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Ernst von Wolzogen ^M
Ansichten und Aussichten
Ein Erntebuch
Oesammelte Studien über Musik, Literatur
und Theater
Berlin, 1908, F. Fontane Bf Co.
V.
Meinen unbekannten Freunder
gewidmet
Ex Lib
ns
Johannes
Schröder
S.Hl.
Vorwort.
i
^^^r Vorwort
^^F Ich halte es fUr einen recht soliden und
empfehlenswerten Grundsatz, nur über Dinge zu
schreiben, von denen man wirklich etwas versteht.
Ich bin kein Journalist, kein berufsmäßiger Kritiker.
Die Fähigkeit, die der gute Journalist haben muß,
sich über alles und jedes in der Welt rasch zu
orientieren und klar, flüssig, womöglich gar geist-
■ reich darüber zu schreiben, geht mir vollständig
ab. Und zum Kritiker fehlt mir die kühle Ob-
jektivität des Denkens, das Lustgefühl des Anatomen
und Chirurgen, der mit seinem grausamen Messer
die Erkenntnis fördern und das schädliche Böse
^^ am nützlichen Guten reinlich trennen will. Ich bin
^ft ein Schaffender und zehre als solcher von meiner
^H Leidenschaft. Ich liebe und hasse mit der Leiden-
^r Schaft des Künstlers, und deshalb bin ich geneigt,
das, was ich liebe, zu überschätzen, das, was ich
hasse, ungebührlich zu verachten. Wenn ich souach
mich seiher für einen schlechten Kritiker halten
mu3, so kann ich doch nicht glauben, daß meine^
Betrachtungen aus dem Gebiete der Künste,
denen ich als Selbstschaffender wirklich etwas ver-
stehe, ganz wertlos sein sollten. Die Aufsätze, die
ich in diesem Bande zusammengetragen habe, sind
nicht bestellte Arbeit im Dienste aktueller Bericht-
erstattung, sondern aus innerer Nötigung, aus einem
gewissen Gefühl der Verpflichtung heraus entstanden.
Als Schaffender habe ich mich nunmehr etwa dreißig
Jahre lang auf allen Gebieten der Dichtkunst und,
dilettantisch, auf fast allen Gebieten der Musik be-
tätigt, und ich darf mir das Zeugnis geben, daß
ich es mit meiner Arbeit niemals leicht genommen
habe, selbst dann nicht, wenn die Not mit ihrer
Peitsche mir im Nacken saß und mich zwang. Un-
erhebliches und Unfertiges hinauszugelien. Ich
produziere zwar verhilltnismäßig leicht und rasch,
aber nur in Hinsicht auf die Formgebung, wogegen
ich mir viel Zeit lassen muß, bevor eine erste Idee
sich in Gestalten und Handlung umgesetzt hat.
Was ich also hier biete, sind Betrachtungen eines
nachdenkenden Künstlers über diejenigen Gebiete
der Kunst, in denen er sich selbst mit Eifer und
Erfolg betätigt hat. Als Sohn eines Intendanten
bin ich mit dem Theater von Jugend auf verwachsen
und habe reichlieh Gelegenheit gehabt, mich bei
meinen eignen theatralischen Unternehmungen so-
wie als Spielleiter des akademisch -dramatischen
es auch, daß der Kritiker von wirklichem Beruf
sich durch diese EmptitKllichkeit der SchafTenden
uiemals irreiDachen lassen kann noch darf, daß es
ihm weit mehr darauf ankommen muß, die Über-
legenheit seines Geistes und die feinen Künste seiner
Feder zu beweisen, als die Gefühle der SchafFendeik
zu schonen. Vielleicht ist es als ein liebenswürdiges
Entgegenkommen der ausgleichenden Gerechtigkeit
anzugehen, daß der Kritiker, der dem Künstler ins
Handwerk pfuscht, sich vor der Öftentlichkeit weit
grtlndlicher blamiert als der Künstler, der sich
einmal als Kritiker versucht. Für die Schmach
und Schande , die er so oft wehrlos über sieh er-
gehen lassen muß, freilich nur ein geringer Trost!
Die in diesem Buche vereinigten Aufsätze bilden
eine Auslese aus dem , was ich im Verlaufe von
nahezu 25 Jahren Über Musik, Theater und Literatur
in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht habe.
Sie spiegeln also ein Vierteljahrhundert Kultur-
geschichte wider und dürften darum nicht nur dem
künftigen Geschichtselireiber unserer künstlerischen
Kultur einmal von Nutzen sein, sondern sogar dem
raschlebigen Geschlechte unserer Gegenwart, dem
manche meiner Schilderungen und Betrachtungen
auch bereits als merkwürdige Zeugnisse einer fast
schon sagenhaft gewordenen Vergangenheit vor-
kommen werden. Ich habe absichtlich Anschauungen
und Urteile stehen lassen, die ich selbst inzwischen
Vorwort
mehr oder minder überwunden und umgestolÜeQ
habe. Ich stehe immer auf seilen des Fortschritts
und habe mir, selbst wenn eine neue Persönlichkeit,
eine neue Richtung mich zunächst heftig erschreckte,
immer redliche Mühe gegeben, sie zu verstehen. Ich
habe im allgemeinen einen sicheren Blick für das
Kommende, für die im Reifen begriffenen neuen
Werte besessen. Ich habe eine Menge Dichter.
Musiker und Schauspieler von heute allgemein an-
erkannter Meisterschaft ans Licht gezogen und nach
besten Kräften zu fördern gesucht ; aber dennoch habe
ich mich zuweilen auch recht kräftig verhauen — und
diese Blätter verschweigen solche Blamagen keines-
wegs. Ich habe in den bewegten Revolutionsstürmen
der achtziger Jahre Schriftsteller, die sich nachher
im besseren Durchschnitt verloren, eine kurze Zeit
lang sozusagen beinahe für deutsche Zolas und
Dostojewskys angesehen. Ich habe von Hugo Wolf
geglaubt, daß er das Äußerste an komplizierter
Melodik und Harmonik leiste, und daß seine gute
Absicht vermutlich an der Unmöglichkeit der Aus-
führung scheitern würde — und heute beherrscht
dieser selbe Hugo Wolf die Konzertsäle , und ich
selbst stehe voller Begeisterung zu Richard Strauß
und Max Reger! So müßte ich eigentlich zu allen
Aufsätzen aus früherer Zeit einen Nachtrag achreiben,
der meinen Standpunkt von heute feststellt; aber
ich habe es unterlassen, weil dieser mein heutiger
Standpunkt dem aufmerkBamen Leser ohnehin aus
etlichen Aufsätzen der allerletzten Jahre deutlich
werden wird, und weil doch vielleicht gerade der ent-
wicklungsgeschichtliche Charakter der Zusammen-
stellung diesem Buche seinen besonderen , wenn
auch bescheidenen Wert verleiht.
Eine Ausnahme habe ich nur gemacht bei den
programmatischen Aufsätzen über das Überbrettl und
Über die Komische Oper. Unter dem Schicksal dieser
meiner beiden „geschäftlichen Unternehmungen"
habe ich bis auf den heutigen Tag persönlich so
schwer zu leiden, daß man es mir kaum verargen
wird, wenn ich das Bedürfnis fühlte, dem durch die
Zeitungen und vielleicht auch den Kulissentratsch
verwirrten Publikum eine authentische Aufklärung
über die wahren Ursachen des Niedergangs dieser
Unternehmungen zuteil werden zu lassen. Die Art
und Weise, wie mir meine lieben Landsleute (d. h.
viel weniger das Publikum als die Leute vom Bau,
die Presse, dieTheaterdirektoren) meine Bemühungen
um die Veredlung der leichteren theatralischen
Künste gedankt haben, ist betrüblich kennzeichnend
für den bei uns immer noch herrschenden Mangel
an wirklicher ästhetischer Kultur, In Frankreich,
wo solche ästhetische Kultur seit Jahrhunderten zu
Hause ist, nimmt man literarische Clowns (d. h.
populäre Chansoniers und Vaudevillisten) in die
Akademie auf und errichtet ihnen Denkmäler, bei
Torwort
I
uns verachtet man sie ebenso gründlich, wie man
sie um ihrer Tantiemen willen beneidet. Und selbst
allgemein anerkannten ernsten Dichtern wird das
HoraziBche „desipere in loco" von den kritischen
Ordnungsphilistern meist so übel vermerkt, daß sie
den Makel ihr Lebenlang nicht los werden und
sogar in den Literaturgeschichten noch als Gebrand-
markte künftigen Geschlechtern zum abschreckenden
Beispiel hingestellt werden. Wenn aber einmal eine
Ausnahme von der Regel stattfindet, wie im Falle
des jüügat verstorbenen Wilhelm Busch, so bann
man sicher sein, daß die deutsche Pedanterie dann
wieder nach der andern Seite hin sich blamiere;
dann wird der Klassiker des Ulks zum großen
Dichter, der Erfinder einer köstlichen Umrißkomik
zum genialen Maler gestempelt. Überhaupt scheint
die Einseitigkeit bei dem barbarischen deutschen
Kunstgeschmack in höchstem Ansehen zu stehen,
und die geistlich Armen im urchristlichen Sinne
werden noch immer eher selig gepriesen als die
Üppigen Talentverschwender, denen mit einmütiger
Bosheit das Tor zur Unsterblichkeit bis auf Nadel-
öhrsweite verengert wird. Um nur ein schlagendes
Beispiel anzuführen : der brave Heinrich Seidel mit
seinem „Lebrecht Hühnchen" — welch ein kümmer-
liches Lebenswerk für einen Poeten! Aber man
attestiert ihm ziemlich allgemein die Meisterschaft
und weist ihm einen Ehrenplatz unter den deutschen
Humoristen an; auf der andern Seite Otto Julius
Bierbaum, ein ganz Reicher, ein Tausendkünstler,
der schier auf allen Instrumenten des dichterischen
Orchesters virtuos zu spielen versteht und nebenbei
auch die Theorie seiner Kunst tiefer und geistvoller
als irgendein Kritiker erfaßt hat — wird er nicht
eben wegen dieser Vielseitigkeit Über die Achsel
angesehen'-' Dieser Ärger über alles, was sich nicht
mühe- und zweifellos etikettieren und rubrizieren
läßt, ist ebenso spießerhaft, wie der Neid, die hämische
Bosheit gegenüber dem Reichtum pöbelhaft ist. Ein
übles Erbe, das wir Deutschen noch mitschleppen
aus den bösesten Zeiten unserer Vergangenheit. Wie
lange noch? Mein eignes Schicksal wird daher
unter den Kennern deutscher Verhältnisse keine
besondere Verwunderung erregen — womit mir
persönlich freilich wenig gedient ist! Schon immer
war ich unseren kritischen Pedanten ein Ärgernis,
weil ich von früh an meinen Ehrgeiz dreinsetzte,
mich nicht selbst zu wiederholen, sondern mit jedem
Werke ein andrer zu sein, wenigstens in der Form;
seit ich aber in meinem Übennute so weit ging,
meine eigne Person in der Maskerade eines tanzenden
Propheten im Sinne Nietzsches auf die Bretter hinaus-
zustellen, um damit meine deutschen Kunstgenossen
zur Nachahmung anzureizen , seitdem wurden mir
von unseren eifrigen Zensoren, diesen streng-
republikanischen Sittenwächtern, sozusagen die
XII .
k
Vorwort
bürgerlichen Ehrenrechte abgesproehen. Galt ich
schon vorher meiner Vielseitigkeit wegen für leicht-
fertig und oberflächlich, so wurde ich jetzt ale völlig
andiskutabel aus der Liste beachtenswerter Zeit-
genossen gestrichelt. Die Marke Tingeltangel-
direktor war mir an weithin sichtbarer Stelle auf-
gepappt, so daß die Gassenbuben mit Fingern darauf
weisen konnten. Das taten sie denn auch. Die
obskursten Tintenkulis der Winketblättchen nahmen
sich ebenso unbedenklich wie ihre berühmteren
Kollegen an führenden Blättern die Freiheit, mich
mit schäkernden Kosenamen zu bedenken und ent-
deckten plötzlich in allen meinen Werken, mochten
sie lange vor oder auch nach der Brettlepisode
entstanden sein , den Tingeltangelcharakter. Das
Wort „Überbrettelei" wurde als eine Schimpf- und
Schmachstampiglie gebraucht für altes, was man in
Poesie und Musik als nichtig, leer, leichtfertig,
frivol, zotig, schweinisch brandmarken wollte. Und
ich, der ich mir eingebildet hatte , den plumpen
Geist des deutschen Spaßes, der jüdischen Wort-
witzelei und der französischen Cochonerie dadurch
bekämpfen zu können, daß ich für die Unterhaltung
eines anspruchsvolleren Publikums durch ein Pro-
gramm von liebenswürdigen Kleinigkeiten sorgte,
die alle das anmutige Gepräge geschmackvoller
Künetlerschaft tragen sollten — ich justament wurde
als Vater der Zote, als böser Geist des Ungeschmacks,
r<«,'<s^ xm ■■
I
Vorwort
als intellektueller Urheber des ekelhaften Änimier-
kneipenwesens, das sich unter dein Namen Kabarett
in den Großstädten breitmachte, hingestellt, und
zwar nicht nur von einzelnen frommen Eiferern,
sondern auch von der überwältigenden Mehrzahl
der für besonders freisinnig, modern und geschmack-
voll geltenden Blätter. Die rühmlichen Ausnahmen
könnte ich an den Fingern einer Hand herzählen.
Im Grunde verdankte ich meinen schmerzhaften Ruhm
als Begründer des literarischen Varii^tös nur der
flüchtigen Begeisterung des naschhaften Snobismus
unserer Jüdischen Großstädte; für die Mehrheit der
übrigen Deutschen aber bin ich trotz jenes meines
idealistischen Schwabenstreiches geblieben, was ich
ihnen vorher gewesen war: ein Seelsorger, der he-
Bonders das Vertrauen der Jugend besaß. Ks war
das Werk meines Lebens gewesen, das junge Volk
unsrer Tage, dem in all der erschrecklichen Wirrnis
unvereinbarer Gegensätze zwischen Wissen und
Glauben, vernünftiger und gesellschaftlicher Moral
der Kopf zu schwindeln und das Herz vor Ekel
schwach zu werden begann, den Mut wieder auf-
zurichten , indem ich es lehrte zu lachen über die
alten ängstlichen Hampelmännchen der Gewohnheit,
deren Tragödien um Gottes willen nicht tragisch zu
nehmen, deren Lustbarkeiten dagegen zum Heulen
traurig seien. Ich fühlte mich glücklich in dem
Amte des Predigers einer, meiner Meinung nach
I
Vorwort it^
urgesuDden, weil humoristisch erhabenen Weltan-
schauung und reichlicii belohnt durch die außer-
ordentliche Verbreitung , welche meine Schriften
unter den Gebildeten und Bildungshungrigen vor-
nehmlich der germanischen Welt fanden , sowie
besonders durch den persönlichen Dank, der mir von
einzelnen armen Seelen zuteil ward, denen ich durch
meine Predigt das Rückgrat gesteift hatte, also ä&Q
sie fröhliche Siege über sich selbst und die miserable
Welt erfechten konnten. Jenes zum Teil nur ge-
dankenlose, zum andern Teil aber auch schadenfroh-
boshafte Gekläff der Presse ist selbstverständlich
auch nicht ganz ohne EinäuB auf die Gesinnung
meiner Leser geblieben; aber glücklicherweise ist
dieser Einduß doch laugst nicht so groB, als die
Macher der Öffentlichen Meinung es sich vielleicht
einbildeten. Meine Gemeinde ist vielleicht kleiner
geworden — aber solch eine Durchsiebung hat am
Ende auch ihr Gutes.
Und für diese durchgesiebte Gemeinde , für
welche der Humorist kein gleichgültiger Spaß-
macher, sondern ein wtirdiger Seelsorger, und die
Erwerbung eines kernfesten Humors ein ernstes
Lebensziel ist, — für diese Gemeinde habe ich
meine alten und neuen Ansichten und Aussichten
zusammengestellt. Sie wird mir gern zugeben,
daß ich berufen sei, als Sachverständiger mitzu-
reden über die Kunstgebiete, in denen ich mich
Vorwort
schöpferisch versucht habe, und sie wird auch
wohl am ersten geneigt sein, mir Dicht nur io
meinen unterhaltsamen Launen, sondern auch in
meinen nachdenklichen Stunden aufmerksam Gesell-
Bchaft zu leisten. So widme ich denn dieses Buch
meinen unbekannten Freunden.
I
Sarmstadt, im Jänner 1908.
Eniit Freiberr von Wolzogen.
Musik und - Musik
(1888)
Es kann liein Zweifel darüber stattfinden, d&i
überall da, wo wir die liulturgeachichtliche Ent-
wicklung aus dem ruhigen Gleichtritt des natür-
lichen Fortschritts herausfallen und mit kurzem
kräftigen Anlauf über einen breiten Wassergraben
oder über eine alte Mauer hinwegsetzen sehen, ein
überragendes Genie die scharfen Sporen gebraucht
habe. Für eine kurze Weile geht es dann wohl
noch im Trabe weiter, doch nur zu bald wird der
gemächliche Bummelschritt wieder aufgenommen
und vor dem neuen Hindernis ganz ebenso ängstlich
Halt gemacht wie vor dem jüngst überwundenen.
Genies hypnotisieren gewissermaßen ihre Zeit und
zwingen sie in der Hypnose zu iiußerordentliehen
Leistungen, welche sie im wachen Zustande nimmer-
mehr zu verrichten vermocht hätte. Bei den großen
Fortschritten auf dem Gebiete der Technik tritt
dies freilich weniger zutage , weil durch sie stets
neue Bedürfnisse gescliaifen werden, welche nicht
mehr verschwinden, sondern im Gegenteil sieh immer
mehr verallgemeinern und verstärken. Auf dem
Hiuik nnd — HiuÄj
Gebiete der Kunst dagegen zeigt sich die allgeiiteiDe
Erschlaffung nach jeder Bolchea Kraftanstrengung,
welche die Hervorbringung eines Genies für ein
Volk bedeutet, nur allzu deutlich für denjenigen,
der sehen will.
Keine Kunst steht gegenwärtig bei uns in so
hoher Blüte, keine ist so volkstümlich wie die
Musik. Auf deutschem Boden hat diese jüngste
unter den Künsten, trotzdem sie in südlichen Ländern
geboren war, sich am raschesten und glänzendsten
entwickelt. Noch nie und nirgends ist eine Reihe
so bedeutungsvoller Künstler so unmittelbar auf-
einander gefolgt wie bei uns die Haydo, Gluck, Mozart,
Beethoven, Schubert, Weber, Wagner; aber so fest-
gegliedert diese Kette sich darstellt, so lückenhaft
und locker zeigt sich der Einhuß, welchen jene
Künstler einzeln auf die Entwicklung des musika-
lischen Bewußtseins im Volke gehabt haben. Es
hat eine Zeit gegeben , in welcher der gute Papa
Haydn vielen fingerfertigen Hausmusikanten als ein
recht vertrackter Geselle galt, der rein aus Bos-
heit und Plaisir seine Quartette recht schwer spiel-
bar und schwer verständlich schrieb. Aber noch
zur selben Zeit, da Haydn schon für eine ansehn-
liche Mehrheit kinderleicht geworden war, ließ man
in Wien Mozarts „Don Juan" durchfallen, weil diese
Musik gar zu schwer verständlich sei. Wer dann
aber den Mozart mit Haut und Haaren hinunter-
Uusik
geschluckt und glücklich verdaut liatte, dem erschien
wieder der Beethoven als eine allzu zähe Speise,
die keinem normalen Magen zuzumuten sei. Der
Streit zwischen der italieniBcben Oper und dem
deutschen Musikdrama, welches die Musik iu den
Dienst des poetischen Ausdrucks stellte, war schon
vor der großen Revolution in Paris zugunsteu des
letzteren entschieden worden ; doch das hinderte
nicht, daß noch über ein halbes Jahrhundert spater
Carl Maria von Weber, obwohl man den nicht un-
verständlich schelten konnte, einen schweren Stand
gegenRossinisBeliebtheithatte, und daß nach Verlauf
dieses halben Jahrhunderts in dem großen Kampfe
Richard Wagners um den Sieg der Wahrheit über
die glänzende Lüge Meyerbeers, des Inhalts über
die Form in der Musik, die Enkel sich mit einer
Erbitterung in die Schlacht stürzten, wie wenn es
gälte, die Siege der Vorfahren mit Blut auszu-
Iftachen! Fast war es ein Kampf aller gegen einen
zu nennen, und dennoch siegte der eine durch die
unerhörte Energie seiner künstlerischen Persönlich-
keit — der verbannte Dresdener Revolutionär, dem
es die heilige Polizei unmöglich machte, seinen
„Lohengrin" zu hören, der, von allen Mitteln ent-
blößt wie er war, statt im Stile dieses „Lohengrin",
und des „ Tannhäuser ", der ihm ein Publikum ge-
wonnen hatte, weiterzuschreiben, um glänzender
Ehren und Einnahmen gewiß zu sein, vielmehr „im
HusLk und -~ Husik ]
Vertrauen auf den guten Geist des deutschen Volkes",
von dem er immer wieder nur Unverstand und Hoha i
erfuhr, ein Biesenwerk in Augriff nahm, dessen Un-
aufftlhrbarkeit unter den gegebenen Verhältnissen I
er klar erkannte — dieser Verbannte, Verfolgte und '
Verkannte erbaute sich fünfundzwanzig Jahre nach-
dem er zuerst den kühnen Plan gefaßt hatte, sein ,
Festspielhaus in Bayreuth, und Kaiser und Ktinige i
kamen herbei, die fernsten Weltteile schickten ihre d
Begeisterten nach der kleinen frilnkischen Stadt, i
um dem deutschen Meister zu huldigen! Er sali i
sein Lebenswerk vollbracht, durch das herrlichste j
Gelingen gekrönt, als er die Äugen schloß, um vom '
langen Kampfe auszuruhen. Und sobald seine
rOcksicbtsloGe , alles despotisch heherrscbende und
dabei doch den VFollenden so begeisternde Persön-
lichkeit nicht mehr am Leben war, da stellte auch
die heisere Meute seiner kleinen Gegner ihr Bellen
ein und ehrte die Manen des großen Toten wenigstens
durch ein mürrisches Schweifwedeln. Das wirkliche
Publikum, das mit frischer Genußfreudigkeit in der
Kunst Erhebung Über die dumpfe Atmosphäre der
Alltäglichkeit sucht, läßt sich die Freude an Wagners
Werken schon längst nicht mehr durch die kritischen
Querköpfe verderben; ja Wagner hat sogar eine
große Menge sonst unmusikalisch genannter Leute
für die Musik erobert, indem er ihnen die Erkennt-
nis aufzwang, daß seine Kunst keine bloße Unter-
r
Musik und — Musik
haltung für gebildete Ohren sei, sondern vielmehr
Empfindungssache, tiefgreifender, unmittelbarer als
selbst die Wirkung der Poesie. Diese Leute, welche
sich bei einer Sinfonie von ßrahms tödlich lang-
vreiien, sind in Wahrheit diejenigen, welche das
Wesen der Wagnerschen Kunst am deutlichsten be-
griffen haben, während jenes elegante, musikali-
sche Publikum, das im Sommer Über Bayreuth
nach Karlsbad reist und im Winter die vornehmsten
Konzertsäle f&llt, in seiner musikalischen Gebildet-
heit wahrscheinlich fast ebensoweit und ganz ebenso
glücklich sein wUrde, wenn Wagner niemals ge-
lebt hätte.
Durch Wagner ist es uns so recht zum Be-
wußtsein gekommen, eine wie tiefe Kluft zwischen
den beiden Begriffen Musik und Musik gähnt Nicht
erst seine vulkanische Kraft hat den Begriff so ge-
spalten : wir finden schon unter den italienischen
Komponisten des lö. Jahrhunderts Männer, welche
wohl erkannten, daß der Musik eine fast unbegrenzte
Ausdrucksfähigkeit innewohne, und welche sich eifrig
bemühten, durch Auffindung neuer Harmonien und
Rhythmen, durch Abwerfen des Formen- und Regel-
zwanges diese Ausdrucksfähigkeit zu erweitern, wie
z. B. Marenzio und Monteverde. In unserm großen
Sebastian Bach sehen wir oft den gelehrten Kontra-
punktiaten mit dem tiefempfiudenden Musiker im
Streite liegen. Aber erst von der Zeit an, wo
id — Muiik J
Beethoven zu Mozart in offenbaren Gegensatz tritt, I
vollzieht sich endgQltig die Spaltung der Musik in 1
eine Kunstfertigkeit und in eine Kunst. Die j
erstere bildet immer mehr die Geschicklichkeit, die ]
feine Berechnung, die Anmut und den Geist im ]
Spiel mit Tönen und musikalischen Formen heraas,
während die andere, die verklärte Schwester der j
Poesie, sich die Aufgabe stellt, durch die geheimnis- J
volle Kraft der Harmonie und Melodie unser ganzes |
Nervenleben direkt zu beeinflussen und als be- '
stimmend für die musikalische Form nicht mehr
die bewährten Regeln des kompositorischen Satz-
baues, sondern einzig die poetische Empfindung
anzusehen. Es versteht sich von selbst, daß diese
letztere Musikgattung sich am freiesten und reichsten
auf dramatischem Gebiete entfalten wird, Atier
wie Herrliches sie auch im rein sinfonischen Stile
zu sagen vermag, das hat uns Beethoven in seinen
späteren Werken bewiesen, und zwar wirklich
erst Beethoven. Wohl hören wir schon im sech-
zehnten und ziemlich häufig im siebzehnten und
achtzehnten Jahrhundert von einzelnen wunderlichen
Kantoren, Stadtpfeifern und Musikmeistern, welche
Programm-Musiken der ausschweifendsten Art ver-
faßten und Vorgänge zu schildern unternahmen,
au die sieh selbst Berlioz und Liszt nicht heran-
gewagt hatten. Doch das war nur Musikanten-
schn ick schnack und besitzt für die Geschichte der
Musik nur den Wert „kurioser" Anekdoten. Mau
spricht aber auch von der dramatischen Charak-
teristik in Mozarts Opern; hei vorurteilsfreier
Betrachtung wird man jedoch zugestehen müssen,
riaß diese dramatische Charakteristik bei der Be-
schaffenheit seiner Texte eine ganz selbstverständ-
liche Sache war. Was ist der Inhalt der Mozartschen
Opern anders, als ein loses, oft sogar recht lockeres
Liebesgetändel — für diese heidenmäßige Heiterkeit
kann man sich freilich keinen vollkommeneren musika-
lischen Ausdruck denken als die geniale Leichtigkeit
und Anmut seiner Melodik und Rhythmik. Auch der
„Don Juan" ist nichts weniger als eine Tragödie,
als welche unsere Musikpedanteu ihn immer noch
darzustellen suchen. Die Szene der Erscheinung
des steinernen Gastes hat allerdings auch musika-
lisch einen dramatisch packenden Ausdruck ge-
funden , doch — abgesehen davon , daß man noch
darüber streitet, ob die Posaunen in dieser Szene
echt seien — wie hätte Mozart, wenn er nicht jeder
Spur von Geschmack bar gewesen wäre, hier anders
komponieren können — elf Jahre, nachdem Glucks
großer Pariser Sieg der ganzen musikalischen Welt
die Mittel des Ausdrucks für derartige Stimmungen
an die Hand gegeben hatte! Das ist gerade so,
wie wenn man heute einen jungen Komponisten für
ein Genie erklären wollte, weil er eine düstere,
schauerliche Stimmung durch tiefe Klarinetten,
Musik und - Musik j
gestopfte Hörner und leise Beckenwirbel ausdrücktet
Im übrigen ündet sich Mozart mit den ernateo
Figuren seiner Opern meist durch die Form der
„seriösen" Arie ab, wie sie dem Geschmack seiner
Zeit entsprach. Von vielen dieser Arien wissen
wir, daß sie einfach für die besonderen Fähigkeiten
bestimmter Sänger und Sängerinnen verfertigt
worden sind; infolgedessen sind sie auch heutzutage
für einen anspruchsvolleren Geschmack kaum mehr
ertrflglicli , zum mindesten herzlich langweilig.
Glucks Muse fühlte sieb eingezwängt in den steifen
Schnürleib der französischen Klassizität, und mit
der genialen Leichtigkeit eines Mozart konnte seine
etwas schwerfällige Erfindung nicht wetteifern, sonst
wäre er wohl schon für die dramatische Musik das
geworden, was Beethoven für die sinfonische ward.
Beethoven selbst vermochte ein stilreines musika-
lisches Drama nur deshalb nicht zu schaffen, weil
ihm der rechte Dichter fehlte ; was er hätte leisten
können, beweist die wunderbare Kerkerazene des
„Fidelio". Dafür hat er den ganzen Reichtum
seiner Ideen, die ganze Tiefe seiner Empfindung
in seinen späteren Sinfonien niedergelegt und mit
ihnen den sicheren Grund geschaffen für das stolze
Gebäude der neudeutschen Tondichtung.
Nach diesen Andeutungen dürfte es verständ-
lich werden, weshalb ich es für einen grofien Irrtum
halte, wenn man ganz allgemein die Entwicklung
i
Huaik und — Musik
J'JlüSJAiyar
der deutschen Musik von Haydn über Mozart und
Beethoven auf Mendelssohn, Schumann und so fort
auf Meyerbeer, Wagner, bis Brahnis hinausführt.
Tatsächlich gabelt sich die Tonkunst zur Wiener
Blütezeit in zwei weit auseinandergehende Äste.
Der erste, stärkere, aber weniger verzweigte, setzt
bei Beethoven an und führt Über Schubert, Weber,
Löwe geraden Wegs zu Wagner, um erst hier reich
belaubte Zweige und Zweiglein zu treiben. Der
audore , von Mozart ausgehende , bleibt nur die
kurze Strecke bis zu Schubert dem andern nahe
und biegt dann schroff ah ; mit Mendelssohn kommt
eine neue Triebkraft in ihn, während sogleich auch
eine neue Gabelung und üppige Verzweigung ein-
tritt. Die eine Zinke dieser Gabel weist wie ein
ausgestreckter Zeigefinger direkt auf das Leipziger
Gewandhaus hin, die andere auf Lanner, Strauß.
Millöcker und — Bratfisch! Ein starker Seiten-
zweig, romantisch kraus verästelt und vernestelt,
treibt aus dem Bereiche Mendelssohns hinüber nach
dem Beethoven-Ast und ist so um iiiu heruni-
gewachsen, daß man wohl in Zweifel sein kann, ob
er aus diesem oder jenem Aste entsprieße. Dieser
Zweig heißt Schumann. Noch i^inmal, nahe der
Gewandhaus-Spitze, reckt und streckt sich ein
auffallend starker Zweig sehnsüchtig nach der
Beethoven- Seite hinüber, ohne sie freilich erreichen
zu können : aber er zieht durch seine Schwere seines
Hosik und -
^H weil
Astes Spitze nach unten und erhält sie in
BtAndigem Suhwanken. Der Zweig heißt Brahms.
Man kann unser musikalisches Deutschland
gar nicht nachdrücklich genug immer wieder und
wieder auf diesen Stammbaum hinweisen. Hätten
unsere Musiker und Musikliehhaber sein Bild immer
klar vor Augen, so wftre es nicht denkbar, dafi
schon so bald nach dem Tode des grofien Diktators
eine solche Verdunkelung und Verwirrung der Musik-
empfindung einreißen konnte. Bayreuth hat auf-
gehört nur das Mekka der Wagner-Enthusiasten zu
sein — fast ist es schon „Rendezvous der fashio-
nablen Welt" geworden und wird dies immer mehr
werden, wenn, wie es ja den Anschein hat, die
Teilnahme des jungen deutschen Kaisers die all-
jährliche Wiederholung der Festspiele sichert. An
und filr sich ist diese Wendung im Geschicke Bay-
reuths hoch erfreulich, weil vorläufig immer noch
Bayreuth allein die Wagnei-schen Werke in an-
nähernder Vollkommenheit vorzuführen und dadurch
das Verständnis für seine Kunst am sichersten zu
erschließen vermag. Auch den frivolsten Welt-
menschen , den eingefleischtesten Musikdilettanten
pflegt in dem weihevollen Dunkel des Festspielhauses
Ober den Ernst der Kunst ein Licht aufzugehen.
Aber es ist leider fast ausschließlich ein verfeinerter
Kunstgenuß für die Reichen, und gerade diese er-
weisen sieb dieses ihres Vorzugs meist am wenigsten
würdig; denn wena die heimkommen in ihre haupt-
städtiBchen Winterquartiere, kann man sie mit fast
der gleichen Andacht den Evolutionen eines sehwarz-
mähnigen Künstlers auf der G-Saite oder den Kraft-
leistungen einer vollarmigen Klavierhändigerin
lauschen sehen. Daß die erhebende und befreiende
Macht der Musik in dem überzeugenden, die Seele
fortreißenden Ausdruck eines poetischen Inhalts
beruhe, das haben alle diese anständig angezogenen
Menschen inzwischen längst vergessen — Brahms
dirigiert, und Bülow sitzt an der großen Trommel —
Hurra! hoch! Bildungsschwindel. Fersonenkultus
und die liebe Eitelkeit sind wieder in ihr an-
gestammtes Recht getreten — die Seele ist satt und
spottet der Hungernden-, der Geist fühlt sich stark,
denn — das Diner war gut!
Im Jahre 1852 läßt sich Richard Wagner in
einem Briefe an seinen Freund Theodor Uhlig weit-
läuüg über den poetischen Inhalt der Beethovenschen
Sinfonien aus und fährt dann also fort: „Wären
diese {Beethovenschen Sinfonien) wirklieh, d. h,
ihrem dichterischen Gegenstande nach, vom Publikum
verstanden, wie sollte da vor demselben Publikum
ein modernes Konzertprogramm möglich sein V Wie
sollte es möglich sein, den Anhörern einer Beethoven-
schen Sinfonie zugleich musikalische Kompositionen
von der bestimmtesten Inhaltslosigkeit zu bieten?
Daß aber unsere musikalischen Dirigenten und Korn-
Hasik nnd -~ HuÄ^
poDiBteo selbst aus dem eben bezeichDeten Grunde,
daß sie den dicbteriBchen Gegenstand jener Tod-
schöpfungen nicht erkannten, ohne eigentliches
Verständnis derselben blielwn. beweisen sie dies .
nicht dadurch, was und wie sie heutzutage trotz ,
des mahnenden Vorganges Beethovens komponieren?
Wäre unsere moderne versch wimmende und zer-
fahrene InstrumentalkoniponiercTei möglich, wenn
sie das wirklich Wesenhafteste der Beethovenschen
Tondichtungen verstanden hätten? Dieses Wesen- '
hafteste ist aber, daß die Beethovenschen größeren 1
Tonwerke nur in letzter Linie Musik, in erster j
Linie aber einen dichterischen Gegenstand ent-
halten." — Inzwischen haben Wagners vortreffliche
Erklärungen und Auffuhrungen der ernsten musika-
lischen Welt das wahre Verständnis Beethovens
erschlossen, hat Wagners Schüler, Haus von Bfilow,
diese Erkenntnis in breitere Schichten des Volkes
getragen, hat Wagner durch seine eigenen Werke
noch in weit höherem Grade als Beethoven über
den Wert des poetischen Gegenstandes in der Musik
Aufschluß gegeben — und doch treffen die oben
angeführten Worte unser beutiges Konzertpublikura
und unsere heutige Musikmacherei noch gerade
ebenso wie damals ! Das Publikum hat sich in-
zwischen auch an Wagners Tonsprache gewöhnt, die
Komponisten haben sie nachplappern gelernt — das
ist aber auch alles : der Kern der Sache ist den einen
Unaik und -
Bo gleichgültig wie den anderen. Kommt jetzt
einer, der eigene Gedanken in seiner eigenen
Sprache vorzutragen hat, so kRon er sicher sein,
daß er denselben Kampf gegen das PhilisterJum
zu bestehen haben wird wie jeder eigenartige
Künstler vor ihm. Wir haben heute schon gerade-
sogut Wagner -Philister, wie wir Gewandhaus-
Philister, ja in weltentfernten Winkeln sogar wohl
noch zopftragende Mozart-Philister haben. Ich ver-
stehe dabei unter einem Philister einen Menscheu, der
sich nur unter der Masse seiner selbst sicher fühlt,
der von dem Neuen schwer zu überzeugen, wenn
er aber einmal überzeugt ist, in seinem Autoritäts-
glauben blind und dünkelhaft wird. Wir haben
heute, wie gesagt, schon eine große Menge solcher
Wagnerianer; weil der Meister dies und jenes ge-
sagt und getan hat, darum ist es undenkbar, daß
je etwas anderes gesagt und getan würde! Wir
haben junge Komponisten , die ihre Laufbahn mit
der Nachahmung des „Parsifal" beginnen, die also
der Weltlust entsagen, ehe sie Gelegenheit ge-
funden haben, den Wert des Daseins zu prüfen!
Diese jungen Wüteriche betragen sich, genau ge-
nommen, ebenso fortschrittsfeindlich wie jene hoch-
mögenden Musikprofessoren , welche da meinen,
nach Bach sei eigentlich keine ernst zu nehmende
Musik mehr gesehrieben worden.
Man sieht, ich will durchaus nicht etwa darauf
hinaus, Wagners Kunst als das einzig Wahre aller
übrigen Musik entgegenzustellen. Wahr ist in der
Kunst jede Leistung, in der eine künstlerische
Persönlichkeit fur einen ihr eigentümlichen Gedankeo
oder Gefühlsinhalt die üherzeugende, die zwingend
richtige Form gefunden hat. Gleichgültig ist dabei,
ob diese Form einfach oder kompliziert ist, oh der
Künstler sie in aller Naivetät gefunden, wie es
z. B. im Volkslied so häufig der Fall ist, oder ob ein
überlegener, grübelnder Verstand die raffiniertesten
Kunstmittel dafür aufgewendet hat. Andererseits
kann ein Künstler, ausgestatti^t mit ungewöhnlicheo
Kenntnissen und Fähigkeiten, dennoch, und zwar
besonders, wenn sein Verstand seinem Temperament
weit Überlegen ist, unwahre Werke schaffen, in
denen nicht eigne Gedanken und Empfindungen sich
die künstlerische Form schaffen, sondern diese Form,
d. h. die Eunstmittel an sich zum alleinigen Inhalt
werden. In der Poesie kann mau es mit dem Geist
allein allenfalls noch zu etwas bringen, die Musik aber
wird aus der Leidenschaf t geboren. Sehr mit Unrecht
stellt Friedrich Nietzsche in seiner geistvollen,
aber böswilligen und verschrobenen Schrift „Der
Fall Wagner" die Oper „Carmen" in Gegensatz
zu Wagners Musikdramen. Dies Meisterwerk Bizets
ist vielmehr ganz aus demselben Geiste geboren,
indem darin, ebenso wie bei Wagner, das Drama
die treibende Kraft ist, die Musik nur die glühende,
Ifnatk und -
lebendig machende Farbe gegeben hat. Nur die
äußere Form ist verschieden. Wer darf sich aber
hinstellen and verkünden ; diese Fonn ist gut —
jene schlecht? Da müßte ja einer schon geradezu
Professor der Ästhetik sein! Man kann wohl sagen,
daß für den Inhalt, den Wagner zu geben hatte,
seine Ausdrucksmittel, seine Formen so vollkommen
entsprechend gewesen sind, daß andere oder gar
bessere undenkbar sind; es wäre aber sehr töricht,
zu meinen, daß darum diese Ausdrucksraittel und
Formen för alle Zeiten als klassische Muster gelten
müßten ! Warten wir nur den Mann ab, der etwas
Neues zu sagen hat ; an neuen Formen wird es dem
gewiß nicht fehlen !
Als Wagner von Zürich aus nach Paris ging,
um dort einmal wieder Musik zu hören, schrieb er,
von dem dortigen Kunsttreiben bald genug an-
gewidert, nach Hause, daß dort der Bankier die
Musik regiere. Sehen wir uns die Musikdarbietungen
unserer Hauptstädte an , so werden wir bemerken,
daß es heute noch ganz ebenso ist. Es ist eine
Musik für reiche Leute, die da gemacht wird, und
es ist vornehmlich die Tochter des Kommerzienrats,
welche in Sachen des musikalischen Geschmacks
den Ton angibt. Die Damen, denen ihre Mittel
und ihre Zeit es erlaubeu, sich von den gesuchtesten
Professoren, Gesangsmeisterinnen usf. in der Musik
drillen zu lassen, erwerben naturgemäß am ehesten
Geschmack und Verständnis für die Leistungen der
Virtuosen und der modern virtuosen Komponisten.
Ihre musikalische Gelehrsamkeit Hößt nun den
weniger gelehrten Eltern , Anverwandten und Be-
kannten eine solche Ehrfurcht ein, daß sie alle,
schon um sich in der gebildeten Gesellschaft keine
Blöße zu geben, in Bewunderung und Verachtung
getreulich dem Beispiel der jungen Dame folgen.
So fallen sich die teuren Plätze unserer Konzertsäle,
so werden die Berühmtheiten geschaffen — so wird
das unbändige Genie unterdrückt ! Jene Fähigkeit
der Unterscheidung zwischen echt und unecht,
zwischen formaler Kunstfertigkeit und inhaltsvoller
Kunst in der Musik, welche ich als für den wahren
Fortschritt allein maßgebend erachte, ist aber bei
jenen ein- und ausgebildeten Dilettanten weit
seltener zu finden , als unter den ungelehrten Zu-
hörern, die die Musik nur voll Hingabc auf ihre
Empfindung wirken lassen. Darum kann man unserem
niusikliebenden Publikum gar nicht laut genug immer
wieder und wieder zurufen: laßt euch durch eure
Schulweisheit, durch eure Achtung vor den großen
Namen nicht die Unbefangenheit der Empfindung
rauben, welche ihr mit auf die Welt gebracht habt.
Der hohe Lebenswert der Musik beruht in der Un-
mittelbarkeit ihrer Wirkung auf das Gemüt. Und
dem ist nur mit Wahrheit und Klarheit gedient.
Fort mit der Geistreichigkeit in der Musik, fort
Musik und — Musik
mit jedem gemischten Stil! Ist eine Musik der
einen oder der anderen Richtung aus innerer Not-
wendigkeit heraus geschaffen, so darf sie ihrer
Wirkung auf gleichgestimmte, unverbildete Gemüter
stets sicher sein. Jede Zeit hat die Kunst, die sie
verdient — möge unser deutsches Volk sich Mühe
geben, damit es sich bald eine ehrlichere Musik
verdiene.
19
Das Epigonentum in der Musik
(1889)
Das Epigonentum in der Musik
(1889)
I.
In meiner letzten Betrachtung über die Spaltung
der Musik in eine Kunst und eine Kunstfertigkeit
habe ich auf die ErBcheiuung aufmerksam gemacht,
daß das feinere Kunstempfinden des Publikums nur
so lange wach zu bleiben pllegt, als ein lebendiges
Genie es beim Kragen zu fassen und tüchtig zu
schütteln weiß ; sobald es sich jedoch von jener
starken Faust befreit fühlt, wieder in das alte
schlafsüchtige Philisterium zurückzusinken sich be-
strebt zeigt. Auf den schaffeuden Künstler äußern
sieh die Nachwirkungen dagegen in anderer Weise.
Diejenigen nämlich, welche wirklich einen starken
schöpferischen Mitteilungsdrang in sich fühlen,
werden, wenn sie nicht gauz unbeugsam eigen-
sinnige Naturen sind , durch die Tyrannei des
Genius meist für den Kest ihres Lebens zu Sklaven
gemacht. Durch die Anerkennung des wahrhaft
Großen , Neuen und Kigenartigen bei dem herr-
schenden Genius Übernimmt ein ernst strebendes
Mitteltalent zugleich die Verpflichtung, mit seinem
^f-,S>^'^\^''^t,£f'9'tt ^^^ Epigonentum in der Husik
eigeaen Scliaffeu nicht hinter dem zurtlckzubleibea,
was jenes Genie seine Zeit zu fordern gelehrt hat
Da gilt es denn , zunächst die neue Form, welche
der überragende Geist als seine ihm natQrliche
Sprache geschaffen hat, mit gläubigem Eifer zu
erlernen. Das gelingt oft so gut, daß die mühsam
erlernte Sprache fast reicher und geschmeidiger
erscheint als die angeborene — und dennoch ist
darin nichts zu sagen, was nicht schon ihr Erfinder
besser gesagt hätte !
Ein Vergleich mit dem Epigonentum in der
Literatur dürfte nicht nutzlos sein. Goethes Lyrih
zum Beispiel trat zu ihrer Zeit als etwas voll-
kommen Neues allem bisher Dagewesenen gegen-
über. Diesen frischen , unbefangenen Herzenston
hat keiner der Vor-, ja selbst der Mitlebenden nicht,
zu eigen gehabt. Die Schillerache Lyrik mit ihrem
bald lehrhaften, bald pomphaft rednerischen Ge-
baren entwickelte sich ganz naturgemäß aus dem un-
mittelbar Vorhergegangenen heraus, die Goethesche
dagegen war neu und unvergleichlich — und sie
machte bald genug den alten Ton für das ver-
feinerte Ohr unerträglich. Unter den Nachgeborenen
finden wir denn auch eine recht ansehnliche Zahl
von Dichtem, welche sich so gut goethisch aus-
zudrücken gelernt haben, daß sie in einzelnen
Leistungen — die Geibel , Heyse , Lingg — den
Meister zum mindesten erreichen.
1
Storm, Leuthold und viele aiidere weiseu eine
Sprache auf, welche des reinsten Wohllautes voll,
niemals geschmacklos, plump oder gesucht erscheint.
Ja, man kann sogar weiter gehen und sagen, daß
bei allen diesen Epigonen bei weitem nicht so viel
Spreu unter dem Weizen zu finden sei, wie bei
üoethe selber; und dennoch wird für diese ganze
Gattung der Poesie, welche die Genannten ver-
treten, aliein der Name Goethe als kennzeichnend
der Nachwelt überliefert werden. Ebenso ist die
Schillersche Art und Weise für die so überaus
fruchtbare Produktion auf dem Gebiete der Jamben-
dramatik maßgebend geworden. Unzählige Buch-
und Oberlehrerdramen eifern mit mehr oder weniger
Geschick dem Vorbilde Schillers nach ; aber nur
wenige haben sich die Bühne, keines Unsterblich-
keit zu erobern vermocht. Größer noch als die
Nachfolgerschaft der Klassiker ist die Heines, des
ins Jüdische übersetzten Goethe, geworden; er hat
sämtliche Witzblätter , die ganze Feuilletonisten-
poesie auf dem Gewissen! Wie viele witzige Köpfe
und unheimlich gewandte Reimschmiede sind in
dieser Gattung seither nicht schon aufgetaucht und
einige Jahre hindurch berühmt gewesen! Und doch
wird allein Heinrich Heine der Name sein,
welchen die Literaturgeschichte verewigt, trotzdem
es heutzutage sicherlich eine sehr große Menge
von Anempfindungs- Virtuosen gibt, welche — wenn
sie sich Mühe geben — echt Heinesche Gedichte
dutzendweise herstellen können! Dagegen haben
sich neben jenen drei größten und ihren Nachfolgern
einige dichterische Pereönlichkeiten geltend zu
machen gewußt, welche, objektiv betrachtet, viel-
leicht und besonders in formaler Hinsicht weniger
Vollkommenes geleistet haben , ali^ manche jener
klassischen Epigonen, und welche ihre Bedeutung
für die Literaturgeschichte nur dem Umstände
verdanken , daß sie irgendeinen neuen Ton au-
geschlagen, eine neue Idee zum Ausdruck gebracht
haben, wie z. B. Lenau, Freillgrath, Beck, Herwegh,
oder wie auf dramatischem Gebiete der genialisch
verlumpte Shakespearianer Grabbe; Otto Ludwig,
der ein gar zu gewissenhafter Denker war, um
ein großer Dichter sein zu können; der allzu
schwerfällige Hebbel neben dem allzu naiven Grill-
parzer; ja endlich gar bloße fleißige Talente, Halb-
dichter, wie Gutzkow und Laube.
Es geht aus alledem hervor, daß nur das Neue
und Eigenartige in der Kunst auf dauernde Geltung
Anspruch machen darf und daß dem gegenüber
selbst die liöchste technische Vollendung, ja selbst
eine größere Vertiefung oder Ausbreitung des
Gedankeninhalts nicht in Betracht kommen.
Für die Musik gilt das vielleicht in noch
höherem Grade als für die Literatur oder gar für
die bildende Kunst, denn die Musik ist eben die
J
Das Epigoneatum in der Huaik
unmittelbarste künstlerische Offenbarung mensch-
licher Eigenart. Nur die bedeutende, charakter-
volle Persönlichkeit vermag hier Bedeutendes,
Charaktervolles zu schaffen. Sa sich aber ein
Charakter nicht willkürlich annehmen läßt, so wird
sich auch naturgemäß am Musiker die Nachahmung
einer seinem ganzen Wesen nicht völlig ent-
sprechenden Form am schwersten rächen. Es
kommt hinzu, daß gerade auf dem Gebiete der
Musik die Versuchung zur Nachahmung noch
stärker an den jungen Künstler herantritt als in
änderen Künsten. Während nämlich die Literatur
das Stiefkind für unsere gebildete Gesellschaft ist.
zum Futter für Backtische und als Mittel gegen
die Langeweile gerade gut genug, teilt sich die
Musik mit der bildenden Kunst in die wirkliche
Teilnahme dieser gebildeten Gesellschaft. Die
Klavierseuche, welche bis in die unteren Schichten
unseres Volkes hinein so unzählige Opfer fordert,
hat sowohl eine außerordentliche Nachfrage nach
neuer Musik, als auch ein ungeheures Heer von
vermeintlich urteilsfilhigen Fachleuten erzeugt. Und
ist es nicht eine alte Erfahrung, daß gerade die
Fachleute die, wenn auch unbewußten, Feinde des
natürlichen Fortschritts und der persönlichen
Eigenart in der Kunst sindV Je mehr Menschen
die nötigen Kenntnisse besitzen, um Kunstleistungen
untereinander vergleichen und nach einem he-
Dm Epigonentnm in der Hm
slimmten Schema einorcinea zu können, desto schwerer ■
wird es dem Künstler gemacht, seiner Natur zu
folgen, seiner Eigenart Geltung zu verachatfen.
Für die Literatur gibt es glücklicherweise
keine staatlich beaufsichtigten Hochschulen. In den
Malerakademien lehre« Meister der verschiedensten
Richtungen, was sie selber können, und die Schüler
suchen sich nach Gefallen ihre Lehrer aus, sobald
sie die Elementark lassen durchgemacht haben. In
den staatlichen Musikschulen dagegen siebt es be-
denklich anders aus. Sie werden Konservatorien
genannt, weil sie den Zweck haben, das alte, xum
Teil längst glücklich Überwundene künstlich zu
bewahren und der lernbegierigen Jugend einen
frommen Abscheu vor allen unbequemen Revolu-
tionären anzuerziehen. Freilich kommt es zum
Heile der Kunst häufig genug vor, daß die Jungen
klüger sind als die Alten und ihren Lehrern ein
Schnippchen schlagen, sobald sie des Scbulzwanges
ledig sind. Trotzdem aber bleibt es bedauerlich,
daß das Durchscbnittatalent, das Mittelgut in der
Musik , durchaus dem Konservatoriumsgeist ver-
fallen ist; denn dieser Geist bedeutet in seiner
zufriedenen Beharrlichkeit die Versumpfung, wenn
nicht gar den offenbaren Rückschritt. Es wird in
diesen Anstalten einerseits ein ödes Virtuosentum,
andererseits eine handwerksmäßige, ziel- und zweck-
lose Musikmacherei ausgebildet , welche für den
Dag Epigonentum in der Musik
wahren Fortschritt besonders dadurch fichädlich
wird, daß die Qherwiegende Mehrzahl der als reif
entlassenen Schüler nachher als Lehrer tätig ist
und dadurch auf immer größere Kreise des musi-
kalischen Publikums Einfluß erhält. Den besten
Beweis far die gänzliche Wertlosigkeit der Kon-
eervatoriumsbildung in bezug auf den eigentlichen
musikalischen Fortschritt bietet die Wahrnehmung,
daß von allen unseren wirklichen Genies, ja auch
von den bedeutenderen Talenten des jüngeren Ge-
schlechts keineinziges aus einem Konservatorium
hervorgegangen ist! Jene Musterschüler der musi-
kalischen Hochschulen, welche Meyerbeer-, Mendels-
sohn- und Beethoven-Preise, Stipendien für Studien-
reisen nach Italien erhielten, enden fast alle sehr
bald als königliche Musikdirektoren, Hochschul-
professoren, Vereinsdirigenten und dergleichen; sie
komponieren Messen, Sonaten, Quartette, Sinfonien,
ja wohl gar Opern, und dennoch kennt nur der Ort,
an dem sie gerade wirken, ihren Namen, und die
Geschichte der Musik wird ihn nie kennen lernen.
Zweifellos sind unter ihnen nicht nur sehr viele
brave Leute, sondern auch sehr viele gute Musi-
kanten, aber gerade die guten Musikanten hängen
unserer jungen Mutter Musika, die so gut zu Fuße
ist und so gerne weit ausschreiten möchte, als
faule Kindlein gar schwer an den Röcken. Sie
sind dasselbe, was die Schriftsteller gegenüber den
T^üTflpiganentiini in der Hai
Dichtern sind; dabei betrachten sie sich aber meist "l
als die eigentlichen Hoter des heiligen Feuers f
und nennen die unbequemen Neuerer Tempel-
schilnder — sie sind die Pfaffen, welche das Dogma j
selig macht, während jene anderen den Gott i
ßnsen tragen und sich von seinem Geiste; umweht I
fühlen, wenn sie aus ihrer eigenen Natur herauBV
unbekfimniert zu schaffen suchen. — Es versteht!
sich, daß in öffentlichen Schulen nicht klassenweiM (
gelehrt werden kann, wie man Kunstwerke hervor- J
bringe; unsere musikalischen Hochschulen sollt«
sich daran genügen lassen, tüchtige Instrumenta«!
listen für das Orchester, gute Klavierlehrer un
brauchbare Dirigenten für den Bedarf der zahllos^l
kleineren Orchester und Gesangvereine heran-'T
zubilden. Alle diese praktischen Musiker masBenn
freilich, und besonders wenn sie im Lehrfach tätige
sein wollen, die Elemente der musikalischen Theori
kennen lernen. Diejenigen , die wirklich innere
Beruf dazu treibt, müßten dann aber behufs ihr«
weiteren Ausbildung als Komponisten und Diri«^
genten die Unterweisung eines Meisters zu
nieäen im stände sein, welchem nicht Titel und^
Stellung , sondern seine Werke selbst
bührenden Rang in der Musikwelt angewiese
haben.
Sache des Staates wäre es, wenn er ein übriges^
für die Musik tun will, solche Meister von Talente
Dae EpigonetitniD in der Musik
Gnaden durch einen besonderen Ehrensold in den
Stand zu setzen, unentgeltlich freie „ Meisterschaler "
anzunehmen. Ganz besonders aber könnten die
reicher unterstützten Hoftheater durch Heranziehung
zahlreicher Freiwilliger, Hospitanten oder wie man
sie sonst nennen wollte, sich ein großes Verdienst
um die Einführung künftiger dramatischer Kom-
ponisten und Dirigenten in die Theaterpraxis er-
werben. Aber freilich, so lange die Intendanten-
Stellungen noch an Militäranwärter und vornehme
Dilettanten vergeben werden, wird die Erkenntnis
des erziehlichen Berufes unserer Hofbtibnen wohl
noch auf sich warten lassen!
II.
In der stillen Zeit, die auf die Erscheinung
eines großen Genies folgt, handelt es sich vornehm-
lich um zwei Dinge: erstens einmal für die aus-
übenden Künstler, die Darsteiler, Orehesterspieler,
Dirigenten, Fachlehrer, um die getreue Bewahrung
des neugewonnenen Stiles; zweitens fUr die selbst-
schöpferischen Künstler um Zurückeroberung der
persönlichen Freiheit. Daß in ersterer Beziehung
die Stilbildungsschule, welche der Bayrtuther Meister
in den letzten Jahren seines Lehens plante. Außer-
ordentliches hätte leisten können, beweist der Um-
stand, daß die zahlreichen, im Laufe der Jahre bei
den Bayreuther Aufführungen oder hei Wagner
^
1
>«■ Epigonentnm in der Muil
persöDlicli lieschaftigten Mftnner fast durchweg
epäterhin natib irgendeiner Richtung sich hervor-
getan oder wenigstens in ihrem engeren Wirkungs-
kreis äehr Tüchtiges geleistet haben. Als solche
Meisterschüler waren aus der früheren Zeit zu
nennen: Hans Richter, der geniale ei-ste Kapell-
meister derWiener Hofoper. und HansvonBülow,
auch der Münchener Musikdirektor Porges,
Alexander Ritter in Würzburg, der hervor-
ragende GeBangstheoretiker und Lehrer Julius
Hey, jetzt in Berlin, und der gleichfalls Berliner
Kapellmeister Carl Klindworth; aus neuerer
Bayreuther Zeit Anton Seydl, Felix Mottl,
Julius Kniese in Breslau, Carl Armbruster
in London, Wilhelm KienzI in Graz, Felix
Weingartner in Hamburg, Engelbert Hum-
perdinck in Bonn, Carl Frank in Rotterdam,
W. Bopp in Karlsruhe und Oskar Merz in
München. Es ist wohl charakteristisch, daß unter
diesen Wagnerschülern , wie man sie wohl nennen
kann, die Namen sämtlicher anerkanntennaßen be-
deutendsten Kapellmeister Deutschlands sich be-
finden ! Und auch die übrigen, dem großen Publikum
weniger bekannt gewordenen , sowie noch manche
andere hier nicht aufgeführte junge Leute sind
durchweg tüchtige Dirigenten geworden und haben
eich zum Teil auch durch ihre Kompositionen als
beachtenswerte Talente erwiesen. Alle haben sie
Du Epigonentom ii
von Bayreuth die Erkenntnis von dem Ernste der
Kunst, ein ünterscheidungs vermögen zwischen echt
und unecht mit ins Leben genommen.
In ganz ähnlicher Weise, nur noch in größerem
Maßstabe, hat Franz Liszt Schule gemacht. Zu-
nächst freilich durch die Ausbitdung von Klavier-
virtuosen; weiterhin ist er aber auch durch sein
begeistertes Erfassen alles Neuen und Eigenartigen
sowie durch das Beispiel seiner eigenen Kom-
positionen den guten Köpfen und den tiefer poetisch
veranlagten Musikern unter seinen Schülern sehr
förderlich geworden. Freilich wüßte ich als Kom-
ponisten seiner Schule außer Peter Cornelius,
Felix Dräsieke, den Ungarn Michalowits,
Eugen d'Albert und vielleicht auch dem später
noch zu erwähnenden Paul Geisler niemanden
zu nennen; und auch diese weisen neben dem Liszts
auch Einflüsse Schumanns, Beethovens und
Wagners auf. Es ist das sehr erklärlich, wenn
man bedenkt, daß Liszt selbst in seinem Schaffen
von Berlioz einerseits und Wagner andererseits
beeinflußt wurde, und daß das Besondere seiner
Werke großen Stils einzig durch die unnachahmliche
Eigenart seiner künstlerischen Persönlichkeit hervor-
gebracht wurde. Von deutscher Musik, von deutschem
Ernste ließ sich Liszt zu seinen wunderbaren Ton-
dichtungen begeistern; dabei war er aber seinem
Wesen nach viel mehr Ungar, ja selbst Franzose,
D«s Epigonenton in der 1
als Deutscher, und daber kommt es, daß in sc
sinfonischen Schöpfungen weit mehr die feurige, oft I
schier zigeunerische Rhythmik und die französisch- 1
geistreiche Harmonik und Instrumentation hiiireiSen-i
und fesseln, als daß der Schwung der melodiscbens
Erfindung zu ergreifen vermöchte. Seine Id"^
strumentatioD ist ebenso raffiniert, aber gröStenteiln
viel wirkungsvoller als die B e r 1 i o z ' , in der]
melodischen Erfindung übertrifft er ihn bei weitem-
und dennoch ist es ihm nur in wenigen Werken-fl
(wie in „Mazepjja" , der „Hunnenschlacht" , detti
„Idealen" und den beiden ersten Sätzen der „Dant»*!
Sinfonie") vollkommen gelungen, das vorauf-f
geschickte poetische Programm zu unmittelbarfl
überzeugendem Ausdruck zu bringen. So wichtig!
er durch sein musikalisches Schaffen für den Fort«J
schritt unserer Musik dadurch geworden ist,
er die Grenzen des bestimmten musikalischen J
drucks innerhalb des rein sinfonischen Stils ab-
gesteckt hat, so gefährlich ist er auch manchen J
grüblerischen jungen Geistern geworden, indem er — 1
besonders in seinen letzten Lebensjahren — sichl
nur allzu bereit zeigte, allem durch Seltsamkeill
Überraschenden Beifall zu zollen und zu weitereoi'fl
Spintisieren und tollkühnem Wagen aufzufordern. I
Wir sind damit auf eine der bedenklichsten |
Erscheinungen des heutigen Epigonentums g&-J
kommen: auf die jungen Talente, welche damit]
i)aa Epigoneatnin in der Hnsik
beginnea, daß sie die Absonderlichkeiten der Alten
nachzuahmen und sogar zu übertreiben suchen. So
haben wir jetzt blutjunge Wagnerianer, welche ihr
Opus 1 im Stile des „Parsifal" schreiben, welche —
ohne daß der poetische Vorwurf sie dazu zwänge —
sich in der verzwicktesten chromatischen Harmonik
ergehen und ängstlich jede einigermaßen sangbare
Melodie zu vermeiden suchen. „Sakuntala" und
„Malawikha", die beiden Opern von Felix Wein-
gartner, haben — hoiTentlich abschreckende —
Beispiele dieser Art geliefert. Unsere jungen Ton-
künetler neuester Richtung haben freilich diese
beiden Partituren als wahre Wunderwerke ange-
priesen, und zwar mit Recht; denn es zeigt sich
darin eine so sichere Beherrschung des großen
Wagnerischen Apparates, daß man hillig über die
riesigen Kenntnisse und das ebenso riesige An-
passungsvermögen des Verfassers staunen muß;
aber dennoch hat das Publikum, das diese Werke
mit achtungsvollem Gähnen an sich vorüberrauschen
ließ, auch recht gehabt! Zufällig hat mir gerade
in diesen Tagen ein großer Stoß Möricke scher
Gedichte , von einem ebenfalls sehr jungen Steier-
märker, Hugo Wolf, in Musik gesetzt, vorgelegen
(53NummerninlOHefteu, Verlag von Em. Wetzler,
Wien), welche für das Lied dasselbe bedeuten wie
Weing artner für die Oper. Auch hierein ernstes
Wollen, ein erstaunliches Können, eine noch viel
||.,.»''aK>''9s3'3#' DM^igoiuntniii in der Vi
tippigere Erfindungskraft und frische Kühnheit : und j
daneben diese krankhafte Scheu vor der Gewöhaticl
keit, die zur ftngstlicheD Vermeidung jeder QU
heute natürlich klingenden Melodiebildung fQhrt^
Der Komponist hat aus den oft recht hamilosen
Gedichten mit Gewalt mystisch tiefe musikalische
Stimmungen herausgeholt und dann über den Text
Noten gesetzt, welche — hin und wieder — sich
in die Harmonien einfügen. Und das soll zum
Klavier gesungen werden ! Unter den liuraoristischen
Stacken finden sich manche, deren Gesangspart in
seinen tollen , schier unmöglichen Sprüngen den
Beckmesser ganz gehörig übertrumpft. Es wäre
denkbar, daß ein Sänger, wenn er ein Vierteljahr
lang Heißig studiert, auch das schwierigst« von
diesen Liedern singen lernen könnte und daß, wenn
dann auch die Klavierstimme vollkommen im Geiste
des Komponisten ausgeführt würde, das Ganze den
beabsichtigten Eindruck hervorriefe — aber was
wäre damit gewonnen? Wohin sollen diese Be-
strebungen überhaupt führen, wenn man gar schon
dem unglückseligen Klavier zumuten will, was nur
ein vorzügliches Orchester zu leisten vermag!?
Peter Cornelius besitzt entschieden mehr
Eigenart in der Erfindung als die meisten der
heutigen jungen Neudeutschen. Unter seinen Liedern
finden sich zahlreiche echte Perlen, und seine
Oper „Der Barbier von Bagdad" ist so-
^K komiscbe
^m 36 s.5^
Dbb Epigonentum in der Musik
wohl poetisch wie musikalisch das Feinste und Merk-
würdigste, was in dieser Gattung die neue Richtung
hervorgebracht hat. Und dennoch zerstört sich
gerade dieses Werk den besten Teil seiner Wirkung
durch die außerordentliche Schwierigkeit der Aus-
führung. Es wird sich sehr selten oder nie eine
Bühne finden, an welcher sämtliche Sänger ihren
Rollen ganz gerecht zu werden vermöchten, und
außerdem ist die harmonische Struktur für den
leichten Ton der komischen Oper eine viel zu ver-
wickelte, als daß selbst musikaüBch gebildete Ohren
ihr üherall zu folgen vermöchten. Das ist eben
der große Unterschied zwischen Wagner und seinen
Epigonen, daß jener als erfahrener Theaterpraktiker
selbst bei den kühnsten Wagnissen die Bühnen-
wirkung genau vorhersah, diese aber ganz unge-
zügelt nicht nur ihren Eingebungen folgen, sondern
auch ihrem Hang zum mühsamen Ertüfteln nach-
gehen. Außerdem wahrte Wagner auch in der ver-
wickeltsten motivischen Arbeit immer den großen
Atem, der ganze Szenen hindurch aushält und sogar
gegen den Schluß hin immer mehr anschwillt,
während seine Nachahmer, besonders aber die durch
Liszt beeinflußten, über ihrer ängstlichen Klein-
malerei das Ganze vergessen. In diesem letzteren
Umstände ist wohl hauptsächlich der Grund für
die Zurückhaltung des Publikums gegenüber so
manchem durchaus nicht talentlosen Werke der
Das Epigonentum in der Mi
jüngeren Opernkomponisten zu suchen. „Helianthua"
yon A. Goldschniidt. „Gudrun" von Drftsieke,
„Urvasi" von Kienzl sind mir leider nicht bekannt,
doch darf ich wohl vermuten, daß sie an denselben
Fehlern kranken werden wie die oben geschilderten
Werke, denn sie haben sich eben auch die Bühne
nicht zu erobern vermocht. Daß bei den meisten
dieser Musikdramen der undramatische Charakter
der Texte schwer mit ins Gewicht fällt, versteht
sich ja von selbst. — Die direkten Anklänge an
Wagner sollten übrigens seinen Schülern am wenigsten
verübelt werden , denn sie sind tatsächlich unver-
meidlich, sobald man sich einmal in der Tonsprache
des Meisters ausdrücken will, Wagner hat in seineu
Werken doch wirklich schon für alle Schattierungen
menschlicher Leidenschaft, für alle denkbaren Natur-
stimmuDgen einen so treffeuden musikalischen Aus-
druck gefunden, daß die melodischen und harmoni-
schen Wendungen, deren er sich dafür bediente,
als typisch in das Bewußtsein des jungen Geschlechts
übergehen mußten. Sicherlich sind viele jener leicht
erkennbaren Anklänge dem Komponisten ganz un-
willkürlich, wie eigene Eingebungen, zugeflossen.
Das ist den Epigonen immer so gegangen — oder
sehen sich nicht vielleicht die Andantes und Scherzos
der H a y d n - und Mozart- Schüler auch so ähnlich
wie nur irgend möglich'-'
So starke Wagner-Erinnerungen wie bei Anton
r
I
Das Epigonentnm in der Musik
Brückner dürften sich bei wenigen anderen Kom-
ponisten der Richtung vorfinden, und doch ist gerade
Brückner in der Erfindung der Reichet« des ganzen
Geschlechts, soweit ich es zu tiberschauen vermag.
Er hat wagnerische Melodik und Instrumentation
auf die alte Form der Sinfonie Übertragen und
sucht die vier Sätze derselben durch ein poetisches
Programm in inneren Zusammenhang zu bringen.
Dies Bemühen mag ein fruchtloses sein, denn die
neue Lisztsche Form der sinfonischen Dichtung ist
ohne Zweifel der eigentliche Tummelplatz für die
neudeutsche Musik , aber Brückner hat doch dem
alten willkürlichen Gebilde in einigen seiner Werke
ein Scheinleben einzuhauchen verstanden, indem er
wuchtige, sprechende Themen erfand, sie nicht nur
künstlich zu verschlingen, sondern auch in leiden-
schaftlicher Steigerung auszugestalten wußte. Und
dazu diese, wenn auch manchmal zu schwülstige,
so doch stet^ ausdrucksvolle und glänzende In-
strumentation. Er entlehnt dabei so naiv, daß man
seine Freude daran haben muß , wenn man kein
engherziger Philister ist. In einer mühsamen
Mosaikarbeit stören die Anklänge gar sehr, aus
einem frisch quellenden Strome der Empfindung
dagegen sehen wir sie mit behaglichem Lächeln
aufsteigen. Damit soll freilich nicht gesagt sein,
daß unverzagte Nachahmung der richtige Weg für
die Zukunft sei. Es wäre freilich sehr leicht, aus
Uae EpigoDentum in der Unrik I
Wagners Opern und Liazta sinfonischen Dichtungen 1
eine beliebige Menge neuer dramatischer und sin-J
foniacher Musikwerke herzustellen; mit einigem J
Talent und der nötigen Begeisterung zurechVJ
gestohlen, würden solche echte Wagners undJ
Liszte, wenn nur die neuen Texte gut auf den Noteafl
s&&en, wahrscheinlich leichter wirken, als alle diel
Werke der Obengenannten es vermocht habeall
Aber da das nun einmal nicht geht, so muS nuutl
leider den jungen Komponisten die harte Zumutung^«
stellen, daß ihnen selber was einfallen solle. 1
Auch der schon erw&hnte Felix Dräsicke 1
hat sich , da ihm auf dramatischem Gebiete kein J
Erfolg blühte, in der alten Sinfonieform versucht,«
ohne daß es ihm jedoch gelungen wilre, trotz alleafl
Aufwandes kontrapunktischer Kunst und modemerl
Melodik etwas Einheitliches, Neues und Packendeia
zu schaffen. Auch ihm fehlt, wie allen Lisztianem^J
der große Atem. Seine gelungensten Werke dürften»!
die Ballade „Helgis Tod" und sein „Requiem" sein«'!
Alle übrigen Sinfoniker wandeln in den Bahnen«
Beethovens und Schumanns, allen voran Johanneftfl
Brahms, der sich mit Vorliebe den Erben.!
Beethovens nennen hört. Die Gunst des musikalisclll
gebildeten Publikums hat er sich sicherlich weita
mehr durch seine Lieder und Kammermusiken alM
durch seine Sinfonien erworben, und diese letzteren!
sind hauptsächlich aus dem Grunde zu einer so1ch»J
Das Epigonentum in der Musik 4F%>'^''''S''^''*'£-'^''^
Wichtigkeit innerhalb der deutschen Musik-
geschichte emporgeschraubt worden, weil die Eon-
servatoriumsleute durchaus einen Trumpf gegen
Wagner bereit haben mußten. Auch die Bekehrung
Hans von Bülows, des Konzertdirigenten, von
Wagner zu Brahms hat seinen Ruhm machtig
stützen helfen. Aus meinen frtlheren Ausführungen
geht es hervor, weshalb Brahms für den eigent-
lichen Fortschritt der Musik nach der Richtung
des erhöhten poetischen Ausdrucksvermögens dieser
Kunst 80 wenig in Betracht kommt. Noch weniger
haben freilich jene liebenswürdigen Leipziger zu
bedeuten, welche mit ihrem sinfonischen Schaffen
noch ganz in der Richtung Mendelssohn-Schumann
stecken geblieben sind. Immerhin aber haben sie,
wie z. B. Carl Reinecke, sauber gearbeitete,
wohlklingende und daher auch leicht faßliche
Instrumentalwerke geschrieben.
Auch unter den Opemkomponisten begegnen wir
noch einigen Vertretern der älteren Richtung, wie
z. B. Franz von Holstein, der am meisten an
Marschner erinnert, und dem höchst talent- und geist-
vollen Schumannianer Hermann Götze, dessen
Oper „Die Bezähmung der Widerspenstigen" ohne
Zweifel das Beste ist, was diese Richtung des Epi-
gonentums hervorgebracht hat. Es fehlt nur eins
daran: jener große dramatische Zug, an den Weber
und Wagner uns nun einmal gewöhnt haben und ohne
Uiu EpiguueDtam in der Mi
den es auch die feinste konzertmftßige Musik
keiner Dachhaltigen Bahoenwirkuug bringen kann.
Es darf uns nach dem Gesagten nicht wunder-
nehmen, daB einigermaäen nachhaltige dramatische
Erfolge nur von solchen Leuten davongetragen
wurden, welche, mochten sie sonst ihren Stil her-
nehmen woher sie wollten, doch wenigstens Theater-
Hut besaßen und die leidenschaftliche Bewegung,
die langatmige Steigerung sowie den notwendigen
äaSeren Glanz geschickt nachzuahmen wußten. Zu
dieser Gattung gehört Carl Goldmark, dessen
„Königin von Saba" zwar in erster Reihe auf
Wagnersche EinUttsse zurückzufahren ist, aber durch
den orientalischer Charakter der Melodie und die
ganz internationale Rhythmik und Instrumentation
einen gewissen originellen Reiz gewonnen hat. Gold-
mark ist bei weitem kein so guter Buhnenkenner
wie Meyerbeer, aber er teilt mit iliesein und anderen
Stammesgenossen die Fähigkeit, aus allen Stil-
gattungen (las Modernste und EifektvoUste heraus-
zuspUren und mit bedeutender Kunstfertigkeit zu-
sammenzustellen. Ja, er weiß auch die seiner Rasse
eigene Sentimentalitftt unter Anwendung der äußeren
Mittel Wagnerischer Leidenschaft zu einem gewissen
BchwQlstigen Gefühlstaumel zu steigern, der wohl
fähig ist, über den Mangel an wahrer Leidenschaft
hinwegzutäuschen. Mit weniger künstlerischem
Ernst, aber ebenso glücklicher Auswahl des ober-
inn. '■
i
Das Epigoaentuin in der Musik j^4.>4$N£,«tCN£,,>^>i||i
fläehlich Wirkungsvollen hat EduiundKretzsch-
ra a r sicli die Bühne zu erobern verstanden. Seine
„Folkunger" setzen sich zusammen aus einem guten
Teil Männergesangvereins-Singsangseligkeit und je
einer beträchtlichen Portion Meyerbeer und Wagner
— bis zum „ Tannhäuser ", Aber seine Musik ist
doch flüssig und frisch klingend, und über ihren
Erfolg kann man sich daher gar nicht wundern.
Weit mehr künstlerischen Ernst entfaltet Philipp
Rufer in seinem „Merlin" — allerdings auch etwas
mehr Langeweile. Ein echter Vertreter des Epi-
gonentums in allem, was ihm gelingt und mißlingt.
Der erfolgreichste Opernkomponist unserer Tage,
ViktorKeßler, kann sich mit den Obengenannten
als Künstler durchaus nicht messen. Er verdankt
seine großen Erfolge in erster Reihe der Beliebt-
heit der Dichtungen von Scheffel und Wolff, die
seinen Opern zugrunde liegen, sodann aber auch
seiner beneidenswerten Unbefangenheit, mit der er,
sich den Teufel an irgendwelche Stilvorschriften
kehrend, sein Liedchen pfeift, wie ihm der Schnabel
gewachsen ist. Das wäre ja nun auch sehr schön,
wenn er ihm nur ein wenig feiner gewachsen wäre,
und wenn er nur ein klein wenig besser instru-
mentieren könnte ! Er reicht meines Erachtens
in der melodischen Erfindung an die Meister des
harmlos-sentimentalen Liedes, F. G umbeut und
Franz Abt, lange noch nicht heran, aber bei dem
Dos Epigonentum in der Hnaik'
Mangel an etwas BeRsereni nimmt rias ungeheuer
große klavierklimpermle und gosangstßmpenide
Publikum, welches an dieser Gattung hauptsächlich
seine musikalische Befriedigung tindet, den „Trom-
peter", „Ratteuf&nger" usw. inzwischen dankbar
hin. Sehr erklärlich und wohlverdient ist dagegen]
der Erfolg des „Goldenen Kreuzes" von Igna
Brüll, dessen liebliche Melodien wohl noch Iftugf
Zeit frisch bleiben werden. Steigen wir tiefe
hinab, so sehen wir, daB die Epigonen der grofim^
Meister der leicht geschürzten Muse, Offenbacli'
und Johann Strauß, schon f;ist dahin gelangt
sind, durch ihre klägliche Nachäfferei der Operette
gänzlich den Garaus zu machen. Das wäre freilicli
kein Unglück, wenn uns nur an ihrer Statt eine
neue deutsche komisehe Oper beschert würde ! Na^
einer solchen schmachtet unsere Opernbilhne ni
schon gar lange vergebens; aber freilich, die könnl
nur ein OriginalmeuBch und ein Vollbluttalent um
schaffen und keiner unserer mit so vielen Hundea
der Weisheit gehetzten Epigonen!
III.
Wir haben aus der voraufgehenden Betrachtung -1
erkannt, welchen Gefahren das Schaffen der Epigonm 1
ausgesetzt ist, und wie sie fast alle mehr oder!
weniger diesen Gefahren sich nicht zu entziehen!
wußten. So manchen ernsthaften, ehrenwerten 1
1
ie ^
I
Du Epigonentom in der Musik
Bestrebungen mußten wir einen eigentlichen Wert
für die Entwickelung der musikalischen Kunst ab-
sprechen und so mancher wohlbekannte, hoch-
geachtete Name mußte dabei genannt werden. Sollte
sich denn aber wirklich in der so überreichen Muaik-
produktion der Gegenwart gar nichts finden lassen,
was uneingeschränkten Lobes würdig wäre oder
wenigstens hoffnungsvolle Keime für zukünftige
fruchtbare Entwickelung in sich bärge? Glücklicher-
weise darf diese Frage wenigstens im Hinblick auf
das moderne Kunstlied bejaht werden. Man
kann wohl behaupten, daß noch nie zuvor in Deutsch-
land der Durchschnitt des in dieser Gattung Ge-
leisteten auf einer solchen Höhe stand wie heute.
Von Schubert über Mendelssohn, Schumann, Robert
Franz, Curschmann usw. entwickelt sich die feinere
Kunstform des Liedes mit Klavierbegleitung immer
reicher und führt zur Ausgestaltung eines eigen-
artigen Stils, Es versteht sich von selbst, daß auf
die Melodik des Liedes, wie auch auf die harmonisch
immer reicher werdende Begleitung die Einflüsse
der verschiedenen Meister sich geltend gemacht
haben; aber das, was anfänglich vielleicht bewußte
Anlehnung war, ist unvermerkt dem jüngeren
Musiker gesehleeht in Fleisch und Blut überge-
gangen. So hat sich die Schubertsche Melodien-
frische mit Schumannscher Sinnigkeit und den
Wagnerschen Anforderungen an richtige Dekla-
Dfta Bpigonentain in d«r Hnal
matiOD und innigen Anschluß an die poetische
GrundBtimmuDg zu einem Ganzen verschmolzen,
welches in der Tat einen neuen und auch nationalen
Stil darstellt. In der Gattung des vornehmen Liedes
haben eo außerordentlich viele Kompouisten ihr
Gutes geleistet, daß uibü einige Dutzend aufzählen
müßte! Unmöglich kann ein Mensch diese vielen
hundert Kompositionen soweit im Gedächtnis haben,
um sie gerecht zu beurteilen. Wenn ich daher hier
einige Namen herausgreife, so sind das solche,
welche entweder besonders oft genannt werden oder
zufällig gerade mir näher bekannt geworden sind.
Andere mögen wieder andtre kennen und mit dem-
selben Rechte hochschätzen. In diesem Sinne seien
hier genannt: Georg Hendschel, Kiedel mit
seinen wunder\'ollen „Trompeterliedern" ; Lassen,
der freilich viel französische Elemente in seinem
Stile zeigt; Jensen, bei dem allerdings manch-
mal die reiche Begleitung zu wahren KlnvieretQden
ausartet; ferner — wie oben schon erwähnt —
Brahms; Leßmann mit einigen sehr feurigen,
schwungvollen Sachen; R, Fuchs, der sich durch
packende Melodie und vornehme Hurmonie aus-
zeichnet ; Heinrich Hofmann, der, so ungemein
fruchtbar er ist, doch niemals trivial wird; Martin
Plüdderaann mit seinen Balladen; F. Klose,
ein noch wenig bekannter junger Tonsetzer, dessen
Opus 1 — 5 (Lieder und Gesänge, bei F. Luckhardt
ische ^^M
Izen, ^^
Das Epigofientnm in der Hasik
in Berlin erschieneo) mir ganz kürzlich in die
HAnde kamen und ein starkes, liebenswürdiges
Talent verraten, das trotz oft kühner Harmonik
sich die Frische des Gesanges nicht beeinträchtigen
läßt. Besonders hervorgehoben zu werden verdient
Hans Sommer, der in seinen zahlreichen Lieder-
heften (in der Littolfschen Sammlung erschienen)
eine über den Durchschnitt erheblich hervorragende
Begabung für das Treffen der poetischen Stimmung,
sei dieselbe humoristisch oder ernst, beweist. Aller-
dings verfällt auch er hin und wieder in den Fehler
manches Geringeren, daß er zu viel charakterisiert
und dadurch den Fluß des Ganzen hemmt; doch
gelingen ihm die meisten, und besonders die humoristi-
schen Lieder so ausnehmend, daß er eine erste Stelle
unter den Komponisten der Gegenwart beanspruchen
darf. Ihm ist das Wesen der Wagnerschen Kunst
in Fleisch und Blut übergegangen, ohne ihn doch
zum Nachahmer zu machen.
Über August Bunge rt, der sich gleichfalls
durch eine stattliche Anzahl von Liederheften (meist
bei Luckhardt erschienen) eingeführt und seither
durch seinen großen Plan einer Tetralogie „Homeri-
sche Welt" in musikalischen Kreisen viel von sich
reden gemacht hat, konnte ich bisher nicht ins
klare kommen, da ich nie etwas von ihm aufführen
hörte; ich habe nur seine Liederhefte und den
Klavierauszug seiner „Nausikaa" durchgelesen und
wenigstens in den erstenLiedern viel echte Empfindung
tmd Unbefangenheit in der Erfindung, besonderen
Reichtum und fest ausgeprägte Eigenart aber nicht
entdecken können. Mit seiner dramatischen Tetra-
logie scheint er mir seinem Können zu viel zu-
gemutet zu haben. Seine Vorrede zu „Nausikaa"
verspricht die tiefinnigste Gedankenmusik, aber die
Partitur zeigt ein recht harmloses Gesicht von alt-
gewohntem Opernschlage. Abgesehen davon, daß
das Nausikaa-Idyll Oberhaupt kein dramatischer
Vorwurf ist, läßt weder Eungerts Poesie noch seine
Musik dazu irgendwo die Löwcnklaue erkennen.
Ich bin überzeugt, daß er sehr hübsche, für das
Theater brauchbare romantische Opern im älteren
Stile schreiben könnte; aber worauf sich gegen-
wärtig die aberschwengliche Bewunderung seiner
Verehrer gi-ündet, das ist mir, wie gesagt, noch un-
verständlich. DaßBungert kein mühseliger und be-
ladener Wagner-Nachahmer ist, gereicht ihm jeden-
falls zum Vorzuge. Vielleicht kommen in dem
Hutten-Sickingen- Festspiel, das heuer in Kreuznach
aufgeführt werden soll, auch seine positiven künst-
lerischen Eigenschaften zu überzeugender Geltung.
Wer sollte da nicht seine Freude daran haben?
Ich habe schon oben mit dem Hinweis auf die
Unmöglichkeit, alles zu kennen und im Gedächtnis
zu behalten, dem Vorwurf vorgebeugt, daß ich den
und jenen irgendwo im Verborgenen blühenden
Das Epigonentum in der HoBik
Genius vor andern, vielleicht minfier bedeutenden,
tibersehen hätte. Es ist das um so eher möglich,
als ein wirklich eigenartiger Komponist heutzutage
schwerer denn je in die Öffentlichkeit dringt, wenn
nicht ein berühmter Dirigent wie Bülow, berühmte
ausübende Künstler oder mindestens eine energische
Ruhmesagentur sich seiner annimmt. Am alier-
schwierigsten ist es für einen solchen, sich eine
Bühne zu erobern; denn unter unseren Theater-
leitern und Kapellmeistern gibt es nur sehr wenige,
welche überhaupt die Fähigkeit besitzen, eine
kräftige Eigenart zu erkennen. Das mangelhafte
Kunstverständnis und die Furcht vor dem möglichen
Geldverlast lassen diese Herren vor dem Ansinnen,
ein noch unerprobtes dramatisches Werk von einem
unherühmten Verfasser einzustudieren, ängstlich
zurückschrecken. Wenn also die Öffentlichkeit die
großen Bühnen- oder Konzertwerke noch nicht ge-
hört hat, welche wirklieh das Neue, die Hoffnung
für die Zukunft bedeuten , so ist damit durchaus
nicht gesagt , daß solche Werke nicht vielleicht
doch vorhanden sind. Ich muß es daher als einen
seltenen Glücksfall preisen, daß es mir vergönnt
war, seit einer Reihe von Jahren mit der Person
und den Werken eines jungen Komponisten vertraut
zu werden, den ich innerhalb des JammerwesenB
des Epigonentums als eine Äusnahmeerscheinung,
als einen Charakter von bereits fest ausgeprägter
Das Epigoneutum in der Mtu
Art bezeichnen darf. Dieser Mann heißt PaulJ
Geisler. Er ist 1856 in Marienburg aus musikali*!
scher Familie geboren und bat, obwohl Reine 1
gabung frUh genug hervortrat, sich immer mehrl
um allgemeine, aU um die einseitige Musikantea-j
bildung bemüht. P> bezog die Universität Leipz^^
und vollendete gleichzeitig Iwi Privatlehrern i
theoretischen Studien in der Musik. Sein erstes 1
Werk war eine Reihe höchst merkwürdiger Klavier- ]
stücke, die unter dem Titel „Episoden und Monologe'
bei Bote u. Bock in Berlin erschienen und alsbald^
nicht geringes Staunen in ernsten Musikkreisentfl
und auch die Bewunderung Liszts erregten. EhT
sind eigentlich sinfonische Dichtungen im kleinen]
Eahmen — für Klavier nur übertragen. Höchst 1
bezeichnend gewählte Motti deuten den poetischea
Zusammenhang an und eröffnen einen tiefen Ein- |
blick in die Psychologie des Künstlerlebens. Er ,
schrieb dann eine Oper , Ingeborg" zu einem un-
möglichen Text von Peter Lohmann (Klavierauazug
gleichfalls bei Bote u. Bock erschienen) und bewies j
darin, trotz der naivsten Anklänge an Wagner,
eine echt dramatische Leidenschaft und eine sichere J
Empfindung für Bühnenwirkung. Das Werk wurde, l
später mit starkem Erfolg in Bremen aufgeführt, ]
konnte aber seines undramatischen „Buches" wegen ]
nicht weiter dringen. Inzwischen hatte Geisler 1
seine praktische Tätigkeit ganz dem Theater ge- 1
widmet, zuerst als Korrepetitor an der Leipziger
Oper, dann als zweiter Kapellmeister an Ä. Neu-
manns reisendem Richard Wagner- Theater. Das
Beispiel Anton Seidls und das bewegte, leiden-
schaftliche Zigeunerleben auf jener berühmten
Wagner-Reise durch England, Niederlande, Deutsch-
land und Italien waren von bedeutender Einwirkuug
auf seine künstlerische Entwicklung. Er war
nach Neumanns Weggang noch einige Zeit in
Bremen als Kapellmeister angestellt, zog sich dann
aber vom Theater zurück, um nach langer Unter-
brechung wieder selbst schaffend tätig sein zu können.
Einige kleinere sinfonische Charakterstücke, „Der
Rattenfänger", „Eulenspiegel" u, a. waren besonders
durch ihre pikante Instrumentation aufgefallen,
aber doch nicht bedeutend genug, um neben anderen
Werken ähnlicher Art, wie z. B. den reizenden
Sachen von M. Moszkowski, eine besonders nach-
haltige Wirkung ausüben zu können. Nun aber,
in seiner Berliner Muße, schuf Geisler eine Reihe
großer sinfonischer Dichtungen: „Faust", „Abasver",
„Maria Magdalena", „Merlin", die er durch Chor-
und Sologesänge verband und unter dem Titel
„Golgatha" zu einem einheitlichen Ganzen zusammen-
faßte. In diesem hochbedeutenden Werke ist er
von der Lisztschen Art zuerst mit aller Bestimmt-
heit abgewichen, indem er nicht für jeden Charakter
und jede Stimmung des poetischen Vorwurfs ein
Das Epigonen tni
besonderes Motiv erfand, welches ja doch dem 5
hörer ohne ein genaues Programm gar wenig t
und nur den Fluß der Emptindung sowie die
musikalisch-formale Entwicklung in Verwirrung
bringt, sondern vielmehr den Emptindungsgehalt
der zugrunde liegenden Dichtung in Musik auf-
löste und nur die wichtigsten inneren Konflikte i
durch kontrastierende Motive darstellte. Diese ]
Motive sind so plastisch, wuchtig, sich fest ein-
prägend wie bei keinem Wagner-Epigonen. Dabei '
ist die musikalische Form fest gefügt und knapp,
der Rhythmus von Leidenschaft durchpulst und die
Harmonik verhältnismäßig einfach — für den
raffinierten neuesten Geschmack sogar zu einfach.
In der Sicherheit des Aufbaues, der Kunst der
Steigerung, dem vollsaftigen Temperament des
Ausdrucks übertrifft Geisler kein mir bekannter
Komponist der Gegenwart. Allerdings ist bei soviel
Licht auch etwas Schatten. Im Zyklus „Golgatha'
treten freilich Geislers Schwächen weniger hervor
als in dem Gegenstück dazu, dem Zyklus ,Sansara',
welcher eine Reihe von Chorwerken und Einzel-
geaängen mit Orchesterbegleitung umfaßt, welche
der Welt Lust und Wehe darstellen , Naturpoesie
und Liebe in allen Gestalten. Diese Schwächen
bestehen in der Neigung, durch Übertreibung des
ihm eigenen Pathos in die Phrase zu verfallen, die
manchmal sogar trivial wird, in dem oft eintönigen
J
Das Epigonentnin in der Musik # e^ g'<.><''^.-g>#
Verranntsein in einen BegleitungBrhythmus , eine
Äkkordverbindung, und endlich in der oft recht
argen Vernachlässigung der richtigen Deklamation,
wenn gerade die Symmetrie der Melodiebildung
eine solche schwierig macht. Beide große , einen
ganzen Kouzertabend ausfüllende Werke sind im
Zusammenhange noch nirgends aufgeführt worden.
Die Klavierausztlge von „Golgatha" wie von „San-
sara", von dem begeisterten Vorkämpfer der Geisler-
schen Richtung, Dr. F. Spiro, äußerst sorgfältig
ausgearbeitet, sind vor kurzem bei Baabe u. Plothow
in Berlin erschienen. Geislers neuestes Werk ist
eine Oper „Hertha", die in der nächsten Spielzeit
in Hamburg zur Darstellung kommen soll , und
welche dadurch besonders neu wirken dürfte, daß
sie das Rezitativ ganz verschmäht und ihr Heil
allein in der Melodik sucht.
Die Hoffnung für die nächste Zukunft der
ernsten deutschen Musik scheint mir in der Tat
auf dem zu beruhen, was die Geislerschen Werke
zum ersten Male mit Bewußtsein anstreben. Voraus-
gehen muß einerseits die Befreiung von dem zunft-
mäßigen Musikantentum Mendelssohnscher Erb-
schaft, wie von der ohnmächtigen Wagner-Nach-
äfferei, andererseits die Erkenntnis, daß eine
Programmusik im Berlioz-Liszt-Stile zur unver-
ständlichen und unnatürlichen Flickarbeit werden
muß. Was die Musik mit den Mitteln, die wir
Das Epigonentum in der Mnaifc 4
heute kennen, ohne Text und Programm ftlr jeden
verfitfindlicb auBdrücken kann, das ist der Kampf <
der MenBchenseele um die Freiheit, das Ringen aus
Nacht zum Licht , das Sehnen und Schwärmen,
Liebestauniel, helle Freude, dumpfer Schmerz, Wut-
beben, Vernichtungsschrecken, stille Ergebung und
selige Erlösung. Bas ist wohl genug des Inhalts,
um unendlich neue Formen zu erfüllen ! Vor allen
Dingen aber heiSt es, sich die Unbefangenheit
zurückerobern und die Angst vor der eigenen kleinen
Persönlichkeit Hberwinden :DiePersönIichkeit
ist alles in der musikalischen Kunst! Da
gilt es nur, die Form zu Jinden, die der Persönlich-
keit angemessen ist, und sich dabei zu bescheiden.
Selbsterkenntnis ist sehr wohl mit Selbstvertrauen
zu vereinigen, und nur die Wiedergewinnung der
ruhig'Uberzeugten, persönlichen Freiheit kann von
dem Fluche des Epigonentums erlösen.
Humor und Naturalismus
(1890)
Humor und Naturaiianias
Wenn ich nur wüßte, was man sich heut-
zutage hei dem Worte Naturalismus zu denken
habe! Yor ein paar Jahren glaubte ich das ganz
genau zu wissen, zu jener Zeit, als man sich bei
uns in Deutschland über Zolas Schamlosigkeit zu
beruhigen und ihn allgemein künstlerisch ernst zu
nehmen begann. Damals waren die Schlagworte aus
seinen kritischen Schriften in aller Munde, und man
verstand im Gegensatz zu dem längst bekannten
und geschätzten Realismus unter dem Naturalis-
mus eine quasi wissenschaftliche Beobachtung der
Natur, eine unerschrocken analytische Darstellung
seelischer Vorgänge , zum Zwecke treuester
Spiegelung der Wirklichkeit in der Kunst. Die
I Phantasie wurde nicht nur für die bildenden Künstler,
sondern sogar für die Dichter außer Dienst gestellt
und mit dem frei gewordenen Vermittleramt zwischen
Stoff und Darstellung das Temperament betraut.
Mit andern Worten : das Handwerkszeug des Dichters
sollte aus Seziermesser, Sonde, Mikroskop und Re-
Humor nnd Natoralismiu
agensglas bestehen, seine Bücherei nur die bahn-
brechenden Werke der neuen naturwissenschaft-
lichen Schule enthalten und die individuelle Be-
leuchtung der also wissenschaftlich gewonnenen
Forschungsergebnisse nur durch das Temperament
des Forschers erfolgen dürfen. Scheinbar genügte
ja dies letztere Zugeständnis an die Subjektivität,
um der Kunst noch einen Vorzug vor der Wissen-
schaft zu retten, aber auch wirklich nur scheinbar.
Denn es stellte sich bald genug heraus, da6 eigent-
lich nur der Choleriker und der Melancholiker zum
naturalistischen Dichter im Sinne Zolas tauglich
sei, weil der Sanguiniker eben der geborene Idealist
ist, der sich Hoffnung und Glauben selbst durch
persönliche und wissenschaftliche Erfahrung nicht
gern nehmen läßt, und der Phlegmatiker der Philo-
sophie der allgemeinen Wurschtigkeit zu huldigen
pflegt, deren fruchtbarem Boden in Kunst und Leben
wohl manch nützliches Futterkraut entsprießen mag,
schwerlich aber eine Dichtung, welche durch Rück-
sichtslosigkeit auf jeden Fall die behagliche Ge-
wohnheit zu stören geeignet ist. Zolas eignes
schwarzgalliges Temperament führte ihn ganz natur-
gemäß darauf hin, überall im Menschen die Bestie
zu sehen, und auch die russischen und skandinavi-
schen Naturalisten waren, mit Ausnahme des früheren
Tolstoi, melancholischeGrübler oder haßgeschwollene
Choleriker, welche in ihrer Kunst hauptsächlich
I
eine Befreiung von dem unerträglichen Drucke
äußerer Verhältnisse und geistiger Beschränkung
suchten , unter dem sie selbst litten und ihr Volk
leiden sahen. So kam es, daß der Naturalismus
sehr bald gleichbedeutend wurde mit der Literatur
der Entrüstung oder der Anklage, wie mau besonders
die russische treffend genannt hat.
Schlimm wurde die Sache, als der Naturalis-
mus bei uns in Deutschland Nachahmer fand. Die
Voraussetzungen des politischen und geistigen
Druckes, von denen die Russen ausgingen, die
Enge des Horizontes , die Kleinlichkeit der Ver-
bältnisse, welche die Skandinavier entrüstete, fehlte
bei uns, und so kam es, daß vorzugsweise die
französischen Naturalisten die Vorbilder für unsere
Jüngsten wurden. Aus allen Provinzen des deutscheu
Kelches und der angrenzenden Dörfer strömten
titanische Jünglinge besonders hier in Berlin zu-
sammen, um auf dem heißen Pflaster der Weltstadt
ihre Studien zu machen. Hier, wo die großen
Gegensätze so hart nebeneinander stehen, wo man
der Zeit so unmittelbar an den Puls fühlen, wo
man Gut und Blut so leicht verwetten kann am
Totalisator auf der Bennbahn des Daseinskampfes,
hier durften sie alle hoffen, die herrlichsten Stoffe
und die herrlichsten Entrüstungsmotive zu finden
— denn der gute Wille zur Entrüstung war bei
. wbr vielen dieser jungen Herren der einzige vor-
Humor und NaturalUmua
weisbare BerechtigungsBchein zum Betreteu des
modernen ParnasEes. Die langen , mühsamen und
ernsthaften Vorarbeiten hatten ihnen ja die Flaubert
und Zola schon geleistet. Daß der Mensch unter
allen Umständen nur eine mehr oder minder gut
verkappte Bestie, das ganze Dasein bestenfalls ein
schlechter Witz sei, das galt ihnen ja bereits als
unamstößliche Tatsache. Sie hatten also eigentlich
nichts anderes zu tun , als das Lied von der häß-
lichen Einrichtung nach möglichst neuer, nerven-
kitzelnder Melodie zu singen. Ihre Lebenserfahrung
• war meistens eine sehr geringe, und das Leben in
der Großstadt trug viel mehr dazu bei, ihren Gesichts-
kreis zu beschränken als ihn zu erweitern.
Sie fingen sich in den Spinnennetzen des
Zigeunertums , die hier in Berlin und in andern
Kunststädten sich Über so manchen behaglichen
Eneipenwinkel anspannen. Da führten die Cho-
leriker, die Grundsatzfanatiker das große Wort —
und Grundsätze und große Worte haben von jeher
auf die Jugend eine gefährliche Verführungskunst
ausgeübt. Idealisten, das darf man wohl sagen,
sind diese jungen Musensöhne alle gewesen, die
sich dem Naturalismus in die Arme warfen, und
Idealisten sind auch fast immer Pathetiker, be-
sonders wenn sie nicht auf der Menschheit Höhen
geboren sind , sondern sich aus dämmeriger Tiefe
emporgearbeitet haben. Ich bin in den acht Tagen,
r Humor und NntoraliBmUB
die ich nuD in Berlin hause , den meisten unserer
jüngatdeutschen Naturalisten persönlich nahe ge-
treten und habe oft Gelegenheit gehabt, einen Blick
in ihre Werkstatt zu tun. Ich stelle daher keine
vage Behauptung auf, wenn ich die Genauigkeit der
Beobachtung und den Wahrheitswert in ihren
Schriften in Zweifel ziehe. Irgendeine Zeitungs-
notiz, eine Verbrecherstatistik, ein Gesellschafts-
skandal bildet für sie den Ausgangspunkt ftlr die
großartigste moralische Entrüstung, die mit Be-
gierde den einzelnen Fall zum Typus erhebt und
um eines räudigen Schafes willen ganze Herden
vor ihr Schlaehtmesser fordert. Besonders den
armen Frauen ergeht es da recht schlimm. Die
jungen Poeten mit der bleichen Stirn und dem
düstren Blick haben meist nur einige wenige, leicht
zugängliche Vertreterinnen des Geschlechtes kennen
gelernt, und nun werden je nach ihren persönlichen
guten oder bösen Erfahrungen entweder jene
Huidinuen als die einzig menschlichen Weiber ge-
priesen oder aber das ganze Geschlecht in Grund
und Boden verdammt. Sehr häufig kann man die
Beobachtung machen , daß gerade die wütendsten
Verächter des Weibes sehr reine und schöne Ge-
dichte an ihr Mütterlein oder ihre erste Liebe ge-
richtet haben, um dann später ganz zu vergessen,
daß doch unzählige Nebenmenschen auch ein solch
besingenswertes lieb' Mütterlein und einen Engel
u hal)en wähnen. Das
schlimmste aber ist, daß sie die Frauen, welche
gesellschaftlich über ihnen stehen oder welche in
der reinen Atmosphäre des gesunden Bürgerhauses
vor der Welt verborgen bleiben, überhaupt gar
nicht kennen. Da muß denn die französische Lite-
ratur oder der hämische Klatsch angeblicher Welt-
kenner im KafFeebause die Erkenntnislücken aus-
füllen. Die französische Literatur ist auch schuld
daran, daß sich unsere jungen Naturalisten so sehr
bemühen, gerade geschlechtliche Prohteme in den
Vordergmnd zu drängen. Es ist selbstverständlich,
daß ohne eine unbefangene Würdigung der Rolle,
welche das Geschlechtliche bei so sehr vielen Seelen-
vorgängen spielt, eine naturwahre Darstellung in
der Poesie nicht möglich ist. Aber es ist ebenso
sicher ein Temperaments- oder Erziehungsfehler,
wenn man die Sinnlichkeit, welche die Quelle aller
reinsten Daseinsfreuden und zugleich auch aller
Kunst ist, mit solcher Krampfhaftigkeit unter dem
Gresichtswinkel der Bestialität zu betrachten be-
müht ist. So ist es denn kein Wunder, daß diese
angeblichen menschlichen Dokumente in den Ro-
manen der meisten unserer Neusten dem welt-
erfahrenen Beobachter nur für traurige Karikaturen
gelten, und daß einem geschmackvollem Publikum
die ganze Richtung widerlich zu werden beginnt.
So ist es auch zu erklären, daB heute die Begriffe
Hnmoi: und Nataraünniis
über das Wesen des Naturalismus bei uns sich so
völlig verwirrt haben, daß man darunter ganz all-
gemein die zynische Behandlung von Gegenständen
versteht, über die man in sogenannter anständiger
Gesellschaft nicht zu reden pflegt. Der Naturalis-
mus ist ganz unvermerkt in den Augen der großen
Menge zum Beatialismus geworden.
In die Greuel der Begriffsverwirrung, welche
unsre deutschen Adepten des Naturalismus in den
Köpfen des Publikums angerichtet haben, ist nun
leider auch der unschuldige Realismus hinein-
gewirbelt worden. Der Realismus als Weltan-
schauung wie als Bezeichnung eines künstlerischen
Stiles ist uns seit dem Altertums her bekannt und
hat zu allen Zeiten als etwas Wohlberechtigtes
und Unanstößiges gegolten. In der Schule haben
wir z. B, gelernt, Goethe dem Idealisten und Pathe-
tiker Schiller gegenüber als einen Realisten an-
zusehen, und was haben nicht all die Literatur-
freunde, die sich heute zwischen 30 und 50 Jahren
befinden, für Realisten auftauchen und verschwinden
sehen ! Ich möchte nur erinnern an Gustav Freytag,
dessen „Soll und Haben" bei seinem Erscheinen mit
vollem Recht als ein erstaunlich wahres Spiegel-
bild der Wirklichkeit gepriesen wurde; an Spiel-
hagen erstes Auftreten, dessen keckes Heraus-
greifen von Stoßen aus der unmittelbaren Gegenwart
und dessen nichts weniger als prüde Darstellung
Huinor und NatnraliBmDS
sinnlicher Leiiienschaft damals allen Philistern kaum
weniger bange machte als heutzutage die firgsten
Naturalisten. Auch die beiden genialen Humoristen,
Wilhelm Raabe und Gottfried Keller, hat die Gene-
ration, der ich angehöre, als Realisten verehren
gelernt — und heutzutage nennt Eonrad Alberti
den Verfasser der „Leute von Seldwyla" einen ver-
zwickten Phantasten, Spraehjongleur und Possen-
reißer, der nur einmal, wie die blinde Henne ein
Korn findet, mit „Romea und Julia auf dem Dorfe"
eine gute Novelle zustande gebracht habe. „Aber" —
80 schließt er jene klassische Besprechung in der
„Gesellschaft" — „was will das besagen? Wer von
uns hat nicht mal eine gute Novelle geschrieben!?"
Man kann ganz ruhig behaupten, daß alle die
Meisterwerke der Dichtkunst, welche durch die
Jahrhunderte hindurch ihre Frische bewahrt haben,
der realistischen Gattung angehörten. Denn nur
wer die Wirklichkeit seiner Zeit mit überzeugender
Treue darzustellen versteht, darf hoffen, über seine
Zeit hinaus seinen Wert zu behalten. Unsere
jüngsten Heißsporne aber, die heute verdammen,
was sie noch gestern bewunderten , nehmen die
Schale, d. h. die der Mode unterworfene Form für
den Kern. Freytag, Spielhagen, Heyse usw. sind
bis auf den heutigen Tag dem Glauben treu ge-
blieben, daß im Roman und in der Novelle die
Komposition der Fabel nach gewissen architektoni-
i
Humor und Naturalis
Bchen Regeln zur Hervorhebung der Effekte, zur
Erzeugung der Spannung notwendig sei. Inzwischen
haben uns aber einige neuste Meister der Erzfthlunga-
kunst durch ihre Werke bewiesen, daß man die
Spannung im alten Sinne gar nicht vermisee, wenn
die psychologische Analyse und der intime Stimmungs-
reiz der Darstellung an ihre Stelle trete. Sie haben
uns femer bewiesen, diese Meister, daß die gehobene
Sprache, welche man früher für die Dichtung für
unerläßlich hielt und, unbekümmert um Standes-,
BilduDgs- und Nationalitätsunterschiede, allen Per-
sonen in den Mund legte, den Eindruck der Wirk-
lichkeit auf das empfindlichste stört, und daß man
gerade mit der Sprache des Lebens die über-
zeugendsten künstlerischen Wirkungen erreicht.
Das sind Fortsehritte der Daratellungskunst, denen
sich ein moderner Poet nicht ungestraft entziehen
darf. Aber trotzdem ginge man zu weit, wenn man
etwa das Wesen des Realismus nur in diesen
Errungenschaften erblicken wollte. Das Aller-
achlimmste aber ist es, wenn man dieses Wesen der
neuen Kunst, wie es leider heute das große Pu-
blikum, verwirrt durch die Kritik der Jüngsten,
tut, in der Wahl des Stoffes erblickt. Wir sind
glücklich dahin gekommen, daß von den kritischen
Berserkern der jungen Schule ein Dichterwerk,
welches auch von gebildeten Frauen und Mädchen
ohne Anwandlungen von Übelkeit oder etwa gar
1fs£r'''&»,Sf9s.^f^s,Sfii^ Uumor uod NaturaÜamiu
mit fröhlichem Behagen geleeeo werden kann, als
überhaupt nicht mehr für literaturfähig betrachtet
vird! Romane, die etwa gar zuerst in einem
Familienblatte erschienen sind, gelten dieser Kritik
unbesehen als ein noli ine tangere. Der größte
Held dagegen ist derjenige , der sich am gründ-
lichsten im Rinnstein gewälzt und am häufigsteo im
Irrenhause gesessen hat! Wohlbemerkt: ich spreche
hier nur von den stärksten Übertreibungen des Fana-
tismus, welche natürlich von den geschmackvollen
Leuten im eignen Lager selbst verdammt werden ; aber
diese Übertreibungen fallen am meisten ins Auge
und werden im Publikum für typisch genommen.
Sie sind hauptsächlich daran schuld, daB heute
Realismus und Naturalismus in einen Topf geworfen
und so vorwiegend auf das Stoffliche bezogen werden.
Es ist dahin gekommen, daß man heute allgemein
die Mitteilung einer recht platten Zote mit den
Worten einzuleiten pflegt: „Hören Sie, da kann
ich Ihnen eine famose realistische Geschichte er-
zählen." Als ob nicht etwa die Schilderung eines
Bordells ebenso idealistisch sein könnte, wie ein
Idyll aus der Kinderstube realistisch! Aber das
glaubt einem heutzutage kein Mensch mehr. Wer
nicht für starken Tabak ist, der gilt nicht mehr
als Realist, so könnte man heute die alte Genus-
regel variieren.
Was ist es denn nun, was jene Kunst, welche
m^
HnmoT lind NafaraliamuB ^|t<&i<'''<.>47NS«-4N£,,i^'«^
die rücksichtslose Wahrheit fordert, bei geschmack-
vollen und reifen Leuten so in Mißkredit gebracht
hat? Ist es wirtlich, wie man uns so oft einreden
will, die Furcht vor der Wahrheit, die moralische
Feigheit des Publikums? Ich glaube das entschieden
bestreiten zu dürfen. Wir sind heute in der Tat
schon 80 weit, daß wenigstens von dem gebildeteren
Publikum die idealistische Lüge in der Kunst als
etwas unangenehm Störendes, der lebensvollen Dar-
stellung der Wirklichkeit gegenüber Minderwertiges
empfunden wird. Die Sprache schlechter Romane,
auf der Bühne z. B. , beleidigt heute schon unser
geschärftes Ohr , und diese schlechten Romane im
Mariittstile selbst beginnt man endlich satt zu
kriegen und — leider! — als Naschwerke für Back-
fische zu betrachten. Von den angeblich hoch-
moralischen Tendenzdichtungen der neusten Natura-
listen aber will man nichts wissen, weil das inzwischen
an wirklichen Meisterwerken geschärfte Auge er-
kennen gelernt hat, daß es eben gerade um die
Natur Wahrheit bei jenen unberufenen Nachahmern
meist sehr schlecht bestellt sei. Und das liegt
meiner Meinung nach in der traurigen Humor-
losigkeit der betreffenden Künstler. Es hat sich
bei mir allmählich die Überzeugung herangebildet,
daß ohne eine starke Dosis Humor eine tief ein-
dringende und gerechte Beurteilung menschlicher
Dinge gar nicht möglich sei. Denn Humor bedeutet
Mninor uod NBturalismM"
als WeltanschauuDg VorurteilB^osigkeit, als Gemüts-
Verfassung allgemeine Menscbeoliebe. Ich kann
kein Ding gerecht beurteilen, an das ich nicht mit
dem besten Willen herantrete, seine guten Seiten
ebenso zu sehen wie seine schlimmen. Für den
Humoristen gibt es keine guten und bösen Menschen,
sondern nur Glückliche und Unglückliche, Weise und
Narren. Jene zieht er weinend an sein Herz, den Weisen
drückt er mit verständnisvollem Augenzwinkern
die Hand, und über die Narren lehrt er uns herzlich
lachen. Dabei braucht man durchaus nicht etwa
sich den Humor unter dem Bilde eines gemütlichen
alten Landpastors vorzustellen, der, mit der langen
Pfeife im Munde, zum Fenster hinausschaut.
nein, er wandelt auch mit derben Fäusten und
rauchgeschwärztem Antlitz im tosenden Gedränge
der Weltstadt umher. Nicht oberliächl icher Optimis-
mus, leichtfertige Spottlust sind seine kennzeichnen-
den Eigenschaften, sondern vielmehr der sittliche
Ernst und das Mitleid. Manche unserer großen
Humoristen sind sogar entschiedene Pessimisten
gewesen, und ihr Humor bestand eben darin, daß
ihr Gemüt stark genug war, trotz der Überredungs-
künste des Verstandes an der Liebe zu den Menschen
festzuhalten. Der Huraorist flieht nicht voll Ekel
davon, wenn er eine Wunde sieht, sondern er sucht
ihre Schmerzen zu lindern ; er hält sich auch nicht
die Nase zu, wenn er an einem Misthaufen vorbei-
Humor und Nfitimitin
kommt , sondern genießt im Geiste schon die zu-
künftige Frucht oder die herrliche Blume, die damit
gedüngt wurde. Eine Welt, in der alles Schmutz
nnd Niedertracht wäre, ist ebenso unwahr wie eine
solche voll eitel Sonnenschein und Edelmut. Der
Humorist allein läßt sich vom Sonnenschein nicht
blenden und die Mühe nicht verdriefien, den Sehmutz
von der Oberfläche der Dinge abzuwaschen, um
wenn irgend möglich einen reinen Kern darunter
zu efltdecken. Moralische Entrüstung ist für eine
unreife Kunst das billigste Effektmittel und für
unreife Menschen der billigste Alkohol, vermittelst
dessen sich der furor poeticus in Flammen setzen läßt.
Wenn ich mit meiner Behauptung Recht habe,
daß unser gebildetes Publikum heute schon zum
Verständnis des Realismus erzogen sei, so haben
dieses Erziehungswerk meiner Ansicht nach nicht
die Keulenschwinger des Entrüstungspathos, sondern
gerade die von jenen über die Achseln angesehenen
Humoristen vollbracht. Das sind nach meiner Auf-
fassung in der erzählenden Dichtung gerade die
Leute vom Schlage eines Gustav Freytag, Gottfried
Keller, Wilhelm Raabe, Theodor Fontane gewesen;
auch Hermann Heiberg in seinen besten Erstlings-
werken, in denen er, wie z. B. im „Apotheker Hein-
rich", die feine, intime Stimmung Theodor Storms
mit der herzhaften Derbheit Fritz Reuters Bo glück-
lich zu verschmelzen wei6 ; ein Liliencron , der
Humor und NatunUismiiB
vom ZartidylÜBcfaen bis zum Wildgrotesken so
wunderbar zarte Parbeutöne auf seiner Palette hat
und der selbst einen phantastischen Stoff mit so
überzeugendem und dabei eigenartigem Realismus
darzustellen weiB ; da ist ferner Baron von
Roberts, der sich vom pikanten Stilkünstler und
liebenswürdigen Feuilletonisten zu einem Sitten-
Bchilderer ersten Ranges heraufgearbeitet hat und
dessen Unteroffiziersroman „Die schöne Helena"
ich persönlich für die einzige Hervorbringung der
deutschen realistischen Schule halte, welche die
Anlegung eines strengen Maßstabes in allen ihren
Teilen verträgt; da sind schließlich auch die
ganz entschieden realistischen Romane so hoch be-
gabter Frauen, wie der Ebner- Eschenbach, der
Helene Böhlau, der Sophie Junghans, Ida Boy-
Ed und einiger anderer, die weniger bekannt ge-
worden sind, zu nennen — und von ausländischen Vor-
bildern vor Zola, Ibsen und Dostojewsky, ein Daudet,
Kielland und der Tolstoi der „Anna Karenina".
Leider ist es ein Norweger und kein Deutscher,
auf den ich hinweisen mufi, wenn man mich fragt,
wo denn eine solche Verbindung von Humor und
Naturalismus zu finden sei, wie ich sie mir als
Ideal denke. Ich meine Arne Garborgs jungst in
der „Freien Buhne" erschienenen Roman „Bei Mama",
der mir, ohne etwa humoristisch im Sinne von
komisch zu sein, als ein höchst gelungenes und
Humor v
nachahmenswertes Beispiel von naturalistiBcher
Wirklichkeitsdaratellung erscheint, wie sie nur der
liebevollen Beobachtungsweise des Humoristen mög-
lich ist.
Auf dem Gebiete des Dramas haben wir leider
erst sehr vereinzelte Anläufe, sowohl im strengen
Naturalismus, wie in der Besiegung desselben durch
den Humor zu verzeichnen. Naturalistisch im Sinne
des Zolaschen experimentellen Komans kann man
überhaupt im Drama nicht verfahren, aus dem ein-
fachen Grunde, weil die Bücksicht auf die Geduld
der Zuschauer allen andern Rücksichten vorangehen
muß. Man könnte sagen: ein guter Koman nach
den Grundsätzen der neuen Schule muß langweilig
sein, wenn man nämlich darunter das lange Ver-
weilen des Dichters bei seinen Schilderungen zum
Zweck der Erzielung möglichster Naturwahrheit
versteht. Im Drama aber ertötet das lange Ver-
weilen beim Zuständlichen die Handlung, und ohne
Handlung, ohne Fortschritt gibt es eben kein Drama.
Das höchst lehrreiche Experiment, welches unsere
,Freie Bühne' mit der „Familie Selieke" gemacht
hat, überzeugte uns auf der einen Seite von der
Bicbtigkeit dieser alten Erfahrung und stellte uns
doch auf der andern Seite einen sicheren Wechsel
auf die Zukunft eben dieses Dramas im Sinne des
Naturalismus aus. Holz und Schlaf haben, ebenso
wie Gerhart Hauptmann in seinen dramatischen
n
Hmnor nnd Nfttaralüniaa
Versuchen, an Schärfe der Beobachtung und Treue
der Wiedergabe außerordentlich vie] mehr geleistet,
als die BflmtlicheD lungen gewaltigen Schreier unter
den jüngsten Naturalisten, und Holz-Schlaf haben
in ihrer „Familie Selicke" auch bereits dieForderung
erfüllt, die ich hier an den Naturalismus gestellt
habe, indem sie ihr trauriges Wirklichkeitsbilrt nicht
mit der grausamen Freude des Vivisektors aus dem
Leben herausschälten, sondern mit dem Glauben
und der Menschenliebe des Humoristen. Auch an
Hauptmanns Talent ist nicht seine scheinbare Vor-
liebe für stofflich Widerwärtiges das Charakteristi-
sche, sondern sein Überraschender Wirklichkeita-
ainn, seine starke Darstellungskraft. Wenn es ihm
gelingt, Menschen und Dinge mit ein bischen mehr
Humor zu betrachten, dann dürfte auch an ihm die
Zukunft des deutschen Dramas einen Stützpunkt
gewinnen, wie sie (meiner Meinung nach nnd Skep-
tikern zum Trotz) jüngst einen gewonnen bat in
Hermann Sudermann, diesem echten und ernsten
Dichter, der mir nur noch ein wenig in der Mauser
begriffen zu sein scheint, indem er den pathetischen
Jugendflaum noch nicht völlig losgeworden und
deshalb noch in Gefahr ist, an Stelle des Humors
die Satire zu setzen. Aber er hat in allem, was
er geschaffen, einen solchen Ernst der Anschauung
und ein so kräftiges Können bewährt, daß er sich
sicherlich zur freien Höhe einer lichten Wahrheits-
HmnoT nnd Natriralisrnns ft!S,>><'^£,•4N£,,i^N£,,^*^^
kuDBt emporringen wird. Wir seilen gegenwärtig
zwei Wege realistischer fiuhnenkutist vor uns. Der
eine führt von IfFIand über L'Arronge zu Holz-
Schlaf, der andere von Goethes Götz und Egmont
über den neusten Wildenbruch und Sudermann in
eine verheißungsvolle Zukunft.
Wir sehen, es ist noch nicht aller Tage Abend.
Der deutsche Naturalismus ist noch nicht tot, wie
grobe Vertreter, die ihm mit plumpen Fußtritten
zugesetzt, er auch leider gefunden hat. Er fängt
sogar erst jetzt an, Lebenskraft zu gewinnen, nach-
dem ihm ein feinfühliger Realismus den Weg ge-
ebnet hat. Aber es däucbt mir überhaupt höchste
Zeit, diese spitzfindigen Unterschiede zwischen
Realismus und Naturalismus zu beseitigen, aus
denen nachgerade kein Mensch mehr klug wird.
Naturalismus im einfachen Sinne des Wortes »Is
eine Kunst aufgefaßt, welche „die Tendenz hat,
wieder Natur zu werden , nach Maßgabe ihrer je-
weiligen Reproduktionsbedingungen und deren Hand-
habung", wie Arno Holz es in seiner Schrift „Die
Kunst" ausdrückt — ein solcher Naturalismus sollte
doch eigentlich die selbstverständliche DarstelJungs-
form für jeden modernen Dichter sein. Uns, die
wir kritisch oder selbstschaffend in der modernen
Bewegung drin stehen, erwächst nunmehr die heilige
Pflicht, zunächst einmal uns selbst und dem Pu-
blikum das Vorurteil zu benehmen, als hätte das
Hnmor nitd Nftt&ra!inDna.'>l
Wesea des Naturalismus irgend etwas mit dem Stoff
zu tun, und zweiteus uns mit allen Kräften aus
diesem heute noch die Jugend verderbenden, wirk-
lich ekelhaften Moralfat^kentum, welches doch
meistens nur die eigne Freude an der Gemeinheit
verhüllen soll, zu einer reiferen und freieren Welt-
betrachtung aufzuraffen. Der reifste und freieste
Mensch, zugleich im Ibsenschen Sinne der stärkste,
das ist aber der Humorist!
Darum bestrebe sich ein jeder an seinem Teile
redlich, an Stelle des unglücklichen Zolaschen Tem-
peraments den Humor zu setzen; denn durch ein
Temperament läuft die "Wirklichkeit allemal Gefahr,
verzerrt zu werden — der Temperamentsnaturalist
wird Karikaturist; das einzig zuverlässige optische
Hilfsmittel für den Dichter-Seher ist der Humor,
diese wahre dreidimensionale Sehkraft des Gemtlts.
Shakespeare in Venedig
(1891)
Shakespeare in Venedig
Dem größten Teil der Reisenden, welche zu
Tausenden und Abertausenden alljährlich die
märchenhafteLagunenatadtVenedig besuchen, dürfte
wohl das Teatro Malibran kaum dem Namen nach
bekannt geworden sein. Und mancher von denen,
die etwa einmal, sorgfältig gekleidet, in Erwartung
eines bequemen Fauteuils und einer originellen
Vorstellung dieses Volkstlieater aufgesucht haben,
mag schon an der Kasse wieder kehrt gemacht
haben, indem ihn beim Aublick der Menge, die dort
in dem dunklen Torweg, in der schmutzigen, gänz-
lich schmucklosen Vorhalle, lärmend aus- und ein-
geht, ein gelindes Gruseln überlief. Schon die
Billigkeit der Eintrittspreise ist geeiguet, einen
eleganten Wiener oder Berliner, geschweige denn
gar einen englischen ^Milordo" abzuschrecken. Es
kostet nämlich der Eintritt an sich 50 Centesimi,
für einen Sitzplatz im Parkett hat man dann noch
weitere 50 Centesimi bzw. eine Lira, und für Logen
gleichfalls 1 — 3 Lire nachzuzahlen.
Shakespeare in Venedig '
Ich war einer von den wenigen, die sich durch
alles das nicht abschrecken HeBen. FDr 3 Lire kam
ich in den Besitz einer kleinen Loge am Proszenium,
arbeitete mich durch die rauchenden, schreienden
und singenden Gondolieri, Arbeitsbu rechen, Soldaten,
Fruchtweiber mit Säuglingen ;iuf dem Arm, all die
heftig den Fächer schwingenden, schlampig-graziösen,
schwarzäugigen Mädchen aus dem Volke hindurch
und wurde dann mit tiefen Bficklingea von einem
uralten Logeuschlie6er auf meinen Plat^ geleitet.
Schmutzig tapeziert, eng, dürftig, unbequem stellte
sieh mein „Pepiano" dar, und dementsprechend auch
der ganze weite und hohe Zuschauerraum. Die
vier Logenreihen waren fast leer, das Parkett da-
gegen und das dahinter amphitheatvalisch auf-
steigende Sitzparterre waren stark besetzt, und auf
dem freien Raum zwischen beiden drängte sich
Kopf an Kopf die Menge der bescheidenen Leute,
welche nur ihre 50 centesimi für den Theaterbesuch
aufzuwenden hatten. Schier betäubendes Geschrei,
das sogar die entsetzliche Blasmusik der Ouvertüre
übertönte, erfüllte auch hier das Theater ebenso-
wohl, wie draußen die kellerartige Vorhalle. Kinder
schrien , Mütter sehalten . Mädchen kreischten,
Barschen lachten, dort kletterte gar einer aus den
obersten Heihen des Amphitheaters über die Köpfe
der unter ihm Sitzenden hinweg bis hinunter ins
Parterre, und dazwischen wanden sich Verkäufer
ähakeapeare in Venedig l|kiS><'^e.^<''<£.'<Nfi„.<'v^
aller Art hindurch und schrien unaufhörlich ihr :
„Secolo, Corriere, Capitano Fraeassa!" oder ihr:
„Aqua fresca! Sugo di limone!" oder ihr: „Cara-
melle Signori , caramelle , caramelle !" Endlich,
lange nach ^k9 Uhr, geht der Vorhang auf, und
ein vielstimmiges Zischen und Zittorufen stellt all-
mählich die Ruhe soweit her, daß man, wenn man
gute Ohren hat und gehörig aufpaßt, recht wohl
den Reden der Schauspieler zu folgen vermag —
nur wie ein leises, fernes Meerearauachen begleitet
das Gemurmel und Getuschel der Zuschauer noch
die Vorstellung, um einzig bei den spannendsten
und ergreifendsten Stellen für kurze Zeit zu ver-
stummen, dann aber in um so wilderen Jubelrufen
und dankbarem Händeklatschen wieder hervorzu-
Am ersten Abend, an dem ich das Teatro Mali-
hran besuchte, gab man ein wastes Schauerdrama
voll Mord und Totschlag, Seeräubern, Polizei-
agenten, schurkischen Gouverneuren, gemißhandelten
Frauen und ewig betrauten jungen Mädchen. Es
war ein bösartiges Machwerk, wahrscheinlich aus
einem Sensationsroman zusammengeflickt; aber
unter den Darstellern fielen mir einige als ganz
hervorragende Künstler auf. Da war vor allen
andern der Leiter der Gesellschaft Gustave
Salvini (ein Sohn des berühmten Tomaso, wenn
ich recht berichtet bin), dessen sehr jugendliche.
Shakeapeare tu Venedig {
reizende Frau und eine Frau Tesaero-Bozzo.
Der erstere stellte eiuen hiDkeudeu, einäugigen
Diener dar, welcher durch seine Verschlagenheit
seinen Herrn aus allerlei Fährlichkeit errettet und
Bchließlich den Bösewicht entlarvt. Eine derb-
komische Figur. Seine Frau gab ein uDgemein
tugendhaftes , blindes und dabei doch rflhreud
heiteres Mädchen sehr schlicht und innig, und
Frau Tessero-Bozzo eine junge Frau, die von
ihrem Manne zu Tode gequält wird. Sie starb
unter Zuckungen und Krämpfen k la Sarah Bern-
hardt.
Trotz der Jämmerlichkeit des Stückes, der
geistlosen Schreierei der untergeordneten Schau-
spieler und der geradezu lächerlichen Dürftigkeit
der Ausstattung hatte doch die Vorstellung als
Ganzes und besonders die Haltung des Publikums
in seiner acht italienischen Naivität mir einen
solchen Eindruck gemacht, da6 ich mich am
nächsten Abend bereits wieder einfand, um mir
„Giulietta e Romeo" anzusehen. Diesmal aber saß
ich auf einem Rohrstühlchen, poltrone genannt, im
Parkett, und zwar in recht guter Gesellschaft. Da
waren Offiziere in Uniform und eine Menge ein-
geborener Herren der besten Kreise, sogar einige
Damen darunter. Der Vorhang ging hoch, und
statt der vorgeschriebenen Straße in Verona be-
fanden wir uns — in Venedig! Der Prospekt ge-
^m derb
Shakespeare in Venedig
Währte nämlich den Einblick in eiuen Kanal, dessen
schmutziges Wasser, wenn man sich hier dergleichen
realistischen Vorstellungen hingeben wollte, eigent-
lich die ganze Bühne hätte überschwemmen müssen.
Aber Venedig ist eben weit von Meiningen ent-
fernt, und kleinliche Bedenken schweigen vor der
Größe Shakespeares'. Die ersten Szenen gingen
vorüber, ohne daß mir etwas anderes aufgefallen
wäre als die bedeutenden Striche, die man für gut
befunden hatte . die Schäbigkeit der Kostüme und
die wunderschöne Sprache Romeos , der von
Gustavo Salvini, dem Komiker des vorigen
Abends, dargestellt wurde. Dann kam die Szene
in Capulets Hause heran, in welcher der Julia von
den Eltern Paris als Freier angemeldet wird. Die
Amme wurde dargestellt von derselben Dame, die
am Abend vorher als tragische Heroine unter
Krämpfen verröchelt war — und ich habe Juliens
Amme nie mit so grotesker Laune, so naturalistisch
urgemein und dabei doch liebenswürdig darstellen
sehen! Ich habe die Dame in Verdacht, daß sie
mit Shakespeares Worten etwas willkürlich umge-
sprungen sei — bei dem jubelnden Gelächter der
Zuschauer vermochte ich nicht alles zu verstehen —
aber Shakespeares Meinung hat sie verstanden, das
ward mir klar, als ich später die Ämmenszenen im
Original nachlas. Die kreischende Stimme, die
derben Bewegungen waren sicherlich getreu der
Shakespeare in Tenedig
Natur abgelauscht, das ganze Weib „wie auserlesen
zum Kuppler- und Zigeuner wesen" mit seinem un-
verschämten Mundwerk, seiner Äffenliebe zu dem
Julchen und seiner pfiffigen Dummheit konnte nicht
überzeugender verkörpert werden. Die Julia selbst
gab Frau S a 1 t i n i , in Haltung und Sprache ganz
und gar als noch unreifen , etwas blöden und
dabei doch nicht ganz harmlosen Backfisch, In
der Szene auf dem Ball, die an Dürftigkeit der
Einrichtung das möglichste leistete, wurde es mir
zum erstenmale klar, wie jenem geschraubten ersten
Gespräche zwischen Romeo und Julia der Schein
poetischer Wahrheit zu geben sei. Selbst jenes
böse Wort: „Ihr küßt recht nach dem Buch", das
im Munde aller unserer deutschen Julien unbe-
greiflich klingt, ward hier ganz natürlich, wo
Julietta wirklich nicht älter als vierzehn Jahre
erschien, als das kleine Mädchen, welches seinen
ersten Ball mitmacht und sich dabei in den ersten
hübschen jungen Mann verliebt, der ihm mit feuriger
Keckheit entgegenkommt. Daß Romeo ein über-
spannter junger Schwärmer und Poet dazu sei,
hatten wir schon in den ersten Szenen erkannt.
Aus seinem Munde nehmen uns auch die gesuchtesten
Vergleiche und Redensarten nicht weiter wunder;
Julia hat dergleichen freilich in der Kinderstube
wohl noch nie gehört, sehr wahrscheinlich aber
durch die Amme allerlei galante Bücher zugesteckt
Shakeipeaie in Venedig
bekommeD, die sie mit Eifer und Nutzen DächteuR
gelesen und vor der Mutter unter die Bettdecke
versteckt hat. Das wäre denn nun ganz im Stile
der Zeit, denn die ars amandi Ovids und ähnliche
moderne Werke, im Geschmack des Boccaccio, waren
zur Zeit, als die Feindschaft der Montechi und
Capuletti spielte, eine allgemein beliebte und
sicherlich auch in die Schlafzimmer der jungen
Damen eingeschmuggelte Lektüre. Frau Salvini
stellte die Julia in diesem Sinne vortrefflich dar.
Man sah, wie Romeos erster HandkuB gleich ihr
heißes, junges Blut in Wallung brachte, wie sie
sich auf seine zierliche Anrede hin zusammennahm,
um eine ebenso zierliche Autwort zu ersinnen, da-
mit sie vor dem geistreichen jungen Manne nicht
als dummes Gänschen dastehe. Erst zaghaft und
hastig abgerissen, dann mit ttbertriebener Keck-
heit, brachte sie ihre Antworten „nach dem Buch"
vor , und nachdem Romeo gegangen war , be-
stürmte sie die Amme mit einer behenden Heftig-
keit um Auskunft über seine Person , die den
Ausbruch glühendster Leidenschaft deutlich genug
verriet.
Die Balkonszene entsprach vollkommen dem
Stile der geschilderten. Romeo war der tolle,
liebestrunkene Knabe, der sehr viel Poesie ge-
lesen hat und nun in seinem Kausche sich selber
voll heimlicher Eitelkeit den tragischen Liebhaber
Shakespeare in Veuedig
vorspielt. Die ganze Szene wfthik nicht länger
als drei Minuten; in einem für deutsche Sehau-
Bpieler unnachahmlichen Prestissimo und Pia-
nisBimo wurde sie von den beiden verliebten Kindern
heruntergeschnurrt , wie man es wohl nennen
müßte! Und durch dies süß kosende Gurren
klang es wie übermütiges Gekicher heraus, als
Ausdruck des Vergnügens an der eigenen tollen
Phrasenberauschung , und zugleich auch wie das
leiae Stöhnen und Schluchzen aus sinnverwirrendem
Liebestraum. Ganz in Gegensatz dazu trat die
Begegnung in Pater Lorenzos Zelle. Der Alte
war ganz als komische Figur aufgefaßt und wurde
von dem Publikum gleich mit schallender Heiter-
keit begrüßt. Seine schauspielerische Leistung
war freilich eine sehr geringe, denn trotz seines
totterichen Greisentumes schrie er wie ein Zahn-
brecher. Von überwältigender Naturwahrheit war
aber das Aufeinander -Lostürmen der Liebenden,
die sich hier zum erstenmale ungestört im
Schein des Tages treffen. Jetzt gibt es kein
scheues , schämiges Versteck spielen mehr , sie
wollen nur einander in die Arme fliegen und sich
sattküssen. Wie ein paar aufgeregte Kinder beim
Ballspielen, so hüpften sie um den alten Pater
herum, welcher ihnen dies verwehren will, und
schließlich rannten sie den Armen in ihrem Un-
i
Shakespeare in Veaedig
Im dritten Akt , nach der heimlichen Ver-
mählung, ist Julia zum Weibe erwacht, und auch
Eomeo schlägt nach der Ermordung Tybalds und
nach den Wonnen der Brautuacht, aus denen er in
die Verbannung getrieben wird, einen ernsteren,
innigeren Ton an. In der Szene mit ihren Eltern
hat Julia die beste Gelegenheit, diese Umwandlung
zum Ausdruck zu bringen, während Romeo sein
ganzes jungenhaftes Wesen in der Verzweiflungs-
azene in Lorenzos Zelle austobt, um dann beim
Abschied von Julien in süßer, ahnungsvoller Weh-
mut zu schwelgen.
Julias großer Monolog im vierten Akt, wenn
sie Lorenzos Schlaftrunk nimmt, hatte mir bisher
immer den Genuß an dem herrlichen Drama empfind-
lich gestört. Alle unsere tragischen Liebhaberinnen
brechen bei der Schilderung der Schrecknisse der
Ahnengruft in ein entsetzlich schreiendes Pathos
aus und schmettern besonders die letzten Worte :
„Ich komme, Komeo, dies trink ich dir!" als eine
dringende Aufforderung zum Applaus ins Publikum
hinein. Ganz anders diese venetianische Giulietta!
Den Eltern ist sie furchtlos gegenübergetreten, als
liebestarkes Weib hat sie von dem Pater den
Schlaftrunk gefordert, ohne vor den möglichen
Üblen Folgen zu beben. Nun aber, da die Stunde
gekommen ist und sie nicht mehr zögern darf, das
Fläschchen an die Lippen zu setzen, ergreift sie
^^v,^''5>s,>'''5h,.^''KN,,^'^^ Shakespeare in Venedig
die Angst mit unwiderstehlicher Macht. Und diese
AngBt macht sie wieder ganz zum Kinde, zum
zitternden kleinen Mädchen, dem im Dunklen alle
die Ammenmärchen und Gespenstergeschichten ein-
fallen, die es je gehört oder gelesen hat. Frau
Salvini zitterte wirklich am ganzen Leibe,
während sie mit leiser Stimme sich die Schreck-
nisse des möglichen Erwachens in der Gruft aus-
malte. Ihre Augen wurden immer größer und
größer, die Furcht verzerrte die kindlich-weichen
Züge, und zuletzt klapperte sie gar wirklich mit
den Zähnen, drückte die Augen fest zu wie ein
Kind, das sich überwinden will, eine bittere Medizin
zu schlucken, und das „Romeo, dies trink ich dir!"
verhallte wie ein letzter Seufzer, als sie das
Fläschchen endlich wirklich leert. Wenn ich vor-
her noch gezweifelt hätte an der Berechtigung
dieser neuen Auffassung der Kolle, nach diesem
Monolog wäre der Zweifel zugunsten der Italienerin
entschieden gewesen. Immer hatte ich Shakespeare
einer groben Geschmacklosigkeit geziehen , daß er
seine Julia so aus der Rolle fallen lassen konnte.
Frau Salvini rettete mir meinen Glauben an
Shakespeare, Wie Grabesschauer wehte es von der
Bühne her über das angstvoll aufhorchende Pu-
blikum, und die Furcht des armeu vierzehnjährigen
Geschöpfchens wirkte unendlich rührend, während
das Pathos unserer deutschen Heroinen — und
r
I
I
Shakespeare in Venedig
ich habe sehr berühmte, gefeierte Julien gesehen —
selbst bei geschicktester Anwendung aller theatra-
lischen Etfektmittel auf den feinfühlenden Zuschauer
nur einen abstoßenden Eindruck machen kann.
Shakespeare läßt ja die Amme Juliens Alter bis
auf den Tag genau ausrechnen — das sollte bei
der Frage der Besetzung dieser Rolle ausschlag-
gebend sein. Unsere sentimentalen Liebhaberinnen
werden meistens für die Julie ganz ungeeignet
sein, da eben nicht eine Spur von Sentimentalität
in ihrem Wesen steckt. Es wird also die Rolle
immer noch öfter durch die muntere Liebhaberin
besetzt werden können, es sei denn, daß die Senti-
mentale einmal ausnahmsweise jugendlich in der
Erscheinung und im Tone kindlich und mit hin-
reißendem Temperament begabt, also für ihr Fach
eigentlich recht ungeeignet sei.
Das Deutsche Theater in Berlin besitzt zur-
zeit inJosefKainz einen Bomeo, welcher gleich-
falls davon ausgeht, das knabenhafte, phantastisch
überhitzte Wesen des jungen Veronesers stark
herauszuarbeiten. An ungekünstelter Zungenfertig-
keit und absoluter Schönheit in Rede und Bewegung
kommt K a i n z dem Italiener freilich nicht gleich ;
er übertrifft ihn dagegen an geistiger Durch-
arbeitung im einzelneu. (Salvini war im letzten
Akte sogar schwach; er beschränkte sich darauf,
seine Verse in jenem eintönig singenden, weiuer-
Shakespeare iu Venedig
liehen Tone herzudeklamiereD , der auf der ita-
lienischen Bühne faerkömmlicli zu sein scheint für
klagende Liebhaber. Die letzte Szene war über-
dies zu grob aufgefaßt, indem Julia in einem
geschlossenen Sarge lag, welcher von Romeo mit
dem Brecheisen aufgebrochen wurde!) Dasselbe
Deutsche Theater besitzt übrigens in Agnes
S rm a eine Künstlerin Ton ganz eigenartigem
Naturell, welche sehr wahrscheinlich im Verein mit
Kainz die Tragödie von „Romeo und Julie", wie
8ie Shakespeare unzweifelhaft geraeint hat , zur
rechten Wirkung bringen würde, nämlich als die
Tragödie der glühenden Kinderliebe, welche sich
aus verliebter Narrheit zu verzehrender Sinnlich-
keit und schließlich im Kampf gegen die feind-
lichen Außenmächte zum tragischen Heldentum
entwickelt.
Leider steht bei uns in Deutschland jedem
Theaterleiter und jedem Schauspieler, der einem
klaasisehen Stücke durch einen gesunden Realis-
mus der Auffassung frisches Leben einhauchen
möchte, das große Heer der Gewohnheitsphilister
und pedantischen Schulmeister feindlich gegenüber.
Diese Rotte schreit nun freilich Zeter und Mordio,
wenn ein Charakter in einem Shakespeareschen
Trauerspiel , und noch dazu einer , der in bilder-
reichen Versen spricht, sich vom Kothurn zu be-
freien und in das Licht der Wahrheit, der reinen
I
Shakeapesre in Venedig
Menschlichkeit hineinzutreten trachtet. Wer aber
seinen Shakespeare ohne die philologische Brille
liest, dem wird es längst klar geworden sein, daß
das Siegreiche und Ewige seiner Dichterkraft nicht
auf der Form beruhe, sondern zumeist auf der tief-
gründigen Gharakterzeichnung, der unfehlbaren
Sicherheit und Natürlichkeit der psychologischen
Entwicklung. Alles andere, die Sprache, die
Mischung des Niedrigkomischen mit dem Hoch-
tragischen u. a. m. hat dem Geschmack seiner Zeit
entsprochen, ist aber inzwischen geschmacklos, ja
selbst unmöglich geworden. Wenn von solchen
Antiquitäten noch etwas zu retten ist, dann kann
es nur dadurch geschehen , daS man es in dem
Stile der Zeit Shakespeares derb-realistisch oder
aber ganz phantastisch, jedenfalls ohne Zimperlich-
keit und ohne pedantische Steifheit und Worttreue
darstellt. Als in Berlin jüngst Direktor Barnay
den „Kaufmann von Venedig" in solch glücklicher,
halb phantastischer, halb realistischer Art zur Auf-
führung brachte und z. B. den Prinzen von
Marokko in Begleitung von Janitscharenmusik mit
einem grotesken Aufzug auftreten und seine Reden
in dem von Shakespeare selbst verspotteten Stile
des Schauspielers im „Hamlet" hervorpoltem ließ,
da mußte er es erleben, daß einige der gelehrtesten
unter den Kritikern es ihm zum Vorwurf machten,
das wahre Wesen vornehmer Mauren nicht an der
^^s.,S»''3>v>'''Ss3''^vS>''3>ft Shakeapearc in Venedig
in Berlin gerade damals anwesenden Marokkanischen
GeGandtschaft studiert zu haben ! Vermutlicli halten
es jene gelehrten Herren auch für sehr wahrschein-
lich, daß einst der Rat der Zehn in Venedig sich
von einem verkleideten Mädchen durch Ver-
teidigungsrede und Urteilsspruch in sein ernstes
Amt pfuschen ließ!
Soll eine Bühnenaufführung Shakespeare in
seiner wahren Größe gerecht werden, so muß der
Schauspieler sich durch ernstes Nachdenken mit
den psychologischen Grundzügen seiner Belle ver-
traut zu machen suchen, dann aber ganz realistisch
von innen herausschaffen, ohne sich um die Form
Shakespeares sonderlich zu kümmern. Das gilt
für die Hauptrollen. Die Nebenrollen sind sehr
häufig für das eigentliche Drama ohne Belang
und scheinen nur den Zweck gehabt zu haben, die
einmal beliebten Schauspieler und die einmal ge-
wohnten Figuren zu beschäftigen und heranzu-
bringen. Wer weiß, welche Clowns zweiter und
dritter Klasse einst in der Maske der ehrenwerten
Lords, Nobili usw. usw. gesteckt haben, welche
heute mit feierlichem Ernste über die Bretter
unserer Hoftheater schreiten! Wenn eine Figur
zur Haupthandlung keine enge Beziehung, dagegen
viel zu reden und etwa gar Witze zu machen hat,
kann man sicher sein, daß man es mit einem der
Shakespeareschen Narren zu tun hat , mögen sie
r
Sbakeepeare i]
nun Mercutio, Polonius, Gratiano oder wer weiß
wie immer heißen. Je mehr der Witz solcher
Nebenfiguren für unseren Geschmack verblichen ist,
desto mehr muß die Phantasie des Schauspielers
und des Regisseurs ihm aufzuhelfen suchen. Die
szenische Einrichtung Shakespearescher Stücke ist
ja 80 wie so eine völlige Neuschöpfung, und auch
der Text der Übersetzung wird immer wieder und
wieder auf den veränderten Zeitgeschmack hin
durchgefeilt werden müssen. Philologische Treue
ist hier ebenso vom Übel wie eine ehrfurchtsvolle
Nüchternheit in der Ausstattung. Der allerneueste
Münchener Versuch der Wiederherstellung der
echten Globe- Theater -Bühne, ohne Requisiten
und dgl., wird wohl hoffentlich den endgültigen
Beweis erbringen, daß Shakespeare denn doch noch
ein zu lebenskräftiger Poet ist, um jetzt schon zum
Vergnügen einiger querköpfiger SchulraeiBter mumi-
fiziert zu werden. Der auserlesene künstlerische
Geschmack und die antiquarische Bildung des
Herzogs von Meiningen haben uns Deutschen den
Shakespeare zurückerobert, in derselben Weise wie
Irving den Engländern. Nach der schauspielerischen
Seite aber bleibt noch viel zu tun , und es sind
in allererster Reihe gerade die realistischen
Italiener Rossi und Salviui, die hier als Bahn-
brecher genannt werden müssen. Es ist ja eine
unserer besten Eigenschaften, daß wir uns so gern
^^•.^^'^•^^''^-jy^''.,^''^!^ Sbakenpe&re io Vcoedig
belebren lassen upd ohne Vorurteil jede Anregung
villkoDiiiien heißen , woher immer sie kommen
möge — also varum nicht nuch zur Abwechslung
einmal aus einem schmutzigen venet'anischen Vor-
stadttheater eine wertvolle dramaturgische Er-
leuchtung beziehen V
Troilus und Cressida
(Dramaturgische Studie)
(1900)
Troilna und Cresaid«
I
Die Gelehrten machen bekanntlich einen
großen Unterschied zwischen toten und lebendigen
Sichtern. Mit den letzteren sich zu beRchäftigen
gilt ihnen als unwissenschaftlich, während umge-
kehrt die „WissenschaftÜchkeit" gelehrter Be-
schäftigung mit toten Dichtern gleich der Fall-
geschwindigkeit mit dem Quadrat der Verstorben-
heit zu wachsen scheint. Das hat auch einen ganz
natürlichen Grund; denn die Lebendigen begehen
nur zu ofl; die Rückeichtstosigkeit , durch neue
Werke die Weisheit, die über ihre früheren zu
Tage gefördert worden ist, zu verhöhnen oder gar,
wenn sie naive Biedermänner sind, ihren gelehrten
Erklärem öffentlich ins Gesicht zu sagen, da6 sie
sie total mißverstanden hätten. Die großen Toten
haben dagegen unter allen Umständen den Vorzug,
zu ewigem Stillschweigen über ihre geheimsten
Absichten verpflichtet zu sein. Darum befassen
sich unsere Gelehrten mit Vorliebe mit solchen
schweigsamen Verblichenen, und wo sie an dem
TroilQs und Cresüda a
Objekt ihrer Betrachtung noch zuviel Körperlich-
keit ÖBden, da trachten sie solche mit Eifer zu
beseitigen. Ihr Bestrebea geht statt auf ein Ver-
menschlichen auf ein Vergötzen hinaus. Das
lebendige Genie ist für diese Herren meistens ein
Gegenstand der Verachtung gewesen, dem toten
dagegen wird der Heiligenschein verliehen, sobald
es zum Gegenstand gelehrter Behandlung geworden
ist, und menschlich ganz Verschollene bringen es
sogar zum Range der Unfehlbarkeit, wie Vater
Homer. So ist auch Shakespeare, von dessen
äußerem Lebensgang und menschlichem Wesen wir
so wenig wissen, zum Götzen mit eisig starren
Augen gemacht worden, mit Augen, die nimmer
taugen , der Spiegel seiner Seele zu sein, sondern
die ihren Glanz nur der untergelegten Metallfolie
verdanken. Es ist gar kein Wunder, daß etliche
besonders verzwickte Gehirne auf die Idee verfielen,
dieses Bruchstücfe von einem MeDscben, als welches
uns von Shakespeare nur tiberliefert ist, könne un-
möglich solche gewaltigen Werke geschaffen haben;
der fingerfertige unbedeutende Schauspieler habe
wohl nur seinen Kamen gegen gute Belohnung
einem ungleich größeren Geiste zur Verfügung ge-
stellt. Wenn es diesen Leuten gelang, eine ganze
Menge sogenannten Beweismaterials dafür herbei-
zuschafFen , daß Francis Bacon , der umfassendste
und glänzendste Geist jener Tage, Shakespeares
^^^ 'IhroiluB und CresBida
Sämtliche Werke verfaßt habe, so ist das eine Be-
mühung, die einem gerade geschaffenen Verstand
gar nicht so sehr viel überflüssiger und komischer
erscheint als die so vieler Gelehrter , in ihrem
Shakespeare einen erdentrückten Propheten zu
sehen, der in göttlich dunklem Drange eitel Ewig-
keitsraünze prägte. Es ist sehr kennzeichnend fQr
unsere deutsche Gelehrtenwelt, daß sie das Werk
über Shakespeare, das mehr als alle früheren den
Menschen Shakespeare aus seinen Werken und
wiederum die Werke aus dem Menschen verstehen
lehrt, als eine unwissenschaftliche Leistung beiseite
schieben zu können meint. Dieses Buch ist:
Shakespeare, von Georg Brandes (Verlag
von Alhert Langen, München). Brandes besitzt im
höchsten Grad jene echt dichterisch zu nennende
Phantasie, welche imstande ist, sich längst ver-
gangene Zeiten zu deutlicher Anschauung zu bringen
und aus einer Reihe rein äußerer Merkzeichen ein
Charakterbild herauszulesen ; er besitzt auch künst-
lerisches Temperament genug, um das Auf und
Nieder der Stimmungen in der Seele des Schaffenden
aus seinen Werken herauszuspüren. Künstlerisches
Temperament und nachschaifende Phantasie allein
sind imstande, zur Psychologie eines Genies, das
nicht mehr selbst zu uns reden kann und dessen
menschliches Teil durch keine authentischen Doku-
mente über die Jahrhunderte weg uns gerettet
I
Troilus uad Creasida
wurde, wirklich befriedigende AufklSrung zu
geben.
Auch über „Troilua und Cressida" hat Georg
Brandes meiner Meinung nach weitaus das Beste
geschrieben, was die Shakespeare-Literatur bisher
über dieses wunderliche Werk zu sagen hatte.
Mit der Brandesschen Ansicht, daß dieses Werk
in einer Periode tiefster seelischer Verstimmung des
Dichters durch herbe Enttäuschungen in der Liebe
und in der Freundschaft entstanden sei, und daß
der besondere Anlaß zu seiner giftigen Parodie
des griechischen Heldentums in seinem Ärger Über
die übertriebene Verherrlichung der damals gerade
erschienenen Iliasübersetzung von George Chapp-
man zu suchen sei — mit dieser Ansicht trat ich
an die Aufgabe heran, „Troilus und Cressida" der
Münchner literarischen Gesellschaft auf der Bohne
lebendig vorzuführen ; und je eingehender ich mich
mit der Arbeit beschäftigte , desto mehr wuchs in
mir die Überzeugung von der psychologischen
Richtigkeit der Brandesschen Deutung, gegen
welche die Einwendung gelehrter Gegner, daß
das angebliche Liebesverhältnis Shakespeares zu
Mary Fetton, einer Kammerfrau der Königin,
welche alsdann von seinem angebeteten Freunde,
dem jungen Lord Pembroke ~ an den bekanntlich
die überschwänglichsten seiner Sonette gerichtet
sind — verführt wurde, nach neueren Forschungen
L
Troilus and Cressida
gar nie bestanden habe, und die Erwägung, daß
die Entstehung der Komödie vermutlich doch tu
viele Jahre nach der Perabroke-Episode anzunehmen
sei, gar nicht mehr ins Gewicht fallen. Wir wissen,
daß „Troilus und Cressida" am Globetheater im
Jahre Iü09 aufgeführt wurde, nachdem es kurze
Zeit vorher bereits im Druck erschienen war. Da
dies sonst nie vorkam, so muß angenommen werden,
daß der Verleger das Manuskript auf unrecht-
mäßigem Wege erworben, und daß Shakespeare sich
alsdann erst beeilt habe, das Werk auf die Bühne
zu bringen, um nicht ganz um den Geldgewinn
daraus betrogen zu werden, Fllr die Buchausgabe
ihrer Werke erhielten die damaligen Dramatiker
nämlich keine Honorare, und es lag infolgedessen
den Dichtem auch durchaus nichts daran, ihre
Dramen gedruckt zu sehen, da die Möglichkeit der
Lektüre gerade für ihr feiner gebildetes Publikum
den Theaterbesuch überflüssig machte; für das
Recht der dramatischen Aufführung aber gab es
verhältnismäßig gute Honorare. Für gewöhnlich
schickten die Verleger Stenographen ins Theater,
welche im Laufe mehrerer Vorstellungen — denn
die Kunst der Kurzschrift war damals sehr unvoll-
kommen — den Text des Werkes zusammenstahlen,
natürlich durch viele Schreib- und Hörfehler ent-
stellt. Daß „Troilus und Cressida" als einziges
von Shakes[ieares Stücken vor der Aufführung in
TroiluB und Creesids
Pruck erschien, läßt darauf Bchließen, (ÜB das
Manuskript vielleicht schon lange vorher vorhanden
war, und daß der Dichter unachtsam damit umge-
gangen sei. Das würde einerseits die von Brandes
angenommene Einwirkung der persönlichen bitteren
Erfahrungen auf seine gehässige Verhöhnung weib-
licher Liebestreue in seiner Cressida zeitlich mög-
lich erscheinen lassen , andererseits aber auch —
und das scheint mir viel wichtiger — die ganze
Arbeit mehr unter dem Gesichtspunkt einer
launischen Privatarbeit, ich möchte sagen, eines
literarischen Juxes, erscheinen lassen. Wir wissen,
daß die Londoner Bühne bereits eine andere
dramatische Bearbeitung des damals, wie es scheint,
recht beliebten Stoffes von „Troilus und Cressida"
gesehen hatte. Shakespeare hat nun , wie er das
ja fast immer getan hat, diese ältere Arbeit vor-
genommen, um sie nach seinem Geschmack umzu-
modeln und für seine Bühne zu adaptieren. Das
Erscheinen der George Chappmanschen IliasUber-
setzungen 1603 dürfte für Shakespeare der un-
mittelbare Anlaß gewesen sein, sich an eine neue
dramatische Bearbeitung von „Troilus und Cressida"
zu machen. Seinen geläuterten Geschmack mochte
die geschwollene und gekünstelte Sprache Chapp-
mans zum ironisieren reizen (es findet sich eine
Chappraansche Wortbildung in „Troilus und Cressida"
wieder), und die arge Kränkung seines gerechten
Troilna und GressicU
Kßnstlerstolzes durch ein später erschienenes
Pamphlet, welches Chappman auch als Dramatiker
mit übertriebenem Lobe überhäufte und Shakespeare
nur in weitem Abstand unter einigen ganz unbe-
deutenden, heute längst vergessenen Bühnenschrift-
stellern nannte, mag den letzten Anstoß gegeben
haben, gerade die homerischen Haupthelden mit
solch tollem Hohne zu burlesken Possenfiguren zu
verzerren. Man muß bedenken, daß Shakespeare
ohne humanistische Bildung war, das heißt, daß
ihm die klassische Anschauung von Heldentum,
von Heiligkeit der Schönheit und Beinheit der
Sinneulust gänzlich fremd war, daß femer Vergil
sowie die spätrömischen und mittelalterlichen
Dichtungen , welche die Briten von trojanischen
Helden abstammen iiefien, weit populärer waren
als Homer. Die Blasphemie gegen Homer ist ihm
also gar nicht so übelzunehmen, wie man sie den
Textdichtern von Offenhaehs „Schöner Helena"
etwa übelnehmen dürfte. Aber schließlich ist auch
die „Schöne Helena" in ihrer bubenhaften Nichts-
nutzigkeit ein klassisches Werk zu nennen, und
Shakespeare , dem weder der Geschmack seiner
Zeit noch eine feinere Bildung verbot, in dem
trojaniBchen Kriege etwas anderes zu sehen als
die lächerliche „Geschichte eines Hahnreis und
einer Hure", wie er selbst sagt, mußte sogar eher
darauf verfallen, den Stoff parodistisch als würdig
^^_ uaraui vei
^M 102
TroilQB und Creagida
erhaben zu beliaudeln. Er wollte seinen Witz mit
seioem Grimm zugleich auslassen an diesen groß-
mächtigen Helden, die sich da zelin Jahre lang um
eine davongelaufene Ehefrau herumprtlgeln und es
mit dem Mundwerk jeder mit zehn alt«n Weibern
aufnehmen konntetk. Mit dem Stück selbst hat er
sich wenig Mühe gegeben, aber sein ganzes da-
maliges Selbst, vergrämt, geknickt, zu wilder
Menschenverachtung aufgestachelt, wie es war, das
verdichtete er in der Figur des Thersitea. Mit
den AugL'U des Thersites sah er nicht nur die
homerische Welt, sondern auch seine eigene an.
Überall sab er die plumpe Kraft über den freien
Geist triumy»hieren, die dumme Masse die Einsamen,
Eigengearteten überrennen, den eitlen Poseur über
den schlichten Geradsinn echter Vornehmheit
triumphieren, überall auch die äußerlich glänzenden
Taten aus innerlich kleinlichen Beweggründen ent-
springen; und in dieser Stimmung sah er auch in
der Liebe nur einen niedrigen Trieb, im treu-
ergebenen heifientHammten Manne den dummen
Jungen und im schwachen Weibe die Versucherin
von Anbeginn, die personifizierte Sünde, die mit
der Schlange Euhlschaft pllegt. Mit kranker Seele
schuf er diesen Thersites, aber, Genie wie er war,
schuf er das klassische Schimpfgenie. Wie sein
Faletaff den Humor des Lumpentums, so bringt
sein Thersites den Witz krankhafter Weltvorachtung
Troilns nnd CreBaidu
zum großartigsten künstlerischen Ausdruck. Die
Heftigkeit seiner seelischen Verstörung, die Wucht
seines Grimmes brachte in die beabsichtigte Posse
das tragische Element hinein. Der dumme Junge
erschien ihm lächerlich, aber er wurde ihm unter
den Händen zu einer rührenden Gestalt, einfach
dadurch, daß er das bißchen Leichtsinn der witzigen,
koketten, kleinen Cressida gar so bitter ernst nahm,
und daß ihn sein dichterischer Genius für den
Liebesjubel, wie für die Verzweiflung des guten
Troilus "Worte finden ließ, die an Schwung und
bilderreicher Phantasie die Sprache seines Romeo
widertönen läßt. Auch den Nestor wollte er offen-
bar nur als selbstgefftlligen Schwätzer, den Ulysses
als schlauen Fuchs und Ränkeschmied mit advu-
katenhafter Beredsamkeit und den Achilles als
eitlen Poseur und geistige Null hinstellen und läßt
sie dennoch in ihrem zumeist mit deutlicher Ab-
Bicht übertriebenem Wortschwall köstliche Sentenzen
und poetisch glänzende Perioden reden. Man
möchte fast meinen , daß ihm bei solchen Stellen
die Stimmung mit der Feder durchgegangen sei,
daß er in der Freude über den gelungenen Fluß
der poetischen Rede die Absicht der Parodie ver-
gessen habe. Andererseits bezeugt gerade das viel-
fache Herausfallen aus dem Stil, femer das Be-
hagen, mit dem er seinen Pandarus und sogar
Helena in Zoten sich ergeben lilßt , zusammen-
Troilus und Creasida
gelialten mit der überaus lockeren Struktur der
Handlung und der ganzen bastigen Nachlässigkeit
des Aufbaues, daß man es mit einem in verdüsterter
galliger Stimmung rasch hingeworfenen Gelegen-
heitswerk zu tun habe. So mag er es wohl, den
Kopf noch heiß von der leidenschaftlichen Arbeit,
seineu literarischen Freunden in der Kneipe zum
„Meermädchen" oder zum „Teufel" vorgelesen
haben, und sie mögen über die Zoten des Faudarus
und den wilden Witz des Thersites gebrüllt und
Ober die langen Reden der ernsthaften Charaktere
ein wenig gegähnt haben. Dann wird Shakespeare,
zufrieden, sein Mütchen gekühlt zu haben, das
Manuskript, als er es mit klarem Kopfe noch ein-
mal wieder durchlas, als zur Aufführung ungeeignet
in irgend eine Ecke geworfen haben. Vielleicht
haben es sich dann später Leute , die von jener
Vorlesung gehört, einmal ausgeborgt, und so mag
es in die Hände des Buchhändlers geraten sein.
Einer gründlichen Durcharbeitung dürfte Shake-
speare selber das Werk nicht mehr wert erschienen
sein, er wird wohl nur gehörig daran gestrichen
und es im übrigen einstudiert haben, wie es war,
mit allen seinen offenbaren Schwächen, mit dem
Minimum von Handlung in den ersten Akten, mit
dem völligen Mangel eines irgendwie befriedigenden
Schlusses. Das Stück scheint auch tatsächlich
keine großen Erfolge gehabt zu haben, denn es
Troitns und Crogaid&
wird seiner später gar nicht mehr erwähnt, und
nie wieder seit Shakespeares Zeiten bat sich ein
Theaterdirektor seiner angenommen. Sein nach-
haltigster Erfolg ist der gewesen, daß die große
Rede des Ulysses über die „heilige Ordnung" in
die SchuHesebücher aufgenommen wurde und seit-
her von allen englischen Gymnasiasten auswendig
gelernt werden muß.
Diese Erklärungsweise ist nichts weniger als
eine philologische, obwohl einige beglaubigte äußere
Fakla den Anstoß dazu gegeben haben, sondern
eine rein psychologische. Die seelische Verstim-
mung, das große Leid eines ächten Dichters pflegt
eich, wenn er eine robust männlich empfindende
Persönlichkeit ist, am liebsten in höhnischem Witz
und in derber Zote zu entladen. Eine solche Ge-
waltsamkeit der Entladung wäre übrigens auch
dem Charakterbilde des großen Dichters ebenso-
wenig abträglich wie etwa die Wilddieberei, deren
er sich in seinen Jünglingsjahren schuldig gemacht
haben soll, (Eine Überlieferung, welche, nebenbei
bemerkt, alle neueren englischen Forscher als
,made in Germuny" belächeln.) Aus bürgerlichen
Tugenden, wohltemperierten Empfindungen und
' Ästhetischen Katechismus-Qualitäten knetet man
Oberhaupt keine großen Dichter zusammen. Ein
Dichter, der von Berufs wegen genötigt ist, gleich
Loge alle „Winkel der Welt" zu durchreisen, auf
Troilus nad Gressida
die Sonnenhöhe edelsten Gefühls- und Gedanken-
.lafsch^ungs ebenso wie in die schwärzeste Tiefe
der Gemeinheit und des Lasters sich versetzen, alle
menschlichen Leidenschaften nachfühlen zu können,
ein solcher Dichter ist wahrlich ebensowenig zu
einem bürgerlichen Lebenswandel , der seinem
Pfarrer Freude macht, als zu einem künstlerischen
Wohlvevhalten veriiflichtet , das vor den Augen
seines ehemaligen Schulrektors bestehen könnte.
Es gibt keine verkehrtere Betrachtungsweise für
das Werk eines großen Toten als davon auszugehen,
daß ihn beim Schaffen nur immer die erhabensten
Gesichtspunkte geleitet haben könnten, und daß
Schwächen, ja offenbare grobe Irrtümer und Ge-
schmacksverirrungen ihm gar nicht passiert sein
könnten. Der richtige Philologe interpretiert alles,
was zu dem Schema , das er sich von dem zu er-
klärenden Meister entworfen hat, nicht paßt, aus
dem Werk hinaus, und wenn er Scharfsinn genug
dazu besitzt, so überzeugt er uns durch innere und
äußere Beweise, daß die betreffenden Stellendes
Anstoßes entweder von dem gesunden Menschen-
verstände bisher immer falsch aufgefaßt worden
seien, oder gar, daß sie überhaupt nicht von der
Hand des Dichters herrührten, sondern einfach
spätere Fälschungen darstellten. Shakespeare bietet
dieser Art von gelehrten Bearbeitern ein schier
unendlich großes Feld für ihre Tätigkeit, und er
iTioiluB and CresBida
l wälzt dem Bestreben, seineu Genius unter allen
I Umständen als über alle Menschlichkeit erhaben
I darzustellen, die größten Hindernisse in den Weg.
iMan hätte sich von der harten Nußknackerarbpit
( Tiel sparen können, wenn man im Äuge behalten
hätte , daß Shakespeare nun einmal kein Poet im
Stile unserer modernen Atelierdichter in Sammet-
\ Joppe und Schlapphut, sondern ein mäßiger Schau-
spieler war, der in mUbsamem Ringen ums tägliche
Brot sich langsam zum Schnuspielunternehmer
hinaufgearbeitet hat, der auf Gelderwerb bedacht
sein mußte, um die Verpflichtungen, die eine frflhe
törichte Heirat ihm aufgeladen, erfüllen und auch
nm einigermaßen mittun zu können in dem Kreise
vornehmer Lebenskünstler, die für ihn den einzig
ersprießlichen Umgang bildeten. Darum war er
oft genötigt, rasch zu arbeiten, darum griff er so
häufig zu älteren Stücken, um sie umzuarbeiten,
; darum endlich mußte er gewiß manche Arbeit auf
[ die Bretter stellen, bevor sie seinem eigenen küust-
f lerischen Gewissen noch vollständig genügte. Er
war zunächst ein junger Abenteurer aus der Pro-
vinz , der ohne festes Ziel und ohne genügende
Kenntnisse in irgendeinem. Zweig, aber mit tausend
tollen Plänen und mit lebhaftem Interesse und
offenen Augen für alle Dinge dieser Welt sich nach
der Hauptstadt aufmachte, um dort sein Glück zu
suchen. Das Theater zog ihn mächtig an , das
romantiscli angehauchte Lumpentum der Kom9-"l
dianten , uuf das hier und da Gnadenstrahlen aus
der hohen Welt des damals gerade so glänzenden
und gebildeten Adels fielen, lockte ihn just so sehr,
wie es noch heute manchen jungen Mann aus der
Provinz verlockt, und wie von diesen manche, bei
denen es zum großen Schauspieler nicht langt,
nachher Theatergeschäftsleute, d. h. Direktoren,
Agenten oder Stückefabrikaiiten werden, so wurde
auch Shakespeare Theatergeschäftsmann; und da
das Theaterwesen damals auf einer verhältnismäßig
hohen Stufe der geistigen und sozialen Bedeutung
stand, so konnte es dem blutvollen Renaissance-
menschen zu einer hohen Schule aller Weisheit
werden, deren ein Poet benötigt. Wir erleben es
ja auch heute oft genug, daß die hohe Schule des
Theaters aus ungebildeten leichtfertigen Mädchen
der niedersten Herkunft große Weltdamen von be-
zaubernder Anmut des Geistes und vollendeter
Sicherheit des Auftretens macht, wie es entlaufene
Lehramtskandidaten und Badergesellen zu Männern
von feiner geistiger Kultur modelt, die über ernste
Fragen der Zeit ein verständiges Wort mitzureden
wissen, und die, wenn sie von Haus aus dichterische
Veranlagung mitbringen, über den akademisch ge-
schulten wirklichen Dichter oft recht ansehnliche
Vorteile erringen. Geraile der Umstand, daß
Shakespeare praktischer Theütermann war, macht
i
Troilus und Cre-seida
das rätselhafte seiner Größe begreiflich, zu dessen
Erklärung Leute, die das Wesen des Genies nicht
Terstehen können, den Geist des größten Gelehrten
jener Zeit zu Hilfe rufen zu müssen glaubten. Er
stand von Berufs wegen im täglichen Verkehr mit
den feinsten Geistern seiner Zeit, indem er ihre
Werke inszenierte und darin spielte. Er hatte
reichlichere Gelegenheit als irgend ein gelehrter
Stubenhocker, unter dem merkwürdigen Theater-
volk und dem theaterfreudigen Puhlikum, das sich
um sie drängte, Menschen von allen Arten, von
allen Temperamenten, Leidenschaften und Sitten
kennen zu lernen: vornehme Damen und lustige
Dimlein , junge Edelleute aus Familien , die dem
Throne am nächsten standen, und verlotterte Kneip-
genies im Stile des Sir John, bis hinunter zu ver-
wogenen Gesellen, die heute \-ielleicht in der
Kneipe mit den Komödianten verpraßten , was sie
gestern als Straßenräuber mit geschwärzten Ge-
sichtern reisenden Kauflenten abgenommen hatten.
Auf der Suche nach Stoffen lernte er dann all-
mählich einen großen Teil der Weltliteratur, soweit
sie ihm wenigstens in Übersetzungen zugänglich
war, kennen, und diese Lektüre ersetzte dem mit
der unerhört vielseitigen und leichten Auffassungs-
gabe des Genies Ausgerüsteten reichlich historische,
philosophische und andere Kollegien, Reisen und
Quellenstudien. Dazu kam, daß er, wie das ächte
Troilus und Cresaidj
Genie fast immer, mit großem Fleiß uod brennendem!
Ehrgeiz begabt war. So wenig wir also die weit*
umfassende Gedankenwelt Shakespeares oder difl^
Schärfe seines oft sogar der Erkenntnis seiner Zeitfl
vorauBeilenden Geistes oder die künstlerische Voll>J
endung seiner Form als unvereinbar mit dem«
Wesen eini^s gebildeten Theatergeschäftsmannes ml
bestaunen brauchen, ebensowenig brauchen wir uns«
zu scheuen, das offenbar Minderwertige, Unfertige!
oder gar Mißglückte in seinen Hervorbringungen I
als solches anzuerkennen. Wir tun damit seiner.!
Größe wahrlich keinen Abbruch, im Gegenteil,!
diese Größe wäre tatsächlich unbegreiflich, wen&l
jene Unzulänglichkeiten, die den Schöpfer als Kind.!
seiner Zeit, als gehetzten Daseinskämpfer und als!
Untertanen seiner menschlichen Irrtümer und!
Leidenschaften zeigen, nicht da wären. Und wasj
speziell „Troilus und Cressida" betrifft, so wQßtel
ich nicht, warum ein solches rasch hingeworfenes t
unfertiges Produkt einer galligen Laune seiner!
Dichtergröße Abbruch tun sollte , besonders da f
gerade in diesem Werke sein genialer Witz, seiue i
wunderbar feine Charakterisierungskunst , seine |
Sprachgewalt und seine goldenen Sentenzen ver- I
Bchwenderisch um sich streuende reife Weltweisheit j
ao glänzend zur Geltung kommt, wie nur in den!
besten seiner sorgfilltig ausgeführten Dramen. |
Gerade in diesen Tagen, während deren ich diese!
^^* TroiluB und Cressida
Seiten uiederschreibe , ist eioe neue Bearbeitung
des vielumstrittenen Werkes von Adolf Gelber
in der Folge seiner „ShakespeariBchen Probleme"
(Wien, Verlag von Karl Konegen) erschienen,
welches in der Vergötzung unseres Genies das
Tollste leistet, was bisher auf diesem Gebiete da-
gewesen ist. Gelber leugnet die Absicht der
Parodie ganz und gar, stellt „Troilus und Cressida"
hin als „eine hohe Tragödie von vollendetem
künstlerischeu Aufbau", als .,ein Gedicht von den
größten Leiden des Menschengeschlechts, worin er
die Menschen am zärtlichsten liebte" und schliefl-
lieh gar als „die früheste und innigste Vermahlung
der Antike mit dem nordischen Geist". Er findet,
di)ß in dieser Tragödie von den Leidenschaften
jugendlicher Völker , Kampf und Liebe , das
klassische Ideal keineswegs in den Staub gezogen,
sondern Homer vielmehr durchgeistigt, vervoll-
kommnet und vollendet sei! Ich habe Achtung
vor der glühenden Begeisterung, die Gelber seinem
Shakespeare entgegenbringt, und vor der starken
Phantasie , mit der er seine Ansicht zu beweisen
I sucht, aber wenn er in söincr Bearbeitung diese
Ansicht dadurch unserem heutigen Theaterpublikum
vermitteln will, daß er aus dem Text einfach alles
herausstreicht, was ihr mit greller Deutlichkeit
widerspricht, und dafür durch eigene Hinzu-
dichtungeu, welche nicht nur die Szenenführung,
Troilna und CTegBidA
aondem auch den Gedanken- und Empfindungs-
inhalt gänzlich verändern, sich Beweise herbei-
zwingt, so halte ich dieses Verfahren denn doch
für eine Kompetenzüberaehreitung des Kritikers
und Bearbeiters, für die es keine Entschuldigung
gibt. Ein Bearbeiter darf, wenn er den nötigen j
Geschmack dazu besitzt, mit dem Text so frei um-
springen, wie er will, um die oft unerträglich ver-
blümte, überladene Rede dem heutigen Publikum
verständlich oder den durch Zeitanspielungen rätsel-
haft gewordenen Witz genieBbar zu machen; er
darf streichen, was wir heute als Lftngen empfinden
müssen, er darf Szenen umstellen, wo es die heutige
Praxis des schwierigen Bllhnenmechanismus er-
fordert — aber er darf nicht den Sinn im ganzen
und im einzelnen in sein Gegenteil verwandeln,
darf nicht, wie z. B. Gelber tut. Reden des Ulysses,
Nestor und Agamemnon willkürlich untereinander
vertauschen, Szenen hinzuschreiben, von denen kein
Wort im Original steht, und durch Umstellen von |
Szenen und Szenenteilen in anderem Zusammen-
hang deren Sinn vollständig verändern. Die dem
Dichter so überaus gelungene Figur des alten ]
Nestor verschwindet bei Gelber bis auf einen nichts- ]
sagenden Rest. Die köstliche Kußszene im vierten 1
Aufzug, wo Cressida dem griechischen Feldherm j
vorgestellt wird , streicht er ganz. Den Ulysses J
und den Achilles macht er durch kühne Text«
Troilns und CresBida
fölchungen und AuslasBung wichtigster Charaltter-
ztige zu Ideal gestalten, und den Troilus läßt er
mit einer schönen Rede eigner Arbeit sterben, um
der Tragödie einen Schluß zu geben. Es ist sehr
schade, daß Gelber sich durch eine vorgefaßte
Meinung von den idealen Absichten des Dichters
sich zu solchen groben Fälschungen hat verleiten
lassen, die nicht einmal den Zweck erftlUen, das
Werk zu einem genießbaren Theaterstück zu
machen, denn zur Erfüllung dieser letzteren Auf-
gabe wäre Gelber, der an Geist und Phantasie
unsere philologischen Querköpfe wie auch unsere
Dnrchschnittsregisseure. weit überragt, sehr wohl
föhig gewesen , wie seine szenischen Anordnungen
an vielen Stellen — besonders im dritten Aufzug —
deutlich beweisen.
Als Ludwig Ganghofer, der erste Vorsitzende
der von mir Ende 1897 gegründeten Münchener
literarischen Gesellschaft, zuerst mir den Vorschlag
machte, „Troilus und Cressida", und zwar auf einer
möglichst ächten Shakespearebühne, zur Aufführung
zu bringen, war ich, wie ich gestehen muß, zu-
nächst nicht allzu begeistert für diesen Plan. Ich
bin beim Theater aufgewachsen und mit seinem
innersten Wesen vertraut; daher wußte ich von
vornherein, daß das Werk eines berühmten Dichters,
von welchem sämtliche Theaterleiter der zivilisierten
Welt seit nun fast dreihundert Jahren beharrlich
vm.
Troilua und CreBsids I
keine Koti/ genommeu liabeii, sicherlich nicht so
leicht zu einiger BOlinen Wirksamkeit zu bringen
sein würde. Fast regelmäßig hat es sich gezeigt,
80 oft ehrgeizige Theaterleiter sich durch die
Mahnung gelehrter Laien und Fanatiker bestimmen
ließen, ein angeblich aus Mangel an Pietät oder
Eunstgeschmack vernachlässigtes Werk der Ver-
gangenheit auf die Buhne zu bringen , daß die
Praktiker recht hatten. Den Instinkt für das
Wirksame haben in der Tat fast ausschließlich die
Praktiker, und uuter diesen Praktikern haben wir
doch auch hervorragend feine literarische Persönlich-
keiten gehabt, einen Goethe, einen Immermann,
Dingelstädt, Laube, Wilbrandt, Förster u. a. m.
Keinem von ihnen ist es jemals eingefallen, einen
Versuch mit „Troilus und Cressida" zu machen.
Als ich das Buch, mit dem Begieblaustift in der
Hand, zum erstenmal durchgelesen hatte, legte ich
es ziemlich mutlos beiseite. Ich konnte mich der
Erkenntnis nicht verschließen, daß die Theater-
direktoren dieser letzten drei Jahrhunderte mit
ihrer Vernachlässigung dieses Werkes recht gehabt
hatten. Die hohe allgemeiue Verehrung der ge-
bildeten Welt für Homer erschwerte sicherlich von
vornherein unserem Publikum die unbefangene
Würdigung von „Troilus und Cressida" ; allerdings
hat diese selbe gebildete Welt die entzückende
Blasphemie Offenbachs, „Die schöne Helena", mit
Troilus und (Jresaida
einmütigem Jubel hingenommen, aber das war eben
auch eine reine Parodie. Eine solche hat Shake-
speare nicht geliefert, auch nicht liefern köunen,
denn ihm fehlte ja der literarische Gesichtspunkt,
unter dem wir Heutigen den Homer betrachten.
Das Auf und Ab zwischen tiefem Ernst und grobem
Spaß, zwischen boshafter Verunglimpfung und
reinem poetischen Schwung mußte unser gebildetes
Theaterpublikum ärgern und verwirren. Dazu
kamen noch die allzu fühlbaren Mängel der nach-
lässig aufgebauten Handlung und die im Grunde
geringfügige Bedeutung der Liebesgeschichte der
beiden Titelfiguren fUr die Fabel des Sttlckes,
welche doch in der Homerischen Episode vom Zorn
des Achilles besteht; denn Troilus' Verliebtheit
wird nur dadurch von einiger Bedeutung für das
Stück , daß er sich als einziger auf die Seite des
Paris schlägt und durch sein jugendliches Feuer
auch den besonnenen Rektor dazu hinreißt, für
die Fortsetzung des unseligen Krieges einzutreten,
der nur dazu dient, einem verliebten Manne den
Besitz seines geraubten Schatzes zu sichern. Weder
der große Krieg der beiden Völker um den Besitz
der Helena, noch der kleine Krieg zwischen Troilus
und Diomedes um den Besitz der Cressida wird in
dem Stück zum Austrag gebracht, Hektor fällt
durch feigen Meuchelmord, und der baumlange
Maulheld Achilles steckt befriedigt seinen Säbel
TroiluB und Cressida '
ein, während der arme Jüngling Troilus über
Weiberfalschheit jammernd auf dem Schlachtfeld
amherrast — das ist das ganze Ergebnis des
Dramas. Hinterher noch das überaus rohe Schluß-
tableau ; der Kuppler Pandarus apostrophiert in
seiner Wut über die grobe Abfertigung, die ihm
von Troilus zuteil wird, die im Theater anwesenden
edeln Berufsgenossen, Dirnen und anderes Gelichter
und verheißt ihnen seine ekelhaften Krankheiten
als anmutiges Legat in seinem Testament! Und
endlich noch der Mangel au dramatischer Steigerung
innerhalb der einzelnen Akte — die zum Teil aus-
gehen wie die Dreierlterzlein — und der Mangel
an sympathischen Figuren. Zwar sind auch auf
der griechischen Seite alle Gestalten, mit Ausnahme
der blassen Schemen Agamemnon, Menelaus,
Kalchas , interessant , zum Teil sogar genial
charakterisiert, aber keine von ihnen vermag jene
starken Sympathien zu erwecken , von denen ein
echter dramatischer Held lebt. Troilus ist ein
lieber, dummer Junge, der sich sehr brav herum-
haut und mit seiner feurigen Beredsamkeit uns
auch das Herz warm macht, aber das Mitgefühl
mit 80 einem kindisch verliebten und schnöde be-
trogenen armen Jungen stimmt niemals tragisch —
es kann ein gewisses verwünschtes Lächeln niemals
los werden — und das Dirnlein, das ihn verrät,
ist von zu unbedeutender Lasterhaftigkeit, als daß
wir uns ethisch darüber ereifern könnten. Es ist
eben nur ein tragikomisches Pech , welches den
liebenswürdigen Schwärmer Troilua an dieses im
Guten wie im Bösen gleicli unbedeutende Mädchen
geraten läßt.
Aus dieser ganzen Betrachtung geht hervor,
da6 dieses Stück Ingredienzien zur feinen Komödie,
zur derben Posse wie auch zum Trauerspiel ent-
hält, aber ohne Gewaltsamkeit in keiner dieser drei
Gattungen völlig und rechtmäßig unterzubringen
ist. "Wie sollte man nun einem modernen Publikum,
nnd gar dem auserwählten Kreis einer literarischen
Gesellschaft, ein solches Ragout einigermaßen
schmackhaft machen? Das war die Frage, über
die ich mir lange den Kopf zerbrach. Ich las das
Stück wieder und wieder. Ich verliebte mich all-
mählich in die vielen Überaus köstlichen Einzel-
heiten, ich entdeckte immer mehr prachtvoll be-
obachtete Charakterzüge, immer mehr beißenden
"Witz, geistvolle Sentenzen, poetische Schönheiten
des Ausdrucks und wurde so schließlich von einem
brennenden Eifer erfaßt, all diese Kostbarkeiten
zu retten, denn sie waren tatsächlich so gut wie
verloren, weil man „Troilus und Cressida" nicht
einmal zu lesen pflegt. Ich fand zunächst, daß
das Stück noch am ersten unter der Flagge
^Tragikomödie" segeln könnte — eine Flagge, für die
ich sowohl in theoretischen Erörterungen als in
lueinem eigeuen dichterisclien Schaffen schon .
manchen Tropfen edler Tinte verspritzt habe. Eine
gute Tragikomödie nach modernen Begriffen kam
dabei freilich nicht heraus, aber wenigstens brauchte
ich mit dieser Bezeichnung den offenbaren Ab-
sichten des Dichters keine Gewalt anzutun. Ich
ging nun daran, den Text festzustellen. Mit freund-
licher Bewilligung der Verlagebuchhandluug von
Georg Reimer wählte ich die in der Ausgabe
der deutschen Shakespeare-Gesellschaft enthaltene
Übersetzung von W. A. B. Hertzberg dazu aus,
verglich sie sorgfältig mit dem Original und stellte
durch ausgiebige Striche und freie Verdeutschung
einen in Vers und Prosa gleich sauberen Dialog
her, der für unsere Schauspieler sprechbar und für
unser Publikum verständlich ist. Die Frage der
Inszenierung brauchte mich zunächst nicht zu be-
unruhigen, da die Shakespeare-Bühne mich ja aller
Schwierigkeiten, die sonst der häufige Szenen-
wechsel bei Shakespeare bereitet, überhob. Wie
sollte aber diese Shakespeare - Bühne aussehen ?
Das, was unser Münchener Oberregisseur Jocza
Savits so benennt, ist, wie wohl allgemein be-
kannt, nur ein Kompromiß zwischen der ursprüng-
lichen Einfachheit und unserer heutigen Bühnen-
technik. Man sollte sie nicht Shakespeare-Bühne,
sondern Sparbühne nennen; denn sie erfüllt tat-
sächlich nur den Zweck, Mühe und Kosten zu er-
Ttoilns und Creeaida
sparen. Wollte ich eine historisch ächte Shake-
speare-Sühne h^ben, so muESte ich mich an die
von Karl Gädertz bekanntlich zuerst veröffent-
lichte Zeichnung des gelehrten holländischen
Reisenden de Witt halten, welche das Innere des
Londoner Swantheaters darstellt, und mußte mir
danach das Globetheater , in welchem tatsächlich
„TroiluB und Cressida" 1609 aufgeführt wurde, mit
Zuhilfenahme einiger Andeutungen, die sich bei
zeitgenössischen Schriftstellern linden, zu kon-
struieren versuchen. Das war nicht allzuschwer.
Wir wissen, daß der Globe gleich dem Swan ein
oben offenes Somniertheater, aber etwas reicher
ausgestattet und überhaupt vornehmeren Stiles war
wie jenes. Es wird z. B. tiberliefert, daß das
Dach des Bühnenhauses die Figur eines Atlas mit
der Weltkugel gekrönt habe, auf welcher die In-
schrift: „totus mundus agit histrionem" zu lesen
gewesen, und daß der Anstrich der hölzernen
Säulengalerien fast die Täuschung wirklichen
Marmors hervorgerufen habe. Ich fand auch in
dem Oberammergauer Zeno Diemer, dem be-
kannten Panoramamaler, einen Künstler, der mit
Hilfe dieser Andeutungen und der de Wittschen
Zeichnung eine durchaus glaubwürdige Dekoration
vom Innern des Globetheaters für unsere Auf-
führung herstellte. Indem ich mir nun das Stück
auf dieser Bühne inszeniert dachte, alle Auftritte
Troilus und Cressids
und Äbgäuge, die mögliche Gestaltung der
Schlachtenszeneu usw. erw&gend, lösten sich fftr
mich leicht genug die Zweifel und Fragen, die his-
her bei uns ober die BeHchafTeuheit der wirklichen
Shakespeare-Bühne und ihre praktische Verwendung
bestanden haben.
Die zu Shakespeares Zeiten übliche Gestaltung
der Theater erklärt sich durch deren Abstammung
von den Höfen großer Wirtshäuser. Zwei oder
wohl auch gar drei hölzerne Galerien pflegten in
solchen großen Herbergen und Ausspannungen um
drei Seiten des Hofes herumzulaufen. Auf der
vierten Seite stand dann das Stallgebäude mit
seinen großen Toren, Dachluken und dem hohen,
zum Koruspeieher bestimmten Giebel. An dieser
Stallseite schlugen dann die herumziehenden Ko-
mödianten ihre Bretterbühne auf, die bis zu zwei
Drittel des vorhandenen Kaumes so in den Hof
hineingebaut war, daß die Zuschauer nicht nur
vor, sondern auch zn beiden Seiten der Bühne
Platz fanden und außerdem von den Galerien
herabschauen konnten. Als die Theater in London
zu einer ständigen Einrichtung wurden, baute man
nach diesen Vorbildern eigene Schauspielhäuser.
Ein festes Bühnenhaus zunächst, welches genügende
Räumlichkeiten zum Ankleiden für die Schau-
spieler, zur Aufbewahrung der Garderobe und
Requisiten, desgleichen auch Wohnungen für das
id/^H
1er ^1
rar ^^
TroiluB UDd Creasida.
AufBichtspersonal enthielt. Dieses Gebäude war
dreistöckig und in der Höhe des ersten Stockes
mit einem von zwei Säulen getragenen Vordach
versehen, welches bei den besseren Bühnen jeden-
falls für Turm-, Balkouszenen und dergleichen be-
nutzt werden konnte. Auch mögen wohl nicht be-
schäftigte Schauspieler und begünstigte Theater-
habituös gelegentlich aus den Fenstern der ersten
Etage oder gar von dem Dache des Vorbaues
herab dem Spiel zugeschaut haben. Zwischen den
beiden Säulen, welche den Vorbau trugen, befand
sich ein zum Auf- und Zuziehen eingerichteter
Vorhang, und in dem durch ihn abgeschlossenen
Baume wurden dann die Szenen gespielt , die in
Kerkern, Grabgewölben, Hütten und anderen
kleineren geschlossenen Räumen vor sich gingen.
Die Ausstattung der Szene mit Tischen, Bänken
und was sonst erforderlieh war, konnte erfolgen,
während auf dem Podium vor dem Vorhang ge-
spielt wurde. Es führten aus dem Bühnenhaus in'
diesen abgegrenzten Kaum zwei Tore, durch welche
die Schauspieler ein- und aus gingen, und es dürfte
eine allgemein übliche Annahme bestanden haben,
daß das eine dieser Tore für die aus dem Haus,
beziehungsweise aus dem Innern der Stadt, das
andere für die von der Straße, beziehungsweise
aus der Gegend vor der Stadt auftretenden Schau-
spieler bestimmt war. Während vor dem ge-
TroiluB und GresBida
schlosseueii Vorhang eine Szene spielte, konnten
neu hinzukommende Personen einfach hinter den
beiden Säulen hervortreten, ohne den Vorhang zu
oSnen , denn an den beiden Flanken war dieser
veraudaartige Vorhau jedenfalls olfen und das
Podium sicherlich so breit , daß neben den beiden
Säulen noch genügender Raum 2um Vorbeischreiten
blieb. Ich habe, um den nötigen Platz ftlr das
Orchester und die Komparserie zu gewinnen, das
Podium von den beiden Säulen aus rechts und
links bis an die unterste Galerie fortgesetzt, denn
es ist überliefert, daß Shakespeares Orchester
(aus zehn Mann, und zwar einem Lautisten, einem
Pauker, vier Blechbläsern und vier Holzbläsern
bestehend) rechts von der Bühne im Hintergrund
plaziert gewesen sei, wahrscheinlich in den hintersten
Logen der ersten Galerie. Da aber diese auf dem
gemalten Hintergrunde natürlich perspektivisch
verkleinert werden mußten , so konnte ich dort
keine lebenden Personen unterbringen. Das dritte
Stockwerk des Bühnenhauses ragte beim Swan-
theater und vermutlieh auch bei den änderen
feineren Bühnen über das Logenhaus hinaus. Es
trug gleichfalls einen kleinen Balkon oder Erker,
von welchem aus ein Trompeter eine Fanfare ins
Land hinaosschmetterte, welche dem Volke, das
sich draußen im Gehölz erging, wo sich der Bären-
zwinger befand, oder auch sich noch zu Schuf auf
der Themse herumtrieb, verkündete, daß das Spiel
' seinen Anfang nehme. Auf dem Dache wehte an
Spieltagen eine Fahne mit dem Sinnbild des be-
treffenden Theaters. Es ist möglich, daß sich auf
dem Globetheater eine plastische Darstellung des
Atlas mit der Erdkugel befunden hat, doch scheint
mir dies nicht sehr wahrscheinlicli, weil eine solche
etwa gar in Erz gegossene Figur denn doch wohl
ein zu kostspieliger Luxus für die damaligen
Theaterverhältnisse und auch wohl eine zu schwere
Last für den gewiß nicht allzu wuchtigen Bau
gewesen wäre. Bei meiner Aufführung am Gärtner-
platztheater mußte ich auf dieses dritte Stockwerk
verzichten, da die Höhe der Bühne nur acht Meter
betrug (höher sind überhaupt wohl nur wenige,
ganz große Opembühnen), und ausgewachsene
Menschen in zwei Etagen Übereinander agieren
mußten. Den Atlas mit der Erdkugel Labe ich
dementsprechend als Freskogemälde auf der Hinter-
wand, nahe unter dem Ziegeldache des Bühnen-
hauses anbringen lassen. Die Umfassungsmauer
des Zuschauerraumes schloß sich an das Bühnen-
haus in Form eines Rechteckes mit abgerundeten
Ecken an und gab dem Balkenwerk der beiden
hölzernen Galerien, welche also das Logenhaus
darstellten , die Stütze, Eine schräge Bedachung
aus Stroh oder, wie im Globetheater, nachdem es
einmal abgebrannt war, aus Ziegeln schützte das
Troilns and Creaeid«
Logenpublikum vor Regen. Rechts und links in
der Umfassungsmauer befand sich je ein großes
Eiiilaßtor, in weichem die Diener postiert waren,
die das Eintrittsgeld erhoben. Dies war übrigens
für die besseren Logenplätze recht teuer, bis zu
acht Mark nach dem heutigen Geldwert. Dafür
hatten es aber die Parterrebesucher um so billiger.
Das Theater war damals so außerordentlich popu-
lär, daß sich zu den Vorstellungen selbst der
schwersten Tragödien nicht nur der kleine Bürger-
stand, sondern auch Matrosen, Lastträger und selbst
allerlei verdächtiges Gesindel drängte. Diese Leute
haben schwerlich mehr als einen Penny, nach
heutigem Geldwert immerhin vierzig bis fünfzig
Pfennig, bezahlt. Dafür mußten sie aber auch
stehen, wenn sie nicht eigene Sitzgelegenheit mit-
brachten. Im Hintergrund des Stehparterres be-
fand sich ein großer , offener Bottich , in welchen
die Leute ungeniert ihre Notdurft verrichteten und
allen Unrat hineinwarfen. Natürlich verpestete
dieser Bottich die Luft, besonders an heißen Tagen,
entsetzlieh, und es wurde von Zeit zu Zeit Genevre
abgebrannt, um den Gestank zu beseitigen. Die
Schauspielunternehmer wie auch das feinere Pu-
blikum gaben sich Jahrzehnte hindurch vergebene
Mühe, diese abscheuliehe Einrichtung zu beseitigen —
das Volk ließ sie sich nicht nehmen. Gespielt
wurde in diesen oifenen Theatern zwischen drei
m 1
r
Troilos und Cressida
und sechs Uhr nachmittags ^ in den geschlossenen,
wie z. B. Blakfriars, in den Klosterschulen und
bei Hofe auch im Winter und bei künstlicher Be-
leuchtung.
Es gab für mich zweierlei Wege, das Problem
der ächten Shakespeare-Bühne in einem modernen
Theaterraum zu lösen: entweder ich mußte die
vordere Öffnung der Bühne zum Hintergrund
machen und das Podium über das Orchester hin-
weg bis in das Parkett hineinbauen. Das wftre
aber nicht nur kostspielig, sondern auch unschön
gewesen, und die verhältnismäßig tief unter dem
Podium sitzenden Parkettbesucher hätten in zum
Teil sehr unbequemen Stellungen hinaufschauen
uiüsaen, ohne doch die ganze Bühne zu übersehen.
Der zweite Ausweg war der, das Podium auf der
Bühne selbst zu errichten und Prospekt und Ku-
lissen das Logenhaus vorstellen zu lassen. Ich
entschloß mich für das letztere Verfahren, und
damit war auch die Notwendigkeit gegeben , die
gemalten Logen und das Parterre, das heißt den
zu beiden Seiten des Podiums noch leer bleibenden
schmalen Raum mit Publikum anzufüllen. Dieses
Publikum mußte dann aber selbstverständlich mit-
agieren , wenn die ganze Darstellung nicht lang-
weilig werden sollte. Und so kam ich dazu , ein
von den Zuschauem zu spielendes Stück um
„Troilus und Cressida" herum zu schreiben. Das
Troiius und Oreasids
bekannte , sehr lesenswerte Buch von T h o r D -
b u r y „Shakespeares England" gab mir eine
reiche Ausbeute von charakteristischen Schilderungen
und Anekdoten über das damalige Leben überhaupt
und das Betragen des Publikums im Theater im
besonderen. Alles, was man in meinen Vor- und
Zwischenspielen finden wird, beruht also auf wohl
belegter historischer Überlieferung, und ich habe
mich auch bemüht , die Ausdrucksweise einiger-
maßen Shakespearisch zu färben. Die Reden sind
von mir englisch gedacht und dann ins Deutsche
übertragen worden, und ich hoffe durch dieses
Verfahren eine leidliche Ächtheit des Tones erreicht
zu haben. Natürlich mußte hierbei auch die
Theaterkonvention in dem Sinne walten, daß sich
aus dem allgemeinen Stimmengewirr nur immer
diejenigen Gespräche vornehmlich loslösen, welche
für den Zuhörer Interesse haben. Die literarischen
Unterhaltungen der jungen Lords mögen freilich
etwas zu absichtlich anmuten, aber man wird mir
das um des guten Zweckes willen verzeihen. Sie
ersparen lange Vorreden und Abhandlungen und
machen auch dem unvorbereitet ins Theater kom-
menden Zuschauer manche Seltsamkeit des Stückes
und der Darstellung ohne weiteres verständlich *).
*) Diese meine Beurbeitiing ist erachienen in Ph.
Reclama Universal-Bibliotliek Band 10 des „Bühtten-Sbake-
Bpeare".
Troüua und Creesida
Die Kostümierung darf natürlich nicht in
unserem Sinne historisch sein. Zu Shakespeares
Zeiten kanute man historisch ächte Trachten nur
in den von Gelehrten inszenierten Festspielen hei
Hofe , vielleicht auch in den Klosterschulen. Auf
den öffentlichen Bühnen wurde dagegen immer im
Kostüme der Zeit gespielt, wobei allerdings auf
Pracht und Kostbarkeit der Gewänder viel Gewicht
gelegt wurde. Es wird von fabelhaften Summen
berichtet, die für einzelne Kostüme der Darsteller
vornehmer Personen ausgegeben wurden. Aber es
ist sicher , daß die Griechen und Trojaner in
„Troilus und Cressida" in der Tracht der ersten
Regierungszeit König Jakobs, vielleicht auch noch
in der zu Elisabeths Zeiten beliebten spanischen
Hoftracht einhergingen und höchstens durch antike
Embleme (d. h, antik im Sinne der Renaissance),
als z, B. Helme, Schilde, Panzer, als griechische
Helden gekennzeichnet waren. Eine weitere Folge-
rung der ächten Shakespeare-Bühne ist die Dar-
stellung der Frauenrollen durch Männer, und ich
habe diese Folgerung bei meiner Aufführung am
Gärtnerplatz-Theater unerschrocken gezogen, trotz
des heftigen Widerspruchs, den ich damit bei vielen
Mitgliedern des Vorstandes der literarischen Ge-
sellschaft fand. Zwar versteht es sich von selbst,
daß wir heutzutage schwerlich viele junge Männer
finden werden , die es in der Darstellung von
TroiluE und Cceasida
zarten Madchen gestalten mit den zu Shakespeares
Zeiten für diese Rollen vorhandenen Kräften auch
nur einigerniaßen aufnehmen könnten. Damals
wurden Schauspielerkinder von früh an für diesen
Zweck geschult, und fast alle später berühmten
Charakterdarsteller oder Komiker haben in ihren
Knabenjahren Frauenrolicn gespielt. Ältere Frauen
wurden allerdings auch von erwachsenen jungen
Männern dargestellt, denn es wird uns in einem
Privatbriefe aus jener Zeit berichtet, daß sich ein-
mal der Beginn einer Vorstellung verzögert habe,
weil die Primadonna noch nicht rasiert war. Aber
die Cressida ist sicherlich von einem vierzehnjährigen
Knaben gespielt worden , wahrscheinlich gar nicht
übel, sicheriich aber weitaus nicht so gut, wie heute
diese Rolle von jeder besseren Schauspielerin dar-
gestellt werden würde. Die weibliche Verkörperung
gerade dieser Rolle hätte also unter allen Um-
ständen einen falschen Zug in das kulturhistorische
Bild, auf dessen Ächtheit es mir in allererster
Linie ankam , hineingetragen , einen Zug , über
welchen die Phantasie auch meiner literarisch ge-
bildeten Zuhörerschaft nicht so leicht hinwegge-
holfen hätte, als wie über die derben Bewegungen
und den schlecht verhehlten Baß der Cressida, die
ich zu bieten vermochte. Mit der Besetzung der
Helena und der Kassandra habe ich übrigens einen
Bo glücklichen Gritf getan , daß die Vortäuschung
Troilus und CresBida
der Weiblichkeit eine fast vollkommene war. Für
die öffentliche Darstellung meiner Bearbeitung
möchte ich aber selbst vorschlagen, zugunsten der
Wirkung auf die Ächtheit zu verzichten und die
Frauenrolien ruhig durch Damen darstellen zu
lassen. Es muß alsdann der Phantasie der Zu-
schauer zugemutet werden, sich junge JSlftnner unter
den weiblichen Gewändern zu denken , und sie
mögen dann im guten Glauben meinetwegen hin-
nehmen, daß die männlichen Frauendareteller jener
Zeiten tatsächlich so Vollkommenes geleistet hätten.
Es ist meine Überzeugung, daß die Knaben, welche
damals einen großen Kuf als Darsteller zarter
Mädchenfiguren, wie Julia, Ophelia, Miranda, Per-
dita usw., genossen, nicht entfernt die Wärme des
Gefühls und die Lieblichkeit der Erscheinung, wo-
mit eine gute Schauspielerin solche Figuren aus-
stattet , vorzutäuschen imstande waren , aber das
Publikum der Zeit kannte es nicht anders, und
daher ließ es sich natürlich auch durch eine für
unsern Geschmack vermutlich höchst mangelhafte
Darstellung solcher Gestalten überzeugen, rühren
und begeistern. Es muß unbedingt diesen Dar-
stellungen der Beigeschmack des Dressierten ebenso
angehaftet haben, als wie wenn man talentvolle
Kinder zur Darstellung von Erwachsenen, zum
Ausdruck von Gefühlen und Leidenschaften ab-
richtet, die sie nicht haben und nicht begreifen
roilus tiud Cressida
können. Es ist überdies anch ganz unzweifelhaft,
daß selbst die berühmtesten Schauspieler jener
Zeit, und das waren zumeist Komiker und Charakter-
spieler, uns keinen allzu großen Respekt abnötigen
würden. Die Schauspielkunst ist ebenso sicher
zum Besseren fortgeschritten wie der Geschmack ,
des Publikums. Trotzdem aber dürfen die heutigen
Darsteller dieser Tragikomödie beileihe nicht etwa
eine besondere "Wirkung darin suchen, daß sie auf
dem ächten Shakespeare -Brettl im Stile von
Schmierenkomödianten deklamieren und agieren;
denn es ist festzuhalten, daß das damalige Publikum
seine Schauspieler (wenigstens die Darsteller der
Hauptrollen), bewundernswert fand und daß es
doch nur die Absicht der Aufführung sein kann,
auf ein heutiges Publikum einen Eindruck hervor-
zubringen, der demjenigen ähnlich ist, den die
Aufführung vor dreihundert Jahren bewirkte. Es
müssen also die Darsteller immerhin ihr Bestes
geben und nur den Stilunterschied zwischen den
meist derb komischeu Prosa- und den poetischen
Verspartien starker hervorheben, als wir dieses
dem heutigen Geschmack nach zu tun pflegen. Die
Prosa war eine Konzession an das Parterre, das
einen derben Naturalismus liebte und den Clown
nicht lange enthehren mochte ; ein Genie wie
Shakespeare und geborener Realist dazu, vermochte
freilich gerade diese Reden fürs Parterre zu
Troilus und Creeeida
Meisterstücken feiner CharakterisierungskunBt und
glänzeDfien Witzes zu gestalten. Die gebundene
Rede dagegen wendete sich an das vornehmere
Publikum, und das war noch stark befangen in
dem unter gelehrtem Einfluß stehenden Kunst-
geschmack, der eine Überladung an Prunk der
Sprache forderte, die gewiß auch den entsprechenden
pathetischen Deklamationston in der Darstellung
bedingt bat.
Es ist ganz selbstverständlich, daß durch das
häutige plötzliche Wechseln zwischen dem hohen
rhetorischen und dem derben naturalistischen Stil,
durch das Kostüm und die primitive Szenerie die
komischen Wirkungen des Stückes viel stärker
herausgehoben werden als die ernsten, und zwar
gerade bei einer guten stilgerechten Darstellung,
Auch meiner im allgemeinen wohl gelungenen Auf-
führung hat fast die gesamte Kritik, in dem Be-
streben recht gelehrt und Shakespeare-reif zu er-
scheinen, vorgeworfen, daß ich das edle Werk in
eine Burleske verwandelt hätte. Das ist aber
keineswegs meine Absicht gewesen; und wenn wirk-
lich einige vom Dichter ernstgemeinte Szenen mit
Lachen begleitet wurden, so lag das nicht an
meiner verkehrten Absicht, sondern an den ab-
sonderlichen Bedingungen der Darstellung. Irgend-
eine der großen Tragödien Shakespeares in diesem
historischen Stile, selbst von hervorragenden Schau-
Troiliu tun
Spielern dargestellt, würde entschieden erstaunlich
viel Komik zutage fördern. Damm wird auch
jeder vernünftige Theaterleiter diesen Werken mit
der Hebten Shakespeare-Buhne vom Leibe bleiben.
Das Wesen der Tragikomödie . als welche ich
„Troilus und Cressida" auffassen zu dürfen glaube,
verträgt jedoch sehr wohl auch eine unfreiwillige
Komik, und gerade darum bin ich der Meinung,
daß dieses seltsame Stück für die heutige Bühne
nur durch den Kuriositätsreiz einer historischen
Darstellungsart gerettet werden könne.
Rus
Richard Wagners Liebesleben
(1895)
i
Aus lUchard Wagoera Liebegleben i£^<'''<£.>*^NSrf'f^
n
Mit derselben neidischen Lüsternheit, mit der
der Proletarier in den schnödesten Machwerken der
Hintertreppen - Literatur sieh seine Wissenschaft
über das intime Leben der reichen und vornehmen
Welt erholt, um dann über deren allgemeine sitt-
liche Verworfenheit angenehm beruhigt zu sein,
mit derselben neidischen Lüsternheit stochert der
Philister in allen Abwässern des Zeitungs- und
Lakaienklatsches herum, um aus den aufgefischten
Abfällen sich die Menschlichkeit der großen
Geister scharfsinnig zu rekonstruieren, leb weiß
nicht, ob unter anderen Rassen das Wort „Genie"
und „genial" auch wie bei uns den gewissen ver-
ilchtliehen Beigeschmack besitzt; der deutsche
Philister wenigstens, das ist sicher, verbindet da-
mit die Vorstellung von sittlicher Minderwertigkeit
und mehr oder minder erheblich gestörter Zu-
rechnungsfähigkeit. Genial heißt auf deutsch un-
gefähr 80 viel als: halbverrückt, zerfahren, ver-
lottert, unfähig zum soliden Haushalten mit dem
Adb Btchard Wagners Liebeeleben
Erworbenen, gänzlich abgeneigt, Schulden zu be-
zahlen , dagegen stets geneigt, rücksichtlos die j
Rechte anderer mit Fügen zu treten und, besonders i
in erotischer Beziehung, den Jagdfrevel zum Lieb- |
lingssport zu machen. Ja , wenn der biedere ]
Philister sich damit begnügen wollte, diese seine I
Umdeutung des Begriffes „genial" kleinen Gerne- '
großen mit lächerlieh herausforderndem Gebaren
anzuhängen , so wUrde man ihm den Spaß gern
gönnen; aber er läßt leider auch die wirklich
Großen nicht ungeschoren, sondern an denen sein '
Mütchen zu kühlen , reizt ihn vielmehr über alle [
Maßen. Man hat ihn in der Schule gelehrt, daß '
es wahre geistige Größe ohne wahre Sittlichkeit
nicht geben könne — und da er sich mit einer
unvorsichtigen Kritik geistiger Leistungen in ge-
bildeten Kreisen leicht lächerlich machen kann, so
hält er sich mit seiner Verkleinerungssucht an das
sittliche Gebiet. Denn was sittlich ist, weiß ja
jeder: nicht mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt
komnien und kein unangenehmes Aufsehen erregen
durch ungewöhnliche Handlungen im Bezirke des '
Familienlebens. Sich mit dem Philister auf eine
Auseinandersetzung Ober den Begriff des Sittlichen
einlassen zu wollen, wäre Torheit; denn wenn er
imstande wäre, diesen Begriff so zu fassen, wie
der freie Mensch, der sich das Recht zur sittlichen
Selbstbestimmung in ernster Denkarbeit aus reinem '
Aus Richard Wagners Liebe alebeu
Willen heraus erworben hat, so wäre er ja eben
kein Philister.
Kaum eines der wirklichen Genies der Neuzeit
hat den Philister so sehr geärgert wie Richard
Wagner. Die früheren Genies hatten ja ein viel
kleineres Publikum als die heutigen, die sich einer
ungeheuren gebildeten Masse gegenübersehen. Galilei
und Giordano Bruno zum Beispiel hatten ihre Sache
mit dem Klerus allein auszufechten, und selbst noch
die drei Wiener Musikgenies vom Ausgang des
18. und Anfang des 19, Jahrhunderts, Mozart,
Beethoven, Schubert, hatten es nur mit der
Koliegenschaft und lokalen Koterien zu tun. Wagner
dagegen geriet als der erste schöpferische Ktlnstler
großen Stils in die Epoche der Eisenbahnen, Te-
legraphen und der Preßfreiheit hinein, in die Zeit
also, in der jede Neuigkeit und alle Weisheit der
Welt für 20 Gutegroschen monatlich jedem Menschen,
der lesen konnte, zur Verfügung stand, und in der
folglich zum ersten Male in der Weltgeschichte
die große Herde mitzureden begann. Was Wunder,
daß der Mann, der sich von jeher jeglicher Be-
.teiligung an den Festfreuden dieser Herde fern-
gehalten hatt«, und von dem Worte stolzer Ver-
achtung solcher Freuden bekannt geworden waren,
dieser Herde, d. h. in diesem Falle dem großen
Publikum, das Zeitungen liest und Theater besucht,
in innerster Seele zuwider sein mußte.
s itichard Wagners Liebeelebeii
Ich erinnere mich noch sehr wohl, wie man in
den Secbzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts
und sogar noch weit in die Siebziger hinein, auch
nach dem Ereignis von Baireuth noch, in diesem
großen Publikum der Persönlichkeit Wagners gegen-
überstand. Von seinen Werken waren nur „Der
fliegende Holländer", „Tannhäuser" und „Lohengrin"
bekannt. An einigen Orten, künstlerischen Haupt-
städten, wo gute Aufführungen erlebt worden waren,
fingen diese Werke eben erst an, in gutem Sinne
populär zu werden, indem die unvoreingenommene
gebildete Jugend sich dafür zu erwärmen begann.
Aber es waren doch immer nur einige wenige
Enthusiasten, die durch dick und dünn mitzugehen
sich getrauten und in gläubiger Inbrunst auf die
neuen Offenbarungen des Genius warteten ; alle die
anderen, mochten sie gleich vor der unmittelbaren
Wirkung des lebendigen Kunstwerkes, besonders in
den Leistungen hervorragender Darsteller überwältigt
sein, hielten sich hämisch vergnügt oder auch ängstlich
an die kritischen Autoritäten, die dazumal Wagners
Orchester für lärmend, seine Harmonik für aus-
schweifend und überladen, seine Melodik für schwer-
fällig und formlos, seine Anforderungen an die
Stimme für unsinnig und verderblich erklärten.
Und hinter diesen paar Werken stand eine mensch-
liche Persönlichkeit, von deren Tun und Treiben,
Wollen und Vollbringen die seltsamsten Nachrichten
L
Aus Richard Wagners Lieheslebcn
in die Öffentlichkeit gedrungen waren. Der Mann,
der in Paris sich elend durchgehungert hatte und doch
erster Kapellmeister am Dresdener Hoftheater ge-
worden war, hatte sich in scheußlicher Undank-
barkeit gegen die Monarchie verschworen, als An-
führer an den Barrikadenkämpfen von 48 teil-
genommen, dann lange Jahre in der Schweiz, Italien,
Paris und London gelebt, jedenfalls von fremdem
Gelde, das er ohne Gegenleistungen skrupellos ein-
strich, um sich dafür in Samt und Seide, und
zwar in einem keineswegs mehr normalen Geschmack
zu kleiden.
Anstatt vernunftige Opern zu schreiben, im
Stile derer, die doch tatsächlich schon so schöne
Erfolge errungen hatten und auch ein schönes
Geld einbrachten, schimpfte er auf anerkannte Be-
rühmtheiten, wie Meyerbeer und Mendelssohn, auf
die verrotteten, elenden Theaterzustände und ließ
diese Schimpfereien sogar gedruckt erscheinen.
Von Zeit zu Zeit tauchte er im Ausland als Konzert-
dirjgent auf, ließ sich die lärmenden Ovationen
überspannter Jünglinge und großer Damen mit
hochmütiger Herablassung gefallen, verschwand
aber immer wieder, anstatt die günstige Konjunktur
vernünftig auszunutzen und seine Lebenshaltung
auf eine solide Grundlage zu stellen, in die mysteriöse
Einsamkeit seiner mit raffiniertem Luxus ausge-
statteten Asyle, um Werke zu schaffen, die nach
AuB Richard Wagiiere LiebeBlcben |
dem Urteil wirklicher Sachkenuer, staatlich appro-
bierter Professoren, Hoftheater - InteDdanten und
dergleichen, geradezu unsinnig waren, nur auB
Dissonanzen und wüster Chromatik mit ängstlicher
Vermeidung jeglicher Melodie bestehend, für die
Instrumente fast und für die menschlichen Stimmen
ganz unausführbar. So sagten die Sachverständigen.
Und dann erfuhr man auch schaudernd, daß dieser
offenbar dem Größenwahn verfallene Musiker seine
treue Gattin, die alles Elend mit ihm geteilt, ver-
stoßen habe, und man muukelte, daß er auf Kosten
des Gatten seiner Geliebten sein luxuriöses Leben
führe. Endlich, nachdem ihm durch das Wohl-
wollen Napoleons III. und auf Betreiben der Fürstin
Metternich eine großartige Aufführung des , Tann-
häuser" in Paris ermöglicht worden, die aber ebenso
glanzvoll durchfiel, wie sie inszeniert war, hatte
dieser überspannte Mensch noch das unerhörte
Glück, daß der jugeudliehe König von Bayern in
schwärmerischer Begeisterung für seine Musik ihn
als Gast in seine Residenz einlud, ihm alles ge-
währte, was seine ausschweifende Phantasie forderte,
und ihm dadurch eine Machtstellung verschaffte,
wie sie vor ihm kaum jemals ein Künstler besessen
hatte. Kein Wunder, daß der Mensch, der die
aufpeitschend sinnliche Musik des Venusbergs, der
Tristan und Isolde geschrieben hatte, nun auch
auf der Höhe seines Glückes in frevelndem Über-
mut sich vollends über Sitte und Ehre hinwegsetzto
und einem seiner trenesten Freunde und eifrigsten
Vorkämpfer einfach die Frau wegnahm, weil die
ihm für seine damaligen Bedürfnisse just die richtige
Gattin dünkte.
So ungeföhr stellte sich Riebard Wagner als
Künstler und Mensch in den Augen des großen
Publikums zwischen 1850 und 1876 dar. Der un-
geahnte Erfolg des Bayreuther Unternehmens machte
es eigentlich erst dein deutschen Herdenmenschen
klar, daß es in diesem überspannten Musiker in
der Tat den größten künstlerischen Genius des
Jahrhunderts besitze, und es schmeichelte der pa-
triotischen Eitelkeit, daß alle Kultumationen diesem
deutschen Opernkomponisten huldigten. Inzwischen
waren ja auch die späteren Tondramen des Meisters
„Der Ring", „Tristan" und „Die Meistersinger"
trotz ihrer angeblichen Verrücktheit und Unauf-
führbarkeit Repertoirestücke aller großen Bühnen ge-
worden und hatten sich nicht nur die Begeisterung der
Auserwählten, sondern auch die scheue Hochachtung
des großen Haufens zu erzwingen begonnen —
aber noch immer verharrte der biedere deutsche
Philister hartnäckig bei seiner vorgefaßten Meinung,
daß man zwischen dem Künstler und dem Menschen
Richard Wagner vorsichtig unterscheiden müsse.
Die Genialität wurde seihst von den musikalisch
Rückständigen zugegeben, eine gewisse verrückte
Aus Ricliard Wiignere Liebealeben
Abnormität als pikante BegleiterBcheinung
Genies lächelnd geduldet, aber die sittliche Minder-
wertigkeit immer noch als eine leider Gottes fest-
stehende traurige Tatsache beseufzt. An diesem
Zustand der öffentlichen Meinung änderte auch das
Erscheinen der vortrefflichen Glasenappschen und
später der Chnmberlainschen Biographie nichts;
denn diese wurden doch fast ausschließlich von
Leuten gelesen, die ohnedies schon unbedingte
Wagner-Freunde waren, und die anderen, die sie
in die Hand bekamen, zuckten nur die Achseln
über diese Mohrenwäsche der Enthusiasten. Wie
oft mag den wirklich Eingeweihten, den Vertrauten
Wagners aus seinen Lebzeiten, den Auserwähtten,
die imstande sind, sich in das Seelenleben eines
Äusnahmsraenschen hinein zu versetzen, schmerz-
licher Ingrimm das Herz beklemmt haben, wenn
sie all ihre LiehesmUh' um die Verteidigung des
Menschen Wagner an dem Starrsinn der Herden-
menschen abprallen sehen mußten. Alles Schreiben
und Reden half nichts : Wagner war und blieb der
rücksichtslose Egoist, der kaltblütig über Leichen
schritt, der Ehebrecher und Frauenräuber.
Nun endlich, zwölf Jahre nach seinem Tode,
übernimmt der Meister selbst seine Verteidigung
in einer Weise, der kein denkender Mensch wider-
stehen kann, und die schließlich auch wohl die
Überzahl der nichtdenkenden Menschen allmählich
Aus Kichard Wagners Liebesleben iS,'^N&riCS£.,<CV^
dazu zwingen wird, ihren Irrtum einzusehen und
kommenden Geschlechtern ihren Wagner nicht nur
als den größten Musiker seiner Zeit, sondern auch
als einen in sittlicher Beziehung vorbildlichen Äus-
nahmsmenschen zu überliefern. Von Professor Dr.
Wolfgang Golther in Rostock im Mai d. J. heraus-
gegeben, erschien im Verlage von Alexander Duucker
in Berlin und liegt bereits in zehnter Auflage vor
das Buch „Eichard Wagner an Mathilde
Weaendonk". Tagebuchblfttter und Briefe 1853
bis 1871. Dieses Werk nimmt nicht nur unter
den bisher erschienenen Sammlungen Wagnerscher
Briefe den ersten Bang ein, sondern gehört über-
haupt zu den allerherrlichsten Offenbarungen einer
edlen Menschen- und großen Künstlerseele, die die
Menschheit besitzt. Es stellt auch den ersten
sicheren Wegweiser durch das bisher der Allgemein-
heit unbekannte Liebesleben Richard Wagners dar
und ermöglicht es dem nachempfindenden Künstler
und Psychologen, sich Wagners Stellung zum Weibe
mit ziemlicher Sicherheit rück- und vorschauend
klarzumachen. Die feinfühlige Frau, der Wagners
leidenschaftlichste und zugleich edelste Liebe ge-
golten, hat der Nachwelt einen unschätzbaren Dienst
erwiesen, als sie die an sie gerichteten wundervollen
Briefe des Meisters nicht, wie dieser wünschte,
vernichtete, sondern zur Veröffentlichung nach
ihrem Tode bestimmte, ich betrachte es selbst-
j(t,,^'''9s3''7»v3'9 Aus Richard Wagners Liebealebea
verständlich nicht als meine Aufgabe, an dieser
Stelle eine kritische Anzeige des bedeutungsvollen
Buches zu gehen, ich will lediglich versuchen, von
dem durch diese Briefe neu gewonnenen Stand-
punkte aus das Liehealeben Wagners zu beleuchten;
»ich will nicht durch Auszüge einem bequemen
Leser das Studium des Werkes selbst ersparen,
sondern vielmehr dessen Kenntnisnahme jedem zur
Pflicht machen, der sich für das Thema ernstlich
interessiert.
Man weiß, daß Wagner kein Wunderkind war;
er hat sich normal und für einen Musiker sogar
ziemlich langsam entwickelt, indem er sich zunächst
80 stark wie nur irgendein mittelmäßiger Epigone
an berühmte Vorbilder anlehnte. Wagner als
jungen Kapellmeistor in Magdeburg und Riga, der
mit jugendlichem Leichtsinn ein äußerst pikantes
Sujet („Das Liebesverbot" nach Shakespeares „Maß
für Maß") dichtete und komponierte und im Hand-
umdrehen unter den unmöglichen Bedingungen
eines schmierenhaften Tbeaterbetriebes auch zur
Aufführung brachte, kann ich mir nicht anders
vorstellen als wie einen der jungen temperament-
vollen Draufgänger, wie sie immer beim Theater
vorhanden waren und vorhanden sein werden. Die
unbeugsame Energie und das acht genialische, fast
übergangslose Pendel schwingen der Seele vom
Himmelhochjauchzen zur Todesbetrübtheit, die sich
Aus Eicliard Wagners Liebesleben %.«<SN£,,,^ni£,^,sn^
durch das ganze Leben des Mannes als charak-
teristische Merkmale abheben, setzen unbedingt
bei dem Jüngling starke erotische Bedürfnisse neben
viel himmelstürmender Schwärmerei voraus. Wagner
wird sich in seiner Magdeburger und Rigaer Zeit
weidlich ausgelebt und der Tollsten einer gewesen
sein. Aber sein Idealismus konnte in dieser im
Theaterleben so billigen und flüchtigen „Liebe"
keine Befriedigung finden ; zum Unterschiede von
den normalen Weltkindem , den gedankenlosen
Realisten und Egoisten, die ihres Daseins Sinn im
Glenuß finden, wird ihm schon damals der Genuß
nichts, die Illusion alles gewesen sein. Und dieser
junge Feuerkopf verheiratet sich bereits in seiner
zweiten Stellung in Magdeburg mit dem ersten
besten netten Mädchen vom Theater. Ohne Sub-
sistenzmittel, ohne irgendwelche sicheren Aussichten
für die Zukunft — rührend blöd wie nur irgend-
ein blondgelockter, gottvertrauender Kandidat der
Theologie. Die krasse Torheit dieser Jugendeselei
beweist uns, daß Wagner trotz seines tollen Tem-
peramentes damals ein grundehrlicher Bursehe von
zartem Gewissen und naiver Güte, nicht nur dummer
Gutmütigkeit gewesen sein muß. Einem Theater-
Kapellmeister mit einigermaßen imposanter Per-
sönlichkeit — und die wird dem jungen Wagner,
trotz seiner kleinen Figur und des starken Sächseins,
sein Temperament und seine berufliche Tüchtigkeit
e.."«^ 145 ^H
I
Aus Richard Wagners Liebesleben
verliehen haben — wird ja beim Theater eine an-
mutige Liebelei so bequem gemacht wie sonst
nirgends; es ist daher wohl anzunehmen, daß die
kleine Minna Planer für ihn nicht so leicht zu
haben gewesen war wie andere vor ihr, und daß
sie ihn durch vertrauensvolle Hingabe, unter Aus-
schluß jeder frivolen Berechnung, gerührt habe. Er
mußte wohl in Minna Planer ein Mädchen sehen,
das er wirklieh unglücklich machen konnte, wenn
er es sitzen ließ und darum fühlte er sich in seinem
Gewissen verpflichtet, sie zu heiraten — das ist
reiner jugendlicher Idealismus. Das Unglück von
hundert Minna Planers wiegt aber nicht das Leiden
eines einzigen ganz großen Schaffenden auf. Doch
das konnte Wagner damals nicht wissen, daß er so
ein großer Einziger sein würde; er war einfach
ein talentvoller junger Mann mit einem sittlichen
Kern, und er handelte dementsprechend : töricht
aber anständig. Und aus dieser anständigen Tor-
heit sollte ihm die Tragödie seines Lebens erwachsen.
Wagner nahm seine junge Frau von Riga mit
nach Paris. Was konnte ihm Minna Planer in
Paris bedeuten? Sie konnte ihm hungern helfen
und ihn vor den Verlockungen des Sünden-Babels
behüten. Nun, den letzteren Zweck hätte dem
jungen Draufgänger wohl allein schon seine Armut
erfüllt , denn die Sünde ist kostspielig in Paris,
wenigstens für einen hinterwäldlerisch angezogenen.
eckigen jungen Mann mit schlechten Manieren, der
außerdem so gut wie gar nicht Französisch sprechen
kann. Aber daß Minna Wagnern hungern half
und getreulich in seiner Dürftigkeit mit aushielt,
ohne ihm davonzulaufen, das wird ihr von senti-
mentalen Gemütern hoch angerechnet und für den
Mann daraus die Verpflichtung abgeleitet, sein
Leben lang der Frau solche Guttat nicht zu ver-
gessen- Wenn wir aber die Sentimentalität bei-
seite lassen und die Frage ein wenig anders stellen,
so sieht auch die Antwort sehr anders aus. Was
soll so eine Minna, solch ein Nichts, an der Seite
eines um hohe Ideale hart ringenden Mannes anders
tun als willenlos und ergebungsvoll (wenn auch
sicherlich nicht klaglos) sein Schicksal mit ihm
teilen? Die Versuchung zur Untreue ist schwerlich
jemals an Minna Wagner herangetreten, denn sie
hat weder, außer ihrer Jugend, körperliche Reize,
noch Geist, noch Temperament besessen; und sich
auf eigene FüSe zu stellen, war ihr ganz unmöglich,
denn sie besaß weder Energie noch irgendwelches
Talent dazu, sich in der Welt durchzusetzen; sie
war mit einem Wort keine Persönlichkeit, sondern
eben nur ein Lebewesen weiblichen Geschlechts,
dem es, wie allen ihresgleichen, von vornherein
Bestimmung war, geschoben, geschoben und ver-
braucht zu werden.
Es ist wunderlich, daß solche weiblichen Nichtse
verhältnismäßig häutig von Künstlern, zumal von
Dichtern in der kurzen TraumblUte ihrer lilien-
haften Jugend entdeckt, verhimmelt uod — ge- '
heiratet werden. Monatsengel möchte ich diese
unheimlichen Wesen nennen, denn sie sind einmal
vier Wochen lang hübsch, vielleicht sogar schön
gewesen als junge Mädchen, und in dieser Zeit hat ;
ihnen der Zufall so einen Phantasten in den Weg J
gefuhrt, der ihnen Flügel andichtete und sie zum I
Engel ernannte, Ihr weiblicher Instinkt gibt ihnen J
meist das richtige Verhalten gegen ihre Anbeter ]
ein; sie sind kühl und stumm wie die Fischlein 1
im See und beschränken sich darauf, im Wasser )
ihre Unbedeutendheit nur sacht zu plätschern und
ihre bunten Schuppen in der Sonne glitzern zu
lassen. Da Künstler, und Dichter in Sonderheit, '
bekanntlich erheblich dümmer sind als alle übrigen I
Männer, sobald die vernünftigen Forderungen des |
praktischen Lebens in Frage kommen, und da ferner 1
mit dieser Art von Dummheit auch die treuherzige
Ehrlichkeit in gleichem Verhältnis sieh steigert,
bis zum sittlichen Fanatismus zuweilen, so werden
diese Monatsengel von ihnen geheiratet — oft sogar,
nachdem ihr Monat schon längst vorbei ist! Es {
gibt Mädchen genug, die das Zeug zu ächten ;
Künstlergattinnen in sich haben, bewegliehen, ent-
wicklungsfähigen Geistes, voll Temperament und
köstlichen Leichtsinns, phantasiebegabt und dabei
Aus Richard Wagners LiebeBlebeti JÄ,/^^
docli in praktischen Dingen rasch zugreifend und
instinktiv das Richtige treffend. Solche Weiber
sind Persönlichkeiten, d. h. sie bedeuten für sich
selbst etwas; dem Manne, den sie verstehen und
den sie lieben, sind sie wertvolle Mitkämpferinnen;
sie können auch treu ausharren und dulden, aber nicht
jammernd mit den Händen im Schoß, sondern
indem sie den Gatten ihrer Wahl durch ihren Leieht-
Binn aufheitern, durch ihre gesunde Zuversicht seine
Widerstandskraft stärken, indem sie ihm den Ausweg
aus der Bedrängnis suchen helfen oder womöglich gar
sich mit eigener Kraft eine Bresche ins Freie schlagen.
Aber seltsamerweise werden diese einzig möglichen
Mädchen gerade von denen, für die sie vorbestimmt
erscheinen, nicht geheiratet. Der Idealismus dieser
Mädchen treibt sie, sich dem Manne, den sie lieben,
ohne langes Bedenken hinzugeben, und darum —
hat man nur ein Verhältnis mit ihnen!
Ich kenne zahlreiche solcher Künstlerehen, in
denen ein Monatsengel einem hochstrebenden Manne
für sein ganzes Leben zum Verhängnis geworden
ist. Alle diese Ehen sehen sich zum Verwechseln
ähnlich: der geist- und temperamentlose Engel
verblüht weit rascher als jede andere hübsche
Jugend, und eine Aufwärtsentwicklung ist bei dieser
Sorte Frauen ausgeschlossen — im Gegenteil : je älter
sie werden, desto aufdringlicher machen sich die
besonderen Anschauungen, die Manieren und die
Aus ttichitrd Wagners Liebestsben
Redeweise der Kreise, denen sie entstammen, be-
merkbar. Die einzige geistige Entwickelung, die
sie durchmachen, pflegt im Nachschwätzen einiger
gebildeter ßeciensarten zu bestehen, die sie in
ewiger Wiederholung zur Verzweiflung des Gatten
bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit
vorbringen; denken und urteilen lernen sie natür-
lich niemals, und die geistigen und sittlichen Qua-
litäten ihres Gatten vermögen sie nicht anders
abzuschätzen, als nach dem Verdienst, den er heim-
bringt, und nach den äußeren Ehren, die ihm
die Welt zuteil werden läßt. Gegen die Not
wissen sie sich nur durch Jammern und Wehklagen
zu wehren, in Glanz und Wohlleben aber versagen
sie noch kläglicher, denn sie haben kein Stilgefühl
und Anpassungsvermögen; sie machen sich durch
Geschmacklosigkeiten lächerlich und hindern da-
durch den Manu, sich frei und fröhlich in der Ge-
sellschaft zu bewegen, die ihm gebtlhrt. Sie haben
dem Manne absolut nichts zu geben, verlangen aber :
als selbstverständliche Gegenleistung seine stille '
Duldung all ihrer Schwächen und Torheiten, seine I
unverbrüchliche Treue und schließlieh gar volle <
Teilnahme an seiner gesellschaftlichen Ehrenstellung.
Zufrieden ist diese Art Frauen nie, weil sie nicht i
den Humor besitzt, die kleinen Widerwärtigkeiten '
und großen UnvollkoramenheitendesDaaeinslächelnd I
hinzunehmen — und eifersüchtig ist sie immer.
Aus Richard Wagoms Liebesleben <&><N£>4N£,.<n^
diese Art! Ganz natürlich, denn sie weiß wohl,
daß das, was sie ihrer ehelichen Pflicht genügen
nennt, mit den Entzückungen, denen die Quellen
aller höchsten Kunst entspringen, nicht identisch
sein kann. Darum haBt sie jedes intelligente und
einigermaßen ansehnliche Weib, das in ihres Gatten
Nähe kommt, und verfolgt diesen mit unablässigem
Verdacht, mit Spionage und unbegründeten Tränen
oder Wutausbrüchen,
Es ist kein Zweifel darüber möglich, daß
Wagnern die ungeheure Torheit seiner Heirat sehr
bald klar wurde. Er schaffte sich in Paris einen
Hund an — der mußte ihn trösten über die trost-
lose Öde seiner Ehe. Für einen Mann von trotziger
Eigenart ist ein guter Hund immer eine bessere
Gesellschaft als die meisten Menschen. Aber der
Hund starb ihm, und er blieb mit seiner Minna in
Paris allein! Furchtbares Schicksal! Tapfer aß
er die Suppe aus, die er sich eingebrockt hatte,
er duldete seine Minna weiter, er begegnete ihr
mit Güte und Nachsicht, er mühte sich in schmach-
voller Arbeit ab, um sie mit zu ernähren. Und
dann kamen endlich die besseren Zeiten — Minna
wurde Frau Hofkapellmeister in Dresden, Rienzl,
Holländer, Tannhäuser wurden aufgeführt. Wagner
war eine Berühmtheit geworden und Minna an
seiner Seite vielleicht einigermaßen zufrieden —
ich weiß es nicht. Es ist möglich, aber nicht sehr
Ans Bich&rd Wagners Liebesleben
wahrscheinlich, denn sie wird in dieser Zeit, als
die „Gesellßchaft" den erfolgreichen Künstler
schmeichelnd umdrängte, als er mit hinreißenden
Frauen, wie der dämonischen Sängerin SchrÖder-
Devrient, mit niedlichen Pagen und Ballettratten täg-
lich zu verkehren hatte, Qualen der Eifersucht er-
duldet und ihn gewiß nicht damit verschont haben.
Die Frage, ob dieser Verkehr für Wagner eine Ver-
suchung bedeutet habe, ob er seiner Gattin treu
gewesen sei, ist für die Beurteilung des Menschen
Wagner ziemlich belanglos, denn sein inneres Wesen
hätte ein rasches Erraffen leicht gebotener Genüsse
Bchon damals nicht mehr berühren können. Wohl war
er allen praktischen Fragen gegenüber noch weit-
unklug wie ein Kind, aber innerlieh, d. h, als
Künstler wie als sittlicher Mensch, war er durch
die Pariser Leidenszeit bereits reif geworden.
Er war schon damals der große herbe Pathetiker,
dem alle Schaffenskraft aus dem Leiden quoil ; das
bloß anmutig Erfreuliche, das Spielerische hatte
für ihn als Künstler bereits Wert und Bedeutung
■verloren. Es ist doch wohl anzunehmen, daß bei
einem Manne, bei dem Künstlerisches und Mensch-
liches so völlig eins waren, sich diese Verachtung
des bedeutungslos Anmutigen, des leichten Sinnen-
reizes auch in seiner Bewertung des Erotischen
geltend gemacht habe, Wagner war niemals ein
Damenmann oder gar ein Salonmensch. Wohl
Aus Richard Wagners Liebeslebeu 4,>>^N£,<ii^N£,,r4*y0
besaß er Witz, Humor und eine glänzende Unter-
haltuagsgabe, aber nur, wenn er unter seinesgleichen
war, vor einem Publikum zum mindesten, das gut
zuzuhören verstand und ihn nicht durch albernes
Hitreden und Besserwissenwollen erboste. Aber
Flirten, Kokettieren, Zumundereden, das war ihm
unmöglich, dem Manne, der alle Dinge toternst
nahm die ihm nahe gingen, und die Übrigen mit
souveräner Verachtung oder mit überlegenem Humor
behandelte. Solche Männer sind für die kleinen
Mädchen vom Theater unheimlich und für die ge-
wöhnlichen Damen der Gesellschaft unmöglich.
Wohl wäre Wagner schon damals für die große
Leidenschaft reif gewesen — aber wir wissen nichts
davon, daß ihm zu der Zeit eine Frau von Be-
deutung begegnet wäre. Über die Periode der
leichtsinnigen Verhältnisse war er längst hinaus.
Und nun kam daa Sturmjahr 1848, Daß
Wagner mit in den Strudel des allgemeinen Freiheits-
taumels hineingerissen wurde, war eigentlich selbst-
verständlich, obwohl er damals kein unklar schwär-
mender Jüngling mehr war. Es ist sehr wohl
denkbar, daß eine kluge, künstlerisch veranlagte
Frau ihn vor der Torheit, selbst mit auf die
Straße zu gehen und sich an den Krawallen zu
beteiligen, hätte zurückhalten können. Seine Minna
wird ihn sicherlich auch mit allen ihr zu Gebote
stebendeo Mitteln davon abzuhalten versucht haben,
Aua Riebard Wagners Liebesleben
aber diese Mittel waren eben nur geeignet, Öl
ins Feuer zu gießen. Wenn in solchen Momenten
hochaufwogender nationaler Begeisterung eine be-
schränkte Frau den bedeutenden Mann durch kleine
Nützlichkeitserwägungen, Jammern über entgehende
Vorteile und kindische Angst davon abzuhalten
sucht, die gemeinsame Gefahr mit den ehrlichsten
und besten der denkenden Volksgenossen zu teilen,
so muß sie das Gegenteil erzielen. Für Wagner,
den Künstler erhabenen Stiles, war es eben so
selbstverständlich , daß er von Gesinnung einge-
fleischter Aristokrat, wie, daß er in der Feierstunde,
als endlich aufflammende Begeisterung den ge-
knebelten Deutschen zu einer wütenden Kraft-
anstrengung aufstachelte, an der Seite der Freiheits-
kämpfer zu finden sein mußte. Der ächte Künstler
wird immer da zu linden sein, wo ächte Begeisterung
aufloht — schon deshalb, weil ächte Begeisterung
Schönheit ist. So ist es denn keineswegs ver-
wunderlich, daß es den Heldenanbeter und Indivi-
dualisten Wagner, obwohl er des Königs Brot aß,
nicht im Hause litt, als draußen auf der Gasse das
Volk aufstand, um gegen diesen König als einen
Vertreter des damals allgemeinen Systems der
Unterdrückung geistiger Freiheit zu demonstrieren.
Was kümmerte es ihn, ob vielleicht später, wenn
die Republik erklärt war, statt des vielleicht
bornierten Einzelnen die sicher bornierte Mehrheit
1
r
Aus Eichard \Vagnera Liebeslebei
die Macht in die Hand bekam? Vorläufig war eine
schöne Begeisterung und eine Möglichkeit vorhanden,
ein Joch abzuschütteln, au dem er seufzend mit-
getragen hatte. Also mußte er dabei sein. Der
Aufstand wurde unterdrückt und der Steckbrief gegen
den ehemaligen Königlichen Hofkapellmeister er-
lassen. Er mußte fliehen.
Nun kam die Zeit des Exils — fünfzehn lange
Jahre der Verbannung aus dem Vaterlande, des
härtesten Kampfes nm die Existenz während der
Arbeit an künstlerischen Riesenwerken, deren ma-
terielle Verwertung, ja deren Aufführbarkeit über-
haupt unter den bestehenden Verhältnissen fast als
unmöglich erscheinen mußte. Aus dieser Zeit des
Exils besitzen wir in zwei Bänden den Briefwechsel
Wagners mit Liszt. Von Wagners Seite ein un-
ablässiges, bald dumpf resigniertes, bald wild sich
aufbäumendes Klagen über seine materielle Be-
drängnis — von Liszts Seite ein unendlich gedul-
diges, liebevolles Trösten, unablässiges Bemühen
zu helfen im kleinen wie im großen. Wirklich,
es könnte einem oft in diesen Briefen von selten
Wagners des Jammerns und Wehklagens zuviel
werden; es will einen oft verstimmen, daß er alle
materiellen Sorgen auf die Schultern des welt-
gewandten Freundes zu wälzen sucht, der i
weder ein Krösus noch ein Finanzgenie war.
ärgert einen, daß in diesem Briefwechsel so häufig
1J^vS'''^«»5'''&vS>'^ Aus Richard Wngners Liebesleben
den wundervoll klaren Erörterungen bedeutendster
Gegenstände geradezu kindische Vorschläge zu
Pumpversuchen und lächerlich unmögliche Pläne
zu phantastischen Finanzoperationen sich hnden.
Liszt verschafft Wagnern mit großer Mühe einen
Verleger, der bereit ist, einen anständigen Vorschuß
auf ein schwer verkäufliches Werk zu zahlen —
Wagner stößt diesen Verleger vor den Kopf
und macht seinem Herzen gegen den schnöden
Schacher in kräftigsten Ausdrucken Luft; oder
Liszt vermittelt dem Freunde eine Reihe von
Konzerten in London, Paris und anderswo, die ihm
ein anständiges Stück Geld einbringen — Wagner
tobt in seinen Briefen über die Schmach, der er
preisgegeben werde, trotz der rauschenden Ovationen,
die ihn überall umbrausen, wo er den Dirigenten-
stab schwingt. Er hat kein irgendwie berechen-
bares Einkommen : hie und da mal 20 Dukaten
Aufführungshonorar für seine älteren Opern, dürftige
Bezahlung far Zeitungsartikel, äußerst seltene
Vorschüsse von Verlegern und ein paarmal eine
einigermaßen reichliche Geldzufuhr aus den Welt-
städten des Auslandes ; aber nichts Bestimmtes,
kein Pfennig auf einen bestimmten Tag sicher
fällig; und trotzdem tut Wagner niemals einen
Schritt, um dieser Misere gründlich abzuhelfen,
d. h. eine feste Stellung im Auslande zu erringen,
trotzdem richtet er nicht seine Lebenshaltung nach
AuB SichBrd Wagners Liebeelcben 'S.'^N&.i^NS,^^*^
dem wahrscheinlichen Durchschnitt seioes Jahres-
einkommens ein, gondern steigert widerstandslos
seine Ansprüche an ästhetisch verfeinerten Luxus
in der Ausgestaltung seiner "Wohnräume, schleppt
seinen Erardflligel zwischen der Schweiz, Italien
und Paris mit herum, iileidet sich bei der Arbeit
in Samt und Seide, wohnt in Venedig in einem
Palast und in Luzern in dem teuern Hotel Schweizer-
hof monatelang und hält sich daselbst sogar ein
Reitpferd; er arbeitet nur was und wann es ihm
behagt, ohne irgendwelche Rücksicht auf die Ver-
wertbarkeit; jede Kleinigkeit, sei es ein Regentag,
sei es ein hämmernder Schmied , stört ihm die
Stimmung; zudem wird er mit den Jahren immer
kränklicher und hypochondrischer ; die Frau kränkelt
auch ewig — er gebraucht die Kur, sie muß in
jenes Bad und was es kostet, muß geschafft
werden: „Freund Li szt, hilf Du, lasse den Klingel-
beutel bei den deutschen Fürsten herumgehen, die
den Steckbrief wider mich alljährlich erneuern,
ersinne irgend etwas Vernünftiges oder Unver-
nünftiges, schlage wie Moses auf den Fels, daß
Geld für mich herausfließe, oder schlage auch
meinetwegen, ein zweiter Simsen, Juden und Phi-
lister pele mele mit einem Eselskinnbacken tot,
plündere sie aus — und schicke mir postwendend
den Betrag. Weiß denn das deutsche Volk nicht,
daß ich an der Arbeit bin, zu seinem unsterblichen
^^.SCfts.^-Ssi'^ Ana Richard Wagners LiebeBlcben
Ruhme ewige Werke zu Echaffen, und daß es die
verfluchte Pflicht und Schuldigkeit hat, mir dabei
die materielle Unterstützung zu gewahren, die ich
brauche?"
Das ungefähr ist der Tenor der Wagnerschen
Briefe an Liszt, soweit sie sich auf seine ewigen
flnanziellen Nöte beziehen. Mit gutem Recht darf
der solide Durchschnittsmensch solches Gebaren
Wagners anmaßend und unverschämt nennen. Aber —
kann es denn ein verschämtes Genie geben?
Hat Wagner sich jemals über sich selbst getäuscht,
hat er die Richtung seiner Begabung und das
Maß seiner Kräfte jemals verkannt, hat er nicht
immer ganz genau gewußt, was er wollte und das
Gewollte zur herrlichsten Vollendung gebracht, hat
er nicht wirklich dem deutschen Volke zu seinem
unsterblichen Ruhpie ewige Werke geschaffen ? Das
ist der springende Punkt; wenn er zur Lösung
seiner großen Lebensaufgabe eines Erardtiügels
und eines mit Atlas gefütterten Schlafrockes be-
durfte, nun gut, so mußten sie ihm zur Verfügung
gestellt werden, diese Dinge — gleichgültig, auf
wesisen Kosten, und die kindliche Naivetät, die in
der kategorischen Forderung der ihm notwendig
gewordenen Subsistenzmittel liegt, ist aus der
Psychologie des Genies heraus zugleich überaus
natürlich. Ebenso natürlich ist es freilich auch, daß
die Mitwelt solche Forderungen nicht honorieren
1
Aue Bichard WagnerE LiebeBlebeu i£,'i7n&'^'v£,,>(S'n^
kann, denn erst die Nachwelt ist imstande zu er-
messen, ob sie berechtigt waren. Solange Wagner
noch Hofkapellmeister mit einem bescheidenen, aber
sicheren Einkommen war, dachte er nicht daran,
ausschweifende Ansprüche für seine äußere Lebens-
haltung zu stellen ; er hätte auch wahrscheinlich noch
weiter Opern komponiert, deren szenischer Apparat
den vorhandenen Bedingungen der Dresdener Bahne
angemessen war, und die gute Partieen für die
dortigen Gesangskräfte enthielten. Erst die Leiden
des Exils, die Vereinsamung, die Hetze von Ort
zu Ort, die Not, die Verkennung und Verleumdung
peitschten seinen Trotz zu der kolossalen Kraft-
betätigung auf, allen Instinkten der Masse, allen
praktischen Möglichkeiten und aller bisherigen
künstlerischen Erfahrung Hohn sprechende Werke
zu schauen, nur zur Befriedigung seiner selbst und
zur Freude einiger ganz, ganz Weniger.
Im Sommer 1854 schreibt Wagner an Liszt:
„Ich habe erkannt, daß wir mit dieser Welt nichts
gemein haben. Wer verstand denn mich? Du —
und kein anderer! Wer versteht denn jetzt Dich?
Ich — und kein anderer! Sei deß gewiß. Du
hast mir zum ersten und einzigsten Male die Wonne
erschlossen, ganz und gar verstanden zu sein . . .
Was will ich denn anderes noch, nachdem ich dies
erlebt habe ? Laß zu dieser Wonne noch die Träne
eines lieben weiblichen Wesens fließen — was dann
AuH Richard Wagners Liebealeben
noch? — 0, verstümmeln wir uns nicht selbst so:
Beachten wir die Welt nicht anders als durch
Verachtung; nur diese gebührt ihr: aber keine
Hoffnung, keine Täuschung für unser Herz auf sie
gesetzt! Sie ist schlecht, grundschlecht; nur
das Herz eines Freundes, nur die Träne einw
Weibes kann sie uns aus ihrem Fluche erlösen."
Zum erstenmal in diesen von innigster Vertraulich-
keit überfließenden Briefen ertönt hier der Sehn-
suchtsschrei des einsamen Künstlers nach dem ver-
stehenden, liebevollen Weibe. Und im Sommer 1854
war es, wo er in Mathilde Wesendonk, deren ■
Bekanntschaft er schon ein paar Jahre früher gemacht 1
hatte, dieses vielleicht niemals bewußt gesucl
aber innerlich sicherlich stets ersehnte Weib fand.
Richard Pohl schreibt in seinen Erinnerungen:
„Mit der Familie Wesendonk verkehrte Wagner
täglich: sie wohnten Haus an Haus. Frau Wesen- '
donk, eine schöne Erscheinung, eine weiblich an-
mutige und poetisch sinnige Natur, übte auf den
Meister einen ersichtlich anregenden Einfluß. Ihr
gegenüber mußte Wagners schnell gealterte Gattin
Minna mit ihrem ziemlich nllehternen, gutmütigen,
aber hausbackenen Wesen freilich sehr im Schatten
stehen. In Wagners Gegenwart verhielt sie sich
meist still; wenn man sie aber allein traf, machte
sie ihrem Herzen Luft. Sie konnte absolut nicht
verstehen, wie ihr Gatte sich jahrelang mit Pro-
jehten trug, die nicht die geringste Aussicht auf
Verwirklichung hatten. Von den „Nibelungen"
hoffte sie nichts. Kompositionen, die überall Auf-
nahme finden könnten und auch pekuniäre Erfolge
bringen worden, wftren ihr viel lieber gewesen.
Dil 6 diese beiden Naturen nicht harmonieren
konnten, sah man auf den ersten Blick; daß früher
oder später eine Trennung ihres ehelichen Zu-
sainmenlebens erfolgen müßte, war unschwer zu
prophezeien." Und es war Frau Minna selbst, die
die Katastrophe herbeiführte, nicht etwa das rück-
sichtslose Temperament ihres Gatten. Wagner
hatte all die Jahre über eine wahre Engelsgeduld
bewiesen, er hatte sich auch in der Verbannung
mit dieser Frau herumgeschleppt, die absolut nicht
imstande war, ihm sein Schicksal irgendwie, sei
es auch nur durch verständiges Zureden, erträg-
licher zu machen; er hatte ihr Nicht verstehen-
können lächelnd über sich ergeben lassen ; ihre
Grillen und bösen Launen seufzend ertragen und
auch seinen intimsten Freunden gegenüber sich nie
anders über sie beklagt, als höchstens einmal durch
einen gutmütigen Scherz.
Der großen Herzensgüte und dem feinfühligen
Verständnis Otto Wesendonks für die Empfindlich-
keit seiner Künstlerseele verdankte Wagner die
behagliche Existenz in seinem Züricher Asyl. Ein
hübsches kleines Häuschen mit Garten , auf dem
Aus Bicbud Wagnen LiabeslebeB
Grundstück gelegen, auf dem er selber sich eine
herrliche Villa erbaute, stellte Otto Wesendonk
"Wagners zur Verfügung, aber nicht als Geschenk^
gondeni gegen eiuen einigermafien entsprechenden
Mietzins. Und um den Meister in den Stand zu
setzen, diesen Zins zu zahlen, sich behaglich nach
seinem Geschmack einzurichten und sorgenfrei zu
leben , kaufte Wesendonk ihm für eine große
Summe die Original-Partitur der „Walküre" ab,
ein kalligraphisches Meisterwerk , ausgeführt mit
einer goldenen Feder, die eines der ersten Ge-
schenke Wesendonks an den neugewonnenen Freund
gewesen war. Läßt sich eine zartere, feinsinnigere
Art Wohltaten zu erweisen denken? Und Wagner
zeigte sich dankbar, wie es eben nur ein Künstler
kann; er ließ die Freunde und Kacbbarn täglich
und stündlich an seinem inneren Leben, an seinem
Denken und Schaffen Anteil nehmen ; von Tag zu
Tag fast durften Wesendonks das Werden seiner
Meisterwerke verfolgen; die Musik der großen
Meister nahm er mit ihnen am Klavier durch und
beleuchtete deren Wert und Wesen mit den Blitzen
seiner in die Tiefen dringenden persönlichen Auf-
fassung. Bedeutsame Werke verschiedener Litera-
turen lasen sie gemeinsam und bereicherten ihre
Erkenntnis in gegenseitigem Gedankenaustausch.
Bedeutende Männer, wie Gottfried Keller, Gottfried
Semper, Georg Herwegh, Jacob Sulzer, die damals
Aus Bichard Wagnera Liebesleben Q,,.<>&>-<C^4,o4'^
gerade Zürich beherbergte, genialische juuge
Musiker, wie Taußig und Hans von Bülow, die
Wagnern für längere Zeit besuchten , trugen das
ihrige dazu bei, der Gastfreundschaft, des reichen,
von harmonischer Schönheit erfüllten Hauses
Weaendünk den Stämpel edelster Vomehmheit auf-
zudrücken.
Auch Frau Minna Wagner kamen die wahr-
haft fürstlichen Wohltaten der Wesendonks zugute.
Die Besorgung des behäbigen kleinen Hausstandes
und noch mehr die Pflege des Blumen-, Obst- und
Gemüsegartens gewährten ihr stille Freuden, die
so recht nach ihrem Sinne waren. Sie hatte die
schönste Muße zum Brummen und konnte , wie
Wagner selbst einmal gutmütig spottet, so recht
behaglich den Grillen über ihren bösen Mann und
seine sträfliche Zeitverschwendung nachhängen.
Aber Dämon Eifersucht ließ ihr keine Ruhe. Die
schöne Vertraulichkeit , die sich als etwas ganz
Selbstverständliches aus dem täglichen Verkehr der
beiden herrlichen Ausnahmsmenschen, Wagner und
Mathilde Wesendonk, entwickelt hatte, flößte Frau
Minna Verdacht ein. Vielleicht hätte sie sich still
zufrieden gegeben, wenn ihr Gatte, wie in früheren
freundschaftliehen Beziehungen zu Frauen, der
ausschließlich Gebende und Frau Mathilde nur die
bescheiden dankbar Empfangende gewesen wäre;
aber bei diesem Verhältnis bemerkte sie zum ersten
163
Ans Richard Wagners Ltebealeben
Male, daß auch ihr Gatte Gegengeschenke annahm,
die ihm Kopf und Herz bewegten, die auf sein
ganzes Wesen einen EinÜuß übten , den sogar der
äufiere Mensch deutlich widerspiegelte. Der Mann
ward, trotzdem er sich ausEcbließlich mit tiefen
Problemen und ernster Arbeit beschäftigte, zu-
sehends frischer, fröhlicher, gesünder, stattlicher,
der Mann spielte mit den Kleinen der Madame
Wesendonk, der Mann lachte mit dieser Frau, wie
sie ihn vielleicht vorher nie lachen gehört, und der
Mann fand endlich in der Musik, die er in dieser
Zeit schrieb, so sinnverwirrend neue Weisen und
Klänge, daß sich der ewig ängstlich mißtrauischen
Frau die Überzeugung aufdrängen mußte, daß nur
ein großes Erlebnis erotischer Natur ihren Gatten
80 verändert haben könne. Sie legte sich auf die
Lauer, sie ließ ihre eifersüchtige Mißgunst durch
Verhöhnung und Herabziehung des schönen Ver-
hältnisses aus; sie jammerte ihren Bekannten vor
und brachte dadurch böses Geschwätz unter die
Leute, und endlich fing sie gar einen Brief Wagners
an Mathilden auf, der, obwohl er ganz in die stille
Wehmut der Resignation getaucht war, ihr dennoch
ein Schuldbekenntnis dünkte; sie ging mit dem
Briefe zu Frau Wesendonk, machte ihr die übliche
große Szene und drohte , den Brief ihrem Gatten
abergeben zu wollen. Frau Mathilde kam ihr zu-
vor; sie hatte vor ihrem hocbsinnigen Manne nie
Aus Richard Wagners Liebesleben 4>(S*s£,.>tS'NS,,>^''^
ein Geheimnis gehabt ; er wußte genau, wie es um
das Herz seiner Frau stand ; er begriff es, daß die
Huldigungen des größten Küastlers seiner Zeit
uicht nur der Eitelkeit der schönen jungen Frau
schmeicheln, sondern im Verlaufe der Zeit auch
ihre Sinne gefangen nehmen mußten. Und dennoch
quälte er sie nicht mit Eifersucht, sondern ließ sie
ihren glücklichen Traum ruhig weiter träumen;
hatte er doch Bürgschaften für ihre Treue und
seine Ehre, denen sein edler Sinn ruhig vertraute :
erstens einmal die vollständige Offenheit seiner
Gattin, die kein Geheimnis vor ihm hatte, die ihm
selbst die Küsse nicht verschwieg, die wohl hier
und da einmal iu wunderseliger Dämmerstunde
nach dem wonnigen Erlebnis einer neuesten
Schöpfung des Meisters getauscht worden waren,
und zweitens den hohen sittlichen Ernst des Meisters
gelbst. Im jahrelangen vertrauten Umgang hatte
Otto Wesendonk die Erkenntnis gewonnen, daß in
Wagner die völligste Harmonie zwischen mensch-
lichem und künstlerischem Wesen bestehe , daß
Phrase und Affektation ihm völlig fremd sei, und
aus dieser Erkenntnis durfte er die Zuversicht
schöpfen, daß der Mann eines niedrigen Betruges
nicht fähig sein könne. Dieser Wagner, der alles
Frivole, Spielerische verabscheute, der mit fast
pedantischem Ernst alles behandelte, was ihm Hirn
und Herz bewegte, dieser Wagner war sicherlich
Ahh Richard WagccrB Liebeeleben
nicht imstande, wie der erste beste posierende
Wichtigtuer den Mantel großer Phrasen gemeinen
Handtungen verbergend umzuhängen. Er war ganz
sicher, daß Wagner nicht daran dachte, ihm sein
Weib zu verführen, ja noch mehr, er baute sogar
darauf, daß Wagner selbst Mathilden vor raschen
Taten des jungen Blutes zurückhalten würde, wenn
wirklich Gefahr vorhanden war.
Und diese edle Zuversicht betrog Wesendonk
nicht. Es war tatsächlich Wagner, der dem schönen
Verhältnis Maß und Richtung gab; die junge Frau
war ihm leidenschaftlich ergeben , und sie wäre
trotz ihrer Verehrung für den Gatten, trotz der
Liebe zu ihren Kindern die Seine geworden, wenn
er es darauf angelegt hätte. Einige Zeilen aus
dem Briefe Wagners an seine Schwester Kläre vom
20. August 1858 zeichnen uns mit vollendeter
Deutlichkeit den wahren Charakter dieses Verhält-
nisses , seine Gefahren und seine Sicherheiten :
„Was mich seit sechs Jahren erhalten, getröstet
und namentlich auch gestärkt hat, an Minnas
Seite trotz der enormen Differenzen unseres
Charakters und Wesens auszuhalten, ist die Liehe
jener jungen Frau , die mir anfangs und lange
zagend , zweifelnd, zögernd und schüchtern , dann
aber immer bestimmter und sicherer sieh näherte.
Da zwischen uns nie von einer Vereinigung die
Rede sein konnte, gewann unsere Neigung den
Aufl Richard Wagners Liebeeleben ^„.!5**«>«N4,,^~^
traurig wehmütigen Charakter, der alles Gemeine
und Niedrige fernhält und nur in dem Wohlergehen
des andern den Quell der Freude erkennt. Sie
hat seit der Zeit unserer ersten Bekanntschaft die
unermüdlichste und feinfühlendste Sorge für mich
getragen und alles, was mein Leben erleichtern
konnte, auf die mutigste Weise ihrem Manne ab-
gewonnen . . . Und diese Liehe, die stets unaus-
gesprochen zwischen uns blieb, mußte sich endlich
auch offen enthüllen, als ich vorm Jahr den Tristan
dichtete und ihr gab. Da zum erstenmale wurde
sie machtlos und erklärte mir, nun sterben zu
müssen. — Bedenke, liebe Schwester, was mir diese
Liebe sein mußte nach einem Leben von Mühen
und Leiden, von Aufregungen und Opfern, wie dem
meinigen'. — Doch wir erkannten sogleich, daß an
eine Vereinigung zwischen uns nie gedacht werden
dürfe : somit resignierten wir, jedem selbstsüchtigen
Wunsche entsagend, litten, duldeten, aber —
liebten uns."
Nun war alles aus. Nicht einen Äugenblick
dachte Wagner daran, sich sein traumhaftes
Liebesglück zu retten um irgendwelchen Preis.
Selbst wenn Otto Wesendonk das schier über-
menschliche Opfer hätte bringen wollen, allem
bösen Klatsch zu trotzen und nach Entfernung der
Frau Minna den Verkehr seiner Gattin mit dem
Meister weiter zu dulden, so hätte Wagner dieses
i Richard Waguere Liebesleben '
Opfer niemals aiigenoiuaifu. Er erkannte sofort,
was unter den Umständen einzig zu tun m&glich
war; mit bewunderungewerter Selbstbeherrscbung
setzte er seiner Frau die Notwendigkeit einer
Trennung auseinander, ohne ihr eine wilde Szene
zu machen — gütig und geduldig der Watenden
und Verständnislosen gegenüber. Nicht Scheidung,
nur Trennung verlangte er; er schickte sie nach
Dresden zu seinen Verwandten, wo sie gut auf-
gehoben war , und tat , solange sie lebte , sein
möglichstes für sie, um ihr Kuren, Badereisen und
sorgsame Pflege zu verschaffen ; sab sich auch
selbst wieder nach ihr um, wenn sie bedenkliche
Krisen durchzumachen hatte oder in sonst einer
Schwierigkeit seiner Hilfe bedurfte. Er selbst ver-
ließ noch vor der Frau sein liebes Äsjl , wo er
zum erstenmale in seinem Leben ein wirkliches
Heim, wirkliche Freunde und die Umwelt gefundeu
hatte, die einzig ihm taugte zur Vollendung des
Werkes, för das er nun lebte. Ersebütterad ist
der Bericht in seinem Tagebuch über die letzten
Stunden im Asyl. „Nun hatte ich Abschied ge-
nommen," lieißt es da, „jetzt war alles kalt und
sicher in mir. — Ich ging hinunter. Dort er-
wartete mich meine Frau. Sie bot mir den Tee.
Es war eine schreckliche, jämmerliche Stunde. —
Sie begleitete mich. Wir stiegen den Garten hinab.
Es war ein prachtvoller Morgen. Ich sah mich
Aus Richard Wagners Liebeslebeo ^^/'^'^„/^^'S./'S'^
nicht um. — Beim letzten Abschied brach meine
Frau in Jammer und Tränen aus. Zum erstanmale
blieb mein Auge trocken. Noch einmal redete ich
ihr zu, sich mild und edel zu zeigen und sich
christlichen Trost zu gewinnen. Die alte rach-
Büchtige Heftigkeit loderte abermals iu ihr auf. —
Sie ist unrettbar, mußte ich mir sagen. Doch —
rächen kann ich mich an der Unglücklichen nicht,
sie selbst muß ihr Urteil vollziehen."
So war aus dem Leben des einzig Großen
das ärgste Hemmnis, dor lastende Fluch in Gestalt
dieses gänzlich nichtigen Weibes ausgestrichen;
aber aus dem ungeheuren Schmerz über den rohen
Gewaltstreich, der ihm alte Glücksmöglichkeit ver-
nichtet hatte, ward der Tristan geboren, und aus
der großen innereu Stille heraus, die der hart
ringende Künstler durch deu Sieg über alle Selbst-
sucht gewann, erblühte ihm endlich die weltver-
achtende und doch mitleidvoll liebende Heiterkeit,
aus der er die Meistersinger in ihrer kristallhellen
Schönheit gestalten Konnte. So darf man sagen,
daß das deutsche Volk Tristan und die Meister-
singer Mathilde Wesendonk mittelbar verdanKe.
Und kein Schatten niederen Zweifels darf die Hoheit
dieses edlen Liebesbundes trüben ; denn nach einem
ewigen Gesetze, dem alle wahren Künstler unter-
worfen scheinen, bedeutet für sie die künstlerische
Gestaltung eines eigenen schmerzlichen Erlebnisses
^
B Richard Wagners LiebeBlebeo
dessen innere Überwindung, Als Wagner Mathilde
Wesendonk die fertige Dichtung von Tristan und
Isolde überreichte, erklärte sie: nun muß ich Dir
ganz angehören oder sterben ; Wagner dagegen
hatte durch die Vollendung des Kunstwerkes bereits
den Sieg errungen über die Versuchung zur sündigen
Tat; als Mensch litt er furchtbar unter diesem
Verzicht, den er seinem sittlichen Bewußtsein ab-
gerungen hatte. Er glaubte sogar allen Ernstes,
wahnsinnig werden zu müssen über diesem rasenden
Schmerz um dies roh zerstörte einzige Glück
seines Lebens; aber indem dieser Schmerz sein
Innerstes aufwühlte, zwang er den Musiker, sein
Leid in Tönen hinauszuschreien, wie sie die Welt
bisher noch nie vernommen hatte. Glühende Sinnen-
bninst , das Jauchzen taumelnder Freude , das
Seufzen schwüler Sehnsucht, das Auftrotzen wider
den Zwang feindlicher Pflicht, das Versinken in
flbersinnliche Seligkeit, die den Tod als vollendetsten
Genuß ersehnt und die selige Ruhe in dieser Voll-
endung des Todes sind nie vorher in Tönen von so
erschütternder Wahrheit erklungen. Aber nachdem
der Meister einmal dem gewaltigsten sittlichen
Konflikt, zu dem die Geschlecbtsliebe führen kann,
so unvergleichlichen künstlerischen Ausdruck ge-
geben hatte, war für ihn selbst das persönliche
Liebesleben abgeschlossen.
Er schreibt im Herbst 54 an Liszt — in dem-
Aus Richard Wagnets Liebesleben iÄ,,*!^"''«^,.*
selben Briefe, in dem er ihm seine Entdeckung
Schopenhauers mitteilt: „Da ich nun aber doch im
Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen
habe, so will ich diesem schönsten aller Träume
noch ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis
zum Ende diese Liebe sich einmal so recht sättigen
soll : Ich bähe im Kopfe einen Tristan und Isolde
entworfen, die einfachste, aber vollblütigste musi-
kalische Konzeption; mit der schwarzen Flagge,
die am Ende weht, will ich mich dann zudecken,
um zu sterben."
Nun, er ist nicht gestorben ; Schritt vor Schritt
können wir in den unvergleichlich aufschlußreichen
Briefen und Tagebüchern an Mathilde Wesendonk
das Werden seines Meisterwerkes und des Meisters
allmähliches Gesunden verfolgen. In dem Tagebuch
aus Venedig bäumt sich der Schmerz noch wild
auf; man fühlt deutlich mit, wieviel Tränen beim
Schreiben geflossen sind ; aber verhältnismäßig rasch
kehrt die Buhe zurück. Schopenhauer und die
buddhistische Philosophie helfen dabei kräftig mit.
Die leidenschaftlichen Anreden, die kurzen Sätze,
die Gedankenstriche und Ausrufzeichen werden
immer seltener, immer deutlicher findet sich Wagner
wieder in den ihm eigenen etwas schwerfälligen,
ja sogar pedantisch deutlichen, durch Wiederholungen
überladenen Stil hinein, der gerade in dieser Zeit
durch den Einfluß der Schopenhauerschen Schreib-
^^t,^''5>Sa^'''5>s,^'^ Au9 Richard WagDers Liebeslebem
weise besonders cbarakteristisch ausgeprägt wird.
Aach dieser Briefstil ist ein köstlich deutlicher
Beweis dafür, wie völlig eins in Wagner das
Menschliche und das Künstlerische waren. Es sind
Briefe eines Pathetikers; wie in seiner Musik und
in seiner Dichtung Wagner niemals ruht, bevor er
alle Mittel zur Verdeutlichung seiner Absicht an-
gewendet hat, wie es für ihn den Begriif „zu lang'
nicht gibt, wenn er musikalisch oder dichterisch
noch etwas zu sagen hut, so findet er auch in
seinen Briefen häufig kein Ende, in dem Bestreben,
om jeden Preis deutlich und eindringlich zu sein;
er türmt eyklopische Perioden auf und scheint es
nie zu merken, wenn er sich überflüssig wiederholt.
Es ist unter den Briefen (Seite 112) auch ein
solcher an Frau Mathildens danial:^ achtjähriges
Töehterchen Myrrha vorhanden, der in höchst
drolliger Weise nach einem anfangs ganz glücklichen
Anlauf, den kindlichen Ton zu treflen, alsbald
wieder in den ächten breiten, unbarmherzigen
Meisterstil verfällt. Es kann nicht anders sein :
dem Genius von solchen Dimensionen mußte der
Maßstab für das Kleine und Zierliche, der Ge-
schmack für das Anmutige und Tändelnde fehlen.
So ist es denn auch charakteristisch, nebenbei be-
merkt, daß sich Wagner auch als Musiker niemals
in kleinen Formen versucht hat, abgesehen von
einigen gänzlich verfehlten Jugendarbeiten, und
1
Id
Ana Richard Wtgaen Liebesleben
daß die einzigen Lieder, die er als reifer Künstler
■vertonte, von Mathilde Wesendonk gedichtet waren.
Schon im April 1859 hat er in Anrede und
Ton seiner Briefe das Verhältnis von Meister
und Kind hergestellt und sich damit bereits
hinübergerettet in die stille Wehmut des ernst-
heiteren Meisters Hans Sachs. Aus den furchtbaren
Wehen der Tristan-Schöpfung war ein neuer, starker
Mensch und Künstler geboren worden, der der Welt
die „Meistersinger" schenken, den „Ring" vollenden,
Bayreuth aufrichten und den Parsifal als schöne
Absehiedsgabe hinterlassen sollte. Wagners Liebes-
leben erscheint mit der Überwindung des leiden-
schaftlichen Begebrens, das ihn zu der holdseligen
und feinsinnigen Gattin des edelsten Wohltäters
hinzog, tatsächlich abgeschlossen. Über sein späteres
VerhäUnis zu der Tochter seines größten Freundes
Liszt, die gleichzeitig die Gattin seines jungen
Freundes Bülow war, fehlen uns heute noch die
intimen Aufschlüsse von wirklich berufener Seite.
Aber ich meine, daß die ungewöhnliche Tat, die
damals in München geschah, zur Verblüffung und
Entrüstung der immer sittenstrengen Welt , aus
dem Wesen Wagners, aus seiner künstlerischen
und menschlichen Entwicklung heraus, wie wir sie
bisher verfolgen konnten, unschwer zu begreifen
Bei. Wie die große innere Katastrophe seines
Lebens den Verschmachtenden, am Glück Ver-
zweifeluden zu Schopenhauer und Buddha hin
so slämpelte ihn der plötzliche Urasehnung 8
Geschickes durch König Ludwig, dieses jähe Em-I
porgerissenwerden aus Dürftigkeit, Sorge, nutzlos^J
Mühe und steter Verkennung in alles Gegent«
in Ruhm, Wohlleben und höchste Machtfülle :
einem Übermenschen im nietzscheschen Sinne. Ein
Herrenmensch war er ja immer gewesen. Nun,!
wo sein Werk vollendet und jeder Zweifel an deel
großen Bedeutsamkeit dieses Werkes nicht nur ftlrl
ihn, sondern auch für die Einsichtsvollsten i
Zeitgenossen überwunden war, galt es für denl
Künstler, die Verwirklichung seiner kühnen Träume!
auf einer idealen Buhne mit vollendeten Mittelnf
durchzusetzen. Jetzt hieß es für ihn. seine Maclit|
rücksichtslos zu gebrauchen.
Er bedurfte der Welt, er bedurfte der i
Seilschaft, und er wußte, daß er mit diesen beidei
Faktoren nicht fertig werden konnte, weil
dazu unerläßlich nötigen Eigenschaften ihm ver-l
sagt waren: Schmiegsamkeit, gefällige Formen,!
diplomatische Klugheit und geduldige Liebens-T
Würdigkeit. Alle die Eigenschaften also, die seia'l
treuester Freund Franz Liszt in vollendeter Au8»r
gestaltung besaß und die er auf seine reichbegabtel
Tochter Cosima vererbt zu haben schien, Begreif-f
licherweise waren es gerade diese Eigenschaften^
die der Freundschaft der beiden größten Musikef |
Aus mchard Wagners Llebealeben
Liszt und Wagner in ineaschlicher Beziehung
Grenzen setzten, die Wagner wenigstens als un-
übersteigliche Mauern empfand. Was ihn bei Liszt
abstieß, war eben die mensehliehe Liebenswürdig-
keit, die ihm als unwürdige Schwäche erscheinen
mußte, und außerdem das Französische in seinem
Wesen, das Wagnern von jeher unbegreiflich und
unleidlich war. In München, in der Fülle seines
Glanzes und seiner Macht, erkannte er nun aber,
daß gerade dieser Schuß Franzosentum , wie er
solches verstand, ihm noch fehlte, um sein Lebens-
werk vollenden zu können, und es fehlte ihm auch,
um in der Gesellschaft, die er nun brauchte, eine
würdige Rolle zu spielen, das Haus, das von einer
geistig überragenden, feingebildeten Weltdame ge-
leitet wurde. Cüsima von BUlow vereinigte in
ihrer Person alles, was Wagner damals zu fehlen
schien. Als Tochter einer temperamentvolleu, hoch-
begabten Französin jadischer Abkunft, der Gräfin
d'Agoult, war sie noch weit französischer als ihr
Vater und dabei doch geistig großgezogen durch
die höchsten Potenzen deutscher Kunst , oberdieB
durch den Vater und durch den Gatten zu en-
thusiastischer Verehrung Wagners vorhestinunt und
hingeleitet. Wenn also dieser Wagner ihr zurief;
komm, ich brauche dich! so konnte es für sie
keinen Zweifel geben, daß sie alles verlassen mußte,
1 Hufe zu folgen. Ich weiß nicht, wie
Aub RicliaTd Wagnen Liebesleben
die Ehe Hans von Bülows beschaffen nai-, es ziemt
sich auch nicht, bei Lebzeiten seiner einstigen
Gattin in dieser Frage herumzustöbern, aber ich
glaube, daß Wagner wußte, was er tun durfte, als
er dem jungen Freunde die Zumutung stellte, ihm
seine Frau abzutreten. Erst viel später wühlte
sich Bülow aus dem Groll gegen den Menschen
aach in eine öffentlich zur Schau getragene Ab-
neigung gegen den Künstler Wagner hinein. Da-
mals, in der Mitte der Siebzigerjahre, mit der
frischen Wunde im Herzen, vear er es, der durch
sein eifriges Werben und durch den hochherzig
gespendeten, reichlichen Ertrag seiner Konzerte
die Mittel zur Verwirklichung des Bayreuther Ge-
dankens verschaffen half. Und sein späteres wagner-
feindliches KoDzerttreiben war eine krampfhafte
Lüge.
Auch diese rücksichtslose Tat, möge sie nun
eine Schuld genannt werden oder nicht, hat die
Bestätigung ihrer Notwendigkeit, ihre schöne Sühne
durch ihren Erfolg gefunden. Die Tochter Liszts
erwies sieh als die Gattin, die Wagner brauchte:
sie durfte ihm den Sohn schenken, den ein gütiges
Geschick der Frau Minna glücklicherweise versagt
hatte, und sie durfte sein großes Werk vollenden
helfen und nach seinem Tode in seinem Sinne
' weiterführen, so gut sie es verstand und vermochte.
Wagner blieb ihr tief dankbar ergeben bis an sein
J
AuB Kicbaid Wagners Liebesleben
Lebensende und war seinen und seines Freundes
Kindern ein liebevoller Vater. Die innere Gegen-
sätzlichkeit der beiden Naturen hinwegzusclimeieheln,
darf sich nun freilich auch aufrichtigste Verehrung
nicht unterfangen; und was alles an dem heute
noch lebendigen Bayreuth den ehrlichen Wagnerianer
betrübt, das ist auf jenen Gegensatz zurückzuftlhren,
auf die tiefe Kluft zwischen Franzoseotum und
Deutschtum,
Eine glückliche, gesegnete Ehe zwischen jenen
beiden bedeutenden Menschen haben diese Gegen-
sätze uicht verhindert, und zwar deshalb nicht,
weil Wagner damals, als er Frau von Bülow sich
zur Gelahrtjn begehrte, auf die Überschwänglich-
keiten jugendlicher Glücks-Itlusionen schon längst
verzichtet hatte. Es hat nur eine heiß Geliebte
für Richard Wagner gegeben : Mathilde Wesendonk.
Aber das Schicksal versagte ihm ihren Besitz, da-
mit er aus seinem großen Leide heraus unsterbliche
Werke zur Freude der Menschheit schaffen sollte.
[Nachtrag.
■
Es ist schade, daß die 269 Briefe Wagners
an seine erste Gattin nicht vor jenen an Mathilde
Wesendonk erschienen sind, denn sie bilden so
XII
AuB Richard Wagoere LiebeBleben
recht eigentlich den Schlüssel zum menschlichen
Wesen Wagners und damit auch zum Verständnis
Beines Liebeslebens. Nachdem nun diese Briefe
in der schönen zweibändigen Ausgabe des Verlages
Schuster & Löffler in Berlin mir bekannt geworden
sind, darf ich mit einiger Genugtuung feststellen,
daä ich dem obigen Charakterbilde, das ich vor
ungefähr vier Jahren entwarf, heute nichts Wesent-
liches hinzuzufügen habe. Das Tatsächliche war
ja aus den Biographien von Glasenapp und Chamber-
lain bereits bel{annt,undmancheEinzelheiten,dieunter
den Angehörigen des Wagnerischen Kreises nur münd-
lich umliefen, finden ihre Bestättgungin diesen Briefen,
Zu berichtigen habe ich eigentlich nur eins.
Ich hatte gesehrieben, daß es der armen Frau
Minna besonders von sentimentalen Gemütern hoch
angerechnet werde, daß sie auch in den Zeiten
schrecklichster Not treu und geduldig zu ihrem
Gatten gehalten habe, ohne ihm davonzulaufen.
Das stimmt nicht ganz ; denn sie ist ihm tatsächlich
einmal davon gelaufen. Im 172. Briefe kommt
Wagner auf das Ereignis zu sprechen. Er legt
seiner Frau einem fingierten Ankläger gegenüber
folgende Verteidigung in den Mund: „Nun freilich,
er, Richard, war so toll, daß er aus Eifersucht
(nur) mit mir tanzte, und, damit nur ja niemand
mir zu nahe kommen durfte, auf der Heirat bestand
und zwar unter so ungünstigen und bettelhaften
^
ä
Aus Richard Wagners Liebüsleben
VerhältnisBen , daß meine ruhige Besinnung mir
voraussagte, welches Klend wir durchzumachen
haben würden. Was wollte ich aber tun? Ich
liebte ihn auch, und so taumelten wir blutjunges
Paar in ein Misere hinein, das bald genug schon so
heftig und kummervoll hereinbrach, daß ich selbst
glaubte, nicht darin aushalten zu können und deshalb
meinem unbesounenea , leidenschaftlichen jungen
Manne, der mich, während er von Schulden bedrückt
war und wir den Sommer ohne Gage vor uns sahen,
auch noch mit den stärksten Ausbrüchen einer un-
leidlichen Eifersucht plagte, eines Tages fortlief.
— Allerdings war in jener bedenklichen Zeit (es
war in Hamburg ganz im Anfang ihrer Ehe) meine
Liebe zu Richard aus mir geschwunden, doch
glaube ich nicht, daß es so weit gekommen wäre,
wenn nicht zu gleicher Zeit ein in wohlgeordneten
reichlichen Verhältnissen lebender Mann sich
mir mit einem so starken Anscheine herzlicher
und bekümmerter Teilnahme für meine leidende
Lage näherte, und diese Teilnahme mir auf so
verführerische Weise beteuerte, daß ich unter all
diesen gegenseitigen Eindrücken für einige Zeit
ins Schwanken geriet und in Richards Liebe zu
mir, da sie sich namentlich nur in so verletzenden
Exzessen gegen mich kundtat, daß ich sie kaum
mehr erkennen konnte, keine hinreichende Ent-
schädigung für all das Elend zu ersehen vermochte,
4
rermocnie, •
Aus Richard Wagnera Licbeeleben
welches diese unglückliche eigensinnige Heirat zur
Unzeit über uns beide gebracht hatte. Ja, ich muß
mir vorwerfen, hierdurch eine Zeit lang unsicher
über mich geworden zu sein, und wer alles wohl
erwägt wird der jungen Frau es verzeihen können,
daß sie der Versuchung so weit erlag, als sie in
der ersten Zeit noch ihrem Manne abgewandt blieb,
ihn feindselig behandelte und über ihre Schritte
irre leitete und in der Wahl zwischen ihm und
einem anderen bis zu dem Punkte schwankte, daß
jener andere leider sich den Anschein geben durfte,
ich habe mich ihm geneigter gezeigt, als es in
Wahrheit der Fall war. Gerade dieses Verhältnis
war aber meine Prüfung und in ihr gewann ich
erst die volle Überzeugung meiner Liebe zu Eichard,
die schließlich als die Frucht dieser bedauerlichen
Verirrung hervorging."
Wohl gemerkt, dies alles legt Wagner seiner
Minna in den Mund in der Annahme, daß sie je-
mals fähig gewesen wäre, ein Unrecht gegen ihn
einzusehen und vernünftigen Gründen zu ihrer
Entschuldigung nachzuspüren. In Wirklichkeit
aber hat diese Frau wohl niemals ein Unrecht von
ihrer Seite zugestanden, sondern gleich allen solchen
geistig untergeordneten Geschöpfen nur bei ihm
die Schuld an allen den ewigen Zerwürfnissen gesehen.
Mit unerschöpflicher Geduld setzt er ihr Dutzende
von Malen ihre unsinnige schiefe Auffassung von
Atta Richard Wagnera Liebealeben i&>'^NS,,.^*nq.xS'^
seinem Wesen im allgemeinen, von einzelnen Hand-
lungen ioi besonderen auseinander, und dennocb
kommt sie immer wieder nach längerem oder
kürzerem Waffenstillstände voller Gift und Galle
auf dieselben albernen Klagen zurück. Mit vollem
Rechte machte er daher in einem der wenigen
Briefe, in dem er einigermaßen scharf mit ihr ins
Gericht geht, zum Vorwurfe, dafl er weder ihre
meist geradezu unsinnige Eifersucht, noch schlieB-
lich auch ihr treues Aushalten bei ihm wahrend
des ersten Pariser Elends als Beweise wirklicher
Liebe ansehen könne. Das Letztere geschah aus
widerwillig ertragener Pflicht, das Erstere aus
mißgünstiger Bosheit, die bei solchen Naturen
meistens die Stelle des Temperaments zu vertreten
pflegt.
Die Briefe Minnas vermißt man garnicbt, denn
Wagners Antworten sind so eingehend und deutlich,
daß jeder leidliche Psychologe sie aus seiner Phan-
tasie heraus sicher ergänzen kann. So kann man
denn wirklich von einem lückenlosen Briefwechsel
sprechen, für dessen Herausgabe man der Familie
Wagner den allergrößten Dank schuldig ist, denn
durch seine Kenntnis erst erweist sich alles, was
man gegen Wagner, den Menschen, jemals vor-
gebracht hat, als törichtes Geschwätz und selbst
einige Tollheiten, ja sogar Verfehlungen gegen die
wahre Moral, d. h. gegen die anständige Gesinnung
n
4
Ana Richard Wagnera Liebesleben
werden begreiflich und entschuldbar. Geradezu
grauenhaft wirkt diese letzte Enthüllung der Tra-
gödie eines Künatlerlebens auf jeden, der imstande
ist, sich in die Seele eines genialen Menschen hinein-
zuversetzen, vornehmlich also auf jeden, der selbst
ein Künetler ist. Durch eine Jugendeselei an eine
Frau gekettet zu sein, der alles und jedes Ver-
ständnis für die Lebensbedingungen künstlerischen
Schaffens abgeht — welch ein Schicksal! Und
auf der andern Seite welch ein schier unerschöpf-
licher Reichtum von Güte, von ächter, verstehender
und verzeihender Liebe, von unverwüstlichem
Humor bei Wagner! Ihm gegenüber von Rück-
sichtslosigkeit zu sprechen, ist schon mehr als eine
Dummheit, es ist ein Frevel, nachdem dieser Mann
der Welt bewiesen hat, für welches Ziel er die
ganze Kraft seines zähen Egoismus einsetzen mußte ;
aber die eigene Frau sieht in diesem Ringen des
gewaltigen selbstsicheren Neuschöpfers gegen die
frevelhafte Dummheit einer gleichgültigen oder gar
hämisch feindseligen Welt nur Eitelkeit, Anmaßung,
Zerfahrenheit, ausschweifende Phantastik und Pflicht-
vergessenheit gegen seinen Beruf als Gatte und
Versorger ! Auf seinen Humor vermag sie nur
einzugehen, soweit er sich an dem Hund, an dem
Papagei und kleinen drolligen häuslichen Begeb-
nissen ausläßt; aber für den Humor oder gar die
freundliche Ironie, mit der seine rührende Güte so
382 s^-'SNJ
Ana Richard Wagners Liebesleben
gern ihre eignen bösen Launen und ungerechten
Angriffe lächelnd zurackweist, zeigt sie nicht das
mindeatä Verständnis. Wenn er scherzend z. B,
eine Glasperlenstickerei, die sie ihm zum Geburts-
tag als Überzug für den Klaviersessel beschert,
für diesen Zweck nicht gerade geeignet erklärt,
tobt sie wütend los über seine Lieblosigkeit, der
sie nichts recht machen könne und läßt es zweifel-
los nicht an gehässigen Anspielungen fehlen auf
die vermutlich geschmackvolleren Geschenke anderer
Damen, die seinem Herzen natürlich näher stünden
usw. usw. Und er bleibt trotz allem und
allem immer nachsichtig, freundlich, liebevoll be-
sorgt um ihr Wohlergehen und gibt ihr von seinem
unsicheren, unregelmäßigen Einkommen so viel ab,
daß sie ein Bad nach dem andern besuchen und
ohne einen Finger zu rühren nur ihrer Gesundheit
und ihrem Vergnügen leben kann. Niemals gibt
er die KofFnung völlig auf, sie endlich doch zu
versöhnen mit dem großen Schmerze, den er ihr
in Zürich antun mußte. Immer wieder hcift er
auf die Möglichkeit eines behaglichen Lebensabends
in friedlichem Zusammenleben. Aber sobald sie
dann wirklich zusammenkommen, provoziert sie
furchtbare Szenen und da reißt ihn sein Tem-
perament dann auch bisweilen hin, zu harten, bösen
Worten vielleicht. Doch sobald er wieder allein
ist, drängt es ihn schriftlich gut zu machen, was
Ans Riofaud Wagnera Liebwieben I
er mündlich etwa verfehlt hat. Krankheit und
angestrengte Arbeit halten ihn nicht ab, sich zu
laugen, langen Briefen an diese niemals von ihrem
Unrecht zu überzeugende Frau Zeit zu nehmen.
Und in diesen Briefen hat er uns ohne jede schrift-
stellerische Pose neben dem leidenden, qualvoll
gewalttätigen Herrenmenschen Wagner auch den
anderen Wagner offenhart: das liebe große Kind.
Denn wirklich kindlich rührend liebenswürdig ist
es zu sehen, wie über diesen gewaltigen Willens-
menschen das Gemüt doch immer wieder den Sieg
davonträgt. Lachen und Weinen stecken in einem
Sack: gänzliche Verzweiflung und kühne HofFnungs-
freudigkeit dicht beieinander. Immer wieder versucht
er aufs Neue dieser Frau zum Verständnis seines
Denkens und Handelns zu verhelfen, und wenn er
das einmal im Unmut über die gänzliche Erfolg-
losigkeit feierlich verschworen hat, versucht er's
nach wenigen Tagen doch schon wieder! Über-
schwänglich ist seine Dankbarkeit für jeden einiger-
maßen freundlichen Brief von ihr, für kleine Ge-
schenke und dergleichen. Wundervoll anschaulich
sind die Schilderungen von Menschen und Dingen,
voll liebenswürdigsten Huniores und köstlicher
Ironie die Charakterskizzen von Mensehen und —
Viechern. Zu alledem gibt er sich in diesen intimen
Briefen auch stilistisch rein menschlich, nicht schrift-
stellerisch — und das ist ein großer Vorzug. Nur
Ana Riclianl Wagners Liebealeben <S./^-'S,/kC<S,/iV^
wenn er einmal zu einer eindringlichen Belehrung
oder ernsten Abrechnung weit ausholt, verfällt er
auch hier manchmal in jenen Bchwerfälligen, tlber-
ladeuen und weitschweifigen Vortrag, der seine
Prosa häufig schier ungenießbar macht. Er hat
eben wohl nie an die Veröffentlichung dieser Briefe
gedacht und darum sind sie so erquicklich frisch
und unbefangen geraten und legen für die Ächtheit
seiner Empfindung ein sichereres Zeugnis ab, als
selbst die leidenschaftlichsten Ergtlsse an Frau
Wesendonk.
Trotzdem er unerschöpflich ist in Erfindung
von kosenden oder gutmütig scheltenden Anreden
fehlt ein eigentlich erotischer Ton in diesen Briefen ;
aber das ist nicht zu verwundern, denn sie beginnen
erst mit dem Jahre 1842, also nachdem die Ehe
schon 8 bis 9 Jahre bestanden, schlimme Kata-
strophen stattgefunden hatten und der Jugendreiz
der Gattin bereits dahin war. So wird denn durch
sie seine Klage Liszt gegenüber, daß er die Ent-
zückungen der Liebe eigentlich nie kennen gelernt
habe, vollauf bestätigt. Lassen wir also im neuen
Lichte dieser Seelenenthüllung die Lebenstragödie
dieser heißblütigen und dennoch nie voll befriedigten
Künstlersehnsueht auf uns wirken, so erscheint die
Frage nach Recht oder Unrecht im Falle Wesen-
donk vollends gleichgültig. Ja selbst wenn wir
annehmen wollten, Wagners Ableugnung eines wirk-
Ans Biehud Wagnera LiebenlelM
liehen SüDdenfalles, also eioes Betruges an
besten Freunde, sei eine KavalierslOge gewesen,
um die beiden Frauen zu schonen, so müßten wir
selbst solche Verstrickung in schuldige Leidenschaft
begreiflich finden. Und auch das böse StUcklein
Galgenhumors, das Wagner einige Jahre nach der
Züricher Katastrophe in Biebrich lieferte, indem
er durch die Zeitung eine reiche Witwe suchte,
obwohl er von seiner Frau nicht geschieden war,
auch dieses Stücklein erscheint dann als ein bloßer
schlechter Scherz, den ein Augenblick hoffnungsloser
Niedergeschlagenheit explosiv zu Tage förderte. —
Als dann endlich die schwere Bürde der Not durch
die Huld jenes jungen Königs von ihm genommen
war, als die Aufführung des „Tristan" und der
„Meistersinger" der staunenden Welt bewies, daß
nicht eiu anmaßender Phantast sich frech gegen
die vernünftige Ordnung der Dinge aufgelehnt,
sondern wirklich ein Genius unbeirrbar seinen vor-
geschriebenen Weg vorwärts geschritten war, da
scheute er sich auch nicht mehr, sich mit offener
Gewalt zu nehmen, was sein Herz, seine Sinne und
sein praktischer Vorteil erheischten. Und welcher
Mensch, der die Leistung Wagners zu würdigen
weiß, dürfte wagen, ihm das Recht zu einem Frevel
gegen die Sitte abzusprechen, nachdem jene Sitte
in Gestalt des Philisteriuras ihm sein ganzes bis-
heriges Leben lang alle die Quellen künstlerischer
Ana Riebard WagneTs Liebcsleben !£>^NS,,,<^N£.i^>^
Schaffenafreude und menschlichen Behagens boshaft
verschüttet hatte?!
Diesen beiden hochbedeutenden Briefsamm-
lungen verdanken wir es, daß wir nun endlich in
der Lage sind, den Ktlnstler Wagner aus der Ent-
wicklungsgeschichte seiner Menschlichkeit heraus
ganz zu begreifen. Ohne die Kenntnis seines
LiebeBliebens wäre das niemals möglich gewesen.
Es hat nicht an wunderlichen Versuchen schwär-
merischer Adepten gefehlt, Wagner, den Menschen,
den Denker, den Schöpfer von rückwärts zu er-
klären, d. h. von dem buddhistischen Greise aus,
der uns den „Parsifal" schenkte, uns den Schöpfer
des „Tannhäuser" und des „Tristan" begreiflieh zu
machen. Vor solchen überflüssigen Anstrengungen
dürften wir nun wohl endgültig bewahrt bleiben —
und ich meine , niemand könnte sich in seinen
Illusionen über Wagner gestört fühlen, der aus der
^H Kenntnis seines tragischen Liebeslebens heraus auch
^H von ihm zugestehen muß: er war ein Mann
^H nehmt alles nur in allem.
4
Das Lustspiel
(1898)
Kevolutionen wirken stets erfrischend wie
starke Gewitter, wenn auch die Hütten der Ge-
rechten in Flammen aufgehen und die Paläste der
Gottlosen dabei verschont bleiben, wenn auch
Wolkenbrüche fruchtbares Land wegschwemmen
und versanden , Leben und Habe in Massen ver-
nichten mögen. Mit den geistigen Revolutionen
steht es ganz ebenso : sie reinigen die Atmosphäre,
sie erweitern den Horizont, sie klären die Geister
auf und sie rufen vor allen Dingen in neuen
Geschlechtem das Bewußtsein ihrer Kraft wach —
und das ist eine reichliche Entschädigung dafür,
daß sie viel Ttlchtiges vom Alten , wenn es auch
noch wurzelstark im Boden steht , mit keckem
^H^ Hohn ausroden. Hie Generation schöpferischer
^B Künstler, Dichter und Gelehrter, der ich selbst an-
^H gehöre, die Generation der von etwa 1848 — 60
^H Geborenen, welcher die gellenden Trompetenstöße
^H der Heerführer unserer neuesten literarischen
l
4
Das Liietepiel
gewöhnte Ohr beleidigten und die Brutalitäten
und [Prahlereieu der unreifen Burschen, die sich
damals als Bannerträger brüateten, gar sehr wider
den Geschmack gingen, heute werden sie fast ohne
Ausuahme gleich mir geneigt sein , die Flegeleien
von damals lächelnd zu segnen. Die zwölf Jahre,
die seit dem Anfang der neuen literarischen Be-
wegung in Deutschland verflossen sind, haben bereits
genügt , um den Beweis zu erbringen , daß die
jungen Flegel vom Jahre 84 nicht eitel leeres Stroh
gedroschen haben, und um des guten Erdrusches
willen, dem wir heute doch das nahrhafte Brot
unseres Alltags verdanken , mag es ihnen auch
nachgesehen werden, daß sie damals teils aus Bos-
heit, teils aus Ungeschick ihre Flegel oft mit ehr-
würdigen grauen Häuptern in unsanfte Berührung
brachten. Selbst wenn man behaupten wollte, daß
die naturalistische Bewegung bisher noch kein ganz
einwandfreies Meisterwerk hervorgebracht habe,
so muß doch zugegeben werden , daB auf allen
Gebieten der Kunst, und ganz besonders auf lite-
rarischem, der Durchschnitt der Leistungen ein
außerordentlich viel besserer geworden ist , und
daß vielleicht nur deshalb so selten ein einzelnes
Werk vom Publikum und von der Kritik mit ein-
stimmigem Jubel begrüßt wird, weil zu viel Her-
vorragendes gleichzeitig zur Erscheinung kommt.
Das gilt ganz besonders von der Lyrik und vom
J
^ Eomao, und ich glaube kühnlich behaupten zu
dürfen, da6 heute mindestens ein Dutzend Romane
und Gedichtbände alljährlich erscheinen, von denen
jeder einzelne noch in den 60er und 70er Jahren
epochemachend gewirkt hätte.
Auf dramatischem Gebiet sind es freilich ver-
[ hältnismäßig immer nur wenige Namen, auf die
sich gleichzeitig die gespannte Teilnahme des
literarischen Publikums richten kann, aber das liegt
nur in der Natur der Sache. Jeder literarisch
gebildete Theaterleiter und Dramaturg wird mir
I zugestehen, daß der Durchschnitt der von unbe-
' bannten Anfängern eingereichten Stücke heutzutage
gleichfalls viel höhere künstlerische Qualitäten zeige
als diejenigen der letztvergangenen Jahrzehnte, und
das dürfte doch die Meinung gerechtfertigt er-
scheinen lassen, daß unsere Zeit ganz ungemein
fruchtbar an Talenten sei. Die Frage, ob wirklich
alle die jungen Leute, die einen recht anständigen
dramatischen Erstling zuwege bringen , geborene
Poeten seien, möchte ich darum doch nicht leicht-
sinnig bejahen. Dagegen erscheint es mir ganz
erklärlichj daß es heute einer guten Intelligenz
und einem gebildeten Geschmack , mit Fleiß und
Ernst ausgerüstet, weit eher gelingen kann, ein
dramatisches Werk mit künstlerischeu Allüren zu
schreiben, als dies der vorigen Generation möglich
war, trotzdem, rein äußerlich betrachtet, das Dichten
Das LuBtspiel
heutzutage erheblich schwieriger geworden ist denn
ehemals. Bis zu der großen Umwälzung durch das
plumpe Dreingreifen des Naturalismus herrschte
auf dramatischem Gebiet mehr als auf dem irgend-
einer anderen Kunst das Schema und die Konvention.
Die angehenden Dramatiker studierten die bekannten
Handbücher von Frejtag und Hettner, und Schiller
und Shakespeare waren die Paradigmata, nach
denen sich alle dramatischen Stoffe konjugieren
ließen. Ins Theater gingen diese jungen Leute
wenig, und wenn sie ganz besonders modern an-
gehaucht waren und das Glück hatten, in den paar
großen wirklichen Theaterstädten Deutschlands
aufzuwachsen, so bot sich ihrem Nachahmungstrieb
das vielgepriesene Muster französischer Technik,
welche mehr als die irgendeiner anderen drama-
tischen Kunst im Schematismus erstarrt war und
sich bis auf den heutigen Tag noch nicht davon
zu emanzipieren vermag. Der junge Dichtersmann
von heute dagegen liest schon auf der Schule,
wenn auch vielleicht nur heimlich, seinen Ibsen,
Björnson, Strindberg, Hauptmann und hat in dem
Theater seiner Vaterstadt, und sei sie noch so
klein, mindestens einige Sudermanns gesehen.
Sagte man dem Lehrling früher : stecke deine Nase
in die Grammatik deiner Kunst , studiere die
klassischen Meisterwerke, so sagt man ihm heute:
studiere das Leben und das gegenwärtige Theater
I
Das Lustspiel
nnd schreibe nur, was du aus eigener Anschauung
und innerer Erfahrung genau kennst. Das sind
Forderungen, die der junge Dichtersmann nicht
nur lieber erfallt, sondern auch leichter erfüllen
kann, während es andererseits allerdings für einen
jungen Menschen viel schwerer ist, nur seine in-
dividuelle Beobachtung poetisch zu verwerten als
einfach in der im Drill der Schule zur Gewohnheit
gewordenen Anschauungsweise und in der klassischen
Phraseologie jugendlich unreife Phantasien zu ge-
stalten. Wer nicht wirklich eine gute Beobachtungs-
gabe und Individualität genug besitzt, um auch
im Gewöhnlichsten das Charakteristische zu er-
fassen oder dem Gewöhnlichen durch eigenartige
Beleuchtung einigen Reiz zu geben, der wird von
vornherein den Versuch, ein dramatisches Gebilde
nach modernem Geschmack zu schaffen, aufgeben
müssen. Es wird ihm unmöglich sein, die Grund-
forderungen des modernen dramatischen Stils an
lebenswahre Sprache, Lokalkolorit, Stimmungs-
malerei und psychologische Analyse zu erfüllen.
Derselbe junge Mann wird aber vielleicht ohne
Besinnen donnernde Tiraden in hochtönenden Jamben
aus dem Ärmel schütteln und nach bewährtem
Rezept die Glocken läuten oder den Gott aus der
Maschine erscheinen lassen können, während jener
andere junge Mann, der der Moderne sich ergeben
hat, keine Spur von eigentlich dichterischer Be-
Da» Lustspiel
gabung zu besitzen braucht, um dennoch eine
feineWirklicbkeitsstudie zusammenzubringen, welche
vielleicht sogar den Vergleich mit einem der
Bchwächeren Dramen realistischer Meister nicht zu
scheuen braucht.
Im Zusammenhang mit dieser Betrachtung
wird es, meine ich, leichter werden, dem Grunde
der eigentümlichen Erscheinung auf die Spur zu
kommen, daß unser deutsches Lustspiel sowohl
von dem Wechsel im Geschmack des Publikums
wie von den neuen Bestrebungen der schaffenden
Dramatiker so gut wie unberührt geblieben ist,
Was sich heutzutage Lustspiel nennt, zeigt ganz
dasselbe altvertraute Gesicht wie das, was vor
zehn, zwanzig oder gar noch mehr Jahren so hieß,
und was die ausgesprochen modernen Autoren bis-
her im heiteren Genre geboten haben, das wagten
sie nicht, Lustspiel zu nennen. Es wird immer
eine große Sehnsucht nach Heiterkeit bestehen,
sowohl bei den Schöpfern, mehr aber noch bei dem
Publikum dramatischer Kunstwerke. Es ist ent-
schieden unbehaglich für den Kultur-
menschen, sich in großer Gesellschaft
erschüttern zu lassen, wogegen es für
den Wildesten wie für den Gebildetsten
eine außerordentliche Steigerung der
Heiterkeit bedeutet, in großer Gesell-
schaft lachen zu dürfen. Gewiß wächst sich
das Theater allmählich immer mehr in die hohe
Aufgabe hinein, für die freiesten und feinsten Geister
ein Tempel wahrer Erbauung, eine hohe Schule
der Lebenskunst zu werden, und der_sittliche Ernst,
mit welchem die Besten der lebenden Dramatiker
ihr freies Priesteramt erfassen, hat den Fortschritt
der idealen Bühne nach diesem Ziele hin schon
erheblich zu beschleunigen geholfen. Aber es kann
nicht alle Tage Sonntag sein, und für die Werk-
tagskost der Kunst ist sicherlich heitere Unter-
haltung im gefälligen Spiel des Witzes und der
Laune nichts Unwürdiges. Es war nur natürlich,
daß die jungen Revolutionäre der Literatur zu-
nächst einmal ihrer eittlichen Entrüstung freien
Lauf lassen, alles Bestehende mit Keulenschlägen
2u Brei zermalmen, durch unbarmherzige elektrische
Beleuchtung von seiner Niederträchtigkeit zu über-
zeugen und außerdem durch möglichst krasse
Gegensätze zu dem Gewohnten in Stoff und Dar-
stellung-^art ihre Wirkungen zu erreichen suchen
mußten. Ebenso natürlich war es aber auch, daß
das Publikum, nachdem es sich zunächst voll Ekel
gegen die naturalistische Darstellung widriger Vor-
gänge in niedrigen Sphären empört und allmählich
doch dem starken Reiz minutiös ausgeführter Wirk-
lichkeitsbilder sich hingegeben hatte, rascher als
irgendeiner anderen Moderichtung des konsequenten
Üaturalismus auf dem Theater überdrüssig wurde.
Dm Lostspid^l
Eb bat in einem verhältnismäßig sehr kurzen Zeit- J
räum gelernt, an den Dichter wie an den Schau»]
Spieler die höchsten Anforderungen an eine lebendige!«
Charakteristik zu stellen, seine Ohren haben sich'I
an die neue Sprache gewöhnt, für die es keinel
Schönheitsregeln mehr gibt, und es macht sogar,,!
fast schon zum größeren Teile, dem Dichter keinen ■
Vorwurf mehr daraus, wenn er auf der Bühne
Dinge behandelt, von denen anständige junge
Mädchen nichts verstehen dürfen, und Gesinnungen
äußert, die nichts weniger als vorschriftsmäßig sind.
Aber es mag sich nicht immer in Proletarierkrei&en
bewegen, Krankenstubenluft atmen und sich im
Theater gröblich insultieren lassen. Gerade so
laufen auch in der Kirche die Leute wohl dem
Kapuziner in hellen Haufen zu, der sie als rechte
Rabenäser von der Kanzel herab andonnert und
ihnen die Hölle fürchterlich heiß zu machen ver-
steht; aber das darf er sich nur als Gastprediger
erlauben, dem ständigen Pfarrer würden sie bald
die Fensterscheiben einwerfen, wenn er's ihnen all-
sonntäglich so grob zu bieten wagte. Das haben
auch die Vorkämpfer der neuen Richtung selbst
bald eingesehen. Die Kapuzinerrolle ist ihnen zu-
wider geworden — daher die vielen Märchenspiele
der letzten Jahre, die neuen Versuche mit der
Historie und mit der Komödie.
Die Welt schreit nach Heiterkeit und die
Diu LuBtapiel
heutige Welt ganz besonders, diese nervöse, Über-
hastete, überanstrengte Welt, die nach immer
stärkeren Reizmitteln sucht, um sich in dem zer-
reibenden Kampf ums Dasein bei Kräften zu er-
halten. Wie ist es möglich, daß dasselbe Publikum
einen Hauptmann auf den Schild erheben und
gleichzeitig an den Fabrikaten großstädtischer Dra-
matiker-Firmen Gefallen finden kann? Und wenn
wirklich dieses Publikum, welches solch schlechtem
Kunst-Handwerk die großen Kassenerfolge verschafft,
nur das ungebildete wäre, wie ist ee möglich, daß
die Sehnsucht des gebildeten Publikums im Verein
mit dem reinsten Streben der wirklichen Dichter
nicht schon ein heiteres Drama zu schaffen im-
stande war, das jenem Schund erfolgreiche Kon-
kurrenz machen könnte?
Ich sehe die Ursache darin, daß es in der
Wirklichkeit zwar Tragödien genug, aber tatsächlich
keine reinen Lustspiele gibt, und daß die Sinne der
neuen Dichter-Generation so ausschließlich auf die
Wirklichkeit eingestellt sind, daß sie aus der freien
Phantasie heraus keinen StoiV mehr zu gestalten
vermögen, der sich mit rein realistischen Mitteln
zum heiteren Drama umarbeiten ließe. Das Lust-
spiel ist in dem Sinne, den das Wort gegenwärtig
noch behauptet, das Produkt einer Konvention.
Ich möchte es zu definieren versuchen als eine
dramatische Gattung, welche menschliche Schwächen,
Dan LustupiBl
Anschauungen und Einrichtungen in gutmütiger
Weise geißelt und die heitere Grundstimmung
durchweg, wenn auch auf Kosten der Lebenswahrheit,
aufrecht erhält. Das Aufrechterhalten der heiteren
Grundstimmung von Anfang bis zu Ende, das ist
die Hauptsache, und das ist nur möglich, wenn
der Dichter mit äußerster Gutmütigkeit mit den
Torheiten und Schwächen umspringt, die er zum
Stoffe Beiner dramatischen Gestaltung erwählt hat,
Es liegt aber in dem Wesen unserer Zeit und in
der Eigentümlichkeit unserer jüngsten künstlerischen
Entwickelung , daß die Gutmütigkeit für eine
Schwäche angesehen wird, deren ein ehrlicher
Dichter sich schämt. Und das ist auch ganz ge-
rechtfertigt; Gutmütigkeit ist für einen Schaffenden
ein ebenso mißliebiges Lob, wie es meist Tugend-
haftigkeit für ein Mädchen ist. Wenn man von
einem Mädchen nichts zu sagen weiß, als daß es
tugendhaft sei, so wird man voraussetzen, daß es
garstig sei, und von zehn als gutmütig gerühmten
Männern kann man voraussetzen, daß mindestens
neun Dummköpfe sind. Die Ochsen und die Dirnen
sind von einer notorischen Gutmütigkeit — man
befindet sich da also in wenig gewählter Gesell-
schaft. Aber das Wesen des Lustspiels
macht es zur unbedingten Notwendig-
keit für den Dichter, von seiner Be-
obachtungsgabe, von seinem satirischen
Witz und von seiner sittlichen Über-
zeugung nur soweit Gebrauch zu machen,
als er sicher sein darf, keinen Zuschauer
zu verletzen. Das ist aber natürlich unmöglich,
ohne daß man wissentlich Fünfe gerade sein läßt —
also sich jener fatalen Gutmütigkeit befleißigt. Es
liegt somit ein ganz respektabler Zug von Noblesse
in der Tatsache, daß der modern fühlende Dichter
sich nicht dazu hergeben mag, ein richtiges Lust-
spiel zu schreiben. Der Kern der Sache ist, um
es noch einmal kurz und scharf auszudrücken, der,
daß der moderne Dichter von Qualität
zu stolz ist, seine sittliche Überzeugung
demBehagen seinesPublikumszu opfern.
Ich möchte noch ein paar Schwierigkeiten er-
wähnen. Gewiß gibt es im Leben eine Menge von
komischen Figuren und drolligen Situationen, welche
in keiner Weise eine sittliche Entrüstung heraus-
zufordern und doch zur Verwendung für die Bühne
ganz geeignet sind. Diese Charaktere und Situationen
dürften sich so ungefähr in den sattsam bekannten
Rubriken der „Fliegenden Blätter" unterbringen
lassen, und man wird zugestehen müssen, daß es
schwerlich den Ehrgeiz eines ernst strebenden
Poeten befriedigen könne, dieselben tausend und
Iftbertausendmal wiedergekäuten Harmlosigkeiten
immer von neuem dramatisch auszubeuten, auch
wenn das Publikum genügsam genug ist, um an
Das LnstBpiel
den fliegenden Blättern auf der Bühne noch Ge-
schmack zu finden. Es ist ganz selbstverständlich,
daB für solche Beschäftigung nur leichtwiegeude
Feuilletontalente, geschickte Rechenkünstler, flinke
Effekthascher zu haben sein werden. Ferner ist
zu bedenken, daß zwar der geborene Humorist,
besonders wenn er schon im reiferen Lebensalter
steht, weit eher als der junge Brausekopf, der
seinen Witz an der Wirklichkeit übt, in die er
erst kürzlich hineingestolpert ist, geneigt sein wird,
die Narrheiten und Schwächen, die sich seiner Be-
obachtung aufdrängen, lächelnd zu verzeihen, daß
aber unsere Zeit im allgemeinen nicht recht ge-
eignet ist, solche ächten Humoristen zu züchten.
Jeder ächte Dichter, weß Bekenntnisses er sonst
auch sein mag, ist ein Freigeist, im besten Sinne
des Wortes ein Fortschrittsmann — und solchen
Leuten kann unter den gegenwärtigen politischen
Verhältnissen, unter den scharf zugespitzten sozialen
Kämpfen nicht recht wohl werden, besonders aber
muß ihnen der reaktionäre Wind auf die Nerven
schlagen. Daher die merkwürdige Erscheinung,
daß dieselbe Dichtergeneration, welche theoretisch
sich au dem Kampf gegen den philosophischen
Pessimismus so lebhaft beteiligt, der unter der
Führerschaft Nietzsches so fröhliche Fortschritte
macht, dennoch, auch in ihren besten Werken, sich
so unfähig zu wahrer freier Heiterkeit zeigt.
4
Dm Ludtapiel fFt..>^-'e.'^*<a.'^-'a^^-'«.'^-'^.^^^
Es sei mir gestattet, zur Erlftuterung des Ge-
sagten meine eigenen Erfahrungen als Bühnen-
dichter heranzuziehen. Man hat mir ziemlich von
Anfang meiner literarischen Laufbahn an, schon
nach meinen ersten novellistiBchen Erfolgen, die
Ehre erwiesen, mich einen Humoristen zu nennen.
Ich weis dieses Lob sehr hoch zu schätzen, wenn
anders das Wort Humorist in tieferem Sinne als
nur als Spaßmacher gemeint war. Meine Art der
Weltbetrachtung ist allerdings eine humoristische,
und daher war es mir ganz natürlich, daß ich meine
jugendlichen Trauerspiele fein im Kasten liegen
ließ und mich zunächst mit ein paar harmlosen
und unbedeutenden Lustspielen der Öffentlichkeit
als Dramatiker vorstellte. Dann kam die literarische
Revolution der 80 er Jahre, und ich schloß mich
ihren Heerscharen, wenn auch nur als Landwehr-
mann, um so lieber an, als ich in meiner Dar-
stellungsart schon immer Realist gewesen war.
Jenes Pathos der sittlichen Entrüstung, welches
die jugendlichen Vorkämpfer der neuen Schule
auszeichnete, hatte ich niemals besessen; es war
mir daher unmöglich, mich der Mode zu Liebe für
Säuferwahnsinn, Hungertyphus und ähnliche dra-
matische Stoffe zu begeistern ; wohl aber versuchte
ich die sich mir darbietenden Konflikte in meiner
eigenen Lebenssphäre im Sinne der neuen Schule
rücksichtslos zu gestalten. Ich schrieb ein Schau-
apiel „In's alte Eisen", in welchem ich den Kampf
einer armen Offiziersfamilie mit den Vorurteilen
der Kaste schilderte. Es gelang mir nicht, das
Stück zur Aufführung zu bringen, und ich goß es
darauf in die bequeme Romanform um, unter dem
Titel „Die Kinder der Exzellenz".
Einer Anregung von außen folgend, dramatisierte
ich den Stoff noch einmal unter demselben Titel
mit etwas vereinfachter Handlung und unter Ver-
zicht auf den Tod des Helden im Duell. Ich
glaubte, eine Komödie im französischen Sinne des
Wortes geschrieben zu haben, als welche wir zu
deutsch noch unter den nichtssagenden Begriff
Schauspiel bringen. Daß in diesem Schauspiel ein
pudelnärrischer, alter Major und ein drolliger
Backfisch vorkamen, verletzte mein Stilgefühl nicht
im mindesten, denn das war in meinem Sinne nur
konsequenter Realismus. Direktor L'Arronge vom
Deutschen Theater aber sagte mir zu meinem Er-
staunen, daß ich ein vermutlich sehr wirksames
Lustspiel geschrieben habe. Als Lustspiel sind
dann auch „Die Kinder der Exzellenz" Über fast
sämtliche deutsche Bühnen der Welt gegangen und
auch noch in mehreren fremden Sprachen auf-
geführt worden. Auch die ernsthafte Kritik er-
kannte das Werk als ein gutes Lustspiel mit einem
etwas matten und larmoyanten dritten Akte an,
entdeckte darin die Keime zur Vertiefung des
I
Das Lustspiel
deutechen Lustspiels und ermahnte mich, ernstlich
auf diesem Wege fortzuschreiteu. Mir selbst
machte das Stück keine rechte Freude. Ich ver-
mochte immer nur ein verunglücktes Schauspiel
oder aber ein halbes Lustspiel darin zu sehen.
Mit meinem nächsten dramatischen Werke nahm
ich es dann bedeutend ernster, und im Ernste der
langwierigen Arbeit ging mir dann die Erkenntnis
auf, daß ein reines Lustspiel zu schreiben im gegen-
wärtigen Augenblicke mir ebensowenig möglich sei
wie den andern geehrten Kampfgenossen. Als das
„Lumpengesindel" fertig war, da war ich mir auch
theoretisch über seine Qualitäten klar und nannte
es Tragikomödie, Der Umstand, daß dieses
mein Lieblingswerk überall, wo es bis jetzt auf-
geführt worden ist, dieselbe zwiespaltige Aufnahme
gefunden hat, indem immer ein Teil der Kritik
und des Publikums die Vermischung von niedrig
komischen mit rübrsameu oder gar direkt tragischen
Momenten als empörende Geschmacklosigkeit emp-
fand, während der andere Teil sich gerade durch
die so zustande gebrachte erhöhte Lehenswahrheit
gepackt zeigte , dieser Umstand ist mir ein voll-
gültiger Beweis dafür, daß mir meine Absicht ge-
lungen sei. Die Tragikomödie scheint mir in der
Tat zurzeit der einzig richtige, künstlerisch wert-
volle Ersatz für das gegenwärtig noch nicht mög-
liche reine Lustspiel zu sein. Mit meinem folgenden
Das Lustspiel 1
StQck „Daniela Weert", das als Schauspiel gedacht '
war, ging es mir dann eigentümlich. Ich hatte |
mich nicht gescheut, auch in diesem ernsten Stoife 1
meinem Humor die Zügel schieSeu zu lassen und 1
wenigstens eine Fignr hinein zu bringen, die zwar ]
an sich nicht komisch war, aber durch ihre unver-
frorene Derbheit lustspielmäBige Stimmungen her- .
vorrief. Diese lustspielmäBigen Stimmungen schlugen i
ein und machten mir das ernste Stück {trotz des ]
genialen Spieles einer Agnes Sonna) tot. Wieder '
hieß es, und diesmal schon mit einem unangenehmen
Beigeschmack : „Ja, lieber Freund, du muSt eben
Lustspiele schreiben." Und ich sagte mir: Zum
Donnerwetter, jetzt schreibe ich ein Lustspiel ! Es
muß doch gehen — man muß nur wollen! — Und
ich schrieb ein Lustspiel „Ein unbeschriebenes
Blatt". Ich ging damit nach Wien, weil ich mich
vor Paul Sehlenther und anderen meiner gestrengen
Freunde in Berlin ein wenig damit genierte. In
Wien lachten sich die Leute im ersten Akt halb
tot, im zweiten fingen sie an zu gähnen, und im
dritten zischten sie mich aus. Ich hatte mir ein
Thema erwählt, in welchem ich unmöglich kon-
fessionelle, politische, soziale oder auch gesellschaft-
lich-moralische Vorurteile verletzen konnte, welches
mir aber trotzdem gestattete , in der Verwertung
humoristischer Beobachtung über den „Fliegenden
Blätter"-Stil hinaus zu gehen. Ein älterer ProfesBor
Das Lustspiel
heiratet einen Backfisch von sechzehn Jahren, um
ihn sich nach seinem Gefallen zu erziehen. Natür-
lich hat er damit kein Glück, der kindische Un-
verstand der kleinen Frau bringt ihn dem Wahn-
sinn nahe, und in diesem Zustand benimmt er sich
tatsachlich wie ein Verrückter. Das war nur konse-
quent, wurde aber übel vermerkt. Da ich es nicht
über mein Gewissen bringen konnte, das alberne
kleine Mädchen innerhalb der zwölf Stunden, in
denen sich das Stück abspielt, zu einer vernünftigen
Frau werden zu lassen, so mußte ich, um einen
Schluß herbeizuführen, im letzten Akt die tollsten
Possensprünge machen. Der Professor mußte sich
selber persiflieren und das dumme Ding behalten,
so wie es war, zufriedengestellt durch ihr Ein-
geständnis, daß sie sich in einem Punkte dumm
benommen. Hatte sich der zweite Akt schon in
allerlei Varianten des Zankmotives hingezogen, so
war der ganze dritte Akt nur eine Verlegenhelts-
auskunft. Das wußte ich selber gar wohl , ich
glaubte nur, daß sich das Publikum durch komische
Situationen leichter betrügen lassen würde; denn
um einen ganzen Theaterabend hindurch
einen Ausschnitt aus einer angeblichen
Wirklichkeit rein komisch erscheinen
zu lassen, dazu bedarf es unter allen
Umständen raffinierter Betrügerkünste.
Moritz Necker, der feinsinnige Wiener
!_.
Dae LuBtapifll '
Kritiker, schrieb in seinem Bericht über mein Lust-
spiel in den „Blättern für literarische Unter-
haltung" : „Der moderne Realist scheut am meisten
die sogenannte Umkehr der Charaktere ; er glaubt
konsequent und lebenswahr zu sein, wenn er keine
Erkenntnisfortschritte , keine Läuterung mensch-
licher Charaktere annimmt und darstellt. Und das
scheint nun dem Wolzogenschen Lustspiel zum
größten Schaden geraten zu sein. Mit dieser
Ästhetik beraubt sich der Dramatiker seiner wich-
tigsten Wirkungen, gar nicht zu reden davon, daß
er durch die strenge Durchführung eines so scharf
umgrenzten Charakters leicht monoton wirkt." Und
weiter: „Ernst von Wolzogens Schicksal aber mag
für die Geschichte des modernen Realismus von
ähnlicher Bedeutung werden, wie auf dem höheren
Gebiete der Tragödie das böse Geschick des
jFlorian Geyer' in Berlin von Bedeutung für die
ganze neue Dramaturgie war. Wolzogen muß aus
dem Wiener Erlebnis die Lehre ziehen, daß es
auch im Lustspiel mit jenem Realismus nicht gehe,
weil dieser Stil vom Humor ab-, nicht aber dem
Humor zuführt. Die Grundstimmuug des ächten
Humoristen ist die Liebe zu den Menschen, der
Glaube an die Güte der menschlichen Natur, der
schließlich durchbrechen und sich in der Lösung
der Verwickelungen und Verirrungen offenbaren
muß. Die Grundstimmung des modernen Realisten
Das Lustspiel
ist Skepsis, Nüchternheit, der Mangel des Glaubens
an meDBChliche Güte; wenn so ein Mensch lacht
so wirkt es bitter sarkastisch, satirisch, nicht rein
lustig , nicht humoristisch. Darum endigen die
Lustspiele der konsequenten Modernen in der
Burleske, und das ist eine unmögliche Theater-
wirkung. Man wird schließlich doch auf die alten
Lehren zurückkommen, die ja nicht das Werk der
Konvention, der Willkür, sondern der langen,
langen Erfahrung, der künstlerischen Natur sind.
Es ist begreiflich, daß man eine konventionell ge-
wordene Kunst haflt und sie durch eine neue er-
setzen will. Allein man darf das Äußerliche nicht
mit dem Wesen der Dinge verwechseln, und der
Witz besteht eben darin, die Gesetze der mensch-
lichen Natur zu berücksichtigen, ohne in Schablone
zu verfallen."
Ich stimme diesen feinen Ausführungen im all-
gemeinen zu, möchte mir aber zwei Einschränkungen
gestatten: erstens einmal kann ich nicht zugeben,
daß Skepsis, Nüchternheit und der Mangel an
Glauben an menschliche Güte mit dem Realismus
als künstlerischer Anschauung durchaus verbunden
sein müßten. Warum der realistische Dichter der
Gegenwart allerdings an diesen Erapfinriungsübeln
meistens leidet, glaube ich bereits ausreichend er-
klärt zu haben, aber bessere Zeiten werden zweifel-
los freundlichere Poetengemüter züchten. Zweitens
XIV.
Das Lustspiel
möchte ich bestreiten, daß das alte dramatische
Gesetz von der Läuterung, von der Umkehr der
Charaktere wirklich ein ewiges sei, um das durch
keine Bemühung herumzukommen wäre. Tatsäch-
lich fordert das Publikum heute noch Umkehr und
Läuterung der Charaktere, wenn es sich durch den
Schluß eines Dramas, und gan:; besonders eines
heiteren, befriedigt erklaren soll; und doch geht
gerade diese Forderuug dem Realismus ganz be-
Bonders gegen den Strich. Ich glaube aber, daß
wir es hier nicht mit einem immanenten Kunst-
gesetz, sondern wirklich nur mit einer Konvention
zu tun haben, und daß dem Publikum das Bestehen
auf dem, was es bis jetzt noch unter einem be-
friedigenden Schluß sich vorstellt, aberzogen werden
könne.
So gut wie die gebildeteren Eomanleser heute
schon 80 weit gekommen sind, auf eine verwickelte
spannende Handlung gern zu verzichten, wenn ein
Eoman oder eine Novelle durch feine Seelenmalerei,
packende Bilder aus der Wirklichkeit und Auf-
stellung interessanter Konflikte hervorragt, so sollte
es auch möglich sein, das Theaterpublikum daran
zu gewöhnen, auf die Forderung ungebrochener
Stimmungen und sogenannter befriedigender Schlüsse
zu verzichten. Kein Menschenkenner, auch der
liebreichste nicht, glaubt an die plötzliche Läuterung,
und da im Theater nur das glaublich zu machen
Das Lustspiel
ist, was man sieht, so mUssen gerade auf ihn jene
notgedrungen plötzlichen Umkehrungen besonders
unmöglich und lächerlich wirken. Es muß auch
für das Drama genügen, einfach ein
Stück Leben gezeigt zu haben. Immanente
Gesetze des Dramas sind nur steter Fortschritt
der Handlung, Steigerung innerhalb der Akte wie
im Ganzen und Vermeidung aller aufhaltenden
Wiederholungen.
Jeder gute Beobachter des Lebens wird un-
zählige Male gesehen haben, wie tragische Konflikte
ausgekämpft werden von Menschen mit den lächer-
lichsten Eigenschaften oder von Menschen, die sich
wenigstens im Zustande höchster Erregung gerade
am närrischsten gebärden, oder wie andererseits
die ernsthaftesten Menschen gerade durch ihren
Ernst und in ihrer heiligsten Begeisterung die
lächerlichsten Situationen schaffen können. Das
sind die Gegensätze, welche den modernen Realisten
naturgemäß zur dramatischen Gestaltung reizen;
aber die ungebrochenen Stimmungen hören dahei
auf. Tragödie und Komödie his hinab zur Burleske
tollen bunt durcheinander, und das Publikum muß
und wird sich daran gewöhnen, an der Darstellung
dieses Durcheinanders künstlerischen Genuß zu
finden. Es ist mir eine große Freude gewesen,
daß mein „Lumpengesindel" Schule gemacht hat.
Alle unsere ersten modernen Dramatiker sind bei
Das Lnatepiol
ibren Veraucheo in der heiteren Gattung auf die
Tragikomödie hinausgekommen: Gerhart Haupt-
mann mit dem „Kollegen Crampton" und dem als
Theaterstück leider so verunglückten „Biberpelz",
Sudermann mit der „Schmetterlingsschlacht', Halbe
mit der „Lebens wende", Arno Holz, Franz Servaes,
Josef Ruederer, Anna Croissant-Rouat, Elsa Bern-
stein (Ernst Rosmer) und vermutlich noch sehr
viele andere, deren Werke nicht aufgeführt oder
mir nicht bekannt geworden sind. In alleijüngster
Zeit hat Hermann Bahr ein Stück geschrieben,
das ich mit ganz besonderer Freude begrüßt habe:
„Das Tschaperl". Es ist ihm damit genau so
ergangen wie mir mit dem „Lumpengesindel"; man
hat sich empört gezeigt über die aufdringliche
Komik, die so stimmungsmordend in die Tragik
hinein platzt, und Kritiker, welche die literarischen
Qualitäten des Stückes höchlich lobten, schalten
das Publikum, weil es" in tief ernste Szenen roh
hineinlachte. Das Publikum will lachen, und es
soll lachen, das ist sein gutes Recht, im Lachen
sucht es Befreiung von seiner Erschütterung, und
der Dichter will es ja befreien helfen. Es soll nur
lernen, ruhig zu lachen, ohne sich zugleich ästhetisch
zu entrüsten. Sein unbefangenes Lachen wird den
Mut der Dichter stärken, auf dem Wege zum neuen
heiteren Drama unbeirrt fortzuschreiten. Noch
ein Dutzend solche „Tschaperl" und „Lumpen-
312 ■
1
I>as Lustspiel
gesindel" und „Kollege Crampton" u. s. w„ und
wir werden uns vielleicht nimmer scheuen, auf den
Titel eines realistischen Lebensbildes mit gemischten
Stimmungen, aber vorwiegend heiterem Grundton,
ruhig das Wort Lustspiel zu setzen. Und wenn
wir um der Wahrheit willen nicht mehr verhöhnt
werden, so werden wir auch wieder gutmütig
werden dUrfen, ohne die Gutmütigkeit als einen
Schimpf zu empfinden. Dann erst wird das reine
Lustspiel im alten Sinne vielleicht wieder möglich
werden.
4
Das Qberbrettl
(1900)
4
Ich wUäte mir keine amQBantere Zeit zum
Leben als unsere Gegenwart. Wir haben immer
Wind in unseren Segeln für alle Schifflein, die wir
schwimmen lassen, und aller dieser Schifflein Fahrt
geht in einem berauschenden Tempo vonstatten.
Was tuts, wenn wir manchmal dabei von Atem
kommen, wenn empfindliche Mägen sich bisweilen
umkehren, wenn im allgemeinen die Nerven schärfer
herangenommen werden als je zuvor; es ist doch
ohne Zweifel besser so, als in paradiesischer Satt-
heit und Wunschlosigkeit geistig zu verstumpfen
und körperlich zu verfetten. Gönnen wir das
Paradies den Müdegewordenen , den geborenen
Philistern und erhalten wir uns Lebendigen, rüstig
Schaffenden die tolle Fahrt ! Freilich — zum
Seufzen und Kopfschütteln gibts auch Grund genug.
Dieselbe Vernunft, die in Wissenschaft und Technik
heute so unerhörte Triumphe feiert, wird gleich-
zeitig auch mit FdSen getreten, so elefantisch
wuchtig wie nur je in finstersten Zeiten der Ver-
'^^^^:^%s^Sbs»''»vSi''9N.»^ Du Überbrettl ^H
gangenheit. lu den Sturniwjrbel der l'ortscbritt- ^^|
liehen Lärmtromiuel gellen die ßllckzugssignale der ^^
reaktionären Trompeten hinein. Wohin wir uns
wenden, stoßen wir auf die wahnsinnigsten Gegen-
sätze: fabelhafter Iieichtum und schreiendes Elend;
völlige Gewissensfreiheit und finsterster Aberglaube;
in demselben Staate nach außen eine Politik, die
mit Siebenmeilenstiefeln vorwärts sehreitet, nach
innen eine in spanische Stiefel eingeschnürte Politik
nach rückwärts; stets gefüllte Tränendrüsen für
Kranke, Krüppel und Verbrecher, sowie unglück-
liche Opfer der Vererbung und daneben ver-
schlossenen Börsen für Schulmeister, Disziplinar-
verfahren gegen ehrliche Geistliche, erbarmungs-
lose Konkurrenz, ideale Küekeiehtslosigkeit gegen
die Überzeugungen und Gefühle von Individuen
und Nationen , die uns in unserem Erwerb stören
könnten,
Wüste, wilde Gegensätze! Erschreckend und
bedenklich ! Eine grelle Buntheit der Erscheinungen
wie bei den modernen Plakaten. Aber diese Plakate
reizen und locken zu einem Genuß des Daseins,
der auch dem Ärmsten erreichbar ist, sofern er
nur nicht arm an Geist ist. Das Welttheater ist
zum Varietö geworden, eine Monstrevorstellung ohne
Pause, gratis für jeden offnen Kopf und für alle
sehenden Äugen. Und in dieser Varietövorstellung
des modernen Lebens genießen wir blutige Stier-
Das Überbvett!
kämpfe, in denen abgehetzte Gäule auf ihren eignen
EingeweidsQ herumtrampeln, halsbrecherische Akro-
batenstücke, wo die gruselige Erwartung eines
Genickbruchs den Reiz fliegender schöner Menschen-
leiber erhöht, und daneben niedliche Soubretten-
liedchen, bieder- fröhliche Jodler, Farben- und
Formenräusche von schönen Frauengliedem, um-
rasehelt vom Frou-Frou der Spitzen- und Seiden-
plissös und umwogt von wunderbaren elektiischen
Lichteffekten.
Neben der Brutalität, die auf dem Welttheater
mit ihren groben Effekten Orgien feiert, suchen
die ernste Wissenschaft und die ideale Kunst ruhig
ihren Weg zum Licht, und geschäftige,"! oft sogar
ehrlich begeisterte Vermittler sind stets und überall
bereit, ihre wichtigsten Ergebnisse, ihre schönsten
Blüten ins Volk zu tragen, sie für das praktische
Leben auszunutzen und dem Verständnis der Menge
zugänglich zu machen. Sobald ernste Wissenschaft
und ideale Kunst etwas Großes und Neues hervor-
gebracht, eröffnen heute die Presse und andere
volkstümliche Institute einen Kleinverschleiß für
ihre großen Werte. (Uraniatheater und Jakobowski's
Goethe für 10 Pfg. seien als Beispiele angeführt.)
Wir können ganz absehen von dem eigensinnigen Be-
mühen kleiner Künstlergruppen, sich von der Masse
nach Möglichkeit abzuschließen und nur für einen
Kreis von Intimen zu produzieren. Der unwider-
ÖM Überbrettt
Btehliche Zug der Zeit geht, diesen wenigen Aristo-
kraten nietzschescher Observanz entgegen, dennoch
^ auf Verwischen aller Grenzen und auf Sprengung
= aller Kastenfesaeln hinaus^,' Und so konnte es
kommen, daß gerade von dem aristokratischen
England aus eine Bewegung entsprang, welche die
Grundsätze einer neuen, von Japan beeinflußten
dekorativen Kunst zuerst auf das Gebiet der In-
dustrie und des Handwerks übertrug. In England
begannen zuerst bedeutende Künstler Tapeten und
Kleiderstoffe zu entwerfen, Modelle für Tischler,
Töpfer, Glaser, Metallarbeiter usw. zu liefern
und damit dem banalen Schlagwort „Schmücke
dein Heim!" einen edleren Inhalt zu geben. Diese
Bewegung faßte in Deutschland tiefer Wurzeln als
in irgendeinem anderen Land. Die sezessionis tische
Bewegung auf dem Gebiete der bildenden Künste
hat in Deutschland nur dadurch einen so außer-
ordentlich starken Einfluß erlangt, daß sie sich mit
dem Gewerbe und Handwerk verbündete. Es ist
wirklich eine große Errungenschaft, für die wir
diesen vorurteilslosen Künstlern nicht genug Dank
wissen können, daß der Kampf gegen die Schablone
nun überall so fröhlich geführt wird, und daß
endlich auch die Massenfabrikation aller Gegen-
stände, die zum Hausgebrauch auch des Ärmsten
y dienen, unter den Einfluß wirklich modernen künstr
lerischen Geistes zu geraten beginnt.
1
Das Überbrettl
Ea ist eine notwendige und selbstverständliche
Forderung, daß in einem Lande, wo die Grund-
iage der Bildung jedem zwangsweise gegeben wird
und auch die höhere Geisteskultur verhältnismäßig
leicht zugänglich ist, der Kunstgenuß gleichfalls
nicht das Vorrecht eines kleinen Teiles der Gesell-
schaft bleiben darf. Daher billige Bacher, populäre
Konzerte,freieVolksbtthne,Museenwanderungenusw.
Auch hier wieder — Variete, Wissenschaft und
Kunst in kleinen Dosen und in buntem Durch-
einander. Niemand will von etwas ausgeschlossen
sein und von allem wenigstens ein Kostbäppchen
genießen dürfen. Ich halte es für Überflüssig, da
Über Verflaebung und Entwürdigung ein Webe-
geschrei zu erheben. Abgesehen davon, daß gegen
den starken Zug der Zeit tatsächlich nichts aus-
zurichten ist, muß man es doch wirklich als ge-
rechter und menschlicher empfinden, Vielen ein
wenig als Wenigen alles und der großen Mehrheit
nichts zu gönnen. Und wie viel Sonnenschein wird
nicht durch eine kleine Gabe der Kunst oft in ein
trübes, trostloses Dasein gebracht ! Wie oft ist
nicht ein einziges Euch, ein Bild, ein zufällig .er-
worbenes Möbelstück die Ursache geworden, den
schlummernden Drang nach eigener künstlerischer
Betätigung zu wecken und einer sehönheitsdurstigen
Seele edelste Befriedigung zu bringen.
Es ist wirklich die höchste Zeit, daß nun auch
die Dichter und Musikaoten aofangen , sich in
solchem schönen Sinne gemein zumachen, wie
die bildenden Künstler und Verschleißer der Wissen-
schaft es tun. Die naturalistische Schule hat das
Volk bei der Arbeit aufgesucht — mögen \nunmehr
wirkliche Dichter das Volk bei seinem Vefgjiügen
aufsuchen, nicht das Volk im Sinne des Pöbels
för welches ja literarische Gewerbetreibende genug
arbeiten, aber für das Volk im Sinne der Hundert-
tausende, bei denen geistige Bedürfnisse vorhanden
und welche einer Veredelung ihres Geschmacks
zugänglich sind. In Paris haben zuerst kleine
Vereinigungen junger Literaten, Maler und Musiker
die kecken Abendunterhaltungen,- in denen sie sich
bis dahin nur selbst amüsierten^ der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht. Und als die mit ihren meist
recht bescheidenen, aber durch den Stempel der
Persönlichkeit so reizvollen Darbietungen einen so
ungewohnten Erfolg hatten, ward ans der künst-
lerischen Laune Ernst, und die dilettantischen
Talente der Sänger und Rezitatoren wurden zu
berufsmäßiger Kunstübung ausgebildet. Die Kabaretts
schössen wie Pilze aus dem Boden ; auf dem Mon-
martre und im Quartier latin waren sie bald kaum
noch zn zählen. Es sind meist Kneipen geringer
Art, die wenig oder gar keine Ansprüche auf Be-
haglichkeit und Eleganz machen; aber wirkliche
Künstler haben mit reizenden Tollheiten die "Wände
Das Überbrettl
gesebmückt, und mehr oder minder begabte Poeten
tragen auf einem bescheidenen Podium ihre Dich-
tungen vor, die sie zum großen Teil selbst in
MuBik setzen und von einem befreundeten Musiker
harmonisieren und begleiten lassen. Neben der
aktuellsten politischen oder sozialen Satyre, neben
der dreistesten Cocbonerie bekommt mau in diesen
Kunstkneipen die zarteste Lyrik zu hören, Yom
frechesten Ulk bis zur wuchtigsten Tragik wird
die ganze Farbenskala poetischer Vorwürfe und
Darstellungsarten aufgerollt.
Es stellt der alten Kunstkultur der Franzosen,
ihrem feinen Kunstinstinkt ein glänzendes Zeugnis
aus, daß sich die im besten Sinne vornehmste Ge-
sellschaft zu diesen anspruchslosen Unterhaltungs-
abenden der jungen Künstler dnlngt, deren ganzer
äußerer Apparat in einem Piauiuo besteht, und bei
dem Frauen selten oder gar nicht mitwirken. Wir
sind in Deutschland, wie ich fürchte, noch nicht
so weit. Reichtum und Vornehmheit der Geburt,
ja selbst die Abgangszeugnisse höherer und höchster
Lehranstalten bieten bei uns noch keine Gewahr
für wirkliches Kunstverständnis oder auch nur
KunstbedUrfnis. Im Gegenteil : unsere Gymnasial-
bildung bat uns erblich mit dem Vorurteil belastet,
als ob Verstorbenheit und Langweile das Kenn-
zeichen ächter großer Kunst sei. Es gilj für einen
Beweis tiefer Bildung, sieh gegen das Lebendige und
Das Uberbrettl
Tagfällige, besonders wenn es in leicht genießbarer
Form geboten wird, vornehm ablehnend zu verhalten.
Die Leute, die bei uns viel Geld und keine Bildung
haben, amüsieren sich wie überall in der Welt am
meisten bei den niedrigsten Vergnügungen der
Masse und beteiligen sich am wirklichen Kunstr
genuB nur so weit, als es erforderlich ist, um den
Schein guten Geschmackes in ihrer Gesellschafts-
schicht zu wahren. Die stärksten künstlerischen
Bedürfnisse haben bei uns im allgemeinen die
Leute mit dem schmalen Geldbeutel. Und wo sich
Reichtum und wirkliche Bildung zusammenfinden,
da pflegt doch wenigstens das Vorurteil noch zu
bestehen, daß gute Kunst auch einer würdigen In-
szenesetzuug bedürfe, i daß sich Leute von Rang
und Ansehen nicht unter verdächtigem Zigeuner-
volk in anrüchiger Stadtgegend und untergeordneten
Lokalen sehen lassen dürften,
' Seit die Pariser „Roulotte" in Deutschland
ihre Gastspielreisen unternommen hat, und besonders
seit so vielen Tausenden deutscher Ausstellungs-
besucher die Pariser Kabaretts bekannt geworden
sind, ist der Wunsch, das künstlerische VarietÖ
auch bei uns einzubürgern in den Kreisen der
jüngeren künstlerischen Generationen immer leb-
hafter zum Ausdruck gekommen. Ich selbst bin
schon vor Jahren, nicht durch die Pariser Vorbilder,
sondern durch die phantastischen Pläne des pracht-
Das OberbretU
vollen skandinavischen Poeten Holger Draeh-
man und durch Bierbaums Koman Stilpe zum
Nachdenken über diese Frage und zum Schmieden
eigner Pläne angeregt worden und im Laufe der
letzten zwei Jahre sind von verschiedenen Seiten
au mich Anfragen ergangen, ob ich nicht die
Hebung des Brettls bei uns in die Hand nehmen
wolle. Und da auch die öffentliche Meinung, soweit
sie sich in der Presse kundgibt, mir ein erfreuliches
Vertrauensvotum zuteil werden Heß , so glaubte
ich mich der Verpflichtung nicht länger entziehen
zu können, das schwierige Werk nun endlich in
Angriff zu nehmen.
Für schwierig halte ich das Unternehmen aus
drei Gründen: erstens einmal darum, weil uns im
großen und ganzen die zärtliche Teilnahme für die
künstlerische Boheme fehlt und woh! auch ein
wenig der feine Kunstinstinkt, der die gebildeten
Schichten der romanischen Rasse auszeichnet;
zweitens darum, weil unseren Dichtern und Musikern
das Talent, ihre Werke persönlich wirkungsvoll
zum Vortrag zu bringen, abgeht (ich kenne in
ganz Deutschland inkl. Schweiz und Österreich
außer mir selbst kaum ein halbes Dutzend Dichter,
die sich nicht durch eignen Vortrag ihrer Werke
erheblich schädigen würden. Und auch unter den
Komponisten wüsste ich nicht viel mehr aufzuzählen,
die ihre Lieder auch nur einigermaßen selbst singen
Das Überbrettl
! können. Der Ausdruck nKomponistenstimme" be-
j zeichnet bei uns geradezu ein Ideal von Scheu6-
I lichkeit.), und die dritte und nicht geringste
Schwierigkeit erblicke ich in unserer neuerdings
besonders empfindlich gewordenen Zensur, die zwar
der leichtest geschürzten Muse ein Wort oder
Zötlein zuviel gern nachsieht und dem friedlichen
Bürger auch ruhig seine Freude an schlanken
Mftdchenbeinen läßt, aber dem ehrlichen Schalk,
der mit seiner Pritsche zu hoch nach oben oder
überhaupt zu deutlich auf allgemein bekannte
Schäden hinweist, oft gar zu ängstlich in den Arm
fällt. Über Mangel an Freiheit für das gedruckte
Wort brauchen wir uns meiner Meinung nach bei
uns in Deutschland nicht zu beklagen — ich für
meine Person hätte sogar nichts dagegen, wenn
man der geschäftsmäßigen Spekulation auf die
Lüsternheit und andere niedrige Instinkte noch mehr
auf die Finger sähe, denn ich kann nicht finden,
daß es zum Ruhm eines Landes beitrage, eine
reich entwickelte Pornographie zu besitzen. Was
wir Schaffenden beklagen, das ist die übergroße
Ängstlichkeit unsrer Polizei gegenüber dem von
der Bühne gesprochenen Worte, unter welchem
gerade die Dichter am meisten zu leiden haben,
die ihren Beruf als Sittenprediger und Wundärzte
am ernstesten nehmen. Selbstverständlich werden
die herrschenden G>ewalten sich immer bemühen,
Dm Uberbrettl
eine Gedanbensaat zu vernichten, welche Un-
zufriedenheit mit dem Bestehenden erzeugen könnte.
Das ist eine Pflicht, die ihr der Selbsterhaltunga-
trieb auferlegt. Aber unprattisch und unpsycho-
logisch will es mich bedllnken, das freie Gelächter
zu unterdrücken. Ein unterdrücktes Gelächter
treibt allemal Galle ins Blut, während umgekehrt
ein aufgestauter Gallentlberschuß durch kein Mittel
leichter entfernt wird, als durch eine kräftige Er-
schütterung des Zwerchfells. Die weitgeöSnete
Tatze, die sich lachend auf die Schenkel schlägt,
ist weit harmloser als die in der Tasche geballte
Faust. Und Menschen und Dinge, über die man
nicht lachen darf, die kann man auch nicht lieben.
Tödlich wirkt Lächerlichkeit nur, wenn ihr eine
zu unrecht angemaßte Würde anheimfällt. Und
Verletzungen schuldiger Ehrfurcht durch pöbel-
haftes Gelächter werden stets durch den guten
Geschmack unschädlich gemacht. Das Lachen wirkt
immer befreiend. Es vermag den Haß und die
Bosheit zu töten — und das ist unter allen Um-
ständen ein gutes Werk.
Nun ist es aber meine feste Überzeugung, daß
uns die Schwierigkeiten, die ich eben aufzählte,
vor dem Versuche, unserem gebildeten deutschen
Publikum Kunst im Varietßstil vorzuführen, nicht
abzuschrecken brauchen. Mag das Bedürfnis nach
einer künstlerischen Erhöhung des Brettlstils zu-
nächst auch nur dem verhältnismäßig kleinen Kreise
von Künstlern und Feinschmeckern bewußt geworden
Bein, so wird sich dieses Bedürfnis sehr raach ver-
allgemeinern, wenn erst einmal das, was wir er-
streben, irgendwo zur gelungenen Tat geworden
ist. Die notwendigen intimen Beziehungen zwischen
Publikum und Künstler werden sich zunächst ein-
mal in den Mittelpunkten geistigen Lebens rasch
herstellen lassen, und diese Fühlung wird noch
enger werden, wenn unsere jungen Dichter und
Komponisten, das Vorurteil der falschen Vornehm-
heit aufgebend, selbst auf das trauliche Brettl
steigen und von dort herab im liebenswürdigen
Plauderton des kleinen Raumes zu ihrer Gemeinde
reden. Eine Auslese des Publikums wird sich sehr
bald von selbst vollziehen. Dem ungebildeten Ge-
schmack wird die lärmende Art des Tingeltangels
mit seinen groben Sinnenreizen stets mehr zusagen
als der stille Zauber feiner Kleinkunst. Und mit
den vollendeten Darbietungen der internationalen
Artistenwelt , mag sie parterre oder hoch oben
unter der Saaldecke arbeiten, mag sie mit ge-
fährlichen Werkzeugen jonglieren oder wilde
Bestien zum Flöteblasen dressieren , mit denen
werden unsere singenden Bilder, unsere mit Klavier
begleiteten Pantomimen, unsere stilisierten Tänze
und Solovorträge aller Art nicht wetteifern können.
Vielleicht werden die meisten von denen, die die
Das Oberbrettl
Neugier in unsere Vorstellungen treibt, mit einem
enttäuschten „Weiter nichts?" die Achsel zucken
und nicht wiederkommen ~ dafür werden aber
gewiß die anderen, denen das schmeichelnde Piano,
die zarte Stimmung unserer Art wohltuend die
Nerven streichelt, desto öfter wiederkommen. Und
diese Freunde werden freiwillige Werber für unsere
Sache sein.
Und wenn unsere Künstler gewahr werden,
daß sie sich nicht einer verständnislosen Menge
gegenüber befinden, welche keinen Untergchied zu
machen versteht zwischen ihren Leistungen und
denen beliebiger Text- und Musiklieferanten für
das Tingeltangel, so werden sie leicht die Furcht
vor Entwürdigung überwinden, die vielleicht heute
noch den oder jenen von der Beteiligung am Brettl
zurückhält. Zu meiner Freude kann ich übrigens
bestätigen, daß bis auf ganz wenige Ausnahmen
sich unsere anerkanntesten und vornehmsten Talente
auf meinen Ruf zur Mitarbeiterschaft willig bereit
finden ließen. Und wenn auch in unserer ger-
manischen Rasse das Talent zum persönlichen Vor-
trage gar betrüblich selten ist, so leben doch andere
Rassen und Mischlinge genug unter uns, die in dieser
Hinsicht begabter sind. Ich zähle dabei auf den un-
befriedigten Ehrgeiz von geborenen Spezialisten,
die auf Opern- und Schauspielbühnen sieb wegen
ihrer beschränkten Verwendbarkeit nicht zur Geltung
Daa Übarbreta 1
bringen könDen. Und sollte auch in der erstui I
Zeit manclier Mißgriff geschehen, manche Kraft, |
von der man sich viel versprach , versagen ,
braucht man darum keineswegs an der Möglichkeit l
zu verzweifeln, die neuen Leute für die neue Sache j
schließlich doch zu finden.
Die Begabung für die Kleinkunst oder Bagen 1
wir besser: für die kleinen Formen der Kunst ist
ohne Zweifel viel verbreiteter als die für die große
Kunst in großer Form. In den Kneipzeitungeo
junger Musensöhne, in den Faschings veranstaltungeo
junger Künstler toben sieb solche Kräfte manchmal
in entzückend tlbermütiger Grazie aus, ohne dafi
die Öffentlichkeit jemals davon eine Ahnung be-
kommt. Wenn aber erst eine vornehme Stätte der
öffentlichen Darbietung für solche Kleinkunst vor-
handen ist, dann wird es der Ehrgeiz jener will-
kommenen Kleinen sein, dort festen Fuß zu fassen. |
Und dann werden auch die Talente zur persön-
lichen Darstellung, die sich bei uns merkwürdiger-
weise häufiger unter den bildenden Ktlnstlern als I
unter den Literaten und Musikern finden, sich
gern an die Öffentlichkeit hervorwagen. Was mich '
aber mit besonderer Zuversicht erfüllt, das ist die
Überzeugung, daß unsere deutsche Lyrik, ebenso i
wie unsere deutsche Musik beträchtlich vielseitiger j
und eigenartiger sei als die französische, und daS j
darum der künstlerische Wert unserer Darbietungen f
Das Ubeibrettl
ein höherer sein wird als iu dem beneideten Paris.
Wenn aber erst einmal die Überzeugung von der
küustleriachen Vornehmheit des Überbrettls all-
gemein durchgedrungen ist, dann wird auch die
Schwierigkeit, die uns aus der Ängstlichlteit der
Behörde droht, unschwer zu überwinden sein.
Wenn die Durchsiebung unserer Kostgänger sich
vollzogen hat, wird sicherlich das Vorurteil
schwinden, als ob das Überhrettl bedenkliche
Tränklein für gefährliche Hitzköpfe braute. Es
wird das Ziel meines Ehrgeizes sein, den Wirk-
lichen Geheimen Rat ebenso in seinen Ansprüchen
an eine abwechslungsreiche künstlerische Unter-
haltung zu befriedigen , wie etwa den jungen
Künstler von eigensinnigen Idealen. Ich verspreche
mir sogar viel leichteres Spiel mit dem Wirklichen
Geheimen Rat — und der erste Geheime, der in
seinen Kreisen erzählt, er habe sieh im Überbrettl
köstlich unterhalten, der wird auch dazu beitragen,
daß man uns den Maulkorb um einige Löcher
weiter schnalle. Wir brauchen die soziale Satire,
den politischen Witz, aber wir können verzichten
auf die gallischen Ausbrüche gekränkter Partei-
interessen. Wir wollen versuchen , uns auf den
freien ironischen Standpunkt des erfahrenen Welt-
mannes zu steilen, also sozusagen den Oberhof-
marschall und den Staatsminister in Hemdärmeln
zu interviewen, und wir wollen auch versuchen,
Dm Uberbr«
die Meinungen des scUiehten Mannes aus dem
Volk abzufangen, wie er itr Ausdruck gibt, wennl
er fem von dem Phrasennebel der lauten Yolka-I
Versammlung mit seinen Freunden vom Herzen I
herunterredet. Und ich glaube, die Polizei wirAl
uns weit lieber parlamentarische Redefreiheit Ter-l
gönnen als riskieren, uns durch Verbote tflckisdtl
KU machen.
I Die Hoffnungen sind die besten. Nun gilt i
rvoT allen Dingen anfangen — selbst auf diel
Gefahr hin, nicht auf den ersten Streich gleich die I
Erfüllung kühnster Träume zu erreichen. Wenn 1
es mir glQckt , wie ich hoffe , auf der geplanten \
Reise durch die Mittelpunkte deutscher IntelligenB 1
und KunstbestrebuDgen ungetrübte Sinne , guten 1
Willen und offene Geldbeutel zu finden, so bin ich!
überzeugt, daß der Gedanke des künstlerische]
Varietes auch bei uns bald feste Wurzeln fasset!
wird und daß dann bei freiem Spiel der Kräfte dien
Überbrettl Oberall aus dem Boden schießen werden.
Möglich, daß die Vollendung anderen beschieden
ist — ich werde mich in dem Bewußtsein, als
Pfadfinder gedient zu haben, ohne Groll au meinen
Schreibtisch zu meinen Dramen und Romanen
zurückziehen. Sollte irgendwo die Befürchtung
bestanden haben , daß mein Überbrettl nur für
B Übermenschen" und für „rasende Jünglinge" be-
stimmt sei, so dürften solche durch meine Aus-
Das Überbrettl
führungen wohl zerstreut worden sein. Die Muse
des Überbrettla wird zwar in laogem Gewände
erscheinen und sich nicht scheuen, bisweilen gar
die tragische Maske vorzunehmen; aber lieber
noch wird sie den Saum lüpfen und ihre zierlichen
Füßchen sehen lassen. Und durch die Musik
unserer Hauskomponisten wird das häufigst wieder-
kehrende Leitmotiv das Klingklang der Gläser und
das kecke Trallala sein.
O
Des Überbrettls lichter Glanz und kurze Hei
lichkeit lebt wohl noch in der Erinnerung meiner
deutsehen Zeitgenossen; aber über die Ursachen
seines erstaunlich raschen Untergaugs haben wohl
selbst die Leute, die sich einmal aufs lebhafteste
für mein Unternehmen begeisterten, kaum etwas
anderes als unkontrollierbare Gerüchte vernommen.
Und darum sei es mir gestattet, an dieser Stelle
kurz und bündig die hetrübsame Wahrheit über
jenes unrühmliche Ende meiner guten Sache aus-
zusprechen.
Ich hätte steruenblind und gänzlich in einem
beschränkten Rassedünkel befangen sein müssen,
wenn ich mich bei meinem Versuche, alle die
1
Das Überbrettl '
kleinen poetischen, musikalischen und dichterlBchen
NebenkOnste einmal durch geschmackvolle Auf-
machung zur Freude gebildeter Menschen zu ver-
werten, nicht um freundliche Unterstützung an die
Rasse gewendet hätte , die einen Heine , einen
Mendelssohn , einen OfTenbacb hervorgebracht hat
Ich wollte ja das deutsche Bärlein tanzen lehren,
und zwar schmerzlos, zu seinem eigenen Ver-
gnügen — da konnte ich die alte grausame
Methode, dies Bärlein auf einen glühenden Best
zu stellen, wohl nicht anwenden, sondern versuchte
es lieber mit der milden und gleichfalls bewährten
Erziehungsmethode, den Ehrgeiz zur Nachahmung
durch Vorführung anderer Tierlein zu wecken,
welche von Natur aus zum Tanzen befähigt sind.
So konnte es denn nicht ausbleiben, daß nicht nur
meine darstellenden Kräfte, sondern auch meine
Hauspoeten und Hauskomponisten fast ausschließ-
lich Juden waren. (Mit schier einziger Ausnahme der-
jenigen ächten deutschen Dichter, aus deren Hirn die
Idee des Ganzen und die ersten praktischen Vorbilder
stammten, also von Bierbaum, Liliencron, Falke,
Wedekind, Ludwig Thoma und von mir selbst.) Und
da es ferner eine Eigentümlichkeit unserer Rasse
ist, mit ihren Gedanken allzusehr dem Vergangenen
nachzuhängen, dem Werdenden dagegen mit Miß-
trauen zu begegnen, so war es wiederum selbst-
verständlich, daß ich mein dankbarstes Publikum,
Dhs Üborbrettl
die eifrigsten Förderer meiner Sache gleichfalls
bei jener anderen Basse fand, die uns an Beweg-
lichkeit des Geistes und an Befähigung , zu-
künftige Werte zu wittern, so weit überlegen ist.
Über allen diesen für das Tempo unseres Kultur-
fortachrittes so wertvollen Begabungen unserer
jüdischen Mitbürger steht aber ihr Talent für ge-
schäftliche Ausbeutung, Und so mußte es kommen,
daß ich mich sehr bald nicht nur von jüdischen
Künstlern , sondern auch von Geschäftsleuten aller
Art eng umdrängt sah, deren glühender Eifer, meine
Idee zu Geld zu machen, mir beinahe Grauen ein-
flößte und deren feinem , wie selbstverständlichem
Känkespiel ich einfach nicht gewachsen war.
Statt wie es mein ernstlicher Wille gewesen
war und wie ich öffentlich proklamiert hatte, mich
nach jenem ersten glänzenden Triumphzug durch
Deutschland und Österreich wieder ins Privatleben
zurückzuziehen und mir meine Firma beim Ab-
schied bezahlen zu lassen, hörte ich auf den Sirenen-
Bang meiner geschäftsgewandten Mitarbeiter und
ließ mich von harmlos vermummten Verschwörern
in die Köpenicker Straße verschleppen. Mich lockte,
außer den in sichere Aussicht gestellten Millionen,
vornehmlich die Verheißung, ein Haus ganz nach
meinen Wünschen gebaut zu bekommen, die phan-
tastischen Träume eines Künstlers, zu dessen ori-
ginellen Fähigkeiten ich das größte Zutrauen hatte,
Das Überbrettl
August EndellB nämlich, verwirklicht zu sehen.
Daß mein ehrlicher Name und der kunstleriBche
gute Ruf, den ich meinem Unternehmen verschafft
hatte, hauptsächlich dazu dienen sollte, um aus
jenem Häuserkorapleic der Köpenicker Straße, in
den Max Kruses eherne Nietzsche- Büste als streng
blickendes Idol des Dieseeitsglaubens hineingestellt
wurde, das ihm anhaftende Dirnenparfüm auszu-
räuchern, das erfuhr ich erst viel später. Jener
Professor der Ethik, dem die wissenschaftliche
Welt die epochemachende Entdeckung verdankt, daß
man am Südpol ebenso sicher verbrennt wie man
am Nordpol erfriert, fühlte sich nämlich durch die
Erinnerung an jenen etwas anrüchigen Ursprung
seines Reichtums einigermaßen geniert und hoffte
das Nützliche mit dem Angenehmen sinnig ver-
einigen zu können, indem er der vou unseren
Kunstpäpsten frisch kanonisierten zehnten Muse
mit seinem Gelde eine Heimstatt errichtete. Was
einstso viele muntere Mädchen markweise zusammen-
bringen mußten, das sollte nunmehr dies einzige
lose Dämchen braunlappen weise liefern — immer-
hin ein schöner Fortschritt! Um mir nicht das
drückende Gefühl der Vei-pflichtung für jenes fürst-
liche Gescheuk des neuen Hauses aufzuladen, wurde
mir gestattet, mich auch hnanziell au der neuen
Gründung zu beteiligen, indem ich die innere Aus-
stattung liefern durfte. Im richtigen Verhältnis
zu dieser Beteiligung besaß ich aber im neuen
Aufsichterate nur eine Stimme, während der Hen
Professor über deren vier verfügte. Und da größere
Geldausgaben der Bewilligung des Auf sich tsrates
unterlagen, so war ich von vornherein in allen
bedeutsameren Entschließungen lahmgelegt. Der
Herr Professor selbst schwebte unsichtbar über den
Wassern. Seine irdischen Stellvertreter in der
Köpenicker Straße waren ein Bierverleger und ein
kleiner Fellhändler. Da meine eine einzige Stimme
ja doch nicht mehr ins Gewicht fiel, so wurden
mir die bedeutsamsten Beschlüsse der anderen vier
Stimmen meistens erst als faits aecoraplis mitgeteilt,
so beispielsweise das Wiederengagement von Künst-
lern, die zum Dank dafür, daß ich sie aus dem
Nichts emporgehoben und ihnen Gelegenheit ge-
geben habe, sich einen Weltruf zu verschaffen,
meine Gutherzigkeit erst schamlos ausgenutzt und
obendrein sich noch bemüht haben, durch Fahnen-
flucht den Ruin des Unternehmens herbeizuführen!
Mir wurde einfach bedeutet, meine Gefühle hätten
nicht mitzusprechen, wo es sich um das Geschäft
handelte. Und das Geschäft erforderte nach der
Meinung des Professors, des Bierverlegers und des
Fellhändlers, daß ohne Rücksicht auf den Kosten-
punkt alles engagiert und angekauft werde, was
nach irgendeiner Richtung hin eine Sensation
verhieß. Ein, zwei, drei Gesellschaften womöglich
Pas Überbrettl
m08t«D ständig auf Reisen sein, um ganz Europa
und Amerika das Überbrettl in möglichst kurzer
Zeit zu verekeln. Und in der Köpenicker Straße
mUBte der eleganten Lebewelt Berlins andauernd
das Pikanteste des Pikanten geboten werden. Auf
diese geniale Art wurde das kleine Theaterchen,
das kaum 800 Personen faßte, mit einem Tages-
etat von 1800 Mark belastet. Was half es mir,
wenn ich mich gegen alt diesen Wahnsinn anfaogs
mit Händen und FU6en zu sträuben versuchte —
ich war eine Stimme von fünf, basta! Ich verstand
nichts vom Geschäft, nichts vom Zug der Zeit,
nichts von den Bedürfnissen der Berliner Lebewelt
usw. usw. Das war ausgemachte Sache. Natür-
lich stimmte die Rechnung jener klugen Gleschäfts-
leute nicht. Und sobald der ferne Professor mit
neuen Geldmitteln in die Bresche zu springen ge-
nötigt war, mußte der Gerechtigkeit halber auch
ich daran glauben, indem ich ihm mein Eingebrachtes
verpfändete. Es gehörte also schon wenige Wochen
nach der Eröffnung kein Stuhl, kein Nagel im
Hause mehr mir. Ich hatte überhaupt keinen
Zweck weiter, als meine blaue Weste mit den
Pfauenaugen zu präsentieren und mich von dem
Bierverleger und dem Fellhändler in die Provinz
verschicken zu lassen, wenn die blaue Weste dort
benötigt wurde, um die zweifelnden Gemüter von
Potschappel und Buxtehude von der Ächtheit der
Vae Überbrettl
dort gastierenden Zweiggesellschaften zu Über-
zeugen. Der Fellhändler war ein frommer Mann,
der am Schabbes kein Geld anrührte und damit
manche süße Hoffnung auf Vorschuß zunichte
machte. Und der Bierverleger war ein weltge-
wandter kluger Herr mit verbindlichen Manieren.
Ich will ihnen beiden nichts Übles nachsagen, denn
sie handelten ja nur im Auftrag dessen, der von
der Terrasse seines Marmorpalais aus sein Auge
im Firnenschnee der Jungfrau badete und dabei
über ethische Probleme nachdachte.
Für mich waren inzwischen alle Probleme ge-
löst auBer dem einen, wie ich fortan mein Leben
fristen sollte, nachdem ich mich von dem Bunten
Theater G, m. b. H. zurückgezogen haben würde ;
denn daß ich das tun mü6te, stand echon in dem
Augenblick bei mir fest, als man mir Herrn Oskar
Straus als wiederengagiertes Mitglied präsentierte.
Mehr brauche ich wohl nicht zu sagen. Wer
sich in die Seele eines anständigen Menschen und
Künstlers hineinzudenken vermag, wird es ohne
weiteres begreiflich finden, daß ich unter solchen
Umständen meine Fahne im Stieb lassen mußte.
Sie kam vor die Hunde und wurde gierig in tausend
Fetzen zerrissen, und heute noch kann man diese
Fetzen berauswimpeln sehen aus den zahllosen
Animierkneipen, in denen mit der Kunst Scliind-
luder getrieben wird. Von den vielen, vielen
hierbrettl'^^^
Dm Oberbi
MeDBchen, die ich im Laufe von zwei Jahren be-
rOhmt und wohlhabend gemacht hatte , gönnten
mir nur ganz wenige ein gutes Wort zum Abschied.
Die meisten dachten sich wohl: „Geschieht ihm
recht! Ist er doch ein zu furchtbarer dummer Eerl
gewesen, der sein Eisen nicht zu schmieden verstand,
Belange es heiß war." Vermutlich hatten sie Wind
davon bekommen, daß ich die ehrenvollen und ge-
winnbringenden Anträge solider Kneipwirte und
Tingeltangel besitzet schnöde abgelehnt hatte. Viele
meiner wohlmeinenden Freunde und verständnis-
vollen Gönner des seligen Überbrettla mögen es
mir übel vermerkt haben, daß ich nach meiner
öffentlichen Absage an das Bunte Theater doch
noch zwei Jahre lang in Deutschland, Österreich
und Skandinavien umherziehen und dem Publikum
einreden konnte, daß die ziemlich stillosen Dar-
bietungen, die ich ihnen mit zum Teil minder-
wertigen Kräften vorführte, mit jenem so stolz und
fröhlich verkündeten neuen Programm identisch
seien. Nun, ich kann diesen Freunden nur recht
geben und gestehe ihnen ehrlich ein, daß mir bei
solchem Treiben nichts weniger als wohl zumute
war. Aber ich weiß auch heute noch nicht, was
ich anderes und besseres hätte tun sollen. Mein
Kredit als Dichter war vorläufig vernichtet, und
den kernhaften Humor, der ehedem meinen Schriften
so viele Freunde verschafft hatte, den hatte eine
Das Überbrettl
bittere Menechenverachtung, eine höhniBche Zweifel-
sucht zum Teufel gejagt. Meine Getreuen unter
dem Publikum haben Ursache froh zu sein, da8
ich in jener Periode tiefster seelischer Verstimmung
sie mit neuen Werken verschont und es vorgezogen
habe, meine Idee und meine Person durch einen
mühsäligen Gewerbebetrieb im Umherziehen zu
prostituieren.
Das war des Überbrettls Ausgang. Wenn ich
heute davon sprechen muß, so komme ich mir vor
wie ein Vater, der es erleben mußte, daß sein
lustiges Lieblingstöchterchen betrunken gemacht,
verführt und von Mädcheohändlem elend ver-
schachert wurde. Das arme SonneDBCheinchen[_,
Am Ende war es doeb schade drum.
Vom deutschen Singspiel
(Ein Prolog und ein Epilog)
(1880)
Dentsches Singspiel
Ein Prolog.
V
lAeio Mensch dürfte bestreiten, dafi die guten
Tage der Operette vorüber sind. Auch einige
jüngste Erfolge dürften Bchwerlich gegen diese
Wahrheit ins Feld zu führen sein, denn diese Er-
folge sind eben nur Nummernerfolge. Einzelne
flotte Melodien schlagen ein und gelangen auf die
Walzen der Drehorgeln und Phonographen und
auf das Pianino der guten Stube der höheren
Tochter; die Kunstgattung als solche hat aber
kein wirkliches Publikum mehr. Während in der
Glanzzeit der Offenbach, Supp6, Johann Strauß
und Millöcker das ganze große musikfreudige Volk
einschließlich derjenigen, die für sich einer ernsteren
Richtung huldigten, in die Operettentheater strömte,
findet seit einer ganzen Reihe von Jahren der
neueste österreichische oder eogliache Operetten-
import nur mehr unter den oberflächlichsten Musik-
liebhabem seine Freunde, unter jenen Leuten
zumeist, die es fertig bekommen, die modernen
DeutBches Singspiel
Ausstattungsburlesken mit Lokalwitzen und Trikot-
masBenaufgebot nebst zusamnieDgeborgter Musik
amQBant zu finden. Die Texte zu diesen Werken
werden von einigen wenigen akkreditierten Wiener
und Londoner Firmen geliefert und sind in ihrem
Schema vollständig erstarrt. Ebenso schematisch
ist auch der Stil der Darstellung geworden. Zur
Operette gehen fast ausschlieBlich Sanger und
Sängerinnen, die nicht die Geduld oder die Mittel
haben, ihre Stimmen wirklich ausbilden zu lassen,
und die da meinen, den Mangel an Gesangskunst
durch ein angenehmes Äußere und kecke Allüren
ersetzen zu können. So kommt es, daß die aller-
meisten Operettensängerinnen kreischen, quaken,
zum mindesten aber unleidlich tremolieren, die
Tenöre erbarmungswürdig knödeln, die Barytone
naturbrUllen und die BaßbufFos sich auf das Schau-
spielerische beschränken und den Gesang nur durch
den Rhythmus andeuten. Unter den Komponisten
dieser Werke sind viele, die musikalisch Feineres
leisten könnten, als sie es jetzt tun, aber die
Rücksicht auf das Sängermaterial und auf den
einmal herrschenden Stil der Operettenbühnen nötigt
8ie, ihrem Talente Zügel anzulegen und sich auf
Tanzrhythmen und sentimentale Schmachtfetzen
zu beschränken.
Das Gebiet der leichten komischen Oper im
Sinne der älteren Franzosen Boieldieu, Adam,
DentecheB Singapiel
Auber usw. sowie das Gebiet des harmlos lustigen
idyllischen deutsehen Singspiels im Sinne Lortzings
liegt gänzlich brach. Auf der anderen Seite sehen
wir eine ganz unverhältnismäßig große Schar von
begabten jungen Tonsetzern, die viel gelernt haben,
sich vergeblich abmühen, auf dem Gebiete der
Oper großen Stils und mit allem Baffinement
moderner Orchesterfeuerwerkskanste etwas Neues,
Verblüffendes zu schaffen. Dem einzigen Richard
Strauß ist das gelungen, einige wenige behaupten
sich mit Ehren, die überwiegende Mehrheit aber
kommt mit ihrem bißchen Eigenlicht gegen den
Schatten Riehard Wagners nicht auf. Was eich
auf musikalischem Gebiet zur vornehmen Gesell-
schaft gezählt wissen möchte, hat eine geradezu
krankhafte Angst vor der Trivialität. Die jungen
Leute, denen „Parsival" und die „Meistersinger*
alB erste Nahrung verabreicht wurden, gehen jedem
melodischen Flufi, selbst wenn er sich leicht bei
ihnen einstellt, ängstlich aus dem Wege und suchen
ihr Heil statt dessen in einer pedantischen Klein-
malerei, in zerfließender Harmonik, überladener
Polyphonie und neuen, dekorativen Instrumen-
tationseffekten. Manch einer schreibt seine Erst-
lingspartitur für drei Orchester, einen Chor von
fünfhundert Stimmen und Soli mit unmenschlichem
Stimmumfang. Es kommt noch der weitere, er-
schwerende Umstand hinzu, daß diese jungen Titanen,
DeiitBches Siogapiel
wenn sie für die OpernbUline schreiben wolleo,
meist auf Texte angewiesen sind, die entweder
hilflos dilettantisch, läppisch einfältig oder aber
geistlose Nachahmungen wagnerischer Stoße und
Sprache sind. Dann stehen von vornherein poe-
tischer Inhalt und musikalischer Ausdruck in
einem Mißverhältnis, welches unmöglich eine Wir-
kung auf ein unbefangenes Publikum ausDben
kann. Die ungesuchte Harmonie zwischen Form
und Inhalt, im vorliegenden Falle also zwischen
poetischer Stimmung und sprachlichem wie muai-
kalischem Ausdruck , wird von jedem Publikum
sofort als Stil empfunden — und nur Werke, die
Stil haben, vermögen eine Wirkuug auszuüben.
Nun, meine ich, könnte einer großen Schar
Tou tüchtigen Talenten, die sich jetzt auf einem
falschen Wege vergeblich bemühen, zu ersprießlicher
Betätigung verholfen werden, wenn man ihnen
eine Bühne schalfte, deren leitender Grundsatz
der wäre, auf dem Gebiete der leichteren drama-
tiscbeu Musik iu kleineren Formen und be-
scheidenerem Rahmen stilvolle Werke in dem eben
gekennzeichneten Sinne vorzuführen. Wenn man
die Voraussetzung zugibt, daß nicht der Aufwand
großer Mittel, sondern nur ein geschmackvoll
durchgefühi'ter Stil einer Kunstleistung den Stempel
der Vornehmheit aufdrücke, so wird auch die
Angst der jungen Musiker fortfallen, sich mit
Dentscbea Singspiel
leichteren Gaben etwas zu vergeben. Der Versuch,
den jüngst der Verlag der „Woche" gemacht hat,
eine Reihe unserer bekanntesten Tonsetzer zu
Teranlassen, Lieder „im Volkston", das beiflt im
guten Hausmusikstil zu schreiben, bat das TOr
manchen gewi6 fiberraachende Ergebnis gehabt,
daß einige der innigsten und gelungensten Melodien
gerade von solchen Ultramodernen . mObsAlig
Kingenden. wie ich sie oben schilderte, gefunden
wurden. Und ich weiß, daß es noch eine ganz«
Menge solcher tüchtigen Lente gibt, die sieb den
natürlichen Quell ihrer Erfiadung mit WabuTOf'
Stellungen verstopfen ließen.
Meine Absicht geht nun dahin , zunichst
einmal bewährte Poeten mit einiger Bohnenkenutoif
zum Abfassen von Texten zu veranlauMm und
diese Texte unter die mir geeignet M:heineaden
Musiker 2ur Vertonung auHzuteilen, Alle Httt-
gattungen, vom feineu muxikalitichen LuMt*])!«! bin
zur ausgelassenen Burleske, sollen willkomai«n
sein unter der Voraus^setzung, daß die Texlü witzig.
vemOnftig, in der FaKSung literariocli auNlftndlft,
dabei bühnenwirksam , die Muiik UDgezwuogm,
faßlich und doch den Ansprüchen einen geliutertM
Geschmacks genügend und dem poetiMhen Vor-
würfe entsprechend sei. Um diese« Idetl In di«
'Wirklichkeit zu ü)>ertrageu, bedürfte et eioM Vff'
hitltnismäßig kleinen Theater«, in welchem MKb
Deutsches Singspiel
mit kleinen Stimmen eine Wirkung zu erzielen
w&re, eines vollbegetzten, kleinen OrcheBters von
höchstens sechsunddreißig Musikern und eines
Stammes von darstellenden KQnstlern, welche mit
der gesangstechnischen Ausbildung, die man von
einem guten Opernsänger verlangt, schauspielerische
Beweglichkeit, ausreichende Sprachtechnik und vor
allen Dingen guten Humor verbinden müßten.
Ich verhehle mir nicht, daß die Gewinnung eines
solchen gut singenden Lustspielpersonals die Haupt-
Bchwierigkelt für die Vei-wirklichung meines Ge-
dankens bedeutet; aber man könnte sich's erstens
einmal etwas kosten lassen, solche Künstler zu ge-
winnen, weil der Hauptposten des jetzigen Operetten-
etats, das Ballett und die weibliche Statisterie mit
ihrem unsinnigen Kostümaufwand, erspart werden
könnte, und weil es anderseits eine Menge in meinem
Sinne brauchbarer Künstler gibt, die bei der großen
Oper nicht fortkommen, weil ihnen das durch das
moderne Orchester bedingte Stimmvolumen fehlt.
Ich bilde mir selbstverständlich nicht ein, den
neuen Stil und die dazugehörigen ausführenden
Kräfte aus dem Boden stampfen zu können.
Mancher Fehlschlag, mancher Mißgriff wird wie
ein Marterl an dem beschwerlichen Wege stehen,
der zu den neuen Zielen fuhren soll.
Es ist mir heute nur darum zu tun, für dieses
Ziel Stimmung zu machen. Daß für mein „Deut-
Dentacbea Singspiel ^k'S-'^^'''S«'^*''<-'''C^'&''^**'&'^^^
Bches Singspielhaus", wie ich es mir träume, ein
außerordentlich großes und empfänglicheB Publikum
vorhanden wäre, wird man schwerlich bezweifeln.
Ich will ja nicht dem Snobismus überreizter Ge-
nUßlinge aus den exklusiven Westquartieren unserer
paar Kunst- und Literaturhauptstädte eine Extra-
wurst braten, ich möchte ganz im Gegenteil die
Tore meines Tempelcliens weit Öffnen für jedermann
aus dem Volke, der ein Bedürfnis nach heiterer,
einschmeichelnder Musik empfindet und in deren
Genug nicht durch einen geschmacklosen Text
gestört werden möchte, dessen einzige Würze in
Kalauern und Zoten besteht. Was ich jetzt be-
absichtige, ist also nur eine WeiterfUhruug der
Idee, von der ich bei der Begründung des Über-
brettls ausging -. Künstlerische Kultur in die Formen
der leichteren Unterhaltung zu bringen. Wenn
aber beim Überbrettl durch die Kürze der einzelnen
Programmnummern die witzige Pointe zur Haupt-
sache wurde, die wiederum ein rasch auffassendes
Publikum von Feinschmeckern voraussetzt, so
dürfte das „Deutsche Singspielhaus' von vornherein
im besten Sinne als volkstümliche Anstalt zu
wirken berufen sein ; denn es ist nicht wahr, daß
auf ein minder intelligentes und vorbereitetes
Publikum etwa nur die Geschmacklosigkeit wirken
sollte. Und wenn wirklieh bei einzelnen Werken
das geistige Niveau der Dichtung für die kleinen
DeutBchcB Singspiel '
Leute zu hoch sein sollte, so wird die demo-
kratische SchiueicbleriQ Musik auch da in die
Bresche springen und jeden Teil des Publikums
auf seine Kosten kommen lassen.
Die Vorarbeiten zur Verwirklichung meiner
hier dargelegten Absichten sind so weit gediehen,
daß das Deutsche Singspielhaus in kürzester Frist
eröffnet werden könnte an dem Orte, wo flieh ein
passendes Haus und das nötige Kapital dafOr
finden. Einige Werke, die für etliche neue Seiten
des neuen Stils als Muster dienen könnten, sind
vorhanden. Zunächst habe ich selbst aus der
bekannten Episode in Heinrich Heines Reisebildem
„Die Bäder von Lucca" ein Singspiel gezogen, zn
welchem Bogumil Zepler die Musik geschrieben |
hat. Dann hat Hans Hermann Fritz von Oatinis i
bekannte köstliche Parodie der „Versunkenen i
Glocke" in Musik gesetzt. Ferner würde ich mit
Vergnügen den Versuch wagen , Adalbert von
Goldschmidts geistreiche burleske Oper, „Diefromme
Helene", Text nach Wilhelm Busch von Fanny
Gröger, durch eine stilvolle Aufführung zur ver-
dienten Geltung zu bringen. Weiter sind in Aussieht
genommen; „Reklame", eine einaktige Operette
von Martin Jakobi, „Das Jahrmarktsfest von
Plunders weilem" , Text nach Goethe von Emü
Pohl, Musik von Wilhelm Freudenberg, „Mopsus",
eine Faunskomödia, Musik von Wilhelm Volz, eine
DeutBches Singspiel
burleske Oper „RhamBes", Text von Georg Fuchs,
Musik von Carl Hallwachs, eine komische Oper
von Arnold Mendelssohn, deren Titel noch nicht
feststeht, und „Der Herr Generalfiskal", ein Vaude-
ville aus dem Nachlasse des Lustspieldichters
A. Görlitz. Weiterhin sind in Arbeit bzw. in Aus-
eicht gestellt Texte von Carl Krug, Willi Rath,
Carl Schloß, Bierbaum, R. Presber, Kompositionen
von Kurt Schindler, Woldemar Wendland, Ferruccio
Busoni, Eugen von Vollborth und manchen anderen.
Ihre grundsätzliche Geneigtheit, bei der Gewinnung
eines neuen Stils für die Operette, das heitere
Singspiel uud die komische Oper mitzuwirken, hat
mir bisher jeder der angefragten Dichter und
Musiker zu erkennen gegeben, und so darf man
wohl der frohen Zuversicht leben, daß das Material
sobald nicht ausgehen werde, wenn nur erst einmal
eine Bühne und geeignete Darsteller für das fröh-
liche und fromme Werk vorhanden sind und einige
aufmunternde Erfolge ihr ein wohlgesinntes Publi-
kum gesichert haben. Was da dichtet und musi-
ziert, singt und mimt, soll mir als Mitarbeiter
willkommen sein, sofern es mit mir eines Glaubens,
einer Hoffnung ist und meinem ordnenden Ge-
schmack Vertrauen entgegenbringt. Selbstverständ-
lich sollen die neuen Werke, die, aus gemeinsamem
redlichen Bemühen geboren, an meiner Bühne die
Feuertaufe erhalten, nicht Monopol des Deutschen
Deutsches Singspiel
SingspielfaauBes werden, sondern allen auBwärtigen
Bühnen zum Wettbewerb zur Verfügung stehen,
Ich glaube wohl, daß das gesamte deutsche Opern-
wesen aus solcher Auffrischung seines heiteren
Repertoires Nutzen ziehen könnte,
"EP
Ein Epilog
V
Meine Zuversicht, daß sich nach diesem oben
mitgeteilten Aufrufe Leute finden würden, die
mir ein Theater mit den nötigen Kapitalien zur
Verwirklichung meiner Idee, die ohne Ausnahme
als glücklich und zeitgemäß willkommen geheißen
ward, zur Verfügung stellen würde, erwies sich
leider als trügeriach. Ich mußte abermals, wie
schon so oft in meinem Leben, die bittere Er-
fahrung machen, daß in unserem lieben Deutschland
der Künstler mit eigen wüchsigen Ideen von vorn-
herein in einen Topf geworfen wird mit den fürs
Narrenhaus reifen Projektmachem, mit Schatz-
gräbern, Älehymisten usw. So oft ich es versuchte,
die Leitung eines großen Theaters in die Hand
zu bekommen , ist mir irgendein fixes Jüdchen
von weit hinten aus der Polackei her oder irgend-
ein bedeutungsloser alter Praktikus, ein ehemaliger
i
ehemaliger |
Deutsches Singspiel
Kassierer oder verunglückter Schauspieler vor-
gezogen worden, trotzdem ich doch oft genug durch
Taten bewiesen hatte, daß meine Ideen keine Hirn-
gespinste waren, und daß ich mich auf die Psycho-
logie des Publikums ebenso gut verstand als auf
die Dressur der Darsteller. So ging es mir auch in
diesem Falle wieder. "Während ich mir noch die
Sohlen ablief nach Geldleuten mußte ich erfahren,
daß einem Provinztheaterdirektor (allerdings einem,
dem ein sehr guter Ruf vorausging) ein Haua in
Berlin, sowie die nötigen Millionen zur Verfügung
gestellt worden seien, um eine komische Oper für
die Reichshauptstadt zu schaffen. Das Programm
dieser Komischen Oper bestand in der Absicht,
ohne Rücksicht auf den Kostenpunkt die besten der
vorhandenen Gesangskräfte zusammenzutrommeln
und mit ihr irgendwelche Oper so gut aufzuführen,
daß man dem Königlichen Opernhaus eine wirk-
same Konkurrenz machen könnte. Wenn nun auch
dieses Programm mit dem meinigen, eine bescheidene
Versuchsbühne für eine erst zu schaffende neue
Kunstgattung zu gründen, kaum irgendeine innere
Verwandtschaft hatte, so lag es doch klar auf der
Hand, daß meine Idee beträchtlich weniger Aus-
sicht auf Verwirklichung haben würde, sobald erst
ein schönes neues Haus im Zentrum der Stadt mit
der Firma „Komische Oper" vorhanden sein würde.
Ich hatte bereits einiges Material für mein Kepertoir
Deutsches Singspigl 1
fertig daliegen. Dichter und Kompocistea waren für
mich eifrig an der Arbeit — wenn nun das alles
samt meiner eigenen jahrelangen Vorarbeit nicht
verloren sein sollte, so mußte ich versuchen, der
Komischen Oper zuvorzukommen und mir eine ver-
trauensvolle Gemeinde zu schaffen, bevor der
Elberfelder Direktor mit seinen noch unbekannten
Kräften das neue Haus beziehen konnte. Ich
hatte knapp neun Monate vor mir. Den Geld-
mann, der eine für eine Theatergründung aller-
dings minimale Summe für meine Idee zu wagen
bereit war, fand sich sogar erst wenige Monate
vor der ErÖfinung des Theaters. Und nun hieB
es, in aller Eile zusammenengagieren, was von leid-
lichen Kräften für wenig Geld zu bekommen war.
Ich wußte sehr wohl, daß mit meiner kleinen
Truppe von fleißigen, ehrgeizigen und lernbegierigen
Künstlern vor einem anspruchsvollen Publikum
nicht viel Staat zu machen sei ; aber ich vertraute
dennoch fest auf die werbende Kraft meiner Idee
und auf das Zutrauen, welche das große Publikum
stets in mich gesetzt hatte. Wenn es nur gelang,
einen einzigen Erfolg zu erringen und das Unter-
nehmen durch die schwierigen Sommermonate
hindurchzusteuem ohne allzu schwere Verluste,
so mußte sich in der riesigen Stadt mein deutscheB
Singspiel auch neben der Komischen Oper erhalten
lassen.
Deutsches Singspiel
Der Versuch mißlang total. Trotzdem das
Hauptwerk des Eröffnungsabends „Die Bäder von
Lucca", nach der bekannten Episode in Heines
Keisebilder von mir selbst gedichtet, von Bogumil
Zeppler ungemein glücklich vertont, einen starken
und fröhlichen Erfolg beim Publikum davontrug,
der sieh bei den 48 Wiederholungen des Werkes
allabendlich erneuerte, schlug die Kritik mit
Keulen und Knütteln, wenn auch nicht auf dies
liebenswürdige Werk , wohl aber auf das ganze
Unternehmen los. Man weiß, was das bedeutet.
Meine gute Absicht war vor ganz Deutschland
diskreditiert, und selbst „Die Bäder von Lucca",
denen nicht einmal die ganz boshafte Kritik alle
guten Eigenschaften abgesprochen hatten, wurden
nie und nirgends wieder aufgeführt. Nur ein8
hätte das Unternehmen herausreißen können: ein
großer unbestrittener Erfolg mit einem neuen
Werke. Aber dies Werk war nicht vorhanden.
Das war noch in Arbeit, um als voraussichtlicher
Schlager für die erste Winterspielzeit zu dienen.
Was andererseits von großen Werken von un-
zweifelhaft künstlerischer Bedeutung vorhanden
war, ging in seinen Anforderungen weit über meine
Mittel und die Leistungsfähigkeit meiner Künstler
hinaus. Blieben also nur die Kleinigkeiten übrig,
die als Lückenbüßer bereitlagen und verhältnis-
mäßig rasch und ohne Kostenaufwand herauszubringen
Dyutäches Singspiel J
waren. Kurz und gut, der Karren war einmal |
verfahren und keine Möglichkeit gegeben, einen j
Vorspann herheizuschaffen, der ihn wieder heraus- 1
zuziehen imstande gewesen wäre. Es blieb mir '
nichts anderes übrig als au^uhOren und die Folgen J
meines Eigensinns auf mich zu nehmen. Gewifi, I
ich muß es eingestehen, es war Eigensinn, meinet- 1
wegen auch Leichtsinn, im Sommer in einem un- 1
geeigneten Hause, mit unerprobten, teilweise wirk-
lich mangelhaften Kräften vor die Berliner Kritik 1
und das Berliner Publikum hinzutreten und zu 1
sagen; „Sehet und höret — ich will euch den W^l
zeigen, wie ihr aus den Niederungen der Wiener!
Operette und aus der krampfhaften Überspanntheit 1
UberkUnstelter Musikmacherei zu einem inner-
lich erfreulichen, dem anspruchsvollen Kenner wie I
dem musikfreudigen Laien gleich willkommenen 1
musikalischen Lustspiel gelangen könnt. Nein, f
zum bezwingenden Beispiel , das den Ehrgeif J
schlummernder Talente hätte wecken können, zur |
Aufrüttelung der Lauen und Gleichgültigen, zur |
Überzeugung der Zweifelnden war jener Versuch i
in der Dresdener Straße nicht geeignet. Eine harte |
Buße ist mir auferlegt worden, lange Jahre voll J
schwerer Sorge und obendrein Hohn und Spotts
der Übelwollenden; aber ich darf mich in diesem]
Falle nicht , vrie bei dem des Überbrettls ,
Zorn gegen meine Widersacher er- '
r
Deutsches Singspiel
heben, denn ich habe mein Schicksal seihat ver-
schuldet.
Und dennoch ist für die Entwicklungsgeschichte
der deutschen Oper meine Niederlage nicht uner-
heblich. Ja, es ist vielleicht sogar gut, daß sie
so schnell erfolgte ; denn wenn mein Unternehmen
sein Dasein länger hingefrettet hätte, wenn mehr
neue Werke durchgefallen wären, und besonders
wenn ich mich vielleicht aus finanzieller Not hätte
entschließen müssen , zum alten Inventar des
leichten Opernrepertoirs oder gar zur Wiener
Operette zurückzugreifen, dann hätte man mit
Recht von einem Bankerott meiner Idee sprechen
dürfen. So aber bleibt nach wie vor alles zu Recht
bestehen, was ich in jenem ersten Aufruf behauptet
und als erstrebenswertes Ziel hingestellt habe.
Und auch die neuerliehen großen Erfolge einiger
tatsächlich sehr hübschen Wiener Operetten werden
ernsthafte Kunstfreunde nicht in der Meinung irre
machen können, daß eine deutsche komische Oper,
ein gemüt- und humorvolles, melodienfrohes Sing-
spiel uns nach wie vor dringend not tue. Der
Schrei danach erschallt nach wie vor in der Presse.
Die Sehnsucht nach der Erfüllung dieses sch&nen
Traumes ist seither in den Herzen der musikalischen
Theaterfreunde eher noch stärker geworden. Und
ich meinerseits behaupte nach wie vor, daß die
Kräfte für die Verwirklichung dieser Träume unter
Deutsches Singapiel
den Dichtern wie unter den Musikern unserer
Tage vorhanden seien, wenn auch vielleicht nicht
so reichlich, um eine eigne Buhne for diese Kunst-
gattung ausgiebig zu ernähren. Was fehlt, sind
also nur die Buhnen, die sich zu Versuchen zur
Verfügung stellen, und die Bühnenleiter, die aus
eigner Initiative oder mit Hilfe begabter Kapell-
meister und Dramaturgen sich auf das Entdecken
sowie Anregen und Experimentieren verlegen
möchten. Wenn ich es auch mit jenem Versuche
in Berlin 1905 falsch angefangen habe, so ist
damit doch noch nicht bewiesen, dag ich nicht
der rechte Mann gewesen wäre für die gestellte
Aufgabe. Und wenn man mir nur endlich einmal
ein gutes Theater mit reichlichen Mitteln und
einem tüchtigen Opernensemble zur Verfügung
stellte, so müßte es mir, meine ich, dennoch ge-
lingen, das deutsche Singspiel ans Licht zu ziehen
und der kränklichen komischen Oper neues Blut
zuzuführen. Also hoifen wir weiter.
IT I
Das
Familienblatt und die Literatur
(1907)
Das Familienblatt und die Literatur %,><C'>^<><'''-4^>^'*^
s
Eb ist ein sehr altes Lied, das ich noch ein-
mal sisgen will: das Klagelied des armen Dichters
über das reiche Fantilienblatt. Und doch scheint
es nicht unangebracht, den alten Traiierkantus
gerade jetzt wieder einmal steigen zu lassen, denn
ich habe den Eindruck, als ob im Laufe des letzten
Jahrzehntes ungefähr der literarische Pegel des
deutschen Familienblattes wieder erheblich unter
den zu Ende der achtziger und zu Anfang der
neunziger Jahre erreichten Standpunkt gesunken
wäre. Zudem ist die Frage in letzter Zeit gerade
in diesen Blättern des öfteren angeschnitten worden
(vgl. Literarisches Echo VIII, 411 u. 746), und eine
kleine Aufmunterung durch ölfentliche Diskussion
kann jedenfalls nichts schaden.
Wer irgendwie im literarischen Leben Bescheid
weiß, der kennt des Pudels Kern: der Dichter will
leben und zwar ein wenig besser als der Hand-
werker, denn es genügt ihm nicht, einen gefällten
Magen und eine Schlafstelle zu besitzen, er braucht
^^s,^/'^,,^''^,,^*'^ ^'^ Familienblatt uod die Lttertitar. j
zur AureguDg seiner Schaffeaskraft vor allen Dingen I
Stimmung. Uud die Stimmung ist für die meistenj
Menschen von der Behaglichkeit der äußeren Yeiwfl
hältnisse abliängig. Die uuBgemachten Zigeuner-fl
uaturen, denen die Beschaffenheit der Wohnung, C
der Kleidung und der Nahrung ganz gleichgöltig 1
ist, gehören auch unter deu Dichtern zu den Aas- j
nahmen. Im allgemeinen bedürfen diese Leute J
ebenso wie alle anderen Künstler der freundlichea 1
Eindrücke einer hübschen Einrichtung und einer 1
zum mindesten wohlanständigen Lebenshaltung so- j
gar noch mehr als der Durchschnittsphilister. Sie ]
pflegen auch mit Vorliebe früh und unvernünftig j
zu heiraten, und ihre Kinder verursachen, wie j
Kinder anderer gebildeter Eitern auch, mit dettl
Jahren immer wachsende Ausgaben. Die ökonomische 1
Aufgabe, sich allein durch den Ertrag der Arbeit I
ein sicheres, bis zum Höhepunkt des Lebens E
steigerndes Einkommen zu verschaffen, ist aber für I
den Schriftsteller nur dadurch zu lösen, daß er j
leicht und jederzeit realisierbare Werte erzeugt, 1
das heißt also, ein breites Publikum für seine Er-s
Zeugnisse findet, und daß es ihm gelingt, seine J
Ware so hegehrt zu machen, daß sie unter der j
Einwirkung der Konkurrenz einer stetigen Wert- 1
Steigerung fähig ist. Der Ertrag, den ein Buch ]
abwirft, kann nicht mit bestimmten Ziffern in Rech-
nung gestellt werden, auch von den berühmtesten t
Das Famitienblatt und die Literatur :S^
Namen nicht, denn Bücher haben ebeu ihre Schick-
sale, und kein Verleger kann einem Autor garan-
tieren, daß neue Auflagen immer gerade zu den
Terminen nötig sein werden, an denen der Autor
das Geld braucht. Folglieh ist jeder nicht von
Haus aus materiell unabhängige Schriftsteller auf
die Honorare der periodisch erscheinenden Blätter
angewiesen. Nun ist es aber wiederum durchaus
selbstverständlich, daß diejenigen Blätter die besten
Honorare zahlen können, die das größte Publikum
haben. Und da unter den Lesern die Halbgebildeten
mit untergeordneten Ansprüchen des Geschmacks,
die Unreifen, Jugendlichen, den Kennern und Fein-
schmeckern, Älteren und Reifen an Zahl ungeheuer
überlegen sind, so müssen die Familienblätter, die
auf den Geschmack dieser Majorität zugeschnitten
sind, auch selbstverständlich die kapitalkräftigsten
Zahler sein. Man kann also aus dieser Voraus-
setzung die Behauptungherleiten: je mehr Abonnenten
ein Blatt bat, desto schlechter ist es vom künst-
lerischen Standpunkt aus betrachtet. In dieser
Allgemeinheit ist der Satz glücklicherweise nicht
zutreffend, denn es gibt auch Blätter, die wegen
ihrer Schlechtigkeit keine Abonnenten linden und
andererseits einige wenige, die trotz ihrer Güte
gedeihen. Als ein Axiom läßt sich aber der Satz
aufstellen: je mehr Abonnenten ein Blatt bat, desto
sicherer wird der Geschmack dieser Abonnenten
t Das Familienblatt uod die Literatur
auf die literariBclie Leitung einen maßgebeaden
Einfluß ausüben. Die illustrierten Familienblätter
nun verdanken ihre mehr oder minder große <
Abonnentenziffer dem Umstände, daß sie das Unter-
haltungs- und Bildungsbedürfnis ihres PubUkumB I
in erwünschter Weise befriedigen. Und diesM
Publikum besteht fast ausschließlich aus alten
Herren und Damen, die nichts mehr, sowie aus
halbwüchsigen Jünglingen und Jungfrauen, die noch
nicht genügend zu tun haben, also daß sie für onter-
haltende Lektüre reichlich Zeit besitzen. Männer
und Frauen, die mitten im Leben stehen und ernst- .
hafte Aufgaben zu erfüllen haben, kommen im all-
gemeinen nur dazu, diese Journale wie Bilderbücher
durchzublättern. Da nun ferner immer noch das
Erziehungsprinzip besteht, der Jugend die Wahrheit
möglichst vorzuenthalten, weil man es für Charakter- .
bildend hält, sie durch Schaden klug werden zu
lassen, und andrerseits das beschauliche Alter seine
Ruhe haben will und sich die unangenehmen Wahr-
heiten des Lebens bereits an den Schuhsohlen ab-
gelaufen zu haben glaubt, so ist es durchaus selbst-
verständlich, daß für diese beiden Kategorien von
Lesern eine Unterhaltung zubereitet wird, die alle ■
unangenehmen Eindrücke, alle gefährlichen Auf-
regungen, jeden Anreiz zu anstrengendem Nach-
denken oder energischem Widerspruch ängstlich
vermeidet.
Da« Familieablutt und die Literatur q
Der Schriftsteller, der von seiner Feder leben
und seine Familie anständig erhalten will, ntuB
sich also wohl oder übel dazu bequemen, für Kinder
und Greise der breitesten mittleren Bildungsschielit
zu schreiben. Damit ist gesagt, daß er auf alle
die Gegenwart stark bewegenden Probleme ver-
zichten muß, weil dies ohne Berührung religiöser,
politischer, sozialer und ethischer Streitfragen nicht
möglich ist; er darf nicht leidenschaftlich Partei
nehmen, weil er dadurch berechtigte Empfindlich-
keiten stören könnte; er muß sieh in seinen Schil-
derungen absoluter Stubenreinlichkeit befleißigen
und sich die Gesetze des Anstandes vom diplomierten
Gouvernantenstandpunkt vorselireiben lassen. Was
bleibt ihm also übrig? Die gesinnungs tüchtige,
auf der Grundlage behördlich approbierter Leit-
fäden fttr höhere Töchterschulen vorgetragene Hi-
storie und das moderne Gesellschaftsbild, soweit
es mit den oben skizzierten Einschränkungen noch
existieren kann. Seine ganze Tätigkeit als Schil-
derer der Gegenwart wird also darauf hinauslaufen
müssen, verlogene Dorfidyllen, spannende Kriminal-
oder reizende Liebesgeschichten aus der guten Ge-
sellschaft mit der soliden Hochzeit als Schlußeifekt
zu verfertigen. Ist das noch Literatur? Nein! —
Ein Publikum von Kindern und Greisen bringt wie
im Theater so auch in der Literatur die klinst-
ierische Qualität unfehlbar herunter. Es ist also
Das Familien blatt und die Literatn^
versUlnillich und entscliuldbar, wenn derjenige Teil
unserer deutschen Kritik, der für besonders tief-
gründig und schneidig gelt«n möchte, von vorn-
herein jedes Theaterstück, das beim Publikum einen
großen Bühnenerfolg gehabt hat, und jeden Roman,
der in einem weit verbreiteten Familienblatt ge-
standen hat, als unliterarisch ablehnt.
Wenn aber dieses Prinzip in seiner Allgemein-
heit berechtigt wäre, dann könnte mau wieder den
Satz aufstellen; um literarisch ernst genommen zu
werden, mufi ein Dichter entweder in der Wahl
seiner Eltern sehr vorsichtig gewesen oder von
Natur mit dem erforderlichen Talent zum Hunger-
kfinstler ausgerüstet sein. Nach demselben Prinzip
könnte dann natürlich auch ein unliterarischer
Vielschreiber oder ordinärer Tantiemenschinder
sich durch eine reiche Heirat in einen gottbegnadeten
Dichter verwandeln; denn völlig frei seinem Genius
allein zu gehorchen, ist nur ein Dichter, dem die
finanzielle Verwertung seiner Arbeit gleichgültig
und der oliendrein imstande ist, seine Bücher
auf eigene Kosten drucken zu lassen. Wollte man
aus dieser Voraussetzung alle logischen Konse-
quenzen ziehen, so müßte der ergötzlichste Unsinn
herauskommen.
Der nationale Wohlstand hat sich in Deutsch-
land seit dem Jahre 1871 so außerordentlich ge-
hoben, daß wir gegenwärtig über große Scharen
r
Das Familienblatt und die Literatur ia<<^*>^*»^^sa^
von reichen JüDgliugen und Jungfrauen verfügen,
die leider nichts Besseres zu tun haben als zu
dichten und ihre Dichtungen drucken zu lassen, auf
eigene Kosten, in herrlicher Ausstattung „30 Exem-
plare auf kaiserlich Japan" mit allen Schikanen,
mit Buchschmuck von unergründlich mystischer
Tiefe versehen. Diese Literatur der Wohl-
situierten häuft sich, wie mir die Wissenden
bestätigen werden, von Jahr zu Jahr in höheren
Stößen auf den Tischen der Rezensenten an. Über
alle diese Erzeugnisse kann man irgendwo preziös
stilisierte Abhandlungen aus befreundeter Feder
lesen, deren krausem Gedankengange auch der
eifrigste Literaturfreund nicht zu folgen vermag,
also daß er notgedrungen einen gewaltigen Respekt
sowohl vor dem betreffenden Dichter wie vor dessen
Propheten bekommen muß. Aber will wirklich
jemand behaupten, daß durch das massenhafte Auf-
treten dieser tatsächlich .freien, das heißt ho-
norarfreien Dichtung unsere Literatur an Würde,
Weite oder Vertiefung gewonnen hätte ? Das Por-
temonnaie des Dichters ist also auch wohl nicht
in ein konstantes Verhältnis zum literarischen Werte
seiner Leistung zu bringen. Ebensowenig geht es
an, den literarischen Wert einer Dichtung etwa
nach dem Thema derselben abzuschätzen. Man
kann nicht sagen: Kriminalgeschichten, Sportge-
schichten , Verlohungs geschieh ten , Hohenzollern-
t Das FamilienbUtt und dte Literator*
historien mit Sehlußhurra usw. usw. seien un-
literarisch, dagegen die Darstellung von Ehebrüchen,
illegitimen Verhältnissen, perversen Leidenschaften,
anrüchigen Milieus usw. usw. literarisch. Ein
durchaus freier Geist im Besitze der modernsten
Bildung kann eine wundervolle literarische Pose
annehmen und doch einen ausgemachten „Stunk"
zusammenfaseln, während andererseits ein ächtar
Dichter trotz aller Beschränkung durch polizeiliche
Zensur und die schlimmere Bevormundung des
Familienblatt-Redakteurs ein Meisterwerk zuschaffen
imstande ist.
Es wird schwerlich gegen die hier aufgestellten
Behauptungen und Folgerungen etwas einzuwenden
sein — man wird sogar sagen können, das seien
Binsenwahrheiten. Gern zugegeben. Folgt aber
daraus, daß dieser Umstand unabänderlich sei und
als solcher ohne Widerstand hingenommen werden
müsse? Ist der prästabilierte Zweck des Genies
das Verhungern? Ist der Familienblatt-Redakteur
der von der Vorsehung erwählte Hüter und Pfleger
der Dummheit und Geschmacklosigkeit? Ist das
deutsche Lesepuhlikiim in seiner überwältigenden
Mehrheit wirklich eine solche rudis indigestague
moles, da6 der unglückliche Familienblatt-Redakteur
dagegen schütz- und hilflos wäre? Fast möchte
es so scheinen; denn es liegen aus der Geschichte
des deutsehen illustrierten Familienblattes Fälle
Das Fatnilienblatt und die Literatur q
vor, die beweisen, daß dessen Leser nicht einmal
vor den berühmtesten Namen den schuldigen Respekt
besitzen. In diesen Blättern haben wir die beweg-
liche Klage des Daheim - Redakteurs über seine
Abonnenten vernommen, die in einmütiger Ent-
rüstung wider einen der schönsten Romane von
Theodor Fontane demonstrierten. Die ungemein
rasch emporgeblühte, verständnisvoll geleitete Zeit-
schrift „Vom Fels zum Meer" verlor Tausende von
Abonnenten durch einen Roman von Wilhelmine
von Hillern, derselben Dichterin, die durch das
knallige Theaterpathos ihrer „ Geierwal ly" wenige
Jahre früher das Herz aller blonden deutschen
Jungfrauen in entzückte Wallung versetzt hatte —
und eine Novelle von Sudermann gab derselben
Zeitschrift beinahe den Todesstoß. Muß man da
nicht am Publikum verzweifeln'?
Andrerseits die Redakteure. leb habe manchen
begabten Schriftsteller kennen gelernt, der mit
wohl durchgebildetem Geschmack, reichlichem Wissen
und allerbestem Willen ausgerüstet schon in jungen
Jahren zur Leitung eines weit verbreiteten illu-
strierten Farailienblattes gelangte und frisch und
fröhlich zu reformieren anfing. Die Energie hat
aber niemals lange vorgehalten. Die einen wurden
behagliche Philister, denen die Literatur in demr
selben Verhältnis gleichgültiger wurde als die
Abonnentenzahl und damit ihr Gehalt stieg. Die
s Das Familicnblatt und die LiteratiaJ
anderen wurden verbissene Zyniker, die ein diabo-
lisches Vergnügen darin fanden, ihrem Publikum
eitel Kitsch und Quark vorzusetzen, die Manuskripte
von ihrer älteren weihlichen Verwandtschaft prüfen
ließen und sich ihren Verlegern dadurch unent-
behrlich zu machen suchten, daß sie von Zeit zuJ
Zeit eine gloriose Idee zur wirksamen Steigerung!
des Stumpfsinns ausheckten. Die dritte GattuugJ
endlich war von Natur aus ängstlichen GemUte^l
und brachte es schon nach kurzer Zeit dazu, vorl
jeder mißbilligenden Postkarte eines Abonnenten f
zu zittern und ihre literarischen Ansprüche völlig ]
auf das Niveau der vollendetsten alten Tante und ;
des pensionierten Staatsbeamten sechster Bang-
klasse herunterzusehrauber. Muß man da nicht \
an den Redakteuren verzweifeln?
Endlich die Verleger. Sie sind die allmächtigen j
Brotherren der Redakteure und wachsen sich durch ]
dieses Machtgefühl sehr leicht zu kleinen Tyrannen
aus, die aber selbst wieder vor jenen berüchtigten ]
offenen Postkarten der Abonnenten das Zittern io [
die Kniee kriegen. Von tausend Abonnenten hat j
vielleicht einer ein besonderes Bedürfnis zum Post- ]
kartenschreiben. Wenn aber ein Blatt 50 000 ]
Abonnenten hat und es laufen 50 Postkarten ein, ,
die mit der Kündigung des Abonnements drohen, 1
falls der oder der unerhört langweilige Autor 1
wieder zu Worte komme, oder falls die Rücksicht, j
^
Das FamUienblatt und die Literatur ^^^^S^^^^S^ri^Sfir
die man der zarten Empfindung unverdorbener
junger Mädchengemüter schuldig sei, noch weiter
außer acht gesetzt werde, so wird der Verleger
nervös, macht dem Redakteur eine große Szene,
falls er ihn nicht gleich an die Luft befördert,
und setzt durch geeignete Maßnahmen die Um-
wandlung seinee Blattes in einen idealen literarischen
Kindergarten durch, in dem die zartesten Gemüter
auch ohne elterliche Aufsicht vor jedem rauhen
Hauch der Wirklichkeit bewahrt sind. Die stetige
Furcht vor der Unzufriedenheit der Abonnenten
und vor dem Ideenreichtum der Konkurrenz bringt
es zuwege, daß alle unsere illustrierten Farailien-
blätter sich äußerlich und innerlich so verzweifelt
Ähnlich sehen. Alle haben sie ihre Rätsel- und
Spielecke, die Abteilung „Für unsere Frauen",
„Für unsere Kleinen", alle führen sie die stumpf-
sinnige Rubrik „Zu unseren Bildern", eine nach
der anderen machen sie sich jene fürchterliche Er-
rungenschaftder „Jetztzeit" zueigen, photographische
Aufnahmen aller Tagesereignisse nach scheußlichen
Zinkklischees ihren Lesern vorzuführen. Festliche
Tafelrunden aller stattfindenden Kongresse, Komitee-
sitzungen, mondäne Hochzeiten, lebende Bilder in
hohen Kreisen, mit ausgestreckten Armen auf ein-
ander zustürzende Monarchen , anmutige Visagen
vielgesucbter Verbrecher usw. Muß man da nicht
an den Verlegern verzweifeln?
Das Fatnilienblatt □nd die Ltteratn
Weon ich eingangs behauptete, daß der Stand-
punkt der Familienblätter in den letzten zehn bis
zwanzig Jahren merkbar gesunken sei, so leite ich
diese Behauptung aus meiner eigenen Erfahrung
und der einiger nahestehenden Hterarischen Ge-
nossen her, denn selbstverständlich habe ich nicht
zwanzig Jahre hindurch sämtliche illustrierten Fa-
milienblätter gelesen — das wäre eine Höllenstrafe,
für die der würdige Sünder hoffentlich nie geboren
werden wird! Damals, zu Anfang der Achtziger-
jahre, fügte es sich, daß hie und da ein schneidiger
junger Verleger mit einem frisch-fröhlichen und
geistig wohlgewachsenen Redakteur zur Gründung
eines neuen Unternehmens sich zusammenfanden,
wie zum Beispiel Richard Bong mit Paul Dobert,
als „Zur guten Stunde" gegründet ward. Da war
es möglich, daß in diesem Blatt ein Roman von
mir erscheinen konnte, dessen verwickelter Knoten
durch eine Ovariotomie gelöst wurde , ohne daß
auch nur ein Abonnent deswegen abgesprungen
wäre. Und noch zehn Jahre später erschien, wenn
ich mich recht entsinne, in demselben Blatte ein
anderer lustiger Roman von mir, der heute noch
von ungemein zahlreichen deutschen Frauen zu den
fröhlichsten Erinnerungen ihrer Jugendlektüre ge-
zählt wird , trotzdem dieser Boman („Die Erb-
schleicherinnen ") von einem pastoralen Literatur-
blatt als der Gipfel aller Schamlosigkeit und ge-
Dae Familienblatt und die Literatur ^^
fährlichsteD Giftigkeit hingestellt wurde, weil darin
eine junge BtlhneukUnstterin den Heiratsantrag eines
übrigens sehr sympathischen Pastors zurückweist
mit der Begründung, daß ihr ihre Kunst über alles
gehe — wohingegen sie gern bereit sei, ihn ohne
Sakrament aus seinen Nöten zu befreien. Schon
wenige Jahre später fand aber mein „Kraftmayr"
in keinem illustrierten Blatt eine Unterkunft, und
zwar weniger aus moralischen Bedenken, als weil
das ausschließlich musikalische Milieu doch un-
möglich das große Publikum interessieren könne!
Als dann freilich gerade dieser Roman einen un-
gewöhnlichen Erfolg und kolossale Verbreitung
fand, wollten dieselben Redaktionen alle humo-
ristische Musikantenromane von mir haben, und
da ich solche nicht mehr schrieb, wurden meine
anders gearteten Sachen abgewiesen.
Ich bin Überzeugt, daß die meisten meiner
Altersgenossen von ähnlichen mehr oder minder
drolligen Erfahrungen berichten können. Damals
schrieben Helene Böhlau, Ida Boy-Ed, Sophie Jung-
hans, Alexander von Roberts, Hermann Heiberg,
Hermann Sudermann , Georg von Ompteda und
viele andere Herren und Damen für illustrierte
Familienblätter Romane, in denen es durchaus
nicht immer harmlos wie im Kindergarten zuging,
sondern wirkliche Lebensfragen wie unter Er-
wachsenen besprochen wurden. Heutzutage soll
f l'Aa Fumilieoblatt und die Liiter«tnr
das Dicht tnebr Torbominen ! Die genanntea und
die ihnen geistesverwandten Talente schreiben ent-
weder nicht mehr für die Familienblätter, oder
aber sie haben vor der harten Notwendigkeit die
Segel gestrichen und sich dem Anstandskodez und
Sittengesetz der Redaktionen gefügt. Ludwig Gang-
hofer zum Beispiel, ein Mann vou einer ganz un-
gewöhnlichen schriftstellerischen Begabuiig, der in
seiner Alpenwelt Land und Leute kennt wie kaum
ein zweiter und sicherlich ebenso gut wie ein
Anzengruber oder Rosegger die Fähigkeit besitzt,
der Psychologie jenes Volkes bis in die versteck-
testen Winkel nachzugehen . schreibt seine zahl-
reichen Gebirgsroniane für die Gartenlaube. Wie —
brauche ich hier nicht näher zu erörtern! Und
dieselbe Gartenlaube galt einst für einen Hort des
deutschen Liberalismus und wurde von allen reak-
tionären Elementen gefarchtet und befeindet. In-
zwischen haben die Marlitt, die Werner und die
Heimburg dieser Gartenlaube den Stempel ihn
Wesens, wie es scheint un verlöschbar, aufgeprägl
und dieser Stempel ist für sämtliche deutsche!
illustrierten Familienblätter die sichere Eontroll4
marke geworden, auf deren Vorhandensein hin difi
Redaktionen jedes eingehende Manuskript prtlfen,
weil sie ihnen die Zufriedenheit der Abonnent«
mit absoluter Sicherheit gewährleistet. Woh«
schreibt sich nun wohl diese allgemeine sanfte Vej
Das Familienblatt und die iäteratar «
simpelung, dieses Streben, jegliche Eigenart zu
unterdrücken und einander so ähnlich zu werden,
daß man sich nur noch durch Titel und Format
unterscheidet? Sind Verleger und Redakteure
alle miteinander gleichmäßig alt und bequem ge-
worden?
Ich weiß darauf keine Antwort: ich weiß nur,
daß die unternehmungslustigen Verleger von heute
keine Familienblätter mehr gründen, sondern lieber
ihre Angeln auswerfen in jenen trüben Gewässern
der moderen großstädtischen Lebewelt, in denen
es von fetten Hechten zu wimmeln scheint, als für
welche der sichere Köder in der pikanten Lektüre
besteht. Der Geschmack des Stammpublikums
jener beliebten modernen Animierkneipen, genannt
Kabaretts, ist für diese zahlreichen neu aufgetauchten
illustrierten Unterhaltungsblätter maßgebeud ge-
worden. In diesen Blättern schwelgt der Stift
des Künstlers in Weiberbeinen und Busen , als ob
die Menschheit der Gegenwart sich an Ballett-
proben, Variötödamen, Badeszenen, Preisringem
und anderen Champions nicht satt sehen könnte.
Und der Text sucht sich mit mehr oder minder
literarischen Allüren der Höhe jener zeichnerischen
Eunstleistungen zu nähern. Die unabhängige
Literatur findet ihr letztes Asyl in den nicht illu-
strierten Monatsschriften , wie der alten und der
neuen „Rundschau", und in den zwar immer noch
t Du FunUirabUU und die Litorstsr '
zahlreichen, aber wenig zablkr&ftigen Partei- und
Cliqoenblatteni , wwie in einigen ganz waügeo
groSen Tageszeitungen.
Die veise Ökonomie dieser Einriebtnng ist
wirklich bewundernswert. Jeder Zweifel bei der
Wahl der LektQre, jeder peinliche MißgrifF ist ans-
gescblosEen. Die ehrbare deutEcbe Familie, in der
die Tauten und die jungen Mädchen dominieren
und der Großpapa Oberkontrolleur der Sitten and
GeBinnuugeo ist, kann den Inhalt der wöchentlichen
Jourualmappe ruhig unter sämtliche Mitglieder
ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht verteilen.
Sie weiß genau, daß in bezug auf literarische Speise"'
das eine illustrierte Familienblatt genau so unver-
fauglich ist wie das andere, und daß diejenigen,
die einen etwas größeren Ballast von soliden wisseit*
Bchaftlichen Artikeln und feinerer Belletristik mit
sich fuhren , wie etwa Westermanns oder Vel-
hagen & Klasings Monatshefte, doch sicherlich
wenigstens als Bilderbuch auch den Jüngsten keine-
Gefahr bringen können. Die ernsthaften Literatur-
freunde älterer Richtung haben ihre Paetelsche,
diejenigen neuerer Richtung ihre Fischersche
„Rundachau". Die Literaten und sonstigen Partei-
gänger aller möglichen Richtung haben ihr Leib-
blatt, und fur Junggesellen, leichtere Damen und
andere heimliche oder unheimliche Cochons ist
gleichfalls reichlich gesorgt. Was bleibt da also
4
Uas Familien blatt und die Literatur «
ZU wünschen übrig? Warum soll mau sich nicht
mit dem seufzenden Zugeständnis trösten, daß alle
Dinge dieser Welt seien, wie sie notwendig werden
mu£Steu, und daß jedes Volk die Literatur bekomme,
die es verdiene? Zu klagen haben doch eigentlich
wirklich nur die paar Literaten Ursache, die zu
ihrem Unglück mit einem empfindlichen Gewissen
geboren sind, oder deren Talent so beschränkt isti
daß sie die Dinge nur unter einem bestimmten
Gesichtswinkel zu sehen und nur in ihrer be-
schränkten Eigenart darzustellen wissen. Bei der
Überfülle von Zeitschriften, mit denen unsere
glückliche Gegenwart gesegnet ist, muß ja jeder
geschickte Schriftsteller unfehlbar sein reichliches
Brot verdienen — er braucht nur heute für die
Familienstube des geistigen Mittelstandes, morgen
für die seriösen Leute und übermorgen für die
Cochons zu schreiben. Kann er das nicht, so hat
er auch kein Kecht, sich zu beklagen, denn auf
keinem Gebiete findet der Arbeiter seinen Lohn,
der seine Arbeit durchaus anders machen will, als
sie vom Auftraggeber verlangt wird. Übrigens
bleibt ihm ja noch immer die klassische Dachstube
des ächten Dichters, der edle Groll des Verkannten
und die Hoffnung auf Nachruhm.
Allerdings fährt man am sichersten und be-
quemsten, wenn man sich mit der Logik der Tat-
sachen abfindet, sich nicht die Köpfe anderer Leute
^^s3''^<>3''K«3'^ Du FamilienbUtt und die Literatur
zerbricht und den lieben Gott einen guten Mann
sein läßt. Sollte man aber von mir, da ich doch
nun einmal die Frage angeschnitten habe, ein
Übriges erwarten, so möchte ich mir in aller Be-
scheidenheit doch den leisen Zweifel erlauben, ob
die Dinge, weil sie heute so sind, auch wirklich
immer so bleiben müssen. Ein Streben nach Be-
freiung der Geister, nach Vertiefung der Bildung,
nach Heranziehung auch des unteren Volkes zum
Verständnis wissenschaftlicher Bestrebungen, zum
üenuS der Kunst , nach einer Umwälzung der
Unterrichtsmethode in den Schulen, der Erziehung
im Hause ^ mit einem Wort: ein energisches
Rütteln der modernen Vernunft an alten Zäunen
und Schlössern macht sich doch überall auch bei
uns in Deutschland kräftig bemerkbar. Sollten
nicht gerade die Faniilienblätter mit ihrer weited
Verbreitung sich berufen fühlen, an dieser schönen
und anssich tsvollen Aufgabe mitzuwirken? Man
bemüht sich heute, ächte Kunst in die Schule und
in die Kinderstube hineinzutragen, um eine wirk-
liche Gesehmacksbildung vorzubereiten. Dürfen da
die Leiborgane der großen geistigen Kinderstube
träge beiseite stehen? Was man das große Publikum '
nennt, steht io geistiger Beziehung durchaus auf'
kindlichem Standpunkt, und darum ist es auch
lenksam und dankbar wie die Kinder. Und selbst
von den zähen Alten sind noch viele der Suggestiv
^
I
Das Familieoblatt und die Literatuv iS.><N£,.4vs,<<N^
zugänglich. Man muß ihnen nur begreiflich machen,
daß alle vernünftigen, tüchtigen Leute so und so
denken, dann gelangen sie leicht dazu, sich ihrer
Rückätändigkeit zu schämen und keck zu behaupten,
sie hätten schon lange so und so gedacht. Ich bin
überzeugt, daß ein geschickter Redakteur, der sich
mit ehrlichem Eifer seiner Aufgabe widmet, auch
auB einem Familienblatt einen wichtigen Faktor
dieser friedlichen Revolution der Geister machen
kann. Er könnte in seinem eigenen Blatt zum
Beispiel durch scherzhafte Belehrung den Lesern
den Geschmack an der gewöhnlichen Kost verekeln
und hin und wieder ein literarisch bedeutsames
Werk unter die Alltagsware einschmuggeln, das er
vielleicht durch einen einleitenden Artikel dem
Publikum von vornherein mundgerecht macht, oder
über das er eine Diskussion im Sprechsaal er-
öffnet, in dem er dann törichte Angriffe mit liebens-
würdiger Ironie zurückweist. Das wäre ein Weg
unter vielen. Der Familienblattiedakteur , der in
einer bekannten literarischen Fachzeitschrift jüngst
die Klage über die künstlerische Minderwertigkeit
der Familienblattromane mit der Begründung
zurückwies, daß überhaupt nicht so viel gute
Romane bei uns jährlich produziert würden, um
auch nur ein Fünftel des Bedarfes der Familien-
blätter zu decken, hat ganz entschieden unrecht.
Mag die ernste Kritik, auf die er sich beruft, von
t<^ Diu FaroiLieablatt und die Literatur
der gaDzen großen Jahresproduktion wirklich
höchstens ein Dutzend alg literarisch wertvolle
Leistungen anerkennen, so beweist das durchaus
noch nicht, daß unter den übrigen Hunderten von
Romanen nicht mehrere Dutzend sein könnten, die
vernünftigen Ansprüchen an eine gute Unterhal-
tungslektüre für geschmackvolle Leute genügen —
und mehr kann man von der täglichen Kost regel-
mäßig erBcheinender Zeitschriften doch nicht ver-
langen. Wohl aber kann man ganz bestimmt be-
haupten, daß die vielen tüchtigen Schriftsteller, die
über das Leben etwas Eigenes zu sagen haben und
über die nötige Darstellungsgabe verfügen, um
allen berechtigten Ansprüchen an jene Durch-
schntttsware zu genügen, dies in den eng gesteckten
Grenzen der Spezi alanforderungen für den Familien-
blattroman nicht leisten können. Weder politische
noch religiöse Tendenz, in erotischer Hinsicht
strengste Storchgläubigkeit, keine Ehescheidungen,
noch Ehebrüche, noch Selbstmorde, ereignisreiche
Handlung, stets zunehmende Spannung, über-
raschende Wendung am Schlüsse jedes Kapitelsi
glücklicher Ausgang und angenehmer Total-
eindruck — so lautet zugestandenermaßen das all-
gemein gültige Rezept für die widerlich süßliche
Mixtur, die die ideale deutsche Jungfrau und deren
werte Angehörigen jahrein, jahraus zu schlucken
bekommen. Daß kein ehrlicher Poet nach diesem
Das Familienblatt und die Literatur ^S^
Rezept etwas Anständiges zu leisten vermag, liegt
auf der Hand. Es kann also nur besser werden,
wenn die Familienblätter entweder dem lebensreifen,
geschmackvollen Schriftsteller gestatten, seine Weis-
lieit uükastriert nicht nur an den Mann, sondern
auch an das Weib zu bringen — oder aber —
wenn das den zitternden Kedakteuren unmöglich
erscheint , sich in Geduld zu fassen , bis das junge
Mädchen von heute von Grund aus revolutioniert
ist und sich jenen Vordertreppenschund einfach
nicht mehr gefallen läßt. Mithin könnte die ge-
samte Schriftstelleiwelt nichts besseres tun, als
mit vereinten Kräften an der Umgestaltung der
Mädchenerziehung arbeiten. —
Darauf wird's denn wohl auch hinauslaufen.
Theatralische Probleme.
(1906)
Sobald der Deutsche die Rednertribüne beateigt
oder die Feder in die Hand nimmt, um zur Öffent-
lichkeit zu reden, fühlt er sich verpflichtet, sich
das Ansehen eines Mannes zu geben, der gewohnt
ist, seinen Blick über die Trivialität des Alltags
und die blamablen Menschlichkeiten des großen
Haufens hinweg auf die Ewigkeit zu richten. Er
darf, sobald er das Gebiet rein praktischer Tages-
fragen verläßt, beileibe nicht die Meinung auf-
kommen lassen, als ob in seiner Schätzung die
gegenwärtigen Dinge, die seiner Betrachtung unter-
liegen, an sich des ernsthaften Interesses wert
wären; denn von dem flachen Geist, der nur an
der Gegenwart klebt, unterscheidet sich der wissen-
schaftlieh geschulte Denker bekanntlich dadurch,
daß er seinen Blick auf Anfang und Ende, auf
den geschichtlichen Werdevorgang und auf die zu-
künftigen Entwicklungsmöglichkeiten wendet. Die
Gegenwart hat für einen solchen immer nur als
Durchgangsstation auf jenem himmelweiten Wege
eine gewisse Bedeutung. Wenn nun gar ein ernst-
hafter Geist über eine Kunstform zu reden anhebt,
» Theatralische Problei
H
die für die überwältigende Mehrheit der Mit-
menschen nur eine bessere Unterhaltung oder aber
ein Geschäft bedeutet, so wird er sich erst recht
verpflichtet ftlhlen, seinen Gegenstand erst einmal
historisch zu behandeln, dann aber auch eine strenge
Scheidung vorzunehmen zwischen dem Theater als
Vergnügungsinstitut und dem Theater als Pflege-
stätte des hohen Dramas. Es ist zehn gegen
eins zu wetten, daß bei jeder solchen wissenschaft-
lich gemeinten Betrachtung theatralischer Dinge
die Gegenwart gegeotiber der klassischen Ver-
gangenheit in Athen und Weimar überaus schlecht
wegkommen und der Schluß der Betrachtung auf
die Hoffnung der möglichen Wiedererweckung einer
wahrhaft nationalen Schaubühne im Sinne der alt-
hellenischen hinauslaufen wird,
Ist es nicht verwunderlich, daß unsere wissen- \
schaftliche Welt, die doch auf fast allen andern
Gebieten sich sonst die entwicklungsgeschichtliche i
Betrachtungsweise zu eigen gemacht hat, auf dem ,
Gebiete gerade der künstlerischen Phänomene des .
menschlichen Geistes die tatsächlichen Erfahrungen |
der Naturbetrachtung so selten anwenden mag!
Wie kann man nur bei solcher wissenschaftliehen
Betrachtung der Naturphänoraene das Prinzip der j
Aufwärtsentwicklung zur vollkommenen Form durch '
Vererbung, Auslese und Anpassung überall wirk-
sam erkennen . und andererseits bei Betrachtung |
Theatraliache Probleme «
der Gteistesphänomene ao hartnäckig bei dem alten
Vorurteil beharren, daß das Vergangene hoch über
dem Gegenwärtigen stehe und eine Eeasernng nur
von der Rückkehr zu primitiven Zuständen zu er-
hoffen sei?! Ich meine, wir müssen uns bei der
Beurteilung einer so lebendig gegenwärtigen Kultur-
frage, wie sie das Theater immer bedeutet, zunächst
einmal von der Ungerechtigkeit eines solchen Vor-
urteils freimachen. Wer von dem Theater der
Vergangenheit wirklich eine einigermaßen klare
Vorstellung besitzt und gerecht sein will, der kann
nicht anders als anerkennen, daß die Leistungen
des Theaters sieh in einer aufsteigenden Linie
bewegen, die durchaus derjenigen parallel läuft,
welche die Entwicklang jeder anderen menschliehen
Geistestätigkeit auch zeigt. Die Hauptfehlerquelle
aller ungerechten Urteile über das gegenwärtige
Theater beruht darin, daß die Betrachter nur einige
markanteste Höhepunkte aus der Vergangenheit zum
Maßstabe nehmen und die Durchschnittsleistungen
jener früheren Glanzzeiten entweder nicht kennen
oder absichtlich nicht mit in Betrachtung ziehen.
Im alten Griechenland war für unsere Begriffe
das Niveau der allgemeinen Bildung so niedrig,
daß nur einige ganz wenige, überaus hei-vorragende
Geister imstande waren, die höchste Dichtungsform
der Tragödie überhaupt zu meistern. Und deren
Werke wurden alsdann nur an hohen Festtagen,
XIX
B TbcstraÜBche Problone
an geweihten Stätten und in einer fast unverrückbar
feststehenden Form der Nation vorgeführt. Es
ist selbstverständlich, daß diese seltenen weihe-
volleo Darstellungen der Werke jener wenigen aus-
erwählten Geister ein ganz anderes Relief bekamen
und eine weit tiefere Wirkung ausüben mußten
als die täglichen Aufführungen Tausender von
verschiedensten Werken aller erdenklichen Stil-
arten in unserer Zeit und vor einem durch Über-
fülle und leichte Erreichbarkeit des Gebotenen
blasierten Publikum. Die Wiederkehr eines solchen
Verhältnisses zwischen dem Volke und seinem
hohen Drama wäre also nur nach völliger Ver-
nichtung unserer Kultur denkbar. — Und nicht
viel anders steht es um den Ruhm des weimariechen
Theaters unter Goethes Leitung. Ks war eben
ein Goethe und ein Schiller vorhanden, und deren
Werke wurden am weimarischen Hoftheater ver-
hältnismäßig gut aufgeführt, weil der Bühnenleiter
das Glück gehabt hatte, durch die Anziehungskraft
seines Namens einzelne hervorragende Kräfte zu
gewinnen, und viel Mühe darauf verwendete, einen
edlen deklamatorischen Stil auch den minderen
Schauspielern nach Möglichkeit beizuhringen. Man
würde sich aber doch wohl sehr irren, wenn man
meinen wollte, eine Darstellung irgendeines klassi-
schen Dramas sei am Theater Goethes trotz der
berühmten Namen Corona Schröter, Karoline Jage-
Theatralische Probleme 4
mann, Pius Alexander Wolf u. a. m, mit der heutigen
Darstellung eines solchen Werkes an einer unserer
ersten Buhnen zu ihrem Vorteil vergleichbar ge-
wesen. Man lese nur einmal in den Goetheschen
Tagebüchern die Bemerkungen nach, die der Alt-
meister über die Qualität der Schauspieler an
hervorragenden Bühnen seiner Zeit macht, zum
Beispiel Frankfurt und Stuttgart. Man gewinnt
daraus die deutliche Vorstellung, daß zu jener
Zeit die Mitglieder der ersten Stadt- und Hof-
theater kaum wesentlich über dem Niveau heutiger
Schmierenkomödianten gestanden sein können. Es
ist ja auch gar nicht anders möglich; denn die
Komödianten jener Zeit waren mit wenigen Aus-
nahmen ungebildete, von der guten Gesellschaft
ausgeschlossene Menschen, welche die naive Volks-
anschauung ruliig zu den Seiltänzern und Degen-
schluckern in einen Topf warf. Schon was von
ihnen verlangt wurde, machte es ihnen unmöglich,
Fachkünstler in unserem Sinne zu sein. Derselbe
Mann, der heute den „Sarastro" sang, mußte
morgen in irgendeiner Farce den geprügeltea
Ehemann darstellen und übermorgen im Ballett
groteske Sprünge ausführen können. Mozart hat
seine deutschen Opern niemals von lauter geschulten
Sängern ausgeführt gehört. Höchstens die Prima-
donnen und die ersten mannlichen Gesangskräfte
waren durch eine hohe Schule ihrer Kunst gelaufen.
I
Der weitaus größte Teil sämtlicher Partien wurde
von ScbauEpielero ausgefohrt, die eben ohne Stimme
und ohne Schulung ihr Bestes taten. Von einer
Regie in unserem heutigen Sinne war noch gar
keine Rede, ganz zu schweigen von irgendwelchen
hohen Ansprüchen an historische Ächtheit und
künstlerische Schönheit der Kostüme und Deko-
rationen. Von einem sorgfältig abgetönten Ensemble
hatte man im rezitierten Drama wenig, im musi-
kalischen gar keine Ähnung. Wie lächerlich neu
alle diese für uns längst selbstverständlichen Forde-
rungen sind, das können uns heute noch einzelne
alte Herren erzählen, die über fünfzig Jahre im
Theater- und Musikgetriebe tätig sind. So hat
jüngst einmal der Züricher Kapellmeister Hegar,
einer imserer bedeutendsten Orchesterdirigenten,
Erinnerungen zum besten gegeben, wie es noch
n den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
n den Orchestern größerer Theater- und Konzert-
nstitute zuging. Die wenigsten Kapellmeister ver-
standen oder gaben sich die Mühe, aus der Partitur
zu dirigieren. Sie sehlugen mit dem Fiedelbogen
den Takt nach einer Primgeigenstimme. Bei der
Einstudierung einer Mozartschen oder Rossinischen
Oper, ja selbst einer Symphonie von Beethoven
war man vollständig zufrieden, wenn rhythmisch
und harmonisch alles klappte und die vorge-
schriebenen Portes und Pianos einigermaßen be-
The«tralisi-.hp Prnbinrae «
achtet wurden. Wenn ein Dirigent sich darauf
versteifen wollte, durch feinere Nuancierung seine
persönliche Auffassung zum Ausdruck zu bringen,
80 streikte das Orchester einfach. Wenn ihre
Stunde geschlagen hatte, gingen die Herren Musici
eben nach Hause, und es fiel ihnen nicht ein, sich
wegen der Marotten des Dirigenten überflüssig
plagen zu lassen. Auf der Opernbühne übten die
paar kehlfevtigen Primadonnen und angeschwärmten
Tenöre eine Tyrannei aus, der sich kaum je ein
Direktor oder Kapellmeister entgegenzustellen
wagte. Und im Schauspiel war es auch nicht
viel besser. Der Hanswurst war zwar feierlich
verbrannt worden, aber die Lazzi des Komikers,
die nicht im Buche standen, bildeten nach wie vor
die eigentliche Würze des Komödienspiels. Und
im höheren Drama verlangte der Kulissenreißer
gebieterisch freie Bahn für sich und ersetzte durch
Organaufwand die Bescheidenheit seiner geistigen
Mittel. Eine dialektfreie, edle Sprechkunst war
noch viel seltener zu finden als heutzutage. Nur
für das bürgerliche Schauspiel und die Lokalpogse
brachten günstige Umstände hier und dort und
hin und wieder durchweg vorzügliche Darsteller
zusammen, wie in Mannheim, Wien und in Berlin
unter Iffland. Es ist das ja auch ganz selbst-
verständlich, denn schauspielerische Talente hat
es natürlich immer gegeben, und diese werden .
-A
Theatralische Probleme.
(1906)
t Tlieatralim^a PrnMeme
Versachen der Mitlebendeo im höheren stilisierten
Drama hören wir nichts. Der Geschmack des
großen Publikums war viel mehr auf die an sich
unzweifelhaft tüchtigen bürgerlichen Schauspiele
von IfTland und seinen Nachahmern sowie auf
harmlose Philisterkomödien gerichtet, deren Typus
für seine Zeit Kotzehue am schärfsten ausgedrückt
hat. Das Publikum fühlte sich durchaus nicht
beleidigt, wenn es zwischen der Braut von Messioa
und dem Tasso den Schneider Fipps zu sehen
bekam. Und der Herzog Karl August, der doch
wahrlich auf der höchsten Höhe der Bildung seiner
Zeit stand, wollte seinem tief verehrten und ver-
standenen Freunde Goethe durchaus die Schrulle
nicht passieren lassen, daß er das Auftreten eines
Pudels auf dem Hoftheater für eine Entweihung
hielt. Goethe gab nicht nach — und „Der Hund
des Aubry" wurde dennoch auf dem Hoftheater
aufgeführt! Zwar wußte der Herzog bald darauf
den alten Freund wegen der Kränkung durch die
brüske Art seiner Entlassung als Theaterdirektor
zu versöhnen, aber er hatte doch seinen Stand-
punkt durchgesetzt und damit unzweideutig seine
naive, durchaus volkstümliche Auffassung vom
Wesen des Theaters bekannt, Erbauung und leichte
Unterhaltung als gleichberechtigt proklamiert.
Zu unserem klassischen Repertoire sind Kleist,
Grillparzer, Hebbel hinzugekommen, samt reichen
Theatralische Prohlen
Schätzen auB der Weltliteratur. Und will jemand
bestreiten, daß die gegenwärtige dramatische Pro-
duktion mit ächten ehrlichen Dichtem wie Wilden-
bruch, Hauptmann, Halbe, Hartleben. Hofinannethai
an der Spitze, der Durchschnittsleistung jener
Klingemann, Usteri, Ilfland, Raupach oder der
Birch-Pfeiffer etwa nicht himmelhoch Überlegen
seien ? ! Können wir den deutlichen Fortschritt
nicht beinahe von Jahr zu Jahr verfolgen? Haben
wir nicht zum Beispiel auf dem Gebiete des ele-
ganten Feuilletonstückes Blumental, Fulda, Suder-
niann, Hermann Bahr über ihre französischen Vor-
bilder und deren ersten deutschen Nachahmer,
Lindau, hinauswachsen sehen? Ein Stillstand oder
Rückgang gar ist nur auf dem Gebiete des Lust-
spiels zuzugeben; denn man kann im allgemeinen
nicht sagen, daß die harmlosen Familienkomödien
Blumenthals, Schönthans, Kadelburgsusw.usw., er-
heblich besser seien als die Werke des biederen
Papa Benedix. In den Komödien Änzengrubers
hatten wir sogar einen Aufschwung genommen, auf
den wieder eine gewisse Lahmheit gefolgt ist, und
was heute auf dem Gebiete der Lokalposse oder
"des Volksstückes geleistet wird, halt nur sehr
selten den Vergleich mit den besseren Werken von
Kaiisch oder gar L'Arronge aus. Auf die Ursachen
dieser Erscheinung will ich später noch zu sprechen
kommen.
k Thc^atr&liHche Probleme^
Eb ist gewiß sehr schön, wenn immer wieder
liebenswürdige Idealisten mit heiligem Eifer daran
gehen, uns die Bedeutung des Theaters als einer
moralischen Anstalt im Sinne Schillers ins Ge-
dächtnis zu rufen, oder wenn sie gar far den von
allem Dogma befreiten Menschen das Theater als
Erbauungsstätte an Stelle der unzulänglich ge-
wordenen Kirche empfehlen. Man darf mit Freude
alle solchen Bestrebungen verfolgen und mag sie
tatkräftig unterstützen, sofern sie darauf hinsielen,
die Bühne den unheilvollen Einwirkungen geschäft-
licher Notwendigkeiten zu entziehen, oder deri
Heimatkunst in wohltätiger Loggelöstheit vonti
Großstadtlärm freundliche Tempel zu bauen nnd
einem festlich gestimmten Volke hier und dort
klassische Meisterspiele zu bieten. Je mehr Streben,
je mehr Bewegung, um so besser. Aber wir sollen
darüber nicht vergessen, daß das Theater als volks-
tümlichste aller Kunstanstalten zunächst einmal in
den Stand gesetzt sein muß, auf das Volk za
wirken, auf die große Masse, auf den Durchschnitt^J
nicht nur auf die einzelnen anspruchsvollsten HOcl
gebildeten. Damit ist ja keineswegs gesagt, daSJ
die Bühne sich dem Geschmack des niederstffltj
Bihlungspöbels anpassen solle. Das Publikum gehl
tatsächlich mit derselben Grundforderung ins Theatee^j
mit der es in die Kirche geht oder einstmals gini
das heißt: es will sich auf kurze Zeit von deai'{
4
Eindrücken und Vorstellungen des Alltags befreien
und im Spiel eine neue, aber in irgendwelcher
Beziehung ideale Wirklichkeit vor sich gestaltet
sehen, die seine Gedanken von der gewöhnlichen
Bahn ablenkt und, es angenehm aufrüttelnd, bei
seinen allgemein menschlichen Gefühlen packt.
Ehenso wie eine Kirche ihren Zweck verfehlt, die
nicht sofort durch ihren Baum in starkem Gegen-
satz zur gewohnten Arbeits- oder Heimstätte steht
und durch die Form des Kultes nicht den künst-
lerischen Instinkt gesunder Sinne befriedigt, so
würde auch als Volksinstitut jedes Theater seinen
Zweck verfehlen , das dem Publikum nicht das
bieten wollte, wofür es so gern sein Geld bezahlt,
nämlich eben jenen schönen Schein einer durch
künstliche Mittel erreichten höheren Wirklichkeit.
Dazu gehört in allererster Linie die Unter-
haltsamkeit. Die ganze Dramaturgie beruht
ganz einfach auf der Notwendigkeit, für zwei bis
drei Stunden die Teilnahme einer kompakten
Menschenmenge zu fesseln und dadurch Aufmerk-
samkeit für das Wort des Dichters zu erzwingen.
Sie ist also schlechthin eine Frage der Nerven-
physiologie. Ein langweiliges Stück kann un-
möglich gut sein; aber das Gegenteil von Lange-
weile ist eben Unterhaltung. Warum will man
denn durchaus diesen Begriff gering schätzen?
Wir sprechen doch auch ganz richtig vom Theater-
t ThestraliMhd Probleme
Bpiel. Eb ist ein Spiel. Und ein Spiel will und
Boll unterhalten. Wenn gelangweilte Menseben
in Haufen beieinander sitzen, so ist nicht zu er-
warten, daß die Absicht des Dichters, sie fröhlich,
mitleidsvoll gerQhrt, zornig aufgeregt oder begeistert
emporgehoben zu stimmen, gelinge. Die Abteilung
in Akte, die Gewährung von Erholungspausen, die
Verlegung der stärksten Kffekte au den Schluß
der Aufzüge, die Auf rech terlialtung der Spannung
auf den Ausgang der Handlung, die Steigerung
der dramatischen Dynamik innerhalb der einzelnen
Szenen, Akte und des ganzen Stückes, die Ab-
wechslung zwischen ruhigen Dialogen und leiden-
schaftlichen Szenen, zwischen Einzel- und Massen-
auftritten , das Stimmungmachen durch Hinein-
ziehen von Na turvor gangen, Geheimtuerei und
Überraschungstriks — all das ist doch nur dazu
da, um die Grundbedingung alles Tbeaterspiels zu
erfüllen, nämlich die Nerven der Zuschauer in
Spannung und dadurch aufnahmei^htg zu erhalten.
Die Arbeit, welche die Nerven in dieser Spannung
leisten, wirkt nicht ermüdend, sondern wohltätig
erfrischend — und diese Erfrischung suchen wir
alle im Theater. Sobahl das Seelenlehen des
Menschen sich einigermaßen zu verfeinern beginnt,
stellt sich auch das Bedürfnis nach dem Kausch
ein — in diesem Ausdruck alle Sehnsucht des
bedrängten Menschenkindes zusammengefaßt: Ver- j
TheBtü&liRcbe Probleme 4
gessen des Alltags, Erhebung über den gewöhn-
liebea Gedanken- und Empfind ungskreis, Eröffnung
ungewohnter weiter Ausblicke in das Jenseits der
eigenen engen Umwelt, Aufstachelung zur Be-
wunderung fremder Größe, Erweckung zur Selbst-
erkenntnis und Beseligung durch schöne Dlusion.
Und weil der Mensch, je höher er in der geistigen
Entwicklung steigt, des Rausches um so weniger
entraten kann, so kauft er ihn sich zu immer
höherem Preis, der eine von der Kirche, der andere
vom Theater und der AUerelendste im Schnaps-
auBschank. Das Bedürfnis nach dem Rausch in
diesem hohen Sinne dürfte wohl der sicherste
Gradmesser der Kultur sein. Und wenn einmal
wirklich die allgemeine Gleichmacherei, die Öde
Philosophie der Nützlichkeit es dahin bringen
sollte, daß die Menschen den hohen Rausch als
eine unnütze Nervenkraftvergeudung verdammten
und sich in musterhafter Abstinenz wohl fühlten,
dann wäre eine so ekelhafte Menschheit zum Unter-
gange reif. Jede geistige Produktivität würde
lahmgelegt, und auch körperlich an die Stelle der
schönen Wildheit der Natur die gewichtige Blöd-
heit des Mastviehs gerückt werden.
Diese Abschweifung mag immerhin nicht ganz
unnütz gewesen sein, denn sie kann wohl dazu
beitragen, uns das Wesen des Theaters als Kultur-
faktor klar zu machen. Es ist demnach ebenso
TheBtralische Pröl
falsch, es nur als eine moralische Anstalt, wie ea
ausschließlich als ein Unterhaltungsmittel zu be-
trachten. Es in u6 eben beides zusammenkommen:
die Moral muß unterhaltsam gepredigt werden
und die Unterhaltung irgendwelche, wenn auch
noch so bescheidene sittliche Zwecke verfolgen.
Auch die bloße Erregung lauter Heiterkeit ist
schon ein solcher sittlicher Zweck (vorausgesetzt,
daß solches Lachen nicht zynisches Gewieber ist);
denn das Lachen befreit, das Lachen ist imstande,
Haß, Neid und Bosheit die Spitze abzubrechen,
das Lachen versöhnt ~ mit einem Wort, es macht
den Menschen menschlicher. Darum haben jene
steifen Würdebonzen unrecht, die gleich eine Tempel-
schändung darin erblicken wollen, wenn dasselbe
Theater, welches das Drama höchsten Stils kulti-
viert, gleichzeitig dem literarisch unbedeutendea
bftrgerlicben Lustspiel Gastfreundschaft erzeigt.
Das täglich spielende und vornehmlich das kon-
kurrenzlose Theater hat die Verpflichtung, der
Allgemeinheit zu bieten, was sie sucht und braucht:
Erhebung und Erheiterung.
Diese Allgemeinheit will auch weder die voll-
kommene Abstraktion von aller Wirklichkeit im
Theater haben, noch auch die peinlich genaue
Reproduktion der Wirklichkeit, denn eine solche
würde ihr gerade das vorenthalten, was ihr gesunder
Instinkt im Theater sucht. Die Bühne kann
I
Theatralische Probleme e
nicht die Natur oder das Leben wieder-
geben. Sie muß beides räumlich und zeitlicb be-
schneiden, um sie in die zwei bis drei Stunden
eines Theaterabends und in den Rahmen des
Bllhnenauaschnittes hineinzupassen. Sie gibt Szenen
aus dem Leben und umrahmte Stücke aus der
Natur. Das Guckkastenmäßige der Bühne, die
fehlende vierte Wand, die uns im Theater zu
Schills sellochspäbern und eifrigen Horchern macht,
umgrenzt und bestimmt das ganze Wesen der
dramatischen Kunst. Zwar gibt es heutzutage
schon Leute, die sich die Köpfe darüber zerbrechen,
wie man ohne dieses vom Vorhang verhüllte Guck-
kastenloch auskommen könnte, wie man der Schmach
wackelnder Palastmauern, auf Drahtnetz geklebter,
im ärgsten Sturm unbewegter Baumwipfel usw. usw.
abhelfen könnte, aber es will mich bedünken, als
ob solches nachdenkliche Bemühen ganz unnütz
verschwendet würde, ja, als ob man geradezu durch
derlei Kunststücke die Kunst herabwürdige. Wenn
es auch wirklieh gelingt, Bäume auf die Bühne
zu stellen, die sieh im Winde bewegen oder feste
Häuser zu bauen, die nicht wackeln, wenn man
an die Tür pocht, so hat man doch damit nichts
anderes erreicht, als etwa der Sehaubudenbesitzer,
der ein sichtbar atmendes wächsernes Weib oder
einen sprechenden und tanzenden Automaten aus-
stellt. Die noch so sehön gemalte Waldkulisse
It Theatralüche ProbTeme
bedeutet doch im Grunde auch nichts anderes als
die schwarze Tafel der primitiven Shakespeare-
bQhne: Dies soll ein Wald sein. Und das
genügt ja auch vollständig, denn dem Publikum
liegt gar oichtH daran, daB ihm weisgemacht
werde, es befinde sich im Walde und nicht im
Theater. Selbstverständlich wäre es töricht, nicht,
wo die Mittel dazu vorhanden sind, die Errungen-
schaften moderner Technik verwenden zu wollen,
um das Bühnenbild möglichst schön zu gestalten.
Jedes Raffinement in dieser Beziehung ist recht
und gut, soweit es dazu dient, die Stimmung des
dramatischen Vorgangs sinnföllig zum Ausdruck
zu bringen. So haben zum Beispiel die Äusstattungs-
kQuBte des genialsten Eegisseurs unserer Zeit, des
Herzogs Georg von Meiningen, nicht nur die Schau-
lust befriedigt, sondern tatsachlich das im Ein-
schlafen begriffene Interesse für die klassischen
Meisterwerke zu neuem Leben erweckt. Dadurch,
daß dem Auge Szenenbilder geboten wurden, welche
der Nachprüfung des Geschichtskenners standhielten,
dadurch, daß sich die Handelnden in Kostümen
und unter Möbeln und Requisiten bewegten, welche
bis ins Kleinste den lokalen und historischen
Hintergrund des Dramas lebendig machten, wurden
auch alle Zufälligkeiten an den Persönlichkeiten
der Schauspieler gewispermaßen historisch be-
glaubigt. Wenn also beispielsweise der Darsteller
des Buttler im Wallenatein krumme Beine gehabt
oder mit der Zunge aDgesto6en hätte, so wäre
man nicht zu der Empfindung gekommen, daß
dieser Schauspieler schlecht gewachsen und isprach-
technisch mangelhaft ausgebildet sei, sondern mau
hätte es ohne weiteres als eine historische Tat-
sache angenommen, da6 der Buttler wohl krumme
Beine gehabt und mit der Zunge angestoßen haben
müsse. Es wurde dadurch eine neue Illusion
erzeugt, welche der eigentlichen dramatischen
Wirkung zugute kam, indem man in den Schau-
spielern nicht bloß mehr oder minder tüchtige
Sprechwerkzeuge für das Dichterwort, sondern
einfach Menschen sah. Wir haben es damals
erlebt, daß das Ensemble der Meininger mit seineu
zum größeren Teil recht unbedeutenden Schau-
spielern dem berühmten Wiener Burgtheater mit
seiner glänzenden Tradition und seinen vorzüglich
geschulten bedeutenden Künstlern vollständig den
Baug abzulaufen vermochte. Natürlich ist es un-
möglich, eine Grenze anzugeben, wie weit die
technische Vervollkommnung des Bühnenbildes gehen
könne, ohne der Wirkung des Dramas selbst zu
schaden ; daß aber in dem rastlosen Überbieten
der Ausstattungseffekte in bezug auf Kostbarkeit,
historische Äehtheit und verblüffende Naturtreue
eine große praktische Gefahr für das ganze Theater-
wesen liege, leuchtet auch wohl ohne weiteres
t 305
( TlieatnUiache ProblM
ein-, «leou ein solcher Aufwand fordert Geldmittel,
die verloren sind, sobald der dauernde Erfolg sich
Dicht einstellt. Und das Publikum gewöhnt sieb
80 rasch daran, das Äußerste an Aufwand als das
eiofacli Selbstverständliche zu l)etrachten. daß die
Schaulust an sich sehr bald die Massen nicht mehr
anlockt. Da muß der Leiter wieder auf neue
Sensationen sinnen, um durch Verblüffung zu wirken.
Und das fahrt zu tollkühnen Risikogeschäften, die
nur zu leicht mit finanziellen Katastrophen endigen.
Andererseits wäre es auch ebenso verfehlt, in
bezug auf die Ausstattung wieder zum Primitiven
gewaltsam zurückkehren zu wollen. Wir haben
auch solche wunderlichen Heiligen; und das ist
keineswegs erstaunlich in einer Zeit, wo äas ästhe-
tische Gigerltum so weit verbreitet ist. Ebenso
wie in der Malerei wunderliche Käuze und ge-
schickte Seosatiousmacher das Nichtbesser-können
eiüMtiger Vorfahren zum modernsten Kunatprinzip
erhoben, so tun sich auch Theaterreformer auf,
die unter dem Vorgeben, dem reinen Dichterwort
durch Entfernung alles die Sinne zerstreuenden
Beiwerks zur größeren Geltung zu verhelfen, alle
naturalistischen Dekorationen hinauswerfen und
nur durch einfachste Farben Wirkungen die nötige
Stimmung vorbereiten möchten. Da soll meinet-
halben eine mit streng geometrischen Mustern be-
stickte Gardine den Hintergrund fttr eine gedanken-
Theatralische Probleme
volle Aussprache bilden oder ein grüner Schleier
mit roten Tupfen himmlische Heiterkeit verbreiten.
Alle diese krampfhaften Regungen einer nervös
überreizten Zeit mag man lächelnd über sich
ergehen lassen, ebenso wie das Geschrei über den
Verfall des Theaters seitens sehr junger Idealisten
oder sehr alter Pedanten. Die eigentlichen Prob-
leme des modernen Theaters vermag ich in der
Richtung der Ausstattung nicht zu erblicken.
Ich begreife auch durchaus nicht, was die
immer neu auftauchenden Reformer der Schau-
spielkunst eigentlich wollen, die mit mehr oder
minder geistvollem Phrasenschwulst deren Verfall
beklagen und sich das Heil von einer radikalen
Änderung des dramatischen Unterrichts versprechen.
Soweit diese guten Leute nicht einfach durch den
Drang, sich durch Begründung einer neuen Theater-
schule eine Existenz zu verschafifen begeistert
werden, scheinen sie mir von dem Wesen der
Schauspielkunst überhaupt keinen rechten Begriff
zu haben. Es ist ein Unsinn, vom Schauspieler
aus das Theater oder gar die dramatische Dichtung
reformieren zu wollen. Der Schauspieler wird
von den Dichtern gemachtund nicht um-
gekehrt. Das angeborene schauspielerische Talent,
ohne das die beste Lehrmethode und die geist-
vollsten Regisseure versagen, besteht in der Fähig-
keit der Nachahmung, der Selbstentäußerung bis
t Tbestralieche PrabloM*'
zom völligen Aufgehen in einer anderen Peraöo-
licbkeit. Solche geborenen Schauspieler sind immer
vorhanden. Heute natürlich unendlich viel mehr
als früher, weil die Möglichkeit, bessere Theater-
vorstellungen zu sehen, heute für die allerbreiteateD
Schichten des Volkes besteht und dadurch die
SelbstentdeckuDg des darstellerischen Talentes un-
gemein erleichtert ist. Der Nachahmungstrieb
dieser geborenen Schauspieler muß sich selbst-
verständlich zunächst an das halten, was ihnen
Leben und Theater am häufigsten als Vorbild bieten.
Und daraus folgt, dafi immer für die Dichtungs-
gattung, die jeweils am meisten im Schwange ist,
die meisten und die besten Schauspieler zu haben
sein werden. Als durch den Erfolg der Meininger
das klassische Drama zu neuem Leben erweckt
wurde und nebenher, als mittlere Tagesproduktion,
das sogenannte Oberlehrerdrama mit korrekten
FttnffUSlern herlief und im unmittelbaren Anschluß
daran der feurige Wildenbruch mit dem Trompeten-
gesehmetter seines schwungvollen Pathos die BUhne
eroberte, da gab es überall Hünengestalten mit
markigen Organen, Intriganten mit erstaunlichen
Hakennasen, Basiliskenblicke tief unter buschigen
Brauen hervorschleudernd, vollbusige Heroinen mit
rollendem R und schlanke schmachtende Blondinen
mit zartem Diskant, soviel wie man haben wollte,
und darunter tüchtige Künstler, soviel man hillig
TheatraÜBchR Probleme <!
verlangen durfte. Dann kam faat über Nacht die
Hochflut des Naturalismus und überschwemmte
mit gräulich RChäumenden Wellen die Mamiorflieaen
der hehren Kunsttempel. Und siehe da! wie aus
dem Boden gestampft trat ein neues Geschlecht
von Menschendarstellern in die Erscheinung, welches
mit Stottern, Stammeln, Lallen, mit RäUBpern,
Husten und Spucken den feinsten Intimitäten der
Wirklichkeit heizukommen suchte und alle an-
geborenen körperlichen Mängel und Gehresten ge-
schickt in den Dienst des neuen Kunstprinzips eu
stellen wußte. Glücklich wer in jener Zeit über
0- oder XBeine, schiefe oder hohe Schultern, eine
abschreckende Visage oder gflnzliche Organlosigkeit
verfügte: der konnte sicher sein, von irgendeinem
feinfühligen Kritiker als großer Schauspieler ent-
deckt zu werden! Die deutsche Buhne hat nie so
viel glänzende Künstler gleichzeitig besessen wie
während jener naturalistischen Episode, weil da
auf einmal auch alle jene zum Teil vielleicht auch
wirklich starken Naturtalente sich zur Geltung zu
bringen vermochten, die sonst wegen Mangel an
schönen Mitteln nicht zu verwerten gewesen wären.
In jener herrlichen Zeit tauchte das kostbare Sehlag-
wort von der persönlichen Note auf, und es
wurde damit ein lieblicher Unfug getrieben, der
dem Kundigen viele heitere Augenblicke bereitete,
dem Theaterkritiker das Geistreichsein wesentlich
k ThMtnlisehe Problone
erleichterte uad das große Publikum im Banne
der Ehrfurcht erhielt. Von der unüberwindlichen
Abneigung gegen das Auswendiglernen des Dichter-
worteB bis zum chronischen Stockschnupfen wurde
jede menschliche Schwache durch das schöne Etikett
der persönlichen Note zu einer künstlerischen
Stärke erhoben. Und es gab tatsächlich in Berlin
eine Buhne, bei der die Gradgewachsenen und mit
schönen Organen begabten Mimen ihr Bündel zu
schnüren gezwungen waren, weil sie weder beim
Publikum, noch bei der Kritik, noch bei der Direk-
tion irgendwelches Interesse mehr fanden. Übrigens
hat diese naturalistische Episode der deutschen
Schauspielkunst außerordentliche Dienste geleistet
und eine wesentliche Klärung der Begriffe über
das Wesen des mimischen Talentes bewirkt. Das
naive Publikum ist immer geneigt, den Schauspieler
mit der Rolle zu verwechseln. Die sympathische
Gestalt eines Dichters wird für den harmlosen
Zuschauer zum Beweis für die edlen menschlichen
Eigenschaften des darstellenden Komödianten, und
der Dame, die die niederträchtigen Kanaillen, die
sogenannten Salonschlangen, darzustellen hat, geht
er auch auf der Straße bänglich aus dem Wege.
In der Zeit des Naturalismus haben wir es aber
erlebt, daß selbst hochgebildete, geistvolle Kritiker
wie die Fliegen auf diesen Leim krochen. Die
Dichter jener Zeit charakterisierten nämlich so
310 .
ausbUndig bis ins feinste Detail und waren in
ihren Spielvorschriften so peinlich akkurat, daß
dem Schauspieler wirklich fast nichts mehr zu tun
übrigblieb, als ein für die Rolle geeignetes Äußere
mitzubringen. Da konnte es geschehen, daß ge-
scheite Kritiker einem harmlosen Mitläufer, der
beim Shakespeare vielleicht gerade noch einen
dritten Meuchelmörder leidlich verkörpert hätte,
für eine Zukunftshoffnung der deutschen Bühne
ansahen. Als ich in München „Die Weber" zum
ersten Male zur Aufführung brachte, benutzte ich
die Gelegenheit eines lang andauernden Bäcker-
streikes, um mir aus den Herbergen etliche be-
sonders gefährlich und verhungert aussehende
Gesellen zusammenzulesen und mischte diese unter
das Volk der Weber. Zum Schluß des vierten
Aktes gab ich diesen Leuten Beile und Knüttel in
die Hand und sagte ihnen, sie dürften damit alles
auf der Bühne befindliche Mobiliar, in Sonderheit
die den Glasschranb anfüllenden Gegenstände von
Glas und Porzellan kurz und klein schlagen.
Natürlich führte ein jeder von ihnen seine Aufgabe
wahrhaft meisterhaft durch, und die Wirkung war
überwältigend.
Nachdem nun jener erfrischende Sturm des
Naturalismus so betrüblich rasch vorübergebraust
ist und Meister Hauptmann selber gern in schönen
Versen schwelgt, glänzende Sprachkünatler wie
HofiiiaD Ultimi sich die Bohoe erobert haben und
Shakospenre, dieBer unvergleichliche Rohstoff far
eine geniale Regiebearbeitung, wieder einen breiten
Platz im Repertoire einnimmt, sehen sich viele
von jeni'n Meistern des neuen Stils kaltgestellt
und die lieldischen Gestalten mit den „großen
Röhren" wieder triumphierend ans Licht gezogen.
Sollte aber der Symbolismus mit seinen lautlosen
Gespenstertritten und seinem seraphischen Geflüster
wirklich berufen Kein, den jetzigen wohltemperierten
Realismus abzulösen oder auch nur in das bunte
Stilgemengael eine neue Nuance hineinzutragen,
so werden unzweifelhaft auch für ihn alsbald die
vorbildlichen Künstler erscheinen; denn sicherlich
gibt es unter hektischen Männern und anflmiBchen
Mädchen ebenso gut schauspielerische Talente wie
unter den robusteren Mitbürgern. Was aber auch
die wechselnde Mode für Verwirrung anrichten
mag, der Maßstab für die Wertbestimmung des
Schauspielers wird immer seine Fähigkeit bleiben,
verschiedene Charaktere aus seiner Individualität
heraus zu gestalten, gut abgelauschte Einzelzfige
der Wirklichkeit zum Typischen zu erheben und
mit seinen äußeren Mitteln kunstgerecht umzugehen.
Ein angeblicher Menschendarsteller, der in jeder
Kollc derselbe bleibt, ist eben ein schlechter
Schauspieler und hat es lediglich als einen Glücks-
fall zu betrachten, wenn ihm einmal der Dichter
Theatralische I
eine Haut liefert, in die er liineinschlüpfcn kann,
ohne Falten zu werfen.
Die vorausgegangenen Betrathtungen dürften
uns überzeugt haben, daß das Theater kein selb-
ständiger Organismus sei, der aus eignem freien
Willen heraus das Publikum oder die Dichtung
wesentlich beeinflussen könnte. Es sind vielmehr
umgekehrt die Dichter und das Publikum, welche
das Geschick in ihren Händen halten, und zwar
die Dichter noch mehr als das Publikum. Das
letztere ist insofern eine Maelit, als es die materi-
ellen Mittel zum Unterhalt des vielköpfigen Orga-
nismus, den eine Bühne darstellt, gewähren muß.
Dem wirtschaftlich sehwachen Direktor gegeotlber
kann das Publikum zu einem furchtbaren Tyrannen
■werden, indem es ihn einfach zwingt, die ehrliche
anständige Kunst zum Hause hinauszujagen und
dafür dem blödesten Zeitvertreib, dem niedrigsten
Sinnenreiz Aufnahme zu gewähren. In Amerika,
wo auf dem Gebiete des Bohnenwesens der Kapita-
lismus in seiner rohesten Form herrscht und der
Wille der Massen eine Macht darstellt wie nirgends
sonst, sehen wir denn auch die Bühne vollkommen
der plumpsten Sensationsgier, dem launischen Sno-
bismus preisgegeben. Große, ächte Kunst vermag
dort nur zu existieren, solange es der Reklame
gelingt, dem reichen Pöbel die Notwendigkeit zu
suggerieren, dergleichen zu unterstützen, um den
«^^^*s^
Schein gebildeter Kennerschaft zu wahren. In
Europa rückt der immer wachsende Einfluß der
Weltstädte auf den Geschmack der Allgemeinheit
die Gefahr, gleichfalls in solche Abliäogigkeit vom
PöbelioBtinkt zu geraten, bedenklich nahe. Damm
ist die Abwehr des Amerikanismus eiaee
der ernsthaftesten Probleme fOr unser
Theaterwesen. Für uns Deutsche geht die
Gefahr selbstverständlich von Berlin aus, wo eine
Unmenge von Privattheateruuternehmungen um
ihre materielle Ksistenz ringt und im wütenden
Konkurrenzkam|]f schließlich jedes Mittel recht
erscheinen niu6. Gewiß wird in der Millionenstadt
die Summe verfeinerter Intelligenzen, die auf jeden
neuen Eeiz von seilen der Kunst leicht reagieren,
absolut eine viel größere sein als in irgendeiner
kleineren Stadt; ebenso aber ist auch die Masse
des geistigen Pöbels mit gemeinen Instinkten
absolut eine größere als irgendwo sonst. Folglich
ist es selbstverständlich, daß, nachdem das thea-
tralische Bedürfnis der Feinen und Anspruchsvollen
durch eine Reihe von guten Theatern reichlich
gestillt ist, andere Theater, für die kein so vor-
nehmes Publikum mehr Übrig ist, sich darauf ver-
legen müssen, dem Pöbel zu Willen zu sein. Daher
die Spezialbühnen für Pariser Cochonerien und
für die Massenevolutionen von Weiberbeinen. Das
Weiberbeiu en masse, wie es vornehmlich im Berliner
Theatralische Probleme «
Metropoltheater floriert, hat dort tatsächlich die
freundlich harmlose EuDSt des kleinen Mannes
endgültig zu Boden gestampft. Die Leute, die
ins Metropoltheater gehen, sind nämlich nicht bloß
die hohlköpfigen Lüstlinge, die genau wissen, was
sie dort suchen, soodera auch anständige Bürgers-
leute, die ihre Frauen mitbringen, biedere Land-
leute, vom kleinen Viehhändler bis zum Groß-
grundbesitzer, und alles das, was sich bis hoch
oben hinauf harmlos oder frivol Lehewelt nennt.
Dadurch, daß sie alle diese Theater täglich über-
füllt sehen und in den Zeitungen von den kolossalen
Erfolgen der neusten Schaustücke lesen, wird in
ihnen die Vorstellung erweckt, dergleichen Dar-
bietungen seien nicht nur ebensogut Theater,
sondern ebensogut Kunst wie das , was die
anderen Musentempel vorführen, nur daß es jeden-
falls viel amüsanter und sehenswerter sein müßte,
weil doch sonst die Leute sich nicht bo danach
drängen würden. Auf diese Weise werden breite
Schichten des Publikums, die ebenso leicht, wenn
auch nicht für die hohe, so doch für bessere Kunst
zu gewinnen wären, dafür verloren; denn wer sich
einmal daran gewöhnt hat, die Trikotparade, die
freche Zote und die seichteste Biermusik für einen
gleichberechtigten Faktor theatralihcher Kunst zu
halten, dem wird jedes mit reinen Mitteln arbeitende
Drama, jede edlere Musik, ja selbst das leichtere
» Theatralische Probleme
Lustspiel und die bessere Operette reizlos er-
sclieinen, Es geht also von den Theat«rD jener
An eine verderbliche Macbt aus, die auf die
geistige Kultur, auf die sittlichen Anschauungen
des Volkes einen unheilvoll herabziehenden Ein-
fluß ausübt. Leider sind nun auch noch die Preß-
verhältnisse in den Weltstädten so beschaffen, daS
ein entgegenwirkender Einfluß der Kritik nicht
stattfinden kann. In Berlin wenigstens fällt die
Aufgabe, über die Neuaufführungen des Metropol-
theaters und seinesgleichen zu berichten, nicht dea
«rnsLhaften, feingehildeten Theaterkritikem, sondern
irgendwelchen untergeordneten Berichterstattern
zu, und es bat sich die Gewohnheit herausgebildet,
Ober dergleichen Theater ebenso wie über Zirkus
Dnd Vari6t6 nur Lobeshymnen zu schreiben. Die
Presse geht dabei von dem an sich richtigen Ge-
sichtspunkt aus, daß selbstverständlich nicht davon
die Rede sein könne, an diese Dinge irgendwelchen
künstlerischen Maßstab zu legen, sondern daß mau
«8 hier einfach mit Vergnügungsgeschäften zu tun
habe, in welche ungeheuere Kapitalien hinein-
gesteckt werden müssen, damit sie sich lohnen,
und daß es nicht fair wäre, die kühnen Unter-
nehmer mutwillig zu ruinieren. Von dem Leser-
kreise einer Zeitung weiß aber noch nicht einer
unter Hundert, aus welchen an sich vielleicht
richtigen Theorien und Erwägungen heraus dieser
-316
Theatraliecbe pToblec
gänzlich verschiedene Standpunkt der Beurteilung
angenommen wird, nicht einer vom Hundert ist
imstande, gleich aus dem Stil des Theaterberichtes
zu erkennen , oh ein berufener Kritiker oder
ein gedankenloser Zeilenschreiber ihn verfaßt habe^
die natürliche Folge davon ist, daß die unzähligen
Tausende ohne Geschmackskultur und eigenes
Urteil zu der Meinung gebracht werden, in jenen
Lusttempeln würden herrliche witzige Geistes-
produkte in blendender Pracht vorgeführt, während
in den Theatern mit anständigen künstlerischen
Tendenzen die gänzlich kopflosen Direktoren Mühe
und Mittel an die Einstudierung langweiliger Mach-
werke von offenbaren Idioten verschwendeten.
Dasselbe Berlin, das mit seinem Metropol-
theater so geschmacksverrohend und kunstent-
fremdend wirkt, besitzt aber gleichzeitig in seinem
ausgezeichnet geleiteten Schillertheater ein Institut,
welches für eine solide Kunstpflege im volkstüm-
lichen Sinne geradezu musterhaft genannt werden
kann, und der außerordentliche Erfolg, welcher
schon zur Gründung verschiedener Filialbühnen
nötigte, beweist, daß für eine anständige dramatische
Kunst ein ebenso großes Publikum vorhanden ist
wie für eine unanständige- Ja vielleicht sogar
ein noch größeres ; denn rechnet man die Menschen-
scharen zusammen, die allabendlich die Schiller-
theater und die ungemein zahlreichen Veran-
: Theatraliscfae Probleme
Btaltungen der freien und oeuen freien VolksbOhne
wie sonstigen ^'e^einsvo^ltellnogeD in des guten
Theatern blR aufs letzte Plätzchen fallen, bo dorfte
wohl eine noch größere Totalsuniine sich ergeben
als wie aus der Addition der taglichen Besucher
des Metropoltheaters. Und diese riewißheit ist ein
schöner Trost, gibt eine freudige Zuversicht jedem
Vaterlandsfreunde, der die hohe volkserziehliche
Aufgabe des Theaters erkannl hat und mit Schrecken
die von der Weltstadt ausgehende Geschmacfcs-
verrohung im Lande wachsen sieht. Ohne solche
Abzugskanäle für den geistigen Pöbel, daB heifit
fßr die sogenannte Lebewelt der Weltstädte, wird
es allerdings schwerlich abgehen; aber die werden
keinen Schaden mehr stiften, wenn uur der Haupt-
strom in ein festes Bette gefaßt und die Volks-
aufklärung so weit gediehen ist, daß jene Kanäle
Lur nach ihrem sozial-hygieniachen Wert heurteilt
werden.
Diese Betrachtung führt uns darauf, für die
Klassifikation des Publikums einen zuverlässigen
Maßstab zu gewinnen. Es ist keineswegs der
Geldbeutel, der den höheren geistigen Rang ver-
schafft, sondern lediglich die Bildung und der
Hunger nach Bildung. Die Angehörigen der freien
Volksbühnen sind beispielsweise solche Bildunga-
hungrige. Zum Teil wirkliche Proletarier, in der
Hauptmasse aber solide Handwerker, technische
Theatralische Probleme <
Arbeiter höherer Art, kleine Gewerbetreibende und
dergleichen. Den festen Stamm der Freunde des
Schillertheatera bilden Leute von besserer Bildung
und ernsthaftem Streben zur Höherentwicklung,
denen aber für den Luxus keine Mittel verfügbar
Bind. Beamte aller Art, Kauf teute und vornehmlich
viele Lehrer, studierte jüngere Angehörige der
akademiechen und industriellen Welt, sowie viele
durch einen höheren Beruf selbständig gewordene
Frauen und Mädchen. Das ist das eigentliche
gute Theaterpublikum, wie es sich der Leiter eines
wirklichen Kunstinstitutes wünschen muß. Das
ist das Publikum, welches mitten im Leben steht
und dadurch von selbst zur Stellungnahme gegen-
über allen neuen Strömungen gezwungen wird.
Wenn nun auf der Bühne brennende Zeitfragen
behandelt werden, so wird dieses Publikum ein
sichereres Urteil darüber besitzen als jene Welt
des großstädtischen Snobismus, die gierig allen
Sensationen nachläuft, alle Artikel und Broschüren
liest, aber im Grunde doch von den bestimmenden
Triebkräften der Zeit und von der Seele des Volkes
nichts weiß. Das sogenannte elegante Publikum,
die Elite der oberen Zehntausend, die erßme de
la creme, wie sie sich zu den Premiören der meist
besprochenen Dichter drängt, darf man ruhig als das
schlechteste Theaterpublikum bezeichnen. Diesen
Leuten dünkt ein wüster Skandal, der vielleicht
a Theatralische Pniblei
din Lehenahoffnutig eines groBen Talentes endgültig
xerutört, für ein weit köstlicheres Erlebnis als eine
kUnstlehsclie Erhebung zu freudiger Andacht.
Daß im Jahre 18ii2 der Pariser Joekeyklub den
Tannhauser auspfiff, ist kein Akt überwujidener
geselle chaftlicher Roheit und künstlerischer Un-
kultur. Er kann sich alle Tage wiederholen. Und
in unserem berühmten Berlin von heute pfeift
nicht nur der Jockeyklub, sondern auch die Börse
and das Literaturcafä auf UausschlüESeln. In
solcher Premiere sitzt überhaupt fast gar kein
Publikum mehr. Die meisten Anwesenden gehören
ja selbst zum Bau oder bilden es sich wenigstens
ein. Von jener spezitisch modernen Bildung, die
man ohne jede wissenschaftliche Veranlagung, ohne
Religion und WeltauBchauung, durch Theaterbesuch
und Zeitungslektüre sich aneignen kann, sind ja
Bchließlich alle Angehörigen der oberen Zehn-
tausend mehr oder minder reichlich durchtränkt.
Sehr viele von ihnen werden durch den Nach-
ahmungstrieb und den Mangel an nützlicher Be-
schäftigung zu eigener künstlerischer Betätigung
verführt. Damit sind sie vom Fach, sind sie Partei
und halten sich für verpflichtet, ihren Sympathien
und Antipathien energisch Ausdruck zu geben.
Und wer nicht gerade selber dichtet, schauspielert,
komponiert und musiziert , der will sich doch
wenigstens als Kritiker betätigen. Kritische Be-
anlagung beweist man am besten dadurch, daß
man sich durch nichts imponiereu läßt. Wer noch
herzlich lachen, von Heldengröße sich leicht be-
geistern und vom Elend rühren lassen kann, der
gilt für einen Flachkopf; wer dagegen über alles
Alte, anerkannt Meisterhafte spöttisch die Achseln
zuckt, jede Art Ergriffenheit mit einem zynischen
Witz abzuschütteln versteht, dagegen sich mit
klingenden Phrasen als Propheten irgendeiner
dunklen Unzulänglichkeit oder gewollten Verrückt-
heit aufspielt, der kann sicher sein, zum mindesten
im Kreise ganz junger Leute als ein starker Geist
angestaunt zu werden. Von solchen stellungslosen
Kritikern, Kliquenhäuptlingen und jugendlichen
Stammtieehpropheten wimmelt es aber in jeder
Sensationspremifere. Und sie sind es hauptsächlich,
die das Schicksal des dramatischen Autors ent-
scheiden. Dazu kommen noch weit verzweigte
gesellschaftliche Eindüsse: Stand und Rasse des
Autors, seine persönlichen Beziehungen zu den
maßgebenden Kreisen, Der ächte Premiörentiger
sucht auch vorher schon über den Inhalt des neuen
Werkes, besonders über etwaige gefährliche Szenen
durch befreundete Schauspieler oder sonst wie
hinten herum etwas zu erfahren und legt sieh
daraufhin bereits die Witze zurecht, mit denen er
im Zwischenakt glänzen will. Auf diese Weise
ist oft schon vor dem ersten Aufgehen des Vor-
XXI
k Theatr&liache Problw
hangs Über einem neuen Werk Stimmung gemacht —
dafür oder dawider. Wie stark aber im Theater,
wie Oberhaupt in jeder MeuscheDaDSammlung auch
fOr den unbefangenen Eiuzelnea die Massen-
suggestion wirkt, dae hat wohl jeder schon an sich
selbst erfahren. Wenn die schöne Nachbarin ihr
Tüchlein an die Augen führt, so werde ich un-
willkürlich mitgeruhrt; wenn ein allgemeines
Käuspem, Husten, Scharren, Flüstern durch die
Reihen gebt, so werde ich unaufmerksam, wie sehr
ein Werk mich eben noch gefesselt haben mag,
Und wenn gar in einer ernsten Szene irgendein
zweideutiges Wort frivole Heiterkeit auslöst, so
ist es häufig selbst dem Bestgesinuten unmöglich,
seine Ruhe zu bewahren. Wehe dem unglücklichen
Autor, der sein Schicksal in die Hände eines
solchen Elitepublikuras gelegt bat! Dreimal wehe,
wenn er, die besonderen Verhältnisse der Weltstadt
und die besondere Psychologie dieses Premiören-
publikums nicht kennend, hinter den Kulissen
seinem Werke folgt und, am Aktschlüsse ein ge-
waltiges Brausen vernehmend, von einem Regisseur
gestoßen vor die Gardine taumelt, um mit Zischen,
Pfeifen, Hohnlachen und ironischen Zurufen emp-
fangen zu werden! Oder wenn ihm wirklich ein
einmütiger Beifall bis zum Schluß entgegenrauschte,
und er dann am anderen Morgen in der Zeitung
lesen muß, er sei ein hilfloser Dilettant, ein elender
TbeatnliBcbe l^robleme «
StUmper und sein Machwerk sei gründlich durch-
gefallen, abgetan für alle Zeit — durchgefallen
sei mit ihm auch jener Teil des Publikums, der
durch Klatschen seine geistige Inferiorität an den
Tag gelegt habe. Solche ungeheuerlichen Mißgriffe
in der Beurteilung, solche Orgien der Brutalität
wird sich das Volk im Schillertheater oder das
aus allen geistigen Schichten zusammengesetzte
Publikum einer guten Provinzbühne kaum jemals
zuschulden kommen lassen. 'Natürlich wird auch
die wohlwollendste Zuhörei'schaft einem Werke,
das der Moderichtung schnurstraks zuwiderläuft
oder über den Zeitgeschmack weit hinaus in eine
noch unentdeckte Zukunft greift, verständnislos
gegenübersitzen, und es sogar mit deutlichen Zeichen
des Mißfallens ablehnen. Das liegt in der Natur
der Dinge und ist darum wohl zu beklagen, aber
nicht zu ändern. Dagegen hat es das ehrliche
Talent, welches aus innerem Drange schafft, ohne
ängstlich um die Gunst einer bestimmten Partei
zu buhlen, durchaus in der Hand, sich vor den
Tücken eines Berliner Premiörenabends zu schützen,
indem es sich bemüht, sein Werk zuerst au einer
guten Provinzbühne herauszubringen.
Eine große Anzahl moderner Autoren ist denn
auch durch den Schaden so klug geworden, dies
zu tun, und es würde noch weit mehr zur allge-
meinen Gewohnheit unter den Dramatikern werden,
ieatr»liacb(! Probleme
neuii bei den Leitern der Proviazbühnea mehr
Initiative vorhanden wäre. Infolge dieses Mangels
braucht ein Werk, das die Feuertaufe in der
Provinz empfing, ganz uuverhSltnismäßig viel längere
Zeit, um von Buhne /.u BUhne zu dringen, als
wenn es sich durch einen Berliner Ersterfolg emp-
fehlen kfinnte. Das Verhältnis zwischen Berlin als
Theaterzeutrale und den Provinzbuhnen, wie m
sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet
hat , war für die deutschen Theaterleiter so
außerordentlich bequem, daß sie begreiflicherweise
nur ungern auf ein so behagliches Dasein ver-
zichten nii)gen. Es war nämlich für diese Herren
zur stlßen Gewohnheit geworden, überhaupt keine
Stücke mehr zu prüfen , sondern einfach die
Theaterberichte der Reichshauptstadt zu verfolgen
und dann die siegreichen Stücke vom Agenten zu
erwerben. Zu Uraufführungen entschlossen sie
sich nur in den seltenen Fällen, wo ein ortsan-
sässiger Dichter über einen starken gesellschaft-
lichen Einfluß oder als Angehöriger der Presse
über eine gefährliche persönliche Macht zu gebieten
hatte. Diese bequemen Herreu sind nun natürlich
durch die immer allgemeiner werdende Flucht der
Dramatiker von Berlin recht unliebsam in ihrer
Ruhe gestört. Die meisten \on ihnen besitzen
keineswegs die umfassende Bildung, die dazu gehört,
sich in dem wilden Stildurcheinander der modernen
TheatrftVische Probleme «>^NÄ..«NÄ„.^--^,,,^Na,,,.!SN^
internationalen Produktion ein maßgebendes Urteil
zuzutrauen. Und urteilsfäliige Dramaturgen stehen
ihnen nur in vereinzelten Fallen zur Verfügung.
Durch diese Umstände wird den Direktoren der
Entschluß und den Dichtern das Ankommeu be-
trächtlich erschwert. Man kennt ja das Scherz-
wort: Ein Stack schreiben kann jeder — aber es
zur Annahme bringen, das ist die Kunst! Der
Spaß ist leider blutiger Ernst — für die Opern-
komponisten noch mehr als für die Dramenschreiber.
Gewiß ist es ein Vorzug von Deutschland, daß wir
so außerordentlich viele mehr oder weniger un-
abhängige stehende Theater haben ; aber wo sollen
für alle diese Bühnen die wirklich berufenen
geistig selbständigen Leiter herkommen? Wer heut-
zutage den Beruf eines Dramaturgen und Regisseurs
wirklich erschöpfend ausüben will, der muß über
ein ungewöhnliches Wissen und eine universale
Geschmacksbildung verfügen. Und das wird na-
türlich, trotz der modernen Überproduktion auch
auf geistigem Gebiete, nicht so häufig zu Anden
sein, um die hundert und etlichen Direktorenposten
mit erstklassigen Männern besetzen zu können.
Zumeist sehen wir ältere Schauspieler dieses Amtes
walten ; aber wie häufig auch tüchtige Bildung
unter dem gegenwärtigen Schau spie! erstände an-
zutreffen ist, so selten findet sich unter diesen
Bühnenleitern die Vorurteilslosigkeit eines wirklich
»blem^^^l
t Thealniliftcti« Problenie
freien, erhabenon Standpunktes. Der Schauspieler
ist gewohnt, auch neue Werke uach dem Vor-
handensein bereits erprobter Wirkungen abzu-
schätzen. Der berahmte sichere Blick des Prak-
tikers beschränkt sich durchaus auf das Schon-
dagewesene. Das ünerprobte wird ihm immer
bange machen. Wir haben dann weiter als An-
wärter auf diese bosseren Direkt ionssessel jene
große Schar von akademisch gebildeten Theater-
enthusiasten, die meist auf dem Umwege Qber den
Journalismus in die Theaterkarriere hineinzukommen
sucht. Diese Leute sind oft theoretisch vorzüglich
beschlagen, versagen aber ebenso vollständig in der
Praxis. DicTecbnik des Bübnenwesens, die Kenntnis
der rechnerischen Grundlagen und die Taktik des per-
sönlichen Verkehrs mit Künstlern erfordern neben
angeborenem Talent auch eine längere Lehrzeit.
Endlich sehen wir auch oft reine Geschäftsleute
sich des Direktionszepters bemächtigen, ehemalige
Bierwirte und dergleichen. Und wenn das Glück
günstig ist und der Betreffende sich einem ge-
schickten Regisseur vernünftig unterordnet, geht
es manchmal auch so ganz gut. Von den „Nur-
Kavalieren" brauche ich nicht zu sprechen, die
früher lediglich durch Fürstengunst zur Belohnung
irgendwelcher Verdienste, die mit der Kunst wenig
oder nichts zu tun hatten, zu Hoftheaterintendanteu
befördert wurden. Dieser Typus ist bis auf wenige
TheatrAÜBcbc Probleme «
ganz vereinzelte Exemplare heute ausgestorben. Die
Persönlichkeiten, an deren Namen iu neuerer Zeit die
Entwicklungsgeschichte des deutschen Theaters mit
ihren wesentlichen Phasen anknüpft, sind alle Lite-
raten gewesen, welche sich in stetem Zusammenhang
mit dem Theater die nötige Praxis erworben hatten:
Immermann, Eduard Devrient, Laube, Dingelstcdt,
Wilbrandt, L'Arronge, Lindau, Brahm, und für die
Opernbühne bedeutende Kapellmeister von stark aus-
geprägter Persönlichkeit, wie Mottl, Mahler, Schucb.
Das ist das Natürliche, und dabei wird ca denn
auch wohl bleiben. Geniale Regisseure unter den
Schauspielern, wie z. B, Possart und Max Reinhardt,
bilden eine nicht häufige Ausnahme.
Die Hoftheater und die paar gut subventio-
nierten großen Stadttheater waren eigentlich be-
rufen, das Ideal dessen, was wir Deutschen von
unserem Theater verlangen, zu erfttllen. Leider
gibt es da aber auch wieder verschiedene Haken.
Das Theater ist keine Kleinkinderbewahranstalt,
und die Bühne, die sich der Behandlung der die
Zeit bewegenden geistigen Konflikte verschließt,
hat ihren eigentlichsten Beruf verfehlt. Nun sind
aber die meisten Hoftheater entweder tatsächlich
durch den ausgesprochenen Wille» ihrer hohen
Hausherren oder aber durch die (ingstliche Ein-
bildung ihrer Leiter dazu verurteilt, eine unwürdige
Rolle zu spielen. Kleine Prinzeßchen und be-
K Theatralische Problune
schränkte PfafTen sind selbBtverstäDdlich nicht die
richtigen Zensoren für eine BQhne, die ein Kultar-
faktor Bein will. Es kommt noch hinzu, daß die
verhAltRismIlSige finanzielle Unabhängigkeit, nament^
lieh in Städten, wo keine ernstliche Konkurrenz
vorhanden ist, die Leiter subventionierter Bahnen
leicht zu einem bequemen Gehenlassen verführt
Es soll Hoftheater geben, wo die neusten Novitäten
fünf bis zehn Jahre alt sind. Das ist zwar besser,
als wenn kritiklos sofort jedes Werk, das in Berlin
oft aus sehr unkunstlerischen Gründen Erfolg
gehabt bat, aufgeführt wird — aber schön ist es
deswegen doch nicht.
Man sagt immer, das Genie breche sich Bahn
unter allen Umständen, und alle feindseligen Maß-
nahmen einer verständnislosen Gegenwart könnten
ihm nicht dauernd den Weg verlegen. Ich halte
den Satz in dieser Bestimmtheit nicht fflr richtig.
Ich bin vielmehr überzeugt, daß gar nicht wenige
Genies an Unverständnis und bösem Willen zu-
grunde gehen. Entschuldbar ist die Mitwelt
freilich, denn es wird gar zu viel von ihr verlangt.
Allzu zahlreiche Hände strecken sich jedem Manne
in maßgebender Stellung entgegen und flehen,
bitten, drohen : nimm hier mein Werk — prüfe
es vor allen anderen — ich warte am längsten
darauf — ich hin der Würdigste — bei mir ist
die Not am größten — ! Wenn nun wirklich ein
die
ur- '
Theatralisclie Probleme
Theaterdirektor seine Ohren vor diesem viel-
stimmigen Geschrei nicht verschließt, sondern ge-
duldig alle Manuskripte entgegennimint, so muß
er zuerst die Arbeit des Lesens bewältigen, gedruckte
Bücher von ängstlichem Umfang, auseinander-
faJlende lockere Blätter in blasser, womöglich
fehlerreicher Maschinenschrift oder gar in rück-
sichtslos individueller Handschrift. Das ist schon
eine Geduldsprobe. Aber selbst ein pedantisch
gewissenhafter Dramaturg wird sich diesen Teil
seiner Aufgabe nach einiger Übung erheblich er-
leichtern können. Schon im flüchtigen Durch-
blättern kann er Thema und Tendenz des Werkes
erkennen, und aus verschiedeneu Akten entnommenen
Stichproben des Dialogs wird er, falls er überhaupt
verfeinertes Sprachgefühl und sicheren Geschmack
besitzt, erkennen können, ob der Verfasser ein
physiognomieloser Dilettant, ein geschickter, aber
schablonenmääiger Nachahmer oder aber ein ori-
gineller Kopf sei. Der größte Manuskripthaufen
wird immer der der unberufenen Stümper sein,
und der ist sehr rasch erledigt. Der eifrige Dramaturg
wird sich dann zunächst an die ganz wenigen
Originale heranmachen. Die muß er allerdings
sorgfältig und mit Zeitaufwand prüfen und sich
die Mühe nicht verdrießen lassen, den Verfassern
vielleicht recht ausführliche Briefe zu schreiben.
Dem einen wird er sagen müssen: „Junger Freund,
Sie PiDd ein Tollkopf! Die Frage, die Sie da be-
handeln. läBt sich unmöglich vor der Öffentlichkeit
erörtern ; aber versäumen Sie nicht , mir Ihre
künftigen Stücke zu schicken." Dem anderen wird
er schreiben: „Ihr StDck ist hochinteressant and
enthält eine Menge packender dramatischer Wir-
k ungen ; aber Sie kennen die praktischen Be-
dingungen des Theaters zu wenig. Besuchen Sie
mich doch einmal, damit wir eingehend über die
Verbesserungsmöglichkeiten reden. Wenn Sie 's
möglich machen können, so wohnen Sie in meinem
Theater längere Zeit täglich den Proben bei, und
wenn Sie nicht grundsätzlich einer Umarbeitung
abgeneigt und von Ihrer Unfehlbarkeit ttberzeugt
sind, so läöt sich sogar über einen — Vorsctiid^
reden." Die mittlere Sorte von Stücken, jen«!
handwerksmäßig paBsublen, haben die wenigst«'
Eile. Bei wirklichem Mangel an sicheren Novitäten
wird der gute Dramaturg allmählich auch dieses
Haufen durchstudieren, das beste bebalten und das
übrige mit knappen höflichen Redensarten zurück».
schicken. So weit ist die Arbeit an jeder geordr
neten Bühne von einem gewissenhaften Manne zu
leisten. Nun kommen aber die vielen praktischen'.^
Schwierigkeiten : so und so viel Stücke sind ange-
nommen und müssen kontraktlich in bestimmter
Frist aufgeführt werden. Woher die Zeit nehmen'
zu einer weiteren Einstudierung? Dann die
Thratmlisehe
Betzungsfrage. Kann das Werk trotz unleugbarer
Vorzüge nicht an der ungenügenden Darstellung
acheitern ? Und endlich die Frage der Ausstattung.
Sind die Kostüme und Dekorationen vorhanden,
oder was muß neu angeschafft werden? Wieviel
kostet das, und darf man das Risiko auf sich
nehmen? Wird sich das Publikum für diesen Stofif
interessieren? Wird es sich nicht durch die der
allgemeinen Strömung entgegenarbeitende Tendenz
abgestoßen fühlen? — Das sind Dinge, die kein
Mensch vorher wissen kann. Beim Theater
kommtimmerallesanders, wie das bekannte
Sprichwort der Leute vom Bau heißt. Ein Axiom
ist das freilich auch nicht, obwohl man zahlreiche
Beispiele aufführen kann, wo ein von bewährtestan
Fachleuten verworfenes Stück einen großen Erfolg
hatte, oder andererseits ein für durchaus sicher
gehaltenes Werk total durchfiel. Alte Bühnen-
praktiker und besonders Schauspieler leben, wie
schon bemerkt, in der Überzeugung, daß bereits
erprobte Wirkungen sich immer wiederholen müssen.
Und aus diesem Vorurteil erklären sieh ihre
häufigen Irrtümer. Da nun vollends die Wirkung
neuer Ideen, Situationen und Stilarteu auch vom
bewährtesten Praktiker nicht geahnt werden kann,
80 ist deren Scheu vor riskanten Versuchen durch-
aus begreiflich, Trotzdem aber darf man wohl
sagen, daß mit der ungeheuren Steigerung der
B Thpatraliflehc Probli
1
dramatischen Produktion durch die Vermehrung
der Theater auch die Nachfrage nach Neuheiten
sich in richtigem Verhältnis gesteigert habe. Es
werden also verhältnismäßig nicht mehr Talente
unentdeckt bleiben, wie das, bei der UnvoUkoramen-
heit menschlicher Einrichtungen, zu allen Zeiten
der Fall gewesen ist.
Das Hauptproblem des modernen Theater-
wesens scheint mir bei den SchalFenden zu liegen.
Erstens einmal sind ihrer viel zu viele! Über-
produktion ist ja auf allen Gebieten die schlimme
Kehrseite der glanzvollen modernen Kultur. Je
mehr Krieg, Pestilenz und Hungersnot abgeschafft
und durch die Massenproduktion der Maschinen
die schaffenden Hände überflüssig gemacht werden,
desto mehr verringert sich die Zahl der Konsu-
menten im Verhältnis zu den Produzenten. Diese
bedenkliehe wirtschaftliche Tatsache findet auf das
Gebiet der Kunst eben auch ihre Anwendung. Je
mehr Wissen, Geschmackskultur und ästhetisches
Bedürfnis Allgemeingut werden, je weniger wollen
sich die Leute damit bescheiden, Publikum, naiv
Genießende zu sein. Man kann bereits behaupten,
daS, zumal in den großen Städten mit starken
geistigen Anregungen, im Theater ebenso wie im
Konzertsaal oder in der Kunstausstellung ein er-
schreckend großer Teil der Besucher aus neidischen
Dilettanten, schwer gekränkten Verkannten und
TheatralJachu Probleme «
hochmütigen Besserwissern bestehe. Vor einem
solchen Publikum hat natürlich auch der Berufenste
unter den Schaffendeu einen außerordentlich
schweren Stand. Und wenn er gar die Psychologie
seines Publikums genau kennt und weiß, wessen
er sich von solchen Richtern zu versehen habe,
60 wird das seine ruhige Zuversicht, seine naive
Schaffensfreudigkeit natürlich von vornherein
lähmen müssen. Daraus erklärt sich das Krampf-
hafte, das Schwanken zwischen Ängstlichkeit und
Gewaltsamkeit in der gesamten künstlerischen
Produktion der Gegenwart. Um unter den Allzu-
vieleu bemerkt zu werden, strengt sich ein jeder
aufs äußerste an, um aufzufallen. Und durch
dieses Bestrehen werden die meisten verführt, ihrer
Natur Gewalt anzutun, über ihre Grenzen hinaus-
zugehen und die Spekulation an Stelle der In-
spiration zu setzen. Daher auch die äußerst un-
erfreuliche Erscheinung, daß jeder Erfolg einer
neuen Eigenart sofort eine Unmenge von Nach-
ahmern auf den Plan ruft, welche durch Über-
treibung des neuen Charakteristikums die Kon-
stellation auszunützen suchen. Ich brauche wohl
nur daran zu erinnern, was die eifrigen Ausbeuter
der Erfolge unserer letzten Originalgenies Wagner,
Ibsen, Maeterlinck für ein Unheil im Repertoire
der deutschen Theater angerichtet haben; zumal
durch die übermächtige Persönlichkeit Wagners
iat die iiiuBikdramatiHche Produktion unrettbar in
eine Sackgasse getrieben worden. Die in den
siebziger Jahren geborene Junge Generation pflegte
schon in ihrem Opus 1 mit Tristanpolyphonie und
Parsifalorchester zu arbeiten und suchte mit krampf-
hafter Anstrengung möglichst rasch und weit Qber
diese einfachen Anfangsgrunde hinauszukommen.
Nur dem einzigen Richard Strauß ist dies, wenig-
stens in bezug auf Anschaulichkeit der Tonmalerei
und neue verblüffende Instrumentationsefifekte, ge-
lungen — alle übrigen haben ihre Eigenart und
Ursprönglichkeit darüber verloren. Sie sagen
uns nichts Neues, sondern bringen das Alte in
ungenießbarer Form wieder. Es ist ein unver-
trägliches Mißverhältnis zwischen Inhalt und Form
dadurch entstanden, und nur wenige ganz gesunde
Naturen unter diesen Wagnerepigouen, wie bei-
spielsweise Humperdinck, Thuille und wenige
andere, sind dem Verderben dadurch entgangen,
daß sie ihre poetischen Vorwürfe den Grenzen
ihrer musikalischen Eigenart klug anzupassen
wußten. Wenn trotzdem für unsere moderne dra-
matische Produktion die Wertschätzung bei der
Allgeraeinheit und die Zahl der Aufführungen
ungefil.hr im richtigen Verhältnis zur wirklichen
Tüchtigkeit und Eigenart steht, so haben wir das
viel mehr dem gesunden Sinn des Publikums als
dem Bemühen der Kritik zu verdanken.
Theatralische Probleme <
Wir rühren damit an die aHerschwierigste
Frage. Man kann sieh sehr woh! eine Kritik vor-
stellen , die sachlich , geistig überlegen, streng,
unerbittlich und dennoch wohlwollend ist ; aber
die ist nur in seltenen Ausnahmefällen zu finden.
Statt dessen besitzen wir einerseits eine leicht-
ainnig frivole Kritik, die nur darauf ausgeht, den
Witz des Schreibers in helle Beleuchtung zu
rücken, und andererseits eine hochmütig schul-
meisterhafte Kritik, die sich allzu leicht in Ein-
seitigkeit verbohrt. Die letztere Gattung ist für
die Entwicklung des Theaters im allgemeinen wie
für die Förderung der Schaffenden im besonderen
wohl noch hemmender, ja verderblicher als die
erstere; denn in ihr konzentriert sich die Pflege
jener deutschen Erblaster: Überschätzung der
Vergangenheit auf Kosten der Gegenwart, des
Auslandes auf Kosten der Heimat und der pro-
fessoralen Würdeprotzerei auf Kosten urwüchsiger
Volkstümlichkeit. Diese Art von Kritik hat es
vornehmlich auf dem Gewissen, daß die neuen
Talente sich so selten getrauen, frisch von der
Leber weg zu singen und zu sagen, was ihnen
das Herz bewegt. Die bleiche Furcht, von der
strengen Kritik seicht, banal, oberflächlich, von
Vorbildern abhängig , unliterarisch , theatralisch
und wer weiß was noch alles Schreckliches befunden
zu werden, treibt alle unsere Künstler, aber ganz
Tomehmlich die dramatischen Dichter und Kompo-
nisten in Unnatur, Übertreibung, krankhafte Ori-
ginalitfttssncht und Überschätzung ihrer Kräfte
hinein. Manch einer, der in einer bescheidneren
Gattung vielleicht Vortreffliches leisten könnte,
gelangt auf diese Weise dazu, in einer höheren
Gattung Unzulängliches zu schaffen. Und die
ganze Ängstlichkeit, das Schwanken zwischen ver-
schiedenen Moderichtungen, der Mangel an Selbst-
vertrauen, wie der GröBenwahn — alle diese oft
geradezu grotesk in die Erscheinung tretenden
Leiden der modernen dramatischen Produktion
tinden ihre Erklärung durch jene Angst vor der
so akademisch autoritativ sich gebärdenden Kritik.
Sie hat es um so leichter, die schwächeren Geister
unter ihren Bann zu zwingen, als der deutsche
Volkscharakter so wie so zur Verehrung alles
Feierlichen, Würdevollen, Schwerverständlichen und
Fremdartigen hinneigt und sich des schönen Rausches
der Jugend, des Übermutes der Kraft und alloi
bloß zierlichen leichten Spieles eher zu schäma
als zu rQhmen pflegt.
Damit haben wir wohl die Erklärung für dlej
oft beklagte Tatsache, daß in Deutschland wedwJ
das Lustspiel noch die komische Oper auf einoiil
grünen Zweig kommen will. Die Kritik selbst!
ist vollständig ratlos, wenn man von ihr eiul
Definition dieser Begriffe verlangt. Wenn bei der J
Theatratiache Probleme ^
Erataufführung eines neuen Lustspiels fröhliches
Gelächter das Haus durchklingt und drastisch
komische Situationen, zumal an den Aktschlüssen
den hellen Jubel eines naiven Publikums erregen,
so kann man mit absoluter Sicherheit voraussagen,
daß die Kritik dem Autor mit mehr oder minder
ironischem Wohlwollen zu verstehen geben wird,
daß er keine Ahnung vom Wesen der feineren
Komödie besitze und nur eine grobe Vorstadtposse
zustande gebracht habe. Beweis: der Jubel des
genügsamen Publikums. Geht aber so ein unglück-
licher Koraödiensch reiber aus Angst vor solcher
Verurteilung allen starken komischen Effekten,
jeder karikierenden Übertreibung und jedem Witz
im Dialog aus dem Wege, so wird ein gesundes
Publikum sein Werk gähnend ablehnen und die
Kritik wird ihn wiederum väterlich wohlwollend
dahin belehren, daß zu einem Lustspiel Lustigkeit
gehöre. Und weil nun einmal leider bei uns Deut-
schen die freie Lustigkeit im Verhältnis zur
steigenden Eildung abzunehmen und der volks-
tümliche Begriff von Lustigkeit so leicht mit derben
oder gar rohen Spaßen zusammenfällt, andererseits
es der Kritik auf keinen Fall recht gemacht werden
kann, so gibt sieh eben der Dichter, der auf seine
Würde als literarisch gebildeter Mensch Wert legt,
mit der komischen Gattung überhaupt nicht ab,
■udern überläßt die Versorgung der Bühne mit
t Thefttnäuche Probleme
den nun einmal unentbehrlichen Lustspielen den
weniger ehrgeizigen Theaterindustriellen. Es ist
wirklich ein Jammer! Unsere größten Geister haben
zwar die Komik keineswegs verachtet, selbst aber
gar kein Talent dafür besessen. Was Goethe unter
dem Namen Lustspiele in seine Werke autgenommen
hat, ist einfach blamabler Schund. Schiller, als
reiner Pathetiker, mußte natürlich im Lustspiel
auch gänzlich versagen, und einzig Lessing hat in
seiner Minna eine Komödie zustande gebracht, die
fOr seine Zeit und für das geschilderte Milieu
wohl charakteristisch und auch im allgemeinen
nicht ohne Anmut und Humor, aber doch des
Ruhmes als deutsches Muster- und Meisterlustspiel
durchaus unwürdig ist. Die wirklichen Humoristen
unter unseren Dichtem ersten Banges, wie bei-
spielsweise Fritz Reuter, Gottfriöl Keller, Theodor
Fontane, Wilhelm Raabe haben zu^lliger weise gar
kein dramatisches Talent besessen. — Oder ist
das kein Zufall? Kann aus einem Volke, bei dem
sich der Eintritt der Pubertät durch das Verfassen
von Trauerspielen und herzzerreißenden lyrischen
Gedichten anzukündigen pflegt, kein genialer
Komödiendichter geboren werden? — Wir haben
einen solchen — und er hat uns die deutsche
Muster- und Meisterkomödie hinterlassen; ich meine
Anzengruber und seine „Kreuzelschreiber" (und
gleich hinter dieses geniale Werk ordne ich des-
Theatraliacbe Probler
selben Mannes „G'wissenBwurm" ein); aber in den
deutschen Schullesebüchern wird davon wohl noch
lange nichts zu lesen stehen, wohingegen das Schwer-
gewicht professoraler Autorität sich vermutlich
noch etliche Generationen lang für die unvermeid-
liche Minna ins Zeug legen und dadurch dem
deutschen Bildungsphilister die Überzeugung er-
halten wird, daß ein literarisch wertvolles Lust-
spiel ohne eine gehörige Portion Langeweile nicht
auskommen köone. — In einer ebenso verzwickten
Lage befindet sich der deutsche Komponist, der
zwischen der Operette und der großen Oper einen
seinem Talente zugänglichen Mittelweg sucht.
Fallen ihm leicht faßliche Melodien und flotte
Rhythmen ein, so wird man ihn in die Operette
verweisen; und wenn er aus lauter Angst vor der
Trivialität schwerfällig und gesucht wird, so wird
man ihm sagen, zur komisehen Oper gehöre vor
allen Dingen leichte melodische Erfindung und
flotter Rhythmus. Es fällt mir nicht ein, die Kritik
zum alleinigen Sündenbock machen zu wollen; sie
leidet ebensogut wie die Schaffenden an den oben
gekennzeichneten deutschen Erbübeln. Und auch
dem ganzen großen Publikum hängt, wenigstens
soweit es durch höhere Schulen gelaufen ist, der
I alte deutsche Zopf fest angewachsen im Rücken;
^ aber hier ist eine lohnende Aufgabe für alle, die
an der ästhetischen Erziehung des Volkes beteiligt
Bind. fOr alles, was Literatur lehrt, für die Presse,
für die Theaterleiter: hier güt'fl ein Umwerten
alter Werte — hier heißt es dem Volke einen
neuen Maßstab für seinen Geschmack in die Band
geben, indem man es lehrt, in allen Kunstdingen
das Wie über das Was zu stellen, nicht große und
kleine Gattungen, würdige und unwürdige Gegen-
stände der Behandlung, sondern bedeutendes und
geringes Können, eine würdige und eine unwürdige
künstlerische Behandlung desselben Gegenstandes
gegeneinander abzuwägen. Wenn in der allgemeinen
Schätzung seiner Volksgenossen der Meister des
Komischen dem des Tragischen gleichwertig be-
funden und dem Ei-schütterer der gleiche feurige
Dank wie dem Erheiterer gespendet wird, dann
werden wir sicher auch in Deutschland, trotz
unserer selteneren und minderen Begabung für
das Heitere, Anmutige, auch auf diesem Gebiete
Meisterwerke ernster und erster Meister zu er-
warten haben.
Ich bin am Schlüsse meiner Betrachtung an-
gekommen. Daß man durch Reden und Artikel-
achreiben all die Übelstände nicht ausrotten und
gründliche Reformationen nicht ohne weiteres be-
werkstelligen kann, weiß ich natürlich sehr wohl.
Ich meine nur, daß jeder, der Erfahrung und
offenen Blick genug besitzt, um über gewisse Ver-
MltDisse ein verständiges Urteil abzugeben, dies
Theatralische Probleme <j
nicht uQterlassea solle, wena er auch zunächst
nichts anderes damit erreicht, als eine Anzahl
gutwilliger Menschen zum Nachdenken anzuregen.
Ist ein ganzes Volk von der Notwendigkeit der
Reformen durchdrungen, dann sind sie auch durch-
zuführen. Und ich habe ja in meinen Ausführungen
zu zeigen versucht, daß wir im Grunde mit unserem
Theaterwesen recht zufrieden sein können, daß es
viel weniger der Reformen als der Erkenntnis
einiger übler nationaler Erbfehler bedürfe, um uns
von jenen Hemmungen einer gedeihlichen Ent-
wicklung loszumachen und drohende Gefahren ab-
zuwenden. Das gilt vor allen Dingen von der
Gefahr des Amerikanismus. Die können wir aller-
dings nicht ernst genug nehmen; denn wenn die
allgemeine Tendenz zur Gleichmacherei, zur Ver-
götterung des Nützlichkeitsprinzips, wie sie durch
die Leichtigkeit des modernen Verkehrs begünstigt
wird, bei uns auch auf dem Gebiete der Künste
und Wissenschaften siegt, dann hat unser altes
Europa überhaupt seine Rolle ausgespielt. Was
hei uns Deutschen insbesondere bisher für eine
unglückliche Schwäche gehalten wurde , nämlich
unsere Eigenbrödelei, unser querköpfiger Indivi-
dualismus, unsere vielen Vaterländer auf einem
so kleinen Stückchen Erde, unsere vielen Zentren
und Residenzen des Geistes und der besonderen
Vornehmheit — das ist heute unser letzter und
bedeutendster Vorzug gegenüber jener neuen Weit,
welcher das Wesen der vereinigten Staaten den
Stempel aufgedruckt hat. Bewahren wir uns mit
energischer Eifersucht unsere Besonderheit, so
werden wir auch für eine fernere Zukunft noch
bleiben können, was wir bisher der Welt gewesen
Bind: die geistigen Anreger, die Neuschöpfer, die
Problem- und Fragesteller, der tiefe Brunnen idealer
Erquickung! Das Theater spiegelt uns in seinem
Spiel das Bild der Welt im kleinen wider, wenn
es seine Aufgabe richtig erfaßt. Und darum darf
auch der ernste Menscli, ohne seiner Wtlrde etwas
zu vergeben, das Theater ernst nehmen; darum
ist auch jeder, der sich nach seinen Kräften mit«
bemüht, unserem deutschen Theater seine schöne
Eigenart zu erhalten und verderbliche EintlUsse
der Fremde abzuwehren, ein wahrer Freund des
Vaterlandes. Deutschland gegen Amerika — das
muß auch in Theaterdingen für jeden Weit*
blickenden die Losung fUr die Zukunft sein !
Vom
alten und vom neuen Weimar
Ein Rückblick und ein Ausblick
(1908)
\ --»;
i
Das kleine Weimar mit seinen 32000 Ein-
wohnern verfügt jetzt dank der Freigebigkeit seines
Landesherrn und der glücklichen Leistung des
ausgezeichneten Münchener Baumeisters Littmaun
über eines der schönsten und überdies praktisch
vollkommensten Theater Deutschlands.
Seltsam feierlich und zugleich doch tief weh-
mütig wurde mir ums Herz, als zum ersten Male
in diesem schönen BauBe wie von uDSicbtbaren
Ufern her die gewaltigen Tonfluten der Orgel, mit
strahlenden Hörner- und Posaunenchören vermischt,
daherbrausten. Es waren die Tonfluten einer neuen
lärmenden Zeit, die das gute alte Weimar mit
seinen hochherrlichen und süß ■ traulichen Er-
innerungen unter sich begrub. Schlummert es nun
da im Mär eben träum, ein anderes Vineta? Oder
wird es auch für die Zukunft eine glückliche Insel
bedeuten, an deren festen Ufern die gierigen "Wellen
mit viel Spektakel sich die Köpfe einrennen und
zu eitel Schaum zerscheiten V
y^ Vo;ii alten und vom oeuen Weimar
Als ich vor nuDmehr dreißig Jahreo nach Be-
endigung meiner Studien in Ilm-Äthen mich nieder-
ließ, erschien mir das als etwas ganz Selbatver-
ständliches für einen jungen Menschen, der sich
zum Poeten berufen glaubt. Freilich durfte ich
mich mehr als andere junge Musensöhne in Weimar
heimatberechtigt fühlen , da die teuersten Er-
innerungen meiner Familie mit der klassischen
Glanzzeit aufs innigste verwoben sind. Waren
doch mein Großvater und mein Großoheim Mit-
schüler Schillers auf der Karlsschule und ihm
sein Leben lang innig befreundet gewesen. War
doch der Großoheim Wilhelm später in Weimar
Schillers Schwager und Goethes Kollege im ge-
heimen Rat geworden, mein Großvater schon als
junger Offizier Schillern bei seinen Studien über
den dreißigjährigen Krieg und den Vorarbeiten zum
Wallenstein behilflich gewesen, nach des Dichtei's
Tode aber, als General, Vormund seiner Kinder
geworden. Außerdem lag unser Famitienbesitz im
Großherzogtum, den mein Großvater von der Fa-
milie v. Kalb erworben hatte, angrenzend au das
Besitztum der Frau v. Heygendorf, wo Karl
August und Goethe so oft weilten. Aus meiner
frühesten Kindheit erinnerte ich mich noch der
Erzählung einer munteren Greisin aus unserem
Dorfe, die dabei gewesen zu sein behauptete, wie
der junge Herzog, von dem nichtsnutzigen jungen
Vom alten und v
HeriTi V. Goethe verführt, in unserem Parke mit
Pistolen nach der Bibel geschossen hätten!
Was Wunder, wenn es mich da mit liebreich
gewaltiger Lockung nach dem alten glorreichen
MuBensitze zog. Nicht nur so, wie man als junger
Mensch einmal einer verehrungswürdigen Ehren-
tante der Familie einen Anstandsbesuch abstattet,
sondern wirklich aus der festen Überzeugung heraus,
daß jenes friedsame thüringische Städtchen auch
beute noch als die treue Pflegemutter alles deutschen
Idealismus, aller deutschen Poeterei und hoch-
Btrebenden Künstlerwelt überhaupt anzusehen sei.
Und ich fand damals der Enkel noch mehrere
vor. Der Legationsrat a. D. W o 1 f g a n g v. Goethe,
den ich als junger Student noch kennen gelernt
hatte, war zwar jüngst gestorben, aber Walter
V. Goethe hauste noch in dem stattlichen Hause
am Frauenplan, ein einsamer schrulliger Junggeselle,
der aber doch noch zuweilen bei Hofe erschien
und dort einmal im kleinsten Kreise sogar eigne
musikalische Kompositionen zum besten gab. Und
der Enkel Schillers, Ludwig Freiherr v. Gleichen-
Eußwurm, in der Gesichtsbildung und Körper-
länge seinem Großvater sprechend ähnlich, malte
dort seine merkwürdig grünen Landschaften, von
den meisten Kunstgenossen als ein malender Baron
über die Achsel angesehen, von einigen wenigen
aber damals bereits als ein meisterhafter Könner von
Tom fttten und Tom Denen Vmmax I
großer Kraft und persönlicher Anschauung erkannt.
An der Kunstschule hatten Böcklin, Genelli,
Praller, Gussow, Thedy gewirkt, und nun-
mehr lebten und schufen dort vorbildlich Theodor
Hagen, Brendel, Linnig Vater und Sohn,
Struys, Graf Kalckreuth der Jüngere, Fritz
V. Scbennis und eine Menge andere, später gleich-
falls zu hoher Anerkennung gelangte Maler. Regel-
mäßig mit der warmen Frllhlingssonne kehrte Liazt
in seine Sommerresidenz an der Hofgärtnerei ein und
machte Weimar auf einigo Monate zum Mittelpunkt
der fortschrittlichen Musikbewegung des ganzen
zivilisierten Europas. Dieser wunderbare, gütige,
temperament- und weisheitsvolle Greis, der seit dem
Jahre 1822 eine Weltberühmtheit gewesen, ttberall
und nirgends daheim, vergöttert wie kaum je ein
Künstler vor ihm, hatte sich das kleine Weimar aua-
erwählt, um ihm durch wahre Großtaten selbstlosester
Hingabe an das Werk von ihm zuerst erkannter
genialer Begabungen den verblichenen Glanz des
alten Ruhmes neu zu vergolden. Er war es, der des
verbannten Wagners „Lohengrin" nach Über-
windung zahlloser Schwierigkeiten zum ersten Male
in Deutschland in dem kleinen dürftigen weimarischen
Hoftheaterchen aufführte. Er war es, der, allem
Gespött und noch größeren Widerwärtigkeiten zum
Trotz , die erste und noch immer beste deutsche
komische Oper neuen Stils, Peter Cornelius'
4
Vom alten und vom neuen Weimar
„Barbier von Bagdad", hier auf die Bühne
stellte, nachdem er vorher bereits dem großen
französischen Bahnbrecher einer neuen Instrumen-
tationskunst, Hektor B e r I i o z , den gleichen Dienst
erwiesen. Zu meiner Zeit waren es die damals
noch gänzlich unbekannten jungen Russen und
Tschechen , denen er seine starke Hand mit auf-
munterndem Lächeln entgegenstreckte. Kammer-
musik und Lieder von Smetana und Dvofak
erklangen, von Weimarschen Künstlern aus dem
Manuskript vorgetragen, zum ersen Male im Salon
der Frau v. Mejendorff, einer geistig hoch-
bedeutenden Russin, geborenen Prinzessin Gort-
sc h a k o w , die neben ihrer Kunstbegeisterung noch
so viel ächte Freundschaft und praktischen Ver-
stand übrig hatte, um dem großartig sorglosen und
grenzenlos gutmütigen Meister Liszt das Seinige
einigermaßen zusammenzuhalten und ihn vor allzu
gröblicher Ausbeutung zu schützen. Auch Hans
V, Bülow sprach ziemlich regelmäßig, wenigstens
einmal im Jahre, bei seinem Exschwiegervater vor
und erwies ihm bei der Gelegenheit dann jedesmal
einen Liebesdienst, zu dem einzig nur er taugte,
indem er die vielen zudringlichen Talentlosigkeiten,
die der langmütige Altmeister nicht loszuwerden
wußte, durch seine göttliche Grobheit davonscheuchte.
Freilich kamen die meisten dieser lästigen Über-
tiüssigen, die Bülow zur Vordertreppe herunter-
349
Vom alten nud ^
1 neuen Weimer
befördert hatte, sobald er den Rocken gekehrt,
durch ein Hinterpförtchen nieder herauf. In einer
ärgerlichen Aufwallung boU er einmal in späteren
Jahren den Abb6 einen alten Komödianten ge-
scholten haben — aber man braucht dergleichen
nicht tragisch zunehmen: es gehört allerdings eine
beträchtliche Portion Eomödiantentalent dazu, um
mit so wahrhaft königlicher Würde, wie Liszt das
verstand, die Gottheit der Musik für ganz Europa
zu repräsentieren. Wagner, der impetuose kleine
Sachse, verstand diese schwere Kunst jedenfalls
nicht und wäre an den vielen schwierigen diplo-
matischen Aufgaben, vor die ihn das Werk von
Bayreuth stellte, oft genug kläglich gescheitert,
wenn er nicht Frau Cosinia zur Seite gehabt hätte,
die als ächte Tochter Liszts jenes königliche Ko-
mödiantentalent geerbt hat. Daß Hans v. Bülow
mit Wonne boshaft sein konnte , weiß die Welt.
Ich erfuhr es gleich am selben Tage, an dem ich
ihm in Weimar zuerst vorgestellt wurde. Er hatte
mit Liszt zusammen vierhändig gespielt. Ich hatte
die Noten umwenden dürfen. Und als dann die
musikalischen Vorführungen zu Ende waren, hatte
ich, meinem ausgeprägten OrdnungsHinn folgend,
den Klavierdecbel geschlossen. BüIow bemerkte
das, kam auf mich zu, drückte mir mit ironischem
Lächeln die Hand und sagte: „Ich sehe, Sie sind
gut musikalisch. HotTentlich sind Sie aber nicht
1 Weimar i
SO wie Ihr Bruder in Bayreuth." Den-
selben Bülow habe ich aber auch schon ächte Tränen
vergießen sehen , als er nach einer besonders ge-
lungenen Aufführung des „Tristan" -Vorspiels in
einem Berliner Philharmonischen Konzert, in dem
er unter andern auch eine Brahms- Symphonie di-
rigiert hatte, ins Künstlerzimmer trat und dem
ihm zunächst stehenden Freunde fast schluchzend zu-
flüsterte: „Ach ja — das waren doch andere Zeiten!"
Es sei mir gestattet, hier eine Schilderung des
Liszt'schen Kreises einzufügen, die ich im Jahre
1884, noch unter dem frischen Eindruck des jüngst
Erlebten für die „Tägliche Rundschau" verfaßte.
Das heilige Originalpflaster, welches einst
Goethes und Schillers Füße traten, hat im Laufe
der Jahrzehnte wohl einem profanen neuen Platz
machen müssen, aus welchem kein Pegasus mehr
Hippokrenen hervorstampft, aber dennoch weht es
noch manchmal wie vom hohen Olymp herab über
das freundliehe Ilm-Athenchen dahin und andere
Musen schlagen ihr Lustgezelt dort auf — wenn
Altmeister Franz Liszt in den ersten warmen
Frühlingstagen sein Quartier in der Hofgärtnerei
wieder bezieht. Dann gewinnt mit einem Mal das
Leben und Treiben der Residenz einen ganz anderen
Charakter, Im Winter dreht sich alles um den
Hof, das Theater und die Kunstschule, von welchen
drei Instituten das letztgenannte den meisten Lärm
zu machen sieb bestrebt. Wöchentlich zweimal
rollen die Hof- und Miets-Equipagen, mit den fa-
mosen kanariengelben Droschken vermischt, in den
SchloÖhof; der „alte und der junge Hof lassen
abwechselnd tanzen. Das Theater ist stets gut
besucht und leistet meist recht Anerkennenswertes,
besonders was die Fölle der gebotenen Novitäten
betrifft. Die Kunstschule zankt sich und regt sich
fortwährend auf; der Künstlerverein gibt seine
Feste, welche mit geringen Mitteln oft Reizendes
bieten, doch auch ihm nagen die Mäuse und Ratten
des Parteihaders und des Neides au den Wurzeln,
so dafi es ihm sauer genug gemacht wird, sich grün
zu erhalten und Blüten zu treiben.
Wenn aber der herrliche Park sich in seine
duftige Frühlingstoilette geworfen hat, erscheint
eines schönen Tages in der Zeitung „Deutsch-
land" ein rührendes Gedicht, in welchem namens
des Lenzes, der Blümelein und Nachtigallen
der Meister willkommen geheißen wird. A. W. G.
ist der Hymnus unterzeichnet, und der Hm- Athener
weiß darauf ein Anagramm von thüringisch-gemüt-
licher Grobheit zu machen, weiches den hyperbo-
lischen Stil des A. W. G. volkstümlich derb und
deutlich kennzeichnet — altesWeimarsches Gärluder!
Und mit dem Meister nahen sich auch all-
jährlich die schwankenden fragwürdigen Gestalten
seiner Schüler und Schülerinnen, Ach, was seh'
i
4
I
Vom alten und vom neuen Weimar i
ich! Da ist ja wieder die junge Dame mit den
sehr kurzen Kleidern, sehr bunten Strümpfen und
aufgelösten Haaren ; da ist die fesche Ungarin mit
den großen kohlschwarzen Augen und dem vielen
Reispulver im Gesicht; jene Schöne hat ja immer
noch den riesigen purpurnen Rembrandt auf dem
Kopf, und da sind die jugendlichen Jünglinge, welche
voriges Jahr mit den russischen Hemden und tür-
kischen Fezeu heruraspazierten ; ob sie wohl heuer
chinesische Mandarinenhüte mit Glöckchen auf-
setzen werden? Sie gerieren sich sehr ungeniert
auf der Straße, diese Genies — denn das sind sie
natürlich samt und sonders — sitzen im Hotel
Ghenmitius alle an einem Tisch, sprechen und
singen sehr laut, kurz, sie suchen auf jede mög-
liche und unmögliche Art aufzufallen, und erreichen
meist glänzend ihren Zweck. Ob sie noch ein
weiteres Lebensziel verfolgen, weiß ich nicht, denn
man hört später selten etwas von ihnen. Als
„Liszt-Schüler" treten sie in mittleren Provinzial-
städten auf, werden von den Lokalberichterstattern
ä la A. W. G. vielleicht als „hürnene Siegfriede,
welche klavieristische Lindwürmer bezwingen", ge-
priesen und versinken nach ein oder zwei Konzert-
tournees gewöhnlich in das Dunkel des Klavier-
pädagogentums , wenn's gut geht ! Solange sie
noch ihren König und Hohenpriester so bunt und
lärmend umschwärmen, mit ihm von einem Ort
XXfll,
II nenen Weimar
zum andern ziehen, so lange sie noch Genies sind
mit einem Wort, leben und lieben sie in dulci
jubilo, und wenn sie sich genötigt sehen, irgendwo
eine Kleinigkeit schuldig zu bleiben, da wendet die
allzeit offene Hand des grundgütigeu Meisters das
Unheil von ihren Häuptern ab. Die wirklich her-
vorragenden Schüler sieht man selten in der Kum-
panei jener Korybanten und Mänaden. Die Eugen
d'Albert, Vera Timanoff, Martha Remmert, Karl
Pohlig und ihresgleichen sitzen zu Hause vor dem
Instrument und meißeln im Schweiße ihres An-
gesichts an ihrer möglichsten Vollendung, und zu
ihnen gesellen sich auch die bescheidenen armen
Schlucker, welche sich damit begnügen, im Dunst-
kreise des Meisters zu leben und ohne Rast und
Buh von früh bis abends spät an der Zerrüttung
ihrer (und ihrer Nachbarn) Kerven zu arbeiten,
um möglichst bald vor Sein Angesicht treten zu
dürfen und Ihm Seine Don Juan-Fantasie oder
sonst einen „Lindwurm" vorbändigen zu können.
Das Spielen bei offenen Fenstern oder nach zehn
Uhr abends ist in Weimar bei Strafe verboten,
aber dennoch dringen die dumpfen Kanonendonner
der Oktavenpassagen und das Kleingewehrfeuer-
Gleknatter der Terzenläufe und Akkordentriller noch
durch die klirrenden Fensterscheiben hindurch und
bestreichen auf allen Straßen und Gassen die Ohren
des harmlosen Spaziergängers mit ihrem Kreuzfeuer.
Vom altCQ und vom neuen Weimar ■
Da kommt der Meister die sonnige Marienstraße
herunter, im langen schwarzen Rock, einen geist-
lichen Hirtenhut auf dem prächtigen Greisenkopf
mit dem langen, sehlichten weißen Haar und ele-
gante Halbschuhe an den Füßen. Der Herr mit
grauem Backenbart und ausrasiertem Kinn zu seiner
Rechten ist Hofkapellmeister Eduard Lassen, dessen
reizende Lieder Überali gesungen werden, dessen
köstliche Faustmusik aber noch viel zu wenig be-
kannt ist. Und zur Linken des Abbös geht Na-
poleon der Große in leibhaftiger Gestalt, nur im
bürgerlichen Gewand unserer Tage : das ist Konzerte
meister Kömpel, der Lieblingaschüler Spohrs, einer
der vorzüglichsten deutschen Geiger , aber dem
reisenden Virtuosentum so abhold, daß sein Name
nie so berühmt geworden, als er es verdiente.
Die drei Herren gehen zum musikalischen
Nachmittag zu Frau von Meyendorff. Folgen wir
ihnen dahin. — Die Baronin — eine wahrhaft vor-
nehme Dame mit einer außergewöhnlich gründlichen
Bildun g — ist eine der treuesten Freundinnen
und Verehrerinnen Liszts und nimmt ihm, so lange
er in Weimar ist, alle irdischen Sorgen und Ge-
schäfte ab. Sie versammelt die Elite der Aristo-
kratie und der Kün stierschaft in ihrem Hause;
auch der Hof ist häufig anwesend. — Man spielt
ein neues Streichquartett. Liszt klopft applaudierend
Beine gewaltigen Hände zusammen : „Hm — Ha —
t Vom nlten niid Tom nraen Wefnur
Pcha Bravo!" Kr springt auf uad klopft
den KüDstlero freundlich auf die Schulter. Eis
wird herumgereicht. Der Meister ist in goldiger
Laune, er rückt mit geinein Stuhl in einen Kreis
von Damen, immer plaudernd, lachend, scherzend,
streichelnd und klopfend; denn volle Arme und
weiße Nacken liebt er sehr, und die Prinzessin X.
und die Gräfin Y. wird so gut gestreichelt und
geklopft wie das schOchterne junge Mädchen, das
ihm zum ersten Mal etwas vorspielt. Wer wollte
auch diesem herzensguten, liebenswürdigen Greise
eine kleine Freiheit übelnehmen; kommt doch das
alles so natürlich heraus und gehört so unzertrenn-
lich zu seinem ganzen Wesen wie dies, trotz der
berühmten Warzen, so ideale, durchgeistigte, grund-
gütige und darum auch schöne Gesicht,
Jetzt trägt ein junger Komponist sein neuestes
Klavier-Konzert vor und Liszt setzt sich an das
zweite Instrument, um die Begleitung der Orchester-
partitur auszuführen. Wie fein und diskret er
das tut, sich ganz dem libitum des Solisten unter-
ordnend! Gefällt ihm eine Stelle besonders, so
schmunzelt er behaglich und wirft einen freund-
lichen Blick in die Runde; dann ziehen sich wieder
seine buschigen Augenbrauen zusammen, besonders
bei kräftigen breiten Fortestellen, und sein Kopf
markiert den energischen Rhythmus. So geht das
Stück zu Ende und der Meister beklopft den glück-
Vom alten und vom neuen Weimar i
liehen jungen Künstler und sagt ihm allerlei An-
erkennendes. Zu verstehen ist er übrigens sehr
schwer, da er gewöhnlich Deutsch und Französisch
durcheinandermischt und nach jedem dritten Wort
einen unartikulierten Laut einfließen läßt, der
etwa wie „Pcha!" (mit gutturalem ch) klingt. Das
Ende der Rede ist aber gewöhnlich: „Hm! —
charmant — pcha! bravo!"
Jetzt setzt sich Liszt selbst an den Flügel, um
seine neueste Komposition nach dem Manuskript
zu spielen. Wie gebannt lauscht der Kreis der
Anwesenden dem mehr als siebzigjährigen Zauberer,
dessen wuchtige Griife in dem einen Augenblick
ein ganzes Korps von Trompeten , Zinken und
Pauken aus dem Flügel herausschmettern und
dröhnen lassen, während im nächsten Augenblicke
von seinen leicht auf und niederhusehenden Finger-
spitzen flimmernde Tonkaskaden sprühen. Es gibt
keine Musik, die so schwer verständlich wäre, daß
Liszts Spiel und vor allem der Ausdruck seines
Gesichtes beim Spiel sie nicht vollständig klarzu-
machen verstünde. Bei wilden, ernsten, dämonischen
Stellen runzelt er die Stirn ein wenig, der breite
Mund zieht sich mit den Winkeln etwas nach
unten, das Auge blickt ernst und gerade vor sich
hin — er sieht ganz Beethovensch aus! — Dann
kommt vielleicht ein sehnsuchtsvolles Cantabile —
das Antlitz erbeut sich, die Fältchen um die milden
(1 n«aeii Weinikr
Augen zucken leise, und seine Blicke sucheD die
einer schönen Frau. Jetzt wird die Modulation
etwas verwickelt — er neigt den Kopf, wie am
feiner zu hören, ein wenig seitwärts und nickt be-
friedigt, wenn das siegreiche Thema wieder aus
dem harmonischen Defilee herauskommt. Bei be-
sonders trotzigen, seltsamen Akkordenfolgen wirft
er auch wohl einmal ein halblautes Pcha! dazwischen
und läßt die Hände aus ansehnlicher Höhe auf die
Tasten fallen. Nun wird der Charakter des Stückes
humoristisch — wie lächelt und lacht da jeder
Muskel in seinem Gesicht! Wie schleudert er über-
mütig die Triller und Läufe heraus, und bei einer
recht unerwarteten, bizarren Wendung zieht er die
Augenbrauen hoch, öffnet den Mund und lacht wohl
gar laut, oder er wirft den Kopf zurück und
macht über die Achsel eine scherzhafte Bemerkung.
Ich habe Liszt nie Öffentlich spielen sehen und
weiß nicht, wie er sich dabei geberdet, aber ich
weiß, daß ich entschieden das Beste vermissen
würde, wenn ich ihn einmal nur spielen hörte.
Dies beredte, wunderbare Minenspiel ist der zu-
verlässigste Leitfaden durch alle moderne Musik,
den man sich denken k:inn. Übrigens würde man
sehr irren, wenn man sich die Wirkung dieser
mimischen Beredsamkeit als affektiert oder komiseh
vorteilen wollte. Nein, sie ist der eigenste Ausdruck
einer ganz originalen künstlerischen Individualität,
Vom alten und vom neuen Weimar i
ohne Spur von Affektation. Mir wenigstens hat sie
einen unauslöschlichen Eindruck gemacht und mir
das Verständnis erschlossen für all die Extra-
vaganzen des Kultus, welcher mit diesem wahrhaften
Genius getrieben worden ist. Die Abende und
Nachmittage der Frau von Meyendorff gehören zu
meinen schönsten künstlerischen Erinnerungen,
denn hier durfte ich den ganzen Liszt genießen.
Bei den musikalischen Abenden, die ich in seinem
Hause erlebte, spielte er nicht seihst, wenigstens
nicht solo, und die große Anzahl der Geladeneu
gestattete nicht jene Zusammenfassung des Interesses
auf die Person des Meisters. — Darf ich bitten,
mir zu einer Soiree bei Liszt zu folgen?
Seine Wohnung in der Hofgärtnerei besteht
nur aus einem Vorzimmer, einem Salon und einem
Schlafzimmer. Alle Türen sind geöffnet und die
zahlreichen Gäste stehen in kleinen Gruppen bis
auf den Korridor hinaus in lebhaftem Geplauder.
Der Kammerdiener des Abb^s, früher ein edler
Grieche Namens Spiridion, jetzt ein Italiener von
geheimnisvoller, hoher Abkunft, regiert vom Vor-
zimmer aus die aufwartenden Hof lakaien und sorgt
für Speise und Trank. Es gibt erst Tee mit
Kuchen, welcher präsentiert wird; später, in der
großen Pause, bedient man sich selbst von deu
hohen Bergen feiner Sandwiches und von den
Wein- und Biervorräten. Ein Essen im Sitzen geht
I Weimar ^^H
Im ^^M
„Ameis- ^^M
redet in ,^H
d trinkt ^M
um Uiin ^M
natürlich in diesen eogen Räumen nicht an. Im
Vorzimmer drängt Bich besonders der ,Ämeis-
Wimmelhanfen" der dunkleren Genies; er redet in
verschiedenen Zungen, gestikuliert, ißt und trinkt
viel und stürzt auf den Meister zu, um ihm
frenetisch die Hände zu küssen, sobald er sich im
Vorzimmer blicken läßt, um einen oder eine von
ihnen zum Spielen aufzufordern. Zwei Hofequipagen
rollen durch das geöffnete Gartentor. Liszt und
Frau von Meyendorff gehen den Herrschaften bis an
die Haustür entgegen. Man macht, so gut es bei
dieser Enge und Fülle von Menschen geht, eine
Gasse.
Der Groflherzog, eine hohe, schlanke Gestalt,
ganz Kavalier der alten Schule, schreitet, Frau von
Meyendorff am Arm, freundlich grüßend durch die
sich mehr oder minder anmutig verneigende Schar
der Gäste, ihm folgt am Arme Liszts die Prinzessin
Elisabeth, eine liebenswürdige, kluge und musika-
lische junge Dame, ein kleines Gefolge von ganz
wenigen Hofchargen schließt sich an.
Im Salon sehen wir Hans von Bülow mit seiner
schönen Tochter Daniela, die trotz ihrer neunzehn
Jahre schon eine vollkommene Dame der großen
Welt ist und mit "Witz und Anmut eine Kon-
versation zu leiten weiß — Eigenschaften, die sie i
von ihrer Iiochbedeutenden Mutter, Frau Cosima
Vom alten und vom neaen Weimar i
Wagner, überkommen hat. Der untersetzte Herr
mit dem schwarzen Haar und Backenbart, den
hocLgezogenen Augenbrauen und dem schwarzen
Horn-Pincenez ist Baron von Loen, der Intendant
des Hoftheaters. Die beiden Damen in roten
Garibaldi-Blusen sind die Töchter Adolf Slahrs,
welche sehr beliebte Klavierlehrerinnen sind und
zu den bekanntesten Erscheinungen Weimars ge-
hören. Der stattliche Mann mit dem rötlichen
Vollbart und der Brille ist Professor Müller-
Härtung, der verdienstvolle Leiter der sehr tüchtigen
Orchesterschule. Dort sehen wir den schwärme-
rischen A. W, G. in lebhafter Unterhaltung be-
griffen mit einem alle überragenden, breitschultrigen
Herrn : daa ist der treffliche alte Gille aus Jena,
das Urbild des deutschen opferfAhigen Musik-
Euthusiasteu. Lasseu , der Liebenswürdige , Be-
scheidene, fehlt natürlich auch nicht. Die übrigen
sind meist fremde, durchreisende Künstler.
Das Konzert hat begonnen. Durch die offenen
Fenster des Salons weht weiche Frühlingsluft
herein , und die leisesten Flügelklänge begleiten
die klagenden Seufzer einer Nachtigall, die draußen
im mondbeglftnzten Park ihr Liebchen lockt. Alles
lauscht aufmerksam und stumm, nur der „eher
maJtre" selbst gestattet sich hie und da eine halb-
laute Bemerkung , ein schmunzelndes „Pcha —
bravo!" Er setzt sich nachher selbst ans Klavier
Vom alten and vom neuen Wei
und begleitet eioen juogen Geiger. Die Produktio^'^
ist eine recht mäßige , aber der Meister ist doch
sehr freundlich zu ihm, um ihn vor der Gesellschaft
nicht zu blamieren. Der junge Mann, der zu den
Myrmidonen gehört, wird im Vorzimmer von seinen
Kollegen mit Fragen bestürmt; „Qu'est ce qu'ü a
dit?' „Wos hot erg'sogt?" Klaviervortr&ge aller
Art — Zwei- und Vierhänder — wechseln mit
Gesang angenehm ab. Meistens sind ee die hervor-
ragenden Schaler , welche hier zeigen , was sie
können, doch auch fremde Künstler kommen an
die Reihe. So trägt ein russisches Sängerpaar
nationale Duette vor, mit mächtigen Stimmen und
prächtigem Ausdruck. Der Meister wechselt während
des Konzertes öfters seinen Platz und gibt stets
selbst das Zeichen zum Beifall. Schließlich setzt
sich auch Hana von Bülow an den Flügel und
begleitet einer Sängerin einige von ihm selbst
komponierte Lieder. Dieselben sind etwas lang-
atmig f(lr meinen Geschmack, und ich ziehe mich
daher in das gleichfalls geöffnete Schlafzimmer
zurück, das fast so einfach und schmucklos ist als
das Goethes. Eine spanische Wand verdeckt das
Bett; am Fenster steht eine Kommode mit einem
kleinen Bücherbrett darauf, welches ausschließlich
Breviere, Gebetbücher und dergl. enthält.
Pause. Mao ißt und trinkt, und die Herr-
schaften unterhalten sich aufs liebenswürdigste mit
1
Yora alten und vom neuen Weimar
den Künstlern. Liszt tritt ins Vorzimmer und wird
förmlich angefallen von seinen jungen Damen, denen
allen er etwas Freundliches zu sagen hat. — Wie
sie ihn aber auch dafür verehren! Die Gerechtig-
keit, die er in den Äußerungen seines Wohlwollens
gleichmäßig gegen alle walten Itlßt, und sein ehr-
würdiges Alter sollten wohl die jungen Damen vor
Torheiten bewahren, aber immer noch reißt die
blinde Eifersucht auf die Gunst des Meisters sie
hie und da zu merkwürdigen Betätigungen ihrer
Leidenschaft hin. Vor wenigen Jahren noch sah
sieh der Kammerdiener genötigt, eine solche junge
Dame handgreiflichst zurückzuweisen, die sich den
Zutritt zum Meister erzwingen wollte, während
eben eine, wie sie glaubte, bevorzugte Mitschülerin
seinen Unterricht genoß, und die aufgeregte
Schöne schwur blutige Rache , nicht nur gegen
ihre Nebenbuhlerin, sondern auch gegen den
Meister selbst. Schon manche trübe Erfahrung
verdankt dieser seiner schier unbegrenzten Lang-
mut und Herzensgüte, aber immer wieder verleitet
sie ihn dazu, seinen Unterricht, seine tatkräftige
Unterstützung Unwürdigen angedeihen zu lassen.
Über die künstlerischen Qualitäten der Genies hielt
einmal Hans von Bülow, als er den Schwiegervater
einst in der Lehrstunde vertreten sollte, fürchter-
liche Musterung und wies in seiner erhabenen
Grobheit mehreren unwürdigen Eindringlingen
Vom alten und vom dcucii Weimar
energisch die Tür — aber was halfB? Sie kamen
zum Hinterpförtchen wieder hinein, und der Meister
trocknete ilire Tränen!
Soweit meine Schilderungen vom Jahre 1884.
Den gesellschaftlichen Mittelpunkt dieses frisch
lebendigen Weimar vom Ende der siebziger und
Anfang der achtziger Jahre bildete der groß-
herzogliche Hof. Das ist weder eine Selbstver-
ständlichkeit noch eine höfliche Luge. Denn das
es nicht so sein niuB, beweist die Tatsache, die
wir heute itlle vor Augen haben, daß nämlieh vom
Hofeprotegierte Kunst und die tatsächlich fahrenden
Cieister in ganz verschiedenen Quartieren hausen.
Es ist höchstens in München anders, wo wenigstens
die bildenden Künste und die Musik bei einzelnen
Mitgliedern des Herrscherhauses einer wirklich
verständnisvollen Teilnahme begegnen und die be-
treffenden Künstler auch mit ihrer Person den
fürstlichen Gönnern ohne ängstliche Rücksicht-
nahme nahetreten, wogegen selbst der temperament-
vollste, kunstverständigste und modernste unter
den gegenwärtig regierenden Fürsten Deutschlands,
der Großherzog von Hessen, im allgemeinen nur
aus kühler Höhe dem Treiben zuschaut und sieh
nur für ein engbegrenztes Sondergebiet persönlich
einsetzt. Großherzog Karl Alexander aber, der
als Kind noch auf Goethes Knien gesessen , war
wirklich ganz und gar durchdrungen von seiner
I
Vom alten iinU vom u
Pflicht als Hüter des ererbten kostbaren Schatzes;
aber diese heilige Pflicht war für iho zugleich
Lebensinhalt und höchste Lebensfreude geworden.
Dieses letzte in Deutschland lebende Urbild eines
vollendeten Grandseigneurs des 18. Jahrhunderts
mit der etwas steifbeinigen Würde, der niemals
auf billige Popularitätshascherei, etwa durch bur-
schikoses Sich gehenlassen oder anmaßende Leut-
seligkeit ausging, dieser vollkommene Edelmann,
dessen angeborene Hoheit kein Menschenkenner mit
Dünkelhaftigkeit verwechseln konnte, dieser rück-
sichtsvolle, fast schüchterne Mann, dem alles Laute,
Plumpe, Unmanierliche in der Berührung mit der
Öffentlichkeit ein Greuel war und der vermöge
seiner zeretreuten, stotternden Sprechweise in den
Verdacht gekommen ist, der Urheber so mancher
unfreiwilliger Serenissimusscherze zu sein — dieser
selbe Mann war im engen Kreise seiner bevorzugten
Künstler, Gelehrten und etlicher feingebildeter
Kavaliere der liebenswürdigste Wirt, der dankbarste
Zuhörer und sogar der beredteste, kenntnisreichste
Plauderer. Seine Anrede an mich, so oft er meiner
im Cercle der Hofgesellschaft ansichtig ward, be-
gann unvermeidlich mit den Worten: „Es freut
mich ungemein, Sie hier in diesen Räumen be-
grüßen zu dürfen, wo Ihre hochverehrte Frau
Großtante" .... usw. Und dann pflegte er nach
einigem Besinnen die Frage folgen zu lassen:
w ^
^^^|^^Sk^''9vS''9 Vom alten and vom neuen Weimar ^^^|
„Kennen Sie die Gedichte von Heinrich Vierordt?" ^^M
Wodurch ich mich schließlich in die Zwangslage
versetzt sah, diese Gedichte kauflich zu erwerben.
Seit ich aber die stereotype Frage zum erateD Male
mit ja beantwortet hatte, waren diese Gedichte
ein für allemal erledigt.
"Wie anders aber im kleinen, von ihm selbst
geladenen Kreise, wenn der Fürst sich nicht unter
dem lähmenden Drucke des Zwanges befand, jeden
der zahlreichen ihm gleichgültigen Anwesenden
mit ein paar freundlichen Worten zu beglücken!
Dann befand man sich einem vornehmen welt-
gewandten alten Herrn gegenüber, der mit Ver-
gnügen, mit innerer Anteilnahme seinen jüngeren
Gästen aus dem Schatze seiner Erinnerungen, Er-
fahrungen und Kenntnisse zu spenden hatte. Dann
schleppte er wohl eigenhändig aus seiner kostbaren
Sammlung von Handzeichnungen alter Meister
Mappen herbei und wies uns die einzelnen Blätter
mit den Erläuterungen eines geschmackvollen Kenners
vor, oder er erzählte von seinen Reisen, von seinen
Begegnungen mit bedeutenden Persönlichkeiten der
Vergangenheit und Gegenwart. Oder er verstand
es — das ist auch ein wertvolles Talent für einen
Fürsten — das Gespräch in einer Weise anzuregen
und zu lenken, daß der Geladene Gelegenheit be-
kam, seine eigenen Kenntnisse und Ansichten über
dasLieblingsgebietseinesKachdenkens auszukramen.
Vraa ältea und vom ueoen Weimar <
WenB Liszt in solchem engsten Kreise hei Hofe
erschien, war es besonders interessant. Der Groß-
herzog trat dann ganz bescheiden vor seinem be-
rühmten Gaste zurück und überließ es ihm, das
Gespräch nach seinem Geschmack zu leiten, wohin
es ihm beliebte. Von Gespräch war dann freilieh
wenig mehr zu spüren : Liszt erzählte und die
andern hörten zu. Und da Liszt ebenso wie der
Großberzog seine stärksten Jugendeindrücke dem
Paris der vierziger und fünfziger Jahre verdankte,
so spielten Erinnerungen an diese Zeiten und die
bedeutsamen Persönlichkeiten, die ihnen den Stempel
ihres Geistes aufgeprägt haben, die erste Rolle in
ihren Gesprächen. Und wir spät Geborenen durften
eine posthume Bekanntschaft machen mit Georges
Sand, Alfred de MuSRet, Chopin, Heinrich
Heine, (Liszt hatte ihn noch in gesunden Tagen
gekannt), Eossini, Meyerbeer, Victor Hugo
und zahlreichen anderen in Kunst, Wissenschaft
und Politik bedeutsamen Persönlichkeiten aus den
Tagen Louis Philipps und Napoleons des Dritten.
Häufig wurde ich auch allein zum Großherzog be-
schieden, um ihm Über die neuen Erscheinungen
auf dem Gebiete der schönen Literatur Bericht zu
erstatten und ihm daraus vorzulesen. Ich trug dem
Fürsten unter anderen fast den ganzen „Tannhäuser"
von Julius Wolf f vor, der damals eben erschienen
war, denn alles, was von seiner überaus geliebten
Tom alteD und vom neuen Weimar
Wartburg handelte, konnte von vornherein auf ein
günstiges Vorurteil bei dem derzeitigen Burgherrn
reebnen. Er erkannte aber doch damals schon die
etwas billige Mache in dieser effektvollen Butzen-
scheibenpoesie. Und als ich ihm später einmal
den „Heiligen" von Konrad Ferdinand Meyer aus
Westermanns Monatsheften, wo die Dichtung eben
erchienen war, vorlas, entging ihm der gewaltige
Unterschied zwischen diesen beiden Poeten keines-
wegs. Als ich dann mehrere Jahre später einen
öffentlichen Vortrag über moderne Lyrik in Weimar
hielt, dem auch der Großherzog anwohnte, versuchte
ich ihn für die Idee zu gewinnen , einen neuen
Dichterkreis nach Weimar zu ziehen, für welchen
ich ihm Liliencron, Bierbaum, Uartleben,
Holz, Dehrael, Henkell und die Brüder
Heinrich und Julius Hart vorschlug, wenn ich
mich recht erinnere. Dem Großherzog war der
Gedanke sehr sympathisch, und ich mußte ihm auf
der Stelle ausrechnen, was seine Verwirklichung
ihn wohl kosten könne , worauf er sie jedoch mit
einem ehrlichen Seufzer vorläufig beiseiteschob,
denn die Mittel, die ihm zur freien Verfügung
standen, waren nur sehr beschränkt, und die Frau
Großherzogin spendete aus ihrem großen Vermögen
lieber für Schulen und Öffentliche Wohlfahrtsein-
richtuügen als für Übermütige Lyriker und der-
gleichen lockeres Gesindel.
i
Vom alten und vom neueo Weimar j
Aber was gab es auch außerhalb des höfischen
Kreises in dem guten alten Weimar für Pracht-
gestalten, alte Originale, komische Käuze, weisheits-
volle alte und draufgängerisehe junge Leute! Im
Genelli-Zimmer des kleinen Gasthofes zum Adler
hockte fast allabendlich eine Tafelrunde mehr oder
minder sonderbarer und doch für einen lernbegierigen
Menschen ersprießlicher Gesellen beitiammen. Da
war der alte Dichter Julius Grosse, Sekretär der
Schillerstiftung, der den überaus kennzeichnenden
Beinamen „Der vertrocknete Flußgott" führte, da
waren einige der älteren und jüngeren Mitglieder
der Kunstschule, soweit sie allgemeineu Interessen
und philoBOphischen Disputen zugänglich waren,
sowie einige intelligentere Mitglieder des Schau-
spiels und der Oper wie Jocza Savits und Max
Martersteig. Der merkwürdigste von allen aber
war Otto Lehfeld, jener letzte Komödiant großen
Stils. Wenn die Wogen der Debatte hochgingen
und die Köpfe sich vergeblich erhitzt hatten bei
der Lösung der letzten Fragen, dann fuhr wohl
der alte runzliche Mime aus dumpfem Vorsichhin-
brüten empor, gebot mit einer gewaltigen Geste
Schweigen und führte mit dem ihm eigenen, stets
wirksam zugespitzten Zynismus die Lösung aller
noch so verworrenen Streitfragen auf die einfache
Formel zurück : „Kinder, erhaltet euch eure Mannes-
kraft, — das ist die beste Philosophie!" Er sagte
n
Vom Ktten und vom neuen Weimar
nicht 80. Er sagte es mit unvergeßlichen, aber
unsagbaren Worten. Und wenn erat einmal ein
solches Stichwort gefallen war, dann hatte Otto
Lehfeld für den Rest der Nacht das Wort allein.
Eine glänzende Anekdote reihte sich an die andere,
fast ausnahmslos kräftigst papriziert, aber immer
durch die Originalität des Ausdrucks überwältigend.
Der Schluß dieser Sitzungen war gewöhnlich der,
daß Lehfeld sich bei dem Leben seines einzigen
Kindes hoch und teuer verschwor, es solle nie mehr
eine Zote über seine Lippen kommen; was aber
keineswegs ausschloß, daß er uns nicht noch auf
dem Nachhausewege einige Prachtstücke aus seiner
reichen Sammlung servierte.
Das waren die Alten. Ks trieb sich aber
auch junges Volk genug herum, in dem es brauste
und gärte, und das dann später seine Eigenart
mehr oder minder glänzend zur Geltung gebracht
hat. "Unter den Lisztschülem machten sich d'Albert,
Reisenauer, Dingeldey, Siloti, Fried-
heim, Pohlig, Stavenhagcn besonders be-
merkbar. Im Theater wirkten der junge Achen-
bach, genannt AI Vary, und der junge Scheide-
mantel nebeneinander. Ein bleistiftdünner, hoch-
aufgeschossener Jüngling mit langwallenden blonden
Locken, Schulte vom Brühl, versuchte mit gttthen-
dem Eifer seine Kraft auf alten Gebieten der
Dichtkunst, Helene Böhlau begann als schwär-
I
Vom Klten und vom neuen Weimar i
meriBches, seltsames juDges Mädcheu mit ihren
ersten novellistischen Versuchen Aufmerksamkeit
zu erregen und in Gabriele Reuter erblickte man
allgemein mit innigem Mitleid eine zarte Btume,
die zu frühem Welken bestimmt sei. Ich trug sie
einmal die Treppe hinauf in eine Geseilschaft, weil
sie sich so überaus schwach fühlte und so leicht
beim Steigen krampfhafte Kustenanfälle bekam.
Federleicht war das langaufgeschossene Mädchen.
Und dann hat sie dennoch gesiegt im Kampfe mit
dem Tode und, was noch schwerer war, auch im
Kampfe mit dem Leben und all seinen dummen
grausamen Vorurteilen, und ist durch die vorbild-
liche Tat ihres Lebens eine wirksamere Vorkämpferin
für die Frauenbewegung geworden als die meisten
Zungen- und federgewandten Agitatorinnen. Sie
hat uns eine reiche Ernte kluger, gemütvoller,
feiner Bücher beschert. Und heute leuchten aus
dem immer noch jugendfrischen Gesicht unter dem
früh schneeweiß gewordenen Scheitel die großen
sanften Augen so verständnisvoll begreifend und
verzeihend lächelnd in die tolle krause Gegenwart
hinein.
Das war das Weimar von damals. Von denen,
die dort mit mir jung waren, sind nur einige
wenige treu auf dem Posten geblieben. Die aber
damals schon reif waren und dem geistigen Leben
den Stempel ihrer Persönlichkeit aufdrückten, hat
fast alle der Tod hinweggerafft. Und nun ist auch
das alte liebe Hoftbcaterchen spurlos verschwunden-,
verschwunden die Bühne, die seit 1825 so manchen
stolzen Triumph der klassischen Kunst, so manchen
heiäen Kampf des Alten mit dem Neuen erlebt
hat ; verschwunden sind die Iraulich-dämnierigen
Proszeniumslogen, in denen Karl August und Karl
Alexander ungesehen dem Sjiiele zuschauten, Franz
Liszt, beim Schein einer Kerze in der Partitur
nachlesend , den Aufführungen moderner musik-
dramatischer Werke folgte; verschwunden ist der
durch Thackerays „Vanity fair" zu drolliger Be-
rühmtheit gelangte erste Rang, in welchem der
Adel links, das Bürgertum rechts saß und die
Damen eifrig ihre Handarbeiten förderten. Über
der altgeweihten Stätte erhebt sich nun der neue
stattliche Bau als ein glänzendes Zeugnis modernen
Geschmacks und praktischer Ausnutzung aller in
Betracht kommenden Errungenschaften der Technik.
Keck steigen die Sperrsitze bis fast zur Höbe des
ersten Ranges hinauf. Auf diesem selbst gibt es
kein Verstecken und Absondern der Stände gegen-
einander mehr. Mit den Proszeniumslogen sind
die letzten Schmoll- oder Kosewinkel für die Be-
vorzugten gefallen. Um! selbst den bescheideneu
Besuchern des hohen Olymp ist ein bequemer Platz
mit ungehinderter Ausschau beschert und keine
düstere niedrige Decke mehr untertänig gesenkten
r
Vom alten and vom neuen Weimar
Köpfen in bedrückende Nähe gerückt. Vor der
Majestät der Kunet seid ihr alle gleich —■ das
soll diese neue Anordnung wohl symbolisch au^
drücken.
Sollte nun wohl dieses neue Weimar mit
dem neuen Spielhause berufen sein, in reiner Ge-
sinnung der Majestät der Kunst würdig zu dienen?
Ist es überhaupt noch möglich und ersprieß-
lich, der großen Kunst abseits von den Großstädten
in stiller Abgeschiedenheit der Provinz festliche
Heimstätten zn erbauen ? Konzentrieren sich nicht
all die großen Mittel, die sie zu ihrer Ausführung,
alle Intelligenz, die sie zu ihrer Auffassung be-
nötigt, in den paar Welt- und Großstädten? Und
schließlieh: ist es nötig, den geistigen Frieden der
Kleinstadt durch den leidenschaftlichen Kampfschrei
neuer Tendenzen, neuer Probleme in Inhalt und
Form des Kunstwerkes zu stören und kann aus
der Billigung oder Mißbilligung eines so harm-
losen Publikums eine wertvolle Förderung im
Kampfe des Neuen mit dem Alten erwartet werden?
Ich möchte diese Fragen heute bestimmter denn
je zu Gunsten der Kleinstadt beantworten
und in Sonderheit zu Gunsten der paar durch eine
ruhmreiche Tradition geweihten Kunststätten
Deutschtands, die sich der Förderung durch einen
hochherzigen, freigebigen Fürsten erfreuen. Die
modernen Verhältnisse bringen es mit sich, daß
■> neuen Weimst^^^^
in der Welt-^H
1 durchaus ab-^^H
die Kunst, und besonders das Theater, in der Welt-;
Stadt von geschäftlicben RQcksicbten durchaus ab-
hängig ist. Der wilde Konkurrenzkampf zwingt
die Unternehmer iu eine fieberhafte Jagd nach der
Sensation hinein. Das Unerhörte von gestern muß
um jeden Preis durch das Nochnichtdagewesene von
heute überboten werden. Und das Publikum wird
mit bineingerissen in diesen Wirbel. Es wird
gründlich dadurch verdorben, zum blasierten
kritteln und Allesbesserwissen systematisch erzogei
zum ruhigen Genießen unfähig gemacht. Eine
Bereicherung und Klärung des allgemeinen Eunst-
bedürfnisses, der Ansprüche an vernünftige Ent-
wicklung kann auf solche Weise nicht herbeigeführt
werden. Es kommt schließlieh bei der ganzen
weltstädtischen nervösen Aufregung nur der Sno-
bismus auf seine Kosten. Die neuen Moden werden
in der Weltstadt in Kurs gesetzt — weiter nichts.
Sie wird naturgemäß immer der große Markt für
die Künstler bleiben, aber seine Werkstätte wird
er lieber draußen in der Stille aufschlagen, wenn
anders er wirklich ein Schaffender ist und nicht
nur handwerksmäßig die gerade gangbaren Muster
für den Markt herrichtet. Es hat in den letzten
Jahren eine allgemeine Flucht der Dichter von
Berlin stattgefunden. Seihst Sudermann, der mit
dem weltstädtisehen Wesen am innigsten verwachsen
zu sein scheint, hält sich am liebsten auf seinem
rird.^^
;eD,^H
rinn ^^
märkischen Landsitz auf. Wildenbruch hat sich
in Weimar eiu atattliches Heim erbaut. Haupt-
mann fahlt sich nur in seiner schlesischen Heimat
wohl.
Die ächte liebevolle Pflege kann die Kunst
wirklich besser in der Ruhe erhalten. Und das
durchgesiebte Publikum eines geistigen Zentrums,
dem, wenn auch in ferner Vergangenheit, macht-
volle Persönlichkeiten seine Eigenart gegeben haben,
wird zu solchem Hüter- und Pflegeamt doch wohl
eher berufen sein als das unkontrollierbare Menschen-
gewimmel der Weltstadt. Die <leutschen Residenz-
städte können, was sie an politischer Bedeutsamkeit
glücklicherweise eingebüßt haben, am sichersten
dadurch wieder einholen, daß sie sich zu frucht-
baren Gärten neuer geistiger Bestrebungen herauf-
arbeiten, und es sollte der schönste Ehrgeiz der
deutschen Bundesfürsten, besonders in den kleineren
Residenzen sein, aus diesen Gälten frische Blumen
zum Ruhmeskraiize der guten Mutter Germania
brechen zu dürfen.
Bei der feierlichen Eröffnung des neuen Hof-
theaters glänzten viele von uns alten, treuen Wei-
maranern durch Abwesenheit — man hatte ver-
gessen, uns einzuladen! Dafür aber drängte sich
jenes Ganz-Berl in, das überall dabeisein muß,
wo es eine Sensation gibt, in dichten Scharen in
dem neuen Museutempel. Gewiß waren diese
' '^■„^'^K>'9>.^''Si Vom alten und vom ueuen Weimar'
typischen Erscbeinungen. die in der Weltstadt Über
dos Geschick alles Neuen in der Kunst zu ent-
scheiden pflegen, nicht nötig, um dem neuen Weimar
sein charakteristisches Gepräge zu geben; aber
immerhin, es ist ganz gut, wenn Berlin zuweilen
nach Weimar pilgert! Möge das neue Weimar die
VerpHichtung, die ihm das alte auferlegt hat, in
solchem Sinne begreifen und auch die übersatten
Hungrigen noch recht oft zwingen, an seiner reichen
Tafel zu Gaste zu sitzen. Es ist eine schöne, der
eifrigsten Förderung werte Idee , von nun an die
deutsche Jugend in jedem Sommer nach Weimar
zu Gaste zu laden, um ihr dort die klassischen
Meisterwerke bei reiner Stimmung mustergiltig
und erinnerungs würdig vorzuführen. Wahrlich,
wenn dieser Gedanke zur glückliclien Ausführung
kommt, dann ward schon um seinetwillen das neue
Haus nicht umsonst so weit und so schön gebaut!
4
Zur Pathologie des Kritikers
(1905)
Znr Pathologie itea Kritikfrs äyi^Nt^
I
k
l_)ie deutsche Kritik hält es für geschmacklos
von einem deutschen Künatler, sich um die deutsche
Kritik zu bekünimerD. Genosse Sudermann , der
im Schutze seines Ehrfurcht heischenden Bartes
und seines ehrlicJi erworbenen guten Namens ge-
wagt hat, gegen die „Verrohten" zu Felde zu
ziehen, hat das in tausendfältiger Wiederholung zu
hören bekommen: Wie dumm! wie kleinlich! wie
spiefibtlrgerlich, altmodisch, ängstlich und über das
alles hinaus : wie geschmacklos, sich überhaupt um
unser kritisches Geschreibe zu bekümmern! Nicht
nur die ganz wüsten NeuntÖter unter dem schreiben-
den Stechäiegengeschlechte stießen jetzt ihr Hohn-
gelächter der Hölle aus, sondern auch das bisher
noch einigermaßen dem „Tantifimenhelden" gegen-
über in anständiger Bescheidenheit verbliebene
Kleingeziefer entdeckte nun auf einmal, daß es
mit diesem Herrn eigentlich schon längst fertig
gewesen sei, ihn in seiner ganzen Hohlheit von
Anfang an durchschaut habe, und stimmte fröhlich
Zur Pathologie des Kritiken''
mit eiu in das Hobot^ekreisch der ganz Geistruichen:
, Hihihi, der Di-Di-Dichter!" Jeder deutsche
Zeitungsleser hat es nunmehr erfahren, daß dieser
Sudermanu niemals eine ernst zu nehmende Persön-
lichkeit gewesen, dagegen er selbst eiu ausgemachter
Esel sei, wenn er sich künftig noch von den Werken
dieses Reklamehelden imponieren lassen sollte.
Ich gedenke nun keineswegs, das Kapitel der
Verrohung in der Kritik hier nochmals wieder auf-
zunehmen oder an der Stelle , wo vor etlichen
Monaten Kollege Sudermaun im Sumpfe ver-
schwunden ist, gefährliche Ausbuddlungsversuche
zu unternehmen. Mein Gott, einige Monate sind
heutzutage eine entsetzlich lange Zeit — in-
zwischen kann der Manu ja bereits zu den Anti-
poden durchgesickert sein. Ich möchte nur aller-
lei Betrachtungen, die mir unterweilen aus der
Unterhaltung mit verständigen Freunden und durch
eigenes Besinnen erstanden sind, in loser Aneinander-
reihung hier wiedergeben.
Die liebenswUrdigstea unter unseren gegen-
wärtigen Tageskritikern sind die ganz frivolen.
Wenn man sich einen von ihnen persönlich vor-
nimmt und zu ihm sagt: „Wie konntest du die
Frechheit haben, einen Mann mit ein paar schuOden
Witzen abzutun und ihn wie einen leichtsinnigen
Schmieranten zu behandeln, der seit etlichen Jahr-
zehnten als ein gewissenhafter, sorgfältiger
I
I
I
i
Zur Pathologie des Kritikers
bekannt ist, der es mit seiner Kunst ernst nimmt
und eben darum sich auf seine vollendete Technik
etwas zugute tun darf?" — so wird einem der
liebenswürdige Frivole antworten: „Ja, mein Gott,
der Mann wird sich doch das Zeug nicht zu Herzen
nehmen, das ich abends nach der Vorstellung im
heißen Drange, mögliebst bald zu meinen Freunden
im Restaurant stoßen zu können, so hinschleudere.
Man schreibt doch, um zu leben, nicht wahr? Wenn
ich meine gut bezahlte Stelle behalten will, muß
ich leicht witzig, pikant schreiben. Scharf ist heute
bei den Verlegern Trumpf. Die Leser sind an
diese Tonart gewöhnt, folglich verlangen unsere
Brotherren, daß wir iu ihr singen. Na, auf den
Kopf gefallen bin ich ja nicht, und die koddrige
Schnauze ist mir angeboren , also nutze ich die
Konjunktur aus und verwende die mir von Gott
verlieheneu Gaben zu meinem Besten und zum
Vergnügen meiner Leser. Weshalb soll ich denn
annehmen, daß der verehrte Dichter, den ich am
Abend vermöble, meine Motive nicht ebenso durch-
schaue wie jeder beliebige Stammgast eines Berliner,
Wiener, Münchener oder sonstwoigen Literatur-
cafös?" Der Frivole hat ganz recht. Die meisten
Theaterdichter, wenn sie nicht gerade ganz welt-
fremde Leute aus der Provinz sind, wissen das
auch wirklich, sie wissen vielleicht sogar, daß der
gute X. Y., der sie so schändlieh verulkt hat, per-
Zur Puthologic des Kritiknrs
sßnlich ein sehr aiuOaauter, reizender Kerl ist, mit
dem sicli's am weißen Marmortischchen des Cafes
sehr nett und vernünftig plaudern läßt; aber die
Tausende von Zeitungsleüeru , die jene Verulbung
am Frühstückstisch gelesen haben, wissen das doch
nicht, auch Hingst nicht einmal alle diejenigen, die
bei der Premiere zugegen gewesen sind. Ihnen
hat vielleicht das Stück ausgezeichnet gefallen, sie
haben den Ihrigen davon vorgeschwärmt. Am
anderen Morgen müssen sie beschämt erfahren, daß
sie die Dummen gewesen seien. Die Ihrigen reiben
ihnen das unter die Nase , sie vermögen sich nur
schwach zu verteidigen, denn sie sind nicht im-
stande, ein Urteil logisch zu begründen, geistreich
zu formulieren, kurz, können sich nicht so aus-
drücken. Übrigens, dies und jenes haben sie ja
gestern abend auch bemerkt, was Besonderes war's
ja natürlich nicht! Mau hat das ja schon xmal
gesehen, und der Autor ist ja allerdings immer
überschätzt worden. Wenn er nicht die vielen
Freunde drin gehabt hätte ... ja, ja, man läßt
sich eben mitreißen von dem Toben der Claque
und der Clique. Es ist eine Schande, daß so etwas
geduldet wird!
Der tatsächliche Zustand ist also der, daß der
Dichter und zumal der Dramatiker heutzutage
dazu verdammt ist, als Material für den Modesport
des Tauhenschießens zu dienen. Hinter den Kulissen
I
Zur Pathologin des Kritiket
ßitzt er wie das Tftubchen in der dunklen Kiste,
und in dem Momente, wo er geblendet vom Rampen-
licht eniporflattert, richten sich hundert und etliche
Flintenlaufe auf ihn. Mögen noch so viele vorbei-
knallen, es sind immer geübte Schützen genug
darunter, um dem armsäligen Täubchen sicher den
Garaus zu machen.
Weit schlimmer als der frivole Routinier ist
der von seiner Wichtigkeit durchdrungene Grünling,
denn er pflegt nicht mit Witzpfeilen nur, sondern
mit der Keule des großen Pathos, mit dem ge-
wichtigen Ewigkeitsperspektiv über den unglück-
lichen Dichter herzufallen. Dieses Ewigkeitsper-
spektiv ist gerade in den letzten Jahren zu einer
unheimlichen Mordwaffe geworden. Seine prak-
tische Brauchbarkeit wird von Kennern bezweifelt,
denn obwohl es durch und durch hohl ist, vermag
man doch auf weitere Entfernungen nichts hindurch
7u sehen. Der liebe Leser laßt sich durch diese
Art von Kritikern noch mehr imponieren als von
jenen skrupellosen Witzbolden. Er sagt sich: den
Leuten muß es doch ernst sein mit ihrer Strenge,
denn sie legen einen großen Maßstab an. Einen
bestimmten Namen trägt der große Maßstab selten
oder nie, er ist nur ein mathematischer Begriff,
von dem man durch die Vergleiehung mit dem
unendlich Kleinen eine Vorstellung gewinnt. Und
das unendlich Kleine ist das Gegenwärtige, das
Zur Pathologie des Kritiken
der Tag leibhaftig produziert. Die VeracfatuDg
des BcBtehenden ist gerade für die JQugsten uad
Kleinsten ein beliebtes und sicheres Mittel, reif,
ernst und tief zu erscheinen. Kein Wunder, daß
sieb seiner mit besonderer Vorliebe jene gesalbten
schwarzen Lockenköpfeben bedienen , die in rOhrend
jungen Jahren von den östlichen Grenzen her nach
Berlin einwandern, um hier um eine Scharfrichter- '
stelle zu kandidieren. I
Die Verachtung des Gegenwärtigen galt ehe-'^
dem als ein trauriger Charakterzug des nörgelnden
Alters, ~ heutzutage ist sie ein Charakteristikum
der ganzen übersättigten Großstadtintelligenz und
deren Jugend insbesondere geworden. Seitdem die
prächtigen Jungens von 1884 — 90, die natura-
listischen Draufgänger, ihre Rolle ausgespielt haben
und die korrekten Herren, die bei den teuersten
Schneidern arbeiten lassen, seltene Juwelen tragen
und meist sogar soignierte Fingernägel haben, in
der literarischen Weit tonangebend geworden sind,
gilt jegliche Anwandlung von Begeisterung, ja so-
gar die laue Anerkennung von irgend etwas Gegen-
wärtigem als schlechter Stil — manvais genre.
Die hochgezogeneu Brauen, das müde Lächeln, die
feinen Hohnrillen um die Nasenflügel dieser süßen
Herren zu beobachten, wenn ihnen so ein elendiger,
gesunder Mensch etwas vorschwärmt, das ist ein
köstlicher Genuß für den humoristischen Welt-
384 .
I
Zui Pathologie des Kritikers
betrachtet. Das sind die feuchtfingiigen Weg-
weiser zum Übermensclieii , die ungeahnte Schön-
heiten zu schauen vermögen — sobald sie ihre
geehrten Äugendeckel zuklappen, die unerhörten
Wollüsten da nachkriechen, wo der gemeine Instinkt-
mensch sich, mit Respekt zu sagen, gottsträflich
mopst. Das sind Leute, die Farben hören. Töne
sehen, Gefühle riechen und Düfte greifen, die
Leute, für die die wahren Dichter solche sind, die
sich nie durch Schreiben geschändet haben, jene
Dichter, die da sind wie das Meer, aus dem nur
Klippen und öde Sandbänke hervorragen, sonst
überall Wasser , nichts als Wasser , grenzenlose
Tiefen sowie Untiefen, die man nur ahnen kann;
höchstens daß hie und da, den Schiffer zu warnen.
Gedankenstriche gleich Bojen über die Oberfläche
hervorragen.
Eine dritte und wie mir scheint in Berlin
besonders zahlreich vertretene Gattung von Kri-
tikern bilden jene Herren, die fortwährend über
die Ekelhaftigkeit ihres Berufs lamentieren und
drei Viertel ihrer Artikel damit ausfüllen, daß sie
Über die Existenz der vielen Dichter, Bücher,
Theater usw. entrüstet Klage führen. Es ist für
sie eine Höllenstrafe, Bücher lesen und Theater
besuchen zu müssen, und die Dichter, die daran
schuld sind, daß die Herren Kritiker ein so saures
Brot essen müssen, werden demgemäß als Geißeln
XXV.
Zur Pathologie des Kritikers
der Menschheit der allgemeinen Verachtung preis-
gegeben. Dabei kann man beobachten, daß die
Spezialisten für Kritik der Lyrik die Romanciers
und Dramatiker, diejenigen fürs Theater die anderen
EOch für verhältnismäßig anständige Menschen
halten. Würde wohl ein Bankinstitut einen er-
klärten Kommunisten zu seinem Syndikus wählen
oder ein König notorisclie Antimilitaristen zu Bei-
sitzern eines Militärgerichtshofs ernennen!? Aber
großen angesehenen Zeitungen erscheint es nicht
als widersinnig, die Theaterkritik Leuten zu Über-
tragen, die fortwährend in die Welt hinausschreiben,
daß sie das Theater an sich für ein kunstfeind-
liches Institut und Theaterdichter für geborene
Idioten ansähen. Diese Sorte von Kritikern hat
den Ton der Verachtung und das stigmatisierende
„Herr" vor dem Namen des Autors in die Kritik
eingeführt , hat die Begriffe Handlung , Effekt,
theatralisch und einige andere gebracdmarkt, ohne
uns dafür etwa neue , höhere Werte zugeführt zu
haben. Die Bedingungen des Theaters sind heute
noch dieselben wie sie in grauer Vorzeit waren,
und diese Bedingungen sind für jeden denkenden
Menschen ganz selbstverständlich, denn sie rechnen
"mit der einfachen physischen Notwendigkeit, eine
kompakte Menschenmenge während einiger Stunden
an den Nerven festzuhalten. Alles , was zur Er-
füllung dieser Grundbedingung gehört, wird aber
I
heutzutage mit dem Schimpfwort „tbeatraliseh'
belegt und gilt somit als küDStleriscli unwürdig.
In dem Herausarbeiten dessen, was solche Leute
, theatralisch" schimpfen, beruht die ganze Schwierig-
keit und Besonderheit des dramatischen Schaffens.
Die Schwierigkeiten der Technik sind mit der Ver-
feinerung unseres Geschmacks, mit der Steigerung
unserer Ansprüche an äußere und innere Wahr-
scheinlichkeit immer größer geworden und durch
das Talent allein nicht zu bewältigen. Wenn diese
Schwierigkeiteu nicht wären, so würde in unseren
Tagen jedermann ebenso Dramen schreiben wie
jedermann Gedichte, Skizzen, Novellen und sogar
Romane schreibt. Die theatralische Technik der
Verachtung preisgeben, heißt also so viel, als die
Dämme niederreißen, die bislang noch einigermaßen
die unendlichen Wasserfluten des Dilettantismus
von der Bühne abgesperrt haben. Es ist traurig,
daß es nicht überflüssig erscheint, über solche
Binsenwahrheiten noch Worte zu verlieren; aber
muß man nicht jeden Glauben an die Denkfähig-
keit solcher Kritiker verlieren, wenn man sie tag-
lich dasselbe törichte Lied wiederholen hört, das
Lied mit dem Refrain: „Wer was kann, wer sein
Publikum zu unterhalten, zu fesseln, zu rühren,
zu erschüttern versteht, der ist ein Schuft, der's
nur auf die fetten Tantiemen abgesehen hat."
Demnach würde der wahre Dramatiker der sein.
der vom Theater keine Ahnung hat und die Leute
durch Langeweile aus dem Haus hiuausgrault.
Darauf kommt es auch tatsächlich hinaus , wenn
man die Werke betrachtet, die jene Verachter des
Theaters gelegentlich als wahre Kunstwerke
theoretisch empfehlen.
Die große Schwierigkeit fUr eine vernünftige,
gerechte Kritik liegt in der Überproduktion von
Mittelgut. Die Quellen der Bildung, die frOher
nur in den großen Zentren flössen, sprudeln jetzt
schier überall oder sind doch für wenig Geld auf
Flaschen gezogen erhältlich. Nach allgemeiner
Bildung braucht man nicht auf schwindligen Leitern
hinauf zu klettern , man kann sie wie die Blau-
beeren in guten Jahren am Boden liegend von den
Büschen streifen. Der großartige Aufschwung des
internationalen Verkehrs, das nicht nur in den
Museen, sondern in allen Straßen der Großstädte
aufgehäufte Anschauungsmaterial, die erstaunliche
Fülle von interessantem Stoff, den täglich jede
Zeitung liefert, alles das hat dem jetzt lebenden
Geschlecht den Gesichtskreis dermaßen erweitert,
so unendlich viel neues Material für das Spiel-
und Gestaltungsbedürfnis der Phantasie gebracht,
daß es eine selbstverständliche Folgeerscheinung
genannt werden muß, wenn heute auch unendlich
mehr Menschen denn je zuvor sich zu künstlerischer
Betätigung gedrängt fühlen. Daß die Qualität des
M.
i
I
Zur Pathologie des Kritikera
Geschaffenen unter der Quantität gelitten habe, ist
nicht wahr. Die neuesten Literatur- und Kuost-
geschichten tun schockweise Leute mit drei Zeilen
ab, die, wenn sie vor fonfundsiebzig Jahren etwa
gelebt hätten, mindestens drei Seiten zugeteilt be-
kommen hätten, und umgekehrt würden eine Menge
von bedeutsamen Erscheinungen früherer Zeiten,
die die lernende Jugend sich in der Schule ein-
prägen muß und über die heute noch Gelehrte
dicke Bücher schreiben, heutzutage mit gutem
Recht als unter dem Normalmaß stehend achsel-
zuckend beiseite geschoben werden. Wer heute
als Instruraentalvirtuose zum Beispiel in einem
anständigen Konzert auftreten will, muß eine
Technik besitzen, die ihn früher zum Weltwunder
gestempelt hätte, und wer einen Roman in einem
angesehenen, gut zahlenden Unterhaltungsblatt ab-
gedruckt haben will, muß seine Fabulierkunst und
seine stilistische Gelenkigkeit ebenso gedrillt haben
wie der Listrumental virtuose seine Finger. Aber
nicht nur die Technik hat sich so erstaunlich
vervollkommnet. Durch das Übergewicht des Juden-
tums in der Presse ist seit Heine der Witz, durch
den faszinierenden Einfluß genialer Franzosen pi-
kante Grazie in den Stil und durch die Gewohnheit
des raschen Lebens ein total neues Tempo in unsere
ganze Schriftstellerei gekommen. Selbst der ein-
fache Mensch lebt heute oft genug ein viel be-
wegteres, äußeilich und innerlich reicheres Leben
als Doch vor hundert Jahren die I^ute, die auf
den Höhen der Menschheit wandelten; selbstver-
ständlich haben uns unsere Dichter also auch viel
mehr zu erzählen als die Schreihersteute aus der
Postkutschenzeit. Und nichts wäre dUmmer als
zu behaupten, daß das Vielerlei der Stoffe not-
wendig eine gedankliche Verflachung der Betrach-
tungsweise im Gefolge haben müßte. Die außer-
ordentliche Schärfe und Gewissenhaftigkeit der
wissenschaftlichen Methoden hat auch auf die
Phantasiemenschen abgefärbt und jene intimen
Milieustudien und subtilen psychologisclieu Analysen
gezeitigt, die ein ganz besonderes Kennzeichen der
modernen Literatur geworden sind.
An gedanklicher Vertiefung und verfeinerter
Empfindung fehlt es also unserer Dichtung durch-
aus nicht — seltener sind höchstens die originellen
Querköpfe geworden , die ihrem dicken Blut und
ihrer mangelhaften Vorbildung mühsälig die Dar-
stellungsform abringen mußten. Die ungeheuere
Fülle des überhaupt Gebotenen, die Menge des er-
staunlieh gut Gekonnten, des eigenartig Gewollten
zu überschauen, nicht das Gute über dem Besseren
oder das Bessere über dem Besten oder das Gestrige
über dem Heutigen zu vergessen, das ist es, was
eine gerechte Kritik so ungemein schwierig macht.
Es ist nicht nur für das große Publikum, sondern
' Zur Pathologie de« Kritiken
auch fflr den Benifskiitiker unmöglicli, etwa hundert
Namen im Gedächtnis zu belialteü. Es dürfen da-
her nicht hundert Menschen gleichzeitig aus der
Masse hervorragen, es darf nicht hundert Berühmt-
heiten innerhalb eines Gebietes an einem Tage
geben, vierundneunzig davon müssen unbarmherzig
geköpft werden, damit sechs leben können; denn
mehr als sechs Dichter, sechs Musiker, Bildhauer,
Gelehrte, Feldherrn, Verbrecher, Könige, 12 Komö-
dianten und 24 Leuchten des eigenen Faches kann
ein normaler Kopf selbst in diesen Tagen höchster
Faesungsfreudigkeit der Hirne nicht gleichzeitig
beherbergen. Daher also auch das Einspinnen der
juQgen Literaten in die Cliquen und Klüngel —
damit sie nnr ja nichts hören und sehen von den
Iviel zu Vielen, die außerhalb des Zirkels empor-
blUhen, daher der scheußliche Neid gegen jeden,
der es glücklich erreicht hat, aus der Masse hervor-
zutauchen, und der grausame Eifer, ihn so lange
auf den Kopf zu schlagen, bis er Wasser schluckt.
Daher die skandalöse Vergeßlichkeit und Undank-
barkeit unserer Zeit. Wir haben es erleben müssen,
daß Gerhart Hauptmanu, weil er ein paar Miß-
erfolge auf dem Theater hatte, zum alten Eisen
geworfen wurde, während man gleichzeitig artistische
Gecken, wie Oskar "Wilde, beweihräucherte und
vor Maeterlincks, des bühnenfremden Träumers
„Monua Vanua" in die Knie sank, die doch nichts
Zar Pittholo^e dee Kritik«
weiter als itie liebenswürdige Schwäche eines jungen
Ehemanns ist, der wir Dutzende von ebenbürtigen
Dramen entgegen zu setzen haben.
Ich will nun zum Schluß noch die Frage auf-
werfeu: Woher sollen unsere durch die unwürdigste
und ungerechteste Beurteilung mißhandelten Dichter
noch den Mut nehmen, weiter zu ringen um Sieges-
palmen, die die Kritik ja doch selbst dem bo-._
geistertsten Publikum aus der Hand windet, durch
den Dreck zieht und dem Triumphaler am nächsten
Morgen um die Ohren schlagt? Ich glaube, ich
weiß darauf eine gute Antwort: der arme Dulder
soll eich nur darüber klar werden, daß nicht die
mutwilligen Artistenknaben, nicht die verärgerten
und gelangweilten Zunftkritiker, daß überhaupt
die gedruckten Urteile es nicht sind , die den
Wert seiner Arbeit mindern oder mehren, sondern
vielmehr das Urteil der Leute, die nicht schreiben,
aber sicher und tief nachempfinden, was sie gehört
und geschaut, und die, im Besitze einer viel um-
fassenden Bildung, instinktiv den richtigen Maß»
Stab auch an das neue Kunsterlebnis zu legen-
wissen. Solcher Menschen gibt es heute im Ver-
hältnis just so viel mehr, als es Könner unter den
Künstlern mehr gibt, und das Urteil dieser Leute
beeinflußt das Denken der Meinungslosen schließ-
lich doch wohl in höherem Grade als das Gedruckte
unterm Strich. Eins ist sieher und könnte von
4
4
K Zur Pfttiiologie des Rritikera
mir durch reiche Erfahrungen belegt werden: der
Geschmack dieses unseres idealen und nicht gar
kleinen Publikums ist ein gänzlich anderer als der
der kritischen Bramarbasse in den Zeitungen oder
der sezessionistisch aufgetakelten Geistreichen der
Salons. Das Hirn des gegenwärtigen Literaten
ist krank, muß krank sein, so gut wie ein Magen
krank werden muß, der lange gehungert oder von
Kartoffeln und Kaffee gelebt hat und plötzlich
täglicher Tischgast an den ächzenden Tafeln der
Kommerzienräte wird. Da aber der Mensch sich an
alles gewöhnt und die Kommerzienräte auch leben,
so ist zu hoffen, daß wir auch unter der Herrschaft
des Überflusses an Gutem schließlich doch zu einer
vernünftigen Kritik kommen werden. Die Kommer-
zienräte gehen alljährlich nach Karlsbad und
schaffen's damit; vielleicht weiß jemand einen Kur-
ort für Zeitungsschreiber, wo mit milden Purganzen
und sanfter Massage literarische Überfütterung
geheilt wird? — Eine Preisfrage!
Abt — Devrient
Alphabetisches Personen Verzeichnis.
Abt, Fr&DE 43.
Achenbftch (Alvary) 370.
Adam 246.
d'Älbert, Engen 33. 354. 370.
Alberti, Conrad 64.
Aniengruber 297. 338,
Annbmster, Karl 32.
l'ArroDge, Adolf 73. 204. 297.
Auber 247.
Bacb, Seb. 7.
Bacon, FranjiK 96.
Bahr, Hermann 212. 297.
Barnay, Ludw. 89.
Beck, Fr. 26.
Beetboven, Ludwig van 4. 8.
10. 11. 14. 33. 137. 294.
BoigJdieu 246.
Bong, Richard 274.
Bopp. W. 32.
Boy-Ed, Ida 70. 275.
Brahm, Otto 327.
Brahms, JobanueE 7. 11. 12.
13. '.
. 46.
1 13. 14. 32.
Berlioz 83. 84. 349.
Bernstein, Elsa (Ernst Bos-
nier) 212.
Bierbaum, 0. J. XII. 225.
234. 253. 368.
Birch-Pfeiffer 297.
Bizet n.
EjönisoD 194.
Blumenthal 297.
Böcklin 348.
BiShlan, Helene 70. 275. 371.
Brandes, Georg 97 £
Brattisch II.
Brendel 348.
Brückner, Anton 38.
Brüll, Ignaz 44.
Bruno, Giordano 131
Bülow, Daniela 3
Bulow, Hans voi
41. 163. 176. 849. 362/63.
Bungert, August 47/48.
Busch, Wilhelm XI. 252.
Busoni, Ferruccio 253.
Chamberlain, H. St. 142.
Chappman, George 100.
Cbopin 367.
Cornelius, Peter 33. 36. 348.
Croissaut-Rust, Anna 212.
Curschmann 45.
Daudet, Alf. 70.
Debmel, Richard 368.
DcTrient, Eduard 337.
Difflner — Hofioannsthat
Diemer, Zenu 119.
Dingeldey 370.
Dingelstedt 327.
Dobert, Paal 274.
DoBtojewskj
Drachmen, 1]
70.
Ilolger 225.
Dräaicke, Felix 33. 38. 40.
Dvrfak 349.
Ebner- Esche ob ach, von 70.
Elisabeth , PrinzesBin von
Weimar 360.
Endell, August 236.
Falke, Gustav 234.
Fetton, Mary 98.
Flaubert 60.
Fontane, Theodor 69. 271. 338.
Frank, Karl 32.
Franz, Robert 46.
FreiUgruth, Ferd. 26.
Freudenberg, Wilhelm 252.
Fi-eytag, Gustav 63. 64. 69. 194.
Fried he im 370.
Fuchs, Georg 253.
Fuchs, E. 46.
Fulda 297.
Öädertz, Karl 119.
Galilei 137.
Ganghofer, Ludwig 113. 276.
Garborg, Arne 70.
Geisler, Paul 33. 50 ff.
Geiber, Adolf 111. 112 ft.
Genelli 348.
Georg, Herzog v. Meiningen
Gille 361.
Glasenapp, A. 142.
Gleichen-Kußivurin, Ludw. v.
■ Gleichen-Kultwurii], Ludw
i 347.
■ Gluck, Christian Ritter \
■ 4. 10.
■ Goethe, W. v. 25. 83. 290(
I 295. 338. 346.
tloethe, Wulfgang von, jr. M
Goethe, Walter von 347.
Goldmark, Karl 42.
Goldschmidt, Adalbert t(
Goitiier, Wolfgang 143.
Görlitz, A. 253.
Getze, Hermann 41.
Grabbe 26.
Grillparzer 26. 296.
Gröger, Fanny 252.
Groüe, Julius 369.
Gumbert, Ferdinand 43.
Gussow 348.
Gutzkow 26.
Hagen, Theodor 348.
Halbe, Max 212. 297.
Hallwacbs, Karl 253.
Hart, Gebräder 368.
Hartteben, 0. E. 297. 363.
Hauptmann, üerhart 72. II
212. 297. 311. 375. 391.
Haydn, Josef 4.
Hebbel, 26. 296.
Hegar, F. R. 292.
Heiberg, Hermann 69. 275.
Heimburg 276.
Heine, Heinricli 25. 234. 36
Hendschel, üeorc 46.
Hcnckell, Karl 368.
Hettner, Hermann 194.
Hermann, Hang 252.
Hertzberg, W. A. B. 118.
Herwegt, Georg 26. 162.
Hey, Jul. 32.
Heygendorf 346.
Heyse, Paul 64.
Hillern, Wilhelmine von 27
Hofmanu, neinrich 46.
Hofmannsthal, H. v. 297. 31
Holstein, Frauz von 41.
Holz, Amo 71 S. 212. )
Hugo, Victor 3B7.
Humperdingk, Engelbert 32.
Ibsen, H. 70. 194.
Iffland 73. 293. 297.
ImmennanD 327.
JagemttDO, Caroline 290.
Jakobi, Martin 252.
Jensen, Adolf 48.
JungbaoB, Sopbi» 70. 274
Kadelburg, G. 297.
Kainz, Josef 87. 88.
Kalb, V. 346.
Kalckreuth, Graf 348.
Kaliacb 297.
Karl Alexander v. Weimar
360. 364 ff. 372.
Karl August v. Weimar 396.
346. 372.
Keller, Gottfried 64. 69. 182.
Kielländ, Alex. 70.
Kienzl, Wiih. 32. 38.
Kleist, H. y. 296.
Klingemann 297.
Klindwurth, Karl 32.
Klose, Frit2 46.
Kniesa, Jul. 32.
Eümpei, Konzertmeister 355.
Kotzebue 296.
Kretzfichmar, Edmund 43.
Kmg, Carl 253.
Kruse, Max 236.
Lanner 11.
Lassen, Eduard 46. 355.
Lauhe 26. 327.
Lehfeld, Otto 369/70.
Lenau, N. 26.
Lesaiug 338.
Leßmann, Otto 46.
1^^ Hobtein — Offenbftch
Leuthold 25.
Liliencron, D. v. 69. 234. 368.
Lindau, Paul 297. 327.
Linning 348.
Littmann 345.
Liszt, Franz 33. 155 ff. 17a
174. 175. 348. 351 ff. 867.
372.
Loen, läaron 361.
Löwe, K. 11.
Ludwig 11. V. Bayern 140.
Ludwig. Otto 26.
Maeterlink 391.
Mahler 827.
Maren ziö 7.
Marlitt 276.
Martersteig, Max 369.
Meudelssohn, Arnold 253.
Mendelssohn, Felis 11. 234.
Merz, Oscar 82.
Metternich, Fürstin P. 140.
Meyendorff, Baronin 349, 355.
Meyer, Conrad F. 368.
Meyerbeer, Glacomo 5. 11.
367.
Micha lowits 33.
Millöcker 11. 245.
Monte verde 7.
Moszkowaki, Moritz 51.
Mottl, Felix 32. 327.
Mozart, W. A. 4. 8. 9ff. II.
137. 294.
Hapoleon ID. 140.
Necker, Moritz 207.
Neßler, Victor 43.
r
Ompteda ~~ Vob
Ompteda, Georg v. 275.
OBtini, Fritz v. 252.
Pembroke, Lord 98.
Planer, Minna 140 ff,
Piiiddemann, Martin 46
Pohl, Richard IßO.
Pohlig, Karl 354, 370.
Porgea 32.
Possart, Kitter E. t. 327
PreUer 348.
Preaber, Rudolf 253.
Saabe, Wilheim 64. 69. 33t
Rath, Willy 253.
Raupach 297.
Reger, Max ix.
Remecke, Karl 41.
Reinhardt, Max 337.
Remmert 354.
Reissenaaer, Alfred 370.
Renter, Fritz 69. 338.
Reuter, Gabriele 371.
Richter, Hans 32,
Riedel 46,
Ritter, Alexander 33,
Roberts, Alex. v. 70, 275.
Rosmer, Ernst (Elsa Bern.
stein] 212.
RosBi, Ernesto 91.
Rossini 5. 367,
Ruederer, Joseph 212.
Rufer, Philipp 43.
Salvini, Gustavo 79. 81. 83. 87
SalTini, Tomaso 79. 91.
Sand, George 867.
Savits. Jocza 118. 369.
Soheidemantel 370.
Schennis, P. v, 348,
Schiller, F. v. 63. 290. 334. 346
Schindler, Curt 253.
Schlaf, Joh. 71 ff.
Schienther, Paul 306. 327.
Schloß, Carl 253.
Schöüthan, F. v. 397.
Schröter, Corona 290.
Schubert, Franz 4. II, 4J
Schuch 327.
Schulte vom Brühl 370.
Schumann, Robert 11. 33. 4?
Seidel, Heinrich XL
Semper, Gottfried 163.
Servaes, Franz 212
Seydl, Anton 32. 51.
Shakespeare 75—132. 294,
Siloö 370.
Smetana 349.
Sommer, Hans 47.
Sorma, Agnes 88. 206.
Spielbagen 63. 64.
Spiro, F. 53.
Stahr, Fräuleins 361
Stavenhagen 870.
Slorm, Th. 25. 69.
Strauß, Oskar 239.
Strauß, Joh. 11. 44. 245.
Strauß, Richard IX. 247. 334
Strindberff 194,
Struys 348.
Südermann, Hermann 72. 271.
375. 297. 374, 380.
Sulzer, .Jakob 162.
Suppe 245.
Taußig 163.
Tessero-Bozzo 80.
Thackeray 372.
Thoma, Ludwig 234.
Thornbourg 126,
Thuille 334.
TimanofT, Vera 354.
Tolstoi, Leo Graf 70.
Usteri 297,
Tierordt, Heinrich ;366.
Vollborth, Eugen v. 253
Volz Wilhelm 252.
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