann Hildelin, der Mönch und Abt
wurde. Denn man fasste, w^ie dies auch die „Rettung" gethan^), alle die „suum,
suae, sui", als Hildelins Besitz anzeigende Fürwörter auf, während sie ledigUch
den Besitz der Schönauer Kirche bezeichnen.*) So kam der zweite Bericht
ohne alles Zuthun von Seiten Schönaus zu stände. Der dritte unterscheidet
sich nur dadurch von diesem, dass Hildelin zum Grafen von Lurburg gemacht
wird, weil Trithemius doch wohl noch etwas von der früher gelesenen Urkunde
dämmern mochte, in welcher ein Laurenburger Graf — den Namen hatte er
ja damals schon ausgelassen, konnte ihn also mit dem Hildelins ersetzen — als
Stifter Schönaus genannt war.
Hiernach verstehen sich die Darstellungen bei Bucelin und Brower ziem-
lich von selbst. Obwohl ersterer die Äbtereihe, die er im zweiten Teile seiner
, Germania topo- chrono- stemmatographica" bringt, unmittel- oder mittelbarer
Weise nur einer Mitteilung aus Schönau verdanken konnte, so hat er doch,
wie vorhin bemerkt, deutlich den zweiten Bericht Trithems vor sich gehabt.
Den dritten, obwohl er sich handschriftlich eine Zeitlang in dem Kloster Wein-
garten, dessen Prior er war, befand, konnte er nicht kennen, da dies vor seiner
Zeit lag, die zweite Ausgabe der Hirsauer Chronik aber erst 1690 im Drucke
erschien. Den ersten hat er auffälliger Weise so wenig gekannt, ob er gleich
zu seinerzeit gedruckt vorlag, wie Brower, dem der dritte ebenso verborgen
blieb. Bei diesem aber fällt es. um so mehr auf, als er die Sponheimer Chronik
>) Wotzer und Weite 11, 298. — ^) „Rettung" Beyl, N. IV S. 3 f. Kremer, Orig,
2, 162 f. Die Urkunde ist undatiert. Vergl. Schliephake 1, 174 f. und Brower 2, 45.—
") In ihrem Regeste über die XJrk., das auch auf Kremer übergegangen ist. - *} Vogel.
Beschr. 639.
160
ausdrücklich, aber irrig als seine Quelle nennt. Aber freilich er hat noch eine
andere Quelle, die in der Sponheimer Chronik gebraucht ist, das „Ms. documentura"
der Urkunde von 1132. Diese verschweisst er nach seiner Auslegung mit dem
zweiten Berichte Trithems unter Zuthat von anderweitigem, was er anderer
Lektüre entnommen haben muss. Den „reichen Mann" Hildelin, wie die ört-
liche Lage von Schönau und den Bau des Nonnenklosters durch ersteren bezog
er von Trithemius. Den Grafen „Rubert" von Laurenburg entnahm er der
Urkunde von 1132, und ein irriger Schluss aus derselben war es, diesen zum
blossen Vollender des Klosters zu machen. Denn, indem er, wie Nebe in seiner
nunmehr auch hinfällig gewordenen Darstellung^), ein „a se ipso" bei dem „in
proprio predio suo fundatum" vermisste, machte er das „fundatum" zu einem
Werk des Hildelin und die Übergabe an die „monastica conversatio" zu einem
solchen Ruprechts. Ausserdem hatte er die Visionen der hl. Elisabeth gelesen.
Aber recht oberflächlich. Denn das ganze Lob, welches dort Hildelin gespendet
wird bei Erwähnung der „Sancta Verena virgo et martir", ist dies: „Hec per
manum venerandi abbatis nostri Hildelini inde in locum nostrum translata est."^)
Die andere Brower eigentümliche Nachricht, dass das Schönauer Kloster „sacris
insignitum cineribus" Florins sei, steht mit der Schönauer Legende, wie mit
seiner eigenen vom Haupte dieses Heiligen in Coblenz, in bedenklichstem Wider-
streite. Denn Asche reimt sich weder mit dem „corpus" in Coblenz, noch mit
der „pars reliquiarum" in Lipporn nach der Legende, noch mit dem „caput"
Browers. Auch das ist auffällig, dass er „Hilduwinus", „Hilduinus" und „Hilde-
linus" nebeneinander gebraucht und am Rande bemerkt: „Hilduinus qui et
Hildelinus autor monasterii." Man könnte versucht sein, erstere Namen als
eine Verlesung von „Drutwinus" anzusehen und dabei an das oben genannte
^antiquum manuscriptum" Plebans denken, in welchem seltsamerweise Trutwin
„Ordinis S. Benedicti" genannt scheint. Indes, so sehr man auch die Kenntnis
der gleichen alten Handschrift schon bei Trithem voraussetzen möchte, gekannt
können sie beide nicht haben, da dort vom „vulnernatus" Trutwin erzählt ist.
Die verschiedene Schreibung des Namens Hildelins bei Brower kann also nur
auf fehlerhafter Abschrift der von ihm benutzten Urkunde von 1132 beruhen.
Ist aber auf diese Weise der Wert aller ausserschönauer Berichte über
die dortige Klostergründung auf sein wahres Mass zurückgeführt, nachdem der
Inhalt derselben lange genug Irrlichtsdienste verrichtet hat, so bedarf es keines
weiteren Wortes, dass sie alle das tiefe Schweigen Schönaus selber über seine
Urgeschichte bedeuten. Für sie hat kein Trutwin gelebt, war keiner gemordet,
kein Bann und Interdikt verhängt worden. Um so mehr ist noch ein Wort dar-
über am Platze, dass sie miteinander eine thatsächliche Beseitigung der Schönauer
Legende darstellen. Es kommt nur darauf an, festzustellen, auf wessen Rechnung
die Beseitigung zu setzen ist. Wir sahen oben, dass der eigentliche Schöpfer
aller genannten Berichte, Trithemius, in unmittelbarer Beziehung mit Schönau
stand und zwar, das setzen wir hier hinzu, ungefähr zu derselben Zeit, als
letzteres an seiner neuen Kirchenwand die alte Legende mit neuer Einleitung
') A. a. O. 160, Anm. — -') Roth, Visionen 123. Im Register ist das Vorkommen des
Namens an dieser Stelle vergessen.
161
wieder aufleben Hess. Sollten wir ihm die Tücke zutrauen dürfen, dass es, was
es daheim etwa unter gräflich nassau'schem Zwange gethan, auswärts leugnen
Hess? Nicht doch, das würde gegen den nur für seine eigenen Augen bestimmten
Bericht über den Streit mit den Nonnen im Jahre 1506 Verstössen. Wir können
nur annehmen, dass es Abschrift gab oder nehmen Hess von feinen alten Schriften
und zwar mit Einschluss der Legende, an die es glaubte. War es Trithemius
nun, der letztere verwarf und aus den ihm gelieferten Urkunden allein seine
Erzählung wobV Seine vielen Werke zeigen ihn niemals als scharfen Urteiler.
wohl aber oft als urteilslosen Sammler. Er kann also zu seiner Erzählweise
nur dadurch gekommen sein, dass er entweder die Schönauer Abschriften ver-
loren hatte, oder sich keinen Rat wusste, wie er die Legende mit dem Urkundcu-
stoffe verknüpfen sollte. In dieser Verlegenheit mochte ihm das Geratenste
scheinen, nur die Urkunden reden zu lassen und auch sie nur in seiner befangenen
Auslegung. Seine Berichte, mit Ausnahme des ersten, verraten ja deutlich ge-
nug, dass geschichtliche Treue nicht seine Stärke war, wenn er gleich in der
Vorrede zur Sponheimer Chronik sagt: „Zugleich bitte ich den Leser, dass er
nicht irgend etwas von dem, was wir geschrieben, verurteile, bevor er sorgfältig
geprüft oder einen offenbaren Irrtum gefunden hat. Denn es ist eine verab-
scheuenswerte Art der Menschen, Männernachtarbeiten (virorum lucubrationes),
die sie weder nachahmen noch besser machen können, mit gottlosem Zahne zu
benagen, und was sie nicht richtig zu unterscheiden vermögen, mit anspruchs-
voller Verwegenheit zu verunglimpfen." ^) Es scheint demnach, das ist unser
Schluss, hier das geheimnisvolle Walten der Geschichte vorzuliegen, dass un-
gesühnte Verbrechen an ihrer Wahrheit sich solange in dauerndem Irrtum und
Selbstbetrug rächen, bis sie endlich ihren Entdecker finden. Zeigt sich doch dasselbe
wie in dem Reiraw^erke, so in dem langen Kampfe des Klosters mit seinem ehe-
maligen frommen Stifter Nassau, der in der oftgenannten „Rettung" des ersteren
den letzten schriftlichen Niederschlag von Dichtung und Wahrheit, von Anwalts-
kniff und begründeter Beschwerde, von gelehrtem Flitter und prunklosem Rechte
gefunden hat. 2) '
Wir sind zu Ende. Ob wir befugt waren, in dieser einschneidenden Art
Gericht zu üben nicht bloss an Schönau, sondern auch an seinen bisherigen
Anwälten, hat der unparteiische Leser zu entscheiden, wie es der künftigen
Geschichtschreibung obliegen wird, das Feuerbeständige unserer Untersuchung
zu verwerten.
•) Op. 2, 236. — ") Schliephake 1, 171 f.
11
Das alte Wiesbaden.
Mitk'etcilt von F. Otto.
1. Das Soinioiiborü:or Thor und dor Wioseiibninnen im Jalire 173S.
Einem Schreiben vom 22. Februar 17:iS über eine etwaige Erweiterung
der Stadt am Sonnenberger Thor liegt die folgende Zeichnung der Örtlichkeit
bei. Sie zeigt uns zunächst das genannte Thor neben dem „Ritter", dann
rechts und links von dem Wege vor demselben zwei grosse Gärten, weiter
den alten Landgraben, dann den Weg, der von dem Sonnenberger Weg hinab
zu den Wiesen führte, zuletzt die Allee, welche hin zu dem Wiesenbrunnen
geleitete, und diesen selbst mit seiner Einfassung von Bäumen ; wir haben ihn
zu denken auf dem Platze vor dem jetzigen Kurhause. Zur rechten Hand
finden sich unmittelbar vor dem Thore und weiterhin zwischen Landgraben und
Weg Brennöfen, Hafner- und Ziegelhütten, endlich rechts unten ein 3 — 4 Schuh
tiefer gelegener Garten, wo früher Weiher und Graben sich befand; an dem-
selben floss der warme Bach vorbei. Vgl. unsere Abhandlung Ann. XV, S. 83.
"2, Der Mauritiiisplatz.
In dem Streite des Inspektors Hellmund mit der Stadtgemeinde wegen
des Geschnatters, welches die Gänse um die Mauritiuskirche und das Pfarrhaus
herum machten, verlangte u. a. der Inspektor, dass der ganze Raum durch
eine Mauer eingeschlossen werde, wie es wenigstens früher z. B. der Fall ge-
wesen sei. Den Verhandlungen liegt der folgende Plan der Ortlichkeit vom
Jahre 1738 bei. Er zeigt uns im Mittelpunkte die Mauritiuskirche, um sie
herum den (alten) Kirchhof, der aber nicht wie jetzt ein Viereck bildete; links
liegt die Wohnung des Inspektors, dahinter die Ükonomiegebäude und ein
Garten, rechts vorn die Schule, etwas vorspringend in die Strasse (bis 1816;
s. m. Geschichte der Friedrichschule S. 11, dazu Ann. XIX, S. 100 f.) Vor
der Kirche ist die ehemalige Kirchhofsmauer angedeutet, ihr ffegfenüber ausser
andern Häusern der Schröder'sche Hof eingezeichnet.
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1. Das Sonnenberger Tlior und der Wiesenbruniien zu Wiesbaden im Jahre 1738.
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und Weiher geivesen, jetct Garten,
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2. Der Manritiusplatz.
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Rossplatz
Burgerhäusfr Der Schröder' sehe Hof
Bürgerhäuser
Geschichte der Steigbügel.
Von
A4 Schlieben,
Major a. P.
Hierzu Taf. I bis VI mit 352 Abbildungen.
Es ist eine zwar oftmals störende, eigentlich aber sehr natürliche Erscheinung,
dass wir, so weit unsere Kenntnis nur aus schriftlichen Quellen des Altertums
geschöpft ist, über einfache und alltägliche Dinge bisweilen weniger gut unter-
richtet sind, als über verwickelte und seltene Fragen. Es kommt dies daher,
dass Einrichtungen und Gebrauchsstücke, welche sich lange Zeiträume hindurch
fast gar nicht änderten, vielen Yölkern gemeinsam und darum jedermann
geläufig waren, keine Veranlassung zu eingehender Beschreibung boten, wogegen
solche Dinge, welche andere Völker anders anfertigten oder gebrauchten, vor-
zugsweise der Erwähnung wert gehalten wurden.
So sind wir mit wenigen Ausnahmen nur unvollkommen unterrichtet über
die Einzelheiten alles dessen, was sich auf Fahren und Reiten bezieht, über die
Pferderassen, den Gang der DresSur, die Hülfen und Anforderungen der Schul-
reiterei, über Anspannung, Beschirrung und Zäumung, Beschaffenheit und
Ausrüstung der Sättel, über Form und Befestigung der Sporen, Hufeisen,
Steigbügel und zahllose Kleinigkeiten, welche den Sportsman interessieren, und
doch wissen wir, dass die Pferdeliebhaberei und die Rennwut bis ins Mittel-
alter hinein gleich einem epidemischen Wahnsinn, wie Procop sagt, das Volk
beherrschten, dass die Sportsmen vom Kaiser, durch die Reihen der Ritter,
Senatoren und Bürger hinab bis zum letzten Stallknecht Stammbäume und
Leistungen der Pferde auswendig kannten, und dass zur Kaiserzeit alle grösseren
Städte, von Jerusalem bis Sevilla, von Britannien bis Nordafrika, dieselben
Erscheinungen wie Rom und Konstantinopel boten.
Das Wesentliche bei der Beschirrung und Ausrüstung der Pferde, bei
den Rennen und Reitübuugen war seit den allerältesten Zeiten fast gar nicht
verändert und daher jedermann bekannt; nur gelegentlich werden wir auf
Einzelheiten aufmerksam gemacht. Erst zur Kaiserzeit finden sich, Xenophon
ausgenommen, Schriftsteller, welche durch Scholien oder besondere Onomastica
die verschiedenen Gegenstände sachlich und sprachlich erklärten, ohne jedoch,
166
da sie sich selbst oft schlecht unterrichtet zeigen, unsere Wissbegierde in allen
Punkten zu befriedigen. Sache der Altertumsforscher ist es nun, aus den
gelegentlichen schriftlichen Nachrichten und jenen oft sich völlig widersprechenden
Erklärungen das Richtige herauszufinden.
Diese Aufgabe würde in vielen Fällen unlijslich sein, wenn uns nicht
eine wesentliche Unterstützung durch die Fundstücke zu teil würde, welche
die Gegenstände teils selbständig und greifbar vor Augen führen, teils wenigstens
in Abbildungen erkennen lassen. Und dieses Material mehrt sich von Tage zu
Tage; in der alten und neuen Welt findet sich im Schosse der Erde ein Stück
nach dem andern, welches unsere Kenntnis längst vergangener Zeiten mehrt
und uns schliesslich einen Überblick über das Ganze g'ewinnen lässt. Auch
die Frage, welche uns diesmal beschäftigen soll, nachdem Hufeisen und Sattel
früher schon (Band XX und XXI der Annalen) behandelt sind, nämlich die
nach dem ersten Vorkommen und der geschichtlichen Entwickelung der Steig-
bügel, wird gerade durch Betrachtung der Fundstücke wesentlich gefördert.
Hierin liegt der Grund, weshalb eine Wiederaufnahme und Vervollständigung
früherer Untersuchungen gerechtfertigt erscheint, denn seit Beckmann, welcher
in seiner Geschichte der Erfindungen (IV. Band, S. 102) ausführlich darüber
geschrieben, Fundstücke aber gar nicht berücksichtigt hat, sind nahezu hundert
Jahre verflossen, und seitdem so viele Einzelheiten zu Tage gefordert, dass
dieselben, unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt gebracht, wohl geeignet
scheinen, die Bemühungen zur Lösung der Frage einen bedeutenden Schritt
weiter zu bringen.
I.
Es ist längst bekannt, dass die Steigbügel den Alten unbekannt waren,
es muss aber bei allen Völkern eine Zeit gegeben haben, zu welcher sie
erfunden oder eingeführt wurden. Um diese zu ermitteln, wird es zunächst
darauf ankommen, nachzuweisen, wie lange man im Altertum oder im Mittel-
alter sich ihrer nicht bediente.
Der Zweck der Bügel ist ein doppelter, nämlich dem Reiter das Auf-
und Absitzen zu erleichtern und seine Füsse während des Reitens zu unter-
stützen, sowohl um der Ermüdung zu begegnen, als um den Sitz zu festigen;
bei einzelnen Völkern dienen sie überdies zugleich zum Antreiben des Pferdes
oder Maultieres. Beckmann meint, dass man sich wundern müsse, eine so
einfache Erfindung, wie die Steigbügel, im ganzen Altertum nicht zu finden,
aber er übersieht, dass Bügel ohne einen festen Sattel nicht gut anzubringen
sind, und dass gerade diejenigen Eigenschaften des Pferderückens, welche den
Alten beim Reiten auf Decken oder einem Ephippium wünschenswert waren,
nämlich ein fleischiger, runder Rücken, wie ihn Virgil und andere ausdrücklich
verlangten'), der Befestigung eines einzelnen Bügels, oder eines Bügelpaares an
') Virg. Ocorj,'. III, 87: At (Inplex agUur per htmhos spinn: Varro 11, 7, 5; Columell.
VI, 29, 2; Goopon. XVI, 1. Ncmcs. Cynug. 243; Ovid. Mot. XII, 401. C'iilpurn. cclog. VI, 54;
das Gegenteil, eine exstans spina, wird getadelt Grat, cyneg. 526; Varro 1. e.
167
oder über den Decken Schwierigkeiten bereiteten, da zum Verhindern des Herum-
rutschens gerade ein hoher und scharfer Widerrist vorteilhaft ist. Vor Ein-
führung des Sattels mit festen Bäumen werden wir das Vorkommen von Bügeln
von vornherein nicht erwarten dürfen; beide gehören zusammen. Sieht man
den Wert der Bügel vorzugsweise in dem erleichterten Auf- und Absitzen,
so würde ein Paar solcher lose über die Decke gehängter Bügel, auch wenn
man annehmen wollte, dass der Nebenmann auf der rechten Seite durch Fest-
halten derselben das Herumrutschen verhindert hätte, den Soldaten doch niemals
von der Notwendigkeit entbunden haben, sich noch mit einer anderen selbständigen
Art des Aufsitzens für den Fall, dass er allein wäre und keine Unterstützung
fände, vertraut zu machen. Bei Feldherren und vornehmen Personen hätte
immerhin eine Ausnahme stattfinden können, und doch finden wir stets, dass
sie in anderer Weise aufs Pferd hinauf- oder von demselben herabstiegen.
Da wir jedoch auch in späterer Zeit, als die Bügel längst bekannt waren,
immer noch vom Hinauf- und Herabspringen lesen, so kann dies allein nicht
als Beweis gelten, dass die Alten die Bügel nicht gekannt hätten; wir haben
andere unzweifelhafte Beweise dafür^
Dass die Griechen nichts von Steigbügeln wussten, geht unter anderem
daraus hervor, dass Hippocrates von den Scythen und allen eifrigen Reitern
sagt, dass sie von dem fortwährenden Herunterhängen der Schenkel Flüsse
(x=0[j.aTa) bekämen. Diese im 4. Jahrhundert v. Chr. gemachte Bemerkung
wird noch im 2. Jahrhundert n. Chr. von Galenus bestätigt.^) Germanicus
kräftigte seine schwachen Schenkel durch Reiten, indem er bei dem freien
Herunterhängen derselben durch die kräftigen Bewegungen des Pferdes eine
vermehrte Blutcirkulation erreichte (Sueton, Caligula 3).
Von entscheidender Beweiskraft ist es, dass wir ganz genau wissen, wie
die Alten aufs Pferd stiegen. In dem Buche Xenophons von der Campagne-
reiterei, wie wir sagen müssten (Xen. hipp. 7, 1 — 2), wird eine Anleitung
gegeben, wie die Soldaten aufs' Pferd springen sollen. Gottfried Hermann
(opusc. I, 63) hat diese oft missverstandene Stelle vollkommen klargelegt.
Xenophon sagt, dass man auf zwei Arten aufs Pferd steigen könne, entweder
mit Hülfe der Lanze oder ohne dieselbe ; in beiden Fällen solle man den Leitzügel
(die Alten führten ihre Pferde an einem besonderen Zügel, r/KOL-^diX^l^) hübsch
lang in die linke, die eigentlichen Zügel in die rechte Hand nehmen. Dann
solle der Reiter entweder mit der linken Hand den Spiess, oder, wenn er ohne
diesen aufsitzen will, ein Büschel Mähne in der Nähe der Ohren ergreifen, die
Rechte aber mit den sanft anstehenden Zügeln auf den Widerrist setzen und
gleichfalls damit in die Mähne greifen, sodann den Körper in die Höhe
schwingen, den rechten Fuss, ohne den Rücken zu berühren, auf die rechte
Seite bringen, sich sanft niederlassen und die Zügel ordnen. Wohlweislich
lässt Xenophon die rechte Hand nicht auf den Rücken, sondern am Widerrist
') Hippocrates de aöre acijuis et locis ed. Kühn I, pasf. 561; ed. Cliart., pag. 209.
Galenus de parvae pilae exercitio c. 5.; de tuenda sanitate II, 11. Man lese, was über diese
Beobachtung Bonifac. Rhodiginus bist, iudicra VI, 5 sagt.
168
aufsetzen, was auch ein kitzliches Pferd sich gefallen lässt. Ahnlich lässt er
den Reiter von der rechten Seite aufsitzen, er kannte also sicher die Steigbügel nicht.
Die römischen Soldaten übten sich im Springen an hölzernen Voltigier-
böcken. Der Kriegsschriftsteller Vegetiiis, welcher Ende des 4. Jahrhunderts
n. Chr. lebte, schreibt vor (I, 18), dass diese Übung von allen Reitern von
der rechten und linken Seite, mit und ohne Rüstung und selbst mit gezücktem
Schwerte eifrig betrieben werden soll. Also hatte man damals noch kein
anderes Mittel, ohne fremde Hilfe aufs Pferd zu steigen. Auch andere Schrift-
steller aller Zeiten erwähnen das Auf- und Abspringen, sodass über diesen
Punkt kein Zweifel besteht.^) Mit älteren Reitern machte wenigstens Xenophon
eine Ausnahme, indem er ihnen gestattete, sich, wie er sagt, nach Persersitte,
durch den Nebenmann unterstützen zu lassen (Xen. mag. equ. I, 17). Also
auch in Persien und im ganzen Orient hatte der gemeine Soldat kein anderes
Mittel aufs Pferd zu steigen.
Vornehme und ältere Personen stiegen mit Hilfe eines Dieners auf
[strafor^ ävaßoXso:;), welcher seine Hand als Tritt darbot. Bei Suidas heisst
es : ävaßoXs'K 6 sttI tov -.'-rov äva^ovA Vom sfrator spricht Aelius Spartianus
(Caracalla 7) : nun illum in equiwi strator levaret, ebenso Aramianus Marcelliuus
(imper. Valens et Valent. XXX, 21; imp. Julian. XXI, 1): lapso milite qui
JuUannm Incessurum equo dextra manu erexit. Beide Stellen beziehen sich auf
die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr. In dieser Weise ist auch die
Stelle Esther 6, 8 zu verstehen, wo Mardochai auf des Königs Pferd gesetzt wird :
imponere super equ um sagt die Vulgata; ebenso Math. 21, 7: erutxaö-c'sav srdvo)
ä'jtwv sc. TÄv övcüv, Lucas 19, 35: sTisßtßaaav aotov, 1 Könige 1, 38: imponite
Salomonem super mnlum meam.. Als Sapor, König von Persien, den Kaiser
Valerian gefangen genommen hatte (3. Jahrhundert), benutzte er den Rücken
dieses Greises als Fussschemel, so oft er zu Pferde stieg (Eutrop. lib. IX, init.);
Tamerlau soll es, beiläufig gesagt, mit Bajazet, den er 1402 in der Schlacht
bei Ancyra gefangen nahm, ebenso gemacht haben, wenn wir Paulus Jovius
(elog. vir. illustr. II, pag. 111) glauben wollen. Ein Pendant dazu bildeten
die Mädchen aus Cypern, die xXiaaxios?, welche der Königin den Rücken boten,
wenn sie den Wagen besteigen wollte (Plut. de adulat. et amic. 3).
Ein anderes Mittel, dem Reiter das Aufsitzen zu erleichtern, bestand darin,
dass man die Pferde abrichtete, sich auf die Kniee niederzulassen. So sollen
es der Bucephalus Alexanders, das Pferd Traians und fast allgemein die Pferde
der Iberer gemacht haben. (Curt. 6, 5; Sil. Ital. 10, 465; Dio Cass. 49, 30;
68, 18; Strabo 3, 4 pag. 163, C; Plut. praec. polit. 13, 11.)
Es ist eine irrige Ansicht, dass die Lanzen der Alten einen Dorn gehabt
hätten, dessen man sich als Tritt beim Aufsteigen bediente, obgleich ein solcher
auf einer in Baiae gefundenen Vase und auf einer Gemme abgebildet ist.
Winckehnanu irrt, wenn er aus eiuer seltenen Ausnahme eine allgemeine
Regel herleitet. (Ginzrot, Fuhrwerke der Römer und Griechen II, 165, Taf.
') Virg. Aen. Xlf, 287; Ärriani pcripl. I'ont. Eux. c. 17; Polyb. VI, 25, 4; XI, 21, 4;
Plutarchi roniug. praeccpt. 8; Valturius de re milit. X. c. 3. Plutarch. Pompeius 41.
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89, 14; Winckelmanu, Ausg. v. Feruow, Dresd. 1808, I. S. 285; Jacobs zu
Xenoph. pag. 151.) Noch heute sollen Kosaken und Tataren ohne Benutzung
der Bügel mit Hilfe der Lanze sich aufs Pferd schwingen; nur so ist gegen
die Ansicht von Lipsius (de milit. Rom. pag. 140 in Petiscus, Lexic. antiqu.)
das Absitzen bei Livius 4, 19 zu verstehen: Cornelius Cossus hasta innisus
se in pedes recepit.
Endlich gab es für das bürgerliche Leben, für bejahrte Leute und un-
geübte Reiter an öffentlichen Wegen Steine, welche das Aufsitzen erleichtern
sollten. C. Gracchus machte sich durch das Aufstellen solcher Trittsteinc
(Staffelsteiue, supiiedanea) in massigen Abständen an öffentlichen Strassen beim
römischen Volke sehr beliebt.^) Pollux spricht von einem derartigen Aufsitzen
(L 203), welches er bei jungen rohen Pferden dem Springen vorzieht.
Diese Trittsteine wurden bald allgemein üblich und haben sich bis iu
unsere Zeit erhalten. Wir finden sie später am Hofe Karls des Grossen (Monach.
St. Gallensis de vita Caroli I, 6 bei Pertz, Mon. II, 733), wo ein jugendlicher
Bischofskandidat es verschmäht, mit ihrer Hilfe aufs Pferd zu steigen und
hinauf springt. Im Sachsenspiegel wird die Dispositionsfähigkeit bei vorge-
schrittenem Alter davon abhängig gemacht „daz her, begurt mit eime swerte
und mit eime schilde üf ein ros komen mag von eime steine oder stocke einer
dümelne hö (also eine Elle hoch, vom Daumen bis zum Ellenbogen gemessen,
höchstens 40 cm) sunder raannes helfe, deste mau im das ros und den stege-
reif halde..." Hier ist natürlich der Steigbügel schon bekannt (13. Jahr-
hundert) und der Trittstein für den rechten Fuss, als Vorstufe für den Bügel
bestimmt (Sachsensp. I, 52 und feud. II, 33).
Im Jahre 1502 wurde ein solcher Stein in Frankfurt a./M. am Römer
aufgerichtet (Beckmann IV, 110). Noch vor Kurzem konnte man an Markt-
plätzen, vor Dorfschenken und an anderen verkehrreichen Orten dergleichen Steine
sehen, welche sehr nützlich waren, da der Bauer, wenn er sein Pferd zum
Markte bringt, noch heute auf Decke ohne Bügel reitet und höchstens einen
lose übergelegten Strick mit 2 Schlaufen zur Stütze der Füsse benutzt. In
England und Amerika sollen Trittsteine noch häufig zu finden sein.
Im Französischen heisst ein solcher Stein montoir und die linke Seite
des Pferdes danach cöte du montoir, obgleich zu der Zeit, als dieser Ausdruck
aufkam, die Bügel längst bekannt waren. Beringer, Verfasser einer Geschichte
des Reitens (Übers, von Heubel, S. 83) teilt eine angeblich von Crassus her-
rührende Inschrift mit, welche er seinem Maultiere Crassa auf einem solchen
Steine gesetzt hat:^)
') Plut. Graccli. 7: wc s;y) {jul-Mq, -Ja- Itz-wc r/ooaiv ireißcitvi-v, ävaßo).f(u; <^^ S;ofJLr>o'.;.
Bei Pet. Vietorius, var. lect. lib. 37, c. 15 ist die Stelle des Polybius III, wo er von Hannibal
spricht, ßE^YiiJ.'iTtat«'. und ßeßrjfisiüjTCf. erklärt. — ') Der übliche Anfaug Bus Manibus sucrum
wird hier (»arodiert. Statt Ciuciae lies Ciliciae; in KUnn-Asion gab es vorzügliche Maultiere.
Vgl. Schlieben, Pferde des Altertums 72 u. f., bene fercnti entspricht dem üblichen benc
merenti. Die Inschrift wird angezweifelt.
170
Diis pedibus saxum.
Cinciae, dorsiferae et duniferae,
Ut bisultnre et desultare commodetur
Pub. Crasms mulae suac Crassae heue ferenti
Suppedaneum hoc cum risu posuit.
V'ixit annos XL
Wenn Beckmann behauptet, dass ein Trittstein im Wappen der alten-
burgischen Familie von Salern vorkomme und sogar mehrere Stufen zeige, so
dürfte dies auf einem Irrtum beruhen. Bei Siebmacher (Wappenbuch, Bd. VI, 1,
Abgestorbener bayr. Adel S. 174, Taf. 119) ist das Wappen abgebildet, wird
aber für einen Stufengiebel erklärt.
So viel wir suchen, wir finden keine Stelle, aus welcher das Vorkommen
von Steigbügeln vor dem 6. Jahrhundert, wie wir sehen werden, hervorginge;
andere behaupten, glücklicher gewesen zu sein. Sie übersetzen einfach ävaßoXsö?
mit Steigbügel, und wo Suidas (s. v. Masanasses) sagt, dass Masinissa bis
in sein spätestes Alter ohne Hilfe eines Dieners habe aufs Pferd steigen können,
„r;:-ov /(of/.? avaßoXstö^ s^jßa'.vsv" sagen sie einfach „ohne Steigbügel." Sie
berufen sich dabei vermutlich auf die Erklärungen, welche die Scholiasten von
diesem Werke geben.
Suidas selbst sagt: avaßoXso^ 6 iirl töv i'r-ov ävd^wv . . . avaßoXs'j? y.al r^
zapa 'P(i)[j.d'.o'.? XsYoasvv] oxäXa ; unter GxdXa heisst es : oxäXa 'Pwaatotl 6 avaßoXso?.
Ferner sagt Eustathius : ävaßoXso? oo jjlövov tö oior^ptov, (o tooc ~o5a? svt'.O-svtsi;
zcp'.zzo'. Y'lvovTa'. t'.ve?, aXXd %al av&pojTro?, oc, h.c zo'.mzo'^ sp^ov 7-a^o:rciopY£ö. Beide
kannten natürlich, da sie im 12. und 14. Jahrhundert lebten, die Bügel, aber
wenigstens Suidas meinte in der Stelle über Masinissa sicher nur den Diener,
da er sein Citat aus Appian (Punic. 106) entnommen hat und zur Zeit der
Punischen Kriege und noch weit später eine solche Neuerung völlig unbekannt
war, welche einmal erfunden, nicht wieder verloren gegangen wäre. An und
für sich konnte ja, wie Beckmann anführt, das Wort ävaßoXso? die Bedeutung
Steigbügel ganz nach Analogie des deutschen Wortes Stiefelknecht erhalten
haben, welches einen Menschen, welcher die Stiefel auszieht, bedeuten konnte
und dann auf das hölzerne Instrument, welches denselben Dienst leistet, über-
ging. So konnte auch der Steigbügel, weil er den Dienst des Reitknechtes
leistete, ävaßoXs'j? heissen.
Andere berufen sich auf eine Stelle bei Pollux, welche in der Ausgabe
von Hemsterhuis, Amsterdam, 1706 in der lateinischen Übersetzung wirklich
das Wort stapedes, Steigbügel, enthält. Diese Übersetzung ist jedoch grundfalsch.
Der Text xdi ^äp y^ 'o/'k -Xsov i"l röjv s'jTTjy.otcov, -q sttI twv y.aO-^Cojisvoiv ist so
übersetzt: stapedes enini inat/is ad standnm quam insidendnm parati sunt und
zeigt, dass der Übersetzer den Sinn gar nicht verstanden hat, denn '.ayo? soll Kraft,
Nachdruck, aber uicht Steigbügel heissen. Pollux I, 11, 15 sagt ganz richtig, dass
der Heiter mehr Kraft hat und Schwert und Speer bosser führen kann, wenn er
auf dorn Pferde mehr steht als sitzt. Seine ganze Gelehrsamkeit ist ja nur
eine Umschreibung dessen, was Xeuophun (Hipp. VH, 5) über diesen Punkt
171
sagt imtl ein Missveratäiulnis daher gar uiclit möglich : i-s-.oav -(t ;j.r,v /.av>iCy,Ta'.
ö') TTjV (oa"£p 27:'. Töo O'/fcpoo sopav 37ra'.vo'j|XEV, äXXä tyjv oj'3-Efj öpiHc av o'.a,3£ßr,7.to?
k'.T] roiv av.jXoiv, denn nur so könne er das Pferd beherrschen und seine eigenen
Kräfte gebrauchen.
Endlich giebt es noch eine kleine Münze, welche bei Cohen unter
medailles consulaires, Blatt VII, bei Eckhel Tom. II, vol. V, S. 145, abgebildet
ist. Sie gehört der gens Atia, einer plebejischen Familie, und hat die Um-
schrift A. Labienus Parthicus imp. Dieser Labienus ist derselbe, welcher
zuerst Unterfeldherr Caesars war und später zu Pompeius überging. Die Münze
zeigt ein Pferd, von dessen weit zurückliegendem Sattel etwas wie ein Hosenbein
herunterhängt. Man behauptet, es wäre dies wirklich ein solches, welches, der
Länge nach offen, unten ein festes Brett oder einen Steg hatte, auf welchem
der Fuss ruhen konnte, während das vielleicht gepanzerte Beinstück über den
Schenkel geschlagen wurde. Die Idee wäre nicht übel, die Entdeckung steht
aber zu vereinzelt da, um allein das Vorkommen von Bügeln zu beweisen.
Vielleicht sehen auch andere ganz etwas anderes darin; zu diesen gehöre ich
auch, nachdem ich mehrere Exemplare der Münze genau besehen habe.
Wenn sich also in der klassischen Zeit und den nächsten Jahr-
hunderten keine Quellen finden, in welchen Steigbügel erwähnt werden, so
müssen wir die Schriftsteller der späteren Zeit ins x\uge fassen. Da ist nun
zunächst der Kaiser Mauritius zu nennen, welcher Ende des G. Jahrhunderts
lebte und ein Buch über die Kriegskunst geschrieben hat (Mauricii tact. ed.
Schefferi, Upsaliae 1664 II, 8 pag. 22 u. 64), in welchem zum erstenmale
der Steigbügel mit folgenden Worten Erwähnung geschieht: Xp-f] sysiv si- ■:ä(;
asXAa? GVtaXa? aior^pa:; ooo und an der zweiten Stelle: Asi lac o-'jo T/.äXa; rwv
Ayj-w-aTwv xarä toö ap-.'jrspoo «xspoo; lr^^ rjcXXa? -otsiv. röorsof.v tT,v »rlav -poc "rfj
xöopßx], to? s9-o? iatl, -/.ai rr^v aXX'/jv Z[jb<z t-f; ÖTCtoö-oxöopß-^], Iva töjv o'io srl töv '.zzov
ßooXoptsvwv ävspy^aö-au to-irsartv, äoroö ts xai töo a^oiidycio, ö 'xsv oia rf|? TUpö? t^
xoopß-^ axäXa; ävsp-/=Ta'.. ö ok S-.a ir^'z zpo? rfj ÖTTia&oxoopß-Cj. Hier ist also un-
zweifelhaft von eiserneu Steigbügeln die Rede, aber der Kaiser will, dass sie
nicht in der gewöhnlichen Weise, w; sO'O? soilv, angebracht werden, sondern
beide auf der linken Seite, hinten und vorn, damit ausser dem eigentlichen
Reiter noch ein auf dem Schlachtfelde aufgefundener Kampfunfähiger auf das
Pferd steigen könne, der dann seinen Sitz auf der Kruppe finden würde. Die
Worte w? z^oz sottv sagen zwar indirekt, aber ganz bestimmt, dass gewöhnlich
beide Bügel auf verschiedenen Seiten angebracht waren und nur für die Deputati
— eine Art Sanitäts-Korps — , welche die Verwundeten aufsuchten, eine Aus-
nahme stattfinden sollte.
Im 7. Jahrhundert spricht Isidorus, Bischof von Sevilla, in seinen Origines
von Bügeln: scansiiae, ferrum per quod eqnu>( scanditiir.
Aus dem 9. Jahrhundert haben wir das Zeugnis des Leo Grammaticus
(cd. Becker, pag. 233), welcher den Tod des Kaisers Michael erzählt:
toö oz zoobc ä')töo [J.T, ij)v>ä';avTo; ir, Yu ^-'.ßv^va'.. äXXa tö'i srspoo •/,parr,0'2VTo; sv z■f^
ov.äXa, x}prJr^^^^l; ö i'-ro; O'.saopsv tköv. Aus dieser Stelle kann man zugleich
172
cutnehmen, dass die Bügel ziemlich eng gewesen sein müssen, was auch ander-
weitig bestätigt wird und uns später ausführlich beschäftigen wird.
Aimonius de mirac. S. Benedicti II, 6 erwähnt die Steigbügel als scandiUa.
Er sagt: a quihtis et sella ostendebatur, quae dilapsa cum equo ßierat, cnius
scandiUa quamvis tiova et ayitelam suis mpatiens pedihus ipse disrupcrat.
Seine "Worte beziehen sich auf ein Ereignis seiner Zeit, und da er Ende des
9. Jahrhunderts lebte, so ist sein Zeugnis sehr wertvoll; ob er aber von eisernen
Bügeln spricht, bleibt zweifelhaft.
Der nächste Schriftsteller, welcher eiserne Bügel erwähnt, ist Kaiser Leo,
welcher dem Ende des 9. und Anfange des 10. Jahrhunderts angehört. (Leo
tact. VI, 10; ed. Köchly u. Rüstow II, 2, pag. 318.) Er sagt: si? Ss ta?
cjsXXa? o'io o'.OYjpä? oxdXa;. Von jetzt an ist öfter von ihnen die Rede, viele
Citate jedoch, die sich wie eine Erbsünde durch alle Schriften über diesen
Gegenstand hinziehen, sind falsch. So heisst es unter anderen, schon der
heilige Hieronymus, den ich auch als angeblichen Gewährsmann für Sättel ver-
geblich durchsucht habe, sei der erste, der von Steigbügeln spreche, man führt
sogar seine Worte an : se, cum quasdam accepit litteras, iiimentum conscensurum
iam pcdes habuisse in bistapia; bis jetzt hat jedoch noch niemand diese Stelle
in seinem sehr umfangreichen Nachlasse auffinden können. Da Hieronymus
schon im Jahre 420 starb, so wäre sein Zeugnis das allerälteste und sehr
wichtig, aber es existiert eben nicht. Wie ich sehe, hat schon Du Gange darauf
aufmerksam gemacht, dass das Citat nicht von jenem heiligen Hieronymus,
sondern von Hieronymus magius (Miscellan, II, 14), einem Schriftsteller des
16. Jahrhunderts herrührt, welcher jene Stelle aus dem Gedächtnisse citiert
und mit einem ni fallor auf seinen älteren Namensvetter verweist. Salmasius,
Vossius u. a. haben dann zur weiteren Verbreitung des Irrtums beigetragen.
(S. Du Gange unter bistapia). Du Gange führt unter stapia eine andere
Stelle an , nämlich : Dam virguncidae placere cuperem pes haesit stapiae et
tractus inierii. Das Gitat ist ein Teil eines von Berenger (Gesch. d. Reitens,
übers, von Heubel, S. 85) mitgeteilten Epigramms, welches jedoch von
Montfaucon u. a. für unecht gehalten wird. Beckmann (IV, 113) und Du
Gange führen es auf Franc. Golumna (somn. Polyph. I, 19) zurück, welcher
im 16. Jahrhundert lebte, es ist also wie das vorige von sehr spätem Datum.
Ein anderes sogenanntes Beweisstück aus alter Zeit, eine Silbermünze,
auf welcher Kaiser Konstantin zu Pferde mit Steigbügeln dargestellt ist, ist
gleichfalls unecht. Sie ist bei Du Gange Bd. X, Tab. 4 abgebildet, doch kann
ich die Stelle nicht auffinden, in welcher sie in diesem Werke besprochen ist.
Auf ein anderes Zeugnis macht Professor Braun im XXXIII. Bande der
Rhein. Jahrb., Bonn 1863, S. 134 aufmerksam. Im Ghronicon Novaliciense
(Novalese am Fusse des Mont Genis) vom Jahre 1060, Buch 11, c. 10 und 11,
wird erzählt, dass Waltharius, Sohn des Königs von Aquitanien, einst ein be-
rühmter Held, in Novalese Mönch geworden sei und einen Räuber mit einem
Steigbügel erschlagen habe: Cumque coepissent Uli (Walthario) vehementissime
vim/acere, Waltharius dam abstrahens a sella retinaculnm. in quo pes eins antea
haerebat, percussit uni eorum in capite^ qui cadens in terram velut mortuus
173
fadus est. Hier heisst der Bügel retinaculion, und es ist darum nur von einem
die Rede, weil Waltharius nur auf einer Seite den Bügel lösen konnte und
auch nur einen gebrauchte; ziemlich massiv muss er aber immerhin gewesen
sein. Dass hier retinaculum nicht Zügel heissen kann, geht aus dem Sinn der
Stelle unzweifelhaft hervor. Wenn auch das Chronicon erst 1027 geschrieben
ist, so wird das Faktum doch früher zu legen sein.
Stände es fest, dass der Waltharius Eckehards, welcher im 10. Jahrhundert
verfasst und mehrfach überarbeitet ist, mit dem Waltharius dieser Chronik ein und
dieselbe Person wäre, so würde dieses Zeugnis von grossem Werte sein, denn
das Walthariuslied erzählt wie das Nibelungenlied durch Dichtungen veränderte
sagenhafte Begebenheiten, denen ein allerdings kaum kenntlicher Kern aus dem
5. Jahrhundert zu Grunde liegt, und es würde somit ein Anschluss an die Nach-
richten der Byzantiner des 6, Jahrhunderts gegeben sein. Diese Identität ist
aber wahrscheinlich nicht vorhanden. Während im Eckehard'schen Waltharius
bestimmt zwischen Franken, Burgundern und Aquitaniern unterschieden wird,
also eine Zeit gemeint sein muss, in welcher diese Reiche noch nicht vom Franken-
reiche verschlungen waren, spielt der Novaleser Waltharius in der Zeit des
Desiderius (im 8. Jahrhundert), aber auch er ist sagenhaft und wahrscheinlich
eine Lombardische Tradition, welche sich bei anderen Völkern wiederfindet.
(San. Marte, Walth. pag. 48; 35; 20., J. Grimm, Lat. Ged. des 10. und
11. Jahrh. S. 78 u. f)
Man könnte in dieser Stelle eine Bestätigung der Ansicht finden, dass man
in ältester Zeit nicht eiserne Bügel, sondern nur Riemen oder Schlaufen gehabt
habe, weil retinaculum sonst nicht für Bügel vorkommt. Da aber Waltharius
sein altes Streitross, welches er dereinst in das Kloster mitgebracht hat, sich
aussuchte, so wird er auch dessen ganze Ausrüstung, zu der auch Steigbügel
gehörten, benutzt haben. Er wird den Räuber schwerlich mit dem blossen
Bügelriemen erschlagen haben.
Fassen wir nun die Ausdrücke ins Auge, welche im Mittelalter für Steig-
bügel gebraucht wurden und folgen wir dabei zunächst den Angaben von Du
Gange, so finden wir eine reiche Blumenlese. Die Citate sind aus verschiedenen,
zum Teil bis ins 10. Jahrhundert zurückreichenden Schriften entnommen.
Staffa, stapha, stapedium und stapelium kommen teils in den leges
Athelstani regis (924—940), teils im 13. Jahrhundert bei Kaiser Friedrich II.
de arte venandi II, 71 pag. 152 vor: ponat pedem unum in stoffa sellae, accipiens
arcum sellae anferioris mann sua sinistra. Ähnlich klingend finden sich, sta-
phile, staphilis, staphilum u. a. Ascensorium oder sterifium findet sich
1127 : pes eius sterißo sive ascensorio sellae inhaesit ac sie per deria ac ahrupta
tradus calcihns equi et obiedu arborum miserahiliter est protrifus. Stapia,
stapeda, stapes, scaudile, scansile, scirrup, strapas, kommen bei Ael-
fridus im 10. Jahrhundert vor; stiva in Chronicon Reichenspergense a. 1160:
imperatore frenum equi et stivam sellae tcnente, wobei Du Gange strivam lesen will.
Teripes findet sich 1141 bei Ordericus Vitalis: tunc sacerdos sinistrum pedem
in teripedem misit manumque arreptis loris ditellae imposuit; sedipes steht Vitae
Sanctorum t. VII, maii pag. 158; subsellares, stregula, enedraculum,
174
streuga 1160. strepes, strepus 1110 und 1118, strepa 1038, 1155, 1160 in
Acta Adriani papae.
Das Wort strepa mit seinen Nebenformen, von denen wir vorhin auch
strapas kennen lernten, erinnert an a'srpäß-^, den bequemen, hauptsächlich für
Maultiere bestimmten Sattel, über den ich im vorletzten Jahrgange der
Annalen ausführlich gehandelt habe; denn das a am Anfange ist nur euphonisch
(Passow), öcaTpaßYi^ heisst fest, unerschütterlich, aarpaßy] kann daher ein Ding
sein, welches fest sitzt, oder auf welchem man fest sitzt, ein Sattel. Daher
sagt Aeschylus (suppl. 285) a^tpaßiCooaa'. xajr/^Xoi; (al. y.i^rqkoi). Der Stamm
des Wortes ist oToäßr], eine Schlinge, von arpi^w. Sollte nun nicht strepa und
besonders die Nebenform strapas denselben Stamm haben und die strepa
ursprünglich zur astraba gehört und vielleicht einen hölzernen Bügel nach Art
der von den Kosaken und Tartaren zusammengedrehten Hölzer (Ginzrot,
Taf. 86, 14) oder unserer Fig. 224, welche eine heute noch im Gebrauch
befindliche Bügelart zeigt, bedeutet haben? Noch vor 20 Jahren bedienten
sich die ostpreussischen Bauern solcher Bügel von Birkenholz, Fiy. 298, von
welchen noch die Rede sein wird.
Isidorus, den ich in dem erwähnten Aufsatze schon in anderer Weise zu
rechtfertigen versucht habe, dürfte mit seiner Erklärung: astraba^ tahella in
qua pedes requiesciint doch insofern recht haben, als an Stelle der Bügel für
Herren an der für Frauen bestimmten astraba ein Brett trat, wie es im Hortus
deliciarum abgebildet ist und uns in der Normandie unter der Bezeichnung
planchette als heute noch üblich wieder begegnen wird. Wie weit rautatis mutandis
die Erfindung zurückreicht, sehen wir an den assyrischen Skulpturen von Koyoundjik.
Wir geben in Fig. 337 und 338 nach Place und Layard zwei Abbildungen
von Bildwerken, welche, obgleich teilweise zerstört, gerade den in Rede stehenden
Brauch ganz deutlich zeigen; in beiden Fällen sitzen zwei reitende Frauen
rittlings auf einem erhabenen Sitz mit bankartiger Fussunterlage. (Place,
Niniveh et l'Assyrie HI pl. 50 und Layard, Monuments de Niniveh, London,
John Murray 1849, Platte 82).
Da der Kaiser Mauritius die Bügel ausdrücklich von Eisen verlangt, so
könnten wir vielleicht zwischen den Zeilen herauslesen, dass sie anfanglich nicht
immer von Metall gemacht wurden und sich zu seiner Zeit schon in einem höheren
Stadium der Vollendung befanden, vielleicht also schon längere Zeit in Gebrauch
waren und somit viel früher erfunden wurden. Wir werden später hierauf zu-
rückkommen. Das Wort -sTfirfü) steht übrigens häufig allgemein für Fahren,
Lenken (Hom. II. VHI, 168; XVH, 699; XX, 488; Odyss. XY, 205); mit
dieser Wurzel zusammengesetzte Eigennamen hatten, wie die auf '.TtTcog, in der
Sportwelt einen vornehmen Klang: Strepsiades heisst bei Aristophanes ein
Pferdenarr, der etwas besonderes vorstellen soll, Strophios dagegen der rosse-
kundige Vater des Pylades. Strabe, astrabe, strapas und strepa passen recht
gut zusammen. Lacroix (moeurs, usages et costumes au moyen age, S. 39)
leitet strepa von streben, stützen ab; besser dürfte an Strippe (gedrehte Schnur)
zu denken sein, da es in vielen in dem Excurs von Du Gange zu Cinuamus
ed. Niebuhr V, pag. 366, angeführten Fällen so übersetzt werden kann, wo die
175
Riemen strepae, die Bügel selbst aber scandulae genannt werden. Es handelt
sich in jener Abhandlung darum, ob der Kaiser verpflichtet ist, dem Papst den
Bügel zu halten. lienaldus, Fürst von Antiochien (Mitte des 12. Jahrhunderts),
führt das Pferd des Erzbischofs von Cypern, die Strippe in der Hand haltend :
tov sx r^? 3'f eaTfy'.ooc r,f>t7][j.svov £v -/eipl y.aTiywv ••j.ivia. In der Coronatio Aquisgranensis
werden die 1273 bei der Krönung Rudolfs von Habsburg beobachteten Cere-
monien ganz genau beschrieben, wobei gesagt wird, dass der Kaiser dem Papste
sowohl beim Auf- wie beim Absteigen den Bügel hielt (Schultz, Hof- Leben
1,510); eine andere Stelle aus dem Sachsenspiegel wird noch erwähnt werden.
Das Wort staffa würde, wenn es von arrfco, umkränzen, umgeben, abzuleiten
wäre, eine ganz ähnliche Etymologie haben, wie strepa und das Holz oder
Metall bezeichnen, welches kranzffjrmig gebogen den Fuss des Reiters umgiebt.
Wenn es aber mit Stapfe zusammenhängt, wovon noch ein Rest in dem Worte
Fussstapfe zu finden ist, so könnte auch Stapfe, die umkränzte Fussspur, der
Umriss derselben, von ars'fu) kommen. Im Italienischen und Spanischen ist
staffa der Steigbügel und Staffette daher ein berittener Bote. Einige denken
auch an Stab, Stütze. Im Griechischen heissen die Bügel T/.d).a'. (so bei
Mauritius, Leo, Suidas, Eustathius, Codinus de offic, 3 und 9 u. a.), ebenso
häufig aber 7cX'{i.axs? (bei Pachymer. de Mich. Paleolog. V, 27, Philes Cantacuz.
ed. Wermsdorff pag. 218 u. a.); seltener und später ist der Ausdruck awrrjpta,
von welchem noch die Rede sein wird.
Die deutschen Bezeichnungen für den Bügel sind nicht sehr frühen Datums.
Yon Parcival heisst es: „ern gerte Stegereife niht" und „er sprang druf ane
stegereif." Im Wolfdietrich steht: „Ohne Stegreif der Freige da in den Sattel
sprang." Im Sachsenspiegel, der dem 13. Jahrhundert angehört, steht I, 1, 1:
„Dem babste ist euch gesazt zu riten zu bescheidener zit üf eime blanken
pferde und der keiser sal im den stegereif halden durch daz der sadel niht
enwinde." Ähnlich lautet es I, 52, 2.
Bekannt ist der Ausdruck „aus dem Stegreife reden". Wie in Griechen-
land an den Bacchus-Festen die den Zug zu Wagen Begleitenden in schnell
gemachten Versehen mit dem Publikum ihren Scherz und Spott trieben und
auch bei den römischen Triumphen allerlei improvisierte, oft sehr derbe Scherze,
wie man sagte 3^ äu.a^-/]? oder ex plaustriSj losgelassen wurden, so wurden
im Mittelalter augenbUcklicher Eingabe folgende kürzere oder längere Äusse-
rungen als aus dem Stegreife gehalten bezeichnet. (Dionys. Halic, VII, 72.)
Reiten und im Stegreif stehen war die Beschäftigung eines rüstigen Mannes,
der rasch von Entschluss, auch schnell eine Antwort fand, mit der es dann so
genau nicht genommen wurde. Auch andere sprichwörtliche Redensarten knüpfen
sich an den Stegreif. „On Stegreif in den Sattel springen" heisst soviel als
ohne Hilfe anderer etwas ausführen. „Sich des Stegreifs ernähren" hiess rauben
und nehmen, wo man etwas bekommen kann, und wurde von vagabondiereuden
Edelleuten gebraucht. Das Wort Steigbügel soll nach Grimm erst im 17. Jahr-
hundert aufgekommen sein. Ein Steigbügeltrunk, den man einnimmt, wenn
man schon auf dem Pferde sitzt, hat seine Erklärung darin, dass der Wirt nach
17()
bezahlter Rechnung, wenn der abreisende Gast schon aufgestiegen war, noch
einen Abschiedstruuk als letzten unentgeldlich vor die Thür brachte.
In dera Sinne „aller Anfang ist schwer" oder, wie mir wahrscheinlicher
ist, „ohne Bügel kommt man nicht in den Sattel" sollen nach Wander (Sprich-
würterlexikon) gewisse afrikanische Negerstärame den Steigbügel den Vater des
Sattels nennen. Umgekehrt wäre es wohl ebenso richtig. Auch über die Steigbügel-
riemen mag ein Wort gesagt werden. Bis zum Jahre 1752 wurden sie in
Preussen bei der Kavallerie statt der Spiessruten verwendet ; ein Unteroffizier
schritt dem Verurteilten, indem er ihm die Säbelspitze vor die Brust hielt,
voran. (Meyer, Convers.-Lex.)
Auffallend ist die Bezeichnung hebisen in Ulrich von Lichtensteina
Frauendienst (Ausg. v. Lachmann S. 37). Es ist vom Jahre 1223 die Rede.
Ulrich hilft seiner Herrin vom Pferd steigen:
V. 6 : Die vrowen hiez man du abheben :
ich bat mir daz hebisen geben:
ich huob die vrowen alle vil gar.
V. 13.: daz hebisen ich dar truoe.
si sprach ir sit nicht starc genuoc
ir mügt mich abe geheben niht.
V. 18.: dö trats uf daz hebisen so
do si her von dem satel steif
bi minera här si mich begreif . . .
Die gute Frau machte dabei den artigen Scherz, ihrem Ritter eine ganze
Locke auszureissen. Wie dieses Hebeisen beschaffen war, erfahren wir nicht,
nur dass es nicht fest mit dem Sattel verbunden war, sondern erst herbei-
gebracht wurde.
Anderseits wird in Flore und Blanscheflor v. 2743 von den Steigbügeln
an dem schönen Zelter gesagt, dass sie fest am Sattel sassen, von Gold und
nicht von Kupfer, Eisen oder Messing waren und mit Darstellungen von Löwen,
Drachen und anderem Getier verziert waren. Natürlich ist dies alles Dichtung.
Siegfried hält Günther Zaum und Stegreif. (Viollet-le-Duc, Dict. rais. du mobilier,
Fr. V. S. 415 unter etrier führt andere Beispiele an.)
Es ist selbstverständlich, dass zur Ritterzeit sämtliche Sättel mit Bügeln
versehen waren, wenn jedoch in Gedichten schon in frühester Zeit solche
erwähnt werden, wenn die Dichtung Karl den Grossen mit Rittern umgiebt und
die späteren Verhältnisse auf jene Zeit überträgt, so dürfen wir uns dadurch
nicht täuschen lassen. Die naiven mittelalterlichen Dichter kleideten eben alles
in das Gewand ihrer Zeit, wie Diercks (Die Araber des Mittelalters, 8. 203)
sagt: Christus und seine Hauptleute oder Mannen, nämlich seine Jünger,
Alexander der Grosse und seine Feldherrn, Artus und seine Tafelrunde, Fürst
Wladimir, die Sonne Kiews, mit den Seinigen, Karl und seine Pairs — sie alle
machte die Dichtung gleich, lieh ihnen dieselben Kleider, zeichnete sie mit den-
selben Sitten, Hess sie dieselben Thaten vollbringen, dieselben Worte sprechen,
wie man sie den Mitgliedern der Ritterorden zuschreibt. Ahnlich und dies
177
kommt uns zu statten, malten die Maler des 1(5. Jahrhunderts alte Heilige in
den Kostümen und mit dem Hausrat ihrer eignen Zeit.
Interessant für die Geschichte der Steigbügel ist eine Bemerkung des
Salernitaner Anonymus (bei Du Gange unter staffa). Leider ist es nicht möglich,
die Schrift selbst aufzutreiben, ich kann daher nur eitleren, was dort zu lesen
ist: sellam super quam equitahat sfaß'amque solitam ponehnt. Hiernach scheint
es, als wenn die Bügel nicht fest mit dem Sattel verbunden gewesen wären,
sondern nur zum Aufsteigen angehängt und dann wieder entfernt wurden, ähnlich
wie wir es soeben beim deutschen Hebeisen kennen lernten. Der Salernitaner
Anonymus lebte erst im 16. Jahrhundert und es wird nicht gesagt, auf welche
Zeit sich seine Angabe bezieht.
Leo Africanus (ed. Floriani, Antw. 1557, pag. 145), ein Schriftsteller des
16. Jahrhunderts, beschreibt die Ceremonien am Hofe des Königs von Fessa
Nova (Fez in Mauritanien) : Begem notinulli praecedunt, qui diversas hahent
functiunes . . . utrimque stipatorcs inccdtinf, quorum alius stapedes, alius regis
iacnliim, alius ephippii stragulum, alius eqiii fert capistrum . . . Danach wurden
also die Bügel zum jedesmaligen Auf- und Absitzen erst angemacht; aber wie
gesagt, es ist von Afrika und dem 16. Jahrhundert die Rede. Auffallend ist,
dass zu diesem Zwecke zwei Bügel (stapedes) verwendet werden. Es giebt aber
eine ähnliche Nachricht älteren Datums, die an das erwähnte deutsche Hebeisen
erinnert. Jahns (Ross und Reiter H, 47) und Löffler (Das Pferd HI, S. 172)
führen, jedoch ohne nähere Quellenangabe, eine Stelle an, welche sich auf
Wilhelm IX von England, also auf das 11. Jahrhundert, bezieht: )wn expectato
ascensorio sonipedem insiliens. Dass der Zwerg Walberan (Schultz, Höfisch.
Leben I, 389) sich eine prächtige Leiter machen und neben dem linken Bügel an den
Sattel hängen lässt, um daran aufs Pferd zu klettern, ist nur seinem körperlichen
Unvermögen zuzuschreiben, kann aber nicht zur Verstärkung jener Vermutung
herangezogen werden, obgleich das Bedürfnis, bequem aufs Pferd zu steigen,
hier wie dort dasselbe ist.
Interessant, wenn auch nicht auf Pferde, sondern auf Kamele bezüglich,
ist eine Handzeichnung im germanischen Museum in Nürnberg (abgebildet bei
Stacke, Deutsche Gesch. I, 716), welche trotz mangelhafter Darstellung der
Kamele auf eigener Anschauung des Künstlers beruht und die älteste vorhandene
Abbildung von Türken ist. Sie bezieht sich auf die Belagerung Belgrads
durch Mohammed IL im Jahre 1456. Man sieht auf dem Bilde unter anderen
Reitern einen Türken auf einem Kamele, dem die Ohren gestutzt sind, so
sitzen, dass er den linken Fuss auf ein breites Band stützt, welches von der
Halfter ausgehend, durch einen Ring an einer Halskoppel zu einer Art Unilaui
oder Hinterzeug geführt ist. Dass der Fuss auf dem Bande wirkUch ruht,
sieht man aus dem scharfen Winkel und der deutlichen Anspannung. Da das
Band am Kopfe befestigt ist, so wäre es möglich, dass es als Leitseil diente,
wenn das Tier geführt wurde, oder vielleicht auch als eine Art Sprungzügel,
der mit dem Fusse gehandhabt wurde, darüber lässt sich jedoch aus der Figur
nichts Bestimmtes entnehmen. Der Strick ist nur auf der linken Seite sichtbar.
Dass er als eine Art Steigbügel zum Auf- und Absitzen gedient habe, welches
12
178
beim Kamel ja bedeutend mehr Schwierigkeiten als beim Pferde maelit, wird durch
eine Notiz bei Leo Africanus (Descriptio Africae I, IG'') wahrscheinlich, in welcher
ffesafft wird, dass die Araber der Wüste nur auf Kamelen reiten und dabei
die Füsse auf den Hals setzen — was übrigens alle Kamelreiter thun — und
dass sie keine Steigbügel kennen, sich vielmehr statt ihrer nur eines Seiles
bedienen. Dass man sich bei Kamelen in einzelnen Gegenden nur eines
Steigbügels zum Hinaufklimraen bedient, der bei der Höhe des Tieres wohl ent-
sprechend tief herunterhängt, wird durch eine nicht genauer datierte Abbildung bei
Demmin (\yaffenkunde S. 647) erwiesen, welche einen nordafrikanischen Kamel-
sattel mit geschnitzter Vorder- und Hinterlehne und nur einem auf der linken Seite
herabhängenden dreieckigen Bügel darstellt. Dasselbe geht aus einer Abbildung
von Hans Guldenmundt in den Mitteilungen des Wiener Altert. -Yer. 1875,
Bd. 15 hervor, welche sich auf die erste türkische Belagerung Wiens von
1529 bezieht. Es ist daher wahrscheinUch, dass auch bei jener Darstellung
das Band der hnken Seite als eine Art Steigbügel, aber nur zum Aufsteigen diente.
Es würde aus den angeführten, von transportablen Bügeln sprechenden
Stellen der Schluss zu ziehen sein, dass man anfänglich mehr Wert auf die
Erleichterung des Aufsteigens, als auf die Unterstützung der Füsse während des
Reitens legte und dass sie hauptsächlich von solchen Personen gebraucht wurden,
welche weniger rüstig zu werden anfingen. Die Gewöhnung an das Reiten
mit Bügeln hatte für denjenigen, der gewohnt war, ohne solche zu reiten, einige
Schwierigkeit. Der Xaturreitar sowohl, welcher sich mit den Unterschenkeln
festklemmt, als auch der Geübtere, der nach Xenophons Vorschrift mehr steht
als sitzt (Xenoph. hipp. 7, 5), und sich gewöhnt hat, das Bein zu strecken, das
Fussgelenk aber unbeweglich zu halten, finden beide Schwierigkeiten darin,
den Bügel festzuhalten, und verfallen sehr leicht darauf, sich steif zu machen
und in den Bügeln zu stehen, wobei der feste Sitz, die Einwirkung auf das
Pferd und die Fähigkeit der Waffenführung verloren gehen. Es ist daher schon
aus diesem Grunde nicht zu verwundern, wenn die Bügel nur langsam Eingang
fanden und das Loos vieler ausgezeichneter Erfindungen teilten. Es scheint
sogar die Benutzung von Steigbügeln längere Zeit ein Vorrecht der Vor-
nehmen und Anführer gewesen zu sein, wenigstens ganz sicher in England.
Die Statuta de armis vom Jahre 1295 bestimmen ausdrücklich, dass Schild-
knappen genau wie Knechte ausgerüstet werden und keine Steigbügel am Sattel
haben sollen (Meyrick). Die Bügel wurden übrigens, abgesehen von der Form,
anfänglich sehr lang geschnallt, in England dauerte diese Mode von Wilhelm I.
bis Heinrich VII., also bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, dabei sind die Bügel
auf der Tapete von Bayeux teils am vorderen Sattelknopf, teils in der Mitte
des Sattels befestigt (Fosbroke). In den Scenes and Characters of the Middle
Ages by the Rev. E. L. Cutts pag. 313 findet sich eine Illustration einer Hand-
schrift des Prudentius, worin ein Sachsenkönig (saxon king) ohne Steigbügel
abgebildet ist. Die Sachsen regierten bekannthch bis ins 11. Jahrhundert, wo
ihnen Wilhelm der Eroberer folgte. Dagegen erwähnt Meyrick (Critical
Enquiry into Ancient Armour, Platte 8), einen Normannenkönig vom Jahre 1066
mit platten eisernen Bügeln. Alexander I., König von Schottland, 1107, hat
179
platte dreieckige Bügel, ebenso David, Earl v. Huttington, nachmals König
von Schottland; auf Siegeln haben Richard Fitz-Hugh, Earl von Chester und
König Richard I. dreieckige Bügel (Meyrick, Platte 10, 13, 14).
Auf der Tapete von Bayeux, welche, angeblich auf Veranlassung der
Königin Mathilde, Gemahlin Wilhelms I. von England angefertigt, dem 11., nach
anderen aber dem 12. Jahrhundert angehört und in 72 Scenen 530 Figuren
enthält, sind Reiter sowohl mit als ohne Steigbügel zu sehen. Ludwig VI.
hatte im Jahre 1100, bevor er König wurde, auf seinem Reitersiegel keine
Steigbügel. Auf bayerischen Münzen kommt ein Reiter mit Bügeln, wahrscheinlich
Heinrich der Löwe, zuerst im 12. Jahrhundert vor, daneben finden sich andere Her-
zöge derselben Zeit ohne Bügel. (Oberraayr, Hist. Nachr. von bayr. Münzen,
Taf. I, 16; VHI, 99 — 102). Münzen von Friedrich Barbarossa und dem Land-
grafen Hermann von Thüringen, beide aus dem 12. Jahrhundert, zeigen diese
als Reiter mit Bügeln. Ein Reitersiegel Gerhardi Dapiferi de Alzei a. 1228
zeigt diesen mit sehr weit vorgestreckten Beinen und sehr kleinen Bügeln
(Acta acad. Theod. Pakt. hist. Vol. VH, pag. 268).
Die schriftlichen Nachrichten reichen in Deutschland zwar nicht über das
10. Jahrhundert zurück, es tritt dafür aber sogleich eine gewisse Vertrautheit
mit den Bügeln zu Tage. Den nordischen Reitern reichte im 11. Jahrhundert
der Schild von den Augen bis über die Steigbügel, wie Weinhold (Nord. Leben
S. 208) anführt. Dass man bei den Nordländern verhältnismässig wenig schriftUche
Nachrichten findet, hat zum Teil darin seinen Grund, dass sie in alter Zeit wenig
ritten ; sie waren zu schwer für ihr wohl nur leichtes Pferdematerial, wie aus Olaus
Magnus (Hist. de gentibus septentr. Antw. 1558, XVII, 132; und II, 23) her-
vorgeht. Es wird uns erzählt, dass die Gauten die körperliche Fülle so hoch
schätzten, dass sie ihren König danach koren ; wer einen mächtigen Stuhl, ge-
recht für zwei, ausfüllte, ward gewählt. Als sich in Gautenland niemand fand,
wurde ein Fremder Thoris Hundsfuss, Enkel König Rings, gewählt (Rolf Kraka
S. c. 29; Weinhold S. 30). Sörli, Sohn des Upiandkönigs Erling, war so gross
und schwer, dass ihn auch der stärkste Hengst nicht länger als einen halben
Tag tragen konnte. Den gewaltigen Fusskämpfer Egge konnte ebenfalls kein
Ross tragen, er ging nur zu Fuss und erregte dadurch des alten Hildebrand
Unzufriedenheit (Jahns II, 23).
Trotzdem spielt schon in der Heldensage der Steigbügel eine Rolle. In
der Orkneyinga Saga bindet Sigurd das Haupt des erschlagenen Feindes an
seinen Steigbügel (Simrock, Myth. IL Aufl. S. 222). Wenn dieser Vorgang auch
dem Mythus angehört, so beweist er doch, dass man Vorbilder kannte, bei welchen
diese Sitte bestand. Noch im 11. Jahrhundert übten die Isländer ganz wie
Hunnen und Slaven diesen Brauch (Weinhold, Nord. Leben S. 310). So lange
man keine Steigbügel hatte, hängte man diese Trophäen den Pferden um den
Hals oder an die Zügel. Herodot IV, 64 erzählt es von den Scythen, Diodor II, 29
und Strabo IV, 4, pag. 198. C. von den Galliern; letzterer nennt es eine Ge-
wohnheit fast aller mitternächtigen Völker. Von den alten Irländern schreibt
Rieh. Stanihurstius (bei Du Gange, Lib. I de rebus hibernicis) : Hibernos ferreis
scalis, quae u nonmtlis stapedes dicuntar, in equos minime ascendere, sed iuhartun
12*
180
stias, fpKte front ibiis hnmineyit, aut eqnonim anncnlas ^hiisfra apprehendere afgiie
dum equi ohstipis capitihus quieti inclinant (nam ad taJem facUitatem, nt est eoruni
docUitas, a domltorihus ßn<jinitur) cquites etiam sa(/is ant loricis amictos mira
corporis agilitafe se efferre divaricatisque cruribus cphippia, clitellis non dis.^i-
miles, fitihito occupare. Stanihurstius lebte im 16. Jahrhundert.
Wenn wir noch in späterer Zeit lesen, dass Ritter vom Pferde herab oder
auf dasselbe hinauf springen, so dürfen wir daraus nicht schliessen, dass sie
keine Bügel hatten, ebenso wenig wie man aus der Statue des grossen Kur-
fürsten, welcher bekanntlich ebenfalls ohne Bügel zu Pferde sitzt, diesen Schluss
ziehen kann ; vielmehr war es ein Zeichen von Kraft und Geschicklichkeit
ohne Bügel in den Sattel zu springen. Der sogenannte Rittersprung, der Sprung
aufs Pferd, musste dem Ritterschlage vorher gehen. Im Wolfdietrich heisst es :
„Ohne Stegreif der Freige da in den Sattel sprang" und im Orendel: „Eise, der
kühne Weigand, ohne Stegreif in den Sattel sprang." Siegurd springt auf
das Ross Goti (Edda, Simrock 304). Auch die alten Nordländer machten den
Sprung aufs Pferd und das Wechseln derselben im vollen Laufe, besonders
auf glattem Boden, im Winter, zum Gegenstand besonderer Übung. (Olaus
Magnus ed. Antw. 1558, VIII, pag. 85).
Vielleicht liegt in dem Umstand, dass statt des früheren insilire und dcsilire
im 8. und 9. Jahrhundert die Ausdrücke scandere equos und descendere vor-
kommen, eine Andeutung, dass man- anfing mittels der Bügel auf das Pferd zu
steigen, statt hinauf zu springen. So heisst es bei Ermoldus Nigellus II, 475
und III, 377;
Donat equos rarios pracstantia coUa fercntes
Quorum rix poterant scandere dorsa sui ;
An der anderen Stelle:
Scandit equum i^elox, stmmlis praeßgit acutis
Frena tenens gyros dat quadrupes oarios.
König Günther steigt zu Pferde : phalerati terga cavalli scandit (Waltha-
rius S. 1063).
In den Annales Fuldenses (Mon. Germ. I, vol. V, pag, 407) heisst es von
den Franken, welche in der Schlacht an der Dyle 891 vom Pferde steigen,
um zu Fuss zu kämpfen, ^^equo descendunt^.
Merkwürdig ist die veraltete französische Bezeichnung sautoirs, von sauter,
für Steigbügel, welche ihren Namen, wie lucus a non lucendo, davon zu haben
scheinen, dass man bei ihrem Gebrauch eben nicht mehr aufs Pferd zu springen
brauchte. Die Erklärung bei Du Gange lautet : sautoir, etrier pour aider ä
sauter a cheral. Aus diesem Worte ist, wie Du Gange behauptet, das spät-
griechische GOitTjc^a gebildet (bei Suidas: saltatorium), welches bei Constantinus,
Porph. pag. 15 und Leo tact 6, 8 vorkommt und Sattel bedeutet (Stephani
thesaur. Gr. unter awT7]p{a und Du Gange unter saltatoria und staffa). Das-
selbe Wort findet sich aber auch im Alteuglischeu. Nach Meyrick (Critical Enquiry
into Ancient Armour Vol. XI, pag. 18) wurden die Steigbügel im 14. Jahrhundert
30 genannt, nämlich sautouers, aber auch schon die Statuta de armis vom Jahre
1295 schreiben vor: „he suhl hace na sautoiire at Ins sadiW^f wie gleichfalls
181
bei Meyrick zu lesen ist. Die sonstige Bezeichnung ist stirnq)^ dessen Ablei-
tung von Stegreif oder von stirjh-rojte, sowie die Ableitung des französischen
Wortes etrier gleichfalls von dem deutschen Stegreif, am Ende des zweiten Ab-
schnittes besprochen ist
Haben wir in den auf Europa bezüglichen Quellen kein älteres schriftliches
Zeugnis, als das des Kaisers Mauritius aus dem 6. Jahrhundert gefunden, so
giebt es doch, wie Olshausen in den Verhandlungen der Berliner anthropolo-
gischen Gesellschaft vom Jahre 1890, S. 209, mitteilt, ein solches in der chine-
sichen Litteratur, im Nanshih c. 45, S. 11, welches sich auf das Jahr 477
n. Chr. bezieht. Der Verfasser meint, die Steigbügel schienen damals ganz bekannt
und vielleicht schon Jahrhunderte lang im Gebrauch gewesen zu sein; nach
dieser Zeit sollen sie öfter erwähnt werden. Im 7. bis 9. Jahrhundert soll das
Volk eiserne Bügel, die Würdenträger aber solche aus T'au-Metall gehabt haben,
einer Komposition, über welche einige Mitteilungen und Vermutungen beigefügt
werden, nach welchen es äusserlich dem Messing ähnlich zu sein scheint.
Die älteste schriftliche Quelle würde also diese chinesische sein, sie ver-
legt den Ursprung der Bügel nach Asien und ihren Gebrauch ins 5. Jahrhundert,
sodass man ihre Erfindung gewiss noch früher, vielleicht ins 4. Jahrhundert,
setzen kann.
Wir haben jetzt also eine zusammenhängende Reihe schriftlicher Nach-
richten, welche mit dem 5. Jahrhundert beginnt, und wollen nun untersuchen,
wie die Funde damit übereinstimmen.
II.
Wenn wir versuchen, die bis jetzt gemachten Funde von Steigbügeln
aufzuzählen und zu ordnen, um im Anschluss an die im vorigen Abschnitte
mitgeteilten allgemeinen Angaben schliesslich zu einer Geschichte der Bügel
zu gelangen, so dürfen wir uns die Schwierigkeit dieses, soviel ich weiss, ersten
Versuches nicht verhehlen. Nicht uur, dass das Material in einer Unzahl von
Büchern, Annaleu, Katalogen und kleinen Schriften zerstreut ist, so geben auch
die bisweilen sehr oberflächlichen Mitteilungen nur in seltenen Fällen eine Vor-
stellung von Form und Grösse und noch weniger einen Anhalt für die Zeit,
welcher die Fundstücke angehören. In vielen Sammlungen giebt es fast nur
undatierte Stücke mit unbekannten Fundorten ; es geht hier beinahe wie mit
den Hufeisen, von welchen oft ganze Kisten voll aufbewahrt werden, ohne dass
man überhaupt weiss, wie sie in die Sammlung hineingekommen sind. Solche
Sachen sind für unseren Zweck vorläufig ganz wertlos, bis man im stände sein
wird, ohne grosse Irrtümer allein aus der Form auf die Zeit zu schliessen, und
dies wird möglich sein, wenn man recht viele Zeichnungen wird vergleichen
können.
Die früher allgemein gültige Annahme eines in verschiedenen Perioden
erfolgten Zuges der ganzen jetzigen Bevölkerung Europas aus Asien nach Westen hat
in neuerer Zeit der gerade entgegengesetzten Theorie Platz gemacht. (Linden-
schmit, Handb. d. Deutsch. Altert.-Kunde I, Einl. S. 4 u. f. Virchow, Verb,
182
d. Berlin, anthrop. Ges. 1884, S. 220. Krause, Tuiseo-Land, S. 12 u. f.)
Nehmen wir aber auch an, dass in allerältester Zeit ein Zug von Westen nach
Osten stattgefunden hat, so bleibt doch die Thatsache bestehen, dass in historischer
Zeit eine Bewegung in umgekehrter Richtung stattfand, dass die Bewohner
Europas vielfach ihre Wohnsitze änderten, und dass ein Volk das andere ver-
drängte, um nach längerer oder kürzerer Zeit ebenfalls bei Seite geschoben zu
werden. Uns interessieren indessen nur diese jüngeren Yölkerzüge nach der
einen oder anderen Richtung und auch nur insoweit, als die in den Gräbern
gemachten Funde damit im Zusammenhange stehen und einen Schluss auf die
Zeitfolge gestatten. Das Vorkommen von Kurz- und Langschädeln, die Folge
von Finnen, Kelten, Germanen im Norden, die Ausbreitung der Wenden in der
Mark, Pommern und Mecklenburg im 5. und 6. Jahrhundert und ihre Grenze
an der Elbe und Saale, die Aufeinanderfolge der Bojer (Kelten), Marcomaunen
(Germanen) und Slaven in Böhmen, die Einfälle der Mongolen, sowohl ihre
früheren Züge nach dem schwarzen Meere und der Donau, als ihre ins 4. Jahr-
hundert fallenden Züge nach Norden und ihr im 13. und 14. Jahrhundert er-
folgtes Vordringen nach Russland, sowie andere ähnliche Vorgänge, die Fortschritte
der Kultur, namentlich der in verschiedenen Ländern zu sehr verschiedener
Zeit erfolgte Übergang zur Eisenzeit, die Annahme des Christentums — dies
alles beachten wir hier nur soweit, als die hauptsächlich aus der Beschaffenheit
der Gräber über diese Vorgänge gewonnene Kenntnis der Erklärung und Datierung
derjenigen Funde dient, welche uns über die Beschaffenheit und Verbreitung
der Steigbügel Auskunft geben.
Ebenso wichtig aber sind für die Verbreitung die Handelsbeziehungen,
welche seit den ältesten Zeiten zwischen dem Süden und Norden Europas,
sowie zwischen dem Osten einerseits und dem Westen andererseits nach Mittel-
Europa bestanden. Auf ganz bestimmten, uns wohl bekannten Strassen, welche
vom mittelländischen und adriatischen, aber auch vom schwarzen Meere aus
nach der Ostsee führten, und in frühester Zeit in den Händen der Semiten
(Phönicier) waren, wurden den Völkern des Nordens die Erzeugnisse des Südens,
hauptsächlich die schönen Bronzewaren, zugeführt, welche wir in ihrem Besitze
finden, denn weder die Nordländer, noch die Gallier oder Germanen haben in
frühester Zeit diese Sachen selbst gefertigt. Auf denselben Wegen, welche mit
Unterbrechungen bis ins Mittelalter hinein bestanden, wurden nordische Waren,
namentlich Bernstein, zurückbeffirdert, auf ihnen fand der Austausch von allerlei
Gebrauchsgegenständen, die Mitteilung nützlicher Erfindungen und politischer
Ereignisse statt. Auch die Steigbügel folgten diesen Strassen, welche sich die
Donau aufwärts durch Ungarn, Mähren, Böhmen, längs der Elbe,' Oder und
Weichsel nach der Ostsee zogen, doch werden wir auch auf andere Verbreitungs-
wege stossen. Alle Funde aber gehören nicht jener ältesten Zeit, sondern erst
dem jüngeren Eisenalter an, wie wir im einzelnen sehen werden.
Bei fast allen europäischen Völkern wurden bei der Bestattung den Kriegern
je nach ihrem Rang Kostbarkeiten, Waffen, ausgerüstete Pferde, Wagen, Schiffe,
Habichte, bei einzelnen auch Frauen und Diener zur Benützung in jener Welt
mit ins Grab gegeben. Als König Harald Hildetönn in der Bravallaschlacht
183
"■efallen war, liess König Ring von Schweden die Leiche auf den Wagen legen,
auf dem Harald in den Kampf gefahren war, einen Hügel aufwerfen und den
Toten hineinführen. Das Ross ward getötet, und König Ring gab seinen
eigenen Sattel her, indem er dem Toten sagte, er möge jetzt thun, wie er
wolle, nach Walhall reiten oder fahren (Fornaldur Saga I, 387; Weinhold,
Nord. Leben S. 495), Besonders diese in den sogenannten Skeletgräbern,
in welchen die Toten unverbraunt bestattet wurden, gefundenen Pferdeausrüstungen
sind für uns von grösster Wichtigkeit, während bei Brandgräbern auch andere Bei-
gaben auf den Gang der Kultur und die Zeit schliessen lassen. Xach Annahme
des Christentums werden keine Pferde mehr mit den Toten bestattet, es werden
daher keine Steigbügel mehr in den Gräbern gefunden.
Wir beginnen mit der Besprechung der Tschuden-Gräber. Tschuden war
der allgemeine Name für alle Finnen und Mongolen, welche nördlich der Scythen
wohnten und vom Altai und Ural nach dem schwarzen Meere zogen. Die Griechen
machten Ix'j^? daraus. Die Finnen siid vielleicht die älteste und stärkste
Völkerfamilie, welche ursprünglich den grössten Teil von Europa und Asien im
Besitz hatte, bis die Indoeuropäer (Kelten, Gallier, Britannier, Germanen und
Slaven) kamen und sie verdrängten. Im 4. bis 6. Jahrhundert finden grosse
Wanderungen uralischer Völker und öftere Züge tschudischer Stämme, zu wel-
chen auch Hunnen, Avaren und Bulgaren gehörten (Schaifarick, slav. Altert. I,
286 bis 319; Klaproth, tableaux de l'Asie 235 bis 254), bis in die pontischen
Gegenden statt.
Diese Tschuden haben nun in dem ganzen grossen Gebiete vom Altai,
Jeuisey und Ural, durch das europ. Russland bis zum schwarzen Meere un-
zählige Hügelgräber hinterlassen. In den ansehnlicheren derselben, welche
majaJii heissen, finden sich oft neben den Menschengerippen Pferdeköpfe mit
Zaum und Stange, zuweilen auch Steigbügel von Eisen oder mit Silber-
blech überzogen. Auch in den gewöhnUchen Gräbern, welche sJami heissen,
finden sich viele Steigbügel. Eine dritte Art Gräber, die kunjanie, die
grössten, scheinen kein Eisen, eine vierte auch kein Gold, eine fünfte endlich
überhaupt nichts Wertvolles zu enthalten. (Ritter, Erdk., III. Teil, IL Buch
Asien, Bd. 2, § 56 oder S. 328 und f.). Schon Pallas erwähnt die Steig-
bügel in den majaki und slanzi. Siewers 1793 und Meyer 1826 fanden solche
Gräber am Irtisch mit Pferdegeschirr von Kupfer, dünn übersilbert, und kupferne
Steigbügel mit Holzresten ; auch Bunge fand Bügel (Ritter II, S. 649 und 902).
Diese Gräber haben eine ziemliche Litteratur hervorgerufen, die aber, meistens
in russischer Sprache abgefasst, leider wenig Verbreitung gefunden hat. Neuere
Untersuchungen (Andree, Die Metalle bei den Naturvölkern, Leipzig 1884, S. 125)
bestätigen den Fund von Steigbügeln in den grossen Kurjanen, welche jedoch
nicht jenem Urvolke, sondern einem eingewanderten Reitervolke türkischen
Stammes angehören sollen, durch welches jenes Urvolk vertrieben wurde. Es
fanden sich Bügel von Eisen mit Silber und Gold ausgelegt und Spuren von
Sätteln und Sattelzubehör, Diese Reitervölker kamen von Norden, zwischen Ural
und Altai, nicht von Westen her. Nach den Ausführungen von Mone (Gesch.
d. Heident. I, S. 104) bestätigt die Volkssage es nicht, dass die Ungarn als
184
Stammesgenossen der Türken vom kaspischen Meere oder von Persien her ge-
kommen wären, alles deutet vielmehr darauf hin, dass beide von Norden kamen.
Dass man nicht auf Finnen, sondern auf ein türkisch-tatarisches Yolk schliesst,
beruht auf anthropologischen Gründen, namentlich darauf, dass man nur brachy-
kephale Schädel gefunden hat.
Andere Gräber, in denen sich ganze Schach- und Brettspiele von Gold,
Medaillen und Metallspiegel finden, weisen durch gleichfalls darin enthaltene
Schalen und Münzen mit kufischen Inschriften auf den rauhamedanischen Kul-
turkreis hin und müssen jünger als jene sein, da die arabischen Münzen mit
kufischer Schrift erst im 7. Jahrhundert aufkamen. Da nun jene anderen Gräber
Münzen ohne diese Schrift enthalten, so dürfen sie für älter, als die Einführung
des Islam gelten.
Aber auch das erwähnte Auftreten des Schachspiels lässt uns einen
Schluss auf das Alter der Gräber machen. Das Schachspiel soll nämlich nach
dem Zeugnis Firdusis im 6. Jahrhundert nach Persien und um diese Zeit auch
von Indien nach China und an fast alle orientalischen Höfe, auch nach Arabien
gekommen sein ; schon die Gefährten des Propheten sollen Schach gespielt haben.
Aus sprachlichen Gründen soll überdies hervorgehen, dass das Schachspiel direkt
aus Asien durch tatarische Yülker nach Russland gekommen sei (v. Bilguer,
Handb. d. Schachsp. S. 4 und 16). Nach von Linde gehören aber alle diese
Angaben in die Schachmythologie; nach ihm datiert die älteste schriftliche Nach-
richt aus dem 10. Jahrhundert und findet sich bei Masudi (v. Linde, Gesch. d.
Litt. d. Schachsp. I, 16; I, 2; III, 6). Das Spiel verbreitete sich aus Indien,
wo es im 7. Jahrhundert zu finden ist, über Persien nach Arabien, jedoch nicht
vor dem 8. Jahrhundert, Mohammed kannte es nicht ; von den Arabern wurde
es nach Europa gebracht. Alle anderen Nachrichten beruhen auf Yerwechse-
lungen mit anderen Brettspielen, welche seit den ältesten Zeiten her bekannt
waren. Aber selbst wenn es sich bei jenen Funden um das Spiel Mignan
handelte, welches die Mongolen nachweislich aus dem Tibetanischen entlehnten,
30 wäre ein Zusammenhang mit den im Norden Europas auftretenden Spielen
möglich. Wir finden Friethjof, ja Odin und die nordischen Götter beim Brett-
spiel, welches in der Yöluspa einfach Schach genannt wird. Die Yorgänge in der
Friethjof-Sage spielen sehr früh, und wenn wir finden sollten, dass aus jener
Zeit Steigbügel im Norden nachzuweisen sind, so könnten diese wie das Brett-
spiel, welcher Art es auch gewesen sein mag, von Nord-Osten her in die Ost-
seeländer gekommen sein.
Schlözer sieht in den Tschuden die Bulgaren, welche schon im 5. Jahr-
hundert an die Donau kamen, andere erkennen darin Hunnen oder Avaren, welche
demselben Stamme angehören. Die von diesen wandernden Reitervölkern auf
ihrem langen und langsamen Zuge schon im asiatischen Russland in ihren
Gräbern zurückgelassenen Bügel müssen demnach mindestens ins 4. oder 5.
Jahrhundert, wenn nicht noch weiter zurückreichen, Aspelin verlegt die Funde
in Scythien sogar ins 1. Jahrhundert vor Christus,
Neueste Forschungen bestätigen, dass die Tschudengräber, welche Stein
und Eisen enthalten, zwar sehr alt sind (Erman, Archiv für wiss. Kunde von
185
Russland, Bd. XIX, S. 55), daas aber ein unmittelbarer Zusammenhang der
Tschuden mit den Scythen, welche uns Herodot schildert (IV, 71—72; man
vergleiche Herodot I, 205; Strabo XI, pag. 513), nicht nachweisbar ist, ob-
gleich die Beschreibung ihrer Begräbnisfeierlichkeiten und mancher andere Zug
dazu auffordern.
In einem Berichte des Prof. Radi off aus Kasan, enthalten in den Ver-
handlungen der Berl. Gesellsch. für Anthrop. 1882, S. 430, wird bestätigt, dass
die sibirischen Gräber der Eisenperiode eine Menge von Pferdeknochen zeigen,
die der Bronzeperiode dagegen niemals, und dass erstere ausser eisernen
Steigbügeln eine Menge anderer zum Gebrauch des Reiters nötige Dingo ent-
halten. Er schliesst, dass die Eisensachen nicht den Nachkommen der Bevölkerung
der Bronzezeit angehören, sondern fremden Einwanderern, welche von Süden
her zum Altai kamen, und dass diese, wie er durch eine Notiz aus chinesischen
Schriften erhärtet, zum türkischen Stamme gehörten.
Die bei Aspelin (Antiquites du Nord-Finno-Ougrien, III. Abschn., S. 202,
Fig. 767) beschriebenen und abgebildeten, in den Gräbern der Meren gefundenen
Steigbügel gehören jedoch nicht dieser ältesten Zeit an. Sie wurden mit sama-
nidischen, deutschen und angelsächsischen Münzen zusammen gefunden und
weisen auf eine Herkunft aus dem 10. oder 11. Jahrhundert hin. Auch ihre
Form {Fig. 57), welche an Ungarn erinnert, verweist sie in diese Zeit. Weit
älter scheinen dagegen die gleichfalls bei Aspelin abgebildeten, in den Skelet-
gräbern der Mordwinen gefundenen Bügel zu sein (Fig. 40). Beide finnischen
Völker, die Meren an der oberen Wolga und unteren Oka, die Mordwinen in
ihrer Nähe am oberen Don wohnend, breiteten sich später bis zur Ostsee und
zum heutigen Polen aus (Müllenhof, Deutsche Altert. II, 71).
Es scheint demnach unzweifelhaft, dass die Steigbügel in den ersten Jahr-
hunderten unserer Zeitrechnung den Völkern, welche von Nord-Asien und vom
Ural her nach dem schwarzen Meere und der Donau hindrängten, bekannt waren.
Dies scheinen aber nicht dieselben Stämme gewesen zu sein, welche von Central-
Asien aus den Altai überschritten und die ältesten Gräber zurückliessen, sondern
später nachdringende Scharen, welche in weitem Bogen an die Donau gelangten,
während andere vielleicht direkt nach Westen ziehend zu gleicher Zeit das
heutige Ungarn erreichten. Alle diese Horden gehörten dem türkisch-tatar-
ischen Stamme an, sie brachten die Bügel in die Donauländer.
Einen weiteren Aufschluss über die Zeit der Einführung giebt die von
Hampel (der Goldfund von Nagy-Szent-Miklos S. 86, Fig. 46 und 47) be-
schriebene und abgebildete Sassaniden-Schüssel, eins der vielen derartigen
Fundstücke, welche orientalischen Ursprungs sind. Die unsere gehört dem 4.
bis 5. Jahrhundert n. Chr. an. Sie ist von Silber und zeigt grosse Jagdscenen
in sehr deutlicher Ausführung. Auf diesen Darstellungen haben die jagenden
Fürsten Steigbügel, deren Form ganz deutlich zu erkennen, der der älteren
ungarischen Bügel durchaus ähnlich ist; sie sind fast rund, nur die Sohle ist
etwas flacher, aber breit {Fig. 1 u. 2). Andere vornehme Personen haben
keine Bügel. Die Trachten erinnern an persische Kostüme.
186
Da über die Ächtheit und das Alter jener Funde kein Zweifel besteht,
so müssen wir die Bekanntschaft mit den Steigbügeln im Orient ins 4. bis 5.
Jahrhundert zurückverlegen, was nach unseren früheren Betrachtungen keinem
Widerspruche begegnet und von den angeführten chinesischen Quellen bestätigt
wird. Es unterstützt hier die schriftliche Quelle den Fund und umgekehrt der
Fund die Quelle. Welcher Nation aber die hier im persischen Kostüme abge-
bildeten Reiter angehörten und von wem und wann diese die Bügel erhalten
haben — das bleibt vorläufig noch unaufgeklärt.
Obgleich nun die Steigbügel in chinesischen Quellen schon im 5., in griech-
ischen (Kaiser Mauritius) wenigstens im 6. Jahrhundert erwähnt werden, sind
die ersten Funde in Europa doch etwas jüngeren Datums. Sie verteilen
sich auf Ungarn, Russland, Preussen und Schleswig. Wurden sie von einem
Reitervolke aus Asien nach dem schwarzen Meere gebracht, so werden einer-
seits die ewigen Kriege mit den Nachbarn, anderseits die bestehenden Handels-
verbindungen für die weitere Verbreitung gesorgt haben.
Schon vor Christi Geburt hatten griechische Kaufleute eine Strasse vom
Pontus Euxinus nach der Ostsee gefunden. Sie ging den Dniepr und Pripat
entlang und wurde unter Alexander Severus für zwei Jahrhunderte während
der Züge der Goten, Germanen, Hunnen und Slaven verlassen, aber im 5.
oder 6. Jahrhundert wieder aufgenommen. Gegen Ende des 7. Jahrhunderts
kamen die ersten Münzen mit kufischen Buchstaben nach Dänemark, sie wurden
mit römischen vermischt in Menge auf Bornholm, Gotland und anderen Inseln
gefunden. Zu derselben Zeit blühte der Handel mit Lievland und Nowgorod; er
dauerte, wie die Münzen nachweisen, bis zum 10. Jahrhundert (Rougemont
S. 461 bis 463). Da aber der Handel zwischen dem Ural und der Ostsee erst
später beginnt, so ist es nicht wahrscheinlich, obgleich immerhin möglich, dass
die Bügel direkt aus dem nördlichen Russland nach Preussen kamen. Dass
aber auch die Araber nicht diejenigen gewesen sind, welche sie verbreitet haben,
obgleich ihre Münzen häufig mit ihnen gefunden werden, dass vielmehr die
Araber erst sehr spät sich der Bügel bedienen lernten, geht aus einem Bericht
des Arabers Ibn Chaucal hervor, welcher hervorhebt, dass die gemeinen Araber
des 10. Jahrhunderts sehr schlecht zu Pferde sassen, weil sie sich der Bügel
entweder rieht bedienen konnten, oder nicht wollten, sondern ihre Beine lose
herunter hängen Hessen. (Dozy, Gesch. d. Mauren in Spanien, H, 112.) An-
derseits sagt eine Notiz über den Khalifen al Mamun aus dem Anfange des
9. Jahrhunderts (Linde a. a. 0. I, 20), dass dieser vom Pferde herab, ohne den
Fuss aus dem Steigbügel zu heben, in Damascus 24 Millionen Dirrheme ver-
teilte. Die Bügel waren zu seiner Zeit wohl nur bei vornehmen Arabern im
Gebrauch. Es war hier, wie im Westen; wir werden sehen, dass Bügel bis
ins 12. Jahrhundert überall nur von Vornehmen benutzt wurden.
Bevor wir die Funde einzeln anführen, muss noch eine bei Viollet-le-Duc,
Le mobilier francais V, S. 413, befindliche Angabe besprochen werden, wonach
schon zur römischen Kaiserzeit die Steigbügel den Numidiern oder Iberern
bekannt gewesen seien. Unsere vorhergehenden Ausführungen widersprechen
seiner beweislos hingestellten Behauptung durchaus, wenn er auch anführt, dass
187
zwei derartige Bügel, welche wir nach seiner Zeichnung unter F'uj. 342 u. 343
abgebildet haben, im Xeapler Museum aufbewahrt würden.
Die Form der Bügel macht nicht den Eindruck, als wenn sie jenen Jahr-
hunderten angehörten, wenn auch der eine an die primitiven Bügel Fi(). 273
u. 306 erinnert. Das Einzige, was der Verfasser zur Begründung seiner sonst
von niemand geteilten Behauptung anführt, ist, dass jene alten Völker einen
festen Sitz notwendig gehabt hätten, weil sie vom Pferde aus mit dem Bogen
schössen und sicher trafen. Dazu waren aber Bügel nicht nötig, denn niemand
verstand dies besser als die Parther, und doch hatten diese bestimmt keine
Bügel, wie alle Skulpturen übereinstimmend zeigen. (Man vergleiche für die
ältere Zeit Livius 35, 11 und Strabo 17, 3, pag. 828. C. ; Horaz., Od. 2,
13, 17; 1, 19, 10; Virg. Georg. 3, 31.) Dieser Grund ist also nicht ausreichend,
seine Behauptung zu erweisen. Aber auch das ist falsch, dass derartige Bügel
im Museum zu Neapel aufbewahrt würden. Auf eine Anfrage hatte der Direktor
der Musei di antiquitä, Signore Giulio de Petra, die Güte mir zu antworten,
dass nichts ähnliches, was als Steigbügel gelten könnte, dort aufbewahrt würde,
dies sei auch ganz natürlich, da bekannt sei, dass die Alten dergleichen nicht
im Gebrauch gehabt hätten. Es ist schade, dass Viollet nicht angegeben hat,
woher er seine überraschende Nachricht genommen hat. Ebensowenig ist darauf zu
geben, wenn hier und da jemand einen Bügelfund bekannt macht und ihn
mindestens für römisch, womöglich aber für etruskisch erklärt. So heisst es in
einem englischen Berichte (Archaeological Assoc. 1873): ^dies ist einer der
ersten römischen Steigbügel, welche ans Tageslicht gekommen sind", während
das Stück — ich vermute das indessen nur — ein Kettenbügel ist, der wahr-
scheinlich dem 12. Jahrhundert angehört, früher kommt die Verwendung der
Ketten dabei nicht vor. Ein anderer schreibt (Archaeologia Vol. 24, pag. 58)
von einem bei Hampdon Shill gefundenen Bügel: „er ist wahrscheinlich etrus-
kischen Ursprungs", aber, nach der Beschreibung zu schliessen, dürfte er dem
16. Jahrhundert angehören. Gründe sind überall nicht weiter angegeben. Wahr-
scheinhch auf Viollets Autorität hin hat ein neuerer französischer Schriftsteller
Le Vallet (Le chic ä cheval, histoire de l'equitation, Paris 1891, S. 7) dieselbe
Behauptung aufgestellt und erzählt dann weiter, dass Attilas Horden, Mitte des
5. Jahrhunderts, zuerst Bügel, aus drei Holzstücken bestehend, gehabt hätten,
verrät aber nicht, woher er diese Nachrichten genommen hat, oder ob ihm
vielleicht ein der Vermoderung entgangenes Exemplar vorgelegen hat. Die Sache
ist ja an sich nicht unwahrscheinlich, obgleich diese Völker wohl damals schon
im Besitze von Metallbügelu waren. Dass Holzbügel älter gewesen seien, be-
ruht nur auf einem Schluss a priori oder nach Analogie mit heutigen wilden
Völkern.
Wir müssen jetzt der Reihe nach die in den einzelnen Ländern gemachten
Funde aufzählen und fangen dabei mit Ungarn an, weil dort eine Fülle von
Bügeln gefunden wurde, welche, gut datiert, sich ihrer Form nach systematisch
ordnen lassen. Herr Nagy Geza, Kustos und Adjunkt am National -Museum
zu Budapest, hat in Archaeologiai ertesitö, XI, 2 von 1891, S. 115, seine
Untersuchungen veröffentlicht. Leider ist es mir nicht möglich gewesen, von
188
dem Inhalte Kenntnis zu nehmen, da ich keinen genügenden Übersetzer auf-
treiben konnte. Es ist sehr zu bedauern, dass die vielen in ungarischer Sprache
alljährlich gemachten Publikationen nicht daneben auch in einer Weltsprache
stattfinden, wie die von Aspelin über die Finnen, da alle Nicht-Ungarn ohne eine
solche Doppelzüngigkeit von der Benutzung ausgeschlossen sind. Ich bemerke
ausdrücklich, dass ich die meiner Abhandlung beigefügten Figuren zum grössten
Teile an Ort und Stelle nach den Originalen flüchtig aufgezeichnet habe, in
der Regel ohne die in Glasschränken aufgestellten Exemplare hinreichend genau
betrachten oder messen zu können, und dass es mir nicht um das Detail, sondern
nur um einen Anhalt für die Form zu thun war. In Betreff der Schätze des
ungarischen National -Museums in Budapest bin ich dem Kustos -Adjunkten
Herrn Dr. Bela v. Posta zu grossem Danke verpflichtet, weil er ausser ver-
schiedenen eigenen Angaben den Dolmetscher machte, da weder Herr Nagy
Geza der deutschen, noch ich der ungarischen Sprache mächtig war und wir
in seiner Abwesenheit nur zum Latein unsere Zuflucht nehmen konnten, einer
Sprache, in der sich über Steigbügel und ihr Detail nur mühsam eine völlige
Verständigung erreichen lässt, wie der Leser bei einem Versuche finden dürfte.
Das heutige Ungarn wurde der Reihe nach von Kelten, Germanen, Hunnen,
Avaren und Magyaren bewohnt, Sie hinterliessen in ihren Gräbern eine zahllose
Menge von Gebrauchs- und Schmuckgegenständen für Menschen und Pferde,
welche im National-Museum zu Pest in grosser Vollständigkeit beisammen sind
und durch immer neue in der Nähe der grösseren Flüsse, namentlich der Donau
und der Theiss, gemachte Funde fortwährend vermehrt werden. Die Kelten nahmen
schon im 3. Jahrhundert v. Chr. Pannonien in Besitz. Ihnen dürfen wir indessen
keine der gefundenen Steigbügel zuschreiben, da sie dieselben wohl überhaupt
nicht kannten. In Keltengräbern sind auch niemals bis jetzt irgendwo Steig-
bügel gefunden worden.
Nagy Geza, dessen System ich versuchen will wiederzugeben, teilt die
UBgarischen Bügel folgendermassen ein.
1. Hunnisch-germanische Bügel, a) Der Fund von Kesthely in der
Nähe des Plattensees. Er war von Münzen römischer Kaiser, und zwar von
Philippus Arabs (244 — 249) und sieben seiner Nachfolger bis Valentinian IL
(375 — 392), begleitet, kann also nicht aus einer früheren Zeit als dem Ende
des 4. Jahrhunderts herrühren, eine Grenze, welche mit dem Anfange der
Völkerwanderung zusammenfällt. Zu dieser Zeit war das Land noch von Germanen
bewohnt, welche, von den Hunnen gedrängt, sich über die Donau zurückzogen.
Die älteste hunnische Form ist nicht bekannt, sie fällt vielleicht mit dieser
zusammen. Es ist anzunehmen, dass die von den Hunnen mitgebrachten Bügel
sich schnell bei den eingesessenen und benachbarten Völkern, Goten und
Gepiden, verbreiteten und auch Änderungen in der Form erlitten, deren eine
uns in diesem Funde vorliegt, welcher Fij. S und mit etwas anderem Kopfe
Fig. 4 abgebildet ist. (S. Dr. Lipp. Vilmos: A Kesthely Sirm. S. 17, Fig. 22).
Charakteristisch ist bei ihnen die Sohle, welche in den Winkeln umgestülpt ist,
sodass die umgelegten Enden eine Verlängerung der Seitenwände (Schenkel)
nach unten zu bilden, b) Die Bügel von Ordas, älterer Art (wir werden hier,
189
wie bei anderen Fundorten, noch einen jüngeren Typus kennen lernen), wel-
che der ganzen Form nach den vorigen entsprechen, Fifj. 5. c) Der Fund
von Püspök-Szent-Erzsebet (St. Elisabeth) Fi(j. 6 und d) der von Leraes, Fig. 7.
Letztere bilden der durch einfaches Zusammenbiegen der Eisenstange gebildeten
Öse halber den Übergang zur folgenden Art, während sie der Form der Sohle
nach zu der vorigen gehören.
2. Avarisch-hunnische. a) Der Fund von Szentendre (St. Andreas),
erster Typus, Fig. 8. Nur die untere Hälfte ist flach, mit kleinem Grat auf
der Aussenseite der Sohle; die Öse ist durch einfaches Zusammenbiegen ge-
bildet, b) Die Bügel von Ordas, zweiter Typus, Fig. .9, aus mehreren stark
oxydierten Bruchstücken und einem ganzen Exemplar bestehend. Obgleich sie
durch eine Münze von Philippus Arabs begleitet waren, soll der Fund doch später,
und zwar ins 6. Jahrhundert zu setzen sein. Ausserdem gehören hierhin: die
Funde von Szegedin, erster Typus, Fig. 10, von Kassa und Bölcske. Die
letzteren sind abgebildet und besprochen im Archaeologiai ertesitö 1891, XII, 3,
S. 239. Die Bügel sind kreisrund, die Ösen zum Teil wie unter a, zum Teil
wie bei den avarischen gebildet.
3. Av arische. Sie zeichnen sich durch die Form der Öse, welche in
einem mehr oder weniger langen, selbständigen Halse sitzt, und eine flache,
fast die Hälfte der kreisähnlichen Rundung einnehmende Sohle aus. Es ge-
hören hierher die Bügel a) von Szentendre, zweiter Typus, Fig. 11. Münzen
von lustinus Thrax (518—527) und Phocas (602—610), sowie verschiedene
Goldsachen verweisen dieselben in das 6. oder 7. Jahrhundert. Der Bügel ist
etwa 12 cm weit und beinahe kreisrund, der flache Hals 4 cm lang, b) Die Bügel
von Nagy-Manyok, Fig. 12, abgebildet und besprochen in Archaeol. ertes. 1890,
X, 5 S. 432 und c) von Bicacs, Fig. 13, scbliessen sich jenen an. d) Die Bügel
von Szeged, zweiter Fund, Fig. 14 (s. Archaeol. ertes. S. 154). Sie alle stammen
aus dem 7. Jahrhundert.
4. Ungarische, a) Pusta-Vereb. Münzen von Karl dem Kahlen (840
bis 877) und Berengar (888-924) verweisen die beiden dort gefundenen
Bügel, Fig. 24, ins 10. Jahrhundert, b) Porös, Fig. 25, den vorigen ähnlich,
10. Jahrhundert, c) Pilin. Hier sind mehrere Bügel von ähnlicher Form aber
verschiedener Grösse, von einem nur Bruchstücke, gefunden. Sie sind datiert
durch eine Münze Ludwigs des Frommen (814 — 840). Genauere Abbild-
ungen befinden sich bei Hampel, Archaeolog. ertes. 1885, S. 322; 1887, S. 63
und 1889, S. 269; Archaeol. kötzlem. IX, 1, S. 21. Die letztgenannte Zeichnung
giebt Fig. 17, den allgemeinen Typus der anderen Fig. 18. Die Bügel von
Czorna mit Münzen Ludwigs des Deutschen (840—876) und Monaji sind hier-
bei einbegriffen. Bei den sehr ähnlichen Bügeln von Nesmely, Fig. 19, welche
unten einen schwachen Grat auf der Sohle zeigen, lagen Münzen von Berengar.
Bei Kis Varda wurde mit den Bügeln ein Sporn gefunden; die von Szolyva,
Fig. 20, sind sehr gross, 14 cm breit, sonst ähnlich jenen. Derselben Zeit ge-
hören auch die Funde von Bene Pusta und Nagy Teremini an. Einen zweiten
ungarischen Typus zeigen die Funde von Galgocz, Fig. 21, und Rakos, Fig. 22.
190
Während alle früheren freistehende Ösen hatten, haben diese die Ösen in der
in der Schenkelebene erbreiterten oberen Rundung. In Galgocz wurde eine
Münze des Samaniden Naszr ben Ahmed (913 — 942) mitgefunden.
5. Avarisch-ungarische. Hierher gehören die Funde von Szeged
Öthalom, Fig. 15, Szeged Bojarhalmi u. a., welche Übergangsformen zeigen,
älter als die ungarischen und entwickelter als die avarischen sind. (Arch.
ertesit. 1891, XI, 2, S. 104). Eine andere Durchgangsform ist die von GödöUö
mit einer Münze Athelstans (924 — 940). Die Bügel von Szentes, Fig. 16,
schliessen sich an. Der ganze Typus würde ins 9. bis 10. Jahrhundert zu
setzen sein, ins 11. dagegen der Fig. 26 abgebildete ungarische Bügel, dessen
Herkunft mir nicht mehr erinnerlich ist. Ausser diesen Bügeln befinden sich
im Pester Museum noch eine Anzahl anderer, welche unfehlbar magyarischen
Ursprungs sind, aber aus unbestimmter, späterer Zeit stammen ; sie sind in den
Fig. 27—33 angedeutet.
Die Bügel im ungarischen Nationalmuseum bilden also eine fortlaufende
Reihe vom 4. oder 5, bis zum 11. Jahrhundert; es kommt nun darauf an, die
in anderen Ländern gemachten Funde mit Berücksichtigung der besonderen
Umstände und eigenen Datierung hiermit zu vergleichen.
Zunächst befinden sich im Wiener naturhistorischen Museum (Saal XIII,
Schrank 58) Bügel, welche zum Teil mit jenen eine grosse Ähnlichkeit haben.
Pill. 38 zeigt ein Paar Bügel, welche der Öse nach in die avarisch-hunnische,
der Sohle nach in die hunnisch-germanische Zeit, also etwa ins 6. Jahrhundert
gehören können. Der Katalog des Museums bezeichnet sie als der merowin-
gischen Periode angehörig. Sie stammen, wie die folgenden, aus den Flach-
gräbern von St. Veit bei Hietzing in der Nähe von Wien. Ein anderer Bügel,
Fig. 36, gleicht genau dem von St. Andreas in Fig. 11. Fig. 37 zeichnet sich
dadurch aus, dass seine Sohle durch Niete mit den Schenkeln verbunden ist,
\vogegen Fig. 35 wieder der merowingischen Form ähnelt. Alle diese Bügel
dürften dem 6. bis 8. Jahrhundert angehören, während ein bei Feistritz in Krain
gefundenes Exemplar, Fig. 39, nach den flaschenförmig verlängerten Schenkeln
und der gewölbten Sohle zu urteilen, wohl jünger ist.
Wenden wir uns jetzt den Ostseeländern zu, so erscheint ein im Moore
von Walby in Schweden gemachter, der älteren Eisenzeit (vor 700) angehörender
Fund dadurch besonders interessant, dass ein bronzener Steigbügel mit dem Thors-
zeichen, wie es im XXYII. Bd. der Jahrbücher des mecklenbg. V. für Gesch.
und Altert. S. 179 genannt wird, versehen war. Es ist dieses Zeichen, welches
sonst Hakenkreuz, Suastica, bei drei Haken triquetrum genannt wird, aber auch
bei vieren diesen Namen führt, oft gleichbedeutend mit den verschiedenen Abände-
rungen der Radscheibe, welche die Fig. 330—334 zeigen und kommt auf einer
grossen Anzahl von Gegenständen aller Länder vor. Es scheint, arischen Ursprungs,
den Feuerquirl vorzustellen. Der ältesten Zeit angehörend und wahrscheinlich von
Norden ausgehend, hat es sich über die ganze alte Welt verbreitet und findet sich so-
wohl im Norden von Europa, als in Spanien, Sicilien, Griechenland, Kleinasien,
Ägypten und Indien. Schliemann fand es schon in Ilios, wo es bis ins 2. Jahrtausend
v. Chr. hinaufreicht; auf lyciachen Münzeu des 5. oder G. Jahrhunderts kommt es oft
191
mit Radreifen und bezeichnetem Mittelpunkte vor, wie es gleich den alten Ägyp-
tern unsere Astronomen als Bild der Sonne gebrauchen. Es war ohne Zweifel
ein altes Kultusbild der kreisenden Bewegung der Sonne, ihrer Wiederkehr
und ihrer Schnelligkeit, vielleicht in abgeleiteter Bedeutung der Unsterblichkeit.
Dem Bild der Schnelligkeit entspricht die Variante, welche drei oder vier Beine
statt der Haken zeigt (Triskelej und noch in heutigen Wappen vorkommt. Es
sind die verschiedensten Vermutungen zur Erklärung dieses Zeichens ausge-
sprochen worden. Vau hat darin Symbole von Odin. Freyer oder Thor, oder
aller drei zusammen gesehen, die Haken auf den Blitz bezogen, und sein Vor-
kommen auf mecklenburgischen Thongefässen und etruskischen Urnen als Zeichen
des Glaubens an die Unsterblichkeit, der Wiederkekr des Lebens, gedeutet.')
Es scheint mir notwendig, einem so allgemein vorkommenden und also auch
wohl allgemein verstandenen Symbol eine möglichst einfache Bedeutung unter-
zulesren, ohne dass mau bei iedem Gegenstande, auf welchem es sich vorfindet,
an eine Beziehung auf die tiefsten Geheimnisse der Religion zu denken hat,
und dieser Forderung scheint es mir zu entsprechen, wenn man es, wie bei
Speeren, Schwertern, Steigbügeln passend ist, in Anlehnung an die schnelle und
ausdauernde Bewegung der Sonne, an ihre belebende wie zerstörende Kraft als
Symbol der Schnelligkeit und Kraft erklärt. Beider überwiegenden Wichtigkeit, wel-
che in alter Zeit überall, im Norden wie in Griechenland und Asien, dem Schnell-
laufe vor allen anderen Leibesübungen eingeräumt wurde, ist es nicht zu ver-
wundern, wenn ein äusseres Zeichen für die Schnelligkeit in verschiedenen
Abänderungen des Hakenkreuzes von laufenden Füssen und Pferdeleibern bis zum
vierspeichigen Rade (dem Feuerrade am Sonnenwendfeste) überall da angebracht
wurde, wo man den Grundgedanken zum Ausdruck bringen wollte, mochte
dieser einfach der Wirklichkeit entsprechen, oder nur als Wunsch bei dem
Verfertiger oder Besitzer des Gegenstandes bestehen. Es wird danach die An-
bringung des Zeichens auf einem Steigbügel als Ausdruck des Wunsches grosser
und anhaltender Schnelligkeit der Bewegung sehr passend erscheinen. Es ist
dabei nicht ausgeschlossen, dass man es in anderen Fällen auch gleichsam als
ein Schutzzeichen oder Amulet anbrachte, wie Gallier, Sachsen, Angelsachsen
und andere Stämme Eberbilder trugen und wie man Kreuze und Kruzifixe
ohne jeden Gedanken an ihre religiöse Bedeutung anbringt. (Schlieben, Das
•) Vergl. Mecklenburgische Jahrb. XXVI, 177; IX, 393; XIII, 383. Movera, Phon. 189,
bezieht die Triquetra (Eckhel I, 184) auf den numidischen Baal-Chon oder den seiner Drei-
teiligkeit wegen rpiTrXa^.Oi; genannten chaldäisch-babylonischen Mithra und erinnert an die
drei Äpfel des Heracles, welche den drei Jahreszeiten entsprechen, Joh. Lydus de mensb. IV,
46, pag. 81. Ein längerer Aufsatz befindet sich in den Verh. d. anthrop. Ges. zu Berlin 17, 4,
1886, S. 277, von Olshausen. Man sehe auch Hamy, Revue d'ethnographie II, 1883, S. 412,
über die eroix gammee, welche als Suastica im Sanskrit vorkommt, ferner Henri Gaidoz: Le
dieu Oaulois et le syrabolysme de la roue, Paris, Leroux 1866 und besonders J. P. Schmitz:
Das Sonnenrad, Montabaur 1888, Sauerborn. Die ausführlichste Abhandlung findet sich bei
Krause, Tuisco-Land, S. 343, welcher ich nur hinzufügen möchte, dass das triquetrum auch
auf einem neupunischen Votiv-Relief im assyrischen Saale des neuen Museums in Berlin vor-
kommt, welches der Inschrift nach aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. stammen soll. Krause
dürfte durchaus das Richtige getroffen haben.
102
Schwein in der Kulturgeschichte, S. 16). Ursprünglich Symbol des zum heiligen
Werkzeuge gewordenen Feuerquirls der Arier ist es allgemeines Heilszeichen
geworden, es wird noch heute den Buddhisten als Segenszeichen, Suastica, auf
die Stirn gezeichnet ; es ist ihnen das, was dem Ägypter das Henkelkreuz und
den Christen das Kreuz war. Der Übergang des Feuersymbols auf den Sonnen-
gott und das Hervortreten der Bedeutung der schnellen Bewegung ist etwas ganz
natürhches und findet Ausdruck in den übhchen Feuer- und Sonnenrädern.
(Krause, a. a. 0.)
Nach dem Leitfaden für nordische Altertumskunde, herausgegeben vom
Sekretariat der Kopenhagener Gesellschaft, S. 48, werden Steigbügel, Sattel-
knöpfe von Bronze in Form von Tierköpfen, Sporen ohne Räder, mit
einem Stachel endigend, von Bronze und Eisen in nordischen Gräbern, unter
welcher Bezeichnung die in Dänemark, Norwegen und Schweden gemeint
sind, nicht selten gefunden. Die gleichfalls zuweilen gefundenen Hufeisen (S. 66)
stammen aus der christlichen Zeit, wie ausdrücklich angeführt ist. Die Bügel,
welche mit Kupfer, Kupfer mit Eisen, Bronze und Eisen allein gefunden
wurden, werden wir frühestens ins 6. Jahrhundert setzen können, spätestens
aber in die Z^it der Einführung des Christentums, da später den Toten keine
Pferde mehr ins Grab mitgegeben wurden. Obgleich nun Ansgar bereits unter
Ludwig dem Frommen die Bekehrung begonnen hat, können wir den allgemeinen
Übergang zum Christentum doch nicht vor dem Jahre 1000 annehmen.
Die bei Worsaae (nord. oldsager i det kgl. Mus. i Kjöbenhaven, S. 116)
abgebildeten nordischen Bügel, von we]chen Fig. 50 mit Silber, Fig. 49 u. :'>1
mit anderem Metall ausgelegt sind, zeigen den Geschmack der zweiten Eisenzeit
und dürften ins 10. Jahrhundert zu setzen sein, da sie auch im übrigen in
der Form dieser Zeit entsprechen. Besonders bemerkenswert ist der kleine
Ansatz an den unteren Enden der beiden Schenkel. Bei den zwischen dem
8. und 12. Jahrhundert bestehenden, durch zahllose Münzen erwiesenen lebhaften
Handelsverkehr zwischen dem Norden und Russland einerseits und dem Orient
andrerseits könnte angenommen werden, dass diese Bügel aus dem Süden ein-
geführt seien, wofür auch die vorhandenen Tauschierungen sprechen würden.
Das Charakteristische dieser in den nordischen Ländern an der Ostsee von
Schleswig bis nach Ostpreussen gefundenen Bügel, sowie eines aus dem Rhein bei
Mainz gehobenen Exemplares, die wir teils unterm 9., teils unterm 10. Jahrhundert
aufführen, besteht in der hohen Dreiecksform, wodurch sie grosse Ähnlichkeit
mit dem erst viel später, wenn unsere Datierung richtig ist, auftretenden gotischen
Spitzbogen zeigen; ferner in der erhöhten, oft durch Umlegen der breiten
Flächen, wie bei den alten ungarischen Bügeln, gebildeten Sohle, der viereckigen,
oft querstehenden Öse, dem gedrehten Halse und den Tauschierungen, von
welchen Eigenschaften jedoch nicht bei allen Exemplaren alle vorhanden sind,
sondern verschiedene Kombinationen auftreten. Sie gehören alle dem jüngeren
Eisenalter an, welches in Schweden von 700, in Norwegen von 800 beginnt,
und finden sich bis zur völligen Christianisierung der Länder im 11. Jahrhundert.
Der Fig. 'tO abgebildete Bügel, welcher sich auch in Mestorfs vorgeschichtlichen
Altertümern und im Katalog des Kieler Museums 1885, S. 32, findet, ist nebst
193
anderen Prachtstücken im Mainzer Museum in vortreffllicher Nachbildung vor-
handen, an welcher man die schöne Tauschierung bewundern kann. Der, wie
die beiden andern eben erwähnten, in Schleswig gefundene Bügel ist, nach einer
älteren von Lindenschmit herrührenden Aufzeichnung in der Bibliothek des
hiesigen Altertumsvereins, aus dem 9. — 10. Jahrhuudert, da er an fränkische
Arbeiten erinnert.
Diese Annahme entspricht den von Worsaae seiner zweiten Eisenzeit
vorangeschickten Bemerkungen. Dem genannten Werke von Fräulein Mestorf
sind auch F'hj. 119 u. 43 entnommen, welche gleichfalls in Schleswig gefunden
wurden. Ich halte ersteren für jünger, letzteren für älter. Unter Fiy. 41 (Mestorf
713, Lindenschmit, heidnische Vorzeit IV, 23, 1) ist ein Bügel mit Gold-
tauschierung aus den Skeletgräbern von Immenstedt gegeben. Er ist mit einem
zweiten {Fi ff. 42) ebendaselbst gefundenen und einem dritten {Fir/. 44) aus
dem Rhein bei Mainz von Lindenschmit abgebildet, welcher die beiden ersten
mit Bestimmtheit dem 9. Jahrhundert, also der karolingischen Zeit, zuweist.
Zu dem gleichen Schlüsse kommt auch Handelmann in dem sogleich anzu-
führenden Aufsatze. Alle drei Bügel sind dadurch merkwürdig, dass ihr Oberteil
gedreht ist, sodass die Ose senkrecht zu der Ebene eines durch Schenkel und
Sohle gelegten Durchschnittes, der Bügelebene, steht. Dasselbe gilt von einem
bei Melldorf in Holstein gefundenen und anderen aus unseren Abbildungen
ersichtlichen Exemplaren (Fig. 45, 46, 47, 48). Die zunehmende Höhe bei
flacherer Sohle halte ich für ein Zeichen etwas späterer Zeit.
Nicht in allen Gräbern werden Ausrüstungsstücke für Reiter oder Pferde
gefunden, nur die Gräber der Vornehmen, der Anführer, welche ihren zu Fuss
kämpfenden Scharen hoch zu Ross voranzogen, sind durch diesen Schmuck
ausgezeichnet. Reitergefechte waren weder bei Deutschen noch bei Nordländern
vor der karolingischen Zeit üblich, worauf wir später noch näher eingehen
werden, (Handelmann, Verhandlungen d. Anthrop. Ges. 1883, S. 25.)
Aber aus dem Umstände, dass Steigbügel in den Gräbern nicht gefunden
werden, ist noch nicht mit Sicherheit zu schliessen, dass auch keine darin waren;
Metallbügel allerdings nicht; diese scheinen lange nur eine Auszeichnung für
Vornehme gewesen zu sein, aber vielleicht hölzerne, von denen sich natürlich
keine Spur erhalten hat. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die geringen Leute,
wenn sie überhaupt mit Bügeln ritten, sich ursprünglich, wie noch im Anfange
unseres Jahrhunderts die ostpreussischen Bauern, hölzerner Bügel bedienten,
ja nach einer Anmerkung bei Wilde, Catalogue of Antiqu. S. 603, sollen eiserne
Bügel in England bis zum 16. Jahrhundert unbekannt gewesen sein, wobei
Fosbrokes, Encyclop. of Antiqu., citiert wird. Dieser Schriftsteller spricht zwar
nicht von hölzernen Bügeln, sondern von Lederrieraen, welche mit einer eisernen
Fussplatte versehen waren, ist aber, wie wir später bei den Riemenbügeln
weiter besprechen werden, allerdings der Meinung, dass ganz eiserne Bügel erst
im 16. Jahrhundert vorkommen. Für England mag dies vielleicht richtig sein,
denn alle dort vorhandenen Bügel, so viel ich weiss, scheinen nicht vor dem
16. Jahrhundert zu datieren, mit Ausnahme des bei uns unter Fig. 118 abge-
bildeten, welchen ich für viel älter halte. Vom Norden und Osten Europas gilt
13
194
dies natürlich, wie wir sahen, nicht. Wir werden noch Gelegenheit haben, auf
dieses Thema zurückzukommen.
Viele Funde von Steigbügeln, hauptsächlich einzelnen, sind in den Mecklen
burgischen Jahrbüchern (XXIII, 242; II. 83, b; XYII, 373, a; VIII, 82, b
XXX, 3, a; XXXVIII, 119 u. a.) aufgezählt. Die Bügel, zum Teil von Bronze
mit einem oder zwei Sporen gefunden, sind für unsere Untersuchung wertlos
weil sie in keiner Weise datiert, auch nicht beschrieben oder abgebildet sind
Andeutungen über die Form der mit ihnen gefundenen Sporen lassen auf das
Ende der heidnischen Zeit schliessen.
Auffallen könnte es, dass so viele einzelne Bügel gefunden werden; es
wäre ja möglich, dass ebenso wie zu Zeiten — durchaus nicht immer — nur
ein Sporn getragen wurde, auch nur ein Bügel am Sattel befestigt gewesen
wäre, nur bestimmt, das Auf- und Absteigen zu erleichtern, und dass die Unter-
stützung beider Füsse während des Reitens, besonders in der ersten Zeit der
Einführung der Bügel, nicht üblich gewesen wäre. Wir haben vorhin gesehen,
dass die gemeinen Araber noch im 10. Jahrhundert auf diese Bequemlichkeit
verzichteten und dass ursprünglich, im 6. Jahrhundert, nach der Angabe des
Kaisers Mauritius, beide Bügel auf der linken Seite des Sattels befestigt sein
sollten, offenbar nur zum Zweck des Aufsitzens. Trifft dies zu, so würde mancher
einzelne Bügel einer Zeit zugewiesen werden müssen, in welcher die betreffen-
den Völker noch nicht zum Kampf zu Pferde übergegangen waren, also der
vorkaroiingischen Zeit.
In Ostpreussen finden sich Steigbügel ungemein häufig und bis in die
Zeit des 13. Jahrhunderts überwiegend in grossen Pferdebegräbnisplätzen. Erst
im 13. Jahrhundert wurden nämlich die Ostpreussen Christen, von da an wurden
ausgerüstete Pferde nicht mehr mitbegraben. Auf diesen Plätzen finden sich
grosse Aschenschichten, in denen Waffen, Scherben, Gebisse, Schmuck, kleine
Bronzeschnallen und allerlei andere Sachen unregelmässig zerstreut liegen. Zum
Pferde gehören zwei Bügel, Gebiss, Schnallen und meistens Glocken, sowohl
grössere von Eisen, als kleinere von Bronze. Die Sporen liegen nicht immer beim
Pferde, sondern häufig allein, vermutlich weil sie zum Manne und nicht zum
Pferde gehörten. Aus diesen Funden ergiebt sich auch, dass die Behauptung,
die Alten hätten nur einen Sporn getragen, in dieser Allgemeinheit nicht richtig
ist, da bis zum 6. Jahrhundert sowohl einzelne als zwei zusammengehörige
Sporen gefunden werden. Die gefundenen Bügel reichen bis in die Wickinger-
Zeit zurück; die in einem Begräbnisplatze des Wäldchens Aub zu Wiskiauten,
Kreis Fischhausen, gefundenen gehören dem 9. bis 10. Jahrhundert an. Dr.Tischler
in Königsberg, dem ich diese Angaben verdanke, machte schon im Kataloge
der anthrop. Ausstellung zu Berlin 1880 S. 409 darauf aufmerksam, dass die
Steigbügel durch asiatische Reitervölker nach Europa gebracht wurden, eine
Ansicht, die wir schon besprochen und näher begründet haben. Er verweist
andere im Katalog angeführte Funde (S. 424 und 425 aus Dolkheim, 445 aus
Insterburg, 446 aus Labiau und Fischhausen) sehr unbestimmt ins 8. bis
14. Jahrhundert. In einer Rede über die Gliederung der Urgeschichte Ost-
preussens spricht er sich dahin aus, dass die Bügel, welche in Ostpreussen ge-
195
funden werden, ungemein formenreich sind und dasa in der letzten Heidenzeit,
also im 13. Jahrhundert, versilberte Bügel in prachtvoller und kostbarer Aus-
führung im Lande verfertigt wurden. Leider sind mir davon keine Abbildungen
bekannt geworden, es dürften in diese Zeit aber wohl auch die unter West-
preussen hier aufgeführten Nummern 71 — 7.7 zu rechnen sein, welche in Form
und Ausführung von den übrigen gänzlich abweichen. Man hat die Vorliebe
für schöne Bügel als einen Beweis angesehen, dass damals schon Preussen ein
Hauptland für Pferdezucht war. Die von uns nach Zeichnungen von Olshausen
abgebildeten Bügel Fig. :')2 — 54 stammen aus Wiskiauten in Ostpreussen.
Während diese durch die ausgebildete viereckige Öse an die bereits besprochenen
Funde aus Schleswig und den westlicheren Gegenden und die sogleich anzu-
führenden dreieckigen Formen erinnern, zeigen sie im übrigen gleich den der Blell-
schen Sammlung entnommenen Exemplaren, Fig. 60 — 65, ungarischen Typus.
Jedenfalls gehören alle der Zeit vom 8. — 11. Jahrhundert an, wir dürfen sie aber
wohl ins 10. Jahrhundert setzen. Die im ganzen Norden verbreitetste und
gewöhnlichste, Jahrhunderte andauernde Form ist die hohe, Fig. WS, 111 u. a.
Auch sie findet sich gleich der vorigen im 10. Jahrhundert, aber auch vorher
und nachher, von Island bis nach Deutschland hinein, überall mit besonderen
Abänderungen, aber vorherrschend viereckiger Ose. Man findet zahlreiche
Vermischungen ungarischer, westpreussischer oder russischer Formen, wie die
Abbildungen zeigen.
Die in Ascheraden an der Düna in Livland gefundenen eisernen Bügel,
Fig. 55 u. 56, welche Kruse (Necrolivonica, Dorpat, 1842, Taf. 5, Fig. 4 u. 5)
abgebildet hat, gehören wahrscheinlich den Waräger-Russen und sind ins
9. — 11, Jahrhundert zu setzen. Sie schliessen sich in der runden Form den
ostpreussischen und ungarischen an und deuten sowohl dadurch als durch die
massenweise in jener Gegend gefundenen orientalischen Münzen auf ihre Her-
kunft aus dem Süden auf einer der erwähnten, dem Laufe der Flüsse Dnjepr
und Düna folgenden Handelsstrassen. Leider giebt die Zeichnung kein Profil,
sodass die Form nicht sicher zu erkennen ist. Dasselbe gilt von den Abbil-
dungen, welche Bahr (Gräber der Liven, Taf. XVI, 6 u. 7) giebt. Auch sie
sind in Ascheraden gefunden und zum Teil jenen ganz gleich und kreisrund,
Fig. 58 u. 59; sie werden von Bahr ins 8. — 12. Jahrhundert gesetzt.
Durch besondere Liebenswürdigkeit des Herrn Zschille in Grossenhain bei
Dresden, welcher in ähnlicher Art, wie er es mit den Sporn bereits gethan hat, Zeich-
nungen von Bügeln herausgeben wird, bin ich in der Laere. nach semen bereits
fertigen Tafeln die Fig. 67 — 75 hier mitzuteilen. Es sind alles Bügel, welche
in Westpreussen, hauptsächlich in Dolkheim gefunden sind und der Zeit vor
dem 13. Jahrhundert, also noch der heidnischen Zeit angehören.
Es sind vorzugsweise die Köpfe abgebildet, da die Sohle bei allen ziemlich
die gleiche ist. Wenn man a priori urteilt, sollte man die Form ohne ()sen,
als die einfachere, für die älteste halten, denen die durch einfaches Zusammen-
biegen der Eisenstange gebildete, unten offene Ose gefolgt wäre; dann würde
die selbständige Öse folgen, und zwar zuerst die auf kurzem, dann die auf
langem und die auf abgeschnürtem Stiele, und man könnte eine weitere Aus-
13»
196
bildung annehmen, je nachdem die Ose rund oder eckig ist. Dieser Betrachtung
entspricht aber die Wirklichkeit keineswegs. Nur wenn ein Volk die ganze
Entwickelung selbständig durchgemacht hätte, könnte diese Folge vorkommen ;
wir finden aber im Gegenteile in Ungarn, wo alle diese Formen vorkommen,
eine ganz andere Folge, soweit wir den Datierungen Glauben schenken dürfen.
liier in Westpreussen scheint allerdings die Form ohne Ose die ältere
zu sein, leider stehen mir aber gar keine Datierungen zu Gebote, auch habe
ich die näheren Umstände, unter welchen die Stücke gefundea wurden, nicht
erfjihren können. Die Bügel 7J2-74, welche mit Messing und Silber tauschiert
sind, und 71, welcher deutliche Spuren früherer Versilberung zeigt, oder Fig. 75^
wird man wohl nicht für die ältesten halten wollen, da weder der Eselsrücken
(so heissen die nach oben geschweiften Bogen, Fig. 71, 93 in der Architektur),
noch die viereckigen Ösen dafür sprechen, wenn man sie nicht der Tauschierung
wegen mit den nordländischen ins 9. Jahrhundert setzen will; man wird als
älteste vielmehr die in Fig. 67 — ß'J in der angegebenen Reihenfolge nehmen
müssen. Bei dem letzten Exemplar in ß8 ist sogar, wie der Grundriss erkennen
lässt, ein Versuch zur Schrägestellung des Bügels gemacht, indem die Öse in
einem Winkel vor die Bügelebene vorspringt. Dieser und 69 mögen ins 11.,
71 und 7'j ins 11. oder 12. Jahrhundert gehören.
Wie sich später aus den Bemerkungen über die Ausbildung des Reiter-
wesens ergeben wird, darf man das massenweise Vorkommen von Bügeln über-
haupt nicht zu früh annehmen, da vor dem 10. Jahrhundert wohl nur einzelne
Führer und kleinere Trupps beritten waren. Ich möchte daher die sämtlichen
Funde in Ost- und Westpreussen, bei den Waräger-Russen und ihren Nachbarn
nicht vor das 10. Jahrhundert setzen, wohl aber später. Dass die schön
tauschierten Exemplare, deren Nachbildungen im Mainzer Museum sich befinden,
ins 9. Jahrhundert gehören sollen, glaube ich auf die Autorität von Linden-
schmit, jedenfalls gehörten sie nur vornehmen Personen an und waren damals
eine Seltenheit.
Man sieht, dass schon die älteren Formen lang-eiförmig sind und sich allmählich
der Dreiecksform nähern, auch ist auf die Absätze am unteren Ende der Schenkel
aufmerksam zu machen, welche sich in Skandinavien, Preussen und Ungarn
finden, wie die Fig. 62, 63. 64, 69, 73, 18, 10, 11, 107, 108, 111 u. a. zeigen.
Die vorhandenen Tauschierungen, welche wir im 9. Jahrhundert in Skandinavien
fanden, sollen auch hier auf orientalischen Ursprung deuten, besonders die
mit Kupfer und Silber ausgeführten, und es mögen einzelne schöne Exemplare
aus dem Süden auf den vorhandenen Handelswegen eingeführt sein, es darf
jedoch daraus nicht gefolgert werden, dass die Nordländer die Bügel überhaupt
aus dem Orient, etwa aus dem von ihnen häufig besuchten Konstantinopel, erhalten
hätten, es ist ebenso möglich, dass sie direkt aus dem Osten über das heutige
Russland in ihren Besitz kamen, und dass diese, von anderen Wanderstämmen
herrührend, wie die ungarischen, deshalb auch eine andere Form zeigen, dass
also hier in Westpreussen die hoch-eiförmigen die älteren sind und der Einfluss
ungarischer und ostpreussischer Formen erst später stattfand, die Entwickelung
also eine selbständige gewesen ist.
197
In Schlesien, in der Nähe der Lubst, eines Nebenflusses der Neisse,
sind unter anderem in einem Burgwall ein Bügel (ob Steigbügel ist nicht ge-
sagt), Sporen und Hufeisen, bei Niemitsch eine Trense und ein steigbügelartiger
Gegenstand, alles aus Eisen, gefunden worden. Weitere Angaben fehlen, doch
werden die Sachen in die wendische oder sogar in die germanische Zeit ver-
wiesen , würden also vielleicht dem 5. — 6. Jahrhundert angehören (Verh. d.
anthrop. Ges. Berlin 1882, S. 367). Bedeutend jünger scheint^ein Fig. 66 ab-
gebildeter Bügel zu sein, welcher in einem wendischen Burgwalle bei Dreuse,
Provinz Brandenburg, gefunden wurde und im märkischen Provinzial-Museum
zu Berlin (11, 11851) aufbewahrt wird.
Fassen wir nun die Ergebnisse unserer Untersuchung hier zusammen,
wo wir die ältesten Zeiten der an historischen Nachrichten armen Völker ver-
lassen, so scheint soviel sicher, dass Völkerschaften, welche im Besitze von
Steigbügeln waren, im 4. oder 5. Jahrhundert dieselben nach Ungarn und dem
Orient, vielleicht auch nach Westpreussen und den Ländern an der Ostsee
brachten, dass aus dem 6. Jahrhundert schriftliche Nachrichten von Kaiser
^Mauritius, also aus Konstantinopel, vorliegen und etwa aus derselben Zeit seit
der Niederlassung der Avaren in Ungarn wirklich gut datierte Fundstücke
vorhanden sind. Durch Kriege, deren Schauplatz Osteuropa Jahrhunderte lang
war, und auch auf friedlichem Wege verbreiteten sich die Bügel wahrscheinlich
zunächst nach Norden. Dänemark, das südliche Schweden und die ganze Küste
der Ostsee erhielten sie frühzeitig durch den lebhaften Handel, welchen sie
sowohl durch das heutige Russland als auf dem Wege längs der Elbe und
Oder mit dem Orient unterhielten.
Es empfiehlt sich hier, wo wir die zum Teil praehistorischen Funde ver-
lassen, etwa mit dem Jahre 1000 einen Abschnitt zu machen, und bevor wir
uns nach dem Westen von Europa und namentlich nach Deutschland wenden,
einiges nachzuholen und einige allgemeine Betrachtungen anzustellen.
So weit wir bis jetzt gesehen haben, stehen die aus den gemachten
Funden gezogenen Folgerungen mit den schriftlichen Nachrichten in Einklang,
es giebt aber einige Punkte, welche eine vollständige Umwälzung hervorzubringen
geeignet wären, wenn wir bestimmt wüssten, dass wir bei ihrer Beurteilung
nicht einem groben Irrtum unterliegen.
Herr Dr. Gross hat nämlich (Anzeiger f. Schweizer Altertumsk., Zürich 1879,
S. 909, und Lindenschmit, Altert, der heid. Vorzeit IV, 4, Taf. 23) im Brienner
See, in der Nähe von La Tene, ein Paar von ihm als Steigbügel bezeichnete
Gegenstände von Bronze gefunden, Fig. 335, welche jedoch ihrer Kleinheit
wegen nur zur Aufnahme der grossen Zehe bestimmt gewesen sein können.
Mit der Ose 12,5 cm hoch, haben sie einen Durchmesser von 8,5 cm. Gross
hält sie für etruskisch. Wer diesen Fund für einen Steigbügel erklärt, muss
übersehen, dass die untere Fläche rauh gemacht ist und ziemlich scharfe Zähne
hat. Ein Reiter, der nur eine oder zwei Zehen in den Ring steckt, muss die
andern fortwährend an den Zähnen scheuern und würde sehr bald auf den
Luxus eines solchen Bügels verzichten, der ihm, wenn er nicht etwa umwickelt
war, unnützer Weise die Füsse blutig reibt. Steigbügel, und gar etruskischQ
198
aus vorrömischer Zeit, scheinen mir die Fundstücke nicht gewesen zu sein,
wenn ich auch nicht sagen kann, was sie waren.
Dass ein nur für die grosse Zehe bestimmter Bügel nach unseren Begriffen
unpraktisch erscheint, ist unleugbar; es gehört dazu ein ganz unbekleideter
Fus3. Gross bezieht sich auf Hamv, Documents inedits sur les Bouffoirs du
gouvernement Tomsk, Paris 1875, worin dieser Gebrauch rassischen Horden
vindiziert wird. Hamy sagt : „Ihre Bügel sind klein (8,5 cm), nicht für den
ganzen Fuss bestimmt. Xoch jetzt haben viele Horden dergleichen. Die heutigen
Kirgisen haben Bügel mit platten Sohlen, während alte in den Gräbern von
Kains gefundene runde Sohlen haben. Die alten Bügel sind wie alle Gräber-
funde von Tomsk von gegossenem Kupfer und haben mit den heutigen die vier-
eckigen Ösen gemein." Ein anderer Vergleich mit ungarischen Bügeln, den
Hamy macht, stimmt aber nicht. Nun sind allerdings bei uns viele sehr kleine
Bügel gefunden worden, welche man ihrer Abmessungen wegen als Kinderbügel
bezeichnen könnte. Es giebt heute noch Völker, welche nur ganz kleine, nur
für eine Zehe passende Bügel in Gebrauch haben. Im Postmuseum zu
Berlin befindet sich als Geschenk von Emil Riebeck ein aus Jeipore in Zentral-
Indien stammender Sattel, dessen Steigbügel in einer Schnur bestehen, welche
lose über den Sattel gehängt wird und an beiden Enden eine Schnalle mit
kurzer, etwa 2 cm breiter Strippe hat {Fig. 311); diese wird so geschnallt,
dass die grosse Zehe gerade darin Platz findet. Die Somalis benutzen, soweit
sie nicht mit arabischen Bügeln ausgerüstet sind, gleichfalls ein nur für einige
Zehen bestimmtes Eisen {Fig. 321). Auch die aus Holz geschnitzten kleinen
Bügel von der Insel Timor, welche im Völkermuseum zu Berlin sich befinden,
gehören hierher {Fig. 299). Der von Gross gefundene Bügel soll den in
russischen Hügeln — wohl den besprochenen Tschudengräbern — gefundenen
durchaus ähnlich sehen, eine Angabe, welche nach dem mir zu Gebote stehenden
Material indessen nicht zutrifft.
Der Vollständigkeit wegen will ich noch erwähnen, dass das Museum in
Kiel 17 eigentümhche Bronzeringe besitzt, deren innerer Durchmesser 5 bis
7,5 cm, bei einigen nur 3 cm beträgt, und welche man, da sie eine zum Durch-
ziehen eines Riemens geeignete Öse besitzen, gleichfalls für Steigbügel halten
wollte, obgleich bei dem einen drei lose daran hängende Ringe dies unwahr-
scheinlich machen {Fig. 339 — .341). Alle sind in Schleswig und Holstein
gefunden und dürfen nach Frl. Mestorf mit Bestimmtheit dem Anfang der älteren
Eisenperiode vorrömischer Zeit zugerechnet werden; nur wenige ähnlicher Art
befinden sich in Kopenhagen, Schwerin, Hamburg, Hannover und Halle, im
ganzen 26 Stück. Dieser Verbreitung nach vermutet man, dass sie alle die
Elbe herunter gekommen sind. Schon diese Angaben sprechen dafür, dass man
es eher mit Gürtelschnallen oder dergleichen, als mit Bügeln zu thun hat, da
die im Süden wohnenden Verfertiger, wenn sie selbst nicht ähnliche Bügel be-
nutzten, schwerlich für die Bewohner des Nordens eigens solche ihnen bis da-
hin unbekannte Stücke erfunden haben werden. Ist es denn überhaupt wahr-
scheinlich, dass Steigbügel in so früher Zeit existiert haben, ohne Verbreitung
199
zu finden, und welche nordischen Völker gingen und ritten barfuas, um eine solche
Erfindung machen oder auch nur benutzen zu können?
Um diesen Fragen näher zu treten, müssen wir noch auf ein drittes Fund-
stück aufmerksam machen, welches bis jetzt unerwähnt und unerklärt, den Gebrauch
der Bügel in Europa in sehr frühe Zeit verlegen würde. Herr Emil Naue in
München, bekannt als Historienmaler und Prähistoriker, zeigte mir eine in Lindau
gefundene und in Bregenz aufbewahrte kleine Reiterfigur von etwa 10 cm Höhe;
sie ist aus Bronze und hat ganz den Hallstadter Typus, das Pferd trägt ein
Schellenhalsband oder etwas dem ähnliches und eine Art Sattel; der Reiter
scheint eigentümhch gebogene, nicht ganz geschlossene Steigbügel zu haben.
Besonders deutlich ist dies am rechten Fusse zu sehen, Fig. 336. Naue meint
es sollen wirklich Steigbügel sein, und ich kann nach genauer Besichtigung
kaum widersprechen. Dass Reiterfiguren in der Hallstadter Periode vorkommen
und die damalige Generation am Reiten Gefallen fand, ist durch viele Funde
nachgewiesen, wenn ich auch keine Figur kenne, welche ein so richtig gearbeitetes
Pferd zeigte. Der einzige Fehler könnte nur der sein, dass die Figur nicht der
Hallstadter Periode und auch nicht den späteren Jahrhunderten bis in die Mitte
des Mittelalters angehört. Ich überlasse die Frage der Entscheidung besser
unterrichteter Leser und bitte, die Figur in Augenschein zu nehmen. Verdächtig
ist mir die Haltung des Reiters, welcher einen vollständigen Spaltsitz und ganz
zurückgenommene Unterschenkel zeigt, obgleich sich im Wiesbadener Museum kleine
Reiterfiguren aus Xanten von ähnlicher Haltung befinden. Die grossen Bogen,
welche wie Vorder- und Hinterzwiesel eines Sattels aussehen, sind auch bedenk-
lich, sodass jemand, der an die Vorgeschichte des Stückes nicht glaubt, auf einen
sehr späten Ursprung der Figur raten könnte.
Immerhin wäre dieses frühe Vorkommen von Bügeln nicht ganz vereinzelt,
wenn eine Mitteilung bei Weinhold (Altnordisches Leben S. 18) ihre Richtigkeit
hat. Danach sollen sich schon in den Keltengräbern des Nordens Steigbügel
finden. Auch hier könnte insofern ein Irrtum vorliegen, dass man die Bügel
zwar in Keltengräbern gefunden hat, dass diese letzteren aber, ähnlich wie es
mit den Gräbern der Finnen durch die Kelten nachweislich geschehen, ein
zweites Mal von jüngeren Völkern benutzt wären. Leider ist nicht angegeben,
wo diese Bügel jetzt zu sehen sind; rühren sie wirklich von den Kelten her,
80 würde allerdings ein Grund mehr vorliegen, das Vorkommen der Bügel in
Europa, und zwar im Norden, in frühester Zeit anzunehmen.
Nun sind zwar niemals in Keltengräbern Bügel gefunden worden, aber
die Kelten können desshalb doch Bügel, allerdings keine eisernen, sondern höl-
zerne, welche sich nicht erhalten konnten, gehabt und nur einige vornehme
Personen solche von Metall besessen haben. Wahrscheinlich ist es jedoch keines-
wegs, da die Erfindung gewiss allmählich nach Süden vorgedrungen und auch
den Römern und anderen bekannt geworden wäre, und dafür spricht nichts,
wenn man nicht auf die früher widerlegte Behauptung von Viollet-le-Duc zu-
rückkommen will. Wir müssen daher vorläufig beim 4. Jahrhundert Halt
machen.
200
Auch Demmin verlegt das Vorkommen der Bügel, allerdings ohne nähere Be-
gründung, in diese Zeit. Wenn er meint, dass man anfanglich nur Riemen
benutzt habe, so kann er Recht haben, die seiner Watfenkunde (Ausgabe 1891,
S. 355) entlehnte Fig. 76 stellt einen merovingischen Ritter der Kirche St. Julien
in der Haute-Loire, angeblich aus dem 8. Jahrhundert, dar. Die plumpe Figur
zeigt einfache Riemen statt der Bügel.
Sehr alt scheint auch die S. 650 abgebildete Elfenbeinschnitzerei der Dom-
kanzel zu Aachen zu sein, doch ist es bei dieser nicht unmöglich, dass man
entweder eine sehr hohe Riemenschlaufe mit einer festen Sohle oder gar einen
Metallbügel vor sich hat, letzterer würde allerdings die ungewöhnliche Höhe
von etwa 40 cm, nach den Yerhältnissen der Zeichnung zu schätzen, gehabt
haben. Es ist eine Jagdszene dargestellt und wie mir scheint, ein Riemen-
bügel mit fester Sohle zu erkennen. Im Psalterium aureum von St. Gallen, in
welchem die Figuren die Kostüme der Zeit der Abfassung, des 9. Jahrhunderts,
tragen, sitzen die berittenen Anführer im Heere Davids auf Sätteln mit Steig-
bügeln, welche als einfache Riemen gezeichnet sind, lig. 77. Allzuviel ist je-
doch aus den cft ziemlich undeutlichen kleinen Zeichnungen der Miniaturen nicht
zu schliessen. Heute noch bestehen in China, wie ein Sattel im Postmuseura
zu Berlin bezeugt, die Bügel in einem lose über den Sattel gehängten zollbreiten
Bande, welches au jedem Ende eine Schlaufe hat, gross genug, um den Fuss
aufzunehmen, Fig. 312.
Bei Yiollet-le-Duc I, 56 ist nach einem dem 13. Jahrhundert angehörenden
Manuskript der Pariser Bibliothek ein Wagen gezeichnet, dessen Führer auf
einem der Pferde reitet und zur Unterstützung der Beine Riemen benutzt,
welche, vielleicht mit einem Querholze versehen, an dem Brustblatte des Ge-
schirres befestigt sind. Riemen und Stricke werden noch heute von unseren
Bauern ähnlich benutzt. Die später besprochene Ableitung des englischen
Wortes stirriip von stig-ropc, Steigriemen, kann als Beweis gelten, wenn man
sie für richtig hält. Nach Fosbrokes Encyclopaedia of Antiquities, welche sich
auf die Nouvelle Diplomatique beruft, ist ein deutlicher Lederriemen auf einem
gräflichen Siegel zu erkennen. Dieser lederne Riemen soll später mit einer
eisernen Fussplatte versehen worden und erst im 16. Jahrhundert der ganz eiserne
Bügel aufgekommen sein. In der Darstellung der Zusammenkunft von Franz I.
und Heinrich YHI. anfangs des 16. Jahrhunderts, sollen lederne Bügel in Menge
zu sehen sein. Wenn diese Angaben richtig sind, was zu bezweifeln ist,
obgleich sich auch Wilde (Catalogue of antiqu., S. 603) darauf beruft, so ist
es in England und Frankreich ganz anders als im Osten Europas gewesen,
wenn schon auch hier Riemenbügel vorkommen.
Die nächst höhere Stufe bildete wahrscheinlich ein zusammengebogenes
Holz, wie es Kosaken, Kalmücken und Tataren benutzen und Ginzrot (Fuhrwerke
der Römer, Tafel 86, 14) abgebildet hat; ein ähnliches findet sich an einem
tatarischen Sattel, welcher nach Böheim 1556 erbeutet wurde (Fig. 224).
Sättel aus Patagonien im Völkermuseum zu Berlin zeigen Bügel, welche aus
einem in zwei Lederstrippen hängenden Holzstücke bestehen und ein Dreieck
bilden; dazu gehören ebenso primitive Sporen, nur aus zwei spitzen Hölzern
201
bestehend, welche unter den Fuss gebunden werden, Fif/. 273 u. 328. Noch
vor zwanzig Jahren bedienten sich die ostpreussischen Bauern hölzerner
Bügel, wie sie Fig. 208 abgebildet sind, aus vierkantigem Birkenholz gefertigt und
oben zusammengebogen. Von älteren Bügeln dieser Art ist des vergänglichen
Materials wegen keine Spur mehr vorhanden, jedoch besitzt Herr Blell in
seiner reichhaltigen Sammlung (Villa Thüngen in Gross-Lichterfelde bei Berlin)
ein Paar dergleichen neuerer Zeit. Zahllos sind die hölzernen Bügel, welche
heute noch bei verschiedenen Völkern im Gebrauch sind. Einige davon,
'meistens dem Völkermuseum entnommene Exemplare, zeigen die Fig. 298,
209, 300, 301. 302, 303, 304, 305, ,309, 310. 313. Fig. 84" zeigt wahrscheinlich
auch einen Holzbügel. Sie ist dem Codex Egberti aus dem Ende des 10. Jahr-
hunderts entnommen (Bonner Jahrb. Bd. 70, S. 56) und zwar der Stelle, welche
die Parabel vom Gastmahle enthält; auf derselben Tafel befinden sich noch
einige ganz ähnliche Bügel.
Die deutschen Ordensritter waren durch ihre Statuten verpflichtet, sich
hölzerner Bügel zu bedienen und bezogen dieselben aus dem Schnitzhause, in
welchem die Holzsachen angefertigt wurden. ^)
Auch den Mönchen des Cisterzienserordens, der sich anfanglich ebenfalls
grosser Einfachheit betteissigte, war es verboten, eiserne Bügel an den Sätteln
zu haben (Capitul. gener. Cisterc.disc. 13, c. 11 ; Du Gange unter 3tapha).Wir wissen
ausserdem, dass Mönche hölzerne Bügel oder solche von Bast oder Saite hatten
(Schultz, Das höfische Leben, S. 497). Im übriigen gehörte es zu den schimpflichen
Strafen des Mittelalters, wenn einem Ritter wegen Ehrlosigkeit Waffen und
ritterliches Gerät untersagt wurden, und dazu gehörte, dass er Stiefel ohne
Sporen, ein Pferd ohne Hufeisen und Sattel und dazu einen bastenen Zaum
brauchen musste (Götze, Reallexikon d. deutschen Altert, unter Strafen, S. 649).
Funde von Steigbügeln, auch solchen von Metall, aus älterer Zeit sind
verhältnismässig selten. Lindenschmit (Handb. I, 132) zählt die Gräber auf,
in welchen Pferdeschädel oder ganze Skelette gefunden wurden ; die meisten,
nämlich 17 Stück mit 8 Trensen, fanden sich in Beckum. Wenn nicht einmal
jedem Pferde ein Zaumzeug beigegeben wurde, so sei nicht zu verwundern,
wenn dies mit ganzen Sätteln mit Bügeln, welche gewiss sehr selten waren,
erst recht nicht geschah. Auch Hufeisen seien noch in keinem einzigen Grabe
der merovingischen Zeit gefunden, solche überhaupt niemals sicher nachgewiesen.*)
Im Westen von Europa scheinen sich die Bügel überhaupt später und
langsamer, als im Osten und Norden verbreitet zu haben. Der Grund davon lag
zum Teil in der damaligen Beschaffenheit der Heere und dem Pferdemangel.
Obgleich die gallischen und germanischen Reiter zu Cäsars Zeit in grossem
') Statuten des deutschen Ordens, Ausg. v. Ilennig, Königsbg. 1806, cp. XXVIII.
(„Gewohnheiten"): „Der marschalc mag nemen von deme snitshuse stegre%i)'e, armbrust un bogen
den bruderen zu lihene, do her siht das is bestatit ist " Die , Gewohnheiten" sind zum grossen
Teile so alt wie die „Regeln", die letzteren sollen von Hermann von Salza selbst verfasst
sein (13, Jahrhundert). — *) Lindenschmit, Handbuch I, 295; Verh. d. authrop. Ges , Berlin
1880, S. 5.5. Schlicben, Die Hufeisenfrage in den Annalcn d. Nasa. Altert.- Ver., Wiesbaden
1888, S. 334.
202
Ansehen standen, so ging doch mit dem Ausgange der Völkerwanderung und
der Niederlassung in festen Wohnsitzen das Reiterwesen im ganzen westlichen
Europa zurück, während es im östlichen, namentlich in den Donauländern, in
hoher Blüte stand. Unter den 100,000 Franken, welche Theodebert im 6. Jahr-
hundert nach Italien führte, waren nur wenige im Gefolge des Königs beritten,
und noch Pipin legte den Sachsen und Thüringern einen jährlichen Tribut von
300 Pferden auf, weil die Franken daran Mangel hatten. Erst unter Karl dem
Grossen, welcher die Zucht durch spanische Hengste veredelte, verwandelte
sich der Mangel in Überfluss. An der unteren Donau dagegen gab es seit
alter Zeit nur Reitervölker, die Vandalen wurden sogar nach ihrer Ansiedelung
in Pannonien, Ende des 5. Jahrhunderts, aus Fusskämpfern eine ausschliesslich
zu Pferde kämpfende Nation. Auch Goten und Araber fochten zu Pferde,
während die Franken noch in der Schlacht zu Poitiers 732 absassen und zu
Fuss kämpften. Erst etwa 755 wurden auch die Franken ein Reitervolk, und
Ende des 9. Jahrhunderts war der Fusskampf bei ihnen überhaupt nicht mehr
gebräuchlich.^) Da sie aber schon das Christentum angenommen hatten, so
können wir schon aus diesem Grunde keine Pferde mit ihrer Ausrüstung in
ihren Gräbern mehr antreffen.
Im Norden und Nordosten von Europa stand die Sache nicht viel anders.
Es ist eine falscheYorstellung, wenn man nach den Schilderungen, welche Herodot
von den Scythen und anderen Völkern jener Gegend giebt, glauben wollte, dass
alle im heutigen europäischen Russland nördlich des schwarzen Meeres wohnenden
Völker in ähnlicher Weise sozusagen nur auf den Pferden gelebt hätten.
Im Gegenteile waren auch die im heutigen Gothland, Livland, Kurland an der
Düna, sowie alle südlich der Ostsee wohnenden Völker, selbst die Norweger,
Schweden und Dänen lange Zeit nur Fusskämpfer. Erst nachdem Rurik mit
den Waräger-Russen im 9. Jahrhundert über die Ostsee gekommen war und sich,
von den Tschuden, Slaven, Kriwitschen, Mordwinen und anderen gerufen, an der
Düna niedergelassen hatte, begann die Zeit, in der man anfing, zu Pferde zu
kämpfen. Leo Diaconus sagt (VIII, 5; 10; IX), dass die Russen, welche von ihm
Scythen oder Tauroscythen genannt werden, aber nichts mit den alten Scythen
Ilerodots zu thun haben, in der Schlacht zu Dorystolum 972 einen Versuch
machten, zu Pferde zu kämpfen, während sie bisher nur zu Fuss fochten. Auch
die Dänen erhielten erst zur Zeit des englischen Königs Ethelred I, im 9. Jahr-
hundert, in Ostangeln Pferde und drangen damit ins Innere Englands ein.
Ebenso war es bei den Normanen (Kruse, Necrolivonica I, Beilage C, S. 17).
Schon unter Swätoslaw 067 erschienen die Russen zum ersten Male zu Pferde.
Aber diese Reiterei blieb nicht bestehen, sie ging wieder verloren; 994 schaffte
Wladimir abermals eine Reiterei (Nestor zum Jahre 994 u. 995), auch sie scheint
wieder zu Grunde gegangen zu sein, und erst 1067 hören wir von einem glänzen-
den Reitergefecht, in dem zugleich die Lanze eine Hauptrolle spielte. Allgemein
') Brunncr, Der RcitenlieiiBt u. die AnRinge Jos Lcluiswesens, in der Zeitschr. für
Rcchtsgeach, VII. Band, 1877; Jühna II, 37; Öclilieben, llitterliclie Übungen und Ciri<us-
Belustigungeii, S. 52.
203
wurde also die Reiterei nicht früher als im Abendlande eingeführt, obgleich
schon Oleg (Nestor zum Jahre 904) teils zu Schiffe, teils zu Pferde gen Kon-
stantinopel zog. Es war wie im Westen, so auch im iSorden, der Besitz
von Pferden anfänglich selten und wohl nur auf die Heerführer und Fürsten
beschränkt, wofür die Seltenheit der Funde von Steigbügeln in den Gräbern
spricht, während dereinst bei den alten Tschuden und bei den Völker-
schaften, welche aus Asien von Norden oder Süden her, in die Donauländer
einwanderten, der Besitz von Pferden, von Sätteln und Steigbügeln viel häutiger
n-ewesen zu sein scheint. Die Nordmannen fanden ihre Stärke im schnellen
Fussmarsch und im Laufen (Ermoldus Nigellus IV, pag. 13 u. 14.), später liessen
sie sich von den Sachsen Pferde als Tribut liefern (Saxo Grammat. pag. 106)
und kauften solche von den Franken, Böhmen und Ungarn. Sie hatten daher
auch wohl einen grösseren Pferdeschlag, als die übrigen Ostseeländer, worauf
man aus den in den Gräbern (Ascheraden) gefundenen grösseren Gebissen schlies-
sen will. Es kann indessen diese Thatsache nicht als sicherer Beweis genommen
werden, denn fast überall, selbst in den Ländern, von welchen wir wissen, dass
sie nur einen kleinen Pferdeschlag hatten, werden sehr grosse Trensen gefunden.
Man muss daher entweder annehmen, dass überall grosse Pferde wenigstens
für den Kriegsgebrauch vorhanden waren, oder dass man die Gebisse stets viel
grösser, als das Pferdemaul erforderte, zu wählen pflegte. Sehr human ging
man schon im klassischen Altertume mit dem Pferdemaule nicht um, wie die
noch erhaltenen Gebisse und die Abbildungen beweisen, und da das Mittelalter
bis in die neuere Zeit den Pferden wahre Folterwerkzeuge ins Maul legte (man
sehe die Reitkunst von Job. Geissert vom Jahre 1615 u. a.), so mag man auch
in unseren Fällen in Anwendung grosser und scharfer Gebisse ein übriges
gethan haben.
Da also im Osten seit alter Zeit sehr viele, im Westen aber erst seit
der karolingischen Zeit nur sehr wenige Steigbügel gefunden wurden, so muss
man schliessen, dass die Bügel vom Osten nach dem Westen sich ver-
breiteten, und den Mangel an Funden damit erklären, dass seit der Zeit ihrer
Einführung bei den Franken keine Tiergräber mehr nachweisbar sind, wenn
auch eine Zeit lang noch allerlei Pferdezeug einzelnen Gräbern beigegeben wurde.
Andererseits ist es bei diesem späten Auftreten der Bügel nicht ausgeschlossen,
dass sie den Westeuropäern von Norden her über Dänemark und Norwegen
zugeführt wurden, da der Handel übers Meer und auf dem Rhein stets sehr
lebhaft betrieben wurde und, obgleich im 4. Jahrhundert ins Stocken geraten,
doch im 6. und 7. wieder aufgenommen wurde. Namentlich gilt dies für die
Bewohner von Britannien, welche seit der Wickingerzeit mit dem Norden in
fortwährender Verbindung standen. Im 8. Jahrhundert beginnen die Normannen-
züge nach England, im 9. nach der friesischen und französischen Küste, vom
10. an finden wir nordische Krieger als Söldner in Konstantinopel, welches
Jahrhunderte lang als Sitz aller Herrlichkeit gepriesen wurde (Kunstenopel in
der deutschen Heldensage). Es bestanden also so zahlreiche Verbindungen
nach allen Richtungen, dass die Erfindung ebenso leicht aus dem Orient, wie
aus dem Norden nach dem Westen Europas gelangen konnte.
204
Wir haben indessen schon bei Besprechung der nordischen Bügel darauf
aufmerksam gemacht, dass sie Formen zeigen, welche keinen Anhalt in orien-
talischen Mustern finden, und dass andere im Norden früher, im Süden später
auftreten und umgekehrt. Namentlich findet sich im Norden statt der kreisrunden
die ogivale hohe Wölbung, welche an den gotischen Bogen erinnert. Bemerkens-
wert ist, dass ein solcher Bügel im Rhein gefunden wurde {Fig. 44), und wenn
ähnliche Formen in England vorkommen sollten, so würde die Wahrscheinlichkeit
der Verbreitung der Bügel von Norden her zunehmen. Es kommt hinzu,
dass die Bügel des Nordens aus dem 9. Jahrhundert übereinstimmend mit den gleich-
zeitigen fränkischen allein Ösen zeigen, welche zur Bügelebene senkrecht stehen,
Fi(/. 70, 80, 81. Lindenschmit hat, wie wir anführten, in den nordischen Bügeln
einen Anklang an fränkische Formen, Sophus Müller an angelsächsische gefunden,
und Rygh (Nord. Oldsager) behauptet, dass die Sachen nach irischen Mustern,
aber in Norwegen angefertigt wurden und dass die Form, welche wir unter
108 abgebildet haben, im ganzen Norden nicht nur die gewöhnlichste ist, sondern
auch sehr zahlreich auftritt. Es herrschte also in der Form im Westen ein
vom Osten unabhängiger Geschmack, welcher gegen die Verbreitung von Osten
und für die von Norden her spricht.
Es scheint, dass die Franken bis zum 10. Jahrhundert die Bügel nicht
allgemein benutzten (Jahns II, 46) und dass dies auch bei ihren Nachbarn,
den Aquitaniern und Arabern, nicht der Fall war. Wir haben früher einen
dies bestätigenden Bericht Ibn Chaukals aus dem 9. Jahrhundert angeführt.
Obgleich Isidorus von Sevilla (s. vorn) die Bügel schon im 7. Jahrhundert
kannte, so haben wir doch gesehen, dass andere schriftliche Nachrichten im
Westen nicht vor dem 10. Jahrhundert auftreten. Im 9, Jahrhundert sollen
sie bei den Angelsachsen nachweisbar sein (Jahns II, 141). In den Abbildungen
des Psalteriura aureum, welches aus dem 9. Jahrhundert stammt, haben sie,
wie schon besprochen nur die Führer, die gewöhnlichen Soldaten nicht.
Wir haben ausserdem gesehen, dass noch die englischen Statuta de armis
aus dem Ende des 13. Jahrhunderts ausdrücklich vorschreiben, dass man
Schildknappen, wie Knechte, ohne Bügel am Sattel ausrüsten soll, es folgt also
hieraus und aus den weiteren, im ersten Teile gemachten Angaben, dass selbst
im 13. Jahrhundert die Bügel noch nicht allgemein verbreitet und nur im Besitze
von Vornehmen waren. Dass der Kaiser Mauritius seine Reiter beide
Steigbügel auf der linken Seite des Sattels nur zu dem ausgesprochenen Zwecke
befestigen Hess, zwei Reitern das Aufsteigen zu erleichtern, und die Nachricht
in Ulrich von Lichtensteins Frauendienst (Ausg. Lachmann, S. 37, V. 6) aus
dem 13. Jahrhundert, dass man Frauen ein tragbares Hebeisen zum Absitzen
hinhielt, lässt vermuten, dass ursprünglich die Bügel überhaupt nur zum Auf-
und Absitzen gebraucht wurden, auch wohl nur von älteren Leuten, wie das
früher angeführte Verfahren des jugendlichen Bischofs bei Karl dem Grossen
zeigt. Offenbar waren damals Bügel noch eine Seltenheit, da mau erwartete,
dass der Bischof die überall vorhandenen Trittsteine benutzen würde. Das
griechische, auch ins Lateinische übergegangene Wort axäXa, Leiter, für Bügel
und andere mittelalterliche Ausdrücke, ascensorium, scandile, unterstützen diese
205
Vermutung. Das deutsche Sfief/hdder kann Steigledcr und Steigleiter heissen,
das Wort stegiraife bedeutet einen Reifen, Ring zum Aufsteigen, und liegt
dem englischen sfirrup zu Grunde. Nach dem Gentlemans Magazine, Vol. 44,
pag. 316, bedienten sich die alten Sachsen in England nur eines Strickes, rope,
zu diesem Zwecke und nannten diesen sfigh-rope. Nach Fosbroke (Encyclop.
of Antiquities) nannten die Angelsachsen sie stige-rnpa. Das deutsche Wort
Stegreif liegt auch dem französischen Hriet\ estrier^ estrief, (?s^rp/(nachViollet-le-Duc)
zu Grunde; man kann daher schliessen, dass eine Übertragung der Sache zugleich
mit dem Namen, und zwar von Deutschland aus, stattgefunden hat.
Vom 11. Jahrhundert an sind die Bügel häufiger im Gebrauch. Kaiser
Friedrich Barbarossa hielt 1055 dem Papst den Steigbügel (Helmoldua 1, 80),
und es entstand ein langer Streit, ob der Kaiser dazu verpflichtet sei und ob
er den rechten oder den linken Bügel anfassen müsse. Der Papst nahm diese
Ehrenbez,eigung überall als schuldige Leistung entgegen. Heinrich II, von
England, Ende des 12. Jahrhunderts, hielt Thomas Becket den Bügel, wenn er
zu Pferde stieg. Nach einer Notiz bei Fosbroke waren die Bügel des Papstes
mit rotem Tuch überdeckt.
III.
Bei dem Versuche, die verschiedenen Fundstücke auf die einzelnen Jahr-
hunderte zu verteilen, müssen wir ausser den Waffensammlungen auch die
Bilderschriften, deren uns vom 9. Jahrhundert an mehrere zu Gebote stehen,
durchmustern. Es kommt uns dabei zu statten, dass die Figuren in der Regel
das Kostüm der Zeit ihrer Entstehung tragen, und oft bis ins Einzelne genau
einen Schluss auf die zur Zeit übliche Bügelform erlauben. Diese ist indessen
sehr schwankend, am gleichmässigsten noch im 16. und 17. Jahrhundert. Aus
dieser Zeit existieren auch eine grosse Zahl sicher datierter Stücke in allen
Sammlungen.
Für die Zeit der Völkerwanderung haben wir nur aus Ungarn einiger-
massen sichere Kunde, und es liisst sich nur sehr allgemein sagen, dass die
kreisrunde Form einer hohen folgte, dann aber lange anhielt. Die Dreiecks-
form und die hoch-eiförmige finden sich im Norden vom 9. Jahrhundert an ;
letztere ist in Deutschland vom 9. bis 14. Jahrhundert die herrschende, wenn
auch nicht ausschliessliche. Erst nach dieser Zeit treten neue Motive mit der
Entwickelung der Renaissance auf.
In frühester Zeit und namentlich bei den uncivilisierten Horden, welche aus
Asien hervorbrachen und uns die Bügel brachten, gab es wahrscheinlich keinen
festen Stil, der, nach einiger Zeit durch einen anderen abgelöst, uns auf das
Alter schliessen liesse. Jahrhunderte lang mag die Form von der Laune und
Geschicklichkeit des Arbeiters bedingt worden sein. Daher sind solche Gründe,
welche sich auf die leichtere Ausführbarkeit der Arbeit stützen, als Alterszeicheu
unsicher. Wollte man a priori schliessen, so würde man Bügel ohne Ose für
die ältesten halten, dann die, welche an Stelle der Öse nur eine Ausbiegung
haben {Fhj. 8), folgen lassen, diesen dann die mit kurzer, die mit langgestielter,
206
die mit abgresetzter Öse sich anschliessen lassen und ähnlich die mit nach unten
konvexer Sohle für älter als die mit gestauchter oder nach oben gewölbter
Sohle halten. Aber gerade den umgekehrten Gang sehen wir bestimmt in Ungarn
und wohl auch in Preussen und anderen Ländern, wo gleich zu Anfang eine
etwas hohe Form mit aufgestülpter Sohle auftritt. Vielleicht hat man die Form
einer Strickschlaufe oder eines Riemens, welche die ersten Bügel vertraten und
lang-eiförmig herabhingen, zum Muster genommen.
Lindenschmit behauptet (Heid.Vorz. S. 23), dass die Bügel in Deutschland
ursprünglich rund, dann dreieckig mit rundem und später mit flachem Boden,
zur Ritterzeit fast gleichseitig und noch später sehr hoch waren. Einzelne
Abweichungen und das gleichzeitige Vorkommen mehrerer Formen sind nicht
ausgeschlossen. Fundstücke, welche die runde Form nachwiesen, scheinen in
Deutschland und Frankreich indessen nicht zu existieren, Zeichnungen aus dem
9. Jahrhundert zeigen bereits die Dreiecksform, und diese hielt sich das ganze
Mittelalter hindurch. Für Ungarn und den Norden gilt obige Folge, wie schon
gezeigt, auch nicht. Runde Bügel zeigt Fig. 89, sie gehören aber erst dem
12., der in F'ig. 122 sogar erst dem 13. Jahrhundert an. Einen anderen Bügel
von runder Form aber mit grader Sohle aus dem Anfange des 13. Jahrhunderts
zeigt eine Miniatur des lateinischen Psalters in der Pariser Nationalbibliothek,
Fig. 100. Runde Bügel sind, nach diesen Beispielen zu urteilen, in Deutschland
vor den langen und dreieckigen nicht nachweisbar, wohl aber finden sie sich
in Ungarn seit dem 7. Jahrhundert, sind dort aber auch nicht die ältesten. Die
oben erwähnten Miniaturen aus dem psalterium aureum von St. Gallen aus dem
9. Jahrhundert (Ausgabe von Huber) zeigen die Fig. 82 u. 83. Andere fränkische,
dreieckige Bügel sind nach Viollet-le-Duc (Mobilier franc. V, pag. 68) unter
70, 80, 81 abgebildet. Von diesen soll der erste eine genaue Kopie einer Figur
desjenigen Schachspiels sein, von welchem man irrtümlich glaubt, dass es schon
Karl der Grosse benutzt habe. Alle- drei Bügel sind aber dadurch ganz be-
sonders ausgezeichnet, dass die Ose quer zu der durch Schenkel und Sohle
gelegten Ebene, der Bügelebene, steht, wie wir es ähnlich nur bei den nordischen
Bügeln derselben Zeit gefunden haben. Dort aber ist die Ose zugleich gedreht
und der ganze Bügel tauschiert ; ersteres ist hier nicht der Fall, letzteres nicht
zu beurteilen. Diese Übereinstimmung in einer Erscheinung, von der sich im
Osten keine Spur findet, ist im höchsten Grade bemerkenswert und als einer
der Beweise für den Zusammenhang der fränkischen und nordischen Bügel,
wie wir ihn im vorigen Abschnitt besprochen haben, aufzufassen.
Auf welche Funde sich die Angabe von Jahns (Ross u. Reiter II, S. 46j
bezieht, dass man in Gräbern des 9. Jahrhunderts verzinnte eiserne Steigbügel
gefunden habe, konnte ich nicht ermitteln. Seiner Behauptung, dass auch die
Reiter der fränkischen Periode keine Steigbügel kannten, widersprechen die
von uns zum 9. Jahrhundert beigebrachten Zeichnungen, wenn auch Leder-
schlaufen häufiger gewesen sein mögen als Holz- oder Metallbügel, wie früher
am Schlüsse des zweiten Teiles ausgeführt wurde. Auch über die transportablen
Bügel ist schon im ersten Teile gesprochen worden.
207
Fiu- (las 10. Jahrhuudcrt lassen sich dreieckige Bügel nur in wenigen
Beispielen auffinden. Fig. 86 zeigt die Bügel der apokalyptischen Reiter aus
einer Handschrift der Bamberger Stadtbibliothek. Die Trachten der dargestellten
Figuren gehören dem Ende des 10. Jahrhunderts an (Janitschek, Gesch. d,
deutsch. Malerei, S. 74). In dem Evangelium von Echternach ist eine zur
Parabel vom Gastmahl gehörende Darstellung, Fig. 84 (Janitschek, S. G6).
Das Werk ist zwischen 983 und 991 entstanden. Auf einem Wandgemälde
der Kirche zu Velemer in Ungarn, Fig. 85., dem 10. Jahrhundert angehörend,
sind die Bügel vollständig dreieckig und scharfkantig. Sonst finden wir, wie
oben besprochen ist, in Preussen und Ungarn um diese Zeit vorzugsweise runde
Bügel. Dagegen zeigt sich bereits im 10. Jahrhundert, wenn wir Viollet-le-Duc
folgen wollen (V, S. 413), eine merkwürdige Eigentümlichkeit der Konstruktion,
nämlich die vorgebogene Öse. Fig. 96 zeigt einen solchen Bügel, der, wenn
er frei im Riemen hängt, sich in die Richtung der sogenannten Schwerlinie stellt,
wodurch der eine Rand der Sohle etwas höher als der andere zu stehen kommt
und der Fuss an der scharfen Kante weniger leicht hin- und hergleitet, als
dies auf einer glatten Fläche der Fall ist. Diejenige Kante der Sohle, nach
welcher die Öse hin gebogen ist, stellt sich höher als die abgekehrte, je nach
der Grösse des Winkels und der Länge der entstehenden Hebelarme. Solche
Bügel sind: 06, 141, 186-140, 178 u. a. Sie waren nach Zschille sogar schon
vom 9. Jahrhundert an üblich und finden sich bis zum 14., ja noch in unserem
Jahrhundert zeigen die Bügel an den Geschirren der amerikanischen Artillerie
von 1SG2, von welchen eine Sammlung im Erdgeschosse des Berliner Zeug-
hauses aufgehängt ist, dieselbe Konstruktion, und zwar ist die Befestigung am
Sattel derart, dass die Öse nach aussen zeigt.
Die Formen des 11. — 13. Jahrhunderts können wir zusammenfassen, ein
Blick auf die Zeichnungen wird die übereinstimmenden und die abweichenden
Merkmale erkennen lassen. Mit Ausnahme einiger rundlicher Bügel, welche
aber auch, wie die langen, sehr eng sind, herrschten, in Deutschland wenigstens,
die lang-eiförmigen, die lang-dreieckigen und die gleichseitig-dreieckigen vor.
Nach der Spitze zu zeigt sich allmählich eine durch einwärts geschweifte
Schenkel herbeigeführte Verengung. Schlanke und zierliche Dreiecksformen mit
abgerundeten Ecken haben wir schon im 9. Jahrhundert kennen gelernt.
In der englischen Archaeologia (Vol. I, pag. 336) befindet sich die Ab-
bildung eines Siegels des Bischofs Odo von Bayeux, Bruders von Wilhelm
dem Eroberer, 1055—1112, auf welchem er als Earl von Kent dargestellt ist.
Er hat einen sehr modernen Sitz mit ganz zurückgenommenen Schenkeln und
anscheinend rundliche, jedenfalls sehr enge Bügel. Übrigens haben auch Wilhelm
und Toustain auf der Tapete von Bayeux ganz denselben Sitz mit anscheinend
nicht runden, aber sehr langgeschnallten Bügeln, sodass sie in denselben zu
stehen scheinen. Der eine Reiter hat die Bügel vorn, der andere in der Mitte
des Sattels angebracht.
Die Schenkel sind in dieser Zeit nicht selten dreikantig, was wir nur noch
bei den älteren Bügeln des 9. Jahrhunderts finden. Bei Demay (Le costume
du moyen äge d'apres les sceaux, S. 171) sind die Fig. 8!) gegebenen Bügel
208
ab^-ebildet, nämlich a) runde mit Riemen vom Jahre 1155, b) solche mit Ketten
von 1163, c) dreieckige mit Riemen 1170 — 1235 und d) mit Ketten 1215 — 1367.
Nach dem Handbuch des Waffenwesens von Wendelin Böheim, Kustos der
Waffensammlung des Österreichischen Kaiserhauses (Leipzig, bei Seemann,
1890, IV, Lief., S. 193), kommen 1163 zum erstenmale Bügel in Ketten hängend
vor, sind um 1127 die Bügel flaschenförmig und werden sie im Laufe des 13. Jahr-
hunderts vollkommen dreieckig. Fig. Gl giebt den bei Böheim abgebildeten
Bijo-el; einen ganz gleichen spanischen bildet Demmin ab (S. 382), er setzt ihn
jedoch ans Ende des 14. Jahrhunderts, während er in Madrid Jakob dem
Eroberer (f 1276) zugeschrieben wird. Die Form hielt sich bis zum 14. Jahr-
hundert, jedoch treten gleichzeitig andere mit gebogenen Schenkeln, sogar runde
auf. In der Manesse-Liederhandschrift, welche etwa 1230 in Konstanz ent-
standen ist, hat Herzog Heinrich dreieckige hohe Bügel, dagegen sein Knappe
solche von rundlicher Form {Fig. 103 u. 104).
Auf einer spät-gotischen Elfenbeinschnitzerei nordischer Herkunft hat ein
Ritter einen dreieckigen Bügel, während die nach Männerart reitende Dame
einen rundlichen Bügel mit sehr breiten Schenkeln benutzt, den man vielleicht
für eine Lederkappe halten muss (Lübke, Gesch. d. Plastik, Leipzig 1863,
pag. 140), Fig. 106. Auch in England finden sich dreieckige Bügel zu derselben
Zeit. Bei Meyrick (Critical Enquiry into Ancient Armour) zeigt Platte 10 einen
dreieckigen Bügel Alexanders I. von Schottland vom Jahre 1007 und einen
anderen von 1140, Platte 14 einen ebensolchen Alexanders II. vom Jahre 1214.
Fig. 88 ist einem Reitersiegel des Grafen von Flandern von 1170 ent-
nommen, welches dem des Pierre Courtenay von 1184 durchaus ähnlich ist
und sich bei Demay findet. Die bei Worsaae (No. 505) abgebildeten Figuren
einer isländischen Kirchenthür, welche nach Demmin dem 11.— 12. Jahrhundert
angehören, zeigen ähnliche Bügel, welche, dem damaligen Sitze mit vorgestreckten
Beinen entsprechend, an dem vorderen Sattelbogen befestigt sind. Dieser Sitz
und die entsprechenden langen Bügel finden sich noch im 14. Jahrhundert. Am
auffallendsten ist er auf einem Aquamanile von Bronze, Fig. f>0, bei welchem
die Kanten der Bügel etwas abgerundet erscheinen ; die Form der Sporen
weist auf das 12.-13. Jahrhundert hin. Der heilige Georg vom West-
portale der Liebfrauenkirche in Esslingen (Lübke, Gesch. der Plastik, Fig. 135),
aus dem 15. Jahrhundert stammend, aber das Kostüm des 13. zeigend, hat
sehr enge, unten abgerundete Bügel, Fig. 101. Die Bemerkung in Fosbrokes
Encyclopädie, dass die Bügel des 12. und 13. Jahrhunderts die Sohle nicht am
äussersten Ende der Schenkel, sondern etwas weiter oben hätten, ist wenigstens
für den Kontinent nicht richtig. Wir haben diese Erscheinung schon bei den
älteren ungarischen und späterhin bei den nordischen Bügeln gefunden, sie
kommt öfters, am häufigsten aber im 16. und 17. Jahrhundert vor.
Interessant ist in dieser Beziehung ein ostpreussischer Bügel der Bleirschen
Sammlung (Villa Thüngen in Lichterfelde bei Berlin), welcher nach Angabe
des Besitzers dem Übergange aus der heidnischen in die christliche Zeit an-
gehört, also dem Jahre 1100, Fig. Ol. Er ist ausser durch seine offene Sohle
durch zwei Ansätze merkwürdig, welche sich unter der Sohle befinden und also
200
die obeu bcspruchcue Ersclieiuung, weuii auch iu etwas audercr Form, zeigen.
Dieselben Ansätze kommen iu Gestalt von autfallenden Spitzen in den Zeich-
nungen zum Hortus deliciarum des 12. Jahrhunderts (Ausg. von Engelhard,
Taf. 8 und 7) vor, während die Bügel sonst von etwas abgerundeter Dreiecks-
form sind, Fi(i. 'J;2 u. 93.
Auf Seite 889 hat Demrain einen französischen berittenen Bogner aus
dem 14. Jahrhundert abgebildet, welcher vollständig gleichseitige, dreieckige
Bügel hat, welche sehr eng sind. Auf S. 892 steht ein englischer Bogenschütze
vom Anfange des 15. oder 16. Jahrhunderts neben seinem Pferde, dessen
Bügel nur wenig höher, aber in der Spitze etwas abgerundet ist. Die drei-
eckigen Bügel sind also das ganze Mittelalter hindurch zu finden.
Einen deutschen dreieckigen Bügel, dem 12. Jahrhundert angehörend,
hat Demmin nach den im Braunschweiger Dom ausgeführten Wandmalereien
und einen runden, Fig. 122, aus dem 13. Jahrhundert, nach einem Original
im Museum zu Sigmaringen abgebildet. Wenn die Zeichnung genau ist, so ist
die durch Zusammenbiegen hergestellte Öse in dieser Zeit bemerkenswert.
Die Gründe, weshalb dieser Bügel für deutsch gehalten und dem 13. Jahrhundert
zugeschrieben wird, sind nicht angegeben, wer dieselben nicht kennt, könnte
den Bügel für ungarisch oder westpreussisch halten.
Seit dem 13. Jahrhundert finden sich auch niellierte und mit Edelsteinen
besetzte Bügel. Während die vorderen Sattelbogen im 13. Jahrhundert immer
niedriger werden und schliesslich zu einem Knopf zusammenschrumpfen, von
1350 au jedoch wieder höher werden, machte man umgekehrt die Bügel an-
fänglich immer höher und erst später wieder niedriger.
Unter F'uj. 94 haben wir ein Säulenfragment der Vorhalle der Kirche zu
Vezelay (Ungarn) mitgeteilt, dessen Bügel vielleicht nicht von Metall sind, sondern
aus Riemen oder verzierten Bändern bestehen, wenn nicht auch hier die Öse
quer zur BügelHäche steht. Sind es Riemen, so würde die Figur ein Pendant
zu 105, 106 u. 76 bilden.
Wir dürfen also sagen, dass dreieckige Bügel das ganze Mittelalter hin-
durch vorkommen ; noch im Freydal (Ausgabe v. Leitner), welcher die Turniere
Kaiser Maximilians I. behandelt und auf Veranlassung des Kaisers selbst in
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit Bildern gedruckt wurde, finden
sich sehr häufig die unter 97 u. 98 mitgeteilten Formen, neben andern dem
16. Jahrhundert eigentümlichen. Die deutschen dreieckigen Bügel haben in
der Regel breite Schenkel, welche erst allmählich schmäler werden und
zugleich nach oben zu sich der Form des gotischen Bogens nähern, welcher
im 12. und 13. Jahrhundert in der Architektur auftritt und auch auf die
Bügel übertragen wurde.
Das 14. Jahrhundert bildet einen Übergang zu den spitzbogigen Formen
des 15. Die lange Dreiecksform mit den durch die Schenkel -Verlängerung
gebildeten Ansätzen {Fuj. 124) geht in eine Art Fünfeck über, aus welchem
durch weitere Veränderung der Bogen entsteht, zugleich werden die Schenkel
breiter. Die Figuren 12S — 134 zeigen den Übergang, obgleich einige aus
frauzösischeu Mauuakiipten entnommene Abbildungen ihrer Kleinheit und Un-
U
deutlichkeit wegcü nicht sehr sichere Schlüsse gestatten. Nach Deuimm (Waffen-
kunde S. 651) kommt die Form Fü/. 134 schon im 11. Jahrhundert vor, wenn
seine Datierung richtig ist.
Im 15. Jahrhundert haben wir zwei verschiedene Erscheinungen, welche
dem Auftreten der itaUenischen Renaissance und der Fortbildung der deutschen
Formen ihre Entstehung verdanken.
Die Renaissance, welche in Italien im 15. Jahrhundert zur Geltung ge-
langte und von der Baukunst ausging, erstreckte sich auch auf das Kleingewerbe.
Meistens werden die Bügel unsymmetrisch geformt, sodass der rechte und linke
sich unterscheiden. Bei Fig. 60, einer von Verrochio begonnenen und Ende
des 15. Jahrhunderts von Leopardi vollendeten Reiterstatue, ist dies nicht der
Fall, wohl aber bei der in der Mitte des 15. Jahrhunderts von Donatello ge-
fertigten Statue, Fig. 153, die wie die vorige in trefflichem Abgüsse im neuen
Museum in Berlin steht.
Ahnhch unsymmetrisch sind ein Paar Bügel imNational-Museum zu München,
Fig. 154, welche in diese Zeit gehören ; ferner der zu einem Krippensattel
gehörende Bügel aus durchbrochenem Eisen bei Böheim, welchen Fig. 152
zeigt, und andre in der Abbildung wiedergegebene Funde, namenthch drei
(Fig. 156 — 158), welche den Zeichnungen von Zschille entnommen sind. Der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts gehört der Bügel zu einem Feldharnisch an,
welcher bei v. Sacken (Rüstungen und Waffen der Ambraser-Sammlung in
Originalphotographien Bd. II, Taf. 14) abgebildet ist und eine ganz abweichende
Form hat.
Die andere im 15. Jahrhundert auftretende Hauptform spaltet sich wieder
in zwei Richtungen, beide sind hauptsächlich in Deutschland zu Hause. Bügel
der einen Art, Fig. 136 — 140, finden sich häufig in der Mark Brandenburg
und scheinen zur Ausrüstung des gemeinen Reiters gehört zu haben, die der
anderen Art haben vielleicht einen ungarischen Anstrich, Fig. 141 — 146, und
kommen ähnlich noch im 17. Jahrhundert vor. Sie zeigen einen den Bügel-
riemen deckenden Vorsprung an der Öse, welcher im folgenden Jahrhundert
eine weitere Ausbildung in Form eines Kastens erhält und sich auch bei den
Renaissance-Formen findet. Andere Bügel zeigen noch auffallendere Ansätze
vor und über der Öse und eine gewisse Ähnlichkeit mit ungarischen Formen,
wie sie bis zum 19. Jahrhundert nicht nur in Ungarn selbst, sondern auch in
anderen Ländern an den ungarischen Pferdeausrüstungen, welche eine Lieb-
haberei vornehmer Personen bildeten, vorkommen. Zwei dem Ende des Jahr-
hunderts angehörende echt ungarische Bügel Fig. 147 u. 148 können als Beispiele
dienen.
Als besondere Erscheinung sind die als Bügel dienenden Eisenschuhe
zu erwähnen, welche in diesem und dem folgenden Jahrhundert vorkommen und
hier zusammen besprochen werden sollen. Fig. 150 ist ein englischer Eisenschuh,
ähnlich ist Fig. 204a. Der von Demmiu entnommene Schuh Fig. 149 wird von
einigen als Pantoffel- oder Frauenbügel, von andern als Turnierbügel des IG. Jahr-
hunderts angesehen, zu welcher Klasse der sehr ähnliche, in Fig. 204b dargestellte
Bügel aus dem Jahre 1543 bestimmt gehört. Auch Fig 205 ist kein Frauenbügel,
211
obgleich Demmln ihn dafür halten möchte. "Wenn es ein Eisenschuh ist, würde
er für Frauen unzweckmüssig sein; er gehört in die Mitte des 16. Jahrhunderts.
Ein Paar prächtiger Eisenschuhbügel, teilweise vergoldet, befinden sich im
Kunstgewerbe-Museum in Magdeburg, Fig. 206 \ sie gehören dem 15. oder
16. Jahrhundert an und haben an der äusseren Seite eine Platte zum Schutze
der Knöchel und der Ferse. Ein ähnliches einfacheres Paar aus dem Jahre
1458 ist bei Meyrick (Engraved Illustrations of Ancient Arms PI. 4, Fig. 6)
abgebildet und ein drittes auch bei diesem (Vol. II, pag. 70) als in Warwick
Castle betindlich erwähnt. Der Fuss war beim Gebrauch dieser Schuhe nicht
mit dem Soleret bekleidet.
Da auch über Damenbügel gesprochen werden muss, so mögen über das
Reiten der Frauen und die Mittel, ihrem Sitz durch Unterstützen der Füsse
einige Sicherheit zu geben, hier einige Bemerkungen Platz finden, welche sich
an das im ersten Teile bei Besprechung der astraba Gesagte anschliessen.')
Ohne dieses Thema hier weitläufig abzuhandeln, sei nur daran erinnert,
dass im Altertum die Frauen sowohl rittlings als seitwärts sassen, dass aber
die letzte Art die gewöhnliche war, dass auch das ganze Mittelalter hindurch
beide Arten vorkommen, dass aber hier die Frauen, welche selbständig ritten,
wie auf der Jagd, selbst die vornehmsten, nach Männerart zu Pferde sassen.
Wir geben unter Fig. ,W8 einen Bügel der rittlings sitzenden Herzogin von
Savoyen aus dem 16. Jahrhundert. Der Quersattel soll nach Jahns (Boss u.
Reiter IT, 115) zuerst im 12. Jahrhundert von Anna, Tochter des böhmischen
Königs, in Gebrauch genommen, aber erst im 14. Jahrhundert allgemeiner ge-
worden sein. Aber es war auch bis zum 16. Jahrhundert üblich, dass Frauen hinter
den Männern auf demselben Pferde sassen; Königin Elisabeth von England
(16. Jahrhundert) sass oft hinter ihrem Stallmeister Lord Leicester. Diejenigen,
welche quer auf dem Pferde oder auf dem Esel sassen und nicht selbständig
ritten, sondern die Führung einer anderen Person überliessen, hatten keine
Bügel, sondern eine Art Fussbank, welche an den Sattel gebunden oder ge-
schnallt wurde. Von den Bildern aus Herrad's von Landsberg Hortus deliciarum
(12. Jahrhundert) ist schon die Rede gewesen (Ausgabe von Engelhard mit 12
Kupfertafeln). Nach einem Passionale von Zweifalten in der königl. Bibliothek
zu Stuttgart sitzt die heilige Pelagia auf der rechten Seite ihres Esels und
stützt die Füsse auf eine kleine Bank, welche mit einer verzierten Decke behängt
ist. Im Nationalmuseum zu München ist ein Damensattel aus dem 16. Jahr-
hundert, welcher, für den Sitz auf der rechten Seite eingerichtet, zwei Schnallen
an der Satteltasche zum Anschnallen zweier Bügel oder wahrscheinlicher einer
solchen Bank zeigt, Fig. 327.
*) Über den Sitz der Frauen im Altertum siehe Schlieben, „Die Reit- und Packsättel
der Alten" in den Annalen des Nass. Altert.-Vereins, Wiesbaden 1889, Bd. XXL, S. 18. Über
den Sitz im Mittelalter Seherr, Deutsche Frauenwelt I, 194, und Jahns, Ross und Reiter II, 112.
Einige Abbildungen von Damen auf der Falkenjagd vom 12. bis Ende des 15. Jahrhunderts
finden sich bei Viollet-le-Duc II, 437, 429, 443, 445, 446, 448; III 418, 419. Sie zeigen die-
selben sowohl rittlings als zur Seite sitzend, und zwar teils rechts, teils links, beim Sitz nach
Miiuucrart oft mit autfalleud kurzen bügeln.
U*
212
Brantonie spricht in seinen Memoiren von der planehctte iVov der Herzogin
von Savoyen (Ende des 16. Jahrhunderts) und versteht darunter offenbar eine
Fussbank für den Sattel, wie sie heute noch die Einwohnerinnen von Caux in
der Normandie benutzen. Man nennt diesen Sitz ä la planchette (Racinet,
Costumes histor., YI. Band, pl. 490) Fif). 326. Im Nürnberger Museum ist
ein Damensattel ganz ohne Bügel (No. 1854). Indessen kam im 16. Jahr-
hundert bereits der jetzige Damensattel auf, Katharina von Medicis (Anfang des
16. Jahrhunderts) soll die erste gewesen sein, welche den Fuss in eine Gabel
legte, wo dann nur noch ein Bügel nötig war.
Andererseits finden wir auch zu dieser Zeit Frauen, welche nicht, wie
Ordericus Vitalis VIII, 17 sagt, fcmineo more equitahant et in muUebrihus sellis
scdehant, sondern nach Männerart ritten. Racinet bildet die Comtesse St. Balmont
so ab (PI. 327, das Bild bezieht sich auf das Jahr 1645), einer ihrer Bügel ist
Fig. 208 gegeben. Von dem in Ulrich v. Lichtenstein erwähnten Hebeeisen,
welches den Reiterinnen von einem starken Manne hingehalten wurde, hat
sich keine Spur erhalten. Wir fügen noch einen Damenbügel aus dem 17. Jahr-
hundert bei (Fifj. 251), welcher, im Berliner Zeughause befindlich, dieselbe Kon-
struktion zeigt, wie der noch vor wenigen Jahren übliche PautofFelbügel, nur
dass letzterer einen Schuh hatte {Fif/. 204a) -^ zu dem modernen Damenbügel
(Fig. 294 b) gehört ein Polster, welches den Bügel nach oben zu so weit schliesst,
dass der Fuss nicht zu weit hinein kann. Fig. 200 zeigt einen stark vergoldeten
Damenbügel ohne Öse aus dem 17. Jahrhundert, das Original befindet sich im
BerUner Zeughause. Die allerueuste Konstruktion eines Damensteigbügels be-
steht aus einem Doppelbügel (Fig. 295 u.290) ; auf dem inneren, nicht mit Polster
versehenen, ruht der Fuss, während der äussere zur Befestigung des Bügelriemens
dient. Der innere dreht sich, wenn die Fussspitze beim Sturz gegen den oberea
Bogen drückt, um ein Scharnier dicht an der Sohle, wodurch letztere ausgehakt
wird, umklappt und den Fuss vollständig frei lässt.
Die Bügel des 16. Jahrhunderts zeigen eine grosse Mannigfaltigkeit und
sind in allen Sammlungen am stärksten vertreten. Sie haben im allgemeinen
einen tulpenförmigen oder glockenförmigen Durchschnitt, breite mit drei bis fünf
senkrechten Parallelreifen versehene Schenkel, welche in der Regel nach unten
zu über die Sohle vorstehen. Diese ist durchbrochen oder hat einen vollständigen,
durch 2 — 4 Balken gebildeten Rost oder ein anderes Muster. Auch hier hängt
infolge der Konstruktion der Ose die hintere Bügelsohle zuweilen höher als
die vordere und ist ausserdem noch gezahnt. Die Ose liegt frei, ist aber nicht
drehbar; sie ist durch einen vorgebauten Aufsatz verdeckt und dieser dann
meistens mit der Muschel verziert, welche in diesem und dem folgenden Jahr-
hundert die Rolle der Leitmuscheln in der Geologie spielt, Fig. 193, 171, 17h\
17 !f u. a.
In den Verzierungen und namentlich in der Form des Aufsatzes zeigt
sich die Einwirkung der Renaissance, wie sie uns bei den Bügeln der von
Leopardi gefertigten Statue, Fig. 159, entgegentritt.
Das Einziehen der Bügelriemen in die Öse scheint nicht in der bei
uns üblichen Art geschehen zu sein. Da der Aufsatz offenbar darauf berechnet
213
ist, (lass die Verzieniug oder die Muschel, weun der liügel am Sattel herunter-
hängt, nach aussen, und wenn ihn der Reiter auf dem Fusse hat, nach vorn
zeigt, so nuiss der Reiter damals den Fuss anders in den Bügel geschoben
haben, wie wir es jetzt thun. Wir nehmen ihn von aussen, sodass die nach
dem Pferde zu hängende Fläche nach vorn kommt, zu jener Zeit nahm man
aber den Bügel von innen, sodass die nach aussen hängende Verzierung nach
vorn gokehrt wurde. Es ist dies ganz deutlich aus den Zeichnungen zum Frey-
dal, z. B, S, 21, zu entnehmen; bei Büheim (S. 204) scheinen die Verzierungen
jedoch auch zuweilen nach innen zu hängen. Den Übergang zu unserer Art,
den Bügel zu nehmen, bildeten die querstehenden und die drehbaren Ösen ;
die letztere kommt vorherrschend im 17. Jahrhundert vor und hielt sich bis
zum Anfange des 10. Jahrhunderts. Die erstere ist sehr deutlich in den Ab-
bildungen zu erkennen, w^elche den Berichten des Wiener Altertums-Vereins
(Bd. XV, 1875, S. 07) beigegeben sind und türkische Reiter aus der ersten Be-
lagerung Wiens im Jahre 1520 darstellen, wie sie der Nürnberger Briefmaler
Hans Guldenmundt, ein Zeitgenosse, gezeichnet hat. Während die sonstige
Form dieser Bügel unstreitig dem 16. Jahrhundert angehört (Fig. 352)., finden
sich auch andere, kreisrunde, in Ketten hängende Scheiben (F'kj. 351), welche
sonst nicht vorkommen. Ob sie nach Originalen gezeichnet sind, kann zweifel-
haft sein, da Guldenmundt mehrfach in diesen Bildern seiner Phantasie gefolgt
ist. (Siehe den oben erwähnten Bericht S. 104.) Wir haben schon im 9. Jahr-
hundert Bügel mit querstehenden Ösen gefunden (79, 80, 81).
Bei Meyrick (Critical Enquiry into Ancient Armour, Vol. I, pag. 159)
finde ich ein lateinisches Manuskript, betitelt Speculum regale, erwähnt, welches
dem 14. Jahrhundert zugeschrieben wird und Vorschriften enthält, wie man
den Fuss in den Bügel setzen soll. Vielleicht hat jemand Gelegenheit, dieses
Manuskript einzusehen und die hier angeregte Frage weiter zu verfolgen. Es
ist nicht unmöglich, dass jene Schrift Aufschluss darüber giebt, vielleicht sind
sogar noch andere interessante Punkte darin besprochen.
Da das Tragen der Lanzen und Fahnen in freier Hand auf die Dauer
beschwerlich ist, so kam man frühzeitig auf die Erfindung des Fahnen- oder
Lanzenschuhes, einer Vorrichtung am rechten Steigbügel, um die Spitze des
Schaftes festzuhalten. Bei Demmin (Waffenk. S. 646, No. 18) ist ein solcher
Bügel aus dem Airfange des 16. Jahrhunderts abgebildet, es ist jedoch nicht
ersichtlich, ob der Schuh mit dem Bügel aus einem Guss besteht oder ob,
wie bei uns, eine Lederhülse an den Bügel angebunden ist; letzteres ist wahr-
scheinlich, weil am linken Bügel an der entsprechenden Stelle vier Löcher zu
sehen sind, welche wohl die Binderiemen aufnahmen.
Ob die an den ungarischen Bügeln Fijj. 156 befindlichen drei Löcher
einen ähnlichen Zweck hatten (an einer ungraden Zahl von Löchern ist schlecht
etwas anzubinden), kann ich nicht behaupten. Von Bügeln, welche zum Tragen
einer Laterne eingerichtet waren und die Demmin anführt und mit Pyrophor
übersetzt — er hätte ebensogut Phosphoros oder Lucifer sagen können,
wenn er nicht angiebt, in welchem griechischen Autor dergleichen erwähnt
werden, denn sonst versteht man unter Pyrophor ganz etwas anderes — , habe
214
ich nichts finden können, nach seiner Angabe sollte diete Laterne leuchten und
die Füsse wärmen.
Obgleich die Bügel in der Regel hinten tiefer hingen als vorn, so ist
doch bisweilen die <Jse hinter der Rosette ausdrücklich nach vorn gebogen und
dadurch der Bügel gerade gestellt, Fhj. 177. Ausser den Bügeln mit flachen
Schenkeln giebt es gegen Ende des Jahrhunderts und später auch solche, deren
Schenkel aus runden Stangen bestehen ; besonders war dies bei denjenigen der
Fall, welche zu den Mailänder- oder Bärenschuhen gehörten, wie sie von 1490
bis 1560 getragen wurden. Gegen Ende des Jahrhunderts werden die Bügel
höher und haben bereits vereinzelt die dem 17. Jahrhundert angehörende dreh-
bare Ose, welche auch früher ab und zu vorkam. Sie findet sich dann auch
an den Zügelringen der Zaumzeuge; als Beispiel kann eine Reitstange aus
der Wiener Waffensammlung (Saal Karls V., Xo. 38H) angeführt werden.
Verschiedene für hohe Herren angefertigte Prachtbügel, Fig. 180 u. a.,
zeigen einen besonderen Geschmack; sie fielen ganz dem Kunstgewerbe anheim,
welches namentlich in durchbrochenen Arbeiten ganz Ausserordentliches leistete.
Dasselbe gilt in noch höherem Grade vom folgenden Jahrhundert: die Bügel
Wallensteins, Fi(j. 2^5, welche im Nationalmuseum in München sich befinden,
zeigen die sogenannten arcades ä fcnHres. Andere Prachtstücke, welche durch
schöne Gravierungen, Silbertauschierungen und Garuieruugen mit Edelsteinen
ausgezeichnet sind, bilden die Zierden aller WafTeusammlungen. Einige wenige
davon zeigen die Fig. 18, 203, 232, 312. Einen prachtvollen Bronzebügel
mit schönen Reliefs bildet Meyrick pl. 81, Fig. 3 ab.
Im 17. Jahrhundert wird die Form allmählich etwas verändert; als
charakteristisches Zeichen tritt fast überall die drehbare Ose auf, welche früher
nur vereinzelt vorkommt. Die breiten Schenkel machen runden Stangen oder einer
Verbindung von oben runden und unten flachen Bogen Platz, welche, sehr
hoch gezogen, im oberen Teile sich dem Viereck oder Fünfeck nähern und
dem Zeitgeschmack entsprechende Verzierungen haben. Die schweren und
plumpen sogenannten Karabiner-Reitstiefel, engl, jack-hoots, wie sie zur Zeit
des grossen Kurfürsten getragen wurden und für Kuriere und andere Personen
inwendig mit eisernen Reifen und Schienen versehen waren, sodass der Reiter
beim Sturz des Pferdes den Fuss unversehrt hervorziehen konnte, erforderten
nicht minder grosse, besonders aber hohe Bügel, als di^ Bärenfüsse breite,
Fig. 233. Die Mailänder Schuhe, welche bis 20 cm breit waren — ein Exem-
plar im Wiener Rathause ist noch etwas breiter — , waren bis über die Mitte
des 17. Jahrhunderts im Gebrauch.
l'nter den abweichenden Bügelformen des IG. und 17. Jahrhunderts be-
merken wir namentlich auch orientalische und ungarische, wie sie in den
Fig. 217, 218, 221, 222, 223, 232, 350 wiedergegeben sind. Gewisse im öst-
lichen Europa ansässige Nationen, Tataren, Russen, Polen, die Stämme des
byzantinischen Reiches, die Ungarn und bis zu einem gewissen Grade selbst
die Böhmen, standen in den Formen der kriegerischen Ausrüstung seit den
ältesten Zeiten unter dem Einflüsse des Orients. Böheim, welcher in seinem
llaudbuche des Wartenwesens S. 20G diese Bemerkung macht, sagt, dass voa
215
Pulen und TTngaru uns die urieiitalische Ai'fc der Pfenleaiisrüstung zuerst in
Deutscliland Eingang fand. Tn Osterreicii leiten die ersten Spuren ins 14. Jahr-
hundert zurück; im 16. Jahrhundert finden wir die Zäumungen ungarischer Art
in Italien. Die ungarischen Sättel haben eine Art Bock, die deutschen Polster.
Ungarische Sättel mit ihrem Zubehör wurden im 15. Jahrhundert auch von
deutschen lieitern häutig benutzt. Als Beispiel können die vollständig orienta-
lischen Bügelschuhe (Fi<j. 2:21) eines Ritters des 16. Jahrhunderts im Zeughausc
zu Berlin gelten.
Das orientalische Reitzeug König Christians von Sachsen, 1602 in Prag ge-
fertigt, war überaus prachtvoll, die Bügel, mit böhmischen Granaten besetzt, waren
ungarischen Geschmacks, Fi<j.:25!): das Ganze betindet sich in der Dresdener
Waffensammlung. Ähnlichen Charakter haben die Bügel eines Sattels, welchen
der Fürst Radziwill an König Georg III. schenkte, und welcher dadurch merk-
würdig ist, dass auf der Sohle ein Dorn hervorsteht, um das Pesthalten des
Bügels zu erleichtern, Fi(/. 2'j7 ebendaselbst. Prinz Georg Lubomirski, Ende
des 17. Jahrhunderts unter König Kasimir von Polen, ritt ein vollständig arabisch
ausgerüstetes Pferd, dessen Bügel wir, lUj. 270, nach Racinet wiedergegeben
haben. Wollen wir uns für dieoe Nachahmung orientalischen Geschmackes
nach einem Vorbilde aus alter Zeit umsehen, so können wir Alexander den
Grossen anführen, welcher nach Diodor 17, 77, als er auf dem Gipfel seiner
Macht stand, seine Pferde mit persischem Geschirr ausrüstete. Von diesem
Vorgange darf man, beiläufig bemerkt, die Einführung des persischen Sattels,
soweit er damals ausgebildet war, an Stelle des griechischen Ephippium datieren.
Näheres findet man darüber in meinem Aufsatze über die Sättel der Alten in den
Ann. d. Nass. Altert -Ver. (Bd. XXI, 1889, S. 21). Da übrigens schon Karl Martell
den Arabern viele Pferde abnahm und Karl der Grosse Zuchthengste von dem
Khalifen Harun-al-Raschid erhielt, so mag schon damals manches orientalische
Ausrüstungsstück von den Franken in Gebrauch genommen sein. Der in Fuj. dö
abgebildete, für seine Zeit ungewöhnliche Bügel Richards I. von England vom
Jahre 1200 hat auch orientalischen Typus und Ähnlichkeit mit Fig. 317 oder
318-^ ob dabei ein Einfiuss der in den Kreuzzügen gemachten Bekanntschaft
mit orientalischen Ausrüstungen zu sehen ist, mag dahin gestellt bleiben, es
wäre dies dann ein weiteres Beispiel. Die Abbildungen in den alten Reitbüchera
des 16. u. 17. Jahrhunderts von Löhneisen, Pluvinel, Griso u. a. zeigen eben-
so viele orientalische als andere Bügel, Fhj. 252.
Der bei unserer Kavallerie bis heute, wenn auch mit einigen Verbesserungen,
beibehaltene Sattel heisst „der ungarische Bocksattel" ; sein Obergurt wird durch
den „ungarischen Knoten" zusammengehalten, dessen zeitraubender Schluss
sehr wenig für unsere Verhältnisse passt. Die Form der ungarischen Bügel,
F'kj. 220, ist bis in unser Jahrhundert hinein von der leichten Kavallerie und
Artillerie fast aller Staaten, wie die Figuren zum 19. Jahrhundert zeigen, im
allgemeinen beibehalten worden, so unpraktisch sie namentlich für reitende
Artilleristen ist, welche schnell abspringen sollen und dabei in dem engen Bügel
stecken bleiben.
216
Einige Bemerkungen über die iu den Tafeln entluilteueu Abbildungen
aus dem 16. und 17. Jahrhundert dürften hier am Platze sein. Den Unterschied
gegen die Renaissance-Formen des 15. Jahrhunderts sieht man am deutlichsten
in den Fig. 170, 174, 180, 131, 23;^ u. a., welche überdies darin übereinstimmen,
dass sie oben zusammengedrückt sind und sich nach unten erweitern. Der
Bügel Fl(j. 183 wird von I^e Vallet (Le chic ä cheval, S. 85) dem 14.
Jahrhundert zugeteilt; ich habe ihn hierhin gesetzt, weil ich ihn dort nicht
unterbringen kann. Viollets Gründe kenne ich nicht, die Form aber scheint
ihn hierbL zu verweisen. Dass die Formen 1S7, ISS, ISO aus Jost Ammans
Wappen- und Turnierbuch vom Jahre 1589 diesem Jahrhundert angehören
sollen, scheint mir zweifelhaft, ich würde sie für älter halten. Ebenso würde
ich die Formen 241 u. 242, welche Demmin ins 17. Jahrhundert setzt, etwa
200 Jahre zurückdatieren, wenn ich, ohne die näheren Umstände zu kennen,
urteilen wollte. Den Bügel 243, welcher im Berliner Zeughause als dem Ende
des 15. Jahrhunderts angehörend aufgeführt ist, muss ich ins 17. setzen, da
Form, Drehöse und Verzierungen dafür sprechen. Mit F'uj. 240, 20L 262 weiss
ich gar nichts anzufangen. Wenn die Vorsprünge des ersten Reste eines ab-
gebrochenen Usenschlusses sind, so kann er ins 15. Jahrhundert gehören, und
vielleicht auch der folgende Bügel; den letzten könnte man ganz gut ins 17.
oder 18. setzen. Die undatierten Bügel absonderlicher Form machen das
meiste Kopfzerbrechen! Wunderbar ist ein im Palaste Montecuculi in Venedig
gefundener Bügel, Fi;/. 2'>i, welcher zum Zusammenklappen eingerichtet ist.
Der Zweck dieser Einrichtung ist nicht begreiflich, da er die Dienste eines
Sturzbügels nicht leisten kann. Ein anderes seltenes Stück zeigt Fiij. 2ö6,
welche den Zeichnungen von R. Zschille in Grossenhain entnommen ist und
ein Pendant zu Fig. 2'J7, einem Geschenke des Sultans an König Otto von
Griechenland, bildet. Ersterer. dem 17. Jahrhundert angehörend, würde einen
Vorgänger im 15. Jahrhundert, Fig. 166h, haben, wenn die Angabe bei Demmin,
Waffenkunde, S. 623, No. 25, richtig ist. Ich selbst muss dieses Stück im
Münchener National rauseum übersehen uud nur für einen Sporn mit auffallender
Befestigung gehalten haben, ich gestehe, nicht recht eiuzuseheu, wie der
Bügelriemen angebracht gewesen sein soll, da eine Befestigung an der vor-
handenen oberen Schiene gewiss recht unpraktisch gewesen wäre.
Fig. 236 ist aus W. R. Wildt, Catalogue of Antiqu. No. 47, Fig. 504 ent-
nommen. Das Original befindet sich im Schlosse Skokloster in Schweden, südlich
von Upsala, der Familie Brahe gehörend. Der Graf Wrangel hat zahllose
Beutestücke aus dem 30jährigen Kriege dort zu einem Museum vereinigt, dar-
unter auch verschiedene Steigbügel. Der unsere ist 5 engl. Zolle hoch und
4 breit, die radförmige Sohle hat 2^/4 Zoll im Durchmesser. Die Korbbügel
Fig. 201, 202, 203, 25.5, treten au die Stelle der schweren Eisenschuhe 204,
:jo.5, 206, 14!f, 150; einzelne, wie Fig. 100, sind sehr klein, für Knaben bestimmt.
Kinderbügel finden sich überhaupt in den Sammlungen häufig, Fig. 176, 258,
329. Es ist leider nicht möglich gewesen, alle Bügel in demselben Maassstabe
zu geben, da die Umstände in der Regel eine genaue Zeichnung nicht gestatten,
auch die Angaben in Büchern meistens keine Maasse enthalten.
217
Das 18. Jahrhundert zeigt wieder wesentlich einfachere und nüchternere
Formen. Die Schenkel sind schmal — Ziethcns Husarenbügel (Fi*i. :J()H) natür-
lich ausgenommen, welche die ungarische Form behalten haben — die Öse ist
drehbar oder fest mit dem Bügel verbunden, die meist offene Sohle pflegt mit den
Schenkelenden abzuschneiden. Stücke aus diesem Jahrhundert sind merkwürdiger-
weise fast in keiner Sammlung zu finden und viel seltener als solche aus dem
16. oder 17. Jahrhundert. Künstler geraten in Verlegenheit, wenn sie historische
Bilder aus diesem Jahrhundert anfertigen sollen, und sind fast allein auf Ab-
bildungen beschränkt. Bügel Friedrichs des Grossen befinden sich im Hohen-
zoUern-Museum in Berlin, F'uj. 266; sie sind genau dieselben wie die Kürassier-
Bügel seiner Zeit. Am Denkmal des grossen Königs unter den Linden hat
die Sohle keinen Zwischensteg. Ganz dieselben Bügel wie 266 empfiehlt de
la Gueriniere als die besten. Ähnlich waren die Bügel von Friedrichs Generalen,
Fiq. 262. Die Drehringe an den Ösen verschwinden wieder, letztere stehen
häufig quer zur Bügelfiäche.
Im 19. Jahrhundert herrscht die grösste Verschiedenheit, der französische
Geschmack hat dem englischen Platz gemacht. Die Offiziere der preussischen
Armee führten anfangs halbmondförmige Bügel, Fifj. 277, jetzt englische Fig. 278.
Die für die Bocksättel in der Armee eingeführten Bügel der Mannschaften
zeigt Fi(/. 281, im Laufe der Zeit sind sie etwas erweitert worden, weil die
reitenden Artilleristen beim Abspringen häufig darin sitzen blieben. Dem
ungarischen Sattel entsprechen aber diese Bügel, welche bis auf den heutigen
Tag die rundliche Form mit breiter Sohle beibehalten haben. Fig. 28^> ist ein
französischer Bügel von 1870. Fig. 288 ist ein russischer Artillerie-Bügel
mit dreikantigem Schenkel; früher hatte die Artillerie dieselben Bügel wie die
preussische beim Material von 1816, mit runden unten etwas verbreiterten
Schenkeln und kreisförmiger Sohle. Die Bügel der Chevalier-Garde von 1827
unterscheiden sich nur durch eine ausgezackte kreisförmige Sohle (Fig. 287),
ganz anders sind die der Leibgarde-Ulanen (Fig 286), Die Originale befinden
sich sämtlich im Berliner Zeughause.
Es seien nur noch die Fig. 27'J abgebildeten Sturzbügel erwähnt, welche,
wenn der Fuss des Reiters in ihnen hängen bleibt und also der Druck auf die
Sohle aufliört und ein Ziehen am auswendigen Schenkel eintritt — sie müssen
dem entsprechend eingezogen werden — sich oben in der Bügclöse öffnen und
so den Bügel vom Riemen befi-eien. Sie funktionieren ganz sicher und verhin-
dern das Geschleiftwerden.
Ein Bügel vom kleinen Araber Napoleons L, Fig. 2'J3 ist im Dresdner
Johanneum, er entspricht genau der von Le Vallet „etrier a, grille modele ehez
le roi" genannten Form, Fig. 274.
Ich will nicht unterlassen, ein Kunstwerk hier zu erwähnen, welches ein
eingehendes Studium der Steigbügelformen verrät, nämlich das von W. Walter,
auf dem königlichen Stallgebäude in Dresden hergestellte Kolossal-Gemälde,
welches die ganze Länge der Augusta-Strasse einnimmt und die sächsischen
Fürsten in langem Zuge vom 12. bis 19. Jahrhundert zu Pferde in historisch
genauer Tracht darstellt.
218
Was über die aussereuropiiiächcQ Hügel zu sagen isf, geht grosscQ-
teils aus der Erklärung der Tafelu hervor. Es wird hier keineswegs Vollständigkeit
beansprucht, sondern nur gegeben, was sich gelegentlich zusammengefunden hat.
Wunderliche Formen zeigen die zusammengestellten Holzbügel, welche
alle unserem Jahrhundert augehören. Bei allen ist die obere Wölbung an-
nähernd kreisförmig und die Sohle Hach, ausser bei dem ostpreussischen,
welcher länglich ist. Die Fhj. 314 und 315 sind araukanischen Ursprungs und
von schwerem, massiven Silber gearbeitet. Ausser den abgebildeten betiudeu
sich noch mehrere ähnliche im Berliner Völker-Museum. Die Fifj. 211) zeigt
einen bronzenen Steigbügel aus Süd -Vorderindien, welcher mit Rasselstifteu
versehen ist. Die Sohle, welche die Form einer l'ferdekartätsche zeigt, ist hohl
und statt der Borstenbündel mit bronzenen Stiften von etwa 3 mm Dicke und
2 cm Länge versehen, welche sich in Löchern im unteren Boden hin- und her-
bewegen und ein klapperndes, für barbarische Ohren gewiss sehr angenehmes
(Jeräusch machen. Unsere Schellenbügel im Mittelalter bilden eine Parallele
dazu. Fi(j. 320 ist ein Bügel von Buffalo-Bills Reitern aus West-Amerika,
von Eisen, sehr weit und breit. Der Kern ist, wohl um den Rost zu ver-
decken, mit Leder überzogen und das Ganze mit einem grossen Lederschurz
überdeckt, welcher zur Seite fast einen halben Meter herunterhängt. Er soll
den Fuss gegen Sonne und Nässe schützen und wohl auch Angriffe vou Fliegen
vom Bauche des Pferdes und dem Fusse des Reiters abhalten. Die japanischen
Bündel sind von schön lackirtem festem Holz. Die Orientalen benutzten die
scharfen Spitzen ihrer schaufeiförmigen Bügel {Fuj. 319 u. a.) statt des Sporns,
um das Pferd anzutreiben. Viele bei fremden Völkern gefundene Bügel sind
nicht national, sondern einfach von Europäern eingeführt.
Zum Schlüsse muss ich noch einen Bügel besprechen, der vielfach als
Steigbügel angesehen wird, aber keiner ist, nämlich den in Fuj. 344 u. 349
abgebildeten Armbrustbügel. Erhat oben zwei Lappen, mit welchen er auf
der Mitte des Bogeus mittels Riemen festgebunden wird. Beim Spannen der
Armbrust trat der Schütze, nachdem er dieselbe gesenkt hatte, mit dem Fusse
in diesen Bügel, um nicht den ganzen Druck mit der Brust auszuhalten. Alle
diese Bügel haben ungefähr dieselbe Weite von 10 cm, sind dreieckig und auf
der Aussenseite der Sohle mit einem scharfen Grat versehen. Vier solcher
Bügel befinden sich im märkischen Provinzial-Museum in Berlin, je einer in
München, Wiesbaden, Nürnberg, Linz a. d. Donau und in anderen Sammlungen.
Im Anzeiger für Kucde iler deutscheu Vorzeit (neue Folge, Nürnberg, Mitt. d.
German. Mus. XXVIH, 1881, S. 134) wird ein solcher als Sattelbügel abgebildet,
aber als undatiert und unbekannter Herkunft bezeichnet; es ist eben ein Arm-
brustbügel, welcher dem 13. Jahrhundert angehören kann.
Obgleich die Armbrust eine sehr alte Waffe ist und vom 12. — 16. Jahr-
hundert zur Bewaffnung der Heere gehörte, so sind doch, wenigstens in Frankreich,
wie VioUet-le-Duc augiebt, keine älteren Exemplare als aus dem 15. Jahrhundert
vorhanden. Schöne Exemplare von Armbrüsten aller Art sind im Dresdener
Johanneum. Wir geben eine kleine Auswahl solcher Bügel {Fiij. 34-') — 34!f)
vom 14.— IG. Jahrhundert. Die Watte :J4ö ist für den Gebrauch zu
219
Pferde bestiinint; wurde sie zu Fuss gebraucht, so trat der Spanner, auch
wenn er sich des Geisstusses oder einer anderen >raschine bediente, mit dem
Fuss in den Bügel, um die Aruibrusfc festzuhalten. Wir sehen, dass wenigstens
in Frankreich die Bügel ihre Form dem Zeitgeschmack anpassteu, in Deutschland
scheint dies nicht der Fall gewesen zu sein, die späteren haben nur kleine,
viereckige Bügel.
Ein ähnlicher Irrtum, wie er in diesem Falle begangen ist, kann bei den
Bügeln vorkommen, welche unsere Schmiede zum Bewegen ihrer Blasebälge mit
der Hand erfassen; sie sind Steigbügeln oft sehr ähnlich und haben die ab-
sonderlichsten Formen. So lange sie am Blasebalg hängen, wird eine Ver-
wechslung allerdings nicht eintreten, wohl aber, wenn sie gelegentlich gefunden
werden.
\h dritter derartiger Bügel ist der am Trageriemen des einspännigen
rheinischen Karrenfuhrwerks befindliche zu nennen, in welchem die Scherbäume
ruhen, dessen oft kolossale Abmessungen zu wunderlichen Anachronismen Ver-
anlassung geben könnten.
Endlich sind noch die schon in den Keltengräbern in llallstadt vorkom-
menden, der Römerzeit angehörenden Geräte zu erwähnen, deren eines mir in
einer Samndung von dem Diener gleichfalls als Steigbügel bezeichnet wurde;
in Wirklichkeit sind es Eissporen, Fi(/. 350. Sie haben auf der Unterseite
einige Spitzen und wurden vermutlich mit Riemen am Fusse befestigt. Die
Sohle ist 8 — 11 cm weit. Schon v. Sacken bildet ein derartiges aus Hallstadt
herrührendes Steigeisen ab (Taf. XXVI, 10). Mit Hilfe einiger Riemen könnten
sie allerdings zur Xot als Steigbügel dienen.
Hiermit schliesse ich, indem ich diesen Versuch nicht allzustreuge zu
beurteilen bitte. Ich habe mich vielfach dem Urteile derjenigen anschliessen
müssen, welche die Stücke besprochen haben; ohne Kenntnis der näheren Um-
stände ist es nicht möglich, eine eigene Meinung aufzustellen. Demjenigen,
der alle Einzelheiten kennt, wird es leicht werden, bei diesem oder jenem Fund
meine Ansicht zu berichtigen, mir war dies bei so vielen einstweilen nicht
möglich. Ich hoffe selbst, da ich weiter sammle, zu besseren und umfassenderen
Resultaten zu gelangen und werde sehr dankbar sein, wenn mir aus dem
Kreise der Leser nutzbare Mitteilungen zugehen. Besonders augenehm wird
es mir sein, ganz sicher datierte Stücke, auf die es ja hauptsächlich ankommt,
mit den Beweisen ihrer Achtheit kennen zu lernen.
220
IV.
Erklaniiiä; dor Abl»il<liinü:en, Aiiü:ji1k' der (Quollen, der Fund- und
Aufl»ewaliruiiü:sorte, der Besitzer u. a.
No.
1 u. 2 Älteste Darstellung von Steigbügeln auf einer Sassa-
niden-Silberschüssel nach Hampel (Der Goldfund
von Nagy-Szent-Miklos, S, 90)
3 u. 4 I Fund von Ivesthely in Ungarn, aufbewahrt im Un-
ffarischen National-Museum in Pest ....
5 Fund von Ordas, Ungarn, erster Typus, Pest . .
6 Püspük-szent-Erzsebet (heil. EUsabeth), Ungarn, Pest
7 Lemes, Ungarn, Pest
8 Szentendre (St. Andreas), erster Typus, ebenda . ,
9 Ordas, zweiter Typus, ebenda
10 Szegedin, erster Typus, ebenda
11 Szentendre, zweiter Typus, ebenda . . . . . .
12 Nagy-Manyok, ebenda
13 Bicacs, ebenda
14 Szegedin, zweiter Typus, ebenda
15 Szeged-Üthalom, ebenda
16 Szentes, ebenda
17 Pilin, ebenda
18 Allgemeiner Typus einer Anzahl Piliner Bügel, wel-
che in Archaeolog. ertesitö von llampel abge-
bildet sind
19 Nesmely, Ungarn, Pest
20 Szolyva, ebenda
21 Galgocz, ebenda
22 Rakos, ebenda
23 Szeged-Bojarhalmi, ebenda
24 Pusta-Vereb, ebenda
25 Pürös, ebenda
20 Ungarischer Bügel, Fundort unbekannt, ebenda . .
27 — 34 Acht ungarische Bügel späterer Zeit, ohne genaue
Datierung, ebenda
35 u. 36 St. Veit bei Wien, Nat.-hist. Museum, Wien . . .
37 St. Veit, die Sohle ist vernietet, Wien, ebenda . .
38 St. Veit, Wien, ebenda
39 Feistritz in Krain, Wien, ebenda
40 Mordwinischer Bügel, nach Aspelin
41 u. 42 Immenstedt in Schleswig, Nachbildung im Museum
zu Mainz
43 Eckornn»rde':' aus Mestorf (Vorgoschichtl. Altert, v.
Schleswig-Holstein), Kiel
Jahiliuiidort.
IV -V
V
VI
V
VII
IX-X
77
X
XI
VI-VIII
VIII
X-XI
VIII
IX
221
No.
44
45
46—48
49
50
51
52- 54
55 u. 56
57
58—59
60-65
66
67-75
76
77
78
79
80
u. 81
82
u. 83
84 a
84 b
85
86
87
88
Bei Maiu/ im Ulioin get'muleii, Miiiuz
Holstein, Kieler Museum
Xach Rygh (Norske Oldsager) in Norwegen gefunden,
Christiania
Nach Worsaae (Nord. Altert.) in Dänemark gef. .
Nach Worsaae und Lindenschmit in Schleswig gef.,
Kopenhagen
Nach Worsaae aus Dänemark
Bügel ausWiskiauten in Ostpreussen, nach Oishausen,
Königsberg
Ascheraden in Livland in Gräbern der Waräger-
Russen, nach Kruse (Necrolivonica, Atlas V, 5)
Merisch-Ugrischer Bügel, nach Aspelin .....
Ascheraden, Livland, nach Bahr (Gräber der Liven,
Taf. 16, Fig. 6 u. 7)
Ostpreussen, Samland. Aus der Waffensammlung von
Blell in Lichterfelde bei Berlin
Aus einem wendischen Burgwall. Provinzial-Museum
in Berlin
Dolkheim in Westpreussen. Aus der Waffensammlung
und nach Zeichnungen von R. Zschille in Gros-
senhain bei Dresden. 72, 73 u. 74 sind mit Mes-
sing und Silber tauschiert, 71 war versilbert .
Riemenbügel, Skulptur an einer Kirche in St. Julien,
Frankreich, nach Demmin (Waffenkunde) . .
Riemenbügel, nach dem Psalterium aureum , . .
Riemenbügel, Holzschnitzwerk an einer isländischen
Kirchenthür, einen skandinavischen Ritter vor-
stellend, Demmin, Kopenhagen
Angeblich genaue Kopie einer Figur des sogenannten
Schachspiels Karls des Grossen, nach VioUet-le-
Duc V, 69. Die Öse sitzt quer
Nach Viollet V, 69 u. 71. Öse ([uer
Dreieckige Bügel anscheinend mit gebogenen Schenkeln,
nach dem Psalt. aur
Wahrscheinlich Holzbügel aus dem Codex Egberti
(Bonner Jahrbücher Bd. 70, S. 56) . . . .
Nach dem Evangelium von Echternach, nach Janit-
scheck
Nach einem Wandgemälde aus der Kirche zu Yelemer
in Ungarn, nach Magyar regesceti emlek . .
Nach einer Bamberger Handschrift
Von der Tapete zu Bayeux, nach Viollet Hl, 431
Reitersiegel des Grafen von Flandern nach Demay .
Jalirhundert.
IX
X
IX-XI
VIH-XII
VIH - XI
VI-XI
IX-XIH
VIH
IX
IX-Xil
IX
X E.
X
XI
XII
222
No.
89
90
91
92
u.
94
95
9G
93
97
u.
98
99
100
101
102
103 u. 104
105
106
107a u. b.
108
109
110
111
112
113
114
Runder Bügel a) mit Riemen, b) mit Ketten ; drei-
eckiger Bügel, e) mit Riemen, d) mit Ketten, nach
Demay
Aquamanile aus dem Museum zu Kopenhagen, nach
Demmin
Ostpreussischer Bügel, Sammlung Blell
Aus dem Hortus deliciarum, Ausg. von Engelhard,
Taf. 7 u. 3
Fragment von einem Kapital der Kirche zu Vezelay
in Ungarn, nach YioUet III, 432
Bügel Richards I. von England, zweites Siegel, nach
Meyricks Critical Enquiry, Platte 13 ... .
Bügel mit vorgebogener Ose, nach YioUet, wie sie
vom 9. bis 14. Jahrhundert üblich waren . .
Häufigste Bügelformen vom 10. bis 14. resp. IG. Jahr-
hundert, nach dem Ereydal, Ausg. von Leitner
S. 22, 33, 34, 49, 101, 102, 105
Bügel an Altarschnitzereien, d. heil. Martin betreffend.
Mus. des sächs. Altert.- Yer. im gr. Garten in
Dresden
Aus einem lateinischen Psalter, YioUet III, 433 . .
Yom heil. Georg in der Liebfrauenkirche zu Esslingen,
nach Lübke, Gesch. der Plastik
Aus der Ilistoire de la vie et des miracles de
St. Louis, nach Yiollet III, 460
Bügel des Herzogs Heinrich resp. seines Knappen,
in der Manesse Liederhandschrift
Statue des heil. Stephan im Dom zu Bamberg, nach
Lübke, Gesch. der Plastik
Damenbügel, nach Lübke, ebenda
Nach Rygh (Norske Aarsberetning for 1882), Nor-
wegischer Bügel. Die Schenkel sind mit Bronze
beschlagen. Christiania
Nach Rygh, Norske Oldsager, in Norwegen gewöhn-
lichste Form
Nach Montelius. Schwedischer Bügel
Aus der Blell'schen Sammlung, Ostpreussen . . .
AViskiauten, Ostpreussen, nach Olshausen. Königsberg
Städtisches Museum in Braunschweig, Herkunft unbe-
kannt
Angeblich Mailänder Bügel. Germ. Mus. in Nürnberg
Nach Mestorf, Yorgesch. Altert, von Schleswig-Hol-
stein. Kiel
Jahrhundert.
XII— XIY
XHI-XIY?
1100
XII
1130
XII E.
IX -XIY
/ X-XIY
\ resp. XYI
1 500 u. 1521
XIII A.
XIII
1300
XIII
XIY
800
— 1050
V
700
-1050
»
X
X?
X?
XIV
223
No.
115
116
117
118
119
120
121
122
123 a
123b
124
125
12G
127
128
129
130
131
132
133
134
135
136
137
Eiseubügel mit Silbertaudchieruug nach Mestorf, Ka-
talog des Mus. zu Kiel
Aus der Blell'scheii Sammlung, Ostpreussen . . .
Aus der Zschille'schen Sammlung, Westpreussen
Nach Wilde, Catalogue of AQti([U. Bügel aus dem
Museum zu Skokloster in Schweden ....
Nieder-Finow, Prov. Brandenburg, angeblich dem
13. bis 14. Jahrhundert augehörend. Mark. Prov.-
Mus. Berlin
Flaschenfürmiger aragonischer Bügel, nach Büheim
dem 13., nach Demmin dem 14. Jahrhundert
angehörend
Nach dem Anzeiger für Kunde d. deutsch. Vorz. Neue
Folge. Nürnberg, Germ. Mus. 28. Bd. 1881,
S. 134, 14
Deutscher Eisenbügel, nach Demmin, Sigmaringen .
Statue des heil. Georg, Prag
Nach einer Miniatur der Weingartner Liederhand-
schrift zu Stuttgart ...
Nach den Miniaturen zu Lancelot du lac, Paris. Nat.-
Biblioth
Statue Konrads III., Dom zu Bamberg
Bügel ohne Öse, nach P. Lacroix (Moeurs, usages et
costumes du moyen age II, 15)
Miniatur aus der gemalten Handschrift der Jahrb. v.
Genua, nach Stacke, D. Gesch. I, 400. Der Bügel
scheint an einer Kette befestigt
Vergoldeter eis. Bügel, nach Viollet, dazu soll ein
Kissen gehört haben
Aus Histoire de la vie et des miracles de St. Louis,
nach Viollet III, 460
Fragment eines kupfernen Armleuchters, nach Viollet
I, 401
Wie 129, nach Viollet III, 444
Aus einem Manuskript der Pariser Nat.-Biblioth., nach
Viollet III, 467 ,
Wie 129, nach Viollet HI, 439
Südfranzösischer Jagdbügel, nach Böheim ....
Linker Bügel für Schnabelschuhe (solerets depoulaine),
nach Viollet, dazu gehörte ein Kissen ....
Jüterbock, mit einem goldenen Magdeburger Bractea-
ten und einem Sporn aus dem 12. Jahrhundert
gefunden, aber wohl später. Berlin, M. Prov. -Mus.
Sacrow-Paretz (Potsdam) ebenda
Jahrhundert.
VIII -XI
XI— XII
XIII-XIV
XIII?
XIV
1304
XIII
XIV E.
1300
XIV
1480
1390
XIV
XIV E.
XV?
224
Xo.
138
139
140
141
142
143
144
14.")
140
147
148
149
150
151
152
153
154
155
156 u. 157
158
159
KJO
IGl— 1G3
1G4
105
106 a
166b
(Jilüisseu, Sclieukel uach hinten zu weiter gestellt,
ebenda
Gross-Beeren, ebenda
Deutscher Bügel, ebenda, nach Angabe Alfieris älter
Kaukasischer Bügel, Berlin, Zeughaus, angeblich
1500 bis 1700
Eiserner Bügel, ebenda
Nach Demmin, zu einem Elfenbeinsattel gehörend,
Berlin
Hohen-Lübichow, Brandenburg, Prov.-Mus. Berlin .
Aus einem sächsischen Grabe, mit ähnlichen zusam-
raen. Mus. des sächs. Altert.-Ver., Dresden
Schaudau, ebenda
Ungarischer Bügel aus der kais. Waffensamml. in
Wien, No. 192
Ungarischer Bügel, ebenda, No. 112
Frauen- oder Turnierbügel? mit durchbrochener Arbeit,
nach Demmin, Paris, Artill.-Mus
Endischer Eisenschuh, nach Demmin, Schloss AVar-
wick
Jahrhundert.
XY?
Feldharnisch-Bügel, nach Sacken, Ambraser Samm-
lung, Wien
Krippensattelbügel, unsymmetrisch, nach Böheim,
S. 207. Bei Demmin ist er verkehrt gezeichnet
Statue des Erasmus de Narni im BerUcer Mus. . .
München, Xational-Mus
Museum in Linz a. d. Donau
Ungarische Bügel von Eisen, mit Messing belegt,
Kais. Waffensamml. in Wien, No. 77 u. 78
Bügel aus zierlich durchbrochenem Eisen, Saal Maxi-
milians I., ebenda, Xo. 37
Statue des Bart. CoUeoni, Berliner neues Mus. . .
Arabischer Bügel, reich mit Silber und Gold nielliert,
nach Demmin
Gotische Bügel, nach Zschille
Schmiedeeis. Bügel zum Schutze des Knöchels, nach
VioUet und Demmin
Nach Lacroix lY, 119
Bügel eines türkischen Kriegers auf einem Holzschnitt
von Hans Guldenmuudt, nach Stacke, Deutsch.
Gesch. H, 97
Angeblicher Sporensteigbügel des Herzogs Christian
You Bayern, München, nach Demmin . . . .
9
XV E.
7) '
V
um 1500
XY
V
n
n
XY E.
XIY E.
XYA.
XY-XVI
XY
XYI
XV
225
Xo.
167
168 u. 169
170
171
172
id
174
175
176
177
178
179
180
181
182
183
184—189
190
191
192
193
194
195
196
197
198
Bügel des Erzherzogs Ferdinand, nach von Sacken,
Ambraser Sammlung, Wien
Deutsche Bügel, München, National-Mus
Rheinischer Bügel mit durchbrochener Arbeit, nach
Racinet II, 87
Vergoldeter Muschelbügel, München, National-Mus.
Bügel des Herrn v, Fugger, nach Hiltl, WafFensamml.
des Prinzen Karl, Berlin
Rost eines Bügels, vorn gerade und scharf gemacht,
hinten halbkreisförmig, künigl. Waffensamml. im
Johanneum zu Dresden
Italienischer Bügel aus vergoldetem Messing mit Ver-
zierungen in italienischer Renaissance. Kais.
Waffensamml. in Wien
Bügel des Kurfürsten Georg von Brandenburg, Jo-
hanneum in Dresden
Bügel Augusts I. von Sachsen. Die Schenkel haben
5 Reifen, der Rost drei Stangen, hängt vorn
tiefer als hinten, ebenda
Bügel mit vorgebogener Ose, damit er vorn nicht
tiefer hängt, ebenda
Bügel mit vorgebogener Ose, nach Viollet ....
Muscheln an der Sohle und der (3se
Kleiner Prachtbügel eines Prinzen, Dresden, Jo-
hanneum
Deutscher Bügel aus vergoldetem Messing, mit meister-
haften Reliefs, kais. Waffensamml., Wien, No. 386
Prachtbügel mit Edelsteinen besetzt. Sohle voll,
wahrsch. 16. Jahrhundert, Dresden, Johanneum
Bügel mit drehbarer Ose und ovalem Rost, nach Le
Vallet, S. 45
Aus Jost Ammans Wappen- und Stammbuch, Frank-
furt a. M , bei Siegmund Feyrabend, 1 589 . .
Bügel zum Scharfrennen, Dresden, Johanneum . .
Von einem Stechsattel Kaiser Maximilians IL, aus
dem Freydal, S. 48
Aus der Blell'schen Waffensamml .
Bügelösen, München, Nat.-Mus . .
Sehr grosser Bügel für breite Mailänder Schuhe,
München, Nat.-Mus
Desgl., ebenda
Deutscher Bügel, ebenda, wohl 17. Jahrhundert . .
Ebenda, gehört wohl auch ins 17. Jahrhundert . .
Bügel Karls V., nach Hirth
Jahrhundert.
XVI
XVI E.
XVI
7) •
9
E.
1550
XVI?
. E.?
E.
XVI?
XVI?
XVI
15
226
No.
199
200
201
202
203
204 a
204 b
205
206
207
208
209
210a u. b
211
212
213
214 u. 215
216
217
218
219
220
221
222
223
224
Bügel für Mailänder Schuhe, München, Nat.-Mus. .
Deutscher Bügel, Berliner Zeughaus, 1530 bis 1540
datiert, doch vielleicht dem 17. Jahrhundert an-
gehörend
Grosser Korbbügel, Berlin, Zeughaus
Kleiner Korbbügel für ein Kind, ebenda ....
Prunkbügel Kaiser Maximilians II., nach ßöheim .
Eisenschuh, nach Demay
Englischer Turnierbügel, nach Meyrick: Engraved
Illustrations of Ancient Arms PL VIII, Fig. 9
Ritterbügel, Blell'sche Sammlung
Eisenschuh mit Seitenblechen auf der äusseren Seite,
Mus. für Kunstgewerbe in Magdeburg. Der
Bügel ist von vergoldetem und ausgelegtem Eisen,
undatiert
Bügel Friedrichs III., Herzogs von Liegnitz und Berg,
nach V. Sacken, Wien, Ambraser Samml. . .
Bügel der Herzogin von Savoyen, nach Racinet .
Bügel Karls V., nach Racinet IV, 260
Bügel für Entenschnabelschuhe, nach Demmin, Wien,
Ambraser Samml., und Meyrick PI. IX, Fig. 4 .
Vom Sattel Kaiser Maximilians I., Wien, kais. Waf-
fensamml. No. 195
Ungarischer Bügel vom Reitzeuge Erzherz. Ferdinands
von Tirol, ebenda No. 410
Desgl., ebenda No. 477
Eiserne, ciselierte Bügel, wahrscheinlich für Maul-
tiere, nach Demmin
Eiserner Bügel in getriebener und durchbrochener
Arbeit, nach Demmin, London, Tower . . .
Ungarischer Bügel aus verzinntem Eisen, nach Böheim
Eisenbügel, München, Nat.-Mus
Persischer Bügel aus einer Handschrift des 16. Jahr-
hunderts, nach Demmin . . ... . . .
Ungarischer Bügel, nach Hirth
Bügel, zu einer orientalischen Rüstung gehörend,
Berlin, Zeughaus
Arabischer Bügel mit durchbrochener Arbeit, nach
Demmin, Paris, Artill.-Mus
Ungarischer Bügel mit Silberfiligran und vergoldeten
Rosetten, nach v. Sacken, Wien, Ambraser-S. .
Tatarischer Bügel, nach Böheim; ganz ebensolche
finden sich bei Burjaeten und Kalmücken . .
Jahrhundert.
XVI
Mo
„
•n
V
1543
XVI
A.
1510
1583
XVI E.
1585
XVI
V
V
n
227
No.
225
22G
227
228
229
280
231
232
233
234
235
236
237
238
239
240
241
242
243
244
245a
245 b
246 a u. b
246 c
247
248
Bügel Wallensteins, feinste durchbrochene Arbeit,
München, Nat.-Mus
Bronzebügel, teilweise rot und grün bemalt, Berlin,
Zeughaus
Bügel des Kurfürsten Maximilian I. von Bayern,
München, Xat.-Mus
Messingbügel, nach Demmin, für die englischen Jack-
boots bestimmt
Bronzebügel, Spätrenaissance, Berlin, M. Prov.-Mus.
Schwerer Eisenbügel, München, Nat.-Mus.
Bügel von Jean de Wert, nach Hirth
Prachtbügel, vergoldet, Berlin, Zeughaus ....
Sehr grosser, zu den schweren Reiterstiefeln passender
Bügel aus der Zeit des grossen Kurfürsten,
Blell'sche Sammlung
Eisenbügel, Berlin, Zeughaus
Deutscher Eisenbügel, BerUn, Zeughaus ....
Nach Wilde, Catalogue of Antiqu., Brahe-Museum
zu Skokloster in Schweden
Gelenkbügel, Blell'sche Sammlung
Bügel des Herzogs Bernhard von Sachsen-Weimar,
nach Hirth
Bügel nach Pluvinel
Bügel des Grafen Styrum, nach Hirth
Deutscher Bügel des Kasseler Museums, nach Demmin
Bei Dielfort gefunden, Museum in Sigmaringen. Die
Datierung dieses und des vorhergehenden Bügels
scheint ganz unrichtig zu sein, beide dürften ins
15. Jahrhundert gehören
Deutscher Eisenbügel, Berlin, Zeughaus. Der Bügel
ist dort wohl irrtümlich dem 15. Jahrhundert
zugeschrieben
Französischer Bügel ...
Aus I.e parfdii ecuyer vom Herzog von New-Castle
(I, 10, 20) als beste Art Bügel bezeichnet .
Yon einer Gobelin-Tapete im Hohenzollern-Museum
zu Berlin
Englischer Bügel des Lieut. Colonel Kyrie, von zwei
Seiten gezeichnet
Messingbügel, Blell'sche Sammlung
Bügel von einem türkischen Sattel aus der Zeit der
Belagerung von Wien, Blell
Bronzebügel, bei Rottenmano in Obersteiermark ge-
funden, Graz, Museum
Jahrhundert.
XVII
1680
xvn
V
n
E.
1646
XVII
15^
228
No.
249
250
251
252
253
254
255
256
257
258
259
260-262
263
264
265
266
267
268
269
270
271
272
273
Eiserner Bügel, volle Sohle, Blell
Vergoldeter Dameubügel, Berlin, Zeughaus . . .
Damenbügel, ebenda
Nach Pluvinel
Bügel eines von Max Emanuel 1688 bei Belgrad
erbeuteten orientalischen Sattels, München, Nat.-
Museum
Bügel zum Zusammenklappen, im Palast Montecuculi
zu Venedig gefunden, Wien, Arsenal . . . .
Messing-Korbbügel, Mus. d. sächs. Altert.-V., Dresden
Bügel mit Sporn, nach Zschille
Geschenk des Fürsten Radziwill an Georg III. von
Sachsen. Auf der Sohle ein Dorn. Dresden,
Johanneum
Ungarischer Bügel von einem im Türkenkriege er-
beuteten Sattel für kleine Prinzen, Sohle voll,
Dresden, Johanneum
Prachtbügel mit böhmischen Granaten besetzt, von
einem Reitzeuge Christians II,, ebenda .
Drei eiserne Bügel aus Lübtow bei Pyritz, nach dem
Jahresbericht der Ges. für pommer'sche Gesch.
und Altert. 1877
Bügel der Generale Friedrichs des Grossen ausser
Ziethen, Berlin, Denkmal unter den Linden
Bügel Ziethens, ebenda
Tscherkessen-Bügel, nach Böheim, Zarskoe-Selo . .
Bügel Friedrichs des Grossen, Berlin, Hohenzollern-
Museum. Dieselbe Form hatten die damaligen
Kürassier-Bügel
Französischer Bügel, Sohle voll, keine Öse, Dresden,
Johanneum
Aus L'art de monter a cheval, von Eisenberg . .
Ungarischer Bügel, von einem Reitzeuge Kaiser
Josephs IL, Wien, kaiserliche Waffensammlung
No. 895
Bügel des Prinzen Georg Ludomirski, nach Racinet
VI, 455
Türkischer Bügel aus vergoldetem Eisen, nach Bö-
heim
Türkischer Bügel, vorn geschlossen, kais.Waffensamml.,
Wien, No. 26
Patagonischer Bügel, Holz mit Lederriemen, Berlin,
Völkermuseum
Jahrhundert,
XVII
n
E.
1683?
XVII
E,
r> n
XVIII
V
j XVII bis
I XVIII
XVIII
229
No.
274—276
277
278
279
280
281
282
283
284
285
286
287
288
289
290
291
292
293
294
295 u. 290
297
298
299
300
301
Drei französische Bügel, und zwar Etrior ii grille,
modele chez le roi, Etrier ä grille ä cucur und
Etrier ii Tauglaise, planchette ä grille. Nach Le
Vallet, S. 157
Preussischer Offizier-Bügel, früher
Desgl., jetzt
Sturzbügel, geöffnet
Bügel der preussischen Feld-Artillerie von 1816,
Berlin, Zeughaus
Preussischer Bügel für Bocksättel
Bügel der französischen Lanzenreiter
Bügel der französischen Ulanen'1870, Berlin, Zeughaus
Bügel der französischen Chevauxlegers, nach Le
Vallet, S. 181
Messingbügel der amerikanischen Artillerie vom Jahre
1862. Die Bügel sind so am Sattel befestigt,
dass die Öse nach aussen gebogen ist und der
hintere Sohlenrand höher steht, Berlin, Zeughaus,
im Erdgeschoss
Bügel der russischen Leib-Garde-Ulanen Caesare-
witsch, Berlin, Zeughaus
Bügel der russischen Chevalier-Garde 1827, Berlin,
Zeughaus
Bügel der russischen Artillerie 1827, ebenda . . .
Bügel der russischen Feld-Artillerie 1870, ebenda .
Bügel für Österreich. Husaren 1824, Wien, Arsenal
Bügel für österreichische Kavallerie und Artillerie
1854, Wien, Arsenal
Bügel der belgischen Artillerie, Berlin, Zeughaus , .
Bügel Napoleons L, aus der Schlacht bei Dresden
herstammend, Dresden. Johanneum, entspricht
der Form 274
Moderner Damenbügel
Damen-Sturzbügel, geschlossen und geöffnet .
Bügel mit Sporn. Geschenk des Sultans an König
Otto von Griechenland, München, Nat.-Museum,
Vgl. 256
Bügel von Birkenholz, noch bis Mitte dieses Jahr-
hunderts in Ostpreussen im Gebrauch, Lichter-
felde, Blell'sche Sammlung
Holzbügel von der Insel Timor (Neu-Guiuea), Berlin,
Völkermuseum
Holzbügel aus Chile, ebenda
Holzbügel aus Araukanien, ebenda
Jaluhundert.
xvni
XLX: A.
, E.
A.
E.
1862
XIX A.
1827
1827
1870
1824
1854
XIX
1813
XIX
V
230
No.
302
303
304
305
306
307
308
309
310
311
312
313
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320
321
322
323
324
325
326
327
328
329
Holzbügel aus Mexiko, ebenda
Holzbügel aus Sibirien, ebenda
Holzbügel, ebenda
Holzbügel von der Insel Luzon, Wien, Nat.-hist.
Museum
Araukanischer Bügel aus Lederriemen, sechs über-
einander, und einem eisernen Stift gefertigt . .
Chinesischer Bügel, Berlin, Völkermuseum ....
Chinesischer Soldatenbügel, nach Racinet H, 87 . .
Japanischer Bügel aus schon lackiertem Holz, Berlin,
Völkermuseum ; ein ganz ähnlicher im ethno-
graphischen Museum zu München
Japanischer Bügel, Eisen mit Messing und Kupfer
verziert. Magdeburg, Kunst-Gewerbe-Museum .
Central-Indien. Nur für die grosse Zehe. Postmuseum
in Berlin
China, Bandschleife, ebenda
Holzbügel von einem russischen Jagdsattel, bemalt.
Wien, kais. Waffensamml. No. 160 ....
Massiv silberner, araukanischer Bügel, Berlin, Völker-
Museum
Massiv silberner, araukanischer Bügel, unten mit
einem glockenförmigen Ansätze, ebenda . . .
Silberner araukanischer Bügel, ebenda
Arabischer Stahlbügel, München, ethnograph. Museum
Haussabügel mit Goldmustern, ebenda
Algerischer Eisenbügel, Wien, Nat.-hist. Museum
Bügel der Westamerikanischen Reiter Buffalo-Bills;
der eigentliche Bügel ist von einer Lederdecke
verhüllt
Somalibügel, nur für eine oder zwei Zehen . . . .
Messingbügel des Königs Theodor von Abessinien,
Berlin, Völkermuseum
Schwerer MessingbUgel aus Columbia. Zwei sehr
ähnliche Paare im Völkermuseum zu Berlin . .
Bronzebügel mit Rasselstiften aus Vorderindien, ebeuda
Eisenbügel aus Radschputana (Jeipore, Vorderindien),
ebenda
Sattel mit planchette aus Caux in der Normandie,
nach Racinet
Damensattel, München, Nat.-Museum
Patagonischer Sporn, Berlin, Völkcrmuscum . . .
Kindcrbügel, bei Killstadt im Elsass gefunden, Berlin,
Mus. für Volkstrachten
Jahrhundert.
XIX
XVI
XVIII
231
330—334
335
336
337
338
339—341
342 u. 343
344
345—348
349
350
351 u. 352
Verschiedene Formen des Hakenkreuzes und des
Sonnenrades,
Im Neueuburger See gefundener angeblicher Steig-
bügel, nach Lindenschmit, heid. Yorz., und Gross.
Bügel an einem Abguas einer bei Lindau gefundenen
Reitertigur, angeblich aus der Hallstadter Periode,
Besitzer E. Naue, München,
Relief aus Kouyoundjik, nach Place (Niniveh und
Assyrien III, 50).
Desgl., aus Layard (Monuments de Niniveh, 82).
Bronzeringe aus Dänemark und den Elbläudern, nach
Mestorf.
Angeblich römische Steigbügel aus dem II. oder
III. Jahrhundert. Sie befinden sich nicht in
Neapel, wie Viollet-le-Duc und nach ihm Le
Vallet (Le chic ä cheval, S, 57) behaupten.
Deutscher Armbrustbügel, Berlin, Mark, Prov.-Mus.,
ebensolche befinden sich in Nürnberg, Wiesbaden,
Linz a. d. Donau u, a. 0
Verschiedene Armbrustbügel, 348 für Kavalleristen
Armbrustbügel, Sammlung Straberger in Linz a, D.
Eissporn, Verein für Gesch. der Stadt Leipzig, ähn-
liche in Hallstadt und Halle
Zeichnungen von Hans Guldenmundt, das türkische
Heer der I. Belagerung von Wien betreffend. Aus
den Mitteilungen des Wiener Altert.- Ver. 1875,
Bd. 15, Taf. II und III
.lahrliundcrt.
XV
XV- XVI
1529
Zur Topographie des alten Wiesbaden.
Von
A» Y* Cohausen»
Trotz der grossen Bauthätigkeit der Stadt hat sich doch nur eine geringe
Anzahl von Fundstücken ergeben, welche für die Ürtlichkeit bezeichnend sind.
Der Quelleusinter, über den wir bereits in den Annalen XII, 317; XXI,
9 und XXIII, 153 gesprochen haben, und der uns zeigt, wohin die Koch-
brunnenquelle einst ihren Abfluss genommen hat, wurde gefunden :
am Kreuzungspunkt der Emser- und Schwalbacher-Strasse, auf 127,08
Amst. Pegel, 1,76 m unter dem Strassenpflaster in einer Stärke von
1,50 ra, darunter folgt ins Unbestimmte Lehm;
auf dem Markt am Anfang der Ellenbogengasse (114,01 Amst. Pegel)
lag 1,30 m unter dem Pflaster der Sinter 1,50 m stark;
in der Delaspeestrasse No. 7, in den Fundamenten im ehemaligen
Dasch'schen Garten, lag der Sinter 0,50 m mächtig auf 110,84
Amst. Pegel in 2,60 m Tiefe.
Aus der Zeit, von der wir am Archivgebäude und am Schlachthaus die
Mardellen gefunden haben, ist uns nichts vorgekommen, wohl aber aus der
Lat^ne-Zeit, welche der römischen Besitzergreifung am Rhein vorausging, fand
sich ein rundliches, bodenloses, korrekt mit Strichen in Felder eingeteiltes und
mit Quadraten verziertes Töpfchen, und zwar beim Fundamentieren eines Hauses
an der Ringstrasse, südlich der neu zu erbauenden protestantischen Kirche.
Ähnliches ist auch früher in der Xähe, am westlichen Ende der Rheinstrasse,
gefunden worden.
In der Delaspeestrasse Xo. 7, dem ehemaligen Dasch'schen Garten, fand
sich von dem, Annal. XIV, 427 erwähnten römischen Friedhof die Fortsetzung
an der vom Stümpert nach der Mainzerstrasse führenden Röraerstrasse. Nur
ein kleiner Teil der Fundstücke, deren grossen Teil unehrliche Arbeiter ver-
bracht hatten, kam ins Museum.
In den Fundamenten des Karlsruher Hofes, in der Goldgasse und der
Bärenstrasse, fanden sich römische Töpfereien und ein Lavamühlstein, und in
der Rheinstrasse Xo. 30 fand sich in dem bekannten Zug der römischen Wasser-
leitung (Annal. Y, 1877, pag. 47) ein Schlaramkasten mit Röhren.
In den Fundamenten der in der oberen Webergasse neu aufgebauten
Stadt Frankfurt, Xo. 37, fand man einen gereifelten, nicht glasierten Steinzeug-
Topf, der durch seine Backrisse und verzogene Gestalt zeigte, dass er nie in
Handel gekommen, sondern nicht fern von seinem Fundplatz angefertigt
worden ist.
Burgen in Nassau.
Von
A* ¥♦ Cohausen»
Mit Taf, VII— X.
1. Neukatzenelnbo2:eii oder die Katz bei St. Goarsliaiiseii
liegt über dem Städtchen in halber Höhe des Hochrückens, der bei Oberweisel
beginnt und mit seinem westlichen Ende an den Rhein vorstösst (Taf. YII, 1,
2; VIII, 1, 2; IX, 1). Überragt vom Gebirg, ist die Burg durch einen Fels-
graben, der mit der Einebenung des Bauplatzes entstand, von jenem getrennt.
Seine vielen Felsabstürze nach der Rheinseite machen sie hier und auch nach
der andern Thalseite ganz oder fast unzugängUch. Die Burg war im Jahre
1393 von dem Grafen Johann III. von Katzenelnbogen erbaut.
Ihr Mantel bildet ein 40 m langes und 30 m breites Siebeneck, auf dessen
gegen die Felshöhen gerichtete Schmalseite und Ecke ein runder Bergfried a mit
einem Drittel seiner Stcärke vortritt, und den zu seiner Linken gelegenen Ein-
gang flankiert. Er hat 10,45 m äussere und bei einer Mauerstärke von 1,85 m
eine lichte "Weite von 6,75 m, in welche sechs Pfeiler vortreten und mittels
flachen Kappen ein Klostergewölbe tragen.
Der Eingang ist ebenerdig, aber nach dem zweiten Stock führt ein aussen
angelehntes Schneckentürmchen, von dem Holztreppen weiter hinauf geleiten.
Seine ganze Mauerhöhe beträgt 20 m ; er hatte aber über dem umlaufenden
Bogenfries noch einen niederen Mauerstock, auf welchem ein schieferbekleideter
achteckiger Zimmerstock mit spitzem Pyramidendach für den Wächter ruhte.
Er hatte zu hessischen Zeiten zu Thal fahrende Schiffe zu Wahrschauen, damit
die damals noch bestehende fliegende Brücke ans Land zu fahren Zeit hatte.
Die siebenseitige Mantelmauer der Burg hatte einen auf Pfeilern und
Rundbogen hinter den Zinnen herführenden Wehrgang, vor dem die Zinnen-
mauer gleichfalls auf Friesbogen vorgerückt war.
Die Mauer umschloss einen Hof, durch den der Bergfried vom Palas,
dem Wohnhaus des Kommandanten, und einem kleinem Thorzwinger getrennt war.
Mehrfache Zwinger, verschiedener Form und Breite, umzogen die eigentliche
Burg, die ihrer auf der steilfelsigen Rhein-Seite nicht bedurfte, die aber auf
der anderen Thalseite, wie gegen die Höhe hin, zu ihrer Sicherheit bei-
trugen, indem vbn dem Städtchen aus ein Pfad, und thalaufwärts beginnend ein
234
Fahrweg herauf kamen. Die ihnen entlang geführten Zwingermauern c sind
durch in neuerer Zeit angelegte Soldatenquartiere und viele Kleingewehrscharten
verteidigt.
Xaeh der für das Ende des 14. und während des 15. Jahrhunderts beliebten
Überzahl von bewimpelten Türmen und Türmchen ist auch die Katz auf allen
Ecken mit sechs solchen versehen (a, h, c, d, f), die bald als Schnecken, bald
nur als Erker dienen. Sie sind aussen rund, innen meist sechseckig und mit
Klostergewölben überwölbt.
Ausser der obengenannten Erbauungszeit von 1393 ist von der Bauge-
schichte der Burg kaum etwas, und von ihrer Kriegsgeschichte kaum mehr
bekannt, als wie sie bei der Verteidigung der Festung Rheinfels, einmal bei
dem Angriff gegen dieselbe, mitgewirkt hat.
Was im 15. und IG. Jahrhundert sich mit der Burg ereignet hat, ist uns
nicht bekannt geworden, mit dem 30 jährigen Krieg erst tritt sie in die Handlung
ein. Bei der Belagerung von- Rheinfels 1626, wo St. Goar durch die Spanier
genommen und geplündert wurde, hielt sich die Festung aber durch den Oberst-
lieutenant von Uffeln, und die Katz unter ihrem Kommandanten Hauptmann
Dietrich Suale gegen fünfmaligen von Yerdugo selbst geleiteten Ansturm,
obschon sie nur mit 80 Mann und 10 Geschützen verteidigt war. Sie
wurde von den Angriffsbatterien auf dem Wackenberg (die sie demontierte) und
auf dem Patersberg so beschossen, dass sowohl die Kommandanten-Wohnung
als der Bergfried bis auf das Mauerwerk niederbrannten.
Erst am 4. September 1626 verliessen auf Befehl ihres Herrn, des Land-
grafen zu Hessen-Kassel, die tapferen Verteidiger ihre Vesten, mit allen krie-
gerischen Ehren: mit Sack und Pack, mit lautem Trommelschlag, fliegenden
Fähnlein, brennenden Lunten, und die Kugel im Munde. So kam und blieb
Hessen-Darmstadt von 1626 bis 1647 in Besitz von Rheinfels und der Katz.
Um diese Zeit, 1647, konnte die Landgräfin von Hessen-Kassel, Anna
Elisabeth, es nicht länger verschmerzen, dass ihrem Haus Rheinfels und die
Grafschaft Katzenelnbogen entzogen war. Bei dem Versuch, sie wieder zu er-
langen, ergab sich die Katz nach dem ersten Bombardement — und rausste bei
der Beschiessung von Rheinfels mitwirken, da dies sich unter seinem Komman-
danten V. Koppenstein länger wehrte und dieser erst auf Befehl seines Herrn, des
Landgrafen von Hessen-Darmstadt, am 14. Juli 1647 Rheinfels mit allen krie-
gerischen Ehren verliess. Allein schon 1648 kam Rheinfels mit der Katz und
der Grafschaft Katzenelnbogen wieder an Kassel.
Bei der Belagerung von Rheinfels, 1692, durch die Franzosen, war das
rechte Rheinufer, St. Goarshausen, die Katz und die Berge von Nochern und
Patersberg in den Händen der Hessen geblieben, sodass die dortigen Batterien
die französischen bei Werlau und dem Wackenberg zu wiederholten Malen zum
Schweigen brachten. Die Franzosen unter dem General Tallard mussten am
1. Januar 1693 die Belagerung aufgeben und, verfolgt von einem Teil der
Reichsarmee, nach Trarbach Hieben, während der Kommandant der Festung,
General von Görtz, sich hohe Ehren erworben hatte.
235
1698 verliess die Hessen -kassersche Besatzung Rhcinfels, und Hcsscn-
Rheinfels rückte ein. Denn es waren drei hessische Stämme, die sich während
des 17. Jahrhunderts dort bekämpften. Da aber Hessen-Rheinfels zu schwach
war, so wurde es unter den Kaiser gestellt und bei dringender Fraozosengofahr
nahm Hessen-Kassel 1702 die Katz nach wenigen Kanonenschüssen wieder in
Besitz, bis 1718, wo Hessen-Rheinfels wieder in Besitz kam, unter fortwährenden
Streitigkeiten und wiederholten Gerichtsentscheidungen.
Ein versuchter Überfall der Festung durch einen französischen Partei-
gänger missglückte 1730.
Endlich 1758 verzichtete Hessen-Rheinfels (Rotenburg) nicht nur auf das
Besatzungsrecht, sondern auch auf das Eigentum der Stadt und Festung, sowie
auf die Katz und die Grafschaft Katzenelnbogen.
Allein Kassel hielt die Festung so schlecht, dass die Franzosen 1758
wieder einen Handstreich auf St. Goar und Rheinfels versuchten, und der
hessen-kassersche Kommandant kapitulierte.
Aber der der Katz, Kapitän v. Ende, nahm die Kapitulation nicht an,
verteidigte seinen Posten noch 3 Tage, bis alle Munition verschossen war und
rückte dann mit 40 Mann bei Nacht erst ab.
Nun behielten die Franzosen wieder Rheinfels und die Katz bis zum
Hubertusburger Frieden 1763, wo sie sie räumen mussten und Hessen-Kassel
wieder m Besitz kam und bis 1794 in Besitz blieb.
Der einzige Weg aus dem inneren Deutschland führte über Patersberg
und St. Goarshausen mittels einer fliegenden Brücke nach St. Goar und auf den
Hundsrücken, während nur Pfade längs dem Rheine nach Oberwesel und nach
Hirzenach führten.
Kaum besser war es auf dem rechten Ufer, wo unterhalb ein runder,
oberhalb ein viereckiger Turm stand, welche durch eine gezinnte Mauer, auf
welcher einige Häuser aufsassen, verbunden waren (Taf. VIII, Abbild. 2 k u. l).
Als die RevolutioDsarmee sich näherte, bestimmte der Kriegsrat von
Rheinfels schmählicher Weise, sich nach dem rechten Ufer zurückzuziehen.
Auf der Katz war Hauptmann v. Ende mit 50 Mann Kommandant, während
die Batterien auf dem Patersberg u. s. w. unter General v. Lempe standen, die
sich dann, als auch das rechte Rheinufer an Frankreich kommen sollte, eben-
falls zurückzogen.
1797 befahlen die Franzosen die Sprengung von Rheinfels und 1812 seinen
Verkauf als Staatseigentum; im Jahre 1843 wurde es vom Prinzen von Preussen
angekauft und verblieb bis heute der kgl. Familie. Die Katz aber wurde, nach-
dem sie nassauisch geworden, demontiert, und ihrem Kommandanten, Hauptmann
v. Trott, 1817 nebst den zugehörigen Feldern und Gärten auf 25 Jahre, aber
ohne daran etwas beschädigen zu dürfen, für 6 fl. 10 kr. in Erbpacht gegeben.
Unter gleichen Bedingungen verkaufte er die Burg 1819 an den Major von
Chmielinsky. Von ihm bekam sie seine Tochter, die Ehefrau des Stadtschultheissen
Wappner in St. Goarshausen, und da es zwischen ihren Kindern, vier Söhnen
und zwei Töchtern, zur. Erbteilung kam, so verkaufte sie die Burg etc. 1826
für 25 fl. jährlich und 6 fl. Mutation an Herrn v. Lützow, der sie seiner Tochter
236
Katharine, Gemahlin des Kammerherrn v. Langen zu Nachhof bei "Wariu in
Mecklenburg (der 1857 dazu den Konsens erhielt), überwies. Der Burgbesitz
besteht aus 125 R. 82' Weinberg. 102 R. 69' Feld, 4,16 Wald und 1,23 Weg.
Die Familie von Langen ist im Besitze der Burg, des Geländes und des vier-
eckigen Turmes, den sie auch erhalten muss, Yen der Stadtmauer gegen
den Rhein besteht nichts mehr als dieser und der runde Turm, den die Stadt-
gemeinde erhalten muss (Taf. VÜI, Abbild. 2, k u. l).
'2. Sterrenberi?, Liebeiisteiii und Bornliofeii (Taf. YII, 3; IX, 2, 3; X, 1, 2).
Die beiden Burgen Sterrenberg und Liebenstein liegen kaum 200 Schritt
voneinander auf der Gebirgs - Halbinsel, welche durch den bei Kloster Born-
hofen in den Rhein mündenden Bach gebildet wird.
Sterrenberg, etwa 30 m tiefer als Liebenstein gelegen, war eine alte, an
die Bolanden beliehene Reichsburg, während Liebenstein von jenen im 12. Jahr-
hundert erbaut wurde.
Die Umfassung von Sterrenberg bildet ein längliches, von Südost nach
Nordwest gestrecktes Viereck von etwa 70 Schritt Länge und 40 Schritt Breite,
vor dessen Westecke Zwiugerräume den abstürzenden Bergrücken einnehmen.
Bei der Ausgleichung des inneren Raumes bewahrte man in dessen Mitte
einen Grauwacke- Felskopf von etwa 10 m Höhe und baute darauf den Berg-
fried a, um so seine Mauern vor dem Untergraben und Ausbrechen bei etwaiger
Belagerung zu schützen. Der Bergfried hat einen quadratischen Grundriss von
8,15 m und etwa 37 m jetzige Höhe. Er hat in halber Höhe eine rundbogige
Pforte und auf jeder Seite nur eine kurze Lichtspalte. Er war auf demselben
Felskopf mit einem ungleich breiten Zwinger b umgeben, welcher auf der Ost-
ecke durch einen Steg zugänglich war; dieser, von dem Schneckentürmchen c
eines viereckigen, 1^'> m langen und breiten Wohnpalas d ausgehend, ermöglichte
die Rettung in den Bergfried. Der Palas springt nach der östlichen Thalseite, von
wo auch der Weg heraufgeführt ist, vor die Umfassungsmauer vor, welcher hier
auch ein Zwinger vorgelegt ist. Die nach der Höhe, welche die Burg Lieben-
stein einnimmt, gerichtete Angriffseite ist durch eine Mantelmauer abgeschnitten.
Dieselbe hat 30 Schritt Länge bei 10 m Höhe und 1,8 m Dicke und dient von
Innen Wirtschaftsräumen als Anlehnung; sie hat nahe der linken Seite ein
Einfahrtsthor im Rundbogen. Vor der Mantelmauer liegt, durch einen Fels-
graben geschützt, der Zwinger i k, neben dem noch ein besonderer kleiner
Thorzwinger abgeschnitten ist.
Die Zwingermauer hat nur Zinnenfenster, während die Mantelmauer
zwischen demselben, eine über die andere, lange Schiessscharten hat.
Das Mauerwerk besteht überhaupt aus Grauwacke mit Kalkmörtel, ist
unverputzt, aber über dem Eingangsthor ist in Reliefputz eine Fahne, die
ohne Zweifel einst bemalt war, dargestellt. Das Mauerwerk des Zwingers
um den Bergfried besteht zum Teil in Fischgrätenverbaud.
/
/
237
Die Burg Liebeiisteiii, liühur und dominierend gegen Sterrenberg gelegen,
bildet mit ihren mit 5 quadratischen Türmen a, b, c, d, e be-setzten Umfassungen
etwa ein Rechteck von 150 Schritt dem Rhein paralleler Länge und 120 Schritt
Breite, in dessen Mitte ebenfalls ein Felskopf erhalten ist, auf dem sich der
Bergfried a erhebt. Die Angriffseite ist zwar gegen das höher ansteigende
Gebirg gewendet, doch aber sind die dicken Mauern des Bergfrieds, ein nord-
westlicher, starker Eckturni d mit eingebrochenen Geschützschartcu und eine
Batterie/ von 2 Stockwerken mit je 3 Geschützscharten nach der Burg Sterren-
berg gerichtet. An diese Batterie und den starken Eckturm <l sind neue be-
wohnte Wirtschaftsgebäude angelehnt. Links neben ihnen öffnet sich das
Thor c zum Thal, sowie an der oberen Abschnittsmauer auf der linken Seite
das Thor (j nach der Höhe. Hier ist ausser dem tiefen Felsgraben kein
Zwinger vorhanden.
Obschon Bornhofeii, in dessen Mittelpunkt die 143ö erbaute Kirche liegt,
1280 zur Stadt werden sollte, so ist doch von einer Befestigung derselben
und von einer Verbindung mit Sterrenberg und Liebenstein nichts vorhanden.
Doch haben wir es nützlich gefunden, die Regesten der beiden Burgen und des
Klosters zusammenzustellen.
Sterrenberg ist alte Reichsburg, welche im 12. Jahrhundert die von Ro-
landen zu Lehen hatten, und etwas später die höher gelegene Burg Liebenstein
erbauten.
1110—1250] Bornhofe n war schon 1140 — 1250 Burgsitz derer von
Bornhofen.
1190] Um 1190 war Udo von Wiselo Burgmann der Bolanden und Stamm-
vater des Rittergeschlechts von Sterrenberg.
lt>58— 12(>31 Die_Bolanden erhoben den Rheinzoll, von dem sie Kloster
Eberbach befreiten, was auch ihre Erbesnacbfolger, die von Sjjonheim, be-
stätigten. Diese besassen nämlich einen Teil von Sterrenberg.
1280] Bornhofen wird eine Stadt genannt; hatte schon 1224 einen Priester
und eine Kapelle mit einem wunderthätigen Muttergottesbild.
1289] Von der Burg Liebenstein verkauften die Sponheim die Hälfte an
die Schenken von Sterrenberg und die andere Hälfte mit dem anstossenden Wald
1294] Hagen, sowie ein Viertel der Stadt Bornhofen an Enolph, Kantor der
1300] Martinskirche in Worms und dessen Bruder Ludwig. 1300 hatte .lud von
1317] Boppard ein Drittel der Burg Liebeneck in Besitz, Trier aber brachte 1317
1320) und 1320 den andern Teil von Sterrenberg in seinen Besitz.
1340] Die von Liebenstein und die Schenken von Liebenstein waren
Sponheim'sche Vasallen.
1352] Beyer von Boppard, der Erbburggraf von Sterrenberg war, musste
nach seinem Streit mit Trier darauf verzichten, soclass Lamprecht von Schönen-
burg trierischer Amtmann und Burggraf wurde. Die Beyer von Sterenberg
wurden Burgmannen daselbst. Von da an blieb Trier im Besitz, der dann
auf Nassau und auf Preussen überging und blieb.
238
14231 Da 1423 die Schenken von Liebeneck ausgestorben waren, so be-
14*27) lehnte Nassau-Saarbrücken als Nachfolger der Bolanden die von Lieben-
stein und den Johann von Thorne mit der Burg.
1435] wurde in Bornhofen die jetzt bestehende Kirche von Johann
Brömser von Rüdesheim erbaut.
1482] Da Engelbrecht von Thorn auf den Besitz von Liebeneck verzichtet
1405] hatte, so wurden 1495 die von Mudersbach und 1523 die von Stein mit
der Bursr belehnt. 1637 kam sie durch das Aussterben der von Liebenstein
V -
an die Waidenburg, genannt Schenker, und nach deren Aussterben an die
Herren von Preuschen, welche sie nebst 2 Hofhäusern noch besitzen.
Iß57] Nach Wellmich und St. Goar 1657 übergesiedelte Kapuziner hoben
die Wallfahrt nach Bornhofen sehr, und es wurde durch die 1679 hierher versetzten
Franziskaner schon seit 1662 der Gottesdienst gehalten und die Vorhalle zur Kirche
erbaut. 1662 wurde ihr Kloster erbaut und 1666 bezogen. 1813 wurde das
1S13] Kloster aufgehoben, für den Staat verkauft und zum Wirtshaus gemacht,
im Jahre 1850 von Redemptoristen wieder bezogen, und diese durch den Kul-
turkampf 1873 wieder vertrieben; darauf zogen 1890 die Franziskaner ein.
Die Prankengräber von Schierstein.
Von
B* Florschütz*
m.
Die letzten Funde aus dem fränkischen Friedhofe von Schierstein, im
Terrain des Herrn Georg daselbst, beschränken sich auf den Inhalt von noch
zwei Gräbern, aller Wahrscheinlichkeit nach den letzten des ursprünglich bis
zum Beginn des Hohlweges reichenden Grabfeldes.
Es ergaben sich — eine Sonderung der Gegenstände nach dem jeweiligen
Grabe war nicht mehr ganz zuverlässig — an Waffen:
Grosse Franziska. Länge 19 cm, Breite der Schneide 10 cm, Höhe und
Breite der Bahn 5 und 4 cm.
Grosses Messer, Sax. Länge 24 cm, Höhe 35 mm.
Drei kleine defekte Messer, Höhe durchschnittlich 2 cm.
Drei zum Teil sehr elegante, kurze Lanzenspitzen von breiter Blattform
mit eingeschlitzter Tülle. Gesamtlänge 10 cm, Länge des Blattes 6ö mm,
Breite 30 mm.
An gewöhnlichen Gebrauchs- und Schmuckgegenständen:
Bronzenadel, 17 cm, mit aufgerolltem oberen Ende als Knopf.
Bronzepinzette mit verbreiterten Endplatten, Länge 85 mm.
Bronzenähnadel mit Ohr, 6 cm.
Schnalle aus Weissmetall, 30 : 20 mm. Sehr breite (17 mm) Platte des
Domes.
Zwei kleine Schnällchen (Weissmetall) mit schmalem Dorn, 12 : 10 mm.
Reste von drei eisernen Schnallen, im allgemeinen 35 : 22 mm.
Zwei schwer zu bestimmende schmale Leisten aus Eisen und ein desgl. flacher
Ring, zusammengehörig und in ihrer Form und Lage wahrscheinlich als Be-
schlagstücke einer Gürteltasche anzusehen. Länge der Leisten 10 und 14 cm,
Ring 6 : 2 cm.
Von Töpfereien waren nur zwei Gefasse erhalten. Ein gelblicher
Topf mit abgedrehtem Rande; Höhe 13 cm, bei 12 cm lichter Weite. Leicht
gerillt.
Urne von grauer Färbung, Höhe 12 cm, Durchmesser des scharf abge-
setzten Bauches 17 cm; lichte Weite der Öffnung 15 cm, Oberteil gerillt. —
240
Endlich wurile das 5 'cm lange Bruchstück eines cylindrisch abgeschliifenen
Iläraatits, Blutsteins, erhoben. —
Inzwischen haben sich weitere archäologische Fundstellen bei Schierstein
ergeben, und zwar südöstlich von dem bisher geschilderten Frankenfriedhofe,
in dem \Yinkel zwischen der Chaussee nach Wiesbaden und dem Fahrwege
nach Mosbach. Es konnten daselbst zunächst am Nordwestrand des Lössbruches
des Herrn Dr. Peters in einer Tiefe von 2,20 m die Überreste einer, wie es
scheint, ursprünglich sehr grossen Mardelle nachgewiesen werden. Man fand
eine in der Mitte noch annähernd 20 cm mächtige Kohlen- und Aschenschicht
mit geschwärzten Gefassstücken von neolithischem Typus, aus welchem unter
anderem ein becherförmiges rohes, mit Steinchen durchsetztes Gefäss von 14,5 cm
Höhe und 12,5 cm lichter Weite rekonstruiert werden konnte, wie wir solchen —
ganz gleich in Form, Material und Mache — so häutig in den neusteinzeitlichen
Pfahlbauten der Ostschweiz, speziell des Bodensees, begegnen. Daneben fanden
sich einzelne, schwer bestimmbare Bruchstücke von Tierknochen und ein sehr
mürbes und defektes menschliches Seitenwandbeiu. Nach Angabe der Arbeiter
dürfte der ursprüngliche Durchmesser der ganzen Mardelle auf 9 — 10 m zu be-
rechnen sein.
In nächster Nähe hiervon, nordwestlich und dicht an der Wiesbadener
Chaussee, hatten die Herren Seipel aus Schierstein behufs Fundamentierung
eines Hauses den Löss in Quadratform mit 9,60 m Seitenlänge und bis zu etwa
1,50 m Tiefe ausheben lassen. Hierbei waren die Arbeiter seinerzeit auf die
Überreste von vier Skeletten gestossen, sämtlich in regelmässigen Abständen
je 2 und 2 von NW, nach SO. gelegen. Und es ist entschieden auffällig,
dass auch in dem von Lindenschrait beschriebenen Gräberfeld am Hinkelstein
bei Monsheim dieselbe nordwest - südöstliche Richtung der Gräber und ihre
Skelettreste beobachtet wurden. Zwei Skelette waren einfach in den Boden
eingebettet gewesen (sämtUche fanden sich etwa 80 cm unter der gegenwärtigen
Erdoberfläche) ; ein drittes, anscheinend einem jungen Individuum angehörig,
war mit einfachen Rollsteinen dürftig bedeckt; das vierte hatte jedoch eine
Unterlage von Kalkplatten, und scheint aus gleichen Platten eine sehr mangel-
hafte Grabkammer hergestellt gewesen zu sein. An Ort und Stelle wurden nur bei
Bestattung III noch verschiedene, sogenannte Wackensteine vorgefunden; am
Platze der Bestattung IV aber fanden sich zerstreut fast sämtliche, aus Cerithien-
kalk bestehenden, dünnen und unbearbeiteten Platten, welche die Grabkammer
gebildet hatten. Sie waren von unregelmässiger Form und schwankten zwischen
25 : 35 und 32 : 45 cm Breite und Höhe. Zwischen Grab III und IV war man
auf verschiedene Reste von Töpfereien gestossen ; es gelang nachträglich aus
einigen derselben die Profilierung eines sehr grossen urnenffjrmigen Gefässes
wieder festzusetzen und ist nach den gewonnenen Massen die Gesamthöhe
desselben auf 50 cm, der grösste Durchmesser des Bauches auf etwa 55, die
lichte Weite auf 42 cm anzusetzen. Der horizontale Boden zeigt 15 cm Durch-
messer; durchschnittliche Dicke der Bauchwandung 1 cm. Der nach seinem Fuss
hin steil abfallende Topf ist von graubrauner Färbung; sein 3 cm hoher Rand
ist scharf ausgezogen und den Hals umgiebt ein 2 cm hohes, mittels der Finger
241
erhaben ausgearbeitetes Sclmurornament. Interessant ist an dem nicht unbedeuten-
den Rand- und Bauchstück der Mangel eines Henkels, welcher durch zwei,
unterhalb des Halsornamentes angebrachte, 2 mm starke, Durchbohrungen der
Gefiisswand zum Durchziehen einer gedrehten Sehne behufs Auftiängen des
Gefässes ersetzt ist. Diese Locher befinden sich in einem Abstand von 3 cm
voneinander; ihnen würden zwei gegenüberliegende entsprochen haben. Der
obere Teil der Urne ist sorgfältig geplättet, der untere dagegen rauh gehalten
und lässt das Gefäss daher auf seine Verwendung zum Kochen schliessen.
Von menschlichen Überresten waren nur noch äusserst defekte Schädel-
bruchstücke vorhanden, welche eine Zusammensetzung nicht gestatteten. Merk-
würdig gut erhalten war dagegen der angeblich zu diesem Schädel gehörige
Teil des Ober- und Unterkiefers mit tadellosen Zähnen, welche beiderseits in
ganz auffälliger Weise horizontal abgeschliffen waren und damit auf vollständigen
Orthognatismus hinweisen.
Ein abschliessendes Urteil ist selbstverständlich im Augenblicke über die
neue interessante Fundstelle nicht abzugeben. Erst eine weitere sorfffältiffe
o OD
Untersuchung wird die gewünschten Aufschlüsse über diese, wie wir wohl trotz
der dürftigen bisherigen Erhebungen nicht ohne Wahrscheinlichkeit annehmen
dürfen, neolithische Begräbnisstätte liefern. Von Wichtigkeit für unsere Frage ist,
abgesehen von der in nächster Nähe gelegenen Mardelle, noch der ganz be-
deutende Umstand, dass bereits im Jahre 1876 (Ann. XIV, 431) der Konser-
vator, Herr Oberst von Cohausen, Schierstein als neusteinzeitliche Fischer-
station feststellen konnte, und zwar auf Grund einer Reihe einschlagender
Erhebungen aus der Ziegelei des Herrn Zimmermeister Jacob von der Rhein-
gewann am oberen Ende des Schiersteiner Hafens. In 180 cm Tiefe fanden sich
da im Löss ein geschliffenes, durchbohrtes Steinbeil, ein Bonaparteshut von
Lava, schwarze Topfscherben, Netzbeschwerer und andere aus Thon gebrannte
Gegenstände, gebrannter Lehmbewurf der Hauswand u. a. —
Schliesslich sei den Herren Dr. Peters und Seipel der beste Dank für
Überlassung der Fundgegenstände ausgesprochen mit der Bitte um weitere
gefällige Unterstützung.
16
Eine neue Knochenhöhle in Steeten a. d. Lahn.
Von
B* Florschütz*
(Mit 2 Abbildungen auf Tafel VIII.)
Durch freundliche Mitteilung des Herrn Bürgermeisters Eschhofe n zu
Steeten, kam uns im Frühsommer des verflossenen Jahres die Nachricht, dass
bei den nun einmal unvermeidlichen Absprengungen des devonischen Korallen-
kalkes in der durch die Annalenberichte (Annal. XIII, XV, XYI und XX)
berühmt gewordenen Schlucht „in der Leer" eine neue, wenn auch kleine Höhle
entdeckt worden sei.
Die Besichtigung derselben ergab ihre Lage südwärts von dem Wildhaus,
in der gleichen Kalkwand, doch um etwa 10 m höher und damit ungefähr 20 m
über der Thalsohle und dem damals durch Gewittergüsse angeschwollenen, roman-
tisch über die Felstrümmer der Leer hinschäumenden Wildbach. Der Anstieg zur
Höhle war nicht gerade ein bequemer zu nennen; wer nicht um einen steilen
Felsgrat herum auf schwindelndem Pfade sich ihr nähern wollte, war genötigt,
von unten auf über das abgesprengte, in der Sonnenhitze glühende Geröll
des Kalksteinbruches sich in die Höhe zu arbeiten, wobei allerdings ein nach
Anordnung des Herrn Oberst von Cohausen um einen schweren Steinblock
auf dem kleinen Plateau vor der Höhle befestigter, kräftiger Hanfstrick ebenso
auf- wie abwärts eine vorzügliche Unterstützung bot.
Die betreffende Höhle war angesprengt worden, und wie sich später er-
wies, an ihrem ursprüngUchen Eingang, der durch einen kleinen Schuttkegel teilweise
verdeckt gewesen war. Das durch die Sprengung gewonnene senkrechte Profil
ergab, bei einer Mächtigkeit des roten Höhlenlehmes von 1,55 m, eine Eingangs-
öffnung von 0,70 m Höhe, welche im Innern der Höhle bis zu 1,70 m anstieg.
Im Schuttkegel selbst waren bereits Knochenreste von Bos und Rhinozeros
gefunden worden.
Nach Ausräumung der Höhle, welche mittels zweier Arbeiter schon binnen
zweier Tage vollendet werden konnte, ergaben sich als absolute Masse für den
Eingang 2,25 m, für die so ziemlich in der Mitte gelegene höchste Höhe 4 und
für die Gesaratlänge annähernd 6 m bei einer grössten Breite von 2,50 m. Die
Höhle war keine einfache Spaltbildung im Gebirge, wie z. B. das Wildhaus;
243
sie erschien schon am abgesprengten Profil nach den verschiedensten Richtungen
ausgewaschen und ausgedreht, je nach den verschiedenen Widerständen, welche
die härteren und weicheren Partien des anscheinend homogenen Stringokephalen-
Kalkes den einwirkenden Kräften entgegengesetzt hatten. Gerade das gewonnene
senkrechte Profil gab ein typisches Bild für die eigentümlichen, scharf begrenzten
schneckenhausähnlichen Windungen, wie wir dieselben früher am Wildpütz,
dort mit senkrechter, hier mit mehr wagrechter Drehachse, kennen gelernt
haben, nur dass sie dort annähernd horizontal und damit parallel vorlaufen,
während hier — und besonders im Innern der Höhle — das krause Durch-
einander all' dieser parabolischen Ausschliffe einen frappierenden Eindruck her-
vorruft. Zwei enge, röhrenförmig ausgedrehte Gänge Hessen sich in der Decke
(der eine am hinteren Ende der Höhle) beobachten; ein dritter verlief in die
linke Seitenwand, doch konnten alle nur auf kürzeste Entfernung verfolgt werden.
Der Felsboden war nur in seiner hinteren Hälfte annähernd horizontal;
seine vordere bildete ein bis zu 0,50 ra überhöhtes, nach hinten sattelförmig aus-
geschweiftes Podium, das dann mit 30 cm steil abfiel und in der Mitte einen
schmalen Gang von kaum 30 cm Breite eben durch diesen Abschluss freiliess.
Der untere Teil der Höhle war bis zu einer Höhe von etwa 1 m mit
durchaus homogenem, fettigem, lebhaft rot gefärbtem Höhlenlehm ausgefüllt,
ohne Spuren diluvialer Reste. Über diese Grenze hinaus wurde der Lehm
lockerer, nahm ein immer dunkleres, aschen- und kohlenfarbiges Aussehen an,
um schliesslich das Aussehen und die Beschaffenheit eines mit Gesteinstrümmern
durchsetzten Waldhumus zu bieten. Die unteren Lagen dieser zwischen 30 bis
50 cm mächtigen Schicht boten die Fundgegenstände der Diluvialzeit; eine
Sinterdecke fehlte, wie ebenso Stalaktiten an den Wänden der Höhle.
Menschliche Artefakte waren nicht nachzuweisen ; dagegen zwei ausge-
dehnte Feuerstellen. Die erste befand sich am Eingang der Höhle und waren
ihre 1 — 2 cm starken, noch mit Holzkohlenresten durchsetzten Spuren an den
Seitenwänden sowohl wie auf dem Boden bis fast zur Mitte der Höhle zu ver-
folgen. Eine zweite fand sich in breiter Ausdehnung ini Hintergrund der Höhle,
50 cm unter der augenblicklichen Oberfläche. Auch siebesass nur eine Mächtigkeit
von 1 — 2 cm und wurde, wie ebenso die erste, einer genauen chemischen Unter-
suchung unterworfen, um jeden Irrtum auszuschliessen.
Über diesen Feuerstellen aber und ihrer nächsten Nähe lagen die Knochen-
reste der Mahlzeiten, welche die nomadisierenden Jägerhorden des Diluviums
sich dort zurecht gemacht hatten — des Pferdes, Auerochsen und der riesigen
Dickhäuter, die sie zu erlegen verstanden. Freilich nicht mittels tiefer Fall-
gruben, wie uns gewöhnlich gelehrt wird — denn für diese fehlten die ersten
Vorbedingungen : die geeigneten Werkzeuge. Wohl aber war gerade die tiefe
Schlucht der Leer insofern ein ausserordentlich günstiges Jagdterrain, als sie
selbst eine Art enger Falle darstellte, in welche man ein von seiner Herde
durch Geschrei und Feuerbrände abgedrängtes Tier sehr wohl hineinscheuchen
konnte, um es dann von den sicheren Höhen der steilen Felswände durch her-
abgerollte Steine und Felsmassen ungefährdet zu erlegen. Was von dem erlegten
Wilde mittels der primitiven Steinwerkzeuge abgeschnitten werden konnte, wurde
16*
244
dann in die nächste Höhle getragen und zum Mahle — noch ohne jede Töpferei
— zugerichtet. Dann zog die kleine Horde der Jäger weiter, um unter günstigen
Verhältnissen gelegentlich denselben Platz nochmals aufzusuchen, vielleicht auch
gefolgt von einer anderen Horde, welche demselben Jagdverfahren oblag.
In den Zwischenzeiten aber kamen Hyänen und kleineres Raubzeug, an
den Abfällen dieser primitivsten menschlicher Mahlzeiten fleissig Nachlese zu
halten ; das bezeugen ihre Nagespuren und ihre eigenen Überreste, speziell Zähne.
Im allgemeinen ist die diluviale Fauna der kleinen Höhle als eine kleine,
aber trotzdem recht interessante zu bezeichnen. Es fanden sich (nach den
freundlichen Bestimmungen des Herrn Konservator Römer) die Überreste von
Hyaena spelaea, Höhlenhyäne (Zähne);
Felis catus, Wildkatze (rnterkieferstück) ;
Canis [Vulpes] Spelaens minor, kleiner Höhlenfuchs (Eckzahn des
Oberkiefers) ;
Arvicola amphihius, "Wasserratte (Unterkiefer und Schneidezähne);
Bhinoceros UcJiorhinus, Nashorn mit knöcherner Scheidewand, Be-
gleiter des Mammut. (Ulna und Radius, sowie Humerus —
letzterer nach Herrn Hofrat Dr. Liebe vielleicht dem Rh.
Merkii zugehörig) ;
Equus cahallus, Pferd (Backen- und Schneidezähne, Mittelfussknochen,
Sprungbein, Ulna, Keilbein und anderes) ;
Cervus capreohis, Reh (Zehenglied);
Cervus, Edelhirsch (Backenzähne, Mittelfussknochen, Fersenbein u. s. f.);
Bos, Rind — ob Wisent oder Ur? (Ulna);
Mustela martes, Marder (Humerus).
Der Wilde Pütz bei Steeten.
Von
Ä* Y* Cohausen*
(Mit 5 Abbildungen auf Tafel X.)
Wir haben in den Annalen des Naseauischen Geschichts- und Altertuma-
Vereins, 1874, XIII, 397; 1879, XY, 329; 1882, XVII, 73 u. 1888, XX, 371
Bericht erstattet über die Höhlen bei Steeten an der Lahn, und dabei ausser
der vorgeschichtlichen Menschen- und Tier-Reste insbesondere auch des Wilden
Putzes Erwähnung gethan.
Es ist dies eine schachtartige, runde Vertiefung von durchschnittlich
1,10 m Durchmesser mit Ausreifelungen der Wände, welche aus wagrechten
Hohlkehlen von 4 bis 10 cm Tiefe bestehen, welche][sich bald scharfkantig
begrenzen, bald zu weiteren Hohlkehlen verbinden (Abb. 2).
Ehe der Wilde Pütz von den hineingeworfenen Steinen und Schutt befreit
war, konnte man wohl denken, einen Gletschertopf vor sich zu haben; allein
diese sind im Gletschergarten zu Luzern immer nicht schacht-, sondern
trichterförmig und haben z. B. bei 1,30 m oberem Durchmesser eine Tiefe
von 3 m, bei 2 m Durchmesser 3,50 m und bei 8 m Durchmesser eine Tiefe
von 7,50 m.
Man nimmt an, dass ein aus einem Felspalt auf eine Felsplatte sich herab-
stürzender Wasserstrahl Steine mit hinabgerissen und dadurch, dass er diese
auf der Platte bewegte, auch wohl in drehende Bewegung gesetzt, das Gestein
ausgebohrt habe. Dabei musste aber nicht nur für das von keinem Wind
bewegte hinabstürzende Wasser, auch für das ausweichende Wasser Raum
erzeugt werden, und daher die trichterförmige Gestalt entstehen.
Bei grösser werdender Tiefe setzte die bereits unten befindliche Wasser-
masse der herabstürzenden einen Widerstand entgegen, sodass diese in der
Tiefe keine Gewalt mehr ausüben konnte (Abb. 2).
Dies musste auch in dem (trotz der Auskehlungen) cylindrisch bis zu
7,30 m Tiefe hinabreichenden Wilden Pütz eingetreten sein und die Bewegung
der untenliegenden Steine unmöglich gemacht haben.
Gegen diese Gletschertopf-Theorie spricht aber, ausser der cylindrischen
Form des Schlotes, auch seine etwas nach Westen geneigte Lage, und dass
man in der Felswand, an der er hinabgeht, aufwärts eine Rinne mit'halbkreig-
246
fürmigem Querschnitt, als Fortsetzung des Schlotes, noch um mindestens' ebenso
viel nach der Höhe, als er nach der Tiefe geht, hinaufziehen sieht. Es ist die
Hälfte des Schlotes, dessen andere Hälfte abgestürzt ist, und hat auch dieselbe
geneigte Lage, sodass der ganze Schlot mindestens 15 m Höhe hatte. Seine
obere Mündung hört mit den Felsen auf und lag vielleicht noch höher. Er
wurde allmählich mit Steinen und Schutt fast angefüllt, damit niemand hinab-
stürzen möge.
In der Fortsetzung der Felswand über dem Wilden Pütz sieht man noch
mehrere solcher aufsteigenden Rinnen, welche wohl ähnlichen Schloten an-
gehört haben.
Das Thal, die Leer genannt, weil gewöhnlich kein Wasser durch das-
selbe fliesst, ist der Durchbruch durch eine dolomitische Strinchocephalen-
Kalkbank, welche mit einer Länge von etwa 250 Schritt und einer Breite von
30 Schritt ein weiteres wasserreiches Thal staute und den Bach nötigte, unter-
irdisch unter den zertrümmerten Felsen der Leer hin nach der Lahn zu fliessen.
Der genannte Durchbruch hat durch seine senkrecht aufsteigenden Felsen und
durch deren eckige Bruchstücke, zwischen denen nach Regengüssen die Leer-
bach sich durchwindet, ein neues, unfertiges Ansehen, das ihm, durchwachsen
mit Buchen-Bäumen und Hecken, einen hohen Reiz gewährt.
Im Sommer 1891 kamen die Steinbrecher, welche wegen der hydraulischen
Eigenschaft des Kalkes leider das schöne und merkwürdige Thal zerstören
werden, auch auf einen auf der anderen, linken Seite des Thaies schräg auf-
steigenden Schlot von beistehender Form (Abb. 3). Er war, soweit er messbar war,
14,30 m lang, und 60 bis 100 cm weit rundlich ausgehöhlt, war grösstenteils
ganz leer und enthielt nur etwas roten Thon. Seine Wände zeigten oben einige
grössere Tropfsteinbildungen, die aber unten bald aufhörten; an ihre Stelle
traten zellenförmige Auswaschungen, wie ich solche an einem Turm von Kalk-
bossenquadern auf dem Ehrenberg bei Wimpfen gefunden hatte.
Die Art, wie Vertiefungen oder Höhlen in einem Felsen, vorzugsweise
Kaikfeisen entstanden sind, kann eine mehrfältige sein.
1. Durch die auswühlende Kraft eines aus der Höhe herabstürzenden
Wasserstrahles — Strudel oder Gletschertöpfe (Abb. 2).
2. Durch die weitere Ausspülung und Ausreibung einer Felsspalte, durch
welche das Wasser strömt und Bachkiesel und Sand mit sich führt. So fanden
wir das enge Wildhaus bei Steeten auf dem Grund mit gerollten Steinen
erfüllt. Waren auch die Seiten mehr angegriffen, so waren Ströme von den
Seitenwänden, auch wohl von der Decke herabgestürzt, wodurch sich die Höhle
erbreitert und erhöht hatte. Sie würde auch wohl mit Tropfstein bekleidet
worden sein, wenn eine mächtigere Kalkschicht über ihr gelegen, welche aus-
gelaucht, sich dann wieder als Tropfstein niedergeschlagen hätte.
3. Eine dritte Art der Höhlenbildung, wie sie auch im Sandsteingebirg
vorkommt, geschieht dadurch, dass sich eine, wenn auch unbedeutende Quelle,
durch einen wagerechten oder senkrechten Spalt durchdrängt und das nächste
Gestein feucht erhält, wo dann durch Frost oder Thau immer kleine Körner
abgesprengt werden und die Höhlung vergrössern. Dieselbe Wirkung kann
24T
auch eintreten, wo ein feuchter Niederschlag auf dem kalten Gestein .sich an-
setzt und Frost oder Thau dasselbe Spiel treiben. So mag die Wilde Scheuer
auf dem linken Ufer der Leer, vorn 6 m breit und 7 m hoch und immer
enger werdend, ihre 18 ra Länge und ihre Weite erlangt haben.
Wir haben hier dreierlei Höhlenbildungen in bestehendem hartem
Kalkgestein vor uns. Wir fragen nun weiter, was geschieht unter den nach-
stehenden Verhältnissen ?
Am Fusse eines Gebirges bricht eine Süsswasserquelle, deren Sammel-
Becken hoch oben liegt, hervor. Sie wird, wenn der Druck stark ist, sich wie
ein Springbrunnen erheben, und, wenn sie kalkige oder kieselige Bestand-
teile hat, wie die Geyser in Neuseeland oder Kolorado, ein Becken um
sich herum niederschlagen, ja eine Art Rühre bilden. Ist ihr Wasser rein, so
wird letzteres nicht geschehen.
Was wird aber dann mit dem stark auftreibenden Quellstrahl entstehen,
wenn sich das Thal am Gebirgsfuss mit einem Meeresarm füllt? (Abb. 4.) Es wird je
nach der Stärke des Druckes die Quelle, wenn nicht als Springbrunnen, doch
als aufquellender Wasserhügel über dem Seespiegel sich bemerkbar machen,
wie z. B. im Hafen von La Spezzia, oder auch wohl an der norwegischen
Küste, sodass es Anstrengung kostet, auf den Hügel einen Kahn hinaufzutreiben.
Das Meer aber wird seine festen Bestandteile, seinen chemisch gelösten (strincho-
kephalen) Kalk fortfahren niederzuschlagen, die Quelle aber wird sich ihre
Mündung und ihre Bahn im Meereswasser etwa so freihalten, wie eine Rauch-
säule aus einem Kamine in die freie Luft aufsteigt, — rund in ihrem
wagerechten Querschnitt und wolkig in ihrem senkrechten Aufriss, Sie wird
ziemlich senkrecht aufsteigen, jedoch auch, wenn eine Meeresströmung sie
zwingt, mehr oder weniger geneigt ihr folgen, immer eingeengt, aber nicht ver-
hindert durch die Jahrtausende fort und fort stattfindenden Meeresniederschläge,
die sich ruhig aufbauen, aber die Quellenströmung freilassen. Es wird in dem
allmählich sich bildenden Gestein eine Röhre entstehen, welche in Quer- und
Längenschnitt wie eine Rauchsäule oder auch wie die Schlote in der Leer
sich gestalten werden (Abb. 5).
Die Quelle durchdringt also nicht ein fertiges Gestein, sie spült sich
keinen Weg aus, sondern sie steigt in dem Seewasser auf und dessen Absatz
respektiert den Weg der süssen Quelle und setzt nur neben diesem seinen
Niederschlag ab.
Ob dies ausreicht, auch die mehr wagerecht liegende wolkenähnliche
Gestalt der vorstehenden und einiger anderer Höhlen in der Leer zu erklären,
wollen wir hier nicht durchzuführen versuchen.
Grabscbrift des Gustav Ernst von Seydlitz
zu Nastätten.
>Iitgeteilt von Fr. Otto.
In der evangelischen Kirche zu Nastätten findet sich nachfolgende Inschrift
(s. S. 249) auf dem Grabstein des Gustav Ernst von Seydlitz ; wir geben sie hier
mit ihren Sonderbarkeiten in der Orthographie (quoeris, proefectus und sogar
Spartoe; charus und moestus entspricht der früheren Schreibung) wieder und
fügen einige erläuternde Bemerkungen hinzu.
Der Grabstein, welcher die genannte Inschrift trägt, stand früher auf-
recht in der evangelischen Kirche zu Nastätten, an die Wand gelehnt. Hier schrieb
sie vor längerer Zeit Herr Oberst von Cohausen ab. Später erregten ihm
einige Worte Bedenken, doch gelang es ihm nicht eine Vergleichung seines
Textes mit dem Originale herbeizuführen, zumal da der Stein aus seiner ur-
sprünglichen Stellung inzwischen entfernt worden war. Glücklicher war der
Verfasser dieser Zeilen. Auf seine Bitte verglich der jetzige Pfarrer von Nastätten,
Herr Klein, in höchst dankenswertem Entgegenkommen die Abschrift mit dem
Original und stellte nicht allein dadurch den Wortlaut derselben sicher, sondern
fügte auch noch die Resultate weiterer Nachforschungen in den Archivalien
seiner Kirche u. s. w. hinzu, welche es möglich machten die folgenden Bemerk-
ungen zur Erläuterung niederzuschreiben.
Ehe wir die Grabschrift selbst betrachten, schicken wir voraus, dass der
Flecken Nastätten zur Zeit von Seydlitz Tod zu dem hessen- kasselischen Amte
Reichenberg in der Nieder-Grafschaft Katzenelnbogen gehörte^) und nach dem
Vertrage von 1648 mit diesem an die rheinfelsische Linie von Hessen vorbe-
haltlich der Landeshoheit, der Regalien und der Kriegsbesatzung abgetreten
worden war^; die dort stehenden Truppen waren also dem Landgrafen von
Hessen-Kassel untergeben. Eine Abteilung derselben stand unter einem Oberst
zu Nastätten. Der Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels hielt am 30. März
1649 den Einzug in seine Residenz St. Goar (Rheinfels)'^); in der Mitte des
folgenden Jahrhunderts fiel das ihm überlassene Gebiet an die Hauptlinie zurück.
•) Büschini?, Erdbeschreibung, 1768, VII, S. 1093. — *) Rommel, Geschichte von
Hessen, VIII, .S. 771; IX, S. 'JO. — ') Grebel, Geschichto der Stadt St. Goar, S. 130.
249
Quoeris quis fuerim
Viator!
fui
GVstaVus Ernestus a Seidlitz
nobilis Silesius
iiatus
die XI. Aug. MDCXXCVI
Castra secutus
Iiiter Copias Hasso-Suecicas
Maioris excubiarum proefecti
Vices gessi
üxorem charissimam
reliqui
Viduam moestissimam
Annam Elisabelham Phillippiuam
Natam de Westerfeld
Illustrium parentum
P'ilius undecimus
sine prole
febri acuta
decessi
die XIJI. Maii
GVstaVI ErnestI a SelDLItz
VIrtVtis honorl
Et Spartoe et generl
Moesta reLICta
ponit.
250
Kommen wir jetzt zu dem Inhalt der Grabschrift. Sie teilt zunächst mit,
dass der Edle nobilis) Gustav Ernst von Seydlitz aus Schlesien am 11. August
1686 geboren war und in hessen-schwedischen Diensten die Stelle eines Oberst-
Wachtmeisters bekleidete (major excubiarum praefectus). Hessen-schwedisch
heissen diese, weil der Landgraf Friedrich von Hessen-Kassel; welcher seinem
Vater Karl am 13. März 1730 in der Regierung gefolgt war, als Gemahl der
Künigiu Ulrike Eleonore von Schweden zur Zeit von Seydlitz Tode zugleich
König von Schweden war.
Von Kriegsthaten berichtet die Inschrift nichts, obgleich es wahrscheinlich
ist, dass Seydlitz während seiner ersten Dienstjahre mehr als einen Feldzug im
spanischen Erbfolgekriege mitgemacht hat, freilich in untergeordneter Stellung.
Seit dem Ende dieses Krieges gab es für die hessischen Truppen keine Ge-
legenheit zu Kriegsthaten, und Seydlitz mag im Frieden langsam zu höheren
Stellungen aufgerückt sein.
Sodann erfahren wir, dass er mit Anna Ehsabeth Philippine von Wester-
feld vermählt war und dass er, selbst der elfte Sohn seiner „erlauchten" Eltern,
kinderlos starb. Welcher Linie des weitverzweigten Geschlechtes der Sevdlitz er
angehörte, wird nicht gesagt, auch die Namen der Eltern werden nicht genannt
und können hier nicht angegeben werden, da ein erschöpfender Stammbaum
der Familie nicht vorliegt. Vielleicht veranlassen diese Zeilen zu weiteren
Nachforschungen über die Vorfahren und Verwandten des berühmten Reiter-
generals Friedrichs des Grossen.
Ferner erzählt der Stein, dass die betrübte Witwe das Denkmal setzen
Hess, und gibt in einem lateinischen Distichon durch die in Unzialen einge-
meisselten Zahlbuchstaben das Jahr an, in welchem am 13. Mai Seydlitz aus
dem Leben schied; die genannten Buchstaben ergeben die Zahl 1730\); er war
gerade zwei Monate, vom 13. März bis 13. Mai 1730 hessen-schwedischer
Oberstwachtmeister gewesen. Wir setzen die beiden Verse in lateinischer und
deutscher Sprache hier nebeneinander :
Gustavi Ernesti a Seydlitz virtutis honori
Et Spartae et generi maesta relicta ponit^).
Trauernd geweiht von der Witwe dem trefflichen Edlen von Seydlitz,
Gustav Ernst: er war treu im Beruf) und geehrt.
') Die Zahlen sind: MDCLLVVVVIIIIIIIIII = 1000 + 500 + 100 -\- [2 x 50 =J
100 + [4 X 5 =] 20 f [10 X 1 =] 10 = 1730. — 2) !„ dem Worte ponit steckt ein
Fehler gegen die Prosodie; der Verfasser der Inschrift bedurfte hier noch eines jambischen
oder pyrrhichischen Wortes (^_/ — . v^ \^') mit dem einen Zalilbuchstaben i; um den letz-
teren zu gewinnen, wählte er ohne Bedenken das Präsens von ponere, da das Perfect drei-
silbig ist und zwei Zahlbuehstaben (Vf) enthält, musste sich aber dabei die Kürzung des o
in pOnit erlauben. — ^) Dies (Beruf j bedeutet das Wort Sparta nach dem aus dem Griechischen
(des Euripides) entlehnten Sprichwort bei Cicero ep. ad. Att. IV, 6, vergl. I, 20: Y.r.äpxa-j s/^-xx^;,
ta^Tav v-oitist = Spartara nactus es, -hanc orna, d. h. dir ist Sparta zugefallen, schmücke es
(= sorge für es). Auf diese Stellen Ciceros hin haben spätere und namentlicli neulatciuische
„Eleganzen-Jägor" das Wort Sparta für den Begritf Amt, Gescliäft, Beruf angewendet.
251
Die Aogabeu über das Alter, den Todestag und die dienstliche Stellung
von Seydlitz bestätigt das Kirchenbuch der evangelischen Pfarrei zu Nastätten ;
hier heisst es in dem Verzeichnis der (Jestorbenen des Jahres 1730:
„Gustav Ernst von Seydlitz'), Obristwachtmeister unter dem Wilckischen
Regiment, gestorben den 13. Mai, begraben am 17. Mai zur seiten des Altars
nach der Sakristei zu noch etwas unter seinem Stuhl, alt 43 Jahr U Mon. 2 Tag."
Daraus, dass Seydlitz einen eigenen Stuhl in der Kirche hatte, könnte
man schliessen, dass er ein Mann von kirchlicher Gesinnung war, wenn sicher
wäre, dass dieser Stuhl der Familie angehörte und nicht etwa mit der Stelle
eines Oberstwachtmeisters verbunden war.
Ausser dem genannten aufrecht stehenden Grabstein findet sich aber noch
ein zweiter vor, welcher auf dem Boden — sicherlich über der Gruft selbst —
lag; er hat gleichfalls eine Inschrift, welche, wie Herr Pfarrer Klein mit-
teilt, sauberer und gleichmässiger und zwar in Unzialen ausgeführt ist; sie lautet:
„Alhier ruhet der hochwohlgeborene Herr, Herr Gustav Ernst von Seydlitz,
seiner königlichen Majestät von Schweden und Landgrafen von Hessen gewesener
Obristwachtmeister. Starb den 13, Mai 1730."
Der Name des Wilckischen Regiments, bei welchem nach dem Sterberegister
Seydlitz stand, erscheint in dem genannten Kirchenbuche zuerst in dem Monat
September des Jahres 1728: doch wird schon 1725 Wilcke auf dem Grabsteine
seiner Frau (f im Jahre 1725) genannt, während das Regiment hier als Wutge-
nauisches bezeichnet wird. Die von Wilcke waren ein niedersächsisch-thüringisches
Geschlecht; ein Volrat von Wilcke, wohl der unsrige, starb im Jahre 1744 als
hessen-kasselischer Oberst.^)
Herr Pfarrer Klein fand ferner unter alten Papieren das Konzept eines
Schreibens, das mit dem Tode des Seydlitz in naher Verbindung steht und das
wir deshalb ebenfalls hier mitteilen. Die Witwe errichtete nämlich bald nach
dem Tode ihres Gemahls eine Stiftung zum Besten der Armen von Nastätten;
sie bestimmte, dass die Zinsen eines Kapitals von 100 Gulden alljährlich unter
die Armen von Nastätten lutherischer Konfession verteilt werden sollten. Das
Schriftstück lautet :
„Wir zu End unterschriebene bezeugen und bekennen hiermit krafft unserer
eigenhändigen Unterschrift, dass Ihro hochwohlgebohrne Gnaden die Frau ....')
von Seydlitz gebohrne von Westervelt nach todtlichem Hintritt Ihro Hochfrey-
herrlicher Gnaden des weyland*) Hochwohlgebohrnen Freyherrn Gustav Ernst
von Seydlitz gewesenen Oberstwachtmeister unter dem hochloblichen Obrist
Baron von Wilckischen Regiment in Diensten Ihro Königlichen Majestät in
Schweden aus Christlicher liebe und zur beforderung der Ehr Gottes und Ewigen
Christlichen Andencken zu einer^) lutherischen Kirchen in Nastätt vermacht ein
capital von hundert Gulden, davon jährlich unter die Armen die Zinsen sollen
') Die Inschrift des Denkmals schreibt Seidlitz, die weiter unten folgende Seydlitz.
Die Schreibung des Namens war früher willkürlich. — -) Kneschke, Deutsches Adelslexikon,
IX, S. 571. — *) Die Vornamen fehlen. — ') Nach dem Worte , weyland" ist übergeschrieben
das Wort „manvost", wie es scheint, ebenso nach dem folgenden „Hochwohlgebohrne". —
*) Übergeschrieben „der evangelisch'".
252
ausgetheilt werden, und dass nach der Christlichen intention Ihro Hochwohl-
gebohren capital . . . .^) an gewisse leute, davon die Zinsen zur bestirnten Zeit
können erhohen werden, soll verleiht und die fallende Zinsen zum besten der
Armen angewendet werden."
Die Unterschriften fehlen ; das Schreiben scheint gerichtet an das hessische
Konsistorium; denn das besagt eine langatmige Anrede, die jedoch verkehrt
auf derselben Seite des Papieres geschrieben ist. Ausserdem enthält es auf
beiden Seiten viele Notizen von Ausgaben und deren Addition, und da zu einer
die Jahreszahl 1731 zugefügt ist, so wird das Schreiben alsbald nach dem
Tode von Seydlitz verfasst sein. Was es für einen Verlauf mit der Stiftung
nahm, ist aus anderen Aufzeichnungen nicht zu ersehen gewesen ; zur Zeit be-
steht eine solche nicht mehr für sich zu Nastätten.
Wir kommen zum letzten Punkte, zu dem Wappen, welches die Inschrift
abschliesst. Dasselbe ist das noch jetzt von der Familie geführte. Wir teilen
es deshalb in der ursprünglichen Form hier nicht mit, sondern benutzen lieber
die Gelegenheit, um ein anderes, aus anderen Gründen interessantes, ab-
zudrucken-) ; es stimmt mit jenem in seinen Hauptteilen vollständig überein,
fügt aber noch eine lateinische Umschrift hinzu. Mit diesem Wappen und der
Umschrift hat es nach der gef. Mitteilung des Herrn Generallieutenant
v, Seydlitz Excellenz dahier, in dessen Besitz «ein Abdruck des Originals sich
befindet, folgende Bewandnis.
Es befindet sich das Wappen auf dem Bruchstücke eines Steinzeugkrugs,
welcher in dem nassauischen Kannenbäckerlande im Jahre 1685, wie es in der
über dem Wappen zugefügten Jahreszahl selbst sagt, verfertigt ist; wir haben
an ihm also eine Probe der Kunstfertigkeit in diesem Industriezweige, wie sie
vor zweihundert Jahren war. Der Krug gehörte einem Zweige der Familie
von Seydlitz an, welche den Adel abgelegt und in der Stadt Köln sich dem
geschäftHchen Leben gewidmet hatte, um, wie die Umschrift uns belehrt, durch
eigne Kraft und Thätigkeit sich eine Stellung in der menschlichen Gesellschaft
zu erringen, welche anderen — und ihr selbst — die Abstammung ohne eigne
Mühe darbot. Darauf weist also die Umschrift hin ; sie ist entlehnt den Meta-
morphosen des Ovid und zwar der Rede des Ulysses entnommen (XIII, 140), in
welcher dieser seine Ansprüche auf die Waffen des Achilles gegenüber den
leidenschaftlichen Worten des Ajax, der sich u. a. auf seine hohe Abstammung be-
rufen hatte, auch damit begründet, dass nicht die Geburt und die Ahnen oder
das, was wir nicht selbst uns geschaffen haben, unser wirkliches Eigentum sei.
Die Worte lauten bei Ovid im Zusammenhang der Rede also :
Nam genus et proavos et quae non fecimus ipsi,
Yix ea nostra voco.
Denn das Geschlecht und die Ahnen und was nicht selbst wir errungen,
Nenne ich kaum noch das unsre.
Damit nun diese Worte auch ausser dem Zusammenhange für sich stehen
konnten, musste nam (denn) wegfallen ; am einfachsten wäre gewesen, es in et.
•) Unleserliches Wort. — -) S. oben S. 249 ; es ist ungutTihr um zwei Drittel verkleinert.
253
entsprechend dem folgenden et, umzuändern. Es beliebte aber dem Ver-
fasser der Umschrift ein anderer Weg, welcher das ganze Satzgefüge zerstörte
und ihn veranlasste einen Fehler gegen Prosodie und Metrik zu machen. Er
dichtete (so lautet nun die Umschrift) :
Quod genus et proavus et que non fecimus ipsi,
Vix ea nostra puta.
"Was das Geschlecht und der Ahn, nicht wir uns selber errungen,
Ist wohl das unsere kaum. (Oder : Kaum ist's, glaub' es, das unsre.)
Ein Fehler ist, dass die letzte Silbe von proavus als Länge gebraucht ist; statt
quod hätte es wenigstens quae, entsprechend dem folgenden quae (vielleicht
erst der Steinkrugverfertiger machte daraus que), heissen sollen; die Änderung
von voco in puta ist annehmbar.
Ist auch so der Vers nicht gelungen, so bleibt er immerhin ein Zeugnis
für den wackeren Sinn des Auftraggebers und arbeitsamen Bürgers Seydlitz.
Der römische Grenz wall.
von Cohaiiseii und Mommseu.
Der bekannte Professor Mommsen hat um Weihnachten 1890 eine Kon-
ferenz nach Heidelberg berufen, deren meiste Mitglieder sich mehr oder minder
teils theoretisch, teils praktisch mit dem römischen Grenzwall beschäftigt hatten.
Sie bestand aus neun Männern (die wir, jeden in seiner Art, hochschätzen),
immer aus den Ländern, durch die der Grenzwall zieht, nämlich dem Professor
Dr. V. Brunn, General K. Popp aus Bayern; Prof. Dr. v. Herzog und
Finanzrat Dr. Paulus aus Würtemberg; Prof. und Oberbibliothekar Dr. Zangen-
meister und Geheimer Hofrat Dr. Wagner aus Baden; Fr. Kofi er aus
Hessen; Major von Leszczynski und Prof. Dr. Nissen aus Preussen. Zu
ihnen wurden noch als Sachverständige mit beratender Stimme der Kreisrichter
Conrady für Bayern und der Baumeister Jacobi für Preussen beigezogen.
Es ist nun Jedem, dem die Litteratur des Grenzwalles nur irgend bekannt
ist, aufgefallen, dass der Unterzeichnete nicht in die Konferenz gewählt worden
war, — nur ihm selbst nicht.
Nachdem ich im Jahr 1884 mein Grenz wallwerk (Wiesbaden bei Kreidel)
herausgegeben hatte, hat der bekannte Prof. Mommsen im darauffolgenden
Jahr 1885 den fünften Band seiner römischen Geschichte veröffentlicht.
Darin hat er, wo er vom Grenzwall spricht, eine grosse Zahl der von mir
zum erstenmal dargelegten Ergebnisse und Ansichten aufgenommen.
Das war recht, und dafür war mein Buch geschrieben ; es konnte mich
nur erfreuen und mir als Bestätigung dienen, wenn ein so bedeutender Schrift-
gelehrter es benutzt ; und ich konnte daraus ersehen, wie meine auf Thatsachen
und Entdeckungen beruhenden Angaben und Ansichten auch mit den römischen
Schriftstellern und Inschriften übereinstimmen und von keinem widersprochen
wurden.
Prof. Mommsen würde sich noch dieser Ausnutzung an meiner Arbeit
haben erfreuen brnnen, wenn er zu seinen sonstigen ausgezeichneten Eigen-
schaften auch die der willigen Anerkennung und der Bescheidenheit hätte.
255
Um so befremdender war es, als der Herr Professor nach aller Verwertung
der praktischen Resultate meiner Arbeit es nicht unterlassen konnte, von «einer
Kathederhühe herab, und unter dem unbezweifelten Beifall seiner zahlreichen
Trabanten im Philologenkreise, auszusprechen, dass dem Verfasser des Grenz-
wallwerkes auch die obertiächlichste Kenntnis der lateinischen Sprache wie der
römischen Kriegsaltertümer abgehe. Was ihm so die Laune vergällt in meinem
Buch? oder dass es erschienen ist? weiss ich nicht.
Jedenfalls war es ein hartes Urteil gegen Einen, der seinen lateinischen
und griechischen Gymnasial-Kursus, wie er hoffte, nicht vergeblich durchgemacht
hatte, und dem die trefflichsten Klassiker- Ausgaben, Kommentare, Übersetzungen
und Erläuterungen zu Gebot standen, mit denen jene Herrn uns das Altertum
eröffnet zu haben glaubten und uns oft recht erheitert haben.
Auch über meine Kenntnis des römischen Kriegswesens konnte mein Grenz-
wallwerk, meine Rekognoscierungen für Napoleons Leben Cäsars, wohl auch
der Legionär, den ich Seiner Majestät dem hochseligen Kaiser Wilhelm vor-
führen durfte, eine etwas bessere Censur erwarten lassen.
Alles das glaubt der bekannte Prof. Mommsen besser zu wissen und
soweit es ihm schriftlich auf den Tisch gelegt worden ist — wird es wohl
auch so sein. Dagegen werde ich wieder andere Dinge besser verstehen als er.
Wer das Altertum verstehen , und anderen verständlich machen will,
muss die Gegenwart kennen. Wie aber steht es mit seinen militärischen, mit
seinen technischen Kenntnissen der Neuzeit, hat er ein L^rteil über das Gelände,
das wir Terrainkenntnis nennen und über seine geognostischen Unterlagen, weiss
er, was zum eigenen Klarsehen so nötig ist, das, was er ausdrücken möchte,
durch Messung und Zeichnung darzustellen? Ich fürchte, er würde in diesen
Fächern kein besseres Zeugnis bekommen, als er mir ausgestellt hat.
Ich berühme mich durchaus nicht hoch, wenn ich sage, dass Prof. Mommsen
nicht im stände ist, das zu leisten, was ich in Feld und Wald und altem Gemäuer
geleistet habe.
Ich sage daher, er hat Recht, wegen dem, was er selbst nicht kann, sich
mit einem Kreis von Männern zu umgeben und nicht nach mir zu verlangen,
der ich nicht wohl mit ihm gegangen wäre. Er hatte recht, sich Männer zu
wählen oder wählen zu lassen, die ihm das, was in zahlreichen Vereinsschriften
zerstreut liegt, wohlgeordnet auf den Studiertisch legen, die ausgehen, um das
aufzusuchen, was noch Thatsächliches fehlt, damit er das daraus zieht, was er
in Schrift und Inschrift nimmer fände.
Ich sehe in ihm wie in jedem tüchtigen Philologen willkommene Gehilfen,
die herbeifahren, nicht nur was die klassischen Archäologen bedürfen, sondern
auch die Archäologen, welche sich mit der prähistorischen Kultur und der Ur-
geschichte Deutschlands beschäftigen, um das Gebäude aufzubauen, dessen Steine
in zahlreichen Gräber- und Höhlenfuuden aufbewahrt sind.
Mommsen hat versucht, seine Tafelrunde mit einer Art von Instruktion
zu versehen.
25ä
Da ich nun seit langefii mit dem Grenzwall in einem Verhältnis stehe,
ich möchte sagen, in einem erinnerungsreichen Verhältnisse stehe, und es mir
nicht um Streit, in dem es dem Herrn Professor nicht an Trabanten und
Lanzen fehlen würde, es mir auch nicht um das Rechthaben zu thun ist, so
werde ich mich über jede Bestätigung meiner Beobachtungen und Meinungen
freuen, aber noch mit erhöhtem Interesse jede gute "Widerlegung derselben lesen.
Wer sich mit dem Grenzwall beschäftigt hat, weiss, dass sein Studium ziemlich
hoch hinaufreicht, und dass gar Vieles zerstört ist, was z. B. vor 70 Jahren noch
dastand; dass es sich also um ein genaues Studium der bezüglichen Schriften
handelt, und dass ihren Fingerzeigen nachzugehen ist.
Der „Verein für nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung"
wurde 1822, eigentlich schon 1817 und zwar ursprünglich zum Zweck der Er-
forschung des Pfahlgrabens gegründet, und hat durch Männer wie Habel,
Rössel, Luja, F. W. Schmidt, Hanapel, Preuschen und Andere diese
Studien stets fortgesetzt. Aus dieser frühen Zeit, wo kein anderer Verein das-
selbe Ziel verfolgt hat, wurde eine grosse Anzahl von Schriftstücken und
Zeichnungen aufbewahrt, und zum teil in den Annalen des Vereins veröffent-
licht, welche jetzt, weil die Gegenstände zerstört sind, unmöglich zu beschaffen
wären.
Als ich als königlicher Konservator für das ehemalige Herzogtum eintrat,
und mir den Grenzwall zur ersten Aufgabe gestellt, stand mir dies Akten-
material bleibend offen und that mir, als ich, vom Königl. Ministerium und
dem Verein unterstützt, zeichnend und messend dem Grenzwall folgte, die
besten Dienste.
Es mussten mir bei diesen Gängen viele praktische Fragen aufstossen,
die natürlich dem Herrn Professor wohl kaum in den Sinn kommen konnten;
denn anders denkt ein an den Schreibtisch Gewöhnter — und mit anderen Ge-
danken kommt ein mit der freien Natur Vertrauter aus Wald und Flur
zurück.
Daher ist die Instruktion, die er seinen Ausgesandten gab, wenn sie nicht
selbst das Beste mitbrächten, recht ungenügend. Da ich aber wegen meines
oben erwähnten Verhältnisses zum Grenzwall, und weil ich einige Erfahrungen
an ihm gemacht, und dabei doch manche Frage ungelöst lassen musste, für
die ich mich fort und fort interessiere, so erlaube ich mir, die Mommsen'sche
Instruktion zu ergänzen, indem ich den Kommissions-Mitgliedern teils Fragen,
teils Ansichten vorlege, die bei ihren Arbeiten zu berücksichtigen ich sie bitte.
Agenda zur weiteren Untersuchung des Grenzwalles.
1. Vor allem und allgemein lege ich der Untersuchungskommission ans
Herz, das noch Bestehende auch der Nachwelt zu erhalten, damit die
vom Reich gewährten Mittel nicht einen Vandalismus zum Erfolg
haben und jedem Bauer, jedem Wegbauer die Stelle zeigen, wo er
257
Steine für seinen Gebrauch holen kann, sondern dass sie keine Untersuch-
ungsstelle verlassen, ehe sie gemessen, gezeichnet und eingetragen ist,
und wenn sie nicht unter bleibende Aufsicht gestellt, und in bewährter
Weise erhalten werden kann, wieder mit Erde bedeckt werde.
2. Ich glaube zuerst dem Grenzwall eine militärische Bedeutung ab- und
die einer Zollgrenze zugesprochen zu haben, was auch Prof. Mommsen
acceptiert hat. (G. W. 348.)
3. Gegen kleine Raubzüge war er gut. (G. W. 348.)
4. In dieser Eigenschaft wirkte er zum Schutz, nicht zur Unterdrückung
der Landeseingeborenen. (G. W. 348, 349.)
5. Es war daher billig, dass sie dazu auch etwas leisteten, zu seiner Be-
wachung beitrugen, teils in zahlreichen Hilfskohorten in den Kastellen,
teils als Wächter auf den Türmen. (G. W. 340.) Danach berechnet
sich die Zahl der Mannschaften (nicht der Legionsheere) je nach dem
zeitweiligen Kriegstheater.
6. Der Lauf des Grenzwalles ist auf lange Strecken auf seine strategisch
guten oder schlechten Eigenschaften betreffend seines Yor- und seines
Rückzugs-Geländes zu prüfen.
7. Auch auf kurze Strecken ist er in gleicher Weise auf seine taktischen
Mängel oder Vorteile zu prüfen.
8. Es ist nach den Motiven zu suchen, welche nicht im Gelände, sondern
etwa in Volks-, Gau-, Gemeinde-Rechten — die zu achten waren —
wohl auch in der Fruchtbarkeit und Steuerfähigkeit, in Thermen und
Salzquellen lagen.
9. Diese Fragen sind auch zu stellen über die Lage der Kastelle und es
sind die G. W. 335 aufgestellten Erfordernisse zu prüfen, einzelne anzu-
erkennen oder zu bestreiten.
10. Wenn Prof. Mommsen mit vielem philologischen Aufwand den Grenz-
wall oder Limes für einen Querweg oder auch überhaupt für einen
Weg erklärt, so ist er im Irrtum, selbst wenn man damit auch nur
einen mit ihm parallelen Weg bezeichnen wollte; denn Wege, welche
auf längere Strecken neben ihm und zumal hinter ihm herlaufen, giebt
es nicht. Dass Wildpfade hier und da hinter, auf oder vor ihm her-
liefen und von den Zollwächtern benutzt wurden, mag niemand bestreiten,
aber doch aufs neue untersuchen und an den einzelnen Stellen aus-
sprechen.
11. Der Grenzwall bildet einen sehr brauchbaren chronologischen Strich —
wenn man so sagen darf — von etwa 200 Jahren Breite, an den sich
andere undatierte Anlagen anschliessen lassen.
12. Durchschneidet der Grenzwall ungestört einen Ringwall oder sonstige
Wallanlage oder wird er von ihnen unbeachtet durchfahren? (G.W. 32.)
— Welche Beziehungen sind zwischen diesen Verschanzungen und dem
Grenzwall zu entdecken?
258
13. Lehnen sich Hügelgräber an den Grenzwall oder sind sie von ihm
angeschnitten? "Was weiss man von ihrem Inhalt? (G. W. 60.)
14. Hat der Grenzwall die Richtung auf entfernte hochliegende Punkte
genommen? (G. W. 74.)
15. Hat der Grenzwall im Mittelalter als Landes- oder Gemeindegrenze ge-
dient oder dient er noch als solche? Vielleicht als Grenze zwischen
Dialekten und Volkscharakteren?
16. Giebt es Verdoppelungen des Grenzwalles? und wie sind sie zu deuten?
als Verstärkung? als Korrektur? (G.W. 141, 148.) — Zieht der Grenz-
wall wie ein vereinzelter Arm, ohne Anschluss ins Ausland? Und wenn
etwas derart sich zu finden scheint, wie ist es zu deuten? Ist es mittel-
alterlich? Allen Verschanzungen, Weg- und Bergabschnitten ist der
Sicherheit wegen nachzugehen, sie sind zu messen und zu zeichnen.
17. Der Oberstlieutenant F. W. Schmid, der den richtigen Endpunkt des
obergermanischen Limes gefunden und veröffentlicht (ich übergehe hier
einige geographische Irrtümer in Mommsens röm. Geschichte) — der
aber doch noch weitere Fortsetzung des Grenzwalls auf dem Gebirge
angenommen hat, welche Lokalforscher vervielfältigt und beschrieben
haben — wurden von mir G. W. 252, 266, 268, 274 als irrtümlich
nachgewiesen, und empfehle ich diese Methode.
18. Die Frage von den Pallisaden ist durch Nachgrabungen zu untersuchen
und zwar nicht nur am Pfahlgraben, sondern auch an der Teufelsmauer,
wo der Namen Pfahl ebenso oft vorkommt, und je nach Befund aus
der Welt zu schaffen, so wie es ja auch gelungen ist, die akademischen
Römertürme mit Bossenquadern zum Schweigen zu bringen (G. W. 323,
23 u. Nachtrag 1886, 137.)
19. Was ist die Bedeutung des Gräbchens vor der Teufelsmauer? (G.W. 10.)
Es findet sich vor dem Pfahlgraben wohl nirgend?
20. Sind die G. W. 335 aufgeführten Erfordernisse für die Lage der Kastelle
ausreichend? auch im einzelnen geprüft? auch längs der Teufelsmauer
zutreffend ?
21. Sind nicht noch mehr kleine Zwischenkastelle (Manipularkastelle) längs
des Pfahlgrabens und längs der Teufelsmauer zu finden?
22. Ist ein Unterschied zwischen den Kastellen des Pfahlgrabens und der
Teufelsmauer je nach der geognostischen Unterlage in der Werkweise
zu erkennen, die etwa zur Bestimmung der Bauzeit oder auch der Ver-
schiedenartigkeit der Bauleute führen könnte?
23. Fundamentieruug mit gestickten Steinen? Mauerverbände, Handquader
Rauhmauer, Fischgräten.
24. Verputz, scheinbare Quadrierung, rote Fugen.
25. Der Mörtel schlecht oder gut, woher der Kalk? Der Sand schlecht und
lehmig, ausgefroren, ausgespült?
259
26. Wo liegen die Steinbrüche der Mauersteine? der Hausteine?
27. Was ist für die Unterkunft der Mannschaft, der Pferde geschehen und
nachzuweisen ?
28. Setzen die mit oder ohne Haustein gemauerten Thoranlagen etwa
hölzerne Thorblenden voraus? (G. W. 203.)
29. Die Kastellgraben zu untersuchen nach etwa hineingestürzten Zinnen-
deckeln oder andern Steinmetzarbeiten. Lässt die Aufeinanderlage der
Schuttschichten auf Holz- und Lehmbauten, auf Stroh- oder Schindeldächer
schliessen ?
30. Liegt, wie wir das zuerst behauptet haben, vor, hinter oder neben jedem
Kastell eine Villa, Zollbeamten- oder Kommandanten- Wohnung, Canabae,
heizbare Räume? die von Bädern wohl zu unterscheiden sind?
3L Ausdehnung der bürgerlichen Niederlassungen rings um das Kastell.
Auch die Gräber sind aufzuführen. Von wo und wie wurde das
Wasser beschafft?
32. Ich werde wohl zuerst darauf aufmerksam gemacht haben, dass die
Pfahlgrabentürme auch noch etwas anderes waren, als Signalposteu.
Stehen sie auch längs der Teufelsmauer an Nebendurchgängen und
durchführenden Pfaden? Sehen sie sich untereinander? Stehen sie so,
dass sie ins Ausland? ins Inland sehen können? bezüglich gesehen
werden können? Wie sind Gruppen von 2 — 3 solcher Türme zu deuten?
Kann man manche Hügel als Unterlagen von hölzernen Türmen an-
sehen ?
33. Als Zeichen, dass sie allerdings, wenn auch nur auf kurze Strecken, als
Signaltürme dienen sollten, stellt die Trajanssäule neben ihnen Holz-
und Strohhaufen dar, gibt ihnen für die Fackelsignale ausgekragte Um-
gänge und für die Rauchsignale ein Loch in dem Dachfirst.
34. Was geschah nach dem Sturz der Römerherrschaft mit den Kastellen
und Türmen? Gaben die Umwohner den Grenzschutz und die Wohnung
nebst dem bearbeiteten Ackergelände alsbald auf? Lassen sich dafür
oder dagegen Beweise bringen?
35. Es wird nicht möglich sein, die Limes-Untersuchung auf einen schmalen
Landstreifen zu beschränken: wir wissen dies aus dem Mangel von
Kastellen längs der Teufelsmauer, statt deren wir immer auf die Kastelle
hingewiesen werden, die dahinter liegen sollen, und von denen nichts
als der problematische Namen bekannt oder unbekannt ist, von denen
aber kein Mauerwerk, kein Stück Kastellgrundriss vorgelegt werden
kann. Auch hier werden die Lokalforscher wohl das Beste zu liefern
haben.
36. Zu den Untersuchungen sind überall die Vertreter der zunächst be-
rührten Vereine einzuladen mit der Berechtigung, Notizen zu machen,
zu zeichnen, zu messen und zu publizieren,
17*
260
Wir schliessen diese Agende mit der eingangs ausgesprochenen Bitte, auch
die Erhaltung im Auge zu halten und durch die That zu bewirken, sowie mit
dem Antrage, dass ein Gesetz veranlasst werden möge, welches die Forstschutz-
beamten und die Feldschützen ermächtigt und verpflichtet, gegen jeden, der
am Limes und seinen Bauresten etwas arbeitet oder etwas nehmen will, wie gegen
einen "Wald- oder Feldfrevler vorzugehen.
Nach der Reichstags- Verhandlung am 16. Jan. 1892.
V. Cohausen.
Mittlerweile ist der Oberst v. Cohausen zu der am 7. April zusammen-
tretenden Grenzwall-Kommission durch den Kgl. Minister nach Berlin berufen
worden.
Vereinsnachrichten.
Bericht des Sekretärs.
(Vom 1. April 1891 bis 1. April 1892.)
Unsere jAnnalen" sind, wie dies in der Generalversammlung vom
10. Dezember 1890 angekündigt wurde, im April vorigen Jahres zum Versand
gelangt. Dieser Zeitpunkt ist auch diesmal beibehalten worden; eine Verzögerung
der Herausgabe fand, trotz des grösseren Umfanges, nur um wenige Tage
infolge des Buchdruckerstrikes statt.
Wie immer wurde die Bibliothek des Vereins durch Kauf, Umtausch und
Geschenke in ihrem Bestände vermehrt. Die Benutzung der Bibliothek war
erfreulicher Weise eine sehr ausgedehnte, sowohl durch Ausleihen von Büchern,
als auch durch Gebrauch derselben zum Quellenstudium in unseren Räumen.
Auch unsere Handschriften wurden Heissig benutzt.
Für Geschenke an Büchern etc. zu Dank verpflichtet sind wir seit der Ver-
öffentlichung der Annalen des vorigen Jahres den Herren: Oberst z. D, von
Cohausen (wiederholt). Major z. D. Freiherr von Wangenheim, Hauch
(Frankfurt a. M.), Major a. D. Kolb, Justizrat Dr. Geiger, Freiherr A. von
Kruse. Wir danken den gütigen Gebern herzlichst!
Die Vorstandssitzungen fanden nach Bedarf statt, die öffentlichen Sitzungen
am zweiten Mittwoch der hierzu ausgewählten Monate, im Hotel zum „Grünen
Wald«.
Es sprachen seit der letzten Veröffentlichung vor Beginn des neuen
Cyklus die Herren:
Direktor Fischbach in öffentlichem Vortrag über „die Textilfunde
und die antike Ornamentik in Peru vor der Inkazeit" (im April).
Major a. D. Schlieben über „die Symbolik des Esels in der Kultur-
geschichte" (im November).
Der neue Cyclus begann mit dem Bericht des Herrn Oberst z. D. von
Cohausen über die am 30. August in Sigmaringen abgehaltene General-
Versammlung der deutschen Geschichts- und Altertums -Vereine (im Oktober).
262
Es sprachen ferner:
Herr Sanitätsrat Dr. Florsehütz über „die Beziehungen der Geologie
zur Altertumskunde mit besonderer Berücksichtigung der Yor-
geschichte des Nassauer Landes". (In der Generalversammlung
vom 9. Dezember v. Js.)
Herr Schriftsteller C. Spielmann über „General Marceau's letzten Feld-
zug" und die Frage „Marceau's Asche" (im Januar 1892).
Herr Gymnasiallehrer Dr. Wedewer über „Geographisch-Archäologische
Mitteilungen in Schweden und Norwegen" (im Februar).
Herr Realschuldirektor Dr. Kaiser über „Zahlzeichen und Zahlen-
systeme".
Die im Sommer übliche Pause gab zu anderweitiger Vereinsthätigkeit
Veranlassung. Am 30. Mai v. Js. machte der Verein mit dem hiesigen Archi-
tekten- und Ingenieur-Verein zusammen einen Ausflug mit Damen nach Limburg
an der Lahn zur Besichtigung des dortigen Domes und der Domschätze unter
zahlreicher Beteiligung. Der hochwürdigste Bischof Herr Dr. Klein hatte in
aufopfernder Liebenswürdigkeit die sachgeraässe, interessante Führung und
Erläuterung übernommen. Die „Hessische Ludwigsbahn" unterstützte den
Ausflug durch Überlassung eines Salonwagens zu ermässigtem Preise in
dankenswerter Weise.
Am 17. August hatten wir die Freude, Damen und Herren des Frankfurter
„Historischen Vereins" bei uns zu sehen. An die Besichtigung des Museums
schloss sich ein gemeinschaftliches Abendessen. Wir hoffen, dass unser Ver-
kehr mit diesem Verein immer mehr zunehmen wird.
Am 19. August fand ein Ausflug mit Damen nach Oppenheim statt,
wozu Herr Rheder Faber dem Verein gütigst seinen Privatdampfer „Sagitta"
zur Verfügung gestellt hatte.
Auch für dieses Jahr sind mehrere Ausflüge in Aussicht genommen.
In Schriftenaustausch trat der Verein mit nachfolgenden Vereinen :
Karlsruhe. Grossh. Badische Altertümer-Sammlung.
Meiningen. Verein für Meiningische Geschichte und Landeskunde.
Roda S.-A. Der Geschichts- und Altertumsforschende Verein.
Mölln i. Lauenburg. Verein für die Geschichte des Herzogtums
Lauenburg.
Neubrandenburg. Museumsverein zu Neubrandenburg.
Schw. Hall. Historischer Verein für Württembergisch Franken.
Dillingen. Historischer Verein.
Eichstätt. Historischer Verein zu Eichstätt.
Torgau, Altertumsverein zu Torgau.
Prüm. Gesellschaft für Altertumskunde in Prüm.
Dürkheim (Pfalz). Altertumsverein für den Kanton Dürkheim.
Emden. Die Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische
Altertümer in Emden.
Heilbronn. Historischer Verein zu Heilbronn.
263
Reutlingen (Württemberg). Der Verein für Kunst und Altertum
in Reutlingen.
Berlin. Märkisches Provinzialmuseum.
Klagenfurt. Kärntnerischer Geschichtsverein zu Klagenfurt.
Salzburg. Gesellschaft für Salzburger Landeskunde.
Mit zahlreichen weiteren Vereinen ist Schriftenaustausch angeknüpft.
Seit November 1890 traten dem Verein 38 Mitglieder bei, 54 verlor er,
davon leider viele durch den Tod.
Es traten ein als ordentliche Mitglieder:
Herr Niemes, L., Rentner, "W.
y, Becker, L., Kaufmann, W.
„ Meyer, R., Generalagent, W.
„ Brems, P., Buchdruckereibesitzer, W.
„ Floeck, F., Architekt, W.
^ Bredemann, 0., Dr. phil., \V.
„ Henzel, A., Ingenieur, W.
„ Tietz, Dr. phil., W.
„ Hesse, A., Kaufmann, W.
„ Ott, cand. phil., W.
„ Altenburg, E., cand. phil., W.
„ Kunz, J., Bildhauer, "W.
„ Feldner, C, Lehrer, Steeten a. d. Lahn.
„ Kurz, Dr. H., Apotheker, V^^.
Stolley, Hof-Dentist, W.
„ Lieber, Th., Hofrat, Professor, Gera.
Fürst von Waldeck und Pyrmont, Durchlaucht.
Herr Drexel, J. J., Kaufmann, W.
„ Frisch, Major a. D., W.
„ Schenck, Major a. D., W.
, Bindewald, Kgl. Landrat, Weilburg.
„ Franz, Kgl. Regier.-Bauführer, W.
„ Reinhold, Medizinalrat, Eisenberg, Sachsen-Altenburg.
„ Ebhardt, C, Rentner, W.
„ Fischer, F., Rentner, W.
„ Stahl, Amtsgerichtsrat, Hachenburg.
„ Bröcking, W., Dr. phil., W.
„ Graf Friedrich zu Solms-Laubach, Erlaucht.
Se. Kgl. Hoheit Fürst Leopold von HohenzoUern-Sigmaringen.
Herr Rupp, F., Dr. theol., Herborn.
„ Eggert, Regierungs- und Baurat, W.
, Frank, G., Dr. med., W.
„ Weitzel, Pr.-Lieut. i. 3. Grossh. hess. Inftr.-Regt. (Leibregiment)
No, 117, Mainz.
264
In derselben Zeit traten aus bezw, starben
Herr Hartmann, Postsekretär, Stettin.
^ Michelsen, Dr. med., "W.
„ Knowles, Rentner, W.
„ Theiss, Rentner, "W. f
, Freitag, Rentner, "W.
„ Haniel, A., Rentner, W. f
„ von Gerstein-Hohenstein, Excellenz, Generallieutenant z. D.,
Wiesbaden, f
„ Crahe, F., Rentner, \V. f
„ Fleischer, Sanitätsrat, W.
„ von Eck, E., Nassau, f
„ Rabe, Landrat, Limburg.
„ Stahl, Hofgerichtsrat, Hachenburg. f
„ von Körber, Excellenz, W.
„ Hartmann, M., Frankfurt, f
„ Knopf, Rentner, W. f
„ Wächter, Privatier, Epernay.
„ Schi ekel, Redakteur, Oberlahnstein.
„ Ort, Dr., Frankfurt.
„ von Kietzeil, Oberstlieutenant, Diez.
„ Frhr. von Malapert-Neufville, Major a. D., W.
„ Lauth, Kreisbauinspektor, Fulda.
„ Kirchner, Apotheker, W.
„ Graf von Roedern, Oberstlieutenant z. D., W.
„ Lehr, Kaufmann, W. f
„ Kolbow, Rentner, W.
„ Rh od, Pfarrer a. D., W. f
„ Linde, Lieutenant a. D., W.
„ Rupp, Pfarrer a. D., Langenbach. f
„ Vigelius, Ministerialrat, W, f
„ von Lilien, Lieutenant a. D., W. f
„ Seh wart z, Generalmajor a. D., W. f
„ Müller, Postmeister, Hadamar.
„ Strampel, Apotheker, W.
„ Keier, C, Rentner, W.
Der Verein hat demnach einen Bestand von 397 Mitgliedern, inkl. Ehren-
und korrespondierenden Mitgliedern.
Der Vorstand setzt sich nach der Generalversammlung vom 9. Dezember
1891 zusammen wie folgt:
Direktor: Herr Sanitätsrat Dr. Florschütz.
Sekretär: Herr Premierlieutenant a. D. Hoffmanu.
Konservator: Herr Oberst z. D. v. Cohausen.
265
Ferner die Herren :
Geheimer Baurat Cuno.
Geheimer Juatizrat von Eck.
Rentner Gaab.
Landgerichtsrat Keutner.
Landbau-Inapektor Dr. von Ritgen.
Major a. D. Frhr. von Wangenheim.
Gymnasialoberlehrer Dr. Wedewer.
Direktor Weldert.
Ersatzmänner die Herren:
Dr. med. Ahrens.
Dr. phil. Lohr,
Landgerichtsrat Dussel.
In die Rechnungsprüfungs-Kommission wurden wiedergewählt die
Herren :
Geheimer Baurat Cuno.
Kunstgewerbeschuldirektor a. D. Fr. Fischbach.
Rentner Isenbeck.
Herr Sanitätsrat Dr. Fleischer schied auf seinen Antrag wegen
Krankheit aus.
Bezüglich der Einsendung von Manuskripten in die Annalen sehe man
die Bemerkung auf der Rückseite.
Wilh. Hoffmann.
Bericht des Konservators Oberst von Cohauseii über die Erwerbungen
für das Altertunis-Museum in Wiesbaden wälirend des Jalires 1891.
Seit unserer vorigjährigen Generalversammlung sind, wenn auch nicht
viele, aber wertvolle Gegenstände in den Besitz unseres Museums gekommen.
Es werden Ihnen viele Knochen auffallen, welche nicht nur für uns, durch die
Steetener Höhlen, sondern, wie Ihnen dargelegt wird, von grossem allgemeinem
wissenschaftlichen Interesse sind.
Ich danke für zahlreiche Gaben dieser und anderer Art den gütigen Ge-
schenkgebern.
Von Herrn Oberstudienrat Dr. Fr aas in Stuttgart empfingen wir ver-
schiedene Knochen und Zähne von der Hyäne, dem Bären, dem Hirsch und
andere, welche zur Zeit meiner Ausgrabungen in den Steetener Höhlen ein
Herr aus Oranienstein an sich und nach Stuttgart verbracht hat, die aber der
obengenannte Natur- und Altertumsforscher wieder an uns, wohin sie gehören,
gegeben hat.
Aus einer daselbst neuerdings entdeckten Höhle sind noch weitere Skelett-
teile direkt in unser Museum gelangt; auch einige weitere aus den Baufunda-
nienten zwischen der Frankfurter- und Langenbeckstrasse.
266
Von Herrn Dr. Peters erhielten wir, durch Vermittelung des Herrn Dr. Flor-
schütz, aus des Erstgenannten Ziegelei bei Schierstein die Ergebnisse aus Mardellen
und Gräbern an Knochen und Töpfereien. Es ist angrenzend an die Stelle,
aus welcher wir von Herrn Jacob 1876 Gregeostände verwandter Art empfangen
hatten.
Da es nicht nur zur Eiszeit von Höhlen-, sondern auch noch später von
braunen Bären in unserem Lande gewimmelt hat und die Überreste beider
zugleich mit dem Menschen und dessen Erzeugnissen vorkommen, so fallen deren
Knochen in das Studium der Anthropologie, und es war uns des Vergleiches
wegen sehr willkommen, als uns Herr Becker, Nachfolger von J. M. Roth,
aus seinem Delikatessenladen die vollkommenen Skelette der Vorder- und
Hinterhacksen des Bären schenkte.
Von Herrn Alfred Villeroy empfingen wir die Schlacken aus zwei Ab-
schnittswälleu. welche den Limberg bei Saarlouis teilen. Sie erinnern sich,
dass wir die Einlage von Hölzero in Steinwällen als Bindemittel zuerst auf
dem Altkönig entdeckt und auch weiter die bei dem Brand der Hölzer ent-
stehenden Schlacken an den Volkszufluchtschanzen nachgewiesen haben.
Von Herrn Lehrer Feldner in Steeten empfingen wir einige Bronze-
schmuckstücke aus Gräbern auf der Hochfläche von Dehren.
Durch Vermittelung des Herrn Direktor Fischbach kam der interessante
Inhalt eines Grabes aus Erbenheim in das Museum, sowie durch Herrn Phil.
Heinr. Marx ein römischer Mühlstein aus den Fundamenten des ehemaligen
Karlsruher Hofes am Mauritiusplatz.
Bei der lebhaften Bauthätigkeit, welche hier herrscht, gelangten durch
die Bereitwilligkeit des Herrn Bücher mit den Schädeln die Beigaben römischer
Gräber aus dem ehemaligen Dasch'schen Garten an uns. Es lag da die Fort-
setzung des römischen Friedhofes, welchen wir in der Museumsstrasse und
Garten schon als Begleiter der im Salzbachthal weiterziehenden Landstrasse
kennen. Römischen Ursprungs sind auch ein von Herrn Wollweber in der
neuen Bärenstrasse gefundenes Krüglein und ein Stück der römischen Wasser-
leitung, bestehend aus Röhren und Schlammkasten, welche wir, durch Dr. Reuter
beschrieben, in der Rhein- und Luisenstrasse kennen. Diese Stücke danken
wir dem Herrn Rechtsanwalt Kullmann.
Von Herrn R. Forrer, von dem wir ägyptische Gewebe und Kataloge
von solchen und römischen Geweben erworben haben, empfingen wir Muster
von byzantinischen Geweben des 5. — 6. Jahrhunderts aus Achim-Penopolis;
und für unsere ethnographische Sammlung Strick- und Netzgeräte aus Alt-
Peru. —
Ferner kamen durch Ankäufe noch an uns eine schöne römische Bronze-
kanne, angeblich aus Simmern, eine Bronzepfanne, angeblich von Boppard, ein
vortrefflicher (iagatschmuck, sowie fränkische Goldringe.
Herr Professor Otto schenkte dem Museum zwei silbergoldene und eine
Bronze-Regenbogen- (gallische) Münzen.
267
Aus Merowingischer Zeit kamen durch Schenkung des Herrn Lieutenant
V. Lilien sehr schöne und charakteristische Schmuckstücke aus der Gegend
von Soest aa uns.
Bei dem jetzt so häufig besprochenen Gegensatze der altheimischen Töpferei
und der vom Lausitzer Typus war es uns von grossem Interesse, einige Muster
des letztgenannten Stils im Museum zu haben, und kamen wir durch Überein-
kunft mit dem Herrn Dr. Voss, Direktor des prähistorischen Museums in Berlin,
aus diesem in Besitz von solchen Töpfereien, — welche durch Herrn Dr. Hein-
rich noch durch mehrere schöne Stücke aus Schlesien vermehrt wurden.
Durch die Aufmerksamkeit des Herrn Reg.-Baumeister H. Rössler ge-
langten aus den Baggerarbeiten im Rheine bei Eltville mehrere sehr interessante
Stücke in das Museum; ein Eisenschwert des 10., zwei Degen oder Pallasche
mit Körben des 16. Jahrhunderts, ein Infanteriesäbel, ein gut erhaltenes Pilum
oder Ango, eine Anzahl von eisernen und steinernen Geschützkugeln und Gra-
naten (unter den steinernen Kugeln waren jedoch auch einige natürliche Sep-
tarien), zwei schwere und eine leichte Lanzenspitze und eine gelb glasierte
Ofenkachel. Eine Thonkachel aus dem 18. Jahrhundert von Bierstadt, sowie
zwei verzierte Gussplatten kamen durch Kauf in das Museum.
Zu nennen sind ferner einige Kupfermünzen von Herrn Rud. Hauch.
Zwei Petschaften und ein Taschenmesser mit Schrift von Herrn Aug. Herber,
dem wir schon früher schöne Stücke danken.
Von einem Kurgaste, dem Herrn Direktor Buch aus Bergen in Norwegen,
empfingen wir einen dort gebräuchlichen Silberring.
Von Frau Gräfin von der Golz, die uns schon lange, noch als Frau
Preyer, eine gütige Geberin war, erhielten wir mehrere venetianische, sogenannte
gesprengte Schlüssel,
von Herrn Edmond Elton in Clevedon Court Someret zwei schöne Vasen
mit nach chinesischer Art ablaufender Glasur,
von Herrn Alfred Boch in Fremersdorf zwei bedruckte Fayence-
Teller, die Ende der dreissiger Jahre in Mettlach und Vallerfangen gemacht
sind,
von Herrn General von Bernut eine Vase und einen Leuchter aus Sigel-
erde, schöne moderne ägyptische Arbeiten,
von Frau von Cohausen einen Knopf mit feiner moderner Glasmosaik.
Durch Austausch kamen wir in Besitz von zwei Mille fiori-Ge fassen,
einer kleinen Vase und einem Alabastron.
Von Herrn Major Schlieben vermittelt erhielten wir einen vergoldeten
Rockknopf aus der Mosel von Herrn Dr. Maurer,
von Herrn Sanitätsrat Dr. Florschütz eine aus dem Rheine gebaggerte
Bronzebarre, die er dem römisch-germanischen 3Iuseum dankt. — Durch billigen
Ankauf gelangten in die ethnographische Sammlung mehrere schöne persische
Altertümer; ein gewaltiges Richtschwert mit unentzifferbarer Inschrift, ein
Helm, ein Schild und eine Handberge mit bemalten Relieffiguren und ein aus
Messing getriebenes, reich verziertes Kamel.
268
Als sehr erfreuliches, in die Augen leuchtendes Stück hätten wir zuerst
nennen können: ein Relief-Mosaik-Gemälde in Glas und Rahmen. Es
stellt eine der Pforten, die Klingenpforte, im Rheingauer Gebück, zwischen
Neudorf und Schlangenbad, dar und ist durch die kunstreiche Hand des ver-
storbenen Dr. Creves in Eltville angefertigt worden. Ich hatte schon seit 1874
mein Auge darauf, konnte es aber weder als Schenkung, noch durch Ankauf
erwerben; bei ihrem Tode aber gedachte die Tochter des Genannten, Fräul.
Frida, des Museums und Hess es als teueres Vermächtnis durch die Vermit-
telung ihrer Schwester, Frau Steuerrat Pf äff, an uns gelangen, wo es zum
Andenken an die Familie in Ehren gehalten werden wird.
Wir bringen gerne folgende Urkunde, welche im August vorigen Jahres
dem Vorstande zugegangen ist, zur Kenntnis der Vereinsmitglieder.
Schenkuiigs -Urkunde.
Beseelt von warmer Liebe zu dem herzerhebenden Gesang, und dadurch
auch zu dem Wiesbadener Männergesaugverein, dessen aktiver Mitglied-
schaft er sich erfreut, hat Unterzeichneter Wilhelm Bruch von Nassau,
zur Feier des fünfzigjährigen Stiftungsfestes des Vereins im Jahre 1891, ein
Geschenk angefertigt, das er durch diese Urkunde dem genannten Verein als
unveräusserliches Eigentum verehrt. Nicht weniger begeistert für sein Fach
hat er zu diesem Zweck einen emblematischen Schrank, aus Nussbaumholz,
in italienischem Renaissancestil gearbeitet, und zwar so, wie er nebenstehend
(Seite 3 dieses Bogens) photographisch dargestellt ist^).
Sollte aber der Verein unverhofft jemals sich auflösen oder aufgelöst
werden, dann wird der Nassauische Altertums-Verein (zur Zeit im
Museumsgebäude in der Wilhelmstrasse 20 zu Wiesbaden) kraft dieser
Urkunde unbestrittener Eigentümer des vorbenannten Schrankes.
Wiesbaden, den 31. Juli 1891.
(gez.) Wilhelm Bruch.
Zur Beglaubigung der Unterschrift: Der Königl. Bibliothekar:
(gez.) Prof. Dr. von der Linde.
') Auf dem Bureau des Alterturasvereins einzusehen.
Nachruf an Anton Weck.
Der langjährige Diener unseres Vereins und Aufseher des Landes-Museums
für Altertümer wurde den 15. Miirz 1813 in Fischbach, Amt Künigstein im
Taunus, geboren. Er diente vom 15. April 1833 bis zum 1. April 1839 im
2. Nassauischen Infanterie-Regiment, teils in Wiesbaden, teils in Weilburg und
ging von demselben nach der gesetzmässigen Dienstzeit von 6 Jahren mit dem
Zeugnis guten Betragens ab.
Bei den durch den Verein in den Jahren 1836, 1841 und 1858 am
Römerkastell auf dem Heidenberg, wo jetzt das städtische Krankenhaus steht,
unternommenen Ausgrabungen zeichnete er sich alsbald durch Anstelligkeit
und Verständnis so vorteilhaft aus, dass er zu ähnlichen Untersuchungen und
Vermessungen stets als Vorarbeiter und als Aufseher verwandt wurde.
In dieser Weise war er beschäftigt unter den Vereinsdirektoren : Regierungs-
Präsident Dr. Möller, Oberappellationsgerichtsrat Strobel, Bibliothekssekretär
Ebenau, Regierungsrat Dr. Seebode, Bibliothekssekretär Ebenau, Medizinal-
rat Dr. Reuter, Hofgerichtsprokurator Dr. Braun, Oberschulrat Dr. Schwarz,
Appellationsgerichts-Präsident Hergenhahn, Medizinalrat Dr. Reuter, Gym-
nasialprofessor Otto, Gymnasialdirektor Spiess, Sanitätsrat Dr. Florschütz;
sowie unter den Museums -Konservatoren ArchivFa^->. -Df^ Habel mit dem
Architekt Kihm, Archivrat Dr. Rössel, Bibliothekar Dr. Schalk, Dr. Kekule
und Oberst vonCohausen.
Unter diesen Direktoren und Konservatoren betrieb oder leitete Weck die
folgenden Ausgrabungen :
Am Römerkastell Wiesbaden 1839, 1841, 1858; des Kastells bei Hofheim
1841, 1842, 1843; am Kranzplatz 1842; bei Heddernheim 1860, 1863; an
dem sogenannten Kastell Rambach 1846, 1856, 1861, 1862; am Landgraben
(Kurve) und die Gräber bei der Spelzmühle; auf Röder, auf der Hasselt, an
der Wellritzmühle; am Höfchen und in der Bierstadter Flur; am Münzberg
und im Nerothal, alles in den Jahren 1847 und 1848. Ferner in Marienfels
1849, von dessen Villa er 1849 — 1850 das im Museum befindliche Modell ge-
macht hat, nachdem er 1848 bei dem Bildhauer v. d. Launitz in der Lehre
gewesen war, 1849 machte er Gypsabgüsse und Papier-Abklatsche von den
Kirchenstühlen in Kiedrich und 1850 in Eberbach. Er half bei der Vermessung
der 1852 abgebrannten Mauritiuskirche, 1853 und 1856 machte er Ausgrabungen
am Zugmantel-Kastell. Er war bei den Ausgrabungen der Frankengräber am
270
Schiersteiner Weg 1854, 1863, 1865, 1866, 1867, 1868 thätig und grub 1854
an der römischen Wasserleitung im Mühlenthal und an der Mosbacher Eisen-
bahn, ferner an den Hügelgräbern am Weissen Turm und bei Auringen 1863,
sowie an den römischen Altertümern bei Stierstadt 1864, bei Fischbach 1865
und verschaffte dem Museum durch seine Aufmerksamkeit 1871 eine grosse
vorrömische Urne mit Deckel und Kupfermesser; im Jahre 1878 beaufsichtigte
er, von seinem Sohn Fritz unterstützt, thätig die Ausgrabung der reichen
Frankengräber bei Erbenheim.
Überhaupt hatte er bei der Auffindung und Ausmessung bei den Fun-
damentbauten der Stadt den regsten Anteil und diente dem Museum über viele
Gegenstände und Unternehmungen als zuverlässige Chronik.
Im Jahre 1879 am 16. April hatte er die Ehre, dem Prinzen Wilhelm,
unseres jetzigen Kaisers Majestät, Anleitung im Abklatschen von Steininschriften
zu geben. Im Jahre 1889 erhielt er das Allgemeine Ehrenzeichen.
Allgemein betrauert starb er den 19. Mai 1890.
Er hatte 1835 die Katharina Specht geheiratet und zwei Söhne, Wilhelm
und Fritz, welche Landwirtschaft und Fuhrwesen, sowie der jüngere Steinmetz
und Spezereihandel betreiben, und drei Töchter, Marie, Julie und Johanna,
welche tüchtige Handwerksmeister : Schlosser Hanson, Anstreicher Schlepper
und Schlosser Freund geheiratet haben, hinterlassen.
Weck ist uns ein erfreuliches Beispiel, wie ein Mann mit einer tüchtigen
Frau, der mit nichts weiter als mit 35 Kreuzern (1 Mark) Taglohn beginnend,
nach 35 Jahren mit einem Jahresgehalt von 1080 Mark schliessend, durch
Ordnungsliebe und Sparsamkeit, durch Ankauf von Ländereien und Häusern,
die früher allerdings nicht den jetzigen Wert hatten, ein Vermögen von
70000 Mark hinterliess und — dies sei hier besonders hervorgehoben — ,
geschah das nicht nur ohne jeglichen Zwischenhandel oder dergleichen, sondern
auch bei untadelhafter Rechtlichkeit und vollkommener Interesselosigkeit und
Anstand gegenüber allen, die das Museum besuchten.
Der Altertumsverein, sowie der Konservator des Museums werden ihm ein
ungeteilt anerkennendes Andenken bewahren.
von Cohausen.
271
Berichtisjuii!? zu pag. 51 ff. des vorjährigen Altertiimsbandes.
Nach einer Mitteilung vom 26. November 1. J. hat Herr Archivrat
Dr. Sauer in einem jüngst ihm erst bekannt gewordenen, dem Wiesbadener
Staatsarchiv zugehörenden Briefwechsel zwischen Schliephake und dem ehe-
maligen Idsteiner Landesarchive betreffs der Ersterem nach Heidelberg zuge-
gangenen Archivalien gefunden, dass das Original des Weistums vom 6. Juli
1361 genau nach der , Geschichte von Nassau* 2, 65 in der That im Mai 1866
unter Abföllen u. dergl. in einem Schranke des Idsteiner Archivs entdeckt und
von Schliephake bis zum 6. September des gleichen Jahres benutzt worden
ist, nicht ohne Klage über die schwere Mühe der Entzifferung. Ich nehme
deshalb auf ausdrücklichen Wunsch des genannten Herrn Archivrates und eigner
Ehrenpflicht gerne hierdurch zurück, was ich zu Ungunsten Schliephakes
in diesem Stücke, S. 51 f., meiner Abhandlung über ,das Landgericht der vier
Herren auf dem Einrieb'' im vorigen Annalenberichte geschrieben habe, und
bemerke weiter, dass aus dem gleichen Briefwechsel die Bemühung des ver-
dienstvollen Forschers, auch über den , Ahorn" des Weistums und die Mal-
stätten des Einrichs Gewissheit zu verschaffen, hervorgeht, da auf seine Ver-
anlassung Anfragen hierüber an verschiedene Oberförstereien ergingen.
Miltenberg, 13. Dezember 1891.
Ludw. Conrad y.
Im Verlage von Rud. Bechtold & Comp, in Wiesbaden, sowie
in allen Buchhandlungen und im Altertums-Museum daselbst
sind zu haben :
Antiquarisch-teclinischer Führer
durch das
Altertiims-Museum zu Wiesbaden.
Yon A. V. Cohausen,
Ing'enieur-Oberst z. D. und Konservator.
Preis: Mk. 1,50.
Die Altertümer im Rheinland
Ein Wegweiser änrcti äas Alte znin Nenen
für
Geistliche, Lehrer, Land- und Forstwirte.
Von A. V. Cohausen,
Ingenieur-Oberst z. D. und Konservator.
^^^ Mut ISO Abbilduns^eii. .^~
-2. Aufl. Preis: Mk. 1,50.
Die Giganten-Säule von Schierstein.
Von Sanitätsrat Dr. ß. Florschiitz.
M:itSTafelii.
Preis: 50 Pfg.
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durch das
Altertums-Museum in ^Viesbaden.
Von Wilhelm Hoffmann,
Premierlieutenant a. D. und Sekretär des Vereins für Nassauische Altertumskunde
und Oesclilehtsforschung.
Preis: 50 Pfg.
Annal. d. Vereins f. Mass. Altert, u Gesch Bd XXlY.
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Annal. d Verein* f Nass Altert, u Ocsch Bd XHY.
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Annal. d. Vereins f. Nass. AUcrt. u Gesch Bd. XXIV.
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Annal. d Vereins f. Kass Altort u Gesch Bd IXil.
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Annal d Vereins f. Nass Altort u Gösch Bd XXDL
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Annal. d. Vereins f. Nass. Altert u Gesch Bd. XSE
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ANNALEN DES VEREINS
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NASSAÜLSCHE ALTERTUMSKUNDE
UND
GEfSCHICHTSFORSCHUNG.
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WIESBADEN.
CONRAD REINHARDT
VORMALS W, ROTU'S BUCH- «c, KUNSTHASDLUXG
HOFLIEFERANT
IHRER KÜNIOL. HOHEIT DER FRAU PRINZESSIN CHRISTIAN 7.V SCHLESWIQ -HOLSTEIN
PRINZESSIN VON CROSSDRITANNIEN IXD IRTANf». '
1892.
Preis -Verzeichnis
der auf
Lager befindlichen Vereins-Annalen u. s. w., Separatabdriicke
und sonstiger Publikationen
des
Vereins für Xassaiiisclie Altertiimskiiinle iin<l Gescliiclitsforsehmiu:.
Aunalen, I.
Band
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(352 Exempl.) .
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(120 Exempl.) .
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Bär's Geschichte von Eberbach von Dr. Rössel, I, Band, 1. Heft . Mk. 2,70
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Denkmäler aus Nassau, I. Heft ^ 2.40
Die kirchlichen Altertümer von Wiesbaden, von Dr. K. Rössel, mit 4 Taf.
Die Heiliggrab-Kapelle zu Weilburg a. d. Lahn, von R. Görz, mit 1 Taf.
Das Graue Haus zu Winkel im Kheingau, von R. Görz, mit 1 Taf.
, H. Heft , 2.70
Die Abtei Eberbach: Das Refectorium, von Dr. K. Rössel, mit 7 Taf.
, HI. Heft , 2.40
Die Abtei Eberbach: Die Kirche, von Dr. K. Rössel, mit 6 Taf. u. 11 Holzschn.
, IV. Heft , 12.-
Die Abteikirche zu Marienstatt bei Hachenburg, v. Oberbaurat R. G ü r z, m. 1 1 Taf.
Gesch. der Herrschaft Kirchheim-Bolanden und Stauf, von A. Kullner , 0.40
Mithras, von N. Müller ,1-20
Rheinübergang Blüchers, von Schulinspector Röder . . . . , — .30
Zu bedeutend ermässigtem Preise werden an unsere Mitglieder folgende
Publikationen abgegeben :
Ladenpreis. Für Mit?lirtler.
1. Inscriptiones latine in terris nassoviensibus . . . Mk. 3.40 Mk. — .50
2. Limburger Chronik „ 3.40 „ — .50
3. Reuter, Das Römer-Kastell bei Wiesbaden, mit Plan „ 2. — „ — .50
4. „ Römische Ansiedelungen in der Umgebung
von "Wiesbaden, mit Plan . . . . „ 3. — „ — .50
5. „ Römische "Wasserleitungen in \Yiesbaden,
mit 7 Tafeln und 1 Plan . . . . „ 3. — „ — .50
6. V. Cohausen, Rom. Schmelzschmuck, mit 2 Tafeln „ 2.50 „ — .50
7. Band XI., Gesch. des nassauischen Altertums- Vereins
und biographische Mitteilungen über dessen Grün-
der und Förderer, von Dr. Schwartz . . . „ 6.50 „ 2. —
8. Dr. Schwartz, Lebensnachrichten über den Regie-
rungspräsidenten Karl von Ibell . . . . „ 2.50 „ —.50
9. Urkunden von Eberbach I „ 4.80 „ 1.—
10. Geschichte des Benedictiner- Klosters "Walsdorf, von
Pfarrer A. Deissmann „ 2.G0 „ — .40
11. J. G. Lehmann, Geschichte und Genealogie der
Dynasten von Westerburg „ 2.70 „ — .40
12. Schmid, "Wahl des Grafen Adolf von Nassau zum
römischen König 1292 ........ 2. — „ —.40
13. Münzsammlung des Vereins, von Dr. Schalk . , „ 2. — „ — .30
Bestellungen an den Vereinssekretär Prem.- Lieutenant a. D. Hoff mann (Fiiedrichsir. l^J.
Zahhnujen an Herrn Jiechnungsrat Begert (Bahnhofstr. lö^j.
VV ir machen unsere Herren Mitarbeiter darauf aufmerksam, dass
Beitrüge zu den Annalen, \Yelche von jetzt ab regelmässig am
1. April eines jeden Jahres ersclieinen werden, spätestens bis zum
15. Dezember des vorhergehenden Jahres dem Vorstand angezeigt sein
müssen. Später eingehende Manuskripte, oder solche, welchen noch
Nachträge, Karten u. s. w. folgen sollen, können für das betreffende
Jiilir nicht berücksichtigt werden. Zurückgewiesen werden Manuskripte,
welche schwer leserlich sind, wenn niclit der Verfasser gestattet, auf
sein^Äostcn eine Abschrift derselben anfertigen zu lassen, und die
Korrektur derselben vor dem Drucke selbst übernimmt. Sämtliche Manu-
skripte dürfen nur auf einer Seite beschrieben werden.
Die Bibliothek steht jeden Montag und Donnerstag von Vormittags
10 — 12 Uhr zur Benützung frei. Einzelne Bücher können täglich (mit
Ausnahme Sonntags) von 11 — 1:2 Uhr Vormittags verabfolgt werden;
doch wird gebeten, dieselben bereits Tags zuvor schriftlich zu bestellen,
wozu wir die im Sekretariat erhältlichen Bestellzettel empfehlen.
ANNALEN DES VEREINS
FÜR
NASSAÜISCHE ALTERTUMSKUNDE
UND
GESCHICHTSFORSCHUNG.
ANNALEN DES VEREINS
FÜR
NA88AÜI8CHE ALTERTUMSKUNDE
Ui\D
GESCHICHTSFORSCHUNG.
FÜNFUNDZWANZIGSTER BAND.
18 9 3.
MIT 9 LITHOGRAPHIERTEN TÄFELN.
WIESBADEN.
VERLAG VON RÜD. RECHTOLD & COMP.
1893.
Zur Beachtung,
Das Altertiimsfiiiiseiim ist vom 1. Mal bis 31. Olfoher Montag!^,
Dienstags, Mittwochs, Donnerstags und Freitags von 2 — 6 Uhr, Sonntags von
11 — 1 Uhr geöffnet. — Behufs Besichtigung der Sammlungen zu einer anderen
Zeit — 1 Mark Eintrittsgeld — wende man sich an den Museum sauf seher
König (Friedrichstr. 1 oder Friedrichstr. 9, Hof rechts).
Das Sekretariat und die Bibliothek sind jeden Mittwoch und Sams-
tag nachmittags von 3 — 5 Uhr geöffnet; an den ührigen Wochentagen iverden
Bücher nach vorheriger schriftlicher Bestellung verabfolgt.
Drucksachen nnd Zuschriften beliebe man an das Sekretariat
(Friedrichstr. 1), Geldseiulungen an Herrn Fechmmgsrat Begere (Bahu-
hofstr. 15) SU adressieren.
Das Preisverzeichnis der noch vorhandenen früheren Annalenbände nnd
sonstigen Veröffentlichungen des Vereins befindet sich am Schlüsse des vorliegen-
den Jahrganges. Bestellungen auf dieselben und auf den gegenwärtigen Band
iverden sotvohl vom Sekretariat tvie auch von der Firma Rud. Bechtold & Comp,
in Wiesbaden, an welche seit dem 1. April d. J. der Verlag der Annalen über-
gegangen ist., entgegengenommen.
Wir machen unsere Herren Mitarbeiter darauf aufmerksam, dass Bei-
träge zu den Annalen, ivelche von jetzt ab regelmässig im April eines
jeden Jahres erscheinen werden, bis zum 15. Dezember des vorhergehenden
Jahres beim Vorstand eingereicht sein müssen. Spätere Zusendungen können
für den betreffenden Jahrgang nicht berücksichtigt werden. Die Manuskripte
müssen leserlich und immer nur auf einer Seite geschrieben sein.
Inhalts-Verzeichnis
des fünfundzwanzigsten Bandes.
Seite
I. Die Beziehungen der Geologie zur Altertumskunde. Von ß. Florschütz 1
II. Die „Ewige Lohe" bei Homburg v. d. Höhe. Von H. Jacob i. Mit 2 Tafeln
(I und II) • • 15
III. Vorrömische Altertümer. Von A. v. Cohausen • • • 21
1. Der Brunliildisstein auf dem grossen Feldberg. Mit Tafel III .... 21
2. Der Abschnittswall und der Ringwall auf dem Rücken der Hofheimer Kapelle.
— Ein Jadeitbeil (mit Abbildung auf Taf. III) 23
IV. Römische Altertümer. Von A. v. Cohausen 25
1. Der Stand der Limes-Forschung 25
2. Die Saalburg .* " • ^^
3. Römischer Schmelzschmuck und Goldschmiedgeräte. Mit Tafel IV . . . 30
V. Burgen in Nassau. Von A. v. Cohausen 37
1. Burg Schwalbach. Mit Tafel V ^"^
2. Der Nolling oder NoUicht. Mit Tafel VI 41
VI. Nachtrag zur Geschichte der Steigbügel. Von A. Schlieben, Major a. D.
Hierzu 3 Tafeln (VII bis IX) mit 155 Abbildungen 45
VII. Über die Gründung der Behem'schen Druckerei in Mainz. Von Dr. H. Forst 53
VIII. Neuere das Vereinsgebiet betreffende oder berührende Litteratur. Von
F. Otto
IX. Vereins-Nachrichten.
Bericht des Sekretärs Dr. Focke (für das Etatsjahr vom 1. April 1892 bis
31. März 1893)
Bericht des Konservators Oberst von Cohausen über die Erwerbungen für
das Altertums-Museum in Wiesbaden während des Jahres 1892 .... 71
74
X. Verzeichnis der Mitglieder
XI. Verzeichnis der Akademien, Gesellschaften, Institute und Vereine, deren
Druckschriften der Verein in regelmässigem Schriftenaustausch erhält 85
54
62
Die Beziehungen der Geologie zur Altertumskunde,
Von
B* Florschütz*
Es ist ein ausgesprochener Grundsatz, dass jedes Lebewesen unserer Erde
abhäogig sei von dem Boden, von dem es seine Nahrung zieht. Dieser Satz
gilt in des Wortes eigentlichster Bedeutuug für die Pflanzenwelt — möge sie
als bescheidene Flechte auf den Höhen der Gebirge oder auf einem ver-
schlagenen erratischen Block ihr scheinbar kümmerliches Dasein fristen, oder
als ragende Palme ihre schlanken Wedel in der lauen Luft des Südens sich
wiegen lassen. Jede Art, jedes einzelne Exemplar einer Art von Pflanzen ist
ein an chemische Stoffumsätze gebundener Körper, der nur eben da gedeihen
kann, wo er die für seinen Organismus notwendigen Nährstoffe dem Boden der
Mutter Erde entnehmen und für sich verwenden kann. So ist denn die Vege-
tation eine andere auf granitischem oder basaltischem Grunde, wie auf den
Terrassen unseres Lösses ; und der Keuper bietet uns andere Blüten und
Früchte, wie das in seinen Pflanzenformen meist so originelle Kalk- oder Jura-
gebirge. Ein Faktor ist freilich bei alledem unerlässlich, so günstig auch die
Ernährungsverhältnisse des Bodens sein mögen : das ist der unterstützende
Einfluss des Klimas. Wo beide Bedingungen sich die Hände reichen, finden
wir überall die üppigste Fülle an Formen und Arten, welche — selbstverständ-
lich fossil — auch da noch nachzuweisen ist, wo wie in Island und Grönland
die gegenwärtige Erniedrigung der Temperatur jede irgend beträchtlichere Vege-
tationsentwickelung unmöglich macht. Von der Pflanzenwelt aber war von
jeher die Existenz der von ihr lebenden Tiere abhängig — von den Pflanzen-
fressern aber die so mannigfach gestaltete Masse der Raubtiere, die zu ihrer
Erhaltung auf erstere angewiesen waren.
So sehen wir eine fortlaufende Reihe von Lebewesen, von denen eines
von dem Wohl und Wehe des anderen abhängig ist. Eine reiche Vegetation
ermöghcht eine in körperlicher Entwickelung wie in Artenreichtum ausgezeich-
nete pflanzenfressende Tierwelt, und diese ist wieder von einer entsprechenden
Formenreihe von Raubtieren begleitet. Tritt die Pflanzenwelt durch klimatische
Störungen zurück, so finden wir ein Gleiches bei ihrer tierischeu Gefolgschaft.
Die mehrfachen "Wanderungen unserer Pflanzen von Süden nach Norden und
umgekehrt waren mit wenigen Ausnahmen, wie wir später sehen werden, von
gleichzeitiger Verschiebung der Tierwelt begleitet ; und die gleiche Erscheinung
wird wieder eintreten, sobald äussere Verhältnisse: eine neue übermässige Ab-
kühlung unserer Breiten oder eine auffällige Temperatursteigerung derselben,
auf dem gleichen Nährboden die Existenzbedingungen beider wieder alterieren
werden.
Unter diesen Wechselbeziehungen ist seinerzeit auch das gefährlichste
aller Raubtiere, der Mensch, ins Dasein getreten. Ursprünglich von ihnen
abhängig, lernte er, dank seiner höheren geistigen Befähigung, sich von ihnen
allmählich freizumachen, ja sie selbst zu beherrschen.
Wann aber — und dabei wollen wir mit den ersten Aufgaben unserer
Altertumsforschung beginnen — wann aber war die Zeit, da der erste Mensch,
nicht mit dem fürchterlichen Gebisse des Gorilla und seiner Muskelstärke be-
waffnet, das Licht der Sonne zum erstenmal erblickte? Mit anderen Worten:
Wie alt ist denn überhaupt das Geschlecht der Menschen, dem wir selbst an-
gehören und dessen Ursprünge wir daher mit berechtigtem Eifer nachspüren?
Es ist das eine alte, viel umstrittene Frage, die heute noch die Köpfe
der Forscher, und nicht der schlechtesten, beschäftigt. Liegt doch für uns,
die wir Geschichte betreiben und jedes grössere Ereignis mit Jahreszahlen vor
und nach Christus festzustellen suchen, ein höchst verlockender Reiz darin, den
greifbaren Massstab unserer geschichtlichen Vorgänge auch an die dunkle Vor-
geschichte des Menschengeschlechtes im einzelnen und im ganzen anzulegen.
Es giebt uns Gewohnheitsmenschen eine gewisse Beruhigung, auch hier mit
Jahreszahlen, und wenn sie nach vielen Tausenden rechnen, aufmarschieren zu
können, und mit ihnen, wie wir glauben, den Boden der Hypothese und der
wissenschaftlichen Unsicherheit zu verlassen. Die Berechnungen der Gelehrten
gehen aber weit auseinander. Ein hochberühmter Anthropologe der Rheinlande
hat noch vor nicht zu langer Zeit von 10 000 Jahren gesprochen, welche er
dem Menschen von seinem ersten Auftreten bis zur Jetztzeit zuweisen möchte.
Ob er dabei bedacht hat, um eines zu erwähnen, dass vor schon ca. 6000
Jahren das alte Ägypten ein hoch entwickelter Kulturstaat gewesen ? Einige
sprachen von 200—250000 Jahren; andere wieder von Äonen, d. h. für uns
überhaupt unfassbaren Zeiträumen.
Wir wollen ruhig sagen, dass die ganze Frage, in dieser Form gestellt, nie-
mals zur Beantwortung gelangen wird. Sie ist schon an und für sich und von vorn-
herein unzulässig — so zu sagen, eine Gleichung, die überhaupt nicht angesetzt
werden kann. Wüssten wir nur vor allen Dingen, mit welchen körperlichen Eigen-
tümlichkeiten der erste Mensch überhaupt ausgestattet gewesen ist! Könnten
wir wissenschaftlich festsetzen, wodurch der Beginn seiner Art sich typisch zu
charakterisieren vermochte! Wo ist der Schädel, wo sind die Skeletteile des
ersten Repräsentanten des Homo sapiens, der später die Welt beherrschen sollte?
Wir kennen ihn gar nicht und haben gelernt, uns dieser Kardinalfrage gegen-
über sehr bescheiden zurückzuhalten. Es gab eine Periode — und sie liegt
nicht 80 lange hinter uns — , da wurde jeder alte Menschenschädel auf seine
Affenähulichkeit untersucht, uud gleichzeitig glaubte man in dem jVusbau der
lebenden niederen Menschenrasaen die Brücke zu finden, welche von den so-
genannten Menschenaffen : dem Orang, Chimpanse und Cxorilla, zu uns herüber-
führen sollte. Es war eine Zeit grosser allgemeiner Aufregung für die ganze
gebildete Welt und mannigfachen Gezeters. Wohl forderten diese Untersuchungen
manche interessante Züge einer anscheinenden Artenverwandtschaft zu Tage,
aber eine ausgesprochene typische Übergangs- oder Vermittelungsform konnte
nie und nirgends festgestellt werden. Und sie wird jetzt nicht mehr gesucht,
nachdem man zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Mensch bereits vor
der Entwickelung des anthropoiden Affen, und zwar aus den Lemuren seine
Abzweigung genommen hat.
Bei solch' unsicheren Prämissen lassen sich keine Berechnungen auf
Tausende von Jahren und Jahrtausenden anstellen.
Die Frage bekommt ein anderes Gesicht, wenn wir sie nicht mehr deduktiv
aufstellen, wie früher, von uns Kulturmenschen ableitend und rückwärtsschreitend
bis zur unbekannten Grösse der ersten menschlichen Erscheinung. Sie gelangt
zu ihrer Beantwortung — freilich niemals mittels trügerischer Zahlen, die wir
uns bei unseren Studien ein für allemal abgewöhnen müssen — wenn wir auf dem
Wege der induktiven Forschung, deren konsequente Verfolgung wir vor Allen
Virchow verdanken, vorwärts gehen.
Wir haben die Frage nach dem Alter des Menschengeschlechtes und da-
mit nach dem Beginn unserer Urgeschichte und Altertumskunde überhaupt dem-
nach in der Weise zu formulieren, dass wir fragen:
Unter welchen äusseren Yerhältnissen, ebenso klimatischen wie geogra-
phischen, kann der erste Mensch — einerlei ob affenähnlich oder nicht — in's
Dasein getreten sein? Welche Periode in der Entwickelung unserer Erdober-
fläche mag ihm die ersten Existenzbedingungen geboten haben?
Und hier nun ist es die Geologie, die Lehre von der Entwickelung oder
Geschichte unseres Erdballes, die wir um ihre freundliche Unterstützung bitten
müssen. Sie gewährt uns dieselbe in reichem Masse. Hier kommt nun in erster
Linie die Frage vom tertiären Menschen — der in den letzten Jahren ge-
rade so viel ventiherte Streit, ob der Mensch bereits zur Zeit der sogenannten
Tertiärbildung unseres Weltkörpers vorhanden gewesen sei oder nicht.
Wir wissen, dass unsere gute Mutter Erde nicht immer dasselbe Angesicht,
nicht immer dieselbe Oberfläche mit den gleichen Pflanzen und Tieren aufge-
wiesen hat, wie sie uns heute umgeben. Sie hat in den unberechenbaren Zeit-
räumen ihres Daseins eine Reihe durchgreifender Wandelungen erlebt, welche
wir in der Hauptsumme der jeweiligen typischen Erscheinungen als Zeitalter
zu bezeichnen pflegen, deren jedes wieder eine Reihe von einzelnen Perioden
oder Zwischenformationen umfasst.
So reden wir von einem ersten Zeitalter, entsprechend der ursprünglichen
Erstarrungskruste der Erde, in welchem Überreste irgendwelcher Lebewesen
bisher mit Sicherheit nicht nachgewiesen werden konnten. An dieses schliesst
sich ein zweites Zeitalter an, ausgezeichnet durch das Auftreten der ersten
ausgesprochenen tierischen Formen. Zunächst sind ausschliesslich die niedersten
Meercsbcwohner vertreten ; später, in der noch ursprünglichen, aber doch schon
reichen Flora der Kohlenformation, erscheinen die ersten Insekten, geschwänzte
Amphibien, Knorpelfische und die ersten echten Reptilien. Letztere erreichen
den Höhepunkt ihrer Entwickelung durch die mächtigen Saurier, speziell der
Juraformation, im dritten Zeitalter. Daneben kommen in letzterem die ersten
Knochenfische und die fliegenden Echsen vor, welche zum ersten Urvogel, dem
Ärcheopterix, überführen. Das vierte Zeitalter entspricht endUch der Bildungs-
epoche, welche wir — man verzeihe den Kontrast der Worte — als Tertiärzeit
zu bezeichnen gewöhnt sind. Es bildet im grossen ganzen den Übergang zur
Jetztzeit und ist das eigentliche Zeitalter der Säugetiere, die nunmehr ihre
vollste, körperlich geradezu oft riesenhafte Ausbildung erreichen. Geographische
und klimatische Verhältnisse haben sich in dieser, jedenfalls weit ausgedehnten
Zeit vereinigt, bei einer bis zu den Polen hinauf verhältnismässig gleichartigen
Wärme ihre vollste Schöpferkraft zu entfalten. Und so bietet jetzt eine weit
ausgedehnte, üppige Vegetation der nunmehr höchst entwickelten Tierwelt, die
wir in erster Linie als kolossale Pflanzenfresser kennen lernen, ein weites und
bequemes Feld der Ernährung auf Kontinenten, welche in ihren heutigen Haupt-
formen schon abgegrenzt sind, wenn auch mannigfache, weitverzweigte Meeres-
arme sich noch in das Innere des Landes drängen und damit seine Frucht-
barkeit begünstigen.
An das vierte Zeitalter aber schloss sich, um den althergebrachten, aber
durchaus ungeeigneten Ausdruck zu gebrauchen, das Diluvium, d. h. zwei Eis-
zeiten mit mächtigen Gletscherbildungen, welche durch eine jedenfalls wieder
sehr lange Zwischeneis- oder Interglacialzeit getrennt waren. Dann kam die
Neuzeit, in deren neuester Periode wir selbst unseren Kampf ums Dasein führen. —
Doch kehren wir zur Tertiärzeit und dem problematischen Tertiärmenschen
zurück! A priori dürften, und darüber sind alle Gelehrten einig, einem Auf-
treten des Menschen zur Tertiärzeit besondere klimatische und anderweitige
Verhinderungen nicht im Wege gestanden haben. Wo die Mehrzahl der grossen
Landsäuger sich wohlbefand, konnte entschieden auch er seine Lebensbedin-
gungen finden. Gedieh doch damals bis 79° nördl. Br. hinauf auf dem jetzt
von 1 — 3000 m starken Gletschereis überdeckten Grönland ein so reicher Pflanzen-
wuchs, dass sich aus demselben Braunkohlenflötze bis zu 3 m Dicke bilden
konnten. Dort oben, in dem heute so vergletscherten Norden, wuchs der Wall-
nussbaum, die Platane, die mit Recht eine Zierde unserer Wiesbadener Alleen
genannt wird, daneben Eiche, Pappel, Ahorn, Epheu und die Weinrebe.
Und was dem Norden zugut kam, war nicht zum mindesten in unserer
Breite vollsäftig und vollkräftig vertreten. Gerade unser Nassauer Land ist
eine hochinteressante Stelle tertiärer Formationen. Hoch ragte sein quarzitisches
Urgebirge mit seinen krystallinischen Schiefern, zum Öfteren noch durchbrochen
von plutonischen Eruptionen. In die anliegenden Tertiärschichten aber schoben
sich weitausgedehnte Meeresbecken, vor allem das sogen. Mainzer Becken,
das südlich vom Taunus beginnend von Bingen und Wiesbaden einerseits über
Kreuznach bis zum Pfülzer liaardtgebirge, anderseits zwischen Taunus, Vogels-
berg bis Gieasen, den Main hinauf bis Aschaffen bürg und den Rhein hinauf
fast bis nach Basel sich erstreckte. Ursprünglich ein Meeresarm, war es später
ein süsser Binnensee, bis ihm schliesslich bei Bingen Durchbruch und Abfluss
gelang. Ein kleines, gleichartiges Becken war bei Limburg. Die Bodensätze
des Mainzer Beckens nun haben uns gelehrt, wie es damals mit Klima und
Flora, ganz abgesehen im Augenblick von der Tierwelt, bei uns bestellt ge-
wesen. Da gediehen zwischen immergrünen Eichen der Zimmetbaum, Magnolien,
Akazien, Cypressen und Palmen, und neben der Traube reifte die Feige. Hätte nicht
damals schon der Mensch in unseren Gauen ganz behaglich leben können? Gewiss!
Aber es ist der geognostischen Forschung bis jetzt nicht gelungen, in den
Tertiärlagerungen unserer Breiten, wie ebenso ganz Europas irgend eine zu-
verlässige Spur des Menschen oder seiner Thätigkeit nachzuweisen. Und das-
selbe gilt für die übrigen Weltteile, soweit diese zur Untersuchung gelangen
konnten, mit Ausnahme vielleicht von Kalifornien, wo Marsh und Wymann,
zwei der gediegensten Gelehrten Amerikas auf dem Gebiet der Geologie und
Altertumskunde, in den obersten Schichten der Tertiärzeit menschliche Spuren
wollen gefunden haben, freilich auch nur „mit grosser Wahrscheinlichkeit", wie
sie selbst sagen.
Wir sind demnach in der Lage zu sagen: dass der Mensch der Tertiär-
zeit, soweit wir bis jetzt eruieren konnten, zunächst bei uns noch nicht existiert
hat. Nicht nur finden wir keine körperlichen Überreste desselben, was bei der
unendlichen Zeitdauer auch nur unter den denkbar günstigsten Umständen
möglich wäre, wir haben, mit Ausnahme, wie gesagt, vielleicht von Kalifornien
und New-Jersey, auch keine Arbeitsprodukte seiner Hand, z. B. erste Stein-
instrumente, welche seine vergänglichen Reste würden überdauert haben. Und
wir wollen bei dieser Gelegenheit wohl betonen, dass wir bei unserer Suche
nach dem Anfang des Menschengeschlechtes gerade auf diese seine primitivsten
Artefakte, als erste menschliche Bethätigungen, ein Hauptgewicht zu legen haben.
Der einfach, aber regelrecht zugeschlagene Peuersteinsplitter, wie ebenso später
der geschliffene Keil oder Kelt, sie bilden das Leitfossil für die ersten Etappen
unserer Vorgeschichte. Das gleiche aber gilt für die an das Tertiär sich an-
schliessende erste grosse Eiszeit, den Beginn der sogenannten Diluvialepochc.
Mit der ersten ebenso wie mit der ihr später folgenden zweiten, um vieles
weniger ausgedehnten Eiszeit ist es nun eine eigentümliche Sache, für die wir
eine ausreichende Erklärung, offen gestanden, nicht zu bringen wissen. Wohl
lässt aus den Überresten der zweiten Hälfte der Tertiärzeit sich eine fort-
schreitende Abkühlung der Temperatur und des Klimas nachweisen, die unge-
heure Vereisung jedoch, die verhältnismässig unvermittelt den steten bisherigen
Entwickelungsgang unterbricht, passt weder in den Rahmen der fortschreiten-
den Abkühlung der Erde, noch des soviel berufenen platonischen Jahres mit
seinen Excentricitäten der Erdaxe. Und ebenso ungenügend ist eine Erklärung
durch die Verschiebung der Wärmezonen unseres Erdballes oder, zunächst
für Europa, das nachgewiesene Versinken der nordischen Tiefebene unter das
Meer. Wir haben für diese so ganz eigenartigen Allgemein -Erscheinungen
jeder Vermutung nach auf ausserhalb unseres Erdballes liegende Ursachen zu
schliessen, deren Besprechung aber hier zu weit führen würde.
6
Von den Spitzen der höheren Gebirge begann eine Vergletscherung, immer
mächtiger anschwellend und ihre Eismassen in fortgesetzter Folge thalabwärts
schiebend. Die noch heute vorhandenen Gletschergebiete nahmen in ihren Aus-
breitungen und Ausstrahlungen allmähUch solche Dimensionen an, dass von den
skandinavischen Alpen aus die ganzen nordischen Meere in eine Eismasse ver-
wandelt wurden, deren Rand von Calais aus durch Frankreich und Belgien
hindurch nach Bonn, dann nordöstlich durch Westfalen und das südliche
Hannover bis zum Nordrand des Harzes, südwestlich mit tiefem Busen bis nach
Thüringen hinein, quer durch Sachsen und südlich von Dresden am Riesenge-
birge und den Sudeten entlang durch Polen bis Kiew hinzog. So weit reichte
von Norden her für Europa die gewaltige, in ihren Verhältnissen gar nicht ab-
zuschätzende Vergletscherung. Tiefer noch ging ihre Grenze in Nordamerika
herunter, wo sie bis in die Breite von Sizilien sich erstreckte.
Zur gleichen Zeit schoben sich von Süden her die Gletschermassen der
Alpen und des Juragebirges in wuchtiger Ausdehnung nordwärts. Und so kam
es denn, dass auf der Höhe der ersten Eiszeit von den 540 000 Quadratkilo-
metern unseres Deutschlands nicht weniger als 360 000 unter starrem Eis begraben
lagen. Um vieles günstiger kam Frankreich fort, denn kaum der fünfzigste
Teil seines Territoriums vergletscherte. Unser ehrwürdiges Taunusgebirge ist, so-
weit bis jetzt nachgewiesen, einer Vergletscherung wohl nicht gewürdigt worden;
aber es ist selbstverständlich, dass, wie überhaupt auf der schmalen mittel-
deutschen Zone, welche zwischen der nördlichen und südlichen Eismasse übrig
blieb — auch bei uns mit Notwendigkeit sich ein rein nordisches KUma ent-
wickeln musste. Auch diese Veränderungen gingen natürlich, wie dies bei der
Erde, mit Ausnahme vulkanischer Störungen, von jeher Gesetz gewesen, nur
Schritt für Schritt vor sich. Die reiche Vegetation der Tertiärzeit zog sich nach
dem Süden, ihr folgte die grosse Tierwelt, so weit sie nicht der Ungunst des
klimatischen Wechsels zum Opfer fiel. Flora und Fauna wurden rein nordisch,
wie wir sie heute in den Tundren am Eismeere finden, aber unser höchstes
Interesse muss dadurch gefesselt werden, dass einzelne grosse Dickhäuter —
Erbstücke der Tertiärzeit, so zu sagen, die wir nur als Repräsentanten warmer
Zonen uns vorstellen können — , sei es aus Bequemlichkeit oder Gott weiss ! wel-
cher Ursache, trotz Wind und Kälte und Schnee und Eis da verblieben, wo
sie einmal waren. Ich spreche von dem berühmten Mammut und von dem
Bhinoceros tichorhiniis. Sie wussten sich durch Beschaffung eines dichten
Wollpelzes dem abgekühlten Klima, durch Änderung ihrer Zahnstruktur der
rauhen nordischen Nahrung anzupassen. Statt saftiger Bananenblätter und
Früchte lernten sie, sich mit trockenen Kiefernadeln zu begnügen. Sie haben
sich durch diese körperlichen Umänderungen aus dem Tertiär herübergerettet,
sind aber von da an rein nordische Tiere geblieben.
Doch die Zeiten wurden wieder mählicli anders und besser. Die Wärme
stieg von neuem an, und während wir auf der Höiie der Tertiärzeit noch ein
Klima besasseu, wie es Nordafrika in guten Jahren aufweist, bildete sich all-
mählich eine neue Wärmeperiode heraus, welche am besten mit dem Klima der
Riviera verglichen werden kann.
Die Gletschermassen kamen zunächst von ihren Rändern her in's Sclimelzcn.
Sie liessen dabei weite Geröllhalden (Moränenschutt), und mächtige, geschichtete
Lössablagerungeu zurück, wie sie heute noch die Vorlande der Alpen und
vorzugsweise die nordische Ebene charakterisieren, Mammut und Nashorn
aber zogen in grossen llerden dem weichenden Eise nacli Norden nach, bis
dahin, wo heute noch am Eismeere ihre Überreste in erstaunlicher Menge
gefunden und das , fossile Elfenbein" geradezu bergmännisch abgebaut wird.
Dort ist auch seiner Zeit so manches von ihnen in die mit Firnschnee ver-
wehten Schluchten des Terrains geraten und rettungslos eingefroren, um uns
mit Haut und Haar erhalten zu bleiben. Andere, weniger wanderlustig, liessen
bei uns an Ort und Stelle den Wechsel der Zeiten über sich ergehen, um
endlich ihrem gefährlichsten Gegner, dem Menschen, zu unterliegen.
Die geradezu unberechenbaren Eismassen der ersten Eiszeit regen die
Frage an, woher die Unmenge Wassers gekommen, aus welcher diese sich
aufgebaut. Und da ist es selbstverständlich, dass diese Massen in erster Linie
den breiten Flächen der Meere entnommen sein müssen ; mit dem Wachsen
des Eises musste naturgemäss der Meeresspiegel sinken. Genaue Lotungen
haben uns gelehrt, dass es diesen Verhältnissen entsprechend eine Zeit gab,
in welcher breite Landzungen, aus dem sinkenden Mittelmeere auftauchend,
unser Europa mit Afrika verbunden haben, .Brücken, die später ebenso all-
mähhch nach der Abschmelzung der Gletscher wieder von den steigenden Fluten
überdeckt wurden. Über die Brücken nun, deren hauptsächlichste wir bei
Gibraltar und Sizilien zu suchen haben, fand zur Besiedelung des von seiner
Winterstarre sich erholenden Europas eine Einwanderung von Afrika aus statt,
— in ihren typischen Tierformen den tertiären Schöpfungen entsprechend, aber
in massiger Entwickelung des Einzelindividuums sie überholend.
Da kam, um die Gewaltigsten zu nennen, der Elephas mitiquus und das
Bhinoceros MercMi, mächtige Flusspferde, Bisons, Urochsen und andere, gefolgt von
den kräftigsten und grössten Raubtieren: Höhlenbären, Löwen, Hyänen u. s. w.
Und mitten unter all' dem bunten Treiben kam auch der erste Mensch nach
Europa — ein dunkelfarbiger Wilder, wie wir nach allem anzunehmen habcD,
nur bekannt mit der Erzeugung des Feuers und der Herstellung des Flintspanes,
der ihm Hauptwerkzeug und Waffe war. Wir dürfen wohl sagen, dass von
seinen körperlichen Überresten uns mit Ausnahme einiger verdächtigen Unter-
kiefer^) nichts übrig geblieben ist. Dafür aber hat er uns, als Leitfossil für
sein Auftreten, seine höchst einfachen, aus Stein geschlagenen resp. abgesprengten
Werkzeuge, sowie die zerschlagenen, oft geschnitzten und selbst künstlich ver-
zierten Knochen der von ihm erlegten und verzehrten Tiere hinterlassen, und
oft genug auch die alten Feuerstellen, an denen er ihr Fleisch geröstet, l^iese
Überreste werden einmal in den Schwemmgebilden verschiedener Flüsse ge-
funden, besonders in dem der Somme in Frankreich, welche mit den Knochen
der Diluvialtiere gemischt in grösster Anzahl noch geschlagene Fcuerstein-
') Doch vgl. den Bericht von Paul Girod in „Bull, dein soci6te vaudoise des sciencos
naturelles", vol. XXVII, No. 105. Lausanne, Fevr. 1892.
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Instrumente aufweist (und zu solchen Fundplätzen gehören auch die geradezu
klassische Kalktuffe von Taubach bei Weimar), dann aber auch, und vor allen
Dingen, in den unzähligen Grotten und Höhlen, welche vorzugsweise der Kalk-,
speziell der Jurakalkformation angehören.
Auch in diesen Dingen haben auswärtige, zumal französische und belgische
Forscher, den ersten Markt beherrscht und der jungen Wissenschaft nach ihren
Fundplätzen und Erhebungen ihre Nomenklatur gegeben, unbekümmert darum,
dass früher schon deutsche Gelehrte unter den gleichen Verhältnissen zu den-
selben Resultaten gelangt waren. Uns selbst darf es eine gewisse Befriedigung
gewähren, dass wir im Nassauerlande auch die Spuren derselben ersten Menschen
haben, welche unter berühmten ausländischen Namen in der Weltlitteratur der
Urgeschichte florieren. Die besonders durch den königlichen Konservator Herrn
Oberst v. Cohausen in den Steetener Höhlen^) bei Limburg a. d. L. erhobenen
Funde sind vollständig gleichwertig allen anderen Beobachtungen. Diese Kalk-
klüfte und Strudeltöpfe gehören mit zu den besten Stellen in Europa, welche
uns zuverlässige und unzweifelhafte Kunde vom ersten Auftreten des Menschen,
vom Diluvialmenschen, bringen.
Diese ersten Menschen von Steeten können, wie bereits gesagt, aller Vor-
aussetzung nach nur Wilde auf tiefster Kulturstufe gewesen sein, wie heutzutage
die Feuerländer und wohl auch noch einige Stämme am nördl. Eismeere. Keine
Spur von Weberei oder Töpferei, den ersten Beschäftigungen der menschlichen
Gesellschaft, nichts ist von Ackerbau nachweisbar. Sie scheinen als Jägervolk
ihr Dasein gefristet zu haben, und mag ihnen die ebenso enge wie steile Schlucht
von Steeten ein vorzügliches Jagdterrain gerade für die Dickhäuter gewesen
sein. Höhlenbewohner können wir sie nicht nennen, dafür fehlen die Spuren
dauernden Aufenthaltes; sie kamen gelegentlich, der Jagd nachzugehen, um dann
in den sicheren, steilgelegenen Felsspalten die abgeschnittenen Teile der im
Abgrund zerschmetterten Pferde, Elefanten und Nashörner sich zu braten.
Und wieder änderte sich das KUma. Eine zweite Eiszeit nahte heran,
in ihren Ursachen uns ebenso unerfindlich wie die erste, wenn sie auch sich
auf einen um vieles beschränkteren Raum erstreckte. Es wurde wieder frostig
und kalt; von neuem bequemte sich die Vegetation, die so üppig auf dem Löss-
boden der ersten Gletscher und auf dem Zwischengletscherterrain Platz ge-
griffen, nach Süden zu flüchten, und ihr folgten die grossen Pflanzenfresser,
ihnen, wie wir früher sahen, in notwendiger Folge die Raubtiere. Aber sie
konnten nach dem warmen Afrika, von dem sie einst herübergekommen, nicht
mehr zurückgelangen. Die damaligen Brücken waren mit dem Abschmelzen
der ersten grossen Gletscher unter der Oberfläche der steigenden Meeresflut
verschwunden, und sie mussten elend verkümmern und als rettungslos verloren
schliessUch zu Grunde gehen.
Der Mensch aber blieb. Wohl erhielt er nicht, wie früher unter
den gleichen Umständen Mammut und Nashorn, ein schützendes Wollkleid, er
') Annalen d. Vereins f. Naas. Altertumskunde u. Geschiclitsforschung ßd. 13, S. 379;
}3d. 15, S. 305, 323; ßd. 17, II, S. 73, 82; Bd. 20, S. 369, sowie ßd. 24, S. 242.
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wusstc durch seine Intelligenz den nötigen Schutz sich selbst zu beschaffen,
nur dass er aus dem früheren Mammut- und Elefantenjäger ein Rentierjäger
wurde. Mehr und mehr sah er das früher gewohnte Wild vor seinen Augen
schwinden, und so hielt er sich an die der fortschreitenden Abkühlung ent-
sprechende Tierwelt, um schliesslich beim Ren, Moschusochsen, Schneehasen
und anderen, jetzt rein arktischen Tieren anzulangen, welche ihm halfen, über
die Härte der zweiten Eiszeit hinwegzukommen, und unter welchen das Ren-
tier sein Ein und Alles wurde. Wir sehen das Gleiche noch heute bei den
Anwohnern des nördlichen Eismeeres, die wir, ebenso nach ihren Steinwaffen
und anderen Artefakten, wie nach ihrer dunkelbraunen Ilautfärbung und Pig-
mentbildung jetzt allgemein als die Nachkommen der ersten IJewohner unserer
Gefilde betrachten. Auch in Steeten haben sich massenhaft die Überreste
von Rentiergeweiheu, bearbeitet und unbearbeitet, gefunden. Als typischsten
Fundplatz für die Reutiermenschen in Deutschland am Ausgang der zweiten
Eiszeit und damit des Diluviums kennen wir die berühmte Schüssen quelle
nördlich des Bodensees, welche, wie ebenso in neuester Zeit die Rentierstation
Schweizerbild bei Schaffhausen, von grösster Bedeutung für die Kenntnis
der gleichzeitigen geologischen, sowie kulturhistorischen Periode zu werden
verspricht.
Die zweite Eiszeit ging allmählich zur Jetztzeit über, selbstverständlich
wieder unter Entwickelung gewaltiger Massen von Schmelzwassern, die all-
mählich sich zu unseren noch heute bestehenden Flussläufen gestalteten, bei
gleichzeitiger Ausbildung neuer, weiter Lössablagerungen. Die Ausdehnung
der letzten neueiszeitlichen Vergletscherungen wurde markiert durch die Moränen-
blöcke, die, oft von gewaltiger Grösse, an dem Rand der Eisfelder liegen blieben
und oft genug auch heute noch die Reste nordischer und hochalpiner Flora
aufweisen.
Der Diluvialmensch war mit den arktischen Tieren dem zurückweichenden
Eise folgend nach Norden gezogen, sein grimmigster Gegner, der Höhlenbär,
nur noch in seinen Knochenresten vorhanden. Der reichhche Löss aber, mochte
er nun geschichtet auftreten als Niederschlag der Schmelzwasser oder wech-
selnder Triftströmungen, oder mochte er nur aus angewehten Staubmassen sich
zusammensetzen, entwickelte sich zunächst zu einer weiten Steppenlandschaft
mit der entsprechenden Tierwelt, um deren Kenntnis Nehring sich die höchsten
Verdienste erworben hat. Dann scheint für Mitteleuropa und speziell auch für
unsere Gegend eine allgemeine, dichte Bewaldung durch unsere jetzt noch be-
stehenden Hölzer eingetreten zu sein.
Um diese Zeit findet eine zweite Besiedelung Süd- und Mitteleuropas
statt. Von der früheren Tierwelt sind Auerochse und Rentier vereinzelt zu-
rückgeblieben oder haben sich wieder in diese Breite gezogen. Sie haben sich
noch lange bis in unsere historische Zeit herein bei uns erhalten; wurde doch
noch Karl der Grosse bei einer Jagd im Ingelheimer Wald von einem Auer-
ochsen in Leib- und Lebensgefahr gebracht. Die zweite Menschenbesiedelung
aber kam diesmal nicht mehr von Afrika, sie kam von Osten, und zwar den
früheren Einwohnern gegenüber als eine verhältnismässig civilisierte Vrdker-
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welle, die sich allmählich über Europa hinweg bis zu den südlichen Meeren
und zu dem atlantischen Ocean ausbreitete. Sie brachte den Ackerbau mit,
schon in ziemlicher Ausbildung, die Weberei und eine bereits nach Form und
Ornamentik hoch entwickelte Tüpferei, wenn dieselbe auch noch ohne Dreh-
scheibe und, wie oft die zarten Nagelornamente zeigen, von Frauen mit sehr
zierlichen Fingern ausgeübt wurde. Noch ist der geschlagene Feuerstein zu
mancherlei Zwecken im Gebrauch, aber zur Leitmuschel für diese neue Etappe
unserer Vorgeschichte wird uns das geschliffene Beil, der polierte Steinkeil,
der zu den verschiedenartigsten Verrichtungen ebenso als Werkzeug wie als
Kriegswaffe gedient haben mag. Von der Weberei jener Leutchen ist uns
selbstverständlich (mit Ausnahme der Pfahlbaufunde) nichts erhalten; aber wir
haben ebenso ihre Spinnwirtel, wie ihre Zettel Strecker aus gebranntem Thon
und mancherlei Kuochenwerkzeug, oft zierlich genug zugeschnitten, um den
Schussfaden durch die Kette zu führen, Ihre Töpferei erhebt sich neben rohen,
vielfach mit Steinchen durchsetzten gewöhnlichen Gefässen bis zu wirklichen
Prachtexemplaren frühester Keramik, deren Strich- und Dreieckornamente durch
eingelegte weisse Kalkmasse auf dem angeschmauchten oder auch graphitierten
Grunde ein heute noch hervorstechendes und gefälliges Muster bilden. Dass diese
neuen Einwanderer aus Asien herübergekommen sind, dafür spricht nicht nur
die Art und Weise ihrer Ausbreitung, dafür spricht vor allem das fremdartige
Material, das bei vielen ihrer geschliffenen Geräte zur Verwendung kommt:
der Nephrit, Jadeit und Chloromelanith, amphibolische Gesteine, die, wie Vir-
chow mit Recht betont, ausnahmslos als Geschiebe und dann wohl aus den
Flüssen des Künlün-Gebirges und aus dem Irawaddi aufgelesen sein müssen.
Ein ähnliches Material wird heute noch in Birma bergmännisch gewonnen,
ebenso ist es auf Madagaskar und Neuguinea zu Hause. Bei uns hat man es
nur ganz vereinzelt in Schlesien getroffen und im übrigen alle Gebirge und
speziell die Alpen umsonst nach ihm durchsucht.^)
Immerhin sind die Hilfsmittel dieses neu eingewanderten Volkes, das den
Ackerbau betrieb und, wie es seine Ansiedelungsreste uns zeigen, schon zu
Gemeinwesen sich emporgeschwungen hatte, noch beschränkt genug, um es
auf bestimmte geologische Verhältnisse zum Zwecke seiner, nunmehr an die
Scholle gebundener Siedelung anzuweisen. Seine Domänen sind in erster Linie
die Lössterrassen, dann die Höhlen. Den weichen Boden der ersteren brauchte
CS, um mit seinen noch unbehilflichen Werkzeugen sich die Trichterwohnung,
die Mardelle, auszubauen. Da genügten die einfachsten Instrumente: der ge-
schliffene breite Kelt, als Hacke benutzt, die Augensprosse des Hirschgeweihes,
die Schaufel des Elches. So wurden trichterförmige Gruben geschaffen bis zu
2 m Tiefe und von verschiedenem Durchmesser; oft alleinstehend, oft aber auch
in der Form ganzer Dorfschaften zusammengestellt. Der Boden wurde hart
zur Tenne geschlagen ; ein paar oft weit hergeholte Steine, mit Vorliebe Sand-
steine, bildeten den Herd, auf dem Aschenroste und Knochen verzehrter Tiere
') Doch vgl. die abweichende Ansicht von Dr. Adolf Müller: ^VorgeschicIiH. Kultur-
bilder aus der Höhlen- und älteren Pfahlbauzeit. " Bühl 1892. S. 28 f.
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in den meisten Fällen liegen blieben, über dem Erdboden aber war ein Dach aus
Stangen zusammengestellt, mit ausgestochenem Rasen bedecict oder mit Zweigen
durchflochten und wenigstens innen dann mit Lehm dicht verstrichen. Das
waren die Wohnräume der Leute der Neusteinzeit, der neolithischen Be-
völkerung.
Ein aus Steinen zusammengetragener Wall mochte, wie auf dem soge-
nannten Herrnplatz über den Steetener Ilühlen, die Haustiere zusammenhalten
und gegen die jetzt nur noch vorhandenen Raubtiere : den brauneu Bären,
Luchs, Fuchs und Wolf und kleinere, eine wirksame Abwehr bilden. Die
Überreste solcher Wohnungen sind gerade bei uns selbst in Wiesbaden sehr
häufig. Sie wurden z. B. beim Bau des Archivs und des Schlachthauses auf-
gedeckt, und als die Herren vom Casino sich einen Weinkeller anlegten, da
fand man zwei kleine derartige Wohnstätten nebeneinander, deren längst ver-
schollene Bewohner aus sehr gefälligen Töpfen sich die kulinarischen Genüsse
des Torfschweines, das den Pfahlbauten zueignet, hatten zukommen lassen. Ln
allgemeinen kann der Satz ausgesprochen werden, dass, wo der Löss, zumal
der ungeschichtete, sich ausbreitet, wir überall auf diese ersten, wirklichen
Wohnreste stossen werden. Kofi er will bei Grossgerau tausende derselben
gefunden haben.
Höhlenbewohner waren die neolithischen Leute nur an wenigen Plätzen,
ganz besonders in den Grotten der lieblich-romantischen fränkischen Schweiz,
wo sie, oft dorfähnlich zusammenwohnend, eine ganz besondere ueusteinzeitliche
Kultur ins Leben riefen, die sich vor allem durch die zahlreichen Artefakte
in Knochen und Hirschhorn auszeichnet; ein ähnliches Verhalten wurde in
jüngster Zeit in der bei Krakau vorhandenen jurassischen Formation nach-
gewiesen.
Im Gegenteile haben sie mit Vorliebe die Höhlen als Begräbnisstätte
ihrer Toten benutzt, welche mit grösster Sorgfalt möglichst im Hintergründe
teils auf, teils in dem Boden bestattet wurden, unter Beigabe von mancherlei
Gebrauchsgegenständen und Töpfereien, oft auch ohne alles. Häufig sind diese
Totenhöhlen durch Steinplatten oder rohes Steinwerk nach aussen abgeschlossen.
Auch hierfür wieder sind die Höhlen von Steeten massgebend und zeichnen
sich nebenbei durch eine ganz wunderbare Erhaltung der Skelettreste, besonders
der Schädel, aus. Von vornherein liegt wohl etwas ausserordentlich Verlockendes
in dem Gedanken, Menschenreste, die selbst zwischen den Knochen diluvialer
Tiere zur Auffindung gelangen, als Zeitgenossen des Mammut, kurz des Dilu-
viums zu begrüssen; eine genaue kritische Untersuchung der Lagerungsverhält-
nisse aber wird bei allen bisher untersuchten Knochenhöhlen erweisen, dass
die menschlichen Skelettreste in den Höhlen, mögen sie mit (wie in der
Wildscheuer von Steeten) oder ohne Töpfereien bestattet sein, mit den da-
runter oder selbst daneben liegenden Überresten grosser Tiere, menschlicher
Brandplätze und Artefakte aus der Urzeit nichts zu thun haben. Sie sind
in das Diluviale später hineingetragen. Was wir von Steeten aber sagen,
gilt von allen Höhlenfundeu im übrigen Deutschland, in Belgien, Frankreich,
Italien, Spanien und Portugal sowie England. Überall finden wir .las gleiche
12
Verhalten und sämtliche, archäologisch und anthropologisch zum Teil so hoch
geschätzte Schädel, wie besonders der berühmte Neanderthaler, gehören ein-
fach der neolithischen Begräbniszeit zu und nichts anderem, trotz aller Mühen,
die man sich um ihn, um den von Engis, den Canustätter, den Schädel von
Spy und andere gegeben hat, sie als die ältesten Urformen hinzustellen. Wir
wollen hierbei überhaupt einschalten, dass wir in der Neuzeit und gerade auf
Grund der sorgfältigsten Erhebungen aus den Höhleu gelernt haben, derartig
alten Schädeln wenigstens nach dieser Richtung mit einem gewissen Skepticismus
gegenüberzutreten. Haben wir doch zu konstatieren, dass wir fast überall bei
diesen ältesten Schädelfunden durchaus abweichende Raum- und Bildungsver-
hältnisse des Hirnschädels vorfinden.
Wir können dies interessante Kapitel, in welchem wieder Steeten eine
massgebende Stelle einnimmt, hier nicht weiter ausführen und wollen nur be-
tonen, dass wir hierbei Thatsachen begegnen, welche die zuverlässige Konstruktion
eines solchen älteren Rassentypus überhaupt unmöglich machen. Ist doch gerade
wieder bei den Schädeln von Steeten, welche einem kleinen, unter denselben
Verhältnissen lebenden Stamm angehörten, der zur selben Zeit seine Leute
begrub, kein Hirnschädel dem andern gleich. Wir haben mit einem Worte zu
erklären, dass dieselben bei den Leuten der zweiten Steinzeit, deren körper-
liche Reste wir endlich und wirklich zwischen den Fingern halten, schon lange
zu den verschiedensten Formen sich ausgebildet hatten, ehe dieses Volk zu
uns kam. Ihr Gesichtsschädel aber ist gleichartig und typisch, und mit seiner
mongolisch breiten Ausladung der Jochbogen, der sehr tiefen Anlage der Schläfen-
grube, mit entsprechender Abdachung der Seitenwandbeine, mit unangenehmen,
niedrigbreiten Augenhöhlen und Nase bei sehr roh angelegten Kieferpartien,
bezeichnen wir ihn als turanisch. Die letzten Reste dieses grossen Volksstammes
sehen wir körperUch erhalten in dem eigentümlichen Völkchen der Basken,
dann aber noch in einer ganzen Reihe typischer Formen zwischen uns selbst
und, nach Ranke, besonders zahlreich in Bayern.
Da wir von den Höhlen als neolithischen Begräbnisplätzen gesprochen,
dürfen wir wohl fragen, wo die Bewohner der breiten Lössflächen ihre Toten
bestattet, zumal die Höhlenbildung doch immer nur in vereinzelten Gebirgs-
formationen sich vorfindet ; und da entdecken wir, wenn auch selten, bei uns
die ausgedehnten ältesten Friedhöfe unserer Fluren; die Gräber, meist einfach
in den Boden eingeschnitten, selten, gleichsam als Nachbildung des Höhlen-
grabes aus Steinplatten gefügt, wie in primitivster Weise z. B. in Schierstein.
Die Leichen wurden, wie meist in den Höhlen, sitzend beerdigt; ein geschhffener
Steinkelt, ein Feuersteinmesser, einige Töpfereien bildeten die meist sehr spär-
liche Beigabe. Um vieles interessanter gestalten sich die neolithischen Bestat-
tungen am Rande des Bodens der zweiten Eiszeit, dort, wo ihre erratischen
Blöcke geblieben sind und nun ein rohes, aber gigantisches Material für die
Errichtung der Dolmen und grösseren Ganggräber boten. Unserem Lande sind
diese interessanten Hünengräber versagt, denn bis zu unseren Gauen haben
sich keine nordischen Granite und Gneise auf der breiten Fläche der alten
Gletscherwelt heruntergewagt, aber wir kennen sie wohl alle, aus eigener An-
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scliaiiung odci* wenigstens aus Bildern, diese tiefernsten und dabei so gewaltigen
Äusserungen einer Pietät für geliebte Tote, die viele Jahrtausende über-
dauert haben.
In dieselbe Zeit und vorzugsweise in die gleichen Gegenden fallt die
Errichtung uralter Steindenkmäler, zu welchen ebenfalls die erratischen Blöcke
das Material geben. Mächtige Steinriesen stehen allein, als Menhirs, oder zu
Kreisen oder grossen Gruppen geordnet, oft mit Tragsteinen überdeckt. Ihre
Bedeutung scheint meist kultureller Art zu sein. Bei uns fehlen dieselben,
wie die eben erwähnten Dolmen. Aber die Errichtung der Menhirs der neo-
lithischen Leute scheint doch ein allgemeinerer Gebrauch gewesen zu sein, sodass
sie, wie im Grossherzogtum Hessen z. B. in den verschiedensten Stücken, wenn
auch nicht aus erratischen Gesteinen aufgerichtet, auffällig häufig erscheinen
und unter dem Namen Langenstein, Gluckenstein, Gickel- und Hünerstein u. s. w.
heute vorzugsweise als alte Grenzsteine aufgefasst werden. Dass diese Erklärung
freilich nicht immer stimmt, mag aus dem mächtigen Monolithen erhellen^ der
seinerzeit als Wahrzeichen auf dem berühmten neolithischen Gräberfeld von
Monsheim dem Sturm der Jahrtausende getrotzt hatte; einen zweiten, umge-
stürzten fanden wir auf dem gleichartigen Friedhofe von Nierstein. Bei Hom-
burg steht heute noch ein Glocken-, richtiger wohl Gluckenstein, seit langem
ein ausgesprochenes Grenzmerkzeichen, und doch scheint sein Name eine land-
läufige Umänderung von Hühnerstein zu sein, verdorben aus dem alten Hünen-
stein, dessen Begriff und Abstammung verloren gegangen war. Und zur Be-
stätigung dessen grüsst dabei von der Höhe des Taunus herüber der alte
Ringwall der Gickelsburg, deren Namen wir schliesslich auch auf die Vorfahren,
die Hünen, zurückführen.
Die Leute der zweiten Steinzeit haben aber nicht nur auf oder in dem
Löss ihre Wohnsitze gehabt. Sie haben wahrscheinlich schon beim Beginn
ihrer Einwanderung zunächst die östlichen Seen und Sümpfe als Pfahlbaueru
bewohnt. Wir wollen uns hier nicht des weitern auf die Eigenart der Woh-
nungen, der Lebensweise der sogenannten Pfahlbauern einlassen; dieselbe darf
als bekannt vorausgesetzt werden. Die zahlreichen und so mannigfachen Über-
reste aber, die wir in ihren abgebrannten Seedörfern, in erster Linie des Boden -
sees, gefunden haben — die geschliffenen Steininstrumente, die eigenartigen
Töpfereien, sowie die übrigen Kunstgegenstände — sind in Form und Mache
mit den Artefakten unserer neolithischen Bewohner fast ausnahmslos identisch.
Die Hinterlassenschaft unserer neusteinzeitlichen Bevölkerung, mögen wir
diese nun den Höhlenbestattungen, den Mardellen, den Dolmen u. s. w. ent-
nehmen^ giebt uns den unumstösslichen Beweis in die Hand, dass wir ohne
jedes Bedenken die alten Pfahlbauern wie ebenso die ihnen in jeder Richtung
nahestehenden Leute der Terramaren jenseits der Alpen demselben grossen
turanischen Volksstamm zurechnen müssen, den wir gewohnt sind als die Cro-
Magnon-Leute zu bezeichnen, der aber ebenso gut nach unseren Steetener
Toten genannt sein könnte.
Wir sehen auf diese Weise ein grosses einheitliches Volk vor uns, auf
einer gleichmässigen Kulturstufe stehend, aber noch ohne Kenntnis der Metalle.
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In erster Linie Ackerbau treibend, wurde und blieb es bei uns sesshaft; ja es
hat sogar, trotz aller späteren Stürme, seine letzten Reste, wenn auch ganz
vereinzelt, bis in unsere Gegenwart gerettet. Seiner Entfaltung standen keine
neuen klimatischen Yeränderungen im Wege, wie die, welche seinen Vorgängern
das Leben erschwert hatten; aber noch waren für ein gutes Gedeihen bei der
Mangelhaftigkeit der Ausrüstung gewisse günstige geologische Bedingungen not-
wendig geblieben, ein mühelos zu bewohnender und zu bebauender Boden,
unter Umständen selbst ein Schutz in den Seebecken, welche die Stirnmoränen
der letzten Gletscher geschaffen. Als dann neu aus dem Osten andringende
Völker, die wir als arisch bezeichnen, ihnen den Boden streitig machten, teils
sie vernichtend, teils sich mit ihnen mischend, als verhältnismässig bald die
Metalle im Kriegs- wie im Friedenshandwerk anfingen die Oberhand zu gewinnen,
lernte auch bei uns der Mensch sich mehr und mehr von den geologischen
Bedingungen zu lösen, die ihn bisher mit Notwendigkeit an sich gefesselt hatten.
Und als er endlich das wichtigste und edelste aller Metalle, das Eisen, seinem
Willen fügbar gemacht hatte, da war er zum erstenmale wirklich frei von den
Hemmnissen, die ihm die Natur bis dahin angelegt, und mit stolzer Freude
schritt er in ein neues Zeitalter seiner eigenen Entwickelung.
Die „Ewige Lohe^^ bei Homburg v. cl. Höhe.
eine f'i'ühgeschichtliche Grabstätte.
Von
H* JaCObi^ Kgl. Reg.-Baufal.ror.
Mit Tafel I und II.
Die Untersuchung von Ortsnamen und Flurbezeiehnungen bildet ein zu-
verlässiges Hilfsmittel zur Auffindung von geschichtlichen Fundstätten. Gerade
für die deutsche Vorzeit, zu deren genauer Erkenntnis schriftliche Aufzeich-
nungen fehlen, sind sie von hoher Bedeutung, weil in ihnen oft historische Be-
gebenheiten einen Ausdruck gefunden und bis zum heutigen Tage mit wunder-
barer Energie erhalten haben, die man sehr leicht in das Reich der Sagen zu
weisen geneigt ist. Mauern, die noch in späteren Jahrhunderten über die Erde
hervorragten oder unter derselben dem Ackersmann beim Pfiügen viel Be-
schwerde bereiteten, Brandschutt und Reste von Gefässen und Waffen, die
dort zu Tage kamen, zeugten von einer älteren Kultur, und es lag nahe, wenn
man damit die Überlieferung in Verbindung brachte, an Ansiedlungen zu denken,
die durch grosse Kriege von dem Erdboden verschwunden waren. In der
späteren Zeit machte man den dreissigjährigen Krieg dafür verantwortlich, der
noch als das letzte grosse zerstörende Element in Aller Erinnerung lebte.
In der Umgebung von Homburg v.' d. Höhe, wo man den Flur- und
Gemarkungsnamen stets einen besonderen Wert beilegte, ist es gelungen, nachzu-
weisen, dass eine Reihe von Ortschaften, die angeblich durch jenen grossen Krieg
verwüstet sein sollen, wahrscheinlich nie existierten und nichts weiter als vor-
römische, römische oder fränkische Niederlassungen und Kultstätten waren.
In alten Flurnamen, wie „Blutige Haide", „Streickart" oder „Streickert" =
Streitplatz u. a. m. ist die Erinnerung an frühere Kämpfe erhalten geblieben ;
Ausgrabungen an Ort und Stelle haben eine interessante Ausbeute an Alter-
tümern ergeben.
Eine alte Flurbezeichnung wie „Ewige Lohe" musste deshalb die vollste
Aufmerksamkeit erregen, besonders, nachdem auch vereinzelte Scherben von
dort abgeliefert waren. Man dachte bei dem Ausdrucke „Ewige Lohe« an eine
alte Opferstätte, indem man „Lohe" = „wallende Glut" nahm. Dem steht aber
gegenüber, dass in alten Karten, Urkunden sowie im Volksmunde die Flur
16
„EppigG Lohe" genannt wird. „Eppich" heisst bei den Bauern jener Gegend
= Epheu (Grimm: Eppich, Ebich und Ewich), und es ist wahrscheinlich, dass
die Flur in früherer Zeit Wald war, woselbst Epheu in grosser Menge wuchs;
daher die Bezeichnung = „Epheuwald". „Lohe" bedeutet soviel wie
„Wald" (Grimm: loh = Wald, Holz, Walddistrikt). Prof. Arnold schreibt
darüber in seinem Buche: „Ansiedelungen und Wanderungen deutscher
Stämme" mit Bezug auf Hessen: „loh, lat. lucus^ in der ursprünglichen Be-
deutung jetzt erloschen ; wir brauchen jetzt dafür Hain oder Wald ; viel häu-
figer ist unser „loh" in den Feld- und Waldorten, einfach und zusammen-
gesetzt . . . begreiflicherweise findet sich das Wort in den Flurnamen häufiger
als in den eigentlichen Ortsnamen ..." — und an anderer Stelle : „Ich ver-
mute, dass das Wort ursprünglich gleich dem lat. lucus die dem religiösen
Kultus geweihten Waldorte bezeichnet und erst in der christlichen Zeit
einen allgemeineren Sinn angenommen hat. Denn nur so weiss ich es zu er-
klären, dass nicht bloss einzelne ganz isolierte Waldstücke sich vielfach bis
auf die Gegenwart erhalten haben, sondern dass vorzugsweise solche auch den
Namen „loh" führen . . . Bei Feldorten verrät oft die Präposition aufm, im,
vor dem Lohe wieder die alte Bedeutung . . . Von Zusammensetzungen führe
ich beispielsweise an: das grosse, kleine, hohe, schöne, lange „loh" etc."
Bei Homburg kommen Bezeichnungen wie „Eichenlohe, Lindenlohe"
(= Wald) vor, die bei Untersuchungen Überreste römischer oder fränkischer
Ansiedelungen aufwiesen.^)
Die „Ewige Lohe" bei Homburg liegt dicht hinter den Mineralquellen
am Feldwege (alter Römer- Weg) nach Gonzenheim; sie bildet den südöstlichen
Teil des vor dem Hardtwalde nach dem Quellengebiete zu abfallenden Ab-
hanges, der jetzt mit Obstbäumen bedeckt ist, in alter Zeit aber ohne Zweifel
zur „Hardt" gehörte. — In der dort gelegenen Braun'schen Sandgrube und
Ziegelei wurden schon früher einzelne vorrömische Gefässe gefunden, die aller-
dings einen grossen Teil ihres Wertes dadurch eingebüsst haben, dass ihr ge-
nauer Fundort sowie ihre Zusammengehörigkeit jetzt nicht mehr nachzuweisen
ist. Ende August 1891 stiessen Arbeiter beim Abheben der oberen Schichten
in der nordwestlichen Ecke der Grube wiederum auf Scherben. Da sie sofort
davon Mitteilung machten, und der Besitzer Herr Johann Braun wie schon
öfter in dankenswertester Weise die Erlaubnis zum Nachgraben gab, konnte
die Stelle, die sich als frühgeschichtliches Grab erwies, genau untersucht wer-
den. Da dieser Fund der erste frühgeschichtliche ist, der sowohl in dieser
interessanten Flur, wie auch überhaupt im Homburger Gebiet vollständig er-
hoben und aufgenommen werden konnte, so dürfte einer etwas ausführlicheren
Beschreibung Raum gegeben werden. —
Die über den Scherben liegende ca. 1 m hohe Erdschicht bestand aus
angeschwemmtem, fest zusammengewachsenem Löss, der ab und zu von kleinen
Eisensteinen^) durchsetzt war. Nur mühsam gelang es, aus der harten Erde
*) Prof. Arnold setzt die Entstehung dieser Bezeichnungen in seine älteste Periode. —
') Dicht bei der Fundatelle liegt eine Gemarkung «jEisenberg", in der früher Eisensteine ge-
sucht wurden.
17
mit Hilfe vou Messern die Scherben lierauszuschiieideu, die gauz durchweiclit,
trotz grösster Vorsicht, viel unter den Messern litten ^) ; an der Luft wurden
sie später wieder hart. Sie lagen über einen fast kreisförmigen Raum von
ca. 1,50 m Durchmesser ausgebreitet; durch den auf ihnen lastenden Erddruck
war eine Anzahl Gefässe, die auf der alten natürlichen Erdoberfläche zusam-
menstanden, zerdrückt und ihre Bruchstücke in einer Höhe von ca. 20 cm dicht
aufeinandergepresst worden. Auf dem stark eisenhaltigen Urboden lag unter den
Scherben ein vollständig verrostetes Eisenschwert mit der Spitze fast genau
nach Norden orientiert. Senkrecht zu diesem fand sich ein eisernes Dolch-
messer vor, und neben diesem auf eine Schale aufgerostet ein halbringförmiges
eisernes Messer (vergl. Taf. I, Fig. 1 u. 2). Eine Steinpackung war nicht vor-
handen ; von Aschen- und Knochenresten keine Spur ; dagegen zeigten sich
spärliche Überreste von Holzkohlen. Es konnte mithin nicht mehr zweifel-
haft sein, dass man ein frühgeschichtliches Grab erhoben hatte, in dem ein
reicher Krieger mit seinen Waffen und Hausgeräten nach der Verbrennung
beigesetzt war.
Was die einzelnen Pundstücke anlangt, so sind die Eisengegenstände
die weitaus wichtigsten. Das eiserne Schwert ergab nach sachverständiger
Ablösung des Rostes in seinem Kerne die auf Taf. I, Fig. 3 und 3a abge-
bildete Form. Sie ist typisch für jene noch in geringer Zahl gefundenen
frühgeschichtlichen langen Eisenschwerter der Hallstadtzeit und für die Zeit-
stellung und Klassifizierung des Grabes in erster Linie massgebend. Das
Schwert hat jetzt noch die beträchtliche Länge von 1,07 m und erreicht somit
diejenige des in Hallstadt ^) gefundenen. Die Klinge ist geschweift und in der
Mitte an der breitesten Stelle = 6 cm ; eine Mittelrippe lässt sich bei der
starken Oxydation nicht mehr feststellen. Das Heft ist besonders angesetzt
und war, wie erhaltene Spuren beweisen, mit einem hölzernen Griffe versehen.
Von gleicher Bedeutung ist das dabei liegende Dolch messer (Taf. I,
Fig. 4), das ebenfalls für eine Reihe von Hallstadtgräbern der Eisenzeit eigen-
tümlich ist. Es hat einen geschweiften, ziemlich breiten Rücken, ist 21 cm
lang und imitiert ebenso wie das Eisenschwert die Form von Bronzewaffen.
Das halbringförmige Messer ist ebenfalls aus Eisen, besser erhalten wie
die beiden vorigen, doch sehr dünn (Taf. I, Fig. 5). Bronzemesser in der-
selben Form sind öfters gefunden.
Die zu Tage gekommenen Scherben wurden sorgfältig zusammengelegt,
doch war die Lage der einzelnen Gefässe zu einander nicht mehr zu er-
kennen. Mit grosser Bereitwilligkeit hat sich Herr Seibel aus Homburg der
nicht geringen Mühe unterzogen, die Gefässe zu kitten. Vollständig zusammen-
gekommen sind 7 Stück, von 3 weiteren sind Bruchstücke vorhanden. Im
übrigen ist es nicht nötig, dass alle Gefässe vollständig erhalten sind, da man
dem Verstorbenen wie bei den Griechen und Römern wohl meistens seine Ge-
') Dies zur Erklärung für diejenigen, welche in diesen Einschnitten etwa beabsichtigte
Zeichnungen zu sehen glauben. — '-) Vergl den Aufsatz von Lindenschmit über das vor-
geschichtliche Eisenschwert in dessen: „Altertümer unserer heidnischen Vorzeit, Band IV,
Heft VI."
2
Bezeichnung
Oberer
Durchmesser
Taf. II,
Fig.
1.
38
n
n
2.
34
fl
»
3.
24
»
»
4.
24
»
«
5.
21
»
n
6.
23
%i
11
8.
6
Grösster
Durchmesser
Höhe
55
50
46
44
8
8
8
—
7
11
11
18
brauchsgefässe mitgab, auch wenn sie zerbrochen waren. Taf. II giebt in ihrer
oberen Hälfte die Form der im August 1891 ausgegrabenen Gefässe; ihre
Masse sind folgende :
Unterer
Durchmesser
15
14
6
9
6
6V2
Gefäss Fig. 1 von sehr grossen Dimensionen läuft nach unten konisch
zu und ist infolge seines auffallend kleineu Bodens sehr wenig stabil; es war
wahrscheinlich beim Gebrauche eingegraben oder an einem Ringe aufgehängt.
Die Gefässwände sind dick, nach unten zu stellenweise fast vollständig durch-
gebrannt. Das Äussere ist künstlich durch Reisig oder grobes Tuch rauh ge-
macht, um den Topf besser handhaben zu können. Gefäss Fig. 2 ist von gelb-
lich-rotem Thone, hat glatte Oberfläche und eine geschwungene Form.
Fig. 3 — 6 sind flache Schalen mit dünnen Wänden, aus feinerem Thon,
aussen schwarzbraun ; ein besonderer Boden ist nicht vorhanden, das sackartig
durchhängende Gefäss war durch Aufstellen auf den Boden unten platt gedrückt.
Fast ganz erhalten ist ein kleiner Trinkbecher (Fig. 8), ebenfalls von
feinerem Thon; er läuft nach unten in eine Spitze aus, mit der er jedenfalls
in den Erdboden eingedrückt war.
Fig. 7 giebt Bruchstücke einer ganz dünnen Schale, deren Form sich
leicht ergänzen lässt; sie hat einen Durchmesser von 15 cm, ist rot und hat
am oberen Rande einen 2 cm breiten schwarzen Streifen aus Graphit. — Das
Gefäss, dessen Henkel in Fig. 9 dargestellt ist, lässt sich nicht mehr rekon-
struieren.
Die Technik der Gefässe ist eine sehr ursprüngliche; Form und Material
weisen darauf hin, dass sie an Ort und Stelle hergestellt und gebrannt sind
(die Ziegelei liefert einen Thon, der heute noch von den Töpfern verwandt
wird) ; ein so umfangreiches Gefäss wie Fig. 1 wird man auch nicht auf Wan-
derungen mitgenommen haben. Der Thon der grösseren Gefässe ist sehr stark
mit Quarzsteinchen durchsetzt, zum Teil wohl um ein leichteres Brennen zu
erreichen. Die Drehscheibe scheint nicht zur Anwendung gekommen zu sein,
die Gefässwände sind nicht gleich stark, ihre Oberfläche ist sehr uneben und
ohne jeglichen Schmuck. Die Bruchstücke Fig. 7, 8 u. 9 machen eine Aus-
nahme. Die feinere Technik legt die Vermutung nahe, dass diese importiert sind.
Da in gegebenem Falle alles Neue und Auffallende erwähnt zu werden
vordient, so sei noch eines pyramidenförmigen Quarzkrystalls in der Grösse
einer Kinderfaust gedacht. Derartige Krystalle kommen in der dortigen Gegend
nicht vor, sondern finden sich nur jenseits des Taunus bei Katzen-Eschbach,
ein Beweis dafür, dass man damals eine Verbindung mit jener Gegend kannte.
10
Der Brauch, den Toten besonders gestaltete oder gefärbte Steine, sei es als
Andenken an ihre Ileimaf, oder dass man ihnen eine besondere Bedeutung
beimass, mitzugeben, findet sich auch bei anderen Völkern wieder. —
Von den im Jahre 1880 in der „Ewigen Lohe" gefundenen Gefässeu,
welche ebenfalls zusammen den Inhalt von Gräbern ausmachten, aber leider
ohne Zuziehung von Sachverständigen der Erde entnommen wurden, habe ich
die hauptsächlichsten auf Taf. II in der unteren Hälfte angegeben. Ihre
Masse sind folgende:
Bezeichnung Oberer Unterer Grösster
" Durchmesser Durchmesser Durchmesser noiie
Taf. II, Fig. 10. 27 8 30 23
„ 11. 29 8 _ • 12
„ „ 13. 21 6 - 8
„ 14. 17 8 20 8
„ 15. 12 3 - 5
„ 16. 13 7 — 9
Die Gefässe Fig. 10 u, 14 sind schwarz und sehr hart gebrannt. Fig. 14
ist echinusförmig, am oberen Rande mit richtigem Gefühle eingezogen, um ein
Überfliessen zu verhindern. Im Gegensatz dazu hat Fig. 13 einen flachen,
gerade abgeschnittenen Rand; die Schale ist sehr roh gearbeitet, die Wände
sind sehr stark. Von ebenso primitiver Herstellungsweise sind Fig. 12 u. 15,
von denen soviel Bruchstücke vorhanden sind, dass ihre Form hergestellt werden
kann. Fig. 11 u. 16 sind beide von sehr altertümlicher Technik: Fig. IG aus
sehr unreinem Thon mit starken Wänden und besonders angesetztem Boden-
rand. Die auf seiner Oberfläche angebrachten Nägeleindrücke dienen wohl
nicht als Verzierung, sondern nur zum Rauhmachen; sie sind sehr klein und
lassen auf Anfertigung durch Frauenhände schliessen, wie dies auch von an-
deren Völkern bekannt ist.
Besonders interessant ist das Bruchstück eines sehr grossen Gefässes
(Fig. 17), vielleicht von einem oberen Durchmesser von ca. 60 — 70 cm. Der Thon
ist sehr grobkörnig, bei der grossen Dicke der Gefässwände aus technischen
Gründen. Am Halse trägt es einen Ring, der mit den Fingern angeknetet ist;
die höchsten Punkte desselben bilden eine wellenförmige Linie. Er giebt viel-
leicht eine Erklärung für den Transport eines solchen Gerätes und ahmt ent-
weder das gewöhnlich um den Hals gelegte Tau aus Hanf oder Stroh nach,
oder diente dazu, das Hinaufrutschen eines Strickes zu verhindern. Die Gefässe
Fig. 11, 13, 15, 16, 17 bilden ihrer unbeholfenen Form wegen einen eigen-
artigen Kontrast zu den übrigen auf der „Ewigen Lohe" gefundenen. Man
braucht deshalb nicht anzunehmen, dass sie älter sind wie die anderen, da
primitive Herstellungsweise nicht immer die ältere ist. Wir dürfen eher in
der Unvollkommenheit der Technik einen Beweis dafür erblicken, dass derartige
einfache Gebrauchsgegenstände im Lande selbst, wie es eben die lokalen Ver-
hältnisse erlaubten, in unserem Falle möglicherweise nicht weit vom Fundorte
gefertigt sind.
2*
20
Mit diesen Scherben wurde auch das Bruchstück eines eisernen Schwert-
griffes mit Bronzeknöpfen ausgegraben. —
Die Fundstücke sind sämtlich im Saalburg-Museum zu Homburg aufge-
stellt und vertreten in der Homburger Abteilung der Sammlung die älteste
Kultur jener Gegend.
Betrachtet man die Gräberfunde von 1880 und 1891 im Zusammenhange
mit den wiederholt an verschiedeneu Stellen der „Ewigen Lohe" aufgefundenen
vorrümischen Scherben, so darf man wohl annehmen, dass die Flur, in alter
Zeit mit Wald bedeckt, eine ausgedehnte Grabstätte bildete, deren hohes Alter
schon durch die geologische Formation des Bodens bewiesen wird. Dass diese
Gemarkung bis heute den Namen „Ewige Lohe" behalten hat, wäre eine Be-
stätigung der von Prof. Arnold gegebenen Erklärung für die mit „loh" zu-
sammengesetzten Lokalnamen. Da, wie oben erwähnt, der Hardtwald sich
unfraglich über die „Ewige Lohe" hinaus erstreckt hat, und sich in letzterem
jetzt noch mehrere Hügelgräber befinden^), ist es wahrscheinlich, dass auch
die Gräber auf der „Ewigen Lohe" von Hügeln bedeckt waren, welche bei
der späteren Kultur des Bodens abgetragen wurden. Vielleicht hat auch die
Natur die Einebnung selbständig bewirkt und die Grabhügel jener interessanten
Flur verschwinden lassen, deren Bedeutung als einer einst geweihten Stätte
heute nur noch in der Flurbezeichnung nachklingt.
Eine genaue Zeitstellung der Funde anzugeben, ist zum mindesten ver-
früht; einen vorläufigen Anhalt dazu giebt der Umstand, dass dicht bei, zum
Teil auch auf der „Ewigen Lohe" Reste von römischen Ansiedlungen gefunden
worden sind; u. a. wurde daselbst im Jahre 1880 eine grosse römische Villa
aufgegraben.^)
') Noch nicht untersucht, doch in der archäologischen Karte von Dr. Hammeran an-
gegeben. — -) Vergl, darüber: v. Cohausen und Jacobi, „Römische Bauwerke'', Annalen
XVII, pag. 123 ff.
Vorrömische Altertümer
Von
A* Y* Cohausen*
1. Der Briiuliildissteiu auf dem i^rossen Feldberi^.
Mit Tafel III.
Auf dem Gipfel des grossen Feldbergs im Taunus ragt ein Felsen auf,
der nach der Sonnenseite einen sanften Abfall, nach Norden aber eine senk-
rechte zerklüftete Wand in Gestalt eines Dreiecks hat, deren Grundlinie etwa
10, deren Höhe 2,75 m beträgt; am Fuss derselben hegt zwischen herabge-
stürzten Blöcken einer, auf dessen ansteigender Oberfläche eine schalenförmige
Vertiefung und ein breiter Auslauf zu erkennen ist.
Der Felsen ist schon in einer Grenzbegehung des Klosters Bleidenstadt
von 812 der Bruuhildenstein, 1043 das Brunhildenbett^) „lectulus Brunhilde",
eine nahe Quelle Brunhildenborn, ein Wald Brunforst genannt worden. Der
Name erinnert an Wodans Walküre, auch wohl an jene gewaltige austrasische
Königin, deren schreckUche Thaten und Tod nach 200 Jahren wohl noch im
Volksbewusstsein lebten. Dazu die weit ins Land hinausbhckende Lage auf
der öden und erhabensten Höhe des Taunus haben den Stein mit einem uu-
heimUchen, sagenhaften Schleier umhüllt, in dem sich die Gebilde der nordischen
Götterwelt, deren Verehrung durch blutige Opfer, für welche die Opferschale
und Blutrinne noch nachgewiesen werden, abheben, und uns in jene tragisch-
poetische Welt hinüberzaubern.
Wenn wir aber die Brille klar wischen, so erkennen wir die vordere
natürliche Schichtfläche, und in der hinteren blaugrauen Wandfläche der zer-
klüfteten Felsen drei weisse Flecken von elhptischer Form (a, &, c). Sie haben 20
bis 30 cm Durchmesser und bestehen aus einer anderen helleren Masse, oder einer
Niere, welche allem Anschein nach noch so scharf umrissen und voll vor uns
stehen, weil sie gegen Sonne und Regen geschützt nicht ausgewittert sind;
wäre das geschehen, so würden sie eben solche Schalen hinterlassen haben,
*) Wir folgen hier Vogels Beschreibung von Nassau und der landläufigen Benennung,
obschon unter dem eigentlichen Brunhildenstein in der Grenzbegehung von Bleidenstadt 812
die Hohe Kanzel, 6 km nordöstlich der Platte, und in der Grenzbegehung von Schlossborn
um 1043 der Felsen auf dem Feldberg als das Brunhildenbett geraeint ist.
22
wie die in dem Block am Fuss der Felsen jetzt vorhandene (d). Man erkennt hier
eine 30 cm weite, 16 cm tiefe Schale und in dieser das Gefüge des umschlies-
seuden Gesteins in gekrümmten und gezogenen erhabenen Reifein und Ver-
tiefungen, an denen nie eine menschliche Hand eine Glättung versucht hat;
man erkennt hier den Abdruck einer ebensolchen Niere, wie sie in der senk-
rechten Wand noch erhalten sind. Aber was sind diese Nieren, und wie kom-
men sie dorthin? Durch diese Frage gelangt die Sache aus dem. Gebiete der
Mythe, wie so manche andere, in das der Naturkunde. Und wir gestehen,
dass, dies voraussehend, wir den auch als Geologen weitberühmten Professor
Dr. Yolger in Sulzbach bei Soden eingeladen hatten, unseren Ausflug mit-
zumachen.
Mag es manchen Laien, der die häufigen Metamorphosen der Mineralien
im kleinen wie im grossen nicht kennt, überraschen, wenn er hört, dass das
Quarzitgestein des Taunus nicht immer das war, was es jetzt ist und wie wir
es vor uns sehen, sondern Kalk, der überlagert mit Quarzgebilden durch deren
Lösung in Quarz umgesetzt worden ist, während der Kalk ausgelaugt und fort-
geführt dem Quarz seine Gestalt hinterlassen hat. Daher die wenn auch nicht
allzu häufigen Versteinerungen und Abdrücke von Tier- und Pflanzenresten im
Quarzit und seinem Nachbargestein, und unter jenen auch die hellen Nieren,
welche uns die Gestalt des Seeschwarams erhalten haben — als Versteinerungen
in der Felswand, als Abdruck in der Opferschale. Mögen die Seeschwämme
der Einfilterung des KieselstofFes länger widerstanden haben und dieser dadurch
in Farbe und Material etwas geändert, auch ihre Form etwas verdrückt worden
sein — immerhin ist ihre Form in der Schale, ihr Stiel in dem Auslauf uns
aus einer unendlich fernen Zeit und trotz unendlicher Wandlungen der Gebirge
erhalten.
Aus dieser trockenen unpoetischen Betrachtung müssen wir noch einmal
auf den Kultus zurückkommen, der auch ohne Opferschale und Blutrinne um
das Brunhildenbett noch gefeiert worden sein mag.
Bei einem anderen Ausflug auf dem Feldberg mit Freunden, die im vor-
hergegangenen Jahre Algier und Tunis bereist hatten, wurde ihnen einige Kilo-
meter von letzter Stadt ein Felsen gezeigt, auf dessen schräger Fläche die
Beduinenweiber auf der vorderen oder auf der Kehrseite, je nachdem sie sich
einen Kindersegen vom Himmel erflehen oder davon genug haben, hinab-
rutschen. Der Felsen, bei dem ein kleiner Tempel steht, aber kein Bade-
oder Waschplatz sich befindet, heisst „Sidi-Blaten".
Von den frühesten Bewohnern unseres Landes kennen wir aus den Hügel-
gräbern kaum viel mehr als ihren Bronzeschmuck für den Hals, die Arme und
Beine ; er ist ganz gleich dem, den jene Völker in Afrika noch tragen. Sollen
jene auch ähnhche Votivgebräuche gehabt haben wie diese? Allerdings wider-
strebt es uns zu glauben, dass die germanischen Frauen dasselbe für geziemend
hielten, was sich für die Beduinenweiber noch schickt.
Wenn nun auf dem Feldbergfeste die Turner den Stein werfen und den
Weitsprung üben, so folgen sie nur dem Vorbild der Brunhilde, von der das
Nibelungen-Lied sagt:
23
„Brunhildens Stärke zeigte sicli niclit klein,
Man trug ilir zu dem Kreise einen scliweren Stein,
Gross und ungeheuer, rund und stark und breit.
Ihn trugen kaum zwölfe dieser Degen kühn im Streit.
Den warf sie allerwegen — wie sie den Spiess verschossen.
, . . Da trat sie hin geschwinde, zornig war ihr Mut,
Den Stein hoch erhob sie, die edle Jungfrau gut;
Sie schwang mit grossen Kräften ihn ferner von der Hand,
Dann sprang sie nach dem "Wurfe, dass laut erklang ihr Gewand,
Der Stein war geflogen zwölf Klaftern von dem Schwung,
Die Jungfrau, wohlgeschaffen, erreicht ilin doch im Sprung." •
Nibelungen-Lied, übersetzt von Dr. K. Simmrock, 7. Abenteuer.
2. Der Abschiiittswall und der Riiigwall auf dem Rücken der
Hofheimer Kapelle. - Ein Jadeitbeil (Taf. III).
Den Abschnittswall, welcher den Rücken, an dessen südlichem Ende die
Hofheimer Kapelle liegt, begrenzt, haben wir im Bd. XX, p. 9 der Annalen dar-
gestellt. Da wo eine Schneise 300 Schritt hinter dem Wall dessen Biegung
durchschneidet, um zum Lorsbacher Thal zu führen, wurden bei der Anlage
eines Promenadeuwegs in dem Gerolle des Walldurchschnittes zwei Steinbeile,
welche zur Zeit der Wallanlage keine Beachtung erweckt hatten, gefunden und
durch Herrn Otto Engelhard aus Hofheim dem Altertumsmuseum in Wies-
baden geschenkt. Das eine, von grünhch-grauer Grauwacke, ist 16 cm lang,
6 cm breit und 2,5 cm dick, das andere, bei weitem kostbarer, aus hellgrau-
grünem Jadeit mit einer in bräunlichen Wolken angedeuteten Schichtung unter
45°, bildet ein gleichschenkliges Dreieck von 25 cm Höhe und einer beilförmig
abgerundeten Grundlinie von 97 mm und ist nirgends dicker als 17 mm.
Der genannte Geschenkgeber mit dem Herrn Forstmeister Kehr ein und
Herrn Fach entdeckten am Südende des Bergrückens, 200 Schritt südwestlich
von der Kapelle, eine im Sand und Kies geebnete Fläche, deren Rand nach
Norden ansteigt, nach den anderen Seiten aber abfällt und einem elliptischen
Ringwall von äusserst schwachen Profilen Raum gewährt. Derselbe ist von
Westen nach Osten innerhalb seiner äusseren Grabenlinie 38 m und von Norden
nach Süden 37 m breit. Die Mitte bildet eine 6 ä 1 1 m grosse Fläche, von
einem seichten Graben und niederen Wall umgeben, den der äussere Graben
mit dem oben bemessenen Rand umzieht. Kein Graben ist 50 cm tiefer und
kein Wall 80 cm höher als diese Mittelfläche, die man sich mit einer Flecht-
wand umgeben und in irgend einer AVeise gedeckt als Wohnraum vorstellen
mag, während der äussere Wall, auch mit Pfählen besetzt, die durch Flechtwerk
miteinander verbunden sind, das Yieh beherbergte. Die Nordseite ist die, auf
die der Angreifer vom Gebirge her zuerst stösst und den Ringwall überhöht,
während die anderen abfallenden Seiten ihm keinen Vorteil bieten.
Auch der oben erwähnte, 1800 Schritt nordwärts auf dem Gebirgsrücken
gelegene Abschnittswall hat seinen Graben auf der Nordseite, als derjenigen,
24
von welcher der Angriff erwartet wurde. Er hat ausser diesem Graben vor
sich auch noch einen hinter sich, zum Zeichen der Eile, weil dadurch etwa
doppelt so viele Arbeiter angestellt werden konnten, um den Wall in kürzerer
Zeit in die Höhe zu bringen.
Auch bei dem beschriebenen Riugwall sind die Graben vor und hinter
dem Wall, wenn auch nur in schwachen Abmessungen, angedeutet; und es
ist nicht unmöglich, dass derselbe mit dem Abschnittswall durch Pfahlwerk
oder Gebücke längs der Ränder der beiden Parallelthäler in Zusammenhang
gebracht ist. -
Wie der Ringwall Schlingwald bei Lorsbach (Anual. XXI, p. 5) mit starkem
Wall und tiefem Graben den Angriff vom Gebirge her, aus dem Walde Katzen-
lücke erwartete, so war auch der Hofheimer Wall ursprünglich gegen das-
selbe, gegen einen von Norden her kommenden Feind angelegt; aber auch
gegen einen vielleicht schwächeren, minder ausdauernden Feind von Süden her
konnte er schützen. Herrn Fachs Grossmutter erzählt, als die Franzosen
nach der Schlacht bei Leipzig in hungrigen kranken Haufen nach Mainz hin
eilten, trieben die Hofheimer ihr Yieh in den Wald, wo es durch die Ver-
schanzungen zusammengehalten wurde, um nicht nach den alten Ställen und
so in die Hände der Marodeure zu laafen. —
Über Nephrit und Jadeit ist das reichhaltige Fundamentalwerk von Hein-
rich Fischer, Professor in Freiburg i. B., Stuttgart 1875, noch immer mass-
gebend. Der Genannte hat unser Museum 1875 besucht und die damals vor-
handenen Steinbeile auf ihre mineralogischen Bezeichnungen untersucht. Die
interessantesten sind der Nephrit, der Jadeit und der Chloromelanit, schon
dadurch, dass sie in Europa weder in ihrem natürlichen Lager, noch in GeröUe
vorkommen, sondern nur, wie es scheint, in uralter Zeit als Steinbeile aus
Asien importiert sind, und zwar die Nephrite aus Turkestan, die Jadeite aus
Tibet; über die Herkunft des Chloromelanit ist man ohne Auskunft. Durch
die zahlreichen Funde dieser exotischen Gesteine in den Schweizer Pfahlbauten
wurde die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt. Sie sind zumeist in Form von
grösseren und kleineren, nicht durchbohrten Steinbeilen bearbeitet, welche bei
einer Länge von z. B. 25 cm kaum 2 cm Dicke haben, und zeichnen sich durch
eine ungemeine Zähigkeit, durch ihren Klang und eine meist grünliche Farbe
aus. Yon allen Mineralien sind es eben diese, die zu schneidenden Werk-
zeugen, ehe man die Metalle kannte, am geeignetsten waren, da ihre Härte
zwischen dem Feldspat und dem Quarz liegt. Aber nicht nur in den Pfahl-
bauten, auch im trockenen Land zwischen den Alpen und einer diesseits den
Harz berührenden Linie werden sie nicht allzu selten gefunden, nördlicher
nicht. Ausser dem oben bei Hofheim gefundenen Jadeitbeil, von allen am
längsten, besitzt das Museum zu Mainz fünf, in der Nähe bei Gonsenheim bei-
sammen liegende und das Museum zu Bonn ein bei dem nahen Wesselingcn
gefundenes Jadeitbeil von 18,8 cm Länge und 7 cm Breite.
Römische Altertümer
Von
A* Y* Cohausen*
1. Der Stand der Limes-Forschung.
Ankuüpfeud an das, was wir im XXIV. Band unserer Annaleu, pag. 25-4
gesagt haben, erinnern wir daran, dass danach das Reichsministerium vom
7. — 9. April 1892 eine Konferenz nach Berlin berufen hat, in welcher preus-
sischerseits die Herren Geh. Oberregierungsrat Dr. Alt hoff in Berlin, Landes-
direktor der Rheinprovinz Geh. Oberregierungsrat Klein in Düsseldorf, Oberst
z. D. und Konservator von Co hausen in Wiesbaden, Oberstlieutenant vom
Nebenetat des Grossen Generalstabes von Leszcynski in Berlin, Geh. Regie-
rungsrat Professor Nissen in Bonn, Baumeister Jacobi in Homburg v. d.
Höhe, sowie als Mitglieder des geschäftsführenden Ausschusses in Heidelberg
die Herren Generalmajor a. D. Popp von München, Professor von Herzog
von Tübingen und als Vorsitzender Hofrat Professor Zangemeister von Heidel-
berg — und endlich als Dirigenten bei der Reichskommission der General-
lieutenant z, D. von Sarwey und der Professor und Museumsdirektor Dr. Hett-
ner in Trier bestimmt wurden. Als Streckenkommissär zwischen den grauen
Bergen (resp. Lochmühle bis zum Feldbergkastell) wirkte der Baumeister Jacobi;
weiter hat sich in unserem Gebiet die Untersuchung noch nicht erstreckt, aber
vom Königlichen Kultusministerium ist als Sammelstelle für alle längs des
Pfahlgrabeas in Preussen, also von der Lochmühle bis Rheinbrohl, zu findende
Altertümer vorläufig das Königliche Landes-Museum in Wiesbaden bestimmt.
Des weiteren habe ich dann auch Homburg für alle Funde aus der Umgegend
der Saalburg von der Lochmühle bis zum Heidenstock in Antrag gebracht.
Für diejenigen, welche sicli auch für die übrigen Strecken von der Loch-
mühle bis zur Donau interessieren, sind dadurch, dass jeder, insonderheit auch
die dem Limes zunächst liegenden Vereinsmitglieder, sich während und nach
den Ausgrabungen an Ort und Stelle Notizen macheu, messen, zeichnen und
veröffentlichen dürfen, sodass also eine ()ffeutliche Kontrolle besteht, wo sie
beliebt werden sollte, reichlich die Mittel gewährt, diese Interessen ganz zu
verfolgen. Von berufener Seite aber wurden bereits durch den archäolo-
gischen Dirigenten in dem „Archäologischen Anzeiger" pro 1892, p. 147 u. f..
26
wie durch deu Herrn Generalmajor a. D. Popp in der „Müuchener Allge-
meinen Zeitung" No. 7, 9 und 10 eingehende Berichte erstattet, und die Ori-
ginalberichte der Streckenkommissäre, der Herren Jacobi, Kofier und Pro-
fessor Wolff, ferner von den Herren Conrady, Schumacher, Steimel,
Kohl, Eidam und Winkelmann, denen erläuternde Bemerkungen von den
Professoren Mommsen und Zange meist er beigefügt sind, in dem „Limes-
Blatt" I. u. n,, einem Beiblatt zur „Westdeutschen Zeitschrift" veröffentlicht.
Schliesslich soll die ganze Arbeit zusammengefasst und mit den erforderhchen
Plänen veröffentlicht werden. Uns hat hier vorläufig nur die Strecke von der
Saalburg bis zum Feldbergkastell zu beschäftigen.
Die Saalburg selbst hat den Dirigenten, unter Führung des Baumeisters
Jacobi und des Verfassers, als Lehrobjekt gedient, an dem weitere Unter-
suchungen nicht nötig erachtet wurden. Die Arbeit erstreckte sich daher nur
auf das kleine Manipularkastell Heidenstock (Rom. Grenzwall, p. 129) und das
Feldbergkastell (Rom. Grenzwall, p. 137).
Der Heidenstock zeigte sich nach der Abräumung des Steinwalles als ein
in Trockenmauer aus Lesesteiueu aufgeführtes Rechteck von 23,40 zu 19,40 m
Grösse, dessen Mauern von 1,90, 2 bis 2,05 m Stärke mit abgerundeten Ecken
bis zum Wehrgang nicht wohl über 2 m hoch gewesen sein konnte. Es wird
von einer schmalen Berme und einem seichten Graben umzogen und hat dem
Pfahlgraben zugewandt einen 3,10 m breiten Eingang. Uns scheint es, da die
Römer überhaupt die schweren Hölzer, welche wir als Palissadeu gebrauchen,
nicht hatten, sondern sich leichter, etwa 4 — 6 cm starker Pfähle bedienten, dass
die Brustwehr vor dem Wehrgang aus solchen durch Flechtwerk zu einem
Ganzen verbundenen Pfählen bestand, welche dicht vor der Mauer eingeschlagen,
durch Zweiganker in der Mauer gehalten, dem Ganzen den genügenden Halt
gaben. Möglich, dass die Pfähle auch schon an der Berme durch einige Flecht-
zweige verbunden waren und oben verlängert Zinnen mit Wintbergen bildeten,
das Flechtwerk auch mit Graslehm verputzt war, wie auch dass die Baracke
im Innern mit ähnlicher Wandbildung und mit einem Dach aus Stroh oder aber
aus Reisern und Rasen gebaut war, da der Mangel an Dachziegeln und die
Menge gebrannten Lehmes mit Kohlen darauf hinweisen. Nehmen wir noch
an, dass statt des hölzernen Thores, wofür Schwelle und Anschlag aus Stein
oder Holzspuren fehlen, ein astreicher Baum in die Thorlücke geschleift wurde,
so haben wir die Ausrüstung, mit welcher die Greuzkosaken und selbst unsere
Grenzwächter ihre notdürftige Unterkunft wohnlich und sicher macheu ; und
grössere Ansprüche werden auch die römischen Grenzwächtcr nicht gemacht
haben, denn die zahlreichen in Maassen und Konstruktion so verschiedenen
Zwischenkastelle deuten auf solche nicht offizielle, sondern freiwillige und not-
gedrungene Konstruktionen hin.
Die Funde bestanden aus 3 schönen Gewandnadcln, einigen Bronzemünzen,
Lanzen- und l'feilspitzen, einem Hammer und einigen Nägeln, Thonschcrbcn,
kleinen Ziegeln und einem Mühlstein von Mendiger Lava, der zeigt, dass die
Wächter auch ihr Mehl sich selbst bereiten mussten.
27
Wir benutzen, läugs des Pfalilgrabou« weiter gehend, die Gelegenheit,
einen im Rom. Grenzwall noch nicht erwähnten, 1887 vom Forstmeister Herrn
von Huene entdeckten Turmüberrest (No. SV/2) nachzutragen, welcher 152:J
Schritt weiter als der Stockplacken (Rom. Grenzwall 136) liegt.
Von grossem Interesse sind die Ausgrabungen am Feldbergkastell; sie
brachten Dinge zu Tage, die uns bei der Bearbeitung des Rom. Grenzwalles
unbekannt blieben, da wir keine Mittel zu Ausgrabungen hatten, und uns auf
die Aufnahmen des Oberförsters Baum, der 1842 im Auftrag des Nassauischen
Altertumsvereins Messungen und kleine Nachgrabungen gemacht hatte, sowie
auf unsere eigenen Messungen beschränken mussten.
Das Feldbergkastell, auf einem sanften Wald- und Wiesenabhang nörd-
lich des grossen und des kleinen Feldbergs gelegen, hat in den Aussenkanten
der 1,50 m starken, solid mit Mörtel gebauten Mauer 93,40 zu 78,50 m Grösse,
vier einfache, durch je zwei Türme verstärkte Thore von 3,50—3,60 m lichter
Weite und hinter den gerundeten Ecken einen Turm von 3,18 zu 2,90 m Hchter
Weite. Um das Kastell läuft vor der 1 m breiten Berme ein Spitzgrabeu,
dessen Sohle, wo Strömung der Quell wasser der Weil zu beachten war, mit
gerundeter Pflasterung versehen ist. Über den Graben, der auch vor den
Thoren durchlief, müssen Holzbrückeu geführt haben. Denn es sind an den
Eingängen regelrechte, nach aussen abschliessende Verbindungsmauern herge-
stellt, welche als Auflager einer Holzbrücke zu dienen geeignet sind. Wir
dürfen uns zu diesem Zwecke nicht etwa eine Zugbrücke, sondern eine leicht
zurück- und vorzuschiebende Rollbrücke vorstellen, und wäre deren Konstruktion
mit einem feststehenden gezimmerten Gegenufer bei einer Spannung von etwa
5 m leicht zu finden und durch die vielen verfügbaren Mannschaften leicht
und rasch zu bewegen.
Die Mauer ist grossenteils bis zur Wehrganghöhe 1,50 m erhalten, und
mögen die abgestürzten Steine bis zu 80 — 85 cm Höhe ausreichen.
Fünfzig Schritte vor dem Kastell, aber noch innerhalb des Pfahlgrabens
liegt die kleine Yilla als Schutthaufen, die sich jedoch bei der Nachgrabung,
so wie im Rom. Grenzwall dargestellt ist, zeigt, nur umgekehrt, Nord wurde
Süd. Sie hat auf der Nordwestseite, wohl wegen des dahin abhängigen weichen
Geländes, vier Strebepfeiler und zwischen diesen das Schürloch, durch welches
die Hypokausten von drei Räumen, der mittlere mit zwei Exedren, geheizt
werden konnten; die vier anderen Räume sind ohne Heizung. Davor ist ein
südwestlicher, 2 zu 2V2 m weiter Raum durch Plättung, Cementierung der Wände
und Viertelrundstäbe in den Winkeln als Baderaum für kaltes Wasser gekenn-
zeichnet, zumal aus ihm ein unterirdischer Ablauf unter dem als Küche zu
bezeichnenden südöstUchen Anbau hindurch ins Freie läuft. Nichts hindert in
der Küche, das Wasser zu wärmen und in den Kaltbadraum zu tragen, aber
es dürfte nicht ausreichen, das ganze Gebäude als Badehaus zu bezeichnen,
wie man an anderen Kastellen, wo eine derartige, auch grosse Villa nie fehlt,
versucht hat.
Die Lage der Villa in einem weichen Wiesengrund hat allem Anschein
nach eine tiefe Fundamentierung erfordert, und in dieser fand sich beim Nach-
28
graben ein grosser sehr merkwürdiger Haustein, mit der Schriftfläche nach unten
eingesenkt. Derselbe hat ohne Zweifel einst im Kastell selbst bei einem als
Sacellum zu bezeichnenden Bauwerk gestanden, weil man hier noch einzelne an
ihn passende Steintrümmer fand. Nach einer Zerstörung des Kastells oder als
Alexander Severus und seine Mutter missliebig geworden waren, wird man
gewünscht haben, den Stein in die Tiefe verschwinden zu lassen und hat ihn
dadurch gerade zu unserer Freude erhalten. Zu ihm passend wurde auch ein
Gesimsstein gefunden, auf dessen rauher, also wohl hochstehender Oberfläche
man die Fuss- und Gewandspuren einer Bronzefigur erkennt.
Die Inschrift lautet nach der Ergänzung von Mommsen:
I VLI AE ' MAME Juliae Slameae
AE-AVG'MATRI Augustae matri
SEVERI-ALEXAN Severi Alexandri
DRI • AVG • N • CAS Augusti nostri
TRORVM ' SE castrorum senatus
NATVS • PATR I patriae
AE • QVE * EXPL que exploratio
HALIC • ALEXAN halicensis
DRIANA • DEVO Alexandriana
A'NVMINI devota numinis
El • IVS eiitts
Der Stein wurde demnach zwischen 232 und 235 der Mutter des Kaisers
Alexander Severus gesetzt von den exploratores^ einer Kundschaftertruppe,
welche ihr Standquartier in einer Halic . . .? genannten Gegend hatte. — Geht
man einen Schritt weiter in der Namenserklärung, welche auf Salz hinweist,
so wird damit nicht nur die nächste Umgebung des Feldbergkastelles, sondern
die ganze an Salzquellen reiche Gegend der Wetterau und des Südabfalls des
Taunus (selbst bis Kreuznach) als eine Art von römischem Salzkammergut
bezeichnet.
Die Funde bei der Villa an Ziegeln mit dem Stempel der Catther?, an
Dachschiefern, an Fensterglas weisen auf Luxus hin. Auch unter den Funden
im Kastell sind manche interessante : Münzen, Eisengeräte und Schiebeschlüssel
und ein rätselhaftes, vollständig gut erhaltenes Pentagondodekaeder von Bronze,
von etwa 10 cm Durchmesser, hohl mit kreisförmigen Löchern auf jeder der
zwölf Seiten zu Tage gekommen. Man scheint, da man auch einige Wachs-
tropfen an ihm fand, auf der Deutung als Leuchter stehen geblieben zu sein
und die als Würfel verworfen zu haben.
Aber auch unser längst verstorbenes Vereinsmitglied, Pfarrer Hanapcl,
der sich um die Pfahlgraben- und um die llingwallforschung verdient gemacht
hat, hinterliess ein kleines Denkmal. Bei der Durchgrabung des Kastellwalles
fand man einen Ziegel mit der Inschrift: „1845, Hanapel".
29
2. Die Saalburg.
Wir berichten hier, was in den Jahren 1891 u. 1892 zu ihrer Erhaltung
und weiteren Erforschung geschehen ist.
Das Innere des Kastells, 32340 qm, wird überall, wo nicht Gebäude
stehen, bis auf den natürlichen Boden durchgraben und mit Beiassung der
grossen Bäume vom Strauchwerk gereinigt zur Auffindung von Altertümern
und Steinen, welche bei der Herstellung von Mauerbreschen gebraucht werden.
Danach wird das Ganze, was nahezu dem römischen Boden entspricht, wieder
eingeebnet.
In den bürgerlichen Anbauten um das Kastell finden sich zahlreiche
(jetzt bis 40) Brunnen, teils in Holz, teils in Mauerwerk ausgekleidet und 7 bis
11 m tief, sodass jedes Haus in seinem Hof einen eigenen Brunnen gehabt zu
haben scheint. In ihnen finden sich oft merkwürdige, selbst von Holz, Leder
und Geweben, wohl erhaltene Altertümer, als Bronzekessel und andere Gefässe,
Werkzeuge, Lanzen- und Pfeilspitzen von Eisen, Gefässe von Thon, Terra
sigillata und Glas, auch Glasscheiben, Schlüssel, Münzen, Bronzeschmuck,
Fibeln und Ringe, Schindeln, Rollen, Kämme von Holz, ein Stück Rebenzweig,
eine Wallnuss und ein Pfirsichkern.
Wie weiland Seine Königliche Hoheit der Kronprinz Friedrich, die Prinzen
und Prinzessinnen, so nahm auch jetzt zu verschiedenen Malen Ihre Majestät die
Kaiserin Friedrich — einmal mit Seiner Königlichen Hoheit dem Prinzen von
Wales — an diesen Brunnenausgrabungen lebhaften, ja thätigen Anteil.
Die Römerstrasse läuft rechts vom Kastell durch den Pfahlgraben nach
dem Ausland (Chattenland). An derselben fanden wir ein grosses, 50 zu 40 m
umfassendes Gebäude, was wir (Baumeister Jacobi und der Verfasser) für
ein Kaufhaus (etwa auch für den Salzhandel?) zu halten geneigt sind.
Ein Vierteil des Kastells ist mit einem neu angelegten Gebück umzogen,
welches, wie das auch im Mittelalter geschah, durch teilweises Abholzen ver-
jüngt werden musste. Dabei aber litt der nicht von Stacheldraht geschützte
Teil in den jungen Trieben sehr durch Wildschaden.
Zu allen diesen Arbeiten konnten die für 1891 und 1892 vom König-
lichen Ministerium gewährten Mittel (1250 M.) nicht ausreichen, allein das un-
eigennützige Interesse, welches das Römerkastell auch in vielen Privaten er-
weckte, brachten demselben in den beiden letzten Jahren von Frau Flörsheim,
von Frau Michon und zumal von Herrn Win ans aus Baltimore 2092 M.
78 Pf. ein.
Zahlreiche Touristen, Vereine, Gymnasien und Schulen haben es mit Recht
als Lehrobjekt angesehen und die auf Befehl des Königlichen Ministeriums
gratis verteilten fliegenden Blätter mitgenommen, und die Staaten, durch welche
der Grenzwall läuft und sich die geeigneten Überreste eines Kastells finden,
haben, wie wir hören, die Absicht, ein solches zu erhalten und gleichfalls als
Lehrobjekt für ihre gelehrten Schulen auszubilden.
30
3. Römischer Schmelzschmuck und Ooldschmiedgeräte.
Mit Tafel IV.
Im Oktober 1892 wurde in Mainz (Gaugasse 16 Iinl<s beim Aufgang) beim
Aufraum für einen Hausbau eine Anzahl von römischen Emailarbeiten gefunden,
welche mit andern Goldschmiedgeräten und Brandschutt, auch wenigen Thon-
scherben in einem Mauerwinkel, wie in einem Versteck zusammenlagen und
das Gerücht verbreiteten, man habe mit einer Emailfabrik zu thun.
Der Finder und Grundbesitzer verlangte so hohe Preise, dass keines der
benachbarten Museen allein die Sachen ankaufen konnte, sondern es einem
Antiquitätenhändler überliess, dieselben an sich zu bringen und in Partien an
das römisch-germanische und an das Wiesbadener Museum, teils anderwärts zu
verkaufen.
Das römisch-germanische Museum reinigte die Fundstücke und behielt die
Vorhand.
Der Fund bestand im wesentlichen aus:
15 schmelzverzierten Knöpfen, aus solchen 3 Fibeln, 5 Haften, Zier-
knöpfen, 4. Kapseldeckeln und 3 Kapseln (Duftbüchsen),
aus einigen (etwa 12) gewöhnlichen, unverzierten Bronzespangen,
aus einer grossen Anzahl (etwa 100) von weissen und schwarzen
Kapellen,
12 Bronze-Löffeln mit geknicktem Stiel (Fig. 11),
13 Drahtstäbchen, am Ende zum Schüppchen ausgeplattet und mit einem
länglichen Öhr versehen,
14 Punzen, 1 Zängelchen,
19 sehr verrosteten eisernen Siegelringen ohne Stein oder Schmelz, Nägeln,
Schlüsseln, eisernen Messern mit und ohne Bronzebeschlag, 5 Latrun-
culi, vielen Würfeln,
verschiedenen Ziegeln mit dem Stempel der 22. Legion und andere, auch
einem Hohlziegel mit diesem Stempel — womit, wie es scheint, ein
Weg zu der Werkstätte gestickt war.
Da ich nun im Jahre 1873 im 12. Band unserer Annalen') eine kleine
Abhandlung über römischen Schmelzschmuck geschrieben und der Litteratur
über diesen Gegenstand gefolgt bin, und obschon ich von dem dort Gesagten
nur wenig zu ändern und nur über die alte Goldschmiedtechnik einiges beizu-
fügen habe, so hielt ich es doch für meine Pflicht, über den Fund hier zu be-
richten.
Es ist mir dabei weniger um die Kunstformen, als um die Technik zu thun.
Schon vor den Römern zur Latenezeit vom 4. bis 1. Jahrhundert v. Chr.
wurden emaillierte Schmucksachen, Waffen und Sporen in das nördliche und
östliche Deutschland und GalHen exportiert, wohl weil dahin der Seeweg sicherer
sein mochte, als die durch die Wälder Mitteldeutschlands führenden.
') Der Verein besitzt noch eine Anzahl von Sonderahdrücken mit zwo! Tafeln Farben-
druck, die er verkäuflicli zu 2 AI. abgiebt.
31
Wir kenneu die ludustrieprüdukte aus den Werkstätten vom Mont Beuvrai,
dem alten Bibracte (Antun, Saone et Loire). Dieselben erzeugten vorzugsweise
einen roten (Blut-)Schmelz, der in heissem Zustand in die Hühlungeu, Gruben
der zu verzierenden Gegenstände (Schwertknäufe, Fibeln) gegossen und dann
durch Abfeilen des Überflüssigen geebnet wurde. Unser Museum besitzt von
dieser Industrie eine eidechsenförmige Fibel vom Altkünig und wenig andere
als Beispiele. Um dies Studium hat sich der leider zu früh dahingeschiedene
0. Tischler nicht mit philologischer Akribie, sondern mit den Kenntnissen der
Gegenwart, mit chemischen Untersuchungen, mit Dünnschliffen, Mikroskop und
Polarisierungs-Instrumenten verdient gemacht.
Zur Zeit der römischen Kaiser im 1. Jahrhundert n. Chr. kamen die
römischen Schmelzarbeiten nach Deutschland, Gallien, Britannien. Es war nur
Grubenschmelz, die Farben nicht durch eingelötete Stege geschieden. Denn
diese Werkweise, der Zellenschmelz, kam erst viel später (um 1100) aus Byzanz
nach Deutschland.
Der Grubenschmelz verschwand mit dem Sturz der Römermacht ums Jahr
400. An seine Stelle traten die Gold- und Silberschmiede- und Juweherarbeiten,
die wir in den Gräbern der Franken und Alemannen finden. Sie bedienten sich
dünner Gold- und Silberplatten, die auf Bronzeplatten befestigt waren, und ver-
zierten sie mit Almandinen (edlem Granat) und Pyropen (böhmischem Granat),
welche ihnen, zu Tafelsteinen, Dünnsteinen geschliffen, wohl aus dem Orient
zukamen und denen sie gewaffelte Goldfolien unterlegten. Rotes durchsichtiges
Glas war im Altertum unbekannt und tritt erst im Mittelalter Ende des 10. Jahr-
hunderts in Kirchenfenstern auf. Die roten Steine an den fränkischen Schmuck-
stücken sind, wenn keine ganz neue Fälschung, daher immer acht, dagegen wurden
auch blaue und grüne Glasflüsse, selbst Perlmutter und Elfenbein eingesetzt.
Den römischen Goldschmieden waren zwar Filigran- und Kügelchenarbeit,
auch das Tauschieren und Niellieren bekannt, doch übten sie die beiden letzteren
Zierarten lange nicht so häufig wie die Franken und Alemannen und tauschierten
nicht wie diese, in den reichen und nationalen Mustern in Gold und gar nicht auf
Eisen. Die fränkischen Künstler produzierten zwar auch Filigran, meist aber
zwirnten sie den Draht nicht, sondern gaben ihm nur durch Einhacken den
Anschein des Filigrans.
Auffallend ist es, dass in Rom und überhaupt in Italien sowohl Schmelz-
arbeiten wie Terra sigillata - Gefässe so selten sind. Lindenschmit schreibt
dies, und gewiss mit Recht, dem feineren Geschmack, dem Reichtum und dem
dort herrschenden Luxus zu, welcher ächten Goldschmuck und statt der Thon-
gefässe solche von Silber verlangte, die minderwertige Ware den Provinzen
überliess, und für sie anzufertigen und zu vertreiben gutfand.
So verschwanden beide Industrien mit dem Sturz der Römermacht. An
Stelle des Schmelzschmuckes trat der mit dünneu Gold- und Silberplatten und mit
fragwürdigen Edelsteinen, und statt der reichverzierten Terra sigillata kamen
schwarze oder graue, nur mit Eindrücken und Strichen gekennzeichnete Gebrauchs-
töpfe auf den alemannisch-fränkischen Markt. Die für den Hausgebrauch arbeiten-
den Töpfereien und Glashütten konnten, wenn auch durch die Unruhe der Völker-
32
Wanderung öfters unterbroclien, nicht aufgegeben werden; das was sie bildeten,
hatte nichts mehr gemein mit den Erzeugnissen der Römer. Bedürfnisformen
und Verzierungen waren andere geworden.^)
In dem Fund auf der Gaugasse zu Mainz 1892 haben wir es mit zwei
Techniken zu thun, oder wenn man will, mit einer Emailwerkstätte und einer
Gold- und Silberschmiede. Beide, wenn auch unvollkommen vertreten, geben
doch Gelegenheit, ihrer Werkweise nachzuspüren und sie mit denen der Gegen-
wart zu vergleichen. Es sind zwei Scharuierfibeln mit Schmelzplatten, die
eine rautenförmig; der Mittelkreis, von einem Bronzesteg umschlossen, ist rot
mit schwarzen, gelbunikreisten Tupfen, Darum eine grüne Raute, mit weissen
schwarzumkreisten Tupfen und um diese eine rote Raute ohne Verzierung. Man
erkennt, wie die Felder, als sie noch Schlammmassen waren, mit einem Ringlein,
gelb oder schwarz und in dessen Mitte mit einem gleichfalls eingedrückten
schwarzen oder weissen, runden Glasfadenabschnitt verziert worden sind, wie wir
dies p. 20 des citierten Schriftchens oder der Annalen XII, p. 228 gesehen. Auch
mag mau das Ringlein unmittelbar auf das Glasstäbchen wickeln und mit diesem
abzwicken.
Bei zwei Heftplatten in Form eines Fisches (Fig. 6 u. 7) mit zwei Knebeln
auf der Rückseite und einem beweglichen Ring auf der Aussenseite, ist der
eine Körper grün ohne Verzierung, der andere blau mit fünf roten, weissum-
kreisten Tupfen geschmückt, welche in gleicher Weise wie oben entstanden
sind. Die grossen roten Augen der Fische sind von einem Bronzesteg nicht
eben korrekt umschlossen, aber von dem Schmelzschlamm vollständig ausgefüllt
und durch einen unregelraässigen weissen Tupfen vollendet.
Es sind noch vorhanden die Deckel von Duftbüchschen, mit Löchern am
Boden und an den Seiten, welche wohl auch als Kapseln für Urkundensiegel
angesehen worden sind. Auch hier stossen die grünen oder roten Schmelzmassen
unmittelbar aneinander und schliessen an die Bronzeränder dicht an.
Eine andere Klasse aber sind die scheibenförmigen Zierknöpfe, welche au
die Stelle der Fibula treten, nur dass sie auf der Rückseite keine Nadel und
Nadelscheide, sondern in der Mitte nur einen Knopf haben, also wie etwa unsere
Manschettenknöpfe in ein oder in zwei Knopflöcher hintereinander eingeknöpft
werden können. Sie haben die in Fig. 1 u. 2 in doppelter Grösse dargestellte
Form. Sie bestehen aus einem ursprünglich höchstens 2 mm starken Bronze-
blech, welches auf der Gesichtsseite mit Aussparung der Stege bis auf schwach
1 mm Dicke ausgedreht ist und einen kaum 1 mm starken schräg abfallenden
Rand behalten hat. Die Schmuckseite ist in zwei oder mehrere, durch die
Metallstege oder Grubenränder getrennte Zonen geteilt und mit Glasschmelz
gleichfalls von kaum 1 mm Stärke erfüllt. Metall und Schmelz sind dünn
gehalten, damit sie durch ihre Ausdehnung und Zusammenziehung in Wärme
') Bei den Gläsern kann man bemerken, wie die Römer oben weite Trinkschalen und
Kannen mit fein profilierten und angesetzten Henkeln hatten, die Franken aber Schalen ohne
Standboden, selbst unten zugespitzte Trinkgläser, aber keine Gefüsse mit Henkeln anfertigten.
Man kann aus letzterem selbst schliessen, dass ihre Glashütten keinen Kühlofen besasseu.
33
und Kälte nur geringe Kraft aufeinander ausüben können und zum ßeissen oder
Biegen keine Gelegenheit geben.
Eine grosse Hilfe wurde der Emaillierkunst dadurch, dass man die Kunst
des Millefiori, welche nicht ohne die des Überfangens möglich war, mit heranzog.
Ich glaube am besten zu thun, nicht die einzelnen Zierscheiben (Man-
schettenknöpfe), sondern das Verfahren bei ihrer Anfertigung zu beschreiben :
Nachdem das Bronzeblechstück etwa durch Prägung seine Hauptform, die
Rundung und den schräg abfallenden Rand erhalten hatte, wurde seine Vorderseite
mit Aussparung der Stege, welche die Zonen trennen, etwa 1 mm tief abgedreht,
sodass nur der 1 mm starke Boden für den Schmelz übrig blieb und dieser
als Farbschlamm von rotem oder grünem Schmelz mit einem Schüppchen (Fig. 13)
eingefüllt wurde. Letzterer war am flüssigsten, kochte leicht auf, diente aber,
indem er den Boden in sehr dünner Lage überzog, auch als Klebstoff für die weissen
oder blauen Millefioriwürfel, welche auf ihn eingesetzt wurden. Ebenso dient
auch der rote Schmelz, welcher zwischen den Millefioriwürfelu hervorquillt, aber
auch selbst kreisförmige Mittelfelder und Zonen oder auch würfelförmige Felder
bildet, in welcher Milletiori-Ornamente eingedrückt sind, als Klebstoff.
Diese kleinen Ornamente in den Würfeln sind aus schwarzen, weissen und
roten quadratischen Stäbchen zusammengesetzt und bilden Kreuze oder Dambrett-
chen, oder sie bilden Blümchen, bestehend aus einem gelben, rotumkreisten Mittel-
punkt, an welchen sich acht spitzwinklige Dreiecke als Blättchen mit der Spitze an-
heften (Fig. 3, 4, 5). Diese feinen, nur mit der Lupe zu analysierenden Orna-
mente wechseln in den Farben, die Kreuze schwarz und weiss, oder auch
schwarz, weiss und rot, die Blümchen, je nach dem Medium, in das sie ein-
gesetzt sind, mit 8 blauen oder weissen Blättchen, Diese Ornamente sind
natürlich nicht ursprüngUch in dieser Feinheit gemacht, sondern in vielleicht
1 cm starke Packete zusammengelegt , geglüht, mit der Plattzange zum Quadrat
geformt und dann vor der Lampe glühend ausgezogen, wodurch sie mit Bei-
behaltung ihrer Form bis auf jedes Mass verdünnt werden konnten. — Man
erkennt das sowohl an den Kreuzen, wie an den Blümchen, welche von
sehr verschiedener Grösse sind. Die so entstandenen Stäbchen (Fig. IG) werden
entweder abgeknipst, in die kalte rote oder die grüne Schlammmasse gesteckt,
oder sie werden, ohne zerstückt zu werden, mit blauem oder weissem Glas
überfangen und mit der Plattzange zu einem quadratrischen Stab von den un-
gefähren Abmessungen gepresst und dann mit dem Meissel zu dünnen ßlättchen
abgehackt, wir wir sie in Fig. 1 im doppelten Massstab dargestellt finden. Wir
sehen hier die äussere Zone mit rotem Schmelz erfüllt, der nicht nur selbst-
ständige Felder bildet und mit je 4 Kreuzchen verziert ist, sondern auch die
weissen und die blauen Würfel festhält, verdrückt hat und zwischen ihnen her-
vorgequollen ist.
Man sieht, die ganze Arbeit ist liederlich und voller Fehler zu Stand ge-
bracht. Aber eben diese Fehler sind es, die uns das Arbeitsverfahren enthüllen,
während eine korrekte Arbeit sie verstecken würde.
Das Mittelfeld der kleinen Zierscheiben ist ganz mit rotem oder mit grün-
blauem Schmelz, der gekocht hat, angefüllt und es sind in denselben in unge-
s
34
fähren Reihen etwa vierzig Kreuze gesteckt, deren Grösse von 2 zu 3 mm
variiert, je nachdem das Millefioripäckchen am oberen und unteren Ende ab-
gekniffen und verwandt worden ist. Da die Schmelzflächen und die Millefiori-
Würfel und Stäbchen nicht alle gleich hoch sind, so werden sie abgeschliffen,
um auch die Metallstege wieder blank zu machen, worauf das Stück, damit
es nicht poliert werden muss, wieder in den Ofen kommt und die Oberfläche
etwas schmilzt und dadurch glänzend wird.
Wir kommen jetzt zu den Fundstücken, die man einer Gold- oder Silber-
schmiede zuschreibt. Es sind vor allem die Kapellen (Fig. 9 und 10 in natür-
licher Grösse). Es waren deren etwa 100 Stück.
Soll ein Stücken Gold oder Silber probiert, oder von dem Zusatz unedler
Metalle gereinigt werden, so geschieht das durch das Abtreiben auf der Kapelle
(Fig. 9 u. 10), welche auf einem Blech in der Muffel (Fig. 15 o) steht, während
die Muffel rings von glühenden Kohlen auf ein Paar Eisenstäben im Muffelofen
(Fig. 15 b) steht.
Das Verfahren beruht darauf, dass dem edlen Metall in der Kapelle eine
gewisse Menge Blei beigegeben wird, das sich mit den edlen und unedlen
Metallen legiert, mit letzteren zusammen zu Oxyd verbrennt, diese Oxyde (als
Bleiglätte) schmelzen und von der porösen Masse der Kapelle aufgesaugt werden,
so dass das reine Edelmetall geschmolzen auf der Kapelle zurückbleibt. Ohne
in die Einzelheiten des Verfahrens und der Erscheinungen einzugehen'), lehren
uns die Kapellen, die in Mainz in römischen Trümmern gefunden worden sind,
dass zur Römerzeit, ebenso wie noch heute, verfahren worden ist. Die Kapellen
(Fig. 9 u. 10), welche vor dem Gebrauch weiss sind, sind gleichfalls aus feuchter
Knocheuasche mit Holzkohlenasche in einem Cylinder mittels eines Formstempels
geformt oder geprägt worden, wieder getrocknet und geglüht, und dann wie
noch heute mit Edelmetall und Blei beschickt in die Muffel und den Muffelofen
gebracht worden. Nach dem Gebrauch erscheinen sie, wie sie in Fig. 9 dar-
gestellt sind, grauschwarz und schwerer als die weissen, eben durch die einge-
sogenen Oxyde und auch Kohle.
In derselben Werkstätte hatte man, wie es schien aus derselben, oder
ähnlichen Masse weisse und grünschwarze Würfel mit ungefärbten Augen
sowie einige Latrunculi von Porzellan- oder Frittmasse gefunden und war
nun gleich bereit, die Kapellen für Spielmarken oder Damsteine zu er-
klären. So geformte Damsteine oder Spielmarken sind aber niemals gefunden
worden, und es muss wohl bei der von uns gegebenen Erklärung sein Bewenden
haben.
Von sonstigem Goldschmiedewerkzeug fanden sich noch 14 eiserne Punzen
(Fig. 14), die, wie wir sie auch jetzt noch machen, in der Mitte dicker sind,
damit sie nicht , wenn sie gleichmässig dünn wären , in der Hand bei
jedem Schlag zitterten. Sie dienen dazu, runde, drei- und viereckige Ver-
tiefungen einzuschlagen, wie wir sie z. B. in gewissen Tierfibeln mit Schmelz
') Sie sind in jedem Handbucli der technischen Chemie udcr Gold- und Silberschmiede-
kunst, z. B. in E. R. Schuberths Elemente der technischen Chemie, oder in R. v. Kulmors
Handbuch für Gold- und Silborarbeiten, Weimar 1887, nachzulesen.
35
ausgefüllt finden. Auch dienen sie, um in dünne Metallplatten auf der entgegen-
gesetzten Seite danach gestaltete Erhöhungen aufzutreiben.
Drahtstübchen, etwa 13 (Fig. 12 u. 13), welche unten etwas angespitzt,
oben aber zu einem Schüppchen plattgeschlagen sind und unter demselben ein
längliches Öhr haben. Da bei einigen die Schüppchen etwas aufgerollt sind, so
hat man sie für Haarnadeln gehalten und das Öhr zur Befestigung mittels eines
Fadens am Haar gemutmasst. Wohl noch besser wird das Werkzeug als
Schüppchen zum Gleichstreichen des Schmelzmassenteiges und das Öhr zur
Befestigung eines flachen Borstenpinsels zur gleichzeitigen Wirkung mit dem
Schüppchen zu halten sein.
Es wurden ferner noch einige weisse und einige braune Stäbchen von
30 mm Länge und 3 mm Durchmesser gefunden, die man für Schmelzfarbe
hielt, ohne dass ich die Richtigkeit erhärten kann.
Allein zur Goldschmiede- und Emaillierwerkstätte fehlen sehr viele Dinge,
wenn gleich man ein Zängelchen und auch einen Hohlziegel der 22. Legion
fand, aus welchem letzterem man wohl eine Muffel konstruieren konnte, da alle
anderen dazu tauglichen Thonscherben fehlen.
Zwischen dem römischen Schmelzschmuck und der enkaustischen Malerei
der Alten besteht eine gewisse Ähnlichkeit, nicht in den Darstellungen, denn
diese sind beim Schmelzschmuck immer klein, ornamental und mosaikartig, sondern
in der Arbeit, in den Werkzeugen und in der Farbenbehandlung.
Bereits 1885 gab Otto Donner von Richter in den „Praktisch-chemisch-
technischen Mitteilungen" eine Abhandlung heraus: „Technisches in der Malerei
der Alten, insbesondere in der Enkaustik", in welcher dargelegt ist, wie die
Alten ihre Farben bereiteten, wie sie dieselben aufgetragen und wie sie das
Gemälde geglättet haben. Er geht dabei, indem er die alten Schriftsteller mit
technisch eindringendem BUck liest und wieder liest und sie mit praktischen
Versuchen auf ihre Genauigkeit prüft, in einer Weise vor, dass jeder, der sich
nicht mit erfahrungslosen Übersetzungen oder hinschlüpfenden Redensarten
begnügt und nicht in einem Autoritätsglauben befangen ist, die Richtigkeit seiner
Darlegung anerkennen muss. In diesem Sinn hat Donner von Richter
jahrelang die Malerei der Alten in Italien studiert und seine Skizzenblätter mit
Dingen gefüllt, welche von zünftigen Archäologen über die Schulter angesehen
werden, für die Kenntnis der römischen Altertumsreste iu Deutschland aber
von grösstem Interesse sind.
Was er über die Bereitung der Farben sagt, hat auf unser vorliegendes
Thema keinen notwendigen Bezug.') Die Alten malten, ausser in Tempera und
Alfresco, mit punischem Wachs (cera), mit demselben, mit dem sie auch die
Schrifttäfelchen (tahellae)^ die sie mit dem Stylus im Gürtel trugen, überzogen.
Solche Täfelchen und Styli haben wir auf der Saalburg gefunden und eine Nach-
ahmung solcher in Mainz vorgekommener in unserem Museum aufbewahrt. Aber
wir gestehen, dass wegen der Härte und Zähigkeit des Wachses die Versuche
') Es ist hierauf zu einem anderen Zweck, zur Konservierung des Eisens, an anderer
Stelle zurückzukommen.
3*
36
damit nicht eben elegant gelingen wollten, wir hatten kein panisches Wachs und
konnten uns keines von Tunis kommen lassen. Donner von Richter belehrt
uns aber an der Hand von Plinius, dass das Wachs erst dadurch die nötige
Geschmeidigkeit erhält, wenn es, abgesehen von einigen kleinen Nebenoperationen,
einige Zeit mit Nitrum (d. i. Natron) gekocht und dadurch einer Art von Ver-
seifuDg unterzogen worden ist. Dieser Seife oder Salbe (cera) wurden die Farb-
stoffe zugesetzt, um die Wachsfarben (cerae) zu erhalten : schwarz oder rot für
die Schreibtäfelchen, das Purpurisium, das Indigoblau, das Weiss von Milos,
das Arsenikgelb, das Appianische Grün, das Bleiweiss für die Malerei. Immer-
hin aber bleibt das so Behandelte für den Pinsel zu steif und zu wenig flüssig,
wenn nicht noch Eigelb oder Eiweiss oder Olivenöl beigefügt wird, damit die
Haare des Pinsels die Farbe aufsaugen und entlassen. Wohl aber gelang das
Schreiben oder Zeichnen, sowie das Glätten und Verstreichen sehr wohl mit
der Spitze des Styles und mit dem Schüppchen oder der Spatel am anderen Ende.
Betrachten wir nur die vorn abgeplatteten Drahtstücken, die wir in der
Schmelz- und Goldschmied werkstätte gefunden und Taf. lY, Fig. 13 abgebildet
haben, so haben wir zwar nicht den spitzen Stylus, wohl aber das Schüppchen
oder das Cestrura, mit dem wir die schlammigen Schmelzfarben aufgetragen
und glattgestrichen haben.
Ebenso wurden auch bei der Wachsmalerei die Farben aufgetragen, oder
wenn man will, aufgeschmiert.
Das aber machte die Wachsmalerei nicht zur Enkaustik. Durch die salbeu-
artige Weichheit des punischen Wachses bedurften wir zum Farbenauftrag der
Wärme nicht, der Wärme oder Hitze bedürfen wir aber, wie der Name er-
heischt, doch sehr wohl, indem wir über das vollendete Gemälde, dem noch
störende Strichlagen, unvermittelte Übergänge und Rauhigkeit anhaftet, mit dem
Cauterium, einem mehr oder weniger heissen Eisen hinfahren, ohne sie zu be-
rühren, die Farben zum Schmelzen, nicht zum Yerfliessen und Tropfen, sondern
nur das zugesetztes Olivenöl zum Yerdunsten oder zum Yerharzen bringen und
dadurch dem Gemälde einen gleichförmigen Glanz oder Schimmer geben.
Dasselbe geschah aber auch mit der Schmelzmalerei; nachdem dieselbe
in der Muffel eingeschmolzen und unter dem Schleifstein geebnet worden war,
wurde das Stück noch einmal in die Muffel gebracht und erhielt mehr nicht
als eine massige Hitze, welche der nach dem Schleifen noch rauhen Fläche
einen Glanz verlieh, welcher nur durch langes Feinschleifen und Polieren zu
erreichen gewesen wäre. —
Yon dem römisch-germanischen Museum, dessen Direktor und Gründer wir
gestern in tiefer Trauer zu Grabe getragen, in dessen Sohn wir aber einen
Konservator besitzen, der seine Kenntnis, seine technische und geschäftliche Er-
fahrung seit 4 Jahren bewährt hat, wird beabsichtigt, den ganzen Fund zu ver-
öffentlichen.
Burgen in Nassau.
Von
k* Y» Cohaussn.
1. Die Burg Schwalbach (erbaut 1368—1371).
Mit Tafel V.
Unter den uassauischen Burgen, ja vielleicht unter deutschen Burgen
überhaupt zeichnet sich die Burg Schwalbach durch ihren symmetrischen Grund-
riss und ihren regelrechten Aufbau aus. Auf dem rechten Ufer des Palmbachs
und der Aar, welche sich bei Diez in die Lahn ergiesst und 10 km südöstlich
von dieser Stadt nimmt sie das Ende eines kurzen Bergvorsprunges ein und ist
auf drei Seiten durch dessen steile Abhänge, auf der Ostseite aber durch einen
tiefen Felsgraben von der höher ansteigenden Berglehne, dem Angriffsgelände,
getrennt. Ihr äusserer Bering, die hohe und starke Zwingermauer, bildet an-
nähernd ein Rechteck von 80 Schritt Breite und 65 Schritt Höhe, vor dem
ein fünfter Winkel 20 Schritt vorspringt. In diesem Fünfeck liegt, etwa 25,
12 und 7 Schritt zurücktretend, der ebenfalls sehr regelmässige Grundriss der
Burg, ein Fünfeck, in dessen Kapitalwinkel der runde Bergfried und in dessen
Kehlseite der rechtwinklige Rittersaalbau angebaut liegt.
Um zur Burg zu gelangen, dient ein steiler Fahrweg, welcher vom Flecken
her, die Burg immer rechts lassend, den Felsgraben erreicht und durchfährt,
um in den unsymmetrisch vor der rechten Fünfeckseite angebauten Thorzwinger
zu gelangen. Dessen erstes Thor ist von einem runden, ausgekragten Turm
auf der Ecke des Hauptzwiugers überwacht, der den am Thor Stehenden in
den Rücken (en revers) fasst. Der Eingelassene gelangt dann an das andere
Ende des laugen und schmalen Thorzwingers, an das Thor unter dem Porten-
haus. Diesem Haus sind noch einige Wirtschaftsräume im Zwinger angebaut,
während der entgegengesetzte Winkel des Zwingers die Kapelle birgt. Zwischen
ihr und dem Palas, dem Rittersaal, zieht sich der Weg zu dem linken Schulter-
punkt, und kommt durch ein schiefes, gotisches Thor in einen Vorraum und
von diesem entweder geradeaus in die Küche oder rechts in einen engen Hof (wie
ihn der Gutenfels und viele andere Burgen aufweisen), auf dessen rechter Seite,
der Küche symmetrisch, noch zwei Gemächer ebener Erde liegen. Eine dritte
Thür führt rückwärts in den ebenerdigen Stock des Rittersaales, von dem eine
Treppe zum Keller führt. Eine Schnecke, eine Wendeltreppe, führt zum zweiten
38
und dritten Stock und zum Wehrgang. Dieser ist hier und überall auf einem
Bogenfries vorgerückt und auf den beiden Ecken nach der Thalseite durch ein
rundes und ein sechseckiges Wichthäuschen mit Scharten unterbrochen. Alle
diese genannten Räume sind dreimal überwölbt.
Um zum Bergfried zu gelangen, benutzt mau diese und den Dachraum
der Seitenflügel oder ersteigt von den Gemächern neben dem Hof auf einer
geraden Treppe in der Mauerstärke den Wehrgang. Von ihm aus wird der
Hof auf einem abwerfbaren Holzsteg überschritten, der auf Kragsteinen vor der
50' über der Hofsohle gelegenen Pforte aufruht ; derselbe mag aus zwei Hälften
bestanden haben, sodass er von dem Dachraum des einen oder des anderen Ge-
bäudeflügels benutzt werden konnte. Durch diese Pforte gelangte man auf die
erste Überwölbung, von welcher ein Loch in das Verliess sich öffnete. Dieses
Verliess ist jetzt vom Hof aus ebener Erde zugänglich, da man wahrscheinlich
schon vor dem 17. Jahrhundert hier in den Turm eine weite Öffnung gebrochen und
so eine Art von Grotte gebildet hat. Ob in derselben etwa der Brunnen aus-
lief, dessen Leitung während des Bauernkrieges abgeschnitten wurde, wissen
wir nicht zu sagen. Der Hof war jedenfalls ein gesicherter Ort, da ihn der
Bergfried mit seiner Höhe und mehr als doppelter Breite gegen die Geschosse
von der Angriffsseite schützte. Die Mantelmauer, die sich zu beiden Seiten
an den Bergfried anschliesst, hat ihm zunächst eine Dicke von mehr als 5 m,
also eine Breite, die sie, da sie dachlos war, auf der einen oder der anderen
Seite zur Aufstellung von Schuss- oder Wurfmaschinen sehr geeignet machte.
Das Verliess im Bergfried wurde schon zur Zeit der Hexenprozesse nicht
mehr benutzt und an dessen Stelle trat ein Gefängnis in dem sechseckigen Wich-
haus auf dem linken Schulterpunkt der Zwingermauer. Von dem Gewölbe über
dem Verliess führte eine Wendeltreppe an drei überwölbten Stockwerken vorüber
auf die geziunte Wehrplatte des Bergfrieds. Dort sieht mau in den Felsgrabcn
hinab und auf das östliche Augriffsgelände, den Honnigsberg mit dem Hexen-
kippel, wo die Hexen von Burgschwalbach verbrannt worden sind, nach den
andern Seiten aber in das Palmbach- und Aarthal, sowie über dies hinweg auf
den Höhenzug der Fuchsenhohl mit der 3 km westlich gelegenen Burg Hohlen-
fels. Der Bergfried bleibt nur so wenig von der Ausseuseite der Mantelmauer
zurück, dass, um den Wehrgang vor ihm herumzuführen, sechs Tragsteine ein-
gesetzt sind, den Gang zu tragen; ob zwischen den Tragsteinen einst Maschi-
kuli angebracht waren, ist trotz ihrer Zweckmässigkeit an dieser Stelle, weil
Maschikuli an deutschen Burgen überhaupt nur sehr selten angewandt worden
sind, unwahrscheinlich.
Überall, .«owohl am Bergfried, als am Kernwerk, wie an der Zwinger-
mauer, sind die Zinnen auf Bogenfriesen hinausgerückt. Der Wehrgang der
HauptzwiDgermauer ist auf deu Schulterpuukten links durch einen zum Ge-
fängnis dienenden 7 eckigeu, der rechts, der das erste Thor verteidigt, durch
einen runden, ausgekragten Turm oder Wichhaus unterbrochen. Überhaupt gehen
wenige Fenster nach aussen: die der Wohnräume zumeist nach dem Hof; jene,
wie die am itittcrsaal, können durch Fallladen geschlossen werden, weshalb
hier über den gekojtpnlton Fenstern eiserne Ringe angebracht sind.
39
Das Portenhaus auf der rechten Kehlecke ist unten massiv, oben mit aus-
gekragtem Fachwerk und spitzem Giebel erbaut.
Ihm gegenüber in dem andern Winkel steht die Kapelle mit Balkendecke,
welche einen Fruchtboden trug, mit einem im halben Achteck geschlossenen Chor,
in dem einst ein schöner, geschnitzter und gemalter Flügelaltar aus dem 16. Jahr-
hundert — jetzt als Geschenk des Herrn A. II. Metzler in Frankfurt a. M.
im Museum zu Wiesbaden — stand. Die Kapelle konnte durch einen Kamin,
dessen Schlot im westlichen Giebel ausgekragt hinaufführt, geheizt werden. Aus
der Kapelle führt ein jetzt verschütteter Gang abwärts.
Am Fuss des Burgberges liegt das lang vor der Burg genannte Dorf
Schwalbach mit mehreren Edelsitzen. Es kommt unter dem Namen Squalbach
schon 790 als eine Schenkung Karls des Grossen an die Abtei Prüm und 831
durch Tausch mit der Abtei Fulda vor. Vögte der Abtei waren hier die Grafen
von Katzenelnbogen, von denen Graf Eberhard 1368 bis 1371 die Burg baute
und dem von jetzt an Burgschwalbach genannten Flecken Stadt- und Befes-
tigungsrecht verschaffte. Die Kapelle im Flecken, in deren Grundmauern noch
der ährenförmige Verband vorkommt und welche noch einige romanische Reste
aufweist, scheint jedenfalls schon im 13. oder 12, Jahrhundert erbaut.
Innerhalb der Umschhessung des Fleckens liegen vier adlige Höfe : Ober-
hausen am Abhang des Burgberges, bewohnt von den Junkern Rode (deren
Stammsitz bei Idstein), der Herrschaftshof, später von den Lönern von Lauren-
burg (Stammsitz zwischen Nassau und Diez a. d. L.), der Burgsitz am Schloss-
berg, bewohnt von Eydell von Waldmannshausen (dessen Stammsitz 7 km nörd=
lieh von Hadamar), dann von Hans Kaspar von Buches, dann von Johann von
Klingelbach (bei Katzenelnbogen), dann von Philipp Rode; der Brederhof
zwischen dem Herrschaftshof und der Kirche gelegen, dem Breder von Hohen-
stein (an der Aar unfern Bad Schwalbach), später einer Agnes von Bicken,
geb. Forstmeister von Gelnhausen, dann dem Junker Philipp Rode gehörig. Unter
den Besitzern dieser Adelshöfe werden weiter noch genannt die von Weiters,
die von Hattstein (2 km nördlich von Reifenberg), von Bicken (6 km östlich
von Herborn), Mosbach von Lindenfels (im Odenwald), v. d. Leyen (am Mittel-
rhein), von Lindenau, von Garben (in der Wetterau). von Buseck (östlich von
Giessen).
Wahrscheinlich waren diese Edelsitze schon vor der Gründung der Burg
vorhanden und bewohnt. Als Burgmannen werden genannt: Die von Schön-
born (Schönborn, der Stammsitz des in Franken noch blühenden Geschlechtes,
bei Katzenelnbogen), die Schenk von Schweinsberg (östlich von Marburg), von
Rheinberg (an der Wisper die alten Rheingrafen), die Köth von Wanscheid
(2,25 km nördlich von Walmerode), die Rode von Burgschwalbach.
Von den Grafen von Katzenelnbogen kam nacli ihrem Aussterben Burg-
schwalbach 1479 an Hessen und nach einigen Zwischenbesitzern und Pfand-
schaften 1536 an Nassau-Weilburg. Bei dem Bauernkrieg 1525 wurde die
Wasserleitung der Burg zerstört, aber um 1598 wieder hergestellt.
Graf Wilhelm von Nassau-Weilburg lebte hier bis zu seinem Tode 1594,
während seine Witwe, Erica Grätin von Isenburg, erst 1628 hier starb.
40
Schon um 1583 bemühte sich der Graf Albrecht von Nassau- Weilburg,
den im Aarthal 3000 Schritt westlich des Fleckens entspringenden Sauerbrunnen
nutzbar zu machen. Derselbe findet jetzt als Johannisbrunnen reichlichen Ge-
brauch und Versand. Auch wurde der Weinbau um diese Zeit an den Abhängen
des Eichelberges fleissig betrieben, sodass er z. B. 1566 über 22 Fuder ergab.
Um 1737 war die Burg sehr in Verfall, sodass Möbel, Thüren und Fenster,
Öfen, Dach und Holzwerk versteigert wurden. Nur das Dach der Kapelle Wieb,
da über ihr ein Kornspeicher und in ihr Ställe waren; das Portenhaus mit
Stallung blieb gleichfalls bestehen.
Das Portenhaus wurde von der nassauischen Regierung 1817 auf den
Abbruch versteigert und für 100 Gulden dem Zimmermann Georg Philipp Schnabel
zugeschlagen, der die Erlaubnis erhielt, es bestehen zu lassen, und seitdem eine
Wirtschaft darin führt, in welcher Touristen und Künstler zeitweise auch wohnen ;
sie wird durch den Sohn Philipp Heinrich Schnabel zur Zufriedenheit fort-
geführt. Für die Erhaltung der Burg giebt der Staat jährlich 60 Mk. aus.
Wir haben in der Burg Schwalbach ein schematisches, alles umfassendes
Bild dessen, was man im 14. Jahrhundert, zur Zeit, wo so viele Burgen gebaut
wurden, von einer deutschen Burg verlangte, unbehindert durch Vorteile oder
Nachteile des Geländes, oder durch Hemmnisse, die im Gelüste oder dem Un-
vermögen des Bauherrn oder im Baumaterial lagen. Der vom Bergfuss den
Burgweg Aufsteigende hat von Anfang an die Burg immer zu seiner Rechten,
durch kein Schild gedeckten Seite; sowohl in der Kehle, wie auf der linken
Burgseite und im tiefen Felsgraben, und da, wo er vor dem ersten Thor des
Thorzwingers anhält, ist er immer übersehen und hier selbst im Rücken ge-
nommen. Der Thorzwinger selbst zieht sich von da lang und schmal bis zum
Thor unter dem Portenhaus. Beide Thore haben weder einen Vorgraben, noch
Fallgatter, weil der Weg zu ihnen so gut beobachtet ist. Auch innerhalb der
Hauptzwingermauer umkreist der Weg fast die Hälfte der Burg, die er immer
rechts lässt und von den mit Fallladen geschützten Fenstern beschossen werden
kann, ehe er die Pforte an der linken Burgschulter erreicht.
Das Angriffsgelände steigt östlich der Burg sanft an und ist von der
llöhenstrasse aus, welche zwischen Hahnstetten und Dauborn das Aar- und
das Wörsbach-Thal verbindet, leicht zu befahren und bietet daher den Schuss-
und Wurfmaschinen des 12. Jahrhunderts eine leichte Anfahrt. Aus diesem
Grunde sind auch die dorthin gerichteten Mauern der Burg sehr stark und
alle Räume zwei- und dreifach überwölbt. Der Bergfried ist, weil die Belagerer
sich nach beiden Seiten ausbreiten können, rund, nicht allzu dick und mit
starken Mauern versehen und doppelt so breit, wie der Hof, der durch ihn
defiliert wird.
Zum Behagen der Burgbewohner liegen die Wohnräume nach der sonnigen
Südseite. Die Kapelle ist richtig orientiert und selbst, ein seltener Fall, heiz-
bar. Für die Geselligkeit unter den Grafen von Katzcnelnbogen und von Nassau-
Weilburg war durch den zahlreichen Adel, der die Burg umgab, und die mit
je zwei Kaminen heizbaren Festräumo, die Rittersäle, von denen aus die Treppe
41
nach dem Keller ging, und wohl auch durch den Landwein des Eichelberges
genügend gesorgt.
Ausser meinen Aufnahmen und den Gesprächen mit G. P. Schnabel in
Burgschwalbach wurden hier die Mitteilungen des Herrn Bürgermeister Gapp
daselbst, sowie Vogels „Nassau" und Lotz's „Baudenkmäler" und zahlreiche
Notizen von Herrn Schüler im Wiesbadener Tagblatt, Dezember 1886, benutzt.
2. Der Nolling oder Nollicht.
Mit Tafel VI.
Auf dem steil aufsteigenden Bergrücken, dem Wachten- oder Burberg
über der Stadt Lorch, der das Wisper- vom Rheinthal scheidet, liegt ein Turm,
Nolling oder Nollicht genannt, welcher meist als eine Burgruine bezeichnet
wird, obschon er nicht einer Burg, sondern der Befestigung von Lorch ange-
hört. Die Stadt war zwar am Ausfluss der Wisper mit einem runden Turm,
Strunk genannt, längs des Rheins mit einer Mauer befestigt, deren Grund man
bei Anlage des Leinpfads fand und abbrach, und welche sich durch das Ober-
dorfer Thor an die längs des Bergabhanges hinziehende Mauer mit der Keller-
pforte dem Platzer Thor anschloss, und vor dem Katzengraben an der Wisper
mit dem Burgthor oder der Kuhpforte endigte. Auch auf dem rechten Wisper-
ufer war der dortige Stadtteil durch die Steilheit des Wachtenberges und die
Weinbergsmauern geschützt, welche in dem Sauerthor, dem runden Wolfischen,
später Hexenturm, dem Weiseler Thor, dem Waldecker, später Breiteubacher
Hof und am Rhein in dem Niederflurer Thor einigen Halt bekamen. Die Stadt
hatte aber eben nur von dieser Seite einen Angriff zu fürchten, weil vor ihr
die Burgen ihrer Feinde Gutenfels, Sauerburg, Rheinberg und andere lagen,
und fahrbare Höhenwege zum Nolling auf dem Wachtenberg, der die Stadt
beherrschte, führten. Derselbe musste daher, obschon er 400 Schritt vor der
Stadtumfassung lag, mittels eines starken Werkes in die Befestigung gezogen
werden.
Es geschah dies, wahrscheinlich im 14. Jahrhundert, durch den Turm
Nolling, von dem rechts herab ins Wiesenthal bis zum Sauerthor eine Mauer
gezogen werden sollte, aber aus Mangel an Geld unterblieb und durch Palis-
saden und dergleichen zwischen den Weinbergsmauern ersetzt werden musste,
während auf dem Rheinabfall wegen dessen Steilheit und leichter Überwachung
eine Mauer nicht nötig befunden wurde.
Der Turm wurde auf einen Absatz, den man durch einen tiefen Graben
von dem Rücken abschnitt, gesetzt. Er erhielt die Gestalt, dass eine Quer-
mauer zwei dreiviertel Rundtürme verband und hinter ihr ein viereckiger Turm
aufgebaut wurde.
Alle Mauern waren von Zinnen gekrönt, die des viereckigen Turmes
niedriger als die vordere. Die Kurtine war zwischen den Türmen mit diesen
gleich hoch, 4,86 m lang, 2,20 m dick und verband sie mit einem engen, über-
42
wölbten Gang. Der linke, der den Rhein überblickte, würde einen dreiviertel
runden Turm von 3,75 m Durchmesser und 1,90 m lichter Weite bilden, wenn
er nicht einen orillonartigen Ausbau hcätte, durch welchen in etwa 7 m Höhe
ein Ausgang führte, um längs des Rheinabhanges zwischen den steilen Wein-
bergen zur Stadt hinab zu gelangen. Der rechte Rundturm, der mit V* seines
Umfanges in der Kurtine steckte, hatte im übrigen dieselben Abmessungen;
an ihm ist die "Verzahnung zu sehen, an welche die 1,57 m starke Stadtmauer,
die den Berg hinab an das Sauerthor führen sollte, anzuschliessen war.
Das merkwürdigste an der Ruine ist aber der viereckige Anbau, 9 m
breit, 8 m lang und etwa 7 m hoch, der sich an die Kurtine anschloss und von
ihr aus zugänglich war. Man erkennt nämlich im Innern an den 1,37 m dicken
Mauern überall die Eindrücke des Holzgerüstes, welches entweder ganz oder
nur auf drei Seiten von Mauerwerk umschlossen und auf einer Seite überputzt
war. Man hat dadurch die ganze Zeichnung des durchschnittlich 30 cm starken
Holzwerkes vor sich, bemerkt unten die zahlreichen Ständer, von welchen die
an den Ecken mehrfach verstrebt sind, um nicht nachzugeben, wenn sie unten
angehauen wurden, und erkennt mehrere Balkenlagen, welche den Stockwerken
nicht entsprechen, sondern zur Verstärkung und Verankerung zahlreicher sind;
auch mag ein Teil einer Holztreppe noch erkannt werden.
In alter Zeit wurde in Holz viel mehr gebaut, als heute und viel mehr,
als jetzt noch sichtbar übrig geblieben ist.
Viele Befestigungswerke, welche rasch begründet, fertig und verteidigungs-
fähig sein mussten, konnten nur durch einen vorbereiteten Holzbau entstehen.
So geht die keineswegs unwahrscheinliche Sage von der Gründung der
Wartburg zwischen 1067 und 1070 durch Ludwig den Springer, der zwei hohe
Bergfriede und ein Wohnhaus aus Holz zimmern und sie auf den Berg, wo
jetzt die Wartburg steht, bringen und unversehens aufschlagen Hess.
Nach der „Limburger Chronik'- schlugen die Grafen von Nassau und von
Katzenelnbogen eine Burg Greveneck dem festen Haus Elkershausen an der
Lahn gegenüber auf und beherrschten es, sodass es von Stunde an gebrochen
war. Balduin schlug eine Burg Trotz-Eltz am Weg dicht vor dem Thor von
Burg Eltz auf. Das wäre ohne einen plötzlich aufgeschlagenen, verteidigungs-
fähigen Turm nicht möglich gewesen.
Der Deutschorden besetzte einen Landstrich dadurch, dass er in grösster
Eile eine Holzburg aufschlug: so Marienwerder bei Kauen im Mai 1384, der
er 14 Fuss dicke Mauern gab, sie mit 300 Mann besetzte und, obwohl vollen-
det, nach kräftiger Gegenwehr schon im September desselben Jahres wieder
verlor.
Immer begegnen wir dem Ausdruck, dass die Burg „aufgeschlagen" wurde,
ebenso wie der Zimmermann noch heute das Zimmergerüst eines Hauses auf-
schlägt, das der Maurer dann ausmauert.
Bei der vielfachen Verwendung der Zimmerleute zum Bau und Auf-
schlagen der Belagerungstürme, der Schutzdächer, der Wurfmaschinen wurden
BUedenmeister ausgebildet, welche auch die Wehrbauten einer bedrohten Stadt
vorbereiteten und aufschlugen.
48
Plötzlich über Nacht wurden die zubereiteten Hölzer an Ort und Stelle
getragen und von den Zimmermeistern geordnet und aufgeschlagen. In wenigen
Stunden stand das Gerüst da und wurde unten mit starken Bohlen bekleidet,
sodass es schon den Bauleuten Schutz gewährte und von den Reisigen ver-
teidigt werden konnte. Während die Bekleidungsbohlen beseitigt und durch
Mauerwerk ersetzt wurden, welches das Zimmerwerk umkleidete, waren die
Bohlen weiter oben angebracht worden und in dieser Weise fortgefahren, bis
das Mauerwerk, wenn auch noch frisch und nicht abgebunden, durch das Holz-
werk verankert und verstrebt, einem Augriff trotzen konnte.
Das ist, was uns das alte Gemäuer erzählt hat, da uns keine Urkunde
von den Schicksalen des Baues im Lauf der Jahrhunderte, von welchen die
Stadt mit ihrem zahlreichen Adel von der Ritterschaft der Umgebung bedroht
war, berichtet.
Statt der Geschichte des Kriegs können wir nur die vom Verfall und von dem
Besitzwechsel erzählen, die wir von dem Herrn Bürgermeister Schulte, dem
Herrn H. J. Fendel in Lorch, dem Herrn Amtsrichter A. Musset in Rüdes-
heim und von der jetzigen Besitzerin der Burg Nolling, der Frau von Tsche-
bitscheff, geborene Fürstin Obolenska, freundhch mitgeteilt bekamen:
Am 30. März 1844 hat Dr. Rössel, Sekretär des Altertumsvereins und
Konservator, den Nolling für 85 M. 70 Pf. (50 fl.) von der Gemeinde gekauft.
Er verkaufte ihn am 1. Januar 1860 an die Eheleute Chr. Hofert in
Ems. nachdem er noch einige Ländereien dazu gekauft hatte, für 5143 M.
(3000 fl.).
Von diesen kaufte der Marquis Albizzi (ein Florentiner Edelmann) die
Liegenschaft für 10800 M. (6300 fl.). Derselbe baute sich auf derselben ein
Blockhaus und beschäftigte sich, wie man mir 1872 erzählte, mit Fuchsfang.
Als er in Konkurs geriet, nahm ihn der Fürst von Leuchtenberg als Ver-
waltuugsbeamten auf seine bayrischen Güter nach Stein, wo er jetzt lebt. Er
ist verheiratet mit einer Stieftochter des genannten Fürsten und lebte mit ihr
in dem Blockhaus, bis es abbrannte. Sie ist leidend und lebt in Madera.
Albizzi's Sachwalter, Herr Götz in Wiesbaden, übernahm den Turm mit
den angekauften Ländereien am 11. Dezember 1878 für 3040 M., welche Frau
von Albizzi, die an den Besitz attachiert war, in kleinen Raten an Herrn
Götz abzutragen suchte. Da aber dieser die Sache bald erledigt wünschte,
so trat eine Freundin von Frau von Albizzi, die Witwe Frau von Tschebi-
tscheff für sie ein und zahlte an Herrn Götz (am 17. Juli 1888) 3736 M.
und ist somit jetzt Besitzerin der Ruine, der zugehörigen Weinberge und des
drischen Landes. Sie hat, wie ich höre, Freude an dem Besitz und hat nicht
die Absicht, daran etwas zu restaurieren, sondern nur den Nolling zu erhalten.
Sollte wieder ein Besitzwechsel eintreten, so kann ich nur wünschen, dass
er in die Hände der Stadt käme und dass diese ihren alten Befestigungsturm
wenigstens so pietätvoll behandeln möge, wie er sich nunmehr seit 7 Jahr-
hunderten erhalten hat.
44
I > II r ^' (; ri f o .s t o Tj a f,' e d f; r K I r, h t o r u n fl Stift: o an d o r L a h n .
Nicht nur für J>ur^f;ri Vicliia man HtoiU; Her^o und Iierg/,ungen, «ondorn
;i\ic}\ für Klö.stor und Stiftf; \vurdf;n h(;i dfr frülion Oi'ündunf^ .solche Lagen,
zumal an der Tjalin, gewählt.; es ist, als oIj die ersten Lehrer und Verbreiter
de» ChristentumH al.s Franken vor den neuen Chrinten — den Chatten jenseits
der Lahn — noch nicht so sicher gewesen wären, dass sie nicht den Fall vor-
ausgesehen hätten, ilire C/ründungen auch wolil gegen jene wieder verteidigen
zu müssen.
Das Wallburgisstift zu W'eilhui'g, welches der Landgraf Konrad um
000 wohl auf einer älteren Kultusstätte gründete, liegt auf einer auf '.> steilen
Seiten v(jn der Lahn umflossenen Ifalbinsel, welche durch eine tiefe, in vor-
geschichtlicher Zeit von dem Fluss durchströmton Einsenkung vom übrigen
Jjand getrennt ist.
[Jie hoch von einem Felsen heral» in der Laliu sich spiegelnde Kirche
von Dietkirchen erhebt sich auch gegen die andere Seite, die sich gegen
Limburg hinzieht, steil abfallend. Sie wurde als kleine liolzkapelle von dem
Apostel des Landes, dem heil. Lubentius, gebaut, welcher diese Stelle zur Grün-
dung wählte, nachdem er den li(;idnischen heiligen Jlain Keckenforst zerstört
liatte und den neuen Christen wohl nur wenig getraut haben mag.
iJie I'raemonstratenser-Abtei Arnstein liegt auf einem hohen, nach allen
Seiten steil abfallenden, nur mittels eines schmalen Kammes mit dem höheren
(lebirge zusammenhängenden Lerg, von dem sie auf das Lahnthal und die Burg
jjangcnau hinabschaut. Sie verleugnet nicht ihren Ursprung als Burg der
Crafen von Arnstein, welche diese zum Kloster gestiftet hatten.
Die Brunneburg, auf hohem Felsen, an dessen Fuss eine Ifeihjuellc ent-
springt, gelegen, ist auch an der Landseite von steilen Abhängen umgeben, an
denen man di«; l'mfassungen erkennt, die sie als Burg bedurfte. Eine arn-
steinische Tochter (iisela stiftete hier um lOfU — 1070 ein adeliges Fräulein-
Kloster nach der Regel von Praemonstrat.
Der Dom, d. h. das St. (ieorgenstift von Limburg, liegt auf einem
Felsen, der von zwei Seiten von der Lahn bespült wird, bei Hochwasser aber
konnte man sagen, dass er einst ringsum wie eine Insel von Wasser umgeben
war. Schon zwischen 814 und 847 wurde hier eine Kirche des heil. Georg
gegründet, dessen Jjindwurm hier wie anderwärts zum Namen des Ortes Ver-
anlassung gab. Um 010 wurde die Kirche zum Georgenstift erweitert.
Das Benediktiner-Nonnenkloster Dirstein, jetzt das Kadettenhaus Oranicn-
stcin, war wahrscheinlich eine diezische Stiftung. Es liegt auf einem gegen
die Jiahri vortretenden Felsen, welch(;r dui'ch ein jetzt ausgefülltes 'l'hal von
der Hochfläche, dem Ilain von Diez, getrennt war.
Nachtrag zur Geschichte der Steigbügel
im XXIV. Haiulc der Annaleu (1892).
Von
A. Schlieben^
Miijur a. i).
Hierzu Tafol VII bis IX mit 155 Abbildungen.
Die l\it"oln VJl bis IX bieten eine NiicliloHO von ältoreii und neiu'reii
Stoigbügelformen, woIcIjo ich neuordiugs in den Städten an der Ostsee von
Königsberg bis Kiel, in Dänemark und Schweden, an verscliiedenen Orten im
Innern von Dentschhind, sowie in bihlHchen Darstelhmgen aller Art noch gt;-
fiinden habe. Wer einmal angefangen, pHegt auch weiter zu sammeln und wird
dem üeschick nicht entgehen, dass alles, was er veriUleutlicht, kaum gedruckt,
schon wieder unvollständig ist. Ich habe nachträglich Sammlungen g(!funden,
in denen die Bügel nicht nach Dutzenden, sondern nach vielen Hunderten zählen,
so namentlich die der physikalisch-ökonomischen Gesellschaft und der Prussia
in Königsberg, welche gerade durch das massenweise Wiederkehren derselben
Formen einen ganz bestimmten Charakter zeigen, wodurch einzelne abweicdiendo
Stücke um so mehr hervortreten.
Die in meiner Geschichte der Steigbügel vorsuchte Charakteristik d(M'
Formen, welche in den einzelnen Jahrhunderten vorherrschen, linde ich aucji
bei den in diesem Nachtrage aufgeführten Exemplaren bestätigt. Bei den fast
zahllosen Bügeln der beiden Königsberger Museen liegen leider nur sehr wenige
bestimmte Zeitangaben vor. Tischler setzt, wie früher angeführt ist, fast alle
Massenfunde in die Zeit bis zum XIII. Jahrhundert, d. h. der letzten Ileiden-
zeit, doch umfassen die Funde an einzelnen Orten viele Jahrhunderte und reichen
bis in die Wikinger-Zeit zurück. In dem Bericht über die prähistorischen
Arbeiten der pliys. -Ökonom, Ges. Band XVIII, 1877 setzt er alle in die Zeit
um das Jahr 1000. Vielleicht geht man nicht fehl, wenn man in Ermangelung
anderer Anhaltspunkte die schwereren und sorgfältiger gearbeiteten Stücke der
älteren, die einfacheren und zum Teil ganz autlallend leicht gehaltenen der
jüngeren Zeit zuschreibt. Je allgemeiner der tJebrauch der Bügel und je grösser
der Bedarf wurde, desto weniger Sorgfalt konnte auf die einzelnen Exemplare
verwendet werden
46
Eine andere Bemerkung drängt sich bei dem Vergleich der nordischen
Formen mit den mitteldeutschen auf, die uns ja grösstenteils nicht in wirklichen
Fundstücken, sondern in bildlichen Darstellungen vorliegen. Die eigentliche
Dreiecksform scheint im Norden gar nicht vorzukommen, vielmehr zeigt sich,
ausser der vorherrschenden hohen und der ganz runden Form, hauptsächlich
die lang gezogene eiförmige in verschiedenster Abstufung und Ausführung.
Wir haben schon früher gesehen, dass die Bügel mit der Zeit überall
länglich werden und dass nur die Ungarn auch in neuerer Zeit wieder auf die
runde Form zurückgegangen sind.
Die Zeichnungen, denen die deutschen Bügel zum teil entnommen sind,
dürften doch nicht als durchaus massgebend anzusehen sein ; abgesehen davon,
dass sie bei Miniaturen oft recht undeutlich sind, zeigen sie auch auf grösseren,
sonst recht genauen Zeichnungen höchst auffallende Schnörkel und Ausführungen,
die man am liebsten der Phantasie der Künstler zuschreiben möchte, so die
Figuren 159, 150, 147, 148, 151, 152 u. a.
Störend wird es vielleicht empfunden werden, dass nicht die nordischen
und die im mittleren Deutschland vorkommenden Bügel gesondert aufgeführt
sind; bei einem nochmaligen Zusammenstellen aller früheren und der jetzigen
Formen wäre dies vielleicht durchführbar. Wo die Form ein ununterbrochenes
Fortschreiten zeigt und sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt, sind der
Übersicht zuliebe frühere und spätere Fundstücke zusammengehalten worden.
Lässt auch die Datierung, besonders bei ganz vereinzelt vorkommenden
Funden ohne sonstige Beigaben noch zu wünschen übrig, so bieten doch die
Zeichnungen mit diesem Anhange nun schon eine solche Fülle sicherer Stücke,
dass man nicht mehr, wie bisher, irgend einer Form völlig ratlos gegenüber
stehen wird. Ganz entmutigt kann man aber werden, wenn man in einzelnen
Gegenden Pommerns und Holsteins, in welchen die Knechte mit vier Pferden
fahren und dabei auf dem Sattelpferde reiten, die Bügel betrachtet, welche sie
führen. Alle Muster seit dem XVI. Jahrhundert und diese von einer Weite,
wie sie damals die Bärenfüsse und Mailänder Schuhe, später die schweren
Reiterstiefel erforderten, sind in allen Trödelläden, oft nicht einmal paarweise
passend, aufgekauft und müssen jetzt, an einem Sattelkissen, einer Art von
Ephippium, um es klassisch zu benennen, befestigt, die mit grossen Holzschuhen
bekleideten Bauernfüsse aufnehmen. Viele dieser Bügel habe ich wirklich für
alt gehalten, denn solche Formen findet man sonst nur bei den nordischen
Bauern des letzten und vorletzten Jahrhunderts.
Die den Figuren beigegebene Beschreibung enthält zugleich diejenigen
Bemerkungen, welche eigentlich im Text hätten besprochen werden müssen.
Erklärung der Abliildiiiigeii, Angabe der (Quellen und IJesitzer,
Die römischen Schlußs-Ziffern bedeuten das Jahrhundert.
353. Fragmente eines Steigbügels aus dem Kringberg in Holstein , durch
Münzen etc. als der karolingischen Zeit angehörend sicher nachgewiesen,
s. Zeitschr. für Gesch. v. Schlesw.-Holst.-Lauenbg. Kiel 188G, Bd. XVI,
47
S. 411. Es wird angenommen, dass der Bügel mit den Pranken nach
dem Norden gekommen ist. IX.
354. Altert.-Museum Kopenhagen, Bronze, Öse abgebrochen. X.?
355. Fund im Torfmoor, Bronze. Ebenda. X.
356. Landfund aus Jütland, der Bügel ist mittels Bronzeplatte auf dem Bügel-
riemen festgenietet, Museum in Kopenhagen. X. Daselbst noch mehrere
andere bis 75 cm hohe Bügel, zum teil tauschiert, alle zerbrochen, aber
mit dreieckigen Schenkeln, umgebogener Sohle und knopfartiger Verstär-
kung am Beginn derselben, ähnlich Fig. 108.
357. Aus Kösnicken in Ostpreussen, Sohle 3 — 4 cm breit und etwas gewölbt,
befindet sich im Museum der phys.-ökon. Ges. in Königsberg. X.— XIII.
358. Aus Löbershof, Kreis Labiau, Ostpr. Dort sind fast alle Formen in
Hunderten von Exemplaren vertreten, meist paarig, viele sehr leicht, durch
Münzen und anderes datiert, sie umfassen mehrere Jahrhunderte. Man
kann 5 Typen unterscheiden: 1) Ohne Öse, fast rund. Sohle schmal, Fig. 369 -,
2) ohne Öse, Schenkel mehr gestreckt. Sohle breit, Fig. 381; 3) rundes
Ösenloch, Absatz vor der Sohle, Fig. 391; 4) Öse viereckig, breit. Sohle
zungenförmig, kein Absatz, Fig. 358; 5) hohe Form, wahrsch. die älteste,
Fig. 401. Ganz dieselben Formen finden sich in Popelken, Kreis "Wehlau.
Alles im Prussia-Museum, Königsberg. XI. — XIII.
359. Aus Ostpreussen, jüngste heidnische Zeit, physik.-ökon. Gesellsch. Königs-
berg. Silbertauschierung, 10 cm Durchm. Yor XIII.
360. Eisen, vergoldet, Stockholm, Nat.-Museum. XL— XIII.
361. Sehr leicht, Kopenhagen, Altert.-Museum. XII.
362. Aus Kirpehnen, Ostpreussen, Königsberg. Prussia. XI.— XII.
363. 364. Cornieten, wie 359. XII.
365. Wie 359, aber nicht täuschiert.
366. Kirpehnen, daneben die Formen von 358. Prussia. XL — XIII.
367. Relief auf einer Island. Kirchenthür; der Bügel ist am Sattelknopf be-
festigt, Kopenhagen, Alt.-Museum, Um 1030.
368. Federzeichnung aus einem Pergament-Manuskript, enthaltend des Pfaffen
Konrad Gedichte von Karl d. Gr. d. Bibliothek zu Heidelberg, aus Hefner-
Alteneck Bd. II, Taf. 79. XIL
369. Löbershof s. 358.
370. 371. Ostpreussen, phys.-ökon. Gesellsch. XIII.
372. Kreis Fischhausen, nebst vielen anderen, teils runden, teils länglichen Bügeln,
Sohle bisweilen ganz flach. Prussia. XIII.
373. Gallhofen, mit Silbertauschierung. Königsberg, phys.-ökon. Gesellsch. XIII.
374. Ebenda. XIII.
375. Fast kreisrund, häufig. Ebenda. XIII.
376. 377. Ebenda. XIIL
378. Kirpehnen, Prussia. XIIL
379. Phys.-ökon. Gesellsch. XHI.
380. Ilischken, Kreis Wehlau. Prussia. XIII,
381. Löbershof s. 358.
48
382. Ganz leicht, wie Kinderbügel, wie 379. XIII.
383. Cornieten, Ostpreussen. Ose gedreht, aber abgebrochen, ganz leicht,
10 : 7 cm. Phys.-ökon. Gesellsch. XIII.
384. Sehr leicht. Ebenda. XIII.
385. In Königsberg gefunden. Prussia. XIII,
386. Wie 372.
387. Übereinander geschweisste Schenkel, Sohle ebenso breit, aber ihre Fläche
senkrecht zu jener. Polwitten, Ostpr. Auch tauschierte Exemplare mit
Goldstreifen, ähnlich in Cornieten, aber sehr klein. Phys.-ökon. Gesellsch.
XIII.
388. Aus einem Pfahlbau bei Lubtow. Stettin, Museum. XIII.
389. Der hintere obere Rand steht etwas höher, als der vordere, daher schräge
Fläche, in wenigen Exemplaren vorhanden, phys.-ökon. Gesellsch. XIII.
390 a u. b Oberteile, c Sohle zu ostpreuss. Bügeln. Ebenda. XIII.
391. Löbershof s. 358 u. 392.
392. Typische Form, Sohle oft noch runder und etwa so breit wie die Schenkel,
aber senkrecht zu diesen stehend. Gallhofen und Cornieten, Ostpr. Phys.-
ökon. Gesellsch. XIII.
393. Gallhofen, Silbertausch. 12:11 cm. Ebenda. XIII.
394. Genietet ohne Ösenloch 13:12 cm. Cornieten, ebenda. XIII.
395. Prachtstück; durch ein Gerippe, dessen zugehörige Rüstung dasselbe Or-
nament hat, als sicher dem XIII. angehörend, nachgewiesen; a) Aufriss,
b) Seitenansicht, oben Lederstrippe mit Metallbeschlag, c) Sohle. Aus
Kunterstrauch, Kr. Pischhausen. Königsberg, Prussia.
396. Prachtstück. Aus Dolkheim, Ostpr. 10 cm, Silbertausch. Phys.-ökon.
Gesellsch. XIH.
397. Ostpr. Häufige Form, ebenda. X. — XIII.
398. Stadt. Museum Danzig, kolossaler Bügel, 30 : 12 cm. X.— XIII.
399. Gef. bei Radegast bei Dessau, jetzt im Museum zu Kühnau bei Dessau.
400. Der Aufsatz ist 9 cm breit, der Bügel 11 : 11 . Phys.-ökon. Gesellsch. XIII.
401. Aus Ilischken, Ostpreussen, von einem heidnischen Begräbuisplatze,
12:9 cm. Prussia. XIII .
402. Wie 400.
403. Aus Gallhofen, Ostpreussen, 8:10 cm, wie 400. XIII.
404. Aus Kösnicken, Silbertausch., 14:11 cm, wie vorher. XIII.
405. Fragment, sehr fein, Stockholm, Nat. -Museum. XIII.
406. Ostpreussen, wie 400.
407. Bei Gothenburg in einem Hügel gefunden, Stockholm, Museum. XIII.
408. Aufriss und Seitenansicht. Öse querstehend, wie 400. XIII.
409. Polwitten, schön tauschiert, 11 : 8 cm, stark zerfressen, wie 387. XIII.
410. Stockholm, Nat.-Museum. Andere hohe Bügel mit umgestülpter Sohle und
sehr breiten Ösen, oft dreimal so hoch als breit, alle mit Knöpfen über
der Sohle. Ebenda. XIII.
411. Cornieten, s. 363. XIII.
412. Wie 410. Vor XIH.
49
413. Skulptur vom Gross-Münster in Zürich, nach Forrer und Zschille „der
Sporn« Taf. IV, 11. XI.
414. Aus der Aneide Heinrich v. Veldekes, Bibl. Berlin, nach Forrer und
Zschille Taf. VII, 7. XII.
415. Wandgemälde in der Alhambra nach Wagner, „Trachten des Mittelalters",
Taf. V, 1. XIII.
416. Schloss Ilsenburg, Eisen, wahrscheinlich maurisch. XIII.
417. Aus den Costume-Bildern von Pauquet freres. XIV.
418. Aus Hefner- Alteneck, n. Abt. Taf. 31. Der Bügel scheint unter den Sattel-
gurt geschnallt zu sein. XIV.
419. Darstellung des heil. Georg auf einer Messingschüssel. Mus. in Stralsund.
420. Aus einem Manuskript des XV, Jahrh., den Ritter Georg darstellend.
Anz. des germ. Museums zu Nürnberg 1892, 2, Nr. 42, XV.
421. Griechisches Gemälde auf Holz aus Hist. de l'art d'apres les mouuments,
Kaiser Theodorus (?) vorstellend. Tom. V, table 90. XIH.
422. Bügel des Herzogs Ludwig von Bayern; Federzeichnung aus dem Fechtbuche
von Paulus Kai, Hefner IV, 267. 1479.
423. Aus dem Turnierbuche von Hans Burkmaier. Augsburg 1553. Bügel
Friedrichs HI, von Sachsen, Hefner, Tafel 109. 1497.
424. Ebenda. Bügel Maximilians I. 1497.
425. Aus einem Schachzabelbuche der Bibl. zu Stuttgart, nach Hefner HI,
328. XV.
426—431. Aus Zeichnungen, die Wahl und Krönung Heinrichs VH. 1307 dar-
stellend. Altert.-V. Wiesbaden. XIV.
432. Deckengewölbe in der Alhambra nach Hefner HI, 182. XIV.
433. Aus Codex 793 des germ. Museums, Nürnberg, aus dessen Anzeiger 1892,
Nr. 52. XIV-XV.
434. Frachtstück mit Silber ausgelegt. Original im geh. Archiv zu Königsberg,
stammt aus der Schlacht von Rudau am 17. 2. 1370 (Herzog von Litthauen
gegen d. deutschen Orden), also mit Bezug auf Bd. XXIV, S. 201 wohl
litthauisch. XIV. Die Form d. Sohle erinnert an No. 490, 103, 199, 230.
435. Museum in Wismar, ebenda ein kleinerer derselben Form.
436. Aus Hefner II, Tafel 1. Der Bügel ist von Innen auf d. Fuss' genom-
men. 1480.
437. Darstellung des h. Georg im Artushofe zu Danzig. XV.
438. Mongolischer Bügel, Relief von einem Helme, wahrscheinlich die Schlacht
von Ancyra 1402 darstellend. Besitzer Herr Blell in Lichterfelde.
439. Kolorierte Federzeichnung aus dem „welschen Gast" nach Hefner H,
Taf. 107. a) eines Kriegers, b) des Dichters, Riemenbügel mit Buckeln
verziert. XIH.
440. Von einer isländ. Kirchenthür, vielleicht Riemenbügel, am Sattelknopf be-
festigt. Nach Worsaae, nord. Altert. S. 127. XII.
441. Hölzernes Standbild des h. Georg mit eisernen Bügeln, der Mittelbogen
der Sohle ist ganz nach oben gewölbt. Kopenhagen, Altert.-Museum.
Ungefähr XV.
50
442. Maurisches Wandgemälde der Alhambra nach Wagner, „Trachten des
Mittelalters", Taf. lY, 1. XIH.
443. Angeblicher Wikinger-Bügel von Söborg auf Seeland. Viele solche Bügel
sind in Jütland gefunden. Kopenhagen, Altert.-Museum.
444. Aus der Sammlung von Gross-Kühnau bei Dessau. XY. — XYI.
445 — 448. Die Bügel wurden in einem Pfahlbau bei Zantoch auf dem linken
Ufer der Warthe gefunden, einer inselartigen Erhöhung, auf welcher sich
Fundstücke aus allen Jahrhunderten bis zum vorigen herab fanden. Lands-
berg a. d. Warthe, städtische Sammlung. XY.— XVI.
449. Museum in Stettin. XYI.
450. Standbild des h. Georg aus der grossen Kirche in Stockholm, jetzt im
Museum; Sohle mit umgebogener Zunge, unsymmetrisch. XY.
451. Aus dem städtischen Museum im Franziskanerkloster in Danzig; dieser
Form liegt das scharfwinklige Dreieck zu Grunde. XV.
452. Gantschendorfer Fund, paarig, Sammlung in Stralsund. XV.
453. Polnischer oder ungarischer Bügel. Stadt. Sammlung in Landsberg a. d. W.
XYI.— xvn.
454. 455. Aus der Galerie der Meisterwerke altd. Holzschnitzkunst von v. Eye
und Falke, germ. Museum, Nünberg 1858, den Triumphzug Maximilians I.
darstellend. XYI.
456. Relief auf Solenhofener Stein, nach Hefner VII, 479. XVL
457. Aus Henne v. Rhyn, Kulturgesch. des deutschen Volkes, H, S. 120.
Bügel mit Lanzenschuh. XYII.
458. Bügel des Herzogs Wilhelm IV., nach Hefner VIII, 558. 1550.
459. S. 454 u. 455.
460. Wie 456. Bügel Karls V. Hier wie dort sind die Bügel von Innen
auf den Fuss genommen. XVI.
461. Federzeichnung des germ. Museums, nach Hefuer VII, 487. XVI.
462. Hist. Museum Dresden. Hefner YIII, 565. XVI.
463. 464, Sammlung in Gross-Kühnau bei Dessau.
465. Bügel aus Westergothland. Stockholm. Vielleicht XYI.
466, 467, 470. Bügel von schwedischen und norwegischen Bauernsättelu aus
dem Stockholmer Museum. Zeit nicht genau zu bestimmen, vielleicht XVII.
468. Städtisches Museum in Danzig. XYII.
469. Nach Hefner VHI, 558. Mitte XVI.
471. Angeblich von den Hussiten herrührend, 11 : 16 cm. Der Bügel hängt
an einer Kette, deren Haken in die Öse greift und durch eine Schraube
geschlossen ist. Bernau. XV.
472 — 474. Drei Paar ganz auffallender Bügel auf der Feste Coburg, ungefähr
25 cm hoch u. 15 cm weit, die Schenkel 20 cm breit, die Sohle auf Ys
der Höhe von unten angebracht, bei 472 durch einen eisernen Bolzen
festgehalten. Sie sind von Eisen, mit Zeug gefüttert; bei 474 ist der
offene Rahmen mit farbigem Tuch bekleidet; sie waren wohl für Festlich-
keiten bestimmt. XVI. — XYII.
51
475. Mexikanisch-spanische Bügel nach Demmin S. 656, welcher sagt, dass
die Spanier derartige sehr schwere Bügel unter Ferdinand Cortez in der
Schlacht von Otumba führten. XVI.
476. Aus der Sammlung in Wisby. XYI.
477. Altert, -Museum in Kopenhagen. XVI.
478. Sammlung auf der Rosstrappe. Derselbe Bügel ist im Schweriner Museum
als bayrischer Kürassierbügel von 1866 bezeichnet, vergl. Fig. 434, 103.
xyn.
479. 480. Im Harz gefunden. Sammlung auf der Rosstrappe. XVII.
481. Wie 466.
482. Wie 476. XVH.
483. Messing, vergoldet, Stockholm, National-Museum, 1611 — 1654.
484. Stettiner Museum. XVII.
485. Ostpreussen, Museum der Prussia, mit Silber tauschiert. Öse drehbar.
XVII.
486. Im Schloss zu Dessau. XVII.
487. Schwedischer Bügel zur Zeit Karls XI. u. XII. Bei den Geschirren des
XIX. Jahrh. hat die Sohle noch einen Mittelsteg und ist scharf gemacht.
Stockholm, Artill.-Museum. XVII. resp. XIX.
488. Bügel Heinrichs H. nach Wagner, „Trachten des Mittelalters", Heft IV,
Blatt 2, No. 5. Original in der Sattelkammer zu München. XVI oder
XVII.
489. Aus dem Schloss zu Ilsenburg, wohl ungarisch. Angeblich Damenbügel,
Öse nicht drehbar. Sohle oval, Höhe mit Öse 20 cm, vgl. Fig. 214. XVII?
490. Paar Messingbügel, angeblich von der Tannenberger Schlacht 1410 her-
rührend, in Elbing gekauft. Prussia in Königsberg. Wahrscheinlich XVII.
491. Paar kleiner Bügel, 12 cm hoch, dem Baron v. Feilitsch auf Stendorf bei
Kosen gehörig. XVH.
492. Bügel eines Tuarik-Fürsten (Wüste Sahara), schwarz mit Gold. Kopen-
hagen, ethnograph. Museum, vergl. 250.
493. Schwedischer Bügel aus dem Museum in Stettin, sehr gross, drei Buckeln
auf jeder Seite der aufsteigenden Sohle, deren Ebene auf der Schenkel-
ebene senkrecht steht. XVHI.
494. Schwedischer Bügel für Artill.-Offiz., Modell 1815, 1837 und 1846; ganz
ähnlich dem vorigen. Artill.-Museum Stockholm. XIX.
495. Schwedischer Bügel für Artillerie, 1876 und 1871. Ebenda. XIX.
496. Bügel eines Balifürsten (bei Java). Ethnograph. Museum Kopenhagen. XIX.
497. Aus West-Nigritien (Senegambien). Ebenda. XIX.
498. Sturzbügel, Patent Hawkins, London. Zwei getrennte Bügel, durch Stifte
aufeinander festgehalten, fallen auseinander, wenn der innere durch den
festsitzenden Fuss gedreht wird. XIX.
499. Mexikanischer Steigbügel, sehr sauber in Holz geschnitten, Öffnung für
den Fuss 13 cm hoch, ganze Höhe 19, Breite 25, Tiefe oben 14, unten
22 cm. Im Besitze des Rittergutsbesitzers Herrn E. Duderstadt auf
Neverstaven bei Oldesloe.
4«
52
500. Bügel mit Eiseuschieneu, unbekannter Bestimmung, vielleicht Teil einer
Maschine oder zum Schutz gegen den Deichselschlag, dann wäre aber die
obere Platte falsch eingezogen; letztere ist 9 cm breit, die senkrechte 53
hoch, 6V2 breit, Bügel 23 hoch. Sohle 15 lang. Stettin, Museum.
501. Beispiel einer Fussbank am Prauensattel, von einem Reliquienschrein aus
der Kunstkammer des Fürsten C. A. von Hohenzollern, nach Hefner,
7. Lief., PI. 41 und 42.
502. Isländischer Sattel mit Fussbank nach den Abbildungen aus dem nordischen
Museum in Stockholm, herausg. von Hazelius 1890, 2. und 3. Abt., PI. 17.
Yergl. den Text der Annalen, Band XXIY, S. 211.
508. Rechter Bügel der Statue Kaiser Conrad III., oder nach Anderen Stephans,
des Schwagers Heinrichs II. Die Statue befindet sich im Dom zu Bam-
berg; bei der ungünstigen Stellung derselben ist das Detail des Bügels
nur schwer zu erkennen. Er scheint unsymmetrisch zu sein. Konrad IH.
lebte im XII., die Statue scheint aus dem XIV. Jahrhundert zu sein.
504. Bügel aus Immenstedt in Schleswig, Wiederholung von Fig. 42, welche
etwas verzeichnet ist.
505, 506, 507. Wiederholung der Fig. 49, 50, 51, welche gleichfalls verzeich-
net sind.
Von den Seite 218 erwähnten Armbrustbügeln, welche zu Verwechse-
lungen mit Steigbügeln Veranlassung geben können, habe ich noch Exemplare
in Upsala und Bernau gefunden. Bei Worsaae (Fig. 488) ist ein nordischer
derartiger Bügel abgebildet, welcher an der Sohle dieselben Umstülpungen, wie
die hohen Steigbügel {Fig. 108, 109, 110, 117 u. a.) zeigt, welche im Norden
die verbreitetsten waren und noch im XIII. Jahrh. vorkommen. Dieser Arm-
brustbügel gehört der Zeit des nordischen Spitzbogenstiles (1300 — 1536) an.
Berichtigung: eil.
Fig. 4:2, dafür ist zu setzen Fig. 504.
Fig. 49, 50, 51, dafür ist zu setzen Fig. 505, 506, 507.
Fig. 90 niuss ganz schräge stehen, sodass das Bein mit der Horizontalen etwa einen Winkel
von 30 Grad bildet.
Fig. 105 u. 125 sind ganz zu streichen; letztere Zeichnung ist nach Bode, Geschichte der
Plastik, Berlin 1887, S. 66 aber nicht richtig, siehe No. 503.
über die Gründung der Behemschen Druckerei
in Mainz.
Von Dr. H. Forst.
Eine nicht uninteressante Ergänzung zu dem im Jahre 1889 an die Mit-
glieder des Vereins verteilten Werke von Dr. S. Widmann über Franz Behem
findet sich im zweiten Bande der „Geschichte der katholischen Kirche in Irland"
von Dr. A. Bellesheim (Mainz 1890) S. 692. Bellesheim veröffentlicht dort
einen lateinisch geschriebenen Brief des bekannten katholischen Schriftstellers
Cochlaeus an den irischen Erzbischof Robert Wauchop, datiert Worms, den
20. November 1540. Hier erzählt Cochlaeus, wie sein bisheriger Drucker in
Leipzig, Nicolaus Wohlrab, nach dem Regierungsantritt des lutherisch gesinnten
Herzogs Heinrich verhaftet und die Druckerei gesperrt worden sei. Dann fährt
er fort:
„Also wurde ich gezwungen, mich an einen anderen Verwandten zu wenden,
der in Dresden wohnte und unter Herzog Georg Buchbinder und Buchhändler
war. Dieser verkaufte und verliess auf meinen Rat alles, was er in Dresden
besass, zog mit seiner Frau (die meine Nichte von meiner Schwester her ist),
und seinen kleinen Kindern nach Mainz und kaufte von einem anderen zu
Leipzig wohnenden Verwandten gute metallene Schrift, um mir und anderen
katholischen Schriftstellern zu dienen."
Dies stimmt genau zu den Thatsachen, die Widmann S. 2 — 4 über
Franz Behem zusammengestellt hat.
Neuere das Vereinsgebiet betreffende oder
berührende Litteratur
mit Ausnahme der in diesen Annalen enthaltenen Abhandlungen und Mitteilungen.
Abgeschlossen im Dezember 1892.
Von
F* Otto*
Adel s. Urkunden.
Archive: Die Habeischen Archivalien. Archivalische Zeitschrift, N. F. I. 1890,
S. 193 ff. — L. V. Rockinger, Vier Handschriften und ein alter Druck
deutscher Rechtsbücher aus der Bodraann-Habel-Conradyschen Sammlung.
Ebenda H. 1891, S. 32 ff.
Nik. Bach (von Montabaur): F. Zwenger, Hessenland, 1891, S. 4 u. 20.
Bibliotheken: Th. Gottlieb, Über mittelalterliche Bibliotheken. Leipzig 1892.
(Kl. Arnstein, Kl. Schönau, Kl. Marienstatt, Graf von Katzenelnbogen,
Hermann von Wiesbaden.)
Biebrich-Mosbach: Heppenheimer, Denkschrift über meine 30jährige Ge-
meindeverwaltung von 1861 — 1891. 23 S.
J. Butzbach: G. Knod, Zur Kritik des J. Butzbach. Annal. d. bist. Ver. f.
d. Niederrhein. Köln. Heft 52 (1891), S. 174—234. (Abt Emicho von
Schönau, Job. de Croenbergh, Abt Job. zu Schönau, Joh. de Laenstein.)
Christentum: F. Otto, Die ältesten Spuren des Christentums in Nassau. Ev.
Gemeindeblatt 1892, No. 19 (S. 147/148) u. 20 (S. 156/157).
F. X. Kraus, Die christlichen Inschriften der Rheinlaude: I. Die alt-
christlichen Inschriften der Rheinlande von den Anfängen des Christeu-
turas bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts ; H. . . . von der Mitte des
8. Jahrh. bis zur Mitte des 13. Jahrb., Abt. 1, 1890. 1892. (Nassau I.
No. 47-58, n. No. 273-276.) Vgl. V. Schnitze, Geschichte des Unter-
gangs des griechisch-römischen Heidentums. H. Die Ausgänge.
Jena 1892.
J. Ph. Cratz zu Scharfenstein : Irmer, Die Verhandlungen Schwedens und
seiner Verbündeten mit Wallenstein und dem Kaiser von 1631 bis 1634,
Bd. U u. IH. (Publikationen aus den Königl. Staatsarchiven.) Leipzig,
Hirzel, 1889 u. 1891 (H. S. 275, 291, 309 u. s. w.)
55
Fulda: Zwenger, Die Auflösung des Benediktiner-Klosters zu Fulda (durch
den Prinzen von Oranien). Hessenland, 1892 S. 273, 288.
L. V. Gerlach: Denkwürdigkeiten aus dem Leben L. v. Gerlachs, General
der Infanterie und Generaladjutant König Friedrich Wilhelm IV. Aus
seinen Aufzeichnungen von seiner Tochter herausgegeben. I. Berlin 1891.
(S. 25 u, 54 Prinz Wilhelm zu Ems, Schwalbach, Wiesbaden, Biebrich
1827 u. 1830; S. 660 König Friedrich Wilhelm zu Biebrich 1851; Max
V. Gagern zu Berlin 1848, S. 187; Präsident v. Wintzingeroda in Berlin
1850, S. 476; Furcht vor Rheinbundgelüsten 1852, S. 757.)
Die deutschen Gesellschaften s. u. Nassau.
Gleiberg: H. Haupt, Urkundliches zur Geschichte Rodheims a. d. Bieber und
der Gleiberger Burgkapelle. Mitteil. d. Oberhessischen Geschichtsvereins,
N. F. IH. 1892, S. 91 ff. (Graf Philipp H., Ludwig I. und Philipp IH.
von N.-Weilburg, 1470, 1510, 1532.)
Hachenburg: Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Heft 21, S. 80.
1444 Verkauf einer Waldmühle in der Altstadt; Zylbrecht v. Seibach,
Drost zu Hachenburg.
Herborn : A. Ulrich, Niederdeutsche Studenten auf fremden Universitäten. Zeitschr.
des hist. Ver. f. Medersachsen 1889, S. 199 (zu Herborn 1589—1623).
Arnos Comenius zu Herborn. Rhein. Kurier 1892, Nr. 94.
Höchst: A. v. Drach, Fayence- und Porzellan-Fabriken in Alt-Kassel. Hessen-
land, 1891, S. 129.
Höhenkultus: F. v. Adrian, Der Höhenkultus asiatischer und europäischer
Völker. Eine ethnographische Studie. Wien 1891. (Der Altkönig, S. 350.)
Homburg: L. Jacobi, Über Missbräuche bei Hochzeiten, Taufen u. s. w. im
17. u. 18. Jahrh. Mitteil, des Ver. zu Homburg, IV, S. 11 ff.
— — , Das h. Grab auf dem reformierten Kirchhofe zu Homburg.
Ebenda S. 21 ff.
Hundeshagen: J. NoU, H. B. Hundeshagen und seine Stellung zur Romantik.
Frankfurt a. M. 1891, Programm des Kaiser-Friedrich-Gymn. 45 S. 4".
(s. auch unten bei Varrentrapp).
Isenburg: M. Mayer, Geschichte der Mediatisierung des Fürstentums Iseu-
burg. München 1891.
Juden: M. Silberstein, Wolf Breidenbach und die Aufhebung des Judenzolls
in Deutschland. Mit besonderer Rücksicht auf Nassau. Zeitschr. für
Gesch. der Juden in Deutschland. Sonderabdruck 1891, 20 S.
— — , Der Judenzoll und seine Aufhebung in Nassau. AUg. Zeitschr.
des Judenturas, Bd. 54, Nr. 38, 1890.
Brief Breidenbachs an H v. Gagern vom 6. Sept. 1806. Jüd. Litt.-
Bl. 1890, Nr. 24.
Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während der Kreuz-
züge. Im Auftrage der hist. Kommission für Geschichte der Juden
in Deutschland. Herausgegeben von A. Hessbauer und M. Stern,
deutsch von S. Baer. In Bd. II der Quellen zur Geschichte der
Juden in Deutschland,
56
Kelten: H. SchaafFhausen, Die Kelten. Bonner Festschrift zum 50jährigen
Jubiläum des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande. 1891, S. 62 ff.
Klöster: G. Bucelin, Übersicht der Mönchsabteien des Benediktinerordens in
Deutschland, Österreich und der Schweiz bis zum Anfang dieses Jahr-
hunderts. Archiv. Zeitschr. N. F. 11 (1891), S. 188 ff.
Klostersagen: A, Kaufmann, Wunderbare und denkwürdige Geschichten aus
den Werken des Caesarius von Heisterbach, ausgewählt, übersetzt und
erläutert. II. Ann. d. histor. Ver. f d. Niederrhein, H. 53. Köln 1891.
Krieg und Kriegswesen: B. Poten, Geschichte des militärischen Erziehungs-
und Bildungswesens in den Landen deutscher Zunge. Berlin 1891 (U.
S. 323 — 391 Die nassauische Kadettenschule). Vgl. Rhein. Kurier 1891,
No. 247.
Isenbart, Geschichte des herzogl. nass. 2. Regimentes, Stamm des kgl.
preuss. 2. nass. Infanterie-Regiments No. 88, von 1808 — 1866. Mit
17 Skizzen und einer Übersichtskarte. Berhn, Mittler 1891. VIII
u. 253 S.
V. Memerty, Das Offizierkorps des Füsilier -Regiments v. Gersdorff,
No. 80, von 1866—91. Berlin, Mittler 1891.
König Adolf s. Nassau.
Gotthold, Die Schweden in Frankfurt a. M. III. Frankfurt 1891.
Progr. der Klingerschule.
(Sauer), Die nass. Kreiskompagnie in Mainz 1792. Rhein. Kurier 1892,
No. 326, 327, 328.
Fr. V. Weech, Badische Truppen in Spanien 1810 — 1813. Badische
Neujahrsblätter, 2. Bl, 1892 (S. 5, 18 u. ü. über nass. Truppen in
Spanien).
W. Sauer, Blüchers Übergang über den Rhein bei Caub. Nebst Mit-
teilungen über den Aufenthalt des Yorkscheu Korps im Herzogtum
Nassau von Ende Okt. 1813 bis zum Januar 1814. Mit dem Fac-
simile eines Briefes Blüchers. Wiesbaden, Kreideis Verlag 1892.
J. V, Schmidt, Die vorm. Kurhessische Armeedivision im Sommer 1866.
Auf Grund des vorhandenen aktenmässigen Materials sowie der eige-
nen Erlebnisse. Kassel 1892 (u. a über die „Kleine hübsche Ex-
pedition" nach Zorn, wie sie General v. Zimiecki nannte).
Kreuzzüge: R. Röhricht, Studien zur Geschichte des 5. Kreuzzuges. 1891.
(Graf Diether von Katzenelnbogen und Graf Gebhard von Diez, 1219.)
Kunst und Kultur: Cuno, Die Kunstgeschichte des rechtsrheinischen Teiles
der alten Erzdiöcese Trier bis zum Ausgange des Mittelalters. Wies-
baden, Brems (1891).
Leiningen: E. Brinkmaiers Genealogische Geschichte des uradeligen, reichs-
gräflichen, reichsfürstlichen, standesherrlichen erlauchten Hauses Leiningen
und Leiningcn-Westerburg. Nach archivalischen, handschriftlichen und
gedruckten Quellen umgearbeitet und vermehrt von K. Em. Graf von
Leiningen-Westerburg. 2 Bde. Braunschweig, Sattler 1890, 1891.
57
Melander: R. Schmidt, Ein Calvinist als Kaiserlicher Feldmarschall im 30-
jährigen Kriege. II. 1891. Berlin, Gärtner.
Montabaur: A. Kleinschmidt, Aus den letzten Tagen des Königreichs West-
falen. Zeitschr. d. Ver. für hess. Geschichte, N. F. XVI. (Jeröme auf
der Flucht zu M.)
Museum zu Wiesbaden: Museum der Altertümer. Westdeutsche Zeitschr. 1891,
S. 393; 1892, S. 238. Vgl. Jahresberichte der Geschichtswissenschaft
1891, IL S. 148, Anm. 4 u. 8.
Kunstmuseum: Th. Frimmel, Kleine Galeriestudien, I. 1891 (S. 98 bis
114 Wiesbaden).
Nassau: A. Güth , Landes- und Provinzialgeschichte, Heft lOB. Nassau
(und Frankfurt). Leipzig 1891 (zu den bei R. Voigtländer erschieneneu
geschichtlichen Lehrbüchern gehörend).
H. Susann, König Adolf von Nassau und Albrecht von Ostreich vor
Kenzingeu. Zeitschr. der Gesellschaft zur Beförderung der Ge-
schichte . . . von Freiburg, dem Breisgau u. s. w. IX. 1890, Frei-
burg; auch als Programm der höheren Bürgerschule zu Kenzingeu
1890 erschienen.
Ulmann, Kaiser Maximilian L Auf urkundlicher Grundlage. Bd. 2. Stutt-
gart 1891. (Graf Adolf von Nassau, Graf Engelbrecht.)
F. Otto, Graf Johann von Nassau, Herr zu Idstein und Wiesbaden.
Evang. Gemeindeblatt 1891, No. 30, 31, 32, 33.
H. Hüffer, Die Kabinetsregierung in Preussen und J. W. Lombard.
Leipzig 1891. (S. 526 wird eine Prinzessin von N.-Usingen (?) ge-
nannt als Küsterin im Stift Herford; geraeint ist wohl Auguste
Marie, Tochter des Fürsten Karl von N.- Weilburg, welche 1802 als
Dechantin starb.)
A. Heldmann, Zur Geschichte des Gerichts Viermünden und seiner
Geschlechter. I. Die Vögte von Keseberg. Zeitschr. d. Ver. f. hess.
Gesch. N. F. XV, 1890. (Urkunden mehrerer Grafen von Nassau-
Dillenburg, Heinrich, Emicho, Johann von 1299, 1308, 1321 u. 1409.)
Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Heft 21, S. 80 und 81 :
1437 Agnes und Eisline von Nassau, Kau. zu S. Ursula, 1450 Mar-
garethe von Nassau, Äbtissin von S. Ursula.
Jungfer, Der Prinz von Homburg. Berlin 1890. (Graf Ludwig Hein-
rich von N.-Dillenburg bewarb sich 1660 um die Hand der Gräfin
Brahe; abgewiesen veröffentlicht er eine Schmähschrift, worauf die
Antwort erfolgt: der beantwortete zwar ungenannte, aber überaus
schamlose und unverschämte Nassau-Dillenburger Pasquillant. 1660.)
W. Sauer, Das Herzogtum Nassau in den Jahren 1813—1820. Ein
Beitrag zur Geschichte der gleichzeitigen politischen Bewegungen
in Deutschland. Wiesbaden, Kreideis Verlag 1893, VI u. 186 S.
Vgl. Rhein. Kurier 1892, No. 269 u. 270.
Meinecke, Die deutschen Gesellschaften und der Hoffmannische Bund.
Stuttgart 1891.
58
A. Stern, Ein Kapitel aus der Geschichte der deutschen Einheitsbe-
strebungen. Nation 1892, No. 15.
Sauer, Die deutschen Gesellschaften und Nassau in den Jahren 1814
bis 1815. Rhein. Kurier 1891, No. 343, 344 u. 348.
R. Kolb, Herzog "Wilhelm von Nassau. Gedenkschrift zum 100jährigen
Jahrestag seiner Geburt. Wiesbaden 1892. Mit dem Bildnis des
Herzogs.
J. A. M. Messinga, Das Haus Nassau. Herold 30, S. 153 — 155. —
V. Göckingk, ebenda S. 172.
F. W. E. Roth, Das Nassauer Epitaphienbuch des Malers Dorsen von
Altweilnau. Yierteljahrsschr. f. Wappen-, Siegel- und Familienkunde
19 (1891), S. 537—76.
R. Hauch, Münzen, Medaillen und Ehrenzeichen der Grafen und Fürsten
von N.-Weilburg-Saarbrücken und der Herzöge von Nassau. Ge-
sammelt von R. Hauch. Frankfurt a. M. 1891.
Münzen des Grafen Gerlach von Nassau, Erzb. von Mainz (5 Dukaten)
und des Grafen Adolf von Nassau, Erzb. von Mainz (10 Dukaten).
Mitteil, des Yer. f. hess. Gesch. 1890, S. 133.
(Sauer), Die Ordnung der Farben in der nassauischen Fahne. Rhein.
Kurier 1891, No. 214.
Prähistorie: Schiersteiner Funde. Westdeutsche Zeitschr., Korr.-Bl. X, Sp. 262.
Florschütz, Die Urbevölkerung Nassaus. Separatabdruck aus der Wiesb.
Presse 1891, No. 35.
Recht: H. Waschersieben, Deutsche Rechtsquellen des Mittelalters. Leipzig,
Veit u. Co. 1892. (Über das Rheingauische Weistum vgl. Sauer in den
Annal. XIX, S. 33 ff.)
Reformationszeit: F. Otto, Die Visitationen der nassauischen Kirchen des
Mainzer Sprengeis in den Jahren 1548 — 1550. Evang. Gemeindeblatt 1892,
No. 47, 48, 49, 50.
Lenz, Briefwechsel des Landgr. Philipp von Hessen mit Bucer. HI.
Leipzig 1891. (Katzenelnbogener Erbfolgestreit, schmalkaldischer
Krieg.)
A. Kleinschmidt, Hermann von Holzhausen. Zeitschr. f. Kirchenge-
schichte XL (1891), S. 252 ff. (H.'s Mutter [f 1498] oft zur Kur
in Wiesbaden; W. Nesen von Nastätten 1520 ff.)
E. Otto, Mitteilungen aus Butzbacher Kirchenbüchern. Quartalbl. des
hess. Ver. 1892, S. 186 (Pfarrer Nikol. Bleichenbach geht 1530 von
Sulzbach und Soden nach Butzbach, Konr. Stetzenbach 1540 Kugel-
herr, Joh. Brendel, Diakonus zu Cronberg 1550, Zach. Rülmann
von Usingen 1577 Caplan zu Butzbach).
Fr. V. Reiffenberg: P. Collischon, Frankfurt a. M. im schmalkaldischen Kriege.
Strassburg 1890.
Ringwälle: F. Kofler, Westdeutsche Zeitschr. 1892, S. 210 ff.
Der h. Rock zu Trier: (Sauer), Nassauisches zur Geschichte des h. Rockes.
Rhein. Kurier 1891, No. 214.
59
Römerzeit: Funde zu Heddernheim (A. Riese und G. Wolff in der Westd.
Zeitschr. Korr.-Bl. 1891, Sp. 12 ff.), Höchst (G. Wolff ebenda 1892, Sp. 1 ff.);
Didaskalia 1891, 26 Nov.), Wiesbaden (Rhein. Kurier 1891, 14. und
16. Aug.).
Limes, Westd. Zeitschr., Korr.-Bl. 1892, Sp. 20.
Limesblatt, Mitteilungen der Streckenkommissare bei der Reichslimes-
kommission, herausgegeben von F. Heller-Lintz. Trier, No. 1. 1892
(Sp. 1 ff, Berichte von L. Jacobi über die Ergebnisse vom Taunus;
Sp. 5 ff., Mommsen über die Feldberginschrift; Sp. 12 ff., F. Kofler,
Sp. 24, G. Wolff über die Funde in der Wetterau bis Marköbel).
Legionsgeschichte : v. Domszewski, Zur Geschichte der leg. XIIII gem.
Westd. Zeitschr., Korr.-Bl. 1891, Sp. 252 f.; Zur Gesch. der Legionen
XIII bis XX, ebenda Sp. 59.
A. Riese, Das rheinische Germanien in der alten Litteratur. Leipzig,
Teubner 1892.
V. Löher, Zustände im römisch-deutschen Kulturlande. Sitzungsprot.
der Münchener Akad. der Wissensch., phil.-hist. Kl. 1891, S. 1 ff.
Hang, Die Viergöttersteine. Westd. Zeitschr. 1891, S. 9 ff., 125 ff.,
295 ff.
Hübner, Jupitersäulen; ebenda, Korr.-Bl. 1891, Sp, 254 ff.
W. Liebenan, Zur Geschichte und Organisation des römischen Vereins-
wesens. Leipzig 1890.
Vertriebene Salzburger in Nassau: F. Otto im Evang. Gemeindebl. 1891,
No. 18, 19, 20 u. 21.
S. Goarshausen und die Katz: M. v. Ditfurth, Hessenland, 1890, S. 129.
Schinderhannes: K. Rauchhaupt, Aktenmässige Geschichte über das Leben
und Treiben des berüchtigten Räuberhauptmanns J. Bückler gen. Schinder-
hannes und seiner Bande. Kreuznach 1891.
Schule: K. Spielmann, Schola et Methodus Gaertneriana. Separatabdruck aus
den Mitteilungen f. deutsche Erziehung und Schulgeschichte. 1892.
W. H. Riehl, Die Idylle eines Gymnasiums (Weilburg 1837 — 41) in
den Kulturgeschichtlichen Charakterköpfen 1891, S. 1 — 57.
Sprache: F. Kehrein, Volkssprache und Wörterbuch von Nassau; Volkstümliches
aus Nassau; Nassauisches Namenbuch. Neue (Titel)- Auflage. Leipzig,
Lesimple 1891.
J. Heinzerling, Probe eines Wörterbuchs der Siegerländer Mundart.
Frogr. des Realprogymn. zu Siegen. 1891. Buchstabe B.
K. Bach, Beiträge zur Deutung der Ortsnamen in der Umgegend von
Homburg. Mitteil. d. Ver. f. Geschichte von Homburg, IV. S. 1 — 10.
K. V. Stamford: Die Heirat Jolantas von Lothringen mit Landgraf Wilhelm
von Hessen. Zeitschr. des Ver. f. hess. Geschichte, N. F. XVI. (Reise
durch Nassau, Nass. Fürsten auf der Hochzeit zu Kassel.)
Marianne vom Stein: A. Kleinschmidt, Das Damenstift Wallenstein zu Hom-
burg unter Jerome. Zeitschr, des Ver. f. hess. Geschichte, N. F. XV.,
S. 269 ff.
60
Ifassauische Studenten zu Köln: H. Keussen, Matrikel der Universität Köln
1389—1559. Bd. I, 1389-1466. Bonn 1892. Vgl. J. Hansen in den
Mitteil, aus dem Kölner Stadtarchiv 20.
Zu Giessen: E. Klewitz und K. Ebel (1664—1685). Mitt. des oberhess.
Geschichtsvereins, K F. III. 1892.
Sueben: Kossina, Westd. Zeitschr. 1891, S. 104; A. Riese, ebenda S. 293.
Barthol. Usingen, Prof. der Theologie zu Erfurt: G. Oergel, Beiträge zur Ge-
schichte des Erfurter Humanismus. Mitt. des Ver. f. Gesch. von Erfurt,
15. (1892), S. 39—100.
Urkunden, Regesten und Handschriftliches:
G. V. d. Ropp, Urkunden zur Reichsgeschichte aus einem Falkensteiner
Kopialbuche. Neues Arch. 16, S. 624—31 (1259 — 1398).
F. W. E. Roth, Kaiserurkundeu und Reichssachen; ebenda S. 632 (1205
bis 1421).
— — — , Deutsche Kaiserurkunden ; ebenda S. 435 — 38(1349 — 1418).
— — — , Urkunden und Auszüge zur Geschichte der Erzbischöfe und
Kurfürsten von Mainz, Köln und Trier. Korr.-Bl. des Gesamtver-
eins 39, S. 123, 139.
E. Friedländer, Rheinische Urkunden. Ann. des bist. Ver. f. d. Nieder-
rhein 50, S. 237 ff. (Zwei Urk. betreffen Diez und Sayn von 1442
und 1458).
F. W. E. Roth, Mitteil, aus Handschriften. (Kl. Arnstein und Not Gottes.)
Germania 36 (1891), S. 262-67.
F. "VV. E. Roth, Nassauer Urkunden (1558 — 1623 aus dem Rheingau).
Korr.-Bl. des Gesamtver. 39, S. 44, 71, 89, 107.
— — — , Ungedruckte Regesten zur Geschichte edler Familien Hessens
und der Rheinlande. Vierteljahrsschr. f. Wappen-, Siegel- und Fami-
lienkunde 19 (1891), S. 364-391.
, Urkundliche Nachrichten über die Edlen von "Waldeck (Nassau).
Ebenda 19 (1891), S. 33-37.
H. Reimer, Urkundenbuch zur Geschichte der Herreu von Hanau und
der ehemaligen Provinz Hanau. I. 766 — 1300. Mit zwei Tafeln.
(Publikationen aus Kgl. preuss. Staatsarch. 48.) Leipzig 1891.
K. Varrentrapp, Joh. Schulze und das höhere preussische Unterrichtswesen
in seiner Zeit. Leipzig 1889 (Gantesviler, Meusebach, Karoline Rössler,
Steinmetz, Friedemann, B. Hundeshagen, L. Snell).
Verkehr: F. H. Quetsch, Geschichte des Verkehrswesens am Mittelrhein von
den ältesten Zeiten bis zum Ausgang des 18. Jahrh. Mit 42 Abbildungen.
Freiburg, Herder 1891. Vgl. auch K. Theile, Bilder aus der Chronik
Bacharachs und seiner Thäler. Ein Stück rheinischer Orts- und Kirchen-
geschichte. Gotha, Perthes 1891.
Wal deck: s. Urkunden.
H. Wachenhusen, Aus bewegtem Leben. Erinnerungen aus dreissig Kriegs-
und Friedensjahren. 2 Bde. Strassburg 1890 (berührt an verschiedenen
Orten Nassau, insbesondere Wiesbaden).
61
Weilburg-: Hermauu Theucrkauf aus W., Pfarrer in Offenbach 1427. Quar-
talbl. des bist. Ver. im Grossherz, Hessen, 1890, S. 74.
Riehl, s. unter Schule.
Wiesbaden: s. unter Museum.
F. Nippold, Der Jesuitenstreit zu Wiesbaden. Ein Einzelbild im Rahmen
der gegenwärtigen Agitation für den Jesuitenorden. Halle 1891.
F. Otto, Die Reformierten zu W. Evaug. Gemeindebl. 1891, No. 17.
(Sauer), Zum 75jähr. Stiftungstage des Wiesbadener Kasinos. Rhein.
Kurier, No. 87.
Zollwesen im Mittelalter: K. Hummel, Die Mainzölle von Wertheim bis Mainz
bis zum Ausgang des 15. Jahrh. mit besondrer Berücksichtigung von
Frankfurt a. M. Westd. Zeitschr. 1892, S. 109-145.
Jahresberichte der Geschichtswissenschaft, herausgegeben von J. Jastrow. Jahr-
gang 1889, 1890 u. 1891. Berlin 1891 — 93. In Abteilung II : Mittelrhein
von F. Otto.
Allgemeine Deutsche Biographie:
Band XXXI.
Th. Schliephake (1808-1871). Ausfeld.
Schinderhannes (1783—1803). Schüler.
Band XXXII.
W. J. Schmitt von Lorch (1760—1820). Winckel.
Fr. Jac. Schmitthenner (1796 — 1850). Schröder.
K. Schnaase (1798—1875). v. Donop.
E. Schnepf (1495 — 1558). Brecher.
B. Scholz (1831 — 1871). Brummer.
Job. Ph. V. Schönborn (1605—1673). Bockenheimer.
Job. Ph. Schramm (1676—1753). Cuno.
E. L. Ph. Schröder (1764—1835). Lier.
Band XXXIII.
Schütz, Die Maler Chr. Georg (1718—1791), Franz (1751—1781), Joh. Georg
(1755-1813), Heinr. Jos. (1760-1822), Chr. Georg (1758-1823). Stricker.
K. D. V. Schütz zu Holzhausen (1825—1883). Ratzel.
K. Schwartz (1809—1885). Otto.
A. V. Schweiss (16. Jahrhundert). Otto.
J. D. G. Seebode (1792-1868). Hoche.
W. H. Snell (1725—1793). Cuno.
Er. Sarcerius (1501 — 1559). Holstein.
Vereins -Nachrichten.
Jahresbericht des Sekretärs.
(Vom 1. April 1892 bis 31. März 1893.)
Allgemeines. Das Etatsjahr ist für den Verein in der üblichen Weise
verlaufen. Der Vorstand ist bemüht gewesen, durch Vermehrung der Bibho-
tliek — besonders auch im Wege des Austausches — die wissenschaftlichen
Arbeiten zu fördern und durch Veranstaltung von Vorträgen das Interesse an
der Altertumskunde und Geschichte zu heben.
Der Vorstand trat viermal zusammen, und zwar am 16. Juli, 15. Oktober,
5. November und 3. Dezember, — Die ordentUche Generalversammlung fand
am 10. Dezember statt.
Die Generalversammlung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts-
und Altertumsvereine, welche vom 4. bis 7. September in Münster i. W. tagen
sollte, konnte wegen der damals bestehenden Choleragefahr nicht stattfinden.
Ausflüge wurden während des Sommers nicht unternommen.
Es wurden 6 Vortragssitzungen abgehalten, darunter 2 öffentliche im
Museumssaale. Der Bericht über die Vorträge, welche sämtlich gut besucht
waren, folgt unten.
Wir bitten unsere Mitglieder und Freunde, auch im neuen Jahre dem
Verein ihr Interesse und ihre wohlwollende Unterstützung zuzuwenden.
Mitglieder und Torstand. Durch den Tod verloren wir 2 Ehren-
mitglieder: die Herren Dr. Schaaffhausen, Hermann, Professor, Geh. Medi-
zinalrat in Bonn (t 26. 1. 93) und Dr. Lindenschmit, Ludwig, Professor,
Direktor des römisch-germanischen Centrahnuseums in Mainz (f 14. 2. 93).
Von den ordentlichen Mitgliedern schieden aus:
a) durch den Tod:
Herr Aumüller, Benefiziat, Östrich ;
„ Bernhard, Professor, Gymnasialdirektor, Weilburg;
„ Geis, Hauptlehrer, Ems;
„ Dr. jur. Stamm, Eugen, Justizrat, W. (f 28. 1. 93);
„ Trüstedt, Carl, Oberstlieutenant a. D., W. (f 26. 2. 93);
„ Scholz, Carl, Justizrat, Rechtsanwalt, W. (f 15. 3. 93);
„ Fauser, Carl, Rentner, W. (f 24. 3. 93);
„ Fischer, G. Friedrich W., Rentner, W. (f 25. 3. 93).
63
b) durch Austritt:
Herr Altenburg, Eduard, cand, phil., Hanau;
„ Wöstmann, H., Pfarrer, Nieder-Lahnstein ;
„ Thies, Steuerrendant, Biedenkopf;
„ Lud icke, F., Rentner, W. ;
„ Bötticher, E., Hauptmann a. D,, München;
„ Bonn, Joseph, Dekan, Nieder-Erbach ;
„ Bonn, Adam, Pfarrer, Wellmich a. Eh.;
„ Mühl, Eegierungs- und Forstrat, W.;
„ Joseph, Paul, Lehrer, Frankfurt a, M. ;
„ Halbey, Geh. Ober-Regierungsrat, Berlin;
„ Brems, Buchdruckereibesitzer, W. ;
„ Meckel, J. L,, Rentner, W. ;
„ Frh. von Wendt, W.;
„ Walch, B., Hochheim;
„ Hesse, Ad,, Kaufmann, W. ;
„ Schupp, Pfarrer, Sonnenberg;
,, Dr. von Ritgen, Landesbauinspektor, Königsberg i. Pr. ;
„ Dr. Adam, Professor, W. ;
„ Mackauer, August, Geisenheim;
„ Wrede, Fr., Rentner, W. ;
„ Leonhardt, C. L., Kaufmann, W.;
„ Yogelsberger, Kaufmann, Ems;
„ Frisch, Major a. D., W,;
„ Schenck, Major a. D., W, ;
„ Cretius, Oskar, Lieutenant a. D., W. ;
„ Klett, Heinrich, Kapitänlieutenant a. D., W.
Diesen 34 ausgeschiedenen ordentlichen Mitgliedern stehen fol-
gende 30 neu aufgenommene gegenüber:
Herr Thoma, Hermann, Hotelbesitzer, W. ;
„ Momberger, Jakob August, "Weinhändler, W. ;
„ Wagner, Carl, W. ;
„ Fehr, Theodor, Fabrikbesitzer, W. ;
„ Engelhard, Otto, Fabrikant, Hof heim im Taunus;
„ Schierenberg, Ernst, Rentner, W.;
„ Baron von Bistram, W.;
„ Elgershausen, Luitpold, W. ;
„ Osterroth, Arthur, Rittergutsbesitzer, Schloss Schönberg bei
Oberwesel;
„ Dr. phil. Panzer, Conrad, Königlicher Archivar, W. ;
„ Herrmann, Johannes, Inspektor der Wiesb. Kronenbrauerei, W.;
„ Freinsheim, Friedrich, Rentner, W. ;
„ Gornicki, Wladislaus, W.;
„ Dr. jur. Büuinger, Eugen, Rechtsanwalt, W.;
64
Herr Keusch, Heinrich, Keferendar, W. ;
„ Trosiener, F., Ingenieur, W. ;
„ Schröder, Hugo, Photograph, W. ;
„ Leisler, Ernst, Referendar, W. ;
„ Abegg, Philipp, W. ;
,, Kriege, Ernst Jakob, Oberst a. D., W. ;
„ Vietor, Moritz, W.;
„ Lex, Adolf, Regieruugsassessor, W. ; *
„ Dr. med. Ideler, Carl, Geh. Sanitätsrat, W. ;
„ Aufermann, Wilhelm, Rentner, W.;
„ Dr. phil. Merbot, Reinhold, Sekretär der Handelskammer, W. ;
„ Opitz, Hermann, Ober-Regierungsrat u. Konsistorial-Präs., W.;
„ von Hirsch, Friedrich, Kaufmann, W.;
„ Schüler, Theodor, Archiv-Kanzlei-Sekretär, W. ;
„ Dr. med. Güntz, Theobald, W. ;
;, Leo, Ludwig, Privatier, W.
Der Verein zählt also z. Z. 6 Ehrenmitglieder, 5 korrespondierende und
878 ordentliche Mitglieder. Dem vorliegenden Annalenbande ist ein mit mög-
licher Sorgfalt aufgestelltes Mitgliederverzeichnis eingefügt.
Die Veränderungen, welche sich seit dem 1. April 1892 in der Besetzung
des Vorstandes vollzogen haben, sind folgende. Es schieden aus die Herren:
Landesbauinspektor Dr. von Ritgen, Sanitätsrat Dr. Fleischer und Major
z. D. Frh. von Wangenheim. Sie wurden ersetzt durch die Herren: Land-
gerichtsrat Dussel, Major a. D, Schlieben und Oberstlieutenant z. D. Sar-
tor ins. — Den Herren Major z. D. Frh. von Wangenheim und Sanitätsrat
Dr. Fleischer, welche lange Jahre hindurch die Interessen des Vereins aufs
Eifrigste gepflegt und gefördert haben, sei hiermit der wärmste Dank ausge-
sprochen. — An Stelle des von hier verzogenen Herrn Premierlieutenant a. D.
Hoffmann übernahm — mit Genehmigung Sr. Excellenz des Herrn Ministers
der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten — der Unterzeichnete
am 1. August die Verwaltung des Sekretariats. — Die derzeitige Besetzung des
Vorstandes steht an der Spitze des Mitgliederverzeichnisses.
Bibliothek. Der Zuwachs, den die Bibliothek erfahren hat, gründet sich
in erster Linie auf das Austauschverhältnis, in dem wir mit sehr vielen wissen-
schaftlichen Instituten und Vereinen stehen. Während des abgelaufenen Jahres
sind in dieses Austauschverhältnis folgende 7 Gesellschaften neu einge-
treten :
Der Verein für Geschichte von Annaberg und Umgegend in Annaberg;
die Kaiserl. Königl. heraldische Gesellschaft „Adler" in Wien;
der Verein für das Museum schlesischer Altertümer in Breslau ;
die Societe nationale des antiquaires de France in Paris ;
die Comeniusgesellschaft in Münster i. W. ;
die Badische historische Kommission in Karlsruhe;
die Abbaye de Maredsoua (Belgien).
65
Dagegen ist nur 1 Gesellschaft :
die Kais. Knnigl. geographische Gesellschaft in Wien
aus dem Verhältnis ausi;-eschie(len.
Ein Verzeichnis aller Vereine und Institute, deren Veröffentlichungen wir
durch regelmässigen Austausch gegen unsere Annalen erhalten, steht am
Schlüsse dieses Bandes.
Auch durch eine Reihe von Geschenken, welche das Wohlwollen
mehrerer Gönner des Vereins der Bibliothek zuwandte, ist ihr Bestand ver-
mehrt worden. Wir sprechen dafür den verbindlichsten Dank aus: Der König-
lichen Regierung hierselbst, der Landes-Direktion hierselbst, sowie den Herren:
Wirk). Staatsrat von Becker, Oberst z. D. von Cohausen, Geh. Baurat
Cuno, Sanitätsrat Dr. Florschütz, Landesdirektor Sartorius, Amtsgerichts-
rat Streitberg, Dr. Weidenbusch — sämtlich iu Wiesbaden.
Vorträge.
1) Sitzung im „Grünen Wald" am 9. November 1892.
Der Vereinsdirektor Herr Sanitätsrat Dr. Flor schütz begrüsst
die erschienenen Mitglieder und Gäste.
Der Sekretär des Vereins Herr Dr. Focke widmet dem am
13. Oktober 1892 verstorbenen Direktor des germanischen Museums in
Nürnberg Geheimrat Dr. August von Essenwein einen Nachruf.
Der Königliche Konservator Herr Oberst z. D. von Cohausen
hält einen Vortrag „über den gegenwärtigen Stand der Limesforschung«.
(Vgl. den vorliegenden Band S. 25 bis 28.)
2) Generalversammlung im Museumssaale am 10. Dezember 1892.
Der von Herrn Dr. Focke gehaltene Vortrag wird unter dem
Titel „Zur Vor- und Frühgeschichte der Germanen und des nordwest-
lichen Deutschlands" im Laufe dieses Jahres in den „Preussischen
Jahrbüchern" veröff'entlicht werden.
3) Sitzung im „Grünen Wald" am 11. Januar 1893.
Herr Schriftsteller Spielmann hält einen Vortrag „über die
demagogische Bewegung in Nassau in den Jahren 1818 — 1820".
Der Vortrag versetzte die Zuhörer zurück in die Zeit nach den Befreiungskriegen,
in der das deutsche Volk von den Fürsten Dank für seine Mithilfe bei dem grossen
Werke verlangte: Selbstverwaltung und Mitregierung. Das Werk der Verfassungs-
gesetzgebung ging nur langsam vorwärts, und die Verwirklichung der deutschen Eiu-
heitsbestrebungen erfolgte nicht. Die Hauptträger des Einheitsgedankens waren die
Universitäten, auf denen sich unter den Mitgliedern der damaligen Burschenschaften
geheime Verbindungen gegen die sogenannten Reaktionäre und Nationalfeinde bildeten.
Auch im Herzogtum Nassau fing es an zu gären, weil die Regierung es unterliess,
die Landstände gemäss der Verfassung von 1814 einzuberufen. Die Zahl der Opponenten
mehrte sich rasch, und zu den vornehmsten gehörte der Freiherr vom Stein. Der
erste Landtag, 1818, begann sogleich mit einem Zwiste Steins und der nassauischen
Regierung, und die Folge war die Ausschliessung des Ministers und dessen grollender
Rückzug auf seine Güter. Die Bewegung im Lande, besonders in den ehemals oranischen
5
66
Gebieten, wuchs uuterdes immer mehr und erreichte ihren Ausdruck in der sogenannten
■<Dillenburger Petition» an den Landtag. Der Kampf gegen die Regierung begann.
Als die Petition Iveinen Erfolg hatte und ihr Verfasser, Kriminalrichter W. Snell
zu Dillenburg, wegen seines folgenden subordiuationswidrigen Betragens seines Amtes
entsetzt wurde, auch der Landtag keine befriedigenden Resultate ergab, stieg die
Unzufriedenheit noch höher. Geschürt wurde sie durch das Erscheinen einer Flug-
schrift: «Prüfende Bemerkungen über Nassaus Landstände», welche bezweckte, den
Minister v. Marschall zu stürzen. Der anonyme Verfasser des Pamphlets blieb un-
entdeckt; es kann aber nun als ziemlich erwiesen gelten, dass der Pfarrer F. Snell
zu Nauheim (bei Kirberg) sie schrieb, Stein sie mit Zusätzen versah und auf seine
Kosten drucken Hess. Die Regierung verteidigte sich nach Kräften; als aber 1819
der Landtag wieder zusammentrat, erschien von demselben Anonymus eine zweite
Flugschrift, in noch schärferem Tone als die erste gehalten. Auch auf diesem Landtage
kam es zu erbittertem Kampfe (über einen veränderten Paragraphen des Armen-
Edikts), der indes mit einem Siege der Regierung durch die Beredsamkeit und Logik
des Präsidenten Ibell endigte. Dadurch wendete sich der Unwille, ja der ganze Hass
der Opposition gegen diesen verdienten Mann. Die fanatischsten Schwärmer, Mitglieder
des Bundes der «Giessener Schwarzen», bildeten ein Komplot zur Ermordung Ibells,
und die Ausführung des Mordplans übernahm Karl Löning von Idstein, ein durch
politische Schwärmerei und zerrüttete häusliche Verhältnisse verwirrter junger Mann.
Das bekannte Attentat zu Langenschwalbach am 1. Juli 1819 misslang indessen, und
der Verbrecher tötete sich im Gefängnisse durch Verschlucken von Glasscherben und
Verweigerung der Nahrung. Eine strenge Untersuchung der revolutionären Umtriebe
begann hierauf, und wie es in solchen erregten Zeiten oft geschieht, eine Anzahl
Unschuldiger wurde schwer getroffen. Auf Stein fiel zwar ein starker Verdacht, dass
er an der Abfassung der Flugschriften mitbeteiligt sei; Beweise gegen ihn aber
konnten nicht erbracht werden. Doch hat man schon damals nicht daran gedacht,
den grossen Staatsmann der Beziehung zu den Verbrechern und den Extremen der
Bewegung überhaupt zu zeihen. Die Massnahmen der Regierung hatten aber auch
die schlimme Folge, dass der Regierungspräsident Ibell zurücktrat. Dieser war mit
der Durchführung der «Karlsbader Beschlüsse», an deren Ausarbeitung Minister von
Marschall thätig mitgewirkt hatte, nicht einverstanden und nahm auch jetzt in der
Domänenfrage einen anderen Standpunkt ein, als dieser letztere und der Landesherr.
Seine Vorschläge liefen auf Nachgiebigkeit der Regierung gegenüber der Volksver-
tretung hinaus, um einen Kampf zu verhüten, und auf Vermeidung von Ausnahme-
zuständen. Als diese Vorschläge keinen Anklang fanden, trat Ibell zurück. Doch
Hess er sich auch nicht verleiten, an die Spitze oder in die Reihen der Oppositions-
partei zu treten, sondern er entsagte der Politik gänzlich. Somit ist Karl Ibell wohl
die reinste und beste Gestalt aus jener ganzen sturmbewegten Zeit.
Darauf folgt ein Vortrag des Herrn Major a. D. Schlieben
„über Wasseruhren, besonders die des Ktesibios".
Die Beschränkung der Verwendung der Sonnenuhren auf den eigentlichen Tag,
ihre Abhängigkeit vom Wetter und Klima, welche durch die oft gefundene Aufschrift
-<horas non numero nisi serenas» ausgedrückt wird, nötigten zu Versuchen, in anderer
Weise, unabhängig von der Sonne, die Zeit zu messen. Kleine Trichter, aus welchen
eine hineingegossene Wassermenge tropfenweise ausfloss (Klepsydrae), wurden in Attica,
später auch in Rom, benutzt, um den einzelnen Rednern eine bestimmte Zeit zuzu-
messen, während welcher sie sprechen durften. Dies waren jedoch noch keine Uhren,
ö
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da sie in keiner Beziehung zur Länge des Tages standen ; wolil aber finden wir eine
solche im Poliorketicon des Taktikers Aeneas beschrieben, welche darauf l)eruhte,
dass man eine bestimmte Wassermenge in ein Gefäss laufen Hess, welches derartig
geteilt war, dass man beurteilen konnte, der wievielte Teil der ganzen Wassermasse
ausgelaufen war. War diese dann so abgepasst, dass sie die ganze Nacht vorhielt,
so konnte man sehen, der wievielte Teil der Nacht verflossen war. Sie diente zur
Ablösung der Nachtwachen und wurde für die langen Winternächte durch Vcrstoi)fen
der Ausflussöffnungen mittels Wachses so reguliert, dass das Wasser je nach der
Länge der Nächte langsamer floss und die ganze Nacht vorhielt ; von Genauigkeit
konnte bei dieser Einrichtung keine Rede sein.
Die grösste Schwierigkeit machte die Ungleichheit der Stunden, welche den
langen Sommertag wie den kurzen Wintertag, von Aufgang bis Untergang der Sonne
gerechnet, immer in 12 gleiche Teile zerlegen mussten. So lange man daran fest-
hielt, immer dieselbe Wassermenge laufen zu lassen, musste man auf Mittel sinnen,
die Ausfiussöftnung stets so gross zu machen, dass das Wasser den ganzen Tag über
lief, wobei die Höhe des Wasserspiegels über der Ausflussöffnung von wesentlichem
Einflüsse ist. Ktesibios von Alexandrien (um 170 vor Chr.) machte die ersten er-
folgreichen Versuche zur Verbesserung der bisherigen Uhren. Leider sind die Mit-
teilungen Vitruvs darüber sehr unklar, offenbar fehlte ihm selbst das Verständnis.
Professor Bilfinger gebührt das Verdienst, das ganze Kapitel geniessbar gemacht zu
haben. Ktesibios richtete zunächst den Ausfluss so ein. dass er mechanisch sicher
reguliert werden konnte; er soll auch den Einfluss des Abstandes des Wasserspiegels
von der Ausflussöffnung gekannt, ja sogar zuerst darauf aufmerksam gemacht haben,
obgleich Vitruv darüber schweigt. Durch Probieren brachte er es dahin, dass er
ein System fand, nach welchem er die Ausflussöffnung höher oder tiefer stellte, indem
er den Tierkreis oder die Monatstage als Index dazu benutzte. Später ging er dazu
über, das Ausflussgefäss stets ganz gefüllt zu halten und dafür das Mass, an welchem
das ausgeflossene Wasser und somit die Zeit gemessen wurde, nach der Tageslänge
veränderlich zu gestalten. Das Wasser floss in ein cylindrisches Gefäss und hob da-
durch einen Schwimmer, wodurch ein Stab oder eine Figur aus dem Gefässe heraus
trat, welche seitwärts an einer Skala die Höhe des Wasserstandes zeigte. Floss im
Winter an kurzen Tagen nur wenig Wasser aus, so stieg auch der Stab nur wenig
empor, und die 12 Stunden lagen nahe beisammen, während sie im Sommer auf der
Tafel weit auseinander lagen; die Äquinoktien hielten die Mitte. Denkt man sich
die gleichen Stunden auf der senkrechten Tafel durch Striche verbunden, welche vom
Winter zum Sommer hin anstiegen, so konnte ein Lot, auf einer oberen Skala ver-
schiebbar, die Stelle anzeigen, wo der Abstand der einzelnen Stundeulinien der Tages-
länge entsprach. So weit scheint Ktesibios gekommen zu sein. Etwa 150 Jahre
später beschreibt Galenus eine solche Uhr, welche bedeutende Verbesserungen zeigt.
Er richtete die Uhr so ein, dass sie Tag und Nacht zeigte, indem das Wasser aus einer
festen Öffnung volle 24 Stunden lief, der Zeiger immer gleich hoch stieg und die
Tafel Linien für Tag und Nacht enthielt. Li den Äquinoktien wurde der ganze
Raum in 24 gleiche Teile geteilt, welche die Mitte der Tafel einnahmen, während
auf der einen Seite 12 kurze Nachtstunden und darüber 12 lange Tagesstunden für
den Sommer angebracht waren, für den Winter auf der anderen Seite umgekehrt,
alles durch Linien verbunden, welche das oben erwähnte Lot an der richtigen Stelle
schnitt. Die Wassermenge der Uhr kontrollierte sich selber.
Schliesslich findet sich bei Vitruv noch die Beschreibung einer Aufzugsuhr. d. h.
einer Uhr, bei welcher das Wasser nur zum Teil die treibende Kraft, mehr den
5*
68
Regulator abgibt, ein Sandsack eine Welle dreht und diese einen Knopf (den Stunden-
zeiger) im Kreise unter einem feststehenden, von Draht gebildeten Stundennetz fortgehen
lässt. Dieses Stundennetz als ein sogenanntes Planisphaerium erkannt und somit die
ganze vage Beschreibung Vitruvs überhaupt geniessbar gemacht zu haben, ist wieder
das Verdienst Bilfingers.
Wasseruhren blieben bis ins späte Mittelalter, ja bis ins XVII. Jahrhundert
im Hausgebrauch. Erst die Einführung des Pendels im XVI. Jahrhundert (bei den
Arabern war es vielleicht schon etwas früher bekannt) brachte die Uhren einen be-
deutenden Schritt weiter.
4) Sitzung im „Grünen Wald" am 8. Februar 1893.
Herr Oberst z. D. von Cohausen widmet dem am 26. Januar
verstorbenen Ehrenmitgliede des Vereins Geh. Medizinalrat Professor
Dr. Schaaffhausen in Bonn einen Nachruf.
Herr Oberstlieutenant z. D. Sartorius hält einen durch Zeich-
nungen erlcäuterten Vortrag „über die römische Legion in ihren Wand-
lungen".
Das römische Heerwesen hat sich von Anbeginn des Römischen Reiches an aus
den von Geschlecht zu Geschlecht überlieferten, festen Grundlagen umfassender Kriegs-
erfahrungen eines halben Jahrtausends zu wissenschaftlich begründeter Organisation
herausgebildet und ist in seinem ganzen Stufeugange stets im innigsten Zusammen-
hange mit der jeweiligen Staatsverfassung geblieben
Es treten in diesem Stufengange 5 charakteristische, voneinander unterschiedene
Organisationen hervor und zwar:
1. Die nach Ständen gegliederte Legion der ersten Könige, als deren
Kern die patrizische Reiterei anzusehen ist;
2. Die auf der Grundlage der Vermögensklassen des Volks gegliederte und,
behufs wirksamer Bekämpfung der nach griechischen Vorbildern organisierten
Ktruskischen Phalangenstellungen, s c h w e r g e r ü s t e t e und e n g g e s c h 1 o s s e n e
Phalangen-Legion des Servius Tullius, durch welche der Schwerpunkt
der Waffenmacht nunmehr von der Reiterei auf das Fussvolk übertragen
wurde ;
3. Die nach Dienstalter und Waffenfähigkeit gegliederte, aus Staats-
kosten besoldete und dadurch zu Feldzügen von längerer Dauer verwend-
bare Manipular-Legion, deren erste Bildung der Zeit des Camillus
angehört (die Phalangen-Stellung des Servius wiid in Manipel auf einer Linie
auseinandergezogen — 1. Manipular-Stellung) und die im Laufe der
Zeit mehreren Veränderungen unterworfen wurde, deren Kenntnis uns durch
die Schilderungen des Livius und Polybius überkommen ist, nämlich in der
2. Manipular- oder Ouincuncial-Stellung, in der verbesserten
Quincuncial-Stellung und im Übergang von der Manipular- zur
K 0 h 0 r t e n - S t e 1 1 u n g ;
4. Die, alle früheren organisatorischen Stützpunkte der Ileeres-Gliederung ver-
nichtende, einheitliche Organisation der Kohorten-Legion des Marius,
der nach der Niederlage der Volkspartei, um die Macht der nobilitas zu
brechen und um die durch Kämpfe mit bisher nicht gekannten Völkern
notwendige Änderung in der Organisation des Heeres herbeizuführen, ein
stehendes Söldnerheer mit unbedingtem Gehorsam gegen den Feldherrn
69
schuf. Die Reichen entziehen sicli dem andauernden Kriegsdienst, die capite
censi treten zahlreich in das Heer, der Krieg wird als Handwerk betrieben,
die soliden bürgerlichen und militärischen Tugenden beginnen zu schwinden.
Eine weitere Änderung sehen wir in der Kohorten -Legion des
Augustus, der, um die Existenz der Kaiserherrschaft, die durch Waffenge-
walt gegründet war. auch durch Waffengewalt zu sichern, ein stehendes,
bleibendes Heer schuf, welches nur dem Kaiser den Eid leistete:
5. Die Rückkehr zu einer Phalangen-Legion, die wieder verschiedene Waffen
gliederweise enthält (ganz wie unter Servius Tullius) mit vorherrschend
defensivem Charakter, welche den Zeiten des Verfalles der Kaiser-
herrschaft angehört und die am besten dargestellt wird in der Legion-
Stellung des Trajan.
Der Verfall der sittlichen Kraft des römischen Heeres nahm stets zu, sodass
sie mit dem allmählichen Verfall des Reiches immer tiefer sank.
Sodann stellt Herr Sanitätsrat Dr. Flor schütz eine Reihe von
Arbeiten grönländischer Eskimos aus der modernen Steinzeit vor.
Es waren teils selir geschickt hergestellte Hals- und Armbänder für die Frauen,
teils, und der Mehrzahl nach, höchst originelle Schnitzereien aus Walrosszahn, welche
schwimmende Seevögel, Seehunde, ja selbst einen Moschusochsen darstellten. Gerade
letztere Arbeiten zeugen von einer, scharfen, natürlichen Beobachtungsgabe und er-
regen hierdurch sowie durch ihre Technik unser archäologisches Interesse, da sie
mehr oder weniger den ältesten Knochenschnitzereien unserer Höhlen funde entsprechen.
Ein weiteres Interesse gewann die kleine Ausstellung dadurch, dass sie bei Gelegen-
heit der letzten Expedition zur Aufsuchung von Sir John Franklin durch Mac Clin-
tock zwischen 1857 und 1859 erworben wurde; als besondere Reliquie dürfte eine
Schneebrille betrachtet werden, Avelche Mac Clintock bei den letzten Überresten der
kühnen, aber unglücklichen Forschungsreisenden auf King William-Land gefunden hatte.
5) Sitzung im „Grünen Wald" am 8. März 1893.
Herr Oberst z. D. von Cohausen widmet dem am 14. Februar
verstorbeneu Ehrenmitgliede des Vereins Prof. Dr. Lind e ns ch mit ,
Direktor des römisch-germanischen Centralmuseums in Mainz, einen
Nachruf.
Im Anschluss daran spricht Herr Gewerbeschuldirektor a. D.
Fischbach „über Ludwig Lindenschmit als Förderer des Deutschtums".
Der Redner, welcher inzwischen seine Ausführungen als Broschüre im Kommis-
sionsverlage von W. Roths Buchhandlung (Conrad Reinhardt) in Wiesbaden hat er-
scheinen lassen, behandelte in erster Linie die unvergesslichen Verdienste, welche
der Nestor der deutschen Altertumswissenschaft als unerschrockener Vorkämpfer gegen-
über der Keltomanie seiner Zeit sich erworben hat.
Darauf hält Herr Oberst z. D. von Cohausen einen Vortrag
„über neue Fundo von römischem Schmelzschmuck in Mainz."
(Vgl. den vorliegenden Band S. .30 bis 36.)
Zum Schluss bespricht derselbe „Theodor Grafs Galerie antiker
Porträts aus hellenistischer Zeit",
70
Es handelt sich um eine Reihe von Porträts, die in der ägyptisclien Provinz
Faijüm in der Nähe von Ruhaijat gefunden worden sind. Es sind auf Holz gemalte
Bilder, welche über das Gesicht der Mumie gelegt und durch die Binden der Um-
hüllung in der Weise befestigt waren, dass das Porträt sichtbar blieb, Sie geben
zum ersten Mal ein Bild von dem Können der antiken Porträtmalerei. Neben Er-
zeugnissen roherer Art finden sich die vollendetsten Kunstwerke. Als Zeit der Ent-
stehung der Bilder hat man das 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. bestimmen können;
der Name des Ortes, an welchem sich die Grabstätten befanden, war Kerke. —
Unsere Bibliothek hat die von dem Besitzer herausgegebenen photographischen Nach-
bildungen nebst Katalog erworben.
6) Öffentliche Sitzung im Museumssaale am 18. März 1893.
Herr Wirklicher Staatsrat von Becker hält einen Vortrag „über
die Geschichte der Keltenfrage".
Da der Vortrag auch dem Zwecke dienen sollte, das Andenken Ludwig Linden-
schmits in öffentlicher Sitzung zu feiern, so verbreitete sich der Redner im Laufe
seiner Ausführungen in eingehenderer Weise über das Verhältnis des Genannten zur
keltischen Frage.
Im übrigen sei insbesondere das Folgende hervorgehoben. Die Kelten sollen
ihren Namen von dem Kelt oder Streitmeissel haben, von dem viele Tausende in
unseren Museen aufbewahrt werden. Redner hat nun schon im Dezember 1876 in
der (Augsburger) «Allgemeinen Zeitung» nachgewiesen, dass das Wort celtis im Alter-
tum gar nicht existiert habe und deshalb einem Volke seinen Namen nicht ge-
geben haben könne. Das Wort celtis (Redner spricht, um nicht mit einem Worte
eine Ausnahme zu machen, nicht Kelten, keltisch, sondern Celten, celtisch) komme
erst im 15. und 16. Jahrhundert vor, und zwar 1) in der lateinischen Bibelüber-
setzung, der Vulgata, und zwar Hiob 19, 23, 24, wo statt certe fälschlich celte
geschrieben sei, und 2) in einer dalmatinischen Grabschrift; diese Inschrift sei aber
modern, wie aus ihrem scurrilen Inhalt hervorgehe (Gruteri Corp. inscr. p. 329).
Seit 17 Jahren habe nun Niemand das frühere Vorkommen des Wortes Celt oder
Kelt nachgewiesen, und man solle endlich aufhören, die Palstäbe und Hohlbeile in
unseren Museen Kelte zu nennen.
Dr. Focke.
71
Bericht des Konservators über die Erwerbungen für das Altertums-
IVIuseum in Wiesbaden während des Jahres 1892.
Ich folge dem Gebrauche, in unseren Hauptversammlungen nicht nur die
in das Museum gekommenen Gegenstände, sondern auch die im Vereinsgebiet
dahin einschlagenden "Vorkommnisse zu besprechen und den Gebern, sowie denen,
die uns auf altertümliche Gegenstände aufmerksam gemacht haben, bestens zu
danken.
Wir zählen unsere Ringwälle zwar zu den vorrömischen Bauwerken,
welche aber doch wie in der Urzeit auch noch in späterer Zeit als Zufluchts-
orte gedient haben. Da man auf dem Altkönig einen Turm bauen wollte,
so gelang es auch unsererseits, die Ablehnung herbeizuführen. Ferner gelang
es, die Entnahme von Steinen in der Nähe des Almerskopfes auf ein dem
dortigen Ringwalle unschädliches Mass zu beschränken, was wir der Aufmerk-
samkeit des Herrn Laudrat Binde wald in Weilburg danken. Auch die Aus=
beutung des durch seine Pohtur merkwürdigen grauen Steins über dem Nieder-
hauser Tunnel gelang zu verhindern. Auf dem Berg, auf welchem die Hof-
heimer Kapelle liegt, wurde durch die Herreu Forstmeister Kehrein, 0. Engel-
hard und Fach ein kleiner Ringwall entdeckt, über den im nächsten*) Annalen-
bande berichtet werden wird ; allem Anscheine nach ein letzter Punkt der
Annal. XX, 9 beschriebenen Verschanzung quer über dem genannten Berg-
rücken. Daselbst wird ein Aussichtsturm ohne allen Schaden für die genannten
Verschanzungen beabsichtigt.
Über das Brunhildis-Bett auf dem grossen Feldberg, welches urkund-
lich schon sehr frühe genannt wird, ist schon viel phantasiert worden ; man hat
dasselbe mit uraltem Götterkultus in Verbindung gebracht, zumal weil man bei
demselben eine napfförmige Aushöhlung im Felsen entdeckt und in ihr eine
Opferschale mit Blutrinne gesehen hatte. Selbst ziemlich nüchterner Natur
besuchten wir mit dem Geognosten Herrn Professor Volger und dem Vereins-
direktor die Stelle und erkannten auf der Nordostseite des Felsens mehrere
hellfarbige Nieren von weissem, weicherem Gestein, welche, wenn sie wagrecht
gelegen hätten, sodass Wetter und Frost auf sie hätten einwirken können, wie
jene „Opferschale" auch schon längst die Gestalt jener angenommen hätten.
Die Erklärung dieser Nieren führt uns auf das benachbarte Gebiet der Geognosie,
die lehrt, dass das, was wir jetzt als harten Quarzit vor uns sehen, einst Kalk-
stein war, mit Einlagen nierenförmiger Spongiten, welche aber durch Infiltration
und chemische Metamorphose zwar ihre Form ziemlich behalten, doch aber
selbst in Quarzit umgewandelt worden seien, aus dem jene zu Quarz gewordene
Spongiten ausgespült und zu Opferschaleu und Blutriuneu geworden wären.
Durch die Aufmerksamkeit des Herrn Bauinspektor Seh er er empfingen
wir einen alten Mal st ein, von einer Steinart, welche man gewöhnlich als von
Niedermendig herkommend ansieht, welche sich aber doch auch in dem schlak-
kigen Basalt des Westerwaldes findet. — Dem Herrn Otto Engelhard danken
*) jetzt vorliegenden
72
wir eiu sehr wertvolles bei Hofheim gefundenes Beil von Jadeit, nebst einem
von Grauwacke. Neben diesem sihd ausgestellt zwei Kelte von Kupfer, der
eine gegenüber der Hammermühle gefunden, der andere aus dem Rhein ge-
baggert, — Von Frau Gräfin v. d. Goltz, die uns schon früher so schöne
Gaben zugewandt hat, erhielten wir zwei griechische Vasen, die eine The-
rakleiischen Stiles mit fabelhaften Tieren bemalt, die andere archaischen Stiles,
auf rötlichem Grunde menschliche Gestalten in Schwarz darstellend. Von Frau
V. Cohausen erhielt das Museum eine römische Lampe aus Thou von Pompeji.
Sie wissen, dass nach einer Vorversammlung in Heidelberg erst in Berlin
im Reichsministerium und dann wieder in Heidelberg eine Limes-Kommission
zusammengetreten ist, welche die Aufgabe hat, den römischen Grenzwall, der
zuerst der Gegenstand unseres Vereins war und über den ich in dessen Auftrag
den „Römischen Grenzwall" mit 52 Tafeln (Wiesbaden, bei Kreidel 1884) ge-
schrieben habe, nunmehr durch Ausgrabungen auf seiner ganzen Länge von
der Donau bis zum Niederrhein zu untersuchen. Dies soll geschehen durch
zwei Dirigenten, Generallieutenant von Sarwey und Prof. Hettner, sowie durch
verschiedene Streckenkommissäre, — von der Saalburg bis zum Feldbergkastell
durch den Baumeister Jacobi. — Alle Funde sollen in dem Lande, wo sie
vorkommen, verbleiben ; also (wie ich gebeten habe, mit Ausnahme der Funde
aus der Gegend der Saalburg, vom Köpperner Thal bis zum Heidenstock, welche
im Saalburg-Museum in Homburg bleiben sollen) sollen auf Befehl des Kultus-
Ministeriums alle Funde bis zum Ende des Pfahlgrabens bei Rheinbrohl in
unser Museum kommen.
So sind bei dem Feldbergkastell sehr interessante Stücke gefunden
worden. In dem Fundamente der Villa vor dem Kastell fand sich ein Stein
mit einer Inschrift, nach welcher er der Julia Mamea, der Mutter des Severus
Alexander, von den Kundschaftern Halicenses geweiht worden war, nämUch:
I VLIAE ■ MAME Juliae Mameae
AE-AVG'MATRI Augustae matri
SEVERl • ALEXAN Severi Alexandri
DRI • AVG • N • CAS Augusti nostri
TRORVM ■ SE castrorum senatus
NATVS • PATR I patriae
AE ' QVE • EXPL q^e exploratio
H ALI C • ALEXAN halicensis
DRI ANA • DEVO Alexandriana
A'NVMINI devota numinis
El • IVS eiius
Der Stein ist aber nicht allein wegen seiner Weihung, sondern auch wegen
der Weihenden merkwürdig, da die Inschrift es wahrscheinlicli macht, dass
dieser Truppenteil aus einem Landstrich stammte, in dem Salz gewonnen wurde,
wie unser Land, das so reich an Mineralquellen ist, welche alle salzhaltig
sind und wohl alle zur Salzbereitung gedient haben, so Soden am Spessart,
der Schwalheimer Sauerbrunnen, Nauheim, Rossdorf in der Wotterau, Selterser
Brunnen, Homburg, Sulzbach, Soden etc. im Taunus, Wiesbaden und wohl noch
andere, welche dies Land gewissermassen zum Salzkammergute der Römer ge-
macht haben.
73
Unter verschiedenen kleineu Erz- und Eiscnteilen fand sich im Feldberg-
kastell namentlich ein sehr gut erhaltener Pentagondodekaeder, von welchem
Zeichnungen und Abgüsse vorliegen und dessen Zweck und Gebrauch man zu
erraten sich bemühen möge.
Unter den römischen Gegenständen, welche das Museum erworben hat
— eine Feldflasche aus Thou, ein Erzbecher in Form eines Rehkopfes, ein
zierlicher Löffel aus Erz, zahlreiche kleine Schmuckstücke, namentlich zwei
goldene Ohrringe mit Delphinköpfen — sind es namentlich die Glasarbeiten,
welche unsere Aufmerksamkeit erregen. Eine kleine Vase mit eingeschmolzenen,
blauen, gelben und grünen Zickzackverzierungen ist wohl ägyptischen Ursprungs.
Ferner ist zu erwähnen ein Vexierbecher, auf dem ein Hirsch liegt, durch dessen
Maul man den Becher aussaugen kann. Der Glaskünstler Zitzmanu in der
Kolonnade hat eine Nachahmung dieses Bechers gemacht und einen Becher mit
„Häuschen im Keller" dem Museum geschenkt.
Es sind ferner hier ausgestellt viele Bruchstücke, die durch ihre Ein-
förmigkeit und Menge auf eine römische Glashütte au der Nahe hinweisen.
Auch spätere Gläser finden sich darunter und weisen auf eine Fortdauer dieser
Industrie bei uns hin.
Aus fränkischer Zeit haben wir diesmal nur wenig auszustellen, darunter
aber zwei runde Fibeln aus Gold mit Steinen und andere Stücke, darunter eine
kleine Silber münze, welche Herr Isenbeck als eine Matasunda, Gemahlin
Vitigis (536-540), erkannt hat.
Weiter erhielt das Museum :
Von Herrn Gerhard einen sogenannten Linkhand -Dolch, von Herrn
A. Zais einen Kesselhaken, wie sie früher bei offenem Herdfeuer aus dem
Schornstein herabhingen, von Herrn Demmin einen kyprischen Blumenständer
und andere Gefässe von dort her, von Baron Wen dt das gusseiserne Modell
einer Kanone.
Aus den Fundameuten eines Forsthauses in Battenberg empfingen wir
durch die Aufmerksamkeit der Königl. Forstbehörde 15 Silbermünzen (Tourones).
Für unseren Münztresor erhielten wir von den Herreu Streitberg und von
Ritgen eine Anzahl älterer und neuerer Münzen.
Das Museum war 1891 von 4926, im Jahre 1892 von 8867 Personen
besucht.
Oberst von C o h a u s e n .
Verzeichüis der Mitglieder."^')
(Abgeschlossen am 31. März 1893.)
Vorstand.
Direktor: Herr Sanitätsrat Dr. Florscliütz.
Sekretär: Herr Kustos der Königl. Landesbibliothek Dr. Focke.
Konservator: Herr Oberst z. D. vou Cohauseii.
Ferner die Herreu:
Geheimer Justizrat vou Eck,
Rentner Gaab^
Landgerichtsrat Keutner,
Geheimer Baurat Cuuo,
Oberlehrer Dr. Wedewer, ,
Schuldirektor Weldert,
Dr. med. Alireiis,
Oberlehrer Dr. Lolir.
Ersatzmänner sind die Herren:
Landgerichtsrat Dussel,
Major a. D. ScliHeben,
Oberstlieutenant z. D. Sartorius.
Die Kechnungsprüfungs- Kommission wird gebildet durch die Herren:
Geheimer Baurat Cuno,
Gev/erbeschuldirektor a. D. Fischbacli,
Rentner Iseiibeck.
Ehrenmitglieder.
Herr Hodgkin, Thomas, Esqu., Falmouth.
, Dr. Menzel, Karl, Professor, Bonn.
„ Dr. Mommsen, Theodor, Professor, Berlin.
„ Scliellenherg, Carl, Geheimer Regicrungsrat a. D., Wiesbaden.
„ Schuernmns, H., Premier president de la cour d'appel, Liege.
„ Dr. von Sybel, Heinrich, Direkt, d. geh. Staatsarchivs, Wirkl. Geh. Ob.-
Reg-Rat, Berlin.
*) Unsere p. T. Mitglieder werden dringendst ersucht, Veriinderiingen der Titulatur
und des Wohnortes sowie etwaige Berichtigungen gütigst dem Sekretariat mitzuteilen.
75
Korrespondierende Mitg.ieder.
Herr Franz Pascha, Kairo.
„ Dr. Heider, Sektionsrat im K. K. Minist, f. Kult., Wien.
„ Michelant, Henry, Conservateur du departcment des manuscripts de la
Bibliotheque nationale, Paris.
„ Dr. Overbeck, Johannes, Prof., Geheimer Hofrat, Leipzig.
„ Baron de Septeiiville, Chateau Lignieres (Poix).
Ordentliche Mitglieder.
I. In Wiesbaden.
Herr Abegig, Philipp.
„ Dr. med. Ahrens, Friedrieh, Arzt.
„ Aufermann, Wilhelm, Rentner.
„ von Aweyden, Adolf, Ober-Regierungsrat.
„ Bartliug, Eduard, Rentner und Stadtrat.
„ Beclitold, Rudolf, Buchdruckereibesitzer.
„ Becker, Ludwig, Kaufmann.
„ Begere, Heinrich, Rechnungsrat, Rendant des Vereins.
„ Bergmann, Fritz, Verlagsbuchhändler.
„ Berle, Ferdinand B., Banquier.
„ Dr. med. Berlein, Martin, Arzt.
„ von Bertouch, Geh. Regierungsrat a. D. und Kammerherr.
„ Dr. med. Bertrand, Carl, Geh. Sanitätsrat.
„ Baron von Bistram.
„ Dr. jur. Böninger, Eugen, Rechtsanwalt.
„ Bornemann, Carl, Wirkl. Geh. Kriegsrat a. D.
„ Dr. phil. Bredemann, Carl Otto.
„ Dr. phil. Bröcking, Wilhelm.
„ Büdingen, Wolfgang, Kaufmann und Badhausbesitzer.
„ Cliarlier, Albert, Rentner.
„ Dr. veter. med. Christmann, Heinrich, Tierarzt.
„ von Coliansen, August, Oberst z. D., Konservator.
„ Dr. med. Conrady, Max, Geh. Sanitätsrat.
„ Conrady, Ludwig, Pfarrer a. D.
„, Dr. theol. de la Croix, Otto, Oberregierungsrat und Konsist.-Präsid. a. D.
„ Cnno, Eduard, Geh. Baurat und Regierungsrat.
„ Dormaun, Philipp, Bauunternehmer.
„ Drexel, Jacob, Kaufmann.
„ Dussel, Hermann, Landgerichtsrat.
„ Freiherr von Dungern, Max, Präs. d. Grossh. Luxemb. Finauzkammer.
„ Freiherr von Eberstein, Alfred, Oberst z. D.
„ Ebhardt, Karl, Privatier.
„ von Eck, Victor, Geh. Justizrat, Rechtsanwalt.
„ Eckerlin, Heinrich, Bauunternehmer.
„ Eggert, Hermann, Regierungs- und Baurat.
76
Herr Elgershausen, Luitpold.
„ Dr. theo). Ernst, Carl. Generalsuperintendeut.
Fehl*. Theodor. Fabrikbesitzer,
„ Fisclibach, Friedrich, Gewerbeschuldirektor a. D.
„ Flock, Friedrich. Architekt.
„ Dr. med. Florschütz, Bruuo, Sanitätsrat.
„ Dr. phil, Focke, Rudolf, Kustos der Kgl. Laudesbibliothek.
„ Dr. med, Frank, Georg.
„ Franz, Wilhelm, Regierungsbauführer.
„ Freinslieim, Friedrich, Rentjier.
„ Dr. Fresenius, Remigius, Geh. Hofrat, Professor.
„ Friedrich, Lothar, Pfarrer,
„ Fritz, Heinrich, Rentner.
, Fritze, August, Professor. Oberlehrer.
„ Fuchs, Wilhelm, Landgerichtsrat a. D.
„ Gaab, Christian. Rentner.
„ Gecks, Leonhard, Buchhändler.
„ von Ooeckingk, Hermann, Kgl. Kammerherr und Premierlieutenant a. D.
„ Götz, Friedrich, Hotelbesitzer.
Frau Gräfin von der Goltz.
Herr Gornicki, Wladislaus.
„ Gräber, Ferdinand, Kommerzienrat.
„ Gräser, Robert, Oberst z. D,
, Dr, jur. Grimm, Julius, Professor.
r, Groschwitz, Carl, Buchbinder.
„ Dr. med. Güntz, Theobald, Privatier,
„ Dr. Haii:emann, x\rnold, Kgl. Archivar.
„ Hei big, Hermann, Baurat, Kreisbauinspektor.
„ Hensel, Carl, Rentner.
, Hensler, Joseph, ständischer Ingenieur und Inspektor.
„ Menzel, Nicolaus, Ingenieur.
„ Herrmann, Johannes, Inspektor.
„ Hess, Johannes, zweiter Bürgermeister.
„ Hess, Simon. Kaufmann und Stadtverordneter,
, Dr, med, Heubach, Hans, Arzt,
„ Hey'l, Ferdinand, Kurdirektor, Kais. Ottomanischer Vicekonsul.
„ Dr. phil. Hintz, Ernst Jacob,
„ von Hirsch, Friedrich, Kaufmann,
„ Höhn, August, Polizeirat.
„ Hoitniann, Otto, Rentner.
„ Dr, jur. von Ibell, Oberbürgermeister, Mitghed des Herrenhauses,
„ Dr. med. Ideler, Carl, Geh. Sanitätsrat,
„ Isenbeck, Julius, Rentner.
„ Keim, Wilhelm, Landgerichtsrat.
„ Dr, theol. Keller, Adam, päpstl, Hausprälat, Geistl. Rat, Dek. u, Stadtpfarrer.
77
Herr Keutner, Joseph, Laudgerichtsrat.
„ Kissliiig, Carl, Möbelfabrikanf.
„ Kuauer, Friedrich, Rentner,
Frau Freifrau von Knoop.
Herr Koch, Gottfried, Kaufmann.
„ Kolb, Richard, Major a. D.
„ Kreitlel, Carl, Mechaniker.
„ Kriege, Ernst Jacob, Oberst a. D.
„ Kuii/, Johannes, Bildhauer.
„ Dr. phil. Kurz, Hermann, Apotheker.
„ Labes, Otto Friedrich, Oberst a. D.
„ Dr. phil. Lehmann, Julius.
„ von Lehmann, Peter, Generallieutenant z. D.
„ Leisler, Ernst, Referendar.
„ Leo, Ludwig, Rentner.
„ Dr. med. Letzerich, Ludwig, Arzt.
„ Lex, Adolf, Regierungsassessor.
„ Limharth, Christian, Buchhändler.
„ Freiherr Low von Steinfurt, Erwin, Oberlieutenant a. D.
„ Dr. phil. Lohr, Friedrich, Gymnasialoberlehrer.
, Mäckler, Heinrich, Rentner und Feldgerichtsschoffe.
„ Dr. phil. Medicus, Friedrich Carl, Professor.
„ Meister, Philipp, Landgerichtsrat a. D.
„ Dr. phil. Merbot, Reinhold, Sekretär der Handelskammer.
„ Dr. med. Meurer, Carl, Augenarzt.
„ Meyer, Richard Adolf, Generalagent,
„ Momberger, Jacob August, Weinhändler.
„ Moritz, Joseph, Buchhändler.
„ Niemer, Louis, Rentner.
„ Nörtershäuser, Gisbert, Buchhändler.
,, Nötzel, Wilhelm, Fabrikbesitzer.
„ Olsson, Hans Hermann, Juwelier.
„ Opitz, Hermann, Oberregierungsrat und Konsistorialpräsideut.
„ Otto, Friedrich, Professor, Prorektor am Kgl. Gymnasium.
„ Dr. phil. Otto, Heinrich, Gymnasiallehrer.
„ Dr. phil. Panzer, Conrad, Königlicher Archivar.
„ Peipers, Hugo, Rentner und Stadtverordneter.
„ von Pestel, Eduard, Oberst a. D.
„ Dr. med. Pfeitt'er, August, Regierungs- und Medizinalrat.
„ Dr. med. Pfeiffer, Emil, Sanitätsrat.
„ Pohl, Joseph, Weinhändler.
„ Reber, Johannes, Pfarrer a. D.
„ Reinhardt, Conrad, Buchhändler.
, Reusch, Heinrich, Gerichtsreferendar.
„ Riecks, Wilhelm, Wirkl. Geii. Kriegsrat und Militärinteiulant a. D.
78
Herr Bisch, Julius, Geh, Regierungs- und Schulrat.
„ Bitter, Carl, Buchdruckereibesitzer.
„ Dr. jur. Bomeiss, Hermann, Rechtsanwalt.
, Boos, Heinrich, Kaufmann.
„ Bospatt, Lambert, Geh. Regierungsrat.
„ Botli, Adolf, Rentner.
, Dr. phil. Biippel, Carl, Oberlehrer.
„ Sartorius, Adalbert, Oberstlieutenant z. D.
, Sartorius, Otto, Landesdirektor.
, Dr. phil. Sauer, "Wilhelm, Staatsarchivar und Archivrat.
, Dr. jur. Sclialk, Heinrich, Bibliothekar.
, von Scheliha, Dietrich, Oberst a. D.
„ Schelleiiberg, Alfred, Architekt.
„ Schellenberg, Carl, Rentner.
, Sclielleiiberg, Louis, Buchdruckereibesitzer.
, von Scheven, Wilhelm, Botschaftsbeamter a. D.
, Schierenberg, Ernst, Rentner.
„ Sclilaadt, Wilhelm, Oberlehrer.
, Schlieben, Adolf, Major a. D.
„ Schmitt, Adam, Rentner und Stadtverordneter.
„ Dr. phil. . Schmitt, Conrad, Hofrat.
„ Scliramm, Philipp, Rentner.
„ Schröder, Hugo, Photograph.
„ Schüler, Theodor, Archiv-Kauzlei-Sekretär.
„ Schultz, Otto, Oberst a. D.
, von Schweder, Adolf, Oberst z. D,
„ Sclnveisguth, Carl, Rentner.
, von Seydlitz, Hermann, Generallieutenant z. D.
„ Dr. jur. Siebert, Eduard, Justizrat, Rechtsanwalt.
„ Spielmann, Christian, Schriftsteller.
, Spiess, August, Gymnasialdirektor a. D.
„ Stein, Christian, Bauunternehmer und Stadtverordneter.
, Stolle.v, Harald, Hofdentist.
„ Strasburger, Paul, Banquier.
„ von Tepper-Laski, Victor, Regierungspräsident.
„ Thönges, Hubert Christoph, Justizrat.
„ Thoma, Hermann, Hotelbesitzer.
„ Thurneyssen, Alexander, Rentner.
„ Dr. phil. Tietz, Oscar.
, Trosiener, F., Ingenieur.
„ Vietor, Moritz, Kaufmann.
„ Vogeler, Julius, Rentner,
„ Wagner, Carl.
„ Freiherr von Wangenheim, Otto, Major z. D.
„ Dr. theol. Wedewer, Hermann, Oberlehrer.
79
Herr Weldert, Carl, Direktor der höheren Töchterschule.
„ Wieiicke, Rudolf, Königlicher Lotterie-Einnehmer.
, Dr. jur. Willielmy, Albert.
, Willett, Martin, Architekt und Stadtverordneter.
, Winter, Ernst, Baurat, Stadtbaudirektor.
„ Wirth, Christian, Landesdirektor a. D.
„ Wissmanii, Eduard, Landgerichtsrat.
, Worst, Hermann, Seminardirektor a. D.
, Zais, Wilhelm, Hotelbesitzer.
II. Ausserhalb Wiesbadens.
Herr Abel, Rechtsanwalt, Hadamar.
„ Dr. von Achenbach, Heinrich, Staatsminister u. Oberpräsident, Potsdam.
„ Achenbach, A., Königl. Berghauptraann, Klausthal.
, Dr. Alefeld, Darrastadt.
„ Alnienröder, Pfarrer, Ober-Biel (Kreis Wetzlar).
, Anthes, Eugen, Pfarrer, Nassau.
„ Dr. phil. Alisfeld, Eduard, Königl. Archivar, Koblenz.
„ Bahr, Joseph, Landwirt, Frauenstein bei Wiesbaden.
, Bahl, Christian, Ehren-Domherr, Bischöfl. Kommissarius und Stadtpfarrer,
Frankfurt a. M.
^ Batton, Postmeister, Nassau.
„ Bauer, Major an der Schiessschule, Jüterbogk.
, Baunach, Wilhelm, Frankfurt a. M.
„ Dr. Beck, Ludwig, Hüttendirektor, Rheinhütte bei Biebrich.
, Dr. Beckmann, Fr., Landrat, Usingen,
„ Dr. Berg', Direktor des Knabenpensionats, Oberlahnstein.
„ Bimler, Oberbergamtsraarkscheider, Breslau.
„ Biudewald, Landrat, Weilburg.
„ Blell, Rittergutsbesitzer, Lichterfelde bei Berlin.
„ von Bocli, Eugen, Geh. Kommerzienrat, Mettlach,
„ Dr. phil. Braun, Anselm, Professor, Oberlehrer, Hadamar.
, Broift, L. H., Frankfurt a. M.
y, Dr. phil. Büsgen, Gymuasialdirektor, Rinteln.
, Dr. phil. Freiherr von Canstein, Ökonomierat, Berlin.
„ Conrady, Wilhelm, Kreisrichter a. D., Miltenberg a. M.
„ Bahleu, Heinrich Wilhelm, Generalsekretär des deutschen Weinbauver-
eins, Geisenheim.
„ Deissmann, Pfarrer, Erbach am Rhein.
„ Deissmann, Dekan a. D., Pfarrer, Cubach (Post Weilburg).
, Dr. med. Dettweiler, Peter, Geh. Sanitätsrat, Falkenstein i. T.
„ von Bonop, Hugo, Major z. D. und Oberhofmeister, Weimar.
„ Dr. med. Düttmann, Otto, Arzt, Montabaur.
Frau Baronin von Dungern, Schloss Dehrn bei Limburg a. d. Lahn.
80
Herr Dyckerhoff, Rudolf, Fabrikbesitzer, Biebrich.
, Ebhardt, Landgerichtsrat a. D., Limburg a. d. L.
„ Graf zu Eltz, Carl, Eltville.
„ Engelhard, Otto, Fabrikant, Hofheim im Taunus.
„ Graf zu Euleiiburg, Botho, Ministerpräsident, Berlin.
„ Fehlner, Lehrer, Steeten bei Runkel a. d. Lahn.
„ Dr. phil. Fleckeisen, Professor, Dresden.
„ Fonck, Geh. Regieruugsrat, Rüdesheim.
, Dr. phil. Forst, H., Osnabrück.
„ Fromme, Landrat, Dillenburg.
„ (jloltz, B., Major im Westfälischen Infanterie - Regiment No. -57,
Wesel.
„ Dr. Grandhomme, Sanitätsrat, Kreisphysikus, Frankfurt a. M.
„ Haas, P., Rektor des Realgymnasiums, Limburg a. d. L.
„ Graf von Hachenburg:, Hachenburg.
„ Dr. phil. Hammeran, A., Frankfurt a. M.
„ Manch, Rudolf, Frankfurt a. M.
„ Hecker, Gerichtsschreiber, Nassau.
„ Dr. Heg'ert, Archivrat, Geh. Staatsarchivar, Berlin.
„ Dr. med. Herxheimer, Salomon, Sanitätsrat, Arzt, Frankfurt a. M.
„ Hess, Heinrich, Weinkommissionär, Ostrich.
„ Hetzel, Professor, Gymnasialoberlehrer, Dillenburg.
„ Freiherr v. d. Heydt, Landrat, Homburg v. d. H.
„ Heyne, M., Oberlehrer am Real-Progymnasium, Biebrich.
„ Hilf, Hubert Arnold, Justizrat, Rechtsanwalt, Limburg a. d. L.
, Hillebrand, Professor, Oberlehrer, Hadamar.
„ Hilpisch, Johann Georg, Pfarrer, Direktor der St. Leonhardskirche, Frank-
furt a. M.
„ Hoifmann, Gutsbesitzer, Niederhöchstadt (Post Cronberg i. T.)
„ Hottinann, Wilhelm, Premierlieutenant a. D., Redakteur, Gummersbach.
Se. Königliche Hoheit Leopold Fürst von Hohenzollern, Sigmaringen.
Herr Hosseus, Inspektor der Heilanstalt, Falkenstein i. T.
„ Hubalek, H., Steeten bei Runkel a. d. Lahn.
„ Jacobi, Baumeistor, Homburg v. d. H.
„ Janotha, Herzogl. Schlossinspektor a. D., Weilburg.
, Ilj^en, Kapitän in der Kgl. Niederländischen Armee, Padang, Sumatra
„ Graf von Ingelheim, Geisenheim.
, Dr. Kalle, Kommerzienrat, Biebrich.
„ Dr. phil. Kaufmann, A., Archivrat, Wertheim a. M.
„ Kaufmann, Heinrich, (j erberei besitzer, Lorch.
„ Keller, Justizrat, Rechtsanwalt und Notar, Limburg a. d. L.
Frau Gräfin von Kielmannsegge, Nassau.
Herr Klein, Hermann, Hüttenbesitzer, Karlshütie (Post Buchenau, Kr. Bieden-
kopf).
„ Dr. theol. Klein, Karl, Bischuf, päpstl. Hausprälat, Limburg a. d. L.
81
Herr von Knebel, Heinrich, Oberst z. D., Sonnenberg bei Wiesbaden.
„ Dr. med. Kobelt, Wilhelm, Arzt, Schwanheira.
„ Königstein, Kilian, Pfarrer, Bornheim bei Frankfurt a. M.
, Kohn-Speier, Frankfurt a. M.
„ Dr. phil. Kraus, F. X., Professor, Freiburg i. B.
„ Kröck, Hauptmann a. D., Berlin.
„ Krücke, Wilhelm, Pfarrer, Limburg a. d. L.
„ von Lade, E., Geisenheim.
„ Liebe, Th., Hofrat, Gera.
„ Dr. Lieber, Reichstags- und Landtagsabgeordneter, Camberg.
„ Lützenkirchen, Heinrich, Buchhändler, Bonn a. Rh.
„ Magewirth, J., Oberpfarrer, Homburg v. d. H.
„ Malmros, Amtsrichter, Limburg a. d. L.
„ Manger, Fr., Pfarrer, Dillenburg.
„ Freiherr Marschall von Bieberstein, Oberstlieutenant, Koblenz.
Frau Gräfin von Matusclika, Schloss Vollrads bei Winkel a. Rh.
Herr Meckel, J. Fr., Kaufmann, Herborn.
„ Dr. med. Michel, Theodor, Arzt, Niederlahnstein.
„ Moureau, Pfarrer, Erbenheim bei Wiesbaden.
„ Müller, Mich., Pfarrer, Seck (Kreis Westerburg).
„ Müllers, Erster Seminarlehrer, Montabaur.
„ Mulot, Heinrich, Rentner, Haiger.
„ Musset, Landgerichtsrat, Limburg a, d. L.
„ Nick, Pfarrer, Salzig bei Boppard.
„ Opperniann, Ferdinand, Bad Soden.
„ Osterroth, Arthur, Rittergutsbesitzer, Schloss Schönberg bei Oberwesel.
„ Ott, Joseph, cand. phil., Biebrich.
„ Pauli, Gutsverwalter, Schloss Bodenstein bei Regeusburg.
„ Dr. Peters, C, Schierstein.
„ Pfarrius, Alexander, Pfarrer, Dodenau (Post Battenberg).
„ Pfau, Emil, Direktor der Aktienbrauerei, Nassau.
„ Freiherr von Preuschen und zu Liebenstein, Forstmeister, Rüdesheim.
„ Pulch, Gerichtsschreiber, Katzenelnbogen.
„ Reichert, Domänen-Rentmeister, Weilburg.
„ von Reinach, Albert, Frankfurt a. M.
, Dr. med. Reinhold, Medizinalrat, Eisenberg (Sachsen-Altenburg).
„ Rausch, C. Ed., Bürgermeister, Oberlahnstein,
, Reuter, Fritz, Weinhändler, Rüdesheim.
„ Riedel, Amtsgerichtsrat, Frankfurt a. M.
„ Rücker, F., Lehrer, Rittershausen (Post Strassebersbach).
„ Rupp, Friedrich, Reallehrer, Herborn.
„ Schellenberg, Carl, Pfarrer, Battenberg.
„ Schilo, Wilhelm, Pfarrer und Kreis-Schulinspektor, Idstein.
„ Schlitt, J., Dekan, Eltville.
„ Schmidt, Ferdinand, Professor, Gymnasialdirektor, Dillenburg.
6
82
Herr Schmitz^ Johann Peter, Professor, Oberlehrer, Montabaur.
„ Schmölder, Kaufmann, Biebrich.
, Dr. Schneider, Friedrich, Domkapitular, Geistl. Rat, Mainz.
, Schneider, Robert, Pfarrer, Buchenau (Kreis Biedenkopf).
„ Scholl, Bernhard, Rüdesheim.
„ Schreiner, Pfarrer, Barmen.
„ Schröder, J., Fabrikant, Oberlahustein.
„ Schulz, Forstmeister, Kaub.
„ Schuster, Pfarrer, Frischborn bei Lauterbach (Oberhessen).
„ Freiherr Schwartzkoppen-Rottorf, Weinheim a. d. Bergstrasse.
„ Seyberth, Gri^i. Regierungsrat, Landrat, Biedenkopf
„ Siegel, Johannes. Pfarrer, Weilburg.
Se. Erlaucht Friedrich Graf zu Solnis-Laubach, Laubach (Oberhessen).
Herr Stahl, Amtsgerichtsrat, Hachenburg.
„ Steinheinier, C. J. B., Gutsbesitzer, Östrich.
„ Dr. phil. Steubing, Harrach'sches Institut. St. Goarshausen.
, Stier, Hauptmann a. D , Fürstenwalde.
„ Stifft, Amtsgerichtsrat, Höchst a. M.
„ Stippler, Bergwerksbesitzer. Limburg a. d. Lahn.
„ Stoff, L., Dechant, Kassel.
„ Sturm, E., Weingutsbesitzer, Rüdesheim.
„ Trog, C, Lehrer, Bosbeck (Kreis Essen).
,. von Trott zu Solz, Landrat, Marburg i. H.
,, Dr. phil. Yelke, Wilhelm, Stadtbibliothekar, Mainz.
„ Vöniel, E., Pfarrer, Homburg v. d. H.
„ Vogel, Arnold, Pfarrer, Kirberg.
„ Vogel, Hermann Arnold, Pfarrer, Eppenrod (Post Nentershausen, Bezirk
Wiesbaden).
Se. Durchlaucht Georg Victor Fürst zu Waldeck und Pyrmont, Arolsen.
Herr Walter, G., Rentner, Schloss Gutenfels bei Kaub.
„ Weber, Amtsgerichtsrat, Wetzlar.
„ Weitzel, Premierlieutenant im Inf.-Reg. 117, Mainz.
„ VVehrheim, Wilhelm, Direktor des Taubstummen-Instituts, Camberg.
, Widmann, Bernhard, Friihmesser, Eltville.
„ Dr. phil. Widmann, Simon, Rektor des Real-Progymnasiums, Oberlahn-
stein.
Se. Durchlaucht Wilhelm Fürst zu Wied, Neuwied.
Herr Wilhelmi, Georg, Pfarrer, Diez.
„ Wilhelmy, August, Prokurator, Hattenheim.
„ Willi, Domiuikus, Abt, Abtei Marienstatt (Post Hachenburg).
, Winter, Wilhelm. Regierungspräsident a. D., Elmshausen (Post Buchenau,
Kreis Biedenkopf).
8'6
III. Ordentliche Mitglieder sind ferner folgende
Archive, Behörden, Bibliotheken, Museen und Vereine.
Berlin :
Königliche Bibliothek (W., Platz am Opernhause).
Königliche geologische Landesanstalt und Berg-Akademie
(N., Invalidenstrasse 44),
Königliches K u n s t - G e w e r b e - M u s e u m (S W., Pri uz Albrechtstrasse).
Biebrich-Mosbach :
Real-Progymnasium.
Biedenkopf:
Kreisausschuss des Kreises Biedenkopf.
Königliches Real-Progymnasium.
Cassel:
Ständische Landesbibliothek.
Koblenz :
Königliches Staatsarchiv.
Darmstadt:
Grossherzoglich Hessisches Haus- und Staatsarchiv,
Diez:
Kreisausschuss des Unterlahukreises.
Real-Progymnasium.
Dillenburg:
Königliches Gymnasium.
Kreisausschuss des Dillkreises.
Historischer Verein.
Ems:
Real-Progymnasium.
Erbach im Odenwald:
Gräflich von Erbach-Erbachsches Gesamt-Hausarchiv.
Frankfurt a. M.:
Kreisausschuss des Landkreises Frankfurt a. M.
Magistrat.
Stadtbibliothek.
St, Goarshausen:
Kreisausschuss des Kreises St. Goarshausen.
Hadamar:
Königliches Gymnasium.
Herborn :
Altertumsverein.
Höchst:
Kreisausschuss des Kreises Höchst.
6*
84
Homburg t. d. Höhe:
Kreisausschuss des Oberfcaunuskreises.
Langenschwalbach :
Kreisausschuss des Untertaunuskreises.
Limburg a. d. Lahn:
Kreisausschuss des Kreises Limburg.
Mainz :
Stadtbibliothek.
Marburg:
Königliches Staatsarchiv.
Marienberg:
Kreisausschuss des Oberwesterwaldkreises.
Montabaur :
Kreisausschuss des Unterwesterwaldkreises.
Büdesheim :
Kreisausschuss des Rheingaukreises.
Schlangenbad :
Königliche Kurkommission.
Schneidmnhle (bei Audenschmiede, Post Weilmünster):
Gesellschaft „Erholung".
Usingen :
Kreisausschuss des Kreises Usingen,
Weilburg :
Kreisausschuss des Oberlahnkreises.
Westerburg:
Kreisausschuss des Kreises Westerburg.
Wetzlar :
Königliches Staatsarchiv.
Wiesbaden:
Bezirks-Verband des Kegierungs-Bezirks Wiesbaden.
Königliches Gymnasium.
Kreisausschuss des Landkreises Wiesbaden.
Magistrat.
Königliches Staatsarchiv.
Verzeichnis
der Akademieen, GesellsohafteD, Institute uud Vereine, deren Druckschriften
der Verein in regelmässigem Schriftenaustausch erhält,
Aachen, Geschichtsverein.
, Verein für Kunde der Aachener Vorzeit.
Aar au, Historische Gesellschaft des Kantons Aargau.
Abbaye de Maredsous (Belgien). [„Revue benedictine".]
Altenburg, Geschichts- u. altertumsforschende Gesellschaft des Osterlandes.
Amiens, Societe des antiquaires de Picardie.
Amsterdam, Koninklijke Akademie van Wetenschappen.
Annaberg, Verein für Geschichte von Annaberg und Umgegend.
Ansbach, Historischer Yerein für Mittelfrauken.
Antwerpen, Acaderaie d'archeologie de Belgique.
Ar Olsen. Historischer Verein für die Fürstentümer Waldeck und Pyrmont.
Augsburg, Historischer Verein für Schwaben und Neuburg.
Bamberg, Historischer Verein für Oberfranken.
Basel, Historische und antiquarische Gesellschaft.
Bayreuth, Verein für Geschichte und Altertumskunde von Oberfraukeu.
Berlin, Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. [„Forschungen zur
Brandenburgischen und Preussischen Geschichte".]
, Verein für die Geschichte der Stadt Berlin.
, Archäologische Gesellschaft.
, Verein „Herold".
, Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte.
, Reichs-Postmuseum.
, Märkisches Provinzial-Museum.
Bern, Historischer Verein des Kantons Bern.
Bonn, Verein von Altertumsfreunden im Rheinlande.
Brandenburg a. d. H., Historischer Verein,
Bregenz, Museums-Verein.
Bremen, Künstlerverein, Abteilung für Geschichte und Altertumskunde.
Breslau, Schlesische Gesellschaft für vaterländische Kultur, philosophisch-
historische Abteilung.
, Verein für Geschichte und Altertum Schlesiens.
^ Verein für das Museum schlesischer Altertümer. [„Schlesiens Vor-
zeit in Bild und Schrift".]
86
Brunn, Mährisches Gewerbemuseum.
, K. K. mährisch-schlesische Gesellschaft zur Beförderung des Acker-
baues, der Natur- und Landeskunde.
Brüssel, Societe des bollandistes.
Charleroi, Societe pal^ontologique et archeologique.
Chemnitz, Verein für Chemnitzer Geschichte.
Chris tiania, Kongelige Norske Frederiks-Universitet.
, Museum nordischer Altertümer,
Copenhagen, Kongelige Nordiske Oldskrift-Selskab.
Cottbus, Niederlausitzer Gesellschaft für Anthropologie und Altertumskunde.
Danzig, Westpreussischer Geschichtsverein.
Darmstadt, Historischer Verein für das Grossherzogtum Hessen.
Dessau, Verein für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde.
Dillingen, Historischer Verein.
Donau eschingen, Verein für Geschichte und Naturgeschichte der Baar und
der angrenzenden Länder.
Dresden, Königl. sächsischer Altertumsvereiu.
, Verein für Geschichte Dresdens.
Dürkheim, Altertumsverein für den Kanton Dürkheim.
Düsseldorf, Düsseldorfer Geschichts- Verein.
Eichstätt, Historischer Verein.
Eisenberg (S. -Altenburg), Geschichts- und altertumsforschender Verein.
Eisleben, Verein für die Geschichte und Altertümer der Grafschaft Mansfeld.
Elberfeld, Bergischer Geschichtsverein.
Emden, Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer.
Erfurt, Königl. Akademie gemeinnütziger Wissenschaften.
, Verein für Geschichte und Altertumskunde.
Essen, Historischer Verein für Stadt und Stift Essen.
Frankfurt a. M., Verein für Geschichte und Altertumskunde.
, Taunusklub.
Frankfurt a. d. 0., Historischer-statistischer Verein.
Freiberg, Altertumsverein.
Freiburg i. Br,, Gesellschaft für Beförderung der Geschichts-, Altertums- und
Volkskunde V. Freiburg, dem Breisgau u. d. angrenzenden Landschaften.
St. Gallen, Historischer Verein.
Giessen, Oberhessischer Verein für Lokalgeschichte.
Glarus, Historischer Verein des Kantons Glarus.
Görlitz, Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften.
Graz, Historischer Verein für Steiermark.
Greifswald, Rügisch-Pommersche Abteilung der Gesellschaft für Pommersche
Geschichte und Altertumskunde in Stralsund und Greifswald.
Guben, s. Cottbus.
Schw. Hall, Historischer Verein für Württembergisch Franken.
Halle a. S., Thüringisch-Sächsischer Verein für Erforschung des vaterländischen
Altertums und Erhaltung seiner Denkmale.
87
Hamburg-, Verein für Hamburgische Geschichte.
Hanau, Hanauer Bezirksverein für Hessische Geschichte und Landeskunde.
Hannover, Historischer Verein für Niedersachsen.
Heidelberg, Histor.-philosophischer Verein. [„Neue Heidelberger Jahrbücher".]
Heilbronn, Historischer Verein.
Hermannstadt, Verein für Siebenbürgische Landeskunde.
Hohenleuben. Voigtländischer altertumsforschender Verein.
Homburg v. d. H., Verein für Geschichte und Altertumskunde.
Jena, Verein für Thüringische Geschichte und Altertumskunde.
Innsbruck, Ferdiuandeum.
Kahla, Verein für Geschichte und Altertumskunde zu Kahla und Roda.
Karlsruhe, Grossherzogliches Museum.
, Die Badische historische Kommission [„Zeitschrift für die Geschichte
des Oberrheins".]
Kassel, Verein für Hessische Geschichte und Altertumskunde.
Kempten, Altertums- Verein Kempten.
Kiel, Gesellschaft für Schleswig-Holstein-Lauenburgische Geschichte.
, Anthropologischer Verein in Schleswig-Holstein.
Klagenfurt, Kärntnerischer Geschichtsverein.
Köln, Historischer Verein f. d. Niederrhein, insbesondere f. d. Erzdiözese Köln.
, Stadtarchiv.
Königsberg i. Pr., Königliche und Universitätsbibliothek.
, Physikalisch-ökonomische Gesellschaft.
, Altertumsgesellschaft Prussia.
Kornik in Posen, Bibliotheka Kornicka.
Krakau, Akademie der Wissenschaften.
Laibach, Historischer Verein für Krain.
Landshut, Historischer Verein für Niederbayern.
Leiden, Maatschappij der nederlandsche Letterkunde.
Böhmisch-Leipa, Nordböhmischer Exkursionsklub.
Leipzig, Verein für Geschichte Leipzigs.
Leisnig, Geschichts- und Altertumsverein.
Lincoln, Nebraska State Historical Society.
Lindau i. B., Verein für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung.
Linz (Österreich), Museum Francisco- Carolinum.
London, Society of antiquaries of London.
, South Kensington Museum.
Lübeck, Verein für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde.
Lüneburg, Museumsverein für das Fürstentum Lüneburg.
Luxemburg, Section historique de l'institut Royal Grand-ducal de Luxembourg.
Luzern, Historischer Verein der fünf Orte : Luzern, Uri, Schwyz, Unterwaiden
und Zug.
Magdeburg, Verein für Geschichte und Altertumskunde des Herzogtums und
Erzstifts Magdeburg.
Mainz, Verein zur Erforschung der rheinischen Geschichte und Altertümer.
88
Mannheim, Altertumsvereiu.
Marienwerder, Historischer Verein für den Regierungsbezirk Marienwerder.
Meiningen, Hennebergischer altertumsforschender Verein.
, Verein für Meiningische Geschichte und Landeskunde.
Meissen, Verein für Geschichte der Stadt Meissen.
Metz, Verein für Erdkunde.
Mölln i. L., Verein für die Geschichte des Herzogtums Lauenburg.
München, Königl. bayerische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse.
, Historischer Verein für Oberbayern.
, Münchener Altertums- Verein.
Münster, Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens.
, Comenius-Gesellschaft.
Namur, Societe archeologique.
Neubrandenburg. Museumsverein.
Neuburg a. D., Historischer Verein.
New -Castle, Society of antiquaries.
Novara, Biblioteca civica di Novara.
Nürnberg, Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg.
— , Germanisches Nationalmuseum.
Offen b ach a. M., Verein für Naturkunde.
Oldenburg, Oldenburger Landesverein für Altertumskunde.
Osnabrück, Verein für Geschichte und Landeskunde.
Paris, Societe nationale des antiquaires de France.
Buda-Pest, Magyar Tudomanyos Academia. (Ungarische Akademie der Wissen-
schaften.)
St. Petersburg, Commission Imperiale archeologique Russe.
Plauen i. V., Altertumsverein.
Posen, Historische Gesellschaft für die Provinz Posen.
, Posener Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften.
Prag, Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen.
, Lesehalle der deutschen Studenten zu Prag.
Prüm, Gesellschaft für Altertumskunde.
Stift Raigern (bei Brunn). [„Studien und Mitteilungen aus dem Benedictiner-
und dem Cistercienserorden".]
Regensburg, Historischer Verein für Oberpfalz und Regensburg.
Reichenberg, Nordböhmisches Gewerbemuseum.
Reutlingen, Verein für Kunst und Altertum.
Riga, Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der Ostseepro vinzeu
Russlands.
Rio de Janeiro, Museu Nacional.
Roda (S. Altenburg), Der geschichts- und altertumsforschende Verein.
Rom, R. Accademia dei Lincei.
Saarbrücken, Historischer Verein für die Saargegend.
Salzburg, Gesellschaft für Salzburger Landeskunde.
Salzwedel, Akmärkischer Verein für vaterländische Geschichte und Industrie.
89
Schaffhausen, Historisch-antiquarischer Verein des Kantons Schaffhausen.
Schmalkalden, Verein für Hennebergische Geschichte und Landeskunde.
Schwerin, Verein für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde.
Sigmaringen, Verein für Geschichte und Altertumskunde.
Soest, Verein für die Geschichte von Soest und der Börde.
Speier, Historischer Verein der Pfalz.
Stade, Verein für Geschichte und Altertümer der Herzogtümer Bremen und
Verden und des Landes Hadeln.
Stettin, Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde.
Stockholm, Nordiska Museet.
, Kougl. Vitterhets Historie och Antiquitets Akademien.
Strassburg, Societe pour la conservation des monuments historiques d'Alsace.
j Kaiserliche Universitäts- und Landesbibliothek. [„Jahrbuch des
historisch-litterarischen Zweigvereins des Vogesenklubs".]
Stuttgart, KönigHche öffentliche Bibliothek.
, Königlich Württembergisches Haus- und Staatsarchiv.
Tokio (Japan), Imperial University of Tokio.
Torgau, Altertumsverein.
Trier, Gesellschaft für nützliche Forschungen.
Tübingen, Universitäts-Bibliothek.
Ulm, Verein für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben.
Washington, Smithsonian Institution.
Wernigerode, Harz verein für Geschichte und Altertumskunde.
Wien, Kaiserliche Akademie der Wissenschaften.
, Verein für Landeskunde von Niederösterreich.
, Akademischer Leseverein der K. K. Universität.
, K. K. Centralkommission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst-
und historischen Denkmale.
, Altertumsverein.
■ , Archäologisch-epigraphisches Seminar der Universität Wien.
, Anthropologische Gesellschaft.
-, Kais. Königl. heraldische Gesellschaft „Adler".
Wiesbaden, Gewerbeverein.
, Verein für Naturkunde.
, Rheinischer Kurier.
, Handelskammer.
Worms, Altertumsverein.
Würzburg, Historischer Verein für Unterfranken.
Zürich, Antiquarische Gesellschaft.
, Allgemeine geschichtsforschende Gesellschaft der Schweiz.
Zwickau, Altertumsverein für Zwickau und Umgegend.
Preis -Verzeichnis
der
auf Lager befindlichen Vereins- Annalen, Separatabdrücke und
sonstigen Pubiii^ationen
des
Vereins für Nassauisclie Altertumskunde und Geschichtsforschung.
(Mitglieder des Vereins zahlen die Hälfte des Preises.)
Annalen, I. Bd., 1. Heft, vergriffen.
I.
II.
II.
II.
III.
III.
III.
IV.
IV.
IV.
V.
V.
V.
V.
VI.
VI.
VI.
VII.
VII.
VIII.
2. u. 3. Heft, vergriffen.
1. Heft
2.
3. ,. vergriffen.
1. .
2
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1 . „ vergriffen.
2, „
3.
„ vergriffen.
1.
2.
3.
4.
1.
2.
3.
1.
2.
vergriffen.
Mark Mark
Annalen, IX. Bd 5.20
X. „ 7.20
2.40 „ XI. „ 6.—
3.40 ; . XII. „ 9.—
,. XIII 9.—
2.20 „ XIV. „ 1. Heft 2.—
3.40 „ XIV. „ 2. 9.-
3.40 1 „ XV 12.—
' , XVI 9.-
„ XVII 8.—
2.60
3.40
2.—
3.—
3.—
3.40
5.20
3.40
4.30
9.—
XVIII. „ 1. Heft 3.50
XVIII. „ 2. , 5.50
XIX 6.-
XX. „ 1. Heft 4.—
XX. „ 2. 6.-
XXI. . 6.-
XXII 6.—
XXIII 6.—
XXIV 10.-
XXV 6.—
V. Cohausen, Der römische Grenzwall, Lief. 1, 2, 3 fast vergriffen. (Doch
können vollständige Exemplare zum Preise von 24 Mark von J. F. Berg-
manns Verlag in Wiesbaden bezogen werden.)
Bär's Geschichte von Eberbach von Dr. Rössel, I. Band, 1. Heft
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7) 77 71 77 7? 77 ^^* 77 '^- 7) • . . „ 3.60
Denkmäler aus Nassau, I. Heft 2.40
Die kirchlichen Altertümer von Wiesbaden, von Dr. K. Rössel mit 4 Tafeln.
Die Heiliggrab-Kapelle zu AVeilburg a. d. Lahn, von R. Görz, mit 1 Tafel.
Das Graue Haus zu Winkel im Rheingau, von R. Görz, mit 1 Tafel.
, 11. Heft ^ 2.70
Die Abtei Eberbach: Das Retectorium, von Dr. K. Rössel mit 7 Tafeln
, HI. Heft '.....'„ 2.40
Die Abtei Eberbach: Die Kirche, von Dr. K. Rössel, mit 6 Taf u 11 Holzschn
, IV. Heft ; i2._
Die Abteikirche zu Marienstatt bei Hachenburg, v. Oberbaurat R Görz mit
11 Tafeln.
Gesch. der Herrschaft Kirchheim-Bolauden und Stauf, von A. Köllner 6.40
Mithras, von N. Müller 1 20
Rheinübergang Blüchers, von Schulinspektor Rüder —.30
Zu bedeutend ertHüssuftein I*reise iverden an unsere Mitglieder folgende
Puhlil-ationen abgegeben :
Laileupreis. Für Mitglieder.
1. Inscriptiones latinae in terris nassoviensibus . . . Mk. 3.40 Mk. .50
2. Limburger Chronik 3,40 50
3. Reuter, Das Römer-Kastell bei Wiesbaden, mit Plan „ 2. — ^.50
4. „ Römische Ansiedelungen in der Umgebung
von Wiesbaden, mit Plan ,3, 50
5. „ Römische Wasserleitungen in Wiesbaden,
mit 7 Tafeln und 1 Plan 3, _ 50
6. V. Cohausen, Rom. Schmelzschmuck, mit 2 Tafeln . 2.50 .50
7. Band XL, Gesch. des nassauischen Altertums-Yereins
und biographische Mitteilungen über dessen Grün-
der und Förderer, von Dr. Schwär tz .... 6.50 2.
8. Dr. Schwartz, Lebensnachrichten über den Regie-
rungspräsidenten Karl von Ibell 2.50 .50
9. Urkunden von Eberbach 1 4,80 . 1
10. Geschichte des Benedictiner-Klosters Walsdorf, von
Pfarrer A. Deissmann 2.60 .40
11. J. G. Lehmann, Geschichte und Genealogie der
Dynasten von Westerburg „2.70 .40
12. Schmid, Wahl des Grafen Adolf von Nassau zum
römischen König 1292 2. .40
13. Münzsammlung des Vereins, von Dr. Schalk . . . , 2. .30
Im Verlage von Rud. Bechtold & Comp, in Wiesbaden, sowie
in allen Buchhandlungen und im Altertums-Museum daselbst
sind zu haben :
Antiquarisch-technischer Führer
durch das
Altertums-Museum zu Wiesbaden.
Von A. V. Cohauseu^
Ingenieur-Oberst z. D. und Konservator.
Preis: Mk. 1,50.
Die Altertümer des Vaterlandes.
Ein We£f eiser öiircli öas Alte zim Neuen
für
Geistliche, Lehrer, Land- und Forstwirte.
Von A. V. Cohauseii,
Ingenieur-Oberst z. D. und Konservator.
^^ Mlit l^O Al:>l>il<Juiig:en. ^^
2. Aufl. Preis: Mk. 1,50.
Die Giganteu-Säule von Schierstein.
Von Sanitütsrat Dr. B. Florschütz.
IMi t S Ta f*e In.
Preis: 50 Pfg.
Wanderungen
durch (las
Altertums-Museum in ^A/^iesbaden.
Von Wilhelm Hoifmanii^
I'rcmierlieutenant a. D.
Preis: 50 Pfg.
DRÜCK VON RUD. BECHTOLD & COMP., WIESBADEN.
BUCllDRUCKEREI & LITHOGR. ANSTALT.
Annal. d. Vereins f. Nass. Altert, u. Gesch. Bd. XXV.
Taf. I
,,Ewige Lohe" bei Homburg v.d. Höhe.
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angefüllter Boden.
(mit kleinen Eisensteinen)
gewachsener Boden.
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Rud. Bechtold k Comp., M^ie.?baden.
Annal. d. Vereins f. Nass. AUert. u, Gesch Bd. XXV.
Taf.n
Ewige Lohe" bei Homburg v.d. Höhe.
Fund von 1891.
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Rud. Bechtold A- ComD., Wiesbaden
Annal. d. Vereins f. Nass. Altert, u. Gesch. Bd. XX5Z.
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Annal. d. Vereins f. Nass. Altert, u. Gesch Bd. XXV.
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Annal. d. Vereins f. Nass. Altert, u. Gesch. Bd. XXV.
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Rud Bechtold A Tonip., A\'iesbaden
Annal. d Vereins f. Nass. Altert, u Gcsch Bd. XX\Z.
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